Auswärtige Beziehungen privater Verbände: Eine staatsrechtliche, insbesondere grundrechtskollisionsrechtliche Untersuchung [1 ed.] 9783428464845, 9783428064847

142 25 27MB

German Pages 300 Year 1988

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Auswärtige Beziehungen privater Verbände: Eine staatsrechtliche, insbesondere grundrechtskollisionsrechtliche Untersuchung [1 ed.]
 9783428464845, 9783428064847

Citation preview

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 542

Auswärtige Beziehungen privater Verbände Eine staatsrechtliche, insbesondere grundrechtskollisionsrechtliche Untersuchung

Von Markus Heintzen

Duncker & Humblot · Berlin

MARKUS

HEINTZEN

Auswärtige Beziehungen privater Verbände

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 542

Auswärtige Beziehungen privater Verbände Eine staatsrechtliche, insbesondere grundrechtskollisionsrechtliche Untersuchung

Von Dr. Markus Heintzen

M \ %

U

My-)

\m(VeritaslA J

Duncker & Humblot · Berlin

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Heintzen, Markus: Auswärtige Beziehungen privater Verbände: e. staatsrechtl., insbes. grundrechtskollisionsrechtl. Unters. / von Markus Heintzen. - Berlin: Duncker u. Humblot, 1988 (Schriften zum Öffentlichen Recht; Bd. 542) Zugl.: Bonn, Univ., Diss., 1987 ISBN 3-428-06484-4 NE: GT

Alle Rechte vorbehalten © 1988 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Satz: Klaus-Dieter Voigt, Berlin 61 Druck: Werner Hildebrand, Berlin 65 Printed in Germany ISBN 3-428-06484-4

Vorwort Die vorliegende Schrift wurde von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn im Wintersemester 1987/1988 als Dissertation angenommen. Sie befindet sich auf dem Stand vom Juli 1987. Für den Druck habe ich an einigen Stellen geringfügige Ergänzungen, zum Teil auch Straffungen und Umstellungen vorgenommen. Meinem verehrten Lehrer, Herrn Professor Dr. Josef Isensee, danke ich herzlich für die Betreuung der Arbeit und die wissenschaftliche wie menschliche Unterstützung, die ich während meiner Assistenten jähre an seinem Lehrstuhl erfahren habe. Herrn Professor Dr. Fritz Ossenbühl schulde ich Dank für die Erstellung des Zweitgutachtens. Gedankt sei auch der KonradAdenauer-Stiftung, die diese Arbeit durch die Gewährung eines Promotionsstipendiums großzügig gefördert hat, sowie Herrn Rechtsanwalt Norbert Simon für ihre Aufnahme in das Verlagsprogramm des Verlages Duncker & Humblot.

Inhaltsverzeichnis Einleitung

15

Α . Erscheinungsformen grenzüberschreitender privater Betätigungen und Beziehungen

26

I. Begriffliche Vorabfestlegungen

26

1. „Privater"

26

2. Politikwissenschaftliche Terminologie

28

II. Gesellschaftliche Verbände als Akteure der internationalen Beziehungen

30

1. Die internationale gesellschaftliche Verflechtung

30

2. Private Außenpolitik

34

III. Grundzüge einer Typologie privater Auslandskontakte

36

IV. Privates Handeln an der Grenze zur Wahrnehmung staatlicher Funktionen

38

1. Das Abgrenzungsproblem

39

a) Verwaltungsorganisationsrecht

39

b) Völkerrecht

41

2. Zwei vermeintliche Leitfälle

43

a) Nebenaußenpolitik von Inhabern öffentlicher Ämter

44

b) Nebenbei-Außenpolitik von Repräsentanten der Gesellschaft . . .

46

B. Staatstheoretische Erklärungsmodelle für das Phänomen weltweiter gesellschaftlicher Verflechtung

48

I. Die Verfassungsentscheidung für eine internationale Zusammenarbeit

50

1. Art. 24 Abs. 1 GG und die Öffnung der Staatsgewalt

50

2. Art. 25 GG und die allgemeinen Regeln des Völkerrechts

53

3. Art. 25 GG und der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit

....

55

4. Ungeschriebene Verfassungspflicht zu internationaler Offenheit und Zusammenarbeit

57

II. Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft 1. Ideengeschichtliche Präzisierung der Fragestellung

59 60

a) Hegel

61

b) Lorenz von Stein

61

Inhaltsverzeichnis

8

c) Der staatsrechtliche Positivismus

63

d) Die Situation nach Inkrafttreten des Grundgesetzes

64

2. Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft im Licht der weltweiten Verflechtung

66

a) Der Gesellschafts-Begriff

66

b) Regionale Begrenzungen

68

c) Die Menschenrechte als Prüfstein

70

d) Methodische Rechtfertigung des Vorgehens

71

e) Mögliche Ergebnisse

73

3. Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Strukturmerkmal europäisch-atlantischer Verfassungsstaatlichkeit a) In Menschenrechtsabkommen gebräuchliche Klauseln

75 76

aa) Die Schrankenschranke „ i n einer demokratischen Gesellschaft"

76

bb) Die Menschenrechtsschranke „öffentliche Ordnung"

80

b) Menschenrechtsschutz juristischer Personen

81

c) Der menschenrechtliche Status öffentlich-rechtlicher Organisationen

86

d) Die menschenrechtliche Verbürgung grenzüberschreitender gesellschaftlicher Kontakte

87

e) Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft in der westlichen Verfassungstheorie

88

f) Voraussetzungen für den Erwerb der Mitgliedschaft in Internationalen Organisationen

90

g) Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft und die Praxis der deutschen Außenwirtschaftspolitik

93

4. Zusammenfassung C. Inhalt und Reichweite der grundrechtstatbestandlichen Gewährleistung der auswärtigen Beziehungen privater Verbände I. Allgemeines Grundrechtskollisionsrecht 1. Art. 1 Abs. 3 GG als kollisionsrechtliche Grundnorm a) Die Merkmale „staatliche Gewalt" und „vollziehende Gewalt" in Art. 1 GG

94

96 96 97 97

aa) Der Begriff der Staatsgewalt im Grundgesetz

97

bb) Die Fiskalgeltung der Grundrechte

99

cc) Die Anwendbarkeit der Grundrechte bei Sachverhalten mit Auslandsberührung

100

b) Die Statuslehre Georg Jellineks

102

c) Völkerrechtliche Betrachtung der Staatsgewalt

105

aa) Methodische Vorbemerkung

106

Inhaltsverzeichnis bb) Der völkerrechtliche Staatsbegriff

108

cc) Menschenrechtliche Parallelbestimmungen zu Art. 1 Abs. 3 GG

110

dd) Zusammenfassung der Überlegungen zum Staatsbegriff

111

...

d) Zwischenergebnis

112

e) Mögliche Einwände gegen den Lösungsvorschlag

112

aa) Grundrechtsdogmatische Einwände

113

bb) Der Begriff des „Rechtsverhältnisses" cc) Der Begriff „Staatsgewalt" in der Verfassungssystematik

115 ...

116

dd) Bedenken aus der völkerrechtlichen Zuständigkeitslehre . . .

117

ee) Grundrechtsbindung der Auswärtigen Gewalt ff) Die Verortung des Status-Kriteriums bei Art. 1 Abs. 3 GG

119 . 121

f) Zusammenfassung und Auswertung

122

aa) Statusbedingtheit der Grundrechtsgeltung im Außenbereich

122

bb) Vergleich mit dem Diskussionsstand in der Literatur

123

cc) Grundrechtskollisionsrecht und die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft 124 2. Außen Vermessung des Grundrechtsbereichs mit Hilfe der völkerrechtlichen Zuständigkeitslehre

127

a) Ansätze in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und in der Literatur

127

b) Die Grundzüge der völkerrechtlichen Zuständigkeitsordnung . . . 129 c) Gebietsbezug als grundrechtlicher Kernstatus

130

d) Der Grundrechtsstatus des Deutschen im Ausland

133

aa) Die Grundrechtsbindung diplomatischer und konsularischer Vertretungen der Bundesrepublik Deutschland 133 bb) Diplomatischer Schutz

134

aaa) Die Problematik der verfassungsrechtlichen Verankerung des diplomatischen Schutzes 134 bbb) Eigene Lösung

138

cc) Sonstige Akte deutscher Staatsgewalt gegenüber Auslandsdeutschen 142 e) Der Grundrechtsstatus des Ausländers im Ausland

144

aa) Vorwirkender Grundrechtsstatus im Asylrecht

144

bb) Nachwirkender Grundrechtsstatus

146

cc) Extraterritoriale Auswirkungen deutscher öffentlicher Gewalt 146 aaa) Neuere Entwicklungen in der völkerrechtlichen Zuständigkeitslehre 146 bbb) Faktische Auslandsauswirkungen der Betätigung deutscher Staatsgewalt 148 dd) Die deutsche Staatsgewalt im Ausland

150

Inhaltsverzeichnis

10

3. Die Funktion der Kategorien „Schutzbereich", „Eingriff" „Schranke" in Grundrechtsfällen mit Auslandsbezug

und 151

a) Schutzbereich

151

aa) Schutzgutidentifizierung

152

bb) Schutzintensität

152

cc) Wechselwirkungen mit internationalen Menschenrechtspakten 153 b) Grundrechtseingriff

154

aa) Faktische Grundrechtseingriffe

155

bb) Eingriffsverbot und Schutzpflicht

156

c) Schranken

157

4. Zusammenfassung

157

II. Der Auslandsbezug ausgewählter Freiheitsgrundrechte

158

1. Die auswärtige Betätigung der politischen Parteien

159

a) Die deutschen politischen Parteien aa) Auswärtige Betätigung im allgemeinen

160 . 160

aaa) Parteienfreiheit

160

bbb) Oppositionsfreiheit

162

bb) Die Parteien und die Europäischen Gemeinschaften

164

cc) Überfremdung der deutschen politischen Parteien

167

aaa) Parteimitgliedschaft Fremder und Auslandsbelegenheit des Hauptsitzes

167

bbb) Finanzielle und sonstige Auslandsabhängigkeiten . . . .

172

ccc) Ergebnis

175

b) Die politischen Stiftungen

175

c) Die internationalen Parteienzusammenschlüsse

176

2. Vereine und Verbände a) Das Verhältnis von Art. 9 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 3 GG aa) Die Lehre vom Doppelgrundrecht

178 178 179

bb) Die Bedeutung der Inländerklausel des Art. 19 Abs. 3 GG . . 180 cc) Die wesensmäßige Geltung der Grundrechte für juristische Personen 183 dd) Primärer und sekundärer Grundrechtsschutz juristischer Personen 188 b) Art. 9 Abs. 1 GG und internationale Verbandsstrukturen

190

aa) Deutsche Sektionen internationaler Vereinigungen

190

bb) Mischvereine

191

cc) Deutsche Mitglieder in Ausländer-Vereinigungen

192

Inhaltsverzeichnis 3. Die Koalitionen

193

a) Der internationale Anwendungsbereich der Koalitionsfreiheit ratione personae

193

b) Der internationale Anwendungsbereich der Koalitionsfreiheit ratione materiae

194

4. Gewerbe- und Unternehmerfreiheit

196

a) Verfassungssystematische Überlegungen zu dem Verhältnis von Art. 1 Abs. 3 und Art. 19 Abs. 3 GG

197

b) Die außenwirtschaftliche Betätigung

199

5. Die Informationsgrundrechte a) Pressefreiheit

199 199

aa) Ausländische Berichterstattung über die Bundesrepublik . . . 200 bb) Auslandsberichterstattung der deutschen Presse

201

b) Rundfunk und Fernsehen

202

c) Informationsfreiheit

204

6. Die Kirchen

205

7. Zwischenbilanz

207

D . Das Politische als grundrechtliches Kriterium

209

E. Grundrechtliche Freiheit und kollidierende Belange des Staates - das „Politische" privater Auslandsaktivitäten als Legitimationsgrund für Beschränkungen 216 I. Staatstheoretische Überlegungen zu dem Konflikt

219

1. Die Verbändetheorie - auf internationale Sachverhalte übertragen . . 219 a) Rechtliche Regelungen

219

b) Elemente einer Verfassungstheorie des Verbändestaates

221

aa) Integration

221

bb) Faktische Repräsentation

222

cc) Soziale Gewaltenteilung

224

2. Sozialbindungen grundrechtlicher Freiheiten a) Grundpflichten

225 225

b) Verfassungserwartungen

227

c) Autonomie und Öffentlichkeit

228

d) Gemeinwohl

230

aa) Gemeinwohl und nationales Interesse als staatstheoretische Paradigmata

230

bb) Die Gemeinwohlklausel des Aktienrechts

232

cc) Gemeinwohlbindung der politischen Parteien

233

Inhaltsverzeichnis

12

3. Speziell auf internationale Sachverhalte abgestimmte Legitimationsmuster für Grundrechtseingriffe 234 a) Das Politische als domaine réservé des Staates

234

b) Die Verfassungsentscheidung für eine internationale Zusammenarbeit 237 c) Das Friedensgebot des Art. 26 GG 4. Zusammenfassung

240 242

II. Gemeinwohl und nationales Interesse als maßgebliche Legitimationsgründe für staatliche Beschränkungsmaßnahmen 243 1. Die Unentbehrlichkeit der staatlichen Ordnungsmacht

243

2. Typologie der einschlägigen Gesetzestatbestände

244

3. Staatstheoretische Fundierung der Unterscheidung

245

4. Zwischenstaatlicher Amts- und Rechtshilf e verkehr

246

5. Repressalie und Retorsion

248

F. Regional abgestufter Grundrechtsschutz I. Die Supranationalität der Europäischen Gemeinschaften II. Die Völkerrechtslehre Carl Schmitts 1. Einführung

253 256 258 259

2. Die Stellung gesellschaftlicher Kräfte innerhalb eines Großraums . . . 264 3. Großraumlehre und Grundrechtsdogmatik

267

Schluß

275

Literaturverzeichnis

281

Sachregister

295

Abkürzungsverzeichnis Wegen der im Text und in den Fußnoten verwendeten Abkürzungen wird, soweit diese nicht ohnehin üblich und allgemeinverständlich sind, auf Kirchner / Kastner, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 3. Aufl., 1983, verwiesen. Abkürzungen im Zusammenhang mit Dokumenten der Vereinten Nationen sind aufgeschlüsselt bei Otto Steiner, Dokumente und Publikationen der Vereinten Nationen, 1978. Abgekürzte Zitierweisen werden im Literaturverzeichnis erläutert. Folgende Abkürzungen bedürfen, da sie in keinem der gängigen juristischen Abkürzungsverzeichnisse zu finden sind, besonderer Erwähnung: AFDI

= Annuaire Français de Droit International

AHL

= American Journal of International Law

AMRK

= Amerikanische Menschenrechtskonvention

AVR

= Archiv des Völkerrechts

B D G V R = Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht EMRK

= Europäische Menschenrechtskonvention

EPIL

= Encyclopedia of Public International Law

ESC

= Europäische Sozialcharta

GewMH = Gewerkschaftliche Monatshefte HRLJ

= Human Rights Law Journal

HZ

= Historische Zeitschrift

IPBPR

= Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte

IPWSKR = Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte RBDI

= Revue Beige de Droit International

RdC

= Recueil des Cours

RGDIP

= Revue Générale de Droit International Public

SJIR

= Schweizerisches Jahrbuch für internationales Recht

Einleitung Private Außenpolitik - eine solche Begriffskomposition irritiert, wirkt provozierend und scheint in sich widersprüchlich zu sein. A n ihr entzündet sich ein Unbehagen, welches ganz allgemein bei grenzüberschreitender Betätigung privater Einzelpersonen oder Verbände anzutreffen ist, sofern diese von einigem Gewicht ist. Das Attribut des Politischen, so der naheliegende Einwand, komme nur staatlichem Handeln zu. Nicht-staatliches Agieren müsse auf die staatliche Willensbildung bezogen oder auf die Wahrnehmung öffentlicher Angelegenheiten gerichtet sein, um noch mit einigem Grund als politisch qualifiziert werden zu können. 1 Die heute umgangssprachliche Redeweise von einer Verbands-, Unternehmens- oder Geschäftspolitik erscheint bei solchem Begriff s Verständnis als amorph und verfremdend. 2 Gerade die Außenpolitik galt lange Zeit als ureigene Domäne der leitenden Organe des Staates. „Der fremde Staat gleicht . . . einem Haus . . . mit einer einzigen Eingangstür." Die Metapher „Tür" steht bei Ernst Wolgast, von dem das Zitat stammt 3 , für den Staatschef und das Auswärtige Amt. Daran anknüpfend schreibt Carlo Schmid: „Dieses Monopol ist nicht nur theoretisch, obwohl es manchmal den Anschein hat, als seien Erdölgesellschaften und Streichholzkonzerne selbständige außenpolitische Mächte und Beweger der Geschichte geworden. Man darf sich da von dem Anschein nicht täuschen lassen. Solche Dinge sind Faktoren der Außenpolitik, aber nicht Träger der Außenpolitik. Politisch wirksam werden können sie nur, wenn eine Regierung ihre Vorhaben zum Gegenstand ihrer eigenen Außenpolitik macht." 4 Staatsrechtliche Theoriebildungen leiten sich von politischen Verhältnissen und Zuständen her und sind an diese zurückgekoppelt. Das geschichtlich bedingte Vorverständnis, das bei den beiden exemplarisch zitierten Autoren 1 Zu dem ersten Politikbegriff vgl. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 5. Aufl., 1976, 29f. Weber spricht dort von „politisch orientiertem Handeln"; ein Beispiel für diese Art der Verwendung des Wortes „politisch" ist der Begriff „politischer Streik". Der zweite Politikbegriff geht auf Aristoteles zurück; dazu: Christian Meier, Die Entstehung des Politischen bei den Griechen, 1983, insb. 40ff.; Dolf Sternberger, Drei Wurzeln der Politik, 1984, 87ff. 2 So ausdrücklich Hermann Heller, Staatslehre, 231; Jellinek, Staatslehre, 180; Scheuner, Das Wesen des Staates, 71 f. Ferner Pasquino, 387 ff. 3 Ernst Wolgast, Die auswärtige Gewalt des Deutschen Reiches unter besonderer Berücksichtigung des Auswärtigen Amtes, A ö R 5 (1923), Iff. (78). 4 Carlo Schmid, Was ist Außenpolitik?, 1955, 7. In der Terminologie Georg Schwarzenbergers (Machtpolitik, 1955, 81 ff.) erscheinen die Privaten als „Statisten auf der internationalen Bühne".

16

Einleitung

zugrunde liegt, ist das Modell des souveränen Nationalstaats, der gegen Ende des letzten Jahrhunderts zu voller Blüte heranreifte und bis zum 1. Weltkrieg unangefochtener Gestalter der Weltpolitik war. 5 Der staats- und völkerrechtliche Positivismus war die ihm gemäße Doktrin. Souveränität und alleinige Völkerrechtssubjektivität der Staaten, dualistische Trennung von Außen und Innen, von Völkerrecht und Landesrecht und ein auf die Regierung als außenpolitischen Entscheidungsmonopolisten zugespitztes, ansonsten introvertiertes Staatsmodell waren Theoriebildungen auf der Höhe ihrer Zeit. Es herrschte eine „glückliche Koinzidenz von geographischer Gesamtkonzeption, politischen Betätigungsräumen und rechtlicher Weltdeutung" 6 . In den internationalen Beziehungen jener Tage spielten Private durchaus eine Rolle. Der internationale Adel, die „ultramontane" katholische Kirche, die Freimaurerei oder die Sozialistische Internationale bezeugen das. Das Bild vom impermeablen Nationalstaat bedarf also einiger Relativierung, um nicht zum irreführenden Klischee zu werden. Sogar zwischen den Streitkräften der nach heute landläufiger Vorstellung in der Ära des Imperialismus schroff voneinander abgegrenzten Staaten gab es mannigfaltige grenzüberschreitende Beziehungen.7 Umfang und Bedeutung privater Auslandstätigkeit im wirtschaftlich-technischen Bereich waren jedoch im Vergleich zu heute geringer, und die Trennung von Staat und Politik auf der einen Seite und Gesellschaft und Wirtschaft auf der anderen wurde als wenig problematisch empfunden. Der Begriff „Gesellschaft" war auf den Staat ausgerichtet; internationale Verflechtungen traten darüber in den Hintergrund. Man mag rückblickend darüber streiten, ob die Staats- und Völkerrechtslehre gut daran tat, den Akzent so einseitig auf die souveräne Staatlichkeit zu legen8, und man darf wohl bezweifeln, daß die Pläne des Philosophen Johann Gottlieb Fichte über einen geschlossenen Handelsstaat je auch nur annähernd zur Erklärung der Wirklichkeit getaugt haben oder daß sie zumindest auf theoretischer Ebene den paradigmatischen Stellenwert besaßen, den ihnen heutige Beobachter gern zuschreiben. 9 Fest steht, daß in den juristischen Gedankengebäuden des Posi5 Näheres bei Grewe (1984), 567ff. und Vogel (1964), lOff. Zitat: Werner von Simson, Die Souveränität im rechtlichen Verständnis der Gegenwart, 1965, 177. 7 Vgl. Heinz Gollwitzer, Internationale des Schwertes, Vortrag vor der RheinischWestfälischen Akademie der Wissenschaften, 1987, insb. 18ff., 25ff. 8 Kritisch z.B. Robert von Mohl, Staatsrecht, Völkerrecht und Politik, Bd. 1, 1860, 585ff.; rückblickend auch Carl Schmitt, Der Nomos der Erde, 200ff., 228ff., 269f. 9 Johann G. Fichte, Der geschloßne Handelsstaat, Neudruck, 1920. Bei dieser - oft zitierten, aber wenig gelesenen - Schrift handelt es sich freilich um eine Utopie, um den Entwurf eines Vernunftstaates und eines reinen Staatsrechtes, die in einem nur für die Philosophen überbrückbaren Gegensatz zu dem wirklichen Staat und zur Politik stehen ( 3 - 6 ) . In Fichtes geschlossenem Handelsstaat soll Privaten die Pflege von Auslandskontakten nicht gestattet sein. „Aller unmittelbarer Verkehr des Bürgers mit irgendeinem Ausländer soll durchaus aufgehoben werden, dies ist die Forderung." (222) Emigration und Auslandsreisen sind in beschränktem Umfang erlaubt (273ff.). „ Z u reisen hat aus einem geschlossenen Handelsstaate nur der Gelehrte und der höhere Künstler, 6

Einleitung

tivismus für die grenzüberschreitenden Beziehungen von Privatpersonen kein Platz vorgesehen war. Völkerrechtlich hatten Private keinen eigenen Status, sie waren ihrem Heimatstaat mediatisiert. Nach staatlichem Recht unterstanden ihre auswärtigen Beziehungen einer strengen Aufsicht. Rechtlicher Schutz gegen staatliche Ingerenz existierte praktisch nicht; der Primat der Außenpolitik und die in diesem Bereich besonders zählebige Doktrin vom gerichtsfreien Hoheitsakt standen im Wege. Sinnfälliger Ausdruck für die undurchdringliche Einheit und Abgeschlossenheit, mit der der souveräne Nationalstaat sich einem außenstehenden Beobachter darstellte, ist die Lehre, wonach bei Verletzungen des völkerrechtlichen Fremdenrechts nicht das private Opfer, sondern dessen Heimatstaat Geschädigter und Inhaber des Wiedergutmachungsanspruchs sei. Dementsprechend brauchte auch die Staatsrechtslehre sich mangels Masse bis in die Zeit des Grundgesetzes nicht veranlaßt zu sehen, die auswärtigen Beziehungen von Privatpersonen zu thematisieren. Wo dies ausnahmsweise doch geschieht, werden sie als rechtlich nicht weiter problemträchtige und praktisch nicht besonders gewichtige Variante der Grundrechtsverwirklichung kurz registriert. 10 Bald jedoch liefen die Fäden auseinander. Die klassischen Formen des publizistischen Rechtsgebäudes zerbrachen. „Die Zeit der Systeme ist vorbei." 1 1 Die inneren und äußeren Voraussetzungen und Bedingungen der Staatlichkeit haben sich in unserem Jahrhundert in ständigem und raschem Wandel befunden, wobei ein Ende nicht abzusehen ist und klare Unterscheidungen zusehends schwieriger werden. Die Entwicklungslinien sind von Geschichts- und Politikwissenschaft hinlänglich erforscht, so daß hier das Wesentliche in Thesen referiert werden kann. der müßigen Neugier soll es nicht länger erlaubt werden, ihre Langeweile durch alle Länder herumzutragen." (275) F. geht davon aus, daß nach einer gewissen Übergangszeit der Entwöhnung fast niemand mehr ein Verlangen nach dem Ausland oder nach Ausländischem haben werde (207f., 274). U m den Ubergang zu einem geschlossenen Handelsstaat zu bewirken, schlägt er dreierlei vor: die Einführung eines eigenen und fälschungssicheren Landesgeldes, ein strenge Devisenkontrolle und -bewirtschaftung und ein Außenhandelsmonopol der Regierung. Insbesondere: „Jede Einführung des Landesgeldes ist eine wahre Schöpfung." (282) Die Regierung erscheint bei Fichte als der „einzige Bankier für das Ausland" (276). Zweck der Schließung des Staates - und, das ist hinzuzufügen, der Angleichung der gegebenen Staatsgrenzen an die natürlichen Grenzen (213ff.) - ist es, dem Staat die Erfüllung seiner wichtigsten Bestimmung zu ermöglichen: „Jedem erst das Seinige zu geben, ihn in sein Eigentum erst einzusetzen und sodann erst ihn dabei zu schützen." (10) Dies sei nur dadurch möglich, daß „die Anarchie des Handels ebenso aufgehoben werde, wie man die politische aufhebt, und der Staat ebenso als Handelsstaat sich schließe, wie er in seiner Gesetzgebung und seinem Richteramte geschlossen ist." (145) Als Nebeneffekt erhofft Fichte sich die Vermeidung von Kriegen zwischen den nun in sich saturierten Gemeinwesen (218, 278). Philosophische Äußerungen zum Außenhandel haben im übrigen eine lange Tradition; siehe schon Aristoteles, Politik, 1327a 18ff. 10 So etwa bei Mosler (1954), 243ff. (254, 270). 11 Zitat: Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, 17. 2 Heintzen

18

Einleitung

(1) Wirtschaft, Technik und Wissenschaft prägen in immer stärkerem Ausmaß das öffentliche wie das private Leben. Der Staat wird zum Leistungsund Lenkungsstaat; „Staat" und „Gesellschaft" konvergieren. 12 (2) Technische Revolutionen machen an Staatsgrenzen nicht halt. Aufgrund verbesserter Verkehrs- und Kommunikationsmöglichkeiten wachsen nationale Volkswirtschaften zusammen, Gesellschaften werden interdependent, innen und außen lassen sich nicht mehr säuberlich voneinander trennen. (3) Private Organisationen treten in großer Zahl und mit nicht zu unterschätzendem Einfluß als Akteure in den internationalen Beziehungen auf. Im einzelnen sind hier zu erwähnen: die multinationalen Unternehmen und die Banken, die Massenmedien, die Kirchen und Religionsgemeinschaften, die internationalen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen, Parteienzusammenschlüsse, allgemein die International Non-Governmental Organizations (INGO's) und Vereinigungen mit humanitären und ökologischen Zielsetzungen, z.B. amnesty international oder Greenpeace. Die Zusammenstellung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. 13 (4) Um die vielfältigen Aufgaben im Felde der Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik bewältigen zu können, bleibt den Staaten nichts anderes übrig, als ihre nationale Vereinzelung aufzugeben und den Privaten und den Problemen in die Sphäre des Internationalen zu folgen. So entstehen mannigfache Formen der internationalen Kooperation. Internationale Organisationen und Konferenzen geben einen institutionellen Rahmen. Das Außenprofil der Staatsorganisation wird aufgefächert. Subgouvernementale Handlungsebenen treten selbständig in Erscheinung. Eine Betrachtung über den Wandel in den Grundlagen moderner Staatlichkeit und der Szene internationaler Politik wäre indes unvollständig, bliebe sie auf das Technisch-Ökonomisch-Soziale beschränkt. Zusätzlich sind die Verschiebungen im globalen Kräfteverhältnis durch den und seit dem 2. Weltkrieg zu berücksichtigen. (1) Der 2. Weltkrieg hat zur Entstehung eines weltpolitischen Bipols geführt. Seither stehen die beiden Supermächte und ihre Verbündeten sich einander gegenüber. In den liberal-demokratischen Staaten des Westens herrscht aufgrund des gemeinsamen Verfassungsverständnisses ein für grenzüberschreitende Aktivitäten Privater günstiges Klima. 1 4 Der Führungsrolle der 12 Dazu paradigmatisch John K. Galbraith, Die moderne Industriegesellschaft, 1968. Im englischen Original heißt es: The New Industrial State. 13 Weitere Ausführungen bei Hummer, 189 ff. 14 Stern, Staatsrecht, Bd. 1, 184, will darum dem Phänomen internationaler Interdependenz nur im europäisch-atlantischen Verfassungsraum rechtliche Relevanz und politische Zukunft zubilligen. Vgl. ferner ders., Grundideen, 1984.

Einleitung

Vereinigten Staaten entsprechend hatten in der Anfangszeit US-amerikanische Konzerne einen erheblichen Anteil an der Expansion des privaten Sektors. 15 Im Ostblock hingegen wird organisierte oder grenzüberschreitende Betätigung Privater nicht geduldet. (2) Seit den 50er Jahren schwebt die Welt in der Gefahr eines Atomkrieges. Die Staatengemeinschaft ist in eine Zwei-Klassen-Gesellschaft zerfallen, hier Atommächte, dort Staaten, die nicht über Nuklearwaffen verfügen, darunter etliche, die sich verpflichtet haben, solche Waffen weder herzustellen noch sonstwie zu erwerben. Die Analyse der internationalen Beziehungen hat folglich zwei Ebenen zu unterscheiden: die „high politics" zwischen den Weltmächten, zu der Private kaum Zugang haben, und die internationale „Normalpolitik", an der nichtstaatliche Akteure sowohl als Objekt wie auch als Subjekt intensiv beteiligt sind. 16 (3) Die Schaffung der Europäischen Gemeinschaften ist von dem Gedanken inspiriert, die Volkswirtschaften der Partnerländer zu einem Gemeinsamen Markt zu integrieren und so die Grundlage für den immer engeren Zusammenschluß der europäischen Völker zu schaffen. Private haben unter dem Dach dieser supranationalen Gemeinschaft einen begünstigten Status. Ihre Betätigung wird durch die Freiheiten des Marktbürgers und durch Diskriminierungsverbote europarechtlich und europaweit gewährleistet. Gegen das Handeln der Gemeinschaftsorgane besteht Grundrechtsschutz. Die wichtigen gesellschaftlichen Gruppen sind in den Willensbildungsprozeß der Gemeinschaftsorgane institutionell eingebunden. (4) Die Entwicklungsländer sind, wie die Privatpersonen auch, Newcomer in der internationalen Politik. Die von ihnen ausgehenden Impulse haben jedoch in vielem eine gegenläufige Tendenz. Glaubt man in den entwikkelten westlichen Industrienationen, den Souveränitätsbegriff allmählich relativieren zu dürfen, so erlebt die Souveränität im Süden eine polemische Renaissance.17 Gerade Privatpersonen - Unternehmen, Banken und Medien - bekommen das zu spüren; man denke an die Diskussionen über die Neue Weltwirtschaftsordnung, die Neue Weltinformationsordnung, die Verschuldungskrise der Dritten Welt, die UN-Seerechtskonvention. Der Paradigmenwechsel in den sich mit dem internationalen Leben befassenden Wissenschaften ist deutliches Indiz für den Wandel. In den Augen 15

Dazu Jean-Jacques Servan-Schreiber, Die amerikanische Herausforderung, 1968. Die Polarität von Konflikt und Kooperation ist Hintergrund des politikwissenschaftlichen Schulenstreits zwischen „Realisten" und „Modernisten"; dazu Keohane / Nye (1977), ferner Tomuschat, W D S t R L 36 (1978), 7ff. (14, 16, 20f.). 17 Und zwar nicht nur die äußere Souveränität - wie von manchen zu wohlwollenden Beobachtern gern übersehen wird - , sondern auch die innere Souveränität; vgl. Hans Illy / Rüdiger Sielaff / Nikolaus Werz, Diktatur - Staatsmodell für die Dritte Welt?, 1980. 16

τ

20

Einleitung

mancher Politikwissenschaftler hat der Begriff Außenpolitik etwas fast schon Altmodisch-Hausbackenes. Den Teilbereich der Politischen Wissenschaft, der sich mit ihr beschäftigt, nennt man heute die Lehre von der internationalen Politik oder, umfassender, von den internationalen Beziehungen. Weltweite Interdependenz und transnationale Verflechtung sind Untersuchungsgegenstände besonderer Forschungsansätze. 18 - Die Nationalökonomie ist zur Volkswirtschaftslehre geworden. - Der rechtswissenschaftliche Fächerkanon erwies sich im Vergleich dazu als resistenter. Der Vorschlag von Jessup, „all law which regulates actions and events that transcend national frontiers", unter den gemeinsamen Oberbegriff „transnational law" zu bringen 19 , hat sich nicht durchgesetzt. Die Kreation eines „Internationalen Wirtschaftsrechts" war erfolgreicher, ist aber sachlich auf einen Teilbereich beschränkt und dringt nicht ins Grundsätzliche vor. Zu erklären ist die größere Beharrungskraft staatsorientierten Denkens in der Rechtswissenschaft aus dem weithin ungebrochenen Rechtssetzungs- und Rechtsdurchsetzungsmonopol der staatlichen Organe. 20 Dennoch sind die Öffnung des Staates und das quantitative wie qualitative Wachstum des privaten Sektors in den internationalen Beziehungen auch juristisch bekannt und erforscht. Im innerstaatlichen Recht bildet die Unterscheidung von „Staat" und „Gesellschaft" das dogmatische Koordinatensystem, in das die wechselseitige Durchdringung und Verschränkung von Staat und Wirtschaft und die Einbindung Privater in die Wahrnehmung staatlicher Verwaltungsaufgaben ebenso einzufügen sind wie die Demokratisierung und Pluralisierung der staatlichen Willensbildung und Entscheidungsfindung und die Entstehung einer vom Staat verschiedenen, staatsfreien Sphäre des Öffentlichen. Dem korrespondiert auf internationaler Ebene der Übergang vom Völkerrecht der Koexistenz, dem es um die „große Politik", um Krieg und Frieden, zu tun war, zum Völkerrecht der Kooperation, das sich mit einer Fülle weiterer, vornehmlich wirtschaftlicher und sozialer Aufgaben zu befassen hat - ein Wandel, der auch eine Erweiterung des Kreises der am internationalen Leben Beteiligten und Interessierten mit sich bringt. 21 18 Aktueller Überblick bei Henning Behrens / Paul Noack, Theorien der Internationalen Politik, 1984. Z u vielem grundlegend Karl Kaiser, Transnationale Politik, PVS Sonderheft 1/1969, 71 ff. 19 Philip Jessup, Transnational Law, 1956, 2. Dazu kommentierend Verdross / Simma, 7. 20 Zu Ansätzen einer Auflockerung vgl. die Nachweise unter Α . I. 1. FN 4. 21 Grundlegend Wolf gang Friedmann, The Changing Structure of International Law, 1964. Ferner Hermann Mosler, Die Erweiterung des Kreises der Völkerrechtssubjekte, ZaöRV 1962, Iff. ; Luzius Wildhaber, Wo steht das Völkerrecht heute? - Versuch einer Standortbestimmung, SUR 1980, 75ff. ; jüngst Albert Bleckmann, Zur Entwicklung des modernen Souveränitätsdenkens, aus politik und Zeitgeschichte, Heft 43/1985,3ff. - Zu der von den Ländern der Dritten Welt proklamierten Weiterentwicklung des Kooperations- zu einem Entwicklungsvölkerrecht: Académie de droit international de La Haye.

Einleitung

Die „auswärtigen Beziehungen privater Verbände" liegen - politisch wie rechtlich - im Schnittpunkt all dieser Entwicklungen. Hier berühren und verzahnen sich Völkerrecht, Gemeinschaftsrecht und innerstaatliches Recht, öffentliches und Privatrecht. Die Staatsorganisation und die grundrechtlich verselbständigten gesellschaftlichen Autonomiebereiche treffen auf ihre häufig nicht ganz passenden ausländischen und internationalen Entsprechungen. Als spezifisch staatsrechtliche Pointe kommen die grundsätzliche Unabhängigkeit und Indifferenz privater Auslandskontakte im Verhältnis zur amtlichen Außenpolitik hinzu. Die von dem Thema umschlossenen internationalen Lagen sind exponierte Lagen - mit Panoramablick für den das Recht beobachtenden und erschließenden Juristen. Folgende Gesichtspunkte sind es vor allem, die eine verfassungsrechtliche Betrachtung der auswärtigen Beziehungen privater Organisationen als lohnend erscheinen lassen: (1) Die Gewichts- und Machtverschiebungen, die in der pluralistischen Öffnung der liberal-demokratischen Verfassungsstaaten des Westens zutage treten, wirken bis in die Fundamente der Staats- und Verfassungstheorie hinein. Es scheint, als ob Integration und Interdependenz ein bestimmtes Konzept von staatlicher Gewalt, von „Staat" und „Gesellschaft" und von Verfassung implizieren. Die Ausdeutung des Art. 24 Abs. 1 GG zur Staatszielbestimmung vermag das alles allein nicht zu tragen. 22 (2) In der Polarität von „Einheitlichkeit der nationalen Selbstdarstellung nach außen" versus „Verselbständigung gesellschaftlicher Subsysteme" sind die Versuchung staatlicher Einwirkung und Instrumentalisierung wie auch grundrechtliche Staatsabwehr und Autonomiebegründung angelegt. Das Stichwort „Primat der Außenpolitik" genügt, um das besondere Kolorit der Fragestellung zu verdeutlichen. 23 Die Palette der zu untersuchenden Steuerungs- und Verhinderungsmechanismen reicht von grundrechtseinschränkenden Gesetzen hin zu rechtlich nur schwer greifbarem „soft law" 2 4 und administrativer „moral suasion" 25 . Verfassungsrechtlicher Colloque 1979. Le droit au développement au plan international, 1980. Kritisch: Christian Tomuschat, Das Recht auf Entwicklung, G Y I L 25 (1982), 85 ff. 22 Zu dieser Interpretation von Art. 24 Abs. 1 GG: Vogel (1964); zusammenfassend Tomuschat, B K , Art. 24, RNr. 5. 23 Es wäre verfehlt, in dem „Primat der Außenpolitik" nur das Spannungsverhältnis zweier staatlicher Bindestrich-Politiken begrifflich auf den Punkt gebracht zu sehen. „Primat der Außenpolitik" bedeutete auch die Überlegenheit der Staatsraison, des „national interest", über die grundrechtliche Freiheit des Wirtschaftsverkehrs und innerstaatlich allgemein anerkannte Grundwerte. Vgl. Rudolf Bindschedler, Zum Primat der Außenpolitik, FS Walther Hofer, 1980, 27ff. Wolgast, 75, spricht deshalb vom „zwieschlächtigen Charakter" des Staates. 24 Auf der 1977er Staatsrechtslehrertagung mauserte der Begriff sich zum „TagungsMaskottchen" (so Jost Delbrück, W D S t R L 36 (1978), 156) der etwas düpiert wirkenden Versammlung. Zum völkerrechtlichen Hintergrund Daniel Thürer, „Soft law" -

22

Einleitung

Widerstand gegen übermäßige staatliche Ingerenz ist aus den Grundrechten zu mobilisieren. Dabei steht die nur wenig geklärte Problematik eines grundrechtlichen Kollisionsrechts im Vordergrund. 26 (3) Viele der im Außenbereich tätigen privaten Akteure sind juristische Personen im weiten verfassungsrechtlichen Sinn; ein weiterer Untersuchungsschwerpunkt liegt daher bei Art. 19 Abs. 3 GG. (4) Die Intensivierung ihrer grenzüberschreitenden Betätigung ist eine Erscheinungsform der politischen Aufwertung gesellschaftlicher Großorganisationen und wirtschaftlicher Unternehmen und hat, wie diese allgemein, Folgewirkungen im institutionellen Gefüge des Grundgesetzes. Verfassungsrechtliche Erfassung, Bändigung und Einbindung privater Verbandsmacht, Wahrnehmung von Staatsaufgaben durch Private oder in einem staatlich-privaten Kondominium, außenpolitische Richtlinienkompetenz der staatsleitenden Organe und parlamentarische Verantwortlichkeit der Regierung für die Pflege der auswärtigen Beziehungen seien als vorläufige Merkposten genannt. Um so mehr erstaunt, wie wenig verfassungsrechtliche Untersuchungen zu der Problematik grenzüberschreitend organisierter privater und gesellschaftlicher Betätigung vorliegen. Weder ihre theoretischen Grundlagen noch die praktischen Betätigungsfelder haben bisher eine eingehende Untersuchung erfahren. Die Mahnungen häufen sich. 27 Der Befund ist gleichwohl unverändert. 28 Für die Zurückhaltung gibt es allerdings auch verständliche Gründe. Eine Untersuchung über private Auslandsbeziehungen hat keinen direkten verfassungsgesetzlichen Anknüpfungspunkt. Die grundgesetzlichen Regelungen über die Pflege auswärtiger Beziehungen betreffen primär Fragen des Organisations· und Kompetenzrechts des Staates. Die Enquête-Kommission Verfassungsreform hat zwar anerkannt, daß im internationalen Bereich seit 1949

eine neue Form von Völkerrecht?, ZSchwR N.F. 104 (1985 - I), 429ff.; Verdross / Simma, §§ 545f., 654ff. 25 Zum politik- und wirtschaftswissenschaftlichen Hintergrund des Begriffs vgl. Romans, The American Economic Review 1966, Bd. 2, 1220ff.; Tuchtfeld, in: Hoppmann, 1971, 19 ff. 2 * Überblick bei Starck, v M K , Art. 1, RNr. 140, 147. 27 Sehr deutlich bei Tomuschat (1978), 18 f. 28 Guter Überblick über die vorhandene Literatur bei Rojahn, v M , A r t . 32, RNr. 3a - 3c, 13, 22a - 22c, 35a - 35c. Zusätzlich zu den dort zitierten Autoren sind zu erwähnen a) zu grundsätzlichen Fragen: Fastenrath (1986), 11 ff.; Ress (1982), 7ff.; Schindler (1982), 71ff.; Steiger (1966), 17ff.; b) zu konkreter Privataußenpolitik: Dittmann (1983), 149f.; Stein, 12ff., 166ff. Vielfach hat es mit dem Hinweis sein Bewenden, die „Außenpolitik" von Privatpersonen falle nicht unter die grundgesetzliche Ordnung der auswärtigen Gewalt: Geiger, 142; Mosler (1954), 254, 270; Rojahn, vM, Art. 32, RNr. 3 - 3c; Stein, 14; Zuleeg, A K - G G , Art. 32, RNr. 13.

Einleitung

außerordentlich bedeutsame Veränderungen stattgefunden haben, hielt aber Verfassungsänderungen nur unter föderalen Gesichtspunkten für erforderlich. 29 - Das Bezugsfeld und die Perzeption privater Auslandskontakte waren und sind spürbaren Schwankungen unterworfen. Im Schwünge fortschreitender internationaler Verflechtung glaubte man in den 50er Jahren, Souveränität und Nationalstaatlichkeit endlich ad acta legen zu können. 30 Seit den 70er Jahren schlägt das Pendel wieder in die entgegengesetzte Richtung. Hieß es 1971 „Sovereignty at Bay" 3 1 , so kam 1974 die Replik „The Multinational Enterprise at Bay" 3 2 . - Verläßliche und vollständige Informationen über private Auslandskontakte sind nur mühsam zu beschaffen. Vieles ist weitläufig zerstreut, vieles mit dem Schleier des Geheimnisvollen umhüllt. 33 Zur Illustration sei etwa auf die vielfältigen und nur dem Kenner zugänglichen privaten Institutionen hingewiesen, über die die Republik Taiwan sich trotz des Fehlens offizieller diplomatischer oder konsularischer Beziehungen in der Bundesrepublik Deutschland vertreten läßt. - Die internationalen Beziehungen von Privaten sind schließlich in einem Grenzbereich zwischen Politik, Wirtschaft und Recht angesiedelt. Das bedingt interdisziplinäres Arbeiten und birgt die Gefahr des Abgleitens in Außerrechtliches. Um das verfassungsrechtlich im wesentlichen noch unbestellte Feld zu durchmessen und abzustecken, ist es sinnvoll, mit einer Typologie privater Auslandskontakte zu beginnen. Die Erschließung und Vorstrukturierung des im gegenwärtigen Stadium noch ziemlich amorphen Stoffes ist Voraussetzung für den Versuch rechtlicher Verarbeitung. Diese Darstellung ist Gegenstand des Teiles A . der Arbeit. In ihr sind zwei Aspekte miteinander verschlungen. In einem umfassenden Sinne ist von den „auswärtigen Beziehungen privater Verbände" die Rede; damit sind alle grenzüberschreitenden Aktivitäten gesellschaftlicher Kräfte gemeint, also insbesondere von Kirchen, Medien, Parteien, Unternehmen und Verbänden. Der Begriff „Private Außenpolitik" greift aus der Gesamtheit des so umschriebenen internationalen Beziehungsgeflechts diejenigen Konstellationen und Situationen heraus, in denen dem Verhältnis des Privaten zu einem staatlichen Akteur besondere Aufmerksamkeit gebührt: Konvergenzen und Konflikte zwischen der amtlichen Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland und privaten Interessen und den Fall des Zugangs zum ausländischen Machthaber. 29 Schlußbericht vom 9.12.1976, BT-Drucksache 7/5924, 228; a.A. Fastenrath (1982), 6, 42. Fastenrath hat diese Ansicht in seiner 1986 erschienenen Dissertation „Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt" auf S. 264f. aufgegeben. 30 Gut dokumentierte Darstellung der Entwicklung - aus kommunistischer Sicht bei Roland Meister, Studie zur Souveränität, 1981, 61 ff. 31 So der Titel des seinerzeit vielbeachteten Buches von Raymond Vernon. 32 Überschrift eines Aufsatzes von Seymour Rubin in A J I L 1974, 475 ff. 33 Saladin (1977), 47, spricht in einem ähnlichen Zusammenhang von Unternehmensentscheidungen als „arcana imperii".

24

Einleitung

Die Bezeichnungen „Auswärtige Beziehungen privater Verbände" und „Private Außenpolitik" dienen der Umschreibung des Gegenstands der Untersuchung, ihres sozialen Substrats. Zur schlagwortartigen Charakterisierung eines bestimmten Ansatzes rechtlicher Würdigung sind sie dagegen nicht gedacht. Das Kriterium des Politischen oder ein aus dem Bereich staatlichen Organhandelns entlehnter Begriff wie „auswärtige Beziehungen" verstellen insoweit eher den Blick auf die verfassungsrechtlichen Grundlagen. 34 Privates Handeln, auch die Aktivitäten mächtiger multinationaler Konzerne und einflußreicher Interessenverbände, erschließt sich dem verfassungsrechtlichen Zugriff über die Grundrechte. Die verfassungsrechtliche Untersuchung der internationalen Verflechtung nicht-staatlicher Interessen und Aktivitäten hat es im Kern mit der Frage zu tun, welche grundrechtlichen Besonderheiten aus dem Auslandsbezug resultieren. Nur in Ausnahmefällen, wo man mit guten Gründen zweifeln darf, ob die vordergründige Einstufung einer Organisation oder einer Person als „privat" gerechtfertigt ist, und wo nachweisbar ist, daß sie statt dessen der Staatsorganisation der Bundesrepublik Deutschland oder einem fremden Hoheitsträger unmittelbar zugeordnet werden kann, ist eine andere, bei „Trabanten" der deutschen Staatsorganisation staats- und verwaltungsorganisatorische, bei „Vorposten" fremder Hoheitsträger im Schwerpunkt völkerrechtliche Sicht angezeigt. Diesen atypischen Fällen widmet sich Teil Α . I V . ; in ihm werden auch die aus der aktuellen politischen Kontroverse entspringenden Probleme der ,jNebenaußenpolitik" behandelt. In dem Kapitel danach wird das staatstheoretische Fundament für die gesamte Arbeit gelegt, soweit sie „echte" private Auslandskontakte betrifft. Es ist dies die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft. Sie wird über ihre herkömmliche Bedeutung im nationalen Innenverhältnis hinaus für grenzüberschreitende Beziehungen zur Geltung gebracht. - Die Kapitel C. bis E. befassen sich mit der verfassungsgesetzlichen Dimension privater Auslandskontakte. In einem ersten Schritt geht es um die kollisionsrechtliche Bestimmung von Inhalt und Reichweite der grundrechtlichen Freiheitsgewährleistungen. Das Merkmal „politisch" spielt dabei keine Rolle; weder politische Betätigung noch politische Macht ändern etwas an der Zuordnung eines Vorgangs oder eines Rechtssubjekts zum Bereich grundrechtlicher Freiheit. Rechtliche Aufladung wird dem Merkmal erst zuteil, wenn es in einem zweiten Schritt um Grundrechtseingriff und Grundrechtsschranken geht, insbesondere um rechtliche Eigenheiten bei Sachverhalten mit Auslandsberührung und die Zulässigkeit staatlicher Reglementierung internationaler gesellschaftlicher Verflechtungen und privater Auslandskontakte. Die Aufgliederung der Arbeit in zwei Teile, einen grundrechtskollisionsrechtlichen und einen staatstheoretischen, ist in der Natur des Themas und der Eigenart eines verfassungsrechtlichen Zugriffs begründet. Aus grundrechtli34

Dazu ausführlich Teil D. der Arbeit.

Einleitung

cher Sicht geht es bei den weltweiten Geschäften eines multinationalen Konzerns zunächst um kein anderes Problem als bei einem Mallorca-Urlaub, nämlich um die Frage, ob die Grundrechte insoweit überhaupt anwendbar sind und wie weit der von ihnen gewährte Schutz reicht. Die verfassungsrechtliche Untersuchung der auswärtigen Beziehungen privater Verbände ruht auf einem grundrechtskollisionsrechtlichen Fundament, das so breit ist, daß es auch noch andere Untersuchungen tragen könnte, das zugleich aber Voraussetzung für einen sicheren Zugang zu den spezifischen Problemen gerade dieses Themas ist. 35 Dessen Erörterung ist um zwei Schwerpunkte gruppiert. Den einen bildet die Suche nach einem verfassungsrechtlichen Erklärungsrahmen für die auswärtigen Beziehungen privater Verbände, den anderen - wiederum darauf aufbauend - die Auseinandersetzung mit möglichen Konflikten zwischen staatlicher Außenpolitik und privaten Interessen. Insgesamt präsentiert die Arbeit sich im gedanklichen Aufbau damit als eine Pyramide, die von breiter grundrechtskollisionsrechtlicher Grundlage 36 über eine staatstheoretische37 und verfassungsrechtliche 38 Einordnung der auswärtigen Aktivitäten privater Verbände zu einer Stellungnahme zu dem Verhältnis von staatlicher und privater Auslandsbetätigung 39 sich emporrichtet.

35

Abgesehen davon birgt die grundrechtskollisionsrechtliche Grundlegung ihrerseits staatstheoretische Implikationen, die auf das Thema zurückwirken. 36 Teil C. I. und II. 37 Teile B. und F. 3 ® C. II. und E. 39 Ε. II., D. und Α . IV.

Α. Erscheinungsformen grenzüberschreitender privater Betätigungen und Beziehungen I. Begriffliche Vorabfestlegungen 1. „Privater"

Mit dem Wort „Privater" läßt sich trefflich Verwirrung stiften. Was damit gemeint sei, scheint so klar und ist doch ziemlich unklar. Als typischer Komplementärbegriff wird er in einer ersten Annäherung negativ definiert. Privat ist alles, was nicht Staat ist. 1 A n dieser Definition wird man bemängeln, daß sie blaß und inhaltsarm sei. Überdies werfe bei juristischen Personen selbst ein so formales Abgrenzungsmerkmal noch Probleme auf. 2 Doch: Begriffe ohne Anschauung sind notwendig leer. Wird selbst in Arbeiten über die Indienstnahme Privater in der öffentlichen Verwaltung die Definition des Privaten stets mit der Forderung nach einer Typologie privater Verwaltungstätigkeit oder nach einem System der Staatsaufgaben verbunden 3 , so sperren sich das komplexe Erscheinungsbild „privater" Auslandskontakte und ihr rechtlicher Bezugsrahmen - ein Gemisch von nationalem und internationalem, von privatem, öffentlichem und vielleicht auch noch autonomem Recht 4 - in ihrer Vielfalt, Inhomogenität und Unüberschaubarkeit erst recht gegen eine substanzhaltigere Begriffsbestimmung. Schupperts Gegenüberstellung von Quagos und Quangos5 und die ebenfalls oft nicht mehr anhand dogmatisch präparierter Typen und Organisationsmuster vornehmbare Identifikation von de-factoStaatsorganen in der Zurechnungsdogmatik des Völkerdeliktsrechts 6 sind Ausdruck dieser Problematik. Nicht nur im innerstaatlichen, auch im interna1 So heißt es bei Prodromos Dagtoglou, Der Private in der Verwaltung als Fachmann und Interessenvertreter, 1964, 21 (mit FN 1 und 2) etwas vereinfachend: „Privater ist jeder, der nicht Beamter ist." - Im Völkerrecht wird der Begriff ähnlich gefaßt; vgl. Mössner, G Y I L 1981, 63 FN 2. 2 Dazu Prodromos Dagtoglou, Die Beteiligung Privater an Verwaltungsaufgaben, D ö V 1970, 532ff. (533f.). 3 Vgl. von Heimburg, 19f.; Krautzberger, 59f.; Ossenbühl (1971), passim. Anders noch Heyen, 30 ff. 4 Zu dem letztgenannten, buntschillernden Begriff: Werner Lorenz, Die Lex Mercatoria: Eine internationale Rechtsquelle?, FS Neumayer, 1986, 407ff.; Siehr, 103ff.; ferner mit zahlreichen einschlägigen Beiträgen: Le droit des relations économiques internationales, Etudes offertes à Berthold Goldman, 1982. 5 Schuppert, 165 ff. 6 Vgl.: Report of the International Law Commission (on the work of its 26th session), A/9610/Rev. 1, 122f.; Simma (1986), 371.

I. Begriffliche Vorabfestlegungen

27

tionalen Bereich ist eine Verquickung von öffentlich-rechtlichen und zivilrechtlichen Organisationsformen anzutreffen. Die Staaten weichen zur Verfolgung bestimmter Interessen bewußt auf privatrechtliche Gestaltungsmodelle aus.7 Umgekehrt ist man in Protestnoten und sonstigem diplomatischem Schriftwechsel bei Zurechnungsfragen mit dem Durchgriff von einem privaten Rechtsträger auf den angeblich dahinterstehenden Staat oft nicht gerade zimperlich. 8 Der Begriff „Privater" hat strukturelle Gemeinsamkeiten mit dem Konzept des „besonderen Gewaltverhältnisses". Hier wie dort werden disparate Personen und Organisationen nur wegen eines gemeinsamen Merkmals in eine Worthülse gepreßt. Dort ist es die besondere Nähe zur Staatsgewalt, hier das Fehlen jeder funktionalen und organisatorischen Verbindung. Beide weisen auf ein real existierendes Abgrenzungsproblem hin, lösen es aber nicht. Schon aus diesem Grund sollte man von einer Definition des „Privaten" nicht zu viel erhoffen. Die Gleichsetzung von Privaten und Grundrechtssubjekten würde im Rahmen dieser Arbeit auf einen Irrweg führen. Das schlagende Argument gegen die Äquivokation liefert Art. 19 Abs. 3 GG. Man wird kaum umhinkönnen, ausländischen juristischen Personen des Privatrechts das Attribut „privat" zuzusprechen; Grundrechtsträger sind sie jedoch - von den Justizgrundrechten abgesehen - nicht. 9 Dieser Einwand beinhaltet mehr als eine Typenkorrektur in Randbereichen. Er zielt auf etwas Grundsätzliches. Die Identifikation von Grundrechtsträger und Privatem ist eingebettet in das Wechselspiel von „Staat" und „Gesellschaft": Hier grundrechtliche Freiheit und Beliebigkeit, dort rechtliche Verfaßtheit und staatliche Gemeinwohlbindung. 10 „Staat" und „Gesellschaft" wiederum sind vereint unter dem gemeinsamen Dach eines Gemeinwesens; die beiden komplementären Aggregatzustände fügen sich zusammen zu einer politischen Einheit. Daraus folgt, daß die gesellschaftlichgrundrechtliche Sphäre nicht ohne weiteres über die Staatsgrenzen hinaus extrapoliert werden kann. Grundrechtsgeltung in internationalen Lagen ist als Problem dieser Arbeit aufgegeben. Für eine einleitende Begriffsdefinition taugt die Grundrechtsträgerschaft deshalb nicht. 7 Beispiele aus dem Wirtschaftsleben bei Georg Erler, Staatssouveränität und internationale Wirtschaftsverflechtung, B D G V R 1 (1957), 29 (48f.), und bei Gisselquist, 25. Die Gründe sind denen für analoges Verhalten im innerstaatlichen Bereich ähnlich; dazu Ehlers, 346ff. 8 Tomuschat (1978), 22f. Zuletzt mit aktuellem Fallmaterial: Bardia Khadjavi-Goutard / Rainer Hausmann, Zurechenbarkeit von Hoheitsakten und subsidiäre Staatshaftung bei Verträgen mit ausländischen Staatsunternehmen, RIW 1980, 533ff.; dies., Haftungsdurchgriff auf ausländische Staaten, RIW 1983, Iff. Vgl. auch Karl-Heinz Böckstiegel, Der Durchgriff auf den Staat, 1972. 9 Dazu zuletzt Bethge (1985), S. 44ff. Auf die Problematik der Grundrechtsträgerschaft juristischer Personen des öffentlichen Rechts und des Verwaltungshandelns in Privatrechtsform sei hier nur hingewiesen. 10 Siehe Isensee (1981), 13, 15, 21.

28

Α . Erscheinungsformen grenzüberschreitender privater Aktivitäten

Letztlich bleibt somit nur der formal-negative Begriff des Privaten als erste Orientierungshilfe übrig. Dieser ist ob seiner Unscheinbarkeit und normativen Ungebundenheit in der Tat universell. Er ermöglicht eindeutige und zumindest am Kern des Problems ausgerichtete Einteilungen. Zwar gerät er bei juristischen Personen, die die größten Anteile an den privaten Auslandsbeziehungen halten, in eine gewisse Verlegenheit, weil die Rechtsform nur ein vordergründiges und mitunter trügerisches Kriterium ist. Die Beliebigkeiten des Organisationsrechts mögen als Warnung dienen, nicht zu starr auf formale Distinktionen abzuheben, und ein Seitenblick auf die Grundrechte mag Veranlassung sein, in begründeten Ausnahmen die Grenzlinie nach der einen oder der anderen Richtung zu verschieben. Trotzdem reicht im gegenwärtigen Stadium der Arbeit der formal-negative Begriff des Privaten aus; er weist in die richtige Richtung und vermeidet voreilige Festlegungen. 2. Politikwissenschaftliche Terminologie

Viele der im folgenden zur Bezeichnung grenzüberschreitender Beziehungen Privater benutzten Begriffe entstammen der Politikwissenschaft. In deren Lehre von den Internationalen Beziehungen hat sich insoweit eine relativ feste Terminologie herausgebildet. 11 Wegen ihrer häufigen Verwendung werden die gebräuchlichsten Begriffe und Unterscheidungen kurz vorgestellt. Den Unterschied zwischen Außenpolitik und internationaler Politik begründet die Perspektive, aus der die internationalen Beziehungen betrachtet werden. Beide Begriffe beziehen sich auf dasselbe Phänomen, der eine aus der Sicht des einzelnen beteiligten Staates, der andere von der Warte eines unbeteiligten Dritten, dem es auf den Gesamtzusammenhang ankommt. 12 Grundlegend ist die Unterscheidung von internationalen und transnationalen Beziehungen. Sie richtet sich nach den beteiligten Akteuren. 13 International sind die Beziehungen zwischen den Regierungen als Einheiten gedachter Staaten. Transnational sind solche grenzüberschreitenden Beziehungen, die mindestens auf einer Seite von einem gesellschaftlichen Akteur ausgehen. Die Differenzierung in internationale und transnationale Beziehungen setzt die prinzipielle Unterscheidung von Staat und Gesellschaft voraus. 14 11 In terminologischer Hinsicht grundlegend sind Arbeiten wie die von K. Kaiser, PVS Sonderheft 1/1969, 80ff. und von Keohane / Nye (1977). 12 Vgl. Kalevi J. Holsti, International Politics. A Framework for Analysis, 3. Aufl., 1977, 20ff. 13 Der Begriff „Akteur" ist vor dem Hintergrund des in der Politikwissenschaft stark verbreiteten systemtheoretischen und handlungsorientierten Denkansatzes zu sehen, der Politik in Beziehungsgeflechte auflöst und diese an bestimmten Trägern, den Akteuren, ausrichtet; vgl. dazu etwa Meyers, 266ff. 14 Überblick bei Robert Keohane I Joseph Nye, in: dies. (1972), 380ff. und bei K. Kaiser, 90, beide mit veranschaulichenden Graphiken.

I. Begriffliche Vorabfestlegungen

29

In das Grobraster von international und transnational fügen manche Autoren zusätzliche Nuancierungen ein, so insbesondere den Begriff der sub- oder transgouvernementalen Beziehungen. Damit sind grenzüberschreitende Kontakte zwischen Staatsorganisationen unterhalb der Regierungsebene gemeint. 15 Informelle Verbindungen zwischen staatlichen Stellen, die nichts mit der Ausübung von Hoheitsgewalt zu tun haben, firmieren zum Teil auch als transnational. 16 Transnationale Beziehungen haben mehrere Aggregatzustände. Unmittelbare Kontaktauf nähme kann erfolgen durch Informationsaustausch, durch den Austausch von Waren, Dienstleistungen und Kapital, durch Reise und Niederlassung. 17 Die sogenannten Freiheiten des Marktbürgers, die das EGRecht gewährt, spiegeln diese Vielfalt exemplarisch wider. Das grenzüberschreitende Element muß aber nicht notwendig in unmittelbarer Kontaktaufnahme bestehen. Es gibt mannigfaltige Möglichkeiten indirekter, innerstaatlich induzierter Außenwirkung. Kontakte können andererseits so intensiv sein, daß sie Institutionalisierungen und organisatorische Verselbständigungen auf internationaler Ebene bewirken. Die Unterscheidung von staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren pflanzt sich dann fort in der weiteren Unterscheidung in Internationale Gouvernementale Organisationen (IGO's) und Internationale Non-Gouvernementale Organisationen (INGO's). 1 8 Und auch diese beiden Begriffe sind nur die Extreme, zwischen denen ein breites Spektrum an organisatorischen Gestaltungsmustern gespannt ist. Dieselben Strukturen, die Schuppert für das Verwaltungsorganisationsrecht der Bundesrepublik mit den Tendenzbegriffen quasi-gouvernementale und quasi-nichtgouvernementale Organisationen (Quagos und Quangos) verdeutlichen will 1 9 , trifft man auf der internationalen Ebene wieder. Je nach Dichte und Umfang der Beziehungen spricht man von Interaktionen und Interdependenzen. Je intensiver die Zusammenarbeit, desto stärker ist auch die Eigendynamik, die sie entfaltet. Es entstehen für alle Beteiligten, zumeist asymmetrisch, Abhängigkeiten, aus denen sie sich nur mit einem gewissen Aufwand lösen, die sie aber zugleich auch für ihre Zwecke nutzen können. 20

15

Keohane / Nye (1972), 381 f. Nachweise bei Fastenrath (1986), 18 FN 87. 17 Raymond Aron, Paix et Guerre entre les Nations, 1962, 113. 18 Seidl-Hohenveldern, Recht der Internationalen Organisationen, RNr. 0103 0103b. Zur Sonderstellung multinationaler Unternehmen Fastenrath (1986), 21 mit FN 96; zu den internationalen Unternehmen Wiedemann, 881 ff. 19 Gunnar F. Schuppert, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch verselbständigte Verwaltungseinheiten, 1981. 20 Dazu H. Huber, 604ff.; Keohane l Nye (1972), 8ff. 16

30

Α . Erscheinungsformen grenzüberschreitender privater Aktivitäten

I I . Gesellschaftliche Verbände als Akteure der internationalen Beziehungen Der Titel „Auswärtige Beziehungen privater Verbände" soll einen neuen, in seinen Grundzügen bereits geschilderten Typus auswärtiger und internationaler Beziehungen umschreiben. Er dient als Blickfang, um die Aufmerksamkeit auf verfassungsrechtlich bislang Vernachlässigtes zu lenken. Die Qualifikation bestimmter Auslandskontakte als politisch hilft, trotz der dieser Vokabel eigenen Unbestimmtheit 1 , dabei, einen in dem allgemeinen Phänomen enthaltenen Sonderfall hervorzuheben: den zumindest latenten Konflikt zwischen der organisierten Betätigung Privater im Außenbereich und der amtlichen Pflege auswärtiger Beziehungen. 1. Die internationale gesellschaftliche Verflechtung

Der Begriff „Verbände" ist wenig aussagekräftig, wenn man ihn zur klassifizierenden Beschreibung der sozialen Wirklichkeit benutzt. Er ist nicht empirischer, sondern verfassungsstruktureller Natur, indem er auf eine Eigenschaft abhebt, die bei aller Verschiedenheit von einem jeden Verband erfüllt wird. 2 Gesellschaftliche Verbände sind in einem intermediären Raum zwischen dem Individuum und der Staatsorganisation angesiedelt. Zwischen dem Privaten, jetzt verstanden im Sinne der Privatheit des „kleinen Mannes", und dem Staatlichen hat sich in der Verfassungsentwicklung der letzten hundert Jahre eine Schicht gesellschaftlicher Gruppen und Organisationen etabliert, die Attribute wie „öffentlich" oder „politisch" verdient. 3 Die Macht der intermediären Gewalten wird als so stark eingeschätzt, daß sie für manche schon zum Alptraum demokratischer Verfassungsstaatlichkeit in Westeuropa geworden ist. 4 Auch wer nicht so weit gehen möchte, kann ohne Bedenken in die These 1 Zu den oft zu vernehmenden Klagen über die Konturlosigkeit des Begriffs siehe Wilhelm Grewe, Zum Begriff der politischen Partei, Festgabe für Erich Kaufmann, 1950, 65ff.: „Die inhaltliche Bestimmung der Qualifikation „politisch" führt zunächst in den Irrgarten der Diskussionen über den Begriff und das Wesen des Politischen. Davor zurückzuschrecken, heißt nichts anderes, als auf eine klare Konzeption von Staat, Gesellschaft und Verfassung zu verzichten." (69). 2 Vgl. auch Joseph H. Kaiser, Verbände, in: Isensee / Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. 2, 1987, § 34, RNr. 3; zu kritisch dagegen Stern I 461. 3 Scholz, 17f., spricht von einer „Ordnungsrelation Staat - Verband - Individuum", der eine „Ordnungsrelation politisch - sozial - privat" entspreche. Saladin (1977) bezeichnet die Sphäre des Öffentlichen als die des „nicht-staatlich Politischen" (S. 34f.). Zum Öffentlichen unter diesem Blickwinkel ferner Preuß, 163 ff. 4 Zusammenfassung der politikwissenschaftlichen Literatur in dem Sammelband von von Alemann / Heinze. Zu dem Begriff „Korporatismus" siehe von Beyme, 39ff.; Gerhard Lehmbruch / Philip C. Schmitter (Hrsg.), Patterns of Corporatist Policy-Making, 1982; Klaus Lompe, Das Ende des Neokorporatismus?, GewMH 1986, 280. Zu einer möglichen Weiterentwickung des Korporatismus zum Postindustrialismus: Ulrich von Alemann, Der Wandel organisierter Interessen in der Bundesrepublik, in: aus politik

II. Gesellschaftliche Verbände und internationale Beziehungen

31

einstimmen, den politischen Parteien und den Inhabern der Tarif autonomie und der Investitionsfreiheit komme unmittelbare politische Entscheidungsgewalt zu. 5 Diese Entwicklung ist nicht auf das innere Verfassungsgefüge der Bundesrepublik Deutschland beschränkt und findet in anderen Verfassungsstaaten des Westens ihre Parallele. Es gibt heute fast keine organisierte gesellschaftliche Gesamtheit, die nicht auch internationale Aktivitäten vorzuweisen hätte. Größere Unternehmen sind regelmäßig auch multinationale Unternehmen 6 ; das Wohlergeben der deutschen Volkswirtschaft hängt am Außenhandel. Die internationale Kooperation und Integration, die Bildung Internationaler Organisationen und die Abstimmung nationaler Politiken haben den politischen Parteien und Interessenverbänden neue Betätigungsfelder erschlossen, namentlich im Rahmen der Europäischen Gemeinschaften. Im Medienbereich bringt die Einführung neuer Informationstechnologien zur Zeit einen weiteren Internationalisierungsschub mit sich. Die Gewerkschaften fallen demgegenüber ein wenig ab. Der letzte Satz des kommunistischen Manifestes hat angesichts des Massenwohlstandes in den Industrieländern seine Motivationskraft eingebüßt; die ideologischen Brücken zur internationalen kommunistischen Bewegung wurden gekappt. Gleichwohl verfügen auch die Gewerkschaften über ein weitverzweigtes Netz an internationalen Kontakten und Einflußmöglichkeiten, das sie sowohl zu allgemeinpolitischen als auch zu spezifisch koalitionsmäßigen Zwecken nutzen. 7 und Zeitgeschichte, Nr. 49/1985, 3ff. (14ff.); oder zum Syndikalismus: Philip C. Schmitter, Still the Century of Corporatism?, Review of Politics 36 (1974), 85ff.; skeptisch gegenüber der Prognostizierbarkeit solcher Entwicklungen: Jürgen Habermas, Die Neue Unübersichtlichkeit, Merkur 1985, Iff. Nachweise zur staatsrechtlichen Literatur bei Stern I 620 mit FN 221 und 627ff. mit FN 260. In dem Fassadenargument stimmen konservative und marxistische Kritik am pluralistischen Staat überein; man vergleiche Forsthoff (1971) mit Johannes Agnoli / Peter Brückner, Die Transformation der Demokratie, 1968. 5 Dazu Böckenförde (1976), 457ff. Das Problem, politisch bedeutsame von den übrigen wirtschaftlich-sozialen Verbänden abzugrenzen, vermag auch Böckenförde nicht eindeutig zu lösen (S. 469). Dabei stellt es sich für ihn um so dringlicher, weil er die Innehabung politischer Entscheidungsgewalt als nicht mehr vom Garantiegehalt der Grundrechte umfaßt sieht (S. 472f.). 6 Besonderheiten gibt es bei Versorgungszwecken dienenden Staatsbetrieben; zu ihnen siehe Fischer, insb. 8 - 12, 15. Zu den ausländischen Tochtergesellschaften von Staatsbetrieben sozialistischer Länder Carl H. McMillan, Direct Soviet and Eastern European Investment in the Industrialized Western Economies, 1977. 7 Im Kampf ums Arbeitsrecht, der wesentlich, im kollektiven Arbeitsrecht mangels gesetzlicher Vorgaben sogar in erster Linie ein Kampf um Wörter ist, ist die Internationale Arbeitsorganisation für die DGB-Gewerkschaften ein wichtiger Nebenschauplatz. Mit völkerrechtlichen Argumenten, mögen sie auch noch so haltlos sein, kann man nur in den Bahnen des nationalen Rechts denkende Juristen erst einmal in die Defensive drängen. Treffend hierzu Hugo Seiter, Zur Gestaltung der Arbeitskampfordnung durch den Gesetzgeber, RdA 1986, 165 (173); polemische Kritik bei Wolfgang Däubler, in: ders. (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, 2. Aufl., 1987, RNr. 104b FN 246. Anzumerken ist hierzu noch, daß Art. 162 der Weimarer Reichsverfassung es der Reichsregierung zur

32

Α . Erscheinungsformen grenzüberschreitender privater Aktivitäten

Neben den Wirtschaftsunternehmen, den Interessenverbänden und Gewerkschaften, den politischen Parteien und den Kirchen, also gewissermaßen der verbandsmäßigen Grundausstattung eines pluralistischen Gemeinwesens, sind auf internationaler Ebene noch eine Vielzahl weiterer Vereine und Vereinigungen mit vorwiegend uneigennützigen oder rein gruppenbezogenen Zielen tätig. Zu nennen sind die Sportverbände 8, berufliche Zusammenschlüsse, die Vertriebenenverbände 9, humanitäre Organisationen 10 und Umwelt- und Naturschutzbünde. Hinzu kommen Organisationen mit spezifisch internationaler Zielsetzung in den Bereichen Entwicklungshilfe und Völkerverständigung; ihr Engagement wird von § 52 Abs. 2 Ziff. 2 der Abgabenordnung steuerrechtlich privilegiert. Auswärtige Beziehungen sind ein zumindest zweipoliges Verhältnis über Staatsgrenzen hinweg. Die Aktionsbasis des Privaten kann im Inland liegen; es kann aber auch umgekehrt so sein, daß vom Ausland aus Private in der Bundesrepublik Deutschland tätig werden, etwa als Wirtschaftsunternehmen auf dem deutschen Markt oder als Interessenverbände gegenüber den für ihr Anliegen zuständigen staatlichen Stellen. Schließlich gibt es die Möglichkeit, daß ein privater Akteur sich von allen Staatlichkeiten, auf deren Gebiet er Aktivitäten entfaltet, emanzipiert und sich als internationaler Verband etabliert. In diesem Sinne unterscheidet etwa die nationalökonomische Diskussion ethnozentrische, polyzentrische und geozentrische multinationale Unternehmen. Dabei stellt sie darauf ab, welches Land das Unternehmen prägt: das Heimatland, das oder mehrere Gastländer oder - beim wahrhaft internationalen Konzern - gar keines. 11 Der Prototyp eines staatenübergreifenden internationalen Verbandes ist die katholische Kirche. Sie ist das historisch wie theoretisch bedeutendste Phänomen einer nicht-staatlichen, nach heutigem Verständnis gesellschaftlichen Institution, die staatenübergreifend verfaßt ist. Nicht zuletzt gegen sie richtete der moderne Staat 12 der frühen Neuzeit seine äußere und innere Souveränität Pflicht gemacht hat, sich gegenüber dem Gedanken eines Internationalen Arbeitsrechts aufgeschlossen zu zeigen; der soziale Schutzzweck dieser Vorschrift dürfte sich heute erledigt haben. 8 Siehe etwa Christoph Vedder, The International Olympic Committee: A n Advanced Non-Governmental Organization and International Law, G Y I L 27 (1984), 233ff.; zur besonderen Situation der D D R vgl. Gunter Holzweissig, Diplomatie im Trainingsanzug, 1981. 9 Zu ihnen Peter Reichel, Die Vertriebenenverbände als außenpolitische „pressure group", in: Hans-Peter Schwarz (Hrsg.), Handbuch der deutschen Außenpolitik, 2. Aufl., 1976, 233ff. 10 Zum Internationalen Komitee vom Roten Kreuz: Alexandre Hay, Die Tätigkeit des Internationalen Roten Kreuzes im Spannungsfeld internationaler Krisen, E A 1982, 639 ff. 11 So Howard V. Perlmutter, L'entreprise international - trois conceptions, Revue Economique et Sociale 1965, 151.

II. Gesellschaftliche Verbände und internationale Beziehungen

33

auf. Doch hat die Kirche ihre universale Einheit gegen staatlich verfügte Partikularisierungstendenzen zu wahren verstanden. Sie ist ihrem Wesen nach universal, also international. Innerkirchlicher Verkehr (etwa zwischen Ortsbistümern und dem Heiligen Stuhl) ist aus kirchenexterner Sicht internationaler Verkehr. Die Freiheit zum internationalen Verkehr hat die Kirche denn stets zu behaupten gehabt. Wenn auch der historische Widerstand gegen diese Freiheit nicht nur von autoritären, sondern gerade auch von liberalen Staaten mit ihren nationalistischen und ihren antirömischen Affekten gegen den „Ultramontanismus" - ausgeht13, so entspannt sich das historische Problem in dem Maße, in dem die liberale Unterscheidung von Staat und Gesellschaft wirksam wird und die Kirche ihren Status als gesellschaftlicher Verband akzeptiert. Das konkordatär gewährte Recht auf internationalen Verkehr geht dann auf in der umfassenden grundrechtlichen Absicherung der auswärtigen und internationalen Beziehungen gesellschaftlicher Verbände. 14 Der Typus auswärtiger Beziehungen privater Verbände ist damit skizziert, wichtige Protagonisten sind genannt. Ihnen widmet sich die vorliegende Studie. Die Thematik muß - der intermediären Mittellage der Verbände entsprechend - nach zwei Seiten abgegrenzt werden. Die auswärtigen Beziehungen privater Verbände sind zum einen strikt von der Auswärtigen Gewalt zu unterscheiden. Diese ist eine nach Verbands- und Organkompetenzen, Gesetzgebungs- und Ressortzuständigkeiten ausdifferenzierte Staatsfunktion, während die auswärtige Betätigung Privater einen an keine Kompetenz gebundenen Ausfluß grundrechtlicher Freiheit darstellt. 15 Größere Probleme wirft die Abgrenzung zu grenzüberschreitenden Kontakten, Auslandsreisen und -aufenthalten von Einzelpersonen - Ausländern in der Bundesrepublik wie Deutschen im Ausland - auf. Gleichwohl läßt die Trennung sich sowohl verfassungsrechtlich als auch empirisch rechtfertigen. Trotz mancher Übereinstimmungen insbesondere in grundrechtskollisionsrechtlicher Hinsicht erfordert die kollektive und organisierte Ausübung grundrechtlicher Freiheit eine besondere verfassungsrechtliche Sichtweise. Und die Träger der auswärtigen Beziehungen Privater sind in der Hauptsache Verbände; sie stellen den institutionellen Rahmen für das Handeln von Einzelpersonen zur Verfügung. Letztlich jedoch bleiben die Übergänge fließend. Zwischen dem sozialmächtigen Verband oder Unternehmen und der Einzelperson sind zahlreiche Abstu12

Zum Typus des modernen Staates Isensee (1987), RNr. 41 ff. Zum Kulturkampf: Karl Bihlmeyer / Hermann Tüchle, Kirchengeschichte, 18. Aufl., Bd. 3, 1969, 403ff.; Victor Conzemius, Philipp Anton von Segesser, 1977, 190ff.; Heinrich Bornkamm, Die Staatsidee im Kulturkampf, Historische Zeitschrift, Bd. 170 (1950), 41ff., 273ff. (294ff., aber eher zur innerstaatlichen Seite des Konflikts). Allgemein: Carl Schmitt, Römischer Katholizismus und politische Form, Nachdruck der 2. Aufl., 1984. 14 Hierzu Scheuner (1975), 299 ff. 15 Fastenrath (1986), 58; Rojahn, vM, Art. 32, RNr. 3b; T. Stein, 37. 13

3 Heintzen

34

Α . Erscheinungsformen grenzüberschreitender privater Aktivitäten

fungen möglich, die mit einer typologischen Betrachtung verdeutlicht werden können. Eine trennscharfe Unterscheidung verschiedener Fallgruppen jedenfalls ist aus rechtlicher Sicht nicht erforderlich. 2. Private Außenpolitik

Der Begriff „Private Außenpolitik" geht auf eine Abhandlung Heinrich Triepels aus dem Jahre 1939 zurück. 16 Triepel unterscheidet echte und interne private Außenpolitik. 17 Echte private Außenpolitik besteht in der unmittelbaren Einwirkung Privater auf Akteure der internationalen Beziehungen, die nicht dem eigenen Staatsverband angehören. Bezugsgröße für die Unterscheidung nach Innen und Außen ist der staatliche Verband, dessen Mitglied der Private ist, nicht dieser selbst, was bei großen multinationalen Konzernen oder einem universalen Verband wie der katholischen Kirche ja auch denkbar wäre. 18 Interne Außenpolitik liegt vor, wenn Privatleute versuchen, die amtliche Außenpolitik ihres Landes in diese oder jene Richtung zu steuern. So einleuchtend die Unterscheidung in der Theorie auch klingt, schwierig ist ihre Umsetzung in die Praxis. In der Regel sind beide Ebenen miteinander verwoben. Das Mischungsverhältnis variiert je nach den Beteiligten, ihrem politischen Vermögen und ihren Interessen. Der Interpret der Begriffe „auswärtige Angelegenheiten" und „Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten", die das Grundgesetz in den Art. 73 Ziff. 1 und 32 Abs. 1 verwendet, kennt die Frage, ob darunter die „Gesamtheit der überhaupt denkbaren außenpolitisch relevanten Handlungen" 19 , mithin sogar innerstaatliche Angelegenheiten mit bloß reflexatorischer Außenwirkung fallen oder ob als qualifizierendes Merkmal die Absicht, die Unmittelbarkeit oder die Erheblichkeit der Außenwirkung hinzukommen muß. 20 In analoger Abgestuftheit präsentiert sich „private Außenpolitik". Dies sei an einem Beispiel erläutert. Im Internationalen Kartellrecht wird heftig darüber gestritten, wann nationale Kartellbehörden gegen Absprachen oder Zusammenschlüsse von Unternehmen vorgehen dürfen, die im Ausland erfolgen: schon dann, wenn diese rein reflexatorisch Auswirkungen auf dem inländischen Markt zeitigen, oder erst dann, wenn die wettbewerbsstörenden Auswirkungen unmittelbar, beträchtlich, vorhersehbar oder beabsichtigt sind. 21 16

Heinrich Triepel,

Die auswärtige Politik der Privatpersonen, ZaöRV 9 (1939/40),

Iff. 17 A.a.O., S. 5. Andere differenzieren im selben Sinne in mittelbare und unmittelbare oder primäre und sekundäre Außenpolitik; Nachweise bei T. Stein, 12 - 14. 18 Z u ersteren Pierre Jarniou, L'entreprise comme système politique, 1981. 19 Zitat: Jürgen Dreher, Die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern im Rahmen der auswärtigen Gewalt nach dem Bonner Grundgesetz, Diss., 1970, 27. 20 Eingehend Fastenrath (1982), 22ff.; Mosler (1954), 254f.; Rojahn, vM, Art. 32, RNr. 22; Seidel, 26ff.; T. Stein, 13f.

II. Gesellschaftliche Verbände und internationale Beziehungen

35

Ähnlich reflexatorische Wirkungen ins Ausland sind bei Tarifabschlüssen zu verzeichnen; die Einigung der deutschen Tarifparteien kann Signalfunktion für Tarifverhandlungen im Ausland haben. Im Mittelpunkt der Außenpolitik und der internationalen Beziehungen steht nach wie vor der Staat, bezogen auf die Bundesrepublik Deutschland der Bund. Er setzt die Rahmenbedingungen für private Akteure und achtet bei aller Pluralität und Autonomie privater Betätigung auf die in seinen Augen gebotene Einheitlichkeit der nationalen Selbstdarstellung. Diese dem Grunde nach nicht ernsthaft zu bestreitende Prämisse 22 rechtfertigt es, bei einer typor logisierenden Zusammenstellung der vielfältigen Erscheinungsformen privater Auslandskontakte den Staatsbezug zum Kriterium zu wählen. Privatpersonen können nicht nur aus eigener Kraft und im eigenen Interesse, sondern auch in fremdem Auftrag politisch handeln. Ein Privater kann freiwillig in die Dienste der Außenpolitik seines oder eines anderen Staates treten oder durch den Staat in die Pflicht genommen werden. Die Bandbreite der Möglichkeiten reicht in der ersten Alternative vom informellen Arrangement bis hin zu einem beleihungsähnlichen Auftragsverhältnis. 23 Zwei Beispiele sollen das illustrieren. 1953 war der Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Hermann Joseph Abs, Leiter der deutschen Delegation auf der Londoner Schuldenkonferenz, obwohl er in keinem öffentlichrechtlichen Dienstverhältnis stand. 24 1985 übermittelte wiederum ein Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Friedrich W. Christians, dem sowjetischen KP-Chef Gorbatschow bei einem Besuch in Moskau eine Botschaft der Bundesregierung. 25 In der zweiten Alternative kann man von „unfreiwilliger privater Außenpolitik" sprechen: Der Private wird zum Transmissionsriemen staatlicher Zweckverfolgung gegenüber einer fremden Macht. 2 6 Typische Beispielsfälle sind Boykott und Embargo. Aber auch insoweit gibt es informelle Regelungen, „soft law", so z.B. den Verhaltenskodex der Europäischen Gemeinschaft für Unternehmen mit Tochtergesellschaften, Zweigniederlassungen oder Vertretungen in Südafrika. 27 Eine weitere Spielart „unfreiwilliger privater Außenpolitik" resultiert aus der Natur der Sache. Internationale Angelegenheiten 21

Überblick bei Wildhaber (1978), 50 ff. sowie bei Karl M. Meessen, International Antitrust Law, EPIL 5 (1985), 29. 22 Vgl. auch Scheuner (1977). 23 Die Beleihungsähnlichkeit wird besonders in der Arbeit von Weisert, 132ff., herausgestellt. 24 Dazu Christoph Buchheim, Das Londoner Schuldenabkommen, in: Ludolf Herbst (Hrsg.), Westdeutschland, 1986, 219ff. (m.w.N. auf S. 222). 25 Gemäß einem Interview in der ARD-Sendung „Brennpunkt" vom 11.12.1985. 26 Dazu aus grundsätzlicher Sicht Bull, 282f.; Krüger (1966), 590 - 595. 27 Bull. EG 9/1977, 51. Dazu Hailbronner, RIW 1983, 111. 3*

36

Α . Erscheinungsformen grenzüberschreitender privater Aktivitäten

sind per se politischer als interne Vorgänge. Nicht selten ist zu beobachten, daß ursprünglich Unpolitisches plötzlich zum Politicum sich wandelt. Privatpersonen, denen es eigentlich nur ums Geldverdienen geht, finden sich dann unversehens im weltpolitischen Rampenlicht. 28 I I I . Grundzüge einer Typologie privater Auslandskontakte1 Heinrich Triepel gibt in seinem Aufsatz „Die auswärtige Politik der Privatpersonen" einen nützlichen Hinweis, indem er zwischen dem Privaten als Mit-, als Gegen- und als Nebenspieler des Staates, zwischen privater Außenpolitik als Ergänzung, Vertretung oder Ersatz staatlichen Handelns und auswärtiger Politik für fremde oder für eigene Rechnung unterscheidet. 2 Der Mitspieler wird als Gehilfe oder als Werkzeug der Regierung tätig, namentlich um delikate Geschäfte besser besorgen zu können und um mit Kreisen in Verbindung zu treten, mit denen die Diplomatie nicht in Berührung treten kann oder will. Der Nebenspieler verfolgt seine eigenen Ziele, muß aber vom Staat wegen seiner Macht oder seines Ansehens mit in das außenpolitische Kalkül einbezogen werden. Der Gegenspieler ist bemüht, die staatliche Außenpolitik - im eigenen Interesse oder in fremdem Auftrag - zu stören oder zu ändern. Mit Recht betont Triepel, daß die Grenzen fließend, das Terrain unsicher und Rollen Wechsel nie ausgeschlossen sind. 3 Triepels Einteilungskriterien können heute nicht mehr unbesehen übernommen werden. Die Konzeption von Außenpolitik, von der er 1939 ausgegangen ist, wird den modernen Verhältnissen nicht mehr gerecht. Die Zukunftsprognose, die er privater Außenpolitik gestellt hat 4 , erwies sich als unzutreffend. Einigen der Personen, die er als Privatdiplomaten präsentiert 5 , - fürstlichen Damen, Missionaren, Flibustiers - begegnet man heute nur mehr in Romanen oder im Kino. Die von Triepel gewählten Termini können jedoch auch als eine rein formale und zugleich abschließende Umschreibung der verschiedenen, damals wie heute gedanklich möglichen Veranlassungen und Zielsetzungen privaten Handelns verstanden werden. Werden sie in dieser Weise auf die in unseren Tagen anzutreffenden Hauptdarsteller transnationaler gesellschaftlicher 28 So erging es deutschen Unternehmen, die in der Schlußphase portugiesischer Kolonialherrschaft am Bau des Cabora-Bassa-Staudammes beteiligt waren; Nachweise bei Weisen, 20 - 22. 1 Weiterführend Markus Heintzen, Private Außenpolitik, 1988. 2 ZaöRV 1939/40, 6 (Ergänzung, Vertretung oder Ersatz staatlichen Handelns), 9 (Außenpolitik für eigene Rechnung), 16f. (Mit-, Gegen-, Nebenspieler). 3 Ebd., 17f. 4 Oder die er 1939 aus naheliegenden Gründen stellen mußte; vgl. die Seiten 28ff. 5 Vgl. die dramatis personae auf S. 11 ff.; ferner die Darstellung bei Rudolf {1986), 47 f.

III. Typologie privater Auslandskontakte

37

Beziehungen appliziert und gleichzeitig aus der starren Ausrichtung auf den (potentiellen) Konflikt von privaten und staatlichen Interessen gelöst, so ergibt sich ein brauchbares Grobraster, das aus fünf Grundtypen besteht. 1. Gruppe: Wirtschaftsunternehmen und Banken, ferner Gewerkschaften und Interessenverbände sowie deren aller internationale Zusammenschlüsse, die in der Bundesrepublik ihren Sitz oder Mitglieder haben oder von denen eine Gliedorganisation im Bundesgebiet tätig ist. Gemeinsam ist dieser Gruppe die Unabhängigkeit vom Staat und die Verfolgung primär ökonomischer Ziele. 2. Gruppe: Die „Nebenaußenpolitik" 6 von Oppositionspolitikern, Länderregierungschefs, Abgeordneten, Angehörigen der Ministerialbürokratie, von politischen Parteien, deren Stiftungen, den Medien, der Friedensbewegung, Intellektuellenzirkeln und Demonstranten. Die Rubrizierung von Regierungschefs, Ministern, Abgeordneten und Beamten unter den Topos „Private Außenpolitik" bedarf dabei besonderer Erläuterung, handelt es sich doch bei allen um staatliche Funktionsträger. Es gibt gleichwohl gute Gründe, die für die zumindest vorläufige Einbeziehung ihrer „Außenpolitik" in den Kreis der zu untersuchenden Fragen sprechen: So sträubt sich das parlamentarische Mandat infolge seiner ihm eigenen Struktur gegen das strikte Entweder / Oder der Alternative von „Staat" und „privat". Amtswalter gehen nicht in ihrem Amt auf; die Möglichkeit eines Rollentausches wird man konzedieren müssen; die Frage ist, wo Grenzen liegen und welche Rücksichtnahmepflichten in jedem Fall zu beachten sind. Mitglieder von Landesregierungen beruhigen zudem ihr offensichtlich vorhandenes schlechtes Gewissen mit einer Alsob-Philosophie; in Presseverlautbarungen ist nachzulesen, X. habe „als Privatmann" oder „im Urlaub" oder „bei einem privaten Besuch unter Freunden" mit ausländischen Größen über Fragen der Weltpolitik konferiert; „private Außenpolitik" verwandelt sich so in eine „rein touristische Angelegenheit" 7 . 3. Gruppe: Internationale non-gouvernementale Organisationen mit uneigennützigen humanitären, sozialen oder ökologischen Zielen, die auf internationaler Ebene zentral organisiert sind und in einer Vielzahl von Staaten über nationale Sektionen verfügen. Hierher gehören das Rote Kreuz, amnesty international oder Greenpeace. In diesen Kontext gehören auch die interna6

Das Wort tauchte im August 1985 in der tagespolitischen Diskussion auf. Seitens der Regierungskoalition wurde der SPD-Opposition vorgeworfen, sie konterkariere durch ihre ostpolitischen Aktivitäten die Regierungspolitik und erzeuge im Ausland ein Bild deutscher Uneinigkeit und Zerstrittenheit; vgl. F A Z vom 23.08.85, S. 2 und vom 24.09.85, S. 1; ferner: „Nebenaußenpolitik der SPD" oder Untätigkeit der Regierung?, Das Parlament v. 21.09.85, S. 8f. und: Ziel muß sein, die Dinger wegzukriegen - SPD-Abrüstungsexperte Egon Bahr über die „Nebenaußenpolitik" seiner Partei, Der Spiegel Nr. 42 v. 14.10.85, S. 14. 7 So CSU-Generalsekretär Tandler über eine Reise von Franz-Joseph Strauß nach Albanien; F A Z vom 20.08.84, S. 3.

38

Α . Erscheinungsformen grenzüberschreitender privater Aktivitäten

tionalen Beziehungen der Kirchen, namentlich der katholischen Kirche. 8 Erwähnung verdienen schließlich Sport- und Berufsverbände sowie zweiseitige Vereinigungen nach dem Muster Deutsch-Türkische Gesellschaft. Im Unterschied zu der ersten Gruppe verfolgen all diese Verbände nicht in erster Linie eigen-wirtschaftliche Ziele. Eine wichtige Gemeinsamkeit besteht ferner in der Selbständigkeit gegenüber dem Staat. 4. Gruppe: Trabanten des Verwaltungssystems, d.h. Einzelpersonen, die im Auftrag des Staates außenpolitisch tätig werden, oder Organisationen, die, obgleich privatrechtlich verfaßt, in enger institutioneller, personeller und finanzieller Verbindung zum Staat stehen. Hierher gehören die sogenannten Mittlerorganisationen der auswärtigen Kulturpolitik und die Träger staatlicher Exportförderung. Die Arbeit kann in diesem Punkt auf die Typologie in Schupperts Untersuchung über „Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch verselbständigte Verwaltungseinheiten" zurückgreifen. 9 Einige Hinweise enthält auch die Dissertation von Weisert über „Die Ausübung auswärtiger Gewalt durch Privatpersonen". 5. Gruppe: Private Außenpolitik für Rechnung fremder Mächte. Unter diesen Typus fallen die aus dem kommunistischen Machtbereich ferngesteuerten Gruppierungen auf der politischen Linken in der Bundesrepublik, die Verbindungsbüros von Befreiungsbewegungen, Widerstandsgruppen, Exilanten u. ä., schließlich private Surrogate für zwischenstaatliche Beziehungen. I V . Privates Handeln an der Grenze zur Wahrnehmung staatlicher Funktionen Das Adjektiv „privat" ist im juristischen Sprachgebrauch ebenso eingebürgert wie mehrdeutig und vordergründig. 1 Die Hauptschwierigkeit liegt darin, daß hinter dieser Bezeichnung sich auch solche Personen und Institutionen verbergen können, die einem Hoheitsträger, sei es der Staatsorganisation der Bundesrepublik Deutschland, sei es einer fremden Macht 2 , organisatorisch oder funktionell eingegliedert sind oder die beanspruchen, neben ihrer öffentlich-rechtlichen Rolle auch noch die eines Grundrechtsträgers spielen zu können. Um die Einheitlichkeit des Gesamtthemas herzustellen, ist es erforderlich, diese Grenzlinie zwischen verdeckter Staatstätigkeit und auswärtiger « Dazu Scheuner (1975), 299 ff. Zu den Mittlerorganisationen der auswärtigen Kulturpolitik ebd., S. 28f., zu privatrechtlichen Hilfsorganisationen des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit S. 29, zur staatlichen Ausfuhrförderung S. 49ff. 1 Siehe Α . I. 1. 2 Zu den fifth-column-Organisationen des Internationalen Kommunismus siehe Andreas von Weiss, Die nichtstaatlichen Organisationen in der Globalpolitik der Sowjetunion, ZPol X X I X (1982), 185; W. W. Sagladin (Hrsg.), Die internationale kommunistische Bewegung, 1984, 550ff. 9

IV. Die Grenze zur Wahrnehmung staatlicher Funktionen

39

Betätigung von Privaten deutlich zu markieren. Bei solcher Perspektive und Fragestellung interessiert das, was jenseits der Grenze liegt, allein zu dem Zweck, die Grenze selbst besser zu erkennen. Die Wahrnehmung auswärtiger Staatsfunktionen durch Private und staatliche Außenpolitik in Privatrechtsform sind ein anderes Thema, das zur einen Seite hin an die Pflege auswärtiger Beziehungen durch die dafür zuständigen Staatsorgane, zur anderen Seite an die Problematik privater, grundrechtlich geschützter Auslandsbeziehungen grenzt. 1. Das Abgrenzungsproblem

Die organisationsrechtlichen Detailfragen der Abgrenzung von Staatshandeln und gesellschaftlicher Betätigung wirken auf denjenigen weniger erdrükkend, der sich Gewißheit darüber verschafft hat, daß es eine Abgrenzung grundsätzlich gibt und aus verfassungsstrukturellen Gründen auch geben muß. Diese Einsicht macht die Detailfragen zwar nicht leichter, sie immunisiert aber gegen Resignation bei der Suche nach einer Lösung. Die prinzipielle Möglichkeit und Erforderlichkeit einer Abgrenzung staatlichen und privaten Handelns auch in dem hier untersuchten Betätigungsfeld folgt aus der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, von grundrechtlicher Freiheit und demokratisch legitimierter staatlicher Gewalt. A n dieser Unterscheidung ist im Sinne der Gegenüberstellung zweier verfassungsrechtlicher Seinsweisen trotz vorhandener Verflechtungen und Ingerenzen festzuhalten. 3 a) Verwaltungsorganisationsrecht Dem Staat steht es frei, bei der Verfolgung von Verwaltungszwecken auch zu privatrechtlichen Organisationsformen zu greifen. Solche privatrechtsförmigen Verwaltungstrabanten kommen in ihrem äußeren Erscheinungsbild echten Privatorganisationen mitunter sehr nahe. Damit stellt sich die Abgrenzungsfrage hier in einem konkreten, verwaltungsorganisatorischen Kontext. 4 Zu den privatrechtsförmig betriebenen Verwaltungsagenden gehören weite Teile der auswärtigen Kulturpolitik, der Außenwirtschaftsförderung und der Entwicklungshilfe. 5 Es handelt sich hier überdies um Fondsverwaltung. 6 Die Schwierigkeiten mit der Abgrenzung zu parallellaufenden privaten Initiativen 3

Siehe dazu Β. II. Zum Folgenden siehe auch Achterberg, § 12; Maurer, 410; Rudolf\ in: Erichsen / Martens, 577f. 5 Dazu Dittmann, D V 1975, 431 ff.; ders. (1983), 149f.; Fastenrath (1986), 177ff.; Kilian (1981), l l l f f . ; Rudolf {1915), 141ff.; Schuppert, 29, 175ff.; Siegfried Trommer, Die Mittlerorganisationen der auswärtigen Kulturverwaltung, Diss., 1984. 6 Zur Entwicklungshilfeverwaltung Udo Kollatz, Grundlagen der Entwicklungshilfeverwaltung, D ö V 1982, 561. 4

40

Α . Erscheinungsformen grenzüberschreitender privater Aktivitäten

werden durch das Fehlen richtpunktesetzender gesetzlicher Regelungen noch verschärft. Wenn Organisationsform und Gesetzeslage keine Auskunft geben, bleibt nichts anderes übrig, als die Zuordnung entweder zum staatlichen oder zum gesellschaftlichen Bereich anhand einer Checkliste von Indizien zu klären. Die Testfragen lauten: Wer steht hinter der Organisation? Wer steuert sie?7 Prüfungsstationen bei ihrer Beantwortung sind die Rekonstruktion der Organisationsgründung unter besonderer Berücksichtigung der daran beteiligten Personen oder Institutionen, die Analyse ihrer Statuten im Hinblick auf Direktionsrechte externer Stellen, die Ermittlung der Finanzierungsquellen und eventueller personeller oder organisatorischer Verflechtungen, die Bewertung der von der Organisation wahrgenommenen Aufgaben und die Feststellung, mit welchen anderen Stellen sie kooperiert. Die Ergebnisse sind einer Gesamtwürdigung zu unterziehen. Diese darf nicht schematisch erfolgen, sondern hat sich nach den Gegebenheiten der jeweiligen Organisation zu richten.8 Als Abgrenzungskriterium wenig geeignet sind die Grundrechte. Einmal wird mit der Zuordnung zur staatlichen oder zur gesellschaftlichen Sphäre häufig zugleich eine Entscheidung über die Grundrechtsfähigkeit getroffen, so daß sich am Rande des Zirkelschlusses bewegt, wer schon vor dieser Entscheidung mit den Grundrechten argumentiert. Zum anderen ist es nicht von vornherein auszuschließen, daß auch öffentlich-rechtlichen Verbänden oder ihren Mitarbeitern in bestimmtem Umfang der Schutz der Grundrechte zuteil wird. A n den Mittlerorganisationen der auswärtigen Kulturverwaltung läßt sich dies gut demonstrieren. Auf der einen Seite ist nicht zu verkennen, daß es sich bei ihnen um Staatsgründungen handelt, die wegen der finanziellen Abhängigkeit, satzungsrechtlich festgeschriebener Weisungsrechte und Zustimmungsvorbehalte und ihrer Integration in einen staatlich gelenkten Gesamtverbund als Verwaltungstrabanten, als eine besondere Form mittelbarer Staatsverwaltung zu qualifizieren sind. 9 Das schließt es andererseits nicht aus, daß die thematisch einschlägigen Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 und Abs. 3 GG im Verhältnis zwischen Mittlerorganisationen und staatlichen Stellen oder in den Beziehungen der Organisation zu ihren Bediensteten, freien Mitarbeitern und zu einzelnen Veranstaltungen eingeladenen Künstlern oder Wissenschaftlern Schutz Wirkungen entfalten. 10 In der Mehrzahl der Fälle wird das geschilderte Verfahren eine klare Zuordnung ermöglichen. Dieser Optimismus gründet sich darauf, daß eine Organisation regelmäßig nur einem und nicht mehreren Herren dient. 11 Vor beson7

Vgl. Schuppert, 168f. Siehe auch Schuppert, 187 - 189, bei dem diese Fragen die einzige eingehende Behandlung in neuerer Zeit gefunden haben. 9 Ebenso Rudolf, in: Erichsen / Martens, 578. 10 Dazu zusammenfassend Kilian (1981), 135 ff. 8

IV. Die Grenze zur Wahrnehmung staatlicher Funktionen

41

deren Problemen steht man bei Mischbeteiligungen; hier ist ausschlaggebend, was überwiegt: staatlicher oder privater Einfluß. b) Völkerrecht Vergleichbare Abgrenzungsprobleme gibt es auch im Völkerrecht. Sobald völkerrechtliche Rechtssätze den Staat nicht im Sinne von Gemeinwesen, sondern als Institution thematisieren, müssen sie diese Institution von ihrem sozialen Umfeld begrifflich abgrenzen. Als ein Beispiel sei nur das völkerrechtliche Immunitätsrecht genannt, wo acta iure imperii und acta iure gestionis unterschieden werden und wo es gilt, Staatsunternehmen oder halbamtliche Medien nach der einen Seite zur Staatsperson, nach der anderen Seite zur staatsfreien Gesellschaft hin abzugrenzen. 12 Die Kriterien, auf die es bei der Abgrenzung ankommt, sind am klarsten im Völkerdeliktsrecht herausgearbeitet. In dem Konventionsentwurf der ILC über die Staatenverantwortlichkeit wird in den Artikeln 7 und 8 bestimmt: Article 7 Attribution to the State of the conduct of other entities empowered to exercise elements of the governmental authority 1. The conduct of an organ of a territorial governmental entity within a State shall also be considered as an act of that State under international law, provided that organ was acting in that capacity in the case in question. 2. The conduct of an organ of an entity which is not part of the formal structure of the State or of a territorial governmental entity, but which is empowered by the internal law of that State to exercise elements of the governmental authority, shall also be considered as an act of the State under international law, provided that organ was acting in that capacity in the case in question.

11

Die von Schuppert (a.a.O., 150ff.) vorgenommene Differenzierung in staatliche, quasi-staatliche, fast-staatliche, quasi-nichtstaatliche und nichtstaatliche Organisationen vermag unter verwaltungswissenschaftlichen Auspizien sinnvoll sein, verwaltungsrechtlich bedarf es einer solchen Formenfülle nicht, um das Klassifikationsproblem zu lösen. 12 Zum ersten Verdross / Simma, §§ 1169ff.; zum zweiten F. A. Mann, Staatsunternehmen in internationalen Handelsbeziehungen, RIW 33 (1987), 186.

42

Α . Erscheinungsformen grenzüberschreitender privater Aktivitäten Article 8 Attribution to the State of the conduct of persons acting in fact on behalf of the State

The conduct of a person or group of persons shall also be considered as an act of the State under international law if: (a) it is established that such person or group of persons was in fact acting on behalf of that State; or (b) such person or group of persons was in fact exercising elements of the governmental authority in the absence of the official authorities and in circumstances which justified the exercise of those elements of authority. 13

Die beiden Artikel decken das Spektrum öffentlich-rechtlicher Organisationsformen außerhalb der unmittelbaren Staatsorganisation ab. Die Problematik ist dieselbe wie im nationalen Organisationsrecht. Parallelen treten am deutlichsten bei Art. 8 lit. a) zutage. Zu ihm führt die International Law Commission in ihrer Kommentierung aus: "The hypothesis contemplated in sub-paragraph (a) was intended by the Commission mainly to cover cases in which the organs of the State supplement their own action and that of their subordinates by the action of private persons or groups who act as 'auxiliaries' while remaining outside the official structure of the State." 14 Vor übereilten Verknüpfungen der völkerrechtlichen und der staats- wie verwaltungsrechtlichen Zurechnungslehre ist zwar abzuraten. 15 Das Völkerrecht als eine universelle Rechtsordnung kann auf die Einzelheiten und Eigenheiten nationaler Regelungssysteme und Denkansätze nur wenig Rücksicht nehmen. Trotzdem darf angemerkt werden, daß die Ähnlichkeiten nicht zufälliger Natur sind, sondern sich mit gemeinsamen Ursprüngen der beiderseitigen Zurechnungskriterien erklären lassen. Die Zurechnungsdogmatik des Völkerdeliktsrechts hat ihr noch heute gültiges Gepräge in der Zeit des Positivismus und damit, völkerrechtsgeschichtlich betrachtet, in der letzten großen Epoche des europäischen Völkerrechts erhalten. Sie ist an dem Bild vom Staat orientiert, das dem Völkerrecht wie dem Staatsrecht zu jener Zeit zugrunde lag: dem Modell des liberalen Rechtsstaats mit kategorialer Unterscheidung von Staat und Gesellschaft und dem Vorbehalt gesetzlicher Grundlage und richterlicher Kontrolle staatlicher Eingriffe in die Sphäre der Gesellschaft. 16 In ihr steckt daher dieselbe dogmatische Erbmasse, die auch bei der staats- und verwaltungsrechtlichen Differenzierung in Staatsorganisation in Privatrechtsform und private Organisationen (mit öffentlichen Einschlägen) lebendig ist. 13

Zitiert nach A V R 24 (1986), 472ff. Yearbook of the International Law Commission 1974, Bd. 2, Teil 1, S. 283; ferner Simma (1986), 371. 15 Bedenklich insoweit die Ausführungen bei Ernst Reichel, Das staatliche Asylrecht „im Rahmen des Völkerrechts", 1987, 87ff. zur Problematik der privaten Verfolgung. Dazu Grewe (1984), 567ff., 695ff.; Isensee (1987), RNr. 39. 14

I V . Die Grenze zur Wahrnehmung staatlicher Funktionen

43

Ist bei Auslandssachverhalten eine Abgrenzung staatlicher und privater Organisationsformen aus Gründen des nationalen Rechts erforderlich, so kann ein Blick ins Völkerrecht hilfreich sein. Dies zeigt sich insbesondere bei der Bestimmung des personellen Umfangs der parlamentarischen Verantwortlichkeit der Regierung. 17 Zwar ist die völkerrechtliche Verantwortlichkeit insoweit umfassender; neben der hierarchisch der Regierung untergeordneten Verwaltung erstreckt sie sich auch auf ministerialfreie Räume der Exekutive, auf die Legislative und die Judikative. Bezogen auf den Teil der Staatsorganisation, der von beiden erfaßt wird, folgt aber die Abgrenzung der von der Regierung parlamentarisch und vom Staat völkerrechtlich zu vertretenden Verwaltungstätigkeit zu den Aktivitäten nicht mehr zum Verwaltungssystem gehörender Organisationen und Individuen ähnlichen Regeln. 18 Der Gleichlauf erleichtert der Regierung in der Praxis außenpolitischer Konflikte das Geschäft. Dieselben Argumente, mit denen sie gegenüber anderen Staaten den Vorwurf völkerrechtlicher Verantwortlichkeit auszuräumen versucht, kann sie auch vor dem Parlament vortragen, um sich politisch zu exkulpieren. Als Ergebnis ist festzuhalten, daß die Abgrenzung der Staatsorganisation von ihrem gesellschaftlichen Umfeld im Völkerrecht nach ähnlichen Grundsätzen erfolgt wie im deutschen Recht (Verwaltungsorganisation, parlamentarische Verantwortlichkeit, Grundrechte). Es empfiehlt sich zwar nicht, bei den völkerrechtlichen Zurechnungsregeln, wie sie insbesondere in den Art. 5 bis 15 des ILC-Entwurfes einer Konvention über das Recht der Staatenhaftung positiviert werden, Anleihen für die Bewältigung von Rechtsfragen nationaler Provenienz zu machen. Andererseits kann es im thematischen Überschneidungsbereich der beiden Regelungskomplexe von praktischem Interesse sein, Konkordanz anzustreben. Diese ist wegen der im Grundsätzlichen bestehenden Gemeinsamkeiten auch möglich. 2. Zwei vermeintliche Leitfälle

Auf die Frage, was er sich unter „Privater Außenpolitik" vorstelle, wären einem aufmerksamen Zeitungsleser Mitte der 80er Jahre als erstes die Auslandsreisen mancher (Oppositions-, Landes- oder Kommunalpolitiker eingefallen. Eine andere Form „privater Außenpolitik", die ebenfalls über eine besondere Medienträchtigkeit verfügt, ist die von Weisert so genannte Beleihungsdiplomatie 19 , das offizielle Auftreten von Privatpersonen für die Bundesrepublik Deutschland im internationalen Verkehr. 17

Vgl. Schuppert, 331 ff. Nur daß im Völkerrecht Beweisprobleme eine größere Rolle spielen; Yearbook of the International Law Commission 1974, Bd. 2, Tl. 1, 285. 19 Weisert, 132ff.; ihm folgend Dieter Piel, Die außenpolitische Rolle der Wirtschaftsverbände, in: Hans-Peter Schwarz (Hrsg.), Handbuch der deutschen Außenpolitik, 2. Aufl., 1976, 207 (208f.). 18

44

Α . Erscheinungsformen grenzüberschreitender privater Aktivitäten

Bei genauer juristischer Analyse erweist sich die Einordnung beider Fallgruppen als unzutreffend. Die Problematik von „Nebenaußenpolitik" ist im Kern nicht grundrechtlicher Natur. Soweit Auslandsreisen von Politikern grundrechtlich legitimiert sind, sind sie rechtlich weithin unbedenklich. 20 Wenn die auswärtigen Aktivitäten von Parlamentariern, Ministern, Beamten, kommunalen Mandatsträgern oder Richtern gleichwohl als Rechtsproblem empfunden werden, so liegt dies daran, daß die genannten Personengruppen in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis stehen, zu dessen rechtlicher Ausgestaltung gewisse Treue- und Rücksichtnahmepflichten gehören. Die eigentliche Frage ist, wie weit diese Pflichten reichen. - Beleihungsdiplomatie hat mit Beleihung als einer rechtlichen Kategorie nichts zu tun. Die Betroffenen treten in keine funktionelle Verbindung zur Staatsgewalt; ihre „diplomatischen" Bemühungen sind Grundrechtsausübung; sie sind stets im Zusammenhang mit der Verfolgung eigener Interessen zu sehen. Aus diesem Grund sollte man besser von Nebenher-Diplomatie sprechen. a) Nebenaußenpolitik von Inhabern öffentlicher

Ämter 21

Die Bundesrepublik Deutschland als Staat, als Bundesstaat zumal, legt auf ein einheitliches Erscheinungsbild nach außen Wert. Um dies zu erkennen, muß man nicht den Grundsatz der Einheit der Staatsgewalt bemühen. 22 Es genügt ein Blick in das positive Recht, in dem dieses Regelungsmotiv in vielfältiger Weise sichtbar wird, wenn auch teilweise versteckt in thematisch umfassenderen, nur am Rande internationale Sachverhalte berührenden Bestimmungen. Zu nennen sind aus dem Grundgesetz die Art. 32 und 58 GG, zudem, obzwar mit rückläufiger Häufigkeit der Verwendung, der Grundsatz der Bundestreue 23 , weiterhin die politischen Mäßigungspflichten des öffentlichen Dienstrechtes. Die §§ 35 Abs. 2 BRRG, 53 BBG und 39 D R i G passen auf den Fall politischer Betätigung im Ausland oder mit dem Ausland jedoch nur bedingt, da ihr Schutzgut nicht unmittelbar die Störungsfreiheit der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland ist. Im Soldatengesetz ist die Regelung sachadäquater; dort gibt es in § 16 einen einschlägigen Verbotstatbestand. Zu nennen sind schließlich die Kompetenzregelungen, die den Handlungsspielraum selbständiger juristischer Personen wie etwa der Kommunen definieren oder die das Verhältnis zwischen Verfassungsorganen wie Bundestag und Bundesregierung 24 ausgestalten. 20 Siehe C. II. 1. a) aa). 21 Faktenmaterial unter A . III. bei FN 6. 22 Zu ihm Schlink (1982), 62ff.; dersDatenschutz und Amtshilfe, N V w Z 1986, 249 (250); Klaus G. Meyer-Teschendorf Die Amtshilfe, JuS 1981, 187 (188). 23 BVerfGE 6, 309 (361 f.); skeptisch: Hans Joachim Faller, Das Prinzip der Bundestreue in der Rechtsprechung des BVerfG, FS Maunz, 1981, 53ff. Zum Problem selbst: Fastenrath (1986), 115ff.; Michael Borchmann, Auswärtige Aktivitäten der Bundesländer - Recht und Realität, Verwaltungsrundschau 1987, Iff.

I V . Die Grenze zur Wahrnehmung staatlicher Funktionen

45

Bei der Anwendung derjenigen der genannten Vorschriften, die das Verhalten von Einzelpersonen zum Thema haben, auf die hier in Rede stehenden Sachverhalte sind zwei Fragen zu unterscheiden. Es muß als erstes geklärt werden, ob ein bestimmtes Tun im Zusammenhang mit dem öffentlichen Amt zu sehen ist oder ob es in die Privatsphäre oder in eine andere öffentliche, aber grundrechtlich geschützte Rolle des Handelnden fällt. Die gängigen Unterscheidungen des öffentlichen Dienstrechts - Grundverhältnis / Betriebsverhältnis 25 , Amts-, Dienst- und Privatbereich 26 - liefern die Antwort. Das selbstverliehene Attribut „privat" 2 7 ist dagegen ohne rechtliche Bedeutung. Die Entscheidung über die rechtliche Charakterisierung politischer Betätigung mit Auslandsbezug und das Urteil über ihre Zulässigkeit können nicht der Selbsteinschätzung der Betroffenen anheimgegeben werden. Das Kriterium des „Privaten" ist überdies in dieser konkreten Verwendung ohne inhaltliche Aussagekraft; mit ihm werden aus Gründen internationaler Rücksichtnahme gelegentlich sogar Staatsbesuche bedacht. 28 Vom Ausgang der Prüfung hängt ab, welche Amts- und Dienstpflichten tangiert sein können und ob die Grundrechte Anwendung finden. Es ist auf dieser Grundlage sodann festzustellen, wie weit die öffentlich-rechtlichen Sonderbindungen tatbestandlich gehen. Gegebenenfalls müssen das in ihnen verkörperte Schutzgut, die Integrität und Loyalität des öffentlichen Dienstes, und entgegenstehende grundrechtliche Freiheiten gegeneinander abgewogen werden. Das parlamentarische Amt paßt nicht in dieses Schema. Nicht ohne Hintergedanken spricht man auch besser von „Mandat" und nicht von „ A m t " . 2 9 Die terminologische Distinktion bringt den Unterschied zwischen der durch rechtliche Regeln wenig beschnittenen Freiheit des Abgeordneten und der rechtlichen Determiniertheit eines Angehörigen des öffentlichen Dienstes zum Ausdruck. Die Freiheit des Parlamentariers ist öffentlich-rechtlicher Natur; sie ist von grundrechtlicher Freiheit streng zu unterscheiden. 30 Die von den Abgeordneten und Fraktionen des Deutschen Bundestages unterhaltenen Auslands24 Dazu BVerfGE 68, 1 (83ff.). Zur Bindung schlichter Parlamentsbeschlüsse an die Kompetenzordnung: Stern I I 49; sie führt in auswärtigen Angelegenheiten jedoch zu keinen besonderen Beschränkungen des Parlaments; siehe Fastenrath (1986), 244. 25 Günter Püttner, Grund- und Betriebsverhältnis, DVB1. 1987, 190 (m.w.N.). 26 Josef Isensee, Öffentlicher Dienst, in: Benda / Maihof er / Vogel, Handbuch des Verfassungsrechts, 1983, 1149 (1187ff.). 27 Nachweise für seine Verwendung unter A . I I I . bei FN 6. 28 F A Z vom 31.08.84, S. 1; 11.03.86, S. 1; 09.05.86, S. 3; 26.08.86, S. 1; 11.11.86, S. 6; 27.05.87, S. 2. 29 Dazu Norbert Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, 782; Michael Schröder, Grundlagen und Anwendungsbereich des Parlamentsrechts, 1979, 280ff.; Heinhard Steiger, Organisatorische Grundlagen des parlamentarischen Regierungssystems, 1973, 69ff. 30 Vgl. BVerfGE 60, 374 (379f.); zur verfassungsrechtlichen Stellung von Fraktionen vgl. Joachim Scherer, Fraktionsgleichheit und Geschäftsordnungskompetenz des Bundestages, AöR 112 (1987), 189 (197ff.).

46

Α . Erscheinungsformen grenzüberschreitender privater Aktivitäten

kontakte sind Wahrnehmung des parlamentarischen Mandats. Sie genießen deshalb den Schutz des Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG. Dies gilt auch und gerade dann, wenn ihre politischen Intentionen von den außenpolitischen Richtlinien der Bundesregierung abweichen. Grundrechtliche Rechtfertigungsbemühungen - und nichts anderes ist die Bezeichnung parlamentarischer Auslandskontakte als „privat" letztlich - sind überflüssig und dogmatisch verfehlt. 31 Vollends ins Staatsorganisationsrecht gehören die Außenpolitik von Landesregierungen und außenpolitische Rivalitäten innerhalb der Bundesregierung. 32 Zwar findet das Adjektiv „privat" auch hier Verwendung. Es fungiert dann aber als politische Rechtfertigungsvokabel ohne weiteren juristischen Sinn. b) Nebenbei-Außenpolitik von Repräsentanten der Gesellschaft Nebenbei-Außenpolitik liegt vor, wenn Repräsentanten der deutschen Gesellschaft, z.B. Unternehmer oder Gewerkschaftler, in die politischen Kontakte zwischen den zuständigen Stellen der Bundesrepublik Deutschland zu ausländischen Staaten eingeschaltet werden: Botschaften übermitteln, verfahrene Gespräche wieder in Gang zu bringen versuchen usw. Dem empirischen Typus entspricht indes keine juristische Kategorie. Die verschiedenen Formen der Einbindung Privater in die Verwaltungsorganisation 33 passen sämtlich nicht, und es besteht auch kein Bedürfnis, für die Fälle privater Mitwirkung am außenpolitischen Geschehen einen neuen Rechtsbegriff zu prägen. 34 Insbesondere muß Versuchen eine Absage erteilt werden, die außenpolitische Hilfsdienste gesellschaftlicher Kräfte unter den Begriff der Beleihung bringen wollen. Sieht man einmal davon ab, daß die Privaten in die Wahrnehmung materieller Regierungsaufgaben einbezogen werden, Regierungsaufgaben aber nicht Gegenstand einer Beleihung sein können 35 , so findet eine Übertragung hoheitlicher Zuständigkeiten in Wahrheit auch gar nicht statt. 36 Keine der beteiligten staatlichen Stellen entäußert sich ihr zustehender Befugnisse. Der Private übernimmt lediglich diplomatische Dienste; er besitzt keine rechtliche Gestaltungsmacht. Entscheidungskompetenz und Verantwortlich-

31

So auch Fastenrath (1986), 246. Zu den damit verbundenen und zu weiteren staatsorganisatorischen Fragen vgl. die Dissertation von Fastenrath (1986). 33 Überblick bei Maurer, 482 - 485; Bernd-Christian Funk (Hrsg.), Die Besorgung öffentlicher Aufgaben durch Privatrechtssubjekte, 1981, 417ff. 34 Auch Krügers - (1974), insb. 11 ff. - Modell eines wirtschaftspolitischen Mitwirkungsverhältnisses trifft den Kern der Sache nicht. Es geht nicht um komplexe und kontinuierliche außenpolitische Mitwirkung, sondern um punktuelle Dienste. 3 5 Wolff I Bachofll, 453. 36 Zu diesem Wesensmerkmal der Beleihung: Rudolf, in: Erichsen / Martens, 578; Wolff / Bachof, § 104. 32

IV. Die Grenze zur Wahrnehmung staatlicher Funktionen

47

keit bleiben, wo sie sind. Der Private ist zur Wahrnehmung und Erfüllung der ihm auf getragenen Mission nicht verpflichtet. Auch aus der Sicht der Beteiligten selbst besteht kein Grund zu einer Verrechtlichung. Dem ausländischen Partner steht es frei, sich auf ein solches Verfahren einzulassen. Im Fall von Komplikationen liegen die Verantwortlichkeiten sowohl völkerrechtlich als auch parlamentarisch klar zutage: Völkerrechtlich ist nach den Zurechnungsregeln der Art. 5ff. des ILC-Entwurfs einer Staatenhaftungskonvention 37 zu entscheiden; dem Parlament gegenüber ist die Regierung verantwortlich, die selbst oder deren nachgeordnete Stellen den Privaten beauftragt haben. 38 Dem Privaten schließlich ist an einer öffentlich-rechtlichen Festschreibung seiner Position am wenigsten gelegen. Die von ihm übernommenen diplomatischen Dienste stehen regelmäßig in engem Zusammenhang mit der Verfolgung eigener Interessen, mit der Ausübung von Grundrechten. Dieser Aspekt überwiegt sogar. Schon deshalb sollte man diplomatische Hilfsdienste Privater keinem besonderen rechtlichen Regime unterstellen. Es handelt sich vielmehr um Grundrechtsausübung im politischen Raum.

37

Abgedruckt in A V R 24 (1986), 472. Zur parlamentarischen Verantwortlichkeit von Kanzler und Ministern s. Wolf gang Schreiber, Inkongruenz von parlamentarischer Kanzler- und parlamentarischer Ministerverantwortlichkeit, DVB1. 1986, 974 (975ff.), dort auch umfangreiche Nachweise. 38

Β. Staatstheoretische Erklärungsmodelle für das Phänomen weltweiter gesellschaftlicher Verflechtung „Auswärtige Beziehungen privater Verbände" sind keine rechtliche Kategorie. Was sie aus der Gesamtheit privater Auslandsbeziehungen heraushebt, ist die bloße Tatsache, daß hier einflußreiche gesellschaftliche Gruppen und Wirtschaftsunternehmen am Werke sind, deren Aktivitäten und Interessen in einem Wechselverhältnis - sei es der Kooperation, sei es des Konflikts - zu staatlichem Tätigwerden im Außenbereich stehen. Von anderen Erscheinungsformen wie z.B. dem Massentourismus oder den Kontakten deutscher Flüchtlinge oder Heimatvertriebener zu Familienangehörigen und Verwandten in der D D R und Osteuropa, dem Asylantenstrom oder den Gastarbeitern läßt sich das nicht sagen. Der Unterschied markiert jedoch keinen qualitativjuristischen Sprung, sondern erklärt nur den allmählichen Übergang in einem Kontinuum. Ein Verhalten von politischer Relevanz ist verfassungsrechtlich nicht per se anders zu beurteilen als rein privates Handeln. 1 Im Mittelpunkt der Untersuchung privater Auslandskontakte stehen darum - wie bei anderen Aktivitäten Privater auch - die Grundrechte. Über die Kombination zweier grundsätzlicher grundrechtlicher Fragestellungen erhält man Zugang zu der spezifischen Problematik „privater Außenpolitik": dies sind die Frage nach der Geltung der Grundrechte in internationalen Lagen und die Frage nach der Aktualität der Grundrechte für sozialmächtige nichtstaatliche Verbände. Die Bedeutung und Reichweite der Grundrechte bei Sachverhalten mit internationaler Anknüpfung ist keineswegs geklärt. 2 In der rechtlichen Bewertung privater Außenbeziehungen herrscht im Gegenteil große Unsicherheit. Extremsichten brechen unvermittelt durch, und es wird abwechselnd staatlichem Interesse und nationaler Geschlossenheit oder unbeschränkter Kooperation und Interdependenz das Wort geredet. 3 Es fehlt an staatstheoretischer und grundrechtsdogmatischer Infrastruktur, um abgewogenere und realitätsgerechte Positionen auf der Skala zwischen Grundrechtsgewährleistung und Grundrechtsbeschränkung, zwischen staatlicher Permission und Repression solide zu begründen. 1

Siehe hierzu Teil D. Isensee (1974), 60 f. sowie - 7 Jahre später, aber mit identischem Befund - Oppermann, 521 ff. u. Schröder, 137 ff. 3 Vgl. etwa die sterile, zu abstrakt geführte Debatte um die Frage, ob störungsfreien Beziehungen des Staates zum Ausland generell Vorrang vor grundrechtlicher Freiheit zukomme: T. Stein, 139; Weisert, 125; distanziert auch Tomuschat (1978), 18ff., 42ff. 2

Β. Staatstheoretische Erklärungsmodelle

49

Eine Annäherung an das noch nicht gelöste Problem wird auf zwei verschiedenen Wegen gesucht. Die einen argumentieren von der Grundlage eines theoretischen Rasters aus, in dem sie den Grundrechten im Hinblick auf deren Auslandsgeltung einen bestimmten Platz glauben zuweisen zu können. Ansatzpunkte für ihre Überlegungen sind die Unterscheidung von „Staat" und „Gesellschaft", die Verfassungsentscheidung des Grundgesetzes für eine internationale Zusammenarbeit, der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit, der durch die Vermutung der Grundrechtseffektivität vermittelte Rückgriff auf Spielarten politikwissenschaftlicher Interdependenztheorien oder zur Legitimation von in der Tendenz zurückhaltenderen Positionen - Souveränität und Territorialität, der Konnex von Schutz und Gehorsam, von Grundrechten und Grundpflichten oder die Unentrinnbarkeit der Staatsangehörigkeit. Die anderen beharren darauf, daß allein den Grundrechten selbst eine Aussage über ihre Auslandsgeltung entnommen werden könne. Für sie handelt es sich um eine Interpretationsfrage, die gesondert für jedes einzelne Grundrecht beantwortet werden muß. Einzelgrundrechtsexterne Hinweise werden allenfalls den Art. 1 Abs. 2 und 3, 19 Abs. 3 und 20 Abs. 2 des Grundgesetzes entnommen. Beide Ansätze haben Vor- und Nachteile, wobei der Vorteil des einen durchweg der Nachteil des anderen ist. Der zuerst ausgewiesene Weg macht Zusammenhänge deutlich und ermöglicht eine grundsätzliche Orientierung. Er leidet jedoch unter einem hohen Abstraktionsgrad und an der fehlenden Anbindung an das Verfassungsgesetz. Diese beiden Mängel kompensiert die als zweite vorgestellte Vorgehensweise. Wegen ihrer engen Verhaftung am je einzelnen Grundrechtstatbestand läuft sie jedoch Gefahr, sich zu verzetteln und - wie es spöttelnd genannt wurde - in ein „Internationales Grundrechterecht ( I G R R ) " 4 zu entarten. Sie sucht in den Grundrechten etwas, was nicht ausdrücklich in ihnen geregelt ist. Wegen deren lapidaren und lückenhaften Charakters kann sie letztlich des Rekurses auf ein theoretisch durchdachtes Vorverständnis nicht entraten. 5 Beide Ableitungsstrategien schließen einander also nicht aus, sondern sie ergänzen sich gegenseitig. Dementsprechend erscheint es sinnvoll, mit der Freilegung der grundsätzlichen dogmatischen Vorgaben der Auslandsgeltung der Grundrechte zu beginnen und die dabei gewonnenen Erkenntnisse am Tatbestand der einzelnen Grundrechte zu verfeinern. Wie immer bei einem hermeneutischen Verfahren ist es weder möglich noch erwünscht, beide Schritte säuberlich zu separieren.

4

Kegel (1972), 33. Dazu grundsätzlich Böckenförde (1974), 1529f.; ders. (1983), 324ff.; René R. Rhinow, Grundrechtstheorie, Grundrechtspolitik und Freiheitspolitik, FS H. Huber, 1981, 427 (428ff.). Die Kritik, die von Alexy - S. 509 u. 515 - an Böckenförde sub specie Zirkelschluß geübt wird, reduziert sich im Kern auf das Eingeständnis beträchtlicher Rationalitätslücken jeder Grundrechtstheorie (S. 520f.). 5

4 Heintzen

50

Β . Staatstheoretische Erklärungsmodelle

I . Die Verfassungsentscheidung für eine internationale Zusammenarbeit Das Grundgesetz wird ob seiner Aufgeschlossenheit für internationale Zusammenhänge gelobt. Der weltmännische Geist der Verfassungsväter hat an einer Vielzahl von Stellen Eingang in das Grundgesetz gefunden, in der Präambel, in den Artikeln 1 Abs. 2, 9 Abs. 2, 16 Abs. 2 Satz 2, 24 - 26, 59 Abs. 2, 80a Abs. 3 und 87a Abs. 2. 6 Vogel hat den Textbefund in einer wertenden Zusammenschau zu einer Verfassungsentscheidung für eine internationale Zusammenarbeit synthetisiert. 7 Da die internationale Zusammenarbeit heute maßgebend von Privaten mitgestaltet wird, drängt sich die Frage auf, ob die Verfassungsentscheidung für eine internationale Zusammenarbeit und die sie konstituierenden Bestimmungen des Grundgesetzes eine Aussage zu privaten Auslandskontakten enthalten. 1. Art. 24 Abs. 1 GG und die Öffnung der Staatsgewalt

Art. 24 Abs. 1 GG erlaubt dem Bund, durch einfaches Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen zu übertragen. Die Vorschrift ist von zivilistischer Technizität. Ihr politischer Sinn bleibt außen vor. Europa kommt von der Wirtschaft her. Die europäische Integration ist als erstes die Antwort auf die Erfordernisse der europäischen Volkswirtschaften, denen es in den nationalen Grenzen zu eng wurde. Leitgedanke der Römischen Verträge ist die Förderung und Sicherung der ökonomischen Kooperation. 8 Art. 24 Abs. 1 GG dagegen lenkt - in scheinbarer Mißachtung dieser Zusammenhänge - den Blick vom Ökonomischen auf das Staatliche. Es wird darin die Möglichkeit der Übertragung von Hoheitsrechten von einem Hoheitsträger auf einen anderen vermittels eines Hoheitsakts eröffnet. Die Regelung ist nach ihrem Wortlaut auf eine besondere Form von Zusammenarbeit, nämlich auf die Kooperation von Staatsapparaten, zugeschnitten9. 6

Der Kreis der zu diesem Stichwort zitierten Grundgesetzartikel variiert freilich von Autor zu Autor, was ein deutliches Anzeichen für trotz des verbalen Glanzes vorhandene theoretische Schwächen ist. Vgl. die Zusammenstellungen bei Häberle (1978), 148f.; Rojahn, vM, Art. 24, RNr. l a ; Stern I 474f. Das Bundesverfassungsgericht berief sich ursprünglich auf Art. 25 (E 6,309 (362)), später zusätzlich auf die Präambel, Art. 1 Abs. 2 und 24 sowie die Prinzipien des Pluralismus und der Toleranz (E 31, 58 (75)), um den Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit und Weltoffenheit des Grundgesetzes zu begründen. 7 Vogel (1964). Ähnlich Häberles Wortschöpfung „kooperativer Verfassungsstaat"; ders. (1978). « Constantinesco, 69ff., 98ff.; Herzog, 414ff.; BVerfGE 51, 222 (238). 9 So auch Meessen, B D G V R 1975, 72 f. Deutlicher noch als das Grundgesetz brachte Art. 24 des Herrenchiemsee-Entwurfes zum Ausdruck, was den Schöpfern des Grundgesetzes als das Naheliegendste vor Augen schwebte. Dessen Absatz 2, der eine

I. Verfassungsentscheidung für eine internationale Zusammenarbeit

51

Bemühungen, Art. 24 Abs. 1 GG trotz seiner Formalität und Technizität integrationspolitische Konzepte unterzulegen, sind gescheitert. Sein Anwendungsbereich ist insbesondere nicht auf westeuropäische oder nordatlantische Organisationen begrenzt. 10 Je funktional beschränkter und technischer die Aufgaben und Ziele der zwischenstaatlichen Einrichtung, desto geringer sind auch die Anforderungen an die Konvergenz der Verfassungsstruktur und der Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme der Mitgliedsstaaten. Die Ausgestaltung der zwischenstaatlichen Einrichtung, ihre ordnungspolitische Orientierung 11 oder die Beteiligung parlamentarischer Gremien an der Beschlußfassung der Organisation stehen im nur weitmaschig limitierten Ermessen der Inhaber der Integrationsgewalt. Mehr als daß die rechtliche Grundordnung einer zwischenstaatlichen Einrichtung eine gewisse, flexibel zu bemessende Übereinstimmung mit den Grundzügen der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland aufweisen muß, ist dem Art. 24 Abs. 1 GG interpretatorisch nicht zu entlocken 12 . Der Gesetzgeber ist nur verpflichtet, bei der Übertragung von Hoheitsrechten darauf zu achten, daß die Grundrechte und die rechtsstaatlichen Prinzipien der Verfassung in ihrer Schutzfunktion nicht leerlaufen; die Vorschrift beinhaltet aber keinen Auftrag zur Schaffung grenzüberschreitender Freiheitssphären für Private und zu deren völkerrechtlicher Festschreibung. Wozu Hoheitsrechte übertragen werden und inwieweit dabei auf die Belange der interessierten gesellschaftlichen Kreise Rücksicht genommen wird, steht im politischen Ermessen des Gesetzgebers. Eventuelle Begünstigungen stellen sich aus verfassungsrechtlicher Sicht als bloße Rechtsreflexe dar, denen keine subjektiven Rechte korrespondieren. Es besteht auch keine Verpflichtung, Interessengruppen einen eigenen Status und aussichtsreiche Einflußkanäle innerhalb der zwischenstaatlichen Einrichtung zu verschaffen. Schon weil die Bandbreite der tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten, in denen Verbandseinfluß sich geltend macht, so groß und so wenig greifbar ist, können konkrete Organisationspflichten schwerlich angenommen werden. Die Chance, mit den Trägern nationaler öffentlicher Gewalt intensivere Kontakte pflegen zu können als mit einer internationalen oder supranationalen öffentlichen Gewalt, ist VerfassungsErmächtigung zur Einordnung in ein System kollektiver Sicherheit enthielt, wurde durch ein „insbesondere" an den Absatz 1 angefügt, der mit dem Absatz 1 des Art. 24 GG wörtlich übereinstimmt. 10 So Maunz, M D , Art. 24, RNr. 21; Rojahn, vM, Art. 24, RNr. 7; Tomuschat, B K , Art. 24, RNr. 43. In der Tendenz europazentrischer ist die Darstellung bei Stern I 526. Α . A . diejenigen Autoren, die die Westintegration nicht nur als eine politische Option, sondern als ein Konstitutivum der bundesdeutschen Staatlichkeit ansehen; dazu Rumpf\ 83, und, auf theoretischer Ebene, von Simson, 231. 11 Dazu eingehend Tomuschat, B K , Art. 24, RNr. 49ff. 12 Badura (1966), 71 ff. 4*

52

Β . Staatstheoretische Erklärungsmodelle

rechtlich genausowenig geschützt wie überhaupt die Chance eines Lobbyisten, bei seinem staatlichen Konterpart Gehör zu finden. 13 Allenfalls kann Art. 24 Abs. 1 GG als die verfassungsrechtliche Integrationsbasis den Grundrechtsschutz verstärken, den die Beziehungen zwischen deutschen gesellschaftlichen Gruppen und den Organen einer zwischenstaatlichen Einrichtung genießen. Beschränkungen und Eingriffe durch die deutsche öffentliche Gewalt wären dann zusätzlich unter dem Gesichtspunkt integrationsfreundlichen Verhaltens zu würdigen. 14 Zu keiner Aufbesserung des bislang mageren Ergebnisses führt es, wenn man bei Art. 24 Abs. 1 GG zwischen der Ermächtigungsnorm und der Staatszielbestimmung unterscheidet 15 und in die weniger resistente Staatszielbestimmung das Wünschenswerte hineinliest. 16 In der Staatszielbestimmung muß die Ermächtigungsnorm wiederzuerkennen sein. Der Verfassunggeber hat trotz der Erkenntnis, daß zwischenstaatliche Einrichtungen letztlich um der internationalisierten Gesellschaft willen da sind, den politischen Sinnbezug nicht in das Verfassungsgesetz aufgenommen. 17 Dabei mag eine gewisse Vorsicht und Zurückhaltung eine Rolle gespielt haben. Es ist ganz allgemein ein Grundzug des Art. 24 Abs. 1, daß er revolutionäre Neuheiten in biederem textlichem Gewand präsentiert; die Vorschrift durchbricht das Dogma von der Undurchdringbarkeit und Unteilbarkeit der Staatsgewalt, verwendet dabei aber ausgerechnet die Vokabel „Hoheitsrechte", die im Grundgesetz nur noch an einer anderen Stelle vorkommt, in Art. 33 Abs. 4. Der Gesamtbefund ist somit negativ. Art. 24 Abs. 1 GG meint, was er sagt: zwischenstaatliche Zusammenarbeit. Die internationale Verflechtung der maßgebenden gesellschaftlichen Kräfte ist nicht sein Thema. Staatsziele wie „Integrationsbereitschaft" und „Öffnung der Staatlichkeit" beziehen sich nur auf einen Teilaspekt des Gesamtphänomens „weltweite Interdependenz". 18 Soweit private Auslandskontakte davon profitieren, geschieht das im Wege 13 Dazu Hans Schneider, Gesetzgebung, 1982, RNr. 101 ff. und 258ff. mit weiteren Nachweisen zur Rechtslage in der Bundesrepublik Deutschland; zu der Frage grundrechtlicher Teilhabeansprüche siehe Peter Lerche, Vorbereitung grundrechtlichen Ausgleichs durch gesetzgeberisches Verfahren, in: Lerche / Schmitt Glaeser / SchmidtAßmann, Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, 97ff. (113 ff.). 14 Zum europäischen Verbändewesen aus verfassungsrechtlicher Sicht siehe Badura (1966), 72 - 77; Manfred Zuleeg, Der Verfassungsgrundsatz der Demokratie und die EG, Der Staat 17 (1978), 27ff. (45f.). 15 Ipsen (1972), 52; Maunz, M D , Art. 24, RNr. 1; Mosler (1957), 9f.; Rojahn, vM, Art. 24, RNr. 3 u. 4; Andreas Ruppert, Die Integrationsgewalt, 1969, 238ff.; Tomuschat, B K , Art. 24, RNr. 4f. 16 Dieser Versuchung erliegt Bleckmann, DöV 1979, 317f.; ders., Staatsrecht I I , 56; ders. / Busse, 795. 17 Vgl. zu diesem Komplex die Äußerungen von Carlo Schmid vor dem Hauptausschuß des Parlamentarischen Rates, wiedergegeben in JöR N.F. 1 (1951), 226. « So auch Ipsen (1972), 52, und Meessen, B D G V R 1975, 72f.

I. Verfassungsentscheidung für eine internationale Zusammenarbeit

53

des Rechtsreflexes. 19 Eine andere Frage ist es, ob die grundgesetzliche Offenheit der deutschen Staatlichkeit - z.B. im Amts- und Rechtshilf e verkehr einen verfassungsrechtlichen Legitimationstitel für staatliche Eingriffe in private Auslandskontakte und Geheimnissphären gibt. 2 0 2. Art. 25 GG und die allgemeinen Regeln des Völkerrechts

Neben dem Verfassungsrecht muß sich auch das Völkerrecht Gedanken über die internationale gesellschaftliche Verflechtung machen. Art. 25 GG übernimmt den Bestand an allgemeinen Regeln des Völkerrechts zu dieser Frage in das Bundesrecht. Drei völkerrechtliche Normmaterien haben es mit dem grenzüberschreitenden privaten Verkehr zu tun: das Fremdenrecht 21 , die Menschenrechte 22 und die Grundpflicht der Staaten zu internationaler Zusammenarbeit 23 . Alle drei markieren unterschiedliche Perzeptionen des sogenannten Rechts auf Verkehr, nach dem ein Staat seine Grenzen in beiden Richtungen auch für Private zumindest einen kleinen Spalt breit offenhalten muß. Es ist hier nicht der Ort, in eine völkerrechtliche Analyse des Rechts auf Verkehr einzutreten. Bei einem Blick auf das von solchen Konstruktionen günstigstenfalls zu erwartende Ergebnis erweisen sich die darüber geführten Debatten als akademisch. Der Vorbehaltsraum souveräner Staatlichkeit wird mehr durch das Faktum weltweiter Abhängigkeit als durch ein Recht auf Verkehr tangiert. Entsprechend dürftig sind die Wirkungen, die - seine Existenz als Völkerrechtssatz unterstellt - das Recht auf Verkehr im innerstaatlichen Recht entfaltet. Mehr als eine äußerste Schranke für Willkür und Rechtsmißbrauch ist nicht zu erwarten. Subjektive Abwehrrechte würde das Recht auf Verkehr 19 Stern I 520. Siehe E. I. 3. b). 21 Dazu Doehring (1963), 58ff. ; Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, RNr. 328f.; Wildhaber (1978), 35. 22 A m ausgiebigsten diskutiert am Fall der Ausreisefreiheit. Überblick bei Daniel Turack, The Passport in International Law, 1972, 1 - 14; Goodwin-Gill (1978). 23 Als Grundlagen werden die UN-Resolution 2625 und die Schlußakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa vom 01.08.1975 genannt; dazu Hanspeter Neuhold, Die Pflicht zur Zusammenarbeit zwischen den Staaten: Moralisches Postulat oder völkerrechtliche Norm?, FS A . Verdross, 1980, 575ff. (insb. 595, 599); Graf zu Dohna, 190. Auch hier ist wieder die Frage, ob nur Kooperation zwischen Staatsapparaten oder auch zwischen gesellschaftlichen Kreisen - auf Initiative oder unter Aufsicht des Staates - intendiert ist; die Forderungen von Entwicklungsländern und Ostblock nach einer Neuen Weltwirtschafts- und Weltinformationsordnung gemahnen zur Vorsicht. Einen Beispielsfall, der die praktischen Schwächen der so gern beschworenen Pflicht zur Zusammenarbeit bloßlegt, besprechen Philippe Bretton, Problèmes Juridiques Posés par les Restes Matériels de la Seconde Guerre Mondiale en Libye, A F D I 18 (1982), 233ff., und KarlJ. Partsch, Remnants of War as a Legal Problem in the Light of the Libyan Case, A J I L 78 (1984), 386ff. (399ff.). 20

54

Β. Staatstheoretische Erklärungsmodelle

erst in den angesichts der internationalen Verflochtenheit der Bundesrepublik kaum vorstellbaren Fällen 24 evident ungerechtfertigter und tief einschneidender Beschränkungen der Verbindungen über die Grenzen vermitteln. Für Vogel überschreiten lediglich die Wiederaufnahme einer Autarkiepolitik und die völlige Rückkehr zu einer „geschlossenen" Staatlichkeit die Grenzen des Zulässigen.25 Da niemand daran denkt, einen solchen Weg zu beschreiten, und eine so weitgehende Abschottung der Bundesrepublik gar nicht realisierbar wäre, verkümmert das völkerrechtliche Recht auf Verkehr in bezug auf die Bundesrepublik und speziell im Hinblick auf private Auslandskontakte zu einem theoretisierenden Irrläufer. Die schroffe Betonung des Souveränitätsprinzips durch die überwiegende Zahl der Staaten und die deutlichen Reglementierungstendenzen, die von den Plänen zur Schaffung einer Neuen Weltwirtschafts- und Weltinformationsordnung oder von dem Tiefseebergbauregime der Seerechtskonvention ausgehen, lassen heute im übrigen von seiten des universellen Völkerrechts, das allein von Art. 25 S. 1 GG in das Bundesrecht transformiert wird 2 6 , in der Tendenz eher eine Absenkung des Freiheitsniveaus befürchten. 27 U m die Jahrhundertwende, als die in dieser Frage im wesentlichen übereinstimmenden europäischen Staaten das Völkerrecht prägten, stand es um den rechtspraktischen Wert des völkerrechtlichen Rechts auf Verkehr noch besser. 28 „Das zwischenstaatliche Recht des 19. Jahrhunderts bestand in der Verbindung von freier Wirtschaft, freiem Meer mit zwischenstaatlicher Souveränität. Dem Dualismus von öffentlichem und privatem Recht entsprach der Dualismus eines rein zwischenstaatlichen Völkerrechts und einer international freien Wirtschaft. Die Gemeinschaft eines internationalen librum commercium stand hinter dem Vordergrunde der territorial sich scharf voneinander absetzenden souveränen Staaten. Das war eine nicht territoriale, wohl aber die Sphären menschlicher Betätigung abgrenzende Linie. Es war eine durch den liberalen Konstitutionalismus als Verfassungsstandard gesicherte, durch die Staaten hindurchgehende Linie der freien Wirtschaft." 29

24

Von Notstandssituationen abgesehen, wie der Zeit unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg. Z u den weitgehenden Beschränkungen des deutschen Außenhandels in den ersten Jahren der Bundesrepublik vgl. die Nachweise bei Holthus, 9f. 2 5 Vogel (1964), 51. 26 Dazu Rojahn, vM, Art. 25, RNr. 6; Walter Rudolf, Die innerstaatliche Anwendung partikulären Völkergewohnheitsrechts, FS A . Verdross, 1971, 435ff. 27 Z u dieser Gefahr: Fiedler, 57ff.; Häberle (1978), 152f.; Schröder (1984), 73; Stern 1476; Tomuschat (1978), 54. 28 Vgl. Meyer / Anschütz, 948; Meyer / Dochow, 343. Skeptisch dagegen schon Strupp, 278 FN 32: „ . . . Naturrecht vom reinsten Wasser . . .". 29 Zitat: Carl Schmitt, Der Nomos der Erde, 208f.

I. Verfassungsentscheidung für eine internationale Zusammenarbeit

55

3. Art. 25 GG und der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit

Der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes ist ein Produkt der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Das Gericht hat ihn zuerst aus Art. 25 G G 3 0 , später aus einer Gesamtschau der Präambel, der Art. 1 Abs. 2, 24 und 25 sowie der das Verfassungssystem insgesamt kennzeichnenden Prinzipien des Pluralismus und der Toleranz 31 hergeleitet. Als Schutzgut figurierte im Konkordats-Urteil 32 die Völkerrechtsordnung und deren Verwirklichung im innerstaatlichen Rechtsraum der Bundesrepublik Deutschland. Im Auslieferungsbeschluß vom 30.06.1964 33 und in der SpanierEntscheidung 34 kam die Achtung vor ausländischen Rechtsordnungen und Rechtsanschauungen hinzu; dabei wurde zugleich der Vorbehalt der grundrechtlichen Wertordnung ausdrücklich herausgestellt. 35 Bezugsgrößen für den Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit sind nach der Rechtsprechung also allemal Rechtsordnungen, nicht grundrechtliche Freiheiten. Seine ratio ist es, ein möglichst reibungsloses Zusammenwirken des deutschen Rechts mit ausländischen und internationalen Rechtsordnungen zu gewährleisten. Der Sache nach geht es um eine Regel der Auslegung und des Geltungsrangs. 36 Seit der Spanier-Entscheidung ist es um den Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sehr still geworden. In keiner der neueren Entscheidungen taucht er wieder auf, obwohl Gelegenheit dazu, ihn zu zitieren, reichlich vorhanden war. Man denke nur an die Entscheidungen zum Verhältnis zwischen EG-Recht und den Grundrechten, die Eurocontrol-Verfahren oder die Judikatur in Ausländersachen. Es scheint, als ob das Bundesverfassungsgericht auf eine etwas zurückhaltendere Linie eingeschwenkt sei. Selbst in den jüngsten Entscheidungen zu dem Thema ,IPR und Grundrechte', in denen ausdrücklich an die SpanierEntscheidung angeknüpft wird, kommt der Topos nicht mehr vor. 3 7 30 BVerfGE 6, 309 (362). 31 BVerfGE 31, 58 (75). 32 BVerfGE 6, 309 (362f., 366). 33 BVerfGE 18, 112 (121). 34 BVerfGE 31, 58 (75f.). 35 So ausdrücklich BVerfGE 31, 58 (76). Die Entscheidung BVerfGE 18, 112 wird neuerdings vom Bundesverfassungsgericht selbst aus grundrechtlichen Erwägungen in Frage gestellt; BVerfGE 60, 348 (354). 36 Ress (1982), 36f. spricht von einer „Harmonisierungsstrategie", Stern I 476 von einer „verfassungsrechtlichen Leitlinie, die bei der Auslegung der einzelnen völkerrechtsrelevanten Vorschriften zu beachten ist". 37 Vgl. BVerfGE 63, 181 (195); 71, 224 (229). BVerfGE 63, 343 (370) spricht statt dessen von der „Eingliederung in die Völkerrechtsordnung der Staatengesellschaft" eine Wendung, die schon aufgrund ihrer Schwerfälligkeit als Nachfolgerin nicht in Betracht kommt. - Auch in der Literatur ist jetzt vereinzelt eine etwas reserviertere

56

Β . Staatstheoretische Erklärungsmodelle

Trotz dieser alles andere als günstigen Rahmenbedingungen gibt es in der Literatur Bestrebungen, die grenzüberschreitenden Beziehungen Privater verfassungsrechtlich in dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit zu verorten. Namentlich Bleckmann hat vorgeschlagen, diesen Grundsatz in Verbindung mit dem Konzept der offenen Staatlichkeit zu einem ungeschriebenen Leitprinzip der Verfassung auszudeuten. Eine seiner Ausstrahlungswirkungen gehe dahin, die Bundesrepublik auf die Öffnung ihrer Grenzen dem Ausland und dem internationalen Verkehr gegenüber zu verpflichten. 38 Bleckmann borgt sich für seine Argumentation die Autorität des Bundesverfassungsgerichts, reißt aber den Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit aus dem Zusammenhang heraus, in den ihn das Bundesverfassungsgericht gestellt hat. Das interpretatorische Hilfsmittel wird zunächst mit dem Prinzip der offenen Staatlichkeit verkoppelt und sodann in ein grundrechtsähnliches Freiheitsrecht umgewandelt. Wie diese enormen Sprünge 39 zu rechtfertigen seien, vermag Bleckmann weder im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und erst recht nicht im Hinblick auf deren verfassungsrechtliche Grundlagen deutlich zu machen. Letztlich benutzt Bleckmann die allgemein anerkannte Begrifflichkeit nur als Vehikel, um ihr einen anderen Inhalt unterzulegen und diesen in das Verfassungsrecht einzuführen. Den Nachweis der verfassungsrechtlichen Absicherung bleibt er damit schuldig. Seine Darlegungen entpuppen sich kurz gesagt als semantischer Mogelversuch. Demselben Verdikt unterfallen diejenigen, die die Verwurzelung des Grundsatzes der Völkerrechtsfreundlichkeit in der Auslegungsmethodik grundsätzlich anerkennen, ihn aber nebenher auch noch als Verstärker der Grundrechtsgeltung in internationalen Fragen oder als Anstoß zu kooperationsfördernden Einwirkungen des Staates auf seine Bürger nutzen wollen. 40 A n der Umfunktionierung des Grundsatzes der Völkerrechtsfreundlichkeit wird ein Übel deutlich, an dem der Umgang mit Formulierungen wie Offenheit, Zusammenarbeit, Integration oder eben Völkerrechtsfreundlichkeit insgesamt krankt. Da solche Topoi ohnehin schon Abstraktionen sind, die man in methodisch nicht unproblematischer Manier auf ihre verfassungstextlichen Fundamente in den Art. 24 bis 26 GG gesetzt hat, liegt die Versuchung nahe, auch noch die letzten Brücken zum Verfassungswortlaut abzusprengen und sie in gegenseitiger Potenzierung ein „verfassungsrechtliches" Eigenleben führen zu lassen - gewissermaßen als „internationalistische Wundertüte des Grundgesetzes". Das Ergebnis sind Formulierungen wie „die Grundrechte in VerbinHaltung gegenüber dem Topos ,Völkerrechtsfreundlichkeit 4 zu verzeichnen; vgl. Meessen (1985), 410f. 38 Bleckmann, D ö V 1979, 317f.; Bleckmann / Busse, 795. 39 A u f die Verschiedenheit des Grundsatzes der Völkerrechtsfreundlichkeit und des Prinzips der offenen Staatlichkeit weist u.a. Rojahn, vM, Art. 24, RNr. 1, hin; vgl. auch BVerfGE 31, 58 (75). « Siehe Kirchhof, 178; Rojahn, vM, Art. 24, RNr. l a .

I. Verfassungsentscheidung für eine internationale Zusammenarbeit

57

dung mit der Verfassungsentscheidung für eine internationale Offenheit". Bei allem Verständnis für die Nöte einer Verfassungsrechtslehre, die die Fülle und Dichte der internationalen Beziehungen mit ihrem Instrumentarium nicht recht in den Griff zu bekommen vermag, ist es doch allein schon aus methodischen Gründen eine zu waghalsige These, die extensive und rechtsfortbildende Auslegung einiger weniger Hinweise des Verfassungsgesetzes zu einer staatliches Recht, staatliche Politik und grundrechtliche Freiheit gleichermaßen dirigierenden Zielbestimmung zu überhöhen. Der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit enthält nicht mehr als die einzelnen Bestimmungen des Grundgesetzes, aus denen er hervorgeht. Alles andere ist Spekulation. Freundlichkeit ist keine juristische Kategorie. 41 4. Ungeschriebene Verfassungspflicht zu internationaler Offenheit und Zusammenarbeit

Methodische Bedenken haben Schlagworte wie „Verfassungsentscheidung für eine internationale Zusammenarbeit", „Öffnung der deutschen Staatsgewalt", „Bekenntnis zur internationalen Kooperation", „Grundsatz der Integrationsbereitschaft" oder „Völkerrechtsfreundlichkeit" nicht davon abgehalten, sich von den Verfassungsbestimmungen zu emanzipieren, aus denen sie hergeleitet worden sind. Die nützlichen Leitbilder der Verfassungsauslegung haben sich zu gewissermaßen durch Rechtsanalogie legitimierten selbständigen Verfassungsaussagen mit multifunktionalem Inhalt gemausert, die nach Ansicht mancher gar an der Unabänderlichkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG partizipieren sollen. 42 Unverkennbar ist ihr Hinübergreifen in den Grundrechtsteil der Verfassung. Die Symbiose wird mit einem doppelten Effektivitätsargument begründet. Die Entscheidung für die offene Staatlichkeit sei nur halbe Sache, wenn man in sie nicht die ja so wichtige private Zusammenarbeit im internationalen Rahmen einbeziehe. Umgekehrt liefen auch die Grundrechte leer, wenn Auslandskontakte jenseits ihres Schutzbereiches lägen; Wirtschaft, Kultur oder Wissenschaft brächen zusammen, wenn die Verbindungen über die Grenzen gekappt würden. 43 So zutreffend die Betonung der Grundrechte ist, so irreführend ist ihre Verquickung mit den Art. 24 - 26 GG. Man darf sich von der Zweideutigkeit 41

Kritisch insoweit auch Meessen, B D G V R 1975, 68ff.; ders. (1985), 410f.; Stern I

475 f. 42 Paul Kirchhof\ Rechtsquellen und Grundgesetz, in: Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. 2,1976, 50ff. (75f.); Rojahn, vM, Art. 24, RNr. 1; Zuleeg, A K - G G , Art. 24 Abs. 1/2, RNr. 35ff., Art. 24 Abs. 3 / Art. 25, RNr. 61, 63. Α . A . schon Vogel (1964), 43 f. Originelle Kritik bei Rumpf, 55 f. 43 So ausdrücklich Bleckmann / Busse, 796 - 798; vgl. ferner Vogel, der auf S. 50 - 52 Beschränkungen des privaten Außen Wirtschaftsverkehrs unmittelbar am Maßstab der Verfassungsentscheidung für eine internationale Zusammenarbeit mißt.

58

Β . Staatstheoretische Erklärungsmodelle

nicht täuschen lassen, die dem Wort „international" im Hinblick auf die Unterscheidung von „Staat" und „privat" innewohnt. Art. 24 Abs. 1 GG vermag allenfalls zur Mitwirkung Privater am europäischen Einigungswerk etwas auszusagen. Ansonsten erweisen sich die Verfassungsentscheidung für die internationale Offenheit und ihre Derivate für die Problematik privater Auslandskontakte als thematische Sackgasse, die nicht nur nicht weiterführt, sondern zudem mit einigen Tücken bepflastert ist. Neben den methodischen Bedenken gibt es noch zwei andere gewichtige Gründe, die dagegen sprechen, sie auch auf private Auslandskontakte anzuwenden. Erstens: Die Verfassungsentscheidung für eine internationale Offenheit ist viel zu abstrakt gefaßt, um zu der Problematik der internationalen gesellschaftlichen Verflechtung etwas beizutragen. Mehr als eine Vermutung für die Freiheit der Auslandsbeziehungen wird ihr kaum zu entwinden sein, und diese läßt sich auch grundrechtlich begründen. Überdies liegen bestimmte Konflikte außerhalb ihres Blickfeldes, so insbesondere das Neben- und Gegeneinander von staatlichem und privatem Auslandsengagement. Woher bei grundsätzlicher Befürwortung jeder Form von internationaler Zusammenarbeit die Kriterien genommen werden sollen, um diesen Konflikt zu entscheiden, ist nicht einsichtig. Letztlich wird man nicht umhin können, die zu universalistisch geratene Verfassungsentscheidung für eine internationale Offenheit und Zusammenarbeit mit Inhalten anzureichern, Inhalte, die dann zwar solche Konflikte entscheiden helfen, die aber in noch stärkerem Maße der verfassungstextlichen Herleitung entbehren. Die Betrachtung weiterer grundgesetzlicher Bestimmungen, die sich mit privaten Auslandsbeziehungen befassen - dies sind vor allem die Art. 73 Ziff. 1 bis 5 und 10 und 74 Ziff. 4, 5 und 21 - macht auf einen bei der Umwidmung der Art. 24ff. GG in Staatszielbestimmungen oft vernachlässigten Gesichtspunkt aufmerksam, der im vorliegenden Zusammenhang wesentlich ist: die Regelungsaufgabe des Gesetzgebers. Art. 24 Abs. 1 GG ist nicht aus sich heraus vollziehbar. Art. 24 Abs. 1 GG ist modal enger gefaßt 44 als das Wiedervereinigungsgebot oder das Sozialstaatsprinzip, mit denen die Vorschrift oft verglichen wird. 4 5 Die angebliche Verfassungsentscheidung für die internationale Offenheit und Zusammenarbeit ist in Wahrheit eine Entscheidung des Gesetzgebers. Der Erfolg, der der Formel beschieden war, beruht zu einem 44 Entsprechendes gilt auch für Art. 24 Abs. 2 und 3 und im Hinblick auf die Gesetzgebungsaufträge in Art. 26 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 GG. Zu den Schwierigkeiten, die die Strafandrohung des Satzes 2 der Ausdeutung von Art. 26 Abs. 1 GG zur Staatszielbestimmung bereitet, vgl. Frank, A K - G G , Art. 26, RNr. 12. Art. 25 S. 1 GG ist durch die Verweisung an die allgemeinen Regeln des Völkerrechts an eine konkrete Vorgabe gebunden; es ist bezeichnend, daß seine Überhöhung zu einem verfassungsrechtlichen Programmsatz gerade dem Zweck dienen soll, die als zu eng empfundene Bindung zu lockern; vgl. Rudolf (1967), 240ff., 270ff.; Silagi, 632, 634. 45 Rojahn, vM, Art. 24, RNr. 3; Zuleeg, A K - G G , Art. 24 Abs. 3 / Art. 25, RNr. 61.

II. Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft

59

Gutteil auf der Ambivalenz, die in dem Wort Verfassungsentscheidung angelegt ist: ,Entscheidung' meint sowohl die Ermächtigung als auch deren Ausführung. Zweitens: Die Verfassungsentscheidung für eine internationale Offenheit und Zusammenarbeit geht auf Kooperation zwischen Staaten. In den Verfassungsbestimmungen, in denen sie grundgelegt sein soll, erscheinen Private allenfalls als Objekte staatlicher Reglementierung. 46 Die Kategorien, in die sie gefaßt ist - Pflicht, Aufgabe, Auftrag, Mandat, Richtschnur, Programm - , sind solche des staatlichen Kompetenz- und Organisationsrechts. Es wäre eine Mißachtung der prinzipiellen Verschiedenheit von „Staat" und „Gesellschaft", mit der Verfassungsentscheidung für eine internationale Kooperation diese Kategorien auf private Auslandsbeziehungen zu übertragen. 47 In ihrer internationalen Selbstdarstellung muß die Bundesrepublik darauf bedacht sein, keinen Zweifel an ihrer liberalen Verfassungsstruktur aufkommen zu lassen. Die Trennung von staatlichen und gesellschaftlichen Machtzentren ist im internationalen Vergleich eher die Ausnahme als die Regel und wird ideologisch stark angefeindet. Unklarheiten in diesem Punkt dürften daher zumindest auf längere Sicht verfassungspolitisch unerwünschte Aus- und Rückwirkungen haben. I I . Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft Über die Tauglichkeit der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als staatsrechtliches Erklärungsmodell für das Phänomen der internationalen Verflechtung ist noch nicht systematisch nachgedacht worden. Beide, „Staat" und „Gesellschaft", werden für gewöhnlich unter dem Dach eines „Gemeinwesens", eines „politischen Verbandes" zu einer höheren Einheit integriert. 1 Die Verdrängung einer internationalen Perspektive ist so vollständig, daß selbst die erforderliche Abgrenzung nach außen kaum argumentativ ausgeführt wird. 2 Vgl. Art. 9 Abs. 2 und 26 GG. Bei Häberle (1978), 173 - 175, werden prompt privates Handeln zu „kooperativer Grundrechtsverwirklichung" und die Grundrechte zu „Gemeinschaftsaufgaben" umfunktioniert. Zu weiteren antiliberalen Vereinnahmungsversuchen dieser Art vgl. von Olshausen, DVB1. 1974, 657; Verdross / Simma, 836. Grundsätzlich dazu Josef Isensee, Die Verfassung als Vaterland, in: Armin Möhler (Hrsg.), Wirklichkeit als Tabu, 1986, l l ( 1 9 f . , 2 2 ) . 1 Besonders deutlich bei Hesse, RNr. 11. Dieser Autor arbeitet mit den Begriffen „politische Einheit", „Gesamtverband" und „Gemeinwesen", um das „Staat" und „Gesellschaft" Umgreifende zu bezeichnen. 2 Hinweise bei Martin Drath, Der Staat der Industriegesellschaft, in: Ernst-Wolfgang Böckenförde (Hrsg.), Staat und Gesellschaft, 1976, 290ff. (291), und Herzog, 46. Steiger verwendet zwar das Begriffspaar - S. 26 - 43 - , geht aber auf dessen eventuelle internationale Substanz nicht ein. 47

60

Β . Staatstheoretische Erklärungsmodelle

Bemühungen, den Dualismus von Staat und Gesellschaft für eine grundsätzliche verfassungsrechtliche Durchleuchtung der internationalen Verflechtung fruchtbar zu machen, nehmen eher gegen als für seine diesbezügliche Brauchbarkeit ein. Zumeist laufen sie auf die floskelhaft wirkende Überhöhung dieses Dualismus zu einem Gegenüber von „Weltstaat" und „Weltgesellschaft" hinaus.3 Der Begriff „Gesellschaft" fungiert dabei in der Regel als allgemeine, schon bald ins Diffuse abgleitende soziologische Grundkategorie und nicht als das in einer bestimmten ideengeschichtlichen Tradition stehende staatstheoretische Gegenüber von „Staat". 4 Erwägenswert ist demgegenüber der Vorschlag Tomuschats, die Sphäre individueller Freiheit und gesellschaftlichen Pluralismus in das staatliche Außenverhältnis zu extrapolieren. Die grundrechtliche Freiheit sei unteilbar, und zwischen Innen und Außen dürfe nicht die Scheidewand der Staatsraison hochgezogen werden. 5 Diese Thesen werden jedoch nicht weiter ausgeführt. 6 Der Ansatz offenbart zugleich ein Dilemma: Staat und Gesellschaft sind Gegensatz und Einheit. Das zusammenfassende Band der nationalen Einheit des Gemeinwesens wird zwar nicht bewußt, ist aber stets vorausgesetzt. Werden die Begriffe aus der Einrahmung herausgenommen, so verlieren sie an Randschärfe und fasern aus. Die Staatsgrenze wird von dem Dualismus als besonderes Moment nicht verarbeitet. Es fehlen somit Kategorien und Kriterien, um die Besonderheit der internationalen gesellschaftlichen Verflechtung begriffsimmanent zu erfassen. 1. Ideengeschichtliche Präzisierung der Fragestellung

Der Blick zurück in die Ideengeschichte erklärt am besten, warum auch noch heute im Zeitalter weltweiter Interdependenz die Theoretiker von Staat und Gesellschaft für die internationale Seite des Phänomens so wenig Gespür haben.7 3

Häberle (1973), 120 FN 3; Luhmann, Die Weltgesellschaft, der von einem systemtheoretischen Gesellschaftsbegriff ausgeht und zu dem Modell einer Weltgesellschaft eine im Ergebnis wohl doch skeptische Haltung einnimmt; Schmidt, A ö R 1976, 44f. Vgl. ferner H. Huber, 606 - 608. 4 Eine dritte Bedeutungsvariante des „Gesellschafts"-Begriffs in der Lehre von den internationalen Beziehungen sei nur am Rande vermerkt. Mit „internationale Gesellschaft" können auch die Staatengemeinschaft als solche oder in bestimmter Weise integrierte Staatengruppen gemeint sein; vgl. Daniel Frei, Die Entstehung eines globalen Systems unabhängiger Staaten, in: Kaiser / Schwarz, 19ff. (25); Hedley Bull, Die anarchische Gesellschaft, ebd., 31 ff. (32f.); Schwarzenberger, 161 ff. 5 Tomuschat (1978), 19. 6 Tomuschat versteht sie mehr als Hinweis auf eine vorhandene Lücke und als Anregung; ebd., 18f. Ebenso verhält es sich mit Kaisers Ausruf: „Die Gesellschaft ist international."; a.a.O. (1962), Sp. 595. 7 Zu Herkunft und geistesgeschichtlichem Ambiente von „Staat" und „Gesellschaft": Erich Angermann, Das Auseinandertreten von Staat und Gesellschaft im Den-

II. Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft

61

a) Hegel Geistiger Stammvater der Unterscheidung ist Hegel. Seine „Grundlinien der Philosophie des Rechts" 8 sind als maßgebender intellektueller Ausgangspunkt akzeptiert. Hegel nun beachtet die internationale Orientierung der bürgerlichen Gesellschaft nur am Rande. In den §§ 245 und 246 der „Grundlinien" attestiert er ihr eine innere Dialektik, die sich in einem Expansionsdrang nach außen Luft verschaffe. Diese Energien verpuffen jedoch irgendwo in fernen Weltengegenden: in Kolonien, in untergeordneten Ländern anderer Kontinente oder auf dem freien Meer. 9 Hegel geht nicht ein auf die schon zu seiner Zeit, wenn auch in anderer Form und geringer an Umfang, existente Vernetzung der bürgerlichen Gesellschaften und deren Rückwirkung auf die beteiligten Staatlichkeiten. Zu Recht legt die Hegel-Rezeption den Finger auf diese Schwachstelle.10 Hegels Gesellschaft ist auf den Staat als zentrale Größe ausgerichtet. Aktivitäten und Bindungen in andere Richtungen finden demgegenüber nicht die gebotene Berücksichtigung. b) Lorenz von Stein Ganz anders präsentiert sich der zweite große Konstrukteur der Beziehung von Staat und Gesellschaft im 19. Jahrhundert, Lorenz von Stein. Seine Konzeption der bürgerlichen Gesellschaft nimmt grenzüberschreitende Kontakte wirtschaftlicher und kultureller Art explizit auf und bejaht ihren Eigenwert gegenüber der Individualität der Staaten. 11 Ein Schlüsselereignis für Lorenz von Stein war die Französische Revolution. Der Widerhall, den sie bei allen führenden Köpfen des europäischen Bürgertums gefunden hat, erscheint als Präzedenzfall grenzübergreifender gesellschaftlicher Beeinflussung. Auf großes Interesse stößt bei Stein auch die Internationalität der industriellen Proken des 18. Jahrhunderts, ZPol 1963, 89ff.; Ernst-Wolfgang Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 2. Aufl., 1981, 132ff.; ders. (1973), lOff.; Otto Brunner, Land und Herrschaft, Nachdruck der 5. Aufl., 1984,111 ff.; Ehmke (1962), 23ff.; Koslowski, 1982, dessen Buch der Versuch ist, darzutun, daß das Gegenüber von „Staat" und „Gesellschaft" ein Strukturtypus jedes historischen Gemeinwesens ist. 8 Zitiert nach der Theorie Werkausgabe G. W. F. Hegel, Werke in zwanzig Bänden, 1969 - 1971, Bd. 7. 9 Hegel, ebd., §§ 246 - 248. Carl Schmitt stellt Hegel auf den Kopf, wenn er den § 247 als Motto dem Modell einer internationalen Ordnung voranstellt, die auf dem maritimen Kaufmannsgeist beruhe; vgl. FS Jünger, 164f.; ferner die Nachbemerkung zur Wiederauflage der Schrift „Land und Meer" von 1981. 10 Vgl. Robert Maclver, The Web of Government, 1947, 360ff.; Charles Taylor, Hegel, 1983, 586ff.; Adam von Trott zu Solz, Hegels Staatsphilosophie und das internationale Recht, Nachdruck 1967, 43ff., insb. 51 FN 28. 11 Diesem selten beachteten Aspekt von Steins Werk widmet sich die Dissertation von Richter, 1973; dort auf S. 50 f. zu Steins Gesellschaftsbegriff. Ferner Fenske, Der Staat 1977, 539; Schmitt, Corollarium 3 zu „Der Begriff des Politischen", 115.

62

Β . Staatstheoretische Erklärungsmodelle

duktionsweise und des Proletariats. 12 Das Ensemble gegenseitiger Beziehungen und Abhängigkeiten nennt Lorenz von Stein „europäisches Gesamtleben". 13 Aus der soziologischen Erkenntnis zieht Stein juristische Konsequenzen. Die Internationalisierung des gesellschaftlichen Umgangs und des wirtschaftlichen Verkehrs schaffe legislatorischen Handlungsbedarf. Die Regelung der grenzüberschreitenden Kontakte und die Förderung einer Vereinheitlichung der Lebensverhältnisse sieht Stein als die Aufgabe eines selbständigen Rechtsbereiches an, des internationalen Verwaltungsrechts. 14 Dabei ist er sich der Schwierigkeiten bewußt, gegen die in einer auf dem Prinzip souveräner Einzelstaatlichkeit ruhenden Ordnung übernationale Rechtssetzung mit wirtschaftlichen und sozialen Inhalten anzukämpfen hat. Gleichwohl spielt Stein die angesichts des einzelstaatlichen Rechtsquellenmonopols real sich bietenden Alternativen durch und entwirft Pläne, wie in kleinen Schritten dem Ziel einer internationalen Verwaltungsrechtsordnung näher zu kommen sei. 15 Der Exkurs zu Lorenz von Stein steht nicht für sich. Ergebnisse und Prophezeihungen Steins sind heute noch aktuell. A n ihnen zeigt sich, daß ein Denken in den Kategorien Staat und Gesellschaft nicht notwendig mit nationalistischen Scheuklappen behaftet sein muß. Die Öffnung der Gesellschaft und die Freigabe internationaler Kontakte basiert auf der Anerkennung des Vorrangs von Einzelinteressen und Bedürfnissen der bürgerlichen Erwerbsgesellschaft vor der souveränen Selbstgenügsamkeit der Staaten, der Anerkennung also des Primats der Gesellschaft. 16 Das internationale Verwaltungsrecht wird in dem Maße realisierbar, in dem die Staaten sich auf ihre Aufgaben und Pflichten gegenüber der Gesellschaft besinnen und zu deren Bewältigung erforderlichenfalls zusammenarbeiten. Geschäftsgrundlage des internationalen Verwaltungsrechts ist die Trennung des Politischen, des Geltungsdranges der Souveräne, vom Sozialen, d.h. von der gemeinsamen Verantwortlichkeit der europäischen Staaten für das Gedeihen ihrer Wirtschaft und das Wohlergehen ihrer Bevölkerung. 17

12

Zu letzterem vgl. m.w.N. Richter, 61 - 63. Der Begriff wird geprägt in dem Aufsatz „Einige Bemerkungen über das internationale Verwaltungsrecht", Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich, 6 (1882), 395 - 442. 14 Z . B . in der Verwaltungslehre, Teil 2, Neudruck der 1./2. Aufl., 1962, 94ff. 15 Vgl. etwa die in FN 13 zitierte Schrift. 16 Dazu vgl. Böckenförde, Lorenz von Stein, 146ff.; Fenske, 546. Zu dem grundsätzlichen Konnex von Gesellschaftsordnung und auswärtigen Beziehungen Heinrich Winkler, Gesellschaftsform und Außenpolitik. Eine Theorie Lorenz von Steins in zeitgeschichtlicher Perspektive, H Z 214 (1972), 335ff. 17 Arthur Nußbaum, Lorenz von Stein on International Law and International Administration, FS Hans Lewald, 1953, 555ff. (556); Richter, 80 - 83; Schmitt, Nomos, 185, 188, 209. 13

II. Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft

63

c) Der staatsrechtliche Positivismus Lorenz von Stein war nicht der einzige, der im 19. Jahrhundert für durchlässige Grenzen und zwischenstaatliche Zusammenarbeit eintrat. 18 Trotzdem fiel seine aus heutiger Sicht so modern anmutende Konzeption von Staat und Gesellschaft und deren internationaler Eingebundenheit bald dem Vergessen anheim. 19 Der Kosmopolitismus wurde zu Ende des 19. Jahrhunderts vom Nationalismus verdrängt, der staats- und völkerrechtlich im Gewand des Positivismus auftrat. Der Paradigmenwechsel ist hier in doppelter Hinsicht von Bedeutung. Es war die spätkonstitutionelle Staatsrechtslehre, die den Dualismus von Staat und Gesellschaft juristisch in Façon gebracht hat 20 . Diese Feststellung gilt ungeachtet der Tatsache, daß die Positivisten den Begriff „Gesellschaft", da empirisch verunreinigt, weit von sich wiesen. 21 Der historisch-konventionelle Rechtssatzbegriff 22, die Statuslehre, das rechtsstaatliche Verteilungsprinzip - um nur das Wichtigste zu erwähnen - verdeutlichen die Recht gewordene Trennungslinie zwischen beiden Sphären. Neben der Binnenabgrenzung vollzog der Positivismus die Abnabelung vom Ausland. Mit Hilfe der Kriterien Staatsgrenze und Staatsangehörigkeit schneidet der Staat aus dem internationalen Beziehungsgeflecht „seine" Gesellschaft heraus. Die Gesellschaft wird nationalisiert. 23 Die Grundrechte werden zum Regulativ für Einwirkungen des Staates auf die so abgegrenzte Gesellschaft. Grundrechtsstatus und Gesellschaftszugehörigkeit bedingen einander. 24 Ein Fremder ist nur dann Glied der Gesellschaft, wenn er sich im Staatsgebiet aufhält. 25 Seine Abweisung an der Grenze ist deshalb kein Grundrechtseingriff. 26 18 Richter, 212 - 220, nennt noch Carl Kaltenborn von Stachau, Heinrich Ahrens, Robert von Mohl, Johann Caspar Bluntschli und - mit einiger Distanz - Friedrich von Martens. 19 Zur Rezeptionsgeschichte siehe Georges Langrod, L'oeuvre de Lorenz von Stein vue par ses successeurs, in: Roman Schnur (Hrsg.), Staat und Gesellschaft. Studien zu Lorenz von Stein, 1978, 465ff. 20 So auch Ehmke (1961), 5; Isensee (1968), 149; Ridder (1975), 36. 21 Paul Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. 1, 2. Aufl., 1888, 98 FN 1; Meyer / Anschütz, 12; ähnlich heute noch die Kritik von Badura (1986), 4. Auf der anderen Seite war man sich aber auch der Tatsache bewußt, daß mit dem Begriff nicht auch das Problem in die Zuständigkeit der Soziologie überantwortet werden konnte; vgl. Jellinek, Staatslehre, 84ff.; ebd. auf S. 121 f. auch Ausführungen zu den „internationalen Gesellschaftsverhältnissen" und deren Einfluß auf die Rechtsordnungen und den ganzen Verfassungsaufbau der modernen Staaten; Mayer, 212f. FN 1 a. E. 22 Näheres bei Fritz Ossenbühl, Die Quellen des Verwaltungsrechts, in: Erichsen / Martens, 69. 23 Dazu Heller, Ideenkreise, 355, 407ff.; Herzog, 46; Mayer, 213. Böckenförde (1973), 30, hebt hervor, daß der Staat über seine Rechtsordnung die Gesellschaft verfasse. 24 Böckenförde (1973), 29U Isensee (1968), 154 - 158. 25 So ausdrücklich Manfred Birkenheier, Wahlrecht für Ausländer, 1976, 109f.

64

Β. Staatstheoretische Erklärungsmodelle

Den Staatsangehörigen sind Ein- und Ausreise und der Transfer von Gütern über die Grenze grundrechtlich gewährleistet. 27 Ob der Staatsangehörige nach dem Verlassen des Staatsgebietes noch als Mitglied der „Gesellschaft" angesehen werden kann, ist dagegen fraglich. Ein Schlaglicht auf die staatsrechtliche Bedeutung des Auslandsaufenthalts wirft die Streitfrage, ob der Anspruch des Staatsbürgers auf Gewährung diplomatischen Schutzes grundrechtlich fundiert sei. 28 d) Die Situation nach Inkrafttreten

des Grundgesetzes

Unter dem Grundgesetz geriet die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft zunächst in eine Krise. Es war einiges an Anpassungsarbeit zu verrichten, um den Dualismus mit den Gegebenheiten eines demokratischen und sozial aktiven Staates und einer staatsinterventionistischen Industriegesellschaft auszusöhnen. In lebhaften Auseinandersetzungen in den 60er und 70er Jahren vermochte sich der traditionsreiche Gegensatz, wenn auch mit einigen Modifikationen, letztlich aber doch zu behaupten. 29 Die neben Demokratie, Sozialstaat und staatlicher Beeinflussung des Wirtschaftsablaufes vierte Dimension aktueller Verschiebungen im Verhältnis von Staat und Gesellschaft, die weltweite Verflechtung, blieb von all dem unberührt. Die Diskussion über Wert oder Unwert der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft innerhalb einer demokratischen Verfassungsordnung ist daran ebenso vorbeigegangen 30 wie man umgekehrt bei der Behandlung von Verfassungsfragen mit Auslandsbezug das Prinzip der Unterscheidung ignoriert hat 31 . Man sollte meinen, an schlichter Gewöhnung an eingefahrene Gleise könne das kaum liegen, da der Bodensatz dogmatischer Residuen aus der Zeit der 26 Isensee (1974), 61 ff. (m.w.N.); a. A . insb. Zuleeg, D ö V 1973, 366; ders., Grundrechte für Ausländer: Bewährungsprobe des Verfassungsrechts, DVB1. 1974, 341 ff. (345); ders. y Freizügigkeit für Ausländer?, RdA 1975, 221ff. Zuletzt Barbey , 694ff. Zu der Parallele zwischen Gebietszulassung und Einbürgerung vgl. Barbey , 697 FN 30; Isensee, 65f.; aus der Rechtsprechung: BVerfGE 37, 217 (239); BVerwGE 64, 7 (11); BVerwG InfAuslR 1986, 5 (6). 27 Z u der Streitfrage, welches Grundrecht einschlägig sei, vgl. Kunig, vM, Art. 11, RNr. 15 f. 28 Klein, DöV 1977, 704ff.; Treviranus, DöV 1979, 35ff.; Klein, ebd., 39f. 29 Vgl. dazu Peter Badura, Verfassung, Staat und Gesellschaft in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, FG BVerfG, 1976, Bd. 2, Iff., insb. 2 und 12; Böckenförde (1973), 34ff.; ders., Die Bedeutung der Unterscheidung . . . , 197ff.; Ehmke (1961), 3ff., 669ff.; ders. (1962), 23ff.; Hesse (1975), 437ff.; Isensee (1968), 149ff.; H. H. Klein, 47 ff. 30 Dabei ist Böckenförde bei der im Anschluß an sein Referat stattfindenden Diskussion durch die Frage nach dem begrifflichen Verhältnis von Gesellschaft und Staatsvolk - ders. (1973), 47f. - auf das Problem förmlich gestoßen worden. 31 En passant angesprochen bei Dolde, 2 0 - 2 5 .

II. Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft

65

Herrschaft des Positivismus im Staatsrecht durch die rasante Entwicklung und Veränderung des sozialen Substrates eigentlich aufgewirbelt sein müßte. Oder sollte es doch anders sein? Carl Schmitt hat - zuletzt in dem Corollarium 3 zu seinem „Begriff des Politischen" 32 - die Ansicht vertreten, der scharfe Dualismus von Innen und Außen und die mangelnde Verknüpfung und Kombination der Subdualismen von Völkerrecht und staatlichem Recht und von öffentlichem und privatem Recht - als synonym nennt Schmitt die Trennung von öffentlicher Zentralisierung und privater Wirtschaft und die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft - seien durch den „überspezialisierten Betrieb der heutigen Rechtswissenschaft" 33 verschuldet. Bevor man sich mit dieser Erklärung zufriedengeben kann, muß man nachprüfen, ob es nicht in der Sache selbst liegende Gründe für die Abstinenz der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft gegenüber allem Internationalen gibt. So könnte man sich auf den Standpunkt stellen, daß in einer Staatenordnung, die immer noch und nach der Frustration optimistischer Staatenbundsund Bundesstaatstheorien um so mehr auf dem Souveränitätsprinzip beruhe, der grenzüberschreitende Verkehr und der Status von Fremden aus praktischen Gründen nicht Gegenstand grundsätzlicher staatstheoretischer Überlegungen und weitreichender, vor allem auch einseitiger verfassungsrechtlicher Festlegungen sein sollten. Es müsse ein genügend großer, pragmatisch zu handhabender fremdenrechtlicher Aktionsspielraum bleiben. A n der Asylgarantie des Grundgesetzes werde sichtbar, welche Folgeprobleme derjenige auf sich lädt, der sich über diese Zusammenhänge hinwegsetzt. Der Versuch, den „Gesellschafts"-Begriff in seinen internationalen Bezügen auszuleuchten, sei insgesamt wenig fruchtbringend, da zu abstrakt und zu generell. Das Ganze sei statt dessen eine Angelegenheit jeweiliger Opportunität und bilateraler Reziprozität und tauge nicht für wissenschaftliche Theorienbildung. Auf diesen Argumenten gründet sich die im Völkerrecht herrschende Lehre, derzufolge die Öffnung der Grenzbarriere vorbehaltlich ausdrücklicher vertraglicher Verpflichtung in das freie Ermessen des Territorialstaates gestellt und Fremden, die sich dort aufhalten, keine volle Inländergleichbehandlung zu gewähren ist. Das Unterfangen, die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft in einen internationalen Kontext einzufügen, erscheint von ihrer Warte aus als eine die Wirklichkeit verfehlende, zu optimistische theoretische Konstruktion. Indessen reicht die Realität in und zwischen den westlichen Demokratien über das vom universellen Völkerrecht geforderte Minimum weit hinaus; Interdependenz ist hier zum Normalzustand geworden. 34 Diese Kluft will 32 Ebd., Corollarium 3: Übersicht über nicht staatsbezogene Möglichkeiten und Elemente des Völkerrechts, 112 - 115. Vorher schon: Über die zwei großen Dualismen des heutigen Rechtssystems, in: ders., Positionen und Begriffe im Kampf mit Weimar Genf - Versailles, 1940, 261 ff.; sowie: Über das Verhältnis von Völkerrecht und staatlichem Recht, Z A k D t R 1940, 4ff. 33 Begriff des Politischen, 112.

5 Heintzen

66

Β . Staatstheoretische Erklärungsmodelle

die herrschende Lehre mit der Behauptung, das sozial tatsächlich Erreichte liege häufig über dem rechtlich zwingend Gebotenen, und dem Hinweis darauf plausibel machen, daß Abweichungen möglich bleiben, weil die Staaten Bindungen nicht eingehen wollen. 35 Eine solche Erklärung ist insgesamt unbefriedigend. Ein „Gesellschafts"Begriff, der die grenzüberschreitenden Kontakte Privater nur beiläufig registriert, weiß auf wichtige Fragen keine Antwort. Daraus können zwei Folgerungen gezogen werden. Eine Möglichkeit besteht darin, in diesem Befund einen zusätzlichen Beleg für die Antiquiertheit der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft zu sehen und den Dualismus zu verabschieden, nicht weil er die erforderliche konkrete und differenzierte Zuordnung der beiden Größen zu leisten außerstande ist 3 6 , sondern weil er eine andere Zuordnungsaufgabe a limine ausblendet. Die Alternative dazu ist der Versuch, den „Gesellschafts"Begriff auf die neue Herausforderung hin zu konzipieren. 2. Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft im Licht der weltweiten Verflechtung

Der Versuch, den Dualismus von Staat und Gesellschaft an geänderte internationale Verhältnisse so anzupassen, wie dies im Hinblick auf Demokratie, Sozialstaat und Industriegesellschaft schon erfolgt ist, führt auf Neuland. Das Produkt deutscher Verfassungstradition wird auf eine ihm bislang fremde Ebene gehoben. Ein solcher Transfer bedarf in mehrfacher Hinsicht kritischer Fundierung. a) Der Gesellschafts-Begriff Von den beiden Polen des Dualismus ist „Gesellschaft" der sinnflexiblere Begriff und damit sowohl gegenüber Änderungen aufgeschlossener als auch manipulierbarer. 37 In ihm ist genug Freiraum für eine inhaltliche Anpassung des Dualismus an das Phänomen weltweiter Verflechtung vorhanden. Der Freiraum muß aber so genutzt werden, daß der Sinn des Dualismus in dem neuen Zusammenhang erhalten bleibt. Um das zu gewährleisten, ist es erforderlich, gleich zu Beginn klar zu umschreiben, was mit „Internationalisierung des Gesellschaftsbegriffs" gemeint ist. 34

So die Einschätzung Tomuschats - (1978), 16. Die Diskrepanz zwischen rechtlicher Vorgabe und deren Übererfüllung in der sozialen Wirklichkeit wird indes auch in der Völkerrechtslehre nicht widerspruchslos hingenommen; vgl. James Nafziger, The General Admission of Aliens under International Law, A J I L 1983, 804ff. mit weiteren Nachweisen auf S. 805 FN 4. 36 So die Kritik Hesses (1975), 440. 37 Z u dieser mehr wortstrategischen Überlegung vgl. Wolf gang Bergsdorf, Herrschaft und Sprache, 1983, 280. 35

II. Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft

67

Eventuellen Assoziationen in Richtung „Weltgesellschaft" muß eine deutliche Absage erteilt werden. Eine „Weltgesellschaft" gibt es ebensowenig wie einen „Weltstaat". Es handelt sich um nichts anderes als eine gedankliche Abstraktion, die so viel Verschiedenes, Inkommensurables und Gegensätzliches über einen Leisten schlägt, daß ihr substanzieller Aussagewert gegen Null geht. 38 Die Vokabel „Gesellschaft" gerät begrifflich außer Kontrolle, wenn man die stabilisierende Verbindung zum Staat als geographischem und politischem Orientierungsrahmen zu sehr lockert. Andererseits ist eine gewisse Lockerung aber notwendig, damit der Dualismus mit der Intensivierung der transnationalen Beziehungen Schritt halten kann. Dem Begriff „Gesellschaft" kommt dabei zupaß, daß er als dogmatische Kategorie nicht positivrechtlich auf einen bestimmten Personenkreis fixiert ist. Die Ansicht, die Gesellschaft sei nichts anderes als das Staatsvolk in freiheitlichem Aggregatzustand, trifft schon deshalb nicht zu, weil sie die im Bundesgebiet lebenden Ausländer ausklammert. 39 Die beiden Postulate stehen darum nur scheinbar in einem Widerspruch zueinander. Der „Gesellschafts"-Begriff kann jedem von ihnen Genüge tun, wenn er zwar in einem Konnex zum „Staat", aber als nach außen hin offen und dadurch nicht national ein- und abgegrenzt gedacht wird. Die internationale Verflechtung erscheint dann als eine Grundbefindlichkeit der Gesellschaft, ohne ihre Identität als „deutsche" Gesellschaft in Frage zu stellen. Eine Bedingung für diese Öffnung ist die klare Unterscheidung von Gesellschaft und Nation. Nation ist ein politischer Begriff. 40 Er bezeichnet eine politische Einheit, deren Prinzip die staatsbürgerliche Gleichheit ist. Die Gesellschaft ist dagegen der Ort legitimer Ungleichheit. Ihr Prinzip ist die Freiheit. Gesellschaft meint das Aufeinandertreffen der verschiedenen sozialen Kräfte mit ihren divergierenden Interessen, vor allem auf den Feldern Wirtschaft, Politik und Kultur. 4 1 Der zur Gesellschaft gehörende Personenkreis reicht selbst ohne internationale Weiterungen - über das Staatsvolk, das personelle Substrat der Nation, hinaus und umfaßt auch die im Staatsgebiet sich aufhaltenden Ausländer, ferner die dort ansässigen juristischen Personen des privaten Rechts. Anders als der Begriff Nation, der, Besonderheiten der Rechts38 So auch Luhmann (1971), 28ff. \ Bernard Willms,Die Deutsche Nation, 1982,109ff. Auch die internationalen Verflechtungen ökonomischer, politischer oder kultureller Eliten wird man nicht als sektorale Weltgesellschaften bezeichnen können; dazu Schwarz (1983), 435. 39 So aber Herzog, 141, 145. Es greifen statt dessen weit elastischere Methoden der Abgrenzung, über die unter C. I. 3. noch zu berichten sein wird. A u f einer absteigenden, die Intensität der Bindung an die deutsche Staatsgewalt symbolisierenden Linie wären nacheinander abzutragen: die deutsche Staatsangehörigkeit, die Staatsangehörigkeit in den Ländern, die Eigenschaft eines Bewohners des Bundesgebietes im Sinne des Art. 25 Satz 2 GG, schließlich die Gesellschaftszugehörigkeit. 40 Schmitt, Verfassungslehre, 231. 41 Dazu Herzog, 43ff., 146; Isensee (1968), 152; Kaiser (1978), 339.

5*

68

Β . Staatstheoretische Erklärungsmodelle

läge Deutschlands beiseitelassend, auf das in sich geschlossene, homogene Staatsvolk als Träger aller staatlichen Gewalt festgelegt ist 4 2 , ist der Terminus Gesellschaft für internationale Anreicherungen offen. Davon ausgehend kommt man zu der Frage, wie die nach außen hin offene Gesellschaft zusammengesetzt ist. Hierzu kann auf die Typologie privater Auslandskontakte verwiesen werden, die die einzelnen Akteure nach ihrer Bedeutung gestaffelt vorstellt. 43 Der „internationalisierte Gesellschaftsbegriff" soll diese Organisationen und Personen und ihre Aktivitäten abdecken. Wegen der Verschiedenheit der Blickrichtung stimmt seine inhaltliche Füllung mit dem üblichen Verständnis von „Gesellschaft" nicht ganz überein. Einige Organisationen, die (fast) nur im Innenbereich der Bundesrepublik Deutschland tätig sind, gehören nicht dazu, bei den anderen werden die Akzente nach ihrer jeweiligen Auslandsgeneigtheit teilweise nicht unerheblich umverteilt. 44 Der Gesellschaftsbegriff in dem hier verwendeten Sinne ist freilich nicht soziologischer, sondern staatstheoretischer Natur. Die Änderung der Blickrichtung oder soziologischer Daten - Streichungen, Ergänzungen, Umgruppierungen ist deshalb unter der Voraussetzung zulässig, daß die staatstheoretische Kennung dieselbe bleibt. Und dies ist der Fall, weil die in der Typologie aufgeführten Gruppen, Organisationen, Unternehmen usw. keine Hervorbringungen des Staates oder seiner Untergliederungen sind, sondern von Privaten, in der Regel Grundrechtssubjekten, geschaffen und getragen werden. In der Zielsetzung stimmen die Erweiterung des Dualismus von Staat und Gesellschaft um eine internationale Dimension und die thematische Erstrekkung der Verfassungsentscheidung für eine internationale Zusammenarbeit auf Private überein. Beiden ist es darum zu tun, das Phänomen der weltweiten gesellschaftlichen Verflechtung in verfassungsrechtliche Kategorien zu übersetzen. Der Verfassungsentscheidung für eine internationale Offenheit ist der Zugriff auf private Auslandskontakte aber nur durch die Verwischung der Grenzlinie zwischen staatlichem Integrationsprogramm und grundrechtlicher Freiheit möglich. Diese konzeptionelle Unausgegorenheit kann der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft nicht zum Vorwurf gemacht werden. Sie erhebt im Gegenteil den vormaligen Kritikpunkt zu ihrem dogmatischen Leitmotiv. b) Regionale Begrenzungen Offenheit ist zunächst nur ein Angebot, das von dem internationalen Gegenüber auch ausgeschlagen werden kann. Mit der bloßen Chance, daß der 42

Zum Kommunalwahlrecht für Ausländer:· BVerwG DVB1. 1985, 169. Siehe A . III. 44 Vgl. die ähnlich lautenden Bedenken, die Ernst Forsthoff in seiner Besprechung des Buches „Die Repräsentation organisierter Interessen" von Joseph H. Kaiser äußert (DVB1. 1958, 295). 43

II. Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft

69

jeweilige Zielstaat grenzüberschreitende private Kontakte toleriert oder anerkennt, kann sich indessen nicht begnügen, wer diesen Vorgang in verfassungsrechtlichen - im Unterschied zu völkerrechtlichen - Denkmodellen erfassen will. 4 5 Die Ausrichtung eines theoretischen Modells wie das der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft auf den Prozeß internationaler Verflechtung setzt eine gewisse Intensität und Stetigkeit, kurz die Institutionalisierung seiner sozialen Grundlage voraus. Eine solche Institutionalisierung wird man auf längere Sicht nur im Verhältnis zu solchen Staaten erwarten dürfen, die über eine analoge Verfassungsstruktur verfügen und deren „Gesellschaft" in ähnlicher Weise international vernetzt ist. Der internationale Anwendungsbereich des Dualismus von Staat und Gesellschaft ist daher - anders als bei der Verfassungsentscheidung für eine internationale Offenheit, die einem grundsätzlich uniimitierten und undifferenzierten Internationalismus huldigt - von vornherein begrenzt. Die sonach geforderte Homogenität des Verfassungsaufbaus verweist auf die Gruppe der westlichen Verfassungsstaaten. Es sprechen im wesentlichen zwei Argumente dafür, eine internationale Betrachtung der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft hauptsächlich auf sie zu begrenzen. In der Typologie privater Auslandskontakte wurde deutlich, daß das Phänomen sich auf die Beziehungen zwischen den westlichen Industriegesellschaften konzentriert. Die rechtliche Würdigung sollte an diesen Befund anknüpfen. Sodann ist die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft nach ihrem eigenen Anspruch ein Charakteristikum einer liberalen Verfassungsordnung, die die Entfaltungsfreiheit des Individuums und der gesellschaftlichen Kräfte grundsätzlich vor staatlichen Eingriffen schützt. Trotz inzwischen universellem Bekenntnis zu Menschenrechten und Selbstbestimmung sind die genannten verfassungsrechtlichen Formprinzipien effektiv allein in den westlichen Demokratien verwirklicht. 46 Eine präzise geographische Ausgrenzung ist damit noch nicht erfolgt. Zweifelsfälle bleiben. Für die Zwecke einer grundsätzlichen Fragestellung, wie sie hier verfolgt wird, ist es aber auch nicht erforderlich, sämtliche Staaten der Erde nach einem bestimmten Schema zu sortieren. Die Orientierung am Typischen und Formbildenden genügt. Angesichts möglicher Zweifelsfälle erweist sich im übrigen an der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft 45

Siehe Β . II. 1. d). Vgl. dazu Dieter Blumenwitz, Gibt es ein allgemeines, weltweit verbindendes und verpflichtendes Verständnis der Menschenrechte?, Eichholz-Brief 2/1986, 15ff.; Grewe (1985), 559f.; Ludger Kühnhardt, Menschenrechte, politisches Denken und politische Systeme, EuGRZ 1986, 665; Tomuschat, GS Sasse, Bd. 2, 585ff. Warum Häberle (1983), 407 - 411, seine 5. Ebene der Grundrechtsvergleichung nicht auf den Kreis der europäisch-nordatlantischen Staaten begrenzt, ist nicht recht verständlich; die rechtsvergleichenden Ausflüge in ausländische Verfassungsordnungen wirken so ziellos, und die Ausbeute erscheint als ein bunt zusammengewürfeltes Konglomerat von Verfassungsartikeln; ebenso ders., Verfassungsrechtliche Ewigkeitsklauseln als verfassungsstaatliche Identitätsgarantie, FS H. Haug, 1986, 81 ff. (84ff.). 46

70

Β . Staatstheoretische Erklärungsmodelle

etwas als Vorteil, was man ihr gewöhnlich als Schwäche anzulasten pflegt. Das Argument, die bloße Gegenüberstellung von Staat und Gesellschaft sei angesichts der realen Verfassungslage der Bundesrepublik funktionslos, weil sie nicht mehr beinhalte als das Verbot jedweder Form von Totalitarismus 47 , sticht auf internationaler Ebene nicht. Der dahinter zutage tretende Verfassungsoptimismus ist zumindest hier unbegründet, die Rasterung gerade wegen ihrer Schlichtheit sehr aussagekräftig. c) Die Menschenrechte als Prüfstein Die Verifikation der These, die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft sei in der Lage, etwas zur verfassungsrechtlichen Entwirrung des Phänomens weltweiter Verflechtung beizutragen, hängt also entscheidend davon ab, ob es gelingt, den Nachweis zu führen, daß diese Unterscheidung zur Grundausstattung nicht nur der deutschen, sondern jeder freiheitlichen Verfassungsordnung gehört. Hier liegt das eigentliche Problem. Oft ist der Vorwurf zu vernehmen, die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft sei die Hervorbringung der verspäteten Nation; unverkennbar atme sie den Geist des preußischen Obrigkeitsstaates und diene sie dem Interesse bürgerlicher Besitzstandswahrung. 48 Als Präsentierstück eines freiheitlichen Staatswesens sei sie denkbar ungeeignet; anstatt sie für den Rechtsexport bereitzustellen, sollte man sie besser vor den Augen einer Weltöffentlichkeit verbergen, die letzte Zweifel an der Ernsthaftigkeit des erneuten Versuches, Freiheit und Demokratie in Deutschland häuslich zu machen, immer noch nicht aufgegeben habe. Selbst Befürworter des Dualismus lehnen Vergleiche mit ausländischen Rechtsvorstellungen ab und weisen auf die Schwierigkeit hin, für ihn eine passende Übersetzung in fremde Sprachen zu finden. 49 Das Ziel der folgenden Ausführungen muß es sein, zu beweisen, daß diese Einwände unbegründet sind. Zu dem Zweck, die internationale Akzeptanz der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft festzustellen, bieten sich als Prüfstein an erster Stelle die völkerrechtlichen Menschenrechtspakte an. Sie vereinigen in sich zwei für diese Aufgabe wesentliche Eigenschaften: Sie repräsentieren einen Freiheitsstandard, der in allen westlichen Staaten Anerkennung findet, und sie thematisieren, wie der Dualismus von Staat und Gesellschaft, das Verhältnis zwischen Individuum und Staatsgewalt. Wegen der Gemeinsamkeiten ihrer ideengeschichtlichen Herkunft spricht eine 47

Hesse (1975), 439 f. Dazu von Krockow, Staat, Gesellschaft, Freiheitswahrung: These auf S. 433f., internationaler Vergleich auf S. 464ff. ; ferner Ridder (1975), dessen Buch man auch als großangelegte Polemik gegen diesen Dualismus lesen kann. 49 So Isensee (1968), 149. 48

II. Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft

71

gewisse Vermutung für Übereinstimmungen oder Konvergenzen zwischen internationalen Menschenrechtsabkommen, den Grundrechten des Grundgesetzes und der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft. 50 Aus dieser Zielsetzung und aus der regionalen Schwerpunktbildung resultieren die Kriterien für die Auswahl der auszuwertenden Menschenrechtstexte. Neben den beiden internationalen Pakten werden die Europäische und die Amerikanische Menschenrechtskonvention und die Europäische Sozialcharta herangezogen. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte bleibt bis auf eine Ausnahme unberücksichtigt, schon um die Arbeit nicht mit der schwierigen Frage zu befrachten, ob und inwieweit diese Entschließung der Generalversammlung der Vereinten Nationen rechtliche Verbindlichkeit beanspruchen kann. 51 Ergänzend dazu werden die Vorschriften über die Voraussetzungen für den Erwerb der Mitgliedschaft in westlich geprägten Internationalen Organisationen, die Grundsätze der deutschen Außenwirtschaftspolitik und - in Ansätzen - die Staatslehre in der Bundesrepublik und in den westlichen Nachbarländern im Lichte der Alternative analysiert, ob die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft eine Eigenheit des deutschen Verfassungslebens ist oder ob die Begrifflichkeit internationalem Niveau standhält. d) Methodische Rechtfertigung

des Vorgehens

Die Internationalisierung des - dabei unverändert dem „Staat" zugeordneten - „Gesellschafts"-Begriffes soll ebenso staatsrechtlich wie völkerrechtlich abgesichert werden. In methodischer Hinsicht wird dadurch der größere Problemzusammenhang des Verhältnisses zwischen staatlichem Recht und Völkerrecht angeschnitten. Die prinzipielle Zulässigkeit einer so gearteten staatsrechtlich-völkerrechtlichen Zweibeinkonstruktion bedarf vor diesem Hintergrund einer kurzen Rechtfertigung. Für den „klassischen" Dualisten, der beide Rechtsordnungen als in Rechtsinhalten, Rechtssubjekten und Rechtsquellen verschieden einander gegenüberstellt, ist eine solche Parallelisierung bereits im Ansatz verfehlt. 52 Die strikte Trennung von Völkerrecht und staatlichem Recht darf heute jedoch als überwunden gelten. 53 Der in der Einleitung erwähnte Übergang vom „Völkerrecht der Koexistenz" zum „Völkerrecht der Kooperation" impliziert eine 50 Z u Ursprüngen und regionaler wie politischer Situierung der Menschenrechtsidee vgl. die Arbeiten von Garibaldi; Grewe (1985), 556ff.; Tomuschat (1981). 51 Dazu m.w.N. Verdross / Simma, 822f. 52 Besonders plastisch ist das Bild Triepels von den beiden Kreisen, die sich höchstens berühren, niemals aber schneiden; in: Völkerrecht und Landesrecht, S. 111. 53 Dazu Heinz Wagner, Monismus und Dualismus: eine methodenkritische Betrachtung zum Theorienstreit, A ö R 50 (1964), 212ff.; Fernando Tesón, The Relations between International Law and Municipal Law, in: Michael Bothe (Hrsg.), International Law and Municipal Law, 1982, 107ff.

Β . Staatstheoretische Erklärungsmodelle

72

Angleichung der Rechtsinhalte, in Ansätzen auch des Kreises der Rechtssubjekte. Die Annäherung der beiden Rechtsordnungen tritt besonders augenfällig in dem hier angesprochenen Bereich der Grundrechte bzw. Menschenrechte hervor. Insoweit hat man sich inzwischen daran gewöhnt, von „Gemengelagen" 54 oder von „Wechselwirkungen" 55 zu sprechen. 56 Tomuschats Formeln von einem „finalen Aktionsverbund" 57 von Verfassungs- und Völkerrecht und von einer „völkerrechtlichen Nebenverfassung der Bundesrepublik" 58 umschreiben pointiert, worum es geht. 59 Wechselwirkungen können in zwei Richtungen stattfinden; das Völkerrecht kann das staatliche Recht befruchten, und umgekehrt kann das staatliche Recht die Völkerrechtsordnung beeinflussen. Vorliegendenfalls wird der Dualismus von Staat und Gesellschaft zunächst aus seiner gewohnten Umgebung herausgelöst und mit internationalem Normenmaterial konfrontiert, um sodann die dabei gewonnenen Erkenntnisse zu seiner inhaltlichen Neubestimmung zu verwenden. Der damit verbundene argumentative Aufwand ist höher, weil die Besonderheiten einer nationalen Rechtsordnung in einen deutlich weiter gespannten Rahmen integriert werden müssen. Gerade bei Spezialitäten nur einer nationalen Verfassungstradition ist kritisch zu fragen, ob sie nicht nur mit einigen Brüchen und Verbiegungen in einen internationalen Kontext eingebracht werden können. Einwirkungen des nationalen Rechts auf das Völkerrecht sind andererseits aber auch nichts Außergewöhnliches oder Neues. Bei der Auslegung völkerrechtlicher Verträge kommt es nicht selten vor, daß einem Vertragsbegriff der Sinn beizumessen ist, der ihm in einer staatlichen Rechtsordnung anhaftet oder der aus einer rechtsvergleichenden Sichtung der in mehreren Vertragsstaaten einschlägigen Rechtstexte folgt. 60 Die Strahlkraft nationaler Verfassungsprinzipien bleibt gleichfalls nicht ohne Wirkung auf völkerrechtliche Verträge. 61 Die allgemeinen Rechtsgrundsätze im Sinne des Art. 38 Abs. 1 lit. c) des IGH-Statuts sind sogar zu einem erheblichen Teil aus den verschiedenen staatlichen Rechtsordnungen und Rechts54

Zu dieser Wortschöpfung Georg Ress, Die Rechtslage Deutschlands nach dem Grundlagenvertrag vom 21. Dezember 1972, 1978, 170ff., dort mit spezifisch deutschlandrechtlichem Einschlag. 55 So insbesondere in den Referaten von Ress und Schreuer. 56 Die Position des Bundesverfassungsgerichts ist unklar; vgl. einerseits BVerfGE 58, 233 (253ff.), andererseits BVerfGE 36,1 (14). 57 W D S t R L Bd. 36 (1978), 53. 58 Ebd., 53. 59 Die dualistische Doktrin hat im übrigen nicht verhindert, daß auch früher schon in ihrer dogmatischen Fundierung mitunter recht verwegene Vergleiche zwischen Teilen beider Rechtsordnungen gezogen wurden, so z.B. die Anleihe, die Dietrich Schindler, Werdende Rechte, FS Fleiner, 1927, 400ff., für das kollektive Arbeitsrecht beim Kriegsvölkerrecht gemacht hat. 60 Ress, 20f.; Schreuer, 79ff. 61 Ress, 22 - 2 6 ; Schreuer, 84 - 87; ferner Richard B. Lillich, Linkages between International Human Rights and U.S. Constitutional Law, A H L 79 (1985), 158ff.

II. Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft

73

kulturen synthetisiert 62 , und selbst positivrechtlich nicht festgeschriebene, sondern vorausgesetzte Konstitutiva der Staatlichkeit wie das Gewaltmonopol haben im Völkerrecht ihre Spuren hinterlassen. 63 Ob die Annahme zutreffend ist, daß ein langsamer Wandel von einer souveränitätsorientierten hin zu einer kompetenzorientierten Betrachtung der Stellung des Staates im Völkerrecht vonstatten gehe, der weiteren Wechselwirkungen Vorschub leiste 64 , mag hier dahinstehen. Wenn tatsächlich, wie diese Lehre behauptet, der Staat und seine Rechtsordnung zunehmend für Zwecke des Völkerrechts funktionalisiert werden, so liegt es nahe, die dogmatischen Leitbilder staatlicher Rechtsordnungen, wie etwa den Dualismus von Staat und Gesellschaft, auf das Völkerrecht hinzuordnen. Die Ergebnisse des regionalen Menschenrechtsquerschnitts zu dem Thema „Staat und Gesellschaft" können ohne weiteres in die deutsche Verfassungsdogmatik übernommen werden, ohne daß es einer irgendwie gearteten Transformation bedürfte. Sofern es von der Sache her begründbar ist, werden dogmatische Kategorien und Einsichten wie andere Interpretationshilfen oder Ermessensdirektiven übernommen. 65 e) Mögliche Ergebnisse Angesichts der Vielschichtigkeit der Fragestellung scheint es angezeigt, sich des mit ihr verfolgten Zweckes genau zu vergewissern. Es sind vor allem die drei folgenden Gründe, wegen derer der Nachweis, daß die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft ein Grundbauelement der europäisch-amerikanischen Verfassungsordnungen darstellt, auch von praktischem Interesse sein kann: (1) Die Abschichtung von Staat und Gesellschaft in dem sehr sensiblen Bereich der internationalen Angelegenheiten ermöglicht es, dort „Indifferenzschwellen" 66 zwischen den verschiedenen Interaktionszusammenhängen von Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur, Religion, Sport usw. aufzubauen und die Ingerenz sachfremder politischer Kalküle in den 62

Mosler (1980), 122ff.; Verdross / Simma, 380ff. (m. w.N.). Heintzen (1986), 17ff.; ferner Bleckmann, A V R 18, 266 FN 55; Hesse (1985), RNr. 112. Generell zu Strukturparallelen im Verhältnis der beiden Rechtsordnungen: Schindler (1982), 71 ff. 64 Dazu Bleckmann, A V R 18, 257ff.; ders., Das Souveränitätsprinzip im Völkerrecht, A V R 23 (1985), 450ff. (465); Fiedler, 61ff.; Mosler, 136f. 65 Ähnliche Fragen bergen die Ausstrahlungswirkungen von völkerrechtlichem „soft law" auf Generalklauseln und Ermessensdirektiven: Albert Bleckmann, Sittenwidrigkeit wegen Verstoßes gegen den ordre public international, ZaöRV 34 (1974), 112ff.; Meessen, NJW 1981, 1131 f. Zum umgekehrten Fall der Hinzuziehung der Rechtsvergleichung bei der Auslegung der E M R K siehe Bleckmann (1985), 23. 66 Begriff bei Schlink (1982), 82. 63

74

Β . Staatstheoretische Erklärungsmodelle

gesellschaftlichen Raum zurückzudrängen. 67 Ein Gesellschaftsbegriff, der das Phänomen der weltweiten Verflechtung in sich aufnimmt, kann so als Argumentationsbasis gegen gesetzliche Beschränkungen grenzüberschreitender Aktivitäten Privater dienen. 68 (2) In dem Feld, in dem die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft zu prinzipaler Benutzung durch das Bundesverfassungsgericht gelangt ist, dem Recht der politischen Parteien 69 , gibt es weitere Einsatzmöglichkeiten. Der Dualismus könnte dabei helfen, das Durcheinander von Ersatz-, Neben-, Sonder- und anderen Außenpolitiken zu ordnen. 70 (3) Der Dualismus von Staat und Gesellschaft kann schließlich auch zur Klärung von Zurechnungsfragen beitragen. Die Übergänge zwischen „staatlich" und „privat" sind auf den ersten Blick oft nicht einfach zu bestimmen. Gleichwohl hängen von der Differenzierung Rechtsfolgen ab. Mit Hilfe der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft könnte man z.B. versuchen, Licht in das Dunkel der Frage bringen, wann ein Staat völkerrechtlich nach den Regeln über die Haftung für Private und wann nach den Regeln über die Haftung für de-facto-Organe verantwortlich ist. 7 1 Ein anderes in diesen Zusammenhang gehörendes Beispiel ist die Frage, wie „private" Verfolgung asylrechtlich zu bewerten sei. 72

67

Daß die Differenzierung der sozialen Subsysteme ein wichtiges Resultat der Unterscheidung von „Staat" und „Gesellschaft" sei, erkennen auch ihre Gegner an; vgl. Hesse (1975), 439f.; Niklas Luhmann, Grundrechte als Institution, 2. Aufl., 1974, 14ff.; Schlink (1982), 83. Bedenklich ist allerdings, daß der Staat dabei teilweise zu einem „Subsystem" unter anderen gemacht wird; kritisch dazu Böckenförde (1973), 30 FN 71; ferner Bethge (1985), 75 f. 68 Vgl. zu derselben Frage aus völkerrechtlicher Sicht die Arbeit von Nafziger. Er plädiert für eine völkerrechtliche Verpflichtung der Staaten, Immigranten aufzunehmen, die er aber unter einen Einschränkungsvorbehalt stellt. Nafziger kommt daher zu keinem anderen Ergebnis als die herrschende Praxis; freilich dreht er die Argumentationslast um. 69 Vgl. BVerfGE 20, 56 (97ff.). Dazu Grimm, Pol. Parteien, 327ff.; Henke, B K , Art. 21, RNr. 12ff.; Maunz, M D , Art. 21, RNr. 2ff.; von Münch, vM, Art. 21, RNr. 21; Η Η. Klein, 51f.; Preuß, A K - G G , Art. 21, RNr. 14ff.; Stern I 457ff. 70 Z u den Realien siehe unter Α . I V . 2. a). 71 Weil, 116ff., der den Dualismus bei Ausführungen über das Haftungsregime für grenzüberschreitende Rundfunksendungen verwendet. 72 Volker Neumann, Feindschaft als Kriterium des asylrechtlichen Politikbegriffs, N V w Z 1985, 628ff. (631) erhofft sich hierzu von Carl Schmitts Freund-Feind-Formel nähere Aufschlüsse. Ernst Reichel, Das Asylrecht „im Lichte des Völkerrechts", Diss., 1986, sucht die Lösung in den Zurechnungstatbeständen der Art. 5 ff. des ILC-Entwurfes über die Staatenhaftung.

II. Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft

75

3. Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Strukturmerkmal europäisch-atlantischer Verfassungsstaatlichkeit

Der Nachweis, daß die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft ein durchgängig in allen westlichen Staaten anzutreffendes Verfassungsprinzip darstellt, ist das letzte noch fehlende Glied in der Beweiskette. Ist er erbracht, steht fest, daß der Dualismus nicht nur für den internen verfassungsrechtlichen Hausgebrauch taugt, sondern auch, nach einer nur geringfügigen Änderung des „Gesellschafts"-Begriffs 73, ein theoretisches Erklärungsmodell für die vielfältigen Erscheinungsformen grenzüberschreitender privater Kontakte abgeben kann. Der zu diesem Zweck angekündigte Querschnitt durch internationale Menschenrechtspakte durchläuft mehrere Stationen. Untersucht werden insbesondere die in Menschenrechtstexten häufig vorkommenden Klauseln „in einer demokratischen Gesellschaft" und „öffentliche Ordnung", die Menschenrechtsfähigkeit juristischer Personen, die Abgrenzung von Staatsorganisation und menschenrechtsgeschütztem Bereich, den Verlauf des „Menschenrechtsäquators" 74 also, und diejenigen Vorschriften, die speziell den grenzüberschreitenden Verkehr zum Gegenstand haben. Infolge des Zurückbleibens des internationalen Menschenrechtsschutzes hinter den verfassungsrechtlichen Freiheitsgarantien sollte man ihren Aussagewert freilich nicht überschätzen. Die völkerrechtlichen Gewährleistungen bieten keinen lückenlosen Schutz; sie sind punktuell und konstituieren keine systematisch umfassende Freiheitssphäre. Einer erweiternden Auslegung oder analogen Anwendung setzt das Souveränitätsprinzip enge Grenzen. Ein Denkmodell wie das von Staat und Gesellschaft, das auf eine auf ganzer Linie durchgängige Grenzmarkierung angelegt ist, paßt darum zu ihnen nicht so gut wie zur deutschen Grundrechtsordnung mit dem Auffanggrundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG. 7 5 Stärker als das Grundgesetz scheuen sich internationale Menschenrechtsverträge davor, gesellschaftliche Organisationen, die „Gegenmacht" zur Staatsgewalt mobilisieren könnten, mit einem Autonomieraum auszustatten. Die „Gesellschaft", verstanden als die zwischen Individuum und Staat belegene Schicht freiheitlicher Öffentlichkeit 76 , wird von ihnen nur ausschnittsweise thematisiert.

73

Siehe Β . II. 2. a). Formulierung nach Isensee (1981), 14 (dort „verfassungsrechtlicher Äquator"). 75 Bleckmann (1985), 15f., weist auf das Fehlen eines generellen Freiheitsrechts in der E M R K ausdrücklich hin. 76 Zu der Trias von Staat, Gesellschaft und Privatheit vgl. Herzog, 40ff.; Krüger (1966), 346ff.; Scheuner, Repräsentation, 339, 345; Schmidt (1976); Scholz, 17, der zugleich aber mit Recht darauf hinweist, daß der Gesellschafts-Begriff vom Individuum her gedacht sei, ebd., 77 mit FN 73. 74

76

Β. Staatstheoretische Erklärungsmodelle

a) In Menschenrechtsabkommen gebräuchliche Klauseln aa) Die Schrankenschranke „in einer demokratischen Gesellschaft" In den Artikeln 8 bis 11, jeweils Absatz 2, der Europäischen Menschenrechtskonvention und in Art. 2 Absätze 3 und 4 des 4. Zusatzprotokolls werden bestimmte Gewährleistungen unter den Vorbehalt von Maßnahmen gestellt, die „in einer demokratischen Gesellschaft" zur Sicherung von näher qualifizierten öffentlichen Interessen notwendig sind. 77 Die Klausel „in einer demokratischen Gesellschaft" begegnet einem ferner im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte 78 , im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte 79 , in der Amerikanischen Menschenrechtskonvention 80 und in der Europäischen Sozialcharta 81. Es handelt sich um eine Standardformulierung des internationalen Menschenrechtsschutzes. 82 Die Klausel „in einer demokratischen Gesellschaft" wurde erstmals in Art. 29 Abs. 2 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10.12.1948 verwandt: „Jeder Mensch ist in Ausübung seiner Rechte und Freiheiten nur den Beschränkungen unterworfen, die das Gesetz ausschließlich zu dem Zwecke vorsieht, um die Anerkennung und Achtung der Rechte und Freiheiten der anderen zu gewährleisten und den gerechten Anforderungen der Moral, der öffentlichen Ordnung und der allgemeinen Wohlfahrt in einer demokratischen Gesellschaft zu genügen." 83

Bei der Beschlußfassung über diesen Absatz hat die Schrankenschranke „in einer demokratischen Gesellschaft" Anlaß zu einer Kontroverse gegeben, die interessante Anregungen im Hinblick auf das zu liefern scheint, was nach deutscher Begriffstradition mit dem Dualismus von Staat und Gesellschaft bezeichnet wird. 8 4 Seitens der UdSSR wurde der Vorschlag gemacht, anstelle der oder hinter die Formulierung „société démocratique" das Merkmal „(et) 77 BGBl. 1952 I I 686 (mit Änderungen) bzw. BGBl. 1968 I I 423. In Art. 6 Abs. 1 E M R K heißt es in singulärer Abweichung „in einem demokratischen Staat". 78 BGBl. 1973 I I 1534: Art. 14 Abs. 1, 21, 22 Abs. 3. In Art. 14 Abs. 4 wird die Formulierung „Wiedereingliederung in die Gesellschaft" gebraucht. 79 BGBl. 1973 I I 1570: Art. 4, 8 Abs. 1 lit. a) und c). In Art. 13 Abs. 1 trifft man auf die Wendung „in einer freien Gesellschaft", in Art. 10 Nr. 1 wird die Familie „als die natürliche Kernzelle der Gesellschaft" bezeichnet. 80 OAS, Official Records, OEA/Ser. K / X V I / I . I , Doc. 65, Rev. 1, Corr. 2: Art. 15, 16 Abs. 2, 22 Abs. 3 und 32 Abs. 2. Aufschlußreich ist ferner Art. 17 Abs. 1: „The family is entitled to protection by society and the State." 81 BGBl. 1964 I I 1262: Art. 31 Abs. 1. Auch dort findet die Familie „als Grundeinheit der Gesellschaft" in Teil I Ziff. 16 besondere Anerkennung. 82 Überblick über solche ready-made der menschenrechtlichen Schrankenlehre bei McDougal, 814 f. und Sieghart, 85 ff. 83 General Assembly, Resolution 217 (III), in: United Nations, General Assembly, Official Records, Third Session, Part I , Resolutions, doc. A/810, p. 71. 84 Nachweise zum folgenden bei Verdoodt, 264 - 269.

II. Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft

77

Etat démocratique" zu setzen. Der sowjetische Delegierte Pavlov begründete den Antrag damit, „. . . qu'il faut faire allusion au respect de la loi". 8 5 Darauf erwiderten die Vertreter westlicher Staaten, es sei notwendig, auch die kommunalen Gebietskörperschaften einzubeziehen; der Ausdruck „Etat démocratique" umfasse sie nicht, weshalb dem Terminus „société démocratique" der Vorzug gebühre. 86 Partsch ist beizupflichten, wenn er die Diskussion über den sowjetischen Antrag - die zu seiner Unterstützung und die gegen ihn vorgetragenen Argumente - als vordergründig demaskiert und als unausgesprochenen Kernpunkt der Meinungsverschiedenheiten den fundamentalen Dissens zwischen einem volksdemokratisch organisierten Partei- und Regierungssystem und einer freiheitlich und rechtsstaatlich verfaßten Gesellschaftsordnung herausstellt. 87 Trotz ihrer begrifflichen Unbestimmtheit hatte die „democratic society"-Klausel für die Mehrheit der an der Schaffung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte beteiligten Staaten einen eindeutig antitotalitären, freiheitlichen Zungenschlag. Erst recht gilt dies für die im Rahmen des Europarates abgeschlossene Europäische Menschenrechtskonvention. 88 Das Individuum - in seiner Privatheit und als Bürger - und die organisierten gesellschaftlichen Kräfte haben in einer demokratischen Gesellschaft ein Recht auf grundsätzlich freie Entfaltung. 89 Obwohl in der Systematik der Menschenrechtspakte nur eine Schrankenschranke, hat die „democratic society "-Klausel doch eine paradigmatische Aussagekraft, die darüber hinausreicht. 90 Als Menschenrechtsvoraussetzung 91 85 Verdoodt, 266. Verdoodt, 267. Eine vergleichbare Kontroverse entbrannte um die Formulierung des heutigen Art. 4 Abs. 1 der UN-Charta; der Antrag, zusätzlich zu dem Attribut „friedliebend" die Wendung „mit einer demokratischen Regierungsform" in die Satzung der Vereinten Nationen aufzunehmen, blieb allerdings ohne Erfolg; Dar sow, 114 f. 87 Partsch, 332 f. Ebenso Garibaldi, 54 ff. (dort auf S. 59 ff. zu einer Wiederholung des Disputs bei den Verhandlungen über die beiden internationalen Menschenrechtspakte); John P. Humphrey, Political and Related Rights, in: Theodor Meron (ed.), Human Rights in International Law: Legal and Policy Issues, Bd. 1,1984,171 ff. (173). Wie Hoffmann-Remy, 57f., dazu kommt, den Streit in der Hauptsache auf das Adjektiv „démocratique" zu beziehen und zwischen „société" und „Etat" nur wenig Unterschied zu sehen, ist nicht recht verständlich. 88 Exemplarisch die Äußerungen des französischen Delegierten P. H. Teitgen, in: Collected Edition of the „Travaux Préparatoires" of the European Convention of Human Rights, Bd. 5, 1979, 290ff. 89 Als Schrankenschranke ist die „democratic society"-Klausel folgenden Menschenrechtsverbürgungen beigefügt: Anspruch auf Privacy (Art. 8 I I E M R K ) , Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit (Art. 9 I I E M R K ) , Recht auf Freizügigkeit, ius emigrandi (Art. 2 I I I / I V des 4. Zusatzprotokolls zur E M R K , Art. 22 I I I A M R K ) , Grundsatz des fair trial (Art. 14 I IPBPR), Meinungsfreiheit (Art. 10 I I E M R K ) , Versammlungsfreiheit (Art. 11 I I E M R K , 15 A M R K , 21 IPBPR), Vereinigungsfreiheit (Art. 11 I I E M R K , 16 I I A M R K , 22 I I IPBPR), Koalitionsfreiheit (Art. 22 I I IPBPR, 81 a) und c) IPWSKR). 90 So auch Garibaldi, 25, 42ff.; Vegleris, 238. 86

78

Β . Staatstheoretische Erklärungsmodelle

ist in ihr ein bestimmtes Staats- und Verfassungsideal sprachlich eingekleidet.^ Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat ihr Bedeutungspotential - mit der Zurückhaltung, die einem internationalen Gericht bei der Kontrolle staatlicher Maßnahmen anhand lapidarer Menschenrechtsartikel auferlegt ist - von Fall zu Fall fortschreitend entfaltet. 93 In den „Vagrancy"Fällen entnimmt der Gerichtshof dem Modell „demokratische Gesellschaft" einen ordre public der Mitgliedstaaten des Europarates, der - darauf kam es in concreto an - die Möglichkeit des Verzichts auf Menschenrechte eingrenze. 94 Im „Handyside"-Urteil erklärt er die Meinungsfreiheit zu einem der tragenden Grundpfeiler einer solchen Gesellschaft. 95 In den Verfahren „James, Young, and Webster v. United Kingdom" wird die bislang umfassendste Umschreibung gegeben. Es heißt dort: "The hallmarks of a 'democratic society' are pluralism, tolerance, and broadmindedness. Although individual interests must on occasion be substituted to those of a group, democracy does not simply mean that the views of a majority must always prevail: a balance must be achieved which ensures the fair and proper treatment of minorities and avoids any abuse of a dominant position." 96 Bei einer Bilanz dieser Judikatur verdienen zwei Punkte eine besondere Betonung. Die „demokratische Gesellschaft" setzt zunächst den Staat als dominante politische Handlungseinheit voraus. 97 Sodann: Die Zuordnung von Staat und Bürgern erfolgt nach den Prinzipien der politischen Mitwirkung und der individuellen Freiheitsausgrenzung 98; dabei ist die Betonung der Staatsfreiheit gesellschaftlicher Organisationen ein Leitmotiv. 91

Formulierung nach Herbert Krüger, FS Scheuner, 285ff. Ebenso oder ähnlich die Ansichten von Garibaldi; Häberle (1983), 365f.; Hailbronner, FS Mosler, 369ff.; Hoffmann-Remy, 60; Kiss, 307; Kitz, 78; Partsch, 322f. Tomuschat (1981) macht auf S. 592 allgemein darauf aufmerksam, daß von den Menschenrechten und ihren durchgängigen Eigenschaften auf das völkerrechtliche Staatsbild zurückgeschlossen werden dürfe. 93 Überblick über die Rechtsprechung bei Ρ. van Dijk / G. J.H. van Hoff, Theory and Practice of the European Convention on Human Rights, 1984, 427ff.; Christoph Engel, Die Schranken der Schranken in der Europäischen Menschenrechtskonvention, ÖZöR 37 (1986), 261 (264ff.); Sieghart, 92ff.; Weidmann, 268f. Die Rechtsprechung über den den Staaten bei der Einschränkung von Menschenrechten zukommenden Beurteilungsspielraum („margin of appreciation") ist u. a. an der „democratic society"Klausel begründet worden; Frowein / Peukert, Vorbemerkung zu Art. 8 - 1 1 , RNr. 14 f. 94 ECHR, Series A , vol. 12, § 65; dazu Kiss, 306. 95 ECHR, Series A , vol. 24, § 49. Ebenso der „Sunday Times"-Fall, ECHR, Series A , vol. 30, § 65 und der „Barthold"-Fall, Series A , vol. 90, § 58. 96 ECHR, Series A , vol. 44, § 63; ferner der „Dudgeon"-Fall, ECHR, Series A , vol. 45, § 53. 97 Zur Unausweichlichkeit des Gegenübers von Staat und Individuum, öffentlicher Gewalt und privater Lebenssphäre vgl. aus der Menschenrechtsliteratur McDougal, 799ff., insbesondere S. 801 mit FN 5 und 6 sowie S. 828f.; Tomuschat (1981), 592. 92

II. Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft

79

Bei einem Vergleich dieses Ergebnisses mit den Aussagen, die in der neueren staatsrechtlichen Literatur zu der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft und zu deren sachlichem Zusammenhang mit den Grundrechten zu finden sind, werden Ähnlichkeiten sichtbar. Ebenso wie jene Unterscheidung stellt die Formel „in einer demokratischen Gesellschaft" rechtlich gewährte Freiheit und demokratisch legitimierte Staatlichkeit in ihrer Totalität einander gegenüber und gibt die Strukturprinzipien der wechselseitigen Zuordnung an. Sie ist dabei keineswegs - wohin man den Wortlaut vielleicht mißdeuten könnte - auf die politischen Freiheitsrechte fixiert." Die thematische Bandbreite der Menschenrechtsverbürgungen, in die sie als Schrankenschranke eingefügt ist, reicht darüber hinaus und umfaßt auch so unterschiedliche Rechte wie den Anspruch auf Privacy oder die Koalitionsfreiheit. 100 Die „democratic society"-Klausel ist aus ähnlichen Gründen mit der „freiheitlich demokratischen Grundordnung" des Grundgesetzes in Verbindung gebracht worden. 101 Ein solcher Vergleich legt jedoch zuviel in sie hinein. Als Tatbestandselement von Menschenrechtstexten ist sie auf das Spannungsverhältnis zwischen menschlicher Freiheit und staatlicher Gewalt ausgerichtet. Ihr ganz allgemein Grundsätze und Institutionen der Staatsorganisation und der Gesellschaftsverfassung entlocken zu wollen, ginge wohl zu weit. Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft ist im Vergleich dazu thematisch noch enger geschnitten; insbesondere liegt der Konzeption einer demokratischen Gesellschaft ein umfassenderer, auf das Gemeinwesen insgesamt zielender Begriff von Gesellschaft zugrunde. 102 Der Bereich Wirtschaft verbleibt ein wenig außerhalb des thematischen Rahmens der „demokratischen Gesellschaft" im Sinne der Menschenrechtsabkommen. Das muß indessen nicht auf eine Unstimmigkeit des hier vorgeschlagenen Vergleichs schließen lassen. Die Ursache liegt vielmehr darin, daß die Staaten gerade in Wirtschaftsfragen eine große Zurückhaltung bei der Übernahme menschenrechtlicher Verpflichtungen an den Tag legen. 103 Kein Staat will sich in Angelegenheiten, die an den Lebensnerv seiner eigenen Existenz rühren - und nichts anderes ist in einer modernen Industriegesellschaft die Wirtschaft - , Beschränkungen auferlegen. Es gilt insoweit also nichts grundsätzlich anderes, nur scheuen die Staaten aus Gründen politischer Opportunität ausdrückliche Bindungen. 104 98

Kiss , 307; Vegleris, 237. Diese womöglich auch noch im Sinne einer demokratisch-funktionalen Grundrechtstheorie verstanden. Dazu Hailbronner, FS Mosler, 360f., 369ff. anknüpfend an Böckenförde, NJW 1974, 1534f. 100 Siehe oben FN 89. 101 Kitz, 78 FN 31. 102 Vgl. das Zitat oben bei FN 96. 103 Symptomatisch sind die Art. 222 E W G V , 91 E A G V und 83 EGKSV. Zusammenstellung von Menschenrechtsbestimmungen mit primär ökonomischer Schutzrichtung bei de Meyer, Human Rights in a Commercial Context, HRLJ 1984, 139. 99

80

Β . Staatstheoretische Erklärungsmodelle

Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft und die Klausel „in einer demokratischen Gesellschaft" weisen somit inhaltliche und funktionale Gemeinsamkeiten auf. Diese Feststellung ist ein erster Anhaltspunkt für die Richtigkeit der These, wonach die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft in den anderen westlichen Verfassungsstaaten und auf der internationalen Ebene der Menschenrechte der Sache nach bekannt ist. Ohne damit einem unkritischen, da die Verschiedenheiten der ideengeschichtlichen Herkunft und des politischen Erfahrungsgehaltes ignorierenden Transfer das Wort zu reden, kann man den Dualismus von Staat und Gesellschaft zu dem Fundus von verfassungsrechtlichen Ordnungsprinzipien der „demokratischen Gesellschaften" des Westens rechnen. bb) Die Menschenrechtsschranke „öffentliche Ordnung" Kein anderes der wiederkehrenden Tatbestandsmerkmale der internationalen Menschenrechtspakte hat einen vergleichbaren Gehalt. Versuche zu einer den Textzusammenhang transzendierenden Auslegung anderer Schrankenklauseln verliefen weit weniger erfolgreich. Stellvertretend für andere solcher Ansätze soll dies an der Arbeit von Walter demonstriert werden. Dieser Autor geht davon aus, die wechselseitige Determination der in der E M R K vorgesehenen Rechtsausübungsschranken und Gemeinschaftsvorbehalte und der durch sie beschränkten Rechte und Freiheiten lasse sich aus einem System dispositiver Rechtsverhältnisse nicht befriedigend erklären. Rechtsausübungsschranken und Gemeinschaftsvorbehalte indizierten vielmehr die Errichtung eines ordre public. 1 0 5 Als positivrechtliche Heimstatt weist Walter diesem ordre public die Klausel „im öffentlichen Interesse" zu, die in einigen der Schrankenvorbehalte der E M R K vorkommt. Die „democratic society"-Klausel und der Vorbehalt der „öffentlichen Ordnung" erfüllen im Gefüge der Konvention unterschiedliche Aufgaben: Dieser ist Rechtsschranke, jene Schrankenschranke. Gegen einen unbestimmten Rechtsbegriff wie „öffentliche Ordnung" als Rechtsschranke keimt sofort der Verdacht auf, er erteile Blankovollmacht für eine unabsehbare Vielzahl staatlicher Einschränkungsmaßnahmen. 106 Schrankenvorbehalte sind bei dieser 104 Α . A . wohl Ehmke (1961); er stellt auf S. 669 die These auf, daß das amerikanische Verfassungsdenken mit Grundrechtsverbürgungen gegenüber der Wirtschaft äußerst vorsichtig umgehe, während die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft die Akzente genau umgekehrt setze und die Gesellschaft als bürgerliche Erwerbsgesellschaft konzipiere. Zum Grundrechtsschutz juristischer Personen in den USA vgl. aber die zu einem günstigeren Ergebnis gelangende Einführung von Nancy C. Johnson, Vereinigte Staaten von Amerika, in: Eberhard Grabitz (Hrsg.), Grundrechte in Europa und USA, 1986, 885ff. (925f.). 105 Hannfried Walter, Die Europäische Menschenrechtskonvention, 1970, 99 - 136. 106 Vgl d i e plastische und auf die „democratic society "-Klausel zulaufende Schilderung des Problems bei Hailbronner, FS Mosler, 359 ff.

II. Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft

81

Sicht keine Chiffren für ein staatenübergreifendes Ordnungsmodell, sondern Freibriefe für legitime Besonderheit. Um das plausibel zu machen, muß man noch nicht einmal an das Mißtrauen gegenüber der staatlichen Allmacht appellieren. Es ergibt sich schon aus der begrifflichen Struktur der meisten Schrankenklauseln. Gerade die Formel „öffentliche Ordnung" ist im Grunde ein Verweisungsbegriff ohne eigene Substanz, der den Zweck hat, außerhalb seiner selbst gelegenen und zum Teil sehr unbestimmten Inhalten Einlaß in einen Gesetzestext zu verschaffen und insoweit eine Interpretationskompetenz zu statuieren. 107 Das von den internationalen Menschenrechtspakten vorausgesetzte Staatsbild kann nur aus dem Zusammenspiel von Gewährleistungstatbestand und Schranke ermittelt werden. Die „democratic society"-Klausel hat einen so hohen und in dieser Form einzigartigen Erkenntniswert, weil sie als Schrankenschranke genau in der dialektischen Mittellage zwischen beiden angesiedelt ist. 1 0 8 b) Menschenrechtsschutz juristischer

Personen

Juristische Personen, verstanden als auf einige Dauer eingerichtete und mit einem Mindestmaß an Organisation versehene Gesamtheiten von Personen oder Vermögensmassen, werden von den internationalen Menschenrechtspakten weniger geschützt als etwa in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes mit ihrem Art. 19 Abs. 3. 1 0 9 Die wesentlichen Gründe dafür wurden schon genannt. Relativierend sollte man jedoch hinzufügen, daß weniges erst in der Praxis erprobt ist, vieles somit noch im Dunklen liegt und der Ausgestaltung harrt. 1 1 0 Die Europäische Menschenrechtskonvention enthält eine ausdrückliche Bestimmung, Art. 1 Abs. 1 Satz 1 des I. Zusatzprotokolls: „Jede natürliche oder juristische Person hat ein Recht auf Achtung ihres Eigentums." 111 In den 107

Diese Verweisungstechnik ist an der ordre public-Klausel des IPR deutlich erkennbar; vgl. Art. 6 EGBGB i. d. F. vom 25.07.1986. Zum polizeirechtlichen Begriff der „öffentlichen Ordnung" siehe Drews / Wache / Vogel / Martens, Gefahrenabwehr, 9. Aufl., 1986,245. 108 Staatsrechtliche Parallele ist die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG. Auch sie ist immer wieder Quelle für Gedankenentwürfe und Theoriegebäude, die weit über den Grundrechtsteil der Verfassung hinausragen. 109 Zur Bedeutung, die dieser Vorschrift im Hinblick auf die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft zukommt, siehe Isensee (1981), 15. 110 Vgl. die vorsichtigen Einteilungsversuche bei Theodoor C. van Boven, Distinguishing Criteria of Human Rights, in: Karel Vasak (Hrsg.), The International Dimensions of Human Rights, Bd. 1, 1982, 43ff. (53ff.); zu pauschal Julio A. Barberis, Nouvelles Questions Concernant la Personnalité Juridique Internationale, RdC 179 (1983-1), 145ff. (182ff.). m Wegen der Verweisung auf „die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts" in Art. 1 Abs. 1 Satz 2 ist im Streit, ob und in welchem Umfang neben ausländischen juri6 Heintzen

82

Β . Staatstheoretische Erklärungsmodelle

Pakten über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte wird den Arbeitnehmern Koalitionsfreiheit gewährt, und zwar nicht nur im Sinne eines Individualrechts, sondern auch in der Form einer Bestands- und Betätigungsgarantie für die Gewerkschaften. 112 Art. 13 Abs. 4 des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte erwähnt darüber hinaus die Freiheit natürlicher und juristischer Personen, Bildungseinrichtungen zu schaffen und zu leiten. 113 Die Durchsicht des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte sowie der Amerikanischen Menschenrechtskonvention führt demgegenüber zu einem negativen Resultat. Gemäß Art. 2 Abs. 1 unterfallen dem persönlichen Anwendungsbereich des IPBPR nur „Personen", wobei die sich anschließenden Differenzierungsverbote klarstellen, daß nur Einzelpersonen gemeint sind. 114 Die Amerikanische Menschenrechtskonvention gibt auf dieselbe Frage eine eindeutige Antwort in Gestalt einer Definition: „For the purpose of this Convention, ,person 4 means every human being." 1 1 5 Hinweise auf den Kreis der Menschenrechtssubjekte kann man neben den Bestimmungen über den personellen Anwendungsbereich der Menschenrechtsabkommen ferner den Regelungen über die Antragsberechtigung entnehmen, die ihren festen Platz im Zulässigkeitskatalog menschenrechtlicher Individualbeschwerden (soweit vorgesehen) haben. Aus der Anerkennung des Rechts einer juristischen Person, Menschenrechtsverletzungen in einem Verfahren zu rügen, läßt sich auf die Fähigkeit juristischer Personen schließen, selbst Träger von Menschenrechten zu sein. Der Schluß ist zumindest dann zwingend, wenn Prozeßstandschaft oder actio popularis ausgeschlossen sind. stischen Personen, die durch diese Grundsätze unmittelbar geschützt werden, auch inländische juristische Personen von der Bestimmung profitieren. Grundlegend ist die Entscheidung der Europäischen Menschenrechtskommission im Gudmundsson-Fall vom 20.12.1960, Annuaire de la Convention Européenne des Droits de l'Homme, 3 (1960), 395 (423, 425); ferner Frowein / Peukert, Art. 1 des I. ZP, RNr. 48. 112 Art. 5 und 6 der Europäischen Sozialcharta; Art. 8 Abs. 1 des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. 113 Dazu Elena Bannwart-Maurer, Das Recht auf Bildung und das Elternrecht, Diss., 1975, 52. 114 Nowak, 538, hält es angesichts der Art. 1 und 22 Abs. 1 für nicht ganz unmöglich, daß auch juristischen Personen Schutz zuteil werden könnte. Ebenso Buergenthal, 72 mit FN 91, 73. 115 Dazu Thomas Buergenthal, American Convention on Human Rights, EPIL 8 (1985), 23 ff. (25); Camargo, 337; Hector Gros-Espiel, Le Système Interaméricain comme Régime Régional de Protection Internationale des Droits de l'Homme, RdC 145 (1975-11), 3ff. (39). Vgl. insbesondere Thomas Buer genthal, Menschenrechtsschutz im inter-amerikanischen System, EuGRZ 11 (1984), 169ff. (170): „ . . . was daraufhindeutet, daß Körperschaften und andere juristische Personen nicht als solche geschützt sind. Soweit aber durch eine Beeinträchtigung einer Körperschaft oder Vereinigung die Rechte einer Einzelperson aus der Konvention verletzt werden, kann davon ausgegangen werden, daß ein Beschwerderecht nach der Konvention gegeben ist." Damit ist letztlich alles wieder in der Schwebe.

II. Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft

83

Diese Bedingung wird von Art. 25 E M R K erfüllt. Ihmnach kann jede natürliche Person, nichtstaatliche Organisation oder Personenvereinigung, die sich durch eine Verletzung der in der Konvention anerkannten Rechte beschwert fühlt, über den Generalsekretär des Europarates ein Gesuch an die Europäische Menschenrechtskommission richten. Art. 25 E M R K entnehmen Rechtsprechung und Lehre einmütig, daß juristische Personen Inhaber der in der Europäischen Menschenrechtskonvention verbürgten Rechte sein können. 1 1 6 Es ist allerdings in jedem Einzelfall noch zu prüfen, ob das angerufene Recht auf juristische Personen nach Sinn und Zweck des Regelungsgehaltes angewandt werden kann. Die dazu anzustellenden Überlegungen sind mit der Wesenskontrolle in Art. 19 Abs. 3 GG vergleichbar. 117 Das Fakultativprotokoll zu dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte 118 bekräftigt das Ergebnis, zu dem die Auswertung des operativen Teils des Paktes gelangt ist. Nur „Einzelpersonen" sind befähigt, dem Ausschuß für Menschenrechte der Vereinten Nationen eine schriftliche Mitteilung über behauptete Verletzungen der im Pakt niedergelegten Rechte zur Prüfung einzureichen. Die Amerikanische Menschenrechtskonvention ist zwischen den beiden vorgenannten Übereinkommen anzusiedeln. Einerseits sieht sie - in Übereinstimmung mit der E M R K - in Art. 44 vor, daß jede Person oder Personengruppe oder jede nichtstaatliche Organisation, die in einem oder mehreren Mitgliedstaaten der Organisation der Amerikanischen Staaten rechtlich anerkannt ist, ein Verfahren vor der Amerikanischen Menschenrechtskommission in Gang bringen kann. Andererseits steht dem Schluß von der Antragsberechtigung auf die Rechtsinhaberschaft der schon zitierte Art. 1 Abs. 2 der Konvention entgegen. Es gibt zwei Möglichkeiten, den Konflikt zwischen dieser Vorschrift und Art. 44 aufzulösen. Entweder man beschränkt die in Art. 44 aufgezählten Organisationen darauf, Rechte Dritter geltend zu machen, oder man legt Art. 1 Abs. 2 restriktiv aus. 119 Welcher der beiden Lösungsalternativen der Vorzug gebührt, ist noch nicht ausdiskutiert und bleibt der nachfolgenden Praxis zur Klärung anheimgestellt. Neben den Menschenrechten gilt das aus dem 19. Jahrhundert übernommene Fremdenrecht weiter. 1 2 0 Die Ansicht des ersten Berichterstatters der 116

Frowein / Peukert, Art. 25, RNr. 14; Jacobs, 228; Schmidt (1966), 177. Zu den einzelnen Tatbestandselementen des Art. 25: Delvaux, 43 f. 117 Vgl. die Entscheidung der Europäischen Menschenrechtskommission vom 17.12.1968 in Sachen Church of X. against the United Kingdom, Yearbook of the European Commission of Human Rights, 12 (1969), 306 (314); ferner Bethge (1985), 59. 118 Deutsche Übersetzung in: Vereinte Nationen 1974, 20. 119 Wobei den juristischen Personen z.B. solche Rechte zugestanden werden könnten, in deren Formulierung das Wort „person" nicht vorkommt; dies träfe auf die Eigentumsgarantie des Art. 21 oder auf den Anspruch auf rechtliches Gehör in Art. 25 Abs. 1 zu. Zum Ganzen Camargo, 337 mit FN 12. 6'

84

Β . Staatstheoretische Erklärungsmodelle

International Law Commission zur Staatenhaftung, F. V. Garcia-Amador, die Lehre vom fremdenrechtlichen Mindeststandard sei durch die Entwicklung des allgemeinen Menschenrechtsschutzes überholt 121 , vermochte sich nicht durchzusetzen. Die immer wieder gegen sie vorgetragenen berechtigten Einwände lauten, der Ausbau der Menschenrechte vollziehe sich zu langsam, zwischen Recht und Realität klafften unübersehbare Widersprüche, das Fremdenrecht lasse sich besser durchsetzen und es fehle an einem wirksamen menschenrechtlichen Eigentumsschutz. 122 Die Zahl der Gegenargumente wird noch um eines vermehrt, wenn man das Verhältnis von Menschenrechten und Fremdenrecht im Lichte der Frage nach dem völkerrechtlichen Schutz juristischer Personen begutachtet. Die Einbeziehung juristischer Personen in den persönlichen Geltungsbereich wichtiger Menschenrechtspakte gehorcht keinem einheitlichen Konzept, fällt ohne erkennbares Motiv von Konvention zu Konvention unterschiedlich aus und ist in manchem Punkt nicht frei von Unklarheiten. Ein wie anderes Bild bietet hier das Fremdenrecht. Die völkerrechtliche Zuständigkeit eines Staates zur Gewährung diplomatischen Schutzes erfaßt die Gesamtheit der seiner Personalhoheit Unterstehenden. Die Abgrenzung des Kreises der Schutzberechtigten richtet sich nach außen hin nach dem Kriterium der Staatsangehörigkeit oder, bei juristischen Personen, der Staatszugehörigkeit 123, im Innen Verhältnis folgt sie der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft. 124 Grundrechtsschutz gegenüber Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaften kommt den Marktbürgern zu. 1 2 5 Marktbürger sind all diejenigen, die in ihrer Rolle als Teilnehmer oder Benutzer des Gemeinsamen Marktes Adressaten von Rechtsakten der Gemeinschaft sind oder sein können. Konkret handelt es sich um die vom Wirtschaftsrecht der EG erfaßten Unternehmen und 120 Zur Geschichte des Fremdenrechts vgl. die Nachweise bei Heintzen, 19. Es fällt auf, daß der Entstehungszeitraum des Fremdenrechts mit der Hochzeit der Trennung von Staat und Gesellschaft zusammenfällt. Das berechtigt zu der Vermutung, der Trennungsgrundsatz habe Einfluß auf die Bestimmung des durch das Fremdenrecht geschützten Personenkreises genommen; ebenso Grewe (1984), 695ff. 121 Yearbook of the International Law Commission 1956, Bd. 2, 201 ff.; ders., State Responsibility in the Light of the New Trends in International Law, A J I L 49 (1955), 339ff. (343f.). - Über gewisse Ansätze zu einer Wiederbelebung dieses Gedankens berichten Verdross / Simma, 803 ff. 122 Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, 345. 123 Geiger, 269; Wehser, in: Menzel / Ipsen, 171; Wilhelm Wengler, in: Reichsgerichtsrätekommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. V I , 1. Teilband, 12. Aufl., 1981, 258 ff. 124 Zur Bestimmung des Personenkreises: PCIJ, Series A , vol. 2, p. 12 (Mavrommatis-Fall); International Court of Justice, ICJ Reports 1970, p. 33 (Barcelona TractionFall); Rudolf ( 1976), 67. 125 Zu dem Streit über die Rechtsgrundlagen und die Entwicklungsmöglichkeiten des Grundrechtsschutzes in der E G vgl. Feger, 299 - 301; ders., DöV 1987, 322. - Zur Grundrechtsberechtigung insoweit Groeben / Boeckh / Thiesing / Ehlermann, Bd. 2, 1478.

II. Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft

85

Einzelpersonen. 126 Der Schutz insbesondere der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit und des Eigentums juristischer Personen ist im Gemeinschaftsrecht eine Selbstverständlichkeit, die man selten ausdrücklich herausgestellt findet und deren Anerkennung nicht die langen Debatten vorausgingen, die im historischen Vorfeld des Art. 19 Abs. 3 GG ausgefochten worden sind. 127 Es wäre indessen verfehlt, schon von einem Gemeinschafts- oder Marktbürgerstatus zu sprechen. Die Rechtsbeziehungen zwischen Marktbürger und Gemeinschaft sind punktuell und funktional auf die ökonomischen Aufgaben und Ziele der Gemeinschaft beschränkt und ergeben keinen umfassenden Status. 1 2 8 Aus denselben Gründen paßt auch der Terminus „Wirtschaftsverfassung" nicht so recht. 129 Kehren wir nach der kurzen Abschweifung vom eigentlichen Beweisthema, den Menschenrechten, zu der Beweisfrage zurück, ob die Projektion des Dualismus von Staat und Gesellschaft in den Völkerrechtsraum nicht daran scheitere, daß die intermediäre Zone zwischen Individuum und Staat vom internationalen Menschenrechtsschutz ausgespart bleibe. Die Zusammenstellung der für den europäisch-atlantischen Raum einschlägigen Texte hat diese Vermutung nicht erhärtet. Von den universellen Pakten abgesehen sind zahlreiche Ansatzpunkte sichtbar geworden, die es im Gegenteil als sinnvoll erscheinen lassen, die Reichweite des Menschenrechtsschutzes mittels der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft genauer auszuloten. Es ist bei all dem auch zu bedenken, daß Menschenrechte nicht den lückenlosen Schutz individueller und gesellschaftlicher Freiheit beabsichtigen, sondern ihre Gewährleistungen punktuell wirken. Dort jedoch, wo es dem Völkerrecht auf die vollständige Erfassung der ganzen Skala von der Einzelperson über gesellschaftliche Gruppen bis hin zur Staatsorganisation ankommt, stößt man durchweg auf den Dualismus zweier Rechtsregime, eines für die Staatsperson und eines für Privatpersonen. Das Rechtsinstitut des diplomatischen Schutzes war da nur ein Beispiel, das wegen seiner Verwandtschaft zu den Menschenrechten ausgewählt wurde. Dieselbe Struktur weisen die völkerrechtlichen Regeln über die Haftung des Staates für eigenes bzw. für privates Fehl verhalten oder das Neutralitätsrecht 130 auf. 126

Der Begriff geht auf Hans-Peter Ipsen zurück; vgl. ders. (1972), 187, 250ff. Vgl. nur Bethge (1985), 58f. Zu den „Grundfreiheiten des Marktbürgers" und deren Geltung für juristische Personen Degenhart, 168; Groeben / Boeckh / Thiesing / Ehlermann, Bd. 1, Art. 7, RNr. 11, Art. 58, RNr. 11. Ausdrückliche Regelung in Art. 58 EWGV. i 2 « So auch Ipsen (1972), 187, 251; a. Α . : Grabitz, 65ff. 129 Α . Α . : Albert Bleckmann, Die Freiheiten des Gemeinsamen Marktes als Grundrechte, GS Sasse, Bd. 2, 1981, 665ff. (683f.); Manfred Zuleeg, Demokratie und Wirtschaftsverfassung in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, EuR 1982, 21 ff. Inkonsequent Ipsen, 565 - 567, der einerseits einen Marktbürgerstatus ablehnt, dann aber doch von einer „Wirtschaftsverfassung" spricht, darunter aber nicht mehr als eine Sammelbezeichnung für verschiedene Prinzipien des Gemeinschaftsrechts versteht. 127

86

Β . Staatstheoretische Erklärungsmodelle

c) Der menschenrechtliche Status öffentlich-rechtlicher Organisationen Art. 25 der E M R K und Art. 44 der A M R K verleihen neben Einzelpersonen und Personengruppen die Beschwerdebefugnis an nichtstaatliche Organisationen und Personenvereinigungen. Im Wege des argumentum e contrario folgert man daraus, daß der Staat als solcher mit seinen Untergliederungen weder Inhaber der in den beiden Konventionen gewährten Rechte noch beschwerdebefugt ist. Die Europäische Kommission für Menschenrechte hat in einer Entscheidung vom 31.05.1974 die Beschwerdebefugnis von Gemeinden mit folgender Begründung verneint: "It finds that local government organisations such as communes, which exercise public functions on behalf of the State, are clearly 'governmental organisations' as opposed to 'non-governmental organisations' mentioned in Art. 25." 1 3 1 Die Aussage ist verallgemeinerungsfähig. Die Menschenrechtstexte gehen von der durchgängigen Trennung in einen staatlichen und einen nichtstaatlichen Bereich aus. Die Staatsgewalt und ihre verselbständigten Ausgliederungen sind selbst menschenrechtsunfähige Verpflichtungsadressaten der Menschenrechte 132 ; umgekehrt sind gesellschaftliche Gruppierungen nach Maßgabe der jeweiligen Konvention menschenrechtsfähig, nicht aber Verpflichtungsadressaten der Menschenrechte. Dem menschenrechtlichen Trennungsprinzip korreliert nach deutschem Verständnis ein Teilaspekt der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft. Es ist ferner die Grundlage für eine den grundrechtspraktischen Auswirkungen der Trennung von Staat und Gesellschaft im Ergebnis vergleichbare Verfeinerung der Menschenrechtsdogmatik, z.B. für die Differenzierung in Eingriffsverbot und Schutzpflicht 133 oder für eine Annäherung an das schwierige Problem der „Drittwirkung". 1 3 4

130

Z u den Erosionsprozessen im Neutralitätsrecht, die mit der Verschränkung von Staat und Gesellschaft im 20. Jahrhundert zusammenhängen: Dietrich Schindler, Aspects contemporains de la neutralité, RdC 1967 - I I , 221 ff. (222). Herbe Kritik an den Anfängen dieser Entwicklung im anglo-amerikanischen Kriegsrecht bei Berber, Bd. 2, 210ff., 223ff. 131 Austrian Communes and some of their Councillors against Austria, European Commission on Human Rights, Collection of Decisions, vol. 46, p. 118 (125). Vgl. auch Delvaux, 44; Jacobs, 228; Schmidt (1966), 178 FN 73; ferner Frowein / Peukert, Art. 25, RNr. 14 mit aufschlußreichen, wohl am deutschen Verfassungsrecht orientierten Überlegungen zum Menschenrechtsstatus öffentlich-rechtlich verfaßter Kirchen. 132 Vgl. Art. 2 Abs. 1IPBPR, 1 E M R K , 1 Abs. 1 A M R K . 133 Dazu Dietrich Murswiek, Die Pflicht des Staates zum Schutz vor Eingriffen Dritter nach der Europäischen Menschenrechtskonvention, in: H.-J. Konrad (Hrsg.), Grundrechtsschutz und Verwaltungsverfahren u. a., 1985, 213ff. 134 Der deutsche Begriff hat internationale Karriere gemacht; vgl. Sieghart, 43f.; Weidmann, 123 ff., 165 ff.

II. Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft

87

d) Die menschenrechtliche Verbürgung grenzüberschreitender gesellschaftlicher Kontakte Die Verpflichtungen aus Menschenrechtspakten sind grundsätzlich introvertiert. Sie binden die ratifizierenden Staaten in Bezug auf die ihrer Hoheitsgewalt territorial oder personal Unterworfenen. 135 Das Recht, die Grenzen zwischen den Staaten in beiden Richtungen zu überschreiten, liegt - bildhaft gesprochen - am Rande ihres Schutzbereiches. Gleichwohl gibt es zahlreiche Gewährleistungen, die explizit grenzüberschreitende Vorgänge und Beziehungen schützen. 136 Im einzelnen betreffen sie: - das ius emigrandi 137 , - die Einreisefreiheit von Staatsangehörigen 138, - den Schutz der Staatsangehörigen vor Ausweisung 139 , - den verfahrensrechtlichen Schutz von Ausländern bei Ausweisungen 140 , - die grenzübergreifende Meinungsfreiheit 141 und - die internationale Betätigungsfreiheit der Gewerkschaften 142 . Die internationalen Menschenrechtskonventionen und die Vielfalt dessen, was in bilateralen Freundschafts-, Handels-, Konsular-, Niederlassungs- oder Schiffahrtsverträgen 143, in den Statuten Internationaler Organisationen wie I M F oder G A T T oder in den Gründungsverträgen zu den Europäischen Gemeinschaften an Aussagen zu grenzüberschreitenden gesellschaftlichen Beziehungen enthalten ist, ergeben zusammengenommen einen ansehnlichen Gesamteindruck.

135

Bruno Simma, Das Reziprozitätselement im Zustandekommen völkerrechtlicher Verträge, 1972, pass., spricht von einer nach innen gerichteten Erfüllungsstruktur. 136 Überblicke bei Goodwin-Gil und bei Elihu Lauterpacht / John G. Collier, Individual Rights and the State in Foreign Affairs, 1977. 137 Art. 12 Abs. 2 IPBPR, 2 Abs. 2 des 4. Zusatzprotokolls zur E M R K , 22 Abs. 2 AMRK. 138 Art. 12 Abs. 4 IPBPR, 3 Abs. 2 des 4. Zusatzprotokolls zur E M R K , 22 Abs. 5 AMRK. 139 Art. 3 Abs. 1 des 4. Zusatzprotokolls zur E M R K , Art. 22 Abs. 5 A M R K . 140 Art. 13 IPBPR, 4 des 4. Zusatzprotokolls und 1 des 7. Zusatzprotokolls zur E M R K , Art. 22 Abs. 6 und 9 A M R K . 1 41 Art. 19 Abs. 2 IPBPR, 10 Abs. 1 Satz 2 E M R K , 13 Abs. 1 Satz 2 A M R K . 142 Art. 8 Abs. 1 lit. b) IPWSKR, Teil 1 Ziff. 5, Art. 5 Satz 1 ESC; Art. 5 des ILOÜbereinkommens Nr. 87 (BGBl. 1956 I I 2072). 143 Überblick bei Steinbrück, 32 FN 1. Hinweis auf neuere Entwicklungen bei bilateralen individualschützenden Verträgen bei Wilhelm Geck, Diplomatie Protection and the Extension of Individual Rights through Treaties, in: Law and State, A Biannual Collection of Recent German Contributions, Bd. 31 (1985), 42ff. (42).

88

Β . Staatstheoretische Erklärungsmodelle

e) Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft in der westlichen Verfassungstheorie Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft hat eine genuin deutsche Tradition. Ihre bis heute nachwirkende Prägung erfuhr sie in der Ära des staatsrechtlichen Positivismus. 144 Das heißt jedoch entgegen verbreiteter Ansicht nicht, daß sie außerstande sei, sich Änderungen der materiellen Verfassungslage anzupassen. Manche Kritiker machen es sich zu einfach, indem sie die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft zunächst auf die politischen und sozialen Gegebenheiten gegen Ende des 19. Jahrhunderts festlegen und sie sodann mit dem Vorwurf obrigkeitsstaatlicher, antidemokratischer und unsozialer Denkart geißeln. Diese Folgerung wäre natürlich zwingend, wenn nur die Prämisse zuträfe; doch das ist nicht der Fall. In der Ausformung, die die neuere Lehre dem Dualismus gibt 1 4 5 , hat er seinen systematisch richtigen Standort in der Grundrechtsdogmatik und erscheint dort als eine Grundvoraussetzung für individuelle Freiheit und gesellschaftlichen Pluralismus. 146 Die deutsche Tradition steht auch einer Übertragung der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft auf ausländische und internationale Menschenrechtssysteme nicht entgegen. Von ihrer angeblichen Unübersetzbarkeit sollte man sich nicht beeindrucken lassen. 147 Von den Worten darf man nicht unbesehen auf die darin ausgedrückten - wandelbaren - Inhalte schließen. 148 In seiner vor kurzem erschienenen Dissertation hat Koslowski ausführlich dargelegt, daß die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft ein fundamentales und letztlich unausweichliches Konstruktionsprinzip jeder Verfassungsordnung europäischer Tradition ist. 1 4 9 In der Tat: Das Begriffspaar Staat und Gesellschaft ist deutscher Herkunft; das Gegenüber von „government" und „civil society" entspricht amerikanischer Tradition 1 5 0 ; ein Denken, das auch ohne solche Leitmotive um Distinktionen wie die zwischen Staatsapparat und 1 44 Siehe Β . II. 1. d). 145 Ebd. 146 Herzog, 146; Isensee (1968), 149ff.; ders. (1981); H. H. Klein (1972), 47ff. 147 Dazu Fleiner-Gerster, § 37, RNr. 9 (mit einem interessanten Zitat von Heinrich von Gneist); Herzog, 39; Isensee (1968), 149; Kaiser (1962), Sp. 597; Schmidt, AöR 1976, 45. 148 Vgl. a u c h Ridder, 144. Etwas einfach macht es sich Herzog, M D , Art. 20 V I I , RNr. 82, der nach formellen und materiellen Vorstellungen von der Ausgestaltung moderner Staatlichkeit differenziert und begriffliche Fragen, konkret das Übersetzungsproblem bei dem Begriff „Rechtsstaat", in die formelle Ecke schiebt. 149 Koslowski, Zusammenfassung auf S. 293ff. Bezeichnenderweise dreht K. im Titel die übliche Wortfolge um: „Gesellschaft und Staat". Er will damit wohl zum Ausdruck bringen, daß der alte Vorwurf, für die Anhänger der Unterscheidung habe der Staat Selbstwert und mehr Wert als die Gesellschaft und das Individuum, neben der Sache liegt. Zu dem Vorwurf: Kriele, 309; Scheuner (1965), 660. 150 Ehmke, 3ff., 667ff.; Scheuner (1965), 660.

II. Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft

89

I n d i v i d u u m , öffentlichem u n d privatem Recht, Grundrechtsträger u n d Grundrechtsverpflichtetem, Gemeinwohlbindung u n d legitimem Eigennutz, Souveränität u n d Subsidiarität kreist, ist Gemeingut des „ C l u b s " der westlichen Verfassungsstaaten. D e r e n aufs Ganze gesehen i n den Grundentscheidungen vorhandene verfassungsrechtliche Homogenität gibt die Gewähr dafür, daß auch i n einem so wesentlichen Teilaspekt Übereinstimmung zu erzielen i s t . 1 5 1 Insgesamt ist die Konvergenz i n diesem prinzipiellen, ein Spekt r u m konkretisierender Ausgestaltungsoptionen sehr w o h l i n sich bergenden Punkt so weit fortgeschritten, daß die Unterscheidung von Staat u n d Gesellschaft als Gemeingut westlicher Verfassungsstaaten identifiziert werden kann.152 D i e Probleme, zu deren Bewältigung i m deutschen Recht auf die U n t e r scheidung von Staat u n d Gesellschaft rekurriert w i r d 1 5 3 , stellen sich i n den anderen westlichen Verfassungsstaaten ähnlich. D i e Behauptung, für das amerikanische Verfassungsdenken sei die Staatlichkeit nur ein Subsystem neben anderen i m Gesamtsystem der „ p o l i t i c a l society" u n d bedürfe deshalb keiner besonderen H e r a u s h e b u n g 1 5 4 , w i r d durch ihre häufige Wiederholung nicht zutreffender. Für die Richtigkeit der Gegenthese, die i n ihrer Grundsätzlichkeit hier nicht näher entfaltet werden k a n n 1 5 5 , liefert die rechtliche 151

Bezeichnend ist die Argumentation Ehmkes - (1961), 667 ff. Er lehnt die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft zwar ab, anerkennt aber, daß die mit dieser Begrifflichkeit beschriebene Verfassungsstruktur in der Bundesrepublik und in den Vereinigten Staaten vergleichbar ist, und schlägt deshalb die Übernahme des Dualismus von „government" und „civil society" vor. Dazu Kaiser (1962), 594f. 152 Ebenso: Karl Doehring, Verfassungsrecht und Völkerrecht als Friedensordnungen, FS v. d. Heydte, Bd. 1,1977,133ff. (139f., 142); Fleiner-Gerster, § 37, RNr. 37f.; Friedrich A. von Hayek, Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Bd. 3,1981,190ff.; Kaiser (1962), Sp. 594f.; Ulrich Karpen, Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung der rechtsstaatlichen Freiheit, JA 1986, 299ff. (302ff.); Gerhard Leibholz, Staat und Gesellschaft in England, in: ders., Strukturprobleme der modernen Demokratie, 3. Aufl., 1967, 206ff.; ders., Staat und Verbände, VVDStRL 24 (1965), 5ff. (9 ff.); Valentin Petev, Der Staat als politische Organisation der Gesellschaft, FS Scupin, 1983, 391 ff. (393, 398, 401); Gianfranco Poggi, The Development of the Modern State, 1978, 117ff.; Helmut Ridder, Artikel „Staat" (Abs. V), in: Staatslexikon, Bd. 7, 6. Aufl., 1962, Sp. 540ff. (545); Carl Schmitt (1973), 385; ders., Nomos, 269f.; Dolf Sternberger, Die neue Politie, JöR Ν. F. 33 (1984), Iff. (38). 153 i m Verfassungsrecht die Ausdifferenzierung sozialer Wirkungsbereiche wie Wirtschaft, Verbände, Parteien, Kirchen, Wohlfahrtsorganisationen, Rundfunk und ihre Verselbständigung gegenüber der politischen Leitungsgewalt; aus der Vielzahl der verwaltungsrechtlichen Einzelprobleme: die Abgrenzung von öffentlichem und privatem Recht, die Verwaltung in Privatrechtsform, die Erwerbstätigkeit der öffentlichen Hand oder die Beleihung Privater. 154 Vgl. ζ. B. Darsow, 98f., 104ff. ; Kenneth Η. Dyson, Die Ideen des Staates und der Demokratie, Der Staat 19 (1980), 485. 155 Zur amerikanischen Verfassungslehre zu diesem Punkt siehe etwa Ehmke, 669 ff. ; Karl Löwenstein, Verfassungsrecht und Verfassungspraxis der Vereinigten Staaten, 1959, 473ff.; McDougal, 799ff.; Helmut Steinberger, Konzeptionen und Grenzen freiheitlicher Demokratie, 1974, 112ff., 115ff.

90

Β . Staatstheoretische Erklärungsmodelle

Erfaßtheit privater Auslandskontakte gutes Anschauungsmaterial. Verglichen mit der Rechtslage in der Bundesrepublik gibt es insoweit in den Vereinigten Staaten ein dichteres Regelungsnetz. Die rechtliche Koordinierung privaten Auslandsengagements und staatlicher Außenpolitik und die gesetzliche Sicherung als vorrangig empfundener nationaler Interessen setzt die grundsätzliche Trennung von Staat und Gesellschaft, von Politik und Wirtschaft als logischen Ausgangspunkt voraus. 156 Um möglichen Mißverständnissen vorzubeugen, sei zum Schluß der Zweck der staatstheoretischen Betrachtung noch einmal in Erinnerung gerufen. Die Konsultation ausländischer Verfassungsvorstellungen dient nicht dazu, diese dem Dualismus von Staat und Gesellschaft interpretatorisch überzustülpen. 157 Vielmehr geht es darum, die Akzeptanz des nicht unangefochtenen Begriffspaares in anderen liberal-demokratischen Verfassungsordnungen zu ermitteln und so den Weg für seine inhaltliche Orientierung auf das Phänomen internationaler Verflechtung zu bahnen. f) Voraussetzungen für den Erwerb der Mitgliedschaft in Internationalen Organisationen Die Satzungen der meisten Internationalen Organisationen lassen den nachträglichen Erwerb der Mitgliedschaft zu. Die einschlägigen Regelungen sehen zu diesem Zweck ein Auf nähme verfahren vor, stellen mitunter materielle Beitrittsvoraussetzungen auf, die in der Person des beitrittswilligen Staates erfüllt sein müssen, und legen fest, ob die Aufnahme mit der Abgabe einer dahingehenden Erklärung des Aspiranten oder der - mehrheitlichen oder einstimmigen - Beschlußfassung der Mitgliedstaaten zustandekommt. 158 Bei Internationalen Organisationen mit politischem Charakter hängt die Aufnahme zumeist 156 Ohne Anspruch auf Systematik und Vollständigkeit seien genannt: der Foreign Corrupt Practices Act (Textnachweis bei Bruce Seymour, Illicit Payments in International Business: National Legislation, International Codes of Conduct, and the Proposed United Nations Convention, in: Horn (1980), 219ff. (223 FN 29)), der International Loans Supervision Act (dazu Connie Friesen, The Regulation and Supervision of International Lending, The International Lawyer 1985, 1059ff.; Cynthia Lichtenstein, The U. S. Response to the International Debt Crisis, Virginia Journal of International Law 1985, 401 ff.), der Export Administration Amendments Act (Lothar Griessbach, Grundsätze des US-Export Administration Amendments Act of 1985, RIW 31 (1985), 924ff.; Werner Hein, Recht und Praxis des US-Export Administration Act, RIW 1986, 496), der Export Trading Company Act (dazu Cornelius J. Golden / Charles E. Kalb, The export trading company act, Revue Trimestrielle de Droit Commercial et de Droit Economique 37 (1984), 447ff.); der Logan Act, der den Präsidenten ermächtigt, Privatpersonen den Kontakt zu ausländischen Regierungen zu verbieten (vgl. F A Z vom 11.07.1984, S. 3 - Fall des US-Präsidentschaftskandidaten Jesse Jackson). 157 Vgl. hierzu die von Isensee (1968), 153, und von Kaiser (1962), Sp. 595, an Ehmke geübte Kritik. 158 Schermers (1983), 147ff.

II. Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft

91

davon ab, ob der darum ersuchende Staat nach seiner inneren Ordnung und seiner außenpolitischen Haltung in den Kreis der vorhandenen Mitglieder „paßt". Die Art. 4 und 5 i. V . m . Art. 3 der Satzung des Europarates sprechen dies deutlich aus. Dort wird die Anerkennung des Grundsatzes der Vorherrschaft des Rechtes, der Menschenrechte und der Grundfreiheiten zur Bedingung für den Erwerb der Mitgliedschaft gemacht. 159 - Art. 4 der Satzung der Vereinten Nationen ist nur scheinbar von derselben Struktur. Nach anfänglichen Kontroversen hat das Merkmal „friedliebend" inzwischen jede Substanz verloren. 160 - Noch anders verfahren die Art. 237 E WG-Vertrag 1 6 1 ,10 NATO-Vertrag, 11 WEU-Vertrag und 16 OECD-Vertrag. Sie stellen die Aufnahme neuer Staaten in das freie Ermessen der vorhandenen Mitglieder. Die politische Geschäftsgrundlage der Organisation fließt dann als ungeschriebene Ermessensdirektive in die Entscheidung ein. 1 6 2 Die Frage ist nun, hinsichtlich welcher Staats- und Verfassungsprinzipien die Gründungsverträge der wichtigsten Internationalen Organisationen der westlichen Welt ein bestimmtes Maß an Homogenität fordern. Eine gesonderte Betrachtung der einzelnen Organisationen ist dabei nicht erforderlich, weil ein Stamm von Mitgliedern in einer jeden von ihnen präsent ist. Hinweise geben insbesondere die Präambeln. 163 Die Vorsprüche zum Brüsseler Vertrag, zum NATO-Vertrag und zur Satzung des Europarates nennen übereinstimmend die Grundsätze der Demokratie, der Freiheit der Person und der Herrschaft des Rechts. Diese Inhaltsbestimmungen des ordre public der jeweiligen Organisation stimmen in vielem mit dem überein, was die Europäische Kommission und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zur Auslegung der Klausel „in einer demokratischen Gesellschaft" gesagt haben. 164 Aufschlußreich sind ferner die Proteste, die Staaten haben hinnehmen müssen, weil sie sich in den Augen der übrigen vom Grundkonsens der Organisation entfernt hatten. Ein Beispiel hierfür ist die Isolierung der Türkei nach der Machtübernahme durch das Militär und der Verhängung des Ausnahmezu159 Zu diesen Vorschriften Pierre Mertens, Les Organes du Conseil de l'Europe et le Concept de „Démocratie" dans le Cadre des deux Affaires Grecques, R B D I 1971, 118ff. 160 Verdross i Simma , 82ff.; ferner Grewe (1984), 770ff. 161 Ebenso die Art. 205 E A G V , 98 EGKSV. 1 62 Dazu Hermann Mosler, Die Aufnahme in internationale Organisationen, ZaöRV 19 (1958), 275ff. (285); ders., Der „gemeinschaftliche ordre public" in Europäischen Staatengruppen, Revista Espanola de Derecho Internacional X X I (1968), 523ff.; ders. (1980), 17f. 1 63 Dazu Peter Häberle, Präambeln im Text und Kontext von Verfassungen, FS Β roermann, 1982, 211 ff. 164 So auch Häberle (1983), 365.

92

Β. Staatstheoretische Erklärungsmodelle

stands 165 , ein anderes die Kritik an den Nationalisierungsmaßnahmen, die von der sozialistisch-kommunistischen Regierungskoalition 1981 in Frankreich durchgeführt worden sind 166 . Zwar nicht die Mitgliedschaft in einer Internationalen Organisation, aber doch die Zugehörigkeit zu einem politischen Lager ist das Regelungsthema von Art. 7 Abs. 2 des Deutschlandvertrages. Art. 7 Abs. 2 lautet: „Bis zum Abschluß der friedensvertraglichen Regelung werden die Unterzeichnerstaaten zusammenwirken, um mit friedlichen Mitteln ihr gemeinsames Ziel zu verwirklichen: Ein wiedervereinigtes Deutschland, das eine freiheitlich-demokratische Verfassung, ähnlich wie die Bundesrepublik, besitzt und das in die europäische Gemeinschaft integriert ist." 1 6 7 Politisch hat die Vorschrift den Sinn, sicherzustellen, daß eine Wiedervereinigung Deutschlands nicht zu dessen Herauslösung aus dem westlichen Bündnis führt. 1 6 8 Über die Bedeutung des Rechtsbegriffes „freiheitlich-demokratische Verfassung" gibt die Systematik des ursprünglichen Entwurfes des Deutschland-Vertrages nähere Aufschlüsse. Dort wurde in Art. 5 Abs. 2, 2. Alt. ein alliierter Notstandsvorbehalt für den Fall einer umstürzlerischen Störung der „freiheitlich-demokratischen Grundordnung" verankert. Wegen ihres gemeinsamen Zweckes, den Fortbestand der gegebenen Verfassungsordnung in der Bundesrepublik Deutschland zu gewährleisten, ist anzunehmen, daß beide Formulierungen inhaltlich übereinstimmen. 169 Schon diese kurzen Bemerkungen sind durchaus ausreichend, um einen die Ausgangsthese fundierenden Eindruck zu vermitteln. Es gibt so etwas wie einen ordre public derjenigen Internationalen Organisationen der westlichen Welt, die ein umfassendes, ein politisches Mandat haben. Diesem ordre public können im Wege der Interpretation auch Aussagen über das Zuordnungsverhältnis von - jetzt untechnisch gesprochen - Staat, Gesellschaft und Individuum entnommen werden.

165 Dimitris C. Constas, The „Turkish Affair": A Test Case for the Council of Europe, Legal Issues of European Integration 1982, Heft 2, 69ff. ; Jean-Paul Pancracio , La Turquie et les Organes Politiques du Conseil de l'Europe, A F D I X X X (1984), 161 ff. 166 Überblick dazu bei Geneviève Burdeau, La contribution des nationalisations françaises de 1982 au droit international des nationalisations, RGDIP 89 (1985), 5ff. ; Fausto Capelli , Nationalisierungen im Gemeinsamen Markt, RIW 1983, 313ff. 167 BGBl. 1955 I I 305. 168 Eckart Klein, Wiedervereinigung und Völkerrecht, in: Deutschlandvertrag, westliches Bündnis und Wiedervereinigung, hrsg. vom Göttinger Arbeitskreis, 1984, 55ff. (69 f.). i® Hans Kutscher, Der Bonner Vertrag, 1952, Art. 7, RNr. I I , Art. 5, RNr. I I 2. b).

II. Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft

93

g) Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft und die Praxis der deutschen Außenwirtschaftspolitik Die deutsche Außenwirtschaftspolitik ist beherrscht von dem Grundsatz der Trennung von Staat und Wirtschaft, von Politik und Handel. 1 7 0 Der Staat beschränkt sich im Grundsatz auf Rahmensetzung und Förderung und überläßt das Weitere der autonomen Entscheidung von Industrie, Handel und Banken. Von einigen Ausnahmen in Wirtschaftszweigen wie Rüstung, Kernenergie, Transportwesen oder Meeresbergbau und von wenigen temporären Überlagerungen durch höherrangige außenpolitische Interessen 171 abgesehen gehört dieses Prinzip seit langem zum unangefochtenen Credo der Außenwirtschaftspolitik der Bundesrepublik Deutschland. 172 Man darf zwar Leitmaximen der Staatspraxis nicht einfach in rechtliche Kategorien übersetzen, doch wenn bei erster Betrachtung Parallelen als so offenkundig erscheinen, sollte man sich auch nicht scheuen, der Sache auf den Grund zu gehen. Zu erfragen ist demnach, ob eine Verbindung zwischen der außenwirtschaftspolitischen Maxime und der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft nachweisbar ist. Ein erstes Indiz ist das in grundrechtlichem Gewände einherschreitende Selbstverständnis der Staatspraxis. Der Staat müsse die außenwirtschaftliche Freiheit privater Wirtschaftssubjekte beachten und sichern und sich internationalen Entwicklungen zu einer dirigistischen oder protektionistischen Weltwirtschaftsordnung entgegenstellen.173 Es werden also mit den Mitteln des Verfassungsrechts real identifizierbare Größen - Staat und private Wirtschaftssubjekte - nebeneinander gestellt und Richtlinien für ihre Koordination angegeben. Auf der anderen Seite bleibt vieles von Erwägungen politischer Nützlichkeit inspiriert. Eine verstärkte internationale Tendenz zum Protektionismus würde überdies zu einer Revision, zumindest zu einschneidenden Modifikationen der außenwirtschaftspolitischen Konzeption führen müssen. Die Frage nach der verfassungsrechtlichen Bewertung der Grundsätze der deutschen Außenwirtschaftspolitik erinnert an die Auseinandersetzungen, die 170 Zu der prima vista ähnlichen Trennung im Bereich der auswärtigen Kulturpolitik vgl. Rudolf (1975), 141 ff. Der Vergleich geht jedoch nicht auf. Die Mittlerorganisationen der auswärtigen Kulturverwaltung sind Trabanten des Verwaltungssystems, Verwaltung in Privatrechtsform: Schuppert, 175ff. 171 Zu einem der wenigen Embargos, die auf der Grundlage des Außenwirtschaftsgesetzes verhängt worden sind, vgl. das Gutachten von Ipsen (1967). Allgemein: Bernd Lindemeyer, Das Handelsembargo als wirtschaftliches Zwangsmittel der staatlichen Außenpolitik, RIW 1981, 109ff. 172 Hermes, 247ff.; Piel, 207f. Zu ordnungspolitischen Alternativen siehe Willgerodt, Sp. 455ff. 173 So etwa der ehemalige Staatssekretär im Auswärtigen Amt Hermes, a.a.O., 247f.; weitere Nachw. bei Frank von Fürstenwerth, 45.

94

Β. Staatstheoretische Erklärungsmodelle

um die Verankerung der Sozialen Marktwirtschaft im Grundgesetz geführt worden sind. 174 Deren Ergebnis - die These von der wirtschaftspolitischen Neutralität des Grundgesetzes 175 - dürfte auch auf die verfassungsrechtlich etwas im Abseits stehende Außenwirtschaft zu erstrecken sein. Die Strukturprinzipien der Außenwirtschaftspolitik, insbesondere das Eintreten für eine freiheitliche Weltwirtschaftsordnung, genießen als solche keinen Verfassungsrang. Die Annahme eines ungeschriebenen, aus einer Zusammenschau der einschlägigen Grundrechte zu entwickelnden Verfassungsgrundsatzes scheitert schon an dessen übergroßer inhaltlicher Unbestimmtheit und vor allem an dem Umstand, daß trotz der langanhaltenden und gleichmäßigen Staatspraxis in einem so sensiblen und komplexen Feld ein Selbstbindungswille nicht unterstellt werden kann. Änderungen bleiben vorbehalten. 176 Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab für die außenwirtschaftlichen Entscheidungen des Gesetz- und des Verordnungsgebers sowie der Verwaltung sind allein die einzelnen Bestimmungen des Grundgesetzes, insbesondere die Grundrechte, das Rechtsstaatsprinzip und Art. 80 Abs. 1 GG. Das schließt freilich die Frage nach dem systematischen Gesamtzusammenhang dieser Regelungen und ihres Aussagegehaltes hinsichtlich des Sachbereiches Außenwirtschaft nicht aus. 177 Es schließt ferner nicht aus, daß das durch die Verknüpfung mit der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft verfassungskategorial unterfangene liberale Strukturprinzip der Außenwirtschaftspolitik ein nützlicher, weil erprobter und sachadäquater Topos bei der fallbezogenen Konkretisierung der einschlägigen Normen des Grundgesetzes sein kann. 4. Zusammenfassung

Die These, die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft vermöge einen Beitrag zur Aufhellung der verfassungsrechtlichen Implikationen des Phänomens der weltweiten Verflechtung zu leisten, hat Bestätigung gefunden. Die Analyse der internationalen Menschenrechtstexte, des Fremdenrechts, der Verfassungstheorie der westlichen Staaten, der Satzungen wichtiger Internationaler Organisationen und der Prinzipien der deutschen Außenwirtschaftspolitik hat deutlich gemacht, daß der Dualismus nicht nur die Entwicklung 174

Dazu zusammenfassend Papier (1983), 609 ff. 175 Vgl. BVerfGE 4, 7 (17f.); 7, 377 (400); 12, 341 (347); 14, 19 (23); 14, 263 (275); 30, 293 (315); 50, 290.(337f.); 57, 139 (167). 176 Im Kleinen begegnet dasselbe Problem beim Plangewährleistungsanspruch. Alle „leading cases" der Rechtsprechung betreffen merkwürdigerweise außenwirtschaftliche Sachverhalte. Vgl. Ossenbühl (1983), 180ff. 177 Papier (1983), 611, warnt zurecht davor, daß eine Überbetonung des Neutralitätsgedankens leicht in die Versagung grundrechtlichen Schutzes für Unternehmen umschlägt. Ein immerhin in der Radikalität der Thesen bemerkenswertes Beispiel ist die Arbeit von Rübenach, der die Kapitalgesellschaften aus dem Schutzbereich des Art. 9 Abs. 1 herausdrängen will.

II. Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft

95

von der konstitutionellen Monarchie hin zu Demokratie, Sozialstaat und Industriegesellschaft in sich aufzunehmen in der Lage ist, sondern auch auf die internationale Entwicklung eine Antwort weiß. Das Diffuse des politikwissenschaftlichen Begriffes „transnationale Gesellschaft" ist so in eine rechtskategoriale Form gebracht. Das gilt in doppelter Hinsicht. Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft hat in anderen freiheitlichen Demokratien Entsprechungen. Sie ist keineswegs eine deutsche Besonderheit, sondern verdient es, in den Prozeß dogmatischer Durchdringung internationaler Menschenrechtspakte einbezogen zu werden. Sie könnte dort auch unmittelbar rechtspraktische Ergebnisse hervorbringen helfen, während sie in der Bundesrepublik durch die lückenlose Grundrechtsordnung des Grundgesetzes in starkem Maße mediatisiert wird. 1 7 8 Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft betrifft nicht nur das jeweilige nationale Innenverhältnis, sondern auch grenzüberschreitende Beziehungen. Die „Gesellschaft" bleibt auf den „Staat" zwar bezogen, ist aber zugleich von Hause aus offen für die Begegnung mit dem Ausland. - Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft hat ihren systematischen Standort in der Grundrechtsdogmatik. Wird sie so gefaßt wie hier vorgeschlagen, ist mit ihrer Hilfe eine Stellungnahme zu dem Problem der Geltung und der Reichweite der Grundrechte bei Sachverhalten mit Auslandsberührung möglich. Sie löst insoweit die Grundsätze der staatlichen Offenheit und der Völkerrechtsfreundlichkeit der Bundesrepublik ab. Diese sind auf die Kooperation von Staatsapparaten und die Koordination staatlicher Rechtsordnungen zugeschnitten und geben für privates Handeln nichts her. Nicht der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit oder eines seiner Derivate, sondern die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft offeriert die grundsätzlichen Richtpunkte für die verfassungsrechtliche Erschließung grenzüberschreitender privater Kontakte.

178 Der grundrechtliche Schutz der „Gesellschaft" als zwischen Individuum und Staat belegenem Dritten wird insbesondere durch Art. 19 Abs. 3 GG gewährleistet. Daß diese Verfassungsnorm in der Mitbestimmungsentscheidung des BVerfG fast keine Rolle spielt, liegt in der Konsequenz der personalistischen Eigentumskonzeption des Gerichts und enthüllt zugleich deren Bedenklichkeit.

C. Inhalt und Reichweite der grundrechtstatbestandlichen Gewährleistung der auswärtigen Beziehungen privater Verbände I . Allgemeines Grundrechtskollisionsrecht

Ein Kriterium zur Bestimmung des internationalen Anwendungsbereiches der Grundrechte ist noch nicht gefunden. Die angebotenen Lösungsvorschläge sind weit davon entfernt, sich zu einem Konsens zu verdichten. Die einen fordern ein besonderes Verfassungskollisionsrecht, das erst noch zu entwickeln sei1. Die anderen replizieren darauf, so etwas könne es nicht geben2; die deutsche Staatsgewalt sei vielmehr überall da, wo sie auftrete, an die Grundrechte gebunden; zwischen Innen und Außen gebe es insoweit keinen Unterschied. 3 Einige Autoren wollen das Problem durch eine genaue Analyse des Schutzbereiches jedes einzelnen Grundrechtes meistern. 4 Wieder andere glauben schließlich im Territorialitätsprinzip einen grundrechtskollisionsrechtlichen Passepartout gefunden zu haben.5 Zur Abgrenzung und Klarstellung der Fragestellung ist eine grundsätzliche Unterscheidung erforderlich. Bei Grundrechtsfällen mit Auslandsbezug gibt es zwei auseinanderzuhaltende Falltypen. Typ A : Ein Träger deutscher öffentlicher Gewalt wirkt mit einem fremden Hoheitsträger in grundrechtsbedeutsamer Weise zusammen, wie z. B. im sicherheits-, Steuer- oder strafrechtlichen Rechts- und Amtshilfeverkehr. Typ B: Die grenzüberschreitenden Kontakte finden nicht auf staatlicher, sondern auf gesellschaftlicher Ebene statt. In rechtlicher Hinsicht geht es hier um die Berechtigung, gegebenenfalls sogar die Verpflichtung der Träger deutscher öffentlicher Gewalt zu Einschränkungen, zu Steuerung und Kontrolle. Die nachfolgenden Seiten widmen ihre Aufmerksamkeit überwiegend dem Typ B. Er birgt die eigentlichen kollisionsrechtlichen Probleme, weil es bei ihm die grundrechtliche Freiheit selbst ist, die sich international entfaltet. Der argumentative Weg zur Beantwortung der damit vorläufig umschriebenen Grundrechtsfragen hat denselben Ausgangspunkt: das Merkmal „staat1 2 3 4 5

So z.B. Isensee (1974), 60f. Kegel (1972); vgl. auch Meessen (1976), 65. In diesem Sinne u.a. Bleckmann (1985), 54; E. Klein (1985), 31. Etwa Meessen (1975), 67; Schröder, 141, 146 f. So im Ausgangspunkt Oppermann.

I. Allgemeines Grundrechts-Kollisionsrecht

97

liehe Gewalt", das in dem für die Grundrechtsgeltung kardinalen Art. 1 GG zweifach vorkommt, ausdrücklich in Abs. 1 Satz 2 und sodann als zusammenfassende Chiffre für die Adressatentrias in Abs. 3. 6 Die These, die gleich näher entfaltet wird, lautet: Das Merkmal „staatliche Gewalt" bezeichnet mehr als nur die Verpflichtungsadressaten der Grundrechte. Es setzt darüber hinaus ein territorial und personal definiertes Grundverhältnis zwischen dem Berechtigten und dem Verpflichteten als Bedingung der Grundrechtsgeltung voraus. Die konkrete Gestalt gibt diesem grundrechtlichen Statusverhältnis die völkerrechtliche Zuständigkeitslehre. Seine praktische Bedeutung besteht darin, in allen Fällen mit Auslandsberührung ein einheitliches, in Art. 1 Abs. 3 GG verortetes Kriterium für die Anwendbarkeit der Grundrechte zu liefern. Unter völkerrechtlicher Zuständigkeit ist dabei der Inbegriff derjenigen Regelungen des Völkerrechts zu verstehen, die bestimmen, wie weit ein Staat seine innere Souveränität im Verhältnis zu anderen Hoheitsträgern ausdehnen darf. 1. Art. 1 Abs. 3 GG als kollisionsrechtliche Grundnorm

a) Die Merkmale staatliche Gewalt" und „vollziehende Gewalt" in Art. 1 GG Die soeben vorgeschlagene „große Lösung" der Probleme internationaler Grundrechtsanwendung mit Hilfe eines in Art. 1 Abs. 3 GG verankerten Statuskriteriums ist neu. Gleichwohl kann zu ihrer Verifikation an wichtige Vorüberlegungen in Literatur und Rechtsprechung angeknüpft werden. aa) Der Begriff der Staatsgewalt im Grundgesetz Die Adressatentrias in Art. 1 Abs. 3 ist in ihrer Summe identisch mit der staatlichen Gewalt im Sinne des Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG. Die „vollziehende Gewalt" (Art. 1 Abs. 3) ist teilidentisch mit dem umfassenderen Begriff der Staatsgewalt (Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG). Dies ist der heute wohl unstreitige Ertrag der Untersuchungen über die Erforderlichkeit und die Tragweite der 6 Art. 1 Abs. 1 Satz 2: „alle staatliche Gewalt"; Art. 1 Abs. 3 nennt ausdrücklich nur die „vollziehende Gewalt". In Art. 19 Abs. 4 Satz 1 heißt es „öffentliche Gewalt", in Art. 20 Abs. 2 „alle Staatsgewalt". Ferner wird der Gewalt-Begriff im Sinne der Lehre von den Staatsfunktionen verwandt in Art. 20 Abs. 3 - „vollziehende Gewalt" - , in Art. 65a/115b - „Befehls- und Kommandogewalt" - , Art. 92 - „rechtsprechende Gewalt" - , Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a ) - „öffentliche Gewalt" - und in Art. 122 Abs. 1 „gesetzgebenden Gewalten". Auffallend abstinent ist Art. 6, wo statt dessen von der „staatlichen Ordnung" (Abs. 1), von „staatliche Gemeinschaft" (Abs. 2) und „Gemeinschaft" (Abs. 4) die Rede ist. Ein anderer Gewalt-Begriff liegt den Art. 73 Nr. 10 lit. c) und 87 Abs. 1 Satz 2 zugrunde.

7 Heintzen

98

C. Grundrechtstatbestandliche Gewährleistung von Auslandskontakten

Grundgesetzänderung vom 19.03.1956.7 Damals war im Hinblick auf die gerade erfolgende Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland der Begriff „vollziehende Gewalt" an die Stelle von „Verwaltung" gesetzt worden. Änderungen des Verfassungsinhalts waren mit diesem Worttausch nicht verbunden; er hatte lediglich klarstellenden Charakter. Ob auch der in Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG verwendete Begriff der „Staatsgewalt" sich in diesen Bedeutungsgleichklang einfügt, kann hier noch nicht festgestellt werden. 8 In einer Hinsicht ist aber eine Parallele zu den entsprechenden Termini in Art. 1 schon jetzt deutlich zu erkennen. In allen drei genannten Verfassungsbestimmungen ist es die „Staatsgewalt", die dem Text ihren Stempel aufdrückt und von der der Interpret auszugehen hat. Anders ist es bei den Art. 19 Abs. 4 Satz 1, 20 Abs. 3, 65a, 92,115b und 122 Abs. 1. In diesen Verfassungsartikeln determinieren umgekehrt Wortlaut, Umfeld und Telos der je einzelnen Norm den „Gewalt"-Begriff. Dort ist geboten, was für die Art. 1 und 20 Abs. 2 keinen Sinn macht, nämlich durch Verfassungsauslegung einen jeweils normspezifischen „Gewalt"-Begriff zu entwerfen. Auf der hermeneutischen Kreislaufbahn juristischen Denkens stehen die beiden Gruppen grundgesetzlicher „Gewalt"-Begriffe in Opposition. In der ersten wird die „Staatsgewalt" insgesamt thematisiert; die zweite greift sich jeweils eine der Staatsfunktionen heraus. In der ersten ist der Begriff „Staatsgewalt" der apriorische Schlüssel zum Verständnis der Norm; in der anderen folgt umgekehrt die Bestimmung des „Gewalt"-Begriffes dem Verständnis des Normsinnes. Die unterschiedliche Positionierung im hermeneutischen Orbit hängt eng mit dem Zuordnungsverhältnis von „Staat" und „Verfassung" zusammen. Der Staatsbegriff ist als soziales Faktum und theoretisches Modell der Rechtsordnung, dem Staats- wie dem Völkerrecht, vorgegeben. Er wird von ihr aufgenommen und gemäß ihren spezifischen Zwecken geformt. Dies kann mit unterschiedlicher Intensität geschehen. Je weniger die „Staatsgewalt" verfassungsgesetzlich eingespannt und überformt wird, desto mehr kommt der Begriff in seiner verfassungsvorausgesetzten Unmittelbarkeit zur Geltung. So ist es bei den Art. 1 und 20 Abs. 2 GG. In der für die Grundrechtsgeltung zentralen Vorschrift des Art. 1 ist die „Staatsgewalt" und ihre Auffächerung in die Adressatentrias also verfassungstextlich offener, der Ergänzung durch die Staatslehre und - wie zu zeigen sein wird - die Völkerrechtsdoktrin fähiger und bedürftiger. 9

7 Dazu Dürig, M D , Art. 1, RNr. 100; H. H. Klein (1968), 169ff.; Starck, v M K , Art. 1, RNr. 22; Wernicke , B K , Art. 1 Abs. 3 a.F., Nr. 4. b). 8 Siehe C. I. 1. e) cc). Bedenken insoweit bei Starck, v M K , Art. 1, RNr. 138. 9 Die Problematik wird unter C. I. 1. c) eingehend behandelt.

I. Allgemeines Grundrechts-Kollisionsrecht

99

bb) Die Fiskalgeltung der Grundrechte Einen guten Einstieg in die konkrete Frage, ob überhaupt Art. 1 Abs. 3 ein wie auch immer geartetes Statuskriterium als Anwendungsbedingung der Grundrechte entnommen werden kann, vermittelt - fernab von allem Internationalen - die Debatte um die sogenannte Fiskalgeltung der Grundrechte. 10 Dieser Streit geht explizit darum, ob im Begriff der Staatsgewalt ein bestimmtes und welches Verhältnis zwischen Staat und Bürger mitgedacht ist. Um die Parallele zu verdeutlichen, sei auf folgende Aspekte aus der Problematik der Fiskalgeltung der Grundrechte hingewiesen. (1) Sedes materiae ist unbestritten Art. 1 Abs. 3 G G . 1 1 (2) Grammatische, systematische und historische Auslegung zeitigen keine klaren Ergebnisse. 12 (3) Maßstäblich sind vielmehr staatstheoretische Modelle wie das vom Staat als Hoheitsträger und als Fiskus 13 , Lehrmeinungen über die Funktion der Grundrechte 14 und die legitimen Aufgaben des Staates15, allgemeine Grundsätze über die Unterschiede zwischen öffentlichem und privatem Recht 16 , Konzeptionen vom Spezifischen der Staatlichkeit 17 , von der potentiellen Überlegenheit der Staatsperson 18, kurzum: hochabstrakte Hervorbringungen der Wissenschaft, die nur mit erheblichem Argumentationsaufwand und nicht zu erledigenden Restzweifeln in den Verfassungstext integrierbar, andererseits aber wohl unentbehrlich sind. Die Problematik der Anwendung der Grundrechte auf Sachverhalte mit internationaler Anknüpfung scheint ähnlich unklar und von theoretischen 10

Gut dokumentierter Überblick über den Stand der Diskussion bei Ehlers, 212 ff. 11 Dürig, M D , Art. 1, RNr. 134ff.; Ehlers, 214; Forsthoff (1963), 13f.; H. H. Klein (1968), 169ff.; Kunert, 169ff.; von Münch, vM, Vorbem. zu den Art. 1 - 19, RNr. 34ff.; Starck, v M K , Art. 1, RNr. 143ff. 12 Kunert, 108f.; Jost Pietzcker, Der Staatsauftrag als Instrument des Verwaltungshandelns, 1978, 368; Karl A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, 1986, 187. 13 Statt vieler: Dürig, M D , Art. 1, RNr. 135; Forsthoff (1963), 13f.; von Mangoldt / Klein, Art. 1 V 3 b). 14 Z . B . bei Ehlers, 216; Forsthoff (1963), 13f.; H. H. Klein (1968), 171 ff. 15 Isensee (1968), 212ff.; Krüger (1966), 327f.; Starck, v M K , Art. 1, RNr. 144. 16 So bei Volker Emmerich, Die Fiskalgeltung der Grundrechte, namentlich bei erwerbswirtschaftlicher Betätigung der öffentlichen Hand, JuS 1970, 332ff. (334ff.); Forsthoff (1963), 14. 17 Vgl. Otto Bachof Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaates, W D S t R L 12 (1954), 37ff. (63f.); ders., Diskussionsbeitrag, W D S t R L 19 (1961), 259f. Kritik bei Forsthoff (1963), 14, und Kunert, 108f. 18 So der Lösungsvorschlag von Harald Bogs, Die verfassungsrechtliche Gebundenheit der öffentlichen Hand bei Bedarfsdeckungsgeschäften, BB 1963, 1269ff. ; Kunert, 108, 111; Dieter Lorenz, Der Rechtsschutz des Bürgers und die Rechtsweggarantie, 1973, 87, 91. τ

100

C. Grundrechtstatbestandliche Gewährleistung von Auslandskontakten

Vorverständnissen abhängig zu sein. Der Verfassungswortlaut ist hier eher noch unergiebiger. Keine der für diesen Bereich zuständigen Staatsfunktionen ist in Art. 1 Abs. 3 unmittelbar angesprochen, wohingegen Typusbegriffe wie „vollziehende Gewalt" oder „Verwaltung" immerhin gewisse Richtpunkte markieren, an denen sich das Nachdenken über die Reichweite der Grundrechtsgeltung orientieren kann. Der für jede Äußerung zur Fiskalgeltung der Grundrechte offenbar unvermeidbare Rekurs auf das Verhältnis zwischen Bürger und Staat, auf die hinter jedem nichthoheitlichen Handeln des Staates potentiell stehende Eingriffsmacht, verleiht unserer These erste Bestätigung. Wenn bei der Aufhellung des Begriffes „vollziehende Gewalt" im Zusammenhang mit fiskalischer Staatstätigkeit bei allem dann aufkommenden Streit der Kern des Problems übereinstimmend in der insoweitigen Beziehung von Individuum und Staat lokalisiert wird, kann dieselbe Argumentationsschablone bei der nicht minder problematischen Auslandsgeltung der Grundrechte zumindest nicht als abwegig verworfen werden. Das Ergebnis ist freilich nicht mehr als ein erster Anhaltspunkt, der die Argumentationslast mindert, von einem Vollbeweis aber noch weit entfernt ist. cc) Die Anwendbarkeit der Grundrechte bei Sachverhalten mit Auslandsberührung Es herrscht weitgehend Einigkeit darüber, daß Art. 1 Abs. 3 und nicht Art. 23 S. 1 GG diejenige Verfassungsnorm ist, die über Bedeutung und Tragweite der Grundrechte bei Sachverhalten mit Auslandsbezug bestimmt. 19 Art. 23 S. 1 GG definiert - sofern man der Vorschrift nicht ohnehin nur bundesstaatlichen und deutschlandrechtlichen Aussagegehalt beimißt - primär das Staatsgebiet und enthält nur mittelbar eine Aussage über die Staatsgewalt, indem er nämlich auf die Territorialität als eines ihrer Wesensmerkmale hinweist. 20 Für die Grundrechte führt jedoch das alleinige Abstellen auf das Prinzip der Territorialität zu offensichtlich unzutreffenden Ergebnissen. Es ist zum Beispiel unbestritten, daß auch die diplomatischen und konsularischen Vertretungen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland grundsätzlich an die Grundrechte gebunden sind. Um über Art. 23 S. 1 zu diesem Ergebnis zu gelangen, müßte man sich auf die völkerrechtlich unhaltbare Position zurückziehen, das Gelände deutscher Missionen im Ausland gehöre zum deutschen Staatsgebiet. Im übrigen sollte man die Art. 23 GG zu entnehmende Formel vom Geltungsbereich des Grundgesetzes nicht überstrapazieren. Es handelt sich - wie die Verhandlungen im Parlamentarischen Rat beweisen - um eine 19 BVerfGE 31, 58 (74); Starck, v M K , Art. 1, RNr. 140. von Mangoldt / Klein, Art. 23, RNr. I I I 1; Rudolf (1973), 9; Stern I 239; Vogel (1965), 147f.; ferner JöR N. F. 1 (1951), 219. 20

I. Allgemeines Grundrechts-Kollisionsrecht

101

deutschlandrechtlich inspirierte Verlegenheitslösung, mit der keinerlei kollisionsrechtliche Regelungsabsicht verfolgt wurde. 21 Selbst wenn man aber davon ausgeht, Art. 23 S. 1 und 1 Abs. 3 seien von demselben Grundgedanken inspiriert, indem sie auf den Staatsbegriff in seiner vorverfassungsmäßigen Bedingtheit durch das Völkerrecht verweisen, muß man in grundrechtlichen Fragen Art. 1 Abs. 3 den Vorrang geben. Mit dem Territorialitätsprinzip allein sind die anstehenden Fragen nicht zu lösen. Der Geltungsbereich staatlicher Rechtssätze ist nicht notwendig mit dem Staatsgebiet identisch. Wesentlich deshalb ist Art. 23 S. 1 in dieser Frage nicht einschlägig.22 Das Bundesverfassungsgericht ist in seinen bisher zur Frage der Anwendbarkeit der Grundrechte auf Sachverhalte mit Auslandsberührung ergangenen Entscheidungen vorsichtig und einzelfallbezogen verfahren. Grundsätzliche Ausführungen zu Art. 1 Abs. 3 GG fehlen. Quintessenz der Judikatur ist die Formel: „Die Grundrechte binden in ihrem sachlichen Geltungsumfang die deutsche öffentliche Gewalt auch, soweit Wirkungen ihrer Betätigung außerhalb des Hoheitsbereiches der Bundesrepublik Deutschland eintreten." 23 Vor Generalisierungen dieses Satzes sollte man sich hüten. 24 Oppermann weist mit Recht darauf hin, daß er schon über das hinausreicht, was Gegenstand der bisherigen Verfassungsrechtsprechung war, und daß ihm wenig zu der Frage entnommen werden kann, was z.B. bei Gebietsfremden zur Begründung grundrechtlicher Ansprüche erforderlich ist. 25 Zu fragen ist, welche Implikationen die bundesverfassungsgerichtliche Formel und die Ausgrenzung des Art. 23 S. 1 hinsichtlich des Begriffes „staatliche Gewalt" und dessen Bedeutung für die Bestimmung der Auslandswirkung der Grundrechte bergen. Wäre es Ausübung vollziehender Gewalt im Sinne von Art. 1 Abs. 3, wenn, kollisionsrechtliche Abwandlung eines Standardbeispiels aus der Rechtsprechung zum enteignungsgleichen Eingriff, ein Bundeswehrpanzer versehentlich über eine Grenze hinweg ein im Ausland stehendes und einem Ausländer gehörendes Gebäude zur Ruine zusammenschösse? Könnte der Eigentümer dem heraneilenden Geschoß einen grundrechtlichen Abwehranspruch entgegensetzen, der sich alsdann in eine Schadensersatzforderung umwandelte? Oder wäre dies zu verneinen, weil zur Ausübung von Staatsgewalt die Gewaltunterworfenheit des Adressaten gehört, die dem Hauseigentümer sowohl in territorialer als auch in personaler Hinsicht abgeht? 21

JöR 1 (1951), 217ff. (218). Zur grundrechtlichen Problematik vgl. insoweit Bleckmann (1985), 54; Oppermann, 526. 23 Zitat: BVerfGE 57,9 (23); ebenso BVerfGE 6,290 (295); vgl. ferner BVerfGE 31, 58 (74); 51, 1 (22); BVerfG W M 1986, 80 (82). 24 Vgl. aber Schröder, 138 und 141 (oben), anders auf S. 150; ferner Starck, v M K , Art. 1, RNr. 140. 25 A.a.O., 524. Ebenso Meessen (1975), 62; von Olshausen (1974), 654f. 22

102

C. Grundrechtstatbestandliche Gewährleistung von Auslandskontakten

Nach dem bisher Gesagten deutet vieles auf die Richtigkeit der zweiten Lösungsalternative hin. Die Auseinandersetzung mit Art. 23 S. 1 GG hat gezeigt, daß das Territorialitätsprinzip für die Bestimmung der Auslandsgeltung der Grundrechte eine wichtige Rolle spielt, wenn es auch nicht das einzige Kriterium ist und wenn es richtigerweise auch nicht bei Art. 23 S. 1 GG, sondern im Grundrechtsteil der Verfassung anzusiedeln ist. Das Bundesverfassungsgericht hat neben den räumlichen den sachlichen Geltungsbereich der Grundrechte gesetzt. Noch unerwähnt ist der persönliche Geltungsbereich der Grundrechte. Es fällt auf, daß diese drei zusammengehörigen Determinanten des internationalen Anwendungsfeldes der Grundrechte - zumindest in dieser Abstraktheit - nichts Grundrechtsspezifisches an sich haben. Es handelt sich vielmehr um die klassischen Kriterien, mit Hilfe derer die Rechtsetzungsbefugnisse der Staaten voneinander abgegrenzt werden, um Anknüpfungsmomente, die allgemein völkerrechtliche Zuständigkeit begründen. Damit ist ein weiteres Beweisfragment gefunden. Es gibt in der Tat Anhaltspunkte dafür, daß zwischen dem Begriff der staatlichen Gewalt im Sinne des Art. 1 Abs. 3 GG und den völkerrechtlichen Kompetenztiteln für die Ausübung von Hoheitsgewalt ein sachlicher Zusammenhang besteht. Diese vorläufigen Ergebnisse bedürfen jedoch weiterer Absicherung. Es muß insbesondere noch eine Brücke geschlagen werden zwischen den objektiv formulierten Kriterien für die internationale Zuständigkeit zur Ausübung von Staatsgewalt und dem nach hier vorgeschlagener Interpretation dem Art. 1 Abs. 3 GG zugrunde liegenden „Gewaltverhältnis" zwischen dem (potentiell) Grundrechtsberechtigten und der grundrechtsgebundenen Staatsgewalt. In dieser Absicht wird im nächsten Gedankenschritt die Allgemeine Staatslehre konsultiert. b) Die Statuslehre Georg Jellineks In Sachen Verhältnis von Individuum und Staat führen alle theoretischen Wege zur Statuslehre Georg Jellineks. 26 Seine Unterscheidung von vier Status - status passivus, status negativus, status positivus, status activus - wirkt bis heute als Klassifikationsschema und grundrechtliche Interpretationshilfe weiter. 2 7 Für unsere Überlegungen steht im Mittelpunkt des Interesses konkret die Frage, ob der Statuslehre Anregungen für die Auslegung des Art. 1 Abs. 3 GG entnommen werden können, insbesondere ob im Begriff der Staatsgewalt ein in bestimmter Weise qualifiziertes Grundverhältnis des Individuums zum Staat mitgedacht ist. 26

Jellinek, System, 81ff.; ders., Staatslehre, 418ff. Siehe Alexy, 229; Ludwig Schneider, Der Schutz des Wesensgehalts von Grundrechten nach Art. 19 Abs. 2 GG, 1983, 205f., 209f., 216; Starck, v M K , Art. 1, RNr. 110ff.; a. A . Friedrich Müller u. a., Leistungsrechte im Normbereich einer Freiheitsgarantie, 1982, 123. 27

I. Allgemeines Grundrechts-Kollisionsrecht

103

Die Vorfrage zu stellen, welcher der vier Status damit angesprochen sei, führt auf einen Irrweg. In Wahrheit ist keiner der vier Nominat-Status betroffen, sondern ein von diesen gedanklich zu unterscheidender Grund-Status, im Verhältnis zu dem der passive, negative, positive und aktive Status Emanationen sind. A m klarsten wird dieser Zusammenhang im „System der subjektiven öffentlichen Rechte" dargelegt. „Durch die Zugehörigkeit zum Staate, durch die Gliedstellung, welche der Mensch in ihm empfängt, wird er also nach verschiedenen Richtungen qualifiziert. Die möglichen Beziehungen, in denen er zum Staate stehen kann, versetzen ihn in eine Reihe rechtlich relevanter Zustände . . . Kraft seiner Zugehörigkeit zum Staate ist also das Individuum in eine Mehrheit von Statusverhältnissen gesetzt." 28

Was soeben Grund-Status genannt worden ist, figuriert in dieser Textstelle als „Zugehörigkeit zum Staate". A n anderer Stelle wird eine das Individuum qualifizierende Beziehung zum Staat als Definiens für den Begriff „Persönlichkeit" verwandt; die „Persönlichkeit" nennt Jellinek im selben Kontext einen Zustand, einen Status. 29 Über die Verknüpfung dieser Beziehung zwischen Individuum und Staat, des staatsrechtlichen Status, mit den vier Status sagt Jellinek folgendes: „ I n diesen vier Status: dem passiven, dem negativen, dem positiven, dem aktiven erschöpft sich die gliedliche Stellung des Individuums im Staate." 30

Beide, die gliedliche Stellung des Individuums im Staate - hier staatsrechtlicher Status genannt - und die vier Status sind in der Substanz also identisch. 31 Diese wird in jenen entfaltet. Die Beziehung von Individuum und Staatsgewalt, deren Vorhandensein nach hier vertretener Ansicht Anwendungsvoraussetzung der Grundrechte ist, begegnet bei Jellinek also als „Gliedstellung" oder „Zugehörigkeit zum Staate". Wovon deren Erwerb und Verlust abhängig sind, bleibt zunächst unklar. „Nur als Staatsglied - im weitesten Sinne erkennt der moderne Staat jedem Menschen, der irgendwie seinem Herrschaftsbereiche verfällt, diese Eigenschaft zu - ist der Mensch überhaupt Träger von Rechten." 32

28

Ebd., 86. Ebd., 83. 30 Ebd., 87. 31 So auch Hans J. Wolff I Otto Bachof, Allgemeines Verwaltungsrecht, Bd. 1, 9. Aufl., 1974, 210f. Die These ist allerdings nicht unumstritten. Für viele ist nicht der allgemeine Status, die Zuordnung zu einer bestimmten Staatsgewalt, sondern das allgemeine Gewaltverhältnis, der status subiectionis, Quelle der anderen Status; so bei Hesse (1985), RNr. 281, und bei Peter Häberle, Grundrechte im Leistungsstaat, W D S t R L 30 (1972), 43 ff. (81 FN 158). 32 Jellinek, System, 82. 29

104

C. Grundrechtstatbestandliche Gewährleistung von Auslandskontakten

Auf das „irgendwie" kommt es an. Die dadurch zum Ausdruck gebrachte Unbestimmtheit läßt es als ausgeschlossen erscheinen, daß mit Staatsgliedschaft das rechtlich klar ausgestaltete Band der Staatsangehörigkeit gemeint ist. Indem Jellinek seine Aussage auf den Typus „moderner Staat" bezieht und die Eingliederung in den „irgendwie" definierten staatlichen Herrschaftsbereich zum Kriterium erhebt, macht er ferner deutlich, daß die Zuordnung kein rein staatsrechtliches Problem, sondern auch völkerrechtlich vorgezeichnet ist. Das Beziehungsgeflecht von Staatsrecht und Völkerrecht schimmert in den folgenden Sätzen aus der Allgemeinen Staatslehre durch: „Aus dem Dargelegten ergibt sich, daß es keine von der Herrschaft über Personen getrennte Gebietsherrschaft geben kann. . . . Vielmehr deckt sie (die Gebietsherrschaft, M. H.) sich ihrer staatsrechtlichen Seite nach mit der ganzen auf dem Gebiete ausgeübten Staatsgewalt." 33

Im Völkerrecht waren zu Jellineks Zeit Gebietshoheit und Personalhoheit die beiden Kompetenztitel, auf denen die Ausübung von Staatsgewalt beruhte. 34 In der „Allgemeinen Staatslehre" heißt es demgemäß konkretisierend: „Die Anerkennung als Person und als Staatsglied ist die Basis für alle öffentlichrechtlichen Ansprüche, die sich demzufolge teilen in solche, die der Staat allen in seinen Bereich (gemeint ist das Staatsgebiet; M. H.) gelangenden Menschen gewährt, und solche, die er seinen ihm dauernd als Bürger zugehörenden vorbehält."^

Die durch Staatsangehörigkeit und Gebietskontakt vermittelte Zuordnung zu einer staatlichen Gewalt ist Voraussetzung für den staatsrechtlichen Status 36 , mithin auch für die den status negativus konstituierenden Grundrechte. 37 Die Befassung mit der Jellinekschen Statuslehre kann an dieser Stelle abgebrochen werden. Der Demonstrationszweck ist erfüllt. Nach dieser Lehre basiert der grundrechtliche status negativus in der Tat - wie hier zu Art. 1 Abs. 3 GG behauptet - auf einem Grund-Rechtsverhältnis zwischen Individuum und Staat. Die Grundrechte konstituieren dieses Verhältnis nicht selbst, 33

Ebd., 401. Z u dem Verhältnis zwischen dem staatsrechtlichen Begriff der Staatsgewalt und dem völkerrechtlichen Souveränitätsbegriff, insbesondere der Unterscheidung in die innere und die äußere Souveränität: Geiger, 22ff.; Alfred Verdross, Die völkerrechtliche und politische Souveränität der Staaten, FS von der Heydte, 1977, Bd. 1, 703ff. (707); Luzius Wildhaber, Sovereignty and International Law, in: R. St. J. MacDonald / D. M . Johnston (ed.), The Structure and Process of International Law, 1983, 425ff.; ders., FS Eichenberger, 1982, 131 ff. Fast wörterbuchmäßige Zusammenstellung bei Detlev Dicke, Die Intervention mit wirtschaftlichen Mitteln im Völkerrecht, 1978, 68ff. Dazu, daß Souveränität nur eine Eigenschaft der Staatsgewalt ist, Krüger (1966), 852f. 3 5 Ebd., 419. 36 So auch Meyer-Anschütz, 946f.; Strupp, 274ff. 37 Z u der Relation Grundrechte - status negativus: Friedrich Giese, Die Grundrechte, 1905, 76; Jellinek, Staatslehre, 419ff. 34

I. Allgemeines Grundrechts-Kollisionsrecht

105

sondern sie setzen es voraus. Bestimmt wird es von Gebietshoheit und Personalhoheit, den beiden Bausteinen der Staatsgewalt, staats- wie auch völkerrechtlich. Ob das zitierte „irgendwie" damit ausgeschöpft ist, mag auf sich beruhen. Jellinek greift das Problem nicht unmittelbar auf, und man muß sich wohl auch hüten, allzu spezielle Abschichtungen bei einem Autor zu erwarten, dem die weltweite Interdependenz - in den heutigen Dimensionen - weder bekannt noch realistisch vorhersehbar war. So ist es zum Beispiel eine neuartige Frage, ob neben dem Territorial- und dem Personal- auch das sogenannte Wirkungsprinzip Grundlage für die Ausübung staatlicher Gewalt sein könne 38 ; zu ihr kann man bei Jellinek nichts finden. Auf der anderen Seite überrascht es, wie modern er schon dachte und wie sehr seine Staatslehre in diesem Punkt den heutigen Verhältnissen noch gerecht wird. 3 9 Zu Recht ist der Status-Gedanke auch in der neueren Literatur lebendig erhalten und bei der Lösung von Fragen internationaler Grundrechtsanwendung zum Einsatz gebracht worden. So wird insbesondere das Problem der staatsrechtlichen Stellung von Ausländern von der herrschenden Lehre in bewußter Anknüpfung an das Status-Kriterium behandelt. 40 c) Völkerrechtliche

Betrachtung der Staatsgewalt

In Jellineks Statuslehre schimmerte das eine und andere Mal durch, daß die Bestimmung des allgemeinen staatsrechtlichen Statusverhältnisses und damit mittelbar auch des grundrechtlichen status negativus in Abhängigkeit von den völkerrechtlich vorgeprägten Kompetenztiteln Gebietshoheit und Personalhoheit zu sehen ist. Um die Zusammenhänge zu erhellen, bedarf es einer eingehenderen Betrachtung des völkerrechtlichen Staatsbegriffes (bb.). Insbesondere soll Art. 1 Abs. 3 GG mit seinen Entsprechungen in den internationalen Menschenrechtskonventionen, mit Art. 1 E M R K , Art. 2 IPBPR und Art. 1 des dazugehörigen Fakultativprotokolles verglichen werden (cc.). Beides setzt methodisch voraus, daß sowohl im Völker- wie auch im staatsrechtlichen Teil der Betrachtung mit einem einheitlichen Staatsbegriff operiert werden kann. 38

Dazu Geiger, 298ff. Siehe insbesondere seine Ausführungen über die „internationalen Gesellschaftsverhältnisse" auf S. 121 f. der Staatslehre. 40 Vgl. Isensee (1974), 60ff., der auf S. 69 den Vorgang der Status-Begründung in drei Phasen zerlegt: koordinationsrechtliches Außenverhältnis - Kooptation - subordinationsrechtliches Innenverhältnis. Ähnlich Gunther Schwerdtfeger, Welche rechtlichen Vorkehrungen empfehlen sich, um die Rechtsstellung von Ausländern in der Bundesrepublik Deutschland angemessen zu gestalten?, Gutachten A zum 53. DJT, 1980, 29. Das Fehlen einer Status-Beziehung war der Grund, weshalb die Einbürgerung lange Zeit vertragsrechtlich gedeutet wurde; vgl .Otto Mayer, Zur Lehre vom öffentlichrechtlichen Vertrage, AöR 3 (1888), Iff. (37ff.). 39

106

C. Grundrechtstatbestandliche Gewährleistung von Auslandskontakten

Als erstes muß darum festgestellt werden, ob und, wenn ja, mit welchen Einschränkungen der staatsrechtliche mit dem völkerrechtlichen Staatsbegriff in Einklang zu bringen ist (aa). Die Übereinstimmung des staatsrechtlichen mit dem völkerrechtlichen Staatsbegriff ist gedanklicher Eckpfeiler des Weiteren. aa) Methodische Vorbemerkung Eine der bleibenden Einsichten der neukantianischen Rechtsphilosophie ist die Unterscheidung von Rechtsvoraussetzungs- und Rechtsinhaltsbegriffen. 41 Rechtsinhaltsbegriffe sind alle für den Gesetzgeber und den Rechtsanwender verfügbaren Begriffe, aus denen die Sätze einer Rechtsordnung gebaut sind. Rechtsvoraussetzungsbegriffe sind solche Rechtsbegriffe, die weder direkt noch im Wege der Abstraktion aus einer gegebenen Rechtsordnung entnommen werden können, die vielmehr dem juristischen Denken unentrinnbar als Bedingung seiner Möglichkeit vorausliegen. Den Staatsbegriff nun ordnen die Anhänger dieser Lehre beiden Gruppen zu. 4 2 Voraussetzungsbegriff ist er, weil Recht und Staat untrennbar miteinander verbunden sind. Inhaltsbegriff ist er, wenn er von der Gesetzessprache rezipiert und überformt wird. Die Kritiker wandten sich gegen das in ihren Augen zu strenge apriori der neukantianischen Rechtsvoraussetzungsbegriffe und gegen deren schroffe Trennung von den Rechtsinhaltsbegriffen. 43 Die gedankliche Struktur, die Anerkennung zweierlei Typen von Rechtsbegriffen, die einen dem positiven Recht entnommen oder aus ihm abstrahiert, die anderen dem positiven Recht vorgeschaltet und aus anderen Erkenntnisquellen gespeist, überlebte jedoch die Lehren ihrer Urheber. Die Rechtsvoraussetzungsbegriffe, von den Fesseln positivistischer Inhalts- und Sinnentleerung befreit, changieren seitdem mit dem Erkenntnisstand und methodischen Zugang und insbesondere dem Rang der sich mit ihnen befassenden Nachbarwissenschaften, werden also naturrechtlich, phänomenologisch-geisteswissenschaftlich, historisch, soziologisch oder rechtslogisch-systemtheoretisch gewonnen. In diesem offenen Sinne werden die beiden Termini - Rechtsvoraussetzungs- und Rechtsinhaltsbegriff - im weiteren verwandt. 44

41 Somló, Definitionen auf S. 8 und 26 f.; Rudolf Stammler, Lehrbuch der Rechtsphilosophie, 3. Aufl., 1928, 49ff. Die Terminologie ist nicht einheitlich; statt „Rechtsvoraussetzungsbegriff" kursieren auch „Rechtswesensbegriff", „juristischer Grundbegriff", „reiner Rechtsbegriff", „Kategorien des Rechts" oder „reine Formen des Rechts". Vgl. auch Hegel, Notizen zu § 2, bei alpha. 42 So z.B. Somló, 251 ff., 266ff.; zu ihm Ulrich Haefelin, Die Rechtspersönlichkeit des Staates, 1959, 156f. 43 Dazu Somló, 277: „Man kann aus der Persönlichkeit des Staates nicht ein Jota mehr herauslesen, als durch die Normen, auf die dieser Begriff zurückdeutet, in sie hineingelegt worden ist."; Hans Kelsen, Was ist die Reine Rechtslehre, FS Zaccaria Giacometti, 1953, 143ff. (161).

I. Allgemeines Grundrechts-Kollisionsrecht

107

Zu den Voraussetzungsbegriffen des Staatsrechts gehören neben anderen der Begriff des Politischen, der Souveränität, des Staates und der Verfassung. 45 Böckenförde nennt sie sehr plastisch „Schleusenbegriffe". 46 Sie sind die legitimen Einfalltore für interdisziplinäre Überlegungen. Als Inhaltsbegriffe sind sie zugleich in konkrete juristische Verwendungen eingespannt. Beim Staatsbegriff läßt sich das Zusammenspiel von Voraussetzungs- und Inhaltsbegriff am besten anhand eines Drei-Stufen-Modells erklären: auf der ersten Stufe das Staatsindividuum Bundesrepublik Deutschland als Seinstatbestand und Wissenschaftsobjekt, auf der mittleren Ebene ein theoretisches, ideengeschichtlich gewachsenes Staatsmodell als Regulativ beim Umgang mit dem positiven Recht, über das in den Grundzügen Konsens herrschen muß 47 , und schließlich als Rechtsinhaltsbegriffe die Termini „Staat", „öffentliche Gewalt" oder die einzelnen Staatsfunktionen in der Ausformung und Einbindung, die ihnen insbesondere das Verfassungsrecht gibt. Nach demselben Schema ist der völkerrechtliche Staatsbegriff zu zerteilen. Der Seinsbefund ist vielseitiger. Er umschließt die Gesamtheit der existierenden Staaten, darin einbegriffen eine Vielzahl aus staatsrechtlicher Sicht atypischer Fälle wie Mikrostaaten 48 , Scheinstaaten49 oder Staaten „in statu nascendi" 50 . Das normative Staatskonzept ist in seinem Kern auf die Drei-Elemente-Lehre und das staatliche Gewaltmonopol beschränkt, weist aber in neuerer Zeit, der staatsrechtlichen Entwicklung folgend, auch freiheitliche und soziale Elemente auf. 51 Bei positiv-völkerrechtlicher Verwendung erfährt dieser Staatsbegriff manche Modifikation, von denen eine der bekanntesten die Kontinuität der Staatspersönlichkeit ist. 52

44 Vgl. Robert Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 1976, 315f.; Karl Engisch, Die Relativität der Rechtsbegriffe, in: Deutsche Landesreferate zum V. Internationalen Kongreß für Rechtsvergleichung, 1958, 59ff. (64f.); Hans Kelsen, Allgemeine Staatslehre, 1925, 5; Leibholz, 268; Gustav Radbruch, Rechtsphilosophie, 6. Aufl., 1983,219. 45 Aufzählung bei Leibholz, 269. 46 A.a.O. (FS Scupin), 329. 47 Zum Problem des Grundkonsenses: Ernst Fraenkel, Der Pluralismus als Strukturelement der freiheitlich-rechtsstaatlichen Demokratie, in: ders., Deutschland und die westlichen Demokratien, 4. Aufl., 1968, 165ff. 48 Überblick bei Darsow, 269 ff. 49 Zum Problem der südafrikanischen Homelands siehe Crawford, 222 ff.; Konrad Ginther, Das Anerkennungsverbot der Homelands, G Y I L 23 (1980), 323ff. 50 Wie dies hinsichtlich der PLO vor einiger Zeit etwas voreilig behauptet wurde; Nachweise bei Claude Lazarus, Le Statut des Mouvements de Libération Nationale à l'Organisation des Nations Unies, A F D I X X (1974), 173ff. (197ff.). 51 Vgl. allgemein Rudolf (1986), 5f. Zum Gewaltmonopol siehe Heintzen, 17ff. Z u der Entwicklung im Staatsrecht im historischen Überblick Kriele, Staatslehre. 52 Dazu Hartmut Schiedermair, Effektive Herrschaftsgewalt und Rechtsfähigkeit im Völkerrecht, JA 1984, 638ff.

108

C. Grundrechtstatbestandliche Gewährleistung von Auslandskontakten

Auf der zweiten Stufe kommen der staatsrechtliche und der völkerrechtliche Staatsbegriff einander am nächsten. Die Verschiedenheiten der Regelungsmaterien und Rechtsordnungen treten hier zurück hinter das Verbindende eines Staatsmodells, das für beide denselben Ursprung hat. Bezeichnend, welch bedeutende Rolle sowohl im Staatsrecht wie auch im Völkerrecht die Drei-Elemente-Lehre Jellineks spielt. Auf der theoretischen Ebene hat es also einen Sinn, von einem gemeinsamen Staatsbegriff des Staats- und des Völkerrechts zu sprechen. 53 Da auch die Überlegungen in diesem Abschnitt auf theoretischer Ebene angesiedelt sind, können sie sich die Konvergenz zunutze machen. bb) Der völkerrechtliche Staatsbegriff Der völkerrechtliche Staatsbegriff hat zwei Seiten. Die eine ist nach innen gerichtet: innere Souveränität; mit der anderen wendet der Staat sich den anderen Völkerrechtssubjekten zu: äußere Souveränität. Der Unterschied wird in Art. 1 der Panamerikanischen Konvention vom 26.12.1933 - der, soweit ersichtlich, einzigen positivierten Staatsdefinition des Völkerrechtes sehr klar herausgearbeitet: „The State as a person of international law should possess the following qualifications: (a) a permanent population; (b) a defined territory; (c) government; and (d) capacity to enter into relations with other States." 54 Staatliche Gewalt übt ein Staat nur im Innen Verhältnis, in seinen eigenen Angelegenheiten, aus. Im koordinationsrechtlichen Außenverhältnis gelten die Prinzipien souveräner Gleichheit und Unabhängigkeit. „Gewaltverhältnisse" sind hier seltene Anomalie. Der Begriff der staatlichen Gewalt umfaßt nur solche staatliche Machtentfaltung, die sich in dem völkerrechtlich ihm vorbehaltenen Zuständigkeits- und Herrschaftsbereich manifestiert. A n dem Verhältnis von Menschenrechten und humanitärem Völkerrecht ist abzusehen, wie die Trennung von Innen und Außen bis in die völkerrechtlichen Regeln über den Schutz der menschlichen Person hinüberwirkt. Das Beispiel ist auch deshalb hier von Interesse, weil es aus einer Rechtsmaterie stammt, für deren verfassungsrechtliches Pendant - die Grundrechte, speziell Art. 1 Abs. 3 GG - die Ergebnisse des völkerrechtlichen Exkurses fruchtbar gemacht werden sollen. Das humanitäre Kriegsvölkerrecht ist seiner Struktur

53

So auch Isensee (1987), RNr. 34 und 38; Rudolf (1986), 5f.; ferner Darsow, 1 und 12f.; Henn-Jüri Uibopuu, Gedanken zu einem völkerrechtlichen Staatsbegriff, in: Christoph Schreuer (Hrsg.), Autorität und internationale Ordnung, 1979, 87ff. (102 FN 59). 54 A J I L 28 (1934), Supplement, 75. Dazu Verdross / Simma, 224. Zu den Gründen, die die Gründungsväter der Vereinten Nationen und die International Law Commission bewogen haben, keine eigene Staatsdefinition zu entwickeln, vgl. Darsow, 112ff.

I. Allgemeines Grundrechts-Kollisionsrecht

109

nach ein Recht, das über die Frontlinie souveräner, sich bekriegender Gebilde hinweg wirkt und jeder Seite aufgibt, den geschützten Personen der je anderen Seite gegenüber bestimmten humanitären Mindestanforderungen zu genügen. Demgegenüber weisen die Menschenrechte eine nach innen gerichtete Erfüllungsstruktur 55 auf. Sie wirken nur innerhalb einer Herrschaftssphäre, nicht über Grenzen hinweg, und sie schützen nur die der staatlichen Herrschaftsgewalt Unterworfenen, nicht andere, insbesondere nicht Kombattanten, die diese Herrschaftsgewalt bekämpfen. Die grundsätzliche Unterscheidung von Menschenrechten und humanitärem Völkerrecht ist in der neueren Rechtsentwicklung zwar in mancher Hinsicht gelockert worden, um dem Phänomen nichtinternationaler Konflikte rechtlich Herr werden zu können. 56 Die Vitalität des Grundsatzes, humanitäres Völkerrecht sei nicht und Menschenrechte seien nur in dem Verhältnis des Staates zu den seiner Herrschaftsgewalt Unterstehenden anwendbar, beweist sich nach wie vor darin, daß beide Rechtsmaterien nur auf ihren angestammten Anwendungsfeldern ihre volle Schutzintensität entfalten; jede Ausdehnung ihres Geltungsanspruches in den innerstaatlichen Rechtsraum bzw. in zwischenstaatliche Rechtslagen mußte mit Einbußen an normativer Aussagekraft und Autorität erkauft werden. Und nur dieser Grundsatz interessiert hier, weil er in einem nicht durch kriegsrechtsspezifische Besonderheiten überlagerten Konnex zur völkerrechtlichen Zuständigkeitslehre steht. Erst wenn dem Grunde nach feststeht, daß Art. 1 Abs. 3 GG eine Status-Beziehung von Individuum und Grundrechtsträger als Bedingung der Anwendbarkeit der Grundrechte voraussetzt, hat es Sinn, nach deren Bestimmungsmerkmalen im einzelnen zu fragen. Es versteht sich beinah von selbst, daß die Feinarbeit an gemeinsamen Grundsätzen in verschiedenen Rechtsbereichen zu unterschiedlichen Resultaten führt. Insoweit hilft der Vergleich mit dem Völkerrecht nicht weiter. Die grundsätzliche Aussage des Völkerrechts jedoch, daß die Staatsgewalt innengerichtet ist und auf einem Subjektionsverhältnis beruht, bestätigt die These zu Art. 1 Abs. 3 GG.

55 Zu diesem Begriff vgl. Bruno Simma, Das Reziprozitätselement im Zustandekommen völkerrechtlicher Verträge, 1972, pass. 56 Dazu A. Calogeropoulos-Stratis, Droit Humanitaire et Droit de l'Homme, 1980, insb. 139ff.; Yoram Dinstein, Human Rights in Armed Conflict: International Humanitarian Law, in: Th. Meron (Hrsg.), Human Rights in International Law: Legal and Policy Issues, Bd. 2, 1984, 345ff.; Otto Kimminich, Schutz der Menschen in bewaffneten Konflikten, 1979, 26ff.; KarlJ. Partsch, Human Rights and Humanitarian Law, EPIL 8 (1985), 292ff. Zur Anwendbarkeit des Kriegsvölkerrechtes in der Beziehung zwischen einem Staat und seinen eigenen Staatsangehörigen vgl. J. Schutte, The Applicability of the Geneva Conventions on the Protection of War Victims and Protocol I to the Relation Between a Contracting Party and its Own Nationals, ÖZöR 33 (1982), 29 ff. Zur Einschränkung der Rechte und Freiheiten der E M R K im Notstand siehe die Arbeit von Kitz.

110

C. Grundrechtstatbestandliche Gewährleistung von Auslandskontakten

cc) Menschenrechtliche Parallelbestimmungen zu Art. 1 Abs. 3 GG Gemäß Art. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention sichern die Hohen Vertragschließenden Teile allen ihrer Herrschaftsgewalt unterstehenden Personen die in Abschnitt I dieser Konvention niedergelegten Rechte und Freiheiten zu. In den Kommentierungen zu Art. 1 ist man sich einig, daß die Formulierung „ihrer Herrschaftsgewalt unterstehend" keine bloße Anspielung auf den Verletzungsort beinhaltet, sondern die rechtliche Beziehung zwischen dem Individuum und dem einer Menschenrechtsverletzung beschuldigten Staat betrifft. 57 Die Regelung hat in der Entscheidungspraxis der Europäischen Kommission für Menschenrechte in zwei Richtungen eine Konkretisierung erfahren. In mancher Hinsicht unterstünden die Bürger eines Vertragsstaates dessen Hoheitsgewalt auch dann, wenn sie im Ausland sich aufhalten oder wohnen. Die Entscheidungen mit diesem Tenor hatten Verletzungen der Konvention zum Gegenstand, die von den diplomatischen und konsularischen Vertretungen eines Vertragsstaates im Ausland begangen worden sind. 58 Ferner gelte die Verpflichtung der Vertragsstaaten, die Rechte und Freiheiten der E M R K zu gewährleisten, für alle Personen, die ihrer tatsächlichen Herrschaft und Verantwortlichkeit unterstehen - unabhängig davon, ob diese Herrschaft im eigenen Staatsgebiet oder außerhalb davon, z.B. in militärisch besetztem Gebiet, ausgeübt wird. So wurde die Türkei für schuldig befunden, in der von ihr besetzten Nordhälfte Zyperns ihre Verpflichtungen aus der E M R K verletzt zu haben. 59 Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte enthält in Art. 2 Abs. 1 eine vergleichbare Normierung: „Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, die in diesem Pakt anerkannten Rechte zu achten und sie allen in seinem Gebiet befindlichen und seiner Herrschaftsgewalt unterstehenden Personen ohne Unterschied . . . zu gewährleisten." Art. 1 des Fakultativprotokolls zum IPBPR ergänzt, daß eine Individualbeschwerde nur erheben kann, wer der Herrschaftsgewalt des beschuldigten Staates untersteht. In zwei Fallkonstellationen wurden dem Ausschuß für Menschenrechte bisher Fragen des Art. 2 zur Entscheidung vorgelegt. Die erste davon betrifft Menschenrechtsverletzungen durch diplomatische Missionen. Diese wurden vom Ausschuß 57

Frowein / Peukert, Art. 1 RNr. 4 u. 5; Sieghart, 58. X contre la République Fédérale d'Allemagne (Nr. 1611/62), Entscheidung vom 25.09.1965, Recueil des Décisions 17, 42 (47); X contre la République Fédérale d'Allemagne (Nr. 1197/61), Entscheidung vom 05.12.1962, Yearbook of the European Convention on Human Rights, Bd. 5, S. 88. 59 Chypre c. Turquie (Nr. 6780/74 u.a.), Entscheidung vom 26.05.1975, Decisions and Reports 2, 125 (136f.); (Nr. 8007/77), Entscheidung vom 10.07.1978, Decisions and Reports 13, 85 (148f.). Frowein in: Frowein / Peukert, Art. 1, RNr. 5, glaubt aus diesen Entscheidungen folgern zu können, eine Verletzung der völkerrechtlichen Grenzen der staatlichen Jurisdiktionsgewalt sei für die Frage der Anwendbarkeit der E M R K ohne Belang. 58

I. Allgemeines Grundrechts-Kollisionsrecht

111

nicht anders gesehen als von der Europäischen Kommission für Menschenrechte. 60 Fernerhin hatte sich der Ausschuß mit der gewaltsamen Verschleppung von Staatsangehörigen vom Ausland ins Inland zu Zwecken der Strafverfolgung zu beschäftigen. 61 Ausgangspunkt seiner diesbezüglichen Überlegungen ist die Erwägung, daß die Verweisung auf Herrschaftsgewalt und Staatsgebiet nicht auf den Verletzungsort abzielt, sondern auf das Verhältnis zwischen der Einzelperson und dem Staat im Hinblick auf die Verletzung irgendeines der im Pakt niedergelegten Rechte, wo immer sie sich zugetragen haben mag. 62 Bei Menschenrechtsverletzungen im Ausland komme dem Umstand, daß der andere Staat den Übergriff in seinen Hoheitsbereich billigt, keine Bedeutung zu. 6 3 Der Ausschuß erörtert nicht, ob das „Verhältnis" im Zeitpunkt der Menschenrechtsverletzung schon bestehen muß oder ob es genügt, wenn es durch den hoheitlichen - menschenrechtswidrigen - Zugriff begründet wird. Auch auf das zwischen dem Verletzerstaat und den Betroffenen bestehende Band der Staatsangehörigkeit geht er zur argumentativen Herleitung eines solchen „Verhältnisses" nicht näher ein. Insgesamt wirken die beiden Entscheidungen wenig überzeugend, und der Ausschuß scheint sich seiner Sache selbst nicht sicher gewesen zu sein. Trotz der beachtlichen und ausbaufähigen Prämissen nimmt die Begründung letztlich in der salvatorischen Klausel des Art. 5 Abs. 1 IPBPR Zuflucht. 64 Zu den Fragen, die in unserem Zusammenhang von Belang sind - Ist eine Menschenrechtsverletzung nur im Rahmen eines umfassenderen Grundverhältnisses zwischen Individuum und Staat denkbar? Welche Auswirkungen hat die Übertretung der völkerrechtlichen Zuständigkeitsordnung für die Frage der Anwendbarkeit der Menschenrechtspakte? - , findet man deshalb allenfalls Andeutungen. dd) Zusammenfassung der Überlegungen zum Staatsbegriff Der Staatsbegriff des Völkerrechts stimmt in den hier wesentlichen Punkten mit dem staatsrechtlichen Staatsbegriff überein. Insbesondere decken sich die Kriterien, nach denen die Abgrenzung der inneren Souveränität im Verhältnis 60 Fall Waksman (Mitteilung R. 7/31), Entscheidung vom 28.03.1980, EuGRZ 1980, 314; Fall Lichtensztejn (Nr. R. 19/77), Entscheidung vom 31.03.1983, EuGRZ 1984, 424f.; Fall Pereira Montero (Nr. R. 24/106), Entscheidung vom 31.03.1983, EuGRZ 1984, 425; Fall Varela Nunez (Nr. R. 25/108), Entscheidung vom 22.07.1983, EuGRZ 1984, 426. Dazu kommentierend Buergenthal, 74, der „Gebiet" und „Herrschaftsgewalt" als im Verhältnis der Disjunktion zueinander stehend ansieht; Nowak, 538f. 61 Fall Celiberti (Mitteilung R. 13/56), Entscheidung vom 29.07.1981, EuGRZ 1981, 520; Fall Lopez Burgos (Mitteilung R. 12/52), Entscheidung vom 29.07.1981, HRLJ 1981, 150; ferner Fall Quinteros Almeida (Mitteilung R. 24/107), Entscheidung vom 21.07.1983, EuGRZ 1984, 426; Fall Viana Acosta (Mitteilung R. 25/110), Entscheidung vom 29.03.1983, EuGRZ 1984, 427f. 62 EuGRZ 1981, 521; HRLJ 1981, 157. 63 Ebd. 64 Berechtigte Kritik in dem Sondervotum Tomuschats, EuGRZ 1981, 521 f.

112

C. Grundrechtstatbestandliche Gewährleistung von Auslandskontakten

der Staaten zueinander erfolgt. Es ist darum eine zulässige Interpretation des Begriffes „staatliche Gewalt" in Art. 1 GG, diesem eine dynamische Verweisung auf die völkerrechtliche Zuständigkeitsordnung zu unterstellen. d) Zwischenergebnis Durch das übereinstimmend in dieselbe Richtung weisende verfassungsrechtliche, staatstheoretische und völkerrechtliche Belegmaterial hat die Deutung des Art. 1 Abs. 3 GG, wonach dessen Adressatentrias über den Oberbegriff der Staatsgewalt zugleich ein Grund-Rechtsverhältnis zwischen Individuum und Staat zur Anwendungsvoraussetzung der Grundrechte macht, Bestätigung erfahren. Es scheint ferner, als bestehe ein direkter Zusammenhang zwischen den Grenzen der Verpflichtungskraft der Grundrechte und den durch das Völkerrecht vorgegebenen Grenzen des staatlichen Zuständigkeitsbereiches der Bundesrepublik Deutschland. Die Schutzwirkung der Grundrechte entfaltet sich demnach nur auf der Grundlage einer Status-Beziehung zwischen dem sich auf die Grundrechte berufenden Individuum und der grundrechtsverpflichteten Staatsgewalt der Bundesrepublik Deutschland. Die Klärung der Frage, nach welchen Kriterien über das Vorliegen der Statusbeziehung zu entscheiden ist, steht noch aus. Wenn auch in diesem Punkt die Heranziehung der völkerrechtlichen Zuständigkeitsordnung zu zufriedenstellenden Lösungen bei den Einzelproblemen der Auslandsgeltung der Grundrechte führen sollte, wären zusätzlich zu der theoretischen Plausibilität der These vom in Art. 1 Abs. 3 GG verankerten Grundrechtsstatus deren Praktikabilität und Einzelfallgerechtigkeit erwiesen. Fest steht einstweilen, daß die kollisionsrechtliche Anwendungsvoraussetzung der Grundrechte selbst nicht grundrechtlicher Natur ist, sondern ihre Wurzeln im Staatsbegriff und in der Einbettung des Staates in die Völkerrechtsordnung hat. Das berechtigt zu der Erwartung, in der Status-Beziehung ein Kriterium gefunden zu haben, das für alle Grundrechtsfälle mit Auslandsbezug in gleicher Weise gilt, von dem also ein nicht unerheblicher Systematisierungs- und Vereinfachungseffekt ausgeht. Bisher wurden nur Argumente für ein grundrechtliches Status-Kriterium vorgetragen. Sie haben dieser These ein hohes Maß an Plausibilität verschafft. Es soll aber nicht geleugnet werden, daß es auch beachtliche Argumente gegen diese These gibt. e) Mögliche Einwände gegen den Lösungsvorschlag Ein Lösungsvorschlag, der ein in Art. 1 Abs. 3 GG verankertes Status-Kriterium über die Reichweite der Grundrechtsgeltung bei Sachverhalten mit

I. Allgemeines Grundrechts-Kollisionsrecht

113

internationaler Anknüpfung entscheiden läßt, ist in verschiedener Hinsicht Bedenken ausgesetzt. Sie richten sich teils gegen die grundrechtlichen und die völkerrechtlichen Prämissen der Konstruktion, teils gegen deren Anspruch, für sämtliche relevanten Fallgruppen eine Antwort zu haben, schließlich gegen ihre verfassungssystematische Integrierbarkeit. aa) Grundrechtsdogmatische Einwände Der naheliegende Fundamental-Einwand lautet, nicht der Status sei grundrechtsbegründend, sondern die Grundrechte seien statusbegründend. 65 Mit der Postulierung eines Status werde etwas vorausgesetzt, was nicht in den Grundrechten zu finden oder sonstwie auf die Verfassung zurückführbar sei; richtigerweise könne das Außenprofil der Grundrechte aber nur mittels des Instrumentariums der Verfassungsinterpretation, angewandt auf die Grundrechte selbst, nachgezeichnet werden. Es hilft nicht weiter, darauf zu replizieren, die hier vorgelegten Auslegungsergebnisse seien korrekt aus Art. 1 Abs. 3 GG abgeleitet. Der Einwand zielt nämlich nur scheinbar auf die Positivität der Grundrechte, die den angeblich ungefilterten Rückgriff auf Staatslehre und Völkerrechtsdoktrin untersage, eigentlich aber auf das Verhältnis von „Staat" und „Verfassung". Die Formel, die Grundrechte seien statusbegründend und nicht der Status grundrechtsbegründend, läßt sich erst mit diesen beiden Schlüsselbegriffen vollständig dechiffrieren. Das in ihr enthaltene Monitum ist wie folgt zusammenzufassen: Staat und staatliche Gewalt können nicht als etwas Vorfindliches vorausgesetzt werden. Nur in dem Maße gewinnen sie Realität, in dem es gelingt, aus der Diffusität und Kontingenz des geschichtlich-konkreten Lebens politische Einheit hervorzubringen. Die Leitprinzipien, nach denen dieser gesamtgesellschaftliche Integrationsprozeß abläuft, bestimmt die Verfassung, insbesondere deren Grundrechtsteil. Sie ist konsequenterweise die rechtliche Grundordnung der Gemeinschaft, nicht des Staates. Ein Staatsbegriff, der der Verfassung vorausliegt oder dem im Verhältnis zu ihr zumindest relative Selbständigkeit zukommt, ist dagegen abstrakt und unwirklich. 66 65 So im wesentlichen die Kritik Hesses an der Statuslehre Jellineks; ders., Grundzüge, RNr. 280 - 282; dazu Starck, in: v M K , Art. 1, RNr. 110. 66 Hesse, RNr. 5ff., 16ff. Der Einsicht, daß sie die Verfassung mit diesem theoretischen Ansatz hoffnungslos überfordern, verschließen sich seine Anhänger. Unstimmigkeiten werden mit zum Teil hochkomplizierten Konstruktionen „bereinigt". Symptomatisch ist die Behandlung des staatlichen Gewaltmonopols. Bei Häberle (1973), 124, wird es kurzerhand mit dem Attribut einer „unverlierbare(n) Einsicht" dekoriert und so aus der verfassungsmethodischen Gefahrenzone weggelobt. Hesse, RNr. 112, weiß sich nicht anders zu helfen, als ohne eigene Stellungnahme gegen Staatsauffassungen zu polemisieren, die ihren Mittelpunkt lediglich in dem Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit finden - als ob Max Weber jemals das Gewaltmonopol in einer solchen Weise verabsolutiert hätte. Selbstkritisch Häberle (1967), 278ff., wo immerhin die

8 Heintzen

114

C. Grundrechtstatbestandliche Gewährleistung von Auslandskontakten

Eine die Breite und Tiefe der damit angeschnittenen Fragen nur annähernd ausschöpfende Stellungnahme ist hier nicht möglich. 67 Für unsere Zwecke reicht es aber auch aus, die Problematik aus der speziellen Perspektive internationaler Grundrechtsanwendung zu betrachten. 68 Es wird sich zeigen, daß dies ein geeigneter Ansitz ist, von dem aus eine Auswahl zwischen den konkurrierenden Staats- und Verfassungstheorien erfolgen kann. Auswärtige Angelegenheiten - der Begriff hier in einem umfassenden Sinn gebraucht - stehen nicht im Zentrum verfassungsjuristischen Interesses. Staatsrechtlichen Theoriebildungen dienen sie regelmäßig weder als Anschauungsmaterial noch als Prüfstein für erste Verifikationsversuche. Da sie andererseits den Bezug zum Völkerrecht in sich bergen und damit zu einer Rechtsordnung, deren begriffliche Grundlagen in entscheidenden Teilbereichen mit denen des Staatsrechts übereinstimmen, verspricht die Kontrolle der Stimmigkeit solcher Theoriebildungen gerade in diesem Bereich neue und grundsätzliche Erkenntnisse. Träger der Völkerrechtsordnung ist der Staat, nicht das zu politischer Einheit zu integrierende Gemeinwesen oder die Verfassung als Integrationsprogramm. Von internationaler Warte interessieren der Prozeß politischer Einheitsbildung und die Bestimmungen der Verfassung nur in atypischen Ausnahmesituationen. Gefragt sind vielmehr das Produkt, der Staat, und die Mindesteigenschaften, die er für die Zwecke des Völkerrechts aufweisen muß. In den Gemengelagen von Staats- und Völkerrecht rächt sich eine gewisse Staatsvergessenheit des Hesseschen Ansatzes. 69 Besonders deutlich wird das an Art. 24 Abs. 1 GG, dem auch Hesse prinzipielle Bedeutung für das Verständnis von Staat und Verfassung einräumt. Wenn Hesse in diesem Zusammenhang als den Kern der rechtlichen Aussage der Vorschrift den Verzicht auf die allumfassende Geltung und den Primat der Verfassung in der rechtlichen Ordnung des Gemeinwesens identifiziert und nicht die Verzichtbarkeit staatlicher Hoheitsrechte 70 , so zeugt das immerhin von Konsequenz. Mit dem Wortlaut und dem europapolitischen Sinn der Vorschrift ist diese Sicht jedoch nicht in Einklang zu bringen. Der Akzent liegt eindeutig auf der Öffnung der StaatGefahr gesehen wird, daß infolge einer Identifizierung von Staat und Verfassung der völkerrechtliche Staats- und Souveränitätsbegriff seine Universalität verliert. 67 Dazu Isensee (1987), RNr. 26ff.; Gegenüberstellung der beiden zu dieser Frage möglichen Grundpositionen bei Hanns-Rudolf Lipphardt, Grundrechte und Rechtsstaat, EuGRZ 1986, 149ff. (149 - 154). 68 Bei Tomuschat (1978) wird das Grundsätzliche der Problematik auf Seite 43 angedeutet. Die Umschreibung des Verhältnisses von Staat und Verfassung als „dialektische Einheit" liefert in der Tat den Schlüssel zur Lösung, bezeichnet aber mehr die richtige Fragestellung, als daß sie unmittelbar eine Antwort enthält. 69 Dieser Vorwurf wird sogar von einem so vorsichtig abwägend formulierenden Autor wie Ulrich Scheuner erhoben; vgl. ders., Staatszielbestimmungen, FS Forsthoff, 2. Aufl., 1972, 325ff. (325f.); ferner Herzog, 222. 70 Hesse, RNr. 111.

I. Allgemeines Grundrechts-Kollisionsrecht

115

lichkeit. Nicht die allumfassende Geltung und der Primat der Verfassung sind es schließlich auch, die der europäischen Integration im Wege stehen, sondern die Geschlossenheit der Staatsorganisationen nach außen. Nur der Staat, nicht das politische Gemeinwesen, ist eine aus sich heraus nach außen abgrenzbare Größe. Die „Gesellschaft" läßt sich auch als transnationales Beziehungsgeflecht denken. Rechtliche, auch verfassungsrechtliche Konturen erhält der Begriff erst durch die Kontrastierung mit einer davon unterschiedenen und ihrerseits nach außen abgegrenzten Staatsorganisation. Auch Hesse muß, um seinen umfassenden Begriff des „Gemeinwesens" nach außen zu konturieren, auf ein Merkmal der Staatlichkeit zurückgreifen: auf das Staatsgebiet. Es ist ein Zirkelschluß, das vorgeblich Umfassendere und Primäre, das Gemeinwesen, unter Zuhilfenahme eines Merkmals von etwas darin Enthaltenem, des Staates, zu definieren. 71 Bei der Beschäftigung mit den Bezügen des Staatsrechts zum Völkerrecht gebührt aus diesen Gründen derjenigen Lehre der Vorzug, die den Staat als einen der Verfassung zunächst vorgegebenen, von ihr zwar geformten und gezügelten, aber doch nicht absorbierten Herrschaftsverband anerkennt und damit die Möglichkeit zu einer Abstimmung mit dem völkerrechtlichen Staatsbegriff offenläßt, in dem für die Eigenheiten des deutschen Verfassungsrechts kein Platz ist. Die von Hesse vertretene und auf der Integrationslehre Smends aufbauende Konzeption ist dagegen zu innerstaatlich gedacht. A n den Nahtstellen zum Völkerrecht gerät sie in erhebliche Schwierigkeiten, weil ihr Staatsbegriff, anders als ζ. B. der Jellineksche, mit dem des Völkerrechts nicht zusammenpaßt. Die Prämissen des grundrechtsdogmatischen Einwands, nicht der Status sei grundrechtsbegründend, sondern die Grundrechte seien statusbegründend, sind damit hinfällig. Aus der Stellungnahme zugunsten eines gegenüber der Verfassung verselbständigten Staatsbegriffes folgt unmittelbar, daß zumindest für die Problematik der Anwendbarkeit der Grundrechte bei Sachverhalten mit Auslandsberührung dieses Dictum nicht zutreffend ist. bb) Der Begriff des „Rechtsverhältnisses" In einem nur entfernten Zusammenhang mit unseren Überlegungen stehen Bemühungen der Verwaltungsrechtslehre, den Begriff des Rechtsverhältnis71 Die Ausführungen beziehen sich auf RNr. 11 in Hesses „Grundzügen des Verfassungsrechts". Dort heißt es: „Deshalb soll die Differenzierung von Staatlichem und Nicht-Staatlichem im menschlichen Zusammenwirken innerhalb des Staatsgebietes (!) hier dadurch zum Ausdruck gebracht werden, daß als beide umfassend der Begriff des „Gemeinwesens" verwendet wird, während der Begriff „Staat" der engeren Bedeutung als Handeln und Wirken der im Wege politischer Einheitsbildung konstituierten Gewalten vorbehalten bleibt." 8*

116

C. Grundrechtstatbestandliche Gewährleistung von Auslandskontakten

ses als dogmatische Kategorie stärker in den Vordergrund zu rücken. 72 Das Denken in statusartigen und umfassenden Gewaltverhältnissen soll abgelöst werden durch ein Denken in konkreten und punktuellen Rechtsverhältnissen. Zu welchen Aussagen dieser von einigen als Forschungsdesiderat herbeigesehnte Ansatz 73 im einzelnen kommen wird, ist noch nicht abzusehen.74 Die Annahme eines Grundrechtsstatus als Anwendbarkeitsbedingung der Grundrechte in internationaler Hinsicht läßt zunächst Reminiszenzen an das allgemeine Gewaltverhältnis wach werden. Die Anbindung des in Art. 1 Abs. 3 GG vorausgesetzten Grundrechtsstatus an die völkerrechtliche Zuständigkeitslehre kommt aber zugleich dem Bemühen um eine die klassischen Gewaltverhältnisse auffächernde, einzelne rechtliche Beziehungen voneinander abschichtende Betrachtung entgegen und wird deshalb von der an die Lehre vom allgemeinen Gewaltverhältnis adressierten Kritik nicht berührt, dieses sei nichts als eine substanzlose Sammelbezeichnung für eine Vielzahl von Rechtsverhältnissen. 75 Die verschiedenen Anknüpfungstitel für völkerrechtliche Zuständigkeit können in vielfältiger Weise miteinander kombiniert werden, so daß für eine recht umfangreiche Palette von Begründungstatbeständen für den Grundrechtsstatus gesorgt ist. cc) Der Begriff „Staatsgewalt" in der Verfassungssystematik Das Grundgesetz verwendet den Begriff „staatliche Gewalt" neben Art. 1 Abs. 1 Satz 2 auch noch in Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG. Wegen der Identität des Wortlautes spricht eine gewisse Vermutung für eine Identität des Bedeutungsinhalts. 76 Staatliche Gewalt bei Art. 1 Abs. 3 im Sinne von Hoheitstätigkeit im Rahmen einer völkerrechtlichen Kompetenzordnung zu definieren, bedeutet, den Begriff einzugrenzen. „Staatliche Gewalt" ist dann nicht mehr alles, was der Staat tut, sondern nur noch die Entfaltung hoheitlicher Macht im Bereich seiner inneren Angelegenheiten, insbesondere gegenüber dem Bürger. Die Pflege auswärtiger Beziehungen ist bei diesem Verständnis eine Form staatlicher Tätigkeit, die man nicht mehr unter den Begriff „staatliche Gewalt" 72 Vgl. Achterberg (1986), § 20, RNr. 34ff.; Hartmut Bauer, Subjektive öffentliche Rechte des Staates, DVB1. 1986, 208ff.; Peter Häberle, Das Verwaltungsrechtsverhältnis - eine Problemskizze, in: ders., Die Verfassung des Pluralismus, 1980, 248ff.; Hans H. Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, 1965. 73 Otto Bachof, Die Dogmatik des Verwaltungsrechts vor den Gegenwartsaufgaben der Verwaltung, W D S t R L 30 (1972), 193ff. (231 f.). 74 Wie auch nicht abzusehen ist, ob die Gegenbewegung, die den Statusgedanken, insbesondere das besondere Gewaltverhältnis, wieder hochhält, nicht doch die Oberhand gewinnt; dazu Norbert Achterberg, Rezension zu Detlef Merten (Hrsg.), Das besondere Gewaltverhältnis, D ö V 1986, 302ff. 75 So Maurer, § 8, RNr. 30. 76 Siehe auch die Ausführungen unter C. I. 1. a) aa).

I. Allgemeines Grundrechts-Kollisionsrecht

117

bringen kann. Auf der anderen Seite soll das Erfordernis demokratischer Legitimation aller staatlichen Gewalt (Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG) durch diese Interpretation des Art. 1 Abs. 3 nicht berührt, auf keinen Fall verkürzt werden. Für die Bestimmung von Inhalt und Umfang des dort ebenfalls verwandten Begriffes „staatliche Gewalt" gibt sie nichts her. Durch die hier vertretene Auslegung des Art. 1 Abs. 3 wird also der Bedeutungsgleichlauf der Gewaltbegriffe in Art. 1 und Art. 20 Abs. 2 aufgekündigt. Die Differenzierung bedarf wegen der Identität des Wortlauts einer Rechtfertigung. Der Begriff „staatliche Gewalt" ist sprachlich nicht sehr glücklich gewählt. Schon oft ist darauf hingewiesen worden, daß das, was im Deutschen alles unter „Gewalt" firmiert, im Lateinischen aufgelöst werden kann in „vis", „potestas" und „auctoritas". Den Widerstand, den die sprachliche Klammer einem differenzierenden Begriffsverständnis entgegenzusetzen vermag, sollte man deshalb nicht als zu hoch veranschlagen. Entscheidend ist allein, ob mit dem Wort im selben sprachlichen Gewand in der Sache Verschiedenes zum Ausdruck gebracht wird. Weiterführend ist in diesem Zusammenhang ein Blick auf das völkerrechtliche Verständnis von Staatsgewalt. Bei näherem Hinsehen fällt auf, daß dort die Drei-Elemente- zu einer Vier-Elemente-Lehre ausgebaut ist. Der schon zitierte Art. 1 der Montevideo-Konvention aus dem Jahre 1933 differenziert zwischen „government" und „capacity to enter into relations with other States". 77 Im selben Sinne unterscheidet man in der Souveränitätslehre zwischen innerer und äußerer Souveränität. Es gibt also durchaus verschiedene Sachverhalte, die mit dem Begriff „Staatsgewalt" belegbar sind. Art. 1 Abs. 3 bezeichnet aus den dargelegten Gründen nur die nach innen sich entfaltende Staatsgewalt, während der Begriff in Art. 20 Abs. 2 umfassend zu verstehen ist. Die von der Identität des Wortlauts ausgehende Vermutung hinsichtlich des Begriffsinhalts ist damit entkräftet. 78 Verfassungssystematische Bedenken gegen die vorgelegte Interpretation des Art. 1 Abs. 3 GG sind unbegründet. dd) Bedenken aus der völkerrechtlichen Zuständigkeitslehre aaa) Der Geltungsbereich des staatlichen Rechts ist nach außen durch zwei konzentrische Kreise begrenzt. Die innere Grenzlinie markiert das staatliche Recht selbst; erst die äußere Peripherie ist völkerrechtlicher Natur. 7 9 Beide 77

Nachweis in FN 54. Insoweit übereinstimmend Starck, v M K , Art. 1, RNr. 138. 79 Dietrich Oehler, Internationales Strafrecht, 2. Aufl., 1983, RNr. 111; Rudolf (1973), 8ff., 17ff. 78

118

C. Grundrechtstatbestandliche Gewährleistung von Auslandskontakten

Kreise gelangen zur Deckung, wenn ein Staat den vom Völkerrecht ihm zugestandenen Regelungsspielraum voll ausschöpft. Doch auch dann behält die Unterscheidung eine logische Berechtigung. Die Ausdehnung der Grundrechtsgeltung bis an die äußere Peripherie, bis an die Grenzen völkerrechtlicher Zuständigkeit der an die Grundrechte gebundenen deutschen Staatsgewalt, mißachtet diese Zusammenhänge nicht, sie ersetzt die beiden Kreise nicht durch nur einen. Trotz der dynamischen Verweisung auf das Völkerrecht handelt es sich um eine verfassungsrechtliche Selbstbestimmung, deren grundgesetzlicher Standort der Begriff der „staatlichen Gewalt" in Art. 1 Abs. 1 Satz 2 und die Adressatentrias des Art. 1 Abs. 3 GG ist. Die Synchronisierung von Grundrechtsgeltung und völkerrechtlicher Zuständigkeit hat ihren tragenden Grund im Schutzauftrag der Grundrechte. Insofern erweist sich bei genauerer Betrachtung als nicht ganz richtig, was über das Verhältnis des internationalen Anwendungsbereiches der Grundrechte zu dem internationalen Anwendungsbereich der deutschen Rechtsordnung insgesamt gesagt worden ist. 8 0 Deckungsgleichheit besteht nicht aktuell, sondern nur potentiell. Überall dort, wohin die deutsche Staatsgewalt zulässigerweise reicht, soll sie an die Grundrechte gebunden sein: Grundrechte und deutsche Staatsgewalt verhalten sich zueinander wie Hase und Swinegel; die Grundrechte sind immer schon da, wohin der Hase auch rennt. Die Grundrechte folgen der deutschen Staatsgewalt nicht nach, wenn sie die Grenzen ihrer völkerrechtlichen Zuständigkeit überschreitet. Es kann nicht angehen, die Remedur gegen eine Übertretung des Völkerrechts in deren Bekräftigung durch das „Nachziehen" der Grundrechte zu suchen. Übertretung der völkerrechtlichen Zuständigkeit heißt ins Positive gewendet regelmäßig, daß der Sachverhalt, hinsichtlich dessen die Übertretung erfolgt ist, der Regelungszuständigkeit eines anderen Völkerrechtssubjektes unterliegt. Da die menschenrechtliche Verantwortlichkeit an die Regelungszuständigkeit akzessorisch anknüpft, ist es Aufgabe des durch die Übertretung in seiner Kompetenzsphäre verletzten Staates, die menschenrechtlichen Belange des Betroffenen zu schützen.81 Anders ist es freilich, wenn der andere Staat der Übertretung, die dann keine mehr ist, zustimmt. Gleichzeitig mit der daraus resultierenden Erweiterung der Handlungsmacht der deutschen Staatsgewalt erweitert sich der Anwendungsbereich der Grundrechte. bbb) Bedenken ergeben sich auch aus dem Begriff der völkerrechtlichen Zuständigkeitsordnung selbst. In der völkerrechtlichen Dogmatik herrscht Streit darüber, ob die staatliche Gewalt eine vom Völkerrecht verliehene Kompetenz sei oder ob sie eine genuin staatsrechtliche Natur habe und durch so Siehe C. I. 1. a) cc). 81 Zu diesem Mechanismus in anderem Zusammenhang Heintzen, 20 ff. Zu dem Topos „grundrechtliche Verantwortlichkeit" vgl. BVerfGE 66, 39 (62).

I. Allgemeines Grundrechts-Kollisionsrecht

119

das Völkerrecht nur begrenzt werde. 82 Je nachdem, wofür man sich entscheidet, präsentiert sich die völkerrechtliche Zuständigkeitsordnung entweder als ein Gefüge von Kompetenztiteln oder als eine Zusammenstellung von Verbotsnormen. 83 Dem Streit haftet eine gewisse Beliebigkeit an. Er läuft - bildhaft gesprochen - darauf hinaus, ob man ein Glas Wasser für halb voll oder für halb leer erklärt. Da die völkerrechtlichen Fragen hier nicht um ihrer selbst willen, sondern nur als verfassungsrechtliche Vorgabe interessieren, mag der Hinweis auf den völkerrechtlichen Schulenstreit und darauf genügen, daß durch die Parteinahme für die eine oder die andere der völkerrechtlichen Alternativen verfassungsrechtlich nichts präjudiziert wird. ee) Grundrechtsbindung der Auswärtigen Gewalt Auswärtige Gewalt ist Entscheidung über die Rechtsbeziehungen eines Staates zu anderen Subjekten des Völkerrechts auf der Basis des Völkerrechts. 84 Der Begriff ist auf das völkerrechtliche Koordinationsverhältnis souveräner Gebilde hin gedacht. Nach hier vertretener Auffassung können die Grundrechte ihre Schutzwirkung jedoch nur im Rahmen eines staatsinternen Subjektionsverhältnisses entfalten. Es scheint somit, als ob diese Auffassung die allgemein für notwendig befundene und anerkannte Grundrechtsbindung der Auswärtigen Gewalt in Frage stellen würde. Der Begriff „Auswärtige Gewalt" ist in mehrfacher Hinsicht reduktionistisch: hinsichtlich des „Trägers" ebenso wie hinsichtlich der Adressaten und der von ihrer Wirkung Betroffenen. Ein völkerrechtlicher A k t der Bundesrepublik Deutschland - Hauptbeispiel: der Abschluß eines völkerrechtlichen Vertrages - muß nicht, aber er kann die interne Rechtslage gestalten. Er zeitigt dann Rechtsfolgen sowohl auf der koordinationsrechtlichen Ebene des Völkerrechts als auch im innerstaatlichen Recht, hat also Doppelwirkung. 82 Hauptverfechter der monistischen Position, der der Verf. eher zuneigen würde, ist Hans Kelsen. Überblick über den Diskussionsstand bei Rudolf (1973), 17 f. 83 Grundlegendes Judikat ist nach wie vor die 1927 ergangene Entscheidung des Ständigen Internationalen Gerichtshofes im Lotus-Fall, PCIJ, Series A , No. 10, p. 18. Dazu aus neuerer Zeit: Derek Bowett, Jurisdiction: Changing Patterns of Authority over Activities and Resources, in: R. St. J. McDonald u.a. (ed.), The Structure and Process of International Law, 1983, 555ff.; Mann (1984). Ulrich Huber, Auswirkungstheorie und extraterritoriale Rechtsanwendung im internationalen Kartellrecht, Z G R 10 (1981), 510ff. (522), meint, die Grundsätze des Lotus-Urteils seien auf die modernen Fälle extraterritorialer Rechtsanwendung nicht anwendbar, da die Sachverhalte inkommensurabel seien. Vgl. auch BVerfGE 63, 343 (361, 373f.). 84 Dazu grundlegend Mosler (1954), 243 ff. Überblick über den aktuellen Meinungsstand bei Fastenrath (1986), 56ff.; Thomas Puhl, Die Minderheitsregierung im deutschen Staatsrecht, 1986, 135 ff.

120

C. Grundrechtstatbestandliche Gewährleistung von Auslandskontakten

Die Grundrechtsbindung greift erst dann ein, wenn Maßnahmen der Auswärtigen Gewalt Wirkungen im innerstaatlichen Bereich entfalten. Werden die auswärtigen Organe der Bundesrepublik Deutschland hingegen nur auf der völkerrechtlichen oder - wenn es nicht um rechtsförmliches Handeln geht - auf der internationalen Ebene aktiv, so üben sie keine „staatliche Gewalt" oder „vollziehende Gewalt" im Sinne des Art. 1 des Grundgesetzes aus. Die Grundrechte geben z.B. keine Auskunft über den von der Bundesrepublik gegenüber der Republik Südafrika einzuschlagenden Kurs. 85 Sie verpflichten auch nicht zur Übernahme der „Carterschen Menschenrechtspolitik". 86 Es hilft in diesem Zusammenhang nicht weiter, sich auf eine objektivrechtliche oder institutionelle Deutung der Grundrechte zu berufen. Der subjektivrechtliche und der objektiv-rechtliche Aspekt der Grundrechte dürfen nicht auseinandergerissen werden. 87 Letzterer kann da nicht in Ansatz gebracht werden, wohin ersterer nicht reicht; das Ergebnis wären nämlich Menschenrechte ohne Menschen. Auf das Beispiel angewandt heißt das: Eine Verpflichtung der Bundesrepublik zu einer „Anti-Apartheid-Politik" wäre nur unter der Voraussetzung zu konstruieren, daß jedem rassisch diskriminierten Südafrikaner ein darauf lautender grundrechtlicher Anspruch zustünde, egal wie durchsetzungsschwach. Das jedoch trifft nach herrschender Ansicht nicht zu. Die Meinungen gehen nur in der Begründung auseinander. Während die einen den schwammigen Begriff der Völkerrechtsfreundlichkeit ins Feld führen oder ihre Verlegenheit in unjuristische, aber konsensträchtige Schlagworte wie Grundrechtsimperialismus hüllen, ist die Unergiebigkeit der Grundrechte für die Bestimmung des richtigen außenpolitischen Kurses nach der hier vertretenen Ansicht aus Art. 1 Abs. 3 GG zu begründen. Da weder die politischen Zustände in Südafrika im allgemeinen noch die Situation einzelner dort lebender Personen der Regelungszuständigkeit der deutschen Staatsgewalt unterliegen, kann sie dafür in keiner Weise grundrechtlich verantwortlich gemacht werden und ist die Bundesregierung in ihrer Politik gegenüber der Republik Südafrika durch die Grundrechte in keiner Weise festgelegt. Art. 1 Abs. 2 GG gibt keine Veranlassung zu einer Korrektur dieser These. Die Vorschrift trifft keine positiv-grundrechtliche Regelung, sondern sie enthält ein Bekenntnis zu den Menschenrechten als überpositives Recht. 88 85 So aber Tomuschat (1978), 42ff. ; ihm zustimmend / . P. Müller (1982), 176; a. Α . : Bleckmann, Staatsrecht I I , 57f.; Wilhelm Geck, Diskussionsbeitrag, in: VVDStRL 36 (1978), 142ff., 159ff.; unentschieden Geiger, 173; skeptisch Schröder (1984), 72. 86 Dazu Eberhard Grabitz, Diskussionsbeitrag, V V D S t R L 36 (1978), 159; kritisch aus politikwissenschaftlicher Sicht: Schwarz (1983), 433ff. Z u den Dilemmata der USamerikanischen Menschenrechtspolitik siehe die zusammenfassende Darstellung bei Friedbert Pflüger, Die Menschenrechtspolitik der USA, 1983. 87 In Rechtsprechung und Literatur wird fast einmütig vom Vorrang der subjektivrechtlichen Seite ausgegangen: BVerfGE 50, 290 (337); Alexy, 411ff.; Dürig, M D , Art. 1, RNr. 98; Starck, v M K , Art. 1, RNr. 126ff.; a. Α . : Tomuschat (1978), 45.

I. Allgemeines Grundrechts-Kollisionsrecht

121

Entgegen der ursprünglichen Befürchtung steht die Postulierung eines Grundrechtsstatus und, damit einhergehend, die Begrenzung der grundrechtlichen Verantwortlichkeit der Bundesrepublik Deutschland in internationaler Hinsicht der von Bundesverfassungsgericht und Lehre zu allgemeiner Anerkennung gebrachten Grundrechtsbindung der Auswärtigen Gewalt nicht entgegen. Zugleich erweist sie sich als ein zuverlässiges Abgrenzungskriterium, wenn es darum geht, Übergriffe des Verfassungsrechts in die im wesentlichen von Zweckmäßigkeitserwägungen beherrschte Sphäre der internationalen Politik abzuwehren. In den unproblematischen Fragen - etwa bei der Begründung der grundsätzlichen Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde gegen das Zustimmungsgesetz zu einem völkerrechtlichen Vertrag - kommt man so zu keinen anderen Ergebnissen als die herrschende Meinung. Mit den unbestrittenermaßen noch vorhandenen Zweifelsfällen wird man sogar besser fertig. Bei Zugrundelegung des Status-Kriteriums gelangt man zu dem Ergebnis, daß auswärtige Gewalt an die Grundrechte nur dann, aber auch immer dann gebunden ist, wenn sie Betätigung staatlicher Gewalt im Sinne des Art. 1 Abs. 3 GG ist. ff) Die Verortung des Status-Kriteriums bei Art. 1 Abs. 3 GG Selbst wenn man die grundrechtskollisionsrechtliche Ausdeutung des Begriffes „Staatsgewalt" grundsätzlich für gut heißt, könnte man Einwendungen gegen die systematische Einordnung des Status-Kriteriums bei Art. 1 Abs. 3 GG erheben wollen. Die Bedenken lassen sich dahin formulieren, daß Art. 1 Abs. 3 GG nur eine Aussage über die Grundrechtsverpflichteten, nicht aber zugleich auch eine Aussage über die Grundrechtsberechtigten enthalte. Für diesen Einwand spricht die historische Auslegung des Art. 1 Abs. 3 G G . 8 9 Die Vorschrift hat nach den Vorstellungen der Verfassungsväter den Zweck, klarzustellen, daß die Grundrechte unmittelbar geltendes Recht und von allen staatlichen Organen zu beachten sind. Dementsprechend steht bei ihr die grundrechtliche Passivlegitimation im Vordergrund. Das schließt es jedoch nicht aus, Art. 1 Abs. 3 GG auch als eine grundsätzliche Aussage zur Frage der grundrechtlichen Aktivlegitimation zu interpretieren. Dafür spricht zunächst, daß Berechtigung und Verpflichtung aus Grundrechten wohl logisch unterscheidbar, aber sachlich zusammengehörig sind. 88 Vgl. Josef Isensee } Menschenrechte - Staatsordnung - Sittliche Autonomie, in: Johannes Schwartländer (Hrsg.), Modernes Freiheitsethos und christlicher Glaube, 1981, 70ff. (73, 83ff.); Kriele, 150 („Grundrechte sind positives Recht, Menschenrechte sind Naturrecht."); Starck, v M K , Art. 1, RNr. 91; Klaus Stern, Die Bedeutung der Unantastbarkeitsgarantie des Art. 79 I I I GG für die Grundrechte, JuS 1985, 329ff. (335). 89 Dazu Denninger, A K - G G , Art. 1, RNr. 1; von Münch, vM, Art. 1, RNr. 2 (m.w.N.).

122

C. Grundrechtstatbestandliche Gewährleistung von Auslandskontakten

Die Kernaussage des Art. 1 Abs. 3 GG, die ausdrückliche Anordnung der unmittelbaren Geltung der Grundrechte, betrifft denn auch beide. Wichtiger noch ist das Argument, daß die Adressatentrias des Art. 1 Abs. 3 GG nur eine der Klarheit halber erfolgte Ausdifferenzierung des Begriffes „staatliche Gewalt" in Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG darstellt. In diesem Begriff ist ein Rechtsverhältnis notwendig mitgedacht. Staatliche Gewalt gibt es nicht an sich; sie entfaltet sich vielmehr stets in einem territorial und personal bestimmten Umfeld, in einer Wechselbeziehung zu den Gewaltunterworfenen. Wer nach Kriterien zur begrifflichen Präzisierung dieser Relation sucht und aus ihnen Schlüsse hinsichtlich des personalen Geltungsbereiches der Grundrechte zieht, überschreitet somit nicht den von Art. 1 Abs. 3 GG thematisch gesteckten Rahmen. f) Zusammenfassung und Auswertung aa) Statusbedingtheit der Grundrechtsgeltung im Außenbereich Ebenso wie im Innenbereich bei den Problemfällen der Fiskalgeltung und der Drittwirkung 9 0 gibt Art. 1 Abs. 3 GG auch im Außenverhältnis die Bedingungen an, unter denen die Grundrechte zur Anwendung gelangen. Die „Gewalt"-Begriffe in Art. 1 des Grundgesetzes beinhalten mehr als die Benennung der Adressaten der Grundrechte; sie richten die Grundrechte auf eine in bestimmter Weise qualifizierte Beziehung von Individuum bzw. juristischer Person und Staatsgewalt aus, beschränken also, wenn man dies so ausdrücken will, deren auch in internationaler Hinsicht prima facie umfassende Anwendungsbreite. Im Außenverhältnis ist die statusmäßige Zuordnung zur Staatsgewalt der Bundesrepublik Deutschland Grundvoraussetzung für den Grundrechtsschutz. In erster Annäherung wurde die Unterwerfung unter die Gebiets- und die Personalhoheit der Bundesrepublik als konstitutiv für die Begründung eines grundrechtlichen Status angesehen. Dieser Punkt bedarf noch einer eingehenderen Untersuchung, die nach der Vielzahl möglicher Koordinaten differen90 Auch die sogenannte „Drittwirkung der Grundrechte" hängt mit Art. 1 Abs. 3 GG, mit dem Staatsbegriff und den verschiedenen Statusverhältnissen, zusammen. Das kann hier nur angedeutet werden. Sieht man von der Gleichberechtigung der Frau und der Gleichstellung nichtehelicher Kinder ab, die wegen der ins Zivilrecht hinüberwirkenden Gesetzgebungsaufträge in Art. 6 Abs. 5 und 117 Abs. 1 eine eigenständige Betrachtung erfordern (so auch Starck, v M K , Art. 1, RNr. 198), fällt auf, daß die überwiegende Zahl der Drittwirkungsfälle die „politischen" Grundrechte betrifft, die insoweit nur mit Vorbehalten dem status negativus zugeordnet werden können. Die Grundrechte sprechen hier vielmehr die Grundrechtsträger, auch im Verhältnis untereinander, als am politischen Prozeß beteiligte Staatsbürger an. Der Staat erscheint in den Drittwirkungsfällen nicht als quasi anstaltlich der grundrechtsgeschützten Gesellschaft gegenübergestellt, sondern als die politische Einheit, die von dem drittwirkungsgeschützten Grundrechtsgebrauch mit konstituiert wird.

I. Allgemeines Grundrechts-Kollisionsrecht

123

ziert (z.B. Inland/Ausland, Deutscher/Fremder, Rechtsetzung/Rechtsdurchsetzung) und die die neueren Entwicklungen im Bereich der völkerrechtlichen Zuständigkeitslehre berücksichtigt. bb) Vergleich mit dem Diskussionsstand in der Literatur Die hier vorgetragene Meinung scheint schon im Ansatz von einer Grundposition abzuweichen, die in der Lehre von der Auslandsgeltung der Grundrechte einen festen Platz hat. Der internationale Anwendungsbereich eines Grundrechts könne - so ist oft zu lesen - nur durch eine sorgfältige Analyse speziell seines Tatbestandes und Normbereiches ermittelt werden. 91 Demgegenüber müsse man es der Annahme eines allgemeinen kollisionsrechtlichen Statusverhältnisses zum Vorwurf machen, daß sie alle Grundrechte im Stile einer sehr allgemeinen Grundrechtstheorie über den einen Leisten des Art. 1 Abs. 3 GG schlage und die sorgfältige Analyse der Schutzbereiche der einzelnen Grundrechte verabschiede zugunsten der Konstruktion eines umfassenden grundrechtlichen Verantwortungsbereiches; für die individuellen Besonderheiten einzelner Grundrechte bleibe dabei kein Raum. Wenn dies so wäre, müßte es in der Tat als ein gravierender Mangel gewertet werden. Die Anwendung des Art. 1 Abs. 3 GG auf Grundrechtsfälle mit Auslandsbezug ist jedoch nicht als Alternative zu den bisher üblichen Verfahren gedacht, sondern soll als ein zusätzlicher Filter der Untersuchung des Schutzbereiches des einschlägigen Grundrechts vorgeschaltet werden. Die bisher so nicht erfolgte Aktivierung des Art. 1 Abs. 3 GG für die Lösung grundrechtlicher Auslandssachverhalte steht also in keinem Widerspruch zu dem vorhandenen Erkenntnisstand; sie ergänzt ihn vielmehr und verfeinert die kollisionsrechtliche Entscheidungsfindung. Das Ein-Phasen-Modell wird zum Zwei-Phasen-Modell ausgebaut.92 Eine Verfeinerung der Kriterien findet auch im Verhältnis zu einer anderen Auffassung statt, die zu der Frage der internationalen Geltung und Anwendbarkeit der Grundrechte vorgetragen worden ist: der Berufung auf das Territorialitätsprinzip. Die Territorialität der Grundrechtsordnung wird hier nur als Grundsatz akzeptiert. Modifikationen in der einen oder anderen Richtung bleiben vorbehalten. Was in der ungenauen, Verräumlichung und territoriale 91

Isensee (1974), 60f.; Meessen, B D G V R 1975, 67; J. P. Müller, 89; anders wohl Bleckmann, Staatsrecht I I , 53f. Ansätze im Sinne der hier vertretenen Meinung bei Oppermann, 523, 526f., wo nicht nur mit dem Territorialitäts-, sondern auch mit dem Personalitätsprinzip argumentiert wird. 92 Gegen ein in seinen Augen zu stark dem international-privatrechtlichen Denken verhaftetes Zwei-Phasen-Modell ist Meessen, B D G V R 1975, 65; ihm folgend Schröder, 141. Vgl. ferner Klaus Vogel, Administrative Law, International Aspects, EPIL 9 (1986), 2 (5f.). Die im Text vertretene Auffassung wird von diesem Vorwurf nicht berührt. Im Gegensatz zum Internationalen Privatrecht läuft sie auf eine in mehrere Prüfungsschritte zerlegte negative Kollisionsentscheidung hinaus.

124

C. Grundrechtstatbestandliche Gewährleistung von Auslandskontakten

Begrenztheit suggerierenden Wortschöpfung „Schutzbereich" mehr unterschwellig-konnotativ mitgemeint war 93 und nur bei Bedarf, d.h. dann, wenn die unbesehene Anwendung des Territorialitätsprinzips zu unbefriedigenden Ergebnissen führte, zu Bewußtsein gebracht wurde, wird nun explizit ausgewiesen und erhält in Art. 1 Abs. 3 GG eine eigenständige Grundlage im Verfassungstext. In einem engen Zusammenhang mit der schlichten Berufung auf das dem öffentlichen Recht eigentümliche Territorialitätsprinzip steht der Einwand, ein kompliziertes „Internationales Grundrechte-Recht ( I G R R ) " 9 4 nach dem Vorbild des Internationalen Privatrechts könne es nicht geben. Die hier vorgeschlagene Konstruktion wird davon nicht getroffen. Was dem ersten Prüfungsschritt innerhalb des zweiphasigen Modells internationaler Grundrechtsanwendung die Richtung weist, sollte besser als Souveränitäts- denn als Verfassungs- oder speziell Grundrechtskollisionsrecht bezeichnet werden. Die Vermessung des Kompetenzbereiches, innerhalb dessen die deutsche Staatsgewalt sich in völkerrechtlich zulässiger Weise entfaltet, hat mit Grundrechten zunächst nichts zu tun. Die Grundrechtsrelevanz ergibt sich erst mittelbar daraus, daß der internationale Anwendungsbereich der Grundrechte mit dieser völkerrechtlichen Kompetenzsphäre übereinstimmt. cc) Grundrechtskollisionsrecht und die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft Zwischen den im Abschnitt über die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft erzielten Ergebnissen 95 und der Anbindung der Reichweite des Grundrechtsschutzes an die völkerrechtliche Kompetenzordnung besteht ein gewisses Spannungsverhältnis. Der Annahme eines grundsätzlich nicht durch Staatsgrenzen parzellierten einheitlichen gesellschaftlichen Raumes innerhalb der liberal-demokratischen europäisch-atlantischen Verfassungsgemeinschaft steht ein Grundrechts Verständnis gegenüber, das auf der Abgrenzung der Zuständigkeitsräume der grundrechtsgewährleistenden Staaten beruht und Grundrechte nur in deren Innenbereich zur Anwendung kommen läßt. Um diese Diskrepanz widerspruchsfrei denken zu können, muß man die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft wieder ein Stück weit aus der engen Verknüpfung mit den Grundrechten lösen, in die sie die neuere Literatur gebracht hat. 9 6 Der Dualismus erfährt dadurch eine Wandlung zu einem rechtsdogmati93 Beispiele für eine solche unreflektierte Verwendung des Begriffes lassen sich selbst in der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nachweisen: BVerfGE 55, 349 (362f.); 57, 9 (23f.); 66, 39 (59, 62). 94 Begriff bei Kegel (1972). 95 Siehe Β . II. 4. 96 So insb. Isensee (1968), 151ff.; Herzog, 146; H. H. Klein (1972), 47ff.; siehe auch obenB. II. 1. d).

I. Allgemeines Grundrechts-Kollisionsrecht

125

sehen Kontrastprogramm zur Staatlichkeit der Grundrechte, die Freiheitsschutz nur im Innenbereich der grundrechtsgebundenen Staatsgewalt zuläßt. Die Grundrechte als staatliche Rechtssätze können nur im Rahmen der Staatsordnung Geltung und Wirksamkeit beanspruchen. 97 Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft ist als theoretische Kategorie nicht an diesen Rahmen gebunden. Durch die Öffnung des Gesellschaftsbegriffs für internationale Zusammenhänge wird sie in ein gewisses Spannungsverhältnis zur Territorialität staatlicher Rechtsordnungen gebracht, verliert dadurch aber nicht ihre Aussagekraft für das Verständnis der Grundrechte 98 , sondern vermag es im Gegenteil, ein wenig über die Schwierigkeiten hinwegzuhelfen, die daraus resultieren, daß das staatliche Recht, die Grundrechte inklusive, internationale Sachverhalte nur unvollständig erfaßt. Die Arbeitsteilung zwischen Art. 1 Abs. 3 GG und dem Dualismus von Staat und Gesellschaft richtet sich nach folgenden Grundsätzen. Art. 1 Abs. 3 bestimmt, innerhalb welchen Bereiches die Grundrechte anwendbar sind. Der - wie oben dargelegt - internationalisierte Gesellschaftsbegriff sorgt dafür, daß der Zugang zu diesem Bereich nicht durch eine restriktive Grundrechtsinterpretation blockiert wird, daß insbesondere durch ein Denken in einzelnen Status-Relationen nicht der Blick für grenzüberschreitende Zusammenhänge verloren geht, die nur teilweise, nämlich nur hinsichtlich der deutscherseits Beteiligten, mit dem Status-Kriterium erfaßbar sind. Durch die Ausrichtung auf die Staatlichkeit der Grundrechte erhält auf der anderen Seite der Dualismus von Staat und Gesellschaft in internationaler Hinsicht Kontur, worauf insbesondere der „Gesellschafts"-Begriff angewiesen ist. Beide, das StatusKriterium des Art. 1 Abs. 3 GG und die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, bedingen sich insofern gegenseitig. Diese Konstruktion macht eine methodische Zusatzüberlegung erforderlich. Die Zulässigkeit eines überdies nicht spannungsfreien, sondern bewußt auf Polarität angelegten Nebeneinanders von positivem Verfassungsrecht und theoretischem Prinzip könnte angezweifelt werden. Die Verwendung von Figuren der Allgemeinen Staatslehre als Hilfsmittel juristischer Argumentation ist grundsätzlich statthaft. Als außerhalb des positiven Rechts stehende „Systeme" verschaffen sie einen Überblick über die Makrostruktur eines rechtlichen Problems und sind in der Lage, Rationalitätslücken praktischer rechtlicher Ableitungen mit dem Anspruch auf Systemgerechtigkeit zu schließen. Vorausgesetzt ist dabei stets, daß theoretische Kategorien einem Gedankengang nicht einfach aufgepfropft, sondern sorgfältig in ihn eingepaßt werden, wie dies hier geschehen ist. 99 97 Dazu Josef Isensee, Menschenrechte - Staatsordnung - sittliche Autonomie, in: Johannes Schwartländer (Hrsg.), Modernes Freiheitsethos und christlicher Glaube, 1981,70 (79ff.). 98 Zur Bedeutung der Grundrechtstheorie für die Grundrechtspraxis siehe Winfried Brugger, Elemente verfassungsliberaler Grundrechtstheorie, JZ 1987, 633ff.

126

C. Grundrechtstatbestandliche Gewährleistung von Auslandskontakten

Verfassungsbestimmungen und Verfassungsprobleme mit internationalem Bezug scheinen für dogmatische Leitbilder in besonderer Weise empfänglich zu sein. Der Erfolg des diffusen und in seiner Herleitung durchaus zweifelhaften Topos der Völkerrechtsfreundlichkeit ist nur eines von mehreren möglichen Beispielen, mit denen diese These belegt werden kann. Daß gerade auf diesem Gebiet ein so hoher Bedarf an dogmatischen Harmonisierungskonzepten besteht, ist erklärbar. Wiewohl nicht geltenden Rechts, haben sie die Aufgabe, die Spannungen zu mildern, die unbestreitbar zwischen der Staatlichkeit der Rechtsordnungen und den Bedürfnissen des internationalen Verkehrs obwalten. Auf völkerrechtlicher Ebene korrespondiert ihnen insoweit das sogenannte „soft law". Sie beide sind die einerseits pragmatisch sich vortastende, andererseits doch fragmentarische und brüchige Antwort, die dem Recht aus nationaler und internationaler Perspektive aus einem Dilemma helfen soll: dem Widerspruch zwischen der Unabdingbarkeit staatlicher Ordnung in ihrer territorial-personalen Vereinzeltheit und der Erforderlichkeit grenzüberschreitender Kooperation und Integration in allen Lebensbereichen. Die Demarkation von Grundrechtsstatus nimmt, da sie allein an der Regelungszuständigkeit der deutschen Staatsgewalt orientiert ist, auf internationale gesellschaftliche Zusammenhänge keine Rücksicht. Es kann deshalb zu „hinkenden Statusverhältnissen" 100 kommen. Diese abzumildern, ist Aufgabe der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft. Im Ergebnis wird nichts anderes vorgeschlagen, als diese Funktion der Grundrechtstheorie, die bislang Topoi wie „Völkerrechtsfreundlichkeit" und anderen zugefallen ist, dem Dualismus von Staat und Gesellschaft zu überantworten. Die sachliche Rechtfertigung jenes Topos, die soeben mit wenigen Pinselstrichen nachgezeichnet worden ist, überträgt sich auf diesen. Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft hat den Vorteil größerer inhaltlicher Bestimmtheit und Abgestimmtheit mit den Grundentscheidungen der Verfassungsordnung für sich. „Völkerrechtsfreundlichkeit" läuft auf ein unkritisches Blankoakzept für völkerrechtliche Normen, ausländische Rechtsordnungen und integrationspolitische Wünschbarkeiten hinaus, das nur von außen durch den Vorbehalt der mit den Grundrechten aufgerichteten Wertordnung in Schranken gewiesen wird. Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft nimmt diese Vorbehalte von vornherein in sich auf und enthält im Hinblick auf private Auslandskontakte ein Mehr an Sachspezifik.

99 Zu den angeschnittenen Fragen der Methodenlehre vgl. Robert Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 1976, 20ff., 326ff.; Claus-Wilhelm Canaris , Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 2. Aufl., 1983; Martin Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, 2. Aufl., 1976, 97ff.; Friedrich Müller, Juristische Methodik, 2. Aufl., 1976, 189ff. 100 Begriff aus dem Internationalen Privatrecht; vgl. Kegel (1985), 77f., dort zu „hinkenden Rechtsverhältnissen".

I. Allgemeines Grundrechts-Kollisionsrecht

127

2. Außenvermessung des Grundrechtsbereichs mit Hilfe der völkerrechtlichen Zuständigkeitslehre

Nachdem die grundsätzliche Frage nach dem Ob-überhaupt der Statusbedingtheit internationaler Grundrechtsanwendung positiv beschieden ist, geht es im weiteren darum, die Kriterien zu finden, nach denen die Bestimmung dieses Status im einzelnen, d.h. in persönlicher, räumlicher, sachlicher, zeitlicher und funktioneller Hinsicht zu vollziehen ist. Ausgehend von dem interpretatorischen Ansatz bei Art. 1 Abs. 3 GG ist die völkerrechtliche Zuständigkeitsordnung als Prüfungsmaßstab vorgegeben. a) Ansätze in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und in der Literatur Es wäre vermessen, in der Spruchpraxis des Bundesverfassungsgerichts eine grundsätzliche Stellungnahme zu der Frage zu erwarten, ob der auswärtige Wirkungsradius der Grundrechte zu den in ständiger Entwicklung begriffenen völkerrechtlichen Regeln über die staatliche Zuständigkeit in einer Beziehung steht. Eine Festlegung von solcher Abstraktheit und Grundsätzlichkeit widerspräche dem vorsichtig sich vortastenden Charakter seiner Judikatur zu Grundrechtsfragen mit internationalem Bezug. Immerhin werden die völkerrechtlichen Regeln in einigen Entscheidungen ausdrücklich zitiert. 1 0 1 Das Gericht lehnt es in der Entscheidung zum deutschösterreichischen Vertrag über Rechts- und Amtshilfe in Zoll-, Verbrauchssteuer- und Monopolangelegenheiten aber ab, die Verletzung der völkerrechtlichen Zuständigkeit in Analogie zur Übertretung innerstaatlicher Kompetenzen und Befugnisse grundrechtlich zu sanktionieren. Zur Begründung dieser ablehnenden Haltung trägt es vor, daß die Regeln über die völkerrechtliche Zuständigkeit keinen individualschützenden Charakter hätten und daß die Rechtsfolgen eines Verstoßes allein dem Völkerrecht zu entnehmen seien. 102 Es bleibt abzuwarten, ob das das letzte Wort zur Frage eines möglichen grundrechtlichen Schutzgehaltes der völkerrechtlichen Zuständigkeitsordnung ist. 1 0 3 Die Erkenntnis, daß ein kompetenzwidrig erlassenes Gesetz neben den Art. 70ff. zugleich auch gegen Art. 2 Abs. 1 GG verstößt, hat auch einige Zeit gebraucht, bis sie sich durchsetzte. Fingerzeige in Richtung auf eine grundrechtliche Beachtlichkeit der völkerrechtlichen Zuständigkeitsordnung enthält die Nachrüstungsentscheidung vom 16.12.1983. 104 Dort verwendet das Bundesverfassungsgericht erstmalig 101

Vgl. BVerfGE 59, 63 (88ff.); 63, 343 (361, 369); 68, 1 (90f.). ι 0 2 BVerfGE 63, 343 (373f.). 103 Kritisch Eilers / Heintzen, 625; Mann (1986), 22 FN 2. 104 BVerfGE 66, 39 (insb. 56f., 62).

128

C. Grundrechtstatbestandliche Gewährleistung von Auslandskontakten

die Argumentationstopoi „grundrechtliche Verantwortlichkeit" und „verfassungsrechtliche Verantwortlichkeit". Dies geschieht in einem Kontext, in dem es ausdrücklich um die gegenseitige Abgrenzung der Hoheitssphären von Staaten geht. Die Begriffe „Hoheitsgewalt" und „öffentliche Gewalt" fallen in der Urteilsbegründung insgesamt mehr als zwanzigmal. Das Gericht behilft sich ferner mit dem Begriff der Zurechenbarkeit und spricht auch von „grundrechtlicher Mitverantwortung"'. Ohne interpretatorische Spitzfindigkeit kann man diese Passage dahingehend deuten, daß die Anwendbarkeit der Grundrechte auf einen Sachverhalt und die Aktivierbarkeit grundrechtlichen Schutzes gegen ein Gefährdungspotential von deren Zurechenbarkeit zur deutschen Hoheitsgewalt, genauer: deren Unterwerfung darunter, abhängen. In doppelter Hinsicht instruktiv ist die schon einmal zitierte Aussage des Bundesverfassungsgerichts, wonach die Grundrechte in ihrem sachlichen Geltungsumfang die deutsche öffentliche Gewalt auch binden, wenn Wirkungen ihrer Betätigung außerhalb des Hoheitsbereiches der Bundesrepublik Deutschland eintreten. 105 Das Gericht geht dabei wohl von der grundsätzlichen Territorialität der Entfaltung der deutschen Staatsgewalt und der Grundrechtsgeltung aus. Legt man diese Mosaiksteinchen zusammen, so erhält man zwar kein vollständiges Bild, aber doch schon eine Andeutung von Kontur. Es ist festzuhalten, daß in den Augen des Bundesverfassungsgerichts ein Konnex zwischen der Reichweite der deutschen Staatsgewalt und dem Geltungsumfang der Grundrechte besteht. Die wenigen einschlägigen Äußerungen in der Literatur erklären demgegenüber die völkerrechtliche Zuständigkeitsordnung für grundrechtlich irrelevant. 1 0 6 Egal ob deren Grenzen respektiert würden, und unabhängig davon, welcher Kompetenztitel (Gebietshoheit oder Personalhoheit) oder Zuständigkeitsmodus (Staatsgewalt oder z.B. militärische Besatzungsgewalt) vorliege, seien die Staatsorgane der Bundesrepublik bei allen ihren Akten grundrechtsgebunden. Ähnlich pauschalisierende, zumindest aber mißverständliche Sätze findet man vereinzelt auch in der Rechtsprechung. „Zwar richtet sich der menschenrechtliche Schutzbereich der vom Grundgesetz anerkannten Grundrechte und Grundpflichten gegen jedwede hoheitliche Gewalt." 1 0 7 Sie werden jedoch alsbald mit den notwendigen Einschränkungen und Differenzierungen versehen.

i° 5 BVerfGE 57, 9 (23). 106 Siehe z.B. Bernhardt, 178; Bleckmann, Staatsrecht I I , 53ff.; E. Klein (1985), 31; Schröder, 138. ™ Zitat: BVerfGE 66, 39 (56f.).

I. Allgemeines Grundrechts-Kollisionsrecht

b) Die Grundzüge der völkerrechtlichen

129

Zuständigkeitsordnung

Grundlage des völkerrechtlichen Staatsbegriffes ist nach wie vor die DreiElemente-Lehre Jellineks. 108 Danach ist der Staat juristisch „die mit ursprünglicher Herrschermacht ausgerüstete Körperschaft eines seßhaften Volkes". 1 0 9 Die Staatsgewalt hat zwei Bezugsgrößen: Gebiet 1 1 0 und Volk. Gebietshoheit und Personalhoheit sind demnach die beiden Kompetenzsphären, innerhalb derer sie sich entfaltet. In der neueren Entwicklung des Völkerrechts hat die Gebietshoheit das Übergewicht über die Personalhoheit erlangt; im Konfliktfall setzt sie sich durch. 111 Die Gebietshoheit weist jedem Staat die ausschließliche und umfassende Befugnis zu, auf seinem Territorium Recht zu setzen („jurisdiction to prescribe") und Recht durchzusetzen („jurisdiction to enforce"). 112 Diese Befugnis unterliegt gewissen Beschränkungen. Kein Staat darf Ausländern, die in seinem Hoheitsbereich weilen, Pflichten auferlegen, die diese in einen grundsätzlichen Widerspruch zu dem Schutz- und Treueverhältnis zu ihrem Heimatstaat bringen 113 ; unter der Voraussetzung einer solchen Zuspitzung des Konflikts erweist sich die Personalhoheit als das stärkere Prinzip. Eine für die Rechtswirklichkeit bedeutsamere Schranke errichtet das Immunitätsrecht. „Par in parem non habet imperium." 1 1 4 Schließlich wird gegenwärtig - vor allem im internationalen Umweltrecht - erwogen, ob die Gebietshoheit durch bestimmte nachbarrechtliche Rücksichtnahmepflichten einzuschränken ist. 1 1 5 Unbeschadet dessen, daß ein Staat grundsätzlich nur auf seinem Gebiet Recht durchzusetzen befugt ist, läßt es das Völkerrecht zu, daß die rechtsfolgenbedingenden Tatbestände der staatlichen Rechtsordnung auch Sachverhalte mit Auslandsbezug erfassen. Es genügt, wenn zwischen dem normsetzenden Staat und dem normierten Auslandssachverhalt eine sinnvolle Anknüpfung („genuine link") besteht. Wann dies genau der Fall ist, vermag jedoch vor allem im Kartell- und Steuerrecht, auch im Anlegerschutz- und 108

Die Kontinuität des völkerrechtlichen Staatsbegriffs betont auch Rudolf (1986). Jellinek, Staatslehre, 183, sowie - zum soziologischen Staatsbegriff - S. 131 f. 110 Dem gewisse Außenpositionen wie Auslandsvertretungen, Schiffe und Flugzeuge funktional gleichgestellt sind, ohne dadurch allerdings „schwimmende" oder „fliegende" Teile desselben zu sein. 111 Verdross / Simma, 230. 112 Letztere Formulierungen entstammen der Section 6 des vom American Law Institute herausgegebenen Restatement, Second, of the Foreign Relations Law of the United States, 1965. 113 Doehring (1974), 19ff.; Reinhold Ferdinand, Die Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland zum Völkergewohnheitsrecht, 1985, 85; skeptischer Bleckmann (1975), 126f. 114 Bartolus de Saxoferrato, Tractatus represaliarum, zit. nach Verdross / Simma, 763 FN 2. lis Vgl bei Verdross / Simma, 643 ff. 109

9 Heintzen

130

C. Grundrechtstatbestandliche Gewährleistung von Auslandskontakten

Feindhandelsrecht niemand zuverlässig zu sagen. 116 Klare rechtliche Maßstäbe gibt es am ehesten noch im Internationalen Straf- und Verwaltungsrecht. Sie sind wegen der großen wirtschaftlichen und politischen Bedeutung der aufgezählten Rechtsmaterien und der Fruchtlosigkeit von Jurisdiktionskonflikten 117 aber dringend erforderlich. Die völkerrechtliche Zuständigkeitsordnung ist in diesem Bereich in ständiger Bewegung und Fortentwicklung - ein Prozeß, an dem die Grundrechte aufgrund der festgestellten Akzessorietät zwischen Grundrechtsgeltung und völkerrechtlicher Zuständigkeit automatisch beteiligt sind. Es wäre verfehlt, die neueren Tendenzen in der völkerrechtlichen Zuständigkeitsordnung unter dem Begriff „Wirkungsprinzip" zusammenzufassen, um sie so in Opposition zum Territorialitäts- und Personalitätsprinzip zu setzen. Im Grunde genommen handelt es sich bei ihnen nämlich nur um Verfeinerungen, mit deren Hilfe diese beiden Prinzipien den Erfordernissen der zunehmenden internationalen Verflechtung fortlaufend angepaßt werden. c) Gebietsbezug als grundrechtlicher

Kernstatus

Wie im Völkerrecht die Gebietshoheit das bei weitem wichtigste Herrschaftsrecht darstellt, so ist der Gebietsbezug das wichtigste der internationalen Anwendungskriterien der Grundrechte. Die Belegenheit des grundrechtlich geschützten Sachverhaltes auf dem Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland ist der verfassungsrechtliche Normalfall. 118 Von ihm geht Art. 23 Satz 1 GG aus, in dem es heißt: „Dieses Grundgesetz gilt. . . im Gebiet. . ." Nicht anders verhält es sich bei dessen grundrechtsspezifischem Pendant, Art. 1 Abs. 3. Aus der Postulierung eines grundrechtlichen Normalfalles darf nicht der Umkehrschluß gezogen werden, die Anwendbarkeit der Grundrechte auf ganz oder teilweise außerhalb des Hoheitsgebietes der Bundesrepublik Deutschland belegene Sachverhalte sei ausgeschlossen. Das Überschreiten der Staatsgrenze vom Inland ins Ausland ist in jedem Fall grundrechtlich erfaßt. 119 Soviel läßt sich noch mit dem Territorialitätsprinzip erklären. In den weiteren Fällen bedarf die Anwendbarkeit der Grundrechte einer besonderen Herleitung. Das Territorialitätsprinzip führt insoweit nicht weiter, weder positiv noch negativ. In keinem Fall ist es zulässig, mit Hilfe der Unterscheidung 116

Nachweise zu dieser sehr verwickelten Problematik bei Verdross / Simma, 778 ff. (aus völkerrechtlicher Sicht) und bei Geiger, 298ff. (aus verfassungsrechtlicher Sicht). 117 Zu dem Dauerthema der Kompetenzüberschreitungen durch US-amerikanische Behörden und Gerichte vgl. Mann (1983); Peter Schlosser, Der Justizkonflikt zwischen den USA und Europa, 1985. 118 So auch Oppermann, 523. 119 Dazu schon BVerfGE 6, 32 (44) mit Ausführungen über das Verhältnis von Ausreise- und Meinungsfreiheit.

I. Allgemeines Grundrechts-Kollisionsrecht

131

von Innen und Außen die Tatbestandlichkeit der Grundrechte bei Auslandssachverhalten generell in Abrede zu stellen 120 oder ihre Wirkung mit dem Argument einzuschränken, zu dem in Art. 2 Abs. 1 GG normierten Vorbehalt der verfassungsmäßigen Ordnung gehöre auch die Kompetenz des Bundes zur Regelung der auswärtigen Beziehungen. 121 Aber auch die verbreitete Gegenthese 122 von der territorialen Indifferenz der Grundrechtsgeltung beruht teils auf einem Mißverständnis der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts, teils auf einer unzutreffenden dogmatischen Prämisse. Als Belegstellen werden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zitiert, in denen dieses - regelmäßig zur Einleitung seiner weiteren Ausführungen und nicht als abschließende Feststellung - den Grundsatz formuliert, die Grundrechte bänden die deutsche öffentliche Gewalt auch, soweit Wirkungen ihrer Betätigung im Ausland einträten. 123 Dieser Satz gibt nicht her, was die Literatur teilweise aus ihm herausliest. Die besondere Hervorhebung der Wirkung hoheitlichen Handelns hat nur vor dem Hintergrund einer territorialen Divergenz von Ursache und Wirkung einen Sinn. Die Argumentation setzt voraus, daß die Ursachen für den im Ausland wirkenden und grundrechtsrelevanten Staatsakt im Inland gesetzt werden. Die These von der grundsätzlich territorialen Geltung der Grundrechte wird durch sie nicht widerlegt, sondern im Gegenteil bestätigt. Dogmatische Prämisse der These von der territorialen Indifferenz der Grundrechtsgeltung ist die Annahme, Art. 1 Abs. 3 GG benenne nur die Bindungsadressaten der Grundrechte, äußere sich aber nicht zu ihrem Geltungsbereich. 124 Dem kann aus den im vorigen Abschnitt eingehend dargelegten Gründen nicht gefolgt werden. „Staatliche Gewalt" im Sinne des Art. 1 GG birgt einen territorialen und personalen Bezug; Staatsgewalt ist ohne Staatsgebiet und Staatsvolk nicht denkbar. Wer diese Zusammenhänge bei der Bestimmung internationaler Anwendungsmöglichkeiten der Grundrechte außer Acht läßt, verbaut sich zugleich den Zugang zu den differenzierteren Abgrenzungskriterien der völkerrechtlichen Zuständigkeitsordnung und ist auf diffuse Abwägungsmodelle wie das von der Völkerrechtsfreundlichkeit zur Lösung grundrechtskollisionsrechtlicher Fragen angewiesen.125. 120 So die in der Entscheidung BVerwG DVB1. 1982, 199 (200) wiedergegebene Ansicht des Berufungsgerichts. 121 So auch BVerwG DVB1. 1982,199 (200) gegen O V G Lüneburg, NJW 1978,1122 (1123). 122 Nachw. in FN 106. 123 Grundlegend BVerfGE 6, 290 (295). 124 Klar ausgesprochen bei E. Klein (1985), 30f. 125 Welch gravierende Einbußen an Rechtssicherheit solche Abwägungsmodelle verursachen können, macht F. A. Mann (1983) an einem anderen Beispiel, dem „national interest"-Test der US-Gerichte, deutlich. Mit dem Grundsatz der Völkerrechtsfreund*

132

C. Grundrechtstatbestandliche Gewährleistung von Auslandskontakten

Territorialer Grundrechtsstatus bedeutet in erster Annäherung physische Präsenz des Grundrechtsträgers auf dem Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland. 126 Sie ist Voraussetzung fur dessen Zuordnung zur deutschen Staatsgewalt in territorialer Hinsicht. Diese Konsequenz deckt sich mit der herrschenden Meinung im Ausländerrecht, wonach die Abweisung eines Fremden an der Grenze kein Grundrechtseingriff ist. 1 2 7 Territorialer Grundrechtsstatus kommt auch Sachwerten und anderen im Inland belegenen, grundrechtlich geschützten Positionen zu, die außerhalb des Hoheitsbereiches der Bundesrepublik sich aufhaltenden Personen zuzuordnen sind. 1 2 8 Somit genießen z.B. im Bundesgebiet belegene Grundstücke oder Bankguthaben von Ausländern Grundrechtsschutz, ebenso ausländische Korrespondenz, die von der Bundespost inländischen Empfängern zugestellt oder durch das Bundesgebiet hindurch geleitet wird. 1 2 9 Die Zuordnung solcher Rechte oder rechtlich geschützter Positionen zu dem ausländischen Grundrechtsträger wird dabei von der deutschen Grundrechtsordnung vorausgesetzt und nicht selbst geschützt, soweit die Verfügungsbefugnis darüber einem fremden Hoheitsträger zusteht. Gleichfalls grundrechtlich nicht erfaßt ist die Begründung des partiellen Grundrechtsstatus, in den Beispielen der Erwerb eines Grundstücks oder die Eröffnung eines Bankkontos in der Bundesrepublik. Hier gilt dasselbe wie bei der Abweisung eines Fremden an der Grenze: Die Statusbegründung ist grundrechtsfrei. 130 Ist der Status aber begründet, dann sind die Grundrechte ohne Ansehen der Nationalität und des Aufenthaltsortes des Rechtsinhabers grundsätzlich anwendbar. Das Kriterium des territorialen Grundrechtskernstatus gestattet randscharfe Grenzziehungen. Es ist nicht erforderlich, den Anwendungsbereich der Grundrechte mit Hilfstopoi wie „Gesamtvorgang" 131 , „verfassungsrechtlichkeit verhält es sich insoweit ähnlich wie mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dieser klingt liberal, was aber nicht ausschließt, daß die Ergebnisse seiner Anwendung illiberal sind. Als der „große Gleich- und Weichmacher" (so Fritz Ossenbühl, Diskussionsbeitrag, V V D S t R L 39 (1981), 189), als „breüge Gesamtlösung" (so Peter Lerche, Verfassungsrechtliche Grundlagen des Bankgeheimnisses, Z H R 149 (1985), 165 ff. (166)) kann er dazu herhalten, dem Bürger zustehende Rechtspositionen zu erodieren und staatlichem Zugriff erst zugänglich zu machen. Daß der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit mit einem in seiner Wirkung vergleichbaren Pferdefuß auftreten kann, zeigt sich vor allem im Bereich der internationalen Rechts- und Amtshilfe; dazu 126 den Besonderheiten bei Personenmehrheiten und juristischen Personen siehe Eilers Z/ uHeintzen, 619 ff. unten C. I. 2. d) bb) bbb), bei FN 167. 127 BVerfGE 49,168 (183f.); BVerwGE 56, 256 (258). 128 Beispielsfall: BVerfGE 62, 169. Isensee, 61 mit FN 33/34, spricht von einem partiellen Grundrechtsstatus; diese Stelle übersieht Bleckmann, Staatsrecht I I , 56. 129 Z u dem zuletzt genannten Beispiel: BVerfGE 67, 157. Z u eng insoweit Dürig y M D , Art. 10, RNr. 22. 130 Auch die Zurückweisung einer Postsendung aus dem Ausland mit dem Argument, die Briefmarken könnten aus politischen Gründen nicht anerkannt werden, wäre kein Grundrechtseingriff. Vgl. auch BVerwG JZ 1986, 438.

I. Allgemeines Grundrechts-Kollisionsrecht

133

liehe Verantwortlichkeit" 132 oder „grundrechtliche Mitverantwortlichkeit" 133 hinter die Grenze zurückzunehmen oder darüber hinaus auszudehnen. Derlei Argumentationsfiguren tauchen im übrigen trotz ihrer verräumlichender Metaphorik sich bedienenden Präsentation überwiegend in solchen Zusammenhängen auf, in denen das Zusammenwirken oder Gegeneinander deutscher und ausländischer Hoheitsgewalt den grundrechtlichen Konfliktstoff liefert. 1 3 4 Die Beschränkungen, die das Völkerrecht der Gebietshoheit des Gastlandes eines Ausländers zugunsten der Personalhoheit von dessen Heimatstaat auferlegt, finden ihren verfassungsrechtlichen Niederschlag in Art. 25 GG. Der völkerrechtliche Satz, kein Staat dürfe Ausländern, die auf seinem Gebiet Aufenthalt genommen haben, Pflichten auferlegen, die sie in einen Konflikt zu der ihrem Heimatstaat gegenüber obliegenden Treuebindung bringen, ist eine allgemeine Regel des Völkerrechts im Sinne des Art. 25 Satz l . 1 3 5 Entgegenstehendes deutsches Recht zerbricht an der Vorrangregel des Art. 25 Satz 2,1. Halbsatz. Die Betroffenen 136 können dies gemäß Art. 25 Satz 2,2. Halbsatz als Verletzung eigener Rechte geltend machen und, in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1, äußerstenfalls Verfassungsbeschwerde erheben. 137 Art. 2 Abs. 1 GG fungiert dann als Statusnegationsrecht. d) Der Grundrechtsstatus

des Deutschen im Ausland

aa) Die Grundrechtsbindung diplomatischer und konsularischer Vertretungen der Bundesrepublik Deutschland Die im Grundsatz allgemein bejahte Grundrechtsbindung diplomatischer oder konsularischer Vertretungen der Bundesrepublik Deutschland läßt sich mit dem Territorialitätskriterium nicht begründen. Die Ansicht, das Gelände, auf dem die Vertretung eines Staates im Ausland errichtet sei, sei eine Exklave von dessen Staatsgebiet, kann im Völkerrecht seit langem als überwunden gelten. 138 Die diplomatische und konsularische Immunität wird im Völkerrecht heute mit der sogenannten Funktionstheorie erklärt und nicht mehr mit der Exterri131

BVerfGE 29, 183 (192ff.); dazu von Olshausen (1974), 655. 1 32 BVerfGE 66, 39 (62). 133 BVerfGE 66, 39 (63). 134 Vgl. die Fallgruppentypologie unter C. I. 135 BayObLG BayObLGZ 1971, 90 (94); Doehring (1974), 19ff., 26f.; Zuleeg, A K GG, Art. 24 Abs. 3, Art. 25, RNr. 73. 136 Der Begriff „Bewohner des Bundesgebietes" umfaßt alle im Bundesgebiet sich aufhaltenden Fremden: Maunz, M D , Art. 25, RNr. 21 c); Rojahn, vM, Art. 25, RNr. 30; noch weitergehend: Stern I 486. 137 Dazu BVerfGE 23, 288 (300); zustimmend Geiger, 193. 138 Verdross / Simma, 571, 576, 640f.

134

C. Grundrechtstatbestandliche Gewährleistung von Auslandskontakten

torialität der Mission. 139 Zweck der Gewährung von Immunität ist es danach, die ungestörte Wahrnehmung der diplomatischen und konsularischen Aufgaben sicherzustellen. Die Funktionstheorie hilft in unserem Zusammenhang nicht weiter. Indem sie völkerrechtlich einen funktional definierten Freiraum für die Erfüllung diplomatischer oder konsularischer Aufgaben schafft, sagt sie nichts darüber aus, welche Formen der Aufgabenwahrnehmung im staatsrechtlichen Sinne des Art. 1 Abs. 3 GG Ausübung staatlicher Gewalt sind. 1 4 0 Als grundrechtliches Anknüpfungsmoment bleibt nur der Personalitätsgrundsatz. Seine Anwendung würde die Grundrechtsbindung der Auslandsvertretungen nicht nur begründen, sondern zugleich auch begrenzen. Sie bestünde nur gegenüber deutschen Staatsangehörigen, und auch dies nur insoweit, als diese der Personalhoheit der Bundesrepublik Deutschland und nicht der Gebietshoheit des Gastlandes unterstehen. 141 Im Ergebnis ist das sachgerecht, entspricht der völkerrechtlichen Zuständigkeitsverteilung und steht in Übereinstimmung mit der diplomatischen und konsularischen Praxis. Art. 1 Abs. 3 GG wirkt bei dieser Konstruktion als kollisionsrechtlicher Deutschenvorbehalt: Staatliche Gewalt können die Auslandsvertretungen aufgrund der völkerrechtlichen Vorgaben nur gegenüber eigenen Staatsangehörigen ausüben. Die Kontakte von Staatsangehörigen des Gastlandes zu den Vertretungen der Bundesrepublik im Ausland oder - anderes Beispiel - zu den 1973 wieder aufgelösten Auslandsbüros der Bundesanstalt für Arbeit 1 4 2 sind demgegenüber grundrechtlich nicht erfaßt.

bb) Diplomatischer Schutz aaa) Die Problematik der verfassungsrechtlichen des diplomatischen Schutzes

Verankerung

Der diplomatische Schutz ist ein zunächst im Völkerrecht beheimatetes und dort in mehrere Richtungen ausgeprägtes Rechtsinstitut. 143 Diplomatischer Schutz meint als erstes die generelle Befugnis eines Staates, die Interessen seiner Staatsangehörigen im Ausland zu schützen und zu fördern. Die Erfüllung dieser Aufgabe kann Interzessionen bei amtlichen Stellen des Gaststaates erforderlich machen, kann aber auch ohne jede Berührung mit ausländischen Behörden allein in dem Innenverhältnis von Staat und Staatsbürger sich voll139

Adolfo Maresca, La Missione Diplomatica, 2. Aufl., 1967, 200f. Siehe hierzu Oppermann, 523, 526. 141 Letzteres wirft in dieser speziellen Problemeinbindung keine besonderen Abgrenzungsfragen auf; vgl. dazu Bleckmann (1975), 126ff. 142 Zu ihnen Karl Maibaum, Die Auslandsdienststellen der Bundesanstalt, FS Stingi, 1984, 237. 143 Zum weiteren siehe Bleckmann (1975), 245 f. 140

I. Allgemeines Grundrechts-Kollisionsrecht

135

ziehen. Die Gewährung diplomatischen Schutzes ist sodann ein Instrument Völker deliktsrechtlicher Rechtsdurchsetzung. Mit ihm kann ein Staat die Wiedergutmachung von Schäden verlangen, die aus der völkerrechtswidrigen Behandlung seiner Staatsangehörigen im Ausland oder grenzüberschreitend vom Ausland aus resultieren. In beiden Varianten handelt es sich beim diplomatischen Schutz um ein Recht, das ausschließlich dem Heimatstaat der Betroffenen oder Geschädigten zusteht und das von diesem im eigenen Namen geltend gemacht wird - obwohl Gegenstand der Schutzgewährung nicht unmittelbar staatliche, sondern private Belange sind. 144 Die Mediatisierung des Individuums im Völkerrecht schlägt über Art. 25 GG auf das deutsche Recht durch. Wenn das Völkerrecht die Innenbeziehung zwischen dem schutzausübenden Staat und seinen schutzbegünstigten Staatsangehörigen ausblendet, vermögen es auch Transformation durch Art. 25 Satz 1 und Adressatenwechsel durch Art. 25 Satz 2, 2. Halbsatz nicht, das Rechtsinstitut subjektiv-rechtlich anzureichern. 145 Die Frage nach der von der völkerrechtlichen Befugnis zu unterscheidenden staatsrechtlichen Pflicht zur Gewährung diplomatischen Schutzes und nach einem eventuell dieser Pflicht korrespondierenden Schutzanspruch der Bundesbürger ist deshalb ausschließlich nach innerstaatlichem Recht zu beantworten. Die Vorschrift des Art. 25 GG trägt zu der Koordination von Völkerrecht und deutschem Recht insoweit nichts bei. Eine Lösung ist in erster Linie im Grundrechtsteil des Grundgesetzes zu suchen. Über das Ob und Wie einer grundrechtlichen Fundierung des Auslandsschutzes scheint auf den ersten Blick weder Klarheit noch Einigkeit zu bestehen. Die herrschende Lehre trennt zwischen der Schutzpflicht des Staates und dem Anspruch des Bürgers auf Schutz. Die Schutzpflicht resultiere aus dem der Staatsangehörigkeit inhärenten Schutz- und Treueverhältnis, aus der allgemeinen Verpflichtung des Staates zum Schutz der Menschenwürde und aus ungeschriebenem, überliefertem Verfassungsrecht. 146 Ein Schutzanspruch des Bürgers wird nur in der Verkürzung als formelles subjektives öffentliches Recht anerkannt, als Anspruch auf fehlerfreie Betätigung des weiten Entschließungs- und Auswahlermessens, das den für die Gewährung diplomatischen Schutzes zuständigen Staatsorganen eingeräumt ist. Nach herrschender Lehre ist der Schutzanspruch letztlich nichts anderes als eine Destination der 144

Z u den zahlreichen Streitfragen, die sich um die Mediatisierung des Einzelnen beim diplomatischen Schutz ranken (Erschöpfung des Rechtsweges, Calvo-Klausel, Schadensberechnung u.a.) vgl. Yearbook of the International Law Commission 1971, Bd. 2, Tl. 1, 214ff., 1972, Bd. 2, 95ff., 1977, Bd. 2, Tl. 2, 30ff. 145 Dazu O V G Münster O V G E 17, 106 (108); Doehring (1974), 9ff.; Rojahn, vM, Art. 25, RNr. 22 und 34. ^ Doehring (1959), 45ff., 89ff.; Geck (1956/57), 510ff.; Geiger, 281 f.; E. Klein (1977), 704 ff.; Oberthuer, Sii.; Randelzhof er, M D , Art. 16, Abs. 1, RNr. 60ff.; Treviranus (1979), 36 ff. Zur Rechtslage in der Schweiz Brunner, 92 ff.

136

C. Grundrechtstatbestandliche Gewährleistung von Auslandskontakten

Schutzpflicht; die Möglichkeit seiner eigenständigen Herleitung aus den Grundrechten wird von ihr verneint. 147 Das Bundesverfassungsgericht hat sich eindeutig erst zu der Existenz einer objektivrechtlichen Schutzpflicht geäußert. 148 Eine klärende Stellungnahme zur Natur des korrespondierenden subjektiven Schutzanspruches steht noch aus. In der Entscheidung über den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit ehelicher Kinder a matre bejaht das Gericht - obiter dicens - einen Schutzanspruch und entnimmt ihn unmittelbar der „Grundbeziehung der Staatsangehörigkeit."149 Der Hess-Beschluß ist die bisher umfangreichste und in Richtung auf eine grundrechtliche Verankerung des Schutzanspruches am weitesten gehende bundesverfassungsgerichtliche Äußerung. Doch sind auch hier Vorbehalte anzumelden: erstens weil das Bundesverfassungsgericht die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde in dem entscheidenden Punkt unterstellt und zweitens weil nicht unmittelbar das Verhalten der Bundesregierung, sondern eine gerichtliche Entscheidung an den Grundrechten gemessen wird. 1 5 0 Aufschlußreicher sind in dieser Frage Entwicklungen in der neueren Literatur. 1 5 1 Dort scheint immer mehr die Ansicht durchzudringen, daß mit der vom Bundesverfassungsgericht in der Abtreibungsentscheidung zum ersten Mal vorgelegten Konzeption der grundrechtlichen Schutzpflicht das geeignete theoretische Instrumentarium gefunden ist, um sowohl die staatliche Pflicht zur Gewährung diplomatischen Schutzes als auch den korrespondierenden Anspruch des Bürgers grundrechtlich abzuleiten. Zwar betreffen sowohl diese als auch die sich daran anschließenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nur den Fall des nach innerstaatlichem Recht rechtswidrigen und innerhalb des Hoheitsbereiches der Bundesrepublik Deutschland sich ereignenden Übergriffes eines Privaten in die Grundrechtssphäre eines anderen. Von welcher Seite die Störung des grundrechtlichen Schutzbereiches ausgeht, die bei Überschreiten einer bestimmten Schwelle die allgemeine und objektive Schutzpflicht des Staates zu konkreten und anspruchsbewehrten Handlungsdirektiven sich verdichten läßt, muß aber prinzipiell gleichgültig sein. Der Ursprung der Schutzpflicht und des korrespondierenden Schutzanspruchs ist in jedem Fall das grundrechtliche Statusverhältnis zwischen Staat und Opfer, unabhängig davon, ob der Störer eine Privatperson ist oder ein ausländischer Souverän. Die rechtliche Struktur beider Fälle ist identisch: Es geht um die Pflicht des grundrechtsgebundenen Staates, in bestimmter Weise - sei es strafrechtlich, sei es völkerrechtlich - qualifizierte Übergriffe nicht 1 47 Vgl. Doehring (1959), 89ff.; Stern I 259; Treviranus (1979), 36f. 148 Einschlägige Entscheidungen zum Problem: BVerfGE 6, 290 (295); 36,1 (31); 40, 141 (177f.); 41, 126 (182); 55, 349 (364ff.). BVerfGE 37, 217 (240). 150 BVerfGE 55, 349 (364ff.). 151 Siehe Eilers / Heintzen, 621 f.; E. Klein (1985) (m.w.N.).

I. Allgemeines Grundrechts-Kollisionsrecht

137

grundrechtsgebundener Dritter - seien es Private oder ausländische Mächte in Grundrechte oder grundrechtlich geschützte Interessen abzuwehren. Der Unterschied in der Person des Störers wird erst auf der Ebene der Rechtsdurchsetzung relevant. Gegen den Privaten kann der Staat im Regelfall hoheitlichen Zwang einsetzen, es sei denn, die Störungsquelle liegt im Ausland oder der Störer ist dorthin geflohen. Gegenüber dem ausländischen Souverän ist der Staat im Regelfall auf die koordinationsrechtlichen Rechtsbehelfe des Völkerrechts verwiesen, es sei denn, dessen Beamte sind unzulässigerweise im Inland tätig geworden (Beispiel: Steuerfahndung). 152 Man kann die bisherigen Überlegungen dahingehend zusammenfassen, daß die sprachliche Parallele zwischen „diplomatischem Schutz" und „grundrechtlicher Schutzpflicht" auch in der Sache begründet ist. Die Verpflichtung zur Gewährung diplomatischen Schutzes ist somit eine Ausprägung der grundrechtlichen Schutzpflicht. Letztere ist freilich auch bei Sachverhalten mit Auslandsbezug thematisch umfassender als das Institut des diplomatischen Schutzes in seiner völkerrechtlichen Vorgeprägtheit und deckt so auch die Fälle erst im Inland sich auswirkender Störungen aus dem Ausland und der Grundrechtsgefährdung durch Kontakte zwischen staatlichen Stellen der Bundesrepublik Deutschland und einem fremden Hoheitsträger ab. Um der Gefahr terminologischer Verwirrung zu entgehen, werden im folgenden, von dem völkerrechtlichen Institut des diplomatischen Schutzes ausgehend, dessen grundrechtliches Pendant grundrechtlicher Anspruch auf diplomatischen Schutz und die darüber hinausgehenden auslandsbezogenen Aspekte grundrechtlichen Schutzes grundrechtlicher Anspruch auf Auslandsschutz genannt. Gegen die grundrechtliche Fundierung des diplomatischen Schutzes wie des Auslandsschutzes allgemein ist immer wieder eingewandt worden, auf die Dauer müsse sie zu einer Einengung des außenpolitischen Handlungsspielraumes der Bundesregierung und der anderen zuständigen Staatsorgane führen. Solche Befürchtungen sind jedoch unbegründet. 153 Man sollte sich in diesem Punkt von vereinzelten Überdrehungen des grundrechtlichen Ansatzes nicht irritieren lassen. Es kann keine Rede davon sein, daß ihmzufolge die Interessen der um Auslandsschutz nachsuchenden Bürger generell und pauschal höher einzustufen seien als möglicherweise entgegenstehende Allgemeininteressen. 154 Für sachangemessene Einzelfallabwägungen bleibt, wie noch zu zeigen sein wird, genügend Raum.

152 Z u dem insoweit vorhandenen Unterschied Isensee (1983), 30f.; ferner Murswiek (1985), 116 f. 153 Dazu Isensee (1983), 30; E. Klein (1985), 38; Randelzhofer, M D , Art. 16 Abs. 1, RNr. 63. 154 So aber Oberthuer, 23ff.; dagegen auch E. Klein (1985), 37.

138

C. Grundrechtstatbestandliche Gewährleistung von Auslandskontakten

Der Verankerung des Auslandsschutzes in den Grundrechten - individualwie objektivrechtlich - ist aus den genannten Gründen der Vorzug zu geben. Mit dieser Entscheidung sind freilich die konkreten Probleme noch nicht gelöst. Wohl nicht ohne Grund setzt Treviranus die Formulierung „grundrechtliche Fundierung des diplomatischen Schutzes" in Anführungszeichen. 155 Die Stellungnahme zu dem Meinungsstreit, ob der Anspruch auf diplomatischen Schutz weiterhin als Destination einer ungeschriebenen Verfassungspflicht oder ob er fortan unmittelbar aus den Grundrechten zu konstruieren sei, präjudiziert in der Tat wenig. Viel wichtiger ist es, über die verschiedenen grundrechtstheoretischen Alternativen Klarheit zu erhalten, die sich im Rahmen des zweitgenannten Lösungsansatzes eröffnen. bbb) Eigene Lösung Ausgangspunkt für die weiteren grundrechtlichen Überlegungen ist Art. 1 Abs. 3 GG. In Bezug auf seine im Ausland befindlichen Staatsangehörigen, ferner in Bezug auf rechtlich unselbständige Auslandsniederlassungen juristischer Personen mit Hauptsitz im Staatsgebiet156 und die diesen zuzuordnenden, im Ausland belegenen Rechtspositionen kann ein Staat grundsätzlich keine „Staatsgewalt" ausüben. Die Territorialhoheit des anderen Staates steht dem entgegen. Ein Rest bleibt jedoch in Form der Personalhoheit. Völkerrechtlich gibt dieser Rest die Legitimation für die Ausübung diplomatischen Schutzes. Verfassungsrechtlich ist er mithin die Grundlage für die Auslandswirkung der grundrechtlichen Schutzpflicht. Diplomatischer Schutz und grundrechtliche Schutzpflicht erweisen sich so als zwei Seiten eines Phänomens, die eine auf der völkerrechtlichen Koordinationsebene angesiedelt, die andere im staatsrechtlichen Subordinationsverhältnis. Art. 1 Abs. 3 GG ist der verfassungsrechtliche Adapter, der das völkerrechtliche Institut des diplomatischen Schutzes und die grundrechtliche Schutzpflicht miteinander verbindet und aufeinander abstimmt. Es ist darum zutreffend, wenn die völkerrechtlichen Vorgaben zur Inhaltsbestimmung des grundrechtlichen Anspruches hinzugezogen werden. 157 Art. 1 Abs. 3 GG bewirkt, daß die thematisch einschlägigen Grundrechte in diesem Anwendungsmodus zu Deutschengrundrechten werden, auch wenn sie innerstaatlich als Menschenrechte gewährleistet sind. Dieser kollisionsrechtliche Deutschenvorbehalt beruht darauf, daß die deutsche Staatsgewalt im Ausland nur hinsichtlich deutscher Staatsangehöriger überhaupt hand155 d ö V 1979, 37. Aus vermutlich ähnlichen Erwägungen nennt Isensee den umfassenden grundrechtlichen Schutzanspruch ein „Grundrecht cum grano salis"; a.a.O. (1983), 33f. 156

Zu dieser Gruppe aus völkerrechtlicher Sicht Mann (1986). So ausdrücklich Geck (1956/7), 487, der die grundrechtliche Verankerung allerdings ablehnt; ferner Oberthuer, 33ff. 157

I. Allgemeines Grundrechts-Kollisionsrecht

139

lungszuständig ist. Hinsichtlich solcher Deutscher, die zugleich die Staatsangehörigkeit des anderen Staates besitzen, entfällt die völkerrechtliche Schutzbefugnis und damit zugleich auch die verfassungsrechtliche Schutzpflicht, weil bei beiderseitiger Personalhoheit der aktuelle Aufenthalt für die Zuordnung zu einem der beiden Staaten maßgebend ist. 1 5 8 Der persönliche Anwendungsbereich der völkerrechtlichen und der verfassungsrechtlichen Institute des Auslandsschutzes deckt sich also. Art. 1 Abs. 3 GG reguliert die Eingriffsschwelle. Eine Schutzpflicht wird erst dann aktiviert, wenn das geschützte Gut bestimmten Gefahren oder Störungen ausgesetzt ist. Das Völkerrecht enthält zu diesem Punkt keine durchgehenden Vorgaben. Die Maßstäbe des allgemeinen fremdenrechtlichen Mindeststandards und deren völkervertragliche Steigerungen haben ihre Bedeutung im Völkerdeliktsrecht; ihre Verletzung löst den deliktischen Schutzanspruch des Heimatstaates aus. Sie verbieten es diesem jedoch nicht, auch unterhalb oder unabhängig von der durch sie fixierten Haftungsschwelle zugunsten seiner Staatsangehörigen im Ausland - im Rahmen des Völkerrechts - tätig zu werden. Grundrechtlich ist demnach zu differenzieren. Richtet sich der im Innenverhältnis geltend gemachte Schutzanspruch auf die Gewährung diplomatischen Schutzes im engeren Sinne, also auf die Geltendmachung deliktsrechtlicher Wiedergutmachungsansprüche gegenüber dem ausländischen Schädigerstaat, ist die Eingriffsschwelle allein nach Völkerrecht zu bestimmen. In den anderen Fällen des Auslandsschutzes entfällt diese über Art. 1 Abs. 3 GG in die Grundrechte hineinreichende völkerrechtliche Sperre. Hier kann dann auf die in vielen Fällen höheren verfassungsrechtlichen Standards Zugriff genommen werden. Art. 1 Abs. 3 GG bewirkt schließlich, daß der Bürger im Innenverhältnis nichts verlangen kann, wozu der Heimatstaat völkerrechtlich aufgrund seiner Personalhoheit nicht ermächtigt wäre. Einen verfassungsrechtlichen Schutzauftrag, dessen Erfüllung eine Verletzung der Gebietshoheit eines anderen Staates darstellt, kann es nicht geben, es sei denn, es liegen besondere völkerrechtliche Rechtfertigungsgründe vor (Beispiel: Geiselbefreiung). Kein Problem des Art. 1 Abs. 3 GG ist die Frage nach Art und Intensität des Grundrechtsschutzes. Nach dem Zwei-Stufen-Modell der auswärtigen Grundrechtsanwendung 159 ist dies anhand des einschlägigen Grundrechtes zu klären. Art. 1 Abs. 3 hat hinsichtlich des Ob und Wie der Schutzgewährung also nur rahmensetzende Funktion. Das Nähere ist wesentlich eine Frage des Einzelfalles. Daß bei Anwendung der Grundrechte genügend flexible, die Sachgesetzlichkeiten von Außen- und Sicherheitspolitik respektierende Lösungen zu erzielen sind, haben die Entscheidungen des Bundesverfassungs158

Dazu auch Albert Bleckmann, Deutsche Rechtsprechung zu völkerrechtlichen Fragen, ZaöRV 32 (1972), 125f.; Randelzhofer, M D , Art. 16 Abs. 1, RNr. 44. 159 Siehe C. I. 1. f) bb).

140

C. Grundrechtstatbestandliche Gewährleistung von Auslandskontakten

gerichts zum deutsch-schweizerischen Vermögensvertrag, zu den Ostverträgen und zum Fall Hess bewiesen. 160 Im Unterschied zu dem Lösungsweg über Art. 1 Abs. 3 GG will Eckart Klein den Grundrechtsbezug des diplomatischen Schutzes unmittelbar aus der Konzeption der grundrechtlichen Schutzpflicht herstellen. 161 Dem kann nicht gefolgt werden. Klein vermag nicht schlüssig zu erklären, warum der Anspruch auf diplomatischen Schutz, trotz teilweiser „Fundierung" in als Menschenrechten gewährten Grundrechten - in der Praxis dürften die Art. 14 Abs. 1 und 2 Abs. 2 GG die wichtigste Rolle spielen - , generell auf deutsche Staatsangehörige beschränkt sein soll. Die „nationality rule" bleibt für ihn eine verfassungsrechtlich nicht integrierbare völkerrechtliche Vorgabe. In seiner Konstruktion fehlt ein Bindeglied zwischen Verfassungsrecht und Völkerrecht. Die völkerrechtlichen Vorgaben erscheinen deshalb als gewissermaßen von außen oktroyierte Beschränkungen eines grundsätzlich unbeschränkten staatlichen Schutzauftrages und nicht als der in den Grundrechten nicht minder sich manifestierende Ausdruck der territorialen und personalen Begrenztheit des Staates. Die Lücke in Kleins Argumentation ist wohl auch die Ursache dafür, daß er nur einen möglichen Anwendungsfall der grundrechtlichen Pflicht zur Gewährung von Auslandsschutz im Blick hat: nämlich den, der völkerrechtlich klar konturiert ist und bei dem die fehlende Vermittlung von Völkerrecht und Verfassungsrecht am wenigsten auffällt, das Völker deliktsrechtliche Institut des diplomatischen Schutzes. Damit ist die Anwendungsbreite der grundrechtlichen Pflicht zum Auslandsschutz jedoch nicht ausgeschöpft. Neben der diplomatischen Protektion gegen fremdenrechtliches Unrecht verdienen Erwähnung: (1) der konsularische Schutz, der kein völkerrechtliches Delikt voraussetzt und auch nicht notwendig das Vorstelligwerden bei einem ausländischen Staat erfordert, 162 (2) die Verpflichtung der Bundesregierung, bei der Aushandlung völkerrechtlicher Verträge grundrechtlich geschützte Belange zu berücksichtigen, 163 160

Skeptisch demgegenüber Treviranus (1979), 37 f. 161 E. Klein (1985), 29 f. 162 Auch diplomatischer Schutz im weiteren Sinne genannt; vgl. § 1 des Konsulargesetzes vom 11.09.1974 (BGBl. 1974 I 2317). Ferner Bleckmann (1975), 246; Brunner, 6 ff. !63 BVerfGE 6, 290 (299); 40, 141 (177f.). Aktuelles Beispiel: Die Verhandlungen über eine Neufassung des deutsch-schwedischen Doppelbesteuerungsabkommens, in dessen Entwurf zeitweise ein spontaner und automatischer Datenaustausch und die Teilnahme ausländischer Finanzbeamter an Betriebsprüfungen im Inland vorgesehen war; dazu Bellstedt, D B 1986, Beilage 16; Rolfjosef Hamacher, Zulässigkeit der Teilnahme ausländischer Finanzbeamter an Außenprüfungen in der Bundesrepublik, RIW 33 (1987), 458.

I. Allgemeines Grundrechts-Kollisionsrecht

141

(3) die Aufgabe der Bundesregierung und der gesetzgebenden Körperschaften, durch den Abschluß völkerrechtlicher Verträge (z.B. Investitionsschutzvereinbarungen oder Doppelbesteuerungsabkommen) deutsche Auslandsbelange zu schützen und zu fördern, 164 (4) das Bestreben, durch Gegenseitigkeitsklauseln auf ausländische Rechtssetzungsorgane Einfluß zu nehmen, 165 (5) die Verpflichtung der Behörden der inneren Verwaltung, im Rechts- und Amtshilfeverkehr mit dem Ausland berechtigte Interessen deutscher Verfahrensbeteiligter zu schützen. 166 Bei den Punkten drei und fünf verbindet sich die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten mit der Deutung der Grundrechte als Verfahrensgarantien. Bei Punkt 3 kann die grundrechtliche Ebene selbständige Bedeutung erlangen, wenn ein diplomatisches Schutzrecht zweifelhaft oder durchsetzungsschwach ist, wie dies inbesondere bei rechtlich selbständigen Unternehmen mit Sitz im Ausland der Fall ist, deren Muttergesellschaft ein deutscher Konzern ist oder deren Kapitalanteile sich mehrheitlich in deutschen Händen befinden. 167 In Punkt fünf wird der Kreis der Adressaten der grundrechtlichen Pflicht zur Gewährung von Auslandsschutz erweitert. Nach herkömmlicher Ansicht liegt die Zuständigkeit für die Gewährung von Auslandsschutz bei der Bundesregierung, speziell beim Auswärtigen A m t und bei den ihm nachgeordneten Auslandsvertretungen. Das wird jedoch den Erfordernissen des internationalen Verkehrs nicht mehr gerecht. Das Außenprofil der Staatlichkeit ist heute aufgefächert, grenzüberschreitende Behördenkontakte auf subgouvernementaler Ebene sind an der Tagesordnung. Von der Sache her ist die Ausdehnung der Verpflichtung zur Gewährung von Auslandsschutz auf die Verwaltung daher zu rechtfertigen. Von einer grundrechtlichen Fundierung dieser Verpflichtung ausgehend ist sie auch konsequent. Die Grundrechte binden gemäß Art. 1 Abs. 3 GG alle staatliche Gewalt, in Sachen Auslandsschutz also nicht nur Regierung und Auslandsmissionen, sondern in gleicher Weise die Verwaltung. Als einfachgesetzliche Aufhänger für diese Spielart der Auslandsschutzpflicht bieten sich verfahrensrechtliche Betreuungs- und Fürsorgeklauseln wie die §§ 25 VwVfG oder 89 A O 1977 an.

164

Eilers / Heintzen, 623 f. Z u dem Verhältnis von Gegenseitigkeitsklauseln und Grundrechten: BVerfGE 30, 409 (414); 62,169 (185). 166 Eilers l Heintzen, 621. Siehe auch Stephan Eilers, Das Steuergeheimnis als Grenze des internationalen Auskunftsverkehrs, 1987, 59ff. 167 Z u dem Problemkreis „Diplomatischer Schutz für Unternehmen und Anteilseigner" ist grundlegend die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofes in Sachen „Barcelona Traction Light and Power Company Ltd.", ICJ Rep. 1970,3. Problemüberblicke bei Sigurd Beyer, Der diplomatische Schutz der Aktionäre im Völkerrecht, 1977; Wiedemann, 852ff.; Wildhaber (1978), 43ff. 165

142

C. Grundrechtstatbestandliche Gewährleistung von Auslandskontakten

cc) Sonstige Akte deutscher Staatsgewalt gegenüber Auslandsdeutschen aaa) Kraft seiner Personalhoheit ist ein Staat völkerrechtlich befugt, Bürgern, die ihren Aufenthalt im Ausland haben, bestimmte Pflichten aufzuerlegen 168 : Er kann sie zur Ableistung des Wehrdienstes zurückberufen, er kann ihnen aufgeben, Krisengebiete zu meiden, er kann ihnen Zurückhaltung in politischen Angelegenheiten vorschreiben. Es ist ihm aber verwehrt, diese Gebote außerhalb seines Hoheitsbereiches selbst durchzusetzen. Der Staat mag mit Sanktionen drohen, vollstrecken kann er sie in der Regel erst, wenn der zuwiderhandelnde Staatsangehörige in das Staatsgebiet zurückkehrt. Soweit Anordnungen dieser Art den durch die Personalhoheit gezogenen Rahmen nicht verlassen, sind sie Ausübung von Staatsgewalt im Sinne des Art. 1 Abs. 3 GG; die Grundrechtsbindung greift voll ein. 1 6 9 Das eigentümliche Auseinanderfallen von „jurisdiction to prescribe" und „jurisdiction to enforce" hat dabei möglicherweise verfassungsprozessuale Konsequenzen. Je mehr der Staat die Schwere seiner Sanktionen heraufsetzt, um ihre temporäre Durchsetzungsschwäche zu kompensieren, je mehr er insbesondere von der Drohung mit Strafe Gebrauch macht, desto geringer dürfte der Widerstand sein, den das Unmittelbarkeitskriterium einem direkten Angriff auf diese Rechtsakte vor dem Bundesverfassungsgericht entgegensetzt. bbb) Bis jetzt sind nur solche auslandswirksamen Akte der deutschen öffentlichen Gewalt grundrechtlich analysiert worden, die sich im Rahmen der völkerrechtlichen Zuständigkeitsordnung halten. Offen ist noch, wie eine Mißachtung der Gebietshoheit eines fremden Staates grundrechtlich einzuarbeiten ist. Einige neuere Gerichtsentscheidungen zur völkerrechtswidrigen Verbringung von strafrechtlich Verfolgten in den Gewahrsam der deutschen Justiz bieten aktuelles Anschauungsmaterial. 170 Ebenfalls in diese Rubrik gehört die Auslandsaufklärung durch deutsche Geheimdienste. Sie nimmt allerdings rechtlich eine etwas zwielichtige Stellung ein; einerseits läßt sich kein Satz des Völkerrechts nachweisen, nach dem solche Aktivitäten den Staa168 Dazu Berber I 386; Dahm I 523f.; Dietrich Oehler, Personalhoheit, in: Ignaz Seidl-Hohenveldern (Hrsg.), Lexikon des Rechts. Völkerrecht, 1985, 204f.; Stern I 257. 169 Zu grundrechtlichen Fragen des Rückrufs von Staatsangehörigen: Heinz Scholler, Staatsangehörigkeit und Freizügigkeit - zum Problem des Rückrufs und seiner Sanktion, DöV 1967, 469ff. 170 BVerfG EuGRZ 1986, 18; 1987, 92; B G H EuGRZ 1987, 94; zustimmend Matthias Herdegen, Die völkerrechtswidrige Entführung des Beschuldigten als Strafverfolgungshindernis, EuGRZ 1986, 1; ablehnend F. A. Mann, Strafverfahren gegen einen völkerrechtswidrig Entführten, NJW 1986, 2167. Vgl. ferner Hans Schultz, Male captus, bene deditus?, SchwJIR X L (1984), 93; Theo Vogler, Strafprozessuale Wirkungen völkerrechtswidriger Entführungen von Straftätern aus dem Ausland, FS Oehler, 1985, 379.

I. Allgemeines Grundrechts-Kollisionsrecht

143

ten verboten wären; andererseits ist der von Spionage betroffene Staat zur Duldung nicht verpflichtet. 171 Die beiden Beispiele stehen stellvertretend für zwei Fallgruppen, zwischen denen zu unterscheiden ist. Für die erste ist kennzeichnend, daß der im Ausland erfolgende Übergriff deutscher Stellen sich ins Inland fortsetzt, für die zweite, daß dies eben nicht geschieht (wobei in dem Geheimdienstbeispiel zu unterstellen ist, daß im Ausland gewonnene Erkenntnisse nicht im Inland gegen bestimmte Personen verwertet werden). Im zweiten Fall ist die Rechtslage nach dem hier entwickelten Lösungsmodell klar. Da das staatliche Handeln die Grenzen seiner völkerrechtlich umgrenzten Kompetenzsphäre überschreitet, sind die Grundrechte nach der einschlägigen Kollisionsnorm des Art. 1 Abs. 3 GG nicht anwendbar. Die Verantwortung für den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten der Eingriffsbetroffenen obliegt dem Staat, in dessen Kompetenzbereich deutscherseits interveniert wird. 1 7 2 Mit Unterlassungs- und Wiedergutmachungsansprüchen gibt ihm das Völkerrecht dazu die notwendigen Mittel an die Hand. Hat das extraterritoriale Handeln deutscher Organwalter in dem ausländischen Staat ein gerichtliches Nachspiel, kann die Bundesrepublik Deutschland sich insoweit bezeichnenderweise auch nicht auf völkerrechtliche Immunität berufen. 173 Eine abweichende grundrechtliche Bewertung wäre nur dann geboten, wenn der ausländische Staat sich mit dem Tätigwerden bundesdeutscher Staatlichkeit auf seinem Territorium einverstanden erklärt. Durch die Einwilligung werden die internationalen Entfaltungsmöglichkeiten der deutschen Staatsgewalt punktuell erweitert und damit über Art. 1 Abs. 3 GG zugleich auch der Anwendungsbereich der Grundrechte. Es trifft somit nicht zu, wenn behauptet wird, die Einwilligung des ausländischen Staates in eine Kompetenzüberschreitung sei grundrechtlich unerheblich. 174 Die erste Fallgruppe ist schwieriger zu beurteilen. Die Weiterwirkung des Auslandseingriffs in das Inland, wo die Grundrechte ihre volle Schutzwirkung entfalten, birgt eine Pointe. A m Beispiel der völkerrechtswidrigen Verbringung ins Inland muß man sich fragen, ob nicht in dem Moment, in dem die Kompetenzsphäre der deutschen Staatsgewalt wieder erreicht ist, zwar der Völkerrechtsverstoß ein Ende findet, gleichzeitig aber ein Anspruch auf Rückgängigmachung des Geschehenen erwächst. Aus den Grundrechten wird man einen solchen Anspruch schwerlich herleiten können. Die völkerrechtli171

Dazu Elmar Rauch, Art. „Espionage", EPIL 3 (1982), 171 f. Zur Aufgabe der völkerrechtlichen Kompetenzordnung, staatliche Verantwortungsbereiche abzustecken, siehe Heintzen, 20ff. 173 Zu diesem hier nur verkürzt wiedergegebenen Problem vgl. Rudolf Geiger, Staatenimmunität: Grundsatz und Ausnahme, NJW 1987, 1124 (1125) mit Nachweisen der einschlägigen völkerrechtlichen Regelungen. 174 So z.B. BVerfGE 63, 343 (372f.). 172

144

C. Grundrechtstatbestandliche Gewährleistung von Auslandskontakten

che Zuständigkeitsordnung bestimmt zwar deren internationalen Anwendungsbereich, hat aber nicht in dem Sinne selbst grundrechtlichen Schutzgehalt, daß ihre Übertretung durch die deutsche Staatsgewalt nachträglich ein in Analogie zum Folgenbeseitigungsanspruch zu konstruierendes Statusnegationsrecht auslöst. Dies kann deshalb nicht richtig sein, weil die Grundrechte nach Art. 1 Abs. 3 G G auf den Vorgang, durch den die zu beseitigenden Folgen geschaffen werden, ratione temporis keine Anwendung finden. Auch Art. 25 GG hilft den Betroffenen nicht weiter. Selbst wenn man entgegen der herrschenden Meinung davon ausgeht, daß das Verbot, völkerrechtliche Kompetenznormen zu verletzen, grundsätzlich drittschützend sein kann, wird man zumindest einem Deutschen keinen über Art. 25 GG aus dem Völkerrecht abgeleiteten Anspruch gegen den eigenen Heimatstaat zusprechen können.^ Die Rechtslage ist freilich anders, wenn nach innerstaatlichem Recht ein unter Verletzung der völkerrechtlichen Zuständigkeitsordnung vorgenommener Rechtsakt, nicht ein bloßer Realakt, zur Grundlage genommen wird, um daran in einem anhängigen Verfahren weitere Rechtsfolgen zu knüpfen. Insoweit besteht kein Grund, warum der Betroffene die Kompetenzüberschreitung nicht in dessen weiterem Verlauf soll rügen können. 176 e) Der Grundrechtsstatus

des Ausländers im Ausland

aa) Vorwirkender Grundrechtsstatus im Asylrecht Die Theorie vom territorialen Kernstatus hat im asylrechtlichen Schrifttum energische Kritik auf sich gezogen. Das verfassungskräftig gewährte Asylrecht, das Grundrecht allein des Ausländers, sei die positivrechtliche Widerlegung dieser sogenannten Schwellentheorie. 177 Die Kritiker befinden sich jedoch im Unrecht. Die Selbstverpflichtung der deutschen Staatsgewalt, politisch Verfolgten Asyl zu gewähren, ist in die völkerrechtliche Zuständigkeitsordnung integrierbar. Nicht ohne Grund hat der Parlamentarische Rat erwogen, das Asylrecht „im Rahmen des allgemeinen Völkerrechts" zu gewähren. 178 Diese Klausel ist zwar nicht in das Grundgesetz aufgenommen worden, gibt aber gleichwohl die 175

Anders der völkerrechtliche Rückführungsanspruch des von der rechtswidrigen Entführung betroffenen Staates; dieser erstreckt sich auch auf Staatsangehörige des Entführerstaates selbst; Elmar Bauer, Die völkerrechtswidrige Entführung, 1968, 33. Zur Unentrinnbarkeit als demgegenüber bestehende Besonderheit des Staatsangehörigkeitsverhältnisses vgl. Isensee (1974), 58ff. 176 Eilers / Heintzen, 624f. 1 77 Z . B . Zuleeg, A K - G G , Art. 16 Abs. 2, RNr. 19. 178 JöR 1 (1951), 165.

I. Allgemeines Grundrechts-Kollisionsrecht

145

geltende Rechtslage zutreffend wieder. A m deutlichsten wird das am diplomatischen Asyl, dessen Gewährung Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG eben nicht fordert. 1 7 9 Der Grund für diese Begrenzung des verfassungsrechtlichen Asylrechts ist darin zu sehen, daß die Gewährung diplomatischen Asyls außerhalb der Kompetenzen diplomatischer und anderer Auslandsmissionen liegt. Art. 1 Abs. 3 GG bestimmt insoweit also auch den internationalen Anwendungsbereich des Asylgrundrechts. Vorwirkungen des Asylgrundrechts - etwa die Verpflichtung deutscher Auslandsvertretungen zur Visaerteilung oder das an die Bundesregierung gerichtete Verbot, den Asylantenstrom durch Vorfeldmaßnahmen zu steuern (Erweiterung des Visumszwanges, Bußgeldbestimmungen gegen Fluggesellschaften, Verhandlungen mit Durchreise gewährenden ausländischen Staaten oder der D D R ) - finden nicht statt. 180 Einer solchen räumlichen und zeitlichen Vorverlagerung des Asylrechts steht Art. 1 Abs. 3 GG entgegen. Das Asylrecht des Grundgesetzes setzt zu seiner Entstehung den Gebietskontakt voraus. Art. 16 Abs. 2 Satz 2 ist andererseits, indem er Ausländern, die politisch verfolgt werden, einen Einreiseanspruch verschafft, eine Durchbrechung des Art. 1 Abs. 3. Die Zulassung von Ausländern ist zwar völkerrechtlich eine Angelegenheit, die allein in die Zuständigkeit des aufnehmenden Staates fällt. Im Sinne von Art. 1 Abs. 3 ist sie jedoch nicht Ausübung, sondern Begründung von Staatsgewalt. Die Synchronisation von völkerrechtlicher Zuständigkeit und grundrechtlicher Bindung ist also nicht perfekt. 181 Letztere setzt grundsätzlich erst jenseits der Schwelle der Herrschaftsbegründung ein. Zwischen der Grenze der völkerrechtlichen Zuständigkeit eines Staates und dem Entfaltungsraum der staatlichen Gewalt liegt als Puffer die Phase selbst noch herrschaftsfreier Herrschaftsbegründung. Diese Schwelle zu überbrücken, ist die primäre Aufgabe des Art. 16 Abs. 2 Satz 2. Die vermeintliche Inkonsequenz der „Schwellentheorie" ist dabei nichts anderes als die Widerspiegelung 179

Randelzhofer, M D , Art. 16 Abs. 2, Satz 2, RNr. lOf. Ebenso Baumann / Brunn / Fritz / Hillmann, Kommentar zum Asylverfahrensgesetz, 1983, § 9, RNr. 4; Paul, 190; Randelzhofer, M D , Art. 16 Abs. 2, Satz 2, RNr. 88 mit FN 220; a. Α . : Fritz Franz, in: Beitz / Wollenschläger (Hrsg.), Handbuch des Asylrechts, Bd. 2, 1981, 801; Hailbronner (1984), RNr. 972; B. Huber, RNr. 500; Michael Kilian, Asylverfahren und Grundrechtsgewährleistung, in: H.-J. Konrad (Hrsg.), Grundrechtsschutz und Verwaltungsverfahren u.a., 1985, 71 ff. (104f.); Gert Müller, in: Beitz / Wollenschläger, a.a.O., Bd. 2, 345; Frank Rottmann, Das Asylrecht des Art. 16 GG als liberal-rechtsstaatliches Abwehrrecht, Der Staat 23 (1984), 337 (342 FN 23, 367f.). Der Streit wurde durch die Entscheidung BVerwGE 62, 215 (223) etwas entschärft und in BVerwGE 69, 323 (328) offengelassen. 181 Dies erkennen Barbey, 695 FN 23, und Isensee (1974), 62, an. Zur Frage eines Ausländergrundrechtes auf Einreisefreiheit vgl. Klaus G. Meyer-Teschendorf, Herabsetzung der Altershöchstgrenze für den Kindernachzug auf 6 Jahre, ZRP 1987, 149 (150f.). Siehe im übrigen Β . II. 1. e) dd) aaa). 180

10 Heintzen

146

C. Grundrechtstatbestandliche Gewährleistung von Auslandskontakten

des Exzeptionellen an diesem Grundrecht. Dadurch wird der Grundsatz, daß der Grundrechtsstatus des Ausländers von dessen Gebietskontakt abhängt, nicht in Frage gestellt. 182 bb) Nachwirkender Grundrechtsstatus Sofern ein Ausländer oder ein einem Ausländer zuzuordnendes Rechtsgut in den Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland gelangt ist, finden die Grundrechte, soweit sie nicht deutschen Staatsangehörigen reserviert sind, Anwendung. Der Grundrechtsschutz erlischt grundsätzlich wieder im Moment des Verlassens des deutschen Staatsgebietes. Insofern grundrechtsgeschützte Rechtsverhältnisse in diesem Zeitpunkt aber noch nicht vollständig abgewikkelt sind, kann es grundrechtliche Nachwirkungen geben. Infolge der zeitweiligen Anwesenheit im Bundesgebiet und der damit verbundenen Unterwerfung unter die deutsche Staatsgewalt besteht aus der Sicht des Völkerrechts eine sinnvolle Anknüpfung, auf deren Grundlage eine nachwirkende Statusbeziehung mit der Gebietshoheit des nunmehrigen Aufenthaltsstaates vereinbar ist. Die völkerrechtliche Bewertung führt über Art. 1 Abs. 3 dazu, daß auch die Grundrechte im Rahmen dieser sinnvollen Anknüpfung zum Zuge kommen. Diese These wird von der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Ergebnis geteilt. In der Entscheidung E 51,1 hat das Bundesverfassungsgericht im Ausland lebenden Ausländern das Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 in Bezug auf Rentenansprüche zugebilligt, die die Beschwerdeführer durch Berufstätigkeit in der Bundesrepublik oder im Deutschen Reich erworben hatten. Das Bundesverwaltungsgericht - BVerwGE 69, 323 - hat entschieden, einem politisch Verfolgten, der in Deutschland Asyl beantragt habe, dürfe die Anerkennung nicht deshalb versagt werden, weil er im Zeitpunkt der Entscheidung über sein Asylbegehren sich wieder im Verfolgerland befunden habe. cc) Extraterritoriale Auswirkungen deutscher öffentlicher Gewalt aaa) Neuere Entwicklungen in der völkerrechtlichen

Zuständigkeitslehre

Auf neuere Entwicklungen im Bereich der völkerrechtlichen „jurisdiction to prescribe" wurde schon hingewiesen. 183 Die Rechtssetzungsbefugnis eines 182 Zu dem schon im Wort „Asyl" angelegten territorialen Bezug: BVerwGE 69, 323 (324ff.); Paul, 190; Randelzhofer, M D , Art. 16 Abs. 2, Satz 2, RNr. 84ff.; Zuleeg, A K - G G , Art. 16 Abs. 2, RNr. 19, 20 und 44. 183 Siehe C. I. 2. b).

I. Allgemeines Grundrechts-Kollisionsrecht

147

Staates wird dadurch auf solche ausländischen Vorgänge ausgedehnt, die sich in bestimmter Weise auf das Inland auswirken. Wenn eine sinnvolle Anknüpfung vorliegt, darf die deutsche Staatsgewalt den Auslandssachverhalt regeln; sie kann also z.B. Kartellabsprachen verbieten und mit Bußgeld belegen, die im Ausland zwischen ausländischen Unternehmen gezielt hinsichtlich des deutschen Marktes getroffen worden sind. 184 Im Rahmen der so definierten völkerrechtlichen Zuständigkeit finden die Grundrechte Anwendung, freilich mit dem in dieser Sachmaterie bedeutsamen Vorbehalt des Art. 19 Abs. 3 GG. Jenseits des völkerrechtlich ihr zukommenden Zuständigkeitskreises darf die deutsche Staatsgewalt nicht tätig werden. Auch die Grundrechte sind nicht anwendbar. Die Rechtswidrigkeit allfälliger Übergriffe folgt aus dem Völkerrecht, nicht aus den Grundrechten. Falls die deutsche Staatsgewalt es jedoch unternehmen sollte, völkerrechtswidrige Anordnungen durch den Zugriff auf inländisches Vermögen von deren ausländischen Adressaten zwangsweise durchzusetzen, gewähren die Grundrechte - aufgrund des nunmehrigen Gebietsbezuges des Sachverhaltes - Schutz. Mit den jeweiligen vollstrekkungsrechtlichen Rechtsbehelfen kann der Betroffene geltend machen, daß der Vollstreckungstitel wegen des Völkerrechtsverstoßes einer rechtlichen Grundlage entbehre. Ob darüber hinaus auch Art. 25 GG Anwendung findet, ist in doppelter Hinsicht zweifelhaft. Der verletzte Völkerrechtssatz muß nach Art. 25 auch privaten Interessen zu dienen bestimmt sein, was vom Bundesverfassungsgericht bezüglich der völkerrechtswidrigen Zustellung ins Ausland 1 8 5 und der völkerrechtswidrigen Entführung aus dem Ausland 186 verneint worden ist. 1 8 7 Art. 25 Satz 2, 2. Halbsatz setzt weiterhin voraus, daß die Betroffenen „Bewohner" des Bundesgebietes sind, ein Kriterium, das in den problematischen Fällen extraterritorialer Rechtsetzung und -durchsetzung häufig nicht erfüllt sein wird. In einer neuen Entscheidung scheint sich freilich 184

Beispielsfall: K G D B 1984,231. Die verfassungsrechtliche Prüfung (235f.) ist dort nur auf den völkerrechtlich zulässigen Teil der Untersagungsverfügung bezogen. ι«5 BVerfGE 63, 343 (373f.). ι»6 BVerfG EuGRZ 1986, 18. 187 Dogmatisch solide fundierte Kriterien zur Beantwortung der Frage, wann ein Völkerrechtssatz individualschützend ist, fehlen. Das nimmt nicht Wunder angesichts des Dilemmas, in das der Fragesteller durch die wenn auch in abgeschwächter Form fortbestehende Mediatisierung des Individuums im Völkerrecht gerät. Die aus der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht entliehene Schutznormtheorie führt deshalb hier zu wenig überzeugenden Ergebnissen. Entsprechend den neueren Ansätzen in der Dogmatik des subjektiven öffentlichen Rechts (dazu Jost Pietzcker, „Grundrechtsbetroffenheit" in der verwaltungsrechtlichen Dogmatik, FS Bachof, 1984, 131 (138ff.)) wäre zu überlegen, ob der individualschützende Gehalt einer über Art. 25 GG in das deutsche Recht übernommenen Regel des universellen Völkerrechts anstatt durch die Schutznormtheorie nicht besser grundrechtlich zu ermitteln ist. Von diesem Ansatz ergibt sich die Frage nach dem grundrechtlichen Schutzgehalt insbesondere der völkerrechtlichen Zuständigkeitsordnung; dazu Eilers / Heintzen, 625. 10*

148

C. Grundrechtstatbestandliche Gewährleistung von Auslandskontakten

eine Wende in der Rechtsprechung des BVerfG abzuzeichnen. Nach dem Pakelli-Beschluß kann über die Art. 2 I und 25 GG - die üblichen Zulässigkeitsvoraussetzungen als gegeben unterstellt - die Verletzung einer allgemeinen Regel des Völkerrechts mit der Verfassungsbeschwerde gerügt werden unabhängig davon, ob diese Regel individualschützenden Charakter hat. 1 8 8 bbb) Faktische Auslandsauswirkungen der Betätigung deutscher Staatsgewalt Das Urteil über grenzüberschreitende faktische Auswirkungen der Betätigung deutscher Staatsgewalt (z.B. Immissionen 189 ) folgt schlüssig aus dem theoretischen Ansatz. Sie stellen keine Ausübung deutscher Staatsgewalt dar, sondern sind deren Folge. 190 Im Verhältnis zu den im Ausland faktisch von ihnen Betroffenen zeitigen sie keine rechtlichen Wirkungen, weil es an einer grundrechtsbedingenden Statusbeziehung fehlt, öffentlich-rechtliche Abwehransprüche aber eine solche Beziehung voraussetzen. 191 Sie können auch nicht in einen grundrechtsbegründenden Sach- oder Zweckzusammenhang mit der inländischen Betätigung deutscher Staatsgewalt gebracht werden. Akzessorische Anknüpfungen, wie sie bei Zurechnungsfragen im Staatshaftungsrecht häufig begegnen 192 , sind über Staatsgrenzen hinweg nicht möglich. 193 Auch der Rechtsschutz ausländischer Anlieger gegen grenzüberschreitende faktische Auswirkungen der Betätigung deutscher Staatsgewalt ist nicht verfassungsrechtlich. gewährleistet. Art. 19 Abs. 4 GG setzt ein subjektives Recht voraus und schafft es nicht selbst. 194 Das Vorliegen eines subjektiven öffentlichen Rechts als Anwendungsbedingung des Art. 19 Abs. 4 GG ist gleichbedeutend mit dem Vorhandensein eines Rechtsverhältnisses zwischen dem Rechtsinhaber und der deutschen öffentlichen Gewalt. Dieses wiederum impliziert notwendig einen zumindest partiellen Grundrechtsstatus. Das Kriterium des Grundrechtsstatus dirigiert also auch den internationalen Anwen188 BVerfG ZaöRV 1986, 289 (290) mit Anm. Frowein, 286ff. Zur Problematik vgl. Hans-Jürgen Papier, Immissionen durch Betriebe der öffentlichen Hand, NJW 1974,1798. 1 90 Dazu Robbers, D ö V 1987, 272 (273). 19î Zum grundrechtlichen Fundament des Folgenbeseitigungsanspruchs Ossenbühl (1983), 194 ff. 1 92 Vgl. Ossenbühl (1983), 30. 193 So im Ergebnis auch Oppermann und das V G Oldenburg, DVB1. 1985, 802; ferner Michael Bothe, Grenzüberschreitender Verwaltungsrechtsschutz gegen umweltbelastende Anlagen, UPR 1983, 1; Michael Kilian, Anmerkung, DVB1. 1985, 804; Michael Kloepfer, Grenzüberschreitende Umweltbelastungen als Rechtsproblem, in: Heinrich von Moltke u.a., Grenzüberschreitender Umweltschutz in Europa, 1984, 41; Rüdiger Wolfrum, Grenzüberschreitende Luftverschmutzung im Schnittpunkt von nationalem Recht und Völkerrecht, DVB1. 1984, 493. 1 94 Unstreitig; BVerfGE 15, 275 (281); 61, 82 (110). 189

I. Allgemeines Grundrechts-Kollisionsrecht

149

dungsbereich der Rechtsweggarantie. Dort, wo die materiellen Grundrechte nicht hinreichen, ist auch für das formelle Hauptgrundrecht des Art. 19 Abs. 4 kein Platz. Das gilt insbesondere in den Fällen grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen, und zwar nicht, wie Oppermann meint 1 9 5 , allein aufgrund des Territorialitätsprinzips, sondern aufgrund der völkerrechtlichen Zuständigkeitsordnung insgesamt, innerhalb derer der Territorialitätsgrundsatz nur ein, wenn auch ein wichtiger Bestandteil ist. 1 9 6 Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 17.12.1986 über die Stellung ausländischer Anwohner im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren 1 9 7 läßt sich mit den vorstehenden Ausführungen in Einklang bringen. Zwar ist das Bundesverwaltungsgericht darin zu dem Ergebnis gelangt, § 7 Abs. 2 A t G vermittele den ausländischen Anwohnern ein subjektives Recht, das mit der gegen die atomrechtliche Genehmigung gerichteten Anfechtungsklage erforderlichenfalls auch gerichtlich geltend gemacht werden könne. Auf der anderen Seite aber werden die Grundrechte mit keinem Wort erwähnt und spielen die völkerrechtliche Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland und die ihr gezogenen Grenzen in der Argumentation des Gerichts an mehreren Stellen eine wichtige Rolle. Das Bundesverwaltungsgericht stellt zunächst fest, daß, völkerrechtlich betrachtet, für die gesetzliche Zuteilung subjektiver öffentlicher Rechte an im Ausland wohnende Ausländer ein hinreichender inländischer Anhaltspunkt gegeben ist, wenn sie im Zusammenhang mit der Erteilung einer nur im Inland wirksamen atomrechtlichen Genehmigung erfolgt. 198 Die Tragweite dieser Aussage wird allerdings wieder relativiert: Zumindest den Bürgern der Mitgliedstaaten der Europäischen Atomgemeinschaft komme der von § 7 Abs. 2 A t G ausgehende Drittschutz zugute. 199 Wenn der ausländische Nachbarstaat seine Bürger daran hindert, von den ihnen deutscherseits zugestandenen Verfahrensrechten Gebrauch zu machen, müssen nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts die davon betroffenen Ausländer sich dies „entgegenhalten" lassen. 200 Die vom Bundesverwaltungsgericht seinen Überlegungen zugrundegelegte völkerrechtliche Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland, für den Schutz der Belange ausländischer Anrainer von im Bundesgebiet belegenen kerntechnischen Anlagen zu sorgen, weist somit einige Besonderheiten im Vergleich mit anderen völkerrechtlichen Kompetenztiteln auf. Es ist primär Aufgabe des ausländischen Nachbarstaates, seine Bürger und Bewohner 195 Oppermann, FS Grewe; ders. / Michael Kilian, Gleichstellung ausländischer Grenznachbarn in deutschen Umweltverfahren?, 1981. 196 Insoweit teilweise a. A . Schmidt-Aßmann, M D , Art. 19 Abs. I V , RNr. 39, 49. 197 BVerwG JZ 1987, 351. 198 Ebd., 352 (r. Sp.). 199 Ebd., 353 (1. Sp.). 200 Ebd., 353 (r. Sp.).

150

C. Grundrechtstatbestandliche Gewährleistung von Auslandskontakten

gegen die nachteiligen Auswirkungen technischer Anlagen zu schützen, die in der Bundesrepublik errichtet und betrieben werden. Zu diesem Zweck steht der Regierung des ausländischen Staates das übliche diplomatische Instrumentarium zur Verfügung. Es ist eine bedenkenswerte rechtspolitische Frage, ob dieses Verfahren im Verhältnis zu grenzüberschreitendem Individualrechtsschutz nicht effektiver und praktikabler ist. Auf jeden Fall verdrängt die Verleihung verwaltungsrechtlichen Individualrechtsschutzes an im Ausland wohnende Anrainer nicht das völkerrechtliche Schutzrecht des ausländischen Staates. Durch die Übernahme zusätzlicher Verantwortung durch die Bundesrepublik wird dieser nicht von seiner Verantwortung entbunden. Aus der Sicht der völkerrechtlichen Zuständigkeitsordnung stellt sich die Lage so dar, daß die von der Bundesrepublik durch gesetzgeberische Entscheidung übernommene Verantwortung für die Risiken, die deutsche Technik für ausländische Gebiete und ihre Bewohner birgt, zu der Verantwortung hinzutritt, die dem ausländischen Staat hinsichtlich des Schutzes seiner Bürger vor technischen Risiken unabdingbar obliegt. Zwei Zuständigkeiten überlagern sich also. Diese atypische Situation spiegelt die Veränderungen, die gegenwärtig im internationalen Umweltrecht stattfinden. Die Entwicklung hat sich freilich noch nicht so verfestigt, daß die Einbeziehung der Belange ausländischer Anrainer in innerstaatliche Verwaltungsentscheidungen als obligatorisch bezeichnet werden kann und der ausländische Staat seinerseits gehalten wäre, die Erfüllung einer solchen Verpflichtung zu dulden. Vielmehr geht es hier um eine Option, die der Staat hat, von dessen Gebiet ein Umweltrisiko ausgeht, und deren Ausübung der Nachbarstaat zurückweisen kann. Der Umstand, daß die völkerrechtliche Zuständigkeit der Bundesrepublik auf deren freiwilliger Entschließung beruht, hat grundrechtskollisionsrechtliche Bedeutung. Die Ausübung der Option erfolgt durch den Gesetzgeber. Seine Entscheidung ist zuständigkeitsbegründend, nicht zuständigkeitsausfüllend. Er unterliegt insoweit noch nicht der Bindung an die Grundrechte, sondern begründet erst deren Anwendbarkeit. Konsequenterweise spielen die Grundrechte in der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts auch keine Rolle. 2 0 1 Sowohl die Verfahrens- als auch die materiell-rechtliche Position des betroffenen Ausländers leitet es aus dem einfachen Gesetzesrecht, den §§ 1 Nr. 4 und 7 Abs. 2 Nr. 3 A t G , her. dd) Die deutsche Staatsgewalt im Ausland Die deutsche Staatsgewalt ist grundsätzlich an das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland gebunden. Dieser Grundsatz kommt in den Art. 1 Abs. 3 und 23 Satz 1 GG zum Ausdruck. Gleichwohl gibt es gewisse territo201 Anders die Anmerkung von Peter Preu, JZ1987, 354, die sich insoweit nicht mehr in Übereinstimmung mit der rezensierten Entscheidung befindet.

I. Allgemeines Grundrechts-Kollisionsrecht

151

riale Außenpositionen - Auslandsmissionen, Schiffe und Flugzeuge unter deutscher Flagge, Auslandsstandorte der Bundeswehr, aktive Staatsservituten (z.B. Grenzbahnhöfe), Zollanschlußgebiete usw. - , von bzw. in denen deutsche Staatsgewalt ausgeübt wird. Die Grundrechte sind hier anwendbar, soweit die völkerrechtliche Befugnis zur Entfaltung von Staatsgewalt reicht. Allen genannten Beispielen ist gemeinsam, daß die „Außenposition" in einem Abhängigkeitsverhältnis zu dem territorialen Zentrum der deutschen Staatsgewalt steht, daß sie entweder dienende Funktion hat oder darin integriert ist oder auf das Staatsgebiet als Operationsbasis angewiesen ist. Dieser Bezug fehlt, wo hoheitliche Gewalt im Ausland auf völkerrechtlicher Grundlage ausgeübt wird, ζ. B. bei militärischer Besetzung oder Protektoratsverhältnissen. Deshalb ist die Anwendung der Grundrechte hier nicht mehr vertretbar. 2 0 2 3. Die Funktion der Kategorien „Schutzbereich", „Eingriff 4 und „Schranke" in Grundrechtsfällen mit Auslandsbezug

a) Schutzbereich Der Begriff „Schutzbereich" 203 würde mißverstanden, wenn man sich darunter einen geographisch definierten Teil der Erdoberfläche vorstellte, innerhalb dessen das Grundrecht gilt. Obwohl nirgends ausdrücklich so beschrieben, haftet die verräumlichende Denkweise zahlreichen Stellungnahmen zu dem Begriff an. 2 0 4 Nach dem Zwei-Phasen-Modell internationaler Grundrechtsanwendung trifft jedoch Art. 1 Abs. 3 GG die grundsätzliche Entscheidung über den Grundrechts-Status - und zwar für alle Grundrechte in derselben Weise. Die Konstruktion räumlicher Schutzsphären der einzelnen Grundrechte ist deshalb überflüssig und verfehlt. „Schutzbereich" ist keine Kategorie, die dazu dienen könnte, den internationalen Anwendungsbereich eines Grundrechts zu bestimmen. Als zweiter Filter, der unmittelbar auf das Status-Kriterium des Art. 1 Abs. 3 folgt und von diesem unabhängig ist, hat aber auch der Grundrechtstatbestand in Fällen internationaler Grundrechtsanwendung spezifische Aufgaben inhaltlicher Feinabstimmung zu erfüllen. Im einzelnen sind drei Aspekte zu unterscheiden: die Schutzgutidentifizierung, Abstufungen der Schutzintensität und die Herstellung von Konkordanz mit völkerrechtlichen Vorgaben oder Parallelen.

202

A . A . Bleckmann, Staatsrecht I I , 54f. Z u bedeutungsgleichen Begriffsalternativen Hesse (1985), RNr. 46, 69; Pieroth / Schlink, RNr. 227; Starck, v M K , Art. 1, RNr. 170f. 204 Z . B . bei Schwabe, 152: „Territorium des Schutzbereiches". Vgl. ferner die Nachweise in FN 93. 203

152

C. Grundrechtstatbestandliche Gewährleistung von Auslandskontakten

aa) Schutzgutidentifizierung Der Grundrechtskatalog des Grundgesetzes ist primär an internen Gefahrenlagen und Schutzbedürfnissen orientiert. Die Schwerpunktsetzung erfolgte in langwieriger Auseinandersetzung mit der grundrechtlich-rechtsstaatlich zu bändigenden Staatsgewalt.205 Die Ausrichtung der Grundrechte auf die neuartigen internationalen Betätigungsfelder individueller Freiheit mit den ihnen eigenen Gefahrenpotentialen ist deshalb auch eine Aufgabe differenzierender Schutzbereichsinterpretation , 2 0 6 Es ist jeweils im einzelnen zu prüfen, ob und inwieweit internationale Zusammenschlüsse von gesellschaftlichen Organisationen und von Unternehmen in die einschlägigen Verfassungsbestimmungen sich einfügen und bis zu welchem Maße sie dadurch rechtlichen Schutz erhalten. Ein in diesen Zusammenhang passendes Beispiel ist die Entstehung eines europäischen oder sogar über Europa hinausreichenden Rundfunkmarktes und das hiermit verbundene erhöhte Angebot aus dem Ausland gesendeter Programme, die in der Bundesrepublik zu einem Teil direkt empfangbar sein werden. Diese Entwicklungen müssen die Auslegung des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG beeinflussen. 207 bb) Schutzintensität Die Schutzintensität der Grundrechte nimmt nach außen hin ab. Mit dieser Feststellung ist freilich nicht mehr als eine allgemeine Tendenz angegeben und Genaues noch nicht gesagt. Mit gutem Grund wird bezweifelt, daß die Ausdünnung des grundrechtlichen Schutzes einem allgemeinen Prinzip gehorche. Es gibt stärker introvertierte Grundrechte wie die Art. 2 Abs. 2, 7 oder 13 und auf der anderen Seite der Skala stärker extravertierte Grundrechte wie das Asylrecht oder die Informationsfreiheit. Richtiger scheint deshalb die Annahme zu sein, für jeden Grundrechtstatbestand seien die erforderlichen Differenzierungen gesondert vorzunehmen: anhand der Besonderheiten des Normbereiches, anhand der unterschiedlichen Interferenzen ausländischer Rechtsordnungen und des internationalen Rechts, anhand wirtschaftlicher und politischer Wertungen 208 . Ein Allgemeiner Teil der in diesem Zusammenhang anzustellenden Überlegungen ist noch nicht geschrieben. Erste Ansätze zu einer Systematisierung 205

Hesse (1985), RNr. 300 - 302. Z u Art. 8 GG, einem Grundrecht mit klar politischer Konjunktur, Fritz Ossenbühl, Versammlungsfreiheit und Spontandemonstration, Der Staat 10 (1971), 53f. 206 So auch Treviranus (1979), 37. 207 BVerfG NJW 1987, 239 (240). 208 Wobei bei Abwägungsmodellen Vorsicht geboten ist. Gegenüber Tomuschats Sympathie für die US-amerikanische Meßlatte des „clear and present danger test" a.a.O. (1978), 21 FN 46 - sind Bedenken anzumelden. Vgl. die Nachweise in FN 125.

I. Allgemeines Grundrechts-Kollisionsrecht

153

sind jedoch erkennbar. Sie gehen von der Art und der rechtlichen Form der Beteiligung der deutschen Staatsgewalt aus. Die Kriterien, die allmählich sich zu verfestigen scheinen, lauten „Hinnahme" oder „Mitwirkung" durch Organe der Bundesrepublik Deutschland oder „selbständiges hoheitliches Verhalten eines fremden Staates". 209 Mit Abstrichen ist auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den „noch verfassungsmäßigen Lagen" hier einzuordnen. 210 A n inhaltlichen, substantiell aus dem Tatbestand der einzelnen Grundrechte gewonnenen Richtpunkten herrscht allerdings großer Mangel. Ein möglicher Grund für die Abnahme der Schutzintensität nach außen ist schiere räumliche und zeitliche Distanz. Die gleichen Probleme sind auch bei rein innerstaatlichen Sachverhalten anzutreffen. Ein spezifischer Auslandsbezug fehlt. Die Lösungen, die für die grundrechtliche Zuordnung von Vorbereitungsmaßnahmen zur eigentlichen Grundrechtsausübung gefunden worden sind (Beispiel: Anreise zur Demonstration), gelten entsprechend. 211 cc) Wechselwirkungen mit internationalen Menschenrechtspakten Die Grundrechte des Grundgesetzes und die internationalen Menschenrechtspakte, vor allem der operative Teil der Europäischen Menschenrechtskonvention, sind durch ein Geflecht von Wechselwirkungen miteinander verbunden. 212 Die Grundrechtsinterpretation empfängt Anregungen aus dem internationalen Bereich, und umgekehrt gehen von den Grundrechten inhaltliche Impulse aus, die bei der Handhabung der internationalen Texte aufgegriffen werden können. Trotz ihrer höheren Gewährleistungsstärke treten die Grundrechte in dieser Austauschbeziehung mehr als Nehmer denn als Geber auf, weil es für eine nationale Rechtsordnung einfacher ist, sich auf eine oder wenige internationale Vorgaben einzustellen, als für einen multilateralen Menschenrechts vertrag, der mit einer Vielzahl nationaler Regelungskonzepte konfrontiert ist. Das Bundesverfassungsgericht hat in einigen Entscheidungen internationale Menschenrechtstexte als allgemein anerkannte Maßstäbe zur Grundrechtsauslegung herangezogen. 213 Im Solange II-Beschluß spricht das Gericht sogar ausdrücklich von einer „normativen Verklammerung" 214 der in 209

Geiger, 174ff. Christian Pestalozza, „Noch verfassungsmäßige" und „bloß verfassungswidrige" Rechtslagen, FG BVerfG, Bd. 1, 1976, 519ff. 2 *i Dazu BVerfG D ö V 1985, 778 (779); BVerwGE 45, 51; BayVGH BayVBl. 1983, 434; V G Würzburg NJW 1980,2541; Alfred Dietel / Kurt Gintzel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, 8. Aufl., 1985, § 1, RNr. 3; Hoffmann-Riem, A K - G G , Art. 8, RNr. 24; von Münch, vM, Art. 8, RNr. 14a. Ferner Wilhelm K. Geck / Karl-Heinz Oehler, Die verhinderte Demonstration, JuS 1983, 129. 212 Vgl. die Arbeiten von Ress und Schreuer. ™ BVerfGE 58,233 (255) - zu Art. 9 Abs. 3 GG. Vgl. auch BVerfG NJW 1987,239 (240). Dezidiert a. A . BVerfGE 36, 1 (14). 2 4 * BVerfG NJW 1987, 577 (582). 210

154

C. Grundrechtstatbestandliche Gewährleistung von Auslandskontakten

den Verfassungen der Mitgliedstaaten und in der Europäischen Menschenrechtskonvention enthaltenen Grundrechtsverbürgungen mit den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Gemeinschaftsrechts. Die Wechselwirkungstheorie ist freilich weder frei von Bedenken noch hat sie es bisher vermocht, Aufnahme in das gängige Repertoire der Verfassungsinterpretation zu finden. Ihre Kritiker werfen ihr vor allem vor, sie berge die Gefahr, durch den Vergleich mit möglicherweise schwächeren Individualrechtsverbürgungen des internationalen oder eines ausländischen Rechts im Ergebnis das deutsche Grundrechtsniveau zu senken. 215 Ein weiterer - mehr grundsätzlicher - Einwand zielt dahin, daß durch die Öffnung für fremde „Interpretationssubstanz" die Identität der deutschen Verfassungsordnung Schaden nehme. Ein letztes Gegenargument ist prozessualer Natur. Interdependenzen zwischen der deutschen Grundrechtsordnung und individualschützenden Normen des Völkerrechts zu statuieren, heißt, das Bundesverfassungsgericht als Hüter der Grundrechte aufzufordern, sich an der Interpretation völkerrechtlicher Tatbestände zu beteiligen. Dies aber kann lèicht zu Kollisionen mit der Prüfungskompetenz internationaler Kontrollgremien führen. Der auf zwei Ebenen - Grundrechte und Recht der Internationalen Arbeitsorganisation - ausgefochtene Streit um die Zulässigkeit der Neuregelung des § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes ist ein gutes Beispiel. Eine in der Konsequenz der Entscheidung über die Tariffähigkeit des Deutschen Arbeitnehmer-Verbandes weitgehende Einbeziehung internationalen Normenmaterials bei der Auslegung von Art. 9 Abs. 3 G G 2 1 6 könnte durchaus in einem Konflikt mit der hinsichtlich der Neutralitätsklausel des deutschen Arbeitslosenversicherungsrechts sehr wachsamen Sachverständigen-Kommission der Internationalen Arbeits-Organisation enden. 217 b) Grundrechtseingriff Die Grundrechtsbindung der deutschen öffentlichen Gewalt bei Sachverhalten mit Auslandsberührung steht gemäß Art. 1 Abs. 3 GG in einem gleitenden Abhängigkeitsverhältnis zur Gewaltunterworfenheit der (potentiellen) Grundrechtsträger. Diese Gewaltunterworfenheit kann variieren, je nachdem, auf welchen völkerrechtlichen Kompetenztitel die handelnden deutschen Staatsorgane sich stützen. Ist es die Gebietshoheit, das umfassendste Herrschaftsrecht also, greift die Grundrechtsbindung in vollem Umfang Platz. Ist es die Personalhoheit, reduziert sie sich sowohl hinsichtlich des persönlichen als auch hinsichtlich des sachlichen Gewährleistungsumfanges. 215 Vgl. Stern I , 476; Tomuschat (1978), 54. 216 BVerfGE 58, 233 (253ff.). 217 Dazu Markus Heintzen, Die Neuregelung des § 116 A F G und das internationale Recht, D B 1987, 482 (486f.).

I. Allgemeines Grundrechts-Kollisionsrecht

155

Die Abstufungen der Gewaltunterworfenheit eines grundrechtlichen Sachverhaltes wirken sich in zweifacher Weise unmittelbar auf die Eingriffsdogmatik aus. Sie betreffen die Unterscheidung von klassischen und faktischen Grundrechtseingriffen sowie die Trennung von grundrechtlichem Eingriffsverbot und grundrechtlicher Schutzpflicht. aa) Faktische Grundrechtseingriffe „Faktischer Grundrechtseingriff" ist ein buntschillernder Begriff, mit dem in verschiedene Richtungen zielende Auflockerungen des klassischen Eingriffsbegriffes bezeichnet werden: vom Rechtsakt zum Realakt, von der Finalität und Unmittelbarkeit hin zur mittelbaren und unbeabsichtigten oder unvorhersehbaren Nebenfolge. 218 Bei Sachverhalten mit Auslandsberührung wirft der „faktische Grundrechtseingriff" in zweierlei Hinsicht Probleme auf. Eines davon betrifft das Zusammenwirken der deutschen öffentlichen Gewalt mit einem ausländischen Hoheitsträger. Ansonsten praktikable Zurechnungskriterien bei mittelbaren Grundrechtsverletzungen passen auf diese Konstellation wegen der besonderen juristischen Struktur der Staatsperson und der ihr eigenen Souveränität - in diesem Zusammenhang verstanden als Vermutung der effektiven Willensunabhängigkeit - nicht. Insbesondere die Zurechnungskriterien „Anstiftung" und „mittelbare Täterschaft" 219 sind im Verhältnis zu ausländischen Staaten unbrauchbar. Das selbständige hoheitliche Verhalten eines ausländischen Souveräns ist der deutschen öffentlichen Gewalt nicht zurechenbar, auch wenn es von ihr möglicherweise veranlaßt wurde. 2 2 0 Man mag in diesem Umstand eine Parallele zu der völkerdeliktsrechtlichen Teilnahmevorschrift des Art. 27 des Konventionsentwurfes der International Law Commission erblicken, durch den eine Übertragung der Beteiligungsformen „Anstiftung" und „mittelbare Täterschaft" ins Völkerrecht implizit durch Nichterwähnung ausgeschlossen wird. 2 2 1 Die Staatsgrenze ist für die grundrechtliche Zurechenbarkeit der kausalgesetzlich weitläufig sich verzweigenden bloß faktischen Folgewirkungen hoheitlicher Betätigung ein unüberwindbares Hindernis, weil der von ihnen im Ausland Belastete in territorialer Hinsicht der deutschen Staatsgewalt nicht unter218 Aus der Rechtsprechung zuletzt BVerwGE 71, 183 (Transparenz-Kommission). Einstieg in die Literatur bei Bleckmann, Staatsrecht I I , 269ff.; Pieroth / Schlink, RNr. 271 ff. 219 Beispiel für einen Fall, in dem der Staat als mittelbarer Täter in Grundrechte eingreift, bei Kurt Häntzschel, Das Recht der freien Meinungsäußerung, in: Anschütz / Thoma, Bd. 2, 1932, 651 ff. (668). 220 BVerfGE 57, 9 (Einlieferungsersuchen); 66, 39 (Nachrüstung). 221 Nachweise bei Ian Brownlie, State Responsibility, Bd. 1, 1983, 189ff.; Eckart Klein, Beihilfe zum Völkerrechtsdelikt, FS Hans-Jürgen Schlochauer, 1981, 425ff. (429ff.); Simma (1986), 380.

156

C. Grundrechtstatbestandliche Gewährleistung von Auslandskontakten

steht. Anders ist es nur, wenn die faktische Beeinträchtigung in der Folge Wirkung eines Hoheitsaktes besteht, der gegenüber einem Ausländer zu einem Zeitpunkt gesetzt worden ist, zu dem dieser sich noch im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland befand. 222 bb) Eingriffsverbot und Schutzpflicht 223 Eingriffsverbot und Schutzpflicht bezeichnen unterschiedliche Reaktionsweisen der Freiheitsgrundrechte auf Beeinträchtigungen ihres Schutzbereiches. Gehen diese von einem Adressaten der Grundrechtsbindung nach Art. 1 Abs. 3 GG aus, so ist das grundrechtliche Eingriffsverbot angesprochen. Gehen sie von anderer Seite aus, so wird die grundrechtliche Schutzpflicht aktiviert. Die Schutzpflicht hat wie das Eingriffsverbot ihren Sitz in jedem einzelnen Grundrecht. Sie statuiert eine auf die Beseitigung bestimmter Störungen grundrechtlicher Güter gerichtete Handlungspflicht. Erfüllt wird sie durch staatliches Handeln mit Schutzgut Verwirklichungstendenz. Eine Erfolgshaftung trifft den Staat dabei nicht. Art und Umfang des geforderten Einsatzes variieren je nach den Umständen des Einzelfalles, nach dem betroffenen grundrechtlichen Schutzgut und den Interferenzen durch andere Rechtsgüter oder rechtlich geschützte Interessen. Den zuständigen staatlichen Stellen kommt ein weites Auswahl-, teilweise sogar ein Entschließungsermessen zu. Die Schutzpflicht ist aus diesen Gründen aus der Sicht des Staates flexibler, aus der Sicht des Bürgers durchsetzungsschwächer als das Eingriffsverbot. Gleichwohl wäre es eine unzutreffende Pauschalisierung, die Schutzpflichtdimension der Grundrechte bloß als ein Minus im Verhältnis zum Eingriffsverbot aufzufassen. Über den Gedanken der Schutzpflicht eröffnen sich den Grundrechten Anwendungsbereiche, die dem Eingriffsdenken notwendig verschlossen bleiben. Der Auslandsschutz ist ein wichtiges Beispiel dafür. Eingriffsverbot und Schutzpflicht sind zwei Pole, zwischen denen der Grundrechtsschutz bei Sachverhalten mit Auslandsschutz pendelt. Je mehr ein Sachverhalt von der deutschen öffentlichen Gewalt bestimmt werden kann, desto mehr dominiert das Eingriffsverbot, je stärker er dem Einfluß ausländischer Hoheitsgewalt untersteht, desto mehr tritt der Schutzpflichtgedanke in den Vordergrund. So ist die Umsetzung von Völkerrecht in innerstaatliches Recht in vollem Umfang an den Grundrechten zu messen. Bei der Mitwirkung an ausländischen Rechtsakten im Wege der Rechts- und Amtshilfe ist dies nur noch mit Einschränkungen der Fall; die Andersartigkeit der fremden Rechtsordnung zwingt zu manchen Abstrichen an den Wertvorstellungen des Grundgesetzes. Bei der bloßen Hinnahme der Rechtsakte oder des faktischen Ver222 Ygi den Beispielsfall bei Ramsauer, 90 oben. Zu der Frage, wie sich Eingriffsverbot und Schutzpflicht zueinander verhalten, vgl. Alexy, 415ff. 223

I. Allgemeines Grundrechts-Kollisionsrecht

157

haltens eines anderen Staates dreht sich das Verhältnis schon um; das Eingriffsverbot wird ersetzt durch die Verpflichtung zu einem Handeln mit Gebotserfüllungstendenz. Die Umkehrung wird perfekt im Falle des einseitigen Handelns eines ausländischen Hoheitsträgers; grundrechtlicher Schutz besteht hier ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Schutzpflicht. 224 c) Schranken A n manchen Stellen der Darlegung ist dem Völkerrecht, speziell der völkerrechtlichen Zuständigkeitsordnung, vermittels des Art. 1 Abs. 3 GG Einfluß auf Inhalt und Umfang der Grundrechtsgeltung zugebilligt worden. Das macht eine klarstellende Bemerkung zu der Frage erforderlich, ob Völkerrecht als Grundrechtsschranke wirken könne, ob also etwa die Ausklammerung des diplomatischen Asyls aus Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG oder die Beschränkung des diplomatischen Schutzes auf das völkerrechtlich Zulässige als Grundrechtsschranken aufzufassen seien. Wie so oft, wenn von Grundrechtsschranken kraft Völkerrechts die Rede ist, wird das Wort „Schranke" nicht als terminus technicus gebraucht. Das Völkerrecht beschränkt in den beiden Beispielen nicht etwas grundsätzlich Gewährleistetes, sondern es setzt den Rahmen, innerhalb dessen die deutsche Hoheitsgewalt sich entfalten kann. Auf diese Rahmensetzung durch die völkerrechtliche Zuständigkeitsordnung verweist Art. 1 Abs. 3 GG. Das Völkerrecht beschränkt nicht die Grundrechte, sondern den Entfaltungsraum der deutschen Hoheitsgewalt. Das hat zwar mittelbar Auswirkungen auf den Geltungsumfang der Grundrechte, da die internationale Reichweite der Grundrechte sich akzessorisch zu der der deutschen Hoheitsgewalt verhält, hat mit Grundrechtsbeschränkung aber nichts zu tun. Aus dem hier vertretenen grundrechtskollisionsrechtlichen Ansatz ergeben sich somit für die Schrankenlehre keine Konsequenzen. 4. Zusammenfassung

Der Kernbegriff der allgemeinen Lehre von der Auslandsgeltung der Grundrechte heißt Status. Status meint die Art und Weise, wie jemand der öffentlichen Gewalt der Bundesrepublik Deutschland unterstellt ist: territorial oder personal, partiell oder total, vorübergehend oder dauerhaft, vorwirkend oder nachwirkend. Verfassungsgesetzlich ist das Status-Merkmal in Art. 1 Abs. 3 GG verankert: Die Vorschrift nennt nicht nur die Adressaten der Grundrechtsbindung, sondern setzt darüber hinaus ein Status-Verhältnis zwischen den an dem Grundrechtsverhältnis Beteiligten als Bedingung für die Anwendbarkeit der Grundrechte voraus. 224

Z u diesen Fallgruppen Geiger, 174 ff.

158

C. Grundrechtstatbestandliche Gewährleistung von Auslandskontakten

Das Statuskriterium ermöglicht einen Gleichklang zwischen der völkerrechtlichen Zuständigkeitsordnung und dem Geltungsbereich der Grundrechte. Es ermöglicht insbesondere eine fortlaufende Anpassung der Grundrechte an Verschiebungen im Gefüge der völkerrechtlichen Rechtsetzungsund Rechtsanwendungskompetenzen, wie sie heute häufig stattfinden (z.B. im internationalen Steuer- oder Kartellrecht). Die Auswirkungen, die die Einführung des Status-Kriteriums auf die übrige Grundrechtsdogmatik zeitigt, halten sich in überschaubaren Grenzen. In einem Zwei-Phasen-Modell wird die Prüfung der internationalen Anwendbarkeit der Grundrechte verselbständigt und der herkömmlichen Grundrechtsprüfung mit der Trias Tatbestand - Eingriff - Schranke vorgeschaltet. I I . D e r Auslandsbezug ausgewählter Freiheitsgrundrechte

Standen die vorangegangenen Kapitel im Zeichen theoretischer Überlegungen, so rückt jetzt die konkrete Arbeit am Tatbestand einzelner Freiheitsgrundrechte in das Zentrum des Interesses. Das Augenmerk gilt vor allem der Grundrechtstatbestandlichkeit von institutionell verfestigten, beiderseits der Staatsgrenze in einem gesellschaftlichen Bezug stehenden grenzüberschreitenden Kontakten Privater, wie sie in der Typologie mit Beispielen dokumentiert wurden. Unberücksichtigt bleiben die grenzüberschreitende Migration von Einzelpersonen oder der Transfer einzelner Rechtsgüter und deren grundrechtliche Problematik. Im Hintergrund bleibt zunächst auch die Frage, ob und wie die Grundrechte Schutz gegen das Zusammen- oder Gegeneinanderwirken von deutscher und ausländischer Hoheitsgewalt gewähren. Die Grundrechte werden also in einer ganz bestimmten von mehreren möglichen internationalen Wirkungsweisen angesprochen. Danach richtet sich die Auswahl der im einzelnen in die Untersuchung einzustellenden Freiheitsgrundrechte. In Betracht kommen die Art. 4 Abs. 1 und 2, 5 Abs. 1 und 3, 9 Abs. 1 und 3,12 Abs. 1, 14 Abs. 1, 21 Abs. 1 Satz 2 und - im Zusammenhang mit Art. 4 Art. 140 GG i . V . m . Art. 137 Abs. 2 und 3 WRV. Die anderen speziellen Freiheitsgrundrechte, so sie überhaupt Auslandsbezug haben 1 , befassen sich dagegen mit individuellen, isolierbaren Vorgängen wie Einreise, Ausreise oder Kommunikationsakten vom und ins Ausland. 2 Die Gleichheitsgrundrechte sind nicht Gegenstand der Untersuchung. Das mag überraschen, weil man die rechtliche Stellung von Ausländern in der Bundesrepublik im Kern durchaus als ein Gleichheitsproblem begreifen kann, ist aber im Duktus einer 1 Introvertierte Grundrechte sind z.B. die Art. 2 Abs. 2, 4 Abs. 3, 7 und 13 GG. Auch bei den Justizgrundrechten sind Anwendungsfälle mit Auslandsbezug der Natur der Sache nach selten. 2 Beim Asylgrundrecht geben die neueren Entwicklungen Anlaß zu Zweifeln, ob es in der Praxis noch als Individualrecht oder schon als Gruppenrecht anzusehen ist; vgl. Helmut Quaritsch, Recht auf Asyl, 1985, 38ff., 48ff.

II. Der Auslandsbezug ausgewählter Freiheitsgrundrechte

159

Argumentation, die die grenzenüberschreitende gesellschaftliche Verflechtung in der westlichen Welt mit Hilfe der paradigmatischen Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als einen umfassenden, rechtlich begründeten Freiheitszusammenhang auffaßt, konsequent. Eine Vermutung, die angesichts der festgestellten Statusgebundenheit der Grundrechtsgeltung naheliegt, sei als Hypothese vorweggeschickt. Es scheint, als ob die genannten Freiheitsgrundrechte für transnationale Beziehungen Privater partiell blind seien, als ob nur ein Teil davon, nämlich der deutscher Hoheitsgewalt unterstehende Beitrag 3 , nicht aber andere und auch nicht das aus dem Zusammenwirken der Beiträge entstehende, an Knotenpunkten organisatorisch verdichtete internationale Beziehungsgeflecht geschützt wären und damit die für manche grundrechtlichen Lebensbereiche unentbehrlichen internationalen Kontakte 4 am Rande des Wirkungsradius der Grundrechte lägen, in ihrer Substanz ohne Schutz durch eine nationale Rechtsordnung. Das Folgende muß erweisen, welche Berechtigung diese Befürchtung hat. 1. Die auswärtige Betätigung der politischen Parteien

Nach Art. 21 Abs. 1 Satz 2 GG ist die Gründung einer politischen Partei frei. Die Vorschrift hat Grundrechtscharakter. 5 Ausdrücklich gewährt sie zwar nur ein Recht auf Parteigründung. Ähnlich wie Art. 9 hinsichtlich der Vereine, Gesellschaften, Vereinigungen und Koalitionen ist aber Art. 21 Abs. 1 Satz 2 GG auf zwei Ebenen ausgedeutet worden: individualrechtlich zu einem umfassenden Recht auf Gründung, Beitritt, Austritt und innerparteiliche Betätigung, organisationsrechtlich zu einem Recht der Partei selbst auf Bestand und Betätigung. 6 Eine ergänzende und konkretisierende Aussage über die verfassungsrechtliche Stellung der Parteien trifft Art. 21 Abs. 1 Satz 1 ; er enthält die offizielle Anerkennung der Rolle der Parteien in einer parlamentarischen Demokratie. 7 Von diesem gesicherten Befund ausgehend, richtet sich die weitere Aufmerksamkeit auf die auswärtigen Beziehungen der politischen Parteien und 3 Im Fall der Zurücknahme des Grundrechtsschutzes auf Deutsche nicht einmal notwendig dieser. 4 Drastisch Bleckmann / Busse, 797: „ . . . weil ohne diese Auslandskontakte die deutsche Volkswirtschaft zusammenbrechen würde." 5 So ausdrücklich Henke, B K , Art. 21, RNr. 21; Preuß, A K - G G , Art. 21, RNr. 11; Tsatsos / Morlok, 75; a. A . Walter Schmidt, Politische Parteien und andere Vereinigungen, NJW 1984, 762 (766). 6 BVerfGE 17,155 (156); von Münch, vM, Art. 21, RNr. 41; a. A . Pieroth / Schlink, RNr. 804. 7 Zu dem Verhältnis der Sätze 1 und 2 innerhalb des Art. 21 Abs. 1 sowie zu dem Verhältnis zwischen Art. 21 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 1 GG: Henke, B K , Art. 21, RNr. 30ff.; Maunz, M D , Art. 21, RNr. 38; Tsatsos / Morlok, Ufi. Zu dem Verhältnis von Art. 21 GG zu den Grundrechten allgemein: Henke, 230ff.

160

C. Grundrechtstatbestandliche Gewährleistung von Auslandskontakten

auf das internationale Parteienwesen mit deutscher Beteiligung. Als Hauptakteure der „Parteienaußenpolitik" sind nacheinander die in der Bundesrepublik Deutschland vertretenen Parteien, die ihnen nahestehenden politischen Stiftungen und die regionalen und internationalen Parteienzusammenschlüsse mit deutscher Beteiligung verfassungsrechtlich zu untersuchen. a) Die deutschen politischen Parteien aa) Auswärtige Betätigung im allgemeinen aaa) Parteienfreiheit Die Betätigung der politischen Parteien in der Bundesrepublik 8 ist grundsätzlich umfassend von Art. 21 Abs. 1 Satz 2 GG geschützt. Die Pflege auswärtiger und internationaler Beziehungen durch Parteien und ihre Funktionäre scheint der individuellen und korporativen Parteibetätigungsfreiheit ohne weiteres zurechenbar zu sein. Auslandsbesuche von Parteifunktionären, Treffen mit ausländischen Politikern einschließlich Regierungsmitgliedern und hohen Verwaltungsbeamten, Veranstaltung von und Teilnahme an internationalen Konferenzen, Stellungnahmen zu internationalen Fragen, Gründung von Auslandsgruppen und Einrichtung von Auslandsbüros, also die ganze Palette möglicher Aktivitäten einer politischen Partei, sind geschützte Grundrechtsbetätigung. Ein Bedenken besteht aber. Die Parteienfreiheit des Art. 21 Abs. 1 Satz 2 GG hängt eng mit dem Mitwirkungsmandat 9 des Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG zusammen. Nur die herausgehobene Stellung, umschrieben eben als Mitwirkung bei der politischen Willensbildung des Volkes, rechtfertigt ihre verfassungsrechtliche Sonderbehandlung gegenüber sonstigen Vereinigungen. 10 Volk ist dabei ebenso wie in Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG zu verstehen, schließt Einflüsse oder Teilhabe aus dem Ausland also aus. 11 Parteienfreiheit ist „funktionale Freiheit" 12 , in Inhalt, Zweck und Ausmaß am Mitwirkungsmandat 8

Splitterparteien, an deren Partei-Qualität zu zweifeln berechtigter Anlaß besteht, bleiben als außenpolitische quantité négligeable außerhalb der Betrachtung. 9 Die Ausdrucksweisen Mandat, Aufgabe, Befugnis, Kompetenz oder Zuständigkeit sind üblich und werden deshalb auch hier verwendet. Streng genommen sind sie aber unzutreffend. Sie stammen aus dem staatlichen Organisationsrecht und können nicht auf gesellschaftliche Gebilde transferiert werden. Parteien haben im eigentlichen Sinne keine Aufgaben. 10 Unstreitig; vgl. nur Henke, B K , Art. 21, RNr. 8; Hesse (1985), RNr. 177. , 11 Dazu Isensee (1974), 98. Ihm folgen Dietmar Breer y Die Mitwirkung von Ausländern an der politischen Willensbildung in der Bundesrepublik Deutschland durch Gewährleistung des Wahlrechts, insbesondere des Kommunalwahlrechts, 1982, 61 ff.; von Katte, 69ff. Α . A . Preuß, A K - G G , Art. 21, RNr. 13. 12 So Grimm, Parteien, 355.

II. Der Auslandsbezug ausgewählter Freiheitsgrundrechte

161

orientiert. Vor diesem unbestrittenen verfassungsrechtlichen Hintergrund könnte man argumentieren, daß die deutschen politischen Parteien dann, wenn sie Auslandskontakte pflegen, sich zu Ereignissen und Zuständen im Ausland zu Wort melden oder auf Politiker aus dem Ausland einwirken, nicht mehr an der politischen Willensbildung des deutschen, sondern eines anderen Volkes teilnehmen. Es fehle hier an der verfassungsrechtlich notwendigen Bezogenheit des Wirkens der Parteien auf die Bildung des Staatswillens des Bundes oder der Länder. 13 Adressat des parteilichen Auslandsengagements sei vielmehr ein fremdes politisches System. Es liege deshalb aus der Perspektive des Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG ein ultra-vires-Akt vor, der aus dem Rahmen des verfassungsrechtlichen Schutzes herausfalle. Analoges gelte für Kontakte zu internationalen staatlichen oder nicht-staatlichen Organisationen. Eine so einengende Interpretation des Art. 21 Abs. 1 GG verdient jedoch keine Zustimmung. Die auswärtigen Aktivitäten deutscher Parteien sind aus mehreren Gründen Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes. Auch des Rekurses auf ein wie immer beschaffenes Nebenzweckprivileg bedarf es nicht. 14 Unter den heutigen Bedingungen ist politische Betätigung allein im nationalen Rahmen nicht mehr denkbar. Die Herauslösung alles Auswärtigen ließe von Art. 21 Abs. 1 GG aus der Sicht des Praktikers nur mehr ein Torso übrig. Schon die Natur der Sache gebietet es daher, die Auslandskontakte der Parteien zu ihrem Mitwirkungsmandat hinzuzuzählen. Das Mitwirkungsmandat ist unmittelbar mit der Verfassungsentscheidung für eine parlamentarische Demokratie verknüpft. Damit die Parteien ihrer Aufgabe als Wahlvorbereitungsorganisationen 15, als Kreationsorgane 16 , als Mittler der politischen Willensbildung zwischen Volk und Parlament 17 , als Integrationsfaktoren 18 , um nur die wichtigsten bundesverfassungsgerichtlichen Funktionsumschreibungen zu nennen 19 , gerecht werden können, muß die thematische Bandbreite, die das Mitwirkungsmandat umfaßt, der parlamentarischer Betätigung kongruent sein, sich also auch auf die auswärtige und internationale Betätigung der Parteien erstrecken. Die Stellungnahme zu auswärtigen und internationalen Fragen ist schließlich integraler Bestandteil der politischen Gesamtaussage einer Partei. Eine Aufspaltung in Mitwirkung bei der Willensbildung des deutschen Volkes auf der einen Seite und Einwirkung auf die politische Willensbildung eines ande13

Dazu Bleckmann, Europarecht, 41, mit Blick auf das Europäische Parlament. Vgl. dazu Henke, 39f.; ders., B K , Art. 21, RNr. 8. 15 BVerfGE 8, 51 (63); 20, 56 (113); 61, 1 (11). w BVerfGE 1, 208 (224, 225); 20, 56 (107). 17 BVerfGE 20, 56 (101); 44, 125 (145); 52, 63 (82). 18 BVerfGE 5, 85 (388). 19 Zusammenstellung bei Leibholz / Rinck, Art. 21, RNr. 5. 14

11 Heintzen

162

C. Grundrechtstatbestandliche Gewährleistung von Auslandskontakten

ren Volkes oder einer internationalen Körperschaft auf der anderen Seite wäre auch unter diesem Gesichtspunkt nicht realitätsgerecht. Die Pflege auswärtiger Beziehungen durch politische Parteien ist letztlich nie Selbstzweck, sondern immer auf den Wettbewerb mit anderen Parteien und die Erringung oder Verteidigung politischer Macht bezogen. Die Teilnahme an dem auch ins Ausland hinüberreichenden grundrechtlich-pluralistischen Prozeß der Volkswillensbildung und die Einbeziehung in die rechtlich formalisierte Hervorbringung des Staatswillens20 stehen im Verhältnis der Zielidentität. Durchbrechungen dieser prinzipiellen Bindung auswärtiger Aktivitäten an die inländischen Zwecke Parteienwettstreit und Streben nach der Regierungsverantwortung mögen im Einzelfall vorkommen. Dann sollte die Zurechnung zum Tatbestand des Art. 21 Abs. 1 GG im Wege der Sachzusammenhangsbetrachtung erfolgen. Dies entspräche der Wertung des die verfassungsrechtliche Vorgabe in zulässiger Weise konkretisierenden § 2 Abs. 3 PartG, nach dem nur eine überwiegende und objektivierbare Auslandsorientierung zur Einbuße des verfassungsrechtlichen Status führt. Die vorgeschlagene Bewertung findet zudem eine Parallele in der verfassungsrechtlichen Einordnung der Arbeit der Parteien auf kommunaler Ebene. Auch dort fehlt nach der herrschenden Auffassung ein unmittelbarer Bezug zum Staatlich-Politischen. Gleichwohl genießen die Parteien im Unterschied zu den kommunalen Wählervereinigungen auch insoweit die Vorteile des Art. 21 G G . 2 1 bbb) Oppositionsfreiheit Die auswärtige und internationale Betätigung derjenigen politischen Parteien, die in den Parlamenten auf der Bundes- oder der Landesebene die Oppositionsfraktion stellen, könnte zusätzlich zu Art. 21 GG auch noch vom Grundsatz der Oppositionsfreiheit geschützt sein. Dafür spricht zunächst das Selbstverständnis der Beteiligten; diese werden die Schwerpunkte ihrer außenpolitischen Aktivitäten als konsequente Wahrnehmung gerade ihrer Rolle als Oppositionspartei empfinden. Auf der anderen Seite ist der Grundsatz der Oppositionsfreiheit von zweifelhafter rechtlicher Qualität und mit zahlreichen Unsicherheiten behaftet, Unsicherheiten hinsichtlich der verfassungstextlichen Verortung, hinsichtlich des Gewährleistungsadressaten und hinsichtlich des Schutzumfangs. 22 20 Z u dieser Unterscheidung zuletzt Michael Stolleis, Parteienstaatlichkeit - Krisensymptome des demokratischen Verfassungsstaats?, VVDStRL 44 (1986), 7 (14f.); zu verfassungsprozessualen Auswirkungen Stern I 464ff. 21 Grundlegend BVerfGE 2, 1 (76); 6, 367 (372). Bedenken bei Seifert (1975), 165. 22 Dazu Schneider (1974), 87ff.; Stern I 1037ff. Grundlegend: Carlo Schmid , Die Opposition als Staatseinrichtung, in: Hans-Gerd Schumann (Hrsg.), Die Rolle der Opposition in der Bundesrepublik Deutschland, 1976, 53; Adolf Arndt, Opposition, Neue Sammlung 8 (1968), 1.

II. Der Auslandsbezug ausgewählter Freiheitsgrundrechte

163

Der Oppositionsbegriff bezeichnet zunächst diejenigen Fraktionen im Parlament, die an der Regierung nicht beteiligt sind. Dieser Oppositionsbegriff ist eng, nämlich parlamentsrechtlich konzipiert. In einem weiteren Sinne meint „Opposition" die hinter der parlamentarischen Minderheit stehenden politischen Parteien. 23 Teilweise faßt man unter den Oppositionsbegriff auch politische Strömungen, die nicht in das vorhandene Parteiensystem integriert sind. 24 Eine Darstellung der auswärtigen Beziehungen privater Verbände nichts anderes sind die politischen Parteien - hat es mit den beiden letztgenannten Bedeutungsinhalten zu tun. Wird der Oppositionsbegriff aus seiner parlamentsrechtlichen Verankerung herausgelöst und auf gesellschaftliche Verbände transferiert 25 , so tritt die „Oppositionsfreiheit" in Konkurrenz zu den dort ohnehin bestehenden grundrechtlichen Gewährleistungen. Insbesondere gegenüber den Prinzipien von Freiheit und Gleichheit der politischen Parteien müßte sie Eigenständigkeit und Sachnotwendigkeit beweisen. Diesen Nachweis ist sie indessen schuldig geblieben. Es ist nicht ersichtlich, welches Plus an verfassungsrechtlicher Substanz die Proklamierung einer allgemeinen Oppositionsfreiheit bringen soll. Die von Oppermann mit Blick auf die parlamentarische Opposition ausgesprochene Warnung vor verfassungstheoretisierender Übersteigerung umgangssprachlich geläufiger Termini gilt hier erst recht. 26 Die Freiheit und Gleichheit der politischen Parteien sowie die als politische Mitwirkungsrechte verstandenen Grundrechte der Art. 5 Abs. 1, 8 und 9 Abs. 1 GG reichen völlig aus; ein darüber hinausgehender verfassungsrechtlicher Gewährleistungsbedarf ist nicht vorhanden. Wenn gleichwohl von Oppositionsfreiheit die Rede ist, ist entweder ein nur tatsächlich, nicht rechtlich selbständiger Subtatbestand zu diesen Regelungen gemeint, oder es wird etwas in den Rang von Verfassungsrecht gehoben, was die Grundrechte weder ausdrücklich noch implizit enthalten. Die Vorstellung von einer „Oppositionsfreiheit" mag nützlich sein, um bei der Interpretation des Art. 21 Abs. 1 GG den einen oder den anderen Gesichtspunkt besser in den Griff zu bekommen. Eigenständige verfassungsrechtliche Bedeutung kommt ihr im grundrechtlich-gesellschaftlichen Bereich jedoch nicht zu. Entgegen den Absichten mancher seiner verfassungsjuri23

In diesem Sinne spricht auch das Bundesverfassungsgericht von Oppositionsparteien: BVerfGE 2, 1 (11); 5, 85 (141); 10, 4 (9f., 18); 20, 56 (101); 44,125 (145); 60, 53 (67). 24 Die Bedeutungsvarianten 2 und 3 werden häufig miteinander verquickt; unklar z.B. Hans H. von Arnim, Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland, 1984, 320ff.; Maunz i Zippelius, § 42 III. Andere Autoren beziehen den Oppositionsbegriff ausschließlich auf die Oppositionsfraktion im Parlament; so Badura (1986), 306. 25 Zum Oppositionsbegriff als den Dualismus von „Staat" und „Gesellschaft" überwindende Klammer vgl. Schneider (1974), 212f. 26 Thomas Oppermann, Das parlamentarische Regierungssystem des Grundgesetzes, VVDStRL 33 (1975), 7 (Leitsatz 12). 11*

164

C. Grundrechtstatbestandliche Gewährleistung von Auslandskontakten

stischen Mentoren offenbart der Oppositionsbegriff nicht die Antiquiertheit der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft; er ist im Gegenteil auf diese Unterscheidung insofern angewiesen, als Opposition nur als staatsorganisationsrechtliche Kategorie greifbare juristische Bedeutung hat. Z u Korrekturen des bereits gefundenen Ergebnisses gibt der Topos somit keine Veranlassung. bb) Die Parteien und die Europäischen Gemeinschaften Was die Stellung der deutschen politischen Parteien in den Europäischen Gemeinschaften und deren verfassungsrechtliche Einordnung betrifft, so sollte man unterscheiden zwischen ihrer Teilhabe an der staatsfreien gesellschaftlichen Meinungsbildung über Fragen der europäischen Integration und ihrer rechtlich institutionalisierten Mitwirkung bei der Wahl des Europäischen Parlamentes. Das erste der beiden Betätigungsfelder kann man noch relativ unbedenklich unter Art. 21 Abs. 1 GG fassen. Die dafür ausschlaggebenden Erwägungen entsprechen im wesentlichen denen, die zur auswärtigen Betätigung der deutschen Parteien im allgemeinen angeführt werden können. In die Bewertung fließt auch ein, daß die demokratische Legitimation der Europäischen Gemeinschaften noch auf schwachen Füßen steht. Deren Willensbildung wird ganz überwiegend von den nationalen Regierungen und Parlamenten gelenkt und kontrolliert. Adressaten des europapolitischen Wirkens der Parteien sind darum zuvörderst die maßgeblichen nationalen Entscheidungsträger. 27 Die europäische Willensbildung ist in diesem Sinne nicht supranational, sondern national. Die Umschreibung als „politische Willensbildung des Volkes" paßt trotz gewisser Einschränkungen noch. Größere Probleme wirft die zweite Alternative auf: die Beteiligung der deutschen politischen Parteien an der Kreation des Europäischen Parlamentes. Die Schwierigkeiten wurzeln darin, daß der Parteienbegriff des Grundgesetzes auf die parlamentarische Willensbildung in der Bundesrepublik Deutschland und nicht auf die quasi-parlamentarische Entscheidungsteilhabe in einer supranationalen Gemeinschaft zugeschnitten ist. 2 8 Anders als im kommunalen Bereich ist nicht das Merkmal „politisch", sondern das Merkmal „ V o l k " , welches einer Subsumtion unter Art. 21 Abs. 1 GG Widerstand leistet. Das Europawahlgesetz bemüht sich zwar, die Wahlen zum Europäischen Parlament nach denselben Grundsätzen zu gestalten, die für die Wahlen zum Deutschen Bundestag gelten. Das Konstrukt der sogenannten sonstigen 27

So auch die Einschätzung in BVerfGE 51, 222 (248f.). Ähnlich äußert sich die Amtliche Begründung zum Regierungsentwurf des Europawahlgesetzes, BT-Drucks. 8/361,12f. Ferner Bleckmann, Europarecht, 41; Grabitz / Meyer, § 8, RNr. 11. 28

II. Der Auslandsbezug ausgewählter Freiheitsgrundrechte

165

politischen Vereinigung 29 zeigt indes deutlich, welche Grenzen der Parteienbegriff in Art. 21 Abs. 1 GG und § 2 PartG diesem Bestreben zieht. 30 Art. 24 Abs. 1 GG weist keinen Ausweg. Die Annahme, der in Art. 21 GG geforderte Staatsbezug der Tätigkeit der politischen Parteien werde zum Gemeinschaftsbezug, sofern und soweit eine Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäischen Gemeinschaften erfolgt, geht fehl. 31 Art. 24 Abs. 1 GG stellt an die demokratische Legitimation einer zwischenstaatlichen Einrichtung nur geringe Anforderungen 32 ; zu der Stellung, die speziell politischen Parteien im institutionellen Gefüge einer zwischenstaatlichen Einrichtung zukommen soll, dürfte die Vorschrift schon deswegen nichts hergeben, weil diese Fragestellung selbst das Produkt einer neueren politischen Entwicklung ist. Es ist darum vorgeschlagen worden, die deutschen politischen Parteien, insofern sie bei der Wahl des Europäischen Parlamentes als „Verfassungsorgane" der Gemeinschaften auftreten, aus dem Schutzbereich des Art. 21 GG auszuklammern. 33 Dahinter steht auch der Gedanke, daß es eigentlich Sache des Gemeinschaftsrechts sei, die für die Partizipation politischer Parteien am Vergemeinschaftungsprozeß erforderlichen Rechtsgrundlagen vorzuhalten. 34 Art. 7 Abs. 1 des Aktes zur Einführung allgemeiner und unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten der Versammlung 35 sieht denn auch die Schaffung eines europaeinheitlichen Wahlverfahrens vor. Art. 7 Abs. 2 bestimmt jedoch, daß bis zum Inkrafttreten eines solchen einheitlichen Wahlverfahrens die innerstaatlichen Vorschriften eines jeden Mitgliedstaates maßgebend sind. Die rechtliche Regelung befindet sich also in einem Übergangsstadium. Davon erfaßt sind auch die politischen Parteien, insoweit sie als Wahlvorbereitungsorganisationen an den Wahlen zum Europäischen Parlament beteiligt sind. Nun entziehen sich Schwebelagen definitiven Lösungen. Ein nahtloses Sicheinfügen in das vorhandene Regelwerk darf nicht erwartet werden. Der Versuch, durch die partielle Entlassung der politischen Parteien aus dem Gewährleistungsbereich des Art. 21 GG hier klare Verhältnisse zu schaffen, muß als übereilt betrachtet werden. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluß zur Zulässigkeit der 5-%-Klausel bei den Wahlen zum Europäischen Parlament erklärt: 29

Legaldefinition in § 8 Abs. 1 Eu WG. Zu diesem Begriff: Grabitz ! Meyer, § 8 , RNr. 11 ff.; Joachim Schweinoch / August Simander, Europawahlgesetz. Europawahlordnung, 2. Aufl., 1984, § 8, RNr. 2ff. 31 A . A . wohl Dietrich Murswiek, Die Verfassungswidrigkeit der 5%-Sperrklausel im Europawahlgesetz, JZ 1979, 48 (49). 32 Siehe Β . I. 1. 33 So insbesondere Bleckmann, Europarecht, 41. 34 Siehe Magiera, 322 f. 35 In Kraft seit dem 01.01.1981 (Bekanntmachung vom 02.01.1981, BGBl. I I 15). 30

166

C. Grundrechtstatbestandliche Gewährleistung von Auslandskontakten

„Während dieser Übergangszeit läßt sich die Gleichbehandlung aller an der Europawahl teilnehmenden politischen Parteien und sonstigen politischen Vereinigungen nicht voll verwirklichen. Dies ist eine notwendige und unvermeidbare Folge der im Direktwahlakt beschlossenen Übergangsregelung. Eine vollständige Gleichbehandlung wird sich erst im Rahmen eines vom Europäischen Parlament beschlossenen und in allen Mitgliedstaaten einheitlich geltenden Wahlgesetzes erreichen lassen." 36

Die Termini „Übergangszeit" und „Übergangsregelung" sind - so wie das Bundesverfassungsgericht sie verwendet - zweideutig. Zum einen nimmt das Gericht Bezug auf die Regelung des Art. 7 Abs. 2 der Wahlakte, zum anderen verweist es, ohne dies weiter kenntlich zu machen, auf seine eigene Rechtsprechung zu den noch verfassungsmäßigen Rechtslagen.37 Dem Ansatz ist aber beizupflichten. Mit der Einführung von Direktwahlen zum Europäischen Parlament in nationaler Regelungsverantwortung ist ein erster Schritt in Richtung auf das in den Art. 138 Abs. 3 EWG-Vertrag, 108 Abs. 3 EAG-Vertrag und 21 Abs. 3 EGKS-Vertrag gesteckte Ziel getan. Das innerstaatliche Recht der Bundesrepublik Deutschland ist zwar in mancher Hinsicht kein angemessener Rahmen für eine solche Regelungsetappe. Unter anderem passen die verfassungsrechtlichen Bestimmungen über die Rechte und Pflichten der politischen Parteien bei der Vorbereitung und Durchführung von Wahlen nicht so recht. Wegen des von ihnen vorausgesetzten Volks- und Staatsbezuges benachteiligen sie im übrigen ausländische politische Vereinigungen, auf die diese Regelungen von vornherein nicht zugeschnitten sind. Andererseits muß aber davon ausgegangen werden, daß die Realisierung des Vergemeinschaftungsauftrags der Gründungsverträge der Europäischen Gemeinschaften in nur einem Schritt nicht möglich war. Die Konstellation, in der das Bundesverfassungsgericht die Erleichterungen einer noch verfassungsgemäßen Rechtslage konzediert, liegt vor. Die Divergenz zwischen dem gemeinschaftsrechtlichen Regelungsziel und dem verfassungsrechtlichen Regelungsrahmen ist für eine Übergangszeit zu tolerieren. Angesichts dessen erscheint es vertretbar, diejenigen Verfassungsmaßstäbe, die auf das Handeln der Parteien im innerstaatlichen Bereich Anwendung finden, einstweilen auch für die Wahlen zum Europäischen Parlament heranzuziehen. Diese Lösung wird dem Bedürfnis nach Rechtsklarheit und Praktikabilität am meisten gerecht. Damit ist die Ausgangsfrage beantwortet. Als Übergangsregelung ist Art. 21 GG solange auf die politischen Parteien in ihrer Eigenschaft als „Verfassungsorgane der Europäischen Gemeinschaften" anzuwenden, bis auf europäischer Ebene der Auftrag des Art. 7 Abs. 1 der Wahlakte erfüllt ist. Den Einwand, das Bundesverfassungsgericht habe schon am 22. Mai 1979 von einer noch verfassungsgemäßen Lage gesprochen, der Übergangszustand 3

* BVerfGE 51, 222 (256). Überblick dazu bei Schiaich, 181 ff.

37

II. Der Auslandsbezug ausgewählter Freiheitsgrundrechte

167

dauere aber an und ein Ende sei nicht abzusehen, wird man erst auf längere Sicht stärker in Rechnung zu stellen zu haben. Einstweilen hält sich die Entwicklung innerhalb der vom Bundesverfassungsgericht auch sonst zugestandenen Fristen. In dem vorliegenden Fall sollte zusätzlich Berücksichtigung finden, daß der Bundesregierung und dem Bundesgesetzgeber die Herbeiführung einer systemgerechten gemeinschaftsrechtlichen Regelung nur im Zusammenwirken mit den anderen Mitgliedsländern der EG möglich ist. cc) Überfremdung der deutschen politischen Parteien Art. 21 GG erfaßt ausländische Einflüsse auf deutsche politische Parteien nur mittelbar über das im Lichte des Art. 20 Abs. 2 GG zu interpretierende Tatbestandsmerkmal „Volk". Anders als bei einem Grundrecht mit einem ausdrücklichen Deutschenvorbehalt ist bei Art. 21 GG nicht auf den ersten Blick ersichtlich, welche Grenzen - auf der individualrechtlichen wie auf der kollektivrechtlichen Ebene - dem persönlichen Anwendungsbereich des Grundrechts in internationaler Hinsicht gesetzt sind. Anhand einer Skala möglicher Einwirkungen von Ausländern und ausländischen Staaten auf die Parteien in der Bundesrepublik empfiehlt sich folgende Zweiteilung der Betrachtung. Getrennt voneinander ist zu prüfen, welche Folgen erstens die Parteimitgliedschaft von Ausländern und die Auslandsbelegenheit des Hauptsitzes der Partei und zweitens andere, nicht-personelle Parameter wie Finanzen oder Ideologie hinsichtlich des verfassungsrechtlichen Status einer politischen Partei haben. aaa) Parteimitgliedschaft Fremder und Auslandsbelegenheit des Hauptsitzes Das einzelne ausländische Parteimitglied profitiert nicht von den in Art. 21 Abs. 1 Satz 2 GG verbrieften Individualgrundrechten, weder von der Parteigründungs- oder der Beitrittsfreiheit noch von der individuellen Parteibetätigungsfreiheit. Dafür wird eine doppelte Begründung gegeben. Zum einen weise Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG den Parteien als Hauptaufgabe die Mitwirkung bei der politischen Willensbildung des Volkes zu, wobei Volk nur das deutsche Staatsvolk sei. Darüber hinaus sei Art. 21 Abs. 1 Satz 2 GG nur eine modifizierende Wiederholung des Art. 9 Abs. 1 GG, der seinerseits nur für Deutsche gelte. 38 Dieser individualrechtliche Befund 39 kann als relativ unbestritten gelten. 38 Henke, B K , Art. 21, RNr. 30; Maunz, M D , Art. 21, RNr. 92. Α . A . etwa Christoph Sasse, Kommunalwahlrecht für Ausländer?, 1974, 31, der die Betätigungsfreiheit auch Ausländern zukommen lassen will, sofern sie Aufnahme in eine Partei gefunden haben. Dem kann nicht gefolgt werden. Sasse stellt die Geltung 39

168

C. Grundrechtstatbestandliche Gewährleistung von Auslandskontakten

Die politische Partei ist von ihren Mitgliedern kraft Verfassungsrechts als selbständige organisatorische Einheit zu unterscheiden. Für die Ermittlung der Konsequenzen der Parteimitgliedschaft von Fremden auf den verfassungsrechtlichen Status der Partei als solcher müssen deshalb besondere Kriterien gefunden werden. Die herrschende Lehre macht es sich sowohl bei Art. 21 Abs. 1 als auch bei Art. 9 Abs. 1 GG ein wenig zu einfach, wenn sie die überwiegende Kontrolle der Organisation durch Ausländer ohne genaue verfassungsrechtliche Verankerung zum Kriterium erhebt und im weiteren auf die gesetzlichen Ausgrenzungen der §§2 Abs. 3 PartG und 14 und 15 VereinsG verweist. Eine methodisch saubere Rechtfertigung des im internationalen Recht ja nicht gerade gut beleumundeten Kontrollkriteriums sollte man eigentlich erwarten dürfen, dies zumal, wenn man bedenkt, auf welch eindeutige Ablehnung die Kontrolltheorie bei der Auslegung der Inländerklausel in Art. 19 Abs. 3 GG stößt. 40 Der Verfassungstext offeriert drei Möglichkeiten, um die noch nicht hinreichend geklärte Frage anzugehen: den Volksbegriff des Art. 21 Abs. 1 Satz 1, den Deutschenvorbehalt des Art. 9 Abs. 1 und die Inländerklausel des Art. 19 Abs. 3 G G . 4 1 Nach der Lehre vom Doppelgrundrecht wird der internationale Anwendungsbereich, der der kollektiven Grundrechtsdimension in persönlicher Hinsicht zukommt, von den entsprechenden Regeln für die individuelle Grundrechtsdimension her entwickelt. Diese Lehre hat somit zur Voraussetzung, daß das betreffende Grundrecht primär individualrechtlich formuliert ist. Bei Art. 21 Abs. 1 GG sind die Verhältnisse dagegen genau umgekehrt. Während der Tatbestand des Art. 9 Abs. 1 GG mit seinem Deutschenvorbehalt primär die individuelle Vereinigungsfreiheit vor Augen hat und deswegen den Hauptanwendungsfall der Lehre vom Doppelgrundrecht bildet 42 , ist Thema des Art. 21 Abs. 1 GG in erster Linie die politische Partei als selbständige, von ihren Mitgliedern unterschiedene Organisation. Im Rahmen des Art. 21 Abs. 1 Satz 2 GG kann darum im Unterschied zu Art. 9 Abs. 1 GG nicht von den personellen Anwendungsgrenzen des Individualrechts auf die entsprechenden Grenzen bei dem Kollektivrecht geschlossen werden. Die Lehre vom Doppelgrundrecht hilft hier nicht weiter. Selbst wenn Art. 21 Abs. 1 Satz 2 GG nur eine Wiederholung von Art. 9 Abs. 1 GG mit modifizierender Wirkung für die politischen Parteien darstellt, vermag der Deutschenvorbehalt des Grundrechts in das Ermessen (§ 10 Abs. 1 PartG!) der aufnehmenden politischen Partei. 40 Von Mutius, B K , Art. 19 Abs. 3, RNr. 54 mit FN 33; eingehend Schmidt (1966), 117 ff. 41 Zu dem umstrittenen Verhältnis von Art. 9 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 3 GG: Bethge (1985), 40ff.; von Mutius (1984), 197f.; Scholz, M D , Art. 9, RNr. 25. 42 Dazu Wolfgang Rüfner, Zur Bedeutung und Tragweite des Art. 19 Abs. 3 des Grundgesetzes, A ö R 89 (1964), 261 (303f.); Walter Schmidt, Die Vereinigungsfreiheit von Vereinigungen als allgemeine Eingriffsfreiheit, FS Walter Mallmann, 1978, 233; Scholz, 40 ff. und 53 ff.

II. Der Auslandsbezug ausgewählter Freiheitsgrundrechte

169

des Art. 9 Abs. 1 GG nur zu der Frage des persönlichen Anwendungsbereiches der individuellen Parteienfreiheit etwas beizutragen. Hinsichtlich der korporativen Parteienfreiheit enthält Art. 21 Abs. 1 GG eine besondere Regelung in Gestalt des Merkmales „ V o l k " . 4 3 Gleichfalls in den Bereich der Verfassungsgesetzeskonkurrenz gehört die Zuordnung von Art. 19 Abs. 3 und Art. 21 Abs. 1 GG. Hier geht es wiederum um die Frage, ob Art. 21 Abs. 1 GG als ein Doppelgrundrecht aufzufassen sei und wie die allgemeine Erstreckung der Grundrechtsgeltung auf juristische Personen und das spezielle Doppelgrundrecht dann aufeinander abzustimmen seien. 44 Gegen die Lehre vom Doppelgrundrecht wird eingewandt, sie mißachte den eigenständigen Regelungsbereich des Art. 19 Abs. 3 GG. Bei Art. 9 Abs. 1 GG hat dieser Einwand wegen der individualistischen Fassung des Grundrechts einiges an Plausibilität für sich. Anders ist es bei Art. 21 Abs. 1 GG. Dieser ist von vornherein ein Recht der juristischen Person „Partei" und stellt die Hauptbetätigung einer Partei, die Mitwirkung bei der politischen Willensbildung des Volkes, unter Schutz. Insoweit Art. 19 Abs. 3 GG zu bemühen, wäre überflüssig, und zwar nicht, weil die Lehre vom Doppelgrundrecht im Rahmen des Art. 21 Abs. 1 GG die Hinzuziehung von Art. 19 Abs. 3 GG erübrigt, sondern weil Art. 21 Abs. 1 GG selbst eine unmittelbare Grundrechtsverbürgung für einen besonderen Typus juristischer Personen enthält: die Parteien. Das Abstellen auf Art. 19 Abs. 3 GG könnte in manchen Fällen auch zu überraschenden und wenig überzeugenden Ergebnissen führen. In Anwendung der herrschenden Sitztheorie müßte nämlich jede Parteiorganisation mit Hauptsitz in der Bundesrepublik auf diesem Wege unabhängig von der Staatsangehörigkeit der Mitglieder grundrechtlichen Schutz gemäß Art. 21 GG erlangen können. 45 Dies würde bedeuten, daß einige der in der Bundesrepublik ansässigen politischen Vereinigungen von Ausländern, insbesondere von Asylanten und Exilanten, den Status einer politischen Partei für sich in Anspruch nehmen könnten. Ein solches Ergebnis ist angesichts der Aufgabenumschreibung in Art. 21 Abs. 1 Satz 1 und der mittelbar aus Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG zu ersehenden Einbeziehung der politischen Parteien in den Gesamtzusammenhang demokratischer Legitimation abzulehnen. Für die systematische Zuordnung der beiden Verfassungsnormen folgt aus diesem argumentum ad absurdum statt dessen, daß Art. 19 Abs. 3 GG die Anerkennung eines Verbandes als politische Partei voraussetzt und daß er keine Aussage über die Hauptbetätigung einer politischen Partei, die Mitwirkung bei der politischen Willensbildung des Volkes, macht. Insoweit ist allein Art. 21 Abs. 1 GG einschlägig. Die Aufgabe des Art. 19 Abs. 3 besteht 43 Individuelle und korporative Parteienfreiheit sind Art. 9 Abs. 1 GG demnach in unterschiedlicher Weise zugeordnet. Z u diesen Fragen vgl. auch Dolde, 129ff. 44 Vgl. dazu Bethge (1985), 34f.; Hendrichs, vM, Art. 19, RNr. 38; von Mutius, B K , Art. 19 Abs. 3, RNr. 71 ff. 45 So in der Tat bezüglich Art. 9 Abs. 1 GG: von Mutius (1984), 197f.

170

C. Grundrechtstatbestandliche Gewährleistung von Auslandskontakten

darin, den Anwendungsbereich anderer Freiheitsgrundrechte - etwa der Art. 10 Abs. 1 oder 13 Abs. 1 - für die politischen Parteien zu erschließen. 46 Die Lehre vom Doppelgrundrecht und die Inländerklausel des Art. 19 Abs. 3 GG führen in der Frage nach den Auswirkungen der Mitgliedschaft von Ausländern auf den verfassungsrechtlichen Status einer politischen Partei mithin nicht weiter. Dieser Gewinn an systematischer Klarheit ist verbunden mit einer Einbuße an inhaltlicher Bestimmtheit. Vermitteln der Deutschenvorbehalt des Art. 9 Abs. 1 GG und die Inländerklausel noch eine recht präzise Vorstellung davon, welchen ausländischen Interferenzen sich der grundrechtliche status politicus öffnen dürfe, so ist das bei dem Volksbegriff des Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG nur in geringerem Ausmaß der Fall. Er verweist auf einen umfassenderen Interaktionszusammenhang, innerhalb dessen den politischen Parteien Platz angewiesen wird. Gleichwohl ist der personelle Anwendungsbereich der kollektiven Parteienfreiheit aus den genannten Gründen allein aus ihm zu erschließen. Die verfassungsrechtliche Stellungnahme sollte von zwei antagonistischen Prinzipien ausgehen. Einerseits kommt die demokratische Legitimation der Staatsgewalt vom Staatsvolk her. Die politische Willensbildung des Volkes und die Hervorbringung des Staatswillens vollziehen sich exklusiv national. Das Institut der Staatsangehörigkeit ist entstehungsgeschichtlich zu einem Teil die juristische Konsequenz des Prinzips der Volkssouveränität. 47 Enthalten schon einige der Grundrechte mit demokratischem Einschlag aus diesem Grund einen Deutschenvorbehalt, so gilt dies mit noch größerer Stringenz für die politischen Parteien, die unmittelbar an der Schwelle zur organisierten Staatlichkeit stehen. 48 - Andererseits kann sich die deutsche Parteienlandschaft der internationalen Verflechtung ebensowenig entziehen wie der Staat selbst. Vorbehaltlich des Bereiches der rechtlich formalisierten Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte - wie z.B. der Aufstellung von Parteibewerbern gemäß § 21 BWahlG - wäre der Versuch einer Abschottung der deutschen politischen Parteien nach außen weder realisierbar noch wünschenswert. 49 Wenn also ein gewisses Quantum an ausländischer Einflußnahme auf politische Parteien verfassungsrechtlich unbedenklich ist, dann ist nicht einzusehen, warum diese nicht die konkrete Gestalt von Parteimitgliedschaften von Ausländern soll annehmen können. Die Grenzen der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Parteienfreiheit sind erst erreicht, wenn die Partizipation 46

So wohl auch Bethge (1985), 35; Hesse (1985), RNr. 266. Siehe hierzu Helmut Quaritsch, Staatsangehörigkeit und Wahlrecht, DöV 1983,1. 48 Zu den damit verknüpften, hier in ihrer Weitläufigkeit nicht weiter interessierenden Fragen vgl. Grimm, Parteien, 323ff.; Stern I 456ff. 49 Krüger (1966), 958, weist zurecht darauf hin, daß der Versuch einer konsequenten Unterbindung verdeckter Einflußnahmen des Auslands auf das deutsche politische System zu einer erheblichen Einbuße an grundrechtlich-rechtsstaatlicher Substanz führen müßte. 47

II. Der Auslandsbezug ausgewählter Freiheitsgrundrechte

171

von Ausländern an den Entscheidungsabläufen in einer Partei zu stark wird. Zwischen dem demokratietheoretischen Optimum und dem verfassungsrechtlich Unzulässigen liegt demnach eine Bandbreite vertretbarer Auslandseinwirkung. In dieses Kontinuum eine exakt vermessene Grenzlinie einzuziehen, bereitet bei der Verfassungsinterpretation sicherlich Schwierigkeiten. Hier ist der Gesetzgeber gefordert, der im Wege der Typisierung der Fülle der Sachverhaltsgestaltungen besser Herr werden kann. Der Gesetzgebungsauftrag des Art. 21 Abs. 3 GG hat neben anderem den Sinn, den Bundesgesetzgeber zu den hier erforderlichen Konkretisierungen zu veranlassen. 50 Hinsichtlich ausländischer Parteimitglieder ist der Gesetzgeber seiner Regelungsaufgabe in § 2 Abs. 3 Nr. 1 PartG nachgekommen. Diese Regelung wird überwiegend für verfassungsrechtlich zulässig, ja für eine gelungene Umschreibung des verfassungsrechtlichen Parteienbegriffes gehalten. 51 Zwar kommt der einfachgesetzlichen Normierung kein Verfassungsrang zu, doch handelt es sich um eine einleuchtende und praktikable Definition, die aus Gründen der Rechtssicherheit der Verfassungsinterpretation solange zugrunde gelegt werden kann, bis im Einzelfall das Bedürfnis nach einer anderen, dann selbständig aus der Verfassung zu entnehmenden Abgrenzung nachgewiesen ist. Zusammenfassend ist zweierlei festzuhalten. Die Parteimitgliedschaft des einzelnen Ausländers ist verfassungsrechtlich nicht geschützt, aber auch nicht verboten. Auf die verfassungsrechtliche Stellung der Parteiorganisation nach Art. 21 GG hat die Parteimitgliedschaft von Ausländern erst dann Auswirkungen, wenn sie die in § 2 Abs. 3 Ziffer 1 PartG festgelegte Toleranzgrenze überschreitet. Im Unterschied zu den Ausländerparteien im Sinne von § 2 Abs. 3 Ziffer 1 PartG genießen die Exterritorialparteien im Sinne von § 2 Abs. 3 Ziffer 2 PartG a limine keinen Grundrechtsschutz. Ihnen fehlt schon der allgemeine Grundrechtsstatus (Art. 1 Abs. 3 GG). Art. 19 Abs. 3, dem die Sperrwirkung des Art. 21 Abs. 1 GG hier nicht entgegensteht, schließt darüber hinaus einen partiellen Grundrechtsstatus für Inlandsaktivitäten solcher im Ausland ansässigen Organisationen und der von ihnen abhängigen Nebenorganisationen im Inland aus. 52 50 Zur Bedeutung der Formulierung „das Nähere" siehe Henke, B K , Art. 21, RNr. 81; von Münch, vM, Art. 21, RNr. 4. 51 Das Lager der Kritiker ist überdies gespalten. Den einen geht die gesetzliche Beschränkung der Parteimitgliedschaft von Ausländern zu weit - so Dolde, 142 f. und Zuleeg, 370 - , den anderen geht sie nicht weit genug - so Bleckmann, Staatsrecht I I , 110. Statistische Angaben zur Mitgliedschaft von Ausländern in deutschen Parteien bei von Katte, 16 f. 52 Zu dem Begriff,partieller Grundrechtsstatus' vgl. Isensee (1974), 61. Die Funktion des Art. 19 Abs. 3 GG besteht also nicht darin, bei inländergleicher Gewaltunterworfenheit von ausländischen juristischen Personen die Grundrechte für anwendbar zu erklären - so Degenhart - , sondern umgekehrt darin, ihre Geltung auch insoweit auszuschalten. Zu dem Kriterium organisatorischer Abhängigkeit im Parteienrecht vgl. auch BVerfG NJW 1987, 769 und BVerwGE 74, 176.

172

C. Grundrechtstatbestandliche Gewährleistung von Auslandskontakten

bbb) Finanzielle und sonstige Auslandsabhängigkeiten Ausländische Parteimitglieder sowie Auslandsbelegenheiten von Sitz oder Geschäftsführung sind nur zwei von mehreren Indikatoren für eine mit ihrer verfassungsrechtlichen Funktion gemäß Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG möglicherweise unvereinbare Überfremdung einer politischen Partei. Andere, im Ergebnis vielleicht nicht weniger wirksame Einflußmöglichkeiten eröffnen finanzielle Zuwendungen. Abhängigkeiten können ferner politisch oder ideologisch begründet sein. Verfassungsrechtlich stellen sich hinsichtlich dieser Einwirkungsfaktoren zwei Fragen: Ist es zulässig, wenn der Gesetzgeber insoweit Schranken setzt? Hat so vermittelter Auslandseinfluß - sei es von privaten, sei es von staatlichen Interessenten - Konsequenzen für den verfassungsrechtlichen Status, kann mit anderen Worten die Parteieigenschaft entfallen, wenn die Ingerenz aus dem Ausland ein gewisses Maß überschreitet? Das Parteiengesetz erfaßt von den drei genannten Einflußparametern nur einen: Spenden von außerhalb des Geltungsbereiches des Gesetzes, und das erst seit dem Ol. Ol. 1984. § 25 Abs. 1 S. 2 Ziff. 3 PartG erklärt Auslandsspenden grundsätzlich für im Sinne von § 23 a rechtswidrig erlangt. Die Rolle der politischen Parteien als Vermittler zwischen Staatsvolk und Staatsgewalt würde in der Tat gefährdet, wenn finanzielle Abhängigkeiten zu Personen oder Stellen außerhalb dieser Legitimationsbeziehung entstünden. Auslandsfinanzierung ist daher etwas grundsätzlich anderes als Finanzierung durch private Inländer. Eine in nicht unerheblichem Ausmaß auf Gelder aus dem Ausland angewiesene Parteiorganisation entspricht nicht dem verfassungsrechtlichen Bild, das Art. 21 Abs. 1 GG von einer politischen Partei entwirft. Die Regelung des § 25 Abs. 1 S. 2 Ziff. 3 PartG, der erkennbar der Gedanke zugrunde liegt, politische Parteien von finanziell vermittelter Einflußnahme aus dem Ausland, insbesondere von Zuwendungen ausländischer Staaten, abzuschirmen, ist aus diesen Gründen verfassungsrechtlich nicht nur unbedenklich, sondern vielmehr erwünscht. 53 Das schließt Kritik an Details der Regelung nicht aus. Insbesondere der Ausnahmetatbestand des § 25 Abs. 1 S. 2 Ziff. 3 a) erweist sich als wenig konsequent. Auslandsspenden von Deutschen im Sinne des Grundgesetzes oder von Wirtschaftsunternehmen, deren Anteile sich zu mehr als 50% im Eigentum von Deutschen im Sinne des Grundgesetzes befinden, stehen danach Inlandsspenden gleich. Von dieser Weiterung dürften zumindest auch von Staats wegen vorgeschobene Spender aus der D D R profitieren. Diese Permissivität ist nur schwer verständlich angesichts der Tatsache, daß gerade die DKP und andere kommunistische Organisationen in starkem Maße von Zahlungen aus der D D R abhängig sind. Die Regelung der Parteienfinanzierung 53

Von Münch, vM, Art. 21, RNr. 49; Preuß, A K - G G , Art. 21, RNr. 71; Seifert (1975), 293.

II. Der Auslandsbezug ausgewählter Freiheitsgrundrechte

173

wird man als ein untaugliches Objekt zur Demonstration deutscher Einheit ansehen müssen. Die ausdrückliche Bezugnahme auf Art. 116 GG bindet dem Interpreten die Hände und läßt für Korrekturen anhand des funktionalen Inländerbegriffes keinen Raum. Der Gesetzgeber mag sich zwar darauf berufen, daß die Finanzierung der kommunistischen Gruppen in der Bundesrepublik staatlicherseits kaum wirksam zu kontrollieren ist 5 4 , und immerhin hat er durch das Merkmal „unmittelbar" in § 25 Abs. 1 S. 2 Ziff. 3a) und durch die Ziff. 5 Mißbrauch erschwert. Rechtspolitisch bedenklich ist die Vorschrift gleichwohl. Es bleibt abzuwarten, ob sie nicht letztlich eine de-facto-Legalisierung der gegenwärtigen Finanzierungspraxis der kommunistischen Parteien in der Bundesrepublik und der ihnen nahestehenden Organisationen bewirkt. Unbeschadet der gesetzlichen Regelungen stellt sich die Frage nach möglichen unmittelbaren verfassungsrechtlichen Konsequenzen überwiegender nicht-personeller Auslandseinflüsse auf politische Parteien. 55 Art. 21 Abs. 1 GG unterscheidet zwischen Konstitutionselementen des Begriffes „politische Partei", die entweder vorliegen oder nicht vorliegen - mit den entsprechenden Folgen für den Status einer Organisation, und Pflichten, die den Parteien aufgrund ihrer besonderen Stellung obliegen, deren Nichterfüllung jedoch keine oder zumindest keine direkten Auswirkungen auf die Parteiqualität hat. Inlandssitz und überwiegender Inländeranteil bei den Mitgliedern und Funktionären einer Partei gehören zu der ersten Gruppe. Fraglich ist, wie finanzielle, ideologische oder politische Auslandsabhängigkeiten zu bewerten sind. Kann man - auf einen möglichen Anwendungsfall bezogen - sagen, die DKP sei gar keine politische Partei und nehme nicht im Sinne des Grundgesetzes an der politischen Willensbildung des deutschen Volkes teil, weil sie finanziell von den Staaten des Ostblocks getragen werde und sich politisch und ideologisch als Bestandteil der internationalen kommunistischen Bewegung verstehe, in deren Willensbildungsprozeß also stärker eingebunden sei als in den des deutschen Volkes. Weder die Regelung des Art. 21 Abs. 1 S. 4 noch das Parteienprivileg des Art. 21 Abs. 2 GG würden gegen eine solche Bewertung nichtpersoneller Auslandseinwirkungen Sperrwirkung entfalten. Art. 21 Abs. 1 S. 4 GG knüpft an die gegebene finanzielle Lage an und fordert deren Transparenz. Er bescheinigt aber nicht, daß alle Finanzierungsquellen - so sie nur offengelegt werden - mit dem Status einer politischen Partei vereinbar sind. Insoweit argumentiert das Bundesverfassungsgericht vielmehr mit dem Leitbild einer frei konkurrierenden und aus eigener Kraft wirkenden Gruppe. 56 Und auch 54 So auch von Münch, vM, Art. 21, RNr. 49; zu Vereinigungen allgemein Schnorr, §§ 14, 15, RNr. 9. 55 Zu Vollzugsdefiziten des einfachgesetzlichen Parteienfinanzierungsrechts vgl. im übrigen Peter Kubitz, Unternehmerspenden an politische Parteien, 1983, 104ff. 56 BVerfGE 20, 56 (96ff.). Art. 21 Abs. 1 Satz 4 GG spielt in der Entscheidung eine untergeordnete Rolle (S. 105f.).

174

C. Grundrechtstatbestandliche Gewährleistung von Auslandskontakten

für Art. 21 Abs. 2 GG gilt, daß die Parteiqualität einer Organisation unabhängig von der Frage nach ihrer Verfassungsmäßigkeit zu beurteilen ist. 57 Einer Organisation die Eigenschaft, Partei zu sein, wegen nichtpersoneller Auslandseinwirkungen abzusprechen, ist jedoch aus einem anderen Grund nicht statthaft. Ein in dieser Weise qualifizierter Inlands vorbehält wäre ein systemwidriger Fremdkörper im Grundgesetz und darüber hinaus in der gesamten deutschen Rechtsordnung. Die Verfassung kennt zwei Kriterien, nach denen bei Organisationen der persönliche Anwendungsbereich der einzelnen Grundrechtsverbürgung in internationaler Hinsicht markiert und mittels derer eventueller Auslandseinfluß registriert wird: die Staatsangehörigkeit der Mitglieder und der Sitz der Organisation. Die zusätzliche Berücksichtigung finanzieller, ideologischer, politischer oder sonstiger Verflechtungen liefe auf die Anerkennung der aus dem Internationalen Privatrecht und dem Völkerrecht, dort besonders dem Kriegsvölkerrecht, stammenden Kontrolltheorie 58 in einer denkbar weiten Spielart hinaus. Das Kontrollkriterium wird aber im Verfassungsrecht nur an zwei Stellen - und das mit großer Vorsicht und auf bestimmte Fallkonstellationen beschränkt - eingesetzt: bei „Doppelgrundrechten" mit Deutschenvorbehalt und bei der Inländerklausel des Art. 19 Abs. 3 G G . 5 9 Die Ursache für die Zurückhaltung liegt einmal in der zu großen Unbestimmtheit der Kontrolltheorie und den ihr eigenen Beweisschwierigkeiten, die Mutmaßungen und Verdächtigungen Tür und Tor öffnen. Sie liegt zum zweiten in ihrer Mißachtung der Eigenständigkeit von Organisationen, dem „Durchgriff" auf Hintermänner, der Nivellierung grundrechtlicher Differenzierungsschwellen. Wenn in grundrechtlichem Zusammenhang von „Kontrolltheorie" die Rede ist 6 0 , ist bis auf eng begrenzte Ausnahmetatbestände bei Art. 19 Abs. 3 G G 6 1 nicht der internationalrechtlich vorgeprägte terminus technicus gemeint. Statt dessen geht es in der Lehre vom personellen Anwendungsbereich der Grundrechte regelmäßig um etwas anhand rechtlicher Kriterien objektiv Feststellbares: Staatsangehörigkeit, Sitz, Verteilung von Gesellschaftsanteilen. Wenn dies schon nach den allgemeinen Vorschriften der Art. 9 Abs. 1 und 19 Abs. 3 GG für alle Vereinigungen gilt, dann muß es erst recht für die verfassungsgesetzlich herausgehobenen und besonders geschützten politischen Parteien gelten. Die grundrechtlich-rechtsstaatlichen Vorbehalte gegen das juristisch zumal in diesem Lebensbereich kaum zu domestizierende Kontrollkriterium obsiegen somit über das demokratische Ideal politischer Geschlossenheit im Außenverhältnis. 57 Henke, B K , Art. 21, RNr. 10; Maunz, M D , Art. 21, RNr. 23; Gschwendtner, 232, mit Ausführungen zur Frage der Überfremdung einer Partei durch ausländische Einflüsse. 58 Berber I I 201; Großfeld, 113ff.; Kegel (1985), 337ff.; Wiedemann, 826ff. 59 Vgl. von Münch, B K , Art. 9, RNr. 8 und 12; ders., vM, Art. 9, RNr. 4; ders., vM, Art. 21, RNr. 17. 60 So bei Schnorr, §§ 14, 15, RNr. 4. 61 Dazu immer noch am ausführlichsten Schmidt (1966), 117 ff.

II. Der Auslandsbezug ausgewählter Freiheitsgrundrechte

175

ccc) Ergebnis „Überfremdung" mag für die empirische Parteiforschung eine reizvolle Kategorie sein. Verfassungsrechtlich zu greifen ist sie aber nur über zwei rechtlich typisierte Anknüpfungsmomente: die Staatsangehörigkeit (der Mitglieder der Partei bzw. des Vorstands) und der Sitz der Organisation. Nur sie können als konstitutive Merkmale des grundgesetzlichen Parteienbegriffes angesehen werden. Auf anders, z.B. finanziell oder ideologisch vermittelte Auslandseinflüsse trifft mutatis mutandis zu, was das Bundesverfassungsgericht mit Blick auf private Inlandsspenden gesagt hat: „Die Abgrenzung zwischen legitimer und die freie politische Willensbildung störender Einflußnahme (der Spender) ist verfassungsrechtlich nicht faßbar." 62 b) Die politischen Stiftungen Die politischen Stiftungen - Konrad-Adenauer-Stiftung, Friedrich-EbertStiftung, Friedrich-Naumann-Stiftung, Hanns-Seidl-Stiftung - sind den politischen Parteien nahestehende, aber doch selbständige Organisationen. 63 Sie gehören nicht zu der „von der Partei bestimmten Gesamtbewegung"64, sind weder Neben- noch Sonderorganisationen. 65 Auf der anderen Seite vermag ihre besondere Nähe zu den politischen Parteien gesetzliche Regelungen wie die des § 25 Abs. 1 Ziff. 1 des Parteiengesetzes zu legitimieren. Die Bezeichnung „Stiftung" ist in verfassungsrechtlicher Hinsicht verwirrend. 66 In Wirklichkeit handelt es sich - mit der einen Ausnahme der Friedrich-Naumann-Stiftung - um eingetragene Idealvereine bürgerlichen Rechts. Ihr Mitgliedskreis ist auf wenige führende Persönlichkeiten der ihnen nahestehenden politischen Parteien begrenzt. Das für eine Zuordnung zu Art. 9 Abs. 1 GG erforderliche personale Moment ist damit bereits gegeben.67 Der Grundrechtsschutz aus dieser Verfassungsnorm kommt auch der politischen Stiftung als solcher zu. Für die einen ergibt sich das aus dem Verständnis von ω BVerfGE 20, 56 (105). 63 Zu den Realien siehe BVerfGE 73, 1 (2 - 15) und die Jahresberichte der Stiftungen. Jede von ihnen betätigt sich auf dem Feld der internationalen Beziehungen; vgl. § 2 I I lit. c der Satzung der Friedrich-Ebert-Stiftung; § 2 I I I der Satzung der FriedrichNaumann-Stiftung; § 2 Ziff. 4 und 5 der Satzung der Konrad-Adenauer-Stiftung; § 2 I I lit. d der Satzung der Hanns-Seidl-Stiftung. 64 So eine Formulierung aus § 6 RegE PartG 1959; BT-Drucks. III/1509. 65 Begriffe bei Josef Kölble, Inwieweit schützt das Parteienprivileg des Art. 21 Abs. 2 Satz 2 GG auch Nebenorganisationen politischer Parteien?, A ö R 87 (1962), 48 (48f.); Seifert (1975), 331 ff. 66 Zum Grundrechtsstatus von Stiftungen des bürgerlichen Rechts: Albert von Mutius, Zur Grundrechtssubjektivität privatrechtlicher Stiftungen, V A 65 (1974), 87; Rinken, A K - G G , Art. 9 Abs. 1, RNr. 42; Scholz, M D , Art. 9, RNr. 62. 67 Näheres bei Scholz, M D , Art. 9, RNr. 21 ff.

176

C. Grundrechtstatbestandliche Gewährleistung von Auslandskontakten

Art. 9 Abs. 1 GG als Doppelgrundrecht, für die anderen aus Art. 19 Abs. 3 GG, wobei dieser Alternative hier eine gewisse Beliebigkeit anhaftet. 68 Bestand und Betätigung der politischen Stiftungen sind damit verfassungsrechtlich gewährleistet. Ein wichtiges Aufgabengebiet der politischen Stiftungen ist die Pflege internationaler Beziehungen. Diese Form der Betätigung ist, sofern sie ganz oder überwiegend einer deutschen politischen Stiftung zugerechnet werden kann, vom Grundrechtsschutz umfaßt, und zwar in allen ihren Erscheinungsformen, von der Veranstaltung von Informationstreffen im Ausland und der Teilnahme daran über die Vergabe von Geldern und die Mitwirkung bei Entwicklungshilfeprojekten bis hin zur Gründung von Auslandsbüros. Die deutsche öffentliche Gewalt ist an die Grundrechte gebunden, wenn sie im Rahmen ihrer völkerrechtlichen Zuständigkeit in diese Tätigkeitssphäre eingreifen will.«* Die Auslandsbüros der politischen Stiftungen haben keine eigene Rechtspersönlichkeit, sondern sind unselbständige Teile der Gesamtorganisation. Sie haben aus diesem Grund an dem Grundrechtsschutz der Stiftung teil. Die Inländerklausel des Art. 19 Abs. 3 GG kann ihnen ebensowenig entgegengehalten werden wie das Erfordernis eines Grundrechtsstatus gemäß Art. 1 Abs. 3 GG. Anders verhält es sich bei Gemeinschaftsprojekten im Ausland mit Partnern aus dem jeweiligen Gastland. Unabhängig von dem Grad der rechtlichen Verselbständigung liegt bei ihnen der Schwerpunkt im Ausland. Sie unterstehen allein der Hoheitsgewalt des Gastlandes. Die Freiheit jedoch, an einem solchen Projekt teilzunehmen, ist grundrechtlich gewährleistet. Die Zuteilung von Grundrechtsschutz erfolgt also spiegelverkehrt zum Fall des Beitritts eines Ausländers zu einem deutschen Verein. Ist hier die Teilnahme an dem Vorhaben im Ausland grundrechtsgeschützt, der Beitritt des Ausländers aber nicht, so erlangt das Vorhaben selbst trotz der Mitwirkung eines Grundrechtssubjekts keinen Grundrechtsstatus, während der Verein ihn trotz des Beitritts eines insoweit nicht grundrechtsberechtigten Ausländers behält. c) Die internationalen Parteienzusammenschlüsse Die politischen Parteien aller Couleur haben sich sowohl auf internationaler als auch auf regional-europäischer Ebene zusammengeschlossen. Der bekannteste dieser Parteienbünde ist auf der internationalen Ebene die Sozialistische Internationale; im europäischen Rahmen gibt es drei Organisationen mit deutscher Beteiligung: den Bund der Sozialdemokratischen Parteien der Europäi68

Scholz, M D , Art. 9, RNr. 25. Wobei „Eingriffe" in diesem Bereich auf sublimere Weise erfolgen: Angesichts der finanziellen Abhängigkeit der Stiftungen vom Bundeshaushalt kann der Staat sich des Instrumentariums haushaltsrechtlicher Vergaberichtlinien bedienen. 69

II. Der Auslandsbezug ausgewählter Freiheitsgrundrechte

177

sehen Gemeinschaft, die Europäische Volkspartei und die Föderation der liberalen und demokratischen Parteien der E G . 7 0 In einem politikwissenschaftlichen Sprachgebrauch mag es sinnvoll sein, diese Zusammenschlüsse als internationale oder transnationale Parteien zu bezeichnen.71 Verfassungsrechtlich ist dies unzutreffend. Politische Parteien im rechtlichen Begriffssinn sind erstens Zusammenschlüsse natürlicher Personen. 72 Mitglieder in internationalen Parteiorganisationen können nach den Statuten jedoch durchweg nur die nationalen Verbände als solche werden. 73 Es gibt zwar auch im innerstaatlichen Bereich eine Ausnahme von dem Grundsatz der Individualmitgliedschaft: Dieses Prinzip steht dem Aufbau einer Gesamtpartei aus mehreren Landesverbänden nicht entgegen. Tragender Grund dafür ist neben der Analogie zum bundesstaatlichen Aufbau der Bundesrepublik die Tatsache, daß auch bei föderal gegliederten Bundesparteien auf allen Organisationsstufen der grundgesetzlichen Forderung nach innerparteilicher Demokratie Genüge getan wird. 7 4 Dies ist bei den internationalen Parteienbünden nicht in vergleichbarer Weise sichergestellt. Die Mediatisierung des einzelnen Parteimitglieds wird dort gerade als demokratisches Defizit angesehen. Deshalb scheidet in verfassungsrechtlicher Hinsicht eine Parallelisierung der föderalen und der internationalen Organisationsstruktur aus. - Weiterhin wirken die internationalen Parteienbünde nicht an der politischen Willensbildung im Bund oder in einem Land mit und beteiligen sich nicht an Wahlen in der Bundesrepublik Deutschland. Drittens befindet sich ihr Sitz regelmäßig im Ausland. Schließlich stammen die Mitgliedsorganisationen sowie die Mitglieder der internationalen Gremien nur zum kleineren Teil aus der Bundesrepublik. Insgesamt fehlen damit vier der Wesensmerkmale des verfassungsrechtlichen Parteienbegriffes. Wegen dieses Mankos ist auch eine Einordnung als Glied- oder Nebenorganisation der jeweiligen deutschen Mitgliedspartei nicht möglich. Die verfassungsrechtliche Verortung der internationalen Parteienbünde in dem Grundtatbestand zu Art. 21 Abs. 1, in Art. 9 Abs. 1 GG, scheitert spätestens an dessen Deutschenvorbehalt. Die Auslandsdominanz wirkt auch hier grundrechtsschädlich. Im Ergebnis bleibt für die internationalen Parteienbünde nicht mehr übrig als der einfachgesetzliche Schutz des § 1 Abs. 1 des Vereinsgesetzes. Dessen 70 Z u den Realien vgl. die politikwissenschaftliche Literatur, zum Beispiel die Arbeiten von Gresch, Rudolf Hrbek, Die europäischen Parteienzusammenschlüsse, Jahrbuch der europäischen Integration 1985 (1986), 275; Niedermayer (1983); Stammen und Woyke. 71 So z.B. Stammen, 321 f. 72 § 2 Abs. 1 Satz 2 PartG. Henke, B K , Art. 21, RNr. 7; Maunz / Zippelius, 82; von Münch, vM, Art. 21, RNr. 5. 73 Dazu auch Magiera, 324; Textnachweise bei Stammen, 349 ff. 74 Henke, B K , Art. 21, RNr. 7; von Münch, vM, Art. 21, RNr. 5.

12 Heintzen

178

C. Gndrechtstatbestandliche Gewährleistung von Auslandskontakten

im Vereinsbegriff begründete Tatbestandsvoraussetzungen liegen vor. Den organisatorischen Anforderungen des § 2 Abs. 1 VereinsG werden die Parteienvereinigungen gerecht. 75 Der deutsche Beitrag zu den internationalen Parteienbünden läßt sich dem Schutzbereich der Parteibetätigungsfreiheit des Art. 21 Abs. 1 Satz 2 GG ohne weiteres zuordnen. Die Differenzierung zwischen der deutschen Beteiligung an einem internationalen Parteienbund und den Aktivitäten des Bundes selbst mag im Einzelfall schwierig sein. Ihre Berechtigung zu leugnen hieße aber in der Konsequenz, das in Abrede zu stellen, worauf die Unterscheidung beruht: auf der organisatorischen Selbständigkeit des internationalen Parteienbundes. 2. Vereine und Verbände

a) Das Verhältnis von Art. 9 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 3 GG Die Vereinigungsfreiheit des Art. 9 Abs. 1 GG ist den Deutschen vorbehalten. 7 6 Ausländern steht die Vereinigungsfreiheit nur aufgrund der einfachgesetzlichen Bestimmung des § 1 Abs. 1 VereinsG zu. 7 7 Auch Art. 11 Abs. 1 E M R K hat keinen höheren Rang. Die Annahme, speziell diese Bestimmung 78 oder die E M R K insgesamt besäßen einen höheren als den von Art. 59 Abs. 2 GG für völkerrechtliche Verträge vorgesehenen Gesetzesrang, dürfte inzwischen endgültig widerlegt sein. 79 Auf der Ebene der individuellen Vereinigungsfreiheit ist die Bestimmung des Kreises der aus Art. 9 Abs. 1 GG Berechtigten somit noch relativ klar und unbestritten. Komplizierter wird es, wenn man mit dieser Fragestellung an die korporative Dimension der Vereinigungsfreiheit herangeht. 80 Aus der Verzahnung mit diesem Aspekt der Vereinigungsfreiheit resultieren schließlich einige vorstehend unerwähnte Probleme der individuellen Vereiniguiigsfreiheit, so insbesondere die Frage, ob deutsche Mitglieder überwiegend ausländischer Vereinigungen den ihnen an sich zukommenden Grundrechtsschutz einbüßen. 81

75

Zur Organisationsstruktur der internationalen Parteienbünde aus politikwissenschaftlicher Sicht: Niedermayer, 64ff.; Stammen, 257ff. 76 Deutsche sind dabei die von Art. 116 GO erfaßten Personen, auch die Staatsangehörigen der D D R ; von Münch, B K , Art. 9, RNr. 1. 77 Z u weiteren Vorschriften Schnorr, §§ 14, 15, RNr. 3. 78 So Hans Huber, Die Vereinsfreiheit für Ausländer, FS Jahrreiss, 1964,101 (107). 79 Bleckmann, Staatsrecht I I , 29f.; Rojahn, vM, Art. 25, RNr. 23; Art. 59, RNr. 43; Silagi, 644f.; Stern, 489f. 80 Hiervon ist die dritte Frage zu unterscheiden, ob Vereinigungen ihrerseits die Vereinigungsfreiheit zukommt; Scholz, M D , Art. 9, RNr. 54ff. 81 Von Münch, B K , Art. 9, RNr. 4; Schnorr, §§ 14, 15, RNr. 5.

II. Der Auslandsbezug ausgewählter Freiheitsgrundrechte

179

aa) Die Lehre vom Doppelgrundrecht Art. 9 Abs. 1 GG ist der Hauptschauplatz des Meinungsstreits um die Lehre vom Doppelgrundrecht. Streitgegenstand ist die Frage, ob die Bestands- und Betätigungsfreiheit der Vereinigung selbst unmittelbar von Art. 9 Abs. 1 GG gewährt werde, so die Vertreter dieser Lehre, oder ob die kollektive Grundrechtsdimension nur mittelbar über die Verweisungsnorm des Art. 19 Abs. 3 GG erfaßt werde. Die Kontroverse betrifft unter anderem auch die personelle Anwendungsbreite, die der Vereinigungsfreiheit in internationaler Hinsicht zukommt. Insoweit geht es letztlich um die Alternative, ob nur auf den Sitz der Vereinigung abzustellen sei - so das Kriterium der Inländerklausel des Art. 19 Abs. 3 GG - oder ob zusätzlich die Zusammensetzung der Mitgliedschaft Berücksichtigung finden müsse. Die Anhänger der Lehre vom Doppelgrundrecht treten für die zweite Alternative ein und berufen sich dabei auf den Deutschenvorbehalt des Art. 9 Abs. 1 GG. Es könne nicht angehen, so das Hauptargument, daß einer Mehrheit von Ausländern, so sie sich zu einer Organisation mit Sitz im Inland zusammentun, plötzlich gewährt werde, was dem einzelnen Ausländer unstreitig vorenthalten bleibe. 82 Ein Teil der Gegner der Lehre vom Doppelgrundrecht sieht hierin keinen Widerspruch, weil die Vereinigung als selbständiges Grundrechtssubjekt unabhängig von ihren Mitgliedern beurteilt werden müsse und Art. 19 Abs. 3 GG nur den Sitz als kollisionsrechtliches Abgrenzungskriterium kenne. 83 Durch die Parteinahme für die eine oder die andere Auffassung zu der Lehre vom Doppelgrundrecht wird jedoch wenig präjudiziert. Die Kontroverse über die genaue verfassungssystematische Zuordnung der Inländerklausel in Art. 19 Abs. 3 und des Deutschenvorbehaltes in Art. 9 Abs. 1 GG ist kein bloßer Unterfall des insoweit geführten dogmatischen Disputs. Auch Gegner der Lehre vom Doppelgrundrecht kommen in der speziellen kollisionsrechtlichen Frage zu ähnlichen Ergebnissen wie deren Befürworter: Sie sprechen einer juristischen Person im Sinne des Art. 19 Abs. 3 GG den Grundrechtsschutz trotz der Belegenheit des Hauptsitzes im Inland dann ab, wenn diese von ausländischen Mitgliedern oder Funktionären kontrolliert wird. 8 4 Statt von dem den hier interessierenden Auslandssachverhalt nur am Rande berührenden Streit um die Lehre vom Doppelgrundrecht sollte man daher die entscheidende Sachfrage, das Verhältnis der Inländerklausel in Art. 19 Abs. 3 und des Deutschenvorbehaltes in Art. 9 Abs. 1 GG, besser unmittelbar und ohne Rückgriff auf den manchmal etwas schablonenhaft geführten Theorienstreit angehen.85 82 So Ernst-Hasso Ritter, Zum Grundrechtsschutz ausländischer juristischer Personen, NJW 1964, 279 (280f.). Ihm folgen Dolde, 104; von Münch, B K , Art. 9, RNr. 11; Rupp-von Brünneck, 382f. 83 Schmidt (1966), 158ff.; von Mutius (1984), 197f.; Pieroth / Schlink, RNr. 177. 84 Dazu von Münch, B K , Art. 9, RNr. IL; Scholz, M D , Art. 9, RNr. 25 und 50. 1*

180

C. Grundrechtstatbestandliche Gewährleistung von Auslandskontakten

bb) Die Bedeutung der Inländerklausel des Art. 19 Abs. 3 GG Dem Meinungsstreit um die Lehre vom Doppelgrundrecht fehlt es nicht nur an Problemspezifik. Es scheint, als ob er überhaupt der falsche gedankliche Ansatz sei. Anstatt bei juristischen Personen im Wege unvollständiger Induktion von den Besonderheiten nur eines von mehreren Freiheitsgrundrechten auf Inhalt und systematische Stellung der allgemeinen Vorschrift des Art. 19 Abs. 3 G G 8 6 zu schließen, ist es wohl methodisch geschickter, von der allgemeinen Vorschrift auszugehen und deren systematischen Standort in der Relation zu den einzelnen Freiheitsgrundrechten zu ermitteln. Eine Antwort auf die Frage nach dem internationalen Anwendungsfeld der korporativen Dimension mancher Freiheitsgrundrechte wird man bei einem ersten Blick auf Art. 19 Abs. 3 GG allein von dem Adjektiv „inländisch" erwarten. Auf den Inhalt und auf die Verknüpfung dieser sogenannten Inländerklausel mit dem in Art. 1 Abs. 3 GG verorteten grundrechtlichen StatusKriterium und mit den einzelgrundrechtlichen Deutschenvorbehalten kommt es somit entscheidend an. Eine von mehreren gedanklich möglichen Positionen zu diesem Problem kommt in der Arbeit von Walter Schmidt besonders deutlich zum Ausdruck. Die einschlägige Passage sei deshalb wörtlich zitiert. „ Z u m Wesen einer Grundrechtsnorm, von dem ihre Anwendbarkeit auf juristische Personen abhängen soll, gehört dagegen nicht die Geltung des Grundrechtsartikels für jedermann beziehungsweise nur für Deutsche. Die personelle Anwendungsvoraussetzung der Grundrechte ist für juristische Personen insoweit bereits durch Art. 19 Abs. 3 G G mit der Bestimmung festgelegt, daß die Grundrechte insgesamt nur inländischen juristischen Personen zustehen. . . . Die Beschränkung aller Grundrechte auf „inländische" juristische Personen in Art. 19 Abs. 3 GG entspricht der Beschränkung auf „Deutsche", die für natürliche Personen nur in einzelnen Grundrechtsartikeln ausgesprochen ist. Im Hinblick auf den allgemeinen Deutschen-Vorbehalt in Art. 19 Abs. 3 G G sind die einzelnen Grundrechtsartikel für juristische Personen so zu lesen, als stünde dort statt „jeder" („alle Menschen", „alle Deutschen") jeweils: „alle inländischen juristischen Personen"." 87

Schmidt begreift die Inländerklausel also als eine abschließende Regelung der Frage, welchen juristischen Personen des Privatrechts in verfassungskollisionsrechtlicher Perspektive Grundrechtsstatus zukommt. Eine solche Auslegung der Inländerklausel ist mit der hier vorgeschlagenen Interpretation des Art. 1 Abs. 3 GG unvereinbar. Es ist danach zunächst einmal Art. 1 Abs. 3 GG, der über den Grundrechtsstatus juristischer Personen entscheidet. Der Streit um Sitz-, Gründungs- und Kontrolltheorie ist nicht von ungefähr ein Pflichtkapitel der völkerrechtlichen Zuständigkeitslehre. Art. 19 Abs. 3 GG knüpft daran mit dem Inländerbegriff nur an. Die Aufgabe der Inländerklau85 86 87

Ähnliche Kritik bei Rinken, A K - G G , Art. 9 Abs. 1, RNr. 47. Pieroth / Schlink, RNr. 62, sprechen treffend von Normen über Grundrechte. Schmidt (1966), 159.

II. Der Auslandsbezug ausgewählter Freiheitsgrundrechte

181

sei besteht darin, aus der Gesamtheit der juristischen Personen, bei denen die deutsche Staatsgewalt in irgendeiner Hinsicht völkerrechtlich regelungszuständig sein kann, diejenigen herauszufiltern, die ihr tatsächliches Aktionszentrum außerhalb der Bundesrepublik Deutschland haben. Sie soll, kurz gesagt, für juristische Personen die von Art. 1 Abs. 3 GG noch offengelassene Möglichkeit eines partiellen Grundrechtsstatus ausschließen.88 Art. 19 Abs. 3 GG kann schon deshalb in der Frage, auf welchen Kreis juristischer Personen die Grundrechte bei Sachverhalten mit Auslandsberührung Anwendung finden können, entgegen der Ansicht Schmidts keinen Ausschließlichkeitsanspruch für sich reklamieren. Der Einwand der Exklusivität des Art. 19 Abs. 3 GG ist damit ausgeräumt. Die Vorschrift hat vielmehr nur im Zusammenwirken mit dem allgemeinen Status-Kriterium und den Deutschenvorbehalten eine bestimmte und zugleich begrenzte Funktion. Aus verfassungssystematischer Sicht ist darum gegen die zusätzliche Berücksichtigung der Staatsangehörigkeit der Mitglieder bei der Freigabe von Grundrechten mit Deutschenvorbehalt für juristische Personen nichts zu erinnern. Die Möglichkeit, daß auf diese Weise bei der internationalen Grundrechtsanwendung die einzelgrundrechtlichen Deutschenvorbehalte als dritter Filter dem allgemeinen Status-Kriterium des Art. 1 Abs. 3 und der Inländerklausel des Art. 19 Abs. 3 GG nachgeschaltet werden, ist zumindest verfassungssystematisch nicht von der Hand zu weisen. Neben dem prinzipiellen Einwand, Art. 19 Abs. 3 GG sei abschließende lex specialis, sind aber noch weitere Gesichtspunkte zu berücksichtigen. So wird gesagt, der Inländerklausel käme bei juristischen Personen die gleiche Funktion zu wie den Deutschenvorbehalten bei natürlichen Personen. Deshalb seien die Deutschenvorbehalte im Anwendungsbereich des Art. 19 Abs. 3 GG gewissermaßen verbraucht. 89 Zudem widerspreche der „Durchgriff" auf die Staatsangehörigkeit der Organisationsmitglieder der von Art. 19 Abs. 3 GG vorausgesetzten Eigenständigkeit der juristischen Person. 90 Eine Stellungnahme zu diesen beiden Thesen ist nur im größeren Zusammenhang der Auslegung von Art. 19 Abs. 3 GG insgesamt möglich. 91 88 Z u dem Begriff „partieller Grundrechtsstatus" Isensee (1974), 61 mit FN 33/34; zur Funktion der Inländerklausel des Art. 19 Abs. 3 GG siehe auch C. II. 2. a) bb) und 4. a). 89 Schmidt (1966), 159. 90 So insbesondere von Mutius (1984), 198; ders., B K , Art. 19 Abs. 3, RNr. 59, die dort als Belege zitierten Arbeiten von Gschwendtner und Meessen (1970) passen freilich nicht. 91 Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach auch bei der Grundrechtsgewährung an juristische Personen der personale Bezug (Grundzug, Funktion) der Grundrechtsordnung erhalten bleiben müsse - BVerfGE 21, 362 (369); 61, 82 (104); 68, 193 (205f.) und vor allem BVerfGE 50, 290 (340f., 353f., 362f.) - dürfte indes zu abstrakt sein, um daraus konkrete kollisionsrechtliche Folgerungen zu ziehen.

182

C. Grundrechtstatbestandliche Gewährleistung von Auslandskontakten

Die Behauptung, die Inländerklausel des Art. 19 Abs. 3 GG entspreche den Deutschenvorbehalten der einzelnen Freiheitsgrundrechte, ist in der Sache wenig plausibel, da die Deutschenvorbehalte auf die Staatsangehörigkeit abstellen, die Inländerklausel aber auf den Hauptsitz. Es gibt keine positivrechtlichen Indizien, die eine Parallelisierung nahelegen. Es paßt auch nicht gut zusammen, einerseits die Eigenständigkeit juristischer Personen gegenüber ihren Mitgliedern zu betonen, andererseits aber die Sachgleichheit der verfassungsrechtlichen Regelungen in einem wichtigen Punkt zu postulieren. Das Argument, Ausländern könne nicht zur gesamten Hand zustehen, was ihnen als Einzelpersonen rechtlich versagt bleibe, wird auch nicht durch die These vom „Durchgriffsverbot" 92 entkräftet. Die Prämisse, auf der die Annahme eines grundrechtlichen Selbstandes juristischer Personen beruht, ist ein Wortlautargument. Indem der Verfassunggeber die sozialen Gebilde, auf die er den Schutz der Grundrechte ausdehnen möchte, als juristische Personen bezeichne, mache er deutlich, daß die in Bezug genommenen Grundrechte diesen als eigene, d.h. unabhängig von ihrem personellen Substrat zustehen.93 Von dieser Prämisse sind es nur wenige Gedankenschritte bis zur Negation jeglicher Relevanz der einzelgrundrechtlichen Deutschenvorbehalte für juristische Personen. Aus ihr folgt unmittelbar, daß das „Wesen" der Grundrechte nicht im ausschließlichen oder primären Schutz des Individuums bestehen könne. 94 Die vielmehr gebotene Verselbständigung der juristischen Betrachtung verbiete es, bei juristischen Personen in der Frage nach dem internationalen Anwendungsbereich der Grundrechte ratione personae auf die entsprechenden Regelungen bei den Individualgrundrechten Rückgriff zu nehmen; die Tatbestandsmerkmale „Wesen" und „juristische Person", die eine solche Anknüpfung vermitteln könnten, seien durch ihre - auf dieser Grundlage konsequent - anderslautende Auslegung insoweit blockiert. Es bleibe allein die Inländerklausel übrig. 95 Diese sei jedoch durch das Sitzkriterium anderweitig besetzt. Es wäre in der Tat merkwürdig, wenn ihr eine zweite Bedeutungsebene eingezogen werden müßte, sobald das im Einzelfall für eine juristische Person in Bezug genommene Grundrecht unter Deutschenvorbehalt steht. Die Schwachstelle der Gedankenkette ist ihre Prämisse. Die These von der grundrechtlichen Eigenständigkeit einer als „juristische Person" bezeichneten Organisation hält einer kritischen Überprüfung nicht stand. Der Begriff „juristische Person" ist eine verfassungsrechtlich im wesentlichen substanzlose Kritisch insoweit zum Mitbestimmungsurteil Hans-Jürgen Papier, Das Mitbestimmungsurteil des Bundesverfassungsgerichts, ZGR 8 (1979), 444 (463f.). 92 Gegen die Verwendung des zivilrechtlich vorbelasteten Begriffs: Dürig, M D , Art. 19 Abs. 3, RNr. 1; Rupp-von Brünneck, 359f. 93 Vgl. insb. von Mutius, B K , Art. 19 Abs. 3, RNr. 33f. 94 Ebd., RNr. 36. 95 So von Mutius, B K , Art. 19 Abs. 3, RNr. 59; Schmidt (1966), 159.

II. Der Auslandsbezug ausgewählter Freiheitsgrundrechte

183

Blankettverweisung auf die von der übrigen Rechtsordnung entweder ganz oder zumindest teilweise mit Rechtsfähigkeit ausgestatteten Organisationseinheiten. Wie die Genese des Art. 19 Abs. 3 GG belegt, ist die Wortwahl nicht frei von einer gewissen Zufälligkeit und von dem Gedanken inspiriert, eine außerverfassungsrechtliche Vorfindlichkeit korrekt zu adaptieren. 96 Mehr soll damit nicht ausgesagt sein. Die Annahme einer grundrechtlichen Verselbständigung der von dem Begriff „juristische Person" erfaßten Organisationen ist eine Überinterpretation. 97 Was dabei zum keine Ausnahme duldenden Grundsatz erhoben wird, hält selbst die für dogmatische Feinziselierungen dieser Art empfänglichere Zivilrechtsordnung in dieser Strenge nicht durch. 98 Angesichts dessen, was bei Art. 19 Abs. 3 GG alles als „juristische Person" durchgeht, ist die Lehre vom Durchgriffsverbot hier erst recht mit Vorbehalten zu versehen. 99 Es wäre im übrigen auch nicht einzusehen, warum etwa eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts 100 grundrechtlich eine eigene, von den dahinter stehenden Individuen unabhängige Rechtspersönlichkeit erlangen soll. Aus dem Begriff „juristische Person" läßt sich also kein Durchgriffsverbot hinsichtlich der einigen Grundrechten beigegebenen Deutschenvorbehalte ableiten. Die vorgetragenen Einwände gegen die Einbeziehung der einzelgrundrechtlichen Deutschenvorbehalte in die Bestimmung der internationalen Anwendungsbreite der Grundrechte bei juristischen Personen sind somit ausgeräumt. Die Inländerklausel des Art. 19 Abs. 3 GG ist selbst zwar auf das Sitzkriterium festgelegt, sie steht aber der zusätzlichen Berücksichtigung der Staatsangehörigkeit der Mitglieder, Anteilseigner, Vorstandsmitglieder usw. einer juristischen Person auch nicht entgegen. Als „Aufhänger" für eine solche Inbezugnahme des Regelungsgehaltes der Deutschenvorbehalte bietet sich im Tatbestand des Art. 19 Abs. 3 GG das Merkmal „Wesen" an. cc)

Die wesensmäßige Geltung der Grundrechte für juristische Personen

Der Wesensbegriff in Art. 19 Abs. 3 GG betrifft zweierlei: den Tatbestand des je anzuwendenden Grundrechts und Sinn und Zweck der Grundrechte all96 JöR 1 (1951), 180ff. Ferner Dürig, M D , Art. 19 Abs. 3, RNr. 29; Ladeur, A K GG, Art. 19 Abs. 3, RNr. 25ff.; von Mutius, B K , Art. 19 Abs. 3, RNr. 44. Α . A . Hendrichs, vM, Art. 19 Abs. 3, RNr. 31. 97 Dürig, M D , Art. 19 Abs. 3, RNr. 29, hebt zurecht hervor, daß es Art. 19 Abs. 3 GG den unter ihn fallenden Rechtseinheiten nicht ermögliche, ihre Rechtsfähigkeit zu erweitern. 98 Vgl. Flume, 63ff. 99 Wobei freilich zu berücksichtigen ist, daß die Anhänger dieser Lehre den Begriff „juristische Person" enger fassen als die herrschende Meinung. 100 Der auch von Mutius, B K , Art. 19 Abs. 3, RNr. 67, Grundrechtssubjektivität zugesteht.

184

C. Grundrechtstatbestandliche Gewährleistung von Auslandskontakten

gemein. 101 Mit Tatbestand ist der gesamte Tatbestand des auf eine juristische Person anzuwendenden Grundrechts gemeint - einschließlich eventueller Deutschenvorbehalte. Ein Grund, die Deutschenvorbehalte nicht zum „Wesen" des jeweils in Bezug genommenen Grundrechts zu rechnen, ist nicht ersichtlich; die gegenteilige, die insoweitige Sperrwirkung der Inländerklausel des Art. 19 Abs. 3 GG postulierende Ansicht von Schmidt und von v. Mutius hat sich als unzutreffend erwiesen. Das Argument, es könne nicht mehreren Ausländern gemeinsam etwas zustehen, was ihnen als Einzelpersonen kraft ausdrücklicher verfassungsgesetzlicher Anordnung versagt bleibe, entfaltet im Rahmen des „Wesens"-Begriffes des Art. 19 Abs. 3 GG, von verfassungssystematischen Verdrängungen nunmehr ungehindert, seine volle Evidenz. Ein Deutschenvorbehalt ist nach seinem Wortlaut für natürliche Personen gedacht. Nur natürliche Personen haben eine Staatsangehörigkeit. Bei juristischen Personen spricht man von Staatszugehörigkeit und stellt - der im deutschen Internationalen Privatrecht herrschenden Sitztheorie entsprechend zumeist auf die Belegenheit des Hauptverwaltungssitzes ab. 1 0 2 Die wesensmäßige Geltungserstreckung erlaubt eine inhaltliche Anpassung der primär auf Individuen als Grundrechtsträger zugeschnittenen Tatbestandsmerkmale eines Grundrechts an die Erfordernisse juristischer Personen. Beispiele für solche inhaltlichen Umformungen bieten das Freizügigkeitsrecht, das in der Anwendung auf juristische Personen zu einem Recht auf freie Wahl des Sitzes wird 1 0 3 , und die Berufsfreiheit, die sich in eine Gewerbe- und Unternehmensfreiheit verwandelt. 104 In ähnlicher Weise sollte man mit den Deutschenvorbehalten verfahren. Welche Gestalt ein Deutschenvorbehalt in der Anwendung auf juristische Personen annimmt, wurde in dem Abschnitt über die politischen Parteien dargestellt. Darauf kann hier verwiesen werden. 105 Maßgebend ist mithin, ob deutsche Staatsangehörige die Mehrheit der Mitglieder, Anteilseigner, leitenden Funktionäre usw. 106 der betreffenden juristischen Person stellen. Nur 101

Bethge (1985), 19f.; von Mutius, B K , Art. 19 Abs. 3, RNr. 36; Rupp-von Brünneck, 357; ferner Dürig, M D , Art. 19 Abs. 3, RNr. 5. 102 Siehe Staudinger / Großfeld, Internationales Gesellschaftsrecht, RNr. 562ff. 103 Unstreitig; vgl. Dürig, M D , Art. 11, RNr. 42; Randelzhofer, B K , Art. 11, RNr. 64. 104 Dazu Papier (1983), 626 f. Aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts BVerfGE 30, 292 (312); 50, 290 (363). 105 Siehe C. II. 1. a) aa) und cc) aaa). 106 ] ) e n Begriff der Mitgliedschaft, der bei der Feststellung der Ausländereigenschaft einer „juristischen Person" die Hauptrolle spielt, bezieht man unwillkürlich auf den eingetragenen Verein. Aber auch bei vielen anderen der juristischen Personen im Sinne des Art. 19 Abs. 3 GG gibt es Mitglieder, nur daß die rechtlichen Verhältnisse mitunter komplizierter ausfallen und es an einer ausdrücklichen Regelung wie § 38 BGB fehlt. Bei einer Aktiengesellschaft z.B. orientiert sich der für die grundrechtlichen Deutschenvorbehalte konstitutive Begriff der Mitgliedschaft an der Innehabung von Kapital-

II. Der Auslandsbezug ausgewählter Freiheitsgrundrechte

185

wenn dies der Fall ist, kann eine juristische Person im Bereich der Deutschengrundrechte Grundrechtsschutz beanspruchen. Dem Mehrheitskriterium haften Elemente der Dezision und der Typisierung unbestreitbar an. Es ist nicht logisch zwingend aus Art. 19 Abs. 3 GG oder aus einzelnen Deutschenvorbehalten abzuleiten. Dieser Mangel muß aber im Interesse von Rechtssicherheit und Praktikabilität hingenommen werden. Die Aufgabe, in dem Kontinuum zwischen dem reinen Inländer- und dem reinen Ausländerverein eine klare Trennung vorzunehmen, läßt sich am besten durch das Abstellen auf die numerisch feststellbaren MehrheitsVerhältnisse bewältigen. Wie sich aus dem Verbum „gelten" ergibt, ist Art. 19 Abs. 3 GG an klaren Alternativen gelegen. Der Gegensatz zu „gelten" ist „nicht gelten"; stufenlose Übergänge, partielle Anwendungen oder ähnliches soll es nicht geben. Die Entscheidung über die Anwendung eines Grundrechtes auf eine juristische Person (im Sinne von Art. 19 Abs. 3 GG) durchläuft somit insgesamt drei Stationen. Als erstes ist - wie bei natürlichen Personen - der Grundrechtsstatus festzustellen; einschlägig ist insoweit Art. 1 Abs. 3 GG. Als zweites muß - besondere Grundrechtsanwendungsvoraussetzung juristischer Personen - gemäß Art. 19 Abs. 3 GG ermittelt werden, ob die juristische Person „inländisch" ist. Sofern das jeweilige Grundrecht einen Deutschenvorbehalt aufweist, ist schließlich zu prüfen, ob auch dessen Anforderungen erfüllt sind. Verfassungssystematisch betrachtet ist es die Wesens- und nicht die Inländerklausel, die den Deutschenvorbehalt in den Tatbestand des Art. 19 Abs. 3 GG einführt. Nicht jeder Deutschenvorbehalt schlägt uneingeschränkt auf juristische Personen durch. Die Wesensklausel des Art. 19 Abs. 3 GG erlaubt eine differenzierende Behandlung nach Maßgabe von Sinn und Zweck der einzelnen Vorbehalte. Hier erweist sich, daß die Offenheit der Formulierung ,Wesen der Grundrechte 4 nicht nur negativ zu bewerten ist 1 0 7 , sondern auch positive Seiten hat: Flexibilität und Sachgerechtigkeit. Ratio der Deutschenvorbehalte in Art. 8 Abs. I 1 0 8 und 9 Abs. 1 GG ist es, diese Grundrechte als Rechte des status activus dem deutschen Staatsvolk zu reservieren. Zwar muß nicht jede Form ihres Gebrauchs „demokratisch-funktional" 109 motiviert sein, und es wäre ein Fehler, die genannten Grundrechte auf diesen Aspekt zu reduzieren anteilen. Aus zivilrechtlicher Sicht dazu Flume , 258ff. Fehlt es einer „juristischen Person" an Mitgliedern (Stiftung!), so greifen die Deutschenvorbehalte der in Bezug genommenen Grundrechte ins Leere. 107 Dürig, M D , Art. 19 Abs. 3, RNr. 5; von Mutius, B K , Art. 19 Abs. 3, RNr. 24. 108 Zur Grundrechtssubjektivität juristischer Personen im Rahmen des Art. 8 Abs. 1 GG: Herzog, M D , Art. 8, RNr. 15; Hoffmann-Riem, A K - G G , Art. 8, RNr. 26; von Münch, B K , Art. 8, RNr. 5ff.; ders., vM, Art. 8, RNr. 7. 109 Begriff bei Böckenförde (1974), 1534f. Z u den Funktionen des Art. 9 Abs. 1 G G vgl. die Zusammenstellung bei Rübenach, 7ff. Zur Mehrdeutigkeit des Terminus „status activus": Starck, v M K , Art. 1, RNr. 113.

186

C. Grundrechtstatbestandliche Gewährleistung von Auslandskontakten

oder politische Grundrechtsausübung generell höher zu bewerten als unpolitische. Der Deutschenvorbehalt hebt jedoch in zulässiger Typisierung auf die politische Dimension dieser Grundrechte ab. Die Art. 8 Abs. 1 und 9 Abs. 1 GG sind eben die beiden Hauptbeispiele für Bürgerrechte im Unterschied zu Menschenrechten. 110 Die ihre Ausgestaltung zu Bürgerrechten legitimierenden Erwägungen treffen auf juristische Personen in gleicher Weise zu. Politische Aktivität entfaltet sich sogar vornehmlich in Gruppen und Organisationen. Daraus folgt, daß es mit dem Wesen der Vereinigungs- und der Versammlungsfreiheit nicht vereinbar wäre, wenn solche inländischen juristischen Personen sich auf sie berufen könnten, hinter denen mehrheitlich Ausländer stehen. Auch die in den Materialien zu Art. 9 Abs. 1 GG für die Statuierung eines Deutschenvorbehaltes gegebene weitere Begründung, den Inhabern der Auswärtigen Gewalt müsse ein genügend großer Verhandlungsspielraum gelassen werden, um auf der Grundlage völkerrechtlicher Reziprozität Ausländern in Deutschland nur als Gegenleistung für entsprechende Vergünstigungen für Deutsche im Ausland die Vereinigungsfreiheit durch einfaches Gesetz zu gewähren 111 , kann sich auf juristische Personen in gleicher Weise beziehen wie auf natürliche Personen. Anders ist es bei den Art. 11 Abs. I 1 1 2 und bei Art. 12 Abs. 1 GG, welch letzter sich bei Anwendung auf juristische Personen zu einem Grundrecht auf Gewerbe- und Unternehmensfreiheit wandelt. 113 Beide sind in erster Annäherung klassische Grundrechte des status negativus. Bei ihnen sind es wirtschafts- und sozialpolitische Überlegungen, die zu der Beschränkung des Kreises der Grundrechtsberechtigten auf Deutsche geführt haben. 114 Der Gesetzgeber und die Verwaltung sollen ohne Beschränkung durch die beiden Grundrechte daran gehen dürfen, die gebotenen Maßnahmen zu ergreifen, um eine Überlastung des Arbeitsmarktes und des Netzes der sozialen Sicherheit, zur Gänze oder in einigen Regionen, durch unkontrolliert einströmende, nach Arbeit und Bleibe suchende Ausländer zu verhindern oder zu stoppen. Diese 110 Zu dieser Unterscheidung, die sich mit der Unterscheidung von Deutschengrundrechten und Menschenrechten nicht ganz deckt, vgl. Badura (1986), 70f., 156f.; von Münch, B K , Art. 8, RNr. 1, Art. 9, RNr. 1; Ruppel, 49; Bruno Schmidt- Β leibtreu / Franz Klein, Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 6. Aufl., 1983, Art. 8, RNr. 1, Art. 9, RNr. 1. m JöR 1 (1951), 117. 112 Z u dessen Anwendbarkeit auf juristische Personen vgl. die Nachweise in FN 103. 113 Dazu Gubelt, vM, Art. 12, RNr. 6; Scholz, M D , Art. 12, RNr. 98ff. Gegenposition bei Rittstieg, A K - G G , Art. 12, RNr. 166f. 114 Z u der im Parlamentarischen Rat geführten Debatte über die Schwierigkeiten bei der Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen aus den deutschen Ostgebieten: JöR 1 (1951), 129ff. (zu Art. 11 GG); 137 (zu Art. 12 GG). Vgl. ferner Ruppel, 47ff. Zu der engen Verbindung, die insoweit zwischen Art. 11 und Art. 12 GG besteht, siehe Randelzhof er, B K , Art. 11, RNr. 9ff.

II. Der Auslandsbezug ausgewählter Freiheitsgrundrechte

187

Befürchtungen bestehen gegenüber juristischen Personen, die ihren Sitz schon im Inland haben, deren Mitglieder aber mehrheitlich Ausländer sind, nicht in gleicher Weise. Hier sind Differenzierungen erforderlich, wie folgende Reihung von Beispielen deutlich macht: Der einzelne Ausländer ist im Rahmen von Art. 12 Abs. 1 GG nicht grundrechtsfähig; die Rechtslage wird schwieriger, wenn mehrere Ausländer sich zu einer Personenhandelsgesellschaft zusammentun; und in einem wieder anderen Licht erscheint der grundrechtliche Status, der nach Art. 12 Abs. 1 GG einer im Inland ansässigen Kapitalgesellschaft zusteht, deren sämtliche Anteile von Ausländern gehalten werden. Auch wer, wie hier vorgeschlagen, Inländerklausel und Deutschenvorbehalte bei juristischen Personen unabhängig voneinander in Ansatz bringt und die Deutscheneigenschaft einer Aktiengesellschaft nach der Verteilung der Aktien bestimmt, sollte in dem zuletzt genannten Beispiel die Grundrechtsberechtigung aus Art. 12 Abs. 1 GG bejahen. Die Deutschenvorbehalte sind auf juristische Personen nicht automatisch, sondern nur soweit zu übertragen, wie dies aus dem Wesen des Grundrechts, konkret des Deutschenvorbehaltes, zu rechtfertigen ist. Die Nachteile für das Gemeinwohl, denen vorzubeugen der Deutschenvorbehalt in Art. 12 Abs. 1 GG bezweckt, gehen von einer Aktiengesellschaft nicht aus. Andere Nachteile werden in dem mehrstufigen Prüfungsverfahren, das bei der Entscheidung über die Anwendung eines Grundrechts auf eine juristische Person zu durchlaufen ist, schon vorher weggefiltert. Insbesondere gibt die Verfassung keinen Anspruch darauf, vom Ausland her die Gründung eines selbständigen Unternehmens, einer Tochtergesellschaft oder einer Zweigniederlassung in der Bundesrepublik zu betreiben. Im Regelfall stehen dem die Art. 1 Abs. 3 und 19 Abs. 3 GG entgegen. Auf Art. 12 Abs. 1 GG kann sich somit nur ein solches Unternehmen berufen, das im Inland bereits etabliert ist. Aus denselben Gründen widersprechen im übrigen die völkerrechtlichen Überlegungen, die die Verfassungsväter veranlaßt haben, Art. 9 Abs. 1 GG unter einen Deutschenvorbehalt zu stellen 115 , und die teleologische Reduktion des Deutschenvorbehaltes in Art. 12 Abs. 1 GG einander nicht. Die Personenhandelsgesellschaft mit mehrheitlich ausländischen Gesellschaftern steht zwischen den beiden eindeutigen Fällen. Die berufliche Verwirklichung des einzelnen Gesellschafters und die freie Betätigung des Unternehmens als solches sind nur schwer zu trennen. 116 Die wirtschaftliche Betätigung ist neben Art. 12 Abs. 1 auch noch Regelungsthema des Art. 14 GG. Der Eigentumsschutz nach Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG kommt allen im Bundesgebiet ansässigen Unternehmen zustatten. Art. 14 115

Siehe oben bei FN 111. Zu diesem Sonderfall vgl. auch von Mutius, B K , Art. 19 Abs. 3, RNr. 59; Ruppvon Brünneck, 383. 116

188

C. Grundrechtstatbestandliche Gewährleistung von Auslandskontakten

Abs. 1 GG ist ein Menschenrecht, das seinem Wesen nach auf juristische Personen anwendbar ist. Von Art. 19 Abs. 3 GG werden lediglich juristische Personen mit Sitz im Ausland aus dem personellen Gewährleistungsbereich ausgeschlossen.117 Die Kreise der nach Art. 12 Abs. 1 bzw. nach Art. 14 Abs. 1 GG grundrechtsberechtigten juristischen Personen des Privatrechts decken sich also. Dies bedeutet angesichts der engen Verzahnung der beiden Grundrechte eine Erleichterung für den Rechtsanwender: Die schwierige Konkurrenzfrage 118 bleibt von der zusätzlichen Belastung durch eine Entscheidungsalternative hinsichtlich der grundrechtlichen Aktivlegitimation verschont. Das Ergebnis der vorstehenden Überlegungen läßt sich dahingehend zusammenfassen, daß die einzelgrundrechtlichen Deutschenvorbehalte unbeschadet der Inländerklausel des Art. 19 Abs. 3 GG auch für juristische Personen von Bedeutung sind, weil sie zum „Wesen" des Grundrechtes gehören. Dies gilt mit der Maßgabe, daß Sinn und Zweck des jeweiligen Deutschenvorbehaltes auch bei juristischen Personen die Versagung des Grundrechtsschutzes rechtfertigen. dd) Primärer und sekundärer Grundrechtsschutz juristischer Personen Alle organisierten gesellschaftlichen Kräfte in der Bundesrepublik haben ein „Heimatgrundrecht" im Grundgesetz, die Kirchen und sonstigen Religionsgesellschaften in Art. 4 Abs. 1 und 2 sowie Art. 140 i . V . m . den Art. 136ff. W R V , die Medien in Art. 5 Abs. 1, der Kultur- und Wissenschaftsbetrieb in Art. 5 Abs. 3, die Vereine und Verbände in Art. 9 Abs. 1, die Tarifparteien in Art. 9 Abs. 3, die Wirtschaft in Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 und die politischen Parteien in Art. 21. Nur zwei der zitierten Bestimmungen weisen einen Deutschenvorbehalt oder eine vergleichbare Beschränkung des Kreises der Grundrechtsberechtigten auf: die Vereinsfreiheit und die Parteienfreiheit. 119 Da die Parteienfreiheit in Fällen überwiegenden Auslandseinflusses aus anderen Gründen zurücktritt, bleibt letztlich nur Art. 9 Abs. 1 GG als kollisionsrechtliche Problemvorschrift übrig. In dem Verhältnis zwischen dem „Hauptgrundrecht" des Art. 9 Abs. 1 GG und den den Grundrechtsschutz der Vereinigungen ergänzenden speziellen Freiheitsgrundrechten führt die kumulative Anwendung von Inländerklausel und Deutschenvorbehalten zu Friktionen. So stellt sich ζ. B. die Frage, ob ein 117

Dazu B G H NJW 1980, 2457 (2459). Vgl. Hans-Peter Schneider, Artikel 12 GG - Freiheit des Berufs und Grundrecht der Arbeit, W D S t R L 43 (1985), 7 (39); Rupert Scholz, Verdeckt Verfassungsneues zur Mitbestimmung?, NJW 1986, 1587 (1589). Bedenklich: BVerfG NJW 1986, 1601. 119 Z u Sonderproblemen der institutionellen Deutung der Rundfunkfreiheit siehe unten C. II. 5. b). 118

II. Der Auslandsbezug ausgewählter Freiheitsgrundrechte

189

Ausländerverein 120 , dessen Bestand und Betätigung Art. 9 Abs. 1 GG wegen des Deutschenvorbehaltes nicht schützt, über Art. 19 Abs. 3 GG andere, nicht mit einem Deutschenvorbehalt versehene Grundrechte, etwa die Garantie der Unverletzlichkeit der Wohnung, für sich in Anspruch nehmen kann. Eine solche Rechtsbehauptung scheint schlüssig zu sein. Wegen des Inlandssitzes ist der Ausländerverein eine „inländische juristische Person", und wegen des Fehlens eines Deutschenvorbehaltes in Art. 13 Abs. 1 GG ist die Ausländermehrheit in der Mitgliedschaft unerheblich. Das Ergebnis vermag gleichwohl nicht zu überzeugen. Art. 13 Abs. 1 tritt dem Hauptgrundrecht der Vereine und Verbände, Art. 9 Abs. 1, nur flankierend zur Seite. Wenn der Schutz des Art. 9 Abs. 1 GG wegen des Deutschenvorbehaltes nicht eingreift, scheint es daher konsequent zu sein, daß auch alle anderen Freiheitsgrundrechte ausfallen - und zwar unabhängig davon, ob sie selbst mit einem Deutschenvorbehalt ausgestattet sind oder nicht. Ausgangspunkt für eine verfassungsdogmatische Begründung dieser These ist das Verhältnis zwischen Art. 9 Abs. 1 GG und den anderen auf Vereine und Verbände anwendbaren Grundrechten wie z.B. Art. 14 hinsichtlich des Vereinsvermögens, Art. 13 wegen der Räumlichkeiten des Vereins oder Art. 10 in bezug auf die Korrespondenz. Art. 9 Abs. 1 gibt den Vereinigungen eine umfassende Bestands- und Betätigungsgarantie. 121 Aus diesem Grund kann man die anderen in Frage kommenden Grundrechte als Ergänzungen und Konkretisierungen dessen ansehen, was im Kern schon Thema des Doppelgrundrechts des Art. 9 Abs. 1 ist. Die Parallele zwischen Art. 9 Abs. 1 GG und den anderen, den verfassungsrechtlichen Schutz der Vereinigungen in Teilaspekten ausgestaltenden Freiheitsrechten schließt die Frage der Grundrechtsberechtigung mit ein. Wenn es im Sinne von Art. 19 Abs. 3 zum Wesen des Art. 9 Abs. 1 GG gehört, Ausländervereinigungen vom Grundrechtsschutz auszuschließen, kann es nicht gleichzeitig zum Wesen der diesen Schutz substantiierenden Grundrechte gehören, auf Ausländervereinigungen doch anwendbar zu sein. 122 Die Wesensklausel in Art. 19 Abs. 3 ist also der Transformator, über den der Deutschenvorbehalt des Art. 9 Abs. 1 GG in den Tatbestand der anderen auf Vereinigungen anwendbaren Grundrechte hinüberwirkt.

120

Im Sinne der Klammerdefinition in § 14 Abs. 1 VereinsG. Siehe Claus Gastroph, Die politischen Vereinigungen, 1970, 62ff. 122 Die Annahme, Zweck der zu Art. 9 Abs. 1 GG hinzutretenden Grundrechte sei es neben anderem gerade, auch Ausländervereinigungen ein Mindestmaß an grundrechtlichem Schutz zu belassen, erscheint wenig plausibel. 121

190

C. Grundrechtstatbestandliche Gewährleistung von Auslandskontakten

b) Art. 9 Abs. 1 G G und internationale Verbandsstrukturen

123

aa) Deutsche Sektionen internationaler Vereinigungen Deutsche Sektionen internationaler Vereinigungen 124 haben einen eigenen Grundrechtsstatus, wenn sie rechtlich gegenüber dem internationalen Verband oder eventuellen ausländischen Parallelorganisationen verselbständigt sind. Sie unterliegen keinem anderen rechtlichen Regime als andere Vereinigungen mit Sitz im Inland. Dies gilt auch für eine im Geltungsbereich des Grundgesetzes ansässige Zentrale einer in mehreren Staaten vertretenen privaten Organisation. 125 Die Integration in einen staatenübergreifenden Verbund, die Einwirkungen, möglicherweise Steuerung und Kontrolle aus dem Ausland mit sich bringt, hat hinsichtlich der Grundrechtsberechtigung keine Auswirkungen. Das Grundgesetz kennt aus guten Gründen bei juristischen Personen nur drei kollisionsrechtliche Grundrechtsausschlußkriterien: die mangelnde Unterwerfung unter die deutsche Staatsgewalt (Art. 1 Abs. 3 GG), den Auslandssitz und - bei Verbänden mit Sitz im Inland - das Überwiegen ausländischer Mitglieder. Alles andere, insbesondere kaum nachweisbare und stetem Wandel unterzogene Abhängigkeitsverhältnisse, ist zu unbestimmt und für die Zwecke einer rechtsstaatlichen Verfassung ungeeignet. 126 Es findet im übrigen im Verfassungswortlaut keinerlei Stütze. Was der einzelne oder eine Vereinigung aus der grundrechtlich gewährten Freiheit machen, ob sie sich in Abhängigkeit zu anderen begeben oder auf Selbständigkeit pochen, kann kein legitimes Differenzierungsmerkmal sein. 127 Deshalb ist es aus verfassungsrechtlicher Sicht auch unrichtig, wenn rechtlich autonome deutsche Mitgliedsvereine internationaler Vereinigungen der Regelung des § 15 Abs. 1 VereinsG zugeordnet werden, sofern sie in den internationalen Verbund so fest eingegliedert sind, daß sie als dessen Bestandteile erscheinen. 128 Schon gegen die Transplantation des Begriffes „Teilorganisation" von § 3 Abs. 3 Satz 1 in die Thematik der §§ 14f. des VereinsG ist Protest anzumelden. Dort geht es um die Bestim123 Die nachstehenden Ausführungen orientieren sich am Vereinsgesetz. Da dieses die verfassungsrechtlichen Vorgaben, wie noch zu zeigen ist, korrekt umsetzt, können die Ergebnisse auch auf solche Vereinigungen übertragen werden, die zwar unter Art. 9 Abs. 1 GG, nicht aber unter das VereinsG fallen. 124 Zu den Realien siehe Α . II. 1,, ab FN 8. 125 Vgl. dazu den Fall BVerwGE 55, 175 (Exilkroaten). 126 Die hiermit übereinstimmende Ansicht von Feldmanns - in: Nochmals: Das neue Vereinsgesetz, D ö V 1965, 29 (34) und Diss. (1970), 160ff. - ist jedoch überwiegend auf Ablehnung gestoßen. Vgl. Meyer, in: Erbs / Kohlhaas, § 15, Nr. 1. b. bb.; Spiller, 65; Seifert (1965), 35. 127 Vgl. im übrigen C. II. 1. a) cc) bbb). 128 So auch von Feldmann, 163 FN 1, 164 FN 3; a. A . BT-Drucks. IV/430, 23; Meyer in: Erbs / Kohlhaas, § 15, Nr. 1. b. bb.; Schnorr, §§ 14, 15, RNr. 7 a.E.

II. Der Auslandsbezug ausgewählter Freiheitsgrundrechte

191

mung der Reichweite eines Vereinsverbotes, hier um die einfachgesetzliche Nachzeichnung der persönlichen Anwendungsgrenzen des Art. 9 Abs. 1 und 2 GG in internationaler Hinsicht. Die Rechtslage ist anders, wenn sich in der Bundesrepublik Deutschland nur Büros oder sonstige rechtlich nicht von der ausländischen oder internationalen Vereinigungszentrale unterschiedene Organisationsglieder befinden. Diese haben keinen eigenen grundrechtlichen Status, sondern sind Bestandteil eines grundrechtlich nicht geschützten Auslandsvereins. In Abweichung hiervon bestimmt § 15 Abs. 2 VereinsG, daß gegen ausländische Vereine und die einem ausländischen Verein eingegliederten Teilvereine nur unter den Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 GG vorgegangen werden könne, wenn deren Mitglieder oder Leiter sämtlich oder überwiegend Deutsche sind. Aus der Perspektive des Art. 19 Abs. 3 GG ist dies eine einfachgesetzliche Erweiterung des Grundrechtsschutzes, die nur auf der Grundlage einer personalistischen Grundrechtstheorie verständlich ist. bb) Mischvereine Mischvereine sind Vereine, deren Mitglieder teils Deutsche, teils Ausländer sind. 129 Für die verfassungsrechtliche Beurteilung kommt es nach dem Majoritätsprinzip auf das numerische Verhältnis von Deutschen und Nicht-Deutschen in der Mitgliedschaft und in den satzungsmäßigen Leitungsgremien an. Das schroffe Entweder - Oder und damit die grundrechtliche Schlechterstellung majorisierter Deutscher sind unvermeidlich. 130 Die alternativen Lösungsvorschläge, insbesondere für Vereinigungen mit stark fluktuierendem Mitgliederbestand und für Verbände, deren Zweck die Pflege von Kontakten zu bestimmten Kreisen in einem anderen Staat ist, überzeugen nicht. 1 3 1 Zwar ist in den genannten Fällen die Aufgabe der Abgrenzung sicher schwierig, doch sind reine Praktikabilitätserwägungen kein triftiger Grund für ein Abweichen von einem dogmatisch einleuchtenden Klassifikationsschema, dies zumal, wenn man bedenkt, daß das Majoritätskriterium von allen noch das praktikabelste ist. Es führt auch bei zweiseitigen Vereinen 132 zu keinen unbilligen Ergebnissen, weil diese üblicherweise rechtlich selbständige Organisationseinheiten mit Sitz im Inland und mit überwiegend deutschen Mitgliedern sind, die mit vergleichbaren Vereinigungen im Ausland nur kooperieren, nicht aber institutionell verbunden sind. 133 129

Definition nach von Feldmann, 160ff.; Meyer in: Erbs / Kohlhaas, § 14, Nr. 2. So auch die Gesetzesmaterialien: BT-Drucks. IV/430, 22. 131 Darstellung bei von Feldmann, 161. 132 Nach dem Muster: Deutsch-Amerikanischer Verein für . . . 133 Beispiel: die transatlantische Zusammenarbeit des American Council on Germany und der Atlantik-Brücke; siehe F A Z vom 28.02.87, S. 2. 130

192

C. Grundrechtstatbestandliche Gewährleistung von Auslandskontakten

cc) Deutsche Mitglieder in Ausländer-Vereinigungen Die Frage, ob die deutschen Mitglieder von Ausländervereinen den ihnen „an sich" zustehenden Grundrechtsschutz einbüßen, weil die Organisation, der sie angehören, ihrerseits grundrechtlich nicht geschützt ist, hat im Regelungsbereich des Art. 9 Abs. 1 GG, anders als bei Art. 21 Abs. 1, durchaus praktische Bedeutsamkeit. Sie ist darüber hinaus von einem erheblichen dogmatisch-konstruktiven Interesse. Ging es bisher darum, ob die korporative Grundrechtsdimension des Art. 9 Abs. 1 GG ausnahmsweise weiter reichen könne als die individuelle, so stellt sich die Frage jetzt mit umgekehrtem Vorzeichen. In der Literatur werden unterschiedliche Lösungsvorschläge unterbreitet. 134 A m weitesten geht Seifert; für ihn liegt bereits jedes Sich-Vereinigen von Deutschen und Ausländern jenseits des Gewährleistungsbereiches der Vereinigungsfreiheit; die Vereinigung selbst und die Betätigung des einzelnen Mitglieds in ihr können dann erst recht nicht grundrechtlich geschützt sein. 135 Die Gegenposition vertritt Dolde; seiner Ansicht nach bleibt dem deutschen Mitglied eines Ausländervereins der Schutz des Art. 9 Abs. 1 GG in jeder Lage erhalten. 136 Eine vermittelnde Position bezieht von Münch; er trennt zwischen der Betätigung in dem Verein und dem Assoziationsvorgang; dieser sei grundrechtlich geschützt, jene nicht. 1 3 7 Bei der Stellungnahme zu diesem Problem sollte man von der grundrechtlichen Schutzlosigkeit der in § 14 des Vereinsgesetzes genannten Vereinstypen ausgehen. Es geht nicht an, über das Hintertürchen der individuellen Vereinigungsfreiheit den Ausschluß der Grundrechtsgeltung bei Mischvereinen mit überwiegend ausländischer Mitgliedschaft wieder zu relativieren. Die Zuteilung von Grundrechtsschutz in direkter Proportionalität zu dem numerischen Verhältnis zwischen Deutschen und Ausländern beruht im übrigen auf einem nur theoretisch einleuchtenden, praktisch aber nicht realisierbaren Modell. Akzeptiert man das Fehlen grundrechtlichen Schutzes für Mischvereine mit mehrheitlich ausländischen Mitgliedern als Basis des weiteren Gedankenganges, so lautet die daran anknüpfende Frage, wann die Betätigung des einzelnen Vereinsmitglieds von der des Vereins getrennt werden kann. Nur im Falle der Teilbarkeit der verfassungsrechtlich zu würdigenden Sachverhalte könnte der individuelle Grundrechtsstatus bejaht werden, ohne die Negation des korporativen Grundrechtsstatus aufzuweichen. 138 Beispiele für diese Konstella134 Nachweise zu dieser Problematik bei Dolde, 118ff.; von Mutius (1984), 197. 135 Seifert (1965), 35. Dolde, 120ff. Spiller, 64f., hält die Regelung der §§ 14 und 15 des VereinsG im Hinblick auf Mischvereine sogar für verfassungswidrig, weil sie die individuelle Grundrechtsposition des deutschen Mitgliedes beschneiden. 137 Von Münch, B K , Art. 9 Abs. 1, RNr. 4.

II. Der Auslandsbezug ausgewählter Freiheitsgrundrechte

193

tion sind der Beitritt zu und der Austritt aus einem Verein. 1 3 9 Bilden beide Aspekte hingegen eine Einheit - und dies ist der Regelfall - , so kann sich auch das deutsche Vereinsmitglied auf Art. 9 Abs. 1 GG nicht berufen. 140 Trotz deutscher Minderheit braucht ein Vereinsverbot deshalb bei Mischvereinen die Kautelen des Art. 9 Abs. 2 GG nicht zu beachten.

3. Die Koalitionen

a) Der internationale Anwendungsbereich der Koalitionsfreiheit ratione personae Das Grundgesetz gewährt die Koalitionsfreiheit als Menschenrecht. Das macht kollisionsrechtlich manches einfacher. Ausländer und Staatenlose können sich, sofern sie sich im Bundesgebiet aufhalten, auf die individuelle Koalitionsfreiheit berufen - als Arbeitnehmer und als Arbeitgeber. 141 Gleiches gilt für inländische juristische Personen und nichtrechtsfähige Vereinigungen. Als Problemrest bleiben die ausländischen juristischen Personen. Ihre Grundrechtsfähigkeit im Rahmen des Art. 9 Abs. 3 GG ist im Streit, und zwar sowohl die korporative Koalitionsfreiheit (ausländische Gewerkschaft für Gastarbeiter) als auch die individualrechtliche Grundlage (ausländisches Unternehmen mit unselbständiger Zweigniederlassung im Geltungsbereich des Grundgesetzes). Eigentlich sollte man annehmen, daß Art. 19 Abs. 3 GG Überlegungen in Richtung auf eine Verleihung des Koalitionsrechts an ausländische juristische Personen rasch zu einem negativen Abschluß führt. Das ist bei einer nicht unerheblichen Zahl von Autoren jedoch nicht der Fall. Als repräsentativ können insoweit die folgenden Ausführungen angesehen werden: „Der Wortlaut des Art. 19 Abs. I I I GG steht zwar an sich der Grundrechtsfähigkeit ausländischer juristischer Personen entgegen; soweit aber das betreffende Grundrecht nicht ein Staatsangehörigenrecht, sondern ein Menschenrecht ist, erscheint es systemgerecht, auch ausländische juristische Personen in den Genuß des Grundrechts gelangen zu lassen." 142

138 So auch von Münch, B K , Art. 9, RNr. 4; noch weitergehend Seifert (1965), 35; a. A . Spiller, 62ff. 139 Die in der Literatur anzufindende Unterscheidung in Gründungsphase und Mitgliedschaftsphase geht also in dem Teilbarkeitskriterium auf; vgl. etwa von Mutius (1984), 197. 140 Den Gedanken der Einheit betonen auch Ruppel, 180f.; Schnorr, §§ 14, 15, RNr. 5. 1 41 Unproblematisch; vgl. BVerfGE 19, 303 (322). 142 Zitat: von Münch, B K , Art. 9, RNr. 108; ebenso von Münch, vM, Art. 9, RNr. 49; Scholz, M D , Art. 9, RNr. 108; Karl-Heinz Seifert / Dieter Hömig (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl., 1985, Art. 9, RNr. 10.

13 Heintzen

194

C. Grundrechtstatbestandliche Gewährleistung von Auslandskontakten

Die Behauptung, Art. 19 Abs. 3 GG, genauer die Inländerklausel, habe eine andere Funktion und Bedeutung, je nachdem, ob das auf eine juristische Person anzuwendende Grundrecht ein Deutschenrecht oder ein Menschenrecht ist, trifft nicht zu. Inländerklausel und Deutschenvorbehalt wirken vielmehr unabhängig voneinander und sind nacheinander zu prüfen. Die Deutschenvorbehalte einzelner Grundrechte werden für die juristischen Personen über die Wesensklausel, nicht über die Inländerklausel, erschlossen, ohne daß diese davon in irgendeiner Weise berührt würde. 1 4 3 Es ist daher nicht ersichtlich, was an der gerade referierten Auffassung systemgerecht sein soll. Mit der Systematik des Zusammenwirkens von Deutschenvorbehalt und Inländerklausel ist sie jedenfalls nicht zu vereinbaren. Dieses Ergebnis gilt unabhängig davon, wie man zu der Lehre vom Doppelgrundrecht steht. Der Zurückdrängung der allgemeinen Vorschrift des Art. 19 Abs. 3 sind ihrerseits Grenzen durch die thematische Reichweite des zurückdrängenden Grundrechts, hier Art. 9 Abs. 3 GG, gezogen. Die Inländerklausel als eine speziell auf juristische Personen zugeschnittene Anwendungsvoraussetzung der Grundrechte geht in eventuellen Deutschenvorbehalten nicht auf; deren Fehlen schneidet den Rekurs auf sie nicht ab; von der Erübrigung des Art. 19 Abs. 3 GG durch Doppelgrundrechte ist die Inländerklausel nicht betroffen. 144 Das Koalitionsgrundrecht steht ausländischen juristischen Personen mithin nicht zu. b) Der internationale Anwendungsbereich der Koalitionsfreiheit ratione materiae Art. 9 Abs. 3 GG schützt die spezifisch koalitionsgemäße Betätigung in ihrem Kernbereich. Individuelle und kollektive Betätigung unterfallen nur dann seinem Schutzbereich, wenn sie diesen bestimmten Zweck verfolgen. Nicht spezifisch koalitionsgemäßes Handeln ist deshalb dem allgemeineren Grundrechtstatbestand des Art. 9 Abs. 1 GG zuzuordnen, auch wenn es von Koalitionen ausgeht. 145 Art. 9 Abs. 3 enthält also nicht nur in personeller Hinsicht - Koalition - , sondern auch in sachlicher Hinsicht - koalitionsgemäße Betätigung - eine Qualifikation gegenüber der lex generalis des Art. 9 Abs. 1 G G . 1 4 6 Die thematische Beschränkung des Grundrechtstatbestandes hat mög143

Siehe auch oben C. II. 2. a) bb) und cc). Im Ergebnis ebenso Bethge (1985), 52. 145 Z u dem Verhältnis der Absätze 1 und 3 des Art. 9: von Münch, B K , Art. 9, RNr. 117, 120; Pieroth / Schlink, RNr. 804; Scholz, M D , Art. 9, RNr. 7; Hugo Seiter, Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 9 Abs. 3 GG, A ö R 109 (1984), 88 (135f.). 146 Besonders deutlich hat das BVerfG dies in der Entscheidung zu den bremischen Arbeitnehmerkammern zum Ausdruck gebracht, wo es zwischen dem „eigentlichen Betätigungsfeld" der Gewerkschaften und ihren anderweitigen Aktivitäten unterscheidet; BVerfGE 38, 281 (306). 144

II. Der Auslandsbezug ausgewählter Freiheitsgrundrechte

195

licherweise auch eine internationale Dimension. Es ist deshalb zu prüfen, wie weit die auswärtigen und internationalen Beziehungen der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände von Art. 9 Abs. 3 GG gedeckt sind. Die Formel „Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" erweist sich bei erstem Hinsehen als auslandsneutral. „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" müssen nicht notwendig solche im Wirtschaftsraum der Bundesrepublik Deutschland sein, und die Tätigkeit des Wahrens und Förderns muß sich nicht notwendig dort vollziehen. Das heißt nun nicht, Art. 9 Abs. 3 GG gelte weltweit; die notwendigen Beschränkungen ergeben sich aus den Art. 1 Abs. 3 und 19 Abs. 3 GG. Es heißt nur, daß das Tatbestandsmerkmal „Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" keine weitere Einschränkung der Grundrechtsgewährleistung in internationaler Hinsicht enthält; das Fehlen eines Deutschenvorbehaltes wird also - anders als bei der Parteienfreiheit - nicht durch einen funktionalen Inlandsvorbehalt kompensiert. Angesichts der heute mondialen Verflechtung wäre eine Destillation allein der deutschen Arbeits- und Wirtschaftswelt für die Zwecke des Verfassungsrechts nicht gut möglich und würde zu einem Auseinanderreißen von Zusammenhängendem führen. Grundrechtstheoretisch kommt der somit gebotenen „weltoffenen" Deutung des Art. 9 Abs. 3 GG die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft zupaß, die in der hier vorgeschlagenen Fortschreibung eine verfassungsrechtlich nur durch überzeugende Wortlautargumente zu entkräftende Vermutung für eine umfassende, die internationalen Bezüge einschließende Grundrechtsgeltung begründet. Als Zwischenergebnis steht fest, daß die Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen auch verfassungsrechtlich in ihrem internationalen Kontext zu sehen ist. Die auswärtigen und internationalen Beziehungen der deutschen Gewerkschaften und der deutschen Arbeitgebervereinigungen sind durch Art. 9 Abs. 3 GG vor staatlichen Eingriffen geschützt, sofern es sich dabei um spezifisch koalitionsgemäße Betätigung handelt. Die Mitwirkung deutscher Koalitionen an europäischen und internationalen Zusammenschlüssen von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften läßt sich unter dieses Kriterium, bei aller ihm anhaftenden Unschärfe, ohne weiteres subsumieren. Und auch die Kontakte deutscher zu ausländischen Koalitionen (gegenseitiger Erfahrungsaustausch, finanzielle oder publizistische Unterstützung, gemeinsame Aktionen) sind für die deutscherseits Beteiligten verfassungsrechtlich grundsätzlich nicht anders zu beurteilen als vergleichbare Beziehungen unter Koalitionen im Inland. Gleiches gilt für Sympathiearbeitskämpfe. 147 Außerhalb des Gewährleistungsbereiches von Art. 9 Abs. 3 GG ist 147 Dazu zuletzt B A G D B 1985, 1695. Einer der vom B A G angesprochenen Rechtfertigungsgründe für einen Sympathiearbeitskampf (1697) dürfte gerade bei grenzüberschreitenden Konflikten von Interesse sein: der Arbeitskampf im Konzern. 13*

196

C. Grundrechtstatbestandliche Gewährleistung von Auslandskontakten

allgemeinpolitische Betätigung anzusiedeln, wie ζ. B. die Treffen von Gewerkschafts-, weniger von Arbeitgeberverbandsfunktionären mit ausländischen Politikern. Einen Grenzfall bilden die Verbindungen deutscher Gewerkschaften zu den Staatsgewerkschaften aus dem kommunistischen Machtbereich. Zum einen ist durch die beiderseitige Beteiligung von Gewerkschaften ein Indiz für eine Anknüpfung bei Art. 9 Abs. 3 GG gegeben - so sehr dieser Begriff im Ostblock auch verdreht wird. Zum anderen ist nicht zu übersehen, daß hier nicht zwei autonome gesellschaftliche Verbände einander gegenüberstehen, sondern der östliche Partner ein in die politische Gesamtverantwortung einbezogener Teil des Staatsapparates ist. Die Entscheidung über die Zuordnung zu Art. 9 Abs. 3 GG sollte davon abhängig gemacht werden, was im Einzelfall überwiegt, koalitionsspezifische oder allgemeinpolitische, konkret deutschland- oder ostpolitische Motive. Von Art. 9 Abs. 3 GG nicht erfaßt ist die Teilnahme der deutschen Sozialpartner an der Willensbildung der Europäischen Gemeinschaften oder internationaler Organisationen wie der Internationalen Arbeitsorganisation, soweit diese in Wahrnehmung internationaler Ämter erfolgt. 148 Die Absicherung der Mitarbeit gesellschaftlicher Gruppen im institutionellen Gefüge der Europäischen Gemeinschaften und Internationaler Organisationen ist nur auf der Grundlage des Primär- und Sekundärrechts der Organisation und dessen innerstaatlicher Umsetzung möglich. Wiederum anders verhält es sich mit dem internationalen Lobbyismus und sonstigen rechtlich nicht formalisierten oder institutionalisierten Kontakten der Koalitionen zu internationalen Organisationen 149 ; sie werden durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt.

4. Gewerbe- und Unternehmelfreiheit

Art. 12 Abs. 1 GG ist auch auf juristische Personen anwendbar. Das Wort „Beruf" steht dem nicht entgegen. Damit ist nicht nur die individuell-persönliche, sondern jede bestimmten Erwerbszwecken dienende Tätigkeit gemeint. Die in der Rechtsprechung letztmalig vom Verwaltungsgerichtshof Bebenhausen in seiner Entscheidung vom 28.09.1955 150 verfochtene Gegenposition dürfte heute überholt sein. Die unternehmerische Tätigkeit ist somit auch dann geschützt, wenn ihr Zurechnungssubjekt nicht Einzelunternehmer, sondern Personenhandelsgesellschaften oder juristische Personen sind. 151 148

Z u der Frage, ob Art. 24 Abs. 1 GG insoweit einschlägig ist, vgl. Β. I. 1., bei FN 13. 149 Z u denken wäre etwa an die Beschwerden, die die Berufsverbände von Arbeitnehmern oder Arbeitgebern gemäß Art. 24 der ILO-Satzung (BGBl. 1957 I I 318) an das Internationale Arbeitsamt richten können. 150 D ö V 1955, 733. 151 Siehe auch BVerfGE 30, 292 (312); 50, 290 (363).

I I . Der Auslandsbezug ausgewählter Freiheitsgrundrechte

197

a) Verfassungssystematische Überlegungen zu dem Verhältnis von Art. 1 Abs. 3 und Art. 19 Abs. 3 GG Aufgrund der Inländerklausel des Art. 19 Abs. 3 GG ist diese Gewährleistung auf solche Wirtschaftsunternehmen beschränkt, die ihren tatsächlichen Hauptsitz im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland haben. 152 Gegen diese herrschende Meinung hat jüngst Degenhart eingewandt, sie verkenne die ratio des Art. 19 Abs. 3. 1 5 3 Nur solchen ausländischen juristischen Personen sollten die Grundrechte vorenthalten bleiben, die sich nicht in einer Position inländergleicher Gewaltunterworfenheit befänden. Um diese These mit dem Wortlaut des Art. 19 Abs. 3 in Einklang zu bringen, schlägt Degenhart dessen teleologische Reduktion vor. Die Sonderbehandlung der wirtschaftlichen Betätigung ausländischer juristischer Personen - Degenharts Exemplifikationsobjekt - sei dann nicht mehr gerechtfertigt, wenn diese sich dem Zugriff der deutschen Staatsgewalt nicht einfach durch den Rückzug über die Grenze entziehen können, sondern, insoweit inländischen Unternehmen vergleichbar, ohne Ausweichmöglichkeit der deutschen Hoheitsgewalt ausgeliefert sind. Das Kriterium der Gewaltunterworfenheit spielt in der Tat bei der Bestimmung des internationalen Anwendungsbereiches der Grundrechte eine wichtige Rolle. Allerdings ist Art. 19 Abs. 3 GG verfassungssystematisch nicht der richtige Standort für ein kollisionsrechtliches „Gewalt"-Kriterium. Dies ist vielmehr Art. 1 Abs. 3 GG - eine Bestimmung, in deren Umfeld der Gewaltbegriff auch ausdrücklich vorkommt. 1 5 4 Art. 1 Abs. 3 GG ist eine allgemeine Vorschrift, die für alle Grundrechte in allen ihren Anwendungsmodi gilt und die auch die kollisionsrechtlichen Aspekte abdeckt. Das Kriterium der Gewalt-Unterworfenheit wird von ihr monopolisiert. Es zusätzlich bei Art. 19 Abs. 3 GG in Ansatz zu bringen, ist nur möglich, wenn man es dort begrifflich anders faßt. Während im Rahmen des Art. 1 152 Die von Steinbrück, 141 - 149, 196f., 198, vorgetragene These, die völkervertragliche Zusage der Inländergleichbehandlung räume die Sperre des A r t . 19 Abs. 3 G G weg, ist nicht haltbar. Sie verstößt gegen den Vorrang der Verfassung; so auch Bethge (1985), 52 - 55; Meessen (1970), 604; von Mutius, A r t . 19 Abs. 3, RNr. 52. Die Rechtfertigungsversuche, die Steinbrück unternimmt, vermögen nicht zu überzeugen. Es ist zwar zutreffend, daß der Inländerbegriff der Verfassung einfachgesetzlich vorgeprägt ist. Nur besteht immer noch ein Unterschied zwischen der Anlehnung der verfassungsrechtlichen Begriffsbildung an das einfache Gesetzesrecht und der Rechtsfolgenerstrekkung auf einen anderen Sachverhalt. Die Anordnung der Inländergleichbehandlung macht Ausländer nämlich nicht zu Inländern, sondern stellt sie diesen nur hinsichtlich der Folgen bestimmter Rechtssätze gleich. Den weiteren Einwand, bei seiner Konstruktion würde der personelle Gewährleistungsumfang des Grundrechtsteiles der Verfassung unter die auflösende Bedingung der Geltung von völkerrechtlichen Verträgen gestellt, räumt Steinbrück nicht aus, er verharmlost ihn nur. Ebenso wie Steinbrück argumentiert Degenhart, 167 f. ι « E U G R Z 1981, 162 - 165. 154

A u f die Begründung dieser These unter C. I. wird hier Bezug genommen.

198

C. Grundrechtstatbestandliche Gewährleistung von Auslandskontakten

Abs. 3 mit Gewaltunterworfenheit nicht mehr als das rechtliche Band gemeint ist, das die völkerrechtliche Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland zur Regelung eines bestimmten Sachverhaltes begründet, könnte man bei Art. 19 Abs. 3 verlangen, daß besondere tatsächliche Umstände hinzutreten müssen, die die Aufkündigung dieses rechtlichen Bandes durch den Grundrechtsträger erschweren. Es scheint, als wäre Degenhart trotz seiner von weitem an die Statuslehre erinnernden Formel von der inländergleichen Gewaltunterworfenheit so zu verstehen. Bloßen Faktizitäten unmittelbare grundrechtliche Bedeutung zuzuerkennen, kann jedoch nicht angehen. Das muß mit besonderem Nachdruck von den komplizierten, nur schwer durchschaubaren Zusammenhängen im Bereich der Wirtschaft gesagt werden. Typisierungen sind erforderlich, um die Kontingenz des ökonomischen Treibens überhaupt erst juristischer Würdigung zugänglich zu machen. Der Grundrechtsstatus (Art. 1 Abs. 3 GG) und das Sitzkriterium (Art. 19 Abs. 3 GG nach herrschender Meinung) sind solche auf ihre verfassungsrechtliche Legitimität hin geprüften Typisierungen. Dazwischen sind weitere Abschichtungen mit der für die juristische Arbeit erforderlichen Rationalität weder möglich, noch findet sich für sie im Grundgesetz irgendein Anhaltspunkt. Im übrigen muß man sich fragen, wann genau „inländergleiche Gewaltunterworfenheit" vorliegen soll. Streng genommen kann die Gewaltunterworfenheit einer ausländischen juristischen Person nie inländergleich sein, da ihr Aktionszentrum im Ausland liegt und sich dem Zugriff der deutschen Staatsgewalt grundsätzlich entzieht. In Betracht kommt vielmehr nur eine partielle Gewaltunterworfenheit, wobei durch das Attribut „inländergleich" deren besondere Intensität gefordert wird. Läßt man das für die kollisionsrechtliche Entscheidungsfindung unergiebige Intensitätskriterium beiseite, so besteht nach der Konzeption Degenharts der Sinn der Inländerklausel letztlich darin, zu statuieren, daß alle juristischen Personen im Rahmen ihrer Unterworfenheit unter die deutsche Staatsgewalt nach näherer Maßgabe der anderen Kautelen des Art. 19 Abs. 3 GG grundrechtsfähig sind. Dies ergibt sich aber schon aus Art. 1 Abs. 3 GG. Degenharts Interpretationsvorschlag degradiert somit die Inländerklausel zu einer bloßen Wiederholung der ihrerseits nicht auf natürliche Personen limitierbaren Aussage des Art. 1 Abs. 3 GG. Den Schlüssel zu einem im Verhältnis zu dieser Verfassungsnorm selbständigen Regelungsbereich der Inländerklausel birgt die Unterscheidung zwischen vollem und partiellem Grundrechtsstatus. Voller Grundrechtsstatus kommt ausländischen juristischen Personen nicht zu, da sie nie voll, sondern allenfalls teilweise der deutschen Hoheitsgewalt unterstehen. Insoweit konzediert Art. 1 Abs. 3 GG ihnen einen partiellen Grundrechtsstatus. Auch diesen auszuschließen, bleibt als Regelungsaufgabe für Art. 19 Abs. 3 GG übrig. Auch im Falle inländergleicher partieller Gewaltunterworfenheit verhilft die Inländerklausel einer ausländischen juristischen Person nicht zu Grundrechts-

II. Der Auslandsbezug ausgewählter Freiheitsgrundrechte

199

schütz. Im Gegenteil: Ihre Aufgabe liegt gerade darin, diesen nach Art. 1 Abs. 3 GG nicht nur bei inländergleicher, sondern bei jeder Art von Gewaltunterworfenheit grundsätzlich bestehenden Grundrechtsschutz auszuschließen. Die Entscheidung darüber, ob einer juristischen Person voller oder allenfalls partieller Grundrechtsstatus zukommt, hängt im wesentlichen von der Belegenheit ihres Hauptsitzes ab. Die hier vorgeschlagene verfassungssystematische Zuordnung von Art. 1 Abs. 3 und Art, 19 Abs. 3 GG deckt sich deswegen mit der Deutung, die die herrschende Lehre dem Inländerbegriff 155 des Art. 19 Abs. 3 GG gibt. Der Deutschenvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 GG hat für juristische Personen keine Auswirkungen. 156 b) Die außenwirtschaftliche

Betätigung

Die Freiheit des Außenwirtschaftsverkehrs - d.h. insbesondere die Freiheit, Auslandsgeschäfte zu tätigen, Waren, Dienstleistungen und Kapital in beide Richtungen über die Grenze zu transferieren, mit ausländischen Partnern zusammenzuarbeiten oder Unternehmen im Ausland zu gründen oder zu aquirieren - ist allen im Bundesgebiet ansässigen Unternehmen nicht nur durch § 1 Abs. 1 Satz 1 A WG, sondern durch die einschlägigen Grundrechtsbestimmungen, die Art. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG, umfassend, aber zugleich mit zum Teil einschneidenden Ausgestaltungs- und Einschränkungsvorbehalten gewährleistet. 157 5. Die Informationsgrundrechte

a) Pressefreiheit Die Pressefreiheit ist als Jedermannsgrundrecht ausgestaltet. Ausländer und Staatenlose können sich auf das Grundrecht also in gleicher Weise berufen wie Inländer. 158 Die Pressefreiheit gehört weiterhin zu denjenigen Grundrechten, die ihrem Wesen nach auf juristische Personen anwendbar sind. 159

155

Z u dieser zusammenfassend Dürig, M D , Art. 19 Abs. I I I , RNr. 31; Hendrichs, vM, Art. 19, RNr. 32; von Mutius, B K , Art. 19 Abs. 3, RNr. 54. 156 Siehe oben C. II. 2. a) cc), bei FN 113. 157 Dazu Hocke / Berwald / Maurer, § 1 A WG, Anm. 1; Ipsen (1967), 50ff. ; Putzier, 15 f. Die Schrankenproblematik wird in Teil E der Arbeit ausführlich behandelt. 1 58 Im wesentlichen unstreitig; vgl. Löffler, § 1, RNr. 65ff. 159 Starck, v M K , Art. 5, RNr. 111.

200

C. Grundrechtstatbestandliche Gewährleistung von Auslandskontakten

aa) Ausländische Berichterstattung über die Bundesrepublik Vereinzelt wird die Auffassung vertreten, die Pressefreiheit stehe Ausländern dann nicht zu, wenn ihre Pressetätigkeit sich auf innerdeutsche Angelegenheiten beziehe und auf die politische Willensbildung des deutschen Volkes einwirke, denn die Gestaltung der politischen Willensbildung in der Bundesrepublik sei allein dem demokratischen Souverän, dem deutschen Volk, vorbehalten. 160 Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden. Eine Aufspaltung des Grundrechts in verschiedene inhaltliche Gewährleistungsdimensionen mit daran anknüpfenden Folgen hinsichtlich der Grundrechtsträgerschaft ist nicht statthaft. Die Berechtigung solcher Differenzierungen - etwa in öffentlichen oder privaten, politischen oder unpolitischen, staatsgerichteten oder auslandsgerichteten Grundrechtsgebrauch - soll damit nicht grundsätzlich in Abrede gestellt werden. Nur ist die verfassungsrechtlich durch die Regelung in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG eindeutig geklärte Frage der Grundrechtsberechtigung dafür keine geeignete Bezugsgröße. Der Verfassunggeber hat Art. 5 Abs. 1 GG zum Menschenrecht erhoben, obwohl die darin verbürgten Rechte auch in politisch-staatsbürgerlichem Sinne ausgeübt werden können. Die Art. 8 Abs. 1 und 9 Abs. 1 GG hingegen sind den Deutschen vorbehalten, obwohl Versammlungen und Vereinigungen auch durchaus unpolitisch-privaten Charakter haben können. Die Entscheidung sollte man respektieren. Eine andere Auffassung tendiert dahin, auch juristischen Personen aus dem Ausland den Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG zuteil werden zu lassen, weil es sich bei diesem Grundrecht um ein Menschenrecht handele; Art. 19 Abs. 3 GG gelte insoweit nicht. 1 6 1 Auch diese Rechtsansicht ist unrichtig. Die Inländerklausel des Art. 19 Abs. 3 GG hat mit den einzelgrundrechtlichen Deutschenvorbehalten nichts zu tun, findet also unabhängig davon Anwendung, ob das jeweils einschlägige Grundrecht unter Deutschenvorbehalt steht. 162 Ausländische Presseunternehmen sind bei ihrer Inlandstätigkeit - z.B. der Sammlung von Informationen oder dem Vertrieb von Presseerzeugnissen - nicht durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützt. Daraus folgt weiter, daß auch der im Inland tätige Berichterstatter eines ausländischen Presseunternehmens keinen Grundrechtsschutz genießt. Die Grundrechtsunfähigkeit seines Arbeitgebers schlägt auf ihn durch, soweit seine berufliche Tätigkeit in Rede steht. Da juristische Personen nur durch natürliche Personen handeln können, würde die Inländerklausel des Art. 19 160

Darstellung der verschiedenen Meinungen bei Dolde, 92 - 9 8 , zur Pressefreiheit ebd., 95 und 98. 161 So Hendrichs, vM, Art. 19, RNr. 33; Löffler, § 1, RNr. 67 und 129; von Münch, vM, Art. 5, RNr. 4; a. Α . : Bethge (1985), 52; Starck, v M K , Art. 5, RNr. 112. 162 Vgl dig Ausführungen zu dem Parallelproblem bei Art. 9 Abs. 3 GG unter C. II. 3. a), bei FN 143.

II. Der Auslandsbezug ausgewählter Freiheitsgrundrechte

201

Abs. 3 GG hinfällig, wollte man anders votieren und die Einzelperson, die im Schutzbereich eines Grundrechts für die juristische Person auftritt, für grundrechtsfähig erachten. Ausländische Journalisten können sich demgemäß weder bei ihrer Einreise noch bei ihrer Berichterstattung noch gegenüber ausländerbehördlichen Maßnahmen auf die Pressefreiheit berufen. Das schließt es andererseits nicht aus, daß der einfache Gesetzgeber sie ihren deutschen Kollegen gleichstellt, wie das ζ. B. bei der Regelung des sogenannten Informationsanspruches der Presse gegenüber Behörden geschehen ist. 1 6 3 Das Ergebnis - kein Grundrechtsschutz für die Inlandsberichterstattung der ausländischen Presse - mag überraschen und als rechtspolitisch mißliebig empfunden werden. Angesichts der weiten, alle juristischen Personen unterschiedslos betreffenden Fassung des Art. 19 Abs. 3 GG ist es aber unvermeidlich. Auch der Versuch, mit der objektivrechtlichen oder institutionellen Seite der Pressefreiheit hier Abhilfe zu schaffen, ist zum Scheitern verurteilt. Beide Ansätze können nicht weiter reichen als ihre subjektivrechtliche Grundlage. Die Formulierung „Pressefreiheit" darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß Gewährleistungssubjekt nicht das Abstraktum „Presse", sondern die einzelnen Verlage und die in ihnen tätigen Personen sind, wobei sich deren Grundrechtsfähigkeit nach den allgemeinen Regeln richtet. Im übrigen ist merkwürdigerweise bei den Mediengrundrechten eine Tendenz festzustellen, mittels institutioneller und objektivierender Grundrechtskonzepte die deutsche Medienlandschaft gegen Einflüsse aus dem Ausland abzuschütten. Dies zeigt sich mit besonderer Deutlichkeit bei der Rundfunkfreiheit, gilt aber auch für die Pressefreiheit. 164 Was schon der privaten Auslandspresse vorenthalten bleibt, ist für die halbamtlichen oder amtlichen Presseorgane fremder Staaten erst recht unerreichbar. Als staatliche Organe sind sie und ihre Angestellten per se grundrechtsunfähig. 165 bb) Auslandsberichterstattung der deutschen Presse Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG schützt grundsätzlich alle mit der Presse zusammenhängenden Tätigkeiten und alle in ihr tätigen Personen. 166 Ein Grund, weshalb dieser umfassende Schutz nicht auch für die Auslandsberichterstattung der deutschen Presse gelten soll, ist nicht ersichtlich. Daß im Bereich der auswärtigen und internationalen Politik stärkere Veranlassung zu staatlicher ι « Z . B . in § 4 LPG N R W ; dazu Löffler, § 4, RNr. 33. i