Aristoteles Werke: Band 18, Teil 1 Opuscula, Teil 1 [Reprint 2021 ed.]
 9783112593882, 9783112593875

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ARISTOTELES OPUSCULA I

DEM A N D E N K E N AN FRANZ DIRLMEIER (-j-9. 6.1977)

ARISTOTELES WERKE IN D E U T S C H E R

ÜBERSETZUNG

BEGRÜNDET

VON

E R N S T GRUMACH HERAUSGEGEBEN

HELLMUT

VON

FLASHAR

B A N D 18

OPUSCULA TEIL I

AKADEMIE.VERLAG 1986

BERLIN

ARISTOTELES OBER D I E T U G E N D

Ü B E R S E T Z T

UND

E R L Ä U T E R T

VON

E R N S T A. S C H M I D T

D r i t t e , gegenüber der zweiten bearbeiteten, durchgesehene Auflage

AKADEMIE-VERLAG 1986

BERLIN

Dieser Kommentar ist die leicht geänderte Fassung einer Untersuchung, die 1964 der Philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg als Dissertation vorgelegen hat.

ISBN 3-05-000011-2 ISBN 3-05-000025-2 Erschienen im Akademie-Verlag Berlin, DDR-1086 Berlin, Leipziger Straße 3 — 4 © Akademie-Verlag Berlin 1986 (1965) Lizenznummer: 202 • 100/11/86 Printed in the German Democratic Republic Gesamtherstellung: VEB Druckerei „Thomas Müntzer", 5820 Bad Langensalza LSV0116 Bestellnummer: 7500328 (3022/18/1) 01800

Über die Tugend 1. L o b e n s w e r t i s t d a s S i t t l i c h s c h ö n e , t a d e l n s w e r t d a s S c h i m p f l i c h e . 49 a 26 D a s S i t t l i c h s c h ö n e f ü h r e n die T u g e n d e n a n , d a s S c h i m p f l i c h e die F e h l e r . L o b e n s w e r t sind a b e r a u c h die U r s a c h e n der T u g e n d e n u n d 5 w a s die T u g e n d e n b e g l e i t e t , w a s a u s i h n e n e n t s t e h t u n d ihre W e r k e , 30 tadelnswert aber ist d a s Entgegengesetzte. N i m m t m a n die Seele n a c h P i a t o n als dreigeteilt a n , | so ist die T u g e n d 49 b 26 d e s v e r n ü n f t i g e n T e i l s die V e r s t ä n d i g k e i t , die d e s m u t h a f t e n die Gel a s s e n h e i t u n d die T a p f e r k e i t , die d e s b e g e h r e n d e n die B e s o n n e n h e i t 10 u n d die B e h e r r s c h t h e i t , die der g a n z e n Seele die G e r e c h t i g k e i t u n d die G r o ß z ü g i g k e i t u n d die Seelengröße. F e h l e r d e s v e r n ü n f t i g e n Teils i s t 3 9 d e r U n v e r s t a n d , d e s m u t h a f t e n die H e f t i g k e i t u n d die F e i g h e i t , d e s b e g e h r e n d e n die Z ü g e l l o s i g k e i t u n d | die U n b e h e r r s c h t h e i t , der g a n z e n so a Seele die U n g e r e c h t i g k e i t u n d die K n a u s e r i g k e i t u n d d e r kleine 15 G e i s t .

2 . E s i s t a b e r V e r s t ä n d i g k e i t die T u g e n d d e s v e r n ü n f t i g e n Seelenteils, die v e r s c h a f f t , w a s z u g l ü c k l i c h e m L e b e n f ü h r t . G e l a s s e n h e i t ist eine T u g e n d d e s m u t h a f t e n T e i l e s , g e m ä ß welcher m a n g e g e n ü b e r s Z o r n e s w a l l u n g e n schwer e r r e g b a r w i r d . T a p f e r k e i t i s t eine T u g e n d des 20 m u t h a f t e n T e i l e s , g e m ä ß welcher m a n v o n T o d e s f u r c h t schwer in Schrecken versetzt wird. Besonnenheit ist eine T u g e n d des begehrend e n Teiles, g e m ä ß welcher m a n k e i n V e r l a n g e n h a t n a c h d e m G e n u ß schlechter L u s t . B e h e r r s c h t h e i t i s t eine T u g e n d des b e g e h r e n d e n 10 T e i l e s , g e m ä ß welcher m a n m i t d e r V e r n u n f t die B e g i e r d e n i e d e r h ä l t , 25 die sich a u f s c h l e c h t e L u s t s t ü r z t . G e r e c h t i g k e i t i s t eine T u g e n d der S e e l e , die d a s G e b ü h r e n d e z u t e i l t . G r o ß z ü g i g k e i t i s t eine T u g e n d der Seele, die gern A u f w a n d t r e i b t f ü r s c h ö n e Z w e c k e . Seelengröße i s t eine T u g e n d der Seele, g e m ä ß welcher m a n G l ü c k u n d U n g l ü c k , E h r e u n d 15 Unehre ertragen kann.

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Über die Tugend

3. Unverstand ist der Fehler des vernünftigen Seelenteiles, Ursache schlechten Lebens. Heftigkeit ist ein Fehler des muthaften Teiles, gemäß welchem man gegenüber Zorneswallung leicht erregbar wird. Feigheit ist ein Fehler des muthaften Teiles, gemäß welchem man sich 20 von Furcht, besonders der den Tod betreffenden, erschrecken läßt, s Zügellosigkeit ist ein Fehler des begehrenden Teiles, gemäß welchem man nach dem Genuß schlechter Lust verlangt. Unbeherrschtheit ist ein Fehler des begehrenden Teiles, gemäß welchem man die schlechte Lust erwählt, obwohl die Vernunft entgegensteht. Ungerechtigkeit 25 ist ein Fehler der Seele, gemäß welchem man Vorteile gegen das Ge- io bührende zu gewinnen sucht. Knauserigkeit ist ein Fehler der Seele, gemäß welchem man nach Gewinn von überallher verlangt. Kleiner Geist ist ein Fehler der Seele, gemäß welchem man unfähig ist, Glück und Unglück und Ehre und Unehre zu ertragen. 3» 4. Der Verständigkeit ist eigentümlich, sich gut zu beraten, die is Güter und die Übel und alles, was im Leben zu wählen und zu fliehen ist, gut zu beurteilen, von den gegebenen Gütern guten Gebrauch zu machen, im Umgang das Rechte zu treffen, die Gelegenheiten im Blick 35 zu haben, scharfsinnig in Wort und Tat zu sein, Erfahrung in allem Nützlichen zu haben. Gedächtnis und Erfahrung und gesellschaftlicher 20 Takt und Wohlberatenheit und Scharfsinn gehen entweder alle aus der Verständigkeit hervor oder begleiten die Verständigkeit; oder sie sind teils gewissermaßen Mitursachen der Verständigkeit, wie die Erfahrung und das Gedächtnis, teils gewissermaßen Teile, wie Wohlberatenheit 40 und Scharfsinn. — Der Gelassenheit ist eigentümlich, Vorwürfe und 2s Geringschätzung zu ertragen, wenn sie nicht allzu groß sind, und sich nicht schnell auf Raphe zu stürzen und gegenüber Zorneswallungen nicht leicht erregbar, sondern der Veranlagung nach ohne Bitterkeit und unstreitsüchtig zu sein und Ruhe und Beständigkeit in der Seele zu haben. — Der Tapferkeit ist eigentümlich, sich von Todesfurcht 30 45 schwer in Schrecken versetzen zu lassen und beherzt in schlimmen 50 b Lagen | und kühn gegenüber Gefahren zu sein und es vorzuziehen, ehrenvoll zu sterben als sich auf schimpfliche Art zu retten, und Ursache des Sieges zu sein. E s ist der Tapferkeit aber auch eigentümlich, sich zu mühen und standzuhalten und seine Mannhaftigkeit unter 35 5 Beweis zu stellen. E s begleiten aber die Tapferkeit die Kühnheit und die Zuversichtlichkeit und die Beherztheit, ferner die Bereitwilligkeit, Mühen zu ertragen, und die Standhaftigkeit. — Der Besonnenheit ist eigentümlich, den Genuß körperlicher Lust nicht anzustaunen und

Kapitel 3—6

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ohne Verlangen nach jeder Genuß bereitenden schimpflichen Lust zu sein, den schlechten Ruf zu f ü r c h t e n und im Leben geordnet zu sein, io gleicherweise im Kleinen und im Großen. Es begleiten aber die Besonnenheit Ordnung, Anstand, Schamgefühl, Vorsicht. 5. Der Beherrschtheit ist eigentümlich, mit der Vernunft die Begierde niederhalten zu können, die sich auf schlechten Genuß von Lust stürzt, und standzuhalten und natürlichen Mangel u n d Unlust aus- is halten zu können. — Der Gerechtigkeit ist eigentümlich, das Gebührende zuzuteilen, die überlieferten Bräuche und Sitten zu bewahren, die geschriebenen Gesetze zu bewahren, wahrhaftig zu sein, wo es darauf a n k o m m t , sich an Abmachungen zu halten. An erster Stelle steht das Gerechte gegenüber den Göttern, dann das gegenüber den Dämo- 20 nen, d a n n das gegenüber Vaterland und Eltern, dann das gegenüber den Verstorbenen. Darin besteht auch die Frömmigkeit, die entweder ein Teil der Gerechtigkeit ist oder sie begleitet. Es begleiten aber die Gerechtigkeit die Pietät und die Wahrhaftigkeit und die Zuverlässigkeit und der H a ß der Bösen. — Der Großzügigkeit ist eigentümlich, f ü r lobenswerte Zwecke Geld fließen zu lassen und verschwenderisch 25 zu sein in Ausgaben, wofür es sich gehört, und hilfreich zu sein mit Geldausgaben u n d nicht zu nehmen, woher es sich nicht gehört. Es ist aber der Großzügige reinlich in bezug auf Kleidung und W o h n u n g und geneigt, entbehrliche, schöne und angenehmen Zeitvertreib ohne 30 einen Nutzen vermittelnde Dinge anzuschaffen u n d Tiere zu halten, die etwas Eigentümliches oder Wunderbares an sich haben. Es begleiten aber die Großzügigkeit die Geschmeidigkeit und Nachgiebigkeit des Charakters und Menschenfreundlichkeit, sowie barmherzig zu sein und ein Freundesfreund und ein Gastfreund u n d ein Liebhaber des Schönen. — Der Seelengröße ist eigentümlich, Glück und Unglück, E h r e und Unehre angemessen zu ertragen und weder 35 Luxus noch Gefolge noch Vermögen noch Siege in Kampfspielen anzustaunen, sondern eine gewisse Tiefe und Größe der Seele zu haben. Es ist aber der Seelengroße weder einer, der das Leben hochschätzt, noch ist er lebensgierig; er ist der Veranlagung nach 40 gerade und edel und k a n n Unrecht ertragen und ist nicht rachsüchtig. Es begleiten aber die Seelengröße Geradheit und W a h r haftigkeit. 6. Dem Unverstand ist eigentümlich, die Angelegenheiten schlecht zu beurteilen, sich schlecht zu beraten, im Umgang Fehler zu machen, von den gegebenen Gütern falschen Gebrauch zu machen, falsche «

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Über die Tugend

5i a Meinungen | über das für das Leben Gute und Schöne zu haben. Es begleiten aber den Unverstand Dummheit, Unerfahrenheit, Unbeherrschtheit, linkisches Wesen, Vergeßlichkeit. — Von der Heftigkeit gibt es drei Arten, Jähzorn, Verbitterung, finsterer Unmut. Es kenn5 zeichnet aber den Heftigen, weder unbedeutende Geringschätzung s noch Zukurzkommen ertragen zu können, gern zu strafen und rachsüchtig und leicht gegenüber Zorneswallung erregbar zu sein durch beliebige Worte oder Taten. Es begleiten aber die Heftigkeit die Veranlagung zu leichter Reizbarkeit und Stimmungswandel und die Kleinlichkeit, sowie über Kleinigkeiten sich zu verdrießen und in io io diesen Zustand schnell zu kommen und nur kurze Zeit in ihm zu bleiben. — Der Feigheit ist eigentümlich, von beliebiger Furcht leicht erregt zu werden und besonders der den Tod und Körperverletzungen betreffenden, und zu meinen, es sei besser, sich auf welche Weise auch immer zu retten, als ehrenvoll zu sterben. Es begleiten aber die Feig- is 15 heit Weichlichkeit, Unmännlichkeit, Scheu vor Mühen, Lebensgier. Es liegt ihr aber auch eine gewisse Vorsicht zugrunde und eine unstreitsüchtige Veranlagung. — Der Zügellosigkeit ist eigentümlich, den Genuß der schädlichen und schimpflichen Lust zu wählen und zu meinen, glückselig seien am meisten, die in solcher Lust leben, und eine 20 20 Vorliebe für das Lächerliche, Spott und Scherz zu haben und leichtfertig in Worten und Taten zu sein. Es begleiten aber die Zügellosigkeit Ungeordnetheit, Schamlosigkeit, Liederlichkeit, Luxus, Leichtsinn, Sorglosigkeit, Nachlässigkeit, Schwäche. — Der Unbeherrschtheit ist eigentümlich, den Genuß der Lust zu wählen, obwohl die Ver- 25 25 nunft entgegensteht, und trotz der Meinung, es sei besser, an ihr nicht teilzuhaben, nichtsdestoweniger teilzuhaben, und zu glauben, man müsse das Schöne und Zuträgliche tun, von ihm aber abzustehen der Lust wegen. Es begleiten aber die Unbeherrschtheit Weichlichkeit, Sorglosigkeit und das meiste, das auch die Zügellosigkeit be- 30 gleitet. 30

7. Von der Ungerechtigkeit gibt es drei Arten, Gottlosigkeit, Eigennutz, Übermut. Gottlosigkeit ist das falsche Verhalten gegenüber den Göttern und gegenüber den Dämonen und gegenüber den Verstorbenen und gegenüber Eltern und Vaterland. Eigennutz ist das falsche Ver- 35 halten in vertraglichen Beziehungen, indem er sich gegen Gebühr Geld nimmt. Übermut (ist eine Ungerechtigkeit), gemäß welcher man 35 sich ein Vergnügen bereitet, indem man andere in Schande bringt, weshalb Euenos über sie sagt:

Kapitel 6—8

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„Welche Gewinn zwar nicht bringt, Unrecht dennoch verübt." E s ist aber der Ungerechtigkeit eigentümlich, die überlieferten Bräuche und Sitten zu übertreten, den Gesetzen und den Herrschenden nicht zu gehorchen, | zu lügen, Meineide zu schwören, Abmachungen und 51 b s Zusicherungen zu übertreten. Es begleiten aber die Ungerechtigkeit Denunziantentum, Prahlerei, vorgetäuschte Menschenliebe, Bosheit, Gerissenheit. — Von der Knauserigkeit gibt es drei Arten, schmutzige Gewinnsucht, Geiz, Knickerei. Schmutzige Gewinnsucht (ist ein 5 Fehler), gemäß welchem man Gewinn von überallher sucht und den io Gewinn über die Schande setzt. Geiz (ist ein Fehler), gemäß welchem man kein Geld aufwendet, wofür es sich gehört. Knickerei (ist ein Fehler), gemäß welchem man zwar Aufwendungen macht, aber in kleinen Dosen und schlecht und mehr geschädigt wird dadurch, daß io man nicht zu rechter Zeit das Geld ausgibt. Es ist aber der Knauserig15 keit eigentümlich, Geld am höchsten zu schätzen und nichts von dem für Schande zu halten, was Gewinn bringt; und das Leben eines Knechts, nach Sklavenart und schmutzig, aller Ehrliebe und freien Art fremd. Es begleiten aber die Knauserigkeit Kleinlichkeit, finsterer is Unmut, kleiner Geist, niedriger Sinn, Maßlosigkeit, Gemeinheit, 20 Menschenhaß. •—Dem kleinen Geist ist eigentümlich, weder Ehre-noch Unehre, weder Glück noch Unglück ertragen zu können, sondern sich über eine Ehrung aufzublasen und über kleinen Glücksfall außer sich zu geraten, Unehre aber auch nicht die geringste ertragen zu können, 20 jedes beliebige Pech für ein großes Unglück zu halten, über alles zu 25 jammern und sich schwer zu tun. Ferner ist ein kleiner Geist von der Art, daß er jede Geringschätzung Beleidigung aus Übermut und Ehrabschneidung nennt, auch solche, die aus Unwissenheit oder Vergeßlichkeit herrührt. Es begleiten aber den kleinen Geist Kleinlichkeit, 2s Nörgelsucht, Pessimismus, niedriger Sinn. 30 8. Im Ganzen ist es der Tugend eigentümlich, den Zustand der Seele gut zu machen, daß sie sich nämlich ruhig und geordnet bewegt und unter allen ihren Teilen Zusammenklang herrscht. Daher gilt auch der Zustand einer guten Seele als Modell einer guten Verfassung. 30 Es ist der Tugend auch eigentümlich, den Würdigen Gutes zu er35 weisen, die Guten zu lieben und die Schlechten zu hassen, und weder gern zu strafen noch rachsüchtig zu sein, sondern milde und wohlwollend und verzeihend. Es begleiten aber die Tugend Güte, Billigkeit, Wohlmeinendheit, Optimismus, Erkenntlichkeit, ferner auch solches, wie Freund der Angehörigen, Freundesfreund, Gefährtenfreund, Gast- 35

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Über die Tugend

freund zu sein, menschenfreundlich zu sein und ein Liebhaber des Schönen. Das alles also gehört zu dem, was gelobt wird. Der Schlechtigkeit aber ist das Entgegengesetzte eigentümlich, und es begleitet sie das Entgegengesetzte; alles der Schlechtigkeit Eigentümliche und sie Begleitende gehört zu dem, was getadelt wird.

EINLEITUNG 1. Überlieferung

und

Titel

Die Schrift liegt àgerrjg des aristotelischen Corpus, p. 1249—1251 Bekker, (maßgebliche Ausgabe: Susemihl 1884) ist nicht n u r über Aristoteleshandschriften auf u n s gekommen, sondern auch ganz i m Florilegium des Stobaeus e n t h a l t e n ( S t o b . I I I , Hense, 137,6—148,12), sowie in d e m Werk/Zegi nadöiv des Pseudo-Andronicus bis auf den Epilog ( V V 5 1 b 26—39), ausgeschrieben u n d u m stoische Einschübe ergänzt, wobei n u r die Reihenfolge geändert worden ist. (Ausgabe: S c h u c h h a r d t 1883; dort 6—8 zur Art, wie das Material aus VV u m g r u p p i e r t worden ist.) André Wartelle, I n v e n t a i r e des manuscrits grecs d'Aristote, 1963 verzeichnet 56 H a n d s c h r i f t e n , die VV enthalten. (Dieser K a t a l o g berücksichtigt, natürlich die Stob.- u n d Ps.-And.-Hss. nicht.) Von den Codices, die Susemihl in seiner Ausgabe herangezogen h a t , fehlen in diesem Verzeichnis drei, u n d zwar der Cod. Monac. 289 ( K c ; diese Hs. befindet sich jedoch in München, wie mir Herr Dr. W. H ö r m a n n , der Direktor der H a n d s c h r i f t e n a b t e i l u n g der Bayerischen Staatsbibliothek München, brieflich mitteilte), der Cod. Bodl. Barocc. 131 (O c ) u n d der Cod. Oxon. Rawl. 93 (N c ). Elf H a n d s c h r i f t e n e n t s t a m m e n der Zeit vor 1400 (Codices mit der Angabe XIV—XV s. sind nicht mitgezählt). Die älteste ist der Cod. Mosqu. 231 (Wartelle Nr. 1080), der im J a h r e 932 von Stylianos f ü r den Erzbischof Arethas geschrieben wurde. Vgl. A. Sonny, De libelli liegt àgeTWV xai xaxiwv codice Mosquensi, Philologitscheskoj e Obosrenije V I I 1,1894, 97—102 ; die H a n d s c h r i f t wurde von Sonny erst nach Susemihls Ausgabe entdeckt. Der Leipziger Codex gr. 16 (Wartelle Nr. 771) e n t s t a m m t nach der Angabe bei Wartelle d e m 9./10. J h . Preisendanz h a t ihn jedoch nach Durchsicht der Fotokopie auf 12./13. J h . datiert. D a m i t ist er ungefähr ebenso alt wie der Paris. 1854 ( L b ; nach Susemihl Praef. X X X I I Anfang 13. Jh.). Auch der Lipsiensis ist im Susemihlschen App. nicht herangezogen. Bei der I n t e r p r e t a t i o n werden a n allen wichtigen textkritisch strittigen Stellen die Lesarten der beiden g e n a n n t e n Hss. mit berücksichtigt werden. Die des Mosqu. sind einer Liste in dem zitierten Aufsatz von Sonny e n t n o m m e n , in der alle Abweichungen v o m Susemihlschen T e x t a u f g e f ü h r t sind; v o m Lips. stand mir eine Fotokopie zur Verfügung, da mir die Leipziger Universitätsbibliothek dankenswerterweise einen Mikrofilm zugesandt h a t . — Sigla f ü h r e ich f ü r diese Hss. nicht ein, d a m i t sie sich besser von den u n t e r Susemihls sigla aufg e f ü h r t e n Hss. als neu hinzugetreten abheben. I m Z u s a m m e n h a n g mit einer der aristotelischen E t h i k e n oder allen oder auch m i t E x z e r p t e n u n d Definitionen von Tugenden u n d Fehlern aus den E t h i k e n

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Einleitung

ist VV in zwölf Hss., zusammen mit De mundo sechzehnmal überliefert (vgl. Wartelle). Welchen Titel die Mehrzahl der Ar.-Hss. bietet, ist aus dem Schweigen Susemihls und Schuchhardts über die Uberlieferung in diesem P u n k t nicht zu entnehmen. Die Angabe „nsgi âgeTWV xai xaxtwv Ps.-Arist." im App. zum Titel der Schrift bei Stobaeus I I I (Hense) 137,6 ist nur die Berufung auf die bei Susemihl mit Selbstverständlichkeit benutzte Titelform. Die beiden ältesten Handschriften, der Cod. Mosqu. und der Cod. Lips., wie ebenfalls der dem Mosqu. von allen Ar.-Hss. am nächsten stehende Cod. LaurT 7,35 ( F c ; vgl. Sonny a. 0 . 99f.; nach Susemihl 14. J h . , Wartelle I3./14. J h . ; die Hs. stand mir in einer Fotokopie zur Verfügung) haben als Titel: 'AQIOTOTÉÀOVÇ TIEQL àgEzrjç. (Über den Titel der armenischen Übersetzung aus dem 8-/9. J h . , deren Vorlage mit der Familie /7 1 (F C H C ), damit also von den gerade genannten Hss. nicht nur dem Cod. Laur. (F c ), sondern auch dem Mosqu., verwandt zu sein scheint, erfahren wir von Susemihl, Berliner philol. Wochenschrift 1893, 1256 f. nichts.) Da der Mosqu. und der Lips. verschiedenen Familien angehören, h a t ihre Ubereinstimmung hinsichtlich des Titels großes Gewicht. So werden ihre gemeinsamen Abweichungen vom Susemihlschen Text in drei von vier Fällen von allen Ar.-Hss., die Susemihl erfaßt h a t , geteilt; unter insgesamt etwa vierzig Fällen stehen diese beiden Hss. keinmal allein gegen die gesamte sonstige Überlieferung. Die Gestalt des Titels gehört aber nicht zu den Fällen, in denen alle Ar.-Hss. mit Mosqu. und Lips. übereinstimmen. Der Titel des in der Heidelberger Universitätsbibliothek aufbewahrten Cod. Palat. gr. 132 (M c ) aus dem 15. J h . l a u t e t : àpiaxoréhovç TiEgi âoerojv ; die drei Münchner Hss. haben folgende Titel (briefliche Information durch Herrn Dr. W. H ö r m a n n ) : der Cod. Monac. 495 (L c , 14./15. J h . ) : àgiaroré^ovç negi dgerojv, 289 ( K c , 15. J h . ) : negi TCÜV dgercHv xai xaxiwv, 102 (I e , 16. J h . ) : àoiarozéXovç negl ägeTÖrv. Dieses Ergebnis der Überprüfung der vier außer dem Leipziger Codex in Deutschland befindlichen Hss., Ergebnis zufälliger Stichproben, erschüttert die Autorität des Titels nEgi âgerrjç nicht, weil erstens diese H a n d schriften dem 14.—16. J h . angehören und zweitens ihr Titel nicht untereinander übereinstimmt, nicht als eigentlich fixiert erscheint und offenbar gerade in der Überlieferung des Titels einige Willkür herrscht. Noch weniger k a n n diese Stichprobe den Titel negi ägerwv xai xaxtwv rechtfertigen (in der von Susemihl, Neue J b . f. Philol. u. Pädagogik 48, 117 (1878), 628 mitgeteilten Beschreibung des Cod. Paris. 1854 (L b ) durch Graux i s t V V „le traité aristotélique TIEQL ÀQEXŒV xai xaKiow" genannt, doch wohl nach dem Titel in der Hs.), wenn er sich auch in der Überlieferung allmählich durchgesetzt haben sollte. Ob sich der Titel negi âgETijç auch noch in späteren Hss. findet, habe ich nicht weiter untersucht. Wartelle, der unsere Schrift im allgemeinen als VV verzeichnet, f ü g t jedoch beim Cod. Paris. ,1038 aus dem 14. J h . (Nr. 1309) hinter der Angabe „ V V " in Klammern „de v i r t u t e " bei; beim Paris. 2381 (Nr. 1533, 15. Jh.) lautet seine Angabe : „VV, seu de v i r t u t e " . F ü r den Cod. Vat. Barberinianus gr. 399 (Nr. 1887) verzeichnet er VV sogar nur als „de virtute". I m Index sind die Nummern aller Hss., die VV enthalten, zu finden u n t e r : „De Virtutibus et Vitiis vel De Virtute ex Aristotele" (181 f.). Die Überleg ung, daß der Titel „de virtute", da er zweimal mit der Bezeichnung VV zugleich aufgeführt wird, auch sonst, d. h. im Falle des genannten Vaticanus, dasselbe Werk bezeichne und wir damit einen Hinweis auf die

Einleitung

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F o r m des Titels neqi áoejfjQ h ä t t e n , wird fraglich angesichts des U m s t a n d e s , d a ß Wartelle im I n d e x u n t e r der oben a n g e f ü h r t e n Bezeichnung a u c h die Hs. Nr. 1123 n e n n t , die ein W e r k m i t d e m Titel „Aristotelis de p r u d e n t i a , m e n t e et s a p i e n t i a " e n t h ä l t ; dieses W e r k k a n n aber keineswegs m i t VV identisch sein. (Die merkwürdige A n g a b e z u m I n h a l t der Hs. Nr. 1096, eines Moskauer Codex aus d e m 17. J h . , „ A r i s t t . VV, c u m Andronici schol." ist vielleicht d u r c h die A n n a h m e zu erklären, d a ß es sich hier u m d e n zweiten Teil der pseudo-andronikanischen Schrift IIEQ'I na&wv h a n d e l t . ) Zu dieser Überlieferungslage der Ar.-Hss. k o m m t die Überlieferung der Stob.Hss., die m i t A u s n a h m e eines Codex, der n u r 'AQicrcoxékovq liest (vgl. Stob. I I I Hense, A p p a r a t z u m Titel, 137), sämtlich 'AQHJTOTEXOVQ TIEQI ÓQETFJG h a b e n (die Hss. des Ps.-Andronicus IIEQI nadwv e n t h a l t e n n a t ü r l i c h f ü r d e n zweiten Teil dieses W e r k e s keinen Titel); Hense ergänzt , was Sonny (98 A n m . 4), m. E . m i t R e c h t , kritisiert. Sonny b e m e r k t ferner (99), d a ß der Mosqu. in keiner Weise v o n der Stob.-Überlieferung abhängig sei, sondern überall d o r t m i t den Ar.-Hss. ü b e r e i n s t i m m e , wo diese insgesamt v o n Stob, abweichen. Das E r g e b n i s dieses Überblicks r e c h t f e r t i g t also d e n Gebrauch des Titels nsql áQsrfjg (de v i r t u t e ) . A u ß e r S t o b a e u s (5. J h . n. Chr.) bzw. dessen Quellen, älteren Cnomologien, gibt es noch zwei weitere a n t i k e Zeugnisse f ü r ein W e r k TISQI ágeriji; des Aristoteles: 1. d a s Bücherverzeichnis einer P r i v a t b i b l i o t h e k in Memphis aus d e m A n f a n g des 3. J h s . n. Chr., d a s u. a. ['AQI]OZOT¿ÁOVS NEQI AQERFJG a u f f ü h r t (L. Mitteis u. U. Wilcken, Grundzüge u n d Chrestomathie der P a p y r u s k u n d e , Leipz.-Berl. 1912, I 2, 182 f., Nr. 155, F r . I , Z. 7); 2. der K a t a l o g der W e r k e des Aristoteles in der H e s y c h v i t a (Vita Menagiana) bzw. die A p p e n d i x dieses K a t a l o g s (Nr. 163: neql ägerfjg) (Aristotelis qu. f. librorum f r a g m e n t a coli. Valentinus Rose, Leipzig 1886, 9ff.). P a u l M o r a u x , Les listes anciennes des ouvrages d ' A r i s t o t e (1951) 254 spricht schon die V e r m u t u n g aus, d a ß es sich in beiden Fällen u m dasselbe W e r k handle. D a wir darüber h i n a u s nicht zu zögern b r a u c h e n , in diesen beiden Bezeugungen unsere Schrift g e n a n n t zu sehen, ist es a n g e b r a c h t , die Kenntnisse über die Bücherliste des Hesych u n t e r d e m Blickwinkel der in einem K o m m e n t a r zu VV zu erörternden F r a g e n zu referieren. N a c h I. Düring, Aristotle in t h e ancient biographical t r a d i t i o n (1957) 91 f. ist f ü r den Teil der Appendix, der jtegi agertjg e n t h ä l t (Nr. 159—187), wahrscheinlich eine Quelle aus der Zeit v o r Andronicus anzusetzen, w ä h r e n d die Gestalt der A p p e n d i x als ganzer n a c h a n d r o n i k a n i s c h sei, weil die Büchertitel 148—158 die F o r m der Aristotelesausgabe des Andronicus h a b e n , sei es n u n , d a ß die Titel m i t t e l b a r auf die andronikanischen nivoxeg zurückgehen, sei es, was Düring wahrscheinlicher erscheint, d a ß sie ein Inventarverzeichnis einer Bibliothek wiedergeben. Auf die H y p o thesen, die M o r a u x über U r s p r u n g u n d E n t s t e h u n g der A p p e n d i x v o r t r ä g t , gehe ich nicht ein; es soll aber auf die „sorgfältigen u n d w e r t v o l l e n " (Düring 92) U n t e r suchungen der einzelnen Titel Nr. 159—187 ( N u m e r i e r u n g der Titel auch bei R e f e r a t Moraux' n a c h Rose), Moraux 253—265, hingewiesen werden. Diese G r u p p e b e s t e h t f a s t n u r aus meist verlorenen W e r k e n , deren A u t h e n t i z i t ä t v o n der m o d e r n e n Kritik angezweifelt oder v e r n e i n t w i r d ; in der T a t gilt der größte Teil als sicher u n e c h t . D a s einzige sicher echte W e r k in diesem Teil der A p p e n d i x ist die Nikomachische E t h i k (Moraux 268. - Vgl. 269ff., 275ff.: die N u m m e r n 1 7 1 - 1 7 8 stehen a n falscher Stelle u n d gehören zum ersten Appendixteil, den N u m m e r n 140—158. Falls das richtig ist, fallen die N E u n d zwei Titel, die authentische Dialoge zu bezeichnen scheinen, f o r t ;

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der zweite Teil enthält dann nur noch, falls man nicht in negl evyeveiag, Nr. 183 Rose, den arist. Dialog sieht — vgl. 263, 268f.; s. auch 36 —, der Unechtheit verdächtige oder überführte Schriften. Vgl. auch unten). Ein weiteres Ergebnis der Morauxschen Untersuchung ist, daß offenbar fast alle diese apokryphen Werke dem Peripatos der Generation des Theophrast oder Straton angehören. Das wohl jüngste Werk, negl ftav/uaoiatv äxovo/MT(ov, ist auf jeden Fall vor 150 v. Chr. anzusetzen und wahrscheinlich nur wenig nach 250 n. Chr. (Moraux 279, 260f. — Das sicher späte Werk De mundo ist in der Appendix nicht enthalten, es sei denn, man sehe es in dem „rätselhaften und wahrscheinlich verderbten negl xoctfiov yeveilemq, Nr. 185 Rose, Moraux 279. Im Hauptteil des Katalogs sowie in den andern Rücherlisten fehlt De mundo.) Für VV sind daraus folgende Wahrscheinlichkeitsschlüsse zu ziehen: 1. VV stammt nicht von Aristoteles, 2. YV ist nicht das Werk eines späten Eklektikers, sondern entstammt dem frühen Peripatos. In der Appendix Hesychiana steht VV in einer Gruppe, die offenbar aus den schon damals umstrittenen Werken zusammengestellt ist (vgl. Moraux 283 f.). Obwohl dem Urteil Schuchhardts 36 zuzustimmen ist, der die Ansicht V. Roses (Aristoteles pseudepigraphus, Leipzig 1863, 184) „futilis" nannte, der Titel dosraiv öiatpogai a in der Liste der Bücher Theophrasts (Diog. Laert. V 42) stelle VV dar, also das unter dem Namen negl ägertöv xal xaxiä>v laufende Werk, und lasse somit erkennen, daß Diog. Laert. bzw. sein Gewährsmann die Schrift für theophrastisch gehalten habe, ist es doch wohl erlaubt, als eine bloße unbeweisbare Vermutung auszusprechen, daß negl aQETfjg (DL V 46) in der Theophrastliste mit unserem Werk negl ägezrjQ, desseh Herkunft von Ar. offenbar schon der Quelle Hesychs zweifelhaft war, identisch ist, also strittig war, ob man diese Schrift aus dem frühen Peripatos Ar. oder Theophr. zuweisen sollte. Daß Schriften des frühen Peripatos in der Antike bald Ar., bald Theophr. zugeschrieben wurden, begegnet öfter; vgl. Moraux 41f. O.Regenbogens (Artikel Theophrästos R E Sp. 1480) Vermutung, die Schriften, die als ägetä>v öuupogai und neoi aQErfjg in der Theophrastliste aufgeführt sind, seien identisch, wird damit nicht unbedingt hinfällig; seine zweite Vermutung, auch das Werk negl Tiaiöeiai; r\ negl ägercov RJ TIEQL acnqigoavvrjg (DL V 50) sei mit ägeTWV ötcupogat identisch, ist ohnehin sehr unwahrscheinlich. Daß Plutarch VV gekannt und offensichtlich für ein authentisches Werk des Aristoteles gehalten habe, behauptet Düring 355, ohne eine Begründung zu geben. K. Ziegler, Artikel Plutarchos R E X X I 1, 1951, 922 nennt unter den von Plut. zitierten Werken des Ar., darunter „die (von ihm für echt gehaltenen) Problemata", VV nicht. Ein Hinweis auf sonst irgend zu erschließende Kenntnis der Schrift fehlt ebenfalls.

2. Überblick

über die wissenschaftliche

Beschäftigung

mit der

Schrift

Der älteste uns bekannte Druck des kleinen Werkes entstammt dem Jahre 1529: „Aristotelis de virtutibus et vitiis libellus. Graece. Cura Cheradami. Lutet. 1529" (vgl. Buhle, Aristotelis opera omnia Graece, 1791, Bd. I 250). Während dieAldina princeps der Werke des Aristoteles in der Originalsprache (1495ff.) und die erste Basier griechische Gesamtausgabe (1531; vgl. Buhle 210ff., 216ff.) die Schrift noch

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nicht enthalten, ist sie von der zweiten Basler Ausgabe an (1539; = Bas. 2 ) in allen Gesamtausgaben des Ar. zu finden, so z. B. auch in der Aldina minor (1551 f.; vgl. Buhle 220 f.). I n ihnen steht VV meistens an letzter Stelle des Bandes, der die Ethiken und die Politik enthält. Darin daß die Preußische Akademieausgabe die Schrift hinter die E E und vor die Pol. stellt, folgt sie wohl der editio secunda Basileensis (deren Text von VV sie auch im wesentlichen unverändert abdruckt, vgl. Susemihl Praef. X X X I I ) , da ihre Reihenfolge der arist. Schriften weitgehend mit der der Basler Ausgaben übereinstimmt. Soweit ich das Buhle entnehmen konnte, ist VV sonst nur noch in der lateinischen Aristotelesausgabe Venedig 1560ff. an E E angeschlossen (vgl. Buhle 222). Von den 56 bei Wartelle aufgeführten Hss. mit VV erscheint nur in zwei dem 15. J h . entstammenden (Nr. 865 und 1282) VV als letztes Glied an die Gruppe E N , MM, E E angeschlossen. In der letzteren Hs. folgen Oec. und Pol. Die erste griechische Ausgabe des Florilegiums des Stobaeus wurde 1535f. von Victor Trincavellus in Venedig herausgebracht, die erste griechisch-lateinische Ausgabe besorgte Conrad von Geszner (Gesnerus) 1543 f. in Lausanne (vgl. Stob. I I I , Hense, Praef. X X I I I und L X I ; Fabricius, Bibliotheca Graeca, ed. q u a r t a 1793, Bd. 3, 269). Zugleich erscheinen zahlreiche Einzelausgaben von VV, die den griechischen Text oder eine lateinische Übersetzung oder beides bieten, auch gelegentlich mit einem K o m m e n t a r versehen sind, so z. B. 153(1 in Venedig eine lateinische Übersetzung (Ambrosius Leo, vgl. Fabricius 269f.), 1538 in Paris griechisch und lateinisch (Adolph Occo, vgl. Buhle 251 f.), 1543 in Köln, übersetzt und mit Scholien versehen von Andreas de Lacuna, der das Buch als „aureus et a d a m a n t i n u s " bezeichnet (vgl. Fabricius 269 f.). „Aristotelis de virtutibus libellus plane aureus, nuper quidem Graece inventus, . . . " lautet der Titel der Ausgabe Venedig 1545, die die lateinische Übersetzung des Simon Grynaeus bietet (vgl. Buhle 251 f.). Diese Liste ließe sich mit Leichtigkeit vermehren; genannt seien nur noch eine Basler Ausgabe aus dem J a h r e 1552, die neben dem griechischen Text vier verschiedene lateinische Übersetzungen enthält (Alexander Chamaillard, Simon Grynaeus, Andreas de Lacuna, J u s t u s Velsius, vgl. Fabricius 269f. Wartelle nennt drei Hss. des 15. Jhs., die ebenfalls schon neben dem griechischen Text eine lateinische Übersetzung enthalten, und zwar immer die des Georgius Hermonymus; Nr. 1215, 1249, 1631), die kommentierte Ausgabe des J u s t u s Velsius (Köln 1551, vgl. Schuchhardt 15) und eine Ausgabe mit Übersetzung von demselben (Köln 1590, vgl. Rieckher 1019). Die hierin sichtbar werdende enthusiastische Hochschätzung der kleinen Schrift teilen die modernen Gelehrten nicht. So h a t sie bisher auch eine monographische Behandlung noch nicht gefunden. Das Vorverständnis, mit dem man heute an dr Werk herangeht, erwächst aus einer Anzahl von Beobachtungen und Hypothesen, die sich sporadisch im wesentlichen über die letzten hundert J a h r e verteilen. Die eigentliche wissenschaftliche Beschäftigung mit VV beginnt mit der zweiten Auflage von E d u a r d Zellers Griechischer Philosophiegeschichte Bd. I I I 1 (1865). Die dort vorgetragenen Beobachtungen und Vermutungen sind im ganzen bis heute f ü r die Einordnung und Bewertung der Schrift bestimmend geblieben. Das zeigt sich schon daran, daß auch die f ü n f t e Auflage (1923) zu VV unverändert den gleichen Text bietet wie die zweite. Das liegt aber nicht nur, wie deutlich werden wird, am Fehlen weiterführender korrigierender Arbeit oder andersartiger von Zeller unab-

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hängiger Urteile, sondern auch d a r a n , d a ß andersartige Auffassungen nicht zur K e n n t n i s g e n o m m e n werden. Zellers B e h a n d l u n g der Schrift ( I I I l 5 , 670f.) e n t h ä l t neben kurzer Beschreibung ihre schulmäßige u n d zeitliche E i n o r d n u n g , welche d u r c h a u s n u r m i t d e m A n s p r u c h auf Wahrscheinlichkeit gegeben wird. Wie die pseudo-arist. Schrift liegt xöofiov weist Zeller auch VV, welches W e r k er nach j e n e m bespricht, einem peripatetischen E k l e k t i k e r zu. Die A u f n a h m e in die arist. S a m m l u n g sowie die A r t , wie der Gegens t a n d b e h a n d e l t werde, m a c h t e n es wahrscheinlich, d a ß VV der peripatetischen Schule e n t s t a m m e . Die Merkmale u n d Äußerungen der Tugenden u n d Fehler seien nämlich in der beschreibenden Manier der späteren E t h i k aufgezählt, wie sie n a m e n t lich im Peripatos seit T h e o p h r a s t üblich gewesen zu sein scheine. An einen f r ü h e n P e r i p a t e t i k e r lasse sich k a u m denken, d a ein solcher „schwerlich so u n b e f a n g e n , als ob es sich v o n selbst v e r s t ä n d e , a n P l a t o a n g e k n ü p f t " h ä t t e , wie es VV 49 a 31 geschehe. Zeller spricht in diesem Z u s a m m e n h a n g d a v o n , d a ß der Tugendlehre die plat. Unterscheidung der drei Seelenkräfte u n d d e r H a u p t t u g e n d e n (von mir gesperrt) zugrundegelegt sei. Stoischer E i n f l u ß beschränke sich auf äußerliche Ank l ä n g e : Zeller n e n n t das Gegensatzpaar inatvera-ytexTd a m A n f a n g u n d E n d e der Schrift, a n welches die ganze Auseinandersetzung g e k n ü p f t werde. E i n Indiz f ü r S p ä t a b f a s s u n g v e r m u t e t er in der A n f ü h r u n g der D ä m o n e n zwischen d e n G ö t t e r n u n d E l t e r n in der B e h a n d l u n g der F r ö m m i g k e i t u n d Gottlosigkeit (50 b 20, 5 1 a 31), d a VV d a r i n vielleicht v o n d e m neupythagoreischen sog. „Goldenen G e d i c h t " abhängig sei. I m übrigen h ä l t Zeller das W e r k f ü r bedeutungslos. Zeller ist der erste, der m i t der Unechtheitserklärung der Schrift den Versuch v e r b i n d e t , die B e g r ü n d u n g f ü r einen positiven zeitlichen A n s a t z u n d die schulmäßige E i n o r d n u n g zu geben. W ä h r e n d VV v o m A l t e r t u m (s. aber o. S. 16) bis in die Renaissance allgemein als aristotelisch galt, war das W e r k f ü r J o s e p h Scaliger ein W e r k des Andronicus Rhodius. Vgl. J a c o b Bernays, Die Dialoge des Aristoteles, Berlin 1863, 161ff.; B e r n a y s selbst hält irgendeinen späteren P e r i p a t e t i k e r f ü r den Verfasser, ohne j e d o c h der F r a g e B e d e u t u n g beizumessen. F e r n e r erklärte sich der Philologe J a c o b u s T h o m a s i u s gegen die Verfasserschaft des Aristoteles; der A u t o r schien ihm „ a conciliatoribus Platonicis aliquis" gewesen zu sein (vgl. Fabricius 270). I n d e m K o m m e n t a r v o n Cope-Sandys (1877) zur arist. R h e t o r i k wird zu R h e t . I 9, 1366 b 24ff. als Parallele VV 49 a 2 6 - 3 0 herangezogen. Dabei wird die Schrift folgendermaßen charakterisiert (I 164): „ I t is an a b r i d g m e n t or epitome of Aristotle's account of t h e v i r t u e s in t h e t h i r d or f o u r t h books of t h e Ethics, w i t h a slight a d m i x t u r e of P l a t o n i s m and other occasional a l t e r a t i o n s . " Mit dieser Charakteristik wird die Abhängigkeit unserer Schrift von der Nikomachischen E t h i k ( „ t h e E t h i c s " b e d e u t e t die N E ; vgl. d e n Titel des K o m m e n t a r s zur N E von A. G r a n t : „ T h e E t h i c s of Aristotle") b e h a u p t e t ; die Abweichungen seien geringfügig; sie werden, m i t Ausn a h m e platonisierender E l e m e n t e , offenbar nicht als hervorstechend oder f ü r eine b e s t i m m t e Schule oder Zeit typisch angesehen. An einen späten Eklektiker scheinen Cope-Sandys nicht zu denken. S c h u c h h a r d t 36 ü b e r n i m m t im ganzen Zellers zeitlichen u n d schulmäßigen Ansatz, präzisiert jedoch ausdrücklich dahingehend, d a ß er die Schrift zu Beginn des Eklektizismus, im letzten J a h r h u n d e r t vor Chr. e n t s t a n d e n sein läßt (während sich Zeller nicht derartig festlegte). Das W e r k biete keinen A n h a l t , Andronicus oder irgendeinen a n d e r n b e s t i m m t e n Peripatetiker als seinen A u t o r anzugeben. Den peri-

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p a t e t i s c h e n C h a r a k t e r v o n VV weist S c h u c h h a r d t m i t Parallelstellen zu den a c h t T u g e n d e n (nur diesen) aus der N E u n d der R h e t . des Ar. nach (33ff.). Zugleich b r i n g t er, ebenfalls aus der N E u n d der R h e t . , Belege d a f ü r , d a ß d a s Gegensatzpaar ènatvezd-yiexTd in seiner A n w e n d u n g auf T u g e n d u n d Laster nicht unaristotelisch ist (35), d. h. nicht, wie Zeller meinte, als A n k l a n g a n eine stoische D e n k f o r m a u f g e f a ß t werden m u ß . (Der entsprechende Satz ist jedoch bei Zeller auch in den nachfolgenden Auflagen beibehalten worden.) F ü r S p ä t a b f a s s u n g sprechen n a c h S c h u c h h a r d t a u c h einige W ö r t e r , die Ar. nicht g e b r a u c h t u n d die ihrer Bildung nach angeblich auf eine spätere Zeit verweisen; er n e n n t (35): àfivrjfioovvr], ànorevy/xa, xavvovo&cu, /¿efiiptfioigia, âvôgexTOÇ. E i n J a h r n a c h S c h u c h h a r d t s Dissertation erscheint (1884) Susemihls T e u b n e r i a n a der E E , die auch einen neu hergestellten T e x t v o n VV bietet. I n der P r a e f a t i o v e r weist Susemihl zu VV auf Zeller u n d S c h u c h h a r d t u n d formuliert Schulzugehörigkeit u n d Anliegen des Verfassers sowie die E n t s t e h ü n g s z e i t der Schrift folgenderm a ß e n ( X X X I ) : „(sc. libellus) de v i r t . et vit. a philosopho h a u d m a g n i ingeni eclectico, licet scholae, u t v i d e t u r , peripateticae assecla, qui d o c t r i n a m Aristotelis m o r a l e m c u m Platonica conciliare s t u d e b a t , saeculo vel a n t e vel post Christum n a t u m p r i m o , certe n o n a n t e haec t e m p o r a (sc. scriptus)". Vgl. Alfred Gercke, Artikel Aristoteles R E I I 1 (1895), 1051: VV u n e c h t , eklektisch, u n b e d e u t e n d . I m J a h r e 1894 bringen W a c h s m u t h u n d Hense ihren S t o b a e u s h e r a u s ; der T e x t v o n VV, auf breiterer, aber nicht anderer Basis gegründet als den v o n S c h u c h h a r d t u n d Susemihl konsultierten Stob.-Hss., bringt nichts N e u e s ; der A p p a r a t ist wegen gelegentlicher Verbesserungsvorschläge bei der I n t e r p r e t a t i o n m i t zu befragen. I m G r u n d e t r u g e n weder S c h u c h h a r d t noch Susemihl etwas über Zeller H i n a u s gehendes zur E r k l ä r u n g des Werkes bei. Dagegen e n t h ä l t bereits die V o r b e m e r k u n g J . Rieckhers zu seiner Übersetzung der Schrift (1859) eine g u t e B e o b a c h t u n g (1019): „Als neu (sc. gegenüber Ar. : das W e r k gilt i h m als ein „ s p ä t e r e s P r o d u k t " ) k a n n der Gedanke bezeichnet werden, bei jeder Tugend u n d bei j e d e m Laster die Eigenschaft e n aufzuzählen, die sich in ihrem Gefolge befinden,, w o d u r c h einerseits d e m Zus a m m e n h a n g der T u g e n d e n u n d der Laster u n t e r sich R e c h n u n g getragen wird, u n d andererseits der R e i c h t h u m der Sprache a n ethischen Ausdrücken vollständiger ben ü t z t werden k a n n als dieß bei Aristoteles selbst der Fall ist. Dazu würde freilich eine ausführlichere. B e h a n d l u n g gehören als wir sie hier h a b e n . " Die Rieckhersche Übersetzung wird in keiner späteren B e h a n d l u n g der Schrift e r w ä h n t ; auch Susemihl, der doch i m m e r h i n die Übersetzung der E E so a n e r k e n n e n k o n n t e , d a ß er Rieckher in den A p p a r a t a u f n a h m (vgl. Susemihl Praef. V I I I ) , n i m m t v o n seinen B e m ü h u n g e n u m VV keine K e n n t n i s . Die gleiche B e o b a c h t u n g wie die Rieckhers, jedoch nicht auf das „Gefolge" bes c h r ä n k t , findet bei R.-A. Gauthier, Magnanimité (1951) 152ff. eine D e u t u n g . Die verschiedenartige Beziehung, die in VV zwischen d e n a c h t H a u p t t u g e n d e n bzw. - f e h l e m bestehe, sei von d e m chrysippischen T u g e n d s y s t e m aus m i t seiner Einteilung der Tugenden in erste (nQwrai doerai) u n d u n t e r g e o r d n e t e (âgctai vnoTÉrayjxévai) zu erklären. (Vgl. schon Zeller I I I l 5 , 671 A n m . 1: ,,. . . wobei d a n n noch viele U n t e r a r t e n derselben a u f g e f ü h r t w e r d e n . " ) Dieses System h a b e im L a u f e der Zeit eine Fülle verschiedener I n t e r p r e t a t i o n e n erfahren, da es in sich nicht den Schlüssel zu einem e x a k t e n Verständnis trage, noch Chrysipp selbst eine präzisierende D e u t u n g gegeben zu h a b e n scheine. (Gauthier 152 : „. . . nous c o n s t a t o n s après lui une floraison

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d ' i n t e r p r é t a t i o n s divergentes, qui semble ne pouvoir s'expliquer que p a r l'imprécision de la doctrine d u m a î t r e " . ) Solche Interpretationsmöglichkeiten des chrysippischen Unterordnungsverhältnisses sind nach G a u t h i e r : die u n t e r g e o r d n e t e n T u g e n d e n sind den H a u p t t u g e n d e n v e r w a n d t ; sie sind Folgeerscheinungen dieser, insofern als sie in ihnen ihren U r s p r u n g h a b e n ; sie sind Teile eines Ganzen bzw. A r t e n einer G a t t u n g , nämlich der jeweiligen H a u p t t u g e n d ; sie sind Teil- oder Hilfsursachen der H a u p t t u g e n d e n . Alle diese angeblich aus Chrysipp entwickelten E r k l ä r u n g e n liegen n u n n a c h Gauthier d e m Verfasser von VV v o r a u s (zu den Belegen, die Gauthier bietet, s. u. S. 31 ff.): „la multiplicité de ces explications d e v a i t d'ailleurs engendrer la c o n f u s i o n : l ' a u t e u r d u De v i r t u t i b u s , qui écrivait vraisemblablement vers le 1"' siècle a v a n t N.-S., ne s'y reconnaissait d é j à p l u s " (152). K u r z z u s a m m e n g e f a ß t , allerdings d e r a r t , d a ß n u n der Verfasser v o n VV als der U r h e b e r dieser E r k l ä r u n g e n erscheint, treffen wir Gauthiers Auffassung nochmals a n in : Die katholische Glaubenswelt, Weisung u n d Lehre, Bd. I I Moraltheologie, Basel-Freiburg-Wien i960 2 , K a p . X V „Der S t a r k m u t " von R.-A. Gauthier, 837 (zu Chrysipps Lehre v o n den u n t e r g e o r d n e t e n T u g e n d e n ) : „ E s ist schwer, genau darzulegen, was f ü r einen Sinn eine solche E i n o r d n u n g h a b e n sollte. Der Verfasser von De V i r t u t i b u s (im 1. J h . n. Chr. [sie!]) verlor sich d a r ü b e r in weitschweifigen I n t e r p r e t a t i o n e n , v o n denen sich drei erfolgreich d u r c h s e t z t e n : die u n t e r g e o r d n e t e n T u g e n d e n sind Arten einer G a t t u n g , nämlich der H a u p t t u g e n d ; oder sie sind Teil- oder Hilfsursachen dieser H a u p t t u g e n d ; oder aber sie sind ihr lediglich v e r w a n d t . " N e b e n derartiger Abhängigkeit des Verfassers v o n der F o r m a l s t r u k t u r des chrysippischen T u g e n d s y s t e m s sieht Gauthier auch materiale Abhängigkeit gegeben, u n d zwar in den im Z u s a m m e n h a n g m i t der T a p f e r k e i t in VV g e n a n n t e n Eigenschaften (50 b 4—6), welche, von einer entscheidenden V e r ä n d e r u n g abgesehen, Chrysipp e n t lehnt seien (151 A n m . 1). D a ß Gauthier n u r diese E i g e n s c h a f t e n als chrysippische U n t e r t u g e n d e n n e n n t , liegt a n seiner v o m T h e m a des Buches her b e s t i m m t e n Blickr i c h t u n g auf fieyaXoy>vxia, die bei Chrysipp der T a p f e r k e i t u n t e r g e o r d n e t ist, w ä h r e n d kein A n l a ß b e s t e h t , auf die E i g e n s c h a f t e n im Gefolge der übrigen K a r d i n a l t u g e n d e n einzugehen. Die A n n a h m e auch ihrer Abhängigkeit von Chrysipp liegt jedoch in der Konsequenz der Auffassung v o n der f o r m a l e n Abhängigkeit in der Z u o r d n u n g im allgemeinen u n d der speziell die T a p f e r k e i t betreffenden materialen Abhängigkeit. Die wichtige Frage, ob VV in der Aristotelesausgabe des Andronicus e n t h a l t e n gewesen sei, u n d wenn j a , aus welchem Grunde, wirft Alexander G r a n t , T h e E t h i c s of Aristotle 1885'', I 39 f. auf, zugleich im Bewußtsein, darauf keine Antwort, geben zu k ö n n e n . Die Schrift ist f ü r ihn entschieden unaristotelisch. Der H a u p t g r u n d f ü r dies Urteil ist das Fehlen der Mesotes-Lehre. Die N a m e n der T u g e n d e n u n d Laster seien zwar der arist. Liste e n t l e h n t ( G r a n t verweist auf E N I I 7), doch seien sie nicht als ,,mean states a n d excesses" erklärt. Weiter v e r m e r k t G r a n t das Fehlen v o n Äußer u n g e n über das Z u s t a n d e k o m m e n der T u g e n d e n : sie seien äußerlich b e t r a c h t e t , u n d das sie jeweils Charakterisierende werde „in an induetive or o b s e r v a n t s p i r i t " vorgebracht. Der ganze T r a k t a t h a b e nach Ziel u n d Art beträchtliche Ähnlichkeit'mit den theophrastischen Charakteren, insofern als auch er dieselbe T e n d e n z des P e r i p a t o s zeige, Philosophie u m p o r t r ä t h a f t e r Darstellung ethischer T y p e n willen aufzugeben. D a h e r greift G r a n t in seiner Beschreibung der Schrift wohl auch neben der Gerechtigkeit gerade die T u g e n d u n d den Fehler aus allen übrigen heraus, deren D a r stellung a m s t ä r k s t e n an T h e o p h r a s t s Charaktere g e m a h n t : die Großzügigkeit

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(ekev&EQiözris) und den kleinen Geist (¡MXQOifvxia). Das abschließende Urteil Grants über V V ist, in dieser Schrift ein Zeugnis „of the a f t e r m a t h of Aristotelian e t h i c s " zu haben, „ n o t necessarily later t h a n t h e time of T h e o p h r a s t u s " . (Case in Encyclopaedia B r i t a n n i c a 1910 1 1 , Vol. 2, Artikel Aristotle, 505 geht auf Grants Urteil nicht ein, sondern führt nur kurz m i t Hinweis auf Zeller dessen Meinung an.) Wegen solcher Anklänge an die A r t von Theophrasts Charakteren h a t auch O t t o Regenbogen die Schrift in seinem Theophrastartikel R E Supplbd. V I I (1940), 1546 kurz behandelt. E r verweist als auf ein Beispiel zu der A r t , wie in V V Tugenden vorgeführt werden, auf die ¿AevßeQiÖTrjc;: „ a n die Wesensmerkmale und die Züge der äußeren E r s c h e i n u n g " werden „die verwandten Erscheinungen (äxoXovdovvra) angeschlossen". Zur ßixQoyivxia vermerkt Regenbogen, daß bei ihrer Charakterisierung Theophrasts Stilisierung der Charaktere anklinge. Gattungsgeschichtlich sei die B e t r a c h t u n g von V V insofern von Bedeutung, als diese Schrift zugleich „ m i t Ariston von Keos und Philodem einen Hinweis darauf g e b e n " könne, „wie die theophrastischen Charaktere sich in einen Zusammenhang einordnen k o n n t e n " . Nachdem die Schrift lange Zeit als unecht gegolten h a t t e , ist sie neuerdings von P . Gohlke (Die E n t s t e h u n g der aristotelischen E t h i k , Politik, R h e t o r i k , S B Wiener Akademie 223, 2 ; 1944) für aristotelisch erklärt worden. Sie stelle den „ältesten greifbaren K e r n der E t h i k v o r l e s u n g " dar (4). Gohlke findet es „unbegreiflich", daß sein Lehrer H. v . Arnim das W e r k nicht für seine entwicklungsgeschichtlichen Studien verwendet habe (15). E r b e t o n t erneut, offenbar ohne Grant zu kennen, das Fehlen der Mesoteslehre und hält es für „ u n d e n k b a r " , daß diese Lehre im Peripatos „irgendwann . . . wieder sollte eliminiert worden sein" (4). Die Schrift gehöre demnach in eine Zeit, zu der Ar. die Mesoteslehre noch nicht gekannt (sie!) habe, sei also vor die Topik zu setzen, m i t der sie auch die Beziehung der Tugendlehre auf die drei platonischen Seelenteile gemeinsam habe. D a ein authentisches W e r k möglichst auch einen P l a t z in den antiken Bücherlisten des Ar. haben sollte, bringt Gohlke die Schrift im Bücherverzeichnis bei Diog. Laert. V unter, und zwar als Nr. 6 9 : IIEQI TOV xahov. V o n ihrem Titel (in der F o r m TIEQI &QETWV xal xaxiwv) glaubt er deshalb absehen zu können, weil die Titel im Schriftenverzeichnis des Diog. L a e r t . mit den gebräuchlichen häufig nicht übereinstimmten, sondern oft nach dem ersten Hauptstichwort gebildet seien. So stelle es nur die Anwendung dieses Verfahrens dar, V V wegen seines Anfangs negi TOV xakav zu b e t i t e l n ; in unmittelbarer Nähe ständen zudem im Verzeichnis andere ethische T h e m e n : TLEQI exovoiov (Nr. 68), liegt rjSovfjq (Nr. 66). Auf die haltlosen Thesen Zürchers (Aristoteles' Werke und Geist, Paderborn 1 9 5 2 , 2 5 9 ) einzugehen, besteht nach 0 . Gigon, D L Z 7 6 (1955), 2 6 3 f . undDirlmeier MM 142 kein Anlaß.

3. I. A u s g a b e n , Ü b e r s e t z u n g e n ,

Literaturverzeichnis Indices

[Aristotelis E t h i c a Eudemia] E u d e m i Rhodii E t h i c a adiecto de virtutibus e t vitiis libello, recognovit F. Susemihl, Teubner, Leipzig 1884 (Susemihls T e x t ist der Interpretation zugrundegelegt; Zeilenzählung ebenfalls nach seiner Ausgabe.) Liste der abweichenden Textvorschläge; s. S. 140.

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Einleitung

Verzeichnis der D r u c k f e h l e r ; s. S . 141. Zu V V vgl. Praef. X X X I - X X X V I C. Schuckhardt, A n d r o n i c i R h o d i i qui f e r t u r libelli üeqi na&wv p a r s a l t e r a d e v i r t u t i b u s et vitiis, D i s s . H e i d e l b e r g ; D a r m s t a d t 1883 ( T e x t : 19—32, zur Ü b e r l i e f e r u n g : 8 - 1 8 , insbes. v o n P s . - A r . V V : 1 2 f . ; B e h a n d l u n g v o n V V : 6 f . , 3 3 - 3 6 ) I o a n n i s S t o b a e i A n t h o l o g i u m , recc. C. Wachsmuth et O. Hense, B e r l i n 1884 f f . ; vol. I I I , rec. O. Hense, Berlin 1894 ( T e x t v o n V V : 137, 6 - 1 4 8 , 12) T h e o p h r a s t C h a r a k t e r e , hrsg. u n d erkl. v . P. Steinmetz,

zit.: Stob. I I I (He.) 2 B d e München 1960/62;

B d . 2: K o m m e n t a r und Übersetzung zit.: Steinmetz I I D i v i s i o n e s q u a e v u l g o d i c u n t u r A r i s t o t e l e a e p r a e f a t u s ed. t e s t i m o n i i s q u e i n s t r u x i t H. Mutschmann, L e i p z i g 1906 zit.: Div. Arist. (Mutschmann) I o a n n i s S t o b a e i A n t h o l o g i u m , recc. C. Wachsmuth et 0. Hense; vol. I I , rec. C. Wachsmuth, B e r l i n 1884 ( 1 1 6 , 1 9 — 1 5 2 , 2 5 : A r i u s D i d y m u s ' A b r i ß der p e r i p a t e t i s c h e n Ethik) zit.: Stob. I I (Wa.) D i e S c h u l e d e s Aristoteles, T e x t e u n d K o m m e n t a r , hrsg. v o n F. Wehrli; insbes. B d . I I (1945): Aristoxenos, Bd. VI (1952): L y k o n und Ariston von Keos, B d . V I I (1953): Herakleides Pontikos z i t . : Wehrli A r i s t o t e l e s W e r k e , V I : S c h r i f t e n zur p r a k t i s c h e n Philosophie, 8. B d . : Große E t h i k , n e b s t der S c h r i f t ü b e r die T u g e n d e n u n d die L a s t e r , ü b e r s , v . J . Rieckher = Osiand e r - S c h w a b B d . 296, S t u t t g a r t 1859 ( 1 0 1 9 - 1 0 2 7 ) T h e W o r k s of A r i s t o t l e , t r a n s l . u n d e r the editorship of W. D. Ross, vol. I X : E N b y W. D. Ross, MM b y St. G. Stock, E E , V V b y J . Solomon, O x f o r d 1915 (letzter N a c h d r u c k 1949) A r i s t o t l e , T h e A t h e n i a n C o n s t i t u t i o n , T h e E u d e m i a n E t h i c s , On V i r t u e s a n d Vices, with a n E n g l i s h T r a n s l a t i o n b y H. Rackham, L o e b Class. L i b r . , L o n d o n 1935 (letzter, neu d u r c h g e s e h e n e r N a c h d r u c k 1952) A r i s t o t e l e s , W e r k e in d e u t s c h e r Ü b e r s e t z u n g , hrsg. v . E. Grumach, B d . 6 : Nikom a c h i s c h e E t h i k , ü b s . u n d k o m m , v o n F. Dirlmeier, D a r m s t a d t 1964 >, B d . 7 : E u d e mische E t h i k , ü b s . u n d erl. v . d e m s . , 1962, B d . 8 : M a g n a Moralia, ü b s . u. erl. v . d e m s . , 1958 z i t . : D i r l m . E N , E E , MM T h e R h e t o r i c of Aristotle, with a c o m m e n t a r y b y t h e l a t e E. M. Cope, revised a n d e d i t e d b y J . E. Sandys, 3 vols., C a m b r i d g e 1877 z i t . : S a n d y s , Ar. R h . zit.: Ast L e x i c o n P l a t o n i c u m , condidit D. Fr. Ast, 3 B d e . L e i p z i g 1835—1838 I n d e x Aristotelicus, ed. H. Bonitz, Aristotelis O p e r a ed. A c a d e m i a R e g i a B o r u s s i c a , Vol. V , B e r l i n 1870 zit.: Btz.

Susemihl, a. O. 195 ff.: I n d e x zu V V , in welchem die bei Ar. nicht belegten W ö r t e r m i t einem S t e r n bezeichnet sind.

I I . A u f s ä t z e , A b h a n d l u n g e n u. d g l .

Adam, R., Tlhxtiavoq, "OQOI, S a t u r a Berolinensis 19^4, 3—19 ( e t w a s v e r ä n d e r t wiederh o l t a l s : E i n e u n t e r P i a t o n s N a m e n erhaltene S a m m l u n g v o n Definitionen, Philol. 8 0 , 1925, 3 6 6 - 3 7 6 ) Ammann, A., — IKOZ bei P i a t o n . A b l e i t u n g u n d B e d e u t u n g m i t M a t e r i a l s a m m l u n g . D i s s . B e r n 1953 zit.: A m m a n n

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Einleitung

Arnim, H. v., Arius Didymus' Abriß der peripatetischen E t h i k ; SB Wiener Akademie 204, 3 (1926) zit. : Arnim, Arius Did. ders., Das Ethische in Aristoteles' Topik, ebd. 205, 4 (1927) zit.: Arnim, Topik Bernays, J., Die Dialoge des Aristoteles, Berlin 1863 ders., Theophrastos' Schrift über Frömmigkeit, Berlin 1866 Düring, / . , Aristotle in the ancient biographical tradition, Göteborg 1957 zit. : Diiring Gauthier, R.-A., Magnanimité. L'idéal de la grandeur dans la philosophie païenne et dans la théologie chrétienne, Paris 1951 zit.: Gauthier Gercke, A., Artikel Aristoteles R E I I I (1895), 1051 Gohlke, P., Die Entstehung der arist. Ethik, Politik, Rhetorik, SB Wiener Akademie 223, 2 (1944) Grant, A., The Ethics of Aristotle, illustrated with essays and notes, 2 vols., London 1885 4 (39f.) Kapp, E., Das Verhältnis der eudem. zur nikomach. Ethik, Diss. Freiburg/Br. 1912 Krämer, H., Arete bei Platon und Aristoteles, SB Heidelberger Akademie • 1959 Regenbogen, O., Artikel Theophrastos R E Suppl. V I I (1940) Stevens, P. T., Aristotle and t h e Koine; Class. Quart. 30 (1936), 204-217 Walzer, R., Magna Moralia und arist. E t h i k ; Neue philol. Unters., Berlin 1929 zit. : Walzer, MM Wartelle, A., Inventaire des manuscrits grecs d'Aristote et de ses commentateurs, Paris 1963 zit. : Wartelle Zeller, E., Die Philosophie der Griechen, Bd. I I I 1, 1923 5 , 670f.

Zu den Abkürzungen

und

Zitaten

F ü r die vorliegende Schrift wird die gängige Abkürzung VV nach der bisher üblichen Titelform (De virtutibus et vitiis) beibehalten. Die. Abkürzungen f ü r Piaton und Aristoteles, platonisch und aristotelisch, sowie die der arist. Schriften, entsprechen denen der anderen Bände der Reihe. F ü r sonstige Abkürzungen siehe zu a) antiken Autoren: Liddell-Scott (abgekürzt: LS), zu b) Ausgaben und Sekundärliteratur das Literaturverzeichnis. Alle Zitate aus dem arist. Corpus werden nach Bekkerseite und -zeile angegeben; geringfügige Abweichungen in der Zeilenangabe beruhen darauf, d a ß nach den maßgeblichen Einzelausgaben zitiert wird. So werden alle Zitate von VV nach der Zeilenzählung Susemihls gegeben; die Bekkerseite wird dabei nur zweistellig bezeichnet, während sie sonst mit voller Zahl angeführt wird.

4. Einführung

zu den

Anmerkungen

Den folgenden Anmerkungen zu VV liegt nicht die Absicht zugrunde, das bis auf Zeller zurückreichende und von ihm begründete Urteil der relativen Bedeutungslosigkeit der Schrift zu zerstören. Es wird sich jedoch zeigen, d a ß VV nicht ein

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Einleitung

W e r k des späten Eklektizismus i s t ; damit fällt allerdings ein gewichtiges Argument für ihre Bedeutungslosigkeit, indem ein D o k u m e n t des frühen Peripatos welchen äußeren und inneren F o r m a t s auch immer eher Interesse beanspruchen k a n n als ein nicht besonders geistvolles Produkt eklektischer Provenienz. E i n e vorgreifende Zusammenfassung der in den Anmerkungen niedergelegten Beobachtungen und Thesen ergibt im wesentlichen zwei Themenkreise, die hier vorgetragen werden sollen, u m als Hintergrund für die folgende fortlaufende K o m m e n tierung zu dienen. Als Ausgangspunkt bieten sich die kurzen Bemerkungen von Grant und Cope-Sandys ( s . o . S. 2 0 u n d 18) an, die in folgenderWeise zu begründen und zu ergänzen bzw. zu modifizieren sind: 1. Grants Beobachtungen sind in einen inneren Zusammenhang zu bringen, indem man die Feststellung, daß in Y V darauf verzichtet ist, das Zustandekommen der Tugenden zu erklären, ergänzt: es fehlt nicht nur die wßoa(g£(Ti?-Thematik, sondern auch andere integrierende E l e m e n t e der arist. E t h i k e n sind nicht einmal ansatzweise vorhanden, wie etwa Güterlehre, evdat/j.ovia- und reÄoc-Thematik, Lustabhandlung. Fügen wir hinzu, daß im ganzen nichts vom Formalismus der E t h i k e n zu spüren ist, daß die Spezialformeln der E t h i k e n und ihre Sondersprache in dem kleinen W e r k nicht anzutreffen sind, so wird aus all diesem deutlich, daß wir es hier nicht mit einer ethischen Pragmatie, d. h. weder der Kurzfassung einer solchen noch einem E x z e r p t der Behandlung der einzelnen Tugenden, also etwa einem E x z e r p t von E N I I I 8—VII 11, zu tun haben. V V ist keine E t h i k , was allerdings nicht heißt, daß der Gesichtspunkt der B e t r a c h t u n g nicht aus einer bestimmten ethischen Fragestellung herrühre. Weil sich V V in dieser Weise fundamental von den ethischen Pragmatien unterscheidet, muß auf eine entwicklungsgeschichtliche B e t r a c h t u n g von vornherein verzichtet werden; eine entwicklungsgeschichtliche K e t t e etwa der F o r m E E , E N , MM, V V aufzustellen, wäre ebenso abwegig wie Gohlkes Reihe V V , Top., MM, E E , E N in der Entwicklung der aristotelischen E t h i k . Mit der Ablehnung der ersten Reihe wird nicht besagt, d a ß der chronologische Ort der Schrift nicht nach den E t h i k e n anzusetzen sei, sondern nur, daß dieser Ort nicht aus entwicklungsgeschichtlicher B e t r a c h t u n g gewonnen werden kann, entwicklungsgeschichtliche B e t r a c h t u n g vom Genus der Schrift aus nicht anwendbar ist. Zu demselben Ergebnis führt auch ein gewissermaßen statistischer Überblick über die bei der Interpretation heranzuziehenden Belege aus den drei E t h i k e n . Aufs Ganze gesehen t r i t t dabei eine bestimmte nicht hervor. Die E t h i k e n können von V V aus nur als ein in sich undifferenzierter materialer Hintergrund betrachtet werden. Zu all den Elementen, die für eine aristotelische ethische Pragmatie typisch sind und die in V V fehlen, gehört ebenfalls die Mesoteslehre, die mit der Einteilung der Tugenden in ethische und dianoetische und d. h. mit der arist. Dichotomie der Seele verbunden ist. Auch in dem Abriß der peripatetischen E t h i k bei Stob, wird die Mesoteslehre mit allen genannten Lehren und Themen, von denen ein Teil notwendig mit ihr verknüpft ist, vorgetragen. Die Sonderstellung unserer Schrift ist also nicht aus veränderten Tendenzen des nacharistotelischen Peripatos in der ethischen Problemstellung und Methode zu erklären, wie sie durch Grant charakterisiert werden. Dennoch trifft seine Bemerkung etwas Richtiges. E s ist sicher richtig, daß die Observation gerade ethischer Phänomene, ethischer T y p e n im theophrastischen Peripatos eine größere Rolle gespielt h a t als bei Ar. und auch wohl wahrscheinlich, daß die Beschreibungen der Tugenden

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und Fehler aus solcher Observation getränkt sind; das berührt aber die wesentlichen Konstituentien der Ethik nicht. Den Hinweis zum Verständnis einer inneren Verbindung des Fehlens dieser Elemente und der mehr äußerlichen Beobachtung und Induktion gibt die arist. Rhetorik mit ihrer Behandlung der Tugenden und Fehler. Dabei ist an I 9 gedacht: nur dort ist unmittelbar von äQBTrj und xaxia die Rede, und das primäre Anliegen des Kapitels ist, die für den Redner notwendige Kenntnis des Lobenswerten und Tadelnswerten zu geben, d. h. es handelt sich hier als um ein der Rhetorik vorgegebenes Objekt um ein zunächst unabhängig von ihr bestehendes Gebiet. In zweiter Linie kommen auch die Darstellungen der rj&r) in I I 12—17 in Betracht, die aber, wie schon die Gliederung des Stoffes zeigt, ganz aus dem Zweck der niariQ heraus vorgeführt werden, indem sie die Kenntnis des jeweiligen Publikums vermitteln und dem Redner ermöglichen, seiner Rede durch Einstellung auf dieses Überzeugungskraft zu verleihen. Bestimmend für beide Gruppen (hinzukommen noch andere kürzere Abschnitte, wie z. B . I 10, 1368 b 6—26) ist, daß mit den Tugenden und Fehlern etwas Vorfindliches beschrieben wird, daß jede formale Ableitung über Güterlehre, Eudaimonie, jiQoaigeaic, Mesotes-Grundschema mit deren speziellem Formalismus bei jeder Tugend fehlt. Diese Vorfindlichkeit ist doppelter A r t : bei den ij{hj im 2. Buch handelt es sich um aristotelische Deskription vorfindlicher Gruppen, bei der Tugendund Fehlerliste in I 9 um aristotelische Wiedergabe vorfindlicher E t h i k , d. h. um die Ethik der Öffentlichkeit: cbg Soxel (1366 a 37). Das wird zumal daraus deutlich, daß die Absicht des Überblickes nicht nur ist, ein Sachgebiet der Rhetorik (negi rovrmv Aeyovzag 1366 a 25) aufzuzeichnen, sondern auch die zweite nimig, das fjüog ev Toi Myom, betrifft (1366 a 25ff.). Diese in der Rhetorik angelegte Observation des Vorfindlichen wird, in der Füllung ethischer Termini durch gestaltetes vorfindliches Material, im theophrastischen Peripatos verfolgt und ausgebaut. Das Musterbeispiel sind Theophrasts Charaktere, in denen — das ist unser Hauptpunkt — zugleich ebenfalls wieder die Mesoteslehre fehlt. Der Versuch, aus ihnen Syzygienreihen von vneqßoXai und eAAetyieig aufzustellen bzw. sie jeweils einer bestimmten ßeooTrjg zuzuordnen, wie es etwa E . Petersen, Theophrasti Characteres (1859) 73 tut, ist als gescheitert anzusehen. Den einzigen Anhalt boten ohnehin nur av&ädeia—äQiaxeiaunAaXa^oveia—eigcoveia. Gerade für die letztere Gruppe, die immer Paradebeispiel für die dahinter stehende Mesoteslehre gewesen ist, haben Carl Hoffmann, Das Zweckproblem von Theophrasts Charakteren, Diss. Breslau 1920, 34 und neuerdings Steinmetz in seinem Kommentar gezeigt, daß ihre Glieder nicht im Zusammenhang mit einer /¿eoÖTtjg zu sehen sind. Allgemein gilt für die Charaktere: „Wenn in einer Definition eine Wendung auf den Zusammenhang mit einer /leaÖTrjg hinzudeuten scheint, ist das zufällig und nicht von Theophrast beabsichtigt." (Steinmetz I I 8.) Das Krampfhafte der früheren Versuche, die Mesoteslehre als den Charakterschilderungen zugrundeliegend zu erschließen, rührt aus dem Bemühen, diese bei Ar. so zentrale ethische Lehre bei seinem Schüler nicht unter den Tisch gefallen sehen zu müssen. Die Tugend- und Fehlerliste der arist. Rhetorik gibt den Hinweis zur Auflösung dieses Mißverständnisses. I n der Ethik als strenger Disziplin gilt auch bei Theophrast die Mesoteslehre; darauf weist Steinmetz I I 9 hin. (Vgl. auch Art. Theophrastos R E 1548.) Auch in IJEQI TOV xovgia u n d ngä£ig). Das Fehlen dieser Unterscheidung u n d die A n w e n d u n g einer anderen psychologischen Gliederung als der arist. Zweiteilung in VV h ä n g e n also miteinander z u s a m m e n . Zugleich wirkt jedoch in der N E die Dreiteilung n a c h : so darin, d a ß Ar. a n die T a p f e r k e i t , die er als erste ethische T u g e n d behandelt, die Besprechung der Besonnenheit u n m i t t e l b a r anschließt u n d dies V e r f a h r e n folgendermaßen b e g r ü n d e t : E N I I I 13, 1117b 23: doxovat yäg zwv äXoyiov /IEQWV avrai elvai ai ¿gerat. Der Anon y m u s legi bei seiner I n t e r p r e t a t i o n dieser Stelle (169, 20—26) vor allem Gewicht auf das 8oxe.lv: Ar. sage nicht, d a ß T a p f e r k e i t u n d Besonnenheit allein die Tugenden des äXoyov seien, ¡sondern d a ß sie dies den Philosophen vor i h m zu sein schienen (äV.'ö)g rovrwv ¡xövwv Soxovaow rob; ngö avrov). E s folgt ein Hinweis auf Plat., dessen ßvfiixöv u n d im&vf.irizixöv. D a ß Ar. auf P l a t . anspiele, mache der Ausdruck r ä äXoya ßegrj deutlich. (Aspasius 87, 34 b e n e n n t ohne Hinweis auf P l a t . u n d offenbar, ohne irgendeine Schwierigkeit zu sehen, die äloya fiegr] als eni'dv/j.rjTixov u n d §vfioeideg.) Der Satz ist also gleichbedeutend m i t einem Satz folgenden W o r t l a u t e s : xarä TJXärcova Tfjg yivxiji rgifiegovg Xanßavo/ievrjq zü>v dXoywv fiegwv avrai eiaiv ai ägerai. Die ü b e r w u n d e n e Lehre v o n den beiden alogischen Seelenteilen u n d ihren T u g e n d e n ( K a r d i n a l t u g e n d e n ) gibt also hier die Ursache f ü r die Beihenfolge in der Behandlung der T u g e n d e n ab. Falls der zitierte Satz nicht als bloße Anspielung auf Plat., d. h. als eigentlich inhaltliche K o n s e q u e n z e n erfordernd angesehen wird, ergibt sich dabei ein gewisser W i d e r s p r u c h zwischen T a p f e r k e i t u n d Besonnenheit als „ d e n "

Kapitel 1

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Tugenden der äXoya /xlorj — sofern m a n das arist. äXoyov seinem Selbstverständnis folgend mit der S u m m e dieser Teile gleichsetzt — u n d der nachfolgenden Behandlung anderer ethischer Tugenden, d. h. anderer Tugenden des äXoyov. (Vgl. E N I I I 3, 1111 a 25. 27. b l f . : als äXoya ndftrj werden n u r im&vßia u n d &Vju6g b e h a n d e l t ; E N I I I 4, 1111b l l f f . : dieDreiheit im&v//,ta, frv/xog, ßovXrj(Jiq, die bei der B e s t i m m u n g der TtQoaiQEaig zur ogeftg zusammengefaßt wird, ist dieselbe wie in der oben zitierten Stelle aus De an., vgl. auch De an. I I 3, 4 1 4 b 2.) I n MM I 4, 1185 a 21 wird die Seelendreiteilung g e n a n n t ohne Hinweis auf P l a t . , sowie ohne Kritik. Darin sieht m a n entweder N ä h e zur arist. Topik (Arnim, Topik 6ff.; Dirlm. MM 204 [13, 11]) oder einen die theophrastische E t h i k kennzeichnenden Zug (Walzer, MM 168EF. u n t e r Hinweis auf Stob. I I , Wa., 117, 16ff., die Unterteilung des äloyov in em&v/ir^MÖv u n d •dv/iixöv; im allgemeinen wird jedoch in der theophrastischen E t h i k mit der arist. Zweiteilung gearbeitet. — Die MM legen der Tugendlehre durchweg die Zweiteilung zugrunde, die dort auf P l a t . z u r ü c k g e f ü h r t wird: MM I 1, 1182a 23ff.; vgl. Dirlm. MM 163 [6, 4].) Dirlm. MM 164f. m a c h t ' darauf a u f m e r k s a m , d a ß anstelle des platonischen dvfioEiÖEq an allen den Stellen, die auch wir bisher b e r ü h r t haben, das W o r t •dvßixov s t e h t ; das gehe wohl auf eine Änderung der Akademie zurück, da &v//.ixög im Corpus P l a t o n i c u m n u r einmal in den Def. begegnet: CQYR\• nagdxXrjaig rov •dvfiixov eig TO Tif*mQ£io#at (415 e 11). dv/ioEiÖEt; als Bezeichnung eines Seelenteils gibt es bei Ar. n u r Top. I I 7, 113 a 36, b 1; IV 5, 126 a 8, 10 (dvßixov außer der zitierten Stelle der MM n u r zweimal in De a n . ; cf. M u t s c h m a n n , p. X X I I ) , während •&VfioEidrjQ zur Bezeichnung einer natürlichen Anlage neben &v/itx6g weiter g e b r a u c h t wird (vgl. Btz.). Der U m s t a n d , d a ß in VV der zweite Seelenteil •&v/j.0EiÖEg heißt, k a n n dennoch n u r schwerlich als ein chronologisches Indiz gelten, da ftv/uoEiöss auch nach der E i n f ü h r u n g von $vfuxar\p. weiter gebraucht wird. (So in [Plat.] Def. neben •dv/iixdv an der zitiert e n Stelle auch -dv/ioeideg, 4 1 3 a 7: ga&vßia- . . . ajid&Eia TOV dvßoeiSovQ, Diog. Laert. I I I 67: Xoyixöv, dvfioBiöig, em&vßrjTixöv neben I I I 90 ( = Div. Arist. 12 M u t s c h m a n n , vgl. [1]): Xoyianxiv, ¿JII&V/ITJXIXÖV, dvfuxöv; vgl. M u t s c h m a n n , p. X X I I sq. Belege f ü r den Peripatos: [Ar.] Physiogn. 2, 807 a 14. I n der doxographischen L i t e r a t u r u n d bei eklektischen Philosophen überwiegt das W o r t IHI/MXÖV (auch steht häufig TO Xoyixov f ü r TO Xoytmixov): so gebraucht z. B. der Mittelplatoniker Albinos im Didaskalikos nur {h)/j,txov. Andererseits spricht P l u t a r c h an der e r w ä h n t e n Stelle in De virt. mor., an der er deutlich auf Ar. De an. I I I 9, 432 b 3 ff. anspielt, v o m dvpoeiÖEq (oder auch •&Vfj,ov/isvov), während Ar. doch im gleichen Z u s a m m e n h a n g dv/xixäv gebraucht h a t t e . Von den K o m m e n t a t o r e n schließlich, die wir zu E N I I I 13, 1117b 23 herangezogen h a t t e n , b e n e n n t der A n o n y m u s u n t e r Hinweis auf Plat. den fraglichen Seelenteil DVfiixöv, Aspasius ohne Hinweis auf Plat. SV/J.OEISEQ). Die bisherigen B e t r a c h t u n g e n h a b e n gezeigt, d a ß sich, solange die Ergebnisse der übrigen I n t e r p r e t a t i o n unberücksichtigt bleiben, aus der E i n f ü h r u n g der platonischen Seelendreiteilung u n d dem ausdrücklichen Bezug auf P l a t . allein ein K r i t e r i u m f ü r einen b e s t i m m t e n zeitlichen Ansatz nicht ergibt. Soviel ist jedoch deutlich geworden, d a ß die Verbindung der platonischen Psychologie mit einer Liste von acht Tugenden bzw. Fehlern die bisherigen B e h a u p t u n g e n , nämlich F r ü h a n s a t z einerseits u n d Datierung in die Zeit des Eklektizismus andererseits, eher unwahrscheinlich m a c h t . D a in der theophrastischen E t h i k die Dreiteilung der Seele zumindest eine Rolle gespielt h a t t e — das Bewußtsein, d a ß sie von P l a t . s t a m m t e , k o n n t e dabei wohl

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Anmerkungen

auch noch kaum verloren gegangen sein —, ist es keineswegs ausgeschlossen, daß ein Peripatetiker der Zeit um 300 v. Chr. so schrieb, wie es der Verfasser von VV tut. Walzers Anmerkung zu seiner Behandlung der zitierten Stelle der MM (I 4, 1185 a 21), in deren Zusammenhang er auf die theophrastische E t h i k verwies (170 Anm. 1): „An die Schrift VV (49 a 31 ff.) ist hier nicht zu denken; sie ist später als MM und die peripatetische Ethik, an die Areios sich anschloß." ist keine Gegeninstanz, da es Walzer fernlag, den von der communis opinio getragenen Spätansatz der Schrift, wie ihn Zeller begründete, anzuzweifeln, er vielmehr von diesem Spätansatz ausging. Daß der betrachtete Abschnitt eklektischen Charakter hat, sollte mit den bisherigen Ausführungen nicht abgestritten werden. E s kommt darauf an zu zeigen, welche Form hier der Eklektizismus hat. Auf jeden Fall ist deutlich, daß keineswegs genuin Platonisches mit genuin Aristotelischem verkittet worden ist. Vielmehr ist eine von der arist. Tugendlehre der Ethiken wie von der plat. Bedeutung der ethischen Psychologie verschiedene einheitliche Gestalt gegeben. Das Fehlen der MesotesLehre steht in Zusammenhang mit der fehlenden Unterscheidung ethischer und dianoetischer Tugenden; das letztere wiederum beraubt die arist. Zweiteilung der Seele ihrer Funktion und macht sie für einen Peripatetiker in diesem Falle unanwendbar. E r kann aber die von Plat. herrührende Seelendreiteilung anwenden, sobald sie ihrer Funktion, Grundlage des Kardinaltugendensystems zu sein, entkleidet ist. Das ist dadurch möglich, daß die Seelenteile nur noch der Lokalisierung der Tugenden dienen (vgl. Dirlm. MM 287), indem sie Grundlage der peripatetischen jid#oq>Qoavvrjv%fjv%fjq nur im Gegensatz zu den Teilen gesagt war und nicht die Seele meint, insofern sie Summe ihrer Teile bzw. deren Zusammenspiel ist, sondern insofern sie ein von der Summe ihrer Teile Verschiedenes sowie von jeglicher Hinsicht auf die Teile überhaupt Unabhängiges, d. h. schlechthin Anderes ist, insofern also, als die Tugenden dixaioavvr¿Äev&EQiÖTrjq, /¿EyaXoipvyja nicht einem einzelnen Seelenteil zuzuweisen sind. Sieht man etwa die Seelendihärese in den Div. Arist. (12, [1] Mutschmann, Diog. Laert. I I I 90) und die dort gegebenen Bestimmungen der drei Seelenteile an, so wird deutlich, daß die fraglichen drei Tugenden in ihnen nicht ihren Sitz haben können; die Seelenteile sind respektive AHTOV TOV ßov?xv£odai XTÄ., ahiov TOV ¿M&V/IEM /j,arog xal ai rmv ¡lEQtöv ¿gerat xal ai rov oXov oco/iaros . . . aigerai. . ., 123, 17ff.: mar' ei xal rd oco/xarixa rcäv äya&wv ÖEÖEixrai dl av&' aigerä ..., xai rd rrjg rpvxrjQ ävayxalov ߣQrj 6i avd1' algera VTiägyELV xal rag agsrag avrcöv xai rrjs oXrjq ipvx'ijs- Wie es gewisse Körpertugenden gibt, deren erstes Subjekt nicht der Körper, sondern ein bestimmter Körperteil ist, wie z. B . TiodöiXEia (122, 21) die Tugend zuerst des Fußes, dann des Körpers ist, andererseits andere Körpertugenden nur auf den Körper als ganzen als auf ihr erstes Subjekt zu beziehen sind, wie z. B . vyiEta, loyyq, xäÄXoq, so haben Tugenden der Seele als erstes Subjekt entweder einen Seelenteil oder sind über die Seele als Ganzheit hinaus von einer kleineren Einheit nicht prädizierbar. Die Analogie zwischen Körperund Seelentugenden wird bei Stob. I I allerdings nicht VV entsprechend durchgeführt, indem die Analogisierung, Teile — Ganzes betreffend, bei der Durchführung außer Betracht bleibt (124, 1—125, 13). Die Stelle sollte auch nur angeführt werden, um zu zeigen, daß es im Peripatos durchaus möglich ist, von Tugenden der ganzen Seele im Unterschied zu Tugenden der Teile zu sprechen. — Ob bei Stob, die fiEqtj trjg y>v%rjq als zwei oder drei gedacht sind, läßt der Zusammenhang leider nicht erkennen; jedoch liegt bei der Rede „Tugend eines Teiles" die Dreiteilung mit j e einer, d. h. „der" Tugend jedes Teiles näher als die arist. Zweiteilung, bei welcher „Teil" Sammelbecken einer Mehrzahl von Tugenden ist. «Die vorgetragene Interpretation von äqety) oAijg rfjg yivxrjg, die von der Beobachtung ausging, daß ngaöxrjQ und ävögeia deshalb Tugenden des &v/ioEtÖEg sind, weil die entsprechendenna&T) dort lokalisiert sind, findet auch in der o. S. 52 f. zu amipQOavvrj als Sondertugend des Em&v/irjTiHov gemachten Anmerkung ihre Bestätigung. Die Tugenden ömaioovvr], EÄev&EQiÖTrji;, fiEyaXotpvxia sind bei Ar. ethische Tugenden, d. h. Tugenden des äXoyov. Für den Fall, daß das arist. aXoyov nur als Summe der beiden alogischen Seelenteile Piatons (rd äXoya ¡XEQrj) verstanden würde (vgl. die o. S. 45 f. zitierten Belege aus Ar. De an. und Plut. De virt. mor.), deren Tugenden,

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d. h. deren beste Verfassung, ävögeia und aaxpQoavvrj sind, und nicht als ein darüber hinaus erweitertes Sammelbecken bzw. als Ursprungsort aller naftrj oder nichtdianoetischer Tugenden, bestände auch bei Ar. die Schwierigkeit, dixcuoovvr], IXEV•&egiört]g und ixeya\oifv%ia zu lokalisieren. Daher weist auch der Anonymus darauf hin, daß ra äkoya fiigr) bloßer Hinweis auf Plat. sei, also keineswegs die in diesen beiden Teilen lokalisierten nd&rj den Gesamtbereich des äloyov ausmachten. S i e drei genannten ethischen Tugenden sind dann mit Sinn Tugenden der ganzen Seele zu nennen, sobald die ethischen Tugenden einschließlich der ipgovrjing das Gebiet der Tugend allein ausmachen und die vorhandene Gliederungsmöglichkeit dieses Komplexes kein Mittel an die Hand gibt, sie näher zu lokalisieren. Hier verrät sich also letztlich das Ungenügen der ethischen Psychologie. 5,12 ( 4 9 b 30) „ U n v e r s t a n d " : aipgoavvr]. Zu jeder Tugend, mit Ausnahme von tpgovrjaig und ooq>ta, ist auch in R h e t . I 9 das Gegenteil genannt, die Bezeichnungen stimmen mit den arist. Ethiken wie auch denen in V V überein. Das Gegenteil der ipgövrjaig ist nach R h e t . I I 1, 1378 a 8ff. ärpgoavvrj. Dieses Wort ist von den Ethiken nur in der N E belegt ( V I I 3, 1 1 4 6 a 27,6, 1 1 4 9 a 5, ebenfalls als Gegenteil der. og&w Xoyiaficp- dvvafiiq ävvnegßXrjrog rov vnohrjcp&ivzog dfjdw XoyiOfiä), 4 1 5 d 9 f . : EYXQAXRJQ• o xgazwv ävzizeivävzwv TOJV zf^ Y>v%rjg ßogimv ZÜJ OQ&ÜJ Aoyio/tw, 416 a 1 ff.: äxgaaia• el-ig ßiaoxixi] nagä zöv og&ov ?.oyujßov ngoq zä öoxovtza rjöea elvai. Gegenüber durchgängigem og&og Xoyioßöc, in den Def. h a t V V , offenbar gleichbedeu-

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Anmerkungen

tend, fjoyuspög allein, darin mit Ar. übereinstimmend: E E I I 7, 1223b 1 3 f . : . . . naqä rrjv em&vfiiav xarä rov Xoyia/xov . . ., E N V I I 2, 1145 b 10 ff.: . . . ¿yxQarrjg xai ißftevenxog rä> Xoyiafiü) . . ., äxgar^g xai exarartxog rov Äoytopov. 5,24 (50 a 10) „die Begierde niederhält". Belege für xarexeiv rf/v em&v/iiav: 6, 1203b 1 4 f . : ¿mdvfiicöv EVOVOCÖV ravrag xari%v rj n/xrjg rj agx^g • • • ¡ir) xgrjoezai og&mg TOVTOig, ovxert äv eit] onovöaioq . . . 6.18 (50 a 33) „ im U m g a n g " usw.: TO d/uiAtjoai og&cög. Durch diesen Zug, der im Zusammenhang mit der tpQdvrjaig in der N E keine Parallele h a t , ergibt sich als Bereich der Verständigkeit auch der gesellschaftliche Verkehr, d. h. ergibt sich cpgdvrjOig auch

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Anmerkungen

als eine Tugend, die sich ev raig o/iMaig bzw. negl rag evrev^eig erweist, also als eine bzw. evrev£ig og&rj. Nun befindet sich in MM I i 3 im Zusammenhang mit Gedanken, die wir zu den bisher behandelten Kennzeichen der (pgövrjOig in VV heranziehen konnten (und die in der NE fehlen), eine schwierige Stelle, 1199 a 14—19, die sich mit dem Verhalten im gesellschaftlichen Yerk.ehr befaßt. Dirlmeier zieht zu ihrer Erklärung (MM 363 (51, 3]) das wg ösl ofidrjoei aus EN IV 12, 1126b 28 heran und bezieht cbg äel als cbg 6 og&ög Xöyog (EE III 4, 1231b 32) auf q>gövrjatg. Damit ist der innere Zusammenhang der fraglichen Stelle mit dem Kontext in MM wahrscheinlich gemacht und durch die Berufung auf unsere Stelle (VV 50 a 33) das gesellschaftliche Verhalten als zur (pgövrjOig gehörig bewiesen. Das nämlich ist Dirlmeiers Beweisabsicht, da das in den MM aufgeworfene Problem nicht vom qjgövifiog, sondern vom öixaiog und anovdaiog spricht. Offen bleibt die Frage nach der Quelle, in der erstmalig gesellschaftliche Tugend ausdrücklich in den Bereich der qjgövrjotg aufgenommen worden ist; die MM greifen nämlich nur ein Einzelproblem auf, wobei die Lehre von der ipgövrjOig im gesellschaftlichen Bereich vorausgesetzt ist. Zu To öfiiXfjaai ogftöig vgl. ferner Isoer. II 39: ein aotpög ist, wer es versteht, ¿fiiXelv xai rolg ngdyfiaai xai rolg äv&Qomoig (vgl. dazu Wolf Steidle, Redekunst und Bildung bei Isokrates, Hermes 80, 1952, 277f.). o/iiMa

6,18 (50a33) „die Gelegenheiten" usw.: TO aiwideiv zovg xaigov^. Nicht in den Ethiken (EN, MM). Diese Bestimmung stellt einen Spezialfall von to xglvai TO. äya&ä xai xaxa. dar, insofern als xaigög das äya&öv in bezug auf die Zeit ist (Ar. EN I 4, 1096 a 26). Dem awiöelv rovg xaigovg entspricht die evxaigia der [Plat.] Def.: evxaigiaxgovov emrev&g, ev w %gfj na&eiv rt r] noif)aai (413c 12); xaigog ist definiert als '/QOVOV äxfirj TtQog



avfx>p£QOV'

yjjövoi;

aya&ov

rivog

awegyög

(414 a 6).

(to

owideiv

roiig

xaiQOvg

kann auch durchaus auf gesellschaftlichen Umgang bezogen sein. Als Gegenteil ergibt sich in dieser Hinsicht die äxaigia Theophrasts, Char. XII, falls die Lesart der Münchner Epitome richtig ist: äxaiQia als eine evrsv^ig. Beibehaltung von Inhm^ig und Ergänzung von %gdvov — so Rüge, Holland; auch Steinmetz — in Analogie zur evxaigia der [Plat.] Def. erscheint mißlich, da ¿Tthsv^ig das Treffen — prägnant als „richtiges Erfassen"; inn;vy%äveiv, opp. anorvyydvEiv — bezeichnet.) Dieser Hinblick auf den Nutzen macht das Erfassen der xaigoi zu einem sinnvollen Kennzeichen der Verständigkeit, wie sie in VV gesehen ist. Die Frage ist, wie xaigög in den Zusammenhang mit ipgovrjaig gekommen ist. S. auch unten zu Tri ngayfiaxa (50b 43), S. 104. Der xaigog spielte eine bedeutsame Rolle im Denken Theophrasts; vgl. Dirlm., Oikeiosis-Lehre 8: die „beabsichtigte . . . Erfassung der menschlichen Handlungen, insofern sie sich nach dem Kairos zu richten haben, stammt erst von Theophrast"; 9 Anm. 1: „Max Pohlenz hat die nachhaltige Wirkung Theophrasts kenntlich gemacht, indem er bei Aristoxenos den Kairos als den ,Mittelpunkt einer ethischen Theorie' erwies: To nginov, ein Beitrag zur Geschichte des griechischen Geistes, NGG (1933) 71." xaigög, mit Hinblick auf den Nutzen, begegnet in VV 51b 9f.: nXtim

ßXdmovrai

TÜJ /lij

xarä

xaigov

ngoeo&ai

TO

diaipogov.

6,18 (50a33) „im Blick" usw. awoqäv: „verstehen, erfassen durch Ubersicht in vergleichender Zusammenschau"; in Verbindung mit ky.nugia: Ar. Rhet. I 4, 1359 b 31; mit dem Hinblick auf Unterscheidung von Nützlichem und Unnützem: Isoer. XII

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144. Zu owogäv bei Isokrates vgl. E . Mikkola, Isokrates. Seine Anschauungen im Lichte seiner Schriften, Helsinki 1954, 78. Verben des Sehens im Zusammenhang m i t (pgovr]Oig\ s. o. zu MM I I 3. 6 , 1 9 (50 a 3 3 ) „scharfsinnig" usw.: ro äy/ivaig '/QTioaa&ai xai Xoyo> xal egycp: nicht in den E t h i k e n ( E N , MM). I n sehr allgemeiner, um nicht zu sagen, nichtssagender F o r m ist hier &y%ivoia, die ein Teil der (pQOVTjmg ist, vorweggenommen. 6 , 1 9 (50a 34) „in W o r t und T a t " : xal Xöyqj xal egym (ähnlich noch zweimal in V V : 5 1 a 7 : vno Xoyov xal egyov rov rv/ovrog, a 2 0 f . : ev TOLQ Xöyoig xal ev Tolg ioyoig) als Formel für die T o t a l i t ä t aller menschlichen Äußerungen: Ar. gebraucht in dem genannten Sinne fast durchgängig Xöyoi xal ngd^eig (bzw. v e r b a l : Xiyew xal ngarreiv), nur selten Xoyog xal egyov (so in R h e t . I 11, 1 3 7 1 b 23, 1372 a 1 ; das entsprechende Xeyew xal noietv I 9, 1367 a 8 ; ferner: Symposion fr.3 Ross, [Ar.] Oec. I 5, 1 3 4 4 b 9). [Ar.] R h e t . ad AI. h a t die Verbindung von Xoyog und Jigäfig (sg. und plur.) häufig und ausschließlich, d. h. nicht egyov, wohl aber ngay/xara (nur die Verbindungen m i t xai sind berücksichtigt). P l a t . gebraucht sehr häufig, zugleich ausschließlich, die Verbindung von Xoyog und egyov, jedoch verbal sowohl Xeyeiv xal lioieXv als auch Xiyew xal ngaTTew. Die ps.-plat. Def. dagegen verwenden ausschließlich Xöyot xal 7igafeig bzw. Xoyog xal ngäl-ig ( j e einmal: 4 1 3 b 4, 4 1 6 a 34). X e n o p h o n k e n n t nur Xoyog xal egyov; die Verbindung begegnet nur in wörtlicher Rede (Feldherrnrede, Dialog); von sechs Belegen sind vier in den Memorabilien enthalten. (Mem. I I 3, 6. 8. 15. 1 7 ; dreimal Chairekrates, einmal Sokrates). I n den Charakteren Theophrasts steht, immer in der Definition angewandt, viermaligem Xoyoi xal ngd^eig einmaliges egya xai Xoyoi entgegen (Char. I 1, V I I I 1, X I I I 1, X I V 1 — Char. V I 1 . . . v7xofj,ovij alaxQööv egycov xal X6ytov, corr. S t e p h a n u s : codd. egycov öixaiokoycav). B e i Ariston von Keos ist mir ein Beleg für Myoi xal egya begegnet (Wehrli 34, 21). Vgl. ferner I s o k r a t e s : Xeyeiv xal ngarreiv, Xoyoi xal ngaljeig, Xoyoi xal egya. 6 , 1 9 ( 5 0 a 3 4 ) „ E r f a h r u n g " usw.: ro TTJV efineiqiav e%ew xmv %gr]ai(i03V navxmv. Diese Bestimmung n i m m t in allgemeiner F o r m die Zugehörigkeit der ifineigia zur (poovqaig vorweg, die im folgenden durch nagenstai und awainov ausgedrückt wird. 6,20ff. (50 a 35ff.) „Gedächtnis und Erfahrung und gesellschaftlicher T a k t und Wohlberatenheit und S c h a r f s i n n " usw. Zu ihrem Verhältnis zur Verständigkeit s. o. S. 35 ff. Vor der Untersuchung dieser Eigenschaften sollen zwei B e t r a c h t u n g e n zur Sprache verzeichnet werden: 1. I n 5 0 a 35—37 wird mit rjroi-fj eine Alternative gestellt, eine Aporie formuliert; ebenso ist in 50 b 2 2 f . die dort genannte Aporie eine Gegenüberstellung zweier Möglichkeiten in der F o r m ijroi-rj. Ar. und P l a t . gebrauchen 7]T0i-r} verhältnismäßig häufig. (Vgl. Ast und B t z . : z. B . in den Cat. achtmal, in vielen arist. Schriften fehlt es j e d o c h ganz, so in allen E t h i k e n ) . Die Lösung dieser Aporie ist hier in aristotelischer Weise mit rj (50 a 37) eingeleitet. (Vgl. B t z . , s. v. rj disiunctivum 3 1 3 a 7ff.) 2. Die Lösung ( 5 0 a 37—39) ist folgendermaßen gegliedert: fj rä ߣV . . . olov ( = quasi) . . . eon, xa&dneg ( = scilicet) . . ., r a 6yov fj xivdwov • Öet yäg Elvai ipoßEgriv roig ¡XEV (pavXoic, rtjv rov ßtov reXevrQV, roig ÖE onovöaioig rr/v iv zw £fjv ädol-iav. Vgl. E N H i l l , 1116b 19ff.: roig /IEV yäg (sc. noXinxoig) ala%göv ro ipEvyEiv xal o ftdvarog rfjg roiavrrjg omrrjgiag aigsrwrsgog, ol de (sc. organürai) . . . (pevyovat, rov fidvarov /¿äXXov rov alaygov vxrjg . . . (peiöoßevovi;. Z u d e n b e i d e n o b e n a n g e g e b e n e n B e l e g s t e l l e n d e s V e r b u m s ävdQayafriCeo&ai bei T h u k . b e m e r k t S c h m i d t , d a ß es d o r t die H a l t u n g derer bezeichne, die „ a u s moralischer P r ü d e r i e d a s d u r c h die politische L a g e G e b o t e n e nicht t h u n w o l l e n " . F ü r S c h m i d t h a n d e l t es sich bei dieser B e d e u t u n g u m die A u s -

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Anmerkungen

gestaltung einer Seite des Substantivs âvôgaya&ia, die im Melierdialog (V 101) her vorgehoben ist. Der Unterschied besteht nur darin, daß der Vorwurf des âvôgayaêi^ea&ai Leuten gemacht wird, die den Ruf der àvôgaya&ia gerade durch Untätigkeit und auf gefahrlose Weise bewahren wollen, im Melierdialog dagegen auf die Betätigung des Manneswertes im Kampf angespielt ist : . . . ot3 yàg negi âvôgaya&iaç ô âyàjv ànà Tov ïaov v/jZv, /XTJ aloxvvrjv àrpXeïv, negl âè OANRJQÎAÇ ¡xäXXov fj ßovXfj, TZQÔÇ rovç XQEÎOoovaç noXXm ¡xfj àv&Loxaodai. — Ein dieser âvôgaya&ia entsprechendes âvôgaya&iÇeo&cu paßt der Sache nach in VV am besten, als die Haltung, die dem ßäXXov a'wüadai re&vdvai xaXciç fj aloxgwç aai&rjvai zugrunde liegt; denn eben dieser Satz kennzeichnet wieder genau die von den Athenern beanstandete Haltung der Melier. âvôgaya&iÇecr&aL heißt also ftäXXov aÎQeïv&ai re&vdvai xaXojç fj aiaxgüg oa>drp>ai, und zwar mit dem Motiv, seinen Manneswert zu beweisen; vgl. den diesen Gedanken samt seinem Gegenteil gut wiedergebenden S a t z : X e n . Cyr. E x p . V I 5, 14: ov yàg ôà^r/ç ¿gcà ôeofiévovç vfiâç eîç âvôgeiÔTrjra, âXXà awrrjgiaç. E s ist verlockend, auch im âvôgayaûiÇeo&cu unserer Schrift einen gewissen negativen Unterton herauszuhören. Als Gegenteil ergäben sich dann eüXdßeia und ro ârpMvEixov rov fftovç, bei der Feigheit ( 5 1 a 15 f.). 6,36 ff. ( 5 0 b 4 ff.) „ E s begleiten . . . die Tapferkeit" usw. Zu den von der Tapferkeit implizierten Eigenschaften: evroXfiia, evxpvxia, dàgooç, t,£iv rovg yeyga/xfiEVOvg vofiovQ ist die Gerechtigkeit in einer Weise gekennzeichnet, die in den arist. Ethiken keine Parallele hat. Die Vorstellung entspricht der (5ixa£ov ooéç r e yoveïç TÎfia TOVÇ t ay^iaT èxyeya&Taç. _ E i n e V e r w a n d t s c h a f t dieser Verse m i t d e m fraglichen P a s s u s in VV ist zweifellos v o r h a n d e n . Abgesehen jedoch d a v o n , d a ß die D a t i e r u n g des GG strittig ist, m u ß ein A b h ä n g i g k e i t s r i c h t u n g im Zellerschen Sinne v o n vornherein als unwahrscheinlich erscheinen. D a m i t wird n i c h t Abhängigkeit im u m g e k e h r t e n Sinn b e h a u p t e t ; es soll n u r festgestellt werden, d a ß ein P r o d u k t p s e u d e p i g r a p h e r pythagoreischer L i t e r a t u r , deren Material platonisch, peripatetisch, stoisch u n d altpythagoreisch ist (vgl. U e b e r w e g - P r a e c h t e r 518), als Quelle höchstens in W e r k e n derselben G a t t u n g angesehen werden k a n n , u n d auch d o r t n u r d a n n , wenn die Ü b e r e i n s t i m m u n g ganz eng u n d auf andere Weise nicht zu erklären ist. E s m u ß also aufgedeckt werden, wo die Vorstellung, die die ersten Verse des GG widerspiegeln, ihren U r s p r u n g h a t , u n d in welchem Verhältnis VV zu diesem U r s p r i n g s t e h t . Ob P y t h a g o r a s u n d die älteren P y t h a g o r e e r schon eine Dämonenlehre g e k a n n t h a b e n , ist u m s t r i t t e n . R i c h a r d Heinzé, X e n o k r a t e s , Leipzig 1892, 87 verneint es, w ä h r e n d Zeller d a r a n zu d e n k e n scheint (vgl. I l 6 ' 7 , 1923, 534). N a u c k a. O. 224 m e r k t z u m GG. V. 1—3 a n : „ n o r a t aureus p o e t a distingui a Pythagoreis ûeovç, ôaipovaç, rjQwaç : i n v e r t i t ordinem c o m m e m o r a n s (1—3) deovç, ijQtoaç, ôai/iovaç, et p a r u m a p t e xaTax&oviovç dicit ôaiftovaç." (vgl. 209 f.) Heinze (110) b e t r a c h t e t die D ä m o n e n l e h r e der N e u p y t h a g o r e e r als im wesentlichen auf der xenokratischen f u ß e n d . E s ist aber z u m E i n g a n g des GG zu b e m e r k e n , daß' es sich d o r t nicht u m d e n Reflex einer speziellen D ä m o n e n l e h r e h a n d e l t , sondern lediglich u m einen g e s t u f t e n F r ö m m i g k e i t s b e z u g , der bei d e n G ö t t e r n beginnt u n d h i n a b bis zu den Blutsverw a n d t e n reicht. Zu einer solchen Vorstellung ist die Reflexion ü b e r die D ä m o n e n u n d die Ausbildung einer d o g m a t i s c h e n Lehre über die A r t ihrer Stellung zwischen G ö t t e r n u n d Menschen n i c h t notwendig, wiewohl sie d a h i n t e r stehen m a g . Z u n ä c h s t jedoch ist diese Vorstellung Abbild der allgemeineren A n s c h a u u n g , n a c h der der N a m e „ D ä m o n e n " f ü r G ö t t e r niederen R a n g e s galt (vgl. Heinze 87) u n d h a t ihr Vorbild in P i a t o n s Gesetzen : Legg. I V 717 a 6ff. : nqmrov fib,. . ., Tijiàç Tag fier' 'OXvfimovç TE xai TOÙÇ TTJV nihv ë%ovraç ûeovç TOÏÇ X&OVÎOIÇ äv TIÇ ôeotç äqria . . . vé/iœv 6QMTO.Ta TOV Tfjç eiaeßdag oxoTiov Tvyxàvoi, r d Sè TOVTOJV ävm&ev xal nEQinà xai âvriqxova, TOÏÇ ê/xnQoo&ev Qrj&Éiaiv wvôr). Msià ÛEOVQ ôè TOVOÔE xai TOÏÇ ôalftoaiv S ye êfjupQtov ÔQyiàÇoiT äv, rjnojmv Sè FIERA TOVTOVÇ. 'Enaxokov&EÏ ô'avroïç lÔQVfiara ïôia nargmeuv fîewv . . ., yovécov Sè /iezà Tavra Tt/iai Çcovraw . . . ( T e x t n a c h der Ausgabe von E . des Places in der Coll. Budé, Paris 1951). D a ß diese Stelle im D e n k e n der N e u p y t h a g o r e e r eine Rolle gespielt h a t , ist bewiesen d u r c h ein unbezweifelbares Z i t a t in P o r p h y r s Vita P y t h a g o r a e , welche Schrift eine der H a u p t q u e l l e n unsrer K e n n t n i s d e s . N e u p y t h a g o r e i s m u s ist: Vit. P y t h . 38 ( N a u c k 37, Z. I f . ) : xai TOÏÇ ftèv ovQavioiç ûeoïç Jiegirrà •ùveiv, TOÏÇ ôè%&oviotç açTta.

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Anmerkungen

( Ü b e r den Z u s a m m e n h a n g , in d e m dieser Satz s t e h t , s. u.) Dieser Satz ist nicht als N o m o i z i t a t kenntlich g e m a c h t , sondern als Lehre des P y t h a g o r a s m i t naofpiei (36, Z. 22) eingeführt. Als P i a t o n z i t a t f ü h r t P l u t a r c h , De Is. et Os., K a p . 26, 361 A denselben G e d a n k e n a n : . . . â /lèv IIÄdzcov 'Ofaifimoiç ûeoïç r d ôeÇià xal neçnrd, xà ò'àvricpwva TOVTOJV ôai/maiv ànoôiôcoaiv. Der Satz s t e h t bei i h m im Z u s a m m e n h a n g m i t E r ö r t e r u n g e n über die D ä m o n e n u n d stellt insofern ein sicheres Zeugnis über die Verwendung der fraglichen Nomoistelle im N e u p y t h a g o r e i s m u s d a r , als sich Plut a r c h a m Eingang dieser E r ö r t e r u n g auf dessen G e w ä h r s m ä n n e r b e r u f t ( K a p . 25, 360 D : nXdiiov xal IJv&ayÔQaç xal SEVOXQÔtrjÇ xal XQvatnnoç). Mit dieser B e r u f u n g ist nichts anderes gemeint als die B e r u f u n g auf die neupythagoreische Lehre, wie sie siçh P l u t a r c h darstellte. Das m a c h t K a p . 30, 363 A deutlich, wo er zur B e k r ä f t i gung des in K a p . 25 entwickelten Gedankens s t a t t wie d o r t auf die oben g e n a n n t e n Männer einfach auf die P y t h a g o r e e r (ol IIv&ayoQixoi) verweist. (Zu diesen Verweisen: vgl. Zeller I I I 2 1 , 1903, 180 A n m . 1). D a m i t ist die K e n n t n i s u n d V e r w e n d u n g der Nomoistelle im N e u p y t h a g o r e i s m u s belegt. E s h i n d e r t nichts, in ihr, über welche Zwischenstufen a u c h i m m e r , das Vorbild zu den Eingangsversen des GG zu sehen. D e m oben wiedergegebenen P i a t o n z i t a t in P o r p h y r s Vita P y t h a g o r a e geht folgender A b s c h n i t t voraus, der die Dreiheit Götter, D ä m o n e n , H e r o e n e n t h ä l t : V i t . P y t h . 38 ( N a u c k 36, Z. 22 ff.): nagr/vEi ôè (sc. o IIvûayÔQaç) TIZQÌ ¡J.ÈV TOV fteiov xal òai/ioviov xal rjod>ov yévovç EV3zcov. Diog. L a e r t . V i l i 23 : xaì $EOVQ ftèv òaifióvcov TtQOTi/iäv, , tfgcoag S' àvdQo'mmv, àv&gcónatv òè fiakiara rovg yovéag. Zaleukos ( a p u d Stob. I V [Hense], 126): TiEnelo&at óè roig vó/xoig cbiavrag xaì rovg ag%ovrag aiSela-dai. . . • d>g juerà &eovg xaì óai/iovag xaì fjomag yoveig re xaì vópoi xaì aqyovxeg ovveyyvg stai ralg rifialg nag' àv&gd>7ioig vovv lycmai xaì aoj&rjao/jxvoig. I m Satz u n m i t t e l b a r d a v o r : vofii'¡xoig nargioig. Max Mühl, Die Gesetze des Zaleukos u n d Charondas, Klio, Beiträge zur alten Geschichtè X X I I (1929) geht in seinen B e m e r k u n g e n (445 f.) zu diesem ngooifiim nicht auf den zitierten Abs c h n i t t ein. D a s G e d a n k e n g u t des ngooipiov e n t s t a m m e z u m g i ö ß t e n Teil der späthellenistischen Popularphilosophie, wie es auch in der Diatribe a b g e h a n d e l t werde. Demgegenüber b e m e r k t Wehrli, Aristoxenos 58, d a ß das bei Aristoxenos als p y t h a goreisch eingeführte G e d a n k e n g u t „ n a c h t r ä g l i c h f ü r beliebige E i n z e l v e r t r e t e r der Schule b e a n s p r u c h t w e r d e n " k o n n t e . D a m i t erkläre sich „die B e n ü t z u n g der 'Anotpdaeig . . . in ZaXevxov nqooijxia vóficov bei Stobaeus . . . " Zaleukos gilt schon Aristoxenos als P y t h a g o r e e r (fr. 43 ; vgl. f r . 17 = P o r p h . Vit. P y t h . 21); /¿A{H]TR)g IJv&ayógov ist er bei Diod. Sic. X I I 20, 1. E s ist also a b z u n e h m e n , d a ß der zitierte Passus, m i t Ü b e r a r b e i t u n g , auf Aristoxenos z u r ü c k g e h t . Die oben zitierten A b s c h n i t t e der beiden P y t h a g o r a s v i t e n ( P o r p h . 38, l a m b ì . 100) gehen über Mittelquellen auf die fragliche Stelle der platonischen Gesetze z u r ü c k ; d a s m a c h t d a s N o m o i z i t a t bei P o r p h y r i o s u n d die p l a t . Dreiheit deutlich. D a ß in d e m T r a d i e r u n g s v o r g a n g Aristoxenos eine Rolle gespielt h a t , der d ? n n neupythagoreisch e r g ä n z t w u r d e , ist n i c h t unmöglich, wiewohl fraglich. I n VV fehlen, wie bei Aristoxenos, gegenüber P l a t . einerseits u n d der n e u p y t h a goreischen L i t e r a t u r andererseits, die Heroen. D a m i t h a b e n wir gegen d e n zeitlichen A n s a t z der Schrift in u n m i t t e l b a r e r P i a t o n n ä h e (Werk des j u n g e n Ar.) einerseits u n d gegen die D a t i e r u n g auf s p ä t e n , d e m N e u p y t h a g o r e i s m u s n a h e s t e h e n d e n Eklektizism u s andererseits ein s t a r k e s A r g u m e n t . Der sich a m E i n g a n g der Schrift f ü r die Seelendreiteilung auf P l a t . b e r u f e n d e Verfasser h ä t t e sich als s p ä t e r E k l e k t i k e r a n die f o r m e l h a f t gewordene Dreiheit g e b u n d e n gefühlt. D a z u d e m f ü r P l a t . die Verstorbenen D ä m o n e n , nicht Heroen werden (vgl. O. Reverdin, La religion de la cité platonicienne, Paris 1945, 149 ff. ; Hinweis bei W . Theiler a. O.), scheidet die Möglichkeit aus, h i n t e r den xaroi%0ßEvoi die Heroen zu sehen u n d auf solche Weise doch die besagte Dreiheit als zugrunde liegend zu b e t r a c h t e n . Die b e o b a c h t e t e n beiden Gemeinsamkeiten zwischen VV u n d Aristoxenos, n e g a t i v , das Fehlen der Heroen, positiv, die N e n n u n g der D ä m o n e n zwischen d e n G ö t t e r n u n d d e n Menschen, genügen, u m VV in die N ä h e des Aristoxenos zu setzen. W ä h r e n d die ps.-plat. Def. zu d e m b e t r a c h t e t e n A b s c h n i t t ü b e r h a u p t nichts Vergleichbares bieten, ist der öixaioavvrj-Abschnitt der Divisiones Aristoteleae zumindest seiner S t r u k t u r n a c h zu vergleichen: ed. M u t s c h m a n n 4 ( = Diog. L a e r t . I I I 83): tr\g òè Sixaioavvrjg ìarìv eìòr) rgià • f\ /lèv yàg avrfjg èaxi negì &sovg, rj òè nsgì àv&gcónovq, Ì ) dè JTEOÌ rovg ÒJior/ofiévovg.

92

Anmerkungen

Die Nähe der behandelten Abschnitte in YV und in den Ilv&ayogixal anocpaoeig des Aristoxenos wird auch von der engen Parallelität der Ausdrücke rö ach^ew rä Tidrgia edrj xal rd vd/ii/ia (VV) und fisvetv ev rolg nargioig e&eaire xai vo/nifioig (Aristoxenos bei Iambl.) bezeugt. Die formelhafte Wendung rd ndrgia e&r] xai vöfii/ia ist weder bei Plat. noch bei Ar. belegt; der einzige mir bekannte weitere Beleg, allerdings nur einer ähnlichen Formel, steht im Abriß der peripatetischen Ethik des Arius Didymus, Stob. II (Wa.) 144 Z. 13f.: . . . xarä vöftav xal rd jiargiov e&og. Vgl. die Formeln: rd rf&rj (v. 1. e&rj) xal vö/u/ia (Ar. Rhet. 18, 1365 b 23, 1366 a7.19); rd v ö f i i f i a xai rd f[9r] (v. 1. e&rj) (Ar. EN X 10, 1180 b 4); rd nargia edrj nagä näoi naoaßaiveiv ädixöv ¿ort ([Ar.] Rhet. ad AI. 3, 1423a 34f.); roig v f j g noXeog e&eoire xal vofioig (Aristoxenos fr. 35, Wehrli 18 Z. '29). Da der Verfasser von Beschreibungen ethischer Qualitäten kaum sein Material aus einer Schrift über Pythagoras und die Pythagoreer holen wird, kommt wohl nur eine gemeinsame Quelle in Betracht. Auf die peripatetische Ethik führt der Vergleich mit den Definitionen der evaeßeia und oaiörrjg in der bei Stobaeus aufbewahrten Übersicht ; beide Tugenden sind Unterarten der Gerechtigkeit (ev etöei r f j g ötxatoavvrjg, vno r f j v Sixaioavvrjv, Stob. II [Wa.] 146 Z. 16f.). Die Definitionen lauten: svaeßeiav. ..e£iv &eän> xai Saiftövcov ftegcmevTixtfv, . . . ¿otörrjra . . . e£tv öixaiwv rwv jcgdg rovg &eovg xal xarotxo/xevovq rrjgrjrixifo,... (147 Z. 1 ff.) In diesen beiden Definitionen liegt ebenso wie bei Aristoxenos und in VV der Främmigkeitsbezug zu den Göttern und Dämonen vor, während die Heroen fehlen. Auch der in VV über Aristoxenos hinausschießende Bezug auf die xaroixöfievoi ist hier ausgesprochen. VV stimmt im Gebrauch dieses Wortes mit der peripatetischen Ethik des Arius Didymus überein; neben den gerade zitierten Beleg tritt noch 144 Z. 14 f. In den Div. Arist. 4 (Diog. Laert. III 83) steht das noch seltenere ärcor/0/J.evoi. Mit den beiden zitierten Definitionen haben wir zwar nur verwandtes Material vor uns, nicht eine mögliche Quelle; doch erlauben uns diese Definitionen die Vermutung, in der theophrastischen Ethik die Quelle zu sehen, zumal als ein „Hauptmerkmal der 'Anotpdaeig" ihre „Beanspruchung akademisch-peripatetischen Gutes für die Pythagoreer" zu gelten hat (Wehrli, Aristoxenos 59). Wir erwarten, daß es in irgendeiner Schrift ethischen Inhalts des Theophrast einen Abschnitt gab, in dem die Stufen des Frömmigkeitsbezuges, auch das in den zitierten Definitionen nicht enthaltene Material, das Aristoxenos und VV gemeinsam (yoveig) bzw. VV allein (nargida) haben, umfassend, behandelt wurden und daß die dortigen Ausführungen im ganzen von dem obigen Nomoizitat mitbestimmt waren. Nun ist bei Stob. III (He.) 3, 42 (207f.) ein Theophrastbruchstück (fr. 152 Wimmer) aufbewahrt, das einem zu erschließenden Zusammenhang angehörte, der diesen Erwartungen entspricht. Es lautet folgendermaßen: XQT] roivw röv (lekhuvra •davfiaadrjaea&at negl To fielov (ptXo&vrrjv elvai, f i i j rm noXXa frveiv, dtäd r exeivcav ßovXrjoem rov avrov ßiov svnev&fj xaraoxevdfeiv. 6 yäg f i i j roiovrog, aAAd rcöv re r f j g ipvaewg rcöv re r f j g nöAecog vo/ia>v ohycogtöv dficporegovg rovg rrjg Stxaioovvrjg rginovg nagaßißrpce. ( J . Bernays, Theophrastos' Schrift über die Frömmigkeit, Breslau 1866, 74 will dieses Bruchstück der Schrift liegt evaeßetag zuweisen). In diesem Fragment finden wir zunächst das durch die beiden zitierten Definitionen der evaeßeia und oai&rrjg noch nicht gedeckte Verhältnis zu den Eltern. Das sich auf diese beziehende Gebot schließt sich mit tmeira an, ohne daß sich ein solches „dann, danach"

Kapitel 5

93

aus d e m E r h a l t e n e n als sinnvoll erwiese. Schon d a m i t liegt der Schluß nahe, d a ß d e m B r u c h s t ü c k eine d e n platonischen Gesetzen entsprechende A u s f ü h r u n g über die Verehrung u n d Opfer gegenüber den verschiedenen göttlichen Wesen vorausging, reduziert j e d o c h auf die R a n g u n t e r s c h e i d u n g zwischen G ö t t e r n u n d D ä m o n e n , a u f g e f ü h r t mit 71q(ötov, EJiEira (wie in VV). D e n n der A n f a n g s s a t z stellt auf j e d e n Fall das E n d e einer längeren A u s f ü h r u n g d a r , wie XQ*] roiwv . . . zeigt (vgl. B e r n a y s 74), u n d ist als Abschluß einer Übersicht im a n g e f ü h r t e n Sinne d e n k b a r . Doch wird diese scheinbar allzu k ü h n e V e r m u t u n g n u r auf G r u n d der folgenden B e o b a c h t u n g ausgesprochen: der auf die N e n n u n g der E l t e r n folgende T e x t : (. . . yoveig . . .) xaig §ig, Epit. Mon. : évrei>£ì?), nach imòaipiXévea&ai auch naheliegend, avaXwdrjvai k a n n ebenfalls nicht befriedigen; die K o n j e k t u r Sylburgs àvaXcóaai ist notwendig. Eine Lösung, die àvaX(o&fjvai nicht antastete, ergäbe sich durch Streichung von et?: imöayiiÄEVEa&ai iv rd> ÓÉOVTI àvcdw&rjvai (àvakoa&rpiai zu àéovrt gehöriger Infinitiv; also s t a t t Verkürzung eines Relativsatzes der F o r m iv TUJ àvakmaai elg ä del Abwandlung des Relativsatzes iv g àhy&¿ig ävöga). Das Unrechterleiden dagegen ist ein nd&rjfia, das eines Mannes nicht würdig ist, sondern einem Sklaven ziemt (Gorg. 483 a 8—b 4). Da nun der sokratisch Gerechte notwendig Unrecht erleidet, liegt es in der Konsequenz dieses Denkens, dem Kalliklesideal des wahren Mannes den wahren Mann entgegenzustellen, dessen Größe darin besteht, Unrecht ertragen zu können. Nicht àdixéiv òvvaadai ist wirklich groß, sondern àòtxEÌo&at övvacr&ai. Darin besteht zugleich der Verzicht auf Rache. Die so von Plat. mitbestimmte Sicht (vgl. ferner: rep. V I 4 9 6 b 2 : yewalov xal sß TE&gafiipévov tffìog, b 4 : fisydXrj ifv/rf) des Verfassers von VV hat aber an Tiefe verloren; die genannten Bestimmungen sind deskriptiv als natürliche Verfaßtheiten dargelegt. Das wird an ov zi/j,Tixov u n d ev/uezdßoXov v o n den beiden letzten B e s t i m m u n g e n a u f g e n o m m e n wird. 8.11 (51 a 10) „ k u r z e Z e i t " . Auffällig die W e n d u n g : naoä ßga'/vv xaioov. Hier ist xatgög m i t XQÖVOQ s y n o n y m . Die einzige mir b e k a n n t e Paralfele f ü r die V e r b i n d u n g v o n ßga%vg u n d xaioog ist Kallimachos, epigr. 7. 3: im ßga^vv xaigov. nagd ( w ä h r e n d ) verb u n d e n m i t xaigov: vgl. Dem. X X 41: naoä TOIOVTOV xaigov, Marc Aurel I 9. 8.12 ( 5 1 a 11) „ v o n beliebiger F u r c h t " . Der erste Charakterzug der Feigheit n i m m t die Definition auf u n d v e r d e u t l i c h t sie d u r c h den Zusatz „beliebig" {vnd rcöv xvyavTCÜV j alayowg aw&rjvai (50 b l f . ) . S t a t t aioxQ&g aaidr(vai heißt es hier, treffend d e n G e d a n k e n i n h a l t v o n der Verfassung des Feigen her bezeichnend, euphemistisch OTKDOOVV aco&fjvai (s. u. S. 124). vnoXa/ißdveiv gehört zu den v o m Verfasser bevorzugten Ausdrücken (dreimal): noch einmal vnoXa/ißdveiv XQEITTOV elvai (51 a 24: v o m äxgaxtfg) u n d einmal vnoXafißdveiv mit a n d e r e m Infinitiv (51 a 18: v o m äxdXaaxog). E s bezeichnet den das H a n d e l n b e s t i m m e n d e n (bzw. beim axgaxrig gerade nicht b e s t i m m e n d e n ) intellektuellen F a k t o r an diesen Fehlern. Mit algeio&ai (im A b s c h n i t t über die T a p f e r k e i t ) ist es nicht schlechthin a u s t a u s c h b a r , auch wenn wir v o n der leichten Verschiebung in B i c h t u n g auf das H a n d e l n absehen, die sich ergibt, wenn algeiodm a n die Stelle v o n vnoXa/ußaveiv t r i t t . Zwar k ö n n t e a n dieser Stelle ebensogut /täXXov aigeiad-ai OTMÖOOVV awdvjvai xxX. stehen u n d scheint in 51 a 18 vnoXajißdveiv als Voraussetzung des a'iOEta&at (a 16) zu gelten. Wie aber der äxgaaia-Abschnitt zeigt, ist a'tgeio&ai ( 5 1 a 24f.) nicht darauf b e s c h r ä n k t , Folge des VTioXa/ißdvEiv zu sein; d e m Gegenüber von vnoXaßßdvEtv u n d algeto&ai beim äxgaxrjg in VV entspricht

110

Anmerkungen

das Gegenüber der arist. Termini ngoaigeioflai und emöv/tetv ( E N I I I 4, 1111b 13—16), bzw. vnoXaßßdvEiv in VV ist Vorstufe eines arist. ngoaigeia&ai, und algela&ai in VV (bei Tugenden und Fehlern gebraucht) umfaßt sowohl das arist. ¿m&vfielv des dxgGm;? wie auch (das wird an den anderen Stellen deutlich) jedes andere ägiyea&ai, einschließlich des ngoaigsio&ai. aigeia&at ist in VV also nicht auf die Tätigkeit des Xoyianxov beschränkt, während vnolafxßäveiv Äußerung des Xoyiaßrjq ist (51a 23 ff.), dessen ethische Urteile richtig und falsch sein können. 8,16 (51a 14) „Weichlichkeit": ¡xalaxia. Gehört auch zum Gefolge Aexäxgaoia (51 a28) und soll daher gleich in diesem Doppelbezug behandelt werden. In der N E und den MM wird ixaXaxia im Zusammenhang mit der äxgaoia besprochen ( E N VII 1, 1145 a 35f.; 2, 1145b 9; 8, 1150a 9 - b 16; MM I I 6, 1202b 29^38). Aus diesen Stellen ergibt sich f ü r ihre Verbindung mit der Feigheit in VV zweierlei: 1. fiahiytia ist das Gegenteil von xagTegia; diese ist in VV im Gefolge der Tapferkeit aufgeführt (50 b 6), und to xaozEQelv ist charakteristisch sowohl f ü r den Tapferen wie f ü r den Beherrschten (50 b 3, b 14). 2. fiaXaxia unterscheidet sich von äxoaaia nach Ar. darin, daß der Unbeherrschte von der Lust getrieben wird, der ¡xaXaxöq aber im Widerstand gegen körperliche Unlust unterliegt und sie daher flieht (q>evya>v Tat; aco/iarixäg Xvnac, . . . Öl fjzzav E N VII 8, 1150a 23ff.). In MM I I 6, 1202b 34f. heißt es vom fiaXaxog, daß er Beschwerden nicht auf sich nimmt: o /.ia?.mog [iog begegnet bei P l a t . und Ar. 1) als Gegenteil zu ogyiCea&ai (oder ähnl.) und 2) im Zusammenhang mit äfieÄEia, TQvtprj (oder ähnl.). Belege für 2 ) : P l a t . Legg. X 901 e 6 : öediag . . . exyovog . . . agyia, gaßvftia 6E ägyiag xai xgwprjg, 901 c 1 : ga&vßiq xai xgvqifj, Ar. R h e t . I I I , 1370 a 14 ff.: . . . ai gadv/xiai.. .xai ai äfieXeiat xai ainaidial. . . xcöv RJSECOV. 8 . 2 4 ( 5 1 a 22) „ S o r g l o s i g k e i t " : äpsteia. verbunden mit agyia und TQVtprj.

Vgl. z . B . P l a t . Legg. X 9 0 0 e 1 0 :

ä/iiHeux

8 , 2 4 (51 a 2 2 ) „ N a c h l ä s s i g k e i t " : dhymgia. Vgl. die zahlreichen Belege in der arist. R h e t . , in der ¿Xiywgia u. a. als ein gegenüber avaiayyrvxLa und AfiEÄeia weiterer Begriff erscheint. B e i Plat. ist ¿Xiymgia nicht belegt. Nach der Gruppe der Eigenschaften, die ein Gegenteil unter den dxoXoxrdovvxa der Besonnenheit haben, d r a f i a , avaiÖEia, äxoa/ita, schließen sich XQvqfrrj, gq.dvfj.ia, ä/xeXeia, oXiycogia wieder zu einer E i n h e i t zusammen, die in gewisser Weise, vor allem durch afieÄEia und ¿Xiywgia, Gegensatz zur evAaßsia ist. 5 . 2 4 ( 5 1 a 2 3 ) „ S c h w ä c h e " : EXXVCIQ. Diese letzte Eigenschaft muß, als S y n o n y m zu ¡xaXaxia gefaßt (so Demosth. X V I I 2 9 ; vgl. Isoer. I V 1 5 0 : o%Xog axaxxog . . . ngog /¿EV xöv TIÖXE/IOV ExX.E?IVFIET>og, . . . xgvycövxeg, bei Plat. ist exXvaig nicht belegt), ebenfalls noch zu der zweiten Gruppe (s. o.) gehören. Zu der Reihe gqövfiia, äfisXEia, ¿Xiymgia, ixXvaig vgl. die Synonymenreihe Pollux I I I 1 2 2 : . . . exXvaig, ä&vfiia, gqfrvpia, avavdgia, vw&Eia, vcoftgöxrj*;, ¿hywgia, äßiXsia, . . . Wenn sie nämlich als elementare körperliche Erschöpfung, insbesondere die nach dem Geschlechtsakt verstanden würde (Ar. G . A. I 18, 7 2 5 b 1 7 f . : EX xmv äcpgodtaiaaiiwv ixXvaig xai äSwapia, vgl. b 6 ; ferner: Hp. Aph. 7. 8 ; [Ar.] Probl. V I I I 9, 8 8 8 a 4 : ZXXVOIQ mit äövvapia verbunden), wäre sie allein unter allen äxoXovdovvxa in V V nicht logische Folge der Zügellosigkeit, sondern reale Folge zügellosen Lebens. I n dieser Bedeutung kann ixXvaig nämlich nur als der durch das L a s t e r der Zügellosigkeit hervorgerufene Zustand angesehen werden. E i n zeitliches Vorher körperlich verstandener IxXvaig ist eher Hindernis, die dxoXaaia auszuleben. (Vgl. [Ar.] Probl. I V 28, 8 8 0 a 11—21: Sommerhitze ixÄvst die körperliche K r a f t der Männer, so daß sie weniger ogfirjxixol ngog xä äqigodiaia sind.) 8.25 ff. ( 5 1 a 2 3 f f . ) „obwohl die Vernunft entgegensteht" usw. Der erste S a t z im Abschnitt über die Unbeherrschtheit n i m m t die Definition fast wörtlich auf. Die beiden

116

Anmerkungen

weiteren Bestimmungen sind parallel gebaut und charakterisieren die für den äxQarrjg eigentümliche innere Spannung. Wegen der sachlichen Übereinstimmung mit Ar. wird im folgenden vor allem der sprachliche Ausdruck untersucht, d. h. wie weit die hier angewandte Begrifflichkeit und die Formeln der Charakterisierung bei Ar. Parallelen haben. 8.25 ( 5 1 a 24) „Genuß der L u s t " : anoXavaeig

TÖJV

rjöovcöv. S. o. S. 81.

8,26.27 ( 5 1 a 24, 26) „Meinung", „glauben". vnoXafißävEiv und oteadm im Zusammenhang mit der äxQaaia bei Ar. häufig, vjzoXa/ißavEiv allerdings nur in der NE, nicht in E E , MM. 8.26 (51 a 24) „Meinung, es sei besser,. . . " . vnoXa/xßdvsiv XQELTTOV elvai. . . nicht bei Ar.; auch anderes Verb des Meinens und Urteilens mit XOEITTOV slvai ... nicht belegt. Bei Isokrates häufig tfysia&ai XQELTTOV elvai . . . 8.27 (51 a 25) „teilzuhaben". UETE^EIV rütv änoXavaeojv (oder rä>v fjdovcbv) bei Ar. nicht belegt; nur das Gegenteil, änexea&ai rmv aoj/iaTtxow rjdovüv, E N I I 2, 1104b 5f. 8,27 ( 5 1 a 26) „nichtsdestoweniger": fitjdev JjTTOv. Beim äxoaxrit; hat ovöev tfrrov von den Ethiken nur E N V I I 3, 1146b 2. 8.27 (51 a 26) „zu glauben, man müsse": oieo&ai öetv . . . Häufig gebrauchte Formel bei Plat., Ar., in [Ar.] Rhet. ad AI., bei Isoer., bei Xen. oiea&ai öetv ngaxTeiv . . .: im Zusammenhang der axqaaia E N V 11, 1136b 8: 6 äxQavrjg ov% ä oierai deiv JIQÜXTEIV ngätTei. 8.28 ( 5 1 a 27) „das Schöne und Zuträgliche": rd xaXä xai rd avptpEQOvra. Belegt bei Ar. xaXd, tpavXa, ßXaßeed ( E N I X 4, 1166b 9f., I I 2, 1104b 9ff., MM I I 6, 1201b 36), rd ov/Mpegovra nicht im Zusammenhang der Unbeherrschtheit. 8.28 (51 a 27)

abzustehen". äv%oi (1389b 25). Òvaekmg sein heißt, aus der Summe der Erfahrung — Stà rrjv ifmeiQcav rà yàq nìxim zwv yiyvo/uévajv (pavhi iariv (1390 a 4 f.) — das Entsprechende auch für die Zukunft zu erwarten und „alles zu fürchten" (navra tpoßsia&ai, EN III 10, 1116a 2f.). 9,29 (51b 25) „niedriger Sinn" : raneiv&irjg. Auch im Gefolge der àvshEV&EQÌa (51b 15), s. o. S. 129. Vgl. Rhet. II 13, 1389b 25f.: ßixgoyivyoi Sià rò xeianeivovoftai vnò TOV ßtov, Epikur fr. 100 Diano (= 488 Usener): f j rajteivrj IPVXFJ rolg [lèv evrjfieQrifiaoiv ¿Xawó&ri, raig óè avfupoQatg xa&flQÉ&rj (entspricht VV 51b 18 ff.).

KAPITEL 8

9,30 (51b 26) „ I m Ganzen" usw.: xa&óXov ... Vgl. Ar. R h e t . I 9 , 1366b 231.: neql[ièv ovv àqerfjc, xal xaxiaq xadóXov xal TZEQI TCÜV ftogimv EÌQtyiai . . ., MM I I 9, 1207 b 20 ff. : EJIEIÖRJ Sè VTIÈQ éxàaTrjQ t&V AGETWV xarà [¿ÉGOQ EÌQIjxa/TSV, Xomòv àv ETRJ xal xa-ùóXov . . . eÌ7ielv . . .• rj xaXoxàya&ia, S V F I I I 63, 34f. ( = Stob. I I fWa.] 60, 7 f . ) : xoivózeoov Sè xrjv àgsrrjv òid&eaiv Ehai cpaoi IPV/TJI; av/jxpa>vov avrfj TIEQÌ OXOV TÒV ßiov steht als Abschluß der Definitionen der vier Haupttugenden und -fehler. Das Schlußkapitel enthält allgemeine Kennzeichen der Tugend, eine Vielzahl von Einzelbestimmungen und implizierten Eigenschaften. Die Schlechtigkeit wird formelhaft mit dem Hinweis auf das jeweilige Gegenteil abgetan. Die in diesem Kapitel als die Tugend im allgemeinen charakterisierend aufgeführten Einzelzüge, die gesondert etwa der nQaórrjg und /¿EYAXOYIVXIA, der EXEV&EQIÓzr\q und Sixaioavvr) zuzuweisen wären oder iXav&Qamia hat den Platz eingenommen, den in der E E und den MM die xaXoxàyaftia beansprucht: vgl. MM I I 9, 1207b 20ff. (mit Kapitel 10.zusammen Abschluß der Lehre von den ethischen Tugenden), E E V I I I 3 (Schlußkapitel) 1248b 8ff. In der N E ist der xaXoxäyaftia kein besonderes Kapitel gewidmet; das Wort begegnet einmal im Zusammenhang der /j.eyaXoipvxia I V 7, 1124 a 4) und dann im Schlußkapitel im Zusammenhang mit jJ#o? fiXóxaXov (s.u. zu VV 51b 36). (piXóxaXov in VV ist möglicherweise letzter Reflex der Kalokagathie ; ganz blaß geworden ist diese bei Arius Didymus, wiewohl sie dort den Abschluß der zweiten Tugendliste bildet; vgl. Stob. I I (Wa.) 147, 22 ff. : rrjv Sè ix naawrv TCÜV RJ&ixüv ÓQ£TT]V awEOTrjxvlav Xéyea&ai /lèv xaXoxàya&iav, TEXEÌOV Ò' ÒQETTJV elvai, ra TE àya&à dxpÉXifia xal xaXà noiovoav rà TE xaXà di' avrà aigovfiévrjv, damit übereinstimmend, ebenfalls völlig blaß: [Plat.] Def. 412 e 8 : xaXoxàya&ia- ¡¡¡ig ngoatOETixrj TCÜV ßeXzidTOJV. Zugleich sei auf S V F I I I 162 f. hingewiesen, mit der Frage, ob sich dort eine Polemik abzeichnet gegen eine solche Lehre, wie sie VV widerspiegelt: fr. 640: . . . ovx Èmstxfj Sé cpaaiv slvai TÒV àya&òv avSga . .., fr. 641 : ÈAeij fiovag TE [irj eh ai avyyvojfirjv TE È%EIV /ttjóevr . . . r óys EÌKEIV xal ó EÄEog avTi] re $ èmeixsia àSvvafiia (Vorschlag v. Arnims) iati yivxfjg ngòc, xoXàaeu; nQoanoiov/iévrj xerìar°rrìra9,30 (51 b 26) „den Zustand . . . gut zu machen": noislv anoudaiav Ttjv Sid&eoiv TIEQI TrjV (Zu TIEQI TTJV IPW/RFV statt gen. s. o. S. 61.) Zu einer derartigen Verschiebung, nämlich anstatt ÓQETij als onovòaia òid&soii; der Seele zu bestimmen, Tugend im Her-

YIVXRJV.

134

Anmerkungen

stellen solcher Disposition zu sehen, liefert auch Ar. Verwandtes: vgl. Phys. V I I 3, 246b 8f.: Éxaarrj yàg (sc. ager»/, xaxla) . . . nsgl rà óixEÌa nd'Stj eS rj xaxwg öiari&rjai tó eyov (ev Siari&rjoi = noiel OTWvöaiav rrjv SiddrjOtv, vgl. ferner b 19f., 247 a 3f.), E N I I 5 , 1 1 0 6 a 1 5 ff. : näaa

òcp&aXfiov

àgerij

róv

V 3 , 1 3 1 b 1 ff. : olov

d g t r r j , ov äv rj à g e r r f , avrò

. . . ótp&alfjòv enei

anovöalov

ó &E'IQ àfjerfjQ

löiov

. . . tv

èyov

ànoreXei

. . ., olov

n o i s l . . . (vgl. M M I 4, 1 1 8 4 b 24 f.), o ròv

èyovra

noisl

anovöalov



dei

fj

rov

Top.

nagEnó-

. . . Zu noielv, von der ogerrj gesagt, vgl. ferner E E I I 11, 1227b 12ff.; dazu Dirlm. E E 302f. [43, 11]: „nowlv (27b 17 nagéyeiv) steht auch 20b 29 und E N 1144a 20. Von der Schlechtigkeit heißt es analog (28a 4), sie 'mache' die Entscheidung falsch,. . . " „ . . . Sie 'macht' die Entscheidung fehlerfrei, untadelig, heißt 'im Grunde nur', sie bestehe in der Richtigkeit der Entscheidung." (Dirlm. a. O. verweist auf Ernst K a p p , Das Verhältnis der eud. zur nik. Ethik, Diss. Freiburg Br. 1912, 15). Zu dgerrj als . . . öia&eaig vgl. [Plat.] Def. 411 d 1: àgerr] öiä&eoig rj ßehiOTt], d 3 f. : Sidßeaig xaff fjv rò lyov 6iar.eifJ.evov reheiiog onovòalov Xéyerai, Arius Didymus bei Stob. I I (Wa.) 128, 11 f.: àQerrjv ò' dyvoßda&ai Ttjv àglarrp) öiddeaiv rò èyov; zugleich heißt es dort wiederum (Z. 16): tò ä g i a r a i} xa&' fjv ägiaxa öiaxEirai

fievov

ISiov

SiaTi&évat

anoöiöcoxEv,

ioriv

dgerfjg. .

9.31 (51b 27) „ruhig und geordnet bewegt" : f i g e / i a i a i g xal reray/jevaiq xivtfoeoi %gmjxÉMit rjQEfiaiaig ist eine Bestimmung der ngaózrjg wieder aufgegriffen : eyovza rò rjoefiatov iv r f j xii (50 a 43), T e r a y f i é v a i g hat einen verwandten Zug in rò rerdy&ai negi gehört. Die Gegenüberstellung des ganzen ròv ßiov (50 b 10), welches zur oaxpgoavvrj Ausdrucks mit E E II 1, 1220a 29. f : rj dgsrrj äga rj roiavrr) öidd-saig èortv, rj yivsrai vnò rüiv àglarcov 71EQÌ ipvyr/v xivijaEwv zeigt einmal, daß der Kern des Gedankens durchaus arist. ist, und läßt zu zweit wieder die Eigenart des Verfassers sichtbar werden: ägiorai xivrjOEig sind für ihn geordnete und ruhige Bewegungen. (Vgl. o. S. 52, 58, 60, 112). Vgl. auch Stob. I I (Wa.)'115, 10—17: zu den letzten Bestimmungen des anovöalog in der stoischen Ethik des Arius Did. gehören : ngäog, i)avyioz und y.óa/xiog ; definiert ist xoaßiorrjg als iniarr\pir) xivrjOECov ngenovawv, rjovxtóvrjg als evra^ia negl tag vrjv.

xarà

qwaiv

xtvtjoEig

xal

/xovàg

yvyrjg

xal

oio/xarog.

9.32 (51b 28) „Zusammenklang": ovfxpwvovaav xarà navra rà fieorj. Vgl. MM II 7, 1206b 9 - 1 4 ; 11, 1211a 33-35. Der Begriff der ovfjywvia weist auf Plat.; vgl. Dirlm. MM 415f. [70, 2], dort auch Belege für Plat.; Walzer, MM 200. Vgl. ferner Arius Didymus bei Stob. II (Wa.) 128, 23f.: t r j v 6' ä/itpoiv (sc. rov Xóyov xal rov nédovg) äoßoviav xal av/jxpwviav àgertrjv, . . ., Plut. De virt. mor. 445 C. 9.33 (51b 29) „Modell einer guten Verfassung". Handgreiflicher noch als in dem vorangegangenen Ausdruck ist die Piatonnähe hier : òiò xal öoxsl nagdöeiy/ia noXireiag dya&rjg elvai yìvyfjg anovöaiag öid&eaig. Vgl. z. B. rep. II 368 e 2—369 a 3; IV 440 e 8 ff. 9.34 (51b 30) „ E s ist der Tugend auch eigentümlich" usw. Hier folgen Bestimmungen der Tugend, die eine Gegengruppe bilden zu der ersten allgemeinen Charakteristik. Dort wurde der der Tugend entsprechende innere Seelenzustand beschrieben, hier folgen ihre Äußerungen. 9,34 (51b 30) „Gutes zu erweisen". Vgl. z. B. Ar. Rhet. I 9, 1366 a 38 : (sc. dgsrìj óvva/IIQ EVEQyEzixrj..., [Plat.] Def. 412 e 11 f. : (pdav&gconia-... li-ig eVEgyenxrj (

¿an)

Kapitel 8

135

9 , 3 5 ( 5 1 b 31) „die Guten zu lieben und die Schlechten zu h a s s e n " . E s besteht kein C i u n d , die zweite dieser zusammengehörigen Bestimmungen, wie Susemihl es t u t , gegen die gesamte handschriftliche Überlieferung (incl. Mosqu., Lips.) zu athetieren, nur weil sie in der zweiten B a s l e r Ar.-Ausgabe fehlt, zumal sie die im Zusammenhang der Gerechtigkeit genannte jxiaonovrjQia (50 b 2 4 ) wieder aufnimmt. 9 . 3 5 ( 5 1 b 32) „weder gern zu s t r a f e n " usw. Die Gruppe: ¡xrp:e xoXaarixöv elvai /iJjre zi/j,tüQrjTixav., ä?2ä tAecuv xal evfievacov xal ovyyvtofiovixdv zeigt, wie dem Verfasser an der Tugend besonders der Aspekt wichtig ist, der in der Aufteilung ihrer B e s t i m mungen der 7iQa6xriQ oder /j,eyaAoy)v%ia zuzuweisen w ä r e ; vgl. 5 0 a 4 1 , b 41, 51 a 5 f . ; ferner E N I V 11, 1126 a 2 f . : ov yäq TißcoQrjrixog 6 nqäoq, äXlii [tätäov avyyvcoßovixög. 9 . 3 6 (51 b 3 2 ) „wohlwollend", eö/ievixog ist weder bei P l a t . noch bei Ar. b e l e g t ; viqq ist bei P l a t . bisweilen mit ikeatg verbunden wie hier ev/xevixög.

evpe-

9.37 ( 5 1 b 3 3 ) „ G ü t e , Billigkeit, W o h l m e i n e n d h e i t " . Die Aufzählung der die Tugend' begleitenden Eigenschaften wird eröffnet von der Dreiergruppe: XQrjGTOTriq, imeixeia, evyvm/Moavvrj. Zu xQrjarörrjQ vgl. Arius Didymus bei S t o b . I I ( W a . ) 147, 5 f . : xQrjOxoTrjra . . . e£iv ¿xovoiajg evnoir[zixrp> äv&Qwnoav, avzöiv exeivwv ydQiv; sie ist dort eine der Gerechtigkeit untergeordnete Tugend (146, 16 f.). W a s Arnim, Arius Did. 107 zu ihr a n m e r k t , k a n n auf ihre Stellung im Schlußkapitel unserer Schrift übertragen werd e n : „Die x6 r l a r ^ r T l^ = lat. benignitas p a ß t . . ., in dem Sinne, wie sie hier definiert wird, . . . vortrefflich in den Zusammenhang der von Arius dargestellten F o r m der peripatetischen E t h i k , die in ihrem ersten Teil auf die rpiXav&Qmnia (121, 22) . . . und j m Zusammenhang mit ihr auf die evegysoia (127. 3 ) so großes Gewicht l e g t . " D a auch hier die XQrjOTÖTrjg im Zusammenhang m i t dem eisgyereZv ( 5 1 b 3 0 ) und der (pikav&Qomia (b 36) steht, dürfen wir sie wohl im Sinne der bei Arius gegebenen Definition verstehen. D a ß wir mit ihr innerhalb der Tugend den Umkreis der Gerechtigkeit betreten haben, wird weiter dadurch bestätigt, d a ß es die beiden ihr folgenden Eigenschaften imeixEia und evyvutfxoavvrj in den MM mit dem Gerechten zu tun haben. eiyvcoßoavvri ist von den E t h i k e n nur in den MM ( I I 2) belegt (außer V V einziger B e l e g im arist. Corpus); der entsprechende Begriff, ebenfalls im Zusammenhang m i t imeixr\g, heißt in der N E yvwfir] ( E N V I 11, 1 1 4 3 a 1 9 f f . ; vgl. Dirlm. E N 4 6 4 f . [135, 2 ff.].) V o n den Zeitgenossen des Ar. ist evyvm/ioavvr) nur noch für Aeschines 3. 170 und 174 belegt. Zu diesen bisher in der Diskussion um dieses W o r t in den MM genannten Belegen (neben Dirlm. a. O. und MM 360 [50, 12], vgl. Walzer, MM 125 f.) und den lexikalisch verzeichneten Stellen ( L S ) k o m m t hinzu: Ariston von K e o s fr. 13 V I I (Wehrli 36, 7). iniebeeia und evyvtofioovvr) bilden den Gegenstand von MM I I 1 und 2. Die drei ersten K a p i t e l des zweiten B u c h e s sind eine A r t Anhang zum ^ovTjcrcg-Kapitel I 34 (vgl. Dirlm. MM 357), ohne daß der Zusammenhang mit der gjgovj/ffts-Thematik in den beiden ersten Kapiteln ausgesprochen oder im dritten K a p i t e l überall auch sprachlich sichtbar wäre. Vielmehr wird beispielsweise 1199 a 14—19 s t a t t v o m tpQ&vi/iog vom ölxaiog und anovöaloq gesprochen. D a weitere Abschnitte von K a p . 3 Aporien hinsichtlich (pQovrjaiq und aäixia behandeln und das letzte Drittel dieses K a p i t e l s der qiQÖvtjaiq im Zusammenhang m i t allen anderen Tugenden gewidmet ist sowie einem Problem, das die Tugenden allgemein betrifft, k a n n m a n in diesen ersten

136

Anmerkungen

drei K a p i t e l n des zweiten Buches, z u m a l K a p . 4 (über Beherrschtheit u n d U n beherrschtheit) ausdrücklich neu einsetzt, A b s c h l u ß b e t r a c h t u n g e n zu d e n ethischen T u g e n d e n sehen, d. h. neben der B e h a n d l u n g v o n T u g e n d e n aus d e m R a n d b e r e i c h v o n (pQovrjaig u n d einer ethischen T u g e n d , z u m a l der Gerechtigkeit, vor allem die spezifische, (pQÖvrjOig in Gemeinschaft m i t den ethischen T u g e n d e n betreffende, P r o blematik. Darin d a ß VV EnisbtEia u n d evyvoj/Mavvrj im Schlußkapitel in der gleichen Reihenfolge wie MM n e n n t , ohne d a ß sie vorher im Z u s a m m e n h a n g mit irgendeiner T u g e n d schon a u f g e t r e t e n sind, k a n n m a n eine Ü b e r e i n s t i m m u n g m i t MM sehen. Diese Ü b e r e i n s t i m m u n g k a n n b e t o n t werden, da schon einmal, bei der B e h a n d l u n g des zur M