Authentische Gesetzgebung: Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen mit Umsetzungsgesetz auf dem Prüfstand des Grundgesetzes [1 ed.] 9783428518487, 9783428118489

"Wer regiert eigentlich bei uns? Ist es die Bundesregierung, der gewählte Bundestag, oder sind es hochgradig organi

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Authentische Gesetzgebung: Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen mit Umsetzungsgesetz auf dem Prüfstand des Grundgesetzes [1 ed.]
 9783428518487, 9783428118489

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1011

Authentische Gesetzgebung Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen mit Umsetzungsgesetz auf dem Prüfstand des Grundgesetzes

Von Max Reicherzer

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

MAX REICHERZER

Authentische Gesetzgebung

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1011

Authentische Gesetzgebung Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen mit Umsetzungsgesetz auf dem Prüfstand des Grundgesetzes

Von Max Reicherzer

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität zu München hat diese Arbeit im Jahre 2004 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2006 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-11848-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Rechtsnormen beschränken nicht nur die Freiheit. Sie entlasten vielmehr auch den Rechtsanwender. Dieser kann den oftmals mühevollen Prozess des Abwägens des Für und Wider seiner Entscheidung jedenfalls zum Teil dem Normgeber überlassen. Ein Vorwurf, er habe zwar rechtlich richtig, der Sache nach aber falsch entschieden, verfängt nicht. Der Rechtsanwender kann darauf verweisen, dass er entsprechend der Rechtsnorm und damit gemäß dem vom Normgeber schon vorgedachten Problemlösungsmodell entschieden hat. Ihm wird die eigene Abwägung ein Stück weit abgenommen, weil der Gesetzgeber die Aufgabe der Abwägung jedenfalls teilweise bereits selbst übernommen hat. Der von der Rechtsordnung postulierte Gesetzesgehorsam verlangt dem Einzelnen ab, darauf zu vertrauen, dass die vom Gesetzgeber entschiedene Regelung billig und gerecht ist. Das wirft die Frage auf, was die Basis dieses Vertrauens in die Entscheidung des Gesetzgebers ist. Worauf gründet sich das Vertrauen in die Billigkeit und Gerechtigkeit des Gesetzesrechts? Das Vertrauen in die Richtigkeit von Gesetzen ist nur dann gerechtfertigt, wenn das Gesetz auf eine Art und Weise zu Stande kommt, die gewährleistet, dass das vom Gesetzgeber aufgestellte Verhaltensprogramm gewissen Qualitätsanforderungen genügt. Zwar gilt der Gesetzesgehorsam unabhängig davon, ob der Einzelne das jeweilige Gesetz für qualitativ hoch- oder minderwertig hält. Die Einhaltung eines Verfahrens, das ein gewisses Maß an gehaltvoller Abwägung gewährleistet, ist jedoch essentiales Fundament des Gesetzesgehorsams und des Vertrauens in die Gesetzgebung. Warum sollte der Einzelne einem Gesetz gehorchen oder auf ein Gesetz vertrauen, das nicht einmal durch die Art und Weise seines Zustandekommens eine gewisse Richtigkeitsgewähr in sich trägt? Wenn der Gesetzgeber seinerseits die Mühe des Ermittelns und Bewertens von entscheidungserheblichen Gesichtspunkten informellen Verhandlungsrunden überlässt, verliert die vertrauende und gehorchende Überantwortung von Verantwortung ihre innere Rechtfertigung. Ging dem parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren ein zwischen Regierung und gesellschaftlich wirkmächtigen Kräften eng verzahnter gesetzesvorbereitender Verhandlungsprozess voraus, so überlässt der gesetzesgehorsame Rechtsanwender die Entscheidungsverantwortung einem Gesetzgeber, der die Last

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Vorwort

einer substanziell abwägenden Entscheidung bisweilen gar nicht selbst auf sich genommen hat. Informelle Verhandlungsrunden unterliegen nicht der öffentlichen Kontrolle, stehen deshalb nicht unter Rechtfertigungsdruck und können damit auch nicht die notwendige prozedurale Garantie für eine Mindestqualität der Rechtsetzung liefern. Es besteht die Gefahr, dass gesetzesvorbereitende Verhandlungen und Vereinbarungen eine Gesetzgebung zur Folge haben, in der die Verantwortung auf Verhandlungsrunden abgeladen wird, die sich ihrerseits einer fassbaren Verantwortlichkeit entziehen. Eine Gesetzgebung im verantwortungsfreien Raum ist die Folge. Mangelnde Verantwortlichkeit, fehlender Rechtsfertigungsdruck und entsubstanzialisierte Parlamentsrituale führen jedoch letztlich zu einer minderwertigen Gesetzesqualität. Hier setzt das verfassungsrechtliche Prinzip der Authentizität der Gesetzgebung an. Zum einen wird aus dem Grundgesetz abgeleitet, dass es neben den grundgesetzlichen Regelungen zum formalen Gesetzgebungsverfahren i. S. d. Art. 76 ff. GG normative Prinzipien eines materiellen Gesetzgebungsverfahrens gibt. Der Gesetzgeber ist nach diesen Prinzipien nicht nur zur formalen Absegnung, sondern zur materiell-diskursiven Gesetzgebung verpflichtet. Erst im materiellen Gehalt des Gesetzgebungsprozesses findet das Gesetz jene innere Legitimation, die den Gesetzesgehorsam rechtfertigt. Erst im materiellen Gesetzgebungsverfahren wird ein tragfähiges Fundament für das Vertrauen in die Richtigkeit von Gesetzen gelegt. Damit aber das Gesetzgebungsverfahren nicht von informellen Vorfeldern präjudiziert, ausgezehrt und entwertet wird, bedarf es zudem einer regulativen Strukturierung des Gesetzgebungsvorfeldes. Die eingeforderte Parlamentarisierung des parlamentarischen Verfahrens wird nur dann gelingen, wenn eine bereits im Gesetzgebungsvorfeld ansetzende Gesetzesvorbereitungsstruktur die gemeinwohlverpflichtete Staatswillensbildung vor einer Usurpation durch Vertreter gesellschaftlicher Partikularinteressen schützt. Dies gehört ebenfalls zum Wesenskern authentischer Gesetzgebung. Ich danke Herrn Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Professor Dr. Dr. h. c. Hans-Jürgen Papier für die Betreuung und Erstkorrektur sowie Herrn Professor Dr. Peter M. Huber für die Zweitkorrektur dieser Doktorarbeit. Meine Eltern Lore und Johann Reicherzer haben mich stets durch Gespräch und Diskussion zu neuen Ideen ermuntert und auch in schwierigen Phasen des Promotionsprojektes begleitet. An sie und ebenso an meinen Bruder Hans Reicherzer, der mich vor allem in computertechnischer Hinsicht unterstützt hat, sei ein ganz persönlicher Dank gerichtet. Meinem Schulfreund Associate Professor Dr. Mathias Siems, LL.M., bin ich für konstruktive Diskussionen dankbar verbunden. Dank schulde ich auch dem

Vorwort

9

Deutschen Bundestag, der die Veröffentlichung durch einen Druckkostenzuschuss gefördert hat. Dem Leser dieser Arbeit wünsche ich eine anregende und bereichernde Lektüre. München, Mai 2005

Max Reicherzer

Inhaltsübersicht Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 1. Teil Die Problematik informell-kooperativer Gesetzgebung

35

A. Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 B. Untersuchungsmaßstab. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 C. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 2. Teil Die Theorie informell-kooperativer Staatsgewalt A. B. C. D.

108

Informell-kooperative Staatsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 Kooperation und Dualismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 Influenzierende und influenzierte Staatsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 3. Teil Die kooperative Staatsgewalt in der Kompetenzordnung

A. B. C. D. E.

181

Kongruenz von Vereinbarung und Umsetzungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 Inkongruenz von Vereinbarung und Umsetzungsgesetz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 Einzelfallregelungen im Umsetzungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Influenzierte Einzelfallregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 4. Teil Die Verhandlungsphase

A. B. C. D.

231

Organisationsautonomie und Eigenbereich der Regierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 Grundgesetzliche Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 Regelungsstruktur für die Gesetzesvorbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410

12

Inhaltsübersicht 5. Teil Die Umsetzungsphase

412

A. Funktion des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 B. Normativität der diskursiv-abwägenden Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 C. Bedeutung der Funktion des Gesetzgebungsverfahrens bei gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen und deren Beeinträchtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428 D. Abwägungsfehlerlehre als Instrument der Funktionssicherung . . . . . . . . . . . . . . 434 E. Einfachgesetzliche Gesetzgebungsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493 6. Teil Der Zusammenhang der Phasen und Fehlerfolgen

499

A. Interdependenzen zwischen Verhandlungen und Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . 499 B. Fehlerhafter Abwägungsvorgang und Nichtigkeit des Gesetzes . . . . . . . . . . . . 506 7. Teil Die Geltendmachung von Verfassungsverstößen

511

A. Subjektives Recht auf materielles Gesetzgebungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . 511 B. Informell-kooperative Gesetzgebung im Verfassungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . 515 C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534 8. Teil Der relative Bestandsschutz vereinbarter Gesetze

535

A. Sektorale Änderungen im Gesamtpaket . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535 B. Gesetzesänderung und Vertrauensschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 536 C. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 548 9. Teil Das Prinzip der Authentizität und Eigenverantwortung

550

A. Gewissen und Gemeinwohlbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 550 B. Authentizität als organübergreifender Rechtsgedanke. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 552 C. Authentizität und Eigenverantwortung als Verfassungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . 553 D. Authentizität und Kooperationsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 557 E. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 563

Inhaltsübersicht

13

10. Teil Die informell-kooperative Gesetzgebung als Chance

565

Zusammenfassung in Thesen

568

1. Teil: Die Problematik informell-kooperativer Staatsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . 568 2. Teil: Die Theorie informell-kooperativer Staatsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 570 3. Teil: Die kooperative Staatsgewalt in der Kompetenzordnung . . . . . . . . . . . . . 573 4. Teil: Die Verhandlungsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 576 5. Teil: Die Umsetzungsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 582 6. Teil: Der Zusammenhang der Phasen und Fehlerfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 586 7. Teil: Die Geltendmachung von Verfassungsverstößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 586 8. Teil: Der relative Bestandsschutz vereinbarter Gesetze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 587 9. Teil: Das Prinzip der Authentizität und Eigenverantwortung. . . . . . . . . . . . . . . . 588 10. Teil: Die informell-kooperative Gesetzgebung als Chance. . . . . . . . . . . . . . . . . . 588 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 615

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

1. Teil Die Problematik informell-kooperativer Gesetzgebung A. Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Subordinatorische informelle Gesetzesvereinbarungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Referenzgebiet: „Atomausstieg“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Historisch-empirischer Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verallgemeinerungsfähige Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsnatur gesetzesvorbereitender Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . aa) Typologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Gegenseitiger Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Einseitiger Vertrag. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Gentlemen’s Agreement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Funktion der Typologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Einordnungskriterien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Konkretes zukunftsbezogenes Handlungsprogramm . . . . . . (2) Rechtsfähigkeit der Vereinbarungspartner . . . . . . . . . . . . . . . (3) Notwendigkeit der Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Wissen von Rechtswidrigkeit und Interessensituation . . . dd) Rechtsnatur der Vereinbarung zum „Atomausstieg“ . . . . . . . . . . b) Informell-kooperatives Staatshandeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Informalität und Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Prosperität informell-kooperativer Handlungsformen . . . . . . . . . (1) Komplexität und steigender Regulierungsbedarf . . . . . . . . . (2) Sektorale politische Entscheidungsgewalt Privater . . . . . . . (3) Erhöhte Handlungsfähigkeit durch Kooperation . . . . . . . . . cc) Faktische Bindung als Verdichtungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Entscheidungsprozess und prozessimmanente faktische Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Faktische Bindung im internen und externen Entscheidungsprozess. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Interner Entscheidungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Externer Entscheidungsprozess. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35 35 35 36 45 50 51 51 52 52 53 53 56 56 57 57 58 58 60 61 62 62 63 63 65 65 66 66 67

16

Inhaltsverzeichnis (3) Zusammenwirken interner und externer Entscheidungsprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Faktische Bindung im iterativen Näherungsprozess. . . . . . (5) Bedeutung der Differenzierungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Konturierung und Skalierung der externen faktischen Austauschbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Verhandlungen als bindungsbegründender Kommunikationsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Idealtypische Betrachtungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Arguing und Bargaining als idealtypische Kommunikationsformen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Bargaining und faktische Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Zusammenwirken von Arguing und Bargaining in der Realität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Bindende Vereinbarung als Kommunikationsergebnis. . . . (a) Konkretisierungsgrad der Vereinbarung. . . . . . . . . . . . . (b) Austauschbeziehung als Vereinbarungsinhalt . . . . . . . (c) Äußeres Erscheinungsbild der Vereinbarung und Kontrollverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Bindung als Dispositionsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Zusammenfassung von Konturen und Intensitätsgraden . . (a) Konturen der extern faktischen Austauschbindung. . . (b) Intensitätsgrade faktischer Austauschbindung . . . . . . . ee) Faktische Konzentration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Sachliche Konzentration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Personelle Konzentration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Subordinatorischer Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Informell-kooperatives Staatshandeln und Umsetzungsgesetz . . . . . aa) Vereinbarungen ohne Umsetzungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gründe für die gesetzliche Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Divergenz zwischen Umsetzungsgesetz und Vereinbarung . . . II. Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen vor dem Bundesverfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Informelle Vereinbarungen unter Koalitionsparteien . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gesetzlich rezipierte interprivate Vereinbarungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vereinbarungen beim Gesetzesvollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67 68 70 71 71 72 72 77 78 79 80 80 82 83 84 84 85 87 87 88 91 92 92 93 98 99 99 100 102 102

B. Untersuchungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 I. Optimierung oder Saturierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 II. Übermaßverbot und Staatsorganisationsrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 C. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107

Inhaltsverzeichnis

17

2. Teil Die Theorie informell-kooperativer Staatsgewalt

108

A. Informell-kooperative Staatsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 I. Enger Staatsgewaltbegriff: Amtliches Handeln mit Entscheidungscharakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 1. Entscheidungscharakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 a) Natürlicher Entscheidungsbegriff und faktische Bindung . . . . . . . . 111 b) Verfassungsrechtlicher Entscheidungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 aa) Formprinzip als Ausgangspunkt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 (1) Formaler Entscheidungsbegriff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 (2) Erweiterung bei funktionaler Äquivalenz (Schwellenmodell). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 bb) Verfassungseffektivität als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 (1) Notwendigkeit einer empiriebezogenen Betrachtungsweise. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 (a) Effektive Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 (b) Effektive Gewaltenteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 (c) Fehlschluss vom Sein auf das Sollen? . . . . . . . . . . . . . 123 (2) Flexibilisierung des Staatsgewaltbegriffes. . . . . . . . . . . . . . . 123 (3) Problem der Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 cc) Mehrdimensionalität des Staatsgewaltbegriffes . . . . . . . . . . . . . . 125 dd) Ausgleich zwischen Effektivität und Rechtssicherheit . . . . . . . . 126 (1) Gesetzesvorbereitende und gesetzesersetzende Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 (2) Verfassungsrechtliche Kontrolle nach erfolgter Formalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 (3) Unmittelbare verfassungsrechtliche Kontrolle informellen Staatshandelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 (4) Entscheidung zwischen den unterschiedlichen Ausgleichsvarianten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 ee) Mitwachsender Staatsgewaltbegriff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 2. Amtlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 a) Zuordnungsfunktion des Merkmals der Amtlichkeit. . . . . . . . . . . . . . 134 b) Zuordnungsproblem bei der Kooperation mit Privaten . . . . . . . . . . . 134 aa) Gesamte Vereinbarung als einheitliches Zuordnungsobjekt . . . 135 bb) Gewaltreserve des Staates als Zuordnungskriterium. . . . . . . . . . 135 cc) Äußeres Erscheinungsbild als Zuordnungskriterium. . . . . . . . . . 136 dd) Einheitliche Zuordnung zum Staat trotz Beteiligung Privater. 137 3. Zusammenfassung: Amtlicher Entscheidungscharakter . . . . . . . . . . . . . . 139 II. Weiter Staatsgewaltbegriff: Jedes staatliche Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 1. Eingriffsdogmatik und Staatsgewaltbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139

18

Inhaltsverzeichnis a) Induktionsschluss vom Eingriffsbegriff auf den Staatsgewaltbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unterschied zum engen Staatsgewaltbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grundrechtsbeeinträchtigung und Staatsgewaltbegriff . . . . . . . . . . . . . . . 3. Dynamische Verfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Umfassender Staatsgewaltbegriff mit abgestuften Intensitätsgraden . . . . . 1. Umfassender Vorrang der Verfassung und abgestufte Kontrolldichte . . 2. Kontrolldichte und Intensität des Charakters als Staatsgewalt. . . . . . . .

B. Kooperation und Dualismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Facetten des Kooperationsgedankens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kooperation als Verfassungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verfassungsrechtliche Verwurzelung des Kooperationsprinzips. . . . . . . a) Funktionsfähigkeit der Staatsgewalt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Funktionsfähigkeit der Staatsgewalt als Verfassungswert. . . . . bb) Erhaltung der Funktionsfähigkeit trotz privater Vetomächte . . b) Kooperationsprinzip und Übermaßverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Funktionen des Kooperationsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Funktion als Prüfauftrag und Darlegungslast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtfertigungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Begrenzte Entlastungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Vertrauensschutzfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Janusköpfigkeit des Kooperationsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Normativer Dualismus zwischen Staat und Gesellschaft . . . . . . . . . . . . a) Freiheitssicherungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Diskursfunktion und Gemeinwohlsicherung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kooperation im Spannungsfeld der Freiheit, Gleichheit und Diskursivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

140 141 141 143 144 144 145 147 147 151 151 152 152 153 156 159 159 162 163 164 166 168 169 171 173

C. Influenzierende und influenzierte Staatsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179

3. Teil Die kooperative Staatsgewalt in der Kompetenzordnung

181

A. Kongruenz von Vereinbarung und Umsetzungsgesetz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 I. Kompetenzielle Grundlage des Umsetzungsgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 II. Kompetenzielle Grundlage der Vereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 B. Inkongruenz von Vereinbarung und Umsetzungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verwaltungskompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Influenzierende und influenzierte Steuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Effektivität der Kompetenzordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Analoge Anwendung von Gesetzgebungskompetenzen. . . . . . . . . . . . . .

187 188 188 189 189

Inhaltsverzeichnis

19

3. Kompetenz kraft Sachzusammenhangs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 a) Kein Gebot expliziter Normierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 b) Angemessenheit des influenzierten Kompetenzübergriffs . . . . . . . . . 192 4. Kompetenzkollision. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 C. Einzelfallregelungen im Umsetzungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 I. Verbot von Einzelfallgesetzen nach Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG . . . . . . . . . . 196 1. Funktion des Verbots von Einzelfallgesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 2. Eingeschränkter Anwendungsbereich des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG. . . 201 a) Grundrechtseinschränkung und Grundrechtsausgestaltung . . . . . . . . 201 b) Einzelfallgesetzverbot und Zulässigkeit der Legalenteignung . . . . . 204 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 II. Kompetenzielle Grundlage des Einzelfallgesetzes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 III. Gewaltenteilung und Einzelfallgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 1. Beeinträchtigung des Wirkbereichs der Gewaltenteilung. . . . . . . . . . . . . 210 2. Einschränkbarkeit der Gewaltenteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 3. Grenzen der Einschränkbarkeit durch Einzelfallgesetz. . . . . . . . . . . . . . . 212 a) Verfassungskonformer Zweck. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 b) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 c) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 d) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 aa) Teleologische Gewichtung der Gewaltenteilung . . . . . . . . . . . . . 216 (1) Machtbegrenzung und funktionsgerechte Aufgabenerfüllung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 (2) Sachgerechtigkeit durch Balance von Distanz und Nähe . 218 (3) Rechtsschutzintensität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 (4) Ergebnis der teleologischen Gewichtung. . . . . . . . . . . . . . . . 221 bb) Teleologische Gewichtung des Kooperationsprinzips. . . . . . . . . 221 cc) Gesamtabwägung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 D. Influenzierte Einzelfallregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 E. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 4. Teil Die Verhandlungsphase

231

A. Organisationsautonomie und Eigenbereich der Regierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 I. Normative Verankerung der Organisationsautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 II. Organisation der Kooperation und funktionsgerechte Gewaltenteilung . . . 233 III. Funktion und Grenzen der Organisationsautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 B. Grundgesetzliche Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235

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Inhaltsverzeichnis I.

Verhandlung und Vereinbarung der Gesetzesvorlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Demokratieprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Divergierende Legitimationskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Hierarchiemodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kooperationsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Textbefund: „Volk“ als Legitimationsquelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Divergierende Legitimationszwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Effektivität der Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gemeinwohl als Legitimationszweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Kooperationsoffenes Hierarchiemodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Beeinträchtigung des Demokratieprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Beteiligung Privater an der Staatswillensbildung . . . . . . . . . . . . bb) Absenkung des Legitimationsniveaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Hierarchiemodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Kooperationsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Einschränkbarkeit des Demokratieprinzips. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Übermaßverbot als Einschränkungsgrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verfassungskonformer Zweck und Geeignetheit . . . . . . . . . . . . bb) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Kooperative Sachverhaltsermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Verantwortungsklarheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Kernbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Abwägungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Gewichtung des Demokratieprinzips . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Intensität des Staatsgewaltcharakters und Legitimationsniveau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Betroffenheit der Allgemeinheit und Dritter . . . (b) Gewichtung des Kooperationsprinzips. . . . . . . . . . . . . . (c) Beeinträchtigungsintensität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Pragmatischer Ausgleich durch Legitimationsstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Kanalisierungsfunktion des Demokratieprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sachgerechte Auswahl der Vereinbarungspartner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kriterien sachgerechter Auswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Betroffenheitsintensität als sachliches Differenzierungskriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Intensitätsverantwortung des Betroffenen. . . . . . . . . . . . . . . (2) Intensitätsverantwortung des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Typisierung der Partizipationsauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Sachwissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

235 236 236 236 237 239 240 241 242 243 245 245 248 248 249 250 252 252 253 253 253 255 255 256 257 257 258 259 260 261 263 263 264 264 265 265 266 267 268

Inhaltsverzeichnis

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b) Differenzierte Kontrolldichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 c) Atomausstieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 3. Gesetzesantizipation und Vorbehalt des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 a) Verbot der Gesetzesantizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 b) Eingriff und Einverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 aa) Faktisches Einverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 bb) Dispositionsbefugnis über Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 cc) Dispositionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 (1) Freiwilligkeit im subordinatorischen Kontext. . . . . . . . . . . . 279 (2) Grundrechtsschutz bei schlichter Grundrechtsbeeinträchtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 (3) Kooperatives Staatshandeln als schlichte Grundrechtsbeeinträchtigung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 (4) Eingriff bei funktionaler Äquivalenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 (5) Atomausstieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 dd) Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 c) Antizipation wesentlicher Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 aa) Wesentlichkeitstheorie als Diskursformel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 bb) Konturen der Wesentlichkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 (1) Intensität der Verfassungsrelevanz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 (2) Diskursrelevanz (Organadäquanz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 (3) Kontinuität und Flexibilität (Verfahrensadäquanz) . . . . . . . 288 (4) Typisierung und Einzelfallgerechtigkeit (Formadäquanz) . 289 (5) Intensität der gesellschaftlichen Umgestaltung . . . . . . . . . . 290 (6) Atomausstieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 cc) Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 4. Koppelungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 a) Verfassungsbindung als Belohnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 b) Kompensation und politische Gestaltungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . 296 c) Entkoppelung von Gesetzgebung und anhängigem Vollzug . . . . . . . 297 d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 5. Verfassungsorgantreue. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 a) Funktion der Verfassungsorgantreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 b) Verfassungsorgantreue in der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 c) Einheit der Staatsgewalt als dogmatisches Fundament. . . . . . . . . . . . 306 d) Akzessorietät der Verfassungsorgantreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 aa) Erfordernis eines besonderen Rechtsverhältnisses. . . . . . . . . . . . 307 bb) Rechtsverhältnis in der Gesetzesvorbereitung . . . . . . . . . . . . . . . 309 e) Inhalt der Verfassungsorgantreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 aa) Rücksichtnahmepflichten (negative Dimension) . . . . . . . . . . . . . 310

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Inhaltsverzeichnis (1) Rücksichtnahme gegenüber dem Bundestag . . . . . . . . . . . . (a) Beeinträchtigung der spezifischen Organfunktion des Bundestages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Rechtfertigung der Beeinträchtigung . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Druck auf die Abgeordneten über die Parteischiene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Druck über die Fraktionsschiene . . . . . . . . . . . . . (cc) Allgemeiner politischer Erfolgsdruck. . . . . . . . . . (dd) Entbalancierung der Gewalten als Grenze . . . . . (c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Rücksichtnahme auf den Bundesrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ergänzende Nebenpflichten (positive Dimension) . . . . . . . . . . . (1) Effektive Beteiligung des Bundestages . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Rechtzeitige Information und schlichter Parlamentsbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Organisationsautonomie der Bundesregierung . . . . . . (c) Subsidiarität der Organtreue. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Atomausstieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Effektivität der Bundesratsbeteiligung des Art. 76 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Bundestreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anwendungsbereich der Bundestreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Akzessorietät . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Mittlerfunktion des Bundesrates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Subsidiarität gegenüber der Eigenverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . e) Partizipationsermessen der Bundesregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Freiheit des Initiativbeschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kollegialprinzip. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unveräußerliche Initiativfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Formale Initiativfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Materielle Initiativfreiheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zweck des Art. 76 Abs. 1 GG: Legitimierte und qualifizierte Auswahlentscheidung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Realität der Auswahlentscheidung: stufenweiser Bindungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Sicherstellung der Zweckerfüllung in der Realität . . . . . . . . . . c) Beeinträchtigung der materiellen Initiativfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . d) Grenzen der Beeinträchtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Umfassende Initiativfreiheit als Korrelat der Initiativverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

311 311 312 313 315 316 317 319 320 321 321 321 322 324 325 326 328 328 329 330 332 335 336 337 338 339 341 342 343 343 344 345 345 346 348

Inhaltsverzeichnis

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f) Gebot kritischer Rezeption als Ausfluss der Initiativverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 III. Vertraulichkeit und Transparenz der Gesetzesvorbereitung . . . . . . . . . . . . . . 354 1. Grenzen öffentlicher Vorfestlegung der Gesetzgebung. . . . . . . . . . . . . . . 355 2. Objektives Gebot der Verhandlungstransparenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 a) Informationelle Grundversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 b) Mindestmaß an Transparenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 c) Transparenzgebot im Spannungsfeld divergierender Verfassungswerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 aa) Nachträgliche Öffentlichkeit als milderes Mittel. . . . . . . . . . . . . 361 bb) Dokumentations- und Informationspflicht gegenüber dem Bundestag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 3. Subjektives Informationsrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 a) Informationsansprüche unterhalb des Verfassungsrechts . . . . . . . . . 364 b) Informationsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. . . . . . . . . . . . . . . . 366 c) Anspruch auf informationelle Gleichbehandlung. . . . . . . . . . . . . . . . . 368 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 C. Regelungsstruktur für die Gesetzesvorbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 I. Strukturelemente im bestehenden Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 1. Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien . . . . . . . . . . . . . . 371 a) Entwurf als Verhandlungsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 b) Grundsatzbeschluss der Bundesregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 c) Effektivität der Beteiligung Legitimierter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 d) Begrenzung faktischer Vorabbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 e) Transparenz der Gesetzesvorbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 f) Würdigung der GGO als Legitimationsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 2. Geschäftsordnung des Bundestages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 a) Gesetzesvorbereitung in den Ausschüssen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 aa) Personelle Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 bb) Sachlich-thematische Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 cc) Verfahrenslegitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 b) Anhörungen in den Ausschüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 c) Enquete-Kommissionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 d) Würdigung der GO BT als Legitimationsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . 383 3. Kooperation und Legitimation im Verwaltungsrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . 384 a) Kooperation mit Betroffenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 aa) Einfachrechtliche Kooperationsvarianten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 bb) Kooperationsoffenheit mit Zielbindung als Regelungsmodell . 387 cc) Gesetz mit kooperativem Vollzug vs. Kooperation mit Umsetzungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 b) Beteiligung von Kommissionen an der Staatswillensbildung . . . . . . 389

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Inhaltsverzeichnis 4. Art. 23 GG als Strukturmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Übergreifende Gesichtspunkte des vorhandenen Strukturbestandes . . . II. Kreislaufmodell der Gesetzesvorbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verhandlungsfreie Sachverhaltsermittlung und erster Entwurf . . . . . . . 2. Vorgezogene Beteiligung der Gesetzgebungsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vorgezogene Beteiligung einzelner Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zweiter Entwurf und antizipativer Grundsatzbeschluss der Bundesregierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Beteiligung privater Interessenvertreter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Dritter Entwurf und rezeptiver Abschlussbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Legitimationssicherung im Kreislaufmodell und politische Gestaltungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verfassungsrechtliche Strukturkoordinaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Form der Regelungsstruktur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesetzgebungsordnung, Initiativfreiheit und Organisationsautonomie. 2. Geschäftsordnungsrecht als Regelungsstandort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wesentlichkeitstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

391 391 394 394 395 396 396 398 399 400 402 405 407 408 409

D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 5. Teil Die Umsetzungsphase

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A. Funktion des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rang und Legitimation des Parlamentsgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Abwägungs- und Diskursfunktion als Legitimationsquelle . . . . . . . . . . . . . 1. Freies Mandat, Gewissensbindung und Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vertreter des ganzen Volkes und gemeinwohlbezogene Abwägung . . . 3. Abwägung durch Diskurs im Bundestag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kritisch nachfragender Bundestag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

413 413 415 416 417 417 418 419

B. Normativität der diskursiv-abwägenden Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. These: Rein deskriptiver Charakter der Gesetzgebungszwecke. . . . . . . . . . II. Antithese: Verfassungsrechtliches Gebot ausreichender Funktionserfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erfahrbare Rückbindung zwischen Staatsorganen und Volk . . . . . . . . . 2. Effektiver Grundrechtsschutz durch Gesetzgebungsverfahren . . . . . . . . 3. Gewaltenteilung: Minimum eigenständiger Willensbildung . . . . . . . . . III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

420 420 422 422 424 425 427

C. Bedeutung der Funktion des Gesetzgebungsverfahrens bei gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen und deren Beeinträchtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428 I. Desintegrierende Effekte exklusiver Partizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428 II. Gesteigerte Integrationsverantwortung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429

Inhaltsverzeichnis

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III. Beeinträchtigung der Integration durch faktische Vorabbindung . . . . . . . . . 430 IV. Atomausstieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 D. Abwägungsfehlerlehre als Instrument der Funktionssicherung . . . . . . . . . . . . . . 434 I. Parallele zum Planungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 II. Kontrolle des gesetzgeberischen Abwägungsvorgangs nach dem Bundesverfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436 III. Abwägungsfehlerlehre für das Gesetzgebungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . 438 1. Eigenständige Kontrolle des Abwägungsvorgangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 a) Präventive verfassungsrechtliche Kontrollfunktion des Parlaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 b) Umfassende Verfassungsgeltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440 c) Funktionsgerechte Gewaltenordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442 d) Prozeduralisierung und Rationalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 e) Legitimationssicherung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444 f) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444 2. Gegenläufige Wertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 a) Formalisierung und Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 b) Politische Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers. . . . . . . . . . . . . . . . . . 446 3. Pragmatischer Ausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 4. Konkretisierung des pragmatischen Ausgleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449 a) Abwägungsfehlerlehre im Planungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449 b) Gesetzgeberische Abwägung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450 aa) Keine Prüfung der Sachverhaltsbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450 bb) Mindestmaß an Sachverhaltsermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 (1) Ermittlungsbreite – Spektrum der relevanten Belange . . . . 451 (a) Beeinträchtigungsintensität und Erheblichkeitsschwelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453 (b) Sich aufdrängende Ermittlungspflichten. . . . . . . . . . . . . 454 (c) Influenzierungseffekte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456 (d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457 (2) Ermittlungstiefe – Grad notwendiger Substanziierung . . . . 458 (a) Rang des Rechtsguts, Intensität der Beeinträchtigung, Möglichkeit der Ermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 (b) Erhöhte Anforderungen bei Kontinuitätsversprechen . 464 (c) Gebot der gesetzgeberischen Konfliktbewältigung bei selbstvollziehenden Gesetzen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 466 (d) Verschärfte Anforderungen beim Einzelfallgesetz . . . . 470 (3) Prüfprogramm für die gesetzgeberische Sachverhaltsermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471 cc) Pflicht zur Berücksichtigung und Dokumentation. . . . . . . . . . . . 472 (1) Mindestbegründung der gesetzlichen Grundkonzeption. . . 473 (2) Verweis auf eine frühere Abwägung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474

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Inhaltsverzeichnis (3) Problem der Zurechenbarkeit der Materialien zur Beschlussmehrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Abwägungsmissbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Modifizierte Abwägungsfehlerlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Keine Gefahr der Entpolitisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Vereinbarung und Kontrolldichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verminderung der Kontrolldichte wegen Einverständnis . . . . . . . . . . . . a) Sachliche Reichweite. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verfassungskonformer Zweck und Geeignetheit . . . . . . . . . . . . bb) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Verklammerungseffekt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Vermutung der Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Personelle Reichweite der Entlastungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verschärfung der Kontrolldichte bezogen auf Drittinteressen . . . . . . . .

476 477 478 480 483 485 485 486 486 487 488 488 489 490 491 492

E. Einfachgesetzliche Gesetzgebungsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundgesetzliche Ermächtigung zur Selbstbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Regelungsmodelle der Art. 109 Abs. 3 und 115 Abs. 1 Satz 3 GG . . . . . III. Übertragbarkeit des Mehrstufenmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Gesetzgebungsordnung als Grundsatzgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

493 493 495 496 497 498

6. Teil Der Zusammenhang der Phasen und Fehlerfolgen

499

A. Interdependenzen zwischen Verhandlungen und Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . I. Infektion der gesetzgeberischen Abwägung durch Vorfeldfehler . . . . . . . . II. Heilung im Umsetzungsgesetzgebungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

499 500 503 505

B. Fehlerhafter Abwägungsvorgang und Nichtigkeit des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . I. Kein generell geringeres Gewicht von Verfahrensfehlern. . . . . . . . . . . . . . . II. Abwägung des Verfahrensfehlers mit der Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . III. Verfahrenswiederholung – kein leerer Formalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

506 506 507 509 510

Inhaltsverzeichnis

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7. Teil Die Geltendmachung von Verfassungsverstößen

511

A. Subjektives Recht auf materielles Gesetzgebungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . 511 I. Eigenständiges subjektives Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 511 II. Eingriffsakzessorisches Recht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513 B. Informell-kooperative Gesetzgebung im Verfassungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . 515 I. Prüfungsgegenstand: Verhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 516 1. Verfassungsbeschwerde. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 516 2. Bundesorganstreitverfahren und Bund-Länder-Streit. . . . . . . . . . . . . . . . . 518 II. Prüfungsgegenstand: Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 520 1. Verfassungsbeschwerde. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 520 2. Normenkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523 a) Unmittelbare Anwendbarkeit der Normenkontrolle. . . . . . . . . . . . . . . 523 b) Analogiefähigkeit der Normenkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523 c) Analoge abstrakte Normenkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 525 d) Analoge konkrete Normenkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 528 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529 III. Verwirkung von Rechtsbehelfen gegen das Umsetzungsgesetz . . . . . . . . . . 529 1. Verwirkung der Verfassungsbeschwerde der Vereinbarungspartner . . . . 530 2. Verwirkung durch Bundesorgane oder Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 532 IV. Nachschieben von Gründen im Verfassungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 532 C. Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534

8. Teil Der relative Bestandsschutz vereinbarter Gesetze

535

A. Sektorale Änderungen im Gesamtpaket. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535 B. Gesetzesänderung und Vertrauensschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 536 I. Vertrauensschutz und Änderungssouveränität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537 II. Kooperation als faktische Vertrauensbasis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 538 III. Rechtswidrige Vertrauensbasis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 IV. Abwägung von Vertrauen und Innovation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 544 1. Intensität der faktischen Bindung der Vereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . 544 2. Betätigung des Vertrauens in die vereinbarte Rechtslage. . . . . . . . . . . . . 545 3. Gesetzliche Umsetzung des vereinbarten Bestandsschutzes . . . . . . . . . . 546 4. Charakter des ausgehandelten Gesetzes als Übergangsregelung . . . . . . 546 5. Verfassungs- und europarechtliche Änderungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . 548 C. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 548

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Inhaltsverzeichnis 9. Teil Das Prinzip der Authentizität und Eigenverantwortung

550

A. Gewissen und Gemeinwohlbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 550 B. Authentizität als organübergreifender Rechtsgedanke. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 552 C. Authentizität und Eigenverantwortung als Verfassungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . 553 D. Authentizität und Kooperationsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Authentische Eigenverantwortung und Kooperation als Antipoden . . . . . . II. Strukturen und Verfahren des pragmatischen Ausgleichs . . . . . . . . . . . . . . . III. Authentizität und Verfassungskultur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

557 557 558 561

E. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 563

10. Teil Die informell-kooperative Gesetzgebung als Chance

565

Zusammenfassung in Thesen

568

1. Teil: Die Problematik informell-kooperativer Staatsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . 568 2. Teil: Die Theorie informell-kooperativer Staatsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 570 3. Teil: Die kooperative Staatsgewalt in der Kompetenzordnung. . . . . . . . . . . . . . 573 4. Teil: Die Verhandlungsphase. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 576 5. Teil: Die Umsetzungsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 582 6. Teil: Der Zusammenhang der Phasen und Fehlerfolgen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 586 7. Teil: Die Geltendmachung von Verfassungsverstößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 586 8. Teil: Der relative Bestandsschutz vereinbarter Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 587 9. Teil: Das Prinzip der Authentizität und Eigenverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . 588 10. Teil: Die informell-kooperative Gesetzgebung als Chance . . . . . . . . . . . . . . . . . 588 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 615

Einleitung „Wer regiert eigentlich bei uns – die Bundesregierung oder die fünf Energieversorgungsunternehmen?“ So fragte ein Teilnehmer auf dem 11. Deutschen Atomrechtssymposium im Jahre 2001 und erntete großen Beifall der Zuhörer1. Die damalige Diskussion drehte sich um die Novelle des Atomgesetzes, die den geordneten Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie in Deutschland regeln sollte. Diese Änderung des Atomgesetzes wurde Satz für Satz zwischen den Vertretern der Bundesregierung auf der einen Seite und den größten deutschen Energieversorgungsunternehmen auf der anderen Seite über zwei Jahre lang ausgehandelt. Der Deutsche Bundestag beriet das Gesetz demgegenüber in wenigen Tagen und verabschiedete die ausgehandelte Vorlage ohne jede Änderung. Andere Beispiele für die Kooperation von Staat und Gesellschaft zur Vorbereitung von Gesetzen lassen sich ohne Mühe finden. Sie reichen von der konzertierten Aktion2 über das Bündnis für Arbeit3 bis hin zum so genannten „Nationalen Ethikrat“4 der Bundesregierung5. Die Arbeiten der Weizsäcker-, Hartz- und Rürup-Kommissionen werden öffentlichkeitswirksam vermarktet und tauchen als Begründung in den Gesetzesvorlagen auf6. Zu diesen Phänomenen stellt Hans-Jürgen Papier fest, dass kaum ein aktuelles Politikfeld ohne die eine oder andere Form staatlich-gesellschaftlicher Kooperation erkennbar sei7. Es drängt sich der Gedanke auf, dass nicht die verfassungsrechtlichen Institutionen, sondern zunehmend informelle Verhandlungsrunden in Deutschland regieren. Bereits auf der Staatsrechtslehrertagung 1982 hatte Kurt Eichenberger im Zusammenhang mit einer solchen Gesetze aushandelnden Staatspraxis fest1

Schattke, Diskussionsbeitrag, 11. Atomrechtssymposium, S. 391. § 3 StWG. 3 Siehe die Gesetzesvorlagen der Bundesregierung, die ausweislich ihrer Begründung das Bündnis für Arbeit umsetzen sollten: BT-Drs. 14/1831; BT-Drs. 14/3158; vgl. Busse, Gesetzgebungseinflüsse, S. 97 (103). 4 www.nationalerethikrat.de. 5 Ein historisch-empirisch fundierter Überblick über das Gremienwesen auf Bundesebene mit exemplarischer Beschreibung einiger ausgewählter Gremien findet sich bei: Unkelbach, Vorbereitung, S. 8 ff., S. 80 ff. 6 Siehe BT-Drs. 15/25. 7 Papier, VM 2003, 116 (120). 2

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gestellt, dass sich in parlamentarischen Regierungssystemen seit Jahrzehnten eine immer stärker werdende Tendenz zur Verhandlungsdemokratie realisiere8. Das Beispiel des Atomausstiegs veranschaulicht besonders deutlich, welche Bedeutung Verhandlungen und Vereinbarungen bei der Vorbereitung von Gesetzen haben können. Michael Kloepfer charakterisierte die Gesetzesvorbereitung auf der erwähnten Staatsrechtslehrertagung als „schwarzes Loch“ im verfassungsrechtlichen Universum – dunkel und die Energien benachbarter Verfassungsbestimmungen in sich aufzehrend“9. Bei gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen mit Privaten wirken in diesem „schwarzen Loch“ gesellschaftliche Kräfte auf die Staatswillensbildung in einer Intensität ein, dass der Sinn und Zweck des anschließenden Gesetzgebungsverfahren verloren zu gehen scheint. Dazu meinte Dieter Grimm im Jahre 1999: „Es besteht Aushöhlungsgefahr“. Er lenkte damit den Blick auf einen Wirkungsverlust des verfassungsrechtlichen Institutionengefüges10. Hans-Jürgen Papier sieht in den tendenziell neokorporatistischen Entscheidungspraktiken einen Grund für den immer wieder festzustellenden Reformstau11. Beharrung und Besitzstandswahrung seien die „Zwillingsschwestern“ der geschilderten Entscheidungsabläufe. Verhandeln ist andererseits ein uraltes Mittel, um Konflikte friedlich zu regeln, aber auch um Macht zu akkumulieren und zu sichern12. Das mittelalterliche Feudalsystem war von Kooperation des Herrschers mit dem Adel und den Ständen und deren Privilegierung geprägt. Verhandlungen gehörten aber auch zur Entstehung des modernen europäischen Staates. Durch Verhandlungen und Zugeständnisse an Adel und Stände festigten die Herrscher ihre eigene Macht13. Die moderne Staatswerdung gelang allerdings erst, als sich der Fürst von den gesellschaftlichen Kräften zunehmend emanzipierte und so die von der Gesellschaft gelöste Zentralgewalt schuf14. Verhandlungsmacht sollte so zur imperativen Staatsgewalt werden, die souverän befiehlt und gerade nicht mehr auf Verhandlungen mit gesellschaftlichen Kräften angewiesen ist. Der Gesetze aushandelnde Staat lässt demgegenüber eine historisch rückwärts gewandete Tendenz erkennen15. Der Distanzierung des Staates von 8

Eichenberger, Gesetzgebung im Rechtsstaat, S. 7 (29). Kloepfer, Gesetzgebung im Rechtsstaat, S. 63 (136). 10 Interview mit Grimm, Süddeutsche Zeitung, 4. Juni 1999, S. 10; siehe hierzu auch: Rupp, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. II, 3. Aufl., § 31 Rdnr. 55. 11 Papier, VM 2003, 116 (121). 12 Vgl. Stern, VerwArch 49 (1958), 106 (122 ff.). 13 Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, S. 15 ff.; Grimm, Der Staat, S. 27 (28 f., 33 f., 49); vgl. auch Fisahn, Demokratie, S. 71 (75 ff.). 14 Grimm, Der Staat, S. 27 (31); Kirchhof, Die Einheit des Staates, S. 51. 15 Vgl. Bohne, Der informale Rechtsstaat S. 213. 9

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der Gesellschaft folgt eine Hinwendung des Staates zur Gesellschaft. Gesetze werden im Vorfeld ausgehandelt – die verfasste Staatsgewalt als Gegenpol zur Gesellschaft wird wieder zum informell-kooperativ handelnden Akteur in der Gesellschaft. Deshalb fragt Wolfgang Reinhard in seiner „Geschichte der europäischen Staatsgewalt“, ob sich der moderne europäische Staat in Richtung Mittelalter zurückentwickelt16. Angesichts des Befundes, dass der Staat die von ihm verfolgten Ziele wie eine Privatperson auf dem Verhandlungswege durchzusetzen versucht, wird das Staatsrecht mit dem Problem konfrontiert, eine Staatsgewalt ordnen, lenken und kanalisieren zu müssen, die zusehends mit der Gesellschaft verschwimmt und mit den privaten Partikularkräften eine kooperative Symbiose eingeht. Die Staatsgewalt als Anknüpfungspunkt des Staatsrechts ist in dieser Symbiose mit der Gesellschaft nicht mehr eindeutig fassbar. Der dabei zu Tage tretende Korporatismus fordert die verfassungsimmanente Innovationsenergie des Grundgesetzes und die juristische Kreativität seiner Anwender heraus: „Wenn bestimmte Leitideen wie individuelle und gemeinsame Freiheit, Vorkehrungen zur Herstellung von Machtbalance, das Zusammenwirken politischer und rechtlicher Rationalitätssphären auch in Zukunft praktisch wirksam bleiben sollen, muss das Verfassungsrecht deshalb nach einem angepassten Bild der öffentlich Gewalt unter Einschluss der fortbestehenden Institution des Staates zu suchen“17. 20 Jahre nach der besagten Staatsrechtslehrertagung über die „Gesetzgebung im Rechtsstaat“ diskutierte die Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer im Jahr 2002 über den Problemkreis der „Informalisierung und Entparlamentarisierung“ und fragte, ob es sich dabei um Gefährdungen der Verfassung handle. Matthias Herdegen diagnostizierte zwar eine „Anämie“ des parlamentarischen Diskurses, wollte die heilende Therapie jedoch weniger im Verfassungsrecht als vielmehr in der politischen Kultur suchen18. Dem wurde entgegnet, dass Appelle an die politische Kultur nichts anderes als Beschwichtigungsformeln seien19. Der Ruf nach verfassungsrechtlichen Antworten als Reaktion auf eine schleichende Erosion verfassungsrechtlicher Institutionen wird immer lauter20. Wird es gelingen, die Eigenkräfte der Verfassung im Hinblick auf die neuen Erscheinungsformen der Staatsge16 Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, S. 26; vgl. auch: Koch, NuR 2001, 541 (542); Grimm, Der Staat, S. 27 (48). 17 Di Fabio, Der Verfassungsstaat, S. 126 ff.; zur Notwendigkeit verfassungsrechtlicher Innovationen siehe auch ders., NVwZ 1999, 1153 (1157). 18 Herdegen, Informalisierung, S. 7 (32); ähnlich: Mehde, AöR 2002, 655 (677 ff.). 19 Mantl, Diskussionsbeitrag, Staatsrechtslehrertagung 2002, S. 102. 20 Siehe hierzu: Interview mit Grimm, Süddeutsche Zeitung, 23. Mai 2003, S. 11.

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walt zu mobilisieren? Kann der Geist des Grundgesetzes gegen eine schleichende Erosion verfassungsrechtlicher Institutionen vitalisiert werden? Getreu dem Motto von Immanuel Kant „Nichts ist praktischer als eine gute Theorie“ sollen in der vorliegenden Untersuchung einerseits theoretische Überlegungen zu gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen zwischen Staat und Privaten und deren nachfolgende gesetzliche Umsetzung angestellt werden, deren praktische Bewährung sich andererseits im konkreten Fall, in der drucktechnisch abgesetzten Prüfung des Atomausstieges wird erweisen müssen. Zu Beginn der Arbeit wird der Referenzfall „Atomausstieg“ auf verallgemeinerungsfähige Aspekte untersucht. Dabei soll vor allem dem Phänomen der außerrechtlichen, rein faktischen Bindungen von gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen auf den Grund gegangen werden. Diese Art von Bindungen unterscheiden die hier untersuchten gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen von öffentlich-rechtlichen Verträgen. Sie werfen für den an Rechtswirkungen orientierten Juristen besondere Probleme auf. Der Intensitätsgrad faktischer Bindungen gesetzesvorbereitender Vereinbarungen wird sich als entscheidendes Kriterium bei der Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit solcher Vereinbarungen erweisen. Im Mittelpunkt des zweiten Teils steht der Begriff der Staatsgewalt. Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen sind im Grenzbereich zwischen politischer Willensbildung in der Gesellschaft und Staatswillensbildung angesiedelt. Es kommt auf die Frage an, ob sich derartige Vereinbarungen lediglich als von verfassungsrechtlichen Anforderungen freizuhaltende Vorbereitung von Staatsgewalt darstellen oder ob sie selbst zur Staatsgewalt gehören, die den Anforderungen der Verfassung unterliegt. Der entscheidende Anknüpfungspunkt der staatsrechtlichen Anforderungen ist der Staatsgewaltbegriff, so dass dieser Begriff den Anwendungsbereich des Staatsrechts umreißt. Die Klärung des Staatsgewaltbegriffes ist wie ein allgemeiner Teil „vor die Klammer zu ziehen“, damit in den späteren Teilen der Arbeit darauf Bezug genommen werden kann. Der Begriff der Staatsgewalt ist im Hinblick auf das informell-kooperative Staatshandeln neu zu vermessen. Über die Kategorie der influenzierten Staatsgewalt wird Handeln von Privatpersonen dem Staat zugerechnet, als Staatsgewalt sichtbar gemacht und den Anforderungen der Verfassung an die Staatsgewalt unterworfen. Zudem wird sich zeigen, dass dem Charakter staatlichen Handelns als Staatsgewalt vor allem auch eine wichtige Funktion bei der Gewichtung von Verfassungsprinzipien und bei der Bestimmung der verfassungsrechtlichen Kontrolldichte zukommt. Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen bedürfen einer kompetenziellen Grundlage. Im dritten Teil der Arbeit wird deshalb der Frage nachgegan-

Einleitung

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gen, wie sich gesetzesvorbereitende Vereinbarungen mit der Kompetenzordnung des Grundgesetzes vertragen. Dabei spielt auch die Problematik von parzellenscharfen Einzelfallregelungen in Vereinbarung und Umsetzungsgesetz eine Rolle, weil diese Art von Regelungen typisch für in oligopolen Strukturen ausgehandelte Gesetze ist. Im weiteren Verlauf unterscheidet die Untersuchung im vierten und fünften Teil zwischen der Verhandlungsphase und der Umsetzungsphase. In der Verhandlungsphase geht es um die Vorbereitung der Gesetzesvorlage durch Verhandlungen und Vereinbarungen. Dabei werden verschiedene verfassungsrechtliche Anforderungen an die Verhandlungen und Vereinbarungen herausgearbeitet und Vorschläge zur verfassungskonformen Gesetzesvorbereitung entwickelt. In der anschließenden Umsetzungsphase ist das formalisierte parlamentarische Gesetzgebungsverfahren zu behandeln. Dabei kommt es darauf an, wie das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren gestaltet sein muss, damit die Funktion der Gesetzgebung wirksam erfüllt und das Gesetzgebungsverfahren nicht entwertet wird. Die gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen prägen das spätere parlamentarische Gesetzgebungsverfahren maßgeblich. Die Verhandlungsphase hat auf die Umsetzungsphase starken Einfluss. Deswegen muss der Zusammenhang zwischen diesen beiden Phasen im sechsten Teil näher beleuchtet werden. Es ist zu erörtern, ob Verfassungsverstöße in der Verhandlungsphase zur Nichtigkeit des späteren Umsetzungsgesetzes führen können. Soweit gesetzesvorbereitende Verhandlungen und Vereinbarungen gegen das Grundgesetz verstoßen, kommt es schließlich im siebten Teil darauf an, wer diese Verstöße in welchem Verfahren geltend machen kann. Dabei spielt vor allem die Frage eine Rolle, ob eine verfassungsgerichtliche Kontrolle der gesetzesvorbereitenden Vereinbarung die spätere Entscheidung des Parlaments über das Umsetzungsgesetz vorwegnehmen darf. In der Demokratie ist kein Gesetz endgültig. Vielmehr ist eine erneute Änderung des Gesetzes durch das Parlament auch bei ausgehandelten Gesetzen möglich. Dennoch stellt sich die Frage, ob das in gesetzesvorbereitenden Absprachen implizierte Versprechen, eine Gesetzesänderung in absehbarer Zeit zu unterlassen, einen verstärkten Vertrauensschutz der Betroffenen in den Forbestand der ausgehandelten gesetzlichen Regelung begründen kann. Insoweit könnte sich die gesetzesvorbereitende Vereinbarung als relativer Bestandsschutz gegenüber der Änderung ausgehandelter Gesetze auswirken. Das wird im achten Teil zu erörtern sein. Gegen Ende der Arbeit wird der Versuch unternommen, die bisherigen Überlegungen unter dem Dach eines gemeinsamen Rechtsprinzips zu vereinen. Das im neunten Teil zur Diskussion gestellte Prinzip der Authentizität des Gesetzgebungsverfahrens und der Eigenverantwortung der Gesetzge-

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Einleitung

bungsorgane soll dazu beitragen, einer Aushöhlung des Grundgesetzes durch Informalisierung und Entparlamentarisierung entgegenzuwirken. Den Schlussakkord stellt dann der Perspektivenwechsel des zehnten Teils dar. Dort wird abschließend auf die Gestaltungschancen hingewiesen, die mit gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen mit Umsetzungsgesetz verbunden sein können, wenn die richtige Balance zwischen informell-kooperativer und formell-imperativer Staatsgewalt hergestellt wird. Die vorliegende Untersuchung möchte die materielle Legitimation der Gesetzgebung dadurch im verfassungsrechtlich gebotenen Mindestmaß sicherstellen, dass die Gesetzesvorbereitung behutsam reguliert und die diskursive Funktion des Gesetzgebungsverfahrens zum Verfassungsgebot erhoben wird. Kooperation darf nicht zur Kollusion und Korruption werden. Informales (= informelles) Staatshandeln darf sich nicht zum illegalen Staatshandeln entwickeln. Dies zu verhindern, ist Aufgabe des Staatsrechts. Aufgabe dieser Arbeit ist es, das juristische Innovationspotential ein Stück weit aufzudecken, das im Referenzfall des Atomausstieges steckt. Peter M. Huber hat den Atomausstieg jenseits seiner möglicherweise politischen Vergänglichkeit als juristisches „Jahrhundertprojekt“ bezeichnet und damit auf die verfassungsrechtlichen Schätze hingewiesen, die in diesem Fall verborgen sein können21. Schatzsuche ist Wagnis und Chance zugleich. Gefährdungen der Verfassung können Initialzündung für neue verfassungsrechtliche Sicherungsmechanismen sein: „Wo die Gefahr ist, wächst das Rettende auch“ (Hölderlin).

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Huber, Restlaufzeiten, S. 147 (162).

1. Teil

Die Problematik informell-kooperativer Gesetzgebung Der Gegenstand der vorliegenden Untersuchung ist zunächst konkret an Hand des Beispielsfalles Atomausstieg (A. I. 1.) und dann abstrakt an Hand allgemeiner Kriterien (A. I. 3.) einzugrenzen sowie von ähnlichen Problemkonstellationen abzugrenzen (A. II.). Es schließen sich Ausführungen zum Untersuchungsmaßstab an. Dabei werden vor allem die übergreifenden Strukturprinzipien des Grundgesetzes den entscheidenden Prüfungsmaßstab abgeben. Insoweit sind einige wenige allgemeine Hinweise zum Vorverständnis der Verfassung (B. I.) und zur konkreten Prüfung von Verfassungsprinzipien angezeigt (B. II.).

A. Untersuchungsgegenstand Bevor eine Prüfung der Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz möglich ist, muss das informell-kooperative Staatshandeln im Bereich der Vorbereitung von Gesetzen beschrieben und begrifflich präzisiert werden.

I. Subordinatorische informelle Gesetzesvereinbarungen Gegenstand der Arbeit sind rechtlich nicht verbindliche Vereinbarungen zwischen einem Staatsorgan und Privaten zur Vorbereitung von Gesetzen und deren gesetzliche Umsetzung. Dabei wählt der Staat diejenigen natürlichen oder juristischen Personen als Vereinbarungspartner aus, die von der geplanten gesetzlichen Regelung besonders betroffen werden oder die als Verband solche besonders Betroffenen repräsentieren. Diese Art von Vereinbarungen, die die Beziehung zwischen Staat und Bürgern betreffen, können in Anlehnung an die Unterscheidung zwischen subordinationsrechtlichen und koordinationsrechtlichen öffentlich-rechtlichen Verträgen als subordinatorisch bezeichnet werden1. 1 Zur Terminologie bei öffentlich-rechtlichen Verträgen: siehe beispielsweise Knack, VwVfG, § 54 Rdnr. 6 ff.; Rengeling, Das Kooperationsprinzip, S. 60, spricht bei der Zusammenarbeit zwischen Staat und Gesellschaft von „vertikaler Ko-

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1. Teil: Die Problematik informell-kooperativer Gesetzgebung

1. Referenzgebiet: „Atomausstieg“ Absprachen zwischen Staat und Privaten zur Vorbereitung von Gesetzen spielten in jüngerer Zeit vor allem beim Atomausstieg eine Rolle. Dieser Beispielsfall ist durch eine besonders intensive Einflussnahme der vom Ausstieg besonders betroffenen Wirtschaftsunternehmen auf die Gesetzgebung gekennzeichnet2. Deshalb eignet er sich besonders gut dafür, verfassungsrechtliche Kriterien für die informelle Beeinflussung von Verfassungsorganen und für die Beteiligung nicht legitimierter Privater an der Gesetzgebung zu reflektieren. Gerade die Fälle, in denen ein bestimmtes Phänomen besonders deutlich hervortritt, geben Anlass dazu, nach neuen verfassungsrechtlichen Denkstrukturen zu suchen, die dann auch für Fälle weniger spektakulärer Beteiligung von Privaten an der Gesetzgebung Anwendung finden können. Die Atomausstiegsgesetzgebung hat sich in den letzten Jahren folgendermaßen entwickelt3: Ausgangspunkt der Politik des Ausstiegs aus der Kernenergie bildete die Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und Bündnis 90/Die Grünen vom 20.10.1998. Beide Parteien vertraten darin die Auffassung, dass die Atomkraft nicht zu verantworten sei. Sie bekundeten den Willen, die Nutzung der Atomkraft so schnell wie möglich zu beenden. Zunächst sollte mit einer Änderung des Atomgesetzes der Ausstieg vorbereitet werden. Anschließend sollten Gespräche mit den Energieversorgungsunternehmen stattfinden, um Schritte zur Beendigung der Atomenergienutzung möglichst im Konsens zu vereinbaren. Dann sollte als dritter Schritt in einem Gesetz der Ausstieg aus der Kernenergienutzung entschädigungsfrei geregelt werden4. Dementsprechend wurde im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit im November 1998 der Entwurf einer Änderung des Atomgesetzes zur Vorbereitung des Atomausstiegs konzipiert. Die Energieversorgungsunternehmen kritisierten diesen Entwurf vor allem deshalb, weil er eine vorzeitige Beendigung der Wiederaufarbeitung zum 1.1.2000 vorsah5. Zudem war man sich innerhalb der Regierung über den Entwurf nicht einig6. Im Laufe der anschließenden Verhandlungen mit den Energieversorgungsunternehmen wurde der Entwurf des Vorschaltgesetzes dann wieder zurückgezogen. operation“. Dementsprechend können die gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen zwischen Staat und Gesellschaft auch als vertikale gesetzesvorbereitende Vereinbarungen bezeichnet werden. 2 Vgl. Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 305 (315). 3 Die Passagen der Arbeit, die sich unmittelbar auf den Referenzfall „Atomausstieg“ beziehen, sind mit kleinerer Type gedruckt. 4 Bundesministerium für Umwelt, Umwelt 1998, 553; Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 305 f. 5 Breuer, Rechtliche Probleme, S. 113; Hennenhöfer, in: Posser/Schmans/MüllerDehn, AtG, Einführung, S. 9. 6 Hennenhöfer, in: Posser/Schmans/Müller-Dehn, AtG, Einführung, S. 9.

A. Untersuchungsgegenstand

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Auf der Ebene des Bundeskanzlers und der Vorstandsvorsitzenden der Holdinggesellschaften der großen Energieversorgungsunternehmen fanden Verhandlungen am 25/.26. Januar, am 9. März, am 22. Juni 1999 sowie am 4. Februar und 14. Juni 2000 statt. Daneben gab es zahlreiche Verhandlungskontakte auf Staatssekretärsund Abteilungsleiterebene7. Bundeswirtschaftsminister Müller legte am 17.6.1999 den Entwurf eines öffentlich-rechtlichen Vertrages vor, in dem sich die Energieversorgungsunternehmen gegenüber der Bundesregierung zur Beendigung der Kernenergienutzung nach spätestens 35 Kalenderjahren verpflichten sollten8. Dieser Vorschlag eines Atomausstieges durch öffentlich-rechtlichen Vertrag stieß vielfach auf verfassungsrechtliche Bedenken9. Bundesumweltminister Trittin lehnte den Vorschlag insbesondere deshalb ab, weil ein öffentlich-rechtlicher Vertrag der Mitwirkung der Länder bedürfe und mit Widerstand von Bayern, Baden-Württemberg und Hessen zu rechnen sei10. Deshalb beschloss die Bundesregierung am 7.7.1999, einen Staatssekretärsarbeitskreis, zusammengesetzt aus Staatssekretären des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, des Bundesministeriums für Wirtschaft, des Bundesministeriums des Innern und des Bundesministeriums der Justiz, zu beauftragen, den Atomausstieg parallel zu den Verhandlungen mit den Energieversorgern vorzubereiten11. Die Verhandlungen mit den Energieversorgungsunternehmen führten dazu, dass am 14.6.2000 eine Vereinbarung über die geordnete Beendigung der Nutzung der Kernenergie in Deutschland von den Unterhändlern der VEBA AG, VIAG AG, RWE AG und der EnBW AG einerseits und den Staatssekretären des Bundeskanzleramtes, des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie andererseits paraphiert wurde12. Die Vereinbarung wurde in einer vom Bundesumweltministerium herausgegebenen Zeitschrift publiziert13. Im hier interessierenden Zusammenhang ist der folgende Inhalt der Vereinbarung von Bedeutung: Der Förderzweck sollte aus dem Atomgesetz gestrichen werden (1.1. der Anlage 5 der Vereinbarung). Die Bundesregierung kündigte an, den Neubau von Kernkraft7 Bundesministerium für Umwelt, Umwelt Nr. 7–8/2000, Sonderteil, S. IX; Renneberg, Das Gesetz zur Beendigung, S. 27. 8 Atom-Geheimpapier von Bundesminister Müller: Dieses „Geheimpapier“ konnte im Juni 1999 im Internet abgerufen werden. Siehe hierzu: Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 305 (307); Koch/Roßnagel, NVwZ 2000, 1 (2); Hennenhöfer, in: Posser/Schmans/Müller-Dehn, AtG, Einführung, S. 10. 9 Nagel/Roßnagel, Schadensersatzansprüche, S. 35 ff. m. w. N. 10 Dpa 4071 (6.7.1999); Nagel/Roßnagel, Schadensersatzansprüche, S. 35 ff.; Renneberg, Umwelt 1999, 545 (547 f.). 11 Renneberg, Umwelt 1999, 545 (548); Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 305 (308 Fußnote 9); Hennenhöfer, in: Posser/Schmans/Müller-Dehn, AtG, Einführung, S. 10. 12 Bundesministerium für Umwelt, Umwelt Nr. 7–8/2000, Sonderteil, S. II. 13 Bundesministerium für Umwelt, Umwelt Nr. 7–8/2000, Sonderteil, S. III ff. = NVwZ-Beilage Nr. IV/2000 zu Heft 10/2000.

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1. Teil: Die Problematik informell-kooperativer Gesetzgebung

werken gesetzlich zu verbieten (V. 1. der Vereinbarung; 1.2. der Anlage 5 der Vereinbarung). Die Restlaufzeit der vorhandenen Kernkraftwerke wurde einvernehmlich begrenzt (II. und Anlage 1 der Vereinbarung). Die Energieversorgungsunternehmen versprachen keine Entschädigungsansprüche geltend zu machen. Ihnen wurde deshalb als Gegenleistung zugesagt, dass der ungestörte Betrieb wie auch die Entsorgung während der Restnutzungsdauer unter Beachtung der atomrechtlichen Vorschriften gewährleistet werde (I. und III. 1. der Vereinbarung; 1.1. der Anlage 5 der Vereinbarung). Die Vereinbarung stellte die Restlaufzeit der bestehenden Kernkraftwerke als Strommengen für jedes einzelne Kernkraftwerk dar. Nachdem der Betreiber die jeweilige Reststrommenge ausgeschöpft hat, sollte die Berechtigung zum Leistungsbetrieb des Kraftwerks automatisch enden (II. 1. der Vereinbarung). Die Stromkontingente sollten von einem Kraftwerk auf ein anderes übertragen werden können (II. 4. der Vereinbarung). Dadurch wurde den Energieversorgungsunternehmen die Möglichkeit gegeben, wirtschaftlich rentable Anlagen länger zu betreiben als unrentable (II. 4. der Vereinbarung). Zur Berechnung des jeweiligen Stromkontingents musste zunächst eine kernkraftwerksspezifische jahresbezogene Referenzmenge ermittelt werden. Dazu war der Durchschnitt der fünf höchsten Jahresstromproduktionen des jeweiligen Kraftwerks in den Jahren zwischen 1990 und 1999 zu berechnen. Diese kernkraftwerksspezifische Referenzmenge wurde dann um 5,5% der ermittelten Referenzmenge erhöht14. Die so errechnete Referenzmenge multiplizierte man anschließend mit der Zahl von Kalenderjahren, die sich ergibt, wenn von 32 Kalenderjahren die zum 1.1.2000 seit Beginn des kommerziellen Leistungsbetriebs bereits vergangenen Kalenderjahre abgezogen werden. Die so errechneten Reststrommengen wurden in einer Tabelle fixiert, die Bestandteil der Atomgesetznovelle werden sollte (II. 2. und Anlage 1 der Vereinbarung). Für das Kernkraftwerk Obrigheim wurde eine besondere Übergangsfrist bis 31.12.2002 vereinbart (II. 2. der Vereinbarung). Für das auf gerichtliche Entscheidung stillgelegte Kernkraftwerk Mühlheim-Kärlich vereinbarten die Beteiligten eine Stromgutschrift von 107,25 TWh zur Übertragung auf andere Kraftwerke. Das Kernkraftwerk Mühlheim-Kärlich soll demnach nicht mehr in Betrieb gehen. Der Betreiber musste sich im Gegenzug für die Strommengengutschrift dazu verpflichten, den anhängigen Genehmigungsantrag zu diesem Kraftwerk zurückzunehmen und auf alle Schadenersatzforderungen zu verzichten (II. 5. der Vereinbarung). Die Zusage eines ungestörten Betriebs während der Restlaufzeit wurde dahingehend konkretisiert, dass die Bundesregierung keine Initiativen ergreifen werde, um den von Gesetz und Recht geforderten Sicherheitsstandard zu ändern (III. 1. der Vereinbarung). Zudem erklärten die beteiligten Mitglieder der Bundesregierung, dass die Bundesregierung auch im Steuerrecht keine Initiativen ergreifen wird, mit denen die Nutzung der Kernenergie einseitig diskriminiert würde (III. 2. der Vereinbarung). 14 Dieser Korrekturfaktor wurde mit der sich fortsetzenden technischen Optimierung, der Leistungserhöhung einzelner Anlagen und der veränderten Reservepflicht zur Netzstabilisierung begründet (II. 2. der Vereinbarung).

A. Untersuchungsgegenstand

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Die Beteiligten vereinbarten bestimmte Termine, bis zu denen Sicherheitsüberprüfungen der Kernkraftwerke stattfinden sollten (III. 1. der Vereinbarung). Diese tagesscharfen Termine wurden kernkraftwerksscharf in einer Tabelle fixiert (Anlage 3 der Vereinbarung) und später in das Atomgesetz übernommen (III. 1. der Vereinbarung; 3.2. der Anlage 5 der Vereinbarung). In Bezug auf das Kernkraftwerk Biblis A enthält die Vereinbarung das Versprechen, dass über ein Nachrüstprogramm innerhalb von 3 Monaten unter Berücksichtigung der vereinbarten Restnutzungsdauer entschieden werden soll, sofern der Betreiber auf die Übertragung von Stromkontingenten auf dieses Kraftwerk verzichtet (Anlage 2 der Vereinbarung). Im Hinblick auf die Entsorgung vereinbarten Bundesregierung und Energieversorgungsunternehmen, in der Nähe der Kernkraftwerke Zwischenlager und Interimslager zu errichten (IV. 1. der Vereinbarung). Eine entsprechende Verpflichtung wurde in das Atomgesetz aufgenommen (V. 1. der Vereinbarung; 4.1. und 4.2. der Anlage 5 der Vereinbarung). Die Wiederaufarbeitung soll bis spätestens zum 1.7.2005 beendet werden (IV. 2. der Vereinbarung; 4.3. der Anlage 5 der Vereinbarung). Die standortnahen Zwischenlager und das nach Ablauf der Frist eintretende Verbot der Wiederaufarbeitung bezwecken, die Transporte radioaktiver Abfälle zu reduzieren, die Lasten der Entsorgung gleichmäßiger zu verteilen sowie Risiken der Wiederaufarbeitung auszuschließen15. Die Erkundung des Salzstockes Gorleben als potenzielles Endlager soll seitens des Bundes um mindestens 3 und längstens 10 Jahre unterbrochen werden (IV. 4. der Vereinbarung). Mit diesem Moratorium wird das Ziel verfolgt, zunächst standortunabhängige, konzeptionelle und sicherheitstechnische Fragen zu klären, ohne weitere Investitionen in den Standort Gorleben zu tätigen (Anlage 4 der Vereinbarung). Zudem soll ein transparentes, akzeptanzgerichtetes und pluralistisches Verfahren nachgeholt werden16. Der Bund soll die notwendigen Maßnahmen ergreifen, damit eine Verlängerung des Rahmenbetriebsplanes für das Erkundungsbergwerk in Gorleben erfolgt. Der Antrag auf Sofortvollzug des Planfeststellungsbeschlusses zum potenziellen Endlager Schacht Konrad sollte vom Bund zurückgenommen werden (IV. 6. der Vereinbarung). Die Energieversorger erklärten, dass sie keine Rückzahlung ihrer für die Entsorgung in Gorleben und Schacht Konrad bereits erbrachten Vorauszahlungen verlangen würden (IV. 7. der Vereinbarung). Die Rücknahme des Antrages verfolgte das Ziel, Spielräume für einen öffentlichen Diskurs zu eröffnen17. Es wurde erklärt, die Bundesregierung werde ihren Teil dazu beitragen, dass die Vereinbarung durch eine Novelle des Atomgesetzes umgesetzt wird. Die Bundesre15 Bundesministerium für Umwelt, Umwelt Nr. 7–8/2000, Sonderteil, S. II; Begründung der Gesetzesvorlage, BT-Drs. 14/7261, 14/6890, S. 17; Renneberg, Das Gesetz zur Beendigung, S. 27 (36). 16 Bundesministerium für Umwelt, Umwelt Nr. 7–8/2000, Sonderteil, S. XI; Renneberg, Das Gesetz zur Beendigung, S. 27 (39); Nies, Die Suche, S. 291 (297). 17 Bundesministerium für Umwelt, Umwelt Nr. 7–8/2000, Sonderteil, S. XI; Nies, Die Suche, S. 291 (297).

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1. Teil: Die Problematik informell-kooperativer Gesetzgebung

gierung versprach den Entwurf einer Novelle des Atomgesetzes auf der Grundlage der Vereinbarung zu erarbeiten (I. der Vereinbarung). Konkrete Vorgaben für diesen Entwurf wurden in Anlage 5 der Vereinbarung zusammengefasst. Die gesetzliche Umsetzung sollte vor der Kabinettsbefassung zwischen den Verhandlungspartnern beraten werden (V. 2. der Vereinbarung). Die Umsetzung wurde entsprechend der Vereinbarung von einer Monitoringgruppe überwacht. Diese bestand aus drei Vertretern der beteiligten Energieversorgungsunternehmen und drei Vertretern der Bundesregierung (VII. der Vereinbarung). Die Aufgabe des Vorsitzenden wurde vom Chef des Bundeskanzleramtes wahrgenommen. Die Vereinbarung war am 29.6.2000 Gegenstand einer Regierungserklärung des Bundeskanzlers im Deutschen Bundestag. Dabei erklärte der Bundeskanzler den Grundsatzstreit um die Kernenergienutzung auf Grund der Vereinbarung für beendet18. In der Folgezeit verhandelten die Energieversorgungsunternehmen mit den beteiligten Bundesministerien darüber, wie die Vereinbarung in eine Novelle des Atomgesetzes umzusetzen sei. Die Energieversorgungsunternehmen konnten dabei unter anderem erreichen, dass das neue Atomgesetz nicht nur einen Ausstiegszweck, sondern auch einen gleichberechtigten Sicherstellungszweck in § 1 Nr. 1 AtG enthält. Dadurch wurde die Gewährleistung des ungestörten Betriebs ausdrücklich gesetzlich verankert19. Außerdem verhinderten die Energieversorger eine gesetzliche Regelung zur Umkehr der Beweislast bei Gefahrverdacht20. Darüber hinaus nahmen die Energieversorger in erheblichem Maße auf die Begründung der Gesetzesvorlage Einfluss21. Vom 22.12.1998 bis zum 30.11.2000 beantragten die Energieversorger für 12 Kernkraftwerke Standortzwischenlager bzw. Interimslager22. Während den Verhandlungen wurde der bisher verhängte Stopp für Transporte nuklearer Abfälle teilweise aufgehoben23. Nachdem ein kabinettsreifer Entwurf für die Novelle des Atomgesetzes vorlag, der die Vereinbarung vom 14. Juni 2000 umsetzte, unterzeichneten die Vorstandsvorsitzenden der beteiligten Energieversorgungsunternehmen, der Bundeskanzler, der Bundesumweltminister und der Bundeswirtschaftsminister am 11.6.2001 öffentlich die Vereinbarung. Die unterzeichnenden Energieversorgungsunternehmen be18

BT-Sten. Prot. 14/111, S. 10425. Renneberg, Das Gesetz zur Beendigung, S. 27 (28). Zur Bedeutung des Sicherstellungszwecks aus der Sicht der Energieversorger: Schmans, in: Posser/Schmans/ Müller-Dehn, AtG, § 1 Rdnr. 6 ff. 20 BT-Drs. 14/7840, S. 3; Schmans, in: Posser/Schmans/Müller-Dehn, AtG, § 19a Rdnr. 343 Fußnote 27; Renneberg, Das Gesetz zur Beendigung, S. 27 (30 f.). 21 Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 305 (309); Schmans, in: Posser/ Schmans/Müller-Dehn, AtG, § 1 Rdnr. 13, der berichtet, dass die Gesetzesbegründung zu den „harten“ Verhandlungspunkten gehört hat. 22 Hoffmann/König, Zwischenlagerung, S. 213 (216 f.). 23 Zur teilweisen Aufhebung der Transportstopps während der Verhandlungen: dpa 2025 (3.2.00). Der Kausalzusammenhang zwischen Aufhebung der Transportstopps und den Verhandlungen wird in der Begründung der Gesetzesvorlage deutlich (siehe BT-Drs. 14/7261, 14/6890, S. 16; vgl. auch Hennenhöfer, in: Posser/ Schmans/Müller-Dehn, AtG, Einführung, S. 9). 19

A. Untersuchungsgegenstand

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herrschen die Betreibergesellschaften von 13 Kernkraftwerken alleine und die Betreibergesellschaften der restlichen sechs Kernkraftwerke mehrheitlich24. Das Bundeskabinett beschloss am 5.9.2001 die Gesetzesvorlage für das ausgehandelte Gesetz zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität25. Auf dem Vorblatt der Gesetzesvorlage heißt es unter Gliederungspunkt A., dass mit diesem Gesetz die wesentlichen Elemente der Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen vom 14. Juni 2000 umgesetzt werden26. Der Gesetzestext fügte die in der Vereinbarung enthaltenen Regelungen in das bestehende Atomgesetz ein. Der Atomausstieg wird in der Begründung der Gesetzesvorlage mit einer Neubewertung der Risiken der Kernenergienutzung und der Befriedung eines tiefgreifenden gesellschaftlichen Konflikts begründet27. Das bisher als sozialadäquat hingenommene „Restrisiko“ soll nur noch für einen begrenzten Zeitraum hingenommen werden28. Die Begründung der Gesetzesvorlage widmet der Vereinbarung vom 14. Juni 2000 einen eigenen Abschnitt. Unter II. wird ausgeführt, dass nach eineinhalbjährigen Verhandlungen eine Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen über Schritte zur Beendigung der Kernenergienutzung geschlossen worden sei. Die Begründung der Gesetzesvorlage nennt die Fundstelle für die Vereinbarung und fasst deren Inhalt kurz zusammen29. Abschnitt II. der Begründung endet mit dem Hinweis, dass die wesentlichen Inhalte der Vereinbarung durch die Atomgesetz-Novelle umgesetzt werden30. Die mit Begründung 28 Seiten umfassende Gesetzesvorlage zitiert an 31 Stellen explizit die mit den Energieversorgern ausgehandelte Vereinbarung. Die Begrenzung der Laufzeiten soll nach der Gesetzesvorlage „u. a.“ deshalb verhältnismäßig sein, weil in den Verhandlungen zwischen Bundesregierung und Energieversorgungsunternehmen nach Überzeugung beider Seiten ein für die Unternehmen betriebswirtschaftlich vertretbares Ergebnis erzielt worden sei. Es seien keine Gesichtspunkte ersichtlich, die im Hinblick auf die festgelegten Parameter zur Beendigung der Kernenergienutzung eine andere Beurteilung für die Energieversorgungsunternehmen, die nicht Verhandlungspartner waren, erforderten31. In diesem Zusammenhang wird von durchgeführten Untersuchungen gesprochen, die jedoch nicht näher konkretisiert werden32. 24 Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 305 (322); Hennenhöfer, in: Posser/ Schmans/Müller-Dehn, AtG, Einführung, S. 9; Huber, Konsensvereinbarungen, S. 329 (336). Der Energieversorger Hamburger Elektrizitätswerke wurde erst nach Paraphierung der Vereinbarung vom 14. Juni 2000 an den Verhandlungen beteiligt (siehe Trittin, Der Ausstieg, S. 17 (20)). 25 Trittin, Der Ausstieg, S. 17. 26 BT-Drs. 14/7261, S. 1; BT-Drs- 14/6890, S. 1. 27 Begründung der Gesetzesvorlage, BT-Drs. 14/7261, 14/6890, S. 13. 28 Begründung der Gesetzesvorlage, BT-Drs. 14/7261, 14/6890, S. 14. 29 Begründung der Gesetzesvorlage, BT-Drs. 14/7261, 14/6890, S. 13. 30 Begründung der Gesetzesvorlage, BT-Drs. 14/7261, 14/6890, S. 13. 31 Begründung der Gesetzesvorlage, BT-Drs. 14/7261, 14/6890, S. 16, 21 f.

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1. Teil: Die Problematik informell-kooperativer Gesetzgebung

Die Interessen der Energieversorgungsunternehmen seien auch deshalb ausreichend berücksichtigt, weil die Vereinbarung ein Gesamtpaket darstellen würde, in dem auch weitere wichtige Fragen, wie die Durchführung von Transporten, die Schaffung von Zwischenlagern und zahlreiche andere Punkte, geregelt worden seien. Dadurch würde langfristige Rechts- und Planungssicherheit im Interesse der Betreiber hergestellt. Zudem könnten die Betreiber die Stromkontingente nach wirtschaftlichen Gesichtpunkten auf andere Kraftwerke übertragen33. Die Begründung der Gesetzesvorlage weist die Abgeordneten in Bezug auf die vorgesehene Pflicht zur Errichtung von standortnahen Zwischenlagern darauf hin, dass bereits zu allen Kernkraftwerken Anträge auf Errichtung standortnaher Zwischenlager gestellt worden seien. Die Errichtung der Standort-Zwischenlager sei im Interesse der Betreiber, da diese von Transporten unabhängiger würden. Die Kosten für die Zwischenlager von etwa 50 Mio. DM je Einrichtung würden zumindest teilweise durch den Wegfall von Transporten und die Beendigung der Wiederaufarbeitung kompensiert. Die Betreiber hätten der Errichtung dezentraler Zwischenlager zugestimmt. Soweit noch private Interessen verblieben, die gegen die Pflicht zur Errichtung und zur Nutzung der Standortzwischenlager sprechen, würden diese durch überwiegende öffentliche Interessen an einer risikomindernden neuen Entsorgungsstrategie verdrängt34. Der Atomausstieg wird in der Begründung der Gesetzesvorlage als „faktisch unumkehrbar“ bezeichnet. Eine Abkehr vom einmal eingeschlagenen Weg würde zu immensen Kosten führen, die die durch das Gesetz hervorgerufenen Kosten weit überstiegen. Eine Gesetzesfolgenabschätzung und eine zeitliche Revision des Gesetzes wird deshalb nicht für notwendig gehalten35. Die Regierungsfraktionen brachten am 11.9.2001 die dargestellte Gesetzesvorlage in den Bundestag ein36. Die Bundesregierung leitete eine identische Vorlage mit der Stellungnahme des Bundesrates am 31.10.2000 dem Bundestag zu37. Die Stellungnahme des Bundesrates lässt die hier skizzierte Grundkonzeption des Ausstiegs aus der Kernenergienutzung unberührt38. Der Bundestag beriet das Gesetz in erster Lesung am 27.9.200139. Der Abgeordnete und Berichterstatter der SPD-Fraktion im Umweltausschuss Kubatschka wies bereits in der ersten Lesung darauf hin, dass es sich bei der Gesetzesvorlage der Bundesregierung um einen in langwierigen Verhandlungen mit den Energieversorgern erzielten Kompromiss handele40. Am 5.11.2001 fand eine öffentliche Anhörung 32

Begründung der Gesetzesvorlage, BT-Drs. 14/7261, 14/6890, S. 51. Begründung der Gesetzesvorlage, BT-Drs. 14/7261, 14/6890, S. 16. 34 Begründung der Gesetzesvorlage, BT-Drs. 14/7261, 14/6890, S. 17 f. 35 Begründung der Gesetzesvorlage, BT-Drs. 14/7261, 14/6890, S. 18; vgl. auch: Trittin, BT-Sten. Prot. 14/111, S. 10431; Jung, BT-Sten. Prot. 14/111, S. 10448; Müller, BT-Sten. Prot. 14/209, S. 20717. 36 BT-Drs. 14/6890. 37 BT-Drs. 14/7261. 38 BT-Drs. 14/7261, Anlage 2, S. 8 f. 39 BT-Sten. Prot. 14/190, S. 18567 ff. 40 BT-Sten. Prot. 14/190, S. 18582 ff. 33

A. Untersuchungsgegenstand

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des Umweltausschusses zur Novelle des Atomgesetzes statt. Dabei wurden mehrfach Änderungsvorschläge vorgetragen41. Bei den abschließenden Beratungen im Umweltausschuss am 12.12.2001 verzichteten die Fraktionen jedoch auf den Aufruf der Einzelbestimmungen. Die Änderungsvorschläge aus der Anhörung wurden nicht diskutiert42. Die Ausschussmehrheit empfahl dem Bundestagsplenum vielmehr ohne weitere Diskussion die unveränderte Annahme der eingebrachten Vorlage43. In der Stellungnahme der Mitglieder der SPD-Fraktion im Umweltausschuss wird zunächst der Gesetzesinhalt und die Begründung der Gesetzesvorlage zusammengefasst. Es wird erklärt, dass man die vereinbarte Laufzeit von durchschnittlich 32 Jahren für einen „vernünftigen Kompromiss“ halte, den man „mittrage“. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Umweltausschuss erklärte in der Beschlussempfehlung des Ausschusses, dass sie schon immer eine andere Einschätzung zur Gefährlichkeit der Kernenergie gehabt hätte als die Fraktionen der CSU/CSU und FDP. Es würde ein Restrisiko für einen Super-Gau bestehen, der ein Drittel der Bundesrepublik für Jahrtausende unbewohnbar machen würde. Die Gefahren der Kernenergie würden durch die Terroranschläge vom 11. September 2001 besonders aktuell. Man habe sich einen schnelleren Ausstieg gewünscht. In der Bevölkerung gebe es aber keine Akzeptanz für große Entschädigungszahlungen. Von daher habe man den nun begangenen Weg gewählt44. Der Bundestag hat die identischen Gesetzesvorlagen der Bundesregierung und der Regierungsfraktionen am 14.12.2001 in zweiter und dritter Lesung beraten45 und entsprechend den Initiativvorlagen ohne Änderungen beschlossen46. Die oppositionelle CDU/CSU-Fraktion beantragte die Verabschiedung eines Entschließungsantrages durch den Bundestag. Darin wird festgestellt, dass die Bundesregierung eine Gesetzesvorlage in vertragsähnlicher Form außerhalb des parlamentarischen Raumes minutiös ausgehandelt habe. Diese Gesetzesvorlage wurde dem Parlament in der öffentlich geäußerten Erwartung zugeleitet, dass sie ohne Änderungen angenommen wird. Die Opposition sieht darin eine verfassungspolitisch äußerst bedenklich Missachtung der Rechte des Parlaments47. Der Bundestag lehnte den Antrag mehrheitlich ab48. 41

A.-Sten. Prot. 14/69 (Umweltausschuss): Änderungsvorschlag vom Sv de Witt zu § 18 AtG (S. 14); Ergänzungsvorschlag vom Sv Cloosters für einen § 7 Abs. 2 Satz 2 AtG, Vorschlag zur Streichung von § 18 Abs. 3 AtG, Ergänzung des AtG durch eine Rechtsverordnungsermächtigung zum Sicherheitsmanagement (S. 22 f.); Ergänzungsvorschlag vom Abg. Kubatschka zur zeitlichen Begrenzung der Zwischenlager (S. 24); Ergänzungsvorschlag des Sv König zur Bedürfnisprüfung für die Kapazität der Standortzwischenlager (S. 29); Änderungsvorschlag des Sv Hermes zu den Enteignungsvorschriften für die Endlagerung, zu Verfahrensreglungen für die Standortsuche zur Endlagerung, Ergänzungsvorschlag zur Drittübertragung nach § 9 AtG (S. 30); Änderungsvorschlag des Sv de Witt zur teilweisen Genehmigungsbedürftigkeit von Strommengenübertragungen (S. 40). 42 BT-Drs. 14/7825, S. 5. 43 BT-Drs. 14/7825, S. 3. 44 BT-Drs. 14/7825, S. 6. 45 BT-Sten. Prot. 14/209, S. 20706 ff. 46 BR-Drs. 7/02.

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1. Teil: Die Problematik informell-kooperativer Gesetzgebung

Statt dieses Entschließungsantrages der Opposition wurde ein Entschließungsantrag der Regierungsfraktionen verabschiedet. Darin wird der Atomausstieg mit einer Neubewertung und Neuentscheidung über nicht vollständig ausschließbare Risiken der Kernenergie und dem hohen Schadensausmaß bei einem Unfall begründet. Die Bundesregierung hätte einen „politischen Rahmen“ gefunden, der einen „realistischen Ausgleich“ zwischen öffentlichen und privaten Interessen ermögliche49. Der Bundestag bedankt sich in der Entschließung ausdrücklich bei den an den Verhandlungen Beteiligten, die trotz unterschiedlicher Interessen einen Erfolg herbeigeführt hätten. Der Bundestag sei zu dem Ergebnis gelangt, dass die Novelle im Hinblick auf die Eigentumsrechte der Betreiber „im Rahmen des verfassungsrechtlich Zulässigen bleibt“. Es wird mehrfach erklärt, dass der Bundestag die Vorlage sorgfältig geprüft hätte. Nach „sorgfältiger Beratung“ sei man zu dem Entschluss gekommen, die von den Sachverständigen in der Anhörung des Umweltausschusses vorgeschlagenen Änderungen nicht vorzunehmen50. Am 27.4.2002 trat die Atomgesetznovelle in Kraft51. Der Vollzug der Vereinbarung vom 14. Juni 2000 wurde jedoch schon vor Beschluss und In-Kraft-Treten des Gesetzes ins Werk gesetzt: Das Bundesumweltministerium und der Betreiber des Kernkraftwerks Biblis A einigten sich in Durchführung der Anlage 2 der Vereinbarung bereits am 11. Juli 2000 auf bestimmte „Nachrüstpakete“ zu diesem Kernkraftwerk. Bei den Nachrüstungen berücksichtigten die Beteiligten bereits die vereinbarte Reststrommenge für dieses Kernkraftwerk, obwohl diese noch nicht gesetzlich umgesetzt war52. Wie in Anlage 2 der Vereinbarung vorgesehen, gab das Bundesumweltministerium zudem am 29. August 2000 gegenüber dem Hessischen Umweltministerium eine Erklärung zur Verfahrensbeschleunigung ab, so dass der in diesem Verfahren suspendierte Vollzug nach der Einigung mit den Energieversorgungsunternehmen wieder in Angriff genommen werden konnte53. Der Antrag für das Kernkraftwerk Mühlheim-Kärlich war schon vor dem Beschluss der Bundesregierung über die Gesetzesinitiative zurückgenommen worden54. Der Entwurf der Atomgesetznovelle vom 5. Juli 2001 enthielt bezogen auf die Regelung zu den Restlaufzeiten eine Fußnote. Danach stand die diesbezügliche Regelung unter dem Vorbehalt, dass der anhängige Genehmigungsantrag zum Kernkraftwerk Mühlheim-Kärlich zurückgenommen wird. Nachdem der Betreiber den Antrag zurückgenommen hatte, wurde diese Fußnote im Entwurf gestrichen und tauchte im Gesetzgebungsverfahren nicht mehr auf55. 47 48 49 50 51 52 53 54 55

BT-Drs. 14/6886, S. 1. BT-Sten. Prot. 14/209, S. 20730. BT-Drs. 14/7840, S. 1 f. BT-Drs. 14/7840, S. 2 ff. BGBl I 2002, 1351 ff. BVerfGE 104, 249 (278). Siehe hierzu: BVerfGE 104, 249 (254 ff.). Trittin, Der Ausstieg, S. 17 (20). Entwurf vom 5. Juli 2001, S. 9 f.

A. Untersuchungsgegenstand

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Die Interimslager, die eine Vorstufe zur Entsorgung in den dezentralen Zwischenlagern darstellen56, wurden zum Teil bereits vor In-Kraft-Treten der Novelle, zum Teil sogar schon vor Beschluss des Bundestages über das Umsetzungsgesetz genehmigt57. Für sämtliche in der vereinbarten neuen Entsorgungskonzeption vorgesehenen Interims- bzw. dezentralen Zwischenlager hatten die Erörterungstermine vor InKraft-Treten des Umsetzungsgesetzes bereits stattgefunden. Dabei wurden 250.000 Einwendungen an 63 Erörterungstagen, an denen 1.700 Einwender teilnahmen, abgearbeitet58. Für die meisten der neuen Entsorgungseinrichtungen wurden die Erörterungstermine sogar schon vor dem Beschluss des Bundestages zur gesetzlichen Umsetzung der neuen Entsorgungskonzeption durchgeführt59. Der Antrag auf Sofortvollzug für das Endlager Schacht Konrad war am 17.7.2000 zurückgenommen worden60. Die Verlängerung des Rahmenbetriebsplanes für das Erkundungsbergwerk in Gorleben erfolgte bereits am 29. September 200061. Das Moratorium bezüglich der Erkundungsarbeiten in Gorleben begann am 1.10.200062.

2. Historisch-empirischer Kontext Die Einflussnahme gesellschaftlicher Kräfte auf die Staatswillensbildung reicht zurück bis zur Entstehung der Staatsgewalt neuzeitlicher Prägung. Die Entstehung von Staatsgewalt in Europa war von einem steten Ringen gesellschaftlicher Kräfte um die Staatsgewalt gekennzeichnet. Der Fürst war auf den Adel und später auf das Bürgertum angewiesen. Um Macht zu gewinnen und diese zu erhalten, musste er stets den anderen Inhabern gesellschaftlicher Macht Privilegien konzedieren63. Das Arrangement mit gesellschaftlichen Kräften setzte sich dann in den Zeiten des Parlamentarismus als Lobbypolitik fort. Seit es Parlamente gibt, gibt es diejenigen, die in den Vorhallen und informellen Vorfeldern der Gesetzgebung Einfluss zu nehmen versuchen64. Ein besonders markantes Beispiel des in der Verfassung nicht vorgesehenen Einflusses Privater auf die Gesetzgebung aus der neueren Geschichte 56

IV. 1. der Vereinbarung; zur Interimslagerung als Vorstufe zur dezentralen Zwischenlagerung: Hoffmann/König, Zwischenlagerung, S. 213 (216 f.). 57 Zu den genauen Genehmigungsdaten: Thomauske, Verfahren, S. 83 f. 58 Zu den genauen Verfahrensdaten für die jeweiligen Erörterungstermine: siehe Thomauske, Verfahren, S. 75 (83 f.). 59 Zu den einzelnen Verfahrensdaten: siehe auch www.bfs.de (Homepage des Bundesamtes für Strahlenschutz). 60 Renneberg, Perspektiven der Entsorgung, S. 145; Schmans, Aktuelle Fragen der Endlagerung, S. 285 (286). 61 Schmans, Aktuelle Fragen der Endlagerung, S. 287. 62 Trittin, Der Ausstieg, S. 17 (21). 63 Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, S. 15 ff.; Grimm, Der Staat, S. 27 (28 f., 33 f., 49); vgl. auch Fisahn, Demokratie, S. 71 (75 ff.). 64 Steinberg, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht, § 7 Rdnr. 24 ff.

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1. Teil: Die Problematik informell-kooperativer Gesetzgebung

ist die Entstehung des Gesetzes zur Aufhebung der Beschränkung des Niederlassungsbereichs von Kreditinstituten aus dem Jahr 195665. Dieses Gesetz wurde von den Großbanken der damals noch jungen Bundesrepublik Deutschland erarbeitet und ausformuliert. Die Gesetzgebungsorgane übernahmen die von den Banken erstellte Vorlage. Änderungen durften später im Gesetzgebungsverfahren de facto nur mit Einverständnis der Banken vorgenommen werden66. Auch die Gewerkschaften übten immer wieder Druck auf den Gesetzgeber aus. So stellte beispielsweise das Bundesverfassungsgericht zum Montanmitbestimmungsgesetz von 1951 fest, dass dieses unter massivem Druck gewerkschaftlicher Streikdrohungen zu Stande gekommen sei67. Die Szenerie aktueller Beispiele der gesetzesvorbereitenden Kooperation wurde bereits in der Einleitung betrachtet. Vor allem im Beamtenrecht ist die Beteiligung von Gewerkschaften an der Gesetzesvorbereitung seit langem üblich und sogar gesetzlich normiert (§ 94 BBG, § 58 BRRG)68. Die gesetzliche Umsetzung von ausgehandelten Vereinbarungen – „eins zu eins“ – wird mittlerweile als besonderes Qualitätsmerkmal der Regierungspolitik herausgestellt, auch wenn die gesetzliche Umsetzung ohne jede Änderung nicht immer gelingt. Der Bedeutungszuwachs gesetzesvorbereitender Gremien kann sicherlich nicht allein quantitativ mit den Methoden der Statistik erfasst werden. Dennoch ist festzuhalten, dass die Ausgaben des Bundes für mit Privatpersonen besetzte entscheidungsvorbereitende Gremien von 3,6 Mio. D-Mark im Jahr 1969 auf 15,5 Mio. D-Mark im Jahr 1999 gestiegen sind69, 70. Die hier behandelten, im Vorfeld der Gesetzgebung wirkenden Vereinbarungen und Gremien sind in der Verfassung nicht vorgesehen. Andererseits wurde der in der Bayerischen Verfassung normierte Senat als institutionalisierte Vertretung organisierter gesellschaftlicher Interessen abgeschafft71, während auf europäischer Ebene über eine verbesserte Strukturierung der 65

BGBl I 1956, 1073. Siehe die ausführliche Darstellung von Gall, Die Deutsche Bank, S. 529 ff. 67 BVerfGE 99, 367 (368). 68 Zur Bedeutung dieses Beteiligungsrechts: Schneider, Gesetzgebung, Rdnr. 103. 69 Unkelbach, Vorbereitung, S. 12 f. Demgegenüber verweist Sebaldt, ZG 2004, 187 (189) darauf, dass der Bedeutungszuwachs eher auf ein gestiegenes massenmediales Interesse zurückzuführen sei. 70 Der Bundestagspräsident führt seit dem Jahr 1972 eine öffentliche Liste von Verbänden, die ihre Interessen gegenüber der Bundesregierung und dem Bundestag vertreten (siehe hierzu: Schneider, Gesetzgebung, Rdnr. 103). In dieser Liste waren im Jahr 2003 1790 Verbände (1973: 635 Verbände) eingetragen. Die jeweils aktuelle Liste ist abrufbar über: www.bundestag.de. Zum Umfang der Einwirkung von Verbänden auf die Bundesgesetzgebung: siehe auch Busse, Gesetzgebungseinflüsse, S. 97 (101). 66

A. Untersuchungsgegenstand

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Einbeziehung von Interessenverbänden in den Gesetzgebungsprozess nachgedacht wird72, 73. Die wissenschaftliche Literatur hat sich mit dem Phänomen des Einflusses von Interessenvertretern auf die Gesetzgebung unter empirischen Gesichtspunkten mehrfach auseinandergesetzt. Beispielhaft sei eine detailreiche Untersuchung von Damaschke erwähnt. Er hat die Einflussnahmen von Interessenverbänden auf die Entstehung des im Jahre 1980 vom Bundestag beschlossenen Chemikaliengesetzes ausführlich untersucht74. Damals wurden die Interessenverbände, ähnlich wie beim Atomausstieg, ebenfalls bereits in die Erarbeitung der ersten Entwürfe einbezogen75. Die entscheidenden Faktoren für eine aus Sicht der Verbände erfolgreiche Einflussnahme seien das Informationsmonopol, der hohe Organisationsgrad und die Marktmacht einiger Verbände gewesen76. Damaschke spricht von einem „Abhängigkeitsverhältnis“ staatlicher Organe zu gewissen Verbänden77. Eine fundierte empirische Untersuchung von Einflüssen partikularer Interessen auf die Gesetzgebung liefern auch Smeddinck/Tils. Sie haben die Entstehung des Bundesbodenschutzgesetzes aus dem Jahr 1998 ausführlich analysiert. Dabei stellten sie fest, dass Interessenverbände an Beratungsund Verhandlungsgesprächen von Beamten, Staatssekretären bzw. Ministern 71 Siehe hierzu: Badura, BayVBl 1997, Heft 24 – Beiheft, S. I–VIII; zu Vorschlägen zur Einrichtung eines Wirtschafts- und Sozialrates zur Institutionalisierung des Verbandseinflusses auf Bundesebene: Kaiser, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. II, 2. Aufl., § 34 Rdnr. 34. 72 Siehe den Bericht der von den Europäischen Ministern für öffentliche Verwaltung eingesetzten Mandelkern-Kommission „Auf dem Weg zu besseren Gesetzen“ vom 13.11.2001, abrufbar unter: www.bmi.bund.de, S. 37 ff., und den diesbezüglichen Aktionsplan der Kommission vom 5.6.2002 (COM (2002), 278). Die Interessenvertretung von Verbänden im Rahmen der Rechtsetzung der EG ist bisher bereits im Wirtschafts- und Sozialausschuss der EG (Art. 257 ff. EGV) institutionalisiert. 73 Aus rechtsvergleichender Perspektive muss an dieser Stelle vor allem auf das Vernehmlassungsverfahren in der Schweiz hingewiesen werden. Dieses stellt ein in Art. 147 der Bundesverfassung verankertes formalisiertes Verfahren zur Einbeziehung von Verbänden in die Gesetzesvorbereitung dar. Siehe hierzu: www.admin.ch; vgl. auch die Einbeziehung der Betroffenen beim sog. „negotiated rulemaking“, das vor allem in den Vereinigten Staaten praktiziert wird; siehe hierzu: Hager, Konflikt und Konsens, S. 128 ff. m. w. N. Eine umfassende rechtsvergleichende Bestandsaufnahme findet sich bei: Michael, Rechtsetzende Gewalt, S. 190 ff. 74 Damaschke, Der Einfluss der Verbände; vgl. zu diesem Beispiel auch Schneider, Informelle Austauschbeziehungen, S. 111 ff. 75 Damaschke, Der Einfluss der Verbände, S. 95. 76 Damaschke, Der Einfluss der Verbände, S. 141 ff. 77 Damaschke, Der Einfluss der Verbände, S. 147 f.; Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 305 (315), weist auf ähnliche Abstimmungen mit den künftigen Gesetzesadressaten bei diversen Gesundheitsreformen hin. Ebenso: Papier, VM 2003, 116 (119).

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1. Teil: Die Problematik informell-kooperativer Gesetzgebung

als gleichberechtigte Mitglieder teilnahmen und dadurch massiven Einfluss auf die gesetzlichen Regelungen nahmen78. Zum Teil wurden die gesetzlichen Formulierungen in den Rechtsabteilungen der Interessenverbände ausgearbeitet79. Es kam zu „Koalitionen“ zwischen bestimmten Bundesministerien und bestimmten Verbänden, die sich gegen andere Bundesministerien richteten80. Ein spezifischer „Ressortegoismus“ der einzelnen Ministerien bildete dabei den Nährboden für die von einigen Verbänden nach dem Motto „divide et impera“ betriebene Instrumentalisierung staatlicher Stellen für eigene Zwecke81. Der Gesetzgebungsprozess hatte nach Smeddinck/Tils zum Teil den Charakter von „Basarveranstaltungen“82. Hufen stellt in diesem Zusammenhang einen immer enger werdenden Klientelbezug der Gesetzesvorlagen fest83 und Hoeren meint, dass es an der Zeit für eine „Abrechnung“ mit dem immer stärker werdenden Lobbyismus wäre84. Gelegentlich wird der Vorwurf erhoben, das Parlament sei nur noch „Stempelmaschine“ von extra-konstitutionellen Zirkeln, die die eigentlichen Entscheidungen aushandeln und fällen85. Dahrendorf hat in diesem Zusammenhang die Auffassung vertreten, dass die Zeit reif sei für einen Aufstand der Parlamente gegen die Arroganz der Machthaber und die Teilnahmslosigkeit der Wähler. Andere versuchen dann den Vorwurf der Entparlamentarisierung der Politik wieder dadurch abzuschwächen, dass sie auf Beispiele hinweisen, bei denen die Abgeordneten besonders kritisch um eine eigene Meinungs- und Gewissensbildung gerungen haben. Dabei werden als Exempel für einen vitalen Parlamentarismus die Rentenreform aus dem Jahr 2001 oder die parlamentarische Diskussion zum Import embryonaler Stammzellen im Jahr 2002 genannt86. Manche sehen in den diesbezügli78

Smeddinck/Tils, Normgenese und Handlungslogiken, S. 132, 134, 143, 184. Smeddinck/Tils, Normgenese und Handlungslogiken, S. 145, 225; vgl. Staeck, Vom Reformprojekt, S. 196; Müller, Ministerialverwaltung, S. 17 (27); Zeh, Impulse und Initiativen, S. 33 (39), der auf Formulierungsvorschläge von Verbänden hinsichtlich ganzer Gesetzesabschnitte hinweist. 80 Smeddinck/Tils, Normgenese und Handlungslogiken, S. 109, 146, 182, 224. 81 Vgl. in Bezug auf das KrW-/AbfG von 1994: Staeck, Vom Reformprojekt, S. 199, 251; zur Behördeninstrumentalisierung bei kooperativem Verwaltungshandeln: Engelbert, Konfliktmittlung, S. 158. 82 Smeddinck/Tils, Normgenese und Handlungslogiken, S. 193. 83 Hufen, Über Grundlagengesetze, S. 11 (17). 84 Hoeren, NJW 2002, 3303 f. 85 Die Zeit, 28. Februar 1997, S. 3, „Politik freihändig“; zur Entparlamentarisierung: siehe auch Reker, Der Deutsche Bundestag, S. 9 ff.; Beispiele für entwertete Gesetzgebungsverfahren finden sich zudem bei: Schenke, Verfassungsorgantreue, S. 112 ff.; Schneider, Der Niedergang, S. 421 ff. 86 Thierse, Gesetzgeber, S. 3; ders., Frankfurter Rundschau, 25.6.2001, S. 6; Herdegen, Informalisierung, S. 14. 79

A. Untersuchungsgegenstand

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chen parlamentarischen Debatten „Sternstunden“ des Parlaments87. Die Kritik an den angeblich zu unkritischen Abgeordneten wird als „fortgesetzter Parlamentsrufmord“ zurückgewiesen und zugleich vor einer Überforderung des Parlaments gewarnt88. Wegen dieser Vielgestaltigkeit des hier in empirischer Hinsicht nur skizzierten Problems der Auswanderung der Politik aus den Institutionen macht sich die vorliegende Arbeit den undifferenzierten Vorwurf, das Parlament sei nur „Stempelmaschine“, nicht zu Eigen. Gegen die schon von Carl Schmitt89 vorgetragene Parlamentskritik lassen sich immer auch Gegenbeispiele finden, die ein funktionierendes System der Gewaltenteilung vor Augen führen90. Das ist vor allem auch deshalb nicht völlig von der Hand zu weisen, als der Anteil der Parlamentsabgeordneten an der politischen Diskussion nicht nur im Rampenlicht öffentlicher Debatten, sondern auch an der nichtöffentlichen Ausschussarbeit und unveröffentlichten Anfragen und Anregungen gegenüber Ministerien zu messen wäre. Es darf nicht unterschätzt werden, dass Abgeordnete durch langjährige Mitarbeit in den Fachausschüssen des Parlaments ein Erfahrungswissen aufbauen können, das bereits die Vorbereitung von Gesetzesvorlagen konstruktiv beeinflussen kann91. Das parlamentarische Verfahren entfaltet auf die Arbeit der gesetzesvorbereitenden Ministerien schon deshalb Vorwirkungen, weil sich die Ministerialbeamten bewusst sind, dass nur solche Regelungen eine Chance haben, Gesetz zu werden, die das parlamentarische Verfahren durchlaufen. Das führt dazu, dass die Auffassungen der Abgeordneten bereits bei der Gesetzesvorbereitung in den Ministerien beachtet werden92. Von diesen Vorwirkungen des Gesetzgebungsverfahrens nimmt die Öffentlichkeit allerdings in der Regel nur wenig Notiz, weil die Abstimmungsprozesse zwischen der Regierung und den sie tragenden Mehrheitsfraktionen in der Regel im nichtöffentlichen, informellen Bereich stattfinden93.

87

Steiger, Diskussionsbeitrag, Staatsrechtslehrertagung 2002, S. 95. Eichenberger, Gesetzgebung im Rechtsstaat, 7 (29 f.); Morlok, Informalisierung, S. 37 (64); vgl. auch v. Beyme, Der Gesetzgeber, S. 359 ff. 89 Schmitt, Verfassungslehre, S. 319. Auf die „unselige Tradition der Parlamentarismuskritik“ macht Morlok aufmerksam: Morlok, Informalisierung, S. 37 (64). 90 Zu den Schwierigkeiten, Verstöße gegen die Gewaltenteilung als Gesamttendenz festzustellen: Lerche, Gewaltenteilung, S. 75 (90), der in diesem Zusammenhang auch auf das prozessual bedingte punktuelle Denken hinweist. 91 Zum Sachverstand des Parlaments: Papier, VM 2003, 116 (120). 92 Vgl. Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 61 Rdnr. 59; Zeh, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. II, 2. Aufl., § 42 Rdnr. 18; Schneider, Gesetzgebung, Rdnr. 133. 93 Vgl. Thierse, Gesetzgeber, S. 3. 88

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1. Teil: Die Problematik informell-kooperativer Gesetzgebung

Die empirische Beurteilung der Gesetzgebung steht nicht im Mittelpunkt dieser Arbeit. Insoweit wird auf die vorhandenen empirischen Untersuchungen verwiesen94. Ziel der Arbeit ist es vielmehr, normative Strukturen des Grundgesetzes zu identifizieren, die es ermöglichen sollen, die geschilderten Phänomene verfassungsrechtlich zu beurteilen. Es geht darum, wie Erosionen der verfassungsrechtlich normierten Entscheidungsstrukturen durch das Aushandeln von Gesetzen mit Privaten verfassungsrechtlich zu bewältigen sind. Dieser Prüfungsansatz ist unabhängig von der Frage sinnvoll, wie massiv man die Gefahr einer Aushöhlung der Verfassung aktuell einschätzt, auch wenn die eingangs erwähnten Entparlamentarisierungstendenzen der jüngsten Zeit dem Thema gewissen Auftrieb verleihen95. Das Beispiel des Atomausstiegs dient lediglich der Veranschaulichung. Eine umfassende verfassungsrechtliche Würdigung des Atomausstieges ist nicht beabsichtigt. 3. Verallgemeinerungsfähige Aspekte Die dargestellte Art und Weise der Vorbereitung der Atomausstiegsnovelle wurde zum Teil als vorbildliches Politikmodell qualifiziert96. Der Bundeskanzler erklärte anlässlich der Unterzeichnung der Vereinbarung zum Atomausstieg, den Weg des Konsenses und der Kooperation in Zukunft fortsetzen zu wollen97. In vielen Politikbereichen erfreuen sich Vereinbarungen mit gesellschaftlichen Kräften, die gesetzlich umgesetzt werden sollen, zunehmender Beliebtheit98. Es ist zu erwarten, dass der Staat 94 Eine aktuelle Literaturliste empirisch fundierter Anlaysen findet sich bei: Morlok, Informalisierung, S. 37 (39); siehe auch Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd III, § 61 Rdnr. 24 f. m. w. N. Eine besonders breitangelegte empirische Untersuchung über den Einfluss von Verbänden im Rahmen einer Analyse von 150 „Schlüsselentscheidungen“ des Bundestages aus den Jahren 1949 bis 1994 liefert v. Beyme, Der Gesetzgeber, S. 148 ff., 184, 207 ff. Die Landesgesetzgebung wird bezogen auf die hessische Hochschulgesetzgebung von Mengel, Gesetzgebung und Verfahren, S. 11 ff., ausführlich empirisch untersucht. 95 Die Einschätzung von Mehde, AöR 2002, 655 (673), dass die Zahl der ausgehandelten Gesetze gering sei, dürfte allenfalls in Bezug auf die publik gewordenen gesetzesvorbereitenden Verhandlungen richtig sein. Die genannten empirischen Untersuchungen legen den Schluss nahe, dass es hier eine hohe Dunkelziffer informeller Einflussnahme gibt. Gesetzesvorbereitende Verhandlungen finden in den wenigsten Fällen im Rampenlicht der Öffentlichkeit statt. 96 Jänicke/Volkery, Agenda 2002 ff., S. 21; de Witt, A.-Drs. 14/626 Teil 7** (Umweltausschuss), S. 2 (4); Klöck, NuR 2001, 1 (7). 97 Bulletin der Bundesregierung Nr. 40-4 vom 11. Juni 2001, Statement Bundeskanzler Schröder. 98 Siehe neben den in der Einleitung und unter 1. Teil A. I. 2. skizzierten Beispielen auch Bayerische Staatskanzlei, Umweltpakt Bayern, S. 16, Anlage, S. 37 ff.; siehe hierzu: Böhm-Amtmann, GewArch 1997, 353 ff.; zu Vereinbarungen der

A. Untersuchungsgegenstand

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auch in Zukunft die besondere Nähe zu besonders einflussreichen gesellschaftlichen Kräften suchen wird, um Handlungsfähigkeit zu beweisen. Deshalb sind aus dem Atomausstieg verallgemeinerungsfähige Aspekte herauszuarbeiten. Diese ergeben den Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit. a) Rechtsnatur gesetzesvorbereitender Vereinbarungen Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen können in unterschiedlichem Maße einen Willen zur rechtlichen Bindung enthalten. Die Natur der jeweiligen Vereinbarung als rechtsverbindlicher Vertrag oder als informelle Absprache ohne rechtliche Verbindlichkeit ist für die verfassungsrechtliche Prüfung deshalb von Bedeutung, weil eine bindende Verpflichtung des Gesetzgebers gegenüber Privatpersonen in der Literatur nahezu einhellig für verfassungswidrig gehalten wird99. Die nachfolgende Typologie dient zudem der Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes. aa) Typologie Als Typen gesetzesvorbereitender Vereinbarungen lassen sich gegenseitige Verträge, einseitige Verträge und Gentlemen’s Agreements unterscheiden. Dabei ist der vorhandene oder fehlende Rechtsbindungswille der Vereinbarungspartner das entscheidende Abgrenzungskriterium. Die eventuelle verfassungsrechtliche Unzulässigkeit bestimmter Vereinbarungstypen spielt hier noch keine Rolle. Soweit die Rechtsbindung in einer Vereinbarung unzulässig ist, bedeutet dies noch nicht, dass die Parteien keinen Rechtsbindungswillen hatten. Der verfassungswidrige, nichtige Vertrag darf nicht dem Gießereiindustrie mit verschiedenen Bundesländern: Faber, Gesellschaftliche Selbstregulierungssysteme, S. 214 ff. 99 Sendler, Überlegungen, S. 185 (186); Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 305, S. 307 f., 311 Fußnote 17; Rodi, NJW 2000, 7 (9 Fußnote 43); SchmidtPreuß, Flexible Instrumente, S. 309 (328); Rengeling, Das Kooperationsprinzip, S. 179; Faber, Gesellschaftliche Selbstregulierungssysteme, S. 215 m. w. N. Vgl. auch zum Normsetzungsvertrag im Verwaltungsrecht: § 1 Abs. 3 Satz 2 BauGB. Nach dieser Vorschrift ist eine vertragliche Verpflichtung einer Gemeinde, einen bestimmten Bauleitplan zu erlassen, unzulässig. Zum Teil wird auch differenziert zwischen echten Normsetzungsverträgen, die auf Erlass einer bestimmten Rechtsnorm gerichtet sind, und unechten Normsetzungsverträgen, die lediglich das Versprechen enthalten, auf eine Initiative zum Normerlass zu verzichten. Diese differenzierenden Auffassungen halten rechtsverbindliche, unechte Normsetzungsverträge im Gegensatz zu echten Normsetzungsverträgen für zulässig (Kloepfer/Elsner, DVBl. 1996, 964 (969); Scherer, DÖV 1991, 1 (4 f.); Nagel/Roßnagel, Schadensersatzansprüche, S. 35 f.)). Skeptisch gegenüber dieser Differenzierung: Brohm, DÖV 1992, 1025 (1029 Fußnote 28).

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1. Teil: Die Problematik informell-kooperativer Gesetzgebung

Nichtvertrag, also einer Vereinbarung ohne Rechtsbindungswillen von vornherein gleichgesetzt werden100. (1) Gegenseitiger Vertrag Beim gegenseitigen Vertrag verpflichten sich beide Vertragsparteien mit Rechtsbindungswillen zur Erbringung einer bestimmten Leistung. Es sollen gegenseitig einklagbare Ansprüche jeder Vertragspartei gegen die andere Vertragspartei entstehen. Ein gegenseitiger gesetzesvorbereitender Vertrag würde bedeuten, dass der Staat von den Privaten bestimmte Tätigkeiten verlangen kann, auch wenn diese noch nicht gesetzlich normiert sind, während umgekehrt der Private bestimmte gesetzliche Regelungen vom Staat einklagen könnte. (2) Einseitiger Vertrag Auch der einseitige Vertrag setzt einen Rechtsbindungswillen voraus. Dieser ist jedoch lediglich darauf gerichtet, dass eine Partei einen einklagbaren Erfüllungsanspruch erhält, während die andere Partei durch eine Bedingung, ein Rücktritts- oder Kündigungsrecht begünstigt wird. Erfüllt diejenige Partei, die keinem einklagbaren Erfüllungsanspruch ausgesetzt ist, ihre Verpflichtungen nicht, so kann die andere Partei durch Rücktritt oder Kündigung ihre eigene Verpflichtung zum Erlöschen bringen. Das Rücktritts- oder Kündigungsrecht wird ausdrücklich im Vertrag normiert. Denkbar ist jedoch auch, dass sich das Kündigungsrecht aus dem Gesichtspunkt des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ergibt (vgl. § 60 VwVfG) oder dass stattdessen eine Bedingung vereinbart wird101. Bei gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen müsste ein einseitiger Vertrag so konstruiert sein, dass der Staat vom Privaten ein bestimmtes Verhalten verlangen und gegebenenfalls einklagen kann. Der Private hat indessen keine Möglichkeit, die Verpflichtung des Staates, ein Gesetz zu erlassen oder ein solches zu unterlassen, als Primäranspruch einzuklagen. Verstößt der Staat gegen seine vertraglichen Pflichten, ist er lediglich berechtigt, den Primäranspruch des Staates durch Kündigung oder Rücktritt aufzuheben, wenn dieser nicht schon durch eine auflösende Bedingung automatisch erloschen ist. 100 Zur Unterscheidung von Nichtvertrag und nichtigem Vertrag: Kühne, Diskussionsbeitrag, Atomrechtstag 2000, S. 179; Stern, VerwArch 49 (1958), 106 (127 ff.). 101 Derartige Verträge werden im Verwaltungsrecht auch als „hinkende“ öffentlich-rechtliche Austauschverträge bezeichnet. Siehe beispielsweise Stelkens/Bonk/ Sachs, VwVfG, § 56 Rdnr. 20.

A. Untersuchungsgegenstand

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Für den Atomausstieg wäre es beispielsweise vorstellbar gewesen, dass die Laufzeitbegrenzung in einem öffentlich-rechtlichen Vertrag als einklagbarer Anspruch des Staates festgelegt worden wäre, während die Verpflichtungen des Gesetzgebers, einschließlich des Versprechens ein bestimmtes Gesetz zu unterlassen, nicht als einklagbarer Primäranspruch der Betreiber, sondern lediglich als Kündigungsgrund hätten ausgestaltet werden können102. (3) Gentlemen’s Agreement Vom gegenseitigen und einseitigen Vertrag unterscheidet sich das Gentlemen’s Agreement dadurch, dass keinerlei Rechtsbindungswillen besteht103. Danach soll keine Seite rechtlich einklagbare Ansprüche erhalten. Folglich kann auch keine auflösende Bedingung, kein Rücktritts- oder Kündigungsrecht normiert werden. Die Bindung zwischen den Vereinbarungspartnern ist eine rein faktische. Damit ist eine nichtrechtliche Bindung gemeint, deren Ursachen, Gründe und Wirkungen später näher beleuchtet werden104. bb) Funktion der Typologie Rechtlich bindende Verpflichtungen gegenüber Privaten, ein bestimmtes Gesetz zu erlassen, werden von der ganz herrschenden Meinung in der Literatur für unzulässig gehalten105, während unverbindliche Absprachen über ein künftiges Gesetz von einem Teil der Literatur gerade wegen ihrer mangelnden rechtlichen Verbindlichkeit problemlos als zulässig eingestuft werden106. Diese Differenzierung ist kritisch zu hinterfragen. Die Unzulässigkeit rechtlich verbindlicher Gesetzgebungsvereinbarungen wird damit begründet, dass solche Vereinbarungen das Parlament seiner von 102 Vgl. den Vorschlag eines öffentlich-rechtlichen Vertrages von Bundeswirtschaftsminister Müller: siehe oben 1. Teil A. I. 1. 103 Zum Begriff des Gentlemen’s Agreement: Reuss, AcP, 154 (1955), 485 (489 f.); Scherer, DÖV 1991, 1 (3 Fußnote 30). 104 Zur faktischen Bindung als wesentliches Kennzeichen informell-kooperativen Staatshandelns: Rengeling, Das Kooperationsprinzip, S. 148, 169; Huber, Konsensvereinbarungen, S. 329 (333). 105 Siehe 1. Teil A. I. 3. a). 106 Hermes, A.-Sten. Prot. 14/69 (Umweltausschuss), S. 35; ders. A.-Drs. 14/626 Teil 5** (Umweltausschuss), S. 3 (8 f.); Nagel/Roßnagel, Schadensersatzansprüche, S. 30 ff.; ders. Das Beendigungsgesetz, S. 305 (309 ff.); de Witt, A.-Sten. Prot. 14/ 69 (Umweltausschuss), S. 35; ders., A.-Drs. 14/626 Teil 7** (Umweltausschuss), S. 2 (3 f.); Denninger, A.-Drs. 14/626 Teil 2** (Umweltausschuss), S. 2 (3 ff.); kritisch demgegenüber: Breuer, Rechtliche Probleme, S. 107 (113).

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1. Teil: Die Problematik informell-kooperativer Gesetzgebung

Art. 77 Abs. 1 GG vorausgesetzten Entscheidungsfreiheit berauben und das Umsetzungsgesetzgebungsverfahren entwerten würden. Zudem würden über rechtsverbindliche Vereinbarungen demokratisch nicht legitimierte Private an der Ausübung von Staatsgewalt beteiligt. Dies verstieße aber gegen das Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG107. Problematisch an einer Einordnung rechtsverbindlicher Vereinbarungen als verfassungswidrig und rechtlich unverbindlicher Vereinbarungen als verfassungsgemäß ist jedoch bereits, dass nicht zwischen den unterschiedlichen Arten von rechtsverbindlichen Vereinbarungen differenziert wird. Bei einer einseitig einklagbaren Vereinbarung wird im Gegensatz zum gegenseitigen Vertrag lediglich der Staat einklagbare Erfüllungsanspruche erhalten, während der Private auf ein Kündigungs- oder Rücktrittsrecht beschränkt wird. Dadurch könnte die Entscheidungsfreiheit der staatlichen Organe hinsichtlich der gesetzlichen Umsetzung gewahrt bleiben. Wenn der Private kein bestimmtes Gesetz als Erfüllung eines rechtsverbindlichen Anspruchs einklagen kann, sondern lediglich die eigenen Verpflichtungen durch Gestaltungserklärung beseitigen kann, dann liegt keine unmittelbar rechtlich vermittelte Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit des Parlaments vor108. Der Einfluss von Privaten auf die inhaltliche Gestaltung von Hoheitsgewalt durch Drohung mit Kündigung oder Rücktritt vom Vertrag ist beim einseitigen Vertrag, im Gegensatz zum gegenseitig einklagbaren Vertrag, nur mittelbar auf rechtliche Bindungen zurückzuführen. Er beruht nicht auf einem einklagbaren Anspruch, sondern auf der Drohung, vom Rücktrittsoder Kündigungsrecht Gebrauch zu machen. Insoweit ist die Situation des einseitigen Vertrages mit der des Gentlemen’s Agreements vergleichbar. Auch dort bewirkt nicht ein einklagbarer Erfüllungsanspruch die Einflussnahme. Vielmehr wirkt der Private auf den Inhalt des künftigen Gesetzes durch die Drohung ein, ansonsten gegen das künftige Gesetz durch Rechtsbehelfe vorzugehen. In beiden Fällen werden nicht Erfüllungsansprüche, sondern das Drohpotential des rechtlichen Kontextes als Einflusspotential eingesetzt. 107

Vgl. Sendler, Überlegungen, S. 185 (186); Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 305, S. 307 f., 311 Fußnote 17; Rodi, NJW 2000, 7 (9 Fußnote 43); SchmidtPreuß, Flexible Instrumente, S. 309 (328); Rengeling, Das Kooperationsprinzip, S. 179; Faber, Gesellschaftliche Selbstregulierungssysteme, S. 215; Kloepfer/Elsner, DVBl. 1996, 964 (969); Scherer, DÖV 1991, 1 (4 f.); Nagel/Roßnagel, Schadensersatzansprüche, S. 35 f.; vgl. ferner BVerfGE 93, 37 ff. 108 Das BauGB unterscheidet in § 1 Abs. 3 Satz 2 BauGB implizit zwischen einseitigen und gegenseitigen Verträgen. Ein gegenseitiger Vertrag mit Anspruch des Privaten auf eine bestimmte Bauleitplanung wäre nach § 1 Abs. 3 Satz 2 BauGB unzulässig, während bei einem bloßen Rücktrittsrecht des Privaten für den Fall, dass eine bestimmte Planung nicht realisiert wird, kein Verstoß gegen § 1 Abs. 3 Satz 2 BauGB festgestellt werden kann (vgl. Quaas, in: Schrödter, BauGB, § 11 Rdnr. 40).

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Doch auch bei einer solchen Differenzierung zwischen gegenseitigen Verträgen einerseits sowie einseitigen Verträgen und Gentlemen’s Agreements andererseits kann nicht gesagt werden, dass indirekt faktische Einflussnahme auf die Staatsgewalt generell zulässig wäre, während einklagbare Primäransprüche auf eine bestimmte Ausübung der Gesetzgebungsgewalt unzulässig sind. Vielmehr könnte auch die faktische Einflussnahme Privater auf die Gesetzgebung verfassungsrechtlich bedenklich sein, auch wenn sie nicht so leicht fassbar und identifizierbar ist109. Dies muss umso mehr gelten als faktische Bindungen unter Umständen sogar stärkere Steuerungskraft entfalten als rechtlich-imperative Regelungen110. Da jedenfalls gegenseitige Verträge zwischen Staat und Privaten mit Anspruch der Privaten auf Erlass eines bestimmten Gesetzes nach einhelliger Auffassung verfassungswidrig wären, konzentriert sich die vorliegende Arbeit auf die bisher nicht geklärte Frage, inwieweit faktische Einflüsse von Privaten auf die Gesetzgebung zulässig sind und inwieweit verfassungsrechtliche Grenzen bestehen könnten. Faktischer Einfluss auf die Staatswillensbildung ohne einklagbaren Erfüllungsanspruch gegen den Staat kann gleichermaßen aus Gentlemen’s Agreements oder aus einseitigen Verträgen herrühren. Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen jedoch vor allem Gentlemen’s Agreements. Die bei derartigen Vereinbarungen aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Bedenken lassen sich aber auch auf einseitige Verträge übertragen. Zudem müssen sie erst recht gegen gegenseitige rechtsverbindliche Verträge erhoben werden. Durch die Erörterung des Gentlemen’s Agreement werden somit auch verfassungsrechtliche Probleme von Vereinbarungen mit Rechtsbindung in Form von einseitigen und gegenseitigen Verträgen mitabgedeckt. Die unterschiedlichen Vereinbarungstypen haben somit nicht die Funktion, eine präzise Trennung von zulässigen und unzulässigen Vereinbarun109 Nach Renneberg, Umwelt 1999, 545 (548), ist die faktische Unterwerfung der hoheitlichen Gewalt unter das vertragliche Sanktionsmodell eines einseitigen Vertrages als der Verfassung „krass widersprechend“ einzustufen. 110 Nach BVerwGE 45, 309 (318), kann aus der Unterscheidung zwischen rechtsverbindlichen und lediglich faktisch wirkenden normvorbereitenden Absprachen im Bereich der Bauleitplanung keine Folgerung für die Rechtmäßigkeit der Vereinbarung gezogen werden: „Eine Differenzierung zwischen rechtlichen und tatsächlichen Bindungen, die die ersteren für generell schädlich und die letzteren für ebenso generell unschädlich erklärte, ginge zudem daran vorbei, dass erfahrungsgemäß die mehr tatsächlichen Bindungen nicht selten sowohl in ihrer Wirkung massiver als auch in ihrer Angemessenheit fragwürdiger sind.“ Dementsprechend misst die abw. M. in der Biblis-A-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die Vereinbarung vom 14. Juni 2000 „ungeachtet ihrer Rechtsqualität“ an der Verfassung (BVerfGE 104, 249 (277 ff.) – abw. M.); siehe ferner: Schulze-Fielitz, Der informale Verfassungsstaat, S. 87.

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1. Teil: Die Problematik informell-kooperativer Gesetzgebung

gen vorzunehmen. Vielmehr dient die Typologie dazu, Orientierungspunkte für die verfassungsrechtliche Prüfung zu gewinnen111. Knüpft die verfassungsrechtliche Prüfung an die Verbindlichkeit des Staatshandelns an112, so ist die Vereinbarung auf die oben genannten Vereinbarungs- und Bindungstypen hin zu untersuchen. Wenn sich keine rechtliche Bindung feststellen lässt, muss nach faktischen Bindungen gefragt werden. cc) Einordnungskriterien Die Einordnung von Absprachen in gegenseitige, einseitige oder rechtlich völlig unverbindliche Vereinbarungen hängt vom Umfang des Rechtsbindungswillens der Vertragsparteien ab. Zur Beurteilung des subjektiven Rechtsbindungswillens muss auf objektiv hervorgetretene Umstände abgestellt werden113. Dabei ist vom Wortlaut der jeweiligen Vereinbarung auszugehen. Daneben sind aber auch die Umstände der Vereinbarung von Bedeutung114. (1) Konkretes zukunftsbezogenes Handlungsprogramm Von einem Rechtsbindungswillen kann nur ausgegangen werden, wenn die Vereinbarung auf bestimmte Handlungsanweisungen für die Zukunft gerichtet ist und nicht nur gegenwartsbezogene Tatsachenfeststellungen enthält. Rechtsbindungswille setzt voraus, dass eine Vereinbarung ein konkretes Handlungsprogramm für die gebundenen Parteien enthält. Je allgemeiner eine Vereinbarung gehalten ist, desto weniger kann von Rechtsbindungen ausgegangen werden, während konkrete Regelungen in der Vereinbarung eher für einen Rechtsbindungswillen sprechen115. Werden lediglich bestimmte Auffassungen der Parteien wiedergegeben und Feststellungen über Tatsachen getroffen, so spricht dies gegen einen Rechtsbindungswillen. Es liegen dann bloße Wissenserklärungen, jedoch keine auf Rechtsfolgen gerichteten Willenserklärungen vor. Ist in einer Vereinbarung dagegen die Rede, dass die Parteien sich für die Zukunft in näher konkretisierter Art und Weise „verpflichten“, dann deutet dies auf einen Rechtsbindungswillen hin116. 111

Vgl. Reuss, AcP 154 (1955), 485 (524). Das Bundesverfassungsgericht stellt beispielsweise in DVBl. 2003, 923 (926 f.) auf die Verbindlichkeit des Staatshandelns ab. 113 Palandt, BGB, Einl v § 241 Rdnr. 5. 114 Vgl. BVerfGE 104, 151 (199 ff.). 115 Zur Bedeutung des Konkretisierungsgrades einer Vereinbarung: Sendler, Überlegungen, S. 185 (186). 116 Vgl. Rosenthal, Ausarbeitung, S. 5. 112

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(2) Rechtsfähigkeit der Vereinbarungspartner Entscheidend ist auch, ob sich der Vereinbarung zwei rechtsfähige Vereinbarungspartner entnehmen lassen. Nennt die Vereinbarung lediglich nichtrechtsfähige Vereinbarungspartner und lässt sich eine Verpflichtung von rechtsfähigen Vereinbarungspartnern auch nicht aus den Umständen eindeutig entnehmen, so kann von keiner Rechtsbindung ausgegangen werden117. Dies ist dann der Fall, wenn in der Vereinbarung nur Organe als Vereinbarungspartner genannt werden und nicht klar ist, ob die hinter diesen Organen stehenden juristischen Personen gebunden werden sollen. Schließt die Bundesregierung eine gesetzesvorbereitende Vereinbarung im eigenen Namen ab, so kann das gegenüber Privaten nicht rechtsfähige Staatsorgan Bundesregierung nicht rechtsverbindlich, sondern nur faktisch gebunden werden118. (3) Notwendigkeit der Umsetzung Zum Teil wird gerade daraus, dass die Vereinbarung später rechtsverbindlich umgesetzt werden soll, geschlossen, dass die Vereinbarung selbst noch keine Rechtsbindungen entfalte. Dabei wird behauptet, dass es gerade der Sinn der rechtsverbindlichen Umsetzung sei, die Rechtsverbindlichkeit erst später herzustellen. Deshalb entfalte die Vereinbarung vor der Umsetzung noch keine Rechtsbindungen119. Diese Folgerung erweist sich jedoch in Bezug auf gesetzesvorbereitende Vereinbarungen mit Umsetzungsgesetz als unzutreffend. Es wäre durchaus denkbar, dass eine Vereinbarung zunächst lediglich rechtliche Wirkungen zwischen den Vereinbarungspartnern entfaltet, während das Umsetzungsgesetz dann in Bezug auf Dritte rechtliche Verpflichtungen herstellt. Die bipolar rechtsverbindliche Vereinbarung würde dann durch das Umsetzungsgesetz derart transformiert, dass multipolare Rechtsbindungen entstünden. Dieses Konzept der rechtsverbindlichen Umsetzung bereits rechtsverbindlicher Vereinbarungen ist der Rechtsordnung durchaus nicht unbekannt. Es findet sich bei der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen nach § 5 TVG und wurde als Regelungsvorschlag in den § 37 UGB-KomE aufgenommen. Somit kann daraus, dass später ein rechtsverbindlicher Umset117

Vgl. Faber, Gesellschaftliche Selbstregulierungssysteme, S. 216 f. Zur mangelnden Rechtsfähigkeit von Staatsorganen: Jellinek, Besondere Staatslehre Bd. 2, S. 252; Staatsorgane sind gegenüber ihrem eigenen Rechtsträger und gegenüber Privaten nicht rechtsfähig. Zur Innenrechtsfähigkeit gegenüber anderen Organen des gleichen Rechtsträgers siehe dagegen unten 4. Teil A. 119 Roßnagel, Das Beeendigungsgesetz, S. 305 (310); Denninger, A.-Drs. 14/626 Teil 2** (Umweltausschuss), S. 2 (4). 118

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1. Teil: Die Problematik informell-kooperativer Gesetzgebung

zungsakt in Form eines Umsetzungsgesetzes geplant ist, nicht geschlossen werden, dass die gesetzesvorbereitende Vereinbarung noch nicht rechtlich verbindlich sei. (4) Wissen von Rechtswidrigkeit und Interessensituation Für die Frage nach dem Rechtsbindungswillen spielt indessen eine wichtige Rolle, ob die Vereinbarungspartner von den rechtlichen Risiken einer Rechtsbindung wussten. Ist dies der Fall, so kann daraus unter Umständen geschlossen werden, dass sie diese Risiken nicht eingehen wollten und deswegen keinen Rechtsbindungswillen hatten120. Andererseits kann für eine Rechtsbindung sprechen, dass sich eine Partei erkennbar auf den Bestand der Vereinbarung verlässt und dass dabei erhebliche Werte auf dem Spiel stehen121. Die objektive Rechts- und Interessenlage fungiert als gewisses Indiz bei der Ermittlung des Rechtsbindungswillens. In erster Linie sind aber die konkreten Erklärungen der Parteien nach dem objektiven Empfängerhorizont zu bewerten122. dd) Rechtsnatur der Vereinbarung zum „Atomausstieg“ Das Bundesverfassungsgericht hat die Anlage 2 der Vereinbarung vom 14. Juni 2000 als bloße politische Absichtserklärung mit geringem materiellen Aussagewert eingestuft. Kein vernünftig Handelnder könne an ihr ein „Tau festbinden“123. Die Frage, ob diese Einschätzung die faktischen Bindungen der Vereinbarung richtig würdigt, kann an dieser Stelle dahingestellt bleiben124. Hier interessiert nur, dass das Bundesverfassungsgericht der Auffassung ist, die Anlage 2 der Vereinbarung entfalte keinerlei Rechtsbindungen. Es ordnet die Anlage 2 der Vereinbarung vom 14. Juni 2000 als informales Staatshandeln ein125. Analysiert man die Sprache der gesamten Vereinbarung, so fällt auf, dass an einer Stelle das Wort „verpflichten“ benutzt wird (II. 3. der Vereinbarung). Das Wort „gewährleisten“ findet sich an vier Stellen der Vereinbarung (I., III. 1 der Vereinbarung). Die Worte „verpflichten“ und „gewährleisten“ deuten auf einen Rechtsbindungswillen hin. Als Indiz für einen Rechtsbindungswillen könnte auch die Aussage aufgefasst werden, dass alle Schadensersatzansprüche wegen des Kernkraftwerks Mühlheim-Kärlich „abgegolten“ sein sollen (II. 5. der Vereinbarung)126. 120 Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 305 (311); Schorkopf, NVwZ 2000, 1111 (1112). 121 Palandt, BGB, Einl v § 241 Rdnr. 5. 122 Vgl. Scherer, DÖV 1991, 1 (4). 123 BVerfGE 104, 249 (268). 124 Kritisch gegenüber der Auffassung der Senatsmehrheit: Reicherzer, DVBl. 2002, 557 (558). 125 BVerfGE 104, 249 (266, 271 f.).

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Abgesehen von punktuellen Indizien für einen Rechtsbindungswillen ist jedoch die gesamte Vereinbarung als Feststellung und gerade nicht als Verpflichtungsakt formuliert. Bundesregierung und Energieversorgungsunternehmen „gehen davon aus“, dass es zu keinen Schadensersatzansprüchen kommen wird (I. der Vereinbarung). Die Energieversorgungsunternehmen gehen zwar davon aus, dass es keine Schadenersatzforderungen geben wird, sie erklären jedoch andererseits auch nicht den Verzicht auf solche Forderungen. Dies spricht gegen einen Rechtsbindungswillen. Beide Teile „werden ihren Teil dazu beitragen“, dass die Vereinbarung umgesetzt wird (I. der Vereinbarung). Sie verpflichten sich aber nicht, bestimmte Handlungen zu tätigen. Auch die weiteren Regelungen werden nicht als Verpflichtungen, sondern nur als Feststellungen und Ankündigungen dargestellt. Dies spricht gegen einen Rechtsbindungswillen. Die Vereinbarung beinhaltet zum Teil allgemein gehaltene Formulierungen, die bloße Absichtserklärungen sind. Besonders deutlich wird dies in den Passagen zur Sicherung von Arbeitsplätzen (I. der Vereinbarung, VI. der Vereinbarung). Andererseits finden sich insbesondere zu den Laufzeiten und zur Periodischen Sicherheitsüberprüfung sehr konkrete Regelungen für jedes einzelne Kernkraftwerk (II. i. V. m. Anlage 1 der Vereinbarung, III. 1. i. V. m. Anlage 3 der Vereinbarung). Dieser hohe Konkretisierungsgrad deutet auf einen Rechtsbindungswillen hin. Insoweit kann jedenfalls nicht von bloßen politischen Absichterklärungen ohne jede Verbindlichkeit ausgegangen werden. Überlegt man sich jedoch die Umstände des Abschlusses der Vereinbarung, so ist anzunehmen, dass die Vereinbarungspartner wussten, dass eine rechtsverbindliche Regelung in der Literatur als unzulässig angesehen wird127. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit hat diesbezüglich ein Rechtsgutachten eingeholt, das sich gegen einen öffentlich-rechtlichen Vertrag ausgesprochen hatte128. Die Vereinbarungspartner wollten dieses verfassungsrechtliche Risiko vermeiden und hatten deshalb keinen Rechtsbindungswillen. Dies zeigt sich auch daran, dass der Vorschlag des Bundeswirtschaftsministers zum Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages seitens des Bundesumweltministeriums explizit abgelehnt wurde und im weiteren Verlauf der Verhandlungen keine Rolle mehr spielte129. Das hohe wirtschaftliche Interesse der Energieversorgungsunternehmen an der Vereinbarung könnte zwar prinzipiell für eine rechtliche Bindung sprechen. Andererseits sind rechtlich nicht bindende Vereinbarungen zwischen Unternehmen und Staat auch dann nicht unüblich, wenn es um erhebliche wirtschaftliche Interessen geht130. 126 Vgl. Tettinger, RdE 2001, 41 (43); ders., Diskussionsbeitrag, 11. Atomrechtssymposium, S. 389. Die Tatsache, dass Anspruchsgegener der Schadensersatzansprüche nicht der Bund, sondern das Land Rheinland-Pfalz wäre, ist jedenfalls kein gewichtiges Indiz gegen einen Rechtsbindungswillen. Denkbar ist auch ein Verzicht in einem Vertrag zugunsten Dritter. 127 Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 305 (311). 128 Nagel/Roßnagel, Schadensersatzansprüche, S. 30 ff. 129 Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 305 (311). 130 Zu den vielfach praktizierten, rechtlich unverbindlichen Selbstbeschränkungsabkommen zwischen Wirtschaft und Staat: siehe unten 1. Teil A. I. 3. d) aa).

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Für die Parteien dürfte entscheidend gewesen sein, dass eine mit erheblichem verfassungsrechtlichen Risiko behaftete rechtsverbindliche Vereinbarung nicht die erwünschte Rechtssicherheit gewährleistet. Die Vereinbarung nennt darüber hinaus seitens des Staates keinen rechtsfähigen Vereinbarungspartner. Der Vereinbarungspartner Bundesregierung ist als Staatsorgan nicht rechtsfähig. Eine rechtsverbindliche Vereinbarung müsste im Namen der Bundesrepublik Deutschland als rechtsfähiger juristischer Person geschlossen werden. Die Bundesrepublik taucht jedoch an keiner Stelle der Vereinbarung auf. Vielmehr hat die Bundesregierung die Vereinbarung im eigenen Namen abgeschlossen. Das deutet ebenfalls darauf hin, dass lediglich eine faktische Bindung des gegenüber Privaten nichtrechtsfähigen Staatsorgans Bundesregierung gewollt ist131. Bedeutung kommt auch den Erklärungen der Parteien im Umfeld der Paraphierung zu. Der Unterhändler des Bundesumweltministeriums hat unmittelbar, nachdem die Vereinbarung paraphiert worden war, darauf hingewiesen, dass sie kein öffentlich-rechtlicher Vertrag sei132. Dies wurde auch in der amtlichen Veröffentlichung der Vereinbarung bestätigt und blieb von den anderen Beteiligten unwidersprochen133. Nach einer Gesamtschau aller Indizien ist deshalb davon auszugehen, dass die Vereinbarung trotz ihres zum Teil sehr konkreten Inhalts und ihrer großen wirtschaftlichen Bedeutung als Gentlemen’s Agreement einzustufen ist. Davon geht auch die ganz herrschende Auffassung im Schrifttum aus134. Somit kann nicht argumentiert werden, dass die Vereinbarung vom 14. Juni 2000 schon deshalb verfassungswidrig sei, weil ein einklagbares Versprechen, ein bestimmtes Parlamentsgesetz zu erlassen, nach ganz herrschender Auffassung verfassungswidrig wäre.

b) Informell-kooperatives Staatshandeln Bei gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen ist das informale Staatshandeln stets auch kooperatives Staatshandeln. Die Begriffe der Informalität und der Kooperation müssen deshalb näher beleuchtet werden. Dabei sind auch 131

Siehe oben 1. Teil A. I. 3. a) cc) (2). Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 305 (310 Fußnote 16). 133 Bundesministerium für Umwelt, Umwelt Nr. 7–8/2000, Sonderteil, S. IX. 134 Denninger, A.-Drs. 14/626 Teil 2** (Umweltausschuss), S. 2 (3 ff.); Hermes, A.-Sten. Prot. 14/69 (Umweltausschuss), S. 35; ders., A.-Drs. 14/626 Teil 5** (Umweltausschuss), S. 3 (8 f.); Schmidt-Preuß, A.-Drs. 14/626 Teil 5** (Umweltausschuss), S. 10 (12); Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 305 (310 ff.); Huber, Entsorgung als Staataufgabe, S. 149 (155); Greipl, Diskussionsbeitrag, Atomrechtstag 2000, S. 179; Hennenhöfer, in: Posser/Schmans/Müller-Dehn, AtG, Einführung, S. 15; möglicherweise a. A. Tettinger, RdE 2001, 41 (43); ders., Diskussionsbeitrag, 11. Atomrechtssymposium, S. 389; vgl. auch: Degenhart, Bundes- und länderfreundliches Verhalten, S. 369 ff., der auf S. 377 von „rechtlicher Verbindlichkeit“ spricht, jedoch auf S. 378 darauf abstellt, dass die Bundesregierung „faktisch determiniert“ und die Gestaltungsmöglichkeiten des Bundestages „faktisch verkürzt“ würden. 132

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die Gründe der Prosperität des informal-kooperativen Staatshandelns zu beachten. Das informal-kooperative Staatshandeln rückt den Begriff der faktischen Bindung ins Blickfeld. Die Konturen dieser faktischen Bindung müssen zunächst auf empirischer Basis herausgearbeitet werden, um später eine verfassungsrechtliche Prüfung vornehmen zu können. Neben der faktischen Bindung kommt es auch auf die faktischen Konzentrationsprozesse an, die von gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen typischerweise ausgehen. aa) Informalität und Kooperation Bei informalen Vereinbarungen handeln Staatsorgane und Private ohne Rechtsbindungswillen135. Es entstehen keine einklagbaren Ansprüche. Rechtlich bindende Vereinbarungen kann der Berechtigte in der Regel zwangsweise durchsetzen, indem er sich des mit dem Gewaltmonopol ausgestatteten Staates bedient. Informelle Vereinbarungen verzichten hingegen auf die Möglichkeit der Anwendung des staatlichen Zwangsapparates. Die Beteiligten vertrauen dabei nicht darauf, notfalls unter Zuhilfenahme des staatlichen Gewaltmonopols die Vereinbarung durchsetzen zu können. Ihr Vertrauen gründet sich vielmehr auf außerrechtliche (faktische) Bindungstatbestände. Wegen des Verzichts auf rechtlichen Zwang ist der Staat beim informalen Staatshandeln oftmals auf Kooperation mit den Betroffenen angewiesen136. Unter Kooperation soll in der vorliegenden Arbeit jedes Zusammenwirken von öffentlicher Hand und Privaten verstanden werden137. Neben der rechtlichen Unverbindlichkeit gehört es zu den informell-kooperativen Handlungsweisen, dass sie nicht nach rechtlich vorgeschriebenen Verfahren verlaufen. Die Beteiligung von Interessensverbänden ist zwar in § 47 GGO ansatzweise normiert. Diese Vorschrift wird jedoch in der Praxis 135 Bohne, VerwArch 75 (1984), 343 (361); ders., in: Der informale Rechtsstaat, S. 46 f.; Huber, Konsensvereinbarungen, S. 329 (335). 136 Zum Zusammenhang von Informalität und Kooperation: Dreier, StWStP 1993, 647 (651 f.); Morlok, Informalisierung, S. 37 (52 f.). 137 Vgl. den weiten Kooperationsbegriff des § 7 UGB-KomE: Begründung des UGB-KomE, S. 458; Murswiek, ZUR 2002, 7 (8); Rengeling, Das Kooperationsprinzip, S. 204; a. A. Koch, NuR 2001, 541 (549), der unter Kooperation nur Aushandlungsprozesse versteht. Schröder, NVwZ 1998, 1011 (1012), unterscheidet zwischen kooperativem und konsensualem Staatshandeln: „Konsensuale Instrumente erfassen nur einen Ausschnitt des kooperativen Verwaltungshandelns . . . und zwar die auf Verhandlung, Verständigung und Konsens ausgerichteten Intrumente“. Charakteristisch für das konsensuale Staatshandeln ist demnach der Aushandlungsprozess. Rengeling, Das Kooperationsprinzip, S. 170, stellt vor allem auf den konkreten Kontakt der Kooperationspartner und das Tauschprinzip als Charakteristikum der Kooperation ab. Lenkungssteuern sind demnach nur Kooperation im weiteren Sinne. Für einen engeren Kooperationsbegriff plädiert auch: Fluck, Das Kooperationsprinzip, S. 88, der zwischen Kooperation und Partizipation unterscheiden möchte.

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sehr großzügig gehandhabt, so dass den Bundesministerien bei der Gesetzesvorbereitung ein nahezu freies Ermessen eingeräumt wird (§ 47 Abs. 3 Satz 2 GG)138. Zudem kann allein ein Verstoß gegen eine Geschäftsordnungsregelung als reines Innenrecht nicht zur Nichtigkeit eines Gesetzes führen139. Die hier untersuchte Gesetzesvorbereitung unter Beteiligung privater Interessensvertreter ist dem informellen Staatshandeln somit deshalb zuzuordnen, weil insoweit eine geringe Regulierungsdichte und Regulierungsintensität vorliegt und weil noch keine Rechtsbindungen geschaffen werden140. bb) Prosperität informell-kooperativer Handlungsformen Die informell-kooperativen Handlungsformen erfreuen sich einer zunehmenden Beliebtheit bei Staat und Privaten. Der Staat versucht damit angesichts steigender Erwartungen der Bürger die eigene Handlungs- und Steuerungsfähigkeit zu verbessern. (1) Komplexität und steigender Regulierungsbedarf In diesem Zusammenhang muss gesehen werden, dass Deutschland sich seit der Industriealisierung in einem beschleunigten Prozess fortschreitender technischer und damit auch gesellschaftlicher Entwicklungen befindet. Die fortschreitende technologische Entwicklung und die damit einhergehende zunehmende Spezialisierung führen zu einer zunehmenden gesellschaftlichen Komplexität141. Die hochdifferenzierte Komplexität lässt einen erhöhten Interaktions- und Regulierungsbedarf entstehen142. Die Regulierung dient der Abschichtung und Bewältigung von Interaktionskomplexität143. Durch Regulierung wird Komplexität strukturiert und Interaktion vereinfacht. Die zunehmenden Interaktions- und Regulierungsbedürfnisse müssen 138

Vgl. Damaschke, Der Einfluss der Verbände, S. 95. Stern, Staatsrecht Bd. 2, § 31 IV 2 b) (S. 307); Hermes, in: Dreier, GG Bd. II, Art. 65 Rdnr. 47 ff. Dies muss auch insoweit gelten, als die GGO nicht als Geschäftsordnung, sondern als Verwaltungsvorschrift eingestuft wird. Siehe hierzu: Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 63 Rdnr. 4. 140 Die Begründung des UGB-KomE definiert informales Staatshandeln dadurch, dass es rechtlich nicht geregelt ist und dass von ihm keine unmittelbaren Rechtswirkungen ausgehen (Begründung des UGB-KomE, S. 501). Ebenso: Rengeling, Das Kooperationsprinzip, S. 65. 141 Grimm, Der Staat, S. 27 (44 f.). 142 Eichenberger, Gesetzgebung im Rechtsstaat, 7 (22), spricht in diesem Zusammenhang von einem unvermeidlichen „gigantischen Normierungsbedürfnis“. 143 Vgl. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 29 f., 42, 144 f., 252. 139

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durch übergeordnete Organisationen befriedigt werden144. Mangels allgemeingültiger Wertvorstellungen nimmt die Konfliktbewältigungsfähigkeit der Bürger untereinander ab145. Der steigende Interaktions- und Regulierungsbedarf führt deshalb zu einer steigenden Erwartungshaltung gegenüber dem Staat. Der Staat soll durch Regulierung die Komplexität bewältigen helfen. Die Bürger erwarten vom Staat, dass er seiner Aufgabe, die notwendigen Regeln des immer differenzierter werdenden Zusammenlebens aufzustellen, gerecht wird146. (2) Sektorale politische Entscheidungsgewalt Privater Diese Erwartungshaltung gegenüber der Ordnungs- und Regulierungsfunktion des Staates muss jedoch mit der gesellschaftlichen Realität konfrontiert werden, wonach der Staat bei weitem nicht der einzige und allmächtige Inhaber von Steuerungs- und Regulierungsmacht ist. Vielmehr haben private Akteure als sog. Pressure-Groups in weitem Umfang eine „sektorale politische Entscheidungsgewalt“ inne147. Private Machtinhaber können z. B. durch Investitionsentscheidungen, Standortverlagerungen, Mobilisierung von Massenmedien oder durch Boykottaufrufe staatliche Entscheidungen konterkarieren148. Jahrlange Rechtsstreitigkeiten können die Effektivität des Vollzugs lähmen. Ein Vollzug von Gesetzen gegen die gesellschaftlich bedeutsamen Verbände erweist sich oftmals als wenig effizient. (3) Erhöhte Handlungsfähigkeit durch Kooperation Durch Kooperation mit den Inhabern dieser „sektoralen politischen Entscheidungsgewalt“ erhofft sich die öffentliche Hand, ihre Funktionsfähigkeit und Wirksamkeit zu erhöhen. Zunehmende Kooperation ist eine Konsequenz der Erkenntnis der Diskrepanz zwischen wachsenden Aufgaben des Staates einerseits und den zur Erfüllung dieser Aufgaben zur Verfügung stehenden Instrumenten des Staates andererseits149. Dort wo hergebrachte 144

Vgl. Grimm, Der Staat, S. 27 (45). Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 61 Rdnr. 56, weist auf den „Verlust des Basiskonsenses in der Gesellschaft“ hin. 146 Vgl. Hohmann-Dennhardt, Schranken des Demokratieprinzips, S. 102 (107); Grimm, Der Staat, S. 27 (45). 147 Papier, Parlamentarische Demokratie, S. 33 (39). 148 Zu den unterschiedlichen Einflussmöglichkeiten der Pressure-Groups auf die Politik: Alemann, Aktionsformen, S. 1 ff.; Smeddinck, Gesetzesproduktion, S. 105 (120); insbesondere zur Mobilität des Kapitals als Einflussfaktor der Wirtschaft: Di Fabio, Der Verfassungsstaat, S. 22 f. 145

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imperative Steuerungsmittel nicht auszureichen scheinen, um schnell und effektiv zu handeln, bedient sich der Staat zusätzlicher, rechtlich nicht geregelter kooperativer Handlungsinstrumente. Durch Kooperation mit den Betroffenen sollen Vollzugswiderstände abgebaut und das Fachwissen der Betroffenen für den Entscheidungsprozess nutzbar gemacht werden150. Es ist eine altbekannte Erfahrung, dass die Betroffenen mit weniger Zwang positiver motiviert sind151. Deshalb bedient sich der Staat zunehmend kooperativer Handlungsformen, um die Akzeptanz seiner Entscheidungen bei den Betroffenen zu erhöhen und die Realisierung dieser Entscheidungen zu verbessern, ohne hohe finanzielle Ressourcen zur zwangsweisen Vollstreckung aufwenden zu müssen152. Die öffentliche Hand arrangiert sich mit den Inhabern faktisch-gesellschaftlicher Macht, um den Erwartungen der Bürger an effektive staatliche Steuerung und Regulierung besser gerecht werden zu können. Dabei greift der Staat auf die rechtlich unverbindliche (informelle) Vereinbarung zurück, um rechtlichen Einwänden gegenüber öffentlich-rechtlichen Verträgen zu entgehen153. Dies wirft die Frage auf, ob der Staat dabei in die Informalität flieht, um sich der verfassungsrechtlichen Bindungen zu entledigen. Beim Atomausstieg war, wie dargelegt, zunächst ein öffentlich-rechtlicher Vertrag geplant154. Wegen der diesbezüglichen politischen, aber auch verfassungsrechtlichen Bedenken hat man dann an Stelle eines rechtsverbindlichen Vertrages ein bloßes Gentlemen’s Agreement vereinbart155. Ob damit die verfassungsrechtlichen Bedenken wirklich beseitigt werden konnten, wird näher zu untersuchen sein.

149 Gusy, ZUR 2001, 1; Hohmann-Dennhardt, Schranken des Demokratieprinzips, S. 102 (107); Grimm, Diskussionsbeitrag, Staatsrechtslehrertagung 2002, S. 85 f. 150 Vgl. BVerfGE 98, 106 (121); Murswiek, ZUR 2001, 7: „Da die staatlichen Überwachungskapazitäten nicht ausreichen, eine auch nur annährend vollständige Kontrolle der Betriebe daraufhin durchzuführen, ob sie die umweltrechtlichen Vorschriften beachten, ist der Staat auf die ‚freiwillige Befolgung‘ des Umweltrechts durch die Betriebe angewiesen.“ 151 BVerfG DVBl. 2003, 923 (926); Sendler, Selbstregulierung, S. 135 (140); Platon, Nomoi, 722 b, (zitiert nach: Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 59 Rdnr. 58): „Der gute Gesetzgeber ist Erzieher der Bürger; er überredet und überzeugt, bevor er Gewalt anwendet.“ Zu dieser Art von „responsiver Regulierung“: Smeddinck, Gesetzesproduktion, S. 105 (119). 152 Zu den Vorteilen des kooperativen Staatshandelns: siehe auch Papier, Parlamentarische Demokratie, S. 33 (51); Rengeling, Das Kooperationsprinzip, S. 205. 153 Zu den Vorteilen von informaler Beratung und Information: BVerwGE 75, 214 (231); vgl. auch Quaritsch, Über formelle und informelle Wege, S. 135 (157). 154 Siehe oben 1. Teil A. I. 1. 155 Bundesministerium für Umwelt, Umwelt Nr. 7–8/2000, Sonderteil, S. X; Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 305 (307).

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cc) Faktische Bindung als Verdichtungsprozess Informell-kooperative Vereinbarungen könnten keine sinnvolle Grundlage für künftiges Handeln darstellen, wenn sie nicht trotz rechtlicher Unverbindlichkeit gewisse außerrechtliche Bindungen entfalten würden. Im Zusammenhang mit der Vereinbarung vom 14. Juni 2000 wurde diese Art von nichtrechtlicher Bindung mit unterschiedlichen Begriffen charakterisiert. Seitens des Bundesumweltministeriums wurde wiederholt auf die „politische Verbindlichkeit“ der Vereinbarung hingewiesen156. Die Vereinbarung hätte einen verpflichtenden Charakter „moralischer“ Natur157. Die Verhandlungsrunde beim Atomausstieg wurde mit anderen informellen Gremien verglichen, in denen politische Entscheidungen nicht nur vorbereitet, sondern auch faktisch vorentschieden werden158. Zudem war von „inhaltlicher“ Bindung die Rede159. Andere sprachen von „faktischer Determinierung“160 und vom „faktischen Gewicht“161 der Vereinbarung. Somit wird von allen Seiten davon ausgegangen, dass auch rechtlich nichtverbindliche Vereinbarungen durchaus erhebliche Bindungen entfalten, auch wenn diese nicht zu einklagbaren Ansprüchen führen.

(1) Entscheidungsprozess und prozessimmanente faktische Bindung Gewisse Vorabbindungen sind jedem Entscheidungsprozess immanent. Bei jeder Entscheidungsfindung bauen die einzelnen Schritte der Entscheidung aufeinander auf. Die Entscheidung erfolgt nicht abrupt und auf einmal. Vielmehr wird schrittweise zwischen Entscheidungsalternativen ausgewählt. Entscheidung bedeutet einen sich zunehmend verdichtenden und verengenden, Alternativen ausscheidenden Prozess. Der vorherige Verfahrensschritt muss eine gewisse faktische Verfestigung entwickeln, damit der nachfolgende auf ihm aufbauen kann. Die faktische Verfestigung rührt daher, dass bereits vorher Abgearbeitetes nicht noch einmal aufgerollt werden soll, weil ansonsten der Fortschritt des Entscheidungsprozesses gefährdet würde162. Je länger ein Entscheidungsprozess bereits angedauert hat, je 156 Bundesministerium für Umwelt, Umwelt Nr. 7–8/2000, Sonderteil, S. IX; Renneberg, Das Gesetz zur Beendigung, S. 27 (40); Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 305 (311, 313). 157 Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 305 (311 f.); Nagel/Roßnagel, Schadensersatzansprüche, S. 30 f. 158 Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 305 (315). 159 Denninger, A.-Drs. 14/626 Teil 2** (Umweltausschuss), S. 2 (4). 160 Degenhart, Bundes- und länderfreundliches Verhalten, S. 369 (378). 161 Schmidt-Preuß, A.-Drs. 14/626 Teil 5** (Umweltausschuss), S. 10 (12). 162 Vgl. Benz/Scharpf/Zintl, Horizontale Politikverflechtung, S. 181; Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 44 f. Nicht enden wollende Diskussionen, die einmal Abgearbeitetes immer wieder von Neuem aufrollen, würden letztlich zur Hand-

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1. Teil: Die Problematik informell-kooperativer Gesetzgebung

mehr personeller und finanzieller Aufwand bereits in den bisherigen Prozess investiert wurde und je kürzer die verbleibende Zeit ist, desto stärkere faktische Bindungen entwickeln sich163. Der Entscheidungsfortschritt innerhalb des staatlichen Bereichs ist ebenso wie der Verhandlungsfortschritt mit Privaten immer von faktischen Stabilitätszuwächsen der vorherigen Entscheidungsstufen abhängig. So wie man einen Marathonläufer nicht wenige Meter vor dem Ziel dazu bringen kann, einen anderen Weg einzuschlagen, so entwickelt jeder Entscheidungsprozess seine eigene Dynamik, die die Beteiligten dazu veranlasst, den einmal eingeschlagenen Weg umso weniger zu verlassen, je größer und mühsamer die bisher zurückgelegte Strecke war. Das bisherige Procedere erzeugt so eine prozessimmanente faktische Bindung164. (2) Faktische Bindung im internen und externen Entscheidungsprozess Bei der Analyse nichtrechtlicher Bindungen müssen die interne Entscheidungsdimension des Staates und die nach außen zu Privaten gerichtete externe Dimension unterschieden werden. Die Differenzierung dient dazu, das spezifische Ineinandergreifen beider Dimensionen bei gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen zu erhellen und dadurch Konturen und Intensitätsgrade faktischer Bindungen herauszuarbeiten. (a) Interner Entscheidungsprozess Innerhalb des staatlichen Bereichs werden Entscheidungen stufenweise vorbereitet. Dabei wirken Beamte und Politiker zusammen, um ein gemeinsames, von der Politik vorgegebenes Ziel zu erreichen. Der Entscheidungsprozess innerhalb des staatlichen Bereichs ist kein Aushandlungsprozess, indem sich divergierende Interessen gegenüberstehen würden. Es geht vielmehr darum, schrittweise zu klären, wie das politische Ziel am besten erreicht werden kann. Die faktische Verfestigung vorangehender Entscheidungsstufen fördert den Verfahrensfortschritt. Erst wenn die vorangehenden Entscheidungsstufen ein Mindestmaß an faktischer Stabilität erreicht haben, kann zum nächsten Verfahrensschritt übergegangen werden. Die prozessimlungsunfähigkeit führen. Vgl. auch: ThürVerfGH, NVwZ – RR 1997, 394 (395); Smeddinck/Tils, Normgenese und Handlungslogiken, S. 210, 276; Schulze-Fielitz, Parlament als Organ der Kontrolle, S. 108. 163 Vgl. Engelbert, Konfliktmittlung, S. 108; Löffler, Parlamentsvorbehalt, S. 96. 164 Von einer solchen, jedem Verfahren immanenten faktischen Bindung geht auch das Bundesverwaltungsgericht in E 45, 309 (316) aus. Vgl. auch Damaschke, Der Einfluss der Verbände, S. 136.

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manente faktische Bindung stellt sich im internen Prozess als Selbstbindung der an der Gesetzesvorbereitung Beteiligten dar. (b) Externer Entscheidungsprozess Werden hingegen in die staatliche Entscheidungsfindung Personen einbezogen, die außerhalb des Staates stehen und private Interessen verfolgen, so kommt es in der Regel zumindest in Teilbereichen zu einem Interessengegensatz zwischen den Gemeinwohlinteressen des Staates und den Partikularinteressen der privaten Kooperationspartner. Insoweit bekommt der Entscheidungsprozess den Charakter eines Aushandlungsprozesses. Fortschritte dieses Aushandlungsprozesses sind ebenfalls davon abhängig, dass die bereits ausgehandelten Bereiche als faktisch verbindlich erachtet werden. Der externe Entscheidungsprozess ist somit ebenfalls auf prozessimmanente Bindungen angewiesen. Darüber hinaus müssen jedoch die Vorteile, die ein Verhandlungspartner an einer Stelle erreicht hat, an anderer Stelle durch Vorteile des anderen Kooperationspartners kompensiert werden. Die externe faktische Bindung erweist sich somit als gegenseitige Austauschbindung zwischen Staat und Privaten165. (3) Zusammenwirken interner und externer Entscheidungsprozesse Die Beziehung zwischen internen und externen Entscheidungsprozessen kann so gestaltet sein, dass die Bundesministerien zunächst intern eine Verhandlungsgrundlage ausarbeiten und untereinander abstimmen, die dann auf einer zweiten Stufe mit den Privaten abgestimmt wird. An Stelle dieser gestuften Reihenfolge kann aber auch eine synchrone Verzahnung treten, so dass die internen Abstimmungsprozesse und die nach außen gerichteten Verhandlungen nicht nur gleichzeitig ablaufen, sondern aufeinander bezogen sind, voneinander abhängen und so ineinander greifen. Zu solchen verzahnten Prozessen zwischen staatlicher Willensbildung und Einflussnahme von Verbänden kommt es vor allem dann, wenn die an der Gesetzesvorbereitung beteiligten Ministerien selbst keine einheitliche Position vertreten und deshalb von privaten Interessenvertretern gegeneinander ausgespielt werden können166. 165 Der Unterschied zwischen interner und externer Bindung liegt nicht, wie es von BVerwGE 45, 309 (316 f.) erwogen wird, darin, dass die extern faktische Bindung von außen an das Verfahren herangetragen würde, während die interne im Verfahren selbst „wächst“. Eine solche Unterscheidung hat das BVerwG selbst letztlich abgelehnt. Vielmehr meint externe Bindung, dass eine Privatperson vom Staat mittels Austauschvereinbarung einbezogen wird.

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1. Teil: Die Problematik informell-kooperativer Gesetzgebung

Beim eng verzahnten kooperativen Gesetzgebungsprozess werden die betroffenen Privaten im Unterschied zum gestuften Abstimmungsprozess in weitaus stärkerem Maße in die Staatswillensbildung einbezogen. Die vorliegende Untersuchung konzentriert sich auf Fälle, in denen bereits der erste Entwurf gemeinsam mit den Interessenvertretern entwickelt wird. Der Gesetzentwurf wird in den hier interessierenden Fällen mit den Betroffenen im Detail ausgehandelt und nicht bloß später abgestimmt. Es entsteht ein gesetzesvorbereitender Verhandlungsprozess zwischen Ministerium und Privaten, der ein sich in vielen kleinen Schritten, iterativ verdichtendes Vertrauen der Verhandlungspartner und korrespondierende faktische Bindungen zur Folge hat167. Interner und externer Entscheidungsprozess entwickeln sich dabei nicht nacheinander oder nebeneinander, sondern ineinander. Bei den Gesprächen mit den Energieversorgungsunternehmen wurden Ressortabstimmungen, interne Überlegungen des Arbeitskreises der Staatssekretäre und Verhandlungen mit den Energieversorgungsunternehmen miteinander vermengt. Eine klare Abgrenzung zwischen internen staatlichen Entscheidungsprozessen und externen Verhandlungen mit Privaten war nicht erkennbar. Mit den Energieversorgungsunternehmen wurde bereits verhandelt, als die Bundesregierung noch keine einheitliche Position entwickelt hatte168. Die Arbeit des Bundesumweltministeriums an der Umsetzung der Vereinbarung wurde zudem gemäß VII. der Vereinbarung von der Monitoring-Gruppe fortlaufend überwacht, die mit Vertretern der Bundesregierung und Vertretern der Energieversorgungsunternehmen besetzt war. Die Energieversorgungsunternehmen nutzten diese Möglichkeit erfolgreich, um Einfluss auf die Gesetzesvorlage zu nehmen169. Interne Abstimmungsprozesse mit anderen Ressorts und externe Verhandlungen mit den Energieversorgern waren aufs Engste miteinander verzahnt.

(4) Faktische Bindung im iterativen Näherungsprozess Faktische Bindungsmomente entstehen bei gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen bereits, bevor die Vereinbarung paraphiert und unterzeichnet ist170. Die Beteiligten tätigen ihre Dispositionen zum Teil schon vor diesem „förmlichen Abschluss“ der Vereinbarung, weil sich die bisherige Zusam166 Zur Instrumentalisierung einzelner Ministerien durch Verbände: siehe oben 1. Teil A. I. 2. 167 Vgl. Gusy, ZUR 2001, 1 (4); Schulze-Fielitz, Der informale Verfassungsstaat, S. 91 f. 168 Vgl. Renneberg, Das Gesetz zur Beendigung, S. 27; vgl. auch dpa 4013 (26.1.1999); Hennenhöfer, in: Posser/Schmans/Müller-Dehn, AtG, Einführung, S. 9, der auf die internen Abstimmungsprobleme der Bundesregierung in Bezug auf das Vorschaltgesetz hinweist. Zum Vorschaltgesetz siehe oben 1. Teil A. I. 1. 169 Renneberg, Das Gesetz zur Beendigung, S. 27 (28); Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 305 (315). 170 Vgl. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 44 f.

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menarbeit als fruchtbar erwiesen hat oder weil sie ein Zeichen für weitere Verhandlungen setzen wollen. Die Entwicklung der faktischen Bindungen ist davon abhängig, dass Vertrauensvorschüsse schon während den laufenden Verhandlungen gewährt werden, deren Rechtfertigung sich bereits im Laufe der Verhandlungen bestätigt. Werden Vertrauensinvestitionen bereits während den laufenden Verhandlungen getätigt und von der Gegenseite durch entsprechendes Verhalten erwidert, so kann in der Vertrauensbetätigung und Vertrauensbestätigung ein die erzielten Vereinbarungen stabilisierendes Element gesehen werden, das die Beteiligten zugleich zur Fortsetzung der Verhandlungen motiviert171. Kooperation erweist sich somit als iterativer Näherungsprozess, der auf mehrfach wiederholte Vertrauensgewährung und Vertrauensbestätigung ausgerichtet ist und sich auf diese Weise schrittweise zur Dispositionsgrundlage verdichtet und stabilisiert172. Der Übergang vom informellen Gesetzesvorbereitungsbereich in das formelle Gesetzgebungsverfahren stellt sich im Hinblick auf die bereits während den Verhandlungen wachsenden faktischen Bindungen als fließend dar. Die formale Initiative des Bundeskabinetts erscheint lediglich als eine Wegmarke im sich laufend verdichtenden Strom zunehmender faktischer Bindung. Die Verhandlungen zum Atomausstieg und das spätere Umsetzungsgesetzgebungsverfahren können in entscheidungstheoretischer Perspektive als fließender Prozess mit sich langsam verdichtenden faktischen Bindungen verstanden werden. Dabei waren vertrauensbildendende Maßnahmen schon auf dem Weg des Verhandelns notwendig, um den Verhandlungsfortschritt zu fördern. Insoweit stellen die bereits während den Verhandlungen gestellten Anträge auf Errichtung von Standortzwischenlagern, die ebenfalls bereits während den Verhandlungen erteilten Transportgenehmigungen sowie die Antragsrücknahme zum Kernkraftwerk Mühlheim-Kärlich vor Verabschiedung der Gesetzesvorlage durch das Kabinett vertrauensbildende Maßnahmen dar, die den weiteren Verfahrensfortschritt flankierend fördern sollten173. Hier wird deutlich, dass faktische Bindungen nicht abrupt mit einer einzigen Willenerklärung oder Unterschrift entstehen. Vielmehr wächst faktische Bindung in einem sich langsam entwickelnden Prozess, in vielen kleinen und ineinander greifenden Schritten heran. Diese empirische Sicht unterscheidet sich wesentlich von der juristischen Fiktion, wonach ein Vertrag durch zwei übereinstimmende Willenserklärungen eher abrupt zu Stande kommt. 171 Vgl. Luhmann, Vertrauen, S. 69 ff.; Glück, Blinde Flecken, S. 193 ff., der Vertrauen als Wahrscheinlichkeitsurteil bezogen auf die Wahrscheinlichkeit eines vereinbarungsgemäßen Verhaltens einstuft. Dieses Wahrscheinlichkeitsurteil wird von den in der Vergangenheit liegenden Vertrauenserfahrungen beeinflusst. Positive vergangene Vertrauenserfahrungen führen dazu, dass auch für die Zukunft Vereinbarungstreue erwartet wird. 172 Vgl. BVerfGE 104, 249 (278) – abw. M. 173 Zu den genannten Vertrauen begründenden und Vertrauen stabilisierenden Maßnahmen: siehe oben 1. Teil A. I. 1.

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1. Teil: Die Problematik informell-kooperativer Gesetzgebung

(5) Bedeutung der Differenzierungen Die Differenzierung und Kombination von internem und externem Entscheidungsprozess macht das Spezifische des vorliegenden Untersuchungsgegenstandes deutlich. Während Bindungen im internen Entscheidungsprozess zu jeder Art von Staatshandeln gehören, sind die externen Austauschbindungen charakteristisch für das hier zu untersuchende kooperative Staatshandeln. Die gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen sind durch externes Aushandeln mit Privaten und die dabei entstehenden faktischen Bindungen gekennzeichnet. Gerade die extern faktische Bindung der Staatsorgane an nicht legitimierte Vertreter von Partikularinteressen wirft eine Vielzahl von verfassungsrechtlichen Problemen auf, weil die Bindung des Staates an private Kräfte die innere Souveränität des Staates in Frage stellt174. Beim Atomausstieg wurde die externe Austauschbindung der Bundesregierung gegenüber Privatpersonen insbesondere dadurch deutlich, dass die Energieversorgungsunternehmen auf eine Verfassungsbeschwerde gegen die Laufzeitbegrenzung ihrer Kraftwerke verzichteten. „Im Gegenzug“ dafür erhielten die beteiligten Energieversorger eine Gewährleistung des ungestörten Betriebs175. Es handelt sich gemäß der Begründung der Gesetzesvorlage um ein austariertes „Gesamtpaket“176. Die Vereinbarung weist einen Do-ut-des-Charakter auf, der zu faktischen Bindungen des Staates an Private geführt hat177.

Das stufenweise Nacheinander von internen und externen Entscheidungsprozessen unterscheidet sich von der synchron-verzahnten Vermengung der Entscheidungsdimensionen in einem iterativen Näherungsprozess zudem dadurch, dass bei der erstgenannten Vorgehensweise das einseitige und das kooperative Staatshandeln deutlicher voneinander abgrenzbar bleiben, während es bei letztgenanntem Vorgehen verstärkt zu Gemengelagen von staatlichen und privaten Wirkungsbeiträgen kommt. Die Abgrenzbarkeit von 174 Zur Problematik der inneren Souveränität des Staates: Papier, Parlamentarische Demokratie, S. 33 ff.; Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Bd. V, § 115 Rdnr. 116, Bd. VII, § 162 Rdnr. 75. 175 Bundesministerium für Umwelt, Umwelt Nr. 7–8/2000, Sonderteil, S. II. 176 Begründung der Gesetzesvorlage, BT-Drs. 14/7261, 14/6890, S. 16; vgl. Bundesministerium für Umwelt, Umwelt Nr. 7–8/2000, Sonderteil, S. II.: Dort ist von einer „Gesamtvereinbarung“ die Rede. Zum Verhandlungs- und Kompensationskalkül des Bundesumweltministeriums finden sich Überlegungen bei Nagel/Roßnagel, Schadensersatzansprüche, S. 10 ff. Die Betreiberseite betrachtete Vereinbarung und Umsetzungsgesetz ebenfalls als Gesamtpaket: Schmans, in: Posser/Schmans/MüllerDehn, AtG, § 1 Rdnr. 13. 177 Vgl. Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 305 (312); Hennenhöfer, in: Posser/Schmans/Müller-Dehn, AtG, Einführung, S. 12, der von einem synallagmatischen Leistungsaustausch von Befristung der Laufzeit einerseits und Gewährleistung des ungestörten Betriebs andererseits spricht. Ebenso: Schmans, in: Posser/ Schmans/Müller-Dehn, AtG, § 1 Rdnr. 9.

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Staat und Privaten hat für die Zurechnung von Verantwortung Bedeutung. Je mehr die staatlichen und privaten Verantwortungsbereiche miteinander vermengt werden, desto größere verfassungsrechtliche Probleme können entstehen178. Sendler sprach in Bezug auf die gesetzesvorbereitenden Verhandlungen beim Atomausstieg von einem „gemeinsamen Kochen von Staat und Industrie in den Suppentöpfen der Industrie“. Er charakterisierte damit bildhaft die verfassungsrechtlich problematische, stark verschwommene Verantwortungssituation bei derart eng verzahnten gesetzesvorbereitenden Absprachen179.

dd) Konturierung und Skalierung der externen faktischen Austauschbindung Die hier interessierenden gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen sind durch eng verzahnte interne und externe Abstimmungsprozesse bzw. Verhandlungen und sich daraus ergebenden faktischen Bindungen gekennzeichnet. Im Nachfolgenden muss die nach außen gerichtete faktische Austauschbindung näher untersucht werden. Für die rechtliche Würdigung wird es vor allem auch darauf ankommen, in welcher Intensität im konkreten Fall eine faktische Bindung von Staatorganen gegenüber demokratisch nicht legitimierten Privatpersonen gegeben ist. Deshalb müssen Ansatzpunkte gefunden werden, um den Intensitätsgrad faktischer Bindungen zwischen Staat und Privaten zu beschreiben. Dabei ist die faktische Bindung als sich schrittweise entwickelnder Kommunikationsprozess und als Ergebnis dieses Prozesses zu analysieren. Faktische Bindung ist nicht nur ergebnisbezogen als statisches „Sein“, sondern auch prozessbezogen als dynamisches „Werden“ zu erfassen. (1) Verhandlungen als bindungsbegründender Kommunikationsprozess Die extern faktische Bindung wächst in einem Kommunikations- und Kooperationsprozess schrittweise heran. Dieser Prozess ist zunächst begrifflich zu strukturieren. Die spätere verfassungsrechtliche Prüfung setzt voraus, dass der zu prüfende Gegenstand möglichst präzise beschrieben werden kann. Zur Beschreibung der gesetzesvorbereitenden Kommunikationsprozesse wird auf die Denkfigur des Idealtypus zurückgegriffen. 178 Zur verfassungsrechtlich gebotenen Verantwortungsklarheit: vgl. Sommermann in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG Bd. II, Art 20 Abs. 2 Rdnr. 214; zu den mit Kooperation verbundenen Problemen der Verantwortlichkeit: siehe ferner Depenheuer, Der Gedanke der Kooperation, S. 17 (33). 179 Sendler, Überlegungen, S. 185 (187).

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1. Teil: Die Problematik informell-kooperativer Gesetzgebung

(a) Idealtypische Betrachtungsweise Unter Idealtypus ist ein Gedankenkonstrukt zu verstehen, das in der Realität in Reinform kaum vorkommt. Man gelangt zu diesem Gedankengebilde, indem man bestimmte Merkmale für einen Oberbegriff als besonders charakteristisch erachtet. Idealtypus ist dann das Gedankengebilde, in dem alle Charakteristika des Oberbegriffes in der stärksten vorstellbaren Intensität ausgeprägt sind180. Der Idealtypus schafft für die Analyse der realen Phänomene einen einheitlichen ideellen Bezugspunkt. Die realen Phänomene können dadurch im Vergleich zum Idealtypus beschrieben werden. Der Idealtypus einer faktisch bindenden Austauschvereinbarung umschreibt das Maximum an denkbarer faktischer Austauschbindung. Als Bezugspunkt gibt er für die real vorkommenden faktisch bindenden Kommunikationsprozesse einen Maßstab für die Intensität faktischer Austauschbindung ab. Je näher eine real vorkommende Vereinbarung dem Idealtypus der faktisch bindenden Austauschvereinbarung kommt, desto stärker ist die faktische Austauschbindung ausgeprägt. Die idealtypische Betrachtungsweise dient somit als Gradmesser der Intensität faktischer Austauschbindung. (b) Arguing und Bargaining als idealtypische Kommunikationsformen Im Rahmen der idealtypischen Betrachtungsweise gesetzesvorbereitender Prozesse sind einerseits die informatorische Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen und andererseits die verhandlungsgeprägte Vorstrukturierung der Entscheidungen zu unterscheiden181. Korrelierend hierzu findet sich in der Kommunikationswissenschaft für die Analyse der kommunikativen Bewältigung von Konflikten die Differenzierung zwischen dem sog. „Arguing“ und dem „Bargaining“182. 180 Zum Begriff des Idealtypus siehe: Weber, Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, S. 190 ff.: „(Der Idealtypus) wird gewonnen durch einseitige Steigerung eines oder einiger Gesichtspunkte und durch Zusammenschluß einer Fülle von diffus und diskret, hier mehr, dort weniger, stellenweise gar nicht vorhandenen Einzelerscheinungen, die sich jenen einseitig herausgehobenen Gesichtspunkten fügen, zu einem in sich einheitlichen Gedankenbilde. In seiner begrifflichen Reinheit ist dieses Gedankenbild nirgends in der Wirklichkeit empirisch vorfindbar, es ist eine Utopie, und für die historische Arbeit erwächst die Aufgabe, in jedem einzelnen Falle festzustellen, wie nahe oder wie fern die Wirklichkeit jenem Idealbilde steht“. 181 Vgl. Papier, VM 2003, 116 (120). 182 Fietkau, Kommunikationsmuster, S. 275 (276 f.); Habermas, Faktizität und Geltung, S. 204 ff.; Eriksen, The European Union’s democratic deficit, p. 53 (61 ff.); Kippes, Bargaining, S. 40 ff.; vgl. auch Hager, Konflikt und Konsens, S. 68 ff., der in der Sache ähnlich zwischen antagonistischem und produktivem Ver-

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Arguing ist das Sammeln von Informationen, das Lernen, das diskursorientierte Kommunizieren und Argumentieren183. Das Arguing dient dazu, Informationsrückstände abzubauen184. Durch gegenseitiges Lernen soll die Wahrnehmung der unterschiedlichen Akteure verbessert und die Wissensbasis aller Beteiligten verbreitert werden. Die Konfliktlösung soll auf dem verbesserten Wissenstand der Beteiligten beruhen und aus der Einsicht herrühren, dass sich die gemeinsam erarbeitete Strategie zur Problembewältigung aus Sachnotwendigkeiten ergibt. Im Gegensatz zum Arguing versteht man unter dem Bargaining das Ausgleichen von Interessen durch Verhandlungen185. Mit dem Bargaining sollen Interessenkonflikte bewältigt werden186. Dies geschieht dadurch, dass ein Nachgeben eines Akteurs bei einem Konfliktpunkt durch ein Nachgeben des Gegenspielers bei einem anderen Punkt ausgeglichen wird. Die Verhandlungspartner verzichten auf die Realisierung von Drohpotentialen. Das Bargaining stellt Verhandlungsgerechtigkeit und Tauschgerechtigkeit durch Kompensation her187. Darin liegt der wesentliche Unterschied zum Arguing. Das Arguing zielt im Gegensatz zur Bargaining gerade nicht auf eine interessenbestimmte Tauschgerechtigkeit, sondern auf Sachgerechtigkeit durch Kognition. Das Arguing dient der bestmöglichen Erreichung gemeinsamer Ziele, die es zu identifizieren gilt. Ergebnis des kognitiv ausgerichteten Arguing ist der Konsens aus besserer Erkenntnis der Beteiligten. Das Ergebnis des Bargaining ist hingegen der Kompromiss bzw. die Mehrheitsentscheidung188. Im Gegensatz zum kognitiven Arguing ist das Bargaining eher dezisiv189. Die unterschiedlichen Interessen und Auffassungen zu den einzelnen Konfliktpunkten bleiben beim Bargaining trotz Einvernehmen über das Gesamtergebnis als solche bestehen190. Beim Bargaining ist die Einigung nicht auf Einzelpunkte, sondern auf ein „Gesamtpaket“ ausgerichtet. handeln unterscheidet. Ersteres entspricht eher dem Bargaining, Letzteres eher dem Arguing. 183 Fietkau, Kommunikationsmuster, S. 275 (277, 286, 292). 184 Fietkau, Psychologie der Mediation, S. 35 f. 185 Vgl. Fietkau, Kommunikationsmuster, S. 275 (277, 286, 291). 186 Fietkau, Psychologie der Mediation, S. 35 f. 187 Vgl. zum Kompensationsbegriff: Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip, S. 16 ff. 188 Vgl. Staeck, Vom Reformprojekt, S. 159: Staeck unterscheidet ähnlich wie die Begriffe des Arguing und Bargaining zwischen „problemsolving“ und „compromising“. 189 Zur Unterscheidung zwischen kognitiven Konsultationen und dezisiven Verhandlungen: vgl. Rengeling, Das Kooperationsprinzip, S. 14. 190 Fietkau, Kommunikationsmuster, S. 275 (277).

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1. Teil: Die Problematik informell-kooperativer Gesetzgebung

Untersucht man reale Kommunikationsvorgänge auf ihren sprachlichen Gehalt, so können diese der einen oder anderen idealtypischen Kategorie nach ihrem Schwerpunkt zugeordnet werden191. Gespräche, in denen Fragen, Feststellungen und Erläuterungen dominieren, haben eher Informations- und Erkenntnisfunktion. Sie können dem Schwerpunkt nach als Arguing qualifiziert werden. Geht es hingegen in der jeweiligen Kommunikationssituation vor allem um konkrete Handlungsvorschläge, Kritik, Lob, Tadel, Drohung, Verteidigung, Zustimmung, Forderungen und Zugeständnisse, so liegt im Schwerpunkt ein Bargaining vor192. Beim Bargaining zwischen Staat und Privaten zur Vorbereitung von Gesetzen wirkt der Private auf die inhaltliche Gestaltung des Gesetzes nicht nur der Sache nach, sondern als Person ein. Regelungen die ihn benachteiligen, müssen an anderer Stelle durch begünstigende Regelungen kompensiert werden. Beim Arguing liefert der Private hingegen nur die notwendigen Informationen, die als Arbeitshilfen für die Gesetzgebungsarbeit dienen. Arguing ist bei der Gesetzesvorbereitung nichts anderes als sachverständige Politikberatung. Die wissenschaftliche Beratung kann den Anspruch der Wissenschaftlichkeit nur erfüllen, wenn sie sich an den Grenzen des erkenntnisorientierten Arguing orientiert. Faktische Austauschbindungen gehen bei echter wissenschaftlicher Beratung gegen null, weil die Sacherkenntnis im Vordergrund steht193. Zwar enthält auch eine sachverständige Politikberatung immer auch persönliche Wertungselemente194, dennoch wirkt der Sachverständige dabei in wesentlich geringerem Maße auf die Gesetzesgestaltung interessenorientiert und persönlich ein, als dies bei Gesetzesverhandlungen mit Interessenverbänden der Fall ist. Vorliegend interessieren nicht die Einwirkungen Privater auf das Staatshandeln durch Sachaufklärung, sondern diejenigen Einflussnahmen Privater auf das Staatshandeln, bei denen faktische Austauschbindungen zum Zwecke des Interessenausgleichs durch Bargaining erzeugt werden. Der Einfluss Privater auf die Ausübung von Hoheitsgewalt unterscheidet sich beim Arguing und beim Bargaining wesentlich. Es kommt darauf an, ob sich die Ministerialbürokratie für Gesetzentwürfe von demokratisch nicht legitimierten Personen lediglich wissenschaftlich beraten lässt oder ob die Gesetzesvorlage mit Interessenvertretern ausgehandelt wird195. Die verfas191

Fietkau, Kommunikationsmuster, S. 275 (282 ff.). Fietkau, Kommunikationsmuster, S. 275 (286). 193 Vgl. Morlok, Informalisierung, S. 37 (74 f.). 194 Vgl. Murswiek, Diskussionsbeitrag, Staatsrechtslehrertagung 2002, S. 97 f. 195 Zur Unterscheidung zwischen politischen Beratern und Fachberatern bzw. zwischen Interessenbeiräten und Fachbeiräten: vgl. § 59 Abs. 1 UGB-KomE; Böckenförde, Die Organisationsgewalt, S. 187 ff., S. 253 ff. 192

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sungsrechtlichen Bedenken gegen ein gesetzesvorbereitendes Bargaining sind ungleich größer als gegen das Arguing196. Die über zweijährigen Verhandlungen um den Atomausstieg wurden in der Anhörung des Umweltausschusses des Bundestages als bloße erkenntnisorientierte Informationsermittlung etikettiert197. Wäre eine solche Charakterisierung als Arguing zutreffend, so wäre die Vereinbarung vom 14. Juni 2000 ebenso wie die vielfach übliche wissenschaftliche Politikberatung verfassungsrechtlich weniger kritisch zu beurteilen als die Beteiligung privater Interessenvertreter an der Gesetzgebung198. Bei den Verhandlungen des Bundeskanzlers und der Bundesminister mit den Energieversorgungsunternehmen spielte jedoch vor allem das Element der Drohung und des indirekten Zwangs eine gewichtige Rolle. Dies wird daran deutlich, dass zunächst das in der Koalitionsvereinbarung vorgesehene Vorschaltgesetz erarbeitet wurde. Der Entwurf des Vorschaltgesetzes konkretisierte das Drohpotential der Bundesregierung gegenüber den Energieversorgungsunternehmen und löste entsprechende Proteste bei den Energieversorgungsunternehmen aus199. Zudem wurde eine „Selbstverstopfung“ der Kernkraftwerke wegen Entsorgungsnotstands seitens des Bundesumweltministers nicht ausgeschlossen, weil der Transportstopp zunächst aufrechterhalten wurde200. Nachteilige steuerliche Regelungen für die Energieversorgungsunternehmen wurden in Aussicht gestellt201. Politiker der Regierungskoalition dachten öffentlich darüber nach, ob die Energieversorgungsunternehmen zur Bezahlung des Schutzes von Atommülltransporten durch den Bundesgrenzschutz herangezogen werden könnten202. Durch diese Kontextsteuerung sollten die Kernkraftwerksbetreiber zu eigenen Überlegungen zur Rentabilität der Kernenergie veranlasst werden. Seitens der Bundesregierung wurde stets betont, dass für den Fall des 196 Vgl. BVerfGE 12, 205 (257): Die dortigen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts deuten auf eine Unterscheidung zwischen faktisch bindender, informeller Staatstätigkeit einerseits und unverbindlichem, informatorischem Staatshandeln andererseits hin. Vgl. zu dieser Differenzierung: Reicherzer, DVBl. 2002, 557 (558); Ossenbühl, Länderkompetenz und Bundesaufsicht, S. 49 (74); siehe ferner BVerwGE 75, 214 (231); 69, 256 (267). 197 De Witt, A.-Drs. 14/626 Teil 7** (Umweltausschuss), S. 2 (4); ders. A.-Sten. Prot. 14/69 (Umweltausschuss), S. 35; vgl. auch Hennenhöfer, in: Posser/Schmans/ Müller-Dehn, AtG, Einführung, S. 15; Ekardt, Diskussionsbeitrag, 11. Atomrechtssymposium, S. 390, der der Vereinbarung lediglich die Bedeutung eines gemeinsamen Zeitungsinterviews beimisst. 198 Siehe unten 2. Teil A. III. 2., 4. Teil B. I. 1. e). 199 Dpa 4060 (4.11.98); dpa 0639 (23.11.98); Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 305 f.; Hennenhöfer, in: Posser/Schmans/Müller-Dehn, AtG, Einführung, S. 9. 200 Frankfurter Rundschau, 3. November 1999, S. 4, „Trittin sieht Chancen für Atomkonsens schwinden“; zur Gefahr der „Verstopfung“ wegen des zu Beginn der Verhandlungen fortbestehenden Transportstopps: Hennenhöfer, in: Posser/Schmans/ Müller-Dehn, AtG, Einführung, S. 9. 201 Dpa 0284 (11.12.98); dpa 0552 (12.12.98); dpa 0309 (13.1.99); dpa 2604 (5.8.99); Hennenhöfer, in: Posser/Schmans/Müller-Dehn, AtG, Einführung, S. 9. 202 Dpa 0198 (24.7.99); Nagel/Roßnagel, Schadensersatzansprüche, S. 20 Fußnote 58.

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1. Teil: Die Problematik informell-kooperativer Gesetzgebung

Scheiterns der Konsensgespräche ein einseitiger Ausstieg per Gesetz vorgesehen sei203. Auf der anderen Seite drohten die Energieversorger der Bundesregierung mehrfach mit einer Schadensersatzklage in zweistelliger Milliardenhöhe204. Die genannten Elemente der gegenseitigen Drohungen wurden schon während den Verhandlungen um wechselseitige Zugeständnisse, Zuversichtsbekundungen und Lob der anderen Seite angereichert. Die Bundesregierung setzte die Vorschaltnovelle zeitweise aus und gab sie dann später vollständig auf205. Der Zeitraum für die Wiederaufarbeitung wurde erheblich verlängert. Die Transportstopps wurden im Laufe der Verhandlungen teilweise aufgehoben. Die Energieversorgungsunternehmen zeigten sich im Gegenzug mit der Umstellung der Entsorgung auf Standortzwischenlager einverstanden206. Trotz aufrechterhaltener Drohungen erklärten beide Seiten stets, dass sie eine Einigung für möglich halten207. Die Atmosphäre wurde verbessert, indem man bekundete, dass die andere Seite mittlerweile auf dem richtigen Weg sei208. Somit zeigt die öffentliche Berichterstattung, dass die Gesetzesvorbereitung beim Atomausstieg ihrem Schwerpunkt nach von charakteristischen Elementen des Bargaining gekennzeichnet war. Die Elemente der Drohung, des Zugeständnisses, der Warnung und des Lobes waren sehr deutlich ausgeprägt. Zu überlegen ist allerdings, ob die öffentliche Berichterstattung überhaupt ein zutreffendes Bild vom Kommunikationsgeschehen in der Gesetzesvorbereitung liefern kann. Denkbar wäre es nämlich auch, dass hinter den Kulissen wesentlich sach- und erkenntnisbezogener diskutiert wurde, als es die zugespitzte Darstellung in den Massenmedien vermuten lässt. Andererseits deutet gerade die Analyse der öffentlichen Diskussion darauf hin, dass die Gespräche mit den Energieversorgungsunternehmen viele Charakteristika von interessensbezogenen Verhandlungen aufwiesen. Für rein informationsbezogene Fachgespräche im Sinne eines Arguing sind öffentlich ausgesprochene Drohungen, Forderungen und Zugeständnisse in dem beim Atomausstieg vorhandenen Maß weder zweckdienlich noch üblich. Gerade der Einsatz der Massenmedien als Mittel des Druckes ist charakteristisch für das von Interessenvertretern betriebene Bargaining209. Die öffentliche Berichterstattung kann somit durchaus als wichtiges Indiz für den Bargaining-Charakter der Gesetzesvorbereitung betrachtet werden210. In Übereinstimmung mit der öffentlichen Berichterstattung wurden die Verhandlungen auch von den Beteiligten selbst als hartes und langwieriges „Ringen um Konsens“ und als „zweijähriges Feilschen um Details“ charakterisiert. Die Einzel203

Dpa 0716 (10.11.99); dpa 0336 (28.11.99); dpa 0493 (5.5.00). Dpa 0716 (10.11.99); dpa 0355 (20.11.99); Bohne, NVwZ 1999, 1 (4). 205 Dpa 2625 (3.2.00); Hennenhöfer, in: Posser/Schmans/Müller-Dehn, AtG, Einführung, S. 9. 206 Dpa 0691 (14.3.00). 207 Dpa 0704 (27.1.2000); dpa 2628 zu 2626 (14.6.00), dpa 2677 (14.6.00). 208 Dpa 4058 (26.11.98); dpa 0198 (24.7.99). 209 Zur Bedeutung der Massenmedien für den Einfluss von Interessenverbänden: Alemann, Aktionsformen, S. 1, 6; zum Einsatz der Öffentlichkeitsarbeit als politisches Kampfinstrument bei gesetzesvorbereitenden Verhandlungen: Damaschke, Der Einfluss der Verbände, S. 148 f. 210 Zur Bedeutung der Kombination von öffentlichen und nichtöffentlichen Kommunikationsformen: vgl. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 189. 204

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heiten seien in „zähen Verhandlungen“ ausgehandelt worden211. Seitens der Energieversorgungswirtschaft war von einem „Kuhhandel“ die Rede212. Die Beteiligten bezeichneten sich in der Vereinbarung selbst als „Verhandlungspartner“213. Die Gespräche zwischen den Energieversorgern und den Mitgliedern der Bundesregierung waren somit im Schwerpunkt nicht vom gegenseitigen Verstehen und Lernen, sondern von Interessengegensätzen und der Suche nach einem Kompromiss gekennzeichnet. Es sind deutliche Konturen eines Bargaining zu erkennen. Deshalb geht die in der Bundestagsanhörung zur Atomgesetznovelle geäußerte Auffassung, die Gespräche mit den Energieversorgungsunternehmen hätten nach Art eines Arguing nur der Sachverhaltsermittlung gedient, fehl214. Das wird bei der späteren verfassungsrechtlichen Würdigung eine entscheidende Rolle spielen.

(c) Bargaining und faktische Bindung Das Ergebnis eines Arguing wird lediglich in einem Erinnerungsprotokoll festgehalten. Es bedarf idealtypischerweise keiner Austauschbindung, weil die Sache und die gemeinsame Überzeugung von der Richtigkeit der Vereinbarung im Vordergrund stehen. Im Gegensatz dazu löst die BargaingKommunikation die unterschiedlichen Standpunkte nicht in einem Lernprozess auf. Die unterschiedlichen Auffassungen bleiben vielmehr bestehen. Wo nicht Sacherkenntnis, sondern Kompromiss und wechselseitige Kompensation dominieren, muss eine rechtliche oder rechtsähnliche faktische Bindung erzeugt werden. Diese gewährleistet, dass die Vereinbarung trotz Fortbestehen der unterschiedlichen Grundpositionen eingehalten wird. Somit zeigt sich, dass erfolgreiches Bargaining und Austauschbindung untrennbar miteinander verbunden sind215. Gerade weil die Vereinbarung vom 14. Juni 2000 kein Lern-, sondern ein Verhandlungsprozess war, wurde sie wie ein Vertrag in allen Details schriftlich festgehalten, dann paraphiert und schließlich später öffentlich unterzeichnet. Das Fortbestehen der unterschiedlichen Standpunkte einerseits und die „moralische“, „politische“ und faktische Verbindlichkeit der Vereinbarung andererseits wurden stets betont216. Dies alles wäre bei einem Arguing-Lernprozess nicht notwendig gewesen, 211 Bundesministerium für Umwelt, Umwelt Nr. 7–8/2000, Sonderteil, S. II; Roßnagel, Die geordnete Beendigung, S. 11. 212 Rebentisch, Zweifelsfragen, S. 61 (71). 213 V. 2. der Vereinbarung. 214 Der Sachverständige de Witt bezeichnete in der Anhörung des Umweltausschusses des Bundestages die Gesetzesvorbereitung der Atomgesetznovelle durch Verhandlungen als vorbildliche Tatsachenermittlung und als „informatorische Vorarbeit“ der Bundesregierung (A.-Sten. Prot. 14/69 (Umweltausschuss), S. 35; A.-Drs. 14/626 Teil 7** (Umweltausschuss), S. 2 (4)). 215 Vgl. Bohne, VerwArch 75 (1984), 343 (349 f.). 216 Zum Fortbestehen der unterschiedlichen Grundhaltungen zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen zur Kernenergienutzung:

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1. Teil: Die Problematik informell-kooperativer Gesetzgebung

weil nach einem solchen erkenntnisorientierten Kommunikationsprozess alle Beteiligten auch ohne schriftlich fixierte und nach außen bekundete Bindung von der Richtigkeit der gefundenen Ergebnisse überzeugt gewesen wären. Während beim Arguing die eigene Überzeugung das Verhalten der Vereinbarungspartner im Sinne der Vereinbarung steuert, beruht die verhaltenssteuernde Wirkung einer durch Bargaining erzielten Vereinbarung in der faktischen Bindung.

Erweist sich eine vom Bargaining geprägte Vereinbarung als erfolgreich, so ist dies nicht auf Einsicht und Erkenntnis der Verhandlungspartner oder auf Überzeugung von der Position des anderen, sondern auf faktisch wirkende Austauschbindungen zurückzuführen. Je stärker der Charakter als Bargaining ausgeprägt ist, desto deutlicher müssen faktische Austauschbindungen zum Tragen kommen, damit die Vereinbarung ihren Zweck erfüllen kann217. Je stärker jedoch die faktischen Bindungen von Staatsorganen gegenüber demokratisch nicht legitimierten Privatpersonen ausgeprägt sind, desto verfassungsrechtlich problematischer werden die gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen zu beurteilen sein. Nach Auffassung der Mitglieder der Bundesregierung und der Energieversorgungsunternehmen war der eingeschlagene Weg des kooperativen Atomausstiegs erfolgreich. Ansonsten hätten beide Seiten die zunächst lediglich paraphierte Vereinbarung später nicht unterzeichnet und vollzogen. Die Gespräche zwischen den Energieversorgungsunternehmen und den Mitgliedern der Bundesregierung hatten eine sehr deutliche Prägung als Bargaining. Bargaining-Prozesse können jedoch nur bei starken faktischen Bindungen erfolgreich sein. Deshalb indiziert der besonders deutliche Bargaining-Charakter der Verhandlungen um den Atomausstieg eine sehr starke faktische Bindung der nach Auffassung der Parteien erfolgreichen Vereinbarung vom 14. Juni 2000.

(d) Zusammenwirken von Arguing und Bargaining in der Realität Die idealtypischen Begriffe des Bargaining und Arguing gehen in der Realität ineinander über und können sich durch Kommunikation derart wandeln, dass aus einem Bargaining ein Arguing wird bzw. das Arguing sich zu einem Bargaining wandelt. Interessengegensätze können sich durch bessere Erkenntnis auflösen oder zumindest als Erkenntnisproblem identifiziert und später gelöst werden. Scheinkonflikte können durch eine Verbesserung des Informationsstandes entschärft werden. Andererseits können auch latente Interessengegensätze im Kommunikationsprozess des Arguing erstmals deutlich werden218. siehe I. der Vereinbarung; zu den Bekundungen der faktischen Verbindlichkeit: siehe oben 1. Teil A. I. 3. b) cc). 217 Vgl. Schulze-Fielitz, Der politische Kompromiss, S. 293. 218 Fietkau, Psychologie der Mediation, S. 35 ff.; vgl. auch Schulze-Fielitz, Der politische Kompromiß, S. 293.

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Arguing und Bargaining ergänzen sich wechselseitig219. Das Arguing hat seinen Platz vor allem in der Entscheidungsvorbereitung. Jede rationale Entscheidung setzt zunächst die sachbezogene Erkenntnis der Entscheidungsgrundlagen voraus. Dort wo es aber kein richtig oder falsch mehr gibt, dort wo sich allgemeingültige, überzeugende Argumente nicht mehr finden lassen, greift jedoch die Funktion des Bargaining. Das Bargaining erzeugt Entscheidungen durch Austausch und Kompromiss, wo eine rationale Auflösung durch Überzeugung und Erkenntnis nicht möglich ist. Der Suche nach Mehrheiten in den zur Entscheidung berufenen Organen ist oftmals ein informeller Bargaining-Prozess mit den dortigen Entscheidungsträgern vorgelagert220. Bei den hier interessierenden gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen besteht indessen die Gefahr, dass das Bargaining nicht mit denjenigen stattfindet, die im formalisierten Gesetzgebungsverfahren entscheidungsberechtigt sind. Werden gesetzesvorbereitende Vereinbarungen mit betroffenen Privaten ausgehandelt, so wird den im formalisierten Verfahren zur Entscheidung legitimierten Staatsorganen vielmehr die Entscheidungssubstanz gerade entzogen. Das wird später verfassungsrechtlich zu vertiefen sein. Ein zu frühes Bargaining kann auch dazu führen, dass Sachprobleme verdeckt werden und ungelöst bleiben, um die Verhandlungen nicht mit ihnen zu belasten. Das Bargaining ergänzt nicht in jedem Fall das Arguing. Es kann im Gegenteil auch Sachprobleme verschleiern und mit einer sachbezogenen Aufklärung kollidieren, weil bestimmte Probleme nicht angesprochen werden dürfen, um den Verhandlungserfolg und eine Einigung nicht zu gefährden. In der Realität lässt sich eine komplementäre, aber auch kollidierende Wechselbeziehung zwischen Arguing und Bargaining feststellen. Bargaining und Arguing können sich gegenseitig fördern, aber auch entgegenstehen und behindern221. (2) Bindende Vereinbarung als Kommunikationsergebnis Faktische Bindung lässt sich zum einen vom Typus des Kommunikationsprozesses her begreifen, in dem die faktische Bindung durch iterative Vertrauensbetätigung und Vertrauensbestätigung heranwächst. Zum anderen zeigen sich Konturen der faktischen Bindungen aber auch an dem, was als Ergebnis des Verhandlungsprozesses nach Inhalt und Form festgehalten wird. 219

Vgl. Hager, Konflikt und Konsens, S. 71. Vgl. Fietkau, Kommunikationsmuster, S. 275 (278, 287, 293); Schulze-Fielitz, Der politische Kompromiß, S. 307. 221 Vgl. Blumenthal, ZPol 2002, 4 (15 f.). 220

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1. Teil: Die Problematik informell-kooperativer Gesetzgebung

(a) Konkretisierungsgrad der Vereinbarung Faktische Bindungen entwickelt ein Gespräch vor allem dadurch, dass die Beteiligten konkrete Vereinbarungen für ihr künftiges Verhalten treffen. Ein bloßes Sondierungsgespräch muss sich erst handlungsbezogen verdichten, damit es faktische Bindungen generieren kann. Werden lediglich allgemeine Absichtserklärungen abgegeben, so entstehen keine oder kaum Bindungswirkungen. Je konkreter die Absprachen sind, umso schwieriger wird es für eine Seite, Interpretationsspielräume zu nutzen, um sich von der Vereinbarung loszusagen. Deshalb entstehen umso stärkere faktische Bindungen, je konkreter die Vereinbarung ausfällt. Die Vereinbarung vom 14. Juni 2000 enthält in Bezug auf die Periodischen Sicherheitsüberprüfung und die Reststrommengen selbstvollziehende kernkraftwerksscharfe Regelungen. Ein höherer Konkretisierungsgrad ist kaum denkbar. Dieser hohe, kernkraftwerksscharfe Konkretisierungsgrad der Vereinbarung spricht für eine starke faktische Bindung.

(b) Austauschbeziehung als Vereinbarungsinhalt Kernstück einer faktisch bindenden Vereinbarung ist der Gedanke des Do-ut-des. Die Beteiligten verzichten jeweils wechselseitig auf Handlungsoptionen zugunsten der informellen Vereinbarung. Die privaten Vereinbarungspartner erhalten durch die einvernehmliche Lösung eine geringere Belastung ihrer Rechte und Interessen sowie Planungs- und Rechtssicherheit222. Denkbar ist auch, dass der Staat den privaten Vereinbarungspartnern finanzielle Förderungen in Aussicht stellt, wenn sie kooperieren223. Als Gegenleistung verzichten die privaten Vereinbarungspartner darauf, ihre Vetopotentiale gegen neue gesetzliche Regelungen zu mobilisieren. Die Gegenleistung kann darin bestehen, dass ein Interessenverband konstruktiv an der Gesetzgebung mitarbeitet und sein Sachwissen den Gesetzgebungsorganen zur Verfügung stellt224. Die Akzeptanz der gesetzlichen Neuregelung durch die Betroffenen erleichtert den Vollzug durch deren konstruktive Mitarbeit. Der private Vereinbarungspartner wird unter Umständen von suspendierenden Rechtsbehelfen Abstand nehmen und damit die Effektivität des Staatshandelns erhöhen. Verbände können auf Mobilisierung der eigenen Mitglieder bzw. der Öffentlichkeit gegen die Regelung als Gegenleistung für eine dem Verband günstigere gesetzliche Regelung verzichten225. 222

Vgl. Müller, Ministerialverwaltung, S. 17 (26 f.). Vgl. Faber, Gesellschaftliche Selbstregulierungssysteme, S. 222. 224 Zur Bedeutung des Sachwissens von Interessenverbänden bei gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen: Smeddinck/Tils, Normgenese und Handlungslogiken, S. 182 f. 223

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Wer sich im Rahmen der Austauschbeziehung an die eigenen Versprechen in der Vereinbarung nicht hält, riskiert dabei, dass auch die andere Seite sich nicht mehr gebunden fühlt, so dass der Austausch dann nicht mehr zustande kommt. Wer selbst in den Genuss der Gegenleistung kommen möchte, muss das eigene Versprechen erfüllen226. Der Anreiz von Vorteilen und die Gefahr, dass bei eigener Vereinbarungsuntreue auch der andere von der Vereinbarung abrücken wird, bilden somit wichtige Konturen der faktischen Bindung227. Es werden „Gesamtpakete“ geschnürt, in denen Vor- und Nachteile sich derart kompensieren, dass eine Zustimmung möglichst vieler Beteiligter erreicht wird. Ein „Aufschnüren“ des Gesamtpakets und ein sektorales Verhandeln einzelner Teile ist nicht möglich, weil ansonsten ein Verlust der Einigung droht228. Der Austauschcharakter wird an der Vereinbarung vom 14. Juni 2000 sehr deutlich. Die Energieversorger erhalten eine Gewähr des ungestörten Betriebs und den Verzicht auf steuerliche Diskriminierung. Im Gegenzug wird der Bundesregierung zugesagt, dass die Energieversorgungsunternehmen gegen das Ausstiegsgesetz nicht klagen werden. Zudem wird auf Betreiberseite ein Genehmigungsantrag zurückgenommen und auf eventuelle Schadens- und Rückzahlungsforderungen verzichtet. Die Vereinbarung wurde wegen ihres Austauschcharakters auch als „Gesamtpaket“229 und als „Gesamtvereinbarung“230 bezeichnet. Wer dieses Gesamtpaket aufschnüren wollte, der riskierte damit, dass der befriedende Konsens wieder verloren geht231. Der Charakter der Vereinbarung als austarierte Gesamtvereinbarung begründete besonders starke faktische Bindungen. Dementsprechend lehnten der Bundesumweltminister und die Fraktionsspitze der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Nachverhandlungen gegenüber den eigenen Anhängern ausdrücklich ab232.

225 Eine kontinuierliche Kritik der Bundesregierung durch Wirtschaftsverbände führt langfristig dazu, dass das Image der Bundesregierung bezogen auf die wirtschaftspolitische Kompetenz leidet. Deshalb wird jede Bundesregierung in gewissem Maße um Einvernehmen mit den Wirtschaftsverbänden bemüht sein (vgl. Smeddinck/Tils, Normgenese und Handlungslogiken, S. 271; Tils, Professionelle Koordination, S. 31 (43).). 226 Beim BBodSchG sollte die Wirtschaft Rechtssicherheit erhalten und als Gegenleistung die Vorsorge beim Bodenschutz akzeptieren (Smeddinck/Tils, Normgenese und Handlungslogiken, S. 130). 227 Zur Austauschbindung siehe oben 1. Teil A. I. 3. b) cc) (2) (b), 1. Teil A. I 3. b) dd) (1) (b) und (c); vgl. ferner: Schröder, NVwZ 1998, 1011 (1012). 228 Zur Bindungswirkung von „Gesamtpaketen“: vgl. Unkelbach, Vorbereitung, S. 60 f. 229 Begründung der Gesetzesvorlage, BT-Drs. 147261, 14/6890, S. 16. 230 Bundesministerium für Umwelt, Umwelt Nr. 7–8/2000, Sonderteil, S. I. 231 Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 305 (317). 232 Dpa 0743 (20.6.2000); Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20. Juni 2000, S. 2, „Chancen für Kuhn und Künast steigen“.

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1. Teil: Die Problematik informell-kooperativer Gesetzgebung

(c) Äußeres Erscheinungsbild der Vereinbarung und Kontrollverfahren Auch das äußere Erscheinungsbild und die Zeremonie der Unterzeichnung einer Vereinbarung sind für die Beurteilung der faktischen Bindung von Bedeutung. Die Wahl von ansonsten aus dem Vertragsrecht bekannten symbolhaften Verhaltensweisen, wie z. B. dem Unterzeichnen einer Urkunde, verstärken die Bindung233. Zudem festigt die Institutionalisierung eines informellen Kontrollverfahrens die faktische Verbindlichkeit einer Vereinbarung. Auch die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit gegenüber den Vereinbarungspartnern kann für die Verstärkung der faktischen Bindung genutzt werden234. Wer sich nicht an die öffentlich bekannt gegebene Vereinbarung hält, wird öffentlich als unzuverlässig gelten235. Die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit wird dadurch unterstrichen, dass eine informelle Vereinbarung nach der äußeren Form einem rechtsverbindlichen Vertrag ähnelt und dass der Unterzeichnung durch entsprechende Symbolik ein amtlicher Charakter verliehen wird. Die Vereinbarung vom 14. Juni 2000 wurde zunächst paraphiert und amtlich publiziert. Sie war anschließend Gegenstand einer Regierungserklärung des Bundeskanzlers im Bundestag und wurde später unter Anwesenheit der Massenmedien vom Bundeskanzler, dem Bundesumweltminister und dem Bundeswirtschaftsminister einerseits und den Vorstandsvorsitzenden der größten Energieversorgungsunternehmen andererseits feierlich unterzeichnet236. Diese Vorgehensweise erinnert an den Abschluss rechtsverbindlicher völkerrechtlicher Verträge. Die symbolhafte Zeremonie verleiht der Vereinbarung ein amtliches Erscheinungsbild. Die Vereinbarung wurde der Öffentlichkeit bereits nach Paraphierung in einer amtlichen Publikation des Bundesumweltministeriums mitgeteilt, um die bereits zu diesem Zeitpunkt entstandenen faktischen Bindungen zusätzlich zu stabilisieren. Zwischen Paraphierung und Unterzeichnung wurde die Umsetzung der 233

Zur Bedeutung der Art und Weise des öffentlichen Auftretens von Nichtlegitimierten für die Beeinträchtigung der Verantwortungsstrukturen der Verfassung: Böckenförde, Die Organisationsgewalt, S. 257. 234 Zur Bedeutung der Öffentlichkeit als Bindungsressource: Rengeling, Das Kooperationsprinzip, S. 184; Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 305 (390); Faber, Gesellschaftliche Selbstregulierungssysteme, S. 150, 410; Unkelbach, Vorbereitung, S. 64 ff. 235 Zur Mobilisierung der Öffentlichkeit als Steuerungsinstrument des angelsächsischen Rechts: Schmidt-Preuß, Flexible Instrumente, S. 309 (314). 236 Einen optischen Eindruck vom amtlichen Charakter dieser Zeremonie vermittelt: Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, Energiebericht 2001, S. 34. Auf der dort gezeigten Abbildung posieren Bundeskanzler, Bundeswirtschaftsminister und Bundesumweltminister mit den Vorstandsvorsitzenden der größten deutschen Energieversorgungsunternehmen vor dem Bundesadler. Die Mitglieder der Bundesregierung und die Vertreter der Unternehmen halten Mappen mit der unterzeichneten Vereinbarung in der Hand. Auf den Mappen ist ebenfalls der Bundesadler abgebildet.

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Vereinbarung zudem durch die sog. Monitoring-Gruppe überwacht237. Auch darin wird die besondere Intensität der faktischen Bindung der Vereinbarung deutlich. Durch das Überwachungsverfahren der Monitoring-Gruppe, die vertragsähnliche Symbolik und das amtliche Erscheinungsbild der Vereinbarung in der Öffentlichkeit wurde die faktische Verbindlichkeit der Vereinbarung erheblich verstärkt.

(3) Bindung als Dispositionsgrundlage Die faktische Bindung gesetzesvorbereitender Vereinbarungen führt dazu, dass keine konterkarierenden Gesetze erlassen werden und dass eine Dispositionsgrundlage geschaffen wird, auf der bereits vor der gesetzlichen Umsetzung aufgebaut werden kann. Mit der gesetzesvorbereitenden Vereinbarung wird eine faktische Steuerungs- und Bindungswirkung bereits vor Beginn des formalisierten Gesetzgebungsverfahrens angestrebt. Beabsichtigt ist die Schaffung einer faktischen Vorprägung des späteren Gesetzgebungsverfahrens238. Je intensiver und belastbarer die faktische Bindung der Vereinbarung ausgeprägt ist, desto umfangreichere Dispositionen lassen sich bereits vor der gesetzlichen Umsetzung tätigen. Hohe Vertrauensdispositionen, die bereits vor der gesetzlichen Umsetzung, allein auf Grundlage der Vereinbarung getätigt werden, deuten auf ein besonders starkes Maß an faktischer Bindung der Vereinbarung hin. Da die ausgehandelte Vereinbarung vom 14. Juni 2000 schon vor der gesetzlichen Umsetzung intensive nichtrechtliche Bindungen entfaltet hat, konnte mit ihrem Vollzug schon vor In-Kraft-Treten des neuen Atomgesetzes begonnen werden. Die in der Vereinbarung vorgesehenen Antragsrücknahmen in anhängigen Verfahren wurden beiderseits schon vor Beschluss des Umsetzungsgesetzes durch den Bundestag allein auf der Grundlage der Vereinbarung vollzogen239, 240. Das Bundesumweltministerium einigte sich mit dem Betreiber des Kernkraftwerks Biblis A über „Nachrüstpakete“ für dieses Kernkraftwerk, die die begrenzte Laufzeit berücksichtigten, ohne dass die Laufzeitbegrenzung bereits gesetzlich festgelegt war. Die neue Entsorgungs237

Zu dieser Monitoring-Gruppe: 1. Teil A. I. 1. Siehe Bohne, VerwArch 75 (1984), 343 (349 f.), der die faktische Bindung als wesentlichen Zweck von Vorverhandlungen qualifziert. Vgl. auch Lerche, in: Maunz/Dürig, GG Bd. IV, Art. 83 Rdnr. 112. 239 Zur Rücknahme des Antrags auf Sofortvollzug im Verfahren um das Endlager Schacht Konrad und zur Rücknahme des Antrages bzgl. des Kernkraftwerks Mühlheim-Kärlich: siehe oben 1. Teil A. I. 1. 240 In Bezug auf die Antragsrücknahmen ist allerdings zu beachten, dass die Anträge zum Teil unter bestimmten Voraussetzungen erneut gestellt werden könnten. Insoweit läge lediglich eine reversible Disposition vor (siehe hierzu: Huber, Konsensvereinbarungen, S. 329 (343)). Das ändert jedoch nichts daran, dass die Antragsrücknahmen Dispositionen auf Grund der faktisch verbindlichen Vereinbarung darstellen und somit deren faktische Bindung in gewissem Maße indizieren (vgl. OVG Koblenz, DVBl. 1970, 690 (691)). 238

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1. Teil: Die Problematik informell-kooperativer Gesetzgebung

konzeption wurde ebenfalls bereits vor der gesetzlichen Umsetzung der Verpflichtung zur Errichtung von Standortzwischenlagern unter Einsatz erheblicher Planungskosten in Angriff genommen. Die diesbezüglichen Genehmigungsverfahren waren zur Zeit des Parlamentsbeschlusses bereits erheblich fortgeschritten. Die Verlängerung des Rahmenbetriebsplanes und das Moratorium für das Endlager Gorleben wurden schon kurze Zeit nach Beginn der parlamentarischen Beratungen wirksam241. Die Beteiligten verließen sich bei ihren Dispositionen auf die faktische Bindung der in einem eineinhalbjährigen Verhandlungsprozess ausgehandelten Vereinbarung, ohne die gesetzliche Umsetzung abzuwarten. Darin wird eine besonders intensive faktische Bindung der Vereinbarung vom 14. Juni 2000 deutlich. Vertrauensvorschüsse, Vertrauensbetätigung und Vertrauenserwiderung während den Verhandlungen motivierten die Beteiligten, die Verhandlungen zu den umstrittenen Punkten weiter fortzusetzen.

(4) Zusammenfassung von Konturen und Intensitätsgraden Erfolgsreiches Bargaining führt zur faktischen Austauschbindung in konkreten Vereinbarungen, die als Dispositionsgrundlage schon vor der gesetzlichen Umsetzung dienen können. Die faktische Bindung wird durch unterschiedliche Elemente charakterisiert. Die gefundenen verallgemeinerungsfähigen Konturen der faktischen Bindung sind nachfolgend zusammenzufassen. Aus ihnen ergibt sich dann auch ein Maßstab zur Beschreibung der Intensität der faktischen Bindung. (a) Konturen der extern faktischen Austauschbindung Für eine präzise zusammenfassende Beschreibung der faktischen Bindung stellt sich zunächst die Frage nach einer Definition, die die Merkmale der faktischen Bindung umfassend erfasst. In diesem Sinne könnte faktische Austauschbindung beschrieben werden als jede Bindung, die nicht auf der Rechtsordnung und der mit dieser verbundenen unmittelbaren Androhung staatlicher Gewaltanwendung beruht, sondern lediglich aus dem Gedanken des Interessenausgleichs durch Austausch herrührt. Eine konkretere Definition der faktischen Bindung steht demgegenüber vor dem Problem, dass sich die möglichen Gründe außerrechtlicher Bindungen nicht abschließend aufzählen lassen. Ein abschließender Katalog von diesbezüglichen Bindungsquellen würde die Funktion des Begriffes der faktischen Bindung verfehlen. Funktion dieses Begriffes ist es nämlich, sämtliche nichtrechtlichen Bindungen umfassend einzufangen. Dann aber muss dieser Begriff offen für neu auftretende Formen der Bindung sein und kann 241 Zu den Einzelheiten des antizipierten Vollzugs der Vereinbarung: siehe oben 1. Teil A. I. 1.

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nicht abschließend positiv definiert werden. Da eine konkrete und zugleich abschließende Definition der faktischen Austauschbindung somit nicht sinnvoll wäre, weil sie der Auffangfunktion des Begriffes der faktischen Bindung widersprechen würde, sind lediglich folgende (nicht abschließende) Konturen der faktischen Austauschbindung festzuhalten: • • • • • • • • • •

Charakter der vorangehenden Kommunikation als Bargaining Vereinbarung konkreter Handlungsregeln Verzicht auf die Realisierung konkreter Drohungen Wechselseitiger Verzicht auf tatsächliche oder vermeintliche Rechtspositionen und kompensatorische Vorteilsgewährung im „Gesamtpaket“ Umfassende Akzeptanz der Vereinbarung durch die betroffenen Mitglieder der beteiligten Verbände Vertrauensdispositionen aufgrund der faktischen Bindung Laufende (informell organisierte) Kontrolle der gegenseitigen Vereinbarungstreue Zuverlässigkeitskontrolle durch die Öffentlichkeit (Bindung via Reputationsrisiko) Vertragsähnliche Vereinbarungsform Amtliches Erscheinungsbild der Vereinbarung

Die genannten Merkmale sind nicht präzise gegeneinander abgrenzbar. Sie überschneiden sich und beleuchten dabei unterschiedliche Aspekte der faktischen Bindung. Keines dieser Merkmale ist für das Vorliegen faktischer Bindung unabdingbar. Es lässt sich nur sagen, dass jedenfalls dann faktische Bindung vorliegt, wenn einige oder auch nur eines dieser Merkmale feststellbar ist. Faktische Bindung ergibt sich als Summe vieler einzelner Bindungsmomente, die in ihrer Gesamtheit eine Vertrauens- und Dispositionsgrundlage bilden. Die faktische Austauschbindung erweist sich somit als Typusbegriff, der sich aus mehreren Merkmalen zusammensetzt, die in unterschiedlicher Intensität ausgeprägt sein können. (b) Intensitätsgrade faktischer Austauschbindung Sind alle Konturen der faktischen Bindung im höchsten vorstellbaren Maß entwickelt, so würde der Idealtypus der faktischen Austauschbindung vorliegen. Ausgehend von diesem Idealtypus lassen sich unterschiedliche Intensitätsgrade ermitteln242. Die jeweilige Intensität der faktischen Bindung ist da242 Vgl. Lerche, in: Maunz/Dürig, GG Bd. IV, Art. 83 Rdnr. 106 ff., der von „Dichtigkeitsgraden“ der Kooperation spricht. Dabei bezieht er sich jedoch vor allem auf die Kooperation zwischen Bund und Ländern. Der Gedanke der „Dichtig-

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1. Teil: Die Problematik informell-kooperativer Gesetzgebung

von abhängig, wie stark die einzelnen Merkmale im Einzelfall ausgeprägt sind. Je näher die gesetzesvorbereitende Vereinbarung dem Idealtypus kommt, desto stärker werden sich die Vereinbarungspartner gebunden fühlen. Dabei spielt auch eine Rolle, welcher Aufwand in die Verhandlungen personell, zeitlich und finanziell investiert wurde. Ein hoher Aufwand für die Verhandlungen führt zu starken prozessimmanenten Bindungen, die ihrerseits die faktischen Austauschbindungen zusätzlich verstärken243. Ein besonders wichtiges Indiz bei der Feststellung der faktischen Bindung spielt der Bindungserfolg. Dann nämlich, wenn die Vereinbarungspartner sichtbar auf die Vereinbarung vertrauen, indem sie gestützt auf die Vereinbarung nicht oder schwer reversible Vertrauensdispositionen tätigen, kann von einem besonders hohen Grad faktischer Bindung ausgegangen werden. Je umfangreichere finanzielle Ressourcen aufgrund einer Vereinbarung aufgewendet werden, umso so intensiver sind die Bindungen. Sie sind zudem umso stärker, je weniger die Vertrauensdispositionen rückgängig gemacht werden können. Die Vereinbarung vom 14. Juni 2000 legt konkrete, zum Teil sogar kernkraftwerksscharfe Handlungspflichten beider Seiten fest. Sie stellt eine Austauschvereinbarung dar. Die Verhandlungen hatten über weite Strecken einen Bargaining-Charakter, der von Drohungen und Zugeständnissen geprägt war. Die Bundesregierung verzichtete im Rahmen des dabei erzielten Kompromisses auf schärfere gesetzliche Regelungen, während die Energieversorger von einer Klage gegen das Ausstiegsgesetz absahen. Die äußere Form des Abschlusses der Vereinbarung und die Vorgehensweise von der Paraphierung bis zur Unterzeichnung erinnerte im öffentlichen Erscheinungsbild an einen rechtsverbindlichen Vertrag mit amtlichem Charakter. Die Umsetzung der Vereinbarung wurde zudem von einer Monitoring-Gruppe überwacht. Die Verhandlungspartner haben auf Grund der Vereinbarung wichtige Entscheidungen, die auch finanziell eine große Reichweite haben, getroffen. Diese Elemente ergeben in der Gesamtschau eine sehr starke Intensität der faktischen Bindung der Vereinbarungspartner. Die Vereinbarung vom 14. Juni 2000 kommt dem Idealtypus einer in höchstem Maße faktisch bindenden gesetzesvorbereitenden Absprache sehr nahe. Dieses Höchstmaß an außerrechtlicher Bindung wird an den Worten des Bundeskanzlers bei Unterzeichnung der Vereinbarung besonders deutlich. Der Bundeskanzler bezeichnete die Vereinbarung dabei mehrfach als „abschließend“244. Somit sollte die Vereinbarung nicht nur eine Arbeitsgrundlage für den weiteren Gesetzgebungsprozess sein. Vielmehr fungierte sie als faktisch in besonders hohem Maße bindende Vorgabe und Direktive. keitsgrade“ der Kooperation lässt sich jedoch auch auf das Verhältnis Staat und Private übertragen (vgl. Lerche, in: Maunz/Dürig, GG Bd. IV, Art. 83 Rdnr. 96). 243 Bereits oben wurde ausgeführt, dass die prozessimmanente Bindung sowohl in der staatsinternen als auch in der externen Dimension zur Verfestigung der Bindungen führt: siehe oben 1. Teil A. I. 3. b) cc). 244 Bulletin der Bundesregierung Nr. 40-4 vom 11. Juni 2001, Statement Bundeskanzler Schröder.

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ee) Faktische Konzentration Informell-kooperatives Staatshandeln erzeugt aber nicht nur faktische Bindungen zwischen Staatsorganen und Privaten. Es führt auch zu faktischen Konzentrationsprozessen auf staatlicher und privater Seite in sachlicher und personeller Hinsicht. Der Erfolg eines Verhandlungsprozesses hängt entscheidend davon ab, ob die jeweiligen Verhandlungspartner über genügend Verhandlungsmacht verfügen. Die daraus resultierenden Konzentrationsprozesse müssen später vor allem in Hinblick auf die machtbegrenzende Kompetenzordnung des Grundgesetzes reflektiert werden. (1) Sachliche Konzentration Die für eine Vereinbarung notwendige Einigung kann oftmals erst durch eine Ausdehnung des Verhandlungsgegenstandes herbeigeführt werden. Ein thematisch breiter Verhandlungsansatz kann Unterlegenheitsgefühle reduzieren und sich positiv auf die künftige Zusammenarbeit auswirken, weil Unterlegenheit in einem Bereich durch Überlegenheit in einem anderen ausgeglichen werden kann. Sind Verhandlungen an einem Punkt festgefahren, so ist die Ausdehnung des Verhandlungsgegenstandes eine vielfach praktizierte Strategie, um den Konsens doch noch zu erreichen. Die Ausweitung des Themenspektrums im Rahmen politischer Verhandlungen eröffnet zusätzliche Kompensations- und Kompromissmöglichkeiten. Wird das Themenspektrum durch die Kompetenzordnung eingeengt, so bietet sich aus politischer Sicht die informelle Anreicherung des thematisch begrenzten formellen Verfahrens an, um genügend Verhandlungsmasse zu haben und dadurch eine Einigung durch wechselseitiges Nachgeben zu erreichen245. Die thematische Ausdehnung schafft bezogen auf die Vereinbarungspartner eine umfassende Pazifizierungswirkung. Das Vertrauen in Gentlemen’s Agreements lebt von einem umfassenden Konsens. Eine Beschränkung der Vereinbarung auf einzelne Konfliktpunkte würde hingegen das Vertrauen labil machen, weil ungewiss ist, ob Vereinbarungsteile, zu denen man sich zunächst einig gewesen ist, durch anderweitige Auseinandersetzungen in nicht einvernehmlich geregelten Bereichen brüchig werden. Angestrebt 245 Vgl. Damaschke, Der Einfluss der Verbände, S. 105; Veith, Informal-kooperatives Verwaltungshandeln, S. 85; Gusy, ZUR 2001, 1 (3); Schulze-Fielitz, Der informale Verfassungsstaat, S. 111, 145; Bohne, Der informale Rechtsstaat, S. 290, der darauf aufmerksam macht, dass die zweite informale Ebene der Erweiterung des Handlungsspielraums dient; siehe ferner: Schneider, Gesetzgebung, Rdnr. 199: „Unangenehme Einzelregelungen lassen sich in einem fülligen Paket unauffällig verpacken.“

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wird deshalb eine möglichst umfassende Konfliktbereinigung, um eine stabile Handlungsgrundlage für die Zukunft zu schaffen. Kooperatives Staatshandeln unterliegt der Tendenz, ungeachtet der Kompetenzordnung wie ein Magnet auf die unterschiedlichsten Politikfelder zu wirken. Gesetzesvorbereitende Verhandlungen ziehen alle zwischen den Verhandlungspartnern anhängigen Streitfragen an sich. Gesamtpakete sollen dann eine Vielzahl von Problemfeldern einer Lösung zuführen. Es entsteht eine sachliche Konzentration von Verhandlungsthemen. Dadurch soll die Chance, zu einem Kompromiss zu gelangen, erhöht und die Stabilität des Konsenses gestärkt werden. Beim Atomausstieg wurde das Themenspektrum der Vereinbarung auf alle zwischen den Vereinbarungspartnern anhängigen Streitfragen ausgedehnt, um eine umfassende Befriedung auf allen Konfliktfeldern zu erreichen246. Die sachliche Ausweitung des Themenspektrums der Vereinbarung vom 14. Juni 2000 wird zum einen daran deutlich, dass bei der späteren gesetzlichen Umsetzung nicht nur abstrakt-generelle Regelungen getroffen werden sollten. Vielmehr wurde vereinbart, dass der Ausstieg und die Restlaufzeit für jedes einzelne Kernkraftwerk spezifisch im Gesetz geregelt wird, ohne dass es einer Festsetzung der Restlaufzeit durch Vollzugsakt der Behörde bedarf. Eine genaue Festsetzung des Endes des Leistungsbetriebes des jeweiligen Kraftwerks sollte nicht dem Gesetzesvollzug überlassen bleiben, weil ansonsten die Gefahr bestanden hätte, dass ein dauerhafter Konsens durch Vollzugsstreitigkeiten gefährdet würde. Gesetzgebung und Vollzug wurden durch selbstvollziehende Regelungen in der Hand der Legislative zusammengelegt, um die Befriedungswirkungen von Vereinbarung und Umsetzungsgesetz zu verbessern. Zudem wurde auch der in laufenden Verfahren bereits anhängige Vollzug bzgl. der Kernkraftwerke Mühlheim-Kärlich und Biblis A in die Verhandlungen einbezogen. Die Vereinbarung sollte sämtliche Streitfragen in einem Gesamtpaket einer befriedenden Lösung zuführen, unabhängig davon, ob es sich um anhängigen Vollzug oder künftige Gesetzgebung handelt. Auch das zeigt, dass eine faktische Konzentration von Problemlösungspotentialen kooperative Lösungen begünstigen kann, weil die Verhandlungsmasse vergrößert und die Befriedungswirkung intensiviert werden kann247.

(2) Personelle Konzentration Der Staat kann nicht mit jedem einzelnen Bürger Vereinbarungen abschließen. Vielmehr ist er darauf angewiesen, mit den in der Gesellschaft wirkungsstarken Akteuren zu kooperieren248. Denn nur mit einflussreichen ge246 Hennenhöfer, in: Posser/Schmans/Müller-Dehn, AtG, Einführung, S. 5, legt dar, dass beim Atomausstieg durch einen breiten Gesprächsansatz ein „politischer Haftungsverbund“ hergestellt wurde. 247 Zum Zusammenhang von Kooperation und Konzentration der Regelungsmacht: vgl. auch BVerfGE 98, 83 (97 ff.); 98, 106 (118 ff.).

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sellschaftlichen Kräften kann erreicht werden, dass die Vereinbarungen mit Wirkung für die Gesamtgesellschaft durchgesetzt werden249. Interessenverbände sind dann besonders einflussreich, wenn sie über ein faktisches Vertretungsmonopol hinsichtlich einer bestimmten Interessengruppe verfügen, wenn sie hierarchisch straff organisiert sind, wenn sie ein hohes Maß an interner Durchsetzungsfähigkeit gegenüber den eigenen Mitgliedern besitzen und ein besonders exklusives Fachwissen aufweisen250. Die dadurch entstehende Bevorzugung großer, straff organisierter und damit einflussreicher Verbände und Unternehmen kann allerdings dazu führen, dass Einzelne sich verstärkt dem Druck ausgesetzt fühlen, sich mit anderen gleichartig Betroffenen zusammenzuschließen, um auf den Kooperationsprozess wirkungsvoll Einfluss nehmen zu können. Dies kann zu Konzentrationsprozessen und einer verstärkten Oligopolisierung gesellschaftlicher Strukturen führen251. Die Vereinbarung vom 14. Juni 2000 wurde auf der privaten Seite von den größten Energieversorgungsunternehmen unterzeichnet. Kleinere Gesellschafter an Kernkraftwerksbetriebsgesellschaften wurden hingegen nicht beteiligt. Hier zeigt sich, dass derjenige, der Einfluss auf den Staat nehmen will, sich mit anderen zusammenschließen muss. Kooperation mit dem Staat erscheint so als Privileg der gesellschaftlich Mächtigen. Das wird verfassungsrechtlich zu reflektieren sein.

Ergreifen umgekehrt die Privaten die Initiative für gesetzliche Neuregelungen, so wenden auch sie sich an den faktisch mächtigsten Vereinbarungspartner der staatlichen Seite. Das faktisch mächtigste Staatsorgan stellt die Bundesregierung dar, weil sie im Vergleich zu anderen Staatsorganen über den umfassendsten Verwaltungsapparat und umfangreiches vollzugspezifisches Wissen verfügt252. Deshalb werden auch die meisten im Parlament behandelten Gesetzentwürfe von den Bundesministerien ausgearbeitet253. Die Bundesregierung kann als Exekutivspitze sowohl Einfluss auf 248 Vgl. Rengeling, Europarechtliche Grundlagen, S. 53 (75); Huber, Konsensvereinbarungen, S. 329 (336); Papier, Parlamentarische Demokratie, S. 33 (52); Meessen, Erlaß eines Verbändegesetzes, S. 6. 249 Vgl. Gusy, ZUR 2001, 1 (2). 250 Vgl. Smeddinck/Tils, Normgenese und Handlungslogiken, S. 182 f.; Damaschke, Der Einfluss der Verbände, S. 141 ff.; Veith, Informal-kooperatives Verwaltungshandeln, S. 85. 251 Hierzu kritisch: Di Fabio, Verwaltung und Verwaltungsrecht, S. 235 (254 f.); Treutner, Kooperativer Rechtsstaat, S. 249 f., weist auf die Risiken der Kooperation für sozial Schwächere hin. 252 v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, S. 56 ff., spricht deshalb von einer „hegemonialen Stellung“ der Regierung gegenüber den anderen an der Rechtsetzung Beteiligten. 253 80 % der Gesetzentwürfe, mit denen sich der Bundestag befasst, werden von der Ministerialverwaltung ausgearbeitet (Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 63 Rdnr. 11; Schneider, Gesetzgebung, Rdnr. 93). Zur Präponderanz der Bundesregierung bei der Gesetzgebung: siehe auch v. Beyme, Der Gesetzgeber,

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den Vollzug nehmen, als auch Gesetze in unterschiedlichen Bereichen initiieren. Sie kann durch die Kombination ihrer unterschiedlichen Handlungsinstrumente im Vergleich zu anderen Staatsorganen die größte politische Gestaltungskraft entwickeln254. Der staatliche Partner gesetzesvorbereitender Vereinbarungen wird typischerweise die Bundesregierung sein, weil diese wegen ihres Fachwissens ein besonders kompetenter und wegen ihrer umfangreichen Einflussmöglichkeiten ein besonders wirkungsstarker Vereinbarungspartner ist255. Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen verstärken die Konzentration der faktischen Entscheidungsmacht bei der Bundesregierung als staatsleitende Gubernative256. Im Bereich des Atomrechts wird die herausgehobene Machtstellung der Bundesregierung im Vergleich zu den anderen Staatsorganen besonders deutlich. Die Bundesregierung besitzt ein Initiativrecht für Änderungen des Atomgesetzes (Art. 76 Abs. 1, 74 Nr. 11a GG). Darüber hinaus verfügt sie aber auch als Aufsichtsbehörde über die Landesbehörden im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung (Art. 85, 87c, 74 Nr. 11a GG, § 24 AtG) und durch das Bundesamt für Strahlenschutz (Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG, § 23 AtG) über ein großes vollzugsspezifisches Wissenspotential. Über das Weisungsrecht nach Art. 85 Abs. 3 GG kann sich der Bundesumweltminister gegenüber den Landesvollzugsbehörden bei Meinungsverschiedenheiten über die Ausführung des Atomgesetzes durchsetzen. Eine ähnliche Fülle an Handlungspotentialen, die sowohl den Gesetzgebungs- als auch den Vollzugsbereich betreffen, weist kein anderes Staatsorgan auf257. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass die Verhandlungen über den Atomausstieg seitens des Staates von der Bundesregierung geführt wurden.

Informell-kooperatives Staatshandeln verstärkt auf der Staatsseite die Konzentration der politischen Gestaltung bei der Bundesregierung. Auf der Seite der privaten Verhandlungspartner wird die personelle Konzentration dadurch sichtbar, dass vor allem mit den mächtigsten Verbänden und Unternehmen verhandelt wird. Da Vereinbarungen zwischen Staat und Wirtschaft typischerweise von Mitgliedern der Bundesregierung und großen Wirtschaftsverbänden abschlossen werden, geht die vorliegende Untersuchung davon aus, dass auf staatlicher Seite die Bundesregierung Vereinbarungspartner ist. Theoretisch denkbare Vereinbarungen zwischen Bundestag und Privaten werden hingegen nicht untersucht. S. 176 ff.; Smeddinck, Gesetzesproduktion, S. 105 (114); Busse, Gesetzgebungseinflüsse, S. 97. 254 Zur Bedeutung der dem einzelnen Akteur zur Verfügung stehenden Kompensationsmasse für dessen Machtstellung im informellen Prozess: Smeddinck/Tils, Normgenese und Handlungslogiken, S. 183; zur Regierung als Macht kombinierten Ermessens: Leisner, JZ 1978, 727 ff. 255 Vgl. Oebbecke, DVBl. 1986, 793 (796); Helberg, Normabwendende Selbstverpflichtungen, S. 97 f. 256 Vgl. Gusy, ZUR 2001, 1 (2). 257 Vgl. Schröder, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 67 Rdnr. 9.

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c) Subordinatorischer Kontext Das Charakteristische am Staat gegenüber den aus der Gesellschaft heraus wirkenden, einflussreichen privaten Kräften besteht darin, dass er mit dem Gewaltmonopol ausgestattet und zu einseitigen verbindlichen Regelungen berechtigt ist258. Beim kooperativen Staatshandeln wird diese staatliche Zwangsgewalt zwar nicht aktualisiert und realisiert. Das Damoklesschwert einer einseitigen hoheitlichen Regelung schwebt jedoch trotz einvernehmlichem Handeln stets über dem privaten Kooperationspartner und droht ihn zu treffen, falls die kooperative Vorgehensweise scheitert. Je konkreter das staatliche Reservepotential zum einseitigen Zwang im jeweiligen Fall zu Tage tritt, desto weniger kann man von einem freiwilligen Zusammenwirken des Privaten mit dem Staat sprechen259. Die kooperative Lösung entsteht in der Regel im Schatten von Hierarchie und Macht260. Die gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen zwischen Staat und Bürger stehen demnach in einem subordinatorischen Kontext, auch wenn sie selbst nicht unmittelbarer Ausdruck einer Über-Unterordnungs-Beziehung sind261. Sie sind von einer Gemengelage aus Zwangs- und Freiwilligkeitsmomenten gekennzeichnet262. Da aber Vereinbarungen prinzipiell das rechtliche Gestaltungsinstrumentarium für gleichberechtigte und gleich starke Vereinbarungspartner sind, erweisen sich Vereinbarungen zwischen Staat und Privaten angesichts des Zwangskontextes als „staatsrechtlicher Problemfall“263. Dieser Problemfall wirft vielfältige verfassungsrechtliche Fragen auf, weil das Verfassungsrecht nicht auf derartige Gemengelagen aus Zwangs- und Freiwilligkeitselementen, sondern auf einseitiges, imperatives Handeln des Staates zugeschnitten ist.

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Vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. V, § 115 Rdnr, 109; Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 59 Rdnr. 57; Grimm, Der Staat, S. 27 (32, 38, 42). 259 Vgl. Schröder, NVwZ 1998, 1011 (1015), der von der „Reservefunktion des Ordnungsrechts“ spricht. 260 Vgl. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, S. 104, 492; zur Freiwilligkeitsproblematik beim kooperativen Staatshandeln: vgl. Bohne, NVwZ 1999, 1 (4): „Warum soll sich derjenige, der unter dem Galgen steht, auch noch freiwillig den Strick um den Hals legen?“. 261 Vgl. Schmidt-Preuß, Flexible Instrumente, S. 309 (326), der in diesem Zusammenhang auf den Begriff der „Kontextsteuerung“ durch den Staat hinweist. 262 Di Fabio, NVwZ 1999, 1153 (1155 f.), spricht von „erzwungener Kooperation“ und asymmetrischer Partnerschaft. Fluck, Das Kooperationsprinzip, S. 106 f., charakterisiert die Zusammenarbeit von Staat und Unternehmen im Rahmen der Verpackungsverordnung ebenfalls als „Zwangskooperation“. 263 Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 59 Rdnr. 122.

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Die oben dargelegte Geschichte des Atomausstieges zeigt, dass der Staat immer wieder mit einem einseitigen Ausstiegsgesetz bei Dissens gedroht hat. Die Arbeitsgruppe der Staatssekretäre hatte den Auftrag, auch für den Fall eines Dissenses Vorschläge zu erarbeiten264. Die Energieversorger mussten deshalb für den Fall eines Scheiterns der Konsensgespräche ernsthaft mit einer einseitigen Ausstiegsregelung rechnen und hätten dann keinen Einfluss auf die Gesetzgebung nehmen können. Dementsprechend betonte Bundesumweltminister Trittin, dass nicht das „ob“, sondern nur das „wie“ des Ausstiegs verhandelt werde265. Dadurch wurde die Entscheidungsfreiheit der Energieversorger erheblich beeinflusst. Die Vereinbarung wurde nicht auf freiem Felde, sondern im subordinatorischen Kontext, also im Angesicht eines schärferen Ausstiegsgesetzes und bezogen auf die Entsorgung unter der Gefahr einer „Selbstverstopfung“266 der Kernkraftwerke abgeschlossen267. Das Bundesverfassungsgericht hat den subordinatorischen Kontext kooperativen Staatshandelns in anderem Zusammenhang als „Knüppel im Sack“ und als „Kooperationsdruck“ bezeichnet268. Diese Gemengelage aus Kooperation und Zwang wird bei der verfassungsrechtlichen Prüfung zu beachten sein.

d) Informell-kooperatives Staatshandeln und Umsetzungsgesetz Die vorliegende Untersuchung beschäftigt sich mit faktisch verbindlichen informellen Vereinbarungen zwischen Staatsorganen und Privaten. Dabei interessieren jedoch nur solche Vereinbarungen, die später zumindest teilweise in einem Gesetz rechtsverbindlich normiert werden. Wenn der Staat eine bereits in hohem Maße faktisch bindende Vereinbarung noch zusätzlich in einem Umsetzungsgesetz rechtsverbindlich normiert, verfolgt er damit das Ziel, die Bindung langfristig zu stabilisieren sowie Gleichbehandlung aller Betroffenen herzustellen. Zudem können Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes die gesetzliche Umsetzung gebieten. aa) Vereinbarungen ohne Umsetzungsgesetz Aus der umweltrechtlichen Praxis sind vor allem solche informellen Vereinbarungen zwischen Staat und Privaten bekannt, die der Vermeidung von gesetzlichen Regelungen dienen. In diesem Zusammenhang sind die Selbstbeschränkungsabsprachen zwischen Wirtschaft und Staat zu erwähnen269. 264

Dpa 2625 (3.2.2000). Dpa 4062 (3.12.1998). 266 Frankfurter Rundschau, 3.11.1999, S. 4, „Trittin sieht Chancen für Atomkonsens schwinden“. 267 Der Bundesverband der deutschen Industrie qualifizierte die Vereinbarung als „Ergebnis einer Nötigung“ (dpa 2691 (15.6.2000)); Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 305 (319). 268 BVerfGE 98, 106 (126). 265

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Diese sollen nach dem Willen der Beteiligten keine rechtlich durchsetzbaren Verpflichtungen enthalten270. Sie können jedoch das Sachwissen der Betroffenen nutzen und deren Akzeptanz gegenüber notwendigen Umsteuerungsprozessen erhöhen, um Vollzugswiderstände abzubauen und die Steuerungsfähigkeit des Staates zu erhöhen. Die Selbstbeschränkungsabkommen werden nicht gesetzlich umgesetzt. Vielmehr implizieren sie gerade das Versprechen, bei Erfolg der Selbstverpflichtung auf gesetzliche Regelungen zu verzichten271. Durch den Verzicht auf eine gesetzliche Umsetzung können die Beteiligten kurzfristig Umsteuerungsprozesse in Gang setzen und die Steuerungsinstrumente bei Änderungen der Verhältnisse flexibel anpassen. Die verhaltenssteuernde Wirkung der Selbstverpflichtung tritt bereits kurzfristig ein, ohne dass eine Umsetzung in langwierigen Normsetzungsverfahren abgewartet werden müsste272. Die Beteiligten können ihr Verhalten ändern und anpassen, wenn sich die Sachlage ändert, ohne dass die Gesetzgebungsmaschinerie zur Änderung eines Umsetzungsgesetzes in Gang gesetzt werden müsste273. bb) Gründe für die gesetzliche Umsetzung Die fehlende rechtliche Bindungswirkung von Selbstverpflichtungen führt zu gesteigerter Flexibilität. Andererseits ist jedoch eine langfristige Steuerung ohne Umsetzung in rechtsverbindliche Formen schwieriger möglich274. Auch wenn informell-kooperative Vereinbarungen ein hohes Maß an faktischer Verbindlichkeit aufweisen, so kann es sein, dass sich die Vereinba269

Zu diesem Steuerungsinstrument: Rengeling, Das Kooperationsprinzip, S. 167. Ein prägnanter historischer Abriß zu solchen Absprachen findet sich bei: Huber, Konsensvereinbarungen, S. 330 f.; Faber, Gesellschaftliche Selbstregulierungssysteme, S. 188 ff., 411, präsentiert eine umfangreiche Bestandsaufnahme mit zahlreichen Beispielen. Siehe auch die umfangreichen Nachweise bei: Voßkuhle, Beteiligung Privater, S. 266 (278). 270 Vgl. Faber, Gesellschaftliche Selbstregulierungssysteme, S. 211 ff. 271 Vgl. Kloepfer/Elsner, DVBl. 1996, 964 (971); Faber, Gesellschaftliche Selbstregulierungssysteme, S. 219 ff. 272 Vgl. auch die Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und dem Verband der Forschenden Arzneimittelhersteller, in der die Bundesregierung versprochen hat, auf für die Verbandsmitglieder ungünstige gesetzliche Regelungen zu verzichten, wenn der Verband 400 Millionen DM der gesetzlichen Krankenversicherung zur Verfügung stellt. Dadurch wurde eine kurzfristige finanzielle Unterstützung möglich. Siehe hierzu: Papier, VM 2003, 116 (119); Herdegen, Informalisierung, S. 7 (16 Fußnote 27). 273 Rengling, Das Kooperationsprinzip, S. 161; Kloepfer/Elsner, DVBl. 1996, 964 (971); Brohm, DÖV 1992, 1025 (1026); Oebbecke, DVBl. 1986, 793 (794); Faber, Gesellschaftliche Selbstregulierungssysteme, S. 226. 274 Vgl. Faber, Gesellschaftliche Selbstregulierungssysteme, S. 312.

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rungspartner nach längerem Zeitablauf wegen (angeblich) geänderter Umstände nicht mehr faktisch gebunden fühlen. Unsicherheiten darüber, ob die Umstände sich tatsächlich so geändert haben, dass ein Abweichen von der Vereinbarung gerechtfertigt wäre, lassen sich demgegenüber dadurch beheben, dass die informelle Vereinbarung in einem Gesetz rechtsverbindlich fixiert wird. Dann entscheidet allein der Gesetzgeber durch Gesetzesänderung darüber, ob er den privaten Vereinbarungspartner durch Änderung des Umsetzungsgesetzes aus seinen vereinbarten Verpflichtungen entlässt. Dadurch wird langfristige Rechts- und Planungssicherheit geschaffen. Der mit einem Gesetzgebungsverfahren verbundene Aufwand verleiht den gesetzlich umgesetzten vereinbarten Regelungen eine höhere Stabilität275. Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen mit Umsetzungsgesetz dienen dazu, die Vorteile informaler Kooperation (gegenseitige Steigerung des Wissens und Sachverstandes, weniger Vollzugswiderstand, mehr Akzeptanz durch die Betroffenen) mit den Vorteilen rechtlicher Verbindlichkeit (Rechts- und Planungssicherheit als langfristige Dispositionsgrundlage) zu verbinden. Sie verzichten auf die besondere Flexibilität der nicht gesetzlich umgesetzten Vereinbarungen, können aber Planungssicherheit besser gewährleisten als diese276. Beim Atomausstieg wurde der Weg der gesetzlich nicht umgesetzten Selbstverpflichtungen der Energieversorgungsunternehmen zur vorzeitigen Stilllegung von Kraftwerken deswegen nicht gewählt, weil die bisherigen Erfahrungen mit Selbstverpflichtungen nicht darauf hindeuteten, dass das langfristige Ziel des Ausstiegs über freiwillige Vereinbarungen sicher erreichbar gewesen wäre. Im Hinblick auf die Stilllegungen von Kraftwerken nach einer längeren Auslaufzeit kam es nicht auf eine schnelle Änderbarkeit der Konzeption, sondern auf langfristige Planungssicherheit für alle Beteiligten an. Deshalb sollte die rechtlich nicht verbindliche Vereinbarung vom 14. Juni 2000 in ein Gesetz gegossen werden, um Rechtssicherheit zu erreichen277.

Darüber hinaus taucht das Problem auf, dass diejenigen, die eine freiwillige Selbstverpflichtung eingehen, gegenüber denjenigen benachteiligt sein 275 Zu den Vor- und Nachteilen einer gesetzlichen Umsetzung: vgl. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III. § 59 Rdnr. 158; zur Notwendigkeit institutioneller Sicherungen: vgl. Benz/Schapf/Zintl, Horizontale Politikverflechtung, S. 20 ff., 84 ff. Für den Bereich der Rechtsetzung durch Rechtsverordnung findet sich die Konstruktion der bipolaren Vereinbarung mit gegenüber allen wirkender Umsetzungsrechtsverordnung in § 37 UGB-KomE. Siehe dazu mit weiteren Beispielen zur rechtsverbindlichen Umsetzung von Vereinbarungen: Begründung UGB-KomE, S. 500 ff.; vgl. auch schon Krüger, NJW 1966, 617 (623), der Parallelen zur tarifrechtlichen Allgemeinverbindlicherklärung herstellt. 276 Zu den Vor- und Nachteilen gesetzlich nicht umgesetzter Selbstverpflichtungen: Faber, Gesellschaftliche Selbstregulierungssysteme, S. 226 ff. 277 Nagel/Roßnagel, Schadensersatzansprüche, S. 33 f.

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können, die hierzu nicht bereit sind. Aus Gründen der Gleichbehandlung ist deshalb unter Umständen die gleichmäßige Belastung aller über ein Umsetzungsgesetz geboten. Das Umsetzungsgesetz dient dann zur Herstellung von gleichen Wettbewerbsbedingungen, indem es auch die an den Verhandlungen nicht Beteiligten in die Regelung einbezieht278. Bei entgegenstehender gesetzlicher Normlage ist ein Umsetzungsgesetz auch unter dem Gesichtspunkt des Vorrangs des Gesetzes notwendig. Denn Selbstverpflichtungen dürfen nicht gegen Gesetze verstoßen. Der Selbstverpflichtung der Wirtschaft muss dann ein Versprechen des Gesetzgebers gegenüberstehen, die Rechtslage entsprechend zu ändern. Die vereinbarte Gesetzesänderung hinsichtlich der entgegenstehenden gesetzlichen Regelungen kann als Umsetzungsgesetz einer gesetzesvorbereitenden Vereinbarung verstanden werden. Ob ein Atomausstieg über Selbstverpflichtungen ohne jede Änderung des Atomgesetzes möglich gewesen wäre, erscheint als sehr zweifelhaft. Selbstverpflichtende Vereinbarungen zwischen Staat und Betreibern zur Laufzeitbegrenzung hätten den Förderzweck des § 1 Nr. 1 AtG konterkariert. Zumindest diese Vorschrift hätte also auch bei einem Ausstieg mittels Selbstverpflichtungen im parlamentarischen Verfahren gestrichen werden müssen, damit kein Verstoß gegen den Vorrang des Gesetzes vorliegt279.

Die Notwendigkeit einer parlamentsgesetzlichen Umsetzung ergibt sich unter Umständen auch aus dem Vorbehalt des Gesetzes und der Wesentlichkeitstheorie. Für Grundrechtseingriffe und für Regelungen grundlegender Bedeutung reicht die bloße Vereinbarung nicht aus. Vielmehr bedarf es einer parlamentarischen Ermächtigung in Form eines Gesetzes. Das Umsetzungsgesetz kann dabei zu einem umfassenden „Interessen-Clearing“ beitragen und bezogen auf die Gesamtgesellschaft integrierend wirken280. Da im Parlament eine Vielzahl von politischen Richtungen repräsentiert wird, bietet das Umsetzungsgesetzgebungsverfahren die Möglichkeit, die unterschiedlichen politischen Strömungen auch im Hinblick auf die Interessen derer zu integrieren, die an den Verhandlungen nicht beteiligt wurden. Die Vereinbarung vom 14. Juni 2000 musste auch unter dem Gesichtspunkt des Vorbehalts des Gesetzes umgesetzt werden. Die Entscheidung für oder gegen die Kernenergienutzung ist nach der Kalkar-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1978281 eine wesentliche Frage, die einer parlamentsgesetzlichen Umsetzung bedarf. Somit war ein Ausstieg ohne gesetzliche Umsetzung gar nicht möglich282. 278 279 280 281

Vgl. Begründung des UGB-KomE, S. 512 f. Vgl. Nagel/Roßnagel, Schadensersatzansprüche, S. 32. Vgl. Hoffmann-Riem, GewArch 1996, 1 (5). BVerfGE 49, 89 (127).

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Zu beachten ist auch, dass das Grundgesetz den Gesetzgeber in bestimmten Fällen ausdrücklich zum Erlass eines Gesetzes verpflichtet, wie dies zum Beispiel in Art. 26 Abs. 2 Satz 2 GG der Fall ist. Ein rechtlich unverbindliches Branchenabkommen zur Regelung der Verbreitung von Kriegswaffen wäre demnach ohne gesetzliche Umsetzung unzureichend283. Auch außerhalb expliziter grundgesetzlicher Gesetzgebungsaufträge kann der Staat zur gesetzlichen Regelung verpflichtet sein, wenn eine rechtlich nichtverbindliche Selbstverpflichtung für sich genommen nicht geeignet ist, die Erfüllung der Schutzpflichten und Staatsziele in ausreichendem Maße sicherzustellen. Dem Staat ist aber insoweit eine weite Einschätzungsprärogative einzuräumen. Nur evidente Schutzpflichtverletzungen oder das offenkundige Verfehlen von Staatszielen begründen eine Pflicht zur gesetzlichen Regelung284. Die Pflicht zur gesetzlichen Regelung kann dazu führen, dass gesetzliche Vereinbarungen mit Umsetzungsgesetz an die Stelle von gesetzesersetzenden Selbstbeschränkungsabkommen treten. In diesem Zusammenhang ist auch das Europarecht zu bedenken. Europarechtlichen Richtlinien können den Staat zur rechtsverbindlichen Regelung verpflichten, wenn nach dem Inhalt der jeweiligen Richtlinie für deren Umsetzung rechtlich unverbindliche Selbstverpflichtungen nicht ausreichen285. Die europarechtlichen Vorgaben werden in Zukunft möglicherweise dazu führen, dass Selbstverpflichtungen der Wirtschaft gesetzlich umgesetzt werden müssen. Im Rahmen eines solchen Prozesses zur gesetzlichen Umsetzung des informellen Staatshandelns können die bisherigen gesetzesersetzenden Vereinbarungen zu gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen mutieren, wenn Staat und Private die gesetzliche Umsetzung informeller Absprachen aus europarechtlichen Gründen vereinbaren. Denkbar wäre allerdings auch, dass die Umsetzung europarechtlicher Richtlinien in Zukunft durch bindende öffentlich-rechtliche Verträge erfolgt, die bei oligopolen Strukturen an Stelle eines Gesetzes abgeschlossen werden286. Die gesetzesvorbereitende Vereinbarung mit Umsetzungsgesetz erweist sich jedoch auch gegenüber rechtlich verbindlichen Verpflichtungen des Privaten in Form eines gesetzesersetzenden öffentlich-rechtlichen 282 Ebenso: Faber, Gesellschaftliche Selbstregulierungssysteme, S. 271, 281; Nagel/Roßnagel, Schadensersatzansprüche, S. 43. 283 Vgl. Oebbecke, DVBl. 1986, 793 (796 f.). 284 Faber, Gesellschaftliche Selbstregulierungssysteme, S. 275 ff., 417; zum Staatsziel nach Art. 20 a GG: Helberg, Normabwendende Selbstverpflichtungen, S. 120 ff. 285 Vgl. hierzu: Rengeling, Europarechtliche Grundlagen, S. 72 f., 173 ff.; Faber, Gesellschaftliche Selbstregulierungssysteme, S. 271, 394 ff., 424. 286 Siehe hierzu: Faber, Gesellschaftliche Selbstregulierungssysteme, S. 271, 394 ff., 424.

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Vertrages als vorteilhaft, sofern man einen solchen Vertrag überhaupt für zulässig hält287. Während der private Vereinbarungspartner beim öffentlich-rechtlichen Vertrag einen Wegfall der Vertragsgrundlage (§ 60 VwVfG (analog))288 behaupten, sich vom Vertrag gerechtfertigt oder ungerechtfertigt lossagen und damit Rechtsstreitigkeiten verursachen kann, ist dies bei einer gesetzlichen Umsetzung weniger zu befürchten. Bei gesetzlicher Regelung kann von vornherein allein der Gesetzgeber die Verpflichtung des Privaten aufheben, indem er das Gesetz ändert. Eine einseitige Lösung des Privaten von der vertraglichen Verpflichtung, wie sie nach § 60 VwVfG (analog) möglich wäre, ist bei gesetzlicher Umsetzung unter keinen Umständen möglich, so dass ein sich vom Gesetz lossagender Privater mit seiner Behauptung einer veränderten Sachlage von Anfang an keinerlei Durchsetzungschance in einem Rechtsstreit hätte. Folglich weist die Konstruktion der gesetzesvorbereitenden Vereinbarung mit Umsetzungsgesetz unter dem Aspekt der Rechtssicherheit auch gegenüber einem gesetzesersetzenden öffentlichrechtlichen Vertrag Vorzüge auf289. Die europarechtlichen Vorgaben werden möglicherweise in Zukunft dazu führen, dass die gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen mit Umsetzungsgesetz gegenüber nicht umgesetzten Selbstbeschränkungsabkommen weiter an Bedeutung gewinnen werden. Zudem können positive Erfahrungen in den USA mit dem so genannten „negotiated rulemaking“ dem Instrument der gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen mit Umsetzungsgesetz Aufschwung verleihen290. Dem kommt es entgegen, dass § 37 UGB-KomE die Konzeption der Vereinbarung mit Umsetzungsnorm auf der Ebene der Rechtsverordnung aufnimmt291. Dabei zeigen sich erste Ansätze, bipolar ausgehan287 Für die Zulässigkeit gesetzesersetzender Verträge, die als unechte Normsetzungsverträge lediglich ein Versprechen enthalten, ein Gesetz nicht zu initiieren, sprechen sich beispielsweise aus: Kloepfer/Elsner, DVBl. 1996, 964 (969 f.); Scherer, DÖV 1991, 1 (4 ff.). Zudem geht § 36 UGB-KomE von der Zulässigkeit normersetzender Verträge im Bereich von Rechtsverordnungen aus. Ob solche Verträge im Bereich der Parlamentsgesetzgebung zulässig sind, muss hier indessen nicht weiter vertieft werden, weil Gegenstand der vorliegenden Untersuchung nur gesetzesvorbereitende Vereinbarungen sind. Auch bei unterstellter Zulässigkeit von Vereinbarungen, die ein Parlamentsgesetz ersetzen, weist die hier untersuchte gesetzesvorbereitende Vereinbarung mit Umsetzungsgesetz die nachfolgend beschriebenen Vorzüge gegenüber den normersetzenden Vereinbarungen auf. 288 Zur analogen oder direkten Anwendbarkeit des § 60 VwVfG auf gesetzesersetzende Verträge: Scherer, DÖV 1991, 1 (4 ff.); Kloepfer/Elsner, DVBl. 1996, 964 (972). 289 Vgl. Nagel/Roßnagel, Schadensersatzansprüche, S. 39. 290 Zum „negotiated rulemaking“: siehe oben 1. Teil A. I. 2. 291 Vgl. Begründung, UGB-KomE, S. 512 f.; zur Allgemeinverbindlicherklärung von Vereinbarungen: Kloepfer/Elsner, DVBl. 1996, 964 (973).

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delte Vereinbarungen mit multipolarer Umsetzung rechtlichen Anforderungen zu unterwerfen. cc) Divergenz zwischen Umsetzungsgesetz und Vereinbarung Bei gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen werden nicht unbedingt alle Vereinbarungsinhalte später in das Gesetz aufgenommen und in gesetzliche Tatbestände gefasst. Die gesetzesvorbereitende Vereinbarung kann auch dazu benutzt werden, Austauschbeziehungen zu vereinbaren, in denen bestimmte Regelungen des Umsetzungsgesetzes als Belohnung für ein im Umsetzungsgesetz nicht explizit geregeltes Verhalten des Privaten dienen. In diesen Fällen wird nur die Belohnung gesetzlich umgesetzt, während die Gegenleistung nicht normiert wird. Dennoch geht die Steuerungswirkung insgesamt vom Gesetz aus, auch wenn sie aus ihm nicht direkt ersichtlich ist. Denn ohne die gesetzliche Belohnung würde der Steuerungseffekt nicht eintreten. Es liegt insoweit eine mittelbare gesetzliche Steuerung vor292. Dies führt allerdings dazu, dass der unmittelbare Regelungsgehalt des Umsetzungsgesetzes und die Regelungswirkungen dieses Gesetzes auseinander fallen. Es kommt zu gesetzestextüberschießenden Wirkungen des Umsetzungsgesetzes. Nicht alle Bestandteile der Vereinbarung vom 14. Juni 2000 wurden gesetzlich umgesetzt. Die Absprachen zur Antragsrücknahme im Genehmigungsverfahren des Kernkraftwerks Mühlheim-Kärlich, die Nachrüstung des Kernkraftwerks Biblis A, das Moratorium für das Endlager Gorleben und die Rücknahme des Sofortvollzugsantrages für das Endlager Schacht Konrad sollten von vornherein nicht im Gesetz normiert werden. Dennoch stehen die diesbezüglichen Vereinbarungsteile mit den gesetzlich umgesetzten Regelungen in einem Verhandlungszusammenhang. Dieser wird an der Bezeichnung „Gesamtpaket“ in der Begründung der Gesetzesvorlage293 und „Gesamtvereinbarung“ in der amtlichen Veröffentlichung der Vereinbarung des Bundesumweltministeriums294 deutlich. Im Hinblick auf Mühlheim-Kärlich besteht ein Zusammenhang zwischen der gesetzlich gutgeschriebenen Strommenge, der Antragsrücknahme und dem Schadensersatzverzicht. Die für Mühlheim-Kärlich gutgeschriebene Strommenge diente als Belohnung für die Antragsrücknahme und den Schadensersatzverzicht der Betreiber. Der Zusammenhang zwischen Umsetzungsgesetz und Antragsrücknahme wird daran besonders gut erkennbar, dass der Entwurf des Umsetzungsgesetzes vom 5. Juli 2001 in der oben erwähnten Fußnote noch ausdrücklich unter dem Vorbehalt der Antragsrücknahme stand295. Bezogen auf die anhängigen Verwaltungsverfahren zu 292 Vgl. zur mittelbaren Verhaltenssteuerung durch Lenkungssteuern: BVerfGE 98, 106 (117). 293 Begründung der Gesetzesvorlage, BT-Drs. 14/7261, 14/6890, S. 16. 294 Bundesministerium für Umwelt, Umwelt Nr. 7–8/2000, Sonderteil, S. II. 295 Siehe oben 1. Teil A. I. 1.

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Biblis A wird der indirekte Bezug zum Umsetzungsgesetz dadurch sichtbar, dass die Nachrüstung entsprechend der Anlage 2 der Vereinbarung unter Berücksichtigung der künftigen gesetzlichen Restlaufzeiten erfolgen sollte296.

Dass Gesetze Wirkungen entfalten, die außerhalb ihres tatbestandlich umrissenen unmittelbaren Regelungsbereichs liegen, erscheint indessen zunächst nicht als Besonderheit von vereinbarten Gesetzen. Die Besonderheit bei vereinbarten Umsetzungsgesetzen ergibt sich jedoch daraus, dass die Vereinbarung gezielt genutzt werden kann, um Steuerungseffekte außerhalb der Tatbestände des Umsetzungsgesetzes herbeizuführen (gesetzestextüberschießende Finalität). Will man das informell-kooperative Staatshandeln bei der Gesetzesvorbereitung voll erfassen, so müssen auch diese final angesteuerten gesetzestextüberschießenden Wirkungen einbezogen werden. Bloße Gesetzesreflexe, die zwar zu gesetzestextüberschießenden Wirkungen führen, jedoch nicht zielgerichtet angestrebt wurden, spielen hingegen vorliegend keine Rolle, weil sie kein spezifisches Problem von Gesetzesvereinbarungen sind.

II. Abgrenzung Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen können auch auf Vorschlag des Bundesverfassungsgerichts oder bei Koalitionsverhandlungen abgeschlossen werden. Vereinbarungen zwischen Staat und Privaten finden sich darüber hinaus im Bereich des Gesetzesvollzugs. Diese Art von Vereinbarungen sollen hier jedoch nicht näher untersucht werden. 1. Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen vor dem Bundesverfassungsgericht Das Bundesverfassungsgericht hat im Verfahren um die Stellung des Religionsunterrichtes und die Einführung des Schulfaches Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde (LER) in Brandenburg den Beteiligten einen detaillierten Vorschlag einer gesetzesvorbereitenden Vereinbarung vorgelegt. Die Vereinbarung enthält konkrete Vorschläge zur Änderung des brandenburgischen Schulgesetzes. Die Beteiligten erklärten sich zum Teil mit dem Vorschlag des Bundesverfassungsgerichts einverstanden und nahmen später ihre Rechtsbehelfe zurück, nachdem ein entsprechendes Umsetzungsgesetz vom brandenburgischen Landtag verabschiedet worden war297. 296

Anlage 2 der Vereinbarung vom 14. Juni 2000. Siehe hierzu: BVerfGE 104, 305; 105, 235; 106, 210; Pressemitteilung Nr. 62/ 2001 des Bundesverfassungsgerichts; siehe ferner: Kotzur, JZ 2003, 73 ff.; Schmidt, NVwZ 2002, 925 ff., der allerdings zu wenig beachtet, dass die Vereinbarung im LER-Verfahren keinen Vergleich in einem kontradiktorischen Verfahren, sondern lediglich eine informelle Vereinbarung im Rahmen einer Normenkontrolle und im 297

100

1. Teil: Die Problematik informell-kooperativer Gesetzgebung

Diese Konstellation einer gesetzesvorbereitenden Vereinbarung vor dem Bundesverfassungsgericht unterscheidet sich jedoch von den hier interessierenden Vereinbarungen dadurch, dass der Gesetzesvorschlag nicht von den Beteiligten selbst en detail in informellen Gremien ausgehandelt wird. Vielmehr unterbreitet das Bundesverfassungsgericht in der Rolle eines neutralen Konfliktmittlers den Vorschlag einer einvernehmlichen Konfliktbereinigung298. Durch den Verständigungsvorschlag des Bundesverfassungsgerichts und die Zustimmung der Beteiligten entstehen keine bargaining-typischen faktischen Bindungen unter Konfliktparteien, sofern kein dem Atomausstieg vergleichbarer, aufs Engste verzahnter Aushandlungsprozess zwischen Staat und Privaten stattfindet. Die vorliegende Arbeit konzentriert sich auf Vereinbarungen, die von der Bundesregierung und Privaten selbst bis ins Detail ausgehandelt werden, weil für diese Verhandlungen die oben beschriebenen faktischen Bindungen, die von den Verhandlungspartnern selbst herbeigeführt werden, spezifisch sind. 2. Informelle Vereinbarungen unter Koalitionsparteien Koalitionsvereinbarungen und Koalitionsrunden dienen ebenfalls dazu, Gesetze im Vorfeld des eigentlichen Gesetzgebungsverfahrens informell auszuhandeln299. Dadurch soll Mehrheits- und Regierungsfähigkeit gesichert und Abstimmungsniederlagen im Bundestag präventiv vermieden werden300. Die Koalitionsvereinbarungen werden indessen von den Koalitionsparteien und nicht von Staatsorganen abgeschlossen. Vorliegend geht es jedoch um Vereinbarungen zwischen einem Staatsorgan und einem oder mehreren Privaten. Die in Koalitionsverhandlungen, Koalitionsvereinbarungen und Koalitionsausschüssen entstehenden faktischen Bindungen unterscheiden sich wesentlich von den faktischen Bindungen zwischen Staatsorganen und Privaten. Zum einen haben Koalitionsvereinbarungen zwischen Parteien nicht den Anschein eines amtlichen Charakters, weil sie anders als die hier interessierenden Vereinbarungen nicht im Namen eines Staatsorgans abgeschlossen werden301. Zum anderen kommt den Parteien im GeRahmen von Verfassungsbeschwerden darstellt (ZRP-Rechtsgespräch mit Papier, ZRP 2002, 134). 298 Zur Rolle des Bundesverfassungsgerichts als „Mediator“: siehe ZRP-Rechtsgespräch mit Papier, ZRP 2002, 134 ff. 299 Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Koalitionsvereinbarungen: Herzog, in: Maunz/Dürig, GG Bd. IV, Art. 63 Rdnr. 9; Busse, Gesetzgebungseinflüsse, S. 97 (98); Friauf, AöR 88 (1963), 257 (307 ff.). 300 Zur Bedeutung von Koalitionsrunden unter Bundeskanzler Kohl: Schreckenberger, ZParl 25 (1994), S. 329 ff. 301 BVerfGE 20, 56 (100 f.): Parteien sind keine obersten Staatsorgane.

A. Untersuchungsgegenstand

101

gensatz zu anderen Verbänden eine in Art. 21 GG verfassungsrechtlich anerkannte Sonderstellung zu. Die Parteien spielen anders als andere Verbände bei Wahlen eine entscheidende Rolle. Im Wahlakt vereinigen sich politische Willensbildung und Staatswillensbildung302. Die Wahlentscheidung des Bürgers wird wesentlich von den Parteien beeinflusst. Deswegen kommt in der Wahlentscheidung auch immer eine Entscheidung für eine bestimmte Partei zum Ausdruck303. Nach dem Bundesverfassungsgericht sind die Parteien „Zwischenglieder zwischen dem Bürger und den Staatsorganen, Mittler, durch die der Wille der Bürger auch zwischen den Wahlgängen verwirklicht werden kann. Sie stellen, sofern sie die Parlamentsmehrheit bilden und die Regierung stützen, die wichtigste Verbindung zwischen dem Volk und den politischen Führungsorganen des Staates her und erhalten sie aufrecht.“304 Dadurch wird einer Partei zwar nicht die formelle Legitimation und Berechtigung verliehen, über Gesetze zu entscheiden305. Dennoch stehen die Parteien als Bindeglied von politischer Willensbildung und Staatswillensbildung in einem materiellen Legitimationskontext, der es rechtfertigt, sie an der Staatswillensbildung anders zu beteiligen als andere Verbände306. Parteien haben im Gegensatz zu bloßen Interessensverbänden den besonderen Rang verfassungsrechtlicher Institutionen307. Dies wird auch daran deutlich, dass ihre innere Ordnung demokratischen Grundsätzen entsprechen muss und dass über die Parteifinanzen öffentlich Rechenschaft zu geben ist (Art. 21 Abs. 1 Satz 3 und 4 GG). Deshalb kann eine Staatspraxis, die Vereinbarungen unter den Koalitionsparteien für zulässig hält, nicht als Rechtfertigung für gesetzvorbereitende Vereinbarungen mit anderen Verbänden herangezogen werden308. Der Problemkreis des Einflusses von Parteien und der Problemkreis des Einflusses von sonstigen Interessenverbänden bei der Gesetzesvorbereitung sind auseinander zu halten309. Gegenstand der 302 Zur Unterscheidung zwischen Staatswillensbildung und politischer Willensbildung: BVerfGE 8, 104 (113); 20, 56 (98 f.); 44, 125 (140 f.); Jestaedt, Demokratieprinzip, S. 184 ff. 303 Vgl. BVerfGE 2, 1 (11): „Der Volkswille kann . . . in der Wirklichkeit des modernen großen Staates nur in den Parteien als politische Handlungseinheiten erscheinen.“ 304 BVerfGE 44, 125 (145). 305 Vgl. BVerfGE 20, 56 (100 f.). 306 Dieser Legitimationskontext, in den Parteien eingebunden sind, rechtfertigt deren besonders intensive Einwirkung auf die Staatswillensbildung. Andererseits muss die Staatsfreiheit der Parteien gewahrt bleiben. Zur Staatsfreiheit der Parteien: BVerfG NJW 2003, 1577 (1579). 307 BVerfGE 2, 1 (73); 20, 56 (100); 66, 107 (114). 308 A. A: Greipl, Diskussionsbeitrag, Atomrechtstag 2000, S. 179; Hermes, Verwaltungskompetenzen, S. 348 (393).

102

1. Teil: Die Problematik informell-kooperativer Gesetzgebung

Untersuchung sind nicht Vereinbarungen zwischen Parteien, sondern der Einfluss sonstiger Interessenvertreter auf die Gesetzgebung durch gesetzesvorbereitende Vereinbarungen mit Staatsorganen. 3. Gesetzlich rezipierte interprivate Vereinbarungen Die vorliegende Untersuchung beschränkt sich auf Vereinbarungen, die zur Vorbereitung eines Gesetzes zwischen Staat und Privaten ausgehandelt werden. Vereinbarungen, die ausschließlich Private untereinander aushandeln, gehören auch dann nicht zum Untersuchungsgegenstand, wenn diese interprivaten Vereinbarungen später allgemeinverbindlich erklärt werden (siehe § 5 TVG) oder wenn der Gesetzgeber eine solche Vereinbarung im Wege der statischen Verweisung zum Gesetzesinhalt erklärt (siehe § 6 Abs. 1, 6a Abs. 2 EnWG)310. Zwar können interprivate Verhandlungen um den Staat als Verhandlungspartner erweitert werden, wenn eine gesetzliche Rezeption vorgesehen ist. Dabei sind jedoch die interprivaten Verhandlungskontakte von der Beziehung zwischen Staat und Privaten zu unterscheiden. Die vorliegend zu entwickelnden verfassungsrechtlichen Anforderungen beziehen sich lediglich auf den Verhandlungskontakt zwischen Staat und Grundrechtsträger, so dass interprivate Probleme ausgeblendet werden. 4. Vereinbarungen beim Gesetzesvollzug Kooperative Handlungsformen zwischen Staat und Privaten wurden bisher vor allem im Bereich des Verwaltungsrechts untersucht. Dort wo das Gesetz dem Vollzug Spielräume belässt, sind rechtlich oder faktisch bindende Vollzugsvereinbarungen möglich. Vorliegend geht es jedoch um Vereinbarungen im Vorfeld der Gesetzgebung. Vereinbarungen, die lediglich den Gesetzesvollzug betreffen, sind hier nur insoweit von Interesse, als sich aus den Überlegungen zum kooperativen Vollzug Erkenntnisse ableiten lassen, die für die kooperative Gesetzesvorbereitung fruchtbar gemacht werden können. Auch gesetzesvorbereitende Vereinbarungen können jedoch einzelne Bestandteile enthalten, die Fragen des bereits anhängigen Vollzugs betreffen. Diese Vereinbarungsteile stehen mit den unmittelbar gesetzlich umzusetzenden in einem Austauschzusammenhang. Wegen dieses mittelbaren Zusammenhangs zur Gesetzgebung sind auch diese primär den Vollzug betreffenden Vereinbarungsteile in die Untersuchung einzubeziehen. 309 Für eine differenzierte Betrachtungsweise plädiert auch Isensee, Diskussionsbeitrag, Staatsrechtslehrertagung 2002, S. 90 f. 310 Siehe hierzu: Büdenbender, Verbändevereinbarungen im Energierecht, S. V ff.; Schmidt-Preuß, Selbstregulative Verantwortung, S. 45 ff.; Lecheler, Selbstregulative Verantwortung, S. 57 ff.

B. Untersuchungsmaßstab

103

Die nicht unmittelbar gesetzlich umgesetzten Bestandteile der Vereinbarung vom 14. Juni 2000, die den anhängigen Vollzug zu den Kraftwerken Mühlheim-Kärlich und Biblis A betreffen, korrelieren mit den jeweiligen gesetzlich geregelten Reststrommengen. Der Antrag Mühlheim-Kärlich wurde zurückgenommen, weil im Gesetz eine bestimmte Stromgutschrift für dieses Kraftwerk als Kompensation erfolgt. Auch bei den Nachrüstungen zu Biblis A soll die gesetzlich geregelte Restlaufzeit berücksichtigt werden. Wegen dieser Zusammenhänge zwischen Umsetzungsgesetz und anhängigem Vollzug kann die Vereinbarung nicht ohne weiteres in einen gesetzesvorbereitenden und ein gesetzesvollziehenden Bereich aufgespalten werden. Vielmehr ergeben sich besondere Probleme informell-kooperativer Gesetzgebung gerade aus dem Junktim von anhängigem Vollzug und Vorbereitung künftiger Gesetze. Die vorliegende Arbeit hat zwar gesetzesvorbereitende Vereinbarungen zum Gegenstand, sie bezieht dabei aber auch diejenigen Bestandteile der Vereinbarung ein, die gesetzlich nicht umgesetzt wurden, jedoch mit den Regelungen des Umsetzungsgesetzes in Zusammenhang stehen.

B. Untersuchungsmaßstab Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen zwischen Staat und Privaten sind im Grundgesetz nicht explizit geregelt. Verstöße gegen den Wortlaut der Kompetenzordnung oder gegen die Vorschriften des Gesetzgebungsverfahrens lassen sich kaum feststellen. Dennoch können die Vereinbarungen übergreifende Verfassungsprinzipien wie das Demokratieprinzip oder das Gewaltenteilungsprinzip beeinträchtigen. Diese übergreifenden Rechtsprinzipien des Grundgesetzes sind nicht als Wenn-dann-Schemata anzuwenden, sondern als Je-desto-Vorschriften abzuwägen311. Die flexible Struktur der Verfassungsprinzipien erlaubt abgestufte Rechtsfolgen nach dem Intensitätsgrad der faktischen Bindung der jeweiligen Vereinbarung312. Anders als bei der ebenfalls flexiblen Anwendung der Grundrechte, die vor allem zu einer Prüfung des Übermaßverbotes führen, hat sich allerdings bezogen auf die rein objektiven Verfassungsprinzipien bisher kein entsprechend strukturierter Prüfansatz etabliert. Deswegen müssen an dieser Stelle einige Vorbemerkungen zur Anwendung der Staatsstrukturprinzipien in geraffter Form dargelegt werden.

I. Optimierung oder Saturierung Im Laufe der Arbeit wird festgestellt werden, dass gesetzesvorbereitende Vereinbarungen unterschiedliche Staatsstrukturprinzipien beeinträchtigen. 311

Vgl. Otte, Die Anwendung von Rechtsnormen, S. 148 ff. Reimer, Verfassungsprinzipien, S. 358: Feinsteuerungs- und Reservepotential bilden Eigenart und Funktion der Verfassungsprinzipien. 312

104

1. Teil: Die Problematik informell-kooperativer Gesetzgebung

Dies wirft die Frage auf, ob eine solche Verkürzung der Wirkungskraft eines Verfassungsprinzips nur dann gestattet ist, wenn damit konkurrierende Verfassungswerte gefördert werden sollen, oder ob es ausreicht, wenn vom Gesetzgeber auf einfachrechtlicher Ebene definierte Gemeinwohlziele die Beeinträchtigung des Verfassungsprinzips rechtfertigen. Diese Problematik einer Immanenzlehre ist für die Einschränkung schrankenlos gewährleisteter Grundrechte bekannt313, harrt jedoch hinsichtlich der Staatsstrukturprinzipien einer Klärung. Die Optimierungskonzeption geht davon aus, dass die Prinzipien des Grundgesetzes zur bestmöglichen Wirksamkeit gebracht werden müssen. Geltungseinbußen einzelner Prinzipien dürfen dementsprechend nur insoweit hingenommen werden, als dies notwendig ist, um einer entgegengesetzten verfassungsrechtlichen Wertung zu mehr Wirksamkeit zu verhelfen. Nach der Optimierungskonzeption stellt die Verfassung ein geschlossenes Wertesystem dar. Jedes sektorale Geltungsdefizit der Verfassung bedarf demnach eines Wirksamkeitszuwachses der Verfassung an anderer Stelle, um das sektorale Geltungsdefizit auszugleichen und damit der Verfassung als Gesamtheit zur optimalen Effektivität zu verhelfen314. Im Gegensatz dazu zielt die Verfassung nach der Saturierungskonzeption nicht auf bestmögliche Verwirklichung ihrer Werte, Rechtsgüter und Prinzipien. Vielmehr kommt es auf ausreichende Wirksamkeit im Sinne eines Saturierungsgebotes oder eines Untermaßverbotes an315, 316. Nach dieser Vorstellung ist eine Beschränkung von Verfassungsprinzipien nicht nur zulässig, wenn sich aus der Verfassung ein konkurrierender Verfassungswert ergibt, der die Beeinträchtigung des Verfassungsprinzips rechtfertigt. Vielmehr ist es dem Gesetzgeber auch gestattet, selbst konkurrierende Werte durch einfaches Gesetz zu definieren und dadurch die Wirkung von Verfassungswerten zu mindern, soweit das geforderte Mindestmaß an Verfassungsgeltung und Verfassungswirkung nicht unterschritten wird317, 318. 313

Siehe: BVerfGE 30, 173 (193); 83, 130 (139 ff.); Papier, Diskussionsbeitrag, Staatsrechtslehrertagung 2001, S. 155 f.; Lerche, Stil und Methode, S. 333 (350). 314 Vgl. VerfGH NW, OVGE 39, 292 (292); Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (374); Jestaedt, Demokratieprinzip, S. 147, 595; Engelbert, Konfliktmittlung, S. 117, 137; Reimer, Verfassungsprinzipien, S. 223. 315 Vgl. BVerfG NVwZ 2002, 71 f.; BVerfGE 93, 37 (69); Papier, Parlamentarische Demokratie, S. 33 (50); ders., Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte, S. 93; Lerche, Vorbereitung grundrechtlichen Ausgleichs, S. 97 (103); ders., Die Verfassung als Quelle von Optimierungsgeboten, S. 205, 208; Schlink, Abwägung, S. 76 ff.; Bowitz, Das Demokratieprinzip, S. 51. 316 Vgl. zum Begriff des Untermaßverbotes im Bereich der grundrechtlichen Schutzpflichten: BVerfGE 88, 203 (254); Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. V, § 111 Rdnr. 191.

B. Untersuchungsmaßstab

105

Im Nachfolgenden wird die Auffassung vertreten, dass die Beeinträchtigung von Verfassungsprinzipien durch gesetzesvorbereitende Verhandlungen und Vereinbarungen nicht einer verfassungsimmanenten Rechtfertigung bedarf. Vielmehr reicht ein verfassungskonformer Zweck der Beeinträchtigung aus319. Die Saturierungskonzeption hat gegenüber der Optimierungskonzeption den Vorzug, dass die Verfassung neuen Entwicklungen nicht durch ständige Aufnahme neuer Verfassungsprinzipien in das Grundgesetz angepasst werden muss320. Ein zukunftsoffener und innovationsfähiger Staat benötigt eine für neue politische Ansätze offene Verfassung321. Der Entwicklungsfähigkeit des Staates darf nicht durch ein zu enges verfassungsrechtliches Korsett die Luft zum Atmen genommen werden322. Die Saturierungskonzeption verbindet die Veränderbarkeit des einfachen Gesetzesrechts mit der Stabilisierungsfunktion der Verfassung323. In der hier favorisierten Saturierungskonzeption erlangt die Verfassung diejenige Biegsamkeit und Elastizität, die sie benötigt, um Stabilität dauerhaft zu sichern324.

II. Übermaßverbot und Staatsorganisationsrecht Wenn es dem Gesetzgeber grundsätzlich gestattet ist, Gemeinwohlzwecke selbst zu definieren, die eine Beeinträchtigung der Wirkung von Verfassungsprinzipien durch gesetzesvorbereitende Vereinbarungen rechtfertigen können, so stellt sich die Frage, welche Grenze die Verfassung dem gesetzgeberischen Handeln setzt. Wäre der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung von Verfassungsprinzipien grenzenlos frei, so könnte von einer Bindung der Gesetzgebung an die Verfassung i. S. v. Art. 1 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 317

Im Zusammenhang mit dem Demokratieprinzip spricht auch das Bundesverwaltungsgericht von einem Mindestmaß notwendiger Legitimation (BVerwGE 106, 64 (78)). 318 Untermaßverbot und Übermaßverbot beruhen auf einer Saturierungskonzeption. Die Optimierungskonzeption verträgt sich hingegen weniger mit diesen allgemein anerkannten Maximen des Verfassungsrechts. Vgl. hierzu: Scherzberg, Diskussionsbeitrag, Staatsrechtslehrertagung 2001, S. 173. 319 Vgl. BVerfG DVBl. 2003, 923 (928). 320 Vgl. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdnr. 19 ff., 36 ff. 321 Zur zukunftsoffenen Verfassung: siehe auch Rinken, Demokratie und Hierarchie, S. 125 (140 ff.). 322 Vgl. Lerche, Gewaltenteilung, S. 75 (87); Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. VII, § 162 Rdnr. 43, 47, 77. 323 Zur Stabilisierungsfunktion der Verfassung: vgl. Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 61 Rdnr. 28; Kirchhof, Diskussionsbeitrag, Staatsrechtslehrertagung 1998, S. 236 f. 324 Vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. VII, § 162 Rdnr. 77, der darauf hinweist, dass Verfassungsperfektionismus zur Irrelevanz der Verfassung umschlagen kann.

106

1. Teil: Die Problematik informell-kooperativer Gesetzgebung

GG nicht mehr gesprochen werden. Die Ausgestaltung eines Verfassungsprinzips unterläge der Gefahr, zur Beseitigung des Prinzips umzuschlagen. Damit würde die Verfassung aber ihren Selbststand verlieren. Deshalb muss die Einschränkbarkeit von Verfassungsprinzipien durch das Übermaßverbot begrenzt werden, um eine ausreichende Wirkung des Verfassungsprinzips im Sinne der Saturierungskonzeption sicherzustellen. Im Nachfolgenden wird das Übermaßverbot auch im Zusammenhang mit rein objektiven Staatsstrukturprinzipien zur Anwendung kommen. So wird beispielsweise an Hand des Übermaßverbotes geprüft, inwieweit gesetzesvorbereitende Vereinbarungen das vom Demokratieprinzip geforderte effektive Legitimationsniveau absenken dürfen. Im Bereich rein objektiver Verfassungsprinzipien ist ebenso wie beim subjektiven Verfassungsrecht ein Maßstab notwendig, um divergierende Prinzipien und politische Zwecke auszugleichen. Das Übermaßverbot ist anwendbar, wenn die unterschiedlichen Werte und Zwecke ähnlich wie Gemeinwohl und Grundrechte zueinander in Spannung geraten, miteinander konkurrieren und um den Vorrang im konkreten Regelungsbereich streiten325, 326. Die Anwendbarkeit des Übermaßverbots als allgemeiner Ausgleichmaßstab zur Harmonisierung von Verfassungswerten und verfassungskonformen Zwecken setzt aber voraus, dass die Verfassung nicht ein spezielles Ausgleichssystem explizit normiert hat327. In der vorliegenden Arbeit wird das Übermaßverbot insbesondere dazu verwandt, die gegenläufigen Prinzipien der Kooperation und Demokratie zu harmonisieren. Das Übermaßverbot wird dem Schutz der Integrität staatlicher Willensbildung vor den Einflüssen partikularer Interessen dienen.

325 Zur Anwendbarkeit des Übermaßverbotes außerhalb der Grundrechtsprüfung: vgl. Lerche, Übermaß, S. X f., 158 ff.; ders., Stil und Methode, S. 333 (350); Schlink, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 445 ff.; Leisner, Der Abwägungsstaat, S. 204 f.; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rdnr. 147; v. Arnauld, JZ 2000, 276 ff.; Muckel, Kriterien, S. 107. Nach Sterzel, Die Einheit, S. 156 (168), gehört das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu den allgemeinen Grundsätzen der Schlichtung verfassungsrechtlicher Zielkonflikte. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lässt zumindest implizit eine Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips außerhalb der Grundrechtsprüfung erkennen: siehe beispielsweise BVerfGE 77, 288 (299); 93, 37 ff.; 103, 44 ff. In BVerfG DVBl. 2003, 923 (928 f.) wird die Anwendung des Übermaßverbotes im Bereich objektiver Staatsstrukturprinzipien besonders deutlich sichtbar. 326 Zur Wertungsdivergenz als notwendiger Ausgangsbefund für eine Übermaßprüfung: Jakobs, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 156. 327 Vgl. BVerfGE 81, 310 (338); Jestaedt, Demokratieprinzip, S. 585.

C. Ergebnis

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C. Ergebnis Bei gesetzesvorbereitenden Austauschvereinbarungen bindet sich die Bundesregierung faktisch gegenüber privaten Interessenvertretern. Sie verspricht sich hiervon eine Steigerung der eigenen Handlungsfähigkeit in durch Verbände in starkem Maße „vermachteten“ Politikbereichen. Die faktischen Bindungen zwischen Staatsorganen und Privaten in Vereinbarungen werfen besondere verfassungsrechtliche Probleme auf, denen die vorliegende Untersuchung nachzugehen hat. Dabei kann die Intensität der faktischen Bindung an den dargestellten Konturen abgelesen werden. Diese Art von Bindung unterscheidet das informell-kooperative Staatshandeln durch gesetzesvorbereitende Verhandlungen und Vereinbarungen vom lediglich informatorischen Staatshandeln. Die Vereinbarungen werden gesetzlich umgesetzt, um eine langfristige Planungsgrundlage zu schaffen und um die notwendige Rechtssicherheit herzustellen. Wegen der fortbestehenden Möglichkeit des Staates, einseitig gesetzlich zu handeln, schließen die Privaten die gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen jedoch in einem subordinatorischen Kontext ab, der von einer Gemengelage aus Zwangs- und Freiwilligkeitselementen geprägt ist. Das informell-kooperative Staatshandeln ist vor allem an den grundlegenden Strukturprinzipien der Demokratie und Gewaltenteilung zu messen, die als Saturierungsgebote fungieren. Dabei kommt das Übermaßverbot auch im Staatsorganisationsrecht zur Anwendung.

2. Teil

Die Theorie informell-kooperativer Staatsgewalt Der kooperativ agierende Staat steuert die Gesellschaft nicht durch einseitigen Befehl, sondern durch Bündnisse mit mächtigen gesellschaftlichen Kräften. Er handelt nicht mehr in bewusster Distanz als Gegenüber zur Gesellschaft, sondern unter Überwindung der Distanz zur Gesellschaft mit der Gesellschaft und in der Gesellschaft. Aber war es nicht die Absonderung von der Gesellschaft, die den modernen Staat entstehen ließ?1 Macht die Distanz von der Gesellschaft nicht das Wesen des Staates aus? Kann der Staat seine Funktion überhaupt als Bündnispartner der Gesellschaft erfüllen? Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen mit Umsetzungsgesetz sind informell-kooperative und influenzierende Staatsgewalt. Sowohl die Kategorie der informell-kooperativen als auch die Kategorie der influenzierenden Staatsgewalt sind näher zu beleuchten (hierzu: A. und C.). Sie dienen dazu, die sublimen Steuerungseinflüsse des informell kooperierenden Staates sichtbar zu machen, schaffen verfassungsrechtliches Problembewusstsein und bilden einen Gradmesser für die verfassungsrechtliche Kontrolldichte. Zudem ist die Bedeutung des einvernehmlichen Handelns des Staates mit den Bürgern unter dem Stichwort Kooperationsprinzip zu würdigen und nach verfassungsrechtlichen Anknüpfungspunkten für ein solches Prinzip zu suchen. Leitet man aus dem Grundgesetz ein verfassungsrechtliches Kooperationsprinzip ab, so stellt sich die Frage nach den Konsequenzen für die hier interessierenden Vereinbarungen (B.).

A. Informell-kooperative Staatsgewalt Teilweise wird aus der rechtlichen Unverbindlichkeit einer Vereinbarung die Schlussfolgerung gezogen, dass diese lediglich faktisch wirkenden Vereinbarungen rechtlich irrelevant seien und damit nicht oder nur eingeschränkt den grundgesetzlichen Regelungen unterliegen würden2. Diese 1

Zu den historischen Bezügen: siehe oben 1. Teil A. I. 2.

A. Informell-kooperative Staatsgewalt

109

Auffassung beruht indessen auf einer unzureichenden Differenzierung zwischen der inneren rechtlichen Verbindlichkeit bzw. Unverbindlichkeit einer Vereinbarung unter den Vereinbarungspartnern und der äußeren Bindung der Vereinbarung an die Rechtsordnung3. Lediglich die innere rechtliche Verbindlichkeit kann vom Rechtsfolgewillen der Beteiligten abhängig sein. Die äußere Bindung an die Rechtsordnung hingegen unterliegt nicht der Disposition der Vereinbarungspartner. Sie ist vom Rechtsfolgewillen der Beteiligten grundsätzlich unabhängig4. Auch Vereinbarungen, die aus sich heraus nicht binden, können an die Rechtsordnung gebunden sein5. Die Geltung des Grundgesetzes hängt grundsätzlich nicht vom Willen der Vereinbarungspartner ab6, 7. Entscheidend ist vielmehr, ob gesetzesvorbereitende Vereinbarungen bereits Staatsgewalt darstellen. Sowohl das Demokratie- als auch das Gewaltenteilungsprinzip stellen als Zentralnormen des Staatsorganisationsrechts darauf ab, ob eine staatliche Tätigkeit die Qualität von Staatsgewalt hat8. In der Literatur wird teilweise davon ausgegangen, dass informales Staatshandeln zur Vorbereitung formalisierter Entscheidungsakte noch keine Staatsgewalt sei. Vielmehr würden sich informale Staatstätigkeiten im Vorfeld der Staatsgewalt bewegen und seien damit noch nicht den verfassungsrechtlichen Bindungen des Grundgesetzes unterworfen. Die Verfassung und ihre Legitimationsanforderungen kämen demnach erst zur Anwendung, wenn die Schwelle von der Entscheidungsvorbreitung hin zur rechtsverbindlichen Entscheidung überschritten wird9. 2

Vgl. Renneberg, Das Gesetz zur Beendigung, S. 40; Hermes, BT-Umweltausschuss, A.-Sten. Prot. 14/69 (Umweltausschuss), S. 35; Kloepfer/Elsner, DVBl. 1996, 964 (967). 3 Vgl. Stern, VerwArch 49 (1958), 106 (127 ff.). 4 Vgl. die zivilrechtliche Unterscheidung zwischen dem Rechtsgeschäft, das aus sich heraus Rechtsbindungen entfaltet, und der bloßen Rechtshandlung, die ohne Rechtbindungswillen dennoch an die Rechtsordnung gebunden ist: Palandt, BGB, Überbl v § 104 Rdnr. 4. 5 Vgl. Degenhart, Bundes- und länderfreundliches Verhalten, S. 369 (378). 6 Vgl. Huber, Konsensvereinbarungen, S. 329 (337); ders., Entsorgung als Staatsaufgabe, S. 149 (156). 7 Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn einzelne Normen des Grundgesetzes explizit an einen rechtsverbindlichen Willen der Vereinbarungspartner anknüpfen, wie dies beispielsweise in Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG durch Verwendung des Wortes „Verträge“ der Fall ist (BVerfGE 104, 151 (206 ff.)). 8 Zur Relevanz des Staatsgewaltbegriffes: vgl. BVerfGE 93, 37 (66 ff.); 83, 60 (71 ff.); 8, 104 (104, 115 ff.). 9 Vgl. Mehde, AöR 127 (2002), 655 (677); Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. IV, § 98 Rdnr. 195; Jestaedt, Demokratieprinzip, S. 255 ff.; Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume, S. 82; Burgi, Die Verwaltung, 183 (197 ff.) m. w. N.; vgl. auch: BVerfGE 22, 180 (216).

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2. Teil: Die Theorie informell-kooperativer Staatsgewalt

Wären informelle gesetzesvorbereitende Absprachen noch nicht als Staatsgewalt anzusehen, so wären sie weder dem Demokratieprinzip noch der gewaltenteilenden Kompetenzordnung unterworfen. Dann würden sich dem Grundgesetz auch im Übrigen keine Anforderungen für gesetzesvorbereitende Vereinbarungen entnehmen lassen. Die verfassungsrechtliche Kontrolle könnte erst am Umsetzungsgesetz ansetzen, weil dieses zweifellos Staatsgewalt im formellen Sinne ist. Somit stellt sich die Frage, ob es auch informelle Staatsgewalt gibt oder ob sich das informelle Staatshandeln außerhalb der Verfassung bewegt. Das Bundesverfassungsgericht nimmt Staatsgewalt im Staatsorganisationsrecht „jedenfalls“ dann an, wenn „amtliches Handeln mit Entscheidungscharakter“ vorliegt10. Es hat dabei aber nicht nur solche Handlungen des Staates, die Rechtsbindungen erzeugen, sondern auch rein faktische Tätigkeiten des Staates als Staatsgewalt angesehen11. Auch nach der Formel vom amtlichen Entscheidungscharakter sollen jedoch solche Tätigkeiten des Staates aus dem Staatsgewaltbegriff ausgeschieden werden, die Entscheidungen lediglich vorbereiten12. Hier stellt sich die Frage, wie Vereinbarungen einzustufen sind, die einerseits der Vorbereitung von Gesetzen dienen, andererseits aber bereits starke faktische Bindungen entfalten und damit vorentscheidenden Charakter haben (hierzu: A. I.). Die Formel vom amtlichen Handeln des Staates mit Entscheidungscharakter umreißt nur einen Staatsgewaltbegriff im engeren Sinne. Das Bundesverfassungsgericht deutet indessen durch die Formulierung „jedenfalls“ an, dass es außerhalb des staatlichen Handelns mit Entscheidungscharakter auch Handeln ohne Entscheidungscharakter geben kann, das als Staatsgewalt einzustufen ist. Gegenüber dem engen staatsorganisatorischen Staatsgewaltbegriff vertritt das Bundesverfassungsgericht in grundrechtlichen Zusammenhängen einen weiteren Staatsgewaltbegriff, der aber nicht als solcher problematisiert, sondern unter der Kategorie des Eingriffs diskutiert wird. Dieser weite Staatsgewaltbegriff ist ebenfalls näher zu beleuchten (A. II.). Anschließend muss das Verhältnis von engem und weitem Staatsgewaltbegriff zueinander und die Funktion der Begriffsbildung beschrieben sowie ein für gesetzesvorbereitende Vereinbarungen anzuwendender Staatsgewaltbegriff entwickelt werden (A. III.).

10 BVerfG DVBl. 2003, 923 (924); BVerfGE 93, 37 (68); 83, 60 (73); 47, 253 (273). 11 BVerfGE 8, 104 (114 f.); vgl. Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. I, 2. Aufl., § 22 Rdnr. 19, der auch das schlicht-hoheitliche Handeln am Demokratieprinzip misst. 12 BVerfGE 83, 60 (74); vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip, S. 261.

A. Informell-kooperative Staatsgewalt

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I. Enger Staatsgewaltbegriff: Amtliches Handeln mit Entscheidungscharakter Ausgangspunkt für den engen Staatsgewaltbegriff ist die bereits eingangs erwähnte Formel des Bundesverfassungsgerichts, wonach jedenfalls das amtliche Handeln mit Entscheidungscharakter Staatsgewalt darstellt. Dabei kommt sowohl dem Entscheidungscharakter als auch der Amtlichkeit eine eigenständige Funktion zu. Der Entscheidungscharakter fordert auf den ersten Blick eine bestimmte Bedeutung und ein herausgehobenes Gewicht des jeweiligen staatlichen Handelns13. Die Amtlichkeit grenzt hingegen das Handeln des Staates von den in der Gesellschaft wirkenden sozialen Kräften und vom staatsfreien Prozess der politischen Willensbildung ab14. 1. Entscheidungscharakter Mit dem Merkmal des Entscheidungscharakters unterscheidet das Bundesverfassungsgericht bloße Vorbereitungshandlungen wie das Sammeln von Informationen, Beratungen und Empfehlungen von der Ausübung von Staatsgewalt15. Das Vorfeld der Entscheidung soll demnach vom Staatsgewaltbegriff ausgenommen werden16. Problematisch an dieser Unterscheidung ist jedoch, dass nicht klar ist, nach welchen Kriterien die Abgrenzung der bloßen Entscheidungsvorbereitung zur Entscheidung selbst zu erfolgen hat. a) Natürlicher Entscheidungsbegriff und faktische Bindung Entscheiden bedeutet nach dem allgemeinen Sprachgebrauch, zwischen Alternativen auszuwählen17. Dabei gehört zu jeder Entscheidung auch eine gewisse Verbindlichkeit, weil ansonsten nichts entschieden wäre und alles von Neuem verhandelt werden müsste. Unter Entscheidung ist der Willensakt zu verstehen, der den unverbindlichen Handlungsentwurf verbindlich 13 Vgl. BVerfGE 47, 253 (274); 93, 37 (70), wonach sog. unwichtige Aufgaben bzw. Aufgaben von „besonders geringem Entscheidungsgehalt“ keine Staatsgewalt darstellen sollen. Vgl. ferner BVerfGE 83, 130 (150). 14 Zur Staatsfreiheit des politischen Willensbildungsprozesses: siehe oben 1. Teil A. II. 2. 15 BVerfGE 93, 37 (41, 73, 83); 83, 60 (74); vgl. auch BVerwGE 106, 64 (82). 16 Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. I, 2. Aufl., § 22 Rdnr. 13; Jestaedt, Demokratieprinzip, S. 261, 581; Lerche, in: Maunz/Dürig, GG Bd. IV, Art. 83 Rdnr. 42, 105; Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (342); Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume, S. 82. 17 Vgl. Quaritsch, Über formelle und informelle Wege, S. 135 (137).

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werden lässt. Die jeder Entscheidung immanente Verbindlichkeit muss jedoch nicht unbedingt rechtlich sein. Denkbar ist auch eine außerrechtliche, faktische Bindung18. In diesem Sinne hat auch die Gesetzesvorbereitung einen Entscheidungscharakter. Bereits bei der Erarbeitung des Referentenentwurfs findet eine Auswahl unterschiedlicher Normierungsvorschläge statt. Bei den gesetzesvorbereitenden Auswahlentscheidungen entstehen zwar noch keine rechtlichen Bindungen. Dennoch entwickelt der im Rahmen der Gesetzesvorbereitung fortschreitende Selektionsprozess seine eigenen verfahrensimmanenten faktischen Bindungen. Fragen, die bereits abgearbeitet und abgestimmt worden sind, können nicht ohne weiteres wieder neu aufgerollt werden, weil ansonsten der Verfahrensfortschritt in Gefahr geriete19. Diese jedem Entscheidungsprozess immanenten faktischen Bindungen werden dadurch erheblich verstärkt, dass die Vorentscheidungen mit externen Personen nicht nur abgestimmt, sondern sogar derart ausgehandelt werden, dass eine Austauschbeziehung entsteht20. Die sich aus der Austauschbeziehung ergebende faktische Verbindlichkeit begründet den natürlichen Entscheidungscharakter der hier untersuchten gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen. b) Verfassungsrechtlicher Entscheidungsbegriff Der verfassungsrechtliche und der natürliche Entscheidungsbegriff müssen jedoch nicht zwangsläufig deckungsgleich sein. Es stellt sich deshalb die Frage, welcher Ausschnitt des dargelegten faktischen Entscheidungsprozesses von der Formel des amtlichen Entscheidungscharakters erfasst wird. Zum Charakter der rechtlich noch nicht verbindlichen Entscheidungsvorbereitung als Staatsgewalt hat sich das Bundesverfassungsgericht folgendermaßen geäußert: „Aus dem Bereich des demokratisch zu legitimierenden Handelns scheiden bloß vorbereitende und rein konsultative Tätigkeiten grundsätzlich aus (vgl. BVerfGE 47, 253 (273)). Die Tätigkeit von Beiräten und sonstigen Expertengremien, die mit beratenden Aufgaben befasst sind, ohne Mitbestimmungsbefugnisse zu haben, muss daher nicht auf das Volk zurückgeführt werden. In diesem Bereich können Vertreter gesellschaftlicher Interessen an der Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben teilnehmen. Verdichtet sich indes die unverbindliche, bloß beratende Teilhabe an der Verwaltung zur Mitentscheidung (vgl. dazu Schmitt Glaeser, Partizipation an Verwal18

Zur faktischen Bindung: siehe oben 1. Teil A. I. 3. b) cc) und dd). Vgl. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 44 ff.; Schulze-Fielitz, Parlament als Organ der Kontrolle, S. 108; zur verfahrensimmanenten Bindung: siehe oben 1. Teil A. I. 3. b) cc) (1). 20 Zu diesen extern faktischen Bindungen mit Austauschcharakter: siehe oben 1. Teil A. I. 3. b) cc) (2) (b). 19

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tungsentscheidungen, VVDStRL 31, 175 (183 f.)), so wird staatliche Herrschaft ausgeübt, die stets vom Staatsvolk legitimiert sein muss.“21

Das Bundesverfassungsgericht geht zwar davon aus, dass der Bereich der Vorbereitung von Staatsgewalt grundsätzlich noch keine legitimationsbedürftige Staatsgewalt sei. Dennoch wird auch die Möglichkeit gesehen, dass sich die Vorbereitungsaktivitäten derart verdichten und durch faktische Bindungen verfestigen können, dass bereits in der Phase der Vorbereitung ein Entscheidungscharakter vorliegt. Wann allerdings ein solcher Verdichtungsgrad zur Staatsgewalt erreicht ist, wird vom Bundesverfassungsgericht nicht näher konkretisiert. Somit lässt sich der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zunächst nur entnehmen, dass es für das Vorliegen von Staatsgewalt auf eine Verbindlichkeit des Staatshandelns ankommen soll22. Die rechtliche oder faktische Qualität dieser als notwendig erachteten Verbindlichkeit muss näher konkretisiert werden. aa) Formprinzip als Ausgangspunkt Bei der Frage, welche Tätigkeiten des Staates einen Entscheidungscharakter im Sinne der vom Bundesverfassungsgericht verwandten Formel aufweisen, ist zunächst von den in Rechtsnormen klar umrissenen Entscheidungen auszugehen. (1) Formaler Entscheidungsbegriff Man könnte als Handlungen mit Entscheidungscharakter nur diejenigen Entscheidungen ansehen, die in Rechtsnormen geregelt sind oder die aus sich heraus Rechtsbindungen erzeugen sollen. Nur soweit der Tatbestand einer Rechtsnorm einen Teilbereich des natürlichen Entscheidungsprozesses präzise umreißt und eingrenzt oder Rechtsbindungen bewirkt werden sollen, würde dann Entscheidungscharakter im Sinne des Staatsgewaltbegriffes vorliegen23. Das rechtlich unverbindliche Vorfeld des in der Rechtsnorm umrissenen Staatshandelns wäre dementsprechend noch keine Staatsgewalt. Die Kompetenzordnung und die Legitimationsanforderungen des Grundgesetzes würden nur insoweit greifen, als der Staat in einer rechtlich geregelten Handlungsform oder mit Rechtsfolgewillen tätig wird24. 21

BVerfGE 83, 60 (74). Bestätigt in BVerfG DVBl. 2003, 923 (926 f.). 23 Zu diesem Formprinzip: vgl. BVerfGE 105, 185 (193 f.); 67, 256 (288 ff.); 16, 82 (88); Hermes, Verwaltungskompetenzen, S. 347 (364 f.). 24 Vgl. Mehde, AöR 2002, 655 (669, 677); Jestaedt, Demokratieprinzip, S. 255 ff.; v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, S. 66 f.; siehe ferner Helberg, Normabwendende Selbstverpflichtungen, S. 145 ff. m. w. N. 22

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Dieser formale Entscheidungsbegriff muss allerdings nicht bedeuten, dass nur unmittelbar gegenüber dem Bürger nach außen wirkende Tätigkeiten des Staates Staatsgewalt sein können. Auch die Vorbereitung von rechtsverbindlichen Entscheidungen gegenüber dem Bürger kann nach dem formalen Staatsgewaltbegriff schon Staatsgewalt sein, sofern die Vorbereitungshandlungen in Rechtsnormen geregelt sind. Im Bereich des Gesetzesvollzugs hat das Bundesverfassungsgericht einen Staatsgewaltcharakter auch von lediglich innerbehördlichen Maßnahmen bejaht und die gesetzlich geregelte Mitbestimmung von Bediensteten an diesen internen Maßnahmen am Demokratieprinzip geprüft25. Dementsprechend ist auch die nicht unmittelbar gegenüber dem Bürger wirksame Gesetzesinitiative Staatsgewalt, weil sie in Art. 76 GG geregelt ist. Die Staatsgewalt umfasst nach dem formalen Ansatz den gesamten rechtlich geregelten Bereich der Staatswillensbildung. Sie ist nicht auf den Letztakt der endgültigen Beschlussfassung durch den Hoheitsträger beschränkt26. Unter Gesetzgebung im Sinne von Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG und Art. 20 Abs. 3 GG ist nach dem formalen Ansatz nur das Gesetzgebungsverfahren zu verstehen, das im siebten Abschnitt des Grundgesetzes geregelt ist, wohingegen die gesetzesvorbereitenden Verhandlungen und Vereinbarungen keine Staatsgewalt wären. Ein solches formales Verständnis der gesetzgebenden Staatsgewalt lässt sich mit dem Argument der politischen Gestaltungsfreiheit begründen27. Wäre jedes Gespräch zwischen Staat und Privaten vom grundgesetzlichen Staatsgewaltbegriff erfasst, so könnte dies im Widerspruch zur Gewaltenteilung zu einer übermächtigen und ausufernden verfassungsgerichtlichen Kontrolle jeglicher Tätigkeit der Politik führen28, 29. 25

BVerfGE 93, 37 (68); BVerfG DVBl. 2003, 923 (924, 928 f.). Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip, S. 256 ff. 27 Vgl. Burgi, Die Verwaltung, 183 (197 ff.); zum Zusammenhang von politischer Gestaltungsfreiheit und Formprinzip: siehe auch BVerfGE 67, 256 (288 f.). 28 Vgl. Hermes, Länderkompetenz und Bundesaufsicht, S. 61, der eine „Banalisierung“ des Staatsorganisationsrechts bei dessen Anwendung auf das informelle Staatshandeln befürchtet. Hermes knüpft an das Sondervotum von Grimm zu BVerfGE 80, 137 (168) an, der vor einer Banalisierung des Grundrechtsschutzes durch eine weite Auslegung des Art. 2 Abs. 1 GG gewarnt hat. Um eine derartige Banalisierung zu vermeiden, hat das Bundesverfassungsgericht Aufgaben mit geringerer Bedeutung aus den Legitimationsanforderungen des Demokratieprinzips ausgenommen (BVerfGE 47, 253 (274); vgl. auch: NWVerfGH, OVGE 39, 292 (295)). Zur Frage, inwieweit die Anwendung des grundgesetzlichen Prüfungsmaßstabes unter einem Bagatellvorbehalt steht: vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip, S. 229 f. m. w. N. 29 Zur ähnlichen Diskussion um eine uferlose Ausweitung des Eingriffsbegriffes: Weber-Dürler, Der Grundrechtseingriff, S. 57 (76). 26

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Der Staat könne, so ließe sich argumentieren, die Vorteile des informellen Staatshandelns30 gerade nur dann nutzen, wenn Räume zur freien Entfaltung des informellen Staatshandelns respektiert und eine Einbindung in verfassungsrechtliche Anforderungen vermieden werde. Demnach müsste die Flexibilität des informellen Staatshandelns erhalten bleiben und eine Verrechtlichung unterbleiben31. Die funktionsgerechte Gewaltenordnung würde fordern, dass der Bundesregierung ein verfassungsfreier politischer Gestaltungsraum verbleibt, in der sie durch verfassungsrechtlich nicht überprüfbare, informelle Bündnisse politische Bewegungsenergie erzeugen darf, die sich dann erst später in den formalisierten Verfahren zur Staatsgewalt verdichtet32. Durch die Eröffnung verfassungsfreier Bewegungsräume des informellen Staatshandelns wird eine uferlose Durchnormierung jeglicher Staatstätigkeit, die die politische Handlungs- und Gestaltungsfreiheit erdrosselt, von vornherein ausgeschlossen. Das Formprinzip dient dazu, den Umfang des Regelungsregimes des Verfassungsrechts trennscharf feststellen zu können33. Die Konsequenz eines den gesamten empirischen Entscheidungsprozess einbeziehenden Staatsgewaltbegriffes wäre demgegenüber, dass die Kontrolldichte des Verfassungsrechts von Fall zu Fall mit der politischen Gestaltungsfreiheit abgewogen werden muss. Eine solche umfassende Anwendung des Verfassungsrechts auf informelles Staatshandeln würde zu erheblicher Rechtsunsicherheit führen. Die Grenzen der politischen Gestaltungsfreiheit müssten im Einzelfall ermittelt werden. Dies wird durch die Eröffnung generell verfassungsfreier Gestaltungsräume der Politik im Bereich des informalen Staatshandelns von vornherein vermieden. Durch die generelle Verfassungsfreiheit des informalen Staatshandeln wird eine klare Grenzlinie zwischen Verfassungsrecht und Politik gezogen34. Im Zusammenhang mit dem Demokratieprinzip bedeutet dies für die Gesetzgebung, dass nach dieser Auffassung die formale Letztentscheidung der nach der Verfassung an der Gesetzgebung beteiligten Staatsorgane eine ausreichende Legitimation darstellt35. Das Vorfeld des rechtlich geregelten Entscheidungsprozesses wäre dagegen dem Staatsgewaltbegriff und dem Ver30

Zu diesen Vorteilen: siehe oben 1. Teil A. I. 3. b) bb) (3), 1. Teil A. I. 3. d) aa). Vgl. Faber, Gesellschaftliche Selbstregulierungssysteme, S. 254 m. w. N.; Ziekow, Verankerung, S. 173. 32 Vgl. Busse, Gesetzgebungseinflüsse, S. 97 (99, 102 ff.). 33 Zur Operationalisierung des Rechts mit Hilfe von Handlungsformen: vgl. Rengeling, Das Kooperationsprinzip, S. 92; Faber, Gesellschaftliche Selbstregulierungssysteme, S. 60; Helberg, Normabwendende Selbstverpflichtungen, S. 132 ff. 34 Zur Notwendigkeit einer solchen Grenzziehung: vgl. Schlink, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 445 (465). 35 Vgl. Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 61 Rdnr. 31. 31

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fassungsrecht entzogen. Dementsprechend sind nur diejenigen gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen verfassungswidrig, die das Letztentscheidungsrecht der legitimierten Staatsorgane dadurch beeinträchtigen, dass sie rechtsverbindliche Ansprüche auf bestimmte Gesetzesinitiativen bzw. bestimmte Gesetzesbeschlüsse beinhalten36. Bei rechtlich unverbindlichen Vereinbarungen wäre darauf abzustellen, dass den demokratisch legitimierten Staatsorganen immer noch die formale Letztentscheidung verbliebe37. Diese Letztentscheidung zeigt sich darin, dass allein die Bundesregierung über die Gesetzesinitiative und allein der Bundestag über das Gesetz rechtsverbindlich beschließen38. Bezogen auf den Atomausstieg würde ein formaler Staatsgewaltbegriff bedeuten, dass die Vereinbarung vom 14. Juni 2000 noch keine Staatsgewaltqualität hat39. Lediglich der Beschluss der Bundesregierung zur Gesetzesinitiative und der Beschluss des Umsetzungsgesetzes durch den Bundestag würden Akte der Staatsgewalt darstellen. Beide wurden von mittelbar bzw. unmittelbar demokratisch legitimierten Organen beschlossen. Die Letztentscheidung wurde von demokratisch legitimierten Organen gefällt.

Bezieht man allerdings die empirische Perspektive in die Überlegungen ein, so ist festzustellen, dass informelle Akte das staatliche Steuerungsziel zum Teil genauso wirksam ansteuern und erreichen wie rechtsverbindliche Akte40. Informelles und faktisches Staathandeln kann funktionales Äquivalent zum Staatshandeln in rechtlich geregelten Formen sein41. Ein verfassungsfreier Raum des informalen Staatshandelns würde eine Flucht der Staatsorgane aus der Verfassung das Tor öffnen42. Die Verfassungsbindung des Staates könnte bei Annahme verfassungsfreier Zonen durch informelles Staatshandeln umgangen werden. Das widerspricht aber dem Gebot der Effektivität des Grundgesetzes43, 44. 36

Siehe die unterschiedlichen Vereinbarungstypen oben 1. Teil A. I. 3. a) aa). Vgl. BVerfGE 47, 253 (273). 38 Kritisch zu den Begriffen der Letztentscheidung und Letztverantwortung wegen der mit ihnen verbundenen problemvernebelnden Konnotationen: Möllers, Staat als Argument, S. 292 ff. 39 Mehde, AöR 2002, 655 (676 f.). 40 Vgl. Friauf, AöR 88 (1963), 257 (311): „Politischer Druck vermag bei genügender Intensität faktisch die rechtliche Bindung zu ersetzen“. 41 Vgl. Becker, DÖV 1985, 1003 (1011). 42 Zur Flucht des Staates aus öffentlich-rechtlichen Bindungen: Heintzen, Beteiligung Privater, S. 220 (223). 43 Vgl. Reicherzer, Diskussionsbeitrag, Atomrechtstag 2002, S. 73. 44 Zur Effektivität der Verfassung: vgl. BVerfGE 6, 55 (72); 43, 154 (167). Das Gebot der Effektivität ist letztlich jeder Rechtsnorm immanent. Rechtsnormen sind ihrem Wesen nach auf Wirkung in der realen Welt angelegt. Die Geltung der Rechtsnormen schließt das Postulat ihrer Wirkung ein (vgl. Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 201; Zippelius, Allgemeine Staatslehre, § 1 IV. 2. (S. 9); ders., Rechtsphilosophie, § 4 I. (S. 15 ff.)). Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 10: „Ein Mini37

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Bei gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen mit Umsetzungsgesetz besteht die Gefahr, dass das Gesetzgebungsverfahren formal erhalten bleibt, während die eigentliche Entscheidung vom formalisierten Gesetzgebungsverfahren nicht mehr eingefangen wird. Die Gesetzesform ist dann nur noch leere Hülse, weil die in Art. 76 ff. GG normierten grundgesetzlichen Anforderungen den eigentlichen Entscheidungsprozess nicht mehr erreichen und ihn deshalb auch nicht beeinflussen und kanalisieren können45. Eine solche Entwertung verfassungsrechtlicher Verfahren durch informelles Staatshandeln ist unter dem Gesichtspunkt der Effektivität der Verfassung ebenso problematisch wie die Umgehung der verfassungsrechtlichen Anforderungen durch eine Flucht ins Informelle46. Deshalb darf nicht beim formalen Staatsgewaltbegriff stehen geblieben werden. Argumentiert man beim Atomausstieg, dass das Grundgesetz für die informelle Vereinbarung vom 14. Juni 2000 keinerlei Vorgaben macht, weil diese noch keine Staatsgewalt sei, so wird man damit dem Problem nicht gerecht, dass die informelle Gesetzesvorbereitung wegen der faktischen Austauschbindung gegenüber den Privaten zu einer Entwertung des formalisierten Gesetzgebungsverfahrens führen kann. Dies darf nicht als lediglich politisches Problem qualifiziert werden47. Eine Entwertung der Verfassung zu vermeiden, ist wegen des Gebots der Effektivität des Grundgesetzes auch Aufgabe des Verfassungsrechts.

(2) Erweiterung bei funktionaler Äquivalenz (Schwellenmodell) Einer Umgehung oder Entwertung der Verfassung könnte mit einem Schwellenmodell entgegengewirkt werden. Dann wenn sich die faktischen Bindungen der gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen zu einem bestimmten Grad verdichtet haben, könnte von legitimationsbedürftiger und gewaltenteilungsrelevanter Staatsgewalt ausgegangen werden. Wenn eine Erheblichkeitsschwelle überschritten ist, nach der informelles Handeln rechtsgleiche faktische Bindungen entfaltet und somit funktionales Äquivalent eines formalisierten Staatsaktes wäre, müsste demnach die grundgesetzliche Ordnung eingreifen, um eine Umgehung oder Entwertung der Verfassung durch informelles Staatshandeln zu vermeiden48. mum an sogenannter Wirksamkeit ist Bedingung der Geltung einer Rechtsnorm.“ Zur Aufgabe des Verfassungsgerichts, die Geltung und Wirkung der Verfassung zu sichern: Böckenförde, NJW 1999, 9 (10 f.). 45 Vgl. Burgi, Die Verwaltung 2000, 183 (194). 46 Vgl. Scholz, Staatsleitung, S. 663 (691). 47 So aber: Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 305 (314 ff.). 48 Zur Vorstellung einer solchen Intensitätsschwelle: Burgi, Die Verwaltung 2000, 183 (192); Jestaedt, Demokratieprinzip, S. 255 ff.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Vorb. vor Art. 1 Rdnr. 27; Reicherzer, DVBl. 2002, 557 (558); vgl. auch: BVerfGE 47, 253 (274).

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Das Bundesverfassungsgericht sieht in der Biblis A-Entscheidung die dargelegten Probleme des rein formalen Ansatzes. Deshalb nimmt es eine Verletzung der Wahrnehmungskompetenz nicht nur bei Handeln gegenüber Dritten in Rechtsformen, sondern auch bei faktischem Handeln mit rechtsgleicher Wirkung an49. Der Entscheidung liegt also subkutan ein Schwellenmodell zu Grunde50. Wegen der besonders deutlichen faktischen Bindungen beim Atomausstieg könnte eine rechtsgleiche faktische Bindung der Vereinbarung vom 14. Juni 2000 im Sinne des Schwellenmodells angenommen werden. Die Vereinbarung könnte als funktionales Äquivalent eines öffentlich-rechtlichen Vertrages eingestuft werden. Dafür spricht auch, dass zunächst sogar ein öffentlich-rechtlicher Vertrag vorgesehen war. Dieser aber wegen verfassungsrechtlicher Bedenken zurückgezogen wurde. Bei funktionaler Äquivalenz würde die Vereinbarung eindeutig einen Akt der Staatsgewalt darstellen und könnte genauso wie ein öffentlich-rechtlicher Vertrag verfassungsrechtlich problematisiert werden. Dies wurde jedoch vom Bundesverfassungsgericht hinsichtlich Anlage 2 der Vereinbarung abgelehnt. An der Vereinbarung ließe sich, soweit sie vom Gericht zu beurteilen war, kein „Tau festbinden“51.

Das Schwellenmodell könnte so verstanden werden, dass unterhalb der Schwelle funktionaler Äquivalenz noch keine Staatsgewalt vorläge und demnach noch keine grundgesetzlichen Anforderungen zu stellen sind. Das ließe sich damit begründen, dass von Staats-Gewalt i. S. d. Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG erst gesprochen werden könnte, wenn das Handeln des Staates ein Mindestmaß an Steuerungsintensität entfaltet52. Eine solche Konzeption stünde jedoch vor dem Problem, nur besonders auffallende und gravierende staatliche Aktivitäten zu erfassen. Gegenüber den sublimen Einflussnahmen eines paktierenden Staates wäre das Verfassungsrecht hingegen weitgehend unempfindlich, weil in diesen Fällen die Erheblichkeitsschwelle rechtsgleicher Bindung und Steuerung noch nicht erreicht wird. Gerade die weniger auffälligen Einflussnahmen des Staates, die im Gewande des kooperierenden Staates auftreten, stellen aber eine schleichende Gefahr für die verfassungsrechtlichen Strukturen dar. Diese Gefahr geht nicht nur vom besonders signifikanten, funktional äquivalenten informellen Staatshandeln, sondern vielmehr von der Gesamtheit paktierender Staatstätigkeit aus: „Steter Tropfen höhlt den Stein“53. Der Fall, dass der Einfluss von Interessenverbänden auf die Gesetzgebung – wie beim Atomausstieg – in einer vertragsähnlichen Vereinbarung dokumentiert und dadurch besonders deutlich gemacht wird, dürfte eher sel49

BVerfGE 104, 249 (267). Vgl. Reicherzer, DVBl. 2002, 557 (558); ders., Diskussionsbeitrag, Atomrechtstag 2002, S. 73; zum Schwellenmodell und zur Denkfigur des funktionalen Äquivalents: siehe ferner BVerfGE 98, 106 (118); 105, 279 (303); 105, 252 (273). 51 BVerfGE 104, 249 (268); kritisch hierzu: Reicherzer, DVBl. 2002, 557 (558). 52 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip, S. 255 f. 53 Vgl. Reicherzer, DVBl. 2002, 557 (558). 50

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ten sein. Weniger deutliche Fälle liegen dann vor, wenn Verbände immer wieder Gespräche mit den verantwortlichen Politikern führen und dabei versuchen, Druck auf Staatsorgane auszuüben, ohne dass dies öffentlich sichtbar dokumentiert wird54. Wenn man informelle Vereinbarungen unterhalb der Schwelle funktionaler Äquivalenz von den Legitimationsanforderungen des Demokratieprinzips dispensiert und sie zudem aus der Kompetenzordnung weitestgehend ausklammert, weil das Staatsorganisationsrecht insoweit noch keinen Regelungsanspruch erheben würde, so besteht die Gefahr, dass der formalisierte Kompetenzrahmen und das Demokratieprinzip durch informelle Aktivitäten allmählich ausgehöhlt und entwertet werden55. Das Bundesverfassungsgericht bleibt dementsprechend nicht dabei stehen, informales Staatshandeln lediglich bei Überschreiten einer Schwelle funktionaler Äquivalenz zum formalen Staatshandeln am Grundgesetz zu prüfen. Staatliche Warnungen sowie die Anlage 2 der Vereinbarung vom 14. Juni 2000 werden vom Bundesverfassungsgericht an der Kompetenzordnung auch unterhalb der Schwelle funktionaler Äquivalenz gemessen und bestimmten Anforderungen unterworfen56. Dem Bundesverfassungsgericht darf deshalb nicht unterstellt werden, es würde die Auswirkungen und Gefahren des informellen Staatshandelns unterhalb der genannten Schwelle völlig übersehen57. In der Entscheidung zu Biblis A heißt es vielmehr: „Gleichwohl ist im Bereich informalen Handelns wegen des Kontakts zu Dritten ein gewisses Gefahrpotential nicht zu verkennen, aus dem sich grundsätzlich Beeinträchtigungen der Wahrnehmungskompetenz des Landes ergeben können . . .“58. Dieses Gefahrenpotential soll bezogen auf das Bund-Länder-Verhältnis vor allem durch den Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens aufgefangen und kanalisiert werden. Leider hat das Bundesverfassungsgericht diese Argumentationslinie in der weiteren Entscheidungsbegründung nicht mehr konsequent weiter verfolgt59.

Das Verfassungsrecht hat die Aufgabe, nicht nur den besonders deutlichen Fällen des eigenen Wirkungsverlustes entgegenzuwirken, sondern bereits den sublimen Beeinträchtigungen seiner Wirksamkeit vorzubeugen60. Die allgemein anerkannten Grundsätze der Verfassungsorgantreue61 und der Bundestreue62 belegen, dass die Funktion des Staatsorganisationsrechts über 54 Zu diesen in keiner schriftlichen Vereinbarung dokumentierten Fällen der Einflussnahme von Verbänden: siehe oben 1. Teil A. I. 2. 55 Zur faktischen Aushöhlung der Rechtsordnung: vgl. BVerwGE 62, 376 ff. 56 BVerfGE 105, 279 (292 ff.); 105, 252 (270 ff.); 104, 249 (271). 57 Vgl. die in dieser Hinsicht etwas überzogene Kritik von Ossenbühl, Länderkompetenz und Bundesaufsicht, S. 55 f. 58 BVerfGE 104, 249 (271). 59 Reicherzer, DVBl. 2002, 557 ff. 60 Vgl. Lerche, BayVBl. 2003, 1 (5). 61 Zur Verfassungsorgantreue: siehe unten 4. Teil B. I. 5. 62 Zur Bundestreue: siehe unten 4. Teil B. I. 6.

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die Funktion einer minimalen Rahmenordnung hinausgeht und Tiefenwirkungen der Verhaltenssteuerung im Sinne umfassender Rücksichtnahmepflichten entfalten kann und zur Vermeidung von schleichender Verfassungsdegeneration auch entfalten muss63. Das Schwellenmodell reicht deshalb nicht aus, um den Anforderungen effektiver Legitimation und effektiver Gewaltenteilung langfristig gerecht zu werden, weil es nur punktuell besonders offensichtliche faktische Bindungen erfasst, ohne die schleichende Verfassungsdeformation durch eine Vielzahl sublimer Kooperationen unterhalb der Erheblichkeitsschwelle zu berücksichtigen. bb) Verfassungseffektivität als Ausgangspunkt Der auf rechtliche Handlungsformen fixierte und um ein Schwellenmodell erweiterte Staatsgewaltbegriff kann die Probleme einer Umgehung und schleichenden Aushöhlung verfassungsrechtlicher Strukturen nicht zufrieden stellend bewältigen. Es ist deshalb zu überlegen, ob für den Entscheidungscharakter einer staatlichen Tätigkeit weniger die Handlungsform, als vielmehr die faktische Verbindlichkeit den richtigen Bezugpunkt darstellt. Die auf Rechtsnormen fixierte Sichtweise der Staatsgewalt wird dabei beiseite gelassen, um die faktischen Phänomene gesetzesvorbereitender Vereinbarungen umfassend verfassungsrechtlich einzufangen und normativ einzuhegen64. (1) Notwendigkeit einer empiriebezogenen Betrachtungsweise Der verfassungsrechtliche Entscheidungsbegriff orientiert sich demnach nicht, wie es unter Hegemonie des Formprinzips angenommen werden konnte, an den rechtlich vorgeformten Entscheidungstatbeständen, sondern an den empirischen Entscheidungsprozessen. Grund für diese wirklichkeitsbezogene Öffnung ist die Effektivität der Verfassung65.

63 Vgl. BVerfGE 12, 205 (255); 86, 148 (211 f.): „Auch das procedere und der Stil der Verhandlungen, die zwischen Bund und seinen Gliedern und zwischen den Ländern im Verfassungsleben erforderlich werden, stehen unter dem Gebot bundesfreundlichen Verhaltens.“ Von minimalen Rahmenvorgaben des Staatsorganisationsrechts geht hingegen Hermes, BT-Sten. Prot. 14/69, S. 35, aus. 64 Vgl. Di Fabio, Der Verfassungsstaat, S. 128: „Wird politische Gewalt grundlegend neu organisiert, dürfen Juristen ausnahmsweise nicht auf das Hergebrachte vertrauen, sondern müssen ganz gegen ihre Gewohnheit eine gewisse Kreativität entfalten.“ 65 Zur Effektivität der Verfassung: siehe bereits oben 2. Teil A. I. 1. b) aa) (1).

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(a) Effektive Legitimation Das Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG fordert nicht nur einen formalen, sondern einen effektiven Einfluss des Volkes auf die Ausübung der Staatsgewalt66. Auch wenn die repräsentative Demokratie des Grundgesetzes nicht von einer Identität des Willens des Volkes mit dem von den Staatsorganen gebildeten Herrschaftswillen ausgeht, so fordert das Grundgesetz im Demokratieprinzip doch, dass „ein Mindestmaß sachlicher Grundgestaltung von Staatsfunktionen durch den Volkssouverän gesichert“ ist67. Dieser effektive Einfluss des Volkes wird in der repräsentativen Demokratie durch eine wirksame Entscheidungsmacht der durch Wahlen legitimierten Gesetzgebungsorgane sichergestellt. Dabei muss beachtet werden, dass der faktische Entscheidungsprozess bezogen auf die Gesetzgebung bereits weit vor der Initiative nach Art. 76 GG beginnt. Die Genese eines Gesetzes findet vor allem bei gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen zu einem großen Teil außerhalb des formalisierten Gesetzgebungsverfahrens der Art. 76 ff. GG statt68. Der im Lichte des Demokratieprinzips erforderliche wirksame Einfluss des Volkes und der von ihm gewählten Staatsorgane auf den Prozess der Gesetzgebung hängt deshalb davon ab, inwieweit man diesen Gesamtprozess als Staatsgewalt begreift und dadurch dem Legitimationserfordernis des Art. 20 Abs. 1 und 2 GG unterwirft. Würde man als Staatsgewaltausübung lediglich die mit der Gesetzesinitiative zum Umsetzungsgesetz beginnende Formalisierungsphase begreifen, so würde man gerade diejenigen Phasen des Entscheidungsprozesses ausklammern und vom Legitimationserfordernis dispensieren, in denen faktisch bindende Vereinbarungen und damit wichtige Vorentscheidungen getroffen werden. Zur Sicherstellung eines Mindestmaßes an effektiver Legitimation und sachlicher Grundgestaltung durch den Volkssouverän muss deshalb auch der informelle Vorfeldbereich den Legitimationsanforderungen des Demokratieprinzips unterworfen und der Begriff der Staatsgewalt ausgeweitet werden. Folglich muss sich der Entscheidungscharakter im Sinne der Staatsgewaltformel des Bundesverfassungsgerichts auch auf die in gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen erzielten faktischen Vorabbindungen beziehen69. 66

BVerfGE 93, 37 (66); 83, 60 (72). Papier, Parlamentarische Demokratie, S. 33 (50). 68 Vgl. Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 61 Rdnr. 59: Nach Ossenbühl liegt ein „materielles Kernstück der Gesetzgebung“ in der Gesetzesvorbereitung. Ebenso: Eichenberger, Gesetzgebung im Rechtsstaat, 7 (29). 69 Zur Relevanz der faktischen Wirkungen der Beteiligung Nichtlegitmierter für die Effektivität der Legitimation: BVerfGE 93, 37 (74, 84); zur Ausweitung des Be67

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2. Teil: Die Theorie informell-kooperativer Staatsgewalt

(b) Effektive Gewaltenteilung Die informellen Vereinbarungen erhöhen insoweit den staatlichen Handlungsspielraum, als sie zusätzliche Kompensationsmöglichkeiten für Verhandlungen schaffen. Die informellen Vereinbarungen können gerade den Grund bilden, warum Gesetzgebungsorgane der Gesetzesvorlage im formellen Verfahren zustimmen werden70. Durch eine informelle Weiterung des im formellen Verfahren begrenzten Themenkreises kann die politische Macht – verstanden als Durchsetzungsfähigkeit im formellen Gesetzgebungsverfahren – gesteigert werden, indem die Zustimmung im formellen Bereich durch informelle Begleitzusagen herbeigeführt wird. Die Gewaltenteilung bezweckt demgegenüber, durch eine Verteilung der Kompetenzen politische Macht zu begrenzen. Wenn sich aber staatliche Macht zu einem großen Teil aus informell-kooperativen Quellen speist, dann kann das informelle Staatshandeln für die Gewaltenteilung und Kompetenzordnung nicht irrelevant sein. Informelle Begleitvereinbarungen dürfen nicht unbegrenzt als politische Aktionsreserve dienen, um die Hemmnisse, die die Kompetenzordnung aufbaut, zu überspielen, da ansonsten die Effektivität der Gewaltenteilung gefährdet würde. Gewaltenteilung und Kompetenzordnung müssen umfassend die Entfaltung staatlicher Macht erfassen71. Hierzu ist es notwendig, informelles Handeln in den Staatsgewaltbegriff und die Gewaltenbegrenzung einzubeziehen. Das bedeutet, dass auch das informale Staatshandeln der Kompetenzordnung unterworfen werden muss. Der Staatsgewaltbegriff ist deshalb auch unter dem Aspekt effektiver Gewaltenteilung realitätsbezogen zu öffnen, um die realen politischen Machtstrukturen einzufangen, die sich maßgeblich aus informellen Quellen speisen können72. griffes der Staatsgewalt auf die Entscheidungsvorbereitung: vgl. BVerfGE 38, 258 (270 f.). 70 So wurde beispielsweise die Zustimmung des Bundesrates zur Steuerreform im Jahr 2000 dadurch erreicht, dass bestimmten Ländern in informellen Begleitvereinbarungen künftige Vergünstigungen versprochen wurden (Starck, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19. Juli 2000, S. 8; Schuett-Wetschky, ZPol 2001, 3 (23 f.) m. w. N.; zu den Parallelen zum Atomausstieg: Sendler, Überlegungen, S. 185 (187)). 71 Vgl. Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 20 Rdnr. 55. 72 Isensee stellt hingegen für die Anwendung der Kompetenzordnung auf informelles Staatshandeln darauf ab, inwieweit sächliche oder personelle Mittel in Anspruch genommen werden (Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV, § 98 Rdnr. 195). Zutreffend daran ist, dass der Charakter als Staatsgewalt umso deutlicher ausgeprägt ist, je mehr personelle und sächliche Ressourcen beansprucht werden. Die Aufwendung finanzieller Ressourcen, um Gesetze vorzubereiten, verstärkt die faktische Bindungswirkungen (siehe oben 1. Teil A. I. 3. b) dd) (4) (b)). Zur Bedeutung von Finanzmitteln für die Ausübung von Staatsgewalt: Di Fabio, Der Verfassungsstaat, S. 41; Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, S. 22 ff., 306 ff.

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(c) Fehlschluss vom Sein auf das Sollen? Die Einbeziehung des faktischen Entscheidungsprozesses in die Definition des Staatsgewaltbegriffes stellt keinen Fehlschluss vom realen Sein des Staates auf das vom Grundgesetz geforderte Sollen dar73. Vielmehr wird das Sollen der Verfassung erst dann kontrafaktisch effektiv, wenn es das Sein der Realität ausreichend erfasst. Das Recht steht der Wirklichkeit selbstständig gegenüber, muss aber andererseits auf diese Wirklichkeit bezogen sein. Ein Gesetz tritt der Wirklichkeit als normative Ordnungsmacht gegenüber, um diese zu formen und zu gestalten. Diese Funktion kann das Recht aber nur erfüllen, wenn es zuvor in ausreichendem Maße die Wirklichkeit in seinen Begriffen erfasst74. Deshalb muss der Staatsgewaltbegriff des Grundgesetzes am realen Entscheidungsprozess eines sich zur Gesellschaft hin öffnenden Staates ansetzen und darf nicht von vornherein normativ verkürzt werden: „Wenn das klassische Staats- und Verfassungsrecht sich nicht auf diese neue Realität des zur Gesellschaft . . . hin offenen Staates einstellt, verliert es nicht nur den Anschluss, es verliert auch die Möglichkeit, die verfassungsrechtlichen Bindungen und Sicherungen, auf die die Bürger vertrauen, angemessen und systematisch zur Geltung zu bringen“75. (2) Flexibilisierung des Staatsgewaltbegriffes Staatsgewalt ist etwas, was sich aus der Gesellschaft heraus organisch entwickelt und sich fließend zunächst zu faktischer, später dann zu rechtlicher Macht verfestigt. Sie stellt sich als dynamischer Prozess wachsender Bindungen dar, die sich schließlich zur Herrschaftsgewalt verdichten76. An die Stelle einer Vorstellung, die diesseits einer Erheblichkeitsschwelle lediglich Vorbereitung der Staatsgewaltausübung und jenseits dieser Schwelle legitimationsbedürftige Staatsgewalt annimmt, muss eine Konzeption treten, die offen legt, dass der Staatsgewaltbegriff in Art. 20 Abs. 2 GG kein Tatbestandsmerkmal ist, unter das einfach zu subsumieren wäre. Staatsgewalt ist kein Tatbestandsmerkmal einer binär subsumierbaren Rechtsregel, sondern ein offener, weitausgreifender Rechtsbegriff, der den Wirkbereich übergreifender, unscharfer und konkretisierungsbedürftiger Rechtsprinzipien 73

Zum sog. naturalistischen Fehlschluss: Höffe, Das Naturrecht, S. 303 ff. Vgl. Böckenförde, Die sogenannte Nichtigkeit, S. 116. 75 Di Fabio, Der Verfassungsstaat, S. 127. 76 Vgl. BVerfGE 8, 104 (104, 113, 117): Das Bundesverfassungsgericht verwendet in dieser Entscheidung die Begriffe der Staatsgewalt und der Staatswillensbildung als Synonyme. Dadurch wird deutlich, dass die Staatsgewalt in Entstehung und Wirkung einen dynamischen Prozess darstellt, dessen Beginn sich nicht präzise festlegen lässt. 74

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2. Teil: Die Theorie informell-kooperativer Staatsgewalt

skizziert, wie sie namentlich das Demokratie- und das Gewaltenteilungsprinzip darstellen. Deshalb ist es sachgerecht, an dieser Stelle die Schwarz-Weiß-Sicht – Einstufung als Staatsgewalt einerseits und als bloße Vorbereitungshandlung andererseits – aufzugeben und durch eine flexible Je-desto-Denkweise zu ersetzen: Je stärker die faktische Bindung und Steuerungskraft einer Vereinbarung ist, desto mehr kann von Staatsgewalt ausgegangen werden. Je deutlicher aber der Charakter als Staatsgewalt im jeweiligen Regelungsbereich ausgeprägt ist, desto höhere Anforderungen müssen an die notwendige Legitimation gestellt werden und desto restriktiver ist die Gewaltenteilung zu handhaben. Ein solches flexibles Verständnis der Staatsgewalt korreliert mit der empirischen Entscheidungstheorie und dem historischen Verständnis von Staatsgewalt77. Der flexible Staatsgewaltbegriff ist empirisch rückgebunden und gerade deshalb auch überzeugend. (3) Problem der Rechtssicherheit Eine Definition des Staatsgewaltbegriffes, die an der faktischen Bindung anknüpft, steht jedoch vor dem Problem, dass faktische Bindung nicht exakt messbar ist. Oftmals stellt sich erst dann, wenn früher bereits ausgesonderte Alternativen wieder neu aufgerollt werden, im nachhinein heraus, dass die frühere Entscheidung kaum faktische Bindung entfaltet hat. Der Zeitpunkt, zu dem sich die faktischen Bindungen entwickeln, lässt sich nicht genau ermitteln. Die informationsbezogene Sondierungsphase- und die entscheidungsbezogene Phase des Aushandelns einer Gesetzesvorlage gehen fließend ineinander über. Arguing und Bargaining überlappen sich und greifen in der Realität ineinander78. Der Begriff der faktischen Bindung hat den Nachteil, dass er im Gegensatz zum formalen Entscheidungsbegriff keine scharfen Konturen umreißt, sondern lediglich Anhaltspunkte liefert. Es ist deshalb schwierig, die Anwendbarkeit des verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstabes auf die Gesetzesvorbereitung davon abhängig zu machen, inwieweit bereits faktische Bindungen bei den vorbereitenden Verhandlungen entstanden sind79.

77 Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, S. 20, spricht von „Wachstum der Staatsgewalt“. Zu diesem Wachstum gehörte auch das Aushandeln der Staatsgewalt mit den gesellschaftlichen Kräften (S. 22). 78 Zum Verhältnis von Arguing und Bargaining: siehe oben 1. Teil A. I. 3 b) dd) (1) (d). 79 Vgl. die Bedenken von Köster, Diskussionsbeitrag, Atomrechtstag 2002, S. 73, gegen die Praktikabilität des Kriteriums der faktischen Bindung.

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cc) Mehrdimensionalität des Staatsgewaltbegriffes Für eine Definition des Entscheidungsbegriffs nach dem Formprinzip spricht die Rechtssicherheit und die Praktikabilität. Der empirisch rückgebundene Entscheidungsbegriff fängt indessen die Realität besser ein und kann die Effektivität von Demokratieprinzip und Gewaltenteilung eher gewährleisten. Beide Gesichtpunkte müssen zum Ausgleich gebracht werden. Dabei ist keine optimale Rechtssicherheit und keine optimale Verfassungseffektivität verfassungsrechtlich geboten. Vielmehr ist es nach der hier zu Grunde gelegten Saturierungskonzeption genügend, wenn jeder dieser Gesichtpunkte ausreichend zum Tragen kommt80. Soll die Verfassung auch vor langfristigen sublimen Erosionserscheinungen geschützt werden, so ist es notwendig, zur Ermittlung des Staatsgewaltbegriffes neben den im Grundgesetz und in sonstigen Rechtsvorschriften formalisierten Entscheidungen auch den empirisch-faktischen Entscheidungsprozess mit ins Blickfeld zu nehmen. Dabei ist jedoch das Formprinzip nicht aufzugeben. Dieses gebietet, die Tätigkeit des Staates in Rechtsnormen zu konkretisieren, und ermöglicht so eine praktikable Rechtsanwendung. Die Spannungslage zwischen Formprinzip und Verfassungseffektivität kann durch einen mehrdimensionalen Entscheidungs- und Staatsgewaltbegriff bewusst gemacht werden. Dieser mehrdimensionale Staatsgewaltbegriff berücksichtigt einerseits in der empirisch-faktischen Dimension, dass Entscheidungen in der Lebenswirklichkeit auch durch nicht formalisierte faktische Bindungen erfolgen und durch faktische Austauschbindungen verstärkt werden. Daneben wird jedoch in der rechtlich-formalen Dimension auch die Notwendigkeit rechtssicherer Begrifflichkeiten und klar umrissener Tatbestände gesehen. Das Verhältnis zwischen der rechtlich-formalen und der empirisch-faktischen Dimension des mehrdimensionalen Staatsgewaltbegriffes ist so zu beschreiben, dass die letztere Dimension den gesamten Bereich aller faktischen Bindungen als Staatsgewalt einfängt, während die rechtlich-formale Dimension nur diejenigen Akte staatlicher Tätigkeit erfasst, die in einzelnen Vorschriften normiert sind. Die rechtlich-formale Dimension erfasst nur einen Teilausschnitt der faktischen Entscheidungsprozesse. Dabei wird eine Divergenz zwischen formaler und faktischer Staatsgewalt sichtbar. Angesichts der Vielgestaltigkeit faktischer Bindungsprozesse wird es nie gelingen, sämtliche faktischen Bindungsprozesse abschließend zu formalisieren, so dass die Divergenz nie vollständig beseitigt werden kann. Es bleibt stets eine Spannung zwischen empirisch-faktischer und rechtlich-formaler Staatsgewalt. Die Unterscheidung zwischen einer recht80

Zur Saturierungskonzeption: 1. Teil B. I.

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2. Teil: Die Theorie informell-kooperativer Staatsgewalt

lich-formalen und einer empirisch-faktischen Dimension des Entscheidungsbegriffes macht jedoch bewusst, dass das Denken in Rechtsformen aus Gründen der Rechtssicherheit zwar notwendig ist, dass dadurch aber andererseits ein wesentlicher Teil der Realität des Entscheidungsprozesses ausgeblendet wird. Der mehrdimensionale Entscheidungsbegriff macht den Überhang der empirisch-faktischen Entscheidungsdimension gegenüber der rechtlich-normativen Dimension sichtbar und fassbar. Es wird deutlich, dass Staatsgewalt eine Dimension hat, die über das grundgesetzlich geregelte und rechtsverbindliche Staatshandeln hinausweist. Diese Erweiterung des verfassungsrechtlichen Problemhorizontes ist notwendig, um die grundgesetzlich nicht geregelten, rechtlich unverbindlichen Vereinbarungen verfassungsrechtlich reflektieren zu können. dd) Ausgleich zwischen Effektivität und Rechtssicherheit Trotz unüberwindbarer Spannungslagen zwischen empirisch-faktischer und rechtlich-formaler Dimension des Staatsgewaltbegriffes ist der Versuch zu unternehmen, sowohl die Verfassungseffektivität als auch die Rechtssicherheit im Bereich des informell-kooperativen Staatshandelns ausreichend zur Geltung zu bringen. Dafür sind unterschiedliche Wege vorstellbar. Zu denken ist an eine Differenzierung zwischen gesetzesvorbereitenden und gesetzesersetzenden Vereinbarungen sowie an Ansätze zur Formalisierung des informellen Staatshandelns. (1) Gesetzesvorbereitende und gesetzesersetzende Vereinbarungen Denkbar wäre es danach zu unterscheiden, ob das informelle Staatshandeln später noch in eine Rechtsform gegossen wird oder ob der Realakt bereits ohne Umsetzung Steuerungswirkungen entfalten soll. Immer dann, wenn ein formalisierter Akt vorbereitet würde, läge demnach in der Vorbereitung noch keine Staatsgewalt vor, während solche Vereinbarungen, die nicht mehr rechtsverbindlich umgesetzt werden, von Anfang an Staatsgewalt darstellen würden81. Für Vereinbarungen im Rahmen der Gesetzgebung würde dies bedeuten, dass normersetzende Vereinbarungen Staatsgewalt wären, während normvorbereitende Vereinbarungen noch keine Staatsgewalt, sondern lediglich eine Vorstufe in der Staatswillensbildung wären82. Für eine solche Differenzierung finden sich in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gewisse Anhaltspunkte, weil diese die Vorbereitung formalisierter Entscheidungen einerseits aus dem Staatsgewaltbegriff ausge81 82

Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip, S. 258. Vgl. Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 305 (319).

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nommen hat83, während es andererseits auch rechtlich nicht verbindliche Verhaltensweisen des Staates als Staatsgewalt qualifiziert hat, wenn später gerade keine förmliche Umsetzung erfolgt84. Die Differenzierung zwischen gesetzesvorbereitenden und gesetzesersetzende Vereinbarungen könnte damit begründet werden, dass bei vorbereitenden Vereinbarungen im späteren Umsetzungsakt ein ausreichender formalisierter Anknüpfungspunkt für die rechtliche Kontrolle vorliegt, während bei gesetzesersetzenden Vereinbarungen ein solcher Anknüpfungspunkt in Form eines späteren Umsetzungsgesetzes fehlt85. Deswegen, so könnte man argumentieren, müsste der rechtssichere formale Entscheidungsbegriff nur bei letzteren Vereinbarungen aus Gründen der Effektivität der Verfassung aufgegeben werden, während bei ersteren allein das Umsetzungsgesetz als formalisierter Entscheidungsakt der verfassungsrechtlichen Kontrolle unterläge86. Dies hätte zur Folge, dass nur bei gesetzesersetzenden Vereinbarungen die faktischen Wirkungen untersucht werden müssten, um den Staatsgewaltcharakter festzustellen. Faktische Bindungen im Vorfeld einer gesetzlichen Umsetzung wären hingegen verfassungsrechtlich irrelevant. Damit könnte die Beeinträchtigung der Rechtssicherheit reduziert werden, weil nur bei nicht umzusetzenden Vereinbarungen die Reichweite des Staatsgewaltbegriffes von der schwierig festzustellenden faktischen Bindung abhängig gemacht würde. Vorbereitungshandlungen für spätere Formalakte würden hingegen generell aus dem Staatsgewaltbegriff ausgeklammert. Die diesbezüglichen faktischen Bindungen müssten nicht untersucht werden, so dass es auch zu keinen Unklarheiten käme, ob ein hinreichender Verdichtungsgrad an faktischer Bindung bereits erreicht worden wäre87. Dabei wird jedoch übersehen, dass allein die verfassungsrechtliche Kontrolle des Umsetzungsaktes das eigentliche Entscheidungszentrum verfehlen würde. Dieses liegt in der faktische Bindungen erzeugenden gesetzesvorbereitenden Austauschvereinbarung. Eine auf Wirksamkeit der Verfassung ausgerichtete verfassungsrechtliche Prüfung muss den faktisch verbindlichen Kontext des Umsetzungsgesetzes einbeziehen und die gesetzesvorbereitende Vereinbarung deshalb ebenfalls der verfassungsrechtlichen Kontrolle unterwerfen. Ansonsten erfassen die verfassungsrechtlichen Anforderungen lediglich ein Umsetzungsgesetz, das trotz seines umfassenden 83

Siehe oben 2. Teil A. Siehe unten 2. Teil A. II. 85 Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 305 (319). 86 Vgl. Ekardt, Diskussionsbeitrag, 11. Atomrechtssymposium, S. 391; Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 305 (391); Faber, Gesellschaftliche Selbstregulierungssysteme, S. 248, 252, 414 f. 87 Vgl. Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 305 (319, 392). 84

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2. Teil: Die Theorie informell-kooperativer Staatsgewalt

Regelungsinhalts keinen sachlich-substanziellen Entscheidungsgehalt aufweist. Dadurch würde aber die Effektivität der Verfassung gerade in Frage gestellt88. Die Gesetzesvorbereitung prägt das spätere Gesetzgebungsverfahren. Deshalb ist es nicht ausreichend, bei gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen lediglich am Umsetzungsgesetz anzusetzen und dabei die faktischen Vorfestlegungen auszublenden. Folglich muss der faktische Entscheidungsprozess auch dann berücksichtigt werden, wenn anschließend ein Umsetzungsgesetzgebungsverfahren folgt. Eine Differenzierung des Staatsgewaltbegriffes danach, ob die Vereinbarung der Vorbereitung eines Umsetzungsaktes dient oder nur ein Gesetzesunterlassungsversprechen enthält, also eine Differenzierung zwischen gesetzesvorbereitenden und gesetzesersetzenden Vereinbarungen, ist deshalb abzulehnen. Eine Unterscheidung zwischen gesetzesvorbereitenden und gesetzesersetzenden Vereinbarungen macht im Hinblick auf den Staatsgewaltbegriff aber auch deshalb keinen Sinn, weil jede gesetzesvorbereitende Vereinbarung das Versprechen impliziert, eine andere als die vereinbarte gesetzliche Regelung zu unterlassen. Würde man gesetzesersetzende Vereinbarungen als Staatsgewalt ansehen, während gesetzesvorbereitende Vereinbarungen keine Staatsgewalt wären, so würde das dazu führen, dass ein und dieselbe Vereinbarung Staatsgewalt hinsichtlich ihres Unterlassungsversprechens und gleichzeitig keine Staatsgewalt hinsichtlich ihres Normierungsversprechens wäre. Eine Aufspaltung einer Vereinbarung in einen Teil, der Staatsgewalt ist, und in einen anderen Teil, der noch keine Staatsgewalt darstellt, ist jedoch nicht überzeugend, weil das positive Versprechen, ein bestimmtes Gesetz zu erlassen, und das implizierte Versprechen, ein schärferes Gesetz zu unterlassen, nicht voneinander getrennt werden können, sondern ein „Gesamtpaket“ bilden. Die Unterscheidung danach, ob es um später gesetzlich umzusetzendes informelles Staatshandeln oder um selbstständiges informelles Staatshandeln geht, scheidet deshalb als Möglichkeit, zu einem Ausgleich zwischen Verfassungseffektivität, Rechtssicherheit und politischer Gestaltungsfreiheit zu kommen, aus. In den Verhandlungen um den Atomausstieg konnten die Energieversorgungsunternehmen erreichen, dass die Bundesregierung darauf verzichtet, eine Regelung über die Beweislast bei Gefahrenverdacht in die Atomgesetznovelle aufzunehmen. Ohne einen solchen Verzicht wäre es nicht zur Vereinbarung vom 14. Juni 2000 gekommen89. Dies zeigt deutlich, dass die gesetzesvorbereitende Vereinbarung auch 88 Vgl. Huber, Konsensvereinbarungen, S. 329, der es als „Kapitulation“ bezeichnet, für die verfassungsrechtliche Kontrolle lediglich am Umsetzungsgesetz anzusetzen. 89 BT-Drs. 14/7840, S. 3; Schmans, in: Posser/Schmans/Müller-Dehn, AtG, § 19a Rdnr. 343 Fußnote 27; Renneberg, Das Gesetz zur Beendigung, S. 27 (30 f.).

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ein Unterlassungsversprechen enthält. Es wäre indessen nicht sinnvoll, dieses Unterlassensversprechen verfassungsrechtlich anders zu qualifizieren als diejenigen Vereinbarungsteile, die gesetzlich umgesetzt werden sollen. Der Charakter der Vereinbarung als Gesamtpaket verbietet es, die einzelnen Teile der Vereinbarung aufzuspalten90.

(2) Verfassungsrechtliche Kontrolle nach erfolgter Formalisierung Der notwendige Ausgleich zwischen den Geboten der Verfassungseffektivität und der Rechtssicherheit könnte aber dadurch hergestellt werden, dass die gesetzesvorbereitende Bundesregierung den verfassungsrechtlichen Auftrag hat, in einer Regelungsstruktur diejenigen Verhaltensweisen der Gesetzesvorbereitung einzugrenzen, bei denen sich besonders deutlich und intensiv faktische Bindungen gegenüber Privaten entwickeln. Die Tatbestandsbildung könnte sich an den obigen Konturen der faktischen Austauschbindung orientieren. Die so vertatbestandlichten typischen Formen gesetzesvorbereitender Vereinbarungen würden dadurch als definierte Handlungsformen in den formalen Staatsgewaltbegriff zurückgeführt werden. Die neu definierten Formen der kooperativen Gesetzesvorbereitung müssten einer Regelungsstruktur entsprechen, die die Anforderungen des Demokratie- und Gewaltenteilungsprinzips konkretisiert. Demnach wäre es Aufgabe der gesetzesvorbereitenden Bundesregierung, eine Regelungsstruktur zu entwickeln, die diejenigen gesetzesvorbereitenden Tätigkeiten, bei denen deutlich sichtbar faktische Bindungen gegenüber Nichtlegitimierten zu Tage treten, definiert und kanalisiert91. Hält man ein solches Formalisierungsgebot informellen Staatshandelns unter Beibehaltung eines an den Rechtsformen orientierten Staatsgewaltbegriffes für ausreichend, so wäre allerdings die empirisch-faktische Dimension der Staatsgewalt, soweit sie noch nicht durch Rechtsregeln in den formalen Staatsgewaltbegriff einbezogen ist, noch keiner verfassungsrechtlichen Kontrolle zugänglich. Dem informellen Staatshandeln käme nur insoweit Bedeutung zu, als sich aus der Divergenz zwischen formaler und faktischer Dimension der Staatsgewalt ein Gebot zur Formalisierung des informellen Staatshandelns ableiten ließe. Das Verfassungsrecht würde folglich nicht direkt auf das informelle Staatshandeln anwendbar sein. Es bedürfte vielmehr einer vermittelnden Regelungsstruktur, die die verfassungsrechtlich relevanten informellen Handlungen ausformt, eingrenzt und Anforderungen an diese konkretisiert. Eine solche auf Formalisierung be90

Zum Charakter der Vereinbarung als „Gesamtpaket“: Begründung der Gesetzesvorlage, BT-Drs. 14/7261, 14/6890, S. 16; Bundesministerium für Umwelt, Umwelt Nr. 7–8/2000, Sonderteil, S. II. 91 Vgl. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 59 Rdnr. 44.

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2. Teil: Die Theorie informell-kooperativer Staatsgewalt

schränkte Konzeption macht somit die Effektivität der Verfassung im Bereich gesetzesvorbereitender Vereinbarungen primär vom Handeln der Bundesregierung abhängig, weil der verfassungsrechtliche Zugriff auf das informelle Staatshandeln erst erfolgen kann, wenn die Bundesregierung die neuen informellen Praktiken zuvor formalisiert hat. Die Effektivität der Verfassung wird dadurch unter Formalisierungsvorbehalt gestellt. (3) Unmittelbare verfassungsrechtliche Kontrolle informellen Staatshandelns Als Alternative zur obigen Formalisierungskonzeption kommt in Betracht, das Erfordernis demokratischer Legitimation und die Beachtung der Gewaltenteilung von den in Rechtsnormen definierten Handlungsformen zu lösen und an den faktischen Entscheidungscharakter der staatlichen Aktivitäten zu binden. Demnach hätte alles Entscheidungscharakter, was zu faktischen Bindungen führt, unabhängig davon, ob diese Art von Entscheidung in Rechtsnormen formalisiert wäre. Die dadurch erreichte Effektivität der Verfassung kann mit dem Gebot der Rechtssicherheit dadurch in Einklang gebracht werden, dass die Bundesregierung daneben die verfassungsrechtliche Aufgabe hat, die informell-kooperative Gesetzesvorbereitung zu formalisieren. Durch die nachträgliche Schaffung einer die Verfassung konkretisierenden Regelungsstruktur würde die notwendige Rechtssicherheit nachträglich hergestellt92. Nach dieser Konzeption wären jedoch, solange bis die Bundesregierung die informellen Vorfelder ausreichend formalisiert hat, auch diejenigen Verhandlungen und Vereinbarungen vom Staatsgewaltbegriff und damit vom Legitimations- und Gewaltenteilungserfordernis erfasst, die noch nicht formalisiert worden sind. Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen sind nach dieser Konzeption unabhängig von einer vorherigen Formalisierung unmittelbar der verfassungsrechtlichen Kontrolle unterworfen. (4) Entscheidung zwischen den unterschiedlichen Ausgleichsvarianten Nach dem formalen Entscheidungsbegriff mit Formalisierungsgebot hinsichtlich des informellen Staatshandelns ist die Anwendung des Grundgesetzes auf informale gesetzesvorbereitende Vereinbarungen durch eine von der Bundesregierung erst noch zu schaffende Regelungsstruktur mediatisiert, während der empirische Entscheidungsbegriff mit Gebot nachträglicher Formalisierung die Möglichkeit eröffnet, das Grundgesetz auf informelles Staatshandeln auch insofern unmittelbar anzuwenden, als es diesbezüglich 92 Zur Regelungsform als Parlamentsgesetz oder Geschäftsordnungsregelung: siehe unten 4. Teil C. IV.

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noch keine ausreichenden Regelungsstrukturen gibt. Nach der erstgenannten Auffassung ist der verfassungsrechtliche Zugriff von der Bundesregierung abhängig, während die Verfassungsgerichtsbarkeit nach letzterer Ansicht unabhängig von einer Formalisierung durch die Bundesregierung das informell-kooperative Staatshandeln einer verfassungsrechtlichen Prüfung unterziehen kann. Die Entscheidung für den einen oder anderen Ansatz hängt deshalb davon ab, welche Rolle der gesetzesvorbereitenden Bundesregierung einerseits und dem Verfassungsrecht und der Verfassungsgerichtsbarkeit andererseits zukommen soll. Hierzu ist festzustellen, dass es einer funktionsgerechten Gewaltenordnung entspricht, den Schutz der Verfassung vor langfristigen Erosionen auch dann in die Hände der Rechtsprechung zu legen, wenn es sich um faktische Phänomene handelt, die durch Rechtsnormen noch nicht unmittelbar erfasst werden. Bei politischen Verfassungsorganen steht im Gegensatz zur Verfassungsgerichtsbarkeit naturgemäß der kurzfristige Wahlerfolg im Vordergrund. Es geht in der Politik um Steigerung der eigenen Macht zur schnellen Durchsetzbarkeit der eigenen Entscheidungen, um Erfolge gegenüber dem Wähler vorweisen zu können93. Dazu bedient sich die Politik gerade auch der informellen Netzwerke. Es wäre nicht ausreichend, wenn ausgerechnet diejenigen, die informelle Gestaltungsoptionen nutzen, allein die Verantwortung dafür trügen, langfristige Verfassungsentwicklungen zu beobachten und Wirkungsverlusten der Verfassung durch informelle Staatshandeln entgegenzuwirken. Die Rechtssprechung kann jedoch nur dann einen wirksamen Beitrag leisten, wenn sie die Option hat, informelles Staatshandeln im äußersten Fall als verfassungswidrig zu qualifizieren. Dies muss auch insoweit gelten, als die Bundesregierung ihrem Auftrag, informelles Staatshandeln zu formalisieren, nicht nachkommt. Es ist nicht ausreichend, wenn die Rechtsprechung lediglich gegenüber der Bundesregierung ein Gebot der Formalisierung als Regelungsauftrag aussprechen könnte, ohne dass sie die Möglichkeit hätte, das informelle Staatshandeln selbst für verfassungswidrig zu erklären. Das Formalisierungsgebot muss unter Sanktionsdruck gestellt werden. Dem Verfassungsrecht ist deshalb ein unmittelbarer Zugriff auf informelles Staatshandeln zu eröffnen, damit die Verfassungsgerichtsbarkeit ihren Schutzbeitrag wirkungsvoll leisten kann. Das Grundgesetz hat in Art. 1 Abs. 3 GG für den Bereich der Grundrechte einer mediatisierten Verfassungsgeltung ausdrücklich eine Absage erteilt, indem es explizit die unmittelbare Grundrechtsgeltung gebietet. Die darin liegende Wertung zugunsten der Verfassungseffektivität muss auch für 93

Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. VII, § 162 Rdnr. 9 ff., 68 ff.

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2. Teil: Die Theorie informell-kooperativer Staatsgewalt

das informelle Staatshandeln angewandt werden94. Deswegen ist der Staatsgewaltbegriff durch die Rechtsprechung empiriebezogen anzuwenden. Ein rechtlich geformter oder rechtsverbindlicher Entscheidungscharakter ist demnach für das Vorliegen von Staatsgewalt nicht notwendig. Der faktisch bindende Entscheidungscharakter ist ausreichend. Das Gebot der Rechtssicherheit verlangt jedoch, dass der Staat neue informelle Praktiken nach ihrer Entstehung klar strukturiert und regelt, damit das Risiko der Verfassungswidrigkeit informellen Staatshandelns berechenbar bleibt. Die durch den weitausgreifenden Staatsgewaltbegriff entstehende Rechtsunsicherheit wird dadurch eingedämmt, dass synchron mit der Öffnung des Staatsgewaltbegriffes ein Gebot der nachträglichen Formalisierung entsteht, das die Bundesregierung zu einer praktikablen Regelung und Formalisierung gesetzesvorbereitender Verhandlungen verpflichtet. ee) Mitwachsender Staatsgewaltbegriff Gegen eine Formalisierung informeller Vorfelder wird immer wieder eingewandt, dass diese nur zu neuen informellen Vorfeldern führt, die sich dann wieder dem Zugriff des formalisierten Rechts entziehen werden95. Dieser berechtigte Einwand darf jedoch nicht dazu führen, dass jegliche Formalisierung informeller Bereiche abgelehnt wird. Gegen nahezu jede Rechtsnorm, die klare tatbestandliche Konturen aufweist, kann schließlich eingewandt werden, dass es Umgehungsmöglichkeiten geben wird. Die Existenz von Umgehungsmöglichkeiten von Rechtsnormen und von Fluchtwegen aus der Verfassung kann kein Argument dafür sein, auf diese Rechtsnormen gänzlich zu verzichten. Vielmehr muss versucht werden, die Umgehungsmöglichkeiten zu begrenzen und den Anreiz für Umgehung zu reduzieren. Der Gefahr, dass die Formalisierung des informellen Staatshandelns zu neuen informellen Dunkelzonen unter Umgehung neuer Regelungsstrukturen führen kann, ist durch eine maßvolle Regelungsdichte und eine angemessene Flexibilität der Normen zu begegnen. Nach der Konzeption des empirieoffenen Staatsgewaltbegriffes mit dem Gebot nachträglicher Formalisierung streift die Verfassung das Formprinzip dann vorübergehend ab, wenn neue informelle Gefährdungen für Verfas94

Vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 1 Rdnr. 21. Vgl. Begründung des UGB-KomE, S. 507; Ziekow, Verankerung, S. 173; Schröder, NVwZ 1999, 1011 (1015 f.); Schäffer, Diskussionsbeitrag, Staatsrechtslehrertagung 1982, S. 114; Bohne, VerwArch 75 (1984), 343 (364); Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. VII, § 162 Rdnr. 72; Schulze-Fielitz, Der Leviathan, S. 95 (102); Engelbert, Konfliktmittlung, S. 30, weist in diesem Zusammenhang auf die Steuerungsschwäche des Rechts hin. 95

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sungsstrukturen entstehen. Deckt das rechtlich geregelte Staatshandeln die Realität staatlicher Steuerung nicht mehr ab, so dehnt sich der empirieoffene Staatsgewaltbegriff aus, fängt neuartige Steuerungsinstrumente wie gesetzesvorbereitende Vereinbarungen ein und unterwirft diese dem Rechtsregime des Grundgesetzes. Gleichzeitig entsteht der Auftrag an die Staatsorgane, die neuen Erscheinungsformen informeller Staatsgewalt nachträglich so zu formalisieren, dass die Realität der Staatsgewalt besser erfasst wird und Rechtssicherheit gewährleistet bleibt. Die empirisch-faktische Dimension des Staatsgewaltbegriffes wächst automatisch mit der Entwicklung neuer informeller Vorfelder mit. Die rechtlich-formale Dimension ist dem stets aufs Neue anzupassen96. Die Rechtsunsicherheit die dadurch entsteht, dass die verfassungsrechtliche Prüfung an dem unsicheren Befund der faktischen Bindung anknüpft, entfaltet ein Kreativitätspotential. Sie wirkt als Aufgabe und Anreiz für die gesetzesvorbereitenden Organe, den für die Wirklichkeit geöffneten Staatsgewaltbegriff durch eine Regelungsstruktur nachträglich so zu formalisieren, dass eine rechtssichere Beurteilung der Gesetzesvorbereitung möglich wird97. Gewisse Unsicherheiten in Bezug auf neuartige informelle Praktiken werden allerdings in Anbetracht des ständigen Flusses der Entwicklung und der fortdauernden Diskrepanz zwischen rechtlich-formaler und empirisch-faktischer Dimension des Staatsgewaltbegriffes immer wieder neu entstehen und als Herausforderung von Rechtsprechung und gesetzesvorbereitenden Organen aufgegriffen werden müssen98. Aufgabe von Rechtsprechung und gesetzesvorbereitenden Organen ist es, diese Divergenz wahrzunehmen und die Effektivität der Verfassung immer wieder aufs Neue zu sichern. Eine offene Gesellschaft benötigt eine innovative und dynamische Verfassung, um dauerhaft die staatliche Gemeinschaft zu erhalten und die Freiheit zu sichern. Dabei müssen die Wirklichkeitsöffnung und nachträgliche Formalisierung, Effektivität und Praktikabilität sowie Gesetzgeber und Rechtssprechung immer wieder in eine dialogische Beziehung treten und den Staatsgewaltbegriff aufs Neue entwickeln99. Das Steuerungssystem „Verfassung“ muss mit der empirischen Entwicklung der Steuerungsmecha96

Vgl. Di Fabio, Der Verfassungsstaat, S. 135: „Wie ein emsiger Schneider müssen die Juristen dafür ein Rechtsgewand anfertigen, aber auch den Mut haben, Rechtsgebote für die Figur des Heranwachsenden zu formulieren.“ 97 Darauf wie eine solche Regelungsstruktur konkret aussehen könnte, wird später einzugehen sein: siehe unten 4. Teil C. II. 98 Vgl. insoweit die korrelierenden verwaltungsrechtlichen Überlegungen von Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht, S. 254 f., 269 ff. 99 Vgl. Becker, DÖV 1985, 1003 (1008 f.), der von einer „rechtsdogmatischen Grundwelle“ spricht.

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2. Teil: Die Theorie informell-kooperativer Staatsgewalt

nismen mitwachsen und gesetzesvorbereitende Verhandlungen und Vereinbarungen in geordnete Bahnen lenken. 2. Amtlichkeit Neben dem Kriterium des Entscheidungscharakters ist nun auf die Amtlichkeit der staatlichen Tätigkeit als zweites Element der Staatsgewalt-Formel des Bundesverfassungsgerichts einzugehen. a) Zuordnungsfunktion des Merkmals der Amtlichkeit Das Merkmal der Amtlichkeit grenzt die Steuerung der Gesellschaft durch gesellschaftliche Kräfte von der Steuerung durch staatliche Kräfte ab. Ihm liegt die Vorstellung vom Dualismus zwischen Staat und Gesellschaft zu Grunde100. Nicht jede Ausübung von Steuerungsmacht ist legitimationsbedürftige Staatsgewalt im Sinne von Art. 20 Abs. 2 GG. Die Gesellschaft wird nicht nur vom Staat, sondern auch von den vielfältigen innergesellschaftlichen Kräften beeinflusst und gelenkt101. Während für den staatlichen Bereich vielfältige verfassungsrechtliche Anforderungen gelten, findet die gesellschaftliche Selbstregulierung in einem grundrechtlich geschützten Freiraum statt102. Der allein von nichtstaatlichen, gesellschaftlichen Kräften ausgehende Einfluss auf die Gesellschaft ist dementsprechend nicht als legitimationsbedürftige Ausübung von Staatsgewalt aufzufassen, selbst wenn der Einfluss dieser Kräfte sehr stark ist. Für das Vorliege von Staatsgewalt ist deshalb der vom Merkmal der Amtlichkeit geforderte Zuordnungszusammenhang zu den Staatsorganen notwendig103. b) Zuordnungsproblem bei der Kooperation mit Privaten Vereinbart der Staat mit privaten gesellschaftlichen Kräften eine bestimmte Vorgehensweise, so erscheint eine eindeutige Zuordnung dieser Vereinbarung in ihrer Gesamtheit zum an die Verfassung gebundenen Staat oder zur grundrechtlich geschützten Gesellschaft als schwierig. Es entsteht 100

Siehe oben 2. Teil B. II. 4. Siehe oben 1. Teil A. I. 3. b) bb) (2). 102 Zur grundrechtlichen Fundierung der gesellschaftlichen Selbststeuerung: Faber, Gesellschaftliche Selbstregulierungssysteme, S. 91 ff. m. w. N. 103 Auf einen solchen Zuordnungszusammenhang zum Staat wird letztlich auch dann abgestellt, wenn man den Staatsgewaltcharakter davon abhängig macht, dass eine Staatsaufgabe wahrgenommen wird. Zu diesem Problemkreis: Jestaedt, Demokratieprinzip S. 233 m. w. N. 101

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ein Zuordnungsproblem, das die Frage nach dem Zuordnungsobjekt und den Zuordnungskriterien aufwirft. aa) Gesamte Vereinbarung als einheitliches Zuordnungsobjekt Spaltet man die Vereinbarung gedanklich auf, so kommt man zu dem Ergebnis, dass die Erklärung seitens des Staatsorgans, ein bestimmtes Gesetz zu erlassen, zweifellos amtlichen Charakter hat, während die Mitwirkung des privaten Akteurs nicht als amtliche Tätigkeit anzusehen wäre104. Die hier untersuchten gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen sind jedoch durch eine Austauschbeziehung unter den Vereinbarungspartnern gekennzeichnet105. Damit ist die Gegenseitigkeit des Leistungsversprechens wesentlich für die faktische Bindung und für den Entscheidungscharakter. Deshalb ist es nicht ausreichend, lediglich der Erklärung des Staatsorgans Entscheidungscharakter beizumessen. Vielmehr ist auch die Gegenerklärung integraler Bestandteil des Entscheidungscharakters. Erst durch beide Erklärungen wird die faktische Austauschverbindlichkeit erzeugt und der Entscheidungscharakter der Vereinbarung konstituiert. Die Vereinbarung muss folglich bei der Frage, ob Staatsgewalt vorliegt, als einheitlicher Zuordnungsgegenstand angesehen werden106. Eine Aufspaltung der einheitlichen Vereinbarung in einen amtlichen und einen privaten Aspekt würde der Tatsache widersprechen, dass der Entscheidungscharakter in der Austauschbeziehung begründet liegt, zu der sowohl das staatliche als auch das private Einverständnis gehören107. Die Bundesregierung bezeichnet die Vereinbarung vom 14. Juni 2000 in der amtlichen Veröffentlichung und in der Gesetzesbegründung als „Gesamtvereinbarung“ bzw. als „Gesamtpaket“. Diesem Charakter einer Austauschvereinbarung würde man nicht gerecht, wenn man lediglich die Zustimmung der Bundesregierung zur Vereinbarung als Staatsgewalt werten würde.

bb) Gewaltreserve des Staates als Zuordnungskriterium Das Fundament des modernen Staates ist sein Gewaltmonopol108. Das Gewaltmonopol unterscheidet den Staat von faktisch mächtigen gesell104 Für eine solche Aufspaltung plädiert beispielsweise Faber, Gesellschaftliche Selbstregulierungssysteme, S. 248 ff., 414 m. w. N. 105 Siehe oben 1. Teil A. I. 3. b) dd) (2) (b). 106 Vgl. zur Frage, ob innerhalb eines gemischt-wirtschaftlichen Unternehmens eine Aufspaltung in einen staatlichen und einen privaten Anteil möglich sei: Wendt, Diskussionsbeitrag, Staatsrechtslehrertagung 2002, S. 352 f. 107 Vgl. Helberg, Normabwendende Selbstverpflichtungen, S. 159 ff.; A. A. Faber, Gesellschaftliche Selbstregulierungssysteme, S. 248 ff., 414. 108 Zur Bedeutung des Gewaltmonopols: siehe oben 1. Teil A. I. 3. c).

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2. Teil: Die Theorie informell-kooperativer Staatsgewalt

schaftlichen Kräften, die zwar wirtschaftliche Macht entfalten können, aber nicht zur Anwendung von Zwangsgewalt berechtigt sind. Handelt der Staat allerdings kooperativ, so verzichtet er darauf, von seinem Gewaltmonopol Gebrauch zu machen. Dennoch bleibt dieses Gewaltmonopol und die Möglichkeit des Staates, einseitig zu handeln, stets erhalten. Den Privaten durch hoheitliches Handeln zu zwingen, ist als Reservepotential des Staates immer latent vorhanden. Der private Kooperationspartner muss diesen subordinatorischen Kontext in sein Verhandlungskalkül einbeziehen109. Wenn aber das Spezifische des Staates dessen Gewaltmonopol ist, dann kann eine Vereinbarung dem Staat als Staatsgewalt zugerechnet werden, sofern die spezifisch staatliche Drohreserve entweder in den Verhandlungen konkret zu Tage getreten ist oder der Staat seine spezifischen, im Gewaltmonopol begründeten Handlungsmittel im Rahmen der Verhandlungen als Teil der Kompensationsmasse eingebracht hat. Droht die Bundesregierung bei gesetzesvorbereitenden Verhandlungen mit verschärften Regelungen für den Fall eines Dissenses oder macht sie bei den Verhandlungen den Vorschlag, in bestimmter Weise gesetzgeberisch tätig zu werden, um dadurch Anreize für ein bestimmtes Verhalten der privaten Vereinbarungspartner zu schaffen, so bringt sie ihre Position als Inhaber der Gesetzesinitiativgewalt in die Verhandlungen ein. Dabei wird der amtliche Zusammenhang dadurch hergestellt, dass die Vereinbarung an die amtliche Funktion der Bundesregierung als Gesetzesinitiativorgan gekoppelt wird. Dadurch erhalten die Verhandlungen und die spätere Vereinbarung insgesamt eine amtliche Prägung. Die Bundesregierung hat in der Vereinbarung vom 14. Juni 2000 versprochen, ein bestimmtes Atomgesetz in das Gesetzgebungsverfahren einzubringen und andere gesetzliche Änderungen zu unterlassen. Der Zusammenhang der Vereinbarung zur Gesetzesinitiativgewalt der Bundesregierung führt zum amtlichen Charakter der Vereinbarung.

cc) Äußeres Erscheinungsbild als Zuordnungskriterium Neben der staatlichen Gewaltreserve ist auch der phänomenologische Aspekt zu berücksichtigen. Die äußere Erscheinungsform von gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen kann bei der Frage, ob ein amtlicher Charakter vorliegt, Bedeutung erlangen. Es kommt darauf an, ob die Akteure auf Seiten des Staates nach ihrem äußeren Auftreten lediglich als Privatpersonen oder in ihrer Rolle als Staatsorgan handeln. Rechtlich unverbindliches Handeln weist insbesondere dann amtlichen Charakter auf, wenn die äußere 109 Zum subordinatorischen Kontext der Kooperation zwischen Staat und Privaten: siehe oben 1. Teil A. I. 3. c).

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Vorgehensweise an rechtsverbindliche Akte erinnert, die unbestritten als amtliche Akte einzustufen sind110. Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen erhalten somit auch durch ihr Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit einen amtlichen Charakter. Das wird vor allem dann deutlich, wenn sie wie völkerrechtliche Verträge öffentlich unterzeichnet und anschließend vom Parlament umgesetzt werden (vgl. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG). Die Paraphierung, die spätere Unterzeichnung und die gesetzliche Umsetzung der Vereinbarung vom 14. Juni 2000 ähneln nach der äußeren Vorgehensweise der Ratifikation eines völkerrechtlichen Vertrages. Dies unterstreicht den amtlichen Charakter dieser Vereinbarung.

dd) Einheitliche Zuordnung zum Staat trotz Beteiligung Privater Auch wenn die Vereinbarung einen einheitlichen Zuordnungsgegenstand bildet, könnte sie dem Staat deshalb nicht zurechenbar sein, weil an ihr Private mitwirken111. Würde man dies bejahen, könnte der Staat jedoch durch Beteiligung von Privaten der Einordnung seines Handelns als Staatsgewalt und damit den Anforderungen des Art. 20 Abs. 2 GG entgehen. Dem Staat kann aber nicht gestattet werden, über die Anwendbarkeit des Demokratie- und Gewaltenteilungsprinzips frei zu disponieren. Er darf sich den verfassungsrechtlichen Bindungen nicht durch Hinzuziehung Privater entäußern. Deshalb ist staatliches Handeln auch dann amtlich, wenn der Staat Private einbezieht. Zur Beurteilung, ob eine Vereinbarung mit Privaten amtlichen Charakter hat, reicht es somit aus, wenn ein Vereinbarungspartner im Zusammenhang mit seiner Amtsautorität handelt112. Dann bekommt die Vereinbarung insgesamt, also auch soweit als an ihr ein Privater mitwirkt, amtlichen Charakter. Der Begriff der Amtlichkeit darf nicht so verstanden werden, dass nur dann Staatsgewalt vorliegen würde, wenn alle Beteiligten in Ausübung 110 Das Bundesverfassungsgericht hat eine Volksbefragung, die von einem Bundesland organisiert und durchgeführt wurde, auch deshalb als Staatsgewalt angesehen, weil diese Volksbefragung nach ihrem äußeren Erscheinungsbild amtlichen Wahlen ähnelte (BVerfGE 8, 104 (106, 111, 114)). 111 Vgl. Faber, Gesellschaftliche Selbstregulierungssysteme, S. 249 f., die der Auffassung ist, dass staatlich induzierte Selbstverpflichtungen Privater nicht zwangsläufig als Gesamtheit dem Staat zugeschlagen werden müssten. Wegen des privaten Anteils sei vielmehr auch eine Zuordnung der gesamten Vereinbarung zum gesellschaftlichen Bereich denkbar, so dass dann keine Staatsgewalt vorliegen würde. 112 Dabei kommt es auf den objektiven Charakter des staatlichen Handelns an. Nicht entscheidend ist demgegenüber, ob die Amtsträger den inneren Willen haben, amtlich zu handeln.

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eines legitimierten und legitimierenden öffentlichen Amtes handeln. Ausübung von Staatsgewalt liegt vielmehr auch insoweit vor, als Private – möglicherweise rechtswidrig – an der Ausübung von Staatsgewalt beteiligt werden. Dass ein demokratisch legitimiertes Amt notwendig ist, um die effektive Legitimation zu verwirklichen, ist für die Definition dessen, was Staatsgewalt ist, ohne Bedeutung. Auch der nicht demokratisch Legitimierte kann funktional wie ein Amtsträger handeln und damit an der Ausübung von Staatsgewalt beteiligt werden. Er darf es nur unter Umständen nicht. Die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Ausübung von Staatsgewalt darf mit der Frage nach der Definition von Staatsgewalt nicht verwechselt werden113. Auch wenn sich nach dem natürlichen Sprachgefühl im Staatsgewaltbegriff normative und faktische Vorstellungswelten vermengen mögen, muss ein juristisch operationalisierbarer Staatsgewaltbegriff diese getrennt halten. Das Sein der Staatsgewalt kann durch eine Fixierung auf das normative Sollen nicht wirklichkeitsgerecht erfasst werden. Auch die wegen Beteiligung von Nichtlegitimierten rechtswidrig und illegitim ausgeübte Staatsgewalt ist Staatsgewalt und ist gerade deshalb den Anforderungen des Demokratieprinzips unterworfen114. Das Demokratieprinzip will die Wirklichkeit nicht nur abbilden, sondern normativ gestalten. Das setzt aber voraus, dass der Staatsgewaltbegriff auch eine verfassungsrechtlich problematische Wirklichkeit der Beteiligung Privater an der Staatsgewalt zunächst erfasst, um sie in einen verfassungsgemäßen Zustand umzuformen115, 116. Nach diesen Kriterien hat die Vereinbarung vom 14. Juni 2000 amtlichen Charakter, weil die Mitglieder der Bundesregierung ausweislich des Vereinbarungstextes im Namen der Bundesregierung gehandelt haben. Die Beteiligung Privater an der 113 Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht in einer mitentscheidenden Tätigkeit des Personalrates eine (teilweise unzulässige) Teilhabe des Personalrates an der Ausübung von Staatsgewalt gesehen, obwohl der Personalrat gerade außerhalb der legitimierenden Amtshierarchie tätig wird (BVerfGE 93, 37 (68 ff.); BVerfG DVBl. 2003, 923 (924, 928 f.)). Zur Stellung des Personalrates als Interessenvertretung der Beschäftigten: Reich, BPersVG, § 1 Rdnr. 1. Die Personalratsmitglieder werden nicht vom parlamentarisch verantwortlichen Minister ernannt, sondern von den Beschäftigten gewählt. 114 Zumindest missverständlich ist es deshalb, wenn Jestaedt, Demokratieprinzip, S. 255, das Vorliegen von Staatsgewalt von der Einhaltung verfassungsrechtlicher Bindungen abhängig macht. 115 Vgl. Quaritsch, Das parlamentslose Parlamentsgesetz, S. 36 f. 116 Faber, Gesellschaftliche Selbstregulierungssysteme, S. 249 f., vermengt hingegen die normativen Anforderungen an die Legitimation von Staatsgewalt mit der wirklichkeitsgerechten Erfassung des empirischen Phänomens der Staatsgewalt und gelangt deshalb zur irrtümlichen Aufspaltung von Vereinbarungen in einen legitimationsbedürftigen staatlichen und einen nicht legitimationsbedürftigen privaten Anteil.

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Vereinbarung war möglicherweise unzulässig. Dies ändert jedoch nichts daran, dass die Vereinbarung in ihrer Gesamtheit amtlichen Entscheidungscharakter hatte und damit als Staatsgewalt zu qualifizieren ist.

3. Zusammenfassung: Amtlicher Entscheidungscharakter Die Effektivität der demokratischen Legitimation und der Gewaltenteilung fordern, dass sich der Entscheidungscharakter nicht nur aus rechtlich normierten, sondern auch aus nicht normierten faktischen Bindungen ergeben kann. Dies ist bei den hier interessierenden gesetzesvorbereitenden Austauschvereinbarungen der Fall. Die Amtlichkeit dieser Vereinbarungen ergibt sich daraus, dass sie in der konkreten Absicht einer bestimmten gesetzlichen Umsetzung abgeschlossen werden und damit auf die amtliche Stellung der Bundesregierung als Gesetzesinitiativorgan Bezug nehmen. Der schillernde Begriff der faktischen Bindungen führt allerdings auf unsicheres empirisches Terrain und wirft als Folge der Wirklichkeitsöffnung Probleme der Rechtssicherheit auf. Diese Rechtsunsicherheit durch Regelungsstrukturen zu beheben, ist Aufgabe derjenigen Staatsorgane, die gesetzesvorbereitende Vereinbarungen abschließen. Solange der Staat jedoch informales Staatshandeln außerhalb jeder Regelungsstruktur praktiziert, muss er mit punktuellen Sanktionen seitens der Verfassungsgerichtsbarkeit auf der Grundlage eines um die empirisch-faktische Dimension erweiterten Staatsgewaltbegriffes rechnen. Deren Aufgabe ist es, die Verfassung vor informeller Erosion zu schützen. Dabei ist auch ein gewisses Maß an vorübergehender Rechtsunsicherheit darüber in Kauf zu nehmen, welches Maß an faktischen Vorabbindungen zur Verfassungswidrigkeit führt.

II. Weiter Staatsgewaltbegriff: Jedes staatliche Handeln Der Staatsgewaltbegriff des Bundesverfassungsgerichts ist jedoch nicht starr auf die Formel vom amtlichen Entscheidungscharakter fixiert, auch wenn „jedenfalls“ dann, wenn ein solcher vorliegt, von Staatsgewalt auszugehen ist. Die Judikatur zum Grundrechtseingriff und zur Grundrechtsbeeinträchtigung lässt Konturen eines Staatsgewaltbegriffes erkennen, der über die enge Formel des amtlichen Entscheidungscharakters und das Vorliegen von rechtlichen oder faktischen Bindungen hinausgeht. 1. Eingriffsdogmatik und Staatsgewaltbegriff Zunächst soll untersucht werden, inwieweit sich Konturen des Eingriffsbegriffes für einen weiten Staatsgewaltbegriff fruchtbar machen lassen. Die-

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ser erweiterte Begriff ist dann dem engen Staatsgewaltbegriff, der auf den amtlichen Entscheidungscharakter abstellt, gegenüberzustellen. a) Induktionsschluss vom Eingriffsbegriff auf den Staatsgewaltbegriff Die Einordnung staatlichen Handelns als Grundrechtseingriff setzt voraus, dass Staatsgewalt vorliegt. Zwar ist der Begriff der Staatsgewalt im Gegensatz zum Eingriff nicht auf ein bestimmtes Rechtssubjekt gerichtet, dennoch lässt sich sagen, dass nur dann ein Eingriff vorliegt, wenn Staatsgewalt gegeben ist. Umgekehrt ist aber nicht jeder Akt der Staatsgewalt ein Eingriff. Vielmehr ist der Eingriff eine spezielle Form der Staatsgewaltausübung gegenüber einem bestimmten Grundrechtsträger117. Wenn es aber so ist, dass jeder Eingriff die Qualität von Staatsgewalt haben muss, dann kann für die Klärung der Frage, was Staatsgewalt ist, auf die Eingriffsdogmatik zurückgegriffen werden. Damit lässt sich zwar der Staatsgewaltbegriff nicht abschließend über den spezielleren Eingriffsbegriff definieren. Dennoch kann der Eingriffsbegriff auf Konturen der Staatsgewalt hinweisen. Der Begriff des Grundrechtseingriffs ist allerdings ebenfalls umstritten118. Als gefestigter Kernbestand der Eingriffsdogmatik kann jedoch angesehen werden, dass ein Eingriff jedenfalls dann vorliegt, wenn der Staat rechtlich verbindlich (imperativ) oder zielgerichtet und unmittelbar119 den grundrechtlichen Freiheitsraum verkürzt. Neben dieser handlungsbezogenen Sichtweise wird aber auch darauf abgestellt, ob ein faktisch grundrechtsverkürzendes Verhalten des Staates nach seinen Wirkungen einem imperativen Grundrechtseingriff gleichkommt (funktionale Äquivalenz)120. Diese Konturen des spezielleren Eingriffsbegriffs sind auch zur näheren Bestimmung des weiten Staatsgewaltbegriffes heranzuziehen121. 117

Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip, S. 257. Siehe hierzu beispielsweise: Bethge, Der Grundrechtseingriff, S. 7 (37 ff.); Weber-Dürler, Der Grundrechtseingriff, S. 57 (60 ff.). 119 Zur Frage, ob Finalität und Unmittelbarkeit für die Annahme eines Eingriffes kumulativ oder lediglich alternativ vorliegen müssen: Faber, Gesellschaftliche Selbstregulierungssysteme, S. 302 f.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Vorb. Art. 1 Rdnr. 26 f.; Gusy, NJW 2000, 977 (983). 120 Zu den Kriterien zur Feststellung eines Eingriffs: BVerfGE 105, 279 (299 f., 303); 105, 252 (273); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Vorb. vor Art. 1 Rdnr. 25 ff.; Helberg, Normabwendende Selbstverpflichtungen, S. 189 ff. m. w. N.; zur funktionalen Äquivalenz: vgl. auch Lerche, Gewaltenteilung, S. 75 (86), der von eingriffsgleichen Einwirkungen informalen Zuschnitts spricht. 121 Zur Anwendung des Finalitäts- und Unmittelbarkeitskriteriums im Staatsorganisationsrecht: BVerfGE 104, 249 (275 f.) – abw. M. 118

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Für die hier interessierenden gesetzesvorbereitenden Verhandlungen könnte es danach ebenfalls auf die Kriterien der Finalität und Unmittelbarkeit ankommen. Das Finalitätskriterium stellt darauf ab, ob der Staat eine bestimmte Verhaltenssteuerung zielgerichtet anstrebt. Unmittelbarkeit erfordert einen engen Zusammenhang zwischen der Tätigkeit des Staates und dem dadurch bewirkten Verhalten des Privaten. Bei den gesetzesvorbereitenden Verhandlungen sind beide Kriterien erfüllt. Die Verhandlungen steuern zielgerichtet ein bestimmtes Verhalten der privaten Kooperationspartner an. Sie wirken auf eine Vereinbarung mit konkreten Handlungspflichten hin. Sie führen zu sich schrittweise verdichtenden faktischen Austauschbindungen, die zum Teil bereits vor der gesetzlichen Umsetzung verhaltenssteuernd wirken. Folglich liegt bei gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen auch nach den Kriterien Staatsgewalt vor, die im Rahmen der Eingriffsproblematik herangezogen werden122. b) Unterschied zum engen Staatsgewaltbegriff Nach dem Finalitäts- und Unmittelbarkeitskriterium ist der Nachweis faktischer Bindung nicht erforderlich. Es genügt, wenn die konkrete Absicht erkennbar wird, verhaltenssteuernd auf die Vereinbarungspartner einzuwirken. Der enge Staatsgewaltbegriff des amtlichen Entscheidungscharakters wird durch die Kriterien der Finalität und Unmittelbarkeit dahingehend erweitert, dass nicht erst mit Entstehung von faktischen Bindungen, sondern bereits unmittelbar vor Entstehung solcher Bindungen Staatsgewalt vorliegt. Nach diesen Kriterien stellt nicht erst die Vereinbarung vom 14. Juni 2000, sondern bereits der vorangehende entscheidungsbezogene Verhandlungsprozess Staatsgewalt dar, weil es nicht darauf ankommt, inwieweit faktische Bindungen bereits entstanden sind.

2. Grundrechtsbeeinträchtigung und Staatsgewaltbegriff Das Bundesverfassungsgericht hat sogar die nicht final und unmittelbar auf Verhaltenssteuerung angelegte Informationstätigkeit des Staates, die unterhalb der Eingriffsschwelle anzusiedeln sei, im Zusammenhang mit Warnungen vor Sekten und vor vergifteten Lebensmitteln auf ihre Vereinbarkeit 122 Vgl. BVerwGE 75, 214 (231): Dort ist im Hinblick auf vorentscheidende Vereinbarungen in der Bauleitplanung von „entscheidungsbezogenen Aktivitäten“ die Rede. In BVerwGE 45, 309 (319 f.) wird von vorweggenommenen selbstbindenden Entscheidungen gesprochen, die eine bestimmte Planung „in ganz bestimmter Richtung . . . beeinflussen . . . sollten“. In beiden Entscheidungen wird das Finalitätskriterium sichtbar.

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2. Teil: Die Theorie informell-kooperativer Staatsgewalt

mit der grundgesetzlichen Kompetenzordnung geprüft und einem Sachlichkeits- bzw. Neutralitätsgebot unterworfen123. Damit wird die Anwendung des Grundgesetzes auch auf das bloße Informations- und Kommunikationshandeln des Staates ausgedehnt124. Somit geht das Gericht im grundrechtlichen Zusammenhang noch über die Kriterien der Finalität und Unmittelbarkeit hinaus und bezieht sämtliche staatliche Tätigkeit in die Prüfung an Hand des Grundgesetzes ein. Eine Falschinformation durch den Staat kann Grundrechtsträger auch dann stark beeinträchtigen, wenn der Staat damit keine bestimmten Ziele der Verhaltenssteuerung unmittelbar ansteuert. Deswegen ist dem Bundesverfassungsgericht bei seiner unausgesprochenen Ausweitung des Staatsgewaltbegriffes, die auch die Grundrechtsverkürzung unterhalb der Eingriffsschwelle erfasst, und der damit eröffneten umfassenden verfassungsrechtlichen Kontrolle grundsätzlich zuzustimmen. Demnach ist keine dem Staat zurechenbare Tätigkeit dem Zugriff des Verfassungsrechts generell entzogen125. Es gibt keine verfassungsfreien Reservate, in der die politischen Akteure völlig frei Bündnisse schließen können. Darin ist keine übermäßige Beschneidung der politischen Gestaltungsfreiheit zu sehen. Man würde über das Ziel hinausschießen, wenn man zur Gewährleistung der politischen Gestaltungsfreiheit verfassungsfreie Räume für informelles Staathandeln eröffnen würde, in denen der Staat generell von der Beachtung grundgesetzlicher Maßstäbe dispensiert wäre. Vielmehr reicht es aus, wenn die verfassungsrechtlichen Anforderungen an das informelle Staatshandeln nicht so restriktiv gehandhabt werden, dass jede politische Bewegungsenergie im Keime erstickt würde. Die politische Gestaltungsfreiheit ist nicht durch generell verfassungsfreie Räume für informelles Staatshandeln, sondern durch eine maßvolle verfassungsrechtliche Kontrolldichte zu gewährleisten. Dem trägt die dargelegte Saturierungskonzeption Rechnung, indem sie eine Beeinträchtigung von Verfassungsprinzipien zur Erzielung verfassungskonformer Zwecke zulässt, sofern das flexible Übermaßverbot beachtet wird126. Würde man hingegen erst bei faktischer Bindung oder bei erkennbarer Steuerungsfinalität die grundgesetzlichen Maßstäbe anlegen, so würde damit letztlich wieder ein Schwellenmodell der Staatsgewalt konstruiert. Bereits oben wurde jedoch dargelegt, dass das Schwellenmodell in Bezug auf den Staatsgewaltbegriff nicht in der Lage ist, schleichende Beeinträchtigun123

BVerfGE 105, 279 ff.; 105, 252 ff. BVerfGE 105, 279 ff.; 105, 252 ff. 125 Vgl. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 59 Rdnr. 179. 126 Zur Saturierungskonzeption als Gegenteil zur Optimierungskonzeption: siehe oben 1. Teil B. I. 124

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gen der Verfassung unterhalb der Schwelle zu kanalisieren127. Deshalb entspricht es dem Gebot einer effektiven Verfassung, wenn der grundgesetzliche Prüfungsmaßstab auch unterhalb der Finalitäts- und Eingriffsschwelle angewandt und der Staatsgewaltbegriff insoweit noch weiter ausgedehnt wird. Dies bedeutet, dass der Staatsgewaltcharakter von gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen nicht erst dann beginnt, wenn konkrete Regelungen angesteuert werden oder wenn faktische Bindungen unmittelbar bevorstehen oder bereits entstanden sind. Vielmehr liegt bereits dann Staatsgewalt vor, wenn der Sachverhalt sondiert wird. Das informatorische Staatshandeln ist bereits Staatsgewalt. Daraus ergibt sich die Konsequenz, dass gesetzesvorbereitende Tätigkeiten grundsätzlich umfassend am Grundgesetz zu messen sind. Dies gilt auch dann, wenn noch keinerlei konkretes Regelungsziel erkennbar ist128. 3. Dynamische Verfassung Staatsgewalt ist der Stoff, aus dem der Staat ist. Die Verfassung gibt dem Rohling der öffentlichen Herrschaftsgewalt Kontur und Maß. Sie formt die Staatsgewalt und schafft dabei filigrane Konturen des Staatshandelns. Die Wirkungskraft der Verfassung kann jedoch erst dann richtig zur Entfaltung kommen, wenn beachtet wird, dass der Stoff, auf den das verfassungsrechtliche Normensystem mit seinen rechtlichen Anforderungen trifft, zunächst ein formloser Rohling sein muss. Man würde die Wirkungskraft der Verfassung von vornherein verkürzen, würde man die Staatstätigkeit bereits vor ihrem Zusammentreffen mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen in einen Bereich verfassungsfreier und verfassungsgebundener Zonen segmentieren. Die Staatsgewalt muss zunächst in ihrer empirisch-faktischen Dimension vollständig und umfassend erfasst werden, bevor die verfassungsrechtlichen Anforderungen diese formen können. Wer hingegen die Realität von Anfang an nur durch die rechtlich-formale Brille sieht, der verkennt die Wirklichkeit129. Wer aber die Wirklichkeit verfehlt, kann die Effektivität der Verfassung nicht gewährleisten. 127 Das Schwellenmodell wird hier für den Staatsgewaltbegriff abgelehnt (siehe oben 2. Teil A. I 1. b) aa) (2) und bb)). Im Gegensatz dazu gehen die Überlegungen zum Eingriffsbegriff von einer Intensitätsschwelle aus, weil die Freiheitsgefährdungen durch Grundrechtsbeeinträchtigungen geringerer Intensität, die die Schwelle nicht überschreiten, über die Kategorie der schlichten Grundrechtsbeeinträchtigung eingefangen werden können und somit eine Ausweitung des Eingriffsbegriffes nicht notwendig ist. Zur Kategorie der schlichten Grundrechtsbeeinträchtigung: siehe unten 2. Teil A. II. 2. 128 Vgl. Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG Bd. II, Art. 20 Abs. 2 Rdnr. 140. 129 Ähnlich: Schulze-Fielitz, Der Leviathan, S. 95 (110, 115, 119).

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2. Teil: Die Theorie informell-kooperativer Staatsgewalt

Effektive Normativität verlangt einen formlosen, an der empirischen Realität orientierten Ansatzpunkt130. Die reale Herrschaftsmacht des Staates ist über einen weiten Staatsgewaltbegriff im Staatsorganisationsrecht ebenso wie bei den Grundrechten einzufangen. Die Formregeln der Verfassung knüpfen bei einem weiten Staatsgewaltbegriff an eine formlose – informelle – Materie an und unterwerfen diese dem verfassungsrechtlichen Normsystem. Am Rohling kann der Meister seine Schaffenskraft zur vollen Entfaltung bringen. Die Verfassung kann gerade im Bereich informeller Staatsgewalt ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis stellen, wenn die informelle Staatsgewalt vom Verfassungsrecht als solche wahrgenommen wird. Die bereits beim engen Staatsgewaltbegriff entwickelte mehrdimensionale Sichtweise gilt auch für den weiten Staatsgewaltbegriff. Die rechtlichformale Dimension muss die faktisch-empirische Realität stets aufs Neue einfangen, um dadurch Rechtssicherheit herzustellen. Die von der Bundesregierung zu schaffende Regelungsstruktur ist neuen Erscheinungsformen von informeller Staatsgewalt immer wieder aufs Neue anzupassen131. Die verfassungsrechtlichen Strukturen müssen mit dem sich informell ausbreitenden Staatshandeln gleichsam mitwachsen. Der Dynamik der informellen Realität ist ein dynamisches verfassungsrechtliches Kontrollsystem gegenüberzustellen.

III. Umfassender Staatsgewaltbegriff mit abgestuften Intensitätsgraden Es stellt sich nun die Frage, wie sich der dargestellte enge Staatsgewaltbegriff, der vom amtlichen Entscheidungscharakter ausgeht, und der weite Staatsgewaltbegriff, der jede Staatstätigkeit erfasst, zueinander verhalten und welche praktische Relevanz dem Staatsgewaltbegriff bei der späteren verfassungsrechtlichen Prüfung zukommt. 1. Umfassender Vorrang der Verfassung und abgestufte Kontrolldichte Der weite Staatsgewaltbegriff umreißt den Geltungsumfang und die Reichweite des Verfassungsrechts. Informelles Staatshandeln ist zwar nicht schon deshalb unzulässig, weil es in der Verfassung nicht geregelt ist. Es gilt kein Vorbehalt der Verfassung in dem Sinne, dass jede staatliche Tätigkeit einer expliziten verfassungsrechtlichen Ermächtigung bedürfte und der 130 131

Vgl. Böckenförde, Die sogenannte Nichtigkeit, S. 116. Zur Konkretisierung einer solchen Regelungsstruktur: 4. Teil C.

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Staat auf die grundgesetzlich geregelten Handlungsformen beschränkt wäre132. Aus dem weiten Staatsgewaltbegriff ergibt sich aber, dass von einem umfassenden Geltungsanspruch der Verfassung für jedwede Staatstätigkeit auszugehen ist. Da nach dem weiten Staatsgewaltbegriff jede Tätigkeit des Staates Staatsgewalt ist und damit der verfassungsrechtlichen Kontrolle unterliegt, kommt dem Staatsgewaltbegriff nicht mehr die Funktion zu, einen verfassungsfreien Bereich der politischen Vorbereitung der Staatswillensbildung von einem verfassungsrechtlich gebundenen Bereich der Ausübung von Staatsgewalt abzugrenzen. Eine zu starke Verrechtlichung des politischen Lebens wird aber dadurch vermieden werden, dass den politischen Organen ein nach der Intensität des Staatsgewaltcharakters abgestufter Gestaltungsspielraum belassen wird. Dieser Gestaltungsspielraum markiert indessen keine starr umrissene Zone generell verfassungsfreien Staatshandelns. Vielmehr ist er als flexibles Abwägungskriterium in die spätere verfassungsrechtliche Prüfung einzustellen. 2. Kontrolldichte und Intensität des Charakters als Staatsgewalt Mit dem weiten Staatsgewaltbegriff werden die beim engen Staatsgewaltbegriff und beim Eingriffsbegriff aufgezeigten Konturen nicht funktionslos. Die Konturen und Intensitätsgrade der faktischen Bindung sowie die Finalität und Unmittelbarkeit dienen beim weiten Staatsgewaltbegriff einer Skalierung unterschiedlicher Intensitätsgrade des Staatsgewaltcharakters. Je deutlicher und konkreter eine Steuerungsfinalität sichtbar und umso unmittelbarer eine Verhaltenslenkung erkennbar wird, desto intensiver ist der Staatsgewaltcharakter ausgeprägt. Je intensiver sich faktische Bindungen entwickeln, um so deutlicher tritt der Staatsgewaltcharakter einer gesetzesvorbereitenden Vereinbarung hervor. Ein wichtiges Kriterium stellt auch die funktionale Äquivalenz des informell-kooperativen Staatshandelns mit dem formell-imperativen Staatshandeln dar. Erreicht die faktische Bindung und Steuerungswirkung einer gesetzesvorbereitenden Vereinbarung einen Verfestigungsgrad, der einer rechtlichen Bindung gleichkommt, ist der Charakter als Staatsgewalt besonders deutlich ausgeprägt. Die unterschiedlichen Intensitätsgrade des Staatsgewaltcharakters im jeweiligen Regelungsbereich wirken sich auf die gesetzgeberische Abwägung aus. Deutliche Konturen des jeweiligen informellen Staatshandelns als Staatsgewalt verstärken das Gewicht der an den Staatsgewaltbegriff anknüp132 BVerfGE 100, 249 (258); Hermes, Verwaltungskompetenzen, S. 347 (357); ders., A.-Sten. Prot. 14/69 (Umweltausschuss), S. 35; ders., Länderkompetenz und Bundesaufsicht, S. 61 (63); v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, S. 217 ff.

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2. Teil: Die Theorie informell-kooperativer Staatsgewalt

fenden Verfassungsprinzipien in der Abwägung. Die genannten Konturen des Staatsgewaltbegriffes markieren dabei unterschiedliche Intensitätsgrade der verfassungsrechtlichen Prüfungsdichte133. Je intensiver der Staatsgewaltcharakter der Gesetzesvorbereitung ausgeprägt ist, desto weniger Gestaltungsspielraum kann der Bundesregierung bei der Befolgung der verfassungsrechtlichen Vorgaben eingeräumt werden. Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen sind nicht generell vom verfassungsrechtlichen Maßstab dispensiert. Der Prüfungsmaßstab des Grundgesetzes ist jedoch flexibel zu handhaben. Je intensiver sich die gesetzesvorbereitende Staatsgewalt in die Richtung faktisch bindender Entscheidungen verdichtet, desto mehr nimmt die verfassungsrechtliche Kontrolldichte zu134, 135. Hier zeigt sich, dass die Einstufung von gesetzesvorbereitenden Verhandlungen als bloßes Arguing oder auch als Bargaining praktische Bedeutung hat. Beim Arguing ist der Staatsgewaltcharakter nicht so stark ausgeprägt, es liegt lediglich informatorische Staatsgewalt vor, so dass die verfassungsrechtliche Kontrolldichte nicht so stark ausfallen muss. Dem Bargaining ist hingegen ein präjudizierender faktischer Entscheidungscharakter wesensimmanent. Je stärker der Bargaining-Charakter der Verhandlungen war, umso mehr faktische Bindungen müssen zum Tragen kommen und desto deutlicher ist der Charakter der Vereinbarung als Staatsgewalt ausgeprägt. Die verfassungsrechtliche Kontrolle muss dann umso restriktiver ausfallen und den durch die Vereinbarung beeinträchtigten Rechtsprinzipien kommt dann umso stärkeres Gewicht zu. Die gesetzesvorbereitenden Verhandlungen zum Atomausstieg hatten in starkem Maße Bargaining-Charakter und führten zu besonders intensiven faktischen Bindungen. Wegen des damit verbundenen deutlichen Charakters der Vereinbarung vom 14. Juni 2000 als Staatsgewalt darf diese nicht als Informationstätigkeit der Bundesregierung bagatellisiert136 und deshalb einer gelockerten verfassungsrechtlichen Kontrolle unterstellt werden. Vielmehr verschärft der deutliche Charakter als Staatsgewalt die Kontrolldichte.

Die Effektivität der Verfassung kann durch eine Symbiose aus weitem und engem Staatsgewaltbegriff am besten hergestellt werden. Nur ein weiter und flexibler Staatsgewaltbegriff kann immer neu entstehende Erschei133

Vgl. BVerfGE 62, 256 (274); 92, 53 (69); BVerfG NJW 2003, 737: Dort geht das Bundesverfassungsgericht von einer abgestuften Prüfungsintensität des Gleichheitssatzes nach dem Grad der Beeinträchtigung von Freiheitsgrundrechten aus. 134 Vgl. bezogen auf das Verwaltungsrecht: Eberle, Die Verwaltung 17 (1984), 439 (450). 135 Zur großzügigeren Handhabung grundgesetzlicher Anforderungen bei geringer Finalität, schwacher faktischer Bindung und fehlender funktionaler Äquivalenz: vgl. BVerfGE 105, 279 (299 ff.); 105, 252 (273); 104, 249 (266 f.). 136 Siehe oben 1. Teil A. I. 3. b) dd) (1) (b).

B. Kooperation und Dualismus

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nungsformen des Staatshandelns einfangen und somit der Staatstätigkeit in den sich immer wieder wandelnden Erscheinungsformen auf Dauer Maß und „Verfassung“ geben. Bei der Anwendung des weiten Staatsgewaltbegriffes erweisen sich jedoch die Konturen des engen Staatsgewaltbegriffes und des Grundrechtseingriffs als nützlich, um das Gewicht der beeinträchtigten Verfassungsprinzipien und die Intensität der verfassungsrechtlichen Kontrolldichte festzustellen.

B. Kooperation und Dualismus Der informell-kooperativ agierende Staat erkennt, welche Vorteile eine Zusammenarbeit mit den Privaten mit sich bringen kann. Er versucht deshalb den Dualismus zwischen Staat und Gesellschaft zu überwinden. Die Zusammenarbeit des Staates mit Privaten kann das Sachwissen der Betroffenen in den Regelungsprozess einbeziehen und nutzen sowie die Akzeptanz staatlicher Regelungen steigern. Damit soll die Effektivität der staatlichen Steuerung verbessert und die Rechtssicherheit für die Beteiligten gefördert werden137. Diese Vorzüge und Gründe des kooperativen Staatshandelns können im Begriff des Kooperationsprinzips gebündelt werden138. Das Kooperationsprinzip ist hier von Interesse, weil es gesetzesvorbereitende Absprachen rechtfertigen oder sogar einfordern könnte. Ungeachtet der zunehmenden Vermengung des staatlichen und gesellschaftlichen Bereiches dient jedoch die Trennung zwischen Staat und Gesellschaft der Freiheitssicherung durch Grundrechte, der Machtbegrenzung durch Gewaltenteilung und Kompetenzordnung sowie einem institutionalisierten demokratischen Diskurs, der die Lernfähigkeit des Systems sichert. Deshalb können sich Grenzen der Kooperation aus einem normativ zu verstehenden Dualismus zwischen Staat und Gesellschaft ergeben.

I. Facetten des Kooperationsgedankens Geht man von einem weiten Kooperationsbegriff aus, der sämtliche Erscheinungsformen des Zusammenwirkens von öffentlicher Hand und Privaten erfasst, so scheint das Verwaltungsrecht in starkem Ausmaß vom Kooperationsprinzip durchdrungen zu sein139. Ein Zusammenwirken von öf137 Zu den Vorteilen kooperativen Staatshandelns: siehe oben 1. Teil A. I. 3. b) bb) (3); siehe ferner: Begründung des UGB-KomE, S. 457; Rengeling, Das Kooperationsprinzip, S. 71; Huber, Konsensvereinbarungen, S. 329 (333). 138 Zur historischen Genese des Kooperationsprinzips: Rengeling, Das Kooperationsprinzip, S. 3 ff. 139 Zum weiten Kooperationsbegriff: Begründung des UGB-KomE, S. 458.

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2. Teil: Die Theorie informell-kooperativer Staatsgewalt

fentlicher Hand und betroffenen Privaten wird an zahlreichen Stellen des Verwaltungsrechts erkennbar. Beispielhaft seien genannt: der antragsbedürftige Verwaltungsakt, die unterschiedlichen Formen von Öffentlichkeitsbeteiligung, Anhörung und Erörterung140, die Beschränkung von Gesetzen auf Zielvorgaben mit Optionenwahl hinsichtlich der Mittel zur Zielerfüllung141, gesetzlich normierte Abwendungsbefugnisse des Privaten142, ausdrücklich normierte Beratungspflichten der Behörde143 sowie der öffentlich-rechtliche Vertrag144 und die verschiedenen Regelungen über Betriebsbeauftragte145. Das Ermessen der Behörden bei Erlass belastender Verwaltungsakte kann ebenfalls als Anknüpfungspunkt für kooperative Handlungsweisen angesehen werden, weil sich im Ermessen Handlungsspielräume eröffnen, die Voraussetzung für Vereinbarungen mit Privaten sein können. Im Zusammenhang mit diesem, auf ein Zusammenwirken von öffentlicher Hand und betroffenen Privaten ausgerichteten Verwaltungshandeln wird das Kooperationsprinzip als Leitbild eines die Eigenverantwortung des Bürgers aktivierenden Staates apostrophiert146. Mit diesem Prinzip verbinden sich die unterschiedlichsten Vorstellungen. Der Bedeutungsgehalt dieses Begriffes reicht von der bloßen Beschreibung empirischer Sachverhalte im Sinne der Verwaltungswissenschaft147, über eine politische Forderung nach mehr Kooperation148 bis hin zum Rechtsprinzip des Verwaltungs-149 sowie des Verfassungsrechts150. 140 Vgl. z. B. § 10 Abs. 6 BImSchG; §§ 14 ff. 9. BImSchV; §§ 8 ff. AtVfV; § 73 Abs. 6 VwVfG; zum Erlass von Rechtsverordnungen: § 60 KrW-/AbfG; § 51 BImSchG. 141 Siehe z. B. § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG; § 5 Abs. 2 Satz 2 KrW-/AbfG. 142 Siehe z. B. Art. 5 Abs. 2 Satz 2 BayPAG; § 6 Abs. 3 VerpackV. 143 Siehe z. B. § 25 VwVfG; § 71c VwVfG; §§ 2 Abs. 2, 2a 9. BImSchV; § 5 UVPG. 144 §§ 54 ff. VwVfG. Zur Stärkung des Kooperationsprinzips durch die geplante Fortentwicklung der Vorschriften zum öffentlich-rechtlichen Vertrag siehe: Bundesministerium des Innern, Beirat Verwaltungsverfahrensrecht, NVwZ 2002, 834 f.; Reicherzer, ZRP 2004, 112 ff. 145 Siehe z. B. §§ 53 ff. BImSchG; §§ 54 f. KrW-/AbfG; §§ 21a–g WHG; §§ 31 ff. StrSchV. 146 Siehe hierzu: auf nationaler Ebene: Programm der Bundesregierung „Moderner Staat – Moderne Verwaltung“ vom 1. Dezember 1999, abrufbar unter: www. staat-modern.de; zur Bedeutung des Kooperationsprinzips auf europarechtlicher Ebene: Rengeling, Europarechtliche Grundlagen, S. 54 ff.; Faber, Gesellschaftliche Selbstregulierungssysteme, S. 186 ff. m. w. N. 147 Wieland, ZUR 2001, 20 (20). 148 Vgl. Rengeling, Das Kooperationsprinzip, S. 5, 107; Faber, Gesellschaftliche Selbstregulierungssysteme, S. 183, 410. 149 BVerfGE 98, 83 ff.; 98, 106 ff. 150 Di Fabio, NVwZ 1999, 1153 (1157).

B. Kooperation und Dualismus

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Betrachtet man das Kooperationsprinzip als Rechtsprinzip des unterverfassungsrechtlichen Gesetzesrechts, so ist bisher nicht geklärt, welche konkrete Funktion ein solches Prinzip haben soll151. Die Funktion des Kooperationsprinzips könnte so aussehen, dass dieses Prinzip dann, wenn die Behörde die Wahl zwischen einseitig hoheitlichen und kooperativen Handlungsformen hat, einen Vorrang kooperativer Handlungsweisen vorgibt (vgl. § 6 UGB-ProfE)152. Das Kooperationsprinzip kann aber auch nur als Prüfauftrag oder Darlegungslast fungieren. Es muss kein strikter Vorrang kooperativer Handlungsformen festgelegt werden. Einen solchen Prüfauftrag enthalten die §§ 8 BNatSchG153, 7 UGB-KomE154, 155. Bei einem bloßen Prüfauftrag wird die Behörde ohne strikten Vorrang kooperativer Handlungsformen dazu verpflichtet, kooperative Handlungsalternativen ausreichend in ihre Erwägungen einzubeziehen und zu untersuchen, ob an Stelle einer einseitigen Regelung auch eine einvernehmliche Vereinbarung mit den Betroffenen möglich ist.155a Besondere Bedeutung hat das Kooperationsprinzip dadurch erlangt, dass das Bundesverfassungsgericht in seinen Entscheidungen zur kommunalen Verpackungssteuer und zu verschiedenen Landesabfallabgabengesetzen den §§ 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG, 2 Abs. 2 9. BImSchV, 5 Abs. 2 Satz 2 KrW-/ AbfG sowie dem § 14 Abs. 2 AbfG a. F. ein Kooperationsprinzip entnommen hat156. Das Bundesverfassungsgericht benutzt den Begriff des Kooperationsprinzips, um Widersprüche unterschiedlicher einfachgesetzlicher Regelungskonzepte sichtbar zu machen. Es sieht in der zielgebundenen Kooperation und der lediglich zielorientierten steuerlichen Lenkung sich widersprechende Regelungskonzepte157. Solche Widersprüche müssten im Lichte des Rechtsstaatsprinzip aufgelöst werden. Dabei habe das auf Sachkompetenzen beruhende Regelungskonzept Vorrang vor dem auf Finanzkompetenzen beruhenden Lenkungskonzept158. Es kann an dieser Stelle dahingestellt bleiben, inwieweit dem zugestimmt werden kann. Den genann151

Zum aktuellen Stand der Diskussion siehe die Nachweise bei: Voßkuhle, Beteiligung Privater, S. 260 (283). 152 Vgl. Faber, Gesellschaftliche Selbstregulierungssysteme, S. 185. 153 Zum Vertragsnaturschutz: BVerwGE 104, 353 (360 ff.). In dieser Entscheidung klingt ein übergreifendes Kooperationsprinzip zumindest an, ohne dass es jedoch explizit ausgesprochen wird. 154 § 7 UGB-KomE soll vorrangig politischen Charakter haben: Begründung des UGB-KomE, S. 460. 155 Vgl. auch den Formulierungsvorschlag für ein Kooperationsprinzip bei Schuppert, Grundzüge, S. 120 f. 155a Reicherzer, ZRP 2004, 112 ff. 156 BVerfGE 98, 83 (98 ff.); BVerfGE 98, 106 (126 ff.). 157 BVerfGE 98, 106 (121 f.); BVerfGE 98, 83 (104 f.). 158 BVerfGE 98, 106 (118 ff.); BVerfGE 98, 83 (97 f.).

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2. Teil: Die Theorie informell-kooperativer Staatsgewalt

ten Entscheidungen lässt sich jedenfalls nicht entnehmen, dass es ein in der Gesetzesvorbereitung wirkendes verfassungsrechtliches Kooperationsprinzip gäbe. Das Bundesverfassungsgericht stellt zur Herleitung des Kooperationsprinzips lediglich auf die genannten Normen des einfachen Gesetzesrechts ab, zieht dabei aber keine Schlussfolgerungen für die Existenz eines verfassungsrechtlichen Kooperationsprinzips. Demgegenüber spricht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über das Lippeverbandsgesetz und das Emschergenossenschaftsgesetz von einem „Prinzip der Betroffenenbeteiligung“. Dieses die funktionale Selbstverwaltung prägende Prinzip soll im demokratischen Prinzip des Art. 20 Abs. 2 GG wurzeln159. Darin kann ein gewisser Ansatzpunkt für ein verfassungsrechtliches Kooperationsprinzip gesehen werden. Verallgemeinert man den in dieser Entscheidung zum Ausdruck kommenden Gedanken der Betroffenenbeteiligung an der Ausübung von Staatsgewalt über den Bereich der funktionalen Selbstverwaltung hinaus, so gelangt man zum Kooperationsprinzip. Denn auch dieses zielt auf ein Zusammenwirken von Staat und Betroffenen bei der Ausübung von Staatsgewalt. Dabei muss allerdings gesehen werden, dass das Bundesverfassungsgericht in der genannten Entscheidung besonderen Wert auf institutionelle Vorkehrungen legt, die eine unsachliche Bevorzugung einzelner Betroffener vermeiden sollen160. In Bezug auf die Gesetzesvorbereitung räumen die §§ 58 BRRG und 94 BBG den Spitzenorganisationen der Beamtengewerkschaften ein Beteiligungsrecht ein. Dieses Beteiligungsrecht kann im Sinne einer einfachgesetzlichen Pflicht zur kooperativen Gesetzgebung verstanden werden. Ein Verstoß gegen diese Vorschriften des Beamtenrechts soll jedoch nach Auffassung von Rechtsprechung und Literatur nicht zur Nichtigkeit des Gesetzes führen können161. Dem ist zuzustimmen, soweit sich eine Verpflichtung des Gesetzgebers zur Kooperation nicht verfassungsrechtlich begründen lässt162. Eine zur Nichtigkeit führende Bindung des Gesetzgebers an das einfache Gesetzesrecht ist ohne verfassungsrechtliche Vermittlung der Bindung nicht möglich163. Deshalb wird der verfassungsrechtlichen Verwurzelung einer Kooperationspflicht des Staates näher nachzugehen sein164. 159

BVerfG DVBl. 2003, 923 (926, 928). BVerfG DVBl. 2003, 923 (926 ff.). 161 BVerwG DÖV 1980, 566 ff.; OVG Koblenz DVBl. 1970, 690 ff.; Plog/Wiedow/Beck/Lemhöfer, BBG Bd. 2, § 94 Rdnr. 12a m. w. N. 162 Vgl. BVerfGE 56, 298 (323); BVerfGE 10, 221 (226 f.); Schneider, Gesetzgebung, Rdnr. 10. 163 Ausführlich zur Problematik der Selbstbindung des Gesetzgebers: siehe unten 5. Teil E. 164 Siehe unten 2. Teil B. II. 160

B. Kooperation und Dualismus

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Abgesehen vom Beamtenrecht ist die Kooperation im Vorfeld der Gesetzgebung im Geschäftsordnungsrecht geregelt. Nach § 43 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 4 GGO i. V. m. Anlage 7 GGO muss bei der Gesetzesvorbereitung überlegt werden, inwieweit eine Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch gesellschaftliche Selbstregulierung und Kooperation mit Privaten möglich ist165. Wird ein solches Vorgehen für nicht statthaft gehalten, muss die Begründung der Gesetzesvorlage die Gründe dafür darlegen. Damit wird für die Gesetzesvorbereitung eine Darlegungslast hinsichtlich einer kooperativen Erfüllung öffentlicher Aufgaben statuiert166. Diese Darlegungslast der Geschäftsordnung kann jedoch bei Verstoß ebenfalls nicht zur Verfassungswidrigkeit von Gesetzes führen, weil das Geschäftsordnungsrecht keine Außenwirkungen entfaltet. Außenwirkung käme in der Gesetzesvorbereitung lediglich einem verfassungsrechtlichen Kooperationsprinzip zu167.

II. Kooperation als Verfassungsprinzip Im Verwaltungsrecht dient Kooperation mit den Betroffenen dazu, deren Sachwissen zu nutzen und die Akzeptanz gegenüber dem Handeln des Staates zu fördern. Diese Vorteile kooperativen Staatshandelns werden auch für die Gesetzesvorbereitung genutzt, indem gesetzesvorbereitende Vereinbarungen mit Betroffenen abgeschlossen werden. In Bezug auf die Gesetzesvorbereitung ist zu fragen, inwieweit der Gedanke der Kooperation auf die Verfassung zurückgeführt werden kann und ein Verfassungsprinzip darstellt168 (II. 1.). Lässt sich eine verfassungsrechtliche Verankerung ausmachen, so führt dies zur weitergehenden Frage, welche Konsequenzen aus einem verfassungsrechtlichen Kooperationsprinzip für gesetzesvorbereitende Vereinbarungen abzuleiten wären (II. 2.). 1. Verfassungsrechtliche Verwurzelung des Kooperationsprinzips Kooperation des Staates mit Privaten dient einerseits dazu, die staatliche Handlungsfähigkeit zu steigern, wird aber auch andererseits im Vergleich zu einseitigem staatlichen Handeln als besondere Schonung des Freiheitsbereichs des Einzelnen begriffen. Dementsprechend stellen sowohl die Funk165 Hierzu: Schneider, Gesetzgebung, Rdnr. 105; zu den historischen Vorläufern der genannten Vorschriften der GGO: Rengeling, Das Kooperationsprinzip, S. 179 ff. 166 Vgl. Zypries/Peters, ZG 2000, 316 (325). 167 Zur Problematik des Art. 34 EV und dessen normhierarchischer Qualifizierung: siehe unten 2. Teil B. II. 2 a). 168 Zur Notwendigkeit einer Öffnung der verfassungsrechtlichen Dogmatik für das kooperative Staatshandeln: vgl. Schulze-Fielitz, Der Leviathan, S. 95 (102).

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2. Teil: Die Theorie informell-kooperativer Staatsgewalt

tionsfähigkeit der Staatsgewalt als auch das grundrechtsschützende Übermaßverbot Ansatzpunkte einer verfassungsrechtlichen Verankerung des Kooperationsprinzips dar. a) Funktionsfähigkeit der Staatsgewalt Das Kooperationsprinzip kann nur dann in der Funktionsfähigkeit der Staatsgewalt verfassungsrechtlich verankert sein, wenn diese selbst einen verfassungsimmanenten Wert darstellt. Der Funktionsfähigkeit der Staatsgewalt als Verfassungswert ist daher näher nachzugehen. Dient Kooperation der Herstellung und Erhaltung einer vom Grundgesetz aufgegebenen Funktionsfähigkeit der Staatsgewalt, so ließe sich dem Kooperationsprinzip eine verfassungsrechtliche Qualität zuschreiben. aa) Funktionsfähigkeit der Staatsgewalt als Verfassungswert Nach dem Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG muss das Volk einen effektiven Einfluss auf die Bildung und Ausübung der Staatsgewalt nehmen können169. Dieser effektive Einfluss des Volkes auf die Staatsgewalt macht aber nur dann Sinn, wenn die Staatsgewalt selbst eine effektive Steuerungswirkung in der Gesellschaft entfalten kann. Demokratie meint Herrschaft des Volkes. Dies setzt eine funktionsfähige Steuerungsmacht des vom Volk konstituierten Staates voraus170. Die Herrschaftsmacht des Staates als Voraussetzung des Demokratieprinzips hat ebenso wie das Demokratieprinzip selbst normativen Charakter. Denn ohne funktionierende Staatsgewalt ist Demokratie nicht möglich171. Dasselbe gilt für den Grundrechtsschutz durch den Staat. Ohne wirkungsvolle Staatsgewalt ist ein Schutz der grundrechtlichen Freiheit vor Übergriffen durch Dritte nicht denkbar. Die Grundrechte schützen nicht nur vor der Staatsgewalt. Vielmehr benötigen sie auch eine schützende und funktionsfähige Staatsgewalt172. Demnach kann die Steuerungs- und Funktionsfähigkeit des Staates als Verfassungswert angesehen werden173. Das grundgesetzliche Gebot der Funktionsfähigkeit der Staatsgewalt ergibt sich auch aus Art. 20 Abs. 1 GG. Nach Art. 20 Abs. 1 GG ist die 169

BVerfGE 93, 37 (66); 83, 60 (72). Vgl. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, S. 61 ff.; Rudzio, Transparenz und Effizienz, S. 41; vgl. auch: BVerfG DVBl. 2003, 923 (928). 171 Zur engen Verbindung zwischen Staatlichkeit und Demokratie: vgl. Volkmann, AöR 2002, 575 (593). 172 Vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. V, § 110 Rdnr. 65 ff., § 115 Rdnr. 110. 173 Vgl. BVerfG DVBl. 2003, 923 (926, 928). 170

B. Kooperation und Dualismus

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Bundesrepublik Deutschland Bundesstaat. Der verfassungsrechtliche Staatsbegriff des Art. 20 Abs. 1 GG geht davon aus, dass eine faktisch wirkungsvolle staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist. Die Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland wird von der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG erfasst und in den Art. 21 Abs. 2, Art. 91 Abs. 1 GG als Schutzgut der wehrhaften Demokratie definiert174. Daraus ergibt sich, dass auch die Staatlichkeit nicht nur eine deskriptive, sondern eine normative Kategorie des Grundgesetzes ist. Dem grundgesetzlichen Staatsbegriff lässt sich demnach ein subkutanes Gebot der Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland entnehmen175. Der Staat ist als Aufgabe aufzufassen176. Zu diesem normativ zu verstehenden grundgesetzlichen Staatsbegriff gehört aber auch die Durchsetzungsfähigkeit der Staatsgewalt177. Der Staatsbegriff setzt Durchsetzungsfähigkeit und Funktionsfähigkeit der Staatsgewalt voraus und fordert diese normativ ein178, 179. bb) Erhaltung der Funktionsfähigkeit trotz privater Vetomächte In der Realität stößt die Steuerungsmacht des Staates indessen auf den soziologisch-empirischen Befund einer faktischen Machtaufteilung zwischen Staat, Parteien, Wirtschaftsunternehmen und Verbänden. Den sog. Pressure-Groups kommt in vielen Bereichen große reale Steuerungsmacht zu. Sie können den wirksamen Vollzug von Gesetzen torpedieren, aber auch durch Streik oder durch bestimmte Investitionsentscheidungen auf die Staatswillensbildung Einfluss nehmen180. Gerichtliche Verfahren können vom Staat angestrebte Umsteuerungsprozesse auf Jahre verzögern, die Rechtssicherheit gefährden und damit die Handlungsfähigkeit des Staates in Frage stellen181. 174

Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. I, 2. Aufl., § 13 Rdnr. 173. Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. I, 2. Aufl., § 13 Rdnr. 11; Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. I, 2. Aufl., § 19 Rn. 71.; ders., Die Einheit des Staates, S. 51 (62). 176 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdnr. 6: „Es (das Einswerden der Vielheit im Staat) ist eine Aufgabe, die solange keinem Belieben unterliegt, als menschliches Zusammenleben nur im Staat und durch den Staat möglich ist.“ 177 Vgl. zum Zusammenhang zwischen Staatsbegriff und Durchsetzungsfähigkeit der Staatsgewalt: BVerfG NVwZ 2000, 1165 (1166). 178 Vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. I, 2. Aufl., § 13 Rdnr. 173. 179 Zur Funktionsfähigkeit der Staatsgewalt als Argumentationstopos: vgl. BVerfGE 6, 84 (92 ff.); 9, 268 (281); 14, 121 (135); 44, 308 (316); 102, 224 (242 ff.). 180 Zur sektoralen politischen Entscheidungsgewalt Privater: siehe oben 1. Teil A. I. 3. b) bb) (2). 181 Vgl. Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 305 (315). 175

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2. Teil: Die Theorie informell-kooperativer Staatsgewalt

Dabei ist dieser Zustand realer Machtakkumulation in der Gesellschaft grundsätzlich von den Freiheitsgrundrechten gedeckt und kann nicht als Usurpation von Staatsgewalt aufgefasst werden182. Fehlt es dem Staat aber wegen dieser sektoralen politischen Entscheidungsmacht Privater und den damit verbundenen Vetopotentialen an der verfassungsrechtlich gebotenen Durchsetzungsmacht, so gebietet der Verfassungswert der funktionsfähigen Staatsgewalt, dass der Staat seine Handlungsfähigkeit erhält und erneuert. Angesichts des realen Machtpotentials der Pressure-Groups ist der Staat darauf angewiesen, diese Inhaber von gesellschaftlicher Steuerungsmacht auf seine Seite zu ziehen. Gegen die Akteure gesellschaftlicher Macht, deren Machtpotentiale grundrechtlich geschützt sind, lässt sich Staatsgewalt auf Dauer nicht wirkungsvoll ausüben: „Der Staat hat nur dann eine Chance, autonome Akteure zu beeinflussen, wenn er sich seinerseits ihrem Einfluss öffnet“183. Das ist der Kerngedanke kooperativer Steuerungsstrategien. Mit der Einbeziehung der Privaten kann der Staat zu erwartende Vollzugsschwierigkeiten und langwierige Prozesse von vornherein vermeiden184. Durch Kooperation kann sich der Staat auch das Spezialwissen der betroffenen Verbände oder deren Einflussmöglichkeiten auf ihre Mitglieder zu Nutze machen und somit die eigenen Steuerungsfähigkeiten verbessern185. Die Zusammenarbeit mit Privaten aktiviert gesellschaftliche Steuerungsressourcen zugunsten staatlicher Steuerungsziele und senkt damit die „Transaktionskosten“ staatlicher Steuerung186. Kooperation kann die staatliche Handlungsfähigkeit insbesondere auch insoweit verbessern, als es um die Wahrnehmung von Schutzpflichten des Staates geht187 Die grundrechtlichen Schutzpflichten gegenüber den Gefahren der Kernenergienutzung können durch kooperatives Staatshandeln besser wahrgenommen werden. Die Kooperation zwischen Aufsichtsbehörden und Betreibern von Kernkraftwerken hat für ein effizientes und effektives Sicherheitsmanagement und den Aufbau einer Sicherheitskultur ernorme Bedeutung188. Sicherheit liegt nicht nur im Interesse des 182 183

Papier, Parlamentarische Demokratie, S. 33 (39 f.). Grimm, Der Staat, S. 27 (50); vgl. auch: Schulze-Fielitz, Der Leviathan, S. 95

(110). 184

Vgl. Murswiek, ZUR 2001, 7 (11). Zu den Einflussmöglichkeiten von Verbänden auf ihre Mitglieder: Veith, Informal-kooperatives Verwaltungshandeln, S. 87. 186 Depenheuer, Der Gedanke der Kooperation, S. 17 (24); Huber, Konsensvereinbarung, S. 329 (333). 187 Zur Verbesserung der Wirksamkeit staatlichen Handelns durch Kooperation: vgl. BVerfGE 98, 83 (102); BVerfG DVBl. 2003, 923 (926). Andererseits darf aber auch nicht vergessen werden, dass eine übermäßige Kooperation mit Verbänden wegen deren Besitzstandsdenken zur Reformblockade führen kann (vgl. Papier, VM 2003, 116 (121)). Es kommt auf die richtige Dosierung an. Die Frage nach der richtigen Dosis an Kooperation wird im Laufe der Arbeit immer wieder zu stellen sein. 185

B. Kooperation und Dualismus

155

Staates und der Allgemeinheit. Sie bedeutet auch für die Betreiber von kerntechnischen Anlagen ein erhöhtes Maß an Verfügbarkeit der Anlage189. Diese Interessenkonvergenz kann bei kooperativen Handlungsformen so genutzt werden, dass die Effektivität der Sicherheitssysteme gestärkt wird. Gerade deshalb, weil behördliche Kontrollen immer nur punktuell stattfinden können, kommt es für die Gewährleistung permanenter Sicherheit darauf an, die Eigeninteressen der Betreiber für die Sicherheit der Allgemeinheit zu aktivieren. Staatlicher Zwang zur Gewährleistung von Anlagensicherheit kann zu spät kommen. Am 11. September 2001 haben die Kraftwerksbetreiber auf eigene Initiative die Sicherheit ihrer Kraftwerke sofort überprüft190. Darin wird besonders deutlich, dass Eigenverantwortung der Betreiber und ein kooperatives Zusammenwirken mit den Behörden besser geeignet sein können, effektive Sicherheit zu gewährleisten, als einseitiger staatlicher Zwang.

Im Rahmen kooperativer Gesetzesvorbereitung gibt der Staat einen Teil seiner inneren Souveränität ab, um zugleich durch Einbindung der Privaten angesichts steigender Anforderungen handlungsfähig und souverän zu bleiben191. Souveränitätsverzicht kann insoweit als Mittel der Erhaltung der inneren Souveränität des Staates angesehen werden192. Bei der Kooperation mit den gesellschaftlich mächtigen Kräften entsteht der Staat stets von Neuem193. Dieser Prozess der Erhaltung der inneren Souveränität und Funktionsfähigkeit des Staates ist vom Grundgesetz gewollt194. Somit kann eine Kooperation mit Verbänden im Vorfeld der Gesetzgebung durch das Postulat realer Steuerungsmacht des Staates als gerechtfertigt angesehen werden, weil ohne Zusammenarbeit mit den Betroffenen oftmals kein auf Dauer durchsetzungsfähiges Staatshandeln zu erzeugen ist195. Das Grundgesetz möchte keinen Staat, der zahnloser Tiger ohne reale Durchsetzungsfähigkeit ist. Ein schwacher Staat kann die parlamentarische Demokratie nicht sicher gewährleisten196. Wenn der Staat feststellt, dass er mit seinem 188

Zum Sicherheitsmanagement bei Kernkraftwerken: Leidinger, Sicherheitsverantwortung, S. 123 ff.; Cloosters, Überwachung der Sicherheit, S. 151 ff. 189 Begründung der Gesetzesvorlage, BT-Drs. 14/7261, 14/6890, S. 17; Böwing, Gewährleistung des Sicherheitsniveaus, S. 191. 190 Hennenhöfer, A.-Sten. Prot. 14/69 (Umweltausschuss), S. 20. 191 Vgl. Depenheuer, Der Gedanke der Kooperation, S. 17 (22). 192 Die Kooperation von Herrschern mit anderen Inhabern gesellschaftlicher Macht diente in der Geschichte immer wieder der Herstellung und Festigung der eigenen Herrschaftsgewalt. Zum historischen Kontext: siehe oben 1. Teil A. I. 2. 193 Zum sich stets erneuernden Staat: Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 119 (136). 194 Zur inneren Souveränität als verfassungsrechtliche Aufgabe des Staates: vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. V, § 115 Rdnr. 116. 195 Vgl. Klein, Diskussionsbeitrag, 60. Geburtstag Christian Starck, S. 48; Hill, VM 2001, 10. 196 Papier, VM 2003, 116 (121).

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2. Teil: Die Theorie informell-kooperativer Staatsgewalt

originären Instrumentarium der einseitigen hoheitlichen Staatsgewalt nicht mehr den vielfältigen Aufgaben gerecht werden kann, so ist es Ausdruck einer vom Grundgesetz gewollten staatlichen Handlungsfähigkeit, wenn der Staat durch kreative Kooperation sein Handlungsarsenal erweitert197. b) Kooperationsprinzip und Übermaßverbot Als weiterer verfassungsrechtlicher Ansatzpunkt für das Kooperationsprinzip ist das Übermaßverbot ins Auge zu fassen198. Bei der Prüfung der Erforderlichkeit verlangt das Übermaßverbot, dass der Gesetzgeber das grundrechtsschonendere Mittel anwendet. Hierfür muss er den Regelungssachverhalt und die in Betracht kommenden Regelungsalternativen ermitteln. Geht man allerdings davon aus, dass die Verfassung nicht Optimierung, sondern lediglich Saturierung ihrer Gebote verlangt, so kann nicht die bestmögliche Ermittlung des mildesten Mittels verlangt werden. Nach der Saturierungskonzeption199 ist es vielmehr ausreichend, wenn der Gesetzgeber einen dem jeweiligen Regelungsbereich angemessenen Aufwand zur Ermittlung des milderen Mittels betreibt200. Zur Vermeidung eines unangemessen hohen Ermittlungsaufwands kann eine Typisierung gestattet sein201. Folglich muss nicht das theoretisch denkbare mildeste Mittel gefunden werden. Vielmehr reicht das bei angemessenem Aufwand und zulässiger Typisierung mildere Mittel aus202. Standardlösungen erfordern oftmals weniger Aufwand als für den einzelnen Fall maßgeschneiderte Regelungskonzepte. Dem Vorteil an Einzelfallgerechtigkeit bei maßgeschneiderten Regelungskonzepten steht der Nachteil des erhöhten Ermittlungs- und Anwendungsaufwandes gegenüber. Bei der Frage, welches Maß an Sachverhaltsermittlung durch den Gesetzgeber bei der Suche nach dem milderen Mittel angemessen ist, spielt die Kooperation mit dem Grundrechtsträger eine wichtige Rolle. Der Vorteil einer gelungenen Kooperation besteht darin, dass der Staat das Sachwissen des betroffenen Privaten aktivieren und sich dieses zu Nutze machen kann. 197

Vgl. BVerfGE 105, 252 (269 f., 275). Vgl. Murswiek, ZUR 2001, 7 (10), der vom rechtsstaatlichen Zweck der Kooperation spricht. 199 Siehe oben 1. Teil B. I. 200 Vgl. BVerfG NJW 2003, 1787 (1790); Lerche, Vorbereitung grundrechtlichen Ausgleichs, S. 97 (109 f.); vgl. auch Kloepfer, Gesetzgebung im Rechtsstaat, S. 63 (90); Schlink, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 445 (457). 201 Zur Zulässigkeit von Typisierungen bei der gesetzgeberischen Ermittlung milderer Mittel: BVerfGE 103, 44 (69 ff.); siehe ferner: Bleckmann, Die Struktur, S. 100. 202 Vgl. Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG Bd. II, Art. 20 Rdnr. 178 f. 198

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Oftmals weiß der Private über den ihn unmittelbar betreffenden Sachverhalt am besten Bescheid. Die psychologische Mediationsforschung hat den Nachweis erbracht, dass eine kooperative Kommunikation im Sinne eines Arguing mit den Bürgern dazu führen kann, dass Lösungswege erkannt werden, die für alle Beteiligten vorteilhafter sein können als diejenigen Lösungsansätze, die im hierarchischen Kommunikationsmodell ermittelt werden können203. Der Gedanke der besseren Sachverhaltserkenntnis durch Kooperation soll an einem Modellfall aus der Mediationsliteratur verdeutlicht werden204: Zwei Personen verhandeln darüber, wer eine Apfelsine bekommen soll, wobei einer der Verhandlungspartner eigentlich nur auf die Schale Wert legt, während es dem anderen eigentlich nur auf den Saft ankommt. Würden die beiden Verhandlungspartner nur wechselseitig auf ihre jeweiligen Anteilsrechte an der Apfelsine hinweisen und deshalb Drohungen und Forderungen aussprechen, so kämen sie lediglich auf die Kompromisslösung, die Apfelsine in zwei gleich große Hälften zu teilen, so dass keiner bevorzugt oder benachteiligt würde. Ein kooperativer Kommunikationsstil könnte hingegen zunächst darauf gerichtet sein, die wechselseitigen Interessen genauer zu ermitteln und gegenseitig anzuerkennen. Auf dieser Basis könnte sich den Beteiligten ein alternativer Weg zeigen, der für beide besser ist als die Teilung der Apfelsine. Die Beteiligten könnten durch eine genauere Spezifizierung der gegenseitigen Interessen auf die Idee kommen, die Apfelsine auszupressen und dem einen den Saft und dem anderen die gewünschte Schale zukommen zu lassen.

Durch den kooperativen und erkenntnisorientierten Gesprächsstil eines Arguing kann sich den Parteien ohne unangemessenen Ermittlungsaufwand ein Lösungsweg zeigen, bei dem die Interessen beider Seiten genauer ermittelt und adäquater berücksichtigt werden können als dies der Fall ist, wenn ohne weitere Nachforschung der gegenseitigen Interessenlage ein Kompromiss auf der Grundlage wechselseitiger Drohungen ausgehandelt wird. Die Kooperation und erkenntnisorientierte Kommunikation im Sinne des Arguing kann sich produktiv auswirken und einen neuen Lösungsweg ins Spiel bringen, der den im Bargaining verharrenden Kommunikationspartnern verschlossen bleibt. Dies zeigt sich auch bei den Verhandlungen zum Atomausstieg: Dort wurde im Laufe der Ausstiegsverhandlungen ebenfalls ein alternativer Lösungsweg erkannt, der für beide Seiten vorteilhafter ist. Dieser bestand darin, dass man von den bisher 203 Fietkau, Kommunikationsmuster, S. 275 (280) m. w. N.; Hager, Konflikt und Konsens, S. 67 ff., 75 ff., 128 ff.; Smeddinck, Gesetzesproduktion, S. 105 (119); Brohm, DÖV 1992, 1025 (1026). Mediative Ansätze haben in § 2 Abs. 2 Nr. 5 9. BImSchV bereits Eingang in die Rechtsordnung gefunden. Siehe auch § 89 Abs. 2 UGB-KomE. 204 Beispiel nach Hager, Konflikt und Konsens, S. 68 ff.; vgl. auch die dort dargestellten weiteren anschaulichen Beispiele.

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vorgesehenen starren Restlaufzeiten abrückte und sich auf Strommengenkontingente einigte, die von älteren Anlagen auf neuere übertragen werden können205. Durch die Umrechnung der Restlaufzeiten in Strommengen und die Übertragbarkeit auf neuere Anlagen ergibt sich für die Energiewirtschaft der Vorteil, das Anlagenstillstände in Hinblick auf die Gesamtlaufzeit nicht zu Lasten der Betreiber gehen und dass rentable moderne Kraftwerke länger laufen können, während der Staat den Vorteil hat, dass ältere und damit typischerweise unsicherere Kraftwerke früher vom Netz gehen können206. Trotz des starken Bargaining-Charakters der Verhandlungen gab es also auch beim Atomausstieg Arguing-Elemente, die die Vorteile kooperativer Lösungen aufzeigen.

Kooperation kann dazu führen, dass maßgeschneiderte Steuerungsmodelle unter angemessenem Ermittlungsaufwand entwickelt werden können, die den Freiheitsbereich des Grundrechtsträgers besser schonen als einseitig vom Staat vorgegebene Lösungsmodelle207. Dies darf bei der verfassungsrechtlich gebotenen Suche nach dem milderen Mittel nicht außer Acht bleiben. Es würde dem grundgesetzlichen Stellenwert der Freiheit des Individuums widersprechen, würde man die dieser Freiheit entspringenden Kreativitätspotentiale nicht auch zur freiheitsschonenderen Realisierung von Gemeinwohlzielen aktivieren. Kooperative Kommunikation zwischen Staat und Bürger dient der individualisierenden Verhältnismäßigkeit, indem die wechselseitigen Interessen präziser ermittelt und gegenseitig anerkannt werden208. Deswegen findet das Kooperationsprinzip seine verfassungsrechtliche Verankerung auch in der Erforderlichkeitsprüfung des Übermaßverbots und in den grundrechtlichen Freiheiten209. Die Grundrechte und das Über205 Vgl. Hennenhöfer, in: Posser/Schmans/Müller-Dehn, AtG, Einführung, S. 10; Roßnagel, Schadensersatzansprüche, S. 9. 206 Vgl. Böhm, Festlegung der Strommengen, S. 43 (48); Hennenhöfer, in: Posser/Schmans/Müller-Dehn, AtG, Einführung, S. 12 f.; Posser, in: Posser/Schmans/ Müller-Dehn, AtG, § 7 Abs. 1a–d Rdnr. 132. 207 Vgl. Bleckmann, Die Struktur, S. 100 f.; Schulze-Fielitz, Der Leviathan, S. 95 (118); Leisner, Der Abwägungsstaat, S. 55. 208 Vgl. BVerfGE 98, 83 (102); zur individualisierenden Verhältnismäßigkeit: Lerche, Übermaß, S. X, XVI. 209 Die hier vertretene Auffassung, wonach es sich beim Kooperationsprinzip um ein Verfassungsprinzip handelt, unterscheidet sich diametral von der von Michael vertretenen Konzeption (Michael, Rechtsetzende Gewalt). Michael lehnt ein aus dem Übermaßverbot hergeleitetes Kooperationsprinzip explizit ab (S. 284 f.) und fordert stattdessen ein Prinzip der kooperativen Verantwortung (S. 300 ff.). Dieses Prinzip soll eine gemeinsame Verantwortung von Staat und Gesellschaft für das Gemeinwohl statuieren. Als normativen Anhaltspunkt für die Mitverantwortung des Volkes nennt er die Präambel des Grundgesetzes, wo von der Verantwortung des Deutschen Volkes vor Gott und den Menschen die Rede ist. Da somit auch das Volk neben den Staatsorganen verantwortlich sei, seien entsprechende Vereinbarungen zwischen Staat und Wirtschaft durch das Prinzip der kooperativen Verantwortung gerechtfertigt. Diese Konstruktion überzeugt jedoch deshalb nicht, weil die gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen nicht mit dem gesamten Volk, sondern nur mit eini-

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maßverbot können gebieten, grundrechtsschonendere Alternativen im kooperativen Dialog zu ermitteln210, 211. 2. Funktionen des Kooperationsprinzips Das Kooperationsprinzip ist im Gebot der Funktionsfähigkeit der Staatsgewalt und im Übermaßverbot verfassungsrechtlich verankert. Das wirft die Frage auf, welche Konsequenzen sich aus einem verfassungsrechtlichen Kooperationsprinzip ergeben. a) Funktion als Prüfauftrag und Darlegungslast Im Hinblick auf die Sachverhaltsermittlung durch den Gesetzgeber hat das Kooperationsprinzip die Bedeutung, dass der Gesetzgeber die eventuellen Vorteile kooperativer Handlungsweisen und die dadurch eröffneten Möglichkeiten individualisierter Verhältnismäßigkeit berücksichtigen muss. Es geht nicht an, dass der Gesetzgeber bei der Suche nach milderen Mitteln eine aus seiner Sicht unangemessen aufwändige Sachverhaltsermittlung ablehnt, ohne dass er zuvor ein kooperatives Zusammenwirken mit den Betroffenen in Erwägung gezogen hätte. Der kooperative Dialog kann sogar dazu führen, dass der Staat eigene Ermittlungsressourcen einspart. Deshalb kommt das Kooperationsprinzip bei der Frage der angemessenen Sachverhaltsermittlung im Rahmen der Prüfung der Erforderlichkeit zur Anwendung. Es kann den Gesetzgeber verpflichten zu überlegen, ob das Sachwissen der Betroffenen bei der Suche nach milderen Mitteln zu nutzen ist, um bei angemessenem Ermittlungsaufwand mildere Mittel zu identifizieren. Die gleiche Wirksamkeit des vom Privaten vorgeschlagenen milderen Mittels muss der Staat selbst nachprüfen212. Der Staat ist dabei jedoch gen wenigen, besonders wirkungsstarken, organisierten Interessenvertretern abgeschlossen werden (siehe oben 1. Teil A. I. 3. b) ee) (2)). Die in der Präambel anklingende Verantwortung des gesamten Volkes rechtfertigt keine selektive Vereinbarung mit einigen wenigen. Das Prinzip kooperativer Verantwortung entbehrt einer überzeugenden Verankerung im Grundgesetz. 210 Zum Zusammenhang von Übermaßverbot und Kooperation: vgl. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 59 Rdnr. 124; Huber, Konsensvereinbarungen, S. 329 (333); Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip, S. 368 ff.; Becker, DÖV 1985, 1003 (1007 f.); vgl. auch Begründung des UGB-KomE, S. 503, 508. 211 Dabei stellt nicht das kooperative Handeln des Staates für sich genommen bereits das mildere Mittel dar. Vielmehr dient dieses lediglich dazu, mildere Mittel besser erkennen zu können. Vgl. Faber, Gesellschaftliche Selbstregulierungssysteme, S. 319 ff., 418 f. 212 Deshalb sieht Art. 5 Abs. 2 Satz 2 BayPAG ein Antragsverfahren zur staatlichen Feststellung der funktionalen Äquivalenz vor. § 6 Abs. 3 Satz 11 VerpackV

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nicht verpflichtet, sich auf jedes ihm vorgeschlagene mildere Mittel einzulassen und dessen Wirksamkeit zu prüfen. Vielmehr darf er dann, wenn die Prüfung der Effektivität des milderen Mittels unangemessenen Aufwand erfordern würde, darauf verzichten, dessen Wirksamkeit auf seine Gleichwertigkeit zu prüfen. Dem Staat ist unter Umständen gestattet, in typisierender Betrachtungsweise bestimmte, von Privaten vorgeschlagene Mittel als geeignet anzusehen und andere von vornherein nicht zu prüfen. Der Gesetzgeber wird durch das Kooperationsprinzip nicht strikt verpflichtet, durch Zusammenwirken mit den Betroffenen ein optimales Maß an indivualisierender Verhältnismäßigkeit herzustellen213. Das Kooperationsprinzip steht seinerseits unter dem Vorbehalt eines angemessenen Kooperationsaufwandes214. Unter Berücksichtigung dieser Einschränkung beauftragt das Kooperationsprinzip den Gesetzgeber, zu prüfen und nachvollziehbar darzulegen, ob bei der Suche nach milderen Mitteln ein gemeinsames Suchen nach alternativen Lösungswegen mit den Betroffenen angebracht ist215. Dem entspricht eine verfassungsrechtliche Darlegungslast des Gesetzgebers. Der Gesetzgeber muss offen legen, warum er den kooperativen Weg einer Problemlösung gar nicht erst versucht hat, um an die notwendigen Informationen zu möglichen milderen Mitteln heranzukommen. Das Kooperationsprinzip statuiert keine strikte Kooperationspflicht. Einseitige Regelung und Typisierung bleiben zulässig. Dennoch ist das Kooperationsprinzip in die gesetzgeberische Abwägung einzustellen216. Je eher dem Gesetzgeber, wie im Fall von oligopolen Strukturen, individuelle Verhältnismäßigkeit zugemutet werden kann, fordert dementsprechend eine behördliche Systemfeststellung als Voraussetzung für die Abwendung der Rücknahmepflicht (§ 6 Abs. 3 Satz 1 VerpackV). Zur Verantwortung des Staates für die funktionale Äquivalenz: vgl. Schuppert, Grundzüge, S. 121. 213 Vgl. Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (375); Lerche, Übermaß, S. XVII, der sich gegen eine „immer feinere Zerstäubung des Normmaterials“ wendet. 214 Deswegen geht Klöck, NuR 2001, 1 (5), zu weit, wenn er dem Kooperationsprinzip eine Pflicht zu „möglichst kooperativen Gesetzen“ entnimmt. Ebenfalls zu weitgehend: Bleckmann, Die Struktur, S. 100 f., der von einer Verpflichtung zum Abschluss eines Verwaltungsvertrages ausgeht, die aus dem Gleichheitssatz abzuleiten sei, weil dieser auch das Gebot enthalte, Einzelfallgerechtigkeit in Form von maßgeschneiderten Lösungen herzustellen. 215 Vgl. v. Lersner, Verwaltungsrechtliche Instrumente, S. 10, der von einer Eruierungspflicht ausgeht. 216 Dieses Verständnis eines verfassungsrechtlichen Kooperationsprinzips als abwägungsfähiger Prüfauftrag entspricht auch dem Art. 34 Abs. 1 EV, der eine Pflicht des Gesetzgebers zur Beachtung des Kooperationsprinzips normiert. Zum normhierarchischen Rang von Art. 34 EV: Kloepfer, Das Umweltrecht in der deutschen Einigung, S. 176 ff.; kritisch zur Einordnung des in Art. 34 EV enthaltenen Kooperationsprinzips als Prüfauftrag: Murswiek, ZUR 2001, 7 (12).

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desto mehr verdichtet sich die bloße Darlegungslast zum Gebot, von Typisierung abzusehen und individuell verhältnismäßige Lösungen in Kooperation mit den Betroffenen zu suchen217, 218. Der Staat muss auf Kooperationsangebote von Privaten dann umso intensiver eingehen, je substanziierter diese darlegen, wie ein von ihnen mitgetragenes Handlungskonzept aussehen würde. Je kooperationsbereiter sich die Betroffenen zeigen, desto genauer muss der Staat kooperative Alternativen daraufhin überprüfen, ob sie das staatlich definierte Ziel genauso effektiv erreichen wie einseitig-imperative Akte219. Zudem spielt eine Rolle, ob sich ein kooperatives Vorgehen bereits in der Vergangenheit bewährt hat. Eine in der Vergangenheit erfolgreiche Kooperation fällt zu Gunsten einer Fortsetzung dieser Kooperation ins Gewicht220. Umgekehrt kann der Staat von kooperativen Regelungsalternativen umso eher Abstand nehmen, wenn davon ausgegangen werden kann, dass diese im konkreten Regelungsbereich wenig effektiv sein werden oder wenn die Betroffenen eine Kooperation, die die staatliche definierten Ziele effektiv erreicht, von vornherein ablehnen221, 222. Durch diese Prüfpflichten und Darlegungslasten führt das Übermaßverbot auf der Stufe der Erforderlichkeitsprüfung zu einem gesteigerten Grundrechtsschutz durch Verfahren, sofern man unter Verfahren auch einen von bestimmten Prüfdirektiven begleiteten Abwägungsvorgang des Gesetzesgebers und nicht nur das formelle Verfahren versteht223. Kooperative Handlungsoptionen müssen in die gesetzgeberische Abwägung einbezogen und als Alternativen gewürdigt werden. Dabei bezieht sich jedoch der Prüfauftrag zur Kooperation lediglich auf die Art und Weise, wie staatlich definierte Ziele mit grundrechtsschonenderen Mitteln besser erreicht werden können. Es gibt indessen kein verfassungsrechtliches Gebot, die vom Staat zu verfolgenden Ziele in Kooperation zu entwickeln. Das Ziel selbst wird vom Staat in eigener Verantwortung und in Objektivität sichernder Distanz zu den Betroffenen definiert224. 217 Vgl. Schröder, NVwZ 1998, 1011 (1014): „Doch ergeben diese Maßstäbe einen Vorrang konsensualen Handelns immer nur in der konkreten Entscheidungssituation, nicht a priori“. 218 Di Fabio, Die Verfassung als Maßstab und Grenze, S. 254 f.: Bei oligopolen Strukturen dürfe nicht mit „grober Elle“ gemessen werden. 219 Vgl. BVerfGE 69, 315 (355 ff.); BVerfG, NVwZ 2002, 982. 220 Zum Abwägungskriterium der in der Vergangenheit bewährten Kooperation: vgl. BVerfG DVBl. 2003, 923 (925 f.). 221 Vgl. BVerwG NuR 1998, 37 (38 f.). 222 Zur Normierung eines einfachgesetzlichen Prüfauftrages zur Kooperation der Verwaltung: Reicherzer, ZRP 2004, 112 f. 223 Vgl. BVerfGE 69, 315 (355 ff.).

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Der Natur des Kooperationsprinzips als verfassungsrechtlicher Darlegungslast und als Prüfauftrag an den Gesetzgeber entspricht es, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Volkszählungsurteil dem Gesetzgeber aufgegeben hat, fortlaufend zu prüfen, inwieweit eine Datenerhebung auf freiwilliger Basis grundrechtschonender, aber genauso wirksam sein könnte wie eine zwangsweise Datenerhebung225. Zudem hat das Bundesverfassungsgericht in Bezug auf Enteignungen eine freie Vereinbarung mit dem Eigentümer als vorrangiges, milderes Mittel angesehen, wenn eine solche Vereinbarung unter angemessenen Bedingungen möglich sei226. An beiden Judikaten zeigt sich, dass der Staat nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts dazu verpflichtet ist, bei der Suche nach milderen Mitteln auch mitwirkungsbedürftige und kooperative Lösungen in Erwägung zu ziehen. Diese kooperativen Lösungen können im Lichte der Erforderlichkeit Vorrang vor einseitig-hierarchischen Lösungen haben. Das Kooperationsprinzip ist keine strikte Verpflichtung des Staates zur Kooperation mit den Betroffenen. Es normiert jedoch ein verfassungsrechtliches Abwägungsmoment, das den Staat dazu anregt, kooperative Steuerungsalternativen zu überdenken.

b) Rechtfertigungsfunktion Das Kooperationsprinzip bindet jedoch nicht nur den Staat durch Darlegungslasten und Prüfaufträge. Es entfaltet vielmehr auch eine Rechtfertigungswirkung, wenn der Staat durch kooperatives Staatshandeln andere Verfassungsprinzipien beeinträchtigt227. Nach dem hier zu Grunde gelegten Verständnis der Verfassungsprinzipien als Saturierungsgebote bedarf es zur Einschränkung von Verfassungsprinzipien zwar keiner verfassungsimmanenten Rechtfertigungsgründe228. Dennoch kommt den verfassungsimmanenten Rechtfertigungsgründen bei der Prüfung der Angemessenheit der Einschränkung des Verfassungsprinzips erhöhtes Gewicht zu229. Soweit gesetzesvorbereitende Vereinbarungen zu Einschränkungen von Verfassungsprinzipien führen, ist bei der Abwägung zu berücksichtigen, dass die jeweiligen Einschränkungen vom Kooperationsprinzip als Verfassungswert gerechtfertigt sein können. Dann wenn diejenigen tatsächlichen Umstände im konkreten Fall besonders deutlich zu Tage treten, die den inneren Grund für die Statuierung des Kooperationsprinzips abgeben, hat dieses Prinzip bei der Abwä224 Zur Rationalität stiftenden Funktion der Distanz der Staatsorgane zu den gesellschaftlichen Kräften: siehe unten 2. Teil B. II. 4. b) und III. 225 BVerfGE 65, 1 (55); vgl. auch: BVerfGE 30, 292 (319). 226 BVerfGE 45, 297 (335); Papier, in: Maunz/Dürig, GG Bd. II, Art. 14 Rdnr. 589. Dieser Rechtsgedanke ist beispielsweise in Art. 3 Abs. 2 Nr. 1 BayEG normiert (vgl. BayVGH, BayVBl. 1962, 285). 227 Eine genaue Prüfung der durch gesetzesvorbereitende Vereinbarungen beeinträchtigten Verfassungsprinzipien erfolgt später: 3. Teil C. III., 4. Teil B., 5. Teil C. 228 Nach der Saturierungskonzeption reicht ein lediglich verfassungskonformer Zweck für die Einschränkung eines Verfassungsprinzips aus: siehe oben 1. Teil B. I. 229 Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rdnr. 156.

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gung mit kollidierenden Prinzipien und Zwecken besonderes Gewicht230. Dies hat zur Folge, dass Beeinträchtigungen von Verfassungsprinzipien durch gesetzesvorbereitende Vereinbarungen umso eher hinzunehmen sind, je größeres Gewicht den Gründen für die Kooperation im jeweiligen Regelungsbereich zukommt231. Für den Beispielsfall des Atomausstiegs bedeutet dies, dass überlegt werden muss, inwieweit Beeinträchtigungen des Demokratie- und Gewaltenteilungsprinzips vom Kooperationsprinzip gerechtfertigt sein können. Wären die gesetzesvorbereitenden Verhandlungen vom hier vorgestellten verfassungsimmanenten Kooperationsprinzip getragen, so könnten die damit verbundenen Beeinträchtigungen anderer Verfassungsprinzipien eher hingenommen werden, als wenn keinerlei verfassungsrechtlicher Bezug vorläge. Dabei muss das Kooperationsprinzip bezogen auf den Atomausstieg gewichtet werden. Auf diesen Prüfansatz ist später zurückzugreifen232.

c) Begrenzte Entlastungsfunktion Das Kooperationsprinzip darf indessen nicht dazu verwandt werden, das Schutzniveau von Grundrechten nur deshalb abzusenken, weil sich betroffene Grundrechtsträger nicht kooperationsbereit zeigen233. Grundrechtsträger genießen den grundrechtlichen Schutz unabhängig davon, ob sie sich kooperativ mit dem Staat zeigen. Es besteht keine Kooperationspflicht des Grundrechtsträgers. Nimmt der Staat deshalb gesetzesvorbereitende Verhandlungen auf und scheitern diese Verhandlungen später an der mangelnden Kooperationsbereitschaft des privaten Vereinbarungspartners, so müssen die Grundrechte im späteren Gesetzgebungsverfahren ungeachtet der mangelnden Kooperationsbereitschaft geprüft werden. Eine mangelnde Kooperationsbereitschaft von Betroffenen kann den Staat nur insoweit bei der Suche nach milderen Mitteln entlasten, als die grund230

Zur Gewichtungsfunktion des Normzwecks: vgl. BVerfGE 104, 92 (109 ff.); 102, 347 (359, 362 f.); BVerfG 1 BvR 426/02 vom 11.3.2003, Absatz-Nr. 19 (Urteile des Bundesverfassungsgerichts, die lediglich mit Aktenzeichen angegeben werden, sind abrufbar unter: www.bverfg.de); Oldiges, WiR 1973, 1 (26 f.); Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rdnr. 157; Berendt, Die Bedeutung von Zweck- und Zielbestimmungen, S. 51 f. 231 Dem Kooperationsprinzip könnte auch im Strafrecht, insbesondere in Bezug auf die §§ 331 ff. StGB, die Funktion eines Rechtfertigungsgrundes zukommen. Dem kann hier nicht weiter nachgegangen werden. Zur strafrechtlichen Dimension des kooperativen Verwaltungshandelns: siehe Zander, ZG 2002, 191 ff.; Busse, BayVBl. 2003, 129 f. 232 3. Teil C. III., 4. Teil B. I. 1. 233 Zur anders gelagerten Frage, inwieweit gesetzesvorbereitende Vereinbarungen den Staat bei der Grundrechtsprüfung entlasten: siehe unten 4. Teil B. II. 2. f), 5. Teil D. IV. 1.

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rechtsschonenderen alternativen Lösungskonzepte ohne die Mithilfe des Betroffenen nicht wirksam realisiert werden können oder einen unangemessenen Aufwand erfordern würden. Der Staat verstößt nicht gegen das Gebot des milderen Mittels, wenn ihm die Konzeption milderer Mittel ohne Kooperation des Privaten unter angemessenem Aufwand nicht möglich ist234. Darin kann dann aber keine Absenkung des grundrechtlichen Schutzniveaus durch das Kooperationsprinzip gesehen werden. Vielmehr bedeutet dies lediglich, dass die Vorteile der Kooperation nur dem kooperationswilligen Grundrechtsträger zugute kommen können235. Mangelnde Kooperationsbereitschaft kann dazu führen, dass die Vorteile der Kooperation sowohl dem Staat als auch dem Grundrechtsträger entgehen. Dies darf jedoch nicht dazu führen, dass die dem Staat von Amts wegen zumutbare Sachverhaltsermittlung zu milderen Mitteln weniger sorgfältig ausfällt236. Hätten die Energieversorgungsunternehmen die Beteiligung an Verhandlungen über den Atomausstieg abgelehnt, so hätte der Bund dies bei der Prüfung der Grundrechte der Betreiber nicht zu deren Nachteil werten dürfen. Dann hätten die Betreiber allerdings bei der verfassungsgerichtlichen Überprüfung dem Bund auch nicht vorwerfen können, warum er bestimmte alternative Lösungskonzepte nicht geprüft habe, sofern sich diese Lösungskonzepte dem Bund nicht von selbst aufdrängen mussten.

d) Vertrauensschutzfunktion Gesetzesvorbereitende Verhandlungen und Vereinbarungen könnten trotz ihrer rechtlichen Unverbindlichkeit einen faktischen Vertrauenstatbestand dafür begründen, dass das vereinbarte Gesetz später vom Bundestag verabschiedet wird. Kommt es dann nicht zur vereinbarten Umsetzung durch den Bundestag, so wäre eine Haftung des Bundes denkbar, weil die Bundesregierung ungerechtfertigt Vertrauen der Vereinbarungspartner in die gesetzliche Umsetzung erweckt hat. In diesem Zusammenhang sei an die auch im öffentlichen Recht anwendbare Culpa in contrahendo237 erinnert, die bei einem unbegründeten Abbruch von Vertragsverhandlungen zur Haftung führen kann, wenn die eine Seite schuldhaft den Eindruck erweckt hat, der Vertragsschluss sei nur noch Formsache, die andere Seite darauf vertraut hat und dieses Vertrauen schutzwürdig ist238. Wer den Eindruck erweckt, es würde ohne Probleme zur rechtlichen Umsetzung der bisher 234 Im Verwaltungsrecht kann eine mangelnde Mitwirkung der Beteiligten die Behörde ebenfalls von ihren Ermittlungspflichten in begrenztem Maße entlasten (siehe: § 26 Abs. 2 VwVfG; Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 26 Rdnr. 43). 235 Vgl. BVerfG, NVwZ 2002, 982. 236 Zur begrenzten Entlastungsfunktion gesetzesvorbereitender Vereinbarungen: vgl. Huber, Restlaufzeiten, S. 147 (161). 237 Vgl. § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB.

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lediglich faktisch wirkenden Vereinbarungen kommen, könnte dafür auch bei der Gesetzesvorbereitung unter Vertrauensschutzgesichtpunkten einzustehen haben239. Das Kooperationsprinzip wäre insoweit Vertrauensschutzprinzip und Grundlage einer Vertrauenshaftung. Hiergegen ist allerdings einzuwenden, dass das Vertrauen des privaten Vereinbarungspartners in ein künftiges Umsetzungsgesetz regelmäßig nicht schutzwürdig ist240. Wenn dem privaten Vereinbarungspartner klar ist, dass die vereinbarten Regelungen erst mit der parlamentarischen Umsetzung rechtsverbindlich werden, dann finden alle Vertrauensdispositionen im Vorgriff dieser parlamentarischen Entscheidung auf eigenes Risiko statt241. Die Culpa in contrahendo führt dementsprechend dann gerade nicht zu einer Haftung wegen Scheiterns der rechtsverbindlichen Umsetzung, wenn die Umsetzung einer bestimmten Form bedarf und beide Vereinbarungspartner von der Notwendigkeit einer förmlichen Umsetzung wussten242. Der Zweck der förmlichen Umsetzung der ohne Rechtsbindungswillen eingegangenen Vereinbarung würde zudem beeinträchtigt werden, wenn das Vorfeld der Umsetzung bereits zu Rechtspflichten aus Culpa in contrahendo führen könnte. Eventuelle Schadensersatzpflichten aus dem Vorfeld würden einen mittelbaren Druck auf das Umsetzungsverfahren ausüben und könnten dieses dadurch zusätzlich präjudizieren243. Die faktische Verbindlichkeit gesetzesvorbereitender Vereinbarungen würde durch die Gefahr von Schadensersatzansprüchen zusätzlich verstärkt. Der Sinn und Zweck des Umsetzungsverfahrens kommt indessen nur dann zur vollen Entfaltung, wenn im Umsetzungsgesetzgebungsverfahren unbelastet von einer etwaigen Vorfeldhaftung entschieden werden kann. Eine Haftung aus gesetzesvorbereitenden Verhandlungen ist deshalb grundsätzlich abzulehnen244. 238 Palandt, BGB, § 311 Rdnr. 34. Zur Anwendbarkeit der Culpa in contrahendo im Öffentlichen Recht: Schwarz, Vertrauensschutz, S. 142 ff. m. w. N. 239 Eine solche Haftung nach C.i.c.-Grundsätzen wird von Huber, Konsensvereinbarungen, S. 329 (343), erwogen. Vgl. die Problematik der Haftung einer Gemeinde aus C.i.c. wegen enttäuschter Planungszusagen: Battis, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 2 Rdnr. 5. 240 Vgl. im Zusammenhang mit gesetzesersetzenden Vereinbarungen: Becker, DÖV 1985, 1003 (1010). 241 Vgl. Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 225. 242 Vgl. BGH, NJW 1975, 43 f. 243 Vgl. Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 225, 228. 244 Im Ergebnis wohl genauso: Huber, Konsensvereinbarungen, S. 329 (343), der darauf hinweist, dass eine Haftung aus C.i.c. Verschulden des Gesetzgebers und mangelnde Erkennbarkeit für die anderen Beteiligten voraussetzen würde. Huber verweist dabei auf § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB a. F., der zum Haftungsausschluss führen könne. Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 231 f. bejaht hingegen Ausgleichansprüche wegen enttäuschten Vertrauens auf künftiges Recht. Vgl. auch zur

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Die Vereinbarung vom 14. Juni 2000 wurde auf der Grundlage abgeschlossen, dass der Bundestag eine entsprechende Novellierung des Atomgesetzes beschließen wird (V. 2. der Vereinbarung). Hätte der Bundestag eine Umsetzung verweigert, so wäre daraus keinerlei Haftung des Bundes entstanden, weil kein rechtlich schutzwürdiges Vertrauen der Energieversorgungsunternehmen in die gesetzliche Umsetzung entstehen konnte. Die Vereinbarung stand von Anfang an unter dem Vorbehalt parlamentarischer Umsetzung. Dies steht der Entstehung eines rechtlich schutzwürdigen Vertrauens in die gesetzliche Umsetzung entgegen245.

Eine schutzwürdiges Vertrauen aus der vorangehenden Kooperation könnte jedoch bei der Frage, unter welchen Voraussetzungen ein ausgehandeltes Gesetz später geändert werden darf, eine Rolle spielen. Änderungen von ausgehandelten Gesetzen könnten nur unter erschwerten Voraussetzungen möglich sein, weil die Vereinbarungspartner möglicherweise zwar nicht auf die Umsetzung, aber auf den Fortbestand der ausgehandelten Regelungen in gewissem Maße Vertrauen durften. Dieses Problem wird am Ende der Arbeit abgehandelt, nachdem die Untersuchungen über die kooperative Gesetzesentstehung abgeschlossen sind246. 3. Janusköpfigkeit des Kooperationsprinzips Zusammenfassend lässt sich zum Kooperationsprinzip feststellen, dass dieses Rechtsprinzip einerseits im Gedanken der Funktionsfähigkeit der Staatsgewalt verankert ist, andererseits aber auch der Freiheit des Individuums dient, indem freiheitsschonendere Mittel im kooperativen Dialog mit den Betroffenen gefunden werden sollen. Kooperation ist zugleich individual- als auch gemeinschaftsbezogen. Hierin zeigt sich eine gewisse Janusköpfigkeit des Kooperationsprinzips247. Diese Janusköpfigkeit wird im Versammlungsrecht besonders deutlich. Dort dient die Zusammenarbeit zwischen Behörde und Veranstalter dazu, die öffentliche Sicherheit während der Veranstaltung zu gewährleisten. Der Veranstalter kann auf die Teilnehmer seiner Versammlung oftmals besser einwirken als der Staat. Das zeigt, wie der Staat auf Zusammenarbeit mit Privaten angewiesen sein kann, um die öffentliche Sicherheit effektiv zu gewährleisten. Insoweit wird der Zusammenhang von Kooperation und Funktionsfähigkeit der Staatsgewalt deutlich. Andererseits ist der Staat gerade dann, wenn sich die Veranstalter kooperationsbereit zeigen, in besonderem Maße verpflichtet, auf diese Kooperationsbereitschaft Haftung bei gesetzesersetzenden Vereinbarungen: Faber, Gesellschaftliche Selbstregulierungssysteme, S. 238 f., 414, die einen Anspruch aus C.i.c. ablehnt, aber einen Anspruch aus § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG für möglich hält. 245 Vgl. de Witt, A.-Drs. 14/626 Teil 7** (Umweltausschuss), S. 2 (4). 246 Siehe unten 8. Teil B. 247 Vgl. Engelbert, Konfliktmittlung, S. 66.

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einzugehen. Je kooperativer die Veranstalter sind, desto höher ist die Schwelle für ein Versammlungsverbot. Das Bundesverfassungsgericht hat die Behörden in der Brokdorf-Entscheidung unter dem Gesichtpunkt des Grundrechtsschutzes durch Verfahren dazu verpflichtet, Kooperationsangebote zu prüfen und zu erproben248. Darin wird erkennbar, dass Kooperation auch zu einem verbesserten Grundrechtsschutz im Sinne des Übermaßverbotes beitragen kann. Das verfassungsrechtliche Kooperationsgebot im Bereich des Art. 8 GG lässt sich freilich nicht „eins zu eins“ auf die kooperative Gesetzesvorbereitung übertragen. Schließlich ging es in der Brokdorf-Entscheidung nicht um Gesetzesvorbereitung, sondern um exekutivisches Handeln des Staates. Im Bereich des Gesetzesvollzugs kann der Staat naturgemäß eher auf die Umstände des Einzelfalles eingehen, während in der Gesetzgebung und Gesetzesvorbereitung auf individualisierende Kooperation unter dem Gesichtpunkt zulässiger Typisierung zum Teil verzichtet werden darf. Dennoch zeigt die Brokdorf-Entscheidung, dass dem Übermaßverbot bei der Prüfung der Erforderlichkeit unter Umständen eine Pflicht entnommen werden kann, zu prüfen, ob eine kooperative Vorgehensweise erfolgversprechend ist. Das Übermaßverbot gilt auch für die Gesetzgebung und deswegen kann das Kooperationsgebot trotz zulässiger Typisierung in der Gesetzgebung zumindest in der abgeschwächten Form einer Darlegungslast auch für die Gesetzesvorbereitung angewandt werden249. Diese Darlegungslast enthält einen Prüfauftrag an den Gesetzgeber, zu erwägen, ob die geplante gesetzliche Regelung mit den Betroffenen abgestimmt werden soll, um die Informationsbasis des gesetzgeberischen Handelns zu verbessern und grundrechtsschonendere Regelungsalternativen zu ermitteln.

Der freiheitsschonende Aspekt des Kooperationsprinzips wird allerdings dadurch relativiert, dass nur die Freiheit derer, die vom Staat an der Kooperation beteiligt werden, durch die Kooperation besser geschützt wird, während sich das Kooperationsprinzip in Bezug auf nicht beteiligte Dritte nicht freiheitsschützend, sondern vielmehr zusätzlich belastend auswirken kann, wenn Belastungen von den Beteiligten auf Nichtbeteiligte abgeschoben werden. Das Kooperationsprinzip unterliegt der Gefahr, die Interessen nicht beteiligter Dritter und der Allgemeinheit auszublenden, weil die Interessen der Kooperationspartner in den Verhandlungen im Vordergrund stehen. Deswegen muss es Aufgabe anderer konkurrierender Verfassungsprinzipien sein, die gegenläufigen Interessen der Nichtbeteiligten und der Allgemeinheit zur Geltung zu bringen, damit auch diese ausreichend Berücksichtigung finden. Hier kommt vor allem dem Demokratieprinzip wichtige Bedeutung zu. Das Demokratieprinzip ist im Gegensatz zur selektiven Kooperation mit Einzelnen auf das gesamte Volk und somit auf das Gemeinwohl bezogen. Darauf wird später genauer einzugehen sein250. 248

BVerfGE 69, 315 (355 ff.); BVerfG NVwZ 2002, 982. A. A. Michael, Rechtsetzende Gewalt, S. 281 ff., der der Auffassung ist, dass das Kooperationsprinzip des Versammlungsrechts nicht auf andere Bereiche übertragbar sei. 250 Siehe unten 4. Teil B. I. 1. b) und c) bb). 249

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2. Teil: Die Theorie informell-kooperativer Staatsgewalt

Der kooperierende Staat kann sich für die nicht einbezogenen oder nicht kooperationsbereiten Grundrechtsträger als Freiheitsgefährdung entpuppen. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Versammlungsrecht stellt in diesem Zusammenhang klar, dass die Kooperationsaufgabe der Behörde nicht dazu verwandt werden darf, den Grundrechtsschutz von nicht kooperationsbereiten Dritten abzubauen. Vielmehr kommt es dann auf die eigenen Ermittlungen der Behörde an251. Dementsprechend führt eine mangelnde Bereitschaft von Betroffenen an gesetzesvorbereitenden Verhandlungen mitzuwirken, nicht zu einer Absenkung des Grundrechtsschutzes dieser Betroffenen252. Das mag aus heutiger Sicht noch trivial klingen. Wenn sich kooperative Gesetzgebung in Zukunft jedoch immer mehr etabliert, kann es notwendig sein, daran zu erinnern, dass auch derjenige der sich mit dem Staat nicht an einen Tisch setzen möchte, den vollen Grundrechtsschutz genießen muss. 4. Normativer Dualismus zwischen Staat und Gesellschaft Die Ausübung von Staatsgewalt erweist sich heute in vielfältiger Weise von kooperativen Handlungsformen geprägt. Wer von kooperativer Staatsgewalt spricht, geht jedoch trotz Kooperationsprinzip zunächst von einem Dualismus zwischen Staat und Gesellschaft aus. Zwar zielt Kooperation auf eine zunehmende Überwindung der Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft, dennoch setzt dies zunächst voraus, dass es Staat und Gesellschaft als unterscheidbare Pole gibt253. Diese Sichtweise vom Dualismus zwischen Staat und Gesellschaft wird jedoch zum Teil als antiquiert kritisiert. Der Vorwurf lautet, dass der moderne Staat ein Staat der Kooperation mit den aktiven und eigenverantwortlichen Bürgern sei, in dem die Grenzen zwischen Staat und Gesellschaft verschwimmen254. In diesem Zusammenhang wird nicht nur das erörterte Kooperationsprinzip apostrophiert. Vielmehr ist von Begriffen wie „Public Private Partnership“255 oder „Verantwortungsteilung“256 zwischen Staat und Privaten die Rede, die mit einer positiven Konnotation versehen sogleich 251

BVerfG NVwZ 2002, 982; BVerfG NJW 2000, 2078. Siehe unten 4. Teil B. II. 2. f), 5. Teil D. IV. 1. 253 Vgl. Depenheuer, Der Gedanke der Kooperation, S. 17 (22, 24); Gröschner, Diskussionsbeitrag, Staatsrechtslehrertagung 1996, S. 320 f. 254 Vgl. Fisahn, Demokratie, S. 71 (78 ff.); Sterzel, Die Einheit, S. 156 ff.; zur Kritik am Dualismus: siehe auch Faber, Gesellschaftliche Selbstregulierungssysteme, S. 107 ff. 255 Zum Begriff der „Public Private Partnership“: siehe beispielsweise Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 9 Rdnr. 162 b, § 54 Rdnr. 43a, 111a. 256 Siehe hierzu: Schuppert, Jenseits von Privatisierung, S. 72 (102 f.). 252

B. Kooperation und Dualismus

169

als Argumente für eine zunehmende Aufhebung der Trennung von Staat und Gesellschaft benutzt werden257. Das Denken in Kategorien des Dualismus sei einer staatsrechtlichen Tradition verpflichtet, die ihren Ausgangspunkt im vordemokratischen Staatsdenken finde258. Die Trennung von Staat und Gesellschaft sichert indessen die Freiheit des Einzelnen und soll zudem über einen institutionalisierten politischen Diskurs zu einer Verbesserung der Qualität staatlicher Entscheidungen führen. Diese Begründungsstränge des dualistischen Ansatzes müssen bei einer kritischen Reflexion kooperativen Staatshandelns bewusst bleiben. Über ein Zusammenwirken von Staat und Privaten kann nur dann ausgewogen geurteilt werden, wenn der Sinn der Trennung von Staat und Gesellschaft klar bleibt. Das Kooperationsprinzip darf nicht in dem Sinne verstanden werden, dass der Dualismus zwischen Staat und Gesellschaft geleugnet würde. Vielmehr kommt dem Dualismus ein normative Qualität als Mittel der Freiheits- und Diskurssicherung zu. a) Freiheitssicherungsfunktion Die Idee einer Trennung von Staat und Gesellschaft liegt den Grundrechten in ihrer Funktion als Abwehrrechte gegenüber dem Staat zu Grunde. Der Wille der Individuen geht nicht im Staatswillen auf. Vielmehr erhält der Einzelne gegenüber dem Staat eine wehrfähige Rechtsposition. Ein Mindestmaß an Übereinstimmung von Staatswillen und Volkswillen ist zwar unverzichtbarer Inhalt der Demokratieidee259. Dennoch weichen die Interessen der Individuen oftmals vom Gemeinwohl ab. Eine totale Willensidentität zwischen Volk und Staat ist weder anzustreben noch zu erreichen. Die demokratische Staatsgewalt enthält trotz der Idee der demokratischen Selbstbestimmung des Volkes immer ein beachtliches Element des Zwanges und der Fremdbestimmung. Die Grundrechte und die von ihnen vorausgesetzte Trennung zwischen Staat und Gesellschaft nehmen diese natürlichen Spannungsverhältnisse zwischen Gemeinschaft und Individuum normativ auf und schützen den Freiheitsraum des Einzelnen. Eine teilweise Fremdbestimmung des Individuums durch staatliche Zwänge bleibt trotz Kooperation wegen der fortbestehenden Interessendi257 Siehe Programm der Bundesregierung „Moderner Staat – Moderne Verwaltung“ vom 1. Dezember 1999, abrufbar unter: www.staat-modern.de. Kritisch zur Verantwortungsteilung: Battis, Terroristische Angriffe auf Kernkraftwerke, S. 27 (28 ff.); Heintzen, Beteiligung Privater, S. 220 (233). 258 Vgl. Bryde, Das Demokratieprinzip, S. 60 m. w. N.; Rinken, Demokratie und Hierarchie, S. 134 ff.; Fisahn, Demokratie, S. 71 ff. 259 Vgl. BVerfGE 44, 125 (142); Papier, Parlamentarische Demokratie, S. 33 (50).

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2. Teil: Die Theorie informell-kooperativer Staatsgewalt

vergenzen zwischen Individuum und Gesellschaft stets erhalten260. Die Interessen des Individuums stehen auch gegenüber der kooperierenden Staatsgewalt weiterhin vielfach in einem natürlichen Spannungsverhältnis261. Kooperation Privater mit dem Staat bedeutet nicht zwingend mehr Freiheit und Selbstbestimmung des Einzelnen. Sie kann auch Fremdbestimmung kaschieren und weniger organisierte Interessen aus dem politischen Prozess ausschließen. Die Inklusion einiger weniger ist oftmals mit der Exklusion der vielen Nichtbeteiligten verbunden262. Freiheitseingriffe müssen auch dann als solche erkannt werden, wenn sie sich unter dem Mantel des informell-kooperativen Staatshandelns verstecken263. Der Staat benutzt mittlerweile nicht mehr nur den Säbel des rechtsverbindlich imperativen Handelns. Vielmehr bedient er sich nun des informell-kooperativen Floretts, das ihm subtile Freiheitsbeschränkungen ermöglicht und dennoch in gewisser Hinsicht auch als freiwilliges Handeln des Grundrechtsträgers erscheint. Waren die Fesseln grundrechtlicher Freiheit beim rechtsförmlichen imperativen Handeln noch eindeutig zu identifizieren, so beginnt der Staat im informell-kooperativen Bereich, die Grundrechtsträger mit nahezu unsichtbaren Fäden zu umgarnen, die sich jedoch in ihrer Vielzahl wie reißfeste Fangstricke als Freiheitsberaubung entpuppen können und deswegen besonderer verfassungsrechtlicher Beachtung bedürfen264. Die Trennung zwischen Staat und Gesellschaft dient auch im Bereich des kooperativen Staatshandelns dazu, die Fremdbestimmung des Individuums durch den Staat sichtbar zu machen. Erweist sich informellkooperatives Staatshandeln als dem Staat zurechenbare Grundrechtsbeeinträchtigung, so kann der grundrechtliche Schutzmechanismus greifen und sein freiheitssicherndes Potential entfalten. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, inwieweit die Vereinbarung vom 14. Juni 2000 versteckte Grundrechtseingriffe enthält, obwohl sie dem kooperativen Staatshandeln zuzuordnen ist. Darauf wird unter dem Gesichtpunkt des Vorbehalts des Gesetzes einzugehen sein.

260 Vgl. Huber, Konsensvereinbarungen, S. 329 (339, 341), der von den „Pressionen“ des Verbändestaates spricht. Zur Problematik der Drittbetroffenen siehe auch Huber, Vorwort, S. 15. 261 Vgl. Michael, Rechtsetzende Gewalt, S. 367. 262 Zur Konzentration der Kooperation bei den Machtzentren: siehe oben 1. Teil A. I. 3. b) ee). 263 Vgl. Huber, Konsensvereinbarungen, S. 329 (340). 264 Vgl. Huber, Entsorgung als Staatsaufgabe, S. 149 (153, 163).

B. Kooperation und Dualismus

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b) Diskursfunktion und Gemeinwohlsicherung Die Vorstellung einer Verschiedenheit von Staat und Gesellschaft liegt auch dem Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG zu Grunde, weil er einerseits von der Staatsgewalt und andererseits vom Volk spricht. Wenn die Staatsgewalt nach dieser Vorschrift vom Volk auszugehen hat, so wird damit eine Kommunikationsbeziehung zwischen Volk und Staatsorganen normiert, die zwei Pole voraussetzt, die sich gegenüberstehen. Staatswille soll im Verfassungsstaat erst das werden, was sich in einem institutionalisierten Diskurs der Staatswillensbildung als sachgerecht erweist. Dieser Diskurs ist in den Vorschriften über die Wahlen und im Gesetzgebungsverfahren formalisiert. Wegen der Trennung von Staat und Gesellschaft sind die von mächtigen gesellschaftlichen Kräften verfolgten Interessen nicht mit dem Staatswillen identisch. Vielmehr müssen diese Interessen erst diskursiv in normierten Verfahren kommuniziert werden, um aus dem Bereich des Gesellschaftlichen in die Sphäre der Staatswillensbildung zu gelangen. Die Trennung von Staat und Gesellschaft zwingt gesellschaftliche Kräfte dazu, ihre Anliegen in den normierten Verfahrenskanälen des Verfassungsrechts zu begründen. Durch den Dualismus zwischen Staat und Gesellschaft wird verhindert, dass soziale Macht ungefiltert, ohne durch die Schleusen der kommunikativen Machtbildung hindurchzugehen, in staatliche Macht umgesetzt wird265. Die institutionalisierten Diskursverfahren der Wahlen und des parlamentarischen Verfahrens sollen die unterschiedlichen Interessen transparent machen und zu einem Mindestmaß an Verallgemeinerungsfähigkeit und Rationalität zwingen. Dadurch soll eine Privilegierung von Partikularinteressen eingedämmt und das Gemeinwohl gesichert werden. Die diskursive Kraft der institutionalisierten Verfahren ist dabei nicht nur in den jeweiligen Verfahren selbst, sondern vor allem auch darin begründet, dass diese Verfahren Vorwirkungen entfalten. Der Zwang, später ein Gesetz öffentlich im Parlament vertreten zu müssen, kann sich Rationalität stiftend auf die informellen Diskurse im Vorfeld des parlamentarischen Verfahrens auswirken. Ist den Mitgliedern der Bundesregierung bei der Vorbereitung von Gesetzen gedanklich präsent, dass sie ihre Gesetzesvorlage vor einem kritischen Bundestag begründen müssen, so kann dies bereits zur Sachgerechtigkeit und Gemeinwohldienlichkeit der gesetzesvorbereitenden Vereinbarung beitragen266. 265

Vgl. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 209; Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 145, 159 f., 172. 266 Dies übersieht Schuett-Wetschky, ZPol 2001, 3 (17 ff.), wenn er dem formalisierten Gesetzgebungsverfahren jede diskursive Bedeutung abspricht.

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2. Teil: Die Theorie informell-kooperativer Staatsgewalt

Diese Rationalität stiftenden Vorwirkungen können allerdings nicht entstehen, wenn faktische Bindungen im Vorfeld bereits derart verdichtet werden, dass die spätere Beratung im formalisierten Gesetzgebungsverfahren nur noch Inszenierung sein kann. Nicht schon die Existenz informell-kooperativer Gespräche zwischen Staat und Privaten wirkt sich diskursreduzierend aus. Entstehen jedoch in diesen Gesprächen faktische Austauschbindungen, weil von der bloßen Sachverhaltsermittlung zu Verhandlungen über konkrete Regelungen übergegangen wird, so wird durch die dabei erzeugten faktisch bindenden Vorentscheidungen der spätere formalisierte Gesetzgebungsdiskurs informell verkürzt. Faktische Bindungen bauen Denkverbote und Diskurssperren auf. Das formalisierte Gesetzgebungsverfahren droht zur leeren Fassade zu werden, wenn bereits alles in informellen Zirkeln entschieden ist und im formalisierten Verfahren nur noch zum Schein diskutiert wird. Die normativ zu verstehende Trennung von Staat und Gesellschaft dient der Diskursivität und Rationalität der Entscheidungen des Staates, weil sie bilateralen faktischen Vorabbindungen mit einzelnen Privaten entgegenwirkt und den formalisierten Gesetzgebungsdiskurs mit seinen Rationalität stiftenden Vorwirkungen offen hält267. Die Vermengung von staatlicher und gesellschaftlicher Sphäre wird beim Atomausstieg besonders deutlich. Die gesetzesvorbereitende Vereinbarung vom 14. Juni 2000 verbindet eng verzahnt staatliche und gesellschaftliche Wirkungsbeiträge. In diesem Zusammenhang wird zu untersuchen sein, ob sich der unmittelbare Einfluss gesellschaftlicher Kräfte auf die Staatswillenbildung über informelle Kanäle verkürzend und qualitätsmindernd auf den institutionalisierten Diskurs der Staatswillensbildung ausgewirkt hat. Dabei stellt sich die Frage, ob objektiv notwendige Klarstellungen im Atomgesetz aus Gründen des Verhandlungsklimas unterblieben sind. Jedenfalls wurden die Abgeordneten in der Gesetzesbegründung der Bundesregierung explizit darauf hingewiesen, dass es sich um ein „Gesamtpaket“ handeln würde268. Der Charakter der Gesetzesvorlage als Kompromisspaket zwischen Bundesregierung und Energieversorgungsunternehmen spielte in den Verhandlungen des Bundestages eine maßgebliche Rolle269. Das wirft die Frage auf, ob das Gemeinwohl beim Atomausstieg hinter die faktischen Bindungen der Vereinbarung zurücktreten musste.

267

Vgl. Habermas, Faktizität und Geltung, S. 222 ff. Begründung der Gesetzesvorlage, BT-Drs. 14/7261, 14/6890, S. 16. 269 Siehe die Rede des Berichterstatters der SPD Kubatschka: BT-Sten. Prot. 14/ 18582 ff.; vgl. auch Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 305 (317), der die Äußerungen von Kubatschka so interpretiert, dass den Abgeordneten von Anfang an die Einigung mit den Energieversorgern wichtiger gewesen sei als mögliche Änderungen des Gesetzes in Details. 268

B. Kooperation und Dualismus

173

III. Kooperation im Spannungsfeld der Freiheit, Gleichheit und Diskursivität Kooperation des Staates mit Privaten dient dazu, die staatliche Handlungsfähigkeit zu erhalten und zu erneuern. Sie kann zudem die Suche nach milderen Mitteln im Sinne des Übermaßverbots fördern. Beide Aspekte sind im Grundgesetz verankert. Sowohl die Funktionsfähigkeit der Staatsgewalt als auch das Übermaßverbot sind verfassungsimmanente Werte. Dabei handelt es sich jedoch nicht um absolute Werte. Vielmehr ist das Prinzip der Kooperation mit anderen Verfassungswerten zu konfrontieren und abzuwägen. Hierzu gehört die Trennung zwischen Staat und Gesellschaft im Sinne eines normativ zu verstehenden Dualismus. Das Grundgesetz verbietet eine Verstaatlichung der Gesellschaft ebenso wie eine Vergesellschaftung des Staates270 Der Staat muss vor Usurpation durch Partikularkräfte ebenso bewahrt werden, wie der Einzelne vor einer Übermacht des Staates zu schützen ist271. Um die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz zu wahren, gebietet der normative Dualismus eine gewisse kritische Distanz der Staatsorgane zu den Vertretern partikularer Interessen als Gegenprinzip zur Kooperation mit besonders Betroffenen272. Die im Rahmen des Kooperationsprinzips fruchtbar gemachte partielle Interessenkonvergenz von Staat und Privaten darf nicht mit einer umfassenden Interessenkongruenz verwechselt werden. Staat und Private stehen sich zumindest teilweise mit unterschiedlichen Interessen gegenüber. Der Dualismus zwischen Staat und Gesellschaft ist Ausdruck dieser partiellen Interessendivergenzen zwischen Individuum und Staat. Die Vorstellung vom Dualismus nimmt diese Wirklichkeit zumindest partieller Interessendivergenzen auf und sichert deshalb die Freiheit des Einzelnen in Grundrechten ab. Aufgabe des Verfassungsrechts ist es, die Spannungslagen zwischen Individuum und Gemeinschaft, zwischen Staat und Gesellschaft sowie zwischen Gemeinwohl und Partikularinteressen trotz zunehmender Kooperation als solche zu identifizieren und dafür zu sorgen, dass die Spannungen in den von der Verfassung vorgesehenen Verfahren aufgelöst werden. Hierzu ist es notwendig, den Staatsgewaltbegriff an die informell-kooperative Realität anzupassen. Mit dem Begriff der informell-kooperativen Staatsgewalt wird 270

Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 59 Rdnr. 17. Vgl. BVerfGE 44, 125 (140); Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. I, 2. Aufl., § 13 Rdnr. 88; Hill, VM 2001, 10.; wohl a. A. Heintzen, Beteiligung Privater, S. 220 (243), der den Staat nicht für schutzwürdig hält und deshalb eine Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips bei Beeinträchtigungen des Demokratieprinzips ablehnt. 272 Zu den Gefahren einer Kooperations- und Konsensfalle bei Überbetonung des Kooperationsgedankens: vgl. Di Fabio, Der Verfassungsstaat, S. 135 f. 271

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2. Teil: Die Theorie informell-kooperativer Staatsgewalt

der unsichtbare, paktierende Staat sichtbar gemacht. Auf die informell-kooperative Staatsgewalt können dann die für die klassischen Formen der imperativen Staatsgewalt entwickelten verfassungsrechtlichen Anforderungen angewandt werden. Diese haben zu gewährleisten, dass die Spannungslagen zwischen Staat und Individuum in institutionalisierten, transparenten und im Mindestmaß rationalen Diskursen zum Ausgleich gebracht werden.

C. Influenzierende und influenzierte Staatsgewalt In gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen kann die Bundesregierung den privaten Vereinbarungspartnern eine bestimmte Gesetzgebung für den Fall versprechen, dass sie sich in bestimmter Weise verhalten. Die Bundesregierung nutzt dabei ihr Gesetzesinitiativrecht und ihre politische Durchsetzungsfähigkeit gegenüber dem Parlament als Anreiz dafür, dass Private sich dazu bereit erklären, bestimmte Vereinbarungen einzuhalten. Das Verhalten der Privaten kann auf diese Weise gesteuert werden, ohne dass die vereinbarte Verhaltensweise explizit im Umsetzungsgesetz geregelt werden muss273. In der Vereinbarung vom 14. Juni 2000 hat RWE zugesagt, seinen anhängigen Genehmigungsantrag zum Kernkraftwerk Mühlheim-Kärlich zurückzunehmen. Als Ausgleich dafür sollte das Unternehmen ein kompensierendes Stromkontingent zur Übertragung auf andere Kraftwerke erhalten. Die Antragsrücknahme erfolgte noch vor Beginn des formalisierten Gesetzgebungsverfahrens. Der diesbezügliche Vereinbarungsteil wurde in das Umsetzungsgesetz nicht aufgenommen. Im Atomgesetz wurde hingegen in Umsetzung der Vereinbarung das versprochene kompensierende Strommengenkontingent zur Übertragung auf andere Kraftwerke als Belohnung normiert.

Die Zusage der Bundesregierung gegenüber dem privaten Vereinbarungspartner, ihr Gesetzesinitiativrecht in bestimmter Art und Weise auszuüben oder nicht auszuüben, kann als influenzierende Staatsgewalt angesehen werden, weil die Bundesregierung ihr Initiativrecht dazu benutzt, beim Privaten eine bestimmte Verhaltensweise hervorzurufen274. Das hervorgerufene Verhalten des Privaten kann unter Umständen als influenzierte Staatsgewalt qualifiziert werden. Letzteres setzt aber voraus, dass das Verhalten des Privaten dem Staat zurechenbar ist. Das könnte deshalb zweifelhaft sein, weil 273 Vgl. zur Gesetzesankündigung als Lenkungsintrument: Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 27 ff.; Faber, Gesellschaftliche Selbstregulierungssysteme, S. 219 ff. 274 Vgl. zum influenzierenden Eingriff als Zurechnungskategorie: Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Vorb. vor Art. 1 GG Rdnr. 26; Schmidt-Preuß, Flexible Instrumente, S. 309 (311, 326 ff.), spricht von „Induzierung“. Bei Hoppe, Staatsaufgabe Umweltschutz, S. 211 (309), ist von „inspirierter“ Staatsgewalt die Rede.

C. Influenzierende und influenzierte Staatsgewalt

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der Private die Vereinbarung mehr oder weniger freiwillig einhält. Deshalb ließe sich argumentieren, dass die Freiwilligkeit des Verhaltens des Privaten den Zurechnungszusammenhang zum Staat unterbreche275. Andererseits ruft gerade der Staat durch sein Versprechen, ein bestimmtes Gesetz zu erlassen und ungünstigere Regelungen zu unterlassen, das Verhalten des Privaten hervor. Würde die Bundesregierung kein bestimmtes günstigeres Gesetz versprechen bzw. kein bestimmtes ungünstigeres Gesetz androhen, so würde sich der Private auch nicht in entsprechender Weise verhalten276. Die Freiwilligkeit des Hoheitsunterworfenen stellt bei konkreten gesetzesvorbereitenden Absprachen allenfalls eine modale Freiheit dar. Haben die staatlichen Drohungen und Versprechen einen Konkretisierungsgrad erreicht, der unmittelbar gesetzlich umgesetzt werden könnte, so kann die Zusammenarbeit mit dem Staat für einen vernünftigen Grundrechtsträger zwingend geboten sein, wenn eine jahrelange konfrontative Auseinandersetzung auf dem Rechtsweg zu erheblicher Rechtsunsicherheit und zu verlustreichen Verzögerungen führen würde277, 278. Die Wahlfreiheit des Privaten bezieht sich bei der konkreten Androhung ungünstiger gesetzlicher Regelungen lediglich auf die Wahl zwischen unterschiedlich intensiven Formen nachteiliger gesetzlicher Regelungen279. Lässt 275

Für eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs zur Staatsgewalt bei freier Willensentschließung des Grundrechtsträgers: Sachs, JuS 1995, 303 (307). 276 Vgl. Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 233: „Gerade wenn der Bürger sich ohne rechtlichen Zwang den Belastungen eines erwarteteten Gesetzes unterzieht, ist dies ein sicheres Zeichen für das Bestehen eines faktischen Zwangs durch das Gesetzesprojekt, weil sich eben regelmäßig niemand freiwillig rechtlich ungültigen (d. h. hier noch nicht gültigen) Belastungen unterwirft.“ 277 Zum vernünftigen Grundrechtsträger als maßgebliche Beurteilungsperpektive: BVerwGE 71, 183 (198); 19, 159 (161 f.); vgl. auch BVerfG NJW 1982, 375; für die Heranziehung von Adäquanz-Gesichtspunkten: Michael, Rechtsetzende Gewalt, S. 342. Nicht maßgebend ist demgegenüber die subjektive Sichtweise des jeweiligen Grundrechtsträgers im konkreten Fall: vgl. BVerfG NJW 2003, 1577 (1580 f.). Letztere Entscheidung bezieht sich allerdings auf die verdeckt influenzierende Staatsgewalt. 278 Im Gegensatz zu dieser Betrachtungsweise aus der Perspektive eines vernünftigen Grundrechtsträgers stellt Faber, Gesellschaftliche Selbstregulierungssysteme, S. 310, auf einen eher theoretischen Handlungsspielraum des Grundrechtsträgers ab, der fast immer bejaht werden kann. Diese Sichtweise ist indessen nicht in der Lage, den Grundrechtsträger effektiv vor staatlichem Zwang zu schützen. Überzeugender hingegen Oebbecke, DVBl. 1986, 793 (798), der darauf abstellt, ob das influenzierte Verhalten des Privaten für diesen „faktisch unausweichlich“ ist. Vgl. auch Helberg, Normabwendende Selbstverpflichtungen, S. 194, der darauf hinweist, dass derjenige, der nur die Wahl zwischen ordnungsrechtlichem Zwang und „freiwilligem“ Sichfügen besitzt, in Wahrheit unfreiwillig handelt. 279 Vgl. Brohm, DÖV 1992, 1025 (1033).

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2. Teil: Die Theorie informell-kooperativer Staatsgewalt

sich der Private in einer konkreten Drohsituation auf Verhandlungen mit dem Staat ein, so kann er die Beeinträchtigung eigener Interessen bzw. Rechte gegenüber angedrohten schärferen Regelungen abmildern, nicht jedoch die Zielrichtung der staatlichen Aktivitäten insgesamt beeinflussen280. Der private Kooperationspartner kann nur noch das „wie“ der Regelung beeinflussen, während das „ob“ nicht mehr zur Disposition steht. Bei konkreten Drohungen des Staates ist deshalb davon auszugehen, dass der Zurechnungszusammenhang zum Staat keineswegs dadurch vollständig unterbrochen wird, dass der Private freiwillig handelt. Mag auch der einzelne Kompensationsbeitrag im Rahmen einer Vereinbarung durchaus noch von der modalen Freiheit geprägt sein, so stellt sich das Kooperationsgeschäft in seiner Gesamtheit doch als dem Staat zurechenbarer Akt der Fremdbestimmung des Hoheitsunterworfenen dar, so dass es grundsätzlich gerechtfertigt ist, auch das influenzierte Verhalten des Privaten dem Staat als influenzierte Staatsgewalt zuzurechnen281. Bei gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen mit Austauschcharakter regt der Staat das Verhalten des Privaten nicht nur an, sondern ruft es hervor282. Diese Zurechnung des influenzierten Verhaltens zum Staat dem Grunde nach ändert allerdings nichts daran, dass dennoch die oben beschriebene Gemengelage aus Zwangs- und Freiwilligkeitselementen vorliegt283. Einerseits handelt der Private auf Veranlassung des Staates, weil dieser den entscheidenden Anreiz schafft. Andererseits hat der Private sich jedoch auch in gewissem Maße freiwillig mit der Vereinbarung einverstanden erklärt. Er könnte sich auf den Weg der Konfrontation begeben und langwierige gerichtliche Auseinandersetzungen in Kauf nehmen. Diese Gemengelage vermag zwar nicht den Zurechnungszusammenhang zu unterbrechen. Dennoch kann der Zurechungszusammenhang umso mehr gelockert werden, je stärker das Freiwilligkeitselement in der Gemengelage ausgeprägt ist. Umgekehrt gilt, dass der Private umso weniger freiwillig handelt, je stärker die vom Staat ausgehenden Druck- und Anreizwirkungen sind. Je weniger der Grundrechtsträger jedoch freiwillig handelt, desto deutlicher tritt der Charakter seines Handelns als influenzierte Staatsgewalt hervor. Wegen der Ge280

Vgl. Helberg, Normabwendende Selbstverpflichtungen, S. 161. Die Zurechnungsfigur der influenzierenden und influenzierten Staatsgewalt ist in gewissem Maße mit dem polizeirechtlichen Zweckveranlasser vergleichbar, weil dieser ebenfalls das Verhalten eines anderen final hervorruft und deshalb selbst verantwortlich gemacht werden kann. Der influenzierende Staat ist Zweckveranlasser eines influenzierten Verhaltens Privater, das wegen der staatlichen Veranlassung zur Staatsgewalt mutiert. Zum Zweckveranlasser als Zurechnungsfigur: § 5 Nr. 3 VersG; Berner/Köhler, Polizeiaufgabengesetz, Art. 7 Rdnr. 1. 282 Vgl. BVerfGE 22, 180 (216). 283 Zu dieser Gemengelage: siehe oben 1. Teil A. I. 3. c). 281

C. Influenzierende und influenzierte Staatsgewalt

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mengelage aus Zwang und Freiwilligkeit ist es notwendig, zwischen verschiedenen Intensitätsgraden von influenzierter Staatsgewalt zu unterscheiden, ohne dass damit die grundsätzliche Zurechenbarkeit der influenzierten Staatsgewalt zum Staat in Frage gestellt würde. Der Zurechnungszusammenhang der Tätigkeit des Privaten zum Staat ist umso enger, je intensiver die faktischen Bindungen des Privaten an die mit dem Staat abgeschlossene Vereinbarung ausfallen. Die Intensität der Zurechnung hängt dementsprechend auch davon ab, welchen Druck der Staat für den Fall eines Scheiterns der Verhandlungen und Vereinbarungen ausübt und welche Anreize der Staat bei Erfolg verspricht. Sie bestimmt sich des Weiteren nach den bereits dargelegten Kriterien der Finalität und der Unmittelbarkeit. Beabsichtigt der Staat ein ganz bestimmtes Verhalten von Privaten durch Gesetzgebungsversprechen herbeizuführen und soll die Vereinbarung unmittelbar das Verhalten der Privaten beeinflussen, so führt dies dazu, dass der Charakter als influenzierte Staatsgewalt deutlicher hervortritt, als wenn die Vereinbarung lediglich vage gehaltene politische Absichtserklärungen enthält, die erst noch konkretisiert werden müssen. Der Charakter als influenzierte Staatsgewalt wird besonders signifikant, wenn die lediglich faktisch bindende gesetzesvorbereitende Vereinbarung funktionales Äquivalent einer rechtsverbindlichen Vereinbarung ist284. Beim Atomausstieg ist ein deutlicher Zurechnungszusammenhang zum Staat auch insoweit erkennbar, als es um die „freiwillige“ Antragsrücknahme des Betreibers im Verfahren Mühlheim-Kärlich ging285. Hätte die Bundesregierung dem Betreiber des Kraftwerkes Mühlheim-Kärlich nicht 107,25 TWh als auf andere Kraftwerke übertragbare Reststrommenge versprochen, so hätte der Betreiber den Genehmigungsantrag bezüglich dieses Kraftwerks nicht zurückgenommen. Zudem waren die Auseinandersetzungen um das Kernkraftwerk Mühlheim-Kärlich mit den anderen Streitfragen des Atomausstieges eng verknüpft. Die Bundesregierung hatte ein Junktim hergestellt. Bei Scheitern der Verhandlungen drohte die Bundesregierung mit steuerlichen Nachteilen, mit Schwierigkeiten bei den Transporten und schärferen Regelungen zum Atomausstieg286. Der Betreiber hätte ohne eine einvernehmliche Lösung mit weiteren jahrelangen Streitigkeiten rechnen müssen287. Einem vernünftigen Unternehmer blieb deshalb nichts anderes übrig, als sich mit der von der Bundesregierung vorgeschlagenen Strommenge zufrieden zu geben und den Antrag zurückzuziehen. Der Betreiber hatte lediglich die Wahl zwischen unterschiedlichen Arten von Benachteiligungen288. Das unterbricht den Zurechnungszusammenhang zum Staat 284

Vgl. Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 235. Zu den unterschiedlichen Auffassungen, die im Bundestag zur Frage vertreten wurden, ob die Energieversorger freiwillig der Vereinbarung zustimmten: BT-Sten. Prot. 14/111, S. 10454. 286 Siehe hierzu oben Untgegenstand 1. Teil A. I. 3. b) dd) (1) (b). 287 Vgl. Roßnagel, Schadensersatzansprüche, S. 14. 285

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2. Teil: Die Theorie informell-kooperativer Staatsgewalt

nicht. Der Zurechnungszusammenhang zum Staat ist im Gegenteil deshalb besonders intensiv, weil die Drohungen des Staates einen besonders hohen Konkretisierungsgrad hatten und weil die Vereinbarung in hohem Maße faktische Bindungen erzeugt hat. Die Antragsrücknahme kann als influenzierte Staatsgewalt dem Bund zugerechnet werden. Der Charakter als influenzierte Staatsgewalt ist sehr deutlich ausgeprägt. Das wird auf die spätere verfassungsrechtliche Prüfung hinsichtlich der Kontrolldichte und bei der Abwägung entgegenstehender Verfassungsprinzipien Einfluss haben.

Das Gesetzgebungsversprechen als influenzierendes Staatshandeln führt in Kooperation mit dem Privaten zu influenzierter Staatsgewalt, indem der Private sich in bestimmter Weise auf Wunsch des Staates verhält. Der Staat handelt gleichsam in „mittelbarer Täterschaft“ durch den Privaten289. Dabei kann der Staat veranlassen, dass der Private seine eigenen oder fremde Grundrechte verkürzt290. Bleiben einem vernünftig handelnden Grundrechtsträger keine realistischen Alternativen, ist nicht nur das Verursacherverhalten des Staates, sondern auch das vom Staat verursachte Verhalten des Privaten dem Staat zuzurechnen. Der Private wird für Staatszwecke instrumentalisiert. Dies hat zur Folge, dass das Verhalten des Privaten wie das Staatshandeln an der Verfassung zu messen ist. Die influenzierende Staatsgewalt ist charakteristisches Handlungsinstrumentarium des von der Bundesregierung zum Leitbild erklärten „aktivierenden Staates“. Dieser aktivierende Staat soll auf Eigenverantwortung der Bürger ausgerichtet sein291. Der Begriff der influenzierten Staatsgewalt schafft in Zusammenhang mit einem solchen Konzept eines aktivierenden Staates die Möglichkeit, eine Zurechnung privaten Verhaltens zum Staat vorzunehmen292. Dadurch kann die durch Kooperation undeutlich gewordene Staatsgewalt sichtbar und kontrollierbar gemacht werden293. Die vom Staat induzierte Eigenverantwortung des Bürgers entpuppt sich unter Umständen als Fremdbestimmung durch den Staat. Die Kategorien der influenzierenden und influenzierten Staatsgewalt ermöglichen es, Staatsgewalt 288

Vgl. Roßnagel, Schadensersatzansprüche, S. 29. Weitere Vergleiche mit der strafrechtlichen Zurechnungsdogmatik finden sich bei: Michael, Rechtsetzende Gewalt, S. 391 ff. 290 Zur vom Staat influenzierten Fremdeinwirkung eines Grundrechtsträgers auf einen anderen Grundrechtsträger: Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 238 f.; siehe ferner: BVerfG NJW 2003, 1787 (1789). 291 Zum Leitbild des aktivierenden Staates siehe: Programm der Bundesregierung „Moderner Staat – Moderne Verwaltung“, S. 12, abrufbar unter: www.staat-mo dern.de; Zypries/Peters, ZG 2000, 316 (325); kritisch differenzierend: Huber, Entsorgung als Staatsaufgabe, S. 149 (152). 292 Zur Zunahme influenzierender Staatsgewalt aus historischer Perspektive: Grimm, Der Staat, S. 27 (46 f.). 293 Vgl. Ossenbühl, Die Erfüllung von Staatsaufgaben durch Private, 137 (171). 289

D. Ergebnis

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trotz Kooperation als solche zu identifizieren, um damit die freiheitsschützenden, machtbegrenzenden und gemeinwohlsichernden Strukturen des Grundgesetzes auch bei gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen zur Wirksamkeit zu bringen. Je deutlicher das influenzierte Verhalten Privater als Staatsgewalt erscheint, desto mehr nimmt die verfassungsrechtliche Kontrolldichte zu. Zudem steigt das Gewicht der an die Staatsgewalt anknüpfenden Rechtsprinzipien mit Zunahme des Staatsgewaltcharakters. Diese Skalierung der Influenzierungs- und Prüfungsintensität trägt der Tatsache Rechnung, dass kooperatives Staatshandeln mit Privaten in einer Gemengelage aus Zwang und Freiwilligkeit stattfindet, in der die Intensität der Zwangs- und Freiwilligkeitsmomente nach der besonderen Situation im jeweiligen Regelungsbereich variieren kann. Die Stringenz der verfassungsrechtlichen Prüfungsanforderungen ist von der jeweiligen Zurechnungsintensität des influenzierten Verhaltens Privater zum influenzierenden Staat abhängig294.

D. Ergebnis Die Staatsgewalt lässt sich nicht mehr in formale Schablonen und Rechtsformen pressen. Sie ist heute vielgestaltig und schwierig fassbar geworden. Die Erscheinungsformen subtiler Einflussnahme des Staates auf die Gesellschaft lassen sich nicht allein durch „Anbauten“ an den formalen Staatsgewaltbegriff ausreichend einfangen. Vielmehr ist ein „Neubau“ des Staatsgewaltbegriffes auf empirisch-faktischer Grundlage notwendig, der nicht nur das zum rechtsverbindlichen Staatshandeln funktional äquivalente, sondern auch das rein informatorische Staatshandeln einbezieht. Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen sind auch unterhalb der Schwelle rechtsgleicher faktischer Bindungen bereits als Staatsgewalt einzustufen. Damit greifen insbesondere die grundgesetzlichen Maßstäbe des Demokratie- und Gewaltenteilungsprinzips schon bei der Vorbereitung von Gesetzen ein. Der weite Staatsgewaltbegriff, der seinen Ursprung im weiten Eingriffsbegriff hat, ist die Brücke, über die die Effektivität der Verfassung vom Grundrechtsteil des Grundgesetzes in das Staatsorganisationsrecht gelangt. Der Begriff der gesetzesvorbereitenden, informell-kooperativen Staatsgewalt verdeutlicht, dass das informale Staatshandeln im Vorfeld der formalisierten Gesetzgebung keine verfassungsrechtlich vernachlässigbare Größe ist. Geht man bei gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen mit Privaten von 294 Zum Zusammenhang von Zurechnungsintensität und Prüfungsstringenz: vgl. BVerfGE 53, 30 (58); Papier, Der verfassungsrechtliche Rahmen, S. 37 (41); Sachs, Diskussionsbeitrag, Staatsrechtslehrertagung 2002, S. 352.

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2. Teil: Die Theorie informell-kooperativer Staatsgewalt

informell-kooperativer Staatsgewalt aus, so wird dadurch der Scheinwerfer des Verfassungsrechts auf die bisher unter normativen Gesichtpunkten nur wenig erörterte Gesetzesvorbereitung gerichtet und verfassungsrechtliches Problembewusstsein geschaffen295. Dabei können die aufgezeigten Konturen der Staatsgewalt und die unterschiedlichen Intensitätsgrade des Staatsgewaltcharakters Anhaltspunkte für das notwendige Maß an verfassungsrechtlicher Kontrolle der Gesetzesvorbereitung bieten. Wegen des jede Staatstätigkeit erfassenden, bis in die Gesetzesgenese ausgreifenden Staatsgewaltbegriffes gibt es für den Staat keine verfassungsfreien Rückzugsgebiete. Aus den unterschiedlichen Intensitätsgraden der Staatsgewalt ergeben sich jedoch Räume unterschiedlicher verfassungsrechtlicher Kontrolldichte. Kooperation zwischen Staat und Privaten kann der Herstellung und Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Staatsgewalt und der Verbesserung der Suche nach milderen Mitteln im Sinne des Übermaßverbots dienen. Kooperation ist janusköpfig, weil sie der funktionsfähigen Gemeinschaft ebenso dient wie dem Freiheitsschutz. Der Dualismus zwischen Staat und Gesellschaft hat einerseits den Schutz der Freiheit des Einzelnen gegenüber dem Staat und andererseits den Schutz der Souveränität des Staates vor einer Okkupation durch Einzelinteressen zum Ziel. Die Trennung von Staat und Gesellschaft strebt grundrechtliche Freiheit sowie Gemeinwohl durch sachgeleitete, diskursive Verfahren gleichermaßen an. Die Zurechnungsfigur der influenzierenden und influenzierten Staatsgewalt macht den Staat dort sichtbar und verfassungsrechtlich kontrollierbar, wo kooperatives Zusammenwirken die Grenzen zwischen Staat und Gesellschaft verschwimmen lässt. Dadurch kann der freiheits- und gemeinwohlsichernde Dualismus zwischen Staat und Gesellschaft auch dann gewahrt werden, wenn Staat und Private kooperieren oder sich der Staat sich auf indirekte Verhaltenslenkung beschränkt. Der Dualismus zwischen Staat und Gesellschaft bildet den Ziel- und Brennpunkt, in dem die später zu diskutierenden konkreten verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine gesetzesvorbereitende Kooperation zusammenlaufen296.

295 Zur Notwendigkeit eines solchen Problembewusstseins: Ossenbühl, Länderkompetenz und Bundesaufsicht, S. 49 (56). 296 Vgl. Rengeling, Das Kooperationsprinzip, S. 14, 205.

3. Teil

Die kooperative Staatsgewalt in der Kompetenzordnung Kooperatives Staatshandeln unterliegt einer faktischen Tendenz zur Kompetenzüberschreitung, weil die Kooperationspartner zur Vergrößerung der Verhandlungs- und Tauschmasse geneigt sind, ihre Handlungsmacht auszudehnen1. Das wirft die Frage auf, inwieweit die mit informell-kooperativer Gesetzgebung verbundene faktische Konzentration und kompetenzüberschreitende Tendenz mit der gewaltenteilenden Kompetenzordnung des Grundgesetzes vereinbar ist2. Im Nachfolgenden wird zunächst der Frage nachgegangen, inwieweit das Umsetzungsgesetz besondere kompetenzielle Fragen aufwerfen kann, die mit seinem Charakter als ausgehandeltes Gesetz zusammenhängen (A. I.). Anschließend geht es um die Vereinbarung selbst, indem nach einer kompetenziellen Grundlage zum Abschluss einer gesetzesvorbereitenden Vereinbarung gefragt wird (A. II). Dabei wird im gesamten Abschnitt A. davon ausgegangen, dass Vereinbarung und Umsetzungsgesetz kongruent sind. Danach geht es unter B. um Vereinbarungsteile, die nicht unmittelbar gesetzlich umgesetzt werden. Anschließend ist die Problematik der Einzelfallgesetzgebung zu erörtern. Diesbezüglich wird das Problem der expliziten Einzelfallregelungen im Umsetzungsgesetz (C.) sowie der gesetzlich nicht umgesetzten, aber vom Umsetzungsgesetzgebungsverfahren influenzierten Einzelfallregelungen (D.) erörtert.

1 Zur die Kompetenzordnung überschreitenden Tendenz kooperativen Staatshandelns: vgl. Depenheuer, Der Gedanke der Kooperation, S. 22 f.; zur faktischen Konzentration 1. Teil A. I 3. b) ee); zum Machtgewinn und Machterhalt als Funktionslogik der Politik: Smeddinck/Tils, Normgenese und Handungslogiken, S. 270; Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. VII, § 162 Rdnr. 9, 68, 69. 2 Zur Kompetenzordnung als Ausfluss der Gewaltenteilung: Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR, Bd. III, § 59 Rdnr. 22.

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3. Teil: Die kooperative Staatsgewalt in der Kompetenzordnung

A. Kongruenz von Vereinbarung und Umsetzungsgesetz Soweit gesetzesvorbereitende Vereinbarungen gesetzlich umgesetzt werden, kann die Kompetenzprüfung sowohl an der Vereinbarung selbst als auch am Umsetzungsgesetz ansetzen.

I. Kompetenzielle Grundlage des Umsetzungsgesetzes Das Umsetzungsgesetz beruht in der Regel auf einer geschriebenen Gesetzgebungskompetenz. In ausgehandelten Gesetzen soll aber oftmals eine Vielzahl von Problemen geregelt werden, weil dadurch Rechtsfriede zwischen den Beteiligten umfassend hergestellt werden kann. Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen tendieren deshalb dazu, in fremde Kompetenzbereiche überzugreifen, damit ausreichend Verhandlungs- und Kompensationsmaterial für die Austauschvereinbarung vorhanden ist. Kompetenzübergriffe sind grundsätzlich unzulässig. Wenn der Übergriff in den Kompetenzbereich eines anderen Kompetenzträgers jedoch unerlässliche Voraussetzung ist, um die eigene Kompetenz sinnvoll auszuüben zu können, kann der Kompetenzübergriff ausnahmsweise unter dem Gesichtspunkte der Gesetzgebungskompetenz kraft Sachzusammenhangs gestattet sein3. Der Kompetenz kraft Sachzusammenhangs kommt bei gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen mit Umsetzungsgesetz besondere Bedeutung zu, weil sie die Möglichkeit bietet, sämtliche zusammenhängenden Fragen in einem Gesamtpaket zu verhandeln und gesetzlich umzusetzen. Die Unerlässlichkeit des Übergriffs setzt aber voraus, dass der Übergriff überhaupt geeignet ist, die Ausübung der ausdrücklich zugewiesenen Stammkompetenz zu fördern. Unerlässlich ist der Übergriff zudem dann, wenn er für die Ausübung der Stammkompetenz erforderlich ist. Ein Kompetenzübergriff mit Beteiligung des eigentlich zuständigen Kompetenzträgers stellt sich gegenüber einem Übergriff ohne eine solche Beteiligung als das mildere Mittel dar. Deshalb muss geprüft werden, ob der Kompetenzübergriff durch eine rechtzeitige und effektive Beteiligung des beeinträchtigten Kompetenzträgers und durch eine Berücksichtigung der Belange dieses Kompetenzträgers abgemildert werden kann. Insoweit kann sich aus dem Erforderlichkeitsgebot eine Pflicht ergeben, Kompetenzübergriffe durch kompensatorische Maßnahmen abzumildern4. 3

BVerfGE 3, 407 (421); 98, 265 (299). Zum Gedanken der Kompensation von Kompetenzübergriffen: vgl. Helberg, Normabwendende Selbstverpflichtungen, S. 92 ff. 4

A. Kongruenz von Vereinbarung und Umsetzungsgesetz

183

Dabei setzt eine effektive Beteiligung voraus, dass der beteiligte Kompetenzträger nicht nur angehört wird. Vielmehr muss er die reale Chance erhalten, auf die Willensbildung des übergreifenden Kompetenzträgers einzuwirken. Dieser muss die vorgebrachten Belange bei seiner Abwägung berücksichtigen5. Den übergreifenden Kompetenzträger trifft die Obliegenheit, die beeinträchtigten Kompetenzträger so rechtzeitig anzuhören, dass deren Stellungnahmen tatsächlich in die Abwägung eingestellt werden können6. Zudem muss der beeinträchtigte Kompetenzträger über den Gegenstand der Anhörung ausreichend informiert sein, damit er in der Lage ist, eine sachgerechte Stellungnahme abzugeben7. Durch eine solche effektive Beteiligung wird der Kompetenzübergriff auf das erforderliche Maß begrenzt. Wird vom Bund in den Kompetenzbereich der Länder übergegriffen, so genügt als Kompensation eine effektive Beteiligung einzelner Länder, wenn gerade diese Länder vom Kompetenzübergriff besonders betroffen sind. Sind eine Vielzahl von Ländern betroffen, kann der Sachverstand der Länder auch durch eine vorzeitige Bundesratsbeteiligung in die Gesetzesvorbereitung einbezogen werden8. Der Kompetenzübergriff darf des Weiteren nicht dazu führen, dass die fremde Kompetenz völlig aufgezehrt wird. Es sind lediglich punktuelle Kompetenzübergriffe gestattet, weil ansonsten die fremde Kompetenz unangemessen beeinträchtigt wird9. Somit erweisen sich auch hier die Prüfungsstufen des Übermaßverbotes als tauglich, um den Kompetenzübergriff kraft Sachzusammenhangs zu begrenzen10. Kompetenzübergriffe können unter dem Gesichtpunkt des Sachzusammenhangs zulässig sein. Sie werden jedoch durch das Übermaßverbot begrenzt. Bei der Prüfung, ob der Übergriff angemessen im Sinne des Übermaßverbots ist, kommt im Zusammenhang mit gesetzesvorbereitenden Vereinba5

Vgl. OVG Koblenz DVBl. 1970, 690 f. Der Zusammenhang von Frühzeitigkeit und Effektivität der Anhörung findet sich auch in Art. 32 Abs. 2 GG normiert. Zum Zusammenhang von Effektivität und Frühzeitigkeit der Beteiligung: siehe auch BVerfGE 36, 1 (15); ThürVerfGH, NVwZ-RR 1997, 394 (395); Staeck, Vom Reformprojekt, S. 142; Bohne, Der informale Rechtsstaat, S. 58. Zudem liegt dem § 58 Abs. 2 VwVfG der Gedanke einer effektiven Beteiligung öffentlicher Stellen zu Grunde (vgl. Huber, Entsorgung als Staatsaufgabe, S. 149 (157)). 7 Vgl. BVerfG NVwZ 2003, 850 (854). 8 Eine vorgezogene Bundesratsanhörung kann auch über den Grundsatz der Verfassungsorgantreue begründet werden. Eine vorgezogene Anhörung einzelner Bundesländer lässt sich auch auf den Grundsatz der Bundestreue stützen. Zu diesen alternativen Begründungsansätzen siehe unten 4. Teil B. I. 5. und 6. 9 BVerfGE 98, 265 (300). 10 Zur Prüfung des Übermaßverbots im Zusammenhang mit der Anwendung der Kompetenzordnung: vgl. BVerfGE 105, 279 (307); 105, 252 (271 f.); 98, 265 (301 ff.); Lerche, Übermaß, S. 159 f. 6

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3. Teil: Die kooperative Staatsgewalt in der Kompetenzordnung

rungen das Kooperationsprinzip zum Tragen. Im Lichte des Kooperationsprinzips kann eine umfassende Problembewältigung in einer Vereinbarung mit Umsetzungsgesetz notwendig sein, damit es zu einer anhaltenden Pazifizierungswirkung kommt. Dies bedeutet, dass bei der Frage, ob ein Kompetenzübergriff angemessen ist, auch der Umstand eine Rolle spielen kann, inwieweit die Kompetenzausweitung unerlässlich war, um einen dem Kooperationsprinzip entsprechenden Konsens zu erzielen11. Die Funktionsvoraussetzungen erfolgreicher Kooperation können bei der Frage Bedeutung erlangen, ob die Gesetzgebungskompetenz für das Umsetzungsgesetz durch eine Kompetenz kraft Sachzusammenhangs zu erweitern ist. Je notwendiger der Kompetenzübergriff für eine erfolgreiche Kooperation ist und je größeres Gewicht dem Kooperationsprinzip im jeweiligen Regelungsbereich zukommt, desto eher kann die Angemessenheit des Kompetenzübergriffs bejaht werden. Dabei werden die Anforderungen der machtbegrenzenden Kompetenzordnung mit den Anforderungen an eine funktionsfähige Staatsgewalt in Einklang gebracht12. Das Kooperationsprinzip ist zwar für sich genommen nicht in der Lage, die Kompetenzordnung zu erweitern. Ein bloßes Kompetenzbedürfnis begründet noch keine Kompetenz13. Kooperation zwischen Staat und Privaten muss sich vielmehr im Rahmen der Kompetenzordnung halten. Die Kompetenzordnung steht nicht zur Disposition der jeweiligen Kompetenzträger14. Dennoch spielt das Kooperationsprinzip bei der Frage eine Rolle, ob ein Kompetenzübergriff im Rahmen einer Kompetenz kraft Sachzusammenhangs angemessen ist. Je notwendiger der Übergriff in fremde Kompetenzen ist, um die Vorteile der Kooperation zwischen Staat und Privaten zu nutzen und je mehr Bedeutung die Kooperation im jeweiligen Bereich hat, desto eher kann der Kompetenzübergriff hingenommen werden15. Dabei muss jedoch beachtet werden, dass ein noch so großes Gewicht des Kooperationsprinzips im Rahmen der Angemessenheit des Kompetenzübergriffs nicht den notwendigen engen Sachzusammenhang zu ersetzen vermag. Es ist nicht ausreichend, wenn sich eine Ausweitung der Gesetzes11

Vgl. Degenhart, Bundes- und länderfreundliches Verhalten, S. 369 (386). Vgl. Pietzcker, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. IV, § 99 Rdnr. 17. 13 Vgl. BVerfGE 98, 265 (299); Lerche, in: Maunz/Dürig, GG Bd. IV, Art. 83 Rdnr. 101. 14 BVerfGE 63, 1 (39); Hermes, Verwaltungskompetenzen, S. 347 (357); Isensee, Diskussionsbeitrag, Staatsrechtslehrertagung 2001, S. 184: „Kooperation schafft keine Zuständigkeit, sondern setzt diese voraus.“; ebenso: Lerche, in: Maunz/Dürig, GG Bd. IV, Art. 83 Rdnr. 96. 15 Zum Abwägungsgesichtpunkt der Funktionsfähigkeit der Staatsgewalt im Rahmen der Prüfung der Kompetenzordnung: vgl. BVerfG 105, 252 (275 f.); 98, 265 (301 ff.). 12

A. Kongruenz von Vereinbarung und Umsetzungsgesetz

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kompetenz lediglich anbietet, um für ein Verhandlungspaket genügend Kompensationsmaterial zu haben. Der enge Sachzusammenhang kann nicht durch einen bloßen Verhandlungszusammenhang ersetzt werden. Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen führen nicht dazu, dass die kompetenzielle Grundlage für das Umsetzungsgesetz unter dem Gesichtspunkt der Verhandlungsopportunität grenzenlos ausgeweitet werden darf. Der Sachzusammenhang muss unabhängig von den gesetzesvorbereitenden Verhandlungen und Vereinbarungen bestehen. Das Gewicht des Kooperationsprinzips kommt erst auf der Angemessenheitsstufe des Übermaßverbotes zum Tragen. Erst nach Prüfung des Sachzusammenhangs, der Geeignetheit und Erforderlichkeit des Übergriffs ist nach der Angemessenheit des Übergriffs zu fragen und dabei das Kooperationsprinzip bezogen auf die jeweilige Regelungsmaterie zu gewichten. Die Bedeutung des engen Sachzusammenhangs soll an folgendem fiktiven Beispiel verdeutlicht werden: Die Arbeitgeberverbände versprechen in einer Vereinbarung, sie werden eine Verschärfung des Betriebsverfassungsgesetzes zugunsten der Arbeitnehmer hinnehmen und entsprechend beschwichtigend auf die Mitgliedsunternehmen einwirken. Der Bund verspricht im Gegenzug, dass er gleichzeitig mit der Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes ein Gesetz verabschieden werde, in dem ein Mitspracherecht der Wirtschaft in Bezug auf die Lehrpläne in den Schulen geregelt wird16. Ein solches Gesetz würde einen unzulässigen Übergriff des Bundes in die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder in Schulangelegenheiten darstellen. Der Übergriff wäre nicht gerechtfertigt, da die Regelungen der Betriebesverfassung keinerlei engen Sachzusammenhang zum Schulwesen aufweisen. Die Regelungen über die Lehrplangestaltung an den Schulen sind weder sachlich geeignet noch erforderlich, um den Bereich der Betriebsverfassung sinnvoll zu regeln. Die bloße Tatsache, dass sich eine Ausweitung der Kompetenzen aus verhandlungstaktischen Gründen angeboten hat, um einen Konsens mit der Wirtschaft zu erzielen, rechtfertigt nicht den Kompetenzübergriff. Dem Konsens und der Kooperation zwischen Wirtschaft und Politik mag noch so großes Gewicht zukommen, mangels Sachzusammenhang fehlt jede kompetenzielle Grundlage für die Regelungen im Schulbereich.

II. Kompetenzielle Grundlage der Vereinbarung Die gesetzesvorbereitende Vereinbarung stellt bereits Staatsgewalt dar und ist deshalb ihrerseits an der Kompetenzordnung zu messen17. Geschriebene Kompetenzen für gesetzesvorbereitende Vereinbarungen zwischen 16

Zum Einfluss der Wirtschaft auf die Schulpolitik: vgl. Süddeutsche Zeitung, 28./29.10.2000, „Spender mit drastischen Forderungen – der Festakt zur Gründung des ‚Bildungspaktes Bayern‘ “. 17 Zur gesetzesvorbereitenden Staatsgewalt: siehe oben 2. Teil.

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3. Teil: Die kooperative Staatsgewalt in der Kompetenzordnung

Staat und Privaten sind im Grundgesetz nicht zu finden. Folglich gelangen die ungeschriebene Annexkompetenz, die Kompetenz kraft Sachzusammenhangs, die Kompetenz kraft Natur der Sache und die ungeschriebene Regierungskompetenz zur Staatsleitung ins Blickfeld18. Im Unterschied zur Annexkompetenz und Kompetenz kraft Sachzusammenhangs handelt es sich bei der Regierungskompetenz zur Staatsleitung nicht um eine zum geschriebenen Kompetenzrecht akzessorische, sondern um eine der Kompetenz kraft Natur der Sache vergleichbare eigenständige Kompetenz. Sie ermächtigt die Bundesregierung zur Information über gesellschaftspolitisch relevante Themen, ohne dass dabei schon ein konkreter Bezug zu einer bestimmten Gesetzgebungs- oder Verwaltungstätigkeit vorliegt. Die Aufteilung der Kompetenzbereiche von Bund und Ländern folgt in Bezug auf die Regierungskompetenz zur Staatsleitung danach, ob ein Bedürfnis nach einer bundeseinheitlichen Vorgehensweise vorliegt19. Damit jedoch über diese Regierungskompetenz zur Staatsleitung nicht die geschriebenen Kompetenzen, insbesondere die der Art. 70 ff. und 83 ff. GG ausgehöhlt werden20, darf dann, wenn eine konkrete Steuerungsintention der Bundesregierung deutlich wird, die auf unmittelbare Verhaltenslenkung abzielt, nicht mehr auf die ungeschriebene Staatsleitungskompetenz zurückgegriffen werden. Vielmehr sind die Kompetenzen im unmittelbaren Vorfeld einer konkret beabsichtigten Gesetzgebungs- oder Verwaltungstätigkeit akzessorisch zu den geschriebenen Kompetenzen zu entwickeln. Von den akzessorischen Kompetenzen der Annexkompetenz und des Sachzusammenhangs regelt die Annexkompetenz die Akte der Vorbereitung und Durchführung des Umsetzungsgesetzes, während die Kompetenz des Sachzusammenhangs die Regelungsreichweite des Umsetzungsgesetzes selbst betrifft. Somit ist die Verbandskompetenz für die gesetzesvorbereitende Vereinbarung auf eine Annexkompetenz zur jeweiligen Gesetzgebungskompetenz des Umsetzungsgesetzes zu stützen21, 22. Dabei kann die 18 Zur ungeschriebenen Staatsleitungskompetenz: BVerfGE 105, 279 (301 ff.); 105, 252 (270 f.). 19 BVerfG 105, 279 (306). 20 Zur Gefahr einer Aushöhlung der Kompetenzordnung durch die ungeschriebene Staatsleitungskompetenz: vgl. Murswiek, NVwZ 2003, 1 (7); Huber, JZ 2003, 290 (295 f.). 21 Vgl. BVerwG, NJW 1991, 1770 (1772); Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 59 Rdnr. 159; Rengeling, Das Kooperationsprinzip, S. 178; Oebbecke, DVBl. 1986, 793 (795). 22 A. A. Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 34 ff., der der Auffassung ist, dass die Kompetenz zur Gesetzesvorbereitung keine Annexkompetenz zu den Art. 70 ff. GG sei, sondern von den Art. 76 ff. mitumfasst werde. M. E. ergibt sich aus Art. 76 Abs. 1 GG jedoch lediglich die Organkompetenz zur Gesetzesvorbereitung, während für die Verbandskompetenz auf Annexkompetenzen zu den Art. 70 ff.

B. Inkongruenz von Vereinbarung und Umsetzungsgesetz

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geschriebene Gesetzgebungskompetenz des Umsetzungsgesetzes ihrerseits durch eine Gesetzgebungskompetenz kraft Sachzusammenhangs unter Berücksichtigung des Kooperationsprinzips erweitert werden. Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen dürfen demnach vom Bund nur insoweit abgeschlossen werden, als er eine geschriebene oder ungeschriebene Gesetzgebungskompetenz für den vereinbarten Sachbereich hat. Besitzt der Bund die Verbandskompentenz zum Abschluss der Vereinbarung als Annexkompetenz seiner Gesetzgebungskompetenzen, so ergibt sich dann die Organkompetenz der Bundesregierung zum Abschluss gesetzesvorbereitender Vereinbarungen aus einer Annexkompetenz zum Initiativrecht des Art. 76 Abs. 1 GG23. Die von den Gesetzgebungskompetenzen gelöste, ungeschriebene Regierungskompetenz zur Staatsleitung stellt hingegen keinen Kompetenztitel dafür dar, Vereinbarungen mit konkreten Regelungsinhalten zu treffen. Das bedeutet, dass die kompetenzielle Grundlage für die Vereinbarung vom 14. Juni 2000 hinsichtlich der Verbandskompetenz des Bundes in einer Annexkompetenz zur Gesetzgebungskompetenz des Art. 74 Nr. 11 a GG zu sehen ist. Die Organkompetenz zum Abschluss der Vereinbarung ergibt sich aus einem Annex zu Art. 76 Abs. 1 GG24.

B. Inkongruenz von Vereinbarung und Umsetzungsgesetz Nicht alle Teile einer gesetzesvorbereitenden Vereinbarung werden unmittelbar gesetzlich umgesetzt. Auch diejenigen Bestandteile gesetzesvorbereitender Vereinbarungen, die nicht explizit gesetzlich umgesetzt werden, aber mit den umzusetzenden Vereinbarungsteilen in einem inneren Zusammenhang stehen, sind auf ihre kompetenzielle Grundlage zu untersuchen.

GG zurückzugreifen ist. Im Übrigen ist die von Kloepfer in diesem Zusammenhang thematisierte Annexkompetenz zur Verfassungsänderung nur insoweit einschlägig, als eine solche konkret angestrebt wird. 23 A. A. Michael, Rechtsetzende Gewalt, S. 430 ff., 453 ff., der die Auffassung vertritt, dass es der Bundesregierung an der Organkompetenz zum Abschluss solcher Vereinbarungen fehle, weil diese das Parlament unzulässigerweise in eine Ratifikationslage drängen würden. Diese Problematik eines durch den Abschluss gesetzesvorbereitender Vereinbarungen erzeugten, angeblich unzulässigen Drucks auf das Parlament soll später in Zusammenhang mit dem Verfassungsgrundsatz der Organtreue abgehandelt werden: siehe unten 4. Teil B. I. 5. 24 Vgl. Hermes, Verwaltungskompetenzen, S. 347 (366), der die Kompetenz zum Vereinbarungsabschluss durch die Bundesregierung jedoch unmittelbar auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 11a, 76 Abs. 1 GG stützen möchte.

188

3. Teil: Die kooperative Staatsgewalt in der Kompetenzordnung

I. Verwaltungskompetenzen In Bezug auf Vereinbarungsbestandteile, die den Gesetzesvollzug betreffen und die gesetzlich gar nicht oder nur zum Teil umgesetzt werden, kann nicht auf eine Annexkompetenz zur Gesetzgebungskompetenz des Umsetzungsgesetzes zurückgegriffen werden. Auch die allgemeine Staatsleitungskompetenz der Bundesregierung ermächtigt nicht dazu, in den Bereich der Verwaltungstätigkeit der Länder überzugreifen. Auf die allgemeine Staatsleitungskompetenz können nur rein informatorische Staatstätigkeiten, nicht jedoch der Abschluss von faktisch bindenden Austauschvereinbarungen gestützt werden, die eine konkrete Steuerungsfinalität beinhalten. Kompetenzgrundlage für Vereinbarungen, die einen bestimmten Gesetzesvollzug vorbereiten sollen, stellen vielmehr die jeweiligen Verwaltungskompetenzen dar. Die Vereinbarung vom 14. Juni 2000 enthält zu den Kernkraftwerken Biblis A und Mühlheim-Kärlich Absprachen, die den damals anhängigen Verwaltungsvollzug betrafen. Die kompetenzielle Grundlage für derartige Absprachen, die sich auf bestimmte anhängige Verwaltungsverfahren beziehen, ist in den Verwaltungskompetenzen der Art. 83 ff. GG zu suchen. Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht die Anlage 2 der Vereinbarung an Hand der Art. 83 ff. GG und nicht an Hand der allgemeinen Staatleitungskompetenz oder an Hand der Gesetzgebungskompetenzen geprüft25.

II. Influenzierende und influenzierte Steuerung Der Gesetzgeber kann das Verhalten von Privaten nicht nur durch gesetzliche Tatbestände, sondern auch mittelbar dadurch beeinflussen, dass er den Privaten eine ihnen günstigere Gesetzgebung verspricht, wenn sie sich in bestimmter Weise verhalten (influenzierende gesetzliche Steuerung). Die diesbezüglichen Vereinbarungsinhalte werden in das spätere Gesetz nicht umgesetzt. Sie bereiten das Gesetz nur mittelbar vor. Zur Veranschaulichung wird dabei auf folgendes fiktives Beispiel zurückgegriffen: Der Bund vereinbart mit Wirtschaftsunternehmen eine Lockerung des Kündigungsschutzes, wenn diese sich im Gegenzug bereit erklären, für alle Schulen Personalcomputer zur Verfügung zu stellen. Das Versprechen der Änderung des Kündigungsschutzgesetzes zugunsten der Wirtschaft stellt influenzierende Staatsgewalt dar. Die Gegenleitung der Wirtschaftsunternehmen in Form der technischen Ausstattung von Schulen kann dem Staat mittelbar als influenzierte Staatsgewalt zugerechnet werden, wenn die Unternehmen gerade deswegen die Computer zur Verfügung stellen, weil das Kündigungsschutzgesetz vom Bund geändert wird. 25

BVerfGE 104, 249 ff.

B. Inkongruenz von Vereinbarung und Umsetzungsgesetz

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1. Effektivität der Kompetenzordnung Die gewaltenteilende Kompetenzordnung muss auch in Bezug auf die indirekte Steuerung durch den Staat wirksam werden. Denn auch die indirekte Steuerung stellt, wie bereits dargelegt, dem Gewaltenteilungsgrundsatz unterliegende, influenzierende und influenzierte Staatsgewalt dar26. Würde man die influenzierten Regelungen und mittelbaren Zwecke für kompetenziell irrelevant ansehen, könnte der Gesetzgeber seine begrenzten Gesetzgebungskompetenzen dazu benutzen, um über umfassende gesetzesvorbereitende Vereinbarungen auch auf andere Sachbereiche, in denen ihm keinerlei Kompetenz zukommt, indirekt steuernd Einfluss zu nehmen. Bei gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen besteht die Gefahr, dass der Gesetzgeber seine kompetenzgemäße Gesetzgebungsmacht in einem Bereich dazu nutzt, um von diesem Bereich betroffene Private kompetenzübergreifend dazu zu bewegen, in anderen Bereichen sich in einer bestimmten Weise zu verhalten, in denen er keine Kompetenz hat. Dadurch könnte die Steuerungsmacht nahezu grenzenlos ausgeweitet und der gewaltenteilende Zweck der Kompetenzordnung gesprengt werden. Der Gewaltenteilungszweck der Kompetenzordnung gebietet, die influenzierte Steuerung in die Kompetenzordnung einzubeziehen. Das Gewaltenteilungsprinzip verlangt eine effektive Gewaltenteilung27. Dies bedeutet, dass auch die gesetzlich nicht umgesetzten Vereinbarungsteile vollumfänglich der Kompetenzordnung des Grundgesetzes unterliegen. Sie stellen keine unbeachtlichen Gesetzgebungsmotive dar. 2. Analoge Anwendung von Gesetzgebungskompetenzen Nach dem weiten Staatsgewaltbegriff muss die Kompetenzordnung gegenüber jedwedem staatlichen Handeln zur Wirkung gebracht werden, damit die Gewaltenteilung in ausreichendem Maße effektiv ist. Dies bedeutet aber nicht, dass diejenigen Handlungsinstrumente des Staates, die in der Kompetenzordnung nicht explizit geregelt sind, unzulässig wären. Geht man von einem für neue staatliche Handlungsinstrumente offenen Grundgesetz aus, so müssen die Kompetenzen vielmehr auf die nicht geregelten Handlungsformen analog angewandt werden28. Ansonsten würde den nicht explizit geregelten Steuerungsinstrumenten des Staates die kompetenzielle 26 27

Siehe oben 2. Teil C. Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG Bd. II, Art. 20 Abs. 2 Rdnr.

188. 28 Ist eine analoge Anwendung nicht möglich, kann subsidiär auf die ungeschriebene Regierungskompetenz zur Staatsleitung als Kompetenzreserve zurückgegriffen werden. Siehe oben 3. Teil A. II.

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3. Teil: Die kooperative Staatsgewalt in der Kompetenzordnung

Grundlage fehlen. Der oben abgelehnte Vorbehalt der Verfassung, der das Verfassungsrecht als abschließenden Katalog der erlaubten staatlichen Handlungsformen begreift, würde über die Hintertür statuiert29. Im Gegensatz zu den später gesetzlich umzusetzenden Vereinbarungsteilen können die nicht umzusetzenden Teile nicht auf eine Annexkompetenz zur Gesetzgebungskompetenz des Umsetzungsgesetzes gestützt werden, sofern man darunter lediglich eine Kompetenz zur Vorbereitung und Durchführung später zu beschließender Regelungen versteht. Soweit auch nicht, wie unter B. I. abgehandelt, der Vollzug betroffen ist, kommen die Verwaltungskompetenzen der Art. 83 ff. GG ebenfalls nicht in Betracht. Die nicht umzusetzenden Vereinbarungsteile können jedoch auf Grund der faktischen Verbindlichkeit der Vereinbarung das Verhalten der Bürger wie ein Gesetz steuern. Sie können funktionales Äquivalent zu einer gesetzlichen Steuerung sein. Liegt eine Kompetenz zur unmittelbaren gesetzlichen Regelung vor, so kann diese deshalb analog für die influenzierte Regelung angewandt werden. Lässt man influenzierende Vereinbarungen zu, weil das Grundgesetz offen für neue Handlungsformen ist, so muss man es auch zulassen, dass der Gesetzgeber von der Gesetzgebungskompetenz keinen unmittelbaren Gebrauch macht, indem er das Verhalten des Vereinbarungspartners unmittelbar gesetzlich regelt. Vielmehr muss es dann auch gestattet sein, influenzierend im von der Gesetzgebungskompetenz umfassten Bereich zu steuern. Die influenzierte Staatsgewalt wird dementsprechend von einer analogen Anwendung der Gesetzgebungskompetenz im influenzierten Bereich gedeckt. Das muss aber erst recht auch dann gelten, wenn die Vereinbarung noch nicht die Bindungsintensität funktionaler Äquivalenz erreicht. Fiktives Beispiel: Der Staat könnte sich zu einer Lockerung des Kündigungsschutzes gegenüber den Arbeitgebern in einer gesetzesvorbereitenden Vereinbarung verpflichten. Als Gegenleistung könnten die Arbeitgeber versprechen, auch ohne gesetzliche Verpflichtung die Rechte der Betriebsräte über Betriebsvereinbarungen zu stärken. Dabei hätte der Gesetzgeber auch für eine unmittelbare gesetzliche Stärkung der Betriebsräte im Betriebsverfassungsrecht eine Kompetenz in Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG. Deshalb wären die staatlich influenzierten Betriebsvereinbarungen von der Gesetzgebungskompetenz des Arbeitsrechts mitumfasst, so dass kein Kompetenzübergriff des Bundes vorläge.

29 Zur Offenheit des Grundgesetzes für neue Steuerungsformen und der damit verbundenen Ablehnung eines Vorbehalts der Verfassung: siehe oben 2. Teil A. III. 1.

B. Inkongruenz von Vereinbarung und Umsetzungsgesetz

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3. Kompetenz kraft Sachzusammenhangs Greift indessen eine influenzierte Regelung einer gesetzesvorbereitenden Vereinbarung in den Kompetenzbereich eines anderen Kompetenzträgers über, so stellt sich auch insoweit die Frage, ob der Kompetenzübergriff aus Gründen des Sachzusammenhangs gerechtfertigt sein kann. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die ungeschriebene Kompetenz kraft Sachzusammenhangs lediglich ausnahmsweise einen Kompetenzübergriff rechtfertigt. Die Kompetenz kraft Sachzusammenhangs muss als Ausnahmekompetenz restriktiv gehandhabt werden, damit das ungeschriebene Verfassungsrecht nicht die geschriebene Kompetenzordnung nivelliert. Das wirft die Frage auf, ob eine Kompetenz kraft Sachzusammenhangs nur angenommen werden kann, wenn der Kompetenzübergriff sich explizit aus dem Umsetzungsgesetz ergibt oder ob auch lediglich in der Vereinbarung enthaltene Kompetenzübergriffe auf eine Kompetenz kraft Sachzusammenhangs gestützt werden können. a) Kein Gebot expliziter Normierung Dem Ausnahmecharakter der Kompetenz kraft Sachzusammenhangs könnte es entsprechen, Kompetenzübergriffe nur insoweit zuzulassen, als sich der Kompetenzübergriff explizit aus der gesetzlichen Regelung im Umsetzungsgesetz ergibt. Die restriktive Auslegung der Ausnahmekompetenz kraft Sachzusammenhangs könnte zu einem Gebot der expliziten Normierung von Kompetenzübergriffen führen. Dann kann aufgrund dieser expliziten Normierung geprüft werden, ob ein ausreichend enger Sachzusammenhang gegeben ist und ob sich das Ausmaß des Kompetenzübergriffs im Rahmen der Übermaßverbotes hält. Explizite Normen machen den Kompetenzübergriff deutlich sichtbar und unterstellen ihn damit dem Diskurs im Gesetzgebungsverfahren, der sich auch darauf zu beziehen hat, ob der Kompetenzübergriff ausnahmsweise gerechtfertigt ist30. Ein Kompetenzübergriff, der sich hingegen lediglich aus der Vereinbarung ergäbe und nicht ausdrücklich im Umsetzungsgesetz normiert wäre, wäre demnach unzulässig31. Erkennt man indessen an, dass es sich bei dem vom Staat hervorgerufenen Verhalten Privater auch insoweit um Staatsgewalt handelt, als keine unmittelbare gesetzliche Umsetzung erfolgt, so muss auch das dem Staat zurechenbare Privatverhalten an der Kompetenzordnung gemessen werden. Die Kategorien der influenzierenden und influenzierten Staatsgewalt ermög30 Zur Funktion des gesetzgeberischen Diskurses als präventive Verfassungskontrolle durch das Parlament: siehe unten 5. Teil D. III. 1. a). 31 Vgl. BVerfGE 98, 265 (352) – abw. M.

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3. Teil: Die kooperative Staatsgewalt in der Kompetenzordnung

lichen die Zurechnung des Verhaltens der privaten Vereinbarungspartner zum Staat32, decken damit verdeckte Kompetenzübergriffe auf und fordern dadurch entsprechendes verfassungsrechtliches Problembewusstsein vom Gesetzgeber ein. Es genügt deshalb, wenn die wesentlichen Gründe eines influenzierten Kompetenzübergriffs in den Gesetzesmaterialien dargelegt und abgewogen werden33. Eine explizite Umsetzung der übergreifenden Vereinbarungsteile im Umsetzungsgesetz ist demgegenüber nicht erforderlich. Das erwähnte Gebot expliziter gesetzlicher Umsetzung von Kompetenzübergriffen findet somit auf gesetzesvorbereitende Vereinbarungen mit Umsetzungsgesetz keine Anwendung. Im obigen Beispiel einer Lockerung des Kündigungsschutzes gegen Ausstattung von Schulen mit Computern durch die Wirtschaft kann die Ausstattung der Schulen mit Computern dem Bund zugerechnet werden, wenn Abschluss und Durchführung der diesbezüglichen Vereinbarung aus der Sicht eines vernünftigen Unternehmers geboten waren34. Der Bund influenziert in einem solchen Fall das Verhalten der Wirtschaft, indem er eine Lockerung des Kündigungsschutzes verspricht, und übt insoweit auch im Hinblick auf die Ausstattung der Schulen Staatsgewalt aus. Damit greift der Bund in die Landeskompetenz im Bereich des Schulwesens über. Es ist jedoch keinerlei Sachzusammenhang zwischen der Gesetzgebungskompetenz des Bundes im Arbeitsrecht und der Ausstattung von Schulen gegeben. Deshalb wäre der influenzierte Kompetenzübergriff des Bundes in die Kulturhoheit der Länder nicht gerechtfertigt. Das gilt gerade nicht nur dann, wenn der Bund ausdrücklich die Verpflichtung der Wirtschaft zur Ausstattung der Schulen gesetzlich umsetzt, sondern auch dann, wenn der Kompetenzübergriff des Bundes ohne gesetzliche Umsetzung erfolgt. Die Zurechnungsfigur der influenzierenden und influenzierten Staatsgewalt macht eine Zurechnung und Überprüfung des kompetenzüberschreitenden Staatshandelns an Hand der Gesetzgebungskompetenzen auch dann möglich, wenn der Bund an Stelle von expliziten gesetzlichen Regelungen dadurch steuert, dass er mit der gesetzesvorbereitenden Vereinbarung einen bestimmten Anreizkontext schafft35.

b) Angemessenheit des influenzierten Kompetenzübergriffs Die influenzierte Staatsgewalt weist die Besonderheit auf, dass sie in Zusammenwirken mit den Betroffenen steuert und sich in einer Gemengelage aus Zwangs- und Freiwilligkeitselementen ereignet36. Diese Gemengelage 32 Zur Zurechnungsfigur der influenzierenden und influenzierten Staatsgewalt: siehe oben 2. Teil C. 33 Zur insoweit notwendigen Dokumentation des gesetzgeberischen Abwägungsvorgangs: siehe unten 5. Teil D. III. 4. b) cc). 34 Zum Zurechnungsmaßstab des vernünftigen Grundrechtsträgers: siehe oben 2. Teil C. 35 Zum Begriff der Kontextsteuerung: Schmidt-Preuß, Verwaltung und Verwaltungsrecht, S. 160 (185 ff.).

B. Inkongruenz von Vereinbarung und Umsetzungsgesetz

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ist im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit des Kompetenzübergriffes zu beachten. Bei der Prüfung der Angemessenheit des Kompetenzübergriffs ist zu berücksichtigen, dass es unterschiedliche Intensitätsgrade influenzierter Staatsgewalt und damit auch unterschiedliche Intensitätsgrade des Kompetenzübergriffs gibt37. Je weniger der influenzierte Private freiwillig handelt und je deutlicher das kompetenzüberschreitende Verhalten dem Staat zugerechnet werden kann, um so höhere Anforderungen sind die an die Rechtfertigung des Kompetenzübergriffs zu stellen. Dabei beurteilt sich die Intensität der Zurechnung zum Staat danach, wie konkret die kompensierenden Gesetzgebungsversprechen und wie intensiv die faktischen Bindungen an die kompetenzüberschreitenden Vereinbarungen ausfallen38. Je konkretere Zusagen hinsichtlich der künftigen Gesetzgebung in einer Vereinbarung enthalten sind und je intensivere faktische Bindungen die Vereinbarung entfaltet, umso strengere Anforderungen gelten für die Rechtfertigung eines in der Vereinbarung enthaltenen Kompetenzübergriffs. Verspricht der Bundesgesetzgeber beispielsweise der Wirtschaft umfangreiche Steuervergünstigungen als Kompensation, wenn diese flächendeckend den Schulen Computer zur Verfügung stellt, so wäre zumindest ein wirtschaftlicher Sachzusammenhang zwischen Steuererleichterungen der Wirtschaft und Computerausstattung der Schulen gegeben. Der Kompetenzübergriff müsste jedoch auch angemessen sein. Dies ist dann umso schwieriger zu begründen, je mehr sich die Privaten durch die in Aussicht gestellten Steuervergünstigungen zur „Computerspende“ veranlasst sehen und je weniger die Privaten freiwillig handeln, weil dann der indirekte Einfluss des Bundes auf die Landeskulturhoheit umso deutlicher ausgeprägt ist.

4. Kompetenzkollision Influenzierte Verhaltensweisen einer Privatperson können mit gesetzlichen Normen eines anderen Kompetenzträgers kollidieren. Wenn ein Hoheitsträger ein bestimmtes Verhalten influenziert, während ein anderer das influenzierte Verhalten verbietet, stellt sich die Frage, ob die influenzierte Steuerung oder die unmittelbar gesetzlich normierte Regelung den Vorrang genießt. Nach dem Rechtsstaatsprinzip muss der Widerspruch beider Regelungsmechanismen aufgelöst werden. Der Rechtsstaat darf das gleiche Verhalten nicht widersprüchlich regeln und steuern (rechtsstaatliches Konsistenzgebot)39. 36

Zu dieser Gemengelage: siehe oben 1. Teil A. I. 3. c). Zu den unterschiedlichen Intensitätsgraden influenzierter Staatsgewalt: siehe oben 2. Teil C. 38 Zu den Intensitätsgraden faktischer Bindung: siehe oben 1. Teil A. I. 3. b) dd). 39 BVerfGE 98, 106 (118 ff.); 98, 83 (97 ff.); Di Fabio, NVwZ 1999, 1153 (1157). 37

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3. Teil: Die kooperative Staatsgewalt in der Kompetenzordnung

Im obigen Beispiel der Ausstattung von Schulen mit Computern durch die Wirtschaft auf Veranlassung des Bundes wäre es denkbar, dass ein Bundesland die Aufstellung und Benutzung dieser Computer ausdrücklich verbietet. Insoweit stellt sich dann, wenn man nicht schon ein kompetenzwidriges Handeln des Bundes annimmt, die Frage, ob die influenzierende Steuerung durch den Bund oder das landesrechtliche Verbot den Vorrang haben. Das rechtsstaatliche Konsistenzgebot verbietet widersprüchliche Regelungen von Bund und Land.

Dabei genießt die unmittelbar gesetzlich regelnde Staatsgewalt gegenüber der lediglich influenzierenden Staatsgewalt den Vorrang. Würde umgekehrt die Steuerung durch informell-influenzierende Vereinbarungen vorrangig sein, so würde man damit die Auswanderung staatlichen Handelns aus den normierten Rechtsformen in die informell-influenzierende Steuerung geradezu provozieren. Das kann nicht im Sinne des Grundgesetzes sein, weil dieses gerade das Gesetz und nicht die informelle Vereinbarung als rechtsstaatliches Steuerungsmittel vorsieht. Den im Grundgesetz explizit geregelten Handlungsformen muss gegenüber den nicht geregelten der Vorrang eingeräumt werden. Dies gilt unabhängig davon, welcher der konkurrierenden Kompetenzträger die direkte oder indirekte Regelung erlassen hat. Influenziert beispielsweise der Bund, so kann auch das Land durch direkte Regelung dem entgegenwirken. Die direkte Regelung des Landes hat dann ungeachtet des Art. 31 GG den Vorrang vor der influenzierenden Steuerung des Bundes. Anders sieht es hingegen dann aus, wenn unterschiedliche influenzierende Regelungen von Bund und Land bestehen. Treffen divergierende influenzierende Regelungen zusammen, so ist davon auszugehen, dass die bundesrechtliche Regelung nach Art. 31 GG den Vorrang genießt. Im obigen Beispiel hat das landesrechtliche Verbot der Aufstellung der Computer Vorrang, auch wenn der Bund die Aufstellung mit der Wirtschaft als Gegenleistung für die Lockerung des Kündigungsschutze vereinbart hat. Die influenzierende Bundesstaatsgewalt ist gegenüber der explizit regelnden Landesstaatsgewalt nachrangig.

III. Ergebnis Gesetzlich nicht umgesetzte Vereinbarungsteile sind ebenso wie die gesetzlich umgesetzten an der Kompetenzordnung zu messen. Dabei scheidet indessen eine Annexkompetenz als Kompetenz zur Vorbereitung einer späteren gesetzlichen Regelung aus. Die nicht umgesetzten Teile finden aber in den Verwaltungskompetenzen, in einer analogen Anwendung von Gesetzgebungskompetenzen und in einer Kompetenz kraft Sachzusammenhangs eine Kompetenzgrundlage. Die Kompetenz kraft Sachzusammenhangs ist auch für gesetzlich nicht unmittelbar umgesetzte Vereinbarungsteile anwendbar. Es gilt insoweit kein Gebot expliziter Normierung des Kompetenz-

C. Einzelfallregelungen im Umsetzungsgesetz

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übergriffs. Die Anforderungen an die Rechtfertigung des Kompetenzübergriffs steigen jedoch, je enger der Zurechnungszusammenhang des influenzierten Privatverhaltens zum Staat geknüpft und je stärker infolgedessen der Charakter als influenzierte Staatsgewalt ausgeprägt ist. Bei der Kollision von unmittelbar gesetzlich regelnder und influenzierender Staatsgewalt ist zu beachten, dass die unmittelbar gesetzlich regelnde Staatsgewalt die influenzierende Staatsgewalt unabhängig davon bricht, ob Bund oder Land die influenzierende Staatsgewalt ausüben.

C. Einzelfallregelungen im Umsetzungsgesetz Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen zwischen Bundesregierung und den Betroffenen kommen vor allem bei oligopolen Strukturen in Betracht. Diese legen es nahe, auch Einzelfälle in die gesetzesvorbereitenden Absprachen einzubeziehen. Charakteristisch für den Untersuchungsgegenstand ist eine umfassende Regelung sämtlicher Fragen in einer Vereinbarung. Dazu werden neben abstrakt-generellen Regelungen auch detaillierte Einzelfallregelungen und konkrete Absprachen zu umstrittenen anhängigen Vollzugsfragen in die gesetzesvorbereitende Vereinbarung aufgenommen, um eine umfassende Pazifizierungswirkung zu erreichen40. Dies könnte gegen das Verbot von Einzelfallgesetzen in Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG verstoßen oder einen Widerspruch zur gewaltenteilenden Kompetenzordnung darstellen, nach der der Vollzug im Einzelfall grundsätzlich in den Händen der Exekutive liegt. Da der Gesetzesvollzug in Regel Sache der Länder ist, beeinträchtigen selbstvollziehende Einzelfallgesetze des Bundes vor allem die Vollzugskompetenzen der Länder und die vertikale Gewaltenteilung41. In diesem Zusammenhang ist zu untersuchen, inwieweit das Umsetzungsgesetz einer gesetzesvorbereitenden Vereinbarung Einzelfallregelungen enthalten darf. Parzellenscharfe Einzelfallregelungen lassen sich im Umsetzungsgesetz zum Atomausstieg mehrfach finden: Anlage 1 der Vereinbarung vom 14. Juni 2000 enthält die Reststrommengen für die jeweiligen Kernkraftwerke, die auf Grund einer für jedes einzelne Kernkraftwerk spezifischen Referenzmenge berechnet wurden42. Besonders deutlich wird der Charakter der Atomgesetznovelle als Einzelfallgesetz vor allem auch an den Sonderregelungen, die für das Kernkraftwerk Obrigheim und das Kernkraftwerk Mühlheim-Kärlich vereinbart wurden43. Die diesbezüglichen Strommengen wurden nicht 40

Zur sachlichen Konzentration: siehe oben 1. Teil A. I. 3 b) ee) (1). Vgl. Oeter, Diskussionsbeitrag, Staatsrechtslehrertagung 1998, 249 f.; zum selbstvollziehenden Charakter der Laufzeitbegrenzung beim Atomausstieg: Böhm, Festlegung der Strommengen, S. 43 (46). 42 Zur dabei angewandten Berechnungsformel: siehe oben 1. Teil A. I. 1. 43 Siehe oben 1. Teil A. I. 1. 41

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3. Teil: Die kooperative Staatsgewalt in der Kompetenzordnung

auf der Grundlage der allgemeinen Formel berechnet, die nach II. 2. der Vereinbarung der Berechnung der Strommengen der anderen Kernkraftwerke zu Grunde gelegt wurde. Die in Anlage 1 der Vereinbarung festgelegten Reststrommengen wurden in die Atomgesetznovelle als Anlage 3 aufgenommen, so dass sich im AtG nun kernkraftwerksscharfe Regelungen für jedes deutsche Kernkraftwerk befinden. Anlage 3 der Vereinbarung enthält zudem für jedes einzelne Kernkraftwerk den tagesscharf angegebenen Zeitpunkt für Periodische Sicherheitsüberprüfungen, die nach 10 Jahren zu wiederholen sind (III. 1. der Vereinbarung). Auch dies wurde Bestandteil des neuen Atomgesetzes (19a Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Anlage 4 AtG n. F.). Die Festlegung des Zeitpunktes von entsprechenden Sicherheitsüberprüfungen war bisher Sache der Landesbehörden44.

I. Verbot von Einzelfallgesetzen nach Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG Zunächst sind Inhalt und Funktion des Verbots von Einzelfallgesetzen in Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG zu untersuchen. Dabei wird sich herausstellen, dass Art. 19 Abs. 1 Satz GG nach seiner Ratio ein wichtiges Instrument sein könnte, um privilegierender Lobbygesetzgebung in ausgehandelten Gesetzen entgegenzuwirken. Die Bedeutung dieser Norm wird jedoch durch ihren eingeschränkten Anwendungsbereich gemindert, der im Anschluss an die Erörterung ihrer Funktion zu umreißen ist. Dabei ist auf die Möglichkeit einer Analogie einzugehen45. 1. Funktion des Verbots von Einzelfallgesetzen Nach Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG müssen grundrechtseinschränkende Gesetze allgemein sein und dürfen nicht nur für einen bestimmten Einzelfall 44 Begründung der Gesetzesvorlage, BT-Drs. 14/7261, 14/6890, S. 25; Renneberg, Das Gesetz zur Beendigung, S. 27 (29); Heitsch, Sicherheitsmaßstäbe, S. 185. 45 Wenn vorliegend Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG im Rahmen der Kompetenzordnung angesprochen wird, so ist damit keine einseitig staatsorganisationsrechtliche Deutung dieser Norm verbunden (vgl. zu dieser Problematik: Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG Bd. II, Art. 19 Abs. 1 Rdnr. 11 ff.). Die Prüfung im Zusammenhang mit der Kompetenzordnung rechtfertigt sich allein daraus, dass Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG neben seiner grundrechtssichernden Funktion auch eine kompetenzielle Relevanz hat, so wie umgekehrt dem Staatsorganisationsrecht auch eine grundrechtsschützende Bedeutung zukommt. Zu den Verbindungslinien zwischen institutionellem Teil und Grundrechtsteil des Grundgesetzes: Herzog, in: Maunz/Dürig, GG Bd. II, Art. 19 Abs. I Rdnr. 3; zum Bezug des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG zur Gewaltenteilung: Stern, Staatsrecht Bd. 3/2, § 83 II 7 (S. 731); Herzog, in: Maunz/Dürig, GG Bd. II, Art. 19 Abs. I Rdnr. 27; Dreier, in: Dreier, GG Bd. I, Art. 19 I Rdnr. 13; Krebs, in: v. Münch/Kunig, GG Bd. 1, Rdnr. 9.

C. Einzelfallregelungen im Umsetzungsgesetz

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gelten. In kompetenzieller Hinsicht wird dadurch die Primärzuständigkeit der Exekutive für den einzelfallbezogenen Vollzug gegenüber der für abstrakt-generelle Regelungen zuständigen Legislative gewahrt. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts sind die Anforderungen des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG dann erfüllt, wenn sich diejenigen Fälle, auf die das Gesetz Anwendung finden wird, wegen der abstrakten Fassung des gesetzlichen Tatbestandes nicht schon von vornherein absehen lassen46. Daraus könnte der Umkehrschluss gezogen werden, dass dann, wenn bei Gesetzesbeschluss oder In-Kraft-Treten des Gesetzes bereits alle Anwendungsfälle bestimmbar sind, ein unzulässiges Einzelfallgesetz vorliegen würde. Ein solcher Umkehrschluss würde jedoch dazu führen, dass Übergangsregelungen jedenfalls bei oligopolen Strukturen nicht möglich wären. Sind nämlich von vornherein nur wenige Grundrechtsträger von einer Regelung betroffen und wird für die bereits abschließend bekannten Altfälle eine Übergangsregelung geschaffen, so müsste man solche Übergangsregelungen immer als unzulässiges Einzelfallgesetz einstufen47. Wendet man Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG auch im Bereich des Art. 14 GG an, müssten Restlaufzeiten für die vorhandenen Kernkraftwerke in Deutschland immer als unzulässige Einzelfallgesetze angesehen werden, weil die Anzahl der Anwendungsfälle der Regelungen über die Restlaufzeiten immer von vornherein begrenzt und überschaubar wäre48.

Dies kann jedoch deshalb nicht richtig sein, weil Übergangsregelungen nach den Grundrechten bzw. dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutzprinzip unter Umständen verfassungsrechtlich geboten sind49. Deshalb darf daraus, dass alle Einzelfälle, auf die eine gesetzliche Regelung Anwendung finden wird, zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens abschließend bestimmbar sind, noch nicht automatisch auf ein unzulässiges Einzelfallgesetz geschlossen werden. Das Bundesverfassungsgericht ist vielmehr dahin zu verstehen, dass jedenfalls dann, wenn die Anwendungsfälle noch nicht abschließend bestimmbar sind, kein unzulässiges Einzelfallgesetz vorliegt. Das bedeutet jedoch nicht im Umkehrschluss, dass dann, wenn die Anwendungsfälle von 46

BVerfGE 10, 234 (242); 25, 371 (396); 36, 383 (400). Vgl. Schneider, Gesetzgebung, Rdnr. 38: „Einzigartigkeit und Unwiederholbarkeit des Falles, der angesprochen wird, sind die wesentlichen Kennzeichen eines Einzelfallgesetzes.“ Bei einer Vielzahl von Betroffenen soll hingegen nach BVerfGE 15, 126 (146 f.) kein Einzelfallgesetz vorliegen. Andererseits heißt es in BVerfGE 31, 255 (264), dass die Größe der betroffenen Gruppe keine Rolle spiele, wenn diese sachgerecht abgegrenzt sei. 48 Die Frage, inwieweit Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG überhaupt im Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG bzw. des Art. 14 Abs. 3 GG anwendbar ist, soll an dieser Stelle offen bleiben. Hierzu später 3. Teil C. I. 2. b). 49 Vgl. BVerfGE 15, 126 (146 f.); zum verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz: siehe unten 8. Teil B. 47

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3. Teil: Die kooperative Staatsgewalt in der Kompetenzordnung

vornherein bekannt sind, automatisch und in jedem Fall ein verfassungswidriges Einzelfallgesetz vorliegen muss. Dann stellt sich jedoch die Frage, worauf es ankommt, damit Einzelfallregelungen nach Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG verfassungsgemäß sein können, obwohl sich die Anwendungsfälle von vornherein bestimmen lassen. Hierzu muss nach dem Sinn und Zweck des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG gefragt werden. Durch die Verpflichtung des Gesetzgebers, Gesetze abstrakt-generell zu formulieren, soll erreicht werden, dass die Entscheidung der Einzelfälle auf allgemeine Maßstäbe zurückgeführt werden. Durch die Bildung allgemeiner Maßstäbe wird die Rationalität und Sachgerechtigkeit von Rechtsnormen gefördert und eine rein interessenbezogene Privilegierung Einzelner zurückgedrängt. Wer gezwungen ist, die Entscheidung von Einzelfällen auf verallgemeinerungsfähige Grundlagen zu stellen, wird dazu veranlasst, seine Entscheidung kritisch zu reflektieren50. Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG hat demnach gegenüber dem materiellen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG die zusätzliche und eigenständige Funktion einer formellen Sicherung der Gleichheit und Einzelfallgerechtigkeit, die durch die Bildung allgemeiner Maßstäbe erreicht werden soll51. Es kommt mithin nicht nur auf die Sachgerechtigkeit einer Einzelfallregelung an. Vielmehr soll sich die Sachgerechtigkeit einer Einzelregelung daraus ergeben, dass diese aus allgemeinen Maßstäben abgeleitet wird. Das Anliegen des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG, eine einzelfallbezogene Gefälligkeitsgesetzgebung zu vermeiden und Sachgerechtigkeit durch verallgemeinerungsfähige Maßstäbe formell zu sichern, hat gerade dann besondere Bedeutung, wenn der Staat mit bestimmten Interessenvertretern Gesetze en detail aushandelt, weil in diesen Fällen in besonderem Maße eine unsachlich privilegierende Einzelfallgesetzgebung befürchtet werden muss. Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen machen die Ratio des Art. 19 Abs. 1 Satz GG besonders virulent. 50 Zur Rationalität stiftenden Kraft von allgemeinen Maßstäben: BVerfGE 101, 158 ff.; Degenhart, ZG 2000, 79 (90); Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 61 Rdnr. 11 f.; Hufen, Über Grundlagengesetze, S. 11 (12 f.); Kloepfer, Gesetzgebung im Rechtsstaat, 63 (66 ff., 134, 147 f.); Zippelius, Rechtsphilosophie, § 15 (S. 106 ff.). 51 Die Frage, ob Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG gegenüber dem allgemeinen Gleichheitssatz eine selbstständige Bedeutung hat, ist umstritten. Für eine selbstständige Bedeutung sprechen sich beispielsweise aus: Stern, Staatsrecht Bd. 3/2, § 83 II 7 (S. 731); Herzog, in: Maunz/Dürig, GG Bd. II, Art. 19 Abs. I, Rdnr. 9; Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG Bd. I, Art. 19 Abs. 1 Rdnr. 19; als bloße Wiederholung bzw. Konkretisierung des allgemeinen Gleichheitssatzes wird Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG beispielsweise interpretiert von: Meessen, DÖV 1970, 314 (317); Krebs, in: v. Münch/Kunig, GG Bd. 1, Art. 19 Rdnr. 10; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 19 Rdnr. 1a.

C. Einzelfallregelungen im Umsetzungsgesetz

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Übergangsregelungen, die sich vor allem bei oligopolen Strukturen auf ganz bestimmte Einzelfälle offen oder verdeckt beziehen, können einerseits Einzelfallgesetze darstellen und damit gegen das Verbot von Einzelfallgesetzen des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG verstoßen. Andererseits sind solche Übergangsregelungen unter dem Aspekt des Grundrechts- und Vertrauensschutzes in bestimmten Konstellationen gerade geboten52. Dieser Widerspruch ist dadurch aufzulösen, dass Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG für den Fall von Übergangsregelungen in oligopolen Strukturen teleologisch reduziert wird. Demnach verlangt Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG in diesem Bereich keine abstrakt-generelle Formulierung des Gesetzestextes. Vielmehr ist es ausreichend, wenn die Übergangsregelung auf verallgemeinerungsfähigen Maßstäben beruht und somit keine unsachliche Privilegierung einzelner Vereinbarungspartner darstellt53. Es ist nicht unbedingt erforderlich, dass die allgemeinen Maßstäbe auch dann im Normtext genannt werden, wenn die Anwendungsfälle ohnehin bereits bei Gesetzeserlass abschließend bekannt sind. Bei Übergangsregelungen, die oligopole Strukturen betreffen, ist es unschädlich, dass der Gesetzgeber die Subsumtion selbst vornimmt und die konkreten Anwendungsfälle bereits im Gesetzestext auftauchen, sofern sich in den Gesetzesmaterialien verallgemeinerungsfähige, rational begründete Maßstäbe für die Einzelfallregelungen finden lassen54. Die allgemeinen Maßstäbe dürfen allerdings nicht lediglich vorgeschoben sein55. Sie müssen in sich tragfähig sein. Das zeigt sich daran, ob sie auch für hypothetische weitere Fälle eine überzeugende Lösung bieten könnten. Im Bereich von Übergangsregelungen wird deutlich, dass Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG seine tiefere Ratio nicht allein in einer Vorgabe an die Gesetzesformulierung, sondern in einem rationalen Gesetzgebungsdiskurs entfaltet, der von allgemeinen Prinzipien und Maßstäben geleitet wird und dem bei ausgehandelten Einzelfallregelungen besondere Bedeutung für die Sachgerechtigkeit des Gesetzes zukommt56. In der ausgehandelten Atomgesetznovelle werden für jedes Kernkraftwerk spezifische Reststrommengen geregelt. Würde man deswegen Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG 52

Vgl. Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 19 Rdnr. 10. Vgl. Becker, NJW 2000, 3742 (3744). 54 Vgl. BVerfGE 85, 360 (374); 25, 371 (399). 55 Vgl. die Problematik des getarnten Individualgesetzes: BVerfGE 10, 234 (244); Herzog, in: Maunz/Dürig, GG Bd. II, Art. 19 Abs. I Rdnr. 40; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 19 Rdnr. 9. 56 Zum hier zu Grunde gelegten materiell-diskursiven Verständnis des Einzelfallgesetzverbots: Habermas, Faktizität und Geltung, S. 234 f.; zu Zweifeln an der Wirksamkeit eines allein auf die Gesetzesformulierung abstellenden Einzelfallgesetzverbots: Herzog, in: Maunz/Dürig, GG Bd. II, Art. 19 Abs. I Rdnr. 26; Dreier, in: Dreier, GG Bd. I, Art. 19 I Rdnr. 12. 53

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3. Teil: Die kooperative Staatsgewalt in der Kompetenzordnung

auf das Umsetzungsgesetz zum Atomausstieg anwenden, so wären die auf einzelne Kernkraftwerke bezogenen parzellenscharfen Regelungen verfassungswidrig, wenn sie nicht auf allgemeine Maßstäbe zurückgeführt werden können. Im Hinblick auf die Reststrommengen enthält die von der Begründung der Gesetzesvorlage in Bezug genommene Vereinbarung jedoch eine Berechnungsformel, die sich aus dem Produkt aus 32 Kalenderjahren und einer jahresbezogenen Referenzmenge zusammensetzt57. Somit beruhen die Reststrommengen auf einem allgemeinen Maßstab, der sich allerdings nicht unmittelbar aus dem Gesetzestext ergibt. Angesichts der Tatsache, dass die Anwendungsfälle der vereinbarten Formel aber bereits von vornherein bekannt waren, gebietet es Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG jedoch nicht, die Berechnungsformel als allgemeinen Maßstab ins Gesetz aufzunehmen. In einem solchen Fall ist es dem Gesetzgeber vielmehr gestattet, dass er die Formel bereits selbst angewendet und die Reststromkontingente für jedes Kraftwerk ausrechnet. Entscheidend ist lediglich, dass die Festsetzung der Reststromkontingente nicht willkürlich für die einzelnen Kraftwerke, sondern aufgrund allgemeiner Maßstäbe erfolgt, die ihrerseits rational begründet sind. Der Einzelfallcharakter der Anlage 3 des neuen Atomgesetzes rührt daher, dass nicht die vollziehende Verwaltung, sondern der Gesetzgeber selbst die Formel angewandt und eine spezifische Referenzmenge für jedes einzelne Kernkraftwerk eingesetzt hat. Diese kraftwerksspezifische Referenzmenge soll sich aus den Jahreshöchstproduktionen zwischen 1990 und 1999 ergeben haben. Hier wäre es notwendig gewesen, dass die Referenzmengenberechnung an Hand sachlicher Kriterien begründet und offen gelegt wird, so dass eine rationale Deduktion aus einer sachlich begründeten Berechnungsformel erkennbar geworden wäre. Eine Begründung der Formel findet sich jedoch weder in der Vereinbarung noch in der Begründung der Gesetzesvorlage. Es ist nicht dargelegt, warum die Referenzmenge gerade aus den Höchstproduktionen zu ermitteln ist und warum gerade die Jahre von 1990 bis 1999 der richtige Bezugsrahmen sein sollen. Eine diesbezügliche Begründung geht auch nicht aus den sonstigen Gesetzesmaterialien hervor58. Somit wäre die Atomgesetznovelle nur dann mit Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG vereinbar, wenn die allgemeine Berechnungsformel bezogen auf die kernkraftwerksspezifische Referenzmengenberechnung rational begründet wäre59. Die Formel darf nicht lediglich vorgeschoben sein, um rein interessenbezogene Einzelfallregelungen zu rechtfertigen. In Bezug auf die Kernkraftwerke Obrigheim und Mühlheim-Kärlich fehlt sogar jede Angabe zu den der jeweiligen Strommenge zu Grunde gelegten Kriterien, so dass jedenfalls insoweit ein Verstoß gegen Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG nahe liegt.

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II. 2. der Vereinbarung. Vgl. Cloosters, Diskussionsbeitrag, Atomrechtstag 2002, S. 163. 59 Hier kann der Einwand erhoben werden, die rationale Begründung sei zwar nicht in den Materialien dargelegt. Das würde aber noch nicht bedeuten, dass es keine sachliche Begründung gäbe. Eine solche könne nachträglich dargelegt werden. Ein Nachschieben der notwendigen Begründungsbasis widerspricht indessen der präventiven Selbstkontrolle des Gesetzgebers. Zur präventiven Selbstkontrolle des Gesetzgebers und zum Problem der nachträglichen Begründung von Gesetzen: siehe unten 5. Teil D. III. 1 a), 7. Teil B. IV. 58

C. Einzelfallregelungen im Umsetzungsgesetz

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2. Eingeschränkter Anwendungsbereich des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG Die dargelegte Funktion des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG könnte dazu dienen, einer rein interessenbestimmten, einzelfallbezogenen Lobbygesetzgebung entgegenzuwirken. Die Bedeutung des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG wird jedoch dadurch erheblich gemindert, dass die herrschende Auffassung dieser Norm nur einen eingeschränkten Anwendungsbereich zuweist. Diese Einschränkung des Anwendungsbereichs ist im Lichte der ermittelten Ratio zu erörtern und zu hinterfragen. a) Grundrechtseinschränkung und Grundrechtsausgestaltung Das Einzelfallgesetzverbot soll nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ebenso wie das Zitiergebot lediglich auf solche Grundrechte Anwendung finden, die einen ausdrücklichen Vorbehalt zur Einschränkung von Grundrechten aufweisen60. Enthält ein Grundrecht lediglich einen Gesetzesvorbehalt zur Bestimmung des Inhalts, zur Regelung oder zur normativen Ausgestaltung des Grundrechts, so findet demnach Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG ebenso wenig Anwendung wie Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG61. Dementsprechend wird das Verbot von Einzelfallgesetzen beispielsweise bei Inhaltsbestimmungen des Eigentums i. S. d. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG nicht angewandt, weil der Vorbehalt zur inhaltlichen Ausgestaltung des Eigentums durch den Gesetzgeber keinen Einschränkungsvorbehalt im Sinne dieser Rechtsprechung darstellt62. Diese Auffassung vom eingeschränkten Anwendungsbereich des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG kann allerdings angezweifelt werden. In der Literatur wird vertreten, dass das Zitiergebot und Einzelfallgesetzverbot unabhängig voneinander gelten, weil das Verbot von Einzelfallgesetzen anders als das Zitiergebot auch bei normativen Grundrechtsprägungen, Regelungs- und Ausgestaltungsvorbehalten sinnvoll sei. Die Vermeidung einer einseitigen Privilegiengesetzgebung und die Rationalität stiftende Kraft allgemeiner Gesetze müsse auch in Bezug auf Gesetze aktiviert werden, die Grundrechte betreffen, die keinen Einschränkungsvorbehalt enthalten. Die eher zufällige Formulierung von Gesetzesvorbehalten als Regelungs-, Ausgestaltungs- oder Einschränkungsvorbehalt dürfe deshalb für die Anwendung des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG nicht ausschlaggebend sein63. 60

BVerfGE 24, 367 (396). BVerfGE 24, 367 (396); 64, 72 (80); 31, 58 (69). 62 Zum Charakter des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG als Regelungsvorbehalt: Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdnr. 306. 61

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3. Teil: Die kooperative Staatsgewalt in der Kompetenzordnung

Andererseits ist jedoch die Ausgestaltung von Grundrechten nicht völlig deckungsgleich mit der Einschränkung von Grundrechten, auch wenn sich gewisse Überschneidungen nicht leugnen lassen. Zwar kann eine Grundrechtsausgestaltung auch einschränkende Wirkungen haben. Dennoch soll durch die normative Ausgestaltung von Grundrechten Freiheitsausübung primär ermöglicht werden. Freiheitsbetätigung kann der rechtlichen Normierung bedürfen. Enthält eine Grundrecht einen Regelungs- oder Ausgestaltungsvorbehalt, so kommt damit zum Ausdruck, dass die Rechtsnormen im angesprochenen Schutzbereich vor allem eine normative Infrastruktur darstellen, ohne die die Freiheitsausübung nicht denkbar wäre64. Somit macht die Unterscheidung zwischen Einschränkungs- und Ausgestaltungsvorbehalten durchaus einen Sinn, weil damit die Rechtsnormen nicht nur als Zwang und Einschränkung, sondern auch als Dienstleistung des Staates für seine Bürger im Sinne einer rechtlichen Infrastruktur begriffen werden65. Wegen dieser vom Grundgesetz in bestimmten Bereichen hervorgehobenen Freiheitsermöglichungsfunktion des Rechts genießt der Gesetzgeber bei Regelungs- und Ausgestaltungsaufträgen eine größere Gestaltungsfreiheit als bei Einschränkungsvorbehalten66. Dennoch ist zuzugeben, dass auch dort, wo das Recht als Serviceleistung des Staates begriffen wird, sich dieser Service unter Umständen auch als Zwang und Freiheitsbeschränkung auswirken und vom Grundrechtsträger als einengend empfunden werden kann. Die Funktion des Rechts als Infrastruktur ist janusköpfig. Ein Parkverbot garantiert beispielsweise dem einen den sicheren Straßenverkehr und die reibungslose Fortbewegung. Für den anderen stellt es eine Beschränkung seiner Freiheit dar67. Der Wortlaut des 63 BVerfGE 25, 371 (399) – abw. M; Huber, Restlaufzeiten, S. 147 (158 ff.); ders., in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG Bd. I, Art. 19 Abs. 1 Rdnr. 45; Schneider, Gesetzgebung, Rdnr. 44; Herzog, in: Maunz/Dürig, GG Bd. II, Art. 19 Abs. I Rdnr. 20; Dreier, in: Dreier, GG Bd. I, Art. 19 I Rdnr. 10; Krüger/Sachs, in: Sachs, GG, Art. 19 Rdnr. 17. 64 So stellt beispielsweise die Straßenverkehrsordnung eine normative Infrastruktur zur sicheren Fortbewegung zur Verfügung. Vgl. auch Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. V, § 115 Rdnr. 10: „Der ‚Inhalt‘ des grundrechtlich garantierten Eigentums ergibt sich, entsprechend Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG, im praktischen Rechtsverkehr aus dem gesetzlichen Repertoire der vermögenswerten Rechte, vom Grundeigentum bis zur Aktie und zur schuldrechtlichen Forderung. Die Freiheit aller Deutschen, Vereine und Gesellschaften zu bilden (Art. 9 Abs. 1 GG), bewegt sich in der Regel in den Kanälen des Vereins- und Gesellschaftsrechts.“ 65 Zum ideengeschichtlichen Hintergrund des Gedankens der Freiheitsermöglichung durch den Staat: vgl. Siems, ZRP 2002, 170 ff. 66 Vgl. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 59 Rdnr. 25. 67 Vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. V, § 115 Rdnr. 14: „Die Berufsbilder, die das Gesetz schafft, gestalten die Berufsfreiheit nach generellen Bedürfnissen und vermitteln Praktikabilität. Aber sie engen auch den Schutzbereich

C. Einzelfallregelungen im Umsetzungsgesetz

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Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG knüpft indessen nicht an die potenziell freiheitsverkürzenden Wirkungen eines Gesetzes an, die auch in normativen Grundrechtsausgestaltungen vorliegen können. Vielmehr kommt es nach Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG auf den beim jeweiligen Grundrecht formulierten Gesetzesvorbehalt als Einschränkungsvorbehalt an. Das im Parlamentarischen Rat nicht unumstrittene68 Verbot von Einzelfallgesetzen des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG wurde nach dem Wortlaut dieser Vorschrift auf die Fälle von expliziten Einschränkungsvorbehalten eingegrenzt. Da die Unterscheidung zwischen Grundrechtsausgestaltung und Grundrechtseinschränkung, wie dargelegt, den Sinn hat, dem Gesetzgeber dort, wo Gesetze in hohem Maße auch den Charakter von Freiheitsermöglichungsnormen haben, mehr Gestaltungsräume zu belassen, geht es nicht an, den Wortlaut des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG zu korrigieren und auch außerhalb von Grundrechten mit explizitem Einschränkungsvorbehalt anzuwenden69. Es ist auch mit dem systematischen Zusammenhang von Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG und Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG nicht zu vereinbaren, Satz 2 nur bei Grundrechten mit explizitem Einschränkungsvorbehalt anzuwenden, während Satz 1 darüber hinaus auch bei Grundrechten ohne Einschränkungsvorbehalt anzuwenden sein soll, obwohl gerade Satz 1 an den Einschränkungsvorbehalt explizit anknüpft70. Die Überlegung, dass das Verbot von Einzelfallgesetzen auch außerhalb von Grundrechten mit explizitem Einschränkungsvorbehalt als Instrument der Sicherung der Rationalität der Gesetzgebung und als Gegenmittel zur ausgehandelten Gefälligkeitsgesetzgebung einen Sinn macht, könnte allenfalls dazu führen, dass Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG dann, wenn kein Grundrecht mit explizitem Einschränkungsvorbehalt vorliegt, analog angewandt wird71. Dies würde jedoch eine Regelungslücke voraussetzen. Eine solche liegt aber nur vor, wenn sich keine anderen Maßstäbe zur formellen Sicherung sachgerechter Gesetze finden lassen. Das ist jedoch nicht der Fall. Zur Vermeidung von privilegierenden Einzelfallgesetzen kann nämlich unmittelbar auf den Gewaltenteilungsgrundsatz zurückgegriffen werden. Die ein, weil der Grundrechtsprätendent nur noch zwischen Konfektionsberufen wählen, er sich den Beruf nicht nach eigenem Maß zuschneiden kann.“ 68 Bei den Beratungen im parlamentarischen Rat wurde zum Teil eine zu starke „Fesselung des Gesetzgebers“ befürchtet: siehe die Stellungnahme von v. Mangoldt, JöR n. F. 1 (1951), 176 (178 ff.). 69 Aufgabe der Rechtswissenschaft kann es zwar sein, einen Sinn in sinnarmen normativen Differenzierungen zu erkennen. Im Gegensatz dazu ist es jedoch gerade nicht Aufgabe der Rechtswissenschaft, normative Differenzierungen deswegen zu korrigieren, weil deren Sinn für nicht überzeugend gehalten wird. 70 Ebenso: Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 19 Rdnr. 1. 71 Siehe auch Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 19 Rdnr. 1.

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3. Teil: Die kooperative Staatsgewalt in der Kompetenzordnung

Gewaltenteilung gebietet, dass das abstrakt-generelle Gesetz und der Vollzug im Einzelfall grundsätzlich voneinander getrennt werden72. Auch damit kann einer privilegierenden Einzelfallgesetzgebung entgegengewirkt werden. Für eine Anwendung des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG bleibt deshalb außerhalb von Grundrechten mit explizitem Einschränkungsvorbehalt kein Raum. Würde man die Regelungen der Atomgesetznovelle zur Restlaufzeitbegrenzung als inhaltliche Neubestimmungen des Eigentums i. S. v. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG interpretieren73, so wäre Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG weder direkt noch analog anzuwenden, weil sich die Laufzeitbegrenzung auf den Ausgestaltungsvorbehalt des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG bezieht. Dasselbe würde für die Regelung der Berufsausübungsfreiheit durch die Bestimmungen zur Periodischen Sicherheitsüberprüfung gelten. Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG findet bei Art. 12 GG weder direkt noch analog Anwendung, weil Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG keinen Einschränkungs-, sondern einen Regelungsvorbehalt enthält. Im Bereich der Eigentumsordnung und Berufsausübung ist eine gesetzliche Regelung oftmals nicht nur Freiheitseinschränkung, sondern auch als Freiheitsermöglichung anzusehen. Dementsprechend enthalten diese Normen Ausgestaltungsvorbehalte. Der auf Grundrechtseinschränkungen beschränkte Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG ist somit im Hinblick auf die genannten Einzelfallregelungen ebenso wenig heranzuziehen wie das Zitiergebot.

b) Einzelfallgesetzverbot und Zulässigkeit der Legalenteignung Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen zwischen Bundesregierung und Wirtschaftsverbänden betreffen vor allem die Berufsfreiheit und das Eigentumsgrundrecht der privaten Vereinbarungspartner. Ausgehandelte eigentumsbeschränkende Gesetze können unter Umständen eine Legalenteignung im Sinne des Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG enthalten74. In oligopolen Strukturen werden die diesbezüglichen Regelungen parzellenscharf ausgehandelt und gesetzlich umgesetzt. Darin könnte ein Verstoß gegen das Verbot von Einzelfallgesetzen des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG zu sehen sein. Bei Legalenteignungen geht es anders als bei Inhaltsneubestimmungen des Eigentums i. S. d. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG nicht um normative Prägung des Eigentums, sondern um Entzug bestehender Rechtspositionen, also um Grundrechtseinschränkungen im Sinne des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG75. 72

BVerfGE 95, 1 (15 ff.); siehe hierzu unten 3. Teil C. III. Zu den unterschiedlichen Auffassungen, ob die Laufzeitbegrenzung eine Enteignung im Sinne des Art. 14 Abs. 3 GG oder eine Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG darstellt: siehe Posser, in: Posser/ Schmans/Müller-Dehn, AtG, § 7 Abs. 1a–d Rdnr. 164 mit ausführlichen Nachweisen zur diesbezüglichen Gutachtensituation. 74 Zur Frage, ob das Einverständnis des Vereinbarungspartners ausschließt, von einer Enteignung zu sprechen: siehe unten 4. Teil B. I. 3 b), 5. Teil D. IV. 1. a). 73

C. Einzelfallregelungen im Umsetzungsgesetz

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Das führt allerdings zu der Frage, ob die Anwendung des Verbots von Einzelfallgesetzen auf parzellenscharfe Legalenteignungen nicht die Zulassung der Legalenteignung in Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG bereits dem Grunde nach konterkariert. Bei den Beratungen im Parlamentarischen Rat wurde das Beispiel der parzellenscharfen Enteignung einer „Grube“ durch Gesetz als typischer Fall einer Legalenteignung angesehen76. Demnach wollte der Parlamentarische Rat die projektbezogene Legalenteignungen zulassen, indem er neben der Enteignung aufgrund eines Gesetzes auch die Enteignung durch Gesetz in Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG aufgenommen hat77. Deshalb verträgt sich eine die projektbezogene Legalenteignung generell verbietende Anwendung des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG auf die Enteignungsfälle nicht mit der Zulassung der Legalenteignung in Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG, weil die Zulassung der Legalenteignung gerade die einzelfallbezogene Legalenteignung implizieren sollte. Folglich spricht die Entstehungsgeschichte zu Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG dafür, die in ausgehandelten Gesetzen enthaltenen parzellenscharfen Legalenteignungen zuzulassen. Denkbar wäre jedoch, die Kollision zwischen Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG und Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG durch Anwendung der Lex-specialis-Regel aufzulösen. Dies würde bedeuten, dass Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG auf Legalenteignungen generell nicht anzuwenden ist, weil er von Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG verdrängt wird78. Demgegenüber muss aber beachtet werden, dass der Parlamentarische Rat bei den Beratungen zu Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG im Hauptausschuss gerade auch ein Verbot von Spezialenteignungsgesetzen vor Augen hatte79. Respektiert man auch diesen Willen des historischen Grundgesetzgebers, so geht es nicht an, die projektbezogene Legalenteignung als Spezialregelung zum Einzelfallgesetzverbot zu interpretieren. Die generelle Nichtanwendung des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG bei der Legalenteignung entfernt sich ebenfalls zu weit vom historischen Grundgesetzgeber. Die Entstehungsgeschichte zu Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG spricht 75 Papier, in: Maunz/Dürig, GG Bd. II, Art. 14 Rdnr. 559. a. A. BVerfGE 24, 367 (396 ff.); 25, 371 (399). 76 JöR n. F. 1 (1951), 144 (150 f.). 77 Von der Zulässigkeit projektbezogener Legalenteignungen geht auch das Bundesverfassungsgericht aus: BVerfGE 74, 264 (297); 95, 1 (17). 78 Herzog, in: Maunz/Dürig, GG Bd. II, Art. 19 Rdnr. 40b; Krüger/Sachs, in: Sachs, GG, Art. 19 Rdnr. 23; Krebs, in: v. Münch/Kunig, GG Bd. 1, Art. 19 Rdnr. 12. 79 Siehe den Diskussionsbeitrag von Dehler und die anschließende Abstimmung: Parlamentarischer Rat – HA, Sten. Ber., 44. Sitzung vom 19.1.1949, S. 591 f.; vgl. auch: Stern, Staatsrecht Bd. 3/2, § 83 II 7 (S. 731), der das Verbot eines unternehmensbezogenen Enteignungsgesetzes als Paradigma des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG bezeichnet.

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3. Teil: Die kooperative Staatsgewalt in der Kompetenzordnung

dagegen, die in ausgehandelten Gesetzen enthaltenen Einzelfallenteignungen generell und ohne weiteres zuzulassen. Die Materialien zur Entstehung des Grundgesetzes ergeben in der Zusammenschau letztlich ein perplexes Bild. Während einerseits die projektbezogene Legalenteignung in Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG gerade als zulässige Legalenteignung betrachtet wurde, wurde diese in anderem Zusammenhang bei der Erörterung des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG als unzulässiges Spezialgesetz angesehen. Nimmt man den historischen Willen des parlamentarischen Rates ernst, so kommt man zu widersprüchlichen Ergebnissen, die vor allem in den unterschiedlichen Äußerungen und Auffassungen von v. Mangoldt und Dehler zum Ausdruck kamen. Während v. Mangoldt die projektbezogene Legalenteignung bei Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG durchsetzen konnte80, gelang es Dehler für Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG, der ein Verbot von Spezialenteignungsgesetzen enthalten sollte, gegen den Willen von v. Mangoldt eine Mehrheit zu erreichen81. Die dadurch entstehende Spannung zwischen zulässiger projektbezogener Legalenteignung und unzulässiger Spezialenteignung wurde vom Parlamentarischen Rat nicht aufgelöst. Wegen dieser perplexen Materialienlage ist der historische Wille des Grundgesetzgebers indessen nicht irrelevant. Es ist vielmehr Sache des Rechtsanwenders, eine Lösung zur Herstellung eines Ausgleichs der unterschiedlichen Regelungsintentionen zu entwickeln, wobei der historische Wille des Parlamentarischen Rates in ausreichendem Maße zur Geltung kommen muss. An Stelle einer generellen Ausgrenzung projektbezogener Legalenteignungen aus dem Anwendungsbereich des Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG einerseits und einer Anwendung des Spezialitätsgrundsatzes andererseits ist ein schonender Ausgleich der unterschiedlichen Wertungen herzustellen. Demnach sind Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG und Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG wie Rechtsprinzipien miteinander abzuwägen und zu harmonisieren82. Zwar ist insbesondere Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG als strikte Rechtsregel und nicht als abwägungsfähiges Prinzip formuliert83. Doch gestattet es hier ausnahmsweise die perplexe Regelungsintention des historischen Gesetzgebers, den Wortlaut auf seinen teleologischen Kern zu reduzieren, um unter ausreichender Schonung des subjektiven Willens des Normgebers zu einem Ausgleich der divergierenden Regelungsintentionen und Regelungstendenzen des Grundgesetzes zu gelangen84. Bei unvollständiger Abwägung der 80 81 82

JöR n. F. 1 (1951), 144 (150 f.). Parlamentarischer Rat – HA, Sten. Ber., 44. Sitzung vom 19.1.1949, S. 591 f. Vgl. Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG Bd. I, Art. 19 Abs. 1 Rdnr. 34,

62. 83

Vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG Bd. II, Art. 19 Abs. 1 Rdnr. 37.

C. Einzelfallregelungen im Umsetzungsgesetz

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kollidierenden grundgesetzlichen Wertungen durch den parlamentarischen Rat ist es dem Anwender des Grundgesetzes gestattet, die Abwägung zu vervollständigen85. Die Abwägung zwischen Einzelfallgesetzverbot einerseits und der Zulässigkeit projektbezogener Legalenteignungen andererseits ist nach dem Übermaßverbot zu strukturieren. Eine Legalenteignung darf das Einzelfallgesetzverbot nur dann beeinträchtigen, wenn sie einen verfassungskonformen Zweck verfolgt und wenn gerade eine Legalenteignung geeignet und erforderlich ist, um diesen Zweck zu erreichen. Dabei ist zu prüfen, ob der Zweck der Enteignung über eine Administrativenteignung genauso wirksam, effektiv und zügig erreicht werden könnte. Die Administrativenteignung beeinträchtigt in keiner Weise das Verbot von Einzelfallgesetzen. Deswegen genießt sie den Vorrang, wenn es keine besonderen Gründe für die projektbezogene Legalenteignung gibt. Gerade bei gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen mit Umsetzungsgesetz kann die selbstvollziehende, parzellenscharfe Legalenteignung jedoch dazu dienen, die vom Kooperationsprinzip bezweckte, umfassende Befriedung ohne nachfolgende Vollzugsstreitigkeiten zügig herzustellen. Im Rahmen der Angemessenheit der Beeinträchtigung des Verbots von Einzelfallgesetzen, ist der Beschleunigungs-, Vereinfachungs- und Befriedungszweck der Legalenteignung mit der Beeinträchtigung des Einzelfallgesetzverbots zu vergleichen. In die Abwägung muss die Intensität der Beeinträchtigung des Einzelfallgesetzverbots eingestellt werden. Diese fällt umso stärker aus, je deutlicher der Charakter als Einzelfallgesetz ausgeprägt ist. Je individualisierbarer der Kreis der vom Gesetz Betroffenen ist, desto intensiver wird das Verbot des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG beeinträchtigt, mit der Folge, dass an die Rechtfertigung der Beeinträchtigung umso höhere Anforderungen zu stellen sind86. Kommt dem Kooperationsprinzip im jeweiligen Bereich eine besonderes Gewicht zu, kann die kooperationsspezifische Konzentration von Gesetzgebung und Vollzug in einem selbstvollziehenden Einzelfallgesetz eher hingenommen werden87. Somit spielt das Ko84 Der hier beschrittene Weg, Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG und Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG miteinander zu harmoniesieren, geht methodisch von der subjektiven Willensbasis in den Materialien aus und versucht, diesbezügliche Widersprüche so aufzulösen, dass der subjektive Wille des Normgebers in ausreichendem Maße erhalten bleibt. Zur dabei angewandten Methodik: Reicherzer, ZG 2004, 121 (132 ff.). 85 Für die Abwägungsfähigkeit des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG spricht auch, dass die Grenzen zwischen Einzelfallgesetz und allgemeinem Gesetz fließend sind: Herzog, in: Maunz/Dürig, GG Bd. II, Art. 19 Abs. I Rdnr. 32 f.; Dreier, in: Dreier, GG Bd. I, Art. 19 I Rdnr. 14. 86 Vgl. Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG Bd. I, Art. 19 Abs. 1 Rdnr. 58 f.

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3. Teil: Die kooperative Staatsgewalt in der Kompetenzordnung

operationsprinzip bei der Rechtfertigung von Legalenteignungen in ausgehandelten Gesetzen eine wichtige Rolle88. Im Übrigen kommt es auf die gleichen Abwägungskriterien an, die später bei der Abwägung von Gewaltenteilung und Kooperationsprinzip relevant werden. Die Gewaltenteilung fordert nämlich ebenso wie das Einzelfallgesetzverbot eine grundsätzliche Trennung von Gesetz und Vollzug, während das Kooperationsprinzip maßgeschneiderte Einzelfallgesetze rechtfertigen kann. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird deshalb auf die Darlegungen zur Abwägung zwischen Gewaltenteilungsprinzip und Kooperationsprinzip verwiesen89. Im Rahmen der dortigen Prüfung können dann sowohl gesetzesvorbereitende Vereinbarungen, die Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG betreffen, als auch die Probleme in Zusammenhang mit enteignungsvorbereitenden Vereinbarungen (Art. 14 Abs. 3 GG) gemeinsam abgehandelt werden. Das Gewaltenteilungsprinzip gilt anders als Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG ohne Unterschied sowohl bei Art. 14 Abs. 1 GG als auch bei Art. 14 Abs. 3 GG.

3. Ergebnis Sinn und Zweck des Verbotes von Einzelfallgesetzen in Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG ist es, die Rationalität von Gesetzen dadurch zu fördern, dass die gesetzlichen Regelungen auf verallgemeinerungsfähigen Maßstäben beruhen müssen. In dieser Funktion kommt dem Verbot von Einzelfallgesetzen insbesondere bei ausgehandelten Gesetzen die Aufgabe zu, einer unsachlichen Privilegierung der privaten Vereinbarungspartner entgegenzuwirken. Die Bedeutung des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG wird jedoch auch in Bezug auf ausgehandelte Gesetze dadurch gemindert, dass dieser Norm ein eingeschränkter Anwendungsbereich zukommt. Eine am Normzweck orientierte Analogiebildung scheidet aus, weil keine Regelungslücke erkennbar ist. Einem übermäßigen Übergriff der Legislative in den Einzelfallvollzug ist vielmehr über den Gewaltenteilungsgrundsatz entgegenzuwirken.

87 Zum Zusammenhang von Kooperation und Konzentration: siehe oben 1. Teil A. I. 3. b) ee). 88 Zur Rechtfertigungsfunktion des Kooperationsprinzips: siehe oben 2. Teil B. II. 2. b). 89 Siehe unten 3. Teil C. III.

C. Einzelfallregelungen im Umsetzungsgesetz

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II. Kompetenzielle Grundlage des Einzelfallgesetzes Denkbar wäre, dass die grundgesetzlichen Gesetzgebungskompetenzen nur für Gesetze im materiellen Sinne, also nur für abstrakt generelle Normen, gelten90. Dann könnte für Einzelfallgesetze an eine kompetenzielle Grundlage fehlen. Diese Vorstellung widerspricht indessen dem formalen Gesetzesbegriff des Grundgesetzes. Dem Grundgesetz liegt kein Gesetzesbegriff zu Grunde, der sich nur auf abstrakt-generelle Regelungen beziehen würde91. Auch Einzelfallgesetze können auf die Gesetzgebungskompetenzen gestützt werden. Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG schließt Einzelfallgesetze nur für den Fall aus, dass das Grundrecht einen Einschränkungsvorbehalt enthält. Würde indessen dem Grundgesetz bereits ein Gesetzesbegriff zu Grunde liegen, der Einzelfallgesetze nicht enthält, ja sogar als unzulässig einstuft, so wäre es nicht verständlich, dass Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG das Verbot von Einzelfallgesetzen nur auf grundrechtseinschränkende Gesetze beschränkt92. Zudem macht Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG deutlich, dass auch Einzelfallgesetze zulässig sein können, sofern man mit dieser Bestimmung die Zulässigkeit projektbezogener Legalenteignungen verbindet93. Die Gesetzgebungskompetenzen gelten sowohl für abstrakt-generelle als auch für Einzelfallgesetze. Parzellenscharfe Einzelfallregelungen im Umsetzungsgesetz sind nicht schon deshalb unzulässig, weil sie als Einzelfallregelungen einer kompetenziellen Grundlage entbehren würden. Für den Atomausstieg bedeutet dies, dass der Gesetzesbegriff des Art. 74 Nr. 11 a GG nicht auf abstrakt-generelle Regelungen beschränkt ist. Folglich stellt Art. 74 Nr. 11 a GG auch für kernkraftwerksscharfe gesetzliche Regelungen eine Kompetenzgrundlage dar.

III. Gewaltenteilung und Einzelfallgesetz Auch wenn die Gesetzgebungskompetenzen nicht nur zu abstrakt-generellen Regelungen, sondern auch zu Einzelfallregelungen ermächtigen, kann sich eine Grenze der Zulässigkeit von Einzelfallgesetzen aus dem Verhältnis der Gesetzgebungskompetenzen der Art. 70 ff. GG einerseits zu den 90

Zum Begriff des materiellen Gesetzes: BVerfGE 30, 292 (315 f.). Zum formalen Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, wonach Gesetz jede Regelung ist, die im Gesetzgebungsverfahren zu Stande gekommen ist: Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 61 Rdnr. 13 m. w. N.; Krüger/Sachs, in: Sachs, GG, Art. 19 Rdnr. 20. 92 Vgl. BVerfGE 95, 1 (17). 93 Vgl. BVerfGE 95, 1 (17). 91

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3. Teil: Die kooperative Staatsgewalt in der Kompetenzordnung

Verwaltungskompetenzen der Art. 83 ff. GG andererseits ergeben. Dieses Verhältnis wird vom horizontalen und vertikalen Gewaltenteilungsgrundsatz gesteuert (Art. 20 Abs. 2 Satz 2, Abs. 1 GG). 1. Beeinträchtigung des Wirkbereichs der Gewaltenteilung Nach dem Gewaltenteilungsgrundsatz ist der Vollzug von Gesetzen im Einzelfall grundsätzlich Sache der Exekutive, während die Legislative grundsätzlich für abstrakt-generelle Regelungen zuständig ist. Dadurch wird zum einen die Macht der Legislativgewalt begrenzt und zum anderen eine funktionsgerechte Aufgabenerfüllung durch die Exekutive gewährleistet, die wegen ihres Verwaltungsapparates über besonderes vollzugsspezifisches Wissen und vollzugsnahen Sachverstand verfügt94. Kooperative Handlungsformen versuchen, für den Einzelfall maßgeschneiderte Lösungskonzepte zu entwickeln, die zu einer besseren Schonung von Grundrechten führen können als vom Staat einseitig gesetztes, typisierendes Recht. Damit wird individualisierende Verhältnismäßigkeit hergestellt95. Dabei muss jedoch bedacht werden, dass die Herstellung der einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeit nach dem Gewaltenteilungsgrundsatz grundsätzlich Aufgabe der Exekutive ist. Dementsprechend wäre die Kooperation mit Privatpersonen als Mittel der Herstellung individualisierender Verhältnismäßigkeit ebenfalls im Grundsatz dem Funktionsbereich der vollziehenden Gewalt zuzuordnen. Werden indessen selbstvollziehende Einzelfallgesetze ausgehandelt, so beeinträchtigen diese die funktionsgerechte Gewaltenstruktur und die machtbegrenzende Gewaltenteilung. Im Atomrecht lag der auf die einzelnen Kraftwerke bezogene Vollzug bisher bei den Landesbehörden (§§ 22 ff. AtG). Die Regelungen in der Atomgesetznovelle zur Periodischen Sicherheitsüberprüfung und zu den Reststrommengen wurden indessen so ausgestaltet, dass sie keiner auf das jeweilige Kernkraftwerk bezogenen Konkretisierung im Vollzug bedürfen. Vielmehr hat der Gesetzgeber die Abstimmung auf die Situation des jeweiligen Kraftwerks bereits selbst vorgenommen, indem er kernkraftwerksscharfe, individuell-konkrete Regelungen in das AtG aufgenommen hat. Damit wird die horizontale und vertikale Gewaltenteilung verkürzt96.

94

BVerfGE 95, 1 (16 f); BVerfG NVwZ 1998, 1060 (1061). Zur individualisierenden Verhältnismäßigkeit als Vorzug kooperativen Staatshandelns: siehe oben 2. Teil B. II. 1. b) und 2. a). 96 Vgl. Cloosters, Diskussionsbeitrag, Atomrechtstag 2002, S. 163. 95

C. Einzelfallregelungen im Umsetzungsgesetz

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2. Einschränkbarkeit der Gewaltenteilung Die Gewaltenteilung darf jedoch nicht als eine starre und unverrückbare Regel verstanden werden, unter die binär zu subsumieren wäre. Das Grundgesetz formuliert die Gewaltenteilung in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG nicht als strikte Trennung von gegenseitig isolierten Gewalten, sondern als Verteilung der unterschiedlichen Aufgaben der einheitlichen Staatsgewalt auf unterschiedliche Organe. Jede Teilgewalt nimmt demgemäß eine bestimmte Aufgabe der einheitlichen Staatsgewalt wahr. Eine strikte Gewaltentrennung lässt sich bereits dem Wortlaut des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG nicht entnehmen97. Die Anwendung der horizontalen und vertikalen Gewaltenteilung muss die gegenläufigen verfassungsrechtlichen Wertungen berücksichtigen. Die Vorschriften über die Kanzlerwahl durch das Parlament, das konstruktive Misstrauensvotum und die Vertrauensfrage wirken der Trennung der Gewalten entgegen. Sie sind Ausdruck einer Gewaltenverschränkung98. Die Parteien schaffen zahlreiche, vom Grundgesetz in Art. 21 GG akzeptierte Verbindungen zwischen Regierung und Parlament, indem sie an der politischen Willenbildung als Vorstufe zur Staatswillensbildung organübergreifend mitwirken99. In den Vorschriften über das Gesetzgebungsverfahren kommt die Gewaltenverschränkung insbesondere dadurch zum Ausdruck, dass die Bundesregierung über ihr Initiativrecht nach Art. 76 Abs. 1 GG auf die Legislationstätigkeit des Bundestages Einfluss nehmen kann. Diese vielfältigen Erscheinungsformen der Gewaltenverschränkung wirken einer ineffizienten Gewaltenisolation entgegen. Aus einer Beeinträchtigung der Gewaltenteilung durch ein Einzelfallgesetz folgt nicht automatisch, dass dieses Einzelfallgesetz verfassungswidrig wäre100. Die vielfältigen grundgesetzlichen Relativierungen der Gewaltenteilung belegen, dass diese als abwägungsfähiges Rechtsprinzip zu verstehen ist. Die Gewaltenteilung muss mit gegenläufigen Zwecksetzungen konfrontiert und abgewogen werden. Das Bundesverfassungsgericht sieht dementsprechend eine Einzelfallgesetzgebung dann als zulässig an, wenn dafür „gute Gründe“ bestehen101. Nach der Saturierungskonzeption verlangt die Gewal97

Vgl. Papier, NJW 2002, 2585 (2587). Zur Gewaltenverschränkung: BVerfGE 95, 1 (15); Stern, Staatsrecht Bd. 2, § 36 IV 4 c (S. 539 ff.); Degenhart, Staatsrecht I, Rdnr. 243. 99 Zur parteienstaatlichen Überwölbung der unterschiedlichen Gewalten: Huber, Konsensvereinbarungen, S. 329 (338). Scholz, Staatsleitung, S. 663 (681), spricht in diesem Kontext von einem „kondominalen Zusammenhang“ zwischen Bundesregierung und Regierungsmehrheit im Parlament. 100 BVerfGE 9, 268 (280). 101 BVerfGE 95, 1 (17). 98

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3. Teil: Die kooperative Staatsgewalt in der Kompetenzordnung

tenteilung nur ein Mindestmaß an Gewaltendifferenzierung102. Deshalb ist die Gewaltenteilung auch dann einschränkbar, wenn es dafür keine verfassungsimmanenten, sondern lediglich verfassungskonforme Gründe gibt. 3. Grenzen der Einschränkbarkeit durch Einzelfallgesetz Eine Beeinträchtigung der Gewaltenteilung ist jedoch nicht grenzenlos zulässig. Vielmehr ergeben sich Grenzen für einen zulässigen Übergriff der einen Gewalt in den Funktionsbereich der anderen aus dem Übermaßverbot103. Daher sind der verfassungskonforme Zweck, die Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit der Beeinträchtigung des Gewaltenteilungsprinzips durch selbstvollziehende Einzelfallgesetze zu prüfen104. a) Verfassungskonformer Zweck Der Funktionsübergriff ist nur dann zulässig, wenn mit ihm ein Zweck verfolgt wird, der nicht dem Grundgesetz widerspricht. Ein solche verfassungskonforme Zielsetzung kann zum Beispiel darin zu sehen sein, dass der Zweck eines Gesetzes durch ein selbstvollziehendes Einzelfallgesetz schneller erreicht wird als durch ein vollzugsintensives Gesetz105. Langjährige Streitigkeiten über den gesetzesgemäßen Vollzug können durch selbstvollziehende Gesetze reduziert werden106. Gesetzliche Einzelfallregelungen können zu mehr Rechts- und Planungssicherheit führen als Regelungen, die erst im Vollzug für den Einzelfall konkretisiert werden müssen107. Im Rahmen von gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen soll für alle Beteiligten umfassend ein möglichst hohes Maß an Sicherheit geschaffen werden. Selbstvollziehende Einzelfallgesetze sollen dabei die umfassende Pazifizierung verbessern, die mit der informell-kooperativen Gesetzgebung angestrebt wird. Das Ziel der umfassenden Streitbeilegung durch Kooperation und der Herstellung von Rechtssicherheit ist als verfassungskonforme Intention des Gesetzgebers zu erachten108. Es kann eine Einzelfallgesetzgebung rechtfertigen. 102 Zur Saturierungskonzeption als Gegenmodell zur Optimierungslehre: siehe oben 1. Teil B. I. 103 Zur Anwendung des Übermaßverbots bei Beeinträchtigung von Staatsstrukturprinzipien: BVerfG DVBl. 2003, 923 (928); siehe oben 1. Teil B. II. 104 Vgl. Degenhart, Staatsrecht I, Rdnr. 250 ff. 105 Vgl. BVerfGE 95, 1 (18 ff.). 106 Vgl. Roßnagel, Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit, S. 70. 107 Vgl. Tils, Professionelle Koordination, S. 31 (41 f.). 108 Die genannten Werte sind sogar verfassungsimmanente Zwecke. Darauf kommt es aber an dieser Stelle nicht an. Dazu, dass ein verfassungsimmanenter

C. Einzelfallregelungen im Umsetzungsgesetz

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Beim Atomausstieg sorgt die kernkraftwerksscharfe Festlegung der Restlaufzeit für ein hohes Maß an Rechtssicherheit. Die Reststrommengen lassen sich aus der Anlage 3 des neuen Atomgesetzes für jedes einzelne Kraftwerk präzise ablesen. Die Berechtigung zum Leistungsbetrieb erlischt nach § 7 Abs. 1 a Satz 1 AtG n. F., ohne dass es noch einer weiteren Konkretisierung in einem Verwaltungsverfahren bedürfte. Eine Festsetzung der Laufzeiten im Rahmen des Gesetzesvollzugs hätte demgegenüber zu erhöhter Rechtsunsicherheit geführt, weil Streitigkeiten über den gesetzmäßigen Vollzug die Folge gewesen wären. Somit diente die selbstvollziehende Regelung der kernkraftwerksscharfen Reststrommengen dazu, die von den Vereinbarungspartnern gewünschte Rechts- und Planungssicherheit in möglichst hohem Maße zu verwirklichen109. Dasselbe gilt für die kernkraftwerksscharfe Festsetzung der Termine für die Periodische Sicherheitsüberprüfung. Mit den konkret-individuellen Regelungen im Umsetzungsgesetz wurden verfassungskonforme Zwecke verfolgt.

Die gesetzliche Regelung des Einzelfalles kann aber auch den Grund haben, Vollzugsstreitigkeiten mit den für den Vollzug zuständigen Ländern aus politischen Gründen zu vermeiden110. Das Anliegen, politisch andersdenkende Länder aus dem Steuerungsprozess auszuschalten, ist indessen keine verfassungskonforme Zielsetzung. Die sich aus der Verwaltungskompetenz der Länder ergebenden möglichen Schwierigkeiten für den Bund werden diesem vom Grundgesetz in den Art. 83 ff. GG bewusst zugemutet. Durch die Verwaltungskompetenz der Länder wird die vertikale Gewaltenteilung als Ausfluss des Bundesstaatsprinzips und die Mäßigung der politischen Macht des Bundes unter Einbeziehung des Sachverstandes der Landesbehörden erreicht111. Die bewusste Ausschaltung dieser verfassungsrechtlichen Strukturen ist kein legitimes verfassungsrechtliches Ziel, das eine selbstvollziehende Einzelfallgesetzgebung rechtfertigen könnte. Eine Regelung des Atomausstiegs mit vollzugsbedürftigen gesetzlichen Regelungen wurde vom Bund auch deshalb abgelehnt, weil nicht alle Länder die neue Atompolitik mitzutragen bereit waren112. In der politisch motivierten Ausschaltung der Länder ist indessen kein verfassungskonformer Zweck zu sehen, der den Funktionsübergriff rechtfertigt.

Zweck nicht notwendig ist, um die Einschränkung zu rechtfertigen: siehe oben 1. Teil B. I. 109 Vgl. Trittin, Der Ausstieg, S. 17 (18); ders., BT-Sten. Prot. 14/111, S. 10430; Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 305 (311). 110 So die Überlegungen des Bundesumweltministeriums für den Fall des Atomausstieges: Roßnagel, Schadensersatzansprüche, S. 41.; vgl. auch: ders., Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit, S. 14, 68. 111 Vgl. Heitsch, Die Ausführung der Bundesgesetze, S. 9, der darauf hinweist, dass föderale Reibungsverluste als Freiheitsgewinn des einzelnen verstanden werden können. 112 Roßnagel, Schadensersatzansprüche, S. 38 ff.

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3. Teil: Die kooperative Staatsgewalt in der Kompetenzordnung

b) Geeignetheit Die Beeinträchtigung des Gewaltenteilungsprinzips muss geeignet sein, den verfolgten verfassungskonformen Zweck zu fördern. Dies bedeutet, dass dieser Zweck durch ein Einzelfallgesetz besser zu erreichen sein muss als durch eine abstrakt-generelle Regelung. Wäre das Ziel hingegen mit einer abstrakt-generellen Regelung genauso erreichbar, so ist die Beeinträchtigung der Gewaltenteilung durch das Einzelfallgesetz nicht geeignet, die Zwecksetzung des Gesetzes zu fördern. Dann wäre die Beeinträchtigung der Gewaltenteilung durch den verfassungskonformen Zweck nicht gerechtfertigt. Dabei steht dem Gesetzgeber jedoch ein Einschätzungsspielraum zu. Die Festlegung von kernkraftwerksscharfen Einzelfallregelungen im Atomgesetz zur Begrenzung der Laufzeit ist geeignet, einen Ausstieg im Konsens mit den Betreibern zu erreichen. Würden die Reststrommengen erst von den Ländern festgelegt, so könnten Streitigkeiten über den gesetzmäßigen Vollzug die Folge sein. Diese Auseinandersetzungen könnten einerseits zu einer Verzögerung der geplanten Beendigung der Kernenergienutzung führen und andererseits die Rentabilitätsüberlegungen der Unternehmen gefährden. Dadurch würde die umfassende Pazifizierungswirkung der Kooperation gefährdet. Die kernkraftwerksscharfe selbstvollziehende Festlegung der Restlaufzeiten fördert somit die Rechtssicherheit für die Beteiligten und dient der einvernehmlichen Regelung. Sie ist geeignet, das Ziel eines Ausstiegs im Konsens zu erreichen. Dasselbe gilt auch für die Festlegung der Sicherheitsüberprüfungen. Auch in diesem Bereich werden Auseinandersetzungen mit den Landesbehörden über den Zeitpunkt notwendiger Überprüfungen von vornherein dadurch vermieden, dass die Termine für jedes Kernkraftwerk im Gesetz im Einvernehmen mit den Betreibern geregelt wurden. Auch hier handelt es sich bei den kernkraftwerksscharfen Regelungen um ein geeignetes Mittel zur Verbesserung der Kooperation und Rechtssicherheit. Streitigkeiten über die notwendigen Sicherheitsüberprüfungen könnten auch in diesem Bereich die Pazifizierungswirkung des Konsenses in Frage stellen. Unter Beachtung der Einschätzungsprärogative kann ein Verfassungsverstoß nicht festgestellt werden.

c) Erforderlichkeit Auch wenn das selbstvollziehende Einzelfallgesetz geeignet ist, den Gesetzeszweck effizienter zu erreichen als eine vollzugsintensive abstrakt-generelle Regelung, so stellt sich die Frage, ob es Möglichkeiten gibt, den Übergriff in den Kompetenzbereich der Exekutive abzumildern. Die Kompetenzbereiche der Landesexekutive werden dann weniger gravierend beeinträchtigt, wenn diese bereits bei der Gesetzesvorbereitung Gelegenheit hatte, effektiv auf die Regelungen Einfluss zu nehmen. Dies setzt jedoch voraus, dass die Landesregierungen rechtzeitig informiert werden und dass die von ihnen vorgebrachten Gesichtspunkte auch tatsächlich in Erwägung

C. Einzelfallregelungen im Umsetzungsgesetz

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gezogen werden. Demnach ergibt sich aus dem Gebot, die Gewaltenteilung zu schonen und nach milderen Mitteln zu suchen, im Hinblick auf die parzellenscharfe Regelung von Einzelfällen eine Obliegenheit für die gesetzesvorbereitende Bundesregierung, die Landesexekutive in die Gesetzesvorbereitung effektiv einzubeziehen, wenn es um die Vorbereitung von Gesetzen geht, die bei abstrakt-genereller Regelung von den Ländern zu vollziehen wären113. Im Atomrecht findet sich eine Kombination aus Landesverwaltung im Bundesauftrag (Art 87 c GG, § 24 AtG) und bundeseigener Verwaltung (Art. 87 Abs. 3 GG, § 23 AtG). Die Landesverwaltungen haben im Bereich des Atomrechts über Jahre ein großes Maß an Erfahrungswissen in Bezug auf die einzelnen Kernkraftwerke angesammelt. Beim Atomausstieg wurden indessen die Landesvollzugsbehörden am Prozess des Aushandelns kernkraftwerksscharfer Einzelfallregelungen nicht beteiligt. Gespräche mit den Ländern fanden erst statt, nachdem die Vereinbarung vom 14. Juni 2000 bereits paraphiert war und bereits erhebliche faktische Bindungen entstanden waren. Dasselbe gilt für die späte Beteiligung des Bundesrates. Für eine auf Konsens und Rechtssicherheit bedachte Vereinbarung mit kernkraftwerksscharfen Einzelfallregelungen im Umsetzungsgesetz war es indessen nicht erforderlich, die Länder erst nach Entstehen erheblicher faktischer Bindungen einzubeziehen. Die abweichende politische Auffassung einiger Länder zur Atompolitik der Bundesregierung rechtfertigt nicht, auf eine effektive, d. h. frühzeitige Anhörung und Einbeziehung des Sachverstandes der Landesvollzugsbehörden zu verzichten114. Zwar hätte der Bund die Länder an den Gesprächen mit den Energieversorgungsunternehmen nicht unmittelbar beteiligen müssen115. Dennoch wäre die rechtzeitige Information und ein Meinungsaustausch mit den Ländern zu einem Zeitpunkt notwendig gewesen, zu der eine effektive Berücksichtigung der unterschiedlichen Länderinteressen noch faktisch möglich war. In der Unterlassung einer effektiven Länderbeteiligung ist somit eine nicht erforderliche Beeinträchtigung der vertikalen Gewaltenteilung zu sehen. Somit waren die Verhandlungen und die Vereinbarung insoweit verfassungswidrig116.

d) Angemessenheit Die Beeinträchtigung des Gewaltenteilungsprinzips darf nicht unangemessen sein. Da Einzelfallgesetze der umfassenden, einvernehmlichen Konflikt113

BVerfGE 95, 1 (16): In der Stendal-Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht einen Verstoß gegen die Gewaltenteilung insbesondere auch deshalb verneint, weil die Exekutive das Gesetz vorbereitet und dadurch ihren Sachverstand eingebracht hatte. Dadurch wurde die Beeinträchtigung der Gewaltenteilung abgemildert. 114 Siehe oben 3. Teil C. III. 3. a). 115 Zum diesbezüglichen Ermessen der Bundesregierung: siehe unten 4. Teil B. I. 2. b). 116 Zu den Auswirkungen auf das Umsetzungsgesetz: 6. Teil A.

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3. Teil: Die kooperative Staatsgewalt in der Kompetenzordnung

lösung zwischen Bundesregierung und Privaten dienen, sind im Rahmen der Angemessenheitsprüfung das Gewaltenteilungsprinzip einerseits und das Kooperationsprinzip andererseits für sich genommen zu gewichten, einander gegenüberzustellen und untereinander abzuwägen. aa) Teleologische Gewichtung der Gewaltenteilung Bei der Gewichtung der Gewaltenteilung sind zunächst die vom jeweiligen Fall unabhängigen Zwecke dieses Staatsstrukturprinzips herauszustellen. Je deutlicher diejenigen Sachverhaltsmomente dann im jeweiligen Regelungsbereich hervortreten, an die der zuvor ermittelte Zweck der Gewaltenteilung anknüpft, desto größeres Gewicht kommt diesem Verfassungsprinzip in diesem Regelungsbereich zu. (1) Machtbegrenzung und funktionsgerechte Aufgabenerfüllung Der Gewaltenteilungsgrundsatz hat die Funktion, staatliche Macht zu begrenzen und die Freiheit des Hoheitsunterworfenen zu schützen117. Die Trennung von Gesetzgebung und Vollzug dekonzentriert staatliche Macht. Zudem sollen die staatlichen Aufgaben jeweils von den Staatsorganen erfüllt werden, die nach Personalbestand, Arbeitsweise und Organisation am besten zur Erfüllung der jeweiligen Aufgabe geeignet sind118. Dies wird durch eine Spezialisierung der einzelnen Staatsorgane auf besondere Aufgaben des Vollzugs und der Gesetzgebung erreicht. Während die Exekutive sich vor allem durch im Vollzug erworbenen Sachverstand auszeichnet, bietet das Parlament die Möglichkeit, eine Vielzahl von Interessen und gesellschaftlichen Strömungen im parlamentarischen Diskurs einzubinden und zu integrieren119. Die auf Machtbegrenzung und organadäquate Aufgabenverteilung ausgerichtete Gewaltenteilung wird dadurch verstärkt, dass die Kompetenzen nicht nur horizontal auf Bundesorgane (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG), sondern auch vertikal zwischen Bund und Ländern (Art. 20 Abs. 1 GG) verteilt werden. Eine sachgerechte Aufgabenerfüllung als Ausfluss der funktionalen Gewaltenteilung hat bezogen auf den jeweiligen Regelungsbereich dann be117

BVerfGE 95, 1 (15); 24, 367 (402); 22, 107 (111). BVerfGE 95, 1 (15); 98, 218 (251); 68, 1 (86); Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 62 Rdnr. 49; Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 59 Rdnr. 21. 119 Vgl. BVerfGE 40, 237 (249); zum Integrationsgedanken: siehe Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 136 ff.; Hesse, Gründzüge des Verfassungsrechts, Rdnr. 6 ff. 118

C. Einzelfallregelungen im Umsetzungsgesetz

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sondere Bedeutung, wenn es sich um besonders komplexe Regelungsmaterien handelt, bei denen das Wissen und die Erfahrung über den bisherigen Vollzug wichtige Vorraussetzung für eine sachgerechte Regelung ist. Die Gewaltenteilung, die den Vollzug grundsätzlich der Exekutive zuordnet, erhält ein umso größeres Gewicht, je größere Bedeutung dem exekutivischen Vollzugswissen im jeweiligen Regelungsbereich zuzumessen ist. In Bezug auf die Festlegung angemessener Restlaufzeiten wurde beim Atomausstieg das umfangreiche Wissen der Landesbehörden über den Zustand der jeweiligen Kernkraftwerke und über den bisherigen Betrieb nicht genutzt. Angesichts der Tatsache, dass die Restlaufzeiten lange umstritten waren, hätte das Sachwissen der Länder in dieser komplexen Materie indessen besondere Bedeutung gehabt. Zudem wurde auch bei der Festlegung der Termine für die Periodische Sicherheitsüberprüfung das Wissen der Länder über den Zustand der Anlagen unzureichend einbezogen. Dieses Wissen wäre aber wegen der schwierigen sicherheitstechnischen Fragen, die mit dem Betrieb von Kernkraftwerken verbunden sind, von hohem Nutzen gewesen120.

Andererseits kann der notwendige Sachverstand der Exekutive auch dadurch eingebracht werden, dass die Exekutive das Gesetz vorbereitet bzw. dass die Landesvollzugsbehörden in die Vorbereitung des Gesetzes rechtzeitig einbezogen werden121. Die Beteiligung der Vollzugsbehörden bei der Gesetzesvorbereitung kompensiert unter Umständen eine geringe Vollzugsintensität. Befolgt die Bundesregierung die Obliegenheit zur effektiven Beteiligung der Landesvollzugsbehörden, so wird dies nicht nur bei der Prüfung der Erforderlichkeit, sondern auch bei der Angemessenheit zugunsten eines Einzelfallgesetzes zu Buche schlagen. Je mehr die Exekutive bereits bei der Gesetzesvorbereitung beteiligt worden ist, desto geringeres Gewicht kommt der Trennung von Gesetz und Vollzug zu. Die Landesvollzugsbehörden wurden im Vorfeld der faktisch bindenden Vereinbarung vom 14. Juni 2000 nicht effektiv beteiligt und konnten folglich in die Festlegung der Restlaufzeiten auch keinerlei Sachwissen einbringen. Daher wird die Beeinträchtigung der vertikalen Gewaltenteilung beim Atomausstieg nicht durch kompensierende Länderbeteiligung bei der Gesetzesvorbereitung ausgeglichen. Das gilt auch für die kernkraftwerksscharfe Festlegung der Periodischen Sicherheitsüberprüfungen.

Unter dem Blickwinkel der funktionsgerechten Aufgabenerfüllung muss auch die Funktion des parlamentarischen Verfahrens berücksichtigt werden, eine Vielzahl von Meinungen und Interessen im parlamentarischen Diskurs einzubinden. Das parlamentarische Verfahren kann für ein umfassendes „Interessen-clearing“ sorgen122. Es ist wegen seines breiten Spektrums an 120 Zu den technischen Fragen der Sicherheit von Kernkraftwerken: Hahn, Sicherheit in der Restlaufzeit, S. 95 ff.; Birkhofer, Sicherheitsphilososphie, S. 17 ff. 121 Vgl. BVerfGE 95, 1 (16, 18). 122 Hoffmann-Riem, GewArch 1996, 1 (5).

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3. Teil: Die kooperative Staatsgewalt in der Kompetenzordnung

repräsentierten Interessen am besten geeignet, bei gesamtgesellschaftlich besonders umstrittenen Regelungsvorhaben eine allgemein akzeptierte Lösung zu erreichen. Die Artikulation einer breiten Meinungsvielfalt im Gesetzgebungsverfahren soll integrierend auf die Gesellschaft wirken123. Dies setzt jedoch zum einen ein wirklich diskursives Gesetzgebungsverfahren voraus. Zum anderen rechtfertigt die besondere Strittigkeit eines Themas nur dann Einzelfälle im Gesetz zu regeln, wenn die besondere Streitintensität und der damit verbundene erhöhte Integrationsbedarf spezifisch mit dem jeweiligen Einzelfall verbunden sind. Sind die umstrittenen Einzelfälle hingegen lediglich Ausdruck eines allgemeinen gesellschaftlichen Dissenses, so rechtfertigt dieser Dissens ohne spezifischen Einzelfallbezug keine Beeinträchtigung des Gewaltenteilungsprinzips durch Einzelfallregelungen. Vielmehr kann der allgemeine gesellschaftliche Dissens dann auch durch abstrakt-generelle Regelungen im Gesetz auf der Grundlage einer breit angelegten Diskussion gelöst werden. Bei der Kernkraft handelt es sich um eine besonders umstrittene Form der Energiegewinnung124. Dieser besonders umstrittene Charakter betrifft jedoch im Schwerpunkt die Kernkraft allgemein und bezieht sich nicht überwiegend auf ganz bestimmte Kraftwerke. Die Strittigkeit des Regelungsgegenstandes rechtfertigt deshalb nicht den Einzelfallcharakter des Gesetzes.

(2) Sachgerechtigkeit durch Balance von Distanz und Nähe Die Aufteilung der Aufgaben der abstrakt-generellen Gesetzgebung auf die Legislative und des Vollzugs dieser allgemeinen Gesetze im Einzelfall durch die Exekutive führt zu einer Zweistufigkeit staatlicher Regelung und Steuerung. Diese Zweistufigkeit zwingt den Staat zur Bildung allgemeiner Maßstäbe. Die abstrakt-generelle Natur des Gesetzes schafft einerseits kritische und Rationalität stiftende Distanz zwischen Gesetzgeber und Betroffenen125. Andererseits kann Einzelfalladäquanz durch einen konkretisierenden und individualisierenden Vollzug der Exekutivbehörden hergestellt werden. Im Zusammenspiel zwischen allgemeinem Gesetz und einzelfallbezogenem Vollzug wird somit eine Balance zwischen „ius strictum“ und „ius aequum“ geschaffen. Die Zweistufigkeit von abstrakt-genereller Regelung und Vollzug im Einzelfall wirkt der willkürlichen Privilegierung Einzelner entgegen und sichert so Gleichheit und Einzelfallgerechtigkeit126. 123

Vgl. BVerfGE 40, 237 (249); Schreckenberger, Veränderungen, S. 133 (139). Vgl. Begründung der Gesetzesvorlage, BT-Drs. 14/7261, 14/6890, S. 13. 125 Vgl. BVerfGE 101, 158 (218); Degenhart, ZG 2000, 79 (90); Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 61 Rdnr. 11 f.; Hufen, Über Grundlagengesetze, S. 11 (12 f.); Kloepfer, Gesetzgebung im Rechtsstaat, S. 63 (66 ff., 134, 147 f.); Zippelius, Rechtsphilosophie, § 15 (S. 106 ff.). 124

C. Einzelfallregelungen im Umsetzungsgesetz

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Handelt es sich im jeweiligen Regelungsbereich um eine von vornherein eingegrenzte und überschaubare Regelungsmaterie, so kommt der Zweistufigkeit indessen geringere Bedeutung zu, weil dann auch bei Trennung von abstrakt-genereller Regelung und Vollzug bereits das Gesetzgebungsverfahren unvermeidbar von den Auswirkungen des Gesetzes auf die begrenzte Anzahl von Anwendungsfällen bestimmt werden wird, so dass sich ein „Schleier des Nichtwissens“ über die Auswirkungen im Einzelfall sowieso nicht über die Augen des Gesetzgebers legen lässt127. Gerade bei oligopolen Strukturen können abstrakt-generell formulierte Gesetze in Wirklichkeit eine verdeckte Gefälligkeitsgesetzgebung zugunsten Einzelner darstellen128. Die notwendige Sachgerechtigkeit muss dann aber in erster Linie über ein kritisch-abwägendes Gesetzgebungsverfahren und sachgerechte verallgemeinerungsfähige Maßstäbe in der Gesetzesbegründung hergestellt werden. Je weniger Anwendungsfälle von vornherein in Betracht kommen, umso weniger Bedeutung hat jedoch die abstrakt-generelle Gesetzesformulierung für die Rationalität des Gesetzes. Dann kommt auch der Zweistufigkeit aus abstrakt-genereller Gesetzgebung und konkrete individuellem Vollzug als Ausfluss der Gewaltenteilung geringeres Gewicht zu. Beim Atomausstieg stand die begrenzte Anzahl vorhandener Kernkraftwerke, die von den Regelungen zu den Reststrommengen betroffen werden, von vornherein fest. Selbst wenn man die Restlaufzeiten abstrakt-generell normiert und die Festsetzung der konkreten Reststrommengen einem Vollzugsverfahren der Landesbehörden überlassen hätte, wäre der künftige Vollzug bereits bei der Gesetzgebung berücksichtigt worden und hätte dadurch die Objektivität der Regelungen möglicherweise genauso wie beim Einzelfallgesetz gefährdet. Deswegen ist die Sachgerechtigkeit bei oligopolen Strukturen weniger durch die abstrakt-generelle Formulierung, als vielmehr durch ein sachgerecht abwägendes Gesetzgebungsverfahren herzustellen. Dem Gesichtpunkt der Sachgerechtigkeit durch abstrakt-generelle Formulierung des Gesetzes kommt beim Atomausstieg wegen der oligopolen Strukturen und der von vornherein begrenzten Anzahl der mit der Übergangsregelung zu den Laufzeiten abzuwickelnden Fälle geringere Bedeutung zu.

(3) Rechtsschutzintensität Die vom Gewaltenteilungsgrundsatz angestrebte Zweistufigkeit zwischen abstrakt-genereller Gesetzgebung und Einzelfallvollzug könnte auch besondere Bedeutung im Lichte des effektiven Rechtsschutzes haben (Art. 19 126

Vgl. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 59 Rdnr. 51, 63. Zum Schleier des Nichtwissens: vgl. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 29 ff., 159 ff. 128 Zum verdeckten Einzelfallgesetz: siehe BVerfGE 10, 234 (244); Herzog, in: Maunz/Dürig, GG Bd. II, Art. 19 Abs. I Rdnr. 40; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/ Klein, GG, Art. 19 Rdnr. 9. 127

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3. Teil: Die kooperative Staatsgewalt in der Kompetenzordnung

Abs. 4, 14 GG)129. Bei Trennung von Gesetz und Vollzug ist gegen den Vollzugsakt der Rechtsweg zu den Fachgerichten eröffnet, wohingegen bei sich selbst vollziehenden Einzelfallgesetzen nur der Gang zum Bundesverfassungsgericht zu bleiben scheint130. Deshalb könnte man annehmen, dass selbstvollziehende Gesetze den Rechtsschutz verkürzen. Diese Argumentation ist jedoch deshalb kaum tragfähig, weil der Staat auch das selbstvollziehende Gesetz bei Widerstand des Privaten mit einem Verwaltungsakt oder einer Klage durchsetzen muss131. Im Gerichtsverfahren vor den Fachgerichten muss dann inzident die Verfassungsmäßigkeit des selbstvollziehenden Gesetzes geprüft werden. Erst nachdem sich das Fachgericht eine eigenständige Meinung über die Verfassungswidrigkeit des selbstvollziehenden Gesetzes gebildet hat, darf es das Gesetz gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG dem Bundesverfassungsgericht vorlegen. Somit ist auch bei selbstvollziehenden Gesetzen eine fachgerichtliche Kontrolle gegeben. Auch die inzidente Überprüfung des Gesetzes vor dem Fachgericht aktiviert die Kompetenz des sachnäheren Fachgerichts für den Rechtsschutz des Bürgers132. Der Rechtsschutz wird jedoch selbst dann nicht verkürzt, wenn der Private bereit ist, „freiwillig“ dem selbstvollziehenden gesetzlichen Rechtsentzug nachzukommen. Es kommt dann gegebenenfalls weder zu einem Vollzugsakt der Behörde noch zu einem gerichtlichen Leistungsurteil zu Gunsten des Staates. Trotzdem kann der Grundrechtsträger jedoch eine Feststellungsklage erheben133, 134. Im Rahmen der Feststellungsklage legt das Fachgericht dann unter Umständen dem Bundesverfassungsgericht nach 129 Das Gebot eines effektiven Rechtsschutzes wird bei Art. 14 GG zum Teil auf Art. 19 Abs. 4 GG und zum Teil unmittelbar auf Art. 14 GG gestützt (Papier, in: Maunz/Dürig, GG Bd. II, Art. 14 Rdnr. 556). 130 Vgl. BVerfGE 95, 1 (22); Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG Bd. I, Art. 19 Abs. 1 Rdnr. 35. 131 Deshalb ist die Bezeichung als selbstvollziehendes Gesetz irreführend. Auch bei selbstvollziehenden Gesetzen bedarf es zur zwangsweisen Durchsetzung eines vollstreckungsfähigen Titels in Form eines Einzelaktes, der seinerseits fachgerichtlich kontrollierbar ist. In diesem Sinne ist auch das selbstvollziehende Gesetz nicht selbstvollziehend, sondern vollzugsbedürftig. 132 Vgl. Papier, in: Maunz/Dürig, GG Bd. II, Art. 14 Rdnr. 558; zur Bedeutung der Fachgerichtsbarkeit wegen deren besonderer Sachnähe: BVerfG NStZ 2000, 96 m. w. N. 133 Zur Verpflichtung, wegen der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde zuvor Feststellungsklage zu erheben: BVerfG NVwZ-RR 2002, 1 (2); Pietzcker, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO Bd. I, § 43 Rn. 25. 134 Beim selbstvollziehenden Gesetz greift die Subsidiarität der Feststellungsklage (§ 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO) nicht ein, solange kein Verwaltungsakt als Vollstreckungsgrundlage für die Behörde ergangen ist, der mit einer Anfechtungsklage

C. Einzelfallregelungen im Umsetzungsgesetz

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Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG die Frage der Nichtigkeit des Parlamentsgesetzes vor. Das Fachgericht muss sich aber vorher selbst seine eigene Überzeugung bilden. Dadurch wird die Fachgerichtsbarkeit als eigenständige Rechtsschutzinstanz wirksam135. Eine Rechtsschutzverkürzung durch selbstvollziehendes Einzelfallgesetz ist demnach nicht erkennbar und kann deshalb für die Frage der Zulässigkeit solcher Gesetze auch keine Rolle spielen. Somit stellt die Rechtsschutzintensität keinen abwägungserheblichen Gesichtpunkt in Bezug auf die Angemessenheit des Funktionsübergriffs dar. Besteht Streit darüber, ob ein Reststromkontingent bezüglich eines bestimmtes Kraftwerks nach § 7 Abs. 1 a Satz 1 AtG bereits erschöpft ist, kann der Betreiber insoweit eine Feststellungsklage nach § 43 VwGO erheben. Eine bedenkliche Rechtsschutzverkürzung ist nicht festzustellen.

(4) Ergebnis der teleologischen Gewichtung Die horizontale und vertikale Trennung zwischen Vollzugsgewalt und Gesetzgebungsgewalt dient der Dekonzentration staatlicher Macht, der sachgerechten Aufgabenerfüllung und der kritischen Distanz des Gesetzgebers zum Einzelfall. Der Sachverstand der Exekutive, insbesondere die Vollzugserfahrungen der Landesbehörden, kann jedoch auch schon in die Gesetzesvorbereitung einfließen. Das parlamentarische Verfahren eignet sich zur Entscheidung konkreter Einzelfälle wegen seiner Funktion als umfassende Repräsentanz der wichtigsten Interessen dann besonders gut, wenn besonders umstrittene und bedeutende Einzelfälle zu entscheiden sind. Der kritischen Distanz zum Einzelfall durch abstrakt-generelle Gesetzesformulierungen kommt hingegen bei oligopolen Strukturen weniger Bedeutung zu. Somit kann die Bedeutung des Gewaltenteilungsprinzips für Einzelfallregelungen im Umsetzungsgesetz nicht generell beantwortet werden. Vielmehr ist eine fallspezifische Abwägung an Hand der aufgezeigten Zwecke der Gewaltenteilung notwendig. bb) Teleologische Gewichtung des Kooperationsprinzips Es reicht jedoch für die Zulässigkeit eines in Exekutivbereiche übergreifenden Einzelfallgesetzes nicht aus, wenn die Zwecke der Gewaltenteilung im jeweiligen Regelungsbereich lediglich geringere Bedeutung haben und anzugreifen wäre (vgl. zu diesem Problemkreis: Pietzcker, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO Bd. I, § 43 Rn. 25). 135 Zur verfassungsrechtlichen Verankerung der Fachgerichtsbarkeit: vgl. Art. 95 Abs. 1 GG.

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3. Teil: Die kooperative Staatsgewalt in der Kompetenzordnung

die Beeinträchtigung der Gewaltenteilung sich in Grenzen hält, während sich ein positiver Grund für die Beeinträchtigung des Gewaltenteilungsprinzips nicht feststellen lässt. Eine noch so geringfügige Beeinträchtigung des Gewaltenteilungsprinzips ist nur dann gestattet, wenn gerade diese Beeinträchtigung nicht unerhebliche Vorteile mit sich bringt. Nach dem Bundesverfassungsgericht ist ein Einzelfallgesetz nur dann ausnahmsweise zulässig, wenn für die Regelung durch Einzelfallgesetz „gute Gründe“ sprechen136. Das setzt nicht nur ein geringeres Gewicht der für die Gewaltenteilung sprechenden Aspekte voraus. Vielmehr kommt es auf einen positiven Rechtfertigungsgrund zugunsten des Einzelfallgesetzes an. Ein solcher guter Grund für ein Einzelfallgesetz kann darin liegen, dass der Zweck verfolgt wird, bestimmte Einzelfälle besonders schnell und ohne langwierige Auseinandersetzungen über den gesetzesgemäßen Vollzug zu regeln. Durch selbstvollziehende Einzelfallgesetzgebung kann unter Umständen besonders effizient Rechts- und Planungssicherheit hergestellt werden. Diesen Gründen käme umso größeres Gewicht zu, wenn sie sich in der Verfassung als verfassungsimmanente Werte verankern ließen. Die verfassungsimmanenten Zwecke haben bei der Abwägung stärkeres Gewicht als lediglich verfassungskonforme Zielsetzungen ohne verfassungsrechtlichen Anknüpfungspunkt137. Deshalb muss gefragt werden, ob die Gründe einer Einschränkung der Gewaltenteilung verfassungsrechtlich fundiert sind. Die selbstvollziehende Regelung von bestimmten Einzelfällen kann als Wesenszug informell-kooperativer Gesetzgebung in oligopolen Strukturen erachtet werden. Dadurch dass in die gesetzesvorbereitenden Absprachen auch Regelungen zu konkreten Einzelfällen aufgenommen werden, wird das Kompensationsspektrum der gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen erweitert138. Zudem wird die Rechtssicherheit durch selbstvollziehende Einzelfallregelungen erhöht139. Die größere Verhandlungsmasse und die Aussicht auf Rechtssicherheit steigert die Chancen, zu einer Einigung zu kommen. Deshalb gehört die selbstvollziehende Einzelfallgesetzgebung zu den spezifischen Eigenschaften der ausgehandelten Gesetze. Das Kooperationsprinzip sichert die Voraussetzungen erfolgreicher Kooperation normativ ab und entfaltet dabei eine in die Abwägung einzustellende Rechtfertigungswirkung für selbstvollziehende Einzelfallgesetze140. Das Kooperationsprinzip hat sei136

BVerfGE 95, 1 (17). Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rdnr. 156. 138 Zur sachlichen Konzentration: siehe oben 1. Teil A. I. 3. b) ee) (1). 139 Siehe oben 3. Teil C. 140 Zur Rechtfertigungsfunktion des Kooperationsprinzips: siehe oben 2. Teil B. II. 2. b). 137

C. Einzelfallregelungen im Umsetzungsgesetz

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nerseits verfassungsrechtlichen Rang. Es wurzelt im verfassungsrechtlichen Übermaßverbot und im Gedanken der Funktionsfähigkeit der Staatsgewalt, dem ebenfalls Verfassungsrang zukommt141. Die Wissensbasis des Gesetzgebers über mildere Mittel wird durch Kooperation unter Umständen verbessert. Zudem kann Kooperation mit den Betroffenen die Effizienz von Regelungen und die Handlungsfähigkeit des Staates erhöhen, weil die Regelungen wegen der verbesserten Akzeptanz der Betroffenen nicht zwangsweise durchgesetzt werden müssen. Diesen Zwecken der Kooperation entsprechend kommt dem Kooperationsprinzip im jeweiligen Regelungsbereich als Rechtfertigungsmoment einer Einzelfallregelung umso mehr Bedeutung zu, je mehr Gewinn an Sachwissen und Zuwachs an staatlicher Handlungsfähigkeit von der Zusammenarbeit mit den betroffenen Privaten zu erwarten ist. Im Atomrecht hat eine enge Zusammenarbeit mit den Betreibern von Kernkraftwerken eine lange Tradition142. Dies wird insbesondere dadurch deutlich, dass der Staat im Atomgesetz die Förderung der Kernenergie (§ 1 Nr. 1 AtG a. F.) und eine Haftungsübernahme des Staates (§ 34 AtG) normiert hat143. Die Atomkraft wurde anfangs vom Staat subventioniert144. Das besonders intensive kooperative Zusammenwirken zwischen Staat und Kernkraftwerksbetreibern wird auch daran deutlich, dass die Betreiber der Anordnung von nachträglichen Auflagen bisher in der Regel nachkommen, ohne dass es rechtsverbindlicher Bescheide bedurfte. Ähnliches gilt auch für die Sicherheitsüberprüfungen, die bisher ebenfalls oftmals auf kooperativer Basis vorgenommen wurden145, 146. Dieser Zusammenarbeit mit den Betreibern kommt insbesondere deswegen besondere Bedeutung zu, weil die Betreiber ihre hochkomplexen Anlagen am besten kennen und deshalb besonders schnell und effektiv handeln können. Ein effektives Sicherheitsniveau lässt sich letztlich nur durch eine Sicherheitskultur herstellen, die auf Kooperation zwischen Staat und Betreibern beruht147. 141 Zum Verfassungsrang des Gebotes der Funktionsfähigkeit der Staatsgewalt: siehe oben 2. Teil B. II. 1. a) aa). 142 Siehe hierzu ausführlich: Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Fragen eines Ausstiegs, S. 5 f., 70 ff. 143 Böhm-Amtmann, Probleme des Atomausstiegs, S. 19 (20); Huber, Entsorgung als Staatsaufgabe, S. 149. 144 Di Fabio, Die Verfassung als Maßstab und Grenze, S. 57 ff. 145 Begründung der Gesetzesvorlage, BT-Drs. 14/7261, 14/6890, S. 25; Böhm, Festlegung der Strommengen, S. 43 (49); Leidinger, Sicherheitsverantwortung, S. 123 (139). 146 Zu den unterschiedlichen Formen von Kooperation, die sich im Laufe der Zeit im Bereich Atomrecht herausgebildet haben: siehe Hermes, Verwaltungskompetenzen, S. 347 (355 f.). 147 Zum Begriff der Sicherheitskultur: siehe Hahn, A.-Sten. Prot. 14/69 (Umweltausschuss), S. 17; Leidinger, Sicherheitsverantwortung, S. 123 (131 f.); Cloosters, Überwachung der Sicherheit, S. 151 (152 f.).

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3. Teil: Die kooperative Staatsgewalt in der Kompetenzordnung

Im Rahmen der Verhandlungen zum Atomausstieg war es durch die Fortsetzung der Kooperation möglich, den Staat vom Risiko von Verfassungsbeschwerden der Betreiber gegen das Ausstiegsgesetz und vom Risiko von Entschädigungsklagen weitgehend freizustellen. Auch wenn man der Auffassung ist, dass kein rechtlich relevanter Entschädigungsverzicht der Betreiber vorliegt, so ist die Wahrscheinlichkeit von Klagen der Betreiber durch die Vereinbarung vom 14. Juni 2000 erheblich reduziert worden148. Kooperation mit den Betreibern erhöht in ganz erheblichem Ausmaß die staatliche Handlungsfähigkeit im Hinblick auf den verfassungsrechtlich gebotenen Schutz von Leib und Leben. Sie hat aber auch in wirtschaftlicher Hinsicht große Bedeutung, soweit sie der Vermeidung von Entschädigungs- bzw. Schadensersatzforderungen in Milliardenhöhe diente. Dem Prinzip der Kooperation war deshalb beim Atomausstieg ebenso wie bei den atomrechtlichen Fragestellungen der Vergangenheit ein besonders hoher Stellenwert beizumessen. Die enge Kooperation zwischen Staat und Wirtschaft beim Atomausstieg ist die Kehrseite zur staatlichen Mitverantwortung bei der früheren Förderung der Kernenergie149.

cc) Gesamtabwägung Die je für sich gewichteten Gründe der Gewaltenteilung und des Kooperationsprinzips müssen nun einander gegenübergestellt und untereinander abgewogen werden. Dabei ist die politische Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers zu beachten. Dem Gesetzgeber kommt bei der Frage, ob er ein Gesetz als selbstvollziehendes Einzelfallgesetz oder als vollzugsbedürftige abstrakt-generelle Regelung ausgestaltet, ein Gestaltungsspielraum zu150. Er muss jedoch die Gründe nachvollziehbar darlegen, die ihn zu einer Einschränkung des Gewaltenteilungsgrundsatzes bewogen haben151. Wenn das Gesetzgebungsverfahren indessen keine solche Abwägung erkennen lässt oder wenn die Abwägung des Gesetzgebers in keiner Weise vertretbar ist152, verstößt das Einzelfallgesetz gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz. Im Rahmen der Gesamtabwägung kommt es darauf an, wie sich die zuvor im Lichte ihrer Teleologie getrennt gewichteten Prinzipien und Zwecke 148

Vgl. Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 308. Zu dieser Mitverantwortung des Staates: vgl. BVerfGE 53, 30 (58 ff.). 150 BVerfGE 95, 1 (17). 151 Zu den verfassungsrechtlichen Darlegungslasten des Gesetzgebers und den Abwägungspflichten im Rahmen eines materiellen Gesetzgebungsverfahrens: 5. Teil D. III. 4. b) bb). Von solchen Darlegungslasten geht auch das Bundesverfassungsgericht aus, wenn es in seiner Stendal-Entscheidung für das Vorliegen eines guten Grundes maßgeblich auf die Gesetzesbegründung abstellt (BVerfGE 95, 1 (18 ff.)). 152 Die Vertretbarkeitskontrolle bezieht sich lediglich auf das Abwägungsergebnis und nicht auf den gesetzgeberischen Abwägungsvorgang. Zur Differenzierung zwischen gesetzgeberischem Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis und den diesbezüglich unterschiedlichen Maßstäben der Abwägungskontrolle: siehe 5. Teil D. 149

C. Einzelfallregelungen im Umsetzungsgesetz

225

zueinander verhalten. Dabei ist zu prüfen, inwiefern die Gewaltenteilung durch die auf individualisierende Verhältnismäßigkeit ausgerichtete Kooperation beeinträchtigt wird153. Je stärker der Einzelfallbezug ausgeprägt ist, desto deutlicher wird die Gewaltenteilung beeinträchtigt, mit der Folge, dass ein höheres Gewicht der Gründe für die Kooperation notwendig ist, um den Funktionsübergriff zu rechtfertigen154. Die Regelungen zur Periodischen Sicherheitsüberprüfung und zu den Restlaufzeiten benennen ganz bestimmte Kernkraftwerke und weisen deshalb ein Maximum an Einzelfallbezug auf. Somit wird die Gewaltenteilung beim Atomausstieg sehr deutlich beeinträchtigt. Der Funktionsübergriff könnte deshalb nur gerechtfertigt werden, wenn dem Kooperationsprinzip ein überwiegendes Gewicht zukäme.

Für die Intensität des Funktionsübergriffes ist auch von Bedeutung, inwieweit im jeweiligen Regelungsbereich Vollzugskompetenzen der Exekutive erhalten bleiben. Übergriffe in den Funktionsbereich anderer Gewalten dürfen nur punktuell sein. Sie dürfen nicht zu einer Entbalancierung der Gewaltenstatik des Grundgesetzes führen155. Betrifft jedoch der Funktionsübergriff durch eine selbstvollziehende Einzelfallregelung nur eine begrenzte Anzahl von Altfällen, so wird die Gewaltenteilung weniger beeinträchtigt, als wenn der Exekutive für die Zukunft eine unbegrenzte Vielzahl von Verwaltungsentscheidungen entzogen werden. Je nachdem inwieweit Verwaltungskompetenzen im betroffenen Bereich bei der Exekutive verbleiben, fällt die Beeinträchtigung der Gewaltenteilung intensiver oder weniger intensiv aus. Die deutliche Beeinträchtigung der Gewaltenteilung durch die kernkraftwerksscharfen gesetzlichen Festsetzungen der Reststrommengen wird dadurch abgeschwächt, dass lediglich eine einmalige Festsetzungsentscheidung der jeweiligen Reststrommenge dem Gesetzesvollzug entzogen wird. Im Übrigen bleiben die Länderkompetenzen im Bereich des Atomrechts während der Restlaufzeit erhalten. Die Beeinträchtigung durch die parzellenscharfen Regelungen zur Periodischen Sicherheitsüberprüfung hält sich ebenfalls in Grenzen. Die laufende Aufsicht verbleibt bei den Ländern. Die Periodischen Sicherheitsüberprüfungen haben nur ergänzenden Charakter156.

Zudem kommt es auch darauf an, inwieweit die Gefahr von Präzedenzfällen zu befürchten ist. Eine Beeinträchtigung des Gewaltenteilungsprin153 Vgl. Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rdnr. 157; Berendt, Die Bedeutung von Zweck- und Zielbestimmungen, S. 166 ff. 154 Vgl. zur Relation zwischen Eingriffsschwere und rechtfertigenden Gründen: BVerfGE 101, 331 (350); Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 146: „Je höher der Grad der Nichterfüllung oder Beeinträchtigung des einen Prinzips, desto größer muss die Wichtigkeit der Erfüllung des anderen sein.“ Kritisch zur Konzeption von Alexy: Lerche, Stil und Methode, S. 333 (351 f.). 155 Zur Grenze der Entbalancierung der Gewalten: vgl. BVerfGE 95, 1 (15); Lerche, Gewaltenteilung, S. 75 (89 f.). 156 Begründung der Gesetzesvorlage, BT-Drs. 14/7261, 14/6890, S. 25.

226

3. Teil: Die kooperative Staatsgewalt in der Kompetenzordnung

zips bei Überwiegen der hierfür sprechenden Gründe kann nur dann zugelassen werden, wenn sich die betroffene Regelungsmaterie als besonderer Fall von der Vielzahl möglicher anderer gesetzlicher Regelungsgegenstände deutlich abhebt157. Es darf zu keinem Präzedenzfall kommen, der eine generelle Aufzehrung der exekutivischen Vollzugskompetenzen durch die Legislative befürchten ließe158. Einzelfallgesetze sind nur in eng begrenzten, besonders zu rechtfertigenden Fällen zulässig159. Das Kooperationsprinzip hat im Atomrecht im Vergleich zu anderen Rechtsgebieten eine gesteigerte Bedeutung, weil eine permanente Anlagensicherheit am besten durch ein Zusammenwirken von Staat und Betreibern herzustellen ist160. Darin könnte ein besonderer Rechtfertigungsgrund für die parzellenscharfen Regelungen zu sehen sein. Demgegenüber kommt dem Gedanken der Sachgerechtigkeit durch Allgemeinheit des Gesetzes im Atomrecht wegen der von vornherein begrenzten Anzahl kerntechnischer Anlagen und der überschaubaren Betreiberzahl keine größere Bedeutung zu. Die Bedeutung des Sachwissens und des Sachverstandes der Landesvollzugsbehörden ist jedoch bezogen auf den Atomausstieg eher hoch einzuschätzen, weil die Länder über Jahrzehnte Vollzugserfahrung zu den einzelnen Kernkraftwerken angesammelt haben. Die Landesvollzugsbehörden wurden trotz ihres Sachwissens nicht effektiv in die Gesetzesvorbereitung einbezogen, um den Übergriff in die Landesvollzugskompetenzen zu kompensieren. Die Beteiligung der Länder erfolgte erst nach Paraphierung der faktisch bindenden Vereinbarung. Wegen der großen Bedeutung des Sachwissens der Länder einerseits und der im Atomrecht besonderen Bedeutung der Kooperation zwischen Staat und Betreibern andererseits kann weder ein eindeutiges Überwiegen des Kooperationsprinzips als Rechtfertigung des Funktionsübergriffs noch ein eindeutiges Überwiegen der von der vertikalen Gewaltenteilung geschützten Länderkompetenzen festgestellt werden. Es liegt ein Abwägungspatt vor161. Im Falle eines solchen Abwägungspatts hat der Gesetzgeber einen besonders weiten Gestaltungsspielraum. Da die verfassungsrechtliche Abwägung zu keinem eindeutigen Ergebnis führt, kommt es auf die Abwägungsprärogative des Gesetzgebers an. Eine verfassungsgemäße Ausübung der Abwägungsprärogative würde jedoch voraussetzen, dass sich der Gesetzgeber der kollidierenden Belange bewusst geworden ist. Beim Atomausstieg ist indessen kein diesbezügliches Problembewusstsein des Gesetzgebers zu er157

Vgl. BVerfGE 85, 360 (374); 95, 1 (17). Vgl. BVerfGE 95, 1 (15, 18, 23). 159 BVerfGE 24, 367 (402 f.). 160 Vgl. Di Fabio, Die Verfassung als Maßstab und Grenze, S. 60: „Insgesamt ist die Zusammenarbeit von Staat und Wirtschaft im Bereich der Entwicklung und des Betriebes kerntechnischer Anlagen außergewöhnlich intensiv und reicht insofern über das herkömmliche Maß des Wirtschaftsverwaltungsrechts weit hinaus.“ Zur besonderen Bedeutung des Kooperationsprinzips im Atomrecht: siehe auch 3. Teil C. III. 3. d) bb). 161 Zum Begriff des Abwägungspatts: Alexy, Verfassungsrecht und einfaches Recht, S. 7 (22 ff.). 158

C. Einzelfallregelungen im Umsetzungsgesetz

227

kennen gewesen. Aus den Gesetzesmaterialien geht nicht hervor, dass das Problem einer Beeinträchtigung der vertikalen Gewaltenteilung von der das Umsetzungsgesetz beschließenden Mehrheit im Bundestag in irgendeiner Weise bedacht wurde. Hieraus können sich Darlegungsmängel des Gesetzgebungsverfahrens ergeben, die später noch zu diskutieren sein werden162.

4. Ergebnis Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die für ausgehandelte Gesetze charakteristischen Übergriffe der Legislative in den Funktionsbereich des Gesetzesvollzugs nicht per se unzulässig sind. Sie müssen vielmehr die Grenzen des Übermaßverbots einhalten. Dazu ist es notwendig, dass der Funktionsübergriff ein verfassungskonformes Ziel in geeigneter Weise verfolgt. Der Übergriff kann durch eine effektive Einbeziehung der Vollzugsbehörden in die Gesetzesvorbereitung auf das erforderliche Maß abgemildert werden. Bei gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen der Bundesregierung sind deshalb die Länder bezogen auf Bereiche, die ansonsten von diesen vollzogen werden, rechtzeitig zu informieren und anzuhören. Die von diesen eingebrachten Gesichtspunkte sind bei der gesetzgeberischen Abwägung zu berücksichtigen. Bei der Frage nach der Angemessenheit des Funktionsübergriffs kommt es darauf an, welche Bedeutung dem Gewaltenteilungsgedanken einerseits und dem auf individualisierende Regelung ausgerichteten Kooperationsprinzip andererseits im jeweiligen Regelungsbereich zukommt. Durch diesen flexiblem Prüfungsansatz kann der Ausnahmecharakter von individuell ausgehandelten Einzelfallgesetzen gewahrt bleiben, indem die Zulässigkeit und Reichweite von Funktionsübergriffen in den Bereich der Exekutive auf das notwendige und angemessene Maß begrenzt bleibt. Für den Atomausstieg bedeutet dies, dass mit den kernkraftwerksscharfen gesetzlichen Regelungen zwar ein verfassungskonformer Kooperationszweck verfolgt wurde, indem Vollzugsstreitigkeiten vermieden und Rechts- und Planungssicherheit als wesentliche Bedingungen erfolgreicher Kooperation geschaffen werden sollten. Andererseits war es nicht erforderlich, den Sachverstand der Landesvollzugsbehörden aus dem Prozess der Gesetzesgenese weitgehend auszublenden, indem diese erst einbezogen wurden, nachdem bereits erhebliche faktische Bindungen entstanden waren. Folglich beeinträchtigt das ausgehandelte Gesetz in seinen parzellenscharfen Regelungen übermäßig und verfassungswidrig die vertikale Gewaltenteilung. Darüber hinaus wird es auf die Frage ankommen, ob der Gesetzgeber seiner Darlegungslast hinsichtlich der Angemessenheit des Funktionsübergriffes ausreichend nachgekommen ist163.

162 163

Siehe unten: 5. Teil D. III. 4. b) bb) und cc). Siehe hierzu: 5. Teil D. III. 4. b) bb) (1) (b).

228

3. Teil: Die kooperative Staatsgewalt in der Kompetenzordnung

D. Influenzierte Einzelfallregelungen Influenzierende Regelungen können auf die Steuerung des Verhaltens einer Vielzahl von Bürgern angelegt sein. So verfolgen beispielsweise Lenkungssteuern das Ziel einer breit angelegten, allgemeinen Verhaltensänderung einer Vielzahl von Bürgern. Mit gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen ist es indessen möglich, dass das Verhalten von ganz bestimmten Personen bezogen auf ganz bestimmte Einzelfälle influenzierend zu steuern. Dabei wird eine günstigere gesetzliche Regelung im Umsetzungsgesetz für den Fall versprochen, dass sich der Private in einem bestimmten Einzelfall in bestimmter Weise verhält. Die influenzierte Verhaltensweise des Privaten ist dem Staat nach den bereits dargelegten Kriterien zuzurechnen, so dass sich die Frage nach der kompetenziellen Grundlage der staatlichen Steuerung stellt164. Eine Änderung der bisherigen Rechtslage macht es unter Umständen erforderlich, auch die bereits anhängigen Vollzugsfälle einer auf die neue Gesetzeslage abgestimmten Regelung zuzuführen. Gesetzliche Übergangsregelungen können die anhängigen Verfahren erfassen und umgestalten. Bei gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen ergibt sich demgegenüber die Besonderheit, dass anhängige Verfahren durch die Vereinbarung influenziert werden, ohne dass die Umgestaltung der anhängigen Verfahren unmittelbar gesetzlich umgesetzt werden. Dabei kommt es jedoch ähnlich wie bei den unmittelbar gesetzlich umgesetzten parzellenscharfen Regelungen zu einem legislativen Funktionsübergriff in den Exekutivbereich, weil die Gesetzgebungskompetenz in einem bestimmten Bereich dazu genutzt wird, um indirekt auf einzelne Fälle des anhängigen Vollzugs einzuwirken. Verspricht die Bundesregierung, bei bestimmter Verhaltensweise des Privaten in einem anhängigen Verwaltungsverfahren ein bestimmtes Gesetz in den Bundestag einzubringen, so wirkt sie nicht in ihrer Funktion als Exekutive auf anhängige Verwaltungsverfahren ein. Vielmehr wendet sie ihre legislative Stellung als Gesetzesinitiativorgan an, um anhängige Verwaltungsverfahren zu steuern. Dieser influenzierende Übergriff aus der Legislativfunktion der Bundesregierung in den Vollzugsbereich wird besonders deutlich, wenn Landesbehörden für den Vollzug zuständig sind. Der influenzierende Funktionsübergriff beeinträchtigt die Gewaltenteilung und muss deshalb die Grenzen des Übermaßverbotes einhalten. Dabei fällt die verfassungsrechtliche Prüfung umso restriktiver aus, je deutlicher der Staatsgewaltcharakter des influenzierten Privatverhaltens erkennbar wird. 164 Zur influenzierenden und influenzierten Staatsgewalt als Zurechnungsfigur: siehe oben 2. Teil C.

D. Influenzierte Einzelfallregelungen

229

Dies hängt davon ab, mit welcher Intensität der Staat auf das Verhalten des Privaten Einfluss nimmt. Übt der Staat starken Druck auf das Verhalten der Privaten in den anhängigen Verwaltungsverfahren aus und ist die Vereinbarung in hohem Maße faktisch verbindlich, so kann das influenzierte Verhalten des Privaten dem Staat deutlicher zugerechnet werden. Der engere Zurechnungszusammenhang zum Staat führt dann zu schärferen verfassungsrechtlichen Anforderungen und zu einer stärkeren Kontrolldichte165. Die Intensität des Influenzierungsdrucks auf Private, der enge Zurechnungszusammenhang des influenzierten Privatverhaltens zum Staat sowie die sich daraus ergebende Intensität des Staatsgewaltcharakters sind zudem dafür entscheidend, welches Gewicht dem Gewaltenteilungsprinzip bei der Angemessenheitsprüfung zukommt. Je deutlicher der Charakter als Staatsgewalt ausgeprägt ist, desto höhere Anforderungen sind an die Rechtfertigung des influenzierten Kompetenzübergriffes anzulegen. Somit sind influenzierte Kompetenzübergriffe ebenso wie explizit gesetzlich geregelte Übergriffe nicht generell unzulässig. Sie müssen aber durch eine einerseits flexible, aber auch andererseits restriktive Handhabung des Übermaßverbotes auf Ausnahmefälle beschränkt bleiben. Im Zusammenhang mit gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen werden damit die Anforderungen der gewaltenteilenden Kompetenzordnung und des Kooperationsprinzips miteinander harmonisiert. Wenn die Bundesregierung für das Kernkraftwerk Mühlheim-Kärlich eine bestimmte gesetzliche Stromgutschrift unter der Bedingung versprochen hat, dass der Betreiber seinen anhängigen Genehmigungsantrag zurückzieht, dann ist die Antragsrücknahme des Betreibers als influenzierte Staatsgewalt zu qualifizieren, weil die Antragsrücknahme der influenzierenden Bundesregierung zuzurechnen ist. Die Bundesregierung zieht den Antrag bzgl. Mühlheim-Kärlich demnach sozusagen in „mittelbarer Täterschaft“ selbst zurück. Der Betreiber ist bei der Antragsrücknahme bloßes Werkzeug, weil ihm wegen der kompensierenden gesetzlichen Stromgutschrift als wirtschaftlich kalkulierendes Unternehmen keine andere Wahl blieb.166 Die Antragsrücknahme erweist sich als influenzierter Kompetenzübergriff des Bundes in Landesvollzugskompetenzen. Die Vereinbarung beeinträchtigt bezogen auf das anhängige Verwaltungsverfahren zum Kernkraftwerk Mühlheim-Kärlich die vertikale Gewaltenteilung, weil eine einvernehmliche Lösung der in einem bestimmten Verwaltungsverfahren anhängigen Streitfragen nicht zwischen dem Betreiber und dem Land, sondern zwischen Bund und Betreiber ausgehandelt wurde. Da die Bundesregierung eine konkrete Strommenge als Ausgleich für die Antragsrücknahme versprochen hat und die Vereinbarung vom 14. Juni 2000 besonders starke faktische Bindungen entfaltet, sind an die Prüfung der Verhältnismäßigkeit des Kompetenzübergriffs hohe Anforderungen zu stellen. 165 Zum Zusammenhang von Influenzierungsintensität und Kontrolldichte: siehe oben 2. Teil C. 166 Siehe oben 2. Teil C.

230

3. Teil: Die kooperative Staatsgewalt in der Kompetenzordnung

Die Einbeziehung des anhängigen Streits in die Vereinbarung ist geeignet und erforderlich, um eine umfassende Beilegung jahrelanger Konflikte im Sinne des Kooperationsprinzips zu bewerkstelligen. Das würde allerdings voraussetzen, dass das Land Rheinland-Pfalz rechtzeitig vor Entstehung faktischer Bindungen beteiligt worden wäre, weil der Kompetenzübergriff unter Einbeziehung des eigentlichen Kompetenzträgers ein milderes Mittel darstellt167. Bei der Angemessenheit des Funktionsübergriffes ist zu berücksichtigen, dass der vertikalen Gewaltenteilung wegen des deutlichen Charakters der Vereinbarung als faktisch verbindlicher, influenzierender Staatsgewalt starkes Gewicht beizumessen war. Zudem griff der Bund in der zentralen atomaufsichtliche Fragestellung bezüglich des einzigen Kernkraftwerks in Rheinland-Pfalz in die Verwaltungskompetenzen des Landes über, so dass nicht mehr von einem lediglich punktuellen Übergriff gesprochen werden kann. Diese Beeinträchtigung der vertikalen Gewaltenteilung ist als übermäßig und verfassungswidrig zu erachten. Es wäre zumindest erforderlich gewesen, dass der Gesetzgeber den Kompetenzübergriff selbst erkennt und eine diesbezügliche Abwägung zur Angemessenheit vornimmt. Eine solche Abwägung der Gesetzgebungsorgane lässt sich den Gesetzesmaterialien zum Atomausstieg indessen nicht entnehmen. Auf die dadurch entstandenen Abwägungsmängel im Gesetzgebungsverfahren ist später zurückzukommen168.

E. Ergebnis Die Kompetenzordnung steht nicht zur Disposition gesetzesvorbereitender Vereinbarungen. Vielmehr müssen sich sowohl die Vereinbarung als auch das Umsetzungsgesetz an die Kompetenzordnung halten. Dort wo die Kompetenzordnung allerdings Unschärfen aufweist, kann das Kooperationsprinzip im Rahmen der Abwägung eine Rolle spielen. Demnach können Kompetenzübergriffe kraft Sachzusammenhangs und parzellenscharfe Einzelfallregelungen als Übergriffe in die Exekutivkompetenzen ausnahmsweise unter Beachtung des Übermaßverbotes gestattet sein. Ein Kompetenzübergriff darf nicht unangemessen sein. Bei der vorzunehmenden Abwägung spielt das Gewicht des Kooperationsprinzips und die Intensität des Staatsgewaltcharakters bezogen auf die konkrete gesetzesvorbereitende Vereinbarung eine Rolle. Je stärker der Staatsgewaltcharakter gesetzesvorbereitender Vereinbarungen ausgeprägt ist, desto höhere Anforderungen sind an Kompetenzübergriffe zu stellen. Umgekehrt können Kompetenzübergriffe dann umso eher gerechtfertigt sein, je größeres Gewicht dem Kooperationsprinzip im jeweiligen Regelungsbereich zukommt.

167 Zur kompensatorischen Beteiligung des beeinträchtigten Kompetenzträgers: siehe oben 3. Teil A. I., III. 3. c). 168 Siehe unten 5. Teil D. III. 4 b) bb) (c).

4. Teil

Die Verhandlungsphase Nach dem hier vertretenen Staatsgewaltbegriff wird Staatsgewalt bereits im Vorfeld des formalisierten Gesetzgebungsverfahrens ausgeübt. Die gesetzesvorbereitende Staatsgewalt ist nachfolgend einer verfassungsrechtlichen Prüfung zu unterziehen. Hierzu müssen an die gesetzesvorbereitenden Verhandlungen und Vereinbarungen mit Privaten verschiedene verfassungsrechtliche Kontrollsonden angelegt werden. Dabei ist von einer Organisationsautonomie der Bundesregierung hinsichtlich der Vorbereitung der eigenen Gesetzesinitiativen auszugehen (hierzu: A.). Es kommt darauf an, die grundgesetzlichen Anforderungen an die Gesetzesvorbereitung unter Beachtung des von der Organisationsautonomie geschützten Gestaltungsspielraums zu entwickeln (hierzu: B.). Anschließend muss erörtert werden, wie die grundgesetzlichen Anforderungen an gesetzesvorbereitende Verhandlungen und Vereinbarungen in einer Regelungsstruktur konkretisiert werden können (hierzu: C.).

A. Organisationsautonomie und Eigenbereich der Regierung Das Grundgesetz enthält keine Vorschriften, die explizit die Vorbereitung von Gesetzen regeln. Die Regelungen über das Gesetzgebungsverfahren beginnen erst mit der Gesetzesinitiative nach Art. 76 GG. Gesetzesvorbereitung gehört zur vom Grundgesetz nicht geregelten internen Willensbildung der Bundesregierung und der Bundesministerien. Diese interne Willensbildung unterliegt grundsätzlich der Organisationsautonomie der Bundesregierung bzw. des jeweiligen Ressorts1, 2. Dies bedeutet, dass die Bundesregie1 Vgl. BVerfGE 67, 100 (139); BVerwGE 89, 121 (124); Schröder, DVBl. 1984, 814 (818); Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 62 Rdnr. 59. 2 Gegen die Verwendung des Begriffes Autonomie im Zusammenhang mit Organen kann eingewandt werden, dass Organe nicht rechtsfähig seien und deshalb auch keine Autonomie besitzen könnten (vgl. Jellinek, Besondere Staatslehre Bd. 2, S. 252 ff.; Böckenförde, Die Organisationsgewalt, S. 120 f.). Dabei muss jedoch bedacht werden, dass Organe des gleichen Rechtsträgers durchaus untereinander und gegeneinander bestimmte Rechte und Pflichten haben (vgl. Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, §§ 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG). Die Stoßrichtung dieses organbezogenen Auto-

232

4. Teil: Die Verhandlungsphase

rung bzw. der zuständige Bundesminister grundsätzlich frei darüber entscheiden dürfen, wie sie den internen Willensbildungsprozess gestalten und organisieren wollen3, 4.

I. Normative Verankerung der Organisationsautonomie Die Organisationsautonomie der Bundesregierung ist in Art. 65 GG positiviert5. Die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers, die Ressortkompetenz der Bundesminister und die Geschäftsordnungsautonomie der Bundesregierung als Kollegialorgan bilden die maßgeblichen Konturen der Organisationsautonomie6, 7. In ihr kommt der im Gewaltenteilungsprinzip des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG verankerte Eigenbereich der Exekutive zum Ausdruck8. Da sowohl Bundestag als auch Bundesregierung selbstständige Organe sind, muss jedem dieser Organe ein Eigenbereich gewährleistet werden9. Dieser Eigenbereich der Bundesregierung und Bundesministerien bezieht sich auch auf die Vorbereitung von Gesetzesvorlagen. Die Organisanomiebegriffes richtet sich allerdings nicht gegen den Rechtsträger des Organs. Diesem gegenüber ist das Organ natürlich nicht autonom. Vielmehr betont die Autonomie eines Organs dessen Selbstständigkeit gegenüber den anderen Organen. Durch wechselseitige Autonomie der Organe des gleichen Rechtsträgers kann ein System der „checks and balances“ geschaffen werden (vgl. zur Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages: BVerfGE 70, 324 (360 ff.); 80, 188 (218); 102, 224 (236); zur Innenrechtsfähigkeit von Organen gegenüber anderen Organen: Krebs, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 69 Fußn. 84; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 21 Rdnr. 26. 3 Zum Organisationsbegriff: vgl. Böckenförde, Die Organisationsgewalt, S. 39, 43 f. 4 Zur Enthaltsamkeit des Grundgesetzes in Hinblick auf Regelungen zur Gesetzesvorbereitung: vgl. Busse, Gesetzgebungseinflüsse, S. 97 (99); Masing, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG Bd. I, Art. 76 Rdnr. 2 f.; Schulze-Fielitz, Der informale Verfassungsstaat, S. 99. 5 Vgl. Böckenförde, Die Organisationsgewalt, S. 294. Die Regelungen der GO BReg sind Ausfluss der Organisationsautonomie des Art. 65 Satz 4 GG. 6 Vgl. Böckenförde, Die Organisationsgewalt, S. 147. 7 Die Regelungen der GGO sind, soweit sie nicht über das jeweilige Ressort hinausreichen, Ausfluss der Ressortgewalt des jeweiligen Bundesministers (Art. 65 Satz 2 GG). GGO-Regelungen, die über das einzelne Ressort hinausreichen, sind hingegen als Geschäftsordnungsregelungen der Bundesregierung im Sinne des Art. 65 Satz 4 GG zu qualifizieren (vgl. Böckenförde, Die Organisationsgewalt, S. 120, 123, 127 f.; zum über das einzelne Ministerium hinausgehenden Regelungsgehalt der GGO: Zypries/Peters, ZG 2000, 316 ff.). Das müsste auch im Hinblick auf die Genehmigungskompetenz des Bundespräsidenten (Art. 65 Satz 4 GG) beachtet werden. 8 Vgl. BVerfGE 95, 1 (15); BVerfGE 9, 269 (280); Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG Bd. II, Art 20 Abs. 2 Rdnr. 215. 9 Vgl. Böckenförde, Die Organisationsgewalt, S. 289 f.

A. Organisationsautonomie und Eigenbereich der Regierung

233

tionsautonomie korreliert mit der in Art. 65 Satz 1 bzw. Satz 2 GG normierten politischen Verantwortung des Bundeskanzlers und der Bundesminister. Die politische Verantwortung setzt eine politische Gestaltungsfreiheit voraus. Denn Verantwortung kann nur derjenige übernehmen, dem Raum zum Gestalten und Entscheiden zur Verfügung steht.

II. Organisation der Kooperation und funktionsgerechte Gewaltenteilung Die Exekutive ist im Vergleich zu den anderen Staatsorganen besonders gut zur Kooperation mit Privaten geeignet10. In der Bundesregierung und den Bundesministerien vereinen sich vollzugsspezifisches Wissen und Erfahrung mit der Vorbereitung von Gesetzen. Deshalb entspricht es einer funktionsgerechten Gewaltenordnung, wenn Bundesregierung und Bundesministerien über die Art und Weise der Kooperation mit Privaten bei der Vorbereitung ihrer Gesetzesvorlagen selbstständig entscheiden. Die Gestaltung der Kooperation mit Privaten zur Vorbereitung der eigenen Gesetzesvorlagen ist im Lichte einer funktionsgerechten Gewaltenordnung dem von der Organisationsautonomie geschützten Eigenbereich der Regierung zuzuordnen11. Die Exekutive kann den von der Organisationsautonomie geschützten Gestaltungsraum nutzen, um unterschiedliche Formen der Kooperation mit Privaten je nach Sachlage flexibel zu entwickeln.

III. Funktion und Grenzen der Organisationsautonomie Die Organisationsautonomie wird im Nachfolgenden in zweifacher Hinsicht relevant. Zum einen spielt sie eine Rolle, wenn es um die Frage geht, inwieweit der Gesetzgeber die Gesetzesvorbereitung der Bundesregierung in einem Parlamentsgesetz regeln darf. Diese Frage nach einem gesetzgeberischen Zugriffsrecht auf die Gesetzesvorbereitung durch die Bundesregierung wird erst später abgehandelt12. Dort wird nach der richtigen Regelungsform für eine Regelungsstruktur der Gesetzesvorbereitung gefragt werden. Zunächst stellt sich die Frage, welche Anforderungen sich dem Grundgesetz für die informell-kooperative Gesetzesvorbereitung entnehmen lassen und wie sich diese Anforderungen mit dem Gestaltungsspielraum der 10

Zur gubernativen Konzentration: siehe oben 1. Teil A. I. 3. b) ee) (2). Vgl. Böckenförde, Die Organisationsgewalt, S. 43 f., 86 f.; Schmidt-Preuß, Diskussionsbeitrag, Staatsrechtslehrertagung 2002, S. 96 f.; Morlok, Informalisierung, S. 37 (73). 12 Siehe unten Seite 4. Teil C. IV. 11

234

4. Teil: Die Verhandlungsphase

Bundesregierung als Ausfluss der Organisationsautonomie vertragen. Die Organisationsautonomie der Bundesregierung als Ausgangspunkt der verfassungsrechtlichen Prüfung des Gesetzesvorbereitung hat insofern die Bedeutung, einer allzu starken Verrechtlichung der Gesetzesvorbereitung entgegenzuwirken, weil ansonsten der Eigenbereich der Exekutive gegenüber den anderen Verfassungsorganen, insbesondere gegenüber dem Bundesverfassungsgericht, aufgezehrt würde13. Die hier interessierenden gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen wirken sich jedoch wegen der faktischen Austauschbindungen maßgeblich auf das nachfolgende förmliche Gesetzgebungsverfahren aus. Sie stellen eine faktisches Präjudiz dar. Im Gesetzgebungsvorfeld werden Regelungsalternativen ausgesondert. Dort wird faktisch bindend entschieden, was vom Parlament beraten werden und was von Anfang an gar nicht erst in die öffentliche Diskussion gelangen soll. Da somit der Gesetzesvorbereitung vor allem bei gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen mit Privaten besondere Bedeutung für die Ausübung gesetzgeberischer Staatsgewalt zukommt, kann diese nicht vollkommen im verfassungsfreien Raum stattfinden. Die Organisationsautonomie schirmt die Gesetzesvorbereitung nicht gegen sämtliche verfassungsrechtlichen Anforderungen hermetisch ab. Gesetzesvorbereitung als eine sich allmählich verdichtende Form der Ausübung von Staatsgewalt muss behutsam durch verfassungsrechtliche Anforderungen kanalisiert werden14. Die Organisationsautonomie wirkt als abwägungsfähiges Rechtsprinzip des Grundgesetzes einer zunehmenden Verrechtlichung der Gesetzesvorbereitung entgegen15. Sie bremst juristischen Übereifer und bringt Flexibilität, politische Gestaltungsfreiheit sowie den besonderen Sachverstand der Regierung als wichtige Aspekte bei der Frage nach grundgesetzlichen Anforderungen an die Gesetzesvorbereitung ein16. Entnimmt man den allgemeinen Rechtsprinzipien der Verfassung Anforderungen an die Gesetzesvorbereitung, so müssen diese mit der Organisationsautonomie konfrontiert werden. Somit wird bei der Konkretisierung von grundgesetzlichen Anforderungen für gesetzesvorbereitende Vereinbarungen auf einen Ausgleich mit der Organisationsautonomie zu achten sein, ohne dass die Organisationsautonomie der Bundesregierung die Gesetzesvorbereitung von jeglichen verfassungsrechtlichen Anforderungen abschirmen könnte. 13

Vgl. BVerfGE 80, 188 (220). Vgl. Mengel, Gesetzgebung und Verfahren, S. 336 ff. 15 Vgl. zur Abwägungsfähigkeit der Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages: BVerfGE 70, 324 (361). 16 Zur notwendigen Flexibilität des Regierungshandelns: vgl. Böckenförde, Die Organisationsgewalt, S. 290. 14

B. Grundgesetzliche Anforderungen

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Die Anforderungen an die Gesetzvorbereitung müssen unter Abwägung mit der Organisationsautonomie der Bundesregierung entwickelt werden. Das Übermaßverbot gebietet, einen schonenden Ausgleich herzustellen. Der Kern der Organisationsautonomie liegt jedoch in der rein regierungsinternen Willensbildung. Ausgehend von diesem rein internen Zentrum nimmt der Gestaltungsfreiraum der Bundesregierung nach außen umso mehr ab, je mehr bei der Vorbereitung von Gesetzen faktisch bindende Vorentscheidungen für das spätere Gesetzgebungsverfahren getroffen werden. Je mehr die Gesetzesvorbereitung faktisch in die Entscheidungsfunktion des Parlaments (Art. 77 Abs. 1 Satz 1 GG) überwirkt, umso schwächer wird die Organisationsautonomie der Regierung. Das bemisst sich im Einzelfall danach, wie intensiv die faktischen Bindungen gegenüber den privaten Vereinbarungspartnern ausgeprägt sind17.

B. Grundgesetzliche Anforderungen Die gesetzesvorbereitenden Verhandlungen und Vereinbarungen mit Privaten haben den Charakter von Staatsgewalt18 und können damit eigenständiger Gegenstand der verfassungsrechtlichen Prüfung sein (hierzu I.). In die Überlegungen zur Gesetzesvorbereitung ist jedoch auch die spätere Gesetzesinitiative einzubeziehen. Das Gesetzesinitiativrecht der Bundesregierung nach Art. 76 Abs. 1 GG entfaltet nämlich eine normative Ausstrahlungskraft auf das Vorfeld der Gesetzesinitiative (hierzu II.). Zudem ist die Transparenz der Gesetzesvorbereitung zu problematisieren, weil Anforderungen an die Gesetzesvorbereitung nur insoweit kontrollierbar sind, als diese von Anfang an transparent ausgestaltet ist oder zumindest nachträglich offen gelegt wird (hierzu III.).

I. Verhandlung und Vereinbarung der Gesetzesvorlage Bei den hier interessierenden gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen wird nicht erst ein vom jeweiligen Bundesministerium erarbeiteter Entwurf mit Privaten abgestimmt. Vielmehr findet ein eng verzahnter Aushandlungsprozess zwischen Staat und Privaten bereits bei der Entstehung des ersten Entwurfs statt19. Dieser eng verzahnte Verhandlungsprozess wirft verfassungsrechtliche Probleme in Hinblick auf das Demokratieprinzip, den 17 Zu den Konturen und zur Intensität der faktischen Bindung: siehe oben 1. Teil A. I. 3. b) dd). 18 Siehe oben 2. Teil A. 19 Zur Unterscheidung von eng verzahntem Aushandeln und gestufter Abstimmung von Entwürfen: siehe oben 1. Teil A. I. 3. b) cc) (3), (4) und (5).

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

Gleichheitssatz, den Vorbehalt des Gesetzes und das rechtsstaatliche Koppelungsverbot sowie in Bezug auf die Organ- und Bundestreue auf. 1. Demokratieprinzip Im Unterschied zum Wortlaut der Art. 76 ff. GG, der die Vorbereitung der Gesetzesvorlage durch die Bundesregierung weitgehend ausklammert, kann das Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG schon vorher ansetzen, weil es am weitausgreifenden Staatsgewaltbegriff anknüpft. Durch den weiten Staatsgewaltbegriff wird die gesamte gesetzesvorbereitende Tätigkeit der Bundesregierung in den Wirkbereich des Demokratieprinzips einbezogen. Es ist zu prüfen, ob gesetzesvorbereitende Vereinbarungen den Legitimationsanforderungen genügen, die Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG für die Ausübung von Staatsgewalt aufstellt. a) Divergierende Legitimationskonzepte Nach Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG muss alle Staatsgewalt vom Volk ausgehen. Dieser Verfassungsrechtssatz wird von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und Teilen der Literatur unterschiedlich verstanden. Bei idealtypischer Betrachtungsweise der verschiedenen Auffassungen kann zwischen einem Hierarchiemodell und einem Kooperationsmodell unterschieden werden20. aa) Hierarchiemodell Nach dem Hierarchiemodell wird Art. 20 Abs. 2 GG so interpretiert, dass jeder Akt der Staatsgewalt über eine ununterbrochene Legitimationskette auf ein vom Volk gewähltes Organ zurückzuführen sein muss. Die nach Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG allgemeinen, unmittelbaren, freien und gleichen Wahlen sind demnach die wichtigste Legitimationsquelle für die Staatsgewalt. Staatsgewalt darf nur von gewählten Staatsorganen oder von Personen, die mit den gewählten Staatsorganen in einem Legitimationszusammenhang stehen, ausgeübt werden. Dieser Legitimationszusammenhang kann durch parlamentarische Kontrolle der Exekutive, durch Sachregelungen in Gesetzen als Maßstab für die Exekutive, durch Weisungsgebundenheit der Amtsträger sowie die Bestellung der Amtsträger durch parlamentarisch verantwortliche Personen herge20 Vgl. Groß, Grundlinien, S. 93 (94 ff.), der zwischen einer dem Hierarchiemodell verhafteten monistischen und einer mit dem Kooperationsmodell korrelierenden pluralistischen Theorie der Demokratie unterscheidet.

B. Grundgesetzliche Anforderungen

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stellt werden21. Entscheidend ist, ob die unterschiedlichen Legitimationsmedien der sachlichen Gesetzesbindung und der personell-organisatorischen Amtshierarchie insgesamt zu einem ausreichenden Legitimationsniveau führen. Es kommt nicht auf die einzelnen Legitimationsmedien, sondern vielmehr auf das Gesamtniveau effektiver Legitimation an. Dieses Gesamtniveau kann durch die genannten unterschiedlichen Legitimationsformen, die sich wechselseitig ergänzen, erreicht werden22. Die besondere grundrechtliche Betroffenheit soll hingegen nicht zur Beteiligung an der Ausübung von Staatsgewalt legitimieren23. Nach dem Hierarchiemodell wird die Legitimation der Gesetzesvorbereitung durch Austauschvereinbarungen mit nicht legitimierten Privaten beeinträchtigt. Es kommt demnach darauf an, die Legitimation der gesetzesvorbereitenden Staatsgewalt durch Kombination der unterschiedlichen Legitimationsmedien dennoch zu sichern. bb) Kooperationsmodell Das Hierarchiemodell ist jedoch in der Literatur nicht unumstritten. Es wird die Auffassung vertreten, dass es möglich sei, neben den Wahlen andere Legitimationsquellen der Staatsgewalt zu schaffen. Eine solche zusätzliche Legitimationsquelle sei die Partizipation der Betroffenen an der Staatswillensbildung24. Dies wird damit begründet, dass die Demokratie auf der Idee der freien Selbstbestimmung beruhe25. Demokratische Selbstbestimmung würde vor allem auch dadurch hergestellt und real erfahrbar, dass diejenigen, die von der Entscheidung besonders betroffen werden, an der Staatswillensbildung besonders beteiligt würden26. Je stärker jemand von einer Entscheidung des Staates betroffen sei, desto effektiver müsste er 21 BVerfGE 93, 37 (66); BVerfG DVBl. 2003, 923 (924). Zu den unterschiedlichen Formen der sachlich-inhaltlichen, personellen, institutionellen und funktionellen Legitimation: Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. I, 2. Aufl., § 22 Rdnrn. 14 ff.; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG Bd. II, Art. 20 Abs. 2 Rdnr. 157 ff. m. w. N. 22 BVerfGE 49, 89 (125); 83, 60 (72 f.); 93, 37 (66 f.); BVerfG DVBl. 2003, 923 (924). 23 Vgl. BVerfGE 93, 37 (69); Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. I, 2. Aufl., § 22 Rdnr. 27, 29. 24 v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, S. 70 ff., 77 f.; Bryde, Das Demokratieprinzip, S. 59 (60 ff.); Hohmann-Dennhardt, Schranken des Demokratieprinzips, S. 102 (107 ff.); Rinken, Demokratie und Hierarchie, S. 125 (137). 25 Zur Selbstbestimmung des Volkes als Essentialie des Demokratieprinzips: BVerfGE 44, 125 (142); Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. I, 2. Aufl., § 22 Rdnr. 9; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG Bd. II, Art. 20 Abs. 1 Rdnr. 63, 80.

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an der Genese der Staatsgewalt partizipieren können27. Demnach sei der Gesetzgeber dazu befugt, das Demokratieprinzip so auszugestalten, dass Partizipation von Betroffenen an der Bildung der Staatsgewalt möglich ist28. Diese Auffassung versucht, ihr Legitimationskonzept mit den Grundrechten zu untermauern, die ein Recht auf Beteiligung dessen implizieren würden, dessen Grundrechte besonders betroffen seien29. Nach dem Kooperationsmodell stellt die Amtshierarchie keinen ausreichenden Legitimationszusammenhang her. Die Weisungskette zwischen einzelnem Beamten und dem parlamentarisch verantwortlichem Minister könne keine reale Willensübereinstimmung zwischen Minister und Amtsträger gewährleisten, weil der Minister von den meisten Entscheidungen der ihm unterworfenen Amtsträger gar nichts wisse und mangels eigener Informationsverarbeitungskapazität auch nichts wissen könne. Willensübereinstimmung zwischen parlamentarisch verantwortlichem Minister und Amtsträgern als Ziel der Amtshierarchie sei im Rahmen einer arbeitsteiligen Organisation der Ausübung von Staatsgewalt oftmals nur eine Fiktion. Die Amtshierarchie sei in der Realität nicht in der Lage, den Demokratiegedanken im Sinne der Selbstbestimmung des Einzelnen zu stärken30. Zur Stärkung des Gedankens der Selbstbestimmung müssten deshalb nach dem Kooperationsmodell die Betroffenen in die Staatswillensbildung einbezogen werden. Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen mit Umsetzungsgesetz könnten demnach eine Möglichkeit sein, das von diesem Demokratiemodell favorisierte Konzept der Legitimation durch Partizipation zu verwirklichen. Diese Gedanken26 Vgl. Groß, Grundlinien, S. 93 (98 f.); Rinken, Demokratie und Hierarchie, S. 125 (136 f.). 27 Vgl. Bryde, Das Demokratieprinzip, S. 59 (64 f.). 28 Fisahn, Demokratie, S. 71 (81); Sterzel, Die Einheit, S. 156 (168, 176). 29 Zum grundrechtlich fundierten Legitimationskonzept: Blanke, Funktionale Selbstverwaltung, S. 41, 43; Rinken, Demokratie und Hierarchie, S. 125 (132, 136); Sterzel, Die Einheit, S. 156 ff.; siehe ferner: BVerfGE 28, 314 (323); 51, 43 (58). Demgegenüber hat sich das Bundesverfassungsgericht an anderer Stelle dagegen ausgesprochen, sämtlichen Grundrechten einen Aktiv-Status beizumessen (BVerfG NVwZ-RR 1999, 281). Ähnlich: Jestaedt, Demokratieprinzip, S. 579, der die Auffassung, die den Grundrechten die Funktion der Legitimation von Staatsgewalt zuweist, als „hypertrophisches Grundrechtsverständnis“ kritisiert, das allein den Grundrechten die maßgeblichen Gestaltungsvorgaben für das Gemeinwesen entnehmen möchte. 30 Mehde, Die empirischen Prämissen, S. 113 ff.; vgl. auch: Dederer, NVwZ 2000, 403 (404): „Für den heute zwanzigjährigen Aktivbürger wird die Volkssouveränität im Sinne des Ausgehens aller Staatsgewalt vom Volk (Art. 20 II 1 GG) nicht dadurch ‚immer wieder konkret‘, dass ein jetzt fünfundfünfzigjähriger Ministerialbeamter vor vielleicht fünfundzwanzig Jahren in einer ununterbrochenen Legitimationskette zum Beamten auf Lebenszeit ernannt worden ist und dessen letzte Beförderung beispielsweise fünf Jahre zurückliegt.“

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gänge einer Betroffenheitslegitimation bekommen dadurch erhöhte Schubkraft, dass das Bundesverfassungsgericht im Bereich der funktionalen Selbstverwaltung anerkennt, dass der Beteiligung der Betroffenen eine demokratische Qualität zukomme31. b) Textbefund: „Volk“ als Legitimationsquelle Das Legitimationskonzept der Betroffenenbeteiligung an der Staatswillensbildung und Staatsgewalt löst sich allerdings vom Verfassungstext des Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG. Dort ist die Rede davon, dass die gesamte Staatsgewalt vom „Volk“ ausgeht. Unter Volk ist jedoch nicht lediglich eine bloße Ansammlung der in einer bestimmten Situation gleichartig Betroffenen zu verstehen32. Das Volk unterscheidet sich vielmehr von der Bevölkerung dadurch, dass eine Vielzahl von Menschen durch gewisse Gemeinsamkeiten auf Dauer verbunden und zur Einheit in Vielheit integriert wird33. Zum Volk gehört nur derjenige, der zum Gemeinwesen in einer besonderen dauerhaften Beziehung steht34. Die Konkretisierung dieser Beziehung zwischen Staat und Staatsbürger ist Sache des Staatsangehörigkeitsrechts (vgl. Art. 73 Nr. 2, 116 GG). Wenn Grundrechtsträger durch ein künftiges Gesetz in gleicher Weise betroffen werden, so macht allein diese punktuelle Betroffenheit diese Grundrechtsträger noch nicht zum Volk, von dem Staatsgewalt i. S. v. Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG legitimiert werden könnte35. 31

BVerfGE 33, 125 (159); BVerfG DVBl. 2003, 923 (926, 928). Dagegen hat sich das BVerfG noch in E 93, 37 (69) in der Grundtendenz eher gegen eine Betroffenheitslegitimation ausgeprochen. 32 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip, S. 220. 33 Vgl. Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG Bd. II, Art. 20 Abs. 2 Rdnr. 142. 34 BVerfGE 37, 217 (239). 35 Ungeachtet der Konkretisierungsaufgabe des einfachgesetzlichen Staatangehörigkeitsrechts hat der verfassungsrechtliche Volksbegriff einen verfassungsrechtlichen Selbststand und unterliegt deshalb nicht allein der Definitionsmacht des Gesetzgebers (vgl. BVerfGE 37, 217 (239); 83, 37 (50 ff.); Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. VII, § 162 Rdnr. 49). Deswegen ist von Verfassungs wegen eine gewisse Dauerhaftigkeit der Verbundenheit im Gegensatz zur lediglich aktuellen Betroffenheit Voraussetzung der Staatsangehörigkeit. Selbst dann, wenn man den Volksbegriff des Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG von der Staatsangehörigkeit ablöst (siehe hierzu: Meyer, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. II, 2. Aufl., § 38 Rdnr. 5; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG Bd. II, Art. 20 Abs. 2 Rdnr. 144), ist für die Zugehörigkeit zum Volk nicht nur eine punktuelle, gleichartige Betroffenheit ausreichend. Vielmehr gehört zum Volk nur derjenige der in die „Lebens- und Schicksalgemeinschaft“ des Staates eingebunden ist (vgl. Böckenförde, in: Isensee/ Kirchhof, HdbStR Bd. I, 2. Aufl., § 22 Rdnr. 26, 28; Meyer, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. II, 2. Aufl., § 38 Rdnr. 5). Insoweit kommt vor allem den Sprachkenntnissen, aber auch der historischen, kulturellen und wirtschaftlichen Identität wich-

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

Das Betroffenheitskriterium vermag für sich genommen keine Legitimation i. S. d. Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG zu begründen, weil diesem Kriterium der Bezug zum Volk als Ausgangspunkt der Legitimation fehlt. Will man das Demokratieprinzip über die nur punktuell wirkenden Wahlen hinaus im Sinne der Selbstbestimmungsidee vitalisieren, indem die Gesellschaft an den politischen Entscheidungen verstärkt beteiligt wird, so müssen sich diese Bemühungen der politischen Aktivierung entsprechend Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG auf das gesamte Volk beziehen36, 37. Die Legitimation geht nach Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG nicht von atomisierten Individuen oder von partikularen „Verbandsvölkern“, sondern vom Gesamtvolk als zusammengehörige Staatsgemeinschaft aus. Der Parlamentarische Rat wollte in Art. 20 Abs. 2 Satz 1 bewusst eine verfassungsrechtliche Wertung setzten, die sich gegen einen Privilegienstaat richtet38. Dieser gegen Partikularinteressen wirkende Gemeinschafts- und Gemeinwohlbezug des Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG bildet den wesentlichen Charakterzug des grundgesetzlichen Demokratieprinzips39. c) Divergierende Legitimationszwecke Ziel des Kooperationsmodells ist es, die effektive Selbstbestimmung der von der Staatsgewalt besonders Betroffenen zu stärken. Demgegenüber kommt es dem Hierarchiemodell in Übereinstimmung mit dem Verfassungstext des Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG vor allem darauf an, dass die Legitimation nicht von einzelnen Partikularkräften, sondern vom gesamten Volk als Träger der Selbstbestimmung ausgeht und auf das Gemeinwohl bezogen ist. tige Bedeutung zu (vgl. Kirchhof, DVBl. 1999, 637 (643); Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG Bd. II, Art. 20 Abs. 2 Rdnr. 145). Der Begriff des Volkes verweist darauf, dass bei der Wahl der Entscheidungseinheiten an gewachsene Identitäten und nicht an akute Betroffenheit anzuknüpfen ist (vgl. BVerfG NVwZ 2002, 71 (72); Bryde, Das Demokratieprinzip, S. 64 f.). 36 Vgl. Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (376); Jestaedt, Demokratieprinzip, S. 219. 37 Kooperation mit besonders Betroffenen kann nicht als Abstimmung i. S. d. Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG aufgefasst werden, weil sich diese Abstimmungen auf das gesamte Bundesvolk oder doch zumindest auf einen Volksteil i. S. d. Art. 29 GG beziehen müssten (vgl. Engelbert, Konfliktmittlung, S. 75). 38 Siehe die Äußerung von Schmid im Parlamentarischen Rat, der auf den Konsens des Volkes als Gegensatz zu Privilegien Einzelner hingewiesen hat (JöR n. F. 1 (1951), 198). 39 Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip, S. 507; Quaritsch, Das parlamentslose Parlamentsgesetz, S. 36: „Unbekümmert um eine halbes Jahrhundert politischer Soziologie hat sich der Verfassungsgeber dafür entschieden, die Staatsgewalt vom ‚Volke‘ ausgehen zu lassen, nicht von den Parteien und schon gar nicht von jenen verfassungsrechtlich nebelhaften ‚gesellschaftlich relevanten Kräften‘.“

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aa) Effektivität der Selbstbestimmung Seitens der Vertreter eines kooperativen Demokratiemodells wird gegen das Hierarchiemodell eingewandt, dass die demokratische Selbstbestimmung des Einzelnen im Hierarchiemodell zu wenig zur Geltung komme40. Die Effektivität der Selbstbestimmung des Volkes durch die gewählten Repräsentanten wird im Hierarchiemodell dadurch gemindert, dass sich eine Willensübereinstimmung zwischen parlamentarisch verantwortlichem Minister und dem Beamten einer nachgeordneten Behörde nicht bezogen auf jeden Einzelfall und in jeder Hinsicht positiv feststellen lassen wird. Je länger die Weisungskette vom Minister über den Amtschef, die Abteilungsleiter, Referatsleiter, nachgeordnete Behördenleiter, Sachgebietsleiter bis hin zum einzelnen Sachbearbeiter wird, desto mehr werden Informationen in beide Richtungen gefiltert und desto weniger ist eine authentische Willensübereinstimmung tatsächlich gewährleistet. Die Legitimation der Gesetzesvorbereitung durch Einbindung der gesetzesvorbereitenden Beamten in die Amtshierarchie könnte deshalb als unzureichend empfunden werden. Das Demokratieprinzip zielt indessen nicht auf eine optimale Übereinstimmung zwischen Volkswille, Ministerwille und Willen des einzelnen Amtsträgers. Vielmehr ist ein Mindestmaß an effektivem Einfluss der vom Volk Gewählten ausreichend41. Der einzelne Amtsträger wird sich immer wieder an den Vorgaben seiner Vorgesetzten orientieren, um den einheitlichen Vollzug und das eigene berufliche Fortkommen nicht zu gefährden. Die Willensübereinstimmung zwischen parlamentarisch verantwortlichem Minister und Beamten ist zwar keine vollständige. Dies wäre tatsächlich eine bloße Fiktion. Dennoch stimuliert die Amtshierarchie den einzelnen Amtsträger permanent dazu, seinen Willen an den Vorgesetzten und dem parlamentarisch verantwortlichen Minister auszurichten. Die grundsätzliche Fähigkeit des Hierarchieprinzips, den Willen des parlamentarisch verantwortlichen Ministers in Hinblick auf die Grundausrichtung des Ministeriums durchzusetzen, kann nicht ernsthaft bezweifelt werden. Hierarchie bedeutet nicht die Unselbstständigkeit der in die Hierarchie Eingebundenen. Das Hierarchiemodell darf auch nicht im Sinne einer irrealen Willensidentität zwischen Ministerwillen und Beamtenwillen missverstanden werden42. Die Amtshierarchie gibt vielmehr den Beamten eine legi40 Vgl. Blanke, Funktionale Selbstverwaltung, S. 52 f.; Mehde, Die empirischen Prämissen, S. 113 ff. 41 Zur gegenüber der Optimierungsdogmatik vorzugswürdigen Saturierungskonzeption: siehe oben 1. Teil B. I. 42 Zur Absage des Grundgesetzes an optimierende Vorstellungen der Idee der freien Selbstbestimmung des Volkes, die auf identitäre und tendenziell totalitäre Demokratiekonzeptionen hinauslaufen: Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdnr. 131.

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timationsstiftende, bindende Orientierung zur eigenverantwortlichen Entscheidung. Dadurch wird ein Mindestmaß an sachlicher Grundgestaltung durch den parlamentarisch verantwortlichen Minister gesichert und effektive Legitimation im Sinne der Saturierungskonzeption erreicht43. Die Legitimation durch die Amtshierarchie reicht für eine ministeriumsinterne Vorbereitung von Gesetzesvorlagen aus. Es bedarf unter dem Gesichtspunkt effektiver Demokratie keiner kooperativen Anreicherung der Legitimation. bb) Gemeinwohl als Legitimationszweck Neben der Effektivität der Legitimation muss auch die Gleichheit der Beteiligung an der Staatswillensbildung beachtet werden. Diese kommt vor allem in der Gleichheit der Wahl (Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG) zum Ausdruck. Zwar könnte eine Betroffenenbeteiligung die Selbstbestimmung der jeweils beteiligten Betroffenen optimieren, dadurch würde jedoch das demokratische Legitimationsniveau nicht im Sinne von Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG verbessert, weil die Betroffenenbeteiligung selektiv nur auf die jeweils Beteiligten und nicht auf das ganze Volk bezogen ist. Gerade der Bezug des Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG auf das gesamte Volk ist aber Ausdruck des Gedankens der gleichen Beteiligung der Bürger an der Staatsgewalt, die durch eine besondere Beteiligung Einzelner gefährdet wird44. In Hinblick auf die Gleichheit der Beteiligung birgt das kooperative Demokratiemodell nicht zu übersehende Risiken45. Beteiligt man bestimmte Betroffene an einem Normierungsprozess in besonderer Weise, so besteht die Gefahr, dass dadurch andere Betroffene ausgegrenzt werden46. Partizipation kann dazu führen, dass die Ausrichtung des Gesetzes am Gemeinwohl hinter den Partikularinteressen der beteiligten Gruppen zurücktritt47. Kooperiert wird nur mit denjenigen, die einen gesellschaftlich relevanten Einfluss haben und die aufgrund eines hohen Organisationsgrades nach innen das Vereinbarte durchzusetzen vermögen48. Die in 43

Vgl. Papier, Parlamentarische Demokratie, S. 33 (50). Vgl. Jestaedt, Demokratieprinzip, S. 218. 45 Vgl. BVerfGE 93, 37 (67, 69). Nach Bohne, Der informale Rechtsstaat S. 213, würde eine generelle Entscheidungsbeteiligung der jeweils betroffenen Interessen das politische System letztlich in einen Ständestaat mittelalterlicher Prägung auflösen. Zur Notwendigkeit einer formalen Gleichstellung aller am Diskurs teilnehmenden Akteure: Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 159 f., 172. 46 Vgl. Huber, Vorwort, S. 14 f.; Gusy, ZUR 2001, 1 (3). 47 Zum Spannungsverhältnis von selektiver Partizipation und Gemeinwohl: vgl. v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, S. 80; Gusy, ZUR 2001, 1 (5). 48 Zur Konzentrationswirkung kooperativen Staatshandelns auf der Seite der privaten Vereinbarungspartner: siehe oben 1. Teil A. I. 3. b) ee). 44

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dieser Hinsicht kooperationsfähigen Pressure-Groups engagieren sich jedoch vorwiegend für Sonderinteressen Einzelner49. Wichtige Gemeinwohlbelange, die jeden Bürger betreffen, werden hingegen aufgrund ihres geringeren Organisationsgrades nicht ausreichend berücksichtigt50. Gemeinwohlgüter, die wie eine intakte Umwelt, ein transparentes Steuerrecht oder eine nachhaltige Familienpolitik unbestrittenermaßen für die gesamte Gesellschaft enorme Bedeutung haben, werden bei starker Dominanz der durch Kooperation einbezogenen organisierten Partikularinteressen in absehbarer Zeit nicht realisiert51. Das kooperative Verständnis von Demokratie birgt in sich besondere Gefahren für die Gemeinwohl- und Zukunftsverantwortung der Staatsorgane. Ausgehandelte Lobbygesetzgebung erweist sich oftmals als Gesetzgebung zu Lasten Dritter und auf Kosten künftiger Generationen52. Zu befürchten ist, dass die Gesetzgebungsorgane, gefangen in der jeweiligen Verhandlungssituation und verstrickt in den Interessenausgleich mit dem jeweiligen Verhandlungspartner, den Blick für das Gemeinwesen als Ganzes verlieren53. Primäre Aufgabe des Staates wäre es, gerade diejenigen Gemeinwohlgüter herzustellen, deren sich keine hochgradig organisierten und durchsetzungsstarken Interessenverbände annehmen und die deshalb auch nicht der Selbstregulierung durch gesellschaftliche Kräfte überlassen werden können54. Das Verständnis des grundgesetzlichen Demokratieprinzips muss deshalb der Gemeinwohlverantwortung des Staates gerecht werden. d) Kooperationsoffenes Hierarchiemodell Das Kooperationsprinzip findet einen verfassungsrechtlichen Anknüpfungspunkt im Übermaßverbot und hat insoweit eine grundrechtsschützende Funktion. Die Grundrechte errichten einen defensiven Schutzwall zur Sicherung der Freiheit des Einzelnen gegenüber den Anforderungen der Gemeinschaft. Dabei zielt das Kooperationsprinzip auf individualisierende Verhältnismäßigkeit, indem zu prüfen ist, ob ein grundrechtsschonenderes Mittel im kooperativen Diskurs ermittelt werden kann55. Gerade diese individuali49

v. Arnim, Gemeinwohl, S. 163 ff.; Kippes, Bargaining, S. 68. Zur Organisationschwäche allgemeiner Interessen: v. Arnim, Gemeinwohl, S. 159 ff. 51 Vgl. Interview mit Papier, Bayerischer Rundfunk, 10.4.2002, Manuskript: Reissenberger; siehe auch Papier, VM 2003, 116 (121). 52 Vgl. Interview mit Papier, Süddeutsche Zeitung, 13.2.2003, S. 9. 53 Vgl. v. Arnim, Gemeinwohl, S. 130 ff.; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG Bd. II, Art. 20 Abs. 1 Rdnr. 77; Jestaedt, Demokratieprinzip, S. 217 ff. 54 Vgl. Papier, VM 2003, 116 (121); Grimm, Der Staat, S. 27 (49 f.); Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 59 Rdnr. 57. 50

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sierende, grundrechtsschützende Tendenz des Kooperationsprinzips steht jedoch in einer gewissen Spannung zum Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG. Während die Grundrechte, das Übermaßverbot und das Kooperationsprinzip vor allem auch die Freiheit des Individuums schützen, geht es bei Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG um die Konstitution der Staatsgewalt durch das Volk in seiner Gesamtheit und damit um die Bildung von Gemeinschaft. Im Gegensatz zum Kooperationsprinzip wohnt dem Demokratieprinzip ein stärkerer Gemeinwohlbezug inne56. Diese Spannungslage zwischen Individuum und Gesellschaft, zwischen Partikularinteresse und Gemeinwohl wird verdunkelt, wenn man das Demokratieprinzip um eine kooperative Komponente anreichert. Der Aspekt der individualisierenden Verhältnismäßigkeit durch Kooperation als Schutz der Freiheit des Individuums einerseits und die gemeinschaftsbezogene gleiche Teilhabe aller Bürger an der Staatswillensbildung als Wesenselement des Demokratieprinzips andererseits sind getrennt zu halten und dürfen nicht vermengt werden. Die Spannungslage unter den Prinzipien muss deutlich bleiben, um zu einem rationalen Ausgleich durch Abwägung zu gelangen. Deshalb ist es vorzuziehen, das Kooperationsprinzip nicht, wie vom Kooperationsmodell favorisiert, als Teil des Demokratieprinzips, sondern als dessen Gegenspieler zu begreifen57. Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG ist entsprechend seinem Wortlaut bezogen auf das gesamte Volk und nicht im Sinne einer Betroffenheitsbeteiligung zu interpretieren. Folglich wird hier vom Hierarchiemodell ausgegangen. Damit ist aber keine Abwertung des Kooperationsgedankens verbunden. Vielmehr geht es darum, durch divergierende Rechtsprinzipien Spannungslagen zu verdeutlichen und rational aufzulösen. Das Demokratieprinzip muss als abwägungsfähig und kooperationsoffen begriffen werden58. Die Vorzüge der 55 Zur verfassungsrechtlichen Verwurzelung des Kooperationsprinzips und dessen Funktion als Prüfauftrag: siehe oben 2. Teil B. II. 1. und 2 a). 56 Zwar bezweckt die Kooperation mit Privaten neben der Herstellung individualisierender Verhältnismäßigkeit auch die Verbesserung der Funktionsfähigkeit der Staatsgewalt als Voraussetzung einer effektiven Demokratie (zu dieser Janusköpfigkeit des Kooperationsprinzips: siehe oben 2. Teil B. II. 3.) und dient somit auch dem Gemeinwohl; dennoch führen Verhandlungen mit Partikularkräften zwangsläufig zu Zugeständnissen gegenüber den hochgradig organisierten Interessen, wodurch der Gemeinwohlbezug der Kooperation abgeschwächt wird und der grundrechtsschützende Charakter des Kooperationsprinzips in den Vordergrund tritt. 57 Zur Verankerung des Kooperationsgedankens außerhalb des Demokratieprinzips des Art. 20 Abs. 2 GG: vgl. Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (368 ff., 389). Demgegenüber verankert das Bundesverfassungsgericht das von ihm im Bereich der funktionalen Selbstverwaltung angenommene Prinzip der Beteiligung der Betroffenen im Demokratieprinzip (BVerfG DVBl. 2003, 923 (926, 928); vgl. auch: Frankenberg, Vorsicht Demokratie!, S. 177 (180); Engelbert, Konfliktmittlung, S. 151 ff.).

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Betroffenenbeteiligung fließen dann in die Abwägung über das Kooperationsprinzip ein. Das kooperationsoffene Demokratieprinzip inkorporiert den Kooperationsgedanken jedoch nicht. Kooperation ist nicht mit demokratischen Legitimationsvorstellungen aufzuladen. Vielmehr bleibt die individualisierende Kooperation als selbstständige Größe erhalten und bildet den Gegenpol zum gemeinwohlbezogenen Demokratieprinzip. e) Beeinträchtigung des Demokratieprinzips Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen zwischen Bundesregierung und Privaten beeinträchtigen das Demokratieprinzip, indem sie durch die Beteiligung nicht legitimierter Privater an der inhaltlichen Gestaltung der Staatsgewalt das Legitimationsniveau der Gesetzesvorbereitung absenken. Die Intensität dieser Beeinträchtigung ist von der Art und Weise der gesetzesvorbereitenden Verhandlungen und den dabei entstehenden faktischen Bindungen abhängig. aa) Beteiligung Privater an der Staatswillensbildung Nicht jede Kommunikation zwischen Staatsorganen und Vertretern partikularer Interessen darf als faktische Beteiligung Privater an der Ausübung von Staatsgewalt und als Beeinträchtigung des Demokratieprinzips gewertet werden. Wenn das Demokratieprinzip die Ausübung von Staatsgewalt für die gewählten Staatsorgane reserviert, dann bedeutet dies nicht, dass außerhalb der Wahlen keine Kommunikation zwischen Staatsorganen und Hoheitsunterworfenen stattfinden darf. Permanente Kommunikation zwischen Staat und Gesellschaft gehört vielmehr zum politischen Willenbildungsprozesses des Volkes (vgl. Art. 21 GG). Der politische Willensbildungsprozess ist ständiger Bestandteil des freiheitlich-demokratischen gesellschaftlichen Lebens und versucht legitimerweise auf die Staatswillensbildung einzuwirken59. Die Artikulation privater Interessen gegenüber den Staatsorganen muss als Ausdruck grundrechtlicher Freiheit begriffen werden60. Die Grundrechte berechtigen den Einzelnen dazu, alleine oder im Verband mit anderen den eigenen Standpunkt den Staatsorganen vorzutragen. Dieses Artikulationsrecht findet eine besondere Ausprägung in Art. 17 GG. Der Staat ist nach Art. 17 GG verpflichtet, die vorgebrachten Belange zur Kenntnis zu nehmen und zu prüfen61. 58

Vgl. BVerfG DVBl. 2003, 923 (926). Vgl. BVerfGE 44, 125 (140); 105, 279 (302 f.); 105, 252 (268 ff.). 60 Vgl. Papier, Parlamentarische Demokratie, S. 33 (39, 43 f.); Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. I, 2. Aufl., § 22 Rdnr. 40. 59

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Das Demokratieprinzip errichtet keine Kontaktsperre zwischen Staat und Privaten. Die bloße Anhörung, das Sich-Aufeinander-Einstellen und die gegenseitige Abstimmung von Bundesregierung und Privaten können im Gegensatz zum faktische Bindungen erzeugenden Verhandeln noch nicht als Beeinträchtigung des Demokratieprinzips gewertet werden62. Zur Demokratie gehört der fortlaufende Diskurs zwischen Gesellschaft und Staat, zwischen Politik und Bürgern63. Eine solche kommunikative Demokratie entwickelt jedoch – anders als die auf Konsens ausgerichtete Verhandlungsdemokratie – nicht zwangsläufig bedenkliche faktische Austauschbindungen. Besonderes Charakteristikum der hier untersuchten Vereinbarungen ist die Do-ut-des-Beziehung zwischen Staat und Privaten. Der Austauschcharakter der Vereinbarung führt zu faktischen Bindungen des Staates gegenüber den privaten Verhandlungspartnern. Zwar sind faktische Bindungen nach dem weiten Staatsgewaltbegriff nicht unbedingt notwendig, damit Staatsgewalt vorliegt64. Faktische Bindungen intensivieren jedoch den Charakter der Vereinbarung als Staatsgewalt. Die gesetzesvorbereitende Staatstätigkeit verdichtet sich besonders deutlich zur Staatsgewalt, wenn faktische Austauschbindungen in der Gesetzesvorbereitungsphase erzeugt werden. Das führt zur gesteigerten Verfassungsrelevanz der Gesetzesvorbereitung mit Zunahme des Intensitätsgrades faktischer Bindung65. Da aber nicht nur die Zustimmung des Staatsorgans, sondern auch das Einverständnis des Privaten den Austauschcharakter der Vereinbarung begründet und für die Entstehung und Verdichtung faktischer Bindungen verantwortlich ist, trägt der Private durch seine Mitwirkung an der Vereinbarung zur Intensivierung des Charakters als gesetzesvorbereitende Staatsgewalt maßgeblich bei. Er hat damit Anteil an der Genese faktisch bindender Staatsgewalt. Denn ohne seinen Wirkungsbeitrag würde die faktisch bindende Austauschvereinbarung gar nicht zustande kommen. Zwar kann der Private dabei über das „Ob“ der staatlichen Aktivitäten oftmals kaum verfügen, dennoch hat er auf das „Wie“ der Staatswillensbildung und somit auf den Inhalt der Staatsgewalt Einfluss, indem die Bundesregierung an 61 BVerfGE 13, 54 (90); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 17 Rdnr. 1, 5; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 17 Rdnr. 7; Brenner, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, GG Bd. I, Art. 17 Rdnr. 47. 62 Insoweit zu undifferenziert: de Witt, A.-Drs. 14/626 Teil 7** (Umweltausschuss), S. 2 (4), der Informationsaustausch, gegenseitiges Rücksichtnehmen und faktisch bindende Verhandlungen miteinander vermengt. Ähnlich: Ekardt, Diskussionsbeitrag, 11. Atomrechtssymposium, S. 390. 63 Vgl. Papier, Parlamentarische Demokratie, S. 33 (42); Steiner, PVS 1970, 139 (145). 64 Siehe oben 2. Teil A. II. 65 Siehe oben 2. Teil A. III. 2.

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die konkreten Absprachen über das künftige Gesetz außerrechtlich gebunden wird66. Somit wird der Private erst dann an der Gestaltung von Staatsgewalt beteiligt, wenn der Staat mit ihm in einen intensiven Verhandlungskontakt tritt und wenn durch diesen Verhandlungsprozess faktische Austauschbindungen zwischen Staat und Privaten erzeugt werden67. Durch diese Bindungen erfolgt dann aber ein entscheidender Einfluss auf die inhaltliche Gestaltung der Staatsgewalt, der umso gravierender ausfällt, je intensiver faktische Austauschbindungen zwischen Staat und Privaten im Verhandlungsprozess erzeugt werden. Das hat zur Folge, dass die Legitimationsanforderungen nicht auf den staatlichen Wirkungsbeitrag beschränkt werden können. Vielmehr führt die enge Verknüpfung von staatlichem und privatem Einverständnis in der Austauschbeziehung zu einem auf den privaten Wirkungsbeitrag überwirkenden Legitimationserfordernis, das die gesamte Vereinbarung den Legitimationsanforderungen unterwirft68. Die Vereinbarung vom 14. Juni 2000 ist hinsichtlich der Beteiligung Privater an der inhaltlichen Gestaltung der Staatsgewalt differenziert zu beurteilen. In Hinblick auf das Verbot des Neubaus von Kernkraftwerken liegt lediglich ein gegenseitiges Sich-Aufeinander-Einstellen vor. Insoweit haben die Energieversorger ausweislich des Vereinbarungstextes die Absicht der Bundesregierung lediglich zur Kenntnis genommen69. Darin kann keinerlei Beteiligung der Energieversorger an der Staatswillensbildung zum Neubauverbot gesehen werden. Demgegenüber liegt in Bezug auf den Betrieb der bestehenden Kernkraftwerke eine in hohem Maße faktisch verbindliche Austauschvereinbarung vor70. Die Energieversorger wurden insoweit an der Staatswillensbildung beteiligt und haben inhaltlich-gestalterisch an der Ausübung von Staatsgewalt teilgenommen. 66

Vgl. Helberg, Normabwendende Selbstverpflichtungen, S. 161. Vgl. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 59 Rdnr. 109. Folgt man der Terminologie von Schröder, NVwZ 1998, 1011 (1012), wonach das konsensuale Staatshandeln nur der Ausschnitt des kooperativen Staatshandelns ist, der von einem Aushandlungsprozess gekennzeichnet ist, so führt lediglich das konsensuale Staatshandeln zu einer Beteiligung Nichtlegitimierter an der Staatsgewalt, während kooperatives Staatshandeln im Übrigen auch darin bestehen kann, dass der Private lediglich angehört wird, ohne jedoch an der Staatsgewalt substanziell beteiligt zu werden. Weitergehend: Böckenförde, Die Organisationsgewalt, S. 189 f., der schon in der politischen Beratung außerhalb öffentlicher Ämter eine verfassungswidrige „potestas indirecta“ sieht. 68 Zur überwirkenden Legitimationsverantwortung des Staates: siehe Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht, S. 93 f.; zur kooperativen Staatsgewalt als einheitliches Zuordnungsobjekt: siehe oben 2. Teil A. I. 2. b) aa). 69 V. 1. der Vereinbarung. 70 I.-IV., V. 2., VII. der Vereinbarung; zur differenzierten Beurteilung des Austauscharakters der Vereinbarung: Hennenhöfer, in: Posser/Schmans/Müller-Dehn, AtG, Einführung, S. 11 f.; Posser, in: Posser/Schmans/Müller-Dehn, AtG, § 7 Abs. 1 Rdnr. 98, 110. 67

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

bb) Absenkung des Legitimationsniveaus Es stellt sich nun die Frage, welche Konsequenzen es hat, wenn Private durch faktisch verbindliche, gesetzesvorbereitende Vereinbarungen an der inhaltlichen Gestaltung der Staatsgewalt beteiligt werden. (1) Hierarchiemodell Nach dem hierarchischen Demokratiemodell, das, abgesehen von den im Grundgesetz explizit geregelten Abstimmungen, die Wahl des Bundestages als einzige originäre Legitimationsquelle erachtet, bedeutet jede Beteiligung von Privaten an der Ausübung von Staatsgewalt eine Absenkung des Legitimationsniveaus und eine Beeinträchtigung des Demokratieprinzips, weil die Privaten nicht in die Weisungshierarchie eingebunden sind, an deren Spitze der parlamentarisch verantwortliche Minister steht. Nach dem Hierarchiemodell gibt es außerhalb des Legitimationszusammenhangs zum gewählten Parlament, von ausdrücklich normierten Ausnahmen abgesehen, keine weiteren Legitimationsquellen71. Das gilt auch dann, wenn man das Hierarchiemodell, wie hier vertreten, als mit dem Kooperationsprinzip im Wege der Abwägung harmonisierbar ansieht72. Je deutlicher die Gesetzesverhandlungen den Charakter eines Bargaining erkennen lassen, umso stärker wird der private Verhandlungspartner an der inhaltlichen Gestaltung der Staatsgewalt beteiligt. Mit der intensivierten Beteiligung Einzelner wird die auf das gesamte Volk bezogene Selbstbestimmung verkürzt. Die ungleiche, besondere Beteiligung einiger weniger an der Staatsgewalt wird zur undemokratischen Fremdbestimmung der anderen73. Das Legitimationsniveau sinkt mit der Zunahme der selektiven Partizipation ab. Gesetzesvorbereitende Bargaining-Runden können sich zu verfassungsrechtlich bedenklichen Nebenregierungen entwickeln, die die Entscheidung der Regierung faktisch präjudizieren und das Legitimationsniveau der gesetzesvorbereitenden Staatsgewalt mindern74. Umgekehrt kann gesagt werden, dass eine Kommunikation zwischen Staat und Privaten, die 71

Vgl. Schmid, in: Parlamentarischer Rat, 11. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen vom 14. Oktober 1948, Sten. Prot. (zitiert nach: Deutscher Bundestag, Der Parlamentarische Rat Bd. 5/I, S. 294): „Es gibt keine Gewalt, die nicht Ausfluss des Volkes wäre, die per se stände, sei sie nun aus irgendeinem Privileg heraus oder weil sie Ausdruck einer anderen, nicht aus der Volkssouveränität fließenden Macht ist.“ 72 Zum kooperationsoffenen Hierarchiemodell: siehe oben 4. Teil B. I. 1. d). 73 Vgl. BVerwGE 106, 64 (78). 74 Vgl. Böckenförde, Die Organisationsgewalt, S. 256 ff.

B. Grundgesetzliche Anforderungen

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im Schwerpunkt von Arguing geprägt wird, nur in geringem Maße oder gar nicht das Demokratieprinzip beeinträchtigt75. Beim Atomausstieg wurden besonders betroffene Unternehmen an der inhaltlichen Gestaltung der Staatsgewalt beteiligt, indem die Bundesregierung mit diesen zunächst die Eckpunkte einer Atomgesetznovelle und dann die einzelnen konkreten Regelungen dieser Novelle ausgehandelt hat. Durch die besonders eng verzahnten Wirkungsbeiträge von Bundesregierung und Unternehmen wurden besonders intensive faktische Bindungen erzeugt76. Diese Betroffenenbeteiligung an der Staatsgewalt stellt nach dem hierarchischen Demokratieverständnis eine Beeinträchtigung des Demokratieprinzips dar, weil die Unternehmensvertreter nicht das Volk als Legitimationsquelle i. S. d. Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG, sondern lediglich Einzelinteressen repräsentieren. Wären die Gespräche mit den Energieversorgungsunternehmen hingegen lediglich als Sachverhaltsermittlung einzustufen gewesen, so wäre keine oder lediglich eine unerhebliche Beeinträchtigung des Demokratieprinzips festzustellen.

(2) Kooperationsmodell Die am kooperativen Demokratiemodell orientierte Auffassung sieht hingegen die Beteiligung von Betroffenen im Gesetzesvorbereitungsstadium grundsätzlich als zulässige Möglichkeit an, die vom Demokratieprinzip gewollte effektive Selbstbestimmung zu fördern. Nach dieser Auffassung ist eine nach dem Grad der Betroffenheit abgestufte Beteiligung Privater an der Gesetzesvorbereitung nicht nur zulässig, sondern sogar ein Beitrag zur Optimierung der demokratischen Selbstbestimmungsidee77. Nach der hier vertretenen Auffassung vom kooperationsoffenen Hierarchiemodell wird das Kooperationsprinzip jedoch als Gegenkraft zur Demokratiekonzeption des Grundgesetzes angesehen. Selbst wenn man aber das Kooperationsprinzip im Gegensatz zur hier vertretenen Konzeption als Bestandteil des Demokratieprinzips ansehen würde, so käme man nicht umhin, dafür zu sorgen, dass die Betroffenenbeteiligung nicht zur Entwertung der Wahlen führt. Die Betroffenenpartizipation bedarf selbst dann, wenn man sie als demokratiefördernd erachtet, immer noch einer Regelungsstruktur, die gewährleistet, dass die zweite Legitimationsquelle der Betroffenenpartizipation und die erste Legitimationsquelle der allgemeinen Wahlen nebeneinander koexistieren können78. 75

Vgl. Büdenbender, Verbändevereinbarungen, S. 95 f. Zur Intensität der faktischen Bindung beim Atomausstieg: siehe oben 1. Teil A. I. 3. b) dd) (4) (b). 77 Vgl. Bryde, Das Demokratieprinzip, S. 59 (63 ff.); Fisahn, Demokratie, S. 71 (88); Neyses, Die Beteiligung von Interessenverbänden, S. 41 ff.; siehe ferner auch: BVerfGE 33, 125 (159). 78 Vgl. Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG Bd. II, Art. 20 Abs. 1 Rdnr. 77; Engelbert, Konfliktmittlung, S. 170; Hohmann-Dennhardt, Schranken des 76

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

Eine solche Regelungsstruktur muss für eine Balance der unterschiedlichen Legitimationsstränge sorgen79. Die Betroffenheitslegitimation muss demnach beispielsweise durch Parlamentsgesetz in den Legitimationszusammenhang durch Wahlen eingebunden werden. Nur wenn allgemein anerkannte Verfahrensregeln der Partizipation vorliegen, kann die Partizipation die Akzeptanz der Entscheidungen allseitig und umfassend fördern. Eine ungeregelte, informelle Kooperation mit den Betroffenen ist auch nach dieser Auffassung bedenklich80. Sie kann zu desintegrierenden Effekten bei nicht Beteiligten führen, weil sich diese ausgeschlossen fühlen81. Folglich bedeutet eine ungeregelte Austauschvereinbarung mit Privaten zur Vorbereitung von Gesetzen sowohl nach dem hier vertretenen kooperationsoffenen Hierarchiemodell als auch nach dem Kooperationsmodell eine Beeinträchtigung des Demokratieprinzips. Beim Atomausstieg fand eine weitestgehend ungeregelte Betroffenenbeteiligung statt. Bei einer solchen informellen Betroffenenpartizipation ist die Balance zwischen den vom Kooperationsmodell angenommenen unterschiedlichen Legitimationssträngen nicht normativ gesichert. Bei informeller Kooperation fehlt es an einem regulierten Gleichgewicht zwischen den nach dieser Auffassung nebeneinander bestehenden, unterschiedlichen Legitimationsmedien der auf das Gesamtvolk bezogenen Wahlen und der auf einzelne Betroffene bezogenen Kooperation. Das führt dazu, dass die ungeregelte Beteiligung der Energieversorger an der inhaltlichen Gestaltung der Staatsgewalt auch nach dem Kooperationsmodell eine Beeinträchtigung des Demokratieprinzips darstellt, obwohl Betroffenenpartizipation nach dieser Auffassung prinzipiell keinen Gegensatz zum Demokratieprinzip bedeutet. Somit wurde beim Atomausstieg das Demokratieprinzip nicht nur dann beeinträchtigt, wenn man das Hierarchiemodell zu Grunde legt. Vielmehr ist eine Beeinträchtigung auch erkennbar, wenn man Kooperation als integralen Bestandteil des Demokratieprinzips begreift82.

f) Einschränkbarkeit des Demokratieprinzips Beeinträchtigungen des Demokratieprinzips durch gesetzesvorbereitende Vereinbarungen mit nicht legitimierten Privaten führen nicht automatisch dazu, dass diese Vereinbarungen verfassungswidrig wären. Nach der Saturierungskonzeption fordert das Demokratieprinzip kein bestmögliches LegiDemokratieprinzips, S. 102 (109); Frankenberg, Vorsicht Demokratie!, S. 177 (181); Fisahn, Demokratie, S. 71 (88 ff.). 79 Vgl. Staeck, Vom Reformprojekt, S. 247; Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 59 Rdnr. 167. 80 v. Bogadandy, Gubernative Rechtsetzung, S. 84 ff. 81 Zu den desintegrierenden Effekten asymmetrischer Kooperation: Rengeling, Das Kooperationsprinzip, S. 70 f. 82 Vgl. Sendler, Überlegungen, S. 185 (187).

B. Grundgesetzliche Anforderungen

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timationsniveau ein. Es kommt vielmehr auf ein ausreichendes Mindestmaß an Legitimation der Staatsgewalt an83. Das Demokratieprinzip kann ebenso wie das Gewaltenteilungsprinzip mit unterschiedlichen Verfassungswerten, aber auch mit lediglich politischen Zwecken in Spannungslage geraten. Es würde dem Grundgesetz widersprechen, wenn man aus dem Demokratieprinzip ein uneingeschränktes Verbot staatlicher Kooperation mit Privaten im Gesetzgebungsvorfeld ableitet. Eine strikte Anwendung des Demokratieprinzips als Rechtsregel würde die verfassungsrechtlich gebotene Handlungsfähigkeit des Staates in Bereichen lähmen, in denen der Staat für eine effektive Steuerung auf die Zusammenarbeit mit den Inhabern gesellschaftlicher Macht dringend angewiesen ist84. Das Demokratieprinzip ist dementsprechend nicht als strikte Regel, sondern als entwicklungsoffenes, ausgestaltbares und abwägungsfähiges Rechtsprinzip zu qualifizieren85. Dabei ist eine verfassungsimmanente Rechtfertigung der Absenkung des Legitimationsniveaus nicht unbedingt erforderlich86. Vielmehr kann bereits ein verfassungskonformer Einschränkungszweck die Absenkung des Legitimationsniveaus rechtfertigen87. 83

Zur Saturierungskonzeption: siehe oben 1. Teil B. I. Das Demokratieprinzip kann in der Abwägung hinter dem Gebot funktionsfähiger Staatsgewalt zurücktreten. Dies zeigen auch die Art. 45, 53 a, 115 e GG. Bei den in diesen Bestimmungen geregelten besonderen Ausschüssen, die anders als die sonstigen Ausschüsse nicht nur organinterne Funktionen wahrnehmen können, ist das Legitimationsniveau niedriger als beim Bundestag als Plenum. Das ist jedoch aus Gründen der Funktionsfähigkeit der Staatsgewalt hinzunehmen (vgl. BVerfGE 80, 188 (234)). Zur Einschränkung des Demokratieprinzips aus Gründen der funktionsfähigen Staatsgewalt siehe ferner: BVerfGE 1, 208 (256 ff.); 4, 142 (143); 6, 84 ff.; 82, 322 (337 ff.); 93, 37 (68 f.); 95, 335 (349 ff.). 85 Vgl. BVerfG DVBl. 2003, 923 (926); a. A. Jestaedt, Demokratieprinzip, S. 585, 592, 602 f., der das Demokratieprinzip nicht als Rechtsprinzip, sondern als strikt anzuwendende Rechtsregel ansieht. Eine Absenkung des Legitimationsniveaus aus lediglich verfassungskonformen Gründen wird von Jestaedt abgelehnt (S. 263, 299, 361, 585, 603). Die Striktheit des von Jestaedt vertretenen Legitimationskonzepts wird allerdings durch einen sehr engen Staatsgewaltbegriff ausgeglichen, der sich auf Rechtsbindungen erzeugendes Staatshandeln beschränkt und damit den Anwendungsbereich des Demokratieprinzips einschränkt (S. 594, 600). Mit einem solchen engen Anwendungsbereich ist das Demokratieprinzips indessen nicht in der Lage, die Effektivität der Verfassung gegenüber faktisch verbindlichem informellem Staatshandeln zu gewährleisten (siehe oben 2. Teil A. I. 1 b)). Deswegen kann dem Ansatz von Jestaedt nicht gefolgt werden. Für eine flexible Anwendung des Demokratieprinzips plädieren hingegen: Bryde, Das Demokratieprinzip, S. 59 (64 ff.); Rinken, Demokratie und Hierarchie, S. 125 (140 ff.). 86 Vgl. Huber, Restlaufzeiten, S. 147 (160). Eine nicht nur verfassungskonforme, sondern verfassungsimmanente Rechtfertigung der Absenkung des Legitimationsniveaus wird hingegen von VerfGH NW, OVGE 39, 292 (295) verlangt. Ähnlich: Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329 (374); Helberg, Normabwendende Selbstverpflichtungen, S. 177 f. 84

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

g) Übermaßverbot als Einschränkungsgrenze Beeinträchtigungen des Demokratieprinzips durch legitimationsmindernde, gesetzesvorbereitende Vereinbarungen finden aber im Übermaßverbot eine flexible verfassungsrechtliche Grenze88. aa) Verfassungskonformer Zweck und Geeignetheit Kooperation in Form von gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen mit Privaten dient zum einen dazu, sich das Fachwissen der Privaten nutzbar zu machen. Die Bundesregierung verbessert ihre Fähigkeit zur gesetzlichen Steuerung dadurch, dass sie den privaten Sachverstand durch kooperative Gesetzesvorbereitung in den Gesetzgebungsprozess einbezieht. Durch den kooperativen Dialog können grundrechtsschonendere Mittel gefunden werden. Zum anderen werden unter Umständen langwierige Rechtsstreitigkeiten vermieden und Rechtssicherheit hergestellt, indem gesetzesvorbereitende Verhandlungen und Vereinbarungen die Akzeptanz der gesetzlichen Regelungen durch die Betroffenen verbessern. Diesen Zwecken steht die Verfassung nicht entgegen. Eine gesetzesvorbereitende Vereinbarung kann ein taugliches Mittel sein, um diese verfassungskonformen Zwecke zu erreichen. Die Beurteilung der Geeignetheit der jeweiligen Kooperation steht im Lichte der Organisationsautomie der Bundesregierung in deren Einschätzungsprärogative. Um diese doppelte Dividende des kooperativen Staatshandelns geht es auch beim Atomausstieg. Die Betreiber haben zum einen bezüglich ihrer Anlagen ein enormes Fachwissen. Sie wissen am besten, in welchem Sicherheitszustand sich die Anlagen befinden und welche Anlagen rentabler sind als andere. Dieses Fachwissen hat sich die Bundesregierung in den gesetzesvorbereitenden Verhandlungen zu Nutze gemacht. Durch den kooperativen Dialog gelangte man letztlich zum milderen Mittel, keine starren, strikt anlagebezogenen Laufzeiten, sondern flexible, d. h. übertragbare Kontingente festzulegen. Zum anderen sollten durch das Einverständnis der Privaten langwierige gerichtliche Auseinandersetzungen vermieden und Rechtssicherheit für alle Beteiligten rasch hergestellt werden. Unter Berücksichtigung der Organisationsautonomie der Bundesregierung bei der Vorbereitung der eigenen Gesetzesvorlagen stellt die gesetzesvorbereitende Vereinbarung vom 14. Juni 2000 ein geeignetes Mittel zur Verfolgung der genannten verfassungskonformen Kooperationszwecke dar.

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Zur Ablehnung einer Übertragung der Immanenzlehre auf Staatsstrukturprinzipien: siehe oben 1. Teil B. I. 88 Zur Anwendung des Übermaßverbots bei Beeinträchtigung von Staatsstrukturprinzipien: BVerfG DVBl. 2003, 923 (928); siehe oben 1. Teil B. II.

B. Grundgesetzliche Anforderungen

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bb) Erforderlichkeit Die Erforderlichkeitsprüfung wirft die Frage auf, ob die dargelegten Vorzüge des kooperativen Staatshandelns auch unter größerer Schonung des Legitimationsniveaus genutzt werden können89. (1) Kooperative Sachverhaltsermittlung Unter dem Gesichtpunkt der Verbesserung des Sachwissens ist zu beachten, dass die Beteiligung unabhängiger Sachverständiger das Demokratieprinzip weitaus weniger beeinträchtigt als Verhandlungen mit Interessenvertretern90. Allein zur Steigerung des Sachwissens im Gesetzgebungsverfahren ist eine faktische Vorabbindung gegenüber Privaten nicht unbedingt erforderlich. Die Gesetzgebungsorgane können sich das notwendige Sachwissen auch ohne ein Bargaining mit Privaten durch Expertenanhörungen mit Arguing-Charakter beschaffen. Das schließt eine Beteiligung von Interessenverbänden an den Expertenanhörungen nicht zwingend aus. Dennoch muss bei einer Beteiligung solcher Verbände verstärkt darauf geachtet werden, dass die informationsbezogene Anhörung nicht zum Aushandeln konkreter gesetzlicher Regelungen umfunktioniert wird. Der Gesichtspunkt der Verbesserung des Sachwissens durch Kooperation rechtfertigt für sich genommen keine Beeinträchtigung des Demokratieprinzips durch faktische Austauschbindung gegenüber Privaten. Beim Atomausstieg wurden bereits die Eckwerte des ersten Entwurfs der Gesetzesnovelle mit Interessenverbänden ausgehandelt. Die Gespräche mit den Energieversorgungsunternehmen hatten im Schwerpunkt keinen informationsbezogenen Arguing-Charakter. Vielmehr ging es um gesetzesvorbereitendes Bargaining91. Zur Verbesserung der Informationsbasis der Gesetzesvorbereitung wäre es nicht notwendig gewesen, an Stelle einer rein informationsbezogenen Sondierung des Sachverhalts vorzeitig Verhandlungsrunden durchzuführen.

(2) Verantwortungsklarheit Darüber hinaus ist zu fragen, ob Kooperation trotz intensiver Zusammenarbeit mit den Betroffenen eine klare Abgrenzung zwischen staatlicher und privater Mitwirkung einhalten kann, ohne die Vorteile des Kooperationsgedankens einzubüßen. Kooperation zwischen Staat und Privaten darf die 89 Vgl. Dederer, Korporative Staatsgewalt, S. 609 ff., 644, 651: Dederer beurteilt die Zulässigkeit der Einrichtung von korporativer Staatsgewalt am Maßstab eines Subsidiaritätsprinzips. 90 Siehe oben 4. Teil B. I. 1. e). 91 Siehe oben 1. Teil A. I. 3. b) dd) (1) (b).

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

Verantwortungsklarheit nicht unnötig beeinträchtigen92. Insoweit ist kritisch zu hinterfragen, ob gesetzesvorbereitende Verständigungsgespräche mit Privaten und Gesetzesvorbereitung innerhalb der Ministerien eng verzahnt und damit indifferent und diffus sein müssen, um einen ausreichende Akzeptanz von Gesetzen bei den Betroffenen zu schaffen. Die gewünschte Akzeptanz der betroffenen Kooperationspartner wird sich auch erreichen lassen, wenn der staatliche und der private Anteil am Gesetzesentwurf deutlich sichtbar und unterscheidbar gehalten werden. Dies kann beispielsweise dadurch geschehen, dass zunächst ein Entwurf erarbeitet wird, der erst nach interner Abstimmung innerhalb der Regierung mit den Betroffenen abgestimmt wird. Dadurch blieben die Verantwortungsbereiche deutlicher getrennt und die Beiträge von Staat und Privaten könnten klarer unterschieden werden, als wenn der Entwurf von Anfang an eng verzahnt mit den Privaten ausgehandelt und dann erst interministeriell abgestimmt wird. Je mehr die vom Staat und von Privaten zu verantwortenden Beiträge sichtbar gehalten werden, desto besser kann der Einfluss von Privaten auf die Ausübung von Staatsgewalt kontrolliert und durch Regelungsstrukturen kanalisiert werden. Je intensiver und enger hingegen die Tätigkeit des gesetzesvorbereitenden Ministeriums mit den Aktivitäten der Unternehmen verschmelzen, desto intensivere faktische Bindungen des Staates gegenüber Privaten entstehen und desto mehr sinkt das Legitimationsniveau ab, ohne dass Grenzlinien gezogen werden. Eng verzahnte gesetzesvorbereitende Vereinbarungen zwischen Bundesregierung und Interessenvertretern führen zu einer nicht erforderlichen und damit unverhältnismäßigen Absenkung des Legitimationsniveaus, weil trotz Kooperation eine gewisse Trennung der Wirkungsbeiträge möglich ist. Beim Atomausstieg gab es für die Gesetzesvorbereitung keinerlei klare Abgrenzung der Verantwortungsbereiche. Vielmehr wurde aufs Engste verzahnt mit den Energieversorgern verhandelt93. Eine derart diffuse Vorbereitungsstruktur war nicht erforderlich, um die Akzeptanz der Energieversorger zu erreichen. Es wäre unter dem Aspekt der Betroffenenakzeptanz ausreichend gewesen, einen zunächst regierungsintern abgestimmten Entwurf in einem zweiten Schritt mit den Versorgern zu erörtern, anstatt diesen von Anfang an kooperativ zu entwickeln und im Detail auszuhandeln, ohne dass im Nachhinein noch erkennbar wäre, auf wessen Initiative welche Regelungsvorschläge zurückgehen. Die durch die enge Verzahnung herbeigeführte Absenkung des Legitimationsniveaus verstieß gegen das Übermaßverbot, weil sie das Legitimationsniveau über das erforderliche Maß hinaus absenkte.

92 Zum Erfordernis der Sichtbarkeit der Verantwortung der Bundesregierung: vgl. BVerfGE 9, 268 (281). 93 Siehe oben 1. Teil A. I. 3. b) cc) (3) und (4).

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cc) Angemessenheit Schließlich fordert das Übermaßverbot, dass ein angemessenes Niveau an demokratischer Legitimation auch dann erhalten bleibt, wenn die Funktionsfähigkeit der Staatsgewalt und das Übermaßverbot die Kooperation mit Privaten gebieten. Für die Konkretisierung der Angemessenheit ist zwischen einem Kernbereich und einem Abwägungsbereich des Demokratieprinzips zu unterscheiden94. Zwar kann das demokratische Legitimationserfordernis nach dem kooperationsoffenen Hierarchiemodell grundsätzlich mit den Funktionsbedingungen einer erfolgreichen Kooperation abgewogen werden. Die Beteiligung der Nichtlegitimierten an der Staatsgewalt ist jedoch dann ohne weitere Abwägung als unangemessen anzusehen, wenn der Integritätskern der Staatswillensbildung verletzt wird95. (1) Kernbereich Der Kernbereich der Staatswillensbildung ist betroffen, wenn eine gesetzesvorbereitende Vereinbarung rechtlich verbindlich sein soll oder wenn zwar kein Rechtsbindungswille vorliegt, aber stattdessen faktische Bindungen in einer Intensität gegeben sind, die den rechtlichen Bindungen gleichkommen, die also funktional äquivalent zu einer rechtsverbindlichen Vereinbarung sind. Kann ein rechtlicher Bindungswille oder eine rechtsgleiche faktische Bindung festgestellt werden und liegt deshalb in der gesetzesvorbereitenden Vereinbarung mit nicht legitimierten Privaten ein Eingriff in den Kernbereich der Staatswillensbildung, so führt dies zu einer unangemessenen Absenkung des Legitimationsniveaus und zur Verfassungswidrigkeit der Vereinbarung, weil das Letztentscheidungsrecht des legitimierten Hoheitsträgers nahezu vollständig aufgezehrt wird. Eine Abwägung mit dem Kooperationsprinzip ist bei Verletzung des Integritätskerns des Demokratieprinzips nicht angezeigt96. Die Vereinbarung vom 14. Juni 2000 zum Atomausstieg weist einen besonders deutlichen Entscheidungscharakter auf. Sie wurde bereits vor der gesetzlichen Umsetzung durch umfangreiche Dispositionen verwirklicht, weil die Vereinbarungspartner sich der späteren punktgenauen gesetzlichen Umsetzung schon nach Paraphierung sicher waren. Zudem werden die Energieversorger ihre künftigen Investitionsentscheidungen auch in Zukunft darauf stützen, dass es zu keinen gesetzlichen Verschärfungen des Ausstieges kommen wird. Das Versprechen, keine weiteren Verschärfungen zu be94 Zur Unterscheidung zwischen Kernbereich und Abwägungsbereich: vgl. Reimer, Verfassungsprinzipien, S. 220 ff. 95 Vgl. Scholz, Staatsleitung, S. 663 (683). 96 Vgl. Reimer, Verfassungsprinzipien, S. 220 ff.; Schubert, Das „Prinzip Verantwortung“, S. 274 f.

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

schließen, bildet für die Energieversorger eine wichtige Entscheidungsgrundlage. Da dieses Versprechen jedoch nicht gesetzlich umgesetzt werden konnte, muss es auf enormen faktischen Bindungen gründen. Ansonsten würde keine verlässliche Dispositionsgrundlage für Investitionsentscheidungen der Energieversorger vorliegen. Da das rechtlich nicht bindende Versprechen der Bundesregierung Grundlage zahlreicher Vermögensdispositionen der Betreiber war und auch in Zukunft sein wird, ist von äußerst starken faktischen Bindungen auszugehen. Die faktischen Bindungen der Ausstiegsvereinbarung kommen dem Idealtypus faktischer Bindungen, wie schon oben dargelegt, sehr nahe97. Es liegt eine zur Rechtsbindung funktionaläquivalente faktische Bindung vor. Durch die rechtsgleiche Bindung legitimierter Staatsorgane an nicht legitimierte Private wird das Legitimationsniveau der gesetzesvorbereitenden Staatsgewalt massiv abgesenkt und das Demokratieprinzip verletzt. Das Letztentscheidungsrecht der Bundesregierung über die Gesetzesinitiative und die Beschlussfreiheit des Bundestages über das Gesetz werden durch die faktische Bindung an die Vereinbarung weitestgehend aufgezehrt98. Darin liegt ein Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Demokratieprinzip.

Eine derart weitreichende Entwertung der Letztentscheidung der legitimierten Staatsorgane zu verhindern, wäre Aufgabe einer Regelungsstruktur, die die Beteiligung Privater an der Staatswillensbildung kanalisiert und dafür sorgt, dass die Integrität der Staatswillensbildung im Kern erhalten bleibt. Eine solche Regelungsstruktur könnte vermeiden, dass faktische Bindungen einen Intensitätsgrad erreichen, der das Legitimationsniveau der Staatsgewalt übermäßig absenkt. Die Überlegungen zu diesem Schutzmechanismus zur Gewährleistung der Integrität der staatlichen Willenbildung werden später zu konkretisieren sein99. (2) Abwägungsbereich Der Kernbereich des Demokratieprinzips wird nur dann verletzt, wenn eine rechtsverbindliche oder zur Rechtsbindung äquivalente faktische Austauschbindung erzeugt worden ist. Da der Intensitätsgrad rechtsgleicher faktische Bindung jedoch nicht immer erreicht wird100, Aushöhlungsgefahren aber auch von faktischen Bindungen minderen Grades ausgehen, muss einer Entwertung des Demokratieprinzips außerhalb des Kernbereichs durch einen in der Rechtsfolgenanordnung „weicheren“, im Tatbestand aber „weiteren“ Schutzmechanismus vorgebeugt werden. Auch wenn eine rechtsgleiche faktische Bindung der Vereinbarung nicht erkennbar ist, können geset97

Siehe oben 1. Teil A. I. 3. b) dd) (4) (b). Zur Initiativfreiheit der Bundesregierung als Voraussetzung für deren Initiativverantwortung: siehe unten 4. Teil B. II. 99 Siehe unten 4. Teil C. 100 Zu den faktischen Bindungen unterhalb der Schwelle funktionaler Äquivalenz: siehe oben 2. Teil A. I 1. b) aa) (2). 98

B. Grundgesetzliche Anforderungen

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zesvorbereitende Vereinbarungen dazu führen, dass die formalisierten Entscheidungsverfahren allmählich an Wirkung einbüßen. Diesen eher schleichenden Erosionsprozessen ist durch einen abwägungsfähigen und flexiblen Prüfansatz verfassungsrechtlich zu begegnen. Dabei ist die weitausgreifende Wirkungsreichweite des am empirischen Entscheidungsprozess anknüpfenden Staatsgewaltbegriffes mit einer elastischen Wirkungsintensität des Demokratieprinzips zu kombinieren. Außerhalb des Kernbereichs rechtlicher oder rechtsgleicher faktischer Bindungen sind deshalb das Demokratieprinzip einerseits und die Gründe für die Kooperation andererseits abzuwägen. Die Abwägung hat zunächst die unterschiedlichen Belange für sich zu gewichten und dann vergleichend einander gegenüber zu stellen. Überwiegt im Abwägungsbereich des Staatsgewaltbegriffes das Kooperationsprinzip als Rechtfertigungsgrund für eine Beteiligung von Privaten an der Staatswillensbildung, so wäre diese Beteiligung anders als beim Kernbereich verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden101. Das Bundesverfassungsgericht hat die Anlage 2 der Vereinbarung vom 14. Juni 2000 als bloße politische Absichtserklärung eingestuft, die keine rechtsgleichen faktischen Bindungswirkungen entfaltet102. Dieser Auffassung wird vorliegend zwar nicht gefolgt, sie gibt jedoch dazu Anlass, darauf einzugehen, ob die Vereinbarung vom 14. Juni 2000 auch dann einen Verstoß gegen das Demokratieprinzip darstellen kann, wenn man sie nicht dem Kernbereich der Staatsgewalt zuordnet.

(a) Gewichtung des Demokratieprinzips Das Gewicht der Demokratieprinzips bei der Abwägung mit dem Kooperationsprinzip hängt davon ab, welche Bedeutung der Frage der demokratischen Legitimation einer gesetzesvorbereitenden Vereinbarung im jeweiligen Regelungsbereich beizumessen ist. Dabei hat das Erfordernis der demokratischen Legitimation umso mehr Gewicht, je stärker der Charakter der jeweiligen Vereinbarung als gesetzesvorbereitende Staatsgewalt hervortritt103 und je umfassender die Allgemeinheit betroffen ist. (aa) Intensität des Staatsgewaltcharakters und Legitimationsniveau Der weite Staatsgewaltbegriff weist unterschiedliche Intensitätsgrade auf. Der Staatsgewaltcharakter ist umso intensiver ausgeprägt, je intensivere fak101

Zum Kooperationsprinzip als Rechtfertigungsgrund: siehe oben 2. Teil B. II.

2. b). 102

BVerfGE 104, 249 (267 f.). Zu diesem Zusammenhang zwischen Intensität des Staatsgewaltcharakters und Gewicht des an den Staatsgewaltbegriff anknüpfenden Verfassungsprinzips: siehe oben 1. Teil A. III. 2. 103

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

tische Austauschbindungen erzeugt werden. Je stärker sich die Gesetzesvorbereitung zur Staatsgewalt verdichtet hat, desto größeres Gewicht kommt der Legitimationsfrage in der Gesetzesvorbereitung zu. Dementsprechend steigt das Gewicht der Demokratieprinzips in der Abwägung mit zunehmendem Gewicht der Gesetzesvorbereitung als Staatsgewalt. Die oben aufgezeigten Konturen und Intensitätsgrade der faktischen Bindung erweisen sich damit als Gradmesser zur Ermittlung des für die Gesetzesvorbereitung jeweils notwendigen Legitimationsniveaus104. Das erforderliche Legitimationsniveau für die gesetzesvorbereitende Staatsgewalt ist umso höher, je deutlicher der faktisch verbindliche Entscheidungscharakter der Gesetzesvorbereitung ausgeprägt ist. Auch wenn man beim Atomausstieg den Intensitätsgrad funktionaler Äquivalenz noch nicht als erreicht erachtet, so sind die faktischen Austauschbindungen und der Charakter der Vereinbarung vom 14. Juni 2000 als Staatsgewalt jedenfalls besonders deutlich ausgeprägt105. Das verfassungsrechtlich erforderliche Legitimationsniveau für eine solche faktisch in hohem Maß verbindliche Gesetzesvorbereitung ist besonders hoch anzusetzen. Sieht man in der Vereinbarung nicht bereits eine Verletzung des Integritätskerns der Staatswillensbildung, so muss doch jedenfalls dem Demokratieprinzip beim Atomausstieg im Rahmen der Abwägung mit dem Kooperationsprinzip ein besonders hohes Gewicht beigemessen werden.

(bb) Betroffenheit der Allgemeinheit und Dritter Die Gewichtung des Demokratieprinzips hat sich daran zu orientieren, welche Bedeutung der Ratio des Demokratieprinzips in Bezug auf den jeweiligen Regelungsbereich zukommt. Der tiefere Grund der Demokratieidee liegt in der Selbstbestimmung des Volkes. Die Herrschaft über alle soll von allen Wahlberechtigten mitbestimmt werden können. Jeder Wahlberechtigte soll die Chance haben, auf die Herrschaftsausübung einzuwirken106. Dadurch soll die Autonomie der Hoheitsunterworfenen gestärkt und auch die Akzeptanz der Entscheidungen der Staatsorgane befördert werden. Dieser Gedanke der Selbstbestimmung und Autonomie wird von Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG explizit auf das gesamte Volk bezogen. Dem Gedanken einer auf das ganze Volk bezogenen Selbstbestimmung kommt jedoch im jeweiligen Regelungsbereich umso mehr Bedeutung zu, je deutlicher das gesamte Volk von einem Akt der Hoheitsgewalt betroffen wird. Die Selbstbestimmung durch das gesamte Volk der Wahlberechtigten ist dann umso wichtiger, je mehr sich das Gesetzesvorhaben auf das ge104

Zu den Konturen der faktischen Bindung: siehe oben 1. Teil A. I. 3. b) dd)

(4). 105 106

Siehe oben 2. Teil A. III. 2. Vgl. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdnr. 130 ff.

B. Grundgesetzliche Anforderungen

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samte Volk auswirkt. Mit zunehmender Betroffenheit der Allgemeinheit durch eine geplante gesetzliche Regelung steigt auch das für die Gesetzesvorbereitung erforderliche Legitimationsniveau. Je bedeutender die vorbereitete gesetzliche Regelung für die Allgemeinheit ist, umso höhere Anforderungen sind an die Legitimation der gesetzesvorbereitenden Staatsgewalt zu stellen107. Das Niveau der Legitimation kann umgekehrt umso weiter abgesenkt werden, je deutlicher sich der Kreis der Betroffenen von der Allgemeinheit abgrenzen lässt108. Die in der Vereinbarung zum Atomausstieg getroffene Entscheidung, die friedliche Nutzung der Kernenergie nur noch für einen begrenzten Zeitraum hinzunehmen, hat weitreichende Auswirkungen auf die allgemeinen Lebensverhältnisse aller Bürger109. Die durch den Atomausstieg aufgeworfenen Probleme der Anlagensicherheit, des vorübergehend hinzunehmenden Restrisikos, des Klimaschutzes und einer preisgünstigen und sicheren Energieversorgung betreffen alle Bürger in elementaren Lebensfragen. Deswegen kommt der demokratischen Legitimation beim Atomausstieg besondere Bedeutung zu. Dies führt ebenso wie der besonders deutliche Charakter der Vereinbarung als Staatsgewalt zu einem besonderen Gewicht des Demokratieprinzips bei der Abwägung mit dem konkurrierenden Kooperationsprinzip.

(b) Gewichtung des Kooperationsprinzips Dem auf Legitimation des Staatshandelns durch das gesamten Volk ausgerichteten Demokratieprinzip steht das gegenläufige, auf Funktionsfähigkeit der Staatsgewalt und individualisierende Verhältnismäßigkeit ausgerichtete Kooperationsprinzip gegenüber. Demokratie- und Kooperationsprinzip sind miteinander abzuwägen. Das Kooperationsprinzip besitzt verfassungsrechtlichen Rang110. Ebenso wie bei der Abwägung mit dem Gewaltenteilungsprinzip stärkt die verfassungsrechtliche Verwurzelung das Gewicht des Kooperationsprinzips auch gegenüber dem Demokratieprinzip111. Kooperation soll dazu beitragen, Vollzugswiderstände zu mindern und die Rechtsbehelfsbeflissenheit der Betroffenen zu reduzieren. Die Macht der Privaten wird dabei als Steuerungsressource genutzt, indem beispielsweise 107

Vgl. BVerwGE 106, 64 (68, 77 f.); BVerfG DVBl. 2003, 923 (925). Vgl. BVerfGE 33, 125 (160); 93, 37 (70); BVerfG DVBl. 2003, 923 (925, 928 f.): Das Bundesverfassungsgericht sieht den Intensitätsgrad der Betroffenheit der Allgemeinheit als wichtiges Kriterium dafür an, welches Legitimationsniveau notwendig ist. Dem Demokratieprinzip muss nach den einschlägigen Entscheidungen zum Personalvertretungsrecht dann umso mehr Gewicht zukommen, je mehr der Amtsauftrag berührt wird und je weniger es um spezifische Interessen der Beschäftigen geht. 109 Vgl. BVerfGE 49, 89 (128). 110 Siehe oben 2. Teil B. II. 111 Siehe oben 3. Teil C. III. 3. d) bb). 108

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

organisationsstarke Interessenverbände auf ihre Mitgliedsunternehmen im Sinne der Vereinbarung mit dem Staat einwirken und die Vereinbarungen dadurch durchsetzen. Zudem kann das Sachwissen der Privaten in den staatlichen Entscheidungsprozess einfließen. Dem Gedanken der Kooperation kommt deshalb bezogen auf den jeweiligen Regelungsbereich dann umso größere Bedeutung zu, je schwieriger es in diesem Regelungsbereich für den Staat ist, den eigenen Willen gegen den Willen der Betroffenen durchzusetzen. Je mehr sektorale politische Entscheidungsgewalt Private innehaben und je mehr der Staat auf das Sachwissen Privater angewiesen ist, desto größeres Gewicht ist dem Kooperationsprinzip beizumessen. Darüber hinaus hat Kooperation durch gesetzesvorbereitende Absprachen dann umso mehr Gewicht, je mehr es um spezifische Interessen besonders Betroffener geht. Je weniger Personen von einer Regelung betroffen werden, desto eher kann vom Staat erwartet werden, dass er die individuellen Interessen dieser besonders Betroffenen durch maßgeschneiderte Lösungen berücksichtigt und zu individuell verhältnismäßigen Regelungen gelangt112. Somit erhält das Kooperationsprinzip in oligopolen Strukturen erhöhtes Gewicht. Hat sich zudem eine Kooperation mit Privaten in der Vergangenheit bewährt und zeigen sich die Betroffenen in hohem Maße mitwirkungsbereit, so kann dies ebenfalls das Gewicht der Kooperation im Einzelfall verstärken113. Das Kooperationsprinzip hat im Atomrecht eine besondere Tradition, weil der Staat sich früher selbst in diesem Bereich fördernd engagiert hat. Zur Garantie eines permanent sicheren Betriebes von Kernkraftwerken ist der Staat außerdem auf die Zusammenarbeit mit den Betreibern, die ihre komplexen Anlagen am besten kennen, in besonderem Maße angewiesen. Der Atomausstieg betrifft zudem in Bezug auf die Eigentumsrechte an den bestehenden Kraftwerken einige wenige Anlageneigentümer in einer von der Allgemeinheit abgrenzbaren besonderen Art und Weise. Diese oligopolen Strukturen erhöhen das Gewicht des Kooperationsprinzips zusätzlich. Dem Kooperationsprinzip kommt beim Atomausstieg eine hohes Gewicht zu114.

(c) Beeinträchtigungsintensität Je stärker das Legitimationsniveau im jeweiligen Regelungsbereich durch Kooperation abgesenkt wird, weil Nichtlegitimierte besonders intensiv an der Gestaltung der Staatsgewalt beteiligt werden, umso höhere Anforderungen sind an die Rechtfertigung der Beeinträchtigung des Demokratieprinzips zu stellen115. Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen senken das Legiti112 113 114

Vgl. Di Fabio, Die Verfassung als Maßstab und Grenze, S. 253 ff. Vgl. zum Kooperationsprinzip als Prüfauftrag: siehe oben 2. Teil B. II. 2 a). Siehe oben 3. Teil C. III. 3. bb).

B. Grundgesetzliche Anforderungen

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mationsniveau der gesetzesvorbereitenden Staatsgewalt umso mehr ab, je intensivere Bindungen sie entfalten. Deshalb muss das Kooperationsprinzip zur Rechtfertigung der Absenkung des Legitimationsniveaus dann umso gewichtiger sein, je stärkere faktische Bindungen die gesetzesvorbereitende Vereinbarung beinhaltet. Die Absenkung des Legitimationsniveaus fällt in Bezug auf die Verhandlungen zum Atomausstieg und die Vereinbarung vom 14. Juni 2000 wegen der engen Verzahnung privater und staatlicher Willensbildung und der sich daraus ergebenden intensiven faktischen Bindungen sehr deutlich aus116. Erachtet man die Vereinbarung nicht schon wegen Verletzung des Integritätskerns staatlicher Willensbildung als verfassungswidrig, so bedarf die besonders intensive Beeinträchtigung des Demokratieprinzips doch jedenfalls einer besonderen Rechtfertigung. Wegen des besonderen Gewichts des Kooperationsprinzips im Atomrecht könnte eine solche Rechtfertigung jedoch gelingen117.

(d) Pragmatischer Ausgleich durch Legitimationsstrukturen Aufgabe der Abwägung ist es, die divergierenden Prinzipien auszugleichen. Die gewichteten Belange des Demokratieprinzips und die Gründe der Kooperation sind einander gegenüberzustellen und unter Berücksichtigung der Beeinträchtigungsintensität abzuwägen. Dabei ist der herzustellende Ausgleich zwischen Demokratieprinzip und Kooperationsprinzip primär eine Aufgabe der Bundesregierung, die die gesetzesvorbereitenden Verhandlungen organisiert und die Vereinbarungen mit den Privaten abschließt. Die Bundesregierung muss eine Regelungsstruktur zur Sicherung eines ausreichenden Legitimationsniveaus bei gesetzesvorbereitenden Verhandlungen schaffen118. Das Bundesverfassungsgericht ist der Auffassung, dass parlamentarische Ausschüsse deshalb, weil sie die parlamentarische Willensbildung entscheidend vorprägen, ein verkleinertes Abbild des Bundestages sein müssen, obwohl die Ausschussbeschlüsse noch keine rechtliche Verbindlichkeit haben119. Dementsprechend sind die Vorschriften der Geschäftsordnung des Bundestages zur Spiegelbildlichkeit der Ausschüsse als Legitimationsstruktur zu begreifen. Sie sollen ein ausreichendes Legitimationsniveau bereits 115 Zum Zusammenhang von Beeinträchtigungsintensität und Rechtfertigungsanforderungen: siehe oben 3. Teil C. III. 3. d) cc). 116 Zur starken faktischen Bindung der Vereinbarung vom 14. Juni 2000: siehe oben 1. Teil A. I. 3. b) dd) (4) (b). 117 Zum besonderen Gewicht des Kooperationsprinzip im Atomrecht: siehe oben 3. Teil C. III. 3. d) bb). 118 Vgl. Burgi, Die Verwaltung, 2000, 183 (201 ff.); Engelbert, Konfliktmittlung, S. 110. 119 BVerfGE 84, 304 (323); 80, 188 (189, 221 ff.).

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

in der Gesetzesvorbereitung sicherstellen, weil die Gesetzesvorbereitung auf das weitere, sich prozesshaft verdichtende Verfahrensgeschehen und die spätere Entscheidung des Parlaments prägenden Einfluss hat. Dies ist auch im Hinblick auf die Vorbereitung von Gesetzen durch die Bundesregierung zu beachten. Es bedarf einer Regelungsstruktur, die die notwendige Kooperation zulässt, aber andererseits auch Legitimation sichert und somit eine Balance zwischen Kooperationsprinzip und Demokratieprinzip herstellt. Entscheidend dabei ist, dass die Justierung der Gesetzgebung auf die Gemeinwohlkoordinaten des Grundgesetzes auch dann gewahrt bleibt, wenn im Vorfeld des formalisierten Gesetzgebungsverfahrens gesetzesvorbereitende Vereinbarungen mit Privaten abgeschlossen werden. Wegen der für die interne Willensbildung der Bundesregierung und der Bundesministerien geltenden Organisationsautonomie muss der Bundesregierung bzw. den Bundesministerien jedoch grundsätzlich ein weiter Gestaltungsspielraum hinsichtlich der Gesetzesvorbereitung eingeräumt werden120. Wegen des weiten gouvernementalen Ermessens können verfassungsrechtliche Anforderungen an gesetzesvorbereitende Vereinbarungen nur äußerste Grenzen markieren. Dies gilt im Grundsatz auch dann, wenn Private in den Prozess der regierungsinternen Willensbildung einbezogen werden. Es ist primär Sache der Bundesregierung, darüber zu entscheiden, wann und in welcher Form Verbände an der Vorbereitung von Gesetzen beteiligt werden sollen. Mit zunehmender faktischer Bindung gegenüber Privaten verengt sich jedoch das Gesetzesvorbereitungsermessen der Bundesregierung und verdichtet sich die verfassungsrechtliche Bindung an die Legitimationsanforderungen des Demokratieprinzips. Ein Verfassungsverstoß liegt jedenfalls dann vor, wenn die Gesetzesvorbereitung keine Legitimationsstruktur erkennen lässt, die ein Mindestmaß an Distanz zwischen Bundesregierung und privaten Interessenvertretern gewährleistet. Beim Atomausstieg ließen die gesetzesvorbereitenden Verhandlungen keinerlei Struktur erkennen, die einen Ausgleich zwischen Legitimation und Kooperation hergestellt hätte. Auch wenn man der Auffassung ist, dass die Vereinbarung vom 14. Juni 2000 noch keine rechtsgleichen faktischen Bindungen entfaltet, so ist sie jedenfalls deshalb unzulässig, weil keine Legitimationsstruktur ersichtlich ist, die das Verhältnis von Legitimation und Kooperation in der Gesetzesvorbereitung austariert hat. Die gesetzesvorbereitenden Verhandlungen zum Atomausstieg führten zu einer unangemessenen und verfassungswidrigen Absenkung des Legitimationsniveaus der Gesetzesvorbereitung, die vom Kooperationsprinzip trotz dessen besonderer Bedeutung im Atomrecht nicht mehr gerechtfertigt wird121. 120

Zur Organisationsautonomie der Bundesregierung hinsichtlich der Gesetzesvorbereitung: siehe oben 4. Teil A. 121 A. A. Sauer, Der Staat 2004, 563 (573), der der Auffassung ist, dass das nachfolgende Gesetzgebungsverfahren eine ausreichende Legitimation hergestellt

B. Grundgesetzliche Anforderungen

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(3) Ergebnis Eine zur Rechtsbindung funktional äquivalente faktische Bindung von Staatsorganen an Vereinbarungen mit Privaten ist nicht gestattet, weil dadurch der Integritätskern der Staatswillensbildung verletzt wird. Im Abwägungsbereich des Demokratieprinzips ist ein pragmatischer Ausgleich zwischen Kooperation und Legitimation durch eine behutsam zu entwickelnde Normstruktur herzustellen, die sowohl demokratische Legitimation als auch notwendige Kooperationsbedürfnisse sowie den politischen Gestaltungsspielraum als Ausfluss der Organisationsautonomie der Bundesregierung ausreichend berücksichtigt. Ohne eine solche Legitimationsstruktur verstoßen gesetzesvorbereitende Vereinbarungen auch dann gegen das Demokratieprinzip, wenn die faktische Bindung noch nicht funktionales Äquivalent zu einer rechtlichen Bindung ist. Die Legitimation einer gesetzesvorbereitenden Vereinbarung könnte jedoch nachträglich durch das Umsetzungsgesetz hergestellt werden. Dabei geht es um die Frage, ob das Umsetzungsgesetz Legitimationsmängel der Gesetzesvorbereitung heilen kann. Dies ist jedoch erst später zu erörtern122. Selbst wenn eine Heilung im Umsetzungsgesetzgebungsverfahren nämlich möglich wäre, würde dies nichts daran ändern, dass zunächst in der Gesetzesvorbereitung ein Legitimationsmangel und ein Verstoß gegen das Demokratieprinzip vorliegt. h) Kanalisierungsfunktion des Demokratieprinzips Zusammenfassend ist zum Demokratieprinzip festzustellen, dass das kooperationsoffene Hierarchiemodell nicht zu einer Kontaktsperre zwischen Staatsorganen und Privaten führt. Es soll jedoch ein gewisses Mindestmaß an Distanz der Staatsorgane zu Partikularinteressen erhalten bleiben, um die Gemeinwohlverantwortung dieser Organe zu wahren. Das Übermaßverbot erweist sich als der richtige Prüfansatz, um die Beteiligung Privater an der inhaltlichen Gestaltung der Staatsgewalt auf das verfassungsrechtlich zulässige Maß zu begrenzen. Das bedeutet, dass die Wirkungsbeiträge von Staat und Privaten als solche sichtbar bleiben müssen. Die unterschiedlichen Beiträge von Staat und Privaten sind in einem Mindestmaß getrennt zu halten und dürfen nicht zu eng miteinander verzahnt werden. Zur Aufrechterhalhat. Dem kann nicht gefolgt werden, weil das nachfolgende Gesetzgebungsverfahren durch die faktischen Bindungen der gesetzesvorbereitenden Vereinbarung weitestgehend entwertet wurde. Zur Substanzialisierung des nachfolgenden Gesetzgebungsverfahrens: siehe unten 5. Teil. 122 Siehe unten 6. Teil A. II.

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

tung eines angemessenen Legitimationsniveaus der gesetzesvorbereitenden Staatsgewalt ist darüber hinaus davon auszugehen, dass es einen Kernbereich der staatlichen Willensbildung gibt, der sich der Mitgestaltung durch nicht legitimierte Private entzieht. Dieser Integritätskern der Staatswillensbildung bleibt unversehrt, sofern die kooperative Gesetzesvorbereitung in eine Legitimationsstruktur eingebunden wird, die den Einfluss privater Partikularinteressen auf die Staatswillensbildung kanalisiert und eine gewisse Mindestdistanz zwischen Staat und gesellschaftlichen Kräften zum Schutz des Gemeinwohls absichert123. 2. Sachgerechte Auswahl der Vereinbarungspartner Nach Art. 1 Abs. 3 GG ist die öffentliche Gewalt an den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebunden. Da die hier untersuchten gesetzesvorbereitenden Verhandlungen und Vereinbarungen informell-kooperative Staatsgewalt darstellen, sind sie am Gleichheitssatz zu messen. Entsprechend dem weiten Staatsgewaltbegriff ist jedes Handeln des Staates auf seine Vereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz zu prüfen124. Dies muss auch für verfahrensgestaltende Tätigkeiten des Staates gelten, die der Vorbereitung von Gesetzen dienen125. Die Auswahl der Vereinbarungspartner darf als gesetzesvorbereitende, verfahrensgestaltende und die spätere Norm prägende Staatsgewalt nicht auf sachfremden Kriterien beruhen126. a) Kriterien sachgerechter Auswahl Als sachlicher Rechtfertigungsgrund für eine besondere Beteiligung Einzelner an der Gesetzesvorbereitung kommt das Kooperationsprinzip in Betracht. Das Kooperationsprinzip soll in seiner freiheitsschützenden Dimension zur Schonung der Grundrechte derjenigen beitragen, die von einem Gesetz besonders betroffen sind127. Deshalb ist in der besonderen Betroffenheit des Kooperationspartners unter Umständen ein sachliches Kriterium für die 123

Zur Konkretisierung der Legitimationsstruktur: siehe unten 4. Teil C. BVerfGE 105, 252 (272 f.). 125 Zur Geltung des Gleichheitssatzes im Verfahrenrecht: vgl. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG Bd. I, Art. 3 Abs. 1 Rdnr. 202 ff. 126 Zur Anwendung des Gleichheitssatzes bei der Beteiligung an der Gesetzesvorbereitung: vgl. BVerwGE 56, 308 (315); Mengel, Gesetzgebung und Verfahren, S. 316. Soweit es um die Beteiligung nicht grundrechtsfähiger juristischer Personen geht, darf allerdings nicht Art. 3 Abs. 1 GG angewandt werden. Vielmehr greift insoweit der allgemeine Gleichheitssatz als ungeschriebener Verfassungsrechtssatz ein (siehe hierzu: BVerfGE 35, 263 (271 f.); Wolff, Ungeschriebenes Verfassungsrecht, S. 179). 124

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besondere Beteiligung an der Gesetzesvorbereitung zu sehen. Zudem soll das Sachwissen der Kooperationspartner in den gesetzesvorbereitenden Verhandlungen genutzt werden. Auch daraus ergibt sich ein sachliches Differenzierungskriterium für die Auswahl der besonders Beteiligten128. aa) Betroffenheitsintensität als sachliches Differenzierungskriterium Beim Grad der Betroffenheit kann danach differenziert werden, ob die Intensität der Betroffenheit im Verantwortungsbereich des Grundrechtsträgers selbst liegt oder ob die Betroffenheitsintensität vom Staat beeinflusst wird. (1) Intensitätsverantwortung des Betroffenen Der Einzelne hat auf die Intensität seiner Beeinträchtigung insoweit einen Einfluss, als er selbst darüber entscheidet, inwieweit er von seinen grundrechtlich gewährleisteten Freiheiten Gebrauch macht oder auf eine Grundrechtsausübung verzichtet. Wer beispielsweise ein großes Vermögen hat oder anstrebt, nutzt seine in Art. 14 GG garantierte Eigentumsfreiheit intensiver als jemand, der keine Vermögensbildung betreibt. Wer aber seinen Freiheitsraum besonders intensiv nutzt, wird durch freiheitsbeschränkende staatliche Maßnahmen besonders intensiv betroffen. Eine solche vom Grundrechtsträger selbst verantwortete besonders Betroffenheit vermag jedoch keine besondere Beteiligung an der Gesetzesvorbereitung zu rechtfertigen. Der Gleichheitssatz möchte gerade auch die Rechte derer schützen, die ihre Freiheit nicht so stark nutzen, nutzen können oder nutzen wollen als andere. Die grundrechtliche Freiheit impliziert gerade auch die Freiheit, von dieser Freiheit wenig oder gar keinen Gebrauch zu machen. Würde man die in der Eigenmacht des Grundrechtsträgers stehende besondere Betroffenheit als Kriterium für eine besondere Beteiligung an der Gesetzesvorbereitung ansehen, so würde man die Partizipation in der Gesetzesvorbereitung als Recht der besonders erfolgreichen Grundrechtsträger sanktionieren. Das würde jedoch einen Rückfall in die Gerechtigkeitsvorstellungen des 19. Jahrhunderts bedeuten, als die Rechte zur Beteiligung an der Staatswillensbildung von Erfolg und Reichtum abhingen129. Derartigen Vorstellungen hat das Grundgesetz vor allem im Grundsatz der Wahlgleich127 Zur Janusköpfigkeit des Kooperationsprinzips: siehe oben Staatsgewalt 2. Teil. B. II. 3. 128 Zum weiteren Auswahlkriterium der Binnendemokratisierung: Dederer, Korporative Staatsgewalt, S. 389 ff., 393 ff., 636 f. 129 Vgl. Leibholz, Diskussionsbeitrag, 80. Geburtstag Gerhard Leibholz, S. 89; Starck, Die Anwendung des Gleichheitssatzes, S. 51 (62 f.).

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

heit (Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG) eine explizite Absage erteilt. Dementsprechend ist die besondere wirtschaftliche oder gesellschaftliche Macht und der Erfolg bei der eigenen Freiheitsbetätigung kein sachlicher Grund für eine besondere Beteiligung an der Gesetzesvorbereitung130. Die vom einzelnen Grundrechtsträger selbst zu verantwortende Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung rechtfertigt keine privilegierte Partizipation bei der Staatswillensbildung131. Erfolgt beispielsweise die Planung einer Eisenbahnstrecke durch Gesetz, so wäre es unzulässig, einigen Anwohner besondere Beteiligungsrechte einzuräumen, nur weil diese Eigentümer besonders großer Grundstücke in der Nähe der geplanten Trasse sind. Die Größe des eigenen Grundstücks ist Ausdruck besonders intensiver Freiheitsbetätigung im Eigentumsbereich. Sie ist Ausfluss einer individuellen Freiheitsentscheidung des Einzelnen und fällt in dessen eigenen Verantwortungsbereich. Sie rechtfertigt keine Bevorzugung bei der Partizipation an der Staatswillensbildung.

(2) Intensitätsverantwortung des Staates Anders sieht es hingegen mit derjenigen Betroffenheitsintensität aus, die nicht vom Einzelnen, sondern vom Staat zu verantworten ist. Die staatliche Maßnahme kann zum Freiheitsbereich des Einzelnen einen unterschiedlich starken Sachbezug haben, auf den der Einzelne keinen unmittelbaren Einfluss hat. Dieser vom Staat allein zu verantwortende besondere Sachbezug kann die besondere Beteiligung der beeinträchtigten Grundrechtsträger an der Gesetzesvorbereitung rechtfertigen. Der besondere Sachbezug ist ein Kriterium, das von der Person des jeweiligen Grundrechtsträgers gelöst ist und daher dessen bisherigen und künftigen Erfolg bei der Freiheitsbetätigung außer Acht lässt132. Im obigen Beispielsfall der gesetzlichen Planung einer Eisenbahnstrecke könnte bei der Betroffenenbeteiligung danach differenziert werden, wie weit die Grundstücke von der geplanten Trasse entfernt sind. Würde man denjenigen, deren Grundstücke unmittelbar an der Trasse anliegen, im Gegensatz zu den anderen ein besonderes Beteiligungsrecht einräumen, so wäre das eine sachliche Differenzierung nach dem allein vom Staat zu verantwortenden Grad der Betroffenheit. Die Differenzierung beruht dabei ausschließlich auf der vom Staat festgelegten Nähe der Eisen130

Vgl. Fisahn, Demokratie, S. 71 (88). Ein Partizipationsprivileg der vermögenden Bevölkerungsschichten würde auch dem Demokratie- und Sozialstaatsprinzip widersprechen. Zu den sozialstaatlichen Implikationen des Gleichheitssatzes siehe: Starck, Die Anwendung des Gleichheitssatzes, S. 51 (67 ff.); vgl. auch Bleckmann, Die Struktur, S. 79, 87, 102. 132 Vgl. zur Abgrenzung von objektiver Betroffenheit und individueller Befindlichkeit im Verwaltungsrecht: Kopp/Ramsauer, VwVfG, Rdnr. Art. 74 Rdnr. 61 m. w. N. 131

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bahntrasse zum jeweiligen Grundstück und nicht darauf, ob jemand seine Freiheit, Eigentum zu bilden, bisher besonders intensiv genutzt hat.

bb) Typisierung der Partizipationsauswahl Eine Rechtfertigung der besonderen Beteiligung Einzelner kann sich aber auch unter dem Gesichtspunkt der sachgemäßen Typisierung ergeben133. Werden Einzelne von einer staatlichen Maßnahme betroffen, so kann aus deren Betroffenheit unter Umständen ein Schluss auf alle anderen Betroffenen gezogen werden. Deshalb ist es möglich, einige Betroffene besonders in die Gesetzesgestaltung einzubeziehen, um die dadurch erlangten Informationen zur Ermittlung der Interessensituation aller heranzuziehen. Der Bundesregierung ist es unter Umständen gestattet dahingehend zu typisieren, dass sie davon ausgeht, dass bestimmte Personengruppen typischerweise sachlich stärker berührt sind als andere. Es kann nicht in jedem Fall verlangt werden, dass die Bundesregierung die Intensität der Betroffenheit jedes potenziell Betroffenen einzeln ermittelt. Die Typisierung dient insoweit dazu, den hohen Ermittlungsaufwand hinsichtlich der Betroffenheitsintensität als sachgerechtes Auswahlkriterium auf ein angemessenes Maß zu begrenzen134. Dabei muss die Bundesregierung allerdings offen legen, warum sie der Auffassung ist, dass aus der besonderen Beteiligung der Ausgewählten Rückschlüsse auf die anderen nicht Beteiligten abgeleitet werden können135. Eine sachgerechte Typisierung erfordert, dass die Bundesregierung die Grundlagen ihrer typisierenden Partizipationspolitik darlegt, um damit einen rationalen Diskurs über die Sachgerechtigkeit der Auswahl der Vereinbarungspartner zu ermöglichen136. Im Rahmen dieses Diskurses muss 133 Allgemein zum Problem sachgemäßer Typisierung: Bleckmann, Die Struktur, S. 99 ff. m. w. N. Zur Typisierung bei gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen: Huber, Konsensvereinbarungen, S. 329 (341 f.) m. w. N. Huber hält eine Zustimmung der nicht beteiligten Dritten unter entsprechender Anwendung des § 58 Abs. 1 VwVfG für notwendig. Insoweit muss allerdings darauf hingewiesen werden, dass die umfassende Abstimmung mit den Interessen der Gesamtgesellschaft im Umsetzungsgesetzgebungsverfahren zu erfolgen hat (vgl. Brohm, DÖV 1992, 1025 (1034)). Zur Aufwertung des Umsetzungsgesetzgebungsverfahren durch Ergänzung des formellen Gesetzgebungsverfahrens durch ein materielles Gesetzgebungsverfahren: siehe unten 5. Teil D. 134 Neben einer Entlastung der gesetzgeberischen Ermittlungen kann Typisierung auch bezwecken, den Vollzugsaufwand zu reduzieren (siehe beispielsweise: Osterloh, in: Sachs, GG, Art. 3 Rdnr. 106 ff.). 135 Zu Art. 3 Abs. 1 GG als dem Gesetzgeber aufgegebenes Begründungsgebot: vgl. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG Bd. I, Art. 3 Abs. I Rdnr. 316. 136 Vgl. Roßnagel, Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit, S. 47 ff., 78.

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

sich dann herausstellen, dass die mit der Typisierung intendierten Vorteile der Einsparung von Ermittlungsressourcen nicht geringer wiegen als die mit der Typisierung verbundenen Nachteile an Beteiligungsgerechtigkeit im Hinblick auf eine umfassende Beteiligung aller gleichartig Betroffener. Auf die Darlegungen zur sachgerechten Auswahl der Verhandlungspartner und zur Typisierung kann nur dann verzichtet werden, wenn sich die Sachgerechtigkeit der Auswahl jedem sachkundigen Beobachter von selbst aufdrängen muss und somit als selbstverständlich angesehen werden kann. Sind im Beispielsfall der gesetzlichen Planung einer Eisenbahntrasse einige Grundstückseigentümer besonders beteiligt worden, so kann deren besondere Beteiligung unter Umständen damit gerechtfertigt werden, dass diese Beteiligung dazu diente, die Interessen aller Grundstückeigentümer zu ermitteln. Dann muss jedoch substanziiert dargelegt werden, warum die Beteiligung der Ausgewählten einen Rückschluss auf die Interessen aller zulässt, es sei denn dieser Induktionsschluss drängt sich von selbst auf.

cc) Sachwissen Kooperation zwischen Staat und Privaten hat auch den Zweck, das Sachwissen der Privaten zu nutzen. Beteiligt der Staat deshalb diejenigen besonders, bei denen im Vergleich zu anderen gesteigertes Sachwissen zu erwarten ist, so ist darin keine unzulässige Differenzierung zu sehen137. Vielmehr wird eine besondere Beteiligung besonders Sachkundiger unter Gleichheitsgesichtspunkten vom Kooperationsprinzip gerechtfertigt, weil das Kooperationsprinzip gerade auch auf die besondere Einbeziehung externen Sachverstandes gerichtet ist138. Eine Bevorzugung von Wirtschaftsunternehmen gegenüber Umweltverbänden bei der Gesetzesvorbereitung kann gerechtfertigt sein, wenn die einbezogenen Unternehmen besondere Kenntnisse über die von ihnen betriebenen Industrieanlagen in die Gesetzesvorbereitung einbringen können und die Umweltverbände lediglich über Umweltfachwissen verfügen, das auch den Behörden selbst ohne weiteres selbst zugänglich ist139.

b) Differenzierte Kontrolldichte Bei der verfassungsrechtlichen Kontrolle der Auswahl der Verhandlungspartner muss beachtet werden, dass die Gesetzesvorbereitung und damit auch die Auswahl der Personen, die daran zu beteiligen sind, der Organi137

Vgl. BVerfGE 83, 130 (150 f.); BVerwG DVBl. 1993, 1149 (1150 f.). Siehe oben 2. Teil B. 139 Vgl. Smeddinck/Tils, Normgenese und Handlungslogiken, S. 134, 183; Müller, Ministerialverwaltung, S. 17 (28). 138

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sationsautonomie der Bundesregierung unterliegt. Der Bundesregierung steht bei der Auswahl der Vereinbarungspartner ein gouvernementales Ermessen zu140. Die verfassungsrechtliche Prüfungsdichte der Auswahl der privaten Vereinbarungspartner muss umso intensiver ausfallen, je stärkere faktische Austauschbindungen durch die gesetzesvorbereitenden Verhandlungen erzielt werden. Auch hier bestimmt die Bindungsintensität der gesetzesvorbereitenden Vereinbarung die verfassungsrechtliche Kontrolldichte. Je mehr die faktischen Bindungen dazu führen, dass der Bereich unverbindlichen Vorbereitungshandelns de facto überschritten wird, desto weniger Gewicht kommt der Organisationsautonomie der Bundesregierung zu. Die politischen Gestaltungsräume der Bundesregierung werden mit zunehmender faktischer Bindung der gesetzesvorbereitenden Absprachen enger, während sich die verfassungsrechtliche Kontrolldichte immer mehr verdichtet. Bei gesetzesvorbereitenden Gesprächen von Staatsorganen mit Privaten, die den Charakter von Sachverständigenanhörungen haben, ist der Staatsgewaltcharakter wegen geringerer faktischer Bindungen weniger stark ausgeprägt. Deshalb kommt der Bundesregierung beispielsweise bei der Auswahl von Sachverständigen für eine Expertenanhörung ein besonders großer Auswahlspielraum zu, wohingegen die Kontrolle in Hinblick auf die Auswahl von Gesprächspartnern für interessenbezogene Verhandlungen restriktiver ausfällt, weil bei solchen Verhandlungen zwangsläufig in hohem Maße faktische Bindungen entstehen müssen141. Die Kontrolldichte ist nach dem jeweils spezifischen Charakter der gesetzvorbereitenden Kommunikation unterschiedlich zu dosieren. Je stärker der Charakter der gesetzesvorbereitenden Gespräche als faktisch verbindliche Staatsgewalt mit BargainingCharakter ausgeprägt ist, desto strengere Maßstäbe sind an die sachliche Rechfertigung der Auswahl der Verhandlungspartner anzulegen142, 143. c) Atomausstieg Bei der Auswahl der Vereinbarungspartner für die Vereinbarung vom 14. Juni 2000 war die Gestaltungsfreiheit der Bundesregierung reduziert, weil mit den Verhandlungen und der Vereinbarung in hohem Maße faktische Bindungen erzeugt wer140 Vgl. BVerfGE 36, 321 (330); Degenhart, Bundes- und länderfreundliches Verhalten, S. 369 (381 f.). 141 Siehe oben 1. Teil A. I. 3. b) dd) (1) (c). 142 Zur kommunikationswissenschaftliche Unterscheidung zwischen Bargaining und Arguing: siehe oben 1. Teil A. I. 3. b) dd) (1) (b). 143 Zum Zusammenhang zwischen Intensität des Staatsgewaltcharakters und verfassungsrechtlicher Kontrolldichte: siehe oben 2. Teil A. III. 2.

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den sollten. Es sind deshalb strenge Maßstäbe an die sachliche Rechtfertigung der Auswahl der Verhandlungspartner anzulegen. Vergleicht man die Beteiligung der Energieversorgungsunternehmen mit der Beteiligung der Umweltverbände, so fällt auf, dass die Umweltverbände nicht an den gesetzesvorbereitenden Verhandlungen zur Festlegung der Restlaufzeiten beteiligt wurden. Diese wurden ausschließlich zwischen Mitgliedern der Bundesregierung und den größten Energieversorgungsunternehmen geführt, während die Umweltverbände erst nach der faktisch bindenden Festlegung der Restlaufzeiten beteiligt wurden. Die Bevorzugung der Unternehmen im Vergleich zu den Umweltverbänden war jedoch gerechtfertigt. Während nämlich die Energieversorgungsunternehmen ein spezifisches Wissen über den Zustand ihrer jeweiligen Anlagen besitzen, leuchtet es nicht ein, welches spezifische Wissen die Umweltverbände haben, das eine vorgezogene Beteiligung gerechtfertigt hätte. In Betracht kommt auch, die besonders beteiligten Betreiber von Kernkraftwerken mit den Zulieferern für kerntechnische Anlagen zu vergleichen. Die Zulieferer sind ebenfalls vom Atomausstieg betroffen. Möglicherweise lässt sich jedoch sagen, dass der Sachbezug der Eigentümer an Kernkraftwerken zum Atomausstieg typischerweise stärker ausgeprägt ist, als der Sachbezug zu Industriezweigen, die nur indirekt von der Kernenergienutzung abhängig sind. Dann wäre die besondere Beteiligung der Kernkraftwerkseigentümer und der Mehrheitsbeteiligten an Kernkraftwerken gegenüber der Zulieferindustrie wegen höherer sachlicher Betroffenheit der Eigentümer und Teilhaber gerechtfertigt. Der konkreten Betroffenheit der Zulieferindustrie durch den Atomausstieg kann hier indessen nicht weiter nachgegangen werden, so dass eine gleichheitswidrige Nichtbeteiligung insoweit offen bleiben muss. Es fällt jedoch auf, dass die Bundesregierung nicht mit den Geschäftsführungen der Gesellschaften verhandelt hat, die die Kraftwerke unmittelbar betreiben und die Eigentumsrechte an den Kraftwerken ausüben. Vielmehr beschränkte sich die Bundesregierung weitgehend darauf, mit den beherrschenden Gesellschaftern zu verhandeln144. Sollte sich nicht aus den einzelnen Gesellschaftsverträgen oder sonstigen Absprachen unter den Gesellschaftern ergeben, dass die Mehrheitsgesellschafter die Minderheit vertreten haben, so wurden die Minderheitsgesellschafter nicht beteiligt145. Die Differenzierung in der Beteiligung von Mehrheitsgesellschaftern und Minderheitsgesellschaftern beruht aber allein auf der wirtschaftlichen Stärke der größeren Gesellschafter gegenüber den kleineren146. Das wäre jedoch eine gleichheitswidrige Differenzierung nach dem Kriterium der vom Grundrechtsträger selbst zu verantwortenden Betroffenheit. Die Differenzierung nach der von den Betroffenen selbst zu verantwortenden Betroffenheitsintensität könnte allerdings unter dem Gesichtspunkt sachgerechter Typisierung zu rechtfertigen sein. Dies würde jedoch voraussetzen, dass die Beteiligung 144

Siehe Hennenhöfer, in: Posser/Schmans/Müller-Dehn, AtG, Einführung, S. 9. Von einer Nichtbeteiligung der Minderheitsgesellschafter geht Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 305 (322), aus. 146 Bundesministerium für Umwelt, Umwelt Nr. 7–8/2000, Sonderteil, S. II, IX; BT-Drs. 14/7261, 14/6890, S. 18: Der Bundesregierung ging es um die besondere Beteiligung derjenigen Energieversorger, die den Großteil der Gesellschaftsanteile an den Kernkraftwerksbetriebsgesellschaften innehaben. 145

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der größten Energieversorgungsunternehmen eine sachgerechte Beurteilungsbasis ergibt, um auch über die Interessen der Nichtbeteiligten mitzuentscheiden. Insoweit hätte die Bundesregierung darlegen müssen, inwiefern aus den Darlegungen der beteiligten Unternehmen auch Schlussfolgerungen für die Nichtbeteiligten gezogen werden können147. Die Bundesregierung hätte die ihrer Typisierung zu Grunde liegenden Überlegungen im Gesetzgebungsverfahren offen legen müssen. Das hätte dadurch geschehen können, dass sie die Gründe ihrer Typisierung in die Begründung der Gesetzesvorlage aufnimmt. Eine Vergleichbarkeit der Eigentumsinteressen der beteiligten Anteilseigner an Kernkraftwerken und der nicht beteiligten Anteilseigner versteht sich nicht von selbst. Vielmehr könnte das investierte Kapital und die damit verbundenen Eigentumsrechte bei den unterschiedlichen Anteilseignern unterschiedlich zu beurteilen sein148. Es ist deshalb nicht ausreichend, wenn die Bundesregierung in der Begründung der Gesetzesvorlage lediglich feststellt, dass keine Gesichtspunkte ersichtlich seien, die im Hinblick auf die festgelegten Parameter eine andere Beurteilung für die nicht beteiligten Energieversorgungsunternehmen erforderten149. Diese negative Begründung kann die positive Darlegung der Typisierungsgründe nicht substituieren. Folglich verstößt die Auswahl der Vereinbarungspartner beim Atomausstieg gegen den Gleichheitssatz.

d) Ergebnis Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Bundesregierung trotz ihres weiten Ermessens hinsichtlich der Auswahl ihrer Vereinbarungspartner an die Vorgaben des Gleichheitssatzes gebunden ist. Dabei darf sie nicht nur die stärksten Interessenvertreter mit der größten faktischen Vetomacht einbeziehen, auch wenn dies aus politischer Sicht als opportun erscheinen vermag150. Vielmehr ist die Beteiligung nach dem Grad der Betroffenheit abzustufen, wobei nicht die vom Grundrechtsträger selbst verantwortete Betroffenheit, sondern die dem Staat zurechenbare Intensität der Betroffenheit entscheidend ist. Zur Vermeidung eines unangemessen hohen Ermittlungsaufwandes hinsichtlich des individuellen Betroffenheitsgrades kann allerdings eine Typisierung gestattet sein, deren Gründe jedoch offen gelegt werden müssen. Neben der vom Staat zu verantwortenden Betroffenheit stellt auch das vom Privaten erwartete Sachwissen ein sachliches Differenzierungskriterium dar. 147 Zur Pflicht zur Begründung der Typisierung: Roßnagel, Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit, S. 78; kritisch zur Typisierung beim Atomausstieg: Di Fabio, Die Verfassung als Maßstab und Grenze, S. 253 ff. 148 Zur unterschiedlichen Betroffenheit der verschiedenen Unternehmen: vgl. Roßnagel, Schadensersatzansprüche, S. 12, 34. 149 Begründung der Gesetzesvorlage, BT-Drs. 14/7261, 14/6890, S. 32. 150 Zur faktischen Konzentration von Vereinbarungen auf die stärksten Verbände: siehe oben 1. Teil A. I. 3. b) ee) (2).

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

Die Anwendung des Gleichheitssatzes bei der Auswahl der Vereinbarungspartner kann dazu führen, dass auch weniger mächtige Verbände und Unternehmen zum Zuge kommen. Dadurch wird der Druck auf kleinere Verbände und Unternehmen, sich mit anderen zusammenschließen zu müssen, abgemildert und eine Beeinträchtigung der negativen Vereinigungsfreiheit vermieden151. Die verfassungsrechtliche Kontrolldichte richtet sich bei der Anwendung des Gleichheitssatzes danach, in welcher Intensität faktische Bindungen durch die gesetzesvorbereitenden Verhandlungen erzeugt werden. 3. Gesetzesantizipation und Vorbehalt des Gesetzes Bei gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen mit Umsetzungsgesetz besteht das Problem, dass sich faktische Bindungen prozessartig schon während den gesetzesvorbereitenden Verhandlungen entwickeln und entfalten. Das kann dazu führen, dass gesetzesvorbereitende Vereinbarungen Steuerungswirkungen gegenüber den privaten Vereinbarungspartnern bereits gezielt herbeiführen, bevor das parlamentsgesetzliche Umsetzungsgesetz in Kraft getreten ist. Mit dem Vollzug der Vereinbarung wird bereits vor der gesetzlichen Umsetzung begonnen. Bei einer solchen Antizipation des künftigen Umsetzungsgesetzes kann zum Zeitpunkt eventueller Eingriffs- oder wesentlicher Steuerungswirkungen eine parlamentsgesetzliche Grundlage fehlen, die nach dem Vorbehalt des Gesetzes notwendig wäre. Der Vorbehalt des Gesetzes besagt, dass Eingriffe in Grundrechte einer parlamentsgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bedürfen. Darüber hinaus müssen nach der Wesentlichkeitstheorie die grundlegenden Entscheidungen des Gemeinwesens auf einer parlamentsgesetzlichen Grundlage beruhen152. Die Vereinbarung vom 14. Juni 2000 wurde in mehreren Punkten bereits vor InKraft-Treten des Umsetzungsgesetzes vollzogen. Der Wechsel der Entsorgungskonzeption von der zentralen Zwischenlagerung in Ahaus und Gorleben zur dezentralen Standortzwischenlagerung in Nähe der jeweiligen Kraftwerke wurde bereits mit Außenwirkung begonnen, als die gesetzliche Umsetzung noch gar nicht in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht worden war. Die Genehmigungsanträge für die neu zu errichtenden dezentralen Zwischenlager wurden schon während den Verhandlungen von den Energieversorgungsunternehmen gestellt. Die Erörterungstermine fanden schon vor Beschluss des Umsetzungsgesetzes durch den Bundestag statt153. Auch wenn der Wechsel der Entsorgungskonzeption im Rahmen des alten Atomgesetzes begonnen wurde154, so dass sich aus dem Vorrang des Gesetzes keine Be151 Zu diesem Problemkreis: vgl. BVerfGE 93, 37 (83); Faber, Gesellschaftliche Selbstregulierungsysteme, S. 312 f.; Michael, Rechtsetzende Gewalt, S. 372 ff. 152 Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Vorb. v. Art. 20 Rdnr. 70; Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 62 Rdnr. 40, 43. 153 Siehe oben 1. Teil A. I. 1.

B. Grundgesetzliche Anforderungen

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denken gegen den vorgezogenen Beginn der Entsorgungsumstellung ergeben, so stellt sich unter dem Gesichtspunkt des Vorbehalts des Gesetzes und der Wesentlichkeitstheorie die Frage, ob die Umstellung des bisherigen Konzepts als eventueller Eingriff in Betreiberrechte oder als wesentliche Veränderung der bisherigen Entsorgungskonzeption einer gesetzlichen Ermächtigung zu dem Zeitpunkt bedurft hätte, als der Vollzug außenwirksam ins Werk gesetzt wurde. Dieselben Fragen tauchen in Bezug auf die Antragsrücknahme zu Mühlheim-Kärlich auf. Auch insoweit wurde die Vereinbarung schon vor Beginn des Umsetzungsgesetzgebungsverfahrens vollzogen155. Die Antragsrücknahme zu Mühlheim-Kärlich könnte einen versteckten Grundrechtseingriff beinhalten, mit dem der Betreiber seine eigenen Grundrechte, influenziert durch den Staat, selbst verkürzt hat. Bejaht man einen Grundrechtseingriff, so hätte die Verfahrensbeendigung bezogen auf Mühlheim-Kärlich in dem Zeitpunkt, in dem sie wirksam wurde, einer gesetzlichen Grundlage bedurft. Das Fehlen der erforderlichen gesetzlichen Grundlage zum Zeitpunkt der wirksamen Antragsrücknahme würde einen Verstoß gegen den Vorbehalt des Gesetzes darstellen.

a) Verbot der Gesetzesantizipation Im Zusammenhang mit der Antizipation von Gesetzen hat Kloepfer die Auffassung vertreten, dass der Vorbehalt des Gesetzes nicht zwingend verlange, dass das Gesetz bereits in Kraft getreten sein muss, wenn der Eingriff wirksam werde156. Er hält eine Antizipation der künftigen Eingriffsermächtigung jedenfalls dann für zulässig, wenn die Verabschiedung eines rückwirkenden Gesetzes in hohem Maße wahrscheinlich sei157. Im Rahmen dieses Wahrscheinlichkeitsurteils könnte zu berücksichtigen sein, dass gesetzesvorbereitende Vereinbarungen auch gegenüber dem Parlament starke faktische Bindungen erzeugen und somit zu einer erhöhten Wahrscheinlichkeit der Verabschiedung des Umsetzungsgesetzes führen158. Die Verabschiedung des Umsetzungsgesetzes durch das Parlament sanktioniert nach dieser Konzeption nachträglich die Eingriffe, die bereits durch die Vereinbarung influenziert und antizipiert wurden. 154 Siehe: Vorwerk, Diskussionsbeitrag, Atomrechtstag 2000, S. 179; Renneberg, Das Gesetz zur Beendigung, S. 27 (37). 155 Siehe oben 1. Teil A. I. 1. 156 Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 121. 157 Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 124 ff. 158 Kloepfer hält eine Voranwendung jedoch erst für möglich, wenn der Gesetzentwurf bereits in das parlamentarische Verfahren eingebracht worden ist (Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 127). In hohem Maße faktisch verbindliche gesetzesvorbereitende Vereinbarungen könnten indessen – in Fortentwicklung dieser Konzeption – ein Anlass sein, eine Voranwendung schon vor der Einbringung in das Parlament zuzulassen, weil die faktischen Bindungen die Wahrscheinlichkeit der Verabschiedung durch das Parlament stark erhöhen.

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

Eine solche Interpretation des Vorbehalts des Gesetzes ist jedoch nicht überzeugend. Sinn und Zweck des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens ist im Gegensatz zum gerichtlichen Verfahren nicht die retrospektive Kontrolle. Vielmehr soll das Gesetzgebungsverfahren vorausschauend die auf dem Spiel stehenden Freiheitsinteressen des Individuums und die Gemeinwohlinteressen der Gemeinschaft miteinander abwägen. Funktion der Gesetzgebung ist es, in die Zukunft vorzugreifen und diese rational-planmäßig zu gestalten159. Allein eine solche prospektive Gestaltungs- und präventive Kontrollfunktion des Gesetzgebungsverfahrens entspricht der herausgehobenen Bedeutung der parlamentarischen Gesetzgebung. Der mit dem Vorbehalt des Gesetzes intendierte präventive Freiheitsschutz des Bürgers würde verringert, wenn das Gesetz lediglich eine nacheilende Kontrollfunktion erhielte160. Das Grundgesetz verdeutlicht die herausgehobene Stellung des Bundestages als Organ der präventiven Freiheitssicherung durch die bei den jeweiligen Grundrechten normierten Gesetzesvorbehalte. Zudem unterstreichen die Wesentlichkeitstheorie und der allgemeine Vorbehalt des Gesetzes die Bedeutung des Parlaments. Exekutive und Judikative sind nach dem Vorrang des Gesetzes an die vom Parlament beschlossenen Gesetze gebunden (Art. 20 Abs. 3 GG). Mit der darin zum Ausdruck kommenden Bedeutung des Bundestags im Gefüge der Staatsorgane wäre es nicht vereinbar, diesem lediglich eine gerichtsähnliche, reaktive Rolle zuzuweisen. Deshalb kann bei der Anwendung des Vorbehalts des Gesetzes nicht darauf verzichtet werden, dass das Gesetz bereits in Kraft getreten sein muss, wenn die Eingriffwirkungen oder wesentliche Steuerungseffekte realisiert werden161. Dies gilt auch dann, wenn mit der punktgenauen Umsetzung einer gesetzesvorbereitenden Vereinbarung sicher gerechnet werden kann. Mag es auch in der Praxis des öfteren Gesetze geben, die erst nachträglich die notwendige parlamentsgesetzliche Ermächtigungsgrundlage für bereits vorgenommene Eingriffe herstellen, so ändert dies nichts daran, dass eine solche Praxis dem Vorbehalt des Gesetzes widerspricht162. Davon zu unterscheiden ist allerdings der Fall, dass die Verwaltung bereits vor In-Kraft-Treten des Gesetzes den künftigen Vollzug vorbereitet163. Im Gegensatz zum Gesetzesvollzug selbst darf die Präparation des künftigen Vollzugs bereits vor In-Kraft-Treten des Gesetzes stattfinden164. Eine 159 BVerfGE 101, 158 (216 ff.); Husserl, Recht und Zeit, S. 27 ff.; Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 59 Rdnr. 15. 160 Vgl. Guckelberger, Vorwirkung von Gesetzen, S. 78. 161 Vgl. Löffler, Parlamentsvorbehalt, S. 61, 99 f., 141. 162 BVerfGE 13, 206 (214). 163 Vgl. hierzu: Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 51 ff.; Guckelberger, Vorwirkung von Gesetzen, S. 32 f., 195 ff.

B. Grundgesetzliche Anforderungen

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frühzeitige Vorbereitung des Vollzugs kann gerade im Interesse des Parlaments liegen, wenn es eine rasche Umsetzung des künftigen Gesetzes nach In-Kraft-Treten wünscht. Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung kann die Vollzugspräparation vor In-Kraft-Treten gebieten, damit das Gesetz ab In-Kraft-Treten wirksam vollzogen werden kann. Dies wird durch Art. 82 Abs. 2 Satz 2 GG bestätigt. Diese Bestimmung sieht eine Divergenz zwischen Verkündung und In-Kraft-Treten des Gesetzes gerade deshalb vor, damit der Vollzug schon vor In-Kraft-Treten zu einem Mindestmaß vorbereitet werden kann. Dadurch soll ein wirksamer Vollzug ab In-Kraft-Treten sichergestellt werden165. Im Unterschied dazu ist jedoch der außenwirksame Vollzug des Eingriffs oder der wesentlichen Regelungen der Phase nach In-Kraft-Treten des Gesetzes vorbehalten. Die Vorbereitung des künftigen Vollzugs und der Vollzug selbst sind voneinander zu trennen. Die Schwelle von der zulässigen Präparation zum unzulässigen antizipierten Vollzug des noch nicht in Kraft getretenen Gesetzes wird dort überschritten, wo durch faktisch verbindliche gesetzesvorbereitende Absprachen eingriffsträchtige oder wesentliche Steuerungswirkungen gegenüber den Vereinbarungspartnern oder Dritten schon vor In-Kraft-Treten des Umsetzungsgesetzes erzielt werden. b) Eingriff und Einverständnis Es bedarf jedoch näherer Untersuchung, ob bei gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen von Eingriffen in die Grundrechte der privaten Vereinbarungspartner ausgegangen werden kann. Erklärt sich ein Privater in einer gesetzesvorbereitenden Vereinbarung bereit, auf eigene, grundrechtlich geschützte Positionen bereits im Vorfeld des Gesetzgebungsverfahrens zu verzichten, so könnte es problematisch sein, diesen Selbstverzicht als einen Eingriff des Staates zu qualifizieren, der die noch nicht in Kraft getretene Ermächtigungsgrundlage unzulässigerweise antizipiert166, 167. 164

Vgl. BVerfGE 29, 221 (234). Vgl. BVerfGE 47, 85 (97); Guckelberger, Vorwirkung von Gesetzen, S. 197 f., 200 f., 208. 166 Vgl. BVerwGE 42, 331 (335): Das Bundesverwaltungsgericht ist der Auffassung, dass bei einem öffentlich-rechtlichen Vertrag wegen des Einverständnisses des Privaten kein Eingriff vorliege. 167 Dieses Problem stellt sich nur hinsichtlich der eigenen Grundrechte des Vereinbarungspartners, nicht jedoch in Bezug auf die Grundrechte Dritter. Kann dem Staat ein influnziertes Verhalten eines Privaten als influenzierte Staatsgewalt zugerechnet werden (siehe oben 2. Teil C.), so ist in Bezug auf die dadurch herbeigeführte Grundrechtsverkürzung bei einem Dritten von einem Eingriff des Staates auszugehen, der an den verfassungsrechtlichen Maßstäben für Grundrechtseingriffe zu 165

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

Im Hinblick auf den Atomausstieg taucht das Problem auf, ob das Stellen von Anträgen zur Errichtung dezentraler Zwischenlager und die Rücknahme des Antrags zu Mühlheim-Kärlich als Grundrechtseingriffe des Staates gewertet werden können, obwohl die Anträge mehr oder weniger freiwillig von den Unternehmen gestellt wurden168. Lägen hier trotz einvernehmlichem Handeln Grundrechtseingriffe vor, so würden die Antragsrücknahme bzw. Antragstellung das Umsetzungsgesetz unter Verstoß gegen den Vorbehalt des Gesetzes antizipieren, weil die Eingriffe bereits realisiert wurden, als das Umsetzungsgesetz noch nicht einmal in den Bundestag eingebracht war.

aa) Faktisches Einverständnis Zunächst ist auf die verfassungsrechtliche Relevanz eines ohne Rechtsbindungswillen erklärten Einverständnisses für das Vorliegen eines Eingriffs einzugehen. Die rechtlich unverbindliche Einwilligung kann eine berücksichtigungsfähige Tatsache sein, die zwar nicht aus sich heraus Rechtswirkungen entfaltet, an die das Recht aber anknüpfen kann. Anders als beispielsweise der Vertragsbegriff in Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG setzt der Eingriffsbegriff nicht einen aus sich heraus Rechtsbindungen erzeugenden Staatsakt voraus169. Die Eingriffsdogmatik kennt vielmehr auch die Möglichkeit des lediglich faktisch wirkenden Grundrechtseingriffs170. Der faktische Grundrechtseingriff knüpft nicht an die rechtlichen Wirkungen einer staatlichen Maßnahme, sondern an den faktischen Effekt als Grundrechtsverkürzung an. Dabei muss die faktische Grundrechtsbeinträchtigung eine Mindestintensität erreichen, damit sie als Eingriff qualifiziert werden kann171. Für diese faktische Mindestintensität der Grundrechtsverkürzung sind die tatsächlichen Umstände des Einzelfalles ausschlaggebend. Hierzu gehört auch, ob sich der Grundrechtsträger in der gesetzesvorbereitenden Vereinbarung damit einverstanden erklärt hat, dass seine Grundrechte bereits vor In-KraftTreten eines Umsetzungsgesetzes verkürzt werden. Die Beeinträchtigung des Grundsrechts ist als weniger gravierende einzustufen, wenn der Betroffene mit ihr einverstanden ist. Das faktische Einverständnis schwächt die messen ist. Vgl. hierzu auch: Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 238 f.; Faber, Gesellschaftliche Selbstregulierungssysteme, S. 288, 310, 317 f., 417 f. 168 Vgl. Müller-Dehn, in: Posser/Schmans/Müller-Dehn, AtG, § 9a Abs. 2 Rdnr. 269, der vom Vorliegen eines Eingriffs in Bezug auf die Errichtung der dezentralen Zwischenlager ausgeht. 169 Zum rechtsverbindlichen Vertrag als Voraussetzung für die Anwendung des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG: BVerfGE 104, 151 (206 ff.). 170 Siehe hierzu: beispielsweise: Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Vorb. vor Art. 1 Rdnr. 26 f. m. w. N.; Weber-Dürler, Der Grundrechtseingriff, S. 59 (66 ff.). 171 Vgl. BVerfG NJW 2003, 1787 (1793); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Vorb. vor Art. 1 Rdnr. 27.

B. Grundgesetzliche Anforderungen

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Eingriffsintensität ab. Unter Umständen wird dann die für einen Eingriff erforderliche Beeinträchtigungsintensität nicht erreicht. Das Einverständnis kann folglich auch dann, wenn es ohne Rechtsbindungswillen erklärt wurde, dazu führen, dass gar kein oder lediglich ein abgeschwächter Grundrechtseingriff vorliegt172. Die Antragstellung für die Zwischenlager und die Rücknahme des Antrags zu Mühlheim-Kärlich beeinträchtigen die freie Berufsausübung der Energieversorger nach Art. 12 Abs. 1 GG. Diese Grundrechtsbeeinträchtigungen könnten aber unterhalb der Eingriffsschwelle liegen, weil die Antragsteller mit der Grundrechtsverkürzung einverstanden waren und die Anträge selbst gestellt haben.

bb) Dispositionsbefugnis über Grundrechte Das in einer gesetzesvorbereitenden Vereinbarung erklärte Einverständnis schließt einen Grundrechtseingriff nur insoweit aus, als der konsentierende Grundrechtsträger in der konkreten Situation über den grundrechtlichen Schutz verfügen darf173. Die Dispositionsbefugnis über den Grundrechtsschutz richtet sich nach dem Schutzzweck der jeweils betroffenen Grundrechte. Grundrechte sind subjektiv öffentliche Rechte, die dem Schutz der persönlichen Freiheit des Grundrechtsträgers zu dienen bestimmt sind. Das Einverständnis eines Grundrechtsträgers mit einer Beschränkung seines Grundrechts durch den Staat kann gerade Ausdruck seiner grundrechtlich geschützten Freiheit sein174. Dies wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass die Verfügung über das eigene Eigentum, auch wenn sie zugunsten des Staates erfolgt, Bestandteil der Eigentumsfreiheit ist. Das Eigentumsrecht impliziert geradezu das Recht, das eigene Eigentum zu wessen Gunsten auch immer selbst zu beschränken. Deswegen kann die Dispositionsbefugnis des Einzelnen über seinen eigenen Freiheitsraum grundsätzlich bejaht werden175. Das Recht, auf das eigene Recht verzichten zu dürfen, ist integraler Bestandteil der subjektiven Freiheit des Grundrechtsträgers. 172 Zur Eingriffsproblematik bei Selbstbeschränkungsvereinbarungen: SchmidtPreuß, Flexible Instrumente, S. 309 (329 ff.). In der Literatur ist umstritten, ob das Einverständnis des Privaten schon beim Eingriff oder erst bei der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung eine Rolle spielen kann: siehe hierzu Stern, Staatsrecht Bd. 3/ 2, § 86 III 2 (S. 918 ff.) m. w. N. Von Auswirkungen des Einverständnisses auf die Eingriffsintensität gehen aus: Huber, Konsensvereinbarungen, S. 329 (340 f., 392); Posser, in: Posser/Schmans/Müller-Dehn, AtG, § 7 Abs. 1a–d Rdnr. 132. 173 Vgl. Huber, Konsensvereinbarungen, S. 329 (392). 174 Vgl. BVerfGE 65, 1 (42); Stern, Staatsrecht Bd. 3/2. § 86 I 5, (S. 901), § 86 II 4 (S. 907), § 86 IV 1 (S. 926); Faber, Gesellschaftliche Selbstregulierungssysteme, S. 306. 175 Vgl. Stern, Staatsrecht Bd. 3/2. § 86 I 4 (S. 892).

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

Daneben haben die Grundrechte jedoch auch eine objektiv-rechtliche Bedeutung als Werteordnung einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft176. Diese objektiv-rechtliche Dimension wird beispielsweise am Wahlrecht des Art. 38 GG deutlich. Allgemeine, unmittelbare, freie, gleiche und geheime Wahlen sind nicht nur im Interesse des einzelnen Bürgers geschützt. Vielmehr haben sie vor allem auch grundlegende Bedeutung für das gesamte Gemeinwesen. Sie sind konstitutiv für die Demokratie. Wegen dieses starken Sozialbezuges des Wahlrechts ist der einzelne, anders als bei seinem Eigentum, diesbezüglich nicht dispositionsbefugt. Würde jemand sein Wahlrecht übertragen wollen oder eine bestimmte Ausübung seines Wahlrechts bzw. eine Wahlenthaltung versprechen, so wäre eine solche Vereinbarung unzulässig. Die subjektive und die objektive Dimension des Grundrechts müssen im Hinblick auf das Einverständnis des Grundrechtsträgers mit einer Beschränkung seines Grundrechts beachtet werden. Während die subjektive Dimension die Freiheit des Einzelnen und damit auch seine Freiheit zur Einwilligung in den Grundrechtseingriff in den Mittelpunkt stellt, können sich aus der objektiv-rechtlichen Dimension Grenzen der grundrechtlichen Dispositionsfreiheit des Einzelnen ergeben. Somit lässt sich nicht ohne Einschränkung sagen, dass die Grundrechte immer auch die Freiheit schützen, in eine Beschränkung des eigenen Rechts einzuwilligen. Vielmehr muss nach der Ratio der einzelnen Grundrechte differenziert werden. Die Einwilligung in eine Grundrechtsbeschränkung kann der objektiv-rechtlichen Ratio eines Grundrechts zuwiderlaufen. Dies hat unter Umständen zur Folge, dass der Grundrechtsträger zum Grundrechtsverzicht nicht berechtigt ist. Seine Einwilligung ist dann für die Grundrechtsprüfung ohne Bedeutung. Es kommt darauf an, ob sich der Verzicht auf das Grundrecht im jeweiligen Bereich als Ausfluss grundrechtlicher Freiheit mit der objektiv-rechtlichen Ratio dieses Grundrechts vereinbaren lässt. Dabei sind die subjektive Freiheitsdimension mit der objektiven Wertentscheidung abzuwägen. Je größere Bedeutung der Grundrechtsausübung für die Allgemeinheit hat, desto eher kann davon ausgegangen werden, dass die objektiv-rechtliche Dimension des Grundrechts überwiegt und dass eine grundrechtsdisponierende Vereinbarung unzulässig ist. Je stärkere Sozialrelevanz der jeweiligen Grundrechtsausübung zukommt, desto geringeres Gewicht kommt dem in der Vereinbarung erklärten Einverständnis mit der eigenen Grundrechtsverkürzung zu177. 176 Vgl. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdnr. 297; Pietzcker, Der Staat Bd. 17 (1978), S. 527 (541 f.); Amelung, Einwilligung in die Beeinträchtigung eines Grundrechtsgutes, S. 21 ff. 177 Vgl. Stern, Staatsrecht Bd. 3/2, § 86 I 5 (S. 901), § 86 II 5 (S. 911), § 86 III 3 (S. 923 f.), § 86 IV 1 (S. 926).

B. Grundgesetzliche Anforderungen

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Beim Atomausstieg wurden Vereinbarungen getroffen, die die Berufs- und Eigentumsfreiheit der Betreiber betreffen. Diese Grundrechte schützen schwerpunktmäßig das einzelne Individuum und haben nur mittelbar Sozialrelevanz. Sie werden deshalb auch als „vertragsnahe Grundrechte“ bezeichnet, bezüglich derer die beteiligten Betreiber von Kernkraftwerken dispositionsbefugt sind178. Das führt dazu, dass dem von den Energieversorgungsunternehmen geäußerten Einverständnis im Rahmen der Eingriffsprüfung verfassungsrechtliche Relevanz zukommen kann. Vereinbart die Bundesregierung hingegen mit bestimmten Verbänden, für diese Verbände günstige Gesetze in das Gesetzgebungsverfahren einzubringen, wenn diese im Gegenzug darauf verzichten, bestimmte politische Versammlungen durchzuführen, so wären die Verbände hinsichtlich ihrer Versammlungsfreiheit nicht dispositionsbefugt. Wegen des starken Sozialbezugs politischer Veranstaltungen würde die objektive Grundrechtsdimension überwiegen, so dass die betroffenen Verbände nicht wirksam auf den grundrechtlichen Schutz der geplanten Versammlungen verzichten könnten. Das in der gesetzesvorbereitenden Vereinbarung erklärte Einverständnis mit der Verkürzung der eigenen Versammlungsfreiheit wäre unbeachtlich. Der Selbstverzicht der Verbände auf die Ausübung der Versammlungsfreiheit würde sich als influenzierter Grundrechtseingriff des Staates darstellen.

cc) Dispositionsfreiheit Von der Frage nach der Dispositionsbefugnis des Grundrechtsträgers ist das Problem der Freiwilligkeit der Grundrechtsdisposition zu unterscheiden. Die Selbstbeschränkung der eigenen grundrechtlichen Freiheit ist nur insoweit als eine Betätigung eben dieser grundrechtlich geschützten Freiheit anzusehen, als das Einverständnis freiwillig erklärt wurde179. Nur das freiwillig erklärte Einverständnis mit einer staatlich induzierten Freiheitsverkürzung kann deren Qualifikation als Eingriff ausschließen180. (1) Freiwilligkeit im subordinatorischen Kontext Die Bundesregierung verspricht in einer gesetzesvorbereitenden Vereinbarung, ihr Gesetzinitiativrecht in bestimmter Art und Weise auszuüben und beeinflusst damit die Entscheidungen der privaten Vereinbarungspartner in sehr starkem Maße. Dieser subordinatorische Zwangskontext ist entscheidend dafür, wie weit der Private bei den gesetzesvorbereitenden Verhandlungen Zugeständnisse macht, um durch „freiwillige“ Gegenleistungen eine 178 Zu den „vertragsnahen Grundrechten“: Faber, Gesellschaftliche Selbstregulierungssysteme, S. 307, 417 f. 179 Vgl. BVerfG NStZ 1981, 446 (447); Stern, Staatsrecht Bd. 3/2, § 86 I 5 (S. 901, 913 f.); siehe ferner: BVerfGE 103, 44 (71). 180 Vgl. Begründung des UGB-KomE, S. 506; Amelung, Die Einwilligung, S. 83, der die Freiwilligkeit als die „Kehrseite des Eingriffsbegriffs“ einstuft.

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

ungünstigere Gesetzgebung abzuwenden181. Der Zwangskontext relativiert die Freiwilligkeit des Einverständnisses mit der eigenen Grundrechtsverkürzung182. Wegen der einseitigen Regelungsmacht des Staates als Zwangsreserve kann bei gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen grundsätzlich nicht von Vereinbarungsparität zwischen Staat und Privaten ausgegangen werden183. Vielmehr steht der Private einem mit dem Gewaltmonopol ausgestatteten Staat gegenüber, der dann, wenn der Private sich verweigert, einseitige Regelungen treffen kann. Gerade diese ungleiche Verhandlungsmacht zwischen Staat und Privaten ist aber der Grund, warum der Private auch beim kooperativen Staatshandeln durch die Grundrechte vor dem Staat geschützt werden muss184. Deshalb darf das nur zum Teil freiwillige Einverständnis des Privaten nicht dazu führen, dass der Grundrechtsschutz völlig ausgeschaltet wird185. (2) Grundrechtsschutz bei schlichter Grundrechtsbeeinträchtigung Es muss allerdings beachtet werden, dass der grundrechtliche Schutz zu Gunsten des strukturell unterlegenen privaten Vereinbarungspartners nicht erst dann zur Anwendung kommen kann, wenn ein Eingriff vorliegt. Vielmehr reicht gerade im Bereich des informalen Staatshandelns auch schon eine Grundrechtsbeeinträchtigung unterhalb der Eingriffsschwelle aus186, damit das grundrechtliche Schutzmechanismus aktiviert wird187. Die Notwendigkeit einer parlamentsgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage beurteilt sich ebenfalls nicht allein danach, ob ein Grundrechtseingriff vorliegt. Bei Grundrechtsbeeinträchtigungen unterhalb der Eingriffsschwelle richtet sich die Frage, ob eine parlamentsgesetzliche Grundlage erforderlich ist, vielmehr nach der Wesentlichkeitstheorie188. 181 Zur Gemengelage von Zwangs- und Freiwilligkeitsmomenten bei gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen: siehe oben 1. Teil A. I. 3. c). 182 Vgl. Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip, S. 351; Langenfeld DÖV 2000, 929 (941); Helberg, Normabwendende Selbstverpflichtungen, S. 194 f. 183 Vgl. Huber, Konsensvereinbarungen, S. 329 (340 f.). 184 Zur Schutzwürdigkeit des privaten Kooperationspartners: vgl. auch Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 59 Rdnr. 126. 185 A. A. Faber, Gesellschaftliche Selbstregulierungsysteme, S. 309 f., 418, die jedoch die Gemengelage aus Zwangs- und Freiwilligkeitsmomenten zu wenig beachtet. 186 Zur Vorstellung einer Eingriffsschwelle beim faktischen Grundrechtseingriff, die erst mit einer Mindesteingriffsintensität erreicht wird: vgl. BVerfG NJW 2003, 1787 (1793); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Vorb. vor Art. 1 Rdnr. 27; Faber, Gesellschaftliche Selbstregulierungssysteme, S. 318; Brohm, DÖV 1992, 1025 (1032). 187 Vgl. BVerfGE 105, 279 (299 ff.).

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Der Eingriffsbegriff bleibt trotz Wesentlichkeitstheorie insoweit von Bedeutung, als eine parlamentsgesetzliche Grundlage in jedem Fall notwendig ist, wenn ein Eingriff vorliegt. Die Anwendung der Wesentlichkeitsformel führt hingegen zu einer umfassenden Abwägung der für und gegen eine parlamentsgesetzliche Normierung sprechenden Gesichtspunkte, wenn die Eingriffsschwelle nicht erreicht wird189. Das Erfordernis einer parlamentsgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage kann somit unter dem Wesentlichkeitsaspekt, losgelöst von der Eingriffsfrage, in einer Abwägung flexibel gehandhabt werden. Der grundrechtliche Schutzmechanismus kommt jedoch auch bei den schlichten Grundrechtsbeeinträchtigungen, die die Eingriffsschwelle noch nicht erreichen und die keine wesentlichen Regelungen enthalten, im Übermaßverbot zum Tragen190. Die Kategorie der schlichten Grundrechtsbeeinträchtigung, also der Grundrechtsbeeinträchtigungen unterhalb der Eingriffsschwelle, entkoppelt die Anwendung des Vorbehalts des Gesetzes und die Anwendung des Übermaßverbots. Das Übermaßverbot ist bei einer solchen schlichten Grundrechtsbeeinträchtigung somit auch dann heranzuziehen, wenn die Grundrechtsverkürzung weder Eingriffsqualität aufweist noch wesentlich ist, und es deshalb keiner parlamentsgesetzlichen Grundlage bedarf. Damit wird eine differenzierte Anwendung von Übermaßverbot einerseits und Vorbehalt des Gesetzes andererseits ermöglicht. (3) Kooperatives Staatshandeln als schlichte Grundrechtsbeeinträchtigung Die Kategorie einer vom Eingriff zu unterscheidenden schlichten Grundrechtsbeeinträchtigung ist besonders geeignet, die komplexe Realität des informell-kooperativen Staatshandelns einzufangen. Bei gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen wirkt der private Grundrechtsträger auf das „Wie“ der Ausübung von Staatsgewalt ein, während das „Ob“ nicht zu seiner Disposition steht191. Angesichts der Gemengelage von Zwangs- und Freiwilligkeitsmomenten kann es sachgerecht sein, bestimmte Vereinbarungsteile nicht als Grundrechtseingriff, sondern als schlichte Grundrechtsbeeinträchtigung zu qualifizieren. Beim kooperativen Staatshandeln kann das Einverständnis des privaten Vereinbarungspartners dazu führen, dass einzelne vereinbarte Grundrechtsverkürzungen in ihrer Intensität unter die Eingriffsschwelle absinken und nur noch als schlichte Grundrechtsbeeinträchtigun188 Vgl. BVerfGE 105, 279 (303 f.); Odiges, WiR 1973, 1 (25 f.); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rdnr. 46 ff.; Bethge, Der Grundrechteingriff, S. 7 (31 ff.). 189 Siehe unten 4. Teil B. I. 3. c). 190 Vgl. BVerfGE 105, 279 (303 f., 308 f.); BVerfG NJW 2002, 3458 (3459). 191 Siehe oben 1. Teil A. I. 3. c).

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

gen gewertet werden können. In der Einordnung von Vereinbarungsteilen als schlichte Grundrechtsbeeinträchtigung kommt dann zum Ausdruck, dass die Situation des privaten Kooperationspartners, die sich in ihrer Gesamtheit als Zwangslage darstellt, von punktuellen Freiwilligkeitselementen in Bezug auf den konkreten Inhalt der Vereinbarung durchwirkt wird192. Die Einordnung des informell-kooperativen Staatshandelns als schlichte Grundrechtsbeeinträchtigung im Gegensatz zur Einordnung als Eingriff hat zur Folge, dass die Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage nach der Wesentlichkeitstheorie zu beurteilen ist. Das führt im Gegensatz zum strikten Junktim von Eingriff und Vorbehalt des Gesetzes zu einem flexiblen Prüfungsansatz, in den vor allem Überlegungen einer funktionsgerechten Aufgabenverteilung der Staatsorgane bezogen auf den jeweiligen Regelungsbereich einzubeziehen sind193. Demgegenüber gilt das Übermaßverbot unabhängig vom Erfordernis einer parlamentsgesetzlichen Grundlage auch bei schlichten Grundrechtsbeeinträchtigungen. Die umfassende Anwendung des Übermaßverbots entspricht der ungleichen Verhandlungsmacht zwischen Staat und Grundrechtsträger bei gesetzesvorbereitenden Verhandlungen194. (4) Eingriff bei funktionaler Äquivalenz Von dem Grundsatz, dass informell-kooperatives Staathandeln nur zu schlichten Grundrechtsbeeinträchtigungen führt, ist jedoch dann eine Ausnahme zu machen, wenn sich das informell-kooperative Staatshandeln wie rechtverbindliches, imperatives Staathandeln auswirkt. In einem solchen Fall der funktionalen Äquivalenz ist von einem Eingriff mit der Folge auszugehen, dass in jedem Fall eine parlamentsgesetzliche Grundlage zu dem Zeitpunkt erforderlich ist, zu dem der Eingriff wirksam wird195. Ansonsten könnte der Vorbehalt des Gesetzes durch informelles Staatshandeln umgangen werden. Funktionale Äquivalenz setzt jedoch voraus, dass im Einzelfall der Nachweis erbracht werden kann, dass der Grundrechtsträger nur scheinbar freiwillig gehandelt hat, während er in Wirklichkeit vom Staat so gesteuert worden ist, wie wenn dieser ihn rechtlich gezwungen hätte. Liegt wegen funktionaler Äquivalenz ein Eingriff in Grundrechte des privaten Vereinbarungspartners vor, bedarf es dafür einer wirksamen parlamentsge192

Vgl. BVerfG, 1 BvR 380/92 vom 24.6.1998, Absatz-Nr. 11. Siehe unten 4. Teil B. I. 3. c). 194 Zur Entkoppelung von Vorbehalt des Gesetzes und Übermaßverbot im Zusammenhang mit konsentierten Grundrechtsverkürzungen: Stern, Staatsrecht Bd. 3/2, § 86 II 5 (S. 909 ff.), § 86 III 1 (S. 917), § 86 III 2 (S. 918 ff.). 195 Zum Kriterium der funktionalen Äquivalenz in Zusammenhang mit dem Eingriffsbegriff: BVerfGE 105, 279 (303); 105, 252 (273). 193

B. Grundgesetzliche Anforderungen

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setzlichen Ermächtigungsgrundlage. Dagegen wird verstoßen, wenn die eingreifende Vereinbarung bereits vor In-Kraft-Treten des Umsetzungsgesetzes mit Außenwirkung gegenüber den privaten Vereinbarungspartnern ins Werk gesetzt wird. (5) Atomausstieg Beim Atomausstieg hat der Betreiber den Antrag für Mühlheim-Kärlich nur deswegen zurückgenommen, weil ihm als Ausgleich eine entsprechende Stromgutschrift im Atomgesetz versprochen worden ist. Dazu gab es für einen vernünftigen Unternehmer im Entscheidungskontext der Ausstiegsverhandlungen keine Alternative. Weitere gerichtliche Auseinandersetzungen mit dem Bund hätten für den Betreiber erhebliche Rechtsunsicherheit gebracht. Bei einer Konfrontation hätte der Betreiber mit einem verschärften Atomausstiegsgesetz, steuerrechtlichen Nachteilen und Problemen bei der Entsorgung rechnen müssen. Die Vereinbarung entwickelte sehr intensive faktische Bindungen196. Von Freiwilligkeit der Antragsrücknahme kann hier nur in einem rein theoretisch-abstrakten Sinne die Rede sein197. Deshalb stellt die vom Staat influenzierte Rücknahme des Antrages zum Kernkraftwerk Mühlheim-Kärlich ein funktionales Äquivalent zu einer hoheitliche Beendigung des anhängigen Verwaltungsverfahrens dar. Die Rücknahme des Antrags ist als vom Staat influenzierter Grundrechtseingriff rechtsgleicher Intensität zu werten198. Folglich bedurfte es einer parlamentsgesetzlichen Grundlage bereits zu dem Zeitpunkt, in dem der Eingriff Wirkungen entfaltete. Zwar wurde die Vereinbarung vom 14. Juni 2000 im Hinblick auf das Kernkraftwerk Mühlheim-Kärlich insoweit später gesetzlich umgesetzt, als die kompensierende Strommenge für die endgültige Stilllegung dieses Kraftwerks in die Atomgesetznovelle aufgenommen wurde (siehe § 7 Abs. 1 d AtG n. F.). Zum Zeitpunkt der wirksamen Rücknahme des Antrags zu Mühlheim-Kärlich lag indessen keinerlei gesetzliche Umsetzung der Vereinbarung vor. Mangels wirksamer gesetzlicher Umsetzung der Vereinbarungen zum Kernkraftwerk Mühlheim-Kärlich fehlte zum maßgeblichen Zeitpunkt die für einen Eingriff erforderliche gesetzliche Grundlage. Anders stellt sich hingegen die Situation hinsichtlich der Antragstellung zu den dezentralen Zwischenlagern dar. Die Anträge wurden bereits in einem sehr frühen Stadium der Verhandlungen gestellt, als sich die faktischen Bindungen noch nicht so stark verdichtet hatten. Dies sollte nach Aussage der Unternehmen deren Konsensbereitschaft gegenüber der Bundesregierung signalisieren199. Darin kann ein deutliches Freiwilligkeitsmoment gesehen werden. Andererseits wurden die Anträge 196

Siehe oben 4. Teil B. I. 1. g) cc) (1). Siehe oben 2. Teil C. 198 Zur Grundrechtsfähigkeit des Betreibers von Mühlheim-Kärlich trotz Beteiligung der öffentlichen Hand: Huber, Entsorgung als Staatsaufgabe, S. 149 (160 f., 180) m. w. N. Zum Problem der Grundrechtsfähigkeit von gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen: siehe auch Di Fabio, Die Verfassung als Maßstab und Grenze, S. 126 ff.; Kühne, Diskussionsbeitrag, Atomrechtstag 2000, S. 179. 199 Dpa 4058 (26.11.98); dpa 0691 (14.3.00). 197

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

von den Betreibern auch deshalb gestellt, weil die Genehmigung von neuen Transporten suspendiert war und ein Entsorgungsnotstand drohte200. Insoweit wurde auch erheblicher Druck auf die Betreiber ausgeübt. Das festgestellte Freiwilligkeitselement führt jedoch dazu, dass die Schwelle des Eingriffs nicht mehr erreicht wird201. In der Änderung der Entsorgungskonzeption liegt lediglich eine schlichte Grundrechtsbeeinträchtigung der Betreiber. Die Frage, ob für die Änderung der Entsorgungskonzeption ein Parlamentsgesetz im Zeitpunkt der außenwirksamen Umstellung des Entsorgungskonzepts erforderlich war, beurteilt sich deshalb nach der Wesentlichkeitstheorie.

dd) Ergebnis Nach dem Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes muss die parlamentsgesetzliche Grundlage zu dem Zeitpunkt in Kraft getreten sein, zu dem sich der Eingriff grundrechtsverkürzend auswirkt. Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen können jedoch bereits, bevor eine gesetzliche Grundlage in Form eines Umsetzungsgesetzes in Kraft getreten ist, bestimmte Steuerungswirkungen influenzieren. Sind die influenzierten Steuerungseffekte als Eingriff zu qualifizieren, so verstößt die Antizipation der gesetzlichen Umsetzung gegen den Vorbehalt des Gesetzes. Das in einer gesetzesvorbereitenden Vereinbarung erklärte faktische Einverständnis des privaten Kooperationspartners mit der eigenen Grundrechtsverkürzung kann dazu führen, dass kein Grundrechtseingriff vorliegt, sofern der Private über sein Grundrecht disponieren darf und sein Einverständnis freiwillig erklärt hat. Für gesetzesvorbereitende Vereinbarungen ist eine Gemengelage aus Zwang und Freiwilligkeit des privaten Verhandlungspartners typisch, so dass die Intensität der Grundrechtsverkürzung regelmäßig nicht mehr die Schwelle des Eingriffs erreicht. Die Vereinbarung ist nur insoweit als Eingriff zu qualifizieren, als funktionale Äquivalenz zum imperativen Staatshandeln festgestellt werden kann. Die Einstufung gesetzesvorbereitender Vereinbarungen als schlichte Grundrechtsbeeinträchtigung unterhalb der Eingriffsschwelle führt dazu, dass das Erfordernis einer parlamentgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bezogen auf den jeweiligen Regelungsbereich flexibel nach den Kriterien der Wesentlichkeitstheorie zu beurteilen ist. Die Qualifizierung von gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen als schlichte Grundrechtsbeeinträchtigungen entspricht deren Charakter als „Grenzgänger zwischen Freiheit und 200

Siehe oben 1. Teil A. I. 1. Vgl. Müller-Dehn, in: Posser/Schmans/Müller-Dehn, AtG, § 9a Abs. 2 Rdnr. 272, nach dessen Auffassung die frühzeitige Antragstellung durch die Betreiber ebenfalls die Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung absenkt, wobei MüllerDehn dennoch von einem Grundrechtseingriff ausgeht. 201

B. Grundgesetzliche Anforderungen

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Zwang“202. Das freiheitsschützende Übermaßverbot ist jedoch in jedem Fall auch dann anzuwenden, wenn die Eingriffsschwelle nicht erreicht wird. Damit wird dem subordinatorischen Kontext und der fehlenden Vereinbarungsparität zwischen Staat und Privaten bei gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen Rechnung getragen. c) Antizipation wesentlicher Regelungen Die Notwendigkeit einer parlamentsgesetzlichen Grundlage entscheidet sich bei schlichten Grundrechtsbeeinträchtigungen nach der Wesentlichkeitstheorie. Diese besagt, dass staatliches Handeln in grundlegenden Bereichen einer parlamentsgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bedarf. Dabei ist die Frage nach der Wesentlichkeit von Vereinbarungsteilen nach objektiven Kriterien zu beantworten, die vom Einverständnis des privaten Vereinbarungspartners weitgehend unabhängig sind203. Nach der Wesentlichkeitstheorie muss die parlamentsgesetzliche Grundlage bereits zu dem Zeitpunkt wirksam sein, zu dem die Staatstätigkeit, die sich wesentlich auswirkt, tatsächlich erfolgt. Die zielgerichtete Antizipation wesentlicher Wirkungen des künftigen Gesetzes ist unzulässig204. Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen können demnach in Kollision mit der Wesentlichkeitstheorie geraten, wenn wesentliche Regelungen der Vereinbarung schon vor In-Kraft-Treten des Umsetzungsgesetzes mit Außenwirkung gegenüber den Privaten vollzogen werden. Somit hat die Wesentlichkeitstheorie für gesetzesvorbereitende Vereinbarungen nicht nur die Bedeutung, dass sie angibt, inwieweit die Vereinbarung einer parlamentsgesetzlichen Umsetzung bedarf205. Vielmehr stellt sie auch eine Grenzlinie für die influenzierende Antizipation des Umsetzungsgesetzes dar. aa) Wesentlichkeitstheorie als Diskursformel Die Wesentlichkeitsformel des Bundesverfassungsgerichts sieht sich wegen ihrer Unbestimmtheit immer wieder der Kritik ausgesetzt206. Indessen ist es den Kritikern nicht gelungen, eine Ersatzformel zu liefern, die in prä202 Vgl. in Bezug auf Selbstverpflichtungen der Wirtschaft: Di Fabio, JZ 1997, 969 ff. 203 Vgl. Brohm, DÖV 1992, 1025 (1033); Langenfeld, DÖV 2000, 929 (939). 204 Siehe oben 4. Teil B. I. 3. a). 205 Zur Wesentlichkeitstheorie als Grund für die parlamentsgesetzliche Umsetzung einer Vereinbarung: siehe oben 1. Teil A. I. 3. d) bb). 206 Herzog, Strukturmängel, S. 60 f.; zu dieser Kritik siehe beispielsweise auch Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 62 Rdnr. 44 m. w. N.

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

ziserer Weise die Kompetenzbereiche von Parlament und Exekutive abzugrenzen vermag. Die Wesentlichkeitstheorie soll indessen gar keine präzise handhabbare Rechtsregel darstellen207. Vielmehr ist ihr Gehalt in der Art eines Rechtsprinzips nach den Gegebenheiten des jeweiligen Regelungsbereichs zu konkretisieren208. Ihr kommt die Aufgabe zu, einen Diskurs darüber zu stimulieren, was das Parlament selbst zur regeln hat209. Dieser Diskurs ist in erster Linie vom Parlament selbst zu führen210. Die Wesentlichkeitstheorie erweist sich somit als Darlegungslast für den Gesetzgeber211. Deshalb muss im Gesetzgebungsverfahren aufscheinen, dass der Gesetzgeber sich den Regelungsumfang und die Regelungsdichte des Gesetzes überlegt hat212. Ist dies geschehen, so kommt der Wesentlichkeitsentscheidung durch den Gesetzgeber selbst eine Einschätzungsprärogative zu, die zu einer beschränkten Überprüfbarkeit durch das Bundesverfassungsgericht führen kann213. Bei gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen ist vor allem von Bedeutung, dass die wesentlichen Regelungen des späteren Umsetzungsgesetzes erst mit dessen In-Kraft-Treten vollzogen werden dürfen. bb) Konturen der Wesentlichkeit Die Wesentlichkeitstheorie wird praktisch besser handhabbar, wenn der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts einige Konturen und Kriterien entnommen werden, nach denen die Wesentlichkeit des staatlichen Handelns bezogen auf den jeweiligen Regelungsbereich beurteilt werden kann214. 207 Vgl. Lerche, Gewaltenteilung, S. 75 (84), der in der Unschärfe der Wesentlichkeitstheorie gerade einen Vorteil sieht. 208 Vgl. BVerfGE 98, 218 (251 f.). 209 Vgl. Brohm, DÖV 1992, 1025 (1032), der auf den topischen Charakter der Wesentlichkeitstheorie hinweist. 210 Vgl. Badura, Diskussionsbeitrag, Staatsrechtslehrertagung 1982, S. 106; Lerche, Gewaltenteilung, S. 75 (83 f.). 211 Vgl. BVerfGE 47, 46 (80); 41, 29 (50). 212 Vgl. Herzog, NJW 1999, 25 (26): „Es wird hier nie eine eindeutige Differenzierungslinie geben, der Gesetzgeber wird sich hier also immer wieder aufs neue entscheiden müssen. Aber es ist unerlässlich, dass er sich der Notwendigkeit dieser Entscheidung bewusst ist.“ 213 Der parlamentarische Diskurs darüber, mit welcher Regelungsdichte eine gesetzliche Regelung sinnvoll ist, wird auch dann angestoßen, wenn lediglich eine Generalklausel Gegenstand der parlamentarischen Beratungen wird. Dies wird in BVerfGE 105, 279 (304 ff.) zu wenig gesehen. 214 Dabei wird im Nachfolgenden vor allem auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Rechtschreibreform (BVerfGE 98, 218 ff.) Bezug genommen. Konkrete Konturen zur Beurteilung der Wesentlichkeit nennen beispielsweise auch: VerfGH NW, DVBl. 1999, 714 (715); Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd.

B. Grundgesetzliche Anforderungen

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(1) Intensität der Verfassungsrelevanz Das Bundesverfassungsgericht geht umso eher von der Wesentlichkeit einer staatlichen Entscheidung aus, je bedeutender diese für die Verwirklichung der Grundrechte im jeweiligen Bereich ist215. Dabei kann sowohl die abwehrrechtliche als auch die Dimension der Grundrechte als Schutzpflichten relevant werden. Wird die Grundrechtsausübung nur sektoral betroffen, so ist eine diesbezügliche staatliche Entscheidung weniger grundlegend, als wenn die gesamte Grundrechtsausübung im einschlägigen Bereich vom Handeln des Staates in starkem Maße abhängt216. Das kann dahingehend verallgemeinert werden, dass eine gesetzliche Grundlage dann umso wichtiger ist, je intensiver Verfassungswerte und Verfassungsprinzipien durch die geplante staatliche Maßnahme betroffen werden. Die besondere Verfassungsrelevanz kann sich nicht nur aus Grundrechten, sondern auch aus Staatszielen oder Staatsstrukturprinzipien ergeben. Werden derartige Prinzipien in besonderer Weise durch Maßnahmen des Staates beeinflusst, so kann eine parlamentsgesetzliche Grundlage ebenso wie bei besonders intensiver Grundrechtsbeinträchtigung erforderlich werden217. (2) Diskursrelevanz (Organadäquanz) Neben der Grundrechts- und Verfassungsrelevanz ist auch der Gesichtspunkt der funktionsgerechten Aufgabenwahrnehmung durch die Staatsorgane für die Frage nach der Wesentlichkeit von Bedeutung. Das Parlament zeichnet sich gegenüber der Exekutive durch eine breite Repräsentanz unterschiedlichster politischer Richtungen und durch eine öffentliche Verhandlung der Beratungsgegenstände aus218. Das diskursive parlamentarische Verfahren hat die Funktion, Entscheidungen zu treffen, bei denen eine Vielzahl von Interessen involviert sind und bei denen es kein richtig oder falsch, sondern nur eine vertretbare Abwägung unterschiedlichster Interessen geben kann. Mit dem diskursiven Verfahren soll die notwendige AkzepIII, § 62 Rdnr. 37, 47; Eichenberger, Gesetzgebung im Rechtsstaat, S. 7 (27); Helberg, Normabwendende Selbstverpflichtungen, S. 207 ff. 215 Vgl. auch BVerfG NJW 2003, 3111 (3116). 216 Das Bundesverfassungsgericht hat der Rechtschreibreform unter impliziter Anwendung dieser Kriterien geringere Grundrechtsrelevanz beigemessen, weil die Kommunikation unter den Menschen durch die Rechtschreibreform zwar modifiziert werde, aber trotzdem ohne erhebliche Erschwernisse möglich bleibt (BVerfGE 98, 218 (253 f.)). 217 Vgl. VerfGH NW, DVBl. 1999, 714 (717). 218 Vgl. auch BVerfG NJW, 3111 (3116); Lerche, Gewaltenteilung, S. 75 (83).

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

tanz gesetzlicher Regelungen auch bei denjenigen verbessert werden, die den Gesetzesinhalt nicht für richtig halten219. Je stärker der politische Charakter einer Entscheidung ausgeprägt ist und je weniger es sich um Fragen handelt, die vorwiegend auf Grund von Fachwissen zu entscheiden sind, desto eher ist das Gesetzgebungsverfahren wegen seines diskursiven Charakters zur Auswahl unter mehreren sachlich vertretbaren Regelungsalternativen geeignet. Umgekehrt ist in Fällen, in denen vor allem Fachfragen im Vordergrund stehen, eine parlamentsgesetzliche Grundlage weniger notwendig220. Somit spielt die Frage, welches Organ die Aufgabe nach seiner Besetzung, Organisation und Arbeitsweise adäquat bewältigen kann, für die Frage nach der Wesentlichkeit eine wichtige Rolle. (3) Kontinuität und Flexibilität (Verfahrensadäquanz) In die Beurteilung der Wesentlichkeit fließt auch ein, inwieweit das formalisierte parlamentarische Procedere das geeignete Regelungsverfahren darstellt. Die Regelung durch parlamentarisches Gesetz zeichnet sich in der Regel durch eine höhere Beständigkeit gegenüber den exekutivischen Rechtsetzungsverfahren aus. Dies liegt daran, dass Parlamentsgesetze in Gegensatz zu Akten der Exekutive im formalisierten Gesetzgebungsverfahren der Art. 76 ff. GG erörtert und verabschiedet werden müssen. Durch den im Vergleich zu Exekutivakten oftmals erhöhten Änderungsaufwand wird eine schnelle Änderung von Gesetzen gehemmt. Das Parlamentsgesetz ist deshalb insbesondere dort die funktionsgerechte Handlungsform, wo Rechtssicherheit und Kontinuität im Vordergrund stehen müssen221. Auf Gebieten, die einem steten Wandel unterliegen, kann indessen eine rasche Anpassung der staatlichen Aktivitäten notwendig werden. In diesen sich schnell ändernden Bereichen ist es dem Gesetzgeber nach der Wesentlichkeitstheorie gestattet, der Exekutive einen größeren Spielraum zu überlassen222. Die Frage, wie wesentlich eine Entscheidung ist, hängt somit auch von dem sachbereichsspezifischen Bedürfnis nach Flexibilität oder Kontinuität ab223. Je mehr rechtliche Kontinuität erforderlich ist, desto we219 Vgl. Löffler, Parlamentsvorbehalt, S. 139 ff.; Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 59 Rdnr. 49. 220 Vgl. BVerfGE 98, 218 (251 f., 256): Das Bundesverfassungsgericht hielt eine parlamentsgesetzliche Grundlage für nicht erforderlich, weil es sich bei der Rechtschreibreform primär um Fachfragen und weniger um politischen Interessenausgleich handelte. 221 Vgl. Lerche, Gewaltenteilung, S. 75 (83). 222 Vgl. BVerfGE 49, 89 (133); 105, 279 (304 f.).

B. Grundgesetzliche Anforderungen

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sentlicher ist die Entscheidung, so dass dann eher ein Parlamentsgesetz erforderlich ist224. Umgekehrt ist in Bereichen, die einem ständigen Wandel unterliegen und eine flexible staatliche Reaktion erfordern, das parlamentarische Verfahren weniger geeignet, um die notwendige Anpassungsgeschwindigkeit des regulierenden Systems zu erreichen225. (4) Typisierung und Einzelfallgerechtigkeit (Formadäquanz) Eine parlamentsgesetzliche Grundlage kann nur dann gefordert werden, wenn der zu regelnde Sachbereich einer Normierung in einem Parlamentsgesetz zugänglich ist226. Primäre Aufgabe des Gesetzgebers ist es, abstraktgenerelle Regelungen zu beschließen, während die Exekutive für den Vollzug im Einzelfall zuständig ist227. Liegt eine besonders vielgestaltige Regelungsmaterie vor, die sich nicht sachgerecht in abstrakt-generelle Regelungen fassen lässt, so kann dieser Mangel an Typisierbarkeit dafür sprechen, dass auf eine gesetzliche Grundlage verzichtet werden kann. Je weniger sich ein zu regulierender Bereich durch allgemeine Tatbestandsmerkmale sachgerecht normieren lässt, weil die Anwendungsfälle zu unterschiedlich sind, desto eher kann von einer parlamentsgesetzliche Grundlagen abgesehen werden228. Das Gesetz ist für die maßgeschneiderte Regelung von Einzelfällen nicht die adäquate Handlungsform229. Es dient vielmehr der typisierenden Gleichbehandlung im Wesentlichen gleicher Sachverhaltskonstellationen230. 223

Vgl. Löffler, Parlamentsvorbehalt, S. 30 ff., 61 f. Vgl. Kloepfer JZ 1984, 685 (694). 225 BVerfGE 105, 279 (304 f.): Das Bundesverfassungsgericht erachtet im Bereich der Informationstätigkeit und bei Warnungen des Staates eine hohe Flexibilität für notwendig. Die schnelle Veränderlichkeit der Lebenssachverhalte, auf die sich Warnungen beziehen können, führt dazu, dass eine diesbezügliche parlamentsgesetzliche Regelung nicht als sinnvoll angesehen wird. 226 BVerfGE 105, 279 (303 f.). 227 BVerfGE 95, 1 (15 ff.). 228 BVerfGE 105, 279 (303 ff.): Das Bundesverfassungsgericht hielt eine einfachgesetzliche Grundlage für staatliche Warnungen für nicht erforderlich, weil die in Betracht kommenden Konstellationen staatlicher Informationstätigkeit zu vielgestaltig seien, als dass sie einer präzisen parlamentsgesetzlichen Regelung zugänglich seien. Wäre lediglich eine generalklauselartige parlamentsgesetzliche Grundlage möglich, so könne auf diese eher verzichtet werden, weil von einer Generalklausel kaum Zuwachs an Berechenbarkeit des staatlichen Handelns zu erwarten sei. Kritisch zur Behauptung, dass staatliche Informationstätigkeit nicht parlamentsgesetzlich normierbar sei: Huber, JZ 2003, 290 (294 f.). 229 Vgl. BVerfG NJW 2003, 3111 (3121) – abw. M. Zur lediglich ausnahmsweisen Zulässigkeit von Einzelfallgesetzen: siehe oben 3. Teil C. 230 Vgl. BVerfG NJW 2003, 3111 (3116). 224

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

(5) Intensität der gesellschaftlichen Umgestaltung Der Neuregelung eines Bereichs kommt eine umso größere Bedeutung zu, je mehr sie die bisherigen Verhältnisse umgestaltet. Schreibt eine neue Regelung dagegen eine bereits bestehende Tradition oder Praxis im Wesentlichen nur fest oder fort, so ist die Intensität der Regelung, gemessen an ihrem Umgestaltungscharakter, gering einzustufen. Je weniger Umgestaltungsintensität eine Regelung hat, umso eher ist die parlamentsgesetzliche Ermächtigungsgrundlage entbehrlich. Je deutlicher hingegen die bisherigen gesellschaftlichen Verhältnisse durch eine Regelung verändert werden sollen, desto eher ist eine Richtungsentscheidung durch das Parlament erforderlich. Soll eine gravierende politische Umsteuerung eingeleitet werden, ist das Parlamentsgesetz besser geeignet, die für die erheblichen Veränderungen unabdingbare gesellschaftliche Akzeptanz herzustellen231. (6) Atomausstieg Den Fragen einer geordneten Entsorgung von atomaren Abfällen aus Kernkraftwerken kommt in Hinblick auf die staatlichen Schutzpflichten für Leib und Leben der Bürger (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) und für den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen (Art. 20 a GG) besondere Bedeutung zu232. Die Bestandteile der Vereinbarung vom 14. Juni 2000, die die Entsorgung betreffen, haben für die Grundrechte aller Bürger und die für natürlichen Lebensgrundlagen erhebliche Relevanz. Die Entsorgungskonzeption hinsichtlich einer Menge von ca. 100.000 Kubikmetern vorhandenen und einer in Zukunft noch hinzukommenden Menge radioaktiven Abfalls sollte neu geregelt werden233. Der Konzeptwechsel betrifft zudem die Betreiber von Kernkraftwerken in besonderem Ausmaß. Die Zwischenlager verursachen für die Betreiber Errichtungskosten von ca. 50 Mio. DM pro Einrichtung234. Dadurch werden die Grundrechte der Betreiber aus Art. 12 Abs. 1 GG deutlich beeinträchtigt235. Somit hat der Wechsel der Entsorgungskonzeption wegen seiner starken Bedeutung für die staatlichen Schutzpflichten, die natürlichen Lebensgrundlagen und die Betreibergrundrechte ein hohes Maß an Verfassungsrelevanz. 231 BVerfGE 98, 218 (253): Das Bundesverfassungsgericht hat der Tatsache, dass sich die Rechtschreibreform zum Teil nicht an historisch gewachsene Schreibformen orientiert und sogar gewissen Sprachtraditionen zuwiderläuft, als Argument für die Notwendigkeit eines Parlamentsgesetzes gewürdigt, auch wenn es im Ergebnis wegen der anderen Gesichtspunkte keine parlamentsgesetzliche Grundlage für erforderlich gehalten hat. Zum Zusammenhang von Traditionsbruch und Wesentlichkeit: vgl. auch VerfGH NW, DVBl. 1999, 714 (718). 232 BVerfGE 77, 381 (403). 233 Renneberg, Perspektiven der Entsorgung, S. 145 (147). 234 Begründung der Gesetzesvorlage, BT-Drs. 14/7261, 14/6890, S. 17. 235 Huber, Entsorgung als Staatsaufgabe, S. 149 (161 f.), geht wegen der starken Belastung der Betreiber sogar von einem Eingriff aus.

B. Grundgesetzliche Anforderungen

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Die Vereinbarung vom 14. Juni 2000 stellt zudem eine gravierende Änderung einer seit Jahrzehnten praktizierten Entsorgungskonzeption dar. Während das bisherige Konzept die zentrale Zwischenlagerung vorgesehen hat, stellt die Vereinbarung die Entsorgung auf dezentrale Zwischenlagerung um. Mit der neuen Entsorgungskonzeption sollen 70 % der genehmigten radioaktiven Abfälle umgelenkt werden236. Die hohe Umgestaltungsintensität spricht für ein Parlamentsgesetz237. Die Frage, ob die Zwischenlagerung atomarer Abfälle zentral oder dezentral erfolgen soll, betrifft die gesamte Gesellschaft. Sie wirft vielfältige Akzeptanzprobleme potenziell betroffener Bürger auf238. Das Parlament ist wegen der Vielfalt repräsentierter politischer Strömungen und wegen seiner öffentlichen Verhandlungen das adäquate Organ, um Akzeptanz bei den Bürgern zu schaffen. Auch wenn die Details eines Entsorgungsstandorts im Schwerpunkt von fachlichen Fragen abhängen, so ist die Grundsatzfrage der zentralen oder dezentralen Verteilung der Entsorgungslasten eine politische Richtungsentscheidung, die einer parlamentarischen Grundlage bedarf. Die bisherigen Regelungen der Entsorgung im Atomgesetz zeigen, dass die Grundzüge der Entsorgung einer Regelung in abstrakt-generellen Regelungen zugänglich ist. Für die Grundsatzfragen der Entsorgung ist auch keine schnelle Änderbarkeit notwendig. Wegen der langwierigen Planungsprozesse für die Entsorgung radioaktiver Abfälle und der vorgesehenen Zwischenlagerung für mehrere Jahre ist vielmehr eine sehr langfristige und kontinuierliche Entsorgungsstrategie erforderlich, die den Beteiligten Planungssicherheit gibt. Das Bedürfnis nach Kontinuität spricht deshalb ebenfalls für eine gesetzliche Regelung. Somit sprachen die Verfassungsrelevanz sowie die Organ-, Form- und Verfahrensadäquanz als auch die hohe Umsteuerungsintensität dafür, den Wechsel von der zentralen zur dezentralen Zwischenlagerung als wesentliche Frage parlamentsgesetzlich zu regeln. Dieser Einschätzung sind sowohl Bundesregierung als auch Bundestag zwar insoweit gefolgt, als sie im Umsetzungsgesetz in § 9 Abs. 2 Satz 3 AtG n. F. eine Verpflichtung der Betreiber zur Errichtung standortnaher Zwischenlager normiert haben239. Diese Vorschrift ist jedoch erst am 27.4.2002 in Kraft getreten, während die Realisierung des Konzeptwechsels bereits während den gesetzesvorbereitenden Verhandlungen ins Werk gesetzt worden war. Die Anträge für die dezentralen Zwischenlager waren bereits vor In-Kraft-Treten der Atomgesetznovelle gestellt worden. Die öffentlichen Anhörungen für die neuen dezentralen Zwischenlager hatten bereits stattgefunden. Die Planung hatte bereits erhebliche Ressourcen in Anspruch genommen. Ein Teil der Interimslager war bereits 236

Renneberg, Das Gesetz zur Beendigung, S. 27 (37). Vgl. Trittin, Der Ausstieg, S. 17 (18), der von einem fundamentalen Wechsel bei der Atomenergienutzung spricht. Huber, Entsorgung als Staatsaufgabe, S. 149 (153) spricht von einem „grundlegenden Umbruch im Entsorgungskondominium von Staat und Betreibern“. 238 In den Verwaltungsverfahren zur Umstellung der Entsorgungskonzeption wurden rund 250.000 Einwendungen erhoben. 1.700 Einwender nahmen an den Erörterungsterminen teil (Thomauske, Verfahren, S. 75 (83)). 239 Vgl. Renneberg, Perspektiven der Entsorgung, S. 145 (148). 237

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

genehmigt worden240. Somit sind wesentliche Wirkungen des Konzeptwechsels bereits vor In-Kraft-Treten der Ermächtigungsgrundlage außenwirksam erfolgt. Das überschreitet die Grenzen einer bereits vor In-Kraft-Treten des Gesetzes zulässigen Vorbereitung des künftigen Vollzugs241. Es liegt deshalb ein Verstoß gegen die Wesentlichkeitstheorie wegen Antizipation des Umsetzungsgesetzes vor.

cc) Ergebnis Mit den genannten Kriterien der Verfassungs- und Diskursrelevanz sowie der Verfahrens- und Formadäquanz und der Umgestaltungsintensität kann die Beurteilung der Frage, ob eine grundlegende Entscheidung i. S. d. Wesentlichkeitstheorie vorliegt, strukturiert werden. Dabei kommt dem Parlament eine Einschätzungsprärogative zu. Die Beurteilung der Wesentlichkeit ist vom Einverständnis des privaten Vereinbarungspartners unabhängig. Sie ist primär die Aufgabe des Parlaments. Die Wesentlichkeitstheorie gibt dem parlamentarischen Diskurs Direktiven, inwieweit gesetzesvorbereitende Vereinbarungen gesetzlich umgesetzt werden müssen. Erachtet die Bundesregierung eine Regelung in der gesetzesvorbereitenden Vereinbarung als so wesentlich, dass sie diese in einem Umsetzungsgesetz normieren möchte, so darf sie die wesentlichen außenrelevanten Wirkungen dieser Regelungen erst mit In-Kraft-Treten des Gesetzes herbeiführen. Ein das künftige Umsetzungsgesetz antizipierender Vollzug beeinträchtigt die Entscheidungsfreiheit der Gesetzgebungsorgane und entwertet das Gesetzgebungsverfahren. Der Vorbehalt des Gesetzes bedeutet, dass das Gesetz vor dessen Vollzug in Kraft getreten sein muss242. Dies hindert die Bundesregierung allerdings nicht daran, den Vollzug des künftigen Umsetzungsgesetzes rein intern bereits vorzubereiten, bevor das Umsetzungsgesetz in Kraft getreten ist. 4. Koppelungsverbot Neben dem Demokratieprinzip und dem Vorbehalt des Gesetzes können sich verfassungsrechtliche Anforderungen für gesetzesvorbereitende Vereinbarungen auch aus dem Koppelungsverbot als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips ergeben. In gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen dienen bestimmte Teile der Vereinbarung als Gegenleistung für andere Teile. Zu unterscheiden sind Fälle, bei denen sich der Staat seine Verfassungsbindung belohnen lässt, von den Fällen, in denen der Staat die Ausübung seiner 240

Siehe oben 1. Teil A. I. 1. Zur Zulässigkeit einer vorgezogenen Vorbereitung des künftigen Vollzugs: siehe oben 4. Teil B. I. 3. a). 242 Vgl. BVerfGE 101, 158 (218). 241

B. Grundgesetzliche Anforderungen

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politischen Gestaltungsfreiheit von einem bestimmten Verhalten des Privaten abhängig macht. Problematisch ist auch, wenn in einer Vereinbarung Gesetzesvorbereitung und anhängiger Vollzug miteinander verknüpft werden. a) Verfassungsbindung als Belohnung Das Rechtsstaatsprinzip setzt dem Austausch von Leistung und Gegenleistung im Rahmen gesetzesvorbereitender Kompensationsbeziehungen verfassungsrechtliche Grenzen. Der Gesetzgeber ist nach Art. 1 Abs. 3 GG und Art. 20 Abs. 3 GG verpflichtet, die Rechtsnormen des Grundgesetzes einzuhalten. Aus dem Rechtsstaatsprinzip ergibt sich der Grundsatz, dass sich der Staat dafür, dass er sich an Gesetz und Recht hält, nicht eine Gegenleistung erbringen lassen darf243. Dies gilt unabhängig davon, ob die Gegenleistung rechtlich oder lediglich faktisch verbindlich versprochen wird. Dieses Koppelungsverbot ist im Verwaltungsrecht in § 56 Abs. 2 VwVfG kodifiziert. Es gilt jedoch kraft seiner verfassungsrechtlichen Fundierung im Rechtsstaatsprinzip auch für die Gesetzgebung244. Der einzelne Grundrechtsträger hat einen Anspruch darauf, dass der Gesetzgeber seine Grundrechte auch ohne Versprechen einer Gegenleistung achtet245. In der Vereinbarung vom 14. Juni 2000 sagt die Bundesregierung den Energieversorgungsunternehmen zu, dass ein „ungestörter“ Betrieb der bestehenden Kraftwerke im Rahmen der Gesetze gewährleistet werde. Damit verspricht die Bundesregierung nichts anderes, als dass sie sich an das jeweils geltende Atomgesetz halten wird. Die Zusage der Bundesregierung, sich an Gesetz und Recht zu halten, wäre für sich genommen verfassungsrechtlich nicht bedenklich. Die amtliche Veröffentlichung der Vereinbarung charakterisiert diese Zusage allerdings als die Gegenleistung innerhalb eines Austauschgeschäftes: „Im Gegenzug gewährleistet die Bundesregierung für die verbleibende Nutzungsdauer – unter Beibehaltung eines hohen Sicherheitsniveaus und unter Einhaltung der atomrechtlichen Anforderungen – den ungestörten Betrieb der Kernkraftwerke wie auch deren Entsorgung“246. Hier drängt sich der Gedanke auf, dass sich die Bundesregierung das Unterlassen rechtswidriger Störungen des Betriebs bestehender Anlagen und die Einhaltung des Gesetzes für das Unterlassen einer Klage gegen das Umsetzungsgesetz hat abkaufen lassen247. 243

Vgl. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 59 Rdnr. 164. Zur verfassungsrechtlichen Verankerung von § 56 VwVfG im Rechtsstaatsprinzip: vgl. Faber, Gesellschaftliche Selbstregulierungssysteme, S. 328. Zur Anwendung des Koppelungsverbots auf Gentlemen’s Agreements: siehe Kippes, Bargaining, S. 68 f. 245 Bereits oben 2. Teil B. II. 2 c) wurde darauf hingewiesen, dass der Grundrechtsschutz gegenüber dem Kooperationsunwilligen genauso gilt wie gegenüber den kooperationsbereiten Grundrechtsträgern. 246 Bundesministerium für Umwelt, Umwelt Nr. 7–8/2000, Sonderteil, S. II, (Hervorhebung vom Verfasser). 247 Vgl. Hirche, BT-Sten. Prot. 14/111, S. 10433. 244

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

Dies verstößt gegen das rechtsstaatliche Koppelungsverbot, weil die Bindung des Staates an Gesetz und Recht ohne Gegenleistung gewährleistet sein muss248. In diesem Zusammenhang wurde vertreten, dass sich die Bundesregierung mit der Garantie des ungestörten Betriebes lediglich bereit erklärt habe, innerhalb einer Bandbreite von gesetzlich zulässigen Vollzugsmöglichkeiten eine für die Betreiber großzügigere Auslegung zu wählen249. Darin könnte dann kein Verstoß gegen das Koppelungsverbot zu sehen sein. Dieses Verständnis der Vereinbarung ist jedoch mit dem Wortlaut „ungestörter“ Betrieb von Kraftwerken schwer zu vereinbaren. Bei einer Störung handelt es sich nach dem juristischen Sprachverständnis um eine Verletzung der Rechtsordnung, so dass das Versprechen, eine Störung zu unterlassen, nichts anderes ist als das Versprechen, sich an die Rechtsordnung zu halten250. Dieses Versprechen fungierte als Gegenleistung für das Versprechen der Unternehmen, keine Rechtsbehelfe gegen das Umsetzungsgesetz geltend zu machen. Zu überlegen wäre allerdings, ob man das Versprechen des ungestörten Vollzugs im Lichte einer verfassungskonformen Auslegung so verstehen könnte, dass damit eine Zusage über die Handhabung von gesetzlichen Spielräumen getätigt werden sollte. Durch eine solche Auslegung wäre ein Verstoß gegen das rechtsstaatliche Koppelungsverbot möglicherweise zu vermeiden. Die Annahme von politischen Gestaltungsspielräumen innerhalb des AtG, deren Handhabung durch die Vereinbarung gesteuert werden könnten, ist jedoch wegen des gegenüber den anderen Zwecken des AtG vorrangigen Schutzzwecks des § 1 Nr. 2 AtG einerseits und dem Übermaßverbot andererseits zweifelhaft. Schutzzweck und Übermaßverbot stellen die maßgeblichen Determinanten für den Vollzug des AtG dar, so dass für politische Spielräume kaum Raum bleibt251. Zudem muss auch beachtet werden, dass eine verfassungskonforme Auslegung der Vereinbarung im Lichte des Koppelungsverbots nur insoweit Sinn macht, als sich die Vereinbarung legitimerweise auf die Rechtsanwendung auswirken darf. Das wäre nur dann der Fall, wenn die Vereinbarung ein legitimes Mittel der Auslegung der Atomgesetznovelle wäre252. Dies muss jedoch abgelehnt werden. Auf das Legitimationsdefizit von gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen wurde bereits hingewiesen253. Diese Legitimationsdefizite würden noch ohne Not verstärkt, wenn man für die historische Auslegung neben dem parlamentarischen Verfahren auch die gesetzesvorbereitenden Verhandlungen und Vereinbarungen heranziehen würde. Für eine authentische Auslegung des gesetzgeberischen Willens ist nur das relevant, was im parlamentarischen Verfahren eine Rolle gespielt hat. Somit besteht keinerlei Veranlassung, die Vereinbarung für die Auslegung des Gesetzes heranzuziehen und diese 248

Vgl. Degenhart, Bundes- und länderfreundliches Verhalten, S. 369 (376). Schmidt-Preuß, A.-Drs. 14/626 Teil 5** (Umweltausschuss), S. 10 (19); vgl. auch Schmans, in: Posser/Schmans/Müller-Dehn, AtG, § 1 Rdnr. 18, § 19 a Rdnr. 343. 250 Vgl. Degenhart, Bundes- und länderfreundliches Verhalten, S. 369 (376); Michael, Rechtsetzende Gewalt, S. 113. 251 Vgl. Renneberg, Umwelt 1999, 545 (548); Sendler, Überlegungen, S. 185 (190). 252 Dies bejaht Hermes, A.-Drs. 14/626 Teil 5** (Umweltausschuss), S. 3 (8). 253 Siehe oben 4. Teil B. I. 1. e). 249

B. Grundgesetzliche Anforderungen

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dabei entgegen ihrem Wortlaut so auszulegen, dass sie nicht gegen das Koppelungsverbot verstoßen würde. Die Vereinbarung enthält hinsichtlich der Koppelung von ordnungsgemäßem Vollzug und Unterlassen einer Klage gegen das Umsetzungsgesetz einen Verfassungsverstoß. In der Vereinbarung vom 14. Juni 2000 verspricht die Bundesregierung zudem, auf eine willkürliche, diskriminierende Besteuerung nuklearer Brennstoffe zu verzichten. Diskriminierende Steuern verstoßen jedoch auch ohne ein solches Versprechen gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Wenn die Bundesregierung somit verspricht, auf Diskriminierung zu verzichten, so verspricht sie wiederum nichts anderes, als dass sie sich an die Verfassung halten wird254. Dabei scheint die Bundesregierung die eigene Bindung an die Verfassung zur Manövriermasse in den Verhandlungen gemacht zu haben. Die Bindung an die Verfassung wird als Zugeständnis und Wohltat für die Energieversorgungsunternehmen verkauft. Dies sollte die Unternehmen dann zum Unterlassen von Rechtsbehelfen gegen das Umsetzungsgesetz veranlassen. Diese Vorgehensweise ist mit dem Koppelungsverbot ebenfalls nicht vereinbar. Die Bundesregierung hat darüber hinaus die Erteilung von Genehmigungen für Transporte abgebrannter Brennelemente als Gegenleistung an die Energieversorgungsunternehmen für die von diesen akzeptierte Begrenzung der Laufzeiten angesehen. In der Begründung der Gesetzesvorlage heißt es: „Bei der Würdigung der Interessenlage der Betreiber ist auch darauf abzustellen, dass neben der Festlegung der Reststrommengen in der Vereinbarung vom 14. Juni 2000 für die Betreiber weitere wichtige Fragen geregelt wurden. Dies gilt für die Durchführung der Transporte ebenso wie für . . . zahlreiche andere Punkte. . . . Daraus folgt, dass es sich bei dieser Vereinbarung um ein ausgewogenes, die Interessen der Betreiber umfassend berücksichtigendes „Gesamtpaket“ handelt.“255 Diese Sätze lassen erkennen, dass die Transporte als Verhandlungsmasse bei den Verhandlungen um die Restlaufzeiten dienten256. Nach § 4 Abs. 2 AtG sind jedoch die Transportgenehmigungen gebundene Entscheidungen. Die Erteilung der Transportgenehmigungen durfte deshalb keinesfalls von der Zustimmung der Betreiber zu einer gesetzesvorbereitenden Vereinbarung abhängig gemacht werden. Auch darin ist ein Verstoß gegen das Koppelungsverbot zu sehen257.

254 Bundesumweltminister Trittin wies in einem Schreiben an die Mitglieder der eigenen Partei vom 15.6.2000 ausdrücklich darauf hin, dass die Einführung einer Brennelementesteuer für den Brennstoff Uran keine Diskriminierung wäre. Deshalb sei in der Vereinbarung nicht versprochen worden, überhaupt keine Initiative für die Einführung einer solchen Steuer zu ergreifen. Vielmehr würde nur auf eine diskriminierende Besteuerung verzichtet. A. A. Bundeswirtschaftsminister Müller, Interview, Die Zeit, 29.6.2000, S. 19. 255 Begründung der Gesetzesvorlage, BT-Drs. 14/7261, 14/6890, S. 16. 256 Vgl. Michael, Rechtsetzende Gewalt, S. 110, 114, 122 f. 257 Vgl. Sendler, Diskussionsbeitrag, Atomrechtstag 2000, S. 141.

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

b) Kompensation und politische Gestaltungsfreiheit In Betracht kommt aber auch, dass sich die Bundesregierung eine Gegenleistung dafür versprechen lässt, dass sie ihre politische Gestaltungsfreiheit bei der Ausübung ihres Gesetzesinitiativrechts in bestimmter Weise nutzen wird. In diesem Zusammenhang kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich der Staat die Einhaltung der Verfassung belohnen lassen will. Vielmehr dient die Vereinbarung insoweit als Abwägungsgesichtpunkt bei der politischen Entscheidung über die Ausübung des Initiativrechts. Dann stellt sich jedoch die Frage, ob bei einer solchen politischen Gestaltungsvereinbarung Leistung und Gegenleistung beliebig kombiniert werden dürfen. Wegen des Willkürverbots kann es nicht in das Belieben des Staates gestellt sein, Leistung und Gegenleistung miteinander zu kombinieren. Vielmehr müssen Leistung und Gegenleistung sachlich miteinander zusammenhängen258. Für einen solchen sachlichen Zusammenhang genügt allerdings schon eine wirtschaftliche Konnexität. Das Willkürverbot setzt der politischen Gestaltungsfreiheit nur äußerste Grenzen. Demnach können in gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen wirtschaftliche Belastungen der Vereinbarungspartner auf der einen Seite mit wirtschaftlicher Entlastung in anderen Bereichen kompensiert werden, auch wenn die vereinbarten Regelungen selbst keinen unmittelbaren sachlichen Zusammenhang haben. Der sachliche Zusammenhang muss sich lediglich auf die finanziellen Folgen der Regelungen beziehen259. Durch diese eher großzügige Handhabung des Koppelungsverbots wird die politische Gestaltungsfähigkeit und Kreationsenergie der Regierungsgewalt als „Macht kombinierten Ermessens“ erhalten260. Der Staat kann beispielsweise versprechen, dass er eine Erhöhung der Kostenbelastung der Wirtschaft im Bereich der Sozialabgaben durch niedrigere Unternehmenssteuern ausgleicht. Hier besteht zwischen beiden Bereichen ein wirtschaftlicher Zusammenhang, so dass keine unzulässige Koppelung vorliegt. Anders wäre es jedoch, wenn die Steuern sowieso aus verfassungsrechtlichen Gründen gesenkt werden müssten. Dann darf sich der Staat die Zustimmung der Verbände nicht dadurch erkaufen, dass er die verfassungsrechtlich gebotene Steuersenkung als Gegenleistung im Rahmen einer gesetzesvorbereitenden Vereinbarung deklariert. Ansonsten würde ein Verstoß gegen das Koppelungsverbot vorliegen261. 258 Vgl. Schulze-Fielitz, Der politische Kompromiß, S. 312; zur Verwurzelung des Koppelungsverbots im Willkürverbot: vgl. Faber, Gesellschaftliche Selbstregulierungssysteme, S. 316. 259 Demgegenüber restriktiver bei der Anwendung des Koppelungsverbots: Faber, Gesellschaftliche Selbstregulierungssysteme, S. 316. Für eine eher großzügige Anwendung des Koppelungsverbots plädiert hingegen BVerwG NJW 1980, 1294 ff. 260 Zur Regierung als „Macht kombinierten Ermessens“: Leisner, JZ 1978, 727 (729); Schröder, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 67 Rdnr. 9.

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Die Abgrenzung von unzulässiger Entlohnung des Staates dafür, dass er sich an die Verfassung hält, und unter Umständen zulässiger Gegenleistung dafür, dass die Bundesregierung ihre politische Gestaltungsfreiheit in bestimmter Weise ausübt, kann jedoch im Einzelfall schwierig durchzuführen sein. Verspricht die Bundesregierung in verfassungsrechtlichen Zweifelsfällen in einer gesetzesvorbereitenden Vereinbarung eine Gegenleistung, so bewegt sie sich auf einem schmalen Grad zwischen zulässiger politischer Gestaltung und unzulässiger Entlohnung der eigenen Verfassungsbindung. c) Entkoppelung von Gesetzgebung und anhängigem Vollzug Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen streben eine umfassende Konfliktbewältigung an. Deshalb werden in ihnen sowohl Fragen der künftigen Gesetzgebung als auch Fragen des anhängigen Vollzugs gemeinsam geregelt, wobei Austausch- und Kompensationsbeziehungen zwischen Gesetzgebung und Vollzug entstehen. Dabei werden bestimmte Vereinbarungsteile bereits vor der gesetzlichen Umsetzung vollzogen werden, um eigene Vereinbarungstreue zu beweisen und die faktische Bindung durch Vertrauensbetätigung und Vertrauensbestätigung zu stabilisieren262. Hier stellt sich die Frage, ob eine Koppelung von Gesetzesvorbereitung und anhängigem Vollzug gestattet ist. Im Unterschied zum oben im 3. Teil behandelten Funktionsübergriff des Gesetzgebers in den Bereich der Exekutive geht es hier nicht um Einzelfallregelungen im Umsetzungsgesetz. Vielmehr kommt es darauf an, ob der anhängige Vollzug bereits vor der gesetzlichen Umsetzung im Sinne des künftigen Gesetzes umgesteuert werden darf. Eine solche Voranwendung künftiger Gesetze im anhängigen Vollzug kann nicht nur, wie oben bereits erörtert, gegen den Vorbehalt des Gesetzes263, sondern auch gegen den Vorrang des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG) verstoßen. Die Vereinbarung vom 14. Juni 2000 betraf in Bezug auf die Kernkraftwerke Biblis A und Mühlheim-Kärlich bestimmte Verwaltungsverfahren, die zum Zeitpunkt der Paraphierung/Unterzeichnung noch anhängig waren. Diese anhängigen Verfahren sollten einer bestimmten Regelung im Sinne des Atomausstiegs zugeführt werden. Hier ist zu problematisieren, inwieweit es zulässig war, diese Verfahren schon vor In-Kraft-Treten des Umsetzungsgesetzes im Sinne der neuen Ausstiegspolitik umzusteuern264. 261 Weitere Beispiele für sachwidrig gekoppelte Gesetzespakete finden sich bei Schulze-Fielitz, Parlament als Organ der Kontrolle, S. 90 f. 262 Zum Vertrauensvorschuss und zur Vertrauensbestätigung als Stabilisierungsmomente der faktischen Bindung: siehe oben 1. Teil A. I. 3. b) cc) (4). 263 Siehe oben 4. Teil B. I. 3.

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgebungsprozess zum Ausstieg aus der Kernenergie eine gewisse Vorwirkung auf den damals anhängigen Vollzug beigemessen. Im Bund-Länder-Streit um das Kernkraftwerk Biblis A geht das Gericht davon aus, dass die Vereinbarung vom 14. Juni 2000 jedenfalls deshalb keine unzulässige Beeinträchtigung der Wahrnehmungskompetenz des Landes Hessen darstellte, weil die Verhandlungen mit den Energieversorgern über die Atomgesetznovelle den anhängigen Vollzug des damals geltenden Atomgesetzes „überlagert“ haben sollen265. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts durfte das künftige Atomgesetz wegen Überlagerung des gegenwärtig geltenden Rechts bei der Beurteilung des anhängigen Vollzug bereits eine Rolle spielen, obwohl das Gesetzgebungsverfahren zur Änderung des Atomgesetzes noch nicht einmal begonnen hatte266. Das muss kritisch hinterfragt werden.

Nach Kloepfer wird die Bindung an das bestehende Gesetz durch die Vorbereitung eines künftigen Gesetzes „überlagert“, wenn die Verabschiedung eines solchen Gesetzes in hohem Maße wahrscheinlich ist267. Die faktisch bindende, gesetzesvorbereitende Vereinbarung erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die vereinbarte gesetzliche Regelung später Gesetz werden wird. Dann bestünde für die Exekutive unter Umständen eine Loyalitätspflicht, das in hohem Maße wahrscheinliche künftige Gesetz bereits im anhängigen Vollzug zu antizipieren268. Die Antizipation des künftigen Gesetzes hätte den verfahrensökonomischen Vorteil, dass die behördlichen Entscheidungen bei späterem In-Kraft-Treten des neuen Gesetzes nicht abgeändert werden müssten269. Das künftige Gesetz kann nach dieser Auffassung in bestimmten Fällen als „zeitgerechtere“ Regelung gegenüber dem „geltungslabilen“ Altrecht den Vorrang genießen270, 271. 264 Zu den Genehmigungsverfahren um die Kernkraftwerke Mühlheim-Kärlich und Biblis A: siehe oben 1. Teil A. I. 1. 265 BVerfGE 104, 249 ff. 266 Zahlreiche weitere Beispiele und Nachweise für eine Vorwirkung künftiger Gesetze finden sich bei: Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 168 ff.; Guckelberger, Vorwirkung von Gesetzen, S. 163, 168 f., 193 f. 267 Diese Überlagerung soll nach Kloepfer allerdings erst mit Beginn des parlamentarischen Verfahrens und bei zu erwartender Rückwirkung des späteren Gesetzes eintreten (Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 117 f., 127). Im Zusammenhang mit gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen, die wegen ihrer hochgradigen faktischen Bindung eine Verabschiedung des Umsetzungsgesetzes sehr wahrscheinlich machen, könnte jedoch in Fortentwicklung der Konzeption von Kloepfer eine Überlagerung auch schon vor Beginn der formalisierten Gesetzgebungsverfahren anzunehmen sein. 268 Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 116, 123: „Die Loyalität gegenüber dem künftigen Gesetz verdrängt hier die Loyalität gegenüber dem alten Gesetz.“ 269 Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 59; Guckelberger, Vorwirkung von Gesetzen, S. 70 m. w. N. 270 Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 117; vgl. auch: Häberle, ZfP 1974, 111 (131).

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Dabei wird jedoch verkannt, dass das künftige Gesetz seine die Bindung der Verwaltung begründende und die Derogation des Altrechts rechtfertigende Dignität erst erhält, wenn das formalisierte Gesetzgebungsverfahren der Art. 76 ff. GG vollständig beendet ist. Das muss auch dann beachtet werden, wenn wegen einer faktisch verbindlichen, gesetzesvorbereitenden Vereinbarung mit einer bestimmten gesetzlichen Regelung sicher gerechnet werden kann. Das Gesetz i. S. d. Art. 20 Abs. 3 GG ist von der bloßen Gesetzesvorlage i. S. d. Art. 76 Abs. 1 GG zu unterscheiden272. Unter Gesetz im Sinne des Art. 20 Abs. 3 GG sind nur die bereits in Kraft getretenen Gesetze und nicht irgendwelche gewünschten oder geplanten Gesetze zu verstehen273. Im Gegensatz zum Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG stellt der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung des Art. 20 Abs. 3 GG kein abwägungsfähiges Rechtsprinzip dar. Vielmehr ist die Bindung an das bestehende Recht auch dann noch strikt zu beachten, wenn bereits ein Änderungsgesetz vorbereitet wird274. Ermessensspielräume sind aus der Systematik und der Teleologie des bestehenden Rechts zu konkretisieren und dürfen grundsätzlich nicht mit politischen Erwägungen zu einer gewünschten Neuregelung befrachtet werden275. Nur dort, wo der Gesetzgeber der Verwaltung im Lichte einer funktionsgerechten Verteilung der Staatsaufgaben einen politischen Gestaltungsspielraum eröffnet, ohne dabei die Anforderungen der Wesentlichkeitstheorie zu verletzen276, dürfen politische De-lege-ferenda-Überlegungen in den Vollzug einfließen277. Selbst dort ist aber eine eigenverantwortliche politi271 Zu beachten ist, dass Kloepfer erst nach Zustandekommen des Gesetzes von einer Pflicht zur Voranwendung des noch nicht in Kraft getretenen Gesetzes ausgeht. Vor dem Zustandekommen stehe die Voranwendung hingegen im Ermessen der Verwaltung (Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 117 f.). 272 Vgl. Guckelberger, Vorwirkung von Gesetzen, S. 74. 273 Vgl. Roellecke, Diskussionsbeitrag, Staatsrechtslehrertagung 1982, S. 108. 274 Die Verwaltung muss auch diejenigen Gesetze anwenden, die dem Zeitgeist zuwiderlaufen. Die Vorstellung einer mit zunehmendem Verfahrensfortschritt in einem anhängigen Gesetzgebungsverfahren sukzessive anwachsenden Legitimation der bloßen Gesetzesvorlage, die zu einer immer stärker werdenden Verdrängung des Altrechts führen könnte (vgl. Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 187), ist deshalb abzulehnen. 275 Zur strikten Anbindung der Ermessenausübung an den Gesetzeszweck: BVerfGE 18, 353 (363); 38, 348 (369); Papier, Untersuchungen, S. 111 (132); Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 40 Rdnr. 55. Selbstverständlich wird menschliches Handeln immer auch in gewisser Weise von persönlichen Wertvorstellungen beeinflusst. Das Postulat der Freiheit von politischen Erwägungen und die Orientierung am Gesetzeszweck wirken aber auf möglichst sachliche Entscheidungen hin. 276 Zur Wesentlichkeitstheorie: siehe oben 4. Teil B. I. 3. c). 277 Zur Problematik der hier anklingenden normativen Ermächtigungslehre: Schuppert, Das Gesetz, S. 105 (139 ff.) m. w. N.

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

sche Gestaltungsentscheidung der Exekutive erforderlich, die eigenständig begründet sein muss und sich nicht mit einem Verweis auf das künftige Gesetz begnügen darf. Eine Politisierung des anhängigen Vollzugs außerhalb gesetzlich eröffneter Gestaltungsräume führt hingegen zu Ermessensfehlern (§ 40 VwVfG). Das nachvollziehende Vollzugsermessen darf nicht zum gestaltenden Planungsermessen umfunktioniert werden278, 279, 280. Dementsprechend ist auch der Verwaltungsvergleich i. S. d. § 55 VwVfG grundsätzlich kein Instrument politischer Gestaltung. Vielmehr muss der Vergleich auf der Grundlage des bereits geltenden Rechts abgeschlossen werden. Vergleiche zu anhängigen Verwaltungsverfahren dürfen nicht in den Sog gesetzesvorbereitender Verhandlungen hineingezogen werden und dort als Manövriermasse im Rahmen eines Austauschgeschäftes fungieren. Die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verbietet auch eine Verzögerung von Entscheidungen im anhängigen Vollzug, sofern diese Verzögerung 278 Zur Unterscheidung zwischen nachvollziehendem Vollzugsermessen und politisch-gestaltendem Planungsermessen: vgl. Hoppe, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 71 Rdnr. 121.; Berendt, Die Bedeutung von Zweck- und Zielbestimmungen, S. 50. Das Vollzugsermessen gewichtet die geltende ratio legis in Bezug auf den Einzelfall, während das politische Gestaltungsermessen neue Aspekte einfließen lässt, die zur bisherigen ratio legis noch keinen Bezug haben müssen. Auch wenn in der Praxis beide Arten von Ermessen gelegentlich miteinander verschwimmen, so ist die dogmatische Trennung notwendig, um den Vollzug von informeller Politisierung soweit wie möglich freizuhalten. Die dogmatische Trennung der unterschiedlichen Ermessenstypen hat die Funktion einer regulativen Idee, um einen möglichst hohen Grad von Objektivität der Vollzugsverwaltung zu erreichen. Das Vollzugsermessen hält den Beamten zu größtmöglicher Distanz und politischer Neutralität an, während das Gestaltungsermessen im Gegensatz dazu einen eigenverantwortlichen politischen Gestaltungswillen fordert. An einer eigenverantwortlichen politischen Entscheidung der Gestaltungsverwaltung fehlt es, wenn die eigene Entscheidung lediglich mit noch nicht in Kraft getretenen Normen begründet wird, ohne dass die Sachgerechtigkeit der vorgezogenen Anwendung begründet wird. Nichts einzuwenden ist hingegen, wenn der Gesetzentwurf bereits wie ein Sachverständigengutachten benutzt wird (vgl. Guckelberger, Vorwirkung von Gesetzen, S. 186). 279 Die Einschätzungsprärogative der Verwaltung im Atomrecht (BVerwGE 72, 301 (316 f.); BVerwGE 106, 115 (121 f.)) führt nicht dazu, dass die Verwaltung einen politischen Gestaltungsspielraum hätte. Vielmehr kommt es auf willkürfreie Ermittlungen und eine ausreichende und nachvollziehbar ausgewertete Datenbasis an (OVG Schleswig-Holstein, RdE 2000, 146 (148)). 280 A. A. Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 204: „Die Vorberücksichtigung künftigen Rechts stellt als solche nie einen Ermessenfehler dar.“ Im Gegensatz zur Voranwendung als Rechtsfortbildung sei die Vorberücksichtigung Rechtsauslegung und Rechtsanwendung (Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 161 ff.). Bei der Vorberücksichtigung sei das künftige Recht nur eine Orientierungsmittel (neben anderen), nicht aber ein selbst Rechte und Pflichten begründender Rechtssatz (S. 167). Kloepfer differenziert aber nicht danach, ob die Vorberücksichtigung im Rahmen eines Vollzugs- oder eines Gestaltungsermessens erfolgt. Deswegen kann seiner Konzeption nicht zugestimmt werden.

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dazu dienen soll, zu späterer Zeit das neue Recht anzuwenden281. Daraus ergibt sich, dass die Anwendung eines bestehenden Gesetzes grundsätzlich nur durch ein gewordenes neues Gesetz und nicht durch ein lediglich potenziell werdendes Gesetz politisch beeinflusst werden darf. Das Gesetz ist insoweit der Ausschließlichkeit beanspruchende grundgesetzliche Transmissionsriemen zwischen Politik und gesetzesvollziehender Verwaltung282, 283. Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen dürfen nicht dazu dienen, den anhängigen Vollzug contra legem latam zu politisieren. Vielmehr sind anhängiger Vollzug und Gesetzesvorbereitung auch dann getrennt zu halten, wenn über das künftige Gesetz Verhandlungen mit den am Vollzug Beteiligten geführt werden284. Die geforderte Entkoppelung von Gesetzesvorbereitung und anhängigem Vollzug schützt letztlich das Parlament. Würden bereits die Vereinbarungen zwischen Staat und Privaten den Vollzug bestehender Gesetze beeinflussen dürfen, so würde dadurch die im bereits geltenden Gesetz zum Ausdruck kommende Entscheidung des Bundestages untergraben und einer künftigen parlamentarischen Entscheidung über eine Gesetzesänderung vorgegriffen. Die Annahme einer Loyalitätspflicht gegenüber dem künftigen Gesetz verkennt, dass damit die Loyalität gegenüber dem bestehenden Recht entgegen Art. 20 Abs. 3 GG missachtet wird. Loyalität gegenüber dem Parlament verlangt, dass der parlamentarische Entscheidungsprozess abgewartet wird, bevor der Vollzug des bestehenden Rechts im Sinne eines neuen Gesetzes verändert wird. In Anlage 2 der Vereinbarung vom 14. Juni 2000 wurde der Verfahrensfortschritt im anhängigen Genehmigungsverfahren zum Kernkraftwerk Biblis A davon abhängig gemacht, dass der Betreiber sich bereit erklärt, auf eine Übertragung von Reststrommengen auf dieses Kraftwerk zu verzichten. Zudem wurden am 11. Juli 2000 zwischen Bundesumweltministerium und dem Betreiber dieses Kraftwerks „Nachrüstpakete“ für Biblis A ausgehandelt. Die Nachrüstungen sollten die begrenzte Laufzeit bereits berücksichtigen285. 281

Vgl. Guckelberger, Vorwirkung von Gesetzen, S. 131; Kopp, Verfassungsrecht und Verwaltungsrecht, S. 69 f.; Herzog, in: Maunz/Dürig, GG Bd. III, Art. 20 VI Rdnr. 41. 282 Zum Gesetz als politischem Gestaltungsintrument: Papier, Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte, S. 93. 283 Anders sieht es im Bereich der Planungsverwaltung aus. Dort ist die Gesetzesakzessorietät gelockert, so dass politische Gestaltungserwägungen einfließen dürfen. 284 Dies führt zu einer Gewaltenteilung innerhalb der gesetzesvorbereitenden und den Vollzug beaufsichtigenden Exekutive: siehe hierzu Reicherzer, DVBl. 2002, 557 (559). Zu den Problemen einer Trennung von Politik und Vollzug: Böhm, Diskussionsbeitrag, 11. Atomrechtssymposium, S. 75; Hermes, Verwaltungskompetenzen, S. 347 (364, 366); Groth, Die Unabhängigkeit, S. 105 ff., dessen Vorschläge jedoch in Hinblick auf das Demokratieprinzip bedenklich sind.

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

Das künftige Ausstiegsgesetz beeinflusste folglich schon vor In-Kraft-Treten der gesetzlichen Laufzeitbegrenzung den anhängigen Vollzug. Diese Antizipation des Atomausstieges im Vollzug verstößt gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung286. Sie beschädigt die Rechte des Parlaments, weil das Gesetzgebungsverfahren nicht abgewartet wurde. Bis zur wirksamen Streichung des Förderzwecks in § 1 Nr. 1 AtG a. F. und bis zur Laufzeitbegrenzung mit In-Kraft-Treten des neuen AtG musste von unbefristeten Genehmigungen ausgegangen werden (§ 17 Abs. 1 Satz 3 AtG). Die Laufzeitbegrenzung durfte deshalb vor In-Kraft-Treten der Atomgesetznovelle auf das anhängige Verfahren keinerlei Einfluss haben. Die anhängigen Verwaltungsverfahren zum Kernkraftwerk Biblis A hätten trotz Verhandlungen zum Atomausstieg so weitergeführt werden müssen, als ob es die Ausstiegsverhandlungen nicht gegeben hätte. Ebenso verhält es sich mit der Antragsrücknahme zu Mühlheim-Kärlich. Diese erfolgte bereits vor dem Beschluss der Bundesregierung zur Gesetzesinitiative. Dadurch wurde die künftige gesetzliche Laufzeitbefristung aller Kraftwerke und die kompensierende gesetzliche Stromgutschrift für Mühlheim-Kärlich vorweggenommen, obwohl das geltende Atomrecht unbefristete Laufzeiten vorsah (§ 17 Abs. 1 Satz 3 AtG287). Der Atomausstieg wurde im Vollzug antizipiert, obwohl dieser noch gar nicht gesetzlich verabschiedet war. Dies verletzt dieselben verfassungsrechtlichen Grundsätze wie beim Kraftwerk Biblis A. Auch insoweit hat die Bundesregierung die Parlamentsrechte durch Koppelung von anhängigem Vollzug und geplanter Gesetzgebung unzulässig verkürzt.

d) Ergebnis Der anhängige Vollzug darf nicht in gesetzesvorbereitenden Verhandlungen zur Verhandlungsmasse für die künftige Gesetzgebung werden. Vielmehr sind anhängiger Vollzug und Gesetzesvorbereitung zu entkoppeln. Dem Staat ist es nicht gestattet, sich für einen gesetzesgemäßen Vollzug und für die Einhaltung der Verfassung Gegenleistungen wie das Unterlassen einer Klage gegen das Umsetzungsgesetz versprechen zu lassen. Soweit jedoch die politische Gestaltungsfreiheit hinsichtlich einer künftigen Gesetzesinitiative reicht, dürfen allerdings zwischen den unterschiedlichen, geplanten gesetzlichen Regelungen Austausch- und Kompensationsbeziehungen in Verhandlungen hergestellt werden, sofern zumindest hinsichtlich der mittelbaren Regelungswirkungen ein Sachzusammenhang besteht. 285

BVerfGE 104, 249 (278) – abw. M. Vgl. Reicherzer, DVBl. 2002, 557 (558 ff.); Ossenbühl, Länderkompetenz und Bundesauftragsverwaltung, S. 49 (54 f.). 287 Seit In-Kraft-Treten der AtG-Novelle wird der im Gesetz verbliebene § 17 Abs. 1 Satz 3 AtG hingegen durch § 7 Abs. 1a Satz 1 AtG n. F. im Wege der Spezialität verdrängt (Posser, in: Posser/Schmans/Müller-Dehn, AtG, § 7 Abs. 1a–d, der diesbezüglich auch den lex-posterior-Kollisionssatz und eine teleologische Reduktion des § 17 Abs. 1 Satz 3 AtG erörtert). 286

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5. Verfassungsorgantreue Bei der informell-kooperativen Gesetzgebung werden zunächst Regelungspakete mit den Privaten ausgehandelt, die später in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht werden sollen. Dabei ist ein Aufschnüren des Pakets und die Änderung einzelner Teile im parlamentarischen Verfahren kaum mehr möglich. Bei Abänderungswünschen im Gesetzgebungsverfahren droht das austarierte Geflecht von Kompensationsbeziehungen aus dem Gleichgewicht zu geraten, das zuvor bei den Verhandlungen erzielt worden ist und das zur Einigung zwischen Bundesregierung und Privaten geführt hat. Die Bundesregierung wird deshalb ihre Einflussmöglichkeiten auf das Parlament in verstärktem Maße nutzen, damit das Parlament die ausgehandelte Regierungsvorlage im Wesentlichen unverändert übernimmt und als Gesetz beschließt, da ansonsten mit den Privaten neu verhandelt werden müsste. In der Literatur wird deshalb vertreten, dass es gegen den Grundsatz der Verfassungsorgantreue verstoße, wenn die Bundesregierung gesetzesvorbereitende Vereinbarungen mit Privaten abschließt und diese, nachdem bereits erhebliche faktische Bindungen gegenüber den Privaten entstanden sind, dem Bundestag zur Abstimmung vorlegt288. Der Bundestag könne de facto keine substanziellen Änderungen mehr vornehmen, weil er ansonsten den im Gesetzgebungsvorfeld mühsam ausgehandelten Kompromiss gefährden würde. Das Entscheidungsorgan Bundestag würde wegen der gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen mangels realer Abänderungsmöglichkeiten auf ein bloßes Zustimmungsorgan i. S. v. Art. 59 Abs. 1 Satz 1 GG degradiert. Die Tragfähigkeit dieser Argumentation soll im Nachfolgenden näher untersucht werden. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, inwieweit sich aus dem Grundsatz der Organtreue besondere Kooperationsund Kommunikationspflichten der Bundesregierung gegenüber dem Bundestag ergeben können, wenn diese mit Privaten Gesetze en detail aushandelt289.

288 Schorkopf, NVwZ 2002, 1111 (1113); Rosenthal, Ausarbeitung, S. 3, 8 f.; vgl. auch: Pasemann/Baufeld, ZRP 2002, 119 (122); Michael, Rechtsetzende Gewalt, S. 640 ff. 289 Vgl. Michael, Rechtsetzende Gewalt, S. 645; Pasemann/Baufeld, ZRP 2002, 119 (123).

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

a) Funktion der Verfassungsorgantreue Das Grundgesetz hat die Ausübung von Staatsgewalt nicht in die Hände eines einzigen Staatsorgans gelegt, sondern als ein Zusammenwirken verschiedener Organe geregelt. Dabei konnte der Grundgesetzgeber jedoch nicht jedes Problem, das bei der Interaktion der unterschiedlichen Verfassungsorgane auftritt, bereits antizipieren und ausdrücklich regeln. Deshalb müssen zu den geschriebenen interorganschaftlichen Koordinationsregeln, wie sie beispielsweise in Art. 53 Satz 3 GG und in Art. 23 Abs. 2 bis 5 GG normiert sind, ungeschriebene hinzutreten. Die Gesamtheit der verfassungsrechtlichen Rücksichtnahmepflichten, die zwischen den Verfassungsorganen bestehen, wird unter dem Begriff der Verfassungsorgantreue zusammengefasst. Der genaue Inhalt der Verfassungsorgantreue muss bezogen auf den jeweiligen Regelungsbereich konkretisiert werden. Vorliegend kommt es darauf an, welche spezifischen Rücksichtnahmepflichten gesetzesvorbereitende Verhandlungen und Vereinbarungen zwischen Bundesregierung und privaten Interessenvertretern gegenüber den anderen Bundesorganen unter dem Gesichtspunkt der Verfassungsorgantreue auslösen290. b) Verfassungsorgantreue in der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts Die Verfassungsorgantreue stellt einen von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannten ungeschriebenen Verfassungsgrundsatz dar291. Er spielte zum einen eine Rolle, wenn diskutiert wurde, ob das Verfassungsgericht durch die Exekutive vor vollendete Tatsachen gestellt werden dürfe292. Zum anderen wurden besondere Kommunikationspflichten zwischen Bundesregierung und Parlament auf die Verfassungsorgantreue gestützt293. Die Frage, ob die Entscheidung eines anderen Verfassungsorgans dadurch vorweggenommen werden darf, dass bereits vollendete Tatsachen geschaffen werden, ist jedoch in Bezug auf das Verhältnis zwischen Bundesregierung und Bundestag einerseits und in Hinblick auf die Beziehung 290 Die Funktion eines der Organtreue vergleichbaren Rücksichtnahmegebots übernimmt in der Bund-Länder-Beziehung die Bundestreue als Ausfluss des Bundestaatsprinzips des Art. 20 Abs. 1 GG. Auf europarechtlicher Ebene ist eine vergleichbare Loyalitätsklausel in Art. 10 EGV verankert (siehe hierzu: EuGH Slg. 1983, 255 (287); Rengeling, Europarechtliche Grundlagen, S. 53 ff.). 291 BVerfGE 97, 350 (374 f.); 90, 286 (336); 89, 155 (190 ff.); 45, 1 (39). 292 BVerGE 35, 257 (261 f.); 36, 1 (15); Auffassung von vier Richtern in: BVerfGE 35, 193 (199 ff.); BVerfGE 94, 166 (223 f., 234 f.) – abw. M. 293 BVerfGE 97, 350 (374 f.); 89, 155 (190 ff.); 45, 1 (39); vgl. auch: BVerfGE 104, 151 (208).

B. Grundgesetzliche Anforderungen

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zwischen Bundesregierung und Bundesverfassungsgericht andererseits nicht ohne weiteres vergleichbar. Das hängt mit der unterschiedlichen Funktion von Bundestag und Bundesverfassungsgericht zusammen. Es ist notwendig, die Verfassungsorgantreue nach den spezifischen Funktionen der einzelnen Verfassungsorgane differenziert zu handhaben. Während das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren auch dazu dient, die Bundesregierung präventiv zu kontrollieren, kommt dem Bundesverfassungsgericht lediglich die Funktion der nachträglichen Kontrolle zu294. Die Vorwegnahme einer Entscheidung des Parlaments durch die Bundesregierung beeinträchtigt folglich die funktionsgerechte Gewaltenordnung noch deutlicher als das Schaffen von Fakten im Vorfeld einer verfassungsgerichtlichen Entscheidung, weil das Parlament im Gegensatz zum Bundesverfassungsgericht gerade die Funktion zur vorherigen und vorbeugenden Kontrolle hat. Daraus, dass das Bundesverfassungsgericht einstweilige Anordnungen zur Vermeidung vollendeter Tatsachen gegenüber eigenen künftigen Entscheidungen in bestimmten Konstellationen letztlich abgelehnt hat295, kann deshalb wegen der funktionalen Unterschiede zwischen nachträglich kontrollierender Gerichtsbarkeit und vorbeugend kontrollierendem Parlament nicht gefolgert werden, dass auch eine Vorwegnahme von Parlamentsentscheidungen zulässig sein kann. Bereits oben wurde zudem dargelegt, dass eine Vorwegnahme der Entscheidung des Parlaments unter Umständen gegen den Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes verstößt296. In Hinblick auf die Beziehung zwischen Parlament und Bundesregierung spielte die Organtreue in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts jedoch insoweit eine Rolle, als es um Kommunikationspflichten der Bundesregierung gegenüber dem Bundestag ging. Dabei steht eine sachgerechte und rechtzeitige Information des Bundestages seitens der Bundesregierung im Vordergrund. Durch die Informationspflichten der Bundesregierung gegenüber dem Bundestag sollen die Rechte des Parlaments geschützt werden297. Diese Rechtsprechung könnte vorliegend von Interesse sein, wenn es um die Frage geht, ob gesetzesvorbereitende Vereinbarungen besondere Informationspflichten auslösen, damit die Rechte des Parlaments trotz faktischer Vorabbindungen gewahrt bleiben. Bevor der Grundsatz der Organtreue jedoch angewandt wird, muss überlegt werden, wie dieser dogmatisch fundiert und an das geschriebene Verfassungsrecht angebunden werden kann. 294 Vgl. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 59 Rdnr. 194 ff.; zur präventiven Kontrollfunktion des Parlaments: siehe unten 5. Teil D. III. 1. a). 295 Vgl. BVerfGE 94, 166 ff.; 35, 193 ff.; 35, 257 ff. 296 Siehe oben 4. Teil B. I. 3. a) und 4 c). 297 BVerfGE 97, 350 (374 f.); 89, 155 (190 ff.); 45, 1 (39); siehe ferner: BVerfGE 104, 151 (208); BVerwGE 45, 309 (321).

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

c) Einheit der Staatsgewalt als dogmatisches Fundament Der Staatsbegriff des Art. 20 Abs. 1 GG und der Staatsgewaltbegriff des Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG gehen von einem Bundesstaat und einer Bundesstaatsgewalt aus298. Entsprechend dem normativen Gehalt dieses Staatsgewaltbegriffes299 ist es den Verfassungsorganen aufgegebenen, diese Einheitlichkeit der Staatsgewalt herzustellen. Die Staatsorgane des Bundes sollen demnach nicht isoliert voneinander und gegeneinander mehrere Staatsgewalten, sondern koordiniert und aufeinander bezogen die Staatsgewalt als Wirkungs- und Herrschaftseinheit erzeugen300. Die Legislative, Exekutive und Judikative üben nicht jeweils für sich Staatsgewalt aus. Vielmehr haben sie die Aufgabe, eine Teilgewalt der einheitlichen Staatsgewalt unter gegenseitiger Rücksichtnahme auszuüben301. Zur Herstellung der einheitlichen Bundesstaatsgewalt muss jedes Bundesorgan den funktionsspezifischen Aufgabenbereich des anderen Organs respektieren. Das Gebot der Organtreue sichert einerseits die funktionsgerechte Gewaltenordnung ab, dergemäß die Staatsaufgaben von den nach Organisation, Zusammensetzung und Verfahrensweise geeigneten Organen wahrzunehmen sind302. Andererseits stellt sie aber auch ein funktionsnotwendiges Gegengewicht zur Gewaltenteilung dar, um eine Gewaltenisolation zu vermeiden303. Die Verfassungsorgantreue ist Ausfluss des im normativen Staatsbegriff enthaltenen und zwischen den Staatsorganen wirkenden Koordinationsgebotes304. Das Grundgesetz konfiguriert nicht mehrere Staatsgewalten als Ergebnis der Tätigkeit mehrerer Staatsorgane, sondern eine Staatsgewalt als gemeinsames Ergebnis der koordinierten Bemühungen aller Staatsorgane um das Gemeinwohl: „Die Kompetenzteilung fordert ein einendes Gegenprinzip (Anm. vom Verfasser: zur Gewaltenteilung), das die eigenständigen Kompetenzträger zusammenführt und in die „Mitwirkung fürs Allgemeine“ (He298 Zur Einheitlichkeit der Staatsgewalt: BVerfGE 83, 60 (75); Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 59 Rdnr. 21. 299 Zum normativen Gehalt des Staatsbegriffes des Grundgesetzes: siehe oben 2. Teil B. II. 1. a) aa). 300 Vgl. die Stellungnahmen von v. Mangoldt und Zinn im Parlamentarischen Rat: JöR n. F. 1 (1951), 195 (196, 200). 301 Vgl. Papier, NJW 2002, 2585 (2587); Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 52 ff. 302 Vgl. Lorz, Interorganrespekt, S. 626 f. 303 Vgl. BVerfGE 31, 43 (46); 7, 183 (190); Sommermann, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, GG Bd. II, Art. 20 Abs. 2 Rdnr. 215. 304 Andere Autoren betonen demgegenüber stärker den Gedanken der staatlichen Integration: Schenke, Verfassungsorgantreue, S. 26 ff.; Lorz, Interorganrespekt, S. 626.

B. Grundgesetzliche Anforderungen

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gel) einbindet. Das Gemeinwohl ist im kompetenzteiligen Zusammenwirken der Glieder immer wieder neu herzustellen. Es bedarf des rechtlichen Regulativs, um gemeinwohlschädliche Reibungsverluste zu mindern, . . .“305. Dieses Regulativ ist im Verhältnis der Bundesorgane zueinander in der Verfassungsorgantreue zu sehen. d) Akzessorietät der Verfassungsorgantreue Der mit dem Grundsatz der Organtreue verwandte Grundsatz der Bundestreue wird vom Bundesverfassungsgericht als akzessorisches Verfassungsprinzip angesehen306. Danach modifiziert, begrenzt oder ergänzt die Bundestreue Rechte innerhalb eines bestehenden Rechtsverhältnisses, begründet aber kein selbstständiges Rechtsverhältnis zwischen dem Bund und den Ländern307. Überträgt man dieses Akzessorietätserfordernis auf die Verfassungsorgantreue, so würde dies bedeuten, dass die Organtreue nur innerhalb eines anderen, zwischen den Bundesorganen bereits bestehenden Rechtsverhältnisses zur Anwendung käme, dessen Pflichten sie ergänzen würde308. aa) Erfordernis eines besonderen Rechtsverhältnisses Die Akzessorietät ist allerdings auch für den Bereich der Bundestreue umstritten309. Sie wäre jedenfalls dann als zusätzliche Anwendungsvoraussetzung für den Grundsatz der Verfassungsorgantreue überflüssig, wenn man bereits die gemeinsame Verpflichtung der Staatsorgane zur Herstellung, Erhaltung und Erneuerung der einen Staatsgewalt als Rechtsverhältnis ausreichen ließe, innerhalb dessen die Organtreue moderierend wirkt. Denn dieses allgemeine Rechtsverhältnis unter den Bundesorganen liegt zwischen 305 Im Zusammenhang mit der Bundestreue: Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. IV, § 98 Rdnr. 154. 306 Zu den funktionalen Parallelen von Bundes- und Organtreue: Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG Bd. II, Art. 20 Abs. 2 Rdnr. 215. 307 Zur Bundestreue als akzessorisches Rechtsprinzip: BVerfGE 104, 238 (247 f.); 103, 81 (88); 42, 103 (117). 308 Das Erfordernis eines besonderen Rechtsverhältnisses zwischen den Verfassungsorganen kann nicht schon deshalb negiert werden, weil die Verfassungsorgane nach außen nicht rechtsfähig sind. Auch wenn Verfassungsorgane gegenüber dem Bürger nicht rechtsfähig sind, so können zwischen den Verfassungsorganen Rechtspflichten bestehen, die eine Sonderbeziehung begründen können. Davon geht auch Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG aus. 309 Ossenbühl, Klageschrift vom 12.12.2000, S. 54 ff., mit eingehender Analyse der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts; ders., NVwZ 2003, 53; Degenhart, Bundes- und länderfreundliches Verhalten, S. 369 (372 f.); Bauer, Die Bundestreue, S. 333 ff.

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

den Bundesorganen naturgemäß vor und müsste deshalb nicht als zusätzliche Voraussetzung der Organtreue bezogen auf jeden einzelnen Anwendungsfall geprüft werden. Entwickelt man die Pflichten aus der Organtreue jedoch akzessorisch zu den einzelnen geschriebenen Normen des Grundgesetzes, so kann dadurch vermieden werden, dass das explizit normierte Verfassungsrecht durch eine Generalklausel nivelliert wird. Greift man auf „weiche“ Rechtsprinzipien zurück, so sind diese mit Blick auf die konkreten Einzelvorschriften der Verfassung, also akzessorisch zum „harten“ Verfassungsrecht anzuwenden310. Insoweit erinnert die Akzessorietät daran, dass ungeschriebene Verfassungsgrundsätze die Normen des geschriebenen Verfassungsrechts nicht überspielen dürfen. Der Begriff der Akzessorietät dient bei dieser Verwendung dazu, auf die Notwendigkeit einer Verknüpfung von geschriebenem und ungeschriebenem Verfassungsrecht hinzuweisen311. Der Frage nach der Akzessorietät der Organtreue muss jedoch im Rahmen dieser Arbeit nicht weiter nachgegangen werden. Bei der Gesetzgebung liegt jedenfalls ein verfassungsrechtliches Rechtsverhältnis zwischen Bundesregierung und Bundestag vor. Art. 76 ff. GG normieren ein gemeinsames Zusammenwirken von Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung bei der Gesetzgebung. Darin kann das Rechtsverhältnis gesehen werden, innerhalb dessen die Verfassungsorgantreue moderierend und ergänzend wirkt. Dabei muss jedoch im Auge behalten werden, dass die Wertungen des geschriebenen Verfassungsrechts, wie sie z. B. in Art. 21 GG enthalten sind312, auch im Rahmen der nicht ausdrücklich geregelten Organtreue beachtet werden müssen und den Inhalt der Organtreue prägen können.

310 Schenke weist auf die Notwendigkeit einer „Speisung“ der Verfassungsorgantreue durch das geschriebene Verfassungsrecht hin (Schenke, Verfassungsorgantreue, S. 37). Das geschriebene Verfassungsrecht sei „Nährboden“ (S. 45) und „Fundament“ (S. 117) der Verfassungsorgantreue. Zur Akzessorietät von Verfassungsprinzipien: vgl. auch Reimer, Verfassungsprinzipien, S. 312. 311 Vgl. BVerfGE 6, 309 (361); zur Bedeutung des geschriebenen Verfassungsrechts bei der Entwicklung ungeschriebener Verfassungsrechtssätze: Wolff, Ungeschriebenes Verfassungsrecht, S. 461; Voigt, Ungeschriebenes Verfassungsrecht, S. 33 (43 f.); zur wechselseitigen Inversionsbeziehung von allgemeinen Prinzipien und konkreten Einzelregelungen: vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG Bd. III, Art. 20 I Rdnr. 25; Reimer, Verfassungsprinzipien, S. 454; siehe ferner in Bezug auf das Prinzip der Gewaltenteilung: Papier, NJW 2002, 2585 (2587). 312 Zur Bedeutung des Art. 21 GG bei der Frage, ob parteipolitischer Druck seitens der Bundesregierung auf die Abgeordneten zulässig ist: siehe unten 4. Teil B. I. 5. e) aa) (1) (b) (aa) und (bb).

B. Grundgesetzliche Anforderungen

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bb) Rechtsverhältnis in der Gesetzesvorbereitung Nach Art. 76 GG wird die Pflicht von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat, bei der Gesetzgebung zusammenzuwirken, dadurch konkretisiert, dass die Bundesregierung die Vorlage dem Bundesrat bzw. Bundestag zuleitet. Nun könnte man argumentieren, dass das interorganschaftliche Pflichtenverhältnis der Organtreue erst mit Zuleitung der Vorlage begründet wird und dass deswegen Handlungen im Vorfeld der Zuleitung, also Akte der Gesetzesvorbereitung, vom Grundsatz der Organtreue noch gar nicht erfasst würden, weil zu diesem Zeitpunkt das interorganschaftliche Rechtsverhältnis noch nicht aktualisiert sei. Die Gesetzesvorbereitung und der Abschluss von gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen mit Privaten würden demnach von der Organtreue noch nicht erfasst. Die Organtreue würde erst nach Zuleitung an das andere Organ Rücksichtnahmepflichten diesem gegenüber begründen. Eine auf die Phase der gesetzlichen Umsetzung beschränkte Anwendung der Organtreue würde indessen übersehen, dass die Gesetzesvorbereitung erheblichen Einfluss auf das weitere Verfahren nach Übersendung der Vorlage hat. Die Bindungen der Bundesregierung gegenüber den privaten Vereinbarungspartnern greifen regelmäßig auf den Bundestag über und prägen das Gesetzgebungsverfahren. Würde man das faktisch bindende Verhalten vor Zuleitung generell als für die Organtreue irrelevant ansehen, so könnte eine im formalisierten Gesetzgebungsverfahren geltende Organtreue dadurch unterlaufen werden, dass pflichtverletzende Handlungen bereits vor Zuleitung vorgenommen werden und dann faktisch noch danach weiterwirken. Um eine solche Entwertung der mit Zuleitung der Vorlage zwischen den Verfassungsorganen entstehenden Pflichten zu vermeiden, ist davon auszugehen, dass das Rechtsverhältnis der Organtreue bereits vor Zuleitung Vorwirkungen insoweit entfaltet, als schon bei der Gesetzesvorbereitung schwer reversible faktische Bindungen eingegangen werden. Dementsprechend können sich Pflichten aus der Verfassungsorgantreue bereits ergeben, bevor die Vorlage den regierungsinternen Bereich durch Übersendung an den Bundesrat bzw. Bundestag verlassen hat. Schon im Vorfeld der Zuleitung der Vorlage kann das Verhalten der Bundesregierung gegen die Organtreue verstoßen. Auch in diesem Zusammenhang kommt es darauf an, den faktischen Präjudizwirkungen gesetzesvorbereitender Vereinbarungen gerecht zu werden. Beim Atomausstieg wurde eine interorganschaftliche Rechtsbeziehung zwischen Bundesregierung und Bundesrat bzw. Bundestag in dem Moment aktualisiert, als die Bundesregierung dem Bundesrat bzw. Bundestag die Gesetzesvorlage der ausgehandelten Atomgesetznovelle zugeleitet hat. Dadurch wurden die Pflichten der Organtreue aktiviert. Diese Pflichten waren jedoch bereits bei den Verhandlungen mit

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

den Energieversorgungsunternehmen latent vorhanden und mussten deshalb schon in der Gesetzesvorbereitung beachtet werden.

e) Inhalt der Verfassungsorgantreue Eine erschöpfende Normierung von einzelnen Verhaltensregeln für den Umgang unter den Verfassungsorganen ist angesichts der vielfältigen Probleme der interorganschaftlichen Koordination nicht möglich. Eine enumerative Kodifizierung dieser Pflichten würde auch der zukunftsoffenen Ergänzungsfunktion der Verfassungsorgantreue widersprechen. Sachgerecht ist deshalb die Annahme einer generalklauselartigen Pflicht der Verfassungsorgantreue, die für den Einzelfall unter Beachtung des geschriebenen Verfassungsrechts und der dort niedergelegten Wertungen konkretisiert werden muss313. Demnach lässt sich generalklauselartig sagen, dass die Staatsorgane nach der Verfassungsorgantreue dazu verpflichtet sind, auf den funktionsspezifischen Aufgabenbereich des anderen Organs Rücksicht zu nehmen und dieses unter Umständen bei der Aufgabenwahrnehmung zu unterstützen. Die Organtreue enthält eine negative und eine positive Dimension. In der negativen Dimension kann sie Beeinträchtigungen des Kompetenzbereichs anderer Staatsorgane verbieten. In der positiven Dimension kann sie die gegenseitige Unterstützung der Staatsorgane gebieten314. aa) Rücksichtnahmepflichten (negative Dimension) In den hier interessierenden gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen verpflichtet sich die Bundesregierung, alles zu unternehmen, damit ein bestimmtes Gesetz von den Gesetzgebungsorganen verabschiedet wird315. Dies könnte zu einem unzulässigen Druck seitens der Bundesregierung auf Bundestag und Bundesrat führen. In der negativen Dimension der Organtreue geht es darum, inwieweit Verfassungsorgane verpflichtet sind, Beeinträchtigungen des spezifischen Funktionsbereichs eines anderen Verfassungsorgans zu unterlassen.

313 Vgl. Schenke, Verfassungsorgantreue, S. 36 f.; Bauer, Die Bundestreue, S. 319. Eine ähnliche Funktion hat im Zivilrecht § 242 BGB. 314 Vgl. zur positiven und negativen Dimension der Bundestreue: Degenhart, Bundes- und länderfreundliches Verhalten, S. 369 (372). 315 I. V. 2. der Vereinbarung vom 14. Juni 2000.

B. Grundgesetzliche Anforderungen

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(1) Rücksichtnahme gegenüber dem Bundestag Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen zwischen Bundesregierung und privaten Interessenvertretern würden die interorganschaftlichen Rücksichtnahmepflichten verletzen, wenn die Bundesregierung durch diese Vereinbarungen einen unzulässigen Druck auf das Parlament ausübt. In der Literatur wird die Verfassungsorgantreue zum Teil als eine Art verfassungsrechtliches Abwehrschild angesehen, das die Integrität der Willensbildung der Abgeordneten vor unzulässigem Druck seitens der Bundesregierung schützen soll316. In diesem Zusammenhang ist zunächst herauszuarbeiten, inwieweit gesetzesvorbereitende Vereinbarungen die spezifischen Gesetzgebungsfunktionen des Bundestages beeinträchtigen. Anschließend kommt es darauf an, ob diese Beeinträchtigungen gerechtfertigt oder verfassungswidrig sind. Nur soweit die Beeinträchtigungen nicht zu rechtfertigen sind, entfaltet die Organtreue eine Abwehrfunktion gegenüber politischem Druck. (a) Beeinträchtigung der spezifischen Organfunktion des Bundestages Bei gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen versucht die Bundesregierung, bereits im Vorfeld des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens Konsens mit besonders Betroffenen zu erreichen, indem diese in die Gestaltung der Gesetzesvorlage einbezogen werden. Die frühzeitige Einbeziehung von gesellschaftlichen Kräften vor Beginn des parlamentarischen Verfahrens schwächt die Bedeutung des parlamentarischen Verfahrens. Durch die faktischen Vorabbindungen gesetzesvorbereitender Verhandlungen und Vereinbarungen kann das Parlament seine Aufgabe, zur gesamtgesellschaftlichen Integration und Konsensbildung beizutragen, nur noch eingeschränkt wahrnehmen317. Die Bundesregierung kann die Abgeordneten dadurch beeinflussen, dass sie explizit oder konkludent darauf hinweist, dass es sich bei der eingebrachten Gesetzesvorlage um ein mühevoll mit den privaten Vereinbarungspartnern ausgehandeltes Gesamtpaket handelt. Bereits ein solcher Hinweis kann die Abgeordneten veranlassen, auf die Diskussion von Änderungen zu verzichten, um den ausgehandelten Kompromiss nicht zu gefährden. Zudem wird die Bundesregierung auch ihre Verbindungen in die Parteien und zu den Fraktionsspitzen nutzen, um die Meinungsbildung der Abgeordneten im 316 Siehe: Schorkopf, NVwZ 2002, 1111 (1113); Rosenthal, Ausarbeitung, S. 3, 8 f.; vgl. auch: Pasemann/Baufeld, ZRP 2002, 119 (122); Michael, Rechtsetzende Gewalt, S. 640 ff. 317 Zur funktionsspezifischen Aufgabe des Parlaments: siehe oben 3. Teil C. III. 3. d) aa) (1).

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

Sinne der ausgehandelten Vereinbarung zu steuern. Eine solche Einflussnahme der Bundesregierung auf die eigenständige Überzeugungsbildung der Abgeordneten zur Durchsetzung einer mit Privaten ausgehandelten Vereinbarung kann den parlamentarischen Diskurs verkürzen. Beim Atomausstieg wurden die Abgeordneten in der Begründung der Gesetzesvorlage ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich um ein „Gesamtpaket“ handele318. Der Bundeskanzler hatte bereits bei Unterzeichnung der Vereinbarung erklärt, dass diese so umgesetzt werden müsse, wie sie von dem Mitgliedern der Bundesregierung mit den Energieversorgungsunternehmen ausgehandelt worden sei319. Der Bundesumweltminister und die Fraktionsspitze der Grünen hatten Nachverhandlungen explizit ausgeschlossen320. Den Abgeordneten wurde auf diese Weise sehr deutlich gemacht, dass wesentliche Änderungen der ausgehandelten Vereinbarung im parlamentarischen Verfahren nicht mehr möglich seien. Die Bundesregierung erreichte damit, dass der Bundestag das Gesetz nach nur wenigen Verhandlungstagen ohne eingehende Diskussion der Einzelheiten verabschiedete. Die Funktion des Bundestages als Diskurs- und Integrationsorgan wurde durch diese Vorgehensweise stark beeinträchtigt.

(b) Rechtfertigung der Beeinträchtigung Wirkt die Bundesregierung auf das Parlament so ein, dass dieses seiner Diskurs- und Integrationsfunktion nicht mehr optimal nachkommen kann, so führt dies jedoch nicht zwangsläufig zur Verfassungswidrigkeit der von der Bundesregierung mit den Privaten ausgehandelten Vereinbarung. Nach der Saturierungskonzeption muss nur ein Mindestmaß an funktionsgerechter Gewaltenteilung gewährleistet sein321. Die Organtreue normiert nur ein Mindestmaß an verfassungsrechtlichen Rücksichtnahmepflichten. Zudem können sich aus dem Grundgesetz Wertungen ergeben, die den Schluss zulassen, dass das Parlament gewisse Beeinträchtigungen seiner Funktionserfüllung hinnehmen muss322. Die Bundesregierung hat vielfältige Möglichkeiten, die Meinungsbildung der Abgeordneten zu beeinflussen. Diese Einflussstränge der Bundesregierung auf die Abgeordneten des Parlaments sind nun genauer auf ihre verfassungsrechtliche Zulässigkeit zu untersuchen.

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Begründung der Gesetzesvorlage, BT-Drs. 14/7261, 14/6890, S. 16. Bulletin der Bundesregierung Nr. 40-4 vom 11. Juni 2001, Statement Bundeskanzler Schröder. 320 Dpa 0743 (20.6.2000); Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20. Juni 2000, S. 2: „Chancen für Kuhn und Künast steigen“. 321 Zur Saturierungskonzeption: siehe oben 1. Teil B. I. 322 Zur Akzessorietät der Verfassungsorgantreue zum geschriebenen Verfassungsrecht: siehe oben 4. Teil B. I. 5. d) aa). 319

B. Grundgesetzliche Anforderungen

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(aa) Druck auf die Abgeordneten über die Parteischiene Die Bundesregierung kann über die Parteischiene Druck auf die Abgeordneten auszuüben323. Den Abgeordneten wird dabei beispielsweise angedroht, dass bei der nächsten Wahl diejenigen von der Partei nicht mehr aufgestellt werden, die dem ausgehandelten Paket nicht zustimmen324. Da es den Mitgliedern der Bundesregierung gestattet ist, gleichzeitig Führungsämter in Parteien auszuüben, ist es grundsätzlich nicht verfassungswidrig, wenn die Bundesregierung ihre personellen Verbindungen in die Partei nutzt, um politischen Druck auf den Bundestag auszuüben325. Den Parteien kann nicht verboten werden, über die Frage der künftigen Kandidatenaufstellung Druck auf die Abgeordneten auszuüben. Ein solcher Druck über die Parteischiene wird von Art. 21 GG gedeckt. Art. 21 Abs. 1 Satz 2 GG schützt nicht nur die Gründungs-, sondern auch die Betätigungsfreiheit der Parteien326. Ohne Betätigungsfreiheit wäre die Gründungsfreiheit wertlos. Zum von Art. 21 GG geschützten Freiheitsbereich der Parteien gehört es auch, selbst über die Aufstellung ihrer Kandidaten zu entscheiden und dieses Mittel auch zur politischen Gestaltung einsetzen zu dürfen327. Hier könnte man allerdings einwenden, dass Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG lediglich von einer Mitwirkung der Parteien an der politischen Willensbildung spricht. Davon sei jedoch die Staatswillensbildung zu unterscheiden328. Die Willensbildung der Abgeordneten im Gesetzgebungsverfahren sei auf die Erzeugung von Staatsgewalt ausgerichtet und müsste somit als Staatswillensbildung begriffen werden. Diese Staatswillensbildung sei ausschließlich die Sache der legitimierten Organe (Art. 20 Abs. 2 Satz 1 und 2 GG). Der Verfassungstext des Art. 21 GG würde die politischen Parteien zum Einfluss auf die Staatswillensbildung, anders als zum Einfluss auf die politische Willensbildung, gerade nicht berechtigen329. Parteien unterscheiden sich jedoch von anderen gesellschaftspolitischen Vereinigungen vor allem dadurch, dass sie die Teilnahme an Wahlen an323 Herzog, Strukturmängel, S. 20 ff.; vgl. auch Herzog, in: Maunz/Dürig, GG Bd. IV, Art. 65 Rdnr. 47, der die Parteischiene als „Weisungsstrang“ bezeichnet. 324 Zu dieser politischen Praxis: siehe Blumenthal, ZPol 2002, 4 (23); Süddeutsche Zeitung, 4.8.2001, S. 6, „Müntefering will Dissidenten nicht dulden“. 325 Zu den personellen Verbindungen zwischen Staatsorganen und Parteien: vgl. Smeddinck/Tils, Normgenese und Handlungslogiken, S. 271 m. w. N. 326 Siehe beispielsweise: Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 21 Rdnr. 15; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 21 Rdnr 45 f. 327 Vgl. Zeh, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. II, 2. Aufl., § 42 Rdnr. 15. 328 Zur Unterscheidung von politischer Willensbildung und Staatswillensbildung: BVerfGE 8, 104 (112 ff.). 329 Vgl. Herzog, Strukturmängel, S. 24 ff.

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

streben. Bei den Wahlen vereinigt sich indessen die politische Willensbildung des Art. 21 GG mit der Staatswillensbildung des Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG330. Die Staatsgewalt geht gerade deshalb vom Volk aus, weil sich in den Wahlen die von den Parteien geprägte politische Willensbildung zur Entstehung von Staatsgewalt verdichtet. Staatswillensbildung und politische Willensbildung sind jedoch auch außerhalb von Wahlen auf vielfältige Weise miteinander verwoben. Die Parteien vermitteln permanent zwischen Volk und Staatsorganen bei der Bildung des Staatswillens331. Den Einfluss der Parteien auf die Staatswillenbildung lediglich auf den Wahltag zu begrenzen, wäre völlig unrealistisch. Gerade weil die Parteien bei den Wahlen eine besondere Rolle haben und sie dabei an der Bildung der Staatsgewalt mitwirken, ist es auch zulässig, dass sie auf die Bildung von Staatsgewalt außerhalb von Wahlen faktisch einwirken. Ein funktionsfähiges politisches System bedarf der dauerhaft wirkenden, aggregierenden Kraft der Parteien332. Da Parteien auf die Staatswillensbildung starken faktischen Einfluss nehmen dürfen, muss ihre innere Struktur demokratischen Grundsätzen entsprechen und müssen ihre Finanzquellen offen gelegt werden (Art. 21 Abs. 1 Satz 2 und 3 GG). Die Einflussnahme der Parteien auf die Willensbildung der Staatsorgane wird vom Grundgesetz nicht als unzulässig angesehen, sondern vielmehr durch Vorgaben an die innere Struktur und die Parteienfinanzierung kanalisiert. Art. 21 GG legitimiert den organübergreifenden Einfluss der Parteien auf die Staatswillensbildung333. Die Bundesregierung darf sich der interorganschaftlich wirkenden Vermittlungsfunktion der Parteien bedienen, um sich eine Mehrheit im Parlament zu sichern. Dies schließt auch die Ausübung von politischem Druck über die Parteischiene ein. Dieser Druck verstößt nicht gegen 2 GG schützt nur den gegenwärtigen nen Anspruch darauf, von der Partei werden. Gewissenfreiheit i. S. v. Art. 330 331 332

das freie Mandat. Art. 38 Abs. 1 Satz Status des Abgeordneten und gibt keiauch in Zukunft wieder aufgestellt zu 38 Abs. 1 Satz 2 GG meint nicht die

Vgl. BVerfGE 8, 104 (112 ff.); 83, 60 (71). Vgl. BVerfG NJW 2003, 1577 (1578). Zur Aggregationsleistung von Parteien: BVerfGE 11, 266 (273); 44, 125

(145). 333 Vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. VII, § 162 Rdnr. 71: „Denn mit der Verfassungsstruktur der parlamentarischen Demokratie ergibt sich die politische Wirksamkeit von Parteien von selbst, die das Grundgesetz, in bewusster Abkehr von der Parteienprüderie älterer Verfassungen, ausdrücklich gutheißt (Art. 21 GG)“. Nach Pasemann/Baufeld, ZRP 2002, 119 (122), darf hingegen die Entscheidung der Abgeordneten nicht auf einer parteipolitischen Gefolgschaft beruhen. Diese Auffassung verkennt jedoch die Bedeutung des Art. 21 GG. Die parteipolitische Solidarität ist wegen Art. 21 GG ein zulässiger Gesichtspunkt bei den Erwägungen des einzelnen Abgeordneten.

B. Grundgesetzliche Anforderungen

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Freiheit von jeglichen faktischen Zwängen. Die Gewissensfreiheit verpflichtet den Parlamentarier zu einer eigenen Willensbildung, die sowohl die Solidarität zur Bundesregierung und zur die Bundesregierung tragenden Partei als auch das Abweichen von der Regierungs- und Parteilinie mit allen selbst zu tragenden Konsequenzen beinhalten kann. Es ist deshalb grundsätzlich verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Partei auf subkutane Veranlassung der Bundesregierung Druck auf Abgeordnete ausübt, damit diese die ausgehandelte Vereinbarung gesetzlich umsetzen. Vielmehr steht es in der eigenen Verantwortung jedes Abgeordneten, sich von dem Druck nicht übermäßig beeindrucken zu lassen334. (bb) Druck über die Fraktionsschiene Daneben kann die Bundesregierung die Abgeordneten dadurch persönlich unter Druck setzen, dass sie die Fraktionsführung veranlasst, abweichenden Abgeordneten mit dem Ausschluss aus der Fraktion und der Abberufung von bestimmten Ausschüssen zu drohen. Aufgabe der Fraktionen ist es, die für die staatliche Handlungsfähigkeit notwendigen Mehrheiten und somit die Funktions- und Entscheidungsfähigkeit des Parlaments herzustellen. Ohne stabile Mehrheiten ist ein funktionsfähiges Regierungssystem nicht denkbar335. Mehrheitsfähigkeit setzt Zusammenhalt und politische Solidarität voraus336. Um dies zu erreichen, muss es den Fraktionen auch gestattet sein, selbst darüber zu entscheiden, wer ihnen unter welchen Voraussetzungen angehören soll337. Dies schließt auch das Recht der Fraktionen ein, darüber zu bestimmen, wer die Fraktion in einem Ausschuss vertreten soll338. Der über die Fraktionsschiene vermittelte Druck der Bundesregierung auf die Abgeordneten, der gesetzlichen Umsetzung einer ausgehandelten Vereinbarung zuzustimmen, verstößt grundsätzlich nicht gegen die Verfassung. Die Vorstellung eines optimalen Interorganrespekts, bei der die Bundesregierung die Fraktion nicht als Druckmittel gegenüber den einzelnen Abge334 Zur Frage, inwieweit die Gewissensfreiheit des Abgeordneten auch dessen Verpflichtung zu gewissenhafter Entscheidung einschließt: siehe unten 5. Teil A. II. 1., B. II., 9. Teil A. und C. 335 Vgl. BVerfGE 10, 4 (14): „Die Parlamentsfraktionen sind notwendige Einrichtungen des Verfassungslebens . . . Mit der Anerkennung der Parteien in Art. 21 GG erkennt das Grundgesetz auch sie an.“ Ebenso: BVerfGE 102, 224 (239 f.). 336 Zur Bündelungsfunktion der Fraktionen: BVerfGE 80, 188 (233, 222 ff.); Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG Bd. II, Art. 20 Abs. 1 Rdnr. 71. 337 Vgl. Klein, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. II, 2. Aufl., § 41 Rdnr. 16; Hölscheidt, Das Recht der Parlamentsfraktionen, S. 446: „Die Fraktion ist eine politische Kampfgemeinschaft und braucht den Gegner in den eigenen Reihen nicht zu dulden.“ 338 BVerfGE 80, 188 (233 f.).

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

ordneten einsetzt, übersieht die Funktionsnotwendigkeiten eines handlungsfähigen parlamentarischen Regierungssystems. (cc) Allgemeiner politischer Erfolgsdruck Wenn die Regierung Gesetzespakete mit Privaten aushandelt und die Abgeordneten des Bundestages das Gesetz später unverändert beschließen, weil sie die Glaubwürdigkeit der Bundesregierung gegenüber diesen Privaten nicht gefährdet wissen möchten, so wird auf die Abgeordneten nicht zwangsläufig persönlicher Druck ausgeübt. Sie entscheiden vielmehr unter allgemeinem politischen Erfolgsdruck. Dieser besteht darin, dass ihre eigene Wiederwahl vom in der Öffentlichkeit wahrgenommenen Erfolg der Bundesregierung abhängt, den sie nicht durch eine Ablehnung der Regierungsvorlage und einen Vertrauensverlust bei den Verhandlungspartnern in Frage stellen wollen. Wird ein mit Privaten ausgehandeltes, de facto unabänderliches Gesamtpaket vorgelegt, so enthält der Appell der Bundesregierung an den Bundestag, dieses in der vorgelegten Form, ohne jede Änderung gesetzlich umzusetzen, keinen unzulässigen Druck auf das freie Mandat oder die Entscheidungsfreiheit des Parlaments. Wenn nicht einmal persönlicher Druck auf einzelne Abgeordnete in Form von Drohung mit dem Fraktionsausschluss oder Konsequenzen bei der künftigen Kandidatenaufstellung das freie Mandat unzulässig beeinträchtigen, dann ist es erst recht nicht als eine Verletzung der Organtreue anzusehen, dass die Bundesregierung und die sie stützende Fraktions- und Parteispitze die Abgeordneten in mehr oder weniger deutlicher Weise daran erinnern, dass ihre eigene Wiederwahl und der Erfolg der von ihnen getragenen Bundesregierung eng miteinander verknüpft sind339. Die Solidarität zwischen Bundesregierung, Regierungsparteien und den Abgeordneten dieser Parteien ist Funktionsbedingung des parlamentarischen Regierungssystems des Grundgesetzes340. Das Grundgesetz ist auf Stabilität und Funktionsfähigkeit des Regierungssystems ausgerichtet. Deshalb sieht es im Gegensatz zur Weimarer Verfassung auch kein weitgehend freies Par339 Die Auffassung von Pasemann/Baufeld ZRP 2002, 119 (122), die Freiheit des Mandats des Art. 38 Abs 1 Satz 2 GG würde fordern, dass die Abgeordneten „frei von geistigen Zwängen“ sind, ist hingegen überzogen. Auch im Planungsrecht, das Pasemann/Baufeld zum Vergleich heranziehen, wird die planerische Entscheidung von Sachzwängen beeinflusst. Planung findet nie auf völlig freiem Felde statt. Die unvermeidbar bestehenden Sachzwänge machen weder Planung noch Gesetzgebung unzulässig (BVerwGE 45, 309 (316 ff.)). 340 Vgl. Herzog, Strukturmängel, S. 28 ff.; Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. VII, § 162 Rdnr. 71.

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lamentsauflösungsrecht des Bundespräsidenten vor. Eine Auflösung des Parlaments durch den Bundespräsidenten ist nur auf Antrag des Bundeskanzlers, nach verlorener Vertrauensfrage, in Situationen politischer Instabilität möglich341. Demnach sollen vorrangig die bereits gewählten Parlamentarier und die Bundesregierung miteinander um Mehrheitsfähigkeit ringen, ohne dass Neuwahlen notwendig werden342. Dies schließt es ein, dass die Regierung versucht, über die Fraktionen und Parteien auf die einzelnen Parlamentarier einzuwirken. Diese Einwirkung ist ein legitimes Mittel der Herstellung der Handlungsfähigkeit des Staates und darf deshalb nicht als unzulässige Beeinträchtigung der Organtreue beurteilt werden. Art. 68 Abs. 1 Satz 1, 81 Abs. 1 Satz 2 GG lassen sogar die Vertrauensfrage unter Drohung mit der Auflösung des Bundestages als Druckmittel zu, um die Zustimmung des Bundestages zu einer bestimmten Gesetzesvorlage zu erreichen343. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit dieses Druckmittels zeigt, dass in der Regel nicht davon ausgegangen werden kann, politischer Druck der Bundesregierung auf den Bundestag sei verfassungswidrig344. Daraus folgt aber für gesetzesvorbereitende Vereinbarungen, dass auch der von diesen Vereinbarungen ausgehende faktische Druck auf die Abgeordneten grundsätzlich nicht verfassungsrechtlich beanstandet werden kann345. (dd) Entbalancierung der Gewalten als Grenze Die Einflussnahme der Bundesregierung auf den Bundestag, damit dieser eine mit Privaten ausgehandelte Vereinbarung möglichst ohne Änderungen umsetzt, ist kein Zeichen für mangelnde Gewaltenteilung. Die Wirksamkeit der Gewaltenteilung zeigt sich gerade auch darin, dass die Regierung zur Gesetzgebung auf das Parlament angewiesen ist und deshalb versuchen muss, das Parlament zur Zustimmung zu bewegen. Die Überzeugungsarbeit der Regierung gegenüber den Abgeordneten spielt sich allerdings nicht im341 BVerfGE 62, 1 (42 ff.); zum vierstufigen Verfahren der Auflösung des Bundestages: siehe beispielsweise Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 68 Rdnr. 2a ff. 342 BVerfGE 62, 1 (39 ff.). 343 Siehe hierzu: Herdegen, Informalisierung, S. 20 f. m. w. N.; a. A. Schönberger, JZ 2002, 211 ff. 344 Ebenso: Morlok, Informalisierung, S. 37 (66); vgl. auch: BVerfGE 62, 1 (42); 62, 1 (76) – abw. M, 345 Etwas anderes gilt allerdings, wenn der Druck durch Mittel aufgebaut wird, die bereits für sich genommen verfassungswidrig sind. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn das Gesetz unzulässig antizipiert wird und das Parlament dadurch vor vollendete Tatsachen gestellt werden soll. Siehe oben 4. Teil B. I. 3. a) und 4 c).

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

mer vor den Augen der Öffentlichkeit ab. Daraus darf indessen nicht der falsche Schluss gezogen werden, dass die Regierungsfraktionen generell unkritisch gegenüber den Regierungsvorlagen wären. Vielmehr zeigen gerade die oftmals nichtöffentlichen Bemühungen der Regierung, die Mehrheit im Bundestag zu sichern, dass ein natürliches Spannungsverhältnis zwischen Regierung und Parlament trotz Gewaltenverschränkung und parteipolitischer Verflechtung besteht. Ansonsten wären diese Bemühungen überflüssig. Die Gewaltenbalance wird erst dann aus dem Gleichgewicht gebracht, wenn die Bundesregierung mühelos das Parlament wie eine Marionette lenken kann, ohne dass den Abgeordneten Entscheidungsräume blieben346. Dann wäre der Bundestag keine eigenständige Gewalt mehr. Dem müsste durch das Prinzip der Verfassungsorgantreue entgegengewirkt werden. Denkbar wäre beispielsweise der Fall, dass die Fraktionsführung auf Veranlassung der Bundesregierung den Abgeordneten bereits unter Sanktionen verbieten würde, überhaupt eine abweichende politische Meinung zu artikulieren. Würde einem Abgeordneten der Fraktionsausschluss schon für den Fall angedroht, dass er überhaupt eine abweichende Meinung äußert, so würde er dadurch zum willfährigen Objekt der Fraktionsspitze und der Bundesregierung degradiert347. In einem solchen Fall würde die Bundesregierung, wenn sie den Druck zielgerichtet veranlasst hätte, gegen die Organtreue gegenüber dem Bundestag verstoßen348. Jenseits derartiger Extremfälle wird sich jedoch ein unzulässiger faktischer Druck auf Abgeordnete nicht nachweisen lassen349. Denn letztlich wird man bezogen auf den Einzelfall immer argumentieren können, dass den Abgeordneten der Erfolg der Bundesregierung und der Konsens mit den privaten Vereinbarungspartnern nun einmal wichtiger gewesen sei als das einzelne Gesetz oder Detailregelungen des einzelnen Gesetzes, die nach dem Willen der Parlamentsmehrheit eigentlich hätten anders ausfallen sollen. Ein übermäßiger Druck seitens der Bundesregierung sei nicht vorhanden gewesen. Vielmehr hätten die Abgeordneten zwischen gesetzesbezogenen Erwägungen und der Solidarität zur Regierung abgewogen. Dabei hätten sie der Solidarität zur Regierung letztlich den Vorrang eingeräumt. Derartige Argumentationsmuster lassen die Gewaltenbalance als im Einzelfall unversehrt erscheinen, auch wenn eine Gesamttendenz zur Entparla346

Vgl. Cremer, Anwendungsorientierte Verfassungsauslegung, S. 477. Vgl. Klein, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. II, 2. Aufl., § 41 Rdnr. 16, der gelegentliche Querköpfigkeit von Abgeordneten als keinen zulässigen Grund für einen Fraktionsausschluss ansieht. Hölscheidt, Das Recht der Parlamentsfraktionen, S. 478 f., verlangt für den Fraktionsausschluss sogar einen „wichtigen Grund“. 348 Vgl. BVerfGE 10, 4 (13, 15). 349 Vgl. Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 183. 347

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mentarisierung erkennbar wird350. Dieser Selbstentmachtung des Parlaments351 kann jedoch nicht durch interorganschaftliche Pflichten zwischen Bundesregierung und Bundestag, sondern nur durch ein Stärkung des Eigengewichts des parlamentarischen Verfahrens begegnet werden352. (c) Ergebnis Die Bundesregierung hat über die Regierungsparteien und die Regierungsfraktionen die Möglichkeit, mittelbar auf die Abgeordneten einzuwirken. Daneben normiert die Verfassung in der Vertrauensfrage auch eine Möglichkeit der Bundesregierung, unmittelbar auf die Abgeordneten Druck auszuüben, wenn eine Situation politischer Instabilität vorliegt. Die Einflussnahme der Bundesregierung auf die Abgeordneten des Bundestages über die Partei- und Fraktionsschiene verstößt grundsätzlich nicht gegen die Verfassungsorgantreue, sofern dabei das Parlament nicht zum bloßen Objekt wird. Vielmehr ist es Aufgabe der Bundesregierung, sich die parlamentarische Unterstützung durch Einflussnahme auf das Parlament zu sichern und zu erhalten. Dies muss auch für den Fall gelten, dass die Bundesregierung mit Privaten eine gesetzesvorbereitende Vereinbarung abgeschlossen hat. Auch der von dieser Vereinbarung ausgehende politische Erfolgsdruck auf die Abgeordneten kann nicht als verfassungswidrig angesehen werden. Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen zwischen Bundesregierung und Privaten verstoßen grundsätzlich nicht gegen die Organtreue gegenüber dem Bundestag353. Die Bundesregierung hat beim Atomausstieg auf die Abgeordneten insoweit Druck ausgeübt, als in der Begründung der Gesetzesvorlage darauf hingewiesen wurde, dass es sich um ein mit den größten Betreibern von Kernkraftwerken ausgehandeltes Gesamtpaket handele. Der Hinweis auf den Charakter der Vereinbarung und des Umsetzungsgesetzes als Gesamtpaket erschwerte den Abgeordneten Änderungswünsche zu einzelnen Bestandteilen der Atomgesetznovelle vorzubringen, weil ansonsten der mit den beteiligten Energieversorgungsunternehmen mühsam ausgehandelte Kompromiss zu zerbrechen drohte. Verschiedene, bereits oben dargelegte Äußerungen des Bundeskanzlers, des Bundesumweltministers und der Fraktionssprecherin der Grünen unterstrichen die faktische Unabänderlichkeit der Vereinbarung354. 350

Lerche, Gewaltenteilung, S. 75 (90). Zur Entparlamentarisierung als Selbstentmachtung des Parlaments: Papier, VM 2003, 116 (120 f.). 352 Siehe hierzu unten 5. Teil. 353 Eine andere Frage ist, inwieweit die Abgeordneten wegen eines solchen Drucks seitens der Bundesregierung von einer eigenständigen und kritischen Entscheidungsfindung Abstriche machen dürfen: siehe hierzu unten 5. Teil. 354 Siehe oben 4. Teil B. I. 5. e) aa) (1) (a). 351

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

Da jedoch politischer Erfolgsdruck die Abgeordneten grundsätzlich nicht unzulässig beeinträchtigt, kann das Verhalten der Bundesregierung, soweit sie einen solchen Erfolgsdruck auf das Parlament durch Aushandeln des detaillierten Entwurfs erzeugt bzw. verstärkt hat, nicht als unzulässig angesehen werden. Vielmehr ist insoweit dem Sachverständigen Denninger zuzustimmen, der im Rahmen der Anhörung des Umweltausschusses die Auffassung vertrat, dass „eine Regierung, die „Politik machen“ will, immer versuchen (muss), das Parlament „inhaltlich zu binden“, indem sie nämlich eine parlamentarische Mehrheit für ihre Projekte sucht . . .“355. Wenn die Bundesregierung über Partei und Fraktion an die Abgeordneten appelliert, um des gemeinsamen politischen Erfolges willen auf Änderungen der Vorlage zu verzichten, so ist ein solches Verhalten der Bundesregierung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Auch wenn die Regierungsfraktionen de facto keinerlei Möglichkeiten hatten, die Gesetzesvorlage der Bundesregierung zum Atomausstieg abzuändern, können die Abgeordneten einen unzulässigen Druck der Bundesregierung mit dem Hinweis negieren, dass sie sich freiwillig an den von der Bundesregierung ausgehandelten Kompromiss gebunden gefühlt haben356. Eine Entbalancierung der grundgesetzlichen Gewaltenstatik kann deshalb in der Praxis nicht nachgewiesen werden. Der in der Literatur bezogen auf den Atomausstieg mehrfach erhobene Vorwurf, die Bundesregierung hätte unzulässigen Druck auf den Bundestag ausgeübt357, erweist sich somit als untauglicher Versuch, informell-kooperatives Staatshandeln verfassungsrechtlich zu bändigen.

(2) Rücksichtnahme auf den Bundesrat Im Unterschied zum Bundestag repräsentiert der Bundesrat die Länderinteressen und kann deswegen nicht so leicht von der Bundesregierung unter Druck gesetzt werden, sofern Bundes- und Länderinteressen divergieren. Soweit jedoch über die Parteischiene Druck auf einzelne Landesregierungen in Bezug auf die Stimmabgabe im Bundesrat ausgeübt wird, gelten die obigen Ausführungen zur Einflussnahme der Parteien auf den Bundestag entsprechend358. Einflussnahme der Bundesregierung über die Parteischiene wird von Art. 21 GG grundsätzlich gedeckt. Es besteht insoweit keine verfassungsrechtliche Pflicht der Bundesregierung, parteipolitisch vermittelte Einflussnahmen auf den Bundesrat zu unterlassen359. Das gilt auch dann, wenn sich die Bundesländer im Bundesrat aus parteipolitischen Gründen an eine von der Bundesregierung mit Privaten ausgehandelte Gesetzesvorlage gebunden fühlen. Auch insoweit kann von einem unzulässigen Druck der 355

Denninger, A.-Drs. 14/626 Teil 2** (Umweltausschuss), S. 2 (4); ähnlich: Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 305 (316). 356 Vgl. Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 305 (317). 357 Siehe oben 4. Teil B. I. 5. 358 Siehe oben 4. Teil B. I. 5. e) aa) (1). 359 Vgl. Klein, ZG 2002, 297 (307 ff.); Papier, VM 2003, 116 (117).

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Bundesregierung auf den Bundesrat und einem daraus resultierenden Verstoß gegen die Organtreue nicht gesprochen werden. bb) Ergänzende Nebenpflichten (positive Dimension) Die Organtreue kommt jedoch nicht nur als Schutzpuffer gegen faktischen Druck auf andere Organe in Betracht. Vielmehr normiert sie in ihrer positiven Dimension vor allem interorganschaftliche Unterstützungspflichten360. Führt die Bundesregierung gesetzesvorbereitende Verhandlungen mit Privaten, so können sich daraus besondere Pflichten gegenüber dem Bundestag und Bundesrat ergeben. (1) Effektive Beteiligung des Bundestages Die Organtreue kann in ihrer positiven Unterstützungsfunktion gebieten, dass der Bundestag rechtzeitig von den Verhandlungen mit den Privaten informiert wird und dass die von ihm geltend gemachten Aspekte bereits bei der Festlegung der Verhandlungsposition der Bundesregierung berücksichtigt werden. Dabei muss jedoch die Subsidiarität der Organtreue und die Organisationsautonomie der Bundesregierung beachtet werden. (a) Rechtzeitige Information und schlichter Parlamentsbeschluss Wird der Bundestag frühzeitig von den Verhandlungen in Kenntnis gesetzt, so besteht für das Parlament die Möglichkeit, eine öffentliche Diskussion durch eine öffentliche Parlamentsdebatte anzustoßen und der Entstehung von faktischem Druck dadurch entgegenzutreten, dass es eine eigenständige Position gegenüber der Bundesregierung, z. B. durch schlichten Parlamentsbeschluss, frühzeitig artikuliert361. Die darin zum Ausdruck kommende Positionsbestimmung des Parlaments muss von der Bundesregierung nach dem Grundsatz der Organtreue bereits bei der Festlegung der eigenen Verhandlungsposition berücksichtigt, d. h. in die eigenen Erwägungen einbezogen werden362. Berücksichtigt die Bundesregierung indessen den schlich360

Vgl. Schneider, Der Niedergang, S. 421 ff. Zum schlichten Parlamentsbeschluss als Mittel, um einer Erosion von Parlamentsrechten durch faktische Vorabbindungen entgegenzuwirken: vgl. BVerfGE 104, 151 (208); Löffler, Parlamentsvorbehalt, 64, 94 ff.; zur präventiven verfassungsrechtlichen Kontrollfunktion schlichter Parlamentsbeschlüsse: BVerfGE 90, 286 (390 ff.) – abw. M. 362 Vgl. zur Problematik der Verbindlichkeit schlichter Parlamentsbeschlüsse: Sellmann, Der schlichte Parlamentsbeschluss, S. 44 ff., 58; Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 123. 361

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

ten Parlamentsbeschluss nicht, so hat der Bundestag einen politischen Grund, die gesetzliche Umsetzung der Vereinbarung zu verweigern363. Den Parlamentariern der Mehrheitsfraktion wird es trotz grundsätzlicher Solidarität mit der Regierung leichter fallen, eine eigenständige Position gegenüber der Regierung zu vertreten, wenn diese eigenständige Position des Parlaments bereits frühzeitig in einer Entschließung als Mehrheitsauffassung des Bundestages artikuliert wurde. Deshalb kommt der rechtzeitigen Information des Parlaments als Ausdruck der Organtreue in Verbindung mit dem Instrument des schlichten Parlamentsbeschlusses eine wichtige Funktion zu, um den Entparlamentarisierungstendenzen entgegenzuwirken364. Wegen der bei zunehmendem Verfahrensfortschritt entstehenden faktischen Bindung ist entscheidend, dass die Beteiligung vor Entstehung der wesentlichen faktischen Bindungen gegenüber den Privaten erfolgt365. Die effektive Beteiligung muss sich auf den gesamten Bundestag beziehen und diesen in seiner Gesamtheit in die Lage versetzen, sich zu den von der Bundesregierung geführten Verhandlungen zu äußern. Das setzt voraus, dass auch die Opposition ausreichende Informationen über die Verhandlungen der Bundesregierung mit den Privaten erhält. Die Kontrollfunktion des Parlaments gegenüber der Bundesregierung wird insbesondere von der Opposition wahrgenommen. Eine lediglich informelle Beteiligung der Fraktionsvorsitzenden der Mehrheitsfraktionen reicht deshalb zur Erfüllung der Pflichten aus dem Grundsatz der Verfassungsorgantreue nicht aus366. Durch die effektive Beteiligung des gesamten Parlaments an der Gesetzesvorbereitung kann dessen funktionsgerechte Aufgabenwahrnehmung und Integrationsfähigkeit gesichert werden. (b) Organisationsautonomie der Bundesregierung Die Pflichten der Bundesregierung, den Bundestag über die Vorbereitung von Gesetzen zu informieren, finden nach dem Gewaltenteilungsprinzip dort ihre Grenze, wo der von der Organisationsautonomie der Bundesregierung geschützte Eigenbereich der Exekutive beginnt367. Zu diesem Eigenbe363 Vgl. Busse, Gesetzgebungseinflüsse, S. 97 (103); Löffler, Parlamentsvorbehalt, S. 101. 364 Vgl. Schulze-Fielitz, Parlament als Organ der Kontrolle, S. 71 (108); Ossenbühl, Welche normativen Anforderungen, B 89 f. 365 Zum Zusammenhang von Effektivität und Frühzeitigkeit der Beteiligung: ThürVerfGH NVwZ-RR 1997, 394 (395); Staeck, Vom Reformprojekt, S. 142. 366 Zur regelmäßig stattfindenden informellen Beteiligung der Fraktionsspitzen der Mehrheitsfraktionen: Becker, Bundesregierung, S. 67 (77). Solche Abstimmungsprozesse gab es selbstverständlich auch beim Atomausstieg. 367 Zur Organisationsautonomie der Bundesregierung: siehe oben 4. Teil A.

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reich gehört die interne Willensbildung der Bundesregierung und dem Grunde nach auch die Vorbereitung der eigenen Gesetzesvorlagen368. Müsste die Bundesregierung den gesamten Bundestag stets über jeden Schritt der Gesetzesvorbereitung informieren, so wäre damit zwangsläufig auch die vorzeitige Publizität gegenüber der Öffentlichkeit verbunden. Die vorzeitige Publizität kann zu Vorfestlegungen führen, die in der Vorbereitungsphase gerade vermieden werden sollen. Deshalb muss die Bundesregierung den Bundestag grundsätzlich erst dann informieren, wenn die Entscheidungsvorbereitung abgeschlossen und die Gesetzesinitiative beschlossen ist369. Eine vorzeitige Information des Bundestages steht jedoch im Ermessen der Bundesregierung. Ein Recht des Bundestages auf Information durch die Bundesregierung noch vor Beschluss der Gesetzesinitiative kann aber anzuerkennen sein, wenn die Bundesregierung faktische Bindungen gegenüber den Privaten Vereinbarungspartnern einzugehen beabsichtigt, die das spätere Gesetzgebungsverfahren im Parlament maßgeblich prägen werden. Mit solchen faktischen Bindungen gegenüber Privaten erhält die Gesetzesvorbereitung der Bundesregierung eine organübergreifende Tendenz. Die organübergreifenden faktischen Bindungen gesetzesvorbereitender Verhandlungen mit Privaten können es rechtfertigen, von einer Pflicht der Bundesregierung zur vorzeitigen Information auszugehen, weil die primär den Regierungsinnenbereich schützende Organisationsautonomie der Bundesregierung mit zunehmender faktischer Vorabbindung an Gewicht verliert, je mehr das spätere Gesetzgebungsverfahren vorgeprägt wird. Auch in Grenzbereichen der organinternen Willensbildung, die wegen Beteiligung privater Interessenvertreter und den dabei entstehenden faktischen Austauschbindungen bereits eine organübergreifende Tendenz aufweisen, kann die Bundesregierung allerdings ein legitimes Interesse daran haben, dass der Bundestag und die Öffentlichkeit nicht vorzeitig über gesetzesvorbereitende Verhandlungen mit Privaten informiert werden, weil ansonsten Vorfestlegungen durch öffentliche Äußerungen zu befürchten sein könnten und damit der Verhandlungserfolg mit den Privaten möglicherweise gefährdet wird370. Dem Geheimhaltungsinteressen der Bundesregierung wird eine Ausschaltung der Öffentlichkeit von den Beratungen des Bundestages (Art. 42 Abs. 1 Satz 2 GG) nicht wirkungsvoll entsprechen können371. Werden mehrere hundert Abgeordnete über geheimhaltungsbedürftige Sachverhalte informiert, werden sich „undichte Stellen“ in praxi nicht 368 369 370 371

Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 62 Rdnr. 59. Vgl. BVerfGE 67, 100 (139). Zur Probematik öffentlicher Vorfestlegungen: siehe unten 4. Teil B. III. 1. Vgl. BVerfGE 70, 324 ff.

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vermeiden lassen. Erachtet man Kooperation zwischen Bundesregierung und Privaten, wie hier im Rahmen der Darlegungen zum Kooperationsprinzip ausgeführt, jedoch als verfassungsrechtlich zulässig und sogar unter Umständen von der Verfassung erwünscht372, so muss das zum Wesen von kooperativen Verhandlungen gehörende Interesse der Bundesregierung an wirksamer Geheimhaltung respektiert werden. Das Geheimhaltungsinteresse und der Gestaltungsspielraum der Bundesregierung als Ausfluss der Organisationsautonomie sind mit dem Informationsinteresse des Parlaments bezogen auf das jeweilige Regelungsvorhaben abzuwägen373. Je stärkere organübergreifende, faktische Bindungen durch die Bundesregierung im Rahmen der gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen eingegangen werden, desto höher ist das diesbezügliche vorzeitige Informationsinteresse des Parlaments zu gewichten. Der Bundestag muss um so frühzeitiger informiert werden, je intensivere faktische Bindungen für das spätere Gesetzgebungsverfahren bereits in der Gesetzesvorbereitung entstehen werden374. Soweit die Bundesregierung eine Information der Abgeordneten ablehnt, muss sie ihre Gründe darlegen, damit die Abwägung zwischen Eigenbereich der Bundesregierung und Informationsrecht des Bundestages überprüft werden kann375. (c) Subsidiarität der Organtreue Von einem Verstoß der Bundesregierung gegen den Grundsatz der Verfassungsorgantreue wegen unzureichender Information des Parlaments ist aber nicht auszugehen, wenn das Parlament genügend Sachkenntnis hat, um sich selbst mittels des Zitierrechts des Art. 43 Abs. 1 GG selbst bei der Bundesregierung zu informieren. Zudem steht den einzelnen Abgeordneten ein Informationsrecht gegenüber der Bundesregierung als Bestandteil des Abgeordnetenstatus zu376. Der Grundsatz der Gewaltenteilung impliziert, dass jedes Staatsorgan sich in erster Linie selbst um die Wahrung der eigenen Rechte kümmert377. Erst wenn das Parlament bzw. der einzelne Abgeordnete gar nicht in der Lage sind, das Fragerecht gegenüber der Bundesregierung sinnvoll auszuüben, weil es beispielsweise keinerlei Anhaltspunkte 372

Siehe oben 2. Teil B. II. 2. a). Zur Rechtzeitigkeit der Information der Abgeordneten: vgl. NWVerfGH, NVwZ 1994, 678 (679 f.). 374 Vgl. Schulze-Fielitz, Parlament als Organ der Kontrolle, S. 114. 375 Vgl. MVVerfG, NJW 2003, 815 ff. 376 BVerfGE 70, 324 (355); Kretschmer, in: Schmidt-Bleibtreu, GG, Art. 38 Rdnr. 72 ff.; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 38 Rdnr. 34. 377 Vgl. BVerfGE 68, 1 (66 f.); Eichenberger, Gesetzgebung im Rechtsstaat, S. 7 (35). 373

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gibt, die Anlass zu einer zielgerichteten Frage sein können, kann der Bundesregierung ein Verstoß gegen die Organtreue vorgeworfen werden, weil sie den Bundestag unzureichend informiert hat378. Somit obliegt es dem Bundestag grundsätzlich selbst, aus eigener Initiative die Verhandlungen der Bundesregierung mit Privaten zu kontrollieren. Weiß der Bundestag jedoch nichts von den Verhandlungen, so ergibt sich aus der Organtreue die Pflicht der Bundesregierung, den Bundestag noch vor Entstehung faktischer Bindungen in Kenntnis zu setzen. Die Organtreue der Bundesregierung gegenüber dem Bundestag ist gegenüber der Organeigenverantwortung des Bundestages subsidiär. Sie greift erst dann ein, wenn der Bundestag, wie es beispielsweise bei Geheimverhandlungen der Bundesregierung der Fall sein könnte, seine Aufgabe zur Nachfrage nicht aus eigener Initiative zu erfüllen vermag379. (d) Atomausstieg Für den Atomausstieg bedeutet dies, dass die Organisationsautonomie der Bundesregierung nur ein abgeschwächtes Gewicht hatte, weil die Vereinbarung vom 14. Juni 2000 aus dem regierungsinternen Rechtskreis der Gesetzesvorbereitung faktisch ausbrach und in besonders hohem Maße ein faktisches Präjudiz für das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren darstellte. Die Abwägung zwischen Organisationsautonomie und Organtreue könnte deshalb ergeben, dass die Bundesregierung zur effektiven Information des Bundestages noch vor der Paraphierung der Vereinbarung am 14. Juni 2000 verpflichtet war. Andererseits hatte der Bundestag jedenfalls durch die öffentliche Berichterstattung in den Medien Kenntnis davon, dass die Bundesregierung einen Gesetzentwurf mit den Energieversorgern im Detail aushandelte. Der Bundestag bzw. einzelne Abgeordnete konnten sich folglich auch aus eigener Initiative bereits vor dem 14. Juni 2000 effektiv beteiligen, indem sie die Bundesregierung zu den Verhandlungen befragten und die Ergebnisse dieser Anfragen in aktuellen Stunden vor dem 14. Juni 2000 erörterten380. Da die Organtreue nur subsidär eingreift, wenn der Bundestag bzw. dessen Abgeordnete nicht selbst aktiv werden konnten, war die Bundesregierung nicht dazu verpflichtet, den Bundestag von sich aus über den Stand der Gespräche mit den Energieversorgungsunternehmen zu informieren. 378 Die sinnvolle Ausübung des Fragerechts des Parlaments und der Abgeordneten setzt ein Mindestmaß an Informiertheit voraus (vgl. Ossenbühl, Welche normativen Anforderungen, B 90). 379 Zur Subsidiarität der Organtreue gegenüber der Organeigenverantwortung: vgl. NWVerfGH, NVwZ 1994, 678 (679); Schneider, Der Niedergang, S. 423; zur gegenüber der Organtreue vorrangigen Organeigenverantwortung: siehe unten 9. Teil. 380 Zu aktuellen Stunden des Bundestages zum Atomausstieg, die vor Paraphierung der Vereinbarung stattfanden: siehe dpa 4057 (27.1.1999); dpa 0718 (21.1.1999).

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Im Gegensatz zur Organtreue ist allerdings die Informationspflicht des § 48 Abs. 2 GGO nicht als subsidiäre Pflicht ausgestaltet. Deshalb käme ein Verstoß der Vereinbarung gegen diese Bestimmung des Geschäftsordnungsrechts in Betracht. Soweit jedoch ein diesbezüglicher Verstoß feststellbar sein sollte, der wegen der Subsidiarität der Organtreue nicht zugleich als Verstoß gegen die Organtreue gewertet werden kann, hat dieser Verstoß auf die Wirksamkeit des Gesetzes keine Auswirkungen. Die GGO stellt bloßes Innenrecht dar und kann somit eine außenwirksame Rechtswidrigkeit eines Gesetzes nicht begründen381. Entscheidend ist, dass die Bundesregierung nicht gegen die Verfassungsorgantreue verstoßen hat382. Der Bundestag hätte selbst aktiv werden können383.

(2) Effektivität der Bundesratsbeteiligung des Art. 76 Abs. 2 GG Faktisch bindende gesetzesvorbereitende Verhandlungen der Bundesregierung mit Privaten gefährden auch die Beteiligungsrechte des Bundesrates an der Gesetzgebung. Der Bundesrat wird im Gesetzgebungsverfahren zweifach beteiligt. Nach Art. 76 Abs. 2 Satz 1 GG sind Gesetzesvorlagen der Bundesregierung vor Zuleitung an den Bundestag zunächst dem Bundesrat zur Stellungnahme zu übersenden. Nach Art. 77 Abs. 1 Satz 2 GG wird das vom Bundestag beschlossene Gesetz dann noch einmal dem Bundesrat vorgelegt, damit dieser endgültig darüber beschließen kann. Das Recht des Bundesrates nach Art. 76 Abs. 2 Satz 1 GG, vor Behandlung durch den Bundestag Stellung zu nehmen, hat einen doppelten Sinn. Zum einen soll der Sachverstand der Landesvollzugsbehörden in den Gesetzgebungsprozess einfließen. Zum anderen dient die Stellungnahme des Bundesrates aber auch dazu, dass die Länder ihre politischen Interessen frühzeitig artikulieren können (vgl. Art. 50 GG)384. Die frühzeitige Beteiligung des Bundesrates nach Art. 76 Abs. 2 GG noch vor der Behandlung der Vorlage im Bundestag soll dafür sorgen, dass Bundesregierung und Bundestag Widerstände des Bundesrates rechtzeitig erfahren und sich somit darauf einrichten können. Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen mit Privaten können indessen die Effektivität des Beteiligungsrechts des Bundesrates nach Art. 76 Abs. 2 GG beeinträchtigen, indem die Bundesregierung sich bereits vor der Stellungnahme des Bundesra381

Zum Geschäftsordnungsrecht als bloßes Innenrecht: Ossenbühl, in: Isensee/ Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 63 Rdnr. 3; Stern, Staatsrecht Bd. 2, § 31 IV 2 (S. 307); Hermes, in: Dreier, GG Bd. II, Art. 65 Rdnr. 50; vgl. auch: BVerfGE 29, 221 (234); Konrad, DÖV 1971, 80 ff. 382 Zu den Auswirkungen eines Verstoßes gegen die Organtreue auf die Wirksamkeit des Umsetzungsgesetzes: siehe unten 6. Teil. 383 Vgl. Ruffert, DVBl. 2002, 1145 (1153). 384 Masing, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG Bd. II, Art. 76 Abs. 2, 3 Rdnr. 85; Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 63 Rdnr. 19.

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tes gegenüber den privaten Vereinbarungspartnern faktisch festlegt, so dass die Stellungnahme des Bundesrates nicht mehr berücksichtigt werden kann. Dem wirkt die Organtreue entgegen, indem sie die Effektivität der Beteiligung des Bundesrates einfordert385. Einen Verstoß gegen die Organtreue kann die Bundesregierung dadurch vermeiden, dass sie eine Beteiligung des Bundesrates schon vor Entstehung erheblicher faktischer Bindungen durchführt. Mit einer frühzeitigen Beteiligung des Bundesrates kann dessen Stellungnahme noch tatsächlich berücksichtigt werden und in den Prozess der Verhandlungen mit Privaten wirksam einfließen386. Notwendig ist auch hier eine Gesetzesvorbereitungsstruktur, die die rechtzeitige und damit effektive Beteiligung des Bundesrates absichert. Auch insoweit muss jedoch die Organisationsautonomie und die damit verbundene Gestaltungsprärogative der Bundesregierung beachtet werden. Der Zeitpunkt der Information des Bundesrates durch die Bundesregierung liegt deshalb grundsätzlich im Ermessen der Bundesregierung. Dieses Ermessen schrumpft jedoch umso mehr, je deutlicher die Gesetzesvorbereitung bereits den Charakter faktisch bindender Staatsgewalt zeigt. Im Gegensatz zur Organtreue zwischen Bundesregierung und Bundestag ist die Organtreue zwischen Bundesregierung und Bundesrat aber nicht subsidiär gegenüber eigenen Anfragen ausgestaltet387. In Art. 53 Satz 3 GG ist normiert, dass die Bundesregierung den Bundesrat fortlaufend von sich aus informieren muss. Darin liegt ein wesentlicher Unterschied zur ungeschriebenen Organtreue gegenüber dem Bundestag. Während der Bundestag vorrangig selbst tätig werden muss, darf sich der Bundesrat darauf verlassen, dass die Bundesregierung ihn nach Art. 53 Satz 3 GG auf dem Laufenden hält388. Dennoch ist auch im Rahmen des Art. 53 Satz 3 GG eine Abwä385

Nach Masing, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG Bd. II, Art. 76 Abs. 2 Rdnr. 87, dürfte demgegenüber eine Verletzung der Organtreue gegenüber dem Bundesrat von vornherein ausscheiden, weil die frühe Beteiligung des Bundesrates nach seiner Auffassung lediglich dem Schutz des Bundestages diene. Dem kann angesichts der soeben beschriebenen doppelten Funktion der Bundesratsbeteiligung und wegen Art. 50 GG nicht beigetreten werden. 386 Vgl. Kloepfer, JZ 1984, 685 (695): Nach Kloepfer ist die Bundesratsbeteiligung Bestandteil der Legitimation des Gesetzes durch Verfahren. Wenn aber nach dem Bundesverfassungsgericht eine effektive Legitimation erreicht werden muss (BVerfGE 93, 37 (66); BVerfG DVBl. 2003, 923 (924, 926)), dann muss auch das legitimierende Verfahren und die Beteiligung des Bundesrates als Bestandteil des legitimierenden Verfahrens effektiv sein. 387 Zur Subsidiarität der Organtreue zwischen Bundesregierung und Bundestag: siehe oben 4. Teil B. I. 5. e) bb) (1) (c). 388 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 53 Rdnr. 2; zur Anwendung des Art. 53 Satz 3 GG bei informellen Vereinbarungen: Brohm, DÖV 1992, 1025 (1030 Fußnote 34). Eine zunehmende Bedeutung dieser Vorschrift im Bereich des informellen

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

gung mit dem gegenläufigen Geheimhaltungsinteresse der Bundesregierung möglich, das allerdings umso geringer zu gewichten ist, je stärkere faktische Bindungen bei den Verhandlungen entwickelt werden. Auch insoweit ist die Bundesregierung jedoch zur Offenlegung ihrer Geheimhaltungsgründe verpflichtet. Beim Atomausstieg hätte die Bundesregierung den Bundesrat noch vor Entstehung erheblicher faktischer Bindungen nach Art. 53 Satz 3 GG informieren müssen. Die Gelegenheit zur Stellungnahme nach Art. 76 Abs. 2 GG wäre vorzuziehen gewesen. Das Ermessen der Bundesregierung über den Zeitpunkt der Information war wegen der besonders starken faktischen Bindungen der Vereinbarung vom 14. Juni 2000 deutlich geschrumpft. Der Bundesrat musste wegen Art. 53 Satz 3 GG anders als der Bundestag nicht auf eigene Initiative tätig werden und bei der Bundesregierung über den Verhandlungsstand nachfragen. Die Bundesregierung hat gegen Art. 53 Satz 3 GG verstoßen, weil sie den Bundesrat erst nach Entstehung erheblicher faktischer Bindungen informiert hat. Art. 76 Abs. 2 GG wurde durch die faktischen Bindungen gegenüber den privaten Vereinbarungspartnern unter Verstoß gegen die Organtreue entwertet. Das Geheimhaltungsinteresse der Bundesregierung tritt wegen der hohen faktischen Bindungen der Vereinbarung vom 14. Juni 2000 hinter das Informationsinteresse des Bundesrates zurück.

(3) Ergebnis In der positiven Dimension fordert die Organtreue von der Bundesregierung, die anderen an der Gesetzgebung beteiligten Verfassungsorgane rechtzeitig zu informieren und deren Stellungnahme in die eigenen Erwägungen einzubeziehen. Dabei ist jedoch eine Abwägung zwischen dem Informationsinteresse anderer Verfassungsorgane und dem kooperationsspezifischen Geheimhaltungsinteresse der verhandelnden Bundesregierung vorzunehmen. Dem Informationsinteresse des Parlaments bzw. des Bundesrates kommt umso höheres Gewicht zu, je stärkere faktische Bindungen in den gesetzesvorbereitenden Verhandlungen mit den Privaten erzeugt werden. Im Gegensatz zur Organtreue gegenüber dem Bundesrat ist die Organtreue im Verhältnis zum Bundestag jedoch subsidiär zu einer eigenverantwortlichen Nachfrage der Parlamentarier. 6. Bundestreue Faktisch bindende gesetzesvorbereitende Vereinbarungen, die von der Bundesregierung mit Privaten abgeschlossen werden, können nicht nur Rechte anderer Bundesorgane unter Verstoß gegen die Organtreue beeinträchtigen. Auch eine Beeinträchtigung von Länderrechten ist denkbar. InStaatshandelns vermutet auch: Helberg, Normabwendende Selbstverpflichtungen, S. 104 Fußnote 91.

B. Grundgesetzliche Anforderungen

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soweit wurden bereits Funktionsübergriffe in die Vollzugskompetenzen der Länder untersucht. Dabei wurde die Kompetenzordnung als Ausdruck der vertikalen Gewaltenteilung als Prüfungsmaßstab herangezogen. Daneben ist aber auch an eine Beeinträchtigung der Bundestreue zu denken. Aus der Bundestreue können sich Anforderungen an Procedere und Stil der Verhandlungen ergeben, die die Bundesregierung mit den Privaten führt389. a) Anwendungsbereich der Bundestreue Nach den obigen Ausführungen sind Übergriffe von gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen und Umsetzungsgesetz in die Kompetenzbereiche der Länder am Übermaßverbot zu messen390. Aus dem Übermaßverbot kann sich ergeben, dass die Länder oder der Bundesrat als Kompensation für einen Kompetenzübergriff rechtzeitig beteiligt werden müssen, weil der Übergriff mit effektiver Beteiligung als milderes Mittel im Gegensatz zu einem Übergriff ohne effektive Beteiligung anzusehen ist391. Die Notwendigkeit einer vorgezogenen Bundesratsbeteiligung kann sich auch aus der Verfassungsorgantreue ergeben. Die Verfassungsorgantreue fungiert dann im Sinne einer antizipierenden Effektivierung der Bundesratsbeteiligung392. Somit sichert sowohl das Gebot kompensatorischer Beteiligung bei Kompetenzübergriffen als auch das Gebot der Verfassungsorgantreue die effektive unmittelbare oder durch den Bundesrat vermittelte Beteiligung der Länder bei gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen ab393. Es gibt jedoch Konstellationen, in denen länderspezifische Interessen berührt werden und in denen die beiden dargelegten Mechanismen zum Schutz der Länder nicht ausreichen. Liegt kein Kompetenzübergriff vor und kann ein Land seine spezifische Situation auch nicht über den Bundesrat ausreichend artikulieren, so ist auf den Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens zurückzugreifen, der länderfreundliches Verhalten des Gesetze aushandelnden Bundes gebietet. Die Verfassungsorgantreue gegenüber dem Bundesrat bleibt unter Umständen wirkungslos, wenn ein Land in erheblichem Maße anders betroffen ist als die übrigen Länder und es deshalb keine Aufmerksamkeit mit seinem Anliegen im Bundesrat findet. In einem solchen Fall ist der Bund unter dem Gesichtpunkt der Bundestreue ver389 Vgl. zu Verhandlungen zwischen Bund und Ländern: BVerfGE 12, 205 (255); 86, 148 (211 f.). 390 Siehe oben 3. Teil. 391 Siehe oben 3. Teil A. I., C. III. 3. c). 392 Siehe oben 4. Teil B. I. 5. e) bb) (2). 393 Obwohl der Bundesrat Bundesorgan ist, handelt es sich bei der antizipierten Bundesratsanhörung letztlich – bei materieller Betrachtungsweise – um eine Effektivierung der Länderpartizipation (siehe Art. 50 GG).

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

pflichtet, dem besonders betroffenen Land zusätzliche Möglichkeiten der Stellungnahme einzuräumen, die von der Möglichkeit des Bundesrates, Stellung zu nehmen, unabhängig sind. Zudem kann die Bundestreue gebieten, das der Bundgesetzgeber unterschiedliche Interessen unterschiedlicher Länder differenziert würdigt. b) Akzessorietät Eine Anwendung der Bundestreue in Bezug auf gesetzesvorbereitende Verhandlungen setzt jedoch voraus, dass zwischen Bund und Land ein anderweitig begründetes Rechtsverhältnis besteht394. Die Bundestreue ergänzt dieses Rechtsverhältnis und stellt dabei dessen Wirksamkeit sicher. Die Rechtsbeziehung von Bundesregierung und Bundesrat im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens gemäß Art. 76 Abs. 2 GG scheidet insoweit aus, weil für die Bundestreue, anders als für die Verfassungsorgantreue, kein Rechtsverhältnis unter Bundesorganen in Betracht kommt. Art. 76 Abs. 2 GG stellt nur eine Rechtsverhältnis zwischen Bundesregierung und Bundesrat, nicht aber zu den Ländern her395. Deshalb muss das erforderliche Rechtsverhältnis bei der Bundestreue zwischen Bund und Land anderweitig begründet werden. Soweit es um die Vorbereitung von Gesetzen geht, ist es auch nicht möglich, das notwendige Rechtsverhältnis aus den Art. 83 ff. GG herzuleiten. Diese Normen betreffen lediglich den Gesetzesvollzug und sind deshalb für die Gesetzesvorbereitung ohne Bedeutung. Das Rechtsverhältnis kann sich jedoch daraus ergeben, dass das Grundgesetz eine gemeinsame Verantwortung von Bund und Ländern für bestimmte Aufgaben normiert. Der Schutz und die Einhaltung der Grundrechte ist eine gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern (Art. 1 Abs. 3 GG)396. Eine gemeinsame Verantwortung von Bund und Ländern für bestimmte Aufgaben ergibt sich auch aus den Staatszielen (siehe vor allem: Art. 20 Abs. 1 GG, 28 Abs. 1 GG, 20 a, 109 Abs. 2 GG). Sind Bund und Länder dazu verpflichtet, in bestimmten Bereichen auf bestimmte Staatsziele und die Erfüllung grundrechtlicher Schutzpflichten hinzuwirken, so ergibt sich aus dieser gemeinsamen Aufgabe ein verfassungsrechtliches Koordinationsgebot. Ohne gegenseitige Abstimmung kann die Erfüllung von Schutzpflichten und Staatszielen gefährdet sein. Unkoordiniertes Verhalten von Bund und Ländern kann zu Reibungsverlusten und 394

BVerfGE 104, 238 (247 f.); 103, 81 (88); 42, 103 (117). Vgl. BVerfGE 94, 297 (311). 396 Zur gemeinsamen Bindung von Bund und Ländern an die Grundrechte: BVerfGE 97, 298 (314 f.); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 1 Rdnr. 20. 395

B. Grundgesetzliche Anforderungen

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gegenseitigen Blockaden führen. Grundrechtliche Schutzpflichten und Staatsziele erfordern deshalb bei Gefahr wechselseitiger Reibungsverluste ein koordiniertes Vorgehen von Bund und Land, damit das vom Untermaßverbot geforderte Mindestmaß an Schutzpflicht- und Staatszielerfüllung erreicht wird397. Die Effektivität des Grundrechtsschutzes und die effektive Erfüllung der Staatsziele darf nicht unter einem unabgestimmten Verhalten von Bund und Ländern leiden. Die verfassungsrechtlich normierte gemeinsame Verantwortung von Bund und Ländern für den Schutz der Grundrechte und für die Erfüllung der Staatsziele stellt deshalb das verfassungsrechtliche Rechtsverhältnis dar, in dessen Rahmen die Bundestreue Koordinationspflichten erzeugt398. Daraus ergibt sich indessen kein Recht eines der Beteiligten geltend zu machen, der andere würde seine Aufgaben unzureichend wahrnehmen. Das Koordinationsgebot impliziert auch keinen Anspruch, von einer faktischen Aufgabenvermehrung oder Aufgabenverschiebung verschont zu bleiben399. Es wirkt aber insoweit, als jeder zur Erfüllung von Schutzpflichten und Staatszielen Verpflichtete ein Recht darauf hat, dass der andere bei seiner Tätigkeit berücksichtigt, wie sich sein Verhalten auf die Zielverfolgung der anderen auswirkt400. Diese Berücksichtigungspflicht gilt nicht nur für die Abwägung im Gesetzgebungsverfahren, sondern auch schon für die Gesetzesvorbereitung. Bei gesetzesvorbereitenden Verhandlungen, die auf faktische Bindungen abzielen, muss die Einbeziehung der spezifischen Belange der Länder in die Abwägung frühzeitig erfolgen, damit der Prozess sich verdichtender faktischer Bindungen nicht von vornherein ein Berücksichtigung spezifischer Belange einzelner Länder ausschließt401. Die Versorgung der Bürger mit dem elementaren Lebensgut Energie ist eine öffentliche Aufgabe. Aus den Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 Satz 1, Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 und Art. 109 Abs. 2 GG ergibt sich eine gemeinsame Verpflichtung von Bund und Land, die Energieversorgung zu gewährleisten402. Der vom Bund geregelte Atomausstieg kann sich auf die Gewährleistungsverantwortung des Landes in Bezug auf eine sichere und preislich angemessene Energieversorgung auswirken. Deshalb ist der Bund dazu verpflichtet, seine Politik mit den Ländern zu koordinieren, indem er die diesbezüglichen Interessen der Länder zur Kenntnis nimmt und bei seiner Abwägung berücksichtigt403. Bei der Vorbereitung der Atomgesetz397

Vgl. BVerfGE 7, 377 (442 f.); 33, 303 (357 f.); 56, 298 (322). Vgl. Degenhart, Bundes- und länderfreundliches Verhalten, S. 369 (382 ff.); siehe ferner BVerwGE 50, 137 (148 ff.). 399 Vgl. BVerfGE 104, 238 (248). 400 Vgl. BVerfGE 4, 115 (140). 401 Zur Entwertung der Länderbeteiligung durch faktische Vorabbindung: vgl. BVerfGE 12, 205 (258). 402 BVerfGE 30, 292 (323 f.); 66, 248 (258); Di Fabio, Die Verfassung als Maßstab und Grenze, S. 118 ff.; Roßnagel, Zur Zulässigkeit eines Gesetzes, S. 18 f., 77. 398

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

novelle wurde indessen die notwendige frühzeitige und effektive Koordination nicht durchgeführt. Das wirft die Frage auf, ob in Hinblick auf die gemeinsame Infrastrukturverantwortung von Bund und Ländern gegen die Bundestreue verstoßen wurde.

c) Mittlerfunktion des Bundesrates Kann ein konkretes Rechtsverhältnis zwischen Bund und Land für die Gesetzesvorbereitung nachgewiesen werden, so ist zu beachten, dass der ungeschriebene Verfassungsgrundsatz der Bundestreue kodifizierte verfassungsrechtliche Wertungen nicht überspielen darf. Den Art. 50, 53 und 76 Abs. 2 GG könnte eine verfassungsrechtliche Wertung zu entnehmen sein, nach der der Bund mit den Ländern primär oder sogar ausschließlich über den Bundesrat und nicht über einen direkten Kontakt zu einzelnen Ländern kommunizieren soll. Der Bundesrat hat eine Mittlerfunktion zwischen den Ländern auf der einen Seite und den anderen Bundesorganen auf der anderen Seite404. Dies könnte dazu führen, dass eine vorgezogene unmittelbare Beteiligung der Länder an den Gesetzesvorbereitungen problematisch ist405. Gegen diese Bedenken hinsichtlich eines Direktkontaktes des Bundes zu den Ländern bei der Vorbereitung von Gesetzen kann aber angeführt werden, dass sich die Art. 50 und 76 Abs. 2 GG nur auf das formalisierte Gesetzgebungsverfahren beziehen würden, während es im informellen Vorfeld der Gesetzesinitiative im Organisationsermessen der Bundesregierung läge, ob sie die Länder über den Bundesrat oder direkt beteilige406. Problematisch daran ist allerdings, dass die faktischen Vorabbindungen gesetzesvorbereitender Vereinbarungen die Grenzen zwischen Entscheidungsvorbereitung und Entscheidung verschwimmen lassen, weil die eigentlichen Entscheidungen bereits im Vorfeld des formalisierten Gesetzgebungs403

Vgl. Degenhart, Bundes- und länderfreundliches Verhalten, S. 369 (380). Korioth, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG Bd. II, Art. 53 Rdnr. 11. 405 Eine direkte Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern ist allerdings beispielsweise in § 18 StWG oder § 51 HGrG sogar ausdrücklich normiert. Zu den zahlreichen Erscheinungsformen des „kooperativen Föderalismus“: Korioth, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG Bd. II, Art. 50 Rdnr. 28 m. w. N. 406 Das Bundesverfassungsgericht hat in E 94, 297 (311) die Auffassung vertreten, dass die Länder an der Gesetzgebung des Bundes gemäß Art. 50 GG ausschließlich über den Bundesrat beteiligt werden. Diese Aussage bezieht sich indessen nur auf das formalisierte Gesetzgebungsverfahren der Art. 76 ff. GG. Soweit Bundesregierung oder Bundestag Rechte des Bundesrates nach Art. 76 ff. GG verletzen, kann eine solche Rechtsverletzung nur vom Bundesrat und nicht unmittelbar von den Ländern geltend gemacht werden. Damit ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass die Länder aus dem Grundsatz der Bundestreue eigene Beteiligungsrechte haben, die im Vorfeld der Art. 76 ff. GG angesiedelt sind und von diesen selbst geltend gemacht werden können. 404

B. Grundgesetzliche Anforderungen

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verfahrens faktisch bindend festgelegt werden. Deshalb könnte man die in Art. 50, 53 Satz 1, 76 Abs. 2 GG angelegte Wertung bei faktisch bindenden gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen auch schon auf das faktisch bindende Vorfeld anwenden. Die Beteiligungsstruktur der informell-kooperativen Gesetzesvorbereitung könnte parallel zum späteren formalisierten Gesetzgebungsverfahren zu entwickeln sein. Dann wären die Länder bei gesetzesvorbereitenden Verhandlungen vorrangig über eine vorgezogene Anhörung des Bundesrates zu beteiligen. Die Bundestreue gegenüber den einzelnen Ländern würde gegenüber der Organtreue zwischen Bundesregierung und Bundesrat zurücktreten. Ein solcher Primat der Kommunikation zwischen Bund und Ländern über die Bundesratsschiene würde indessen verkennen, dass außerhalb des formalisierten Gesetzgebungsverfahrens und des unmittelbaren Anwendungsbereichs der Art. 50 und 76 Abs. 2 GG die Ausstrahlungskraft des Bundesstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 1 GG) unmittelbar zum Tragen kommt. Es würde dem Bundesstaatsprinzip widersprechen, wenn die Kommunikationskanäle zwischen Bund und Land auf den Bundesrat verengt würden. Vielmehr entspricht es dem Bündnisgedanken des Bundesstaatsprinzips, dass Bund und Land alles tun, um den Bündniszweck umfassend zu verwirklichen. Durch die unmittelbare Kommunikation zwischen Bund und Ländern entsteht der Bundesstaat stets von Neuem. Das Bündnis wird durch Direktkontakte erneuert und gefestigt407. Die unmittelbare Einbeziehung der Länder in die Gesetzesvorbereitung kann notwendig sein, um die Effektivität der Länderbeteiligung im informell-kooperativen Vorfeld der Gesetzgebung zu sichern. Die Bundesregierung ist auf den direkten Kontakt zu den Ländern angewiesen, um vor allem bei zustimmungsbedürftigen Gesetzen für eigene Gesetzesvorlagen zu werben und eine Mehrheit im Bundesrat zu erreichen. Deshalb ist es dem Bund nach dem Bundesstaatsprinzip gestattet, auch außerhalb der Bundesratsschiene auf informellem Wege mit den Ländern zu kommunizieren408, sofern dadurch nicht die effektive Beteiligung des Bundesrates untergraben wird409. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Mittlerfunktion des Bundesrates ein ausschließlicher Charakter zukommen würde, der einen direkten Kontakt von Bund und Ländern verböte410. 407 Vgl. BVerfGE 1, 299 (300, 311, 315); Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 268 ff. 408 Gegen die Annahme eines aus Art. 50 GG abgeleiteten Primats der Kommunikation zwischen Bund und Ländern über die Bundesratsschiene spricht auch, dass Art. 50 GG ausweislich der Materialien zu seiner Entstehungsgeschichte nur deklaratorischen Charakter haben sollte (siehe hierzu: JöR n. F. 1 (1951), 382). 409 Zur Problematik der Aushöhlung der Kompetenzen des Bundesrates durch den kooperativen Föderalismus: Rührmair, Der Bundesrat, S. 147 ff.

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

Die Beteiligung der Länder im informellen Vorfeld des Gesetzgebungsverfahrens steht im Organisationsermessen der Regierung. Das Grundgesetz gebietet nicht, die Beteiligungsstruktur des Gesetzgebungsvorfeldes parallel zum formalisierten Gesetzgebungsverfahren zu entwickeln. Die Bundesregierung kann ihren Beteiligungspflichten wahlweise dadurch nachkommen, dass sie den Bundesrat oder unmittelbar die Länder effektiv beteiligt. Eine Grenze dieses gubernativen Ermessens ist jedoch dort zu sehen, wo die effektive Beteiligung des Bundesrates im Rahmen des Art. 76 Abs. 2 GG durch Vorabsprachen mit einzelnen Ländern gefährdet wird oder wo die Auswahl der vorab angehörten Länder nicht nach sachlichen Kriterien erfolgt. Unter Umständen verpflichtet die Bundestreue den Bund sogar dazu, die Interessen eines Landes gesondert zu ermitteln, dieses gesondert anzuhören und auf die besondere Interessenlage dieses Landes bei der Abwägung besonders einzugehen. Dies setzt allerdings voraus, dass sich die Situation dieses Landes ganz erheblich von der Situation anderer Länder unterscheidet. In einem solchen Fall reicht eine auf die Verfassungsorgantreue gestützte, vorgezogene Anhörung des Bundesrates unter Umständen nicht aus. Der föderale Gleichbehandlungsgrundsatz kann in Verbindung mit der Bundestreue eine besondere Berücksichtigung einzelner Länder bei den gesetzesvorbereitenden Verhandlungen gebieten411. Denn Gleichbehandlung enthält das Gebot der Ungleichbehandlung, wenn sachliche Gründe eine Differenzierung erfordern412. Vom Ausstieg aus der Kernenergienutzung sind einige Bundesländer, wie z. B. Bayern, in wesentlich stärkerem Ausmaß betroffen als andere. Während der Anteil der Kernenergie an der Stromversorgung in Bayern 2/3 beträgt, sind dies im Bundesdurchschnitt nur etwa 1/3413. Diese erheblichen Unterschiede hätten es erforderlich gemacht, auf die Besonderheiten derjenigen Länder einzugehen, die auf die Kernenergienutzung ungleich stärker angewiesen sind als andere414. Diese länderspezifischen Abwägungspflichten ergeben sich nicht aus der Verfassungsorgantreue gegenüber dem Bundesrat, sondern aufgrund der Bundestreue gegenüber einzelnen Ländern. Die Bundesregierung hätte bei den gesetzesvorbereitenden Verhandlungen 410 Im Ergebnis ebenso: Rührmair, Der Bundesrat, S. 146, 163.; vgl. auch Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, S. 244. 411 Zum Grundsatz der föderalen Gleichbehandlung: BVerfGE 12, 205 (255 f.); 72, 330 (405 f.); 101, 158 (235). 412 Zum Gleichheitssatz als Differenzierungsgebot: vgl. Bleckmann, Die Struktur, S. 103 f. 413 Bayerisches Staatsministerium für Wirtschaft, Die friedliche Nutzung der Kernenergie, S. 5. 414 Zur im Vergleich zu anderen Ländern besonderen Situation in Bayern: siehe auch Fahl/Voß, Energieverbrauchsprognose für Bayern, S. 163 ff.; Degenhart, Bundes- und länderfreundliches Verhalten, S. 369 (379 f.) m. w. N.

B. Grundgesetzliche Anforderungen

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erwägen müssen, ob eine Differenzierung der Restlaufzeiten in Bezug auf die Abhängigkeit des jeweiligen Landes von der Kernenergie in Betracht kommt415. Ein solcher länderspezifischer Differenzierungsfaktor wurde jedoch in der Vereinbarung vom 14. Juni 2000 nicht erwogen. Vielmehr ging es ausschließlich um die Eigentumsrechte der Betreiber und die politische Risikobewertung der Bundesregierung. Darin kann ein Verstoß gegen die Bundestreue zu sehen sein.

d) Subsidiarität gegenüber der Eigenverantwortung Aus der Eigenstaatlichkeit der Länder (Art. 30 GG) ergibt sich, dass die Länder ihre spezifischen Interessen grundsätzlich selbst geltend machen müssen. Der Eigenstaatlichkeit korreliert eine primäre Eigenverantwortung der Länder für ihre eigenen Belange416. Folglich kann sich ein Land nicht ohne weiteres darauf berufen, der Bund hätte seine spezifischen Belange zu wenig ermittelt und unzureichend bei den gesetzesvorbereitenden Verhandlungen berücksichtigt. Vielmehr ist es Aufgabe eines jeden Landes, seine spezifischen Belange dem Bund von sich aus selbst mitzuteilen. Die eigenständige Geltendmachung von Länderbelangen durch die Länder setzt jedoch voraus, dass diese so rechtzeitig von den Verhandlungen erfahren, dass sie noch vor Entstehung faktischer Bindungen zwischen Bundesregierung und privaten Vereinbarungspartnern ihre Einwände erheben und substanzielle Änderungsvorschläge einbringen können417. Die besondere Sachverhaltsermittlungspflicht des Bundes hinsichtlich länderspezifischer Belange ist subsidiär gegenüber der Eigenverantwortung der Länder, wenn die Länder rechtzeitig informiert waren und sich dem Bund die spezifischen Belange dieser Länder nicht von selbst aufdrängen mussten418. Dieser Vorrang der eigenständigen Geltendmachung von Interessen durch die Länder gilt allerdings nur in Bezug auf reflexartige Beeinträchtigungen von Länderinteressen, die der Bund nicht gezielt herbeiführt. Im Hinblick auf finale Kompetenzübergriffe des Bundes fordert die Verhältnismäßigkeit des Kompetenzübergriffs hingegen, dass der Bund den übergriffsrelevanten Sachverhalt selbst ermittelt, indem er das jeweils besonders betroffene Land 415

Degenhart, Bundes und länderfreundliches Verhalten, S. 369 (382). Vgl. BVerfGE 4, 115 (140). 417 Zur Entwertung der Länderbeteiligung durch faktische Vorabbindung: vgl. BVerfGE 12, 205 (258). 418 Zur Subsidiarität als notwendiger Bestandteil der Bundesstaatsprinzips: Oeter, Integration und Subsidiarität, S. 568; Götz, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 79 Rdnr. 39. Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd IV, § 98 Rdnr. 157, verwendet den Subsidiaritätsbegriff in Zusammenhang mit der Bundestreue dagegen nicht, um den Vorrang der Eigenverantwortung der Länder zu bezeichnen, sondern um den Vorrang des geschriebenen Verfassungsrechts gegenüber der ungeschriebenen Bundestreue zu verdeutlichen. 416

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

gegebenenfalls gesondert anhört. Lediglich für die vom Bund nicht vorhersehbaren landesspezifischen Reflexe einer geplanten gesetzlichen Regelung kann von den Ländern verlangt werden, dass sie selbst beim Bund vorstellig werden. Beim Atomausstieg beabsichtigte der Bund, durch die parzellenscharfe Regelung der Restlaufzeiten und der Periodischen Sicherheitsüberprüfung in die Vollzugskompetenzen der Länder gezielt überzugreifen. Er musste deshalb von sich aus den Sachverhalt vollständig ermitteln und die grundsätzliche Vollzugskompetenz der Länder in seine Abwägung einstellen. Die Subsidiarität der Bundestreue greift insoweit nicht ein419. Die besonderen Auswirkungen auf die Infrastrukturverantwortung einzelner Länder waren vom Bund indessen zwar in Kauf genommen worden. Sie wurden aber nicht final angesteuert. Deshalb hätte der Bund wegen der Subsidiarität der Bundestreue grundsätzlich darauf verweisen können, dass besonders betroffene Länder ihre spezifischen Infrastrukturinteressen gegenüber dem Bund von sich aus vorbringen mussten. Die besondere Abhängigkeit einiger Bundesländer von der Kernenergie war jedoch für jeden mit der Materie befassten offenkundig. Deswegen mussten diese Länder den Bund nicht besonders auf ihre spezifische Situation hinweisen. Sie durften sich vielmehr darauf verlassen, dass der Bund die spezifischen Interessen dieser Länder von sich aus in die Abwägung einbeziehen würde. Zudem war ein effektives Geltendmachen landesspezifischer Belange den Bundesländern kaum möglich, weil sie erst informiert wurden, nachdem bereits erhebliche faktische Austauschbindungen gegenüber den beteiligten Unternehmen entstanden waren420. Somit greift die Subsidiarität der Bundestreue auch in Hinblick auf die Infrastrukturverantwortung der Länder nicht ein. Der Bund war zur effektiven Einbeziehung länderspezifischer Unterschiede nach dem Grundsatz der Bundestreue verpflichtet.

e) Partizipationsermessen der Bundesregierung Auf welche Art und Weise der Bund die besonders betroffenen Länder an der Gesetzesvorbereitung beteiligt und wie er zu den länderspezifischen Informationen gelangt, unterliegt grundsätzlich der Organisationsautonomie der Bundesregierung421. Insoweit muss auch das Interesse der Bundesregierung berücksichtigt werden, dass die eigene Verhandlungsposition gegen419 Die mangelhafte Abwägung in Bezug auf den Übergriff in die Landesvollzugskompetenzen kann bereits als Verstoß gegen das Übermaßverbot gewertet werden (siehe oben 3. Teil C. III. 3 d)). Im Rahmen der Prüfung des Funktionsübergriffes an Hand des Übermaßverbotes spielt die Subsidiarität keine Rolle. Das stimmt mit der Prüfung an Hand der Bundestreue überein, bei der die Subsidiaritätsprüfung ausgeschaltet ist, wenn ein finaler Kompetenzübergriff vorliegt. Folglich kommen beide Prüfungsansätze zum gleichen Ergebnis. 420 Vgl. Degenhart, Bundes- und länderfreundliches Verhalten, S. 369 (388). 421 Siehe oben 4. Teil A.; vgl. Degenhart, Bundes- und länderfreundliches Verhalten, S. 369 (382).

B. Grundgesetzliche Anforderungen

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über den privaten Vereinbarungspartnern nicht durch vorzeitige Veröffentlichung geschwächt wird422. Verfassungsrechtlich vorgeschrieben ist jedoch, dass die Beteiligung effektiv ist und deshalb noch rechtzeitig vor Entstehung erheblicher faktischer Bindungen erfolgt. Je intensiver die faktischen Bindungen zwischen Bund und Privaten im Verlauf eines Verhandlungsprozesses werden, um so geringer wird das verfahrensgestaltende Ermessen der Bundesregierung in Hinblick auf eine Einbeziehung der Länder. Wegen der hohen faktischen Bindungen der Vereinbarung vom 14. Juni 2000 war es zu spät, die Länder erst nach deren Paraphierung zu beteiligen. Nach der Paraphierung konnten die Länder keinerlei Gehör mehr in Bezug auf länderspezifische Belange finden. Vielmehr waren die Reststrommengen bereits unverrückbar festgelegt, ohne dass dabei die unterschiedliche Versorgungssituation in den unterschiedlichen Ländern erwogen worden wäre. Dies stellt einen Verstoß gegen die Bundestreue dar423, 424.

f) Ergebnis Die Bundestreue hat für gesetzesvorbereitende Vereinbarungen vor allem dann Bedeutung, wenn spezifische Belange einzelner Länder von der gesetzvorbereitenden Vereinbarung des Bundes besonders betroffen werden. Das im Rahmen der Akzessorietät notwendige Rechtsverhältnis kann sich aus gemeinsamen verfassungsrechtlichen Verpflichtungen von Bund und Ländern in Gestalt von grundrechtlichen Schutzpflichten oder Staatszielen ergeben. Der Bund muss die besonderen Belange des jeweiligen Landes bei den gesetzesvorbereitenden Verhandlungen besonders berücksichtigen. Das Land hat dabei seine spezifischen Belange grundsätzlich auf eigene Initiative geltend zu machen. Finale Kompetenzübergriffe in gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen führen jedoch zu einer entsprechenden Ermittlungslast seitens der Bundesregierung. Aus der Bundestreue können sich länderspezifische Abwägungslasten für die Gesetzesvorbereitung ergeben. Dadurch wird gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen des Bundes mit Privaten zu 422

Siehe oben 4. Teil B. I. 5. e) bb) (1) (b). Der Mangel, der darin besteht, dass kein länderspezifischer Differenzierungsfaktor hinsichtlich der Restlaufzeit erwogen worden ist, bedeutet allerdings nicht zwingend, dass nur ein Gesetz, das einen solchen Faktor enthalten würde, verfassungsgemäß wäre. Hier geht es nur um Mängel im Abwägungsvorgang der gesetzesvorbereitenden Bundesregierung. Möglicherweise hätte es ausgereicht, wenn die Bundesregierung einen solchen Faktor lediglich in der Gesetzesbegründung erwogen, letztlich aber mit gewichtigen Gründen abgelehnt hätte. Zu den Abwägungsmängeln im parlamentarischen Verfahren: siehe unten 5. Teil D. Dort ist auch darauf einzugehen, inwieweit es überhaupt eine Kontrolle des gesetzgeberischen Abwägungsvorgangs geben kann. 424 Zu den Konsequenzen dieses Verstoßes: siehe unten 6. Teil. 423

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

Lasten der Länder entgegengewirkt425. Dem flexiblen Prüfungsansatz der Bundestreue kommt ebenso wie der Verfassungsorgantreue gerade im Bereich des informellen Entscheidungsvorfeldes eine wichtige Funktion für eine behutsame Regulierung zu.

II. Freiheit des Initiativbeschlusses Nachdem ein Gesetzentwurf ausgehandelt worden ist, muss dieser im formalisierten Gesetzgebungsverfahren der Art. 76 ff. GG umgesetzt werden. Hierzu ist ein Beschluss der Bundesregierung zur Gesetzesinitiative nach Art. 76 Abs. 1 GG notwendig (§ 15 Abs. 1 a) GO BReg), damit die Initiative der Bundesregierung als Kollegialorgan zugerechnet werden kann426. Das Gesetzesinitiativrecht der Bundesregierung kann bereits für das Vorfeld des formellen Gesetzgebungsverfahren Bedeutung erlangen. Im Unterschied zu den obigen Ausführungen, die am Verhandlungsprozess als gesetzesvorbereitende Staatsgewalt anknüpften, fokussieren sich die nachfolgenden Überlegungen auf den Beschluss der Bundesregierung zur Gesetzesinitiative. Nachdem zuvor prospektiv vom Standpunkt des Verhandlungsprozesses im Hinblick auf das künftige Gesetzgebungsverfahren verfassungsrechtliche Anforderungen für die Gesetzesvorbereitung entwickelt wurden, geht es nun darum, retrospektiv, vom Standpunkt des Initiativbeschlusses aus zu untersuchen, inwieweit eine vorherige faktische Bindung des Initiativbeschlusses durch gesetzesvorbereitende Vereinbarungen verfassungsrechtlich gestattet ist427. Diejenigen Mitglieder der Bundesregierung, die die gesetzesvorbereitenden Verhandlungen führen und die Vereinbarungen abschließen, nehmen die Entscheidung des Kabinetts über die Gesetzesinitiative faktisch vorweg. Das wirft die Frage auf, ob darin eine Verletzung des Kollegialprinzips zu sehen ist. Die Vereinbarung vom 14. Juni 2000 wurde nicht vom Kabinett beschlossen. Sie wurde zwar im Namen der Bundesregierung paraphiert und unterzeichnet. Dennoch waren an den Verhandlungen und an der Unterzeichnung lediglich der Bundeskanzler, der Bundumwelt- und der Bundeswirtschaftsminister beteiligt. Dies führt zu der 425

Vgl. Degenhart, Bundes- und länderfreundliches Verhalten, S. 369 (381, 388). Nach § 20 Abs. 2 GO BReg kann ein Beschluss der Bundesregierung auch im Umlaufverfahren erfolgen. Zu den hierfür bestehenden verfassungsrechtlichen Anforderungen: BVerfGE 91, 148 (166 f.); zur Gesetzesinitiative per Umlaufverfahren: Schneider, Gesetzgebung, Rdnr. 115. 427 Dabei gelten die nachfolgenden Überlegungen selbst dann, wenn man die gesetzesvorbereitende Vereinbarung noch nicht als Staatsgewalt qualifizieren möchte, weil sie erst der Vorbereitung der Ausübung von Staatsgewalt im formalisierten Gesetzgebungsverfahren diene (siehe hierzu oben 2. Teil A.). 426

B. Grundgesetzliche Anforderungen

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Frage, ob die Bundesregierung in ihrem, allein dem Kollegialorgan zustehenden Initiativrecht beeinträchtigt worden ist, weil die von einigen Kabinettsmitgliedern im Namen der gesamten Bundesregierung erzeugten faktischen Bindungen das Kollegialorgan faktisch präjudiziert haben.

Selbst wenn jedoch die anderen Ressorts an den Verhandlungen ausreichend beteiligt werden, so dass keine Verletzung des Kollegialprinzips feststellbar ist, so könnte sich aus dem Art. 76 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Demokratieprinzip eine unveräußerlichen Initiativfreiheit der Bundesregierung ergeben, die es verbietet, dass sich die Bundesregierung gegenüber Privaten in Bezug auf ihr Gesetzesinitiativrecht faktisch bindet. Faktisch in hohem Maße verbindliche Vereinbarungen mit Privaten stellen möglicherweise einen unzulässigen Souveränitätsverzicht der Bundesregierung bezüglich ihres Initiativrechts dar428. Unter diesem Gesichtpunkt wäre die Vereinbarung vom 14. Juni 2000 auch dann verfassungswidrig, wenn die nicht beteiligten Ressorts von den Verhandlungen ausreichend Kenntnis und Gelegenheit zur Einflussnahme hatten. Die beim Atomausstieg besonders intensive faktische Bindung der Bundesregierung hinsichtlich der Ausübung der Gesetzesinitiative zur Umsetzung der Vereinbarung könnte deren unveräußerliche Initiativfreiheit unzulässig beeinträchtigt haben.

1. Kollegialprinzip Das Grundgesetz sieht in Art. 76 Abs. 1 GG nicht ohne Grund vor, dass die Entscheidung über die Einbringung der Gesetzesvorlage durch die Bundesregierung als Kollegialorgan zu erfolgen hat. Ähnlich wie bei Rechtsverordnungsbeschlüssen durch die Bundesregierung als Kollegium soll auch bei der Gesetzesinitiative die Vorlage dadurch eine erhöhte Qualität erlangen, dass alle Ministerien die Möglichkeit hatten, auf ihren Inhalt effektiven Einfluss zu nehmen429. Damit wird eine fachspezifische Verengung des Blickwinkels vermieden und eine Vernetzung der unterschiedlichen Ressorts erreicht. Art. 76 Abs. 1 GG spricht allerdings nicht von einer umfassenden Gesetzesvorbereitung durch die Bundesregierung als Kollegialorgan, sondern lediglich vom Recht der Bundesregierung, als Kollegialorgan die Gesetzesvorlage beim Bundestag einzubringen. Nur diese Entscheidung über die Einbringung ist nach dem Wortlaut des Art. 76 Abs. 1 GG dem Kollegialorgan Bundesregierung vorbehalten. Die Erarbeitung der Kabinettsvorlage ist hingegen nicht Sache der gesamten Bundesregierung. Sie findet viel428

Zur Problematik der inneren Souveränität: siehe oben 1. Teil A. I. 3. b) cc)

(5). 429 Vgl. BVerfGE 91, 148 (166 f.); Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 76 Rdnr. 27; Hermes, in: Dreier, GG Bd. II, Art. 62 Rdnr. 13.

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

mehr in den einzelnen, nach dem Ressortprinzip in eigener Verantwortung handelnden Bundesministerien unter Beachtung der Richtlinien des Bundeskanzlers statt (Art. 65 Satz 1 und 2 GG). Bei den hier interessierenden Vereinbarungen ergibt sich jedoch die Besonderheit, dass diese faktische Austauschbindungen gegenüber Privaten entfalten, die über das an Bindung hinausgehen, was jedem auf Fortschritt angelegten Verfahrensprozess wesensimmanent ist430. Solche außengerichteten faktisch bindenden Vereinbarungen können die grundgesetzliche Zuständigkeitsverteilung zwischen Bundesministern, Bundeskanzler und Bundeskabinett als Kollegialorgan beeinträchtigen, wenn sie die Einbringungsentscheidung des Bundeskabinetts nach Art. 76 Abs. 1 GG vorwegnehmen, ohne dass eine vorausgehende Ermächtigung durch Beschluss dieses Kollegialorgans vorliegt. Der Kabinettsbeschluss über die Einbringung kann durch die von einigen Mitgliedern der Bundesregierung mit den Privaten getroffenen Vereinbarungen faktisch entwertet werden. Aufgabe des Kollegialprinzips, das dem Initiativrecht der Bundesregierung in Art. 76 Abs. 1 GG zu Grunde liegt, ist es, eine unangemessene Verkürzung der Entscheidungsfreiheit des Bundeskabinetts durch faktische Vorfestlegungen gegenüber Privaten zu vermeiden. Das Kollegialprinzip sichert die Beteiligungsrechte der an den Verhandlungen nicht unmittelbar beteiligten Kabinettsmitglieder ab. Es gewährleistet, dass alle Mitglieder der Bundesregierung ressortübergreifend und qualitätssteigernd auf die Gesetzesvorlage Einfluss nehmen können431. Dem wird dadurch Rechnung getragen, dass entweder bereits der Entwurf einer Vereinbarung vor Entstehung faktischer Austauschbindungen vom Bundeskabinett abgesegnet wird oder dass der Entwurf einer Verständigung lediglich von einem einzelnen Minister und den Privaten vereinbart und unter den ausdrücklichen Vorbehalt der Einbringungsentscheidung des Bundeskabinetts gestellt wird. Dadurch dass die Vereinbarung nur von einem einzelnen Minister und nicht auch noch vom Bundeskanzler und weiteren Ministern unterschrieben wird, wird der Kabinettsvorbehalt besonders signifikant432. Fehlt hingegen sowohl eine Ermächtigung durch das Kabinett als auch ein deutlicher Kabinettsvorbehalt in der Vereinbarung, kann die Vereinbarung gegen Art. 76 Abs. 1 GG verstoßen, weil sie wegen der faktischen Austauschbindung die Kabinettsentscheidung über die Einbringung der Vorlage vorwegnimmt und damit das Kollegialprinzip unangemessen verkürzt. 430 Zur verfahrensimmanenten faktischen Bindung als Charakteristikum jedes am Fortschritt ausgerichteten Verfahrens: siehe oben 1. Teil A. I. 3. b) cc) (1). 431 Vgl. BVerfGE 91, 148 (166 f.). 432 Vgl. Hennis, PVS 1961, 23 (28 f.).

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Bei faktisch verbindlichen, gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen darf der Wirkungsradius des Kollegialprinzips nicht nur auf die formale Zuleitungsentscheidung im Sinne des Art. 76 Abs. 1 GG, § 15 Abs. 1 a) GO BReg beschränkt werden. Vielmehr entfaltet das Kollegialprinzip der späteren Gesetzesinitiative bereits Vorwirkung auf die gesetzesvorbereitenden Verhandlungen, indem es die Möglichkeit einer frühzeitigen und substanziellen Beteiligung aller Mitglieder der Bundesregierung fordert. § 15 GO BReg ist im Lichte des verfassungsrechtlichen Kollegialprinzips so zu interpretieren, dass eine effektive, rechtzeitige Befassung des Kabinetts notwendig ist. Die Beratung im Kabinett muss zu einem Zeitpunkt erfolgen, in dem de facto noch Abänderungsmöglichkeiten bestehen. Die Vereinbarung vom 14. Juni 2000 wurde nicht lediglich von einem Minister vorbehaltlich einer Beschlussfassung im Kabinett, sondern von zwei Ministern und dem Bundeskanzler unterzeichnet. Zwar ist in der Vereinbarung von einer späteren Kabinettsbefassung im Hinblick auf die spätere gesetzliche Umsetzung die Rede. Dennoch sollte die im Namen der Bundesregierung abgeschlossene Vereinbarung faktische Bindung zwischen Bundesregierung und Energieversorgungsunternehmen bereits mit Unterzeichnung und nicht erst mit Beschlussfassung im Kabinett entfalten. Es stellt sich die Frage, ob das Kabinett dabei ausreichende Möglichkeiten hatte, als Kollegialorgan auf die Verhandlungen mit den Unternehmen einzuwirken. Dies hängt davon ab, ob das Kabinett vor der Unterzeichnung rechtzeitig und ausreichend über den Verhandlungsstand mit den Unternehmen informiert worden ist und ob eine realistische Gelegenheit für die an den Verhandlungen nicht beteiligten Kabinettsmitglieder bestand, Änderungsvorschläge einzubringen. Das müsste an Hand der nicht öffentlichen Kabinettsprotokolle und der sonstigen Gesetzgebungsakten überprüft werden. Es bleibt hier offen, inwieweit eine ausreichende Beteiligung des Kabinetts in der Einsetzung der Staatssekretärsarbeitsgruppe gesehen werden kann433. Eine umfassende Sachverhaltsermittlung ist nicht Aufgabe dieser Arbeit434.

2. Unveräußerliche Initiativfreiheit Eine faktisch bindende Austauschvereinbarung mit Privaten kann das Initiativrecht der Bundesregierung auch deshalb beeinträchtigen, weil die Bun433

Siehe oben 1. Teil A. I. 1. Vgl. Huber, Entsorgung als Staatsaufgabe, S. 149 (155, 157), der von einem Verstoß der Vereinbarung vom 14. Juni 2000 gegen § 15 Abs. 1 GeschO BReg. ausgeht, aber eine Heilung durch nachträglichen Kabinettsbeschluss nach § 177 Abs. 1 BGB analog für möglich hält. Für eine Heilung eines Verstoßes gegen das Kollegialprinzip ist jedoch nicht nur ein späterer formaler Kabinettsbeschluss notwendig. Vielmehr wäre es erforderlich gewesen, dass sich die Bundesregierung vor dem Beschluss mit den Sachgründen für die ausgehandelten Regelungen hätte auseinandersetzen können. Eine kritische Auseinandersetzung des Kabinetts setzt eine Kabinettsvorlage voraus, die die Sachgründe der Gesetzesvorlage offen legt. Ansonsten erzeugt der Kabinettsbeschluss keine heilende Kraft. Zur Problematik der kritischen Rezeption der Vereinbarung durch das Kabinett: siehe unten 4. Teil B. II. 2. f). 434

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

desregierung wegen der faktischen Vorfestlegungen gegenüber Privaten nicht mehr frei über die Einbringung der Vorlage entscheidet. Selbst wenn alle Mitglieder der Bundesregierung entsprechend dem Kollegialprinzip ausreichend beteiligt worden sind, könnte eine Bindung der Bundesregierung gegenüber privaten Interessenvertretern in Bezug auf die Ausübung ihrer Initiativgewalt unzulässig sein. Über die Einbringung der Vorlage hat ausschließlich einer der in Art. 76 Abs. 1 GG genannten Initiativberechtigten für sich alleine zu entscheiden. Möchte sich hingegen einer der nach Art. 76 Abs. 1 GG Initiativberechtigten an nicht zur Initiative berechtigte Private binden, so wäre der nichtberechtigte Private über diese Bindung an der Initiativgewalt mittelbar beteiligt. Dadurch wird das Initiativrecht des Art. 76 Abs. 1 GG beeinträchtigt, weil die Initiativgewalt nach dieser Vorschrift ausschließlich den in Art. 76 Abs. 1 GG normierten Organen oder Organteilen zusteht. Art. 76 Abs. 1 GG muss im Sinne einer grundsätzlich unveräußerlichen Initiativfreiheit der Initiativberechtigen interpretiert werden435. Fraglich ist indessen, welche Reichweite die Initiativfreiheit hat. Es kommt darauf an, ob die Initiativfreiheit lediglich den Einbringungsbeschluss des Bundeskabinetts oder auch das Vorfeld diese Beschlusses erfasst. Würde die Initiativfreiheit sich auch auf das Entscheidungsvorfeld der Gesetzesinitiative beziehen, könnte sie auch mittelbar-faktische Beeinträchtigungen der Entschlussfreiheit der Bundesregierung entgegenwirken, die von gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen ausgehen. a) Formale Initiativfreiheit Bei einer rein formalen Betrachtungsweise würde man die mit Art. 76 Abs. 1 GG verbundene Exklusivität des Initiativrechts lediglich auf den formalen Einbringungsbeschluss der Bundesregierung beziehen. Demnach dürften an der Entscheidung über die Gesetzesinitiative in der Kabinettssitzung (§ 20 Abs. 1 GO BReg) oder im Umlaufverfahren (§ 20 Abs. 2 GO BReg) nur Mitglieder der Bundesregierung teilnehmen. Nur bezüglich der unmittelbaren Entscheidung über die Gesetzesinitiative in der Kabinettssitzung oder im Umlaufverfahren wären nicht legitimierte Private ausgeschlossen. Die Frage, ob sich die Kabinettsmitglieder dagegen faktisch bei der Abstimmung an Vereinbarungen mit Privaten gebunden fühlen, würde 435 Eine zulässige Verkürzung der Initiativfreiheit der Bundesregierung ist hingegen mit dem Abschluss völkerrechtlicher Verträge verbunden. Insoweit kann sich die Bundesregierung zur Einbringung des Umsetzungsgesetzes sogar rechtlich verbindlich verpflichten (Art. 59 GG; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG Bd. IV, Art. 76 Rdnr. 6).

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bei formaler Betrachtungsweise keinerlei Rolle spielen. Faktische Vorabbindungen wären demgemäß bloße Motive der stimmberechtigten Kabinettsmitglieder und müssten nach der formalen Betrachtungsweise aus Gründen der Rechtssicherheit als unbeachtlich angesehen werden. Die Initiativfreiheit wäre immer dann schon ausreichend gewährleistet, wenn an der formellen Initiativentscheidung nur Mitglieder des initiativberechtigten Organs teilnehmen436. b) Materielle Initiativfreiheit Löst man sich indessen von dieser rein formalen Betrachtungsweise, so muss gefragt werden, welcher Sinn und Zweck dem Art. 76 Abs. 1 GG zu Grunde liegt und wie sich der Entscheidungsprozess über eine Gesetzesinitiative in der Realität entwickelt. aa) Zweck des Art. 76 Abs. 1 GG: Legitimierte und qualifizierte Auswahlentscheidung Ratio der Gesetzesinitiative ist es, aus den in der Gesellschaft und in der Ministerialbürokratie diskutierten Gesetzgebungsvorschlägen diejenigen auszuwählen, die vor dem Parlament als „Forum der Nation“ erörtert werden sollen437. Ein direkter Zugang zum Gesetzgebungsverfahren ist den gesellschaftlichen Kräften nicht gestattet. Vorschläge aus dem gesellschaftlichen Bereich müssen vielmehr erst durch die Schleusen der Gesetzesinitiative gelangen, um in das Gesetzgebungsverfahren zu gelangen. Die Gesetzesinitiative erweist sich als Filter zwischen Staat und Gesellschaft. Die Auswahlaufgabe hinsichtlich der im Parlament zu behandelnden Gesetzgebungsvorschläge wird vom Grundgesetz ausschließlich in die Hände bestimmter Staatsorgane oder Staatsorganteile gegeben. Diese Organe oder Organteile sind zumindest mittelbar über Wahlen legitimiert oder haben zumindest Anteil an der demokratischen Legitimation des Gesamtorgans, dessen Bestandteil sie sind. Eine solche demokratische Legitimation der Gesetzesinitiative ist notwendig. Nach Art. 20 Abs. 1 und 2 GG bedarf dasjenige Handeln der demokratischen Legitimation, das als Staatsgewalt einzustufen ist. Initiativbeschluss und Zuleitung der Vorlage zum Bundestag sind selbst dann unproblematisch Ausübung von Staatsgewalt, wenn man die gesetzesvor436 Zur formalen Argumenation: vgl. Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG Bd. 3, Art. 76 Rdnr. 21. 437 Masing, in: v. Mangoldt/Klein, GG Bd. II, Art 76 Rdnr. 4 f.

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

bereitenden Verhandlungen und Vereinbarungen noch nicht als Staatsgewalt, sondern als bloße Vorbereitungsakte qualifiziert438. Die Gesetzesinitiative ist ein im Grundgesetz geregelter Rechtsakt, der das Parlament zur Befassung verpflichtet439. Deshalb kann bereits nach dem engen formalen Staatsgewaltbegriff ohne weiteres vom Staatsgewaltcharakter ausgegangen werden. Art. 76 Abs. 1 GG hat die Funktion, die nach Art. 20 Abs. 1 und 2 GG gebotene Legitimation der Initiativgewalt sicherzustellen, indem ausschließlich demokratisch legitimierte Organe oder Teile von solchen Organen zur Initiative berechtigt sind440. Durch die demokratische Legitimation der Bundesregierung wird bereits die Gesetzesinitiative als Akt der Staatsgewalt legitimiert. Beim Gesetzesinitiativrecht der Bundesregierung soll zudem durch die Einbindung der Exekutive in die Gesetzgebung das vollzugsspezifische Fachwissen der Ministerialbürokratie in den Gesetzgebungsprozess einfließen können441. Art. 76 Abs. 1 GG bezweckt eine legitimierte und qualifizierte Gesetzesinitiative. bb) Realität der Auswahlentscheidung: stufenweiser Bindungsprozess Will man erreichen, dass der legitimierende und qualifzierende Zweck des Art. 76 Abs. 1 GG in der Realität ausreichend wirksam wird, so muss auch der Lebenssachverhalt ins Auge gefasst werden, der der Gesetzesinitiative als Vorgeschichte vorausgeht und das weitere Verfahren prägt. Die mit der Gesetzesinitiative eingeleitete Formalisierungsphase bildet gewissermaßen die Endphase eines schon weit vorher eingeleiteten Auswahl- und Entscheidungsprozesses. Bei der Formulierung des Entwurfs in den Ministerien und nach Abstimmung mit Sachverständigen und Intessenvertretern werden Regelungsalternativen diskutiert und ausgeschieden. Bereits in der Präparationsphase finden wichtige Weichenstellungen statt. Je intensiver ein Gesetzentwurf vorbereitet und im Vorfeld mit Privaten ausgehandelt wurde, desto weniger Auswahlentscheidungen zwischen Regelungsalternativen wird der Initiativberechtigte selbst zu treffen haben.

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Zu dieser Auffassung: siehe oben 2. Teil A. I. BVerfGE 1, 144 (153); Masing, in: v. Mangoldt/Klein, GG Bd. II, Art. 76 Abs. 1 Rdnr. 56. 440 Vgl. Masing, in: v. Mangoldt/Klein, GG Bd. II, Art 76 Rdnr. 4. 441 Masing, in: v. Mangoldt/Klein, GG Bd. II, Art 76 Rdnr. 12, 14; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdnr. 511. 439

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cc) Sicherstellung der Zweckerfüllung in der Realität Die Entscheidung, eine bestimmte Gesetzesvorlage in das Gesetzgebungsverfahren einzubringen, stellt sich in der empirischen Perspektive vor allem in Bezug auf gesetzesvorbereitende Verhandlungen weniger als punktuelles Ereignis, sondern eher als sich stetig verdichtender Auswahlprozess dar. Deshalb kann die Initiativfreiheit der Bundesregierung nicht allein dadurch gesichert werden, dass lediglich die formalisierte Endphase dieses fließenden Entscheidungsprozesses verfassungsrechtlich kontrolliert wird. Es genügt nicht, wenn lediglich der formale Initiativbeschluss ohne äußerlich erkennbare Beteiligung nicht legitimierter Privater abgelaufen ist. Vielmehr muss sich der Exklusivitätsanspruch der legitimierten Staatsorgane auch auf das Vorfeld der formalen Initiative beziehen. Die effektive demokratische Legitimation der Initiativstaatsgewalt erfordert eine das Vorfeld einbeziehende Initiativfreiheit. Die Initiativfreiheit strahlt vom formalen Initiativbeschluss aus in den Bereich der Gesetzesvorbereitung und wirkt dabei einer faktischen Austauschbindung gegenüber nicht legitimierten Privaten entgegen. Die in das Vorfeld ausstrahlende Initiativfreiheit bildet einen flexiblen Puffer zum Schutze des Gemeinwohls vor Partikularkräften und wahrt dadurch die notwendige Distanz des Staates zu den Einzelinteressen der Verbände442. Ähnlich wie die grundrechtlichen Freiheiten entwickelt wurden, um den Einzelnen vor dem Staat zu schützen, wird der Staat mit der Initiativfreiheit vor einer Vereinnahmung durch organisierte Einzelinteressen geschützt443. Durch das Postulat einer materiellen Initiativfreiheit der Bundesregierung wird eine effektiv qualifizierte und legitimierte Auswahlentscheidung der Bundesregierung gesichert. c) Beeinträchtigung der materiellen Initiativfreiheit Die Bedeutung des Beschlusses des Bundeskabinetts zur Gesetzesinitiative wird durch das faktisch bindende Vorfeld dieses Beschlusses wesentlich gemindert. Dies ist jedoch insoweit hinnehmbar, als diejenigen, die die Auswahlentscheidungen im Vorfeld treffen, ihrerseits mittelbar durch die Weisungshierarchie demokratisch legitimiert sind. Soweit Ministerialbeamte im 442

Die Initiativfreiheit kann auch als Kehrseite der Initiativkompetenz der Bundesregierung betrachtet werden. Die Initiativkompetenz umfasst demnach auch den Schutz der unabhängigen Kompetenzausübung durch „Abschirmung“ gegenüber Dritten (vgl. Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 36). Die Initiativfreiheit stellt die von der Initiativkompetenz geforderte Abschirmung her, wobei die Abschirmung nicht zur hermetisch abschirmenden Kontaktsperre werden darf. Siehe hierzu unten 4. Teil B. II. 2. d). 443 Zur Schutzwürdigkeit der Staatswillensbildung: siehe oben 2. Teil B. II. 4. b).

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

Gesetzgebungsvorfeld über faktische Entscheidungsmacht verfügen, weil sie über Regelungsalternativen vorab entscheiden, wird diese faktische Entscheidungsmacht durch ihre Weisungsabhängigkeit demokratisch legitimiert. Anders verhält es sich jedoch, wenn die Vorentscheidungen im Vorfeld des Initiativbeschlusses nicht allein von mittelbar demokratisch Legitimierten, sondern auch von Privaten, wie z. B. Interessenverbänden oder einzelnen Privatpersonen, getroffen werden. Deren faktische Mitentscheidungsmacht in Bezug auf die spätere Gesetzesinitiative entbehrt jeder demokratischen Legitimation. Die Beteiligung privater Interessenvertreter an der inhaltlichen Gestaltung der Ausübung von Staatsgewalt verkürzt die Initiativfreiheit der Bundesregierung. Je stärkere faktische Bindungen bei den gesetzesvorbereitenden Verhandlungen erzeugt werden, desto intensiver wird die oben beschriebene Filterfunktion des Initiativrechts beeinträchtigt und umso mehr sinkt das Legitimationsniveau der Auswahlentscheidung der Bundesregierung ab444. d) Grenzen der Beeinträchtigung Eine Minderung der Initiativfreiheit der Bundesregierung ist aber nicht in jedem Fall verfassungswidrig. Nur dann, wenn der Kernbereich der Initiativgewalt durch rechtlich verbindliche Verträge oder funktional äquivalente Vereinbarungen verletzt wird, ist ohne Abwägung von einem Verfassungsverstoß auszugehen445, 446. Ansonsten muss die Initiativfreiheit mit dem Koope444 Das Bundesverfassungsgericht hat allerdings in E 1, 351 (366) eine Verpflichtung der Bundsregierung, ihr Initiativrecht in bestimmter Weise auszuüben, für verfassungsrechtlich unbedenklich gehalten. Dabei muss jedoch der historische Kontext dieser Entscheidung beachtet werden. Die Entscheidung betraf das Petersberger Abkommen zwischen der Alliierten Hohen Kommission und der Bundesregierung aus dem Jahre 1949. Dieses Abkommen wurde seitens der Bundesregierung unter der Besatzungsgewalt der Alliierten geschlossen (BVerfGE 1, 351 (362)). Es gestaltete das Kontrollverhältnis zwischen Bundesregierung und Alliierter Hoher Kommission aus (BVerfGE 1, 351 (363 f.)). Die Initiativfreiheit der Bundesregierung war damals a priori durch die Besatzungsgewalt beschränkt und konnte deshalb durch die Bindung an eine Vereinbarung zwischen Allierter Hoher Kommission und Bundesregierung nicht beeinträchtigt werden. Die Bindung an die Besatzungsgewalt der Alliierten ist mit der Bindung an private Vereinbarungspartner nicht vergleichbar, so dass auch eine lediglich faktische Bindung der Bundesregierung an den Willen von Privaten nicht mit dieser Entscheidung gerechtfertigt werden kann. A. A. Pasemann/ Baufeld, ZRP 2002, 119 (122), die jedoch den historischen Kontext der Entscheidung aus dem Jahre 1952 nicht würdigen. 445 Zur Differenzierung zwischen Kernbereich und Abwägungsbereich: vgl. 4. Teil B. I. 1. g) cc) (1). 446 Die Beeinträchtigung der Initiativfreiheit könnte zwar dadurch gemindert werden, dass man dem Initiativberechtigten gestattet, sich unter den Voraussetzungen

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rationsprinzip durch Abwägung zum Ausgleich gebracht werden. Die gesetzesvorbereitende Vereinbarung darf die Initiativfreiheit der Bundesregierung nicht unverhältnismäßig verkürzen. Die Initiativfreiheit der Initiativorgane begrenzt im Zusammenspiel mit dem Übermaßverbot den Einfluss Nichtlegitimierter auf die Initiativstaatsgewalt447. Sie bildet zwar keinen undurchlässigen Schutzgürtel um das Staatsorgan, der dieses von jedem Einfluss durch Partikularinteressen hermetisch abriegeln könnte. Dennoch schafft die Initiativfreiheit in Verbindung mit dem Übermaßverbot einen biegsamen und gerade wegen dessen Elastizität auch wirksamen Schutzpuffer. Für die Prüfung des Übermaßverbots ist auf die obigen Ausführungen zum Demokratieprinzip zu verweisen448. Auch dann, wenn man den Gesetzesvorbereitungsprozess noch nicht als Staatsgewalt ansieht und ihn deshalb konsequenterweise auch nicht unmittelbar am Demokratieprinzip misst449, übt die Bundesregierung jedenfalls im Gesetzesinitiativbeschluss Staatsgewalt aus. Die Minderung der Legitimation der Initiativstaatsgewalt muss durch das Übermaßverbot begrenzt werden, selbst wenn die Gesetzesvorbereitung noch keinen Staatsgewaltcharakter aufweisen sollte450. Die Bundesregierung ist wegen der starken faktischen Bindung an die Vereinbarung vom 14. Juni 2000 in ihrer Entscheidungsfreiheit über die Initiative zur Atomgesetznovelle beeinträchtigt worden451. Beim Atomausstieg erreicht die faktische des § 60 VwVfG, dessen Rechtsgedanke analog anwendbar sein könnte, von der Vereinbarung zu lösen. Diese eng begrenzte Lösungsmöglichkeit könnte indessen nicht ausgleichen, dass die Integrität der staatlichen Willensbildung durch rechtsgleiche faktische Bindungen in ihrem Kern verletzt wird. Zur Anwendbarkeit des § 60 VwVfG: vgl. Scherer, DÖV 1991, 1 (5 ff.). 447 Zur Anwendung des Übermaßverbotes außerhalb des Grundrechtsbereichs: siehe oben 1. Teil B. II. 448 Siehe oben 4. Teil B. I. 1. g). 449 Zu dieser Argumentationsalternative: siehe oben 2. Teil A. I. 1. b). 450 Vgl. Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 36, der für eine sehr vorsichtige Illegalisierung bestimmter Aktivitäten plädiert, die auf die Entschließungsfreiheit des Gesetzgebers und der Initiativberechtigten Einfluss nehmen. 451 Vgl. Degenhart, Bundes- und länderfreundliches Verhalten, S. 369 (378); a. A. Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 305 (313), der darauf hinweist, dass die Energieversorger es vorgezogen hätten, wenn das ausgehandelte Gesetz zum Atomausstieg nicht in den Bundestag eingebracht worden wäre. Deswegen sei die Bundesregierung bei ihrer Initiative nicht an die Energieversorger gebunden gewesen. Dabei wird jedoch übersehen, dass die Initiativfreiheit nicht nur das „Entschließungsermessen“ zur Gesetzesinitiative, sondern auch den Inhalt der Vorlage umfasst. Hinsichtlich des Inhalts des Umsetzungsgesetzes war die Bundesregierung in hohem Maße an die Vereinbarung mit den Privaten gebunden. Zudem war die Bundesregierung, nachdem bereits vor Beschluss der Gesetzesinitiative mehrere Anträge in anhängigen Verwaltungsverfahren zurückgenommen und die Umstellung der Entsorgungskonzeption bereits begonnen hatte (siehe oben 1. Teil A. I. 1.), auch hinsichtlich des „Entschließungsermessens“ zur Atomgesetznovelle nicht mehr frei.

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

Bindung den Grad der funktionalen Äquivalenz zu einer rechtlichen Bindung, so dass der Kernbereich der Initiativfreiheit verfassungswidrig verletzt wurde452. Selbst wenn man diesen hohen Grad an faktischer Bindung jedoch noch nicht als gegeben ansieht, wurde das Legitimationsniveau der Gesetzesinitiative unter Verstoß gegen das Übermaßverbot abgesenkt. Insoweit kann auf die obigen Ausführungen zum Demokratieprinzip verwiesen werden453. Eine übermäßige Verkürzung der Initiativfreiheit kann auch dann nicht hingenommen werden, wenn man die Vereinbarung vom 14. Juni 2000 nicht als unzulässige Beteiligung Privater an der Ausübung von Staatsgewalt einstuft und deshalb einen unmittelbaren Verstoß der Vereinbarung gegen das Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 2 GG verneint. Das Demokratieprinzip wird durch die Bindung der Bundesregierung an die Energieversorgungsunternehmen jedenfalls insoweit mittelbar verletzt, als es in die Initiativgewalt der Bundesregierung eingelassen ist und dort materielle Initiativfreiheit einfordert (Art. 76 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 2 GG).

e) Umfassende Initiativfreiheit als Korrelat der Initiativverantwortung Die Initiativfreiheit sichert die demokratische Legitimation der Gesetzesinitiative. Sie sorgt darüber hinaus aber auch dafür, dass die Initiative eindeutig zurechenbar bleibt. Nach dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip ist es erforderlich, dass klar ist, wem welche Äußerungen der Staatsgewalt tatsächlich zuzuordnen sind. Der Wähler ist auf Verantwortungstransparenz angewiesen. Die Verantwortlichkeit des Bundeskanzlers und der Bundesminister ist in Art. 65 GG ausdrücklich normiert. Um eine sachgerechte Wahlentscheidung treffen zu können, muss der Wähler wissen, wer wofür verantwortlich ist. Wird die Initiativfreiheit indessen durch faktische Bindung an Private beeinträchtigt, so wird auch die Verantwortungsklarheit gemindert. Es kann dann nicht mehr gesagt werden, dass die Bundesregierung als formaler Initiator auch materiell für die Gesetzesvorlage umfassend verantwortlich ist454. Auf den Zusammenhang von Entschlussfreiheit der Bundesregierung und Sachverantwortung hat das Bundesverfassungsgericht unter Berufung auf den Bayerischen Verfassungsgerichtshof schon früh hingewiesen: „Die selbstständige politische Entscheidungsgewalt der Regierung, ihre Funktionsfähigkeit zur Erfüllung ihrer verfassungsgemäßen Aufgaben, ihre Sachverantwortung gegenüber Volk und Parlament sind zwingende Gebote der demokratischen rechtsstaatlichen Verfassung. Wie der Bayerische Verfassungsgerichtshof ausgeführt hat, verlangt der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit, ‚dass ein Staatsorgan, das eine Entscheidung zu treffen hat, da452

Im Ergebnis ähnlich: Rosenthal, Ausarbeitung, S. 9 ff. Siehe oben 4. Teil B. I. 1. g). 454 Zur verfassungsrechtlich geforderten Verantwortungsklarheit: vgl. Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG Bd. II, Art 20 Abs. 2 Rdnr. 214. 453

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für die Verantwortung trägt. Verantwortung kann nicht tragen, wer in seiner Entscheidung inhaltlich in vollem Umfang an die Willenentscheidung eines anderen gebunden ist.‘ (BayVfGH N. F. 4 Bd. 4, Teil II, S. 30 ff., 47) . . . Es kommt nicht auf den Formalakt, sondern . . . auf das freie Entscheidungsrecht der Regierung an“455. Hier zeigt sich, dass das Bundesverfassungsgericht Verantwortung und Freiheit als korrelierende Größen ansieht und dass für die Frage nach der Freiheit nicht allein auf eine formale, sondern auch auf eine materielle Sichtweise abzustellen ist.

Bei gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen besteht die Gefahr, dass die materielle Initiativfreiheit der Bundesregierung in Widerspruch zu ihrer verfassungsrechtlich geforderten Eigenverantwortung faktisch verkürzt wird. Die Bindung an die Vereinbarung mit Privaten beeinträchtigt die Verantwortungstransparenz im Hinblick auf die materielle Autorenschaft einer Gesetzesvorlage. Aufgabe der Initiativfreiheit ist es, diesen diffusen Verflechtungslagen entgegenzuwirken. Dies bestätigt, dass die Beteiligung Privater an der inhaltlichen Gestaltung der Gesetzesvorlage durch das Übermaßverbot begrenzt werden muss. f) Gebot kritischer Rezeption als Ausfluss der Initiativverantwortung Im Zusammenhang mit der Prüfung, ob eine Beeinträchtigung der Initiativfreiheit dem Übermaßverbot entspricht, muss bedacht werden, dass das Ziel, die Akzeptanz der privaten Verhandlungspartner zu erlangen, nicht notwendigerweise auch bedeuten muss, dass der staatliche Kooperationspartner die Vorstellungen der Vereinbarungspartner unkritisch übernimmt. Für eine kooperative Regelung mit Privaten ist es nicht erforderlich, dass die Bundesregierung auf eine eigenständige, umfassende Abwägung verzichtet. Die eigenständige Abwägung durch die zur Gesetzesinitiative legitimierte Bundesregierung ist auch aus dem Blickwinkel des privaten Kooperationspartners sinnvoll. Er muss daran interessiert sein, dass das Gesetz auch im Hinblick auf Dritte umfassend abgewogen wird. Nur so wird es zur allseitigen und umfassenden gesellschaftlichen Akzeptanz des bipolar ausgehandelten Gesetzes kommen, die letztlich auch in seinem Interesse liegt456. Dem aus dem Übermaßverbot erwachsenden Verbot von nicht erforderlichen Beeinträchtigungen der Initiativfreiheit entspringt die Pflicht der Bundesregierung zur kritischen Rezeption gesetzesvorbereitender Vereinbarungen457. Das Gebot der kritischen Rezeption ist Ausfluss der Sachverantwor455

BVerfGE 9, 268 (281 ff.). Vgl. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 188. 457 Zum Gebot kritischer Rezeption: vgl. Gusy, ZUR 2001, 1 (5); Kloepfer, Gesetzgebung im Rechtsstaat, S. 63 (149); Schmidt-Preuß, Verwaltung und Verwaltungsrecht, S. 160 (205). Zudem könnte § 37 Abs. 1 Nr. 2 UGB-KomE für den Be456

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

tung der Bundesregierung als Gesetzesinitiativorgan und verpflichtet diese zu einer eigenständigen Abwägung hinsichtlich der Gesetzesvorlage458. Kennzeichen einer eigenständigen Abwägung ist es, dass die Gesetzesvorlage in sich selbst tragfähig ist. Sie bedarf keiner Verweise auf die gesetzesvorbereitende Vereinbarung, weil sie aus sich selbst heraus überzeugt. Die für oder gegen eine ausgehandelte Regelung sprechenden Gesichtpunkte müssen unabhängig von der Vereinbarung ermittelt, gegenübergestellt, gewichtet und bewertet werden. Dem wird dann nicht Genüge getan, wenn die Vorlage lediglich damit begründet wird, dass man sich mit besonders betroffenen Privaten auf die vereinbarten Regelungen geeinigt habe. Der bloße Interessenausgleich kann eine Sachbegründung nicht ersetzen. Verhandlungsgerechtigkeit ist kein Ersatz für die vom Gebot der kritischen Rezeption geforderte Sachgerechtigkeit einer ausgehandelten Regelung459. Das führt zu der Frage, inwieweit die Zustimmung der privaten Vereinbarungspartner die Bundesregierung von eigenen Ermittlungen zur Angemessenheit der beschlossenen Regelungen entlastet. Bei typisierender Betrachtungsweise kann unter Umständen vermutet werden, dass eine Regelung dann für alle Betroffenen angemessen ist, wenn ein Teil der Betroffenen diese Regelung als angemessen empfindet und ihr deshalb zustimmt. Eine solche Schlussfolgerung von den beteiligten Vereinbarungspartnern auf die nicht Beteiligten setzt jedoch voraus, dass dargelegt wird, auf Grund welcher Annahmen dieser Schluss gerechtfertigt sein soll460. Soweit Belange betroffen werden, auf die das Einverständnis der Beteiligten keinen Einfluss haben kann, darf die Abwägung nicht deshalb unreich der Rechtsetzung durch Rechtsverordnung als Ausdruck des Gebotes der kritischen Rezeption verstanden werden. Verträge sollen danach nur dann für allgemeinverbindlich erklärt werden, wenn sie auch für die Allgemeinheit eine sachgemäße Regelung darstellen (vgl. Begründung UGB-KomE, S. 512). 458 Vgl. BVerfGE 9, 268 (281); Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 59 Rdnr. 194 f., der in der Gesetzesinitiative ein Element der vorbeugenden Selbstkontrolle des Gesetzgebers sieht. A. A. Langenfeld, DÖV 2000, 929 (938), die eine Abwägung durch die Bundesregierung im Rahmen der Gesetzesinitiative nicht für erforderlich hält. 459 Verhandlungsgerechtigkeit ist lediglich interessenbestimmt, wohingegen sich die Sachgerechtigkeit an den tatsächlichen Notwendigkeiten der jeweiligen Regelungsmaterie orientiert (vgl. zu dieser Unterscheidung: BVerfGE 101, 158 (217 f.); Friauf, AöR 88 (1963), 257 (310, 312 f.)). Der Satz „Stat pro ratione consensus“ kann in den multipolaren Konstellationen des öffentlichen Rechts nur begrenzt zur Anwendung kommen, weil ein Rationalität ersetzender Konsens mit allen Betroffenen rein fiktiv wäre. Rational ist im öffentlichen Recht nicht in erster Linie das mit wenigen Vereinbarte, sondern das, was ein an Sachrationalität orientierter, in Rechtsnormen strukturierter und auf Repräsentanz des gesamten Volkes ausgerichteter Diskurs als rational erkennt (tendenziell a. A. Morlok, Informalisierung, S. 37 (49)). 460 Siehe oben 4. Teil A. I. 2. a) bb).

B. Grundgesetzliche Anforderungen

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möglich werden, weil die Bundesregierung auf die Ermittlung der konkurrierenden privaten Belange wegen des Einverständnisses der Beteiligten verzichtet hat. In einem solchen Fall muss vielmehr insgesamt so ermittelt und abgewogen werden, als ob es die Vereinbarung nicht gäbe. Folglich sind dann auch die privaten Belange der Vereinbarungspartner trotz deren Einverständnis substanziiert zu ermitteln, um eine umfassende Abwägung mit den anderen Belangen zu ermöglichen. Sind vom Einverständnis der Vereinbarungspartner nicht abgedeckte Interessen im Spiel, wird eine umfassende Sachaufklärung auch in Hinblick auf die eigentlich vom Einverständnis erfassten Belange notwendig, um diese bezogen auf den jeweiligen Regelungsbereich gewichten und mit den Drittinteressen sowie den Interessen der Allgemeinheit abwägen zu können. Die mit Begründung 28 Seiten umfassende Gesetzesvorlage zur Umsetzung der Vereinbarung vom 14. Juni 2000 enthielt an 31 Stellen einen expliziten Verweis auf die Vereinbarung vom 14. Juni 2000. Die Begründung bezeichnete die umzusetzende Vereinbarung als „Gesamtpaket“461. Die vielfache Bezugnahme auf die Vereinbarung vom 14. Juni 2000, die ihrerseits keine Sachbegründung beinhaltete, erschwerte eine kritische Auseinandersetzung der Kabinettsmitglieder mit der Vorlage. Durch die Bezeichnung als „Gesamtpaket“ in der Gesetzesvorlage wurde der Eindruck erweckt, dass Änderungen einzelner Vorschriften von vornherein ausgeschlossen seien, weil ein „Aufschnüren“ des Pakets dazu führen würde, dass erneut verhandelt werden müsste. Dadurch kann ein kritischer Diskurs innerhalb der Bundesregierung von vornherein unterbunden worden sein. Kernstück des Atomausstieges war die Laufzeitbegrenzung der bestehenden Kernkraftwerke462. Die Gesetzesvorlage skizzierte insoweit zunächst den verfassungsrechtlichen Rahmen, indem darauf hingewiesen wurde, dass den Betreibern eine Amortisation ihrer Investitionen und ein angemessener Gewinn eingeräumt werden müsse, damit es sich um eine verhältnismäßige Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums handele. Die Vorlage wies darauf hin, dass die an der Vereinbarung beteiligten Unternehmen den Restlaufzeiten zugestimmt hätten. Zudem würde die Vereinbarung ein „Gesamtpaket“ darstellen, zu dem auch die Entsorgung, die Transporte und nicht näher spezifizierte „zahlreiche andere Punkte“ gehören würden463. Die Gesetzesvorlage nannte jedoch keinerlei Fakten, aus denen sich die Angemessenheit des Gewinns ermitteln ließ. Die Angemessenheit einer Laufzeit von 32 Kalenderjahren wurde nicht mit Datenmaterial belegt. Der pauschale Hinweis in der Gesetzesvorlage auf „durchgeführte Untersuchungen“ lies kein eigenständiges kritisches Urteil der Bundesregierung zu464. Die vom Bundesumweltministerium in Auftrag gegebenen Gutachten 461

Begründung der Gesetzesvorlage, BT-Drs. 14/7261, 14/6890, S. 16. Trittin, Der Ausstieg, S. 17; Roßnagel, Die geordnete Beendigung, S. 11 (13); Posser, in: Posser/Schmans/Müller-Dehn, AtG, § 7 Abs. 1a–d Rdnr. 118, der insoweit vom „Herzstück“ der Novelle spricht. 463 Begründung der Gesetzesvorlage, BT-Drs. 14/7261, 14/6890, S. 16. 464 Begründung der Gesetzesvorlage, BT-Drs. 14/7261, 14/6890, S. 21. 462

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

stellten keine tragfähige Grundlage für die vereinbarte Laufzeit von 32 Kalenderjahren dar. In diesen Gutachten ging es um Laufzeiten von 20 bis 26 Kalenderjahren465. Es wurde zudem in keiner Weise begründet, warum der Gesetzgeber wegen der Zustimmung der beteiligten Unternehmen auch von der Angemessenheit für nicht beteiligte Unternehmen ausgehen konnte466. Das Allgemeininteresse am Atomausstieg wurde von der Bundesregierung so konkretisiert, dass das mit dem Betrieb von Kernkraftwerken verbundene Restrisiko nur noch für einen begrenzten Zeitraum hingenommen werden könne. Dieser von der Bundesregierung als politischem Gestaltungsorgan definierte Gemeinwohlbelang konnte jedoch mit den Eigentumsinteressen der Betreiber nur dann sachgemäß abgewogen werden, wenn das Eigentumsinteresse der Betreiber seinerseits mit Fakten gewichtungsfähig substanziiert ist. Dies war jedoch nicht der Fall, weil die Gesetzesvorlage lediglich auf die Zustimmung der Betreiber verwies. Eine eigenständige Abwägung zwischen Restrisiko und Bestandsschutz zur Ermittlung angemessener Restlaufzeiten wäre dem Kabinett nur dann möglich gewesen, wenn die Gesetzesvorlage darüber Aufschluss gegeben hätte, welche Verzinsung des investierten Kapitals den Betreibern bei der vorgeschlagenen Restlaufzeit tatsächlich zugestanden wird. Folglich führte die vielfache Bezugnahme in der Gesetzesvorlage auf die sachlich nicht begründete Vereinbarung vom 14. Juni 2000 dazu, dass eine kritische Auseinandersetzung der Bundesregierung im Kabinett nicht stattfinden konnte. Eine derart unkritische Übernahme der ausgehandelten Ergebnisse durch die Bundesregierung ohne substanzielle Sachbegründung in einer zentralen Frage des Atomausstiegs wäre im Interesse einer kooperativen Konfliktbereinigung mit den Betreibern nicht erforderlich gewesen. Deshalb wurde wegen der unkritischen Rezeption der Vereinbarung das Legitimationsniveau des Initiativbeschlusses der Bundesregierung übermäßig abgesenkt. Eine umfassende, datengestützte Abwägung wäre im Interesse aller Beteiligten gewesen. Unzureichend war auch die Abwägung hinsichtlich der Errichtung dezentraler Zwischenlager. Hier wurde die Verhältnismäßigkeit der Verpflichtung, derartige Zwischenlager errichten zu müssen, auch in Bezug auf die nicht beteiligten Energieversorgungsunternehmen vor allem mit der Zustimmung der beteiligten Unternehmen begründet. Warum jedoch davon ausgegangen werden kann, dass die Regelungen auch für die nicht zustimmenden Teilhaber an Kernkraftwerken verhältnismäßig seien, wurde nicht substanziiert dargelegt. Sonstige Belange privater Dritter wurden mit dem pauschalen Hinweis abgetan, dass diese nachrangig seien, ohne dass die Vorlage diese sonstigen Belange überhaupt benannte, geschweige denn gewichtet hätte467. Auch dies zeugt nicht von einer eigenständigen, kritischen Auseinanderset465 Denninger, Verfassungsrechtliche Fragen des Ausstiegs, S. 86 f., 97: Denninger räumt ein, dass den von ihm genannten Zahlen ein „spekulatives Moment“ innewohne; siehe ferner Öko-Institut/Wuppertal Institut, Kernkraftwerksscharfe Analyse, S. 90 f. 466 Nach Auskunft von Ministrialrat Goeke, Bundeskanzleramt, Schreiben vom 31. Juli 2003 (K-406 034/03/0001), enthält auch das Kabinettsprotokoll zum Gesetzentwurf keine weitere Sachbegründung zu den ausgehandelten Laufzeiten oder zu den sonstigen Hintergründen der Atomgesetznovelle. 467 Siehe oben 1. Teil A. I. 1.

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zung der Bundesregierung mit der umzusetzenden Vereinbarung. Vielmehr diente auch hier die Vereinbarung als Ersatz für eine sachbezogene Abwägung und Begründung. Die sich daraus ergebende Missachtung des Gebots der kritischen Rezeption hat zu einer verfassungswidrigen Absenkung des Legitimationsniveaus der Gesetzesinitiative geführt.

Bei der Anwendung des Gebots der kritischen Rezeption, ist zu beachten, dass die Anforderungen an die Sorgfalt der Abwägung der Bundesregierung umso höher angesetzt werden müssen, je stärker der Einzelfallbezug der Gesetzesvorlage ausgeprägt ist. Der im Rahmen der gewaltenteiligen Kompetenzordnung behandelte legislative Übergriff in Exekutivbereiche durch parzellenscharfe Einzelfallregelungen im Parlamentsgesetz muss durch eine besonders sorgfältige Abwägung der Bundesregierung ausgeglichen werden. Die besonders gründliche Abwägung der Bundesregierung bei der Erstellung der Gesetzesvorlage ist notwendig, um den legislativen Übergriff in den Exekutivbereich zu mildern468. Das Gebot kritischer Rezeption beinhaltet bezogen auf parzellenscharfe Regelungen in der Gesetzesvorlage besonders strenge Anforderungen an die Abwägung. Wegen der besonderen Parzellenschärfe der Regelungen zu den Restlaufzeiten wäre eine besonders kritische Auseinandersetzung des Kabinetts mit der Vereinbarung notwendig gewesen. Eine solche lässt sich der Gesetzesvorlage keineswegs entnehmen. Dies verstärkt das Gewicht der oben festgestellten Verfassungswidrigkeit der Gesetzesinitiative.

3. Ergebnis Das Kollegialprinzip gewährleistet auch im Vorfeld des formalen Initiativbeschlusses, dass jedes Mitglied der Bundesregierung qualitätssteigernd Einfluss auf die gesetzesvorbereitenden Verhandlungen nehmen kann. Durch die Annahme einer materiellen Initiativfreiheit wird zudem die Ausübung der Initiativstaatsgewalt vor Vereinnahmung durch organisierte gesellschaftliche Interessen geschützt. Das Übermaßverbot wirkt als flexibler Puffer den Einflussnahmen der Partikularkräfte entgegen. Die Bundesregierung wird ihrer Sachverantwortung in Bezug auf ausgehandelte Gesetzesvorlagen dadurch gerecht, dass sie die Regelungen unabhängig von der Vereinbarung selbst kritisch abwägt und die Gesetzesvorlage sachlich begründet. Der zunehmenden Verlagerung der faktischen Entscheidung in das Gesetzgebungsvorfeld entspricht es, für die verfassungsrechtliche Prüfung der gesetzgeberischen Abwägung bereits bei der Initiativentscheidung der Bundesregierung anzusetzen. Durch die Verpflichtung der Bundesregierung zur kritischen Rezeption der ausgehandelten Vereinbarungen erhält das Gesetzgebungsverfahren eine vorgeschaltete, präventiv wirkende verfassungs468

Siehe hierzu oben 3. Teil C. III. 3. c).

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

rechtliche Selbstkontrolle der Regierung, auf die gerade bei ausgehandelten Gesetzen im Dienste des Gemeinwohls nicht verzichtet werden kann.

III. Vertraulichkeit und Transparenz der Gesetzesvorbereitung Verhandlungen mit privaten Interessenvertretern zur Vorbereitung von Gesetzen finden in der Regel unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit statt469. Die Verhandlungsergebnisse werden hingegen in einer feierlichen Zeremonie veröffentlicht470. Die Kryptisierung des Verhandlungsprozesses und die öffentlichkeitswirksame Theatralisierung der Verhandlungsergebnisse sind charakteristisch für informale gesetzesvorbereitende Absprachen471. Erfolgt die Veröffentlichung der ausgehandelten Ergebnisse, noch bevor sich die Gesetzgebungsorgane mit deren Inhalt befassen konnten, so wird damit die Entscheidungsfreiheit dieser Organe beeinträchtigt. Hier stellt sich die Frage, ob sich dem Grundgesetz Grenzen für eine antizipierende Veröffentlichung von ausgehandelten Gesetzgebungskonzepten entnehmen lassen, um die Entscheidungsfreiheit der zur Gesetzgebung legitimierten Stellen zu erhalten. Die faktischen Bindungen der Vereinbarung vom 14. Juni 2000 wurden dadurch erheblich verstärkt, dass diese bereits unmittelbar nach der Einigung öffentlich bekannt gegeben wurde. Die Unterzeichnung erfolgte zudem unter Anwesenheit der Massenmedien, noch bevor das Kabinett über die Initiative für das Umsetzungsgesetz entschieden hatte. Das führt zu dem verfassungsrechtlichen Problem, inwieweit die vorzeitige Veröffentlichung der Vereinbarung die Rechte der Bundesregierung als Initiativorgan und die Rechte des Bundestages als Entscheidungsorgan beeinträchtigt hat.

Von der Veröffentlichung einer Vereinbarung als Ergebnis der Verhandlungen ist die mangelnde Transparenz der gesetzesvorbereitenden Verhandlungen selbst zu unterscheiden. Eine umfassende Offenlegung der Verhandlungen, auf denen die später publizierte Vereinbarung beruht, würde dazu führen, dass kontrolliert werden könnte, ob die oben erörterten verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Gesetzesvorbereitung eingehalten wurden472. Neben der Frage nach den Grenzen der Veröffentlichung von geset469 Nach Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 189, ist der nichtöffentliche Charakter wesentlich für die informellen Verfahren. 470 Zur Verstärkung faktischer Bindungen durch Publikation des Verhandlungsergebnisses: siehe oben 1. Teil A. I. 3. b) dd) (2) (c). 471 Eine solche Kryptisierung und Theatralisierung lässt sich nicht nur beim Atomausstieg, sondern auch beim Nationalen Ehtikrat, bei der Hartz-Kommission und vielen anderen Beispielen feststellen. Zu diesen Beispielen: siehe oben Einleitung; vgl. auch Wallerath, Diskussionsbeitrag, Staatsrechtslehrertagung 2002, S. 99 f.

B. Grundgesetzliche Anforderungen

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zesvorbereitenden Vereinbarungen als Ergebnis der Verhandlungen kommt es somit auch darauf an, inwieweit die Verfassung Transparenz und Öffentlichkeit des gesetzesvorbereitenden Verhandlungsprozesses gebietet. Die Informationspolitik staatlicher Organe kann Einzelne privilegieren, dadurch Macht und Einflussnahme dosieren sowie Einzelnen Wettbewerbsvorteile verschaffen473. Bei der verfassungsrechtlichen Durchleuchtung dieses Problemkreises sind ein objektives Transparenzgebot und die Frage nach einem subjektiven Anspruch des einzelnen Bürgers auf Offenlegung der Gesetzesvorbereitung zu unterscheiden. Im Gegensatz zur Veröffentlichung des Vereinbarungstextes vom 14. Juni 2000 fand der vorherige Verhandlungsprozess exklusiv mit den Energieversorgungsunternehmen unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Der Öffentlichkeit wurden lediglich die Ergebnisse des nicht öffentlichen Verhandlungsprozesses mitgeteilt. Insoweit kommt es darauf an, ob eine Offenlegung des gesetzesvorbereitenden Verhandlungsprozesses verfassungsrechtlich geboten war.

1. Grenzen öffentlicher Vorfestlegung der Gesetzgebung Grundsätzlich liegt es im Organisationsermessen der gesetzesvorbereitenden Ministerien, darüber zu entscheiden, wann und in welcher Form die Gesetzesvorbereitung gegenüber der Öffentlichkeit offen gelegt wird474. Die dabei bestehende Gestaltungsfreiheit kann aber eingeschränkt sein, sofern die Veröffentlichung zu faktischen Vorfestlegungen gegenüber der Öffentlichkeit führt. Solche Vorfestlegungen durch Publizität zeigen sich besonders deutlich, wenn der einzelne Bundesminister schutzwürdiges Vertrauen der vom Gesetz in Zukunft Betroffenen dadurch in Anspruch nimmt, dass er diesen gegenüber verspricht, die Verabschiedung durch das Kabinett und den Bundestag sei reine Formsache475. Die faktische Verbindlichkeit öffentlicher Äußerungen hat ihren Grund darin, das die politischen Akteure in der Öffentlichkeit nicht als unglaubwürdig oder als durchsetzungsschwach dastehen wollen476. Besonders deutlich wird die faktische Bindung gegenüber der Öffentlichkeit, wenn die Unterzeichnung der gesetzesvorbereitenden Vereinbarung öffentlichkeitswirksam inszeniert wurde. Wer sich dann an die öffentlich bekannt gegebene und gegebenenfalls sogar „beur472

Zur Kontrollfunktion der Verfahrensöffentlichkeit: vgl. BVerfGE 103, 44 (64). Vgl. Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 26. 474 Vgl. Hermes, in: Dreier, GG Bd. II, Art. 65 Rdnr. 30; zur Organisationsautonomie der Bundesregierung: siehe oben 4. Teil A. 475 Vgl. Zeh, Impulse und Initiativen, S. 33 (42 ff.). 476 Vgl. Quaritsch, Über formelle und informelle Wege, S. 135 (156), der darauf hinweist, dass die informelle Vorabstimmung formeller Entscheidungsprozesse gerade dazu dient, die Beteiligten vor einem Gesichtsverlust zu bewahren. 473

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

kundete“ Vereinbarung nicht hält, riskiert einen Gesichtsverlust in der Öffentlichkeit und wird als unzuverlässig gelten. Erfolgen diese Bindungen durch Publizität, noch bevor sich die Bundesregierung als Gesamtheit mit dem Gesetzentwurf befasst hat, dann beeinträchtigen sie deren Initiativfreiheit477. Vorfestlegungen gegenüber der Öffentlichkeit können auch die Organtreue gegenüber dem Bundestag beeinträchtigen, wenn von den Mitgliedern der Bundesregierung der Eindruck erweckt wird, dass die Zustimmung des Bundestages nur noch Formsache sei478. Anders als der oben behandelte Druck über die Fraktions- und Parteischiene479 wäre eine solche Beeinträchtigung der Entscheidungsautonomie des Bundestages nicht von den Funktionsnotwendigkeiten der parlamentarischen Regierungssystems gedeckt480. Initiativfreiheit und Organtreue sind jedoch keine absoluten Verfassungswerte, die jeder politischen Ausgestaltung unzugänglich wären. Vielmehr können diese Verfassungsprinzipien mit konkurrierenden Werten abgewogen werden. Das Grundgesetz gebietet weder optimale Initiativfreiheit der Bundesregierung noch optimale Organtreue gegenüber dem Bundestag. Für ein ausreichendes Maß an Initiativfreiheit und Organtreue kommt es vielmehr auf einen verhältnismäßigen Ausgleich zwischen Initiativfreiheit bzw. Organtreue einerseits und den konkurrierenden Belangen andererseits an. Mit der vorzeitigen Veröffentlichung von Gesetzgebungskonzepten verfolgen die Bundesregierung oder einzelne ihrer Mitglieder den verfassungskonformen Zweck, die Öffentlichkeit für ein bestimmtes Gesetzgebungsvorhaben zu interessieren. Dadurch wird die politische Diskussion angeregt. Die vorzeitige Veröffentlichung ist ein geeignetes Mittel, um eine Aktivierung des politischen Diskurses zu erreichen. Ein vitaler Diskurs in der Gesetzesvorbereitungsphase kann zu konstruktiven Änderungsvorschlägen führen und die Akzeptanz des künftigen Gesetzes fördern. Nicht jede Art und Intensität von faktischer Vorabbindung gegenüber der Öffentlichkeit ist jedoch für eine lebhafte politische Diskussion erforderlich. 477 Zur Initiativfreiheit der Bundesregierung: siehe oben 4. Teil II. 2. Mit der Beeinträchtigung der Initiativfreiheit kann eine Beeinträchtigung des Kollegialprinzips einhergehen, sofern die Vorfestlegungen gegenüber der Öffentlichkeit durch einzelne Kabinettsmitglieder erfolgt. Zur Problematik der Beeinträchtigung des Kollegialprinzips durch gesetzesvorbereitende Vereinbarungen: siehe oben 4. Teil II. 1. 478 Zu negativen Effekten der Öffentlichkeit auf die „Offenheit des Abklärungsprozesses“: Schröder, NVwZ 1998, 1011 (1016); Schulze-Fielitz, Der politische Kompromiß, S. 290 (311); Steiger, Diskussionsbeitrag, Staatsrechtslehrertagung 2002, S. 94 f. 479 Siehe oben 4. Teil B. I. 5. e) aa) (1) (b). 480 Zur Verfassungsorgantreue als Grenze der Transparenz der Gesetzesvorbereitung: vgl. NWVerfGH, NVwZ 1994, 678 (679 f.).

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Nicht notwendig ist, dass Mitglieder der Bundesregierung den Eindruck in der Öffentlichkeit erwecken, als ob über das Gesetz schon entschieden sei, und damit das Gesetzgebungsverfahren zur bloßen Formsache degradieren. Die gesetzesvorbereitenden Ministerien können bei der vorzeitigen Veröffentlichung von Akten der Gesetzesvorbereitung entsprechend §§ 47 Abs. 4, 49 Abs. 1 GGO deutlich machen, dass es sich um bloße Entwürfe handelt, die noch unter Kabinetts- und Parlamentsvorbehalt stehen. Dadurch wird eine übermäßige Beeinträchtigung der Initiativfreiheit und der Organtreue vermieden. Bei einem solchen klarstellenden Hinweis ist ein Vertrauen potenzieller Normadressaten auf Regelungen in bloßen Entwürfen nicht schutzwürdig, so dass Bundesregierung oder Bundestag sich insoweit auch nicht gebunden fühlen müssen. Die vorzeitige Veröffentlichung der Gesetzesvorbereitung stellt demnach weder einen Verstoß gegen die Initiativfreiheit noch gegen die Organtreue dar, wenn bei der Veröffentlichung deutlich gemacht wird, in welchem Stadium des Gesetzgebungsverfahrens sich das Gesetzesvorhaben befindet. Die Vereinbarung vom 14. Juni 2000 wurde zwischen der Bundesregierung und den beteiligten Energieversorgern auf der Grundlage abgeschlossen, dass sie später vom Bundestag in einer Atomgesetznovelle umgesetzt wird. Die Bundesregierung machte dabei von Anfang an deutlich, dass die Vereinbarung unter dem Vorbehalt einer Beschlussfassung des Bundestages steht. Eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung der Organtreue gegenüber dem Bundestag durch öffentliche Vorfestlegung ist nicht erkennbar. Anders verhält es sich jedoch mit der Initiativfreiheit der Bundesregierung als Kollegialorgan. Die gesetzesvorbereitenden Verhandlungen wurden nur von einzelnen Mitgliedern der Bundesregierung geführt. Dementsprechend unterzeichneten auch nur diese an den Verhandlungen beteiligten Ministerien die Vereinbarung. Dennoch wurde die Vereinbarung in der Öffentlichkeit nicht als Vereinbarung zwischen den unterzeichnenden Mitgliedern der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen vorgestellt, vielmehr wurde sie als Absprache zwischen der Bundesregierung als Kollegium und den beteiligten Unternehmen ausgegeben. Zwar findet sich in der Vereinbarung die eher beiläufige Bemerkung, dass es noch eines Kabinettsbeschlusses bedürfe481, in der Vereinbarung ist aber ansonsten immer wieder von der Bundesregierung als Vereinbarungspartner der Energieversorgungsunternehmen die Rede, obwohl eine Ermächtigung der Bundesregierung als Kollegialorgan zum Vereinbarungsabschluss nicht erkennbar ist482. Die Vereinbarung erweckte in der Öffentlichkeit den Eindruck, als ob die Beschlussfassung der Bundesregierung zur gesetzlichen Umsetzung reine Formsache sei. Darin liegt eine 481

Siehe V. 2. der Vereinbarung vom 14. Juni 2000: „Über die Umsetzung in der AtG-Novelle wird auf der Grundlage des Regierungsentwurfs vor der Kabinettbefassung zwischen den Verhandlungspartnern beraten.“ 482 An dieser Stelle muss offen bleiben, inwieweit sich den nichtöffentlichen Gesetzgebungsakten zum Atomausstieg eine diesbezügliche Ermächtigung entnehmen lässt.

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

übermäßige Beeinträchtigung der Initiativfreiheit der Bundesregierung durch öffentliche Vorfestlegung.

2. Objektives Gebot der Verhandlungstransparenz Während die öffentliche Präsentation einer gesetzesvorbereitenden Vereinbarung gegen die Verfassung verstoßen kann, weil ein Übermaß an präjudizierender Publizität erzeugt wird, kann andererseits die Geheimhaltung der gesetzesvorbereitenden Verhandlungen verfassungswidrig sein, weil das notwendige Mindestmaß an Transparenz der Gesetzgebung nicht gewährleistet ist. a) Informationelle Grundversorgung Als verfassungsrechtlicher Ansatzpunkt für ein Gebot der Transparenz der gesetzesvorbereitenden Verhandlungen kommen die Informationsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG und das Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG in Betracht. Der Wortlaut der Informationsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG bezieht sich indessen nur auf allgemein zugängliche Informationen. Die Informationsfreiheit gewährleistet demnach lediglich ein Recht auf Zugang zu solchen Informationen, die bereits für die Allgemeinheit bereitgestellt wurden483. Dadurch werden Behinderungen des Zugangs zu allgemein zugänglichen Informationen abgewehrt. Eine Verpflichtung des Staates zur Veröffentlichung bestimmter Informationen lässt sich dem Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG für sich genommen nicht entnehmen484. Ohne ein Mindestmaß an Information über die wesentliche Tätigkeit der Staatsorgane kann eine Demokratie jedoch nicht funktionieren485. Das Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG strebt eine effektive Legitimation der Staatsgewalt durch das Volk an. Ein effektives Legitimationsniveau kann durch Wahlen aber nur dann erreicht werden, wenn die Bürger vorher die Möglichkeit hatten, sich ausreichend über die Tätigkeit der Staatsorgane zu informieren486. Deshalb ist der Staat dazu verpflichtet, eine Grundversorgung mit Informationen über die eigene Tätigkeit sicherzustellen487. Bei in hohem Maße faktischer Verbindlichkeit von gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen gehören der Vereinbarungsinhalt, aber auch die 483

BVerfGE 103, 44 (60). BVerfGE 103, 44 (59 f.); vgl. auch: BVerwG, DÖV 1979, 102; BVerwGE 29, 214 (218). 485 BVerfGE 44, 125 (147 f.); 103, 44 (63 f.); 103, 44 (72 f.) – abw. M. 486 Zum Zusammenhang zwischen Information, Kommunikation und Legitimation: BVerfGE 105, 279 (302 f.); vgl. auch: BVerfGE 89, 155 (171 f., 185 ff.); BayVerfGH, BayVBl. 1999, 719 (726 f.); Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 59 Rdnr. 174. 484

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Gründe, die zur Vereinbarung geführt haben, zur wesentlichen Staatstätigkeit. Die Information über die wesentlichen Hintergründe eines Gesetzgebungsverfahrens und die Einflüsse von Partikularkräften auf die Gesetzgebung ist notwendig, damit sich der wahlberechtigte Bürger eine sachgerechte Meinung von den Staatsorganen, die an der Gesetzgebung beteiligt sind, bilden kann. Die Offenlegung der Einflüsse von Partikularkräften auf die Gesetzgebung gehört zur verfassungsrechtlich gebotenen informationellen Grundversorgung der Bürger488. Zudem trägt die Publikation des Verbandseinflusses dazu bei, dass sich Einzelinteressen nicht allzu stark auf Kosten des Gemeinwohls in die Gesetzgebung einnisten und Reformen blockieren können489. Reformfeindlicher Lobbyismus ist auf Dunkelzonen in der Staatswillensbildung angewiesen und scheut das Licht der Öffentlichkeit. Dementsprechend ist das auf das gesamte Volk ausgerichtete, gemeinwohlbezogene Demokratieprinzip als verfassungsrechtliches Argument für die Transparenz der Gesetzesvorbereitung ins Feld zu führen490. Legt die Bundesregierung ihre Kontakte zu maßgeblichen Kräften, die im Vorfeld der Gesetzgebung wirken, nicht offen, so wird das in der freiheitlichen Demokratie notwendige Vertrauen der Bürger in den Staat auf Dauer Schaden nehmen491. Misstrauen der Bürger wächst gerade in den Dunkelzonen informellen Einflusses gesellschaftlicher Kräfte heran. Deswegen kann auf die Offenlegung derjenigen Kräfte, die auf die gesetzesvorbereitende Staatsgewalt gestaltenden Einfluss ausüben, im Lichte des Demokratieprinzips nicht verzichtet werden. b) Mindestmaß an Transparenz Dem Demokratieprinzip kann indessen kein Gebot optimaler Transparenz der Gesetzesvorbereitung entnommen werden. Dies ergibt sich schon aus dem Charakter des Demokratieprinzips als Saturierungsgebot492, kann aber auch dem Art. 42 GG entnommen werden. Das auf den Bundestag bezo487 Zur Notwendigkeit der staatlichen Öffentlichkeitsarbeit: BVerfGE 44, 125 (147); 63, 230 (242 f.); vgl. Hoffmann-Riem, in: Denninger, GG Bd. 1, Art. 5 Rdnr. 98; Bull, ZG 2002, 201 (217). 488 Zum Begriff der in diesem Zusammenhang diskutierten staatlichen Informationsvorsorge: Denninger, VM 2001, 4 (6 ff.) m. w. N. 489 Vgl. Damaschke, Der Einfluss der Verbände, S. 102; Hoeren, NJW 2002, 3303 (3304). 490 Zum Gemeinwohlbezug des Demokratieprinzips: siehe oben 4. Teil B. I. 1. c) bb). 491 BVerfGE 40, 296 (327): Parlamentarische Demokratie beruht auf dem Vertrauen des Volkes und setzt damit Transparenz des politischen Geschehens voraus. 492 Siehe oben 4. Teil B. I. 1. f).

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gene Öffentlichkeitsgebot des Art. 42 Abs. 1 GG gilt nur für das Plenum und nicht für die Ausschüsse. Art. 42 Abs. 1 GG spricht nämlich nur von öffentlichen Verhandlungen des Bundestages als Plenum. Damit werden die Ausschüsse des Bundestages vom Erfordernis der Sitzungsöffentlichkeit nicht erfasst493. Dies zeigt Art. 42 Abs. 3 GG, der zwischen dem Bundestag und den Ausschüssen des Bundestages explizit unterscheidet494. Wenn aber schon die parlamentarischen Ausschüsse nach dem Grundgesetz dazu berechtigt sein sollen, Gesetze unter Ausschluss der Öffentlichkeit vorzubereiten495, so kann die nichtöffentliche Gesetzesvorbereitung der Bundesregierung ebenfalls nicht generell verfassungswidrig sein. Das Grundgesetz ist nicht blind gegenüber der Tatsache, dass eine zu frühe Öffentlichkeit der Entscheidungsvorbereitung die Offenheit des Abwägungsprozesses gefährden kann496. Deshalb findet sich für die Ausschussarbeit im Grundgesetz kein striktes Gebot der Öffentlichkeit. Vielmehr ist die Sitzungsöffentlichkeit in Art. 42 Abs. 1 GG nur auf das Plenum beschränkt. Damit wird vom Grundgesetz einerseits die Notwendigkeit von Transparenz gesehen, andererseits aber auch dem Aspekt der Vertraulichkeit der Entscheidungsvorbereitung Rechnung getragen. Aus dem Demokratieprinzip kann lediglich das Erfordernis eines Mindestmaßes an Transparenz der gesetzesvorbereitenden Staatsgewalt abgeleitet werden. c) Transparenzgebot im Spannungsfeld divergierender Verfassungswerte Die vom Demokratieprinzip gebotene Grundversorgung der Bürger mit Informationen über die Gesetzesentstehung gerät unter Umständen mit der Initiativfreiheit der Bundesregierung sowie mit dem Gebot der Verfassungsorgantreue gegenüber dem Bundestag in Konflikt, wenn die Entscheidungsfreiheit von Bundesregierung und Bundestag durch die Veröffentlichung der Gesetzesvorbereitung beeinträchtigt wird497. Die Verfassungswerte der Transparenz der gesetzesvorbereitenden Staatsgewalt einerseits sowie der Initiativfreiheit und der Verfassungsorgantreue andererseits sind nach dem 493

Klein, in: Maunz/Dürig, GG Bd. III, Art. 42 Rdnr. 32 ff. Achterberg/Schulte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG Bd. II, Art. 42 Abs. 1 Rdnr. 3. 495 Die Nichtöffentlichkeit von Ausschusssitzungen ist allerdings nicht unumstritten: siehe Klein, in: Maunz/Dürig, GG Bd. III, Art. 42 Rdnr. 37 m. w. N. 496 Vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. VII, § 162 Rdnr. 72; ders., Diskussionsbeitrag, Staatsrechtslehrertagung 2002, S. 91; Ossenbühl, in: Isensee/ Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 63 Rdnr. 36. 497 Siehe oben 4. Teil B. III. 1. 494

B. Grundgesetzliche Anforderungen

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Übermaßverbot unter Beachtung der Organisationsautonomie der Bundesregierung zu harmonisieren498. aa) Nachträgliche Öffentlichkeit als milderes Mittel Der Ausgleich der divergierenden Verfassungsprinzipien ist so zu gestalten, dass nicht erforderliche Beeinträchtigungen von Verfassungswerten unterbleiben. Dabei ist im vorliegenden Zusammenhang zu beachten, dass das vom Demokratieprinzip geforderte Mindestmaß an Transparenz auch dadurch erreicht werden kann, dass die gesetzesvorbereitenden Verhandlungen erst nach deren Abschluss im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens offen gelegt werden. Erfolgt die Publizität der Gesetzesvorbereitung erst im Gesetzgebungsverfahren zur Umsetzung der Vereinbarung, nachdem das Kabinett über die Initiative bereits entschieden und die Vorlage dem Bundestag zugleitet hat, dann wird die Initiativfreiheit der Bundesregierung als Kollegialorgan nicht beeinträchtigt. Beschränkt man die Verpflichtung der Bundesregierung zur Transparenz der Gesetzesvorbereitung auf das nachfolgende Gesetzgebungsverfahren, so wird zudem ein Übergriff in den Eigenbereich der Regierung vermieden, weil auf eine vorzeitige Veröffentlichung regierungsinterner Überlegungen verzichtet wird. Darüber hinaus greift die nachträgliche Publizität dem parlamentarischen Verfahren in keiner Weise vor und beeinträchtigt die Organtreue gegenüber dem Bundestag nicht. Berücksichtigt man die gegenläufigen verfassungsrechtlichen Belange, so reicht eine nachträgliche Transparenz der gesetzesvorbereitenden Verhandlungen im Umsetzungsgesetzgebungsverfahren aus. Die Bundesministerien sind nicht dazu verpflichtet, ihre Tätigkeit schon während den laufenden Verhandlungen offen zu legen. Es steht in ihrer Gestaltungsfreiheit, ob sie die notwendige Transparenz bereits vor Zuleitung der Vorlage an das Parlament unter Beachtung kollidierender Verfassungswerte oder erst im Gesetzgebungsverfahren herstellt. Beide Wege sind denkbar, um Initiativfreiheit und Organtreue einerseits und demokratische Transparenz andererseits miteinander zu harmonisieren. Ein Vorzug für eine der beiden Alternativen lässt sich dem Grundgesetz nicht entnehmen. Die Bundesregierung ist jedoch verfassungsrechtlich verpflichtet, zumindest für nachträgliche Transpa498 Demgegenüber dürfen Geheimhaltungsinteressen an der Gesetzesvorbereitung beteiligter Privater nicht zu einer Minderung der Transparenz der Gesetzgebung führen. Grundrechtlich geschützten Geheimhaltungsinteressen (vgl. BVerwG DVBl. 2003, 1401 (1403)) muss vielmehr in erster Linie dadurch Rechnung getragen werden, dass die gesetzlichen Regelungen allgemein formuliert und nach allgemeinen Maßstäben begründet werden. Siehe oben 3. Teil C.

362

4. Teil: Die Verhandlungsphase

renz der gesetzesvorbereitenden Verhandlungen zu sorgen, um die informationelle Grundversorgung der Bürger sicherzustellen. Davon unberührt bleibt indessen die oben unter B. I. 5. e) bb) beschriebene Pflicht der Bundesregierung, den Bundestag unter Umständen schon vor Entstehung faktischer Bindungen zu informieren, wenn seitens des Parlaments oder durch einzelne Abgeordnete eine entsprechende Anfrage ergeht oder eine aus eigener Verantwortung der Bundesregierung wahrzunehmende Informationspflicht gegenüber dem Bundestag nach dem Grundsatz der Organtreue anzunehmen ist499. Auch wenn es unter dem Gesichtpunkt einer funktionsfähigen Demokratie ausreicht, wenn der Bürger nachträglich einen Gesetzgebungsprozess beurteilen kann, so fordert die Effektivität der Rechte des Parlaments unter bestimmten Voraussetzungen dessen vorzeitige Information. Die nach dem Demokratieprinzip ausreichende nachträgliche Publizität ist in bestimmten Konstellationen im Hinblick auf die Organtreue gegenüber dem Bundestag unzureichend. Mit der vorzeitigen Offenlegung der Gesetzesvorbereitung gegenüber dem Bundestag ist dann allerdings oftmals auch eine Publizität gegenüber der Öffentlichkeit zwangsläufig verbunden500. Zwar besteht aus der Organtreue keine Pflicht der Bundesregierung, das Parlament über die gesetzesvorbereitenden Verhandlungen fortlaufend zu informieren, wenn sich das Parlament auch selbst einschalten kann501. Das Transparenzgebot als Ausfluss des Demokratieprinzips verpflichtet jedoch die Bundesregierung, Transparenz wenigstens nachträglich im parlamentarischen Verfahren herzustellen502. Dieses demokratische Transparenzgebot ist anders als die der Organtreue entspringende Pflicht zur vorzeiten Information des Bundestages nicht subsidiär gegenüber einem eigenen Nachfragen des Bundestages und seiner Abgeordneten. Im Gegensatz zur Organtreue stellt das demokratische Transparenzgebot kein subjektives Organrecht des Bundestages, sondern einen objektiv-rechtlichen Grundsatz dar, den die Bundesregierung auch dann zu befolgen hat, wenn der Bundestag bereits früher auf eigene Initiative nachfragen konnte. Um fortlaufende Information während den Gesetzesverhandlungen muss sich demnach der Bundestag selbst kümmern, sofern er von den Verhandlungen ausreichen Kenntnis hatte. Die nachträgliche demokratische Transparenz muss die Bundesregierung hingegen aus eigener Initiative auch ohne Nachfragen des Bundestages herstellen. 499

Siehe oben 4. Teil B. I. 5. e) bb) (1). Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 25. 501 Siehe oben 4. Teil B. I. 5. e) bb) (1) (c). 502 Zur legitimatorischen Bedeutung nachträglicher Transparenz: Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 190. 500

B. Grundgesetzliche Anforderungen

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bb) Dokumentations- und Informationspflicht gegenüber dem Bundestag Für eine effektive nachträgliche Transparenz ist es erforderlich, dass die Erwägungen der Gesetzesvorbereitung und insbesondere der Einfluss von Verbänden umfassend dokumentiert und dem Bundestag zur Verfügung gestellt werden503. Die Informationen über die Gesetzesverhandlungen mit den Privaten müssen vollständig in das parlamentarische Verfahren eingebracht werden504. Die Nachträglichkeit der notwendigen Transparenz darf nicht zu Transparenzverlusten führen, weil die Bundesregierung dem Parlament Informationen vorenthält. Die umfassende Information des Parlaments durch die Regierung bildet die Grundlage für die von den Abgeordneten zu treffende Auswahl der im Plenum öffentlich zu debattierenden Gesichtspunkte505. Dabei darf die gesetzesvorbereitende Vereinbarung nicht als Ersatz für eine substanziierte Offenlegung der für das Gesetz maßgeblichen Tatsachengrundlagen dienen. Vielmehr müssen entsprechend § 43 Abs. 1 Nr. 2 GGO der Sachverhalt, der dem Gesetzentwurf zu Grunde liegt, und die Erkenntnisquellen, auf denen dieser Sachverhalt beruht, gegenüber dem Parlament mitgeteilt werden. Der bloße Hinweis, dass bestimmte Regelungen zwischen bestimmten Verhandlungspartnern vereinbart worden sind, kann nicht als Erkenntnisquelle eines Sachverhaltes angesehen werden. § 43 Abs. 1 Nr. 2 GGO ist insoweit Ausfluss des demokratischen Transparenzgebots, als er nachträgliche Offenlegungen der maßgeblichen Fakten und Daten fordert und damit einen sachbezogenen Diskurs in Parlament und Öffentlichkeit ermöglicht. Dabei sind auch die Sachgründe für die Auswahl der Vereinbarungspartner dem Parlament darzulegen506. Dadurch kann eine effektive nachträgliche Transparenz der gesetzesvorbereitenden Staatsgewalt hergestellt werden. 503

Vgl. Mengel, Gesetzgebung und Verfahren, S. 316, 374; Voßkuhle, Beteiligung Privater, S. 260 (298). 504 Vgl. Neyses, Die Beteiligung von Interessenverbänden, S. 93; Hennis, PVS 1961, 23 (34). 505 An dieser Stelle kann offen bleiben, inwieweit dem Grundgesetz eine Pflicht zur Begründung von Gesetzesvorlagen entnommen werden kann (siehe zum diesbezüglichen Meinungsstreit: Lücke, in: Sachs, GG, Art. 76 Rdnr. 7 m. w. N.). Vorliegend wird lediglich gefordert, dass die Bundesregierung die maßgeblichen Informationen in das Gesetzgebungsverfahren einfließen lässt. Dies muss nicht zwangsläufig durch eine der Vorlage beigefügte Begründung geschehen. Das Fehlen einer Begründung der Vorlage kann jedenfalls die Befassungspflicht des Bundestages nicht aufheben. Zur Befassungspflicht des Bundestages, die durch die Zuleitung der Vorlage ausgelöst wird: BVerfGE 1, 144 (153); Masing, in: v. Mangoldt/Klein, GG Bd. II, Art. 76 Abs. 1 Rdnr. 56. 506 Siehe oben 4. Teil B. I. 2.

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

Die Bundesregierung beruft sich in der Begründung ihrer Gesetzesvorlage immer wieder auf die Vereinbarung mit den Energieversorgungsunternehmen. Die Vereinbarung enthält jedoch selbst keinerlei Sachbegründung der vereinbarten Regelungen. Vielmehr werden die vereinbarten Regelungen nur als Ergebnis von Verhandlungen festgehalten. Welche Sachgründe vor allem den Restlaufzeiten zu Grunde liegen sollen, wird weder aus der Vereinbarung noch aus der Begründung der Gesetzesvorlage klar507. Unterstellt, die Bundesregierung hat eine umfassende Abwägung aufgrund von Sachgründen vorgenommen, so wäre es ihr ohne Beeinträchtigung des Verhandlungserfolges möglich gewesen, zumindest nachträglich im Umsetzungsgesetzgebungsverfahren Transparenz herzustellen. Die Bundesregierung hat das demokratische Transparenzgebot missachtet, indem sie den Abgeordneten und der Öffentlichkeit die entscheidenden Sachgründe und Fakten, auf denen ihre Entscheidung beruhte, vorenthalten hat.

3. Subjektives Informationsrecht Private können ein Interesse haben, die Hintergründe der Entstehung eines Gesetzes zu erfahren, um sich eine politische Meinung bilden zu können. Zudem wird noch zu zeigen sein, dass Verfassungsverstöße in der Verhandlungsphase Auswirkungen auf die Verfassungsmäßigkeit des Umsetzungsgesetz haben können508. Deshalb kommt den Informationen über die Gesetzentstehung auch eine wichtige Bedeutung zu, um die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes beurteilen zu können. Das objektiv-rechtliche Gebot der nachträglichen Transparenz der Gesetzesvorbereitung wird durch ein korrespondierendes subjektives Recht auf Information über die Gesetzesentstehung verstärkt. a) Informationsansprüche unterhalb des Verfassungsrechts Bevor die Frage nach verfassungsrechtlichen Anspruchsgrundlagen zur Erlangung von Informationen über die Gesetzesvorbereitung erörtert wird, ist nach Anspruchsgrundlagen im unterverfassungsrechtlichen Normbereich zu suchen. § 48 Abs. 1 GGO scheidet als Anspruchsgrundlage von vornherein aus. Nach dieser Vorschrift entscheidet das federführende Bundesministerium bzw. das Bundeskanzleramt über die Einsichtnahme in vom Kabinett noch nicht beschlossene Gesetzentwürfe. Da es sich bei § 48 Abs. 1 GGO um Geschäftsordnungsrecht handelt, ergeben sich aus ihm grundsätzlich keine subjektiv-öffentlichen Rechte des Bürgers. Das Geschäftsordnungsrecht ist reines Innenrecht des jeweiligen Organs. Subjektiv-öffentliche Rechte könnten sich nur insoweit aus § 48 Abs. 1 GGO ausnahmsweise 507 Zur ausführlichen Würdigung des Informationsgehaltes der Gesetzesvorlage: siehe oben 4. Teil B. II. 2. f). 508 Siehe unten 6. Teil.

B. Grundgesetzliche Anforderungen

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ergeben, als diese Bestimmung Ausfluss eines verfassungsrechtlichen Informationsanspruches des Einzelnen wäre. Darauf ist später einzugehen509. Auf einfachgesetzlicher Ebene kommt im Bundesrecht das Umweltinformationsgesetz in Betracht. Der Informationsanspruch des § 4 UIG findet jedoch nach § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UIG keine Anwendung, soweit oberste Bundes- oder Landesbehörden im Rahmen der Gesetzgebung tätig werden. Die Formulierung „im Rahmen der Gesetzgebung“ in § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UIG umfasst auch die Gesetzesvorbereitung, so dass auch die Gesetzesvorbereitung vom Informationsanspruch des § 4 UIG ausgenommen ist. Somit ergibt sich aus dem UIG kein Anspruch des Einzelnen auf Informationen über die Gesetzesentstehung510. Der Bundestag hat mittlerweile ein Informationsfreiheitsgesetz beschlossen. Dieses tritt am 1.1.2006 in Kraft511. Der dort normierte Informationsanspruch soll sich nach § 1 Abs. 1 IFG auf die gesamte Behördentätigkeit des Bundes erstrecken. Nach § 1 Abs. 4 VwVfG nehmen Behörden Verwaltungsaufgaben wahr. Die Vorbereitung von Gesetzen fällt aber nach dem allgemeinen juristischen Sprachgebrauch nicht unter Verwaltung, sondern unter Gesetzgebungs- bzw. unter Regierungstätigkeit, auch wenn diese Tätigkeiten von den Organen der Exekutive wahrgenommen werden512. Legt man somit das Gesetz nach der herkömmlichen Terminologie aus, so wäre die Gesetzesvorbereitung vom Informationsanspruch nicht erfasst513. Die Begründung der Gesetzesvorlage weicht jedoch von diesem Sprachgebrauch ab. Nach der Begründung zu § 1 Satz 1 IFG soll auch die Gesetzesvorbereitung vom Informationsanspruch erfasst werden, weil die Gesetzesvorbereitung wesentlicher Bestandteil der Verwaltungstätigkeit der Bundesministerien sein soll513a. Dabei werden jedoch Bereiche vermischt, die das Grundgesetz aus Gründen der funktionalen Gewaltenteilung in den Art. 70 ff. GG einerseits und Art. 83 ff. GG andererseits getrennt hat. 509

Siehe unten 4. Teil B. III. 3. b) und c). Kramer, Umweltinformationsgesetz, Erl. § 3 UIG – C – Nr. 4 (S. 19); vgl. Böhm, Institutionelle Rahmenbedingungen, S. 239 (240 f.). 511 BT-Drs. 15/4493; Bull, ZG 2002, 201 ff. Aus rechtsvergleichender Perspektive sind in diesem Zusammenhang vor allem die Art. 255 EGV und Art. 42 der Grundrechte-Charta der EU von Interesse. 512 Vgl. BVerfGE 95, 1 (16 f.); 93, 37 (67); 83, 60 (71 f.); BVerwGE 106, 64 (74); Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. VII, § 162 Rdnr. 18; Stern, Staatsrecht Bd. 2, § 39 III 3 (S. 696 f.). 513 Für eine solche Auslegung plädiert bezogen auf das Informationsfreiheitsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen: Stollmann, NWVBl. 2002, 216 f.; Smeddinck, Gesetzesproduktion, S. 105 (123 f.) lässt diese Frage offen. 513a BT-Drs. 15/4493, S. 7. 510

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

Die Gesetzesvorbereitung ist den Art. 70 ff. GG und nicht den Art. 83 ff. GG zuzuordnen. Sie sollte deshalb auch nicht als Verwaltung bzw. Behördentätigkeit bezeichnet werden514. Nach der Begründung zum Informationsfreiheitsgesetz soll der Informationsanspruch allerdings vor Beschluss der Gesetzesvorlage durch das Bundeskabinett regelmäßig nach §§ 3 Nr. 3, 4 Abs. 1 IFG ausgeschlossen sein, weil dadurch oftmals die Vertraulichkeit von Beratungen der Behörden bzw. der Kernbereich exekutivischer Eigenverantwortung beeinträchtigt würde515. Der Anspruch aus dem Informationsfreiheitsgesetz des Bundes greift demnach regelmäßig erst nach dem Kabinettsbeschluss zur Gesetzesinitiative516. Für den Zeitraum davor muss deshalb unmittelbar auf das Verfassungsrecht zurückgegriffen werden. b) Informationsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG Aus der in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG grundrechtlich geschützten Informationsfreiheit kann ein Anspruch des Einzelnen auf Offenlegung der Gesetzesvorbereitung nicht ohne weiteres abgeleitet werden. Wie bereits dargelegt, gewährleistet diese Vorschrift nur den ungehinderten Zugang zu Informationen, die der Allgemeinheit bereits zur Verfügung gestellt wurden. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG enthält für sich betrachtet keine Verpflichtung des Staates, Informationen bereitzustellen517. Informationen müssen erst allgemein zugänglich gemacht werden, damit sie vom Schutzbereich der Informationsfreiheit erfasst werden. Wer über die Bereitstellung von Informationen für die Allgemeinheit zu bestimmen 514 Zur Unterscheidung der gesetzgeberischen Tätigkeit der Bundesregierung und der Tätigkeit als Vollzugsaufsicht als Element einer organinternen funktionalen Gewaltenteilung: Reicherzer, DVBl. 2002, 557 (559 f.). 515 Vgl. Bull, ZG 2002, 201 (220). 516 Zur landesrechtlichen Situation: vgl. die Informationsfreiheitsgesetze der Länder Berlin, Brandenburg und Schleswig-Holstein. 517 Siehe oben 4. Teil B. III. 2. a). Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht einen verfassungsrechtlichen Anspruch eines Wissenschaftlers auf Einsicht in Unterlagen der Bundeszentrale für politische Bildungsarbeit verneint, weil es sich insoweit nicht um allgemein zugängliche Unterlagen handelte (BVerfG NJW 1986, 1243). Im Gegensatz zu Informationen über interne Verwaltungsvorgänge von Behörden besteht jedoch bezüglich der hier interessierenden Entstehung von Gesetzen ein gesteigertes Informationsinteresse der Öffentlichkeit (vgl. Art. 42 Abs. 1 Satz 1 GG). Vgl. das Vernehmlassungsverfahren in der Schweiz: Nach Art. 9 Satz 1 der Verordnung über das Vernehmlassungsverfahren vom 17. Juni 1991 (abrufbar über: www.admin.ch) unterliegen die Stellungnahmen der Teilnehmer im gesetzesvorbereitenden Vernehmlassungsverfahren nicht dem Amtsgeheimnis. Zum Vernehmlassungsverfahren in der Schweiz: siehe bereits oben 1. Teil A. I. 1.

B. Grundgesetzliche Anforderungen

367

hat, richtet sich nach der übrigen Rechtsordnung518. Dort ist auch normiert, wer zur Informationsbereitstellung in welchem Umfang verpflichtet ist. Der Umfang der staatlichen Informationsbereitstellungspflicht wird verfassungsrechtlich vom Demokratieprinzip beeinflusst. Es wurde bereits erörtert, dass sich aus dem Demokratieprinzip eine objektiv-rechtliche Transparenzverpflichtung des Staats ergibt. Der Staat muss ein Mindestmaß an Informationen über seine Aktivitäten bereitstellen, um dadurch eine Grundversorgung mit staatsbezogenen Informationen zu gewährleisten519. Bezogen auf Informationen über die Aktivitäten des Staates hängt die Effektivität der grundrechtlichen Informationsfreiheit davon ab, inwieweit der Staat seiner objektiv-rechtlichen Pflicht nachkommt, die notwendigen Informationen zur Verfügung zu stellen. Im Hinblick auf staatsbezogene Informationen hat die Informationsfreiheit nur dann praktischen Wert, wenn der Staat seine Pflicht erfüllt, die Grundversorgung mit Informationen zu gewährleisten. Kommt der Staat im Bereich der Gesetzgebung seiner Pflicht zur Offenlegung nicht nach, weil er die Gesetzesvorbereitung arkanisiert, so wird die Informationsfreiheit in einem wesentlichen Bereich der Ausübung von Staatsgewalt entwertet. Das Grundrecht auf freien Informationszugang soll vor allem auch einem freien und kritischen politischen Diskurs dienen520. Die Informationsfreiheit würde jedoch gerade an Wirksamkeit als politisches Kommunikationsgrundrecht einbüßen, wenn der Staat unter Verletzung seiner objektiv-rechtlichen Informationsbereitstellungspflichten zu wenig über die eigene Tätigkeit informiert521. Es besteht die Gefahr, dass die Informationsfreiheit bezogen auf die eigentlichen Entscheidungsprozesse ohne Wirkung bleibt, wenn der Staat über das kooperative Hintergrundgeschehen seiner Aktivitäten nur spärlich Informationen zur Verfügung stellt. Deshalb ist der nach dem Wortlaut des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG auf bereitgestellte Informationen begrenzte Informationszugangsanspruch teleologisch erweiternd auszulegen, um ein Mindestmaß an Effektivität der Informationsfreiheit als politisches Kommunikationsgrundrecht zu sichern522. Nach dieser teleologischen Extension erfasst der Informationszugangsanspruch nicht nur den Zugang zu den der Allgemeinheit bereits bereitgestellten Informationen, sondern auch den Zugang zu Informationen, 518

BVerfG 103, 44 (60 f.). Siehe oben 4. Teil B. III. 2. a). 520 BVerfGE 27, 71 (81): „Das Grundrecht der Informationsfreiheit ist wie das Grundrecht der freien Meinungsäußerung eine der wichtigsten Voraussetzungen der freiheitlichen Demokratie.“ 521 Zum Charakter des Art. 5 GG als Kommunikationsgrundrecht: Ossenbühl, Der Staat 1971, 53 (60). 519

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

die der Allgemeinheit nach dem objektiv-rechtlichen Demokratieprinzip bereitgestellt werden müssen, aber bisher nicht bereitgestellt wurden523. Aus der Informationsfreiheit ergibt sich ein subjektiv-öffentliches Recht, über die Gesetzesvorbereitung insoweit informiert zu werden, als dies nach dem objektiv-rechtlichen Demokratieprinzip geboten ist524. Durch eine solche erweiternde Auslegung des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG kann die Effektivität der Informationsfreiheit in Bezug auf staatsbezogene Informationen gesichert werden. Die sich aus dem objektiven Demokratieprinzip als Saturierungsgebot ergebende notwendige Mindesttransparenz wurde oben bereits dargelegt525. Sie bestimmt den Umfang des Informationsanspruchs des Einzelnen. Danach ist Öffentlichkeit erst im parlamentarischen Verfahren verfassungsrechtlich geboten. Folglich entsteht der Informationsanspruch erst, nachdem das Gesetz dem Bundestag zugeleitet worden ist. Dabei muss allerdings beachtet werden, dass die nachträgliche Transparenz im Gesetzgebungsverfahren eine umfassende Dokumentation der Gesetzesvorbereitung erfordert. Dem Einzelnen muss nach Zuleitung der Gesetzesvorlage an das Parlament die Einsichtnahme in diejenigen Dokumente der Gesetzesvorbereitung und des bereits begonnen Gesetzgebungsverfahrens gestattet werden, die sich auf das eingeleitete Gesetzgebungsverfahren beziehen und deren Inhalt das Gesetzgebungsverfahren im Parlament beeinflusst. Hierzu gehören insbesondere auch die Dokumente über die gesetzesvorbereitenden Verhandlungen mit privaten Interessensverbänden526. c) Anspruch auf informationelle Gleichbehandlung Ein Anspruch auf Information über die Gesetzesentstehung ergibt sich unter Umständen auch aus der bisherigen Veröffentlichungspraxis der gesetzesvorbereitenden Stellen in Verbindung mit dem Gleichheitssatz. Eine vorzeitige Bekanntgabe von Gesetzesentwürfen an Einzelne kann dazu führen, dass der Entwurf auch anderen bereits vor Beschluss durch das Kabinett 522 Zu den methodischen Aspekten der teleologischen Extension als Mittel der Effektivitätssicherung von Rechtsnormen: vgl. Canaris, Die Feststellung von Lücken, S. 89 ff. 523 Vgl. Angelov, Grundlagen und Grenzen, S. 35 ff, 92 f., der den Informationszugangsanspruch zudem auf ein erweitertes Verständnis des Art. 38 GG stützt. Siehe auch Scherzberg, Die Öffentlichkeit, S. 381 ff., 403 f., der jedoch stärker auf die Effektivität des objektiven Demokratieprinzips und weniger auf die Effektivität der subjektiven Informationsfreiheit abstellt. 524 Im Ergebnis ebenso: BVerfG 103, 44 (60 ff.). 525 Siehe oben 4. Teil B. III. 2. 526 Vgl. Hoeren, NJW 2002, 3303 (3304).

B. Grundgesetzliche Anforderungen

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bekannt gegeben werden muss527. Der Anspruch auf informationelle Gleichbehandlung kann über den in der Informationsfreiheit in Verbindung mit dem Demokratieprinzip enthaltenen Informationsanspruch hinausgehen, weil Letzterer lediglich auf Transparenz nach Beginn des parlamentarischen Verfahrens abzielt. Der Informationsanspruch aus dem Gleichheitssatz in Verbindung mit einer bisherigen Bekanntgabepraxis wird allerdings dadurch in seinem Wert gemindert, dass es im Ermessen der gesetzesvorbereitenden staatlichen Stellen liegt, nach welchen Kriterien die Auswahl derjenigen erfolgt, die vorzeitig informiert werden528. Erforderlich sind allerdings sachliche Kriterien, so dass eine willkürliche Auswahl ausscheiden muss. Ein sachliches Differenzierungskriterium bei der vorzeitigen Information kann die besondere Betroffenheit bestimmter Kreise durch ein Gesetz sein529. Für den Atomausstieg ergibt sich daraus die Konsequenz, dass sämtliche in gleicher Weise betroffenen Energieversorgungsunternehmen einen Anspruch auf gleiche Information über den Stand der gesetzesvorbereitenden Verhandlungen gehabt hätten.

Es ist jedoch denkbar, dass die bisherige Veröffentlichungspraxis eines Bundesministeriums hinsichtlich der eigenen Gesetzesvorbereitung die Initiativfreiheit der Bundesregierung und die Organtreue gegenüber dem Bundestag bzw. Bundesrat verletzt hat530. Eine Berufung auf den Gleichheitsgrundsatz kann einen Anspruch auf Information nicht begründen, wenn die bisherige Bekanntgabe verfassungswidrig war: Keine Gleichheit im Unrecht. Dritte können sich lediglich auf eine verfassungsmäßige Veröffentlichungspraxis berufen531.

527 Vgl. BVerfG NJW 1986, 1243; BVerwGE 47, 247 (253 f.); Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 59 Rdnr. 179; Hoeren, NJW 2002, 3303 (3304); Bull, ZG 2002, 201 (209 f.). 528 Vgl. BVerfGE 36, 321 (330); zur insoweit einschlägigen Organisationsautonomie der Bundesregierung und Bundesminister: siehe 4. Teil A. 529 Dabei ist jedoch ebenso wie bei der Auswahl der Vereinbarungspartner darauf zu achten, dass die vom Einzelnen selbst zu verantwortende besondere Betroffenheit kein sachliches Differenzierungskriterium darstellt. Siehe hierzu oben 4. Teil B. I. 2. a) aa). 530 Zur Initiativfreiheit und Organtreue als Grenze vorzeitiger Veröffentlichung der Gesetzesvorbereitung: siehe oben 4. Teil B. III. 1. 531 Zur Begründung des Satzes „Keine Gleichheit im Unrecht“: Bleckmann, Die Struktur, S. 106 f.

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

4. Ergebnis In der Politik dient die Kombination von nicht öffentlichen Entscheidungsprozessen mit der öffentlichen Präsentation ausgehandelter Vereinbarungen dazu, die Kooperation mit gesellschaftlichen Vetomächten zu fördern. Die öffentlichkeitswirksame Präsentation gesetzesvorbereitender Absprachen kann jedoch die Initiativfreiheit des Bundeskabinetts und die Organtreue gegenüber dem Bundestag beeinträchtigen, indem deren Entscheidungen vorgegriffen wird. Dies lässt sich dadurch vermeiden, dass jeweils deutlich gemacht wird, in welchem Stadium des Verfahrens sich ein Gesetzentwurf befindet. Wird Transparenz über den gegenwärtigen Stand des Verfahrens hergestellt, so können nicht erforderliche Beeinträchtigungen der Initiativfreiheit der Bundesregierung und der Organtreue zum Bundestag vermieden werden. Die Bundesregierung kann allerdings nach den obigen Ausführungen zur Organtreue unter Umständen auch zur vorzeitigen Information von Bundestag und Bundesrat verpflichtet sein532. Besteht indessen keine derartige vorzeitige Informationspflicht gegenüber einem anderen Verfassungsorgan aus der Organtreue, so lässt sich dem Demokratieprinzip keine vorzeitige Veröffentlichungspflicht entnehmen. Vielmehr genügt es diesem Saturierungsgebot, wenn das Gesetzgebungsverfahren die Gründe für das ausgehandelte Gesetz nachträglich offen legt und dabei auch den Einfluss von Verbänden auf die Vorlage nachträglich beleuchtet. Dem objektiv-rechtlichen Gebot zur nachträglichen Transparenz korrespondiert ein subjektives Recht auf Information über die gesetzesvorbereitenden Verhandlungen, das auf Art. 5 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG oder auf Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit einer entsprechenden bisherigen Veröffentlichungspraxis der Bundesministerien gestützt werden kann. Der Anspruch auf informationelle Gleichbehandlung greift im Unterschied zum Anspruch aus der Informationsfreiheit in Verbindung mit dem Demokratieprinzip unter Umständen schon vor dem Beginn des parlamentarischen Verfahrens ein.

C. Regelungsstruktur für die Gesetzesvorbereitung Führen Mitglieder der Bundesregierung gesetzesvorbereitende Verhandlungen, so sind die erarbeiteten verfassungsrechtlichen Anforderungen zu beachten. Diese müssen in einer Regelungsstruktur konkretisiert werden, 532

Siehe oben 4. Teil B. I. 5. e) bb).

C. Regelungsstruktur für die Gesetzesvorbereitung

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die den Einfluss von Partikularinteressen auf die Gesetzgebung kanalisiert. Insoweit ist zunächst auf den bereits vorhandenen Regelungsbestand im geltenden Recht zurückzugreifen (hierzu: C. I.). Aus diesem können dann verfassungspolitische Verbesserungsvorschläge (hierzu: C. II.) sowie verfassungsrechtliche Mindestanforderungen an gesetzesvorbereitende Vereinbarungen abgeleitet werden (hierzu: C. III.). Schließlich ist zu fragen, in welcher Rechtsform eine Regelungsstruktur für die Gesetzesvorbereitung normiert werden soll (hierzu: C. IV).

I. Strukturelemente im bestehenden Recht Im Geschäftsordnungsrecht von Bundestag und Bundesministerien finden sich verschiedene Regelungen, mit denen versucht wird, die Entscheidungsvorbereitung angesichts zum Teil unvermeidlicher faktischer Vorabbindungen in den Gesamtentscheidungsprozess einzubinden533. Durch diese Regelungen soll die Zurechenbarkeit der Entscheidung zum legitimierten Staatsorgan gesichert und eine Balance zwischen Legitimation und Funktionsfähigkeit der Staatsgewalt hergestellt werden. Vorliegend sollen unter diesem Blickwinkel die Vorschriften der GGO und der GO BT analysiert werden534. Daneben spielt die Einbindung von Kooperation in den demokratischen Legitimationszusammenhang vor allem auch im Verwaltungsrecht schon seit geraumer Zeit eine Rolle. Deshalb ist das normative Potential des Verwaltungsrechts auf verallgemeinerungsfähige Strukturen zu untersuchen, die für die Gesetzesvorbereitung fruchtbar gemacht werden können. Die Vorbereitung von Gesetzen ist zudem Gegenstand des Art. 23 GG. Auch in dieser grundgesetzlichen Bestimmung könnten Strukturierungsressourcen für die Gesetzesvorbereitung stecken. 1. Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien Die Gesetzesvorbereitung durch die Bundesministerien wird bisher vorwiegend in der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO) geregelt. Die GGO enthält Regelungen, die den Einfluss nicht legitimierter Privater begrenzen, die Effektivität der Beteiligung Legitimierter erhöhen, faktische Vorabbindungen zurückdrängen und zur Transparenz der Gesetzesvorbereitung beitragen. 533

Zum Rechtscharakter des bloßen Innenrechts: vgl. Papier, Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte, S. 41 f. 534 Zur verfassungskonkretisierenden Bedeutung des Geschäftsordnungsrechts: Böckenförde, Die Organisationsgewalt, S. 119, 123.

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

a) Entwurf als Verhandlungsgrundlage Wird ein vom Ministerium erarbeiteter Entwurf mit privaten Interessenvertretern lediglich abgestimmt, so ist dies verfassungsrechtlich weniger problematisch, als wenn bereits der erste Entwurf mit den Interessenverbänden ausgehandelt wird535. Deshalb kommt dem Zeitpunkt der Beteiligung Privater wichtige Bedeutung zu. Die Beteiligung von Interessenvertretern an der Gesetzesvorbereitung ist in § 47 Abs. 3 Satz 2 GGO geregelt. Diese Vorschrift stellt den Zeitpunkt der Beteiligung in das Ermessen des federführenden Bundesministeriums. Hier ist nicht ganz klar, ob dieses Ermessen soweit geht, dass Private schon beteiligt werden dürfen, wenn noch kein Entwurf vorliegt. Gegen eine solche frühzeitige Einbeziehung Privater spricht die systematische Stellung des § 47 Abs. 3 Satz 2 GGO. Sowohl § 47 Abs. 1 Satz 1 GGO als auch § 47 Abs. 2 Satz 2 GGO und § 47 Abs. 4 GGO sprechen vom „Entwurf einer Gesetzesvorlage“ bzw. von „Gesetzentwürfen“. Deshalb scheint § 47 GGO insgesamt vom Vorliegen eines Entwurfs auszugehen. In den §§ 45, 46, 48, 49 und 50 GGO ist ebenfalls von einem Entwurf die Rede. Dies legt es nahe, dass der gesamte Abschnitt 3 des Kapitels 6 der GGO mit der Überschrift „Beteiligung und Unterrichtung“ davon ausgeht, dass bei der Beteiligung und Unterrichtung von Interessenverbänden bereits der Entwurf einer Gesetzesvorlage vorliegen muss. Das Erfordernis eines Gesetzentwurfs vor der Abstimmung mit den Verbänden wird auch durch einen Umkehrschluss aus § 41 GGO bestätigt, der im Abschnitt 1 „Vorbereitung von Gesetzesvorlagen der Bundesregierung“ steht, und im Gegensatz zur Beteiligung von Interessenverbänden die Partizipation der Länder und Kommunen explizit „vor Abfassung eines Entwurfs“ vorsieht. Demnach bezieht sich das in § 47 Abs. 3 Satz 2 GGO normierte Ermessen der Bundesregierung hinsichtlich des Zeitpunktes der Beteiligung von Verbänden nur darauf, zu welchem Zeitpunkt der Entwurf der Gesetzesvorlage abgestimmt werden soll. Das diesbezügliche Ermessen dispensiert indessen nicht davon, dass nach der Systematik zumindest der Entwurf eines Grundkonzeptes einer Regelung vorliegen muss. Gegen die Unzulässigkeit einer Beteiligung Privater, bevor ein Entwurf vorliegt, kann allerdings die Historie der GGO angeführt werden. § 24 Abs. 1 Satz 1 GGO II a. F. sah eine Beteiligung privater Verbände für die gesamte Vorbereitung von Gesetzen vor. Der Zeitpunkt der Beteiligung stand nach § 24 Abs. 1 Satz 2 GGO a. F. ebenfalls im Ermessen des Bundesministeriums. § 24 Abs. 1 GGO II a. F. befand sich im 1. Abschnitt, der 535

Siehe hierzu oben 4. Teil B. I. 1. e), 1. Teil A. I. 3 b) cc) (3), (4) und (5).

C. Regelungsstruktur für die Gesetzesvorbereitung

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mit „Vorbereitung der Entwürfe“ überschrieben war. Demnach setzte § 24 Abs. 1 Satz 1 GGO II a. F. keinen Entwurf voraus. Es lässt sich nun argumentieren, dass es nicht Absicht der Bundesregierung war, durch die Veränderung der Systematik der GGO das Ermessen des federführenden Ressorts hinsichtlich des Zeitpunkts der Beteiligung Privater zu verkürzen536. Das Ermessen hinsichtlich des Zeitpunkts der Beteiligung nach § 47 Abs. 3 Satz 2 GGO wäre demnach so zu interpretieren, dass auch schon vor dem Vorliegen eines Entwurfs eine Beteiligung privater Interessenvertreter zulässig wäre, so wie es die Vorgängerregelung des § 24 Abs. 1 Satz 1 GGO II a. F. vorgesehen hat. Angesichts der aufgezeigten verfassungsrechtlichen Vorgaben ist es jedoch nicht unproblematisch, private Interessenvertreter schon vor Erarbeitung eines Grundkonzepts in die Gesetzgebungsarbeit einzubeziehen. Wird zuerst ein Entwurf erarbeitet und dann dieser in einem zweiten Schritt mit Interessenverbänden abgestimmt, so liegt ein stufenweises Nacheinander vor. Bei einem solchen stufenweisen Nacheinander lassen sich die Wirkungsbeiträge von Staat und Privaten deutlicher unterscheiden und identifizieren, während eine Beteiligung schon vor Erarbeitung eines Entwurfs zu einem synchron verzahnten Verhandlungs- und Entscheidungsprozess mit verschärften Problemen der Zurechnung von Verantwortung führt. Außerdem ist zu beachten, dass Private dann umso intensiver an der Entstehung und Gestaltung von Staatsgewalt beteiligt werden, je früher sie einbezogen werden. Liegt noch keinerlei Entwurf bei den gesetzesvorbereitenden Verhandlungen vor, so wirken die Privaten auf die Gestaltung der Staatsgewalt besonders intensiv ein, so dass das Demokratieprinzip und die Initiativfreiheit der Bundesregierung in besonderem Maße beeinträchtigt werden537. Das skizzierte Auslegungsproblem der GGO muss hier indessen nicht endgültig entschieden werden. Für den vorliegenden Zusammenhang genügt es, zu erkennen, dass der Zeitpunkt der Beteiligung von Privaten für die Intensität der Beeinträchtigung von Initiativfreiheit und Demokratieprinzip sowie für die Zurechnung von Verantwortung von Bedeutung sein kann. Es kommt mithin darauf an, ob mit den Privaten lediglich ein Entwurf abgestimmt wird oder ob die Privaten den Entwurf von Anfang an miterarbeiten. Folglich kann durch eine Regelung, die gesetzesvorbereitende Verhandlungen erst zulässt, wenn bereits ein Entwurf vorliegt, die Beeinträchtigung von Initiativfreiheit und Demokratieprinzip in ihrer Intensität begrenzt werden. 536

Mit der Änderung der GGO wurde vor allem das Ziel der Deregulierung verfolgt. Siehe hierzu: Zypries/Peters, ZG 2000, 316 ff. 537 Zur hohen Beeinträchtigungsintensität bei enger Verzahnung: siehe oben 4. Teil B. I. 1. e), 1. Teil A. I. 3 b) cc) (3), (4) und (5).

374

4. Teil: Die Verhandlungsphase

b) Grundsatzbeschluss der Bundesregierung Die GGO von 1958 sah in § 23 Abs. 2 Satz 1 GGO II vor, dass in bedeutenden Fällen vor der Beteiligung privater Interessenvertreter ein Grundsatzbeschluss des Bundeskabinetts eingeholt werde538. In Zeiten einer zunehmenden Zusammenarbeit der Ministerien mit den privaten Interessenvertretern muss überlegt werden, ob dieser Grundsatzbeschluss des Bundeskabinetts wieder eingeführt werden soll. Der Grundsatzbeschluss würde eine gemeinsame Verhandlungsposition aller Regierungsmitglieder festlegen (vgl. § 52 Abs. 1 GGO, § 3 Abs. 3 GGO). Die Einheitlichkeit der Regierungsgewalt wird durch einen solchen Grundsatzbeschluss gefestigt539. Eine einheitliche Verhandlungsposition stärkt die zur Gesetzesvorbereitung legitimierte Bundesregierung in den Verhandlungen mit den nicht legitimierten Privaten540. Zudem wird eine Beeinträchtigung des Kollegialprinzips durch rechtzeitige Einbeziehung aller Mitglieder der Bundesregierung vermieden541. Der Grundsatzbeschluss gibt einen sachlichen Zielrahmen für die Verhandlungen mit den Privaten vor. Dadurch werden Referenzprinzipien für die Mitglieder der Bundesregierung bei den Verhandlungen geschaffen. Diese können sich bei den Verhandlungen mit den Privaten darauf berufen, dass die im Grundsatzbeschluss fixierten Eckwerte unverückbares Regierungsprogramm sind. Referenzwerte im Grundsatzbeschluss tragen zur Verhandlungsherrschaft der zur Gesetzesvorbereitung legitimierten Bundesregierung bei542. Im Grundsatzbeschluss kann zudem auch das Procedere der Gesetzesverhandlungen mit Privaten festgelegt werden. Der Grundsatzbeschluss der Bundesregierung strukturiert die kooperative Gesetzesvorbereitung und kanalisiert die Verhandlungen mit den privaten Interessensvertretern. Er müsste aber bereits gefasst werden, bevor faktische Austauschbindungen gegenüber Privaten entstehen.

538 Der Wortlaut dieser Vorschrift ist abgedruckt bei: Hennis, PVS 1961, 23 (28 f.); vgl. auch zu diesem Grundsatzbeschluss: Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 14. 539 Zur Einheitlichkeit der Regierungsgewalt: Böckenförde, Die Organisationsgewalt, S. 294 f. 540 Vgl. Rengeling, Das Kooperationsprinzip, S. 184, der allerdings in Anlehnung an § 15 b und c GO BReg und § 68 GGO II a. F. eine Unterrichtung des Bundeskabinetts bezogen auf gesetzesvermeidende Vereinbarungen für ausreichend hält und keinen Grundsatzbeschluss fordert. 541 Zur Problematik der Beeinträchtigung des Kollegialprinzips durch gesetzesvorbereitende Vereinbarungen: siehe oben 4. Teil B. II. 1. 542 Zur Bedeutung von Referenzprinzipien für Verhandlungen: vgl. Staeck, Vom Reformprojekt, S. 199; Hager, Konflikt und Konsens, S. 73 f.

C. Regelungsstruktur für die Gesetzesvorbereitung

375

c) Effektivität der Beteiligung Legitimierter Das Geschäftsordnungsrecht der Bundesministerien enthält auch Vorschriften, die dazu beitragen können, dass die Aufgabenwahrnehmung durch die legitimierten Gesetzgebungsorgane effektiv bleibt. § 48 Abs. 2 GGO sieht vor, dass die Bundesregierung die Geschäftsstellen der Fraktionen im Bundestag schon dann informiert, wenn der Entwurf den Interessenverbänden zur Stellungnahme zugeleitet wird. Soweit sich die Abgeordneten nicht aus eigener Initiative frühzeitig informieren konnten, erfüllt die Bundesregierung damit ihre Informationspflichten aus dem Grundsatz der Verfassungsorgantreue543. Durch die frühzeitige Information bekommt der Bundestag Gelegenheit, in die Diskussion einzugreifen, noch bevor faktische Austauschbindungen gegenüber Privaten entstanden sind544. Nach § 41 GGO sollen zudem die Länder und Kommunen, sofern deren Belange von einem geplanten Gesetz berührt werden, schon vor der Abfassung eines Entwurfs angehört werden. Dies fördert die Effektivität der Beteiligung der Länder und Kommunen, weil zu diesem Stadium in der Regel noch keine erheblichen faktischen Bindungen entstanden sind. § 41 GGO ist Ausfluss des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Bundestreue, sofern dieser eine besondere Beteiligung der Länder an der Gesetzesvorbereitung gebietet545. Neben Bundestag und Ländern sollen auch die anderen Mitglieder der Bundesregierung Gelegenheit bekommen, auf den Gesetzesinhalt effektiv Einfluss nehmen zu können. Nach § 47 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 GGO soll eine faktische Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit anderer Ministerien bzw. des Bundeskanzlers im Hinblick auf die spätere Gesetzesinitiative dadurch vermieden werden, dass das federführende Ministerium unter Umständen schon vor der Beteiligung Dritter eine Abstimmung mit den anderen Ministerien bzw. dem Bundeskanzleramt durchführt. Damit wird die Wirksamkeit des Kollegialitätsprinzips im Vorfeld der Gesetzesinitiative abgesichert546.

543

Zur Subsidiarität der Verfassungsorgantreue gegenüber eigenverantwortlicher Nachfrage der Abgeordneten: siehe oben 4. Teil B. I. 5. e) bb) (1) (c). 544 Siehe oben 4. Teil B. I. 5. e) bb) (1) (a). 545 Nach Auffassung des Deutschen Juristentages soll darüber hinaus in Art. 28 Abs. 2 GG ein Anhörungsrecht der kommunalen Spitzenverbände bei kommunalrelevanten Gesetzesvorhaben normiert werden (Beschlüsse des 65. Deutschen Juristentages, Abteilung Öffentliches Recht, Beschluss-Nr. 25, abrufbar unter: www.djt.de). 546 Zur Wirkung des Kollegialprinzips im Vorfeld der formalen Gesetzesinitiative: siehe oben 4. Teil B. II. 1.

376

4. Teil: Die Verhandlungsphase

d) Begrenzung faktischer Vorabbindung Kostspielige Vorbereitungen von Gesetzentwürfen können die prozessimmanenten Bindungen verstärken547. Je größer der Aufwand für einen Entwurf war, desto geringer wird die Bereitschaft sein, Regelungsalternativen zu reflektieren. Dieses Problem faktischer Vorabbindung durch Ressourcenaufwand und die sich daraus ergebende mögliche Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit des Kabinetts ist Gegenstand von § 45 Abs. 4 Satz 1 GGO. Nach dieser Vorschrift sollen kostspielige Arbeiten am Entwurf so lange unterbleiben, als Meinungsverschiedenheiten zwischen den hauptsächlich beteiligten Ressorts bestehen. Dadurch wird nicht nur ein Fehleinsatz von Ressourcen verhindert. Vielmehr wird auch vermieden, dass die Änderungsbereitschaft hinsichtlich des Entwurfs bereits dadurch gehemmt wird, dass man bei Änderungen einen Fehleinsatz von Ressourcen zugeben müsste. Nach § 47 Abs. 4 GGO ist bei der Beteiligung Dritter ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass es sich lediglich um einen Gesetzentwurf handelt, der von der Bundesregierung noch nicht beschlossen worden ist548. Bereits oben wurde darauf aufmerksam gemacht, dass die Mitglieder der Bundesregierung nicht den Eindruck erwecken dürfen, als ob die Entscheidung im Kabinett reine Formsache sei549. Diesem Zweck entspricht der Kabinettsvorbehalt des § 47 Abs. 4 GGO. Die Bestimmung muss über den Wortlaut des § 47 Abs. 4 GGO hinaus nicht nur für die Beteiligung einzelner an der Gesetzesvorbereitung, sondern auch für die Information der Öffentlichkeit gelten. Die an den gesetzesvorbereitenden Verhandlungen und Vereinbarungen beteiligten Mitglieder der Bundesregierung müssen gegenüber der Öffentlichkeit klarstellen, dass die Vereinbarung unter dem Vorbehalt einer Beschlussfassung im Kabinett und im Bundestag steht. Durch den ausdrücklichen Vorbehalt des Kabinettsbeschlusses werden extern faktische Bindungen im Vorfeld der Entscheidung der Bundesregierung und eine Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit des Kabinetts eingedämmt. Dem gleichen Zweck diente auch § 24 Abs. 3 GGO II a. F., wonach mit den Vertretern von Fachkreisen und Verbänden nicht in einer Weise Fühlung genommen werden soll, die dem Kabinett die Entscheidung erschwert. Diese Vorschrift wurde jedoch in die neue GGO nicht mehr aufgenommen. Die Vorschriften der §§ 45 Abs. 4 Satz 1, 47 Abs. 4 GGO und § 24 Abs. 3 GGO II a. F. zeigen Regelungsstrukturen auf, die die faktische 547 Zu den prozessimmanenten faktischen Bindungen: siehe oben 1. Teil A. I. 3. b) cc) (1). 548 Siehe auch § 49 Abs. 1 GGO. 549 Siehe oben 4. Teil B. III. 1.

C. Regelungsstruktur für die Gesetzesvorbereitung

377

Vorabbindung der Bundesregierung begrenzen. Dadurch wird ein Mindestmaß an Initiativfreiheit der Bundesregierung unter Beachtung des Kollegialprinzips gesichert. e) Transparenz der Gesetzesvorbereitung Nach §§ 22 Abs. 1 Nr. 4, 51 Nr. 4 GGO muss die Kabinettsvorlage das Ergebnis der Verbandsbeteiligung beinhalten. Die Begründung des Gesetzentwurfs hat gemäß § 43 Abs. 1 Nr. 2 GGO den Sachverhalt zu enthalten, auf dem der Entwurf beruht. Dazu gehört auch der Sachverhalt, der sich auf die Beteiligung der Interessenvertreter bezieht. Wird dementsprechend offengelegt, wer in welcher Weise und aus welchen Gründen auf die Entwurfsformulierung Einfluss genommen hat, so kann dadurch im Gesetzgebungsverfahren die verfassungsrechtlich notwendige Transparenz der Verbandsbeteiligung nachträglich hergestellt werden550. Die Transparenz der Verbandsbeteiligung nach §§ 22 Abs. 1 Nr. 4, 51 Nr. 4 GGO darf sich trotz des eingeschränkten Wortlauts dieser Bestimmungen nicht nur auf die Ergebnisse dieser Beteiligung und bloße Meinungsäußerungen der Verbände beziehen. Vielmehr muss die Begründung des Gesetzentwurfs im Lichte des verfassungsrechtlichen Transparenzgebotes und im Hinblick auf § 43 Abs. 1 Nr. 2 GGO auch die von den Verbänden vorgebrachten Fakten, deren Sachargumente sowie die diesbezüglichen Erwägungen der Bundesregierung umfassen. f) Würdigung der GGO als Legitimationsstruktur Im Geschäftsordnungsrecht der Bundesministerien finden sich Regelungsansätze, die dazu beitragen können, dass die gesetzesvorbereitende Staatsgewalt die verfassungsrechtlichen Anforderungen einhält. Der Einfluss Nichtlegitimierter auf die Gesetzesvorbereitung kann dadurch begrenzt werden, dass die Verhandlungen mit Privaten auf der Grundlage eines vom Ministerium ausgearbeiteten Entwurfs stattfinden (§ 47 Abs. 3 GGO). Zudem enthielt die GGO früher die Vorschrift, dass vor den Verhandlungen mit den Privaten ein Grundsatzbeschluss des Kabinetts vorliegen müsste. Vorgaben seitens der Bundesregierung für den Verhandlungsprozess stärken deren Verhandlungsposition und die Verfahrensherrschaft. Die Effektivität der Beteiligung der anderen legitimierten Staatsorgane wird dadurch gesichert, dass diese bereits informiert und angehört werden, bevor faktische Austauschbindungen gegenüber privaten Vereinbarungspart550

Zum verfassungsrechtlichen Transparenzgebot: 4. Teil B. III. 2.

378

4. Teil: Die Verhandlungsphase

nern entstanden sind (§§ 41, 47 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 und 48 Abs. 2 GGO). Der effektiven Beteiligung der anderen Ressorts dient es, dass ein hoher Vorbereitungsaufwand erst nach Abstimmung mit diesen erfolgen darf (§ 45 Abs. 4 Satz 1 GGO). Eine vorzeitige faktische Bindung gegenüber den Privaten ist durch einen Vorbehalt zu begrenzen, der explizit darauf hinweist, dass es noch einer Beschlussfassung im Kabinett und im Bundestag bedarf (§ 47 Abs. 4 GGO). Die Transparenz der Gesetzesvorbereitung kann dadurch nachträglich hergestellt werden, dass die Verhandlungen mit den Privaten offen gelegt werden (§ 22 Abs. 1 Nr. 4, § 43 Abs. 1 Nr. 2 GGO). Die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien enthält einen nicht zu unterschätzenden Fundus an Regelungen zur Strukturierung der Gesetzesvorbereitung. Der Grundsatzbeschluss wäre allerdings erst wieder einzuführen551. Das Erfordernis eines Entwurfs als Verhandlungsgrundlage müsste zudem deutlicher ausgesprochen werden, weil die diesbezüglichen Vorschriften der GGO zu den aufgezeigten Auslegungsschwierigkeiten führen. Klarstellungsbedarf gibt es auch in Hinblick auf den Kabinettsvorbehalt, der nicht nur Vorfestlegungen bei der Beteiligung Dritter, sondern auch Vorabbindungen gegenüber der Öffentlichkeit entgegenwirken sollte. Darüber hinaus müssten die Vorschriften über die Begründung des Gesetzentwurfs herausstellen, dass nicht nur die Ergebnisse der Verbandsbeteiligung, sondern vor allem auch die Sachgründe für eine ausgehandelte Regelung offen zu legen sind. Bei den Pflichten zur Information der legitimierten Gesetzgebungsorgane wäre zu ergänzen, dass die legitimierten Organe oder Organteile die Möglichkeit zur Stellungnahme noch vor Entstehung irreversibler faktischer Bindungen haben müssen. Somit finden sich in der Gemeinsamen Geschäftsordnung zielführende Ansätze einer Legitimationsstruktur der Gesetzesvorbereitung, die jedoch im Lichte der verfassungsrechtlichen Anforderungen noch zu präzisieren und zu ergänzen wären. 2. Geschäftsordnung des Bundestages Das Verhältnis von faktisch präjudizierender Entscheidungsvorbereitung und rechtsverbindlicher Entscheidung ist auch Gegenstand des Geschäftsordnungsrechts des Bundestages. In der Geschäftsordnung des Bundestages (GO BT) geht es darum, die vorbereitende Tätigkeit der Ausschüsse und Enquete-Kommissionen in die Arbeit des Plenums einzubinden, weil allein 551 Der systematisch richtige Regelungsstandort für einen solchen Grundsatzbeschluss ist allerdings nicht die GGO, sondern § 15 GO BReg, weil der Grundsatzbeschluss ebenso wie § 15 GO BReg das verfassungsrechtliche Kollegialprinzip absichert.

C. Regelungsstruktur für die Gesetzesvorbereitung

379

der Bundestag in seiner Gesamtheit zur rechtsverbindlichen Entscheidung über das Gesetz legitimiert ist (Art. 77 Abs. 1 Satz 1 GG). Die in der GO BT enthaltenen Strukturen zur Integration der Entscheidungsvorbereitung in die Arbeit des legitimierten Entscheidungsorgans können neben der GGO weitere Anhaltspunkte dafür geben, wie eine Regelungsstruktur aussehen könnte, die gesetzesvorbereitende Vereinbarungen in einen Legitimationszusammenhang einbindet. a) Gesetzesvorbereitung in den Ausschüssen Die Vorbereitung von Gesetzesbeschlüssen des Bundestages findet vor allem in den Ausschüssen statt. Die spätere Entscheidung des Plenums über eine Gesetzesvorlage wird durch die Ausschüsse oftmals wesentlich beeinflusst und vorgeformt552. Das besondere Organ, durch das das Volk gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG die Staatsgewalt im Bereich der Gesetzgebung ausübt, ist indessen das Parlament in seiner Gesamtheit und nicht ein fachlich spezialisierter Ausschuss553. Der Gesetzesbeschluss nach Art. 77 Abs. 1 GG erfolgt durch den Bundestag als Plenum. Nur die Mehrheit im Bundestagsplenum verleiht dem Gesetz seine demokratische Legitimation. Dies führt jedoch nicht dazu, dass die umfassende Gesetzgebungsarbeit in den Ausschüssen verfassungswidrig wäre. Die Existenz von Ausschüssen ist für die Funktionsfähigkeit des Parlaments unerlässlich. Das wird vom Grundgesetz in den Art. 42 Abs. 3 und 43 Abs. 1 und 2 GG vorausgesetzt und stillschweigend akzeptiert. Deshalb kommt es darauf an, dass die Arbeit der Ausschüsse in die Arbeit des Plenums integriert ist. Notwendig ist ein Legitimationszusammenhang zwischen Plenum und Ausschuss. Dieser Legitimationszusammenhang wird durch die Regelungen der GO BT in personeller, in sachlich-thematischer und in verfahrensmäßiger Hinsicht hergestellt. Die in der GO BT enthaltenen Regelungsstrukturen können auch Anregungen für eine Regulierung der Gesetzesvorbereitung durch die Bundesregierung enthalten, wenn diese mit privaten Interessenverbänden gesetzesvorbereitende Vereinbarungen abschließt. aa) Personelle Legitimation Stimmberechtigte Mitglieder der Ausschüsse können nur gewählte Abgeordnete sein. Die Anzahl der Ausschussmitglieder wird vom Bundestagsplenum beschlossen (§ 57 Abs. 1 Satz 1 GO BT). Über die Besetzung der Ausschüsse durch bestimmte Abgeordnete entscheiden die Fraktionen des 552 553

BVerfGE 44, 308 (316 ff.); 80, 188 (222 f.); 84, 304 (323). BVerfGE 44, 308 (316); 80, 188 (219).

380

4. Teil: Die Verhandlungsphase

Bundestages (§ 57 Abs. 2 Satz 1 GO BT). Dabei müssen die Ausschüsse gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 GO BT i. V. m. § 12 Satz 1 GO BT spiegelbildlich zum Plenum besetzt sein. Durch die Spiegelbildlichkeit der Ausschussbesetzung wird der Einfluss des Plenums und der dort vorherrschenden Mehrheitsverhältnisse auf die Arbeit in den Ausschüssen gesichert. Damit wird eine gewisse personelle Legitimation der Gesetzesvorbereitung erreicht. bb) Sachlich-thematische Legitimation Einem Ausschuss ist es nur gestattet, sich mit Fragen des eigenen Geschäftsbereichs zu befassen (§ 62 Abs. 1 Satz 3 GO BT). Dieser Geschäftsbereich wird durch den Einsetzungsbeschluss des Bundestages umrissen und begrenzt (§§ 54 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 1 GO BT). Beschlussreife Empfehlungen darf ein Ausschuss nur insoweit unterbreiten, als ihm eine Vorlage vom Plenum überwiesen wurde oder zu dieser Vorlage ein unmittelbarer Sachzusammenhang besteht (§ 62 Abs. 1 Satz 2 GO BT). Dem Ausschuss steht keine Kompetenz-Kompetenz über die von ihm zu behandelnden Themen zu. Diese thematische Begrenzung des Verhandlungsgegenstandes in den Ausschüssen auf den vom Bundestag umrissenen Rahmen ist als Instrument zu begreifen, um einer faktischen Abwanderung von Entscheidungsmacht vom Bundestag als Plenum in die Ausschüsse entgegenzuwirken554. Durch die sachliche Begrenzung der Ausschussarbeit wird vermieden, dass im Ausschuss eine neue Politik erstmalig kreiert wird, indem über die überwiesene Vorlage hinaus bereichsübergreifende Austauschbündnisse vereinbart und mehrheitsfähige Gesetzespakete geschnürt werden, ohne dass für die zusätzlich in das Gesamtpaket einbezogenen Bereiche eine Gesetzesinitiative eines hierzu nach Art. 76 Abs. 1 GG Legitimierten vorliegen würde. Das Schnüren neuer Gesamtpakete in den Ausschüssen würde zu einer faktischen Herabstufung des Plenums führen. Würde es im Belieben eines Ausschusses stehen, in die Ausschussberatungen von der Initiativvorlage nicht erfasste, weitere Themen einzubeziehen, um damit Nachteile für eine Verhandlungsseite durch Vorteile in anderen Bereichen zu kompensieren, so bestünde die Gefahr, dass dadurch die eigentliche Entscheidung immer mehr in die Ausschüsse verlagert würde. Durch die thematische Begrenzung der Ausschussarbeit bleibt diese hingegen in das Gesamtverfahren eingebunden. Durch die Bindung an den Überweisungsbeschluss des Plenums wird die gesetzesvorbereitende Ausschussarbeit sachlich begrenzt und zugleich legitimiert. 554

Vgl. zum Vermittlungsausschuss: BVerfGE 101, 297 (298 ff.).

C. Regelungsstruktur für die Gesetzesvorbereitung

381

cc) Verfahrenslegitimation Das in den Ausschüssen geltende Verfahren wird vom Bundestag in den §§ 54 ff. GO BT geregelt. Die GO BT enthält Regelungen über die Tagungszeit und den Tagungsort der Ausschüsse (§ 60 GO BT) sowie die Tagesordnung (§ 61 GO BT), die Ernennung der Berichterstatter (§ 65 GO BT), das Antragsrecht (§ 71 GO BT) und die Beschlussfähigkeit der Ausschüsse (§ 67 GO BT). In § 62 Abs. 2 GO BT bzw. § 66 GO BT ist eine (Zwischen-) Berichtspflicht der Ausschüsse gegenüber dem Bundestagsplenum geregelt555. Dadurch wird die Ausschussarbeit mit der Arbeit des Plenums verzahnt und in die Arbeit des Plenums eingefügt. Während der Bundestag als Plenum von den Regelungen der Geschäftsordnung selbst abweichen darf (§ 126 GO BT), ist dies den Ausschüssen nicht gestattet (§ 74 GO BT). Anders als das Plenum haben die Ausschüsse somit keine Geschäftsordnungsautonomie. Sie sind an die vom Bundestagsplenum beschlossene Geschäftsordnung gebunden556. Die verfahrensmäßigen Vorgaben des Plenums für die Ausschussarbeit tragen zur Legitimation der Gesetzesvorbereitung in den Ausschüssen bei. Eine umfassende Geschäftsordnungsautonomie der Ausschüsse wäre hingegen mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, weil der Legitimationszusammenhang zum Plenum zu weitgehend gelockert würde557. b) Anhörungen in den Ausschüssen Die Ausschüsse des Bundestages können nach § 70 GO BT zur Information Anhörungen durchführen. Durch die Anhörung von Experten und Interessenvertretern nach § 70 GO BT werden Personen in die Gesetzesvorbereitung einbezogen, die weder unmittelbar durch Wahlen legitimiert noch in eine Amtshierarchie unter parlamentarisch verantwortliche Personen eingebunden sind. Dieses personelle Legitimationsminus der angehörten Personen wird jedoch dadurch ausgeglichen, dass der Gegenstand solcher Anhörungen in starkem Maße sachlich-thematisch begrenzt ist. Der Gegenstand einer Anhörung wird zum einen nach § 70 Abs. 1 Satz 1 GO BT auf den Gegenstand der Ausschussberatungen eingeschränkt, der seinerseits nach § 64 Abs. 1 GO BT nur die überwiesene Vorlage und Fragen des Geschäftsbereichs des Ausschusses betreffen darf. Die Anhörungen dürfen jedoch darüber hinaus auch nicht zu entscheidungsbezogenen Verhandlungen mit den nicht personell legitimierten Personen führen. § 70 555 556 557

Vgl. hierzu: BVerfGE 1, 144 (154 f.). Vgl. MVVerfG, Urteil vom 31.5.2001 – 2/00, S. 25. Vgl. MVVerfG, Urteil vom 31.5.2001 – 2/00, S. 18 ff.

382

4. Teil: Die Verhandlungsphase

Abs. 4 Satz 1 GO BT lässt eine Aussprache mit Interessensvertretern nur zur Klärung des Sachverhalts zu. Dies schließt das Aushandeln einer Beschlussvorlage im Rahmen einer Anhörung aus558. Wirken Vertreter von organisierten Partikularinteressen als Sachverständige an den Anhörungen mit, so muss die von § 70 Abs. 4 Satz 1 GO markierte Funktionsgrenze der Expertenanhörung beachtet werden. Das Informationsinstrument der Anhörung gesellschaftlicher Kräfte darf nicht zu einem interessenbezogenen Bargaining umfunktioniert werden. Die Charakteristik der Sachverständigenanhörung als vom Arguing geprägtes Instrument der Ermittlung der Entscheidungsgrundlage muss erhalten bleiben. Die in § 70 Abs. 4 Satz 1 GO BT vorgesehene thematische Beschränkung auf die bloße Sachverhaltsermittlung zur Vermeidung faktischer Vorfestlegungen gegenüber Privaten hat ihren Grund in der mangelnden personellen Legitimation der an den Anhörungen beteiligten Personen. Das Defizit an personeller Legitimation wird durch sachlich-thematische Eingrenzung des Gegenstandes der Anhörung kompensiert. § 70 Abs. 4 Satz 1 GO BT könnte als Modellnorm für eine von faktischen Bindungen freie gesetzesvorbereitende Sachverhaltsermittlung dienen. c) Enquete-Kommissionen Zur Vorbereitung seiner Entscheidungen kann der Bundestag auch Enquete-Kommissionen einsetzen (§ 56 GO BT). Im Unterschied zu den Ausschüssen ist für eine Enquete-Kommission keine zum Plenum spiegelbildliche Besetzung notwendig559. Zwar werden die Mitglieder einer EnqueteKommission von den Fraktionen im Bundestag benannt (§ 56 Abs. 2 GO BT). Dies bedeutet indessen nicht, dass alle Kommissionsmitglieder gewählte Mandatsträger sein müssen (vgl. § 56 Abs. 2 und 3 GO BT). Folglich fällt die personelle Legitimation einer Enquete-Kommission geringer aus als bei einem ausschließlich mit gewählten Abgeordneten besetzten Ausschuss. Deshalb wird das Defizit an personeller Legitimation bei den Enquete-Kommissionen ähnlich wie bei den Expertenanhörungen durch eine enge sachlich-thematische Begrenzung kompensiert. Ebenso wie bei den Ausschüssen ist auch die Arbeit der Enquete-Kommissionen durch den vom Bundestag erteilten Auftrag eingeschränkt. Anders als beim spiegelbildlich und ausschließlich mit Parlamentariern besetzten Ausschuss ist es jedoch nicht die Aufgabe einer Enquete-Kommission, 558

Zur Beschränkung extrakonstitutioneller Gremien auf eine Beratungsfunktion: vgl. BVerfGE 1, 372 (395). 559 Borgs-Maciejewski, Parlamentsorganisation, S. 111; Haberland, Die verfassungsrechtliche Bedeutung der Opposition, S. 106 f.

C. Regelungsstruktur für die Gesetzesvorbereitung

383

eine beschlussfähige Empfehlung abzugeben. Die Enquete-Kommission hat lediglich einen Sachbericht zu erstellen (§ 56 Abs. 4 GO BT)560. EnqueteKommissionen sind Instrumente der politischen Grundlagenforschung561. Ihnen kommt nach § 56 Abs. 4 GO BT die Funktion eines sachorientierten Berichterstatters gegenüber dem Plenum zu, wohingegen Ausschüsse auch dazu dienen, die divergierenden Interessen unterschiedlicher Fraktionen auszubalancieren. Die GO BT stellt die gegenüber dem Plenum dienende Funktion der Enquete-Kommission sicher, indem sie den Auftrag von Enquete-Kommissionen ähnlich wie bei Anhörungen in den Ausschüssen auf die Sachverhaltsaufklärung beschränkt. Damit wird vermieden, dass Enquete-Kommissionen für Kompensationsbündnisse mit privaten Interessenvertretern, die im Gewande von Sachverständigen auftreten, genutzt werden. Die Enquete-Kommission darf demnach nicht zum politischen Gestaltungsorgan umfunktioniert werden. Die enge sachlich-thematische Eingrenzung des Arbeitsauftrages von Enquete-Kommissionen dient dazu, das personelle Legitimationsminus von Enquete-Kommissionen auszugleichen und deren Arbeit in die Arbeit des legitimierten Plenums einzubinden. d) Würdigung der GO BT als Legitimationsstruktur Die Legitimation der Gesetzesvorbereitung im Bundestag erfolgt dadurch, dass die Ausschüsse spiegelbildlich zum Plenum mit gewählten Abgeordneten besetzt werden, dass der Arbeitsauftrag der vorbereitenden Gremien vom Plenum vorgegeben wird und dass das Plenum das Verfahren dieser Gremien regelt. Diese Strukturen der personellen, sachlich-thematischen und verfahrensmäßigen Legitimation der Gesetzesvorbereitung sind flexibel anzuwenden. Legitimationsschwächen in einem der drei Bereiche können durch eine verstärkte Regulierung in einem anderen der drei Bereiche kompensiert werden. Es handelt sich um unterschiedliche Legitimationsmedien, die sich gegenseitig ergänzen und ausgleichen562. Entscheidend ist, dass insgesamt in der Gesetzvorbereitung ein Legitimationsniveau erreicht wird, das den entstandenen faktischen Bindungen und dem Charakter der Gesetzesvorbereitung als Staatsgewalt angemessen entspricht563. 560 Der Sachbericht einer Enquete-Kommission ist von den Ausschussberichten zu unterscheiden. Siehe hierzu: Troßmann, Parlamentsrecht des Deutschen Bundestages, § 74 a Rdnr. 8; MVVerfG, Urteil vom 31.5.2001 – 2/00, S. 22. 561 MVVerfG, Urteil vom 31.5.2001 – 2/00, S. 22. 562 Von einer zumindest partiellen Kompensationsfähigkeit geht auch das Bundesverfassungsgericht aus (BVerfGE 93, 37 (66 f.); 83, 60 (71 f.); BVerfG DVBl. 2003, 923 (924)).

384

4. Teil: Die Verhandlungsphase

Im Zusammenhang mit gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen der Bundesregierung interessiert hier vor allem, dass auch das Geschäftsordnungsrecht des Bundestages die sachlich-thematische Eingrenzung der Beteiligung Privater zur Kompensation personeller Legitimationsdefizite heranzieht. Dies legt es nahe, auch bei gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen der Bundesregierung mit Privaten eine sachlich-thematische Eingrenzung vor Beginn der Verhandlungen per Grundsatzbeschluss des Kabinetts vorzunehmen, um das Legitimationsniveau der Gesetzesvorbereitung zu verbessern. In dem Grundsatzbeschluss könnte auch das Verfahren für gesetzesvorbereitende Verhandlungen mit Privaten bezogen auf das jeweilige Regelungsvorhaben festgelegt werden. 3. Kooperation und Legitimation im Verwaltungsrecht Neben dem Geschäftsordnungsrecht ist auch das Strukturierungspotential des Verwaltungsrechts ins Blickfeld zu nehmen. Das Spannungsverhältnis zwischen den Vorteilen gelungener Kooperation mit den Betroffenen einerseits und dem Erfordernis einer auf das gesamte Volk bezogenen effektiven demokratischen Legitimation andererseits ist dem Verwaltungsrecht seit längerem bekannt564. Im kooperativen Verwaltungsrecht können nicht legitimierte Private in die staatliche Willensbildung einbezogen werden, wenn eine staatliche Maßnahme sie in besonderer Weise betrifft. Die Einbindung Privater kann aber auch, unabhängig von der Betroffenheit, dadurch erfolgen, dass die Privaten als Mitglieder einer Kommission den Staat beraten oder sogar rechtsverbindliche Entscheidungen treffen. Im Nachfolgenden ist zu untersuchen, wie das Verwaltungsrecht die durch die Einbindung Privater entstehenden Legitimationsprobleme zu bewältigen versucht. Daraus können – unter Berücksichtigung der wesentlichen Unterschiede zwischen Gesetzesvollzug und Gesetzgebung – gewisse Schlussfolgerungen für eine gesetzesvorbereitende Legitimationsstruktur abzuleiten sein. a) Kooperation mit Betroffenen Bereits oben wurde im Zusammenhang mit dem Kooperationsprinzip dargelegt, dass das Verwaltungsrecht an vielen Stellen ein Zusammenwirken 563 Zur Abhängigkeit des notwendigen Legitimationsniveaus von der Intensität des Charakters als gesetzesvorbereitende Staatsgewalt: siehe oben 4. Teil B. I. 1. g) cc) (2) (a) (aa). 564 Siehe beispielsweise: Schmidt-Preuß, Verwaltung und Verwaltungsrecht, S. 160 (175 f.); Di Fabio, Verwaltung und Verwaltungsrecht, S. 235 (263 ff.); Heintzen, Beteiligung Privater, S. 220 ff.; Voßkuhle, Beteiligung Privater, S. 266 ff.; Ziekow, Verankerung, S. 97 ff.; Schuppert, Grundzüge, S. 90 ff.

C. Regelungsstruktur für die Gesetzesvorbereitung

385

des Staates mit den von den staatlichen Maßnahmen Betroffenen vorsieht565. Für die Frage nach einer die Gesetzesvorbereitung betreffenden Legitimationsstruktur interessiert, welche Regelungsmodelle im Verwaltungsrecht einerseits Kooperation ermöglichen und andererseits die Legitimation gewährleisten. aa) Einfachrechtliche Kooperationsvarianten Kooperation und demokratische Legitimation der Ausübung von Staatsgewalt können im Verwaltungsrecht dadurch zum Ausgleich gebracht werden, dass der Gesetzgeber zwar Zielvorgaben einseitig vorgibt, aber dann den Weg der Erreichung dieser Ziele dem kooperativen Verwaltungshandeln zwischen Behörde und Privaten überlässt. Ein solches Konzept ist z. B. in Art. 5 Abs. 2 Satz 2 BayPAG, § 3 Abs. 2 Satz 2 PolG NRW oder in § 6 Abs. 3 VerpackV verwirklicht. Diese Vorschriften geben dem Privaten Abwendungsbefugnisse. Er hat die Möglichkeit, den von der Behörde zur Zielerreichung vorgegebenen Weg durch einen alternativen Weg der Zielerfüllung zu ersetzen, wenn dabei das gesetzlich vorgeschriebene Ziel genauso wirksam erreicht werden kann566. Die Behörde prüft, inwieweit der vom Privaten vorgeschlagene alternative Weg genauso wirksam ist, wie der vom Hoheitsträger vorgesehene. Deshalb ist beispielsweise in Art. 5 Abs. 2 Satz 2 BayPAG ein Antragsverfahren vorgesehen, in dem die funktionale Äquivalenz des vom Privaten vorgeschlagenen Mittels überprüft wird. Eine behördliche Feststellung der funktionalen Äquivalenz findet sich auch in § 6 Abs. 3 Satz 11 VerpackV. Nach dieser Vorschrift ist eine staatliche Systemfeststellung Voraussetzung dafür, dass die Rücknahmepflicht für Verpackungen nach § 6 Abs. 3 Satz 1 VerpackV entfällt567. Als Abwendungsbefugnis kann auch die in § 36 UGB-KomE vorgesehene Möglichkeit angesehen werden, einen normersetzenden Vertrag abzuschließen. Schließen Staat und Private einen derartigen Vertrag ab, darf keine Rechtsverordnung nach § 13 UGB-KomE erlassen werden, es sei denn, der Vertrag wird unter den Voraussetzungen des § 60 VwVfG gekündigt. Dabei stellen aber die in § 36 Abs. 1 UGB-KomE normierten Voraussetzungen für den Abschluss des normersetzenden Vertrages sicher, dass die materiellen Standards des Umweltgesetzbuches erreicht werden, so dass auch hier die funktionale Äquivalenz gewährleistet bleibt568. 565

Siehe oben 2. Teil B. I. Schmidt-Preuß, Flexible Instrumente, S. 309 (330 f.), spricht dabei von „individueller substitutiver Eigenvornahme“. 567 Weitere Beispiele sind §§ 7 Abs. 3, 17 Abs. 3 a BImSchG. Diese Vorschriften enthalten die Möglichkeit, von immissionschutzrechtlichen Standards abzuweichen, wenn eine Kompensation über andere Anlagen erfolgt. 566

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

Abwendungsbefugnisse eröffnen der Verwaltung einen Handlungskorridor, um im Kooperationsprozess alternative Lösungswege auszuloten, die das Ziel genauso wirksam erreichen, den Betroffenen aber weniger belasten. Dies kann auch dadurch erreicht werden, dass das materielle Recht sich von Anfang an lediglich auf Zielvorgaben beschränkt und es dabei dem Privaten überlässt, im Genehmigungsantrag darzulegen, wie er diese Ziele erfüllen möchte. Der Gesetzgeber unterstreicht zudem den kooperativen Ansatz, wenn er Vorschriften aufnimmt, nach denen die unterschiedlichen Alternativen im Rahmen eines kooperativen Dialogs zwischen öffentlicher Hand und Privaten beraten und erörtert werden sollen. Dieses Konzept findet sich beispielsweise in § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG569 oder § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG570 wieder. Diese Vorschriften überlassen es dem Antragsteller, im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren darzulegen, wie er die von § 5 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 3 BImSchG vorgegebenen Ziele erreichen möchte. Die Behörde hat ihn dabei nach § 2 Abs. 2 9. BImSchV. zu beraten. Die Kooperation zwischen Staat und Privaten hinsichtlich des „Wie“ der Zielerreichung soll dazu führen, dass mildere Mittel im kooperativen Dialog ermittelt werden können. Die funktionale Äquivalenz der milderen Mittel wird im Genehmigungsverfahren durch die Behörde überprüft. Die Beschränkung des Staates auf Zielvorgaben, deren Erfüllung dann einem kooperativen Prozess überlassen wird, liegt bzw. lag auch dem Regelungskonzept des § 25 KrW-/AbfG bzw. § 14 Abs. 2 AbfG a. F zu Grunde. Die Zielfestlegung als Instrument des kooperativen Umweltrechts wurde zudem in § 34 UGB-KomE aufgenommen. Staat und Betroffene haben für die Erfüllung der Ziele zusammenzuwirken571. Nach § 34 Abs. 2 UGB-KomE ist der Staat zur Überprüfung der Zielerreichung verpflichtet. Werden die vom Staat vorgesehenen Ziele nicht erreicht, so kann der Staat nach den genannten Normen bzw. Normentwürfen das unzureichende Verhalten der Privaten durch Erlass einer Rechtsverordnung sanktionieren. Nach § 34 Abs. 2 UGB-KomE muss eine solche Sanktion zumindest geprüft werden. 568

Begründung des UGB-KomE, S. 510; zum substitutiven Charakter des § 36 UGB-KomE: Schröder, NVwZ 1998, 1011 (1014). 569 BVerwGE 55, 250 (265 ff.): Nach dem Bundesverwaltungsgericht besteht die Möglichkeit einer Saldierung unterschiedlicher Emissionsquellen. Folglich kann die Genehmigungsfähigkeit einer Anlage auch durch emissionsreduzierende Maßnahmen an anderen Anlagen verbessert werden, die nicht Gegenstand des jeweils anhängigen Genehmigungsverfahrens sind, sich aber auf die örtliche Immissionssituation auswirken. Insoweit besteht für den Betreiber mehrerer Anlagen eine Wahlmöglichkeit, an welcher Anlage er Emissionen reduziert. 570 BVerfGE 98, 83 (98 ff.). 571 Zur Mitverantwortung des Privaten: siehe § 3 UGB-KomE.

C. Regelungsstruktur für die Gesetzesvorbereitung

387

Dadurch wird sichergestellt, dass die hoheitlich festgelegten Ziele auch im Falle erfolgloser Kooperation erfüllt werden572. Die dargelegten Modelle zielgebundener Kooperation im Verwaltungsrecht stellen nicht das materielle Regelungsziel als solches, sondern lediglich den Weg der Zielerreichung zur Disposition eines Kooperationsprozesses zwischen Staat und Betroffenen. Der Schutzstandard des materiellen Gesetzesrechts bleibt erhalten. Die Abwendungsbefugnis oder die Beschränkung des Staates auf Zielvorgaben ermöglichen es, entsprechend dem Übermaßverbot ein milderes Mittel zu identifizieren, das in der Lage ist, das vom Staat vorgegebene Ziel vollständig und ohne Abstriche zu erreichen. Das Aufspüren des milderen Mittels wird durch einen kooperativen Erkenntnisprozess mit dem Betroffenen (Arguing) verbessert573. Ziel dieses kooperativen Zusammenwirkens ist es, den Sachverstand der Privaten nutzbar zu machen, um dadurch funktionsäquivalente Substitutionsmöglichkeiten zu entwickeln, die die Privaten entlasten und die Akzeptanz der Regelungen fördern574. bb) Kooperationsoffenheit mit Zielbindung als Regelungsmodell Im Verwaltungsrecht wird durch die dargestellte Regelungsstruktur eine Symbiose zwischen Legitimation und Kooperation hergestellt. Das verwaltungsrechtliche Modell des Gesetzes mit Kooperationsoption lässt sich verallgemeinern und in ein Dreistufenmodell gliedern: Die erste Stufe beinhaltet, dass das hierarchische Beherrschungsprogramm gesetzlicher Vorschriften für kooperative Regelungsalternativen geöffnet wird, indem diese Vorschriften so gestaltet werden, dass sich zwingende Zielvorgaben und fakultative Wege der Zielerreichung unterscheiden lassen575. Auf der zweiten Stufe werden dann die alternativen Lösungswege kooperativ mit den Privaten erarbeitet und dabei deren Sachwissen genutzt. Die dritte Stufe dient dazu, die funktionale Äquivalenz des kooperativ ermittelten alternativen Weges durch die Behörde festzustellen. Dieses Modell bindet die Kooperation der Stufe 2 in den Kontext der Stufen 1 und 3 ein und stellt dadurch die effektive Legitimation sicher. Stufe 1 wird vom demokratisch gewählten Gesetzgeber und der parlamentarisch verantwortlichen Exekutive beherrscht. Die legitimierten Staatsorgane 572

Vgl. Begründung UGB-KomE, S. 508. Zu den Vorteilen kooperativer Kommunikationsprozesse: siehe oben 2. Teil B. II. 1. b). 574 Vgl. Böhm-Amtmann, GewArch 1997, 353 (355 f.). 575 Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 59 Rdnr. 165, differenziert zwischen hoheitlicher „Zielanordnung“ und „Methodenoffenheit“. 573

388

4. Teil: Die Verhandlungsphase

und die weisungsabhängigen Amtswalter legen die Zielvorgaben fest576. Ebenso entscheidet in Stufe 3 die über die Amtshierarchie demokratisch legitimierte Verwaltung über die funktionale Äquivalenz. In Stufe 2 können dagegen nicht legitimierte Private beteiligt werden, weil auf dieser Stufe vorwiegend ein Prozess der Rechtserkenntnis im Sinne eines Arguing und nicht der Rechtserzeugung in der Art eines Bargaining vorliegt577. Der kooperative Kommunikationsprozess auf Stufe 2 wird durch die gesetzliche Zielvorgabe und das Erforderlichkeitselement des Übermaßverbotes determiniert ist578. Die fehlende personelle Legitimation der auf der Stufe 2 an der Kooperation beteiligten Privaten wird durch die sachlichinhaltlichen Zielvorgaben der personell legitimierten Staatsorgane ausgeglichen. Das Verwaltungsrecht mit Kooperationsoption erweist sich somit als eine Regelungsstruktur, die es erlaubt, Kooperation und Legitimation miteinander zu verbinden579. cc) Gesetz mit kooperativem Vollzug vs. Kooperation mit Umsetzungsgesetz Beim Verwaltungsrecht, das offen für einen kooperativen Vollzug ist, findet die Kooperation im legitimationsstiftenden Rahmen eines Parlamentsgesetzes statt. Im Gegensatz dazu werden die Betroffenen bei gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen mit Umsetzungsgesetz schon in die frühe Genese des Gesetzes selbst einbezogen, ohne dass ein gesetzlicher Rahmen vorliegt. Trotz dieser gravierenden Unterschiede ist die Aufspaltung von hoheitlicher Zieldefinition einerseits und kooperativer Suche nach alternativen Wegen der Zielerreichung andererseits auch für die kooperative Vorbereitung von Gesetzen von Interesse. Das Zielprogramm des Gesetzesvorhabens kann durch den bereits oben erörterten Grundsatzbeschluss des Kabinetts schon vor den Verhandlungen mit den Privaten festgelegt werden580. Die Privaten werden dann vor allem in die Erörterung der Art und Weise der Zielerreichung einbezogen. Durch die Zielvorgaben seitens der Bundesregierung wird die Legitimation der gesetzesvorbereitenden Staatsgewalt gestärkt. Dem Verwaltungsrecht lässt sich somit die Idee einer Legitimationsstruktur entnehmen, die durch die Trennung von hoheitlicher Zielfestlegung und 576 Zum einseitigen Charakter der Zielfestlegung: vgl. Schröder, NVwZ 1998, 1011 (1013 Fußnote 44); Veith, Informal-kooperatives Verwaltungshandeln, S. 86. 577 Zur Unterscheidung zwischen Arguing und Bargaining: siehe oben 1. Teil A. I. 3. b) dd) (b). 578 Vgl. Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip, S. 368 ff. 579 Vgl. Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip, S. 425. 580 Zum Grundsatzbeschluss der Bundesregierung: siehe oben 4. Teil C. I. 1. b).

C. Regelungsstruktur für die Gesetzesvorbereitung

389

kooperativer Zielerreichung die Anforderungen des Demokratieprinzips und des Kooperationsprinzips zum Ausgleich bringt. Im Rahmen der Gesetzgebung gibt es jedoch anders als beim Gesetzesvollzug keine sachlich-inhaltliche Legitimation durch Gesetzesbindung. In der Gesetzesvorbereitung kann es vielmehr lediglich eine sachlich-thematische Legitimation durch einen Grundsatzbeschluss des Kabinetts geben, von dem die Bundesregierung allerdings wieder abweichen kann. Während die Kooperation im Verwaltungsrecht einer strikten Zielbindung an das zu vollziehende Recht unterworfen wird, geht es bei der kooperativen Gesetzesvorbereitung lediglich um eine Zielorientierung durch Grundsatzbeschluss des Kabinetts. Da die sachliche Legitimation bei der Gesetzesvorbereitung mangels strikter Zielbindung somit niedriger ausfallen muss, kommt der personellen Legitimation der Gesetzesvorbereitung besondere Bedeutung zu. Die Folge ist, dass die Beteiligung personell nicht Legitimierter bei der Gesetzesvorbereitung schwerer wiegt als beim Gesetzesvollzug581. b) Beteiligung von Kommissionen an der Staatswillensbildung Die Beteiligung von Personen, die außerhalb der staatlichen Amtshierarchie stehen, an der staatlichen Willensbildung findet nicht nur als Partizipation einzelner besonders Betroffener statt. Vielmehr werden auch Kommissionen institutionalisiert, die den relevanten Sachverstand und die einschlägigen Interessengruppen repräsentieren sollen582. Die Beteiligung an der Staatswillensbildung im Rahmen von beratenden, aber auch beschließenden Kommissionen ist ebenfalls Gegenstand von gesetzlichen Vorschriften des Verwaltungsrechts583. So regeln beispielsweise die §§ 8 ff., 24 GJSM über die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften und die §§ 4 f. GenTG über die Zentrale Kommission für die biologische Sicherheit in Verbindung mit den aufgrund dieser Vorschriften ergangenen Rechtsverordnungen die Ernennung der Kommissionsmitglieder sowie die Besetzung und das Verfahren dieser Kommissionen. Die Mitglieder dieser Kommissionen sind in die Amtshierarchie nicht eingebunden. Ihre Rechtsstellung ist weisungsfrei ausgestaltet 581 Vgl. BVerwGE 106, 64 (81 f.): Das Bundesverwaltungsgericht fordert in Bereichen einer lockereren inhaltlichen Gesetzesbindung ebenfalls ein höheres personelles Legitimationsniveau ein. Darin wird zugleich deutlich, dass die Beteiligung Nichtlegitimierter bei schwacher sachlich-inhaltlicher Legitimation besonders gravierend ist. 582 Ein Überblick über die vielfältige Gremienlandschaft in Deutschland findet sich bei Unkelbach, Vorbereitung, S. 8 ff. 583 Zu diesen Kommissionen: siehe Begründung des UGB-KomE, S. 559 ff. m. w. N.

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

(§ 4 Abs. 3 Satz 1 GenTG, § 10 GJSM). Ein ausreichendes Legitimationsniveau wird jedoch über die Vorschriften zur Ernennung durch den parlamentarisch verantwortlichen Minister (§ 9 Abs. 1 GJSM, § 4 Abs. 2 GenTG), zur Ausgewogenheit der Besetzung (§§ 9 Abs. 2, 9 a GJSM, § 4 Abs. 1 GenTG) und über die Verfahrensvorgaben (§§ 9 Abs. 3, 13, 24 GJSM, § 4 Abs. 4 GenTG) erreicht584. Ein ähnliches Regelungsmodell findet sich in den §§ 59 ff. UGB-KomE wieder. Dort sind nicht nur fachliche Kommissionen, sondern auch gesellschaftliche Kommissionen vorgesehen, die mit Interessenverbänden besetzt sein können (§ 59 Abs. 1 UGB-KomE). Die Mitglieder der Kommission sind von Weisungen unabhängig (§ 61 UGB-KomE). § 59 Abs. 1 UGBKomE verpflichtet jedoch zu einer ausgewogenen Besetzung. § 59 Abs. 2 UGB-KomE behält die Ernennung dem parlamentarisch verantwortlichen Minister vor. Nach § 62 UGB-KomE kann der demokratisch legitimierte, zuständige Bundesminister Verfahrensvorgaben machen. Zudem ist die Geschäftsordnung der Kommission von der Zustimmung des Bundesministers abhängig (§ 60 Abs. 1 UGB-KomE). Das Verwaltungsrecht verwendet somit im Zusammenhang mit beratenden und beschließenden Kommissionen Regelungen der Auswahl und der Berufung der agierenden Personen sowie Vorgaben zum Verfahren der Kommissionen dazu, um ein ausreichendes Legitimationsniveau von Entscheidungsvorbereitung und Entscheidung sicherzustellen. Zudem sind die Kommissionen im Bereich des Gesetzesvollzugs an die jeweiligen materiellen Vorgaben des jeweiligen Verwaltungsrechts gebunden (z. B. § 1 Abs. 1 GJSM, § 5 GenTG). Die skizzierten verwaltungsrechtlichen Regelungen binden die beratenden und beschließenden Kommissionen in die Ausübung der Staatsgewalt durch die legitimierten Staatsorgane ein. Hieraus können sich unter Beachtung der wesentlichen Unterschiede von Normvorbereitung und Normvollzug gewisse Gesichtspunkte für eine gesetzesvorbereitende Legitimationsstruktur ergeben585.

584

Zur Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften: BVerfGE 83, 130 (149 ff.). Ob der Gesetzgeber die Vorgaben dieser Entscheidung ausreichend im GJSM umgesetzt hat, muss hier nicht geprüft werden. 585 Ob in den angesprochenen Bereichen ein ausreichendes Legitimationsniveau tatsächlich erreicht wird, kann hier indessen dahingestellt bleiben. Nach BVerfGE 83, 130 (149) soll in Bezug auf die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften kein Verstoß gegen das Demokratieprinzip vorliegen. Demgegenüber eher skeptisch: Di Fabio, Verwaltung und Verwaltungsrecht, S. 235 (264 f).

C. Regelungsstruktur für die Gesetzesvorbereitung

391

4. Art. 23 GG als Strukturmodell Modell für eine Struktur der Gesetzesvorbereitung könnte auch Art. 23 Abs. 2 bis 5 GG sein. Diese verfassungsrechtliche Norm betrifft indessen nicht unmittelbar die hier interessierenden gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen zwischen Bundesregierung und Privaten. Vielmehr geht es in Art. 23 Abs. 2 bis 5 GG um die Aktivitäten der Bundesregierung im Rahmen der Europäischen Union, die innerstaatliche Mitwirkungsrechte von Bundestag und Bundesrat auslösen können. Dennoch zeigt diese Verfassungsnorm Regelungsmechanismen auf, die dazu beitragen können, dass die Bundesregierung durch Verhandlungen mit Dritten die Kompetenzen der anderen Bundesorgane nicht entwertet586. Art. 23 Abs. 2 sieht eine frühestmögliche Unterrichtung des Bundestages und des Bundesrates vor. Art. 23 Abs. 3 Satz 2 bzw. Art. 23 Abs. 4 und 5 GG verpflichten die Bundesregierung, bereits bei den Verhandlungen auf europäischer Ebene die Stellungnahme des Bundestages bzw. Bundesrates zu berücksichtigen. Es ist demnach nicht ausreichend, wenn die Bundesregierung die Stellungnahmen von Bundestag und Bundesrat erst in Erwägung zieht, wenn die Verhandlungen auf europäischer Ebene bereits weitgehend abgeschlossen sind und nur noch der formale Beschlussakt fehlt. Vielmehr muss die reale Möglichkeit bestehen, dass die Stellungnahme Einfluss auf die Verhandlungsposition der Bundesregierung nehmen kann587. Durch die Pflicht zur frühzeitigen Berücksichtigung der Stellungnahmen soll eine effektive Beteiligung des Bundestages bzw. Bundesrates gewährleistet werden. In ähnlicher Weise kommt es bei gesetzesvorbereitenden Verhandlungen zwischen Bundesregierung und Privaten darauf an, dass eine faktische Entwertung der Kompetenzen von Bundestag und Bundesrat durch deren rechtzeitige und effektive Beteiligung gesichert wird. Indem das Grundgesetz eine möglichst frühzeitige Beteiligung legitimierter Bundesorgane fordert, lässt es erkennen, dass nicht nur einer rechtlichen, sondern auch einer faktischen Entwertung des grundgesetzlichen Institutionengefüges entgegenzuwirken ist. 5. Übergreifende Gesichtspunkte des vorhandenen Strukturbestandes Vergleicht man die dargestellten Strukturelemente des Geschäftsordnungsrechts, des Verwaltungs- und des Verfassungsrechts zur Einbindung 586

Herdegen, Informalisierung, S. 7 (10); Morlok, Informalisierung, S. 37 (76). Vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 23 Rdnr. 53 ff.; Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 23 Rdnr. 19. 587

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

Nichtlegitimierter in den Entscheidungsprozess der legitimierten staatlichen Stellen, so können unter dem Aspekt der personellen, der sachlich-thematischen und der verfahrensrechtlichen Legitimationssicherung Gemeinsamkeiten gefunden werden: • Die personelle Legitimation kann dadurch hergestellt werden, dass die Berufung der Beteiligten auf einen Akt eines legitimierten Staatsorgans oder zumindest eines Teils eines solchen Organs zurückgeht588. Die vorherige Auswahl der zur Gestaltung der Staatsgewalt Berufenen muss auf Sachgründen beruhen und ausgewogen sein589. • Die sachlich-thematische Legitimation erfolgt dadurch, dass die kooperativen Verhandlungen von einem Grundsatzbeschluss des Bundeskabinetts590, von einem Gesetzentwurf591, von einem Überweisungsbeschluss592, von einem Anrufungsbegehren593 und/oder von gesetzlichen Zielvorgaben594 geprägt, kanalisiert und gesteuert werden. Teilweise werden die Gespräche mit Nichtlegitimierten sogar auf die bloße Sachverhaltsermittlung begrenzt, um die spezifischen Legitimationsprobleme von interessenbezogenen Verhandlungen zu vermeiden595. • Verfahrensvorgaben durch die legitimierten staatlichen Stellen erhöhen das Legitimationsniveau der Kooperation mit Nichtlegitimierten596. Die Legitimation wird zudem dadurch abgesichert, dass diejenigen, die an der Kooperation mit den Nichtlegitimierten nicht unmittelbar beteiligt werden, im späteren Verfahren aber zur verbindlichen Entscheidung berufen sind, rechtzeitig und umfassend beteiligt werden597. Dabei besteht zwischen den unterschiedlichen Legitimationsformen eine komplementär-kommunizierende Ausgleichsbeziehung: Dann wenn die per588 Vgl. § 57 Abs. 2 Satz 1 GO BT; § 56 Abs. 2 GO BT; § 9 Abs. 1 GJSM; § 4 Abs. 2 GenTG; § 59 Abs. 2 UGB-KomE. 589 Vgl. § 57 Abs. 1 Satz 1 GO BT i. V. m. § 12 Satz 1 GO BT; § 59 Abs. 1 UGB-KomE. 590 Vgl. § 23 Abs. 2 Satz 1 GGO II a. F. (1958). 591 Vgl. §§ 45 ff. GGO. 592 Vgl. § 62 Abs. 1 Satz 2 GO BT. 593 Vgl. BVerfGE 101, 297 (298 ff.). 594 Vgl. Art. 5 Abs. 2 Satz 2 BayPAG; § 3 Abs. 2 Satz 2 PolGNW; § 6 Abs. 3 VerpackV; § 5 Abs. 1 BImSchG; §§ 36, 13, 34 UGB-KomE; § 25 KrW-/AbfG, § 14 Abs. 2 AbfG a. F. 595 Vgl. §§ 70 Abs. 4 Satz 1, 56 Abs. 4 GO BT; siehe hierzu auch: Süddeutsche Zeitung, 16. August 2004, S. 2, „Ethikräte gegen Votum zum Klonen“. 596 Vgl. § 54 ff. GO BT; § 24 GJSM; § 4 Abs. 4 GenTG; § 60 Abs. 1 UGBKomE. 597 Vgl. §§ 48 Abs. 2, 41, 47 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 GGO, §§ 56 Abs. 4, 62 Abs. 2, 66 GO BT; Art. 23 Abs. 2 bis 5 GG.

C. Regelungsstruktur für die Gesetzesvorbereitung

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sonelle Legitimation schwächer ausfällt, weil außerhalb der parlamentarischen Verantwortung und der Amtshierarchie Stehende beteiligt werden, ist eine stärkere sachlich-thematische Ausrichtung durch die legitimierten staatlichen Stellen notwendig, um das personelle Legitimationsdefizit auszugleichen und ein ausreichendes Gesamtlegitimationsniveau zu wahren598. Deshalb sind beispielsweise Enquete-Kommissionen und Anhörungen nach der GO BT auf die Sachverhaltsaufklärung beschränkt. Die unter Mitwirkung von nicht legitimierten Personen agierenden Gremien der Gesetzesvorbereitung dürfen nicht dazu dienen, einen Gesetzentwurf interessenbezogen auszuhandeln. Das personelle Legitimationsminus wird dabei durch eine enge sachlich-thematische Begrenzung kompensiert599. Im Verwaltungsrecht können die Gesetze konkrete Zielvorgaben für die Kooperation festsetzen, wohingegen derartige Zielmarken bei der Gesetzesvorbereitung und Gesetzesberatung erst de lege ferenda entwickelt werden müssen. Wegen dieser stärkeren sachlich-inhaltlichen Bindung an das materielle Verwaltungsrecht können personelle Legitimationsdefizite staatlicher Entscheidungen im Bereich des Gesetzesvollzugs eher hingenommen werden. Auch wenn die Ziele bei gesetzesvorbereitenden Verhandlungen erst definiert werden müssen und deshalb noch nicht bindend festgesetzt sein können, ist es jedoch auch außerhalb des Gesetzesvollzugs möglich, den Verhandlungen gewisse Zielkoordinaten vorzuschalten, die vom legitimierten Gesetzesinitianten Bundesregierung eigenständig definiert werden. Die bei gesetzesvorbereitenden Verhandlungen mit Privaten in personeller Hinsicht auftauchenden Legitimationsdefizite können durch legitimatorische Zuwächse in sachlich-thematischer Hinsicht teilweise aufgefangen werden, indem die Bundesregierung vor den Verhandlungen einen sachlich-thematischen Rahmen für die Verhandlungen in Form eines Grundsatzbeschlusses festlegt. Dennoch ist die Legitimationsproblematik durch Beteiligung Privater an der Gestaltung von Staatsgewalt im Bereich der Vorbereitung von Parlamentsgesetzen ungleich größer als im Verwaltungsrecht, weil eine sachlichinhaltliche Bindung über gesetzliche Zielvorgaben gerade fehlt. Die sach598

Vgl. Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG Bd. II, Art. 20 Abs. 2 Rdnr. 157, 163: „Die personelle und die verschiedenen Ausprägungen sachlich-inhaltlicher Legitimation stehen in einem wechselbezüglichen Verhältnis, welches ermöglicht, eine verminderte Legitimation des einen Stranges durch eine stärkere Legitimation des anderen Stranges auszugleichen.“ 599 Vgl. in Bezug auf die Stellung der nach Art. 97 Abs. 1 GG unabhängigen Richter: Papier, NJW 2002, 2585 (2589 f.): Richter haben wegen ihrer Unabhängigkeit eine geringere personelle Legitimation, die jedoch durch ihre besonders strikte Gesetzesbindung als Medium der sachlich-inhaltlichen Legitimation ausgeglichen wird.

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

lich-inhaltliche Zielbindung im Verwaltungsrecht kann personelle Legitimationsdefizite besser ausgleichen als die bloße sachlich-thematische Zielorientierung der Gesetzesvorbereitung. Deshalb ist Kooperation zwischen Staat und Privaten im Verwaltungsrecht weniger problematisch als bei der Vorbereitung von Gesetzen.

II. Kreislaufmodell der Gesetzesvorbereitung Fügt man die erörterten Regelungselemente des Geschäftsordnungs-, Verwaltungs- und Verfassungsrechts zu einem Gesamtbild zusammen, so lässt sich ein Modell zur normativen Kanalisierung des Einflusses Privater auf die gesetzesvorbereitende Staatsgewalt entwerfen. Dabei wird versucht, einen Ausgleich zwischen den oben dargelegten verfassungsrechtlichen Anforderungen und dem Kooperationsprinzip herzustellen. Mit der nachfolgenden Regelungsstruktur kann die Kooperation bei der Gesetzesvorbereitung auf ein verfassungsrechtlich zulässiges Maß dosiert werden. 1. Verhandlungsfreie Sachverhaltsermittlung und erster Entwurf Ausgangspunkt für die Gesetzgebungstätigkeit ist die Ermittlung des Regelungssachverhaltes. Dieser ist vom federführend zuständigen Bundesministerium zu ermitteln. Hierzu können auch externe Sachverständige beteiligt werden. Bei Anhörungen von externen Sachverständigen darf nur insoweit in eine Aussprache eingetreten werden, als dies zur Klärung des Sachverhalts erforderlich ist (vgl. § 70 Abs. 4 GO BT). Interessenbezogene Verhandlungen mit besonders Betroffenen über konkrete gesetzliche Regelungen dürfen in der Sachverhaltsermittlungsphase noch nicht stattfinden. Den Sachverständigen ist es nicht gestattet, als Interessenvertreter besonders betroffener Kreise zu agieren. Durch die Trennung von erkenntnisbezogener Sachverhaltsermittlung und interessenbezogenen Verhandlungen können die Möglichkeiten des sachund erkenntnisbezogenen Arguing voll ausgeschöpft werden. Wird hingegen bereits die Phase der Sachverhaltsermittlung mit interessenbezogenem Bargaining vermengt, so werden dabei unter Umständen wichtige Sachaspekte nicht mehr erforscht, weil Diskussionsverbote aufgebaut werden, um das Verhandlungsklima nicht zu belasten600. Dies kann letztlich dazu führen, dass das spätere Verhandlungsergebnis zwar zunächst die Verhand600 Zu Blockadewirkungen zwischen Bargaining und Arguing: siehe oben 1. Teil A. I. 3. b) dd) (1) (d).

C. Regelungsstruktur für die Gesetzesvorbereitung

395

lungspartner befriedet, langfristig aber wegen mangelnder Sachverhaltsermittlung und Problemsensibilität keine überzeugende und befriedigende Regelung darstellt. Die Trennung von Sachverhaltsermittlung und anschließenden Gesetzesverhandlungen hat demgegenüber den Vorteil, dass die Sachanalyse nicht durch interessenbezogene Aspekte verkürzt wird. Auf der Grundlage dieser umfassenden, von Partikularinteressen unabhängigen Sachverhaltsermittlung wird ein erster Entwurf erarbeitet und mit den anderen Bundesministerien abgestimmt. Dieser intern abgestimmte Entwurf bildet die Grundlage für die vorgezogene Beteiligung der anderen Verfassungsorgane. 2. Vorgezogene Beteiligung der Gesetzgebungsorgane Noch bevor extern faktische Bindungen durch Verhandlungen mit Interessenvertretern entstehen, ist den Verfassungsorganen, die nach der grundgesetzlichen Ordnung zur Entscheidung über das Gesetz oder zur Mitwirkung an der Gesetzgebung berufen sind, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben601. Es muss gewährleistet sein, dass alle Mitglieder des jeweiligen Verfassungsorgans umfassend informiert werden. Dabei sind auch die privaten Verhandlungspartner zu benennen, mit denen später gesetzesvorbereitende Verhandlungen geführt werden sollen. Die Sachgründe, die für die Auswahl gerade dieser Vereinbarungspartner sprechen, müssen benannt werden. Damit erhalten Bundestag und Bundesrat Gelegenheit, ihre eigene Auffassung frühzeitig in den Regelungsprozess einzubringen. Durch die vorgezogene Beteiligung können die beteiligten Organe wirkungsvoll auf den Prozess der Gesetzesgenese Einfluss nehmen602. Der Bundestag bzw. der Bundesrat kann bestimmten, von privater Seite gewünschten Regelungen von vornherein durch einen schlichten Parlamentsbzw. Bundesratsbeschluss entgegentreten und damit der Entstehung diesbezüglicher faktischer Bindungen vorbeugen. Je frühzeitiger die Beteiligung dieser Organe erfolgt, desto weniger faktische Bindungen sind bereits entstanden, so dass die Chance steigt, dass ein schlichter Parlaments- bzw. Bundesratsbeschluss politisch-faktische Wirkungen entfaltet.

601

Vgl. Schulze-Fielitz, Parlament als Organ der Kontrolle, S. 108; zur Begründung über den Grundsatz der Verfassungsorgantreue: siehe oben 4. Teil B. I. 5. e) bb). 602 Vgl. BVerfGE 104, 151 (208).

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

3. Vorgezogene Beteiligung einzelner Länder Neben der effektiven Beteiligung der Gesetzgebungsorgane des Bundes ist die Bundesregierung in bestimmten Konstellationen nach dem Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens zusätzlich zur besonderen Anhörung einzelner besonders betroffener Länder verpflichtet. Eine effektive Einbeziehung der Landesvollzugsbehörden führt unter Umständen auch dazu, dass ein Einzelfallgesetz ausnahmsweise zulässig ist, weil der vollzugsspezifische Sachverstand der jeweiligen Landesverwaltung bereits bei der Gesetzesvorbereitung eingeflossen ist603. Die Länder müssen jedoch vor den Verhandlungen mit den privaten Interessenverbänden beteiligt werden, damit die Effektivität der Beteiligung nicht durch faktische Bindungen gegenüber den Privaten gefährdet wird. 4. Zweiter Entwurf und antizipativer Grundsatzbeschluss der Bundesregierung Die Änderungsvorschläge der anderen Verfassungsorgane bzw. der Länder werden in die Abwägung des federführenden Ressorts einbezogen und gegebenenfalls in den zweiten Entwurf eingearbeitet. Dieser zweite Entwurf wird im Kabinett behandelt. Er bildet die Grundlage für den Grundsatzbeschluss des Bundeskabinetts. Dieser muss die wichtigsten Zielkoordinaten des Gesetzgebungsvorhabens substanziieren. Er stellt das programmatische Fundament für die Abstimmung mit den privaten Interessenvertretern dar, gibt den Rahmen für spätere Verhandlungen vor und grenzt diese thematisch ein. Der Grundsatzbeschluss enthält die von der Bundesregierung in eigener Verantwortung entwickelte politische Agenda. Die Bundesregierung beschränkt sich dabei nicht auf die Rolle des Moderators von Interessenverbänden. Durch den im Grundsatzbeschluss vorgelegten Politikentwurf als Grundlage der Verhandlungen mit den Verbänden wird die Bundesregierung vielmehr ihrer eigenen Initiativ- und Programmverantwortung gerecht604, 605. Hierdurch wird die Themenherrschaft der zur Gesetzesinitiative allein legitimierten Regierung über die Verhandlungen gesichert. Den mit nicht legitimierten Privatpersonen besetzten Gremien darf keine Kreationsgewalt hin603

Siehe oben 3. Teil C. III. 3. c) und d) aa) (1). Zur Programmverantwortung: siehe auch Veith, Informal-kooperatives Verwaltungshandeln, S. 86. 605 Der Grundsatzbeschluss der Bundesregierung als Verfassungsorgan kann selbstverständlich nicht durch einen Beschluss der Koalitionsparteien ersetzt werden. Siehe aber Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 305 (316 Fußnote 40). 604

C. Regelungsstruktur für die Gesetzesvorbereitung

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sichtlich der bei den Verhandlungen zu besprechenden Themen zukommen606. Eine Erweiterung des Verhandlungsrahmens durch vorbereitende Gremien muss ausgeschlossen werden, um einer faktischen Verschiebung der Entscheidungsgewalt in die zur Entscheidung nicht befugten Gremien vorzubeugen607. Die Begrenzung des Verhandlungsrahmens durch Grundsatzbeschluss und Entwurf trägt auch dazu bei, die Gefahr sachwidriger Koppelung einzudämmen. Zudem kann der Grundsatzbeschluss Verfahrensvorgaben für die späteren gesetzesvorbereitenden Verhandlungen mit privaten Interessenvertretern enthalten. Die ausreichende Beteiligung aller Bundesministerien im Sinne des Kollegialprinzips wird durch die frühzeitige Kabinettsbefassung im Rahmen des Grundsatzbeschlusses noch vor der Aufnahme von Verhandlungen mit nicht legitimierten Dritten gesichert. Damit wird vermieden, dass faktische Bindungen gegenüber den privaten Verhandlungspartnern die effektive Beteiligung der anderen Ressorts erschweren und deshalb die nach Art. 76 Abs. 1 GG notwendige Zurechnung des Entwurfs zur Bundesregierung in ihrer Gesamtheit in Frage stellen können. Der vorgezogene Kabinettsbeschluss legt die gemeinsame Verhandlungsposition aller Bundesministerien fest und begrenzt dadurch die Verhandlungsspielräume der einzelnen Ministerien zu Gunsten einer einheitlichen Verhandlungsposition der Bundesregierung. Er ist damit Ausdruck der Einheitlichkeit der Regierungsgewalt608. Die im Grundsatzbeschluss fixierte gemeinsame Position aller Mitglieder der Bundesregierung stärkt die Bundesregierung bei den späteren Verhandlungen mit den privaten Interessenvertretern und vermeidet, dass Interessenverbände Bundesministerien gegeneinander ausspielen, um nach dem Motto „divide et impera“ ihre Verhandlungsposition zu verbessern609. Die Bundesregierung kann die Eckwerte des Grundsatzbeschlusses gegenüber den Verhandlungspartnern als nicht verhandelbare Referenzprinzipien festsetzen und damit die Sachherrschaft über den von ihr alleine zu verantwortenden Gesetzentwurf behalten. Die Festlegung nicht verhandelbarer Referenzgesichtspunkte wird dadurch erreicht, dass der Entscheidungsprozess 606

Vgl. Böckenförde, Die Organisationsgewalt, S. 257. Vgl. BVerfGE 101, 297 (298 ff.). 608 Zur Einheitlichkeit der Regierungsgewalt: Böckenförde, Die Organisationsgewalt, S. 295. 609 Zur Strategie des „divide et impera“ in der Gesetzesvorbereitung: siehe oben 1. Teil A. I. 2.; zur Stärkung der Verhandlungsmacht von Verbänden bei Uneinigkeit der Bundesregierung: vgl. Staeck, Vom Reformprojekt, S. 199, 251; Engelbert, Konfliktmittlung, S. 158; zu den Auseinandersetzungen innerhalb der Regierung beim Atomausstieg: Renneberg, Das Gesetz zur Beendigung, S. 27; Hennenhöfer, in: Posser/Schmans/Müller-Dehn, AtG, Einführung, S. 9 f. 607

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

in unterschiedliche „Arenen“ aufgeteilt wird. Der vorgezogene Grundsatzbeschluss des Kabinetts und die erst danach stattfindenden Verhandlungen mit Privaten trennen die „Arenen“ der regierungsinternen Meinungsbildung und der externen Abstimmung mit den Privaten. Der in einer anderen „Arena“ beschlossene Grundsatzbeschluss dient dazu, den Verhandlungen mit den Privaten unverrückbare Referenzgesichtspunkte vorzuschalten. Dadurch wird die Verhandlungsposition der Bundesregierung verbessert und der Einfluss nicht legitimierter Privater vermindert610. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Grundsatzbeschluss der Bundesregierung durch Beteiligung aller Ressorts die vom Kollegialprinzip bezweckte Politikvernetzung herstellt. Er erzeugt eine einheitliche Position der Bundesregierung bei den Verhandlungen, grenzt diese thematisch ein und sichert somit die Verfahrens- und Sachherrschaft der Bundesregierung. Durch den Grundsatzbeschluss nimmt die Bundesregierung ihre Programmverantwortung wahr. Dadurch wird der Einfluss nicht legitimierter Privater auf die inhaltliche Gestaltung der Staatsgewalt begrenzt. 5. Beteiligung privater Interessenvertreter Erst nachdem diejenigen, die nach der Verfassung dem Gemeinwohl verpflichtet sind, beteiligt worden sind, darf der Entwurf mit den Vertretern partikularer Interessen abgestimmt werden. Die Reihenfolge ministerielle Erarbeitung, Abstimmung im staatsinternen Bereich sowie Grundsatzbeschluss des Kabinetts und erst dann Abstimmung mit privaten Interessenvertretern sichert die verfassungsrechtlich notwendige Verantwortungstransparenz. Bei einem solchen gestuften Vorgehen bleibt die Partizipation Privater ein klar abgrenzbarer Teil innerhalb eines vom federführenden Ministerium und vom Bundeskabinett gesteuerten Verfahrens611. Durch den Vorrang der Beteiligung der legitimierten Bundesorgane und der Länder wird eine übermäßige Absenkung des Legitimationsniveaus wegen der Kooperation mit Privaten vermieden. Die Auswahl der privaten Verhandlungspartner muss sachgerecht sein. Die Gesetzesverhandlungen sind vom federführenden Ressort zu leiten. Der Bundeskanzler sollte sich hier nicht einschalten, damit nicht der Anschein einer faktischen Vorfestlegung des Initiativbeschlusses des Kabinetts entsteht (§ 10 GeschO BReg.)612. Dadurch, dass lediglich die Ressortminister 610 Vgl. Benz/Scharpf/Zintl, Horizontale Politikverflechtung, S. 181 f.; Staeck, Vom Reformprojekt, S. 245; Smeddinck/Tils, Normgenese und Handlungslogiken, S. 210. 611 Vgl. Schmidt-Glaeser, Partizipation, 175 (237). 612 Vgl. hierzu Hennis, PVS 1961, 23 (35).

C. Regelungsstruktur für die Gesetzesvorbereitung

399

die Verhandlungen führen, wird klar, dass es noch einer kritischen Bewertung im Kabinett bedarf. Zudem sollte das federführende Ressort bei den Verhandlungen die Privaten ausdrücklich darauf hinweisen, dass das Verhandlungsergebnis unter dem Vorbehalt der Billigung durch das allein initiativberechtigte Bundeskabinett steht (vgl. § 47 Abs. 4 Satz 1 GGO). Die mit den Privaten geschnürten Gesamtpakete müssen des Weiteren das Koppelungsverbot beachten613. Mit dem Vollzug wesentlicher Regelungen darf erst nach In-Kraft-Treten des Gesetzes begonnen werden614. 6. Dritter Entwurf und rezeptiver Abschlussbeschluss Als nächsten Schritt muss das Kabinett darüber beschließen, ob den von den privaten Verhandlungspartnern gewünschten Änderungswünschen entsprochen werden soll. Die Änderungsvorschläge der Privaten können in einen dritten Entwurf aufgenommen werden. Dieser bildet die Grundlage der abschließenden Beschlussfassung der Bundesregierung über die Gesetzesinitiative. Das Kabinett entscheidet über die vom Ressortminister ausgehandelten Veränderungen des im Grundsatzbeschluss vorgegebenen Konzepts außerhalb der Verhandlungen mit den Interessenvertretern. Durch die Trennung der „Arenen“ wird Distanz zu den Partikularinteressen aufgebaut und eine kritische Entscheidung ermöglicht615. Der Initiativbeschluss nach Art. 76 Abs. 1 GG und § 15 GO BReg wird in einen antizipativen Grundsatzbeschluss zum zweiten Entwurf als Verhandlungsgrundlage und einen rezeptiven Abschlussbeschluss zum dritten Entwurf aufgespalten. Der antizipative Grundsatzbeschluss erfolgt noch vor den Verhandlungen mit den Privaten. Er gibt den Rahmen für die Verhandlungen vor, während der rezeptive Abschlussbeschluss die in den Verhandlungen gefundenen Ergebnisse und Abweichungen vom Grundsatzbeschluss getrennt von den Verhandlungen kritisch würdigt. Im Gegensatz zum rezeptiven Abschlussbeschluss ist der antizipative Grundsatzbeschluss noch frei von faktischen Bindungen. Durch die Aufteilung des Initiativbeschlusses wird erreicht, dass die Initiativfreiheit weniger beeinträchtigt wird, als wenn es nur einen abschließenden Kabinettsbeschluss nach Entstehung der faktischen Bindungen gäbe. Die Aufspaltung lässt die Initiativfreiheit im Rahmen des Grundsatzbeschlusses voll zur Geltung kommen, weil beim Grundsatzbeschluss noch keine Austauschverein613

Siehe oben 4. Teil B. I. 4. Siehe oben 4. Teil B. I. 3. 615 Vgl. Heintzen, Beteiligung Privater, S. 220 (264), der eine „Zäsur“ zwischen Entscheidungsvorbereitung unter Einbeziehung von Privaten und verfahrensabschließender Entscheidung für notwendig hält. 614

400

4. Teil: Die Verhandlungsphase

barungen mit den Interessenvertretern vorliegen. Unvermeidbare faktische Bindungen in Bezug auf den Abschlussbeschluss können gegebenenfalls im Lichte des Kooperationsprinzips hingenommen werden, sofern die Intensität dieser Bindungen nicht einer rechtlichen Verpflichtung gleichkommt. Dadurch werden Initiativfreiheit und Kooperationsprinzip harmonisiert. Weicht der dritte Entwurf vom Grundsatzbeschluss erheblich ab und möchte die Bundesregierung den veränderten Entwurf in das Gesetzgebungsverfahren einbringen, so muss sie in der einzubringenden Vorlage sachlich begründen, warum sie vom ursprünglichen Grundkonzept abweicht. Dabei könnte eine synoptische Gegenüberstellung des ursprünglichen Entwurfs vor den Verhandlungen und des Entwurfs nach den Verhandlungen mit entsprechender Sachbegründung zu den Änderungen hilfreich sein616. Durch entsprechende Regelungen würde die Bundesregierung dazu veranlasst, das Gebot kritischer Rezeption beim Abschlussbeschluss ernst zu nehmen617. Die Bundesregierung muss in ihrem Abschlussbeschluss eine eigenständige Meinungsbildung erkennen lassen. Sie darf einen von den Interessenvertretern ausgearbeiteten oder von diesen mitgestalteten Entwurf nicht ohne eigene Kenntnis des gesamten Sachverhalts und ohne eigene kritische Abwägung übernehmen. In die eigenständige Abwägung der Bundesregierung sind auch die vorgezogenen Stellungnahmen von Bundestag, Bundesrat und Ländern einzubeziehen618. Für die Dokumentation der umfassenden Abwägung und die Beachtung des Gebots der kritischen Rezeption durch die Bundesregierung kommt es vor allem auf die Begründung der Gesetzesvorlage an, die der abschließenden Beschlussfassung der Bundesregierung zu Grunde liegt. Mit Zuleitung dieser Vorlage an den Bundestag wird der Einfluss der privaten Verbände öffentlich sichtbar gemacht und die notwendige nachträgliche Transparenz hergestellt619. 7. Legitimationssicherung im Kreislaufmodell und politische Gestaltungsfreiheit Nach diesem Modell der kooperativen Gesetzesvorbereitung geht der Prozess der Gesetzgebung von einem Entwurf des federführenden Ministeri616

Vgl. § 53 GGO; Mengel, Gesetzgebung und Verfahren, S. 316. Zum Gebot kritischer Rezeption: siehe oben 4. Teil B. II. 2. f). 618 Zur effektiven Beteiligung der anderen Verfassungsorgane: siehe oben 4. Teil B. III. 2. 619 Zur verfassungsrechtlich gebotenen nachträglichen Transparenz: siehe oben 4. Teil B. I. 5. e) bb). 617

C. Regelungsstruktur für die Gesetzesvorbereitung

401

ums aus, der mit den anderen Ressorts sowie dem Bundestag und Bundesrat vorabgestimmt und in einem Grundsatzbeschluss der Bundesregierung fixiert wird. Dieser Grundsatzbeschluss gibt das wesentliche Programm für das Gesetzesvorhaben vor. In den Grundsatzbeschluss sind bereits die Erwägungen der anderen Ressorts, des Bundestages, Bundesrates und eventuell auch die Stellungnahmen besonders betroffener Länder eingegangen. Erst danach beginnt die Abstimmung mit den privaten Interessenvertretern. Dabei können Veränderungen des Entwurfs ausgehandelt werden. Der Kreis der Verhandlungen schließt jedoch mit dem Abschlussbeschluss der Bundesregierung, in dem die Änderungsvorschläge der privaten Interessenvertreter kritisch-abwägend erörtert und gegebenenfalls rezipiert werden. Die Beteiligung nicht legitimierter Privater wird demnach in einen Kreislauf eingebunden, der die Programmverantwortung der Bundesregierung zu Beginn des Verhandlungsprozesse im antizipativen Grundsatzbeschluss und zum Ende des Verhandlungsprozesses im rezeptiven Abschlussbeschluss zum Tragen kommen lässt620. Die dargestellte Struktur einer Gesetzesvorbereitung erhebt keinen Anspruch zwingender verfassungsrechtlicher Geltung621. Würde man die Gesetzesvorbereitung durch ein starres Regelungsgeflecht normieren, das strikte verfassungsrechtliche Geltung beanspruchen würde, so bestünde die Gefahr, dass sich im Vorfeld dieser regulierten Gesetzesvorbereitung neue informelle Verhandlungsrunden bilden, die die strukturierte Gesetzesvorbereitung ihrerseits wieder in Frage stellen können. Eine starre Formalisierung des Informellen würde neue informelle Vorfelder provozieren622. Allein die Gefahr eine Umgehung und informellen Unterwanderung der neu geschaffenen Strukturen ist allerdings kein hinreichendes Argument, eine flexible Formalisierung informeller Praktiken zu unterlassen. Wegen der notwendigen Flexibilität darf jedoch nicht jedes Einzelelement der Struktur als verfassungsrechtlich zwingend erachtet werden. Bei der konkreten Ausgestaltung der Gesetzesvorbereitung kommt der Bundesregierung vielmehr ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Durch einen ausreichenden Gestaltungsspielraum der gesetzesvorbereitenden Bundesregierung wird der Anreiz zur 620 Vgl. Murswiek, Diskussionsbeitrag, Staatsrechtslehrertagung 2002, S. 98, der von einer Kreislaufgesetzgebung spricht, in die die Arbeit von Sachverständigengremien eingebunden werden soll. Im Gegensatz zur parlamentsbezogenen Konzeption von Murswiek wird hier die Rolle der Bundesregierung stärker akzentuiert. 621 Nicht das für die Verfassungsverwirklichung Nützliche, sondern das im Hinblick auf die Sicherung der Verfassungsprinzipien Notwendige bildet die Grundlage für die Entwicklung verfassungsrechtlicher Anforderungen. Hier verläuft die Trennlinie zwischen bloßen verfassungspolitischen Anregungen und verfassungsrechtlichen Anforderungen (vgl. Reimer, Verfassungsprinzipien, S. 486). 622 Zu dieser Argumentation: siehe bereits oben 2. Teil A. I. 1. b) ee).

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

Umgehung der Regelungsstruktur begrenzt sowie eine erneute informelle Aushöhlung vermieden.

III. Verfassungsrechtliche Strukturkoordinaten Das hier entworfene Modell der Gesetzesvorbereitung ist in der dargelegten Detailgenauigkeit lediglich als verfassungspolitischer Vorschlag zu verstehen, der dem Ziel einer Legitimationssicherung dient und einer Entwertung der grundgesetzlichen Normen zum Gesetzgebungsverfahren entgegenwirkt623. Das Ziel, einer Entwertung der Verfassung durch kooperative Gesetzesvorbereitung entgegenzuwirken, erhebt als solches jedoch verfassungsrechtlichen Geltungsanspruch624. Daraus ergeben sich einige zwingende verfassungsrechtliche Strukturkoordinaten. In dem dargestellten verfassungspolitischen Kreislaufmodell sind verfassungsrechtliche Wertungen enthalten, die zwingende Vorgaben für die gesetzesvorbereitende Bundesregierung darstellen. Um zu vermeiden, dass die grundgesetzlichen Vorgaben an die Gesetzgebung durch informelle Vorfelder entwertet werden, muss die Bundesregierung eine Regelungsstruktur für die Gesetzesvorbereitung schaffen, die folgende verfassungsrechtliche Koordinaten beachtet: – Die Beteiligung von nicht legitimierten Privaten an der Gesetzesvorbereitung muss geeignet sein, die Funktionsfähigkeit der Gesetzgebung und die Effektivität der Gesetzesrealisierung zu fördern. Sie ist auf das hierfür erforderliche Maß zu begrenzen625. • Hierzu sind Sachverhaltsermittlung (Arguing) und Verhandlungen zum Interessenausgleich (Bargaining) getrennt zu halten626. Werden externe Personen zur Sachverhaltsermittlung hinzugezogen, so haben diese lediglich den Status von „Zuarbeitern“627. • Notwendig ist ein Mindestmaß an Unterscheidbarkeit der Entwurfserarbeitung durch die Ministerialverwaltung von der Abstimmung mit den Interessenvertretern (Gebot der Distanz). 623 Zur parlamentarischen Einbindung privater in die Gesetzgebung aus rechtspolitischer Sicht: siehe auch Linck, ZG 2004, 137 (145 f.). 624 A. A. Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 305 (312 ff.). 625 Vgl. Di Fabio, NVwZ 1999, 1153 (1157), der verlangt, dass es „sachliche Gründe“ für die Kooperation geben müsse. 626 Vgl. Schulze-Fielitz, Parlament als Organ der Kontrolle, S. 89, 108; Unkelbach, Vorbereitung, S. 62. 627 Vgl. Heintzen, Beteiligung Privater, S. 220 (253 f.).

C. Regelungsstruktur für die Gesetzesvorbereitung

403

– Die Verfahrens- und Sachherrschaft der legitimierten Staatsorgane muss angemessen zur Geltung kommen: • Der ins Gesetzgebungsverfahren eingebrachte Entwurf muss dem Kabinett in seiner Gesamtheit nicht nur formal, sondern auch faktisch inhaltlich zurechenbar sein. Alle Ressorts müssen die reale Möglichkeit gehabt haben, auf die Vorlage einzuwirken (Gebot der effektiven Kollegialentscheidung). • Bundestag, Bundesrat und ggf. auch besonders betroffene Länder müssen so rechtzeitig beteiligt werden, dass sie die Gelegenheit gehabt haben, wirkungsvoll auf die Entwurfsgestaltung Einfluss zu nehmen (Gebot effektiver Beteiligung Legitimierter). Die effektive Beteiligung Legitimierter hat Vorrang vor der Beteiligung nicht legitimierter Privater. • Die Verhandlungsergebnisse sind sachlich zu begründen und der Bundesregierung, dem Bundestag und dem Bundesrat mit dieser Begründung für das Gesetzgebungsverfahren mitzuteilen (Gebot nachträglicher Transparenz im Gesetzgebungsverfahren). • Eingriffe und wesentliche Regelungen dürfen erst mit In-Kraft-Treten des Umsetzungsgesetzes außenwirksam realisiert werden (Verbot der Gesetzesantizipation). – Sachgerechtigkeit darf nicht durch Verhandlungsgerechtigkeit ersetzt werden: • Die Bundesregierung muss die mit Privaten ausgehandelten Verhandlungsergebnisse sachlich-kritisch prüfen und abwägen (Gebot kritischer Rezeption). Dabei muss die Bundesregierung auch die eingeholten Stellungnahmen der anderen Hoheitsträger in ihre Abwägung einbeziehen628. • Die mit den Privaten getroffenen Vereinbarungen dürfen nicht gegen das Koppelungsverbot verstoßen. • Die Auswahl der Vereinbarungspartner muss dem Gleichheitssatz entsprechen und sachgerecht sein. Die Sachgründe für die Auswahl der Vereinbarungspartner sind den Gesetzgebungsorganen mitzuteilen (Gebot der Partizipationsgleichheit). Die Bundesregierung ist verfassungsrechtlich dazu verpflichtet, das Gebot der Distanz, der effektiven Kollegialentscheidung, der effektiven Beteiligung Legitimierter, der kritischen Rezeption, der Partizipationsgleichheit 628 Zu den Einzelheiten einer gesetzgeberischen Abwägungsfehlerlehre: siehe unten 5. Teil D.

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

und der nachträglichen Transparenz sowie das Verbot der Gesetzesantizipation und der sachwidrigen Koppelung in einer praktikablen Regelungsstruktur zu konkretisieren. Damit kommt sie dem Gebot nachträglicher Formalisierung des informell-kooperativen Staatshandelns bezogen auf die Gesetzesvorbereitung nach629. Soweit die Bundesregierung diesen Formalisierungsauftrag erfüllt, wird sich das Bundesverfassungsgericht bei der verfassungsrechtlichen Prüfung der Gesetzesvorbereitung zurückhalten können. Wird das Problem einer Entwertung des Gesetzgebungsverfahrens durch informelle Vorfelder von den Gesetzgebungsorganen selbst gesehen und kanalisiert, so kann die verfassungsgerichtliche Kontrolle dieser Vorfelder weniger restriktiv ausfallen. Greifen die Gesetzgebungsorgane hingegen das Problem informeller Vorfelder nicht auf, so wird eine verschärfte verfassungsgerichtliche Kontrolle des Vorfeldes geboten sein. Der kontrollierende verfassungsgerichtliche Zugriff auf noch nicht formalisierte neue Vorfelder bleibt stets möglich und bildet den Ansporn, neue informelle Vorfelder in das zu entwickelnde Regelungssystem einzubeziehen. Die genannten verfassungsrechtlichen Eckwerte lassen indessen der kooperierenden Bundesregierung genügend Spielraum für eine situationsgerechte Gesetzesvorbereitung. Teile dieser verfassungsrechtlichen Strukturkoordinaten finden sich in der Flachglas-Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts wieder. Dort hat das Bundesverwaltungsgericht Vereinbarungen mit Privaten, die Bebauungspläne vorbereiten, dann für zulässig gehalten, wenn hierfür ein sachlicher Grund besteht, wenn die effektive Beteiligung des Gemeinderates gesichert ist und wenn die Vereinbarung dem Abwägungsgebot entspricht630. Das Erfordernis eines sachlichen Grundes für die vorgezogene Beteiligung Privater entspricht der Geeignetheit und Erforderlichkeit einer gesetzesvorbereitenden Vereinbarung für eine funktionsfähige Gesetzgebung. Die effektive Beteiligung des Gemeinderates bedeutet für die Vorbereitung von Parlamentsgesetzen die effektive Beteiligung von Bundestag und Bundesrat. Das Erfordernis eines abgewogenen Vereinbarungsinhalts findet sich im Gebot der sachlich-kritischen Rezeption durch die zuständigen Organe wieder. Trotz erheblicher Unterschiede zwischen Bundestag und Gemeinderat zeigen sich hier gewisse Parallelen631. Die erörterten verfassungsrechtlichen Strukturkoordinaten wurden beim Atomausstieg nicht befolgt: • Soweit kleinere Anteilseigener an Kernkraftwerksbetriebsgesellschaften nicht beteiligt wurden, wird die Auswahl der beteiligten Unternehmen den Anforderungen 629 Zum Gebot nachträglicher Formalisierung: siehe oben 2. Teil A. I. 1. b) dd) (3),(4), ee), II. 3. 630 BVerwGE 45, 309 (321). 631 Zu den Unterschieden zwischen einem Parlament und dem Gemeinderat als Verwaltungsorgan: BVerfG BayVBl. 1989, 146; BayVerfGH n. F. 5, 66 (76 f.); Bauer/Böhle/Masson/Samper, Bayerische Kommunalgesetze, Art. 29 Rdnr 3 f.

C. Regelungsstruktur für die Gesetzesvorbereitung

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des Gleichheitssatzes nicht gerecht. Allein die Größe der Unternehmen ist kein sachgerechtes Auswahlkriterium. Gründe für eine sachgerechte Typisierung der Auswahl wurden nicht offen gelegt. • Die Verhandlungen zwischen den beteiligten Ministerien und den Unternehmen waren besonders eng verzahnt. Die intensive Verflechtung von Gesetzgebungsarbeit in den Ministerien und Gesetzesformulierung in den Rechtsabteilungen der betroffenen Unternehmen führte zu intensiven faktischen Bindungen. Sie lässt ein diffuses Verantwortungsbild entstehen. Eine derart gravierende Beeinträchtigung von Initiativfreiheit und Initiativverantwortung der Bundesregierung war für eine kooperative Regelung des Ausstiegs mit den Betreibern nicht notwendig. Das demokratische Legitimationsniveau der Gesetzesvorbereitung und Gesetzesinitiative wurde in nicht erforderlichem Maße abgesenkt. Darin ist eine Verletzung des Distanzgebotes zu sehen. • Eine kritische Rezeption der Vereinbarung durch die Bundesregierung ist nicht erkennbar, da die Begründung der Gesetzesvorlage an Stelle von Sachgründen oftmals lediglich die Vereinbarung in Bezug nimmt, die ihrerseits keine Sachgründe substanziiert. Die Begründung der Vorlage verfehlt deshalb auch das Gebot nachträglicher Transparenz im Gesetzgebungsverfahren. • Das Versprechen der Bundesregierung, sich an die Verfassung zu halten, verstößt als Gegenleistung für einen faktischen Klageverzicht der Betreiber gegen das Koppelungsverbot. • Bundesrat und Länder wurden erst informiert, als bereits erhebliche faktische Bindungen entstanden waren. Eine effektive Bundesrats- bzw. Länderbeteiligung liegt nicht vor. Das Gebot der effektiven Beteiligung der Legitimierten wurde nicht in ausreichendem Maße beachtet. • Es verstößt zudem gegen das Grundgesetz, dass mit der außenwirksamen Realisierung von Grundrechtseingriffen und wesentlichen Regelungen bereits vor InKraft-Treten des Umsetzungsgesetzes begonnen wurde. Damit wurde die Entscheidung des Bundestages über die gesetzliche Umsetzung unzulässigerweise antizipiert. Folglich hat die informell-kooperative Gesetzesvorbereitung beim Atomausstieg die Grenze zur Verfassungswidrigkeit überschritten632.

IV. Form der Regelungsstruktur Bisher wurde wiederholt darauf hingewiesen, dass die Bundesregierung verpflichtet sei, eine kanalisierende Regelungsstruktur für gesetzesvorbereitende Verhandlungen und Vereinbarungen zu schaffen. Mit einer solchen Regelungsstruktur nimmt die Bundesregierung ihre Aufgabe wahr, die dar632 Vor zu viel „Händlergebaren“ beim Atomausstieg hatte Roßnagel, Frankfurter Rundschau, 6. Juli 1999, S. 6, frühzeitig gewarnt: „Die Aufgabe von Staatlichkeit zugunsten von Händlergebaren wird für die Bundesrepublik noch schädlicher sein als ein durch Handwerksfehler verpatzter Atomausstieg.“ Zu den Auswirkungen auf das Umsetzungsgesetz: siehe unten 6. Teil.

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

gelegten Anforderungen an die Gesetzesvorbereitung mit dem Kooperationsprinzip abzuwägen und auszugleichen. Nachfolgend ist zu fragen, in welcher Regelungsform die Struktur zu konkretisieren wäre. Traditioneller Regelungsstandort der Gesetzesvorbereitung durch die Bundesregierung ist die Geschäftsordnung der Bundesregierung und die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien633. In der Literatur wurde indessen in den 70er Jahren erörtert, ob der Einfluss von Verbänden auf die Staatswillensbildung in einem Parlamentsgesetz zu regeln sei. Unter dem Stichwort „Verbändegesetz“ wurde nicht nur diskutiert, ob Verbände intern demokratisch organisiert sein müssen, wie es für die Parteien in Art. 21 Abs. 1 Satz 3 GG vorgeschrieben ist634. Vielmehr ging es auch darum, ob der Einfluss von Verbänden auf die Ausübung von Staatsgewalt über ein Verbändegesetz kanalisiert werden kann635. Der Frage, inwieweit die innere Organisation von Verbänden demokratisch sein muss, wird hier nicht näher untersucht, weil eine solche innere Demokratie von Verbänden immer nur auf die Mitglieder dieser Verbände bezogen sein kann und deshalb keine Legitimation durch das gesamte Volk im Sinne des Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG herzustellen vermag. Die innere Demokratisierung von Verbänden kann Legitimationsdefizite im Sinne des grundgesetzlichen Demokratieprinzips nicht wirklich kompensieren636. Vorliegend interessiert deshalb nicht die interne Verbandswillensbildung, sondern der Einfluss der Verbände auf die Staatswillensbildung bei der Vorbereitung von Gesetzen. Die Forderung einer parlamentsgesetzlichen Regelung des Verbandseinflusses auf die Gesetzgebung taucht auch in der neueren Literatur wieder auf. Es wird ein „Gesetz über die Gesetzgebung“ gefordert, das die Sachverhaltsermittlungspflichten des Gesetzgebers und die Begründung von Gesetzesvorlagen regeln könnte, um einer privilegierenden Lobbygesetzgebung entgegenzuwirken. Die parlamentsgesetzliche Gesetzgebungsordnung soll die Regelungen zum Gesetzgebungsverfahren in den Art. 76 ff. GG ergänzen und die Qualität von Gesetzen optimieren. Ein solches Gesetzgebungsverfahrensgesetz soll anders als Geschäftsordnungsregelungen Außenwirkungen haben, so dass ein Gesetz wegen Verstoßes gegen die Gesetzgebungsordnung nichtig sein könnte637. 633

Hennis, PVS 1961, 23 (27 ff.). Vgl. Wimmer, DVBl. 1977, 401 ff.; Groß, Grundlinien, S. 93 (100), der das für Parteien geltende Gebot der inneren demokratischen Ordnung auch auf andere „Großorganisationen“ übertragen möchte. 635 Siehe beispielsweise: Schmidt, Der Staat 17 (1978), 244 (267 ff.); Meessen, Erlaß eines Verbändesgesetzes, S. 6. 636 Papier, Parlamentarische Demokratie, S. 33 (42). 634

C. Regelungsstruktur für die Gesetzesvorbereitung

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1. Gesetzgebungsordnung, Initiativfreiheit und Organisationsautonomie Ein parlamentarisches Gesetz zur Regelung der Gesetzesgebung würde jedoch, soweit davon die Gesetzesvorbereitung durch die Bundesregierung betroffen wäre, das Initiativrecht und die korrespondierende Initiativfreiheit der Bundesregierung unzulässig beeinträchtigen638. Würde man die Befassungspflicht des Bundestages, die durch eine Gesetzesinitiative der Bundesregierung ausgelöst wird, davon abhängig machen, dass die Vorlage der Bundesregierung die Vorgaben eines Parlamentsgesetzes einhält, so würde damit das Parlament steuernd in die Vorbereitung der Gesetzesinitiativen der Bundesregierung eingreifen. Die Organisationsautonomie der Bundesregierung beinhaltet jedoch das Recht und die Pflicht der Bundesregierung, selbst darüber zu befinden, wie die Gesetzesvorbereitung gestaltet werden soll639. Ein Zugriff des Parlaments auf den Eigenbereich der Regierung mittels bindendem Parlamentsgesetz wäre nicht gerechtfertigt640. Eine rechtsverbindliche Anbindung der Gesetzesinitiative der Bundesregierung an den Willen des Parlaments ist in Art. 76 GG nicht vorgesehen. Über die Initiative der Bundesregierung entscheidet das Kabinett unabhängig von der Auffassung des Parlaments641. Die Rechtsfolgen des Initiativbeschlusses der Bundesregierung und der anschließenden Zuleitung an den Bundestag müssen mithin unabhängig von einem etwaigen Verstoß gegen ein Gesetzgebungsverfahrensgesetz eintreten. Dies bedeutet, dass der Bundestag auch dann verpflichtet wäre, ein Gesetz zu beraten und darüber Beschluss zu fassen, wenn es nach seiner Auffassung gegen die parlamentsgesetzliche Gesetzgebungsordnung verstoßen würde. Ein parlamentsgesetzliches Gesetzgebungsverfahrensgesetz mit umfassenden Vorgaben zur Gesetzesvorbereitung könnte somit gegenüber der Bundesregierung in weiten Teilen nur appellativen Charakter haben. Damit 637 Siehe hierzu: Schneider, ZG 2004, 105 (113); Lücke, ZG 2001, 1 ff.; Smeddinck, Gesetzesproduktion, S. 105 (122); Herdegen, Informalisierung, S. 7 (18); vgl. auch Karpen, Zum Stand der Gesetzgebungswissenschaft, S. 11 (25 f.); ders., Zum gegenwärtigen Stand der Gesetzgebungslehre, 371 (386); Mengel, Empfiehlt es sich, S. 115 (118, 134). 638 Lücke, ZG 2001, 1 ff., fordert eine parlamentsgesetzliche Gesetzgebungsordnung, die die Legislative binden soll. Unklar ist, ob diese Gesetzgebungsordnung auch das Initiativrecht der Bundesregierung als Bestandteil der Gesetzgebung binden soll oder ob Lücke sich auf eine Selbstbindung des Bundestages beschränken will. 639 Zur Organisationsautonomie der Bundesregierung: siehe oben 4. Teil A. 640 Zum Kernbereich exekutivischer Eigenverantwortung: BVerfGE 67, 100 (139); 68, 1 (85 ff., 87); Scholz, AöR 105 (1980), 564 (598). 641 Vgl. BVerfGE 1, 144 (153 ff.).

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

würde ein solches Gesetz jedoch genau denjenigen Teil des Gesetzgebungsvorfeldes, in dem die informell-kooperativen Verhandlungsprozesse stattfinden, von vornherein nicht rechtswirksam erfassen. Folglich ist eine umfassende gesetzliche Regelung der Vorbereitung von Gesetzen ungeeignet, um die von der Bundesregierung durchgeführten gesetzesvorbereitenden Verhandlungen wirksam zu kanalisieren642. 2. Geschäftsordnungsrecht als Regelungsstandort Der richtige Regelungsstandort zur Regelung der kooperativen Gesetzgebung ist das Geschäftsordnungsrecht der Bundesregierung643. Insoweit ist zu beachten, dass Verstöße gegen Geschäftsordnungsregelungen zur Verfassungswidrigkeit der Gesetzesvorbereitung führen, soweit die Geschäftsordnung die verfassungsrechtlichen Strukturvorgaben konkretisiert. Eine Formalisierung informeller Vorfelder im Geschäftsordnungsrecht entspricht der Eigenverantwortung jedes Verfassungsorgans für die Effektivität der Verfassung. Es ist nicht die Aufgabe des Parlaments, durch ein Gesetz dafür zu sorgen, dass die Bundesregierung bei der Gesetzesvorbereitung die Verfassung einhält. Vielmehr muss sich die Bundesregierung selbst um die Einhaltung der verfassungsrechtlichen Strukturkoordinaten kümmern, indem sie entsprechende Ergänzungen, Präzisierungen und Klarstellungen des Geschäftsordnungsrechts vornimmt644. Die Bundesregierung nimmt bei der kritischen Überprüfung von Verbandsvorschlägen ihre politische Gestaltungsverantwortung und eine präventive verfassungsrechtliche Kontrollfunktion wahr645. Die Wahrnehmung dieser präventiven Kontrollaufgaben gehört zu ihrem verfassungsrechtlich geschützten Eigenbereich, der einem umfassenden Zugriff des Gesetzgebers entzogen ist. Dem von der Bundesregierung entsprechend den verfassungsrechtlichen Anforderungen eigenverantwortlich zu gestaltenden Geschäfts642

Demgegenüber könnte ein Parlamentsgesetz, das lediglich die Informationspflichten der Bundesregierung gegenüber dem Bundestag konkretisiert, zulässig sein, weil insoweit nur punktuell in den Bereich autonomer Regierungstätigkeit an einer organübergreifenden Schnittstelle übergegriffen würde (vgl. hierzu den Auftrag zur gesetzlichen Regelung in Art. 23 Abs. 3 Satz 3 GG; zur Diskussion um ein Parlamentsinformationsgesetz: Kretschmer, Empfiehlt es sich, S. 99 ff.). Ein solches Parlamentsinformationsgesetz könnte die informationelle Zusammenarbeit zwischen Regierung und Parlament steuern und damit die Organtreue zwischen diesen Verfassungsorganen konkretisieren. 643 Zur legitimatorischen Bedeutung des Geschäftsordnungsrechts: vgl. Graf Vitzthum, Diskussionsbeitrag, Staatsrechtslehrertagung 2002, S. 89. 644 Zur Eigenverantwortung als Verfassungsprinzip: siehe unten 9. Teil C. 645 Vgl. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 59 Rdnr. 205.

C. Regelungsstruktur für die Gesetzesvorbereitung

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ordnungsrecht kommt eine wichtige Kanalisierungsfunktion im Hinblick auf den Einfluss von Interessenverbänden auf die Gesetzgebung zu646. 3. Wesentlichkeitstheorie Gegen eine Regelung der gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen im Geschäftsordnungsrecht könnte allerdings eingewandt werden, dass durch die Vereinbarungen faktisch bindende Vorentscheidungen über das spätere Gesetz getroffen werden. Faktisch bindende gesetzesvorbereitende Vereinbarungen sind in der Grenzzone des Eigenbereichs der Exekutive angesiedelt, weil sie eine organübergreifende Tendenz zur Entscheidungsfunktion des Parlaments aufweisen. Sie berühren die Schnittstelle zwischen der von der Bundesregierung gesteuerten Verhandlungsphase und der parlamentarischen Umsetzungsphase647. Das eigentliche Entscheidungsverfahren findet oftmals in der Gesetzesvorbereitungsphase bei den Verhandlungen mit den Interessenvertretern statt, so dass Änderungen im parlamentarischen Verfahren kaum mehr möglich sind. Die Frage, wer, mit wem, in welcher Weise faktisch bindende gesetzesvorbereitende Vereinbarungen abschließen darf, beeinflusst das Legitimationsniveau der Staatsgewalt nachhaltig648. Aus diesen Gründen könnte der Abschluss der gesetzesvorbereitenden Vereinbarung eine für das Gemeinwesen wesentliche Entscheidung darstellen649. Dementsprechend könnte nach der Wesentlichkeitstheorie eine parlamentsgesetzliche Normierung des Abschlusses von gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen notwendig sein. Die Wesentlichkeitstheorie hat die Funktion, einen Bedeutungsverlust des Parlaments zu verhindern650. Sie darf indessen nicht im Sinne eines Gewaltenmonismus missverstanden werden651. Eine monistische Sichtweise würde dem Gewaltenteilungsprinzip des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG widersprechen. Sinn und Zweck der Wesentlichkeitstheorie ist es, dem Parlament seinen eigenen Kompetenzraum zu sichern. Zur Wahrung der Kompetenzen des Bundestages ist es jedoch nicht zwingend erforderlich, dass sich der Bun646 Vgl. zur Kanalisierungsfunktion des § 24 Abs. 2 GGO a. F.: Masing, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG Bd. II, Art. 76 Abs. 1 Rdnr. 28. 647 Vgl. zur Schnittstelle zwischen Exekutive und Judikative und den damit zusammenhängenden Fragen der Wesentlichkeit: VerfGH NW, DVBl. 1999, 714 (717). 648 Siehe oben 4. Teil. B. I. 1. e). 649 Vgl. Dederer, Korporative Staatsgewalt, S. 121 ff., 625 ff., 647 ff.; Lerche, Vorbereitung grundrechtlichen Ausgleichs, S. 97 (117): Lerche bezeichnet das „Materialformierende“ in der Gesetzesvorbereitung als „wesentlichstes Terrain“. 650 Vgl. VerfGH NW DVBl. 1999, 714 (715). 651 BVerfGE 49, 89 (124 ff.).

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4. Teil: Die Verhandlungsphase

destag durch eine Gesetzgebungsordnung in die Initiativfreiheit und Organisationsautonomie der Bundesregierung einmischt. Die Rechte des Parlaments können auch gewahrt werden, wenn der Bundestag von gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen rechtzeitig erfährt. Er kann dann der Entstehung von faktischen Bindungen beispielsweise durch einen schlichten Parlamentsbeschluss entgegentreten und in einem substanziellen Gesetzgebungsverfahren über die Umsetzung oder Änderungen der unter Parlamentsvorbehalt vereinbarten Regelungen entscheiden. Einer Selbstentmachtung des Parlaments ist nicht durch einen erweiterten gesetzlichen Zugriff in den Eigenbereich der Regierung, sondern durch eine Vitalisierung des Gesetzgebungsverfahrens entgegenzuwirken652. Wie eine solche Aktivierung der diskursiven Eigenenergie des Gesetzgebungsverfahrens zu erreichen ist, wird im 5. Teil näher zu diskutieren sein. Die Präferenz für das Geschäftsordnungsrechts als Regelungestandort einer Formalisierung der Gesetzesvorbereitung führt dazu, dass die Regelungsstruktur flexibel neuen Kooperationsbedürfnissen angepasst werden kann, ohne dass das eher langwierige Gesetzgebungsverfahren in Gang gesetzt werden müsste. Gerade diese Flexibilität der Regelungsstruktur ist notwendig, damit der Anreiz zur Umgehung der Kooperationsregeln gering gehalten wird653. Eine weniger flexible, parlamentsgesetzliche Regelungsstruktur würde die Gefahr der Bildung neuer informeller Vorfelder erhöhen. Somit ist das Geschäftsordnungsrecht die adäquate Regelungsform654. Die Wesentlichkeitstheorie erfordert im Lichte einer funktionsgerechten Organstruktur keine parlamentsgesetzliche Gesetzgebungsordnung für den Abschluss von gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen durch die Bundesregierung.

D. Ergebnis Gesetzesvorbereitende Verhandlungen und Vereinbarungen dürfen das Legitimationsniveau der Gesetzgebung nicht über das erforderliche Maß hinaus absenken. Es muss ein angemessenes Legitimationsniveau der Gesetzesvorbereitung erhalten bleiben. Die Auswahl der Vereinbarungspartner muss mit dem Gleichheitssatz vereinbar sein. Eingriffe und wesentliche Regelungen sind erst dann außenwirksam ins Werk zu setzen, wenn das Umsetzungsgesetz in Kraft getreten ist. Die Vereinbarung darf nicht gegen das rechtsstaatliche Koppelungsverbot verstoßen. Die Bundesregierung muss bei den Verhandlungen die Organtreue gegenüber Bundestag und Bundesrat so652

Vgl. Papier, VM 2003, 116 (120 f.). Zur Umgehungsgefahr: 4. Teil C. II. 7. 654 Zum Kriterium der Form- und Verfahrensadäquanz im Rahmen der Wesentlichkeitstheorie: siehe oben 4. Teil B. I. 3. c). 653

D. Ergebnis

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wie die Bundestreue gegenüber den Ländern beachten. Die Initiativfreiheit der Bundesregierung darf nicht unnötig und unangemessen verkürzt werden. Zudem ist ein Mindestmaß von Transparenz der Gesetzesvorbereitung erforderlich, die jedoch auch nachträglich im Gesetzgebungsverfahren hergestellt werden kann. Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen sind als informell-kooperative Staatsgewalt zu qualifizieren. Sie bewegen sich deshalb nicht im verfassungsfreien Raum, sondern sind den dargelegten vielfältigen Anforderungen des Grundgesetzes unterworfen. Aufgabe der Bundesregierung ist es, diese Anforderungen mit dem Kooperationsprinzip abzuwägen und durch eine Regelungsstruktur zu konkretisieren. Der Bundesregierung kommt dabei ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Dieser nimmt jedoch dann umso mehr ab, je deutlicher der Charakter der gesetzesvorbereitenden Vereinbarung als Staatsgewalt hervortritt. Wirken sich gesetzesvorbereitende Vereinbarungen aufgrund der von ihnen erzeugten faktischen Bindungen zunehmend auch auf das nachfolgende Gesetzgebungsverfahren aus, indem sie dieses präjudizieren, so ist eine verstärkte verfassungsrechtliche Kontrolle nach den dargestellten Maßstäben gerechtfertigt. Das Vorfeld der Gesetzgebung darf nicht die Wirksamkeit der demokratischen Strukturen des Grundgesetzes schleichend aushöhlen. Deshalb müssen auch neue informelle Vorfelder der Gesetzgebung von neu zu schaffenden Regelungsstrukturen immer wieder aufs Neue erfasst werden, damit die Wirksamkeit des Grundgesetzes auf Dauer gesichert werden kann. Das Kreislaufmodell der Gesetzesvorbereitung bietet eine Möglichkeit, die gemeinwohlbezogene Programmverantwortung der Bundesregierung im Gesetzesvorbereitungsprozess gegenüber den Vertretern partikularer Interessen zu stärken. Dabei stellt das Geschäftsordnungsrecht die adäquate Regelungsform zur Formalisierung informeller Vorfelder dar.

5. Teil

Die Umsetzungsphase Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen können bereits in der Phase der Gesetzesvorbereitung gegen die Anforderungen des Grundgesetzes verstoßen. Sie wirken sich jedoch auch auf das spätere Gesetzgebungsverfahren zur Umsetzung der Vereinbarung aus. Im Nachfolgenden ist zu untersuchen, zu welchen Problemen die Vereinbarungen im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren führen können. Bei formaler Anwendung der Art. 76 ff. GG liegen keinerlei Unterschiede zu Gesetzgebungsverfahren ohne vorherige Vereinbarung mit Privaten vor. Der wortlautgetreue Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens wird durch die vorherige Vereinbarung mit den Privaten nicht beeinflusst. Besonderheiten der informell ausgehandelten Gesetze werden indessen dann sichtbar werden, wenn man nach dem Sinn und Zweck der Art. 76 ff. GG fragt. Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen können dem Gesetzgebungsverfahren durch faktische Vorabbindungen sein „materielles Substrat“ entziehen1. Das kann dazu führen, dass das parlamentarische Verfahren seinem Funktionsauftrag nicht mehr gerecht wird. In diesem Zusammenhang ist zunächst auf die Funktion des parlamentarischen Verfahrens einzugehen (hierzu: A.). Eine Beeinträchtigung der Funktion des Gesetzgebungsverfahrens hat jedoch nur dann verfassungsrechtliche Bedeutung, wenn diese Funktion selbst als Verfassungsgebot zu erachten ist. Deshalb muss nach der Normativität der Funktion des Gesetzgebungsverfahrens gefragt werden (hierzu: B). Kann eine Beeinträchtigung einer normativen Gesetzgebungsfunktion festgestellt werden (hierzu: C.), so kommt es darauf an, mit welchem Instrumentarium diese Funktionsbeeinträchtigung einzudämmen ist (hierzu: D.).

1

Papier, VM 2003, 116 (120).

A. Funktion des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens

413

A. Funktion des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens Die Funktion des Gesetzgebungsverfahrens erschließt sich aus der Bedeutung des Parlamentsgesetzes als Ergebnis dieses Verfahrens. Das Gesetz ist Ziel und Zweck des Gesetzgebungsverfahrens.

I. Rang und Legitimation des Parlamentsgesetzes Das Parlamentsgesetz weist gegenüber den anderen Rechtsakten des Staates einen erhöhten Rang in der Normenhierarchie auf. Das Handeln der Exekutive und Judikative ist nach dem Vorrang des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG) an das Parlamentsgesetz gebunden. Zudem bedürfen nach dem Vorbehalt des Gesetzes Eingriffe in Grundrechte sowie alle wesentlichen Regelungen des Gemeinwesens einer parlamentsgesetzlichen Grundlage. Die darin zum Ausdruck kommende besondere Bedeutung des Parlamentsgesetzes rührt von der erhöhten Legitimation her, die einem Parlamentsgesetz zugeschrieben wird2. Diese besondere Legitimation soll ein Parlamentsgesetz deshalb erlangen, weil die Abgeordneten, die das Gesetz beschließen, im Gegensatz zu den Amtsträgern der Exekutive, unmittelbar vom Volk gewählt werden (Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG)3. Ziel des Repräsentationsgedankens ist es, dass der Wille der Wähler sich in gewisser Weise im Willen der Gewählten wiederfindet. Damit wird die Idee der Selbstbestimmung des Volkes näherungsweise Wirklichkeit. Die Unmittelbarkeit der Wahl der Abgeordneten wäre aber für sich genommen nur dann als Argument für eine erhöhtes Legitimationsniveau von Parlamentsgesetzen überzeugend, wenn der Wille des Volkes in der unmittelbaren Wahl der Abgeordneten besonders unverfälscht und authentisch repräsentiert würde4. Dann wäre die demokratische Idee der Repräsentation und Selbstbestimmung des Volkes in der Person des jeweils unmittelbar gewählten Abgeordneten besonders deutlich verwirklicht und der besondere Rang 2 Zur Korrespondenzbeziehung zwischen normhierarchischem Rang und Intensität der demokratischen Legitimation: Quaritsch, Das parlamentslose Parlamentsgesetz, S. 7 ff., 58 f.; zum Zusammenhang des Vorbehalts des Parlamentsgesetzes mit dessen besonderem Legitimationsniveau: Papier, Die finanzrechtlichen Gesetzesvorbehalte, S. 35. 3 BVerfGE 33, 125 (159); kritisch hierzu: v. Arnim, JZ 2002, 578 (582 ff.), dessen Verständnis der Unmittelbarkeit der Wahl jedoch in starkem Maße von Optimierungsvorstellungen gekennzeichnet ist. Zum gegenläufigen Saturierungskonzept: siehe oben 1. Teil B. I. 4 Zum Begriff der Authentizität: Noetzel, Authentizität, S. 17 ff.

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5. Teil: Die Umsetzungsphase

des Parlamentsgesetzes in der unmittelbaren Wahl des Abgeordneten überzeugend begründet5. Demgegenüber spielt die Person des unmittelbar zu wählenden Abgeordneten für die Wahlentscheidung der meisten Bürger eine weitaus geringere Rolle als dessen Parteizugehörigkeit und die Person des jeweiligen Spitzenkandidaten für das Amt des Bundeskanzlers6. Bei realistischer Betrachtungsweise findet der Wähler in der arbeitsteiligen, hochdifferenzierten und komplexen Lebenswirklichkeit kaum die Zeit, um sich mit der Person einzelner Bundestagskandidaten selbst intensiv auseinander zu setzen. Vielmehr orientiert sich der Wähler überwiegend am massenmedial vermittelten Bild von Parteien und Spitzenkandidaten7, 8. In der Lebenswirklichkeit kommt in der Stimmabgabe für einen Abgeordneten bzw. für eine Kandidatenliste weniger der authentische Wille, gerade diese Person bzw. die Personen auf der Liste in den Bundestag wählen zu wollen, sondern eher eine parteipolitische Präferenz und die Zustimmung zum Spitzenkandidaten einer Partei zum Ausdruck9. Parteien sind für den Wähler unverzichtbare Erkennungssignale im komplexen politischen Diskurs. Sie geben Orientierung in der täglichen Informationsflut und vereinfachen die persönliche Wahlentscheidung10. Gegenüber diesem faktischen Befund ist das Grundgesetz, wie sich in Art. 21 GG zeigt, nicht blind. Das Grundgesetz erkennt in Art. 21 GG die für die politische Willensbildung wichtige Vermittlungsrolle der Parteien ausdrücklich an. Je mehr sich die Wähler jedoch nicht an den einzelnen direkt zur Wahl stehenden Abgeordneten, sondern an den Parteien und deren Spitzenkandidaten orientieren, desto weniger kann tatsächlich davon gesprochen werden, 5

Zum Zusammenhang zwischen Authentizität, Selbstbestimmung und Legitimation: vgl. Noetzel, Authentizität, S. 163 f. 6 Vgl. Herzog, Strukturmängel, S. 49; Brunner/Walz, Zwischen Parteiidentifikation, S. 101 (106 f.). 7 Dementsprechend hat der einzelne Wahlkreiskandidat für die empirische Wahlforschung kaum Bedeutung. Die sog. Kandidatenorientierung des Wählerverhaltens wird vielmehr an der Person des jeweiligen Spitzenkandidaten gemessen. Siehe hierzu beispielsweise: Gabriel, Parteienidentifikation, S. 228 (234 f.); Ohr, Wird das Wählerverhalten, S. 272 (285 ff.). 8 Zur Bedeutung der Massenmedien im modernen Lebenszusammenhang: BVerfGE 103, 44 (73 ff.) – abw. M. 9 Vgl. BVerfGE 2, 1 (11); Herzog, Strukturmängel, S. 49; Böckenförde, Die Organisationsgewalt, S. 81. 10 An diesen Sachgesetzlichkeiten des modernen politischen Lebens könnte die von v. Arnim, JZ 2002, 578 (587 f.) geforderte Wahlrechtsreform nichts in der Substanz ändern. Die Bedeutung der Parteien für die Wahlentscheidung bleibt auch dann im Wesentlichen bestehen, wenn die Wähler auf die Listenreihenfolge Einfluss nehmen können.

A. Funktion des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens

415

dass gerade durch die Unmittelbarkeit der Wahl der Abgeordneten ein gegenüber der Exekutive erhöhtes Legitimationsniveau des Parlaments begründet wird. Die unmittelbare Wahl der Abgeordneten wird wegen der Vermittlungsfunktion der Parteien faktisch mediatisiert11. Deshalb kann eine dem normhierarchischen Rang des Parlamentsgesetzes entsprechende und gegenüber den anderen Gewalten erhöhte Legitimation des Parlamentsgesetzes nicht allein durch die lediglich formale Unmittelbarkeit der Wahl begründet werden12. Vielmehr ist die besondere Legitimation des Gesetzes zusätzlich darin zu suchen, dass das Gesetz in einem Verfahren besonderer materieller Qualität beschlossen wird13. Das Parlamentsgesetz erhält sein besonderes Legitimationsniveau, das seinen erhöhten normhierarchischen Rang gegenüber den Vollzugsakten rechtfertigt, nicht nur durch die Unmittelbarkeit der Wahl der Abgeordneten, sondern auch durch ein qualifiziertes Verfahren, in dem sich die unterschiedlichen Interessen, Überzeugungen und Anschauungen im Diskurs begegnen. Neben die formelle Legitimation durch die unmittelbare Wahl der Abgeordneten muss eine materielle Legitimation durch ein substanzielles Verfahren treten.

II. Abwägungs- und Diskursfunktion als Legitimationsquelle Worin der legitimationsstiftende Wert des Gesetzgebungsverfahrens als zweite Quelle erhöhter Legitimation von Gesetzen neben der Unmittelbarkeit der Wahl besteht, wird deutlich, wenn man die verfassungsrechtliche Stellung und Funktion des einzelnen Abgeordneten und das Zusammenwirken der Abgeordneten untereinander und gegenüber der Bundesregierung nach den dafür einschlägigen grundgesetzlichen Vorschriften näher beleuchtet. Hierzu ist zunächst das grundgesetzliche Idealbild des Gesetzgebungsverfahrens zu skizzieren. Dabei wird eine gesetzgebungsspezifische diskursive Qualität des Gesetzgebungsverfahrens erkennbar. Auch wenn das Idealbild des Gesetzgebungsverfahrens von der Realität abweicht, eignet sich dieses Idealbild dennoch dafür, die Funktion des Gesetzgebungsverfahrens herauszuarbeiten. Es geht insofern nicht darum, die Realität nachzuzeichnen. Vielmehr soll die legitimationsstiftende Idee des Gesetzgebungsverfahrens in Erinnerung gerufen werden.

11

Vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG Bd. IV, Art. 65 Nr. 46. Vgl. BVerfGE 40, 237 (249); Bryde, JZ 1998, 118 f. 13 Zur Legitimation des Gesetzes durch Verfahren: vgl. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 174 ff. 12

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5. Teil: Die Umsetzungsphase

1. Freies Mandat, Gewissensbindung und Abwägung Der verfassungsrechtliche Status des Abgeordneten ist in Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG normiert. Danach ist der Abgeordnete an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur seinem Gewissen unterworfen. Das freie Mandat soll den Abgeordneten dazu befähigen, aktives Subjekt in der Gesetzgebung zu sein14. Wenn der Abgeordnete nur seinem Gewissen unterworfen ist, dann wird jedoch nicht nur negativ seine Freiheit von Zwängen betont, sondern auch positiv herausgestellt, dass der Abgeordnete eben an dieses Gewissen gebunden ist. Das Gewissen ist freilich primär eine ethische Kategorie. Das Gewissen bleibt grundsätzlich im Bereich des Subjektiven und Verstöße gegen das eigene Gewissen sind verfassungsrechtlich grundsätzlich irrelevant15. Dennoch zeigt Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG, dass das Grundgesetz von einem Abgeordneten ausgeht, der sich seine eigenen Gedanken über die Abstimmungsvorlagen macht. Eine Gewissensbildung des einzelnen Abgeordneten ist ohne ein Mindestmaß an eigenständiger, abwägender Auseinandersetzung mit der Gesetzesvorlage und ihrer Begründung nicht möglich. Ungewissheit über den Regelungsgehalt eines Gesetzes und dessen Hintergründe verhindert eine eigenständige Gewissensbildung. Auch wenn der Inhalt des Gewissensbegriffes hier unscharf bleiben muss, so steht doch jedenfalls fest, dass mit Gewissen eine eingehende Auseinandersetzung gemeint ist. Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG setzt einen gewissenhaft abwägenden Abgeordneten voraus, der die Regierungsvorlagen sorgfältig prüft. Das freie Mandat impliziert die Verpflichtung zur gewissenhaften Mandatsausübung16. Die Gewissensbindung des Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG enthält einen Anhaltspunkt dafür, was den besonderen Wert des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens nach Vorstellung des Grundgesetzgebers ausmachen soll. Im parlamentarischen Verfahren sollen sich die Abgeordneten mit den Gesetzesvorlagen eingehend auseinandersetzen und diese intensiv prüfen. Dies soll die Qualität der Gesetzgebung fördern und die Legitimation des Gesetzes stärken.

14

Vgl. Magiera, in: Sachs, GG, Art. 38 Rdnr. 46 ff. Vgl. Trute, in: v. Münch/Kunig, GG Bd. 2, Art. 38 Rdnr. 88. 16 Vgl. BVerfGE 102, 224 (238 f.): Das Bundesverfassungsgericht sieht im freien Mandat auch einen „Zwang zur Rechtfertigung“. Das freie Mandat beinhaltet demnach nicht nur Rechte, sondern auch die Verpflichtung zur eigenen Überzeugungsbildung. Vgl. auch: § 13 Abs. 1 GO BT; Cremer, Anwendungsorientierte Verfassungsauslegung, S. 467. 15

A. Funktion des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens

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2. Vertreter des ganzen Volkes und gemeinwohlbezogene Abwägung Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG bezeichnet den Abgeordneten als Vertreter des ganzen Volkes. Dies bedeutet, dass der Abgeordnete nicht nur das Interesse einer ganz bestimmten Klientel zu berücksichtigen hat, vielmehr muss er die Interessen der Allgemeinheit, also insbesondere auch die nicht oder weniger organisierten Gemeinwohlbelange bei seiner Entscheidungsfindung berücksichtigen17. Das Grundgesetz zeichnet das Bild eines unabhängigen, eigenständig abwägenden Abgeordneten, der die divergierenden Belange und Interessen umfassend in seine Abwägung einbezieht und dadurch zum Repräsentant des ganzen Volkes wird18. Die auf das gesamte Volk bezogene Abwägung soll die unterschiedlichsten Interessen und Gemeinwohlbelange der Gesellschaft integrieren19. Auch diese Vorstellung vom Abgeordneten als integrierende Persönlichkeit verdeutlicht den besonderen legitimatorischen Wert, der dem parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren zukommt. 3. Abwägung durch Diskurs im Bundestag Die besondere Qualität des Gesetzgebungsverfahrens wird jedoch nicht nur am Status des einzelnen Abgeordneten als einem für sich umfassend abwägenden Entscheidungsträger deutlich, sondern vor allem auch an der vom Grundgesetz vorgesehenen Interaktion der Abgeordneten untereinander und nach außen gegenüber Öffentlichkeit. Art. 76 Abs. 3 Satz 6 GG spricht von der Beratung eines Gesetzes. Eine „Beratung“ liegt nur dann vor, wenn die Abgeordneten die unterschiedlichen Aspekte eines Gesetzes untereinander austauschen und erörtern20. Hier wird der diskursive Charakter des Gesetzgebungsverfahrens deutlich erkennbar. Das parlamentarische Verfahren soll die Meinungsvielfalt der Gesellschaft in den Gesetzgebungsprozess einbringen, indem das Parlament diese 17 Zur Gemeinwohlbezogenheit des freien Mandats: Stern, Diskussionsbeitrag, Staatsrechtslehrertagung 1982, S. 144. 18 Vgl. Papier, VM 2003, 116 (121). 19 Zur Integrations- und Abwägungsfunktion des Gesetzgebungsverfahrens: Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdnr. 4, 6 f., 17, 506, 511; Birk, NJW 1977, 1797 (1797). 20 Vgl. Lücke, ZG 2001, 1 (26): „Von einem Beraten mit dem Ziel späterer Beschlussfassung kann nur gesprochen werden, wenn man sich mit dem Entscheidungsgegenstand ernsthaft vertraut macht.“ Siehe auch Sannwald, in: SchmidtBleibtreu/Klein, GG, Art. 76 Rdnr. 18, der darauf hinweist, dass Art. 76 Abs. 3 Satz 6 GG nach seinem materiellen Inhalt auch für Vorlagen gilt, die nicht vom Bundesrat eingebracht worden sind.

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5. Teil: Die Umsetzungsphase

Meinungsvielfalt repräsentiert und Meinungs- und Interessenkämpfe stellvertretend für die Gesellschaft austrägt. Das Parlament zeichnet sich anders als die mit Fachleuten ausgestattete Exekutive weniger durch Fachwissen, als vielmehr durch eine breite Repräsentanz unterschiedlichster gesellschaftlicher Interessen aus21. In Art. 42 Abs. 1 GG heißt es, dass der Bundestag öffentlich verhandelt. „Verhandeln“ meint einen aus Rede und Gegenrede bestehenden Diskurs22. Während Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG von einem Abgeordneten ausgeht, der für sich die unterschiedlichsten Belange gewissenhaft und umfassend abwägt, liegt dem Art. 42 Abs. 1 GG und dem Art. 76 Abs. 3 Satz 6 GG die Vorstellung zu Grunde, dass die Abgeordneten untereinander kommunizieren und diskutieren23. Die Diskursivität des Gesetzgebungsverfahrens begründet eine gesteigerte integrative Kraft des Parlamentsgesetzes, die es rechtfertigt, dieses in der Normhierarchie über den Akten der anderen Gewalten anzusiedeln24. 4. Kritisch nachfragender Bundestag Das Idealbild des Abgeordneten wird auch im Verhältnis des Bundestages zur Bundesregierung deutlich. Dem Zitierrecht des Art. 43 Abs. 1 GG liegt die Vorstellung vom gegenüber der Bundesregierung kritisch nachfragenden Parlament zu Grunde. Der Bundestag kann nach Art. 43 Abs. 1 GG nicht nur die Anwesenheit jedes Mitglieds der Bundesregierung, sondern auch die Beantwortung von Fragen verlangen25. Art. 43 Abs. 1 GG stellt die verfassungsrechtliche Grundlage für einen Informationsanspruch des Parlaments gegenüber den Mitgliedern der Bundesregierung dar. Der Zweck dieses Informationsrechtes besteht darin, dass der Bundestag alle relevanten Belange erfährt und in seine gesetzgeberische Abwägung einstellen kann. Dadurch soll der Bundestag in die Lage versetzt werden, sich selbst ein eigenes Urteil von der Gesetzesvorlage der Regierung zu bilden. Das Grundgesetz verpflichtet die Bundesregierung gegenüber dem Bundestag, anders als in Art. 53 Satz 3 GG gegenüber dem Bundesrat, nicht zur fortlaufenden Information. Die Verfassung geht vielmehr davon aus, dass der Bundestag sich selbst auf dem Laufenden hält und bei unzureichender Information auf eigene Initiative bei der Regierung nachfragt. Auch wenn es 21

BVerfGE 33, 125 (159); 41, 29 (50 f.). BVerfGE 10, 4 (12 f.); 70, 324 (355). 23 Zum darin zum Ausdruck kommenden Verhandlungsprinzip: vgl. Troßmann, Parlamentsrecht, § 33 Rdnr. 5, § 80 Rdnr. 17.3. 24 Vgl. BVerfGE 40, 237 (249); Schreckenberger, Veränderungen, S. 133 (139). 25 Magiera, in: Sachs, GG, Art. 43 Rdnr. 6 m. w. N. 22

A. Funktion des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens

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in der parlamentarischen Praxis kaum zu Anfragen nach Art. 43 Abs. 1 GG kommt26, so prägt doch diese Vorschrift das grundgesetzliche Bild vom Parlament und von den Abgeordneten. Die Tatsache, dass Art. 43 Abs. 1 GG nicht als Minderheitsrecht ausgestaltet ist, zeigt, dass das Grundgesetz auch von kritischen Abgeordneten in den Reihen der Regierungsfraktionen ausgeht. Das Bild vom gegenüber der Regierung kritisch abwägenden Abgeordneten ist Bestandteil der grundgesetzlichen Vorstellungswelt von der legitimationsstiftenden Funktion des Gesetzgebungsverfahrens. 5. Ergebnis Der Sinn, Zweck und Wert des Gesetzgebungsverfahrens zeigt sich in einer substanziellen Abwägung der Abgeordneten jeweils für sich (Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG) und untereinander (Art. 42 Abs. 1 GG, Art. 76 Abs. 3 Satz 6 GG) sowie im Diskurs zwischen Parlament und Regierung (Art. 43 Abs. 1 GG)27. Dem Grundgesetz lässt sich das Bild des Abgeordneten entnehmen, der die divergierenden Interessen und Gemeinwohlbelange umfassend und eigenständig und in Auseinandersetzung mit den anderen Abgeordneten abwägt. Durch diesen Idealtypus des Abgeordneten soll das Gesetzgebungsverfahren seine besondere Qualität und die besondere legitimationsstiftende Kraft erhalten, die es rechtfertigt, das parlamentarische Gesetz in der Normenhierarchie höher anzusetzen als Akte der Exekutive und Judikative (Art. 20 Abs. 3 GG). Auch wenn die parlamentarische Realität des Gesetzgebungsverfahrens oftmals anders aussehen mag28, kann nicht negiert werden, dass der Grundgesetzgeber das skizzierte Idealbild des Gesetzgebungsverfahrens vor Augen hatte, als er die oben genannten Vorschriften normierte29. Neben der Unmittelbarkeit der Abgeordneten (Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG) und dem äußeren Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens (Art. 76 ff. GG) als formelle Legitimation des Gesetzes kommt es für den besonderen normhierarchischen Rang des Gesetzes auch auf dessen materielle Legitimation durch ein Gesetzgebungsverfahren an, in dem die Abgeordneten kritisch abwägend tätig werden30. 26

Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 43 Rdnr. 1. Vgl. Cremer, Anwendungsorientierte Verfassungsauslegung, S. 181 ff. 28 Vgl. Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 305 (314), der das Idealbild als von der Wirklichkeit überholt ansieht. 29 Im Ergebnis ebenso: Kloepfer, JZ 1984, 685 (687, 694). 30 In diesem Zusammenhang ist auf die Landesverfassungen der neuen Bundesländer hinzuweisen. Die diskursiv-abwägende Funktion des Parlaments kommt beispielsweise in der Verfassung des Freistaates Sachsen besonders deutlich zum Ausdruck: In Art. 39 Abs. 2 LV wird der Landtag nicht nur als formaler Gesetzgeber, 27

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5. Teil: Die Umsetzungsphase

B. Normativität der diskursiv-abwägenden Funktion Eine Beeinträchtigung der diskursiv-abwägenden Funktion des Gesetzgebungsverfahrens durch gesetzesvorbereitende Vereinbarungen könnte jedoch nur dann verfassungsrechtlich beanstandet werden, wenn diese Funktion nicht nur von der Verfassung vorausgesetzt, sondern von ihr auch geschützt würde. Dazu müsste die diskursiv-abwägende Funktion den Charakter einer der Verfassung subkutan zu Grunde liegenden Rechtsnorm haben. Hier stellt sich die Frage, inwieweit das skizzierte Idealbild des Gesetzgebungsverfahrens als verfassungsrechtliches Gebot angesehen werden kann. Es kommt darauf an, ob der diskursive Charakter des Gesetzgebungsverfahrens vom normativen Gewährleistungsgehalt des Grundgesetzes mitumfasst wird31.

I. These: Rein deskriptiver Charakter der Gesetzgebungszwecke Das Bundesverfassungsgericht hat die Sichtbarkeit, Verstehbarkeit und Diskursivität hoheitlicher Entscheidungsverfahren in Zusammenhang mit der Teilnahme Deutschlands an der dritten Stufe der Europäischen Währungsunion als „vorrechtliche Verfassungsvoraussetzung“ bezeichnet32. Das könnte dahingehend verstanden werden, dass das Grundgesetz zwar in den Art. 38 Abs. 1 Satz 2, 42 Abs. 1, 43 Abs. 1 GG und 76 Abs. 3 Satz 6 GG einen kritischen parlamentarischen Diskurs voraussetze, diesen jedoch nicht mit der Geltungskraft der Verfassung einfordere. Demnach würde für das ordnungsgemäße Zustandekommen eines Gesetzes ausreichen, wenn der Wortlaut der Art. 76 ff. GG formal eingehalten wird33. Die auf das gesamte Volk bezogene Gewissensentscheidung des Abgeordneten (Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG) und das Wort „verhandelt“ in Art. 42 Abs. 1 GG hätten demnach lediglich deskriptive Bedeutung, jedoch keinen normativen Gehalt. Art. 42 Abs. 1 Satz 1 GG würde nur für den Fall, dass sondern auch als „Stätte der politischen Willenbildung“ bezeichnet. Damit wird die materielle Dimension des parlamentarischen Verfahrens hervorgehoben (vgl. Storr, ZG 2000, 116 (122 f.)). 31 Vgl. zur ähnlichen Fragestellung, ob Grundrechtsvoraussetzungen normativ sind: Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. V, § 115 Rdnr. 115. 32 BVerfGE 97, 350 (369 f.). Zu beachten ist jedoch, dass sich diese Entscheidung weniger auf ein objektives, sondern vielmehr auf ein subjektives Recht auf Diskursivität bezieht. Zur Frage, ob es ein subjektiv-öffentliches Recht auf ein diskursiv-abwägendes Gesetzgebungsverfahren gibt: siehe unten 7. Teil A. 33 Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 305 (314 f.).

B. Normativität der diskursiv-abwägenden Funktion

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„verhandelt“ wird, die Öffentlichkeit der Verhandlung vorschreiben, nicht jedoch Verpflichtungen enthalten, inwieweit eine substanzielle Verhandlung, Erörterung und Abwägung stattfinden muss34. Ebenso würde Art. 76 Abs. 3 Satz 6 GG lediglich die Rechtzeitigkeit der Beratung, nicht jedoch eine Mindestsubstanz an Beratung normieren. Art. 43 Abs. 1 GG ist nach seinem Wortlaut als Informationsbeschaffungsrecht des Bundestages gegenüber der Bundesregierung formuliert. Daraus könnte man ableiten, dass den Bundestag gerade keine eigenständige Pflicht zur Informationsbeschaffung und folglich auch keine eigenständige Pflicht zur umfassenden Abwägung treffen würde, sofern das verabschiedete Gesetz nur im Ergebnis verfassungsgemäß sei. Zwar lebe Demokratie vom umfassend informierten und kritisch abwägenden Diskurs und habe diesen zur Grundlage. Diese Grundlage der Demokratie könne die Verfassung aber nicht selbst garantieren. Die Verfassung würde zwar den äußeren Rahmen für die Demokratie schaffen. Einen substanzreichen parlamentarischen Diskurs könne und wolle sie hingegen nicht gewährleisten35. Auch wenn der besondere normhierarchische Rang des Parlamentsgesetzes letztlich im parlamentarischen Diskurs seinen tieferen Grund und seine Rechtfertigung finden würde, knüpfe das Grundgesetz für den normhierarchischen Rang des Gesetzes eben nicht an einen schwer fassbaren Diskursbegriff, sondern an ein formalisiertes Verfahren an. Immer dann, wenn dieses Verfahren nach seinem äußeren Ablauf stattgefunden hat, müsse der besondere Wert und der daraus resultierende normhierarchische Rang eines Gesetzes unterstellt werden, weil jede materielle, auf den parlamentarischen Diskurs abstellende Betrachtungsweise zu erheblicher Rechtsunsicherheit führen würde. Demnach kommt der diskursiv-abwägenden Funktion des Gesetzgebungsverfahrens lediglich ein vorrechtlicher Status zu, mit der Folge, dass diese Funktion selbst noch keine Rechtsgeltung beanspruchen kann. Die diskursiv-abwägende Funktion würde lediglich das beschreiben, was die Verfassung idealerweise anstrebe, jedoch nicht rechtlich zu garantieren vermag36. Die Verfassung würde den Diskurs zwar voraussetzen, nicht aber mit der Geltungskraft des Verfassungsrechts normieren37. Nach dieser Auffassung stellt es kein verfassungsrechtliches Problem dar, wenn die diskursiv-abwä34

Vgl. BVerfGE 1, 144 (152). Vgl. Steiner, Diskussionsbeitrag, 60. Geburtstag Christian Starck, S. 49: „Es gibt keine verfassungsrechtlichen Mittel gegen die Selbstentwürdigung des Gesetzgebers, . . .“. 36 Vgl. Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 305 (314 ff.). 37 Vgl. Möllers, Staat als Argument, S. 256 ff. 35

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5. Teil: Die Umsetzungsphase

gende Funktion des Gesetzgebungsverfahrens durch faktisch bindende, gesetzesvorbereitende Vereinbarungen beeinträchtigt wird.

II. Antithese: Verfassungsrechtliches Gebot ausreichender Funktionserfüllung Im Gegensatz zur These vom rein deskriptiven Charakter der skizzierten diskursiv-abwägenden Gesetzgebungsfunktion könnte sich ein normativer Gehalt aus dem Demokratie-, Rechtsstaats- und Gewaltenteilungsprinzip ergeben. Diesen grundgesetzlichen Strukturprinzipien kommt trotz der eher deskriptiven Formulierung unbestritten eine normative Funktion zu38. Sollte sich die diskursiv-abwägende Funktion des Gesetzgebungsverfahrens auf die genannten Rechtsprinzipien zurückführen lassen, dann hätte sie an deren normativer Kraft Anteil. Eine Funktionsbeeinträchtigung durch gesetzesvorbereitende Vereinbarungen wäre dann nicht nur ein verfassungspolitisches Problem, sondern auch verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar. Aus den genannten Prinzipien könnten sich Anforderungen an das Gesetzgebungsverfahren ergeben, die über den Wortlaut der Art. 76 ff. GG hinausgehen und denen gerade bei gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen besondere Bedeutung zukommen könnte. Die genannten Strukturprinzipien könnten als übergreifende normative Tiefenschichten des Staatsorganisationsrechts fungieren und im Lichte der Saturierungskonzeption ein Mindestmaß an Funktionserfüllung des Gesetzgebungsverfahrens verfassungsrechtlich gebieten. 1. Erfahrbare Rückbindung zwischen Staatsorganen und Volk Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG besagt, dass alle Staatsgewalt vom Volk auszugehen hat. Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG fordert jedoch nicht nur regelmäßig wiederkehrende Wahlen, sondern ein effektives Legitimationsniveau ein39. Die Legitimationskette vom Volk zu den Staatsorganen darf dementsprechend nicht zum dünnen und spröden Faden werden. Der Gedanke einer vitalen Selbstbestimmung des Volkes fordert deshalb über den punktuellen Wahlakt hinaus einen permanenten Austausch und fortwährende Kommunikation zwischen den Staatsorganen und dem Staatsvolk. Dadurch wird das „Ausgehen von Staatsgewalt“ vom Volk konkret erfahrbar und praktisch wirksam40. Die notwendige Kommunikationsbeziehung zwischen Staatsorganen und Staatsvolk wird nicht nur durch Wahlen (Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG), son38 39 40

Stein, in: Denninger, GG Bd. 2, Art. 20 Abs. 1–3, III Rdnr. 24. BVerfGE 83, 60 (71 ff.); 93, 37 (66 ff.); BVerfG DVBl. 2003, 923 (924). BVerfG DVBl. 2003, 923 (926).

B. Normativität der diskursiv-abwägenden Funktion

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dern vor allem auch durch die öffentliche Verhandlung im Bundestag und den gesetzgeberischen Diskurs (Art. 42 Abs. 1 Satz 1 GG) hergestellt und erneuert. Die öffentlichen Informationen über den Gang des Gesetzgebungsverfahrens sind Grundlage der politischen Meinungsbildung des Bürgers und wichtiger Bestandteil einer lebendigen Demokratie41. Art. 42 Abs. 1 Satz 1 GG hat für das nach Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG erforderliche Legitimationsniveau insoweit besondere Bedeutung, als durch die öffentliche Verhandlung des Gesetzes die Grundlage für eine Kritik der Politik der Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen geschaffen wird, die sich dann in einer bestimmten Wahlentscheidung äußern kann42. Angesichts der zunehmenden Komplexität der Lebensverhältnisse muss zwar hingenommen werden, dass ein Großteil der parlamentarischen Arbeit in nichtöffentlichen Ausschusssitzungen stattfindet (vgl. Art. 42 Abs. 3, 43 GG)43. Deshalb ist für die öffentliche Debatte im Plenum eine Auswahl der wichtigsten und politisch bedeutsamsten Aspekte unausweichlich und ausreichend. Diese Auswahl steht im politischen Ermessen der Abgeordneten und ihrer Fraktionen. Dabei ist jedoch erforderlich, dass die relevanten Abwägungsmaterialien eines Gesetzgebungsvorhabens umfassend in das parlamentarische Verfahren einbezogen werden, damit die Abgeordneten auf dieser Grundlage eine sachgerechte Auswahlentscheidung der öffentlich zu debattierenden Belange treffen können. Aufgrund einer unzureichenden Tatsachenbasis kann kein substanzielles Gesetzgebungsverfahren durchgeführt werden. Demokratie erschöpft sich demnach nicht in periodischen Wahlen, sondern ist ein Prozess von Kritik und Zustimmung44. Zur Demokratie gehört nicht nur die Entscheidung durch die Mehrheit, sondern auch die Rechtfertigung dieser Entscheidung vor dem ganzen Volke und vor der parlamentarischen Opposition durch substanzielles Gesetzgebungsverfahren und öffentliche Verhandlung des Gesetzes45. Der abwägende Diskurszweck des Gesetzgebungsverfahrens wurzelt im Demokratieprinzip und empfängt von diesem die Geltungskraft einer Rechtsnorm. Zwar fordert das Demokratieprinzip keine optimale Abwägung und keinen optimalen öffentlichen Diskurs von Gesetzen ein. Das Idealbild eines diskursiv-abwägenden Gesetzgebers hat nicht in vollem Umfang verfassungsrechtliche Geltungskraft. Dennoch muss der abwägend-diskursive Charakter des Gesetzgebungsverfahrens 41

Vgl. BVerfGE 89, 155 (185). Vgl. BVerfGE 40, 296 (297); 44, 125 (139 f.); 70, 324 (355); 84, 304 (329); 101, 297 (306 f.); Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 175, 188, 190, 197. 43 BVerfGE 44, 308 (317, 319). 44 Bohne, Der informale Rechtsstaat, S. 213. 45 BVerfGE 5, 85 (198). 42

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5. Teil: Die Umsetzungsphase

nach der Saturierungskonzeption zu einem gewissen Mindestmaß als verfassungsrechtliches Gebot angesehen werden46. Indem das Grundgesetz neben den Vorschriften über die Wahlen und das Gesetzgebungsverfahren das Staatsstrukturprinzip Demokratie explizit normiert hat, macht es deutlich, dass allein der formale Ablauf des Wahl- und Gesetzgebungsverfahrens nicht genügt. Vielmehr beinhaltet das Demokratieprinzip ein Gebot effektiver Funktionserfüllung des Gesetzgebungsverfahrens. Zur verfassungsrechtlich gebotenen Funktionserfüllung des Gesetzgebungsverfahrens gehört eine im Mindestmaß erfahrbare Rückbindung der Gesetzgebung zum Volk im öffentlichen Diskurs. Demnach ist es nicht ausreichend, dass der formale Ablauf des Umsetzungsgesetzgebungsverfahrens bei ausgehandelten Gesetzen dem Wortlaut der Art. 76 ff. GG entspricht. Vielmehr kommt es darauf an, dass das Gesetzgebungsverfahren seine diskursiv-abwägende Funktion wirksam erfüllt. 2. Effektiver Grundrechtsschutz durch Gesetzgebungsverfahren Der im Rechtsstaatsprinzip verwurzelte Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes fordert, dass jedenfalls bei Grundrechtseingriffen eine parlamentsgesetzliche Eingriffsermächtigung vorliegt. Dabei wird davon ausgegangen, dass das Parlamentsgesetz einen besonders freiheitsschützenden Charakter hat47. Das führt zu der Frage, worin dieser spezifische Freiheitsschutz gerade des Parlamentsgesetzes liegen soll. Allein die idealtypischerweise abstrakt-generelle Natur von Gesetzen kann eine für Parlamentsgesetze spezifische Freiheitssicherungsfunktion nicht überzeugend begründen. Abstraktgenerelle Normen müssen nicht unbedingt Parlamentsgesetze sein. Sie sind beispielsweise auch in Form von Rechtsverordnungen denkbar48. Eine gerade für das Parlamentsgesetz spezifische Freiheitssicherungsfunktion muss sich deshalb aus dem parlamentarischen Verfahren ergeben, in dem Parlamentsgesetze im Unterschied zu anderen abstrakt-generellen Normen beschlossen werden. Der spezifische Freiheitssicherungszweck des Gesetzgebungsverfahrens wird nicht schon dadurch erreicht, dass allein der Wortlaut der Art. 76 ff. GG befolgt wird. Die für das Parlamentsgesetz eigentümliche Freiheitssicherungsfunktion ergibt sich auch nicht nur aus dem Gesetzestext als Ergebnis des Gesetzgebungsverfahrens. Vielmehr findet Freiheitssicherung vor allem dadurch statt, dass die divergierenden verfassungsrechtlich rele46

Vgl. Zeh, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. II, 2. Aufl., § 43 Rdnr. 28. Zur Freiheitssicherungsfunktion des Gesetzesvorbehalts: Bethge, Der Grundrechtseingriff, S. 7 (46); Schulze-Fielitz, Der informale Verfassungsstaat, S. 141 f. 48 Vgl. Kloepfer, JZ 1984, 685 (692 ff.). 47

B. Normativität der diskursiv-abwägenden Funktion

425

vanten Belange und politischen Zwecke im Gesetzgebungsverfahren auf breiter Basis erörtert und abgewogen werden. Im Gesetzgebungsdiskurs werden die Belange der Freiheit des Individuums und die Anforderungen der Gemeinwohls einander gegenübergestellt und von Abgeordneten unterschiedlicher gesellschaftlicher Provenienz bewertet. Das Gesetzgebungsverfahren als solches und nicht nur das Gesetz als Ergebnis dieses Verfahrens bringen die Freiheitssicherungsfunktion zur Geltung49. Das Gesetzgebungsverfahren kann diese freiheitssichernde Funktion jedoch nur dann erfüllen, wenn sein diskursiv-abwägendes Potential wenigstens zu einem Mindestmaß tatsächlich zur Entfaltung kommt. Dies ist vor allem dann keine Selbstverständlichkeit, wenn das Gesetz bereits im Vorfeld des Gesetzgebungsverfahrens in einem faktisch nicht abänderbaren Gesamtpaket ausgehandelt wurde. Um die Erfüllung der Freiheitssicherungsfunktion des Gesetzgebungsverfahrens bei vorab ausgehandelten Gesetzen zu gewährleisten, muss der diskursiv-abwägende Charakter des Gesetzgebungsverfahrens zu einem Mindestmaß verfassungsrechtlich eingefordert werden. Das Rechtsstaatsprinzip gebietet eine im Mindestmaß diskursivabwägende Gesetzgebung, damit der freiheitsschützende Charakter des Gesetzgebungsverfahrens ausreichend wirksam wird. Nach der Mühlheim-Kärlich-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bedarf es für einen effektiven Grundrechtsschutz auch eines entsprechenden Verfahrens. Das Gericht bezieht sich damit zwar lediglich auf das Verwaltungsverfahren50. Der grundrechtsschützende Charakter des Verwaltungsverfahrens werde daran deutlich, dass unterschiedliche Fachbehörden Stellung nehmen können und dass die Bürger die Möglichkeit haben, Einwendungen vorzubringen. Die Behörde muss dann die verschiedenen Stellungnahmen und Einwendungen bei ihrer Entscheidung berücksichtigen. Dabei wird der Gedanke des Grundrechtsschutzes durch eines diskursivabwägendes Verfahren erkennbar. Dieser Gedanke des effektiven Grundrechtsschutzes durch ein substanziiert abwägendes Verfahren muss jedoch auch für das parlamentarische Verfahren gelten, wenn der Schutz der Grundrechte als Aufgabe des Parlaments überzeugend begründet werden soll.

3. Gewaltenteilung: Minimum eigenständiger Willensbildung Nach Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG wird die Staatsgewalt durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt. Wie bereits dargelegt, ist es der Bundesregierung aber verfassungsrechtlich grundsätzlich nicht untersagt, politischen Druck auf die 49

Vgl. zur gesetzgeberischen Abwägung als Mittel der rechtsstaatlichen Freiheitssicherung: BVerfGE 17, 306 (314). 50 BVerfGE 53, 30 (65); 77, 381 (406); 78, 290 (303); BVerfG NJW 2003, 1787 (1793).

426

5. Teil: Die Umsetzungsphase

Abgeordneten über die Partei- oder Fraktionsschiene auszuüben und Solidarität von diesen einzufordern51. Die Solidarität der Regierungsfraktionen mit der Regierung ist Voraussetzung für die vom Grundgesetz gewollten stabilen Regierungsverhältnisse. Damit verbunden ist jedoch das Problem, dass die Gewaltendifferenzierung durch die parteipolitische Verflechtung nicht völlig eingeebnet wird. Auch wenn beispielsweise die Art. 63, 67, 68, 76 Abs. 1 GG eine Gewaltenverschränkung erkennen lassen, so darf diese Verschränkung doch nicht so weit gehen, dass die Gewaltenteilung durch die parteipolitische Verflechtung weitestgehend wirkungslos würde52. Das in den Art. 38 Abs. 1 Satz 2, 42 Abs. 1, 43 Abs. 1 und 76 Abs. 2 Satz 6 GG zum Ausdruck kommende kritisch abwägende Gesetzgebungsverfahren ist notwendig, um das Spannungsverhältnis zwischen Parlament und Regierung und ein Mindestmaß an real wirksamer Gewaltenteilung zu sichern. Wenn es aus den im Rahmen der Verfassungsorgantreue erörterten Gründen ausscheidet, der Bundesregierung die Ausübung von politischem Druck auf den Bundestag zu verbieten, um die Eigenständigkeit der Gewalten zu sichern, so muss zur Aufrechterhaltung einer effektiven Gewaltenteilung von einer verfassungsrechtlichen Verpflichtung des Bundestages ausgegangen werden, die Vorschläge der mit Privaten kooperierenden Bundesregierung kritisch abzuwägen, um dadurch ein in gewissem Maße eigenständiges Gegengewicht zur Bundesregierung zu bilden. Der Grundsatz der Organtreue verpflichtet die Organe, aufeinander Rücksicht zu nehmen und gegenseitig Hilfe zu leisten, damit jedes Organ seiner eigenen Organverantwortung gerecht werden kann. Die Organtreue unterstützt jedoch lediglich subsidiär die eigenständige Wahrnehmung der Organverantwortung. Erst dann, wenn die Organeigenverantwortung vom verantwortlichen Organ nicht alleine wahrgenommen werden kann, sind die anderen Organe nach ihren Kräften zur Unterstützung des zuständigen Organs verpflichtet53. Wegen der Subsidiarität der Organtreue gegenüber der Organeigenverantwortung ist das Gleichgewicht unter den Gewalten weniger durch interorganschaftliche Rücksichtnahmepflichten, sondern vor allem durch ein Gebot der eigenständigen und kritischen Willensbildung im jeweiligen Organ zu erreichen54. Es kommt mithin darauf an, die funktionsspezifische Eigenenergie der unterschiedlichen Gewalten zu aktivieren, damit Ge51

Siehe oben 4. Teil B. I. 5. e) aa) (1) (b). Vgl. Herzog, Strukturmängel, S. 18, der auf die Notwendigkeit eines „natürlichen“ Spannungsverhältnisses zwischen den Gewalten hinweist. 53 Zur Subsidiarität der Organtreue: siehe oben 4. Teil B. I. 5. e) bb) (1) (c). 54 A. A. Schorkopf, NVwZ 2002, 1111 (1113); Rosenthal, Ausarbeitung, S. 3, 8 f.; vgl. auch: Pasemann/Baufeld, ZRP 2002, 119 (122); Michael, Rechtsetzende Gewalt, S. 640 ff. 52

B. Normativität der diskursiv-abwägenden Funktion

427

waltenteilung real wird. Somit verleiht auch der Gewaltenteilungsgrundsatz der diskursiv-abwägenden Funktion des Gesetzgebungsverfahrens den Rang eines Verfassungsgebots, soweit dieses ein Minimum an Abwägung, Diskursivität und eigenständiger Willensbildung im Bundestag fordert.

III. Ergebnis Die Abwägungs-, Diskurs- und Integrationsfunktion des Gesetzgebungsverfahrens ist Ausfluss des Demokratie-, Rechtsstaats- und Gewaltenteilungsprinzips. Diese Prinzipien fordern, dass die am Idealbild entwickelte Funktion des Gesetzgebungsverfahrens zu einem Mindestmaß tatsächlich erfüllt wird. Die Abwägungs-, Diskurs- und Integrationsfunktion als Ausfluss normativer Strukturprinzipien des Grundgesetzes weist einen normativen Mindestgehalt auf. Die Verfassung setzt den abwägenden Diskurs nicht nur voraus, sie schreibt dem Bundestag auch ein Mindestmaß an abwägendem Gesetzgebungsdiskurs vor55. Eine lediglich formale Beachtung des Wortlauts der Art. 76 ff. GG verträgt sich nicht mit der expliziten Normierung der genannten Staatsstrukturprinzipien im Grundgesetz. Demokratieprinzip, Rechtsstaats- und Gewaltenteilungsprinzip sind Garanten einer in Hinblick auf die Gesetzgebungsfunktionen effektiven Gesetzgebung. Sie wirken einer blutleeren „Gesetzgebung nach Vorschrift“ entgegen. Wäre lediglich eine formale Befolgung der Art. 76 ff. GG ausreichend, so könnte man auf die genannten Verfassungsprinzipien jedenfalls in Bezug auf die Gesetzgebung verzichten. Allein das Normgerüst der Art. 76 ff. GG wäre ausreichend. Demgegenüber bezwecken die in Art. 20 GG normierten Staatsstrukturprinzipien der Demokratie, der Rechtstaatlichkeit und der Gewaltenteilung, das Normgerüst der Art. 76 ff. GG zu vitalisieren und zu materialisieren. Der Gesetzgeber darf sich nicht nur auf die von anderen vorgenommenen Abwägungen verlassen. Vielmehr kommt es darauf an, dass der Bundestag die Abwägung als eigene Aufgabe begreift56. Notwendig ist eine Parlamentarisierung des parlamentarischen Verfahrens zur Vermeidung parlamentsloser Parlamentsgesetze57. Das parlamentarische Verfahren muss demnach eine diskursive Mindestsubstanz erkennen lassen. Die wesentlichen Aspekte 55 Vgl. Mengel, Gesetzgebung und Verfahren, S. 334 ff; Kischel, Die Begründung, S. 302, der die Rechenschaftslegung im politischen Prozess für verfassungsrechtlich geboten hält. Demgegenüber wird hier auf die Rechenschaftslegung im gesetzgeberischen Diskurs abgestellt. 56 Vgl. BVerfGE 98, 265 (314 f.). 57 Zum parlamentslosen Parlamentsgesetz: Quaritsch, Das parlamentslose Parlamentsgesetz, S. 7 ff., 58 f.; vgl. ferner BVerfGE 47, 285 (315 f.).

428

5. Teil: Die Umsetzungsphase

einer Regelung müssen im gesetzgeberischen Diskurs erkennbar zur Sprache kommen58. Damit wird nicht abgehobene Parlamentsromantik betrieben und ein unrealistisches Ideal zur Handlungsmaxime überhöht. Vielmehr geht es lediglich darum, das Gesetzgebungsverfahren wieder ein Stück weit dem Idealbild anzunähern, das den Mitgliedern des parlamentarischen Rates vorschwebte. Auch diese wussten sehr wohl, dass zwischen Ideal und Wirklichkeit oftmals eine erhebliche Divergenz besteht. Dennoch hatten sie den Mut, in den genannten Bestimmungen des Grundgesetzes normative Ausrufungszeichen gegen eine allzu starke Entparlamentarisierung zu setzen59. Ein verfassungsrechtliches Gebot der diskursiven Mindestsubstanz des Gesetzgebungsverfahrens entspricht den Vorstellungen des Parlamentarischen Rates und dem Geist des Grundgesetzes.

C. Bedeutung der Funktion des Gesetzgebungsverfahrens bei gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen und deren Beeinträchtigung Die exklusive Beteiligung einiger weniger Interessenvertreter an der Vorbereitung von Gesetzen löst desintegrierende Effekte bei den Zaungästen der Kooperation aus. Das Umsetzungsgesetzgebungsverfahren hätte insoweit die Aufgabe, die Interessen der nicht Beteiligten durch eine umfassende Abwägung nachträglich einzubeziehen. Demgegenüber führen die faktischen Vorabbindungen dazu, dass das Gesetzgebungsverfahren dieser gesteigerten Integrationsaufgabe nicht mehr gerecht werden kann.

I. Desintegrierende Effekte exklusiver Partizipation Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen können zwar als Mittel der Einbeziehung und Integration Privater verstanden werden. Insoweit kommt ihnen nach dem kooperativen Demokratiemodell sogar eine demokratische Qualität zu60. Die informelle gesetzesvorbereitende Integration unterscheidet sich jedoch vom im Grundgesetz durch Wahlen und Gesetzgebungsverfahren 58 Zum Zusammenhang zur Wesentlichkeitstheorie: siehe Papier, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31.1.2003, S. 8. 59 Siehe den Redebeitrag des Abgeordneten Süsterhenn in der Plenarsitzung des Parlamentarischen Rates vom 20. Oktober 1948, der spontane Beifallszurufe auslöste (Parlamentarischer Rat, Sten. Ber. 6. Sitzung, 20.10.1948, S. 71 f., abgedruckt bei: Cremer, Anwendungsorientierte Verfassungsauslegung, S. 427). 60 Siehe oben 4. Teil B. I. 1. a) bb), e) bb) (2).

C. Gesetzgebungsverfahren und gesetzesvorbereitende Vereinbarungen

429

normierten Integrationsmechanismus dadurch, dass die Auswahl der einzubeziehenden Personen nach keinerlei Regeln erfolgt. An Wahlen und am Gesetzgebungsverfahren dürfen nur diejenigen teilnehmen, die hierzu nach dem Grundgesetz berechtigt sind. Die besondere Einbeziehung Einzelner an der Vorbereitung von Gesetzen erfolgt demgegenüber eher „freihändig“. Eine oligarchisierende Kooperation ohne allgemein anerkannte Regeln über die Frage, wer in welcher Weise besonders beteiligt werden soll, kann sich gesamtgesellschaftlich als wenig konsensstiftend erweisen, ja sogar polarisierend wirken, weil sich einzelne Gruppen im Gegensatz zu anderen ohne jede normative Grundlage ausgeschlossen fühlen61. Hierdurch können Widerstände ausgeschlossener Personen aufgebaut oder verstärkt werden62. Informelle Kooperation birgt insoweit die Gefahr der Desintegration in sich.

II. Gesteigerte Integrationsverantwortung Diese Ausgrenzungseffekte extrakonstitutioneller Partizipation im Vorfeld des Gesetzgebungsverfahrens müsste das Parlament im Umsetzungsgesetzgebungsverfahren diskursiv abwägend auffangen. Das Demokratieprinzip gebietet die Integration des ganzen Volkes in den Prozess der Entstehung und Erneuerung von Staatsgewalt. Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen verstärken die von Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG geforderte gesamtgesellschaftliche Integrationsaufgabe des Parlaments. Gerade dann, wenn einzelne Interessenvertreter in die Gesetzesvorbereitung besonders einbezogen und gesetzesvorbereitende Vereinbarungen getroffen wurden, kommt einer umfassenden, auf das gesamte Volk bezogenen Abwägung im nachfolgenden Gesetzgebungsverfahren besondere Bedeutung zu, damit die gewünschte gesellschaftliche Akzeptanz wirklich erreicht wird63. Der selektiven Kooperation im Vorfeld des Gesetzgebungsgebungsverfahrens korrespondiert eine gesteigerte Integrationsverantwortung im parlamentarischen Verfahren.

61 Zur Integrationsleistung von Vereinbarungen: vgl. Friauf, AöR 88 (1963), 257 (288, 309 ff., 312). Friauf erachtet eine Beteiligung Einzelner außerhalb der normativen Ordnung jedoch als „zerstörend“ (S. 313). 62 Vgl. Schulze-Fielitz, Der politische Kompromiß, S. 310: „Der durch die Ungleichheit der Beteiligten verzerrte, einseitige Kompromiß ist zugleich der Keim für neue Auseinandersetzungen; . . .“ 63 Vgl. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 59 Rdnr. 45, 50.

430

5. Teil: Die Umsetzungsphase

III. Beeinträchtigung der Integration durch faktische Vorabbindung Hat die Bundesregierung in einer mit Privaten ausgehandelten Vereinbarung versprochen, ein bestimmtes Gesetz in den Bundestag einzubringen, so muss sie um des politischen Erfolges willen alles versuchen, die vollständige parlamentarische Umsetzung der Vereinbarung zu erreichen, da ansonsten der Konsens mit den Privaten zu zerbrechen und ein Verlust der eigenen Glaubwürdigkeit droht. Deshalb wird die Bundesregierung auf das Parlament einwirken, um eine gesetzliche Umsetzung der Vereinbarung möglichst ohne Änderungen durchzusetzen. Hierzu wird die Regierung notfalls über die Partei- bzw. Fraktionsschiene Druck auf die Abgeordneten ausüben. Je stärker sich die Bundesregierung durch gesetzesvorbereitendes Bargaining faktisch an die Interessen von Privaten bindet, desto mehr wird die auf das gesamte Volk bezogene, integrative Abwägung im Bundestag als funktionsspezifische Aufgabe des Parlaments beeinträchtigt. Der sachbezogene und erkenntnisoffene Diskurs im Parlament wird verkürzt, weil das ausgehandelte Paket kaum mehr geändert werden kann. Die parteipolitischen Verflechtungen zwischen Regierung und Parlamentsmehrheit transformieren die faktische Bindung der Bundesregierung auf das Parlament, so dass nicht nur die Bundesregierung an die Vereinbarung mit den Privaten faktisch gebunden ist, sondern auch die Offenheit und Diskursivität des parlamentarischen Verfahrens in besonderem Maße gemindert wird. Zwar kommt einer umfassenden parlamentarischen Abwägung gerade bei den Gesetzen, die mit Privaten ausgehandelt wurden, eine gesteigerte Bedeutung zu. Wegen der faktischen Bindungen der gesetzesvorbereitenden Vereinbarung besteht indessen die Gefahr, dass das Gesetzgebungsverfahren zur Umsetzung der Vereinbarung zur bloßen Durchlaufstation verkümmert und damit seiner besonderen Integrationsaufgabe nicht gerecht wird64.

IV. Atomausstieg Beim Atomausstieg nahm der Verhandlungsprozess mit den größten Energieversorgern einen Zeitraum von über zwei Jahren ein65. Die parlamentarische Erörte64

Vgl. Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 305 (315), der eine Entwertung des Bundestagsplenums und der Bundestagsausschüsse konstatiert. Vgl. auch: Pietzcker, Verfahrensprivatisierung, S. 284 (306); Schulze-Fielitz, Der informale Verfassungsstaat, S. 134 ff.; zur desintegrierenden Wirkung von Gesetzgebungsverfahren, die ihre diskursiv-abwägende Funktion nicht erfüllen: vgl. Schenke, Verfassungsorgantreue, S. 32, 112 ff. 65 Roßnagel, Die geordnete Beendigung, S. 11, spricht von einem „zweijährigen Feilschen um Details“.

C. Gesetzgebungsverfahren und gesetzesvorbereitende Vereinbarungen

431

rung der Gesetzesvorlage war hingegen auf wenige Tage reduziert. Der Umweltausschuss erörterte die Atomgesetznovelle in der Expertenanhörung vom 5.11.200166. Diese Expertenanhörung war Gegenstand einer einzigen Ausschusssitzung am 12. Dezember 200167. Die besonders lange Phase der Verhandlungen über das Gesetz mit den Energieversorgern macht deutlich, warum der Zeitrahmen für das eigentliche Gesetzgebungsverfahren so knapp bemessen war. Der Atomausstieg sollte noch frühzeitig vor den Wahlen in Kraft treten. Angesichts der langwierigen gesetzesvorbereitenden Verhandlungen mit den Energieversorgern musste das parlamentarische Verfahren aus politischer Sicht gerafft werden, um den politischen Fahrplan einzuhalten68. Im Gegensatz zu den mehrjährigen gesetzesvorbereitenden Verhandlungen blieben für das eigentliche Gesetzgebungsverfahren nur wenige Tage übrig. Die Ausschussberatungen waren von erheblichem Zeitdruck geprägt. Dies wird insbesondere in der Stellungnahme des Sachverständigen Denninger im Rahmen der Anhörung des Umweltausschusses deutlich: „Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf diejenigen Fragen, zu deren Beantwortung ich mich als Verfassungsrechtler kompetent fühle. Auch insoweit ist mir eine sinnvolle Beantwortung nur deshalb möglich, weil ich mich mit den Problemen des Atomausstieges seit 2 ½ Jahren gutachterlich . . . intensiv befasst habe. Die Kürze der für die schriftliche Beantwortung der Katalogfragen zur Verfügung stehenden Zeit ist angesichts eines Kataloges, der allein im Teil a) 42 z. T. sehr komplexe und schwierige Fragen umfasst, vollkommen unangemessen“69. Die Verhandlungen im Deutschen Bundestag standen von Anfang an unter der Prämisse, dass den Abgeordneten der Regierungsfraktion der Konsens mit den beteiligten Energieversorgungsunternehmen wichtiger ist als Änderungen der Gesetzesvorlage70. In seiner gemeinsam mit dem Umsetzungsgesetz verabschiedeten Entschließung bekundet der Bundestag zwar ostentativ, dass er alle Fragen sorgfältig geprüft hätte71, 72. Der federführende Umweltausschuss hat in seiner Sitzung vom 12. Dezember 2001 die in der Expertenanhörung vorgeschlagenen Änderungen jedoch nicht im Einzelnen geprüft, sondern auf einen Aufruf der Einzelbestimmungen gerade verzichtet73. Das Protokoll der Sitzung des Umweltausschusses lässt keiner66

A.-Sten. Prot. 14/69 (Umweltausschuss). BT-Drs. 14/7825. 68 Zum Zusammenhang zwischen ausführlichen gesetzesvorbereitenden Verhandlungen mit Privaten und geraffter parlamentarischer Behandlung in den Ausschüssen: vgl. Damaschke, Der Einfluss der Verbände, S. 120 ff. 69 Denninger in A.-Drs. 14/626 Teil 2** (Umweltausschuss), S. 2; Eile im Gesetzgebungsverfahren vermag jedoch für sich genommen noch nicht die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes zu begründen (BVerfGE 29, 221 (233)). Die Eile kann aber ein gewisses Indiz für eine mangelhafte Abwägung des Gesetzgebers darstellen, das allerdings von anderen Indizien bestätigt werden muss. Zum Charakter von Expertenanhörungen als bloße „Alibiveranstaltungen“: Ossenbühl, in: Isensee/ Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 63 Rdnr. 37. 70 Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 305 (317). 71 BT-Drs. 14/7840, S. 2, 4. 72 Zur Selbstbestätigung eigener Sorgfalt durch Abwägungsfloskeln: vgl. Leisner, Der Abwägungsstaat, S. 125 ff. 67

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5. Teil: Die Umsetzungsphase

lei Diskussion über die zahlreichen Änderungsvorschläge erkennen, die in der Expertenanhörung gemacht worden sind74. Der Ausschussbericht enthält ebenfalls keinerlei Auseinandersetzung mit diesen Änderungsvorschlägen. Die SPD-Fraktion wiederholte im Ausschussbericht die Grundzüge der Begründung der Gesetzesvorlage und begnügte sich dann mit dem lapidaren Hinweis, dass sie die Vorlage für einen „vernünftigen Kompromiss“ halte75. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen begründete ihre Position im Ausschussbericht damit, dass man schon immer eine andere Position vertreten habe als die Oppositionsfraktionen76. Ein Hinweis, dass man schon immer gegen Atomenergienutzung gewesen sei oder die Erklärung, dass die gesetzesvorbereitende Vereinbarung ein vernünftiger Kompromiss sei, kann eine sachbezogene Abwägung der jeweiligen Gesetzesvorlage im konkreten Gesetzgebungsverfahren jedoch nicht ersetzen. Ausreichend substanziierte Erörterungen fanden auch nicht im Plenum statt77. Der knappen Beratungszeit und den gerafften Beratungen im Ausschuss entsprechend führte keiner der in der Expertenanhörung gemachten Änderungsvorschläge zu Änderungen der Gesetzesvorlage78. Die Abgeordneten fühlten sich in starkem Maße an die Vereinbarung vom 14. Juni 2000 gebunden. Dies wird auch dadurch deutlich, dass der Abgeordnete Kubatschka es als notwendig erachtete, in der Anhörung des Umweltausschusses bei dem Vertreter der Energieversorgungsunternehmen nachzufragen, ob die von ihm gewünschten Änderungen gegen die Vereinbarung verstoßen würden: „Ich hätte das (eine Befristung der Nutzung der standortnahen Zwischenlager) gerne im Gesetz . . . An Sie, Herr Hennenhöfer, . . .: Würden Sie darin einen Verstoß gegen den Konsens sehen?“ Offenbar handelten die Abgeordneten in dem Bewusstsein, nur das erwägen zu dürfen, was nicht gegen die gesetzesvorbereitende Vereinbarung verstößt79. Die Bindungen, denen die Regierungsfraktionen unterlagen, werden auch an den Äußerungen des Abgeordneten Müller, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD, deutlich: „Es gibt keinen Zweifel, dass die Koalitionsfraktionen es sehr viel lieber sehr viel schneller gehabt hätten . . . Trotzdem handelt es sich vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung mit einer Branche . . . um einen großen Kraftakt. Auf den Erfolg im Kraftakt können wir somit stolz sein.“80 Die SPD-Fraktion war offen73

BT-Drs. 14/7825, S. 5. A.-Sten. Prot. 14/72 (Umweltausschuss), S. 9, 13. Zu den einzelnen Änderungsvorschlägen: siehe oben 1. Teil A. I. 1. 75 BT-Drs. 14/7825, S. 5. 76 BT-Drs. 14/7825, S. 6. 77 Siehe die Protokolle der Verhandlungen im Plenum: BT-Sten. Prot. 14/111, S. 10423 ff.; 14/190, S. 18567; 14/209, S. 20706 ff. 78 BR-Drs. 7/02. 79 Vgl. Sendler, Überlegungen, S. 185 (187): „Wie weit die Anmaßungen dieser Küchentopfstrategie gehen (Anm. vom Verfasser: gemeint ist hier die Kooperation des Staates mit Wirtschaftsunternehmen), kann man daran erkennen, dass von Seiten der Energieversorgungsunternehmen gefordert worden sein soll, Vorschriften im Entwurf nur deswegen zu streichen, weil sie in der Vereinbarung nicht ausdrücklich vorgesehen sind, ohne dass gegen die Vorschriften in der Sache etwas einzuwenden wäre. Das sieht so aus, als dürfte der Gesetzgeber nur tun, was die Industrie erlaubt.“ 74

C. Gesetzgebungsverfahren und gesetzesvorbereitende Vereinbarungen

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bar bereit, auf einen schnelleren Ausstieg zu verzichten, weil die Vereinbarung mit der Energieversorgungsbranche, die Müller als „Kraftakt“ wertet, diesen Verzicht forderte. Auch diese Äußerung bestätigt, dass die Abgeordneten in starkem Maße durch die faktischen Bindungen der gesetzesvorbereitenden Vereinbarung beeinflusst wurden und nicht unabhängig von der Vereinbarung entscheiden konnten. Diese Art von Gesetzgebung wurde von Roßnagel folgendermaßen bewertet: „Dieser Politikstil entwertet in einzelnen herausragenden, politisch hoch kontroversen Konflikten das Bundestagsplenum oder auch die Bundestagsausschüsse bei der politischen Willenbildung. Dies wird beim Atomkonsens besonders deutlich sichtbar, weil noch nie gesellschaftliche Partikularinteressen sich so unmittelbar und bis in die Formulierung der Gesetzesbegründung durchgesetzt haben.“81 Wegen der von der Vereinbarung vom 14. Juni 2000 auf das parlamentarische Verfahren übergreifenden faktischen Bindungen war das Gesetzgebungsverfahren zur Umsetzung der Vereinbarung nicht in der Lage, die desintegrierenden Effekte der Beteiligung einiger weniger an der Gesetzesvorbereitung auszugleichen82. Die von den Verhandlungen zum Atomausstieg ausgeschlossenen Bundesländer und Umweltverbände konnten im späteren Gesetzgebungsverfahren keinerlei Änderungen mehr erreichen. Das Land Hessen und der Freistaat Bayern fochten schließlich Teile der Vereinbarung vor dem Bundesverfassungsgericht an83. Durch die informellkooperative Gesetzesvorbereitung konnte nur teilweise Rechtsfrieden hergestellt werden. Da die besondere Beteiligung einzelner besonders Betroffener im Rahmen von gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen die Gesamtgesellschaft und das Gemeinwohl aus dem Blickwinkel zu verlieren droht, wäre es indessen gerade Aufgabe des Umsetzungsgesetzgebungsverfahrens gewesen, den umfassenden gesamtgesellschaftlichen Ausgleich effektiv herzustellen.

V. Ergebnis Parlamentsgesetze bedürfen wegen ihres gegenüber anderen Staatsakten erhöhten normhierarchischen Ranges besonderer Legitimation durch Verfahren. Zudem ist der Vorbehalt des Gesetzes nur verständlich, wenn man von einer erhöhten Legitimation von Parlamentsgesetzen durch ein qualifiziertes Gesetzgebungsverfahren ausgeht. Den gesetzesspezifischen Legitimationsanspruch kann ein durch Vorabbindungen entsubstanzialisiertes Gesetzgebungsverfahren nicht mehr einlösen. Bei faktisch verbindlichen Austauschvereinbarungen zwischen Bundesregierung und Privaten im Vorfeld 80

Müller, in: BT-Sten. Prot. 14/209, S. 20718. Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 305 (314 ff.). Roßnagel lehnt allerdings verfassungsrechtliche Konsequenzen ab und sieht lediglich ein verfassungspolitisches Problem. Zur Beeinträchtigung des Gesetzgebungsverfahrens durch die Vereinbarung vom 14. Juni 2000: vgl. auch Degenhart, Bundes- und länderfreundliches Verhalten, S. 369 (378); Ekardt, Diskussionsbeitrag, 11. Atomrechtssymposium, S. 391. 82 Vgl. Roßnagel, Die geordnete Beendigung, S. 14. 83 BVerfGE 104, 249 ff.; 104, 238 ff. 81

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5. Teil: Die Umsetzungsphase

der Gesetzesinitiative besteht die Gefahr, dass das Abwägungsmaterial bereits vor Einbringung in den Bundestag derart gravierend vorgefiltert wird, dass eine eigenständige Willensbildung im Bundestag in hohem Maße erschwert wird. Je mehr bereits im Gesetzgebungsvorfeld mit der dem Bargaining wesensimmanenten Folge von faktischen Bindungen verhandelt worden ist, desto weniger substanzielle Verhandlung wird im Gesetzgebungsverfahren noch möglich sein. Somit erweist sich das Bargaining im Gesetzgebungsvorfeld als starkes Indiz für eine Absenkung des Abwägungsniveaus im Bundestag und für eine desintegrierende Funktionsbeeinträchtigung des Gesetzgebungsverfahrens. Diese Funktionsbeeinträchtigung ist wegen der Normativität der diskursiv-abwägenden Gesetzgebungsfunktion verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar.

D. Abwägungsfehlerlehre als Instrument der Funktionssicherung Faktische Vorabbindungen an gesetzesvorbereitende Vereinbarungen führen in besonderem Maße dazu, dass allein die formale Anwendung der Vorschriften über das Gesetzgebungsverfahren nicht mehr sicherstellen kann, dass das Gesetzgebungsverfahren seiner Funktion als diskursiv-abwägendes und integratives Legitimationsverfahren gerecht wird. Wegen des normativen Charakters der genannten Funktion des Gesetzgebungsverfahrens ist es aber verfassungsrechtlich geboten, dass diese zu einem Mindestmaß realisiert wird. Deshalb muss ein Instrument der Funktionssicherung des Gesetzgebungsverfahrens entwickelt werden.

I. Parallele zum Planungsrecht Die Konstellation der gesetzesvorbereitenden Vereinbarung mit Umsetzungsgesetz erinnert an die Problematik städtebaulicher Verträge, bei denen eine bestimmte Bauleitplanung mit einem öffentlich-rechtlichen Vertrag verbunden wird. Dabei kann sich ein Privater in dem städtebaulichen Vertrag zur Übernahme von Folgekosten und zur Durchführung eines konkreten Vorhabens für den Fall verpflichten, dass die Gemeinde einen bestimmten Bebauungsplan als Satzung beschließt. In diesem Zusammenhang wird die Störung der gemeindlichen Abwägung durch rechtliche, aber auch durch lediglich faktische Vorabbindungen diskutiert, die von einer Vereinbarung zwischen Gemeinde und Privaten ausgehen können84. Dabei kommt der 84 Zur diesbezüglichen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts: 4. Teil C. III.

D. Abwägungsfehlerlehre als Instrument der Funktionssicherung

435

planerischen Abwägungsfehlerlehre die Aufgabe zu, eine unsachliche Privilegierung der Vereinbarungspartner zu vermeiden und die Ausgewogenheit der Planung sicherzustellen. Das planerische Abwägungsgebot ist nicht nur in § 1 Abs. 7 BauGB und anderen planungsrechtlich relevanten Gesetzen, sondern auch im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) enthalten85. Das verfassungsrechtliche Rechtstaatsprinzip bindet aber nicht nur die Verwaltung, sondern auch den parlamentarischen Gesetzgeber. Deswegen wird in der Literatur überlegt, ob man die Abwägungsfehlerlehre aus dem Planungsrecht auf das Gesetzgebungsverfahren übertragen kann, so dass dann der Gesetzgeber ebenso wie die planende Verwaltung einer Abwägungskontrolle unterzogen werden könnte86. Dabei werden Parallelen zwischen Gemeinderat und Parlament auch deshalb für gerechtfertigt gehalten, weil sowohl das Parlament als auch der Gemeinderat unmittelbar vom Volk gewählt seien87. Die planungsrechtliche Abwägungsfehlerlehre stellt nach dieser Auffassung ein Instrument dar, um sicherzustellen, dass das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren seiner diskursiv-abwägenden Funktion gerecht wird. Die Planungsverwaltung und die parlamentarische Gesetzgebung zeigen jedoch in den zu beachtenden rechtlichen Vorgaben einen gravierenden Unterschied. Der parlamentarische Gesetzgeber ist nach Art. 20 Abs. 3 GG nur an die Verfassung gebunden, während die Planungsverwaltung nach Art. 20 Abs. 3 GG und die gemeindliche Bauleitplanung nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG auch das unterverfassungsrechtliche Recht einhalten müssen88. Darin kommt zum Ausdruck, dass dem Parlament eine größere politische Gestaltungsfreiheit zusteht als der Planungsverwaltung89. Diese spezifische Gestaltungsfreiheit des parlamentarischen Gesetzgebers darf nicht durch eine auf die Verwaltung zugeschnittene Abwägungsfehlerlehre wieder beseitigt werden. Deshalb kann das Abwägungsgebot des Verwaltungsrechts nicht unbesehen auf das Gesetzgebungsverfahren übertragen werden. Allein 85

Vgl. BVerwGE 64, 270 (272 f.). Parallelen zum Planungsrecht werden gezogen von: Sendler, Überlegungen, S. 185 (187); Breuer, Rechtliche Probleme, S. 107 (113); Degenhardt, Bundes- und länderfreundliches Verhalten, S. 370 (393); Pasemann/Baufeld, ZRP 2002, 119 (120 ff.); Schneider, Der Niedergang, S. 432 ff. 87 Vgl. Pasemann/Baufeld, ZRP 2002, 119 (121); Faber, in: Denninger, GG Bd. 2, Art. 28 Abs. 1 und 2 Rdnr. 28. 88 Korioth, ZG 2002, 335 (352); Bülow, in: Benda/Maihofer/Vogel, HdbVfR, S. 1484; zur Problematik einer Selbstbindung des Gesetzgebers an einfaches Gesetzesrecht: siehe unten 5. Teil E. 89 Zur Kompensation des weiten planerischen Ermessens der Verwaltung durch eine verschärfte gerichtliche Abwägungskontrolle der Planungsverwaltung: vgl. BVerfGE 79, 174 (198 f.). 86

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5. Teil: Die Umsetzungsphase

der undifferenzierte Hinweis darauf, dass sowohl der Gemeinderat als auch der Bundestag dem Rechtsstaatsprinzip unterworfen und unmittelbar demokratisch gewählt sind, reicht als Begründung für eine Übertragung des verwaltungsrechtlichen Abwägungsgebots auf das Gesetzgebungsverfahren nicht aus90. Vielmehr muss eine Abwägungsfehlerlehre für das Gesetzgebungsverfahren die erhöhte politische Gestaltungsfreiheit des Parlaments beachten. Dies schließt allerdings Vergleiche mit dem Verwaltungsrecht nicht von vornherein und generell aus91.

II. Kontrolle des gesetzgeberischen Abwägungsvorgangs nach dem Bundesverfassungsgericht Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen sind in der Lage, die Abwägung des Gesetzgebers durch faktische Vorabbindungen gegenüber den privaten Vereinbarungspartnern in besonderem Maße zu beeinträchtigen. Einer solchen Beeinträchtigung könnte durch eine dem Planungsrecht ähnliche Abwägungsfehlerlehre entgegengewirkt werden, die nicht nur das Gesetz als Ergebnis des Gesetzgebungsverfahrens, sondern auch den gesetzgeberischen Abwägungsvorgang einer verfassungsrechtlichen Kontrolle unterzieht. Die Kontrolle des Abwägungsvorgangs müsste dabei grundsätzlich unabhängig von der inhaltlichen Verfassungsmäßigkeit vorgenommen werden. Den Ausgangspunkt für die Überlegungen zu einer solchen eigenständigen Kontrolle des gesetzgeberischen Abwägungsvorgangs soll zunächst die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bilden. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich einer eigenständigen Kontrolle des gesetzgeberischen Abwägungsvorgangs ist allerdings bisher nicht ganz eindeutig92: Das Bundesverfassungsgericht hat sich bei unscharfen Rechtsbegriffen der Verfassung wie beispielsweise der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts (Art. 115 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 GG)93, bei schwierigen Sachverhaltsermittlungen wie beispielsweise der Festlegungen von sicheren Herkunftsländern (Art. 16 a Abs. 3 Satz 1 GG)94 oder bei Prognoseentscheidungen wie beispielsweise über die Auswirkungen der Mitbestimmung von Arbeitnehmern95 vorwiegend auf eine substanziierte gesetzgebe90

Insoweit zu undifferenziert: Pasemann/Baufeld, ZRP 2002, S. 121 f. Vgl. Mengel, Empfiehlt es sich, S. 115 (120); Lerche, Vorbereitung grundrechtlichen Ausgleichs, S. 97 (114, 122). 92 Zur Analyse der einschlägigen Rechtsprechung: vgl. Mengel, Gesetzgebung und Verfahren, S. 341 ff. 93 BVerfGE 79, 311 (343 ff.). 94 BVerfGE 94, 115 (142 ff.). 91

D. Abwägungsfehlerlehre als Instrument der Funktionssicherung

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rische Sachverhaltsermittlung konzentriert und weniger das Ergebnis der gesetzgeberischen Abwägung einer verfassungsgerichtlichen Kontrolle unterworfen: „. . . die Prognose des Gesetzgebers ist vertretbar. Dieser Maßstab verlangt, dass der Gesetzgeber sich an einer sachgerechten und vertretbaren Beurteilung des erreichbaren Materials orientiert hat. Er muss die ihm zugänglichen Erkenntnisquellen ausgeschöpft haben, um die voraussichtlichen Auswirkungen seiner Regelungen so zuverlässig wie möglich abschätzen zu können und einen Verstoß gegen das Verfassungsrecht zu vermeiden. Es handelt sich also eher um Anforderungen des Verfahrens. Wird diesen Genüge getan, so erfüllen sie jedoch die Voraussetzungen inhaltlicher Vertretbarkeit; sie konstituieren insoweit die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers, die das Bundesverfassungsgericht bei seiner Prüfung zu beachten hat.“96

Nach dem Bundesverfassungsgericht wird die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers durch eine sorgfältige Sachverhaltsermittlung gerechtfertigt. Der Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers wird durch Verfahrensanforderungen konstituiert. Dabei handelt es sich jedoch nicht um das formale Verfahren im Sinne der Art. 76 ff. GG. Vielmehr geht es um eine sorgfältige Sachverhaltsermittlung und einen ordnungsgemäßen Abwägungsvorgang im Sinne eines materiellen Gesetzgebungsverfahrens97. Diese prozedurale Tendenz setzt sich in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Finanzausgleich fort, in der das Gericht weniger auf verfassungsgemäße Ergebnisse, als vielmehr auf eine rationale Maßstabbildung Wert legt98. Deshalb kann davon ausgegangen werden, dass eine Kontrolle des gesetzgeberischen Abwägungsvorgangs der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich entspricht. Andererseits hat sich das Bundesverfassungsgericht dahingehend geäußert, dass es mit der formalen Ausgestaltung des Gesetzgebungsverfahrens schwer zu vereinbaren sei, wenn Willensbildungsmängel einzelner Abgeordneter zur Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes führen könnten99. Gedankenlosigkeit, Irrtum, ja sogar rein subjektive Willkür des Gesetzgebers könnten demnach keine Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes begründen, wenn das Gesetz nach seinem Inhalt verfassungsgemäß sei100. Dem korrek95

BVerfGE 50, 290 (332 ff.); vgl. auch BVerfGE 65, 1 (55 f.). BVerfGE 50, 290 (333 f.) (Hervorhebung vom Verfasser). 97 Zur Unterscheidung zwischen materiellem und formellem Gesetzgebungsverfahren: vgl. Rupp, Die auf Art. 2 Abs. 1 GG gestützte Klagebefugnis, S. 174 f., 246 f.; Leisner, Der Abwägungsstaat, S. 122. 98 BVerfGE 101, 158 ff.; siehe hierzu: Ossenbühl, Bundesverfassungsgericht und Gesetzgebung, S. 33 (51); siehe ferner BVerfGE 97, 67 (87 f.) – abw. M. 99 BVerfGE 16, 82 (88). 100 BVerfGE 2, 266 (281); 18, 38 (45); 48, 227 (237); 57, 139 (161); 75, 246 (268). 96

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5. Teil: Die Umsetzungsphase

ten Abwägungsvorgang käme demnach keine eigenständige Bedeutung zu, wenn gesagt werden kann, dass das Ergebnis der Abwägung verfassungsrechtlich korrekt sei101. Soweit das Bundesverfassungsgericht jedoch Fehler im Abwägungsvorgang als irrelevant ansieht, weil jedenfalls das Ergebnis der Abwägung verfassungsgemäß sei, muss eingewandt werden, dass im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren die Legitimation des Gesetzes nicht primär auf einem bestimmten verfassungsrechtlich vorprogrammierten Gesetzesinhalt, sondern gerade auf dem diskursiven Verfahren beruht, in dem das Gesetz zu Stande gekommen ist. Der Hinweis auf die inhaltliche Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen kann das Defizit an Legitimation durch Verfahren nicht ersetzen. Deshalb ist einer Rechtsprechung zu widersprechen, die Verfahrensdefizite allein mit dem Hinweis auf das verfassungsgemäße Abwägungsergebnis als irrelevant ansieht102.

III. Abwägungsfehlerlehre für das Gesetzgebungsverfahren Eine eigenständige verfassungsrechtliche Kontrolle des gesetzgeberischen Abwägungsvorgangs kann dazu beitragen, Funktionsbeeinträchtigungen des Gesetzgebungsverfahrens durch gesetzesvorbereitende Vereinbarungen entgegenzuwirken und eine diskursiv-abwägende Mindestsubstanz der Gesetzgebung zu sichern. Die vom Abwägungsergebnis abgekoppelte verfassungsrechtliche Überprüfung des Abwägungsvorgangs ist mit der politischen Gestaltungsfunktion sowie mit der verfassungsrechtlichen Kontrollfunktion des Parlaments zu begründen (hierzu: III. 1.). Dabei führt die besondere politische Gestaltungsfreiheit des parlamentarischen Gesetzgebers (hierzu: III. 2.) dazu, dass sich gegenüber der verwaltungsrechtlichen Abwägungsfehlerlehre erhebliche Abweichungen ergeben (hierzu: III 3., III. 4.).

101

Eine ergebnisbezogene Sichtweise findet sich auch in BVerfGE 85, 238 (245); 86, 148 (212); 100, 138 (187 ff.); BVerfG, NJW 2003, 41 (54): „Das Verdikt der Verfassungswidrigkeit hängt allerdings davon ab, dass das Gesetz auf einer fehlerhaften Tatsachenfeststellung des Gesetzgebers beruht, dass also nicht etwa andere, zutreffende Erwägungen zu seiner Begründung herangezogen werden können (vgl. Meßerschmidt, Gesetzgebungsermessen, 2000, S. 933)“ (Hervorhebung vom Verfasser). Zur Analyse der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts: siehe auch Ossenbühl, Bundesverfassungsgericht und Gesetzgebung, S. 50 f.; vgl. auch BVerwGE 64, 33 (40). 102 Vgl. Papier, Der verfahrensfehlerhafte Staatsakt, S. 30; a. A. Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 305 (315), der es ausreichen lässt, wenn das Gesetz inhaltlich mit der Verfassung übereinstimmt.

D. Abwägungsfehlerlehre als Instrument der Funktionssicherung

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1. Eigenständige Kontrolle des Abwägungsvorgangs Das Gesetzgebungsverfahren stellt zum einen ein Verfahren zur politischen Gestaltung des Gemeinwesens dar. Zum anderen hat das Parlament auch eine verfassungsrechtliche Kontrollfunktion. In beiden Funktionen vermittelt der parlamentarische Diskurs Legitimation durch Verfahren103. Die verfassungsrechtliche Kontrolle des gesetzgeberischen Abwägungsvorgangs sichert die legitimierende Substanz des Gesetzgebungsverfahrens. a) Präventive verfassungsrechtliche Kontrollfunktion des Parlaments In der Literatur wird vertreten, dass die Art. 76 ff. GG ein rein politisches Entscheidungs- und keinerlei Erkenntnisverfahren normieren würden. Von den Abgeordneten könne deshalb keine umfassende Tatsachenermittlung und Abwägung verfassungsrechtlich relevanter Gesichtspunkte verlangt werden. Das Gesetzgebungsverfahren diene nicht der Wahrheitsfindung, sondern der Darstellung und Vermittlung des politisch Machbaren. Entscheidend sei allein, dass das Gesetz als Endprodukt verfassungsgemäß sei. Der Gesetzgeber würde nichts anderes schulden als das Gesetz104. Es ist jedoch problematisch, das Gesetzgebungsverfahren einerseits als von verfassungsrechtlichen Abwägungspflichten freies, rein politisches Verfahren einzustufen und andererseits den Inhalt des Gesetzes dann doch wieder einer abwägenden Verfassungskontrolle zu unterziehen. Ein politisch völlig frei abwägendes Parlament kann verfassungskonform abgewogene Gesetzesinhalte nicht garantieren. Verfassungskonforme Gesetzesinhalte würden bei einem allein nach politischen Maximen agierenden Parlament letztlich vom Zufall abhängig, dass das politisch Erwünschte auch das verfassungsrechtlich Zulässige trifft. Erachtet man das Gesetzgebungsverfahren als rein politisches Verfahren und die Erkenntnis des verfassungsrechtlichen Zulässigen nicht als Aufgabe des Parlaments, so geht dem Gesetzgebungsverfahren jene verfassungsrechtliche Orientierung verloren, die bereits präventiv eine Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes gewährleisten und eine spätere verfassungsgerichtliche Überprüfung überflüssig machen kann105. Deswegen ist das Gesetzgebungsverfahren nicht als rein politischer Prozess zu verstehen. Vielmehr fungiert das Parlament auch als Interpret und Kontrolleur der Verfassung106. 103

Zur Legitimation durch Verfahren: siehe oben 5. Teil A. I. Schlaich, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 7 (109); Gusy, ZRP 1985, 291 ff. 105 Zur präventiven Selbstkontrolle des Gesetzgebers: vgl. Kirchhof, in: Isensee/ Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 59 Rdnr. 184, 194, 204; Redeker/Karpenstein, NJW 2001, 2825 (2827); Lücke, ZG 2001, 1 (30). 104

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5. Teil: Die Umsetzungsphase

Die präventive verfassungsrechtliche Kontrolle des Parlaments hat vor allem Bedeutung, wenn Verfassungsverstöße zu irreparablen Schäden führen würden. Dann kann eine Aufhebung des Gesetzes durch das Bundesverfassungsgericht zu spät kommen. Zudem folgt aus dem rechtsstaatlichen Gebot des Vertrauensschutzes, dass der Staat nicht unnötigerweise Vertrauen erwecken darf, indem er Gesetze erlässt, die sich hinterher als verfassungswidrig erweisen. Verfassungswidrige Gesetze müssen deshalb bereits in der Genese verhindert werden, um die Entstehung von irreparablen Verfassungsverstößen und von Vertrauen in verfassungswidrige Gesetze zu vermeiden. Eine solche Früherkennung verfassungsrechtlicher Mängel ist jedoch nur möglich, wenn der Gesetzgeber zur verfassungsrechtlichen Selbstkontrolle verpflichtet ist. Insbesondere im Atomrecht kommt der präventiven verfassungsrechtlichen Selbstkontrolle des Gesetzgebers große Bedeutung zu. Verstößt der Gesetzgeber in diesem Bereich gegen seine Schutzpflichten für Leib und Leben, so kann im Falle eines kerntechnischen Unfalls eine Aufhebung des verfassungswidrigen Gesetzes durch das Bundesverfassungsgericht wegen der dann bereits entstandenen immensen Schäden zu spät kommen107.

Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen dürfen nicht dazu führen, dass das Parlament seiner Kontrollfunktion nicht mehr nachkommt, weil das ausgehandelte Paket unveränderbar sei. Die präventive Selbstkontrolle des Gesetzgebers ist über eine verfassungsrechtliche Kontrolle dieser Selbstkontrolle sicherzustellen. Eine eigenständige verfassungsrechtliche Kontrolle des gesetzgeberischen Abwägungsvorgangs sorgt dafür, dass der Gesetzgeber seine eigene verfassungsrechtliche Kontrollaufgabe trotz faktischer Bindung der Vereinbarung wirklich wahrnimmt und damit seiner unverzichtbaren präventiven Kontrollfunktion gerecht wird. Das Parlament kann dem Druck zur Umsetzung der Vereinbarung mit dem Hinweis auf die eigene Kontrollfunktion entgegentreten, indem es gegenüber der Regierung darauf aufmerksam macht, dass die Wahrnehmung der eigenen Kontrollfunktion ihrerseits wieder verfassungsgerichtlich überprüfbar ist und deshalb ungeachtet der Solidarität mit der Regierung der notwendigen Sorgfalt bedarf. b) Umfassende Verfassungsgeltung Die Frage, ob es im Bereich der Gesetzgebung ein eigenständiges Gebot der Abwägung hinsichtlich des Abwägungsvorgangs gibt, berührt vor allem auch die Aufgabenverteilung zwischen Gesetzgeber und Verfassungsge106 Zur Funktion des Gesetzgebers als Erstinterpret der Verfassung: BVerfGE 101, 158 (236); Kirchhof, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 5 (16). 107 Vgl. Groth, Die Unabhängigkeit, S. 105 (114).

D. Abwägungsfehlerlehre als Instrument der Funktionssicherung

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richtsbarkeit. Sieht man sich die Kompetenzen des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 93 GG und nach dem Bundesverfassungsgerichtsgesetz an, so wird deutlich, dass das Verfassungsgericht nur sehr punktuell die Einhaltung des Grundgesetzes gewährleisten kann. Die Funktion des Gerichts als Hüter der Verfassung kommt nur zum Tragen, soweit das Gericht angerufen wird. Anders als Bundestag, Bundesregierung und Bundesrat kann das Bundesverfassungsgericht nicht von Amts wegen präventiv aktiv werden108. Die Prüfung und Befolgung der Verfassung darf jedoch nicht auf die Fälle beschränkt werden, bei denen eine Anrufung des Bundesverfassungsgerichts wahrscheinlich ist. Die Verfassung gilt nicht nur punktuell im möglichen oder wahrscheinlichen verfassungsgerichtlichen Streitfall, sondern für jedwede Staatstätigkeit, auch wenn niemand beabsichtigt, das Gericht anzurufen. Will man aber diese umfassende Geltung der Verfassung nachhaltig sichern, obwohl das Bundesverfassungsgericht nur zu punktueller Sicherung legitimiert und im Hinblick auf seine Arbeitskapazität in der Lage ist109, so müssen die anderen Verfassungsorgane zur verstärkten Eigenverantwortung in Bezug auf die Einhaltung der verfassungsrechtlichen Vorgaben verpflichtet werden110. Dem Gesetzgebungsverfahren kommt nicht nur die Aufgabe zu, einen einheitlichen politischen Willen durch Aggregation unterschiedlicher Interessen zu bilden, sondern auch im parlamentarischen Diskurs eine eigenverantwortliche Abwägung von Verfassungsgütern durchzuführen111. Gerade bei der Umsetzung ausgehandelter Gesetze ist der Gesetzgeber als Erstinterpret des Grundgesetzes verstärkt in die Pflicht zu nehmen112. Er ist zur verfassungsinterpretierenden und verfassungskonkretisierenden „Vorhand“ berechtigt und verpflichtet113. Diese verfassungsrechtliche Prüfaufgabe können gesetzesvorbereitende Verhandlungen dem Parlament nicht abnehmen114. Vielmehr muss darüber gewacht werden, dass das Parlament seine eigene verfassungsrechtliche Kontrollfunktion auch dann effektiv wahrnimmt, wenn der Gesetzesinhalt zuvor en detail mit Privaten ausgehandelt wurde. Die vom Abwägungsergebnis unabhängige verfassungsrechtliche Kontrolle des gesetzgeberischen Abwägungsvorgangs dient dazu sicherzustellen, dass der Gesetzgeber seiner eigenen verfassungsrechtlichen 108

Siehe hierzu: Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. VII, § 162 Rdnr. 55. Zur begrenzten Arbeitskapazität der Verfassungsgerichtsbarkeit als nachträglicher Kassationsinstanz: Morand, Die Erfordernisse der Gesetzgebungsmethodik, S. 18 f. 110 Vgl. Mengel, Empfiehlt es sich, S. 115 (118). 111 Zum Charakter der Verfassungsauslegung als Diskurs: BVerfGE 82, 30 (38 f.). 112 Vgl. BVerfGE 101, 158 (236); Kirchhof, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 5 (16). 113 Ossenbühl, Bundesverfassungsgericht und Gesetzgebung, S. 33 (36). 114 BVerfGE 2, 143 (178 ff.); vgl. Ossenbühl, Bundesverfassungsgericht und Gesetzgebung, S. 33 (35). 109

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5. Teil: Die Umsetzungsphase

Kontrollfunktion auch in Bezug auf ausgehandelte Gesetzespakete gerecht wird. Damit wird eine umfassende Geltung des Grundgesetzes unabhängig von einer späteren Anrufung des Bundesverfassungsgerichts gesichert115. c) Funktionsgerechte Gewaltenordnung Ein Verstoß gegen die auf den Abwägungsvorgang bezogene Abwägungspflicht des Gesetzgebers führt dazu, dass das Gesetz unter Umständen schon wegen dieses Abwägungsdefizits für verfassungswidrig angesehen werden kann. Das Verfassungsgericht wird insoweit von einer ergebnisbezogenen Kontrolle entlastet, wohingegen der Sachverstand der Bundesregierung bei der Begründung ihrer Gesetzesvorlagen stärker in die Pflicht genommen wird. Im Gegensatz zur Bundesregierung wird das Bundesverfassungsgericht nur punktuell mit einzelnen Teilbereichen staatlicher Tätigkeit befasst. Es ist ihm deshalb nicht möglich, über den im anhängigen Verfahren einschlägigen Teilbereich hinaus Gesamttendenzen und Entwicklungen auszuleuchten und ein der Exekutive vergleichbares Fachwissen aufzubauen116. Dieses umfassende Wissen kann vielmehr von der Regierung erwartet werden, die zudem über einschlägige Erfahrungen über den Vollzug gesetzlicher Regelungen verfügt. Deshalb entspricht die verstärkte Betonung eines ordnungsgemäßen gesetzgeberischen Abwägungsvorgangs, der von den Bundesministerien substanziiert vorbereitet wird, einer funktionsgerechten Verteilung der Staatsaufgaben auf die jeweils zur Aufgabenerfüllung geeigneten Organe117. In Ergänzung zu dieser vor allem bei der Bundesregierung als Gesetzesinitiant anzusiedelnden kognitiven Funktion des Gesetzgebungsverfahrens bildet das Verfahren im Parlament die breite gesellschaftliche Repräsentanz unterschiedlichster politischer Richtungen und ein Forum des öffentlichen Diskurses, um die rational nicht auflösbaren Konflikte auf der Grundlage allgemein anerkannter Verfahrensweisen politisch-dezisiv zu entscheiden. Kommen für ein Problem mehrere vertretbare Lösungsalternativen in Betracht, ist ein breit angelegter Diskurs unterschiedlicher Auffassungen, wie ihn das parlamentarische Verfahren herstellt, das geeignetste Verfahren, um 115 Das Parlament bedarf zur Wahrnehmung seiner verfassungsinterpretatorischen Aufgaben freilich der fachkundigen Beratung. Die im Staatsrecht sachkundige Ministerialbürokratie ist insoweit aus dem Grundsatz der Verfassungsorgantreue zur Unterstützung verpflichtet (vgl. Schenke, Verfassungsorgantreue, 101 ff.). Zu den Formulierungshilfen der Bundesministerien für die Abgeordneten: vgl. § 52 Abs. 2 GGO. 116 BVerfG NJW 2002, 1638 (1639). 117 Zur funktionsgerechten Gewaltenstruktur: siehe oben 3. Teil C. III. 3. d) aa) (1).

D. Abwägungsfehlerlehre als Instrument der Funktionssicherung

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den notwendigen gesellschaftlichen Konsens zumindest näherungsweise zu erreichen. Auch insoweit gebietet die funktionsgerechte Gewaltenordnung, die Abwägung nicht auf das Bundesverfassungsgericht zu verlagern, weil dieses nach seiner Organisation und Arbeitsweise nicht dafür geeignet ist, dem parlamentarischen Verfahren vergleichbare Diskurse zu führen. Die politische Gestaltungsfunktion des Gesetzgebungsverfahrens erfordert eine eigenständige Abwägung in den jeweiligen Organen. Da eine eigenständige Abwägung des Parlaments insbesondere bei den Gesetzen, die zuvor von der Regierung mit Privaten ausgehandelt wurden, keine Selbstverständlichkeit ist, ist eine eigenständige verfassungsrechtliche Kontrolle des parlamentarischen Abwägungsvorgangs notwendig, damit das Parlament die politischen Gestaltungsdiskurse auch bei ausgehandelten Gesetzesvorlagen tatsächlich führt. Indem die präventive verfassungsrechtliche Kontrollfunktion des Bundestags gestärkt wird, wird zugleich der politische Diskurs im Parlament stimuliert und eine funktionswidrige Politisierung des Verfassungsgerichts vermieden. d) Prozeduralisierung und Rationalisierung Auf den Abwägungsvorgang bezogene Abwägungspflichten des Gesetzgebers tragen dazu bei, die Unschärfe grundgesetzlicher Vorschriften auszugleichen. Wenn sich darüber, was im Ergebnis verfassungsgemäß ist, angesichts der unbestimmten Formulierungen in der Verfassung nichts Genaues sagen lässt, ist die Kontrolle des gesetzgeberischen Abwägungsvorgangs das adäquate Instrument, um die Geltung der unscharfen Verfassungswerte dennoch zu sichern. Deshalb muss die verfassungsrechtliche Kontrolle des Abwägungsvorgangs dort besonders intensiv ausfallen, wo eine Ergebniskontrolle wegen besonders unscharfer grundgesetzlicher Vorgaben nahezu ausfällt. Je weniger konkret die grundgesetzlichen Vorgaben sind, desto restriktiver muss die Beachtung des Abwägungsgebots bezogen auf den Abwägungsvorgang kontrolliert werden118. Die Vorverlagerung der verfassungsrechtlichen Kontrolle vom Abwägungsergebnis auf den Abwägungsvorgang trägt zur Objektivität und Rationalität der verfassungsrechtlichen Prüfung bei, wenn eine ergebnisbezogene Konkretisierung der vagen verfassungsrechtlichen Bestimmungen in hohem Maße politische Wertungen erfordern würde, deren sich die Verfassungsgerichtsbarkeit enthalten sollte119. 118

Zum Ausgleich unbestimmter materieller Maßstäbe durch Anforderungen an das Verfahren: vgl. BVerfGE 79, 311 (343 ff.); Lücke, ZG 2001, 1 (38). 119 Zum Gedanken der prozeduralen Kompensation unbestimmter materieller Maßstäbe: vgl. BVerfGE 79, 311 (343 ff.); Begründung, UGB-KomE, S. 639; Kirch-

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5. Teil: Die Umsetzungsphase

Die Unbestimmtheit des verfassungsrechtlichen Maßstabes wird beim Atomausstieg besonders an den unterschiedlichen Auffassungen zur Frage deutlich, welche Laufzeitbegrenzung mit Art. 14 GG vereinbar sei. Während die einen 25 Kalenderjahre als verfassungsrechtlich ausreichende Gesamtlaufzeit von Kernkraftwerken ansahen120, sprachen sich andere für eine nukleare Betriebszeit von 40 Jahren aus121. Eine tagesscharfe Laufzeit wird sich allerdings wohl kaum stringent aus dem Verfassungstext ableiten lassen. Vielmehr muss dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum eingeräumt werden122. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben sind deshalb primär durch Anforderungen an die korrekte Sachverhaltsermittlung und Sachverhaltsberücksichtigung, also durch eine Kontrolle des gesetzgeberischen Abwägungsvorgangs, sicherzustellen123.

e) Legitimationssicherung Der substanzielle parlamentarische Abwägungsvorgang begründet das spezifische Legitimationsniveau des Parlamentsgesetzes. Mit einer Prüfung des Gesetzestextes als gesetzgeberisches Abwägungsergebnis kann die effektive materielle Legitimation des Gesetzes nicht kontrolliert werden, weil diese auf dem Gesetzgebungsverfahren als Entscheidungsprozess und nicht auf dem Gesetz als Entscheidungsergebnis beruht124. Deshalb bedarf es zur Sicherung der materiellen Legitimation eines Gesetzes der verfassungsrechtlichen Kontrolle des Abwägungsvorgangs. Eine auf den Abwägungsvorgang des Gesetzgebers bezogene Abwägungsfehlerlehre trägt dazu bei, dass das Gesetzgebungsverfahren seine legitimationsstiftende Funktion tatsächlich erfüllt. f) Ergebnis Dem Grundgesetz können Wertungen entnommen werden, die für eine eigenständige Kontrolle des gesetzgeberischen Abwägungsvorgangs sprechen. Hierzu gehören die verfassungsrechtlich begründbaren Überlegungen einer präventiven Vermeidung verfassungswidriger Gesetze, die umfassende Geltung der Verfassung trotz lediglich punktueller Entscheidungskompetenhof, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 59 Rdnr. 50; Lücke, ZG 2001, 1 (38); Smeddinck, Gesetzesproduktion, S. 105 (120 f.). 120 Denninger, Verfassungsrechtliche Fragen des Ausstiegs, S. 87. 121 Schmidt-Preuß, NJW 2000, 1524 (1527 f.); vgl. auch die umfangreichen Nachweise zur diesbezüglichen Gutachtensituation bei Posser, in: Posser/Schmans/ Müller-Dehn, AtG, § 7 Abs. 1a–d Rdnr. 164. 122 Vgl. BVerfGE 43, 242 (288); Roller, Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen, S. 38 f. 123 Vgl. Denninger, Verfassungsrechtliche Fragen des Ausstiegs, S. 75, 97. 124 Zur Notwendigkeit einer materiellen Legitimation: siehe oben 5. Teil A. I.

D. Abwägungsfehlerlehre als Instrument der Funktionssicherung

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zen des Bundesverfassungsgerichts sowie die funktionsgerechte Gewaltenordnung zwischen den Gesetzgebungsorganen und dem Bundesverfassungsgericht. Das Gebot des korrekten gesetzgeberischen Abwägungsvorgangs erinnert den Bundestag an seine Eigenverantwortung dafür, dass Gesetze nach Art. 20 Abs. 3 GG der Verfassung entsprechen müssen. Die Forderung nach einer substanziellen parlamentarischen Abwägung unterstreicht einerseits die verfassungsrechtliche Kontroll-, anderseits aber auch die politische Gestaltungsfunktion des Parlaments. Die Vorverlagerung des verfassungsrechtlichen Schutzes auf den Abwägungsvorgang trägt zur Rationalität der verfassungsrechtlichen Kontrolle bei vagen inhaltlichen Maßstäben bei. Im diskursiven Abwägungsvorgang erhält das Gesetz eine überzeugende materielle Legitimation. Mit der verfassungsrechtlichen Kontrolle des Abwägungsvorgangs wird gewährleistet, dass das Gesetzgebungsverfahren seinem Abwägungs-, Diskurs- und Integrationszweck zum verfassungsrechtlich einforderbaren Mindestmaß gerecht wird. Die verstärkte Kontrolle des gesetzgeberischen Abwägungsvorgang nimmt die Bundesregierung hinsichtlich der Vorbereitung einer sachlich begründeten Gesetzesvorlage und das Parlament hinsichtlich einer eigenständigen Abwägung in die Pflicht. Die Institutionalisierung einer eigenständigen verfassungsrechtlichen Kontrolle des gesetzgeberischen Abwägungsvorgangs schützt den Gesetzgeber vor dem Einfluss partikularer Kräfte und wahrt den Gemeinwohlbezug der Gesetzgebung. Sie steigert die Bedeutung des parlamentarischen Diskurses auf der Grundlage einer substanziierten Gesetzesvorlage der Regierung, um den Entparlamentarisierungstendenzen entgegenzuwirken, die von gesetzesvorbreitenden Vereinbarungen ausgehen. 2. Gegenläufige Wertungen Es lassen sich jedoch auch verfassungsrechtliche Argumente finden, die gegen ein eigenständiges verfassungsrechtliches Gebot des ordnungsgemäßen Abwägungsvorgangs angeführt werden können. Diese werden insbesondere dann deutlich, wenn man die politische Gestaltungsfreiheit der Gesetzgebungsorgane und die mit einer Kontrolle des Abwägungsvorgangs verbundenen Probleme der Rechtssicherheit ins Auge fasst. a) Formalisierung und Rechtssicherheit Die Anreicherung des Wortlautes der Art. 76 ff. GG durch ein materielles Gesetzgebungsverfahren im Sinne einer Abwägungsfehlerlehre könnte einen gravierenden Verlust an vom Rechtsstaatsprinzip gebotener Rechtssi-

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5. Teil: Die Umsetzungsphase

cherheit bedeuten. Würde man nämlich verlangen, dass jeder Abgeordnete bei der Abstimmung alle Belange berücksichtigt und richtig gewichtet hat, so könnte unter Umständen der Irrtum oder die mangelnde Informiertheit eines einzigen Abgeordneten zur Nichtigkeit des Gesetzes führen. Wenn das Grundgesetz in den Art. 76 ff. GG keine Vorschriften über die innere Willensbildung der Abgeordneten normiert hat, dann kommt darin eine Wertung zugunsten der Rechtssicherheit zum Ausdruck. Diese Wertung darf durch eine Abwägungsfehlerlehre allenfalls modifiziert, nicht jedoch völlig konterkariert werden. b) Politische Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers Eine allzu dichte Abwägungskontrolle des Gesetzgebers könnte diesen seiner politischen Gestaltungsfreiheit berauben und die Gewaltenteilung zwischen Verfassungsgerichtsbarkeit und Gesetzgeber zu Lasten des Parlaments verschieben. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass die politische Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers ihren tieferen Grund im Demokratieprinzip und im Gedanken der Volkssouveränität findet. Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzesgebers findet ihre innere Begründung im Respekt der Verfassungsgerichtsbarkeit vor dem politischen Gestaltungswillen des vom Volk unmittelbar gewählten Parlaments. Parlamentarische Demokratie beruht jedoch ihrerseits nicht nur auf punktuellen Wahlen, sondern vor allem auch auf einem öffentlichen parlamentarischen Diskurs125. Durch substanzielle parlamentarische Verhandlungen wird die demokratische Legitimation des Bundestages immer wieder aufs Neue aktualisiert. Je weniger eine Gesetzesvorlage jedoch im Parlament diskutiert, erörtert und abgewogen wird, umso weniger kommt die Diskurskomponente des Demokratieprinzips zum Tragen, mit der Folge, dass das Legitimationsniveau des jeweiligen Gesetzgebungsverfahrens absinkt. Damit wird aber auch der tiefere Grund für den politischen Gestaltungsspielraum geschwächt126. Je niedriger der diskursiv legitimierende Charakter des Gesetzgebungsverfahrens ausgeprägt ist, desto mehr entbehrt der politische Gestaltungsspielraum des Parlaments einer inneren Begründung. Deshalb liegt es im Interesse eines ausreichenden Gestaltungsspielraums des Parlaments hinsichtlich des Abwägungsergebnisses, wenn nicht nur das Abwägungsergeb125

BVerfGE 33, 125 (159); vgl. Bryde, JZ 1998, 115 (118 f.). Nach BVerfGE 50, 290 (334) konstituieren die Anforderungen an das Verfahren der Sachverhaltsermittlung erst die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers. Sie sind somit Voraussetzung des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers. Vgl. Schulze-Fielitz, Parlament als Organ der Kontrolle, S. 120. 126

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nis, sondern auch der Abwägungsvorgang einer verfassungsrechtlichen Prüfung unterzogen wird, damit das Fundament des politischen Gestaltungsspielraums des Parlaments in einem substanzreichen Abwägungsvorgang erhalten bleibt. Dabei wird die politische Gestaltungsfreiheit des Parlaments durch eine gesetzgeberische Abwägungsfehlerlehre nur insoweit beeinträchtigt, als der Abwägungsprozess, nicht jedoch, als das Abwägungsergebnis betroffen ist. 3. Pragmatischer Ausgleich Die durch Formalisierung erreichbare Rechtssicherheit und die politische Gestaltungsfreiheit hinsichtlich des Abwägungsvorgangs des Parlaments stellen indessen keine absoluten, d. h. nicht abwägungsfähigen Werte dar. Vielmehr sind der Verfassungswert der Rechtssicherheit, die politische Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers und das ebenso wichtige Erfordernis der Sicherung der Funktion des parlamentarischen Verfahrens durch Abwägung zum Ausgleich zu bringen127. Die Eigenverantwortung des Parlaments verlangt eine eigenständige, sachlich abwägende Willensbildung der Abgeordneten. Nicht jeder noch so geringfügige Fehler in der Abwägung eines einzelnen Abgeordneten darf jedoch zur Nichtigkeit eines Gesetzes führen. Das wäre mit dem Gebot der Rechtssicherheit nicht zu vereinbaren. Das Gebot eines diskursiven Gesetzgebungsverfahrens wird mit dem Gebot der Rechtssicherheit dadurch harmonisiert, dass ein Fehler im Abwägungsvorgang nicht zwangsläufig zur Nichtigkeit des Gesetzes führen muss. Fehler im Abwägungsvorgang müssen vielmehr mit dem Gebot der Rechtssicherheit abgewogen werden. Dabei ist dem Fehler im Abwägungsvorgang umso geringeres Gewicht beizumessen, je eher der Schluss gezogen werden kann, dass dieser Fehler auf das Abwägungsergebnis keinen Einfluss hatte. Kann mit Sicherheit gesagt werden, dass sich der Fehler im Abwägungsvorgang in keiner Weise auf das Gesetz als Abwägungsergebnis ausgewirkt hat, so führt der Fehler im Abwägungsvorgang nicht zur Nichtigkeit des Gesetzes128. Durch die Abwägung mit dem Gebot der Rechtssicherheit verliert die Kontrolle des gesetzgeberischen Abwägungsvorgangs indessen nicht ihre grundsätzlich eigenständige Bedeutung. Selbst dann wenn ein Fehler im Abwägungsvorgang wegen mangelnder Ergebnisrelevanz hinter das Gebot der Rechtssicherheit bezogen auf den jeweiligen Regelungsbereich zurück127

Zur Relativität des Rechtssicherheitsarguments: vgl. Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 90 ff. 128 Ausführlicher zur Frage der Nichtigkeit ausgehandelter Gesetze: siehe unten 6. Teil B.

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5. Teil: Die Umsetzungsphase

treten muss, ändert dies nichts daran, dass ein solcher Fehler dem Grunde nach vorliegt und dass die diskursiv-abwägende Funktion des Gesetzgebungsverfahrens verfassungswidrig beeinträchtigt worden ist. Überlegungen der Rechtssicherheit dürfen nicht dazu führen, dass Schwächen in der gesetzgeberischen Abwägung von vornherein und ohne bereichspezifische Abwägung verdeckt bleiben. Deshalb ist es gerechtfertigt, von einem eigenständigen Fehler im Abwägungsvorgang auch dann auszugehen, wenn dieser in Abwägung mit der Rechtssicherheit im Einzelfall nicht zur Nichtigkeit führt129. Neben dem Ausgleich mit dem Gebot der Rechtssicherheit wird die Balance mit der politischen Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers dadurch erreicht, dass der erhöhten Kontrolle hinsichtlich des Abwägungsvorgangs eine Rücknahme der Kontrolle hinsichtlich des Abwägungsergebnisses korrespondiert130. Je intensiver und umfassender das demokratische Prinzip in einem diskursiven Gesetzgebungsverfahren zum Tragen kommt, desto größer ist die politische Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers hinsichtlich des Abwägungsergebnisses einzuschätzen, weil das materielle Legitimationsniveau eines Gesetzes im substanziell diskursiven Gesetzgebungsverfahren steigt. Die Zunahme der materiellen Legitimation im Abwägungsvorgang muss zu einem gesteigerten Respekt vor dem Willen des Gesetzgebers hinsichtlich des Abwägungsergebnisses und einer Abnahme der diesbezüglichen verfassungsrechtlichen Kontrolle führen. Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht weniger verfassungskonforme Ergebnisse zu präsentieren und selbst Antworten auf die Abwägungsfragestellungen zu geben, als vielmehr die maßgeblichen, von der Verfassung aufgeworfenen Fragen und Abwägungsaufgaben zu definieren, die vom Gesetzgeber in dessen eigener Verantwortung zu bewältigen sind131: Das Verfassungsgericht fragt, der Gesetzgeber hat zu antworten. Diese Antwort muss sachbezogen sein und darf nicht aus einem bloßen Verweis auf eine ausgehandelte Vereinbarung bestehen.

129 Zu den Anforderungen an die Feststellung einer mangelnden Ergebnisrelevanz, die zu einem Überwiegen der Rechtssicherheit führen können: siehe unten 6. Teil B. II. 130 Vgl. BVerfGE 50, 290 (333 f.); Mengel, Gesetzgebung und Verfahren, S. 330 ff. 131 Vgl. Ossenbühl, Bundesverfassungsgericht und Gesetzgebung, S. 33 (36).

D. Abwägungsfehlerlehre als Instrument der Funktionssicherung

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4. Konkretisierung des pragmatischen Ausgleichs Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen unterliegen der Gefahr, die gesetzgeberische Abwägung zu beeinträchtigen. Deshalb muss eine für das parlamentarischen Verfahren adäquate Abwägungsfehlerlehre entwickelt werden. Hierzu ist zunächst zu analysieren, was Abwägung im Einzelnen beinhaltet. Hilfreich hierfür kann die Abwägungsfehlerlehre des Verwaltungsrechts sein. Anschließend wird untersucht, inwieweit die verwaltungsrechtliche Abwägungsfehlerlehre auf das Gesetzgebungsverfahren zu übertragen ist und welche Modifikationen vorgenommen werden müssen. Dabei dürfen die politische Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers und die Rechtssicherheit nicht aus dem Auge verloren werden. a) Abwägungsfehlerlehre im Planungsrecht Der Prozess des Abwägens lässt sich in unterschiedliche Schritte aufteilen. Als Erstes werden die relevanten Belange ermittelt. Dann wird der dazu gehörende Sachverhalt bezogen auf den jeweiligen Regelungsbereich dahingehend analysiert und substanziiert, dass eine Bewertung möglich wird. Anschließend wird das Gewicht der relevanten Belange zunächst isoliert bewertet. Zuletzt erfolgt eine Gesamtbewertung durch Gegenüberstellung der unterschiedlichen Belange. Dabei kommt es darauf an, wie intensiv die Bevorzugung eines Belangs den anderen Belang beeinträchtigt. Der Prozess der Abwägung lässt sich demnach in zwei Phasen untergliedern: Zu unterscheiden sind die Sachverhaltsermittlungsphase und die Sachverhaltsbewertungsphase. Die Erforschung und Substanziierung der Belange gehören zur kognitiven Sachverhaltsermittlung. Davon zu unterscheiden ist der nachfolgende normative Schritt der Bewertung und Gewichtung132. Die aus dem Planungsrecht bekannte Abwägungsfehlerlehre kennt den Abwägungsausfall, das Abwägungsdefizit, die Abwägungsfehleinschätzung und die Abwägungsdisproportionalität. Alle genannten Abwägungsfehler mit Ausnahme des Abwägungsausfalls beziehen sich nach der herrschenden Meinung sowohl auf den Abwägungsvorgang als auch auf das Abwägungsergebnis133. Die hier interessierenden Fehler des Abwägungsvorgangs lassen sich unter den Aspekten der Sachverhaltsermittlung, der Sachverhaltsberücksichtigung und der Sachverhaltsbewertung betrachten. Abwägungsausfall und Abwägungsdefizit können sich aus einer unzureichenden Sachverhaltsermittlung oder aus einer unzureichenden Sachverhaltsberücksichtigung 132

Vgl. BVerfGE 95, 1 (22 f.). Siehe beispielsweise: Bonk/Neumann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 74 Rdnr. 55 a; Berendt, Die Bedeutung von Zweck- und Zielbestimmungen, S. 67. 133

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5. Teil: Die Umsetzungsphase

ergeben, während die Abwägungsfehleinschätzung und die Abwägungsdisproportionalität die Sachverhaltsbewertung betreffen. b) Gesetzgeberische Abwägung An Hand der dargestellten planungsrechtlichen Abwägungsstrukturen kann differenziert beurteilt werden, welche Strukturelemente der Abwägungsfehlerlehre auf die Gesetzgebung übertragen werden können. aa) Keine Prüfung der Sachverhaltsbewertung Im Gegensatz zur gesetzgeberischen Sachverhaltsermittlung und Berücksichtigung des ermittelten Sachverhalts ist die Bewertung von Belangen primär eine politische Aufgabe. Eine verfassungsrechtliche Kontrolle der politischen Bewertung läuft Gefahr, den politischen Gestaltungswillen des Gesetzgebers zu bevormunden. Eine sachgerechte Beurteilung der von den Abgeordneten angestellten politischen Bewertung ist zudem kaum möglich, weil die Abgeordneten nicht verpflichtet sind, ihre Erwägungen vollständig und umfassend zu publizieren. Eine die Gedanken der Abgeordneten durchleuchtende Abwägungskontrolle könnte zu uferloser Rechtsunsicherheit führen, weil die Abstimmungsmotive der Abgeordneten erforscht werden müssten. Daraus ergibt sich, dass es aus Gründen der Rechtssicherheit und wegen des Respekts vor der politischen Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers zwar eine eigenständige Kontrolle der gesetzgeberischen Sachverhaltsermittlung und -berücksichtigung auf Abwägungsausfall und Abwägungsdefizite, nicht jedoch eine eigenständige Kontrolle des Abwägungsvorgangs hinsichtlich der Sachverhaltsbewertung geben kann134. Eine auf den Abwägungsausfall und auf Abwägungsdefizite beschränkte, eigenständige Kontrolle des Abwägungsvorgangs respektiert die politische Bewertungsfreiheit der Abgeordneten und trägt zur Rechtssicherheit bei, indem eine Gesinnungskontrolle der Abgeordneten zu unterbleiben hat135, 136.

134 Mindestanforderungen an die Quantität und Qualität des Abwägungsmaterials stellen auch: Schulze-Fielitz, Parlament als Organ der Kontrolle, S. 121; Lerche, Vorbereitung grundrechtlichen Ausgleichs, S. 97 (114 ff.). 135 Zur Unbeachtlichkeit von Motivirrtümern im öffentlichen Recht: vgl. Quaritsch, Über formelle und informelle Wege, S. 135 f. 136 Davon zu unterscheiden ist die Abwägungskontrolle hinsichtlich des Gesetzesinhalts. In Bezug auf diesen ist auch eine Bewertungskontrolle möglich, die jedoch weniger restriktiv ausfallen kann, wenn ein ordnungsgemäßer Abwägungsvorgang vorliegt. Siehe oben 4. Teil D. III. 3.

D. Abwägungsfehlerlehre als Instrument der Funktionssicherung

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bb) Mindestmaß an Sachverhaltsermittlung Kann somit dem Gesetzgeber hinsichtlich des Abwägungsvorgangs zwar keine Falschbewertung oder Fehleinschätzung bestimmter Belange, wohl aber vorgeworfen werden, dass er bestimmte Belange überhaupt nicht oder zu wenig ermittelt und deshalb auch nicht ausreichend berücksichtigt hat, so kommt es darauf an, welche Maßstäbe an die gesetzgeberische Tatsachenermittlung angelegt werden müssen. Zur Konkretisierung der Abwägungspflichten des Gesetzgebers ist zwischen der Ermittlungsbreite und der Ermittlungstiefe zu unterscheiden. Die Ermittlungsbreite betrifft die Frage, welche Belange in die Abwägung einzustellen sind. Die Ermittlungstiefe meint hingegen, inwieweit der Sachverhalt hinsichtlich eines bestimmten Belangs näher substanziiert werden muss. (1) Ermittlungsbreite – Spektrum der relevanten Belange Welche Tatsachen vom Gesetzgeber von Verfassungs wegen ermittelt werden müssen, ergibt sich aus den Abwägungsdirektiven des Grundgesetzes. Grundrechte, Staatsziele, Staatsstrukturprinzipien und ungeschriebene Verfassungsprinzipien fungieren als Ermittlungsaufträge, die ein Mindestmaß an substanzieller Auseinandersetzung im Gesetzgebungsverfahren einfordern und somit eine Entwertung des Gesetzgebungsverfahrens durch vorentscheidende Vereinbarungen verhindern helfen137. Sie wirken bezogen auf den Abwägungsvorgang als Stimulatoren eines die unterschiedlichen Verfassungswerte ausgleichenden gesetzgeberischen Mindestdiskurses, dem gerade bei ausgehandelten Gesetzen gesteigerte Bedeutung zukommt, um eine Privilegierung der Vereinbarungspartner zu vermeiden, Gemeinwohlorientierung der Gesetzgebung zu sichern und die allseitige Akzeptanz des gesetzlichen Regelungen zu fördern138. Die im parlamentarischen Diskurs zu behandelnden Abwägungsdirektiven des Grundgesetzes werden vom Bundesverfassungsgericht als dem Gesetzgeber obliegende Darlegungslasten139, Prüfaufgaben140 oder als Begründungs- und Benen137 Vgl. Lerche, Vorbereitung grundrechtlichen Ausgleichs, S. 97 (103), der die Grundrechte als „Antriebsfaktoren“ für ausgleichende Regelungen bezeichnet. In anderem Zusammenhang spricht Lerche vom „topischen Charakter“ der Grundrechte und von grundrechtlichen „Richtpunkten“. Bei Schwerdtfeger, Optimale Methodik, S. 173 (178 f.) ist von „verfassungsrechtlichen Markierungen“ und von „Einbeziehungsdirektiven“ die Rede. 138 Zur gesteigerten Integrationsverantwortung bei ausgehandelten Gesetzen: siehe oben 5. Teil C. II. 139 BVerfGE 79, 311 (343).

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5. Teil: Die Umsetzungsphase

nungsgebote141 bezeichnet. Dies zeigt, dass das Bundesverfassungsgericht aus dem Grundgesetz nicht nur ergebnisbezogene Verfassungsvorgaben ableitet, sondern dieses auch als Diskursprogramm begreift. Verfassungsrechtliche Aufgabe des Gesetzgebers ist es, einen entsprechenden Diskurs zur Konkretisierung der unscharfen Vorgaben des Grundgesetzes zu führen142. Als abwägungsrelevante Belange, die von Verfassungs wegen beim Atomausstieg zu berücksichtigen waren, seien hier beispielhaft die Schutzpflicht des Staates für Leib und Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG)143, der Gleichheitssatz hinsichtlich der Beteiligung (Art. 3 Abs. 1 GG, allgemeiner Gleichheitssatz)144, das Eigentumsgrundrecht der Betreiber (Art. 14 GG)145, das Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG)146, das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG)147, das Gewaltenteilungsprinzip (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG)148, der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen (Art. 20 a GG)149 und die Infrastrukturverantwortung des Staates für die Energieversorgung (Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 Satz 1, Art. 109 Abs. 2 GG)150 genannt. Diese Verfassungswerte verlangen, dass der diesbezügliche Sachverhalt vom Gesetzgeber ermittelt und in eine Abwägung der kollidierenden Belange eingestellt wird. Insoweit lässt sich der Verfassung ein Mindestprogramm für einen substanziierten Gesetzgebungsdiskurs entnehmen151.

Für die Ermittlungsbreite kommt es zum einen darauf an, wie intensiv das jeweilige Verfassungsprinzip von der geplanten gesetzlichen Regelung beeinträchtigt wird. Zum anderen ist auch von Bedeutung, inwieweit der Gesetzgeber die Beeinträchtigung verfassungsrechtlich relevanter Prinzipien erkennen konnte. In die Abwägung des Gesetzgebers sind auch die influenzierten Steuerungseffekte der Vereinbarung einzubeziehen.

140

BVerfGE 98, 265 (314). BVerfGE 101, 158 (235); 72, 330 (405). 142 Zum Charakter der Verfassungsauslegung als Diskurs: BVerfGE 82, 30 (38 f.). 143 BVerfGE 49, 89 (140 f.). 144 Siehe oben 4. Teil B. I. 2. 145 Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG ist als stets neu vom Gesetzgeber zu aktualisierendes Ausgleichsgebot zu verstehen (vgl. BVerfGE 25, 112 (117 f.); BVerfGE 37, 132 (140); Scholz, NVwZ 1982, 337 ff.). Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG legt dem Gesetzgeber beim Atomausstieg die Aufgabe auf, darüber zu diskutieren, welcher Mindestgewinn dem Eigentümer zusätzlich zur Amortisation im Lichte des Verhältnismäßigkeitsprinzips zugestanden werden muss. Zum Meinungsstreit bezüglich Art. 14 GG in Zusammenhang mit dem Atomausstieg: siehe die zahlreichen Nachweise bei Posser, in: Posser/Schmans/Müller-Dehn, AtG, § 7 Abs. 1a–d Rdnr 164. 146 Siehe oben 4. Teil B. I. 1. 147 Siehe oben 4. Teil B. I. 3., 4. 148 Siehe oben 3. Teil C. III., D. 149 Kruis, DVBl. 2000, 441 (444 ff.); Roßnagel, Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit, S. 19 f., 77. 150 4. Teil B. I. 6. 151 Vgl. Schulze-Fielitz, Parlament als Organ der Kontrolle, S. 121. 141

D. Abwägungsfehlerlehre als Instrument der Funktionssicherung

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(a) Beeinträchtigungsintensität und Erheblichkeitsschwelle Eine verfassungsrechtliche Pflicht zur optimalen Sachverhaltsermittlung ist abzulehnen, weil der Gesetzgeber auch hinsichtlich des Ermittlungsumfangs grundsätzlich eine politische Gestaltungsfreiheit hat. Der Respekt vor dem Wählerwillen verlangt davon auszugehen, dass die gewählten Parlamentarier ausreichende Sachkunde besitzen oder sich diese aneignen können, indem sie entsprechende Experten zu Rate ziehen. Durch die Wahl haben die Abgeordneten den „Gesetzgebungsführerschein“ erhalten, der ihnen die Kompetenz zur Auswahl der relevanten Gesichtspunkte zuspricht152. Deswegen geht es nicht an, die Entscheidung der Parlamentarier über die notwendige Sachverhaltsermittlung auch insoweit als unzureichend zu qualifizieren, als vermeintliche Ermittlungsdefizite nur geringes verfassungsrechtliches Gewicht haben. Angesichts des politischen Ermittlungsermessens des Gesetzgebers liegt ein Abwägungsdefizit bezüglich eines verfassungsrechtlichen Belangs erst vor, wenn dieser nicht ermittelt oder berücksichtigt wurde, obwohl er durch das geplante Gesetz in erheblichem Maß beeinträchtigt wird153. Je intensiver Verfassungsgüter betroffen sind, desto eher müssen diese bei der Tatsachenermittlung berücksichtigt werden154. Dabei ist die Erheblichkeitsschwelle um so niedriger anzusetzen, je höherrangige Rechtsgüter beeinträchtigt werden. Geht es um Rechtsgüter, die – wie z. B. Leib und Leben – unabhängig vom Einzelfall besonders hohe Bedeutung haben, so überschreitet die Beeinträchtigung leichter die Erheblichkeitsschwelle. Zudem ist darauf zu achten, welches Gewicht dem beeinträchtigen Verfassungsprinzip im jeweiligen Regelungsbereich zukommt. Hat das jeweilige Prinzip im jeweiligen Regelungsbereich gesteigerte Bedeutung, so kann auch bei geringerer Beeinträchtigungsintensität von Erheblichkeit ausgegangen werden. Notwendig ist somit eine rechtsgüter- und regelungsbereichsspezifische Differenzierung155. Die eigenständige verfassungsrechtliche Kontrolle des Abwägungsvorgangs konzentriert sich auf diejenigen Abwägungsmängel, die im Lichte einer solchen rechtsgüter- und regelungsbereichsspezifischen Differenzierung nach dem Grad der Intensität der Beeinträchtigung und unter Beachtung des gesetzgeberischen Ermittlungsermessens erheblich sind. In 3. und 4. Teil wurde erörtert, welche verfassungsrechtlichen Probleme die Vereinbarung vom 14. Juni 2000 in Bezug auf die Gewaltenteilung und die Sachgerech152 153 154 155

Vgl. Kirchhof, NJW 2001, 1329 (1333). Zum gesetzgeberischen Ermittlungsermessen: siehe oben 5. Teil III. 2 b), 3. Vgl. Schwerdtfeger, Optimale Methodik, S. 173 (181). Vgl. BVerfGE 50, 290 (333); 88, 203 (262); BVerfG NJW 2003, 41 (54).

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5. Teil: Die Umsetzungsphase

tigkeit der Auswahl der Vereinbarungspartner aufwirft156. Sowohl der Gleichheitssatz als auch die horizontale und vertikale Gewaltenteilung gehören zu den fundamentalen Prinzipien des Grundgesetzes (vgl. Art. 79 Abs. 3 GG). Der Gesetzgeber hat bei der Umsetzung der Vereinbarung vom 14. Juni 2000 die diesbezüglichen Probleme indessen in keiner Weise angesprochen. Auch wenn man die Beeinträchtigung der Gewaltenteilung im Ergebnis als hinnehmbar ansieht und bei der Auswahl der Vereinbarungspartner eine weites Gestaltungsermessen annimmt, so wäre es angesichts der fundamentalen Bedeutung der genannten Verfassungsprinzipien doch Aufgabe des Parlaments gewesen, die diesbezüglichen verfassungsrechtlichen Fragestellung in die eigene Abwägung einzubeziehen. Ein erheblicher Abwägungsmangel wird auch im Zusammenhang mit der Bundestreue erkennbar. Insoweit hätte der Gesetzgeber nach dem Grundsatz der Bundestreue eine länderspezifische Differenzierung der Laufzeiten in Erwägung ziehen müssen, um der unterschiedlichen Abhängigkeit der Bundesländer von der Kernenergienutzung Rechnung zu tragen157. Bei der gleichmäßigen Sicherstellung der Energieversorgung der Bevölkerung in allen Bundesländern handelt es sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts um ein besonders wichtiges Gemeinschaftsgut158. Deshalb ist auch insoweit von einem erheblichen Abwägungsmangel auszugehen.

(b) Sich aufdrängende Ermittlungspflichten Während es beim Kriterium der Erheblichkeit der Beeinträchtigung darum geht, dass nur diejenigen Belange in die gesetzgeberische Abwägung einzustellen sind, die durch das ausgehandelte Gesetz nicht nur periphär tangiert werden, kommt es für das zusätzliche Kriterium des Aufdrängens auf die Erkenntnismöglichkeiten des Gesetzgebers an. Vom Gesetzgeber kann nicht verlangt werden, dass er die Gesetzesvorlage auf jedes nur theoretisch denkbare verfassungsrechtliche Problem hin überprüft. Nur in Fällen, in denen eine verfassungsrechtliche Prüfungspflicht eindeutig auf der Hand liegt, kann den Gesetzgebungsorganen vorgeworfen werden, dass der diesbezügliche Sachverhalt nicht ermittelt worden wäre. Ansonsten steht dem Parlament ein weites gesetzgeberisches Ermittlungsermessen zu159. Dabei kommt es für die Frage, welche verfassungsrechtlichen Probleme für den Gesetzgeber eindeutig auf der Hand lagen, unter anderem auf die Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts, den Diskussionsstand der Wissenschaft und die ständige Staatspraxis an160. Prüfpflichten, die das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber aufgegeben hat, sind für den 156

Siehe oben 3. Teil C. III., 4. Teil B. I. 2. Siehe oben 4. Teil B. I. 6. 158 BVerfGE 30, 292 (323 f.); 66, 248 (257 f.). 159 Zur diesbezüglichen Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers: BVerfGE 50, 290 (332). 157

D. Abwägungsfehlerlehre als Instrument der Funktionssicherung

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Gesetzgeber ohne weiteres zu erkennen. Zudem liegen verfassungsrechtliche Probleme umso eher auf der Hand, je umfassender die Wissenschaft diese Probleme als solche erkannt und diskutiert hat. Neu entdeckte Verfassungsprinzipien, die noch keine allgemeine Anerkennung gefunden haben, müssen hingegen vom Gesetzgeber noch nicht berücksichtigt werden. Zudem kann eine jahrzehntelange Staatspraxis, die vom Bundesverfassungsgericht trotz Gelegenheit hierzu nicht beanstandet worden ist, darauf hindeuten, dass die diesbezüglichen verfassungsrechtlichen Probleme vom Gesetzgeber nur schwer erkannt werden konnten und folglich auch nicht auf der Hand lagen. Das verfassungsgerichtlich überprüfbare Sachverhaltsermittlungsprogramm hat nur das zu enthalten, was sich im jeweiligen Gesetzgebungsverfahren als verfassungsrechtlich relevante Mindestdiskussion aufdrängen musste. Eine den §§ 1, 1a BauGB vergleichbar engmaschige Liste an Abwägungsbelangen kann dem Grundgesetz nicht entnommen werden. Es darf zu keiner Erdrosselung einer funktionsfähigen Gesetzgebung durch zu hohe Ermittlungsanforderungen kommen161. Auf das sich aufdrängende Mindestmaß an Ermittlung und Abwägung kann jedoch im Interesse eines funktional wirksamen und glaubwürdigen Gesetzgebung nicht verzichtet werden. Im parlamentarischen Verfahren zum Atomausstieg wurde in keiner Weise darüber diskutiert, ob es sachgerecht war, lediglich die größten Energieversorger an den Verhandlungen mit der Bundesregierung zu beteiligen. Ein Diskurs über die Sachgerechtigkeit der Auswahl der Verhandlungspartner wäre jedoch notwendig gewesen, weil die Vereinbarung erhebliche faktische Bindungen erzeugt und sich die Begründung der Gesetzesvorlage an vielen Stellen auf die Vereinbarung beruft. Die Bundesregierung hätte das Parlament insoweit entlasten können, als sie selbst die maßgeblichen Auswahlkriterien für die Beteiligung an der Gesetzesvorbereitung in der Gesetzesvorlage offen gelegt hätte. Die Begründung der Vorlage und die sonstigen Materialien enthalten jedoch zur Auswahl der Unternehmen keinerlei Aussagen. Das wirft die Frage auf, ob in der mangelnden Abwägung der Auswahl der Vereinbarungspartner ein Abwägungsfehler liegt. Das Bundesverfassungsgericht hat in der Vergangenheit erkennen lassen, dass die Auswahl der Personen und Verbände, die an der Gesetzesvorbereitung zu beteiligen sind, grundsätzlich im Ermessen der an der Gesetzgebung beteiligten Organe steht162. Welche Ermessensgrenzen es hier geben kann, lässt die bisherige Recht160 Zur Relevanz der ständigen Staatspraxis für die Evidenz eines Verfahrensfehlers: BVerfGE 91, 148 (175). 161 Vgl. Gusy, ZRP 1985, 291 (297), der auf die Gefahr einer Überforderung des Gesetzgebers hinweist. 162 Vgl. BVerfGE 36, 321 (330): „Welche Verbände und Sachverständige bei einem nicht in der Verfassung vorgeschriebenen Anhörungsverfahren zu Wort kommen sollen, ist grundsätzlich dem Ermessen der Gesetzgebungsorgane und ihrer Ausschüsse überlassen“. Siehe ferner BVerwGE 56, 308 (315).

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5. Teil: Die Umsetzungsphase

sprechung indessen nicht deutlich erkennen. Die hier vertretene Auffassung, nach der der Gleichheitssatz Darlegungslasten für den Gesetzgeber markiert, wurde bisher bezogen auf die Vorbereitung von Gesetzen wenig konkretisiert. Die Auswahl der beteiligten Verbände erfolgte in der bisherigen Staatspraxis eher freihändig163. In der Vergangenheit musste sich ein diesbezügliches Abwägungsgebot dem Parlament deshalb noch nicht aufdrängen, so dass insoweit noch kein eigenständiger Fehler im Abwägungsvorgang anzunehmen ist. Das Parlament müsste aber in Zukunft die sachgerechte Auswahl der Verhandlungspartner unter dem Aspekt des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes prüfen, wenn die Bindung der gesetzesvorbereitenden Staatsgewalt an den Gleichheitssatz in der wissenschaftlichen Diskussion an Kontur gewinnt. Der Bundestag hat auch die Frage einer Beeinträchtigung der horizontalen und vertikalen Gewaltenteilung durch die kernkraftwerksscharfen Einzelfallregelungen zur Periodische Sicherheitsüberprüfung und zur Restlaufzeit nicht erörtert. Diese Abwägungspflicht lag indessen angesichts der Stendal-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eindeutig auf der Hand, weil nach dieser Entscheidung parzellenscharfe gesetzliche Einzelfallregelungen nur in Ausnahmefällen und bei besonderer Rechtfertigung zulässig sind164. Der Bundestag hätte erörtern müssen, worin er die besondere Rechtfertigung für die kernkraftwerksscharfen Einzelfallregelungen sieht. Auch hier hätte eine Begründung in der Gesetzesvorlage der Bundesregierung den Bundestag entlasten können. Da sich die erhebliche Beeinträchtigung der Gewaltenteilung aufdrängen musste, liegt insoweit ein eigenständiger Fehler im gesetzgeberischen Abwägungsvorgang vor. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber nicht erörtert, dass einige Bundesländer in besonders hohem Maße von der Kernenergie abhängig sind. Die vollkommene Nichtbeachtung der länderspezifischen Unterschiede stellt einen erheblichen Verstoß gegen die Bundestreue dar. Die Problematik der besonderen Abhängigkeit einiger Bundesländer war allgemein bekannt und musste sich dem Gesetzgeber deshalb aufdrängen.

(c) Influenzierungseffekte Gesetzen, die zuvor mit Privaten ausgehandelt wurden, steuern auch außerhalb der unmittelbar gesetzlich umgesetzten Tatbestände. Die influenzierten Effekte der gesetzesvorbereitenden Vereinbarung müssen ebenfalls in die gesetzgeberische Abwägung eingestellt werden. Da das geplante Gesetz den entscheidenden Anreiz für die influenzierte Verhaltensweise des Privaten setzt, muss der Gesetzgeber sich das influenzierte Privatverhalten zurechnen lassen und in seine Abwägung einbeziehen165. Das Parlament 163 Vgl. Wielinger, Diskussionsbeitrag, Staatsrechtslehrertagung 1982, S. 115, der die bisherige Vorbereitung der Rechtsetzung als einen dem „Freistilringen ähnlichen politischen Prozess“ charakterisiert. 164 BVerfGE 95, 1 (17). 165 Zur Zurechnungsfigur der influenzierten Staatsgewalt: siehe oben 2. Teil C.

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übernimmt im Umsetzungsgesetz die Verantwortung für die von der umgesetzten Vereinbarung ausgehenden Influenzierungseffekte. Das hat für die Ermittlungsbreite zur Konsequenz, dass sich die gesetzgeberische Abwägung auch auf die Influenzierungswirkungen erstrecken muss. Die vom Bund influenzierte Rücknahme des Antrages im Genehmigungsverfahren Mühlheim-Kärlich beeinträchtigt die vertikale Gewaltenteilung. Es wäre eigentlich Aufgabe des Landes gewesen, eine einvernehmliche Lösung mit dem Betreiber herbeizuführen166. Der Bundestag hat mit der gesetzlichen Umsetzung der Vereinbarung vom 14. Juni 2000 die Verantwortung für die durch diese Vereinbarung erzeugten Influenzierungseffekte übernommen. Daraus können sich für den Gesetzgeber entsprechende Abwägungspflichten hinsichtlich der Rechtfertigung des Übergriffs in die Landesvollzugskompetenzen ergeben. Hier stellt sich allerdings die Frage, ob sich ein Abwägungsmangel in Bezug auf die influenzierte Staatsgewalt dem Bundestag aufdrängen musste. Immerhin geht es bei der kompetenziellen Prüfung von Influenzierungseffekten um schwierige Zurechnungsfragen, bei denen die Freiwilligkeit des Privaten und die vom Staat erzeugten Zwangsmomente gewichtet werden müssen. Das Zurechnungsmodell der influenzierenden und influenzierten Staatsgewalt kann auch nicht als bereits etablierte Denkfigur des Staatsrechts angesehen werden. Deshalb mussten sich die diesbezüglichen Abwägungsfragen dem Bundestag für den Fall des Atomausstieges noch nicht aufdrängen. Somit liegt noch kein eigenständiger Fehler im Abwägungsvorgang darin, dass der Gesetzgeber im Rahmen des damaligen Umsetzungsgesetzgebungsverfahrens nicht erörtert hat, inwieweit die Antragsrücknahme im anhängigen Verwaltungsverfahren dem Bund zuzurechnen ist und inwieweit ein daraus resultierender Übergriff in die Landeskompetenzen hingenommen werden kann.

(d) Ergebnis Als Zwischenergebnis kann festgehalten werden, dass sich das Spektrum der für die gesetzgeberische Abwägung relevanten Aspekte aus den Grundrechten, Staatszielen, Staatsstrukturprinzipien sowie den ungeschriebenen Verfassungsprinzipien ergibt, sofern diese durch die geplante Regelung erheblich beeinträchtigt werden. Eine eigenständige Kontrolle des gesetzgeberischen Abwägungsvorgangs ist jedoch nur insoweit vorzunehmen, als sich dem Gesetzgeber die diesbezüglichen verfassungsrechtlichen Fragestellungen aufdrängen mussten. Der Gesetzgeber muss dabei auch die Influenzierungseffekte, die von der gesetzesvorbereitenden Vereinbarung ausgehen, in seine Erörterungen einbeziehen. Dementsprechend darf sich die gesetzgeberische Abwägung bei der Umsetzung gesetzesvorbereitender Vereinbarungen nicht auf die explizit gesetzlich umzusetzenden Regelungen beschränken.

166

Siehe oben 3. Teil D.

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(2) Ermittlungstiefe – Grad notwendiger Substanziierung Aus den Ausführungen zur Ermittlungsbreite ergibt sich ein Prüfungsraster für die gesetzgeberische Abwägung. Im Rahmen der Ermittlungstiefe geht es nun darum, mit welchem Detaillierungs- und Intensitätsgrad die nach diesem Prüfungsraster relevanten Aspekte zu ermitteln sind. Die Ermittlungstiefe steht ebenfalls grundsätzlich im politischen Ermessen des Gesetzgebers. Dieses Ermessen ist jedoch nicht grenzenlos. Die Sachverhaltsermittlung hinsichtlich der Beeinträchtigung eines Verfassungsprinzips muss mindestens das enthalten, was für eine auf den jeweiligen Regelungsbereich bezogene Bewertung der Beeinträchtigung notwendig ist. Sachverhaltsermittlung und Sachverhaltsbewertung stehen nicht isoliert nebeneinander, sondern bauen aufeinander auf. Die Sachverhaltsermittlung soll die Sachverhaltsbewertung ermöglichen und vorbereiten. Die ermittelten relevanten Belange sind deshalb bezogen auf den jeweiligen Regelungsbereich dahingehend zu substanziieren und zu konkretisieren, dass eine Gewichtung und Abwägung in Hinblick auf das jeweilige Regelungsvorhaben möglich wird167. (a) Rang des Rechtsguts, Intensität der Beeinträchtigung, Möglichkeit der Ermittlung Je höheren Rang die beeinträchtigten Verfassungsprinzipien haben und je intensiver diese beeinträchtigt werden, desto gründlicher muss die diesbezügliche Sachverhaltsermittlung ausfallen168. Zudem spielt für die einzufordernde Ermittlungsintensität eine Rolle, welche Möglichkeiten der Gesetzgeber zur Sachverhaltsermittlung hatte. In Bereichen, die einem schnellen Wandel unterworfen sind und sich deshalb sicherer Prognosen entziehen, können deshalb die Anforderungen abzusenken sein169. 167

Vgl. BVerfGE 70, 324 (355). Zur Bedeutung des Ranges des beeinträchtigten Rechtsgutes für die erforderliche Ermittlungsintensität: BVerfGE 50, 290 (333); 88, 203 (262). BVerfGE 46, 160 (164): „Da das menschliche Leben einen Höchstwert darstellt, muss diese Schutzpflicht (für Leib und Leben) besonders ernst genommen werden“. Zur Bedeutung der Beeinträchtigungsintensität: BVerfGE 17, 306 (314); Alexy, Verfassungsrecht und einfaches Recht, S. 7 (28): „Je schwerer ein Eingriff in ein Grundrecht wiegt, desto größer muss die Gewissheit der den Eingriff tragenden Prämissen sein.“ 169 Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Zusammenhang eine Dreistufenprüfung entwickelt, die zwischen einer Evidenzkontrolle, einer Vertretbarkeitskontrolle und einer intensivierten Kontrolle unterscheidet (BVerfGE 50, 290 (333)). In BVerfGE 88, 203 (262) hat sich das Gericht von dieser Stufenprüfung jedoch wieder distanziert. Insoweit ist Schlaich/Korioth zuzustimmen, der betont, dass es sich bei den Stufen nur um „Markierungen in einer gleitenden Skala der Kontrolldich168

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Aus politischer Sicht steht für jedes Gesetzesprojekt angesichts der zeitlich begrenzten Legislaturperioden nur ein limitiertes Zeitbudget zur Verfügung. Bei gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen besteht die Gefahr, dass wegen langwieriger Verhandlungen mit Interessenverbänden nur noch wenig Zeit für eine eigenständige Abwägung im eigentlichen Gesetzgebungsverfahren bleibt. Insoweit ist zu beachten, dass ein rein politisch motivierter Zeitmangel den Gesetzgeber bei den notwendigen Sachverhaltsermittlungen nicht entlastet. Politisches Kalkül darf die verfassungsrechtlich gebotene Mindestsorgfalt in der Gesetzgebung nicht unterlaufen170. Im Hinblick auf den Atomausstieg stellt sich die Frage, inwieweit die Intensität der Sachverhaltsermittlung und Abwägung im parlamentarischen Verfahren darunter gelitten hat, dass das Gesetz zuvor mit den größten Energieversorgungsunternehmen über einen Zeitraum von über zwei Jahren ausgehandelt worden ist. Dabei rückt vor allem die Frage nach der Anlagensicherheit während der Restlaufzeit ins Blickfeld. Der Staat ist zum Schutz von Leib und Leben von Verfassungs wegen verpflichtet (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG)171. Diesbezüglich ergeben sich besonders hohe Anforderungen an die Intensität der gesetzgeberischen Sachverhaltsermittlung, weil dem zu schützenden Rechtsgut Leib und Leben ein besonders hoher verfassungsrechtlicher Rang zukommt172. Aus den Gesetzesmaterialien zur Atomgesetznovelle geht hervor, dass im parlamentarischen Verfahren stets beteuert wurde, dass die Vereinbarung mit den Energieversorgungsunternehmen zu keinem Rabatt an Sicherheit führen werde. Dabei wurde darauf hingewiesen, dass die atomgesetzlichen Vorschriften, die das Sicherheitsniveau nach dem Maßstab des Standes von Wissenschaft und Technik (§ 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG) festlegen, nicht geändert würden173. Diese rein rechtliche Betrachtungsweise greift jedoch zu kurz. Der Stand von Wissenschaft und Technik, der laut Entschließungsantrag auch für die Schadensvorsorge im Rahmen von nachträglichen Auflagen gelten soll174, ist maßgeblich von der faktischen Entwicklung abhängig. Im Bereich der kerntechnischen Lehre und Forschung ist jedoch seit Jahren eine rückläufige Entwicklung zu verzeichnen175. Die Anzahl an interessierten Studenten für den Bereich Kerntechnik ist rapide zurückgegangen. Nach Auffassung vieler Experten ist mit einem weiteren Verlust von Know-how zu rechnen. Dieser für das gesetzlich vorgeschriebene Sicherheitsniveau relevante Wissensverfall wird ten“ handelt (Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, Rdnr. 524; ebenso: Ossenbühl, Bundesverfassungsgericht und Gesetzgebung, S. 33 (53)). 170 BVerfG NJW 2003, 41 (54); siehe ferner: Zeh, in: Stern, Staatsrecht Bd. 2, § 37 III 5 (S. 623 f.), der darauf hinweist, dass ein Mindestmaß an Beratungszeit im Gesetzgebungsverfahren verfassungsrechtlich erforderlich sei. „Nacht- und Nebelgesetze“ würden einen verfassungsrechtlichen Mangel aufweisen. 171 BVerfGE 39, 1 (41); 49, 89 (141 f.); 53, 30 (57). 172 BVerfGE 39, 1 (42); 49, 89 (141 f.); 50, 290 (333); 53, 30 (57); 88, 203 (254). 173 BT-Drs. 14/7840, S. 3 f.; A.-Sten. Prot. 14/69 (Umweltausschuss), S. 37. 174 BT-Drs. 14/7840, S. 3. 175 Hahn, Sicherheit in der Restlaufzeit, S. 95 (99).

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durch das gesetzliche Neubauverbot von Kernkraftwerken als wesentlicher Bestandteil des Atomausstieges in erheblichem Maße zusätzlich beschleunigt176. Das Problem des Wissensverfalls wurde vom Parlament zwar gesehen. Dabei wurde jedoch kein substanziiertes und schlüssiges Konzept erörtert, wie diesem entgegengewirkt werden soll. Die Angaben des Bundesamtes für Strahlenschutz in der Expertenanhörung des Umweltausschusses zu einem diesbezüglichen „großen Forschungsprojekt“ sind unzureichend. Es fehlen jegliche Angaben über den Umfang des Projekts und über das zu Grunde liegende Förderkonzept177. Die Abgeordneten haben keinerlei kritische Fragen zu Umfang und Wirksamkeit dieses Programms gestellt178. In Anbetracht der verfassungsrechtlichen Bedeutung der Verpflichtung des Staates zum Schutz von Leib und Leben seiner Bürger kann es nicht ausreichen, dass zur Bewältigung des Problems des Wissensverfalls lediglich pauschale Angaben gemacht wurden, die kein kritisches Urteil auf substanziierter Grundlage zulassen179. Die gesetzgeberische Abwägung zur Vermeidung des Wissensverfalls war nicht in dem Maße substanziiert, wie es der hohe Rang der Schutzpflicht von Leib und Leben verlangen würde. Selbst wenn zum Zeitpunkt des parlamentarischen Verfahrens noch nicht vollständig abschätzbar war, welche Maßnahmen diesbezüglich in Zukunft notwendig sein werden, hätte das Parlament bereits tätig werden müssen. Der Bundestag hätte der Bundesregierung zumindest eine diesbezügliche Berichtspflicht auferlegen müssen180, 181. Hier drängt sich die Frage auf, ob diese Problematik wegen der sehr gerafften parlamentarischen Beratungen zu kurz gekommen ist. Die gerafften parlamentarischen Beratungen hängen beim Atomausstieg damit zusammen, dass das Gesetz zuvor in einem langwierigen Prozess en detail ausgehandelt worden ist. Dadurch sind erhebliche faktische Bindungen erzeugt worden. Der langwierige Aushandlungsprozess mit seinen intensiven faktischen Austauschbindungen hat dazu geführt, dass er176 Siehe die Stellungnahmen der Sachverständigen: König und Kugeler, A.-Sten. Prot. 14/69 (Umweltausschuss), S. 37; König, A.-Drs. 14/626 Teil 6** (Umweltausschuss), S. 3 (24); Kugeler, A.-Drs. 14/626 Teil 3** (Umweltausschuss), S. 3 f.; Schier, A.-Drs. 14/626 Teil 7** (Umweltausschuss), S. 13 (15 ff.); Storey, Maintenance, S. 81 ff.; Hahn, Sicherheit in der Restlaufzeit, S. 95 ff.; Birkhofer, Sicherheitsphilosophie, S. 17 (26); Posser, in: Posser/Schmans/Müller-Dehn, AtG, § 7 Abs. 1 Rdnr. 114. 177 Siehe die Stellungnahme des Bundesamtes für Strahlenschutz: A.-Drs. 14/626 Teil 6** (Umweltausschuss), S. 3 (24); A.-Sten. Prot. 14/69 (Umweltausschuss), S. 37. 178 A.-Sten. Prot. 14/69 (Umweltausschuss), S. 37. 179 Dasselbe gilt für die ebenfalls sehr vagen Darlegungen zum Stipendienprogramm der Atomwirtschaft: Hennenhöfer, A.-Drs. 14/626 Teil 2** (Umweltausschuss), S. 7 (7). 180 Die im Entschließungsantrag BT-Drs. 14/7840 S. 4 f. statuierten Berichtspflichten beziehen sich nicht auf den Wissensverfall, sondern lediglich auf terroristische Anschläge und auf Entsorgungsfragen. 181 Zur Notwendigkeit einer die Gesetzesfolgen einbeziehenden, begleitenden parlamentarischen Kontrolle: vgl. Löffler, Parlamentsvorbehalt, S. 97.

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hebliche Aspekte für eine langfristige Gewährleistung der Anlagensicherheit im parlamentarischen Verfahren nicht ausreichend erörtert worden sind. Zur Sicherheitsthematik gehört auch die Frage, wie das Restrisiko während der Restlaufzeit mit dem Eigentumsrecht der Betreiber an den vorhandenen Anlagen abzuwägen ist. Nach der Kalkar-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1978 hat das Parlament die Grundsatzfrage für oder gegen die Kernkraft selbst zu entscheiden182. Dies impliziert, dass das Parlament das Gewicht der politischen Ausstiegsforderung im Vergleich zu den Eigentümerinteressen selbst beurteilen und eine eigenständige Abwägung vornehmen muss183. Die mit der Nutzung der Kernkraft trotz hohem Sicherheitsstandard verbundenen Risiken können nach Auffassung der Bundesregierung und der Mehrheit des Bundestages auf Dauer nicht mehr als sozial adäquates Restrisiko hingenommen werden184. In der Gesetzesvorlage wurde betont, dass ein angemessener Ausgleich zwischen dem politischen Ausstiegswillen und den Eigentumsrechten der Betreiber gefunden worden sei, weil die Betreiber zugestimmt hätten und weil sie auch in Bezug auf die Transporte und die Zwischenlagerung begünstigt worden seien. Die Vereinbarung sei ein Gesamtpaket185. Diese Auffassung wurde vom Parlament ausweislich des Berichts des Umweltausschusses und der vom Bundestag verabschiedeten Entschließung übernommen186. Hierzu ist festzustellen, dass das Parlament das Problem der Abwägung des Restrisikos und des Eigentumsgrundrechts gesehen hat. Dabei wurde jedoch der diesbezügliche Sachverhalt nicht ausreichend intensiv ermittelt und abgewogen. Zwar hat das Bundesumweltministerium zur Vereinbarkeit des Atomausstiegs mit Art. 14 GG ein Gutachten in Auftrag gegeben. Der Sachverständige Denninger hat dieses Gutachten im Rahmen der Expertenanhörung des Umweltausschusses auch zum Gegenstand seiner schriftlichen Stellungnahme gemacht187. Dieses Gutachten kommt jedoch nicht zu der dem Gesetz zu Grunde gelegten Laufzeit von 32 Kalenderjahren, sondern weicht mit 25 Kalenderjahren von dieser Laufzeit in hohem Maße ab188. Somit kann das vom Bundesumweltministerium in Auftrag gegebene Gutachten des Sachverständigen Denninger die dem Gesetz zu Grunde gelegten Laufzeiten nicht rechtfertigen189. Den im Rahmen der Expertenanhörung getätigten Ausführungen der Sachverständigen Hermes, Denninger, de Witt lässt sich lediglich entnehmen, dass man sich mit 182

BVerfGE 49, 89 (127). Vgl. Langenfeld, DÖV 2000, 929 (939): Erforderlich sei eine gesetzgeberische Entscheidung in voller Kenntnis der verfassungsrechtlichen Tragweite. 184 BT-Drs. 14/7840, S. 1 ff.; Begründung der Gesetzesvorlage, BT-Drs. 14/ 7261, 14/6890, S. 1, 14. 185 Begründung der Gesetzesvorlage, BT-Drs. 14/7261, 14/6890, S. 15 f. 186 BT-Drs. 14/7840, S. 2 f.; BT-Drs. 14/7825, S. 4 f. 187 Denninger, A.-Drs. 14/626 Teil 2** (Umweltausschuss), S. 2 (6). 188 Denninger, Verfassungsrechtliche Fragen des Ausstiegs, S. 87, 97. 189 Das vom Bundesumweltministerium ebenfalls in Auftrag gegebene Gutachten des Öko-Instituts war nicht Gegenstand der parlamentarischen Beratungen. Es geht zudem ebenfalls von anderen als den vereinbarten Laufzeiten aus. Siehe Öko-Institut/Wuppertal Institut, Kernkraftwerksscharfe Analyse, S. 90 f. 183

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32 Kalenderjahren im Hinblick auf das Eigentumsgrundrecht der Betreiber „auf der sicheren Seite“ bewege190. Damit wird jedoch keine Aussage darüber getroffen, ob eine solche Laufzeit auch im Hinblick auf die von der Mehrheit im Bundestag angenommene soziale Inadäquanz der Kernenergienutzung angemessen ist. Der Sachverständige Schmidt-Preuß ließ die Angemessenheitsfrage in der Expertenanhörung offen, indem er darauf verwies, dass der „Gesetzgeber“ (sic!?) 32 Kalenderjahre vorgesehen habe und dass letztlich das Bundesverfassungsgericht entscheiden müsse191. Der Ausschussbericht bezeichnet die vereinbarte Laufzeit von 32 Kalenderjahren für einen „vernünftigen Kompromiss“, ohne Sachgründe zu benennen, warum 32 Kalenderjahre „vernünftig“ sein sollen192. Weder die Begründung der Gesetzesvorlage noch die sonstigen Gesetzmaterialien lassen Sachgründe dafür erkennen, warum die gesetzlich normierten Restlaufzeiten tatsächlich im Hinblick auf das Restrisiko vertretbar und zugleich betriebswirtschaftlich angemessen sein sollen. Die Bundestagsmehrheit hält das Restrisko, insbesondere wegen des Risikos menschlichen Fehlverhaltens, nicht mehr für sozial adäquat193. Dementsprechend hätte sie begründen müssen, aus welchen Gründen dieses Restrisiko dennoch während der vereinbarten Restlaufzeitdauer noch hingenommen werden kann. Die Tatsache, dass die Energieversorgungsunternehmen mit der vereinbarten Laufzeit einverstanden waren, ist keine Sachbegründung, die eine ausgewogene Abwägung zwischen Restrisiko und Eigentumsschutz belegen könnte. Zwar lässt die Zustimmung der Energieversorgungsunternehmen in gewissem Maße vermuten, dass es sich für die beteiligten Energieversorgungsunternehmen um ein wirtschaftlich vertretbares Ergebnis handeln könnte, dennoch bedeutet dies noch nicht, dass das aus Betreibersicht vertretbare Ergebnis auch in Bezug auf das Restrisiko als angemessen angesehen werden kann. Die Abgeordneten waren sich nicht im Klaren darüber, welche Verzinsung des investierten Kapitals den Energieversorgungsunternehmen mit der Verabschiedung des Gesetzes zugestanden wird. Zwar wurden entsprechende betriebswirtschaftliche Analysen im Auftrag des Bundesumweltministerium für eine Laufzeit von 25 Kalenderjahren durchgeführt194. Für die vereinbarte und später gesetzlich umgesetzte Ausstiegskonzeption fehlte es jedoch an entsprechenden betriebswirtschaftlichen Untersuchungen des Gesetzgebers. Gerade die betriebswirtschaftlichen Hintergründe und die den Betreibern zugestandene Verzinsung im Vergleich zur marktüblichen 190 Hermes, A.-Drs. 14/626 Teil 5** (Umweltausschuss), S. 3 (7 f.); Denninger, A.-Drs. 14/626 Teil 2** (Umweltausschuss), S. 2 (5); de Witt, A.-Drs. 14/626 Teil 7** (Umweltausschuss), S. 2 (5). 191 Schmidt-Preuß, A.-Sten. Prot. 14/69 (Umweltausschuss), S. 3 f. Auffällig ist hier, dass im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens davon gesprochen wurde, dass der Gesetzgeber eine bestimmte Laufzeit vorgesehen habe, obwohl über diese Laufzeit gerade erst im anhängigen Gesetzgebungsverfahren zu entscheiden war. Die Vereinbarung wurde offenbar auch von den Sachverständigen als ein unverrückbares faktisches Präjudiz angesehen, so dass auch diese bereits im laufenden parlamentarischen Verfahren von einer faktisch festgelegten Laufzeit ausgingen. 192 BT-Drs. 14/7825, S. 5. 193 Begründung der Gesetzesvorlage, BT-Drs. 14/7261, 14/6890, S. 14; BT-Drs. 14/7840, S. 1 f.; BT-Drs. 14/7825 S. 6. 194 Öko-Institut/Wuppertal Institut, Kernkraftwerksscharfe Analyse, S. 90 ff.

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Verzinsung hätten die Abgeordneten aber kennen müssen, um sachgerecht beurteilen zu können, ob die Restlaufzeiten in Anbetracht von Restrisiko und Eigentumsrechten der Betreiber als sozial adäquates Risiko hingenommen werden können. Eine über bloße Floskeln hinausgehende Abwägung hätte erfordert, dass zu den von Art. 14 GG geschützten Positionen der Betreiber faktengestützte Angaben gemacht worden wären, die dann dem Restrisiko hätten gegenübergestellt werden können195. Das Gesetzgebungsverfahren lässt keine ausreichend substanziierte Sachverhaltsermittlung erkennen, auf deren Grundlage die für den Ausstieg zentrale Frage der Abwägung von Restrisiko und Art. 14 GG hätte beurteilt werden können. Die gesetzesvorbereitende Vereinbarung fungierte auch im Gesetzgebungsverfahren, wie bereits im Zusammenhang mit dem Gebot kritischer Rezeption bei der Gesetzesinitiative festgestellt196, als Ersatz für eine Sachbegründung. Darin ist ein Abwägungsdefizit im gesetzgeberischen Abwägungsvorgang zu sehen197. Auch wenn es kaum möglich sein wird, angemessene Restlaufzeiten tagesscharf aus dem Grundgesetz zu deduzieren und sich die volitiv-dezisionistischen Elemente der Laufzeitverkürzung nicht vollständig eliminieren lassen werden198, muss doch bezweifelt werden, ob das Parlament in seiner Abwägung die Möglichkeiten rationaler Entscheidungsfindung ausreichend ausgeschöpft hat, bevor es zur politischen Bewertung übergangen ist. Der Bundestag hätte sich aus Gründen seiner Eigenverantwortung als Staatsorgan nicht auf die im Verhandlungswege von der Bundesregierung getroffenen Ergebnisse verlassen dürfen. Das hätte sich dem eigenverantwortlich handelnden Parlament aufdrängen müssen, weil es sich bei der Abwägung von Restrisiko und Restlaufzeiten um die zentrale Frage des Atomausstiegs handelte. Das Parlament hat sich zu dieser zentralen Frage keine eigenständige, kritische Meinung gebildet. Deshalb liegt ein Defizit im Abwägungsvorgang auch dann vor, wenn die Abwägung zwischen Laufzeit und Restrisiko im Ergebnis verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sein sollte199. 195 Anhaltspunkte zur Beurteilung der betriebswirtschaftlichen Seite finden sich andeutungsweise bei Posser, in: Posser/Schmans/Müller-Dehn, AtG, § 7 Abs. 1a–d Rdnr. 126. Posser weist jedoch auf den politisch-kompromisshaften Charakter der getroffenen Festlegung hin. 196 Siehe oben 4. Teil B. II. 2. f). 197 Dieses Abwägungsdefizit wird durch die Äußerungen des stellv. Fraktionsvorsitzenden der SPD Müller in der zweiten Lesung bestätigt, der zunächst betonte, dass es der SPD auf einen „Ausstieg“ und gerade nicht auf ein bloßes „Auslaufen“ der Kernenergie ankomme, dann sich aber dahingehend äußerte, dass weitgehend nur ein „Auslaufen“ vereinbart worden sei (BT-Sten. Prot. 14/209, S. 20717). Offenbar war man sich in dieser Fraktion nicht ganz im Klaren darüber, ob das vereinbarte Gesetz nun wirklich der politisch gewünschte Ausstieg oder eher ein für die Energieversorger günstiges Auslaufen war. Obwohl diese Zentralfrage der Atomgesetznovelle unklar blieb, stimmte der Bundestag der Vorlage zu. Darin wird eine Selbstentmachtung des Parlaments deutlich sichtbar. 198 Vgl. Denninger, Verfassungsrechtliche Fragen des Ausstiegs, S. 82 ff. 199 Schmidt-Preuß, A.-Drs. 14/626 Teil 5** (Umweltausschuss), S. 11 (13); ders., A.-Sten. Prot. 14/69 (Umweltausschuss), S. 7, hält zudem eine rein politische Risikobewertung nicht für ausreichend. Vielmehr müsste der Gesetzgeber eine kürzere Laufzeit als 40 Jahre nachvollziehbar begründen, indem er entsprechende Risiken

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(b) Erhöhte Anforderungen bei Kontinuitätsversprechen Die notwendige Ermittlungstiefe kann weiter verdeutlicht werden, wenn man nach unterschiedlichen Gesetzestypen und Gesetzesfunktionen differenziert. Dient ein Gesetz lediglich dazu, neue Regelungen auszuprobieren und ist von vornherein eine Überprüfung des Gesetzes vorgesehen, so kann ein geringeres Maß an Ermittlungen ausreichen200, 201. Bei stark eingeschränkten Möglichkeiten des Gesetzgebers, eine sichere Prognose für den jeweiligen Regelungsbereich abzugeben, genügt unter Umständen eine weniger substanzreiche Tatsachengrundlage202. Diese Ermittlungsschwächen müssen jedoch durch eine fortlaufende, nachträgliche Evaluation des Gesetzes ausgeglichen werden. Im Gegensatz dazu sind aber bei Gesetzen, die eine langfristige Planungsgrundlage herstellen sollen und deren spätere Änderung von vornherein als unerwünscht erachtet wird, höhere Anforderungen an Sachverhaltsermittlung und Abwägung anzulegen. Für die Frage, ob im Schwerpunkt eher ein experimentierendes Gesetz oder ein auf Kontinuität angelegtes Gesetz vorliegt, kommt es auf die vom Gesetzgeber intendierte Funktion des jeweiligen Gesetzes an203. Bei gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen mit Umsetzungsgesetz verfolgt der Gesetzgeber typischerweise das Ziel, langfristig Planungssicherheit für die Beteiligten herzustellen. Dies ist gerade der Grund, warum die Vereinbarung gesetzlich umgesetzt wird204. Für vorübergehende Regelungsexperimente würde oftmals die bloße Selbstverpflichtung ohne gesetzliche Umsetzung ausreichen. Demgegenüber zielen gesetzlich umgesetzte Vereinbarungen auf umfassende, auf Dauer angelegte Pazifizierung. der Kernenergienutzung substanziiert darlege. A. A. de Witt, A.-Drs. 14/626 Teil 7** (Umweltausschuss), S. 2 (3); ders. A.-Sten. Prot. 14/69 (Umweltausschuss), S. 40, der eine politische Neubewertung als ausreichend ansieht. Ob eine rein politische Risikoeinschätzung ausreicht, kann hier jedoch dahingestellt bleiben, weil bereits die unsubstanziierten Darlegungen zur wirtschaftlichen Vertretbarkeit der Restlaufzeit dazu führten, dass den Abgeordneten eine eigenständige Abwägung mit dem Restrisiko nicht möglich war. 200 Der vorübergehende und experimentelle Charakter von Gesetzen kann in sog. Experimentierklauseln zum Audruck kommen: vgl. § 4 Abs. 6 AltPflG (siehe hierzu: BVerfG NJW 2003, 41 (57)). 201 Kloepfer, Gesetzgebung im Rechtsstaat, S. 63 (92 ff., 137 f.). Kloepfer spricht in Bezug auf Gesetzgebungsexperimente von „testbezogener Lockerung“ der Verfassungsbindung. Dabei darf jedoch nicht die materielle Verfassungsbindung gelockert werden. Die Entlastung des Gesetzgebers betrifft vielmehr lediglich die Ebene der Sachverhaltsermittlung (vgl. Horn, Experimentelle Gesetzgebung, S. 240). 202 Vgl. Denninger, Verfassungsrechtliche Fragen des Ausstiegs, S. 74 f. 203 Vgl. BVerfG NJW 2003, 41 (54). 204 Siehe oben 1. Teil A. I. 3. d) bb).

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Zur dauerhaften Streitbeilegung implizieren die Vereinbarungen ein Kontinuitätsversprechen, in dem den privaten Vereinbarungspartnern zugesagt wird, dass eine Verschärfung der vereinbarten Regelungen in absehbarer Zeit unterbleibt, wenn sich die Sachlage nicht wider Erwarten ändert. Dieses Kontinuitätsversprechen ist für den privaten Vereinbarungspartner das entscheidende Motiv, der Vereinbarung zuzustimmen und gegen das vereinbarte Gesetz weder die eigenen Mitglieder noch die Öffentlichkeit zu mobilisieren sowie auf Rechtsbehelfe zu verzichten205, 206. Die Zusage, eine auf Dauer angelegte Regelung zu treffen, führt dazu, dass bestehende Prognoseunsicherheiten kaum in der Lage sind, die Ermittlungsanforderungen abzuschwächen. Im Gegenteil müssen die Anforderungen an die gesetzgeberische Tatsachenermittlung umso mehr steigen, je intensiver und faktisch verbindlicher das Kontinuitätsversprechen ausfällt207. Die Vereinbarung vom 14. Juni 2000 zielte darauf, einen Konsens über die friedliche Nutzung der Kernenergie zu erzielen, der über die nächsten Jahrzehnte Bestand haben soll. Den Betreibern kam es auf langfristige Planungssicherheit an. Deshalb wurde ihnen der ungestörte Betrieb während der Restnutzungsdauer garantiert208. Auf der anderen Seite wollte die Bundesregierung den Ausstieg aus der Kernenergie „faktisch unumkehrbar“ festschreiben. Deswegen schließt die Begründung der Gesetzesvorlage auch jede Revision des Gesetzes von vornherein aus209. Diese Intention des Gesetzgebers, eine langfristig geltende Regelung zu schaffen, die keiner späteren Evaluation bedarf, erhöht die Anforderungen an die gesetzgeberische Sachverhaltsermittlung. Das gilt insbesondere auch für die Prognose des Gesetzgebers über die künftige Entwicklung der Energieversorgung210. Ob der Gesetzgeber die Ersetzbarkeit der Kernenergie durch andere Energieformen in der Zukunft unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Folgen ausreichend erörtert hat, soll hier nicht weiter untersucht werden211. Vorliegend genügt die Feststellung, dass die 205

Zur Kontinuität und Rechtssicherheit als Leistung des Staates an die Wirtschaft im Rahmen einer Austauschbeziehung: Smeddinck/Tils, Normgenese und Handlungslogiken, S. 130. 206 Zur Frage, inwieweit sich das Kontinuitätsversprechen auf die Abänderbarkeit des ausgehandelten Gesetzes auswirkt: siehe unten 8. Teil B. 207 Vgl. Horn, Experimentelle Gesetzgebung, S. 296 ff., der bei ungewisser Sachlage von einer verfassungsrechtlichen Pflicht zum gesetzgeberischen Experiment ausgeht. 208 I. und III. der Vereinbarung vom 14. Juni 2000; Begründung der Gesetzesvorlage, BT-Drs. 14/7261, 14/6890, S. 15. 209 Begründung der Gesetzesvorlage, BT-Drs. 14/7261, 14/6890, S. 18; zur Intention des Gesetzgebers, eine faktisch unumkehrbare Regelung zu treffen: Trittin, BT-Sten. Prot. 14/111, S. 10431; Jung, BT-Sten. Prot. 14/111, S. 10448; Müller, BT-Sten. Prot. 14/209, S. 20717; Klöck, NuR 2001, 1 (7). 210 Siehe hierzu: Begründung der Gesetzesvorlage, BT-Drs. 14/7261, 14/6890, S. 14 f.

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in der Vereinbarung und im Umsetzungsgesetz zum Ausdruck kommende Intention, zu einer konsentierten Kontinuität ohne spätere Revision zu gelangen, dazu führt, dass die Ermittlungsanforderungen steigen.

(c) Gebot der gesetzgeberischen Konfliktbewältigung bei selbstvollziehenden Gesetzen Bei der Konkretisierung der gesetzgeberischen Ermittlungs- und Abwägungspflichten muss auch das Zusammenwirken mit der gesetzesvollziehenden Verwaltung beachtet werden. Der Gesetzgeber kann von Sachverhaltsermittlungspflichten und Abwägungsaufgaben insoweit entlastet werden, als er die notwendige Abwägung unter Beachtung der Wesentlichkeitstheorie dem Verwaltungsverfahren überlässt212. Diese Entlastung des Gesetzgebers setzt aber voraus, dass im Verwaltungsverfahren Spielräume bestehen, die den Behörden eine eigene Abwägung ermöglichen. Soweit hingegen der Vollzug bereits im Gesetz vorprogrammiert ist, muss der Gesetzgeber sämtliche Probleme, die die Regelung aufwirft, auch selbst abwägen und lösen. Der Gesetzgeber darf auf eine Abwägung im Verwaltungsverfahren insoweit nicht verweisen, als ein Gesetz selbstvollziehend ausgestaltet ist und dem Verwaltungsverfahren keinen Spielraum für eine Abwägung belässt. Es gilt ein verfassungsrechtliches Gebot der gesetzgeberischen Konfliktbewältigung213. Dieses Gebot sorgt dafür, dass kein Vakuum in der Wahrnehmung von Verantwortung dadurch entsteht, dass die Problembewältigung auf ein Verwaltungsverfahren abgeschoben wird, in dem in Wirklichkeit wegen des selbstvollziehenden Charakters des Gesetzes kein Raum für eine Problembewältigung durch die Verwaltung bleibt. Der Verweis auf das spätere Verwaltungsverfahren entlastet die Abwägung des Gesetzgebers nur dann, wenn im Verwaltungsverfahren die Möglichkeit besteht, die Abwägung des Gesetzgebers zu ergänzen. Sowohl das Bundesumweltministerium als auch die beteiligten Energieversorgungsunternehmen gehen davon aus, dass die Laufzeitverkürzungen der Kernkraftwerke dazu führen, dass für Nachrüstungen im Bereich der Risikovorsorge ein niedrigerer Aufwand ausreichen kann. Bei der Verhältnismäßigkeit von Nachrüstungen 211 Siehe hierzu: A.-Sten. Prot. 14/69 (Umweltausschuss), S. 4 ff.; Pfaffenberger, A.-Drs. 14/626 Teil 1** (Umweltausschuss), S. 3 ff.; Kugeler, A.-Drs. 14/626 Teil 3** (Umweltausschuss), S. 2 (3). 212 Zur Wesentlichkeitstheorie als Maßstab für die verfassungsrechtlich notwendige Regelungsdichte des Gesetzes: BVerfGE 98, 218 (251 f.); BVerfGE 83, 130 (152). 213 Vgl. BVerfGE 86, 90 (121); vgl. zum planungsrechtlichen „Gebot der planerischen Konfliktbewältigung“: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 1 Rdnr. 115 m. w. N., der auch auf die verfassungsrechtlichen Wurzeln dieses Gebots hinweist.

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sei nämlich die begrenzte Laufzeit zu berücksichtigen. Bei kürzerer Laufzeit sei unter Umständen nur eine geringerer Aufwand zur Risikovorsorge verhältnismäßig214. Demnach werden die Energieversorger entsprechend den sachverständigen Stellungnahmen im Rahmen der Anhörung des Umweltausschusses des Bundestages in Zukunft darauf drängen, dass Ermüdungsgrenzen im Bereich der Risikovorsorge stärker ausgenutzt werden dürfen als bisher215. Gerade dies macht die Laufzeitverkürzungen auch für die Energieversorger wirtschaftlich interessant, weil mit der Restlaufzeit eine betriebswirtschaftliche Bezugsgröße geschaffen wird, die den Nachrüstungskosten gegenübergestellt werden kann216. Zwar wird dabei das rechtlich geforderte Sicherheitsniveau auf der Normebene nicht reduziert, weil die Sicherheitsstandards im Atomgesetz dieselben bleiben. Dennoch kann die Verminderung der sicherheitsrelevanten Investitionen zu einer Minderung an tatsächlicher Sicherheit führen, sofern man die Sicherheit im Bereich der Risikovorsorge nicht bezogen auf die Gesamtlaufzeit, sondern bezogen auf einen bestimmten Zeitpunkt innerhalb der Restlaufzeit beurteilt217. Die Reduzierung sicherheitsrelevanter Investitionen kann dazu führen, dass in einem bestimmten Zeitpunkt während der Restlaufzeit weniger Sicherheitsressourcen zur Verfügung stehen, so dass das punktuelle Risiko steigen kann218. Der Zielkonflikt zwischen bestmöglicher Sicherheit und Verhältnismäßigkeit entsteht zwar auch dann, wenn die Stilllegung eines Kraftwerks unabhängig vom Atomausstieg absehbar ist, so dass dieser Konflikt auch bisher schon vorhanden war219. Dennoch wird das Konfliktpotential durch die gesetzliche Laufzeitbefristungen aller Kernkraftwerke erheblich intensiviert220. Der Zielkonflikt wirft die Frage nach kompensatorischen Maßnahmen z. B. 214 Böwing, Gewährleistung des Sicherheitsniveaus, S. 190 (200 ff.); ders. Sicherheitsstandard und befristete Laufzeit, S. 29 (36 f.); Renneberg, Diskussionsbeitrag, Atomrechtstag 2000, S. 63; ders., Das Gesetz zur Beendigung, S. 27 (30); Bundesamt für Strahlenschutz, A.-Drs. 14/626 Teil 6** (Umweltausschuss), S. 3 (22); Hennenhöfer, A.-Sten. Prot. 14/69 (Umweltausschuss), S. 21; de Witt, A.-Drs. 14/626 Teil 7** (Umweltausschuss), S. 2 (6); Raetzke, Die Veränderungsgenehmigung, S. 203 ff.; tendenziell a. A. wohl Cloosters, Überwachung der Sicherheit, S. 207 f. Das wirft allerdings Probleme wegen der Übertragbarkeit der Reststrommengen auf, die hier nicht weiter vertieft werden können. Hierzu Böwing, Gewährleistung des Sicherheitsniveaus, S. 189 (202). 215 Schier, A.-Drs. 14/626 Teil 7** (Umweltausschuss), S. 13 ff.; König, A-Drs. 14/626 Teil 6** (Umweltausschuss), S. 3 (18); Böwing, Gewährleistung des Sicherheitsniveaus, S. 189 (201). 216 Vgl. Schier, A.-Drs. 14/626 Teil 7** (Umweltausschuss), S. 13 ff. 217 Vgl. Schneider, Diskussionsbeitrag, 11. Atomrechtssymposium, S. 206; zur zeitunabhängigen („absoluten“) Sicherheit: vgl. Böwing, Gewährleistung des Sicherheitsniveaus, S. 189 (200). 218 Schier, A.-Drs. 14/626 Teil 7** (Umweltausschuss), S. 13 (15): „Die Aufsichtsbehörden der Länder werden zwar einerseits weiterhin in der Verantwortung für einen sicheren Anlagenbetrieb stehen, andererseits aber werden die Mittel zur Durchsetzung von Nachrüstforderungen zunehmend unwirksamer. Dies spricht tendenziell für ein Absinken der Sicherheit in den Restlaufzeiten.“ 219 Renneberg, Das Gesetz zur Beendigung, S. 27 (30). 220 Schier, A.-Drs. 14/626 Teil 7** (Umweltausschuss), S. 13 ff.

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der Anlagenüberprüfung und Überwachung auf, die möglicherweise geeignet sein könnten, die Verminderung der Sicherheitsinvestitionen auszugleichen221. Diese Probleme haben die Regierungsfraktionen in ihrem schriftlichen Fragenkatalog ansatzweise angerissen, indem sie fragten, ob eine Nachrüstung mit einem (unabhängigen) Notstandssystem in Anbetracht der Laufzeitverkürzungen verhältnismäßig sei222. Das Bundesamt für Strahlenschutz verwies bei der Beantwortung jedoch lediglich auf die Verwaltungsverfahren, in denen diese Frage zu entscheiden sei223. Die Ausführungen des Vertreters der Hessischen Landesregierung in der Expertenanhörung machten hierzu ebenfalls keine konkreten Angaben. Auch insoweit wurde auf die anhängigen Verwaltungsverfahren verwiesen224. Auch die sonstigen Materialien lassen diesbezüglich keine weitere Erörterung erkennen. Somit muss davon ausgegangen werden, dass man der Frage, wie sich die Laufzeitverkürzungen auf die punktuelle Sicherheit im Bereich der Risikovorsorge auswirkt, im Gesetzgebungsverfahren nicht weiter nachgegangen ist225. Demnach erscheint es zweifelhaft, ob der Gesetzgeber seiner aus der verfassungsrechtlichen Schutzpflicht für Leib und Leben resultierenden, intensivierten Ermittlungs- und Darlegungspflicht ausreichend nachgekommen ist. Auch wenn es durch die Laufzeitverkürzung und die damit verbundene Reduzierung von Sicherheitsinvestitionen im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Ergebnis in keinem Fall zu einer verfassungswidrigen Unterschreitung des Untermaßverbotes kommt, gibt es eine auf den Abwägungsvorgang bezogene Pflicht des Gesetzgebers, dass er auch diejenigen Folgewirkungen der gesetzlichen Neuregelung ermittelt und erörtert, die die Laufzeitverkürzung auf anstehende Sicherheitsinvestitionen im Bereich der Risikovorsorge haben wird. Der Gesetzgeber steht in Anbetracht des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vor der Wahl, entweder längere Laufzeiten mit besserer Sicherheitstechnik während der Restlaufzeit festzusetzen oder kürzere Laufzeiten mit der Folge zu präferieren, dass weniger in die Sicherheit im Bereich der Risikovorsorge investiert werden muss. Wie sich der Gesetzgeber dabei im Ergebnis entscheidet, obliegt primär seiner politischen Einschätzungsprärogative, sofern im Ergebnis nicht das Untermaßverbot unterschritten wird. Wichtig ist jedoch, dass der Gesetzgeber diese Frage im parlamentarischen Verfahren anspricht und dass diesbezüglich eine problembewusste Entscheidung getroffen wird. Der Bundestag muss sich seiner eigenen diesbezüglichen Abwägungsaufgabe klar werden, damit er seiner Eigenverantwortung als Gesetzgeber gerecht wird. Zur Frage, welche Auswirkungen die Laufzeitverkürzung wegen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf die Sicherheit habe, wurde im Gesetzgebungsverfahren auf die Verwaltungsverfahren verwiesen226. Die Abgeordneten haben sich demnach 221 Zur Kompensation erörtert Böwing, Gewährleistung des Sicherheitsniveaus, S. 189 (201), eine höhere Frequenz wiederkehrender Prüfungen. 222 A.-Drs. 14/621 neu**, Fragen der SPD-Fraktion und der Bündnis 90/Die Grünen-Fraktion, Frage-Nr. 10. 223 A.-Drs. 14/626 Teil 6** (Umweltausschuss), S. 3 (4 f.). 224 A.-Sten. Prot. 14/69 (Umweltausschuss), S. 20 f. 225 Hier wird unterstellt, dass Dokumentationslücken bei der Abwägungskontrolle zu Lasten des Gesetzgebers gehen. Zur Dokumentationslast des Gesetzgebers: siehe unten 5. Teil D. III. 4. b) cc).

D. Abwägungsfehlerlehre als Instrument der Funktionssicherung

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kein eigenes Bild darüber gemacht, welche Auswirkungen auf die Sicherheitsinvestitionen zu erwarten sind. Sie gaben sich damit zufrieden, dass jedenfalls das Untermaßverbot im Ergebnis nicht unterschritten wird. Somit wurde die Frage, ob anstelle kürzerer Laufzeiten längere Laufzeiten verbunden mit höheren Sicherheitsinvestitionen vorzuziehen wären, im parlamentarischen Verfahren nicht erörtert. Die diesbezügliche Abwägung wurde auf das Verwaltungsverfahren verschoben. Auch wenn das Untermaßverbot im Ergebnis nicht verletzt wird, ist es Aufgabe des Gesetzgebers, den Gesichtspunkt der Sicherheit auch bezogen auf einen bestimmten Zeitpunkt und nicht nur als Gesamtsicherheit während der gesamten Restlaufzeit zu beurteilen. Will man diese Fragen dem Verwaltungsverfahren überlassen, so hätte dieses so ausgestaltet sein müssen, dass diesbezüglich auch noch Entscheidungen im Verwaltungsverfahren hätten getroffen werden können. Eine Delegation der Problembewältigung auf das Verwaltungsverfahren ist nur zulässig, wenn das Verwaltungsverfahren zur Problemlösung geeignet ist. Das dargelegte Problem des Zielkonfliktes zwischen Laufzeit und Sicherheit kann jedoch im atomrechtlichen Verwaltungsverfahren nicht mehr adäquat gelöst werden, weil die Laufzeiten bereits im parlamentarischen Verfahren starr festgelegt wurden. Die Atomgesetznovelle eröffnet den Behörden keinerlei Möglichkeit, einen höheren Investitionsstandard bei der Sicherheit beispielsweise dadurch zu erreichen, dass sie einen Laufzeitzuschlag für besonders hohe Sicherheitsinvestitionen gewähren. Eine Abwägungsentscheidung für kürzere Laufzeit oder mehr Sicherheit kann von der Aufsichtsbehörde nicht mehr getroffen werden. Die Laufzeiten sind im Gesetz für jedes Kernkraftwerk ohne Spielraum für die vollziehende Verwaltung fixiert. Eine Eignung des Verwaltungsverfahrens zur Lösung des Konflikts zwischen Laufzeitbegrenzung und Sicherheit während der Restlaufzeit wäre bei einem Rückbau des selbstvollziehenden Charakters des Gesetzes denkbar gewesen. Mit flexiblen Laufzeiten, die von der Behörde zu konkretisieren gewesen wären, hätte im Vollzug noch eine Abwägung zwischen längeren Laufzeiten und höherer Sicherheit einerseits und kürzeren Laufzeiten mit weniger Sicherheit andererseits stattfinden können. Flexible Laufzeitzuschläge hätten dazu beitragen können, Sicherheitsinvestitionen im Bereich der Risikovorsorge zu rechtfertigen, die ansonsten unverhältnismäßig wären. Da ein solches vollzugsoffenes Gesetz jedoch vom Gesetzgeber nicht beschlossen wurde, durfte der Gesetzgeber nicht auf den Vollzug verweisen, um hinsichtlich der eigenen Abwägungsaufgaben entlastet zu werden. Wegen des hohen Rangs des Rechtsguts Leib und Leben der Bürger war der Zusammenhang von Laufzeit und Sicherheit ein erheblicher Abwägungsgesichtpunkt. Die Frage der Auswirkungen von Laufzeitverkürzungen auf die Sicherheitsinvestitionen hätte sich dem Gesetzgeber aufdrängen müssen, weil in der Expertenanhörung des Umweltausschusses mehrfach darauf hingewiesen worden ist, dass es insoweit zu einer Reduzierung sicherheitsrelevanter Investitionen im Bereich der Risikovorsorge kommen kann227. Hierzu gab es auch auf dem 11. Deutschen Atom226

A.-Drs. 14/626 Teil 6** (Umweltausschuss), S. 3 (4 f.). Hennenhöfer, A.-Sten. Prot. 14/69 (Umweltausschuss), S. 21; Schier, A.-Sten. Prot. 14/69 (Umweltausschuss), S. 37; Schmidt-Preuß, A.-Sten. Prot. 14/69 (Um227

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5. Teil: Die Umsetzungsphase

rechtssymposium am 9./10. Oktober 2001 eine kritische Diskussion des Fachpublikums, die vom Bundestag jedoch nicht gewürdigt worden ist228. Auch wenn keinerlei ergebnisbezogene Verfassungswidrigkeit im Hinblick auf die Schutzpflichten für Leib und Leben feststellbar sein sollte, liegt ein Defizit im gesetzgeberischen Abwägungsvorgang vor.

(d) Verschärfte Anforderungen beim Einzelfallgesetz Für das vom Gesetzgeber einforderbare Ermittlungsniveau spielt zudem der Konkretisierungsgrad der gesetzlichen Regelungen eine wichtige Rolle. Die Trennung von abstrakt-generellem Gesetz und konkretisierendem Vollzug dient unter anderem dazu, dass die Verwaltung eine für den jeweiligen Einzelfall sachgerechte Regelung findet. Die gesetzliche Regelung erfährt im konkretisierenden Gesetzesvollzug eine Feinabstimmung nach den Gegebenheiten des jeweiligen Falles. Es entspricht einer funktionsgerechten Gewaltenordnung, wenn die mit besonderem Sachverstand ausgestattete Exekutive Einzelfalladäquanz und Einzelfallgerechtigkeit herstellt229. Übernimmt hingegen der Gesetzgeber selbst die eigentlich der Exekutive obliegende Konkretisierungsaufgabe, indem er in selbstvollziehenden Gesetzen einzelfallbezogene Regelungen trifft, so muss er auch den besonderen Sachverhaltsermittlungsanforderungen gerecht werden, die ansonsten für die Verwaltung gelten würden. Die Grundrechte und Staatsziele als grundgesetzliche Ermittlungsdirektiven stellen keine geringeren Anforderungen an die Sachverhaltsermittlung, nur weil der Staat entgegen der funktionsgerechten Gewaltenstruktur handelt und Einzelfälle im Gesetz selbstvollziehend regelt. Der Staat darf sich seiner Sachverhaltsermittlungspflichten nicht dadurch entziehen, dass er die Einzelfälle durch Gesetz anstatt durch Verwaltungsakt regelt. Je stärker der Gesetzgeber die Aufgaben der Verwaltung durch selbstvollziehende Einzelfallgesetze an sich zieht, desto mehr trifft ihn die Aufgabe, den Grundrechtsschutz und die Erfüllung der Staatsziele durch ein entsprechend abwägendes Gesetzgebungsverfahren selbst sicherzustellen. Gesetzliche Regelungen, die dazu dienen, eine begrenzte Anzahl von Einzelfällen abzuwickeln, haben einen verwaltungstypischen Charakter. Sie greifen nicht, wie es für abstrakt-generelle Gesetze charakteristisch ist, in die Zukunft prognostizierend aus und regeln diese, sondern beschränken sich wie Verwaltungsakte auf Vergangenheits- und Gegenwartsbewältiweltausschuss), S. 37; ders., A.-Drs. 14/626 Teil 5** (Umweltausschuss), S. 10 (17). 228 Koch/Roßnagel, 11. Deutsches Atomrechtssymposium, S. 203 ff. 229 Siehe oben 3. Teil C. III. 3. d) aa) (1).

D. Abwägungsfehlerlehre als Instrument der Funktionssicherung

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gung230. Dieser verwaltungstypische Charakter führt dazu, dass die Abwägungspflichten im Vergleich zur typisierenden Gesetzgebung verschärft werden müssen. Anders als bei zukunftsbezogenen, abstrakt-generellen Regelungen ist der Abwägungsgegenstand bei solchen Gesetzen mit Verwaltungscharakter wegen des höheren Konkretisierungsgrades und des stärkeren Gegenwartsbezuges besser überschaubar. Deshalb ist es gerechtfertigt, höhere Anforderungen an die gesetzgeberische Sachverhaltsermittlung zu stellen als bei zukunftsgerichteten abstrakt-generellen Regelungen. Die Anforderungen an die gesetzgeberische Sachverhaltsermittlung sind umso höher, je konkretere und in ihren Wirkungen überschaubarere Regelungen der Gesetzgeber trifft231. Diese Anforderungen sind auch beim Atomausstieg anzuwenden. Soweit das Atomgesetz kernkraftwerksscharfe Einzelfallregelungen zu den Restlaufzeiten und zur Periodischen Sicherheitsüberprüfung enthält, liegt wegen der Parzellenschärfe eine planungsähnliche Situation vor232. In Hinblick auf die Restlaufzeiten ist das Gesetz zudem auf die Abwicklung der Vergangenheit und Gegenwart bezogen. Dieser verwaltungstypische Charakter verstärkt das Gewicht der geltend gemachten Abwägungsdefizite233. Der Gesetzgeber durfte sich nicht auf die Zustimmung der Energieversorgungsunternehmen verlassen. Er war dazu verpflichtet sich ein eigenes Bild zu machen234. Diesen Anforderungen wurde das Gesetzgebungsverfahren zur Atomgesetznovelle nicht gerecht.

(3) Prüfprogramm für die gesetzgeberische Sachverhaltsermittlung Die bisherigen Überlegungen zur Konkretisierung der gesetzgeberischen Sachverhaltsermittlungspflichten und zur Prüfung auf Abwägungsdefizite im Abwägungsvorgang lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: – Das Spektrum der für die eigenständige verfassungsrechtliche Kontrolle des Abwägungsvorgangs heranzuziehenden Abwägungsgesichtspunkte (Ermittlungsbreite) ergibt sich bei Anwendung der folgenden Maßstäbe: • Die maßgeblichen Sachverhaltsermittlungsaufträge an den Gesetzgeber sind denjenigen Verfassungsprinzipien zu entnehmen, die durch die 230 Zum Zukunftsbezug als Charakteristikum der Gesetzgebung und Gegenwartsbezug als Charakteristikum der Verwaltung: vgl. BVerfGE 101, 158 (217 f.); Husserl, Recht und Zeit, S. 7 (27 ff.); Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 59 Rdnr. 15. 231 Zur Abwägungskontrolle bei Gesetzen mit planerischem Einschlag: vgl. BVerfGE 86, 90 (108 ff.); 95, 1 (22 ff.); siehe ferner in Bezug auf untergesetzliche Normen: BVerfGE 56, 298 (319); 76, 107 (122); a. A. in Bezug auf Einzelfallgesetze: BVerfGE 25, 371 (398). 232 Vgl. Hermes, Verwaltungskompetenzen, S. 347 (355). 233 Zu diesen Abwägungsdefiziten siehe bereits oben 5. Teil D. III. 4. b) bb) (2) (a). 234 Vgl. BVerfGE 86, 90 (112).

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5. Teil: Die Umsetzungsphase

ausgehandelten gesetzlichen Regelungen erheblich beeinträchtigt werden. Dabei ist die Erheblichkeitsschwelle umso tiefer anzusetzen, je höher der Rang des beeinträchtigten Prinzips einzustufen ist. In die Abwägung sind auch die influenzierten Effekte des Gesetzes einzubeziehen. • Die eigenständige Kontrolle des gesetzgeberischen Abwägungsvorgangs ist auf diejenigen verfassungsrechtlich relevanten Problemstellungen zu beschränken, die sich dem Gesetzgeber aufdrängen mussten. – Bei dem notwendigen Substanziierungsgrad der Ermittlungen (Ermittlungstiefe) sind folgende Gesichtpunkte zu beachten: • Die Intensität der erforderlichen Ermittlung ist vom Rang des beeinträchtigten Verfassungswertes, von der Beeinträchtigungsintensität und von den Möglichkeiten der gesetzgeberischen Sachverhaltsermittlung abhängig. Ein ständiger Wandel der Verhältnisse im jeweiligen Sachbereich kann den Gesetzgeber entlasten, während Zeitmangel in Folge von langwierigen Verhandlungen mit Privaten keine Entlastungswirkung nach sich zieht. • Bei gesetzlichen Regelungen, die auf Kontinuität angelegt sind, gelten höhere Ermittlungsanforderungen als bei bloßen Experimentiergesetzen, deren spätere Überprüfung und Revision von vornherein vorgesehen ist. • Die Abwägung kann nur dann dem Vollzug überlassen werden, wenn das Gesetz für eine Problembewältigung im Vollzug ausreichend Spielräume lässt. • Bei Einzelfallgesetzen ist wegen deren verwaltungstypischen Charakters eine verschärfte Kontrolle einer ordnungsgemäßen Sachverhaltsermittlung durchzuführen. cc) Pflicht zur Berücksichtigung und Dokumentation Es genügt jedoch nicht, dass der Gesetzgeber den Sachverhalt ausreichend ermittelt hat. Entscheidend ist vielmehr, dass die Sachverhaltsermittlungen tatsächlich in den Abwägungsprozess im Gesetzgebungsverfahren eingestellt werden. Zwar unterliegt die Sachverhaltsbewertung durch die Abgeordneten hinsichtlich des Abwägungsvorgangs keiner eigenständigen verfassungsrechtlichen Überprüfung, dennoch muss unabhängig von der persönlichen Sachverhaltsbewertung der einzelnen Parlamentarier geprüft werden, ob das verfassungsrechtlich geforderte Mindestmaß an Sachverhaltsermittlung auch tatsächlich Eingang in das Gesetzgebungsverfahren ge-

D. Abwägungsfehlerlehre als Instrument der Funktionssicherung

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funden hat. Im Gegensatz zur inneren Sachverhaltsbewertung der einzelnen Abgeordneten kann die äußere Berücksichtigung des verfassungsrechtlich gebotenen Mindestmaßes an ermittelten Tatsachen an Hand der Gesetzesmaterialien geprüft werden. An Hand der Gesetzesmaterialien ist zu kontrollieren, inwiefern die durchgeführten Sachverhaltsermittlungen Eingang in das Gesetzgebungsverfahren gefunden haben235. Die Sachverhaltsberücksichtigung ist ebenso wie die Sachverhaltsermittlung Gegenstand der eigenständigen Kontrolle des gesetzgeberischen Abwägungsvorgangs, die die Funktion hat, einer Entwertung des Gesetzgebungsverfahrens durch gesetzesvorbereitende Vereinbarungen entgegenzuwirken. (1) Mindestbegründung der gesetzlichen Grundkonzeption Hier taucht allerdings das Problem auf, dass das Grundgesetz anders als beispielsweise der EG-Vertrag236 oder das Baugesetzbuch237 keine explizite Pflicht zur Begründung von Normen enthält, an Hand derer nachvollzogen werden könnte, welche Aspekte der Gesetzgeber berücksichtigt hat238. Aus der verfassungsrechtlichen Pflicht des Gesetzgebers zur fehlerfreien Abwägung ergibt sich jedoch eine ungeschriebene Obliegenheit des Gesetzgebers, den aus verfassungsrechtlicher Sicht abwägungsrelevanten Mindestsachverhalt zu dokumentieren, weil ansonsten nicht kontrolliert werden kann, ob der Gesetzgeber eine ausreichende Abwägung vorgenommen hat. Soll ein Gesetz nach mehreren Jahrzehnten auf seine Verfassungsmäßigkeit überprüft werden, ist die Dokumentation des berücksichtigten Sachverhalts für eine rechtssichere Beurteilung unerlässlich. Aus den Gesetzesmaterialien muss sich somit ergeben, ob der Gesetzgeber diejenigen Verfassungsprinzipien in seine Abwägung eingestellt hat, die durch das Gesetz erheblich betroffen sind und deren Beeinträchtigung sich ihm aufdrängen mussten239. Diese Obliegenheit zur Dokumentation des gesetzgeberischen Entscheidungsprozesses verpflichtet den Gesetzgeber indessen nicht, eine Begründung des Gesetzes explizit zu beschließen240. Die Dokumentationsobliegenheit kann vielmehr auch durch die Begründung der Gesetzesvorlage241 sowie sämtliche Unterlagen über die Beratungen im Plenum und in den 235

Vgl. BVerwGE 64, 33 (36 ff.). Art. 253 EGV. 237 § 9 Abs. 8 BauGB. 238 Vgl. Lücke, ZG 2001, 1 (32); Ossenbühl, Bundesverfassungsgericht und Gesetzgebung, S. 33 (50). 239 Vgl. Lücke, Begründungszwang, S. 45; Redeker/Karpenstein, NJW 2001, 2825 (2828); Mengel, Gesetzgebung und Verfahren, S. 372 f. 240 Vgl. BVerfGE 79, 311 (345). 241 Siehe § 43 Abs. 1 Nr. 2 GGO. 236

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5. Teil: Die Umsetzungsphase

Ausschüssen des Bundestages erfüllt werden242, 243. Verstößt der Gesetzgeber gegen die Obliegenheit zur Dokumentation, so gehen Dokumentationslücken zu seinen Lasten244. Sie sind wie Abwägungsdefizite zu behandeln. Der Gesetzgeber muss deshalb im eigenen Interesse auf sorgfältig vorbereitete, umfassend abwägende Gesetzesvorlagen Wert legen. Die Dokumentation einer umfassenden Abwägung in der Gesetzesvorlage kann eine weitere Dokumentation der Abwägung im parlamentarischen Verfahren entlasten. Die oben dargelegte Prüfung der Atomausstiegsgesetzgebung auf Abwägungsfehler wurde an Hand der Gesetzesmaterialien vorgenommen, wobei vor allem die Begründung der Gesetzesvorlage eine Rolle spielte. Dokumentationslücken gingen dabei zu Lasten des Gesetzgebers. Diese Vorgehensweise erweist sich im Hinblick auf die dargelegte Dokumentationslast des Gesetzgebers als gerechtfertigt.

Auf die Dokumentation von Abwägungsbelangen kann allerdings insoweit verzichtet werden, als eine Regelung aus sich selbst heraus verständlich ist und sich harmonisch in eine Gesamtregelung einfügt, die ihrerseits ausweislich der Gesetzesmaterialien ausreichend abgewogen wurde. Wenn sich die Detailregelungen mühelos aus der gesetzlichen Grundkonzeption ableiten lassen, dann genügt es, wenn der Gesetzgeber die auf die Grundkonzeption bezogene Abwägung dokumentiert hat245. (2) Verweis auf eine frühere Abwägung Kontrolliert man die gesetzgeberische Abwägung auf ihre Vollständigkeit an Hand der Gesetzesmaterialien, so stellt sich die Frage, ob auch Materialien heranzuziehen sind, die keinen unmittelbaren Zusammenhang zum aktuell anhängigen Gesetzgebungsverfahren haben. Insoweit könnte auch auf Gesetzesmaterialien früherer Legislaturperioden zurückzugreifen sein. Nach dem Grundsatz der Diskontinuität müssen jedoch nicht erledigte Gesetzgebungsverfahren nach dem Ende der Legislaturperiode von Neuem beginnen246. Dazu gehört auch, dass der materielle gesetzgeberische Diskurs je242

Zu den unterschiedlichen Möglichkeiten der Offenlegung der gesetzgeberischen Abwägung: Schwerdtfeger, Optimale Methodik, S. 173 (185). 243 Zu den Vorteilen einer solchen auf den gesamten Gesetzgebungsprozess bezogenen Begründung gegenüber einer vom Gesetzgeber explizit beschlossenen Begründung: vgl. Kischel, Die Begründung, S. 299 ff. 244 Vgl. NWVerfGH, NJW 1976, 2209 (2210). 245 Vgl. zur ähnlich gelagerten Problematik im Europarecht: GA Lagrange, EuGH Slg. 1963, 561 (613). Dabei ist allerdings zu beachten, dass das Europarecht in Art. 253 EGV eine explizite Begründungspflicht enthält. Zum Legitimationszusammenhang zwischen Grundkonzeption und Einzelregelung: siehe Reicherzer, ZG 2004, 121 ff.

D. Abwägungsfehlerlehre als Instrument der Funktionssicherung

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weils von Neuem beginnt. Die Abwägung muss grundsätzlich für jedes Gesetzgebungsverfahren eigenständig vorgenommen werden. Aus Gründen der parlamentarischen Arbeitsökonomie ist allerdings ein Verweis auf die Materialien aus früheren Legislaturperioden ausreichend, wenn dieser Verweis eindeutig ist und die Schlussfolgerung zulässt, dass der Bundestag sich die damalige Abwägung erneut zu Eigen machen wollte247. Man könnte auch in Hinblick auf den Atomausstieg die Frage aufwerfen, inwieweit Dokumente aus früheren Legislaturperioden zur Prüfung der parlamentarischen Abwägung heranzuziehen sind248. Die Problematik des Ausstiegs aus der Kernenergie beschäftigte den Bundestag nicht nur in der 14. Legislaturperiode. Vielmehr war er auch schon vorher mehrfach Gegenstand parlamentarischer Erörterungen249. Das in der Vereinbarung vom 14. Juni 2000 vereinbarte Ausstiegsgesetz weicht jedoch vor allem in Hinblick auf die Restlaufzeiten erheblich von den früheren Ausstiegskonzepten der damaligen Oppositionsfraktionen ab, so dass eine Bezugnahme auf die früheren Verhandlungen des Bundestages keine sachliche Entlastung der Prüfaufgaben des Parlaments in der 14. Legislaturperiode mit sich bringen konnte. Zudem findet sich in den Materialien zum vereinbarten Atomausstieg auch kein eindeutiger Verweis darauf, welche früheren parlamentarischen Beratungen in Bezug genommen werden sollen. Der Hinweis der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bericht des Umweltausschusses, man habe schon immer eine andere Auffassung hierzu vertreten als CDU/CSU und FDP, ist auch in dieser Hinsicht zu pauschal gehalten250. Somit spielen die Materialien früherer Legislaturperioden für die Beurteilung des hier untersuchten Atomausstiegs keine maßgebliche Rolle.

246 Zum Grundsatz der Diskontinuität: siehe beispielsweise Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 63 Rdnr. 39. 247 Von einer Verklammerung der Gesetzesmaterialien zweier Legislaturperioden ist die Senatsmehrheit des Bundesverfassungsgerichts bei der Entscheidung über das Bayerische Schwangerenhilfeergänzungsgesetz ausgegangen (BVerfGE 98, 265 (315 f.)). 248 Der Umweltausschusses des Deutschen Bundestages ließ auf Anfrage des Verfassers mitteilen, dass der Ausschuss auf eine weitere Erörterung im Gesetzgebungsverfahren auch unter Berücksichtigung der Änderungsvorschläge aus der Expertenanhörung verzichtet habe, weil die Argumente zu diesem Thema zumindest mehrheitlich für ausgetauscht angesehen wurden. Der Ausschuss hätte sich mit den Argumenten bereits in den vorangehenden Jahren auseinandergesetzt (E-Mail des Umweltausschusses des Deutschen Bundestages vom 13.8.2002, Auskunft von Jaeger). 249 Siehe: BT-Drs. 10/1913; BT-Sten. Prot. 10/255, S. 19881 ff.; BT-Drs. 11/13; 11/6700; BT-Sten. Prot. 11/218, S. 17333 ff.; BT-Drs. 12/1794; 12/7459; 13/4405; 13/7008; 13/7062; 13/8987; 13/8988; 13/10483. 250 BT-Drs. 14/7825, S. 6.

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5. Teil: Die Umsetzungsphase

(3) Problem der Zurechenbarkeit der Materialien zur Beschlussmehrheit Entscheidend für einen ordnungsgemäßen gesetzgeberischen Abwägungsvorgang ist die von der Mehrheit getragene Abwägung. Denn die Legitimation erhält das Gesetz durch den Mehrheitsbeschluss251. Es macht indessen einen Unterschied, ob ein gesetzgebendes Kollegialorgan eine Begründung mit entsprechender Abwägung zusammen mit dem Gesetz mehrheitlich beschließt oder ob lediglich der Gesetzgebungsprozess in diesem Organ dokumentiert wurde. Eine vom Bundestag beschlossene Begründung wäre der beschließenden Mehrheit eindeutig zurechenbar, wohingegen die Dokumentation der im Verfahren getätigten Einzeläußerungen möglicherweise nur die Meinung einer Minderheit oder sogar nur einzelner Abgeordneter wiedergibt. Die Begründung der Gesetzesvorlage kann der Mehrheit der Bundestagsabgeordneten jedenfalls dann nicht mehr in allen Einzelheiten zugerechnet werden, wenn die Vorlage im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens Änderungen erfährt. Die Zurechenbarkeit der in den Gesetzmaterialien auftauchenden Abwägungsaspekte zur Mehrheit des Bundestages kann aber dadurch verbessert werden, dass der Bundestag gleichzeitig mit dem Gesetz einen Entschließungsantrag verabschiedet, der die Begründung der Gesetzesvorlage ausdrücklich übernimmt, nachbessert, ergänzt oder ändert252. Beschließt der Bundestag mehrheitlich in einer Entschließung gleichzeitig mit dem Gesetz wichtige Abwägungsgesichtpunkte, so sind diese der gesetzgebenden Mehrheit eindeutig zurechenbar, wohingegen Einzeläußerungen von Abgeordneten im Gesetzgebungsverfahren stets Zurechnungsprobleme aufwerfen können. Ein synchron verabschiedeter schlichter Parlamentsbeschluss kann eine defizitäre Abwägung in der Begründung der Gesetzesvorlage nachbessern253. Wird hingegen auf eine Entschließung verzichtet und enthalten von einzelnen Abgeordneten aufgeworfene Gesichtspunkte wesentliche verfassungsrechtlich relevante Aspekte, die sich dem Parlament aufdrängen mussten, deren Erörterung der Mehrheit aber nicht sicher zurechenbar ist, so kann dies zu Abwägungsdefiziten führen. Zurechnungszweifel in den Materialien gehen zu Lasten des Gesetzgebers. Deswegen bietet die gleichzeitige Verabschiedung eines Entschließungsantrages die Möglichkeit, Abwägungs251 Vgl. BVerfGE 79, 311 (345); Schwerdtfeger, Optimale Methodik, S. 173 (183); Lücke, Begründungszwang, S. 14 f.; ders. ZG 2001, 1 (32). 252 Zur präventiven verfassungsrechtlichen Kontrollfunktion schlichter Parlamentsbeschlüsse: BVerfGE 90, 286 (390) – abw. M. 253 Zur nachträglichen Substanziierung der defizitären Abwägung der Gesetzesvorlage im Gesetzgebungsverfahren: siehe unten 6. Teil A. II.

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mängel der Gesetzesvorlage so nachzubessern, dass die nachgeschobenen Gesichtspunkte der Mehrheit sicher zurechenbar und Dokumentationslücken sowie Abwägungsdefizite sicher ausgeschlossen werden. Eine vom Parlament verabschiedete Entschließung kann aber die gesetzgeberische Abwägung nur insoweit ergänzen und dokumentieren, als sie in unmittelbaren Zusammenhang mit einem anhängigen Gesetzgebungsverfahren steht. Wird ein Entschließungsantrag hingegen erst einige Zeit nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens verabschiedet, so stellt die Entschließung keine authentische Äußerung des Willens des Gesetzgebers dar. Für den historischen Willen des Gesetzgebers ist entscheidend, was im Gesetzgebungsverfahren diskutiert und abgewogen wurde. Nachträgliche Äußerungen des Parlaments können als Rechtsmeinungen über die Auslegung von Gesetzen Gehör finden. Sie stellen jedoch keine Äußerungen des Parlaments als Gesetzgeber dar, weil der Wille des Gesetzgebers lediglich im Gesetzgebungsverfahren zum Ausdruck kommt. Demnach kann die Abwägung nicht durch einen nachträglichen Entschließungsantrag nachgebessert werden. Vielmehr ist eine gleichzeitige Verabschiedung von Entschließung und Gesetz notwendig254. Der Bundestag hat im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zur Umsetzung der Vereinbarung vom 14. Juni 2000 neben dem Gesetz auch eine Entschließung verabschiedet. Diese Entschließung war in die Prüfung des gesetzgeberischen Abwägungsvorgangs einzubeziehen, soweit sie sich auf das anhängige Gesetzgebungsverfahren bezog255.

(4) Ergebnis Das Prüfprogramm für die gesetzgeberische Sachverhaltsermittlung256 muss Eingang in die gesetzgeberische Abwägung finden. Dies ist an Hand der Gesetzesmaterialien nachzuprüfen. Dabei spielen Materialien, die in parlamentarischen Vorgängen außerhalb des anhängigen Gesetzgebungsverfahrens entstanden sind, nur insoweit eine Rolle, als sich der Gesetzgeber die dortige Abwägung im anhängigen Gesetzgebungsverfahren deutlich erkennbar, erneut zu Eigen machen wollte. Sofern sich gesetzliche Regelungen ohne weiteres in die gesetzliche Grundkonzeption einfügen und diese 254 Vgl. BVerfGE 56, 298 (323); 98, 265 (335) – abw. M.; tendenziell a. A. BVerfGE 98, 265 (317 f.). 255 Zur Frage, inwieweit schlichte Parlamentsbeschlüsse zur Auslegung von Gesetzen herangezogen werden dürfen: Sellmann, Der schlichte Parlamentsbeschluss, S. 114 f., der jedoch, großzügiger als hier vertreten, eine auslegungsrelevante Bedeutung schon dann bejaht, wenn der Beschluss noch in derselben Legislaturperiode wie der Gesetzesbeschluss erfolgt ist. 256 Siehe oben 5. Teil D. III. 4. b) bb) (3).

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lediglich konkretisieren, genügt es, wenn der Gesetzgeber lediglich die Abwägung der gesetzlichen Grundkonzeption dokumentiert. Ansonsten gehen Dokumentationslücken zu seinen Lasten. Es kommt auf die Abwägung der gesetzgebenden Mehrheit an. Auch insoweit gehen Zurechnungsmängel zu Lasten des Gesetzgebers. Dieser kann die Zurechnung zur Mehrheit jedoch durch einen schlichten Parlamentsbeschluss sicherstellen, der in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Gesetz verabschiedet wird. dd) Abwägungsmissbrauch Die bisherigen Überlegungen dienten dazu, den gesetzgeberischen Abwägungsvorgang auf Defizite zu kontrollieren, um damit zu gewährleisten, dass das Gesetzgebungsverfahren seine Funktion als Diskurs- und Integrationsverfahren auch dann erfüllt, wenn die Bundesregierung vorher einen bestimmten Gesetzesinhalt mit Privaten vereinbart hat. Fehler im gesetzgeberischen Abwägungsvorgang können jedoch nicht nur aus einer defizitären Sachverhaltsermittlung und Sachverhaltsberücksichtigung herrühren. Sie können darüber hinaus auch darin liegen, dass der Gesetzgeber seine Gesetzgebungsmacht zu verfassungswidrigen Zwecken missbraucht. Dann liegt der Abwägungsfehler nicht in einer Nichterfüllung der Funktion des Gesetzgebungsverfahrens, sondern in dessen funktionswidriger Instrumentalisierung. Bei gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen dient die spätere gesetzliche Umsetzung nicht nur der Steuerung derjenigen Vorgänge, die im Gesetz explizit geregelt werden. Vielmehr wird bereits das noch anhängige Gesetzgebungsverfahren zusammen mit der Vereinbarung als Influenzierungsmittel eingesetzt, um bestimmte Verhaltensweisen bei den privaten Vereinbarungspartnern hervorzurufen, die später nicht unmittelbar gesetzlich fixiert werden257. Die dabei vom Gesetzgeber angesteuerten Zwecke können jedoch beispielsweise gegen die Kompetenzordnung258 oder gegen das Koppelungsverbot259 verstoßen. Das Gesetzgebungsverfahren kann im Zusammenwirken mit einer gesetzesvorbereitenden Vereinbarung missbraucht werden, um einen anhängigen Vollzug zu politisieren, ohne dass das geltende Recht bereits geändert worden ist260. Hier stellt sich die Frage, ob in einem solchen Fall nur die Vereinbarung wegen des Verstoßes gegen die genannten verfassungsrechtlichen Anforderungen verfassungswidrig ist oder ob auch das Umsetzungsgesetzgebungsverfahren von der Verfassungswidrigkeit er257 258 259 260

Zur influenzierenden und influenzierten Staatsgewalt: siehe oben 2. Teil C. Siehe oben 3. Teil B. II., D. Siehe oben 4. Teil B. I. 4. Siehe oben 4. Teil B. I. 4. c).

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fasst wird, weil es zusammen mit der Vereinbarung unter Verstoß gegen das Grundgesetz bestimmte Steuerungseffekte beim Privaten herbeiführt. Der Gesetzgeber darf seine gesetzgeberische Regelungsmacht nicht zur Verfolgung verfassungswidriger Ziele missbrauchen261. Bei einem Abwägungsmissbrauch des Gesetzgebers verfolgt dieser mit dem Gesetzgebungsverfahren verfassungswidrige Zwecke. Zwar ergibt sich der Missbrauch gesetzlicher Regelungsmacht im Hinblick auf gesetzlich nicht umgesetzte, influenzierte Steuerung nicht unmittelbar aus dem Gesetzestext. Ein Abwägungsmissbrauch kann jedoch darin zu sehen sein, dass das Parlament die verfassungswidrige gesetzesvorbereitende Vereinbarung in Teilen gesetzlich umsetzt und sich damit den in der Vereinbarung enthaltenen Verfassungsverstoß zu Eigen macht. An dieser Stelle könnte man einwenden, der Gesetzgeber übernehme die Verantwortung für die Vereinbarung nur soweit, als diese gesetzlich umgesetzt werde. Die nicht umgesetzten Vereinbarungsteile könnten dem Gesetzgeber hingegen nicht als Abwägungsmissbrauch zugerechnet werden und würden dementsprechend auch keinen Einfluss auf das Gesetz haben. Dem ist jedoch zu entgegnen, dass Gesetz und Vereinbarung als Steuerungseinheit zu betrachten sind. Die Vereinbarung lässt sich als austariertes Austausch- und Kompensationsgefüge nicht aufspalten262. Das hat zur Konsequenz, dass der Bundestag bereits mit der teilweisen gesetzlichen Umsetzung die ungeteilte Gesamtverantwortung für die gesamte Vereinbarung übernimmt. Auch wenn das Parlament nur einen Teil der Vereinbarung umsetzt, so übernimmt es damit die Verantwortung für die gesamte Steuerungseinheit aus Vereinbarung und Umsetzungsgesetz. Eine eventuelle Verfassungswidrigkeit des Gesetzes ist insofern aus dem Gesetzestext nicht erkennbar. Sie besteht vielmehr in der Regelungsintention des Gesetzgebers, weil mit dem Gesetzgebungsverfahren die Umsetzung einer Vereinbarung angestrebt wird, die gegen Anforderungen des Grundgesetzes verstößt. Influenzierende Belohnungsgesetzgebung darf nicht außertatbestandliche Zwecke verfolgen, die dem Gesetzgeber des Umsetzungsgesetzes als explizite Regelung verschlossen wären. Verfolgt der Gesetzgeber solche verfassungswidrigen Zwecke, so führt der daraus entstehende Abwägungsmissbrauch auch dann zur Verfassungswidrigkeit des Gesetzes, wenn der Gesetzestext für sich betrachtet verfassungsrechtlich nicht beanstandet werden kann. Auch an dieser Stelle muss jedoch eine Abwägung mit dem Gebot der Rechtssicherheit vorgenommen werden. Unsachliche Abstimmungsmotive 261 262

Vgl. BVerfGE 30, 292 (316). Vgl. oben 2. Teil A. I. 2. b) aa).

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5. Teil: Die Umsetzungsphase

dürfen nicht in jedem Fall zur Nichtigkeit des Gesetzes führen263. Das Gebot der Rechtssicherheit darf andererseits aber auch nicht als Argument dafür herangezogen werden, um jeden Verfassungsverstoß von vornherein zu negieren. Auch wenn im Einzelfall ausnahmsweise die Rechtssicherheit den Vorrang haben mag, weil in hohem Maße schutzwürdige Vertrauensinvestitionen in den Bestand des Gesetzes getätigt wurden, so ist es doch Aufgabe der verfassungsrechtlichen Abwägungskontrolle, eine verfassungswidrige Instrumentalisierung des Gesetzgebungsverfahrens als solche aufzudecken, auch wenn sie im Ergebnis nicht immer zur Nichtigkeit eines Gesetzes führt. Die Vereinbarung vom 14. Juni 2000 enthält verfassungswidrige Kompetenzübergriffe und Verstöße gegen das Koppelungsverbot264. Sie bezweckte zudem eine das künftige Gesetz antizipierende, verfassungswidrige Politisierung des anhängigen Vollzugs265. Die Abgeordneten verfolgten im Gesetzgebungsverfahren das Ziel, diese Vereinbarung gesetzlich umzusetzen. Der Bericht des Umweltausschusses, in dem die Regierungsfraktionen die unveränderte Annahme der Vorlage empfohlen haben, nimmt ebenso wie die Gesetzesvorlage mehrfach explizit auf die Vereinbarung vom 14. Juni 2000 Bezug266. Der Bundestag hat die gesetzesvorbereitenden Verhandlungen der Bundesregierung in der gleichzeitig mit dem Gesetz verabschiedeten Entschließung befürwortet, indem er den an der Vereinbarung Beteiligten seinen Dank ausgesprochen hat267. Nach den Gesetzesmaterialien machten sich die Abgeordneten die Vereinbarung auch hinsichtlich der nicht unmittelbar gesetzlich umgesetzten Teile zu Eigen268. Die Zielsetzung des Gesetzesgebungsverfahrens, eine verfassungswidrige Vereinbarung umzusetzen, führt zu einem Fehler im Abwägungsvorgang des materiellen Gesetzgebungsverfahrens, der zur Nichtigkeit führen kann, wenn nicht der Rechtssicherheit der Vorrang einzuräumen sein sollte. Darauf wird später zurückzukommen sein269.

ee) Modifizierte Abwägungsfehlerlehre Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der gesetzgeberische Abwägungsvorgang nur hinsichtlich der Sachverhaltsermittlung und Sachverhaltsberücksichtigung der verfassungsrechtlichen Kontrolle unterliegt. Für die Sachverhaltsbewertung reicht hingegen die ergebnisorientierte Kontrolle aus. Die Überprüfung des vom Parlament beschlossenen Gesetzesinhalts 263

Vgl. BVerfGE 29, 221 (235). Siehe oben 3. Teil C. III., D., 4. Teil B. I. 4. a), 5. Teil D. III. 4. b) bb) (1). 265 Siehe oben 4. Teil B. I. 4 c). 266 BT-Drs. 14/7825, S. 4; 14/7261; 14/6890. 267 BT-Drs. 14/7840, S. 3. 268 Siehe die Bezugnahme des Abgeordneten Jung auf die vereinbarte, gesetzlich aber nur teilweise umgesetzte Regelung zu Mühlheim-Kärlich: BT-Sten. Prot. 14/ 111, S. 10448. 269 Siehe unten 6. Teil B. 264

D. Abwägungsfehlerlehre als Instrument der Funktionssicherung

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kann aber bei sorgfältig durchgeführter und dokumentierter Sachverhaltsermittlung und -berücksichtigung großzügiger gehandhabt werden. Die intensivierte Kontrolle des Abwägungsvorgangs entlastet die ergebnisbezogene verfassungsrechtliche Prüfung des Gesetzes. Die eigenständige Kontrolle des parlamentarischen Abwägungsvorgangs bezieht sich auf diejenigen Verfassungsprinzipien, die erheblich beeinträchtigt werden und deren Beeinträchtigung sich dem Gesetzgeber aufdrängen musste. Die Berücksichtigung der verfassungsrechtlich relevanten Abwägungsgesichtpunkte ist zumindest hinsichtlich der gesetzlichen Grundkonzeption zu dokumentieren. Letztlich wird mit den Pflichten zur Sachverhaltsermittlung und -berücksichtigung das Ziel verfolgt, dass der Gesetzgeber die wesentlichen verfassungsrechtlichen Spannungslagen selbst sieht, als eigene Aufgabe begreift und ausgleichende Regelungen findet. Der Gesetzgeber kann die verfassungsrechtlich aufgegebene Verantwortung für die von ihm beschlossenen Regelungen nur übernehmen, wenn er die wesentlichen Gesichtspunkte eigenständig abgewogen hat270. Die gesetzlich nicht unmittelbar umgesetzten, influenzierten Effekte des Gesetzes werden im Rahmen der Prüfung von Abwägungsmissbräuchen in die verfassungsrechtliche Kontrolle des gesetzgeberischen Abwägungsvorgangs einbezogen. Das Gesetzgebungsverfahren darf nicht dazu missbraucht werden, in Zusammenspiel mit Vereinbarungen Zwecke anzusteuern, die außerhalb des Kompetenzbereichs des Gesetzgebers liegen oder deren Verbindung mit dem Gesetz gegen das Koppelungsverbot verstößt oder den anhängigen Vollzug contra legem latam politisiert. Das formelle Gesetzgebungsverfahren der Art. 76 ff. GG ist durch ein materielles Gesetzgebungsverfahren im Sinne einer modifizierten Abwägungsfehlerlehre zu ergänzen. Demgegenüber fordert Schwertfeger für die parlamentarische Abwägung ein „inneres Gesetzgebungsverfahrens“271. Der Begriff des inneren Gesetzgebungsverfahren kann jedoch auch dahingehend verstanden werden, dass es um eine Kontrolle der inneren Willensbildung der Abgeordneten ginge. Eine solche Motiv- und Gesinnungsforschung wird vorliegend jedoch ausdrücklich abgelehnt. Die Abwägung des Gesetzgebers wird nach der hier vorgestellten Abwägungsfehlerlehre nur bezogen auf den 270

Dabei geht es darum, den Wesentlichkeitsgedanken im Sinne einer Parlamentarisierung und Substanzialisierung des Gesetzgebungsverfahren zu verstehen. Korrespondierend dazu müsste jedoch die Regelungsform des Parlamentsgesetzes für die wirklich grundlegenden Fragen reserviert werden, um eine Überlastung des Parlaments zu vermeiden. Der Verbesserung der Qualität des Gesetzgebungsverfahrens müsste eine Reduktion ihrer Quantität gegenüberstehen. 271 Zum inneren Gesetzgebungsverfahren: vgl. Schwerdtfeger, Optimale Methodik, S. 173 ff.

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5. Teil: Die Umsetzungsphase

nach außen dokumentierten Abwägungsvorgang einer verfassungsrechtlichen Kontrolle unterzogen. Deshalb ist der Begriff des materiellen Gesetzgebungsverfahrens dem des inneren Gesetzgebungsverfahrens vorzuziehen. Dieses ergänzt die Vorschriften des formellen Gesetzgebungsverfahrens (Art. 76 ff. GG) durch gesetzgeberische Abwägungspflichten und begründet die materielle Legitimation des Gesetzes272. Durch das materielle Gesetzgebungsverfahren erlangt das Gesetz das gesetzesspezifische Legitimationsniveau, das dessen erhöhten normhierarchischen Rang überzeugend begründen kann273. Die Anforderungen an den gesetzgeberischen Abwägungsvorgang unterstreichen die präventive verfassungsrechtliche Kontrollfunktion des Parlaments und stellen die umfassende Verfassungsgeltung auch dann sicher, wenn das Bundesverfassungsgericht nicht angerufen wird. Das Parlament wird im Sinne einer funktionsgerechten Gewaltenordnung an seine Aufgabe der politischen Gestaltung erinnert, indem eine Substanziierung und Parlamentarisierung des Gesetzgebungsverfahrens gefordert wird. Zudem kann der Sachverstand der Gesetzgebungsorgane, insbesondere auch das Fachwissen der gesetzesvorbereitenden Bundesministerien, in einem substanziierten Gesetzgebungsverfahren besser zur Geltung kommen. Durch den Verzicht auf eine Kontrolle der Sachverhaltsbewertung im Abwägungsvorgang wird andererseits der Rechtssicherheit und politischen Gestaltungsfreiheit Rechnung getragen und eine übermäßige Verrechtlichung vermieden. Wegen der verschärften Kontrolle des Abwägungsvorgangs kann die ergebnisbezogene Überprüfung zurückgenommen werden. Mit einer maßvollen Abwägungsfehlerlehre des Gesetzgebungsverfahrens wird die Bedeutung des parlamentarischen Verfahrens bei der Umsetzung gesetzesvorbereitender Vereinbarungen gestärkt. Dabei lässt sich die planungsrechtliche Abwägungsfehlerlehre nicht „eins zu eins“ auf das Gesetzgebungsverfahren übertragen. Vielmehr bedarf es erheblicher Modifikationen. Eine Intensivierung der Abwägungskontrolle des Gesetzgebers ist jedoch notwendig, damit das Parlament seiner bei ausgehandelten Gesetzen gesteigerten Integrationsverantwortung vor allem in Bezug auf diejenigen, die nicht an den Verhandlungen teilnehmen durften, gerecht wird274.

272 Das materielle Gesetzgebungsverfahren strebt keine optimale Methodik der Gesetzgebung (vgl. Schwerdtfeger, Optimale Methodik, S. 173 ff.), sondern lediglich ein Mindestmaß an gesetzgeberischer Substanz im Sinne der Saturierungskonzeption an. Zur Saturierungskonzeption: siehe oben 1. Teil B. I. 273 Zum Zusammenhang von normhierarchischem Rang und Legitimationsniveau: siehe oben 5. Teil A. I. 274 Zur gesteigerten Integrationsaufgabe des Umsetzungsgesetzgebungsverfahrens bei ausgehandelten Gesetzen: siehe oben 5. Teil C.

D. Abwägungsfehlerlehre als Instrument der Funktionssicherung

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ff) Keine Gefahr der Entpolitisierung Gegen die hier geforderte eigenständige Kontrolle des gesetzgeberischen Abwägungsvorgangs könnte eingewandt werde, dass Gesetzgebung in hohem Maße politisch geprägt und dass Politik naturgemäß eher interessenals erkenntnisorientiert ist275. Das Erfordernis einer sachlich abwägenden Gesetzgebung würde die grundgesetzlich akzeptierte parteipolitische Rückbindung der Abgeordneten außer Acht lassen. Akzeptiert man entsprechend Art 21 GG die politische Bedeutung von Parteien, so müsste man auch parteiliches Denken in den parteilich besetzten Gesetzgebungsorganen akzeptieren und dürfte keine unparteiische Abwägung von den Abgeordneten wie von Verwaltungsbeamten oder Richtern einfordern276. Im Gegensatz zum Verwaltungsverfahrensrecht und zu den Prozessordnungen würde das Grundgesetz auch keine vergleichbaren Vorschriften zur Befangenheit von Abgeordneten enthalten277. Das Verhalten von Politikern sei systembedingt eher profil- als sachorientiert278. Das politische Element bilde einen unverzichtbaren Bestandteil eines erfolgreichen Normierungsprozesses279. Diese Einwände greifen jedoch gegen das hier entwickelte Konzept der Abwägungskontrolle nicht durch. Nach dem hier vertretenen Ansatz werden Abwägungsfehleinschätzung und Abwägungsdisproportionalität nicht als eigenständige Kontrolle des gesetzgeberischen Abwägungsvorgangs geprüft, weil die Gewichtung der einzelnen Belange und die Präferenz bestimmter Belange der politischen Beurteilung des einzelnen Abgeordneten überlassen werden müssen. Auch eine parteipolitisch motivierte Präferenz bestimmter Belange wird damit grundsätzlich hingenommen280. Die hier vorgestellte Abwägungskonzeption hat nicht die politische Bewertung zum Gegenstand. 275

Siehe hierzu Fietkau, Kommunikationsmuster, S. 275 (276 ff.); zur Handlungslogik politischer Akteure: Tils, Professionelle Koordination, S. 31 (42 ff.). 276 Vgl. Ossenbühl, Bundesverfassungsgericht und Gesetzgebung, S. 33 (49). 277 Vgl. §§ 20 f. VwVfG, § 54 VwGO, §§ 41 ff. ZPO, §§ 22 ff. StPO; BVerwGE 75, 214 (230). Den Unterschied zwischen Verwaltungs- und Gesetzgebungsverfahren hebt auch BVerfGE 82, 30 (37) hervor. 278 Vgl. Tils, Professionelle Koordination, S. 42 ff. Die von Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 237, 246, gezogenen Parallelen von Gesetzgebungsverfahren und gerichtlichem Prozess berücksichtigen die spezifischen Funktionsbedingungen des politischen Entscheidungsverfahrens zu wenig. Politiker sind anders als Richter auf ein massenmedial vermittelbares Profil und Image angewiesen. 279 Vgl. Tils, Professionelle Koordination, S. 31 (54, 56). 280 Zu weitgehend ist deshalb die Ansicht von Ekardt, Diskussionsbeitrag, 11. Atomrechtssymposium, S. 391, der eine „neutrale“ Abwägung der Abgeordneten für notwendig hält. Das widerspricht dem politischen Charakter des Gesetzgebungsverfahrens.

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5. Teil: Die Umsetzungsphase

Durch das Erfordernis einer Darlegung derjenigen abwägungserheblichen Gesichtpunkte, die sich aufdrängen mussten, wird im Ergebnis weniger der Abgeordnete, sondern vor allem die Ministerialbürokratie in die Pflicht genommen. Ihre Aufgabe ist es, Gesetzesvorlagen zu erarbeiten, die zumindest hinsichtlich der Grundkonzeption substanziiert begründet sind. Die Kontrolle des Abwägungsvorgangs wird zu verbesserten Gesetzesvorlagen und einem besseren Informationsstand des Bundestages führen. Die politische Gestaltungsfreiheit eines informierten Bundestages ist als größer einzuschätzen als die eines nicht informierten. Gerade bei ausgehandelten Gesetzesvorlagen der Bundesregierung besteht die Gefahr, dass das Parlament über die Hintergründe der getroffenen Vereinbarungen nur unzureichend informiert wird. Somit ist von einer verstärkten Kontrolle des gesetzgeberischen Abwägungsvorgangs keine Reduzierung, sondern im Gegenteil eine Verbesserung der Wissensbasis und eine Stärkung des Gestaltungsspielraums des Parlaments zu erwarten. Zudem wird der inhaltliche politische Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers hinsichtlich des Abwägungsergebnisses durch die Kontrolle des Abwägungsvorgangs vergrößert, weil die ergebnisbezogene Kontrolldichte reduziert werden kann. Die Kontrolle des Abwägungsvorgangs ermöglicht dem Bundesverfassungsgericht eine größere Zurückhaltung bei der Überprüfung des Abwägungsergebnisses281. Die politische Gestaltungsfreiheit hinsichtlich des Abwägungsvorgangs ist zu reduzieren, um eine größere politische Gestaltungsfreiheit bezogen auf das Abwägungsergebnis zu rechtfertigen. Letztlich wird durch die Kontrolle des Abwägungsvorgangs mittelbar auch substantielle Öffentlichkeit erreicht, weil die wesentlichen Abwägungsgesichtspunkte in das Gesetzgebungsverfahren einbezogen werden müssen und damit als Grundlage für die Auswahl der öffentlich zu diskutierenden Aspekte dienen. Die verbesserte Informationsbasis des Parlaments und die reduzierte Ergebniskontrolle schärfen das politische Profil des Abgeordneten und unterstreichen deren Eigenverantwortung282. Diese Eigenverantwortung zielt auf politisch-diskursive Gestaltung des parlamentarischen Verfahrens und präventive verfassungsrechtliche Kontrolle des Gesetzes. Somit führt eine Abwägungsfehlerlehre nicht zur Entpolitisierung, sondern zur Parlamentarisierung des Gesetzgebungsverfahrens. Die gesetzgeberische Abwägungskontrolle kann einer Beeinträchtigung der gesetzgeberischen Abwägung durch gesetzesvorbereitende Vereinbarungen entgegen281

Vgl. Bryde, JZ 1998, 115 (120); Schwerdtfeger, Optimale Methodik, S. 173 (188); Morand, Die Erfordernisse der Gesetzgebungsmethodik, S. 11 (14 f.). 282 Zur Profilbezogenheit der Logik des politischen Prozesses: Tils, Professionelle Koordination, S. 31 (42 ff.).

D. Abwägungsfehlerlehre als Instrument der Funktionssicherung

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wirken und dazu beitragen, dass eine Entwertung des Gesetzgebungsverfahrens bei der Umsetzung von Vereinbarungen vermieden wird283.

IV. Vereinbarung und Kontrolldichte Die von gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen ausgehenden Entparlamentarisierungstendenzen führen die Notwendigkeit einer gesetzgeberischen Abwägungslehre besonders deutlich vor Augen. Dabei wirkt sich die Vereinbarung auf die Intensität der verfassungsrechtlichen Abwägungskontrolle aus. Zum einen kann das Einverständnis des Vereinbarungspartners die Sachverhaltsermittlungspflichten des Gesetzgebers entlasten. Zum anderen muss die Kooperation mit einigen wenigen Vereinbarungspartnern zu einer verschärften Abwägungskontrolle bezogen auf die Interessen der nicht beteiligten Dritten und der Allgemeinheit führen. 1. Verminderung der Kontrolldichte wegen Einverständnis Der private Vereinbarungspartner kann sich in einer gesetzesvorbereitenden Vereinbarung mit Einschränkungen des eigenen Freiheitsbereiches einverstanden erklären. Denkbar wäre, dass das Einverständnis dazu führt, dass der Gesetzgeber die Interessen des Privaten nicht mehr selbst ermitteln muss. Man könnte davon ausgehen, dass die Belange des Einwilligenden schon wegen des Einverständnisses voll gewahrt sind, so dass sich dann eine diesbezügliche Sachverhaltsermittlung und Abwägung erübrigen würde284. In diesem Zusammenhang wird vielfach auf den Grundsatz „volenti non fit iniuria“ hingewiesen285. Demnach wäre es ausreichend, wenn der Gesetzgeber, soweit ein Einverständnis vorliegt, anstelle einer eigenständigen Sachverhaltsermittlung und Abwägung auf dieses Einverständnis der Privatpersonen verweist286. 283 Aus diesem Grund sind auch die Bemühungen der Bundesregierung zur Entwicklung einer kritischen Gesetzgebungslehre zu begrüßen. Zu diesen Bemühungen: siehe Busse, in: Hartmann, ZG 2003, 74 (76). Die Gesetzgebungslehre könnte in den hier dargestellten Überlegungen zum gesetzgeberischen Abwägungsvorgang ein verfassungsrechtliches Fundament finden. 284 Vgl. de Witt, A.-Drs. 14/626 Teil 7** (Umweltausschuss), S. 2 (3 f.); ders., A.-Sten. Prot. 14/69 (Umweltausschuss), S. 35. 285 Kloepfer, DVBl. 1996, 964 (969); Brohm, DÖV 1992, 1025 (1033); Oebbecke, DVBl. 1986, 793 (799); Becker, DÖV 1985, 1003 (1010). 286 Vgl. Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 305 (323 ff., 391 f.); Renneberg, Perspektiven der Entsorgung, S. 145 (180), der auf dem Atomrechtstag 2000 die Auffassung vertrat, dass die Kosten, die den Betreibern für die Errichtung standortnaher Zwischenlager entstünden, kein Thema seien, weil die Betreiber selbst hierzu die Anträge gestellt hätten.

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5. Teil: Die Umsetzungsphase

Das Einverständnis von Privaten kann sich aber nur insoweit auf die Grundrechtsprüfung auswirken, als der Private über das Grundrecht selbst disponieren darf. Zudem muss die Grundrechtsdisposition freiwillig erfolgen. Zur Dispositionsbefugnis und Dispositionsfreiheit gilt das oben im Zusammenhang mit dem Grundrechtseingriff Gesagte287. Das Einverständnis des Privaten kann sogar dazu führen, dass im Hinblick auf die Grundrechte des Einwilligenden gar kein Grundrechtseingriff, sondern lediglich eine schlichte Grundrechtsbeeinträchtigung vorliegt. Auch insoweit ist auf die obigen Ausführungen zu verweisen288. Im vorliegenden Zusammenhang ist hingegen zu untersuchen, wie sich ein lediglich faktisches Einverständnis auf die Prüfung des Übermaßverbotes auswirken kann. Das Übermaßverbot muss auch dann geprüft werden, wenn wegen des Einverständnisses kein Grundrechtseingriff, sondern lediglich eine schlichte Grundrechtsbeeinträchtigung angenommen werden kann289. Dabei ist die Frage nach der sachlichen und der personellen Reichweite der Wirkungen des Einverständnisses zu unterscheiden. a) Sachliche Reichweite Das Übermaßverbot kann, soweit der Grundrechtsträger in die eigene Grundrechtverkürzung einwilligt, in den unterschiedlichen Prüfungsstufen zu modifizieren sein. aa) Verfassungskonformer Zweck und Geeignetheit Für die Prüfung des verfassungskonformen Zwecks und die Geeignetheit hat das Einverständnis des Privaten keine Bedeutung. Für die Verfassungskonformität des verfolgten Gesetzeszwecks und die Zwecktauglichkeit der vereinbarten gesetzlichen Regelung ist allein der Gesetzgeber verantwortlich. Auch wenn der Grundrechtsträger teilweise gleichgerichtete Interessen wie der Staat verfolgen mag, so kann der Staat von seiner eigenen Verpflichtung, Gemeinwohlzwecke zu definieren und die Gemeinwohltauglichkeit der von ihm eingesetzten Mittel selbst zu prüfen, nicht entlastet werden.

287 288 289

Siehe oben 4. Teil B. I. 3. b) bb) und cc). Siehe oben 4. Teil B. I. 3. b) aa) und cc). Siehe oben 4. Teil B. I. 3. b) cc) (2).

D. Abwägungsfehlerlehre als Instrument der Funktionssicherung

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bb) Erforderlichkeit In Bezug auf die Erforderlichkeitsprüfung wird beispielsweise von Schlink die Auffassung vertreten, dass es für die Frage nach dem milderen Mittel auf die eigene Bewertung durch den Grundrechtsträger selbst ankomme. Demnach müsste die gesetzesvorbereitende Vereinbarung bei der Erforderlichkeitsprüfung berücksichtigt werden, sofern der Grundrechtsträger darin sein Einverständnis mit der Verkürzung der eigenen Grundrechte erklärt290. Das Einverständnis des Grundrechtsträgers könnte darauf hindeuten, dass es keine milderen Mittel gibt. Die Bedeutung des Einverständnisses mit der Verkürzung der eigenen Grundrechte bedarf indessen weiterer Präzisierung. Zwar wird der Private manchmal über mildere Mittel besser Bescheid wissen als der Staat, weil er seinen eigenen grundrechtsgeschützten Bereich oftmals besser kennt. Dennoch ist es bei der Prüfung der Erforderlichkeit notwendig, dass das mildere Mittel genauso geeignet ist wie das belastendere. Diese Prüfung der gleichen Zwecktauglichkeit des milderen Mittels liegt im alleinigen Verantwortungsbereich des Staates. Von der diesbezüglichen eigenverantwortlichen Prüfung wird der Staat durch kein Einverständnis des Betroffenen und keine gesetzesvorbereitende Vereinbarung entlastet. Das Einverständnis des Privaten mit einem Mittel kann zwar als Indiz für die geringere Grundrechtsbeeinträchtigung durch dieses Mittel sein. Daraus ergibt sich aber kein Schluss für die gleiche Wirksamkeit dieses milderen Mittels. Aus dem Einverständnis des Privaten kann nicht generell im Umkehrschluss gefolgert werden, dass es keine milderen, gleich wirksamen Mittel gäbe. Auch wenn der Grundrechtsträger besonders gute Kenntnisse davon hat, welche Regelung für ihn ein milderes Mittel darstellt, so kann er dennoch unter Umständen die Wirksamkeit des Alternativmittels für den vom Staat definierten Zweck nicht sachgerecht einschätzen. Dementsprechend ist der Private nicht in jedem Fall in der Lage, gleichwirksame mildere Alternativmittel vorzuschlagen. Das Einverständnis des Grundrechtsträgers kann somit den Staat von einer Suche nach milderen Mitteln nur dann entlasten, wenn vom Grundrechtsträger erwartet werden konnte, dass er über gleichwirksame mildere Mittel bessere Kenntnisse hat als der Staat und sich dem Staat mildere Mittel nicht von selbst aufdrängen mussten. Lediglich in einem solchen Fall würde ein Einverständnis des Privaten dazu führen, dass der Staat annehmen darf, dass es keine milderen, gleichwirksamen Mittel gibt. Geht man beim Atomausstieg davon aus, dass übertragbare Reststrommengen gegenüber starren Restlaufzeiten ein milderes, aber zur Minderung des Restrisikos ge290 Schlink, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 445 (456); vgl. auch Amelung, Die Einwilligung, S. 62.

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5. Teil: Die Umsetzungsphase

nauso wirksames Mittel darstellen, so würde sich die Frage der Erforderlichkeit der gesetzlichen Regelung zur Laufzeitverkürzung stellen, wenn der Gesetzgeber statt flexibler Kontingente starre Restlaufzeiten vorgesehen hätte. Das Regelungsmodell mit den flexiblen Restlaufzeiten musste sich dem Staat indessen nicht von selbst aufdrängen. Vielmehr konnte die Bundesregierung davon ausgehen, dass die Energieversorgungsunternehmen aufgrund ihres umfassenden betriebswirtschaftlichen und juristischen Sachverstandes selbst Vorschläge für mildere Mittel machen, die ihren eigenen Grundrechtsbereich betreffen. Hätte also der Staat keine flexiblen Laufzeiten festgelegt, so hätten die Energieversorgungsunternehmen, die sich mit starren Laufzeiten einverstanden erklärt hätten, nicht mehr geltend machen können, es hätte mit flexibler Kontingentierung ein milderes, aber gleichwirksames Mittel gegeben. Insoweit wäre die Erforderlichkeitsprüfung des Staates beim Atomausstieg durch das Einverständnis der Privaten entlastet worden. In Fällen, in denen das Sachwissen der Grundrechtsträger weniger hoch einzuschätzen ist, kann der Staat den Grundrechtsträgern dagegen nicht entgegengehalten, dass diese nicht selbst Vorschläge für mildere Mittel gemacht haben.

cc) Angemessenheit Das in der gesetzesvorbreitenden Absprache erklärte Einverständnis des Grundrechtsträgers spielt auch bei der Frage nach der Angemessenheit einer Grundrechtsbeeinträchtigung eine Rolle. (1) Verklammerungseffekt Die Vereinbarung kann dazu führen, dass Grundrechtsbeeinträchtigungen in einem Bereich durch Zugeständnisse des Staates in anderen Bereichen wieder kompensiert werden. Die kompensierenden Vorteile müssen bei der Frage nach der Angemessenheit der Grundrechtsbeeinträchtigung berücksichtigt werden. Ein Eingriff, der isoliert betrachtet unangemessen wäre, kann dennoch verfassungsgemäß sein, weil in anderen Bereichen Zugeständnisse gemacht wurden, die die Eingriffsintensität kompensatorisch abmildern. Somit verklammert das Einverständnis unterschiedliche Regelungsbereiche, die dann bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung als Gesamtheit zu prüfen sind. Die Verkoppelung setzt allerdings einen Sachzusammenhang voraus291. Ansonsten ist eine Kompensation im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht möglich. Der Charakter eines Umsetzungsgesetzes als Gesamtpaket spielt bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit eine Rolle, sofern kein Verstoß gegen das Koppelungsverbot vorliegt. Denkbar wäre beispielsweise, dass verfassungsgemäße Steuervergünstigungen für die Betreiber von Kernkraftwerken bei der Frage der Verhältnismäßigkeit der Laufzeitverkürzungen berücksichtigt würden. Das Versprechen in der Vereinbarung 291

Siehe oben 4. Teil B. I. 4. b).

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vom 14. Juni 2000, auf eine verfassungswidrige, diskriminierende Besteuerung zu verzichten292, verstößt hingegen gegen das Koppelungsverbot293 und kann deshalb bei der Angemessenheit der Restlaufzeiten nicht berücksichtigt werden.

(2) Vermutung der Angemessenheit Wenn die betroffenen Grundrechtsträger mit einer Grundrechtsverkürzung einverstanden sind, so kann dies dafür sprechen, dass sie in ihren Grundrechten nicht unangemessen beeinträchtigt werden294. Die Angemessenheit einer Grundrechtsbeeinträchtigung kann vermutet werden, soweit ein dispositionsbefugter Grundrechtsträger freiwillig in die Grundrechtsverkürzung einwilligt. Gerade die Freiwilligkeit des Grundrechtsträgers ist jedoch bei gesetzesvorbereitenden Verhandlungen schwierig zu beurteilen. Es taucht wieder das Problem auf, dass bei den Verhandlungen Gemengelagen aus Zwangs- und Freiwilligkeitsmomenten vorliegen295. Deshalb kann aus dem Einverständnis des Privaten nicht pauschal eine Angemessenheit des Eingriffs bzw. der schlichten Grundrechtsbeeinträchtigung abgeleitet werden. Das Einverständnis ist vielmehr je nach Falllage spezifisch zu gewichten. Bei gering ausgeprägten Zwangsmomenten des Staates kommt dem Einverständnis im Rahmen der Angemessenheit größeres Gewicht zu als bei in starkem Maße erzwungener Kooperation. In der Gesetzesvorlage zum Atomausstieg wird die Verhältnismäßigkeit der Laufzeitverkürzung vor allem damit begründet, dass die Energieversorgungsunternehmen den Laufzeiten zugestimmt hätten296. Die Zustimmung der Energieversorgungsunternehmen zur Vereinbarung vom 14. Juni 2000 erfolgte jedoch, weil man ansonsten mit einer Störung des Betriebs von Kraftwerken, mit steuerlicher Diskriminierung und jahrelangen gerichtlichen Auseinandersetzungen rechnete. Die Energieversorgungsunternehmen befürchteten schärfere Ausstiegsregelungen, wenn es zu keinem Konsens kommt. Folglich war die „freiwillige“ Zustimmung auch von erheblichen Zwangsmomenten geprägt. Diese relativieren die Bedeutung des Einverständnisses bei der Grundrechtsprüfung. Zwar kann das Einverständnis der Betreiber als zusätzliches faktisches Moment bei der Prüfung der Angemessenheit der Grundrechtsverkürzung herangezogen werden. Angesichts des dargelegten Zwangskontextes ist es jedoch nicht ausreichend, wenn die Verhältnismäßigkeitprüfung, wie in der Begründung der Gesetzesvorlage geschehen, nahezu ausschließlich auf die Zustimmung der Betreiber abstellt297. Folglich liegt auch in Bezug auf das Eigentumsgrundrecht der 292

III. 2. der Vereinbarung vom 14. Juni 2000. Siehe oben 4. Teil B. I. 4. a). 294 Vgl. BVerfGE 75, 246 (269); 62, 1 (43). 295 Zu dieser Gemengelage: siehe oben 1. Teil A. I. 3 c). 296 Begründung der Gesetzesvorlage, BT-Drs. 14/7261, 14/6890, S. 15 f.; siehe auch de Witt, A.-Drs. 14/626 Teil 7** (Umweltausschuss), S. 2 (5). 297 Begründung der Gesetzesvorlage, BT-Drs. 14/7261, 14/6890, S. 15 f. 293

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5. Teil: Die Umsetzungsphase

Betreiber wegen nicht ausreichend substanziierter Prüfung der Angemessenheit der Laufzeitbegrenzung ein Defizit im Abwägungsvorgang vor.

b) Personelle Reichweite der Entlastungswirkung Das Einverständnis des Grundrechtsträgers mit einer Grundrechtsbeeinträchtigung kann den Gesetzgeber bei der Tatsachenermittlung und anschließenden Abwägung insoweit in gewisser Weise entlasten, als es um die Erforderlichkeit und Angemessenheit des Eingriffs geht. Dies gilt jedoch nur insoweit, als die Tatsachenermittlung und Abwägung lediglich den Rechtskreis des einwilligenden Grundrechtsträgers betrifft. Im Hinblick auf Belange der Allgemeinheit und Belange Dritter darf das Einverständnis grundsätzlich zu keiner Reduzierung der Sachverhaltsermittlung und -berücksichtigung führen. Anderenfalls wird die gebotene Abwägung verfassungswidrig zu Lasten Dritter und der Allgemeinheit verkürzt. Es ist deshalb problematisch, wenn in der Begründung der Gesetzesvorlage zum Atomausstieg aus dem Einverständnis der beteiligten Energieversorgungsunternehmen die Schlussfolgerung gezogen wurde, dass auch die Interessen der nicht beteiligten Energieversorgungsunternehmen ausreichend berücksichtigt wurden298.

Hiervon ist allerdings eine Ausnahme zu machen, wenn aus der besonderen Beteiligung Einzelner und deren Einverständnis Schlussfolgerungen für Dritte im Rahmen einer Typisierung gezogen werden können. Die Typisierungsproblematik wurde bereits im Rahmen der Verhandlungsphase bei der Prüfung des Gleichheitssatzes abgehandelt299. Aufgabe des Parlaments ist es, die Gründe für die Typisierung im Gesetzgebungsverfahren kritisch zu überprüfen. Bei oligopolen Strukturen kann dem Gesetzgeber ein höherer Ermittlungsaufwand zugemutet werden als bei Massenerscheinungen. Massenerscheinungen dürfen eher eine Typisierung unterworfen werden, weil angesichts der Vielzahl von Fällen ein erhöhtes Interesse besteht, Ermittlungs- und Vollzugsressourcen einzusparen300. Im Gegensatz dazu wiegen Begründungsdefizite der Typisierung in oligopolen Strukturen umso schwerer. Beim Atomausstieg finden sich weder in der Begründung der Gesetzesvorlage noch in den sonstigen Gesetzesmaterialien Ausführungen dazu, weshalb davon ausgegangen werden kann, dass die Interessen der beteiligten Energieversorgungsunternehmen und der nicht beteiligten Energieversorgungsunternehmen so ähnlich sind, 298 Begründung der Gesetzesvorlage, BT-Drs. 14/7261, 14/6890, S. 16; siehe hierzu bereits oben 4. Teil B. II. 2 f); zu weiteren, in ihren Grundrechten durch den Atomausstieg Betroffenen, die an den Verhandlungen nicht beteiligt wurden: Huber, Entsorgung als Staatsaufgabe, S. 149 (180). 299 Siehe oben 4. Teil B. I. 2. a) bb). 300 Vgl. Di Fabio, Die Verfassung als Maßstab und Grenze, S. 253 ff.

D. Abwägungsfehlerlehre als Instrument der Funktionssicherung

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dass ein Schluss vom Einverständnis der Beteiligten auf die Interessenlage der Nichtbeteiligten als zulässige Typisierung anzusehen wäre301. Dieser Mangel an Begründung der Typisierung wiegt umso schwerer, weil es sich beim Betrieb von Kernkraftwerken nicht um eine Massenerscheinung, sondern um ein faktisches Oligopol handelt.

c) Ergebnis Somit zeigt sich, dass sich das Einverständnis eines Grundrechtsträgers nur auf bestimmte Segmente der Übermaßprüfung auswirkt. Für die Prüfung des verfassungskonformen Zwecks und die Geeignetheit spielt die kooperative Vorgehensweise keine Rolle. Das Einverständnis des Grundrechtsträgers kann sich jedoch in unterschiedlicher Intensität auf die Prüfung der Erforderlichkeit und Angemessenheit auswirken. Dem Einverständnis kommt bei der Prüfung der Erforderlichkeit dann umso mehr Gewicht zu, je größer das Sachwissen des Grundrechtsträgers einzuschätzen ist. Für die Angemessenheitsprüfung steigt die Bedeutung des Einverständnisses umso mehr, je weniger staatliche Zwangsmomente im Umfeld der jeweiligen Vereinbarung in Erscheinung getreten sind. Die Entlastung der gesetzgeberischen Sachverhaltsermittlung auf Grund eines Einverständnisses der Kooperationspartner ist in Intensität und Reichweite begrenzt. Entlastungsintensität und Reichweite sind nach den besonderen Umständen des jeweiligen Regelungsvorhabens zu ermitteln. Geht der Gesetzgeber von einer nicht gerechtfertigten Entlastung der eigenen Abwägungsaufgabe aufgrund des Einverständnisses der Vereinbarungspartner aus, so führt dies zu Abwägungsdefiziten. Bezieht der Gesetzgeber eine gesetzesvorbereitende Vereinbarung als Begründung in die eigene Abwägung ein, so muss er die gesetzesvorbereitenden Verhandlungen auf Zwangs- und Freiwilligkeitsmomente und auf das Sachwissen der Kooperationspartner untersuchen, um die Bedeutung des Einverständnisses des privaten Kooperationspartners richtig einordnen zu können. Je stärker das Machtgefälle zwischen Staat und privaten Vereinbarungspartnern ausfällt, desto geringeres Gewicht kommt dem Einverständnis der Privaten zu. Die Vereinbarung kann unterschiedliche Regelungsbereiche derart miteinander verklammern, dass die Grundrechtsprüfung nicht mehr an einzelnen gesetzlichen Regelungen, sondern am ausgehandelten Gesamtpaket vorgenommen werden muss. Das Einverständnis des Grundrechtsträgers kann andererseits die Ermittlungsaufgaben des Gesetzgebers nur insoweit mindern, wie der Rechtskreis des Einwilligenden reicht, es sei denn die Belange Dritter müssen wegen offen gelegter, sachgerechter Typisierung nicht gesondert ermittelt werden. 301

Siehe oben 4. Teil B. I. 2. a) bb).

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5. Teil: Die Umsetzungsphase

2. Verschärfung der Kontrolldichte bezogen auf Drittinteressen Besonders intensive Verhandlungskontakte mit Vertretern bestimmter Partikularinteressen können eine verschärfte verfassungsrechtliche Kontrolle hinsichtlich des Wohls der Allgemeinheit und bezogen auf die Interessen nicht beteiligter Dritter notwendig werden lassen, weil die Vereinbarungen zu einer Vermutung einseitiger Interessenberücksichtigung führen302. Je intensiver die Verhandlungskontakte in der Gesetzesvorbereitung ausgeprägt waren und je stärkere faktische Bindungen gegenüber einzelnen organisierten Interessen entstanden sind, desto eher besteht die Gefahr, dass Interessen von an den Verhandlungen nicht Beteiligten und der Allgemeinheit nicht oder zu wenig berücksichtigt wurden303. Deshalb wird in solchen Fällen besonders darauf zu achten sein, dass das Abwägungsmaterial vollständig ermittelt und in die Abwägung des Gesetzgebers eingestellt wurde304. Je deutlicher der Charakter der mit einigen Interessenvertretern exklusiv abgeschlossenen Vereinbarungen als gesetzesvorbereitende Staatsgewalt ausgeprägt ist, desto restriktiver muss der gesetzgeberische Abwägungsvorgang auf Einseitigkeiten untersucht werden305. Folglich wird die verfassungsrechtliche Kontrolldichte des materiellen Gesetzgebungsverfahrens in der Umsetzungsphase vom Verhandlungsgeschehen im Vorfeld des parlamentarischen Verfahrens und dessen Charakter als Staatsgewalt maßgeblich beeinflusst. Die Vereinbarung vom 14. Juni 2000 entwickelte sehr starke faktische Bindungen und hatte deshalb einen besonders deutlichen Charakter als gesetzesvorbereitende Staatsgewalt306. Die faktischen Bindungen griffen vom Vorfeld auf das Gesetzgebungsverfahren über und haben dessen diskursiven Charakter erheblich verkürzt307. Auch aus diesem Grund ist die hier durchgeführte Kontrolle des parlamentarischen Abwägungsvorgangs gerechtfertigt308.

302

Vgl. Hoffmann-Riem, Verwaltungsrechtsreform, S. 156. Vgl. Schulze-Fielitz, Parlament als Organ der Kontrolle, S. 71 (122); Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG Bd. II, Art. 20 Abs. 2 Rdnr. 174; Faber, Gesellschaftliche Selbstregulierungssysteme, S. 316. f.; Eberle, Die Verwaltung 1984, 439 (450). 304 Vgl. BVerwGE 45, 309 (318, 321). 305 Zum Zusammenhang von Intensität des Charakters als gesetzesvorbereitende Staatsgewalt und verfassungsrechtlicher Kontrolldichte: siehe oben 2. Teil A. III. 2. 306 Siehe oben 1. Teil A. I. 3. b) dd) (4) (b), 2. Teil A. III. 2. 307 Siehe hierzu unten 6. Teil. 308 Siehe oben 5. Teil D. III. 4. b) bb). 303

E. Einfachgesetzliche Gesetzgebungsordnung

493

E. Einfachgesetzliche Gesetzgebungsordnung Zur Sicherung eines substanziellen Gesetzgebungsverfahrens wird in der Literatur vorgeschlagen, die gesetzgeberische Sachverhaltsermittlung und -berücksichtigung in einem Parlamentsgesetz zu regeln309. Die gesetzliche Regelung des gesetzgeberischen Abwägungsvorgangs könnte dazu beitragen, dass der Gesetzgeber seiner Pflicht zur ordnungsgemäßen Sachverhaltsermittlung und Abwägung auch dann nachkommt, wenn die Bundesregierung zuvor ein Gesetzespaket mit Privaten ausgehandelt hat. Ein solches Gesetzgebungsverfahrensgesetz würde die Art. 76 ff. GG mit Regelungen zum materiellen Gesetzgebungsverfahren ergänzen. In ihm könnte die dargelegte Abwägungsfehlerlehre konkretisiert und kodifiziert werden. Nach dieser Konzeption müsste ein Gesetz bei Verstoß gegen die parlamentsgesetzliche Gesetzgebungsordnung mit Außenwirkung rechtswidrig und nichtig sein. Eine Abweichung eines Gesetzes von der Gesetzgebungsordnung wäre nur zulässig, sofern zuvor die Gesetzgebungsordnung explizit geändert worden wäre310. Dadurch könnte das gesetzgeberische Bewusstsein dafür gestärkt werden, dass Gesetze stets auf der Grundlage allgemeiner Maßstäbe und einer fundierten Abwägung beschlossen werden müssen311. Die Bindung des Gesetzgebers an ein von ihm selbst mit einfacher Mehrheit beschlossenes parlamentarisches Gesetz würde eine Selbstbindung darstellen312.

I. Grundgesetzliche Ermächtigung zur Selbstbindung Der im Zusammenhang mit einer Gesetzgebungsordnung auftauchende Begriff der Selbstbindung des Gesetzgebers gehört im Verwaltungsrecht 309

Siehe oben 4. Teil C. IV. Lücke, ZG 2001, 1 ff. (insbesondere 39 ff.); vgl. auch Hufen, Über Grundlagengesetze, S. 11 (23 f.); Vogel, Diskussionsbeitrag, Staatsrechtslehrertagung 2002, S. 95. 311 Vgl. Hufen, Über Grundlagengesetze, S. 11 (24). 312 Zur Selbstbindung des Gesetzgebers: BVerfGE 101, 158 (216 ff.); Degenhart, ZG 2000, 79 (86 ff.). Die Selbstbindung wäre freilich dann, wenn die Gesetzgebungsordnung durch einfaches Parlamentsgesetz abgeändert werden könnte, relativ schwach ausgeprägt. Sie würde den Gesetzgeber lediglich dazu zwingen, die Gesetzgebungsordnung explizit im Gesetzestext zu ändern. Implizite Abweichungen von der Gesetzgebungsordnung wären demnach untersagt (vgl. Lücke, ZG 2001, 1 (42 f.)). Weitergehend: Hufen, Über Grundlagengesetze, S. 24 ff., der überlegt, ob eine stärkere Bindung dadurch erreicht werden kann, dass das Grundlagengesetz mit einer qualifizierten Mehrheit verabschiedet würde und deshalb zur Änderung auch einer solchen qualifzierten Mehrheit bedürfen würde. Kritisch hierzu: Huber, Diskussionsbeitrag, 60. Geburtstag Christian Starck, S. 68; Brenner, Diskussionsbeitrag, 60. Geburtstag Christian Starck, S. 70. 310

494

5. Teil: Die Umsetzungsphase

zum gängigen Begriffsrepertoire. Während die Selbstbindung der Verwaltung eine vielfach verwendete Argumentationsfigur ist313, ist von einer Selbstbindung des Gesetzgebers seltener die Rede314. Im Verwaltungsrecht versteht man darunter eine rechtliche Verpflichtung zur Gleichbehandlung entsprechend der bisherigen Verwaltungspraxis. Selbstbindung entsteht danach aus zwei Komponenten: Zum einen aus der bisherigen Tätigkeit der Verwaltung und zum anderen aus dem verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG. Durch die Verwaltungspraxis aktualisiert die Verwaltung ihre Anbindung an den Gleichheitssatz. Hier wird deutlich, dass die Selbstbindung einerseits aus dem eigenen Handeln des Gebundenen herrührt, dass sie aber andererseits eines verfassungsrechtlichen Anknüpfungspunktes außerhalb des Gebundenen bedarf, insoweit also auch eine gewisse Fremdbindung darstellt315. Eine Selbstbindung des Gesetzgebers an ein von ihm selbst beschlossenes Parlamentsgesetz wirft die Frage auf, ob eine solche legislative Selbstbindung überhaupt möglich ist oder ob insoweit ein verfassungsrechtlicher Anknüpfungspunkt fehlt. Nach Art. 20 Abs. 3 GG ist der Gesetzgeber an die Verfassung gebunden, während die anderen Staatsorgane nach Art. 20 Abs. 3 GG nicht nur durch die Verfassung, sondern auch durch das unterverfassungsrechtliche Recht verpflichtet werden. Der das Volk repräsentierende Gesetzgeber muss die Möglichkeit haben, seinen Willen stets aufs Neue an den Willen der Wähler anzupassen, damit die Repräsentation immer wieder aktualisiert werden kann. Die Beweglichkeit und Innovationssouveränität des Gesetzgebers gehört zu den Essentialien der Demokratie316. Art. 20 Abs. 3 GG ist deshalb so zu verstehen, dass der Gesetzgeber im Gegensatz zu den anderen Verfassungsorganen ausschließlich an die Verfassung gebunden ist317. Das spätere einfache Parlamentsgesetz verdängt die widersprechenden vorherigen einfachgesetzlichen Regelungen: Lex posterior derogat legi priori318. 313

Siehe beispielsweise Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 40 Rdnr. 25. Zur Systemgerechtigkeit als Selbstbindung des Gesetzgebers: siehe beispielsweise BVerfGE 67, 70 (84); 85, 238 (347); Lücke, ZG 2001, 1 (21) m. w. N. 315 Vgl. Burmeister, Diskussionsbeitrag, Staatsrechtslehrertagung 1982, S. 300 f., 316. 316 Vgl. Badura, Diskussionsbeitrag, 60. Geburtstag Christian Starck, S. 46; Heun, Diskussionsbeitrag, 60. Geburtstag Christian Starck, S. 66; Bleckmann, Die Struktur, S. 102; zum gegenläufigen Prinzip des Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, das zu einer gewissen Selbstbindung des Gesetzgebers führen kann: siehe unten 8. Teil B. 317 Korioth, ZG 2002, 335 (352); Bülow, in: Benda/Maihofer/Vogel, HdbVfR, S. 1484. 318 Zur inneren Begründung der Lex-posterior-Regel: Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 58. 314

E. Einfachgesetzliche Gesetzgebungsordnung

495

Eine Selbstbindung des Gesetzgebers an vorher gesetztes einfaches Gesetzrecht ist deshalb nur möglich, wenn ein verfassungsrechtlicher Anknüpfungspunkt ersichtlich ist319. Das geltende Grundgesetz enthält jedoch keine ausdrückliche Norm, in der vorgesehen ist, dass der Gesetzgeber das Gesetzgebungsverfahren näher materialisiert und konkretisiert und sich darin selbst bindet. Eine Selbstbindung an eine einfachgesetzliche Gesetzgebungsordnung wäre deshalb allenfalls denkbar, wenn sich dem Grundgesetz hierfür eine ungeschriebene Ermächtigung entnehmen ließe.

II. Regelungsmodelle der Art. 109 Abs. 3 und 115 Abs. 1 Satz 3 GG Eine Selbstbindung des Gesetzgebers ist dem Grundgesetz nicht fremd. Vielmehr können die Art. 109 Abs. 3 und 115 Abs. 1 Satz 3 GG im Sinne einer grundgesetzlichen Ermächtigung des Gesetzgebers zur Selbstbindung gelesen werden. Die in diesen Bestimmungen vorgesehenen Bundesgesetze sollen die unscharfen grundgesetzlichen Begriffe der konjunkturgerechten Haushaltswirtschaft (Art. 109 Abs. 3 GG), das Gebot des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts (Art. 109 Abs. 2 GG) sowie den Investitionsbegriff des Art. 115 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 GG) näher konkretisieren320. Diese verfassungskonkretisierenden Gesetze sind vom jeweiligen Haushaltsgesetz zu trennen. Das verfassungskonkretisierende Gesetz nach Art. 109 Abs. 3 und Art. 115 Abs. 1 Satz 3 GG ist weniger konkret als das jeweilige Haushaltsgesetz, jedoch konkreter als die verfassungsrechtlichen Vorgaben. Folglich wird eine normative Zwischenschicht zwischen Verfassung und Haushaltsgesetz geschaffen. Der Haushaltsgesetzgeber ist an die im Konkretisierungsgrad zwischen Verfassung und Haushaltsgesetz anzusiedelnden verfassungskonkretisierenden Grundsatznormen gebunden321. Die verfassungskonkretisierenden Grundsatzgesetze sind zwar nicht selbst Verfassungsrecht, sondern unterverfassungsrechtliche Normen. Sie sind aber dennoch normhierarchisch über dem jeweiligen Haushaltsgesetz anzusiedeln. Der Sinn des mehrstufigen Systems aus Verfassung, verfassungskonkretisierendem Grundsatzgesetz und grundsatzkonkretisierendem Gesetz liegt darin, dass der Gesetzgeber dazu gezwungen wird, die einzelnen gesetzlichen Regelungen auf allgemeine Maßstäbe zurückzuführen. Durch die 319

Degenhart, ZG 2000, 79 (86). BVerfGE 79, 311 (336). 321 Vgl. BVerfGE 79, 311 (352 ff.); Starck, Diskussionsbeitrag, 60. Geburtstag Christian Starck, S. 76; Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG Bd. III, Art. 109 Abs. 3 Rdnr. 118; kritisch hierzu: Siekmann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG Bd. III, vor Art. 104 a Rdnr. 42 d, Art. 115 Rdnr. 37, 52, Art. 109 Rdnr. 38 ff. 320

496

5. Teil: Die Umsetzungsphase

Distanz allgemeiner Maßstäbe zum Einzelfall soll die Rationalität und Sachgerechtigkeit des Gesetzes erhöht werden322. Zwar bedarf es für die Änderung des verfassungskonkretisierenden Grundsatzgesetzes anders als für die Änderung der Verfassung selbst lediglich der einfachen Mehrheit im Bundestag, dennoch muss sich der Gesetzgeber des Haushaltsgesetzes an das Grundsatzgesetz halten. Er darf von ihm nur abweichen, wenn er dieses selbst abändert. Eine solche Änderung darf aber nicht so aussehen, dass der Haushaltsgesetzgeber lediglich das jeweilige Haushaltsgesetz von dem Grundsatzgesetz ausnimmt. Dies würde den Sinn und Zweck des mehrstufigen Regelungssystems untergraben. Will der Gesetzgeber des Haushaltsgesetzes vom Grundsatzgesetz abweichen, so muss er deshalb Letzteres allgemein und nicht nur für ein ganz bestimmtes Haushaltsgesetz ändern323.

III. Übertragbarkeit des Mehrstufenmodells Das Regelungsmodell der Art. 109 Abs. 3, 115 Abs. 1 Satz 3 GG lässt sich dahingehend verallgemeinern, dass der Gesetzgeber Grundsätze in Form von einfachem Gesetzesrecht erlässt, die die verfassungsrechtlichen Begriffe näher konkretisieren. An diese einfachgesetzlichen Grundsätze ist dann der Gesetzgeber selbst gebunden, wenn er über die Gesetze entscheidet, die das verfassungskonkretisierende Grundsatzgesetz ihrerseits weiter konkretisieren sollen. Das verfassungskonkretisierende Grundsatzgesetz steht in der Normenhierarchie über dem grundsatzkonkretisierenden Gesetz324. Änderungen des Grundsatzgesetzes sind nur allgemein und nicht als Ausnahmen bestimmter Gesetzesvorhaben möglich. Dadurch wird eine irrationale und systemlos auf einzelne Fälle konzentrierte Gesetzgebung vermieden. Der höhere Abstraktionsgrad des Grundsatzgesetzes soll die Interessenbezogenheit der Gesetzgebung zurückdrängen und die Rationalität der gesetzgeberischen Abwägung fördern. Darin ist möglicherweise auch ein Instrument zu sehen, um einer ausgehandelten Lobbygesetzgebung entgegenzuwirken. Der Zwang, das jeweilige Gesetz aus allgemeinen Maßstäben zu entwickeln, könnte die sachgerechte Abwägung des Gesetz322 Vgl. BVerfGE 101, 158 (216 ff.); Vogel, Diskussionsbeitrag, Staatsrechtslehrertagung 2002, S. 95; zum Rationalität stiftenden Potential allgemeiner Maßstäbe: siehe oben 3. Teil C. I. 1. 323 Vgl. Hufen, Über Grundlagengesetze, S. 11 (23 f.). 324 Vgl. zum Zusammenhang von Normrang und Abstraktionsgrad: Degenhart, Systemgerechtigkeit und Selbstbindung, S. 79 ff.: „Enthält für die einzelnen Rechtsmaterien die Verfassung Wertungen von höchster Grundsätzlichkeit, so bedeutet die erhöhte Grundsätzlichkeit der einfachgesetzlichen Normen deren größere Verfassungsnähe.“

E. Einfachgesetzliche Gesetzgebungsordnung

497

gebers sichern, sofern Interessenverbände auf dessen Inhalt Einfluss nehmen wollen325. Das Grundgesetz hat das Mehrstufenmodell in den genannten Regelungen jedoch auf bestimmte Bereiche beschränkt. Außerhalb dieser Bereiche enthält die Verfassung keine explizite Grundlage für eine Selbstbindung des Gesetzgebers. Folglich kann die Selbstbindung des Gesetzgebers an eine bereichsübergreifende Gesetzgebungsordnung nur über eine Verfassungsfortbildung begründet werden. Eine solche ist dem Verfassungsgericht gestattet, soweit es damit das Ziel verfolgt, die Geltung und Wirkung der Verfassung angesichts veränderter Umstände zu sichern326. Das Mehrstufenmodell könnte demnach auch außerhalb der explizit grundgesetzlich geregelten Bereiche Anwendung finden, wenn ein solches notwendig ist, um die diskursiv-abwägende Funktion des Gesetzgebungsverfahrens zu sichern327.

IV. Gesetzgebungsordnung als Grundsatzgesetzgebung Im vorliegenden Zusammenhang informell-kooperativer Gesetzgebung interessiert, ob der Bundestag notwendigerweise einer ihn selbst bindenden, parlamentsgesetzlichen Gesetzgebungsordnung bedarf, um seine eigenständige parlamentarische Abwägung gegenüber einer mit Interessensvertretern kooperierenden Bundesregierung institutionell zu sichern. Das Abwägungsprogramm in einer parlamentsgesetzlichen Gesetzgebungsordnung könnte sich als Ausfluss des verfassungsrechtlichen Gebotes zur diskursiv-abwägenden Gesetzgebung darstellen und insoweit eine durch die Verfassung vermittelte Selbstbindungswirkung entfalten. Es ist jedoch nicht ersichtlich, warum der Bundestag seiner verfassungsrechtlichen Pflicht zur kritischen Gesetzgebung unbedingt durch eine Gesetzgebungsordnung nachkommen müsste. Das Parlament kann seiner Pflicht zur ordnungsgemäßen Sachverhaltsermittlung und Abwägung vielmehr auch durch eine kritische verfassungsrechtliche Prüfung der jeweiligen Gesetzesvorlage gerecht werden, ohne sich bereichsübergreifend an Ge325

Vgl. Smeddinck, Gesetzesproduktion, S. 105 (117 f.). Zur geltungserhaltenden Verfassungsanreicherung und Verfassungsfortbildung: vgl. BVerfGE NJW 2003, 1577 (1587); BVerfGE 1, 351 (359); Böckenförde, NJW 1999, 9 (13); zu verfassungsgerichtlichen „Innovationen“ im positiven Sinne: siehe Di Fabio, NVwZ 1153 (1157). 327 Das rechtsschöpferische Element einer die Verfassungseffektivität sichernden Rechtsfortbildung dürfte auch der bundesverfassungsgerichtlichen Konzeption eines Maßstäbegesetzes beim Finanzausgleich innewohnen. Siehe hierzu: BVerfGE 101, 158 (216 ff.); Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG Bd. III, Art. 107 Rdnr. 46 ff. 326

498

5. Teil: Die Umsetzungsphase

setzgebungsverfahrensgrundsätze zu binden. Ein zwingendes Bedürfnis nach einer übergreifenden einfachgesetzlichen Gesetzgebungsordnung ist derzeit nicht zu erkennen328. Deswegen wäre eine dementsprechende Verfassungsfortbildung zur Zeit nicht zu rechtfertigen329. Sollte sich hingegen langfristig herausstellen, dass ein diskursiv-abwägendes Gesetzgebungsverfahren im hier dargelegten Sinne ohne parlamentsgesetzliche Gesetzgebungsordnung nicht zu realisieren ist, muss über ein solches, den Gesetzgeber selbstbindendes Gesetz erneut nachgedacht werden. Insoweit würde es sich dann um eine aus dem Regelungsmodell der Art. 109 Abs. 3 und 115 Abs. 1 Satz 3 GG entwickelte Rechtsfortbildung handeln, weil ein expliziter grundgesetzlicher Anknüpfungspunkt nicht zu finden ist. Die Wirksamkeit einer solchen Gesetzgebungsordnung wäre allerdings von vornherein deshalb eingeschränkt, weil die Gesetzesvorbereitung durch die Bundesregierung deren Organisationsautonomie unterliegt und deshalb einer umfassenden parlamentsgesetzlichen Regelung nicht zugänglich ist330. Die Gesetzgebungsordnung könnte allerdings die parlamentarische Überprüfung der Vereinbarungen normieren und würde damit das Gebot kritischer Rezeption bezogen auf die gesetzliche Umsetzung konkretisieren.

V. Ergebnis Werden Gesetze von der Bundesregierung mit Privaten ausgehandelt, so drängt sich die Frage auf, ob ein Mehrstufensystem nach dem Vorbild der Art. 109 Abs. 3 und 115 Abs. 1 Satz 3 GG geeignet ist, um einer privilegierenden Lobbygesetzgebung entgegenzuwirken. Ein solches System funktioniert jedoch nur, wenn es für die Selbstbindung des Gesetzgebers einen verfassungsrechtlichen Anknüpfungspunkt gibt. Als solcher kommt zwar das Gebot diskursiv-abwägender Gesetzgebung als ungeschriebenes Verfassungsprinzip in Betracht. Es ist jedoch derzeit noch nicht ersichtlich, dass es eines solchen Mehrstufensystems notwendigerweise bedarf, um die Rationalität der Gesetzgebung zu sichern. Vielmehr kann der Gesetzgeber eine substanziierte Abwägung auch bezogen auf die jeweilige Gesetzesvorlage vornehmen, ohne sich bereichsübergreifend zu binden.

328

Vgl. Redeker, NJW 2002, 2756 (2759). Siehe hierzu auch: Reicherzer, Diskussionsbeitrag Deutscher Juristentag 2004, S. 91 f. 330 Siehe oben 4. Teil A., C. IV. 1. 329

6. Teil

Der Zusammenhang der Phasen und Fehlerfolgen Die verfassungsrechtliche Beurteilung der gesetzesvorbereitenden Verhandlungen und der aus diesen Verhandlungen resultierenden Vereinbarungen (4. Teil) ist von der Prüfung des Umsetzungsgesetzgebungsverfahrens (5. Teil) zu unterscheiden. Teile der Literatur gehen deshalb davon aus, dass eine Verfassungswidrigkeit der gesetzesvorbereitenden Verhandlungen und Vereinbarungen das Gesetzgebungsverfahren zur Umsetzung als solches nicht berühre1. Fehler im Vorfeld des formalisierten Gesetzgebungsverfahrens begründen nach dieser Auffassung keine Verfassungswidrigkeit des Umsetzungsgesetzgebungsverfahrens und hätten demnach auch auf das Umsetzungsgesetz selbst keinen Einfluss. Dabei wird jedoch der Zusammenhang vernachlässigt, der zwischen Umsetzungsgesetz und gesetzesvorbereitender Vereinbarung besteht. Dieser ist nachfolgend näher zu untersuchen. Nicht jeder Verstoß gegen die Verfassung muss jedoch zur Nichtigkeit des Gesetzes führen. Deshalb ist auch zu klären, unter welchen Voraussetzungen von der Nichtigkeit eines Gesetzes auszugehen ist, das eine verfassungswidrige Vereinbarung umsetzt.

A. Interdependenzen zwischen Verhandlungen und Umsetzung Das Umsetzungsgesetzgebungsverfahren ist gegenüber den Fehlern der Gesetzesvorbereitung in der Regel nicht resistent. Die in der Literatur vorgetragene These von einer nahezu undurchlässigen Trennung von Vereinbarung und Umsetzungsgesetz übersieht, dass Gesetzesvorbereitung und Umsetzungsgesetzgebungsverfahren aufs Engste miteinander verbunden und deshalb als einheitlicher Gesetzgebungsprozess anzusehen sind2. 1

Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 305 (321, 327); Hermes, A.-Drs. 14/626 Teil 5** (Umweltausschuss), S. 3 (9); vgl. auch Morlok, Informalisierung, S. 37 (70 f., 76). 2 Vgl. BVerfGE 89, 291 (303); Schulze-Fielitz, Der informale Verfassungsstaat, S. 139; zur ähnlichen Problematik im Planungsrecht: vgl. BayVGH, NuR 2004, 528 ff.

500

6. Teil: Der Zusammenhang der Phasen und Fehlerfolgen

I. Infektion der gesetzgeberischen Abwägung durch Vorfeldfehler Der Zusammenhang zwischen gesetzesvorbereitender Vereinbarung und Umsetzungsgesetz wird deutlich, wenn man die empirischen Grundlagen des gesetzgeberischen Entscheidungsprozesses in die Analyse einbezieht. Dabei führt die jedem Entscheidungsprozess immanente, sich schrittweise verdichtende, faktische Bindung dazu, dass der nächste Entscheidungsschritt auf dem vorherigen Entscheidungsschritt aufbauen kann. Erst dadurch wird ein Verfahrensforschritt erreicht3. Die Abgeordneten knüpfen bei ihren Überlegungen im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren an die Gesetzesvorbereitung der Ministerien an4. Ohne die Vorbereitung in den Ministerien wäre eine sachgerechte Entscheidung im Parlament oftmals nicht denkbar. Dies führt jedoch dazu, dass die in der Verhandlungsphase entstandenen Fehler durch die prozessimmanenten Bindungen in das Gesetzgebungsverfahren weiter transportiert werden. Zudem fordert die parteipolitisch motivierte Solidarität mit der Regierung eine gewisse faktische Bindung der Abgeordneten an die Regierungsvorlagen. Die faktischen Bindungen greifen auch aus diesem Grunde typischerweise von der Gesetzesvorbereitungsphase, in der die Bundesregierung mit Privaten das Gesetz aushandelt, in das parlamentarische Verfahren über. Vor allem bei intensiven gesetzesvorbereitenden Verhandlungen im Vorfeld der Gesetzesinitiative wird das Abwägungsmaterial bereits vor Einbringung in den Bundestag erheblich vorgefiltert, so dass die Willensbildung im Bundestag in erheblichen Maße von der Gesetzesvorbereitung beeinflusst wird5. Der Zusammenhang von Gesetzgebungsvorfeld und Gesetzgebungsverfahren wird beim Atomausstieg besonders deutlich, weil die Abgeordneten bereits auf dem Vorblatt der Gesetzesvorlage darauf hingewiesen wurden, dass das Gesetz die Vereinba3

Zur prozessimmanenten faktischen Bindung: siehe oben 1. Teil A. I. 3 b) cc) (1). Vgl. zum BBodSchG Smeddinck/Tils, Normgenese und Handlungslogiken, S. 133, 185, 223: „Im Ergebnis existierten (Anm. Verf.: von den Ministeralbeamten verfasste) Handzettel für die Parlamentarier zu den einzelnen Problembereichen (etwa Vorsorge, Gesetzeszweck, Landwirtschaft, Haftungsfrage). Durch diese Beeinflussung kraft Sachverstandes und geschickte Informationsfilterung versuchten die Vertreter des BMU – auch wenn sie formal Randfiguren des parlamentarischen Verfahrens waren –, die Kontrolle über den Fortgang des Gesetzgebungsprozesses nie ganz abzugeben. . . . Alle Unterlagen waren natürlich inoffiziell, wurden also ohne Briefkopf gestreut.“ Diese Handzettel sollen auch Aussagen enthalten haben, wie weit die am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten in Verhandlungen gehen können (S. 223). Ähnlich in Bezug auf das KrW-/AbfG: Staeck, Vom Reformprojekt, S. 243. 5 Vgl. Schulze-Fielitz, Der informale Verfassungsstaat, S. 96; Pietzcker, Verfahrensprivatisierung, S. 284 (306); v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, S. 56 f.; Smeddinck, Gesetzesproduktion, S. 105 (111). 4

A. Interdependenzen zwischen Verhandlungen und Umsetzung

501

rung vom 14. Juni 2000 umsetzen soll. Insgesamt enthält die 28 Seiten umfassende Gesetzesvorlage die Bezugnahme auf die Vereinbarung einunddreißigmal6.

Die organübergreifende faktische Bindung hat zur Folge, dass Fehler der Gesetzesvorbereitung nicht auf diese beschränkt bleiben, sondern in die Abwägung während des formalisierten Gesetzgebungsverfahrens eingeschleust werden. Dabei ist zu beachten, dass nicht die prozessimmanente faktische Bindung für sich genommen verfassungswidrig ist. Sie gehört unvermeidbar zu jedem auf Fortschritt angelegten Verfahren7. Die prozessimmanente Bindung kann jedoch als Vehikel für Verfassungsverstöße fungieren. Sie befördert einen bereits in der Verhandlungsphase entstandenen Verfassungsverstoß in die Umsetzungsphase. Eine verfassungswidrige Gesetzesvorbereitung infiziert so die gesetzgeberische Abwägung während des formalisierten Gesetzgebungsverfahrens8. Wegen der parteipolitischen Verflechtungen stellt die Zuleitung der Gesetzesvorlage durch die Bundesregierung an den Bundestag nach Art. 76 Abs. 1 GG keine Zäsur zwischen Gesetzesvorbereitung und Gesetzgebung dar. Vielmehr ist die formelle Zuleitung lediglich als eine Wegmarke innerhalb eines einheitlichen, sich ständig verdichtenden Entscheidungsprozesses zu begreifen. Die Bundesregierung kann ihr politisches Programm in der Regel gegenüber dem Parlament durchsetzen9. Die prozessimmanente faktische Bindung bildet dabei den Transmissionsriemen, durch den der Verfassungsverstoß von der Gesetzesvorbereitung in das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren hineingetragen wird und dort die Abwägung beeinträchtigt. Kooperative Gesetzesvorbereitung zwischen Bundesregierung und Privaten und Gesetzgebungsverfahren im Bundestag stehen in der Realität nicht isoliert nebeneinander10. Vielmehr beeinflusst die gesetzesvorbereitende Vereinbarung das nachfolgende Gesetzgebungsverfahren maßgeblich11. 6

BT-Drs. 14/7261, S. 1; 14/6890, S. 1. Siehe oben 1. Teil A. I. 3 b) cc) (1). 8 Zum Infektionszusammenhang zwischen Entscheidungsvorbereitung und Entscheidung: siehe auch Schmidt-Preuß, Verwaltung und Verwaltungsrecht, S. 160 (183); Pitschas, Diskussionsbeitrag, Staatsrechtslehrertagung 2002, S. 355. 9 Vgl. Huber, Konsensvereinbarungen, S. 338. 10 Vgl. Staeck, Vom Reformprojekt, S. 221. Staeck spricht von einem „Oszilieren“ des Entscheidungsprozesses zwischen formellen und informellen Verhandlungsarenen. Auch dies zeigt, dass gesetzesvorbereitende Verhandlungen und formalisiertes Umsetzungsverfahren nicht isoliert nebeneinander stehen. 11 A. A. Morlok, Informalisierung, S. 37 (70 f., 76), der von einer (widerleglichen) Vermutung der Autorenschaft und Verantwortung des Parlaments ausgeht. Daraus leitet Morlok ein Regressverbot ab, das eine Einbeziehung der Verhandlungsphase in die Beurteilung des Umsetzungsgesetzes grundsätzlich verbiete. Dabei vermengt Morlok jedoch unzulässigerweise empirische und normative Vorstellungswelten. Die Frage, wer tatsächlich entscheidet, ist von der Frage, wer entscheiden 7

502

6. Teil: Der Zusammenhang der Phasen und Fehlerfolgen

Die Infektion der gesetzgeberischen Abwägung durch Fehler der Gesetzesvorbereitung hat zwei Voraussetzungen: Zum einen müssen Austauschbindungen zwischen Bundesregierung und nicht legitimierten Personen einen Verfassungsverstoß in der Verhandlungsphase begründen. Zum anderen müssen die organübergreifenden prozessimmanenten Bindungen dazu führen, dass der im informellen Vorfeld wurzelnde Fehler vom Vorfeld in die Abwägung während des formalisierten Gesetzgebungsverfahrens weitergegeben wird und damit zu Fehlern im parlamentarischen Abwägungsvorgang führt. Die erste Bedingung des Vorfeldfehlers wegen Bindung von Staatsorganen an nicht legitimierte Private muss positiv nachgewiesen werden. Insoweit kommt es darauf an, ob gegen die oben ermittelten verfassungsrechtlichen Strukturkoordinaten einer verfassungsgemäßen Gesetzesvorbereitung verstoßen wurde12. Die zweite Voraussetzung der Infektion des materiellen Gesetzgebungsverfahrens, die in der organübergreifenden, prozessimmanenten faktischen Bindung besteht, kann hingegen widerleglich vermutet werden, weil diese Bindung für jeden auf Fortschritt angelegten Entscheidungsprozess typisch ist13. Das Bundesverfassungsgericht ist in seinem Fernsehurteil aus dem Jahre 1961 davon ausgegangen, dass das verfassungswidrige Procedere des Bundes bei den Verhandlungen über die Gründung einer Deutschland-Fernsehen-GmbH auch den rechtlichen Gründungsakt der Gesellschaft infiziert hat: „Die Verfassungswidrigkeit der Prozedur haftet deshalb dem Gründungsakt derart an, dass die durch ihn geschaffene Situation auch aus diesem Grunde nicht zum Ausgangspunkt einer verfassungsrechtlich zulässigen Betätigung entsprechend dem Gesellschaftszweck werden kann. In diesem Sinn verstößt die Gründung der Gesellschaft gegen das verfassungsrechtliche Gebot zu bundesfreundlichem Verhalten.“14

Somit kann ein verfassungswidriges Verhandeln zu einer verfassungswidrigen tatsächlichen Situation führen. Der in dieser Situation geschaffene Rechtsakt wird dann von der verfassungswidrigen Vorbereitung infiziert, so dass dann auch der Rechtsakt verfassungswidrig ist. Das lässt sich auf das soll, zu unterscheiden. Wenn nach der Rechtsordnung eine bestimmtes Organ zur Alleinentscheidung befugt ist, darf dies nicht dafür blind machen, dass in empirischer Perspektive möglicherweise ein ganz anderer die Fäden in der Hand hält und den Entscheidungsprozess steuert. Auch wenn nach der Rechtsordnung allein der Bundestag zur Entscheidung über das Gesetz berufen ist, so darf dies nicht den Blick auf die faktischen Einflusskräfte im Gesetzgebungsvorfeld versperren, indem Regressverbote aufgestellt werden. Die Vermutung einer Autorenschaft des Parlaments stellt im Zusammenhang mit gesetzesvorbereitenden Austauschvereinbarungen eine realitätsferne, normativ aufgeladene Verklärung des tatsächlichen Entscheidungsprozesses dar und verfehlt deshalb die Effektivität der Verfassung. 12 Siehe oben 4. Teil C. III. 13 Zu dieser Infektionsvermutung: vgl. Schneider, Gesetzgebung, Rdnr. 104; siehe ferner: BVerwGE 75, 214 (231). 14 BVerfGE 12, 205 (259).

A. Interdependenzen zwischen Verhandlungen und Umsetzung

503

Verhältnis von gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen und Umsetzungsgesetz übertragen. Die verfassungswidrigen gesetzesvorbereitenden Verhandlungen schaffen durch faktische Bindungen an nicht legitimierte Private eine verfassungswidrige Situation, die zur Verfassungswidrigkeit des Umsetzungsgesetzes auch dann führt, wenn das Umsetzungsgesetzgebungsverfahren für sich genommen verfassungsgemäß wäre. Bereits oben wurde festgestellt, dass die gesetzesvorbereitenden Verhandlungen der Bundesregierung mit den Energieversorgern zum Atomausstieg die verfassungsrechtlichen Strukturkoordinaten missachtet haben15. Es liegt eine verfassungswidrige Gesetzesvorbereitung vor. Somit ist die erste Voraussetzung für eine Infektion des materiellen Gesetzgebungsverfahrens gegeben. Es kann in Bezug auf die zweite Voraussetzung vermutet werden, dass die Fehler im Vorfeld der Gesetzesinitiative eine Situation für das nachfolgende Gesetzgebungsverfahren geschaffen haben, die dazu geführt hat, dass das Gesetzgebungsverfahren zur Umsetzung der Vereinbarung von der verfassungswidrigen Vereinbarung infiziert wurde16. Diese Vermutung findet ihre Begründung darin, dass die parlamentarischen Erörterungen von Gesetzesvorlagen typischerweise auf den Vorarbeiten der Regierung aufbauen17.

II. Heilung im Umsetzungsgesetzgebungsverfahren Der Vorfeldfehler wirkt zwar in der Regel im Gesetzgebungsverfahren fort. Dennoch wäre es denkbar, dass das Parlament gerade die im Vorfeld unzureichend erörterten Aspekte noch einmal unabhängig von der Vereinbarung aufgreift, ergänzende eigene Ermittlungen vornimmt, sich von der fehlerhaften oder unzureichenden Begründung der Gesetzesvorlage distanziert und durch eine eigenständige Abwägung den Fehler im Vorfeld bedeutungslos macht. Dann würde sich die gesetzgeberische Abwägung im formalisierten Verfahren als immun gegenüber Vorfeldfehlern erweisen bzw. die Infektion würde nachträglich im parlamentarischen Verfahren geheilt18. 15

Siehe oben 4. Teil C. III. Zum Einfluss der Vereinbarung auf das Umsetzungsgesetzgebungsverfahren: de Witt, A.-Drs. 14/626 Teil 7** (Umweltausschuss), S. 2 (4); vgl. auch: Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 305 (314); Klöck, NuR 2001, 1 (3), der die Vereinbarung als „norminfluenzierende Absprache“ charakterisiert. 17 Diese auf empirischen Annahmen beruhende Infektionsvermutung besteht unabhängig davon, ob die Bundesregierung selbst die Gesetzesvorlage formal einbringt oder ob sie die Regierungsfraktionen veranlasst, den seitens der Regierung erarbeiteten Entwurf einzubringen (vgl. Schattke, Diskussionsbeitrag, 11. Atomrechtssymposium, S. 391). A. A. Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 305 (312), der aber nicht beachtet, dass der Bundestag beim Atomausstieg nicht nur die Fraktionsvorlage, sondern auch die Regierungsvorlage als Gesetz beschlossen hat (siehe BR-Drs. 7/02). 18 Vgl. BVerfGE 56, 298 (322); 86, 90 (119); BVerwGE 45, 309 (320). 16

504

6. Teil: Der Zusammenhang der Phasen und Fehlerfolgen

Besteht der Fehler darin, dass ein zur Mitwirkung an der Gesetzgebung Legitimierter, z. B. der Bundesrat oder ein Bundesland, zu spät angehört worden ist19, so wird der Beteiligungsmangel geheilt, wenn sich der Bundestag von den bisherigen Bindungen löst, die Anhörung nachholt und in eine offene Abwägung unter Berücksichtigung der Belange des nachträglich Beteiligten eintritt. Unter diesen Voraussetzungen wäre es denkbar, auch noch im nachhinein zu einer effektiven Beteiligung zu gelangen. Eine Ergänzung der Abwägung, die der Gesetzesinitiative zu Grunde liegt, durch eine umfassendere Abwägung im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren würde dem spezifischen Sinn und Zweck des Gesetzgebungsverfahrens entsprechen, das auf eine breit angelegte Abwägung und umfassende Integration von Interessen durch parlamentarischen Diskurs ausgerichtet ist20. Da das Gesetzgebungsverfahren jedoch in der Regel von der Gesetzesvorbereitung entscheidend vorgeprägt wird, setzt die Annahme einer solchen gegenüber Vorfeldfehlern immunen oder heilenden gesetzgeberischen Abwägung aber eindeutige Anhaltspunkte in den Gesetzesmaterialien voraus. Notwendig wäre, dass die Materialien belegen, dass sich das Parlament von der faktischen Bindung an die Regierungsvorlage weitgehend gelöst und die von den später Beteiligten vorgebrachten Argumente tatsächlich ernsthaft gewürdigt hat. Unter diesen Voraussetzungen wäre es denkbar, dass der Infektionszusammenhang zwischen Verhandlungsphase und Umsetzungsphase unterbrochen und die Vermutung der Infektion widerlegt wird. Angesichts der starken organübergreifenden faktischen Bindungen, die von einer gesetzesvorbereitenden Vereinbarung ausgehen, sind jedoch hohe Anforderungen an die kritisch abwägende Prüfung im Parlament zur Heilung von Vorfeldfehlern anzulegen. Diese steigen umso mehr, je stärkere faktische Bindungen bereits bei der Gesetzesvorbereitung entstanden sind21, 22. Die Bundesregierung hat beim Atomausstieg insbesondere deshalb gegen das Gebot kritischer Rezeption verstoßen, weil sie die ausgehandelten Laufzeiten aus der Vereinbarung in die Gesetzesvorlage übernommen hat, ohne diese auf ihre Sachge19 Zu den Pflichten zur effektiven Beteiligung Legitimierter im Vorfeld des formalisierten Gesetzgebungsverfahrens: siehe oben 3. Teil A. I., C. III. 3. c) d) aa) (1), 4. Teil B. I. 5. e) bb), 6., C. III. 20 Zur Funktion des Gesetzgebungsverfahrens: siehe oben 5. Teil A. 21 Zu weitgehend dagegen ThürVerfGH, NVwZ-RR 1997, 394 (395), der eine Nachholung der Beteiligung der Beamtenverbände im Gesetzgebungsverfahren wegen der prägenden Kraft der Gesetzesvorbereitung als unmöglich erachtet hat. 22 Eine substanzreiche nachträgliche Abwägung wird dem Parlament wegen der prägenden Wirkung der gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen regelmäßig schwer fallen. Deshalb müssen bereits die gesetzesvorbereitenden Verhandlungen in ein Verfahren kritischer Abwägung eingebunden werden. Zur insoweit notwendigen Regelungsstruktur der gesetzesvorbereitenden Staatsgewalt: siehe oben 4. Teil C.

A. Interdependenzen zwischen Verhandlungen und Umsetzung

505

rechtigkeit eigenständig zu prüfen23. Das Gesetzgebungsverfahren zum Atomausstieg wäre gegen eine Infektion durch die gesetzesvorbereitende Vereinbarung jedoch immun gewesen, wenn es an Stelle der zahlreichen Bezugnahmen auf die gesetzesvorbereitende Vereinbarung eine eigenständige Abwägung des Parlaments hätte erkennen lassen und somit die Abwägungsschwächen der Gesetzesvorbereitung ausgeglichen hätte24. Es ist indessen nicht erkennbar, dass der Bundestag eine von der Vereinbarung unabhängige Sachverhaltsermittlung und Abwägung angestellt hätte. Vielmehr waren die Begründung der Gesetzesvorlage, die Debatten im Plenum des Bundestages, die Expertenanhörungen des Umweltausschusses und der Bericht des Umweltausschusses von der Vereinbarung vom 14. Juni 2000 geprägt, die als Ersatz für eine Sachbegründung fungierte. Auch wenn der Bundestag in seinem Entschließungsantrag eine eigenständige sorgfältige Prüfung beteuerte, so kann nicht davon ausgegangen werden, dass es ein gegenüber dem Inhalt der Vereinbarung kritisches parlamentarisches Gesetzgebungsverfahren gegeben hätte25. Die Anhörung des Bundesrates bzw. einzelner besonders betroffener Länder nach dem 14. Juni 2000 kam zu spät, weil zu diesem Zeitpunkt längst über den Wechsel in der Entsorgungskonzeption und die Restlaufzeiten faktisch verbindlich entschieden war26. Deshalb gehen weder von der späteren Beteiligung der Länder und des Bundesrates noch vom Umsetzungsgesetzgebungsverfahren Heilungswirkungen aus.

III. Ergebnis Die Abwägung in der Umsetzungsphase kann eigenständige Abwägungsfehler enthalten, wenn das Parlament beispielsweise einen verfassungsrechtlich erheblichen Aspekt, der sich aufdrängen musste, nicht oder nicht in ausreichendem Maße erörtert hat (originärer Abwägungsfehler). Diese Abwägungsmängel des gesetzgeberischen Abwägungsvorgangs wurden im 5. Teil untersucht. Die Verstöße gegen die Verfassung können jedoch auch aus der im 4. Teil erörterten Präparationsphase herrühren und dann die Abwägung während des Gesetzgebungsverfahrens, vermittelt durch organübergreifende Bindungen, infizieren (derivativer Abwägungsfehler). Für die derivativen Fehler kommt es darauf an, inwieweit die parlamentarische Abwägung gegen die aus dem Vorfeld herrührende Infektion immun ist bzw. inwieweit der Abwägungsmangel im Gesetzgebungsverfahren geheilt wird. Davon ist auszugehen, wenn das parlamentarische Verfahren eine eigenständige Willensbildung des Parlaments erkennen lässt. Insoweit 23

Siehe oben 4. Teil B. II. 2. f). Vgl. Renneberg, Perspektiven der Entsorgung, S. 145 (180). 25 Zu den Abwägungsdefiziten bei der gesetzlichen Umsetzung: siehe oben 5. Teil D. III. 4. b) bb), cc). 26 Zu diesem Vestoß gegen die Organ- bzw. Bundestreue: siehe oben 4. Teil B. I. 5. e) bb) (2), 6. 24

506

6. Teil: Der Zusammenhang der Phasen und Fehlerfolgen

wäre es aber notwendig, dass das Parlament eine deutliche Zäsur zur Gesetzesvorbereitung durch eine von der Vereinbarung gelöste, umfassend kritische Abwägung setzt. Ansonsten ist von einem Infektionszusammenhang zwischen Gesetzesvorbereitung und materiellem Gesetzgebungsverfahren auszugehen. Liegt ein Fehler bei der Gesetzesvorbereitung vor und ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien keine eigenständige Abwägung des Parlaments, so ist auch ein derivativer Fehler im parlamentarischen Abwägungsvorgang anzunehmen, ohne dass die Störung der parlamentarischen Abwägung konkret nachgewiesen werden müsste.

B. Fehlerhafter Abwägungsvorgang und Nichtigkeit des Gesetzes Die originären oder derivativen Fehler des materiellen Gesetzgebungsverfahrens haben mit den Verstößen gegen die Verfahrenvorschriften des formellen Gesetzgebungsverfahrens gemeinsam, dass das Vorliegen eines Verfassungsverstoßes vom Ergebnis des Gesetzgebungsverfahrens unabhängig ist. Fehler des gesetzgeberischen Abwägungsvorgangs sind ebenso wie Verstöße gegen die Art. 76 ff. GG auch dann gegeben, wenn der Inhalt des Umsetzungsgesetzes verfassungsgemäß ist. Das führt zu der Frage, ob ein solcher vom Inhalt des Gesetzes unabhängiger Verfassungsverstoß zur Nichtigkeit des Umsetzungsgesetzes führen kann.

I. Kein generell geringeres Gewicht von Verfahrensfehlern Bei Verstößen gegen das formelle Gesetzgebungsverfahren der Art. 76 ff. GG geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass nur „grobe“ oder „evidente“ Verfahrensfehler zur Nichtigkeit des Gesetzes führen27. Grund dieser Rechtsprechung ist das Gebot der Rechtssicherheit. Die Begriffe der „groben“ oder „evidenten“ Verfahrenswidrigkeit weisen dabei auf die Notwendigkeit einer Abwägung des Verfahrensverstoßes mit dem rechtsstaatlichen Gebot der Rechtssicherheit hin28. Problematisch an dieser Rechtsprechung ist jedoch, dass sie die Bedeutung des Verfahrens als weniger gewichtig einstuft als die inhaltliche Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes. Angesichts der weitgehenden Unschärfe 27 BVerfGE 91, 148 (175); 34, 9 (25); 31, 47 (53); Bryde, JZ 1998, 115 (120); Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 76 Rdnr. 1; Blüggel, Unvereinbarkeitserklärung, S. 81 ff. 28 Zum Nichtigkeitsdogma als abwägungsfähigem Rechtsprinzip und zur Struktur der notwendigen Abwägung: Blüggel, Unvereinbarkeitserklärung, S. 168 ff., 191.

B. Fehlerhafter Abwägungsvorgang und Nichtigkeit des Gesetzes

507

der inhaltlichen grundgesetzlichen Vorgaben müsste aber gerade dem Verfahren eine besondere Bedeutung zukommen, um die inhaltlichen Unschärfen zu kompensieren29. Wegen der nur punktuellen und oftmals nur sehr vagen inhaltlichen Vorgaben im Grundgesetz kommt dem Gesetzgebungsverfahren für die Richtigkeitsgewähr des Gesetzes ein besonderer Stellenwert zu. Seine spezifische Legitimation erhält ein Parlamentsgesetz durch das formelle und materielle Gesetzgebungsverfahren30. Deswegen können Fehler des materiellen Gesetzgebungsverfahrens ebenso wie Fehler des formellen Gesetzgebungsverfahrens zur Nichtigkeit eines Gesetzes führen31. Wegen ihrer Bedeutung für die Legitimation des Parlamentsgesetzes haben Fehler im gesetzgeberischen Abwägungsvorgang kein generell geringeres Gewicht als inhaltliche Verstöße des Gesetzes gegen das Grundgesetz.

II. Abwägung des Verfahrensfehlers mit der Rechtssicherheit Auch wenn es somit nicht gerechtfertigt ist, Fehler im Verfahren als weniger bedeutsam einzustufen als inhaltliche Fehler des Gesetzes, so ändert dies allerdings nichts daran, dass von Nichtigkeit eines Gesetzes nur auszugehen ist, wenn dies mit dem rechtsstaatlichen Gebot der Rechtssicherheit vereinbar ist. Der Verfahrensfehler muss mit dem Gebot der Rechtssicherheit auch dann abgewogen werden, wenn man den Verfahrensverstoß grundsätzlich als genauso bedeutsam wie den inhaltlichen Verfassungsverstoß einstuft32. Dies muss sowohl für Verstöße gegen das formalisierte Gesetzgebungsverfahren der Art. 76 ff. GG als auch für Abwägungsfehler des materiellen Gesetzgebungsverfahrens gelten. Fehler im Abwägungsvorgang sind wie Fehler im formellen Gesetzgebungsverfahren mit dem Gebot der Rechtssicherheit zum Ausgleich zu bringen33. Bei der Abwägung des Verstoßes gegen das materielle Gesetzgebungsverfahren mit dem Gebot der Rechtssicherheit kommt es darauf an, inwieweit bereits schutzwürdiges Vertrauen in den Fortbestand einer gesetzlichen Regelung betätigt wurde. Ein hohes Maß an Vertrauensdispositionen erhöht das Gewicht des Gebots der Rechtssicherheit bei der Abwägung. Andererseits wird die Schutzwürdigkeit des Vertrauens umso mehr gemindert, je 29

Vgl. Papier, Der verfahrensfehlerhafte Staatsakt, S. 30. Siehe oben 5. Teil A. I. 31 Vgl. zur Nichtigkeit der Rechtsnorm bei Verstoß gegen verfassungsrechtlich fundierte Beteiligungsrechte: BVerfGE 56, 298 (323); 10, 221 (226 f.); Schneider, Gesetzgebung, Rdnr. 10. 32 Bryde, JZ 1998, 115 (120). 33 An dieser Stelle kann dahingestellt bleiben, inwieweit eine Abwägung mit dem Rechtssicherheit gebietenden Rechtsstaatsprinzip auch bei inhaltlichen Verstößen gegen die Verfassung unter Umständen angezeigt ist. 30

508

6. Teil: Der Zusammenhang der Phasen und Fehlerfolgen

gravierender die Verfahrensverstöße sind und je eher die Betroffenen damit rechnen mussten, dass das Gesetz verfassungswidrig ist. Zudem spielt es eine Rolle, ob das Gesetz mit dem gleichen Inhalt ebenfalls zustande gekommen wäre, wenn der Fehler nicht vorliegen würde. Dem materiellen Gesetzgebungsverfahren kommt ein umso geringeres Gewicht zu, je geringer die Wahrscheinlichkeit ist, dass sich der fehlerhafte Abwägungsvorgang auf den Gesetzesinhalt im Ergebnis ausgewirkt hat34. Zwar erschöpft sich der Sinn und Zweck des Gesetzgebungsverfahrens nicht im Gesetz als Ergebnis, sondern stellt darüber hinaus einen materielle Legitimation stiftenden Integrations- und Kommunikationsprozess dar. Dennoch kommt dem Gesetz als Ergebnis eine Bedeutung zu, die es rechtfertigt, die Wahrscheinlichkeit der Ergebnisrelevanz als Abwägungselement bei der Konfrontation des Verfahrens- oder Abwägungsfehlers mit dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutzprinzip zu berücksichtigen. Dabei ist jedoch zu beachten, dass der Fehler im Abwägungsvorgang nur dann wegen mangelnder Ergebnisrelevanz geringer gewichtet werden kann, wenn mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nachzuweisen ist, dass das Gesetz auch bei korrektem Verfahren oder korrekter Abwägung mit gleichem Inhalt verabschiedet worden wäre. Ist hingegen offen, welche Ergebnisrelevanz der Fehler gehabt hat, kann der Gesichtpunkt der Ergebnisrelevanz nicht die Bedeutung des Verfahrensverstoßes mindern35. Ansonsten würden Fehler im Abwägungsvorgang wegen regelmäßig offener Ergebnisrelevanz generell entwertet. Dies würde der dargestellten legitimatorischen Funktion des Abwägungsvorgangs widersprechen. Das Umsetzungsgesetzgebungsverfahren zur Vereinbarung vom 14. Juni 2000 ist bereits dadurch vom Makel der Verfassungswidrigkeit infiziert, dass es auf einer verfassungswidrigen Gesetzesvorbereitung beruht36. Es weist aber auch erhebliche eigene Abwägungsdefizite auf, die sich dem Gesetzgeber aufdrängen mussten. Wegen der zahlreichen Änderungsvorschläge in der Expertenanhörung des Umweltausschusses kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, dass das Gesetz auch ohne die genannten Fehler mit gleichem Inhalt beschlossen worden wäre. Denkbar wäre, dass eine strukturierte kooperative Gesetzesvorbereitung, eine sorgfältige Sachverhaltsermittlung und eine kritische Abwägung zu anderen gesetzlichen Regelungen geführt hätte. Somit gelingt der sichere Nachweis mangelnder Ergebnisrelevanz der Fehler im Abwägungsvorgang nicht. Deshalb könnten die aufgezeigten Verstöße gegen grundlegende Verfassungsprinzipien zur Nichtigkeit der Atomgesetznovelle führen. Andererseits muss aber auch geprüft werden, inwieweit die Umstellung der zentralen Zwischenlagerung auf dezentrale Zwischenlager bereits in hohem Maße Kosten verursacht hat und inwieweit andere Vertrauensinvestitionen in den Fortbestand 34 35 36

Vgl. Bryde, JZ 1998, 115 (120). Vgl. Schneider, Gesetzgebung, Rdnr. 104. Siehe oben 4. Teil C. III.

B. Fehlerhafter Abwägungsvorgang und Nichtigkeit des Gesetzes

509

der Atomgesetznovelle getätigt wurden. Dies kann dazu führen, dass das Atomgesetz letztlich nicht als nichtig angesehen werden könnte. Die insoweit erforderlichen umfangreichen Ermittlungen können im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden. Deswegen muss die Nichtigkeit der Atomgesetznovelle hier letztlich offen bleiben. Vorliegend ging es lediglich darum, einige Abwägungskriterien aufzuzeigen.

III. Verfahrenswiederholung – kein leerer Formalismus Kommt es bei Fortbestehen des politischen Willens im Parlament, ein bestimmtes Gesetz zu beschließen, zur Wiederholung des Gesetzgebungsverfahrens, weil das materielle Gesetzgebungsverfahren wegen eines Fehlers im Abwägungsvorgang fehlerhaft war, so ist diese Wiederholung des Gesetzgebungsverfahrens selbst dann, wenn es im Ergebnis zu keinen Änderungen im Gesetzestext kommt, nicht bloßer Formalismus37. Dem erneuten Gesetzgebungsverfahren kommt eine wichtige Funktion als Legitimation stiftender Diskurs zu. Wird ein mangelhaft abgewogenes Gesetz mit dem gleichen Inhalt erneut eingebracht, so müssen im erneuten parlamentarischen Verfahren diejenigen abwägungsrelevanten Belange umfassend zur Sprache kommen, die bisher nicht erörtert wurden. Das wiederholte Gesetzgebungsverfahren muss die notwendige substanzielle Abwägung enthalten, dokumentieren und offen legen. Dadurch wird das Gesetz für die Öffentlichkeit erstmals wirklich beurteilbar und der Diskurszweck des parlamentarischen Verfahrens im verfassungsrechtlich gebotenen Mindestmaß erreicht. Würde die Atomgesetznovelle nach einer Nichtigerklärung durch das Bundesverfassungsgericht ohne inhaltliche Veränderungen erneut in den Bundestag eingebracht, so müsste im wiederholten Gesetzgebungsverfahren eine substanzielle Abwägung stattfinden. Dabei wäre insbesondere der Ausgleich zwischen dem politischen Ausstiegswillen und den Bestandsschutzinteressen der Betreiber nachvollziehbar offen zu legen. Dadurch würden die Gründe für die vereinbarten Restnutzungskontingente für die Öffentlichkeit erstmals transparent. Die Öffentlichkeit könnte sich damit erstmals ihr eigenes Urteil darüber bilden, ob das Gesetz eher ein Ausstiegsgesetz oder ein Bestandsschutzgesetz darstellt oder ob sich beide Gesichtspunkte die Waage halten38. Auf einen solchen Diskurs im Parlament und in der Öffentlichkeit kann angesichts der gesamtgesellschaftlichen Bedeutung der Kernenergienutzung nicht verzichtet werden.

37

Zur Behauptung des leeren Formalismus: vgl. ThürVerfGH, NVwZ-RR 1997, 394 (395), der jedoch die diskursive Funktion des Gesetzgebungsverfahrens zu wenig beachtet. 38 Zur Frage ob die Atomgesetznovelle 2002 ein Ausstiegs- oder Bestandsschutzgesetz sei: vgl. Klöck, NuR 2001, 1 (7); Böhm, NuR 2001, 62 (64); Süddeutsche Zeitung, 11. Juni 2001, S. 1, „Stromindustrie lobt Atomkonsens“.

510

6. Teil: Der Zusammenhang der Phasen und Fehlerfolgen

IV. Ergebnis Fehler im materiellen Gesetzgebungsverfahren rühren entweder bereits aus dem Vorfeld der Gesetzesinitiative her und infizieren dann die Abwägung im formalisierten Gesetzgebungsverfahren, oder es sind eigenständige Abwägungsmängel im parlamentarischen Verfahren feststellbar. Diese derivativen oder originären Fehler des materiellen Gesetzgebungsverfahrens müssen mit dem Gebot der Rechtssicherheit abgewogen werden, so dass nicht jeder Fehler im Abwägungsvorgang automatisch zur Nichtigkeit des Gesetzes führen muss. Einem Fehler im Abwägungsvorgang ist dann ein reduziertes Gewicht beizumessen, wenn mit Sicherheit gesagt werden kann, dass er sich auf das Abwägungsergebnis in keiner Weise ausgewirkt hat. Muss das Gesetzgebungsverfahren jedoch wegen eines zur Nichtigkeit führenden Fehlers im gesetzgeberischen Abwägungsvorgang wiederholt werden, ist das erneute Gesetzgebungsverfahren auch dann keine leere Förmelei, wenn es im Ergebnis zu keinen Änderungen kommt. Vielmehr dient ein nachgeholtes substanzielles Gesetzgebungsverfahren, auch ohne Änderung des Gesetzestextes, dem notwendigen öffentlichen Diskurs der abwägungsrelevanten Aspekte, der die materielle Legitimation des Gesetzes begründet.

7. Teil

Die Geltendmachung von Verfassungsverstößen Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen und die sie umsetzenden Gesetze können in vielfältiger Weise gegen die Verfassung verstoßen. Das wirft die Frage auf, wer in welchem Verfahren diese Verfassungsverstöße geltend machen kann. Den prozessrechtlichen Überlegungen vorgelagert ist die materiell-rechtliche Frage, ob der einzelne Bürger ein Recht auf einen ordnungsgemäßen gesetzgeberischen Abwägungsvorgang hat.

A. Subjektives Recht auf materielles Gesetzgebungsverfahren Die faktische Bindung der gewählten Parlamentarier an eine mit nicht legitimierten Privaten abgeschlossene Vereinbarung kann als Entwertung des Wahlrechts der Bürger angesehen werden1. Je weniger das Parlament eigenständig abwägt, desto bedeutungsloser werden Parlamentswahlen. Deshalb drängt sich die Frage auf, ob der einzelne Wahlberechtigte rügen kann, dass ein Gesetzgebungsverfahren seine diskursiv-abwägende Funktion gar nicht oder nur unzureichend erfüllt hat. Es kommt darauf an, ob dem Einzelnen ein subjektives Recht auf ein funktionsgerechtes Gesetzgebungsverfahren zusteht. Dabei ist zwischen einem eigenständigen und einem eingriffsakzessorischen Recht auf einen ordnungsgemäßen gesetzgeberischen Abwägungsvorgang zu unterscheiden.

I. Eigenständiges subjektives Recht Ein eigenständiges subjektives Recht auf diskursives Gesetzgebungsverfahren würde bedeuten, dass der einzelne Wahlberechtigte Gesetze allein mit der Begründung als verfassungswidrig rügen könnte, dass sie nicht sorgfältig abgewogen wurden und damit sein Recht auf Diskursivität der Gesetzgebung verletzen würden. Die im Rahmen der Verfassungsbe1 Vgl. Papier, VM 2003, 116 (121); ders., Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31.1.2003, S. 8.

512

7. Teil: Die Geltendmachung von Verfassungsverstößen

schwerde geltend zu machende eigene Rechtsverletzung würde dann bereits in der Verletzung des Rechts auf diskursives Verfahren liegen, so dass darüber hinaus keine Beeinträchtigung in eigenen Rechten geltend gemacht werden müsste. Als verfassungsrechtliche Grundlage für ein solches eigenständiges subjektives Recht auf ordnungsgemäßen gesetzgeberischen Abwägungsvorgang kommt Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG in Betracht. Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG könnte über seinen Wortlaut hinaus die Voraussetzungen einer effektiven Ausübung des Wahlrechts grundrechtsgleich mitschützen und mitgewährleisten2, 3. Eine substanzielle Abwägung im Parlament und eine sich daraus ergebende substanzielle öffentliche Debatte ermöglicht dem Bürger eine Beurteilung der politischen Programme, Personen und Parteien und schafft damit erst die Voraussetzung für eine sachgerechte Ausübung des Wahlrechts. Aus diesem Grund wäre es denkbar, dass der einzelne Wahlberechtigte aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG ein subjektiv-öffentliches Recht auf einen substanziierten Abwägungsvorgang hat. Ein von den sonstigen subjektiven Rechten des Bürgers abgekoppeltes eigenständiges Recht auf Diskursivität des Gesetzgebungsverfahrens ist indessen grundsätzlich abzulehnen. Das subjektiv-öffentliche Recht des Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG fordert zwar eine Repräsentation der Wähler durch die Gewählten ein. Die Ausübung des repräsentativen Mandats im Sinne einer kritisch-abwägenden Gesetzesverhandlung bleibt jedoch allein Sache der an Weisungen nicht gebundenen Abgeordneten. Es wäre mit dem freien Mandat und dem Repräsentationsgedanken des Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG nicht vereinbar, wenn der einzelne Bürger die Fehlerhaftigkeit des parlamentarischen Abwägungsvorgangs schon rügen könnte, ohne dass darüber hinaus eigene Rechte betroffen wären. Der einzelne Bürger würde sich zum Sachwalter der Allgemeinheit anstelle der gewählten Abgeordneten aufschwingen – eine Rolle, die dem Bürger in der repräsentativen Demokratie gerade nicht zukommt. Die Verantwortung für einen verfassungsgemäßen parlamentarischen Abwägungsvorgang liegt nicht beim Bürger, sondern beim Parlament und seinen Abgeordneten. Einzelne Bürger können nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG Gesetze nur dann angreifen, wenn sie durch diese unmittelbar in eigenen Rechten verletzt werden. Eine von der eigenen Rechtsverletzung gelöste Normenkon2

Vgl. BVerfGE 89, 155 (171 f., 185 ff.); zur Problematik der Normativität von Verfassungsvoraussetzungen: siehe bereits oben 5. Teil B.; zum Zusammenhang zwischen Effektivität und subjektiver Einklagbarkeit: BVerfGE 43, 154 (167); 97, 298 (313 f.). 3 Vgl. zur Problematik eines eigenständigen subjektiven Rechts auf diskursive Demokratie aus Art. 38 Abs. 1 GG: Soppe, Parlamentarische Selbstentmachtung.

A. Subjektives Recht auf materielles Gesetzgebungsverfahren

513

trolle ist hingegen nur den in Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG genannten Staatsorganen oder Staatsorganteilen gestattet. Diese sind die Sachwalter der Allgemeinheit4. Der Zweck der Zulässigkeitsvoraussetzung der eigenen Rechtsverletzung in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG, der darin liegt, die Anzahl der zur Verfassungsbeschwerde Berechtigten einzugrenzen, würde aber verfehlt, wenn man über ein jedem Wahlberechtigten zustehendes Recht auf diskursives Verfahren die Verfassungsbeschwerdemöglichkeiten nahezu grenzenlos ausweitet. Würde man ein eigenständiges subjektiv öffentliches Recht auf Diskursivität des Gesetzgebungsverfahrens zulassen, so würde dadurch über die Hintertür der Weg zu einer Popularklage gegen Gesetze eröffnet, die Art. 93 GG gerade nicht vorsieht. Das Gebot des diskursiv-abwägenden materiellen Gesetzgebungsverfahrens wurzelt im Demokratie-, Rechtsstaats- und Gewaltenteilungsprinzip. Ebenso wie diese Verfassungsprinzipien hat es grundsätzlich nur objektivrechtlichen Charakter. Das subjektiv-öffentliche Recht des Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG schließt das substanzielle Gesetzgebungsverfahrens nicht in seinen subjektiv-rechtlichen Gewährleistungsgehalt ein. Deshalb kann von einem eigenständigen Recht auf Diskursivität des Gesetzgebungsverfahrens, das von der Verletzung eigener Rechtspositionen abgekoppelt ist, in der Regel nicht ausgegangen werden5, 6.

II. Eingriffsakzessorisches Recht Der einzelne Bürger kann jedoch einen fehlerhaften gesetzgeberischen Abwägungsvorgang rügen, wenn das Gesetz seine eigenen Grundrechte beeinträchtigt. Grundrechte dürfen nur durch formell und materiell verfassungsgemäße Gesetze eingeschränkt werden, weil nur solche Gesetze zur verfassungsmäßigen Ordnung i. S. d. Art. 2 Abs. 1 GG gehören7. Zur Prü4

BVerfGE 101, 158 (213); 83, 37 (49). Vgl. BVerfGE 97, 350 (369 f.). 6 Hiervon könnte eine Ausnahme zu machen sein, wenn das Parlament im Gesetzgebungsverfahren überhaupt keine Abwägung durchführt. Ein vollkommener Abwägungsausfall käme einer unzulässigen Kompetenzveräußerung des Parlaments gleich. Darin wäre möglicherweise eine Verletzung des subjektiven Rechts aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG zu sehen (vgl. BVerfGE 89, 155 (171 f., 185 ff.); Soppe, Parlamentarische Selbstentmachtung, S. 311). Dem soll hier indessen nicht weiter nachgegangen werden, weil ein vollständiger Abwägungsausfall im parlamentarischen Verfahren in der Praxis kaum vorstellbar ist. Die genannte Ausnahme hat nur theoretische Bedeutung. Selbst im Fall des Atomausstiegs wurden gewisse Gesichtpunkte vom Parlament erörtert, so dass auch in diesem Fall kein vollständiger Abwägungsausfall vorlag. 7 BVerfGE 6, 32 (37 f., 41); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rdnr. 17; Kopp/Schenke, VwGO, § 42 Rdnr. 124. 5

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7. Teil: Die Geltendmachung von Verfassungsverstößen

fung der Verfassungsmäßigkeit des grundrechtseinschränkenden Gesetzes gehört auch die Übereinstimmung mit rein objektiven Verfassungsprinzipien. Kann eine Beeinträchtigung von Grundrechten festgestellt werden, so ist eine umfassende verfassungsrechtliche Prüfung durchzuführen, in die auch Verfassungsprinzipien einzubeziehen sind, die für sich betrachtet keinerlei subjektiv-rechtlichen Gehalt aufweisen8. Dazu gehören auch ungeschriebene Verfassungsgrundsätze wie das Gebot eines diskursiv-abwägenden Gesetzgebungsverfahrens. Folglich kann die Verletzung des objektiv-rechtlichen gesetzgeberischen Abwägungsgebots von demjenigen, in dessen Grundrechte eingegriffen wird, auch insoweit geltend gemacht werden, als nicht er selbst betroffen ist, sondern Belange Dritter oder der Allgemeinheit bei der ihn belastenden Regelung unzureichend berücksichtigt wurden. Prüfungsgegenstand bei der Verfassungsbeschwerde des einzelnen Bürgers sind lediglich solche Regelungen, die in Rechte des Beschwerdeführers eingreifen, diese beeinträchtigen oder solche Regelungen, die mit derartigen Regelungen in Zusammenhang stehen9. In den Prüfungsmaßstab können jedoch auch die Belange Dritter oder der Allgemeinheit einbezogen werden, soweit diese den durch subjektive Betroffenheit eingegrenzten Prüfungsgegenstand betreffen. Illustriert am Beispiel der gesetzlichen Planung einer Eisenbahn-Trasse bedeutet dies, dass derjenige, der wegen der geplanten Trasse enteignet werden soll, geltend machen kann, dass in Bezug auf den Planungsabschnitt, in dem sein Grundstück liegt, Belange der Allgemeinheit, wie zum Beispiel des Umweltschutzes, nicht ausreichend gewürdigt worden wären10. Er kann jedoch eine fehlerhafte Abwägung in 8 Vgl. BVerfGE 17, 306 (313 ff.); 103, 44 (59 ff.); 105, 17 (32 ff.); BVerfG, 1 BvR 2339/95 vom 30.12.1997, Absatz-Nr. 20; zur prozessualen Hebelfunktion des Art. 2 Abs. 1 GG: siehe Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG Bd. I, Art. 2 Abs. 1 Rdnr. 64 ff.; Kopp/Schenke, VwGO, § 42 Rdnr. 124. 9 Vgl. Bethge, Der Grundrechtseingriff, S. 7 (25). 10 Vgl. BVerfG NVwZ 1987, 969; BVerwG 67, 74 (77); 69, 256 (271); 72, 15 (24 ff.); 74, 109 (110 f.); 77, 86 (91); BVerwG NJW 1983, 2459. Diese Rechtsprechung ist allerdings insoweit zu eng, als sie die Rüge von Allgemeinwohlbelangen nur beim enteigneten Grundrechtsträger zulässt. Es ist indessen keine Besonderheit des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG, dass eine staatliche Grundrechtsbeeinträchtigung durch Gemeinwohlbelange gerechtfertigt sein muss. Zwar führt die explizite Erwähnung des Wohls der Allgemeinheit in Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG dazu, dass Enteignungen nur aus besonders gewichtigen öffentlichen Interessen gerechtfertigt sind (vgl. Papier, in: Maunz/Dürig, GG Bd. II, Art. 14 Rdnr. 585). Dennoch müssen auch für Beeinträchtigungen anderer Grundrechte Gründe des Gemeinwohls vorliegen (vgl. BVerfGE 33, 125 (159)). Grundrechtseingriffe, die ausschließlich einzelnen Privatpersonen dienen würden, wären verfassungswidrig. Wenn aber auch staatliche Beeinträchtigungen von Grundrechten, die keine Enteignungen sind, dem Gemeinwohl dienen müssen, so bedeutet dies, dass derjenige, dessen Grundrechte beeinträchtigt werden, insoweit auch die Verletzung objektiven Verfassungsrechts rügen können muss. Denn objektiv-verfassungswidrige Grundrechtsbeeinträchtigun-

B. Informell-kooperative Gesetzgebung im Verfassungsprozess

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Hinblick auf diese Allgemeinwohlbelange nicht in Bezug auf einen Streckenabschnitt rügen, der mit der Inanspruchnahme seines Grundstücks in keiner Weise zusammenhängt11. Prüfungsgegenstand ist lediglich der ihn betreffende Streckenabschnitt, während Prüfungsmaßstab auch Belange der Allgemeinheit sein können. In gleicher Weise können Betreiber von Kernkraftwerken nur insoweit Abwägungsdefizite des materiellen Gesetzgebungsverfahrens der Atomausstiegsgesetzgebung geltend machen, als die gerügten gesetzlichen Bestimmungen mit einer Beeinträchtigung ihrer eigenen Rechte zusammenhängen. Auch insoweit ist von einer Eingriffsakzessorietät des Rechtes auf diskursives Gesetzgebungsverfahren auszugehen.

Somit besteht dann, wenn ein Eingriff oder eine schlichte Beeinträchtigung subjektiver Verfassungsrechte vorliegt, diesbezüglich ein Anspruch des Rechtsinhabers auf umfassende Einhaltung des Gebots des diskursiv-abwägenden Gesetzgebungsverfahrens. Dieses subjektiv-öffentliche Recht ist nicht eigenständig, sondern zum anderweitig zu begründenden Eingriff bzw. zur schlichten Grundrechtsbeeinträchtigung akzessorisch. Der Prüfungsgegenstand ist auf den Grundrechtseingriff bzw. die schlichte Grundrechtsbeeinträchtigung beschränkt, während der anzuwendende Prüfungsmaßstab das Gebot eines diskursiv-abwägenden Gesetzgebungsverfahrens einschließt, das für sich genommen lediglich objektiv-rechtlicher Natur ist. Das eingriffsakzessorische Recht des Grundrechtsträgers auf materielles Gesetzgebungsverfahren sichert die freiheitssichernde Funktion des Gesetzgebungsverfahrens vor allem im Hinblick auf die Grundrechte derer, die an den Vereinbarungen nicht beteiligt wurden12.

B. Informell-kooperative Gesetzgebung im Verfassungsprozess Werden Gesetze mit Interessenvertretern ausgehandelt, so sind verfassungsrechtliche Rechtsbehelfe in Bezug auf den Verhandlungsprozess, gegen die ausgehandelte Vereinbarung als Ergebnis des Verhandlungsprozesses oder gegen das Umsetzungsgesetz denkbar. Das Umsetzungsgesetz kann im Rahmen von abstrakten und konkreten Normenkontrollen überprüft werden. Zudem kommt eine Überprüfung des Umsetzungsgesetzes im Rahmen von Verfassungsbeschwerden in Betracht. Die Rechtsbehelfe gegen das Umgen dienen nicht dem Gemeinwohl und verletzten deswegen nicht nur das objektive Verfassungsrecht, sondern auch das jeweilige Grundrecht (vgl. im Ergebnis ähnlich: Kopp/Schenke, VwGO, § 42 Rdnr. 112, 124). 11 Vgl. BVerwGE 67, 74 (77); BVerwG NVwZ 1997, 491 f.; 1997, 493 f.; 1998, 1178. 12 Zur Freiheitssicherungsfunktion des Gesetzgebungsverfahrens: siehe oben 5. Teil B. II. 2.

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7. Teil: Die Geltendmachung von Verfassungsverstößen

setzungsgesetz werfen die Frage auf, ob die gesetzesvorbereitende Vereinbarung Einfluss auf die Zulässigkeit dieser Rechtsbehelfe haben kann. Daneben stellt sich die Frage, inwieweit die gesetzesvorbereitenden Verhandlungen und die daraus resultierenden Vereinbarungen selbst Prüfungsgegenstand einer verfassungsgerichtlichen Kontrolle sein können.

I. Prüfungsgegenstand: Verhandlungen Dem einzelnen Grundrechtsträger steht unter Umständen aus dem Gleichheitssatz in Verbindung mit der tatsächlichen Beteiligungspraxis der Bundesregierung ein Anspruch auf effektive Beteiligung an der Gesetzesvorbereitung zu13. Ein Gebot zur effektiven Beteiligung von Bundestag, Bundesrat oder einzelnen Ländern kann sich aus der Organ- bzw. Bundestreue ergeben14. Eine Missachtung dieser Beteiligungsrechte kann zur Verfassungswidrigkeit der Gesetzesvorbereitung führen und infiziert vorbehaltlich einer Heilung im parlamentarischen Verfahren die Abwägung des Gesetzgebers15. Dem könnte dadurch vorgebeugt werden, dass diejenigen, die einen Anspruch auf Partizipation an der Gesetzesvorbereitung haben, bereits während der gesetzesvorbereitenden Verhandlungen ihre Beteiligung gerichtlich durchsetzen. Dabei würde jedoch der Gesetzgebungsprozess schon zum Gegenstand eines verfassungsgerichtlichen Rechtsbehelfs gemacht, bevor das Parlament überhaupt über die Gesetzesvorlage entschieden hätte. Das ist problematisch, weil darin eine Missachtung der präventiven verfassungsrechtlichen Kontrollfunktion des Parlaments gesehen werden kann16. 1. Verfassungsbeschwerde Der unter Verstoß gegen das Grundgesetz nicht an den gesetzesvorbereitenden Verhandlungen Beteiligte könnte eventuell im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde die Feststellung beantragen, dass sein Recht auf gleiche Beteiligung an der Gesetzesvorbereitung verletzt wird, weil er von den Verhandlungen ausgeschlossen ist. Die gegenwärtige Betroffenheit des Beschwerdeführers würde sich dabei aber nicht aus einer möglichen Grundrechtsverletzung durch das künftige Gesetz ergeben17. Vielmehr wäre die 13

Siehe oben 4. Teil B. I. 2. Siehe oben 4. Teil B. I. 5. e) bb), 6. 15 Zum Infektionszusammenhang: siehe oben 6. Teil A. 16 Zur präventiven verfassungsrechtlichen Kontrollfunktion des Parlaments: siehe oben 5. Teil D. III. 1. a). In die präventive verfassungsrechtliche Kontrolle des Parlaments sind auch die gesetzlich nicht umgesetzten, influenzierten Regelungen einzubeziehen (siehe oben 5. Teil D. III. 4. b) bb) (1) (c)). 14

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Antragsbefugnis daraus abzuleiten, dass der durch den Gleichheitssatz vermittelte Partizipationsanspruch bereits gegenwärtig verletzt wird. Die Gleichheitsrechte des einzelnen werden jedoch ebenso wie die anderen Grundrechte nicht nur im verfassungsgerichtlichen Verfahren, sondern auch im Gesetzgebungsverfahren geschützt. Es ist primär Aufgabe des Parlaments, darüber zu entscheiden, ob die Exekutive ein Gesetz ausreichend und ausgewogen vorbereitet hat. Hält der Bundestag die Gesetzesvorbereitung in Bezug auf die Beteiligung der betroffenen Verbände und Einzelpersonen für einseitig, so ist es seine eigene Aufgabe, eine Ergänzung der defizitären Vorbereitung durch Nachholung einer ausgewogenen Beteiligung zu veranlassen oder das Gesetz abzulehnen. Das Bundesverfassungsgericht darf erst tätig werden, wenn der Bundestag seine verfassungsrechtliche Kontrollaufgabe beendet und über das Gesetz beschlossen hat18. Aus diesem Grund fehlt dem einzelnen Grundrechtsträger regelmäßig das Rechtsschutzbedürfnis, um seinen Partizipationsanspruch bereits vor Beschlussfassung durch das Parlament durchzusetzen19. Der gleichheitsschützenden Entscheidung des Parlaments darf durch eine Entscheidung des Verfassungsgerichts nicht vorgegriffen werden. Der Grundrechtsschutz durch Verfassungsbeschwerde ist somit subsidiär gegenüber dem Grundrechtsschutz durch Gesetzgebungsverfahren. Zwar besteht die Gefahr, dass der Bundestag sich an gesetzesvorbereitende Vereinbarungen gebunden fühlt, so dass eine effektive Ergänzung einer einseitigen Gesetzesvorbereitung im parlamentarischen Verfahren aus empirischer Perspektive als eher unwahrscheinlich erscheint20. Dennoch ist eine solche Ergänzung nicht völlig ausgeschlossen. Die Organtreue gebietet, dass das Bundesverfassungsgericht die vorrangige grundrechtliche Schutzfunktion des parlamentarischen Verfahrens respektiert. Es würde der Organtreue widersprechen, wenn das Bundesverfassungsgericht unter Hinweis auf organübergreifende faktische Bindungen des Parlaments diesem seine eigenständige Kontrollfunktion von vornherein abschneiden würde21. Somit ist der partizipationsberechtigte Grundrechtsträger grundsätzlich darauf beschränkt, die Verletzung der eigenen Partizipationsansprüche erst nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens geltend zu machen. Dement17 Zum Erfordernis einer gegenwärtigen Betroffenheit: BVerfGE 92, 158 (175); 92, 26 (38); 72, 39 (43); 72, 1 (5 f.); 60, 360 (371); 1, 97 (102). 18 Vgl. BVerfGE 2, 143 (178). 19 Zur Prüfung des Rechtsschutzbedürfnisses im Rahmen von Verfassungsbeschwerden: Benda/Klein, Verfassungsprozessrecht, Rdnr. 584 ff. m. w. N. 20 Zur organübergreifenden faktischen Bindung: siehe oben 6. Teil A. 21 Insoweit teilweise bedenklich: ThürVerfGH, NVwZ-RR 1997, 394 (395).

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7. Teil: Die Geltendmachung von Verfassungsverstößen

sprechend hat sich die Verfassungsbeschwerde wegen gleichheitswidriger Nichtbeteiligung gegen das verkündete Umsetzungsgesetz zu richten. Dabei muss der Beschwerdeführer jedoch darauf achten, dass die fehlerhafte Gesetzesvorbereitung nicht im parlamentarischen Verfahren derart ergänzt wurde, dass der Partizipationsmangel geheilt worden ist22. Eine auf Partizipation an der Gesetzesvorbereitung gerichtete Klage scheidet hingegen regelmäßig aus. Für den Atomausstieg bedeutet dies, dass Gesellschafter an Kernkraftwerken, die unter Verstoß gegen den Gleichheitssatz an den gesetzesvorbereitenden Verhandlungen nicht beteiligt worden wären, sich nicht während den laufenden Verhandlungen in diese hätten hineinklagen können23. Solche Gesellschafter waren vielmehr darauf verwiesen, das spätere Umsetzungsgesetz anzugreifen. Eine substanzielle, ergänzende Abwägung zu den Rechten der nicht beteiligten Gesellschafter fand im parlamentarischen Verfahren nicht statt, so dass ein Beteiligungsmangel auch nicht nachträglich geheilt worden wäre. Ein Beteiligungsmangel hätte folglich im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde gegen das Umsetzungsgesetz geltend gemacht werden können.

2. Bundesorganstreitverfahren und Bund-Länder-Streit Der Bundesrat oder einzelne Landesregierungen können ein Bundesorganstreitverfahren bzw. einen Bund-Länder-Streit einleiten, um feststellen zu lassen, dass ihre Rechte auf effektive Beteiligung an der Gesetzesvorbereitung verletzt worden sind. Anders als der einzelne Grundrechtsträger kann der Bundesrat oder ein Bundesland nicht auf eine vorrangige präventive Schutzfunktion des Bundestages verwiesen werden. Vielmehr haben Bundesorganstreitverfahren und Bund-Länder-Streit selbst eine präventive Schutzfunktion24. Es entspricht der Eigenverantwortung jedes einzelnen Verfassungsorgans bzw. der Eigenverantwortung der Länder, dass jedes Organ bzw. jedes Bundesland eigenständig die Gefährdung eigener Rechte abwehrt25. Die Präventionsfunktion von Bundesorganstreitverfahren und Bund-Länder-Streit kommt darin zum Ausdruck, dass § 93 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 GG nicht wie die in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG geregelte Verfassungsbeschwerde eine gegenwärtige Verletzung von Rechten 22

Siehe oben 6. Teil A. II. Zur gleichheitswidrigen Nichtbeteiligung von Teilhabern an Kernkraftwerken beim Atomausstieg: siehe oben 4. Teil B. I. 2. 24 Zur präventiven Kontrollfunktion des Organstreits: Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 262. 25 Zur gegenüber der Organtreue vorrangigen Organeigenverantwortung: siehe oben 4. Teil B. I. 5. e) bb) (1) (c), siehe unten 9. Teil. 23

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verlangt. Vielmehr reichen schon Meinungsstreitigkeiten über Organ- bzw. Länderrechte aus. § 64 Abs. 1 bzw. § 69 i. V. m. § 64 Abs. 1 BVerfGG präzisieren dies dahingehend, dass bereits die unmittelbare Gefährdung von Organrechten geltend gemacht werden kann. Führen gesetzesvorbereitende Verhandlungen zwischen Bundesregierung und Privaten zu einer unmittelbaren Gefährdung der effektiven Beteiligung von Bundesrat oder einzelnen Bundesländern, können der Bundesrat bzw. das jeweilige Bundesland dies unabhängig vom Fortschritt des Gesetzgebungsverfahrens rügen. Sie müssen anders als der einzelne Grundrechtsträger nicht eine Entscheidung des Bundestages über das Umsetzungsgesetz abwarten26. Beim Atomausstieg konnten folglich der Bundesrat und besonders betroffene Länder ihre Beteiligungsrechte in Bezug auf die Gesetzesvorbereitung schon während den vorbereitenden Verhandlungen geltend machen. Der hohe Intensitätsgrad der faktischen Bindungen der Verhandlungen und Vereinbarungen mit den beteiligten Energieversorgern führte zu einer unmittelbaren Gefährdung der Rechte der genannten Antragsberechtigten.

Im Gegensatz zu den Rechten von Bundesrat und Bundesländern auf effektive Beteiligung stellt sich für das Verhältnis von Bundesregierung zum Bundestag die Frage, ob das Parlament einen Verstoß der Bundesregierung gegen die Organtreue vor dem Bundesverfassungsgericht rügen kann, obwohl es die Möglichkeit hat, die Umsetzung der Vereinbarung selbst abzulehnen. Dem Bundestag könnte das Rechtschutzbedürfnis für ein Bundesorganstreitverfahren fehlen27, weil er selbst die Möglichkeit hat, einen Verstoß der Bundesregierung gegen die Organtreue zu sanktionieren, indem er die gesetzliche Umsetzung der von der Bundesregierung ausgehandelten Vereinbarung ablehnt28. Für die Ablehnung der gesetzlichen Umsetzung bedürfte es allerdings einer Mehrheit im Parlament, während das Organstreitverfahren auch von einer Minderheit des Bundestages eingeleitet werden kann (Art. 93 Abs. 1 Nr. 1, § 63 BVerfGG). Die im Organstreitverfahren mögliche Prozessstandschaft der Opposition dient sowohl der objektiven Verfassungskontrolle als 26 Vgl. Goessl, Organstreitigkeiten, S. 220 f. Nach Goessl wird das Organstreitverfahren durch die Möglichkeit einer späteren abstrakten Normenkontrolle weder ausgeschlossen noch eingeschränkt: „Das abstrakte Normenkontrollverfahren regelt nicht einen Spezialfall des Organstreitverfahrens. Beide Verfahren verhalten sich zueinander wie zwei sich schneidende Kreise. Sowohl in Ansehung der Parteien wie in Ansehung des prüfungsfähigen Rechts ist das abstrakte Normenkontrollverfahren einerseits enger und andererseits weiter als das Organstreitverfahren . . .“. 27 Zur Prüfung des Rechtsschutzinteresses im Rahmen eines Organstreitverfahrens: siehe Benda/Klein, Verfassungsprozessrecht, Rdnr. 1033 m. w. N. 28 Vgl. BVerfGE 68, 1 (77 f.); BayVerfGH NVwZ-RR 1997, 203.

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auch dem Minderheitenschutz29. Dieses verfassungsrechtlich geschützte Recht der Opposition, Rechtverletzungen des Bundestages im Organstreitverfahren geltend zu machen, darf nicht durch den Hinweis auf politische Handlungsoptionen verkürzt werden, die lediglich der Mehrheit im Bundestag zur Verfügung stehen. Für die Opposition bietet sich in der Regel nicht die Möglichkeit, eine Ablehnung des Umsetzungsgesetzes zu erreichen. Sie hat demnach keine vorrangige politische Möglichkeit, eine verfassungsrechtlich bedenkliche Gesetzesvorbereitung wirksam zu sanktionieren. Deshalb ist im Sinne einer effektiven Geltendmachung von Parlamentsrechten gegenüber der Bundesregierung davon auszugehen, dass die Möglichkeit, die Umsetzung der Vereinbarung im Gesetzgebungsverfahren abzulehnen, keinen Einfluss auf einen Organstreit gegen die Bundesregierung hat30. Der Organstreit wegen Gefährdung oder Verletzung von Parlamentsrechten durch gesetzesvorbereitende Verhandlungen der Bundesregierung kann unabhängig von einem anhängigen Gesetzgebungsverfahren zur Umsetzung der Vereinbarung geführt werden. Beim Atomausstieg hat die Bundesregierung die Organtreue gegenüber dem Bundestag allerdings nicht verletzt31. Deshalb kam insoweit auch kein Organstreitverfahren der Oppositionsfraktionen in Betracht.

II. Prüfungsgegenstand: Vereinbarungen Neben dem Prozess der gesetzesvorbereitenden Verhandlungen kommt auch dessen Ergebnis als Ansatzpunkt für Rechtsbehelfe in Betracht. Werden in gesetzesvorbereitenden Verhandlungen bestimmte Vereinbarungen getroffen, so stellt sich die Frage, ob diese einer inhaltlichen Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht zugänglich sind. Für Vereinbarungsteile, die gesetzlich umgesetzt werden, kommt es darauf an, ob die verfassungsgerichtlichen Rechtsbehelfe nur gegen das Umsetzungsgesetz gerichtet werden können oder ob auch die Vereinbarung selbst Gegenstand von Rechtsbehelfen sein kann. 1. Verfassungsbeschwerde Beschwerdebefugt im Rahmen der Verfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG, § 13 Nr. 8 a BVerfGG, §§ 90 ff. BVerfGG) ist nur derjenige, der die Möglichkeit einer eigenen, gegenwärtigen und unmittelbaren Verlet29

Benda/Klein, Verfassungsprozessrecht, Rdnr. 984, 1002, 1022 m. w. N. Vgl. BVerfGE 68, 1 (77 f.). 31 Zur Organtreue der Bundesregierung gegenüber dem Bundestag beim Atomausstieg: siehe oben 4. Teil B. I. 5. e). 30

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zung seiner Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte hinreichend substanziiert geltend macht32. Bereits oben wurde dargelegt, dass Vereinbarungen trotz Einverständnis des privaten Vereinbarungspartners Grundrechtseingriffe oder zumindest schlichte Grundrechtsbeeinträchtigungen enthalten können33. Diese in Vereinbarungen enthaltenen Grundrechtsverkürzungen können im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde überprüft werden. Das Erfordernis einer gegenwärtigen und unmittelbaren Grundrechtsverletzung führt jedoch dazu, dass die gesetzesvorbereitende Vereinbarung insoweit nicht selbstständig angegriffen werden kann, als die Grundrechtsbelastungen erst mit der gesetzlichen Umsetzung wirksam werden. Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen sind, sofern sie erst später gesetzlich umgesetzt werden sollen, als lediglich „werdendes Recht“ einzustufen und damit der verfassungsgerichtlichen Kontrolle grundsätzlich entzogen, weil noch keine gegenwärtige und unmittelbare Grundrechtsbeeinträchtigung geltend gemacht wird34. Das entspricht einer funktionsgerechten Gewaltenordnung, nach der die gerichtliche Kontrolle grundsätzlich auf die nachträgliche Überprüfung von Hoheitsakten beschränkt ist35. Soweit eine gesetzliche Umsetzung vorgesehen ist, muss diese abgewartet werden. Im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren kommt dann die präventive parlamentarische Selbstkontrolle und der Grundrechtsschutz durch Gesetzgebungsverfahren zum Tragen36. Der verfassungsrechtliche Rechtsbehelf ist deshalb erst gegen das selbstvollziehende Umsetzungsgesetz bzw. gegen die aufgrund dieses Umsetzungsgesetzes ergehenden Vollzugsakte zu stützen, damit den genannten Funktionen des parlamentarischen Verfahrens nicht vorgegriffen wird37. Wird die Vereinbarung hingegen bereits vor der gesetzlichen Umsetzung vollzogen38, kann darin bereits eine beschwerdefähige, gegenwärtige und unmittelbare Grundrechtsverletzung zu sehen sein39. Insoweit ist es zulässig, die gesetzesvorbereitende Vereinbarung schon vor der gesetzlichen Um32 BVerfGE 92, 158 (175); 92, 26 (38); 72, 39 (43); 72, 1 (5 f.); 60, 360 (371); 1, 97 (102). 33 Siehe oben 4. Teil B. I. 3. b). 34 Vgl. BVerfG NVwZ 2004, 209. 35 Vgl. Husserl, Recht und Zeit, S. 27 ff.; Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 59 Rdnr. 15. 36 Zur präventiven verfassungsrechtlichen Kontrolle durch das Parlament: siehe oben 5. Teil D. III. 1 a); vgl. auch BVerwG DÖV 1980, 566 (568); zum Grundrechtsschutz durch Gesetzgebungsverfahren: siehe oben 5. Teil B. II. 2. 37 Vgl. BVerfG NVwZ 1999, 175; Benda/Klein, Verfassungsprozessrecht, Rdnr. 487. 38 Zum gesetzesantizipierenden Vollzug: siehe oben 4. Teil B. I. 3. 39 Vgl. Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 255 f.

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setzung mit einer selbstständigen Verfassungsbeschwerde anzufechten. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich in einem solchen Fall nicht gegen ein künftiges Gesetz, sondern gegen eine schon gegenwärtige Grundrechtsbeeinträchtigung, die von der Vereinbarung selbst ausgeht40, 41. Die gesetzesvorbereitende Vereinbarung ist somit, soweit sie später gesetzlich direkt oder influenzierend-indirekt umgesetzt wird, in die spätere Verfassungsbeschwerde gegen das Umsetzungsgesetz einzubeziehen. Sie ist demnach grundsätzlich nicht selbstständig mit der Verfassungsbeschwerde anzugreifen. Etwas anderes gilt jedoch, wenn die Vereinbarung bereits vor der gesetzlichem Umsetzung zu grundrechtsrelevanten Wirkungen führt. Dann liegt die gegenwärtige und unmittelbare Grundrechtsbeeinträchtigung bereits vor der gesetzlichen Umsetzung vor, so dass eine vom Umsetzungsgesetz unabhängige, selbstständige Verfassungsbeschwerde gegen die Vereinbarung möglich ist. Da jedoch insoweit lediglich die Vereinbarung und nicht das künftige Gesetz Prüfungsgegenstand ist, ist in der Entscheidung nicht die Nichtigkeit des künftigen Gesetzes auszusprechen (vgl. § 95 Abs. 3 BVerfGG)42.

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Vgl. Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 258. Die gesetzesvorbereitende Vereinbarung beruht auf einer Annexkompetenz zur Gesetzgebungskompetenz (siehe oben 3. Teil A. II.). Wegen des Zusammenhangs zur Gesetzgebung ist eine Erschöpfung des Rechtsweges bei der Verfassungsbeschwerde gegen die gesetzesvorbereitende Vereinbarung (§ 90 Abs. 2 BVerfGG) ebenso wie bei der Rechtssatzverfassungsbeschwerde gegen das umsetzende Parlamentsgesetz nicht notwendig (vgl. Benda/Klein, Verfassungsprozessrecht, Rdnr. 549). Der Zusammenhang zwischen gesetzesvorbereitender Vereinbarung und Umsetzungsgesetz führt dazu, dass keine verwaltungsrechtliche, sondern eine verfassungsrechtliche Streitigkeit vorliegt. Gegen die gesetzesvorbereitende Vereinbarung ist der Verwaltungsrechtsweg (§ 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO) nicht eröffnet (vgl. BVerwGE 80, 355 (358); Kopp/Schenke, VwGO, § 40 Rdnr. 32; a. A. Michael, Rechtsetzende Gewalt, S. 635 ff.; siehe ferner in Bezug auf das einfachgesetzliche Beteiligungsrecht von Beamtenkoalitionen: BVerwG DÖV 1980, 566 (568); BVerwGE 56, 308 ff.). Zur Anwendung des § 93 Abs. 3 BVerfGG auf die Verfassungsbeschwerde gegen die gesetzesvorbereitende Vereinbarung: Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 258, wobei nach der hier vertretenen Auffassung für den Fristbeginn darauf abzustellen ist, dass die faktischen Bindungen der Vereinbarung sich derart verdichtet haben, dass diese wie ein Gesetz zu wirken beginnt. 42 Vgl. Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 260 f. Der Folgerung von Kloepfer, dass das künftige Gesetz zwangsläufig das Grundgesetz verletzt, wenn im Vorfeld ein Verfassungsverstoß vorliegt, ist indessen nicht beizutreten, weil eine Heilung von Abwägungsfehlern im späteren Gesetzgebungsverfahren als möglich zu erachten ist. Siehe hierzu oben 6. Teil A. II., 7. Teil B. I. 1. 41

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2. Normenkontrolle Neben der Verfassungsbeschwerde sind die abstrakte und konkrete Normenkontrolle als verfassungsprozessuale Rechtsbehelfe gegen gesetzesvorbereitende Vereinbarungen in Betracht zu ziehen. a) Unmittelbare Anwendbarkeit der Normenkontrolle Die Normenkontrolle stellt auf den ersten Blick keinen adäquaten Rechtsbehelf gegen gesetzesvorbereitende Vereinbarungen dar. Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG und Art. 100 Abs. 1 GG setzen voraus, dass eine Rechtsnorm nach Art. 82 GG verkündet worden ist. Vor der Verkündung ist noch keine Rechtsnorm existent, die mit einer Normkontrolle überprüft werden kann. Der Begriff des Rechts in Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG und der Begriff des Gesetzes in Art. 100 Abs. 1 GG erfassen ebenso wenig wie die Begriffe Gesetz und Recht in Art. 20 Abs. 3 GG bloße Gesetzesvorlagen (vgl. Art. 76 Abs. 1 GG) und rechtlich unverbindliche gesetzesvorbereitende Vereinbarungen. Somit lässt der Wortlaut der Bestimmungen zur konkreten und abstrakten Normenkontrolle keinen Raum für eine verfassungsgerichtliche Überprüfung einer noch nicht gesetzlich umgesetzten gesetzesvorbereitenden Vereinbarung43. b) Analogiefähigkeit der Normenkontrolle Der für eine gesetzesvorbereitende Vereinbarung nicht passende Wortlaut schließt allerdings eine analoge Anwendung der Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 und 100 GG auf gesetzesvorbereitende Vereinbarungen nicht generell aus. Gegen eine analoge Anwendung der verfassungsgerichtlichen Rechtsbehelfe wird indessen darauf hingewiesen, dass die Art. 93 und 100 GG zusammen mit den einfachgesetzlichen Vorschriften des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes eine erschöpfende Regelung darstellen würden. Die Enumeration der verfassungsprozessualen Rechtsbehelfe im Grundgesetz mit der Möglichkeit der einfachgesetzlichen Erweiterung nach Art. 93 Abs. 2 GG hätte abschließenden Charakter und würde deshalb einer analogen Anwendung entgegenstehen44. 43 Das Bundesverfassungsgericht begründet die Ablehnung einer präventiven Normenkontrolle mit dem „natürlichen Sprachgebrauch“ der Worte „Bundesrecht und Landesrecht“ in Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, worunter geltendes Recht zu verstehen sei. Zudem wird auf den Wortlaut des § 76 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG und die Entstehungsgeschichte der Normenkontrolle hingewiesen (BVerfGE 1, 396 (400 ff.)). A. A. Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 269.

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Zutreffend an dieser Argumentation ist, dass allein ein rechtspolitisches Bedürfnis keine Kontrollkompetenz des Verfassungsgerichts zu begründen vermag. Indessen schließt das Enumerationsprinzip nicht jede Analogie oder teleologische Extension der Art. 93 und 100 GG von vornherein aus. Die pauschale Behauptung, das Enumerationsprinzip würde jede Form von Analogie oder teleologischer Extension verbieten, ist ebenso unpräzise wie die oftmals vertretene Behauptung, Ausnahmevorschriften seien nicht analogiefähig. Eine Analogie zu einer Ausnahmevorschrift oder zu einer enumerierenden Norm kann aus Gründen des Gleichheitssatzes geboten sein, wenn ein vom Wortlaut des Tatbestandes nicht erfasster Sachverhalt im Lichte der Teleologie der Norm als gleichwertig anzusehen und deshalb im Lichte des Gleichheitssatzes ebenfalls nach dieser Norm zu behandeln ist45, 46. Im Rahmen einer grundsätzlich abschließenden Enumeration kann zudem eine über den Wortlaut hinausgehende teleologische Extension notwendig werden, um die Effektivität der enumerierenden Norm zu gewährleisten47. Allerdings sind Analogien und teleologische Extensionen im Bereich enumerativer Regelungen ebenso wie bei Ausnahmevorschriften restriktiv zu handhaben. Es sind hohe Anforderungen an die teleologische Gleichwertigkeit des Sachverhaltes zu stellen, die die Analogie begründen soll48. Die Extension muss zwingend geboten sein, um die Wirksamkeit der Norm zu erhalten.

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Siehe beispielsweise: BVerfGE 2, 341 (346); 13, 54 (96); 63, 73 (76); Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, Vorb. 44 ff. m. w. N., § 13 Rdnr. 6; Benda/Klein, Verfassungsprozessrecht, Rdnr. 345, weisen darauf hin, dass für eine analoge Anwendung wegen § 93 Abs. 2 GG kein Bedürfnis bestehe. 45 Vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 356; Canaris, Die Feststellung von Lücken, S. 77 f. 46 Vgl. BVerfGE 37, 271 (285); BVerfGE 1, 396 (400, 413): Das Bundesverfassungsgericht hat bei Vertragsgesetzen (Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG) eine Überprüfung des noch nicht verkündeten Gesetzes im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle für möglich gehalten, obwohl der „natürliche Sprachgebrauch“ des Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG formell geltendes Recht voraussetzt. Folglich wird der Anwendungsbereich der Normenkontrolle auch vom Bundesverfassungsgericht teilweise über den Wortlaut hinaus ausgedehnt. Dies belegt, dass Analogien nicht in jedem Fall ausgeschlossen sind. 47 Zur teleologischen Extension: siehe Canaris, Die Feststellung von Lücken, S. 90. 48 Im Gegensatz zur Auffassung von Benda/Klein, Verfassungsprozessrecht, Rdnr. 345, schließt die einfachgesetzliche Möglichkeit einer begrenzten Kompetenzerweiterung über § 93 Abs. 2 GG nicht aus, dass eine Analogie bei Fehlen einer entsprechenden gesetzlichen Vorschrift rechtlich geboten sein kann. Der von Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, Vorb. 44 ff. m. w. N., § 13 Rdnr. 6, befürchteten Gefahr eines Jurisdiktionsstaates ist durch einen restriktiven Gebrauch der Analogie entgegenzuwirken.

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c) Analoge abstrakte Normenkontrolle Lässt man die abstrakte Normenkontrolle bereits gegen die gesetzesvorbereitende Vereinbarung zu, so wird dadurch eine präventive Prüfung des späteren Umsetzungsgesetzes ermöglicht. Eine verfassungsgerichtliche Kontrolle der gesetzesvorbereitenden Vereinbarung hätte den Vorteil, dass eine verfassungswidrige gesetzliche Umsetzung der Vereinbarung von vornherein vermieden werden könnte und dass kein schutzwürdiges Vertrauen in eine verfassungswidrige Rechtslage entstehen würde. Die Vorteile präventiver verfassungsgerichtlicher Kontrolle waren dem Parlamentarischen Rat jedoch bekannt. Dennoch hat er sich gegen eine bindende Vorabkontrolle „werdender Gesetze“ durch das Bundesverfassungsgericht entschieden49. Die Möglichkeit einer präventiven Rechtskontrolle wurde vom Parlamentarischen Rat bewusst darauf beschränkt, dass die Gesetzgebungsorgane ein rechtlich nicht verbindliches Gutachten zur Verfassungsmäßigkeit eines geplanten Gesetzes anfordern konnten. Diese eingeschränkte präventive Überprüfung durch Gutachten wurde im Jahre 1956 abgeschafft. Damit hat der Gesetzgeber die gerichtstypische Funktion des Bundesverfassungsgerichts als nachträglicher Hüter der Verfassung gestärkt50. Dementsprechend können bloße Zweckmäßigkeitsüberlegungen, die eine präventive Kontrolle von Gesetzen auf ihre Verfassungsmäßigkeit lediglich als vorteilhaft erscheinen lassen, wegen dieses gegenläufigen gesetzgeberischen Willens nicht dazu führen, dass eine vorbeugende verfassungsgerichtliche Kontrolle zugelassen würde. Eine analoge Anwendung der Normenkontrolle auf gesetzesvorbereitende Vereinbarungen kann jedoch dann ausnahmsweise gerechtfertigt sein, wenn sich aus dem Sinn und Zweck der Normenkontrolle ergibt, dass der Gleichheitssatz eine gleiche Behandlung des nicht ausdrücklich geregelten Falles durch analoge Anwendung der Normenkontrolle gebietet. Die abstrakte Normenkontrolle nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG dient dazu, dass die Verfassungsmäßigkeit der Ausübung von Staatsgewalt für eine Vielzahl von Anwendungsfällen der angegriffenen Rechtsnorm allgemeinverbindlich geprüft werden kann. Da die wesentlichen Belange der staatlichen Gemeinschaft in Parlamentsgesetzen geregelt werden müssen, schafft die abstrakte Normenkontrolle die Möglichkeit, das wesentliche Staatshandeln mit Wirkungen gegenüber jedermann auf seine Verfassungsmäßigkeit zu kontrollieren (§§ 13 Nr. 6, 31 Abs. 2 BVerfGG). Wirkt jedoch bereits die gesetzesvorbe49

Ausführlich zur Entstehungsgeschichte der Normenkontrolle: BVerfGE 1, 396 (400 ff.). 50 Vgl. Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 1 Rdnr. 7; Heyde, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 97 Rdnr. 4.

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7. Teil: Die Geltendmachung von Verfassungsverstößen

reitende Vereinbarung wie ein Gesetz, weil sie wesentliche gesetzesgleiche Steuerungswirkungen schon vor der gesetzlichen Umsetzung entfaltet, so kann das Gebot, gleichwertige Sachverhalte gleich zu behandeln, dazu führen, dass eine allgemeinverbindliche Kontrolle der gesetzesvorbereitenden Vereinbarung zugelassen werden muss, obwohl die Vereinbarung noch nicht formell in ein Gesetz umgesetzt worden ist51. Zweifel, ob eine analoge Normenkontrolle gegen gesetzesvorbereitende Vereinbarungen schon vor Umsetzung möglich ist, bestehen allerdings deshalb, weil dadurch der Kontrollfunktion des Parlaments vorgegriffen werden könnte52. Aus dem Grundsatz der funktionsgerechten Gewaltenordnung (Art. 20 Abs. 2 Satz 2, Abs. 1 GG) ergibt sich, dass präventive Rechtbehelfe gegen künftige Gesetze grundsätzlich unzulässig sind53. Vielmehr ist es primär Aufgabe des Parlaments, eine präventive Kontrolle von Gesetzen als Erstinterpret der Verfassung selbst zu leisten54. Da auch der Bundespräsident eine gewisse verfassungsrechtliche Kontrollfunktion hat55, kann ein Gesetz in der Regel erst mit der Normenkontrolle angegriffen werden, wenn es verkündet worden ist. Die vorrangigen Kontrollstationen des Bundestages und des Bundespräsidenten müssen durchlaufen sein. Dementsprechend hat sich die Normenkontrolle grundsätzlich gegen das verkündete Umsetzungsgesetz und nicht gegen die vorbereitende Vereinbarung zu richten56, 57. Diese zur Ablehnung einer vorgezogenen verfassungsgerichtlichen Kontrolle herangezogenen Argumente greifen jedoch unter zwei Voraussetzungen nicht durch: Wenn erstens die gesetzesvorbereitende Vereinbarung be51 Zur Bedeutung des Gleichheitssatzes bei der Begründung einer Analogie: Canaris, Die Feststellung von Lücken, S. 77 f. 52 Vgl. Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 183. 53 Vgl. BVerfGE 1, 396 (409). 54 Zur Funktion des Gesetzgebers als Erstinterpret der Verfassung: siehe oben 5. Teil D. III. 1. b). 55 Zur verfassungsrechtlichen Kontrollfunktion des Bundespräsidenten: siehe beispielsweise Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 59 Rdnr. 194; Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 63 Rdnr. 60 m. w. N. 56 Folglich ist auch eine einstweilige Anordnung erst möglich, wenn das Umsetzungsgesetz bereits verkündet wurde. Die Zulässigkeit eines Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt zwar nicht voraus, dass bereits ein Hauptsacheantrag gestellt wurde (Benda/Klein, Verfassungsprozessrecht, Rdnr. 1196). Dennoch ist es für den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung notwendig, dass bei hypothetischer gleichzeitiger Stellung eines Hauptsacheantrages ein zulässiger Prüfungsgegenstand vorliegen würde (vgl. Holzer, Präventive Normenkontrolle, S. 41 ff., 204 f.). 57 Eine präventive Normenkontrolle darf sich auch nicht im Gewande eines Organstreits verstecken. Siehe hierzu: BVerfGE 2, 143 (175 ff.).

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reits vor ihrer gesetzlichen Umsetzung wesentliche Steuerungswirkungen wie eine Rechtsnorm entfaltet und wenn zweitens diese Steuerungseffekte zu irreparablen Schäden führen, die mit einer späteren Normenkontrolle kaum mehr rückgängig gemacht werden können, muss bereits eine analoge Normenkontrolle gegen die Vereinbarung zugelassen werden. Anders als bei der bisher erörterten und abgelehnten verfassungsgerichtlichen Prüfung der gesetzesvorbereitenden Vereinbarung geht es bei Vorliegen der beiden genannten Voraussetzungen nicht darum, dass vorab Verfassungsverstöße des künftigen Gesetzes vermieden werden sollen. Vielmehr müssen von der gesetzesvorbereitenden Vereinbarung ausgehende gegenwärtige Verfassungsverstöße rechtzeitig beseitigt werden, weil deren Folgen bei einer späteren Nichtigerklärung des Umsetzungsgesetzes kaum mehr beseitigt werden können. Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen können wegen ihrer antizipierenden und influenzierenden Wirkungen dazu führen, dass die Bedeutung der Verkündung und des In-Kraft-Tretens eines Gesetzes abnimmt. Für die faktischen Steuerungsprozesse haben die vom formalisierten Verfahren gesetzten Wegmarken der Verkündung und des In-Kraft-Tretens geringere Bedeutung58. Der faktische Prozess kann bereits irreparable Steuerungswirkungen entfalten, noch bevor die Vereinbarung gesetzlich umgesetzt worden ist. Auf diese gezielte Vorverlagerung der faktischen Wirkung von Gesetzen durch gesetzesvorbereitende Vereinbarungen muss das Prozessrecht reagieren. Eine das Umsetzungsgesetz in seinen Wirkungen antizipierende gesetzesvorbereitende Vereinbarung kann dazu führen, dass die Effektivität einer Normenkontrolle gegen das Umsetzungsgesetz entwertet würde. Die Effektivität der Normenkontrolle erfordert deshalb, dass diese bei drohenden irreparablen Schäden ausnahmsweise bereits auf die gesetzesvorbereitende Vereinbarung angewandt wird59. Im Gegensatz zur präventiven Kontrolle von Gesetzesvorlagen im Hinblick auf künftige Verfassungsverstöße führt die Kontrolle von faktisch schwer revidierbaren Vorwirkungen eines Gesetzes, die von einer gesetzesvorbereitenden Vereinbarung ausgehen, nicht dazu, dass das Parlament in seinen Rechten und in seiner Kontrollfunktion beeinträchtigt würde. Vielmehr richtet sich die analoge Normenkontrolle gegen das Handeln einer kooperativ handelnden Bundesregierung, die ihrerseits die Rechte des Parlaments missachtet, indem sie bereits vor Abschluss des Gesetzgebungsver58

Vgl. Zeh, Impulse und Initiativen, S. 33 (42 ff.). Weitergehend: Holzer, Präventive Normenkontrolle, S. 11 ff., der für eine vollständige Aufgabe der sich an BVerfGE 1, 396 ff. anschließenden ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts plädiert und die Einführung einer präventiven Normenkontrolle auch dann fordert, wenn keine irreparablen Vorwirkungen des künftigen Gesetzes zu befürchten sind (S. 204). 59

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7. Teil: Die Geltendmachung von Verfassungsverstößen

fahrens vollendete oder schwer revidierbare Tatsachen schafft. Durch die verfassungsgerichtliche Prüfung dieses gesetzesantizipierenden Vollzugs wird die Funktion des Parlaments nicht vorgegriffen, sondern vielmehr gestärkt, weil die gegenwärtige Verfassungswidrigkeit eines gesetzesantizipierenden Vollzugs der Bundesregierung im Rahmen der analogen abstrakten Normenkontrolle gegen die Vereinbarung festgestellt werden kann. Der Beschluss des Bundestages über das Umsetzungsgesetz wird durch die verfassungsgerichtliche Prüfung der Vereinbarung nicht vorweggenommen. Die Bindungswirkung der Entscheidung reicht nur soweit wie ihr Prüfungsgegenstand. Die Feststellung der Verfassungswidrigkeit im Rahmen der analogen Normenkontrolle bezieht sich lediglich auf den Teil der Vereinbarung, der bereits mit schwer reversiblen Folgen vollzogen wird und das künftige Gesetz verfassungswidrig antizipiert. Das künftige Umsetzungsgesetz selbst ist hingegen nicht Gegenstand der analogen Normenkontrolle, so dass sich insoweit auch keine Bindungswirkungen der verfassungsgerichtlichen Entscheidung ergeben. Damit wird ein unzulässiger Vorgriff gegenüber der Kontrollfunktion des Parlaments vermieden. Wären beispielsweise einzelne Kernkraftwerke aufgrund einer gesetzesvorbereitenden Ausstiegsvereinbarung bereits kurzfristig abgeschaltet worden, noch bevor der Bundestag über die entsprechende gesetzliche Umsetzung beschlossen hätte, so hätte eine akute regionale Unterversorgung mit Energie zu immensen irreparablen Folgen führen können. Dann wäre eine nachträgliche Normenkontrolle oder Verfassungsbeschwerde gegen das spätere Ausstiegsgesetz zu spät gekommen. Wegen der Gefahr irreparabler Schäden wäre bereits eine analoge Normenkontrolle gegen die gesetzesvorbereitende Vereinbarung zuzulassen gewesen, sofern diese bereits wie eine Rechtsnorm zu wirken begann. Erklärt das Bundesverfassungsgericht dabei die Verfassungswidrigkeit der Vereinbarung, bezieht sich die Verbindlichkeit dieser Entscheidung indessen nur auf die verfahrensgegenständlichen gesetzesantizipierenden Vereinbarungsteile und nicht auf das Umsetzungsgesetz. Die Entscheidung des Parlaments über die gesetzliche Umsetzung bleibt unberührt. Die Normenkontrollentscheidung in Bezug auf die Vereinbarung stellt deshalb wegen ihrer begrenzten Bindungswirkung keine Beeinträchtigung des Funktionsbereichs des Gesetzgebers dar. Vielmehr wird der Bundestag durch den Ausspruch der Verfassungswidrigkeit der gesetzesantizipierenden Vereinbarung davor geschützt, dass die Bundesregierung die Abgeordneten vor vollendete Tatsachen stellt.

d) Analoge konkrete Normenkontrolle Anders als bei der abstrakten Normenkontrolle ist die Ratio der konkreten Normenkontrolle darin zu sehen, dass ein Fachgericht nicht die Befugnis haben soll, nachkonstitutionelle Parlamentsgesetze im Rahmen einer Inzidentkontrolle zu verwerfen. Damit wird der besonderen Legitimation des

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Parlamentsgesetzes Rechnung getragen60. Diese Ratio ist jedoch auf eine gesetzesvorbereitende Vereinbarung nicht übertragbar. Ungeachtet der Frage, ob Fachgerichte gesetzesvorbereitende Vereinbarungen, die noch nicht gesetzlich umgesetzt sind, überhaupt ihren Entscheidungen zu Grunde legen dürfen, ist die konkrete Normenkontrolle bezogen auf derartige Vereinbarungen weder direkt noch analog anwendbar61. Die besondere Legitimation als Parlamentsgesetz erhält eine Gesetzesvorlage erst, wenn sie das Gesetzgebungsverfahren vollständig durchlaufen hat und verkündet worden ist. Eine Ausweitung des Art. 100 Abs. 1 GG auf gesetzesvorbereitende Vereinbarungen scheidet von vornherein aus, weil diese noch nicht die gesetzesspezifische Legitimation aufweisen62. 3. Ergebnis Gehen von einer gesetzesvorbereitenden Vereinbarung Grundrechtseingriffe oder schlichte Grundrechtsbeeinträchtigungen aus, so können diese im Rahmen von Verfassungsbeschwerden überprüft werden. Soweit die Vereinbarung jedoch erst noch gesetzlich umgesetzt werden soll, ist eine Verfassungsbeschwerde gegen die Vereinbarung nur zulässig, wenn bereits vor der gesetzlichen Umsetzung eine gegenwärtige und unmittelbare Beschwer vorliegt. Eine abstrakte Normenkontrolle gegen die gesetzesvorbereitende Vereinbarung ist nur statthaft, wenn diese wie eine Rechtsnorm wirkt und dabei schon vor der gesetzlichen Umsetzung schwer reparable Folgen zu befürchten sind. Die konkrete Normenkontrolle ist bezogen auf gesetzesvorbereitende Vereinbarungen nicht anzuwenden.

III. Verwirkung von Rechtsbehelfen gegen das Umsetzungsgesetz Während die Rechtsbehelfe gegen die gesetzesvorbereitende Vereinbarung vor allem deshalb Probleme aufwerfen, weil sie zu einer Missachtung der präventiven Kontrollfunktion des Parlaments führen können, sind die Rechtsbehelfe gegen das Umsetzungsgesetz im Hinblick auf die vorrangige Kontrollfunktion des Bundestages unbedenklich. Nach gesetzlicher Umsetzung der Vereinbarung hat das Parlament seine Kontrollfunktion bereits 60 BVerfGE 10, 124 (125); Benda/Klein, Verfassungsprozessrecht, Rdnr. 769 f. m. w. N. 61 A. A. in Bezug auf die Voranwendung künftiger Gesetze: Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 272 f. 62 Vgl. BayVerfGHE 2, 61 (69); A. A. Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 272 f.

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7. Teil: Die Geltendmachung von Verfassungsverstößen

wahrgenommen. In Bezug auf die Rechtsbehelfe gegen das Umsetzungsgesetz stellt sich jedoch die Frage, ob die kooperative Gesetzesgenese auf die Zulässigkeit dieser Rechtsbehelfe Einfluss haben kann. In diesem Zusammenhang ist zu untersuchen, inwieweit eine Zustimmung zur Vereinbarung oder ein Unterlassen von Rechtsbehelfen gegen die Vereinbarung zur verfassungsprozessualen Verwirkung und zur Unzulässigkeit eines verfassungsprozessualen Rechtbehelfs gegen das Umsetzungsgesetz führen kann. 1. Verwirkung der Verfassungsbeschwerde der Vereinbarungspartner Das in einem Gentlemen’s Agreement erklärte Einverständnis der privaten Vereinbarungspartner ist mangels Rechtsbindungswillen nicht als bindender Klageverzicht einzustufen63. Dennoch ist nicht selbstverständlich, dass eine Klage der privaten Vereinbarungspartner gegen das Umsetzungsgesetz ohne weiteres möglich wäre. Das Einverständnis mit der Vereinbarung könnte vielmehr auf der tatsächlichen Ebene Beachtung finden und zu einer Verwirkung der Rechtsbehelfsmöglichkeiten durch tatsächliches Tun führen. Stimmt ein Grundrechtsträger einer gesetzesvorbereitenden Vereinbarung zu, so wäre es denkbar, seine Verfassungsbeschwerde gegen ein Umsetzungsgesetz als widersprüchliches Verhalten zu werten64. Die Verfassungsbeschwerde des zustimmenden Vereinbarungspartners könnte wegen prozessualer Verwirkung oder mangels Beschwer unzulässig sein65. Das Einverständnis der Privaten gegenüber dem Staat erfolgt jedoch, wie bereits mehrfach herausgestellt, in der Regel in einer komplexen Gemengelage aus Freiwilligkeits- und Zwangsmomenten66. Aus diesem Grund ist es problematisch, in einer zumindest teilweise unfreiwilligen Einverständniserklärung eine prozessuale Verwirkung zu sehen. Auf der materiell-rechtlichen Ebene wurde bereits gezeigt, dass das Einverständnis die Beeinträchti63 Zur Frage der Rechtsverbindlichkeit gesetzesvorbereitender Vereinbarungen: siehe oben 1. Teil A. I. 3 a). 64 Vgl. Kühne, Diskussionsbeitrag, Atomrechtstag 2000, S. 179; Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 305 (391 f.). 65 Vgl. BVerfG, 1 BvR 380/92 vom 24.6.1998, Absatz-Nr. 10 f.; allgemein zur Verwirkung: Stelkens/Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 53 Rdnr. 13 ff.; zur Frage der Unzulässigkeit von Rechtsbehelfen des privaten Vereinbarungspartners einer gesetzesvorbereitenden Vereinbarung: Huber, Konsensvereinbarungen, S. 329 (343); Böhm, NuR 2001, 61 (64); Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 305 (320); skeptisch gegenüber einer Unzulässigkeit: Sendler, Überlegungen, S. 185 (196); in Bezug auf den Atomausstieg differenzierend zwischen einer Verfassungsbeschwerde gegen das gesetzliche Neubauverbot und gegen die Laufzeitbegrenzung: Posser, in: Posser/Schmans/Müller-Dehn, AtG, § 7 Abs. 1 Rdnr. 110. 66 Siehe oben 1. Teil A. I. 3. c).

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gungsintensität von Grundrechtsverkürzungen zwar unter die Eingriffsschwelle absenken und auch bei der Prüfung des Übermaßverbots eine Rolle spielen kann. Dabei wurde aber auch deutlich, dass aufgrund eines Einverständnisses des Privaten nicht generell das Vorliegen einer Grundrechtsbeeinträchtigung negiert und die Verhältnismäßigkeit bejaht werden kann. Vielmehr kommt es auf das Gewicht des Einverständnisses im konkreten Fall an. Dementsprechend wurde festgestellt, dass das Einverständnis umso größeres Gewicht habe, je geringer die diesbezüglichen Zwangsmomente des Staates ausgeprägt waren67. Eine solche differenzierte und nuancierte Betrachtungsweise, die das Einverständnis des Privaten je nach Falllage gewichtet und in die Abwägung einstellt, ist jedoch im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung einer Verfassungsbeschwerde nicht möglich. Die Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde wegen Einverständnisses des privaten Vereinbarungspartners würde dazu führen, dass die differenzierte materielle Würdigung des Einverständnisses von vornherein abgeschnitten würde. Deshalb muss der Weg für eine am Einzelfall orientierte Berücksichtigung des Einverständnisses dadurch geöffnet werden, dass eine Verfassungsbeschwerde des zustimmenden Vereinbarungspartners zunächst als zulässig angesehen wird. Dessen Einverständnis ist dann auf der Begründetheitsebene unter Berücksichtigung des jeweiligen Zwangskontextes einzelfallbezogen zu gewichten und fallspezifisch zu würdigen68. Eine zur Unzulässigkeit führende prozessuale Verwirkung kann somit nicht angenommen werden69. Somit wären Verfassungsbeschwerden der an der Vereinbarung vom 14. Juni 2000 beteiligten Energieversorgungsunternehmen gegen das ausgehandelte Umsetzungsgesetz trotz Einverständnisses mit der gesetzesvorbereitenden Vereinbarung zulässig gewesen. Die Zustimmung zur Vereinbarung stellte keine prozessuale Verwirkung dar. Stattdessen wäre das faktische Einverständnis der beteiligten Energieversorgungsunternehmen im Rahmen der Begründetheitsprüfung bei der Frage zu würdigen gewesen, ob die Regelungen in der Atomgesetznovelle Grundrechtseingriffe oder eine schlichte Grundrechtsbeeinträchtigung darstellen70 und inwieweit Grundrechtseinschränkungen unter den konkreten Umständen erforderlich und angemessen waren71.

67 68

Siehe oben 4. Teil B. I. 3. b) cc) (1). Zu dieser differenzierten materiellen Würdigung: 4. Teil B. I. 3 b), 5. Teil D.

IV. 69 Vgl. zur Notwendigkeit eines besonderen Gewichts von Umständen, die als Verfahrenshindernisse eine differenzierte Würdigung auf der Begründetheitsebene vollständig abschneiden: BVerfG NJW 2003, 1577 (1583). 70 Siehe oben 4. Teil B. I. 3 b). 71 Siehe oben 5. Teil D. IV.

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7. Teil: Die Geltendmachung von Verfassungsverstößen

2. Verwirkung durch Bundesorgane oder Länder Bundesorgane oder Länder können verfassungsgerichtlich feststellen lassen, dass ihr Recht auf effektive Beteiligung an der Gesetzesvorbereitung verletzt wurde. Die darauf bezogenen Rechtsbehelfe sind jedoch von einer Normenkontrolle gegen das Umsetzungsgesetz unabhängig. In diesem Zusammenhang ist klarzustellen, dass das Unterlassen eines auf die gesetzesvorbereitenden Verhandlungen bezogenen Organsteitverfahrens oder eines diesbezüglichen Bund-Länder-Streits nicht dazu führt, dass eine Normenkontrolle des unterlassenden Antragstellers wegen Verwirkung unzulässig werden würde. Bei der abstrakten Normenkontrolle handelt es sich anders als beim Bund-Länder-Streit oder beim Bundesorganstreitverfahren nicht um ein kontradiktorisches, sondern um ein objektives Verfahren. Deshalb kann ein auf den eigenen Rechtskreis bezogenes Unterlassen von Rechtsbehelfen gegen die gesetzesvorbereitende Vereinbarung für die spätere abstrakte Normenkontrolle des Umsetzungsgesetzes keine Rolle spielen. Ein subjektives Rechtsschutzbedürfnis ist keine Zulässigkeitsvoraussetzung der Normenkontrolle72.

IV. Nachschieben von Gründen im Verfassungsprozess Nach der hier entwickelten Konzeption einer eigenständigen Kontrolle des gesetzgeberischen Abwägungsvorgangs kann ein Gesetz bereits deshalb verfassungswidrig sein, weil der Abwägungsvorgang defizitär war. Dabei muss jedoch auch eine Ergänzung und Heilung des Abwägungsmangels im verfassungsgerichtlichen Prozess in Betracht gezogen werden73. In diesem Zusammenhang taucht jedoch das Problem auf, dass eine nachträgliche Sachverhaltsermittlung und eine ergänzende Abwägung nur dann Defizite des materiellen Gesetzgebungsverfahrens auszugleichen vermag, wenn damit gerade der Abwägungsvorgang des Parlaments nachgebessert würde. Eine nachträgliche ergänzende Abwägung müsste folglich dem Bundestag zurechenbar sein74. Defizite der Abwägung werden nicht schon allein dadurch ausgeglichen, dass keine Initiative zur Änderung des fehlerhaft abgewogenen Gesetzes ergeht75. Das Unterlassen einer Änderungsinitiative wird zwar unter Um72 BVerfGE 1, 396 (407 f.); vgl. auch: BVerfGE 101, 158 (213); 100, 249 (258); 83, 37 (49); 52, 63 (80); Benda/Klein, Verfassungsprozessrecht, Rdnr. 735, 760. 73 Vgl. BVerfG, NJW 2003, 41 (54); Benda/Klein, Verfassungsprozessrecht, Rdnr. 203; Janz/Rademacher, NVwZ 2004, 186 f. 74 Vgl. BVerfGE 56, 298 (323). 75 Vgl. aber die problematische Argumentation in BVerfGE 19, 166 (177).

B. Informell-kooperative Gesetzgebung im Verfassungsprozess

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ständen von einer Abwägung der unterlassenden Initiativberechtigten begleitet sein. Diese Abwägung ist jedoch nicht Bestandteil des parlamentarischen Verfahrens. Sie verbleibt vielmehr außerhalb des Gesetzgebungsverfahrens, ist somit dem Parlament nicht als Gesamtheit zurechenbar und kann deshalb die Defizite des Gesetzgebungsverfahrens nicht heilen76. Eine dem Bundestag zurechenbare, nachträgliche Heilung des fehlerhaften Abwägungsvorgangs wäre jedoch durch eine ergänzende parlamentarische Erörterung denkbar. Das Parlament könnte eine umfassende Sachverhaltsermittlung mit Unterstützung durch die Exekutive nachholen und dann die Ergebnisse der ergänzenden Ermittlungen zum Gegenstand von Beratungen in den Fachausschüssen und einer öffentlichen Debatte machen. Aufgrund dieser nachträglichen Beratungen wäre dann zu entscheiden, ob Änderungen des Gesetzes initiiert werden sollen oder nicht. Das ergänzende Verfahren könnte mit einem schlichten Parlamentsbeschluss enden, der sicherstellt, dass die nachträgliche Abwägung der Parlamentsmehrheit zurechenbar ist. Dabei besteht jedoch die Gefahr, dass ein solches ergänzendes Verfahren wieder nur ein formelles Ritual darstellen wird. Die faktischen Bindungen werden die Nachbesserungsberatungen weiterhin prägen, so dass es nicht ohne weiteres zu einer substanziellen parlamentarischen Debatte im Nachhinein kommen wird77. Demnach reicht es nicht aus, dem Bundestag lediglich eine ergänzende parlamentarische Beratung aufzugeben. Das Umsetzungsgesetz muss vielmehr bei massiven Verstößen gegen das materielle Gesetzgebungsverfahren für nichtig erklärt werden, weil ihm die substanzielle Legitimation fehlt78. Erst die verfassungsgerichtliche Nichtigerklärung eröffnet den Weg für eine substanzielle gesetzgeberische Abwägung, die sich von den Bindungen an die Vereinbarung löst. Bezogen auf den Atomausstieg bedeutet dies, dass es nicht ausreicht, wenn die Prozessbevollmächtigten von Bundestag und Bundesregierung nachträglich die Abwägung des Bundestages mit eigenen Überlegungen ergänzen. Der Bundestag bessert die defizitäre Abwägung auch nicht dadurch nach, dass lediglich eine Änderung des Gesetzes unterlassen wird oder dass nachträglich eine abwägende Entschließung beschlossen wird. Das Bundesverfassungsgericht müsste vielmehr bei schweren Fehlern im Abwägungsvorgang, die gegenüber der Rechtssicherheit ein höheres Gewicht besitzen, das Gesetz für nichtig erklären, um damit den Weg für ein von faktischen Vorabbindungen gelöstes, substanzielles parlamentarisches Verfahren zu eröffnen.

76

Reicherzer, ZG 2004, 121 ff. Vgl. ThürVerfGH, NVwZ-RR 1997, 394 (395). 78 Zur insoweit notwendigen Abwägung des Verstoßes gegen das materielle Gesetzgebungsverfahren mit dem Gebot der Rechtssicherheit: siehe oben 6. Teil B. II. 77

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7. Teil: Die Geltendmachung von Verfassungsverstößen

C. Zusammenfassung Der einzelne Grundrechtsträger hat kein selbstständiges, von seinen Grundrechten abgekoppeltes Recht auf einen ordnungsgemäßen gesetzgeberischen Abwägungsvorgang. Beeinträchtigungen seiner Grundrechte sind jedoch nur insoweit zulässig, als die diesbezügliche Abwägung keine Fehler im Abwägungsvorgang aufweist. Gehen von der gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen bereits vor der gesetzlichen Umsetzung Beeinträchtigungen der eigenen Grundrechte aus, so können diese im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde des Grundrechtsträgers überprüft werden. Beschwerdeführer können auch die privaten Vereinbarungspartner sein. Diese haben ihr Recht zur Verfassungsbeschwerde nicht dadurch verwirkt, dass sie der Vereinbarung zugestimmt haben. An den gesetzesvorbereitenden Verhandlungen nicht beteiligte Grundrechtsträger können sich nicht über eine Verfassungsbeschwerde in die Verhandlungen hineinklagen. Ihnen bleibt lediglich die Möglichkeit, das Umsetzungsgesetz anzugreifen. Anders sieht es jedoch mit zu Unrecht von der Gesetzesvorbereitung ausgeschlossenen Bundesorganen oder Ländern aus. Diese können schon während der Gesetzesvorbereitung ihr Recht auf effektive Beteiligung im Rahmen eines Organstreitverfahrens bzw. eines BundLänder-Streits geltend machen. Unabhängig von diesen kontradiktorischen Verfahren ist die Möglichkeit der Überprüfung des Umsetzungsgesetzes im Wege der abstrakten Normenkontrolle. Auch die gesetzesvorbereitende Vereinbarung selbst kann in Ausnahmefällen Gegenstand einer abstrakten Normenkontrolle sein. Das setzt aber voraus, dass bereits vor der gesetzlichen Umsetzung allein auf Grund der Vereinbarung vollendete Tatsachen mit schwer reparablen Folgen zu befürchten sind. In Bezug auf ein Nachbessern der gesetzgeberischen Abwägung ist zu beachten, dass die Legitimation stiftende Mindestabwägung der gesetzesbeschließenden Mehrheit im Parlament zurechenbar sein muss. Von einem nachträglich ergänzenden parlamentarischen Verfahren ist indessen keine substanzielle Abwägung zu erwarten. Eine nachträgliche Ergänzung und Heilung des parlamentarischen Abwägungsvorgangs ist deshalb nicht möglich. Schwerwiegende Fehler im gesetzgeberischen Abwägungsvorgang führen vielmehr zur Nichtigkeit des Gesetzes.

8. Teil

Der relative Bestandsschutz vereinbarter Gesetze Die Bedeutung von gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen endet nicht mit In-Kraft-Treten des Umsetzungsgesetzes. Der kooperativen Gesetzesgenese kommt auch bei späteren Änderungen des ausgehandelten Gesetzes Bedeutung zu. Werden einzelne Teile des Umsetzungsgesetzes geändert, so kann eine solche sektorale Änderung des ausgehandelten Gesetzes zur Folge haben, dass das austarierte Austauschgefüge gestört und die verfassungsrechtliche Beurteilung des Gesetzes insgesamt verändert wird. Die gesetzesvorbereitende Vereinbarung begründet darüber hinaus unter Umständen auch ein schutzwürdiges Vertrauen auf den Fortbestand der ausgehandelten gesetzlichen Regelungen. Letzterer Gesichtspunkt könnte einer späteren Verschärfung des Umsetzungsgesetzes zu Lasten der Vereinbarungspartner entgegenwirken.

A. Sektorale Änderungen im Gesamtpaket Eine gesetzesvorbereitende Vereinbarung kann unterschiedliche Regelungen derart miteinander verklammern, dass die Angemessenheit der Grundrechtsbeeinträchtigung nicht mehr isoliert für jede einzelne Regelung, sondern nur in einer Gesamtschau des gesamten Regelungspakets beurteilt werden kann1. Bei ausgehandelten Gesetzen werden die ungünstigeren Regelungen in einem Bereich durch günstigere Regelungen in einem anderen Bereich ausgeglichen. Eine sektorale Änderung eines ausgehandelten Gesetzes führt dann dazu, dass auch die anderen Regelungen, die mit der geänderten Regelung in einem Kompensationszusammenhang stehen, aber selbst nicht geändert werden sollen, erneut auf ihre Angemessenheit zu prüfen sind. Aus dem Verklammerungseffekt gesetzesvorbereitender Vereinbarungen ergeben sich Abwägungspflichten des Gesetzgebers, die über die einzelne Änderung des Gesetzes hinausgehen. Durch ihre gegenseitige Verstrebung gewinnen die einzelnen Vereinbarungsteile an Stabilität gegenüber Gesetzesänderungen. 1 Zur Bedeutung des Kompensationszusammenhangs im Rahmen der Angemessenheitsprüfung: siehe oben 5. Teil D. IV. 1. a) cc) (1).

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8. Teil: Der relative Bestandsschutz vereinbarter Gesetze

Würde der Gesetzgeber beispielsweise die Restlaufzeiten einiger Kernkraftwerke in einer weiteren Atomgesetznovelle zusätzlich verkürzen, so könnte es sein, dass diese weitere Restlaufzeitverkürzung bezogen auf die jeweilige Anlage mit Art. 14 GG vereinbar wäre. Dann müsste jedoch auch noch geprüft werden, inwieweit die bisherige höhere Laufzeit dieser Anlage kürzere Laufzeiten bei anderen Anlagen ausgleichen sollte. Dementsprechend reicht es nicht aus, lediglich bezogen auf die einzelne Anlage die Verhältnismäßigkeit zu bejahen. Vielmehr muss gefragt werden, inwieweit die Verhältnismäßigkeit in Bezug auf den gesamten Anlagenpark eines Grundrechtsträgers gewahrt bleibt. Zwar ist Art. 14 GG grundsätzlich bezogen auf die einzelne Anlage anzuwenden2. Eine gesetzesvorbereitende Vereinbarung kann jedoch zur Folge haben, dass ein Kompensationszusammenhang unter den Anlagen hergestellt worden ist. Dieser Kompensationszuammenhang muss bei er verfassungsrechtlichen Prüfung von Gesetzesänderungen auch dann berücksichtigt werden, wenn nur ein Teil der vereinbarten gesetzlichen Regelungen geändert wird. Das hat zur Konsequenz, dass im Rahmen der Verfassungsbeschwerde eines Betreibers gegen eine nachträgliche gesetzliche Verkürzung der im Umsetzungsgesetz ursprünglich für ein bestimmtes Kraftwerk vorgesehenen Restlaufzeit nicht nur das betroffene Kernkraftwerk, sondern auch alle anderen Kernkraftwerke dieses Betreibers einbezogen werden müssen, obwohl deren vereinbarte Laufzeiten nicht geändert werden. Soweit der jeweilige Betreiber von einer Verfassungsbeschwerde gegen das ursprüngliche Gesetz nur deshalb abgesehen hat, weil er von einer bestimmten Gesamtlaufzeit aller seiner Anlagen ausgegangen ist, ist es sachgerecht, die anderen Kraftwerke dieses Betreibers bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung der Gesetzesänderung mit zu berücksichtigen.

B. Gesetzesänderung und Vertrauensschutz Gesetzesvorbereitende Absprachen implizieren typischerweise das Versprechen, das vereinbarte Gesetz in absehbarer Zeit nicht wieder abzuändern3. Als Bestandteil einer informellen Vereinbarung entfaltet auch dieses Unterlassungsversprechen zwar keine Rechtswirkungen und ist deshalb auch nicht als Unterlassungsanspruch einklagbar4. Andererseits kann aber auch eine rechtlich unverbindliche Vereinbarung, wie die bisherigen Ausführungen zeigen, bei der rechtlichen Prüfung als rechtlich relevante Tatsache eine Rolle spielen. Dies wirft die Frage auf, ob die gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen eine intensivierende Wirkung auf den grundrechtlichen bzw. rechtsstaatlichen Vertrauensschutz entfalten können5. Eine solche, den 2 Schutzobjekt des Art. 14 GG ist die Herrschaftsbefugnis an der jeweiligen Anlage: vgl. Papier, in: Maunz/Dürig, GG Bd. II, Art. 14 Rdnr. 8 ff.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 14 Rdnr. 16. 3 Zu diesem normimmanenten Kontinuitätsversprechen: siehe bereits oben 5. Teil D. III. 4. b) bb) (2) (b). 4 Zur Frage der Rechtsverbindlichkeit gesetzesvorbereitender Vereinbarungen: siehe oben 1. Teil A. I. 3. a).

B. Gesetzesänderung und Vertrauensschutz

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Vertrauensschutz intensivierende Wirkung von gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen wird dann relevant, wenn der Gesetzgeber vereinbarte und gesetzlich umgesetzte Rechtspositionen wieder durch Gesetzesänderung entziehen möchte und damit ein unter Umständen schutzwürdiges Vertrauen der privaten Kooperationspartner in den Fortbestand der vereinbarten Rechtslage enttäuscht6. Für den Fall des Atomausstiegs ist in diesem Zusammenhang von Interesse, ob das mit Privaten im Detail ausgehandelte Gesetz wie jedes andere abgeändert werden kann oder ob sich aus der konsensualen Entstehung gewisse Vertrauensschutzmomente zugunsten der privaten Vereinbarungspartner ergeben. Die Vereinbarung vom 14. Juni 2000 könnte sich trotz rechtlicher Unverbindlichkeit stabilisierend und kontinuitätssichernd auf das vereinbarte Atomgesetz auswirken.

I. Vertrauensschutz und Änderungssouveränität Bevor auf die Frage nach einem für gesetzesvorbereitende Vereinbarungen spezifischen Vertrauensschutz näher eingegangen wird, ist zunächst der verfassungsrechtliche Ausgangsbefund festzuhalten. Demnach gehört zur Demokratie, dass die Herrschaft der Gewählten zeitlich begrenzt ist. Dies macht aber nur Sinn, wenn die neu Gewählten die Möglichkeit haben, die Entscheidungen des Staates wieder zu ändern7. Zur repräsentativen Demokratie gehört, dass der Gesetzgeber seinen Willen wieder ändern, einer neuen Situation anpassen und dadurch die Rückbindung zum Staatsvolk aktualisieren und erneuern kann8. Dadurch wird die inhaltliche Komponente des Repräsentationsgedankens verwirklicht9. Eine strikte Bindung des Gesetzgebers an sein eigenes vorangegangenes Tun würde zu einer vom Grundgesetz nicht gewollten, übermäßigen Einengung der politischen Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers und zu einer Versteinerung der Rechtsordnung führen10. 5 Zum Verhältnis des aus den Grundrechten abgeleiteten Vertrauensschutzes zum aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Vertrauensschutz: Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Fragen eines Ausstiegs, S. 61 ff.; Muckel, Kriterien, S. 58, 64; Roller, verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen, S. 55 f. 6 Zum Zusammenhang von Vertrauen und Kooperation: Di Fabio, NVwZ 1999, 1153 (1157). 7 Vgl. BVerfGE 79, 311 (343). 8 Vgl. BVerfGE 105, 17 (40); Mußgnug, Diskussionsbeitrag, Staatsrechtslehrertagung 1982, S. 122. 9 Zum Begriff und zur Notwendigkeit inhaltlicher Repräsentation: Böckenförde, Mittelbare/repräsentative Demokratie, S. 318 ff. 10 Vgl. Schwarz, Vertrauensschutz, S. 297; Muckel, Kriterien, S. 22; Maurer, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 60 Rdnr. 56; zum Begriff der Diskontinuität im Zusammenhang mit einer Selbstbindung des Gesetzgebers: Pieroth, NJW 2000, 1086 (1087).

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8. Teil: Der relative Bestandsschutz vereinbarter Gesetze

Die grundsätzliche Souveränität des Gesetzgebers zur Änderung von Gesetzen findet jedoch im Rechtsstaatsprinzip und in den grundrechtlichen Freiheiten insoweit eine Grenze, als diese ein Mindestmaß an Kontinuität und Vertrauensschutz einfordern. Die Verlässlichkeit der Rechtsordnung ist eine Grundbedingung freiheitlicher Verfassungen11. Gesetze müssen für den Einzelnen ein Mindestmaß an Planungs- und Dispositionssicherheit für die Zukunft schaffen12. Es ist deshalb notwendig, bezogen auf den jeweiligen Regelungsbereich einen Ausgleich zwischen den Anforderungen einer innovationsfähigen Demokratie und dem von den Grundrechten sowie dem Rechtsstaatsprinzip geforderten Vertrauensschutz herzustellen13. Dabei ist das Ausmaß des zu erwartenden Vertrauensschadens des Einzelnen der Bedeutung des gesetzlichen Änderungsanliegens für das Wohl der Allgemeinheit gegenüberzustellen und abzuwägen14. Für die Beurteilung der Schutzwürdigkeit des Vertrauens in den Fortbestand der ausgehandelten gesetzlichen Regelungen spielt die vertrauensbildende Wirkung der gesetzesvorbereitenden Vereinbarung eine nicht unerhebliche Rolle.

II. Kooperation als faktische Vertrauensbasis Schutzwürdiges Vertrauen kann seine Grundlage nicht nur in rechtsverbindlichen Akten finden. Auch Umstände und Tätigkeiten, die aus sich heraus keine Rechtsbindungen erzeugen, können eine verfassungsrechtlich relevante Vertrauensbasis bilden. Es ist von einer vertrauensbildenden Kraft des Faktischen auszugehen15. Zwar besteht das rechtliche Sollen grundsätzlich unabhängig vom faktischen Sein, dennoch rezipiert das Recht beim Ver11

BVerfGE 105, 17 (36 f.). Vgl. Weber-Dürler, Vertrauensschutz, S. 281: „Die Verfassung beschränkt die ‚Änderungssouveränität‘ und errichtet einen Schutzwall gegen die gesteigerte Dynamik der Gesetzgebung, um das Individuum vor totaler Abhängigkeit zu bewahren und die freie Persönlichkeitsentfaltung in größtmöglichem Maß zu gewährleisten.“ Nach der hier vertretenen Saturierungskonzeption gewährleistet die Verfassung zwar kein Optimum an Persönlichkeitsentfaltung, dennoch ist ein Mindestmaß an Vertrauensschutz und Rechtssicherheit unabdingbar. 13 Das Spannungsverhältnis zwischen den divergierenden Verfassungswerten wird von BVerfGE 63, 343 (357) besonders deutlich beschrieben: „auf der einen Seite die Rechtssicherheit, hinter der letztlich der Freiheitswert steht – denn Verlässlichkeit der Rechtsordnung ist wesentliche Voraussetzung für Freiheit, das heisst die Selbstbestimmung über den eigenen Lebensentwurf und seinen Vollzug –; auf der anderen Seite die unabdingbare Notwendigkeit, die Rechtsordnung zu ändern, etwa Konjunktur-, Sozial-, Bildungs- und Gesellschaftspolitik betreiben zu können, um den Staat handlungsfähig gegenüber dem unvermeidlichen oder politisch gezielt gewollten Wandel der Lebensverhältnisse zu erhalten.“ 14 BVerfGE 89, 48 (66); 105, 17 (37, 43 f.); Maurer, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 60 Rdnr. 10; Muckel, Kriterien, S. 65 ff. 12

B. Gesetzesänderung und Vertrauensschutz

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trauensschutz die Faktizitäten, weil menschliches Vertrauen nicht nur auf Paragraphen, sondern vor allem auch auf den als real erfahrbaren Gewissheiten aufbaut16. Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht auch rechtlich unverbindlichen Äußerungen der Bundesregierung eine für den Vertrauensschutz relevante Wirkung entnommen17. Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen können zwar keinen einklagbaren Anspruch begründen, dass ein Gesetz unter keinen Umständen geändert werden darf18. Die faktische Verbindlichkeit gesetzesvorbereitender Vereinbarungen stellt jedoch eine gewisses Vertrauensmoment dar, das bei der Änderung von ausgehandelten Gesetzen im Rahmen der gesetzgeberischen Abwägung berücksichtigt werden muss19. Dieses für gesetzesvorbereitende Vereinbarungen spezifische Vertrauensmoment ist auf den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB analog) zu stützen. § 242 BGB ist eine Norm des allgemeinen Schuldrechts. Die bona fides hat zudem ihre historische Wurzel im Vertragsrecht20. Dementsprechend bildet der interpersonale Sonderkontakt das spezifische Charakteristikum des Gebotes von Treu und Glauben21. Ein Rechtsbindungswillen ist nicht unbedingt notwendig22. Der für rechtlich nicht verbindliche, gesetzesvorbereitende Vereinbarungen spezifische besondere Vertrauensschutz hat seine Wurzel im Koopera15 Vgl. Burmeister, Vertrauensschutz im Rechtsstaat, S. 158, 240; zur normativen Kraft des Faktischen: Zippelius, Rechtsphilosophie, § 6 VI., VII. (S. 42 ff.). 16 Skeptisch gegenüber einer „verfassungsbildenden Kraft des Faktischen“ äußern sich dagegen: Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, S. 384; Muckel, Kriterien, S. 27 f.; Leisner, Kontinuität als Verfassungsprinzip, S. 587 f. 17 Vgl. BVerfGE 105, 17 (38 f.); 97, 67 (70 f., 83 f.). 18 Zur Verfassungswidrigkeit rechtsverbindlicher Vereinbarungen: siehe oben 1. Teil A. I. 3 a) bb). 19 Vgl. BVerwG MDR 1970, 77 (78). 20 Mainka, Vertrauensschutz, S. 4 f. 21 Zur Frage, inwieweit eine Sonderverbindung Voraussetzung für den Grundsatz von Treu und Glauben ist: vgl. Palandt, BGB, § 242 Rdnr. 6; Weber-Dürler, Vertrauensschutz, S. 44 f., 278, 282; Schwarz, Vertrauensschutz, S. 141, der auf das Vorliegen eines „partnerschaftlichen Verhältnisses“ zwischen Individuum und Legislative abstellt; Mainka, Vertrauensschutz, S. 10 ff., erachtet für die Anwendung des Gebots von Treu und Glauben im öffentlichen Recht eine „gewisse Nähe“ zwischen Staat und Bürger für erforderlich: „Hierbei zeigt sich außerdem, dass auch heute noch das Hauptanwendungsgebiet der Generalklausel im Vertragsrecht liegt und ihre Heranziehung im öffentlichen Recht vor allem dort in Betracht kommt, wo ähnlich wie in zivilrechtlichen Vertragsverhältnissen unmittelbare, insbesondere auf Vertrauen beruhende Beziehungen der Behörde zum Staatsbürger bestehen.“ 22 Palandt, BGB, § 242 Rdnr. 6, Einl v § 241 Rdnr. 6.

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8. Teil: Der relative Bestandsschutz vereinbarter Gesetze

tionskontakt zwischen Staat und privaten Vereinbarungspartnern. Bei gesetzesvorbereitenden Verhandlungen mit Privaten begibt sich der Staat in eine besondere Nähebeziehung zu diesen. Da gesetzesvorbereitende Verhandlungen somit einen Sonderkontakt zwischen den Vereinbarungspartnern als faktische Vertrauensbasis herstellen, ist der Rechtsgedanke des § 242 BGB der richtige Anknüpfungspunkt, um dem besonderen Vertrauensschutz im Bereich von gesetzesvorbereitenden Verhandlungen und Vereinbarungen ein spezifisches normatives Erkennungszeichen zu verleihen. Diese besondere Facette des Vertrauensschutzes aus Kooperation tritt neben den allgemeinen rechtsstaatlichen Vertrauensschutz, der auch dann in der Beziehung Staat – Bürger anzuwenden ist, wenn kein von Verhandlungen geprägter Kooperationskontakt vorliegt23. Der allgemeine grundrechtliche und rechtsstaatliche Vertrauensschutz wird bei gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen durch einen kooperationsspezifischen Vertrauensschutz verstärkt. Die bona fides begründet im öffentlichen Recht eine besondere Art des rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes, der gerade dann zum Tragen kommt, wenn der Staat mit dem Bürger in einen zivilrechtsähnlichen Kooperationskontakt tritt24. Die Vereinbarung vom 14. Juni 2000 enthält das Versprechen der Bundesregierung, keine Initiativen zur Änderung der „Sicherheitsphilosophie“ zu ergreifen25. Die Bundesregierung hat den privaten Vereinbarungspartnern in der Vereinbarung „Produktionsrechte“ garantiert26. Die Garantie des geordneten Betriebs wurde im Sicherstellungszweck des § 1 Nr. 1 AtG gesetzlich umgesetzt. Darin soll gemäß Begründung der Gesetzesvorlage der verfassungsrechtlich geschützte Bestandsschutz der Betreiber zum Ausdruck kommen27. Die Begründung betont die Bedeutung von Rechts- und Planungssicherheit für die Unternehmen. Dafür solle die Vereinbarung zusammen mit dem Gesetz wichtige Voraussetzungen schaffen28. Deshalb impliziert die Vereinbarung in Verbindung mit dem Umsetzungsgesetz ein Versprechen der 23

Zum Nebeneinander des allgemeinen Vertrauensschutzes zwischen Staat und Bürger aus dem Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten einerseits und dem besonderen Vertrauensschutz unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben andererseits: vgl. Mainka, Vertrauensschutz, S. 46 f. 24 Der Grundsatz von Treu und Glauben ist ein überpositiver Rechtssatz, der zudem im Rechtsstaatsprinzip verwurzelt ist (BFHE 95, 245 (256)). Deshalb kann nicht eingewandt werden, dass der Gesetzgeber an § 242 BGB als Norm des einfachen Rechts nicht gebunden werden könne (vgl. aber: Schwarz, Vertrauensschutz, S. 138 ff.). Zur Kritik gegenüber einer Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben im öffentlichen Recht: vgl. Leisner, Kontinuität als Verfassungsprinzip, S. 512 ff., 665. 25 III. 1. der Vereinbarung. 26 Die Reststrommengen werden in II. 4. der Vereinbarung als „Produktionsrechte“ bezeichnet. 27 Begründung der Gesetzesvorlage, BT-Drs. 14/7261, 14/6890, S. 16. 28 Begründung der Gesetzesvorlage, BT-Drs. 14/7261, 14/6890, S. 16.

B. Gesetzesänderung und Vertrauensschutz

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Bundesregierung gegenüber den Energieversorgern, auf belastendere Regelungen zu verzichten29. Demnach können die Energieversorgungsunternehmen darauf vertrauen, dass der Gesetzgeber das von den Kernkraftwerken ausgehende Restrisiko während der gesamten Restlaufzeit als sozial adäquat hinnimmt30. Die Vereinbarung begründet eine Erwartung der Betreiber, dass eine weitere, lediglich politisch motivierte Verschärfung des Ausstiegs durch zusätzliche gesetzliche Laufzeitverkürzungen auf der Grundlage der zum Zeitpunkt der Unterzeichnung der Vereinbarung bekannten Tatsachen nicht vorgenommen wird. Dieses Versprechen der Bundesregierung ist zwar rechtlich unverbindlich. Es kann aber als faktischer Vertrauenstatbestand gewertet werden.

III. Rechtswidrige Vertrauensbasis Das Bundesverfassungsgericht entnimmt nicht nur solchen Äußerungen staatlicher Stellen eine vertrauenssrelevante Wirkung, die von dem Organ ausgehen, das für den Beschluss über die Rechtsnorm zuständig ist. Vielmehr können auch Berichte und Programme der Bundesregierung31, Äußerungen von Parlamentsausschüssen32 oder Satzungsrecht ohne parlamentsgesetzliche Ermächtigungsgrundlage33 das Vertrauen in das Fortbestehen einer bestimmten Rechtslage beeinflussen. Problematisch an einer vertrauensrelevanten Wirkung der Äußerungen staatlicher Stellen, die zur Entscheidung nicht befugt sind, ist allerdings, dass in diesen Äußerungen eine rechtswidrige Beeinträchtigung der Kompetenzordnung, der Gewaltenteilung und der Verfassungsorgantreue gesehen werden kann, sofern sie die Entscheidungsfreiheit des zur Entscheidung berechtigten Organs unzulässig faktisch präjudizieren34. Der Schutz des Vertrauens in rechtswidrige Zusagen staatlicher Stellen könnte die nach der Rechtsordnung nicht erwünschten Wirkungen dieser Äußerungen verstärken und verfestigen. Hier muss jedoch zwischen dem Vorliegen eines Vertrauenstatbestandes und der eventuellen Rechtswidrigkeit seiner Erzeugung unterschieden werden. Wird ein Vertrauenstatbestand rechtswidrig geschaffen, führt dies nicht 29

Ebenso: Langenfeld, DÖV 2000, 929 (936, 941). Vgl. Begründung der Gesetzesvorlage, BT-Drs. 14/7261, 14/6890, S. 14. 31 Subventionsbericht der Bundesregierung: BVerfGE 105, 17 (38 f.); Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung: BVerfGE 97, 67 (70 f., 83 f.). 32 Zur vertrauensrelevanten Wirkung von Ausschussberichten: BVerfGE 105, 17 (42 f.). 33 Zur vertrauensrelevanten Wirkung rechtswidriger Satzungen: BVerfGE 103, 392 (404). 34 Vgl. BVerfGE 97, 67 (83); 97, 67 (86 f.) – abw. M.; zu den Grenzen öffentlicher Vorfestlegung: siehe oben 4. Teil B. III. 1.; zur umfassenden Geltung der Kompetenzordnung im Bereich der informatorischen Staatsgewalt: siehe oben 2. Teil A. II. 2. 30

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8. Teil: Der relative Bestandsschutz vereinbarter Gesetze

automatisch dazu, dass der Vertrauenstatbestand völlig unbeachtlich wäre. Auch zur Entscheidung nicht zuständige öffentliche Stellen können durch ihre Äußerungen beim Bürger eine bestimmte Erwartungshaltung in den Fortbestand bestimmter Regelungen hervorrufen, weil der Bürger grundsätzlich darauf vertrauen darf, dass der Staat sich bei seinen Äußerungen an die Zuständigkeitsordnung hält und nicht in Kompetenzbereiche anderer Hoheitsträger übergreift. Auch verfassungswidrige Zusagen staatlicher Stellen können ein schutzwürdiges Vertrauen beim Bürger hervorrufen, sofern der Bürger sich auf die Verfassungsmäßigkeit staatlichen Handelns verlassen durfte35. Dementsprechend führen gesetzesvorbereitende Vereinbarungen auch dann zu einem Vertrauen der privaten Vereinbarungspartner in den Fortbestand der vereinbarten gesetzlichen Regelungen, wenn die Vereinbarung verfassungswidrig ist36. Der Schutz des Vertrauens in rechtswidrige Verhaltensweisen des Staates ist jedoch reduziert37. Dies muss in besonderem Maße bei Verfassungsverstößen gelten. Verfassungswidrige Äußerungen staatlicher Stellen begründen in erheblich geringerem Ausmaß ein schutzwürdiges Vertrauen als verfassungskonforme Äußerungen38. Es ist eine Abwägung zwischen dem Verfassungsverstoß und dem durch dieses Handeln hervorgerufenen Vertrauen notwendig39. Dabei kommt es auch darauf an, inwieweit die Privaten Vereinbarungspartner die Verfassungswidrigkeit des vertrauensbegründenden Verhaltens des Staates kennen konnten40. Je eher von den Privaten Kenntnis der Verfassungswidrigkeit der gesetzesvorbereitenden Vereinbarung erwartet werden durfte, desto stärker ist der Vertrauensschutz auf Grund des Verfassungsverstoßes reduziert41. Umgekehrt hat die Verfassungswidrigkeit dann weniger Vertrauensschutz reduzierende Wirkung, wenn die Privaten diese nur schwer erkennen konnten. 35

Vgl. BVerfGE 72, 200 (260); Ossenbühl, DÖV 1972, 25 (30); Muckel, Kriterien, S. 86 ff. 36 Zur Schutzwürdigkeit des vom Staat rechtswidrig geschaffenen Vertrauens: BVerfGE 59, 128 (166 ff.); 53, 115 (128); BVerwGE 91, 306 (312 f.). Dementsprechend schützt im Verwaltungsrecht § 48 VwVfG auch das vom Staat rechtswidrig erzeugte Vertrauen. Der Vergleich mit dem Verwaltungsrecht liegt beim Atomausstieg insbesondere deshalb nahe, weil das Umsetzungsgesetz in den Anlagen 3 und 4 verwaltungsaktähnliche, konkret-individuelle Regelungen bezogen auf jedes einzelne Kernkraftwerk enthält. A. A. zur verfassungsrechtlichen Schutzwürdigkeit des Vertrauens in einen verfassungswidrigen Vertrauenstatbestand: Schwarz, Vertrauensschutz, S. 561. 37 Vgl. BVerfGE 13, 261 (272); Mainka, Vertrauensschutz, S. 13. 38 Vgl. den Unterschied zwischen § 48 VwVfG und § 49 VwVfG. 39 Vgl. das Regelungsmodell des § 48 Abs. 2 VwVfG. 40 Vgl. BVerfGE 22, 330 (347 f.); Weber-Dürler, Vertrauensschutz, S. 278; Muckel, Kriterien, S. 92, der allerdings auf positive Kenntnis abstellt.

B. Gesetzesänderung und Vertrauensschutz

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Im Zweifel ist von der Schutzwürdigkeit des Vertrauens des Grundrechtsträgers auszugehen. Die Funktionsfähigkeit der Rechtsordnung setzt voraus, dass die Bürger darauf vertrauen, dass die Gesetze in Einklang mit der Verfassung vorbereitet und erlassen werden. Der Vertrauensschutz ist insoweit die Kehrseite der Gehorsamspflicht des Bürgers gegenüber dem staatlich gesetzten Recht42. Dem einzelnen Grundrechtsträger muss es möglich sein, sich auf den verfassungsrechtlichen Sachverstand der Staatsorgane zu verlassen43. Deshalb dürfen die privaten Vereinbarungspartner im Zweifel von der Verfassungsmäßigkeit der Vereinbarung ausgehen und auf die darin enthaltenen Zusagen des Staates vertrauen44. Die Vereinbarung vom 14. Juni 2000 ist in Verhandlungen zu Stande gekommen, die gegen die grundgesetzlichen Mindestanforderungen an die gesetzesvorbereitende Staatsgewalt verstießen45. Die verletzten grundgesetzlichen Anforderungen wurzeln in den grundlegenden Verfassungsprinzipien der Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung und haben deshalb besonderes Gewicht. Sie können den Vertrauensschutz in die verfassungswidrige Vereinbarung erheblich absenken. Die Verfassungswidrigkeit der Verhandlungen und der Vereinbarung war indessen für die Energieversorgungsunternehmen nur schwer zu erkennen. Die verfassungsrechtlichen Experten äußerten in der Anhörung des Bundestages zwar zum Teil gewisse Bedenken46. Letztlich zog jedoch keiner der Experten die Schlussfolgerung, dass die Bundesregierung gegen das Grundgesetz verstoßen hätte47. Dementsprechend machte auch die Opposition in ihrem Entschließungsantrag keine verfassungsrechtlichen, sondern lediglich verfassungspolitische Bedenken geltend48. Die im 41 Vgl. § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 VwVfG; zur mangelnden Schutzwürdigkeit bei Vorhersehbarkeit der Gesetzesänderung: vgl. Maurer, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 60 Rdnr. 52. 42 Vgl. BVerfGE 53, 115 (128); Mainka, Vertrauensschutz, S. 22. 43 Vgl. zur Vermutung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen: BVerfGE 2, 266 (282); 9, 338 (350); Böckenförde, Die sogenannte Nichtigkeit, S. 111 ff. 44 Vgl. auch die objektive Beweislastverteilung bei § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 VwVfG, die dazu führt, dass im Falle eines Non-liquet der Vertrauensschutz gegeben ist (siehe hierzu: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 24 Rdnr. 39 ff., § 48 Rdnr. 155 m. w. N.). 45 Siehe oben 4. Teil C. III. 46 Siehe Hermes, A.-Sten. Prot. 14/69 (Umweltausschuss), S. 35, der von einem „verfassungsrechtlich unangenehmen Beigeschmack“ sprach. Auch Schmidt-Preuß, A.-Sten. Prot. 14/69 (Umweltausschuss), S.36, äußerte gewisse Bedenken hinsichtlich des Procedere der Atomausstiegsgesetzgebung. 47 Hermes, A.-Sten. Prot. 14/69 (Umweltausschuss), S. 35; ders., A.-Drs. 14/626, Teil 5** (Umweltausschuss), S. 3 (8 f.); Schmidt-Preuß, A.-Sten. Prot. 14/69 (Umweltausschuss), S. 36; ders., A.-Drs. 14/626, Teil 5** (Umweltausschuss), S. 10 (12); Denninger, A.-Drs. 14/626, Teil 2** (Umweltausschuss), S. 2 (3 ff.); de Witt, A.-Sten Prot. 14/69 (Umweltausschuss), S. 35; ders., A.-Drs. 14/626, Teil 7** (Umweltausschuss), S. 2 (3 f.). 48 BT-Drs. 14/6886, S. 1.

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8. Teil: Der relative Bestandsschutz vereinbarter Gesetze

Rahmen des 11. Atomrechtssymposiums und auf dem Deutschen Atomrechtstag 2000 vereinzelt geäußerten kritischen Stimmen49, 50 ließen noch keinen eindeutigen Schluss auf die Verfassungswidrigkeit zu. Die Energieversorgungsunternehmen durften deshalb im Zweifel auf den staatsrechtlichen Sachverstand der Bundesregierung vertrauen und von der Verfassungsmäßigkeit der Vereinbarung vom 14. Juni 2000 ausgehen. In der verfassungswidrigen Vereinbarung zum Atomausstieg ist trotz gravierender Verfassungsverstöße ein gewisser Vertrauenstatbestand zugunsten der insoweit schutzwürdigen Energieversorgungsunternehmen zu sehen, der künftigen Änderungen des Atomgesetzes zu deren Lasten entgegenwirkt.

IV. Abwägung von Vertrauen und Innovation Ändert der Gesetzgeber ein mit Privaten im Detail ausgehandeltes Gesetz und begründet die gesetzesvorbereitende Vereinbarung ein schutzwürdiges Vertrauen in den Fortbestand des Gesetzes, so muss der Vertrauensschutz mit den Gemeinwohlgründen abgewogen werden, die die Änderung begründen. Es ist ein Ausgleich zwischen der demokratischen Änderungsautonomie des Gesetzgebers und dem Vertrauensschutz bezogen auf den jeweiligen Regelungsbereich herzustellen51. Dabei stellen die Intensität der faktischen Bindung der jeweiligen Vereinbarung, das unmittelbar betätigte Vertrauen, eine explizite Normierung des Bestandsschutzes im ausgehandelten Gesetz sowie der Charakter eines Gesetzes als Übergangsregelung entscheidende Parameter zur Beurteilung des Gewichtes des Vertrauensschutzes dar. Den Gründen für die Gesetzesänderung kann ein erhöhtes Gewicht beigemessen werden, wenn die Änderung verfassungs- oder europarechtlich geboten ist. 1. Intensität der faktischen Bindung der Vereinbarung Der Vertrauensschutz hat umso mehr Gewicht, je intensivere faktische Bindungen durch die gesetzesvorbereitenden Verhandlungen und Vereinbarungen erzeugt wurden. Insoweit ist auf die eingangs beschriebene Konturierung und Skalierung der Intensität der gesetzesvorbereitenden Staatsgewalt zurückzugreifen52, 53. Ist der Charakter einer Vereinbarung als gesetzesvorbereitende Staatsgewalt deutlich ausgeprägt gewesen, so kommt dem 49 Huber, Konsensvereinbarungen, S. 329 ff.; Degenhart, Bundes- und länderfreundliches Verhalten, S. 369 ff. 50 Huber, Entsorgung als Staatsaufgabe, S. 149 (153 ff.); Sendler, Überlegungen, S. 185 (186 ff.). 51 Vgl. Weber-Dürler, Vertrauensschutz, S. 279. 52 Siehe oben 2. Teil A. III. 2., 1. Teil A. I. 3. b) dd). 53 Zur Finalität und zum synallagmatischen Charakter einer gesetzlichen Regelung als Vertrauen begründendes Element: BVerfGE 105, 17 (38 f.); Schwarz, Vertrauensschutz, S. 299 ff.

B. Gesetzesänderung und Vertrauensschutz

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Versprechen, eine Gesetzesverschärfung in absehbarer Zeit zu unterlassen, ein höheres Gewicht zu. Die Vereinbarung vom 14. Juni 2000 führte zu besonders intensiven synallagmatischen faktischen Bindungen54. Dies wird das Gewicht ihres vertrauensbildenden Gehaltes in einer Abwägung mit einem künftigen Willen des Gesetzgebers, das vereinbarte Gesetz wieder zu ändern, erhöhen. Die gesetzesvorbereitende Vereinbarung hat zur Folge, dass eine Abänderung des ausgehandelten Gesetzes zu Lasten der privaten Vereinbarungspartner erschwert wird.

2. Betätigung des Vertrauens in die vereinbarte Rechtslage Der Vertrauensschutz wiegt bei der Abwägung schwerer, wenn bereits Investitionen im Vertrauen auf den Fortbestand der Rechtslage geleistet wurden55. Je enger realisierte Vertrauensdispositionen mit einer vereinbarten Regelung zusammenhängen, desto stärker erhöhen sie das Gewicht des Vertrauensschutzes in die vereinbarte Regelung. Dem unmittelbar realisierten Vertrauen kommt höheres Gewicht in der Abwägung zu als der lediglich mittelbaren Vertrauensbetätigung. Somit zeigt sich in der Nähe der Vertrauensbetätigung zur Vertrauensnorm ein Abwägungsmoment. Für eine künftige gesetzliche Verschärfung der Laufzeiten von Kernkraftwerken ist von Bedeutung, dass die Betreiber ihre Investitionen in den Kraftwerkspark in Zukunft an den gesetzlich garantierten Restlaufzeiten ausrichten werden56. Investiert ein Betreiber in ein bestimmtes Kraftwerk unter Berücksichtigung der für dieses konkrete Kraftwerk vorgesehenen Restlaufzeit, so erhöht diese Vertrauensbetätigung das Gewicht des Bestandsschutzes gegenüber einer weiteren Laufzeitverkürzung dieses Kraftwerks. Demgegenüber können Investitionen in andere Kraftwerke zwar auch übertragbare Strommengen berücksichtigen, die sich nicht auf das konkrete Investitionsobjekt beziehen. Diese lediglich mittelbare Vertrauensbestätigung hat jedoch in der Abwägung geringeres Gewicht.

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Siehe oben 1. Teil A. I. 3. b) dd) (4). Vgl. BVerfG, 1 BvR 2146/94 vom 22.4.1998, Absatz-Nr. 39, 45; Weber-Dürler, Vertrauensschutz, S. 278. Zur Frage, inwieweit der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz nur Anwendung findet, wenn das Vertrauen bereits betätigt wurde: Leisner, Kontinuität als Verfassungsprinzip, S. 469 ff. m. w. N.; Muckel, Kriterien, S. 96 ff.; Schwarz, Vertrauensschutz, S. 307 ff. M. E. handelt es sich dabei aber eher um ein theoretisches Problem, weil zumindest mittelbare Vertrauensbetätigungen in den meisten Fällen vorliegen werden, wobei diesen jedoch in der Abwägung nur geringeres Gewicht zukommen kann als der unmittelbaren Vertrauensbetätigung. 56 Zur Laufzeitabhängigkeit des Investitionsaufwandes: siehe oben 5. Teil D. III. 4. b) bb) (2) (c). 55

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8. Teil: Der relative Bestandsschutz vereinbarter Gesetze

3. Gesetzliche Umsetzung des vereinbarten Bestandsschutzes Der aus der Vereinbarung herrührende Vertrauensschutz der Vereinbarungspartner erhält zudem ein höheres Gewicht, wenn er einen spezifischen Niederschlag im Gesetzestext findet. Das kann beispielsweise dadurch geschehen, dass das Gesetz den Zweck des Bestandsschutzes explizit nennt. Durch eine solche explizite Normierung des aus der Vereinbarung herrührenden Vertrauensschutzes im Parlamentsgesetz wird die Zusage der Bundesregierung, das Gesetz in absehbarer Zeit nicht zu Lasten der Vereinbarungspartner ändern zu wollen, mit der besonderen Legitimation des parlamentarischen Verfahrens verbunden und dadurch verstärkt57. Die explizite gesetzliche Umsetzung des vereinbarten Bestandsschutzes führt zu einem qualifizierten kooperationsspezifischen Vertrauensschutz. Beim Atomausstieg hat der Gesetzgeber den in der Vereinbarung enthaltenen Bestandsschutz explizit in das Umsetzungsgesetz aufgenommen, indem er in § 1 Nr. 1 AtG den Sicherstellungszweck normiert hat, der den geordneten Betrieb während der Restlaufzeit gewährleisten soll. Damit wird der faktische Bestandsschutz des Gentlemen’s Agreement rechtlich transformiert. Der Sicherstellungszweck konkretisiert den verfassungsrechtlichen Bestandsschutz der Betreiber58. § 1 Nr. 1 AtG verfestigt die grundrechtlichen Positionen der Betreiber gegenüber künftigen Verschärfungen des Atomgesetzes. Zwar kann das Atomgesetz vom Gesetzgeber bei entsprechender Abwägung wieder geändert werden. Dennoch verstärkt die gesetzliche Normierung des Sicherstellungszwecks das Gewicht des Bestandsschutzes der Betreiber bei der Abwägung mit Gründen, die für eine weitere Verschärfung ins Feld geführt werden könnten.

4. Charakter des ausgehandelten Gesetzes als Übergangsregelung Wurde in einer gesetzesvorbereitenden Vereinbarung bereits eine Übergangsregelung vereinbart, so ist eine erneute Änderung dieser befristeten Übergangsregelung zu Lasten der Privaten nur unter erschwerten Voraussetzungen möglich59. Übergangsregelungen können eine besondere Zusiche57 Selbst wenn das Gesetzgebungsverfahren im Hinblick auf die materielle Legitimation wegen der faktischen Bindungen der Vereinbarung weitgehend entwertet wurde, wird doch jedenfalls die formale Legitimation durch die gesetzliche Umsetzung der vertrauensbegründenden Vereinbarung gesteigert. Auch dies verstärkt den in der Vereinbarung enthaltenen Vertrauenstatbestand. 58 Begründung der Gesetzesvorlage, BT-Drs. 14/7261, 14/6890, S. 16. 59 Vgl. Maurer, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 60 Rdnr. 58 ff. Nach Maurer muss sich jedoch die Kontinuitätszusicherung des Gesetzgebers aus dem Gesetz selbst ergeben. Aus Vorfeldabsprachen der Regierung könnte allenfalls ein Schadensersatzanspruch abgeleitet werden. Dem ist jedenfalls insoweit zu wider-

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rung der Kontinuität der Rechtslage für die Übergangszeit implizieren60. Die Übergangsregelung stellt vor allem dann einen besonderen Vertrauenstatbestand dar, wenn sie ausgehandelt wurde und damit Teil eines faktischen Synallagmas ist61. Das Gesetz darf in Bezug auf eine ausgehandelte Übergangsregelung nur insoweit erneut geändert werden, als ein dringendes öffentliches Interesse die nochmalige Änderung des Gesetzes rechtfertigt62. Das dringende öffentliche Interesse muss im Gesetzgebungsverfahren substanziiert darlegt werden und aus den Gesetzesmaterialien ersichtlich sein63. Ein nicht näher begründeter, rein politisch motivierter Wille, die frühere Entscheidung wieder revidieren zu wollen, genügt bei ausgehandelten Übergangsregelungen hingegen nicht mehr64. Insoweit statuiert das Kooperationsprinzip Grenzen einer nochmaligen, weiteren Belastung des privaten Vereinbarungspartners65. Die beim Atomausstieg vereinbarten Restlaufzeiten stellen Übergangsregelungen dar, mit denen der Ausstieg aus der Kernenergienutzung mit den Eigentumsinteressen in Einklang gebracht werden soll. Zudem wird eine Vertrauensbasis für künftige Nachrüstungsinvestitionen geschaffen. Im Lichte des Sicherstellungszwecks des § 1 Nr. 1 AtG sind die Kontingente nicht nur als Maximallaufzeiten zu verstehen, die ohne weiteres nochmals verkürzt werden könnten. Vielmehr sollen die Laufzeiten eine langfristige Planungsgrundlage für die Betreiber schaffen66. Die gesetzlich garantierten Laufzeiten sind zwar keine absoluten Betriebsgarantien67. Sie stellen jedoch vertrauensschützende Abwägungsmomente bei einer Gesetzesänderung dar. Dies bedeutet, dass der Atomgesetzgeber eine neuerliche Laufzeitverkürzung nur unter erschwerten Voraussetzungen vornehmen dürfte. Es müsste eine Veränderung der Sachlage und ein besonders gewichtiges, objektivierbares öffentliches Interesse dargelegt werden, das es rechtfertigt, von den vereinbarten Laufzeiten wieder abzusprechen, als sich den Gesetzesmaterialien entnehmen lässt, dass das Parlament eine gesetzesvorbereitende Vereinbarung umsetzen wollte, die eine entsprechende Kontinuitätszusage enthält. 60 Vgl. BVerfGE 30, 392 (404); BFHE 95, 245 (254); Weber-Dürler, Vertrauensschutz, S. 277; Leisner, Kontinuität als Verfassungsprinzip, S. 580 ff. 61 Vgl. Schwarz, Vertrauensschutz, S. 299 ff. 62 Vgl. BVerfGE 102, 68 (97 f.): Nach dieser Entscheidung ist für eine Änderung einer Übergangsregelung erforderlich, dass ohne eine solche Änderung „schwere Nachteile für wichtige Gemeinschaftsgüter“ zu erwarten seien. 63 Zur Dokumentation der gesetzgeberischen Abwägung: siehe 5. Teil D. III. 4. b) cc). 64 Vgl. Maurer, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 60 Rdnr. 59, der für eine Änderung befristeter Regelungen eine wesentliche Änderung der Verhältnisse und eine erhebliche Beeinträchtigung öffentlicher Interessen für den Fall des Fortbestandes der befristeten Regelung fordert. 65 Vgl. Huber, Entsorgung als Staatsaufgabe, S. 149 (163). 66 Begründung der Gesetzesvorlage, BT-Drs. 14/7261, 14/6890, S. 16; Trittin, Der Ausstieg, S. 17 (18); Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 305 (311). 67 De Witt, A.-Drs. 14/626 Teil 7** (Umweltausschuss), S. 2 (7).

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8. Teil: Der relative Bestandsschutz vereinbarter Gesetze

rücken, wohingegen lediglich eine neuerliche politische Neubewertung nicht mehr ausreichen würde68.

5. Verfassungs- und europarechtliche Änderungsgründe Der Vertrauensschutz kann durch entsprechend gewichtige Gemeinwohlbelange überwunden werden. Besonderes Gewicht haben dabei solche Gemeinwohlbelange, die eine verfassungsrechtliche oder europarechtliche Grundlage haben69. Zu denken ist hier insbesondere daran, dass die grundgesetzlichen Schutzpflichten, Staatsziele oder europarechtliche Vorgaben eine Änderung der bisherigen Rechtslage erfordern können70. Würde sich aus den grundrechtlichen Schutzpflichten ergeben, dass die Kernkraftwerke schneller als bisher abgeschaltet werden müssen, so hätte dieser Gemeinwohlbelang in jedem Fall Vorrang vor dem Bestandsschutzinteresse der Betreiber. Der durch die Vereinbarung vermittelte Vertrauensschutz in den Fortbestand der Rechtslage müsste zurücktreten.

C. Ergebnis Das Aushandeln von Gesetzen mit Privaten kann ein gesteigertes Vertrauen der privaten Vereinbarungspartner in den Fortbestand der gesetzlichen Regelungen begründen. Dieser kooperationsspezifische Vertrauensschutz findet im Grundsatz von Treu und Glauben seine normative Grundlage. Kooperationsspezifischer Vertrauensschutz und die Gründe für die Änderung des ausgehandelten Gesetzes sind bezogen auf das jeweilige Regelungsvorhaben miteinander abzuwägen, um damit den notwendigen Ausgleich zwischen demokratischer Innovation und rechtsstaatlicher Verlässlichkeit der Rechtsordnung herzustellen. Das jeweilige Gewicht des Vertrauensschutzes hängt davon ab, mit welcher Intensität die gesetzesvorbereitende Vereinbarung faktische Bindungen entwickelt hat und ob von den privaten Vereinbarungspartnern Vertrauensinvestitionen mit unmittelbarem Bezug zu den vereinbarten Regelungen geleistet wurden. Zudem spielt eine Rolle, inwieweit die Vereinbarung verfas68 Vgl. Di Fabio, NVwZ 1999, 1153 (1157): „Wer einmal sich zur Kooperation entschieden hat, soll nicht hoheitlich umschalten oder draufsatteln dürfen, . . .“; Hennenhöfer, in: Posser/Schmans/Müller-Dehn, AtG, Einführung, S. 13; a. A. wohl Renneberg, Das Gesetz zur Beendigung, S. 34 f.: „Die Frage, ob die Nutzung der Atomenergie nun früher beendet werden soll, ist keine rechtliche, sondern eine politische Frage und muss vom Parlament entschieden werden.“ 69 Vgl. BVerfGE 97, 271 (289 ff.); BVerfG NJW 2000, 2015; BVerwGE 92, 81 (85 f.). 70 Vgl. Mainka, Vertrauensschutz, S. 42; Weber-Dürler, Vertrauensschutz, S. 279.

C. Ergebnis

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sungsgemäß war und inwieweit die Privaten diesbezügliche Verfassungsverstöße kennen konnten. Der kooperationsspezifische Vertrauensschutz in den Fortbestand einer gesetzlichen Regelung wird dadurch zusätzlich verstärkt, dass der vereinbarte Bestandsschutz Niederschlag im Umsetzungsgesetz findet. Des Weiteren genießen ausgehandelte Normen, die die Funktion von Übergangsregelungen haben, gesteigerten Vertrauensschutz. Auf der anderen Seite wird das Gewicht der Gründe für die Gesetzesänderung vergrößert, wenn diese einen verfassungsrechtlichen Bezug zu Staatzielen oder Schutzpflichten aufweisen oder europarechtlich fundiert sind. Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen können das Vertrauen in den Fortbestand des ausgehandelten Gesetzes stabilisieren. Sie verklammern zudem unterschiedliche Regelungsbereiche eines Gesetzes derart, dass sektorale Änderungen erschwert werden. Insoweit begründen diese Vereinbarungen zwar kein absolutes Verbot, ausgehandelte Gesetz zu ändern. Sie führen jedoch zu einem abwägungsfähigen, relativen Bestandsschutz vereinbarter Gesetze.

9. Teil

Das Prinzip der Authentizität und Eigenverantwortung Im Nachfolgenden soll versucht werden, die bisherigen verfassungsrechtlichen Überlegungen zur gesetzesvorbereitenden Staatsgewalt und zu deren parlamentsgesetzlicher Umsetzung unter dem gemeinsamen gedanklichen Dach der Authentizität der Gesetzgebung und der Eigenverantwortung der Gesetzgebungsorgane zusammenzufassen. Das Erfordernis der Authentizität und Eigenverantwortung soll als Rechtsprinzip der Verfassung mit dem Kooperationsprinzip konfrontiert werden. Es bündelt die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die informell-kooperative Gesetzgebung.

A. Gewissen und Gemeinwohlbindung Nach Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG sind die Abgeordneten des Bundestages Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen. Die Mitglieder der Bundesregierung verpflichten sich im Amtseid nach Art. 56, 64 Abs. 2 GG, ihre Kraft dem Wohle des deutschen Volkes zu widmen und die aus dem Grundgesetz erwachsenden Pflichten gewissenhaft zu erfüllen. Die Bestimmungen der Art. 38 Abs. 1 Satz 2 und 56, 64 Abs. 2 GG haben unter zwei Gesichtpunkten Gemeinsamkeiten. Zum einen wird der Mandats- bzw. Amtsträger auf das gesamte deutsche Volk verpflichtet1. Dies steht im Gegensatz zur Privilegierung einzelner Partikularinteressen2. Zum anderen halten die genannten Vorschriften zur gewissenhaften Erfüllung der verfassungsmäßigen Aufgaben an3. 1 Vgl. Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG Bd. II, Art. 20 Abs. 1 Rdnr. 71. 2 Vgl. BVerfGE 40, 296 (313): „Die Gefahr einer Beeinträchtigung der Unabhängigkeit des Abgeordneten droht heute nicht mehr vom Staat, sondern eher von der politischen Partei, der er angehört, und vor allem von einflussreichen Gruppen der Gesellschaft.“ Siehe auch v. Arnim, Gemeinwohl, S. 388 ff. 3 Vgl. Klein, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. II, 2. Aufl., § 41 Rdnr. 15: Das freie Mandat hat die Funktion, „den Abgeordneten unter den dauernden Druck eines moralisch-rechtlichen Appells an die Gewissenhaftigkeit seiner politischen Überzeugungsbildung zu setzen.“

A. Gewissen und Gemeinwohlbindung

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Dabei ist hervorzuheben, dass das Grundgesetz sowohl die Abgeordneten des Bundestages in Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG als auch den Bundeskanzler und die Bundesminister in Art. 56, 64 Abs. 2 GG je für sich in die Pflicht nimmt. In dieser Inpflichtnahme der einzelnen Mitglieder jedes Verfassungsorgans kommt zum Ausdruck, dass in jedem Verfassungsorgan eine eigenständige Meinungs- und Gewissensbildung stattfinden muss. Damit ist eine unkritische Übernahme von ausgehandelten Vereinbarungen nicht vereinbar. Vielmehr geht das Grundgesetz von der Eigenverantwortlichkeit der einzelnen Verfassungsorgane aus. Die Verpflichtung auf das gesamte Volk und die Eigenständigkeit der Gemeinwohlverantwortung in den jeweiligen Verfassungsorganen bekommen durch die Verbindung mit dem Gewissensbegriff in Art. 38 Abs. 1 Satz 2 und 56, 64 Abs. 2 GG besonderes Gewicht und Tiefe. Das Gewissen ist etwas Höchstpersönliches. Es fordert eine eigenständige, kritische Entscheidungsfindung ein. Als Gegenteil einer gewissenhaften Erfüllung der eigenen Aufgaben kann ein Dienst an der Verfassung nach Vorschrift angesehen werden. Bei diesem wird zwar der Wortlaut des Grundgesetzes formal eingehalten. Die Verfassung wird aber nicht so angewandt, dass ihr Sinn und Zweck ausreichend zum Tragen kommt. Es fehlt gerade die Ernsthaftigkeit und Tiefe der Verfassungsanwendung, die den materiellen Sinn der Verfassung wirksam werden lässt. Die Verfassung muss Wirklichkeit sein und stets aufs Neue wirklich werden; sie muss effektiv sein. Dann aber darf auch das Gesetzgebungsverfahren nicht zur bloßen Inszenierung degenerieren. Vielmehr hat das Gesetzgebungsverfahren als Verfahren der Legitimation der Gesetze zu überzeugen, um das für die Lebensfähigkeit des Gemeinwesens notwendige Vertrauen und Rechtsbewusstsein zu erhalten bzw. wiederherzustellen4. Die von Art. 38 Abs. 1 Satz 2 und 56, 64 Abs. 2 GG eingeforderte Gewissensbildung begnügt sich nicht mit dem formalen Gehorsam gegenüber der Verfassung, vielmehr fordert sie den Geist der Verfassung substanziell zu realisieren. Die Gewissensbildung in jedem einzelnen Verfassungsorgan hat sich am funktionsspezifischen Auftrag des jeweiligen Organs zu orientieren. Nach den Art. 38 Abs. 1 Satz 2, 56, 64 Abs. 2 GG ist jedes Verfassungsorgan zur substanziellen Erfüllung seines funktionsspezifischen Verfassungsauftrages verpflichtet. Die Staatsorgane müssen sich für den Geist der Verfassung und 4 Vgl. Schneider, Der Niedergang, S. 421 ff., 443; Hufen, Über Grundlagengesetze, S. 11 (80). Eine Tendenz zur Abnahme des Rechtsbewusstseins der Bürger stellt Zeh, Impulse und Initiativen, S. 33 (45), fest. Zur Bedeutung der Vertrauenswürdigkeit der staatlichen Institutionen: BVerfGE 40, 296 (327); Borner, Institutionenökonomie, S. 79 (85 f.).

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9. Teil: Das Prinzip der Authentizität und Eigenverantwortung

für das Gemeinwohl substanziell einsetzen, auch wenn dies nur teilweise justiziabel ist5. Unter Rückgriff auf eine Formulierung von Isensee ist darauf hinzuweisen, dass das freie Mandat und der Amtseid nicht nur salbungsvolle Worte einer „Pastorenverfassung“ sind6. Vielmehr kommt in ihnen in gewissem Maße auch ein juristischer Mindestgehalt zum Vorschein7.

B. Authentizität als organübergreifender Rechtsgedanke Der Forderung nach einer Gesetzgebung, die ihre verfassungsrechtliche Funktion effektiv erfüllt, soll mit dem Begriff der Authentizität Nachdruck verliehen werden. Die lateinische Bezeichnung „authenticus“ meint den „Herrn“ oder „Gewaltinhaber“. Dabei liegt die Betonung auf dem eigenständigen Tun des Urhebers, der etwas aus eigener Gewalt vollbringt. Der Begriff der Authentizität bezeichnet das Echte und Eigenhändige8. In der Psychologie wird mit dem Begriff der Authentizität die freie und eigenständige Reflexion verbunden9. Das Gebot authentischer Gesetzgebung fordert demnach von den Gesetzgebungsorganen, dass Gesetzesvorbereitung und Gesetzgebungsverfahren so gestaltet sind, dass das Gesetz wirklich als eigenhändiges Werk der legitimierten Gesetzgebungsorgane angesehen werden kann10. Dies wird dadurch erreicht, dass sowohl die Bundesregierung als auch der Bundestag unabhängig von Vereinbarungen mit Privaten eigenständig die unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Belange abwägen. Von der Notwendigkeit einer authentischen Eigenverantwortung der Gesetzgebungsorgane in Bezug auf den Inhalt von Gesetzen geht auch das Bundesverfassungsgericht aus: Es sei Aufgabe des Gesetzgebers, „den Inhalt dieser Gesetze in eigener Verantwortung und im Wege der parlamentarischen Willensbildung selbst zu bestimmen und dabei auch ihre Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen“11. Das Bundesverfassungsgericht fordert, 5 Vgl. BVerfGE 80, 188 (218); 62, 1 (43): Bundeskanzler, Bundesregierung und Bundestag sind von Verfassungs wegen verpflichtet, ihre Aufgaben „nach besten Kräften“ wahrzunehmen. 6 Zur Unterscheidung zwischen „Juristenverfassung“ und „Pastorenverfassung“: vgl. Isensee, in: Gemeinsame Verfassungskommission, Sten. Ber. der 2. Öffentlichen Anhörung, Bonn, 16. Juni 1992, S. 35 f. 7 Zum moralischen und rechtlichen Charakter des freien Mandats: Klein, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. II, 2. Aufl., § 41 Rdnr. 15. 8 Noetzel, Authentizität, S. 18. 9 Noetzel, Authentizität, S. 23. 10 Vgl. Morlok, Informalisierung, S. 37 (60 f., 73), der von einem Verfassungsgebot der Organspezifität ausgeht. 11 BVerfGE 47, 285 (315).

C. Authentizität und Eigenverantwortung als Verfassungsprinzip

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dass der Gesetzgeber die Beachtung der verfassungsrechtlichen Prüfaufträge und Darlegungslasten „als eigene Aufgabe begreift“12 und sich ein „eigenes Bild“13 von der Sachgerechtigkeit einer Regelung macht14. Die notwendige Sachgerechtigkeit darf nicht durch eine bloße Verhandlungsgerechtigkeit ersetzt werden15. Durch die Zustimmung einiger weniger Betroffener wird die sachliche Richtigkeit eines Gesetzes noch nicht hinreichend begründet. „Erst die freie Debatte im Bundestag verbindet das rechtstechnische Gesetzgebungsverfahren mit einer substantiellen, auf die Kraft des Arguments gegründeten Willensbildung, die es dem demokratisch legitimierten Abgeordneten ermöglicht, die Verantwortung für seine Entscheidung zu übernehmen.“15a Authentische Gesetzgebung ist mehr als bloßer Dienst an der Verfassung nach Vorschrift und mehr als die durch faktische Vorabbindung substanzlos gewordene Letztentscheidungskompetenz im formalisierten Verfahren. Authentische Eigenverantwortung ist empirisch rückgebunden; sie wird im tatsächlichen Entscheidungsprozess sichtbar und erfahrbar und somit für den Bürger überzeugend16. Das Postulat einer authentischen Gesetzgebung bildet das Gegenkonzept zur an Vereinbarungen gebundenen Gesetzgebung, die eher der symbolhaften Inszenierung als einer materiell-diskursiven Legitimation dient.

C. Authentizität und Eigenverantwortung als Verfassungsprinzip Der Gedanke des authentischen Gesetzgebungsverfahrens, in dem jedes Gesetzgebungsorgan seinen verfassungsrechtlichen Funktionsauftrag effektiv erfüllt, lässt die Strukturmerkmale eines Rechtsprinzips erkennen. Je authentischer die Gesetzgebung ist, desto deutlicher kommen die Verfassungswerte der demokratischen Legitimation, der Selbstbestimmung, der allseitigen Integration des gesamten Volkes, der Gewaltenteilung, der Freiheitssicherung der Individuuen sowie der Sachgerechtigkeit zur Geltung. Dieser Authentizität stehen die Verfassungswerte der politischen Gestaltungsfreiheit, der Rechtssicherheit und Funktionsfähigkeit des Staates ge12

BVerfGE 98, 265 (314 f.). BVerfGE 86, 90 (112). 14 Vgl. BayVGH BayVBl. 2001, 175 (180). 15 Vgl. BVerfGE 93, 37 (67). 15a BVerfG DVBl. 2005, 845. 16 Zur Notwendigkeit der empirischen Rückbindung von Verantwortung: vgl. Lerche, in: Maunz/Dürig, GG Bd. IV, Art. 83 Rdnr. 107; Pietzcker, Verfahrensprivatisierung, S. 284 (305). 13

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9. Teil: Das Prinzip der Authentizität und Eigenverantwortung

genüber17. Die authentische Organeigenverantwortung weist eine die Einzelnorm übersteigende Bedeutung auf, konkurriert mit gegenläufigen Werten und ist abwägungsfähig. Sie lässt damit die Wesenszüge eines Rechtsprinzips erkennen18. Das Prinzip der Authentizität des Gesetzgebungsverfahrens und der Eigenverantwortung der an der Gesetzgebung beteiligten Organe gehört zu den induktiv aus einzelnen Verfassungsnormen ableitbaren Rechtprinzipien, die der Verfassungsgeber als selbstverständlich angesehen und deshalb nicht explizit normiert hat19: „Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Verfassungsrecht nicht nur aus den einzelnen Sätzen der geschriebenen Verfassung besteht, sondern auch aus gewissen, sie verbindenden, innerlich zusammenhaltenden allgemeinen Grundsätzen und Leitideen, die der Verfassungsgesetzgeber, weil sie das vorverfassungsmäßige Gesamtbild geprägt haben, von dem er ausgegangen ist, nicht in einem besonderen Rechtssatz konkretisiert hat.“20 Sowohl Bundesregierung als auch Bundestag sind nach dem Prinzip der Authentizität zur substanziellen Wahrnehmung ihres Funktionsauftrages verpflichtet. Der Gedanke der Authentizität des Gesetzgebungsverfahrens und der Eigenverantwortung der an der Gesetzgebung beteiligten unterschiedlichen Staatsorgane leuchtet neben den Normen zum Abgeordnetenstatus und zum Amtseid beispielsweise auch in den Art. 20 Abs. 2 Satz 1 und 2, 42 Abs. 1 Satz 1, 43 Abs. 1, 65 Satz 1 und 2, 66, 76 Abs. 3 Satz 6 GG auf. Begreift man die Authentizität und Organeigenverantwortung als ein in einer Vielzahl von einzelnen Verfassungsnormen als selbstverständlich vorausgesetztes und deswegen nicht explizit ausgesprochenes, übergreifendes Rechtsprinzip, so gewinnen die einzelnen Forderungen nach Kooperationsstruktur, kritischer Rezeption und materiellem Gesetzgebungsverfahren an argumentativer Kraft. Der Blick auf das gemeinsame Substrat der für das informell-kooperative Gesetzgebungsverfahren entwickelten Kriterien schafft ein in der Verfassung breit verwurzeltes Begründungsfundament und stärkt damit die Überzeugungskraft der gewonnenen Ergebnisse21. 17 Zu diesen konkurrierenden Verfassungswerten: siehe oben 2. Teil B. II. 1. a), 4. Teil A., 5. Teil D. III. 2. 18 Siehe hierzu bereits oben 1. Teil B. 19 Vgl. Wolff, Ungeschriebenes Verfassungsrecht, S. 408 ff., der „mitgesetztes“ und selbstverständliches Verfassungsrecht unterscheidet. 20 BVerfGE 2, 380 (403); vgl. auch BVerfGE 52, 131 (144); 34, 269 (287). 21 Hierin zeigt sich, dass Verfassungsprinzipien eine Begründungsfunktion haben. Sie machen Einzelnormen überzeugend und tragen somit zur Akzeptanz der Rechtsordnung bei. Zu den Funktionen von Verfassungsprinzipien: vgl. Reimer, Verfassungsprinzipien, S. 310 ff.

C. Authentizität und Eigenverantwortung als Verfassungsprinzip

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Rechtsprinzipien explizieren nach Canaris die den einzelnen Rechtsbegriffen und Tatbestandsmerkmalen impliziten Wertungen22. Nach Esser brechen Rechtsprinzipien, die noch nicht positiviert sind, „an einem exemplarischen Fall durch die Bewusstseinsschwelle im juristischen Denken ein“23. Rechtsprinzipien machen unbewusste oder intuitive Rechtsempfindungen bewusst. Diese bewusstseinsbildende Funktion des Rechtsprinzips macht das Rechtsgefühl kommunizierbar24. Zum Prinzip verdichtete Gerechtigkeitsvorstellungen können Gegenstand eines rationalen Diskurses werden25. Die rationale Überprüfung findet in Form einer Abwägung des gefundenen Rechtsprinzips mit konkurrierenden Rechtswerten statt. Die vorliegende Arbeit hat den Beispielsfall des Atomausstiegs zum Anlass genommen, der zu Beginn der Arbeit aufgeworfenen Frage „Wer regiert eigentlich bei uns?“ näher nachzugehen. Die in dieser Frage suggerierte Ermahnung, dass nicht in Vergessenheit geraten darf, wer zur Regierung legitimiert ist, bekommt durch das abwägungsfähige Prinzip der authentischen Gesetzgebung und der Eigenverantwortung der Gesetzgebungsorgane ein verfassungsrechtliches Fundament. Nach Schulze-Fielitz müssen reale Funktionsverschiebungen im Verfassungsstaat verfassungsrealistisch reflektiert und verfassungsrechtsdogmatisch im Sinne einer funktionssichernden Geltungsfortbildung verarbeitet und evtl. auch kompensiert werden. Das Prinzip der Authentizität der Gesetzgebung und der Eigenverantwortlichkeit der an der Gesetzgebung beteiligten Organe leistet hierzu angesichts der Abwanderung der eigentlichen Entscheidungen aus Verfassungsinstitutionen in den Bereich informeller Vereinbarungen einen notwendigen Beitrag. Es versucht im Bewusstsein zu halten, dass das formalisierte Gesetzgebungsverfahren, in dem legitimierte Staatorgane zu entscheiden haben, nicht zur lediglich symbolhaften Inszenierung und zur unglaubwürdigen Farce werden darf26. Die Realität des Gesetzgebungsverfahrens darf sich nicht allzu weit vom grundgesetzlichen Idealbild eines gegenüber der Bundesregierung kritischen Bundestages entfernen. Das parlamentarische Verfahren kann seine rationa22

Canaris, Systemdenken und Systembegriff, S. 50. Esser, Grundsatz und Norm, S. 53. 24 Zur Kommunikationsfunktion von Rechtsprinzipien: vgl. Zippelius, Rechtsphilosophie, § 20 (S. 142 ff.), § 39 I. 2. (S. 265 ff.). 25 Zum Rechtsgefühl als Fundus für Gerechtigkeitsvorstellungen: vgl. Zippelius, Rechtsphilsophie, § 20 I. (S. 143). Zur diskursiven Funktion von Prinzipien: Reicherzer, ZG 2004, 121 ff. 26 Vgl. Di Fabio, Der Verfassungsstaat, S. 105: „Insofern ist Verantwortung eine weitgehend unsichtbare konstitutionelle Grundstruktur, die indes, wenn sie nicht mehr fraglos ist, mit Hilfe von Rechtsprinzipien in die Sichtbarkeit zurückgeführt werden muss.“ 23

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9. Teil: Das Prinzip der Authentizität und Eigenverantwortung

litätsstiftenden Vorauswirkungen auf die ministerielle Gesetzespräparation nur entfalten, wenn es sich als offene „Potentialität“ des Gesetzgebers darstellt, mit der Vorlage so zu verfahren, wie er es für richtig hält27. Der Grundsatz der Authentizität des Gesetzgebungsverfahrens und der Eigenverantwortung der Gesetzgebungsorgane verpflichtet den Bundestag, sich vom Druck der Bundesregierung nicht allzu sehr beeindrucken zu lassen. Er gebietet dem Bundestag, seine funktionsspezifische Kontroll- und Gestaltungsaufgabe auch gegenüber der Bundesregierung wirksam wahrzunehmen28. Während das Verfassungsprinzip der Organtreue die Organe dazu anhält, den Kompetenzbereich des anderen Organs zu respektieren, nimmt das Prinzip der Authentizität und Organeigenverantwortung jedes Gesetzgebungsorgan für sich in die Pflicht, die eigenen Kompetenzen selbst effektiv auszuüben29. Führt man die Überlegungen zur kritisch abwägenden, diskursiven und effektiv legitimierten, gesetzesvorbereitenden und gesetzesbeschließenden Staatsgewalt auf den gemeinsamen organübergreifenden Gedanken der Authentizität der Gesetzgebung und der Eigenverantwortung der Gesetzgebungsorgane zurück, so erhält man einen gedanklichen und begrifflichen Fixpunkt als Orientierungsmarke für eine Abwägung mit den konkurrierenden Verfassungswerten. Das im Rechtsprinzip der Authentizität und Eigenverantwortung eingelassene Rechtsgefühl wird durch Abwägung mit konkurrierenden Werten auf seine rationale Substanz begrenzt. Entsprechend der Saturierungskonzeption führt die Abwägung mit der notwendigen politischen Gestaltungsoffenheit der Verfassung dazu, dass Authentizität und Eigenverantwortung nur im Mindestmaß verfassungsrechtlich einforderbar sind30.

27 Eichenberger, Gesetzgebung im Rechtsstaat, 7 (33); zur Notwendigkeit von realen Abänderungsmöglichkeiten im Gesetzgebungsverfahren: vgl. BVerfGE 101, 297 (306 ff.); zu den Vorauswirkungen des parlamentarischen Verfahrens auf die Gesetzespräparation: siehe oben 1. Teil A. I. 2., 2. Teil B. II. 4 b). 28 Vgl. Schulze-Fielitz, Parlament als Organ der Kontrolle, S. 121: „Der Gesetzgeber hat eine verfassungsrechtliche Pflicht zur Ausübung seines Gestaltungsermessens. Gerade die Debatte um die ‚Wesentlichkeitstheorie‘ hat ihren Kern darin, dass der parlamentarische Gesetzgeber sich seiner Gestaltungspflichten nicht begeben darf.“ Vgl. auch Masing, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG Bd. II, Art. 77 Rdnr. 24. 29 Mit den eigenen Kompetenzen ist ein Auftrag zur eigenständigen Abwägung verbunden. Authentizität und Eigenverantwortung wirken insoweit als Grenze der Delegation von Kompetenzwahrnehmung: vgl. BVerfGE 33, 125 (157 ff.); 34, 53 (60); 47, 285 (315); 62, 1 (51); Eichenberger, Gesetzgebung im Rechtsstaat, 7 (35); zum Zusammenhang von Kompetenz und Verantwortung: siehe auch Lerche, in: Maunz/Dürig, GG Bd. IV, Art. 83 Rdnr. 107. 30 Zur Saturierungskonzeption: siehe oben 1. Teil B. I.

D. Authentizität und Kooperationsprinzip

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D. Authentizität und Kooperationsprinzip Besondere Bedeutung kommt dem Gedanken der Authentizität der Gesetzgebung als Gegengewicht zum Kooperationsprinzip zu. Das Aushandeln von Gesetzen führt zu einer Vielzahl von verfassungsrechtlichen Problemen. Es sind Beeinträchtigungen der demokratischen Legitimation von Gesetzen, Verschiebungen der Gewaltenstatik, Einbußen in der freiheits- und integrationssichernden Diskursivität des Gesetzgebungsverfahrens und die Ersetzung von Sachgerechtigkeit durch Verhandlungsgerechtigkeit zu befürchten. Das Prinzip authentischer und eigenverantwortlicher Gesetzgebung macht diese verfassungsrechtlichen Reibungspunkte der kooperativen Staatshandelns bewusst und versucht diesen entgegenzuwirken. Sind die Reibungspunkte als solche erkannt, so muss das Prinzip der Eigenverantwortung und Authentizität mit dem Kooperationsprinzip versöhnt und zum Ausgleich gebracht werden.

I. Authentische Eigenverantwortung und Kooperation als Antipoden Das Prinzip der Authentizität und Eigenverantwortung wirkt einer immer enger sich verzahnenden Kooperation entgegen Es zielt auf die Erhaltung der eigenständigen Willensbildung der legitimierten Staatsorgane. Kooperation und Konsens dürfen nicht zum Vorwand werden, um die im Amtseid und im Status des Abgeordneten normierte eigene Verantwortung der Verfassungsorgane abzustreifen31. Die Gesetzgebungsorgane sind nach dem Prinzip der Authentizität und Eigenverantwortung dazu berufen, wirkungsvolle „Hüter des Gemeinwohls gegenüber Gruppeninteressen zu sein“32. Dieser gemeinwohlbezogenen Identität darf sich der Staat in der Kooperation mit gesellschaftlichen Kräften nicht entäußern33. Wesentliche Elemente eines Schutzes des verfassungsrechtlich gebotenen Mindestmaßes an Authentizität der Gesetzgebung gegen informell-kooperative Erosion sind die Verfahrensherrschaft der zuständigen, demokratisch legitimierten Organe bei der Erarbeitung von Gesetzesvorlagen, die effektive Ausgestaltung verfassungsrechtlich obligatorischer Mitwirkung – beispielsweise des Bundesrates –, die Begrenzung der vom Grundgesetz nicht vorgesehenen Partizipation Privater nach dem Übermaßverbot, die Beachtung des Gleichheitssatzes bei der Auswahl der Vereinbarungspartner sowie 31 32 33

Vgl. Blumenthal, ZPol 2002, 4 (23). BVerfGE 33, 125 (159). Vgl. Depenheuer, Der Gedanke der Kooperation, S. 32, 35.

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9. Teil: Das Prinzip der Authentizität und Eigenverantwortung

die Verpflichtung der Staatsorgane zur kritischen Rezeption mit Privaten ausgehandelter Vereinbarungen. Dabei geht es weniger um die Errichtung von rechtlichen „Bannmeilen“ um das staatliche Institutionengefüge, die dieses gleichsam hermetisch gegen private Interessenvertreter abschirmen34. Im Unterschied zu den bisher in der Literatur vertretenen Ansätzen wird der Bundesregierung auch nicht untersagt, Druck auf den Bundestag durch gesetzesvorbereitende Vereinbarungen auszuüben35. Vielmehr favorisiert die vorliegende Arbeit eine mit Privaten kommunizierende Staatsgewalt, die an innerer Resistenz gegenüber erosiven Partikularkräften dadurch gewinnt, dass sie zur Strukturierung gesetzesvorbereitender Verhandlungen und zur substanziellen Abwägung im Gesetzgebungsverfahren verpflichtet wird. Der Auswanderung des politischen Entscheidungsprozesses aus den Verfassungsinstitutionen muss durch ein Stärkung des grundgesetzlichen Institutionengefüges entgegengewirkt werden36. Die verfassungsrechtliche Verpflichtung zur im Mindestmaß substanzhaltigen Gesetzgebung spornt die Verfassungsorgane zur eigenständigen Meinungsbildung an und erhöht die Resistenz des Gesetzgebers gegenüber organisierten Partikularkräften.

II. Strukturen und Verfahren des pragmatischen Ausgleichs Dem Grundgesetz lässt sich keine Rechtsregel entnehmen, die die Grenze zulässiger Kooperation mit nicht legitimierten Privaten unter Wahrung ausreichender Eigenverantwortung der Staatsorgane präzise markiert. Deshalb ist es primär Aufgabe des Gesetzgebers, den Ausgleich zwischen den divergierenden Prinzipien zu konkretisieren. Dementsprechend finden sich im Verwaltungsrecht die oben erläuterten Regelungsstrukturen, die Kooperation einerseits ermöglichen, ohne dass die Eigenverantwortung der Staatsorgane andererseits übermäßig beeinträchtigt wird37. Das Verwaltungsrecht schafft eine Legitimationsstruktur, in die das kooperative Staatshandeln eingebunden wird. Eine solche Legitimationsstruktur wird in der vorliegenden Arbeit auch für die Gesetzesvorbereitung eingefordert. Dem Geschäftsordnungs34

Vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. I, 2. Aufl., § 13 Rdnr. 90: „Vorkehrungen, Souveränität und Gemeinwohlfähigkeit gegen die Überwältigung durch die partikularen Kräfte zu schützen, liegen, abgesehen vom apriorischen Gewaltmonopol, in der Gewaltenteilung, freiem Mandat des Abgeordneten, Berufsbeamtentum, unabhängiger Rechtspflege, Amtsethos und in anderen rechtlichen Bannmeilen um die staatlichen Entscheidungszentren“. 35 Siehe oben 4. Teil B. I. 5. e) aa) (1). 36 Vgl. Papier, VM 2003, 116 (121). 37 Siehe oben 4. Teil C. I. 3.

D. Authentizität und Kooperationsprinzip

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recht soll für die Gesetzesvorbereitung die Aufgabe einer Legitimationsstruktur zukommen, die den notwendigen Ausgleich zwischen Kooperationsprinzip und authentischer Eigenverantwortung der Staatsorgane herstellt und ein ausreichendes Legitimationsniveau sichert. Das Erfordernis einer kritischen Abwägung durch das Parlament vermag, für sich genommen, die Authentizität der Gesetzgebung nicht zu sichern. Vielmehr müssen bereits in der Gesetzesvorbereitung die dort entstehenden Probleme faktischer Bindung an nicht legitimierte Private kanalisiert werden. Ansonsten werden allzu starke faktische Bindungen, die im Vorfeld des parlamentarischen Verfahrens wurzeln, auf das Parlament übergreifen, es überrollen und damit den für die Integration der Gesamtgesellschaft unverzichtbaren parlamentarischen Diskurs weiter entwerten38. Würde man lediglich am Gesetzgebungsverfahren zur Umsetzung der Vereinbarung ansetzen, so käme dies in Anbetracht der faktischen Vorprägung der Umsetzungsphase durch die Verhandlungsphase einer verfassungsrechtlichen „Kapitulation“ gleich39. Deshalb bedarf es bereits einer Regelungsstruktur für das Gesetzgebungsvorfeld. Andererseits kann die skizzierte Ausgleichsaufgabe zwischen Kooperationsprinzip und Authentizitätsprinzip auch durch die vorfeldbezogenen Regelungsstrukturen nur unvollkommen bewerkstelligt werden. Während das kooperative Verwaltungsrecht klare hoheitliche Zielbindungen kennt und die Kooperation auf den Weg der Zielerreichung und die diesbezügliche Sachverhaltsermittlung beschränken kann40, ist es in der Gesetzesvorbereitung lediglich möglich, mit gewissen sachlichen Zielorientierungen zu arbeiten. Im Vorfeld der Gesetzgebung stehen die Ziele gerade noch nicht fest. Zwar kann durch vorgezogene Kabinettsbeschlüsse ein gewisser Zielkorridor vorgegeben werden, dennoch werden die Ziele anders als beim dargestellten kooperativen Vollzug weniger einseitig, sondern vielmehr auch im Aushandlungsprozess einvernehmlich konkretisiert. Dementsprechend wird es schwieriger, die Verantwortung für die gesetzlichen Ziele allein den staatlichen Organen zuzuweisen. Dieses Problem wird zwar dadurch gemildert, dass Abweichungen vom ursprünglichen Zielkorridor nach der hier geforderten Gesetzesvorbereitungsstruktur sachlich begründet und transparent gemacht werden müssen41. Dennoch werden nicht legitimierte Private bei der kooperativen Gesetzes38 Vgl. Starck, Diskussionsbeitrag, 60. Geburtstag Christian Starck, S. 77; Isensee, Diskussionsbeitrag, Staatsrechtslehrertagung 2002, S. 91. 39 Vgl. Huber, Konsensvereinbarungen, S. 329 (393). 40 Zum kooperativen Gesetzesvollzug: siehe oben 4. Teil C. I. 3. 41 Zum Vorschlag einer Struktur der Gesetzesvorbereitung: siehe oben 4. Teil C. II.

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9. Teil: Das Prinzip der Authentizität und Eigenverantwortung

vorbereitung in höherem Maße an der Staatswillensbildung beteiligt, als dies beim in das Verwaltungsrecht eingebundenen kooperativen Gesetzesvollzug der Fall ist. Die Beteiligung der Privaten an der Zielfindung in der Gesetzesvorbereitung senkt das Legitimationsniveau unvermeidbar ab42. Das entstehende Legitimationsdefizit in der Gesetzesvorbereitung muss deshalb im Gesetzgebungsverfahren zur Umsetzung der Vereinbarungen ausgeglichen werden. Dem Umsetzungsgesetzgebungsverfahren kommt gerade dann, wenn die Gesetzesvorlage ausgehandelt worden ist, eine gesteigerte Bedeutung zu, die es rechtfertigt, neben dem äußeren Ablauf der Art. 76 ff. GG auch ein materielles Gesetzgebungsverfahren in Form einer modifizierten Abwägungsfehlerlehre einzufordern. Das Mittel gegen die Selbstentmachtung und Selbstentwürdigung des Parlaments43 ist nicht ein Appell an die Organtreue der Bundesregierung44, sondern die Stärkung des parlamentarischen Selbstbewusstseins durch Aufwertung des gesetzgeberischen Abwägungsvorgangs45. In der Gesetzgebungspraxis wird es insoweit auf eine Verbesserung der in den Gesetzesvorlagen vorbereiteten Abwägung ankommen. Die Vorlagen müssen den abwägungsrelevanten Sachverhalt derart substanziieren, dass den Abgeordneten eine eingehende, gewissenhafte Auseinandersetzung möglich wird. Das ist insbesondere dann notwendig, wenn die Gesetzesvorlage mit privaten Interessenvertretern zuvor ausgehandelt wurde. Die vorliegende Arbeit versucht, das informell-kooperative Staatshandeln über zwei komplementäre Instrumente in die Verfassungsordnung einzubinden. Zum einen muss im Geschäftsordnungsrecht der Bundesregierung eine Regelungsstruktur geschaffen werden, die dafür sorgt, dass die grundgesetzlichen Anforderungen an die Gesetzesvorbereitung eingehalten werden. Zum anderen muss das Gesetzgebungsverfahren durch eine Abwägungsfehlerlehre substanzialisiert und parlamentarisiert werden. Sowohl eine den Einfluss von Partikularinteressen kanalisierende Struktur der Gesetzesvorbereitung als auch die kritische Rezeption gesetzesvorbereitender Vereinbarungen durch die Bundesregierung und den Bundestag sind notwendig, damit die Funktion des Gesetzgebungsverfahrens effektiv zum Tragen kommt. Die antipodischen Prinzipien der Kooperation und der authentischen Eigenverantwortung werden in einer konkretisierenden Regelungsstruktur zur 42 Siehe auch Staeck, Vom Reformprojekt, S. 224, der auf die Verluste der Lernfähigkeit des Systems auf Grund der Bindungen an private Interessenvertreter hinweist. 43 Zur Entparlamentarisierung als Selbstentmachtung des Parlaments: siehe Papier, VM 2003, 116 (121). 44 Siehe hierzu 4. Teil B. I. 5. e) aa) (1). 45 Zur Notwendigkeit einer Stärkung von repräsentativem Mandat und Parlament: vgl. Papier, VM 2003, 116 (121).

D. Authentizität und Kooperationsprinzip

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Gesetzesvorbereitung und durch materielle Anforderungen an das Gesetzgebungsverfahren so zum Ausgleich gebracht, dass Kooperation mit Privaten zwar zugelassen, aber dennoch mit rechtlichen Anforderungen eingehegt wird. Dadurch kann die verfassungsrechtlich gebotene Balance zwischen Betroffenenbeteiligung und Gemeinwohlverantwortung, zwischen Integration Privater in die staatliche Willensbildung und Integrität der staatlichen Willensbildung, zwischen Nähe und Distanz des Staates zum Bürger hergestellt werden. Auch wenn die genannten Prinzipien, Strukturen und Verfahren alleine vor einer Erosion der Verfassung nicht zu schützen vermögen, so kann das Prinzip der Authentizität des Gesetzgebungsverfahrens und der Eigenverantwortung der Gesetzgebungsorgane doch ein Ausrufungszeichen gegen eine informelle Aushöhlung fundamentaler Verfassungswerte setzen46, 47.

III. Authentizität und Verfassungskultur Die Authentizität der Gesetzgebung und die Eigenverantwortung der legitimierten Organe wenden sich gegen eine Mitregierung durch Nichtlegitimierte und gegen eine parlamentslose Parlamentsgesetzgebung48. Sie wirken Tendenzen entgegen, die die grundgesetzliche Ordnung in Richtung Fassadendemokratie entwerten können. Das Rechtsprinzip der Authentizität versucht, die Effektivität, Glaubwürdigkeit und Vertrauenswürdigkeit des Verfassungsrechts zu stärken. Dabei wirkt dieses Verfassungsprinzip auch außerhalb seines justiziablen Minimalbereichs auf das Staatshandeln ein. Gerade weil das Prinzip der Authentizität des Gesetzgebungsverfahrens und der Eigenverantwortung der Gesetzgebungsgebungsorgane, wie jedes Rechtsprinzip, unscharf und konkretisierungsbedürftig ist, müssen die Verfassungsorgane stets darum besorgt sein, das verfassungsrechtlich gebotene Minimum an substanzieller Gesetzgebungsarbeit zu leisten. Die Verfassungsorgane müssen die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes bei Unterschreiten des unscharf markierten Minimums befürchten. Die dadurch entstehende permanente Mahnfunktion des Prinzips der Authentizität wirkt einer „Abstumpfung“ des Verfassungsbewusstseins49 entgegen und stärkt 46 Zur Aufgabe des Verfassungsrechts solche Ausrufungszeichen zu setzen: vgl. Lerche, BayVBl. 2003, 1 (5). 47 Wenn Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 305 (315), nach realistischen Alternativen zum zunehmenden Korporatismus fragt, so ist die Antwort in der hier aufgezeigten Richtung zu suchen. Die Vorteile des Kooperationsprinzips sind zu nutzen. Gleichzeitig müssen jedoch die negativen Effekte durch das Gegenprinzip der Authentizität eingedämmt werden. 48 Zum „parlamentslosen Parlamentsgesetz“: Quaritsch, Das parlamentslose Parlamentsgesetz, S. 7 ff., 58 f.; vgl. ferner: BVerfGE 47, 285 (315 f.).

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9. Teil: Das Prinzip der Authentizität und Eigenverantwortung

dieses auch insoweit, als im konkreten Fall noch kein justiziabler Verfassungsverstoß vorliegt50. Authentizität als Verfassungsprinzip fordert in Bezug auf die Staatsorgane den „existentiellen Willen zur Verfassung“51. Ein lebendiges Verfassungsbewusstsein in den Staatsorganen ist Voraussetzung für eine in der Gesellschaft tief verwurzelte Verfassungskultur, die letztlich die entscheidenden Dämme gegen schleichende Verfassungserosionen bilden muss52. Dies bedeutet, dass das Grundgesetz im Bewusstsein der Bürger als geschätzter Wert empfunden werden muss53. Der beste Schutz der Verfassung vor einer Geltungserosion besteht darin, dass die Bürger von der wirklichkeitsgestaltenden Kraft der Verfassung überzeugt sind. Eine solche, von der Überzeugung der Bürger getragene Verfassungskultur ist die Voraussetzung des Rechtsbewusstseins in der Gesellschaft, weil das gesamte Recht vom Verfassungsrecht seine Berechtigung erfährt. Ohne Rechtsbewusstsein der Bürger ist ein Staat aber auf Dauer nicht lebensfähig. Der Staat wäre völlig überfordert, wenn er die Befolgung von Rechtsnormen in jedem Einzelfall erzwingen müsste54. Der staatliche Zwang muss die Ausnahme, der „freiwillige“ Rechtsgehorsam die Regel bleiben. Auf den freiwilligen Rechtsge49 Zur Abstumpfung des Verfassungsbewusstseins: Papier, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31.1.2003, S. 8. 50 Vgl. Schenke, Verfassungsorgantreue, S. 34 f. 51 Nach Isensee ist der „existentielle Wille zur Verfassung“ eine „vitale Verfassungsvoraussetzung“ (Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. VII, § 162 Rdnr. 57). Isensee spricht vom „Zu-sich-selbst-Finden des Staates“ und von dessen „Selbstbehauptung“ (Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. VII, § 162 Rdnr. 17.). Vgl. Depenheuer, Der Gedanke der Kooperation, S. 32, 35, der „Identität“ der Kooperationspartner fordert. Scholz, Staatsleitung, S. 663 (689), erinnert an die Ernsthaftigkeit der Wahrnehmung des verfassungsrechtlichen Mandats. Diese Anthologie unterschiedlicher Formulierungen deutet auf das Prinzip der Authentizität und Eigenverantwortung als gemeinsames Substrat hin. 52 Der Begriff der Verfassungskultur weist auf die Notwendigkeit einer gesteigerten Verankerungstiefe des Wertgefüges der Verfassung im Bewusstsein der Menschen hin, die allein durch justiziable Normen nicht zu erreichen ist. Zur Verfassung als Kultur: vgl. Häberle, JöR n. F. 49 (2001), 125 ff.; zur Bedeutung der Verfassungskultur in Zusammenhang mit dem informalen Staatshandeln: Herdegen, Informalisierung, S. 32; zur Notwendigkeit einer zum Verfassungsrecht komplementären Verfassungskultur: siehe auch Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. VII, § 162 Rdnr. 57: „(Die) Normativität (der Verfassung) steht also in bedrohlicher Abhängigkeit vom politischen Prozess. Noch so sorgfältige Vorkehrungen der Staatsorganisation können die Gefahr nur teilweise auffangen, die Abhängigkeit aber nicht aufheben.“ 53 Vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. VII, Vorwort, S. VII: „Eigentlicher Geltungsgrund der Verfassung ist ihre Überzeugungskraft, die sich in der Zustimmmung der Bürger erweist.“ 54 Vgl. Murswiek, ZUR 2001, 7 (11).

E. Ergebnis

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horsam der Bürger und das Rechtsbewusstsein als Voraussetzung dieses Gesetzesgehorsams kann nicht verzichtet werden55. Eine in der Gesellschaft verwurzelte vitale Verfassungskultur als Grundlage des Rechtsbewusstseins der Bürger ist Voraussetzung für ein funktionsfähiges Staatswesen. Politische Kultur, Verfassungs- und Rechtsbewusstsein stellen sich jedoch nicht von selbst ein. Sie bedürfen vielmehr gewisser, rechtlich verfestigter Mindeststandards, die das Risiko der justiziablen Verfassungswidrigkeit im Falle einer Unterschreitung einschließen56. Das verfassungsrechtliche Prinzip der Authentizität mobilisiert Verfassungsbewusstsein, indem es ein Risiko der Verfassungswidrigkeit für inszenierte Gesetzgebung schafft57. Authentizität als verfassungsrechtliches Prinzip, funktionsspezifische Effektivität des Gesetzgebungsverfahrens und Eigenverantwortung der Gesetzgebungsorgane sind verfassungsrechtliche Eckpfeiler eines für den Bürger erfahrbaren Verfassungslebens, Sicherungsmechanismen der Verfassungskultur und elementare Voraussetzungen des Rechtsbewusstseins der Bürger.

E. Ergebnis Die verfassungsrechtlichen Probleme des informell-kooperativen Staatshandelns lassen sich nicht durch ein pauschales Verbot solcher Praktiken bewältigen. Das würde lediglich dazu führen, dass das informale Staatshandeln in neu eröffnete Hinterzimmer abwandern und damit der verfassungsrechtlichen Kontrolle weiter entgleiten würde58. Das Verfassungsrecht darf den Bürgern nicht mehr versprechen, als es tatsächlich durchzusetzen in der Lage ist59. Andererseits lässt sich die Glaubwürdigkeit und Vertrauenswürdigkeit des Verfassungsrechts auch nicht dadurch erhalten, dass das Verfassungsrecht die Augen vor informalen Praktiken verschließt und dabei Wirkungseinbußen der Verfassung achselzuckend in Kauf nimmt60. Auch in 55

Vgl. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. III, § 59 Rdnr. 64. Zur Notwendigkeit institutioneller Verfestigungen: Mantl, Diskussionsbeitrag, Staatsrechtslehrertagung 2002, S. 102. 57 Zur Mobilisierungsfunktion des Rechts: vgl. Morlok, Informalisierung, S. 37 (79). 58 Zur Problematik neuer informeller Vorfelder: siehe oben 2. Teil A. I. 1. b) ee), 4. Teil C. II. 7. 59 Optimierungskonzeptionen, die bestmögliche Rechtserkenntnis im demokratischen Verfahren und größtmögliche Publizität fordern (siehe die Forderungen von: Schachtschneider, Süddeutsche Zeitung, 5.9.2000, S. 9), sind überzogen und deshalb abzulehnen. Die Verfassung darf nicht Forderungen erheben, die von vornherein nicht erfüllbar sind. Ansonsten würde eine latente Verfassungsverdrossenheit über eine unerfüllte Verfassung entstehen. 56

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9. Teil: Das Prinzip der Authentizität und Eigenverantwortung

diesem Zusammenhang dürfte sich die „aurea mediocritas“ als richtig erweisen, wonach informales Staatshandeln immer wieder aufs Neue behutsam zu formalisieren ist. Daraus ergibt sich eine dauernde Aufgabe für das Staatsrecht, neu entstehende Formen von Staatsgewalt zu identifizieren und zu kanalisieren. Allzu viel Ehrgeiz in diesem Bereich kann schnell zu neuen informellen Vorfeldern führen. Deswegen kommt es auf das richtige Augenmaß bei der Forderung nach einer gesetzesvorbereitenden Legitimationsstruktur und bei den Abwägungspflichten des Gesetzgebers an. Eine Anerkennung der Prinzipien der Authentizität der Gesetzgebung und der Eigenverantwortung der Gesetzgebungsorgane einerseits sowie des Kooperationsprinzips andererseits kann dazu beitragen, dass die Fronten zwischen denjenigen, die die Staat-Bürger-Kooperation preisen und denjenigen, die die Notwendigkeit staatlicher Legitimation und Gemeinwohlverantwortung betonen, aufgelockert werden. Jedes der beiden Prinzipien hat seine Berechtigung. Es kommt darauf an, die praktische Konkordanz der divergierenden Verfassungsprinzipien herzustellen. Diese Einsicht könnte den Diskurs um das richtige Augenmaß bei der Regulierung informalen Staatshandelns befruchten. Die Erörterung mit Hilfe von Prinzipien löst die unterschiedlichen Auffassungen von den unterschiedlichen Personen ab. Personale Meinungsunterschiede werden dadurch zu objektiven Prinzipiengegensätzen. Die Antinomie der von den Personen gelösten Prinzipien führt dann zu einer kritischen Reflexion in jedem Einzelnen selbst und versachlicht dadurch den Diskurs untereinander. Somit haben Kooperations- und Authentizitätsprinzip vor allem auch die Funktion, den rationalen Diskurs zu verbessern, um sachgerechte Regelungsmodelle für die informell-kooperative Staatsgewalt zu entwickeln61.

60 Die Probleme, die der Atomausstieg in Hinblick auf die Glaubwürdigkeit des Verfassungsrechts aufwirft, lassen sich nicht einfach als lediglich verfassungspolitische Fragestellungen abtun. So aber: Roßnagel, Das Beendigungsgesetz, S. 305 (309 ff.). 61 Zum Gespräch als „Transportmittel des Rechtsstaates“: vgl. Sendler, NJW 1989, 1761 (1766); zur diskursiven Rationalität: Zippelius, Rechtsphilosophie, § 20 (S. 142 ff.); § 39 I. 2. (S. 265 ff.).

10. Teil

Die informell-kooperative Gesetzgebung als Chance Mit der vorliegenden Untersuchung wurden über weite Strecken verfassungsrechtliche Risiken und Gefahren informell-kooperativer Gesetzgebung aufgezeigt. Wie so oft steckt aber in der Gefahr zugleich auch eine rettende Chance, woran bereits zu Beginn der Arbeit unter Berufung auf Hölderlin erinnert wurde: „Wo die Gefahr ist, wächst das Rettende auch“. Die Worte dieses Dichters wurden vom Philosophen Heidegger verdichtet und zur Vollendung geführt: „Wo die Gefahr als die Gefahr ist, gedeiht auch schon das Rettende. Die Gefahr ist das Rettende, insofern sie aus ihrem verborgen kehrigen Wesen das Rettende bringt“1. In der staatsrechtlichen Perspektive aktivieren gesetzesvorbereitende Vereinbarungen die rettende Diskussion darüber, wie ein Wirkungsverlust der Verfassung angesichts einer zunehmend informell-kooperativ agierenden Staatsgewalt vermieden werden kann. Mit dem Prinzip authentischer Gesetzgebung kehrt sich die Erkenntnis der Gefahr des Wirkungsverlustes der Verfassung zur geltungserhaltenden Effektivität. Der Gesetzgeber muss nach diesem Prinzip als Gesetzgeber sein, um zu werden, wozu ihn die Verfassung bestimmt hat. Darin wird die Verfassung effektiv. Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen mit Umsetzungsgesetz eröffnen einen Weg, die Vorteile des informell-kooperativen Staatshandelns zu nutzen und gleichzeitig die Anforderungen des Grundgesetzes zu wahren. Gegenüber anderen Erscheinungsformen des informell-kooperativen Staatshandelns, wie zum Beispiel gesetzesvermeidenden Selbstverpflichtungen, die weitgehend außerhalb grundgesetzlich normierter Verfahren ergehen und im informellen Zustand verharren, bieten die hier behandelten Vereinbarungen, die in ein Parlamentsgesetz transformiert werden, den Betroffenen mehr Planungssicherheit2 sowie die Möglichkeit, die verfassungsrechtlichen Vorzüge des formalisierten Gesetzgebungsverfahrens mit den politischen Chancen der informell-kooperativen Gesetzesvorbereitung zu verbinden. Das Sachwissen der Privaten, die Steigerung der Akzeptanz der Betroffenen 1 2

Heidegger, Die Technik und die Kehre, S. 37 (41). Siehe oben 1. Teil A. I. 3. d) bb).

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durch Kooperation und der legitimierende, gemeinwohlbezogene Diskurs im formalisierten Gesetzgebungsverfahren können bei gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen mit Umsetzungsgesetz eine Symbiose eingehen3. Eine solche fruchtbare Symbiose von kooperativen und hoheitlich gesteuerten Entscheidungsprozessen wird sich allerdings nur einstellen, wenn es gelingt, Regelungsstrukturen zu entwickeln, die eine Balance zwischen vorbereitender Kooperation und gesetzlicher Entscheidung herstellen, weil ansonsten die Gefahr besteht, dass das Gesetzgebungsverfahren faktisch entwertet wird. Es bedarf einer im Geschäftsordnungsrecht zu regelnden, flexiblen Struktur, die das Verhältnis zwischen Kooperationsprinzip und Authentizität der Staatsorgane im Vorfeld des formalisierten Gesetzgebungsverfahrens austariert. Zudem ist eine substanziierte Abwägung bei der gesetzlichen Umsetzung durch eine diesbezügliche Kontrolle des gesetzgeberischen Abwägungsvorgangs zu sichern. Dabei darf nicht die optimale Lösung im Sinne eines Verfassungsperfektionismus das Ziel sein. Vielmehr muss versucht werden, die notwendige Balance zwischen Authentizität und Kooperation in ausreichendem Maße durch Mindestanforderungen zu gewährleisten. Wendet man sich indessen von der verfassungsrechtlichen Perspektive einer politischen Betrachtungsweise zu, so wird sich langfristig eine Politik als erfolgreicher erweisen, die sich ihrer eigenen Verantwortung bewusst wird, die eigene Führungsrolle begreift und sich nicht lediglich auf die Rolle des Moderators zurückzieht. Politische Führung durch die Staatsorgane wird nicht nur von den einzelnen Bürgern erwartet und vom Gemeinwohl gefordert. Vielmehr erwarten sogar die Interessenverbände, dass der Staat trotz starker Verflechtungen mit gesellschaftlichen Kräften seine Eigenverantwortung durch politische Führung wahrnimmt. Erfolgreich wird eine Regierung dann sein, wenn es ihr gelingt, die richtige Balance zwischen Gemeinwohlverantwortung und Kooperation mit Partikularkräften zu finden. Insoweit kann eine stärker strukturierte Gesetzesvorbereitung, die die Programmverantwortung der Bundesregierung betont, und ein substanziiertes Gesetzesgebungsverfahren, das die Akzeptanz von Gesetzen fördert, auch als politische Erfolgschance begriffen werden. Der wirkungsvollste Impuls für eine effektive Verfassung besteht darin, dass die Politiker als diejenigen, die die Wirklichkeit des Staates gestalten sollen, die langfristigen politischen Erfolgschancen erkennen, die mit einer effektiven Verfassung und einer authentischen Gesetzgebung verbunden sind. Die richtige Kombination von informellen und formellen Verhaltensweisen zeichnet erfolgreiche Politik aus. Gegenseitiges Lernen und interes3 Vgl. zu den positiven Erfahrungen in den Vereinigten Staaten mit der Kombination kooperativer und hoheitlicher Verfahren: Hager, Konflikt und Konsens, S. 132 f.

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senbezogenes Verhandeln, Arguing und Bargaining, Erkennen, Entscheiden und Gestalten – die ausgewogene Balance dieser zum Teil divergierenden, aber auch konvergierenden und sich ergänzenden Elemente – führt zum politischen Erfolg. Das geltende Verfassungsrecht kann einen wichtigen Beitrag leisten, um eine ausreichende Balance zu finden. Das in der deutschen Geschichte erlittene Grundgesetz ist gespeicherte Lebenserfahrung und alles andere als eine „verstaubte Verfassung“4.

4 Zur These von der „verstaubten Verfassung“: Spiegel, 20/2003, S. 38 ff., „Die Konsens-Falle“.

Zusammenfassung in Thesen 1. Teil: Die Problematik informell-kooperativer Staatsgewalt 1. Gesetzesvorbereitende Absprachen zwischen Staat und Privaten, in denen der Staat den Privaten rechtlich einklagbar verspricht, ein bestimmtes Gesetz zu erlassen, sind nach einhelliger Ansicht verfassungswidrig und nichtig. Einseitige rechtsverbindliche Verpflichtungen von Privaten gegenüber dem Staat, die mit einem Rücktrittsrecht des verpflichteten Privaten verbunden werden, und rechtlich unverbindliche Gentlemen’s Agreements müssen hingegen in Bezug auf die von ihnen ausgehenden mittelbar rechtlichen und faktischen Wirkungen auf die inhaltliche Gestaltung der Staatsgewalt untersucht werden. 2. Informales Staatshandeln erzeugt aus sich heraus keine Rechtsbindungen. Es vollzieht sich zudem außerhalb rechtlich präzise geregelter Verfahrensabläufe. Beim informalen Staatshandeln ist der Staat oftmals auf Kooperation mit den Grundrechtsträgern angewiesen, weil er auf die Anwendung imperativen Zwangs verzichtet. 3. Die zunehmende Komplexität der Lebensverhältnisse, die arbeitsteilige Spezialisierung und die damit einhergehende Individualisierung in der Gesellschaft ziehen einen erhöhten Interaktions- und Regulierungsbedarf nach sich. Dieser führt zu steigenden Erwartungen gegenüber dem Staat als Regulierungsinstanz. Angesichts begrenzter finanzieller Ressourcen der öffentlichen Hand und wegen der faktischen Blockademacht hochgradig organisierter gesellschaftlicher Kräfte öffnet sich der Staat diesen gegenüber, um die eigene Handlungs- und Steuerungsfähigkeit zu verbessern und den steigenden Regulierungserwartungen gerecht zu werden. Durch Kooperation mit Privaten soll der Sachverstand der Grundrechtsträger genutzt, die Akzeptanz von Gesetzen verbessert und der Vollzugsaufwand reduziert werden. 4. Die verfassungsrechtliche Beurteilung gesetzesvorbereitender Vereinbarungen zwischen Staat und Privaten hängt von der Intensität der dabei erzeugten faktischen Bindungen ab. a) Entscheidungsprozesse benötigen, um einen Fortschritt zu erzielen, prozessimmanente faktische Bindungen, die dafür sorgen, dass abgeschichtete Problemkomplexe nicht ohne weiteres wieder aufgerollt werden. Die

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prozessimmanenten faktischen Bindungen werden durch einen hohen vorausgehenden Ermittlungsaufwand und ein knappes Zeitbudget verstärkt. b) Faktische Selbstbindungen innerhalb der gesetzesvorbereitenden Ministerialbürokratie und Austauschbindungen gegenüber Privaten können in einem gestuften Verfahren nacheinander stattfinden. Für die hier untersuchten Vereinbarungen greifen indessen staatsinterne und externe Bindungsprozesse gegenüber den Privaten aufs Engste verzahnt ineinander. c) Je mehr die Verhandlungen einen Bargaining-Charakter aufweisen, desto stärkere faktische Bindungen müssen erzeugt werden, damit die Vereinbarung Erfolg haben kann. Ein hoher Konkretisierungsgrad der abgesprochenen Regelungen und umfangreiche Dispositionen der Vereinbarungspartner aufgrund der Vereinbarung deuten auf eine besonders intensive faktische Bindung hin. Die Bindungsintensität kann durch die Einrichtung einer Kontrollinstanz, durch Veröffentlichung der Vereinbarung und durch eine vertragsähnliche amtliche Symbolik verstärkt werden. 5. Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen streben eine umfassende Konfliktbewältigung aller anhängigen Streitfragen an. Dies führt zur Ausdehnung des Verhandlungsgegenstandes und zur weiteren Konzentration der Verhandlungsmacht bei denjenigen Akteuren, die sowohl auf staatlicher als auch auf privater Seite bereits die größten faktischen Machtpotentiale innehaben. 6. Private werden zum Abschluss gesetzesvorbereitender Vereinbarungen dadurch bewegt, dass der Staat ihnen gesetzliche Vergünstigungen in Aussicht stellt oder mit nachteiligen gesetzlichen Regelungen droht. Angesichts dieses subordinatorischen Kontextes ist die Situation der Privaten bei Abschluss der Vereinbarung von einer Gemengelage aus Zwangs- und Freiwilligkeitsmomenten gekennzeichnet. 7. Vereinbarungen zwischen Staat und Wirtschaft werden gesetzlich umgesetzt, um eine Gleichbehandlung aller Wettbewerber zu gewährleisten, einen umfassenden Interessenabgleich vorzunehmen und dem Vorbehalt des Gesetzes zu entsprechen. Eine Änderung der bisherigen Rechtslage kann aus Gründen des Vorrangs des Gesetzes notwendig sein. Hintergrund der gesetzlichen Umsetzung können auch europarechtliche Vorgaben sein. Gegenüber gesetzlich nicht umgesetzten, rechtlich nicht verbindlichen Vereinbarungen führt die gesetzliche Umsetzung zu erhöhter langfristiger Planungssicherheit für alle Beteiligten. 8. Dem Grundgesetz ist kein abschließender Katalog erlaubter Handlungsformen zu entnehmen. Die Staatsgewalt unterliegt keinem Vorbehalt der Verfassung, der informelle Steuerungsinstrumente schon deshalb verbieten würde, weil sie nicht explizit im Grundgesetz normiert sind.

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9. Zur Rechtfertigung der Beeinträchtigung eines Verfassungsprinzips genügt ein lediglich verfassungskonformer Zweck. Die Immanenzlehre ist auf rein objektive Verfassungsprinzipien nicht zu übertragen. Die Beeinträchtigung von Staatsstrukturprinzipien muss sich jedoch im Rahmen des Übermaßverbotes halten. 2. Teil: Die Theorie informell-kooperativer Staatsgewalt 10. Sowohl das Demokratieprinzip als auch das Gewaltenteilungsprinzip knüpfen an den Begriff der Staatsgewalt an. Da es sich bei diesen Strukturprinzipien um fundamentale Bestandteile des gesamten Staatsorganisationsrechts handelt, hat der Staatsgewaltbegriff zentrale Bedeutung für die Anwendung staatsorganisationsrechtlicher Normen auf gesetzesvorbereitende Vereinbarungen. 11. Die Effektivität der Verfassung erfordert einen Staatsgewaltbegriff, der jedes Staatshandeln unabhängig von der Rechtsform und der Intensität der erreichten Bindungen umfasst. Das informell-kooperative Staatshandeln unterliegt demnach vollumfänglich der verfassungsrechtlichen Kontrolle. a) Ein an rechtlich definierten Handlungsformen ausgerichteter Staatsgewaltbegriff vermag auch dann, wenn er funktionale Äquivalente miterfasst, nicht vor sublimen, schleichenden Entwertungen der verfassungsrechtlichen Institutionen und Prinzipien zu schützen. Anbauten an einen an Rechtsformen orientierten Staatsgewaltbegriff erweisen sich folglich als unzureichend. Notwendig ist ein Neubau des Staatsgewaltbegriffes auf empirischfaktischer Grundlage. b) Eine Differenzierung des Staatsgewaltbegriffes danach, ob informellkooperatives Staatshandeln später gesetzlich umgesetzt werden soll oder ob es dazu dient, eine gesetzliche Regelung zu vermeiden, ist abzulehnen. Auch Akte der Gesetzesvorbereitung, die später gesetzlich umgesetzt werden sollen, sind als Staatsgewalt einzustufen. 12. Der Staatsgewaltbegriff weist eine rechtlich-formale und eine empirisch-faktische Dimension auf. Die rechtliche Dimension der Staatsgewalt ist den empirischen Phänomenen stets aufs Neue anzupassen. a) Den mit der Wirklichkeitsöffnung des Staatsgewaltbegriffes verbundenen Problemen der Rechtssicherheit und Praktikabilität ist durch eine nachträgliche Formalisierung neuer informeller Praktiken entgegenzuwirken. b) Der Zugriff des Verfassungsrechts auf das informelle Staatshandeln ist jedoch nicht davon abhängig, dass der Staat seiner Formalisierungsaufgabe bereits nachgekommen ist. Vielmehr kann die Verfassungsgerichtsbar-

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keit auch das noch nicht formalisierte Staatshandeln für verfassungswidrig erklären. 13. Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen zwischen Bundesregierung und Privaten stellen amtliches Handeln des Staates dar, weil die Vereinbarungen in engem Zusammenhang mit der Funktion der Bundesregierung als Gesetzesinitiativorgan stehen. Die Vereinbarungen sind als Ganzes dem Staat zurechenbar. Eine Aufspaltung der Vereinbarung in einen staatlichen und einen privaten Anteil ist wegen des Austauschcharakters nicht möglich. 14. Die Intensität der faktischen Bindung, der Konkretisierungsgrad finaler Steuerungsintentionen und die Unmittelbarkeit der Steuerungswirkungen sind Gradmesser für die Intensität des Staatsgewaltcharakters der Vereinbarung. Je intensiver der Charakter einer Vereinbarung als Staatsgewalt ausgeprägt ist, desto höheres Gewicht kommt den beeinträchtigten Staatsstrukturprinzipien in der Abwägung zu. Ein signifikanter Charakter gesetzesvorbereitender Vereinbarungen als Staatsgewalt führt zu einer erhöhten verfassungsrechtlichen Kontrolldichte. 15. Bei Vereinbarungen zwischen Staat und Grundrechtsträgern wird vor allem im Verwaltungsrecht auf das Kooperationsprinzip hingewiesen. Das Verwaltungsrecht wird in vielfältiger Form vom Gedanken eines Zusammenwirkens von Staat und Bürger durchdrungen. Für die Gesetzesvorbereitung finden sich normative Ansätze eines Kooperationsprinzips in § 94 BBG, § 58 BRRG sowie in § 43 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 4 i. V. m. Anlage 7 GGO. 16. Die Funktionsfähigkeit der Staatsgewalt ist Voraussetzung der Demokratie und des grundrechtlichen Freiheitsschutzes. Sie gehört zum Gewährleistungsgehalt des Grundgesetzes und ist deshalb verfassungsrechtlich geboten. Das Kooperationsprinzip wurzelt einerseits im Gebot der Funktionsfähigkeit der Staatsgewalt und andererseits im Übermaßverbot. Es hat deshalb eine verfassungsrechtliche Qualität. 17. Die Akkumulation privater gesellschaftlicher Macht stellt keine Usurpation staatlicher Herrschaft dar. Sie ist vielmehr als Ergebnis grundrechtlich geschützter Freiheitsausübung zu verstehen. Wegen des verfassungsrechtlich gebotenen Respekts vor den grundrechtlichen Freiheiten privater Vetomächte ist der Staat unter Umständen auf die Kooperation mit diesen angewiesen, um dadurch die verfassungsrechtlich aufgegebene Funktions- und Handlungsfähigkeit der staatlichen Gewalt herzustellen und zu erhalten. 18. Das Übermaßverbot enthält den Auftrag an den Staat zu prüfen, ob im kooperativen Dialog mit den Betroffenen grundrechtsschonendere Regelungsalternativen ermittelt werden können. Dieser verfassungsrechtliche

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Prüfauftrag erhält umso größeres Gewicht, je höher die Kooperationsbereitschaft der Betroffenen und je niedriger der zu erwartende Kooperationsaufwand einzustufen sind. Eine in der Vergangenheit erfolgreiche Kooperation fällt für eine Fortsetzung der kooperativen Vorgehensweise ins Gewicht. 19. Das Kooperationsprinzip fungiert auch als Rechtsfertigungsgrund für die Einschränkung von Staatsstrukturprinzipien durch gesetzesvorbereitende Vereinbarungen. Die verfassungsrechtliche Qualität des Kooperationsprinzips verleiht diesem in der Abwägung ein erhöhtes Gewicht. 20. Das Schutzniveau der Grundrechte darf nicht deshalb abgesenkt werden, weil der betroffene Grundrechtsträger zur Kooperation mit dem Staat nicht bereit ist. Die vom Gesetzgeber ex officio vorzunehmenden Ermittlungen werden durch eine mangelnde Kooperationsbereitschaft des Privaten nicht reduziert. Der Vorteil von Regelungsmodellen, für deren Entwicklung in starkem Maße eine Mitwirkung der Betroffenen notwendig ist, bleibt allerdings den nicht kooperationsbereiten Grundrechtsträgern naturgemäß versagt. 21. Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen begründen kein schutzwürdiges Vertrauen der privaten Vereinbarungspartner, dass der Gesetzgeber die Vereinbarung gesetzlich umsetzen wird. Vertrauensdispositionen vor der gesetzlichen Umsetzung erfolgen auf eigenes Risiko. 22. Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen zwischen Staat und Privaten kommen in einer Gemengelage aus Freiwilligkeits- und Zwangsmomenten zu Stande. Das nicht offen zu Tage tretende Moment der Fremdbestimmung muss als solches identifiziert werden. Die Trennung zwischen Staat und Gesellschaft hat auch in Bezug auf das informell-kooperative Staatshandeln die Aufgabe, die Fremdbestimmung des Einzelnen durch den Staat sichtbar zu machen. 23. Die Trennung von Staat und Gesellschaft sorgt dafür, dass gesellschaftliche Macht zunächst die Rationalität stiftenden Schleusen des in Wahlen und im Gesetzgebungsverfahren institutionalisierten Diskurses durchlaufen muss, bevor sie sich zur Staatsgewalt verdichten kann. Das Rationalität stiftende Potential dieser Verfahren kann sich jedoch nur entfalten, wenn diese Verfahren nicht durch gesetzesvorbereitende Vereinbarungen entwertet werden. 24. Durch gesetzesvorbereitende Vereinbarungen kann der Staat bestimmte Verhaltensweisen der privaten Vereinbarungspartner gezielt herbeiführen, die sich nicht unmittelbar aus dem Umsetzungsgesetz ergeben, aber mit diesem in einem Austauschzusammenhang stehen. Das vereinbarungsgemäße Verhalten der privaten Vereinbarungspartner wird dem Staat als influenzierte Staatsgewalt zugerechnet, wenn das Gesetzgebungsversprechen

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der Bundesregierung einen Handlungskontext erzeugt hat, in dem das hervorgerufene Privatverhalten für jeden vernünftigen Grundrechtsträger geboten ist. 25. Der Zurechnungszusammenhang des Privatverhaltens zum Staat ist umso enger, je konkreter die Zusagen, bestimmte Regelungen zu erlassen bzw. zu unterlassen, ausgefallen sind, und je deutlicher sich faktische Bindungen zwischen Staat und Privaten entwickelt haben. Je enger der Zurechnungszusammenhang des Privatverhaltens zum Staat geknüpft ist, desto signifikanter tritt der Charakter dieses Verhaltens als influenzierte Staatsgewalt zu Tage, mit der Folge, dass die diesbezügliche verfassungsrechtliche Prüfungsdichte zunimmt. 3. Teil: Die kooperative Staatsgewalt in der Kompetenzordnung 26. Die Gesetzgebungskompetenz für das Umsetzungsgesetz kann um eine Gesetzgebungskompetenz kraft Sachzusammenhangs zu erweitern sein. a) Der Kompetenzübergriff muss mit der Ausübung der geschriebenen Kompetenz sachlich zusammenhängen, sowie geeignet und erforderlich sein, um die Stammkompetenz effektiv auszuüben. Ein bloßer Verhandlungszusammenhang kann den notwendigen Sachzusammenhang nicht ersetzen. Der Kompetenzübergriff wird durch effektive Beteiligung der beeinträchtigten Kompetenzträger abgemildert. b) Der Kompetenzübergriff muss angemessen sein und ist deshalb auf punktuelle Übergriffe zu beschränken. Das Kooperationsprinzip kann bei der Abwägung für die Angemessenheit des Kompetenzübergriffs sprechen, sofern der Kompetenzübergriff für eine erfolgreiche Kooperation notwendig war. Dabei wirkt das Kooperationsprinzip im Unschärfebereich der Kompetenzordnung als Abwägungsmoment auf die Anwendung der Kompetenzen ein. 27. Die Verbandskompetenz des Bundes zum Abschluss einer gesetzesvorbereitenden Vereinbarung ist aus einer Annexkompetenz zur jeweiligen Gesetzgebungskompetenz des Bundes herzuleiten, soweit die Vereinbarung später gesetzlich umgesetzt werden soll. Die Organkompetenz der Bundesregierung zum Abschluss gesetzesvorbereitender Vereinbarungen ergibt sich dementsprechend aus einem Annex zum Gesetzesinitiativrecht. Für die influenzierten Verhaltensverpflichtungen der Vereinbarung, die später nicht unmittelbar gesetzlich umgesetzt werden, kann hingegen auf eine Analogie zu den Gesetzgebungskompetenzen zurückzugreifen sein. 28. Im Rahmen von gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen influenzierte Kompetenzübergriffe bedürfen zu ihrer Rechtfertigung unter dem Gesichts-

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punkt des Sachzusammenhangs keiner expliziten gesetzlichen Umsetzung. Die Kategorien der influenzierenden und influenzierten Staatsgewalt machen den Übergriff sichtbar, so dass die übergriffsbegrenzenden verfassungsrechtlichen Anforderungen auch ohne ausdrückliche gesetzliche Umsetzung angewandt werden können. 29. Je stärkeren Influenzierungsdruck der Staat auf Private ausübt, desto höhere Anforderungen sind an die Rechtfertigung eines influenzierten Kompetenzübergriffs zu stellen. 30. Gesetzlich explizit regelnde Staatsgewalt bricht mittelbar influenzierende Staatsgewalt, unabhängig davon, ob Bund oder Land influenzieren. Influenzierende Bundesstaatsgewalt bricht aber influenzierende Landesstaatsgewalt. 31. Einzelfallregelungen sind charakteristisch für ausgehandelte Gesetze. Bei Übergangsregelungen, die sich auf oligopole Strukturen beziehen, ist das Verbot von Einzelfallgesetzen des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG teleologisch zu reduzieren. Demnach genügt es, wenn die Übergangsregelungen auf sachlich begründeten, verallgemeinerungsfähigen Maßstäben beruhen, die sich aus den Gesetzesmaterialien ergeben. 32. Das Einzelfallgesetzverbot des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG findet bei der Ausgestaltung von Grundrechten auch dann keine Anwendung, wenn die Ausgestaltung grundrechtseinschränkende Wirkungen impliziert. Für eine analoge Anwendung des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG bei Grundrechtsausgestaltungen ist kein Raum. Einem allzu starken Anwachsen von ausgehandelten Einzelfallgesetzen kann durch den Gewaltenteilungsgrundsatz flexibel entgegengewirkt werden. 33. Selbstvollziehende parzellenscharfe Legalenteignungen im Umsetzungsgesetz der Vereinbarungen können für eine einvernehmliche Konfliktbereinigung notwendig sein, um Vollzugsstreitigkeiten zu vermeiden. a) Das Einzelfallgesetzverbot findet bei Enteignungen anders als bei Inhaltsbestimmungen des Eigentums Anwendung. Die grundgesetzliche Gestattung von projektbezogenen Legalenteignungen in Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG und das Verbot von projektbezogenen Einzelfallgesetzen des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG sind so zu harmonisieren, dass parzellenscharfe Legalenteignungen nur dann zulässig sind, wenn gerade diese Art der Enteignung besonders geeignet und erforderlich ist, den Enteignungszweck wirksam zu erreichen. b) Das auf maßgeschneiderte Verhältnismäßigkeit ausgerichtete Kooperationsprinzip und das Verbot von Einzelfallgesetzen sind miteinander abzuwägen. Bei Vorrang des Kooperationsprinzips ist die parzellenscharfe

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Legalenteignung im Umsetzungsgesetz gestattet, sofern diese für eine umfassende Streitbeilegung unter den Kooperationspartnern notwendig ist. 34. Das Aushandeln selbstvollziehender Einzelfallgesetze beeinträchtigt die vertikale Gewaltenteilung, indem die Herstellung individueller Verhältnismäßigkeit von der Vollzugsebene der Länder auf die Gesetzgebungsebene des Bundes hochgezont wird. Die mit selbstvollziehenden Einzelfallgesetzen verbundenen Funktionsübergriffe in den Bereich der Exekutive müssen sich in den Grenzen des Übermaßverbots halten. a) Der Zweistufigkeit von Gesetz und Vollzug kommt unter dem Gesichtspunkt der funktionsgerechten Organstruktur erhöhtes Gewicht zu, wenn es sich um komplexe Materien handelt, deren sachgerechte Bewältigung in hohem Maße vom Vollzugswissen der Exekutive abhängt. Hatte indessen die vollziehende Gewalt – vor allem die an den gesetzesvorbereitenden Verhandlungen nicht unmittelbar beteiligte Landesexekutive – bereits bei der Vorbereitung des Einzelfallgesetzes Gelegenheit, den eigenen Sachverstand wirksam einzubringen, so kommt der Zweistufigkeit ein geringeres Gewicht zu. b) Die Trennung von Gesetz und Vollzug kann die Rationalität der Gesetzgebung verbessern und eine Privilegiengesetzgebung vermeiden helfen, weil Distanz zwischen der Bildung allgemeiner Maßstäbe und dem konkretem Einzelfall geschaffen wird. Dieser Gesichtspunkt hat allerdings bei Übergangsregelungen in oligopolen Strukturen geringere Bedeutung, weil der künftige Vollzug ohnehin bereits bei der Gesetzgebung absehbar ist. c) Selbstvollziehende Einzelfallregelungen zur Umsetzung der Vereinbarung verbessern die umfassende Pazifizierungswirkung der Vereinbarung und steigern die mit der Kooperation bezweckte Rechts- und Planungssicherheit, weil künftige Vollzugsstreitigkeiten reduziert werden. Das Kooperationsprinzip rechtfertigt den Funktionsübergriff in Exekutivkompetenzen umso mehr, je größere Bedeutung die Kooperation im jeweiligen Regelungsbereich für die staatliche Handlungsfähigkeit und die Verbesserung der staatlichen Informationsbasis hat. d) Eine selbstvollziehende Regelung von Einzelfällen im Umsetzungsgesetz ist zudem dann die funktionsadäquate Regelungsform, wenn gerade die geregelten Einzelfälle gesamtgesellschaftlich besonders umstritten sind und deshalb einem umfassenden parlamentarischen „Interessen-clearing“ unterworfen werden sollen, um die Akzeptanz der Regelung zu verbessern. e) Wegen der Möglichkeit, eine Feststellungsklage zu erheben, stellen selbstvollziehende Einzelfallgesetze keine Rechtsschutzverkürzung dar.

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4. Teil: Die Verhandlungsphase 35. Die Vorbereitung der eigenen Gesetzesvorlagen gehört zum Eigenbereich der Bundesregierung. Die Bundesregierung kann über die Gestaltung und Organisation der Gesetzesvorbereitung grundsätzlich frei entscheiden. Hierzu gehört auch die Ausgestaltung der Kooperation mit Privaten im Vorfeld des Gesetzgebungsverfahrens. 36. Je mehr die Gesetzesvorbereitung jedoch den Bereich der organinternen Willensbildung der Bundesregierung verlässt und auf die Entscheidungsfunktion des Parlaments faktisch einwirkt, desto geringeres Gewicht kommt der Organisationsautonomie der Bundesregierung bei der Ausgestaltung der Kooperation mit Privaten zu. 37. Die faktische Austauschbindung gesetzesvorbereitender Vereinbarungen führt dazu, dass nicht legitimierte Private an der inhaltlichen Gestaltung der Staatsgewalt beteiligt werden. Dadurch wird das Demokratieprinzip beeinträchtigt. Nicht jede Absenkung des Legitimationsniveaus stellt jedoch einen Verfassungsverstoß dar. Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen dürfen aber das Legitimationsniveau der gesetzesvorbereitenden Staatsgewalt nicht übermäßig absenken. a) Zur Verbesserung der Informationsbasis der Gesetzesvorbereitung genügen gesetzesvorbereitende Expertenanhörungen. Vorzeitige Verhandlungsrunden sind zu diesem Zweck hingegen nicht erforderlich. b) Zur Verbesserung der Akzeptanz künftiger gesetzlicher Regelungen ist es nicht erforderlich, die Wirkungsbeiträge der legitimierten staatlichen Stellen mit denen der privaten Interessenverbände derart eng zu verzahnen, dass ein diffuses Verantwortungsbild und übermäßige Austauschbindungen entstehen. Eine Trennung von Entwurfserarbeitung durch den Staat und späterer Abstimmung mit privaten Interessenverbänden beeinträchtigt die Legitimation der gesetzesvorbereitenden Staatsgewalt in geringerem Maße und stellt deshalb ein milderes Mittel dar, mit dem die Vorteile des Kooperationsprinzips genauso wirksam genutzt werden können. c) Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen zwischen Staat und Privaten verletzen den Integritätskern der demokratischen Staatswillensbildung, wenn die faktische Bindung der Vereinbarung als funktionales Äquivalent einer Rechtsbindung zu qualifizieren ist. Derartige Vereinbarungen sind verfassungswidrig, ohne dass es einer Abwägung mit dem Kooperationsprinzip bedarf. d) Außerhalb des Kernbereichs der Staatswillensbildung beurteilt sich die Verfassungsmäßigkeit gesetzesvorbereitender Vereinbarungen nach einer Abwägung der gegensätzlichen Verfassungsprinzipien der Demokratie und der Kooperation.

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• Das Gewicht des Demokratieprinzips ist umso höher einzustufen, je stärker der Charakter der Gesetzesvorbereitung als Staatsgewalt ausgeprägt ist und je mehr die Allgemeinheit von der geplanten gesetzlichen Regelung betroffen wird. • Dem Kooperationsprinzip kommt umso größeres Gewicht zu, je mehr der Staat auf eine Zusammenarbeit mit den Betroffenen angewiesen ist, um das Steuerungsziel wirksam zu erreichen. Zudem erlangt das Kooperationsprinzip bei oligopolen Strukturen, bei ausgeprägter Kooperationsbereitschaft der Betroffenen und bei bewährter Kooperation in der Vergangenheit gesteigerte Bedeutung. • Je stärkere faktische Bindungen von der jeweiligen Vereinbarung mit nicht legitimierten Privaten ausgehen, umso deutlicher wird das Legitimationsniveau der gesetzesvorbereitenden Staatsgewalt abgesenkt und umso höheres Gewicht muss dem Kooperationsprinzip im jeweiligen Regelungsbereich zukommen, um die Absenkung des Legitimationsniveaus zu rechtfertigen. e) Die Bundesregierung muss eine Regelungsstruktur schaffen, die eine ausgewogene Balance zwischen Demokratie- und Kooperationsprinzip bei der Vorbereitung der eigenen Gesetzesvorlagen herstellt. 38. Die Auswahl der privaten Vereinbarungspartner durch den Staat muss auf sachlichen Gründen beruhen. Der Bundesregierung steht ein Auswahlermessen zu. Ein starker Charakter der gesetzesvorbereitenden Verhandlungen als faktisch bindendes Bargaining erhöht jedoch die Kontrolldichte im Hinblick auf die Sachgerechtigkeit der Auswahl der Verhandlungspartner. a) Die vom Grundrechtsträger selbst zu verantwortende besondere Betroffenheit rechtfertigt keine besondere Beteiligung an der Staatswillensbildung. Demgegenüber stellt die vom Staat zu verantwortende Betroffenheitsintensität ein sachliches Differenzierungskriterium dar. b) Bei der Auswahl der Vereinbarungspartner nach dem Kriterium der Betroffenheit darf die Bundesregierung typisieren. Die Gründe der Typisierung sind jedoch offen zu legen. Der durch die Typisierung eintretende Verlust an Beteiligungsgerechtigkeit darf nicht schwerer wiegen als die Einsparung der mit der Typisierung erzielten Ermittlungsressourcen. c) Das besondere Sachwissen von Privaten kann es rechtfertigen, diese in die Gesetzesvorbereitung insoweit besonders einzubeziehen, als die besondere Beteiligung der Sachverhaltsaufklärung dient. 39. Die faktische Verbindlichkeit gesetzesvorbereitender Vereinbarungen führt dazu, dass die Vereinbarung bereits vor der gesetzlichen Umsetzung

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Steuerungswirkungen entfaltet. Es kommt zu einer Antizipation des Vollzugs des Umsetzungsgesetzes. 40. Mit Eingriffen und dem Vollzug wesentlicher Regelungen darf indessen erst dann außenwirksam begonnen werden, wenn das Umsetzungsgesetz in Kraft getreten ist. Demgegenüber ist eine lediglich staatsinterne Vorbereitung des künftigen Vollzugs schon vorher gestattet. 41. Das in einer gesetzesvorbereitenden Vereinbarung erklärte, rechtlich unverbindliche Einverständnis mit der Verkürzung der eigenen Grundrechte kann die faktische Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung derart senken, dass die Eingriffschwelle nicht mehr erreicht wird. Dann liegt lediglich eine schlichte Grundrechtsbeeinträchtigung vor. a) Das Einverständnis senkt jedoch nur dann die Beeinträchtigungsintensität, wenn der Grundrechtsträger insoweit dispositionsbefugt ist. Dies ist umso eher zu verneinen, je stärker die Sozialrelevanz der geschützten Freiheitsbetätigung ausgeprägt ist. b) Nur das freiwillig erklärte Einverständnis hat Bedeutung. Bei gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen steht die Einverständniserklärung des Privaten jedoch in einem subordinatorischen Zwangskontext. Ist das Zwangselement derart stark ausgeprägt, dass der Grundrechtsträger wie durch eine Rechtsnorm gezwungen wird, sich in bestimmter Weise zu verhalten, so hat das Einverständnis keinerlei Relevanz. Es liegt trotz Einverständnisses ein Grundrechtseingriff vor, der eine gesetzliche Grundlage zu dem Zeitpunkt erfordert, zu dem der Eingriff außenwirksam ins Werk gesetzt wird. c) Erreicht das Zwangsmoment nicht die Intensität einer Rechtsnorm, so senkt das Einverständnis die faktische Intensität der Grundrechtsverkürzung unter die Eingriffsschwelle ab, so dass dann nur noch von einer schlichten Grundrechtsbeeinträchtigung ausgegangen werden kann. d) Bei schlichten Grundrechtsbeeinträchtigungen beurteilt sich die Erforderlichkeit einer parlamentsgesetzlichen Grundlage nach der Wesentlichkeitstheorie. Die vereinbarten Regelungen sind dann umso eher als wesentliche Regelungen im Sinne der Wesentlichkeitstheorie einzustufen, je stärker ihr Bezug zu Verfassungsprinzipien ausgeprägt ist, je besser die Rechtsform des Gesetzes und das parlamentarische Verfahren zur Regelung der betreffenden Materie geeignet sind und je gravierender die bisherigen gesellschaftlichen Verhältnisse umgestaltet werden sollen. Nach der Wesentlichkeitstheorie dürfen wesentliche Regelungen eines Gesetzes erst mit InKraft-Treten des Gesetzes außenwirksam vollzogen werden. 42. Das Übermaßverbot greift unabhängig vom Vorbehalt des Gesetzes ein und schützt den privaten Vereinbarungspartner vor der strukturellen Überlegenheit des Staates, die aus dessen Zwangsreserve herrührt.

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43. Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen beruhen auf dem Austausch von Leistung und Gegenleistung. Dabei darf sich die Bundesregierung die eigene Verfassungsbindung jedoch nicht entlohnen lassen, indem sie sich Gegenleistungen dafür versprechen lässt, dass sie die Vorgaben des Grundgesetzes einhält. Zudem müssen die vereinbarte Leistung und Gegenleistung sachlich zusammenhängen. 44. Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen können den anhängigen Vollzug politisierend beeinflussen. Aus dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung ergibt sich jedoch, dass Gesetzgebung und anhängiger Vollzug zu entkoppeln sind. 45. Das Aushandeln von Gesetzespaketen zwischen Bundesregierung und Privaten wird in Teilen der Literatur als Verstoß gegen die Organtreue gegenüber Bundestag und Bundesrat angesehen. Die Organtreue unter den Bundesorganen ist Ausfluss des Gebots der Einheitlichkeit der Bundesstaatsgewalt. Der konkrete Inhalt der Organtreue ist bezogen auf den jeweiligen Regelungsbereich akzessorisch zum geschriebenen Verfassungsrecht zu entwickeln. a) Wirkt die Bundesregierung auf der Partei- oder Fraktionsschiene auf die Abgeordneten ein, um eine Mehrheit im Bundestag für die ausgehandelte Gesetzesvorlage zu erreichen, so entspricht dies der vom Grundgesetz gewollten Funktionsfähigkeit des parlamentarischen Regierungssystems. Darin kann kein Verstoß gegen die Organtreue gesehen werden. b) Die Bundesregierung muss den Bundestag nach dem Grundsatz der Organtreue an den gesetzesvorbereitenden Verhandlungen effektiv beteiligen und dessen Position bereits bei der Festlegung der eigenen Verhandlungsposition berücksichtigen. Die Information des Bundestages auf Initiative der Bundesregierung ist allerdings subsidiär gegenüber einem vom Bundestag bzw. einzelnen Abgeordneten selbst initiierbaren Informationsersuchen. c) Bezogen auf die gesetzesvorbereitenden Verhandlungen mit den Privaten sind das Geheimhaltungsinteresse der Bundesregierung und das Informationsinteresse des Parlaments miteinander abzuwägen. Dem Informationsinteresse des Parlaments kommt dabei umso größeres Gewicht zu, je intensiver organübergreifende faktische Bindungen bei den Verhandlungen erzeugt werden. Die Gründe für eine Geheimhaltung der gesetzesvorbereitenden Verhandlungen sind gegenüber dem Parlament offen zu legen. d) Die Bundesregierung ist nach Art. 53 Satz 3 GG zur fortlaufenden Information des Bundesrates über die gesetzesvorbereitenden Verhandlungen verpflichtet. Diese Informationsverpflichtung gegenüber dem Bundesrat ist im Gegensatz zur Information des Bundestages gegenüber einem eigenen

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Nachfragen nicht subsidiär. Die Pflicht zur fortlaufenden Information effektiviert bei gesetzesvorbereitenden Verhandlungen mit Privaten das Beteiligungsrecht des Bundesrates nach Art. 76 Abs. 2 GG. 46. Die in gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen enthaltenen Regelungen betreffen unter Umständen einige Bundesländer in erheblich stärkerem Maße als andere. Die Bundestreue kann gebieten, diejenigen Länder, die von der gesetzlichen Regelung ungleich stärker als andere Länder betroffen werden, bereits in die Gesetzesvorbereitung besonders einzubeziehen. a) Soweit das Grundgesetz Bund und Länder zum Schutz bestimmter Grundrechte und zur Erfüllung bestimmter, konkret normierter Staatsziele verpflichtet, ergibt sich aus der gemeinsamen Verantwortung für diese verfassungsrechtlichen Ziele ein Rechtsverhältnis. Die Bundestreue entwickelt innerhalb dieses Rechtsverhältnisses akzessorische Koordinationspflichten. b) Für die Effektivität der Länderbeteiligung kommt es darauf an, dass diese frühzeitig vor der Entstehung von faktischen Bindungen gegenüber den privaten Vereinbarungspartnern durchgeführt wird. c) Dabei steht die Vermittlungsfunktion des Bundesrates einer Direktbeteiligung der Länder an der Gesetzesvorbereitung grundsätzlich nicht entgegen. d) Aus der Eigenstaatlichkeit der Länder ergibt sich jedoch, dass diese grundsätzlich ihre Belange auf eigene Initiative dem Bund mitteilen müssen, es sei denn der Bund beeinträchtigt die Länderkompetenzen zielgerichtet oder die Interessen der Länder mussten sich dem Bund von selbst aufdrängen. 47. Art. 76 Abs. 1 GG weist das Initiativrecht der Bundesregierung als Kollegialorgan zu. Das Kollegialprinzip erfordert, dass alle Ressorts die Möglichkeit des effektiven Einflusses auf die gesetzesvorbereitenden Verhandlungen haben. Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen, die von einzelnen Mitgliedern der Bundesregierung ausgehandelt werden, können das Kollegialprinzip beeinträchtigen. 48. Dem Initiativrecht und der Initiativverantwortung der Bundesregierung korrespondiert eine Initiativfreiheit, deren retrospektive Ausstrahlungskraft sich auf die gesamte Vorbereitung der Gesetzesvorlage erstreckt und eine faktische Bindung der Initiativgewalt der Bundesregierung an Private begrenzt. Beeinträchtigungen der Initiativfreiheit sind nur in den Grenzen des Übermaßverbotes gestattet. 49. Die Bundesregierung ist zur kritischen Rezeption der vereinbarten gesetzlichen Regelungen verpflichtet. Das setzt voraus, dass der Beschluss zur Gesetzesinitiative auf einer in sich selbst tragfähigen, sachlich begrün-

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deten Abwägung beruht, die von der Zustimmung der Vereinbarungspartner weitgehend unabhängig ist. Ein bloßer Verweis auf die Vereinbarung in der Begründung der Gesetzesvorlage wird dem Gebot der kritischen Rezeption nicht gerecht. 50. Die faktische Bindung an gesetzesvorbereitende Vereinbarungen wird dadurch verstärkt, dass diese schon vor Beginn des parlamentarischen Verfahrens veröffentlicht werden. Erwecken Mitglieder der Bundesregierung dabei den Eindruck, die gesetzliche Umsetzung sei nur noch Formsache, so verstößt dies gegen die Initiativfreiheit der Bundesregierung als Kollegialorgan sowie gegen die Organtreue gegenüber dem Bundestag. 51. Aus dem Demokratieprinzip ergibt sich das Gebot, den Einfluss von gesellschaftlichen Kräften auf die Gesetzesvorbereitung zumindest nachträglich im Gesetzgebungsverfahren offen zu legen. Dem korrespondiert ein Informationsanspruch des Einzelnen, der auf die Informationsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG in Verbindung mit dem Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 2 GG zu stützen ist. Die Informationsfreiheit bezieht sich nicht nur auf diejenigen staatsbezogenen Informationen, die der Allgemeinheit zu Verfügung gestellt wurden. Vielmehr umfasst sie auch diejenigen staatsbezogenen Informationen, die der Öffentlichkeit unter dem Gesichtspunkt einer effektiven Demokratie bereit gestellt werden müssen. 52. Ein Anspruch auf Information über die Gesetzesvorbereitung kann sich auch aus dem Gebot der informationellen Gleichbehandlung ergeben, sofern eine entsprechende Informationspraxis des Staates feststellbar ist. Der Gleichbehandlungsgrundsatz kann bereits vor Beginn des parlamentarischen Verfahrens greifen, sofern die gesetzesvorbereitenden Ministerien unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Grenzen bereits vorab einzelnen Privaten Informationen über die Gesetzesvorbereitung haben zukommen lassen. 53. Das Geschäftsordnungsrecht der Bundesministerien und des Bundestages sowie das kooperationsoffene Verwaltungsrecht lassen Elemente einer Legitimationsstruktur erkennen, die sich für eine Kanalisierung des Einflusses von Interessenverbänden auf die Gesetzesvorbereitung eignen. Eine Kombination personeller, sachlich-thematischer und verfahrenssteuernder Legitimationsmedien kann dazu beitragen, ein ausreichendes Legitimationsniveau der Gesetzesvorbereitung zu sichern. 54. Bei der Vorbereitung von Gesetzesvorlagen sind Sachverhaltsermittlung und Abgleich mit Partikularinteressen zu unterscheiden. Notwendig ist ein Mindestmaß an Trennung von Entwurfserarbeitung im Ministerium und Abstimmung mit privaten Interessenvertretern. Dadurch wird die notwendige Distanz zwischen Staat und Privatinteressen hergestellt und die Integrität der staatlichen Willensbildung geschützt.

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55. Die effektive Beteiligung legitimierter staatlicher Stellen hat Vorrang vor der Einbeziehung von gesellschaftlichen Kräften. Dem ist bereits bei der Vorbereitung der Gesetzesvorlage Rechnung zu tragen. 56. Im Kreislaufmodell der Gesetzesvorbereitung wird vorgeschlagen, den Initiativbeschluss der Bundesregierung in einen antizipativen Grundsatzbeschluss und einen rezeptiven Abschlussbeschluss aufzuspalten. Der antizipative Grundsatzbeschluss enthält das Programm und den Rahmen für die späteren Verhandlungen mit den Privaten. Im rezeptiven Abschlussbeschluss findet eine kritische Würdigung eventueller Abweichungen vom ursprünglichen Programm statt. Mit dem antizipativen Grundsatzbeschluss und dem rezeptiven Abschlussbeschluss findet die Gesetzesvorbereitung ihren Ausgangs- und Endpunkt bei der zur Gesetzesinitiative legitimierten Bundesregierung. 57. Eine umfassende Regelung gesetzesvorbereitender Vereinbarungen zwischen Bundesregierung und Privaten durch Parlamentsgesetz würde einen Übergriff des Gesetzgebers in die Organisationsautonomie und Initiativfreiheit der Bundesregierung bedeuten. Einer Entwertung des Gesetzgebungsverfahrens ist indessen nicht durch eine weitere Ausweitung des Anwendungsbereiches von Parlamentsgesetzen, sondern durch eine Vitalisierung der nachträglichen parlamentarischen Kontrolle im Umsetzungsgesetzgebungsverfahren zu begegnen. 58. Das Geschäftsordnungsrecht der Bundesregierung stellt die funktional adäquate Regelungsform dar, um den Einfluss von Interessenverbänden auf die Gesetzesvorbereitung zur kanalisieren. Verstöße gegen das Geschäftsordnungsrecht führen zur Verfassungswidrigkeit gesetzesvorbereitender Vereinbarungen, sofern die einschlägigen Bestimmungen verfassungsrechtliche Anforderungen konkretisieren. 5. Teil: Die Umsetzungsphase 59. Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen lassen das nachfolgende Gesetzgebungsverfahren zur Umsetzung der Vereinbarung formal unberührt. Je stärker jedoch die faktischen Bindungen der Vereinbarung ausgeprägt sind, desto stärker beeinträchtigen sie die diskursiv-abwägende Funktion des parlamentarischen Verfahrens und die materielle Legitimation des Gesetzes. 60. Dem erhöhten normhierarchischen Rang des Parlamentsgesetzes entspricht ein erhöhter Legitimationsanspruch. Diesem erhöhten Legitimationsanspruch wird das Parlamentsgesetz nicht allein dadurch gerecht, dass die Abgeordneten bei formaler Betrachtungsweise unmittelbar vom Volk gewählt werden. Angesichts der faktischen Mediatisierung der Wahlen durch

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die Parteien bedarf es vielmehr zusätzlich einer materiellen Legitimation des Parlamentsgesetzes durch ein substanziiertes Verfahren der Gesetzgebung. 61. Das Grundgesetz geht von einem Idealbild des umfassend abwägenden Abgeordneten und eines substanziell verhandelnden Parlaments aus. Die darin zum Ausdruck kommende diskursiv-abwägende Funktion des Gesetzgebungsverfahrens ist Ausfluss des Demokratie-, Rechtsstaats- und Gewaltenteilungsprinzips. Das Grundgesetz gebietet, dass die genannte Funktion des Gesetzgebungsverfahrens in der parlamentarischen Praxis zu einem Mindestmaß tatsächlich zum Tragen kommt. 62. Der Gefahr einer Entwertung des Gesetzgebungsverfahrens durch gesetzesvorbereitende Vereinbarungen ist durch eine verfassungsrechtliche Kontrolle des gesetzgeberischen Abwägungsvorgangs entgegenzuwirken. a) Die eigenständige Kontrolle des gesetzgeberischen Abwägungsvorgangs gewährleistet eine präventive Selbstkontrolle des Parlaments sowie ein umfassende Verfassungsgeltung auch in den Fällen, bei denen es nicht zur verfassungsgerichtlichen Kontrolle kommt. b) Durch die eigenständige Kontrolle des gesetzgeberischen Abwägungsvorgangs wird das Bundesverfassungsgericht von einer ergebnisbezogenen Kontrolle entlastet und der politische Diskurs in die für diesen Diskurs zuständigen Gesetzgebungsorgane zurückverlagert. Die ergebnisunabhängige, eigenständige Kontrolle des gesetzgeberischen Abwägungsvogangs entspricht einer funktionsgerechten Organstruktur. c) Der ordnungsgemäße parlamentarische Abwägungsvorgang begründet die materielle Legitimation von Parlamentsgesetzen. In der substanziellen parlamentarischen Abwägung findet die politische Gestaltungsfreiheit des Parlaments ihre Begründung. Deshalb muss eine Beeinträchtigung des diskursiv-abwägenden parlamentarischen Abwägungsvorgangs durch eine auf die Gesetzgebung zugeschnittene Abwägungsfehlerkontrolle vermieden werden. 63. Die vom Gesetzesinhalt unabhängige, eigenständige Kontrolle des gesetzgeberischen Abwägungsvorgangs ist auf die Abwägung derjenigen Verfassungsgüter zu konzentrieren, die durch das ausgehandelte Gesetz erheblich beeinträchtigt werden und deren Beeinträchtigung sich dem Gesetzgeber aufdrängen musste. a) Die Erheblichkeitsschwelle ist umso niedriger anzusetzen, je größeres Gewicht dem beeinträchtigten Verfassungsprinzip bezogen auf den jeweiligen Regelungsbereich zukommt. b) Für die Frage, ob sich die Beeinträchtigung dem Gesetzgeber aufdrängen musste, kommt es auf die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, den Stand der Wissenschaft und die Staatspraxis an.

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64. Der für das Gesetz entscheidungsrelevante Sachverhalt muss bereits im Gesetzgebungsverfahren derart substanziiert werden, dass eine auf den jeweiligen Regelungssachverhalt bezogene Bewertung der einschlägigen Verfassungsprinzipien möglich wird. a) Ein hoher Rang der betroffenen Verfassungsgüter und eine starke Beeinträchtigungsintensität erhöhen die Anforderungen an die gesetzgeberische Substanziierung. b) Das in gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen typischerweise enthaltene Kontinuitätsversprechen und ein verwaltungstypischer Einzelfallbezug wirken sich zusätzlich verschärfend auf das notwendige Ermittlungs- und Abwägungsniveau aus. 65. Für selbstvollziehende Gesetze gilt ein Gebot der gesetzgeberischen Konfliktbewältigung. Gesetze dürfen die notwendige Abwägung dem Vollzug nur insoweit überlassen, als im Vollzug noch ausreichend Spielräume für eine diesbezügliche Abwägung bestehen. Dadurch wird vermieden, dass es zu einem Vakuum in der Wahrnehmung der abwägenden Sachverantwortung kommt. 66. Es besteht eine Obliegenheit des Gesetzgebers, die eigene Abwägung in den Gesetzesmaterialien zu dokumentieren. Dokumentationslücken gehen zu seinen Lasten. Entscheidend ist die Abwägung der Parlamentsmehrheit, die das Gesetz beschließt und diesem seine spezifische Legitimation verleiht. Die Zurechnung einzelner Abwägungsgesichtpunkte aus den Materialien zur Beschlussmehrheit lässt sich dadurch verbessern, dass die Abwägung in der Gesetzesvorlage durch eine parlamentarische Entschließung übernommen, ergänzt oder geändert wird. Ansonsten gehen eventuelle Zurechnungszweifel zu Lasten des Gesetzgebers. 67. Der Gesetzgeber muss den einschlägigen verfassungsrechtlichen Prüfaufgaben im jeweiligen Gesetzgebungsverfahren nachkommen. Gesetzesmaterialien früherer Legislaturperioden sind für die Kontrolle der gesetzgeberischen Abwägung nur insoweit relevant, als das gegenwärtige Gesetzgebungsverfahren einen eindeutigen Verweis auf die in Bezug genommenen Materialien enthält und die Materialien erkennen lassen, dass sich der Gesetzgeber die frühere Abwägung erneut zu Eigen gemacht hat. 68. Schließt die Bundesregierung eine verfassungswidrige gesetzesvorbereitende Vereinbarung ab und macht sich das Parlament diese Vereinbarung zu Eigen, indem es die gesetzliche Umsetzung beschließt, so liegt ein Abwägungsmissbrauch des Gesetzgebers auch insoweit vor, als Vereinbarungsteile nicht unmittelbar gesetzlich umgesetzt werden, aber mit den umgesetzten Teilen in einem Austauschzusammenhang stehen.

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69. Die verfassungsrechtliche Kontrolle des gesetzgeberischen Abwägungsvorgangs führt zu substanziierteren Gesetzesvorlagen und verbessert damit die Informationsbasis der Abgeordneten. Die damit verbundene Parlamentarisierung des parlamentarischen Verfahrens wirkt einer Entwertung des Gesetzgebungsverfahrens durch gesetzesvorbereitende Vereinbarungen entgegen. 70. Das Einverständnis der privaten Vereinbarungspartner entlastet den Gesetzgeber bei der Prüfung der Erforderlichkeit einer Grundrechtsbeeinträchtigung, sofern davon ausgegangen werden konnte, dass die Privaten hinsichtlich gleich wirksamer, aber grundrechtsschonenderer Mittel ein besseres Sachwissen als der Staat haben, und sich dem Staat ein milderes Mittel nicht von selbst aufdrängen musste. 71. Das Einverständnis des privaten Vereinbarungspartners mit einem Regelungspaket kann dazu führen, dass die Angemessenheitsprüfung nicht für jede einzelne Regelung isoliert, sondern bezogen auf den gesamten Kompensationszusammenhang vorzunehmen ist. Die gesetzesvorbereitende Vereinbarung verklammert unterschiedliche Regelungsbereiche, die deshalb bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung als Einheit zu betrachten sind. 72. Das Einverständnis der privaten Vereinbarungspartner ist ein umso gewichtigeres faktisches Indiz für die Angemessenheit der Grundrechtsbeeinträchtigung, je geringer das staatliche Zwangsmoment bei den Verhandlungen ausgeprägt war. 73. Die Entlastungswirkung des Einverständnisses der privaten Vereinbarungspartner ist stets auf deren eigenen Rechtskreis begrenzt. Je stärker der Staatsgewaltcharakter einer gesetzesvorbereitenden Vereinbarung ausgeprägt ist, umso intensiver muss die verfassungsrechtliche Kontrolle des gesetzgeberischen Abwägungsvorgangs in Bezug auf die Belange Dritter und der Allgemeinheit ausfallen. 74. Eine bereichsübergreifende parlamentsgesetzliche Gesetzgebungsordnung, die die gesetzgeberischen Abwägungspflichten in Selbstbindung des Gesetzgebers näher konkretisiert, könnte dazu beitragen, die legitimatorische Substanz des Gesetzgebungsverfahrens zu sichern. Der Gesetzgeber kann jedoch die notwendige Abwägung auch bezogen auf das jeweilige Gesetz vornehmen, so dass derzeit kein zwingender Grund für eine bereichsübergreifende Selbstbindung des Parlaments in einem Gesetzgebungsverfahrensgesetz ersichtlich ist.

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6. Teil: Der Zusammenhang der Phasen und Fehlerfolgen 75. Verfassungsverstöße können sowohl aus der Verhandlungsphase als auch aus der Umsetzungsphase herrühren. Prozessimmanente faktische Bindungen transportieren Fehler aus der Verhandlungsphase in die Umsetzungsphase und infizieren dort den gesetzgeberischen Abwägungsvorgang. Von einer Heilung der defizitären Abwägung während des parlamentarischen Verfahrens kann nur insoweit ausgegangen werden, als der Gesetzgeber in eine von der Vereinbarung gelöste, eigenständige Abwägung eingetreten ist. 76. Fehler im gesetzgeberischen Abwägungsvorgang können auch dann, wenn sich der Nachweis einer Auswirkung auf den Inhalt des Gesetzes nicht führen lässt, zur Nichtigkeit des Gesetzes führen, wenn der Verfassungsverstoß schwerer wiegt als das Gebot der Rechtssicherheit.

7. Teil: Die Geltendmachung von Verfassungsverstößen 77. Es besteht kein von Beeinträchtigungen der eigenen Grundrechte abgelöstes, eigenständiges Recht des Bürgers auf einen fehlerfreien gesetzgeberischen Abwägungsvorgang. Fehler im Abwägungsvorgang können vom Grundrechträger jedoch insoweit geltend gemacht werden, als er in eigenen Grundrechten beeinträchtigt wird. 78. An den gesetzesvorbereitenden Verhandlungen gleichheitswidrig nicht beteiligte Grundrechtsträger können ihre Beteiligung während den laufenden gesetzesvorbereitenden Verhandlungen nicht mit einer Verfassungsbeschwerde erzwingen. Die vorrangige Kontrollfunktion des Parlaments gebietet es, die parlamentarische Umsetzung der Vereinbarung abzuwarten. Im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde gegen das Umsetzungsgesetz kann dann die gleichheitswidrige Nichtbeteiligung gerügt werden, sofern der Beteiligungsmangel nicht im Gesetzgebungsverfahren kompensiert wurde. 79. Bundesorgane und Länder, die durch die gesetzesvorbereitenden Verhandlungen in ihren Rechten verletzt werden, können dies bereits während den laufenden Verhandlungen mit den privaten Interessenvertretern geltend machen. Anders als Privatpersonen müssen sie nicht die gesetzliche Umsetzung abwarten. 80. Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen können nur insoweit mit einer Verfassungsbeschwerde angegriffen werden, als von diesen bereits vor der gesetzlichen Umsetzung eine gegenwärtige und unmittelbare eigene Rechtsverletzung ausgeht.

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81. Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen unterliegen einer analogen abstrakten Normenkontrolle, sofern sie bereits vor der gesetzlichen Umsetzung wie ein Gesetz vollzogen werden und zu irreparablen Schäden führen, so dass eine Normenkontrolle gegen das Umsetzungsgesetz zu spät käme. 82. Das faktische Einverständnis der privaten Vereinbarungspartner mit den vereinbarten Regelungen führt nicht dazu, dass diese ihre Möglichkeit zur Verfassungsbeschwerde verwirkt hätten. Das Einverständnis ist auf der Begründetheitsebene differenziert zu würdigen. 83. Eine nachträgliche Ergänzung des gesetzgeberischen Abwägungsvorgangs ist außerhalb eines neuen Gesetzgebungsverfahrens nicht möglich. Eine defizitäre gesetzgeberische Abwägung kann nicht durch Vortrag im Verfassungsprozess nachgebessert werden.

8. Teil: Der relative Bestandsschutz vereinbarter Gesetze 84. Die sektorale Änderung ausgehandelter Gesetze zu Lasten des privaten Vereinbarungspartners kann dazu führen, dass die Angemessenheit des ausgehandelten Gesetzes in seiner Gesamtheit erneut zu überprüfen ist, sofern die geänderten Vorschriften Belastungen durch nicht geänderte Vorschriften ausgleichen sollten. Die kompensatorische Verklammerung unterschiedlicher Regelungen wirkt sich stabilisierend auf ausgehandelte Gesetze aus. 85. Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen können als faktischer Vertrauenstatbestand einer Änderung ausgehandelter Gesetze entgegenwirken. Sie begründen einen kooperationsspezifischen Vertrauensschutz, der auf den Grundsatz von Treu und Glauben zu stützen ist. 86. Die Gründe für die Änderung eines Gesetzes sind mit dem Schutz des Vertrauens in den Fortbestand der vereinbarten Rechtslage abzuwägen. a) Für das Gewicht des Vertrauensschutzes kommt es auf die Intensität der faktischen Bindung der Vereinbarung, die bisher realisierte Betätigung des Vertrauens, eine besondere gesetzliche Umsetzung der vereinbarten Kontinuitätszusage sowie den Charakter eines ausgehandelten Gesetzes als Übergangsregelung an. b) Demgegenüber hat die Änderung des Gesetzes erhöhtes Gewicht, wenn ihr eine verfassungs- oder europarechtliche Vorgabe zu Grunde liegt. 87. Bei verfassungswidrigen gesetzesvorbereitenden Vereinbarungen ist der Vertrauensschutz umso mehr reduziert, je gravierender die Rechtsverstöße sind und umso eher die privaten Vereinbarungspartner von der Rechtswidrigkeit der Vereinbarung wissen konnten. Im Zweifel dürfen die

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privaten Vereinbarungspartner jedoch auf die Verfassungsmäßigkeit einer gesetzesvorbereitenden Vereinbarung vertrauen, so dass auch verfassungswidrige gesetzesvorbereitende Vereinbarungen einen Vertrauensschutz begründen können. 9. Teil: Das Prinzip der Authentizität und Eigenverantwortung 88. Dem Grundgesetz liegt ein Prinzip der Authentizität des Gesetzgebungsverfahrens und der Eigenverantwortung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe zu Grunde. Das Verfassungsprinzip der Authentizität und Eigenverantwortung fordert ein Mindestmaß an gewissenhafter, eigenständiger Meinungsbildung in den Staatsorganen ein. Es bündelt die Vielzahl der verfassungsrechtlichen Anforderungen an die informell-kooperative Gesetzgebung und rationalisiert den verfassungsrechtlichen Diskurs in Gegenüberstellung mit dem konkurrierenden Kooperationsprinzip. 89. Das Prinzip der Authentizität des Gesetzgebungsverfahrens und der Eigenverantwortung der Gesetzgebungsorgane fordert eine Legitimationsstruktur für die Einbeziehung nicht legitimierter Privater in die Gesetzesvorbereitung und eine Substanzialisierung des gesetzgeberischen Abwägungsvorgangs. 90. Bei Unterschreiten des vom Prinzip der Authentizität geforderten Mindestmaßes an organspezifischer Funktionserfüllung kann ein Gesetz verfassungswidrig und nichtig sein. Dieses Risiko der Verfassungswidrigkeit stärkt das Verfassungs- und Rechtsbewusstsein auch außerhalb des justiziablen Minimalgehaltes des Verfassungsprinzips.

10. Teil: Die informell-kooperative Gesetzgebung als Chance 91. Wird das Prinzip der Authentizität und Eigenverantwortung in der Verhandlungs- und Umsetzungsphase beachtet, bieten gesetzesvorbereitende Vereinbarungen mit Umsetzungsgesetz die Chance, dass die Vorzüge des informell-kooperativen Staatshandelns mit den Qualitätsmerkmalen formalisierter Gesetzgebung eine fruchtbare Symbiose eingehen und zum politischen Erfolg beitragen.

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Sachwortverzeichnis Abwägungsfehler – derivativer 505 – originärer 505 Abwägungsmissbrauch 478–479, 584 Abwägungspatt 226 Abwägungsvorgang 161, 224, 337, 436–438, 442–445, 447–451, 456– 457, 463, 468, 470–471, 476, 478, 480, 482, 485, 490, 492, 502, 506– 513, 532–534, 583, 586 Änderungssouveränität 537 aktivierender Staat 178 Akzessorietät 307–308, 312, 330, 337 Allgemeinverbindlicherklärung 57, 94, 97, 102, 350 Amtlichkeit 110–111, 134, 137, 139, 571 Angemessenheit 55, 162, 184, 192– 193, 207, 212, 215, 217, 221, 227, 230, 255, 350–351, 488–491, 535, 573, 585, 587 Anhörung 42, 44, 75, 77, 148, 183, 215, 246, 253, 320, 333–334, 381– 382, 396, 431–432, 467, 504–505, 543, 552 Annexkompetenz 186–188, 190, 194, 522, 573 Arguing 72–79, 124, 146, 157–158, 249, 253, 269, 382, 387–388, 394, 402, 567 Atomgesetznovelle – Förderzweck 37, 95, 302 – Sicherstellungszweck 40, 540, 546– 547 Atomtransporte 42, 177, 284 Aushöhlung der Verfassung 30, 34, 50, 119–120, 186, 256, 333, 402, 561

Austauschbindung 67, 70–72, 77, 81, 84–85, 117, 253, 256, 340, 345, 576 authentische Auslegung 294 Authentizität 33, 241, 294, 413–414, 477, 550, 552–557, 559, 561–564, 566, 588 Authentizitätsprinzip 559, 564 Bargaining 72–74, 76–79, 84–86, 124, 146, 157–158, 243, 248, 253, 269, 293, 382, 388, 394, 402, 430, 434, 567, 569, 577 Beamtenrecht 46, 150–151 Brokdorf-Entscheidung 167 Bund-Länder-Streit 298, 518, 532 Bundesorganstreitverfahren 518–519, 532 Bundesrat, Vermittlungsfunktion 580 Bundestreue 119–120, 183, 236, 304, 307, 310, 328–337, 375, 396, 411, 454, 456, 505, 516, 580 Culpa in contrahendo 164–165 Demokratieprinzip 54, 101, 103–106, 109–111, 113–115, 117–119, 121, 125–126, 134, 138, 140, 152, 167, 169, 235–246, 249–251, 253, 256– 259, 261–263, 292, 299, 301, 339, 347–348, 358–362, 367–370, 373, 390, 423–424, 427, 429, 446, 452, 570, 576, 581 – Hierachiemodell 236–237, 240– 241, 243–244, 248–250, 255, 263 Dienst nach Vorschrift 551, 553 Diskontinuität 474–475 Diskurs 34, 39, 147, 169, 171–172, 180, 191, 216–217, 242–243, 246,

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Sachwortverzeichnis

267, 286–287, 292, 312, 350–351, 356, 363, 367, 414–415, 417–421, 423–424, 427–428, 430, 439, 441– 443, 445–446, 451–452, 455, 474, 478, 484, 504, 509–510, 512, 559, 564, 566–557, 583, 588 Diskursivität 172–173, 199, 288, 410, 418, 420, 427–428, 430, 438, 445, 447–448, 492, 511–513, 553, 556– 557, 564 divide et impera 397 Dokumentation der Gesetzgebung 192, 363, 368, 400, 472–474, 476, 547 doppelte Dividende der Kooperation 252 Dreistufenmodell der Kooperation 387 Dualismus 134, 147, 168–169, 171, 173, 180 Dynamische Verfassung 143 effektive Beteiligung 182–183, 215, 217, 322, 327, 329, 331, 333–335, 391, 397, 403–405, 516, 518–519, 532, 534, 573, 580, 582 effektiver Rechtsschutz 219–220 Effektivität der Verfassung 116–117, 120, 127–128, 130, 133, 143, 146, 179, 251, 408, 502, 570 Eigenbereich der Regierung 231–234, 322, 324, 361, 407–408, 410, 576 Eigentumsgrundrecht 204, 452, 461– 462, 489 Eigenverantwortung 33, 148, 155, 178, 335, 349, 366, 407–408, 441, 445, 447, 463, 468, 484, 518, 550, 552–558, 560–564, 566, 588 Eingriffsintensität 277, 488 Eingriffsschwelle 141–143, 277, 280– 281, 284, 531, 578 Einzelfallgerechtigkeit 156, 160, 198, 218, 289, 470 Einzelfallgesetze 195–196, 199, 201, 203–205, 207–209, 220, 227, 289, 472, 574–575 Empfängerhorizont 58

empiriebezogene Betrachtungsweise 120 Emschergenossenschaftsgesetz 150 Endlager 39, 45, 83–84, 98 Enquete-Kommission 378, 382–383, 393 Entkoppelung von Gesetzgebung und Vollzug 282, 297, 301 Entscheidungsbegriff – formaler 113 – natürlicher 111 – verfassungsrechtlicher 112 Entscheidungscharakter 110–113, 120–121, 130, 132, 135, 139–140, 144, 146, 255, 258 Entschließungsantrag 43–44, 459–460, 476–477, 505, 543 Entsorgung 38–39, 45, 60, 76, 92, 109, 170, 178, 183, 223, 283, 290– 291, 293, 341, 351, 485, 490, 505, 544, 547 Entwertung der Gesetzgebung 117, 249, 256, 309, 331, 335, 391, 402, 404, 430, 451, 473, 485, 511, 582– 583, 585 Erforderlichkeit 156, 159, 162, 167, 185, 212, 214, 217, 253, 404, 487– 488, 490–491, 578, 585 Erheblichkeitsschwelle 117–118, 120, 123, 453, 472, 583 Ermessen – gouvernementales 269 – Planungsermessen 300 – Vollzugsermessen 300 Europarecht 96, 474, 548, 569, 587 Experimentiergesetz 464 faktische Bindung 32, 55–56, 58, 60, 65–71, 77–85, 87, 100, 107, 110– 113, 117–118, 120, 124–125, 127, 129–130, 135, 139, 141, 143, 145– 146, 172, 177–179, 193, 215, 227, 229–230, 235, 245–246, 249, 254– 257, 261–263, 269, 272–273, 283, 297, 303, 309, 322–325, 327–328,

Sachwortverzeichnis 331, 335, 337–339, 341, 346–348, 354–355, 362, 375–376, 378, 382– 383, 395–397, 399–400, 405, 410– 411, 430, 433–434, 455, 460, 492, 500–501, 503–504, 511, 517, 519, 522, 533, 544–546, 548, 559, 568– 569, 573, 576–577, 579–582, 586 – organübergreifende 323–324, 409, 501, 505, 517, 579 faktische Konzentration 87–88, 181 Feudalsystem 30 Finalität 99, 140–142, 145–146, 177, 544 Finanzausgleich 437, 497 finanzielle Ressourcen 64, 86 Flachglas-Entscheidung 404 Flexibilität der Regelungsstruktur 410 formaler Gesetzesbegriff 209 Formalisierung, nachträgliche 132 Formprinzip 113–115, 125, 132 Freiheitssicherungsfunktion des Gesetzes 169, 424–425, 515 Freiwilligkeit 91, 175–177, 179, 193, 220, 276, 279–280, 282–284, 320, 457, 486, 489, 578 Fremdbestimmung 169–170, 176, 178, 248, 572 Früherkennung verfassungsrechtlicher Mängel 440 funktionale Äquivalenz 116–118, 177, 179, 190, 255, 263, 283, 346, 576 funktionale Selbstverwaltung 150, 239, 244 Funktionsfähigkeit der Staatsgewalt 152–153, 251, 571 funktionsgerechte Gewaltenordnung 442 funktionsspezifische Eigenenergie 426 Gebot der Distanz 402–403 Gebot der effektiven Kollegialentscheidung 403 Gebot der gesetzgeberischen Konfliktbewältigung 466, 584

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Gebot der kritischen Rezeption 341, 349–350, 353, 400, 403–405, 463, 498, 504, 558, 560, 580–581 Gebot der Partizipationsgleichheit 403 Gebot der Verhandlungstransparenz 358 Gebot effektiver Beteiligung Legitimierter 403 Gebot effektiver Funktionserfüllung 424 Gebot expliziter Normierung 191, 194 Gebot nachträglicher Formalisierung 130, 132, 404 Gebot nachträglicher Transparenz 403 Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien 371 Gemeinwohl 106, 158, 167, 169, 171–173, 180, 240, 242–244, 306, 398, 417, 419, 433, 514, 548, 550, 552, 566 Gemengelage aus Zwang und Freiwilligkeit 91–92, 107, 176, 179, 192– 193, 280–281, 284, 489, 530, 569, 572 Gentlemen’s Agreement 53, 55, 60, 64, 530, 546 Gerechtigkeit – Sach- 73, 171, 198–199, 218–219, 226, 267–268, 300, 350, 403, 454– 455, 496, 505, 553, 557, 577 – Verhandlungs- 73, 350, 403, 557 Gesamtpaket 42, 70, 73, 81, 85, 88, 98, 128–129, 135, 172, 182, 295, 311–312, 316, 319, 351, 380, 399, 425, 461, 488, 491, 535 Geschäftsordnung, Bundestag 261, 378 Geschäftsordnungsrecht 151, 326, 364, 371, 375, 377, 384, 408–411, 559–560, 566, 581–582 geschlossenes Wertesystem 104 Gesetzesantizipation 272–273, 284– 285, 292, 298, 302, 404, 578

618

Sachwortverzeichnis

Gesetzesbegriff, formaler 209 gesetzesersetzende Vereinbarung 96– 97, 126–128, 165–166 Gesetzesfolgenabschätzung 42 Gesetzesinitiative 44, 114, 116, 121, 174, 231, 235, 256, 302, 323, 332, 338–339, 341–350, 353, 375, 380, 396, 399, 405, 407, 434, 463, 500, 503–504, 510, 573, 580, 582 – Abschlussbeschluss 399–401, 582 – Grundsatzbeschluss 374, 377–378, 384, 388–389, 392, 396–401, 582 Gesetzesmaterialien 192, 199–200, 227, 230, 459, 473–475, 477, 480, 490, 504, 506, 547, 574, 584 gesetzestextüberschießende Finalität 99 gesetzestextüberschießende Wirkungen 98–99 Gesetzesvollzug 88, 102, 188, 195, 225, 274, 330, 384, 389, 470, 559– 560 Gesetzgeber als Erstinterpret des Grundgesetzes 441 Gesetzgebungskompetenz 187–189, 192, 194, 209, 573 Gesetzgebungsordnung 406–407, 410, 493, 495, 497–498, 585 Gesetzgebungsverfahrensgesetz 406– 407, 493, 585 Gestaltungsspielraum 145–146, 224, 226, 233, 262–263, 299–300, 324, 401, 411, 444, 446, 484 Gewaltenisolation 211, 306 Gewaltenteilung 49, 105, 107, 114, 120, 122, 124–125, 130, 139–140, 147, 181, 189, 195–196, 204, 208– 217, 219, 221–222, 224–230, 233, 286–288, 301, 306, 308, 312, 317, 319, 324, 329, 365–366, 425–427, 446, 453, 456–457, 541, 543, 553, 558, 575 Gewaltenteilungsgrundsatz 189, 203, 208, 210, 216, 219, 224, 427, 574 Gewaltenteilungsprinzip 103, 109, 124, 189, 208, 216, 229, 232, 251,

259, 322, 409, 422, 427, 452, 513, 570 Gewaltenverschränkung 211, 318, 426 Gewaltmonopol 61, 91, 135–136, 280, 558 Gewerkschaften 46 Gewissen 416, 550–551 Gleichbehandlung, informationelle 581 Gleichheit 173, 198, 218, 242, 369 Gleichheitssatz 160, 198, 236, 264– 265, 271, 334, 368-369 403, 410, 452, 454, 456, 494, 516–518, 525 Großbanken 46 Grundkonzeption 42, 473–474, 477, 481, 484 Grundrechtseingriff 140, 143, 145, 174, 179, 255, 273, 275–277, 279– 284, 290, 458, 488, 515, 578 Grundrechtsschutz durch den Staat 152 Grundrechtsschutz durch Verfahren 161, 167, 425 Grundrechtsverzicht, Dispositionsbefugnis 277, 279, 486 Grundsatzgesetze 495 Heilung von Abwägungsmängeln 263, 341, 503–504, 516, 522, 532–534, 586 Idealtypus 71–72, 85–86, 256, 419 Immanenzlehre 104, 252, 570 individualisierende Verhältnismäßigkeit 158, 210, 244 individualisierte Verhältnismäßigkeit 159 Infektionsvermutung 502, 504 Infektionszusammenhang 500, 502– 503, 505 influenzierender Funktionsübergriff 228 informales Staatshandeln 58, 62, 109, 119, 139, 564, 568

Sachwortverzeichnis informationelle Gleichbehandlung 368–370 informationelle Grundversorgung 358 Informationsanspruch des Parlaments 418 Informationsfreiheit 358, 366–370, 581 Informationsfreiheitsgesetzes 365 Informationsrecht 364, 370 informatorische Staatsgewalt 77 informatorisches Staatshandeln 107 informell-kooperatives Staatshandeln 60, 87, 90, 92, 122, 179, 563 informelle Begleitvereinbarungen 122 informelle Begleitzusagen 122 Initiativfreiheit 256, 339, 341–343, 345–349, 353, 356–357, 360–361, 369–370, 373, 377, 399, 405, 407, 410–411, 580–582 Initiativverantwortung 256, 348–349, 405, 580 Innenrecht 62, 326, 364 innere Souveränität 70, 155, 339 inneres Gesetzgebungsverfahrens 481 Innovationssouveränität des Gesetzgebers 494 Inszenierung 172, 551, 553, 555 Integration 95, 216, 417 Integritätskern der Staatswillensbildung 255, 263–264, 576 Intensitätsgrade 66, 85, 145, 180, 193, 257 interprivate Vereinbarungen 102 iterativer Näherungsprozess 68, 70 Kalkar-Entscheidung 95, 461 Kernkraftwerk Biblis A 39, 44, 83, 88, 98–99, 103, 118–119, 188, 297– 298, 301–302 Kernkraftwerk Mühlheim-Kärlich 38, 44, 58, 69, 83, 88, 98, 103, 174, 177, 188, 195, 200, 229, 273, 276– 277, 283, 297–298, 302, 425, 457, 480

619

Kernkraftwerk Obrigheim 38, 195 kernkraftwerksscharfe Regelungen 80, 196 Klientelbezug 48 Koalitionsvereinbarungen 100 Kollegialitätsprinzip 375 Kollegialprinzip 338–342, 353, 356, 374–375, 377–378, 397–398, 580 Kommissionen 29, 382–383, 389–390 kommunikative Demokratie 246 Kompensation 42, 67, 74, 85, 182, 217, 382–383, 393, 488, 555, 586– 587 Kompensationszusammenhang 535– 536, 585 Kompetenz-Kompetenz 380 Kompetenzordnung, Unschärfebereich 230, 573 Kompetenzübergriff 182–185, 190– 193, 229–230, 329, 336, 573 Kompetenzüberschreitung 181 Komplexität 62, 423, 568 Konkretisierungsgrad 59, 80, 175, 178, 470, 495, 569, 571 Konnexität 296 Konsistenzgebot 193–194 Kontinuität 288, 291, 464–466, 472, 538–540, 545, 547 Kontinuitätsversprechen 464–465, 536, 584 Kontrolldichte 32, 108, 115, 142, 144–147, 178–180, 229, 268–269, 272, 484–485, 492, 571, 577 Kontrollfunktion des Parlaments 305, 322, 438–439, 482, 516, 526, 528– 529, 586 Konzentration – personelle 88 – sachliche 87 Konzentrationsprozesse 61, 87 Konzentrationswirkung 569 Kooperationsaufwand 160, 572 Kooperationsbereitschaft 163, 166, 572, 577

620

Sachwortverzeichnis

Kooperationsmodell 236–238, 244, 249–250 Kooperationsprinzip 35, 51, 53–54, 61–62, 64, 73, 82, 91, 93, 108, 115, 147–152, 156, 158–160, 162–169, 173, 180, 184–187, 207–208, 216, 221–227, 229–230, 243–245, 248– 250, 255, 257–262, 264–265, 268, 324, 347, 374, 384, 389, 394, 400, 406, 411, 547, 550, 557, 559, 561, 564, 566, 571–577, 588 Koppelungsverbot 236, 292–297, 302, 397, 399, 403–405, 410, 478, 480– 481, 488 Korporatismus 31, 561 Kreationsgewalt 396 Kreislaufmodell 394, 400, 402, 411, 582 länderspezifischer Differenzierungsfaktor 335, 337 Legalenteignung 204–209, 574–575 Legitimation 62, 65, 68, 76, 101, 105, 112, 115, 120–121, 124, 130, 138– 139, 171, 237–238, 240–242, 251, 255, 257, 259, 262–263, 299, 327, 343–349, 354, 358, 362, 371, 379– 385, 387–389, 392–393, 406, 413– 416, 419, 423, 433, 438–439, 444, 446, 448, 476, 507, 509, 528, 533– 534, 546, 551, 553, 557, 564, 576, 583–584 Legitimationsmedien 237, 250, 383, 581 Legitimationsstruktur 261–264, 377– 378, 383–385, 388, 390, 558, 564, 581, 588 Lenkungssteuer 61, 98, 228 Letztentscheidung 115–116, 256 Letztentscheidungsrecht 116, 255–256 Lippeverbandsgesetz 150 Lobbygesetzgebung 196, 201, 243, 406, 496, 498 Lobbyismus 359 Lobbypolitik 45

Maßstabbildung 437 materielle Legitimation 34, 415, 419, 444–445, 482, 508, 510, 546, 582– 583 materielles Gesetzgebungsverfahrens 224, 437, 480, 482, 492, 502–503, 506–507, 510, 513, 515, 532 Mediation 157 mediatisierte Verfassungsgeltung 131 mehrstufige Gesetzgebung 496–497 Minderheitenschutz 520 mittelbare Täterschaft 178, 229 Monitoring 68, 83, 86 Nachschieben von Gründen 532 nachträgliche Evaluation 464 negotiated rulemaking 47, 97 Neubauverbot für Kernkraftwerke 38, 247, 460, 530 nichtiger Vertrag 51 Nichtigkeit des Umsetzungsgesetzes 506 Nichtvertrag 52 normative Infrastruktur 202 Normenkontrolle 99, 513, 519, 523– 529, 532, 534, 587 öffentlich-rechtlicher Vertrag 37, 53, 59–60, 64, 97, 118, 148, 275, 434 öffentliche Vorfestlegung 355, 357– 358, 541 Opposition 43–44, 322, 382, 423, 519, 543 Optimierungskonzeption 104–105, 142 Organeigenverantwortung 325, 426, 518, 554, 556 Organisationsautonomie 231–235, 252, 262–263, 269, 321–325, 327, 336, 355, 361, 369, 407, 410, 498, 576, 582 Organkompetenz 186–187, 573 organspezifische Funktionserfüllung 588

Sachwortverzeichnis parlamentarisches Selbstbewusstseins 560 Parlamentarisierung 427, 481–482, 484, 560, 585 Parlamentsausschüsse 251, 315, 360, 379–383, 431, 474 Parteien 36, 51, 56, 58, 60, 78, 100– 101, 153, 157, 211, 240, 311, 313– 316, 320, 406, 414, 483, 512, 519, 583 parteipolitische Verflechtung 318, 426 Partizipationsermessen 336 Pazifizierungswirkung 87, 184, 195, 214, 575 Periodische Sicherheitsüberprüfung 39, 196, 214, 217, 223, 225 Planungsverwaltung 301, 435 Politikvernetzung 398 politische Kultur 31 präventive Selbstkontrolle des Gesetzgebers 440 Pressure-Groups 63, 153–154, 243 Prinzip der Betroffenenbeteiligung 150 Prognoseentscheidung des Gesetzgebers 437, 464–465 Programmverantwortung der Bundesregierung 396, 398, 401, 411, 566 Prüfungsdichte, verfassungsrechtliche 146, 269, 573 Public Private Partnership 168 Rahmenordnung 421 Rationalität der Gesetzgebung 162, 171–172, 198, 201, 203, 208, 218– 219, 350, 443, 445, 496, 498, 564, 572, 575 Rechtsbewusstsein 551, 562–563 Rechtsbindungswille 51–53, 56, 58– 59, 61, 165, 255, 276–277, 530, 539 Rechtsfähigkeit 57, 60 Rechtsfrieden 433 Rechtsgefühl 555 Rechtsprinzip, Wesenszüge 554

621

Rechtsschutzbedürfnis 517, 532 Rechtsschutzverkürzung 221, 575 Rechtssicherheit 60, 80–81, 94, 97, 107, 124–130, 132–133, 139, 144, 147, 153, 212–215, 222, 252, 288, 343, 445–450, 465, 479–480, 482, 506–507, 510, 533, 538, 553, 570, 586 Referenzmenge 38, 195, 200 Referenzprinzipien 374, 397 Regelungsstruktur 129–130, 133, 139, 144, 231, 233, 249–250, 256, 261– 262, 370, 379, 387–388, 394, 402, 404–405, 410–411, 504, 559–560, 577 Regierung als Macht kombinierten Ermessens 90, 296 Regierungskompetenz 186–187, 189 Regulierungsbedarf 62, 568 Ressortegoismus 48 Ressortprinzip 340 Ressourcenaufwand 376 Restlaufzeit 38, 88, 103, 213, 217, 225, 337, 352, 456, 459–461, 464, 467–469, 536, 541, 545–546 Restrisiko 41, 43, 352, 461–464, 541 rezeptiver Abschlussbeschluss 399 Risikovorsorge 466–469 sachverständige Politikberatung 74 Sachzusammenhang 184–185, 191– 193, 302, 380, 488, 573 Saturierungskonzeption 104–106, 125, 142, 156, 162, 211–212, 241–242, 250–251, 312, 422, 424, 482, 538, 556 schlichte Grundrechtsbeeinträchtigung 281–282, 284, 486, 515, 531, 578 schlichter Parlamentsbeschluss 321– 322, 395, 410, 478, 533 Schutzpflicht 96, 104, 154, 287, 290, 330–331, 337, 440, 452, 458, 460, 468, 470, 548–549

622

Sachwortverzeichnis

Schwellenmodell 117–118, 120, 142– 143 Selbstbeschränkungsabsprachen 92 Selbstbestimmung 169, 237, 241, 248–249, 258, 413–414, 422, 538, 553 Selbstbindung 67, 150, 407, 435, 493–498, 537, 585 Selbstkontrolle des Parlaments 583 Selbststand der Verfassung 106, 239 Selbstverpflichtung 93–96, 464 Selbstvollzug 80, 88, 195, 207, 210, 212–214, 220, 222, 225, 470, 521, 575, 584 Senat 46 Sicherheitskultur 154, 223 Sicherheitsüberprüfung 59, 80, 204, 210, 213, 217, 225, 336, 456, 471 Sozialbezug eines Grundrechtes 278 Spezialisierung 62, 216, 568 Spiegelbildlichkeit der Ausschussbesetzung 261, 380 Staatsgewalt – influenzierende 108, 174, 178, 188, 192, 195, 228, 479, 574 – influenzierte 174–179, 188–193, 195, 228–229, 275, 283, 456–457, 479, 572–573 – informatorische 72, 143, 146, 179, 188 Staatsgewaltbegriff 32, 110–111, 114– 117, 120, 122–130, 132–133, 138– 146, 173, 179, 189, 231, 236, 246, 251, 257, 264, 306, 344, 570 – Mehrdimensionalität 125 – Wirklichkeitsöffnung 133, 139, 570 – Zurechnungsfigur 176, 180, 192 Staatsleitungskompetenz 186, 188 Staatspraxis 29, 101, 454–456, 583 Staatsziel 96 statische Verweisung 102 Stendal-Entscheidung 215, 224, 456 Steuerrecht 149, 177 Steuerungseinheit 479

subjektives Recht auf ein funktionsgerechtes Gesetzgebungsverfahren 511 subordinatorischer Kontext 91–92, 107, 136, 279, 285, 569 Symbolik 82–83, 569 synoptische Gegenüberstellung 400 Themenherrschaft der Bundesregierung 396 Transparenz 152, 235, 354, 356, 358– 364, 368–371, 377–378, 400, 404– 405, 411 Treu und Glauben 539–540, 548, 587 Typisierung 156, 160, 167, 267, 270– 271, 289, 350, 405, 490–491, 577 Typologie der Vereinbarungen 51, 53, 56 Übergangsregelung 197, 199, 219, 228, 544, 546–547, 549, 574–575, 587 Übermaßverbot 105–107, 142, 152, 156, 158–159, 161, 167, 173, 183, 207, 212, 223, 235, 243, 252, 254– 255, 263, 281–282, 294, 329, 336, 347–349, 353, 361, 387, 486, 557, 571, 578 überwirkendes Legitimationserfordernis 247 Umweltinformationsgesetz 365 Umweltverbände 268, 270, 433 Ungeschriebenes Verfassungsrecht 264, 308, 554 Unmittelbare Verfassungsgeltung 130 Unmittelbarkeit 140–142, 145, 177, 413, 415, 419, 571 Verantwortungsklarheit 71, 253–254, 348 Verantwortungsteilung 168–169 Verantwortungstransparenz 348–349, 398 Verbändegesetz 406 Verbandskompetenz 186–187, 573

Sachwortverzeichnis Verbot der Gesetzesantizipation 403 verdeckter Kompetenzübergriff 192 Vereinigungsfreiheit 272 Verfassung als Rahmenordnung 120 Verfassungsbeschwerde 70, 220, 512– 514, 516–518, 520, 522–523, 528– 531, 534, 536, 586–587 Verfassungsbewusstsein 562–563 verfassungsfreier Raum 116, 142 Verfassungskultur 561–563 Verfassungsorgantreue 48, 119, 183, 187, 303–312, 316–319, 321–322, 324–330, 333–334, 338, 356–357, 360–362, 369–370, 375, 395, 408, 410, 426, 430, 442, 517–520, 541, 556, 560, 562, 579, 581 – Subsidiarität 321, 324–327, 426 Verfassungsprinzip 151, 158, 216, 307, 408, 452–453, 498, 539–540, 545, 547, 553, 556, 561–562, 583, 588 – Abwägungsbereich 255–257, 263, 346 – Kernbereich 255–257, 264, 346, 348, 366, 407 Verfassungsvoraussetzung 420, 562 Verhandlungsrahmen 397 Verhandlungszusammenhang 98, 185, 573 Verklammerungseffekt 488, 535 Vermutung der Angemessenheit 489 Vermutung einseitiger Interessenberücksichtigung 492 vernünftiger Grundrechtsträger 43, 58, 175, 177–178, 192, 229, 283, 432, 462, 573 Versammlungsfreiheit 279 Versammlungsrecht 166, 168 Vertrag – einseitiger 52 – gegenseitiger 52, 54 – öffentlich-rechtlicher 37 Vertrauensdispositionen 83, 85–86, 165, 507, 545, 572

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Vertrauensfrage 211, 317, 319 Vertrauenshaftung 165 Vertrauensschutz 33, 165, 197, 536– 540, 542–549, 587 – kooperationsspezifischer 540, 546 Vertrauensvorschuss 69, 84 Verwaltungskompetenz 101, 113, 145, 184, 187–188, 190, 194, 210, 223, 225, 230, 301, 471 Verwaltungsrecht 51–52, 89, 133, 146–147, 151, 164, 192, 232, 247, 266, 293, 301, 349, 371, 384–385, 387–388, 390, 393, 436, 493, 501, 542, 558–560, 571, 581 verwaltungstypischer Charakter von Gesetzen 470 Verweis auf eine frühere Abwägung 474 Verwirkung 529–532, 534, 587 volenti non fit iniuria 485 Voranwendung des Gesetzes 273, 297, 299–300, 529 Vorbehalt der Verfassung 144, 190, 569 Vorbehalt des Gesetzes 92, 95, 236, 272–274, 276, 281–282, 284, 292, 297, 305, 413, 433, 569, 578 Vorrang des Gesetzes 95, 272, 274, 297, 413, 569 Vorwirkung des Gesetzes 49, 165, 171–172, 174–175, 177–178, 186, 273–276, 298–301, 306, 309, 318, 321, 341, 345, 347, 355, 362, 374, 494, 518, 521–523, 526–527, 529 Wahrscheinlichkeit der Ergebnisrelevanz 508 Wesentlichkeitstheorie 95, 272–274, 280–282, 284–286, 288, 292, 299, 409–410, 428, 466, 556, 578 – Beständigkeit des Parlamentsgesetzes 288 – Diskursrelevanz 287, 292 – Formadäquanz 289, 292 – Organadäquanz 287

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Sachwortverzeichnis

– Umgestaltungsintensität 290–292 – Verfahrensadäquanz 288, 291, 410 – Verfassungsrelevanz 246, 287, 290– 291 – Vielgestaltigkeit der Regelungsmaterie 289 Wissensverfall im Atomrecht 459–460 Zeitmangel im Gesetzgebungsverfahren 459, 472 Zielbindung der Kooperation 387, 389, 394

Zielkoordinanten für die Gesetzesvorbereitung 393, 396 Zielorientierung der Gesetzesvorbereitung 389, 394 Zitiergebot 201, 204 Zurechnungszusammenhang 175–177, 195, 229, 573 Zwang 61, 64, 91–92, 155, 171, 175, 177, 179, 202, 284–285, 416, 496, 562 Zwischenlager 39, 42–43, 45, 272, 276–277, 290–291, 352, 432, 485, 508

Lebenslauf Dr. Max Reicherzer Rechtsanwalt geb. 23.9.1973 in München 1980–1984 1984–1993 1994–1998 1998–2000 Seit 2001 2002 2002–2004

Grundschule in Planegg Kurt-Huber-Gymnasium in Gräfelfing Studium der Rechtswissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München Referendariat in München und Bonn Rechtsanwalt DAI-Zertifikat Fachanwalt Verwaltungsrecht Arbeitsgemeinschaftsleiter an der Universität München