Ausgewählte Werke: Teil 1 Kleinere Schriften. Erster Teil
 9783110863512, 9783110083934

Table of contents :
Discurs des Übersetzers von Gesprächen überhaupt
Zufällige Gedanken von dem Bathos in den Opern
Vorrede zu verschiedene Gedanken bey Gelegenheit des Cometen von Pierre Bayle
Vorreden zu den vier Bänden von Historisches und Critisches Wörterbuch von Pierre Bayle, 1741-1744
Vorrede des zweyten Bandes
Vorrede des (dritten Bandes)
Vorrede zum vierten und letzten Theile des Baylischen Worterbuchs
Vorrede zu Cicero, drey Bücher von der Menschlichen Pflicht; übersetzt von Johann Adolf Hoffmann
Vorrede zu Versuch Einer Betrachtung über die Cometen, die Sündflut und das Vorspiel des jüngsten Gerichts von Johann Heyn, 1742
Vorrede zu Virgils Aeneis in der Übersetzung von Johann Christoph Schwarz, 1742
Vorrede zur vierten Ausgabe der Theodicee von Gottfried Wilhelm Leibniz, 1744
Vorrede zu auserlesene Gedichte von Benjamin Neukirch, 1744
Vorrede zu Auserlesene Schriften von Lucian von Samosata, 1745
Vorrede zu Grundlehren der Naturwissenschaft von Peter von Muschenbroek, 1747
Vorrede zur Geschichte der königlichen Akademie der schonen Wissenschaften zu Paris, 1749
Vorrede zu Die Begebenheiten Neoptolems von Chancierces, 1749
Vorrede zu Lob- und Trauerreden von Esprit Flechier, 1749
Vorrede zu Virgils Hirtengedichte übersetzt von Johann Daniel Overbeck, 1750
Vorrede zu Auserlesene Schriften von Bernard de Fontenelle 1751

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G O T T S C H E D , AUS G E W Ä H LTE W E R K E X/l

AUSGABEN DEUTSCHER LITERATUR D E S XV. B I S XVIII. J A H R H U N D E R T S

unter Mitwirkung von Käthe Kahlenberg herausgegeben von Hans-Gert Roloff

JOHANN CHRISTOPH AUSGEWÄHLTE

GOTTSCHED WERKE

W A L T E R DE G R U Y T E R • B E R L I N • N E W YORK 1980

J O H A N N CHRISTOPH GOTTSCHED AUSGEWÄHLTE WERKE herausgegeben von

P. M. M I T C H E L L

Z E H N T E R BAND, ERSTER TEIL KLEINERE

SCHRIFTEN

WALTER DE GRUYTER • B E R L I N 1980

NEW YORK

Die Ausgabe wurde von Joachim Birke f begonnen. Unter seiner Verantwortung erschienen die Bände I —IV und VI, 1—3

CIP-Kurztitelaufnahme

der Deutschen

Bibliothek

Gottsched, Johann Christoph: [Sammlung] Ausgewählte Werke / Johann Christoph Gottsched. Hrsg. von P. M. Mitchell. — Berlin, New York : de Gruyter. Bd. 10. Kleinere "Schriften. Teil 1. - 1980. (Ausgaben deutscher Literatur des XV. [fünfzehnten] bis XVIII. [achtzehnten] Jahrhunderts ; 91) ISBN 3-11-008393-0

© Copyright 1980 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung, J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J. Trübner — Veit & Comp. Printed in Germany — Alle Rechte des Nachdrucks, einschließlich des Rechts der Herstellung von Photokopien — auch auszugsweise — vorbehalten. Satz und Druck: Arthur Collignon GmbH, Berlin 30 Bindearbeiten: Lüderitz & Bauer, Berlin 61

Discurs des Übersetzers von Gesprächen überhaupt (Vorrede zu Gespräche Der Todten Und Plutons Urtheil über dieselben von Bernard de Fontenelle)

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D i e Kunst Gespräche zu schreiben, ist zum wenigsten so alt, als das Buch Hiobs. Bloß die zwey ersten, und der groste Theil des leztern Capitels, sind Historisch abgefasset: Alles übrige stellet die Unterredungen Hiobs mit seinen Freunden und mit GOtt selber vor. Es mag nun entweder Moses oder sonst jemand der Verfasser dieses Lehrreichen Buches seyn: So ist es doch gewiß, daß selbiges alle Heydnischen Schrifften, davon wir etwas wissen, an Alterthum übertreffe. Daran ist mir nichts gelegen, ob die darinnen aufgeführten Personen alles dasjenige, was wir von ihnen lesen, mit eben soviel Worten und Sylben gesprochen; oder ob nicht vielmehr der heilige Scribent in Beschreibung ihrer Unterredungen, sich einer größern Freyheit bedienet habe? Die Gottesgelehrten werden diesen Streit schon entscheiden: Mir ist genug, daß dieses Buch unter die Zahl der Gespräche gehöret. Unter den Griechischen Scribenten ist Homerus einer der alleraltesten: wiewohl man die Zeit nicht bestimmen kan, wenn er gelebet hat. Die beyden Helden=Gedichte so wir von ihm haben, Ilias und Odyssea, sind zwar was Poetisches, und scheinen mir also vor diesmal nichts anzugehen: Allein sie sind voller Unterredungen. Die Art des Helden* Gedichtes erfordert es, daß der Poet nicht allezeit selbst und in seinem eigenen Nahmen rede; wie die Geschicht=Schreiber thun: sondern daß er die Helden und andre Personen mehr, selbst redend einführe. Dieser Kunstgriff macht ihren Vortrag sehr lebhafft. Der Leser bildet sich ein, er sey selbst den Redenden zugegen und sieht sie gleichsam vor Augen stehen. Das Feuer eines muntern Gemüthes belebet alle seine Ausdrückungen, und entzündet dadurch alle, die seine Worte hören oder lesen, mit eben den Gemüths=

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Bewegungen, darinnen es selbst stehet: Dahingegen der Poet durch eine kalte Erzehlung ihrer Reden, denselben alle Krafft und allen Nachdruck entziehen würde. Eine von den besten Unterredungen in der Ilias ist diejenige, wo Agamemnons Abgesandten den hefftigen Zorn des Achilles zu besanfftigen suchen. Hierinnen hat Homerus eine Probe seiner großen Fähigkeit abgeleget. Ulysses, der beredteste unter allen Griechischen Helden, macht den Anfang. Alle seine Redensarten sind wohl ausgesucht: alle seine Gründe sind bündig, und der gantze Vortrag so angenehm, daß man ihn mit Lust anhöret. Achilles antwortet ihm mit einer großmüthigen Freyheit, und man wird selbst dadurch zu einer edlen Hoheit der Seelen angeflammet. Hierauffahrt Phenix der alte Hofmeister des Achilles fort. Dieser bestraft seinen eigensinnigen Helden, auf eine so ruhrende und nachdrückliche Art, daß einem das Hertz gantz rege wird. Endlich schließt Ajax, den der Stoltz des unerbittlichen Achilles in Harnisch bringet. Er bricht die gantze Unterredung mit einem rechtmäßigen Verdrusse ab und läßt die Empfindung desselben, in dem Gemüthe des erhitzten Lesers zurücke. Es ist wahr, daß Homerus nicht in allen seinen Gesprächen so glücklich gewesen ist. Er scheint sich derselben gemißbrauchet zu haben, wenn er die Helden mitten in der Hitze eines blutigen Treffens einander begegnen last: da sie sich denn einander nicht nur ihr Herkommen und ihre merckwürdige Thaten; sondern auch die Geschichte ihrer Vorfahren und die Geschlecht=Register ihrer Pferde erzehlen, ja die gröbsten Scheit- und Schimpf=Worte wechseln müssen. Es ist leicht zu begreifen, daß dieses wieder die Wahrscheinlichkeit und Natur der Menschen laufe. Gantz handgreiflich aber ist es, daß Homerus seine Gespräche gar zu sehr verschwendet habe; wenn er seine Helden die bereits getödteten Feinde noch anreden, und endlich sogar mit ihren Pferden sprechen läst: Gerade, als ob ihnen dieselben

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Red und Antwort geben konnten. Doch von dem allen mag man diejenigen zu Rathe ziehen, die entweder diesen Poeten deswegen getadelt, oder vertheidiget haben. Esopus hat in seinen sinnreichen Fabeln eine neue Art der Gespräche erdacht. Die unvernünftigen Thiere müssen mit einander sprechen, und dadurch dem Menschen diejenigen Lehren geben, die sie sonst nicht gar zu gern hören. Ein jeder sieht wohl, daß dieses erdichtete Unterredungen sind; welche aber eben deswegen keinen in Irrthum stürtzen werden: weil sie so gar was unglaubliches zum Grunde setzen. Indessen ergetzen sie doch den Verstand weit mehr, als wenn sie von Menschen gehalten waren. An die besten Lehren kehret man sich darum nicht sonderlich, weil die Lehrer unsers gleichen sind: Die Thiere hergegen nimmt man desto williger zu Lehrmeistern in der Sitten-Lehre an; je mehr man versichert ist, daß sie uns im Absehen auf den Verstand den Vorzug lassen werden. Ich kan nicht umhin, die nachdrücklichen Worte hieher zu setzen, deren sich der theure Lutherus in der Vorrede bedienet hat, die er vor hundert von ihm selbst deutsch übersetzte Esopische Fabeln gesetzet hat. N i c h t a l l e i n a b e r die K i n d e r , schreibt er, s o n d e r n a u c h die g r o ßen F ü r s t e n und H e r r e n , kan man n i c h t besser b e t r ü g e n , z u r W a h r h e i t u n d zu i h r e m N u t z : d e n n d a ß m a n i h n e n l a s s e die N a r r e n d i e W a h r h e i t s a g e n . D i e s e l b i g e n k ö n n e n sie l e i d e n u n d h ö r e n : s o n s t w o l l e n o d e r k ö n n e n sie v o n k e i n e m W e i s e n die W a h r h e i t l e i d e n ; ja alle W e l t hasset die W a h r h e i t , wenn sie einen t r i f f t . D a r u m haben s o l c h e w e i s e h o h e L e u t e die F a b e l n e r d i c h t e t , u n d l a s s e n e i n T h i e r m i t d e m a n d e r n r e d e n , als s o l l t e n sie s a g e n : W o h l a n , es w i l l n i e m a n d die W a h r h e i t h ö r e n n o c h l e i d e n , und man kan d o c h der W a h r h e i t n i c h t e n t b e h r e n ; so w o l l e n w i r sie s c h m ü c k e n , und unter einer lustigen L ü g e n - F a r b e und lieb-

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l i e h e n F a b e l n k l e i d e n : U n d weil man sie n i c h t will h ö r e n d u r c h M e n s c h e n = M u n d , daß man sie d o c h h ö r e durch B e s t i e n = M u n d . So g e s c h i c h t s d e n n , w e n n man die F a b e l n l i e s e t , daß ein T h i e r dem a n d e r n , ein W o l f d e m a n d e r n d i e W a h r h e i t s a g t , ja zuweilen der g e m a h l t e W o l f , oder Bar, oder L e u e im B u c h e , d e m r e c h t e n z w e y f ü ß i g e n W o l f e und L e u e n einen T e x t h e i m l i c h l i e s e t , den ihm sonst kein Prediger, Freund noch Feind lesen d u r f f t e . A l s o a u c h ein g e m a h l t e r F u c h s im B u c h e , s o m a n die F a b e l n l i e s e t , s o l l w o h l e i n e n F u c h s ü b e r T i s c h e also a n s p r e c h e n , daß ihm der S c h w e i ß m o c h t e a u s b r e c h e n , und s o l l t e w o h l den E s o p u m gern wollen erstechen oder v e r b r e n n e n . Wie denn d e r T i c h t e r E s o p i a n z e i g t , d a ß a u c h E s o p u s um der W a h r h e i t willen e r t ö d t e t sey, und ihn n i c h t g e h o l f f e n h a t , d a ß er in F a b e l n w e i s e , als ein N a r r s o l c h e W a h r h e i t d i e T h i e r e hat reden l a s s e n : denn d i e W a h r h e i t ist das u n l e i d l i c h s t e D i n g a u f E r d e n . Soweit Lutherus, wobey ich nur anmercke, daß dieser grosse Mann davor gehalten, es sey niemals eine solche Person, als Esopus beschrieben wird, in der Welt gewesen: sondern, daß nach der Meynung Quintilians etwa Hesiodus oder sonst der allergelehrtesten Griechen einer, diese unter den Leuten bekannte Mahrlein gesammlet und in ein Buch zusammen getragen habe. Als die Griechischen Poeten die Schaubühne zur Vollkommenheit brachten, wurde auch die Kunst Gespräche zu schreiben besser ausgeübet. Ein Trauerspiel sowohl, als eine Comödie, ist in gewisser Absicht nichts anders, als ein Zusammenhang verschiedener Gespräche; die aber insgesammt zu einem einzigen Zwecke abzielen. Ein jeder Auftritt ist eine Unterredung zweyer oder mehrerer Personen: Bloß diejenigen sind ausgenommen, wo eine einzige Person gantz allein heraus tritt etwas zu sagen; welches aber sehr

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selten, auch nur in besondern Fällen geschiehet. Wer also Theatralische Poesien verfertigen wollte, der muste nothwendig zuerst ein gutes Gespräche schreiben können. In der That kommt in Lust= und Trauerspielen sehr viel darauf an. Wer nicht eine geschickte Unterredung zu einer Scene machen kan: wie will der ein gantzes Theatralisches Stück verfertigen, welches aus lauter solchen Scenen zusammengesetzt seyn muß? Die Alten schrieben alle ihre Tragödien und Comödien in Verßen: und also wurden auch die einzelnen Gespräche daraus sie bestunden, Poetisch abgefaßet. Dieses scheint einer Haupt=Regel der Gespräche zu wieder zu laufen; welche haben will, daß man in allem der Natur folgen solle. N u n aber reden die Leute sonst nirgends in Verßen, als auf der Schaubuhne. Allein man hat es der Belustigung der Ohren leicht einräumen können, in diesem Stücke ein wenig von der Natur abzugehen: zumahl da die jambischen Verße von der gemeinen Art zu reden so sehr nicht abweichen, daß sie gar zu gekünstelt klingen sollten. Bey den heutigen Volckern ist es ein anders. Die Reime verrathen einen Comödianten gar zu sehr, daß er nicht von Hertzen, sondern aus dem Gedachtnisse redet. Darum wäre es zu rathen, daß man alle Theatralische Sachen entweder in ungereimten Verßen; oder gar in ungebundener Schreibart verfertigen mochte. Niemand hat die Kunst Gespräche zu schreiben in größerer Vollkommenheit besessen, als Plato. Theophrastus selbst, der doch diesen Nahmen von Aristotele, einem großen Kenner der Wohlredenheit, und zwar bloß um seiner Göttlichen Beredsamkeit willen, bekommen; getrauete sich nicht in dieser Schreibart demselben gleich zu kommen: obgleich er sonst Lust dazu hatte; auch seine Sprache vollkommen verstand. Wenn die Alten gesagt haben, daß die Musen selbst diesem Weltweisen seine Sachen in die Feder geflößet; und daß Jupiter selbst sich der Sprache

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Piatonis bedienen würde, im Fall es ihm gefallen sollte, Griechisch zu reden: So können wir leicht daraus schliessen, wie hoch sie seine Gespräche gehalten haben. Sie hatten in der That recht: denn man kan nichts natürlichers, vernünftigere und anmuthigers lesen als eben dieselbe. Denjenigen zu gefallen, welche die Schreibart dieses großen Weltweisen noch nicht kennen; will ich einen kleinen Vorschmack davon geben. Ich nehme das erste was mir im Aufschlagen vorkommt: denn wo alles schon ist; da darf man nicht lange wehlen. Es ist der Anfang des Critons. Dieser treue Freund Socratis besuchet denselben im Gefangnisse, und da fragt ihn SOCRATES. Warum kommst du so zeitig zu mir, Crito? Mich dunckt es ist noch sehr frühe. CRITO. Du hast recht, es ist freylich noch frühe. SOCRATES. Wie mag es denn wohl um die Zeit seyn? CRITO. ES ist kurtz vor Tage. SOCRATES. Ich wundre mich, daß dich der Stockmeister eingelassen hat. CRITO. Ich habe den Mann schon lange gekannt. Er hat mich auch hier sehr oft gesehen, und ist mir einiger maßen zu willfahren verpflichtet. SOCRATES. Kommst du denn itzo allererst, oder bist du schon langst gekommen? CRITO. Ich bin schon eine gute Weile da gewesen. SOCRATES. Warum hast du dich denn so stille bey mir gehalten? du hattest mich aufwecken sollen, sobald du herein gekommen wärest. CRITO. Behüte G O t t ! Socrates. Ich selbst suche mich aller Sorgen und Bekümmernisse zu entschlagen, die mich kein Auge zuthun lassen; aber seit dem ich hereingetreten bin, bewundre ich dich, daß du einen so ruhigen Schlaf gehabt: und ich wollte dich mit Fleiß nicht aufwecken, um dich dieser guten Augenblicke genießen zu lassen. In Wahrheit, Socrates, so lange ich dich gekannt habe, hat mich deine

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Gedult und Gelassenheit ergetzet: Weit mehr aber ergetzet sie mich in gegenwartigen Umstanden; da du deinen itzigen Zustand mit so ruhigen und gleichgültigen Augen ansiehest. SOCRATES. Das würde meinem Alter sehr übel anstehen, lieber Crito, wenn ich den Tod fürchten möchte. CRITO. Ach, wieviel Leute sieht man nicht taglich, welche das Alter in dergleichen unglücklichen Fallen, von der Furcht und Zaghaftigkeit nicht befreyet? SOCRATES. Es ist freylich wahr: aber kurtz, warum besuchst du mich so frühe? CRITO. Um dir eine verdrüßliche Zeitung zu bringen, welche, du magst es machen wie du wilst, dennoch mich, u. alle deine Verwandten und Freunde mit Schmertzen überhäufen wird. Mit einem Worte, es ist die schrecklichste Zeitung die man jemals einem Menschen bringen kan. SOCRATES. Was vor eine Zeitung? Ist denn etwa das Schiff von Delos eingelaufen, bey dessen Zurückkunft ich sterben soll? CRITO. Noch ist es nicht angekommen; aber es wird ohne Zweifel heute da seyn, wie uns diejenigen berichten, die aus Sunium angelanget sind, denn daselbst haben sie es verlassen. SOCRATES. Das ist gut, Crito. Es sey also; weil die Gotter es so haben wollen: Indessen dencke ich, das Schiff werde heute noch nicht kommen. CRITO. Woher muthmaßest du das? SOCRATES. Ich will dirs sagen. Ich soll ja allererst den Tag nach der Zurückkunfft des Schiffes sterben. Ist es nicht so? CRITO. Zum wenigsten sagen diejenigen solches, die das Urtheil sollen vollziehen lassen. SOCRATES. Daß Schiff kan aber derowegen morgen erstlich ankommen, wie ichs aus einem gewissen Traume schliesse, den ich diese Nacht, ja nur diesen Augenblick gehabt habe. Es scheint ein rechtes Glück zu seyn, daß du mich nicht aufgewecket hast. CRITO. Was ist denn das vor ein Traum?

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SOCRATES. Mich dauchte, als wenn sich ein sehr schönes und überaus wohlgestalltes Weibsbild in einem schneeweißen Kleide zu mir nahete, und mir die Worte zurief, D u w i r s t den d r i t t e n T a g dein f r u c h t b a r Phthia sehn! CRITO. Da ist in der That ein seltsamer Traum, Socrates. SOCRATES. Er bedeutet sehr viel, Lieber Crito. CRITO. J a freylich wohl,' aber Socrates, folge diesmahl meinem Rathe, und entfliehe von hier. Stirbest du, so habe ich das Unglück, auf ewig eines Freundes beraubet zu seyn, über dessen Verlust man mich niemals wird trösten können. J a ich habe zu besorgen, daß nicht viele, die weder dich noch mich recht kennen, dencken mochten: ich hatte dich verlassen, da ich dich doch hatte befreyen können; wenn ich nur alle mein mögliches hatte thun wollen. Kan wohl was schandlichers gefunden werden, als wenn man sein Geld mehr liebet, als seine Freunde: Denn das Volck wird sich niemals einbilden können, daß du nicht hattest aus dem Gefangniß gehen wollen: als wir dich dazu genothiget. SOCRATES. Aber mein lieber Crito, muß man sich denn so sehr darum bekümmern, was das Volck dencken wird? Ist es nicht genug, daß die Vernünftigsten, nach denen wir allein zu fragen haben, wissen werden, wie es eigentlich zugegangen sey? u.s.w. Ich glaube, daß auch eine so unvollkommene Ubersetzung als diese ist, die Schönheiten dieses Gespräches nicht so gar verdunckeln könne, daß sie nicht einem verständigen Leser in die Augen fallen sollten. Um eben diese Zeiten schrieb ein anderer Schüler Socratis die Merckwürdigkeiten seines Lehrmeisters auf; darinnen gleichfals viele herrliche Unterredungen desselben anzutreffen sind. Xenophon ist es, von welchem ich rede, der sich nicht weniger unter den Helden mit dem Degen, als unter den Gelehrten durch die Feder hervor gethan. Seine Schreibart in der Historie ist die schönste und angenehmste: in den

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Gesprächen aber hat er dem Plato zwar in der Anzahl und Große derselben; doch nicht in der naturlichen Deutlichkeit und Anmuth einen Vorzug gelassen. Herr Charpentier hat sie ins Franzosische, und Herr Thomas ins Teutsche übersetzet. Weil das Buch leicht zu haben ist, mag ich kein Exempel daraus anführen. Nach der Zeit hat sich Lucianus unterstanden in dieser Schreibart sein Glück zu versuchen. Er war ein sinnreicher und gelehrter Kopf; der noch dazu seine Sprache völlig in seiner Gewalt hatte. Es war ihm auch um soviel leichter etwas geschicktes in dieser Gattung von Schrifften zu verfertigen; da er an Piatone ein so vollkommenes Muster vor Augen hatte. Er scheint indessen ein flüchtigeres Naturell gehabt zu haben als jener, indem seine meisten Gespräche sehr kurtz gerathen sind. Nur Timon, Toxaris und hernach dasjenige, wo Menippus sich mit dem Philonides unterredet, können mit Piatonis Gesprächen im Absehen auf die Große verglichen werden. Vielleicht hat er sich auch der ungeduldigen Gemüthsart seiner Griechen bequemen wollen: welche lieber kurtze als lange Schrifften lesen mochten. Dieses sein Unternehmen ist ihm dergestalt gelungen; daß er zu allen Zeiten vor einen Meister in dieser Schreibart gehalten worden. Seine Scharfsinnigkeit, sein natürliches Wesen, seine anmuthige Art zu schertzen, und endlich seine vernünftige Beobachtung aller Caractere von so vielen Personen die er reden last; das alles sage ich, kan ihm auch der scharfeste Criticus nicht absprechen. Ich werde im folgenden eine Probe von seinen Gesprächen anführen. Und soviel von den Griechen. Unter den Romern finde ich ausser den Theatralischen Poeten Plauto, Terentio und dem Tragischen Seneca, keinen der sich in Gesprächen so sehr hervorgethan hatte, als Marcus Tullius. Wie dieser große Staatsmann und Redner in allen Gattungen der Wohlredenheit fürtrefflich gewesen; so hat es ihm auch an der Kunst, schone Unterredungen zu schreiben

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nicht gemangelt. War er in seinen vortrefflichen Reden der Lateinische Demosthenes; so konnte man ihn im Absehen auf seine Gespräche den Römischen Plato nennen. Seine Philosophische Schrifften sind fast alle Gesprächsweise abgefasset, und seine Gedancken von dem Redner hat er eben so vorgetragen. Er hat die schönsten Gedancken mit den anmuthigsten Worten auszudrucken; und allen seinen Personen solche Redensarten in den Mund zu legen gewust, die sich vollkommen vor sie schickten. Es ist nicht als wenn man ein Lateinisch Buch lase; indem man seine Schrifft von der Natur der Götter liest: man bildet sich ein, mitten in Athen, mitten unter Peripatetischen, Stoischen und Epicurischen Weltweisen zu seyn, und dieselben nach den Lehrsätzen ihrer verschiedenen Secten wircklich reden zu hören. Es herrschet eine so leichte lebhaffte, natürliche und doch wohlanständige Art des Vortrages darinnen; daß man sich Gewalt thun muß, wenn man im Lesen abbrechen will. Seine Deutlichkeit ist sinnreich, und seine größte Scharfsinnigkeit ist leicht zu verstehen. Der künstlichste Ausdruck ist doch natürlich, und seine Personen reden so, wie es vernünfftigen Leuten anstehet. Kurtz, wenn Ciceronis Schrifften ja zu tadeln seyn sollten; so würde man doch an seinen Gesprächen, in soweit sie Gespräche sind, nicht auszusetzen finden. Wir haben noch ein Lateinisches Gespräche von den Ursachen der verfallenen Beredsamkeit; davon wir aber den Urheber nicht vor gewiß angeben können. Einige schreiben es dem Tácito, andre dem Quintilian zu: welches letztere mir, der Schreibart halber, wahrscheinlicher vorkommt als das erste. Dem sey aber wie ihm wolle, es giebt den Gesprächen Ciceronis nicht viel nach, und zeiget von einem Verfasser, der die Kunst verstanden hat. In den Zeiten da die Römische Monarchie, Gelehrsamkeit und Sprache in den letzten Zügen lag, fand sich noch der berühmte Bürgermeister in Rom Anicius Manlius Torquatus Severinus Boetius, der seine tröstende Weißheit in Form einer

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Unterredung abfassete. Er erdichtet, als wenn ihm die Weißheit in seinem Gefangnisse erschienen wäre, um ihn, wegen seiner Bekümmerniße über soviel schwere Unglücksfalle, aufzurichten. Und hier beschreibt er uns die mit dieser Weißheit gepflogenen Unterredungen; mischet aber hier und dar unter die tiefsinnigsten Philosophischen Gedancken vom Guten und Bosen in der Welt, einige Poetische Beschreibungen und Gesänge, um den Leser durch diese angenehme Abwechselung in der Aufmercksamkeit zu erhalten. Das Werck verdienet gelesen zu werden: wiewohl man leicht einige Fehler darinnen finden konnte: wenn man willens wäre, alles nach der Scharfe zu untersuchen. Als man die freyen Künste in Italien und den andern Abendlandern von Europa wieder herstellete; fanden sich unten den damahligen Liebhabern der Lateinischen Sprache verschiedene, die es auch in Gesprächen den alten Romern nachthaten. Ludovicus Vives ein Spanier, Corderus ein Franzose, Castellio ein Italiener und Erasmus ein Niederdeutscher, haben sich in dieser Schreibart gleichsam Trotz geboten. Sie schrieben alle nicht nur schon Latein: sondern wüsten auch den Character der Gespräche wohl zu beobachten, und ihren Gedancken diejenige natürliche Anmuth zu geben, die in den Unterredungen wohlgearteter Personen herrschet. Ihre meiste Absicht gieng auf die Schuljugend. Dieser zu gefallen verfertigten sie eigentlich ihre Gespräche, um dieselbe dadadurch zu desto besserm Gebrauche der alten Romischen Scribenten vorzubereiten. Diese Absicht war sehr zu billigen. Um der, durch eine langwierige Barbarey verfallenen Gelehrsamkeit in Europa wieder aufzuhelfen: muste man freylich von der Jugend den Anfang machen: vor dieselbe schien aber keine Art des Vortrages bequemer zu seyn, als die durch Gespräche geschiehet. Die Lebhafftigkeit so darinnen befindlich ist, vergnüget ihre natürliche Munterkeit: und die beständige Abwechselung zweyer redenden Personen, kommt ihrem Eckel zuvor; der sich gar leicht ein2

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stellet, wenn sie eine Schrifft lesen sollen, die etliche Blatter lang, immer in einem fortgehet. Aus diesen Ursachen werden auch die oberwehnten Gespräche, nach mehr als zwey hundert Jahren, noch itzo in vielen Schulen mit Nutzen gebrauchet. Indessen nimmt es mich wunder, warum diese wackere Männer nicht auch andre wichtigere Materien in Gesprächen vorgetragen. Muß mann denn nur redende Knaben aufführen? Und sprechen nicht oft gelehrte Leute von den erheblichsten Sachen? Laurentius Valla ist meines Wissens der einzige, der um die damahligen Zeiten, eine wichtige Theologische und Philosophische Materie Gesprächsweise abgefasset hat. Er handelt von dem freyen Willen des Menschen und andern damit verknüpften Streitfragen, und bemüth sich, Boetium zu widerlegen, von dessen tröstender Weißheit oben gedacht worden. Wer dieser tiefsinnigen Art von Wahrheiten gern nachdencket, wird Valla Gesprach mit Vergnügen lesen, und ihn nicht nur als einen guten Lateiner, sondern auch als einen gründlichen Philosophen antreffen. Einen kurtzen Auszug aus seinem Buche, kan man am Ende des III.Theils von des Herrn Leibnitzens Theodicee finden. In neuern Zeiten wüste ich nicht, wer sich in dieser Schreibart sonderlich hervor gethan hatte. An guten Scribenten hat es zwar seit der Reformation in keinem Theile der Gelehrsamkeit gefehlet: aber sie haben in ihren Büchern eine gantz andre und mehrentheils Systematische Lehrart beobachtet. Kleinigkeiten, die hier und da Gesprächsweise verfertiget worden: werden hier in keine Betrachtung gezogen. Entweder sie hielten nichts als mageres Zeug in sich, daran niemand einen Geschmack fand: oder sie sind in einer so verdrüßlichen, unrichtigen und unangenehmen Art des Ausdruckes abgefasset gewesen; daß sie nur mit Wiederwillen gelesen worden: oder es sind endlich Zanckschrifften gewesen, die man nicht länger als das Gezancke wahret, anzusehen; hernach aber dem Moder und den Motten zur

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Speise zu ubergeben pflegt. E s fragt sich also w o h e r es k o m m e , daß von den berühmtesten L e u t e n , die das vorige und itzige J a h r h u n d e r t in so g r o ß e r A n z a h l h e r v o r g e b r a c h t , und deren Schrifften n o c h in jedermans H o c h a c h t u n g stehen, sich niemand die A r t , in G e s p r ä c h e n zu schreiben gefallen lassen? D e r grundgelehrte und scharfsinnige Englische G r a f Schafftsbury hat sich diese Frage an einem O r t e seiner Schrifften vorgeleget, und nicht gantz unrecht b e a n t w o r t e t . E r setzt z u m G r u n d e , daß ein G e s p r ä c h gleichsam eine A b bildung der G e m ü t h e r von denen Personen sey, die sich mit einander unterreden. N i c h t nur die Fähigkeit des V e r s t a n d e s , sondern auch die Lebhafftigkeit des Geistes und die N e i g u n gen des H e r t z e n s selbst, äußern sich in einer ungekünstelten U n t e r r e d u n g . So gar die Landesarten und G e w o h n h e i t e n der V o l c k e r , drücken sich deutlich darinnen a b ; ja es ist nichts, bis auf die geringsten Kleinigkeiten der Z e i t e n , O e r t e r , V o r urtheile, Secten, R e l i g i o n e n , Auferziehung und L e b e n s arten der sprechenden P e r s o n e n zu ersinnen: welches in einem vertraulichen U m g a n g e derselben sich nicht äußern, und in einem G e s p r ä c h e abgeschildert werden sollte. W e n n man dieses a n n i m m t , m e y n t rühmlichst gedachter S c r i b e n t ; so sey es leicht zu sagen, w a r u m G r i e c h e n und R o m e r in G e s p r ä c h e n geschrieben. Sie dorften sich nemlich nicht scheuen, uns die Schildereyen von ihren Personen nach allen Eigenschafften zu geben. Sie waren vernünfftige und der T u g e n d beflissene L e u t e . Sie lebten in freyen R e p u b l i c k e n , und hatten also edle Seelen; dorfften auch aus keiner Sclavischen F u r c h t anders reden als sie dachten. Vielweniger war ihr U m g a n g mit der Last eines überflüßigen C e r e m o niels b e s c h w e r e t . W e n n sie also mit einander redeten: so thaten sie es auf eine f r e y e , edle und vernünfftigen Leuten anstandige M a n i e r . U n d so w a r es ihnen keine Schande, sich in ihren G e s p r ä c h e n nach dem L e b e n abgeschildert zu sehen. Sie thaten es derowegen selbst, und dorfften gar nicht be-

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sorgen, daß ihnen die genaue Entdeckung ihrer wahrhaften Gemüthsbeschaffenheit und Lebensart bey den Nachkommen ein nachtheiliges Urtheil zuziehen würde. Gantz anders verhalt sichs, nach des Herrn von Schafftsbury Meynung, mit uns. Wir sind mit jenen Alten fast in keinem Stucke mehr zu vergleichen. Waren sie frey; so sind wir Sclaven. Philosophirten sie ohn alle Furcht, nach dem Vermögen ihres natürlichen Lichtes; so sind wir von Jugend auf durch viel tausend Vorurtheile erfüllet, die uns im Gebrauche der Vernunfft hindern. Am wenigsten sind wir ihnen im Absehen auf die ungezwungne Art im Umgange zu vergleichen. Was vor Complimenten, was vor verstellte Freundschaffts=Bezeugungen, was vor unnütze Höflichkeiten hat nicht ein vermeynter Wohlstand bey uns eingeführet? Und wie schon würde es klingen, wenn man ein Gespräche, so wie es heute zu Tage zwischen einem Paare artiger Weltleute gehalten wird, schrifftlich verzeichnen wollte? Ein Bogen Papier würde kaum zulangen, bloß die Anfangs» Ceremonien und häufigen Schmeicheleyen zu fassen, die man bey Bewillkommungen nach den Regeln der Galanterie einander saget: des Abschiedes nicht zu gedencken. Und wie lacherlich würde hernach diese Abbildung unsrer Lebensart aussehen: wenn man sie mit unpartheyischen Augen ansehen würde? Kurtz, daß die Neuern keine Gespräche schreiben; das kommt, nach Herrn Schafftsbury, daher, weils sie sich schämen, ihre eigene Schande schrifftlich auf die Nachwelt fortzupflantzen. Soviel Hochachtung ich vor diesen großen Mann habe, und so nützlich diese kleine Satyre desselben über unsre übermaßige Höflichkeit, seyn mochte: so muß ich doch gestehen, daß mir diese Ursache nicht wichtig und zulänglich genug zu seyn scheinet. Wer könnte denn unsre Scribenten nöthigen, unserer heutigen Art umzugehen, auch in schriftlichen Gesprächen so genau zu folgen? Und wer wollte es ihnen wehren, die edle Einfalt der Alten in diesem Stücke

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überhaupt

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b e y z u b e h a l t e n ? K ö n n e n d o c h unsre P o e t e n die v o r n e h m s t e n L e u t e mit D u anreden; ohngeachtet wir sonst mit einer einzeln Person nicht anders zu reden pflegen, als wenn w i r mit hunderten zu thun h ä t t e n : ja w o h l gar mit G e g e n w ä r t i gen als von A b w e s e n d e n sprechen, indem wir die dritte Person der V o r w o r t e r b r a u c h e n . K o n n t e man denn in G e sprächen nicht was gleiches gewaget haben? Z u d e m herrschet ja unter guten F r e u n d e n , sonderlich unter gelehrten M ä n nern, keine so ausschweifende C o m p l i m e n t i r s u c h t . M a n verfällt in ihren G e s p r ä c h e n sogleich auf was wichtiges: und wenn mans ja nicht thate: W e r verlangt es denn, daß man das erste und letzte W o r t aller ihrer U n t e r r e d u n g e n so genau aufschreiben solle? Ich schmeichele m i r , eine andre U r s a c h e gefunden zu h a b e n , die unsern Zeiten eben so ruhmlich ist, als die v o r hinerwehnte U r s a c h e des H r n . von Schafftsbury ihnen schimpflich zu seyn geschienen. Ich setze zum voraus, daß es einen v o l l k o m m e n e m Verstand anzeiget, wenn man Wissenschaften und K ü n s t e in Systematischer O r d n u n g v o r tragen k a n : als wenn man nur o b e n h i n etwas davon zu sagen w e i ß , welches weder Z u s a m m e n h a n g n o c h O r d n u n g unter einander hat. E i n paar weise Sprüche, etliche kluge L e h r sätze, und ein halb D u t z e n d gute Einfälle kan man zur N o t h b e y einer mittelmäßigen G e l e h r s a m k e i t im V o r r a t h e haben. M e h r bedarf man aber n i c h t , u m ein G e s p r ä c h e zu verfertigen. M a n philosophirt in U n t e r r e d u n g e n nicht nach der grosten S c h ä r f e : man ist zu frieden, wenn man nur nicht o f f e n b a r ungereimtes Zeug sagt. W a s gehört nicht hingegen zu einem Systematischen V o r t r a g e ? D e r Scribent m u ß die V e r k n ü p f u n g u n z e h l i c h e r Sätze, deutlich einsehen. E r m u ß die Schlüsse durch regelmäßige Folgerungen aus ihren G r ü n d e n herleiten k ö n n e n . E r m u ß richtige E r k l ä r u n g e n von W o r t e r n und Sachen geben, und solche B e w e i ß t h ü m e r daraus zu verfertigen w i s s e n ; dawieder man nichts e r h e b liches zu sagen vermag. K u r t z , ein Systematischer V o r t r a g

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erfordert eine sehr grosse Tiefsinnigkeit, Gründlichkeit und Ordnung der Gedancken. Nun urtheile man von der Ursache warum die Alten so gern; die Neuern aber so wenig Gesprächsweise geschrieben. Die Wissenschafften waren damals in ihrer Kindheit, und Jugend. Man fieng allererst an, hier und da einzelne Wahrheiten zu erblicken. Wüste man gleich verschiedene wohlgegründete Satze zu sagen: so trug man sie doch ohne Ordnung und Zusammmenhang vor. Der einzige Aristoteles hatte einen Systematischen Geist. Er allein bemühete sich nach dem Exempel Euclidis eine gründlichere Lehrart in der Weltweißheit einzuführen. Allen andern Gelehrten, vor und nach ihm war diese Ordnung und Verknüpfung der Wahrheiten zu schwer. Man philosophirte so zureden in die weite Welt hinein; ohne sich um einen Zusammenhang seiner Lehren zu bekümmern. Daher kam es, daß die Schüler der weisesten Manner zehn, ja wohl zwantzig Jahre bey ihren Lehrmeistern zubrachten, und doch noch nicht alle ihre Lehren gefasset hatten. Heutiges Tages hat die Gelehrsamkeit ein gantz anders Ansehen bekommen. Man bemühet sich, alles was man weiß, auf sichere Grundwahrheiten zu bauen. Man tragt alle Satze von einer Gattung, in einer ordentlichen Verknüpfung vor. Man erkläret die Sachen deutlicher, und erweiset seine Lehren gründlicher: und daher kommt es eben, daß die Art in Gesprächen zu schreiben, vor unbequem gehalten worden, die Wissenschafften vorzutragen. Diese Lehrart machet sehr viel Umschweife, und würde in schreckliche Weitläufigkeiten stürtzen. Wenn man z. E. die Mathematischen Anfangs Gründe Euclidis darinnen vortragen wollte, wie wunderlich würde das nicht aussehen? Die Kette der mit einander verknüpften Wahrheiten würde oft verstecket, oft gar unterbrochen werden: wenn man der natürlichen Art der Gespräche nichts vergeben wollte. Und so erhellet, meines Erachtens, gar deutlich, daß der Mangel schrifftlich abgefaßter Unterredungen nichts als eine größere

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Vollkommenheit der heutigen Gelehrsamkeit oder den Vorzug unserer Zeiten vor den Alten anzeiget. Es ist zwar nicht zu leugnen, daß Plato in seinen Gesprächen, den weisen Socrates bisweilen ziemlich Systematisch philosophiren lassen. Xenophon thut ein gleiches; und es scheint, als wenn es wircklich die Art dieses Weltweisen gewesen wäre. Er nimmt sich in seinen Unterredungen allezeit vor, etwas darzuthun, welches sein Gegner leugnete; oder doch in Zweifel zog. Solches ins Werck zu richten, setzete er allezeit etliche Wahrheiten zum voraus, darüber er mit seinem Wiederparte eins war. Aus diesen zog er einen Satz nach dem andern durch richtige Folgerungen heraus, und fuhr mit seinen Vernunfftschlüssen so lange fort, bis er seinen Zweck erreichet und den andern überführet hatte. Auf solche Weise hat er die Materie vom Gebete von der Tapferkeit, von der Unsterblichkeit der Seelen, und ihrem Unterscheide vom Corper u . a . m . vorgetragen. Es kan nicht schaden, wenn ich aus dem Gespräche mit Alcibiade eine kurtze Probe davon gebe: SOCRAT. Wer ist es, der mit dir redet? Ist es nicht Socrates? und wer ist es der mich höret? ist es nicht Alcibiades? ALCIB. Ohne Zweifel. SOCRAT. Und was heißt das, reden? Ist es wohl was anders als sich der Sprache bedienen? Ist dieses nicht einerley. ALCIB. Ich kann es nicht leugnen. SOCRAT. Ist denn nicht dasjenige, so sich eines Dinges bedienet, von dem Dinge, dessen es sich bedienet, unterschieden? ALCIB. Wie meynt ihr das? Socrates. SOCRAT. Zum Exempel. Betrachte einen starcken Arbeitsmann. Ist er nicht von den Werckzeugen unterschieden, deren er sich in seiner Arbeit bedienet? die Art, womit er hauet, von der Person, welche damit hauet? ALCIB. Gantz recht.

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SOCRAT. Wie? Im Absehen auf ein musicalisches Instrument, verhalt sichs nicht eben so? Ist die Laute nicht ein besondres Ding; und der darauf spielet ein gantz andres? ALCIB. Ich gestehe es.

SOCRAT. Das war nun die Meynung meiner Frage, die ich dir augenblicklich vorlegte, ob dasjenige, so sich eines Dinges bedienet, und das gebrauchte Ding selbst, nicht allezeit zwey absonderliche verschiedene Dinge zu seyn scheinen? ALCIB. In der That, es scheinet nicht anders. SOCRAT. Sehr wohl. Aber sage mir, wessen bedienet sich der Handwercksmann in seinen Verrichtungen? ALCIB. Er bedienet sich seiner Werckzeuge. SOCRAT. Bedienet er sich nicht auch seiner Hände? ALCIB. Der Hände gleichfalls. SOCRAT. Auch seiner Augen? ALCIB. Ich glaube j a .

SOCRAT. Haben wir denn nicht vorhin fest gesetzt, daß derjenige, der sich eines Dinges gebrauchet, vom dem gebrauchten Dinge unterschieden sey? und daß folglich der Musicant oder sonst ein Künstler nicht nur von seinen Instrumenten; sondern auch von seinen Händen und Augen, als derjenigen Gliedmaßen seines Corpers, deren er sich bedienet, unterschieden sey? ALCIB. Gantz recht. SOCRAT. Bedienet sich aber der Mensch nicht seines gantzen Corpers? ALCIB. Ich halte es warlich davor. SOCRAT. Behalt es wohl bey dir, daß das gebrauchte Ding von demjenigen unterschieden ist, der sich dessen bedienet. ALCIB. Ich weiß es gantz wohl, Sócrates. SOCRAT. Daher schließe ich nun, daß dasjenige, was wir einen Menschen nennen, ein Ding sey, welches von seinem Córper gantzlich unterschieden ist. ALCIB. Ich kann es nicht laugnen.

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SOCRAT. Welches werden wir denn in dieser Zusammensetzung eigentlich den Menschen nennen müssen? ALCIB. Warlich Socrates, ich bitte, mich damit zu verschonen. SOCRAT. Wie? weissest du nicht, was dasjenige sey, so sich des Cörpers bedienet? ALCIB. Sehr wohl weiß ichs. SOCRAT. Ist es wohl was anders als die Seele? ALCIB. In Wahrheit, nichts anders. SOCRAT. Und ist sie also nicht dasjenige, was den Cörper regieret. ALCIB. Ohne Zweifel. 2C. Dieses ist nun die berühmte Socratische Disputirart, die nebst der bekannteren Aristotelischen durch formliche Schlüsse, unter den Gelehrten im Schwange gehet. Der gelehrte Hr. le Clerc zieht dieselbe dieser letztern in dem dritten Theile seiner Logic fast vor, und giebt nicht nur etliche Regeln, sondern auch ein paar hübsche Exempel davon. Allein dieses alles ist meiner vorigen Meynung nicht zuwieder. Wir finden bey den Alten nirgends gantze Wissenschafften Gesprächsweise abgefasset. Es sind allezeit nur einzelne Materien oder besondre Streitfragen zum Grunde ihrer Gespräche geleget. Und also bleibt wohl diese Lehrart allezeit unvollkommener, als der Systematische Vortrag der Wissenschafften, der heute zu Tage unter den Gelehrten so gebrauchlich ist. Nichts destoweniger düncket mich doch, daß man nicht Ursache habe, aus Stoltz wegen unsrer erlangten Vollkommenheit, die Art durch Gespräche zu schreiben, gantz hindan zu setzen: und zwar aus folgenden Ursachen. Die Systematische Lehrart, so gantze Wissenschafften in ihrem volligen Zusammenhange vorträgt, schickt sich nur vor Leute die einen durchdringenden Verstand und viel Gedult zum Nachsinnen haben. Diese Gattung von Menschen aber ist nicht gar zu zahlreich. Selbst unter den Studierenden sind

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nicht die meisten mit Gemüths=Kräfften von solcher Beschaffenheit versehen. W i e klein ist die Anzahl dererjenigen, die eine Reihe von zehn oder zwölf zusammenhangenden Schlüssen überdencken, und die Verknüpfung so vieler Wahrheiten einsehen können? Der allergroste Theil der Studierenden, studiret mit dem Gedachtnisse, und lernet dasjenige auswendig, was ihm seine Lehrer vorsagen; oder was er in den Büchern findet, die man ihm zuerst in die Hände giebt. Vor solche Leute wäre es sehr gut, wenn sie viel gute Gespräche zu lesen hätten: dadurch würden sie allmählich zum Nachdenken angeführet werden. Indem sie die Vernunfftschlüsse, Einwürfe und Antworten der redenden Personen vor Augen hätten; so würde sie der lebhaffte Vortrag in dieser Schreibart gleichsam nothigen, recht aufmercksam zu werden, und den Zusammenhang eines Satzes mit seinen Beweisgründen einzusehen. W i e viel Nutzen dieses der Gelehrsamkeit schaffen w ü r d e : kan ein jeder von sich selbst begreifen. Hernach giebt es ja ausser den Gelehrten noch eine grosse Menge von Leuten, die auch zuweilen ein Buch lesen: obgleich sie niemals aus dem Studieren ein Handwerck machen wollen. Diese Leute haben gleichfalls die Fähigkeit nicht, gründlich ausgeführte Wissenschafften von Anfang bis zum Ende durchzugehen: Und doch wäre es ihnen sehr nützlich, von mancher Wahrheit aus der natürlichen Philosophie und Sittenlehre unterrichtet zu seyn. Denn w a r u m sollen sie eben lauter Historische Bücher u. Romanen lesen? W a r u m sollen sie nur lauter Postillen in Händen haben? Man braucht auch in weltlichen Dingen, in Sachen die von der Haushaltung, von dem Gebrauche der Vernunfft, von einem klugen Umgange mit Leuten, von der Bürgerlichen Klugheit, von allerley Pflichten des menschlichen Lebens, von der Erkentniß der Natur, vom Ackerbau und gantzen Landleben, von Künsten und Handwerckern, von der Kaufmannschafft, u. d . g . zuweilen eine Nachricht. Und von allen diesen Dingen

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konnten tausend und noch tausend schone Gespräche geschrieben werden; daraus Unstudirte sehr viel lernen würden. Es ist ja bey uns Evangelischen das schädliche Vorurtheil langst abgeschaffet, daß man den Pobel in der Blindheit und Unwissenheit erhalten müsse. Warum erleichtern wir ihm denn nicht den Weg, einiges Erkentniß zu erlangen? Warum verstecken wir unsre Gelehrsamkeit in unserm barbarischen Lateine? Warum schreiben wir nicht in unsrer Muttersprache, wie Griechen und Romer gethan, so, daß auch Unstudirte sich von unsrer Weißheit einen Begriff machen konnten? J a warum tragen wir nützliche Wahrheiten nicht in Gesprächen vor, welche Lehrart wegen ihrer Deutlichkeit und Lebhafftigkeit, überaus geschickt ist, den Allereinfaltigsten an sich zu locken? Zwar wenn alle die Bücher, die aus Fragen und Antworten bestehen, Gespräche zu nennen waren: so würden wir ehe über einen Uberfluß, als Mangel derselben zu klagen haben. Haben wir nicht unzehliche Anweisungen zum Christenthume, zur Historie, Geographie, Genealogie, Rechtsgelehrsamkeit, Poesie, Oratorie u . a . m . in dieser Lehrart aufzuweisen? Christian Weise und Herr Hübner, ein paar fleißige Schulmanner, haben diese Art, Künste und Wissenschafften vorzutragen, durch ihre häufige Schrifften sehr in den Schwang gebracht. Ich will derselben ihr gebührendes Lob nicht absprechen: Nur dieses will ich behaupten, daß alle das Gute, so sie an sich hat, daher komme, weil sie einigermassen den Gesprächen ahnlich siehet. Ja je ahnlicher sie denselben wird, desto besser ist sie auch. Dieses geschieht, wenn die Antworten nicht gar zu weitlauftig fallen: sondern fast nicht länger sind als die Fragen selbst. Daraus schließe ich, daß Gespräche von dergleichen Dingen noch destomehr Nutzen schaffen würden; wenn sie nach ihrer rechten Art abgefasset würden. Ein einziges Teutsches Schul=Buch ist mir bekannt, welches wie ein Gesprach aussieht, nemlich S a n d e r s Historisches Erkenntniß des Chri-

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stenthums. Ich weiß auch, daß es von jungen und einfältigen Leuten mit Lust und Begierde gelesen worden. Es würde aber sonder Zweifel noch lieber gelesen werden, wenn nicht zuweilen die eine Person etliche Blätter, ja gantze Bogen allein predigte: welches den Leser nothwendig bald überdrüßig machen muß. Sonst haben wir im Teutschen die Monatlichen Unterredungen, welche theils Herrn Thomasen, theils auch Herrn Tentzeln vor ihre Urheber erkennen. Wir haben ferner Gespräche im Reiche der Weltweisen: die Herr M . Tilesius vor etlichen Jahren in Halle heraus gegeben. Wir haben endlich die beruffenen Gespräche im Reiche der Todten die eine Nachahmung der Lucianischen Todten= Gespräche seyn sollen, und ausser diesen noch so viel Historisch=Politische Staats=Assembleen der curieusen Eva, Gespräche im Vorhofe des Reichs der Todten u . s . w . Ich schreibe keine Critic über alle diese Sachen: folglich bin ich nicht verbunden, meine Gedancken von den Tugenden und Fehlern derselben zu entdecken. Soviel ist gewiß, daß die ersten drey Scribenten das innere Wesen eines guten Gespräches wohl verstanden, und den Character der redenden Personen wohl in acht genommen. O b dieses auch von dem vierten gelte, hat ein gelehrter Mann in seiner ab g e n o t h i g t e n C r i t i q u e der s o g e n a n n t e n G e s p r ä c h e im R e i c h e d e r T o d t e n überaus gründlich erörtert, welche also von Liebhabern nachgesehen werden kan. Ich will nur kürtzlich die vornehmsten Regeln anmercken, die man in Verfertigung guter Gespräche nach Anleitung der gesunden Vernunfft beobachten muß. Ein geschriebenes Gespräch soll meines Erachtens eine Abbildung einer Unterredung seyn, die zwischen etlichen Personen entweder wircklich gehalten worden; oder doch zum wenigsten hatte können gehalten werden. Die Vollkommenheit einer Schilderey wird uns also auch auf die Vollkommenheit eines Gespräches führen. Ein Bild ist als-

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dann v o l l k o m m e n , wenn es dem Originale so ähnlich ist, als man es w ü n s c h e n kan. D i e s e A e h n ( l i c h ) k e i t ist im A b schildern unumgänglich n o t h i g , und niemand wird mir darinnen zuwider seyn. A b e r wie hälts um die Spiele der E i n bildungskrafft? Ein M a h l e r schildert aus seinem eigenen K o p f e einen Pallast, G a r t e n oder W a l d , den er niemals gesehen. E r mahlt eine L a n d s c h a f f t , H i s t o r i e oder Stadt; o h n e ein M u s t e r vor Augen zu h a b e n . E r bildet eine vollk o m m e n e S c h ö n h e i t ab, dergleichen vielleicht nirgends in der W e l t zu finden ist. W o ist hier die Aehnlichkeit der A b b i l d u n g mit dem O r i g i n a l e ? D i e s e Schwierigkeit ist leicht zu h e b e n . Einmal ist es gewiß, daß die Einbildungs=Krafft eines Mahlers nichts hervorbringen wird, als was er schon s o n s t , zum wenigsten S t ü c k w e i s e , durch die Sinnen e m p f u n d e n . Sie thut nichts, als z u s a m m e n s e t z e n . Ein C e n t a u r ist eine solche H i r n g e b u r t . D i e gantze N a t u r hat kein O r i g i n a l davon aufzuweisen: aber ein Mahler, der sie entwirfft, hat zum wenigsten die T h e i l e dieses U n g e h e u e r s absonderlich gesehen. E r verbindet also n u r den R u m p f eines Pferdes mit einem halben menschlichen C ö r p e r , den er ihm auf die Stelle mahlet, w o sonst der H a l s und K o p f hatte stehen sollen. Dergestalt ist auch ein solches Spiel der Phantasie einer A e h n l i c h k e i t fähig. E i n jedes T h e i l daraus es bestehet, kan der N a t u r n a c h a h m e n . D e r C ö r p e r des Pferdes an dem C e n t a u r m u ß einem Pferde o h n e K o p f , und der m e n s c h liche C o r p e r einem M e n s c h e n o h n e B e i n e ähnlich seyn. Ist das richtig; so hat man an dem M a h l e r nichts auszusetzen: w e n n es nur sein V o r h a b e n gewesen, einen C e n t a u r , und sonst nichts anders zu m a h l e n . Allein wir sehen hier w o h l , daß in der A r t der Z u s a m mensetzung tausend F e h l e r begangen werden k ö n n e n . W e n n ein M a h l e r auf einen T a n n e n b a u m Granatäpfel, und auf einen R o s e n s t o c k T u l p e n mahlen w o l l t e : würde der den R u h m eines gescheuten Künstlers verdienen? W e r

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auf einen Riesen Cörper das Haupt eines Kindes, und auf ein Bauerhaus den prächtigsten Glockenthurm schildern wollte: wie konnte der unsern Beyfall verdienen? Wir sehen nicht wie sich diese Dinge zusammen reimen: würde es heissen. Die Vernunfft selbst lehrt uns also, daß in der Zusammensetzung verschiedener Theile, daraus ein Gantzes entstehen soll, gewisse Regeln der Wahrscheinlichkeit und Proportionen zu beobachten seyn. Was ist aber wahrscheinlich, und was stimmet miteinander überein? Dasjenige, was die Natur hervorbringet, und der Verstand zusammen ordnet. So müssen dann auch die Phantasien der Mahler die Aehnlichkeit zum Grunde haben, wenn sie schon oder vollkommen seyn sollen. Was thut indessen dieses alles zu meinem Vorhaben? Sehr viel. Ich habe die Quelle entdecket, woraus alle besondre Regeln der Gespräche fliessen müssen. E i n G e sprach muß entweder einer wahrhafftig gehalten e n U n t e r r e d u n g a h n l i c h s e y n : o d e r , d a f e r n es e r d i c h t e t w o r d e n ; so m u ß es d o c h die W a h r s c h e i n l i c h k e i t z u m G r u n d e h a b e n . Wenn Leute insgemein miteinander sprechen: so redet ein jeder nach seinem Character. Das ist, er wird nichts sagen, als was seinem Stande, seiner Lebensart, seinen Meynungen und Gewohnheiten gemäß ist. Kein Konig, wird wie ein Unterthan, kein Knecht wie ein Herr, kein Soldat wie ein Gelehrter, kein Frauenzimmer wie eine Mannsperson reden: Es wäre denn in einer Verstellung. Daher fliesset nun die erste besondre Regel: E i n g u t e s G e s p r a c h m u ß j e d e P e r s o n i h r e m C h a r a c t e r g e m ä ß a u f f ü h r e n . Schon Horatius hat vor Zeiten dieselbe, zwar eigentlich den Theatralischen Poeten, zugleich aber auch allen Gesprachschreibern vorgeschrieben, indem er in seiner Dichtkunst sagt: Entwirffst du die Person, wie sichs vor sie nicht schickt; So lacht gantz Rom dich aus, so bald es sie erblickt.

Diseurs des Ubersetzers von Gesprächen überhaupt

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Drum unterscheide wohl Stand, Alter und Geschlechte, Gantz anders spricht ein Herr; gantz anders reden Knechte. Es ist nicht einerley, was ein verlebter Mann Und was ein Jüngling spricht. Dieß Wort steht Ammen an; Matronen aber nicht. Kein Kaufmann gleicht dem Bauren, Kein Colcher redet so, als ob ihn Babels Mauren Ans Licht der Welt gebracht. Kein Mann den Argos kennt, Ist jenem andern gleich, den Theben Bürger nennt. Drum wehle deinen Held aus wircklichen Geschichten, W o nicht; so must du doch nichts ungereimtes dichten. Führst du, wie dort Homer den Sohn Atridens ein, So muß er zornig, hart, und unerbittlich seyn, Er trete Recht, Gesetz und Billigkeit mit Füssen, Und wolle sonst von nichts als Macht und Waffen wissen. Medeen schildre frech, Ixion komme mir Gantz treuloß und verstockt; und Ino klaglich für. Wenn Io flüchtig ist; so muß Orestes klagen: Ja willst du dich einmal an gantz was neues wagen; So richte die Person nicht widersinnisch ein, Und laß sie mit sich selbst in allem einig seyn. Dieser herrlichen Vorschrifft sind die alten Comödien= und Tragodienschreiber aufs genaueste gefolget: und deswegen sind ihre Schrifften so beliebt. Sie entferneten sich niemals von der Natur: denn alle Personen die sie redend einführeten, redeten so, wie sichs vor sie schickte. So gar in Heldengedichten behielte diese Regel ihre Gültigkeit. Unser Herr von Canitz hat Virgilium deswegen, in seinem Gedichte von der Poesie, als einen Meister gepriesen: Wir lesen ja mit Lust Eneas Abentheuer; Warum? Stoßt ihm zur Hand ein grimmig Ungeheuer, So hat es sein Virgil so künstlich vorgestellt, Daß uns, ich weiß nicht wie, ein Schrecken überfallt: Und hör ich Dido dort von Lieb und Undanck sprechen; So möcht ich ihren Hohn an den Trojanern rächen.

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So künstlich trifft itzund kein Dichter die Natur, Sie ist ihm viel zu schlecht, er suchet fremde Spur, Geußt solche Thranen aus, die Lachens=würdig scheinen. Und wenn er Lachen will, so mochten andre weinen. Ein jeder sieht wohl, zum wenigsten nach Veranlassung dieser Verße, daß die größeste Kunst in rechter Ausdrückung der Gemüthsbewegungen bestehe. Eben deswegen lobt ja Canitz die Reden, so Virgil der Dido in den Mund leget, und es ist gewiß, daß dieselben lauter Meisterstücke eines wohlausgedruckten Affects heissen können. Wer lieber was Deutsches liest, als was Lateinisches; darf hier nur in Amthors Gedichten die Ubersetzung derselben nachschlagen, so wird er davon überzeuget werden. Auch davon hat uns Horatz, kurtz vor der oberwehnten Stelle, eine gute Erinnerung gegeben: Laß deine Schrifft nicht bloß in Worten zierlich seyn, Ein wohlgerathner Verß nimmt auch die Hertzen ein, Und muß des Lesers Geist bezaubern und gewinnen. Man lacht mit Lachenden, und lasset Thranen rinnen, Wenn andre traurig sind. Drum wenn ich weinen soll; So zeige du mir selbst dein Auge Thrinen=voll: Alsdenn, o Telephus, wird mich dein Unglück rühren. Allein ist an dir selbst kein wahrer Schmertz zu spüren; So schlaft man drüber ein, und du wirst ausgelacht, Ein trübes Angesicht das klaglich Worte macht, Ist der Natur gemäß. Ein Zorniger muß dräuen, Ein Schertzender spricht frey, ein Froher wird sich freuen. Denn ist das Innerste der Seelen recht bewegt, Von Zorn, von Eifersucht, von Rachgier angeregt, Von Schrecken überhaufft, von Gram u. Furcht zerschlagen: Alsdann wird auch der Mund schon Centner=Worte sagen. Doch ich komme gar zu tief in die Poeten. Die andre Regel der Gespräche kan seyn; D a ß m a n n i c h t e i n e

Discurs des Übersetzers

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P e r s o n g a n t z allein r e d e n , die a n d r e aber stille s c h w e i g e n l a s s e . Dieses ist der Natur gar nicht gemäß. Wenn ein paar Personen mit einander sprechen; so wird ja die eine nicht gantze Stunden nacheinander predigen: Die andre wird auch was dazu sagen, und zum wenigsten dann und wann, mit einer Frage, oder sonst einem Einfalle, die Rede des andern unterbrechen. So gar in Historischen Erzehlungen, die von einer Person des Gespräches zuweilen geschehen können, muß dieses statt finden. Es klingt sehr wunderlich, wenn der eine den andern gleich im Anfange des Gespräches fragt: Wer er sey? dieser aber anfangt: I c h h e i ß e N . N . u n d b i n im J a h r 4640 n a c h E r s c h a f f u n g d e r W e l t ans L i c h t d e r W e l t g e b o h ren. Mein V a t e r hieß s o , und m e i n e M u t t e r s o , u . s . w . und dieses so vier bis fünf Bogen lang nacheinander fortsetzet, bis sein gantzer L e b e n s l a u f mit dem darauf erfolgten Tode und allen Begrabnis=Ceremonien endlich ein Ende hat. Es ist sehr wahrscheinlich, daß die andre Person in wahrender Zeit eingeschlafen sey, und diesen Schwatzer indessen habe ausreden lassen. Solche Lebenslaufe schicken sich sehr wohl nach geendigten Leichenpredigten abzulesen, wo die Zuhörer hübsch stille seyn müssen: nicht aber in Gesprächen, wo die andre Person das Recht und die Freyheit hat, auch ein Wort dazu zu sagen. Man hat diesen Fehler dem großen Poeten Virgilio vorgeworfen: weil er den Aeneas im gantzen andern und dritten Buche seiner Eneis gantz allein reden lassen, und die verliebte Dido gezwungen, diese lange Erzehlung vom Trojanischen Kriege und seiner unglücklichen Reise anzuhören, ohne ein einziges Wort dazu zu sagen. Ohne Zweifel, sagt ein gewisser Criticus, wird sie unter diesen weitläufigen Geschichten fein fleißig gegähnet haben. Da nun dieses Versehen an dem Fürsten der Lateinischen Dichter, nicht einmal übersehen worden; was wird man denn von unsern heutigen Romanisten vor ein Urtheil fällen, welche 3

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von jenem grossen Scribenten nichts sorgfältiger als diesen Fehler nachahmen? J a , da Virgil seinen Helden nur den sechsten Theil seines Buches allein reden lassen; was wird denn von denen zu halten seyn, deren Personen bisweilen den dritten oder doch gewiß den vierten Theil des Buches, ohne einmal Athem zu holen, fortschwatzen müssen? Im Absehen auf die Schreibart in Gesprächen, giebt uns die Natur noch die dritte Regel an die Hand, nemlich: Alle R e d e n s a r t e n und A u s d r u c k e eines G e s p r ä ches müssen n a t ü r l i c h , g e w ö h n l i c h und ungek ü n s t e l t s e y n . Wenn es scheinet, daß die redenden Personen auf ihren Vortrag studiret haben müsten; so glaubt der Leser nicht mehr, daß er eine Unterredung lese, darinnen man gewohnt ist Dinge zu vernehmen, die den Redenden natürlicher Weise einfallen können. Folglich ist die hochtrabende, schwülstige und gekünstelte Schreibart aus den Gesprächen gantz verbannet: Es wäre denn, daß sie, den Character einer gewissen Person auszudrücken, nöthig wäre. Ein solch Exempel giebt von den unsrigen Andreas Gryphius, wenn er seine Prahler Daradiridatumtarides Windbrecher von Tausendmord, den Horribilicribrifax von Donnerkeil, nebst dem Sempronius von Wetterleuchten und Semperheim, in einem Schertzspiele, mit lauter übersteigenden und seltsamen Ausdrückungen groß thun last. Der natürliche Ausdruck ist den Unterredungen so eigen, daß auch der gelehrte Marcus Aurelius Antoninus in dem VI Capitel des ersten Buches seiner Betrachtungen den Diognetus rühmet, weil derselbe unter andern auch verursachet, d a ß er v o n J u g e n d a u f s i c h g e w o h n e t U n t e r r e d u n g e n zu s c h r e i b e n : bey welcher Stelle der Deutsche Ubersetzer dieses Buches, Hr. Hoffmann, die gründliche Anmerckung machet: d a ß d e r g l e i c h e n Ü b u n g die J u g e n d von der g e z w u n g e n e n zu e i n e r n a t ü r l i c h e n u n d l e i c h t e n Schreibart leite.

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Doch darf sich hier niemand einbilden als ob deswegen in Gesprächen die allerniederträchtigsten Redensarten, zu lauter Zierrathen würden: und als wenn man sich gar nicht der geringsten Richtigkeit der Ausdrückungen zu befleißigen hatte. Pöbelhaffte Leute reden auch pöbelhafft, und wer dergleichen Personen in Gesprächen aufführet, muß sie freylich nach ihrer Art, das ist schlecht und einfältig sprechen lassen. Der oben gedachte Andreas Gryphius und Herr Christian Weise, haben in ihren Deutschen Comödien dieses sehr glücklich ins Werck zu richten gewust: ob wohl sonst die Theatralischen Sachen des letztern nicht Regelmäßig ausgearbeitet sind. Allein Leute von besserer Gattung, enthalten sich in ihren Unterredungen alles dessen, was dem Wohlstande und der eingeführten Artigkeit der Sitten zuwieder läufft. Sie reden auch nach Gelegenheit zierlich, und bedienen sich solcher Ausdruckungen, die nichts verwerfliches oder unanständiges an sich haben. Dieses muß man in schrifftlichen Gesprächen auch beobachten. Die Schreibart muß nach dem Gebrauche geschickter Leute eingerichtet seyn: ja wenn auch die Mundart derselben noch fehlerhafft seyn sollte; so muß der Scribent sie davon säubern. Wie ein Mahler nicht verbunden ist, alle Sommersproßen, kleine Narben, und Flecken des Antlitzes, davon man ein Bild verlanget, abzuschildern: so ist auch der Verfasser eines Gespräches nicht verbunden, alle kleine Fehler einer Unterredung auf das genaueste nachzuahmen: Es wäre denn, daß er die redenden Personen dadurch lächerlich machen wollte. Ein gleiches ist von der Reinigkeit der Sprache zu beobachten. Die verderbte Gewohnheit fast aller Volcker hat es eingeführt, daß man im gemeinen Leben viele Worter aus fremden Sprachen einmischet. Die Romer meynten, es klänge recht schon, wenn sie was Griechisches in ihr Latein mengeten. Die heutigen Franzosen mischen gern Italianische und zuweilen wohl Deutsche Brocken in ihre

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Johann

Christoph

Gottsched

Sprache. Die Pohlen, wenn sie studiret haben, lassen sich gerne mit dem Lateine hören. Wir Deutschen aber sind hierinnen allen andern Nationen überlegen, weil wir Latein, Griechisch, Italianisch, Franzosisch, und wer weiß was noch mehr vor Sprachen durcheinander reden; wenn wir gleich keine einzige davon recht verstehen. Da fragt sichs nun, ob jemand, der ein Gespräche schreibt, verbunden sey, sich dieser eingerissenen Gewohnheit zu bequemen? Ich antworte, nein. Mein Beweißgrund fließt aus dem vorigen. Diese unnöthige Vermischung der Sprachen ist ein Ubelstand und Fehler unsrer taglichen Gespräche, und zeiget die Armuth der Redenden in ihrer Muttersprache, oder eine üble Gewohnheit an: Folglich darf ein Scribent dieselbe nicht nachahmen; wofern er nicht im Sinne hat, diese böse Gewohnheit, als was ungereimtes vorzustellen. Diese Absicht hatte der oft angezogene Gryphius in seinem Horribilicribrifax, der allezeit halb Italianisch, halbTeutsch fluchet; da hergegen Daradiridatumtarides halb Franzosisch, und Sempronius halb Griechisch und Lateinisch plaudert. Ich kan nicht unterlassen eine Stelle aus des Vaters unsrer Mutter Sprache und Poesie, Martin Opitzens, Deutscher Poeterey, und deren VIten Capitel davon anzuführen: weil dieses Büchlein wenigen mehr bekannt ist. S o s t e h e t es a u c h z u m h e f f t i g s t e n u n s a u b e r , s c h r e i b t dieser S p r a c h v e r s t a n d i g e und g e l e h r t e M a n n , wenn allerley Lateinische, F r a n z o s i s c h e , S p a n i s c h e u n d W e l s c h e W ö r t e r in den T e x t u n s r e r R e d e g e f l i c k t w e r d e n , als w e n n i c h s a g e n wollte: Nehmt

a n d i e COURTOISIE u n d d i e

DEVOTION

D i e e u c h ein CHEVALIER, MA DONNA t h u t e r z e i g e n : E i n H a n d v o l l v o n FAVOR P E T i R t er n u r zu L o h n U n d b l e i b e t e u e r K n e c h t u n d SERVITEUR g a n t z e i g e n .

Diseurs des Übersetzers von Gesprächen Uberhaupt

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W i e s e l t s a m d i e s e s n u n k l i n g e t , f ä h r t er f o r t , so ist n i c h t s d e s t o w e n i g e r die T h o r h e i t innerhalb k u r t z e n J a h r e n so e i n g e r i s s e n , daß ein j e d e r , der n u r drey o d e r vier a u s l a n d i s c h e W o r t e r , die er zum oftern nicht versteht, erwischt hat, bey aller G e l e g e n h e i t sich b e m ü h t , dieselben heraus zu w e r f e n ; da d o c h die L a t e i n e r e i n e n s o l c h e n A b s c h e u v o r d e r g l e i c h e n g e t r a g e n , d a ß in i h r e n V e r ßen auch fast kein Griechisch W o r t gefunden w i r d , das z w a r g a n t z G r i e c h i s c h ist. D e n n J u v e n a l i s s e t z t i n e i n e m O r t e ¡¡tof] m i tyux'n, e b e n d i e j e n i g e n a u s z u l a c h e n , d i e s i c h in i h r e n B u h l e r e y e n mit Griechischen W o r t e r n behalfen. — — — Was a b e r NOMINA PROPRIA, o d e r d i e e i g e n t l i c h e n N a h men der G o t t e r , M a n n e r und W e i b e r und dergleichen b e t r i f f t ; dürfen wir nach Art der Lateiner u n d G r i e c h e n i h r e CASUS n i c h t i n a c h t n e h m e n : s o n d e r n s o l l e n sie, soviel als m ö g l i c h ist, auf unsre E n d u n g b r i n g e n , u . s . w . Bisher Opitz. D i e vierdte und letzte R e g e l der G e s p r ä c h e kan diese seyn, D a ß i n e i n e m j e d e n G e s p r ä c h e v o n e i n e r g e w i s s e n M a t e r i e g e h a n d e l t w e r d e n m ü s s e . Vielleicht wird dieses m a n c h e m wieder die N a t u r eines G e s p r ä ches zu streiten scheinen. M a n führt ja in den g e w o h n lichen U n t e r r e d u n g e n der M e n s c h e n keine T h e m a t a aus; sondern ein jeder sagt was ihm einfallt. Es ist wahr, daß G e s p r ä c h e keiner künstlichen L o g i s c h e n oder R h e t o r i schen D i s p o s i t i o n oder E i n r i c h t u n g u n t e r w o r f e n s e y n : und w e r sie auf diese A r t abfassen w o l l t e , der würde wieder die Hauptregeln der G e s p r ä c h e handeln. Allein dem ungeachtet m u ß d o c h in einer U n t e r r e d u n g , alles was darinnen v o r k o m m t , zu einem gewissen allgemeinen Z w e c k e abzielen. Es geht hier so wie in Schauspielen. So vielerley Vorstellungen auch darinnen v o r k o m m e n , so hat d o c h der U r h e b e r derselben allezeit eine einzige H a u p t a b s i c h t vor

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Johann

Christoph

Gottsched

Augen, worauf sich alles übrige beziehen muß. Und ein jeder Auftritt, welcher ein Theil des gantzen Schauspieles ist, muß gleichfalls seinen besondern Zweck und Inhalt haben, ja es muß nichts vergeblich und umsonst darinnen vorkommen. Die Natur selber lehrt uns dieses. Vemünfftige Leute reden niemals ohne ein gewisses Vorhaben mit einander. Sie wollen etwas durch ihre Gespräche ausmachen: und alles was sie vortragen, schickt sich einiger maßen dazu. Dergleichen Gespräche muß man nun auch schrifftlich abfassen. Es werden freylich wohl von schwatzhafften Personen Unterredungen gehalten, die bisweilen etliche Stunden dauren; davon sie aber selbst am Ende den Inhalt nicht wissen. Das heisset, wie Herr Fontenelle schreibet: R e d e n h e i ß t , d i e m e i s t e Z e i t n i c h t w i s s e n , w a s m a n s a g e t . Allein wer sieht nicht, daß dergleichen Unterredungen nicht so wohl ein Gespräche, als vielmehr eine Menge von Gesprächen zu nennen sind; weil eine jede neue Materie, die darinnen vorkommt, ein neues Gespräche veranlasset; die untereinander gemeiniglich durch das schone Formelchen A PROPOS! verknüpfet zu werden pflegen? Es ist uns aber an Beschreibung solcher Geschwatze gar nichts gelegen. Ein kluger Mann wird nichts vergebliches unternehmen. Wozu würde es aber dienen, das Geplauder etlicher Weiber, die von dem hundertsten aufs tausendste verfallen; und wenn sie zum Ende sind, wieder von forne anfangen, schrifftlich zu entwerfen? Auch wer ein Gespräche schreibet, muß eine Absicht haben, warum ers thut: und Ursache geben können, warum er seine Personen vielmehr von dieser, als von jener Materie reden lasset? Lucian scheinet unter den Alten diese Regel nicht allezeit vor Augen gehabt zu haben. Mich dünckt, man findet unter seinen Gesprächen der Todten und Gotter, etliche, die ohne eine rechte Haupt=Absicht geschrieben sind. z . E . das folgende:

Diseurs des Übersetzers

von Gesprächen

überhaupt

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MERCUR u n d CHARON.

MERCUR. Wenn du willst, so laß uns mit einander rechnen, und sehen wieviel du mir schuldig bist, damit wir uns nicht wieder zancken dorfen. CHARON. Meinetwegen, Mercur; denn es ist besser, daß wir eins werden. MERCUR. Ein Ancker brachte ich dir, auf dein Begehren, vor fünf Drachmen. CHARON. D a s ist t h e u e r !

MERCUR. SO wahr als Pluto lebt, es kostet fünf Drachmen, und der Riemen das Ruder anzubinden, zwey Obolen. CHARON. So setze dann, fünf Drachmen und zwey O b o len. MERCUR. Noch habe ich vor die Nadel das Seegel zu flicken, fünf Obolen ausgelegt. CHARON. Setze die auch hin. MERCUR. Noch vor Pech die Ritzen am Schiffe zuzukleben, auch vor Nagel und vor das Seilchen, davon du das Seegelstrick gemacht hast; das alles zusammen kostet zwey Drachmen. CHARON. Gantz gut, das hast du sehr wohlfeil bekommen. MERCUR. Das ist nun alles, wo ich nicht im rechnen noch was vergessen habe. Wenn wilst du mirs wieder geben? CHARON. Itzo kan es nicht seyn, Mercur. Wenn aber entweder die Pest, oder der Krieg viele zu uns herab schicken wird; denn wird schon was zu verdienen seyn, zumal wenn ich die Uberfahrenden mit Fleiß unrecht zehlen werde. MERCUR. So will ich mich denn hersetzen, und beten, daß sich das ärgste zutragen möge: damit ich nur meinen Vortheil davon ziehen könne. CHARON. Es ist nicht anders möglich, Mercur. Du siehst wohl, daß itzo wenig Todte zu uns herab kommen; es ist Friede.

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Johann

Christoph

Gottsched

MERCUR. ES ist auch besser, daß es so bleibe; wenn gleich die Zahlung meiner Schuld noch langer ausgesetzt bleiben sollte. Aber Charon, weist du wohl, wie starck und vollblütig und mehrentheils verwundet, die Alten zu uns zu kommen pflegten. Itzo hingegen, kommt entweder einer der von seinem Sohne oder Weibe mit Gifft hingerichtet worden; oder ein anderer, dem Bauch und Beine von Schwelgerey geschwollen sind. Alle sehen blaß und furchtsam aus; gantz anders, als jene. Viele kommen auch des Geldes halber zu uns, da sie sich, wie es scheint, einander nachgestellet haben. CHARON. Nach dem Gelde muß man ja streben. MERCUR. Nun so werde ich denn auch nicht unrecht thun, wenn ich dasjenige scharf von dir einfordere, was du mir schuldig bist. Nun sage mir jemand, was Lucian mit diesem gantzen Gespräche sagen wollen? Welches ist die Hauptabsicht gewesen, warum er den Charon und Mercur zusammen gepaaret, und warum hat er sie eben dieses und nichts anders reden lassen? hat er die Schuldforderungen verwerfen wollen? diese sind ja billig. Hat er die Rechnungen von allerley Kleinigkeiten zu verspotten gesucht, wie es leicht das Ansehen haben konnte? dieses erlaubet der Schluß des Gespräches nicht zu glauben. Will er die schandlichen Todes=Arten seiner Zeiten als was schimpfliches vorstellen? Dieses ist ja nur ein Nebenwerck in seinem Gespräche. Was will er denn? Das beste was man vielleicht sagen konnte, wäre dieses, daß er die Art der Geitzigen, und bösen Schuldner unter dem Bilde Charons abzuschildern Willens gewesen. Allein auch dieses will nicht recht angehen. Warum gesteht Charon einmal, daß Mercur etwas in wohlfeilem Preise bekommen? Pflegen Geitzhälse das jemals zu thun? Oder warum sagt Charon zuletzt etwas, welches augenscheinlich wieder sich selber läufft? und böse Schuldner pflegen sich davor wohl zu hüten. Aber warum hätte er

Diseurs des Übersetzers von Gesprächen überhaupt

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auch den Charon als einen Geitzigen vorgestellt, von dem Mercur seine Schuld nicht einziehen kan, und dem es so vor genossen ausgehet? Werden nicht die Lasterhafften daraus einen neuen Vorwand nehmen, und sich auf das Exempel Charons beruffen? doch bey den Heyden waren alle Laster an ihren Gottheiten zu finden; Und wenn man es recht ansiehet, so ist dieses die Absicht Lucians auch nicht gewesen. Der letzte Schluß, sagt, oder scheint zum wenigsten den Hauptsatz des Gespräches zu sagen. Allein was ist das vor ein Satz: M a n t h u e n i c h t u n r e c h t , w e n n m a n s e i n e S c h u l d e n e i n f o r d e r t ? Wer hat daran jemals gezweifelt; oder wer würde dem Mercur dieses übel genommen haben. Dieses zu erweisen, hätte man ja kein Gespräche schreiben dorfen. Kurtz, ich weiß nicht, was ich aus diesem und einigen andern Gesprächen Lucians machen soll. Da ich nun schlüßlich auf diese Gespräche des Herrn Fontenelle komme: so werde ich davon nicht viel Rühmens machen. Es sind wohl schwerlich in den neuern Zeiten sinnreichere Unterredungen ans Licht gestellet, als eben diese. Meine Leser werden es auch selber leicht sehen, wie wohl er alle Regeln guter Gespräche zu beobachten gewust. Was indessen bey aller seiner Vollkommenheit doch noch vor Fehler mit untergelaufen, das hat er selbst, in dem angehängten Urtheile Plutonis über dieselben, auf eine scharfsinnige und angenehme Art entdecket. Es ist ein seltsames Exempel, daß ein Scribent die Fehler seines eigenen Buches, der Welt vor Augen legt: Allein wenn es in der That Fehler sind, die Herr Fontenelle begangen: so haben wir mehr Ursache dem Herrn Verfasser davor verbunden zu seyn; als uns über ihn deswegen zu beklagen. Hätte er nemlich dieselben nicht begangen; so hätten wir auch die sinnreiche Beurtheilung derselben, nicht zu lesen bekommen, welche den dritten Theil dieses Buches ausmachet, und fast noch anmuthigere Sachen in sich begreift als das vorhergehende.

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Johann Christoph Gottsched

Was meine Ubersetzung selbst anlanget, so habe ich mich verbunden gesehen, damit zum Vorschein zukommen; da die vor einem Jahre herausgegebenen Gespräche, von mehr als einer Welt, sowohl aufgenommen worden, daß bereits die gantze Auflage abgegangen. J a noch neulich hat ein berühmter Poet unsers Vaterlandes dieses zur Verherrlichung Gottes in seinen Geschöpfen abzielende Werckchen in dem andern Theile seines irrdischen Vergnügens seiner Lobsprüche werth geachtet, und es seinen Lesern angepriesen: Wovor man ihm billig verbunden zu seyn Ursache hat. So ist die Bedingung erfüllet worden, unter welcher ich mich anheischig gemacht, mit der Ubersetzung der Wercke dieses berühmten Franzosen fortzufahren. Treffe ich es mit diesen Gesprächen der Todten nicht schlechter, als mit dem neulichen; wiewohl Deutschland der Todtengesprache schon fast überdrüßig seyn konnte: So werde künftig einen Theil meiner müßigen Stunden, auf ein wichtigers Tractatchen unsers Herrn Autoris von den Orackeln der Heyden wenden, und dasselbe seiner Nutzbarkeit und Annehmlichkeit halber, auch unsern Landesleuten leserlich machen. Womit ich etwa sonst dem geneigten Leser zu dienen dencke, will ich hier nicht melden, und mich lieber was weniges zu thun, als viel zu versprechen bemühen.

Zufällige Gedanken von dem Bathos in den Opern (Beilage zu Anti-Longin, Oder die Kunst in der Poesie zu kriechen)

1734

Sr. Hochedelgebohrnen Hrn. Johann Christoph Gottscheds, etc. etc.

Zufallige Gedanken von dem Bathos in den Opern.

5

S o sehr sich die Engellander, aus gar zu grosser Liebe gegen sich selbst, auch mit ihren Poeten breit zu machen pflegen: So wenig haben doch dieselben den gehörigen Grad der Vollkommenheit erreichet, den wir an den alten Griechen und Romern so bewundern. Die Vernünftigsten ic und Gelehrtesten unter ihren Kunstrichtern oder Criticis gestehen solches selbst, und wir dürfen sie also nur mit dem Gestandnisse ihrer eigenen Landesleute eintreiben, wenn sie unser Urtheil davon verwerfen wollen. Die so berühmten Namen eines S c h a k e s p e a r s , F l e t s c h e r s , J o h n - 15 s o n s und M i l t o n s , die man in dem Wettstreite mit andern Nationen gleich an die Spitze zu stellen pflegt, haben sich bey dem grundlich gelehrten und tiefsinnigen Grafen von S c h a f t e s b u r y noch nicht einmal mit ihrer Schreibart rechtfertigen können. Es ist werth, daß ich die 20 Stelle aus dem I. T. seiner Characteristicks, und zwar aus d e m 2 . T h e i l e ADVISE TO AN AUTHOR g e n a n n t , p . 2 1 7 . an-

führe. „ D i e Englischen Musen schreibt er, mögen wohl noch ganz verworfen und im finstern liegen: Zumal sonderlich, da sie in ihrem kindischen Zustande sind. Sie haben 25 noch zur Zeit, kaum einiges Geschicke, oder rechte Gestalt gewonnen. Sie lallen noch gleichsam in ihren Wiegen, und ihre Stammlenden Zungen, die nichts als ihre Jugend und

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Rohigkeit entschuldigen kan, haben bisher noch lauter abgeschmacktes und phantastisches Zeug (PUN AND QUIBBLE) gesprochen. Unser dramatischer Schakespear, unser Fletscher, Johnson, und unser epischer Milton behalten diese Schreibart auch noch bey. Und selbst eine neuere Zucht, die von dieser Schwachheit wenig befreyet ist, und stets nach einer falschen Hoheit strebet, unterhalt unsere rauhe Einbildungskraft und ungeübtes O h r mit rohen Gleichnissen und einem Mischmasch von Metaphorn: So daß es nicht Zeit hat sich zu bessern und recht musicalisch zu werden." Was dieser grosse Mann von seinen alten Engellandern sagt, das hat der sinnreiche S w i f t von den neuesten Dichtern seiner Nation, in dem artigen Werkchen von dem B a t h o s , o d e r d e r K u n s t in d e r P o e s i e zu k r i e c h e n , deutlich erwiesen. Eben derjenige B l a k m o r e , den ich in L o c k e s und M o l y n e u x Briefen so heraus gestrichen finde, ist von dem scharfsinnigen D . S w i f t fast zum Obermeister in dem Bathos erklaret worden. Er hat darinn der alten Poeten seines Volkes schonen wollen, damit er nicht für einen gar zu eigensinnigen Richter angesehen würde, dem nichts recht wäre, was die allerberühmtesten Dichter geschrieben hatten. Allein er hat zum wenigsten die Regeln an die Hand gegeben, darnach man so wohl die Alten als die Neueren, des B a t h o s überführen kan. Z . E . M i l t o n , der doch von vielen so bewundert worden, seit dem A d d i s o n und S t e e l e ihn ihren Landesleuten so angepriesen; Milton, sage ich, würde ganz allein alle Exempel zu dem gedachten Tractate haben hergeben können: So viel falsche Hoheit steckt in seiner Schreibart; der regellosen Phantasien zu geschweigen, davon sein verlohrnes Paradies, auch selbst nach des Grafen Schaftesbury Gestandniß, überall voll ist. Wie wäre es nun, wenn sichs jemand unterstünde, und in unsern Deutschen Poeten die Exempel zu dieser poeti-

Von dem Bathos in den Opern

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sehen Kunst zu kriechen aufsuchen wollte? Ich weis wohl, daß es noch viele Liebhaber der falschen Hoheit in Gedanken und Ausdruckungen giebt, die sich an solchen vermeynten Edelgesteinen, als herrlichen Zierrathen der poetischen Schreibart, wie die Kinder an dem Flittergolde ihrer Puppen ergetzen. Diese würden ohne Zweifel sehr bose werden, wenn man ihnen dieselben in Glas verwandeln, und ihnen allen Werth benehmen wollte: Zumal wenn sie wohl selbst ihre angebetheten Vorganger glücklich nachgeahmet, oder wohl gar übertroffen hatten. Die Neuern selbst, nach Swiftischer Art, durch die Musterung paßiren zu lassen, wollte ich zwar bey ihrem Leben niemanden anrathen; die Verstorbenen aber etwas unpartheyisch zu beurtheilen, das müste doch einem jeden Critikverstandigen frey stehen. Diesen schadet ein freyes Urtheil von ihren Schriften nicht mehr. Sie verlieren auch weiter nichts, als eine Ehre, die ihnen ohnedem nicht gebühret hat; weil sie selbige nur bey den Unverstandigen, und zwar durch ganz unrechte Mittel gesuchet haben. Wenn ich Zeit genug dazu hatte und die Sache eines so vollständigen Beweises bedörfte, wollte ich aus unsem deutschen Opernschreibern eine Probe machen. Ich getrauete mir in ihren Poesien alle die Fehler, und zwar aufs häufigste zu finden, die wieder die Regeln der gesunden Vernunft und wahren Critik, in der falschen Hoheit der Schreibart begangen werden können. Dieses würde einen ausführlichen Tractat von dem Bathos in der O p e r n schreibart abgeben. Allein was ist es nothig, eine Sache so mühsam zu erweisen, die von sich selbst in die Sinne fallt, wenn man den geringsten Geschmack von einem vernunftmaßigen poetischen Ausdrucke hat? Wem aber die O p e r n so gar die Phantasie eingenommen, daß er für entzückender Verwunderung ihrer vermeynten Schönheiten ihre Fehler nicht sehen kan, oder will, dem wird es doch schwer, wo nicht unmöglich seyn, die vorgefaßten Meynungen zu

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benehmen. Doch ich will einen kleinen Versuch machen, und nur aus einer einzigen Oper diejenigen Redensarten und Gedanken anmerken, die ein vortreffliches Bathos in sich halten. Ich will dazu diejenige wehlen, die von einem Meister in dieser Kunst verfertiget worden; die noch besser ist, als alle übrige deutsche Opern, weil sie zum Theil aus einem alten Griechischen Poeten entlehnet ist; die endlich noch von einem grossen Kenner und Meister in der guten Schreibart übersehen und an vielen Orten verbessert worden. Mit einem Worte, P o s t e i s I p h i g e n i a , im 1. T h . der Poesie der Niedersachsen soll mir zu dieser Absicht dienen. Ich war anfangs willens diese Oper nach den theatralischen Regeln zu untersuchen, und die Fabel, die Wahrscheinlichkeit, die Charactere, die Verwirrung, u . s . w . auf die Probe zu stellen. Allein vors erste hatte mich das zu weit gefuhret. Das Bathos ist in allen diesen Dingen nicht eigentlich zu Hause, sondern bloß in der Schreibart herrschet es. Hernach ist mir dieser Tage in dem so genannten POUR & CONTRE N . 66. so in Holland wöchentlich heraus kommt, eine Stelle in die Augen gefallen, die mich davon abgehalten hat. Es wird daselbst der Wercke eines gewissen Hrn. von SERRÉ gedacht, der unter andern in einem Gedichte von der Musik, auch von der Oper seine Gedanken so gründlich als sinnreich entdecket hat. Der Verfasser dieser

Blatter

schreibt:

MALGRÉ

L'IDÉE,

QUE

CERTAINS

P O E T E S ONT DU MERITE D'UN B E L O P E R A , JE SOUSCRIS À CE, QUE DIT M R . DE S E R R É PAR CES V E R S : L ' O P É R A N'EST AU FOND QU'UN P O E M E IMPARFAIT, C E N'EST QUE PAR LAMBEAUX Q U ' O N SAISIT LE SUJET. L E S DIVERTISSEMENTS, DONT CHAQUE A C T E SE PARE, H A R M O N I E U X DÉTOURS OU NOTRE ESPRIT S'EGARE! P A R DES JEUX IMPRÈVÛS COUPENT L'ÉVENEMENT. AVEC PEINE ON LE S U I T : L E PLUS BEAU DÉNOUEMENT,

Von dem Bathos in den

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Opern

O u SOUVENT L'ACTION BRUSQUEMENT SE T E R M I N E , N E SE D O I T , QU'AU SECOURS D'UN D I E U DANS SA MACHINE.

Dieses allgemeine Urtheil eines critischen Kenners von allen Opern ist so wohl abgefasset, und trifft auch bey dieser Iphigenia so wohl ein, daß man sie nur durchlesen darf, um alle Zeilen dieses Poeten wahr zu befinden. Der Journalist der diese Verse gut heißt, und durch seinen Beyfall bestärket, setzt noch folgendes hinzu: IL S'ENSUIT DE LÀ QU'UN BEL O P E R A N'EST JAMAIS QU'UN BEAU MONSTRE. T O U T L'ART DU P O E T E D O I T ÊTRE DE COMBINER SI BIEN LES QUATRE CENT MOTS, DONT LA LANGUE LUI LAISSE L'USAGE, Qu'LL PUISSE F.N

COMPOSER

QUELQUES

MONOLOGUES

TOUCHANS,

QUELQUES SCENES BIEN D I A L O G U É E S , QUELQUES Â R I E T T E S , &

DONNER

Du

RESTE

LIEU

AU M U S I C I E N ,

IL FAUT AVOUER,

QUE

DFC D E P L O I E R

SON

DANS LES PLUS

ART. BEAUX

O P É R A F R A N Ç O I S , IL Y A BIEN PEU DE SENS & DE RAISON. C ' E S T BIEN PIS DANS CEUX D ' I T A L I E . I c h k a n n i c h t

umhin

diese Worte deutsch zu übersetzen: „Daher folgt, schreibt er, daß eine schöne Oper nichts anders als eine schöne Misgeburt ist. Die ganze Kunst des Poeten ist diese, daß er die vierhundert Worte, deren Gebrauch ihm verstattet ist, so anwende, daß etliche bewegliche Reden einer Person mit sich selbst; etliche Auftritte mit guten Unterredungen; und etliche Liederchen daraus werden, dabey der Componist Gelegenheit findet, seine ganze Kunst auszukramen. Übrigens muß man gestehen, daß in den allerschönsten Französischen Opern, sehr wenig Verstand und Vernunft anzutreffen ist. Mit den Italianischen sieht es noch viel arger aus." Was diese beyden Zeugnisse von dem Werthe der Opern bey den Liebhabern derselben fur einen Eindruck machen werden, kan ich nicht wissen. Doch gehen dieselben nur die Opern an, in so weit sie ein Werk des Poeten ist; nicht aber in Absicht auf ihre übrigen Schönheiten, oder Fehler. Man tadelt dabey, daß sie keine Ordnung und keinen Zu4

Gottsched

X/l

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Johann

Christoph

Gottsched

sammenhang in der ganzen Einrichtung habe; und also ein Ungeheuer sey; welches eben darum nicht schon seyn kan, weil es von der gewöhnlichen natürlichen Gestalt aller Thiere abgehet. Man tadelt den Zwang, da der Poet um der Musik halber nicht den zehnten Theil der Sprache in seiner Gewalt behalt. Man tadelt endlich die ohne Verknüpfung hintereinander laufenden Auftritte einzelner Personen, Gespräche, Arien, u . s . f . Man verwirft die Verse und Ausdrückungen, die nicht nach Erforderung der Hauptfabel, der Handlungen, Affecten, Charactere und anderer U m stände, prächtig, pathetisch, nachdrücklich, schrecklich, zärtlich oder traurig; sondern den Musikanten zu gefallen, so ersonnen werden müssen, daß sie ihre Kunst nur recht können sehen lassen. Zuletzt folgt ein rechtes Endurtheil, welches allen Französischen und Italiänischen Opern eine schlechte Ehre macht, und dasjenige zur Gnuge bestärkt, was ich in meiner Critischen Dichtkunst bereits davon gesaget und erwiesen habe. Doch ich will auch die übrigen Worte meines Journalisten hersetzen, daraus noch mehr erhellen wird, daß er ein recht critischer Kenner der Schaub ü h n e ist.

E r s c h r e i b t : C E QUI ME RÉJOUIT, EST DE VOIR

Q U E L Q U E F O I S C R I T I Q U E R LE DESSEIN & LA C O N D U I T E D'UN POEME

D ' O P É R A . J'AIMERAI

CRITIQUER

LA

TAILLE

&

AUTANT,

LA

QU'ON

DEMARCHE

S'AMUSAT Â

D'UNE

FEMME

C O N T R E F A I T E . C E Q U I ME P A R O I T ENCORE PLUS PLAISANT, EST Q U ' O N RELEVE Q U E L Q U E S F O I S NOUVEAUX VRAI

LE

INTÉRÊT

DEFAUT DANS

D'INTERET.

UN O P E R A ?

DANS CERTAINS PEUT EN

IL

OPERA

Y AVOIR

TROUVE-T-ON

CEUX DE Q U I N A U T ? J E NE SAIS SI J E ME T R O M P E : I L PAROIT D'UN

QUE

POEME

L'INTERET D'OPÉRA;

N'EST MAIS

POINT DANS

DANS

LA

QUELQUES

DE

DANS ME

TOTALITÉ SCENES

PARTICULIÈRES, QUI TOUCHENT. Das heißt: „Was mich sonst belustiget, ist dieses, daß ich bisweilen die Einrichtung und Anordnung einer Oper tadeln höre. Es kömmt mir dieses nicht anders fur, als wenn ich die Leibesgestalt

Von dem Bathos

in den

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Opern

und den Gang eines hockerichten und schiefen Weibesbildes tadeln wollte. Was mir noch lustiger zu seyn dünket, ist dieses, daß man in gewissen neuen O p e r n den Mangel des Einnehmenden und Anziehenden aussetzet; dadurch der Zuschauer bewogen wird selbst Theil daran zu nehmen, und sich dafür zu erklaren. Kan denn dergleichen wahrhaftig Einnehmendes in einer O p e r statt finden? Trifft man es irgend in des Q v i n a u l t seinen an? Ich weis nicht, ob ich vielleicht irre: das Einnehmende ist bey den O p e r n nicht in dem ganzen Gedichte, sondern in einigen besonderen Auftritten, die was rührendes an sich h a b e n . " Das ist nun alles was ich brauchte, mich von meinem Vorhaben die Iphigenia zu critisiren, abwendig machen zu lassen. Was bedarf es einer solchen M ü h e , gedachte ich, da es selbst in den Franzosischen O p e r n lacherlich ist, die Einrichtung derselben zu tadeln? Es ist den Opernschreibern niemals in den Sinn gekommen, was ordentliches zu dichten, oder eine wohleingerichtete Fabel zu machen, die W a h r scheinlichkeit, Verknüpfung und Schönheit an sich hatte. Es ist ihnen nur um schone Theile zu thun: die mögen hernach zusammen passen wie sie wollen! Eben die Gedanken scheint von den O p e r n überhaupt der berühmte Pater Poree selbst in Paris gehabt zu haben, der in seiner Rede, ob die Schaubühne eine Schule der Tugend seyn könne, sich Bl. 2 2 . 23 folgender W o r t e bedienet hat: D E T H E A T R O AD EXHIBENDAS TRAGOEDIAS VEL COMCEDIAS ERECTO JAM MIHI, OMNES,

POSSE

IN

OPINOR, EO

ILLUD FACILE

SCHOLAM

ASSENTIENTUR

INFORMANDIS

MORIBUS

IDONEAM CONSISTERE. A T DUBITATUR ETIAMNUM,

CREDO,

EADEMNE SIT RATIO HUJUS THEATRI CANORI & LYRICI, IN QUO DATUR SPECTACULUM HAUD ITA PRIDEM INVENTUM & OMNINO SINGULARE, QUOD QUIDEM EX MULTIS CONFLATUM SPECTACULIS,

MERITO

DIXERIMUS

UNUM

&

MULTIPLEX;

QUOD EX TRAGOEDIA GRAECA NATUM VIX ALIQUID MATERNUM

RETINET;

CUIUS

EA COAGMENTATIO

EST,

UT

INTER

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Johann

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DRAMATA AD VERAS ARTIS DRAMATICAE REGULAS EX ACTA, P R O M O N S T R O H A B E R I D E B E A T ; CUIUS EA COGNATIO EST CUM MONSTRIS, & QUOD MAGNAM EXCITET VIDENDI CUPID IT ATEM

&

QUOD

GENUINIS

VIDEATUR ADMIRABILE, TIS

HABEAT,

QUAM

&

NATURAE

QUOD P L U S

VERAE

OPERIBUS

MAGIS

ADMIRABILITA-

LAUDIS.

Ich

will

dem

deutschen Leser zu gefallen auch die Ubersetzung dieser Worte hersetzen: „Nunmehro hoffe ich, daß uns ein jeder im Absehn auf die tragischen und comischen Schaubuhnen zugestehen werde, daß darauf eine gute Tugendschule gar wohl bestehen könne. Allein man zweifelt meines Erachtens noch, ob es mit der musikalischen und singenden Schaubühne eben die Bewandniß habe? Diese stellt uns eine unlängst erfundene Art der Schauspiele vor, die ganz sonderbar und seltsam ist; die, weil sie aus vielen Schauspielen zusammengesetzt worden, mit Recht einfach und vielfach heissen kan; die zwar aus der griechischen Tragödie entstanden ist, aber kaum etwas von ihrer Mutter an sich behalten hat; die endlich so wunderlich zusammen gesetzt ist, daß sie unter denen Schauspielen, die nach den wahren theatralischen Regeln verfertigt worden, vor eine Misgeburt anzusehen ist; welche auch so viel gemeinschaftliches mit einer Misgeburt hat, als möglich ist, indem sie theils eine grosse Neugierigkeit bey den Zuschauern erwecket; theils wunderbarer zu seyn scheinet, als die rechten Werke der Natur; theils endlich mehr wundersames, als wahrhaftig lobwürdiges an sich hat." Und damit man nicht denke, als ob nur die Franzosen irgend solche Feinde von Opern seyn konnten, als welche vielleicht die Schönheit einer Italianischen Oper nicht recht kennen mochten: So h6re man das Urtheil desjenigen gelehrten Mannes noch, der im Jahre 1728. zu Verona unter dem Titel TEATRO ITALIANO zwölf Italiänische alte Trauerspiele herausgegeben. In der Vorrede hat er eine ausführliche Historie der Italianischen Schaubühne beschrieben, die in

49

Von dem Bathos in den Opern

gewissen Stücken noch sorgfaltiger ausgearbeitet ist, als die Riccobonische; und darinn schreibt er, nach einer umständlichen Erzehlung von dem Ursprünge und Wachsthume der Italianischen Singspiele, folgender gestalt: MA IN OGNI MODO FINCHE QUESTA MANIERA DI MUSICA SI RITERRÀ, NON SARA MAI, POSSIBILE FAR IN M O D O , CHE NON SIANO PUR SEMPRE UN A R T E S T O R P I A T A IN G R A Z I A D' UN

ALTRA,

E DOVE IL SUPERIORE MISERAMENTE SERVE ALL I N F E R I O R E , TALCHÉ IL P O E T A QUEL LUOGO CI T E N G O , CHE TIENE IL

VIOLINISTA OVE SUONI PER BALLO. D i e H e r r e n

Liebhaber

der Opern sind gar zu grosse Freunde der Italianischen Sprache, als daß ich es nóthig hatte, ihnen diese Worte zu übersetzen. Ist es nicht genung, daß er die Opernpoesie eine Kunst nennet, die einer andern, nemlich der Musik, zu gefallen, verstümmelt worden; wo die größere, nemlich die Dichtkunst, der kleinern, nemlich der Tonkunst dienen muß; und wo der Poet die Stelle eines Fiedlers, der zum Tanze geiget, vertreten muß? Gleichwohl hat dieses harte Urtheil auch bey dem Herrn BECELLI, der des MARCH. MAFFEI theatralische Gedichte herausgegeben p. 197. Beyf a l l g e f u n d e n . C R E D O CHE TUTO CIÒ ERA COERENTE ALLA OPINIONE,

CH'EGLI

ACCENNO

NELLA

PREFAZIONE

T E A T R O ITALIANO CIOÈ CHE DOPO LA MANIERA, CORRE DI MUSICA NE I NOSTRI T E A T R I ,

I DRAMI

SIANO

CHE

ALTRI,

COME EGLI DICE QUIVI,

UN

AL

CH'ORA NON ARTE

S T O R P I A T A I N G R A Z I A D ' U N A L T R A JC.

Ein gleiches kan ich aus einem Engellander anführen, der gewiß in Londen die schönsten italianischen Opern zu sehen Gelegenheit gehabt, ja solche, als selbst in Italien nicht anzutreffen sind. Der Tractat heißt THE TASTE OF THE TOWN, und ist im Jahre 1731. in Londen ans Licht getreten. Es heißt

p.

18.

THE

FOURTH

OBIECTION

IS

ALTOGETHER

CRITICAL & c . Doch ich will die Stelle, weil sie etwas lang ist, lieber nur deutsch hersetzen:

50

Johann

Christoph

Gottsched

„ D e r vierte Einwurf ist ganz und gar critisch, und aus den unerbittlichen pedantischen Regeln, die dieses Geschlecht der Gelehrten fest gesetzt hat, hergenommen, nach welchen sie von allen artigen Sachen ein Urtheil fallen, und folglich alle Ergetzlichkeiten verdammen, worinnen Geist und Leben über die unbeseelten Werke ihrer Macht die Oberhand hat. Diese verdrüßliche Leute wollen die Opern unter die Fahne Aristotelis und Rapins bringen. Sollte ja diese Zeitkürzung in einigen Stücken tadelhaft seyn: So wollen sie dieselbe doch vor ganz unrechte Richter fordern. Das heißt aber die Sache vor ein eben so schlimmes Gerichte ziehen, als wenn man einen Seeräuber um eines Todschlages halber in die Canzley, oder einen Strassenrauber vor die Facultat fordern wollte. Eine Oper bedarf gar keine Hülfe von ihren Anleitungen zur Dichtkunst; sie ist nicht auf die Grundgesetze ihrer Schaubühnen gebauet, und ihre Regeln haben mit dem ganzen Gebäude nichts gemein. Ware aber dieses gleich nicht, warum sollte nicht diese Belustigung eben so wohl als andere, bey Gelegenheit, des Vortheils ihrer Geistlichkeit geniessen, und, wenn sie ja was unrichtiges und unnatürliches an sich hatte, darmit entschuldiget werden, daß man es einen hübschen Gedanken, oder einen schonen Einfall nennete? Es ist jederzeit von allen denjenigen, die noch eine Oper in der Welt leiden wollen, zugestanden worden, daß lauter übernatürliche und wundersame Dinge in diese Art der dramatischen Spiele gehörten; ob dieselben gleich in einer regelmäßigen Tragödie oder Comodie verdammet würden. Eine Oper kan der Tyrann der Schaubühne genennet werden. Sie ist keinen poetischen Gesetzen unterworfen. Sie verachtet die Gewalt oder die Einschränkungen eines ganzen Parlaments von Critikverstandigen, oder Kunstrichtern, und besteht ganz und gar durch sich selbst und ihren eigenen unstreitigen Vorzug. Sie hat die Freyheit Himmel, Erde und Holle zusammen zu paaren; Gotter, Geister und Teufel zu Hülfe zu ruffen: und alle diese unge-

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Von dem Bathos in den Opern

bundene Freyheit wird bey ihr für das wahrscheinliche, oder doch für das, was in dieser Zeitkürzung nothwendig ist, angesehen." Es ist wohl zu merken, daß der Urheber dieser Abhandlung von der Musik und den Singspielen, ein großer Vertheidiger dieser letzten ist, in welcher Absicht er denn alle Einwürfe zu beantworten übernimmt, die man wieder die O p e r n nur machen kan. Den vierten Einwurf darauf das bisherige die Antwort ist, hat er p. 13. so vorgetragen; THE

FOURTH

IS ALTOGETHER

CRITICAL,

AND

RAISED BY

THOSE GENTLEMEN WHO ARE MASTERS OF SO MUCH G O O D SENSE AND JUST CRITICISM, THAT THEY ARE OBLIGED TO BE. DISPLEASED WITH EVERY THING THAT WILL NOT STAND THE TEST OF ARISTOTLE AND R A P I N . A N O P E R A THROWS THEM INTO C O N V U L S I O N S :

ONE PART IS RIDICULOUS

IMPROBABLE; A THIRD UNNATURAL; A FOURTH

ANOTHER IMPROPER;

A FIFTH IRREGULAR, AND SO THEY RUN THEMSELVES OF

BREATH.

ZOUNDS,

NO

UNITY

IN

TIME,

PLACE

OUT OR

„ D e r vierte Einwurf ist ganz critisch und wird von denen Herren gemacht, die eine so gesunde Vernunft und so richtige Critik, oder Beurtheilungskunst besitzen, daß sie nothwendig ein Misfallen an allem haben müssen, was nicht beym Aristoteles und Rapin die Probe halt. Eine O p e r macht ihnen Ohnmächten und Verzückungen. Ein Theil ist lächerlich, der andre unwahrscheinlich, der dritte unnatürlich, der vierte uneigentlich, der fünfte unregelmäßig. Und so laufen sie sich selbst aus dem Athem. Kurz es ist keine Einheit der Zeit, des Orts, oder der Haupthandlung darinn beobachtet." A C T I O N OBSERVED!

So wie nun dieser Einwurf allerdings der erheblichste von allen war; so muß der Verfasser doch gleich anfangs gestehen, daß er von Leuten herrühre, die viel gesunde Vernunft und eine richtige Critik in ihrer Gewalt haben. Ist nun das? warum giebt man ihnen denn nicht recht? Kan denn eine Sache gut seyn, die solchen Richtern misfallt? Giebt es denn

52

Johann

Christoph

Gottsched

Dinge die der gesunden Vernunft und einer richtigen Critik zu wiederlaufen, und doch Lob verdienen? Aber vielleicht haben diese Anhänger Aristotelis und Rapins die Kunstregeln dieser Meister nicht recht angewandt, unrecht verstanden, übel erklaret, oder sonst was versehen? Keines von allen. Der Verfasser beantwortet ihn nicht auf diese Weise. Er untersteht sichs nicht ihnen dergleichen Fehler vorzurücken. Er giebt ihnen alles zu, was sie sagen, und macht es wie die alten Scythen und Parther, die im Fliehen stritten. Aber wie? schlecht genug. Er entzieht die Singspiele der critischen Gerichtsbarkeit. Er sieht sich genothigt, sie der poetischen Hoheit den Gehorsam aufkündigen zu lassen. Was wollen wir mehr? So hat denn Apollo nichts mehr mit ihnen zu thun! Die Opernschreiber sind entweder Rebellen; oder sie sind niemals desselben Schüler gewesen. Ihre Schaubühne ist nichts anders, als ein Stück aus Schlaraffenland, wo alles ohne Ordnung, Vernunft, und Wahrscheinlichkeit ist. Sie ist ganz unbegreiflich! Die Musen aber, sind Tochter Jupiters, und werden gewiß auf ihrem Parnaß das alte Chaos nicht wieder einführen, was ihr Vater und seine Weisheit ehemals abgeschaffet, und in eine so ordentliche Welt verwandelt hat. In Wahrheit, wenn man die Opern nicht besser vertheidigen kan: So ist es ein Zeichen einer sehr schlechten, ja verzweifelt bösen Sache. Dieser Eingang zu meinem Vorhaben ist mir unvermerkt weitlauftiger gerathen, als ich anfanglich gedacht hatte. Ich komme zur Sache selbst. In dem ersten Auftritte der Postelischen Iphigenia, erscheinet Agamemnon und Nestor. Beyde zu sammen singen eine Arie, die den Affect der Traurigkeit ziemlich natürlich ausdrücket. Allein gleich im ersten Recitativ, wo man doch das Hochtrabende am wenigsten vermuthen sollte, da heißt es: M e i n V a t e r h e r z ist T a u r u s F e l s e n g l e i c h . So drückt sich die Natur im Schmerze nicht aus. Die Trau-

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rigkeit redet nicht stolze Metaphorn, wie Fenelon in den Gedanken von Trauerspielen sehr wohl angemerket hat; die ich bey meinem Cato übersetzt beygefüget habe. Vielweniger nimmt sie sich die Mühe weit gesuchte Gleichnisse zu reden. Dieses gehört vor den Witz eines müßigen Dichters, der so lange nachsinnen kan, als ihm beliebt. Agamemnon aber ist kein Postel; er muß sprechen als ein trauriger Vater, nicht als ein sinnreicher Poet. Das vermeynte Hohe also von den Felsen des Taurischen Gebürges ist ein wahres Bathos in dem Munde dieses Koniges. In der nechstfolgenden Arie kommt wiederum was vor. Nestor philosophirt über die Unbilligkeit der Menschen, die den Himmel anklagen, wenn sie sich selbst unglücklich gemacht haben: Und da singt er: M a n klagt u m s o n s t den S c h l u ß der S t e r n e n an, Wenn man ihm selbst sein U n g l ü c k s p i n n e t . Wir wollen hier nicht die Sterne zum Bathos rechnen; die bey vielen Poeten sonderlich aber den Operndichtern fast ihr ganzes tityog ausmachen. Ungeachtet man wohl fragen könnte: O b denn die Griechen von dem Laufe der Sterne die Schicksale der Menschen herzuleiten gewohnt gewesen? Nur das S p i n n e n des Unglücks ist eine so niedrige Ausdrückung, daß sie sich fürtreflich ins Bathos schicket. S e i n U n g l ü c k e b a u e n , p f l a n z e n , IC. ist von vielen Poeten nicht übel gesagt worden. Aber selbiges s p i n n e n ist eine metaphorische Ausdrückung, die von einer gar zu schlechten Beschäftigung hergenommen ist. Allem Vermuthen nach hat auch der Reim, und nicht der Poet dieselbe den andern Redensarten vorgezogen. In dem andern Auftritte hat die Arie abermal etwas von der Art in sich. Agamemnon singt, und bittet den Himmel: Laß erfrorne Lieb erwarmen. Daß der Liebe eine Wärme oder Hitze, ja gar eine Brunst

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Johann

Christoph

Gottsched

zugeschrieben werde, das sind wir gewohnt, und die Sache hat auch sonst ihren guten Grund. Daher sagt man mit Recht, daß die Liebe e r k a l t e , wenn sie irgend abnimmt oder schwach wird. Aber daß sie e r f r i e r e , kan man unmöglich sagen. Denn das Erfrieren geschieht vermittelst einer auf etwas eindringenden äußerlichen Kalte, daran das Erfrierende nicht schuld hat. So ist aber diejenige Liebe nicht beschaffen, von der man sagt, daß sie erkaltet sey. Sie ist von sich selbst laulichter geworden. Daher ist denn der Ausdruck von e r f r o r e n e r L i e b e unrichtig. Er ist aber auch zu niedrig: denn man denkt dabey sogleich an erfrorene Füsse, oder Nasen; oder an erfrorne Aepfel, die dadurch faul werden. Im dritten Auftritte wollen wir nicht die falsche Wortfügung anmerken, da das Wort b r i n g e n zweymal unrecht verbunden wird. Einmal heißt es: D e r b r i n g t d i e ß S c h r e i b e n n a c h C l y t e m n e s t r a h i n ; das anderemal: b r i n g es o h n V e r w e i l e n n a c h C l y t e m n e s t r a z u . Beydes ist nicht deutsch: denn es sollte schlechtweg heissen: b r i n g es d e r C l y t e m n e s t r a , d e r K o n i g i n , u . d . m . mit dem blossen Gebefalle. Ich komme nur auf die Arie der Deidamia. Sie singet so: Spielet nur, spielet mit meinem G e s c h i c k e , S c h e r z e t ihr S t e r n e ! mit H o f f n u n g und T r e u . Sollten auch eure b r e n n e n d e B l i c k e Selber veralten, Ewig erkalten: Bleibet doch meine Beständigkeit neu. Das ist ohne Zweifel eine recht musikalische Arie. Denn wie schon wird es sich nicht in der ersten Zeile haben s p i e l e n , und in der andern s c h e r z e n lassen? Allein hier trifft es ohne Zweifel ein, daß so viel schon klingende Worte nichts sagen, was vernünftig wäre. Die Sterne machen das

Von dem Bathos in den

Opern

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Geschicke der Menschen nicht, außer in dem Gehirne gewisser astrologischen Grillenfänger, davon die alten Griechen aber noch nichts wüsten, vielweniger glaubten. Und gesetzt, daß sie es machten, so wurde es doch kein so scherzhaftes Ding um die Einrichtung der menschlichen Schicksale seyn. Die Alten haben uns das Buch der Parcen, darinn Jupiter die Verhängnisse der Sterblichen liest, jederzeit als was sehr ernsthaftes beschrieben. Das hätte Deidamia wissen sollen. Hernach sollen die b r e n e n d e n B l i c k e v e r a l t e n u n d e r k a l t e n . Keines von beyden schickt sich recht zum b r e n n e n . V e r l o s c h e n hatte es heissen sollen: aber das reimte sich nicht. So machen mehrentheils die Reime schone Arien, nicht aber der Poet. Sind aber hochklingende Worte ohne Verstand nicht ein leerer Schellenklang, und ein wahrhaftiges Bathos? Im vierten Auftritte sagt Achilles zu der verkleideten Deidamia: Der Hoheit Glanz loscht Amors Fackeln

Schein.

Das ist abermal ein Bathos? denn wie kan der Glanz den Schein loschen? D i e E h r e d a m p f e t die L i e b e , will der Poet ohne Zweifel seinen Achilles sagen lassen. Allein warum drücket er diesen an sich richtigen Gedanken falsch aus? Die Ehre hat einen Glanz: gut. Amor hat Fackeln; das steht noch dahin! Hymen tragt zwar Fackeln, aber Amors Zeichen sind Kocher, Pfeil und Bogen. Doch wir wollen so scharf nicht seyn. Er mag sie vom Hymen geborget haben. Diese haben einen Schein: Noch ist alles richtig. Aber wie der G l a n z d e r E h r e d e n S c h e i n d i e s e r F a c k e l n A m o r s l o s c h e n könne, das begreife ich nicht. Denn es mag dieser Glanz der Ehre entweder ein eigenes, oder entlehntes Licht haben: So kan er doch keine Fackel damit ausloschen. Denn weder der Mond kan die Sonne, noch diese die allergeringste Lampe ausleschen, sie mag so stark glänzen

56

Johann Christoph Gottsched

als sie will. Verdunkeln kan sie dieselbe wohl: Aber wer das vor ein Ausloschen halten will, der mag zur Strafe den Finger in die bey Tage brennende Lampe stecken. In dem fünften Auftritte kommt Thersites zum Vorscheine. Dieses ist der Pickelhering unsers Singspieles: denn wie bekannt ist, so muß eine Oper auf deutschen Fuß, auch einen Hanswurst haben. Thersites spielt seine Rolle gut. Anfanglich flucht er, daß er früh habe aufstehen müssen. Es heißt: S c h o n w i e d e r aus d e m B e t t e ! Wer wollte doch solch Leben nicht verfluchen? O b ich gleich heut gern lang geschlafen h a t t e : S o m u ß i c h d i c h 2C. Das ist niedrig genug zu einem B a t h o s , zumal wenn man den Opern den schonen Namen musikalischer Tragödien geben will. Denn wo bleibt hier das edle und erhabene Wesen, so in dieser Art von Gedichten herrschen soll? Aber das ist noch nichts. Thersites kan auch Unflatereyen singen. Denn nachdem er, nach Gewohnheit aller lustigen Personen, einen grossen Sittenlehrer abgeben müssen, und dem verliebten Frauenzimmer einen hübschen Text vom Mistrauen gelesen: So schließt er durch ein recht unvergleichlich tiefes Epiphonema: S c h m e i c h e l t auch mit glatter Z u n g e : A b e r denkt wie G o l d s c h m i e d s Junge. Wenn solche pöbelhafte, und höchst niedertrachtige Sprüchwörter kein Bathos sind: So wird künftig das aller abgeschmackteste edel heissen können. Doch bisher haben wir noch lauter mittelmassige Schönheiten der Opernschreibart angetroffen. In der andern Handlung unsers Singspieles wollen wir sie besser finden. Gleich im ersten Auftritte, wo man in zweyen Gezeltern

Von dem Bathos in den Opern

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bey anbrechender Morgenrothe die Clytemnestra und Iphigenia schlafen sieht, hebt Anaximenes, der letztern Liebhaber, so an zu seufzen: Halt ein, holdseligs M o r g e n r o t h ! B r i c h n i c h t zu f r ü h aus d e i n e n R o s e n z i m m e r n . Wir wollen nicht fragen ob der Liebhaber klug handle, daß er so nahe bey dem Bette seiner Geliebten zu singen anfangt, da er doch haben will, daß Morpheus seinen Schlummer noch ausbreiten und seiner Liebsten Augen einnehmen solle. Des Morgens pflegt man ohnedem nur zu schlummern, und von dem geringsten Laute zu erwachen. Ich frage nur vors erste, warum das Morgenroth Z i m m e r haben müsse? und vors andre, warum dieselben R o s e n z i m m e r h e i s s e n ? Aurora zwar, als eine Gottin konnte zur Noth ein Zimmer haben, wenn es dergleichen am Himmel gäbe; der uns wohl von den Alten als ein offener freyer Pallast, aber niemals als ein Kloster mit Zellen, beschrieben wird, darinn jeder Gott und jede Gottin ihren eigenen Aufenthalt hätten. Gesetzt aber dieses wäre, was geht dieß das Morgenroth an? Ist dieses bey uns Deutschen auch der Name einer Gottin? Muß denn eine hellrothe oder goldgelbe Farbe ein Zimmer haben, darinn sie wohnet? Zweytens soll das R o s e n z i m m e r ohne Zweifel ein rothes Zimmer bedeuten. Allein der Ausdruck ist nicht richtig. Denn wie wäre es, wenn ich ein T u l p e n z i m m e r , ein N e l k e n z i m m e r , ein V e i l c h e n z i m m e r sagte? würde diese Zusammensetzung auch irgend ein buntes, gelbes oder blaues Zimmer zu verstehen geben? Ich zweifle sehr daran. Man würde an ein Zimmer denken, darinn Tulpen, Nelken, u . s . w . befindlich wären. Das kan man aber von dem ostlichen Theilen des Himmels wohl nicht sagen, daß daselbst lauter Rosen wüchsen: zumal da die Farbe der Morgenrothe mit der rosenrothen nicht die geringste Aehnlichkeit hat.

58

Johann

Christoph

Gottsched

Die Arie, die dieser Liebhaber gleich darauf singet, ist noch viel schöner, und ein rechtes Leckerbißchen der Opernschreibart: Schönstes Seelchen! deine Lippen Sind C o r a l l n e R o s e n k l i p p e n , Daran meine Freyheit strandt. In der A u g e n h e i t e r n S o n n e n Hat die Flamme Kraft gewonnen, Dadurch dieses Herz entbrannt. Das s c h ö n s t e S e e l c h e n , gehört zu den verliebten Tandeleyen, die vielleicht mit recht zu der Art des Bathos zu zehlen sind, die Swift die K i n d i s c h e S c h r e i b a r t heisset. Aber dieses Seelchen hat an statt der Lippen ein paar c o r a l l n e R o s e n k l i p p e n . Welche ein Mischmasch von Ideen! das heißt ja, wie Horaz sagt: DELPHINUM SILUIS APPINGIT, FLUCTIBUS APRUM,

M a h l t den D e l p h i n ins H o l z , den Eber in die Wellen. Ich dachte die Corallen waren roth genug gewesen, und es hätte keiner Rosen bey diesen Klippen gebraucht, um den armen Liebhaber stranden zu lassen, es wäre denn, daß er etwas sanfter darauf zu liegen kommen wollen. Nun sind zwar die Corallen schon an sich aus der Tiefe der See hergeholet, und gehören so schon ihrer Natur nach zum Bathos unsers Swifts: Sie sind aber auch zu der Art der tiefen Schreibart zu zehlen, die man die kostbare nennet. Denn was müssen ganze Corallenklippen nicht kosten? In der That, der Poet hat seine Freyheit ein theures Ende wollen nehmen lassen. Doch das Stranden ist ihm nicht sonderlich gefallig gewesen. Er hat sich aus dem Wasser gleich wieder ins Feuer gewaget, und in den h e i t e r n S o n n e n der A u g e n s e i n e r G e l i e b t e n die F l a m m e , d a d u r c h sein H e r z e n t b r a n n t , K r a f t g e w i n n e n l a s s e n . Was das ge-

Von dem Bathos in den

Opern

59

sagt sey, ist nicht so leicht zu errahten. Denn wie kan die Flamme, die sein Herz entzündet, in den Sonnen der Augen Kraft gewinnen? V o n d e n S o n n e n 2C. hatte es heissen müssen: oder er hatte umgekehrt sagen müssen, daß die Flamme von den Sonnen ihrer Augen in seinem Herzen Kraft gewonnen habe. Die andre Strophe ist eben so schon: S c h a u i c h die b e b l ü m t e n W a n g e n Grünt mein sehnliches Verlangen, S c h l i e ß t mich B r u n s t und H o f f n u n g ein. A b e r j e n e r Schnee der B r ü s t e D r a u t ein b l a s s e s S t e r b g e r ü s t e M e i n e r H o f f n u n g s b l ü t h zu s e y n . Das ist ein wahrhaftiger Mischmasch von Metaphorn, den man im franzosischen ein Galimatias zu nennen pflegt. Die Wangen sind beblümt; das heißt natürlicher Weise, mit Blumen bewachsen, besteckt oder bestreut; aber metaphorisch, buntscheckigt, wie eine Wiese etwan aussieht, die man beblümt nennen würde. Folglich muß man sich die Wangen voller Sommersprossen, Pockennarben, andrer Mähler und Flecken vorstellen, die grün, gelb, roth und blau auszusehen pflegen. Hernach g r ü n t s e i n V e r l a n g e n . Von der Hoffnung sagt man sonst zwar, daß sie grüne: und das hat in der Natur seinen Grund, weil die grüne Saat dem Landmanne Hoffnung zur Erndte macht. Aber unser Poet kehrt sich daran nicht; die Regeln des Bathos erlauben ihm alles zu verkehren. Denn gleich darauf muß ihn die B r u n s t u n d H o f f n u n g e i n s c h l i e s s e n . Warum nicht versperren, oder noch was argers. Wer hat jemals so geredt oder gedacht, daß die Brunst ihn einschliesse. Sie muß ja in seinem Herzen oder Blute, oder wenn es hoch kommt, in seiner Seelen befindlich seyn. Sie kan brennen, verzehren, verloschen u . s . w . Aber einschliessen nicht. Mit der Hoffnung ist es eben so. Warum soll die e i n s c h l i e s s e n ? Sie kan aufmuntern, trösten, erquicken, u.s.f. aber nicht versperren. Nun kommt

60

Johann

Christoph

Gottsched

der Schnee der Brüste, ein Gleichniß, das wir seines Alters halber verehren und schonen wollen. Aber was macht der Poet daraus? E i n b l a s s e s S t e r b g e r ü s t e v o r s e i n e H o f f n u n g s b l ü t h e ! Wer hatte sich das träumen lassen? Wie kommt er denn immermehr auf die Gedanken? Die Brüste sind weiß. Dabey gedenkt er an die blasse Farbe: und hierbey fallt ihm ein Sterbgerüste ein. Wen soll er nun darauf legen? Sich selbst? Nein! die Prinzeßin würde es wohl nicht erlauben, wenn er gleich Lust hatte aus Liebe zu sterben. Was denn? Auf ein metaphorisches Sterbgerüste, gehört auch eine metaphorische Leiche. Er läßt also seine Hoffnungsblüthe sterben, und legt sie darauf. Wir wollen eben nicht fragen warum nicht die Hoffnung selbst, sondern nur ihre Blüthe gestorben? Wir wollen nur fragen, warum er das Sterbgerüst b l a ß nennet. Blaß ist ein Beywort, so sich auf die Leichen, auf die Kranken und Sterbenden schicket. Die Todtenbaare wird gemeiniglich schwarz behangen. Wie kan das nun blaß heissen? Ja gesetzt, es hiengen auch weisse Tücher darüber; wer nennt denn weisse Tücher b l a ß ? Mit einem Worte hier ist ein rechtes Meisterstück von B a t h o s . Im andern Auftritte kommt wieder eine Arie, die dergleichen Blümchen an die Hand giebt. Es heißt: K a n G e d u l d im U n g l ü c k s e y n Wo Verzweiflungs = Wellen brausen? Wenn die Geduld nicht im Unglücke statt haben sollte: So wüste ich nicht, wo sie denn nöthig seyn würde: Denn im Glücke braucht man sie nicht. Allein das mag Anaximenes verantworten, der so irrig denket. Aber warum müssen doch die V e r z w e i f l u n g s = W e l l e n b r a u s e n ? Worinn kommt doch die Verzweiflung mit den Wellen überein? Ein Schiff in den brausenden Wellen konnte wohl ein Bild der Verzweiflung abgeben, wenn der Schiffer sich ihrem U n gestüm überliesse, und mit Fleiß auf den Strand liefe. Aber dieses Brausen ist dem Componisten zu gefallen geschehen.

Von dem Bathos in den Opern

61

Der muste Gelegenheit haben, auch im Rauschen der Tone seine Kunst zu zeigen. Wir wollen also unsre Vernunft gefangen nehmen, und jener ihren Sclaven das Bathos gönnen. Zu dem Bathos gehören auch Schnitzer wieder die Sprachkunst, und auch daran hat es unser Poet nicht fehlen lassen. Im dritten Auftritte sagt Clytemnestra: E i n h o h e r G e i s t e r s c h r e c k e t nie Er bleibt von allem K u m m e r f r e y . Ein hoher Geist e r s c h r i c k t n i e , hatte es heissen sollen. Erschrecken kan nemlich eine wirkende und leidende Bedeutung haben. Ist das erste, so heißt es freylich: Ich erschrecke dich, du erschreckest mich, ich erschrecke ihn K. ich erschreckte ihn, IC. ich habe ihn erschrecket, ich bin erschrecket worden. Allein wenn das andre ist; So heißt es: ich erschrecke, du erschrickst, er erschrickt 2C. ich erschrak, IC. ich bin erschrocken JC. der obige Vers sagt also gerade das Gegentheil von dem was er sagen wollte. Es kommt in dieser Scene noch eine Arie vom S t e r n e n S c h l u s s e , dem man die Vorsehung zuschreibet. Doch ich bin der Sterne schon überdrußig, darum will ich mich dabey nicht aufhalten. Wir wollen auch die Kleinigkeiten aus den folgenden drey Auftritten übersehen, und aus dem siebenden, der auch sehr kurz ist, nur eine Stelle anmerken. Agamemnon vernimmt von Nestorn, daß seine Gemahlin und Prinzeßin im Lager angekommen: Und da fangt er an mit seinen Thranen zu reden. Es heißt: Was w o l l t ihr t h u n , ihr T o c h t e r m e i n e r P e i n ! Ihr T h r l n e n , rinnt, mein liebstes zubeklagen: N e i n , rinnet nicht, ihr müßt verstopfet seyn, I h r w ü r d e t s o n s t an C l y t e m n e s t r a s a g e n Was ich verhelen muß. 5

Gottsched

X/l

62

Johann

Christoph

Gottsched

Ist das nicht ein kunstlicher Schmerz, der eine solche sinnreiche Antithesin zu machen im Stande ist? Er nennt erst seine Thranen, T ö c h t e r s e i n e r P e i n . Wenn das ein Poet sagt, so ist es schon. Wenn es aber Agamemnon, und zwar ein hochstbetrübter Agamemnon sagt: So ist es unnatürlich. Denn welche Traurigkeit bemüht sich so scharfsinnig zu denken? Die Anrede an die Thranen ist eben so weit gesucht. Hat er denn nicht seine Prinzeßin, die er anreden kan: A r m e s u n s c h u l d i g e s K i n d ! du s o l l s t m i r a u s d e n A r m e n g e r i s s e n , du sollst g e o p f e r t w e r d e n ! w e l c h ein H e r z e l e i d ! Ich a r m s e l i g e r V a t e r ! a c h ! a c h ! w i e w i e g r o ß i s t m e i n E l e n d u . U n g l ü c k ! So würde die Natur ihn reden lehren. Allein die Opernschreibart muß lauter gedrechselte Einfalle, und künstliche Ausdrücke haben. Ich übergehe abermal den grammatikalischen Schnitzer, an C l y t e m n e s t r a s a g e n . Es spricht niemand so. D e r K o n i g i n s a g e n , C l y t e m n e s t r e n s a g e n ; hatte es heissen sollen. Beyde Fehler gehören unstreitig zu dem Swiftischen Bathos. Solcher grammatischen Unrichtigkeiten giebt es noch mehrere in dem achten Auftritte. Erst heißt es: Es soll nicht sterben d i e I p h i g e n i a . Bey den eigenen Namen braucht man keinen Artickel zumal im Nennfall. I p h i g e n i a s o l l n i c h t s t e r b e n , würde es heissen müssen. Gleich darauf in der Arie heißt es: H a s t du H ü l f e v o r g e n o m m e n : So l a ß s i e n u n , o H i m m e l , e i l i g k o m m e n . Hier ist die erste Zeile wieder so undeutsch als möglich ist. Denn wer spricht wohl so: I c h h a b e H ü l f e v o r g e n o m m e n ? Ich habe mir vorgenommen zu helfen, zu Hülfe zu kommen: So muß es noch unsrer Sprache heissen. Ich habe hier bisher alle die unzehlichen Stellen nicht anmerken möge, da das i s t und h a t , auch in solchen Stellen ausge-

Von dem Bathos in den Opern

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lassen worden, wo es eine Dunkelheit und Zweydeutigkeit machet. Hier heißt es z . E . in der Arie: W e r z u m U n g l ü c k a u s e r k o h r e n 2C. Da kan ich nun hinten entweder h a t oder ist verstehen, und so kommt ein zwiefacher Verstand heraus. Doch solche Kleinigkeiten merkt man nur da an, wo man nichts wichtigem zu erinnern findet. Bey unserm Poeten wollen wir in der dritten Handlung noch wohl andere Gelegenheiten dazu antreffen. In dem ersten Auftritte bewillkommen die Griechen und ihre Fürsten die Konigin mit der Prinzeßin, im Lager. Und da nennt unter andern Achilles die Prinzeßin eine S e e l e n h e r r s c h e r i n . Dieses ist wohl nicht das richtigste; Denn es sollte B e h e r r s c h e r i n heissen. Doch das mag hingehen, und mit dem Nahmen einer A P H A E R E S I S entschuldiget werden, die man zuweilen einem Dichter verstattet. Aber das kan ich nicht dulden, daß Nestor, der alte Nestor, der drey Alter der Menschen gesehen hatte, sich so vernehmen laßt: B e g l ü c k t e r T a g , da w i r z w e i S o n n e n s e h n . Da denn der Chor hinzusetzt: O H i m m e l l a ß sie n i e m a l s u n t e r g e h n ! Die Benennung der S o n n e n , wäre zwar für einen jungen Liebhaber, dergleichen etwa Achilles war, ertraglich gewesen. Aber vor einen Greis, der über die Schwachheiten der Jugend lange weg seyn sollte, schickt sich solches gar nicht. In dem andern Auftritte ist zwar viel tiefes. z . E . da Iphigenia sich nicht enthalten kan, in ihres Vaters A r m zu r e n n e n , und daß die Tochter den Vater i h r L i c h t nennet: welches sonst auch nur der Ausdruck eines Verliebten ist. Aber das E t w a s , so aus des KSnigs Augen bricht, das ist etwas so schlechtes, als nur seyn kan:

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Johann Christoph Gottsched

M i c h d e u c h t , aus d e i n e n A u g e n b r i c h t E i n E t w a s , das v o n s c h w e r e n S o r g e n q u i l l e t . Ein jeder wird es leicht selbst empfinden, denn ich mag mich nicht mit einer weitlauftigen Untersuchung aufhalten. Eben so schlecht sind die Sterne, die abermal grossen Rath gehalten haben, wie Achilles spricht: W e n n m i r das G l u c k d e r S t e r n e n R a t h b e s c h e r t , Will ich sie s t e t s , wie m e i n e G o t t i n , e h r e n : S o s c h n e l l e n S c h l u ß v e r s t ö r e n , und s i c h n a c h d e m T e m p e l f ü g e n , sind ganz unrichtige Ausdruckungen. Das v e r so bey dem s t ö r e n überflüssig war, ist hinten bey dem f ü g e n wieder ersparet worden. Weil aber das B a t h o s auch eine Art der Finsterniß in seinen Abgründen liebt, wie Swift ausführlich erinnert hat: So hat auch unser Poet dergleichen nicht versäumen wollen. Die ganze Arie heißt so: W o l l u s t und G l ü c k muß nahe seyn Solchen gewünschten Flammen: F i e l e n a u c h E r d u n d H i m m e l ein Würde der güldnen Sonnen Schein E w i g e N a c h t v e r d a m m e n JC. Was sollen hier die drey letzten Zeilen bedeuten? Erd und Himmel, die güldne Sonne, ihr Schein, eine ewige Nacht, und verdammen, das alles versteht man, wenn man es einzeln höret, wenn man es aber so zusammengesetzt lieset: So kan kein Mensch daraus klug werden. Denn wie kann d e r güldnen Sonnen Schein ewige N a c h t verdammen? wenn das kein B l i c e r i und S i d e r o x y l o n ist, so weis ich nicht, wo man eins finden will. Im dritten Auftritte sagen Anaximenes und D e i d a m i a , daß i h r L e b e n s ö l z e r r i n n n e n m u ß , dafern Achilles Iphigenien bekommen sollte. Allein das ist noch nichts. Iphigenia sagt zu ihrem Liebhaber:

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Opern

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W e n n du m i t E i f e r d i c h b e m ü h s t , D a s H e r z m i t L i e b e s m i l c h zu n ä h r e n ; I s t n u r das R o h r d e r A u g e n s c h e i n D a d u r c h ihr H o n i g s e i m muß eingeflösset s e y n . Da hören wir die honigsüsse oder verzuckerte Schreibart auch. Aber in was für einer Vollkommenheit und recht tiefen Verwirrung der Gedanken! Man stelle sich einen Liebhaber vor, der seiner Geliebten durch ein Rohr Milch und Honigseim einflösset, und beydes also vorher im Munde haben muß: So man das Bild, wie man eine Person wieder verliebt machen kan. Herrlicher Einfall! Wenn das nicht ein Bathos ist: So muß der ganze Swift falsch seyn. Hierauf verfällt Achilles wieder in die verblümte Schreibart: Laß mich jene Liljen küssen, D e r e n d e i n e H ä n d e v o l l (NB. sind.) Wenn die Hände voller Liljen seyn sollen: So heißt das einen ganzen Busch Liljen in Händen tragen. Da wird es nun ein schlechtes Vergnügen seyn, die weissen Liljenblatter zu küssen. Im vierten Auftritte erhebt sich Iphigenia, die vorhin von lauter Milch und Honig schwatzte, bis unter alle Gotter, und spricht so hochtrabend, als ob sie Posteis Schülerin im Bathos gewesen wäre. G r ü n t h o l d e L i e b aus t r o t z i g e n G e b e r d e n ? O warlich, warlich nein! A p o l l o fahrt mit frechen F e u e r p f e r d e n , U n d J u p i t e r dräut mit dem B l i t z der E r d e n , I h n s c h l i e ß t ein T h r o n p e c h s c h w a r z e r W o l k e n e i n . Was für Stelzen sind das? D i e L i e b e s o l l aus t r o t z i g e n G e b e r d e n g r ü n e n . Was ist das für eine Sprache? Apollo, der schönste unter den Göttern, der allezeit junge, der allezeit muntre, der verliebte Gott, wird von der Prinzeßin als

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Johann

Christoph

Gottsched

ein Exempel zu den trotzigen Geberden angeführt. Postel muß sie schlecht in der Mythologie unterrichtet haben, sonst hatte sie sich für den schnaubenden Pferden desjenigen Gottes nicht gefürchtet, der so schön ist, daß sich wohl eher die Nymphen aus Liebe zu ihm in Blumen verwandelt haben. Auch Jupiters Blitz und sein Wolken-Thron hatte ihr so fürchterlich nicht vorkommen dörfen. Denn er weis sich sonst auf allerley Art gefällig zu machen, wenn er einmal verliebt ist. Kurz: Iphigenia wollte zeigen, daß sie im Bathos was gethan hatte. Darum braucht sie schwülstige Ausdrückungen, um elende Vernunftschlüsse zu verbergen. Eben das zeigt sie in der Arie, die gleich folget. Sie sagt von der Liebe: K a n sie g l e i c h d e n M a r m o r b r e c h e n : H a s s e t sie d o c h t r o t z i g s S p r e c h e n . Wie hangt das zusammen? Es herrschet eine wunderliche Vernunftlehre auf den Opernbühnen. Nun kommt was schönes: Anaximenes wird ein Christ, oder doch ein Jude. Zum wenigsten redet er so, als ob ers wäre. Er spricht zur Prinzeßin: W o h i n , mein E n g e l ! eilest du? Was wüsten doch die alten Griechen von Engeln? Eben so wenig als die Juden von Furien wüsten. Aber auf der Opernbühne, ist die Vermengung der Religionen, als eine Art des Bathos ein Zierrath. Denn gleich darauf nennt er sie auch seine Gottin, welches heydnisch genug ist. Ich übergehe das, wo er fragt: W o h i n w i r d s i c h d e i n A u g , o S o n n e , w e n d e n ? Und wo er bittet, ihm die g e b r o c h n e n L i e d e r z u z u d r u c k e n : Ohngeachtet man niemals der Sonne Augen zuschreibet, und zwar die Augen, nicht aber die Augenlieder der Sterbenden zu brechen pflegen. Im sechsten Auftritte verdunkelt die Schluß=Arie alles übrige, so ich anführen könnte, durch ihren Glanz, der durch Schnee, Rubinen, Saphiren, Süd- und Nordsterne,

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Opern

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güldne Haare und C o m e t e n erwecket wird. Man gebe es einem der das Bathos nicht recht in seiner Gewalt hat, auf, diese verschiedene Begriffe in einer Arie zu verbinden. Ich will wetten, er wird nichts zu wege bringen, das dieser Postelischen G e b u r t gleich käme: Mein entzündetes Verlangen L e s c h t der Schnee der s c h ö n s t e n W a n g e n , Heilt der Lippen B l u t r u b i n . An den Augen von S a p h i r e n , K a n i c h Süd= u n d N o r d s t e r n s p ü r e n D i e m i c h aus d e m S t u r m e n t z i e h n . D e n n o c h d r a u e n m i c h zu t ö d t e n Der güldenen Haare geflochtne Cometen. Das ist ja recht künstlich ausgedacht! D e s Anaximenes entzündetes Verlangen, wird durch den Schnee der schönsten Wangen ausgelescht. Das ist recht kauderwelsch gedacht und geredet. A b e r es heißt im Grunde soviel gesagt: Meine Liebe nimmt ab, weil die Princeßin so schon weiß auf den Wangen ist. W e r hat das jemals gehört? E r w e c k t denn die weisse Farbe H a ß und Ekel? O d e r sind nicht vielmehr die blonden Schönen die vollkommensten? Ferner soll der L i p p e n B l u t r u b i n sein entzündetes Verlangen heilen. D e r Rubin ist ihm wiederum an sich selbst nicht roth genug gewesen, wie oben die Corallen. Darum hat er ihn in Blut getauchet, wie er dort die Rosen gebrauchet. A b e r was hat der Rubin vor heilende Kräfte? D e n n soll es im metaphorischen V e r stände was vernünftiges gesagt heissen: So m u ß es im eigentlichen wahr seyn. J a wie kan der Rubin ein entzündetes Verlangen heilen? Was entzündet ist, muß geleschet aber nicht geheilet werden. Endlich heißt der Sinn dieses Satzes eigentlich: I c h h ö r e a u f z u l i e b e n ; w e i l d i e P r i n z e ß i n s o l c h e s c h ö n e r o t h e L i p p e n h a t . Anaximenes ist ein sehr paradoxer Liebhaber, und hat eine seltsame Art zu schlüssen!

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Johann

Christoph

Gottsched

Nun kommen d i e A u g e n v o n S a p h i r e n ; das sollen Zweifelsfrey blaue Augen seyn. Wenn er das aber recht hätte sagen wollen: So müsten es s a p h i r n e A u g e n geworden seyn; denn sonst versteht man, sie waren wirklich von Saphiren geschliffen, und an statt ihrer wahren eingesetzt gewesen. D i e g ü l d e n e S o n n e ; z . E . das versteht ein jeder von der Farbe oder dem Glänze der Sonne. Aber die S o n n e v o n G o l d e , würde eine von dem Goldschmiede verfertigte, oder doch stark vergüldete Sonne bedeuten. Diese Augen nun dienen ihm, Süd= u n d N o r d s t e r n daran zu spüren. Das ist artig! Es kan sichs noch kein Sterblicher, und wenn es der groste Sternseher wäre, rühmen, den Süd= und Nordpol zugleich gesehen zu haben. Nur auf dem Opernbühnen geht es an. Allein worinn mag wohl die Aehnlichkeit der Augen von Saphiren mit dem Polsterne bestehen? In der blauen Farbe wohl nicht. In der Schönheit auch nicht; denn die Polsterne sind eben nicht sehr hell oder von besonderer Grosse. Folglich in der anziehenden Kraft. Gut; aber wie ziehen Süd= und Nordpol das Eisen? Ohne Zweifel nach wiederwärtigen Gegenden. Thun denn das die Augen der Prinzeßin auch? O wie bequem ist es, vor einen Liebhaber des Bathos, wenn er sich mit den Wissenschaften nicht sehr bekannt gemacht, sondern nur hier und da was erschnappet hat! Denn wie viel schone Einfälle würden ihm nicht verlohren gehen, womit er in seiner Unwissenheit seine Gedanken ausstaffiren kan. Den grammatischen Fehler, der hier abermal vorkommt, aus dem S t u r m e n t z i e h n , will ich hier nicht einmal anmerken; denn ein jeder sieht, daß es heissen sollte: d e m S t u r m e n t z i e h n , oder aus d e m S t u r m e z i e h n . Ich komme nur auf der g ü l d e n e n H a a r e g e f l o c h t n e n C o m e t e n , die ihn zu tödten dräuen. Warhaftig! die Alten sind Kinder im Dichten gewesen, wenn man sie gegen unsre Meister in dem Bathos hält. Die guten Leute wollten ihre Alecto, Tisiphone und Megära recht grausam abschildern,

Von dem Bathos in den Opern

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und dichteten ihnen Schlangen an statt der Haare auf den Kopf. Die Welt ist bis auf diese Zeiten so einfaltig gewesen, sich daran genügen zu lassen. Allein das ist kindisch, gegen dasjenige, was Postel würde gethan haben. Er mahlte eine etwas kaltsinnige, aber wunderschone Prinzeßin weit grausamer ab, als alle Furien, Medusen, Chimeren, und was noch sonst grausames bey den Alten zu finden ist. Er nimmt die Cometen zu Hülfe; Diese Schreckgestirne, die nicht nur wie Schlangen einzelne Personen stechen, sondern Pest, Hunger und Krieg wirken, und dadurch ganze Lander verheeren. Er ist auch nicht zufrieden, daß er ihren ganzen Kopf zu einem solchen Schwanzsterne macht: das wäre noch nichts. Er nimmt etliche hundert, ja tausend Cometen zusammen, und flicht ihre fürchterlichen Schweife in Zopfe zusammen, um die Haarlocken seiner Geliebten damit würdig zu vergleichen. In Wahrheit, hier hat sich unser Dichter selbst übertroffen, und ein Bathos über alle Bathos, die er vorhin gemacht hatte, zuwege gebracht. Ich bin des abgeschmackten Zeuges müde: darum übergehe ich was im achten Auftritte vorkommt. Ich will nur noch aus dem neunten eine Stelle anmerken, und alsdann schliessen. Thersites, der possierliche, oder doch so seyn sollende Moralist dieses Singspieles, singt ein Liedchen zum Beschlüsse der dritten Handlung, welches der gemeinsten Sprichworter voll ist: und folglich allerdings mit zum tiefen Bathos gehört. z . E . Er redet von verliebten Pralern, von welchen So m a n c h e r s i c h d e s F l e i s c h e s r ü h m t , U n d n i c h t die B r ü h g e n o s s e n . Solche Küchen=Gleichnisse sind überaus geschickt eine musikalische Tragödie zu zieren! Denn was für edle Gedanken erwecken sie nicht in den Gemüthern der Zuschauer! Hiermit will ich meiner Abhandlung ein Ende machen: Nicht zwar, als ob die Oper Iphigenia mit dieser dritten

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Jobann

Christoph

Gottsched

Handlung aufhorete: Nein, wieder die beständige Gewohnheit der Singspiele hat sie ganzer fünf Handlungen. Ohne Zweifel hat Euripides an dieser Abweichung Posteis von dem Opern=Schlendriane Schuld. Auch nicht deswegen, weil etwa in den beyden letzten Handlungen Postel seine Schreibart gebessert hatte. Nein, sie sind so voll von den auserlesensten Exempeln des Bathos, ja noch voller, als die ersten drey. Ich will es aber denen, die diese meine gemachte Probe lesen dorften, zu eigner Lust und Übung überlassen, solche selbst aufzusuchen, anzumerken und zu beurtheilen. Dieses kan auch Liebhabern einer gesunden Schreibart, und Freunden der wahren Hoheit in Gedanken und Ausdrückungen eine sehr nützliche Beschäftigung abgeben. Nun wissen wir aber, daß diese Postelische Iphigenia, so wie wir sie in der Poesie der Niedersachsen lesen, schon durch die geschickte Feder des Hrn. Hofraths Weichmann ausgebessert worden: Eines Mannes, in dessen Schriften überall eine gesunde Vernunft herrschet, und der also seinem Poeten schon so manchen falschen Zierrath wird abgezogen haben. Sieht er nun dem ungeachtet doch noch so schlecht aus: Was würden wir nicht in seinem Originale vor Muster davon gefunden haben, die gewiß alles was wir angemerket, übertroffen hätten? Doch man muß nicht denken, daß diese Art der tiefen Schreibart, die Swift seinen Engelländern, und ich unsern Opernbühnen zugeeignet, nur bey diesen beyden Nationen zu Hause sey. Nein, es giebt sonderlich in Italien die vortrefflichsten Meister darinnen. Ich will mich hierinnen erstl. auf ein Zeugniß ihres eigenen Landsmannes beruffen. Es ist der oben schon angeführte Herausgeber der Maffeischen Schauspiele Herr BECELLI; Dieser schreibt in der Vorrede zu der FIDA NIMFA, gleich nach der obigen Stelle: PER LO

CHE

SUOL

DIRE,

QUESTI

ESSERE

COMPONIMENTI,

DE

QUALI PER LO PIÜ PERISCE LA MEMORIA COL S U O N O ; COME D E L L ' ELOQUENZA DI SENECA DISSE T A C I T O NEGLI A N N A L I .

Von dem Bathos in den

71

Opern

E P U R E È COSA A M M I R A B I L E , Q U A N T O RARI S I E N O I P O E T I CHE

IN

TALI

DIFFICILI

BAGATELLE

RIESCANO;

E IN

C O N T R I N O , RICHIENDENDOVISI ANCORA ALQUANTO PIÙ DEL P O E T I C O N E L L O STILE, E P I Ù D I F F I C I L E , C H E N O N CHI

PROVATO

NON

VI SI H À ,

ESSENDO

PENSA,

LE A R I E T T E ;

P E R O , SE SI FARA PER C U R I O S I T À O S S E R V A Z I O N E , RARE

SI

GIUSTO

SOGLIONO

VEDERE,

CONTENGANO,

E

CHE

PAROLE

DI

CHE

5

MOLTO

SENTIMENTO RIEMPITURA,

E

S F O R Z A T E , E VERSI S U P E R F L U I AL C O N C E T T O N O N A B B I A M O .

Zum andern will ich mich auf den beredten Pater DE LA 10 berufen, der in seiner Rede P . M . 21. folgende Beschreibung der wunderlichen Schreibart der Italiener macht: N O N IAM I M I T A N T U R , heißt es, A Q U I L A S , A SUIS C O N SANTE

SECRATAS

MAIORIBUS;

NON

AUDACI

VOLATU

FERUNTUR

SURSUM; N O N T R A N S F I L I U N T NUBES; N O N T O N I T R U U M

RE-

15

G I O N E M ALA T R A N S S C E N D U N T I M P A V I D A : SED L E V I C U L A R U M INSTAR

HIRUNDINUM

HAC

ILLAC

&

SINE

CRISPANT LEGE,

VOLITANT; LOQUACITATE

SINE

so:

HAEC

TANTUM

NUGACI

CONSILIO,

PENNA;

LUDIBUNDAE

A R G U T U L A AURES P O T I U S

C A N T , Q U A M BLANDE R E C R E A N T . er

AURAS

CARPO

VELLI-

Und bald hernach schreibt QUAE

VEL

IPSA

CARPIT

20

IN

A U C T O R I B U S P L E R I S Q U E SUIS ( I T A L I A ) , Q U O S VEL IN SUBLIMIBUS A R G U M E N T I S D E L E C T A T STILUS, TAM F R I G I D E

QUAM

PUERILITER ACUMINATUS; QUI MINUSCULIS INTERDUM

VO-

CULIS G R A N D I A E X T E N U A N T , F R A N G U N T S O L I D A , M A G N I F I C A 25 DETERUNT,

SENTENTIAS

SUAPTE

NATURA

MENTES,

ROBUSTAS,

MOLLICULA

LASCIVIA

PUSILLAS,

ENERVES

AC

&

MAGNAS,

COMTULA DELUMBES

VEHEINGENII

REDDUNT;

F A C I U N T Q U E D E M U M R E D U N D A N T E A R G U T I A R U M C O P I A , UT A R G U T A E MENTIS V I D E A N T U R

INOPES.

APAGE

I N E P T I E N T I S 30

CALAMI P I G M E N T U M F U T I L E , FUCATIS PAR M E R E T R I C U L I S , IN

EARUM

SCRINIA

CUM

PURPURISSO

AMANDANDUM

& FE-

MINEO.

Ich getraue mir nicht diese beyde Stellen mit genügsamer Schönheit ins Deutsche zu übersetzen; darum will ich sie 35

72

Johann Christoph

Gottsched

meinen Lesern zu desto fleißigerer Überlegung empfohlen haben. Übrigens rathe ich allen, die sich in einer vernünftigen Schreibart festsetzen wollen, außer Cicerons oratorischen Schriften den Horaz und Longin, auch des Boileau 5 ART POETIQUE taglich zu lesen, und recht zu verdauen. Den Biedermann, meine critische Dichtkunst und Redekunst mag ich selbsten niemanden anpreisen, obwohl sie auch grossentheils dazu dienen können, auch manchem schon gedienet haben. Doch werde ich auch sonst keine Gelegen10 heit versäumen, die gesunde Vernunft auch in der Dichtkunst und Beredsamkeit wieder alle ihre Verachter zu schützen; als deren Vertheidigung und Ausbreitung mir noch jüngsthin auf eine neue Art empfohlen worden.

Vorrede zu verschiedene Gedanken bey Gelegenheit des Cometen von Pierre Bayle 1741

E s sind nunmehro wohl ein paar Jahre, und drüber, verflossen, daß ich mich in den hiesigen gelehrten Zeitungen anheischig gemacht, des berühmten Bayle verschiedene Gedanken über den Cometen von 1680 deutsch herauszugeben, und mit einigen Anmerkungen zu versehen. Zu diesem Versprechen veranlaßte mich dazumal die Erscheinung eines solchen ausserordentlichen Gestirns: welches zwar von sehr wenigen Sternsehern erblicket wurde; aber doch in allen Zeitungen gemeldet ward, und also die Neubegierde unzählicher Personen rege machte. Man wünschete nämlich dazumal fast überall, theils einen Cometen selbst zu sehen, theils aber auch von der Natur dieser himmlischen Korper etwas zu wissen. Dieses doppelte Verlangen war keinesweges zu misbilligen; es legte vielmehr ein Zeugniß ab, wie sehr unsre Zeiten in Verbannung des Aberglaubens zugenommen hatten. Dasjenige, was im vorigen Jahrhunderte nicht nur den Pöbel, sondern wohl selbst die meisten Gelehrten in Furcht und Zittern gesetzt haben würde, das ward in dem itzigen fast durchgehends als ein Gegenstand der Neubegier, und des Verlangens nach mehrerer Einsicht und Erkenntniß angesehen. Doch diese gute Gemüthsverfassung war freylich nicht ganz allgemein. Es gab noch hin und wieder blöde Seelen, die mit der vermeynten Leichtsinnigkeit derer, die einen Cometen zu sehen wünschten, übel zufrieden waren, und dafür hielten: Man könnte gleichwohl nicht für gewiß sagen, was es mit diesen himmlischen Erscheinungen für eine Bewandniß hatte, und ob sie nicht in der That Vorbothen unglücklicher Begebenheiten seyn könnten? Diese Behutsamkeit schien nun um desto vernünftiger zu seyn, da wir fast bey Menschengedenken keinen recht merklichen und sieht-

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Gottsched

baren Cometen gesehen hatten. Die Seltsamkeit einer Sache vermehrt gewissermaßen ihren Werth und ihre Wichtigkeit; da sie hergegen in einige Verachtung gerath, wenn sie gar zu gemein wird. In der That sind gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts so viele Cometen erschienen, daß ihre Seltsamkeit in den ersten 40 Jahren des itzigen, auch einen Weltweisen Wunder nehmen, und ihn desto begieriger machen kann, einen solchen himmlischen Korper mit eigenen Augen zu erblicken. Beyden Arten meiner deutschen Landesleute und Mitbürger dachte ich also einen Gefallen zu erweisen, wenn ich ihnen ein Buch in die Hände lieferte, welches vor fünfzig und mehr Jahren zwar begierig gelesen worden; aber nachmals wiederum etwas ins Vergessen gerathen war. Die neugierigen Beschauer und Bewunderer der Werke GOttes in der Natur schienen mir eines Unterrichts und einer mehrern Aufmunterung werth, in dieser so loblichen Beschäftigung eifrig fortzufahren: Die furchtsamen Gemüther hergegen, die viel Böses von einer cometischen Erscheinung besorgten, verdienten von dieser ihrer Bangigkeit befreyet zu werden. Zu beyden Absichten wußte ich kein bequemeres Mittel, als diese baylischen Gedanken von den Cometen. Es kamen aber noch andre Ursachen dazu, die mich bewogen, dieses angenehme Buch in deutscher Sprache bekannt zu machen. Der gelehrte Verfasser desselben hat sich nicht eine so strenge Lehrart erwählet, daß er nichts anders darinn abgehandelt haben sollte, als was der Titel seines Werkes versprach. Er hat sich viel weitere Grenzen gesetzet, und den Aberglauben überhaupt fast in allen seinen Zweigen bestritten. Er sah wohl, daß seine Schrift viel zu trocken gerathen und bey weitem nicht so nützlich und allgemein werden würde, wenn er von lauter Cometen und ihren Vorbedeutungen handelte; als wenn er sich einiger Freyheiten bedienen, und einige nützliche Ausschweifungen machen würde. Die ungezwungene Art seine Gedanken zu entwer-

Vorrede zu P. Bayle, ,Verschiedene

Gedanken'

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f e n , die in Briefen billig herrschen m u ß , schien ihm daher am b e q u e m s t e n , seine A b s i c h t zu erreichen. E r dichtete sich also einen D o c t o r von der S o r b o n n e zu Paris, an den er seine G e d a n k e n richten, und sie in Gestalt der Briefe abfassen k o n n t e . H i e r d u r c h erhielt er nun die beste G e l e g e n h e i t , auf eine u n g e b u n d n e A r t alles zu sagen, was ihm b e y dieser Sache anmuthiges und lehrreiches einfiel: und er dorfte sich kein G e w i s s e n m a c h e n , seine C o m e t e n bisweilen zu verlassen, und bald von der Sterndeuterkunst, bald v o m N a t i vitatstellen, bald von der K r a f t und dem Schicksale gewisser T a g e und N a m e n , bald von dem W a c h s t h u m e und der A b n a h m e gewisser Staaten und R e i c h e , bald von andern dergleichen nutzlichen und artigen Sachen zu reden, die s o w o h l gelehrten als unstudirten Lesern gefallen k ö n n e n . J e n ü t z licher nun überhaupt die Z e r s t ö r u n g des A b e r g l a u b e n s bey einem V o l k e ist; desto starker ward mein T r i e b , auch unsern Landesleuten ein B u c h b e k a n n t zu m a c h e n , desgleichen m i r in deutscher Sprache n o c h gar nicht v o r g e k o m m e n war, und von w e l c h e m sich die Leser keinen geringen V o r t h e i l versprechen k o n n t e n . So wie nun H e r r B a y l e in diesem S t ü c k e moralische A b sichten zu erreichen gesucht; also hat es ihm auch an politischen nicht gefehlet. S o w o h l der erste als der andre T h e i l dieser G e d a n k e n enthält verschiedene allgemeine B e t r a c h tungen ü b e r die damaligen Verfassungen von E u r o p a ; ü b e r die M a c h t F r a n k r e i c h s unter L u d e w i g dem V i e r z e h n t e n ; ü b e r die S c h w a c h e der damaligen Spanier; über das osterreichische H a u s , und dessen B u n d e s g e n o s s e n ; u . s . w . N u n dorfte zwar j e m a n d d e n k e n , daß dieses n o t h w e n d i g ganz altvaterische G e d a n k e n und U r t h e i l e seyn m ü ß t e n ; indem sich die Staatsverfassungen von E u r o p a seit fünfzig J a h r e n sehr verändert hatten. Allein so wahr dieses letzte ist, so gewiß ist es auch, daß die meisten B e t r a c h t u n g e n des H n . B a y l e n o c h heute zu T a g e Statt finden, und mit einer geringen V e r ä n d e r u n g auf unsre Zeiten gedeutet werden k ö n n e n . t>

GotlSL-hcd

X'l

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Man würde es an vielen Stellen nicht glauben, daß das, was er schreibt, am Ende des vorigen Jahrhunderts geschrieben; wenn man es nicht in Büchern läse, die damals gedruckt worden: so ahnlich sehen seine Gedanken unsern itzigen Zeiten, und so vortrefflich sieht man den heutigen Zustand der meisten Reiche darinn abgeschildert. Es ist nicht anders, als ob Bayle eine Gabe zu prophezeihen gehabt hatte; und, ohne an die Bedeutung der Cometen zu glauben, aus Einsicht in die Neigungen der Völker, in die Staatsregeln der Großen und ihrer Bedienten, und in die Folge voriger Begebenheiten, besser geweissaget hätte, als alle astrologischen Wahrsager und Nativitatsteller. Sonderlich aber hat die deutsche Nation große Ursache, die Urtheile eines der klügsten Auslander seiner Zeit, von ihren Verfassungen und Anstalten, Kriegen und Bündnissen, und Friedensschlüssen, mit Aufmerksamkeit zu betrachten; zumal bey itzigen großen Staatsveranderungen, die ganz Europa in Bewegung setzen, und alle Prinzen erinnern auf ihrer Hut zu seyn. Vielleicht ist es auch nicht ohne eine besondre Vorsehung geschehen, daß diese Uebersetzung nicht eher als itzo hat ans Licht treten können, da man sich mehr als sonst zu politischen Betrachtungen geneigt und zubereitet findet. Daß nun aber mein Versprechen nicht damals sogleich erfüllet worden, das hat verschiedene Ursachen gehabt. Zuförderst hatte ich damals einige von meinen vorigen Schriften, welche neu aufgeleget werden mußten, von neuem zu übersehen, die mir alle Zeit benahmen, diese Uebersetzung vor die Hand zu nehmen. Die Verwaltung einiger academischen Aemter lösete diese kaum vollendeten Arbeiten ab, und eine andre Schrift, die ohne meinen Namen ans Licht getreten, mußte hernach gewisser Ursachen wegen den Vorzug haben. Indessen vergaß ich doch mein Vorhaben nicht: und da ich einen geschickten Menschen fand, dem ich theils wegen seiner Kenntniß der französischen, theils wegen seiner Geschicklichkeit in seiner Muttersprache, diese Arbeit

Vorrede zu P. Bayle, Verschiedene

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anvertrauen konnte; so trug ich ihm dieselbe auf. Herr J o h a n n C h r i s t o p h F a b e r , einer meiner geschicktesten Zuhörer, aus der Oberlausitz geburtig, war es, der vor ein paar Jahren diese Uebersetzung ubernahm, auch in seiner Anwesenheit alhier die erste Hälfte davon lieferte. Die andre aber folgte nicht sobald, als ich es gewünschet hatte: weil dieser geschickte Mensch, seiner schwächlichen Gesundheit halber, Leipzig verlassen müssen; und zu Hause durch allerley andre Beschäftigungen gehindert worden, dieselbe zu beschleunigen. Was indessen hier an der Geschwindigkeit der Lieferung gefehlet; das ist am Fleisse und guter Ausarbeitung seiner Arbeit vollkommen ersetzet worden. Ich bin diese Uebersetzung über die Hälfte sorgfältigst durchgegangen, und habe sie von Wort zu Worte mit dem Grundtexte zusammen gehalten: aber in der That so wenig darinn zu verbessern gefunden, daß ich die letzten drey oder vier Schreiben auf guten Glauben annehmen zu können geglaubet. Ich sah mich aber auch gewissermaßen dazu genothiget; da mir, ausser den ordentlichen Verrichtungen dieses Winters, die Verwaltung des Rectorats, und die Ausfertigung des großen baylischen Worterbuchs, soviel Muße nicht verstatteten. Und was wäre es auch nöthig gewesen? Meine Leser mögen selber urtheilen, ob der Herr Uebersetzer seiner Pflicht eine Gnüge gethan? Mir ist wenigstens im Durchlesen derselben, bey Verfertigung der Anmerkungen, nicht eine einzige Stelle vorgekommen, darinn ich auf einen Zweifel wegen des rechten Sinnes oder gehörigen Ausdruckes gebracht worden wäre. Nun werden vielleicht viele Feinde der baylischen Schriften aufstehen, und mir für die bey dieser Uebersetzung gemachte Anstalt schlechten Dank wissen. Sie werden sich auf die Handel besinnen, die der Verfasser dieses seines Buches wegen in Rotterdam und anderwärts bekommen. Sie werden die gefährlichen und wunderbaren Meynungen verdam-

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men, die in diesen Gedanken vom Cometen hin und wieder vorkommen, und mich eines Verbrechens beschuldigen, daß ich dieselben aus dem Staube der Vergessenheit wieder hervorgezogen, sie wieder aufgewarmet und ausgebreitet hatte. Dieses alles sehe ich freylich voraus: allein ich habe verschiedenes darauf zu sagen. Erstlich bitte ich zu überlegen, daß es gar keine Folge sey: Ein Schriftsteller hat bey seinem Leben über einem gewissen Buche Verantwortung und Handel gehabt; folglich ist es ein böses und gefahrliches Buch, welches mit Strümp und Stiel ausgerottet zu werden verdient. Man weiß ja nur gar zu wohl, daß bey gewissen Gelehrten der personliche Haß, den sie von gewissen Leuten erdulden müssen, auch ihren Schriften zum Schaden gereichet. Wenn nur ein andrer eben das, ja noch wohl was ärgers geschrieben hatte, so wäre es nicht nur nicht in Anspruch genommen, sondern wohl gar gebilliget und gelobet worden: nun aber dieser oder jener berühmte Mann, dessen Verdienste seinen Nebenbuhlern zur Last werden, weil sie ihn gar zu berühmt machen, andre neben ihm aber verdunkeln, solche Sache schreibt; so geht man über seine Bücher her, und suchet etwas heraus, das man verketzern kann, um nur den anwachsenden Ruhm ihres Verfassers zu verhindern. Da heißt es denn nach dem Horaz: R.OMULUS ET LLBER PATER ET CUM C A S T O R E P O L L U X POST INGENTIA FACTA D E O R U M IN TEMPLA RECEPTI, PLORAVERE SUIS NON RESPONDERE FAVOREM SPECTATUM MERITIS. D I R A M QUI CONTUDIT HYDRAM C O M P E R I T INVIDIAM SUPREMO FINE DOMARI, U R I T ENIM FULGORE SUO, QUI PRAEGRAVAT ARTES INFRA SE POSITAS: EXSTINCTUS AMABITUR IDEM.

Und das letztere erfolgt gemeiniglich nach ihrem Tode. Alsdann hört der personliche Haß und Neid endlich auf; als-

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dann sieht man die Schriften eines solchen Gelehrten mit unparteyischern Augen an, und laßt seinen Verdiensten ihr Recht wiederfahren; ja man lobt wohl gar alsdann dasjenige, was man vorhin aufs ärgste verlästert hatte. Daß sich diese Anmerkung auf Hn. Baylen schicke, das ist aus seiner Lebensbeschreibung, die Hr. Desmaizeaux beschrieben, ganz offenbar. Es ist dieselbe nicht nur im Franzosischen, sondern auch im Deutschen herausgekommen; ist auch bey der deutschen Ausgabe des baylischen Wörterbuches in einer neuen Uebersetzung zu finden. Ich darf mich also dabey nicht weitläuftig aufhalten; doch will ich nur etwas weniges berühren: Hr. Jurieu, ein sehr hitziger und eifriger Gottesgelehrter in Rotterdam, hatte einen sehr tödtlichen Haß auf Hrn. Baylen geworfen; und dieser Haß war die ganze Quelle aller der Verdrüßlichkeiten, die Hrn. Baylen daselbst begegnet sind. Dieser herrschsüchtige und zinkische Mann war aber kaum gestorben, als schon die baylischen Schriften in aller Ruhe blieben. Alle das Uebel, das man von diesen Gedanken über die Cometen besorget hatte, ist nicht erfolget. Hr. Jurieu ist allen Vernünftigen zum Abscheu, und mit seinen Prophezeihungen gar zum Gelächter geworden. Hr. Bayle aber geneußt noch bey der Welt alle den Ruhm, den ein Weltweiser und gelehrter Mann sich nach seinem Tode wünschen kann. Indessen will ich hierdurch keinesweges behaupten, daß in diesen Gedanken über die Cometen nicht verschiedene besondre Satze vorkommen sollten, die Hrn. Baylen eigen sind, und nicht von allen Gelehrten gebilliget worden. Allerdings enthalten dieselben allerley neue Lehrsatze und sonderbare Meynungen, darauf ein aufgeweckter Kopf, der die Vorurtheile des Alterthums und menschlichen Ansehens abgeleget hat, gar leichtlich zu kommen pflegt. So wenig ich nun selbst in allen Stücken seiner Meynung zugethan bin; so wenig verlange ich auch, daß meine Leser ihm in allen Stücken beypflichten sollen. Meiner Hochachtung gegen

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diesen gelehrten Mann und witzigen Kopf unbeschadet, habe ich mir die Freyheit genommen, in einigen Anmerkungen, die ich über seine Gedanken gemachet, die Ursachen zu entdecken, warum ich nicht überall eins mit ihm bin; ja ich habe auch die Leser vor gewissen anstoßigen Sätzen, die zu bösen Folgerungen Anlaß geben konnten, zu warnen, und sie darwider mit guten Gründen zu verwahren gesucht. Sonderlich habe ich dieses bey der so beruffenen baylischen Meynung für nöthig befunden: Daß nämlich eine Republik voller Gottesleugner eben so tugendhaft leben würde, als eine solche, darinn eine Religion herrschet. Dieser Satz ist am meisten angefochten worden, und man hat in der That Ursache gehabt ihn anzufechten. Ich habe also nicht umhin gekonnt, den Ungrund desselben aufs deutlichste zu zeigen, die vermeynte Tugend der Atheisten und Freygeister zu entbloßen, und den großen Einfluß, den die wahre Religion, sonderlich wenn sie recht eingesehen und erkannt wird, in die Sitten der Menschen hat, zu behaupten. Ich getraue mir also mit Rechte zu sagen, daß die Lesung dieses Buches nebst meinen Anmerkungen niemanden schädlich seyn; sondern vielmehr einen jeden Vernünftigen von der Notwendigkeit und unbeschreiblichen Nutzbarkeit der wahren Religion im menschlichen Leben überzeugen wird. Ich war anfanglich willens, in dieser Vorrede aus des berühmten Halleys Cometographie, und andern von dieser Materie herausgekommenen Schriften, einen Auszug zu entwerfen, und dadurch meinen Lesern die wahre Theorie dieser himmlischen Korper nach den Lehren der neuesten Sternseher bekannter zu machen. Allein da ich eben die Hand ans Werk legen will, so werde ich gewahr, daß dieser Auszug für eine bloße Vorrede zu weitlauftig gerathen würde. Meine Zeit ist mir auch bey den gegenwartigen Umstanden, wegen vieler andern Arbeiten, und bey der so nahen Ostermesse, da der Verleger dieses Buch zu liefern gedenket, so

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kostbar und kurz zugeschnitten, daß ich dieses Vorhaben auf eine andre Gelegenheit aussetzen muß. Vielleicht muntert mich der Beyfall des geneigten Lesers auf, ihm ehestens die

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AUX

PENSEES

SUR

LES

COMETES

des

Hn.

Bayle auch in deutscher Sprache zu liefern; die ich aus gewissen Ursachen noch zurücke gehalten habe. Sollte aber dieses wohl aufgenommen werden, so will ich alsdann bey Lieferung der Zusätze auch mein Versprechen halten, und die neueste Erklärung von der N a t u r und dem Laufe der Cometen beyfügen, wobey denn auch einige Figuren nöthig seyn werden. Was übrigens der H r . Verleger an sauberer Schrift und weissem Papiere, imgleichen an richtiger Ausbesserung der ersten Abdrücke geleistet habe, das wird der geneigte Leser, ohne mein Erinnern, wahrnehmen. Sollten indessen im Absehen auf das letzte noch hier und da einige Kleinigkeiten mit untergelaufen seyn, denn was wichtiges wird man nicht leicht antreffen; so wird man dieses nicht mir, der ich bey dem Drucke nicht zugegen gewesen, sondern der allgemeinen Unvollkommenheit menschlicher Dinge zuschreiben. Der geneigte Leser lebe wohl, und bleibe mir und meinen Bemühungen ferner gewogen. Geschrieben zu Leipzig den 27 Marz 1741.

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Vorreden zu den vier Bänden von Historisches und Critisches Wörterbuch von Pierre Bayle 1741-1744

Vorrede (des ersten

Bandes)

^ f e n n jemals ein Gelehrter mit gutem Rechte den Namen eines Polyhistors verdient, und in seinen Schriften mit allgemeinem Beyfalle behauptet hat: so ist es gewißlich Herr Bayle gewesen, dessen vornehmstes Werk man hiermit in deutscher Sprache zu liefern den Anfang machet. Wie es bey dem gemeinen Manne, ja auch bey den Halbgelehrten zu gehen pflegt, daß sie die Worter insgemein bey sehr unbestimmten Begriffen brauchen, davon sie selber keine Rechenschaft geben können: so ist es auch dem Ehrenworte eines Polyhistors vielfaltig ergangen. Man hat demselben mehrentheils eine so allgemeine und weitlauftige Bedeutung gegeben, daß man es unzahligen Leuten bey legen können, die etwa, außer ihrer Hauptwissenschaft, davon sie eigentlich ihr Handwerk machten, noch etwas mehr gelesen hatten, welches man eben nicht von ihnen hatte fordern können. Nun findet sich aber, bey der großen Verbindung aller Theile der Gelehrsamkeit, wohl nicht so leicht, ein nur mittelmaßig gelehrter Mann; der nicht außer seinem Hauptwerke, welches insgemein eine von den vier sogenannten Facultaten zu seyn pflegt, auch noch sonst etwas gelernet haben sollte; wodurch er theils seine Wissenschaft besser einzusehen, theils seinem von ernsthaften Beschafftigungen abgematteten Gemuthe eine angenehme Veränderung zu machen, geglaubet hat. Diesemnach würde sich nun fast kein einziger mäßiger Gelehrter finden, der nicht den Lobspruch eines P o l y h i s t o r s gewissermaßen verdienen sollte, und von seinen Verehrern erwarten konnte.

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Man hat noch einen andern Begriff mit dem Namen eines Polyhistors verknüpfet, der auch desto allgemeiner geworden, je mehr er in der eigentlichen Bedeutung dieses Ehrenwortes gegründet zu seyn geschienen. Man hat nämlich eine weitläuftige historische Erkenntniß vieler verschiedenen Sachen für das eigentliche Merkmaal eines Polyhistors angenommen; und sich desto mehr dazu berechtiget gehalten, je mehr Aufsehens eine so mannigfaltige Belesenheit, wie man zu reden pflegt, gemeiniglich machet. Nichts fallt in Gesellschaften, und in Gesprächen mehr in die Augen, als wenn ein Gelehrter viele alte und neue Scribenten, die von einer Sache geschrieben haben; viele Ausgaben der Bücher, nebst ihren Auslegern, Herausgebern, Verlegern und Buchdruckern, ja den Oertern und Jahren wiederholter Auflagen zu nennen weis; wenn man die historischen Schicksale gewisser berühmter Manner, und ihrer Schriften, ihre Streitigkeiten, Gegner, Vertheidiger und Anhänger zu erzählen; gewisse besondere Umstände ihres Lebens anzuführen, und hundert andre Kleinigkeiten, von der Aufführung, dem U m gange, den Fehlern und Tugenden berühmter Manner, auf den Fingern her zu rechnen weis. Geben nun solche belesene Leute Bücher ans Licht; so zeiget sich ihre weitlauftige Gelehrsamkeit noch mehr. Alle ihre Sätze und Zeilen starren von den Namen berühmter Scribenten. Die Zeugnisse angeführter Autoren füllen ihre Bogen weit mehr, als ihre eigenen Gedanken. Sie machen sich eine Ehre daraus, mit fremden Augen zu sehen, mit fremden Lippen zu reden, und mit fremden Federn zu schreiben. Nichts klingt ihnen schon und gelehrt, als was ein Alter, ein Ausländer, oder doch wenigstens ein anderer Scribente gesagt hat; und wenn vollends der Name eines Schriftstellers und der Titel eines Buchs ein wenig fremde und seltsam klingen, so ist es um desto besser. Wie weit diese meine Beschreibung mit der Erfahrung übereinkomme oder nicht, davon überlasse ich billig dem

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geneigten Leser sein freyes Urtheil; ich setze aber nur dieses hinzu, daß bey dieser letzten Bedeutung des Wortes Polyhistor, der Begriff einiger Gründlichkeit und Einsicht, in die eigentlich so genannten Wissenschaften, ganzlich daraus verlohren gegangen. Eine seichte Kenntniß von dem äußerlichen Wesen der Gelehrsamkeit, eine zufallige Durchblätterung der Bücherverzeichnisse, und wenn es hoch kam, ein zeitkürzendes Lesen der Monatschriften, ist schon zureichend und überflüßig, sich den Namen eines solchen Polyhistors zu erwerben; der zwar sehr viel, aber nichts recht aus dem Grunde weis, und sich mehr auf der Oberflache der Wissenschaften aufgehalten, als in den Kern und in das Mark derselben eingedrungen. Wie viel dieses aber dem Fortgange und Wachsthume der wahren Gelehrsamkeit geschadet hat; das liegt am Tage, und wird mir von allen denen zugestanden werden, die Kenner und Liebhaber der Gründlichkeit sind, und eine tiefere Einsicht in die Wahrheit besitzen. Soll ich nun den wahren Begriff eines mit Recht so genannten Polyhistors festsetzen, so kann ich dieses nicht besser bewerkstelligen, als wenn ich das Exempel des berühmten Bayle anführe, und die vornehmsten Eigenschaften desselben entwerfe. Ich bemerke also, an diesem grossen Polyhistor neuerer Zeiten. I) Eine große Belesenheit in den alten griechischen und romischen Scribenten. Poeten und Geschichtschreiber, Sprachlehrer, Redner, Kunstrichter und Weltweise, kurz alles, was uns das gelehrte Alterthum hinterlassen, und die Barbarey der mittlem Jahrhunderte verschonet hat, das hat der fleißige Bayle in seiner Jugend selbst gelesen, ja so zu reden recht verdauet und in lauter Saft und Blut verwandelt. Sein muntres Gedachtniß hat sich die besten und merkwürdigsten Sachen so zu eigen gemacht und eingepraget, daß sie ihm ohne alle Mühe wieder eingefallen, wenn er derselben benothiget gewesen, seine Gedanken dadurch ent-

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weder zu bestarken, oder zu erläutern, oder auszuschmücken. Sein Geschmack aber war dadurch so geläutert, daß es ihm nicht schwer fiel, in freyen Künsten, von den wahren Schönheiten und Fehlern sinnreicher Schriften, gegründete Urtheile zu fällen. II) Hatte der solchergestalt vorbereitete Bayle auch seinen Verstand durch die philosophischen Lehren zu schärfen gesucht. Ihm war nicht nur die scholastische Art zu philosophiren in seiner Jugend auf den hohen Schulen bekannt geworden; er hatte selbst die berühmtesten Scholastiker nachgelesen, und ihre dunkelsten Geheimnisse mit einer scharfen Einsicht ergründet. Er hatte ferner mit dieser Gattung der Weltweisheit nicht nur die Lehren der ältern Secten, sondern auch die Entdeckungen der neuern Zeiten verbunden. Was die so berühmten philosophischen Schulen, die vormals in Asien, Griechenland und Italien geblühet hatten, gelehret, das war ihm eben so bekannt, als was ein Ramus, ein Lullus, ein Brunus, ein Grotius, ein Hobbes, ein Cartesius, ein Gassendus, ein Malebransche, ein Spinosa, ein Locke und Leibnitz, Gutes und Böses gelehret hatten. In allen diesen Dingen hatte er nicht nur selbst im Lesen nachgedacht; sondern sich auch selbst ein Lehrgebäude daraus gemacht, und selbiges zu Sedan und Rotterdam der studierenden Jugend etliche Jahre nach einander vorgetragen. Alles dieses nun hatte den Herrn Bayle zu einem Kenner und scharfen Richter philosophischer Wahrheiten gemacht, und ihn in den Stand gesetzt, auch die tiefsinnigsten Sätze zu prüfen, und die verborgensten Irrthümer zu entdecken. III) Hierauf folgte nun auch eine weitläuftige Erkenntniß in der politischen und gelehrten Historie aller Zeiten und Volker. Diese zeiget sich fast in allen Schriften des Herrn Bayle in der größten Stärke. Er hatte nicht nur die Auszüge und kurzen Begriffe derselben durchstudieret: Nein, die größesten Werke hatten ihn nicht abgeschreckt, und die sonderbarsten und seltsamsten kleinen Abhandlungen waren

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ihm nicht entwischet. Er hatte uberall die Quellen zu Rathe gezogen, um die Schriftsteller aller Zeiten und Parteyen mit einander zu vergleichen: und dieses zwar mit der Beurtheilungskraft eines Weltweisen; der die geheimen Treibfedern des menschlichen Herzens kannte, und von den Ursachen ihrer verschiedenen Erzählungen die Gründe zu entdecken wußte. D i e Geschichte der Gelehrten war ihm nicht nur aus den Titeln und Registern der Bücher bekannt, auch nicht auf eine bloße Bücherkenntniß eingeschranket; sondern er hatte sich die Schicksale der Wissenschaften selbst bekannt gemacht, und ihre Zunahme oder Abnahme aus der innern Vollkommenheit ihrer Lehrgebäude eingesehen. I V ) Ich würde zu diesen Arten der historischen Erkenntniß auch die Kirchenhistorie haben rechnen müssen, wenn ich dieselbe nicht vielmehr zu seiner theologischen Wissenschaft zu zahlen Ursache hatte. Diese nämlich war gewiß nicht kleiner, als eine der vorigen Arten. Ist es überhaupt einem jeden Gelehrten eine Schande, wenn er seine Religion nicht besser, als ein gemeiner Bürger, oder Landmann versteht: so war gewiß H e r r B a y l e auch mit derjenigen Erkenntnis derselben nicht zufrieden gewesen, die unzahligen G e lehrten schon überflüßig groß bedünken würde. Er begnügte sich nicht nur seinen reformirten Lehrbegriff aus dem Grunde und in seinem ganzen Zusammenhange eingesehen zu haben: sondern alle Secten und Spaltungen, die unter den Christen von Anbeginn entstanden, waren seiner Aufmerksamkeit werth gewesen. Keine besondere Meynung eines rechtgläubigen oder irrenden Lehrers der Kirchen, kein Traum alter oder neuer Schwärmer, war ihm so verächtlich vorgekommen, daß er sie ganz aus den Augen gesetzet haben sollte. Alle Streitigkeiten der Gottesgelehrten, alle Schlüsse der Kirchenversammlungen, alle Unterredungen von Religionssachen, alle öffentliche Glaubensbekenntnisse waren ihm nicht nur bekannt, sondern ganz gelaufig: J a er hatte auch die Ausleger der Schrift, und die hermeneutischen Mis-

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helligkeiten der Glaubenslehrer in seiner Gewalt; so daß er bedürfenden Falles auch von der Gründlichkeit ihrer Erklärungen, nach der Aehnlichkeit des Glaubens, zu urtheilen wußte. V) Setzet man nun noch schlüßlich eine ziemlich ausführliche Kenntniß der Rechtsgelehrsamkeit, Arzneykunst und Mathematik dazu; daran es gewiß dem Herrn Bayle auch nicht gefehlet hat, wie aus so vielen Stellen seiner Schriften, die von dergleichen Dingen handeln, zur Gnüge erhellet: So wird man mir verhoffentlich zugeben, daß mein Polyhistor alles dasjenige besessen, was zu einer sehr weitlauftigen Gelehrsamkeit gehöret hat. N u n mochte mir jemand nur eins einwenden, was an der Polyhistorie des Herrn Bayle irgend mangelhaft scheinen konnte; nämlich seine Kenntniß vieler Sprachen. Es ist wahr, daß er außer dem Lateinischen und Griechischen, das er nur zur Nothdurft, und nicht eben in besondrer Vollkommenheit verstanden, weiter nichts, als das Italienische, verstanden: denn von dem Franzosischen, als seiner Muttersprache, ist gar keine Frage. Die übrigen europäischen Sprachen so wohl, als die orientalischen, sind ihm ganz unbekannt gewesen: wenigstens findet man in seinen Schriften keine Spur, daß er sie verstanden habe. Ware es nun eine ausgemachte Sache, daß ein Polyhistor auch viele Sprachen verstehen müsse, so würde gewiß dieses nicht der Vorzug des Herrn Bayle gewesen seyn, vielweniger seine schone Seite ausmachen können. Allein zu allem Glücke gehört zu einem Polyhistor eigentlich die Erkenntniß vieler Sachen, nicht aber vieler Sprachen. Wer diese besitzt, wird ein Linguist, ein Philologus, ein Polyglottus genennet: pflegt aber insgemein an der Erkenntniß der Wissenschaften so arm zu seyn, als er an verschiedenen Sprachen reich ist. Alles kann der eingeschränkte menschliche Verstand unmöglich fassen. Und wenn ja bey sehr fähigen Köpfen die Gemüthskräfte zulänglich waren, etwas außerordentliches zu leisten: so würde

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doch die Zeit und das Alter eines Menschen nicht zureichen, sich auf alles zugleich zu legen, und zu einiger Vollkommenheit zu gelangen. Weit gefehlt also, daß Herr Bayle wegen des Mangels überflüßiger Sprachkunde, den Namen eines Polyhistors verlieren sollte: so beweise ich vielmehr aus seinem Exempel, daß ein gelehrter Mann zu einer fast allgemeinen Erkenntniß gelangen könne, wenn er gleich außer einer maßigen Erkenntniß der gelehrten Sprachen, nur ein paar von den heutigen Sprachen zu seinen Diensten hat. Doch es ist meine Absicht in dieser Vorrede nicht, dem Herrn Bayle eine Lobrede zu schreiben. Die ausführliche Lebensbeschreibung, die Herr Desmaizeaux von ihm entworfen hat, und die man nach der neuesten vermehrten Ausgabe von neuem übersetzet und diesem Werke vorgesetzet hat, wird dieses auf eine ganz unparteyische Art, viel besser ins Werk richten. Am allermeisten aber wird sich das verdiente Lob desselben, aus seinen eigenen Schriften offenbaren, davon hier das allerwichtigste Stück, nämlich, sein historisches und critisches Worterbuch, ans Licht gestellet wird. Eben so wenig ist es meine Absicht, eben diesem Wörterbuch selbst ein überflüßiges und unnöthiges Lob zu geben, wie sonst die Herausgeber fremder Werke zu thun pflegen. Es kann seyn, daß dieselben sich oftmals dazu genothiget sehen, wenn die Verdienste gewisser Schriftsteller so bekannt noch nicht sind, daß sie einer solchen Anpreisung entbehren könnten. Meines theils befinde ich mich in so glücklichen Umstanden, daß ich dieser Arbeit völlig überhoben seyn kann. Der große Werth von diesem historischen und critischen Werk ist am Ende des vorigen und im Anfange des itzigen Jahrhunderts in ganz Europa so bekannt geworden, daß wohl nicht leicht ein Gelehrter, von welcher Gattung er auch seyn möchte, zu finden seyn wird, dem derselbe unbekannt seyn sollte. Die vielen Auflagen, die davon in Holland auch nach dem Tode des Verfassers ge7

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macht worden, und in kurzer Zeit abgegangen, zeigen zur Gnüge, wie groß die Anzahl derer seyn müsse, die eine solche Schatz- und Vorrathskammer einer fast allgemeinen Gelehrsamkeit zu besitzen verlangen. Und die Uebersetzung, die man seit einigen Jahren in England davon unternommen, und ans Licht gestellet, uberführet uns auch von dem Beyfalle, den eine so kluge Nation, als die englische, demselben gegeben hat: so groß auch sonst der Haß gegen alles, was franzosisch ist, bey derselben zu seyn pflegt. Ja selbst die ansehnliche Anzahl der Gelehrten in Deutschland, die durch ihren Vorschuß den Druck dieser deutschen Uebersetzung erleichtert und befordert haben, zeiget zur Genüge, daß man bey uns eben so sehr von der Vortrefflichkeit dieses Wörterbuches überführet sey, als bey den Auslandern, und daß es folglich nichts weniger, als meine Lobschrift und Anpreisung, nöthig habe. Sollte aber ja noch jemand so ein Fremdling in der gelehrten Welt seyn, daß er dieses treffliche Werk weder gesehen, noch rühmen gehöret: so mache ich mir doch die gewisse Hoffnung, daß auch der Anblick dieses ersten Bandes der deutschen Uebersetzung, und die flüchtige Durchblatterung einiger beliebigen Artikel in demselben, einen jeden Liebhaber der Gelehrsamkeit, von der großen Nutzbarkeit und Annehmlichkeit dieses Wörterbuches sattsam überführen werde. Ich will also nur so viel sagen, daß alle Arten der Leser, sie mögen nun Gelehrte oder Ungelehrte, Fürsten oder Hofleute, Kriegsbediente oder von Adel, Gottesgelehrte oder Rechtsverstandige, Arzneykundige oder Weltweise, Liebhaber der Geschichte oder der freyen Künste, ja endlich auch nur muntre Kopfe oder Frauenzimmer seyn, dennoch in diesem Werke unzahlige Artikel antreffen werden, die eigentlich nur für sie gemacht zu seyn scheinen, und ihnen folglich das Lesen und den Besitz desselben theils angenehm, theils unentbehrlich machen werden.

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Ich komme also auf das Hauptwerk dieser Vorrede, nämlich auf die Uebersetzung des baylischen Worterbuchs, und was dabey in allerley Absichten geleistet worden; als wovon der geneigte Leser nothwendig benachrichtiget werden muß. So sehr ich auch allemal die Schriften der Herrn Bayle, und sonderlich dieses historisch=critische Worterbuch geliebt; und so sehr ich gewünschet, daß selbiges auch im Deutschen gelesen werden konnte: so wenig habe ich mir dennoch jemals eingebildet, daß ich der Herausgeber desselben werden sollte. Nicht nur die Schwierigkeiten, die bey der Uebersetzung eines solchen Werkes sich finden, sondern auch die Seltenheit der Verleger, die ein so großes Buch unternehmen wollen, machten mich allemal so zaghaft, daß ich die Erfüllung meines Wunsches nicht hoffen konnte. Ich gestehe es auch aufrichtig, daß die erste Veranlassung zu der Uebersetzung und dem Drucke dieses Werkes nicht von mir hergerühret: wie ich denn auch wirklich an dem ersten Entwürfe, der davon ausgetheilet worden, gar keinen Antheil gehabt. Indessen fand sich ein hiesiger Gelehrter, der sonst schon, wiewohl ohne Meldung seines Namens, verschiedene Uebersetzungen verfertiget hatte; und der sich entschloß auch dieses große Werk zu unternehmen. Er eröffnete dieses Vorhaben dem Herrn Verleger; der aber zu einer so großen Unternehmung, wie ihm gar nicht zu verdenken ist, im Anfange etwas furchtsam war. Indessen schlug er es dem Herrn Ubersetzer nicht gänzlich ab, sondern versprach ihm wenigstens eine Anzeige seines Vorhabens zu drucken, und die Meynung gelehrter Männer darüber zu vernehmen. Dieses geschah, und es fanden sich so wohl hier, als anderwärts, viele Liebhaber und Rathgeber, die theils mündlich, theils schriftlich, theils auch in öffentlichem Drucke, dem Verleger ihren Beyfall bezeugten, und ihn zu Erfüllung seines Versprechens aufmunterten. Hier geschah es nun, daß ich von demselben ersuchet wurde, die Aufsicht über die Uebersetzung dieses Werks zu

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übernehmen, und was sonst bey der Herausgabe desselben nöthig seyn mochte, zu veranstalten. Das erste hielt er, ohne Zweifel auf Einrathen gelehrter Freunde, bey einem so wichtigen Werke darum für nothig, weil auch der geschickteste Uebersetzer, bey so vielfaltigen Materien und Sachen, die darinnen vorkommen, sehr leichtlich etwas übersehen, auslassen, oder anders, als es die Umstände erfordern, ausdrucken kann; viele Augen aber allezeit mehr sehen, als eins, und was von dem einen etwa versehen seyn mochte, von einem andern zu rechte gebracht werden kann. Das andre aber schien hauptsachlich wegen vieler etwas freyen und anstoßigen Stellen, die in diesem baylischen Worterbuch vorkommen, nothig zu seyn; dabey es nämlich ansehnliche Manner für rathsam hielten, die deutschen Leser theils zu warnen, theils durch einige Gegengründe zu verwahren; theils auch einige Schriften anzuführen, darinnen die besondern Meynungen der Herrn Bayle bereits geprüfet und untersuchet worden. So wenig ich nun sonst zu Herausgebung fremder Schriften und zu Verfertigung vieler Anmerkungen geneigt gewesen; indem es mir eben keine besondre Ehre zu seyn geschienen, vor Werke seinen Namen zu setzen, dabey man wenig oder nichts mehr gethan, als daß man, RECENSUIT, EDIDIT ET PRAEFATUS EST, auf den Titel gesetzt hat: So wenig konnte ich hier auf dergleichen Art einige Ehre hoffen, da ich die Uebersetzung nicht selbst machen, und gleichwohl die G e w l h r für dieselbe übernehmen sollte. Doch die alte Bekanntschaft und Verbindung mit dem Herrn Verleger, nebst der Begierde, dieses so wichtige Werk, so viel als mir möglich wäre, befördern und in gutem Stande der deutschen Welt liefern zu helfen, bewogen mich, diese Arbeit zu übernehmen, und mich so wohl der durchgangigen Ausbesserung der U e b e r s e t z u n g , als der Verfertigung einiger Anmerkungen zu unterziehen.

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Damit nun der geneigte Leser es wissen möge, mit was für einem Fleiße das erste von mir bewerkstelliget worden, so will ich demselben die Art und Weise melden, wie ich mich dabey von Anfang bis ans Ende verhalten habe. Ich kann ihn also versichern, daß ich diesen Band des historisch=critischen Wörterbuches, innerhalb etwa drey Viertel Jahren, da an demselben gedruckt worden, Blatt für Blatt, ja Zeile für Zeile, zweymal mit großer Aufmerksamkeit durchgegangen bin. Das erstemal habe ich mir die deutsche Uebersetzung, ehe sie in den Druck gegeben worden, laut und deutlich vorlesen lassen; selbst aber das franzosische Original vor Augen gehabt, und nach demselben geurtheilet, ob der rechte Sinn überall getroffen, alles recht ausgedrücket, und nichts ausgelassen worden; auch das nöthige so gleich geändert, und an den Rand schreiben lassen. Wie nöthig diese meine Sorgfalt gewesen, das wird nicht nur ein jeder, der sich auf Uebersetzungen versteht, und die Mannigfaltigkeit der Sachen kennt, die in diesem Wörterbuche vorkommen, leicht begreifen; sondern es hat mich auch die tagliche Erfahrung bey jedem Bogen gelehrt, daß man die Kaufer mit einem sehr unvollkommenen Werke belastiget haben würde, wenn man solches nicht gethan hatte. Ich sage dieses nicht, die Geschicklichkeit des Herrn Uebersetzers niederzuschlagen, der gewiß sein Tage mehr übersetzt hat, als ich, und so wohl des Französischen als des Deutschen so mächtig ist, als hundert andre nicht sind, die sich doch gleichen Arbeiten unterziehen. Ich will nur andeuten, daß die große und fast unglaubliche Geschwindigkeit, womit derselbe vier bis fünf Setzern in die Hand gearbeitet, nothwendig verursachen müssen, daß hier und da ganze Zeilen und Satze überhüpfet, oder vielleicht manche Redensart, sonderlich bey gewissen, dem Franzosischen eigenen Ausdrückungen, (IDIOTISMIS) nicht so glücklich gerathen, als wohl bey mehrerer Muße von ihm geschehen seyn würde. Eben dahin rechne ich auch gewisse tiefsinnige philosophische Untersuchungen, derglei-

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chen in den Artikeln Abälard, Anaxagoras, Berengarius, Buridan IC. JC. vorkommen; w o es gar kein Wunder ist, daß jemand, der bey solchen Wissenschaften nicht aufgewachsen, und zumal das deutsche Philosophiren nicht gewohnt ist, hier und da den wahren Sinn nicht erreichet, oder doch nicht völlig ausdruckt. Die andre Ausbesserung habe ich bey dem andern Abdrucke jedes Bogens mit eben so vieler Sorgfalt bewerkstelliget. Denn so bald ein Bogen bey dem ersten Abzüge von den gröbsten Druckfehlern gesäubert war, so nahm ich denselben abermal vor mich, und las ihn selbst im Deutschen nochmals durch, und zwar laut, damit die geschickte Person, die zu gleicher Zeit in den franzosischen Grundtext sah, theils die Richtigkeit aller Zahlen in den Anfuhrungen, theils sonst bemerken konnte, ob etwas ausgelassen wäre. Wie nun das Auge in einer Schrift noch manche Kleinigkeiten sieht und entdeckt, die dem Ohre beym Vorlesen entwischet, zumal wenn die Gedanken noch mit dem Grundtexte beschäftiget sind: so kann ich es nicht leugnen, daß ich bey dieser andern Ausbesserung noch unzahlige Worter, Redensarten, ja ganze Satze geändert, ausgeputzet, und in Ordnung gebracht habe. Wenn man nun zu dieser meiner Aufmerksamkeit und Sorgfalt, die ich durchgehends ohne Ausnahme angewandt habe, auch den besondern Fleiß des geschickten Herrn M . S c h w a b e n in Betrachtung zieht, der noch außer mir, theils den ersten, theils den dritten Probebogen aufs sorgfaltigste übersehen, und von Druckfehlern gesäubert hat: so wird man mit großer Wahrscheinlichkeit schließen können, daß diese Ausgabe und Uebersetzung, wie sie mit aller möglichen Sorgfalt und Wachsamkeit verfertiget worden, also auch in aller möglichen Vollkommenheit im Drucke habe erscheinen können. Dem ungeachtet aber will ich diese deutsche Auflage des baylischen Wörterbuches, so wenig für ganz unverbesserlich ausgeben, als Herr Bayle seine eigene Arbeit dafür aus-

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gegeben hat, wie man in seiner V o r r e d e sehen k a n n . W i r sind alle M e n s c h e n , und k ö n n e n in vielerley F e h l e r und I r r t h ü m e r verfallen. A u c h die g r ö ß t e Scharfsinnigkeit und A u f m e r k s a m k e i t zerstreuet sich zuweilen, oder wird b e y langer Anstrangung ihrer K r ä f t e m ü d e ; zumal in einem so g r o ß e n W e r k e . D a heißt es dann billig, wie H o r a z v o m H o m e r geurtheilet hat: V E R U M OPERE IN LONGO FAS EST OBREPERE SOMNUM.

I c h m u ß dieses nicht allein in A n s e h u n g so vielfaltiger Materien und A n f ü h r u n g e n alter und neuer B ü c h e r , und Stellen aus so vielerley Sprachen b e s o r g e n ; denn wie leicht kann nicht in solchen Sachen ein F e h l e r einschleichen? sondern ich will es auch im A b s e h e n auf die R i c h t i g k e i t und S c h ö n h e i t unsrer M u t t e r s p r a c h e nicht ganz in A b r e d e s e y n . So viel Fleiß ich auch seit vielen J a h r e n auf dieselbe gewandt habe, so wenig kann ich mich doch für so v o l l k o m m e n darinnen ausgeben, daß ich niemals irren sollte. W e n n man nun n o c h b e d e n k e t , daß ich diese U e b e r s e t z u n g nicht selbst g e m a c h t ; und daß jeder U e b e r s e t z e r oder Schriftsteller seine eigene A r t des A u s d r u c k e s hat, darinnen derjenigen, der es nur übersieht, viel stehen laßt, was er selbst ganz anders gegeben haben w ü r d e : so wird man von mir nicht begehren k ö n n e n , daß ich für alle Zeilen und Satze dieser U e b e r s e t zung stehen sollte. Ich w ü r d e unfehlbar z . E . in dem Artikel Anaxagoras m a n c h e N o t e , darinnen v o n den H o m ö o m o r i e n dieses alten W e l t w e i s e n geredet w i r d , mit ganz andern W o r ten ausgedrücket h a b e n , als der geneigte Leser dieselben hier finden wird. Allein da diejenigen, deren sich der H e r r U e b e r s e t z e r bedienet hatte, nicht falsch und verwerflich w a r e n ; so habe ich ihm billig seine A r t zu reden lassen müssen. W e n n ich also für die G ü t e dieser U e b e r s e t z u n g stehe, so m a c h e ich m i c h wiederum zu nichts anheischig, als daß keine g r o b e und o f f e n b a r e V e r s e h e n o d e r V e r ä n d e rungen des Sinnes darinnen v o r k o m m e n sollen; will und

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Johann Christoph Gottsched

kann hergegen gar nicht behaupten, daß nicht eins und das andre etwas besser und angenehmer hatte gegeben werden können. In den vielen Arten der Anmerkungen, damit Herr Bayle seinen eigenen Text versehen hat, haben wir für gut befunden, theils der Bequemlichkeit des Setzers, theils dem Leser zu gefallen, einige Aenderungen zu treffen. Die vielen Randschriften sind also in unsrer deutschen Uebersetzung zwar nicht zu sehen, die in den franzosischen Ausgaben die Ränder erfüllen: darum hat aber das Buch an seinem Werthe nichts verlohren. Diejenigen Anfuhrungen und kleinen Glossen, die zum Texte jedes Artikels gehören, stehen unmittelbar unter demselben, und können daselbst, nach Anzeige der Buchstaben des kleinen Alphabets, so leicht, als am Rande gefunden werden. Diejenigen aber, welche am Rande der Anmerkungen des großen Alphabets, mit Ziffern gezeichnet stunden, hat man an die gehörigen Stellen, auf eine bequeme Art eingerückt. Die deutschen Gelehrten sind ohnedem solche Feinde von angeführten Stellen nicht, als die flüchtigen Franzosen, die gleich vor etlichen Zahlen und Namen erschrecken, und ein Buch wegwerfen, darinnen der Text dadurch unterbrochen wird. Wie leicht ist es übrigens im Lesen nicht, die Anführung einer Stelle zu überhüpfen, und nur die Sache selbst zu lesen, die daraus hergenommen worden? Die griechischen und lateinischen Stellen hat man eben so, wie sie von dem Herrn Bayle eingeschaltet worden, auch in dieser Ausgabe gelassen. Ein Buch, das hauptsachlich für die Gelehrten geschrieben ist, mußte nothwendig in solchen Stellen, da es meisten theils auf den Nachdruck der Grundsprachen ankömmt, die eigentlichen Worte derselben beybehalten. Zu dem soll dieses Worterbuch bey vielen, die auf dem Lande und in kleinen Städten leben, oder wohl gar auf Reisen sind, die Stelle einer kleinen Bibliothek vertreten. Dazu aber ist es unentbehrlich, daß man die Stellen der Alten

Vorreden zu P. Bayle, , Wörterbuch'

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selbst bey der Hand habe, darauf sich gewisse Dinge gründen. Eine weitlauftige Uebersetzung aber hat man bey diesen Zeugnissen nicht für nothig gehalten, theils weil diese Sprachen den meisten Lesern ohne dieß bekannt sind; theils auch von Herrn Baylen schon auszugsweise, entweder vorher oder gleich hernach erkläret worden. Mit den italienischen Stellen verhalt sichs eben so: mit den franzosischen aber hat man geglaubt, daß man es anders halten mußte. Denn da dieses Buch denen zu gut übersetzt worden, die das Franzosische nicht verstehen, so hat man auch die von dem Herrn Baylen angeführten Stellen nicht so franzosisch hinsetzen können: es müßten denn einige Büchertitel, oder altvaterische Knittelverse gewesen seyn, die sich gar nicht gut wollten geben lassen, und einen Theil ihrer Anmuth verlohren hätten, wenn sie wären übersetzet worden. Was aber die andern Verse insonderheit betrifft, so hat man sie, so viel sichs hat thun lassen, auch in deutschen Versen gegeben. Wo wir schon gedruckte Uebersetzungen gehabt, da hat man sich derselben bedienet, und ihre Urheber genennet. Wo es daran gefehlet, da hat sich zuweilen der Herr Uebersetzer die Mühe genommen, dieselben zu verdeutschen, zuweilen auch mir die Arbeit überlassen. Vielleicht wird der geneigte Leser es zuweilen errathen können, wer von uns beyden Hand daran geleget. Die franzosischen Knittelverse z . E . aus dem Scarron, und andern von der Art, hat man auch in altvaterische Hanssachsenreime gebracht, und darinn die Einfalt und Lustigkeit des Grundtextes bestmöglichst ausgedruckt. Bey den übrigen hat man sich zuweilen der gereimten, zuweilen auch der ungereimten Versart bedienet; nachdem entweder die Sache leicht oder schwer gefallen, oder auch die Zeit solches zugelassen. Nunmehro komme ich auf dasjenige, was vielleicht die meisten Entschuldigungen nothig hätte, und was ich gerade am allerwenigsten zu entschuldigen im Stande bin: ich rede von meinen Anmerkungen, die hin und wieder in diesem

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Johann Christoph

Gottsched

W e r k e in die Augen fallen werden. Ich kann es vorhersehen, daß mirs von vielen sehr gelehrten Leuten für übel gedeutet werden wird, daß ich mich unterstanden, einige Zusätze an Herrn Baylens Sachen zu hangen. Wenn also diese scharfsinnigen Leser einen gewißen Unterscheid unter den bündigen Gedanken des franzosischen Verfassers, und den magern Einfallen des deutschen Herausgebers bemerken, und daraus den Schluß machen werden: daß ich billig lieber gar zu Hause bleiben, als meine Schwache auf eine so deutliche Weise hatte verrathen sollen; so gebe ich ihnen vollkommen recht. Ein Polyhistor bin ich nicht; das weis ich. Ich würde mich auch niemals erkühnet haben, meine wenigen Anmerkungen und Zusätze unter die auserlesenen Sachen des Herrn Bayle zu mengen, wenn man dieses nicht ausdrücklich von mir gefordert hatte, um gewisse Leser vor einigen anstoßigen Stellen zu verwahren. N u n ist es wahr, daß ich dieses viel öfter gethan, als es in der angeführten Absicht nöthig gewesen wäre. Wenigstens hat der erste Theil dieses Wörterbuches so viel gefahrliche Artikel nicht, als ich Anmerkungen dazu gemacht habe. Allein der Herr Verleger bemerkte, daß bey der gemachten Einrichtung des Formates und Druckes, die Materie in etwas einzulaufen schien; so daß der deutsche Bayle etliche Bogen weniger, als der franzosische betragen würde. Er bezeugte also, daß es ihm nicht entgegen seyn w ü r d e , wenn ich auch bey andern Stellen meine Gedanken beyfügen, und wohl gar das vierte Alphabet dieses I Bandes, daran im franzosischen z w e y Duernen, oder vier Bogen fehleten, mit dergleichen Zusätzen anfüllen konnte. Diesem Verlangen nun zu willfahren, ließ ich mich um desto geneigter finden, da hin und wieder verschiedene Stellen vorkamen, w o mir des Herrn Bayle Gedanken in verschiedenen Absichten, nicht ohne alle Ausnahme wahr zu seyn schienen. In dem Reiche der Wahrheit gründet man sich nicht auf das bloße Ansehen großer Leute; und die Religion ist nicht allein dasjenige, dawider man nicht ungestraft

Vorreden zu P. Bayle, , Wörterbuch'

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sündigen kann. Die Critik, die Metaphysik, die Naturlehre, die Sittenlehre und die Staatskunst haben auch ihre wohlgegründeten Lehrsatze, dawider ein Mann, so gelehrt er sonst ist, verstoßen kann. Hier verbinden nun seine Meynungen keinen andern zum Beyfalle, der des Gegentheils überzeuget ist: U n d daher habe ich mir die Freyheit genommen, bey manchen Stellen zu bezeugen, daß ich nicht des Herrn Baylens Meynung wäre. Sonderlich ist dieses bey gewissen Urtheilen von den Alten, bey gewissen übermaßigen Lobsprüchen auf franzosische Schriftsteller, bey einigen sonderlich metaphysischen Zweifeln, bey gewissen freyen moralischen Gedanken, und bey manchem politischen Lehrsatze geschehen, der auf eine oder die andre Art wider die Grundregeln eines Staats zu laufen schien. Endlich habe ich auch bey solchen Gelegenheiten etwas hinzugesetzet, wo ich zwar des Verfassers Gedanken nicht misbilligte; aber doch einige Vergleichung derselben mit unserm Zustande machen, und dasjenige auf Deutschland deuten konnte, was er insgemein, oder von Frankreich insbesondre gesagt hatte. Ich habe dabey hin und wieder die besten Scribenten angeführet, wo man dasjenige weitlauftiger nachlesen kann, was ich nur kürzlich angezeiget; doch nur solche, die mir von selbst einfielen, und die ich bey der H a n d hatte, und ohne Mühe nachschlagen konnte. U n d dieses ist die ganze Rechtfertigung meines Verfahrens. Ich gestehe es aber gar gerne, daß gelehrtere Manner, als ich bin, diesen mir verstatteten Raum, mit viel nützlichem und wichtigern Sachen angefüllet haben würden. Nach meiner wenigen Belesenheit aber, und welches noch dazukam, nach der wenigen Zeit, die mir bey so schleunigem Drucke dieses Wörterbuches; bey der zu gleicher Zeit geschehenen Ausfertigung der Gedanken des Herrn Bayle über den Cometen von 1680; bey meinen ordentlichen akademischen Vorlesungen, und endlich bey der diesen Winter hinzugekommenen Verwaltung des akademischen Rectorats, habe ich unmöglich etwas bessers

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Johann

Christoph

Gottsched

machen, oder mehrern Fleiß darauf verwenden können. Sollte es indessen geschehen, daß der gütige Leser nicht alles, was ich geschrieben, misbilligte, so werde ich mirs künftig desto mehr angelegen seyn lassen, dessen Beyfall zu verdienen. Wie ferner, in den neuesten französischen Ausgaben dieses Wörterbuchs das baylische Leben des Herrn Desmaizeaux vorangesetzet worden: So hat man es auch bey dieser Uebersetzung halten wollen. Der geneigte Leser hat die Dollmetschung desselben, so wie die ersten Artikel des Werkes dem, seines verdeutschten Rollins und anderer Sachen wegen schon bekannten Hrn M. Schwaben zu danken: Und aus dieser so ausführlichen Lebensbeschreibung wird man unzählige Umstände und Nachrichten, sowohl dieses Wörterbuch, als den Herrn Bayle betreffend, nehmen können, die sonst in eine Vorrede hatten kommen müssen. Da ich nun dergestalt solcher Muhe überhoben worden, so kann ich in dieser Vorrede desto kürzer seyn, und die Leser dahin verweisen. Wir hatten uns übrigens die Hoffnung gemacht, daß wir verschiedene Anmerkungen und Verbesserungen dieses Werkes, die der gelehrte la Croze in Berlin an den Rand seines Exemplars geschrieben, bey dieser deutschen Ausgabe würden mittheilen können. Der Herr geheimte Rath Jordan, in dessen Hände dieselben nach dem Tode des Verfassers gerathen, hat uns die Hoffnung gemacht, daß er dieselben zu unserem Gebrauche übersenden wolle; er würde dieselbe auch erfüllet haben, wenn ihn nicht eine unvermeidliche Reise aus Berlin entfernet hatte. Gleichwohl denken wir, bey dem andern Bande, diese Zusätze dem gelehrten Deutschlande mitzutheilen, auch die zu diesem ersten Bande gehörigen, auf einer eigenen Duerne noch nachzuholen, die alsdann ans Ende desselben gebunden werden kann. Diesen wird man auch einige andre Anmerkungen beyfügen, die ein Ungenannter in die BIBLIOTHÈQUE FRANÇOISE eingerücket, und die uns nur dieser Tage bekannt geworden sind.

Vorreden zu P. Bayle,

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Mehr haben wir für diesesmal dem geneigten Leser nicht zu melden, als daß wir ihm von der Sauberkeit des Papiers und Druckes, imgleichen von dem Kupfer des Urhebers, dadurch diese deutsche Ausgabe vor den franzosischen keinen geringen Vorzug erhalt, das Urtheil selbst überlassen. 5 Wer die lateinische Unterschrift dieses Gemaides nicht versteht, oder doch sonst den Werth dieses Werks in ein paar deutschen Zeilen lesen will, dem will ich folgende Reime mittheilen, und mich damit in des geneigten Lesers G e wogenheit empfehlen: 10 Was B a y l e n s Fleiß und W i t z durch dieses W e r k gewiesen, D a s g i e b t d e n r e i c h s t e n S t o f f zu h u n d e r t Bücherriesen. Leipzig an der Ostermesse 1 7 4 1.

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Vorrede des zweyten Bandes. Geneigter Leser, A i s ich mich entschloß, die Herausgabe dieses historischcritischen Wörterbuches zu besorgen, und so gar die Aufsicht über eine fremde Uebersetzung desselben über mich zu nehmen, sah ich es gar wohl vorher, daß ich bey aller Mühe, die ich auch anwenden mochte, es dennoch nicht allen Lesern oder Richtern dieser Arbeit recht machen würde. So glücklich ich auch bis dahin mit meinen eigenen geringen Schriften, vielleicht ohne Verdienst, gewesen war, fast keinem, oder doch sehr wenigem Widerspruch unterworfen zu seyn: so wenig schmeichelte ich mir, daß auch die Besorgung eines fremden Werkes, ohne den Tadel derer bleiben würde, die an allem, was sie selbst nicht machen, Fehler und Gebrechen zu finden pflegen. Und da ich bey dem allen sehr wohl begriff, daß es unmöglich seyn würde, den Händen dieser unbarmherzigen Richter zu entgehen: so machte ich mich gleich damals gefaßt, ihnen mit einer gelassenen Art, und mit standhaftem Gemüthe unter die Augen zu treten; auch, wenn es nothig wäre, mein Verfahren, so gut sichs thun ließe, zu rechtfertigen, sodann aber von andern billigern Lesern den Ausspruch zu erwarten. Meine Ahndung ist erfüllet worden. Denn ungeachtet seit einem Jahre, da der erste Band dieses Wörterbuches ans Licht getreten, unzahlige gelehrte Manner, sowohl mir, als dem Herrn Verleger, ihren guten Beyfall bezeiget; auch die Anzahl derer, die Vorschuß darauf gethan hatten, sich merklich

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gemehret: so hat es doch auch an Misvergnügten nicht gefehlet, die sich theils wider die ganze Arbeit erklaret; theils dieselbe so vieler Fehler beschuldiget haben, daß ihr ganzer Werth nothwendig wegfiele. Wir gehen mit unsern Lesern aufrichtig um. Denn da wir diese Beschuldigungen verschweigen, und uns mit dem Beyfalle der übrigen Kaufer und Liebhaber befriedigen konnten: so zeigen wir vielmehr dasjenige offenherzig selber an, was man uns hin und her zur Last legen wollen; weil wir uns dessen, so viel man es begehren kann, glücklich zu entledigen getrauen. Um aber dieses recht ins Werk zu richten, so müssen wir erst von den verschiedenen Arten unsrer Richter, und von ihrer Gemüthsverfassung eine kurze Nachricht geben. Diese wird uns in den Stand setzen, auch die Wichtigkeit ihrer Ausspruche zu beurtheilen. Die erste und vornehmste Classe unsrer Gegner machen wohl diejenigen eifrigen und andachtigen Manner aus, die überhaupt die baylischen Schriften nicht leiden können. Sie sind Feinde von allem dem, was dieser gelehrte Mann heraus gegeben; und zwar mehrentheils darum, weil sie wenig oder gar nichts davon gelesen haben. Bayle ist ihnen nur aus dem Gerüchte, als ein Liebhaber des Scepticismus, oder als ein Vertheidiger der Manichaer bekannt geworden. Und eben darum hassen sie ihn. Andre haben vielleicht im Umgange mit gewissen Freygeistern gehört, daß sich diese, zu Beschönigung ihrer seltsamen Meynungen, öfters auf Baylen berufen; und dessen Gründe für unumstößlich, seine Zweifelsknoten aber für unauflöslich ausgegeben haben. Abermal ein neuer Grund, den baylischen Schriften aus einem heiligen Eifer feind zu werden! Daher kommen denn die so wohlgemeynten Warnungen vor dem Lesen derselben; davon wir nicht nur in auslandischen Sprachen, sondern auch im Deutschen noch neulich die Proben gesehen haben. Dieser Eifer und diese Andacht nun, haben so vielen Eindruck in die Gemüther vieler Menschen, daß man aus diesen Bewegungs-

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gründen ein ganzes Werk, auch ungelesen und unangesehen verdammet. Und man kann sich also leicht einbilden, was auch die Beförderer einer deutschen Ausgabe von diesem so gefahrlichen baylischen Buche, für ein Urtheil von solchen Zeloten zu gewarten haben. Um nämlich fromme, oder auch neugierige Leute vom Lesen desselben abzuschrecken, müssen sie unfehlbar sagen: daß zwar überhaupt die baylischen Schriften bose und gottlose Bücher waren; daß aber die deutsche Uebersetzung sonderlich nichts tauge; und das Geld, welches man daran wenden müsse, durchaus nicht werth sey. Die zweyte Classe derer, die nicht aufs beste von diesem Wörterbuche geurtheilet haben, machen diejenigen tiefgelehrten Manner aus, die überhaupt Feinde aller deutschen Bücher sind. Sie erinnern sich der unsäglichen Mühe und Arbeit, womit sie ihr Bißchen Latein und Griechisch auf Schulen erlernet haben; in Hoffnung, durch dasselbe allein für gelehrt angesehen zu werden, und alle diejenigen in den Wissenschaften weit zurücke zu lassen, die sichs nicht eben so sauer werden lassen, recht handwerksmäßig zu studiren. Sie können es also natürlicherweise nicht ohne Verdruß ansehen, daß man Künste und Wissenschaften so sehr entweihet; indem man sie in den lebendigen Sprachen vorträgt, ihre Geheimnisse allen Unstudirten bekannt und gemein machet, und so zu reden die Perlen vor die Säue wirft. Sie besorgen, wenn das so fort gienge, so würde man endlich gar auf den verdammlichen Irrthum gerathen: man könne auch ohne lateinische Bücher gelehrt werden, und sich folglich, auch ohne die allein gelehrten Sprachhelden, in der Welt hervorthun; ja wohl gar berühmter werden, als alle, die den besten Theil ihres Lebens mit den Wortforschern, Auslegern, und Herstellern der alten griechischen und romischen Schätze zugebracht haben. Was ist also natürlicher, als daß solche gelehrte Männer, nach der Vollmacht, die sie in dem engen Umfange ihrer Wirksamkeit besitzen, den 8 Gottsched X/l

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Jobann

Christoph

Gottsched

dilatorischen Ausspruch thun: der deutsche Bayle tauget nichts; wer aber ja Baylen lesen will, der muß ihn franzosisch lesen. Die dritte Classe unsrer Gegner, besteht aus den geschwornen Liebhabern der franzosischen Sprache. Diesen dünkt nämlich, nach Art aller Verliebten, nichts schon zu seyn, als was sie sich zum Gegenstande ihrer Bewunderung und Hochachtung erwählet haben. In jeder Redensart, in jedem Worte, ja in jeder Sylbe, die von einem franzosischen Munde ausgesprochen, oder von einer solchen Feder geschrieben wird, finden sie lauter Zucker und Honig; dagegen ihnen ein deutscher Ausdruck, der eben das, ja zuweilen noch mehr zu verstehen giebt, wie Stroh und Stoppeln schmecket. Das fremde, das ungewöhnliche, ja auch das dunkle so gar, das in auslandischen Worten und ihren Verbindungen oft vorkommt, scheint ihnen lauter ESPRIT ZU seyn; ja noch über das, ein gewisses JE NE SCJAI, QUOI? in sich zu schließen; welches sich im Deutschen unmöglich so sinnreich, so artig, und so anmuthig geben, oder sagen ließe. Bey diesen galanten Weltleuten nun, die nichts, als was franzosisch ist, lieben und bewundern können; klingt alles, was deutsch ist, viel zu hölzern, zu rauh und unangenehm. Und wenn ein Uebersetzer vom Himmel herunter käme, lauter Wunder thate, und sein Original nicht nur völlig erreichete, sondern gar überträfe: wie es denn in gewissen Fallen gar wohl angeht: so würden dennoch diese unerbittlichen Richter ganz unveränderlich behaupten: das Original sey unendlich viel starker, anmuthiger und sinnreicher; die Uebersetzung aber habe ungemein viel von der Schönheit desselben verloren. Nun urtheile man selbst, was diese „so ekeln Leser, wenn sie zumal Baylen für einen der besten Schriftsteller halten, für mitleidensvolle Gesichter machen werden, wenn sie unsern deutschen Bayle lesen? und mit was für einer gezogenen Sprache sie ausrufen werden: AH! MON D L E U ! C E L A N'APPROCHE PAS DE CENT TOISES Ä L ' O R I -

Vorreden

GINAL!

BAYLE

A DE

zu

P.

Wörterbuch'

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INFINIMENT!

L'ALLEMAND

Bayle,

L'ESPRIT

,

N'EST PAS CAPABLE D'ATTEINDRE

À CE T O U R H E U R E U X , À

CE GENIE ADMIRABLE DE LA L A N G U E F R A N Ç O I S E .

Vielleicht würden nach der bisherigen Erzählung die meisten unsrer Leser uns gern der M ü h e überheben, auf alle s diese Beschuldigungen zu antworten: indem der Ungrund solcher Urtheile schon von sich selbst allen Unparteyischen ins Auge fallt. Allein wir wollen uns dieser vermuthlichen Nachsicht nicht misbrauchen. W i r wollen alle diese V o r würfe, davon man mehrentheils die wahren Quellen nur in 10 Gedanken behält, beyseite schaffen, und deutlich zeigen: daß weder die Religion, noch die Gelehrsamkeit, noch die Galanterie Ursache haben, wider unsern deutschen Bayle ein Verdammungsurtheil abzufassen. Was nämlich die Vorwürfe der ersten anlanget, so geben wir es gern zu: daß Bayle in vielen Stellen seiner Schriften, dem pyrrhonischen Zweifel geneigt zu seyn scheint; auch wohl den Manichâern hin und wieder solche Waffen in die Hände gegeben, die zwar nicht unüberwindlich, doch aber sehr glänzend sind, und also vielen fürchterlich aussehen. Dieses Gestandniß nun, muß uns wenigstens in das Ansehen ehrlicher Leute setzen, die solche offenbare Dinge nicht leugnen mögen. D a m i t man uns aber auch nicht für boshaft ausgebe, indem wir, dem Scheine nach, dieses Gift mit Wissen und Willen ausbreiten; so dienet zu wissen, daß wir durch viele Anmerkungen, die bey allen gefahrlichen Stellen dieses Wörterbuchs angebracht worden, solches Gift auch durch ein gehöriges Gegengift zu entkräften gesucht. Man lese z. E . nur in diesem zweyten Bande den Artikel E p i k u r , w o H e r r Bayle einem Weltweisen von dieser Secte, die scheinbarsten Trugschlüsse in den Mund gelegt hat, einen Platoniker, der die Vorsehung G o t t e s behauptet, zu verwirren, und die allerthôrichtste M e y n u n g , von dem blinden Zufalle, zu behaupten, die man nur ersinnen kann. Man lese, sage ich, diesen Artikel, sehe aber auch die beygefügten 8"

is

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Anmerkungen nach, wodurch man den falschen Schein seiner Vernünfteleyen, in einer so wichtigen Sache zu entbloßen, und die gottliche Vorsehung zu retten gesucht: so wird man uns ohne Zweifel zugestehen, daß unser deutscher Bayle, der bey allen gefahrlichen Stellen mit solchen Anmerkungen versehen ist, entweder ohne alle Gefahr gelesen werden kann; oder doch bey weitem so gefahrlich nicht ist, als alle bisherige Auflagen im Franzosischen und Englischen gewesen sind. Was die Liebhaber der gelehrten Sprachen betrifft; so räumen wir ihnen abermal gern ein, daß die Schriften der Alten allerdings für Quellen aller Gelehrsamkeit, Wissenschaft und gesunden Vernunft anzusehen sind: wenn man nur nicht an den bloßen Worten, als an den Schalen kleben bleibt, sondern bis auf den Kern der vortrefflichen Sachen hindurch dringt, die sie in sich halten. Wir wollen also jungen Leuten, sonderlich den Studirenden, die lateinischen und griechischen Bucher keineswegs aus den Händen bringen; vielmehr rathen wir selbst das Lesen derselben, und die Erlernung der gelehrten Sprachen allen denen an, die recht was grundliches lernen wollen. Was folget aber daraus? Soll deswegen in keiner andern Sprache etwas gutes geschrieben oder gelesen werden? Wenigstens schloß Cicero, den wir doch mit so vielem Rechte hochschätzen, nicht also. Er selbst hatte das meiste, was er wußte, aus dem Griechischen gelernet: gleichwohl schrieb er alle seine Bucher, in derjenigen Sprache, die ihm so gemein war, als uns die deutsche ist, und die von allen ungelehrten Romern verstanden werden konnte. Und mit was für einem Rechte kann man uns wohl böser Absichten gegen die gelehrten Sprachen beschuldigen: da wir kein griechisches, kein lateinisches Buch, sondern ein franzosisches Werk ins Deutsche bringen; ja, da wir noch dazu, die unzahligen Stellen aus den Alten, davon dasselbe überall voll ist, in ihren Grundsprachen gelassen, und nicht einmal übersetzet haben. Man wird also, unsern

Vorreden zu P. Bayle, , Wörterbuch'

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deutschen Bayle zu lesen, noch eben so viel Griechisch und Latein verstehen müssen; als man bisher zu dem Franzosischen gebraucht hat: und wenn sie denselben ja nicht um des Deutschen halber, das er in sich halt, loben oder dulden wollen; so müssen sie es wenigstens um der vielen griechischen und romischen Anführungen halber thun, die in so großer Menge hier vorhanden sind, und oft halbe, ja ganze Seiten anfüllen. Eben so leicht wird sich die dritte Art der Tadler abfertigen lassen, die nichts für sinnreich und artig halt, als was franzosisch ist. Man gönnet ihnen ja alle die Süßigkeiten gern, die sie in einer fremden Sprache finden können, und wenn es gleich die lappländische und hottentottische wäre. Sie müssen aber durchaus nicht begehren, daß die ganze Welt so geschickt seyn soll, als sie sind. Es kann nicht ein jeder ehrlicher Deutscher so viel Zeit auf auslandische Sprachen wenden, daß er alle Schönheiten derselben einsehen, und seinen Geschmack an die Leckerbissen fremder Redensarten gewöhnen sollte. Schmecken doch auch die parisischen Fricasseen und Potagen nicht allen Zungen gleich gut. Erlaubet man es aber einem gesunden deutschen Gaume, auch an einem guten Wildprets= oder Rinderbraten einen Geschmack zu finden, wenn er gleich nicht durch die Hände eines ausländischen Koches gegangen ist: so kann man es ja deutschen Lesern auch vergönnen, das baylische Wörterbuch in einer Sprache zu haben, die sie verstehen. Wer Französisch kann, der mag sich immer an den Grundtext halten: denn für ihn ist diese Uebersetzung nicht gemacht. Ich pflege es selbst mit allen Büchern so zu halten, deren eigentliche Grundsprachen ich verstehe. Eben dieses nun werde ich allen Menschen anrathen; aber dabey nur die Billigkeit von ihnen fordern, daß sie andern diejenige Hülfe nicht misgönnen sollen, die sie selbst nicht mehr nöthig haben. Doch wir haben außer diesen bisher angeführten Tadlern unsers deutschen Bayle, noch andre Richter zu Gegnern,

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die mit einem scharfen Auge wahrhafte Fehler darinnen gesuchet, und gefunden haben wollen; ja unserm eigenen Gestandnisse nach, auch wohl wirklich gefunden haben können. Denn für so stolz muß uns niemand ausgeben, daß wir uns rühmen sollten, ein Buch ohne alle Fehler ans Licht gestellet zu haben. So lange die Welt steht, ist dieses noch nicht geschehen; und wir lassen es uns gewiß nicht träumen, die ersten gewesen zu seyn, die solches bewerkstelliget hatten. Es kann also leicht seyn, daß die Herren Uebersetzer, irgend hin und her eine franzosische Redensart nicht in ihrem ganzen Nachdrucke eingesehen, oder sie nicht mit dem rechten deutschen Ausdrucke übersetzet haben. Es kann auch seyn, daß ich selbst, ungeachtet der doppelten Prüfung, die ich mit aller Sorgfalt angestellet, dennoch eins und das andre übersehen hatte; welches indessen gewiß so gar oft nicht erweislich zu machen seyn wird: Muß man denn deswegen das ganze Buch so unbarmherzig herunter machen, und es durch das lieblose Urtheil zu Boden schlagen: E s w i m m e l e v o n F e h l e r n ! Wenn doch diese grundgelehrten Manner, denen es beliebet hat, sich dieses Ausdruckes zu bedienen, nach ihrer sonst bekannten Belesenheit in den Alten, sich der güldenen Worte Horazens erinnert hatten: N A M VITIIS NEMO SINE NASCITUR. O P T I M U S ILLE EST, Q U I MINIMIS URGETUR.

und anderswo: V E R U M U B I P L U R A N I T E N T IN CARMINE, N O N E G O P A U C I S OFFENDAR

M A C U L I S , QUAS AUT INCURIA FUDIT,

A U T HUMANA PARUM CAVIT NATURA.

Wie würde es ihnen selbst gefallen, wenn man ihre eigenen Schriften und Ausgaben alter und neuer Schriftsteller, mit einer so critischen Unbarmherzigkeit durchsuchen, und bey Wahrnehmung des geringsten Versehens, davon sie gewiß

Vorreden zu P. Bayle, , Wörterbuch'

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nicht frey sind, den Machtspruch anwenden wollte: D a s B u c h w i m m e l t v o n F e h l e r n ! Wie leicht ist doch bey so vielen Namen, Büchertiteln, Zahlen, und angeführten Stellen aus fremden Sprachen etwas übersehen? Und da man viel Mühe hat, in einem kleinen Buche von etlichen Bogen, alle Schreib^ und Druckfehler, alle kleine Unachtsamkeiten in der Schreibart, und dergleichen, ganzlich zu vermeiden: wie will man es doch fordern, daß in einem Folianten von zehn Alphabethen, die in Ansehung der kleinen Schrift, wohl fünfzehn bis zwanzig andern die Wage halten, gar kein Zeugniß einer menschlichen Unvollkommenheit anzutreffen seyn solle? Wer sich das getrauet, der gebe uns selbst eine Probe davon. Wenigstens hat Herr Bayle es uns an den größten Mannern, und rechten Lichtern der gelehrten Welt gewiesen, daß sie sehr oft Gedachtnißfehler, Sprachschnitzer, falsche Uebersetzungen, unrechte Zahlen, u . d . m . gemacht und begangen. J a eben dieser scharfsichtige Bayle, der so viel fremde Splitter entdeckt hat, ist selbst davon nicht frey geblieben. Der Verfasser der critischen Anmerkungen, die in den neuern hollandischen Auflagen so vielen Artikeln beygefüget worden, beweiset dieses zur Gnüge. Und auch wir wären im Stande gewesen, hin und her dergleichen Kleinigkeiten anzumerken, wenn er irgend in der Anführung poetischer Stellen, falsche Worter eingeschoben, die dem Urheber nie in den Sinn gekommen, und manchmal den Vers falsch und fehlerhaft machten. Allein wir haben uns mit solchen Kleinigkeiten nicht breit machen wollen, und dergleichen Versehen einem Manne nicht zurechnen mögen, der bessere Proben von seiner Wissenschaft und Einsicht abgeleget hatte, als daß man ihm Quartanerschnitzer zutrauen sollte. Doch so gern wir uns der Möglichkeit zu irren und zu fehlen unterwerfen, zumal bey so großer Eile der Arbeit, bey den langen Winterabenden, und sonderlich bey so augenzehrender kleiner Schrift; vieler andern Geschaffte

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nicht zu gedenken, deren ich mich in meinen Umstanden unmöglich entschlagen kann: von so geringer Anzahl, und von so schlechter Erheblichkeit sind doch alle diejenigen Fehler, die uns bisher von unsern luchsäugigten Richtern bekannt gemacht worden. Wir wissen in der That, aller heftigen Beschuldigungen und hitzigen Vorwürfe ungeachtet, unter die Mangel des ersten Bandes, noch nicht mehr, als zween oder drey Fehler zu zahlen, die dasjenige wirklich sind, was man ihnen Schuld giebt. Alles übrige, was man angemerket haben will, ist entweder gar nicht falsch, oder doch im franzosischen Texte selbst nicht anders gewesen: oder wenn es ja an sich falsch ist, so hat man uns noch in dem Buche selbst die Stellen nicht angezeiget; so, daß wir noch zur Zeit im Zweifel stehen, ob ihr Vorgeben gegründet sey, oder nicht? Ein lustiges Exempel von der Sache zu geben, kann folgendes dienen, womit sich wohl schon ein Jahr her, hier in Leipzig selbst, unzahlige gar feine und gelehrte Manner herumgetragen haben, um den Werth dieser Uebersetzung zu verkleinern. Man hat nämlich vorgegeben, es wäre in dem ersten Bande, JUSTE LIPSE, wie die Franzosen den LIPSIUS allezeit nennen, durch e i n g e r e c h t e r L e i p z i g e r , übersetzet worden. Und diese Sage ist so fleißig wiederholet und in allen Gesellschaften ausgebreitet worden, daß sie endlich bis auf die Schulbänke gerathen, und manchem kleinen Geiste zu einer großen Freude Anlaß gegeben. Man hat sich, so bald man davon Nachricht bekommen, von Seiten des Verlegers, und selbst von meinetwegen, erbothen, demjenigen, der die Stelle, wo dieser Fehler begangen worden, entdecken und anzeigen würde, ein paar Ducaten zur Ergetzlichkeit, zu zahlen. Allein niemand hat sich noch zurZeit die Mühe nehmen wollen, dieses Geld zu verdienen. Ja ich bin fest versichert, daß ich ohne alle Furcht ein ganzes Dutzend Ducaten ausbiethen kann, und daß dieser lacherliche Fehler doch nicht entdecket werden wird. Ich weis nämlich den ganzen Ursprung dieser so lustigen

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Sage, und kann nicht umhin, denselben hier bekannt zu machen; damit sich niemand die unnütze Mühe gebe, einen Schnitzer zu suchen, der nirgends zu finden seyn kann, als in dem Gehirne derer, die ihn erdichtet haben. Ehe noch der erste Band fertig war, befand ich mich einen Abend in der Gesellschaft einiger unsrer vornehmsten academischen Lehrer, wo unter andern auch von der Arbeit, die ich bey der Ausfertigung des bäylischen Wörterbuches übernommen, geredet wurde. Als ich nun von der Ausbesserung der deutschen Uebersetzung erwähnte, und wie nothig dieselbe, aus vielen Ursachen, wäre, ehe sie gedruckt würde: so gab ich unter andern auch dieses Exempel, daß auch ein Mann, der N B . den Lipsius gar wohl kennete, dennoch bey übereilter Arbeit, bey zerstreuten Gedanken, und vielleicht bey spater Nacht, da er halb schläfrig geworden, wohl einmal JUSTE LIPSE, durch e i n g e r e c h t e r L e i p z i g e r , geben konnte; wie mir denn einmal dergleichen Versehen vorgekommen wäre. Dieses Bey spiel nun kam billig der gelehrten Gesellschaft sehr lustig vor; ward aber von mir gar nicht so angeführt, als ob in unserm gedruckten Bäyle wirklich dieser Fehler begangen worden; sondern nur als ein Beweis gebraucht, wie nothig es wäre, daß eine Uebersetzung so weitlauftiger Werke, dabey es wohl heißen mag: V E R U M O P E R E IN LONGO FAS EST O B R E P E R E SOMNUM;

mehrern Augen zum Nachsehen unterworfen würde. Wie nun aber eine Erzählung, die ohne Zweifel von dieser ansehnlichen Versammlung gelehrter Männer wohl verstanden worden, sich in die obige abgeschmackte Beschuldigung unsers gedruckten ersten Bandes habe verwandeln können, das will ich dem Nachdenken billiger Leser anheim stellen. Ich füge nur noch so viel hinzu, daß es der Herr Verleger gegen alle, welche sich die Mühe nehmen wollen, die ihnen irgend aufstoßenden Fehler aufzuzeichnen, und ihm schrift-

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Johann

Christoph

Gottsched

lieh mitzutheilen, mit allem Danke erkennen werde. J a er behält sichs vor, am Ende des ganzen Werkes ein Verzeichniß aller solcher Verbesserungen anzuhangen, und das Werk also in so vollkommenem Zustande, als es möglich ist, zu liefern. Nun muß ich noch mit denen ein Wort sprechen, die von der deutschen Schreibart in dieser Uebersetzung nicht das rühmlichste Urtheil fallen. Wenn dieses Urtheil von Leuten herkommt, die selber wissen, was ubersetzen heißt, und zuweilen einen Versuch darinn gemachet haben: so kann ich weiter nichts thun, als daß ich sage: I. daß diese Uebersetzung nicht meine, sondern eine fremde Arbeit ist; und daß ich also weder den ganzen Ruhm, noch den ganzen Tadel derselben zu tragen, schuldig bin. II. Daß der Herr Uebersetzer ein gebohrner Meißner ist, wo man sich doch ohnedieß rühmet, daß die beste Mundart zu Hause sey. III. Daß er schon viel Bücher übersetzt habe, die auch ohne alle fremde Aufsicht gedruckt worden, und gut abgegangen sind. IV. Daß es meine Pflicht nicht sey, die ganze Art zu denken und zu schreiben, in demjenigen zu andern, was ein andrer übersetzet hat; sondern nur zu verhüten, daß nichts offenbar Falsches, oder Fehlerhaftes, oder Undeutsches mit einschleiche. Denn wäre dieses nicht, so wollte ich lieber selbst eine ganz neue Uebersetzung machen, als eine von fremder Arbeit ausbessern. Ich erfahre es ohnedieß mehr als zur Gnüge, daß ich bey der übernommenen Arbeit eine wunderliche Person spiele. Die Ehre nämlich, die durch viele wohlgerathene Stellen, und glückliche Ausdrückungen dem Buche zuwachsen kann, wird niemals mich treffen; indem ein jeder sagen wird: ich hatte ja das Buch nicht selbst übersetzt. Der Tadel aber, den manche Stelle mit Recht oder Unrecht erhalten wird, den wird man getrost mir allein aufbürden; weil ich ja die Aufsicht über das Werk gehabt. Weil ich also einmal in den Umstanden bin, auch fremde Schulden zu tragen, so verweise ich meine billigen und verstän-

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digen Leser in das H U E T H IDEAM BONI INTERPRETIS; die andern aber auf unsers großen Luthers Sendschreiben vom Dollmetschen, welches uns noch neulich ein gelehrter Schulmann in N a u m b u r g einzeln herausgegeben hat. Hier wird man vieles finden, was zumal gegen unverstandige Tadler, die ihr lebenlang keine einzige Sprache aus dem G r u n d e verstanden, und wohl keine halbe Seite verdolmetschet haben, oder recht übersetzen konnten, zur Belehrung gesagt werden kann. Ich kann indessen nicht umhin, hier ein paar Zeilen aus dem Vossius, D E H I S T O R . G R A E C I S P. 368. herzusetzen, die sich sehr wohl hieher schicken. SED HIC, schreibt er, E R U D I T O R U M M O R B U S EST E P I D E M I C U S , UT

NON

TAM

COGITENT,

QUANTUM

BONI

ALIQUIS

P R A E S T I T E R I T ; QUÄLE EST HIC, Q U O D PRIMUS EUM SCRIPTOREM

-

-

SUA

LINGUA

EDIDERIT,

-

-

VERTERIT,

ILLUSTRARIT NOTIS; IN QUIBUS HUMANI ALIQUID

ETIAM

SUBINDE

IN TAM ARDUO NEGOTIO PERPESSUM FUISSE, NEC IPSI NEGAMUS: SED UT DICI SOLET, INVENTIS ALIQUID SUPERADDERE, VEL, Q U A N D O OBSERVARE,

OMNES SUMUS HOMINES, ETIAM NON

EST U S Q U E

ADEO

ERRORES

DIFFICILE.

Man

sieht nämlich meistentheils, nicht sowohl auf den Fleiß, den man wirklich angewandt, eine Uebersetzung richtig, deutlich, fließend und wohlklingend zu machen; sondern man klaubet nur hin und her einige Worter und Redensarten aus, die einem oder dem andern, oft ohne alle Ursache misfallen; oder doch, nach seinem Sinne, noch anders hätten gegeben werden können. Dieses A n d e r e aber ist darum nicht allemal etwas b e s s e r s . Indem man sich nun bey solchen Mücken und Splittern aufhalt, so wird man es nicht gewahr, wie viel Camehle und Balken man erst aus dem Wege zu räumen gehabt, darüber der Leser itzo ohne Anstoß weglauft, als ob es gar keine Schwierigkeit dabey gegeben hatte. Ich habe manches aus allerley Sprachen übersetzet, und weis also viel besser, was dabey zu thun ist, als mancher, der itzo mein Lehrmeister werden will: und der, wenn es zum Tref-

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Johann

Christoph

Gottsched

fen käme, wohl nicht einen einzigen Artikel aus Baylen übersetzen sollte, ohne etliche Dutzend handgreifliche Schnitzer zu begehen. Wo bleibt nun noch die große Verschiedenheit der Sachen, dazu man selbst eine Kenntniß sehr vieler Wissenschaften, Gebrauche, Geschichte, und so gar die Kunstworter vieler freyen und geringem Künste wissen muß? Wenn ich nun vollends die vielen altfranzösischen Stellen, zumal aus der Canzleyschreibart, bedenke, davon dieses Worterbuch in der franzosischen Historie wimmelt, und die unser Herr Uebersetzer ziemlich glücklich zu erreichen weis: so getraue ich mir fast, zu behaupten, daß kein schwereres Buch zum Uebersetzen erdacht werden könne, als eben dieses historische Wörterbuch. Ich könnte zu dem allen noch diese Betrachtung hinzufügen, daß es eine unbillige Forderung sey, wenn man begehrt, daß im Deutschen alles so artig und wohlfließend seyn soll, als einige Stellen, ja das meiste in der That ist. Denn man verlanget von der Uebersetzung eine Vollkommenheit, die der Grundtext selbst nicht hat. Fürs erste nämlich ist Herr Bäyle in seiner eigenen Schreibart nicht allemal gleich. Bald steigt er etwas hoch, und bedient sich gar poetischer Redensarten; bald fällt er in die allerniedrigsten Ausdrücke des Pöbels; bald ist seine Schreibart sehr langweilig, und mit vielen Umschweifen und Einschaltungen versehen; bald aber wiederum kurz abgebrochen, und ohne den nöthigen Zusammenhang, (ARENA SINE CALCE). Ja vielmals bedient er sich wohl gar gewisser Verwegenheiten im Ausdrucke, die ihm ein französischer Purist nicht würde gelten lassen; dadurch denn seine Redensarten schielend, wie sie zu reden pflegen, oder zweydeutig werden. Man sehe hievon das Urtheil, welches Herr DESMAIZEAU, in seiner Lebensbeschreibung im ersten Bande, von der baylischen Schreibart gefället hat. Soll nun ein getreuer Uebersetzer, bey dem Originale, so viel ihm möglich ist, bleiben, oder nicht? Thut er das erste, so muß er alles lassen, wie ers

Vorreden

zu P. Bayle,

,

Wörterbuch'

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findet; hoch, niedrig, weitläuftig, verworren, abgebrochen, und zweifelhaft: das ist, er muß eine Uebersetzung machen, die nicht überall schon klingt, und zwar bloß darum, weil sie so getreu ist. Soll er aber alles verbessern, was ihm fehlerhaft zu seyn dünkt: so wird er gewiß ein desto schlechterer Uebersetzer seyn, je besser seine Arbeit klingen wird; weil er zu viel eigenes mit eingemenget, und seinem Originale nicht Fuß vor Fuß gefolget ist. Was soll ich noch von den Stellen unzahliger alten franzosischen Schriftsteller sagen, die Bayle so gern anführet? Man lese doch den Amiot, Vigenere, Brantome, Montagne u . a . m . und sehe nur, ob man nicht oft Mühe hat, aus ihren verwirrten Worten und weit umschweifenden Sätzen nur einen menschlichen Verstand herauszubringen; so gut man auch das Franzosische kann? Gesetzt aber, man ließe sich dünken, man verstünde es; wie viel Mühe hat man nicht, es in einer andern Sprache zu geben? Und wenn man es endlich giebt, wie will man es verlangen, daß die Uebersetzung anmuthiger klingen soll, als das Original selber ist? In Wahrheit, ich wollte doch einmal eine Stelle aus unsern alten deutschen Büchern des X V oder X V I Jahrhunderts, einem Franzosen, der unser heutiges Deutsch ziemlich verstünde, zu übersetzen geben; und ihm Trotz biethen, daß er mir treulich beym Grundtexte bliebe, (denn das fordre ich ohne Ausnahme,) und dennoch ein schönes wohlklingendes Franzosisch daraus machen sollte. Schlüßlich muß ich auf meine Anmerkungen kommen, die ich dem ersten Theile beygefügt habe. Etliche darunter haben gleichfalls das Unglück gehabt, einigen Lesern zu misfallen; sonderlich hat diejenige, die ich bey dem Artikel B a b y l o n , w i d e r g e w i s s e DICTATORES R E I P U B L I C A E

LITTE-

RARIAE eingerücket, allen denen nicht angestanden, die sich auch schon für halbe Burmänner ansehen. Sie haben gesagt, ich hätte allen CRITICIS die Vernunft abgesprochen; und mich doch gleichwohl nicht besonnen, daß ich selbst eine

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Johann

Christoph

Gottsched

Critische Dichtkunst, Critische Beytrage JC. 2C. geschrieben hatte. Nun habe ich zwar meine Meynung von diesem Einwurfe schon in dem Artikel E r a s m u s bey der Anmerkung (I.) eröffnet, und gezeigt, daß ich weder der wahren Critik, noch dem schonen Lateine, noch denen, die es können, und gescheidte Bücher darinnen schreiben, feind bin; sondern nur den Stolz dererjenigen demüthigen wollen, die bey dem Mangel nützlicher Sachen und gründlicher Wissenschaften, auf ihre Kenntniß alter Worter so trotzen, als ob alle Gelehrsamkeit in lateinischen und griechischen Redensarten bestünde. Allein weil man mich auch in öffentlichen Schriften, die ich aber hier nicht namhaft machen, sondern in der ihnen gebührenden Vergessenheit und Dunkelheit lassen will, angestochen, und für einen Feind aller schonen Latinitat, und Verfechter der vermeyntlich einreißenden Barbarey ausgerufen hat: so habe ich nicht umhin gekonnt, auch hier etwas davon nachzuholen; um meine Leser eines bessern zu belehren. Ich bitte also auf folgende Erinnerungen Acht zu geben. I.) Hat Herr Bayle, und nicht ich, in der Anmerkung A. zum Artikel Babylon, vier großen Criticis, nämlich S c a l i g e r n , dem V o s s i u s , dem M a r s h a m , und D o d w e l l e n Schuld gegeben, daß sie in einer verderbten Stelle des Plinius, den falschen Vernunftschluß nicht wahrgenommen; der sie doch auf die Verbesserung falscher Zahlen hatte führen können. Was kann nun ich dafür? Ist hier jemand, der den Criticis die Vernunft abspricht; so bin ichs doch nicht, sondern Herr Bayle thuts: an diesen müssen sie sich halten. Ich habe in meiner Note nur gezeigt, woher solches komme: weil nämlich viele von ihnen keine Philosophie lernen, die den Kopf aufräumet, und richtig denken lehret. Allein es hat keine Noth. Auch Bayle hat es nicht durchgehends von allen sagen wollen; indem er gleich darauf den H a r d u i n und P e r i z o n anführet, die diesen Fehler wahrgenommen haben, ob sie gleich auch Critici waren. Hier ist ja also die

Vorreden zu P. Bayle,

,Wörterbuch'

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Ehrenerklärung gleich angehängt; und man hat nicht Ursache, über seine Unbilligkeit zu klagen. II.) Zeiget eben die Aufburdung, die man mir wegen meiner Anmerkung hat machen wollen, als ob ich nämlich ein Verächter des schonen Lateins wäre, auf eine sehr deutliche Art: daß es auch bey so hellem philosophischen Lichte dieser Zeiten, diese Stunde noch Liebhaber des Lateins und der Critik giebt, die schlechte Helden in der Vernunftlehre sind. Der Schluß meiner Gegner erweist es zur Gnüge. Denn wie folget das? Cajus saget: ein großer Sprachenheld, der keine Philosophie getrieben, sondern sich mit lauter Wortregistern, Manuscripten, verschiedenen Lesarten, Schreib= und Druckfehlern beschäfftiget; die Sachen und Wissenschaften aber verabsäumet hat, kann und muß zuweilen falsche Schlüsse machen, oder sie an andern nicht wahrnehmen: E R G O ist Cajus ein Feind des guten Lateins, ein Verfechter der Barbarey, ein H O M U N C I O JC. Vortrefflich geschlossen! Wer nur ein Vierteljahr die Logik gehört hat, wird sich des Lachens nicht enthalten können, wenn er gleich diesen Paralogismus in dem schönsten Lateine von der Welt vortragen, und mit einer großen Wehklage über den Verfall der Gelehrsamkeit begleiten höret. III.) Bin ich weder der erste noch der einzige, der über die ängstlichen Grübler im Lateine, und Verächter aller andern Wissenschaften und Künste, Klagen führet. Man lese nur, was Erasmus in seinem Ciceronianus wider diesen Eigensinn geschrieben. Er verspottet einen Lateiner, der sich ganz blaß, elend und mager studieret hatte, indem er sich ein Ciceronisches Lexicon zusammen trug; dessen erster Theil schon so groß war, daß ihn ein paar vierschrötige Lastträger kaum auf den Rücken forttragen konnten, der andre, dritte und vierte aber noch viel großer wurden. Nun weis man zwar, daß Scaliger sehr dadurch erbittert worden, und ein paar heftige Reden wider ihn drucken lassen; davon ich die Tolosanische Ausgabe in 4. von 1621. besitze, Allein, so

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Johann

Christoph

Gottsched

grob er hier wider den grossen Erasmus losgezogen, so sehr hat er es nachmals bereuet. (S. die Scaligerana p. 140. 141.) und nicht nur eine hochstrühmliche Grabschrift auf ihn, sondern in seinem HIPPONACTES folgende höchstvernünftige Palinodie gemacht: P L U S P O E N I T E T ME T E M P O R I S , Q U O D I M P E N D I , IN GRAMMATISTAS & LEVES L O C U T O R E S , VANAS P O E T A R U M ATQUE PERDITAS NUGAS, QUAM B A R B A R O R U M

QUAE LEGUNTUR IN L I B R I S .

H A E C EST MEARUM TOTA SUMMA SUMMARUM! STULTUM AC SUPINUM EST P L U M B E I Q U E D E L I R I I , R E B U S RELICTIS CONSENESCERE IN VERBIS.

Hat nun Erasmus, der doch zu Wiederherstellung der freyen Künste in Europa so unendlich viel beygetragen, ein sehr guter Scribent werden können, ohne sich zu einem geschwornen Ciceronianer aufzuwerfen; hat man seine Briefe, der muntern Einfalle, lebhaften Schreibart und schonen Sachen halber, den Briefen des Bembus und Politianus vorgezogen, die doch solche angstliche Stilisten waren, s. Stoll. Hist. der Gelehrt. 159. S.; haben Ludewig Vives, den ich in den Artikeln Bembus und Erasmus angeführt; Laurentius Valla, Melanchthon, u . a . m . die ich noch anfuhren konnte, mehr die Wissenschaften und Sachen der Alten, als ihre Worte nachgeahmet und angepriesen: so muß man mir kein Verbrechen daraus machen, wenn ich als ein treuer Nachfolger so großer Männer, in ihre Fußtapfen trete, und lieber mit ihnen ein HOMUNCIO heißen, als mit meinen Gegnern ein Riese in dem Lateine, und ein Zwerg in den Wissenschaften seyn will. IV. Endlich preise ich denen leidigen Verfechtern des lieben Lateins, ehe sie sich ferner die Mühe nehmen, gegen mich etwas zu sagen, erst die Widerlegung der gelehrten D I S S E R T A T I O N , a n , d i e D A N . F R I D . IANUS, DE D O C T O R I B U S V M B R A T I C I S , E O R U M Q U E VARIIS INCOMMODIS IN REPUBLICA

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Vorreden zu P. Bayle, , Wörterbuch'

L I T T E R A R I A zu Wittenberg 1720. 8. herausgegeben; sonderlich aber die derselben angehängte Abhandlung DE N I M I O L A T I N I T A T I S S T U D I O , davon der Verfasser in der Vorrede so schreibt: D I S S E R T A T I O N E M DE N I M I O LATINITATIS S T U D I O , Q U A E AUCTIOR

NUNC & EMENDATIOR

PRODIT,

SEIUNCTAM

A D O C T O R I B U S UMBRATICIS N O L U I M U S ; Q U I A E I U S D E M F E R E A R G U M E N T I EST, AUT CERTE R I D I C U L O S &

SUPERSTITIOSOS

Hierzu füge ich noch den seligen großen Polyhistor unsrer Universität, Johann Burchard Menken, den meine Gegner, so wohl wegen seiner weitläufigen Wissenschaft, als seiner H U M A N I O R U M halber, wenigstens eben so hoch schätzen sollten, als ich. In seinen vortrefflichen Reden DE C H A R L A T A N E R Í A E R U D I T O R U M hat er gewiß den critischen Stolz, und alle damit verknüpfte Fehler nicht vergessen. Auf der 90. Seite der letzten Ausgabe, die 1727. zu Amsterdam, wie der Titel zeigt, aber in der That hier in Leipzig heraus gekommen, (und in welcher ich, auf Begehren dieses berühmten Mannes, damals die Anmerkungen des franzosischen Uebersetzers ins Lateinische übersetzet habe,) zeiget er, wie lächerlich theils Nicolaus Villanus, den Dantes, Petrarcha, Ariost und Tasso, als die besten italienischen Schriftsteller, QUOL A T I N A E L I N G U A E ADMIRATORES INDICAT.

RUM N O M I N I B U S TOTUS PARNASSI C H O R U S ASSURGEBAT, f ü r H E B E T E S , T A R D O S , & R Ü D E S , d.i. für Dummkopfe, träge Geister und unwissende Leute, ausgeschrieen; bloß weil sie mehr in ihrer Muttersprache als im Lateinischen geschrieben: theils, wie Poggius, aus einem solchen lateinischen F U R O R E , den Laur. Valla, F U R I O S U M , F A T U U M , M O N S T R U M , B E L L U A M , I M P I U M , D E T R A C T O R E M , VESANUM u . d . g l . geheißen. Hauptsächlich aber rathe ich die 125ste und folgende Seite zu lesen, wo er anhebt: P R I M A N O B I S P R O D E A T G R A M M A T I C O R U M AC C R I T I C O R U M GENS ASPERA &

FEROX, Q U I

CUM P U E R O S AD VIRGAM O B S E Q U E N T E S H A B U E R E IN S C H O LIS,

NULLI

ERUDITORUM

PARCUNT,

&

IN

IPSUM

ORBEM

R O M A N O R U M G R A E C I A M Q U E UNIVERSAM PRINCIPATUM SIBI 9

Gottsched

X/l

126

Johann

QUENDAM QUAESO

AMBITIÖSE

LITIGIA,

HYPERCRITICIS CESSERIS

&C.

& HL

Christoph VINDICANT

QUANTA

BELLA

Gottsched &C.

&C.

EXORIUNTUR,

ET SI

QUANTA AB

PANTOCRITICIS VEL LATUM UNGUEM NIMIRUM

SUNT

ILLI

CENSORES

ISTIS DIS-

CATUL-

LIANI, QUI VECORDEM SOLENT EXCITARE RIXAM, UT VENIANT

IN ORA VULGI. Ich ubergehe, was p. 137. in der Note, NON LATINUM SATIS VIDETUR, u n d in d e r

EPISTOLA STADELII,

am Ende auf der 246. Seite vorkommt, welches aber meine Gegner selbst nachlesen mögen. Ich will ihnen nur noch sagen, daß sie in meiner Note, beym Artikel Erasmus eine vortreffliche Gelegenheit finden werden, zu sagen, daß ich kein Griechisch kann; weil daselbst ein a für ein e gedruckt worden, und zwar in dem ersten Verse aus der Ilias, welches allerdings ein solcher Schnitzer ist, der gar wohl einen grammatikalischen Krieg werth ist. Noch ein Wort müssen wir unsern Lesern von denen la Crosischen Anmerkungen sagen, deren auf dem Titel dieses andern Bandes Erwähnung geschieht. Was wir vor einem Jahre von der Güte des Herrn Geheimen Raths Jordan, gehoffet haben, das hat derselbe wirklich erfüllet. Er hat nämlich dem Herrn Professor Formey in Berlin, der sich uns zu gefallen, diese Mühe selber nehmen wollen, gütigst erlaubet, diejenigen Anmerkungen abzuschreiben, die der selige la Croze, ein so gelehrter als berühmter Mann, seinem Exemplare des baylischen Wörterbuches beygefüget hatte. Wir statten hiermit diesen beyden gelehrten Mannern den gebührenden Dank öffentlich ab, und sind versichert, daß auch durch dieselben dieser unser deutscher Bayle einen besondern Vorzug erhalten wird. Weil wir aber diese Zusätze allererst zu einer Zeit erhalten haben, da auch von diesem zweyten Bande schon sehr viel abgedruckt war: so haben wir uns genothiget gesehen, die zu den beyden ersten Banden gehörigen Anmerkungen auf einzelne Bogen abdrucken zu lassen, damit sie am Ende derselben, als ein Anhang, oder gleich nach den Vorreden gebunden werden

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können, wo sie noch mehr in die Augen fallen. In dem nächstfolgenden Bande, darinnen viele Artikel vorkommen werden, darüber H e r r von Leibnitz gelehrte Erinnerungen gemacht, werden wir nicht unterlassen, auch diese hin und wieder mit einzustreuen, und also auch die gefahrlichen 5 Stellen desselben, durch eines so großen Mannes Widerlegungen, desto unschädlicher, und das Werk selbst desto nutzbarer zu machen. Der geneigte Leser aber lebe wohl, und brauche dieses Werk zu seinem N u t z e n .

9"

Vorrede des (dritten Bandes). B e y der Herausgabe dieses dritten Theiles kann man den geneigten Leser zuforderst versichern, daß man sich dabey eben die Mühe gegeben, als bey den vorigen. Außer dem gewöhnlichen Uebersetzer, der das allermeiste des ganzen Worterbuchs verdeutschet, haben an diesem Theile noch ein Paar andre geschickte Federn Theil genommen, die etliche Duernen davon mit allem möglichen Fleiße verdollmetschet haben. An der genauen Aufsicht und Ausbesserung des übersetzten Manuscripts hat es auch nicht gefehlet: denn man hat kein Blatt, ja keine Zeile davon in die Druckerey gegeben, die nicht vorher aufs sorgfaltigste mit dem Originale zusammen gehalten, und darnach verbessert, oder wo etwas übersehen und ausgelassen war, ergänzet worden. So gar diejenige Zeit, da ich, als Abgeordneter der hiesigen loblichen Universität, auf den allgemeinen sachsischen Landtag, in Dresden mich befunden, ist hiervon nicht ausgenommen gewesen: indem ich auch daselbst meine Nebenstunden, sechs bis sieben Wochen lang, mit dieser Arbeit zugebracht. Die einzige Aufsicht über den Abdruck der Bogen, die ich sonst auch eines Theils zu haben pflege, ist mir in solcher Entfernung nicht möglich gewesen. Ich hatte sie aber einem in allen Stücken, die dazu gehören, so geschickten Manne aufgetragen, daß ich zweifle, ob der geneigte Leser zwischen denjenigen Bogen, die ich selbst ausbessern geholfen, und zwischen denen, die derselbe mit übersehen hat, einen Unterscheid anmerken wird. In der Vorrede des letzten Theils behalte ich mirs vor, alle diese Gehülfen an dieser

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Christoph

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Arbeit namentlich zu melden, und sie alle, den Theil von der Ehre genießen zu lassen, die eine so mühsame und beschwerliche Arbeit einem Gelehrten bringen kann. Ferner habe ich dem geneigten Leser von den leibnitzischen Anmerkungen Rechenschaft zu geben, die der Titel dieses Theils, nebst den la crosischen ankündiget. Man kann denen, die unser baylisches Worterbuch für ein gefahrliches Buch ausgeben, ohne Umschweif zugestehen, daß wofern selbiges etwas gefahrliches enthält, gewiß dieser dritte Band das meiste und schlimmste in sich halte. Denn andrer Artikel in den ersten Buchstaben desselben zu geschweigen; so ist ja nichts bekannter, als daß die Artikel Manes, Marcion, Origenes, Paulicianer, Pyrrho, und Prudentius, die allerbedenklichsten Stellen in sich fassen, die so viele gelehrte Männer wider den Verfasser in Harnisch gebracht haben. Die Einwürfe, die Herr Bayle gewissen alten Ketzern in den Mund gelegt, und die Schwäche, die er in den Antworten finden wollen, die ihnen von den Kirchenvätern und andern neuen Schriftgelehrten gegeben worden; sind den meisten so fürchterlich und schädlich vorgekommen, daß sie theils vor dem Lesen derselben gewarnet, theils selbst die Feder angesetzet haben, den Ungrund derselben zu zeigen. Man kann ein großes Register von den Scribenten verfertigen, die auf solche Art wider Baylen zu Felde gezogen; doch kann man mit gutem Grunde sagen, daß King, le Clerc, Jaquelot und Bernard von Ausländern, von unsern Landsleuten aber der berühmte Herr Kanzler Pfaff, der selige Buddeus, und Herr von Leibnitz die vornehmsten gewesen, die sich in dieses Feld gewaget haben. Ein jeder von diesen gelehrten Männern hat, nach dem Maaße und der Art seiner Einsicht, alle seine Kräfte angewandt, die natürliche und geoffenbarte Religion zu schützen, und die Waffen ihrer Gegner stumpf zu machen und zu entkräften gesucht. Nun spreche ich zwar keinem von denselben seine Verdienste in diesem Stücke ab. Sie haben durchgehends viel

Vorreden

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Gelehrsamkeit und Einsicht, viel Eifer und gute Absicht an sich blicken lassen: und die Kirche ist ihnen allerseits vielen Dank schuldig. Allein wenn ich doch mit aller Bescheidenheit mein weniges Gutachten sagen darf; so haben mir allemal die Antworten des Herrn von Leibnitz auf die bayrischen Einwürfe, die meiste Ueberzeugung gegeben. Ich will hiermit nichts mehr sagen, als was ich bey mir selbst empfunden habe: und also mein Urtheil weder für untrüglich ausgeben, noch sonst jemanden, der eine bessere Einsicht hat, aufdringen. Wie man aber zu denen Arzneymitteln, die einem selbst in einer Krankheit geholfen haben, insgemein das beste Vertrauen hat, und sie seinen Freunden, die ein gleiches Uebel empfinden, am ersten und liebsten vorzuschlagen und anzurathen pflegt: also habe ich auch bey den Zweifeln gegen die Religion, die für nichts anders, als fürGemüthskrankheiten anzusehen sind,eben das gethan. Denn ich kann es wohl ohne Bedenken gestehen, daß mich schon vor vier bis fünf und zwanzig Jahren, als ich die Hörsäle der Gottesgelehrten mit Eifer besuchte, ihre Disputirstunden fleißig abwartete, und allerley Bücher, die mir vorgeschlagen wurden, nachlas, noch ehe ich etwas von Baylens Schriften gelesen, vielerley Zweifel angefochten, die mir, meiner Meynung nach, von niemanden recht aufgeloset wurden. Mitten in diesen Zweifeln fand ich bey dem sei. Professor Blasing, bey dem ich die Mathematik h&rte, und der auch in philosophischen und theologischen Dingen eine tiefe Einsicht mit einer besondern Bescheidenheit verband, einmal die leibnitzische Theodicee, darinn er selbst gelesen hatte, auf seinem Tische liegen. Sogleich rührte mich der Titel dieses Buches, welches von der G ü t e Gottes, vom Ursprünge des Bosen, und der Freyheit des Menschen zu handeln versprach: und ich schöpfte schon daraus, daß dieser gelehrte Mann, gegen den ein jeder, der ihn kannte, eine besondere Hochachtung hatte, dieses Buch las, das unsträfliche Vorurtheil: Es müßte gewiß ein merkwürdiges und wohl-

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geschriebenes Buch seyn, das sich die Aufmerksamkeit eines so tiefsinnigen und alten Gelehrten erwerben könnte. Ich schaffte mir selbiges aufs schleunigste an, und las es mit einem unbeschreiblichen Vergnügen: weil ich nicht nur alle die Zweifel, die mich beunruhiget hatten, darinnen vorgetragen, sondern auch auf eine weit grundlichere Art beantwortet fand, als ich jemals für möglich gehalten, oder zu finden vermuthet hatte. Hier lernte ich die Schwache der Schwierigkeiten einsehen, die mir, sowohl als Baylen, unauflöslich geschienen hatten. Hier begriff ich, daß die Große Gottes sowohl, als seine Güte und Gerechtigkeit, ohne Tadel bleiben, wenn man seine höchste Weisheit recht einsieht. Hier sah ich endlich, daß es nichts, als ein feiner Anthropomorphismus sey, wenn sich die Menschen unterfangen, von Gott nach denjenigen Regeln zu urtheilen, wornach man Vater und Mütter, ja kleine Fürsten zu beurtheilen pflegt. Hauptsachlich aber lernte ich die despotischen Ideen gewisser Leute verabscheuen, die sich entweder einbilden, Gott handle mit seinen Geschöpfen nach einer willkührlichen und unumschränkten Macht; oder doch begehren, er solle dieselbe nur mit einer unbedingten, unüberlegten und unermeßlichen Güte verbinden, um alle seine Creaturen in gleichem Grade glücklich zu machen; so unfähig und unwürdig sie einer solchen unbeschrankten Seligkeit auch seyn möchten. Und da sonderlich Bayle in diesen letzten Begriffen ganz ersoffen gewesen, und daraus fast alle Einwürfe wider die gottliche Güte hergenommen; ohne daran zu gedenken, daß Gott, neben der höchsten Macht und Güte, auch eine unendliche Weisheit besitze, die ihn nicht alles thun lasse, was er wollte und könnte, sondern alle sein Bezeigen zu den vollkommensten Absichten lenke: so habe ich allezeit dafür gehalten, daß wider die baylischen Zweifel und Einwürfe kein besseres Gegengift gefunden werden könne, als die leibnitzische Theodicee, wenn sie mit der gehörigen Aufmerksamkeit und im ganzen Zusammenhange gelesen wird.

Vorreden zu P. Bayle, , Wörterbuch'

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Es ist auch nichts naturlicher, als dieses, da es bekannt ist, daß der gelehrte Freyherr von Leibnitz dieses Buch, auf Begehren einer so großen als scharfsinnigen Prinzessinn, bloß in der Absicht geschrieben, die Güte und Gerechtigkeit Gottes gegen die baylischen Einwürfe zu schützen. Es ist merkwürdig, daß die erste Königinn von Preußen, Sophia Charlotte, Friedrichs des Weisen preiswürdige Gemahlinn, in ihren Zimmern allen Wissenschaften und freyen Künsten einen Zutritt erlaubet, und so leicht und oft von gründlichen Gelehrten, als von Standespersonen umringet gewesen. Das baylische Worterbuch, welches damals noch, als etwas neues, mehr Aufsehen machte, hatte denn auch in diesen scharfsinnigen Unterredungen so manchen Anlaß zu tiefen Untersuchungen gegeben: und Herr von Leibnitz war einer von denen gewesen, dessen Antworten auf die baylischen Zweifel am gründlichsten zu seyn geschienen hatten; so viel nämlich ein unstudirter mündlicher Vortrag ihnen einiges Gewicht beyzulegen im Stande gewesen. Doch da seine Wahrheiten mehr Zusammenhang hatten, als ein bloßes Gesprach zeigen und erklaren konnte: so ward ein schriftlicher Aufsatz von ihm verlanget; darinnen er seine Gedanken zur Vertheidigung der natürlichen und geoffenbarten Religion ausführlicher entdecken konnte. Glückselige Zeiten! wo auch die Hofe großer Herren, sowohl ein Sitz der Weisheit, als der Majestat sind; und w o auch die größten Prinzessinnen gelehrten Männern einen Antrieb geben, durch tiefsinnige Untersuchungen, der Wahrheit zu statten zu kommen. Nichts ist mehr zu bedauren, als daß weder diese preiswürdige Königinn, noch Bayle selbst, die wirkliche Ausgabe der Theodicee erlebet hat. Jene starb 1705, und Bayle folgte ihr vier Jahre hernach in die Ewigkeit; w o ers ohne Zweifel sehr bereuet haben wird, daß er sowohl in ihrem, als tausend andern Geistern, unnöthige Zweifel und Schwierigkeiten erreget hat. Im 1710 Jahre aber trat erst das oftgedachte leibnitzische Meisterstück ans Licht, welchem Bayle selbst, nach

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Christoph

Gottsched

seiner Unparteylichkeit, unfehlbar das größte Lob wurde beygeleget haben, wenn er ein einziges Jahr länger gelebet hatte. Bey diesen in der Wahrheit der Sachen gegründeten Gedanken, habe ich mich neulich überaus wundern müssen, als ein gelehrter Mann in Berlin, uns in einer öffentlichen Schrift einen ganz andern Character von dem Herrn von Leibnitz geben wollen. Ich rede hier von dem Herrn Des Champs, der uns nur am Ende des vorigen Jahres, (obgleich der Titel 1743 zeiget) den C O U R S ABRÉGÉ DE LA PHILOSOPHIE W O L F I E N N E , EN FORME DE LETTRES T. I. geliefert hat. Es ist mein Werk nicht, diesen Auszug der Wolfischen Philosophie zu tadeln: vielmehr gestehe ich seiner Arbeit alles das Lob zu, das sie sich bey Kennern erworben hat. Ich will nur bey dem Charactere etwas erinnern, den der Verfasser uns von Leibnitzen gegeben hat. Gleich in dem ersten Schreiben giebt er demselben die prachtigsten Lobsprüche, die man wünschen oder vermuthen kann: C E GENIE SUPÉRIEUR, heißt es, ÉTOIT DOUÉ D'UNE PÉNÉTRATION PRESQU'AU DESSUS

DE

L'HUMAINE;

JAMAIS

HOMME

N'EUT

DE

PLUS

Das ist: Dieser erhabene Geist war mit einer fast übermenschlichen Einsicht begabt; und noch niemals hat sich ein Mensch größere Absichten vorgesetzt u . s . f . So wenig ich hierbey zu erinnern habe, so sehr haben mich die folgenden Worte in Verwunderung gesetzt, darinnen er eine Aehnlichkeit zwischen Leibnitzen und Baylen zu finden vermeynet. J ' A I TOUJOURS REGARDÉ, schreibt er auf derselben und folgenden Seite, COMME UNE SINGULARITÉ GRANDES VÜES.

ÉTONNANTE,

QUE

LUI,

(LEIBNIZ)

ET M R .

BAYLE

AIENT

ÉTÉ CONTEMPORAINS. P L U S JE LES COMPARE, ET PLUS JE LEUR TROUVE DE CONFORMITÉ. M R . BAYLE UN DES PLUS BEAUX

ET DES

PLUS

GRANDS

DANS LA REPUBLIQUE AIGRI

CONTRE

LES

GENIES,

DES LETTRES,

THEOLOGIENS,

QUI

AIENT

PARU

MALHEUREUSEMENT ENTREPRIT

DE

LES

CONVAINCRE D'IGNORANCE ET D'ERREUR; ET DE LÀ NOUS

Vorreden EST

VENU

CE

135

zu P. Bayle, , Wörterbuch'

FAMEUX

DICTIONNAIRE,

LA

TERREUR

T H E O L O G I E N S À S Y S T È M E S , ET OÙ C E R T A I N E M E N T ,

DES

IL Y A

DES D I F F I C U L T É S ET DES RAISONNEMENS Q U I E P O U V A N T E N T .

Daß Leibnitz und Bayle zu einer Zeit in der Welt gelebet haben, sehe ich zwar ebenfalls fur etwas besonders an, aber aus einer ganz andern Ursache, als der Herr Verfasser. Ich erkenne die Wege der göttlichen Vorsehung darinnen, die den verblendenden Einwürfen und scheinbaren Zweifeln eines so scharfsinnigen Kopfes, als Bayle war, auch einen so tiefsinnigen und gründlichen Geist, als Leibnitz war, zugeordnet und entgegen gestellet; der die von jenem angegriffene Ehre der Gottheit schützen, und in alle ihre Rechte wieder herstellen können. Ferner überlasse ich es dem Herrn Verfasser, zu beweisen, ob Bayle sein Wörterbuch nur den Gottesgelehrten zum Possen geschrieben. Weder die Nachrichten, die uns Herr Des Maizeaux davon gegeben, noch das Lesen dieses Buches selbst, haben mich darauf gebracht, solches zu glauben. Nun ist es zwar wahr, daß verschiedene Artikel den systematischen Theologen schlecht gefallen können; allein da ihre Zahl sich über zehn bis fünfzehn nicht erstrecket, so getraue ich mir nicht zu sagen, Bayle habe ein Werk von drey bis vier Folianten bloß diesen fünfzehn Artikeln zu gut geschrieben. Ich glaube auch nicht, daß man eben vor den baylischen Vernunftschlüssen zu erstaunen Ursache habe. Dieses würde meines Erachtens nur geschehen müssen, wenn man ihm nichts gründliches zu antworten wüßte; welches vermuthlich der Herr Verfasser nicht wird sagen wollen. JUSQUES ICI, (so lautet die F o r t s e t z u n g ) PERSONNE N'A E N C O R E PRIS LA DEFENSE D E LA T H E O L O G I E C O N T R E

MR.

B A Y L E , EN DONNANT UN S Y S T E M E SATISFAISANT, B I E N L I É ET I N C O N T E S T A B L E . I L FAUT C R O I R E , Q U E LA P R O V I D E N C E P E R M E T AINSI, P O U R

HUMILIER NOTRE RAISON,

ET

LE

POUR

ÉPROUVER NOTRE F o i . ESPERONS POURTANT, QU'ELLE DONNERA ENFIN AU M O N D E UN T H E O L O G I E N E X C E L L E N T , P O U R

136

Johann

Christoph

Gottsched

C O N T R E P O I S O N Ä B A Y L E ; COMME ELLE VIENT DE DONNER UN P H I L O S O P H E EXCELLENT, P O U R SUCCESSEUR Ä L E I B N I Z , DANS LA PERSONNE DE M R . W O L F .

Wer die Gelehrsamkeit und Belesenheit des Herrn Verfassers nicht kennete, der sollte über den Anfang dieser Worte erstaunen: daß demselben so viele Schriften unbekannt seyn könnten, die zur Vertheidigung der Gottesgelahrheit wider Herrn Baylen herausgekommen. Wie? würde man sprechen: Ist denn einem französischen Geistlichen, und zwar in Berlin, wenigstens der berühmte Jaquelot nicht bekannt, der das bekannte EXAMEN DE LA THEOLOGIE DE MONSIEUR BAYLE geschrieben hat? Andrer seiner Schriften, und andrer Gelehrten ihrer, voritzo nicht zu gedenken. Allein, wir wollen so unbillig nicht seyn, ihm diese Kenntniß abzusprechen. Wir sehen es aus den folgenden Worten, daß er von einer solchen Vertheidigung der Gottesgelahrheit redet, die durch ein zureichendes, wohlverbundenes und unwidersprechliches Lehrgebäude geschehen konnte. Und hier kann man dem gelehrten Herrn Verfasser gewisser maßen Recht geben, indem wenigstens im Französischen dieser sein Wunsch noch nicht erfüllet worden. Ich kenne zwar des Herrn Pictets theologisches Lehrbuch; allein er wird auch Grund haben, wenn er demselben die Eigenschaften die er gefordert hat, abspricht. Ueberhaupt ist es der französischen Nation nicht sehr gegeben, systematische, und scharfverknüpfte Lehrgebäude anfzuführen: wie man an der cartesianischen Philosophie gesehen hat, davon die Deutschen, als z . E . Clauberg und a . m . bessere Lehrgebäude geschrieben haben, als der Erfinder selbst mit seinen Landesleuten. Allein dieser Mangel eines theologischen wohl zusammenhangenden Lehrbuches, ist theils in unsrer evangelischen, theils selbst in der reformirten Kirche bereits ziemlich verschwunden, seitdem theils der gründlich gelehrte Professor und Superint. zu Göttingen, Herr D . Ribov, theils der berühmte Rector zu Weimar, Herr M . Carpov,

Vorreden zu P. Bayle,

137

,Wörterbuch'

theils ein tiefsinniger Prediger zu Bern, Herr Wyttenbach, ihre theologischen Lehrbücher ans Licht gestellet. Man darf also nicht mehr im Zweifel stehen, daß Gott seiner Kirche es an einem Lichte werde fehlen lassen, welches ihr so nöthig ist: wenn nur die Lehrer derselben sich nicht den sceptischen Grundsätzen, die ihnen Bayle so angenehm gemacht hat, muthwillig überlassen wollen. Wenigstens aber kann man mit Grunde der Wahrheit behaupten, daß Gott durch des Herrn von Leibnitz vortreffliche Theodicee, einem gründlichen Lehrer des Glaubens, alles nöthige dargebothen hat, womit er die baylischen Einwürfe glücklich wird bestreiten können. Sonderlich hält seine CAUSSA DEI, ASSERTA PER IUSTITIAM EIUS, so kurz als sie ist, den fruchtbaren Samen zu einem ganzen Lehrbuche in sich, daraus alle Schwierigkeiten der Manichâer u . a . m . ganz wegfallen wurden. C E T T E REFLEXION ME RAMÈNE À M R .

DE L E I B N I Z ,

(so

fahrt Herr DES CHAMPS fort) IL EUT UN MERVEILLEUX TALENT POUR DECOUVRIR

LE FAUX, LE F O I B L E ,

L'INCER-

TAIN. I L ÉTOIT PRESQUE DIVIN, POUR ENTREVOIR DE L ' I M PERFECTION

DANS

LES

CHOSES

LES

PLUS

ACHEVÉES

EN

APPARENCE. M A I S IL NE SAVOIT POINT, OU PRESQUE POINT, CONDUIRE UN O U V R A G E À SA PERFECTION.

Ich gestehe es, daß ich in diesen Worten, gleich in dem Namen einen Druckfehler vermuthete, und dafür hielt, es hatte Herr Bayle an Leibnitzens Stelle stehen sollen. Denn dieser Character eines zum Einreißen, aber nicht zum Aufbauen geschickten Mannes ist, so viel mir wissend ist, noch von niemanden dem Herrn von Leibnitz beygeleget worden. Ich kann es also nicht begreifen, wie der Herr Verfasser, der es doch, wie ich aus allem sehe, mit diesem großen Manne nicht übel meynet, auf diese Vorstellung von ihm gerathen können. In Wahrheit, da ich mich rühmen kann, fast alles gelesen zu haben, was Herr von Leibnitz von philosophischen und theologischen, ja auch mathematischen Sachen geschrieben: so kann ich es unmöglich gestehen, daß ich

138

Jobann

Christoph

Gottsched

diese Neigung zum Entdecken der Fehler, und zur Beförderung des Scepticismus wahrgenommen hätte. Niemand hingegen ist mir geneigter vorgekommen, als er, das, was andre gesagt, zu bestarken, zu verbessern, und sich, in Ausfuhrung großer Absichten zur Nutze zu machen. Sein Kopf war, so zu reden, ganz systematisch. Er sah Uebereinstimmung und Zusammenhang, wo andere sie nicht finden konnten; und in seinem weitlauftigen Erkenntnisse verknüpfte er auch solche Satze, die andern bisweilen als widersprechend vorkamen. Ich berufe mich auf alle seine Schriften, sonderlich auf die Theodicee. Hier bemüht er sich durchgehends, die eingeführte Lehre der evangelischen Kirche zu bestätigen, von Einwürfen zu retten, und in volle Sicherheit zu stellen; nicht aber Zweifel auf die Bahn zu bringen, Fehler und Schwächen zu entdecken. Mit einem Worte, Herr Des Champs hat entweder, aus Liebe zum Bayle, ihm an Leibnitzen einen Gefährten von gleicher Gemüthsart geben; oder vielleicht dem Nachfolger des letztern dadurch eine große Ueberwicht der Verdienste beylegen wollen, daß er uns Leibnitzen als einen großen Zweifler und Verstörer der Lehrgebäude vorgestellet. Allein man müßte sich sehr irren, wenn man nach Durchlesung bey der Schriften nicht finden sollte, daß Leibnitz und sein großer Nachfolger einerley Systema im Kopfe gehabt: ob sie es gleich auf verschiedene Weise vorgetragen. Der erste, da er auf keiner hohen Schule lehrete, trug es nur stückweise und exoterisch vor, wie es die Gelegenheit in verschiedenen Absichten mitbrachte. Der andre aber, da er sich der akademischen Vorlesungen wegen, auf einen zusammenhangenden Vortrag befleißen müssen, hat alles systematisch, zusammenhangend und akroamatisch vorgetragen; viele Lücken ausgefüllet, und unzahlige Wahrheiten hingesetzet, die als gute Folgerungen aus dem vorigen geschlossen werden konnten. Daraus folget aber gar nicht, daß der erste zum Einreißen und Zweifelmachung geneigt gewesen.

Vorreden

zu P. Bayle,

139

Wörterbuch'

Hieraus werden nun auch die folgenden W o r t e ihren Bescheid b e k o m m e n , wenn der H e r r Verfasser schreibt: SON VASTE GENIE EMBRASSANT T R O P D'OBJETS Ä LA FOIS, NE LUI P E R M E T T O I T PAS DE LES ENVISAGER ASSEZ FIXEMENT, EN FAIRE UN T O U T ET UN COMPOSE BIEN SOLIDE. Ä

N'ETUDIER

QUE

LES

OPINIONS

DE

MR.

POUR ALNSI,

LEIBNIZ,

ON

DEVIENDROIT AISEMENT P Y R R H O N I E N : DU MOINS LE SEROIT ON SUR BIEN DES ARTICLES OÜ IL NE NOUS Ä LAISTE

QUE

DES DOUTES.

Hier ist der H e r r Verfasser mit der Sprache noch deutlicher herausgegangen. Er meynet, H e r r von Leibnitz habe gar zu viele Sachen auf einmal unternommen, und daher keine scharf genug betrachten können. Auf das erste dienet zur Antwort, daß ein M a n n , der über 70 J a h r e , in einem gemachlichen A m t e , welches ihn zu keinen ordentlichen Geschaffte verbindet, im ehelosen Stande, ohne alle hausliche Sorgen oder Familienhindernisse, allezeit dem Studieren obliegt, dabey aber mit einer besondern Fähigkeit des Geistes schon in früher Jugend die schwersten Wissenschaften begriffen; daß, sage ich, ein solcher Mann sehr viele Wissenschaft erlangen könne, ohne sich zu überhäufen, oder zu verwirren. D e r H e r r von Fontenelle vergleicht ihn daher, in seiner Lobschrift auf denselben, den alten Helden, die in einem Siegesgeprange vier Pferde neben einander zu regieren wußten; indem er alle Wissenschaften zugleich in seiner G e walt gehabt, und so zu reden mit gleichen Schritten vor sich her getrieben. Weit gefehlt aber, daß ihm dadurch an Einsicht und Gründlichkeit, in jede besonders, etwas abgegangen wäre; so hatte man vielmehr in Lesung seiner mathematischen, historischen, philosophischen, theologischen, juristischen und philologischen Schriften beynahe wetten sollen, daß er ein bloßer Mathematicus, ein bloßer Geschichtkundiger, ein bloßer Weltweiser u . s . w . wäre, und sein Lebenlang nichts anders getrieben hatte. Es ist auch so weit gefehlt, daß die Lesung seiner Schriften, Pyrrhonier zu machen, ge-

140

Johann

Christoph

Gottsched

schickt wäre, daß sie mich vielmehr, ehe noch die wolfische Metaphysik herausgewesen, aus allen meinen Zweifeln herausgerissen, die mir weder die aristotelischen, cartesianischen und lockischen, noch des le Clerc, Thomasius und Buddeus philosophische Schriften hatten auflosen können. Endlich schließt der gelehrte Herr Des Champs, mit einem Lobspruche, den Leibnitz allerdings verdient: TEL FUT LE GRAND LEIBNIZ, LA G L O I R E DE L ' A L L E M A G N E ,

LE

C E N S E U R DES DEUX PLUS FAMEUX P H I L O S O P H E S DU M O N D E , ARISTOTE

ET D E S - C A R T E S ,

ET L ' E M U L E

DE

L'ADMIRABLE

NEUTON. Wir geben ihm hierinn vollkommen recht: nur was das letzte betrifft, daß er ein Nacheiferer Neutons gewesen, muß man eine Einschränkung hinzusetzen; was nämlich einige mathematische Wissenschaften betrifft. Hierinnen kann man allerdings dem Englander einen Vorzug einräumen; indem Leibnitz in der Astronomie, Optik und mathematischen Physik solche Erfindungen nicht ans Licht gebracht. Allein in allen andern Stücken ist unser großer Leibnitz kein Nacheiferer, sondern ein großer Obermeister Neutons gewesen. Doch ich darf dieses nicht ausfuhren, seitdem der gelehrte Herr Prof. Kahl in der gründlichen A n t w o r t , a u f d i e v o l t a i r i s c h e M E T A P H Y S I Q U E DE N E W T O N ,

genugsam gewiesen, daß dieser sonst große Mann gar kein Metaphysicus gewesen. Der Theologie, Historie, Philologie, Mechanik, Rechtsgelehrsamkeit u . a . m . itzo nicht zu gedenken. Dieses alles habe ich anzuführen für nöthig erachtet, da ich die Ursache anzeigen wollen, warum ich in den anstoßigsten Artikeln dieses III Bandes sehr viele Stellen aus der leibnitzischen Theodicee eingerücket, den scheinbaren Einwürfen des scharfsinnigen Bayle dadurch ein Gnügen zu thun. Hatte ich was bessers gewußt, demselben ihre Kraft zu benehmen: so würde ich kein Bedenken getragen haben, auch dasselbe anzuführen. Indessen habe ich zuweilen nur abgebrochene Stellen anführen können, weil es zu weitlauf-

Vorreden zu P. Bayle, , Wörterbuch'

141

tig gefallen seyn würde, alles einzurücken. Wer auch den ganzen Zusammenhang des leibnitzischen Lehrgebäudes einsehen will, der muß die ganze Theodicee mit Bedacht lesen. Ich werde zufrieden seyn, wenn die angeführten Stellen meinen Lesern eine Lust und Begierde dazu machen; und wenn sie aus diesen kleinen Stücken, wie jener aus der großen Zehe des olympischen Jupiters, die Große des Ganzen schließen werden. Und ich bin gewiß versichert, daß einsehende Gemüther, bey einigen derselben, über die tiefe Einsicht, und erhabenen Begriffe von Gott und seinen Eigenschaften, die darinnen herrschen, erstaunen werden:, zumal wenn sie auch die besondre Ehrfurcht und Erniedrigung bemerken werden, womit ein so vollkommnes Geschöpfe allezeit seinen Schopfer zu verherrlichen gesucht. Indessen habe ich auch hin und wieder bey Stellen, wovon ich nicht ausdrückliche und kurzgefaßte Antworten in der Theodicee finden konnte, selbst aus leibnitzischen Grundsätzen einige Antworten gegeben; die den Ungrund seiner Zweifel, wo nicht vollkommen aufdecken, doch einigermaßen anzeigen werden. Es hatten sich bey manchen Gelegenheiten wohl ganze Dissertationen schreiben lassen, wenn Zeit und Raum solches erlaubet hatten. Ich muß aber zufrieden seyn, daß ich, zumal diesen Winter, bey den öffentlichen Geschafften des akademischen Rectorats und andern ordentlichen Arbeiten, noch so viel Zeit erübern können, als zu diesen wenigen Anmerkungen gehöret hat. Habe ich nun dadurch dieses Worterbuch nur in etwas unanstoßiger und unschädlicher gemacht; habe ich dadurch nur Gelegenheit gegeben, weiter nachzudenken, und den nichtigen Schein der manichaischen Zweifel zu entdecken, so werde ich mich für vollkommen belohnet halten. Denn daß ich es allen Lesern recht gemacht haben sollte, das kann ich, weder aus Erkenntniß der so verschiedenen Gemüthsart und Einsicht bey denselben; noch aus dem eigenen Bewußtseyn meiner wenigen Kräfte, vermuthen. Ein jeder IC Gottsched X. I

142

Johann Christoph Gottsched

arbeitet nach seinem Vermögen, an Beförderung der gemeinschaftlichen Glückseligkeit; und ein Gelehrter sonderlich, an Ausbreitung der Wahrheit und Tugend. So lange ich mir nun solcher unsträflichen und ernstlichen Absicht bewußt 5 bin, und die Frucht davon bey vielen spuren kann, werde ich mich durch keine widrige Urtheile abhalten lassen, das Gute nach meiner Ueberzeugung zu thun. Z u Streitschriften bin ich nicht gebohren: und meine Zeit ist viel zu edel, als daß ich sie mit Arbeiten verderben sollte, die mich nur an etwas 10 besserm hindern wurden. Hiermit empfehle ich mich dem geneigten Leser, und mache ihm die H o f f n u n g , daß er vielleicht ehestens eine verbesserte Ausgabe der leibnitzischen deutschen Theodicee wird zu sehen bekommen.

i5

Geschrieben an der Ostermesse 1 7 4 3.

Vorrede zum vierten und letzten Theile des Baylischen Worterbuchs. Endlich liefert der Herr Verleger zu gesetzter Zeit auch den letzten Band dieses historischcritischen Wörterbuches, und halt also sein gegebenes Wort, ohne alle Ausnahme. Indem ich also auch diesenTheil einer beschwerlichen Arbeit mit zum Ende bringen helfen: so habe ich dem geneigten Leser noch eins und das andre zu melden, das theils zu seiner Nachricht, theils zu unserer Entschuldigung dienen wird. Fürs erste nun, ist man bey diesem Bande in keinem Stücke nachläßiger oder unachtsamer gewesen, als bey den drey ersten. Jeder übersetzte Bogen ist, ehe er in den Druck gegeben worden, erstlich genau mit dem Grundtexte verglichen, und was etwa im Deutschen aus Versehen übergangen, oder nicht mit gehöriger Richtigkeit getroffen war, aufs sorgfaltigste ergänzet und ausgebessert worden. Sodann habe ich nach der ersten Ausbesserung jedes gedruckten Bogens ihn nochmals mit dem franzosischen, insonderheit was die Namen, Anführungen und Zahlen betrifft, zusammengehalten; damit hierinn, als in einem der wichtigsten Stücke eines solchen Wörterbuches, soviel möglich ist, alle Fehler vermieden werden mochten. Ich lebe auch der Hoffnung, daß billige Leser diese Aufmerksamkeit mir desto mehr Dank wissen werden; da sie sich auf diese Anführungen der deutschen Ausgabe, eben so sicher, als auf die franzosischen werden verlassen können. 10:1

144

Johann Christoph

Gottsched

Zweytens werden die Anmerkungen, die in den vorigen Bänden hin und her, aus dem Herrn von Leibnitz, Herrn la Croze, und der BIBLIOTH. FRANÇOISE eingestreuet worden, auch in diesem Bande hin und wieder anzutreffen seyn. Sonderlich habe ich in dem Artikel Rorarius, die ausführliche Antwort des erstem, auf die von dem Herrn Bayle vorgebrachten Einwürfe, wider seine vorherbestimmte Harmonie eingeschaltet. Es ist ein Vergnügen, zu sehen, wie ein Paar gelehrte und berühmte M i n n e r , mit so vieler Höflichkeit einen Streit führen, der nicht aus eitler R u h m begierde, sondern in der Absicht eine gründliche Einsicht und Wissenschaft zu befördern, entstanden ist. Bin ich nun gleich selbst der vorherbestimmten Harmonie nicht zugethan: so habe ich doch geglaubt, daß es neugierigen Lesern, die von einer Frage die soviel Aufsehens gemacht hat, gerne von beyder Theyle Meynungen unterrichtet seyn wollen, nicht unangenehm seyn wurde, dasjenige gleich beygedruckt zu finden, was der Erfinder dieses neuen Lehrgebäudes zu seiner Vertheidigung vorgebracht hat. J a man wird es vielleicht mit mir bedauren, daß Herr Bayle nicht noch die letzten Antworten des Hern von Leibnitz zu lesen bekommen; und seine Erklärungen dagegen zu Papier bringen können. Ohne Zweifel würden wir noch verschiedene scharfsinnige Untersuchungen zu lesen bekommen haben. Was drittens meine eigenen Anmerkungen betrifft: so habe ich mich zu denselben nicht öfter gedrungen, als in den vorigen Bänden geschehen; wiewohl es mir an Gelegenheiten nicht gefehlet hatte, wenigstens noch einmal so viele anzubringen. Ich mußte ohne dieß schon besorgen, daß einige scharfsinnige Leser, die mich an Gelehrsamkeit und Belesenheit weit übertreffen, verschiedene von denen, die ich hin und wieder eingestreuet habe, entweder für uberflußig, oder doch fur unerheblich halten würden. Indessen ist dieß Buch nicht nur fur Gelehrte vom ersten Range, sondern auch fur mittelmaßige Leser bestimmet, die nicht alle-

Vorreden zu P. Bayle,

,Wörterbuch'

145

mal alles wissen: und es wird mir also eben die Entschuldigung zu statten kommen, womit sich Bayle selbst am Ende des Wörterbuchs, gegen verschiedene Urtheile seiner Gegner vertheidiget hat. So sparsam ich indessen überhaupt mit meinen Zusätzen gewesen bin, so freygebig bin ich damit bey einigen gewesen, die mir einer beständigen Begleitung nothig zu haben geschienen, wenn man unvorsichtige Leser nicht in die augenscheinliche Gefahr stürzen wollen, zu straucheln, und in schädliche Irrthümer zu gerathen. Sonderlich ist hier der Artikel Z e n o zu verstehen, darinnen H e r r Bayle es f ü r gut befunden, fast seinen ganzen sceptischen Kram auszuschütten, und seine Leser in die größte Verwirrung zu setzen, die ihm nur möglich gewesen. Zwar betrifft selbiger Artikel nicht etwa Puñete der geoffenbarten oder natürlichen Religion; sondern nur überhaupt die Gewißheit der menschlichen Erkenntniß, und zwar so wohl der vernünftigen als der sinnlichen. Dieses mochte nun einigen, die nicht so scharf in die Folgerungen gewisser Lehrsätze einzudringen pflegen, als eine gleichgültige Sache vorkommen, darinn man ja einem jeden Weltweisen seine Meynung gar wohl lassen konnte. Allein wer etwas weiter sieht, der wird eine so ungebundne Zweifelsucht, die alles, auch das allergewisseste Erkenntniß als ungewiß, widersprechend, und ungegründet vorzustellen bemühet ist, unmöglich so gelinde beurtheilen können. Wer mir die Gewißheit der Sinne, und der allgemeinsten Grundsätze der Vernunft übern häufen zu werfen, oder mich darinn irre zu machen suchet; der will mich auch um die Religionswahrheiten bringen: er mag auch gleich das Gegentheil noch so theuer versichern, ja mit einem Eide bestätigen. Der Glaube selbst gründet sich auf die Gewißheit der sinnlichen Empfindungen: man mag nun entweder die Wunder Mosis und der Propheten, imgleichen Jesu selbsteigene Werke; oder auch schlechterdings ihre Lehren, und sonderlich die Erscheinung des letztern nach

146

Johann

Christoph

Gottsched

seiner Auferstehung zum Grunde desselben annehmen. Denn ist es ungewiß, ob die Aegypter, die Israeliten, die Juden und die Jünger Christi, dasjenige wirklich gesehen oder gehöret haben, was sie davon bezeugen; und können alle diese Empfindungen unwahr, falsch und Blendwerke gewesen seyn: so müssen wir auch in Religionssachen Sceptiker und Zweifler werden. Es ist mir daher allemal sehr lacherlich vorgekommen, wenn der gelehrte Bischof Huetius, in seinem Tractate DE IMBECILLITATE INTELLECTUS HUMANI, erst b e m ü h t ist, alle

Gewißheit der Sinne und Vernunft übern häufen zu werfen; hernach aber, wie auch Bäyle thut, uns zu der Gewißheit des Glaubens verweist: gerade, als ob wir denselben ohne ein sinnliches Erkenntniß erlangen oder haben konnten. Denn kommt derselbe aus der Predigt, oder aus dem Lesen der gottlichen Offenbarung: so muß ich doch versichert seyn, daß das, was ich höre, oder lese, wirklich so sey, wie ich es höre, oder lese. Soll aber dieser Glaube, nach Huets Meynung, bloß von dem Ansehen der romischen Kirche abhangen: so frage ich, wie es Huet wissen kann, ob irgend ein R o m , ein Pabst, oder eine Kirche in der Welt sey; dafern er seinen Sinnen nicht trauen darf? Denn alle diese Dinge hat er nur von hören oder sehen, und also durch sinnliche Empfindungen kennen lernen, von deren Eindrücken man, nach seiner Lehre, nicht versichert seyn kann. Wie wäre es nämlich, wenn das, was er für Rom hält, Peking oder Mecca wäre; und wenn diejenige Kirche, die er für die wahre hält, etwa einen SOMMONACODOM, XACA, oder Mahomet anbethete? Am wunderlichsten aber ist es, wenn Herr Bäyle saget, wir wüßten es nur aus der Bibel gewiß, daß es Korper gäbe. Denn wenn wir dieses nicht erst aus den Sinnen wüßten, wie wollten wir immermehr wissen, ob es eine Bibel giebt? als die wir ja auch erst sehen und fühlen müssen, ehe wir sie lesen, oder ihr glauben können. Er begeht also in dieser seiner vermeynten Ehrfurcht gegen die Offenbarung,

Vorreden

zu P. Bayle,

,Wörterbuch'

147

einen betrüglichen Kreisschluß, der dasjenige schon voraussetzet, was er noch erst beweisen wollte. D o c h ich vertiefe mich zu weit in die Sache selbst; indem ich nur zeigen wollte, daß Herrn Baylens Zweifelsucht in dem Artikel Z e n o einer guten Anzahl von Anmerkungen nóthig gehabt. Ich gestehe es indessen gar gern, daß ich noch lange nicht alles beygebracht habe, was dabey zu sagen gewesen. Ein Scribent von Baylens Fähigkeit, kann in wenigen W o r t e n viel Verwirrungen anrichten: die man aber nicht so kurz wieder auseinander wickeln kann. D e r Artikel Z e n o insbesondere verdiente durch ein eigenes Buch widerlegt zu werden; und es sollte mir an Stoffe dazu nicht fehlen. Hier aber habe ich nur die Quellen seiner Irrthümer, oder Scheingrunde anzuzeigen gesucht: und gesetzt daß ich den Lesern dieses Artikels dadurch nichts mehr, als einen gerechten Argwohn, gegen die baylischen Spitzfindigkeiten bey bringen konnte; so würde ich meine M ü h e für sattsam vergolten achten. Vielleicht vermuthen einige, daß ich auch von dem Artikel S p i n o z a , der in diesem Bande steht, etwas sagen werde: weil dieser einer von den wichtigsten zu seyn scheint. Allein in diesem Stucke muß ich von dem Herrn B a y l e mit Vergnügen gestehen, was auch H e r r v o n L e i b n i t z ihm bey anderer Gelegenheit, in seiner T h e o d i c e e , nachgerühmt hat: UBI BENE, NEMO MELIUS. D e n n man wird nach genauer Durchlesung des gedachten Artikels befinden, was ich ihm hier nachrühmen m u ß : daß er einer von denenjenigen ist, die den Ungrund und die Ungereimtheit des spinozistischen Lehrgebäudes am besten und handgreiflichsten gezeiget haben. Ich habe es also nicht nóthig gefunden, in diesem Artikel den Lesern zu Hülfe zu k o m m e n , oder sie vor seinen Fehlschlüssen zu warnen. E r war in diesem Puñete von sich selbst schon so rechtgläubig, als man es wünschen konnte.

148

Johann

Christoph

Gottsched

Was den Artikel Z o r o a s t e r betrifft, darinnen er die Lehre von den zweyen gleichewigen Urwesen wieder berühren müssen: so habe ich es hier nicht für nothig gehalten, viel Zusätze zu machen, indem es schon in dem dritten Bande bey verschiedenen Artikeln geschehen war, wo Herr Bayle selbst diese Meynung in ihrer größten Starke vorgetragen hatte. Dafür habe ich lieber, das ganze Uebel aus dem Grunde zu heben, in die Zusätze zu dieser neuen Ausgabe, des so tiefsinnigen als gründlichen H e r r n v o n L e i b n i t z CAUSSAM D E I ASSERTAM PER IUSTITIAM EIUS, g e b r a c h t :

darinnen dieser große Mann einen kurzen und systematisch zusammenhangenden Auszug aus seiner T h e o d i c e e gegeben, und alle baylische Scrupel gegen die Güte und Gerechtigkeit Gottes, in ihrer Wurzel angegriffen hat. Es nimmt diese kleine Schrift wenige Blatter ein; wird aber verhoffentlich vielen Lesern lieb seyn, die nicht die Theodicee selbst bey der Hand haben, oder vielleicht dadurch erst Gelegenheit bekommen werden, sie kennen zu lernen. Das andre Stück der Zusätze gehörte zwar eigentlich noch zu den Leibnitzischen Antworten auf den Artikel Rorarius; war aber viel zu weitlauftig, als daß ich es in diesen Artikel selbst hatte einrücken können. Ueberdem war diese Vert e i d i g u n g noch niemals in deutscher Sprache erschienen, und also denen, die keine franzosische Bücher lesen, noch nicht bekannt geworden. Sie wird aber nicht nur zu besserm Verstände der vorherbestimmten Harmonie, sondern auch zu mehrerer Einsicht des übrigen Leibnitzischen Lehrgebäudes nicht wenig bey tragen. Die fernem Zusätze, sind einige kleine Stücke von meiner Arbeit, die ich aber nicht itzo erst, sondern zum Theil schon vor zwanzig, zum theil auch vor vierzehn bis fünfzehn Jahren aufgesetzt habe. Ich war Anfangs willens von dem Inhalte dieser Stücke, nach meinem itzigen etwas reifern Begriffe, eine neue Abhandlung zu verfertigen, und sie gerade dem Herrn Bayle entgegen zu setzen; welches ich

Vorreden

zu P. Bayle,

,Wörterbuch'

149

damals nicht eben im Sinne gehabt. Allein die Zeit war mir theils durch diese baylische Ausgabe, theils durch die neue Ausgabe der Leibnitzischen Theodicee, die ich diesen Winter wirklich zu Stande gebracht habe, theils durch meine akademischen gewöhnlichen Arbeiten so stark besetzt, daß ich diesen meinen Vorsatz fahren lassen mußte. Ich liefere also diese Stücke so, wie sie damals abgefasset worden, außer daß ich in den Reden etwas weniges verbessert habe: nicht, als ob ich sie nun für ganz vollkommen hielte, welches weit gefehlt ist, wie ich selber sehr wohl einsehe; sondern weil ich gleichfalls nicht Muße genug gehabt, sie so zu verlangern und zu verstarken, wie es nöthig gewesen wäre. Man sehe also diese Stücke meinethalben, auch bloß als die ersten Proben eines jungen Gelehrten an, und schließe nur soviel daraus, daß die baylischen Zweifel auch damals schon nicht vermögend gewesen, mir den Kopf zu verrücken. Vielleicht aber wird mancher Leser auch darinnen noch etwas antreffen, das ihm zu bessern Gedanken von diesen wichtigen Materien Anlaß geben kann: gesetzt daß ich sie nur kürzlich berühret, nicht aber weitläuftig genug auseinander gesetzt hatte. Nun muß ich noch allen denjenigen gelehrten und geschickten Personen Gerechtigkeit wiederfahren lassen, die an dieser baylischen Uebersetzung theil gehabt, und mit Hand ans Werk gelegt haben. Ich bin nämlich derjenige nicht, der andrer Leute Arbeit und Fleiß auf seine eigene Rechnung schreiben, und damit stolziren wollte. Ich melde es also hiermit öffentlich, daß eigentlich der Herr von Königslöwen allhier, der schon andere Uebersetzungen, ohne seinen Namen herausgegeben hatte, zuerst den Anschlag gefasset, dieses baylische Werk ins Deutsche zu bringen, auch ganz allein den ersten Entwurf dazu drucken lassen. Wenn also aus dem ganzen Unternehmen L o b oder Schande erwachst, so wird doch beydes mich nicht treffen. Denn ich bin allererst zu diesem Werke gezogen worden,

150

Johann

Christoph

Gottsched

als bereits der Herr Verleger mit dem Herrn Uebersetzer, über der ganzen Sache eins geworden war. Mein Anschlag darbey ist nur gewesen, das Werk lieber im größten, als im mittlem Formate, oder in Quart zu drucken: weil die Menge der Binde den Gebrauch großer Bûcher nur beschwerlicher macht; andrer Kleinigkeiten wegen des Druckes zu geschweigen. Eben dieser Herr von Königslöwen hat auch mit einem unermüdeten Fleiße den allergrößten Theil, ja bey nahe das ganze Werk übersetzt: indem vielleicht nicht mehr als zwölf oder fünfzehn Duernen von andern geschickten Mannern verfertiget worden : die ich aber gleichfalls ihrer Ehre nicht berauben, sondern ihre Namen hier bekannt machen will. Es sind also dieselben im ersten Bande gleich der Herr M . Joh. Joachim Schwabe allhier, Herr M . Joh. Christian Müller, itziger Diener des Worts im Schönburgischen, und Herr Hero Anton Ibbeken, ein sehr geschickter junger Mensch aus Oldenburg gewesen. Ich selbst habe in diesem ersten Bande einen ziemlich starken Artikel übersetzt: der von sehr tiefsinnigen metaphysischen Materien handelte, und in die Theologie selbst einschlug, w o sie die größte Behutsamkeit in Ausdrückungen erforderte. Gegen das Ende des Werkes aber haben noch Herr M . Christian Fürchtegott Geliert, und Herr Carl Christian Gartner, die bekannte Geschicklichkeit ihrer Federn auch hier, in Uebersetzung einiger Duernen anwenden wollen. Außer diesem hat noch Herr M . Schwabe die Anmerkungen, aus der BIBLIOTHEQUE FRANÇOISE, Herr Breitkopf der jüngere aber, die lacrosischen Erinnerungen ins Deutsche gebracht. Dieß sind nun die Uebersetzer alle, wenn ich noch einige poetische Stücke, die in dem Werke verdeutschet worden, und die Zusätze zum Artikel Rorarius ausnehme, davon ich gleich gedenken will. Durch das ganze Werk aber habe ich den großen Fleiß und die Aufmerksamkeit des gelehrten Herrn M . Schwabens

Vorreden

zu P. Bayle,

,

Wörterbuch'

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zu rühmen, der alle gedruckte Bogen, zum ersten und zum drittenmale sorgfältigst verbessert hat; sodann aber auch den bestandigen und treuen Beystand meiner geschickten Freundinn, die wie in andern Stücken, also auch in diesem beschwerlichen und langweiligen Werke, meine treue und unermüdete Gehülfinn gewesen ist. Sie hat mir nicht nur die deutsche Uebersetzung des Worterbuchs von Blatt zu Blatt laut vorgelesen, indessen daß ich in den Grundtext sah, und auf die Richtigkeit der Dollmetschung acht hatte: sondern auch mit eigener Hand die nöthigen Ausbesserungen, daran sie selbst keinen geringen Antheil hat, an den Rand geschrieben. Sie hat ferner bey der Ausbesserung des andern Abdrucks alle Bogen, die ich selbst laut verrichtete, den franzosischen Text vor Augen gehabt, und aufs genaueste beobachtet, ob auch alle Namen und Zahlen richtig übereinkamen; da sich denn auch sonst noch manches zu bessern oder zu ergänzen gefunden, welches vorhin übersehen, oder ausgelassen war. Sie hat auch außerdem alle die oftmals sehr langen Stellen aus Amiots französischem Plutarch, die man ihrer Abweichung von der Grundsprache und weitschweifigen Dunkelheit halben, nicht deutsch übersetzen mochte; in den lateinischen Uebersetzungen nachgeschlagen, und mit eigener Hand abgeschrieben, um die Lücken der deutschen Uebersetzung damit auszufüllen. Sie hat endlich nicht nur das schwere Sonnet, im Artikel d e s B a r r e a u x , welches die Verfasser des Zuschauers in ihre englische Sprache, die doch so kurz und nachdrücklich redet, zu übersetzen für unmöglich gehalten*, in ein deutsches Sonnet aufs genaueste übersetzt; sondern auch ein ziemliches Stück aus der F r a u des H o u l i e r e s , und vornehmlich die leibnitzischen Antworten auf den Artikel Rorarius übersetzet, die theils im Artikel selbst, theils auch Siehe des engl. Zuschauers siebenten Theil, das 513 Stück, auf der 192 und folgenden Seite der deuts. U e b e r s .

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im Anhange dieses vierten Bandes, befindlich sind. Und also hat sie denn, durch so viel neue Stücke, abermals Proben ihrer Starke in der Feder abgelegt, deren Schönheit man billig andern, sowohl der Sache kundigen als unparteyischen Lesern zu beurtheilen, und nach Werthe zu schätzen überlaßt. Das vollständige Register dieses Werkes endlich betreffend, so hat sich dabey die Geschicklichkeit und der Fleiß des obgedachten Herrn Gärtners gewiesen, dem es der Herr Verleger nach abgelegten glücklichen Proben aufgetragen hatte. Er hat sich zu so einer mühsamen Arbeit fast ein ganzes Jahr Zeit genommen; und da ihm das franzosische Register gar zu nichts dienen konnte, dieselbe ganz von neuem machen müssen. Man machet sich auch die Hoffnung, der geneigte Leser werde bey dem Gebrauche desselben, welches allerdings bey einem solchen Buche ganz unentbehrlich ist, auch dieser Mühe ihr gehöriges Lob nicht misgönnen. N u n konnte ich auch diese Vorrede beschließen, wenn ich nicht noch zweyerley zu erinnern hätte. Das eine betrifft diejenigen eifrigen Gottesgelehrten, und andre wohlgesinnte christliche Gemüther, die, wie bereits geschehen ist, also auch künftig, über die Bekanntmachung und Uebersetzung eines so gefahrlichen und gewissermaßen schädlichen Werkes, als dieses Worterbuch ist, seufzen, und vielleicht die Schuld davon mir beymessen werden. Allein wie ich ihren redlichen Eifer für die Wahrheit des Glaubens allerdings selbst billige, und hiermit öffentlich erklare, daß ich kein Freund und Vertheidiger der baylischen, oft sehr wunderlichen Lehrsatze bin: also habe ich auch oben schon angezeiget, daß der Anschlag, dieß Wörterbuch zu übersetzen, weder von mir herkomme, noch durch mich der Welt zuerst kund gemachet worden. Habe ich mich nun gleich hernach bereden lassen, die Aufsicht darüber zu übernehmen; so ist doch solches von mir hauptsachlich in der Absicht geschehen,

Vorreden zu P. Bayle, , Wörterbuch'

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daß ich nach meiner wenigen Einsicht die in demselben vorkommenden anstoßigen Stellen, durch einige Zusätze und Anmerkungen lindern, und dadurch die Leser desselben einigermaßen verwahren mochte; wie ich auch vorhin bey den baylischen Gedanken über die Cometen gethan hatte. Ueberdem habe ich auch nicht eher geruhet, bis ich das vortreffliche Werk, dessen vornehmster Gegenstand die baylischen Einwürfe sind, auf eine neue und besser eingerichtete Art deutsch ans Licht stellen könnte. Ich rede von der Leibnitzischen Theodicee, deren vierte deutsche Ausgabe diese Messe mit verschiedenen neuen Anmerkungen ans Licht tritt, in welchen manches, das in diesem Worterbuche nur berühret worden, noch ausführlicher wiederlegt und entkräftet wird. Ich rathe es also allen denen, die sich an der baylischen Freygeisterey argern mochten, zugleich das vortreffliche leibnitzische Werk dagegen zu lesen; und hoffe mich dadurch um die Vertheidigung der Offenbarung und Vernunft sattsam verdient gemacht zu haben. Uebrigens werde ich allezeit der Meynung zugethan bleiben, die der englische Zuschauer in seinem sechsten Stücke aus dem H e r r n R i c h a r d B l a c k m o r e anführet: Es s e y e i n e g r o ß e S c h a n d e , u n d ein g r o ß e r S c h i m p f , w e n n m a n die a u ß e r o r d e n t l i c h e n F ä h i g k e i t e n des W i t z e s anw e n d e t , d e n M e n s c h e n in i h r e n T h o r h e i t e n , u n d L a s t e r n zu g e f a l l e n , u n d sich nach i h n e n zu r i c h ten. Der g r o ß e Feind des m e n s c h l i c h e n Ges c h l e c h t s , sey u n g e a c h t e t seines W i t z e s u n d seiner englischen F ä h i g k e i t , d e n n o c h das ärgste u n t e r a l l e n G e s c h ö p f e n . Vernünftige und tugendliebende Leser mögen selbst urtheilen, in wieweit sich diese Worte auf den Herrn Bayle schicken. Zweytens habe ich wahrgenommen, daß verschiedene gar zu gütig gegen mich gesinnete Leser der bisherigen Bände dieses Wörterbuches geurtheilet: Weil ich dieses Worterbuch übersehen, ausgebessert und ans Licht gestellet hätte;

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so konnte man sich nunmehro auf das darinnen enthaltene Deutsche völlig verlassen, und alle Redensarten und Ausdrückungen, die darinnen vorkamen, sicher brauchen und nachahmen. So schmeichelhaft dieses Vorurtheil gegen mich auch ist: so wenig will oder kann ich dasselbe bestarken. Ich erklare mich also hiermit überhaupt, daß das Deutsche in diesem Wörterbuche, alles angewandten Fleißes ungeachtet, dennoch nicht so beschaffen ist, daß es für ein Muster oder Meisterstück in unserer Muttersprache gelten konnte: und vielleicht würden meine eigenen Sachen, diesen Namen noch bey weitem nicht verdienen. Was im Deutschen ein Muster seyn soll, das muß ursprünglich einen deutschen Kopf zum Vater haben, deutsch gedacht und gleich deutsch geschrieben werden, damit keine Spur eines auslandischen Wesens darinnen anzutreffen sey. So viel Mühe sich auch ein Uebersetzer giebt, alle fremde Wortfügungen und Redensarten zu vermeiden; so schwer, ja unmöglich fallt ihm solches, zumal wenn er sehr viel aus derselben Sprache übersetzt. Alle die eigenthümlichen Ausdrückungen derselben werden ihm allmählich so geläufig werden, daß er sie nicht mehr für fremde und unverständlich hält; sondern glaubt, er dörfe sie nur von Wort zu Wort deutsch geben, so würde sie ein jeder verstehen. Daher kommen nun so viele barbarische Arten zu reden und zu schreiben, womit itzo so viele Liebhaber des Englischen und Franzosischen, unsre Sprache beflecken; so daß diese mit der Zeit eben die Verderbniß davon zu besorgen hat, die vormals der lateinischen von den Einfallen so vieler Gothen, Hunnen und Longobarden begegnet ist. Es drohet unserm Vaterlande bereits eine solche Pest neumodischer Scribenten, die mit deutschen Worten die Sprache unsrer Nachbarn reden, und gleichwohl dadurch alle die lüsternen Leser gewinnen, denen alles, was neu, was seltsam und unerhört ist, als schön vorkömmt. Auch in diesem Wörterbuche ist es fast unmöglich gewesen, alle Spuren der französischen Mundart zu ver-

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meiden; da der Herr Uebersetzer so viele Jahre mit lauter franzosischen Büchern zugebracht, und sich ihre Redensarten so bekannt gemacht, als ob sie seine Muttersprache waren. Viele tausend Stellen, die ihm aus diesen Ursachen nur halb deutsch entwischet waren, habe ich freylich geändert, und verbessert: allein wer will es fordern, daß bey einer so weitlauftigen und dabey eilfertigen Arbeit, auch meiner eigenen Aufmerksamkeit gar nichts entgangen seyn sollte? II. Ist selbst Bayle nach seinem eigenen Gestandnisse, und dem Urtheile der Kenner gemäß, gar kein großer Meister der Schreibart. Er hat theils wegen der Art und Natur dieses Werks, und der Materien, die darinnen abgehandelt werden, nicht mit einerley Munterkeit und Starke des Geistes an diesem Werke gearbeitet; theils auch, wegen so vieler fremden Worte angezogener Schriftsteller, aus allen Sprachen, Landern und Zeiten, die bald von gutem, bald von übelm Geschmacke, schwulstig oder niedertrachtig, kurz oder weitschweifig, vernünftig oder ausschweifend, sinnreich oder trocken und mager sind, unmöglich durchgehends schon, fließend, und artig schreiben können. Wie will man nun fordern, daß die deutsche Uebersetzung aus einem so vielköpfigen Ungeheuer, als das Original ist, durchgehends ein Muster der deutschen Schreibart herausbringen sollen? indem ja die Schreibart mehr auf die Gedanken als auf die Worte ankommt, und auch der beste Uebersetzer nichts schöner sagen darf, als es in seinem Originale steht. III. Ist auch dieß Werk im Deutschen nicht aus einer und derselben Feder geflossen; welches doch nöthig wäre, wenn die Art des Ausdruckes sich allezeit selber gleich, und eintrachtig hatte werden sollen. Wie geht es nun an, so ein Werk überall für ein Meisterstück auszugeben, welches die Merkmaale so verschiedener Fähigkeiten und Federn nicht verleugnen kann? Und da ich meine eigene Originalschriften noch niemals für vollkommene Muster der deutschen

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Schreibart ausgegeben; auch eines so vieljahrigen Fleißes ungeachtet, den ich auf meine Muttersprache gewandt, noch taglich etwas in meinen Sachen zu verbessern finde: wer wird sich denn wundern, daß ich eine fremde Arbeit vieler verschiedenen Federn für kein Meisterstück ausgeben kann? Man berufe sich also zu Bescheinigung gewisser Redensarten durchaus nicht auf diesen Bayle; und glaube, daß ich der eifrigste seyn werde, manchen Ausdruck desselben zu verwerfen und zu verdammen. Lebe wohl, geneigter Leser, und laß dir übrigens diese und andre meine Bemühungen empfohlen seyn. Geschrieben den 31 Marz 1744.

Vorrede zu Cicero, drey Bücher von der Menschlichen Pflicht; übersetzt von Johann Adolf Hoffmann 1742

Geneigter Leser! W e n n ich hier von dem großen W e r t h e der c i c e r o n i s c h e n Schriften, und dem vielfältigen N u t z e n , den sie ihren Lesern verschaffen k ö n n e n , auf eine nur etwas anstandige Art handeln wollte, so würde ich ein B u c h , und nicht eine Vorrede machen müssen. Es würde auch eine so weitlauftige Arbeit beynahe eben so vergeblich seyn, als wenn man von dem N u t z e n des Sonnenlichts, der Luft und des Wassers einen langweiligen Beweis führen wollte. Allen Gelehrten ist ohne dieß zur Gnüge bekannt, welch ein ausbündiger Schatz historischer und philosophischer Gelehrsamkeit in den Schriften dieses großen romischen Weltweisen und Redners anzutreffen ist. Einige von ihnen sind so weit gegangen, daß sie bey freygestellter W a h l unter allen übrig gebliebenen Schriften des Alterthums sowol unzahliche griechische als romische Schriftsteller entbehren zu können geglaubet, den einzigen C i c e r o aber niemals in ihre Handbibliothek zu nehmen ermangelt haben. 1 U n d ich will nichts mehr, als dieses, hinzu setzen, daß, wenn irgend in künftigen J a h r hunderten eine neue Barbarey zu besorgen stünde, darinn alle andre B ü c h e r der Alten verlohren giengen, die uns in der Finsterniß voriger Zeiten noch aufbehalten worden, so, daß nur die einzigen W e r k e C i c e r o n s übrig blieben; daß, sage ich, diese allein zureichend seyn würden, gesunde Vernunft, Gelehrsamkeit, Wissenschaft, Beredtsamkeit, G e schichte, und guten G e s c h m a c k , ja so gar gewissermaßen auch die lateinische Dichtkunst von neuem wieder herzustellen. 1

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S. Stollens Hist. der Gelahrth. Einl. § L X X X I V . p . m . 53. Ausg. 1724.

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Doch es ist meine Absicht nicht, den c i c e r o n i s c h e n Schriften überhaupt eine Lobrede zu halten: Ich trete meiner Absicht viel naher, wenn ich von diesem gegenwartigen Werke v o n d e r m e n s c h l i c h e n P f l i c h t etwas erinnere. Gleich nach Wiederherstellung der freyen Künste und Wissenschaften ist der Werth dieses trefflichen Buches denen großen Mannern, welchen wir die erste Einrichtung der Schulen zu danken haben, so wichtig vorgekommen, daß sie es fast einzig und allein unter allen c i c e r o n i s c h e n B ü c h e r n zum Gebrauche der Jugend ausersehen haben. Und was war auch naturlicher, als dieses, wenn man erwog, daß Schulen nicht nur die Werkstaten der Sprachen und Künste, sondern auch der guten Sitten seyn sollten? Der berühmte Spanier, L u d e w i g V i v e s , einer von denen, die das meiste zur Verbesserung der Wissenschaften und Künste beygetragen haben, war damit nicht zufrieden, daß er uns von den Ursachen der verfallenen freyen Künste (DE CAUSsis CORRUPTARUM ARTIUM) etliche Bücher schrieb: Er fuhr auch fort, und handelte die ganze Lehre ab, wie man die Disciplinen recht vortragen und fortpflanzen müsse (DE TRADENDIS DISCIPLINIS). Und in dem fünften Buche dieser vortrefflichen Abhandlung ist ein großer Abschnitt (DE VITA ET MORIBUS ERUDITI), v o n d e m W a n d e l u n d d e n S i t t e n

eines Gelehrten, enthalten. Wie sehr wäre es zu wünschen, daß alle Schulmänner diese herrliche Schrift täglich in Händen haben, und die gründlichen Wahrheiten, die darinn enthalten sind, theils an sich selbst, theils an ihren Untergebenen in die Uebung bringen mochten! U m nun die guten Sitten eines rechtschaffenen und tugendhaften Menschen der Jugend auf eine solche Art beyzubringen, die ihnen zugleich in den freyen Künsten und gelehrten Sprachen nützlich wäre, fand man kein bequemeres Buch, als dasjenige, was C i c e r o DE OFFICIIS, oder von den Pflichten des menschlichen Lebens, geschrieben hatte. Dieses ward also fast in allen Theilen von Europa in die Schulen eingeführet, und dadurch in die Hände unzählicher junger Leute gebracht.

Vorrede

zu Cicero,

, Von der

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So vortheilhaft dieses, dem ersten Ansehen nach, dem großen T u l l i u s und seinem Werke selbst zu seyn scheinet; so nachtheilich bedünkt es mich beyden gewesen zu seyn, wenn ich den Erfolg bedenke, den solches gehabt hat. Die gute Absicht derer, die dieses Buch in die Schulen eingeführet haben, ist wenigstens in diesem Stucke gar nicht erreichet worden. Die vornehmste Sorge der allermeisten Schullehrer ist insgemein einzig und allein dahin gerichtet, daß sie ihren Knaben gut Latein, und, wenn es hoch kommt, ein wenig Griechisches bey bringen mögen. Um die philosophische Sittenlehre haben sie sich, nach der gemeinen Art der Studirenden, auf hohen Schulen selbst nicht bekümmert; sind also weder gesonnen, noch im Stande, ihren Zuhörern in geringem Schulen dasjenige zu erklären, was sie selbst niemals gelernet oder für nöthig gehalten haben. C i c e r o DE OFFICIIS verwandelt sich also in ihren HInden aus einer Sittenlehre in ein Buch, darinn nichts als schone lateinische Worter und Redensarten stehen. Die Gedanken, als den Kern, laßt man gern fahren, und bleibt an den Schalen hängen. Was dem Rechte der Natur, der Vernunft und Billigkeit gemäß sey, kurz, was man thun und lassen solle, daran denkt kein Mensch: Man sammlet nur PHRASES PROBATAE LATINITATIS, m e r k e t s i c h CONSTRUCTIONES ORNATAS, und andre solche

FLOSCULOS CICERONIANOS, d i e m a n

in

seinen CENTONIBUS so gut als man kann zusammen flicket, um ein rechtes c i c e r o n i s c h e s Latein schreiben zu lernen. Und wie froh ist nicht alsdann ein Knabe, wenn er mit seinen OFFICIIS fertig ist; daraus er zwar viel Wörter, aber keine Sachen gelernet, ja darinn er, die Wahrheit aufrichtig zu sagen, nicht ein einziges Kapitel, seinem Inhalte und wahrhaften Sinne nach, verstanden hat. Ferne sey es von mir, daß ich den Fleiß mißbilligen sollte, den man auf die Erlernung der lateinischen Sprache in Schulen zu wenden pflegt. Meine Klage bey dem Gebrauche des c i c e r o n i s c h e n Buches DE OFFICIIS geht nur dahin, daß

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die vornehmste Absicht, weswegen selbiges in die Schulen eingeführet worden, nicht beobachtet, und folglich nicht erreichet wird. J a ich will noch mehr sagen, daß nämlich dieses mehrentheils ohne die Schuld der Schullehrer geschieht. Denn gesetzt, wir hatten einen nicht minder in der Weltweisheit, als in freyen Künsten und Sprachen, ja eben sowol in der Sittenlehre, als in den theoretischen Wissenschaften geübten Mann; dergleichen wir ja Gott lob, zumal itzo, an sehr vielen Orten, sonderlich in großen Städten, noch wol bey Schulen antreffen können: ist denn auch die Jugend auf der dritten, oder andern Klasse wol fähig, die hohen Wahrheiten eines Sittenlehrers zu begreifen? A r i s t o t e l e s hat nicht unrecht gesagt, ein Jüngling sey nicht im Stande, einen geschickten Zuhörer der Sittenlehre abzugeben. Was soll man nun von Knaben oder Kindern sagen, die oft kaum das zehnte oder zwölfte Jahr erreichet haben, wenn sie dieß philosophische Buch von der menschlichen Pflicht fassen oder verstehen sollen? Man sage hier nicht, daß gleichwol C i c e r o dasselbe seinem eigenen Sohne zu gut, als er zu Athen studiret, geschrieben habe. Es ist wahr; aber der junge C i c e r o war gewiß kein Tertianer oder Quartaner mehr, als er zu Athen war. K r a t i p p u s war auch kein Schulmeister, sondern ein Weltweiser, und der junge C i c e r o hatte aus seinem Unterrichte schon den ganzen Begriff der philosophischen Lehren gefasset; welches ihn denn vollkommen in den Stand setzte, die Lehren seines Vaters zu verstehen. Endlich aber war ihm auch das Latein selbst eine so fremde Sprache nicht, als es unserer Jugend ist, w e n n sie die OFFICIA CICERONIS in die H ä n d e b e k o m m t ;

sondern es war seine eigene Muttersprache, über deren Worten und Redensarten er sich den Kopf nicht zerbrechen durfte. Was also ihm ein sehr nützliches Werk war, das ist auf die Art, wie es in unsern Schulen eingeführet ist, eine Arbeit, die ihren vornehmsten Zweck nicht erreichet, und den hauptsachlichsten Nutzen, nämlich die Besserung der Sitten, nicht wirken kann.

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Dieses alles indessen würde noch einigermaßen zu verschmerzen seyn, wenn nur nicht noch etwas schlimmers daraus entstünde; wovon C i c e r o und sein Buch gewiß keinen Vortheil haben. Man weiß, daß die Jugend den Haß, den sie einmal gegen eine Sache gefasset hat, insgemein ihr Lebenslang beybehält. Was ihr also in Schulen zu vielem Verdrusse und Kopfbrechen gedienet, das bleibt ihr nachmals immer ein Gräuel. Ware dieses nicht, woher käme wol sonst der Ekel, den insgemein neue Studirenden auf hohen Schulen gegen die alten griechischen und romischen Schriftsteller bezeigen, die sie mit dem verächtlichen Namen der Schulbücher und Schulfüchsereyen belegen? Eben dieses Schicksal nun trifft den guten C i c e r o mit seinen O F F I C I I S um desto mehr, je abstracter und unverstandlicher ihnen die philosophischen Wahrheiten in demselben vorgekommen. Je mehr sie sich also damit haben zermartern müssen, je saurer es ihnen geworden, ein so schweres Buch zu erklaren, oder zu verstehen; desto gehässiger sind sie nachmals demselben. J a sie gehen öfters auch als gelehrte Männer mit demselben so verächtlich um, als ob es das elendeste und schlechteste Werk wäre. Ich erinnere mich selbst, einen sonst verstandigen und gelehrten Mann hier in Leipzig gekannt zu haben, der von den O F F I C I I S ZU sagen pflegte, daß es die P U D E N D A C I C E R O N I S wären, die nicht gelesen zu werden verdienten. Ich müßte mich sehr irren, wenn dieses wunderliche Urtheil von irgend einem gelehrten Manne gefallet worden wäre, der nicht einen solchen Haß gegen dieses Buch aus der Schule mitgebracht, sondern selbiges bey reifern Jahren, und mit einer männlichen Einsicht gelesen hätte. 2 Wollte man also die treffliche Arbeit C i c e r o n s von 2

Ich kann nicht umhin, hier eine Stelle aus des berühmten Engländers Eachards kleinem Buche, von den Ursachen der Verachtung der Religion und Geistlichkeit, anzuführen, welches nicht nur von allen Geistlichen, sondern auch von allen Schulmannern gelesen zu werden verdienet. Man wird daraus sehen, daß es in diesem Stücke in England nicht viel anders

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den Pflichten der Menschen unsrer studirenden Jugend nützlicher machen, so mußte man selbige in die Jahre versparen, da das Latein ihr schon eine geläufige und bekannte Sprache wäre; und da es bloß in der Gestalt einer Sittenlehre, oder eines Rechts der Natur, von ihr betrachtet werden konnte. Ob nun dieses nur allein auf den Akademien geschehen könne, oder ob man auch auf der obersten Klasse der niedern Schulen schon solche Zuhörer von reiferm Verstände habe, das uberlasse ich andern zu beurtheilen, die es einzusehen vermögen, wieviel Fähigkeit und Nachdenken zu rechter Einsicht in die vernünftige Sittenlehre dieses Buches gehöret. Damit nun ein so nützliches Buch nicht ewig in dem Schulstaube vergraben liegen, und der ganzen übrigen Welt unbrauchbar bleiben möchte, haben sich bald geschickte Manner gefunden, die es in die heutigen Sprachen übersetzet, und also auch den Ungelehrten in die Hände zu bringen als bey uns zugeht: Allein, heißt es, einem Schulknaben solche erhabene Werke in die Hände zu geben, dessen vornehmste Bemühung es noch ist, den V o r s a t z oder N a c h s a t z mühsam heraus zu klauben, einem netten Ausdrucke, Spruchworte, oder einem zierlichen und nachdenklichen Denkspruche aufzulauren, das ist nicht nur von sehr schlechtem Nutzen; sondern, wenn nun die Knaben ein solches Buch auf den Schulen ein wenig durchgegurgelt haben: So dienet dieses, anstatt daß sie es nach diesem noch einmal durchlesen sollten, vielmehr dazu, daß sie es gar nicht mehr ansehen. Solchergestalt verschwindet nun aller Nutzen, der aus den besten und auserlesensten Schriftstellern erhalten werden kann, fast ganz und gar, und doch setzet man zu deren Durchlesung gemeiniglich gerade die Zeit an, da die Urtheilskraft, welche einen wahren Vortheil daraus schöpfen soll, am meisten fehlet. Auf diese Art wird auch das vortreffliche Buch Cicero DE OFFICIIS, oder v o n d e r m e n s c h l i c h e n P f l i c h t , eben darum, weil es ein S c h u l b u c h ist, von den akademischen Gelehrten nachmals so verachtet, daß man Tage und Stunden zubringen muß, um sie nur zu uberführen, daß es wohl werth sey, noch einmal angesehen zu werden: denn sie glauben, sie haben es ja schon auf Schulen gelesen, und eben nichts besonders darinnen angemerket.

Vorrede

zu Cicero,

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gesucht. Ich will hier von den Uebersetzungen in die auslandischen Sprachen nicht handeln; sondern nur dererjenigen erwähnen, die im Deutschen nach und nach ans Licht getreten. Schon um die Zeit der Reinigung der Kirchen in Deutschland hat sich jemand gefunden, der C i c e r o n s O F F I C I A ins Deutsche gebracht. Den Namen dieses Uebersetzers weiß man nicht; und seine Arbeit ist gleichfalls verlohren gegangen. Daß sie aber wirklich vorhanden gewesen, berichtet uns der berühmte Ritter, J o h a n n v o n S c h w a r z e n b e r g , in der Vorrede der auf seine Veranstaltung verbesserten Uebersetzung. Er meldet nämlich, daß ihm obgemeldete erste Dollmetschung in die Hände gerathen, und zwar wegen ihres Inhalts sehr wohl gefallen, aber auch wegen der schlechten Sprache sehr mißfallen habe. Er selbst war des Lateinischen nicht kundig, bath also seinen Caplan, J o h a n n N e u b e r n , ihm beyzustehen, und diese Verdeutschung nach dem Sinne des Grundtextes zu verbessern. Er legte aber, was das Deutche betrifft, auch selbst Hand an, um sie in ein desto zierlicher Hochdeutsch, welches man dazumal ein f r a n k i s c h e s H o f d e u t s c h genannt, zu bringen, und gab das Werk also 1520 in den Druck. Allein die Saumseligkeit des Druckers ist Schuld daran gewesen, daß weder der edle S c h w a r z e n b e r g , noch sein ehrlicher Caplan, die wirkliche Ausgabe erlebet haben, die allererst 1 5 3 3 unter folgenden Titel ans Licht getreten: O F F I C I A M . T . C . ein B u c h , so M a r c u s T u l l i u s C i c e r o , der R o m e r , zu s e y n e m S u n e M a r c o , v o n d e n t u g e n d samen e m p t e r n , und z u g e h o r u n g e n eines w o h l u n d r e c h t l e b e n d e n M e n s c h e n , in l a t e i n g e s c h r i ben. Weichs auff begere, Herren J o h a n n s e n von Schwarzenberg JC. v e r t e u t s c h e t , Vnd volgens d u r c h j n e in z y e r l i c h e r H o c h d e u t s c h g e b r a c h t , M i t vil F i g u r e n v n d T e u t s c h e n R e y m e n , g e m e y n e n n u t z zu g u t in D r u c k g e g e b e n w o r d e n , MDXXXII. in klein Fol. Diese Jahrzahl nun zeiget die Zeit, da der Druck

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angefangen worden; am Ende aber steht die Zeit, da sie fertig worden: G e d r u c k t in d e r K a y s e r l i c h e n S t a d t Augspurg, durch Heinrichen Steyner. Vollendet a m I . T a g O C T O B R I S i m MDXXXIII. J a h r . W e r v o n der

Beschaffenheit dieser Uebersetzung mehr Nachricht verlangt, der schlage den VI. B. der critischen Beytr. auf der 212 u. fg'. S. nach. Wie beliebt indessen diese Dollmetschung damals bey unsern Deutschen gewesen seyn müsse, kann man aus dem guten Abgange und bald wiederholten Drucke derselben schliessen. Ich besitze selbst eine Auflage davon, die zwey und dreyßig Jahre hernach, nämlich 1565, zu Frankfurt am Mayn in 12 herausgekommen, und so betitelt ist: M. T. DE OFFICIIS, v o n den t u g e n t l i c h e n A m p t e r n v n d geb ü h r l i c h e n W e r c k e n eines w o l lebenden M e n s c h e n d r e y v n t e r s c h i e d l i c h e B ü c h e r 2C. Doch auch hierbey blieb es nicht; und das folgende 17te Jahrhundert war nicht saumseliger, dieses treffliche c i c e r o n i s c h e Buch zu verlangen und zu lesen. Im 1628sten Jahre hat J o h . R e n i u s in 8 eine deutsche Uebersetzung davon ans Licht gestellet: Davon ich aber nicht sagen kann, ob sie nur eine Wiederholung der vorigen, oder ganz neu gewesen; weil sie mir niemals zu Gesichte gekommen. Noch vor dem Ende dieses Jahrhunderts hat ein geschickter Schulmann zu Meissen, J o h a n n G e o r g W i l k e , eine Einleitung zum n ü t z lichen Schulbrauche der drey Bücher Ciceronis DE OFFICIIS zu Leipzig in 8 herausgegeben, davon ich aber wiederum aus eben der Ursache nichts nähers berichten kann. Ja endlich hatte sich auch dieses 18te Jahrhundert kaum angefangen, als uns C a s p a r G o t t s c h l i n g , Rector und Bibliothekar, zu Neubrandenburg, eine neue Uebersetzung 1719 in 12 geliefert hat. Bey so vielfältiger Arbeit, die auf dieses nützliche c i c e r o n i s c h e Werk gewandt worden, war es kein Wunder, daß auch der sei. J o h . A d o l p h H o f m a n n , der sich bereits

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durch sein schönes Buch v o n d e r Z u f r i e d e n h e i t , durch die Betrachtungen des Kaysers A n t o n i n u s über sich selbst, und durch andre nutzliche Schriften bekannt gemacht hatte, sich noch einmal an dasselbe machte. Er mochte ohne Zweifel die letzte von angeführten Uebersetzungen in die Hände bekommen, und bemerket haben, daß sie nach Art vieler Schulmanner, die sich mehr mit dem Lateine, als mit dem Deutschen, bekannt gemacht, ein wenig gar zu sehr nach dem Grundtexte schmeckte. Eine solche lateinisch=deutsche Art des Ausdrucks aber kann ein unstudirter Deutscher gar nicht liebgewinnen; ja selbst die Gelehrten legen sie mit Verdruß beyseite, wenn sie den Zwang, den man unsrer Muttersprache anthut, gewahr werden. Er faßt also den Entschluß, dem C i c e r o ein besseres deutsches Kleid anzuziehen, das nicht so sehr nach dem alten romischen Schnitte verfertiget wäre; sondern ihm ein ganz einheimisches Ansehen geben konnte. Dieses zu thun, war er auch vor unzahlichen andern Gelehrten geschickt; weil er sowol in der Sittenlehre eine große Einsicht besaß, als auch im Deutschen bereits eine große Starke bewiesen hatte. Verlangt jemand einen Beweis davon; so kann er ausser den obigen Schriften sich nur auf die so lehrreichen als wohlgeschriebenen patriotischen Sittenblatter besinnen, an denen unser H o f m a n n keinen geringen Antheil gehabt: weswegen auch sein Tod von der sämmtlichen patriotischen Gesellschaft in einem schonen Gedichte bedauret worden. Er stellte also 1727 seine Uebersetzung unter folgendem Titel ans Licht: D e s e h m a l i gen r o m i s c h e n B ü r g e r m e i s t e r s M.T. C i c e r o d r e y B ü c h e r v o n d e r m e n s c h l i c h e n P f l i c h t : aus d e m Lateinischen ü b e r s e t z t , mit umständlichen Anm e r k u n g e n , wie auch mit des C i c e r o Leben erläutert, durch Johann Adolph Hofmann. Wie gut dieses vortreffliche Buch in dieser neuen Gestalt von unsern Landesleuten aufgenommen worden, das liegt so deutlich am Tage, daß man es gar nicht auszuführen bedarf.

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Christoph

Gottsched

Der baldige Abgang desselben hat nämlich verursachet, daß man schon seit etlichen Jahren in den meisten Buchladen vergeblich darnach gefraget, und der Verleger sich also genothiget gesehen, eine neue Auflage davon zu veranstalten. Wie aber derselbe schon bey dem h o f m a n n i s c h e n Werke von der Zufriedenheit, auf Anrathen verschiedener Kenner, die lobliche Sorgfalt gebrauchet, und aus der sonst gar mannlichen und nachdrucklichen deutschen Schreibart unsers sei. H o f m a n n s etliche Unrichtigkeiten in Worten und Redensarten, die sonderlich hochdeutschen Ohren und Augen fremde und anstößig gewesen waren, als so viel Steine des Anstoßens, aus dem Wege räumen lassen, und dadurch bey allen Liebhabern der h o f m a n n i s c h e n Schriften Beyfall und Lob verdienet: Also hat er sich billig entschlossen, auch mit diesen c i c e r o n i s c h e n Pflichten es eben so zu halten. Ich selbst habe, seiner Wahl nach, derjenige seyn sollen, der diese Verbesserung der h o f m a n n i s c h e n Arbeit über sich nehmen sollen: und ich habe mich dazu desto williger finden lassen, je besser mir dieselbe allemal gefallen, und je mehr ich es bedauret, daß ein sonst so schönes Werk noch immer von solchen Flecken verunstaltet seyn und bleiben sollte. Indem ich aber hier von der Uebersehung und Verbesserung eines fremden Werkes rede, so bescheide ich mich gar wohl, wie weit hierinn das Recht eines Herausgebers gehe, und was für Pflichten ihm die Bescheidenheit gegen die Arbeiten verstorbener Gelehrten aufleget. Ich weiß es nur gar zu wohl, daß auch hier die güldene Regel beobachtet werden müsse: Was ihr wollt, daß euch die Leute K. Mit seinen eigenen Schriften kann ein Gelehrter umgehen wie er will. Verandern, auslassen, hinzuthun; alles steht ihm nach eigenem Belieben frey. Das macht, er hat sein Eigenthum vor sich, mit dem er nach seinem Gefallen schalten und walten kann. Ganz anders verhalt es sich mit fremden Büchern. Hier steht uns nichts mehr frey, als was etwa ein A r i s t a r c h mit dem H o m e r gethan, oder was die neuern Herausgeber

Vorrede

zu Cicero,

, Von der Pflicht'

169

der alten lateinischen und griechischen Schriftsteller zu thun pflegen. Ein jeder Scribent hat allemal seine eigene Art zu denken und zu schreiben; so wie ein jeder Mensch seine eigene Gesichtsbildung und seinen eigenen Ton der Sprache hat, ja seine ganz eigene Hand schreibet. Wer ihm nun dieselbe nimmt, der thut ihm Gewalt an, und will, so zu reden, daß C a j u s nicht C a j u s , sondern T i t i u s seyn soll. Wir wollen setzen, S e n e c a hatte C i c e r o n s Schriften zu übersehen und herauszugeben bekommen: meynet man wol, daß er das Recht gehabt hatte, die ganze c i c e r o n i s c h e Schreibart in seine eigene zu verwandeln? Einen Fehler, der aus Versehen entweder des Urhebers oder des Abschreibers begangen worden, kann er wol verbessern; so wie man von dem Antlitze des andern einen Flecken abwischen darf: Aber seine Schreibart, das ist, seine Art zu denken, und seine Art sich auszudrücken, muß man ihm lassen, so wie man einem jeden seine eigene Gesichtsbildung lassen muß. Eben so verhalt sichs nun mit einer Uebersetzung. Der große Reichthum unsrer deutschen Sprache in Worten und Ausdrückungen verursachet es, daß man eine und dieselbe lateinische Redensart auf vielerley Weise geben kann. Nun gerathen zwar nicht alle diese Uebersetzungen gleich gut: Allein niemand hat doch ein Recht, dem andern vorzuschreiben, auf was für Art er diesen oder jenen lateinischen Satz hatte verdollmetschen sollen. Gelehrte Manner sind keine Schulknaben mehr, denen man auf eine dictatorische Art gebieten kann. Genug, daß es auch gewissermaßen so hatte lauten können; genug, daß es nicht offenbar abgeschmackt und falsch gegeben worden. Wer eine Stelle nur ein wenig anders, nur ein wenig kürzer, oder ausführlicher, oder genauer, oder zierlicher geben will, der thut besser, daß er seine Art des Ausdruckes für sich behalt, und das ganze Buch nach seiner Art selbst übersetzt 3 . Da findet sichs 3

S. der critisch. Beytrage V St. die 125 und fg. S. des II B .

170

Johann

Christoph

Gottsched

aber bey vielen solchen Tadlern und Splitterrichtern fremder Werke, daß sie zwar bey vielen einzelnen Worten sehr weise sind, und über jeden Satz einen ganzen Sack voll critischer und philologischer Anmerkungen auszuschütten wissen: Allein wenn sie selber Hand anlegen, und eine ganze Schrift eines Alten übersetzen sollen, so sind sie nicht geschickt, eine einzige Periode, geschweige denn ein ganzes Kapitel gut deutsch zu geben. Aus diesen allgemeinen Grundsätzen nun wird man leicht abnehmen können, was ich bey der Uebersehung dieses h o f m a n n i s c h e n Werkes mir selbst für Regeln vorgeschrieben. Ich habe keine neue Uebersetzung machen, sondern eine bereits gemachte nur übersehen wollen. Ich habe also dem Verfasser seine Art das Latein zu verstehen, sowol als seine Art deutsch zu reden, lassen müssen. Glaubt jemand anders, daß dieses nicht eben allemal aufs beste geschehen sey; so sey er so gut, und mache uns eine bessere: sey aber versichert, daß auch er selbst es nicht allen recht machen, und gleiche Urtheile über sich wird ergehen lassen müssen. Alles, was ich mir also für erlaubt gehalten habe, ist dieses gewesen: daß ich I. Die h o f m a n n i s c h e Schreibart von unzahlichen falschen Wortfügungen und niedersächsischen Redensarten gesäubert, die reingewohnten hochdeutschen Ohren anstoßig und widrig klingen. Herr H o f m a n n hat niemals lange genug in Oberdeutschland gelebet, und hat also den Uebelstand derselben nicht einsehen lernen; sonst glaube ich gewiß, er würde nach dem Muster andrer berühmten niedersachsischen Scribenten diese Flecken selbst abgewischet haben: EMENDATURUS, SI LICUISSET ERAT.

II. Habe ich die Rechtschreibung durchgehends auf eine Aehnlichkeit zu bringen gesucht, darinn Hr. H o f m a n n ein wenig zu unbeständig und nachlaßig gewesen war. Es ist aber dieser Fehler ihm fast mit allen Schriftstellern damaliger

Vorrede zu Cicero, ,Von der Pflicht'

171

Zeiten gemein gewesen: indem die genaue Richtigkeit in solchen Sachen kaum seit zwölf oder fünfzehn Jahren zu beobachten angefangen worden. Was er also hier versehen hat, das ist mehr ein Fehler seiner Zeiten, als sein eigener Fehler gewesen. Endlich III. Habe ich in den Anführungen fremder Scribenten die wunderliche Art, in einem deutschen Buche mit lateinischen Worten zu citiren, weggeschafft. Es war in meinen Augen lacherlich anzusehen, wenn überall ein C O N F E R , Q U A E ALIBI D I C T A F U E R E , VIDE I N F E R I U S , VIDE S U P R A , oder Wol gar, VIDE L e b e n , u.d.gl. vorkam: zu geschweige, daß oft ganze lateinische Sprüche und Sentenzen in den Anmerkungen stunden. Eine deutsche Uebersetzung wird ohne Zweifel nicht den Gelehrten, sondern den Ungelehrten zu gut gemacht. Diese aber verstehen kein Latein; und ich habe also ihnen zu gut alle diese lateinischen Blümchen und Schulschnörkel deutsch übersetzt. Wenn man zu diesem allen noch das hinzusetzt, was der Hr. Verleger an Sauberkeit des Papieres und guter Einrichtung des Druckes geleistet hat; so ist gar kein Zweifel, daß nicht diese neue Auflage vor der ersten einen ziemlichen Vorzug haben, und den Beyfall der Leser desto mehr erhalten werde. Der geneigte Leser bleibe mir und meinen Bemühungen ferner gewogen. Geschrieben zu Leipzig den 16 Marz 1742.

Vorrede zu Versuch Einer Betrachtung über die Cometen, die Sündflut und das Vorspiel des jüngsten Gerichts von Johann Heyn 1742

A l s i c h v o r e i n e m J a h r e die Baylischen Gedanken über die Cometen ans Licht stellete, habe ich mich gewissermaßen anheischig gemacht, auch die Zusätze desselben Scribenten zu seinen Gedanken, unsern Deutschen mitzutheilen; und dabey von der wahren Theorie der Cometen eine ausfuhrliche Einleitung abzufassen: so wie uns N e w t o n , H a l l e y und W h i s t o n in den Stand gesetzet haben, solches zu leisten. Allein es beut sich itzo eine andere Gelegenheit dar, dieses letztere Versprechen ins Werk zu richten. Der gelehrte Verfasser des gegenwartigen Buches, mein sehr werther Freund und Gönner, hat mirs erlaubet, dasselbe mit einer Vorrede zu begleiten. Da er nun selbst die wahre Natur und Beschaffenheit dieser Himmelskörper, auf eine sehr ausführliche und lebhafte Weise beschrieben hat; so ist mir zwar nur eine kleine Nachlese übrig geblieben: Doch will ich auch diese dem geneigten Leser mittheilen, damit dieses Werkchen, soviel möglich, einen ganz vollstandigen Unterricht von dieser Materie enthalte möge. Ich werde mich aber, wie ich zum voraus bekenne, hierinnen der gelehrten Schriften bedienen, die uns von den größten Sternkundigen neuerer Zeiten, in Deutschland, England und Frankreich, in die Hand gegeben worden. Habe ich also gleich selbst nichts neues hierinnen erfunden, so werde ich doch das Verdienst dabey haben, daß ich nützliche Wahrheiten unsern Landsleuten bekannter gemacht habe. Wenn wir dem D i o d o r aus Sicilien glauben, so haben die alten Chaldaer und Aegyptier, nach einer langen Beobachtung vieler Cometen, bereits die Erscheinung derselben vorherverkündigen können. Selbst von dem H e r k u l e s erzählen die Alten, daß er von dem A t l a s die Sternwissenschaft gelernet, und vermöge dieser Wissenschaft einen Cometen

176

Johann

Christoph

Gottsched

vorhergesehen, bey dessen Erscheinung er sich auf den Scheiterhaufen setzen, und sich verbrennen wollte*. Wenn nun dieses nach dem Buchstaben anzunehmen wäre, so hatte man schon in sehr alten Zeiten die Cometen für bestandige Weltkorper gehalten. Auch die ganze Pythagoreische Schule hat eben dergleichen gelehret und behauptet, daß sie zu gewisser Zeit wiederkamen; wie A r i s t o t e l e s (LIBR. I. METEOR, CAP. 6.) berichtet. Gleichwohl hat A r i s t o t e l e s die Welt eines andern beredet, und vorgegeben, die Cometen waren nichts anders, als glanzende Lufterscheinungen; wodurch denn die meisten Weltweisen abgehalten worden, auf die Bewegungen solcher vermeynten düftigen Wolkchen, genauer Achtung zu geben. Gleichwohl ist die erstere Meynung nicht ganz ins Vergessen gerathen, S e n e c a , der Gelegenheit gehabt, ein paar vortreffliche Cometen selbst zu betrachten, hat dafür gehalten: Es waren dieselben himmlische Korper, die so lange als die Welt dauren würden. EGO NOSTRIS NON ASSENTIOR; NON

ENIM

EXISTIMO

COMETEM

SUBITANEUM

IGNEM,

SED

INTER JETERNA O P E R A N A T U R A R E F E R E N D U M . J a e r h a t a l s

ein Prophet verkündiget, daß die Zeit kommen würde, da man ihren Lauf wissen, und ihre Erscheinungen vorhersagen; ja sich verwundern würde, wie doch die Alten dieses nicht eingesehen h a t t e n . VENIET TEMPUS QUO ISTA QU^; NUNC LATENT,

IN LUCEM

DIES

EXTRAHAT,

ET

LONGIORIS

/EVI D I L I G E N T I A . A D I N Q U I S I T I O N E M TANTORUM ¿ETAS UNA NON SUFFICIT. Q U I D Q U O D TAM PAUCOS ANNOS I N T E R STUDIA AC VITIA NON JEQUA P O R T I O N E D I V I D I M U S ? I T A Q U E SUCCESSIONES ISTAS LONGAS E X P L I C A B U N T U R . V E N I E T TEMPUS Q U O P O S T E R I TAM APERTA NOS NESCISSE M I R E N T U R :

POSTQUAM

* Siehe das bäylische Wörterbuch der deutschen Ausgabe, im Artikel Herkules; wo ich eine Anmerkung hinzugesetzt, wie solches verstanden werden könne.

177

Vorrede zu ,Betrachtung über die Cometen' DEMONSTRAUERIT CCELI

PARTIBUS

ALIQUIS COMETJE

NATURA ERRENT,

INTERPRES, QUANTI,

IN

QUIBUS

QUALESQUE

SINT? Doch auch von diesem guten Wege, den Seneca den Weltweisen gewiesen, sind in den nächsten tausend Jahren, darinn die Barbarey in Europa überhand genommen, alle Gelehrten abgegangen. Man findet nicht eher etwas, das zu Entdeckung des wahren Laufes der Cometen dienen können, als aus dem vierzehnten Jahrhundert nach Christi Geburt, nemlich 1337. N i c e p h o r u s G r e g o r a s , ein griechischer Geschichtschreiber und Sternkundiger in Constantinopel, hat den Weg eines Cometen zwischen den Fixsternen genau angemerket und beschrieben; wiewohl er die Zeit nur obenhin aufgezeichnet. Die Ehre der ersten guten Beobachtung eines Cometen fallt also uns Deutschen zu; indem J o h a n n e s R e g i o m o n t a n u s 1472. einen sehr grossen und schrecklichen Cometen zu sehen und zu betrachten Gelegenheit gehabt. Er hat ihm mit aller einem Sternseher beywohnenden Geschicklichkeit nachgespuret, und befunden, daß er der Erde sehr nahe vorbeygelaufen, auch eine so schnelle Bewegung gehabt; daß er innerhalb 24. Stunden 40. Grade an dem größten Zirkel des Himmels zurücke geleget. Es hat aber dieser grosse Mann, sowohl als viele nachfolgende Sternseher die Cometen noch für niedriger, als der Mond steht, gehalten, bis T y c h o , durch neue Beobachtungen besser hinter die Wahrheit der Sache gekommen. Es erschien nämlich im 1577. Jahr, da T y c h o schon mit den trefflichsten astronomischen Instrumenten versehen war, davon sich die Alten nichts hatten träumen lassen; ein ziemlicher Comet: und dieser fleißige Mann fand durch unermüdete Aufmerksamkeit, daß selbiger keine tagliche Parallaxin hatte; woraus er denn den unstreitigen Schluß machte: Es müßte derselbe nicht nur kein irrdischer Dampf seyn, sondern auch viel hoher als der Mond stehen, ja gar mitten unter die planetischen Korper zu setzen seyn.

178

Johann

Christoph Gottsched

Hierauf folgte der grosse K e p l e r , der wiederum den Deutschen die Ehre gemacht, daß ihm H a H e y , ein Auslander, in seiner Cometographie den Ruhm giebt: E r h a b e durch seinen s c h a r f s i n n i g e n und fast g o t t l i c h e n V e r s t a n d , z u e r s t das w a h r e u n d n a t u r l i c h e S y s t e ma d e r W e l t e r f u n d e n , u n d d i e S t e r n w i s s e n s c h a f t u n e n d l i c h e r w e i t e r t . Er hat nämlich gewiesen, daß alle Planeten sich auf solchen Flachen herumwalzen, die durch den Mittelpunckt der Sonne gehen; und daß sie elliptische Laufkreise beobachten, in deren einem Brennpuncte die Sonne steht. Da nun diesem grossen Geiste auch zwene Cometen erschienen: so hat er geglaubet, daß diese Himmelskörper sich mitten durch den Raum, wo die Planeten laufen, beynahe in einer geraden Linie bewegten, und zwar keine tagliche, aber doch jahrliche Parallaxin hatten. K e p l e r s Fußtapfen ist C a r t e s i u s nebst allen Auslandern gefolget, weil sie nichts bessers zu erfinden gewußt. Wer die K e p l e r i s c h e Meynung von dem Cometenlaufe in einer Figur sehen will, der sehe die Charte des berühmten H e r r n Doppelmayers

n a c h , d i e e r THEORIAM COMETARUM g e -

nannt hat, und die zu Nürnberg bey den Homannischen Erben zu finden ist. Will man aber die Wege der bisher erwähnten und vieler neuern Cometen zwischen dem gestirnten Himmel gezeichnet sehen: so sehe man eben dieses gelehrten H e r r n D o p p e l m a y e r s GLOBUM CCELESTEM IN TABULAS PLANAS REDACTUM, PART. I . w o m a n s e h e n

wird,

daß der von 1618. vom 17. Decemb. bis zum 18. Jenner aus dem Zeichen der Wage im Thierkreise durch den ganzen Bootes, den Schwanz des grossen Baren vorbey, nach dem Nordpole zu, bis durch den Schwanz des Drachen, ganz nahe an die Nase des Camelopardalus gelaufen, und also nur 9. bis 10. Grade vom Nordpole entfernt geblieben. Ich merke dieses darum an, weil auch der neulich erschienene letzte Comet dieses 1742. Jahres, dem Nordpole so nahe gekommen, welches von einigen für etwas ganz unerhörtes gehalten werden wollen.

Vorrede zu , Betrachtung über die Cometen'

1 79

Doch der Fleiß und der Witz unsrer Deutschen ist noch weiter gegangen. H e v e l i u s , der berühmte Rathsherr in Danzig, der das Glück gehabt zu seiner Zeit so viele Cometen zu sehen, als noch keinem andern Sternseher wiederfahren, und deren Laufbahne, in den oberwahnten D o p p e l m a y e r i s c h e n Himmelscharten verzeichnet steht; hat seinen Nachfolgern in England die Spur gezeiget, wie sie den wahren Lauf der Cometen finden könnten. Denn ob er gleich ein grosser Verehrer und Schüler des T y c h o B r a h e war, und anfanglich den Cometen nur einen geradelinigten Lauf zuschrieb; wie auch K e p l e r noch gethan hatte: so hat er doch nach genauer Beobachtung sehr vieler Cometen, nämlich dessen, von 1652. und 1653. dessen von 1661. von 1664. und 1665. von 1677. von 1680. und 1681. und endlich von 1682. und 1683. befunden, daß seine Rechnungen nach T y c h o n i s c h e r Art, mit dem Himmel nicht recht übereinstimmeten; und ist also auf die Muthmassung gerathen, daß die Bahn eines Cometen sich gegen die Sonne zu krümmen müsse. Wer die Figur davon sehen will, kann sie auch auf des H e r r n D o p p e l m a y e r s Charte (THEORIA COMETARUM) antreffen. War nun dieses gleich noch nicht die rechte Meynung, so hat doch H e v e l i u s den Englandern, die nach ihm darauf gerathen sind, dadurch die Sache merklich erleichtert. Ich übergehe hier die besondern Meynungen, die P e t e r P e t i t , ein Franzose, und J . D . C a ß i n i , ein Welscher, von dem Laufe der Cometen auf die Bahn gebracht. Auch diese sieht man in Figuren, auf der itztgedachten D o p p e l m a y e r i s c h e n Charte entworfen: allein sie haben keinen Beyfall gefunden, seit dem die F l a m m s t e d i s c h e n und C a ß i n i s c h e n Beobachtungen, das einzige wahre Systema derselben ans Licht gebracht. Die gottliche Vorsehung hatte nämlich beschlossen, das menschliche Geschlecht, in einer wichtigen Sache nicht langer in einer so groben Unwissenheit zu lassen, als sie nach so vielen guten Vorbereitungen,

180

Johann

Christoph

Gottsched

der Welt einen Cometen zeigte, der am allergeschicktesten war, ihren Zweifeln ein Ende zu machen. Es fiel nämlich gegen das Ende des 1680sten Jahres von dem höchsten Himmel, so zu reden, ein recht erschrecklicher Comet, fast in senkrechter Linie nach der Sonnen herunter, und nachdem er sich sehr dicht um dieselbe herumgeschwungen hatte, (denn er ist kaum den sechsten Theil ihres Durchmessers von ihr entfernt geblieben,) so stieg er mit unglaublicher Geschwindigkeit von derselben wieder in die Hohe, fast eben dahin, woher er gekommen war. Er ist über vier Monate sichtbar gewesen, und anfanglich zwar im Herbste des Morgens, vor Sonnenaufgange, nachmals aber des Abends vor Sonnenuntergänge, in den Monaten Jenner, Februar und Marz, gesehen worden. Sein Anblick hat zwar jedermann, sowohl durch die sonderbare Grösse, als durch den ungeheuren Lichtschweif, erschrecket: nur die einzigen Sternseher haben ihn mit Vergnügen erblicket, weil er ihrer Neugier eine Gnüge that. Sonderlich gab er dem tiefsinnigen N e w t o n Mittel an die Hand, nicht nur zu beweisen, daß er sich nach eben den Gesetzen beweget hatte, die K e p l e r von den Planeten entdecket hatte; sondern auch zu zeigen, daß alles andre seltsame, das bey den Cometen bemerkt wird, aus eben diesen Gründen herrühre. J a , er ist endlich soweit gegangen, daß er auch gewiesen, wie man die Laufkreise aller Cometen geometrisch entwerfen und aufreissen könne. Was er gelehret hatte, das hat H a l l e y in Ausrechn u n g e n b e w e r k s t e l l i g e t , d a e r in die PHILOSOPHICAL-TRANS-

ACTIONS des 1705ten Jahres vom Monate Marz, N u m . 297. eine Tabelle gesetzt, darin er die Kreise für alle die Cometen ausgerechnet, die seit dreyen Jahrhunderten sattsam beobachtet worden."' Man findet darinn aus dem 14ten nur einen, den G r e g o r i u s beobachtet hat: aus dem 15ten auch nur * Man findet dieselbe auch grossentheils in meinen ersten Gründen der Weltweisheit dritten Auflage im Capittel von Cometen.

Vorrede zu ,Betrachtung

über die Cometen'

181

einen, welchen R e g i o m o n t a n u s bemerket: aus dem 16ten achte, aus dem 17ten endlich vierzehn Cometen; folglich alles in allem vier und zwanzig Stücke aufs genaueste ausgerechnet. W h i s t o n , ein andrer gelehrter Englander, hat uns dieselben alle in einen Abriß des Sonnenwirbels gebracht. Diese Charte ist erst in England, sodann in Venedig und letztlich in Nürnberg, durch die Veranstaltung des H e r r n D o p p e l m a y e r s auf der oft erwähnten THEORIA COMETARUM mit vielen schonen Zusätzen nachgestochen worden; so daß man jene leicht entbehren kann, wenn man diese hat, und dabey die H a l l e y i s c h e Tabelle zu Hülfe nimmt. Um meinen Lesern, so viel sich mit Worten thun laßt, einigen Begriff davon zu geben, so stellt selbige Figur erstlich den Copernicanischen Weltbau vor, so wie selbiger von K e p l e r n und sonderlich dem H u y g e n in seinem C o s m o theros verbessert worden. Quer durch die Laufkreise aller Planeten, gehen lauter krumme Linien, die nach Art so vieler Regenbogen auf dem Kreise Saturns aufstehen, und sich alle um die Sonne herumkrümmen. Die Schenkel von einigen stehen nahe beysammen, von vielen aber auch weit von einander: und nach dieser Ordnung hat sie W h i s t o n mit Zahlen bemerket. Es trifft sich aber allemal, daß diejenigen die sich am wenigsten aufsperren, auch die Sonne am allernächsten umschlungen haben; die sich aber weiter offnen, auch destoweiter von der Sonnen abstehen, wenn sie ins Perihelium kommen. Wie nun der Comet von 1680. am dichtesten an die Sonne gekommen, und eine überaus kleine Oeffnung seiner Schenkel gehabt, also hat ihn W h i s t o n auch N u m . 1. genennet: der vier und zwanzigste aber, ist derjenige geworden, der 1585. erschienen, als dessen Perihelium zwischen den Kreisen der Erde und des Mars geblieben, folglich der Sonnen nicht einmal so nahe gekommen, als wir Erdeinwohner derselben zu seyn pflegen. Uebrigens sind diese Laufkreise auf allen Seiten rings um

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Johann

Christoph

Gottsched

die Sonne herum, und von etlichen hat man angemerkt, daß ihre Cometen schon mehr als einmal wiedergekommen, weil sie einerley Lauf gehabt. Ueber dieses zeigt diese Charte auch noch die Gestalt des Cometen von 1680. wie er theils im December mit blossen Augen, nahe bey der Sonnen, mit einem entsetzlichen langen Schweife; theils im Monate Marz des folgenden Jahres, da er sich wieder verlohr, mit einem Sehrohre, ohne allen Schweif, nur mit einem D a m p f e umgeben erschienen ist. So viel mag dismal von der wahren Cometischen Theorie genug seyn; weil ich finde, daß das übrige, was in die Physick lauft, von dem gelehrten H e r r n R e c t o r H e y n e n bereits, nach W h i s t o n i s c h e n Lehrsätzen, sehr ausführlich vorgetragen worden. Weil aber die W h i s t o n i s c h e Meynung vielen, auch sehr gelehrten Mannern, die aber, allem Ansehen nach, sein Buch (A NEW THEORY OF THE EARTH. LOND. 1725. in groß 8.) entweder gar nicht kennen, oder es doch nicht mit Aufmerksamkeit und im Zusammenhange gelesen haben, als ein Traum vorkommt; sonderlich was er von der durch den Cometen von 1680. vormals gewirkten Mosaischen Sündfluth geschrieben hat: so wil ich doch unseren Landsleuten, die nicht viel ausländische Sachen lesen, etwas bekant machen, was ein gelehrter Franzose* unlängst zu Bestattigung dieser W h i s t o n i s c h e n Lehrsätze angeführet hat. Die Sündfluth des O g y g e s ist nicht nur bey allen alten Poeten, sondern auch bey den ältesten Geschichtschreibern sehr berühmt. Ist sie gleich keine allgemeine Sündfluth gewesen, so muß sie doch einen grossen Strich Landes, ja vielleicht den größten Theil von Europa betroffen haben. Es ist also wohl werth, daß man die Ursachen derselben * Es ist H e r r F r e r e t ; Siehe in dem XV. Buch der MEMOIRE DE LITT E R A T U R E o d e r d e r A C A D E M I E DES B E L L E S L E T T R E S , g l e i c h i m A n f a n g e , s e i n e R E F L E X I O N S SUR UN ANCIEN P H E N O M E N E C E L E S T E ETC.

Vorrede zu , Betrachtung

über die

183

Cometen'

untersuche, so viel als in einer solchen Entfernung der Zeiten möglich ist. Nun hat uns der heilige A u g u s t i n , eine Stelle aus dem V a r r o , dem Gelehrtesten unter den Romern, aufbehalten, die uns kein geringes Licht geben kann, eine so verborgene Sache zu entdecken, wenn wir nur die Entdeckung itziger Zeiten mit zu Hülfe nehmen. Wir wollen die Worte selbst hersetzen, und unsere Anmerkungen dazu machen. Sie lauten so: EST IN M A R C I V A R R O N I S LIBRIS, Q U O R U M INSCRIPTIO DE GENTE P O P U L I R O M A N I : SCRIBIT IN STELLA VENERIS

-

- -

- TANTUM

CASTOR

PORTENTUM

EXSTITISSE, UT MUTARET COLOREM, MAGNITUDINEM, FIGURAM, CURSUM; Q U O D FACTUM ITA, N E Q U E ANTEA, NEQUE POSTEA SIT. H O C FACTUM O G Y G E REGE, DICEBANT A D R A STUS CYZICENUS, ET D I O N E A P O L I T E S , MATHEMATICI N O B I LES. A U G U S T , D E C I V . D E I L I B . 2 1 . C A P . 8 . N . 2 . d a s i s t :

Es s t e h e t in des V a r r o B ü c h e r n , v o n d e r A b k u n f t d e s r o m i s c h e n V o l k e s : C a s t o r s c h r e i b t , d a ß an d e m V e n u s s t e r n e ein s o l c h e s W u n d e r g e s c h e h e n s e y , d a ß er s e i n e F a r b e , G r o s s e u n d F i g u r u n d s o g a r s e i n e n Lauf g e ä n d e r t h a b e ; w e l c h e s sich weder v o r h e r , noch hernach begeben habe. Adras t u s v o n C y z i c u m , u n d D i o v o n N e a p o l i s , ein p a a r b e r ü h m t e M a t h e m a t i c i s a g e n , d i e s e s sey z u r Z e i t d e s K o n i g e s O g y g e s g e s c h e h e n . Der Geschichtschreiber C a s t o r , den V a r r o anführt, hat 150. Jahre vor Christi Geburt gelebt: wenn aber die beyden Mathematici geblühet haben, das ist nicht bekannt. Die Regierung des O g y g e s aber soll nach dem Zeugnisse der meisten Alten 1020. Jahre vor den ersten olympischen Spielen; und also 1786. Jahre vor der Geburt Christi, nach der gemeinen Rechnung eingefallen seyn. H e r r F r e r e t ist nicht der erste, der diese Worte A u g u st ins angemerket hat: denn er führt selbst den H e v e l i u s an, der in seiner Cometographie im 7. Buch auf der 373. Seite sie schon zu erklaren gesuchet. Dieser führt dreyerley

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Johann Christoph Gottsched

Meynungen davon an, nämlich, 1) daß entweder der Venusstern, nur durch unsren irdischen Dunstkreis, der oft die Farbe und Grosse des Mondes und andrer Sterne ändert, ja sie mit grossen Kränzen oder hellen Kreisen umgiebt, dergestalt verstellet worden; oder 2) daß auf dem Korper der Venus selbst dergleichen grosse Veränderungen vorgegangen; oder 3) welches ihm am wahrscheinlichsten ist, daß der Dunstkreis, der diesem Planeten eigen ist, auf eine sonderbare Weise verändert worden. Allein H e r r F r e r e t ist, meines Erachtens, auf eine weit wahrscheinlichere Muthmassung gefallen. Denn da keine von jenen drey Erklärungen von den veränderten Laufe des Venussterns eine Ursache angiebt: so thut diese der ganzen Erzählung C a s t o r s ein völliges Gnügen. Man darf nämlich nur sagen, daß zu den Zeiten des O g y ges ein Comet erschienen, der des Morgens, oder des Abends, oder beydemale nach und nach, nicht weit von der Sonne gestanden, und ohngefähr die Grosse des Abendsterns, oder Morgensterns gehabt. Venus kann zu gleicher Zeit, wie oft geschieht, in den Sonnenstralen verborgen gewesen seyn; und man hat diesen Cometen also für den ordentlichen Venusstern gehalten. Weil er aber bey Annäherung, und erster Entfernung von der Sonnen, nicht allein eine grosse Dampfkugel, sondern auch einen langen Schweif bekommen; so hat man dafür gehalten, die Venus habe eine andre Grosse, Farbe und Gestalt angenommen. Da aber ferner der Comet, seiner Art nach, immer weiter von der Sonnen weggelaufen, mehr als sich Venus von ihr zu entfernen pflegt: so hat man auch geglaubt, diese habe ihren Lauf geändert. Endlich da der Comet in kurzem ganz unsichtbar geworden, als er sich nach dem hohen Himmel geschwungen; die Venus aber wieder hinter der Sonne hervorgekommen, und sich wie vorhin sehen lassen: so hat man geglaubt, die eine Zeitlang verunstaltete Venus hätte wieder ihre ordentliche Gestalt und Laufbahn angenommen.

Vorrede zu Betrachtung

über die Cometen'

185

Die Vermengung dieses O g y g i s c h e n Cometen mit der Venus, giebt uns also eine genügsame Veranlassung von seiner Grosse zu urtheilen; die nämlich dem Cometen von 1680. ziemlich gleich gekommen seyn muß. F l a m s t e a d hat diesen den 21. December gemessen, als er aus den Straten der Sonne zurückkam, und seinen lichten Kern in dem entflammten Dunstkreise etwas über eine Minute breit gefunden; so wie die besten Beobachtungen auch den Durchmesser der Venus bemerken. Ist nun die Grosse beyder Cometen gleich gewesen, so mag wohl zu des O g y g e s Zeiten eben der Comet, von 1680. erschienen seyn. Wenigstens hat H a l l e y dafür gehalten, dieser sey schon vorhin allemal fünf hundert und fünf und siebenzig Jahre zurückgerechnet, mehr als einmal gesehen worden; wie ich auch in meiner Physik aus W h i s t o n s neuer Erdbetrachtung angeführet habe. H e r r F r e r e t führt Beweise an, daß auch die alten Pythagoraer schon die ordentliche Wiederkunft der Cometen gelehret; wie bereits oben angeführet worden. Auch H i p p o k r a t e s von C h i o hatte diesen Lehrsatz angenommen, und den Schweif nebst dem Haare der Cometen denen in der Dunstseule der Cometen gebrochenen Sonnenstralen zugeschrieben. A p o l l o n i u s M y n d i u s , d e n S e n e c a ( Q U / E S T . N A T U R . L I B . 7 . CAP. 3 . ET 1 4 . ) anführet, hat gelehret, daß die Chaldäer, bey welchen er studiret hatte, eben der Meynung gewesen: A L T I O R A MUNDI SECAT C O M E T E S , ET T U N C DEMUM APPARET, C U M IN I M U M C U R S U S SUI VENERIT.

N e w t o n selbst hatte nicht deutlicher reden können, als hier S e n e c a geschrieben hat. Im 372. Jahre vor Christi Geburt ist ein Comet erschienen, dessen Licht dem Monde gleich gekommen, und bey dessen Erscheinung, giebt D i o d o r u s S i c u l u s die obige Meynung für die Lehre der griechischen Philosophen aus. P l i n i u s und P l u t a r c h nebst dem St ob a u s reden auch von dieser Pythagorischen Lehre. Doch genug davon.

186

Jobann Christoph

Gottsched

Der Comet von 1680. ist rückwerts zu gehen, erstlich im 1106. Jahre im Februar, ferner im 530. Jahre Christi im November, und 44. Jahre vor Christi Geburt, im Semptember gesehen worden. Jede Wiederkunft hat also 575^.Jahre Zeit gebraucht. Nimmt man nun noch drey solche Umlaufe, oder 1723. Jahre und zwey Monate zusammen, so bekommt man das 1767. Jahr vor Christi Geburt, zur siebenten Erscheinung dieses Cometen; welche 3446. Jahre vor der von 1680. hergegangen. Nun ist diese Jahrzahl 1767. vor Christi Geburt nur dreyßig Jahre spater, als diejenige, darein die alten Zeitrechnungen der Griechen die Sündfluth des O g y ges setzen; sie kommt aber mit der Zeit, da die Sternseher A d r a s t u s und D i o , die seltsame Begebenheit von der Venus erzählen überein; als welche nicht das Jahr der Erscheinung, sondern der Regierung des O g y g e s angegeben haben. Folgends hat man den sattsamen Grund zu glauben, daß der damalige Comet eben derselbe gewesen, der 1680. erschienen ist. Diese Meynung völlig zu bestätigen, würde nichts geschickter seyn, als wenn man die andern beyden Erscheinungen desselben vor Christi Geburt, die noch fehlen, auch aus den Alten anzeigen konnte. Allein der Mangel alter Schriften, sonderlich der Verlust von C h a r i m a n d e r s Historie der Cometen, deren S e n e c a gedenket, macht uns diesen Beweis fast unmöglich. Die alten Geschichte, die ein wenig ausführlich sind, gehen nicht hoher als etwa 500. Jahre vor Christi Geburt zurück. Wir müssen also zu den Poeten unsere Zuflucht nehmen, die alle Begebenheiten in Fabeln verkleidet, oder verwandelt haben. Nun haben z.E. die Alten von den Plejaden eine Fabel, daraus man wahrscheinlich schliessen kann, es müsse um das 1193. Jahr vor Christi Geburt ein Comet erschienen seyn. In den Fasten des O v i d i u s findet man, daß eigentlich sieben Plejades seyn sollten, daß aber deren nur sechse waren:

Vorrede zu Betrachtung

187

über die Cometen'

Q U ^ E SEPTEM D I C I , SEX TAMEN ESSE SOLENT.

Weil E l e c t r a , die Gemahlinn des Dardanus, eine von den sieben N y m p h e n des Atlas, sich verstecket hat, dem blutigen Untergange von Troja auszuweichen. T R O I / E SPECTARE RUINAS

5

N O N T U L I T ANTE O C U L O S , O P P O S U I T Q U E M A N U M .

H y g i n erzählt die Historie davon, die zur Fabel Anlaß gegeben. D I C U N T E L E C T R A M N O N A P P A R E R E , I D E O Q U O D PLEIADES

EXISTIMENTUR

CHOREAM

DUCERE

STELLIS.

SED

P O S T Q U A M T R O I A FUIT CAPTA, ET P R O G E N I E S EIUS, Q U / E A IO DARDANO

FUIT, SIT EVERSA; D O L O R E

P E R M O T A M , AB HIS

SE REMOVISSE, ET IN C I R C U L O , Q U I A R C T I C U S D I C I T U R , C O N STITISSE,

EX

QUO

TAM

LONGO

TEMPORE

LAMENTANTEM

C A P I L L O SPARSO VIDERI : I T A Q U E E FACTO C O M E T E M

ESSE

APPELLATAM. A S T R O N .

Und

in der

192.

POET.

LIB. 2. DE T A U R O .

Fabel sagt er eben davon.

EXPULSA, M O E R E N S C R I N E M SOLUTUM G E R I T , QU-E TES A P P E L L A T U R ,

15

D E C H O R O SORORUM

- - SIVE L O N G O D E S

CoME-

- - - SIVE X L P H I A S

EA AUTEM STELLA L U C T U M P O R T E N D I T . Eben das bestätiget des A r a t u s lateinischer Scholiast, und A v i e n u s , in 2c der lateinischen Umschreibung des Aratus. Es setzet aber dieser letzte noch, aus einem Poeten M y n t h e s oder S m y n t e s hinzu, daß sich Electra noch zuweilen in Gestalt eines Cometen zeige: N O N N U N Q U A M O C E A N I TAMEN ISTAM SURGERE AB UNDIS 25 I N CONNEXA P O L I , SED SEDE CARERE S O R O R U M , D I F F U S A M Q U E COMAS C E R N I , C R I N I S Q U E S O L U T I , M O N S T R A R E E F F I G I E M ; D I R O S H O S FAMA COMETAS C O M M E M O R A T TRISTI P R O C U L ISTA SURGERE F O R M A , V U L T U M A R D E R E , DIAM P E R F U N D E R E CRINIBUS -ETHRAM, S A N G U I N E SUB P I N G U I , R U T I L O Q U E RUBERE C R U O R E .

30

188

Jobann Christoph Gottsched

Was ist nun aus diesen verschiedenen Umstanden, die von dem einen Sterne aus den Plejaden angegeben werden, klarer, als daß von einem Cometen die Rede sey? Er verlaßt seinen Ort am Himmel, in dem Gestirne des Stiers; er lauft nach Norden zu, und verschwindet; er sieht finster und traurig aus, er wirft ein zerstreuetes Haar von sich, welches rothlich oder blutig aussieht; er kommt zuweilen wieder, aber in der schrecklichen Gestalt eines Cometen. Nichts ist deutlicher, als daß die Poeten aus der Erscheinung eines solchen Weltkörpers Gelegenheit genommen, die ganze Fabel von der Electra so einzukleiden. Die Zeit dieses Cometen aber, nämlich die Eroberung vonTroja, trifft, nach der gelehrten Ausführung des H e r r n F r e r e t s , in eben das 1193ste Jahr vor Christi Geburt, wo der Comet von 1680. einmal hat erscheinen sollen. Ich übergehe sowohl dieses, als was er aus einer arabischen Fabel zu Bestätigung dessen angeführet hat: Ich will nur noch etwas von der noch übrigen Erscheinung desselben Cometen, die ins 618. Jahr vor Christi Geburt einfallt, etwas anführen. Diese kann aus den Sibyllinischen Büchern erwiesen werden. Es kommt hier indessen nicht darauf an, ob es wircklich solche Sibyllen gegeben hat, oder ob dieselben Prophetinnen gewesen sind? Es kann seyn, daß sie untergeschoben sind: nur das setzen wir zum voraus, daß die Urheber davon, um ihre Weissagungen desto glaubwürdiger zu machen, hin und her etwas wahres aus historischen Umstanden eingemischet. Sie haben dieselbe zuweilen aus ihrer eigenen Erfahrung, zuweilen auch aus altern Nachrichten genommen, die zu ihrer Zeit noch vorhanden gewesen, nachmals aber verlohren gegangen. Dieses ist möglich und wahrscheinlich, mehr aber fordern wir nicht. Dieses nun zum vorausgesetzt, so finden wir im dritten Buche der Sibyllinischen Verse (EDIT. GALL. P. 389. §. 97.) daß ein Comet vor gewissen Begebenheiten vorhergehen sollen, die der Urheber prophezeihet, und zwar sehr genau,

Vorrede zu Betrachtung

über die Cometen'

189

wie sie geschehen sind; weil sie nämlich schon vor seiner Zeit geschehen waren. Im siebenden Alter der Monarchien, sagt die vorgegebene Sibylle, wird gegen Abend ein Comet erscheinen, der mit grossen Erdbeben begleitet werden wird. Die Wasser des Tanais, werden aus ihrem Strome weichen, einen neuen Lauf nehmen, und den See, den der Strom bey seiner Münde machet, trocken lassen. Diese Wunderzeichen werden den Zorn des Himmels gegen die machtigsten Volker ankündigen. Das Rachschwerdt wird Aegypten verwüsten; Krieg, Hunger und Pest, werden dieß Land verheeren, und die Gefangenschaft wird die unseligen Ueberbleibsel seiner Einwohner in aller Welt zerstreuen. Aus dem vierten Buche dieser Sibillinischen Verse sieht man auch die Zeit dieser Begebenheiten. Die ganze Dauer der Zeit, wird in zehn Alter getheilet, davon das Assyrische Reich die sechs ersten, und das Medische nur zwey einnehmen werde. Bey dem Untergange der letztern würde die Sonne mitten in ihrem Laufe ihren Schein verlieren, und die Erde plötzlich von einer Nacht bedecket werden, ic. Dieses alles zeigt uns die Zeiten des C y r u s , und die grosse Sonnenfinsterniß die er gesehen. Kurtz, alles dieses zeiget die Zeiten an, da die Scythen aus dem Norden einen entsetzlichen Einfall in Asien gethan, und durch das gelobte Land bis nach Aegypten gestreifet. Der Prophet Jeremias redet im 13ten Jahre des Königs Josias davon, und bedient sich dabey auch solcher Worte, die sich sehr wohl von einem Cometen verstehen lassen: DABO PRODIGIA IN CCELO

IGNEM ET VAPOREM FUMI.

Die Aegyptische Verwüstung nun betraf den P h a r a o N e c h o , der Jerusalem erobert, und den Tempel beraubet hatte; und fallt also in das 618te Jahr vor Christi Geburt, wie es die ordentliche Wiederkunft des Cometen von 1680. erfordert. Wir haben also in derThat Spuren im Alterthume gefunden, daß in allen den Jahren, dahin die ordentliche Wiederkunft des Cometen von 1680. fallt, die allemal in 13

Gottsched X / l

190

Johann Christoph

Gottsched

575. Jahren geschiehet, wirklich schreckliche Cometen erschienen sind; welche allem Ansehen nach immer eben derselbe gewesen. Ich übergehe viel andre sehr merkwürdige Sachen, die H e r r F r e r e t auch aus der Chinesischen Historie zu eben der Absicht angeführet hat; die man aber bey ihm selbst nachlesen mag. Soviel aber erhellet doch aus dem allen, daß die Lehre von Wiederkunft der Cometen schon zu ziemlicher Richtigkeit und Gewißheit gediehen ist. Haben nun gleich gewisse Weissagungen davon noch zur Zeit nicht eingetroffen, so ist dieses kein Wunder. Die Zahl der Cometen, die von Zeit zu Zeit erschienen sind, ist sehr groß: und vielleicht sind sie noch lange nicht alle von sorgfältigen Sternsehern beobachtet worden. Da sie auch so langsam wiederkommen, so hat man vielleicht einen und denselben in den nächsten zwey hundert Jahren, noch nicht mehr als ein oder höchstens ein paarmal gesehen. Aus so wenigen Beobachtungen nun hat man so untrügliche Schlüsse noch nicht machen können; als wenn man noch ein paar Jahrhunderte aufmerksam seyn, und die Laufbahnen der künftigen Cometen, mit denen von H a l l e y e n ausgerechneten in genaue Vergleichung ziehen wird. Nichts ist mehr übrig, das ich in dieser Vorrede zu erinnern nothig erachte; als die Erscheinung des neulichen Cometen dieses 1742. Jahres, so wie sie nämlich bey uns in Leipzig gesehen worden. Man hatte selbigen auf dem Lande schon im Februar wahrgenommen, und es hatte sich das Gerüchte davon schon im Anfange des Marzens ausgebreitet, als eben ein sehr lange anhaltender wolkigter Himmel einfiel, der bis zum Anfange des Frühlings daurete. In der stillen Woche allererst ward es heiter, aber zum Unglücke konnte man den 21sten, wegen des vollen Mondlichtes, welches die ganze Nacht durch die Dunstkugel bestralte, mit blossen Augen noch nichts gewahr werden; ja mit den Sehrohren selbst die Stelle nicht finden. Den 22sten,

Vorrede zu Betrachtung

über die Cometen'

191

als den grünen Donnerstag, hat ihn unser H e r r P r o f e s s o r H a u s e n , gegen acht Uhr, vor dem Aufgange des Mondes zuerst gesehen, wo in der Figur, die beyden Linien im Cepheus einander durchschneiden. Die folgenden Tage, ward wegen spatern Aufganges des Mondes, die Beobachtung noch leichter, und der H e r r P r o f e s s o r H a u s e n hatte die Ehre in den Zimmern S e i n e r H o c h r e i c h s g r i f l . EXCELL. des H e r r n C a b i n e t s m i n i s t e r s v o n M a n t e u f e l , dessen Gnade gegen die Wissenschaften, alle Gelehrte aufmuntert, die Ehre denenselben, und allen anwesenden Damen und Cavallieren, diesen seltenen Himmelskörper zu zeigen. Den 24sten und die folgenden Tage habe ich denselben auch aus meinen Fenstern, theils mit einem holen Augenglase, theils mit einem zweyschuhlangen kleinen, theils mit einem fünfschuhigten grossem Sehrohre sehr gut beobachten können. Doch will ich mich lieber auf die sorgfaltige Beobachtungen unsers berühmten Mathematici beziehen, die er Sr. H o c h g r ä f l . EXCELLENCE zu Gefallen, fleißig aufgezeichnet, und in einer Figur entworfen hat. Das Sehrohr, womit die Betrachtung angestellet worden, ist zwar nur 4. Schuhe lang, allein von solcher Güte, daß es den Ring Saturns sehr deutlich zeiget. Der Kopf oder Kern des Cometen sah dadurch wie ein Feuer aus, das man durch einen Dampf oder Nebel sieht. Der Schwanz, der sich allezeit von der Sonnen abwandte, war nicht gar zu lang, aber desto breiter anzusehen, und verlohr sich in voller Breite wie schattirte Farben. Der Dampf, der den Kern umgab, machte etwa in den blossen Augen eine Figur, die dem Polsterne an Grosse gleich schien, obgleich sein Licht viel blasser und schwächer war; daher man denn, wenn man nur erst den Ort des Cometen wußte, denselben etliche Tage, als ein neblichtes Wolkchen auch mit blossen Augen sehen können. Den 23sten stund der Comet auf der Linie, die durch ß und £ des kleinen Bären geht, und machte also mit 8 und e 13:

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JS

192

Johann

Christoph

Gottsched

in dem Schwänze desselben Gestirns einen rechten Winkel. Dießmal schien selbiger viel klarer zu seyn; ohne Zweifel weil der Mond schon spater aufgieng, und die Dünste der Luft nicht mehr so stark erleuchtete. Der Schwanz schien nicht langer zu seyn, als zween scheinbare Durchmesser der Sonnen, das ist etwa einen Grad von einem der grossen Zirkel. Die Stralen desselben schössen auseinander; schienen sich doch aber am Ende etwas zusammen zu lenken, und Hessen zuweilen Sterne durchsehen. Bey den Stellen, wodurch der Comet die folgende Tage gestanden, wie die Figur weiset, ist weiter nichts zu merken, als daß sie sich ganz genau in einer geraden Linie zu halten geschienen; so viel nämlich in einem so kurzen Stucke seiner Bahn zu bemerken möglich gewesen. Es sind aber dieselben vermittelst vieler kleinen Fixsterne, die man nur durch Fernglaser sehen kann, aufs sorgfaltigste bestimmet worden. Sölten aber die Stellen, die in den Hollandischen und Berlinischen Zeitungen angegeben werden, richtig gewesen seyn: so müßte sich diese Cometenbahn merklich gekrümmet haben, ehe sie so hoch gestiegen, als diese Leipziger Beobachtung sie vorstellet. Uebrigens ist zu bemerken, daß die Bewegung dieses Cometen von Tage zu Tage langsamer zu werden geschienen, wie gleichfalls die Figur zeiget. Die Klarheit und Grösse desselben verminderte sich gleichfalls so merklich, daß man ihn am Ende des Märzes nicht mehr mit blossen Augen finden konnte. Der Schwanz ward auch endlich immer kürzer, und schien den 12ten April durchs Fernglas nicht langer, als einen halben Durchmesser der Sonnen lang, zu seyn. Nach des H e r r n P r o f e s s o r H a u s e n s Meynung ist der Lauf dieses Cometen, nach der Ordnung der Zeichen des Thierkreises gegangen, so daß er die Fläche der Ecliptick im 15. Grade und der 36. Minute des Steinbockes, nahe bey dem Aequinoctialpuncte, in einem Winkel von 82. Graden 4. Minuten durchschnitten, und von dem Polarpuncte der

Vorrede zu ,Betrachtung

über die

Cometen'

193

Ecliptick, nur 7° und 56 abgestanden, als er vor ihm vorbeygegangen. Seine Bahn m u ß also durch den Antinous, den Adler, die Gans des Fuchses, den ostlichen Flügel des Falken der die Leyer tragt, den nordlichen Flügel des Schwans, den zweyten Knoten des Drachen, die Füsse des Cepheus, und endlich durch den Cameloparden gezeichnet werden, in welchem letztern er sich unserm Gesichte entzogen hat. Wenn ich weitlauftiger seyn wollte, so konnte ich aus den gelehrten Blättern, die H e r r P r o f e s s o r H a n o w in Danzig, von seinen eigenen Beobachtungen herausgegeben, verschiedenes beybringen; auch dasjenige anführen, was mir der berühmte H e r r D o c t o r und P r o f . K u l m u s , davon schriftlich gemeldet hat. Eben so konnte ich die Beobachtungen aus Königsberg, Elbing, Tilsit und Petersburg anführen: wenn ich mir nicht die H o f f n u n g machte, daß obgedachter sorgfaltiger Beobachter der Natur, H e r r P r o f . H a n o w , uns diese und andere solche Nachrichten sammlen, und nebst den Seinigen der gelehrten Welt in einer zusammenhangenden Schrift mittheilen werde. Ich breche also hier ab, und wünsche nichts mehr, als daß auch diese Erscheinung eines ausserordentlichen Weltkörpers, zu mehrerer Verherrlichung des grossen Urhebers der Natur, und zu fleißiger Betrachtung seiner wunderbaren Werke, Anlaß geben möge. Geschrieben in Leipzig 1742. im Monate May.

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Vorrede zu Virgils Aeneis in der Ubersetzung von Johann Christoph Schwarz 1742

U n t e r allen Gedichten, die uns aus dem lateinischen Alterthume übrig geblieben sind, ist ohne Widerspruch keins von der Wichtigkeit und Vollkommenheit, als die sogenannte Aeneis des P. Virgilius Maro. Wenn dieser Satz mit Zeugnissen alter und neuer Kunstrichter erwiesen werden müßte, so würden wir nicht eine kurze Vorrede, sondern ein ganzes Buch damit anfüllen können. Allein weder unsre Absicht, noch die N o t h d u r f t der Sache erfordert solches, und wir haben keine Gegner vor uns, die wir in diesem Stücke eines bessern belehren müßten. U n d wenn es ja einige gegeben hat, die den Lucan, mit seiner Beschreibung des pharsalischen Krieges, unsrer Aeneis haben vorziehen wollen: so sind doch dieselben theils in so geringer Anzahl, theils von so wenigem Ansehen in der gelehrten Welt gewesen, daß ihre Stimmen uns im geringsten nicht irre machen können. Die größten Meister in der poetischen Beurtheilungskunst haben ihren Ausspruch, den sie z u m Vortheile Virgils gethan hatten, mit so guten Gründen unterstützet, daß man sie nur obenhin lesen darf, um davon überzeuget zu werden. Wenn wir aber hier von der Vortrefflichkeit eines Heldengedichtes reden, so ist es unsre Meynung nicht, nur auf die Reinigkeit und Schönheit des Lateins, auf den Adel und erhabenen Pracht der Schreibart, auf den fließenden Wohlklang und auf die bezaubende A n m u t h der Verse zu sehen, die man darinnen antrifft. Dieses sind freylich diejenigen Stücke, die auch einem jeden mittelmaßigen Leser eines Gedichtes am ersten ins Auge fallen; die aber auch fast in einer jeden andern Art kleinerer Gedichte statt haben können. So wahr es nun ist, daß Virgil auch in allen diesen Stücken keinem lateinischen Poeten etwas zuvorgegeben, wohl aber die meisten darinn übertroffen hat: so gewiß ist es doch, daß er in

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Johann

Christoph

Gottsched

seiner Aeneis noch viel schatzbarere Eigenschaften gewiesen hat, die uns eine ungemeine Hochachtung gegen ihn selbst erwecken, seinem Werke aber den Vorzug vor allen andern lateinischen Gedichten zuwege bringen können. Es ist nun endlich in Deutschland so unbekannt nicht mehr, als es vor etwa dreyzehn Jahren noch war, ehe nämlich meine critische Dichtkunst herauskam, daß das innere Wesen der Poesie in der Nachahmung bestehe, und daß die edelste und vollkommenste Art derselben in der Fabel zu suchen sey. Man weis es auch bereits, daß diese poetischen Fabeln so mannigfaltig sind, als die Lebensart der Menschen; oder noch besser, als die Classen derjenigen Wesen sind, deren Handlungen man darinn nachahmen kann. Die unterste Art derselben begreift die äsopischen Fabeln in sich, und ahmet die Handlungen der Thiere und andrer theils leblosen theils erdichteten Wesen nach; welchen die Poesie, durch ein ihr eigenes Recht, ein gewisses Leben ertheilen, ja ihnen Gedanken, Handlungen, und Sprache beylegen kann. Die andre und etwas erhabenere Art begreift die Schaferfabeln, darinn ein Dichter die einfaltige und unschuldige Lebensart des menschlichen Geschlechts im güldenen Weltalter abschildert, oder nachahmet: er mag nun solches entweder in epischen Erzählungen oder in dramatischen Vorstellungen, bewerkstelligen. Die dritte Art poetischer Fabeln, entwirft uns den Mittelstand neuerer Zeiten in Städten, der sowohl die Bürger als den Adel in sich begreift, in so weit sich derselbe mit gewissen lacherlichen Thorheiten hervorthut, die ein Poet in comischen Schauspielen und satirischen Romanen abschildern kann. Die vierte Art endlich, die auch billig für die erhabenste und vollkommenste Art der poetischen Nachahmung zu halten ist, begreift die Abschilderung der glücklichen oder unglücklichen Handlungen der Großen dieser Welt unter sich, wovon ganzer Volker Schicksale abhangen, und ganze Lander bisweilen in neue Verfassungen gesetzet werden. Und da sich diese letztere Art der Nachahmung ent-

Vorrede zu Virgils

,Aeneis'

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weder in theatralischen Vorstellungen als ein Trauerspiel, oder in langen Erzählungen heroischer Thaten, als eine Epopee ausüben laßt: so begreift ein jeder, daß diese Art poetischer Fabeln die schwerste sey, und nur von den größten Geistern mit glücklichem Erfolg unternommen werden könne. Mein Vorsatz leidet es nicht, zu untersuchen, ob die Epopee vor der Tragödie, oder diese vor jener den Vorzug habe. Wenn meine Uebersetzung der aristotelischen Dichtkunst das Licht erblicken wird, so wird man darinn, theils dieses großen Kunstrichters Meynung, theils mein weniges Gutachten davon antreffen. Voritzo nehme ich es für eine sehr augenscheinliche Sache an, daß ein Heldengedicht ein weit größeres Gedicht sey, als ein Trauerspiel; und zwar nicht nur der äußerlichen, sondern auch der innerlichen Große nach. Die Fabel des erstem kann, nach dem Urtheile der besten Kenner, etliche Monate, ein halbes, ja gar ein ganzes Jahr dauren: der Inhalt eines Trauerspiels aber muß in die engen Grenzen eines einzigen Tages eingeschlossen seyn. Hieraus erhellet nun der ungleich größere Umfang eines Heldengedichtes zur Gnüge. Eine größere Anzahl von Begebenheiten, eine größere Menge von Haupt= und Nebenpersonen, mehr glückliche und unglückliche Zufalle, mehr Zwischenfabeln und Wunderdinge, die sich alle in einem Heldengedichte vereinigen, kommen noch dazu, und benehmen vollends einem Trauerspiele alle Hoffnung zum Vorzuge. Dieses alles habe ich in keiner andern Absicht angeführet, als damit man den hohen Werth des virgilianischen Heldengedichtes desto besser einsehen möge. Es ist wahr, Homer hatte lange vor ihm ein Paar Heldengedichte geschrieben, und dem romischen Dichter dadurch die Ehre der Erfindung geraubet. Man kann auch gewisser maßen sagen, Virgil sey nur durch die Nachahmung der Ilias und Odyssee zum epischen Poeten geworden; zumal da man soviele Spuren

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Christoph

Gottsched

findet, daß er ziemlich weitlauftige Erfindungen, Beschreibungen, Charaktere und Gleichnisse seinem Vorganger, wiewohl mit einigen nothigen Veränderungen abgeborget hat. Gleichwohl kann man es nicht leugnen, daß Virgil seinen Vorganger in verschiedenen Stücken weit hinter sich gelassen hat. Der hohe Gipfel des Glücks und der Größe, zu welchem das romische Reich unter Kaisers Augusts Regierung gestiegen war, hat unsern Dichter mit weit edlern und erhabnem Begriffen erfüllet, als jemals dem Homer, in seinen kleinen griechischen Staaten, in den Sinn kommen können. Die ziemlich hochgestiegene Weltweisheit, hatte den Witz und die Einbildungskraft Virgils auch ungleich mehr geläutert, und ihn theils in Erdichtung gewisser Wunderdinge bescheidner, theils in Beschreibung der Gottheiten viel behutsamer gemacht. Die Helden selbst sind hier nicht mehr so wilde und gewaltthatig; sondern es herrschet bey ihm ein besserer Begriff von Tugenden und Lastern, und von der wahren Große, in den Worten und Handlungen derselben. Auch in der Schreibart hat Virgil mehr edles, und er beobachtet durchgehends einen bessern Wohlstand, als zu den Zeiten des ehrlichen Homers zu erreichen möglich gewesen. Die unzahlichen Widerholungen gewisser Bey worter, ganzer Redensarten und Verse, ja langer Reden, mit eben so viel Worten und Sylben, die im Homer so oft getadelt worden, wird man in der Aeneis vergeblich suchen. Doch auch dieses ist noch nicht das Hauptwerk. Wir müssen den Hauptzweck des Dichters kennen, wenn wir von seinem Gedichte ein richtiges Urtheil fällen wollen. Denn wie Homer, nach Aristotels Anzeige, in seiner Ilias, die unter sich uneinigen griechischen Staaten dadurch zur Eintracht zu bewegen gesuchet, daß er ihnen die schädlichen Wirkungen der Zwietracht, in dem griechischen Lager vor Troja, besungen: so hat sich Virgil einen nicht minder erhabenen Endzweck vorgesetzt; als er die Veränderung der romischen Regierungsform erwog, sie sich unter dem Au-

Vorrede zu Virgils

,Aeneis'

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gust, aus einer Republik in eine Monarchie verwandelte. Rom war durch ein gelindes, obwohl gerechtes und großmüthiges Regiment, unter seinen Consuln groß geworden. Selbst im Kriege hatte man die Sanftmuth allemal der W u t h vorgezogen, wie ein großer Staatsmann und Weltweiser, Cicero bemerket, wenn er im II. Buch von der menschlichen Pflicht schreibt: EVENTUS B E L L O R U M ERANT AUT MITES, AUT NECESSARII . Dieser Trieb zur Sanftmuth und Gelindigkeit hatte sich unter den verderblichen Triumviraten in Rom ziemlich verlohren; als unter dem Sylla, dem Marius, u . a . m . das Morden und Metzeln so überhand genommen, daß fast kein Romer mehr seines Lebens sicher war. Selbst August hatte im Anfang seiner Regierung viele Grausamkeiten ausgeübet, um alle Misvergnügte aus dem Wege zu räumen, und sein neues Reich dadurch zu befestigen. Dieses grausame Gemüthsart, oder harte Regierung des neuen Kaisers und ersten Stifters der Monarchie, ein wenig zu mildern, das war die Hauptabsicht, weswegen Virgil sein Heldengedicht unternahm, und mit unsäglicher Arbeit zu Stande brachte. Er wollte sowohl die Vortheile eines sanften Regiments, als das Elend eines Staats abschildern, worinn tyrannisch und grausam geherrschet wird. Beydes neben einander zu stellen, war nöthig: theils weil eins das andre destomehr erhebet, wie der Schatten in der Malerkunst, das Lichte desto heller macht; theils weil sein Vorgänger, H o m e r , sich dieses Kunstgriffes schon mit dem glücklichsten Erfolge bedienet hatte. Hatte aber dieser die schädlichen Früchte der Zwietracht, und die herrlichen Vortheile der Einigkeit, an dem einzigen Achilles zeigen können, der anfanglich erzürnet war, und die Griechen ihrem traurigen Schicksale überließ; hernach aber versöhnet wird, und sie an ihren Feinden rachete: hatte dieser ferner, die schädlichen Folgen der Abwesenheit eines Fürsten aus seinem Staate, und die heilsamen Früchte seiner Gegenwart, an dem einzigen Ulysses abschildern können; dessen Königreich zu Grunde

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gieng, so lange er nicht zu Hause war, aber glücklich wieder hergesteilet wurde, so bald er wieder an seinem Hofe angelanget war: so mußte sich Virgil einer ganz andern Einrichtung dabey bedienen. Der herrschende Charakter eines Menschen, oder seine Gemüthsart ist insgemein etwas dauerhaftes und beständiges. Wer einmal zur Sanftmuth von Natur geneigt ist, der bleibt es wohl sein lebenlang: und ein tyrannisches Naturell wird nicht so leicht ausgerottet, zumal wenn es Zeit genug gehabt, sich zu starken und recht einzuwurzeln. Sollte ja in der Aufführung eines Menschen eine merkliche Veränderung vorgehen, so müßte viele Zeit dazu gehören, ehe sich die Grausamkeit etwas lindern, und mehr nachlasse, als ganz aufhören konnte. Nun hat aber die Erzählung oder Fabel eines Heldengedichtes ihre bestimmte Grenzen, die sie nicht überschreiten darf. Der gelehrte P. Bossü, hat in seiner gründlichen und vollständigen Abhandlung davon, gewiesen, daß die Aeneis nicht mehr als ein halbes Jahr in sich hält, darinn sich alles dasjenige zuträgt, was der Dichter selbst von seinen Begebenheiten erzählt. In einer so kurzen Zeit nun, konnte sich in seinem Helden eine so merkliche Gemüthsänderung nicht zutragen, als die große Lehre erfordert hätte, die er darinn abhandeln wollte. Aeneas hatte aus einem grimmigen Wüterich, fast auf einmal, ein sanfter und gnädiger Regent werden müssen; welches ganz unnatürlich, und folglich höchst unwahrscheinlich gewesen wäre. Hierzu kam noch, daß Aeneas, im Homer selbst schon, mit einem so gelassenen und sanften Charakter abgebildet worden; wobey also Virgil ihn nothwendig lassen müssen, wenn er nicht die bekannte Regel überschreiten wollen: A U T FAMAM SEQUERE, AUT SIBI CONUENIENTIA FINGE, S C R I P T O R . H O N O R A T U M SI FORTE REPONIS A c H I L L E M : IMPIGER, IRACUNDUS, INEXORABILIS, ACER, I U R A NEGET SIBI NATA; NIHIL NON ARROGET ARMIS,

Vorrede zu Virgils ,Aeneis'

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SIT M E D E A F E R O X , INVICTAQUE, FLEBILIS I N O , P E R F I D U S I X I O N , I O VAGA, TRISTIS O R E S T E S .

W a s also Virgil in einer P e r s o n nicht finden k ö n n e n , das hat er sich in z w o e n zu zeigen v o r b e h a l t e n , und dem f r o m m e n und gnadigen A e n e a s , einem andern gottlosen und grau- 5 samen M e z e n z entgegen gestellet. So wie er nun dadurch den Kaiser A u g u s t belehren w o l l e n , wie er seine neugestiftete M o n a r c h i e , nach dem B e y s p i e l e des A e n e a s , durch G n a d e und N a c h s i c h t gründen sollte: also hat er auch seine R o m e r allmählich bereden wollen, ihre vormalige so unruhige re- 1: publikanische F r e y h e i t zu vergessen, und sich einem R e g e n ten willig zu u n t e r w e r f e n , dessen R e c h t z u r H e r r s c h a f t , sich theils auf seine T a p f e r k e i t , theils auf den augenscheinlichen S c h u t z und Willen der G o t t e r gründete. E r zeiget also in diesem G e d i c h t e überall, daß die großen Staatsveränderun- 15 gen allezeit auf den R a t h s c h l u ß J u p i t e r s erfolgen. T r o j a ist nach demselben untergegangen, und Aeneas hat nach eben demselben den G r u n d zu einem neuen R e i c h e gelegt. D i e s e r f r o m m e P r i n z war nur das W e r k z e u g , das die G o t t e r zu dieser A b s i c h t erwählet hatten. D i e D e u t u n g , auf den Kaiser A u g u s t , war leicht zu m a c h e n . D a ß nun der D i c h t e r diese seine A b s i c h t durch sein G e dicht glücklich befördert habe, hat der E r f o l g sattsam erwiesen. D i e letzten und meisten J a h r e seiner Regierung d u r c h , hat R o m an seinem Kaiser einen gnadigen R e g e n t e n , 25 und Augustus treue und gehorsame U n t e r t h a n e n gehabt. D o c h das gehört eigentlich nicht für uns. Es ist genug, daß wir die K u n s t des P o e t e n einsehen lernen. Seine H a u p t f a b e l , ist nach dem obigen f o l g e n d e : „ D i e G ö t t e r retten einen Prinzen b e y dem U n t e r g a n g e eines mächtigen Staats, und wählen u ihn, die Religion desselben f o r t z u p f l a n z e n , ja ein neues Reich zu stiften, welches n o c h g r ö ß e r und prächtiger werden sollte, als das z e r s t ö r t e . E b e n dieser H e l d wird von dem U e b e r r e s t e des zerstörten R e i c h e s z u m K ö n i g e erwählet; und er führt

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Gottsched

sie in diejenigen Lander, woher seine Vorfahren entsprossen waren. Er laßt sich unterwegens von allem dem belehren, was er nothig hatte, ein Konig, ein Priester, und ein Stifter einer Monarchie zu seyn. Er findet bey seiner Ankunft in dem neuen Lande, Gotter und Menschen geneigt ihn aufzunehmen, und ihm sowohl Volk als Land zu geben. N u r ein benachbarter Prinz, dem Ehrgeiz und Eifersucht vor der Billigkeit und den Befehlen des Himmels die Augen verschließen, widersetzt sich seiner ruhigen Besitznehmung; und wird von einem andern Fürsten unterstützet, der seiner Grausamkeit und Gottlosigkeit wegen, seiner Staaten beraubet worden. Dieser Widerstand, und der Krieg, w o z u unser gottseliger Fremdling genothiget w i r d , macht sein neues Reich auch durch das Recht der Waffen, durch den erfochtenen Sieg, und durch den Tod seiner Feinde, desto gerechter und herrlicher." Dieß ist der kurze Inhalt der ganzen Aeneis, so wie ihn der gelehrte P. Bossü, entworfen hat: und daraus man gar wohl sehen kann, daß er mit der Ilias und Odyssee nicht das geringste gemein hat. W e n n also Virgil die homerischen Gedichte nachgeahmt hat, so hat er es gewiß nicht im Hauptwerke sondern in gewissen Nebendingen von geringer W i c h tigkeit gethan. Seine Fabel wenigstens ist neu, und er hat nicht als ein sklavischer Nachahmer seinen Vorganger bloß übersetzet; sondern das Herz gehabt, sich eine neuere und viel schwerere Bahn zu wählen, als Homer gegangen w a r . Hatte nun Virgil, seine Fabel desto wahrscheinlicher und lebhafter zu machen, in den romischen Geschichten einen Held gesuchet, der seiner Absicht gemäß gewesen wäre: so w ü r d e er ihn vergeblich gesuchet haben. Es waren eigentlich nur z w o Staatsveranderungen vorgegangen, ehe August die Republik in eine Monarchie verwandelte. Brutus hatte die Konige aus Rom vertrieben; und das Volk in Freyheit gesetzt: allein wie hatte sich diese That besingen lassen, ohne den August offenbar zu beleidigen; da ein andrer Brutus

Vorrede

zu Virgils

,Aeneis'

205

seinen Vorganger und Oheim Casar ermordet hatte, und August selbst die alte Freyheit der Romer unterdrückete? Die andre Veränderung hatte Romulus gemacht, indem er die Stadt zuerst gebauet, und das ganze Reich gestiftet hatte. Er war also freylich in ähnlichem Umstanden mit dem Kaiser August, als Brutus: allein Virgils Held sollte sanftmüthig seyn; und Romulus hatte die Mauren seiner neuen Stadt, mit dem Blute seines eigenen Bruders beflecket. Da sich nun diese That nicht hatte verhelen lassen, so mußte Virgil noch weiter ins Alterthum zurücke gehen. Zu allem Glücke traf er hier einen Aeneas an, der einer alten Sage gemäß, nach Italien gekommen seyn sollte. Es ist wahr, daß die Sache an sich so gar ausgemacht nicht ist. Wer davon etwas mehrere Nachricht verlanget, der lese des gelehrten Bocharts Dissertation: A N A E N E A S U M Q U A M FUERIT IN I T A L I A ; die bey seinem Phaleg in der Frf. Ausgabe von 1674. angehängt ist. Allein diese Untersuchung brauchte Virgil eben nicht anzustellen. Ihm, als einem Dichter, war es genug, daß man es in Rom und Italien dafür hielt, und daß gar die Julier, von dem Sohne des Aeneas, J u l ( i ) u s , ihren Namen und ihr Geschlecht herführen wollten. Er wählte also diesen Stifter eines neuen Reiches in Italien, desto lieber, je merkwürdiger sein Ursprung aus Troja ihn machte; und je besser sein aus dem Homer schon bekannter Character sich zu seinen Absichten schickete. Ich weis wohl, daß der berühmte le Clerc in seinen Parrhasianen, in der Abhandlung von der Poesie, verschiedene Einwürfe wider die Aeneis überhaupt, und insonderheit wider die Absichten des Poeten gemacht. Allein man hat selbige auch schon so vielfaltig beantwortet, daß ich mich hierbey nicht aufhalten darf. Man sehe unter andern, was ich selbst, in den Anmerkungen zu diesem von mir übersetzten Stücke der Parrhasianen, in der critischen Beyträge VI. Bande gesagt habe. Wer aber noch eine ausführlichere Rechtfertigung des virgilianischen Heldengedichts lesen will; der sehe 14

Gottsched X/l

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Johann

Christoph

Gottsched

SEBASTIANI R E G U L I BRASICHELLENSIS, IN PRIMUM

AENEI-

DOS VLRGILII LIBRUM, EX ARISTOTELIS DE A R T E POETICA ET

die zu Bononien 1563 und 1565 in II.Theilen herausgekommen. Dieser vortreffliche Kunstrichter ist beynahe der einzige von den Auslegern Virgils, der auf die rechte Spur gerathen; indem er sichs vorgenommen zu zeigen, daß Virgil in allen Stücken Aristotels Vorschriften gefolget sey. Q U A R E PUTAVI E G O , schreibt er in der Vorrede, ME REM ET UTILEM, ET GRATAM R H E T O R I C A PRAECEPTIS, EXPLICATIONES;

VOBIS, (POETICES STUDIOSIS) FACTURUM, SI, QUANTUM IN ME

ESSET,

IN

HOC

EXPLICANDO

SUMMI

POETAE

LIBRO

CONARER DEMONSTRARE, P R I M O SUMMATIM, DEINDE PARTICULATIM, Q U I D Q U I D A P O E T A SUMMO DICTUM EST, PRAECEPTIS ARISTOTELIS MAXIME CONSENTIRE; Q U O D EO LIBENTIUS

SUM

AGGRESSUS,

QUOD

EX MULTIS

HUIUS

INTERPRETIBUS ADHUC LEGI NEMINEM, Q U I HANC PRET ANDI VIAM DEMONSTRARET,

POETAE INTER-

QUAE M I H I VERA ET AD

POETAS INTERPRETANDOS PRORSUS NECESSARIA VIDETUR. E i n

mehrers daraus anzuführen, leidet unser gegenwartiger Raum so wenig, als unsre Absichten. So vortrefflich nun dieses Heldengedicht Virgils an sich selber ist, und so hoch es von allen geschatzet worden, die es mit einigem Verstände haben lesen können: so begierig ist es auch von allen Volkern, wo die Gelehrsamkeit einigermaßen geblühet, in ihre Sprachen übersetzet worden. Ich will mich hier nicht auf unsre Nachbarn beruffen: denn was gehen uns die an, die draußen sind? Unsre deutsche Nation hat es gewiß allen heutigen Volkern, an Eifer, die Aeneis in ihrer Muttersprache zu haben, bey weitem zuvorgethan. Ein kleines Verzeichniß virgilianischer Uebersetzungen steht zwar schon in dem I. Bande auf der 49. u. f. S. imgleichen auf der 493. u. f. S. meiner critischen Beytrage, so wie es mein damaliger Freund und Gehülfe, der selige Herr Professor Lotter aufgesetzt. Allein es ist selbiges so vollständig nicht, daß es nicht mit einigen Zusätzen ver-

Vorrede

zu Virgils

,Aeneis'

207

mehret werden konnte. E r hat auch dazumal nicht alle Stücke selbst in Händen und vor Augen gehabt, davon ihm einige Nachricht beywohnte. Weil es nun theils angenehm ist, auch die Bemühungen unsrer Vorfahren in einer so loblichen Arbeit zu sehen, und zu kennen; theils auch destomehr beytragen kann, den Werth der itzigen neuen U e b e r setzung, womit uns der gelehrte H e r r Schwarz beschenken wollen, recht zu schätzen und einzusehen: so will ich den Liebhabern, einige ausführlichere Nachricht davon geben, auch von jeder derselben eine zulängliche P r o b e anführen. Die erste und älteste deutsche Dollmetschung der Aeneis ist wohl unstreitig, diejenige, die D . T h o m a s Murner zu Straßburg 1515 in Folio herausgegeben. D e r ganze Titel dieser Arbeit heißt so: V e r g i l i j M a r o n i s dryzehen Aeneadischen Bücher von T r o i a n i s c h e r Zerstörung und v f f g a n g des R o m i s c h e n R e i c h s , d u r c h D o c t o r M u r n e r vertütst. M a x i m i l i a n o dem D u r c h lüchtigen, Vnüberwintlichen, Milten, Fridsamen und a n g e b o r n e r f ü r s i c h t i k e i t weisen F ü r s t e n , dise g e l e r t e g a b . Darunter stehen die fünf Selbstlauter in dieser Figur, A £ I.

u.

O.

so daß die beyden mittelsten schwarz, die drey übrigen roth sind. D i e Zueignungsschrift steht gleich auf der umgekehrten Seite des Titelblattes, und hebt so an: I c h w i l l s e i n e i n b e s u n d e r e f r e u d h a b e n , an d y n e r G n a d e n g e w o n l i c h e t i t e l , W e i s e r u n d in m e n s c h l i c h e n z u f a l l e n f ü r s i c h t i g e r K e i s e r , 2C. Er sagt bald darauf, daß er V e r g i l i u m M a r o n e m (on r u m zu r e d e n ) vß l a t y n s c h e m v e r ß in t ü t s c h e r e i m e n v n d g e z w u n g e n e reden mechtig vnd gewaltiglich v e r t ü t s c h e t , vnd d a l m e t s c h e t , welches vor ihm e i n u n g e h o r t e s v n d e r s t o n gewesen wäre. O b w o h l der Titel von dreyzehn 14'

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Büchern Virgils geredet, so heißt doch die inwendige Ueberschrift: D a s e r s t e B u o c h . V e r g i l i i M a r o n i s XII. E n e a d i s c h e r b i e c h e r . Hierauf folget ein kurzer Inhalt des ersten Buches in Reimen, sodann ein Holzschnitt, der das Urtheil des Paris über die drey Gottinnen vorstellet. Jupiter sitzt nicht weit davon auf einem Throne, der auf der Erde steht, vor welchem Hebe mit dem Becher gefallen ist; von oben aber der Adler den neuen Mundschenken Ganymedes bringt. Nach dem Paris, der eine große Pelzmütze in der Hand halt, zielt Cupido von hinten mit einem Bogenschüsse; Pallas hat einen Harnisch an, die andern Gottinnen sind nackend, in fliegenden langen Haaren. Zur linken sitzt Virgil auf einer ordentlichen Schulcatheder, und eine Muse die geflügelt ist, reicht ihm ein Buch nebst einem Griffel. Ganz oben aber ist eine Stadt zu sehen, darüber nicht etwa Troja, sondern Carthago geschrieben steht. Die drey Parcen sitzen vor dem Stadtthore, mit ihrem Spinnwerke, und haben, wie alle vorige Figuren, ihre Namen auf fliegenden Zetteln über dem Kopfe. Nun hebt das Buch selbst dergestalt an: Ich bschreib die Waffen und den man des, der zum ersten gschiffet kam. Flüchtig in das welische landt geen Lavinien wol erkant Der zu lande und auch uff meere geworffen ward, geiebet sere Durch der gotter kraft und zorn Junonis der gottin hochgeborn Wieviel er doch erlitten hat da er wolt buwen, Rom die stat In Latium bracht die frembden got da har ein ursprung warlich het Albani, und latynisch geschlecht Rom auch selb verstan das recht. Ach got sag mir doch welchen got

Vorrede

zu Virgils

,Aeneis'

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hat doch Eneas dir verspot Was zorns nimpt sich die küngin an das sie ein solchen milten man Hebt und treibt in manchen fal zwingt in arbeit uberal Ich het nit gmeint das hymelsch gmiet so zorneklich mit räche wiet. So fährt nun der Poet durchgehends fort. Die Holzschnitte sind nicht gespart, und nach dem zwölften Buche Virgils folget noch das dreyzehnte, ohne zu melden, wer selbiges im Originale beschrieben hat. Den Beschluß machen folgende Worte: H i e e n d e t s i c h das d r e i z e h e n d b u c h E n e i d o s , u n d ist g e t r u c k e t u n d s e l i g k l i c h v o l l e n d e t in d e r k e i s e r l i c h e n f r e i e n s t a t , s t r a ß b u r g , von J o a n n e s G r ü n i n g e r n uff M o n t a g nach sant B a r t o l o m e u s tag. Im jar so man zeit von der g e b u r t Cristi tusent fünf hundert fünfzehen. Wer sonsten dieser D . Murner gewesen, das kann man aus dem I I I . Bande der critischen Beytrage, in dem V I . Artikel ersehen, wo seiner Uebersetzung der Institutionen des Kaisers Justinians gedacht wird. Auch aus der Reformationshistorie ist derselbe, zwar wegen verschiedener Streitigkeiten mit unserm theuren Luther bekannt: doch gehört dieses nicht für uns. Wir schreiten vielmehr zu den neuen Auflagen seiner Aeneis. In dem III. Stücke der critischen Beytrage, auf der 493 S. steht eine Nachricht von einer Uebersetzung, die 1543 in 8. ohne Meldung des Ortes, herausgekommen. Sie hat den volligen Titel den wir oben angeführt haben, nur daß D . Murners Name ausgelassen worden. Auch in der Vorrede heißt es nur: N a c h d e m d i e A e n e a d i s c h e n B ü c h e r V i r g i l i i vor vil j a r e n , von einem g e l e r t e n M a n n v e t e u t s c h e t , u n d a u s g a n g e n ; s e i n d sie i e t z t w i d e r a u f f s n e w g e t r u c k t , an s e h r vil o r t e n c o r r i g i r t ,

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Johann

Christoph

Gottsched

die r e y m e n g e b e s s e r t , und ein j e d e s B u c h nem sonderlichen B e g r i f f sampt einer F i g u r dazu g e h ö r i g , gemeert und gezieret Der Anfang derselben heißt eben so wohl, wie hieß:

mit seischonen worden. das obige

Ich bschreib die waaffen und den Man Des der zum ersten gschiffet kam, 2C. Es hat diese Ausgabe auch das dreyzehnte Buch Maphei vom Aeneas, wie die obige, mit demselben Beschlüsse, den die erste Ausgabe in Fol. hat, davon ich hier etwas mittheilen will: Venus die steig vom Himmel nider Hin gen Laurentum kam sie wider Daselbst Numitius der Fluß Durch vil geror hinlauffet aus Gar schnelliglichen in das Meer Eneas leib den trug sie her Und wusch jm ab all tödtlicheit Die seel mit freuden sie hintreit Hoch in das gstirn über sich Mit freuden in das Himmelreich Da er jetz lebet ewiglich. Ich habe solches bey dieser Gelegenheit anzeigen wollen; weil der Verfasser des gedachten Artikels, damals, aus Mangel der ersten Ausgabe der murnerischen Uebersetzung, es im Zweifel lassen müssen, wer der Urheber von diesen neuaufgelegten aneadischen Buchern gewesen. Siehe die 494 S. Doch auch diese neue Ausgabe hat die Begierde der Deutschen, den Virgil in ihrer Muttersprache zu lesen, nicht vergnügen können. Im 1606ten Jahre nämlich, ist diese murnerische Aeneis abermal zu Jena gedruckt, aber hier in Leipzig verlegt worden. Ihr ganzer Titel, den mein sei. Gehülfe in den critischen Beyträgen auch nicht gewußt,

Vorrede zu Virgils ,Aeneis'

heißt so: V i r g i l i i M a r o n i s z w ö l f f B ü c h e r : I t e m das B u c h M a p h e i v o n d e m t h e w r e n H e l d e n TENEA, was d e r zu W a s s e r vnd L a n d b e s t a n d e n . J e t z u n d v o n newen w i e d e r u m b vbersehen mit Fleis c o r r i g i r e t , vnd s c h o n e n F i g u r e n g e z i e r e t . G e d r u c k t zu J e h n a d u r c h J o h a n n W e i d n e r n , In V e r l e g u n g d u r c h J o h a n n B o r n e r n des j u n g e m , B u c h h ä n d l e r n in L e i p z i g , A n n o 1606. in 8. Die Vorrede ist hier fast eben dieselbe, die ich vorhin aus der andern Ausgabe angeführt; nur daß noch diese Worte den Schluß machen: W e l c h e s a l l e s du s e l b s t im l e s e n , m e h r d e n n ich dir h i e in k ü r t z anzeigen k a n , v e r n e h m e n wirst. H i e r m i t sey d e m A l l m e c h t i g e n G o t t b e f o h l e n . Nach dem B e g r i f f des e r s t e n B u c h s V e r g i l i i v o m E n e a s , in Versen, folgt die Figur desselben I. Buches, und alsdann hebt das I. B . selber an. Und hier erscheinet sogleich eine Spur der Verbesserung, die auf dem Titel versprochen worden. Denn anstatt, daß D . M u r n e r von dem

A R M A VIRUMQUE

CANO

ETC. angefangen, so hebt dieser von den bekannten Versen, I L L E E G O , Q U I QUONDAM ETC. f o l g e n d e r g e s t a l t a n :

Ich der vormals hab zugericht Mit grobem Gsang ein schlecht geticht Darnach bald aus den walden gieng Und mich des Feldbaws unterfieng Damit es Frucht brecht nach der schwer Wie geitzig schon sein Bauman wer Ein angnem Werck den Ackerleuten Sing nu von Stürmen und von Streiten Und bschreib die Waffen und den Man Des, der Troj der erst entran Und floh in das Italisch land Da er lateinisch Ufer fand Wie er zu Land und auff dem Meer Geworffen ward geübet sehr

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Gottsched

Durch Krafft der Gotter und umb das Ihm Juno trug ein alten Haß Wieviel er doch erlidten hat Da er wolt bawen Rom die Stad In Latium bracht frembde Gott Daher den ersten ursprung hett Albani und Lateinisch Geschlecht Auch selber R o m , versteh das recht. Ach Musa sag mir welchen Gott Hat doch Eneas je verspott? Was zorns nimpt sich doch Juno an Daß sie ein solchen milden Man In soviel Muh und Arbeit zwingt Und in solch Noth und Trübsal bringt. Ich hett nicht gmeynt daß himlisch Gmüt So zorniglich nach Rache wüt. Wie man nun aus dieser Probe sieht, daß freylich diese neue Ausgabe in vielen Stücken, nach einer fast um hundert Jahre neuem Mundart gebessert worden; also kann man sich leicht einbilden, daß sie auch mit viel großerm Beyfalle wird seyn aufgenommen worden. Doch siehe, ehe man noch an diese dritte Ausgabe der murnerischen Uebersetzung gedacht, hatte sich in Augspurg, ein andrer geschickter Poet, M . J o h a n n S p r e n g , daran gemacht, und die ganze Aeneis, sowohl, als die ganze Ilias in deutsche Reime gebracht. So groß der Fleiß dieses geschickten Mannes gewesen seyn muß, so wenig ist ihm das Vergnügen zu Theil geworden, seine Werke bey seinem Leben gedruckt zu sehen. Er ist 1601. den 30 Marz im 77sten Jahre seines Alters gestorben, und allererst neun Jahre hernach ist sowohl seine Ilias, als seine Aeneis ans Licht getreten. Die vollige Aufschrift der letztern heißt so: tEneis V i r g i l i a n a . D a s ist des f ü r n e m b s t e n , L a t e i n i s c h e n P o e t e n P. V i r g i l i i M a r o n i s X I I . B ü c h e r , V o n den G e s c h i c h t e n vnd T h a t e n deß

Vorrede zu Virgils

,Aeneis'

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R i t t e r l i c h e n v n n d t h e u r e n H e l d e n AENEAE, des T r o j a n e r s , von d e s s e l b e n abzug an, nach der Z e r s t ö r u n g d e r S t a t t T r o i a , w a s er zu W a s s e r u n d L a n d t b i ß auff sein a b s t e r b e n a u ß g e s t a n d e n . In artige T e u t s c h e R e i m e n v e r f a ß t , durch weilund M. J o hann Sprengen, gewesnen K a y s . N o t a r i u m vnnd B u r g e r n zu A u g s p u r g . I t z t e r s t m a h l s in o f f n e m T r u c k p u b l i c i e r t vnd v e r f e s t i g t . M i t R o m . K a y s . M a y s t . F r e y h e i t . G e d r u c k t zu A u g s p u r g , d u r c h C h r i s t o f f M a n g e n , in V e r l e g u n g E l i i W i l l e r s A n n o 1610. in FOL. Diese Uebersetzung nun ist von dem Buchhandler Willers einem Freyherrn zu Schonenberg zugeschrieben, und mit dem Bilde des Uebersetzers, und seinem Lebenslaufe in Knittelversen gezieret, die man in der critischen Beytrage I. B . auf der 50. 51. S. sehen kann. Hierauf folgt das A r g u m e n t u n d I n h a l t d e ß E r s t e n B u c h s V e r g i l i i , v o n d e m F ü r s t e n ¿£NEA. Nachdem Troya die Statt außbran Aeneas der fürtrefflich Mann Zog hin, nahm vil der Mitgeselln Und in ein frembdes Land thet stelln, Fuhr aus mit zweintzig schiffen groß 20. Doch es ist uns mehr an dem Anfange des Werkes selbst gelegen, daraus wir sehen werden, daß er seines Vorgangers D . Murners Arbeit gar nicht gebrauchet hat. Es hebt so an: Der ich mit einem schlechten klang, Offt manches bäurisch lidlin sang Hab bald darnach die wald verlassen, Mich auff der Felder weite Strassen Begeben und gezeiget an Zum Ackerbaw die rechte Bahn, Was maßen die rauch grobe Erden Dem Baurßman köndt gehorsam werden

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Jobann

Christoph

Gottsched

Jetzunder aber mein Gedicht Auf krieges waffen ist gericht. Den Mann gewaltig in dem streyt Beschreib ich so vor langer Zeit Auß Troia dem Reich entfloch Und in Italjam dar zoch Kam durch Gottliche Providentz Entlich in die Lavinisch Grentz, Und in der Stadt Laurentum klar, Erlitt vil unglück und gefahr, So wol zu Wasser als zu Land, Dises geschach durch Widerstand Der Götter und Junonis zorn Vil Volks hat er im Krieg verlorn Und außgestanden vil Unrat Biß von ihm wurd erbawt die Statt Auch die Haußgotter wol bedacht In Latium gar eingebracht Davon der gantz Lateinisch Hauff Entstanden ist und kommen auff Davon auch die Albanier Und Rom dem ursprung führet her. Am Ende findet man hier das dreyzehnte Buch Maphei nicht, wie in den obigen: aber was die Güte der Uebersetzung anlangt, so ist sie, wie der Augenschein lehret, denenselben oder doch der letztern nicht sonderlich vorzuziehen; zumal sie noch weitlauftiger gerathen ist, und mehr Umschweife gemacht hat, als dieselbe. Um diese Zeiten nun fiel eben die glückliche Verbesserung der deutschen Dichtkunst durch Martin Opitzen ein; der vielleicht schon in demselben 1610 Jahre da Sprengs Virgil herauskam, auf den Schulbanken Reime machte, die aller seiner Vorganger Meisterstücke übertrafen. Allein so groß und merkwürdig auch die Aenderung des deutschen Geschmackes in den

Vorrede

zu Virgils

,Aeneis'

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nächsten dreyßig Jahren war, so wenig wollte sich um diese Zeit jemand an die Uebersetzung der alten Dichter machen. Außer dem was uns Opitz selbst, aus dem S o p h o k l e s und S e n e c a an Trauerspielen verdollmetschet, hat sich niemand von seinen ersten Nachfolgern, an die Griechen und Romer wagen wollen. Ohne Zweifel war die Schwierigkeit Schuld daran, die nunmehr desto großer geworden war, je mehr derjenige Regeln zu beobachten hatte, der in die Fußtapfen eines Opitz, Flemmings, Dachs und Tschernings treten wollte. Zwar finde ich in dem I. Stücke des I. Bandes der Beytrage, auf der 52 Seite, daß der selige Professor Lotter, einer virgilianischen Uebersetzung gedenket, die 1644 in Hamburg herausgekommen, und vom B e r n h a r d M e l e t h r a u s verfertiget gewesen. Allein,ich habe bis diese Stunde keine weitere Nachricht davon bekommen, auch nicht erfahren können, ob dieselbe in gebundener oder ungebundener Rede abgefasset gewesen. Bald nach diesen Zeiten, oder vielleicht zu eben der Zeit, muß folgende Uebersetzung der Aeneis, in ungebundener Sprache verfertiget worden seyn; deren Ueberschrift also lautet: D e r F r y g i e r A e n e a s , wi er n a c h S m ä r z e n t f ü n d l i c h e n A b l a b e n seiner adlen K r e u s e n , ents c h l a g u n g der t r ü b s a l i g e n D i d o , mit der h u l d r e i chen L a v i n i e b e s a l i g e t , i z z o bey der l i b s a l i g s t e n D e u t s c h i n n e in b e r u h e t e r a n n a m l i c h k e i t b e f r i d e t w o r d e n . S t a r g a r d , in V e r l e g u n g J a c o b H e n n i g s , Buchhändlers. Der geneigte Leser, wird ohne mein Erinnern, aus der sonderbaren Buchstabirkunst dieses Titels ersehen, daß der Urheber dieser Uebersetzung, ein Zesianer gewesen seyn müsse, welche in der Hälfte, und gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts, ihre ganz eigene Schreibart, und recht seltsame Rechtschreibung, einzuführen suchten. Der Name desselben aber ist in dieser Uebersetzung nirgends zu finden, außer, daß er sich am Ende, der statt einer Vorrede

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Johann

Christoph

Gottsched

vorgesetzten a l l g e m e i n e n L o b r a d e , an di D u r c h lauchtige, G r o ß m a c h t i g * und unüberwündlich=ste K o n i g i n D e u t s c h i n n e , seine allergnadigste K o n i gin u n d F r a u , als i h r e r G r o s m a c h t i g s t e n D u r c h lauchtigkeit, unsaumigen Knecht, Salemyndonis unterschrieben hat. Nichts ist lustiger zu lesen, als diese Lobrede, die gleichwohl auf vier Duodezblattern Raum hat, und darinn der Verfasser seinen patriotischen Eifer für Deutschland, mit den wunderlichsten Ausdruckungen an den Tag legt. Darauf folgt nun ein T r a u e r s p i e l v o n d e r D i d o , welches aus dem IV. Buche der Aeneis genommen ist. Es ist schade, daß man die Jahrzahl, wenn selbiges verfertiget worden, nicht entdecken kann: denn sonst wäre es nützlich, selbiges mit den Trauerspielen des altern Gryphs zu vergleichen, und zu wissen, wer des andern Vorganger gewesen. Mir kommt es vor, daß diese Dido alter seyn müsse, als die gryphischen Tragödien. Sie hat fünf A u f z ü g e , welches Wort ich mit Fleiß hier anmerke, um diejenigen eines bessern zu belehren, die es für eine Neuerung haben halten wollen, einen Actus theatralischer Stücke dadurch anzudeuten; da es doch schon fast hundert Jahre alt ist. Am Ende eines jeden Aufzuges ist eine Ode, die der Chor singen soll. Die Verse überhaupt aber, sind lange jambische, mit lauter weiblichen Reimen, und diese klingen in dem ersten Auftritte so: Dido, Anna. O J u n o ! Konigin der blauen Himmelzinnen Wi, ach! wi mus mein Blut an stater Wunde rünnen, Was Glut! was stranges Feur! Was treibet mich forWüten Der stillen Nächte Ruh, der Schlaf kan nicht verhüten Das mich kein Sorgen traf: iC. JC. Dieß mag eine Probe seyn, wie stark dieser Schriftsteller in der Dichtkunst gewesen; und ich wundre mich, daß er nicht

Vorrede

zu Virgils

,Aencis'

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die ganze Aeneis in Versen übersetzet hat. Doch ich übergehe dieses, und etliche angehängte kleinere Gedichte, billig; um von seiner Uebersetzung eine Probe zu geben. Hier scheint es nun, daß er Virgils Heldengedicht, in einen Roman habe verwandeln wollen; weswegen er den ganzen poetischen Eingang, nebst der Anrufung u . a . m . ausgelassen hat. Er hebt nämlich folgender Gestalt an: „Kaum waren die Trojer, von dem Sicilischen Hafen in di salzschaumende offenbare Hohe gegangen, da Si di Sagel in grossem begnügen aufspanneten, und den Winden ire Macht darein zu sazzen darboten, als Juno einen ewigen Has unter irem Herzen verborgend haltend, in dise Wort heraus brach: Sol Ich dan nu, als eine überwundene von meinem angefangenen Forhaben abstahen? Kan Ich dan izzo der Teukrer Konig nicht von der Italier Lande abwanden? zumalen es die götliche Verhangnüs verhindert. Hat Pallas nicht der Argiver Schifsflotte verbrennen, und ingesamt Si dem tüfen Abgrundsbusen das Mars einverleiben können? das einigen Ajazens Verbrachen wägen. Si selbst hat ja das machtigen Jupiters snalles Feuer aus dem dikken Gewölke hernider geworfen: Di Schiffe zerstaubet, und di abene Flut in wallende Wallen versazzet." Von dieser Uebersetzung indessen, ist etliche Jahre darauf eine neue Auflage ans Licht getreten, die folgenden Titel führet: N e u e i n g e k l e i d e t e r d e u t s c h e r V i r g i l i u s , n a c h A r t d e r A r i a n a , u n d A r c a d i a , aus d e m l a t e i n i s c h e n ü b e r s e t z e t , v o n D . S. S t a r g a r d . 1658 in D u o d e z . Die hiesige deutsche Gesellschaft besitzt diese Auflage, wobey das Trauerspiel Dido am Ende steht. Doch endlich fand sich jemand, der sich alle Schwierigkeiten nicht abschrecken ließ, eine Arbeit zu übernehmen, daran sich in fünfzig Jahren niemand gewaget hatte. Dieses war ein geschickter Schulmann in Berlin, wo dazumal unter dem Schutze Friedrich Wilhelms des Großen, die Musen nicht minder, als in Königsberg, blüheten: ob er gleich

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Christoph

Gottsched

durch seine siegreiche Waffen, Frankreich und Schweden ein Schrecken, für Deutschland selbst aber ein machtiger Schutzgeist war. Doch es wird gut seyn, wenn wir auch hiervon den ganzen Titel hieher setzen. Er heißt. „Eigentlicher Abriß, eines verstandigen, tapfern und frommen Fürsten, von dem fürtrefflichsten Poeten Virgilius, in zwolff Büchern der Trojanischen Geschichten entworfen, und an dem Aeneas, der nach Ausstehung vieler Mühseligkeit, Gefahr und Zufalle des wandelbahren Glücks, endlich alle Hinderniß und Feinde überwunden, und seine, von der ewigen Vorsehung, ihm verordnete Laviniam erlanget hat, gewiesen und gepriesen, verdeutschet und in heroische oder Alexandrinische Reime übersetzet, von M . Michael Schirmer, Kayserlichen ältesten Poeten, und des Berlinischen Gymnasiums gewesenen dreyßigjahrigen Conrectore. Gedruckt 1668 zu Cöln an der Spree, bey George Schulzen, Churfürstl. Brandenb. Buchdrucker. In Verlegung des Autoris." Die Zueignungsschrift, ist an des damals regierenden großen Friedrich Wilhelms sammtliche drey Prinzen, C a r l A e m i l , F r i e d r i c h e n u n d L u d e w i g e n , gerichtet: und da der älteste als Churprinz gestorben; Prinz Friedrich aber hernachmals als Churfürst und erster Konig von Preußen zur Regierung gekommen, sich auch allezeit als einen weisen, tapfern und frommen Fürsten erwiesen; so konnte man nicht ohne Wahrscheinlichkeit sagen: daß dieser deutsche Virgil in seinem jungen Gemüthe, noch eben den Eindruck gemacht, den die Urschrift ehemals, in dem Gemüthe des Kaisers August, gemacht haben soll. Aus dieser Zueignungsschrift ersieht man auch, daß der Verfasser schon im 1643 Jahre, und also nunmehr schon vor hundert Jahren, aus dem 7. 10. u. 12. Buche Virgils, eine TRAGICO-COMOEDIA in ungebundener Rede gemacht, und selbige vor dem damals, kaum zur Regierung gelangten großen Friedrich Wilhelm, aufzuführen, auch auf eine fürstliche Art dafür be-

Vorrede

zu Virgils

,Aeneis'

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schenket zu werden, die Gnade gehabt: ein Exempel, welches seit der Zeit sehr seltsam geworden. Ich will mich bey der Vorrede nicht aufhalten, welche allerdings sehr gut geschrieben ist, und darinn der Verfasser sagt, daß ein dreyßigjahriger Fleiß, ihn zu der Uebersetzung dieses Poeten geschickt gemacht. U n t e r den Glückwünschungs G e dichten ist das erste von Peukern an ihn gerichtet, von dem wir auch einen Band nicht unebener Gedichte haben! Ich kann nicht umhin selbiges hieher zu setzen, weil es unter andern zeigt, daß Schirmer ein Meißner gewesen. Es ist kurz, und heißt so: Hast du Schirmer, noch nicht gnung Deine Poesie getrieben, W a n n du beydes alt und jung Manchen schonen Vers geschrieben? N e i n , der romische Virgil, M u ß auch deutsch gelesen werden: Ist wohl etwas auf der Erden, D a ß der Mensch nicht wissen will? Syrisch, griechisch und latein, Jüd=Arabisch und was Menge D e r berühmten Sprachen seyn, Werden endlich in die Lange Deutschland deinen Söhnen kund. Wannenher? Die deutschen Zungen, Lernen alles ungezwungen: Was versagt der deutsche M u n d ? Schirmer hangt ein Muster aus. W a s Virgilius geschrieben, ( D e r in Mantua sein Haus.) Ist bisher lateinisch blieben;

220

Johann

Christoph

Gottsched

Und verbleibt, wenn Schirmer will: Schirmer, der Poet aus Meißen, Schirmer soll nicht Schirmer heißen, Sondern meißnischer Virgil. Man sieht hieraus auch, daß weder Peuker noch Schirmer von den oben erwähnten vielen deutschen Ausgaben der Aeneis, das geringste gewußt. Der Anfang des ersten Buches endlich, heißt so: Ich der ich ehmals pflag mit meiner schlechten flöte, Von vieh und ackerbau zu spielen als Poete, Ein angenehmes werk dem guten ackermann, Daß er mit nutz nach wünsch sein gütlin bauen kan; Sing itzt von wehr und mann, der erst von Trojens lande Kam flüchtig, durch den zwang des himmels, zu dem strande Des Latiums: sehr lang ist dieser mit beschwer Zu wasser und zu land geworfen hin und her, Durch gottliche gewalt, der grimmen Juno wegen, Bey der sich wollte noch der alte groll nicht legen: Viel litt er auch durch Krieg, indem er eine Stadt In Latien gebaut und eingeführet hat Die Gotter, wannenher Lateiner sind gekommen, Albanier dazu: Rom hat daher genommen Ihr ankunft und geschlecht. O Musa, sage frey, Was dieses ganzen thuns, grund, fug und ursach sey. Was für ein Gott verletzt, was Juno könne klagen Der Gotter Konigin, daß soviel noth muß tragen, Und wagen soviel müh ein außbund frommer mann, Ists müglich, daß so hart der Himmel zürnen kann! Meines Erachtens, kann dieses genug seyn, die Starke unsers Dichters zu zeigen. Er erhalt sich in dieser edlen und vernünftigen Schreibart durchgehends, und drücket den Sinn der Grundsprache mit vieler Richtigkeit aus. Hin und her erscheinet freylich noch eine gewisse Härte in den Wortfügungen, und einiger Uebelklang in den Abschnitten; die

Vorrede

zu Virgils

,Aeneis'

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man aber den Zeiten des Dichters, und dem Zwange, den eine Uebersetzung allemal bey sich führt, zuschreiben muß. Doch genug auch von diesem: ich muß eilen, und noch einer prosaischen Dollmetschung erwähnen, die am Ende des vorigen Jahrhunderts, in Frankfurt am Mayn heraus gekommen.

D e r Titel derselben heißt:

PUBLII

VIRGILII

MARONIS, d e s n i e g e p r i e s e n e n l a t e i n i s c h e n P o e t e n G e d i c h t e , als d i e z e h n H i r t e n l i e d e r : V o m H a u ß u n d F e l d w e s e n , v i e r B ü c h e r : w i e a u c h v o n des T r o j a n i s c h e n F ü r s t e n A e n e l , K r i e g s und andern H e I d e n = T h a t e n , z w ö l f B ü c h e r , so in g e b u n d e n e Hoch=Teutsche Red übersetzt Johann Valentin, des G y m n a s i i zu F r a n k f u r t an M a y n , w e i l . R e c t o r . F r a n k f u r t , verlegtens J o h a n n A d o l p h , und Philipp W i l h . S t o c k 1697. in O c t a v . Man sieht leicht von selbst, daß hier der ganze Virgil deutsch geliefert worden, und daß weder die Schreibart noch Rechtschreibung so gekünstelt und gezwungen ist, als in der stargardischen. Doch besorgt der Verfasser in der Vorrede einen Tadel, und meldet zu dem Ende, „daß in sothaner Uebersetzung nicht so sehr auf die Zierde und hochhergesuchte Redensarten der von Tag zu Tag sich zierlich erweiternden deutschen Sprach; als auf die Nutzbarkeit der Studirenden und vielmehr den Wortverstand, als die hochteutsche Zunge in diesem Poeten suchende Jugend, gesehen worden." Gleichwohl scheint auch dieser Uebersetzer, sowohl als sein Lobdichter Moscherosch, nichts von allen vorherigen Uebersetzungen gewußt zu haben: indem jener in der Vorrede kein Wort davon sagt, dieser aber so davon singet: Dieß hat euch Teutonien einig zu danken, Groß-Edeler Valentin, weil ihr allein Ihn habet aus Latiens machtigen Schranken Geführet bishieher an unseren Mayn, Was keiner noch vor euch getraut zu berühren, Das konntet ihr glücklich und loblich vollführen. 15

Gottsched

X/l

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Jobann

Christoph

Gottsched

Nun wollen wir auch hiervon eine Probe hersetzen. Der Anfang heißt so: „Ich, der ich vor diesem ein Hirtenlied auf meiner reinen Flöte gedichtet, habe darnach den Wald verlassen, und das nächst angrenzende Feld also angestellet, daß es dem sehr arbeitsamen Bauersmanne hat müssen gehorsam nachgeben, welches den solchen Leuten ein sehr angenehmes Werk ist: Aber nun singe ich von den grausamen Waffen des Kriegsgottes Martis, und dem tapfern Helden und Fürsten Aenea, der anfangs aus dem Trojanischen Lande flüchtig in Italien und zu der Stadt Lavinium kommen ist, viel zu Wasser und zu Lande, durch G e w a l t t ä t i g k e i t der Gotter, wegen des unvergeßlichen Zornes, der grimmigen Gottin Junonis erlitten, auch viel in dem Krieg ausgestanden, da er die Stadt Lavinium bauete, und in Italien die Trojanischen Gotter mitbrachte, von welchem das Geschlecht der Latiner, die Konige zu Albanien, und die berühmte Stadt Rom herkommen ist. Meine liebste Gottinn Musa: gib mir die Ursache zu verstehen, aus was Zorn und Schmerzen die Koniginn der Gotter, Juno, den sehr frommen Helden Aeneam, getrieben habe, so viel Unglück auszustehn, und so viel Gefahr auf sich zu nehmen. Ist denn ein so großer Zorn in den himmlischen Herzen?" Allein auch dieses Jahrhundert ist unserm Virgil nicht zuwider gewesen. In den gelehrten Zeitungen des 1725 Jahres num. L X X X . auf der 720sten Seite steht eine Nachricht, daß der sei. Assessor Reichhelm in Halle, sich die Mühe nicht dauren lassen, die ganze Aeneis ins Deutsche zu bringen. Ich habe den seligen Mann noch selber gekannt, und zu verschiedenen malen gesprochen; allemal aber befunden, daß er eine große Liebe zu den alten Dichtern von sich spüren lassen. Den ganzen Horaz, den er verdeutscht, habe ich öfters in Händen gehabt: und also ist mirs ganz glaublich, daß er auch den Virgil wird fertig gehabt haben; ob ich gleich denselben niemals zu sehen bekommen habe.

Vorrede

zu Virgils

,Aeneis'

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Ich kann nicht wissen, in wessen Hände seine Schriften und Papiere nach seinem Tode gerathen seyn werden. Noch eine Probe einer ganz sonderbaren Uebersetzung unsers Virgils, ist endlich 1725 in der That ans Licht getreten. Sie führet den Titel: U e b e r s e t z u n g in d e u t s c h e r H e l d e n P o e s i e des V i r g i l i a n i s c h e n L o b e s * und L e b e n s l a u f f s , des g r o ß e n K r i e g e s h e l d e n A e n e a s ; mit kurzverfaßter B e y f ü g u n g : erforderlicher Anm e r k u n g e n , von T h e o d o r L u d e w i g Lau, H o c h furstl. C u r l ä n d i s c h e m S t a a t s r a t h , und C a b i n e t = D i r e c t o r . E l b i n g b e y S a m u e l P r e u ß e n , 1725. in Quarto. Sonderbar nenne ich diese Uebersetzung billig, weil sie nicht nur nach dem Exempel der Seckendorfischen Uebersetzung von Lucan, in reimfreyen Versen; sondern auch sonst mit gewissen Freyheiten, die sich der Uebersetzer genommen hat, versehen ist. Ich will nur eine Probe von den Versen geben, die ausführliche Nachricht aber, von des Verfassers Vorrede, Anmerkungen, und seltsamem Geschmacke, auf eine andere Gelegenheit, in die Critischen Bey trage versparen. Sie heben so an: Es soll nunmehr von mir in diesem Dichterwerk, Das nur vor Helden ist, begierigst seyn beschrieben, Die Reise und die Krieg, nebst ihrer Siege Pracht, Von dem berühmten Fürst, und großen Kriegeshelden, Der durch des Schicksals Schluß und durch der Juno Haß, Auf ihrer Räch Antrieb zu meiden wurd gezwungen Des Troja Reich und Stadt! der seinem Vaterland Wie ein Verbanneter den Rücken mußte kehren, Der auf dem festen Land, der auf der wilden See Viel Ungemach beprüft. Des Glückes falsche Tücken, Die Kriegen, die sie stets mit ungewisser Hand Auf ihrer Wag abwiegt, zum öfteren empfunden Bevor er ankerte an dem Laviner Strand, 15»

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Johann

Christoph

Gottsched

Zur Hoheit der Stadt Rom den ersten Stein gelegt, Auf der Andacht Einrath, geweihet Tempel ein Zu der Hausgötter Ehr, die er von Troja brachte, Bevor auf sein Geschlecht er durch sich hat gegründt, Mit fester Sicherheit die Krön und Thron Erbfolge, Aus der der Ahnen Reich die Pfropfungswurzeln nahm, Die Alba ausgewählt, zu ihren Stadtregenten. Hieraus wird nun ein jeder sehen, daß es eben nicht sehr zu bedauren sey, daß von dieser Uebersetzung nichts mehr, als etwa das I. Buch ans Licht getreten. Weit mehr aber ist es zu beklagen, daß wir diejenigen Stucke noch nicht zu sehen bekommen, die der berühmte Benj. Neukirch aus dem Virgil übersetzt und nachgelassen. Wie endlich Amthors Versuche aus dem I. und IVten Buche der Aeneis ihm gelungen, das ist jedermann bekannt; und es wäre zu wünschen, daß wir einen ganzen Virgil von seiner Feder erhalten hatten. Diesen Mangel nun hat ein heutiger geschickter Dichter, dessen mit großem Fleiß verfertigte Uebersetzung itzt ans Licht tritt, aufs glücklichste ersetzet. Derselbe scheint allerdings zu Uebersetzung alter Poeten recht gebohren zu seyn, indem er ein so schweres Werk, daran der Urheber zwölf ganzer Jahr gearbeitet, in einer weit kürzern Zeit verdeutschet, und doch alle seine Vorganger, die ich oben erzählet habe, weit hinter sich gelassen hat. Ich hätte freylich über alle bisherige Uebersetzungen, auf critische Weise einige Anmerkungen machen können: allein, da mich dieses, bey solcher Menge derselben zu weit geführet haben würde: so bin ich mit einer historischen Nachricht davon zufrieden gewesen. Indessen statte ich unserm Vaterlande zu dieser deutschen Aeneis meinen Glückwunsch ab. Man wird dieselbe ohne Anstoß und mit Vergnügen lesen können, und der beygedruckte Grundtext, wird auch die Liebhaber in den Stand setzen, von der Richtigkeit des Ausdruckes zu

Vorrede zu Virgils ,Aeneis'

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urtheilen. Mich hat wenigstens mein Urtheil, das ich vor etlichen Jahren schon, in den critischen Beyträgen, von der ersten Probe desselben gefället, noch nicht gereuet: wiewohl der Herr Verfasser sich die Mühe nicht dauren lassen, seine Arbeit noch mehr und mehr auszubessern, und näher zur 5 Vollkommenheit zu bringen. Es ist zu wünschen, daß er auch andere poetische Uebersetzungen der Alten, die er unter Händen hat, zum Exempel, der Verwandlungen des Ovidius, glücklich zu Stande bringen möge. Geschrieben an der Michaelsmesse, 1742. 10

Vorrede zur vierten Ausgabe der Theodicee von Gottfried Wilhelm Leibniz 1744

W e n n andre Herausgeber fremder Schriften sich oft viel Muhe geben müssen, die Verfasser derselben dem Leser erst bekannt zu machen, und ihre Werke anzupreisen: so habe ich solches voritzo gar nicht nothig. Die Namen des H r n . v o n L e i b n i t z sowohl, als dieses seines vornehmsten Werkes, sind bereits in aller Welt so berühmt, daß ich einen strafbaren Hochmuth besitzen müßte, wenn ich glaubte: Mein Zeugniß, oder Lob konnte den Ruhm dieses Buchs auch nur einiger massen vergrößern. Es ist bekannt, daß die erste Auflage desselben 1710, und also wenige Jahre nach dem Tode des Herrn Bayle herausgekommen, wider den es hauptsächlich, auf Verlangen und Befehl einer großen Koniginn geschrieben worden. Viele neuere franzosische Ausgaben haben gezeiget, daß die Auslander dieses grundgelehrte Werk eines Deutschen nach seinen wahren Verdiensten, nicht aber, nach ihren gewöhnlichen Vorurtheilen, gegen seine Landsleute angesehen. Ins Lateinische ist selbiges schon zu zweyen verschiedenen malen, nämlich 1720 zu Frankfurt am Mayn, und vor wenigen Jahren zu Tübingen, von neuem übersetzt, herausgekommen. Deutsch endlich hat man es nicht mit geringerer Begierde aufgenommen und gelesen; indem von dieser Uebersetzung bereits drey Auflagen gemacht und verkaufet worden. Dieses hat nun die sammtl. Forsterischen Erben veranlasset, auf eine neue, und soviel möglich verbesserte Auflage zu denken: davon ich itzo, weil selbige mir aufgetragen worden, einige Nachricht geben muß. So wenig ich geneigt und gewohnt bin, die Arbeiten andrer gelehrten und wackern Manner öffentlich zu tadeln: so muß ich doch gestehen, daß die erste Uebersetzung dieses Buches, die 1720 ans Licht trat, etliche Jahre darauf

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einer Verbesserung nöthig gehabt. Es giebt Leute, die sich einbilden, wenn sie halbigt ein franzosisches Historienbuch, oder einen Roman verstehen, so konnten sie auch die wichtigsten Werke von gründlichen Wissenschaften daraus übersetzen. Nun will ich dieses zwar dem ersten Dollmetscher derTheodicee keines Weges zur Last legen: allein soviel ist doch gewiß, daß derjenige, der dieses Buch übersetzen will, in der Philosophie, Mathematik, und Gottesgelahrheit, mehr als mittelmaßig geübt seyn muß. Daher hatte denn dazumal die Forsterische Handlung zur Ausbesserung dieses Buches keinen geschicktem Mann wählen können, als meinen seligen Freund und Collegen, H e r r n P r o f e s s o r R i c h t e r n allhier, der gewiß in allen diesen Stücken der Gelehrsamkeit, eine mehr als gemeine Einsicht besaß. Dieser bezeugte nun in der Vorrede der andern Ausgabe, wieviel er zu thun gefunden, und wieviel Mühe er sich dabey gegeben hatte. Es wird auch ein jeder billiger Leser ein richtiges Urtheil sowohl von seinem angewandten Fleiße, als von seiner Gelehrsamkeit fällen können, wenn er nur die Anmerkungen desselben durchlaufen will; die ich aus den beyden letzten Ausgaben beybehalten, und am Ende allemal mit dem Buchstaben R . bezeichnet habe. Es war also kein Wunder, daß diese so merklich verbesserte T h e o d i c e e nunmehro noch mehr Liebhaber fand, als vorhin, und in wenigen Jahren von neuem aufgelegt werden mußte. Ich kann nicht für gewiß sagen, ob auch bey dieser Auflage der sei. P r o f . R i c h t e r einige Aufsicht gehabt: wenigstens muß selbige nicht hier in Leipzig, und so zu reden vor seinen Augen gedruckt worden seyn; weil sich sonst unmöglich eine so große Menge recht grober und unverantwortlicher Fehler hatten einschleichen können. Und ungeachtet viele davon am Ende, zwischen den Anmerkungen, angezeiget und verbessert worden: so hat man doch nur die gröbsten bemerket; unzahliche andre aber gar nicht angegeben. Hierzu kam noch eine stumpfe Schrift, schlech-

Vorrede zur Theodicee von

Leibniz

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tes Papier und eine nachlaßige Ausbesserung des ersten Abdruckes: welches alles nun, ohne den besondern innern Werth des Buches, gar leicht fähig gewesen wäre, dasselbe zu einem Ladenhüter zu machen, und der Welt aus den Händen zu bringen. Doch wie verstandige und rechtschaffene Leute, deren Verdienste man schon kennet, auch in einem schlechten Kleide willkommen seyn; so ist es auch allezeit mit Büchern guter Art, und sonderlich mit dieser Theodicee beschaffen gewesen. Die dritte Ausgabe war schon vor ein paar Jahren verkauft und die Zahl der Liebhaber derselben hatte sich doch nicht vermindert, sondern vermehret: daher sich denn die Handlung genothiget gesehen, von neuem auf die Stillung ihres Verlangens zu denken. Sobald ich dieses erfuhr, gab ich zu verstehen, daß es mir sehr lieb seyn würde, wenn man mir die Besorgung der neuen Auflage von einem Buche anvertrauen wollte, welches nunmehr seit vier und zwanzig Jahren mein Liebling gewesen wäre. Man ergriff dieses mein Anerbiethen ohne alles Bedenken: und ich eröffnete die Art und Weise, wie dieses Buch bey dem neuen Drucke eingerichtet werden müßte, wenn man ihm zu itzigen Zeiten noch mehr Liebhaber und Leser verschaffen wollte, als es bisher schon gefunden hatte. Meine Vorschläge wurden durchgehends angenommen, und so ward wirklich die Hand ans Werk gelegt: daher will ich hier dem geneigten Leser kürzlich eroffnen, was bey dieser verbesserten Auflage hauptsachlich geleistet worden. Das erste betrifft die Verbesserung der ganzen Uebersetzung. Ich habe nämlich dieselbe durchgehends mit der zweyten franz. Ausgabe, die noch bey des H r n . v. Leibnitz Leben in Holland herausgekommen, aufs genaueste, verglichen. So richtig ich nun dieselbe, (einige starke Auslassungen ausgenommen) was den Sinn betrifft, vom Anfange bis zum Ende befunden habe: so unangenehm, versteckt und rauh klang an unzahlichen Stellen der deutsche Ausdruck.

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Christoph

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Es ist bekannt, daß sich seit fünfzehn bis zwanzig Jahren die deutsche Sprache sehr gebessert hat: und das zwar, nicht nur in Werken des bloßen Witzes, darinn vor andern die Schönheit und Anmuth der Schreibart herrschen muß; sondern auch in Werken des Verstandes, wo Gründlichkeit, Wahrheit und Ordnung die Oberhand haben sollen. Man hat hier angefangen die Richtigkeit, Reinlichkeit und Deutlichkeit der Ausdrückungen für etwas mehr, als bloße Zierrathe tiefsinniger Schriften; ja fast für nothwendige Eigenschaften zu halten: indem es wirklich gewiß ist, daß ein gründliches Buch viel besser verstanden, und lieber gelesen wird, ja viel bessern Eingang in die Gemüther findet, wenn es mit solchen Eigenschaften der Schreibart versehen ist. Daran fehlte es aber unsrer Theodicee. Die Vermischung vieler auslandischer Redensarten, die Verwirrung vieler Perioden, die daraus entstehende Dunkelheit so vieler Stellen, und endlich der Mangel des Wohlklanges herrschten fast überall darinnen: und alles dieses konnte den Wahrheiten selbst, die darinn vorkommen, bey ekeln Lesern, daran es uns itzo nicht mehr fehlet, zu großem Nachtheile gereichen. Zweytens hat Deutschland seit einiger Zeit in seiner eigenen Sprache philosophiren gelernt: so daß wir die allermeisten Kunstworter aus der griechischen und lateinischen Sprache nicht mehr brauchen; und uns doch von den tiefsinnigsten Wahrheiten ganz deutlich, und vielleicht nur desto verständlicher zu erklaren wissen, je weniger fremde Sprachen man wissen darf, um den Sinn unsrer Worte zu fassen. Man sieht daher in heutigen philosophischen Büchern fast kein fremdes Wort. Selbst die theologischen Schriftsteller sind diesem Beyspiele schon gefolget; die freyen Künste werden auch ohne das vormalige Mischmasch aller Sprachen und Zungen vorgetragen: und es kommt nur noch auf die Rechtsgelehrten und Arzneykundigen an, um die ganze Barbarey vollends vom deutschen Boden zu verjagen. Nach dieser Anmerkung nun mußte die Theodicee auch

Vorrede zur Theodicee von

Leibniz

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durch und durch umgeschmolzen werden: und zwar um destomehr, jemehr der Wust auslandischer Kunstworter in diesen metaphysischen Untersuchungen sonst geherrschet hatte. Dieses war nun ein wichtiges Stück meiner Arbeit, und hat nicht ein geringes dazu beygetragen, daß diese Ausgabe sich beynahe wie eine ganz neue Uebersetzung lesen wird. Drittens hatte der sei. P r o f . R i c h t e r bey seiner Ausgabe einige Anmerkungen angehängt: die an sich selbst so gut und gründlich waren, daß es nur schade war, daß sie dem Leser nicht ins Auge fielen; weil er im Lesen des Textes nirgends darauf verwiesen ward. Diesem Mangel abzuhelfen, mußten dieselben gleich an gehörigen Orten unter den Text gesetzt werden: ja da sich nach diesem Muster noch verschiedene andre beyfügen ließen, die zur Erläuterung oder Bestätigung der Leibnitzischen Lehren etwas beytragen konnten: so habe ich keine Stelle, die nach meiner wenigen Einsicht, deren benothiget war, vorbeygelassen. Doch habe ich mich derjenigen Anmerkungen gar nicht bedienen mögen, die bey derTübingischen Ausgabe gemacht worden: weil ich mir ein Gewissen gemacht, in fremder Verleger Eigenthum einen Eingriff zu thun. Will einmal jemand eine Theodicee CUM NOTIS VARIORUM herausgeben; so wird er sich auch um das Recht, alle bisherige zusammen zu nehmen bewerben müssen. Viertens habe ich diese neue Ausgabe mit einigen neuen Zusätzen zu bereichern gesucht; und zwar mit solchen, die das ganze Lehrgebäude des H r n . v . Leibnitz desto mehr ins Licht setzen, und also auch die Theodicee desto verständlicher machen können. Es stehen dieselben in dem RECUEIL DE DIVERSES

PIECES

DE M R .

LEIBNIZ, NEWTON,

CLARKE

& c . welches in Holland etliche mal herausgekommen ist: und die Uebersetzung derselben hat der geneigte Leser der geschickten Uebersetzerinn zu danken, die uns die Briefe von dem Maaße der lebendigen Kräfte, welche die F r . v.

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Jobann Christoph Gottsched

C h a t e l e t mit dem Hrn. M a i r a n gewechselt; und die Leibnitzischen Antworten auf den Baylischen Artikel R o r a r i u s , im IV. Bande des hist. crit. Wörterbuches, deutsch geliefert hat. Meine vielen Arbeiten nämlich, womit ich diesen Winter überhäufet war, erlaubten mirs nicht, hieran selbst zu arbeiten: ich konnte mich auch um soviel eher der geübten Feder meiner Gehülfinn bedienen, da ich aus sovielen Proben wußte, daß diese kleine Schriften unter ihrer Hand mehr gewinnen, als verlieren würden. Eben diesem Beystande habe ich die ganz neue Uebersetzung der fontenellischen Lobschrift auf den Freyherrn v. Leibnitz zu danken. Es ist wahr, dieselbe war schon bey den vorigen Ausgaben, nach der Uebersetzung des H r n . v. E c c a r d zu finden. Allein es sey nun, daß dieser sonst gelehrte Mann die deutsche Feder nicht recht in seiner Gewalt gehabt; oder daß dazumal, die deutsche Schreibart den anmuthigen Schwung der f o n t e n e l l i s c h e n Gedanken noch nicht erreichen können: so ist es doch gewiß, daß dieses Stück im Deutschen, keiner f o n t e n e l l i s c h e n Arbeit ahnlich sah; und also weder seinem Urheber, noch dem Hrn. v. Leibnitz die gebührende Ehre machte. Außer dem stund diese Schrift am Ende der ganzen Theodicee, wo sie wenigen Lesern in die Augen fiel. Alles dieses ist hier anders eingerichtet worden. Die nunmehrige Schreibart wird sich viel besser lesen lassen, als die vorige: und der Platz, wo sie steht, wird dieß Buch desto besser zieren. Was die vorigen Anmerkungen anlanget, so erkannte ich ihren Werth gar wohl, in soweit sie Ergänzungen des Leibnitzischen Lebens seyn sollten. Da wir aber nunmehro schon weit ausführlichere Lebensbeschreibungen von dem Hrn. v. Leibnitz erhalten haben; auch die f o n t e n e l l i s c h e Schrift mehr eine Lobschrift (ELOGE) als ein Leben desselben ist: so überlasse ich es dem künftigen Verfasser eines ganz vollstandigen Lebens, dergleichen uns D e s m a i z e a u x v o n B a y l e n eins geliefert hat; sich dieser Umstände und alles

Vorrede zur Theodicee von

Leibniz

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übrigen, was noch aus seinen Briefen erhellen kann, zu bedienen. Hier würden die N o t e n den Text verschlungen haben, wenn man alles, was noch fehlte, hatte beybringen wollen. Indessen war das Ansehen des H r n . F o n t e n e l l e , theils weil er ein sehr gelehrter Mann, theils weil er ein Franzose ist, theils auch, weil er den H r n . v. Leibnitz sehr wohl gekannt, und die meisten Arten seiner Verdienste, als ein Kenner beurtheilen konnte, von so großem Gewichte; daß es bey aller seiner Unvollstandigkeit, unserm Freyherrn mehr Ehre machen konnte, als das ausführlichste Leben von einer deutschen Feder immermehr thun würde. D i e Beylagen von dieser Lobschrift sind geblieben wie sie waren: das Register aller Leibnitzischen Schriften aber, habe ich weggelassen; weil es bey der tübingischen Theodicee schon weit vollständiger steht. Ehe ich diese Vorrede schließe, will ich mein Vorhaben noch kund machen, die sämmtlichen Werke des H r n . v. Leibnitz zu sammlen, und in einem guten Folianten drucken zu lassen. Ich habe diesen Vorsatz schon vor zehn und mehr Jahren gehabt: allein es ist nicht eher möglich gewesen, denselben ins Werk zu richten; als bis verschiedene kleine Stücke, sonderlich die Briefe desselben, aus der Finsterniß, darinn sie hin und wieder verstecket lagen, ans Licht gezogen seyn würden. Voritzo ist nun das meiste davon im D r u c k e erschienen, und wir werden in kurzem noch ein paar Sammlungen solcher Schriften zu lesen bekommen. Innerhalb zwey Jahren wird ein volles Jahrhundert, seit des H r n . v. Leibnitz Geburt verflossen seyn: und wie schon wäre es nicht, wenn ein wackerer Verleger die H a n d dazu böthe, daß man dieses hundertjährige Andenken auf eine unserm Vaterlande so rühmliche Art feyren konnte! Was endlich das Format, Papier, und die Schrift dieser neuen Ausgabe betrifft, so habe ich die Herren Verleger höchst zu rühmen, daß sie in allen Stücken meinem Rathe gefolget sind, und nichts gesparet haben, diese A u s g a b e

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Christoph

Gottsched

nicht nur gut, sondern auch schon zu machen. Ich bin fest versichert, daß unsre deutschen Bücher auch in die Hände der Großen dringen, und als Zierden ihrer Büchersale, die oft so schlechten Werke der Auslander abstechen und ver5 treiben würden, wenn mehrere Handlungen diesem loblichen Exempel folgen wollten; wie denn allerdings bisher schon verschiedene gethan haben. Leipzig in der Ostermesse 1744.

Vorrede zu auserlesene Gedichte von Benjamin Neukirch

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E s sind nunmehr schon viele Jahre verflossen, seit dem die Liebhaber der Neukirchischen Gedichte gewünschet haben: daß doch jemand eine Sammlung seiner hin und her zerstreuten Schriften unternehmen; und der Welt das in einem Bande liefern mochte, was an so vielen Orten bisher mühsam zu suchen, und doch schwer, oder in manchen Gegenden von Deutschland, ganz unmöglich zu finden war. Ich leugne es nicht, daß ich selbst mit unter dieser Zahl gewesen. Von Jugend auf haben mir B e n j a m i n N e u k i r c h s Schriften, als eines unsrer besten und stärksten Dichter, gefallen. Er war mir auch von großen Kennern und Meistern in der Dichtkunst, z. E. dem sei. Hofrath Pietsch, nächst Canitzen, oftmals als ein gutes Muster angepriesen worden: zumal was diejenigen Gedichte betrifft, die er in diesem Jahrhunderte gemacht; nachdem er den vormaligen lohensteinischen und hoffmannswaldauischen Geschmack verlassen hatte. Und ich besinne mich, daß mir Hofrath Pietsch die neukirchische P a l i n o d i e , die er 1700 auf eine breslauische Hochzeit gemacht, und sich so anhebt: Ihr Musen helft mir doch; ich soll schon wieder singen JC. nunmehro wohl vor fünf und zwanzig Jahren, ganz aus dem Kopfe vorgesagt; um mich dadurch vor dem unsinnigen Schwulste eines gewissen N e i d h a r t s zu warnen, der damals mit seinen hochtrabenden Versen, zu Königsberg viel junge Leute eingenommen hatte. Dieser war auch ein Schlesien und hatte sich, wie es zu gehen pflegt, durch Lohensteins Nachahmung eine noch viel seltsamere und abgeschmacktere Schreibart zuwege gebracht, als sein Held jemals gebraucht hatte. Ich habe davon in meiner critischen Dichtkunst III. Auflage verschiedene Exempel angeführt, 16"

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Johann

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Gottsched

und ihn also auch in Deutschland bekannt gemacht: da er sonst gewiß, als ein Verderber des guten Geschmacks in meinem Vaterlande, in der verdienten ewigen Finsterniß und Vergessenheit geblieben seyn würde. Nachdem ich so lange vergebens gewartet, ob sich etwa jemand anders finden wurde, der sich dieser Arbeit unterzöge, und jungen Dichtern die kleinen Gedichte eines unsrer besten Poeten in die Hände brachte: so habe ich mich endlich entschlossen, selbst Hand ans Werk zu legen. Es hat mich auch dazu noch eine andere Ursache angetrieben. Der sich taglich mehr und mehr verderbende Geschmack einiger neuern Dichter, die eben so wohl durch die Nachahmung übeler Muster verblendet werden, als es im vorigen Jahrhunderte den Lohensteinianern gegangen, hat mich überredet: das güldene Alter unserer Poesie müßte in denen Zeiten, da B e s s e r und C a n i t z , N e u k i r c h , G ü n t h e r und P i e t s c h gelebet und geschrieben haben, gesuchet, und festgesetzet werden. D a man uns nun die Schriften von vier itzt benannten Dichtern, bereits in mehr als einer Auflage geliefert hat: so fehlte nur der einzige Neukirch noch, dem diese Ehre nicht wiederfahren war. Ich glaubte auch, und vielleicht nicht ohne Grund, daß die Auferweckung eines Dichters von so guter Art, das hin und her einreißende finstere und gezwungene Wesen in der poetischen Schreibart, wo nicht ganz hemmen, doch einigermaßen aufhalten würde. Habe ich nun darinn geirret; so habe ich wenigstens aus guter Meynung geirret. Niemand aber kann getadelt werden, wenn er nach seiner Einsicht das Gute zu befordern sucht, so viel als es in seinen Kräften steht. Ehe ich nun von der Einrichtung dieser Sammlung nähere Nachricht gebe: so wäre es wohl mein Wunsch und meine Absicht gewesen, ein etwas ausführliches Leben meines Dichters abzufassen. Zwar bin ich der Meynung nicht, daß es allemal nothig sey, von dem Leben eines Poeten, ganze Bücher zu schreiben, und zu dem Ende alle Kleinigkeiten

Vorrede zu Gedichte von

Neukirch

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aufzustöbern, die kein Mensch zu wissen verlanget; und die, wenn sie nun aufs sorgfaltigste ans Licht gebracht worden, mehr zur Schande als zur Ehre eines sonst wohlverdienten Mannes beytragen. Eine solche Schandseule ist dem sonst so schatzbaren Besser, in seiner Lebensbeschreibung aufgerichtet worden, und zwar von einem Schriftsteller, der die größte Ursache hatte, zu wünschen, daß seine eigene Geschichte nicht einmal mit eben derselben Sorgfalt aufgespuhret werden mochten. Allein es giebt noch eine Mittelstraße, zwischen zu viel und zu wenig: und ich gestehe es, daß ich dieselbe, unsern Neukirch betreffend, nicht werde halten können. Ich habe mir zwar auf allerley Art Mühe gegeben, verschiedene Umstände von meinem Dichter zu erfahren: muß doch aber gestehen, daß ich nicht viel mehr davon zusammen gebracht, als was aus seinen Gedichten und Schriften selbst erhellet. Wird also meine Lebensbeschreibung von ihm kurz gerathen, so werde ich mich auf die Ausgaben lateinischer Dichter beruffen, die von den größten Kunstrichtern voriger Jahrhunderte ans Licht gestellet worden. Diese enthalten auch nur sehr kurzgefaßte Nachrichten von den Verfassern ihrer Schriften: die aber doch allemal ihren Werth behalten, so lange es besser ist, etwas, als nichts von einem alten Dichter zu wissen. Ein von H e r r n J o h a n n H e i n r i c h M a t t h i ä , dermaligen Pastorn zu Bojanova in Großpohlen, 1743 den 2 des Brachmonats eigenhändig ausgestellter Taufschein, dafür ich demselben hiermit öffentlich danke, belehrt mich, daß Herr Benjamin Neukirch 1665 den 27 Marz, Nachmittag gegen 1 Uhr, zu Reinke, einem nahe an Bojanova grenzenden schlesischen Dorfe, welches zum glogauischen Fürstenthume gehöret, gebohren, und den 31sten darauf, zu Bojanova getaufet worden. Aus dieser genauen Anzeige nun, wird man die Ursachen sehen, warum unser Neukirch bald für einen Schlesier, bald aber auch von andern für einen gebohrnen Pohlen ausgegeben worden: wiewohl doch in

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diesem Stucke von Großpohlen, und zwar so nahe an der schlesischen Grenze, als Bojanova liegt, fast gar kein pohlnisch, sondern lauter deutsch geredet wird. Der Vater desselben ist H e r r T o b i a s N e u k i r c h gewesen, damaliger v o r n e h m e r P o l i t i c u s , (so lauten die Worte meiner geschriebenen Nachricht) zu Reinke; welches so viel als einen Administrator des Orts, vielleicht was wir bey uns einen Gerichtshalter, oder Amtsverwalter nennen, gewesen ist: nachmals aber hat er als Notarius Publicus in Bojanova gelebet. Seine Frau Mutter hat U r s u l a M a r i a n a gebohrne R o y t i n n geheißen: und ein andres eigenhändiges Zeugniß Hrn. Sebastian Exners, itzigen Rectors zu Bojanova, welches ich in Händen habe, und dafür ich diesem wackern Manne gleichfalls den gebührenden Dank abstatte, belehret mich, aus dem sogenannten Albo seiner Schule, daß unser Neukirch den 19 Marz 1673, und also in seinem achten Jahre, in dasige Schule gebracht worden. Welches nun die damaligen Lehrer der bojanovischen Schule gewesen, oder wie lange unser Neukirch auf derselben geblieben, davon kann ich, in Ermangelung einiger Nachrichten, eben so wenig etwas melden, als in welchem Jahre er nach Breslau aufs Gymnasium geschicket worden. Ja ich weis nicht einmal, ob er im Elisabethanischen, oder Magdalenaischen Gymnasio daselbst studiret habe: und kann also auch hier seine gewesenen Lehrer nicht namhaft machen. Vielleicht wird mir nach Bekanntmachung dieser meiner Lücken, die nothige Nachricht noch künftig von einem Kenner der Neukirchischen Verdienste z u T h e i l : so will ich nicht ermangeln, etwa bey einer neuen Auflage dieser Gedichte, auch dieses Leben dadurch zu erganzen. Von Neukirchs akademischen Jahren kann ich nur so viel melden, daß er zu Frankfurt an der Oder studirt habe. Ich ersehe dieses aus dem Gedichte auf die von Friedrich dem I. Konige in Preußen geschützten Nachtigallen; wo er ausdrücklich schreibt:

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Denn was beseufzet sonst mein brennendes Verlangen, Als daß mein Friederich mir seinen Schutz entzeucht: Der milde Friederich, der da ich ausgegangen, Auf hohen Schulen mir das erste Brodt gereicht. Von dieser hohen Schule mag er sich vielleicht auch auf mehrere, und zwar namentlich nach Halle und Leipzig begeben haben. Von dem ersten überredet mich ein Gedichte, das er auf den geheimden Rath Stryk im Namen seiner Tischgesellschaft, und noch ein anders, das er in eigenem Namen auf ihn gemacht. Er sagt in dem letztern ausdrucklich: Ich habe großer Mann zehn Jahre dich gekannt, Und drey Jahr dich gehört. Folglich ist er denn wirklich ein Zuhörer desselben gewesen. Ob es mir nun gleich wahrscheinlich ist, daß er von hier wiederum nach Schlesien zurückgegangen sey, und sich daselbst durch verschiedene Gedichte bekannt zu machen gesucht; dahin ich diejenigen rechne, die er in lohensteinischem Geschmacke aufgesetzt, und die in dieser Sammlung mit Fleiß weggelassen worden: so kann ich doch nicht für gewiß behaupten, in welchem Jahre dieses geschehen ist; und wie lange er daselbst geblieben. In den Jahren 1689 und 1690 ist unser Neukirch gewiß in Leipzig gewesen. Dieses lehret der von ihm ans Licht gestellte A r m i n i u s oder H e r r m a n n ; dessen erster Theil zwar nur eine Vorrede ohne Namen, der andre aber ein Lobgedicht auf Lohensteinen, mit der ausdrücklichen Unterschrift B e n j a m i n N e u k i r c h , enthalt. In der ersten zeigt er sich nun bereits als einen belesenen und muntern Kopf, der die Feder in seiner Gewalt hat, ja besser als sein Held Lohenstein selbst schreibt, ob er ihm gleich die größten Lobsprüche giebt, und gewisser maßen noch nachzuahmen suchet. In dem andern aber, sieht man einen Dichter, der

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an Starke der Gedanken es seinem Landsmanne gleich, und an fließender Reinigkeit weit zuvor thut; ob er gleich wiederum, aus Begierde ihm ahnlich zu seyn, gar zu viel sogenannte Realien zusammengepfropft, und durch diese verschwendete Belesenheit seine eigene Gedanken unscheinbar gemacht hat. Auch dieses Gedichte wird man in dieser Sammlung vergebens suchen. Nach diesem ist unser Dichter nach Berlin gegangen, um an diesem Hofe sein Glück zu suchen, dessen Ansehen damals unter der glücklich angetretenen Regierung Friedrichs des Weisen, durch Artigkeit und Pracht, und Gnade gegen alle Künste und Wissenschaften, allen deutschen Hofen vorgieng. Es lebten damals an demselben der berühmte Redner und Staatsmann, F r e y h e r r v o n F u c h s , der treffliche Poet und geheimde Rath, F r e y h e r r v o n C a n i t z , und der gewesene Oberhofmarschall, H e r r v o n R a u t e r , an welchen erstem Neukirch große Muster von beyderley Schreibart, an dem letzten aber einen andern Mecanas gefunden. Ich ersehe dieses aus den galanten Briefen unsers Dichters, darinnen verschiedene stehen, die er in dem 1693sten Jahre, aber schon als ein alter Diener dieses Herren geschrieben. Daß er aber schon 1691. in Berlin gewesen sey, lehrt mich der eben daselbst befindliche Brief, an den H e r r n v o n B o j a n o v s k i , Fähnrich der Woywodschaft Posen, der in diesem Jahre den 10 O c t o b . zu Berlin unterschrieben ist. An den H e r r n v o n B e s s e r steht auch ein Schreiben unsers Dichters daselbst, das um diese Zeit geschrieben seyn muß; ungeachtet es keine Jahrzahl hat. Daraus ersieht man nun, daß er bey diesem poetischen Handwerksgenossen so glücklich nicht gewesen, als bey andern Großen des Brandenburgischen Hofes. Neukirch giebt es deutlich genug zu verstehen, indem er so anhebt: Hochedelgebohrner 2C. „Weil ich auf meine franzosische Briefe keine Antwort erhalte, so nehme ich mir die Freyheit deutsch zu schreiben, um zu versuchen, ob ich glücklicher sey, in einer Sprache,

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welche ihre eigene Kinder verachten; als in einer, welche auch ihre Feinde für gottlich halten. Mein Hochgeehrtester Herr Rath, wird sich ohne Zweifel noch erinnern, was ich unlängst, wegen des bewußten Dienstes gesuchet. O b ich nun gleich erfahren, daß die Stelle bereits bekleidet worden :c." So sehr es nun manchen Wunder nehmen wird, daß Herr von Besser, der sich doch selbst zuerst durch seine Poesie bey Hofe beliebt gemacht, und hernach mehr empor geschwungen, einem andern geschickten Dichter, weder auf seine vielfaltigen Briefe geantwortet, noch sonst im geringsten behulflich seyn wollen: so sehr stimmt dieses doch mit demjenigen überein, was mir theils mündlich von vornehmen Mannern, die an dem damaligen Berlinischen Hofe gelebt, erzahlet worden; theils auch in diesem Jahrhunderte an andern deutschen Hofen in dergleichen Umstanden bekannt geworden. Die so genannten Hofpoeten sind auf nichts eifriger bedacht, als daß an ihren Hofen ja kein andrer Dichter anwachse, und das Haupt empor hebe. Sie helfen also andern Poeten nicht fort, sondern ersticken und unterdrucken ihre Gedichte, so viel sie können; wie Neukirch solches zur Gnüge erfahren hat. Dieser Ungerechtigkeit und Scheelsucht des sonst schatzbaren Herrn von Besser, hat es der Preußische Hof ohne Zweifel zu danken, daß einer der besten Poeten unsers Vaterlandes, mitten in Berlin, und so zu reden vor den Augen des w e i s e n F r i e d r i c h s , im Elende fast verschmachten und umkommen müssen; und daß ihm seine wehmüthige Klagen, über die ihm so viele Jahre lang versagte Beförderung, in unzahlichen vortrefflichen Gedichten, bey der Nachwelt zu einigem Vorwurfe dienen werden. Nicht nur in dem Gedichte auf die geschützten Nachtigallen, hat er seine Noth auf das wehmüthigste vorgestellet; sondern auch in so vielen andern, die in dieser Sammlung stehen, hat er die beweglichsten Klaglieder angestimmet.

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Ja er hat seine Verzweifelung darüber in der VII. Satire auf der 145sten S. dieser Sammlung aufs nachdrucklichste abgeschildert. O b es nun einem Hofe zur Ehre gereiche, wenn solche Geister, die ihren Zeiten Ehre machen, und vielleicht die fähigsten, waren, auch das Lob der Konige und Fürsten der Nachwelt zu beschreiben, und ihre Thaten, mit einer ihrer Große anständigen Feder zu verewigen, mitten im Schöße des Ueberflusses und der Verschwendung, fast vor Hunger sterben müssen, das lasse ich andre beurtheilen. Im 1695sten Jahre gab N e u k i r c h seine g a l a n t e B r i e f e u n d G e d i c h t e auf wenigen Bogen in 8. heraus. Man sah aus diesen Proben in gebundener und ungebundener Rede, daß er seine vorige hochtrabende Art zu denken und zu schreiben völlig hatte fahren lassen; indem darinnen alles natürlich, artig, aufgeweckt, und dennoch sinnreich ausgedrücket ward. In den galanten Briefen bemerket man die ganze Art derjenigen franzosischen Briefsteller, die sich dadurch den größten Ruhm erworben hatten: und wenn gleich hin und her einige Nachahmungen vorkommen, so kann man doch nicht sagen, daß er denenselben das geringste abgestohlen, oder sie übersetzet hätte. Er wies also dadurch, daß auch ein deutscher Kopf, wenn er nur mit Leuten von besserm Stande umzugehen Gelegenheit hat, eben so wohl geschickt sey, scherzhaft, angenehm, und lebhaft zu schreiben, als ein Ausländer. Es ist aber kein Zweifel, daß der Berlinische Hof die Schule unsers Dichters gewesen, und ihm wenigstens den vormaligen Lohensteinischen Geschmack abgewöhnet habe. Um diese Zeiten glaube ich auch, daß er seine Uebersetzungen aus dem Boileau gemacht, die auf der 155sten u. f. S. dieser Sammlung vorkommen. Sonst sind Neukirchs galante Briefe vielmals wieder aufgelegt worden, auch noch neuerlich verschiedene mal neben Junkers Briefsteller gedruckt erschienen. Im 1700sten Jahre trat B e n j a m i n N e u k i r c h s A n w e i s u n g zu d e u t s c h e n B r i e f e n in Leipzig bey Thomas

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Fritschen ans Licht. In der Vorrede sagt der Verfasser, er habe dieselbe schon vor neun Jahren ausgearbeitet; und also zu eben der Zeit, da er sich zu Berlin aufgehalten und Beförderung gesucht. Von dem Werthe dieses Buches, können die vielmaligen Auflagen desselben zur Gnüge zeigen; indem ich selbst eine von 1709 und eine von 1721 in Händen habe, auch noch verschiedene andre gesehen zu haben mich erinnern kann: da es doch Deutschland an vielen andern Briefstellern, zumal in diesem Jahrhunderte nicht gefehlet hat. Es ist auch dieses Buch unstreitig das Beste in dieser Art, und es ist gewiß, daß weder die Welschen, noch die Franzosen dergleichen aufzuweisen haben. In der Vorrede entschuldiget sich der Verfasser, daß er auch von galanten Briefen gehandelt; laßt auch dabey diese Worte mit einfließen, die von seinem patriotischen Eifer für die deutsche Ehre ein deutliches Zeugniß ablegen: „Ich hatte auch gern in dieser Anweisung sie (die galanten Briefe) übergangen : allein die Ordnung des Werkes und der Hochmuth einiger Franzosen haben es nicht anders zugelassen. Die meisten von dieser Nation sind der Meynung, daß sie die Artigkeit des Verstandes allein besitzen. Sie meynen es nicht allein, sondern sie sagen uns auch solches in die Augen. Bouhours hat es in seinen Entretiens nicht allein gethan: er hat viel tausend Gefährten und Brüder, u n d w o h l gar u n t e r d e n j e n i g e n (Franzosen) w e l c h e m i t t e n in D e u t s c h l a n d l e b e n . " Wie wahr dieses letztere sey, hat nicht nur Neukirch dazumal in Berlin, wo es von solchen Verächtern der Deutschen wimmelte, erfahren; sondern es haben es auch nachmals unzähliche neue Exempel bestätiget, daß diejenigen Auslander so gar, die in ihrem Vaterlande vielleicht kein Brodt hatten, mitten in Deutschlandes Schooße, kein Bedenken tragen, ihre Wohlthäter, zur Dankbarkeit, für Dummkopfe auszuschreyen. Gleichwohl hat solches vielen, in der Hochachtung alles ausländischen ersoffenen Deutschen, noch nicht die Augen aufthun können.

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Der andre Theil dieses Buches, der die Exempel zu dem lsten in sich halten sollen, ist zwar von dem Urheber versprochen, auch geschrieben hinterlassen worden, aber wirklich nicht herausgekommen. Er soll noch in Anspach in guten Händen liegen: und es ist zu wünschen, daß sich bald ein Verleger desselben annehmen möge. Um eben diese Zeit, nämlich 1701 den 18 Junii fiel die Preußische Krönung Friedrichs I. Koniges in Preußen ein, welche unser Dichter mit der schönen Ode besang, die in dieser Sammlung den Anfang macht. Hierinn herrscht ein gesunder Witz, und eine reife und mannliche Art zu denken, die von einem wilden Feuer so weit, als von der schläfrigen Mattigkeit entfernet ist. Eben dieses Urtheil muß man von seinen übrigen heroischen Oden fallen, die in dieser ersten Abtheilung vorkommen. Sie sind edel, und doch nicht schwülstig; und man sieht daß der Dichter sich Opitzen, Dachen und Canitzen; nicht aber die neuern hochtrabenden Dichter zu Mustern genommen. Er vermischet aber mit dem Lobe seiner Helden auch allemal ein gewisses zärtliches Wesen, welches einen sanften Geist, ein empfindliches und menschliches Herz, und wohlgeordnete Neigungen zeigt. Ueberdem ist seine Schreibart nicht gebrochen oder gezwungen, sondern fließender und reiner, als man sie zu seiner Zeit, auch bey den Besten antrifft. Er hat zuerst in Oden das Geheimniß erfunden, den Abschnitt des Sinnes in den gehörigen Stellen, oder Hälften derselben zu machen; welches Canitz noch nicht gewußt: indem er den Verstand allemal da schließt, wo es die Abwechselung der Reime, und so zu reden, die Abtheilung der Melodie in jeder Strophe erfordern würde; wenn sie gesungen werden sollten. Uebrigens hat er um diese Zeit, auch den Einzug des neuen Königes in Berlin, durch ein poetisches Schreiben verehret, auch allem Ansehen nach das schöne Schreiben der Aurora an den König, um diese Zeit aufgesetzet.

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Da er aber mit allen diesen Bemühungen dennoch nicht vor die Augen und Ohren eines sonst so gnädigen und den Musen geneigten Koniges dringen können: so scheint mirs, er habe sich im Anfange dieses Jahrhunderts, wiederum hieher nach Leipzig gemacht. Ich schließe dieses aus der Sammlung der Hoffmannswaldauischen und andrer deutschen Gedichte, die er hier in Thomas Fritschens Verlage veranstaltet hat. Die Vorrede des ersten Theiles, schreibt sich von ihm her; und er hat darinn eine ziemliche Einsicht in die Poesie überhaupt, und die deutsche ins besondre gewiesen. Er beurtheilt nicht allein den Werth und die Starke der besten von unsern Dichtern, sondern auch der Franzosichen, nicht ganz unrecht: doch ist es nicht zu leugnen, daß er zuweilen seinen neuern Landsleuten ein wenig zuviel, und andern zu wenig beylegt. Allein die damalige Zeit kannte noch keine scharfe und gründliche Critik, und es ist schon genug, daß Neukirch nur einen kleinen Versuch in Beurtheilung verschiedener Dichter gethan. Folgende Worte aus dieser Vorrede scheinen mir lesenswerth zu seyn: „Wir leben in einem Lande, wo die Künste wegen vieler Herrschaften zertheilet sind, wo man mehr von einem Glase Wein, als von Liedern hält, wo die wenigsten die Galanterie recht verstehen, und wo die Cavaliers diejenigen für Schulfüchse schelten, welche die Franzosen für BEAUX E S P R I T S erkennen. Wir leben auch zu einer Zeit, da die Deutschen fast nicht mehr Deutsche sind; da die ausländischen Sprachen den Vorzug haben, und es eben so schimpflich ist, deutsch zu reden, als einen schweizerischen Latz oder Wamms zu tragen 2C." Uebrigens sind zwar verschiedene von Neukirchs Gedichten in diese beyden Bände Hoffmannswaldauischer Gedichte eingeschaltet; aber sie sind nicht alle von einerley Schrot und Korne; weswegen ich sie auch nicht alle in diese Sammlung gesetzt habe. Im 1705ten Jahre starb die so gelehrte als schone Königinn von Preußen, S o p h i e C h a r l o t t e : und unser Poet wagte

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es, eine ausführliche Lobrede auf dieselbe zu machen, und in den Druck zu geben. Man muß gestehen, daß dieses die erste gute Lobrede ist, die Deutschland in seiner Muttersprache gesehen; indem alles, was Lohenstein, Weise, Riemer und Weidling in dieser Art gewiesen hatten, der Neukirchischen Arbeit nicht das Wasser reicht. Wollte man ja einen Fehler daran finden, so müßte man sagen, daß sie gar zu viel Schönes zusammengehäufet: Dergestalt aber, würde man sie nur mit des P l i n i u s berühmter Lobrede auf den Kaiser Trajan in eine Classe setzen; die zwar bisher von unzählichen bewundert und nachgeahmet, aber noch von niemanden erreichet worden. Neukirch ist auch vielleicht der erste Poet, der bey seiner starken Poesie, eine so große Starke in der Beredsamkeit erreichet hat. Er begleitete auch zugleich diese Rede, im Drucke, mit einem vortrefflichen Gedichte auf eben diese preiswürdige Koniginn, welches eins von seinen besten ist; wenn man das einzige Wortspiel von Engelland darinn ausnimmt. Und es ist nichts mehr zu bewundern, als daß auch diese neue Probe seiner unablaßigen Verehrung des Preußischen Hofes, ihm dennoch keine Beförderung zuwege gebracht. Im 1708ten Jahre schritt F r i e d r i c h d e r W e i s e zu seiner dritten Vermahlung mit der Meklenburgischen Prinzeßinn Sophia Louise, und unser Dichter, der sich, wie ich aus der oben angeführten 7ten Satire schließe, eine Zeitlang aus Berlin entfernet gehabt, eilte auf Anrathen seiner Freunde wieder dahin, um auch dieses hohe Beylager zu besingen. Er verfertigte dabey das schone und lange Gedicht: D i e l a n g e N a c h t ist h i n ; dabey abermal nur das einzige Echo, welches darinn vorkommt, tadelhaft, alles andre aber ungemein wohl gerathen ist. Auch dieses Zeichen seiner Ergebenheit war fast umsonst; indem es ihm weiter nichts, als ein Geschenk von fünfzig Thalern zugezogen. Schlechte Vergeltung für einen Dichter, der bey nahe zwanzig Jahre lang an einem Hofe Beförderung gesucht hatte.

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In den Jahren, die hierauf folgen, ist gleichwohl unser Dichter bey der in Berlin neuangelegten Ritterakademie als Professor, befördert worden. Wie groß oder klein sein Auskommen dabey gewesen, zeiget abermal die vorhin angeführte Satire, darinn er seine Glaubiger auf die Besoldung bey der Akademie verweiset; aber schlechten Glauben bey ihnen findet. Ueberhaupt scheint er mir seine Satiren um diese Zeit gemacht zu haben. Denn außer daß sie einen völlig reifen und mannlichen Geist zeigen, der durch viel Erfahrung und Nachsinnen, zu einer gesetzten Einsicht menschlicher Dinge gekommen war: so sind auch noch andre Merkmaale darinnen anzutreffen, daraus man ihnen diesen Zeitpunct ohngefahr bestimmen kann. In Ansehung dieser Satiren nun, die in den Hankischen Gedichten wider Willen des Verfassers zuerst ans Licht getreten, kann man unsern Dichter getrost mit den J u v e n a l vergleichen: dahingegen ich unsern R a c h e l mit dem romischen L u c i l , und C a n i t z e n mit dem H o r a z , so wohl in der Gemuthsart, als in der Schreibart zu vergleichen pflege. Neukirch scherzt nämlich mit den Lastern nicht, sondern er braucht eine scharfe Geißel, und verfolgt sie bis aufs Blut, in allen Schlupfwinkeln, wo sie sich verstecken. Kurz: wer den J u v e n a l kennt, der wird ihn im Neukirch überall finden. Endlich, hat das Glück unsern wohlversuchten Dichter zu suchen und zu befördern angefangen; als eben sein Unstern am größten geworden zu seyn schien. Denn als bald nach dem Tode Königs F r i e d r i c h d e s I. die von ihm gestifteten Ritterakademie aufgehoben worden, wird auch wohl der Unterhalt unsers Dichters, den er dabey gehabt, ein betrübtes Ende genommen haben. Bald darauf aber ward er zu einer ihm sehr rühmlichen Beschafftigung, an den Durchl. Marggrafl. Anspachischen Hof, als Lehrmeister oder Unterhofmeister des damaligen Durchl. Erbprinzen, und itzigen regierenden Marggrafen berufen. Dieses war nun eine Stelle, die unser Poet, der durch vielerley Proben

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des Glücks zum Philosophen geworden, vor hundert andern wohl zu verwalten geschickt war; der er auch, so viel man aus allem schließen kann, fast bis ans Ende seines Lebens treulich, und mit Beyfall seines Hofes vorgestanden. Ein deutliches Merkmaal davon legte im 1727sten Jahre der I. Theil, des von ihm, zum Besten seines hohen Untergebenen, in deutsche Verse übersetzten T e l e m a c h s ab. Dieses Werk, welches von dem großen F e n e l o n , einem Königl. Prinzen in Frankreich zu gut, war aufgesetzet worden verdiente es allerdings, in eines so starken Dichters Hände zu fallen: wiewohl ich nicht in Abrede seyn will, daß es zu wünschen wäre, Neukirch hätte sich zehn, fünfzehn, oder gar zwanzig Jahre eher an diese Arbeit gemacht. Man muß nämlich bekennen, daß diese Uebersetzung denen ursprünglich von ihm selbst verfertigten Gedichten bey weitem nicht gleich komme: es sey nun, das solches von dem bey hohem Jahren abnehmenden Feuer der Einbildungskraft, oder von andern Ursachen hergerühret. Indessen war der erste Band dieses Heldengedichtes nicht nur auf Hochfürstl. Kosten, sehr prächtig im größten Formate gedruckt, und mit Kupfern gezieret; sondern auch von dem Uebersetzer mit mythologischen und andern moralischen und politischen Anmerkungen versehen; die aber nur bey jungen Herren, nicht bey andern gelehrten Lesern ihren Nutzen haben. In der Vorrede gesteht er, daß er nicht allemal sehr genau bey dem Texte geblieben sey, sondern wohl gar zuweilen seine eigene Gedanken eingeschaltet habe. Es wäre nur zu wünschen, daß er sein im Schlüsse gethanes Versprechen, erfüllet, und uns seine sämmtlichen gedruckten und ungedruckten Gedichte selber geliefert hätte: so würden wir noch manches Stück von ihm zu sehen bekommen haben, das uns itzo fehlet. Voritzo sind wir denen, die auch ohne sein Vorwissen, etliche von seinen Stücken in ihre Sammlungen eingerücket haben, einen Dank schuldig; ob er sich gleich selbst über diese bey seinem Leben genommene Freyheit, in dieser Vorrede beschweret hat.

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Die Fortsetzung des Druckes von den beyden andern Theilen hat unser Dichter nicht erlebet. Er starb nämlich 1729 im August, und also in seinem fünf und sechzigsten Jahre zu Anspach, wo er die letzte Zeit seines Lebens ziemlich ruhig zugebracht hatte. Gleichwohl hat der dasige Durchl. Hof, durch die Fortsetzung der prachtigen Ausgabe seines Telemachs, die 1738 in zween andern Banden herauskam, zeigen wollen, wie werth ihm das Andenken eines gewesenen treuen Dieners gewesen ist. Diese beyden Bande sind dem ersten in allem gleich. Druck, Kupfer, Verse und Anmerkungen sind von gleicher Güte: ja zu gleicher Zeit ward auch noch eine kleinere Ausgabe in 8 ans Licht gestellet, um dem unbilligen Nachdruck vorzubeugen, der den ersten Theil in Berlin getroffen hatte. Doch ist diese im äußerlichen merklich schlechter von Ansehen; sonderlich was die Kupfer betrifft. Dieß ist es alles, was mir von Neukirchs Leben und Umstanden bekannt geworden. Kann ich aber künftig noch ein mehrers erfahren, so will ich es bis zu einer neuern Ausgabe dieser Gedichte sparen, und alsdann diese Nachrichten damit bereichern. Vielleicht kann ich alsdann auch eins und das andre ausbessern, worinn ich etwa geirret haben mochte; wenn nur diejenigen, die es besser wissen, die Güte haben werden, mich zu belehren. Von dieser Ausgabe habe ich nicht viel zu sagen. Die Eintheilung der Gedichte, ist sehr ungekünstelt, und wird einem jeden in die Augen fallen. Die meisten davon, habe ich aus den V I I . Theilen der H o f f m a n n s w a l d a u i s c h e n G e d i c h t e : die Satiren, geistlichen Oden und Psalmen aus H r n . S e c r . H a n k e n s G e d i c h t e n ; einige auch des H r n . von H o h b e r g s B e y t r a g zum S c h l e s i s c h e n H e l i k o n , der zu Sorau 1733 herausgekommen; endlich aus eines ungenannten A n d a c h t s ü b u n g z u r K i r c h e n m u s i k , die 1721 in 8. zu Frankfurt und Leipzig herausgekommen, den w e i n e n d e n P e t r u s entlehnet. Ich schweige derjenigen Stücke, die ich schon in meinen c r i t i s c h e n B e y t r ä g e n 17

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von ihm eingerücket hatte. Nun hätte ich freylich diese Sammlung noch viel starker machen können, wenn ich alles, was in oberwahnten Sammlungen die Ueberschrift B . N . führet, hatte mitnehmen wollen. Allein aus dem obigen wird schon die Ursache erhellen, warum ich solches nicht gethan habe. Manche Gedichte nämlich, die Neukrich in seiner Jugend, und vor der in Berlin erfolgten Aenderung seines Geschmacks gemacht, würde er uns selbst nicht als Muster angepriesen, oder für ihm anstandige Arbeiten erkannt haben. Ich habe also den Fehler nicht selbst begehen mögen, den ich sonst an andern Ausgebern von Gedichten, mit so vielem Grunde getadelt hatte. Konnte indessen der Hr. Verleger die noch in Anspach vorhandenen Papiere des seligen Neukirchs, aus der Finsterniß erretten, darinn sie liegen: so würde er nicht ermangeln, auch dieselben künftig der Welt bekannt zu machen. Diejenige, die sich über unsern Dichter als große Kunstrichter hergemacht, und bald an seinem Telemach, bald an einem andern Stücke von ihm zum Ritter werden wollen, lassen wir desjenigen Ruhms gern genießen, den sie sich dadurch erworben haben. Es ist ihnen auch, was das erste betrifft, in dem 32 Stück der critischen Beyträge schon gewiesen worden, daß es viel leichter sey, zu tadeln und zu splitterrichten, als besser zu machen. Mich aber geht dieses hier nichts an, weil ich nicht den Telemach, sondern seine eigene Gedichte; und zwar nur solche herausgebe, die von guter Art sind, und noch von niemanden verworfen worden. Fehlt es endlich dieser Ausgabe an Zierrathen, Ueberschriften, und andern unnothigen Zusätzen: so ist es fürs erste genug, daß wir einen Dichter, den von rechtswegen alle junge Leute lesen sollten, so wohlfeil ans Licht stellen, daß ihn ein jeder bezahlen, und zur Noth in der Tasche bey sich tragen kann; ein Vorzug, der gewissen neuern Gedichten zu keinem geringen Vortheile gedienet hat. Vielleicht wird es aber der Herr Verleger, bey einer neuen Ausgabe, auch an mehrerer Zierde und Schönheit nicht fehlen lassen.

Vorrede zu Auserlesene Schriften von Lucian von Samosata 1745

Geehrter Leser! D a ß man dir gegenwartige Sammlung einiger auserlesenen Stücke von des scharfsinnigen Lucians Schriften, Deutsch übersetzt liefert, geschieht in keiner andern Absicht, als in welcher auch die Liebhaber des griechischen und romischen Alterthums, die Urschriften der Alten in ihrer Grundsprache heraus zu geben pflegen. Diese gelehrten Männer haben, nebst so vielen andern vernünftigen Kennern wahrer Gelehrsamkeit, allezeit dafür gehalten, daß das alte Athen und Rom, wo nicht für die wahrhaften Mütter aller Künste und Wissenschaften, doch gewiß für ihre sorgfaltigsten und glücklichsten Saugammen zu halten waren. Sie sehen also die klugen und witzigen Ueberbleibsel griechischer und lateinischer Gelehrsamkeit für die reinesten Quellen der gesunden Vernunft, der Weltweisheit, der Geschichte, der Scharfsinnigkeit und des guten Geschmackes an; ohne welche die neuern Zeiten vielleicht noch im Finstern tappen, oder doch in der Erkenntniß nützlicher und angenehmer Dinge, lange nicht so weit gekommen seyn würden. Ist heute zu Tage jemand dieser Meynung eifrig zu gethan; so bin ich es gewiß, der ich mir selbst am besten bewußt bin, wieviel ich diesen großen Lehrmeistern des menschlichen Geschlechts zu danken habe. Ich habe es auch in meinen geringfügigen Schriften, wohl unzahligemal gestanden, daß ich in den freyen Künsten und schonen Wissenschaften den Alten das meiste schuldig bin. Daher habe ich denn keine Gelegenheit versäumet, auch meinen Zuhörern und andern Anfangern in der Gelehrsamkeit, diese lautern Quellen der Einsicht und des guten Geschmacks, mündlich und schriftlich anzupreisen. Ja ich konnte vielleicht ohne

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Ruhmräthigkeit hinzusetzen, daß ich einer von denen bin, der die wahren Schönheiten der alten Poesie und Beredsamkeit seit zwanzig Jahren in Deutschland wiederum bekannt gemacht; nachdem sie vorher, durch so viele andre neufrankische Regeln und Exempel, einer ganz sonderbaren, oder sogenannten curiosen, sententiösen, galanten und politischen; d.i. lohensteinischen, hoffmannswaldauischen, weisischen, riemerischen und weidlingischen Dichkunst und Redekunst, fast ganzlich waren verdunkelt worden. Und da man zu diesen nunmehr vergangenen Zeiten, die Alten nur für künstliche Stilisten und Wortkrämer ansah, an denen man nur die Schönheit der Schreibart, und Reinigkeit der Redensarten zu bewundern und nachzuahmen hatte: so habe ich es durch meine Anweisungen zu beyden freyen Künsten, und viele andre Vorlesungen und Bemühungen, endlich dahin gebracht, daß man sie auch für Meister in den Sachen; das ist in den wahrhaften Regeln der Kunst, zu halten begonnen, und von den äußerlichen Schalen ihrer Worte, auf den innern Kern ihrer Gedanken, Lehren und Wahrheiten, durchgedrungen. Ich habe hier wider meine Gewohnheit etwas von meinen Verdiensten um die Alten reden müssen; da mich einige von denen Ursachen dazu gedrungen, die Plutarch für zureichend halt, denjenigen zu entschuldigen, der etwas Gutes von sich selber sagt*? Ich mag mich nicht deutlicher und weitläuftiger darüber erklaren; sondern überlasse es dem verstandigen Leser, dieselben mit meinen Umständen gegeneinander zu halten, um die rechten ausfündig zu machen. So viel getraue ich mir aber wohl zu behaupten, daß ich nichts davon gesagt, als wovon die Beweise der Welt im offenen Drucke vor Augen liegen. Ich verlange aber dadurch den Verdiensten vieler vortrefflichen Männer nichts an ihrem *

VID.

PLUTARCHI

LIBELLUS,

CITRA INVIDIAM L A U D A R E

DOCENS,

POSSIT?

QUA

QUIS

RATIONE

SEIPSUM,

Vorrede zu Schriften von Lucían v. Samosata

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G l ä n z e zu b e n e h m e n , die mit mir in einerley Absichten gearbeitet h a b e n . Ich g ö n n e einem jeden die ihm gebührende E h r e , und b e k e n n e es gern, daß man in A u f k l a r u n g des deutschen W i t z e s , und in V e r b e s s e r u n g der schonen W i s s e n schaften n o c h lange nicht so weit g e k o m m e n seyn w ü r d e ; w e n n nicht ihrer viele, mit zusammengesetzten K r ä f t e n , daran gearbeitet hatten. O b nun auch die B e f ö r d e r u n g gegenwartiger deutsch übersetzten lucianischen Schriften, unter diejenigen B e m ü hungen gehören w e r d e , dadurch ich m i c h u m die Alten verdient m a c h e n k ö n n e : das ist eine F r a g e , die von verschiedenen auf verschiedene W e i s e b e a n t w o r t e t werden wird. Ich schmeichele mir vielleicht nicht o h n e allen G r u n d , w e n n ich glaube, daß einige U r t h e i l e ganz vortheilhaft für mich ausfallen w e r d e n : aber ich bin auch so eitel nicht, zu glauben, daß alle unsre G e l e h r t e n darinn einer M e y n u n g seyn sollten. Es giebt nämlich sehr viel w a c k e r e M a n n e r , die z w a r in A n sehung des W e r t h e s der Alten völlig mit m i r eins sind: aber ihre G e d a n k e n gehen zu gleicher Zeit dahin, daß sie die Alten nur in ihren G r u n d s p r a c h e n b e w u n d e r n ; aber alle H o c h a c h t u n g gegen ihre Schriften verlieren, so bald sie dieselben in neuern Sprachen e r b l i c k e n . M a n kann sich leicht einbilden, daß ich b e y so gesinnten R i c h t e r n mit keiner U e b e r s e t z u n g einigen D a n k verdienen, vielweniger aber für einen M a n n werde gehalten w e r d e n , der sich u m den L u c i a n , auch nur auf einige W e i s e , verdient gemacht hatte. So geneigt ich auch sonst bin, einem jeden seine M e y n u n g in dergleichen ziemlich gleichgültigen D i n g e n zu g ö n n e n : so wenig bin ich es g e w o h n t , mir dieselben aufdringen zu lassen; wenn ich die G r ü n d e nicht begreife, w o r a u f sie sich f u ß e n . A m wenigsten aber kann ich meine M e y n u n g auf eine dictatorische A r t verwerfen lassen, die ich auf eine lange U n t e r s u c h u n g und nach genauer Prüfung der U r s a c h e n , für wahr befunden habe. Es theilen sich aber die G e g n e r , w e l c h e ich i t z o v o r m i r sehe, in z w e e n e H a u f e n . D e r erste will

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Johann

Christoph

Gottsched

nichts von deutschen Uebersetzungen überhaupt wissen: der andre kann sie nur bey den alten griechischen und romischen Schriftstellern nicht leiden. Mit beyden bin ich willens in dieser Vorrede zu handeln, ob wir vielleicht unsre Gedanken einander etwas nahern, oder sie gar vereinigen können. Man soll gar keine Uebersetzungen machen: dieß ist der erste Satz, den ich beantworten muß. In Wahrheit, man muß sehr lieblos, gegen einen großen Theil des menschlichen Geschlechts, und sehr unempfindlich in Ansehung des Flors der Wahrheit und Gelehrsamkeit seyn; wenn man einen so strengen Lehrsatz im Ernste behaupten will. Wie? soll denn ein ganzes Volk, welches in seiner Sprache noch keine Scribenten aufzuweisen hat, auch von seinen gelehrten Nachbarn nichts lernen? Soll es einem ganzen Lande voller Menschen auferlegt werden, die Sprachen zu lernen, darinn schon Geschichte, Lehrbücher, Gedichte und andre nützliche Dinge geschrieben worden? Wer kann das fordern, ohne sich der größten Unbilligkeit theilhaft zu machen? Oder soll vielleicht die Einsicht und Wissenschaft nur handwerksmäßig getrieben werden? Soll denn niemand einen Zutritt, zu den Geheimnissen eines gelehrten Erkenntnisses bekommen, oder den geringsten Vorschmack davon genießen; als wer sich zehn oder fünfzehn Jahre lang hat aufdingen lassen, und alle Stufen des studirten Handwerkes durchgegangen; alle Winkel des Schulstaubes geduldig durchkrochen hat? Es würde wahrlich sehr schlecht um das menschliche Geschlecht aussehen, wenn diese Meynung zu allen Zeiten geherrschet hatte; wenn Griechen und Romer, Welsche und Spanier, Englander und Franzosen, ja selbst wir Deutschen von Anbeginn so gedacht hatten. Allein alle diese Volker haben zu gutem Glücke ganz anders gedacht. Wie manche schone Wahrheit mögen Pythagoras und andre alte Weisen, nicht ins Griechische gebracht haben, die sie von den Aegyptern und Chaldaern, von den Brachmanen und Gymnosophisten in ganz fremden Sprachen gefasset hatten! Wie

Vorrede zu Schriften von Luaan

v. Samosata

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manches mögen auch die ältesten griechischen Dichter und Geschichtschreiber aus phonicischen oder phrygischen U r kunden, Fabeln und Nachrichten erborget haben? Wenigstens finden wir nicht, daß sie allen ihren Landsleuten die Pflicht auferlegt hatten, alle diese orientalische Sprachen zu lernen: bey angedroheter Strafe, ewig in ihrer Unwissenheit zu bleiben. Die ältesten romischen D i c h t e r sind ja fast nichts anders, als Uebersetzer gewesen. D e r griechische W i t z diente ihnen, ihre Landsleute dadurch aufzuwecken, und sie zu ähnlichen Bemühungen aufzumuntern. Plautus und Terenz werden ja so wohl als ihre Vorgänger in der dramatischen Poesie von vielen sehr gelobt, die doch auf das Uebersetzen recht böse sind: und gleichwohl sind diese ihre Lieblinge selbst, bloße Dollmetscher griechischer Poeten gewesen. Cicero selbst, der doch seine R o m e r so gerne auf den rechten W e g der attischen Beredsamkeit führen wollte, forderte nicht, daß alle Liebhaber dieser Kunst griechisch lernen sollten. W a r u m hätte er sonst ein paar Reden vom Demosthenes und Aeschines lateinisch übersetzt; wie er in der Einleitung dazu, die wir noch haben, (DE OPTIMO GENERE ORATORUM) selbst gesteht? O d e r warum hätte er seine rhetorischen Bücher in so großer Anzahl abgefasset, wenn er geglaubt hätte, daß man ohne die griechischen Lehrer der Beredsamkeit zu verstehen, nichts rechtes lernen konnte? D a ß Lucretius, als der älteste romische Weltweise, v o m Uebersetzen der griechischen Lehren des Demokritus und Epikurus den Anfang gemacht habe, liegt am Tage. D a ß C i c e r o manches aus dem Aratus, Plato und Aristoteles übersetzet, um seine R o m e r zum philosophiren zu gewöhnen, das ist gleichfalls offenbar. U n d wieviel hat nicht Seneca aus dem Chrysippus, Epikur und andern, wenigstens Stückweise übersetzt, und in seine Schriften eingerückt; vieler andern neuern Stücke vom Apulejus u . a . m . itzo nicht zu gedenken.

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Johann

Christoph

Gottsched

Wollen wir auf die neuern Zeiten sehen, da die in ganzlichen Verfall gerathene Gelehrsamkeit in den Abendlandern wiederum auferwecket worden: so liegt es ja am Tage, daß solches große Werk, das für die Wissenschaften von so wichtigen Folgen gewesen, hauptsachlich durch Uebersetzungen der alten griechischen und romischen Schriften angefangen, und ausgeführet worden. Hatten uns nicht die unsterblichen Manner, Rudolph Agricola, Alardus, Camerarius, Canterus, Cornarus, Erasmus, Sigism. Gelenius, Conr. Geßner, Sim. Grynaus, Giphanius, Melanchthon, Micyllus, Obsopaus, Pirkheimer, Reuchlinus, Just. Vultejus, Hier. Wolfius, Wilhelm Xylander u . a . m . die griechischen Dichter, Redner, Weltweisen und Arzneyverstandigen ins Latein übersetzet: so würden gewiß diese Wissenschaften bey weitem so gemein nicht geworden seyn*. Und wie groß ist nicht in Deutschland die Zahl derer gewesen, die uns wowohl die griechischen, als auch sonderlich die lateinischen Schriftsteller, deutsch übersetzt haben? Wem dieselben nicht bekannt sind, der kann ihre Namen und Arbeiten theils in meinen Beytragen zur critischen Historie der deutschen Sprache K. theils in der greifswaldischen deutschen Gesellschaft Versuchen, nachschlagen. Wer ist aber so unerkenntlich gegen diese, um ihr Vaterland hochverdiente Manner, daß er alle ihre Arbeiten für unnütz und überflüßig ausgeben wollte? Durch diese Uebersetzungen nämlich, ist die Kenntniß alter Geschichte, Erfindungen, Reden, Gedichte und Lehren der Weisheit, als ein fruchtbarer Saame in Deutschland ausgestreuet worden, und hat in den folgenden Zeiten die reichlichsten Fruchte, in so viel tausend guten original deutschen Schriften, ganz überflüßig getragen. Ich übergehe den Vortheil, den benachbarte Volker, sowohl in Welschland und Spanien, als in England und Frank!t

Siehe davon PETR. DAN. HUETIUM, DE CLARIS INTERPRETIBUS, der heute zu T a g e um ein vieles vermehrter aufgelegt werden k o n n t e .

Vorrede zu Schriften von Ludan v. Samosata

263

reich, aus den Uebersetzungen der Alten gezogen haben: selbst aus den neuern Sprachen haben sich diese Volker von Zeit zu Zeit das Beste zu Nutze gemacht. Man konnte eine ganze Bibliothek mit Büchern anfüllen, die aus einer Sprache in die andre übersetzt worden. Sonderlich hat dieses Schicksal diejenigen betroffen, die in neuern Zeiten in einer todten Sprache geschrieben haben. Denn wofern ihre Bücher irgend etwas getauget, und zum gemeinen Nutzen bequem befunden worden, so hat man sie in dem engen Umfange, den ihnen die sogenannte gelehrte Sprache, gab, nicht gelassen, sondern in heutige Sprachen übersetzet. Es hat die Gelehrten neuerer Zeiten nichts geholfen, daß sie, um von allen Volkern verstanden zu werden, in ihrer vermeynten Muttersprache geschrieben haben. Damit war es nicht ausgerichtet. Es gab der Leute mehr, die sich ihre Bücher zu Nutze machen wollten, als die kleine Zahl der Lateiner betrug. Grotius, schrieb sein vortreffliches Buch vom Rechte des Krieges und Friedens lateinisch: allein es wahrte nicht lange, so ward es fast in alle europaische Sprachen übersetzt. Sleidan, Simler, Scheffer, Sander, Cellarius, Puffendorf u.a. Deutsche mehr haben ihre Geschichtbücher und Weltbeschreibungen ohne Zweifel mit gutem Bedachte lateinisch geschrieben; sind aber dennoch alle, theils ins Franzosische, theils auch ins Englische und Welsche übersetzt worden. Was soll ich von denen Deutschen sagen, die ihre eigene Landsleute, so zu reden, vergessen, und nur den Fremden zu gut, in der lateinischen Sprache geschrieben haben? Sind nicht außer unzahlichen andern auch Pufendorfs Bücher vom Volkerrechte und von der Schwedischen Historie, Thomasens III. Bücher von der gottlichen Rechtsgelahrheit, seine Cautelen bey Erlernung der Rechtsgelahrheit, Heisters kurzer Begriff der Zergliederkunst, Wolfs natürliche Gottesgelahrheit; und daß ich auch einiger Alten erwähne, Carions, Apians, Kranzens, Theophrasti Paracelsi, Guevarra, C o m minäi und Thuans lateinische Schriften zum theil Deutsch

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Johann Christoph Gottsched

übersetzt worden? Wer an allen solchen Dingen zweifelt, oder sich nicht gleich darauf besinnet, dem kann vielleicht einmal mit einem großen Verzeichnisse davon gedienet werden. Daraus wird man aber auch sehen, daß selbst eine ansehnliche Menge deutscher Bücher sowohl ins Latein, als in viele auslandische Sprachen gebracht worden. Nun muß man entweder sagen, daß alle diese gelehrte und wackere Manner eine vergebliche Arbeit übernommen haben, und dem Vaterlande keine Dienste gethan; oder man muß zugestehen, daß gute Bücher übersetzen, eine nützliche und lobwürdige Bemühung sey. Was soll ich von der Religion selbst sagen? Wer die Uebersetzungen überhaupt tadelt, der verwirft auch alle Dollmetschungen der heiligen Schrift, der Vater und anderer Kirchenscribenten, z . E . des Kempis, Taulers, Luthers, Melanchthons, Chemnitzens, Seckendorfs, Buddens und unzählicher auslandischen Gottesgelehrten, Sittenlehrer und Glaubensvertheidiger: lauter vortreffliche Schriften! Wollte man uns diese alle nehmen, wie würde es um unsre Kirche aussehen? Was für Schatze der Wahrheit und Erkenntniß würde man uns nicht rauben? Und in welche Blindheit würde man Deutschland nicht wieder stürzen, wenn man alle solche Werke in die Wolken fremder Sprachen verhüllet lassen, und den Augen gemeiner Christen entziehen wollte? Doch ich weis, was man mir antworten wird. Was zur Religion gehöret, wird man sagen, das darf wohl in die gemeine Landessprache gebracht werden; ja es konnte gar ursprünglich darinn geschrieben werden: aber alle andre Wissenschaften sollen nur für die Gelehrten aufgehoben bleiben, und durch keine deutsche Schriften bekannter gemachet werden. Ich besorge sehr, daß diese Unterscheidung so sehr nicht Stich halten wird, als scheinbar sie anfangs klinget. Denn fürs erste ist ja auch unter den Schriften, die in Religionssachen, z . E . von Glaubensstreitigkeiten, neuen Meynungen und Ketzereyen, ja von Ungläubigen und Frey-

Vorrede zu Schriften von Lucían v. Samosata

263

geistern geschrieben w o r d e n , so m a n c h e s , das n o c h weit schädlicher w i r d , wenn es d e m gemeinen M a n n e in der M u t t e r s p r a c h e geliefert wird. Fürs erste ist also schon das eine Glied des U n t e r s c h i e d e s nicht o h n e A u s n a h m e . A b e r auch das andre kann u n m ö g l i c h schlechterdings gelten. D e n n wie? Soll der unstudirte A d e l , B ü r g e r und L a n d w i r t h , auch von der W e l t b e s c h r e i b u n g , und G e s c h i c h t e ; auch v o m H o f l e b e n und Soldatenstande; auch v o m H a n d e l und der W i r t h s c h a f t ; auch von der B a u k u n s t , und Schiffarth; auch v o m A c k e r b a u e und F o r s t w e s e n ; auch von der J a g d und F i s c h e r e y ; auch von B e r g w e r k e n und dem M ü h l e n b a u e ; auch von K ü n s t e n und H a n d w e r k e n nichts in deutschen B ü c h e r n finden k ö n n e n ? Ich sage n o c h zu wenig. Soll man auch v o m R e c h n e n und F e l d m e s s e n , von der M e c h a n i k , von der Sternwissenschaft, von der Z e i t k u n d e und K r i e g s b a u kunst nichts anders, als aus lateinischen B ü c h e r n wissen? So m u ß man entweder alle C h r o n i c k e n , und H a u s h a l t u n g s b ü c h e r , alle G e o g r a p h i e n und R e i s e b e s c h r e i b u n g e n , u . s . w . ja endlich alle R e c h e n b ü c h e r und C a l e n d e r aus der deutschen Sprache v e r b a n n e n . K u r z , man m u ß und wiederum in den barbarischen Zustand versetzen, daraus Kaiser C a r l der G r o ß e seine D e u t s c h e n mit so vieler M ü h e zu reißen ges u c h t . M a n m u ß diejenigen Zeiten der F i n s t e r n i ß wiederum e i n f ü h r e n , darinn das fürchterliche M ü n c h s l a t e i n allein geherrschet, alle L a y e n aber so d u m m erhalten w o r d e n , daß sie weder schreiben n o c h lesen g e k o n n t , und sich ihren, o b w o h l selbst blinden F ü h r e r n , blindlings überlassen müssen. Etwas gelinder scheinen also w o h l diejenigen mit uns zu verfahren, die zwar w e d e r das deutsche B ü c h e r s c h r e i b e n überhaupt, n o c h das U e b e r s e t z e n aus fremden Sprachen verw e r f e n ; aber doch die griechischen und lateinischen Schriftsteller alter Zeiten für viel zu heilig halten, als daß ihre B ü c h e r durch U e b e r s e t z u n g e n in neuere Sprachen, in die H ä n d e des unstudirten V o l k e s gebracht werden sollten. Es

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Johann

Christoph

Gottsched

wird der Mühe werth seyn, die Gründe dieser Meynung zu besehen, und ihre Stärke etwas naher zu beleuchten. Anfangs meynt man, solche Uebersetzungen alter Scribenten, waren gar nicht möglich: weil in denselben so viele Sachen, Gebrauche und Alterthümer vorkamen, die man in heutigen Sprachen gar nicht ausdrucken konnte. Dieser Grund hat etwas Wahres in sich, welches man einräumen kann, ohne unsrer Hauptsache etwas zu vergeben. Nicht nur die alten Volker, sondern auch die neuern, haben viele solche Gewohnheiten, Aemter, Titel und Ceremonien, die sich in andern Sprachen nicht genau geben lassen. Man hat so wenig gleichgültige Worter, einen Grand von Spanien, einen Pair von Frankreich, einen Lord von Großbrittannien, einen Woywoden, einen türkischen Vezier, Bassa und Mufti, als einen atheniensischen Archonten, einen spartanischen Ephoren und romischen Consul, Tribun, Quästor oder Prätor, deutsch zu geben. Eben so geht es uns mit den Thesmophorien, Cerealien, Saturnalien, Lustrationen, Libationen, Ovationen ic. der Alten; die wir nicht besser, als der Türken ihren Ramadam, deutsch auszudrücken wissen. Allein, so wenig uns dieser Mangel gleich viel bedeutender Worter hindert, von allen solchen Sachen in Geschichtbüchern, Zeitungen und andern Schriften deutsch zu reden: so wenig ist derselbe zureichend, die Uebersetzungen der Alten unmöglich zu machen. Man muß es in diesem Falle so machen, wie es vormals die Griechen mit romischen, und die Romer mit griechischen Sachen gemacht haben. Sie behielten die eigenen Worter ihrer Nachbarn, und hießen einen CAESAR, K a i o a Q und einen AQXOV, ARCHON. W e r

es nicht wußte, was diese Worter bedeuteten, der mochte sichs entweder erklären lassen, oder aus dem ganzen Zusammenhange einer Schrift den Sinn derselben erlernen. So leicht es war diesem Einwurfe zu begegnen: so schwer scheint es, dem folgenden eine Gnüge zu thun. Die Alten Schriftsteller verlieren sehr viel von ihrer Schönheit, wenn

Vorrede

zu

Schriften

von

Ludan

v.

267

Samosata

man sie in neuere Sprachen bringet. So sprechen die Liebhaber der Alten, die sich schmeicheln, daß sie die Grundsprachen verstehen: und ihre Meynung zu bestarken, führen sie die Exempel unzahlicher schlechter Uebersetzungen an. Ja in den besten, glauben sie Stellen gefunden zu haben, die viel schwacher sind, als in den Urkunden ihr Grundtext gewesen. Ich will nicht so mürrisch seyn, diesen Ausspruch überhaupt in Zweifel zu ziehen. Es hat allerdings viele Dollmetscher gegeben, die ihre Urschriften verstümmelt, verdunkelt, verlängert und verkürzet, oder doch verändert haben. Huetius hat eine gute Anzahl derselben solcher Fehler beschuldiget: und wer will ihm in allem Unrecht geben? Allein, wenn ich mir gleich viel dadurch zu vergeben scheine*: so gebe ich meinen Gegnern damit nicht gewonnen; und zwar aus folgenden Ursachen. I. Sey eine Uebersetzung so schlecht als sie wolle: so gewinnt der übersetzte Scribent dennoch dadurch. Er wird nunmehr auch in einer Sprache gelesen, darinn er vorher nicht zu haben war. Unzahliche Leute, die weder Griechisch noch Latein, weder Hebräisch, noch Arabisch konnten, lesen ihn nunmehr, und sehen, wenigstens überhaupt, den Inhalt solcher Bücher. Das Hauptwerk muß doch in der schlechtesten Uebersetzung allezeit bleiben: es sey nun ein Buch entweder historisch, oder dogmatisch, oder vermischt. Man lese z . E . die alte sprengische Uebersetzung der Ilias. Sie ist schlecht, das wird ein jeder zugeben: allein wer sie liest, der wird den ganzen Inhalt dieses griechischen Gedichtes lernen: und auch dieses ist vielen Lesern schon genug. Eben dieses kann man von den Uebersetzungen der Bibel in allen Sprachen sagen. Sie haben Fehler, das ist wahr. *

M a n darf aber n u r mit ihm selbst folgenden

Unterscheid

machen:

AT

SI REM EX VERITATE PROPIUS SPECTARE VELIMUS, NON

EX IPSA

PRETANDI ARTE, SED EX MALE INSTITUTIS INTERPRETUM

RATIONIBUS AC

STUDIIS; VEL EX IGNAVA QUADAM PUSILLI ANIMI SOCORDIA, INCOMMODA EXSTITISSE

REPERIEMUS.

INTER-

EIUSMODI

268

Johann Christoph Gottsched

Aber lernt man nicht auch aus diesen mangelhaften Dollmetschungen mehr, und gewinnen nicht die Wahrheiten des Glaubens mehrern Beyfall, als wenn sie ewig Hebräisch und Griechisch geblieben waren? II. Allein es ist ganz falsch, daß alle Uebersetzungen schlechter gerathen, als ihre Grundschriften. Viele gerathen gar besser, und verschönern ihre Urkunden in den Augen der Leser. Ich untersuche hier nicht, ob solches die Pflicht eines Uebersetzers sey: ich sage nur, daß es nicht nur möglich sey, sondern auch oft geschehen ist. Wer weis es nicht, daß man es der Frau Dacier Schuld gegeben, daß sie durch ihre franzosische Dollmetschung den Homer verschönert habe? Soll ich die Wahrheit gestehen, so glaube ich es auch; wie sehr auch die unmaßigen Liebhaber des Alterthums es leugnen. Noch mehr haben sich der sogenannte P o e t e sans F a r d , mit seiner poetischen Probe einer homerischen Uebersetzung, wie auch Brebeuf mit seinem Lucan, und Longepierre mit seinem Anakreon, dieses Fehlers schuldig gemacht. Ja, hat man nicht selbst des d' Ablancourts lucianische Uebersetzung, zum Spaße, die ungetreue Schone genennet: weil man sie zwar für ungetreu, aber doch für schon; ja für schöner als die Urschrift gehalten hat? Huet beschuldigt viele von den welschen Uebersetzern griechischer Schriften dieses Fehlers; und ich brauche dieses nur in der Absicht, daß man begreifen solle: ein altes Buch könne in einer neuern Sprache auch viel gewinnen; nachdem die Hände sind, in welche es gerath. III. Doch gesetzt, daß diese Fälle sich selten zutrügen: so behaupte ich doch, daß das gemeinste in diesem Stücke folgendes sey: Ein Scribent, der übersetzt wird, der gewinnt zum Theil, und verliert auch zum Theil etwas. Dieses bringt die Verschiedenheit der Sprachen, die ungleiche Fähigkeit der Schriftsteller, und Uebersetzer, und die abwechselnde Aufgeräumtheit des Gemüthes zu verschiedenen Stunden zuwege. Will man nun eins ins andre rechnen, so kann man

Vorrede zu Schriften von Ludan v. Samosata

269

sicher behaupten: daß ein Buch eben so viel gewinne, als verliere, indem es in eine neuere Sprache ubergeht. Denn das mußte doch in der That ein sehr elender Uebersetzer seyn, der sein Original so gar merklich verschlimmern sollte, daß es ganz unkenntlich wurde, und wenige oder gar keine Schönheiten des Grundtextes übrig behielte. Endlich IV sind auch die Fehler, die man in manchen Uebersetzungen so sehr aufmutzet, von der größten Erheblichkeit nicht. Es hat hier oder da ein Wort nicht den ganzen Nachdruck des alten Wortes erschöpfet. Es kann seyn: allein, kommt denn darauf so viel an? Ist der ganze Sinn des Schriftstellers dadurch verlohren gegangen? Ist sein Satz, sein Urtheil, oder seine Geschichte nicht mehr wahr geblieben? Dieses wird gewiß sehr selten kommen. Und wenn es gleich zuweilen geschähe; wie selten wird sichs zutragen? Denn das muß man auch wissen, daß ich es meinen Gegnern noch nicht eingeraumet habe, daß alle ihre vermeynte Fehler wirkliche Fehler sind. O f t gehen sie hierinn zu weit, und bilden sich ein, in den alten Scribenten Schönheiten anzutreffen, wo keine sind; und Nachdrücke in ihren Redensarten zu finden, wo die Schriftsteller selbst keinen gesehen haben. Ihre Hochachtung gegen die todten Sprachen, sieht oft einem Aberglauben ahnlich, und es ist keine Sylbe so klein, die ihnen nicht von unendlichem Gewichte zu seyn scheinen sollte. Man lese davon le Clercs ARTEM CRITICAM und die gelehrte Dissert. Sr. Hochw. des Herrn Abts Mosh e i m n a c h , DE EO Q U O D NIMIUM EST, IN STUDIO C R I T I C O ;

so wird man sehen, daß ich nichts aus Haß vergrossert habe. Das alles aber zeiget, daß die alten Scribenten nicht eben allemal, auch nicht allezeit so viel durchs Uebersetzen verlieren, als sich gewisse Leute einbilden. Ich komme auf den dritten Einwurf. Man bildet sich ein, daß die Uebersetzungen in neuern Sprachen der Gelehrsamkeit, und den schonen Wissenschaften insonderheit schädlich wären. Denn spricht man 1) sie bringen den Leuten 18

Gottsched X / l

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Johann

Christoph

Gottsched

die Urschriften aus den Händen; und indem sie 2) der Faulheit junger Leute schmeicheln, so will niemand mehr Griechisch oder Lateinisch lernen. Folglich reißt 3) die Barbarey ein, und die wahre Gelehrsamkeit geht verlohren. Dieser Einwurf klingt sehr fürchterlich, ich muß es gestehen; und wenn er schlechterdings wahr wäre: so wollte ich selbst wünschen, daß nie eine Uebersetzung gemacht würde. Allein es fehlt meines Erachtens sehr viel daran; und ich werde manches dagegen einzuwenden finden. Ich sage also zuförderst, daß das erste der Erfahrung voriger Jahrhunderte schnurstracks zuwider lauft. Die lateinischen Uebersetzungen griechischer Bücher, haben uns wenigstens die Grundschriften nicht aus den Händen gebracht. Die Gelehrten ziehen sie noch allemal den Uebersetzungen vor, und suchen daraus die, über die Richtigkeit dieser letztern, entstandenen Zweifel zu entscheiden. Man machet daher fast jahrlich neue Auflagen von etlichen derselben, und das nicht nur in England, Holland und Frankreich, sondern auch in Deutschland. In Schulen braucht man zu Erlernung der gelehrten Sprachen, itzo mehr als jemals, die Originalschriften der Griechen und Lateiner: und die Gottesgelehrten der Evangelischen, dringen noch diese Stunde, bey ihren Lehrlingen, auf die Kenntniß der orientalischen Sprachen. Die Uebersetzungen in neuern Sprachen haben aber, aus eben dieser angemerkten Erfahrung, solches eben so wenig verursachet. Das ist zwar gewiß, daß die Ungelehrten, und selbst ein Theil von den Studierenden, sich mit bloßen Dollmetschungen beholfen haben, seit dem man die besten Schriftsteller übersetzt gehabt. Allein, wenn ist solches nicht auch geschehen? Wenn haben alle sogenannte Gelehrte, ohne Ausnahme, die Grundsprachen verstanden? Oder, wenn hat man es gefordert, daß auch die Unstudirten Griechisch und Lateinisch lernen sollten? Weit gefehlt also, daß die Alten durch die Uebersetzungen aus den Händen der Leute gekommen seyn sollten: so haben sie vielmehr da-

Vorrede zu Schriften von Lucían v. Samosata

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durch eine unzahliche M e n g e v o n Lesern b e k o m m e n , für w e l c h e sie, o h n e solches M i t t e l , ewig ein vergrabener S c h a t z geblieben seyn würden. A u c h das andre, welches eingewandt w u r d e , fallt fast durch die bisherige A n t w o r t w e g : daß nämlich die L u s t alte Sprachen zu lernen, durch die U e b e r s e t z u n g e n ersticket w ü r d e . D e n n die Falschheit dieser Sache liegt ja deutlich am T a g e . U n s r e h o h e und niedrige Schulen sind heute zu T a g e mit eben so vielen, ja mit m e h r e r n Leuten angefüllt, die e n t w e d e r die gelehrten Sprachen schon verstehen, oder sie doch lernen w o l l e n . J a , da s o w o h l die Zahl der U n i v e r sitäten und G y m n a s i e n , als der Trivialschulen sich in z w e y hundert J a h r e n merklich vermehret hat; da es überall von G e l e h r t e n w i m m e l t , an welchen u m die Zeit der G l a u b e n s reinigung so ein g r o ß e r Mangel w a r : so erhellet ja, daß sich die Zahl der L i e b h a b e r alter Sprachen nicht gemindert h a b e . E s ist wahr, nicht alle Studirende bringen es gleich weit darinn. A b e r w a n n ist das sonst geschehen? und haben nicht daran ganz andre U r s a c h e n Schuld? Bald fehlt es am G e d i e h tnisse, bald an guten L e h r e r n , bald am V e r m ö g e n , bald an einer b e q u e m e n Lehrart u . d . g l . m . D i e U e b e r s e t z u n g e n m a c h e n gewiß keinen faul. V i e l m e h r erleichtern sie A n f a n gern den V e r s t a n d der U r s c h r i f t e n ; und m a c h e n ihnen L u s t , dasjenige in der G r u n d s p r a c h e zu lesen, was ihnen in der U e b e r s e t z u n g schon so sehr gefallen hat; wie das einem jeden aus vielen E x e m p e l n bekannt seyn m u ß . Allein gesetzt, dieser E i n w u r f hatte G r u n d , welches man doch nicht e i n r ä u m t : so würde doch das D r i t t e noch nicht zu besorgen s e y n . D i e B a r b a r e y nämlich würde gar nicht zu befürchten s e y n , w e n n gleich, durch gute U e b e r s e t z u n gen der alten Schriftsteller, alles G r i e c h i s c h e und Lateinische unter die B a n k und ins Vergessen geriethe. D e n n wie? Besteht etwa die G e l e h r s a m k e i t , Einsicht und Artigkeit der Sitten, davon die B a r b a r e y das Gegentheil ist, in der b l o ß e n K e n n t n i ß alter Sprachen? A u c h die eifrigsten L i e b h a b e r der 18"

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Johann

Christoph

Gottsched

Alten, haben das niemals behauptet. Und wie hatten sie sich solches träumen lassen können, ohne die alten Griechen für Barbarn zu erklaren: die gewiß nichts mit altern Sprachen zu schaffen hatten, sondern, einige sehr wenige ausgenommen, die auf ihren Reisen fremde Mundarten lernten, alles in ihrer Muttersprache studirten. Die Kenntniß der Sachen nämlich, und nicht der Worter machet wahrhaftig gelehrt: ungeachtet man freylich auch über todte und lebendige Sprachen philosophiren kann. Wenn nun jemand zwar kein Griechisch und Latein konnte, aber gleichwohl alle alte Geschichtschreiber, Weltweise, Redner und Dichter in Uebersetzungen gelesen und wohl verstanden hatte: so mochte ich denjenigen doch sehen, der sich unterstunde, denselben einer Barbarey oder Unwissenheit zu beschuldigen. Ware aber ja in manchen Uebersetzungen etwas versehen worden: so werde ich dennoch mit dem berühmten Huet den Schluß machen*: Es könne die Uebung im Uebersetzen niemals sattsam gelobet; diejenigen aber konnten nicht so sehr verlachet werden, als sie es verdienten, die ihren Werth zu schmahlern und durch Spöttereyen zu verkleinern suchten: recht verkehrte und verhaßte Leute, welche die Unwissenheit einiger Künstler auf die Kunst selbst zu schieben gedachten. Noch einen allgemeinen Einwurf sehe ich, den man vielleicht bey Gelegenheit dieser lucianischen Uebersetzung machen konnte. Das Uebersetzen ist darum schädlich, wird man sagen, weil diese Sucht, wo sie einmal einreißt, auch die schädlichen Bücher aus andern Sprachen in die unsre bringt, und also bose und irrige Meynungen auch bey solchen Lesern fortpflanzt, die sonst nimmermehr etwas davon er-

*

N U M Q U A M ERGO SATIS EA A NOBIS LAUDARI POTERIT EXERCITATIO, NEC II PRO MERITO SATIS DERIDERI, QUI EIUS DIGNITATEM LABEFACTARE, ET DICTIS EXTENUARE CONANTUR: P R A E P O S T E R I H O M IN ES , E T O D I O S I , ARTIFICUM INSCITIAM IN ARTEM IPSAM CONFERENTES.

Vorrede zu Schriften

von Ludan

v.

Samosata

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fahren haben wurden. Ich antworte fast eben so, wie vorhin Huetius: daß man die Fehler der Uebersetzer, nicht der ganzen Uebersetzungskunst zur Last legen müsse. Es ist nicht gut, schädliche Bücher zu schreiben; soll man aber darum die ganze Schreibekunst, oder alle Bücher verbiethen, weil sich auch schädliche Bücher zu finden pflegen? Wer hat jemals so geschlossen? Eben das gilt vom Uebersetzen. Man hindre die Uebersetzung böser Bücher, und befördre das Dollmetschen der guten, so wird beyden ihr Recht geschehen. Will man aber allgemeine Regeln machen: so wird man auch die Uebersetzungen der nützlichsten Bücher, ja der heiligen Schrift selbst tadeln und verwerfen müssen, die doch der Welt unendlich viel Vortheile verschaffet haben. Doch ist noch einerley zu bemerken. Manche Bücher sind so schädlich nicht, als es manchen bedünket. Der gemeine Ruf hat Schriften für gefahrlich ausgeschrieen, die es nicht gewesen sind, wenn man sie naher kennen gelernet hat. In der Hülle einer fremden oder gelehrten Sprache hat manche Sache ein geheimnißvolles Ansehen, und erwirbt sich eine Hochachtung bey Unverstandigen, die es verlieren würde, wenn es deutsch vorgetragen würde. Manche Schrift würde gar lächerlich werden, wenn man sie aus ihrer griechischen oder lateinischen Finsterniß an das helle Licht einer neuern Sprache stellen wollte: wie es Gottfried Zeidler mit der scholastischen Philosophie gewiesen hat. Heißt es von manchen Meynungen, sie erzählen, sey eben so viel, als sie widerlegen: so würde es z. E. von des Pomponatius Werke, von der Seelen Unsterblichkeit, auch heißen: es übersetzen, sey es zum Spotte und zu Schanden machen. Und giebt nicht zuweilen eine solche Uebersetzung in gemeiner Sprache Gelegenheit, daß die gründlichsten Widerlegungen dawider herauskommen. Wer sollte z. E. nicht denken, es wäre gefährlich, die Einwürfe eines heidnischen Weltweisen wider die christliche Religion ins Deutsche zu bringen, zumal wenn sie spitzfündig und scheinbar sind? Gleichwohl wird

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Johann

Christoph

Gottsched

niemand so einfaltig seyn, und des Hochberühmten Herrn Abts Mosheim Uebersetzung des Origenes wider den Celsus tadeln, oder verwerfen; ob sie gleich auch die gefahrlichsten Vorwürfe der Ungläubigen, wieder das Christenthum gemein und bekannt macht. Was endlich diese lucianische Uebersetzung betrifft: so glaube ich nicht, daß jemand sie mit Grunde unter die schädlichen, wird rechnen können. Ich weis es, Lucian heißt gemeiniglich ein Spotter. Es ist auch wahr, daß er fast in allen seinen Schriften gespottet hat. Aber was verspottet er? Wahrheit, Tugend, Gelehrsamkeit? Nein, sondern lauter Thorheiten, Irrthümer, und Aberglauben der Heiden. Er verlachet die Thorheiten der heidnischen Weltweisen und Poeten; die lacherlichen Künste ihrer schlechten Geschichtschreiber und Sophisten, die sich für Redner ausgaben, und die Vorurtheile des gemeinen Mannes. Hat er nun darinn gesündiget, so weis ich nicht mehr was zu loben ist. Lucian hat aber auch gelobet. Er hat z.E. die Gelehrsamkeit überhaupt, in seinem Traume, die berühmte Schönheit Panthea, den Weltweisen Nigrin, den Redner Demosthenes, u . a . m . gepriesen. Uebrigens hat er viel nützliche Sittenlehren, viele Regeln des guten Geschmackes und Grundsätze der freyen Künste, geschickt und sinnreich erläutert. Es ist wahr, daß er auch die heidnischen Gotter verspottet hat; und dadurch in den Verdacht eines Gottesleugners gekommen ist. Allein wer kann ihm das unter uns Christen verargen? Haben nicht die berühmten Kirchen scribenten Lactanz, Arnobius, Minutius Felix u . a . m . eben so über die fabelhaften Götzen gespottet? Und waren sie nicht an sich selbst lacherlich genug? Die gesunde Vernunft hat sich in Wahrheit der Feder Lucians bedient, den Heyden die Augen aufzuthun, um der christlichen Religion, die damals mit vollem Glänze hervorzubrechen begunnte, den Weg in die Herzen der Menschen zu bahnen: wie solches schon von dem gelehrten Herrn Prof. Gesner in seiner neuen Ausgabe aller lucianischen Werke billig angemerket worden.

Vorrede zu Schriften von Lucian v.

Samosata

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D o c h will ich den Lucian in allen seinen Schriften weder loben noch rechtfertigen. Es ist nicht zu leugnen, daß viele darunter auch der Zucht und Ehrbarkeit zuwider laufen: aber eben dieselben wird man in dieser Sammlung nicht antreffen. Ich habe es den H r n . Uebersetzern mit gutem Bedachte widerrathen, sich von allen diesen schlupferichten Stücken zu enthalten, und so zu reden, die besten auszusuchen. Dieses haben sie nun wirklich gethan, und wo ja hin und wieder, einige anstoßige Stellen v o r g e k o m m e n , theils einige Anmerkungen hinzugefüget, den Leser davor zu warnen; theils auch die ärgerlichsten und gröbsten Redensarten, wohlbedachtig übergangen, öder doch gemildert. Was aus einem so löblichen Eifer für die Tugend herrühret, das wird wohl niemand für ein Verbrechen wider die Regeln einer guten Uebersetzung schelten: zumal da es nur an ein paar O r t e n geschehen, und dem Leser dadurch nichts von den wahren Schönheiten der Grundschrift entzogen worden. Verschiedene von den ersten Stücken in dieser Sammlung, waren schon langst in den Schriften der hiesigen deutschen Gesellschaft, den deutschen Lesern bekannt geworden: und diese erkannten den sei. P r o f . Lotter, den sei. Assessor M . Stübner, und den itzigen Herrn Prof. Barmann in Wittenberg, für ihre U r h e b e r : w o b e y noch eines war, welches von mir selber herkam. Diese Stücke hatten nun sowohl andern Liebhabern, als mir, langst Anlaß gegeben zu wünschen, daß man doch einen ganzen Band lucianischer Schriften deutsch zu lesen bekäme. V o r etwa einem J a h r e zeigte sich die Gelegenheit dazu, als sich verschiedene fanden, die das Griechische liebten, und auf meinen Vorschlag den E n t schluß faßten, sich durch dergleichen Uebersetzungen zu b e s c h ä f t i g e n . Dieses geschah denn nach und nach, und da solche Arbeit auf mein Anrathen unternommen worden: so wurde mir auch von denselben der Antrag gethan, dieselbe mit meiner Vorrede in die Welt zu begleiten. Ich bekam

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Johann Christoph Gottsched

also die fertigen Stücke sammtlich durchzusehen, nebst der Freyheit, was ich zu bessern nöthig fände, zu andern. Doch habe ich mich dieser Macht an sehr wenigen Orten zu bedienen Ursache gehabt: die übrigen zweifelhaftem Stellen habe ich der Verantwortung eines jeden überlassen; weil es Zeit und andre Umstände nicht zugelassen, alles von Wort zu Wort mit dem Grundtexte zusammen zu halten. Da sich auch die Herren Uebersetzer bey ihrer Arbeit der schonen neuen Ausgabe des Hrn. Prof. Geßners bedienet, welche der Herr Verleger ihnen zu dem Ende rühmlichst angeschaffet: so kann man um so viel weniger Mistrauen bey ihrer Uebersetzung hegen. Sollten aber dennoch gelehrte Manner hin und wieder etwas zu erinnern finden, wie es in solchen Sachen nicht zu vermeiden ist; so müssen Sie bedenken: daß diese Uebersetzung nicht für diejenigen gemacht ist, die den Grundtext selbst verstehen, sondern für Unstudirte, oder des Griechischen Unerfahrne; denen es auf alle Kleinigkeiten so genau nicht ankommt. Uebrigens werden die Uebersetzer, auch da, wo sie gefehlt haben sollten, an so vielen großen Mannern, die den Lucian lateinisch übersetzt haben, und gleichfalls nicht fehlerfrey geblieben, ihre Entschuldigung finden. Was man an einem Erasmus Grynaus, Mycillus, Obsopaus u . a . m . übersehen hat, das wird man auch an andern, die sich mit ihnen gar nicht in Vergleichung stellen, ohne Bitterkeit dulden und nachsehen können. Sollte indessen dieses Bändchen wohl aufgenommen werden, so konnte es leicht kommen, daß theils die Herren Uebersetzer, theils der Herr Verleger Lust bekamen, noch eins von gleicher Große ans Licht zu stellen. Dieses würde alsdann die sammtlichen guten Stücke Lucians in sich fassen; ohne die schmutzigen und unflatigen darein zu mengen. Auf die Art würden wir im Deutschen eben das Vergnügen haben, welches der berühmte Ablancourt seinen Franzosen zuwege gebracht, als er ihnen die besten Stücke Lucians in

Vorrede zu Schriften von Ludan v.

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zween Bändchen geliefert hat. Darinn aber wird diese deutsche Ausgabe allezeit einen unstreitigen Vorzug haben, daß sie keine ungetreue Schone seyn wird, wie man jene franzosische allezeit benennet hat. Ich war noch willens, von einem deutschen Tractate ein paar Worte zu melden, den Schuppius vormals unter dem Titel des deutschen Lucians heraus gegeben. Wer denselben in einem Bücherverzeichnisse antrifft, sollte leicht auf die Gedanken kommen, daß dieses auch eine deutsche Uebersetzung lucianischer Schriften wäre. Allein man würde sich sehr irren: denn es ist bloß eine kleine Streitschrift, die gedachter Schupp 1659 in 12 auf zween Bogen ans Licht gestellet. Es hatte diesen berühmten Mann ein junger Mensch aus Dresden angegriffen, und ihn so böse gemacht, daß er sich nicht enthalten konnte, in der Zuschrift an einen Landgrafen von Hessen, zu schreiben: Und nun muß ich den unglückseligen Tag erleben, daß ein kahler Schurk, ein junger Pedant, auf Angebung andrer böser Leute, an mir zu einem Ritter werden, und lateinische Kugeln mit mir wechseln will. J a er zweifelt nicht, sein gnadiger Prinz, würde einem solchen grammaticalischen Musquetier, von seinem Regimentsprofoß ein paar Nasenstüber geben lassen. So schrieben die scharfsinnigen Köpfe im vorigen Jahrhunderte noch, wenn sie bose waren! Mehr leidet der Raum nicht davon anzuführen. Der geneigte Leser lebe wohl und bleibe meinen Bemühungen ferner gewogen. Leipzig kurz vor der Ostermesse 1745.

Vorrede zu Grundlehren der Naturwissenschaft von Peter von Muschenbroek 1747

S o bekannt auch unter den Gelehrten, besonders denen, die der Naturkunde einigen Fleiß widmen, der berühmte Namen des Herrn M u s c h e n b r o e k s , ist; so müssen wir doch besorgen, daß das Leben und die nahern Glücksumstande, dieses gelehrten Mannes nicht jedermann bekannt seyn werde. Da nun die Leser eines Buches, wenn sich dasselbe nur einige Hochachtung erwirbt, nicht unbillig eine genauere Kenntniß seines Urhebers zu haben, wünschen: so wollen wir es bey dieser deutschen Ausgabe, dieses seines vornehmsten Werkes, an einer zureichenden Nachricht davon, nicht fehlen lassen. Wir sehen uns auch vollkommen im Stande solches zu thun, seit dem uns der hochberühmte Herr Pastor Brucker in Augspurg, in dem 1744. ans Licht gestellten dritten Zehend seines so beliebten, als vortrefflichen Bildersaals, den nothigen Stoff dazu verschaffet hat. Wir werden aber dieses mit desto mehrerm Rechte thun, da nicht alle Liebhaber der Naturwissenschaft, sich solches kostbare Werk anschaffen können. Wir besorgen auch nicht, daß man uns eines gelehrten Diebstahls beschuldigen werde, da wir nur kürzlich die historischen Umstände daraus erborgen; die vielen wohlverdienten Lobsprüche aber, bey dem so gelehrten als beredten Verfasser dieser ausführlichen Lebensbeschreibung nachzusehen anrathen wollen. Herr Peter von Musschenbroek ist zu Leyden, in der Provinz Holland 1692 gebohren worden. Es war ein vortheilhafter Umstand für ihn, daß sein ungemein fähiger Geist, der sich in der ersten Jugend schon deutlich wieß, auf einer so berühmten hohen Schule, als in einem trefflichen Pflanzgarten aller freyen Künste und Wissenschaften, alle nothige Pflege und Wartung erhalten konnte, die er nur nöthig haben mochte. Er widmete sich anfanglich der

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Johann

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Gottsched

Arzneykunst; und die nothwendige Verbindung derselben mit der Naturkunde veranlassete ihn, sich zuförderst auf diese mit dem größten Fleiße zu legen. Er sah aber auch gar bald ein, daß diese letztere ohne die Mathematik, sehr seicht und unvollkommen seyn müßte. Beyde führten ihn nunmehr auf die Experimentalphysik, als die rechte Quelle neuer Entdeckungen in der Natur; und ohne welche alle übrige physikalische Lehrgebäude nur grundlose Luftschlosser, und flüchtige Hirngespinste seyn müssen. Das Beyspiel des großen N e w t o n s wies ihm auch, mit wie glücklichem Erfolge diese Stücke verbunden werden, und einander hülfliche Hand leisten konnten. Er nahm viele von dessen gegründeten Lehrsätzen, sobald er sie einsah, und wahr befand, selber an; war aber sehr weit, von dem Aberglauben derer entfernet, die, wenn sie einen großen Mann hoch zu schätzen anfangen, gleich alle dessen Gedanken und Muthmaßungen anbethen. Nein, Herr von M u s c h e n b r o e k , behielt sich eine edle philosophische Freyheit vor; und wenn er es nöthig befand, trug er auch kein Bedenken, von den Lehrsätzen dieses tiefsinnigen Engelanders abzugehen. Man wird auch in dieser Naturlehre die Spuren davon finden, da er z.E. in dem beruffenen Streite von dem Maaße der lebendigen Kräfte, des großen L e i b n i t z Meynung, gegen so vielen Widerspruch der Engelander, öffentlich ergriffen und vertheidiget hat. Da Herr von Musschenbroek bey diesen seinen physikalischen Bemühungen und Untersuchungen, die Hülfe und den Beystand seines Bruders, des wegen seiner Luftpumpen und Vergrößerungsglaser so berühmten Mechanici, Johanns von Musschenbroek, genoß; so kann man leicht denken, wie glücklich ihm alle seine Bemühungen von statten gegangen seyn werden. Allein da er doch zugleicher Zeit der Arzneykunst seinen Fleiß nicht entzog: so geschah es, daß er 1715. zu Leyden die Doctorwürde in derselben erhielt. Gleichwohl ward er der Naturlehre dadurch nicht ungetreu,

Vorrede zu ,Grundlebren

der Naturwissenschaft'

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die sich seine erste Liebe zu erwerben gewußt hatte: sondern, um dieselbe auch in ordentlichen Vorlesungen vortragen zu können, nahm er 1719. auch die Würde eines Lehrers der Weltweisheit an. Und bald darauf begab sichs, daß er, wegen des bereits erlangten großen Ruhmes in philosophischen und mathematischen Wissenschaften, von dem Kónigl. Preußischen Hofe, auf die clevische Universität Duisburg, zum ordentlichen Lehrer derselben beruffen ward. Kaum hatte er diesem Amte mit aller seiner Geschicklichkeit und Treue ein paar Jahre vorgestanden, als er das Amt eines außerordentlichen Lehrers der Arzneykunst eben daselbst erhielt. Doch daurete dieser Vortheil der Universität Duisburg nicht lange; indem Herr Musschenbroek 1723 einen neuen Beruff auf die hohe Schule zu Utrecht bekam. Auch hier sollte er die Philosophie und Mathematik lehren, und er folgte diesem Rufe desto williger, da er sich seinem Vaterlande dadurch wieder näherte, und eben die Gelegenheit behielt, die erwählten Wissenschaften weiter fortzutreiben. Die weisen Vorsteher der Utrechtischen Universität sahen auch seinen Eifer um das Wachsthum der Naturlehre so geneigt an, daß sie zur Aufmunterung desselben und zum Nutzen der studirenden Jugend, eine treffliche Experimentalkammer anlegten, und selbige mit den kostbarsten Instrumenten von allen Gattungen versahen. Wie vortheilhaft das dem Herrn Muschenbroek gewesen sey, ihn mit den innersten Geheimnissen der Natur immer bekannter zu machen, das kann ein jeder, auch ohne unsre Erinnerung, leicht ermessen. Hier faßte nun derselbe zum Dienste seiner Zuhörer seinen kurzen Begriff, der physico=mathematischen Anfangsgründe zuerst ab; die 1726 zu Leiden, unter dem Titel EPITOME

ELEMENTORUM

PHYSICO-MATHEMATICORUM,

CON-

SCRIPTA IN usus ACADÉMICOS, in 8 heraus kamen, und sehr wohl aufgenommen wurden. Drey Jahre hernach stellte er

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Christoph

Gottsched

seine Versuche von der anziehenden Kraft der gläsernen Haarröhrchen, und der Spiegelglaser, nebst seinen Abhandlungen von der Große der Erdkugel, und dem Zusammenhange der festen Körper, nebst etlichen meteorologischen Tagebüchern, in 4 ans Licht f . Er vertheidigte auch des berühmten Snellius Meynung, der zu Leyden die Mathematik gelehret hatte, wider des Herrn Caßini Einwürfe; und ubersetzte aus dem Waischen, einige Versuche der Akademie DEL CIMENTO ins Latein, und gab sie mit einigen Zusätzen 1731. 4 zu Leyden heraus. Drey Jahre hernach stellte er diese seine ausführlichere Anfangsgründe der Naturwissenschaft, zum Gebrauche akademischer Vorlesungen, ans Licht "ff, darinn er sich in seiner vollen Stärke wies. Er behauptete darinnen zwar viele Lehren der Neutonischen Philosophie, z. E . den leeren Raum, die anziehende Kraft, u . d . g . allein mit solcher Bescheidenheit, und mit solchen Gründen, daß selbst die Gegner und Widersacher dieser Lehrsatze, dadurch wo nicht ganz gewonnen, dennoch irre gemacht werden. Er behauptet aber darinnen weder den Character eines bloßen Neutonianers, noch eines Cartesianers, Gassendisten oder Peripatetikers; ungeachtet er sich bisweilen aller dieser Weltweisen Gedanken und Entdeckungen zu Nutze macht. Er braucht alles, was die berühmtesten Akademien der Wissenschaften in ganz Europa, nach und nach und nach erfunden; und verbindet damit auch die Erfindungen vieler Privatgelehrten, und was seine eigene Versuche und Erfahrungen ihn gelehret hatten. Er verknüpfet alles dieses, so gut, als es sich, nach dem heutigen Maaße der physikalischen Erkenntniß thun läßt; merket aber auch hin und wieder die Lücken, und die Schranken unsrer Einsicht und Unwissenheit an. O f t trägt er seine Meynungen nicht bejahungs, sondern fragweise vor; um dadurch andern F DLSS. P H Y S I C A E EXPERIMENTALES ET G E O M E T R I C A E , DE MAGNETE T U B O RUM CAPILLARIUM V I T R E O R U M Q U E S P E C U L O R U M & C . L U G D . B A T . 1 7 2 9 . FF

E L E M E N T A PHYSICA CONSCRIPTA IN USUS ACADÉMICOS, L U G D . 1 7 3 4 . 8 .

Vorrede zu ,Grundlebren

der Naturwissenschaft'

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zu fernerer Untersuchung Anlaß zu geben. Und diese besondre Lehrart, fand einen so großen Beyfall, daß man auch in Holland wünschete, solche seine Arbeit in seiner Muttersprache zu lesen. Dieses Verlangen zu stillen, fand er es gleichwohl nicht für rathsam dieses lateinische Werk schlechterdings zu übersetzen. Unstudirte Leser, dergleichen er im hollandischen Abdrucke besorgen mußte, würden ein vieles, was darinnen vorkommt, nicht verstanden haben: weil man bey akademischen Vorlesungen theils schon vorbereitete und geübtere Zuhörer hat; theils durch eine mündliche Erklärung alle Schwierigkeiten erleichtern kann. Er entschloß sich also, seinen Landesleuten zu gut, ein eigenes Werk heraus zugeben, und ihnen alles, was sie von der Naturlehre fassen konnten, auf eine deutlichere Art zu erklaren. Der Titel dieses Werkes hieß: B e g i n s e l e n d e r N a t u r k u n d e , b e s c h r e v e n ten D i e n s t e d e r L a n d g e n o t e n , w a a r b y g e v o e g t is e e n e B e s c h r y v i n g d e r n i e w e , en o n l a n g s u i t g e v o n d e n L u c h t p o m p e n , met h a a r G e b r u c k , tot vele P r o e v n e m i n g e n d o o r J. v. M. L e y d e n 1736 . 4. Und dieses Werk, ward so wohl aufgenommen, daß es 1739 von dem Herrn Massuet ins Franzosische übersetzt, und also auch von den Auslandern mit Nutzen und Vergnügen gelesen wurde. Alle diese Verdienste des Herrn von Muschenbroek machten nun daß seine eigene Vaterstadt Leyden endlich seine Gelehrsamkeit, zur Erhaltung und Beförderung ihres eigenen Flores, zu brauchen schlüßig ward. Sie berief ihn also 1740 auf den ordentlichen Lehrstuhl der Mathematik und Physik: und er trat dieses neue Amt, mit einer Rede, von der sich selbst unbekannten menschlichen Seele an, welche auch, in eben dem Jahre, gedruckt ward f . Wie er nun T

Sie f ü h r t e den Titel:

ORATIO

INAUGURALIS, DE MENTE H U M A N A

IGNORANTE & C . L u G D . 1 7 4 0 . 4 . 19

G o t t s c h e d X/L

SEMET

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dadurch, auch seine Einsicht in einem andern Theile der Weltweisheit darthat: also unterlies er darum nicht, die Naturlehre noch ferner zu untersuchen, und zu größerer Vollkommenheit zu bringen. In seinen bestandigen Vorlesungen darüber, bemerkte er hin und wieder einige Unvollkommenheiten in der Ausführung gewisser Materien. In vielen Stücken kamen neue Entdeckungen zum Vorscheine, die er in den Tagebüchern gelehrter Gesellschaften, und andern ans Licht tretenden Schriften anmerkte. In andern Punkten änderte er auch selbst, nach reifer Ueberlegung seine Meynung; und also fand ers nöthig, sein Buch, bey der 1743 veranstalteten neuen Ausgabe, in unzahlichen Stellen zu verbessern, zu verändern, und zu vermehren. Er erklart dieses selbst, in derer, neuen lateinischen Auflage vorgesetzten Vorrede, die auch hier übersetzt erscheinet: auf welche wir hiermit den geneigten Leser verweisen wollen. Es war also kein Wunder, daß der Ruhm dieses gelehrten Mannes, und dieses seines hauptsächlichsten Werkes, darauf er den größten Theile seines Lebens gewandt, sich noch weiter ausbreitete; und nicht nur in Deutschland allgemeiner ward, sondern auch bis in das entlegene Schweden drang. Diese nach Wissenschaften sehr begierige Nation, wünschte gleicher Vortheile mit der holländischen theilhaftig zu werden, und die Muschenbroekischen Anfangsgründe der Naturlehre auch in ihrer Sprache zu lesen. Es fanden sich auch gelehrte Männer, die ihren Landsleuten diesen Dienst thaten; und der Herr Verleger sparte keine Unkosten, diese Arbeit in schwedischer Sprache ans Licht zu stellen. Da sich aber auch in Deutschland seit einiger Zeit, die Liebe zu der Naturwissenschaft sehr gemehret und ausgebreitet hatte: so war es leicht zu vermuthen, daß auch eine deutsche Uebersetzung desselben, sehr wohl aufgenommen werden würde. In dieser Ueberredung ließ derselbe durch einen hiesigen Freund mich ersuchen, diese Bemühung über mich zu neh-

Vorrede zu ,Grundlehren

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men; und unsern Landesleuten also ein Werk zu liefern, dergleichen sie in ihrer Muttersprache noch nicht gehabt. Nun wußte ich zwar, daß theils S t u r m , theils S c h e u c h z e r , theils nach ihnen der Herr Kanzler und Freyherr von Wolf, in deutscher Sprache bereits physikalische Schriften ans Licht gestellet; die auch alle, ein jedes nach seiner Art, viel Nutzen gestiftet. Allein, auf die von dem Herrn von Muschenbroek beliebte Art, war dieselbe noch nicht vorgetragen worden: und da überdieß, seine Naturwissenschaft auch die neuesten Entdeckungen der Naturkündiger unsrer Zeiten in sich halt; welches man von den obigen Werken nicht sagen kann: so sah ich es allerdings für keine überflüßige Arbeit an, diese Anfangsgründe desselben ins Deutsche zu übersetzen. Ich entschloß mich also im Sommer des vorigen 1746sten Jahres desto williger dazu, je mehr Belieben an der Erkenntniß natürlicher Dinge ich allezeit gehabt hatte. Noch mehr munterten mich die von dem Herrn Verfasser selbst, an den Verleger übersandten Zusätze, und Verbesserungen verschiedener Stellen dazu auf; die dieser Uebersetzung, selbst vor der lateinischen Ausgabe, noch einen Vorzug verschaffen konnten. Ich fieng auch wirklich an, Hand ans Werk zu legen, war aber noch nicht gar zu weit damit gekommen, als ich durch andre Arbeiten, unvermuthet gehindert ward, so fleißig darinn zu seyn, als ich mir vorgenommen hatte, und in der mir gesetzten Zeit, diese Uebersetzung, allein zu Stande zu bringen. Ich sah mich also genothiget, mich nach der Hülfe eines geschickten und gelehrten Mannes umzusehen; fand auch gar bald einen solchen, der aus den philosophischen und mathematischen Wissenschaften, die er auf unsrer Universität lehret, sein Hauptwerk macht, und dieser Arbeit vollkommen gewachsen war. Doch auch diesen nöthigten seine übrigen Geschaffte, sich bisweilen der Hülfe eines Freundes zu bedienen, damit in der gesetzten Zeit, in gegenwartiger 19:;

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Messe, das Werk ans Licht treten könnte. Als aber auch diese zwo Federn gegen das Ende der Arbeit nicht zulangen wollten: so sah ich mich endlich doch genothigt, wiederum Hand ans Werk zu legen, und verschiedene Capittel selbst zu übersetzen; um also das Buch völlig zu Stande zu bringen. Indessen habe ich die Aufsicht über die deutsche Schreibart, und den Abdruck des ganzen Werkes, durchgehends geführet; hoffe auch, daß es die Leser nicht sonderlich merken sollen, welche Capitel, ich selbst, und welche meine Gehülfen übersetzet haben. N u n hatte zwar der Herr Verleger auch von mir begehren lassen, daß ich hin und wieder einige Anmerkungen hinzu thun sollte; um diese deutsche Ausgabe, durch dieselben etwas von der lateinischen, zu unterscheiden. Ich will auch nicht leugnen, daß ich ganz geneigt dazu gewesen wäre; wenn die Zeit mir solches diesesmal verstattet hatte. Es sind verschiedene Meynungen in diesem Werke vorgetragen, darinn nicht alle Gelehrte einer Meynung sind: und wiewohl ich mich, in physikalischer Erkenntniß, mit dem Herrn von Muschenbroek gar nicht vergleichen will: so würde ich doch vielleicht, hin und wieder einige bescheidene Zweifel, oder Einwürfe, gegen verschiedene von ihm erwählte Lehrsatze, vorzutragen, im Stande gewesen seyn. Z . E . kann die Lehre vom leeren Himmelsraume dienen, die sich gewiß mit Gründen bestreiten ließe, die eines hohen Grades der Deutlichkeit und Wahrscheinlichkeit fähig sind. Mein kleiner Büchervorrath ist auch mit physikalischen Werken noch so ziemlich versehen, und es würde mir also leicht gewesen seyn, noch hier und da einige andre Gedanken und Meynungen verschiedener Weltweisen und Naturforscher beyzufügen. Allein, wie gesagt, die Kürze der Zeit erlaubte mir für dießmal solches nicht: außer an einigen wenigen Stellen, gegen das Ende; deren aber so wenige sind, daß es der Mühe nicht verlohnet, etwas davon zu gedenken.

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Noch einen andern Vorsatz, hatte ich anfangs, bey Durchblätterung dieser Anfangsgrunde gefasset. Ich bemerkte, daß der Herr Verfasser zwar von der Erde und Luft, dem Wasser und dem Feuer, dem Korper überhaupt, der Materie und der Bewegung, und dergleichen allgemeinen Stücken sattsam gehandelt; die zu einer sogenannten Experimentalphysik gehören. Allein es fehlten gleichwohl sehr viele Materien, die zu einer vollständigen Naturkunde gehören: z . E . die Lehre von dem Himmel und allen himmlischen Korpern, von ihren Entfernungen, Großen und Bewegungen; imgleichen von dem Weltbaue, von der wahren Figur aller Planeten und der Erdkugel, sind hier gar nicht zu finden: von welcher letztern doch in neuern Zeiten die sorgfaltigsten Beobachtungen in schwedisch Lappland angestellet worden. Ferner mangelten hier die Abhandlungen von Pflanzen und Thieren, ihrer Fortpflanzung, Nahrung, Bewegung, Dauer, und Abnahme; die Lehre von dem künstlichen Baue ihrer Korper, und deren vielfaltige Wunder, die man theils bey den Verwandlungen der Insecten, theils bey den neuentdeckten Polypen bemerket hat, u . d . m . Zu allen diesen Materien fehlt es heute zu Tage auch Leuten von mittelmaßiger Fähigkeit, an Hülfsmitteln nicht, sie nach dem Begriffe der Anfänger, zulänglich abzuhandlen: und ich hätte mir bey dem allen nur dasjenige zu Nutze machen dörfen, was G r e g o r i u s , K e i l , D e s a g u l i e r , N i e w e n t y d , D e r ham, Leuwenhoek, Redi, Malpighi, Vallisnieri, Schwammerdam, Reamur, Frisch, Plüche, Nollet, die englischen Transactionen, u.a. solche Werke mehr, an die Hand geben: so hätte man eine gute Anzahl von Capiteln davon ausarbeiten können, die dem Werke keinen unnöthigen Zusatz gegeben hätten. Allein eben die Menge solcher Materien, hat der Ausführung meines Vorsatzes im Wege gestanden. Es würde kein kleiner Anhang, sondern ein ganz neuer, und eben so großer Band nöthig gewesen seyn, alle diese Stücke gehörig

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abzuhandeln. Hier aber tragt man billig ein Bedenken, zu eines lebendigen Schriftstellers Buche, solche große Zusätze zu machen. Vielen Lesern gefallt es nicht, daß man fremde Werke mit neuen Theilen bereichert. Sie meynen, wenn der Verfasser von allen diesen Dingen hätte handeln wollen: so wurde er selbst dergleichen Capitel ausgearbeitet haben. Und in derThat haben sie recht. Man kann von niemanden mehr fordern, als er hat leisten wollen. Was hatten wir für ein Recht von dem Herrn von Musschenbroek, ein ganz vollständiges physikalisches Lehrgebäude zu begehren? Wir müssen also mit demjenigen vorlieb nehmen, was er uns hat schreiben wollen; und die übergangenen Materien in andern Büchern suchen. Hat er uns doch nicht versprochen, eine ganze Naturkunde; sondern nur die Anfangsgründe derselben, das ist, eine allgemeine Physik zu liefern. Die besondern Materien von allen obgedachten Dingen, gehören zur Specialphysik, die er uns niemals zu liefern willens gewesen ist. Endlich war ich noch willens, in dieser Vorrede von der Erhebung der wässerichten, oder feuchten Dünste zu handeln, und die Meynung derer zu prüfen, welche unter den Neuern die Möglichkeit derselben, durch kleine Bläschen haben zeigen wollen; die sich durch die in den Zwischenräumlein des Wassers befindliche, und von der Sonnen erwärmte Luft, über die Fläche des Erdbodens erheben, und empor steigen sollen. Diese Meynung hat mir allezeit den Grundsätzen der Hydrostatik zu widersprechen geschienen: und eine Vorrede zu einem physikalischen Buche, wäre kein unbequemer Platz zu einer solchen Ausführung gewesen. Ich würde mich auch nichts davon haben abhalten lassen; wenn Herr Musschenbroek selbst dieser Meynung zugethan gewesen wäre. Allein da er in dem Capitel von Dünsten, mit keinem Worte solcher Bläschen gedenket; und die feuchten Theilchen nicht anders, als die trockenen Dämpfe, und Ausdüftungen in die Luft steigen läßt: so habe ich es nicht

Vorrede zu ,Grundlehren

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für nöthig geachtet, die Leser desselben, vor jener so falschen Meynung zu verwahren; und diese Abhandlung auf eine andre Zeit versparen wollen. Uebrigens wünsche ich, mit dem Herrn Verfasser, in seiner Vorrede, daß auch diese Arbeit, zu mehrerer Erkennt- 5 niß der Wunder der Natur, und zur Verherrlichung ihres unendlich weisen, allmachtigen Urhebers, etwas beytragen möge: welches auch mir die darauf verwandte Muhe vollkommen vergelten, und reichlich belohnen wird. Geschrieben in der Ostermesse 1747.

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Vorrede zur Geschichte der königlichen Akademie der schonen Wissenschaften zu Paris 1749

Geneigter Leser, W e n n du die freyen Künste, und schonen Wissenschaften nur einigermaßen liebst, so wirst du es mir Dank wissen, daß ich dir hiermit den I Band der so betitelten HISTOIRE DE L ' A C A D E M I E R O Y A L E DES INSCRIPTIONS ET DES BELLES

LETTRES, in deutscher Sprache liefere. Es enthalt diese, nebst denen damit verbundenen MEMOIRES derselben Akademie, einen rechten Schatz der angenehmsten Gelehrsamkeit. Alles, was das griechische und lateinische Alterthum; die ägyptischen, phönizischen, karthaginensischen, hetrurischen und pelasgischen Ueberbleibsel, ja so gar die alten gallischen Denkmaler, merkwürdiges und nachdenkliches in sich fassen; alles, was in den Schriften der alten Dichter und Geschichtschreiber schweres, in alten Münzen und Aufschriften sinnreiches, und in Gebäuden, Bildseulen, und halberhobenen Schnitzwerken tiefsinniges anzutreffen ist; das wird in diesem Werke zulänglich erkläret, erläutert, oder doch auf eine zulängliche Art beschrieben. Kurz, wer das gelehrte Alterthum kennen zu lernen, und daraus eine der angenehmsten Arten der Wissenschaft zu fassen begierig ist, der wird hier eine vollige Beruhigung seines gelehrten Hungers antreffen. Da also dieses Werk in so mancherley Absichten nützlich und angenehm seyn kann; und unsere Landesleute seit einiger Zeit nur gar zu geneigt gewesen sind, die Schriften unserer Nachbarn zu übersetzen: so hat es mich seit einiger Zeit sehr Wunder genommen, warum sich noch niemand, an diese G e s c h i c h t e d e r k ö n i g l i c h e n A k a d e m i e d e r s c h o n e n W i s s e n s c h a f t e n gemacht hat. Ein Werk von dieser Art, würde sonder Zweifel ungleich mehr Nutzen ge-

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schaffet haben, als eine Menge abgeschmackter Romane, davon fast alle Buchladen wimmeln. Allein bey einigem Nachdenken, waren die Ursachen davon so schwer eben nicht zu errathen. Einige davon sind bey den Uebersetzern, andere bey den Verlegern, und noch andere bey den Lesern übersetzter Schriften zu suchen. Ungeachtet ich sie nun ziemlich eingesehen zu haben glaube; so will ich sie doch hier mit Bedacht nicht entdecken: aus Furcht, man mochte das, was ich davon sagen würde, für eine Satire auf alle diese drey Classen unsrer Mitbürger ansehen. Hier haben sich indessen zu gutem Glücke allerley erwünschte Umstände vereinbaret, die uns endlich eine Uebersetzung dieses sö trefflichen Werkes befördert und zu Stande gebracht haben. Ich kann davon desto freyer reden, da ich selbst, gleichsam nur die Hebamme dieser neuen Geburt abgegeben, und eigentlich zu reden, gar keinen Theil daran habe. Meine akademischen Arbeiten, meine nunmehr zum zweytenmale ausgefertigte Deutsche Sprachkunst, und die unter Händen habende Historie der deutschen Sprache und Poesie, beschäfftigen mich, nebst dem monatlich fortgehenden Büchersaale der schonen Wissenschaften und freyen Künsten, viel zu sehr, als daß ich das Herz hatte fassen können, mich an die Verdeutschung eines so weitläuftigen Werkes zu machen. Es hat sich aber die fleißige Feder meiner Freundinn und Gehülfinn derselben desto williger unterzogen; da es so wohl ihrer Neigung als Fähigkeit überaus gemäß war, sich in ein Feld zu wagen, wo bey jedem Schritte neue Blumen der Gelehrsamkeit hervorsprießen; die einem Geiste, der die schonen Wissenschaften liebet, den angenehmsten Zeitvertreib und die unschuldigste Belustigung versprechen. Ihr allein hat man nämlich bisher schon die Verdeutschung aller derjenigen Stücke zu verdanken, die ich aus dieser Historie der königlichen Akademie der schönen Wissenschaften nach und nach in den neuen Büchersaal eingerücket habe. Diese können daher als abgelegte Pro-

Vorrede zur Geschichte der Akademie zu Paris ben ihrer werden.

Geschicklichkeit

zu

dieser

Arbeit

29 7 angesehen

I n d e m ich also die nöthige N a c h r i c h t von diesem W e r k e kürzlich ertheilet h a b e : so k ö n n t e ich dieser V o r r e d e ein unvermuthetes E n d e m a c h e n . Allein eins ist übrig, w o v o n ich darinnen n o c h handeln m u ß ; um viele unserer deutschen L e s e r , aus einer V e r w i r r u n g zu reißen; in w e l c h e sie gerathen, wenn von den gelehrten Gesellschaften oder A k a d e mien zu Paris die R e d e ist. Sie wissen sich nämlich in die U n t e r s c h i e d e , der f r a n z ö s i s c h e n A k a d e m i e , d e r A k a demie der A u f s c h r i f t e n und s c h ö n e n W i s s e n s c h a f t e n und der A k a d e m i e d e r W i s s e n s c h a f t e n schlechthin, nicht zu finden. Sie halten selbige daher, entweder alle fur eine und dieselbe gelehrte G e s e l l s c h a f t ; o d e r verrücken doch ihre G r ä n z e n öfters dergestalt, daß man nicht weis, w o man ist, wenn man sie von dieser oder jener reden h ö r e t . D i e s e r V e r m e n g u n g inskunftige v o r z u b e u g e n , will ich mir in dieser V o r r e d e angelegen seyn lassen. Ich will von allen dreyen parisischen A k a d e m i e n einige historische N a c h r i c h t geben, und den U n t e r s c h e i d b e m e r k e n , der sich in ihren allerseitigen B e s c h ä f t i g u n g e n findet. W i r d man d a b e y den großen Eifer des französischen H o f e s zu L u d w i g s des X I V t e n Z e i t e n , in B e f ö r d e r u n g der G e l e h r s a m k e i t gewahr w e r d e n : so werde ich auch zugleich b e m e r k e n , was unsere N a t i o n in eben diesen A b s i c h t e n geleistet hat; und die U r s a c h e n anzeigen, w a r u m die deutschen A n s t a l t e n , die man in gleichen A b sichten gemacht hat, nicht eben den guten F o r t g a n g gehabt haben. D i e eigentlich so genannte f r a n z ö s i s c h e A k a d e m i e (ACADEMIE FRANÇOISE) o d e r die A k a d e m i e der französischen Sprache, ist die erste und älteste von allen. Sie ist bereits vor m e h r als hundert J a h r e n , nämlich 1635, durch ein königliches E d i c t aufgerichtet und bestätiget w o r d e n , nachdem sie schon fünf o d e r sechs J a h r e vorher gleichsam in der Stille angefangen hatte. U n g e f ä h r im 1629sten J a h r e , traten

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Johann Christoph

Gottsched

einige gelehrte Freunde zusammen, die in verschiedenen entlegenen Theilen von Paris wohneten. Nichts war ihnen beschwerlicher, als daß sie, einander zu sprechen, einen so weiten Weg zurück legen mußten, und doch wohl Gefahr liefen, vergebens zu gehen; indem sie einander nicht allemal zu Hause antrafen. Sie wurden also schlüssig, sich wenigstens wöchentlich einmal, bey einem aus ihrer Zahl zu sprechen, der etwa mitten in der Stadt wohnhaft wäre, und also den entlegenem den Weg verkürzen konnte. Dieses geschah nun wirklich, und Herr G o d e a u , nachmaliger Bischof von Grasse, Herr von G o m b a u l d , Herr G i r i , Herr H a b er t , der Artillerie Commissar, der Abt C e r i s y , Herr S e r i s a y und Herr von M a l l e v i l l e , versammelten sich bey dem Herrn C o n r a r t , dessen Wohnung gleichsam im Herzen der Stadt gelegen war. Hier giengen sie vertraulich miteinander um, wie es bey andern Besuchen zu geschehen pflegt. Man sprach von Geschäften, von Neuigkeiten, und von den schonen Wissenschaften: und wenn ein Glied dieser Gesellschaft etwas ausgearbeitet hatte, wie es denn oft geschah, so las er es den übrigen vor, die ihm ihre Gedanken davon eröffneten. Auf diese Unterredungen nun folgte entweder ein Spaziergang, oder ein kleines Abendessen: und diese Zusammenkünfte wahreten, wie gedacht worden, vier oder fünf Jahre, mit dem größesten Vergnügen und Nutzen ihrer Mitglieder. Sie waren in aller Freyheit, ohne Gesetze, ohne Zwang und ohne Pracht; und genossen untereinander alles, was die Uebereinstimmung der Gemüther, und ein vernünftiger Umgang aufgeweckten Köpfen für Süßigkeit und Anmuth verschaffen konnte. Sie waren eins geworden, ihre Zusammenkünfte heimlich zu halten. Der erste, der dieses Schweigen brach, war der Herr von M a l l e v i l l e ; der dem Herrn F a r e t etwas davon sagte, welcher eben sein Buch, L'HONETE HOMME, herausgegeben hatte. Als dieser die Erlaubniß erhielt, sich in ihrer Versammlung einzufinden, so überreichte er derselben einen

Vorrede zur Geschichte der Akademie zu Paris

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Abdruck davon; und war sowohl mit denen Urtheilen, die er darüber vernahm, als mit dem übrigen Bezeigen der Gesellschaft sehr zufrieden. Er redete davon gegen die Herren des M a r e t s , und B o i s r o b e r t . Der erste erschien auch in der Gesellschaft und las den ersten Band seiner A r i a n e vor, die er unter Händen hatte. Der andere wünschte auch, sich dabey einfinden zu dürfen; und man konnte es ihm aus verschiedenen Ursachen nicht abschlagen. Als dieser sah, wie gründlich man hier von Schriften urtheilete, und daß es nicht auf bloße Schmaucheleyen und Lobsprüche angesehen wäre: so war er vor Freuden und Verwunderung außer sich. Er stund damals bey dem Cardinale R i c h e l i e u in großen Gnaden, und suchte demselben bey müssigen Stunden, durch seinen aufgeräumten Geist, auf eine angenehme Art die Zeit zu kürzen; indem er ihm alles, was bey Hofe und in der Stadt neues vorgieng, auf eine muntere Art zu erzählen wußte. Unter diesen Neuigkeiten nun, ermangelte Herr B o i s r o b e r t nicht, auch die Nachricht von der gelehrten Versammlung zu mischen, der er bey gewohn et hatte. Er erzahlte nicht nur die Namen der Personen, daraus sie bestund, sondern machte auch eine vortheilhafte Abbildung von ihren Beschäftigungen. Der Cardinal, welcher von Natur zu großen Dingen geneigt war, und die franzosische Sprache liebte, weil er sie selbst sehr wohl schrieb: lobte dieser Gesellschaft ihr Vorhaben, und fragte Herrn B o i s r o b e r t : ob dieselbe nicht geneigt wäre, sich als ein durch öffentliche Gesetze bestätigter Korper, zu ordentlichen Versammlungen zu verbinden? Auf solchen Fall, wolle er selbst die Beschirmung dieser Gesellschaft übernehmen; und sie durch ein königliches Patent dazu bestätigen. Herr B o i s r o b e r t versprach, solches der Gesellschaft vorzutragen, und versicherte schon zum voraus, ihre Einwilligung. Dieses erfolgte auch, nach vorgängiger Berathschlagung. Herr B o i s r o b e r t brachte diese Antwort dem Cardinale, und erhielt

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Johann

Christoph

Gottsched

Befehl, der Gesellschaft zu vermelden: sie mochte sich nur nach wie vor versammeln, und ihre Zahl nach eigenem Gutachten verstarken; auch zugleich die Gesetze entwerfen, die zu ihrer künftigen Einrichtung nothig seyn würden. Wenn es meine Absicht hier wäre, die vollige Historie dieser Gesellschaft zu beschreiben; so konnte hier noch ein vieles davon beygebracht werden. Allein zu der gegenwartigen Absicht ist es genug, daß man den Ursprung dieser franzosischen Akademie, in der Versammlung gelehrter Freunde; ihre Bestätigung durch die großmüthige Neigung eines staatsklugen Ministers, des Cardinais R i c h e l i e u , und die Zeit ihrer Stiftung, nämlich das 1635ste Jahr, bemerket. Die Beschäftigungen derselben kann man aus dem angeführten auch zur Genüge abnehmen, nämlich die Ausübung und Verbesserung der franzosischen Sprache; so wohl in gebundner als ungebundner Schreibart. Von wie großem Erfolge die Arbeiten derselben in Zeit eines Jahrhunderts gewesen, das lehret die Erfahrung; indem die franzosische Sprache dadurch fast in ganz Europa allgemein, ja beynahe eine von den gelehrten Sprachen geworden; deren Kenntniß itzo weder ein Hof= und Weltmann, noch ein Gelehrter entbehren kann. Gleichwohl dorfen sich die Franzosen nicht rühmen, daß sie zuerst auf diesen glücklichen Einfall, ihre Sprache auszuputzen gekommen sind, und in dieser Absicht eine Gesellschaft gestiftet haben. Nein, sie sind beynahe die spätesten darinn gewesen, und haben nichts mehr gethan, als daß sie den Wälschen, und uns Deutschen eifrig nachgefolget sind. Die Akademie der H u m o r i s t e n zu Rom, war schon vorher, auf der Hochzeit eines romischen Edelmannes L o r e n z M a n c i n i , gleichsam von ungefähr entstanden: wo man, dem Frauenzimmer ein Vergnügen zu machen, und weil es eben im Carneval war, zuerst aus dem Stegreife, hernach aber auch mit Vorbedacht, allerley Sonnete, Comödien, Reden u . d . g . machte. Daher erhielten die Glieder davon

Vorrede zur Geschichte der Akademie

zu Paris

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anfanglich den Namen der BELLI HUMORI, d.i. der schönen oder guten Kopfe; woraus aber hernach der Namen der H u m o r i s t e n entstund"'. Bey uns in Deutschland ist die berühmte f r u c h t b r i n g e n d e G e s e l l s c h a f t gleichfalls schon im Jahre 1617 den 24 August, auf dem alten herzoglichen weimarischen Schlosse, Hornstein in Thüringen, welches itzo Wilhelmsburg genannt wird, und zwar auch bey Gelegenheit eines fürstlichen Beylagers entstanden. Den ersten Anschlag dazu hat ein thüringischer Ritter, Caspar von Teutleben, damaliger weimarischer Oberhofmarschall, gegeben und sie ist in kurzem zu einer solchen Hoheit und Größe angewachsen, daß nicht leicht eine andere Gesellschaft in der Welt, eine größere Anzahl fürstlicher, gräflicher, und anderer ansehnlicher Personen aufzuweisen haben wird, als diese erlauchte Gesellschaft hat aufweisen können' 1 '. Vor hundert Jahren, und etwas spater, ist fast kein Herzog zu Sachsen, kein Markgraf zu Brandenburg, kein Herzog zu Braunschweig und Holstein, kein Landgraf von Hessen, kein Fürst zu Anhalt, oder Herzog zu Meckelnburg gewesen, der nicht ein Glied der fruchtbringenden Gesellschaft gewesen wäre; so vieler vornehmen Reichsgrafen, Freyherrn, Ritter und Gelehrten voritzo zu geschweigen. Es ist auch kein Zweifel, daß diese erlauchte Zunft, außer dem Nutzen, den ihr Exempel wirklich gestiftet hat, noch vielmehr gefruchtet haben würde, wenn der Schutz des allerhöchsten Hauptes im Reiche, ihr eine bestandige Dauer verschaffet, und sie vor dem Untergange gesichert hatte. Doch ich halte mich zu lange bey dieser ersten und ältesten gelehrten Gesellschaft zu Paris auf. Etwa dreyßig Jahre neuer ist der Zeitordnung nach die Akademie der Wissenschaften *

D.

Giov.

BAPT.

ALBERTI,

NEL D I S C O R S O

DELL'ACADEMIE,

PARTE

II.

p. 80.. * Man besehe davon Neumarks deutschen Palmbaum, wo alle Namen und Beynamen der Mitglieder und ihrer Durchl. Vorsteher zu finden sind. 20

Gottsched X/1

302

Johann Christoph Gottsched

gewesen, die sich die Verbesserung der Naturlehre, Zergliederungskunst, Krauterkunde, Chymie, und Mathematik zum Zwecke gewahlet hat. Auch hierinn haben die Franzosen, die Englander mit ihrer königlichen Societat zu Vorgangern gehabt; zu geschweigen, daß auch in Walschland die florentinische Akademie, und in Deutschland die ACADEMIA N A T U R A E CURIOSORUM CAESAREA, i h r a n A l t e r n i c h t v i e l

voraus gegeben haben. L u d w i g der X I V t e stiftete jene im 1666sten Jahre, auf Veranstaltung des so berühmten Staatsbedienten C o l b e r t s . Sie bestund anfänglich nicht nur aus bloßen Naturforschern und Meßkünstlern, sondern auch aus solchen Mannern, welche sich auf die Geschichte und die schonen Wissenschaften beflissen. Allein diese letztern trennten sich bald von ihr, und es blieben nur noch sechs oder sieben Meßkünstler übrig, welche sich im Brachmonate des gedachten Jahres versammelten: nämlich C a r c a v y , H u g e n s , de R o b e r v a l , F r e n i c l e , A u z o u l t , P i c a r d und B u o t . Diesen gesellte man gegen das Ende des Jahres noch folgende in der Naturlehre, Chymie, Zergliederungskunst und Krauterkunde erfahrne Manner zu, als de la C h a m b r e , P e r r a u l t , du C l o s , B o u r d e l i n , P e c q u e t , G a y e n u. M a r c h a n t ; und sie wurden eins, sich künftig gemeinschaftlich zu versammeln, doch so, daß des Mittewochens die mathematischen, des Sonnabends aber die physikalischen Sachen vorgetragen werden sollten"', ob sie nun wohl ihre Versammlungen eine Zeitlang ununterbrochen fortsetzten: so schien diese Akademie doch einmal gleichsam ermattet, und halb erstorben zu seyn; bis sie kurz vor dem Anfange dieses Jahrhunderts, nämlich 1699 wieder erneuret, oder vielmehr erst zu ihrer rechten Verfassung gebracht ward. Ihr erster Secretar war J o h a n n B a p t i s t a du H a m e l gewesen, und der berühmte Herr von F o n t e n e l l e ward * Siehe J o .

BAPTISTAE

HISTORIAM,

p. 4sqq.

DU

H A M E L R E G I A E SCIENTIARUM

ACADEMIAE

Vorrede zur Geschichte

der Akademie

zu Paris

303

sein Nachfolger, auf viele Jahre; bis ihn Herr Mai r a n ablosete, der sich aber dieses Amtes bald wieder begab, welches sich nunmehr in den Händen des Herrn de F o u c h y befindet. Diesen gelehrten Mannern haben wir die trefflichen M E M O I R E S , oder Nachrichten; nebst der H i s t o r i e d e r A k a d e m i e d e r W i s s e n s c h a f t e n zu danken, davon wir neulich schon etliche Binde in deutscher Sprache zu lesen bekommen haben. Darf ich auch hier meine Gedanken einschalten, warum bey uns weder die kaiserliche Akademie der Naturforscher, noch auch die im Anfange dieses Jahrhunderts zu Berlin gestiftete preußische Societat der Wissenschaften, es in ihrem Ruhme und in dem allgemeinen Nutzen ihrer Schriften eben so hoch gebracht, als die parisische: ungeachtet nicht minder gelehrte Manner in beyden gewesen, und durch grundliche Schriften sich hervorgethan: so ist es bloß diese, daß man sich bey Abfassung und Bekanntmachung ihrer gesellschaftlichen Arbeiten, nicht der deutschen Sprache bedienet hat. Unsere Landesleute haben unglücklicher Weise für ihr Vaterland, geglaubet: alles, was gelehrt seyn und aussehen solle, das müsse auch in der sogenannten Sprache der Gelehrten abgefasset seyn. Daher sind sie von den loblichen Exempeln ihrer Nachbarn der Waischen, Englander und Franzosen abgewichen, und haben lieber in einem schlechten, und oft barbarischen Lateine, als in einem guten Deutsch schreiben wollen. Weit gefehlt aber, daß sie dadurch bey unsern Nachbarn viel Dank verdienet hatten; so haben sie vielmehr ihr Vaterland um einen viel allgemeinern Nutzen ihrer Schriften gebracht. In Frankreich nämlich, hatte kaum die franzosische Akademie die Sprache ausgeputzet, als Weltweise, Naturforscher, Krauterkundiger, Zergliederer, Chymisten, Sternseher, Erdbeschreiber und Meßkünstler sich dieser ihnen dargebothenen Vortheile bedienten, und selbst durch den Vortrag der tiefsinnigsten Wahrheiten, das Ihrige zur Bereicherung ihrer Muttersprache beytrugen. Dadurch ist nun 2 a mich der scharfsinnige Herr Uebersetzer des gegenwartigen sinnreichen Gedichtes ersuchet hat, dasselbe mit einer kurzen Vorrede in die Welt zu begleiten: so läßt die alte Freundschaft mit demselben, die zu der Zeit den Anfang genommen, als der ehrwürdige Herr Magister noch ein gegenwartiges Mitglied der hiesigen deutschen Gesellschaft war, es nicht zu, ihm ein solches Zeugniß derselben abzuschlagen. Ich erinnere mich noch mit vielem Vergnügen, theils seines damaligen großen Eifers, die Aufnahme der deutschen Sprache und Poesie überhaupt, die allen seinen gelehrten Landesleuten so natürlich ist, theils auch den Flor und das Wachsthum derjenigen Versammlung, deren Zierde er selber war, durch artige Reden und geistreiche Gedichte zu befordern. Eine so gemeinschaftliche Neigung verband dazumal unsre Gemüther nicht wenig: und da der Herr Magister bey mehr als einer Gelegenheit, auch öffentliche Proben seiner besondern guten Neigung gegen mich ablegte; die ihrer Schönheit und Lebhaftigkeit wegen, ihm allemal eben so viel Ehre machten, als mir: so ist es billig, daß ich auch bey dieser Gelegenheit, meine Erkenntlichkeit dafür an' den Tag lege. Selbst den Vorsatz, diesen N e o p t o l e m u s in ein deutsches Gedicht zu verwandeln, hat der Herr Magister P a n t k e , auf mein Anrathen* unternommen. Kaum that er mir solches schriftlich kund; als ich ihm mein Vergnügen darüber bezeugte. Ich habe allemal die Dichtkunst, nach den Begriffen der Alten, als eine angenehme Tugendlehrerinn angesehen: und mich herzlich vergnüget, wenn sich geschickte Siehe den V Band des Büchersaals der schön. Wissensch, und freyen Künste, auf der 139 Seite.

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Johann

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Gottsched

Dichter in diesen Absichten bemühet haben, das UTILE DULCI, den Nutzen mit der Anmuth zu verbinden. Der französische Verfasser des Neoptolemus gehöret unstreitig unter die kleine Zahl der Neuern, die solche im Sinne gehabt. Er hat sich den berühmten Erzbischof zu Kammerich, F e n e l o n , zum Muster erwählet, der in seinem ausbundigen T e l e m a c h eben diesen Zweck zu befördern gesuchet. Wie nahe er ihm darinnen gekommen, wollen wir hernach einigermaßen zeigen, wenn wir erst die alteren Heldengedichte der Franzosen, die vorzeiten schon in unsre Sprache gebracht worden, ein wenig werden kennen gelernet haben. Denn von diesen bin ich Willens, den Liebhabern poetischer Sachen, bey dieser Gelegenheit einige Kenntniß überhaupt zu geben. Ich will dadurch unsern stolzen Nachbarn zugleich zeigen, daß wir Deutschen sie unter andern, auch in der Kenntniß ihrer Schriftsteller übertreffen. Denn welcher Franzos hat sich wohl bisher unterstanden, von unsern alten Heldendichtern zu handeln? Man kann aber die französischen Heldengedichte, oder Epopeen in die alten und neuern eintheilen. Zu jenen rechne ich alles, was in dieser Art, vor des Königs F r a n c i s c u s , oder Kaiser C a r l s des Vten Zeiten geliefert worden. Zu dessen Zeit gieng nämlich in der französischen Sprache und Dichtkunst ein neuer Zeitpunct an; so daß man die neuern nicht wohl mehr mit den alten in eine Classe rechnen kann. Weiter aber, als bis ins X l l t e Jahrhundert kann man mit der französischen Dichtkunst nicht zurück gehen: wie ich in dem Büchersaale der schön. Wissensch, und freyen Künste, b e y G e l e g e n h e i t d e r H I S T O I R E DE LA P O E S I E FRANÇOISE d e s

Abts M a s s i e u angemerket habe. Und gleichwohl muß man, um sie nur so hoch zu bringen, auch die Provenzalpoeten, und die normannischen Dichter auf ihre Rechnung schreiben: die doch damals gar keine französische Unterthanen waren. Die Provenze hatte damals noch ihre eigene Herren, die bey den deutschen Kaisern zu Lehne giengen: wie denn

Vorrede zu 'Begebenheiten

Neoptolems'

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zu Kaiser F r i e d r i c h s des I Zeiten, ein Graf zu Provenze B e r e n g a r i u s , selbst nach Turin gekommen, daselbst die Lehn zu suchen. Die Normandie aber war damals ein den englandischen Konigen unterworfenes Land; nachdem H e i n r i c h der Eroberer, ein Herzog in der Normandie, sich zum Herrn von Britannien gemachet hatte. Doch wir wollen es so genau nicht nehmen, und sowohl die Provenzalpoeten, als die normannischen mit für Franzosen gelten lassen. Unter jenen nun finden wie einen gewissen C h r i s t i a n v o n T r o y e s . Es ist wahr; in dem Verzeichnisse der Provenzalpoeten, welches J o h a n n N o s t r a d a m u s , ein Bruder des bekannten M i c h a e l N o s t r a d a m u s , geschrieben hat, finde ich diesen Dichter nicht. Vieleicht hat er ihn darum nicht mitgenommen, weil er von T r o y e s in Champagne geburtig gewesen; ob er sich gleich um diese Zeit in der Provenzalpoesie hervorgethan. Allein, dergestalt hatte er auch manchen andern auslassen müssen, der aus dem Genuesischen oder Piemontesischen, ja wohl gar aus Deutschland gebürtig gewesen. Ich sage dieses nicht ohne Grund; denn er zählet ausdrücklich den Kaiser F r i e d r i c h B a r b a r o s s a mit unter diese Dichter; weil er einige Zeilen in dieser Sprache gemachet haben soll. Ja ich bin völlig überzeuget, daß sein allererster Provenzalpoet, den er J a u f r e d R u d e l nennet, ohne Zweifel ein Deutscher gewesen, der G o t t f r i e d R ü d e l geheißen. Auf diese Gedanken hat mich ein gelehrter Freund in Wien gebracht, dem ich seine Ehre nicht nehmen will: und alles, was Nostradamus von ihm saget, stimmt mit dieser Muthmaßung vollkommen überein. Sein Name R ü d e l wenigstens zeiget, daß er ein Deutscher gewesen, indem R ü d e noch itzo ein Schafhund heißt; ja daß es auch schon vor vielen Jahrhunderten so geheißen, erhellet aus einer Stelle Wolframs von Eschenbach, der um eben die Zeiten, im X I I und X I I I Jahrhunderte gelebet, und in der Beschreibung des trojanischen Krieges also gesungen hat:

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Der Jugend ward do Zorn ernannt, Uffhub die Fuest der Vigand Dem Rüden gab er einen Slag Daz er bald tod gelag JC. Was das merkwürdigste ist, so sagt Nostradamus nicht, daß er ein Provenzal von Geburt gewesen, nennt auch seinen Vater nicht, wie er sonst fleißig zu thun pflegt; sondern nennt nur das Landgut, welches er besessen hat, und daß er bey dem Bruder des damaligen Königs von England Richard, in Diensten gestanden. Was aber diesen Dichter am merkwürdigsten macht, ist dieses, daß er, allem Ansehen nach, die ersten gereimten Verse in der Provenze gemacht. Als ein Deutscher kannte er dieselben schon; denn die deutschen Dichter hatten bereits seit Ottfrieds Zeiten, ja vieleicht vor Carls des Großen Zeiten gereimet. In Frankreich aber war diese Kunst vor ihm noch nicht gewesen: und es ist wahrscheinlich, daß bloß dadurch die Provenzalpoesie so sehr in Schwang gekommen; und wohl zweyhundert Jahre hernach gewahret. Daher fallen denn alle die gelehrten Muthmaßungen weg, die H u e t i u s und andere vom Ursprünge der Reime gehabt; den sie wohl gar lieber bey den Arabern und Mohren in Spanien, als bey den viel nahern Deutschen haben suchen wollen; die doch seit P h a r a m u n d s Zeiten, bis auf H u g C h a p l e r n in Frankreich geherrschet hatten; und deren Sprache sie damals großentheils verstanden haben müssen. Doch ich muß von dieser Ausschweifung wieder umkehren; und auf unsern C h r i s t i a n v o n T r o y e s kommen. Ich finde seinen Namen im M o r e r y ; denn dieser gedenket so viel von ihm, daß er ein alter franzosischer Dichter gewesen, der gegen das 1200ste Jahr gelebt. Er saget nicht was er geschrieben hat, sondern beruft sich auf den F a u c h e t im II B. von den alten franzosischen Dichtern. Es kann auch gar wohl seyn, daß seine Werke in der Povenzalsprache in

Vorrede zu Gegebenheiten

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Frankreich nicht mehr mögen vorhanden seyn. Allein wir Deutschen haben sie noch in Uebersetzungen. Denn der oben erwähnte Meister W o l f r a m v o n E s c h e n b a c h , der im Anfange des XIII Jahrhunderts am Hofe Landgraf Hermanns in Thüringen lebte, und ein ansehnliches Glied der berühmten Singschule daselbst war, hat ihn ins Deutsche gebracht. Ich besitze selbst ein ziemlich altes Manuscript davon, welches im größten Formate, auf überaus dickes Papier, wenigstens im Anfange des XVten Jahrhunderts geschrieben, und mit unzähligen schonen Bildern ausgeputzet ist. Da die Schrift ziemlich groß und ansehnlich ist: so machet dieß eine Gedicht einen sehr starken Folianten aus, der auch bis auf wenige Blatter, ziemlich ganz aufbehalten worden. Da ihm aber die letzten Blatter fehlen: so ist es gut, daß wir auch im Anfange der Buchdruckerey, nämlich 1477 ohne Meldung des Ortes einen Abdruck davon, in Folio, bekommen haben; den ich gleichfalls besitze; und der auch auf unserer PaulinerBibliothek vorhanden ist. Hieraus kann man den Urheber des Werkes, und den Namen des Uebersetzers deutlich sehen. Denn kurz vor dem Ende desselben, lieset man folgende Verse: Ab von troys maister Kristian Disem mer unrecht hat getan Des mag wol zürnen Kyot Der uns die rechten Mere enbot. Hieraus verstehe man, daß ein gewisser G u i o t , ein anderer Dichter, die rechte M a h r e , oder Fabel dieses Buches beschrieben habe, die aber Meister C h r i s t i a n v o n T r o y e s , in etwas verändert habe; so daß Meister G u i o t darüber zürnen konnte. Er setzet hernach hinzu, woher dieses Gedicht komme: Von profantz in teutsche lant Die rechten mere uns seint gesant.

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Der Schluß lautet so: Und diser Aventeure endes zil Nicht me dovon sprechen wil Ich Wolffram von eschenbach Wan als dort der maister sprach Sein Kind sein hoch geschlechte Han ich benennet rechte Herr partzifal den ich han bracht Dar sein doch selde hat gedacht. JC. Hier sehen wir nicht nur, daß dieß Gedicht aus der Provenze sich herschreibt, sondern, daß auch Wolfram von Eschenbach sein Urheber sey: und daß es vom P a r t z i f a l handle. Was also den Inhalt dieses Heldengedichtes betrifft, so ist er kürzlich folgender. G a u d i n ein Herzog zu A n j o u , den er aber auch bisweilen einen Konig nennet, stirbt, und laßt sein ganzes Land seinem iltesten Sohne. Da also die jungern Sohne gleichsam enterbet sind, so entschließt sich der muthigste von ihnen, G a m u r e t , auf Ebentheuer auszuziehen. Er nimmt sechzehn K n a p p e n , das ist, Jünglinge mit, d e r s e c h s v o n Y s e r s i n d , das ist, darunter sechse geharnischt sind, und zieht aus. F i l i R o y s G a u d i n , spricht seine Mutter zu ihm, da er Abscheid nimmt, w i l t u n i t l e n g e r b e y m i r sin 2C. Aber er f a h r t a u f R i t t e r s c h a f t , in f r e m d e L a n d : und wir sehen also, daß dieß Gedicht mit unter die Ritterbücher gehöret, ja vieleicht eins der alleraltesten ist. W o zieht nun der junge Held hin? W o anders hin, als gen B a l d a g , d.i. in der damaligen Sprache, B a g d a d , oder Babylon. Da sollte ein so gewaltiger Mann seyn, dem zwey Theile der Erden unterthan waren, der B a r u c k hieße, und viel gekrönte Konige zu Lehnsleuten hatte. Dieser wird dem jungen A n t s c h e v i n vil h o l d : und dieser fangt sich an, in Ritterspielen hervorzuthun, zu M a r o c h und in P e r s i a , zu D a m a s t und H a l a p , zu A r a b i a und A r a b i ; ward s e i n m a n n l i c h K r a f t be-

Vorrede zu Gegebenheiten

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kannt. Er gieng auch gen Z a z a m a n g , wo dieß lieget, das mag der geneigte Leser errathen; wo Y s e n h a r t d e n L e i b um ein W e i b v e r l o h r e n hatte. Die Koniginn P e l i c a n e aber hatte ihm ihre Liebe nie gebothen: doch kamen des erschlagenen M a g e (Blutsfreunde) seinen Tod zu rächen, und selbst von S c h o t t e n F r i d e b r a n d ; (das ist des Königs T y r o l Sohn, dessen Ermahnung in Versen wir noch im Goldast und Schilter haben) lag mit einer Flotte da, die Stadt zu verbrennen. Man kann leicht denken, wie es hier gegangen ist. G a m u r e t wird im Sturme an die Küste geworfen, als die Stadt von Zelten ganz umgeben und belagert war. Sie hieß P a t e l a m u n t ; und rief ihn gleich um Hülfe an: er verspricht sie ihnen auch, aber s e i n e n D i e n s t b o t er um g u t ; denn umsonst, ist der Tod. Man verspricht ihm alles Gold und alle Edelgesteine; allein die Leute zu Z a z a m a n g waren f i n s t e r w i e die N a c h t ; darum ward ihm bey ihnen die Zeit lang. Er gieng also in die Stadt, wo alle Frauen in den Fenstern lagen, und diesen fremden Ritter, seine K n a p p e n und sein H a r n a ß , wie das g e f u r i r e t was, begierig anschaueten. In seinem Gefolge hatte er zwanzig Knappen, zwölf w o h l g e b o r n e r K i n d e , a c h t r o ß m i t z e n d a l e , u n d w e l s c h e r v i d i e r d r e y ; und endlich noch seine M a r n e r e , das sind seine Bootsleute. Der Burggraf der Stadt nimmt ihn wohl auf, der Marschalk aber meldet ihn bey der Königinn; und fordert ein recht g r o ß e s B o t t e n b r o d , das ist Bothenlohn; weil ein junger Held angekommen wäre, der die Stadt entsetzen konnte. Als sie fraget, wer er sey, so heißt es: Frowe es ist ein Degen fier (FIER) Des Baruckes Soldier (SOLDIER) Ein antschewin von hoher art (ANGEVIN) Die Koniginn saget, sie will alles thun, was man ihr rathen wird, und wenn er wohlgebohren wäre, so wolle sie ihn

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küssen: wäre er aber eines Königs Sohn, so solle ihr Leib für ihn ein Pfand werden. Man kann nunmehr leicht denken, daß die Sache zur Richtigkeit kommen, und der Held G a m u r e t durch die Befreyung der Stadt, die Liebe der Koniginn erwerben wird. Ich muß abbrechen, den fernem Verlauf dieser Geschichte zu erzählen. Nur soviel melde ich, daß aus dieser Ehe P a r c i f a l l gebohren wird; ein Held, der durch große Thaten seinen Vater G a m u r e t , noch weit ubertrifft. Es ist also der Inhalt dieses Gedichtes keine regelmäßige Epopee; indem weder die Einheit der Handlung, noch der Person darinnen herrschet; und es ist also kein Haar besser, als unser altes Heldenbuch, welches sich auch aus diesem Jahrhunderte herschreibt. Das zweyte provenzalische Heldengedicht, welches um eben diese Zeiten verdeutschet worden, ist vieleicht, das obgedachte Werk des andern Provenzaldichters G u i o t s , welches, wie oben erwähnet wurde, Meister C h r i s t i a n v o n T r o y e s verändert haben soll. Es ist auch dieses Gedicht im 1477sten Jahre ohne Benennung des Ortes, und Buchdruckers, in Folio gedruckt worden, und auf unsrer Paulinerbibliothek vorhanden. Der Character der Schrift ist ganz sonderbar, und sieht weder recht deutsch noch recht lateinisch aus; sondern hält das Mittel zwischen der sogenannten ANTIQUA, wie sie die Buchdrucker nennen, und der deutschen Schwabacherschrift: und scheint in eben der Druckerey, mit dem obigen Gedichte auf G a m u r e t und P a r c i f a l l gedrucket zu seyn. Aus einigen andern alten Gedichten, die um diese Zeit, auch mit eben dergleichen Schrift gedruckt, und noch auf der zwickauischen Bibliothek vorhanden sind, schließe ich, daß solches zu Frankfurt am Mayn geschehen sey: doch kann ich den Drucker nicht nennen. Dieses Gedicht ist nun noch viel langer, als Meister Christians seins, auch nach Art der alten Heldengesange in Stro-

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phen abgetheilet; davon wir bald eine Probe sehen wollen. Es halt eben solche Rittergeschichte und Ebentheuer in sich, ja fast noch ärgere Wunderthaten, die in den damaligen Kreuzzügen nach dem Oriente irrenden Rittern begegnet seyn sollten, die nur nach schöner Frauen Hulde dursteten, und um W e i b e s G r u ß oft Leib und Leben wägeten. Der vornehmste Held darinn heißt Tschionatulander aber es sind noch unzahlige andere darinnen gelobet, und ihren Thaten nach beschrieben: die aber hier zu erzählen viel zu weitlauftig fallen würde. Daß ich es aber für die Arbeit des oberwahnten Guyots, oder Q u y o t s halte, dazu bewegt mich die letzte Strophe desselben. Sie lautet so: Kyote flegetanise Der was Her Wolfram gebende Die aventeur zu prise Die bin ich Albrecht hie nach im aufhebende Darumbe das dreyer Dinge minder were, Der sunden und der schänden, Das dritte mich drücket armut die swere JC. Hier sehen wir ausdrücklich, daß Q u i o t v o n F l e g e t a n , oder der Flegetaneser (wo das liege finde ich nirgends) diese Ebentheuer oder Rittergeschichte dem Hn. Wolfram (von Eschenbach) zu preisen, oder zu verdeutschen gegeben habe. Weil aber dieser vieleicht schon mit Meister Christians von Troyes Gedichte beschäftiget gewesen: so habe er, Meister A l b r e c h t , es auf sich genommen: und zwar aus dreyen Ursachen; damit nämlich der Sünden, der Schanden, und der Armuth minder werden mochte; als welche letztere ihn selber sehr gedrücket hatte. Wer nun Guiot oder Quiot gewesen sey, das finde ich weder im Nostradamus, noch im Moreri, noch im Herrn Beauchamps, noch in Massuets Historie der franzosischen Dichtkunst; noch in den Vorreden und Abhandlungen der 21

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vor kurzem ans Licht getretenen POESIES DU R O I DE N A VARRE, THIBAUT. Ich muß ihn also auch in seiner Dunkelheit lassen, bis ein französischer Kenner der Alterthümer ihn ans Licht ziehen wird. Sollte dieser Name so viel als G u i d o heißen: so könnte es vieleicht entweder der Bischof von A m i en s seyn, der den Feldzug Wilhelm Conquestors beschrieben, und 1076 gestorben ist: oder, da um diese Zeit die Provenzalpoesie noch nicht im Flore war; so könnte es auch wohl Guido Carthusianus seyn, der in der Provinz V a l e n t i n o i s , auf dem Schlosse zu St. Romain gebohren worden, und das Leben H u g o n s , imgleichen SCALAM CLAUSTRALIUM geschrieben hat. Dieser hat im Anfange des X l l t e n Jahrhunderts gelebet, und ist 1137 gestorben, schicket sich also ganz gut hieher: sonderlich, da vieleicht das FLEGETANISE, durch eine falsche Aussprache, oder böse Schrift, leicht aus V a l e n t i n o i s entstanden seyn kann. Es ist wahr, daß ich in des Abts M a s si eu HISTOIRE DE einen G U Y O T finde, der ein Zeitgenoß des bekannten Helinands gewesen, und ungefähr 1 2 0 9 gelebet. Er hat eigentlich H U G U E S DE BERCY geheißen, und ein großes moralisches und satirisches Gedicht geschrieben, welches man LA BIBLE G U Y O T genannt. Er zieht alle Stände der Welt darinnen durch, und schonet auch des Pabstes selber nicht. So sehr ich geneigt wäre, diesen, seines Namens G U Y O T wegen, für den rechten zu halten; so saget doch Massieu kein Wort davon, daß er ein solch Helden= oder Ritterbuch vom Gamuret oder T s c h i o n a t u l a n d e r geschrieben habe. Es könnte aber wohl seyn, daß sich das Original davon in Frankreich verlohren hatte, und bloß in unserer Dollmetschung das Andenken davon übrig geblieben wäre. Weit besser wissen wir, wer der deutsche Uebersetzer dieses Gedichtes gewesen, nämlich Meister Albrecht von Halberstadt, der auch um die Mitte des Xllten Jahrhunderts gelebt hat. Wir haben von ihm die Uebersetzung der oviLA POESIE FRANÇOISE P. 1 2 4 .

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dianischen Verwandlungen, die er dem Landgrafen Hermann in Thüringen zu gut verdeutschet, der ihn 1212 auf einem seiner Schlosser unterhalten hat. Allein am Ende des 15ten Jahrhunderts hat Georg Wickram von Colmar, seine alten Reime nicht allein geändert, sondern in eine ganz andere Ordnung gebracht. Dieses war die Sucht und Grille der damaligen Zeit, die uns die Schriften der alten Dichter verhunzet und verstummelt hat; so wie uns auch D. Sebastian Brandt den Freydank dergestalt verderbet hat. Doch hat man uns zu gutem Glucke noch den Anfang des ehrlichen Meister Albrechts zu einer Probe aufbehalten, daraus wir die Schreibart und Sprache des XHIten Jahrhunderts unverfälscht sehen können. Er heißt so: Meister Albrechts Prologus Hebet sich an alsuß. Arme und rieh Den ich williglich Meines Dienstes bin bereyt Zu Lohne meiner arbeyt Vernemend alle besunder Die mannigfalten Wunder Die ich euch in diesem Buch sag Wie vor manchem alten tag Do die Welt gemachet ward Die Leut wurden verkart Und manich weiß verschaffen Das Leyen und Pfaffen Unglaublich ist, Doch wisset ir wol seit dieser frist Daß Gott geschuff Adam Biß zu Abraham 2C. Die Ausgabe, daraus ich dieses nehme, ist die in Quarto von 1609, die bey Johann Sauern, im Verlage Franc. Nicol. Rothen zu Frankfurt am M a y n herausgekommen ist. Von 21'

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einer altern ist in dem 1 B. der critischen Beytrage Nachricht gegeben worden; woselbst man auch einige mehrern Umstände von diesem Dichter finden wird. Das merke ich nur an, daß Wickram auch so kühn bey seinen Verbesserungen gewesen, seinen eigenen Namen ans Ende zu flicken, indem er so schließt: Das helf uns Gott, wünscht Jorg Wickram. Etwas besonders ist noch, daß auch Wolfram von Eschenbach nach der aus dem Guyot angeführten Strophe, noch einen Anhang gemachet, um entweder die Arbeit Meister Albrechts zu billigen, oder die Fehler des Uebersetzers von sich abzuwälzen. Es heißt: Mit reimen schlecht drey genge Sind dise lider worden Gemessen in rechter Lenge Weise und Wort nach meisterlichem orden Zu kurz, zu lang ein liet viel wol schmachet Ich Wolfram bin unschuldig Ob schreiber recht unrichtig machet. Man kann schlüßlich anmerken, daß so wohl G o l d a s t * , als S c h i l t e r irren, wenn sie sagen, Meister Albrecht habe dieß Gedicht von dem Friedebrand aus Schotten bekommen. Davon nämlich ist hier keine Spur zu sehen: vielmehr war im Partzifall, Friedebrand aus Schotten der Held, wider welchen Gamuret die belagerte Stadt des Königreichs Zazamang vertheidigen mußte. Sonst ist freylich in diesem Gedichte G a m u r e t und P a r t z i f a l l sowohl, als Konig A r t u s , T i t u r e l , F r y m u t e l , und die beyden Prinzeßinnen J o s i a n e und H e r z e l a n d e , geschafftig. Es hat also eben den Fehler des obigen Partzi* Seine P A R A E N E S E S , bey der Ermahnung des Königs Tyrol, an seinen Sohn Friedebrand.

Vorrede

zu Gegebenheiten

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falls, daß es ganze Leben von mehr als einem Helden in sich halt, und also zwar fur ein episches Gedicht, jedoch fur keine rechte Epopee zu halten ist. Ich komme auf das dritte Gedicht, welches von seinem Helden T r i s t r a n t betitelt wird, und noch etwas alter ist, als die beyden obigen. Die Franzosen nennen ihn T r i s t a n , und gestehen, daß dieses ihr ältester Roman sey, der in ungebundener Rede geschrieben worden. Der Herausgeber d e r P O E S I E S DU R O I DE NAVARRE g e s t e h t s e l b s t i n

seinen

R É V O L U T I O N S DE LA L A N G U E F R A N Ç O I S E * a u f d e r 1 6 9 S e i t e , d a ß C H R É T I E N DE T R O Y E S , d e n T R I S T A N s c h o n

angefuhret;

wenn er geschrieben: ALNQUES D O U BUVRAIGE NE BUI D O N T T R I S T A N FUT E M P O I S O N E Z C A R PLUS ME FAIT A I M E R , Q U E L U I , F I N S CUERS, ET BONE VOLENTEZ.

Er soll also schon vor 1190 geschrieben worden seyn, und zwar von einem normannischen Dichter, der damals ein englischer Unterthan war. Wie er geheißen habe, finde ich nicht. Der Roman von der Rose ist zwar alter, aber in Vers e n g e w e s e n , u n d v o m G U I L L A U M E DE L O R R I S , u n d J o h a n n

LE MEUR geschrieben worden: ob gleich einige geglaubt, daß Peter Abâlard ihn schon hundert Jahre früher geschrieben habe. Was nun die deutsche Uebersetzung dieses prosaischen Gedichtes betrifft, so ist dieselbe bereits im 13ten oder doch 14ten Jahrhunderte verfertiget worden. Der Urheber dieser Uebersetzung ist Herr E y l h a r d v o n H o h b e r g gewesen, wie er uns gegen das Ende des Werkes, genennet wird. Denn so lauten die Worte, als da erzahlet wird, daß Tristrand auf der Baare gelegen, und die Königinn, deren Buh* Einen Auszug davon siehe im Büchersaale der schönen Wissenschaften und freyen Künste, V Band a. d. 317 und 499 S.

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ler er lange gewesen war, gekommen, sich aus großen Schmerzen über seinen Tod, zu ihm geleget, und plötzlich Todes verblichen. Do Tristrandes Wip gesach Daß die Königynne tod lach Vor leide sie do kume genaß Vil michel schryen dar waß Von dem Volcke algemeyne Wer do nicht mochte weynen Dem was das Hercze gar hart Von Hohberg in her eylhart Hat unß dis büchelin getichtet Und hat unß der mere berichtet Wie der küne Tristrant irstarp Und wie he daz lebin irwarp Und wie ez umme sin lip quam K. Man sieht leicht aus der Schreibart und den Versen, daß ich den Zeitpunct nicht zu früh angegeben habe: obwohl die Abschrift, die ich von der königlichen dresdenschen Bibliothek in Händen habe, nur von dem 1433sten Jahre ist. Es steht nlmlich diese Heldengeschicht mit dem großen Gedichte auf Karl den Großen und Rolanden seiner Schwester Sohn in einem Bande und ist von eben derselben Hand geschrieben, die am Ende eines dritten Gedichtes, von den Leichnamen der heiligen drey Konige, die Kaiser Friedrich der I. von Mayland nach Maynz bringen lassen, folgende Worte hinzugesetzet: Expliciunt dca Rolandi, tristrandi et trium Re= gum per manus Nicolai swertfegir de Dhamis Anno Dnj m°cccc°xxxiij fra quarta post Andree. Was nun den Inhalt dieses großen Gedichtes anlanget, so ist der Prinz Tristrand ein Neffe eines alten Koniges in K o r n w a l i s auf dem westlichenTheile der brittischen Insel, der Marke hieß, und mit dem Konige zu Y b e r n e , das ist

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Hibernien, oder Irland, im Kriege begriffen war. Hier kam ihm ein gewisser Konig R y n a l i n , von L a c h n o y s mit vielem Volke zu Hülfe, weil er gern seine Schwester B l a n k e f l u r haben wollte. Diese bekam er, und fuhr, als sie schwanger geworden, über Meer nach Hause. Sie kam auf der See nieder, und gebahr den Tristrand; doch so daß man ihr die Frucht aus dem Leibe schneiden mußte. Konig Rynalin erzog seinen Sohn, in allen ritterlichen Uebungen, und gab ihm einen gewissen Ritter K u r n e v a l zum Hofmeister. Mit diesem schickte er ihn auch unbekannter Weise auf Reisen; und da er sich an seines Oheims Königs Markens Hof begab, woselbst er sehr wohl empfangen, und obgleich unerkannt, in besonderen Ehren gehalten ward. Hier traf sichs nun, daß der Konig Marke mit dem Konige in Irland abermal uneins war, weil er ihm den Tribut versagte. Darum kam der irlandische Konig, der Riese M o r o l t, welcher vier Mannes Starke hatte, selbst über Meer, und forderte den Zins, es wäre denn daß er mit ihm streiten wollte, oder einen von den Seinen ihn überwinden konnte. Das wollte nun niemand wagen, als der junge Tristrand: der ihn auch wirklich überwand und erschlug. Allein Morolts Tochter I s a l d e , eine sehr tugendhafte Prinzessinn, war sehr betrübt darüber. Und diese war eben die, mit welcher Tristrand hernach seinen Roman spielte. Denn als sein Oheim Konig Marke endlich auf Anhalten seiner Stande heirathen soll, weil er keine Kinder hatte: so geschieht es, daß er diesen Tristrand als seinen Neffen ausschickt, um die Prinzeßinn I s a l d e für ihn zu werben, und zu begleiten. Das geschieht. Aber der Prinzeßinn Frau Mutter, die sich sehr auf Arzneyen verstund, bereitet ein kostliches Getränk, welches sie ihrer Tochter in der Absicht giebt, den Abend vor der Hochzeitsnacht, nebst ihrem neuen Gemahle davon zu trinken. Allein unterwegens auf der See, als Tristrand einmal bey der Prinzeßinn Isalde, als seines Oheims Braut ist, und sehr durstig wird, bringet ein kleines Kammermägdehen, die

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nichts um die Sache weis, dieses kostbare Getränke. T r i s t r a n d trinket sowohl davon, als I s a l d e selbst: und von Stund an spüren sie, daß dieses der starkeste Liebestrank gewesen, der nur zu erdenken war. Dieses macht nun zwischen diesen beyden jungen Leuten eine erzwungene Liebe, auf ihr Lebenlang. Der alte König Marke weis erstlich nichts davon: aber als er es erfahrt, wird Tristrand von Hofe gejagt. Er kömmt aber immer unter verstellter Tracht wieder, weil er von der Königinn nicht lassen kann: bis er endlich gar selbst zu heirathen genöthiget wird. Doch die Trennung von seiner geliebten Isalde machet endlich seinem Leben ein Ende; und wie wir oben gesehen, so stirbt die Königinn, als sie zu seiner Baare kömmt, mit ihm zugleich. Man sieht wohl, daß diese Geschichte nicht eben erbaulich ist, und wenn man von dem Alterthume, darinn sie geschrieben worden, abgeht, so gar erheblich nicht seyn würde. Indessen fällt die Zeit, da Trystrand gelebt haben soll, in die Zeiten des berühmten Königs A r t u s , oder A r t h u r in England, der im 6ten Jahrhunderte nach Christi Geburt gelebet haben soll. Wir haben indessen von dem Tristrand außer dieser seltenen poetischen Uebersetzung, auch eine in ungebundener Rede, die von einem Ungenannten gemachet, und von F e y e r a b e n d e n 1587 in Folio, in dem so genannten Buche der Liebe, wieder gedrucket worden: welches eine starke Sammlung alter Romane ist. Dieses sind nun die drey alten französischen Heldengedichte, die vor vier bis fünfhundert Jahren schon ins Deutsche übersetzet worden. Niemand schließe daraus, daß die Deutschen also ewig nur zum Uebersetzen verdammet gewesen. Nein, unsre alten Dichter haben auch selbst eine Menge eigener Arbeiten von dieser Art gemacht. Denn außer dem epischen Werke von K a r l dem Großen und R o l a n d e n , davon ich sonst einige Nachricht gegeben habe, haben wir ein Heldengedicht vom Könige A r t h u r , eins vom Herzoge R e i n f r i e d von Braunschweig, eins vom Her-

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zöge F r i e d r i c h in Schwaben, eins vom Herzoge E r n s t in Bayern; eins vom Herzoge F r i e d r i c h von Oesterreich, u . a . m . die ich künftig, in meiner ausführlichen Historie der deutschen Sprache und Poesie bekannter machen werde. Nun sollte ich wohl noch auf die neuern franzosischen Heldengedichte kommen, und dieselben erzählen. Allein theils der Raum, der dieser Vorrede bestimmet ist, theils die Zeit, schranken mich dießmal so ein, daß ich abbrechen muß. Theils sind auch dieselben weit bekannter, als diese alten Stücke; und bedörfen also meiner Nachrichten so sehr nicht. Daß indessen, so wohl T e l e m a c h , als N e o p t o l e m u s , unter die Zahl der Heldengedichte zu zahlen sind, das braucht meines Beweises nicht. Sind sie gleich beyde in Prosa geschrieben: so weis man doch aus den gesunden Begriffen des Alterthums, daß nicht die Verse, sondern die Fabel ein Werk zum Gedichte machen. Ist diese nun nach dem Muster Homers und Virgils, oder nach Aristotels Regeln eingerichtet: so ist sie eine wahrhafte Epopee, oder ein regelmäßiges Heldengedicht. Der berühmte de la Motte hat also nicht unrecht gehabt, wenn er von dem erstem Gedichte in einer gewissen Ode, geurtheilet: „Die Musen hätten es nur darum von den Fesseln der Reime befreyet, damit es desto genauer bey der Wahrheit bleiben konnte." Da uns nun B e n j . N e u k i r c h dasselbe, und Herr M . P a n t k e den Neoptolem in Verse gebracht: so wird man wenigstens im Deutschen diesen beyden schonen Werken den Namen der Gedichte nicht absprechen. Ich darf von dem Werthe dieser schonen Uebersetzung kein Zeugniß, und keinen Lobspruch hinzusetzen. Was gut ist, das lobet sich selbst am besten: und jeder Kenner einer reinen und fließenden, doch aber erhabenen und männlichen Poesie, wird dieses ohne mein Erinnern sehen, und dem Herrn Uebersetzer Dank dafür wissen. Geschrieben in Leipzig den 25 Julii 1749.

Vorrede zu Lob- und Trauerreden von Esprit Flechier 1749

D a ich die Ehre haben soll, diese Lobreden F l e s c h i e r s , so wie sie von einigen geschickten Gliedern der konigl. deutschen Gesellschaft zu Königsberg verdeutschet worden, mit einer Vorrede in die Welt zu begleiten: so habe ich nicht lange angestanden, wovon dieselbe handeln sollte. Dieser franzosische Tullius, hat seine Meisterstucke zwar ORAISONS FUNEBRES genennet: sie werden aber auch von seinen gelehrten Landsleuten, sehr oft LES PANEGYRIQUES DE FLECHIER geheißen. Wir Deutschen pflegen selbst die großem Lobreden PANEGYRICOS zu nennen: und hiebey fiel mirs ein, die Regeln solcher panegyrischen Reden zu untersuchen, und nach denselben, die Leichenreden des franzosischen Panegyristen zu prüfen; und zu zeigen, daß er dieselben vollkommen beobachtet habe. Weil ich in den freyen Künsten, seit mehr als fünf und zwanzig Jahren, die Regeln der alten Griechen und Romer allen Neuern vorgezogen, und unsern Landesleuten mündlich und schriftlich angepriesen habe: so war nichts natürlicher, als diese unsere sichersten Lehrmeister zu Rathe zu ziehen, und zu erwegen; was sie uns von den Lobreden für Vorschriften hinterlassen haben. Hier fiel mir nun zuförderst der große Geschichtschreiber und Kunstrichter Dionysius von H a l i k a r n a ß in die Hände, der in dem II.Theile seiner Werke, fast lauter rhetorische und kritische Schriften, hinterlassen hat. Seine sogenannte Texvr] sonderlich, enthalt lauter Regeln der Beredsamkeit: und man kann leicht denken, daß die Lobrede darinn das Hauptwerk ausmachen werden. Den Gelehrten, und Liebhabern des Alterthums sind dieselben zur Gnüge bekannt: ich schreibe aber hier für diejenigen, die lieber in neuern Sprachen das Gute der Alten wollen kennen lernen. Diese haben endlich wohl von

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A r i s t o t e l s Redekunst, von Demosthens Reden, und wenn es hoch kommt, auch von Longins Tractate vom Erhabenen hin und wieder etwas gefunden, und loben gehört: allein Dionysius von Halikarnaß, ist ihnen nicht so oft unter den Rednern, als unter den Geschichtschreibern vorgekommen; ja von vielen Lehrern der Redekunst vieleicht gar nicht genennet worden. Es ist also schon der Mühe werth, von den Verdiensten dieses Schriftstellers etwas zu handeln, und hernach Fleschiers Reden mit seinen Regeln zu vergleichen. Das lste Stuck, welches Dionysius zu seiner TE^VT], oder Redekunst rechnet, handelt J T E Q I TOOV jtaveyuQiKtüv; d.i. von den panegyrischen Reden. Zwar konnte man auch das vorhergehende Tractatchen J T E Q I ouvöeoew^ OvofxaTüJV, oder von der Zusammensetzung der Worter, ganz fuglich zur Beredsamkeit gerechnet haben. Denn da er dadurch nichts anders versteht, als was Quintilian die C O M P O S I T I O NEM, oder die geschickte Verbindung der Worte und Redensarten, in ganzen wohlklingenden Perioden nennet: so sieht man wohl, daß er hier die Anfangsgründe der guten Schreibart habe abhandeln wollen"'. Allein man sieht gar leicht, daß Dionysius die Lehre von der Schreibart mit Fleiß von der Redekunst abgesondert habe: als welche von allen übrigen Schriftstellern auch gebrauchet wird; und doch noch lange keinen Redner ausmachte. Die Beredsamkeit nämlich beschäftiget sich mehr mit Sachen, als mit Worten; dahingegen die Sprachlehre und Philologie sich mehr mit den Worten zu schaffen machen. Ich übergehe also auch billig diese vorlaufige Abhandlung des Dionysius. Denn was würde dieselbe zu meiner Absicht, den Fleschier zu beEr erklärt nämlich das Werk seiner öDV0eaea)g so: Eoöe öe xr)c auvÖEOEGJC; egya, O I K E I O K ; öeivai xaxe ovojxaxu Jiao' a/.Xr|Xa, Kai xaig KtoXoig a n o ö o u v a i , XTJV jigoor]Kouaav äo|ioviav, Kai xaic; jteQitoöoig 6iaXaßeiv avT0v oXov xov /.oyov. Hier sieht man ausdrucklich, daß er zeigen will, wie aus Wortern Kola, aus diesen Perioden, und aus diesen endlich eine Rede entstehen müsse.

Vorrede zu 'Lob- und

Trauerreden'

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urtheilen, beytragen können? der zwar auch seine Sprache sehr wohl verstanden, und die Schreibart vollkommen in seiner Gewalt gehabt; aber als ein Lobredner noch viel andre Eigenschaften hat besitzen müssen, wenn er allen seinen Landesleuten den Preis der Beredsamkeit hat rauben wollen. Das erste Hauptstück des Dionysius handelt also von den p a n e g y r i s c h e n R e d e n . Ohne Zweifel werden hierbey viele denken, das sey gerade dasjenige, was wir hier suchen. Allein man irret sich gewissermaßen. P a n e g y r i s hieß bey den Griechen ein gewisses großes Fest, welches zu Athen, nach Herodots Berichte, alle fünf Jahre gehalten ward, und wobey zur Belustigung des Volkes, allerley Spiele angestellet wurden. Es hatte seinen Namen von Jtav und ayeiQEiv, wie G o k l e n i u s will; weil sich daselbst alles v e r s a m m l e t e . Eigentlich hieß also riaveYVQis eine jede große Versammlung des Volkes, auch wo keine Reden gehalten werden sollten. Daher beschreibt eben Dionysius von Halikarnaß dieselbe, gleich im Anfange dieser Schrift: als e i n e E r f i n d u n g und G a b e der G o t t e r , z u r E r q u i c k u n g des L e b e n s ; welche dieselben, wie P l a t o sagt, aus Mitleiden gegen das arbeitsame menschliche Geschlecht, geschenket hätten*. O b nun wohl die Reden an sich selbst kein wesentliches Stück solcher panegyrischen Zusammenkünfte des Volkes waren: so wurden doch freylich bey solchen Gelegenheiten auch vielmals dergleichen gehalten. Denn was konnte bequemer für einen republikanischen Staat seyn, als eine solche allgemeine Versammlung der Einwohner, aus allen Städten und Flecken; wenn man ihnen viele wichtige Dinge vorzutragen hatte, die auf das Beste ihres Staates abzieleten. Die ersten panegyrischen Reden nämlich, sind sonder Zweifel nciv£-/\!Qig EuoT]|ia |jxv Kai öcüqov 6ea)v eig avanavoiv tiuv jtedi tov ßiov nei^ovoav jiaQaöiöonevT), a»g jtoi> 6 rO.aTOiv cpr|oiv, oikteqqvtojv xü)v 8ea)v to avBgwjteiov emjioiov yevo;.

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politische Reden, d.i. Berathschlagungen von Krieg und Frieden, Anmahnungen zur Einigkeit, Wachsamkeit, und Tapferkeit, gegen einen gemeinen Feind, u . d . m . gewesen. So finden wir, daß diejenige panegyrische Rede, die I s o k r a t e s gemacht hat, vom Quintilian, unter die a n m a h n e n d e n , oder überredenden (suasorias) gezahlt wird: ob sie gleich, den Schein einer Lobrede auf die Athenienser hat. Isokrates selbst, sagt in einer andern Rede (jteqi avxiöcooeojg): er habe diese seine Hauptrede zu der Zeit geschrieben, als die Lacedámonier fast Herren von Griechenland, die Athenienser aber schwach gewesen. Er habe daher die Griechen ermahnet, unter einander einig zu seyn, und wieder die Barbarn Krieg zu führen; auch den Persern nachzueifern, um ihnen das Heft aus den Händen zu winden. Um nun den Atheniensern Muth dazu zu machen, zeigte er ihnen, daß alles Gute in Griechenland von ihnen, den Atheniensern, herrühre. Dieses darzuthun, beweist er, Athen habe sich in Kriegesthaten eben soviel L o b erworben, als in andern Stücken: und hier erzahlt er alle ihre Thaten und Siege; so daß die Rede dadurch in ihrem ersten Theile, das Ansehen einer Lobrede bekommen hat. Dadurch ist es nun geschehen, daß dieser sogenannte Panegyricus, nicht nur unter den übrigen Reden des Isokrates, sondern unter aller griechischen Redner Stücken, für das vollkommenste Meisterstück gehalten worden: so gar, daß viele andre Redner, welche vorher eben die Materie abgehandelt hatten, aus Scham ihre Arbeiten verbrannt und vertilget; nach ihm aber kein einziger mehr das Herz gehabt, von dieser Sache etwas auszuarbeiten. Vieleicht aber hat eben diese Rede gemacht, daß nach der Zeit die Lobreden, in solchen Versammlungen des Volkes, gewöhnlicher geworden. Der große Ruhm, den sich Isokrates dadurch erworben, hat gar leicht die andern Redner bewegen können, seinem Beyspiele zu folgen, und sich, wo nicht eben soviel Ehre, doch gewiß einige Gunst bey ihren

Vorrede zu 'Lob- und

Trauerreden'

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Mitbürgern zu erwerben. D e n n was höret ein Mensch lieber, als sein L o b ? oder was gefallt auch dem geringsten im V o l k e besser, als wenn man sein Vaterland, oder seine Geburtsstadt vor andern erhebt? Auch der elendeste bildet sich alsdann ein, daß dieses L o b auch ihm zugehore: o b er gleich gewiß weis, und bey sich fühlet, daß er zu dieser Vortrefflichkeit seines Landes, oder seiner Vaterstadt nicht das geringste beygetragen hat. E r schmauchelt sich nämlich, daß ein Theil dieser allgemeinen Ehre auch auf ihn fallen; und daß er selbst in den Augen der Menschen etwas ansehnlicher werden wird, wenn er nur aus einem so gepriesenen O r t e entsprossen ist, oder gar darinnen gebohren und erzogen worden. Eben daher kann es gekommen seyn, daß auch bey den R o m e r n mit d e r Z e i t der N a m e n P a n e g y r i c u s , insbesondre den Lobreden eigen geworden ist. Plinius hat seine L o b rede auf den K a i s e r T r a j a n , schlechtweg also genennet: und seinem Beyspiele sind unzahliche neuere gefolget; gerade, als ob Panegyricus nichts anders, als eine Lobrede seyn und heißen konnte. So gehen oft die wahren Bedeutungen der Worter, durch zufällige Ursachen, ganzlich verlohren: und es führen sich andre ein, die ganz und gar keine Verwandtschaft damit haben. D e n n daß zu des Isokrates Zeiten, bey dem W o r t e Panegyris, noch gar nicht ans Reden, oder Loben gedacht worden; erhellet selbst aus dem Eingange seines A o y o v JtavEyuQiKOU. E r beschwert sich darinnen ausdrücklich, daß diejenigen, welche zuerst diese Kampfspiele angestellet hatten, nur alle Absichten auf die Leibesübungen gerichtet, an die Uebungen des Verstandes und Geistes aber gar nicht gedacht hatten. D o c h Dionysius von Halikarnaß hat noch vor dem Plinius gelebet, und also die wahre Bedeutung dieses W o r t e s noch nicht verlohren gehabt. Seine Regeln von panegyrischen Reden gehen auch also nicht ganzlich auf das L o b großer H e r r e n , oder berühmter Leute; sondern hauptsach22

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lieh auf das Lob der Städte, w o solche Versammlungen gehalten werden. Er denkt ausdrücklich der Kampfer, die um den Preis der Starke und Geschicklichkeit; und der Tonkünstler, die um den Vorzug in der Kunst der Seytenspiele gestritten. Doch gebeut er seinem Echekrates zugleich, wie derjenige sich verhalten solle, der solche Zusammenkünfte durch seine Beredsamkeit zieren wolle: zu einem deutlichen Beweise, daß es zu seiner Zeit schon gewohnlich gewesen, daß Redner sich dabey haben hören lassen. „Wohlan denn, heißt es, Echekrates, laßt uns, als Wegweiser einer bisher nicht sehr betretenen Bahn, dasjenige erklaren, was von den Vätern unsrer Weisheit auf uns fortgepflanzet worden; sie aber, und ihre Vorganger vom Merkur und den Musen empfangen haben; nicht anders wie jener askraische Schafer, von diesen auf dem Helikon die Dichtkunst empfangen hat." Unter seinen Regeln nun steht diejenige obenan, daß man mit dem Lobe desjenigen Gottes, den Anfang machen solle, dem zu Ehren die Versammlung angestellet worden: als welches der Rede ein prachtiges Ansehen geben würde. Er zeigt dabey, wie man sowohl den Jupiter, Apollo, Herkules, als sonst einen jeden Gott loben solle; nach dem man entweder in den olympischen, pythischen, oder nemaischen Spielen auftreten wolle. Doch will er, daß man sich dabey nicht lange aufhalten solle; um desto eher zu dem Lobe derjenigen Stadt zu kommen, bey welcher solche Versammlung angestellet worden. Er schreibt vor, daß man dieselbe 1) wegen ihrer Lage, 2) wegen ihres Ursprunges, rühmen solle, den sie entweder von einem Gotte, oder Helden bekommen habe. Er will auch, man solle von derselben beybringen, was sie sowohl im Kriege als im Frieden, merkwürdiges gethan habe. Ist sie groß, so solle man ihre Große; w o aber nicht, doch ihre Schönheit, Macht und ihren Reichthum loben, der sie den großesten gleich gemacht hätte. Nun befiehlt er auf ihre Tempel, Gebäude, und deren Pracht

Vorrede zu 'Lob- und

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zu k o m m e n : wie denn Herodotus die Hauser zu B a b y l o n dergestalt gerühmet, da er gemeldet; daß sie fünf bis sechs Stockwerke hoch gewesen. Man soll ferner der Flüsse, ihrer G r o ß e , Reinigkeit und Gesundheit gedenken; ja auch die bekannten Fabeln nicht vorbey gehen, die irgend von mancher Stadt, erzahlet würden, um die Rede dadurch anmuthiger zu machen. N a c h dem L o b e der Stadt, solle man auf die Kampf spiele selbst k o m m e n , ihren Ursprung erzählen, ihre Einrichtung und Ursachen erklaren, auch die Fabeln nicht übergehen, die davon irgend im Schwange giengen. Man solle diese Spiele mit andern dergleichen Kämpfen vergleichen, und die Jahreszeit in Betrachtung ziehen, darinn sie gehalten würden. Würden sie im Frühlinge gehalten: so wäre dieses die gemäßigte Witterung, zwischen H i t z e und Kälte; wäre es im Sommer, so 2C. Wären es Ringer= oder Fechterspiele und musikalische zugleich: so konnte man sagen, sie wären ganz vollkommen. Wären es aber jene allein, so könne man sprechen: man hätte nur die männlichen Uebungen behalten, die gar zu weichlichen und verzärtelnden aber nicht einführen mögen. Ferner solle man noch auf die Kränze k o m men, die den Siegern ausgetheilet würden; und bey Gelegenheit des Lorberkranzes, ja des Apollo und der Daphne nicht vergessen, u . d . g . Das L o b des Koniges endlich solle gleichsam den höchsten Gipfel der ganzen Rede ausmachen, der gleichsam aller Kämpfe Vorsteher und Richter wäre. W e n n man aber nichts älters und bessers wüßte, sollte man den T r i e b zur E h r e , der den Griechen, von alters her, eigen gewesen, herausstreichen. D i e Regeln von der Schreibart machen den Schluß. So lauten nun die Regeln und Kunstgriffe, die D i o n y s i u s von Halikarnaß den panegyrischen Reden vorgeschrieben hat; und der verständige Leser wird leichtlich sehen, was davon zu halten sey. Was die vernünftigsten Kunstrichter von der Schreibart dieses Schriftstellers geurtheilet 22=

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haben, daß sie nämlich hart, schwülstig und gezwungen, und weit von der alten attischen Schönheit eines Isokrates und Demosthenes entfernet sey; das kann man überhaupt von seinem ganzen Geschmacke sagen. Seine ganze rhetorische Einsicht ist nicht sonderlich, und mit demjenigen gar nicht zu vergleichen, was wir im Aristoteles davon finden. Die Gelehrsamkeit der Griechen, war um des Dionysius Zeiten, zumal in den schonen Wissenschaften, schon sehr in Abnahme gerathen. Daher war denn auch sein Geschmack in der Beredsamkeit nicht sonderlich fein. Ich will mich etwas deutlicher erklaren. Fürs erste lehrt er seinen Schüler Echekrates, eine Rede, ohne ein Thema machen; und sie dagegen aus vielerley Stücken zusammen flicken; die endlich wohl einander verwandt, aber doch nicht ganz einstimmig sind. Er lehrt ihn in dem Lobe der Städte, der Spiele, und der Personen, auf viel Nebendinge verfallen, die eigentlich nur Scheingründe abgeben; und die Aristoteles unter die sophistischen Beweise gerechnet hat. Er lehrt ihn endlich eine Rede ohne eine ernsthafte Absicht, sondern bloß zur Lust, und zum Zeitvertreibe halten: ganz anders, als Isokrates vor seiner Zeit, in einer solchen Versammlung geredet hatte. Dieser hatte, als ein guter Patriot, das Heil von Athen, und die Ehre von ganz Griechenland zur Absicht: und wenn er ja seinen Mitbürgern, durch das Lob ihrer Vorfahren ein wenig schmauchelte; so that er es nur, sie desto muthiger zu machen, in ihre Fußtapfen zu treten, und das Joch der Lacedamonier und Perser vom Halse zu werfen. D i o n y s i u s aber, will nur einen angenehmen Schwatzer unterrichten, wie er die Ohren seiner Zuhörer kützeln solle, ohne den geringsten ernsthaften Zweck seiner Rede vor Augen zu haben. Wenn also jener ein Freund und Meister der wahren Beredsamkeit gewesen; so verdient dieser billig zur Zahl der Sophisten und Plauderer gerechnet zu werden, welche bald hernach Lucian in seinem rPr|0a>Q(i)V öiöaoKa^og so sinnreich durchgezogen hat.

Vorrede zu 'Lob- und

Trauerreden'

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Nicht besser werden wir die Regeln unsers Redekünstlers befinden, wenn wir zu dem zweyten Hauptstücke, v o n d e n H o c h z e i t r e d e n , fortschreiten wollen. Er schreibt dieses an einen Freund, der ihn zur Hochzeit gebethen hatte; entschuldiget sich, daß er ausgeblieben, ob er ihm gleich sehr zugethan wäre; schicket ihm aber, anstatt eines Hochzeitgeschenkes, diese Vorschriften, wie man bey Hochzeiten reden solle, und zu reden pflege: es sey nun, daß er solche für sich behalten, oder jemanden andern abtreten wolle. Man sieht aus dem folgenden, daß dieser Freund sein vormaliger Lehrling in der Redekunst gewesen sey, und sich in der Ausarbeitung von allerley Reden geübet habe. Unter denen Materien, die man seiner Meynung nach, bey Hochzeiten am fleißigsten auszuführen pflege, nennet er zuförderst diese Frage: Ob man ein Weib nehmen solle? Er beantwortet dieselbe zwar billig mit ja; allein seine Ursachen klingen besonders. Denn erstlich berufft er sich auf die Gotter, darunter Jupiter und Juno einander geheirathet hatten. Ein trefflicher Beweis! Denn mit diesem Beyspiele konnte er auch zeigen, daß ein Bruder seine Schwester heirathen; ein Mann seiner Frau untreu seyn u . d . m . thun könne. Er meynt deswegen, weil Jupiter geheirathet hätte, würde er a l l e r V a t e r , Juno aber J u g a genennet; weil sie die Frau mit dem Manne verbände. Ein vortrefflicher Grund! der aus dem Beynamen hergeleitet wird. Er berufet sich auch auf die andern Gotter, die vermahlet gewesen: vergißt aber, daß auch so viele, als Mars, Apollo, Mercur, Minerva, Diana, Bellona u . a . m . unverheirathet geblieben. Der andre Beweis ist etwas besser, da er sich auf die Absichten der Natur beruffet: deren ganze Absicht es sey, zeugen, empfangen und gebahren; wie alleThiere und Pflanzen solches wiesen. Allein was kann man nicht dagegen einwenden? Leben denn deswegen alleThiere und Pflanzen in der Ehe? Und kann die Erzeugung der Leibesfrüchte nicht auch außer derselben geschehen? Er gesteht solches

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gleich darauf selbst; und meynt, der Mensch habe, sich von den Thieren zu unterscheiden, den Ehestand erfunden; um sich auch gleichsam in den Seinigen bis auf die Nachwelt fortzupflanzen. Allein ob dieses demjenigen, der zum Heirathen keine Lust hat, seine Pflicht dazu darthun werde, überlasse ich einem jeden zu bedenken. Es ist wahr, daß die folgenden Gründe noch etwas besser lauten: aber aus den angeführten sieht man wohl, daß die Spuren, der unter den Griechen sehr verfallenen Beredsamkeit, hier nur gar zu deutlich in die Augen fallen. Er mischet nämlich gegen das Ende wiederum alles durch einander; so daß ein Redner, der ihm folgen, und alles in einer Hochzeitrede anbringen wollte, eher ein Quodlibet, als eine gescheide Rede verfertigen würde. Wenigstens hat er die güldene Regel des Flaccus nicht vor Augen gehabt, die ein Redner ja so wohl, als ein Dichter vor Augen haben soll: D E N I Q U E SIT QUODVIS, SIMPLEX DUNTAXAT ET U N U M .

Noch deutlicher erhellet der üble Geschmack unsers Dionysius in der Beredsamkeit, in dem folgenden Illten Abschnitte von den Geburtstagsreden; den er Meöooöov reveöXiaiccov genennet hat. Diese Art von Reden ist zwar bey uns nicht gewohnlich, es müßte denn an Geburtstagen großer Prinzen seyn: damals aber muß man wohl öfter dergleichen gehalten haben. Dazu gehörten nun Anweisungen, und die sind hier so schon, als möglich ist, an die Hand gegeben. Zuforderst gebeut unser Dionysius auf den merkwürdigen Tag Acht zu geben, an welchem jemand gebohren worden. Ware es der erste Tag des Monates; so wäre es eine glückliche Vorbedeutung, weil vom Anfange alles übrige abhienge. Ein herrlicher Schluß! Gerade, als ob nicht auch das Unglück einen Anfang hatte; und niemand unglücklich werden konnte, der am ersten Tage des Monats gebohren worden. Ware es aber der sechste, oder siebente Tag des Monats: so solle man sagen, diese Tage waren den Gottern

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Trauerreden'

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geweihet; und die K i n d e r stünden also in einer gewissen G e m e i n s c h a f t mit ihnen. V o n dem 9ten T a g e k ö n n e man sagen, er sey der S o n n e n g e w i d m e t ; und derjenige, w ü r d e sehr prächtig und b e r ü h m t w e r d e n , der daran zur W e l t g e k o m m e n w ä r e : ja wie die S o n n e ihrer N a t u r nach w o h l thätig wäre, so w ü r d e es das K i n d auch s e y n . Es ist w o h l nicht n o t h i g , die U n g e r e i m t h e i t dieser Schlüsse zu zeigen: die gewiß auch mittelmäßigen K ö p f e n , auf allen Seiten in die Augen fällt. W ä r e es endlich der 1 5 t e T a g , so wäre dieser der M i n e r v a heilig, und insgemein wäre daran der V o l l m o n d , (nach damaligem griechischen C a l e n d e r ) : folglich würde es auch dem N e u g e b o h r n e n an keinem Stücke was fehlen. Unvergleichlich geschlossen! K a n n man sich nun n o c h w o h l w u n d e r n , daß die griechischen S c h w ä t z e r in R o m so sehr in V e r a c h t u n g gerathen, daß fast alle P o e t e n über die GRAECULOS ihren Spott getrieben h a b e n ? N a c h den Tagen lehret unser D i o n y s i u s seinen Schüler auch auf die J a h r e s z e i t sehen, darinn das K i n d z u r W e l t g e k o m m e n . H i e r soll man aus dem W i n t e r die T a p f e r k e i t , aus dem Frühlinge die S c h ö n h e i t und das gute A n s e h e n , aus dem S o m m e r die F e l d f r ü c h t e p r o p h e z e i h e n , u . s . w . M a n soll auch beyläufig erzählen, was zu dieser, oder jener Zeit sich sonst zugetragen h a b e , da dieses o d e r jenes K i n d g e b o h ren w o r d e n : gerade, als o b dieses dasselbe etwas angienge. N u n k o m m t er auf die O e r t e r . D e n n ist A s i e n , E u r o p a oder A f r i c a ; ist G r i e c h e n l a n d , oder ein barbarisches Land sein Vaterland: so soll der R e d n e r daher das L o b n e h m e n , was sich von demselben sagen läßt, o b es tapfer, weise, oder witzig sey, u . s . w . E b e n so ist es mit den Städten. Ist das K i n d aus der H a u p t s t a d t gebürtig, oder s o n s t , aus einer g r o ß e n , sinnreichen, ansehnlichen Stadt, o d e r ist darinn einmal was M e r k w ü r d i g e s g e s c h e h e n : so soll der R e d n e r sich das zu N u t z e m a c h e n : so wie etwa n o c h heute zu T a g e , m a n c h e L e i c h e n r e d n e r alle b e r ü h m t e L e u t e , die ein Städtchen hervorgebracht hat, z u s a m m e n raffen, wenn sie einem

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ihrer Mitbürger eine Lobrede halten wollen. Man kann leicht denken, daß er auch das Geschlecht des Neugebohrnen nicht vergessen haben wird. Hier soll man, Aeltern und Großältern, und alles was von ihnen gutes zu haben ist, beybringen; gerade als ob es so ausgemacht wäre, daß keine Kinder aus der Art schlügen. Und nun kommt er denn erst auf die guten Eigenschaften des Kindes selbst, oder auch wohl des Erwachsenen, dessen Geburtstag man begehen will. Dieses sollte man nun wohl vor allen Dingen gleich von Anfange gethan haben: allein so, wie es Dionysius machen lehret, würde es doch nicht viel helfen. Denn was soll man von ihm loben? Ist er groß von Leibe, so soll man ihn mit dem A j a x ; ist er schon und stark, mit dem Achilles vergleichen: gerade als ob die gute Gestalt unter die Eigenschaften gehörte, die in des Menschen Willkühr stünden; und als ob man berechtiget wäre, denjenigen zu verachten, der sie nicht besäße. Das übrige Lob soll auch auf lauter Vergleichungen mit dem Nestor, Themistokles, Aristides, und Phocion, ankommen: ja wenn einer auch klein wäre; so soll man ihn mit dem Tydeus und Tonon vergleichen. In Wahrheit lauter vortreffliche Künste eines sophistischen Redners; der von allem alles zu sagen, und den elendesten Menschen zu loben im Stande ist. Man wird ohne mein Erinnern bemerket haben, daß diese letzte Anweisung zu den Geburtstagsreden, eigentlich auf lauter Lobreden hinauslief, die wir Panegyricos zu nennen pflegen. Hat uns nun der gute Dionysius nichts bessers dazu an die Hand zu geben gewußt: wie schlecht hat es denn um seine Wissenschaft, in diesem Theile der Redekunst ausgesehen? Nun sollte ich zwar noch die Anweisung zu den Brautnachtsreden, oder die beym Hochzeitbette gehalten werden können, auch anführen und beurtheilen. So muß ich nämlich diejenige Art, die er Meöwöov Ejti6aA,antü)v nennet, auf deutsch nennen; und dergleichen Reden müssen wohl

Vorrede zu 'Lob- und

Trauerreden'

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zu seiner Zeit gewohnlich gewesen seyn. Er unterscheidet sie aber von der obigen Hochzeitrede nur der Zeit nach, und daß sie beym Brautbette anstatt des Hochzeitliedes gesungen, oder gehalten wurde. Er sagt auch ausdrücklich, daß man den Eingang so machen könne: Andre pflegten zwar den H Y M E N A E U M ZU singen; wir aber wollen an dessen statt eine Rede halten, die nicht mit Pfeifen und Cithern, sondern mit dem Lobe und den Ehrengesängen der Neuvermählten erfüllet ist. Wenn er aber angiebt, wie man diese Personen loben soll: so befiehlt er ihr Geschlecht, ihre Erziehung, die Schönheit ihrer Leiber, ihr Alter, ihren Reichthum, und ihre Aemter und Bemühungen zu rühmen. Sieht dieses nicht allen obigen Vorschriften so ähnlich, als ein Ey dem andern, so muß ich mich sehr irren: und ich erspare also billig dem verstandigen Leser das übrige, was eigentlich zu meiner Absicht nicht gehöret. Nur der Meöoöog Ejutacpicov, oder die Anweisung zu Leichenreden ist noch übrig: und diese scheint noch eigentlicher, als alles vorhergehende zu des Bischofs Fleschier Reden zu gehören, da selbige gleichfalls solche Lobreden sind, die allererst nach dem Tode dererjenigen gehalten worden, die er gepriesen hat. Allein die Weitläufigkeit zu vermeiden, will ich mich dabey nicht aufhalten, und nur soviel daraus anführen, daß die Quellen des Lobes, die er bey den Leichenreden einzelner Personen angegeben hat, nichts besser, als die obigen klingen*. Man soll nämlich abermal ihr Vaterland, Geschlecht, ihre Natur, Auferziehung, und ihr Verhalten loben: worunter zwar dieß einzige letztere gut; aber alles erstere nicht weit her ist. Von dem Vaterlande soll man sagen, daß es groß, berühmt, und alt sey, u . s . w . wie denn Plato wegen Attica berühmt worden. Wenn if

Es heißt: Ei öe touto, ötjXov jiou (bg Kai cwio tcov outwv tojtcüv Xt^-tteov acp cuvjieq icai xa evkü)(Uci jraxoiöoc, yrvong, cpuaewg, ayüjYT15, ^Qa^Etug, k.T.X.

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es aber klein wäre, solle man sagen, daß es durch die Tugend seines Stadt* oder Landeskindes berühmt geworden, u . d . m . Doch was halte ich mich bey dergleichen schlechten Kunstgriffen auf, die darum nichts besser werden, weil sie in einem Alten, und zwar noch dazu, in einem Griechen stehen? Wir sehen daraus so viel, daß auch in dem klugen Griechenlande, die schone Zeit der Wissenschaften, bald nach Alexanders Zeiten sehr verschwunden sey, und daß Tandeleyen, falsche Schlüsse und Spielwerke, die Stelle des alten Ernstes, der gesunden Vernunft, und des richtigen Witzes, eingenommen haben. Schade! daß zu des Dionysius Zeiten, nicht auch schon alle Tage im Jahre, einen gewissen Namen im Calender geführet haben! ohne Zweifel würde er uns auch die Regel gegeben haben, einen Lebenden wegen des schonen Namens eines solchen Tages, an dem er gebohren worden; einen Todten aber wegen des Namens, an dessen Tage er gestorben wäre, zu loben. Ich wundre mich auch sehr, daß er die Lobredner nicht auf die Bedeutungen und Etymologien der Namen seiner Helden verwiesen hat. Indessen überlasse ich nunmehr allen vernünftigen Lesern das Urtheil, ob D i o n y s i u s v o n H a l i k a r n a ß , den ich übrigens, wegen seiner romischen Alterthümer, in allen Würden lasse, diejenigen Lobsprüche verdiene, die ihm von vielen großen Kunstrichtern und Kennern der Alten so freygebig beygeleget worden. So sagt z. E. G e r . J o h . Voßius*''': Er sey nicht nur ein guter Geschichtschreiber; sondern auch ein g u t e r R e d e k ü n s t l e r ; C a s a u b o n * * aber treibt es noch hoher, indem er ihn einen ganz v o r t r e f f l i c h e n R e d e k ü n s t l e r u n d K u n s t r i c h t e r nennet. Hat aber

D E H I S T . G R A E C . L . I . p. 1 7 1 . N E C B O N U S TANTUM H I S T O R I C U S SED ETI AM

I S A A C . C A S A U B . C O M M . AD P O L Y B . V O L . I I I . p. 9 4 . D I O N Y S I U S CARNASSEUS

FUIT,

RHETOR. VIR

ILLE

EXCELLENTISSIMUS, & C .

QUIDEM &C.

DOCTISSIMUS,

AC

RHETOR

HALI-

CRITICUS

Vorrede zu 'Lob- und

Trauerreden'

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D i o n y s i u s , unter Augusts Regierung, auf die zwanzig Jahre in Rom gelebt, wo gewiß die Ciceronische Beredsamkeit noch weder vergessen, noch erloschen war: so ist es ihm eine desto größere Schande, daß er bey seinen Sophistereyen geblieben, die dem damaligen verderbten Geschmacke seines Vaterlandes gemäß waren; den trefflichen Regeln und Exempeln seiner großen Vorfahren aber gar nicht gleich kamen. Derjenige Redner, den Frankreich im vorigen Jahrhunderte an dem berühmten Fleschier hervorgebracht hat, und den die Königl. deutsche Gesellschaft hier zum erstenmale deutsch liefert, ist unstreitig von ganz andrer Art. Ich darf itzo von seiner Person, und von seinem Charakter nicht handeln, da dieses in der am Ende dieser Reden beygefügten Lebensbeschreibung, zur Gnüge geschehen ist. Ich will nur soviel sagen: daß seine Werke ihrem Meister, dem Geschmacke seiner Zeiten, und seinem Vaterlande Ehre machen. So wenig man überhaupt alles loben und bewundern kann, was Frankreich, zumal im itzigen Jahrhunderte, hervorbringet; so aufrichtig muß man es doch gestehen, daß Fleschier einer von den größesten Geistern gewesen, den es in seinem Schooße genähret hat. Sein Verstand war von Natur fähig, und durch das Studiren beyzeiten aufgekläret. Sein Witz war groß und feurig; seine Einbildungskraft glücklich, und doch richtig. Seine Vernunft sah alles in dem wahren Lichte ein, welches ihm die Wissenschaften angestecket, und eine sattsame Erfahrung und Kenntniß der Welt gestärket hatten. Sein redliches und tugendliebendes Herz aber, erlaubte ihm nicht, alle die obigen Gaben des Gemüthes, als ein niederträchtiger Schmäuchler, zum Dienste der Eitelkeit zu misbrauchen. Er lobte zwar, auf Begehren der Großen und des Hofes, Königinnen, Helden, Staatsleute, Prinzen und Prinzeßinnen: aber er lobte nur solche, die sich durch ihre große Eigenschaften, Tugenden und Thaten einen allgemei-

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nen Beyfall erworben, ja die Bewunderung von ganz Frankreich zuwegegebracht hatten. Er war viel zu gewissenhaft, als daß ihm bloß die Hoffnung, oder Verheißung großer Belohnung, hatte die Feder in die Hand bringen sollen. Nur ganz unstreitige Verdienste konnten ihn bewegen, ihnen gleichsam, als ein Herold der Wahrheit und Tugend, ein öffentliches Zeugniß zu geben. So war es mit der Wahl der Personen beschaffen, die er loben sollte: aber noch weit sorgfaltiger gieng er mit der Wahl derjenigen Sachen um, die er von ihnen rühmen wollte. Die meisten Redner versehen es hierinnen; und lassen sich entweder durch solche schlechte Regeln, als oben D i o n y s i u s vorgeschrieben, und von vielen Neuern fleißig nachgebethet worden; oder durch den Strom böser Exempel, dahin reißen, daß sie auch von den lobwürdigsten Mannern und größten Leuten, elendes und schlechtes Zeug sagen. Bey dem großesten Reichthume merkwürdiger Sachen und Thaten, stellen sie sich so arm an, als ob sie nichts gründliches zu sagen hatten, und nothwendig zu den abgedroschenen Hülsen von dem Vaterlande, Geschlechte, Namen, Geburtsorte, Vorfahren, Todestage, u . s . w . ihre Zuflucht nehmen müßten. F l e s c h i e r aber war viel zu erleuchtet, als das er aus dergleichen seichten Quellen hatte schöpfen sollen. Er verwirft sie öfters stillschweigend, indem er sie übergeht, und an ihrer Stelle was bessers saget; oft auch ausdrücklich, indem, er darthut, daß er ihrer nicht nöthig habe, und die an sich selbst schonen Bilder seiner Helden durch diesen glänzenden Firniß nicht beschimpfen wolle. Alle Menschen, haben gleich andern unvollkommenen Dingen, eine gute und eine bose Seite: und hier zeiget sich hauptsachlich die Klugheit eines Redners, daß er zu ihrem Lobe dasjenige suchen, und finden, und recht vorstellen könne, was ihnen zu einem wirklichen Lobe gereichen kann. Wie viele Lobredner fehlen hier nicht! Sie bemerken an ihren Helden entweder nur das allergemeinste, was dieselben mit

Vorrede zu 'Lob- und

Trauerreden'

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unzählichen andern gemein haben; oder doch nur das, was allen Menschen eben so gut in die Augen fallt, als ihnen; und wohl gar nicht einmal auf ihre Willkühr angekommen ist. Dahin rechne ich die äußerlichen Gaben der Bildung, Gestalt, Farbe, Große und Starke des Leibes, wie auch das äußerliche Glück, Geschlecht, und Ehransehen, das gewisse Personen, wegen ihrer Geburt schon, haben. Aber was ihren Helden und Heldinnen wirklich großes, edles und lobwürdiges eigen gewesen, das sehen und bemerken sie nicht. Daher kommen aber auch soviele magere und kalte Lobreden, von denen man wie von den Dichtern, mit dem Rachel sagen mochte: Die nichts, denn Worte nur, zu Markte können tragen, Zur Hochzeit faulen Scherz, bey Leichen, lauter Klagen, Bey Herren, eiteln Ruhm, dran keiner Weisheit Spur, Kein Salz noch Eßig ist, als bloß der Fuchsschwanz nur. Unser F1 e s c h i e r hatte viel zu große Einsicht in die wahre Würde der menschlichen N a t u r , und die Hoheit eines edlen Geistes, der sich durch die Erfüllung seiner Pflichten in der Welt, um die Glückseligkeit andrer Menschen, um die Wohlfahrt des Staats, und den Vortheil des Landesherrn verdient macht, sich selbst aber zu einer seligen Ewigkeit vorbereitet: als daß er sich bey Kleinigkeiten hätte aufhalten sollen. Er dringet also mit seinen Betrachtungen in das innerste der menschlichen Herzen. Keine äußerliche Schminke der Verstellung blendet ihn: er sieht auf die geheimen Treibfedern und Bewegungsgründe ihrer Handlungen. W o diese unlauter sind, da achtet er auch die scheinbarste That eines vermeynten Heiligen nicht lobwürdig. Er übergeht sie entweder gar, oder zahlet sie zur Zahl der Schwachheiten, die man mit den Mantel der Christlichen Liebe bedecken müßte. Da ich hier der christlichen Liebe gedenke, so muß ich einen trefflichen Vorzug und Vortheil unsers Lobredners nicht vergessen, den er eben von der Religion hergenommen

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und entlehnet hat. Ich habe nämlich bemerkt, wenn ich den Quellen sovieler erhabenen Gedanken und Ausdrückungen bey ihm nachgespüret, daß er die meisten davon in den Schätzen der Offenbarung und des Christenthums gefunden hat. Als ein Geistlicher und Bischof hatte er das Recht, ja gleichsam die Pflicht, Gedanken und Worte aus der Schrift zu borgen. Er that es also fleißig; aber mit solchem Verstände, mit so kluger Wahl, und mit so feiner Geschicklichkeit, daß seine Reden unendlich viel Schönheit und Starke dadurch gewannen. Er hebet sich auch niemals glücklicher, als mit den Flügeln der Cherubim, wenn ich so reden darf. Sein rednerisches Feuer lodert niemals heller auf, als wenn es sich auf den Altären des Heiligthums entzündet hat; und seine Ausdrückungen werden niemals rührender, als wenn sie derjenige Geist beseelet, der vormals durch die Propheten geredet hat. Die Ewigkeit sonderlich, füllet oft seine Begriffe mit so erhabenen Bildern, und sein Herz mit solchen lebhaften Empfindungen und Trieben an, die das Heil von Athen und Rom, weder einem Demosthenes, noch einem Tullius hatte verschaffen können. Diese Quellen nun, haben sonder=Zweifel, die Reden unsers F l e s c h i e r s s o erhaben, so rührend und eindringend gemacht, daß es ihm alle weltliche Franzosische Redner seiner und nachfolgender Zeiten niemals haben gleich thun können. Auch unsre Landesleute werden es ihm darinnen meines Erachtens, niemals gleich thun; dafern sie es nicht wagen werden, bey Gelegenheiten, wo es sich thun laßt, aus eben den Quellen zu schöpfen. Allein dieses mit gutem Erfolge zu thun, müssen sie auch eben die Urtheilskraft, eben die Geschicklichkeit brauchen, womit er es gethan hat. W o kann man solches aber mit besserm Grunde thun, als in Leichenreden? Sarg und Baare, Gruft und Tod, Moder und Verwesung, und die ungleichen Schicksale einer unendlichen Ewigkeit; der Thron eines strengen Richters, vor den man treten soll; der Mangel eigener Verdienste und Gerechtig-

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keit; und eine Menge von Fehlern und Schulden, die einen Erblaßten dahin begleiten; das sind ja zweifelsfrey Dinge, die auch einem Redner, der kein geweihtes A m t führet, entschuldigen können w a n n er einige Schritte in das heilige Gebiethe der Religion wagen w i l l : wenn er nur Klugheit genug besitzet, solches mit der gehörigen Art, und ohne eine postillenhafte Geschwätzigkeit zu thun. Ich habe bisher fast alles entdecket, was den Bischof F l e s c h i e r in meinen Gedanken zu einem großen Redner gemachet hat. Allein es ist noch eins übrig, und dieses ist, seine edle und doch ungekünstelte Schreibart. W i e in allen obigen Stücken; so ist er unstreitig auch hierinn stärker, als alle seine übrige Landesleute gewesen sind. Neulich zwar, hat der Lobredner des Cardinais F l e u r y , ihn durch seine Arbeit zu erreichen; oder vieleicht gar zu übertreffen gesucht: allein sein gezwungener und übertriebner W i t z , hat die edle Natur seines Vorgängers so wenig erlangen können; als ein zierlich beschnittener Taxus in einem Garten, die Schönheit einer freywachsenden Ceder auf dem Libanon erreichen kann. F l e s c h i e r scheint gar die Schönheit der Schreibart nicht zu suchen; und doch findet er sie. Er drechselt seine Perioden nicht mit angstlicher Kunst, und dennoch gerathen sie voll, rund, und rollend. Er kräuselt die Stimme nicht, w i e ein trillernder Opernsänger; aber dennoch füllet und bezaubert er die Ohren seiner Zuhörer, mit unbeschreiblicher A n m u t h . U n d k u r z , er jaget dem W i t z e und seinen Spielwerken, nach Art der neuern Scribenten seines und unsers Vaterlandes, nicht nach; und gleichwohl sieht man, wenn man sich von der Rührung des Gemüthes erholet, wovon man unverhofft ergriffen w o r d e n ; daß derjenige auch viel W i t z besessen haben müsse, der einen so gewaltig mit sich hinzureißen g e w u ß t . Es ist w a h r : Fleschiers Schreibart ist nicht allenthalben gleich feurig und sinnreich. U n d wer kann das fordern? Er redet oft, wie auch ein andrer Mensch, von derselben Sache,

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geredet haben würde. Er heckt keine neue Worter und seltsame Redensarten aus; er foltert die Sprache nicht, um einem gemeinen Gedanken in den Augen der Einfältigen, den Schein der Scharfsinnigkeit zu geben. Allein dieß ist den Regeln und Exempeln der besten unter den Alten gemäß. Ich mag ihn itzo nicht aus dem A r i s t o t e l , C i c e r o und Q u i n t i l i an rechtfertigen: denn wer kennt dieselben nicht? oder wer trauet ihnen diese Einsicht nicht zu? Ich will mich nur auf einen Liebhaber des gezwungenen Witzes, auf den Seneca selbst beruffen; der seines eigenen verderbten Geschmackes ungeachtet, gleichwohl der Wahrheit und Vernunft dieses Zeugniß nicht hat versagen können. Ich nehme die Stelle aus seinem hundersten Briefe, der durchgehends voll von den reinsten Begriffen und Regeln der Beredsamkeit ist. Hier sagt er, wie die Schreibart eines guten Redners seyn soll, ob er gleich selbst gemeiniglich dawider zu sündigen pflegt. Es heißt: „Ein Redner zöge die Wohlredenheit, gleichsam wie seinen Schatten, ohne daran zu denken, mit sich. Frey lieh wäre nicht alles in seinen Sitzen abgezirkelt und zusammen gedrungen; auch führten nicht alle seine Worte Stacheln und Spitzen in sich. Allerdings würde mancher Satz vorbey fließen, ohne zu rühren; und mancher Ausspruch gleichsam müßig vorüberlaufen. Allein überall würde doch was schönes vorkommen, und man würde sehr große Stücke seiner Rede ohne Ekel hören. Kurz, er würde es so weit bringen, daß man fest glauben würde: er habe das, was er geschrieben, auch selber für wahr gehalten. Und man

E L O Q U E N T I A M V E L U T U M B R A M , NON H O C AGENS, T R A H I T . N O N SINE D U B I O S I N G U L A C I R C U M S P E C T A ,

ERUNT

NEC IN SE C O L L E C T A ; NEC

OMNE

V E R B U M E X C I T A B I T ET P U N G E T . F A T E O R : E X I B U N T MULTA NEC F E R I E N T ; ET I N T E R D U M O T I O S A P R A E T E R L A B E T U R O R A T I O : SED M U L T U M E R I T OMNIBUS

LOCIS,

PRAEST A B I T ,

ET

INGENS

SINE

UT LIQUEAT T I B I ,

L I G E S ACTUM H O C , PLACERET TIBI-

TAEDIO

SPATIUM.

ÜENIQUE

I L L U M SENSISSE Q U A E S E R I P S I T .

UT TU S C I R E S ,

QUID ILLI PLACERET,

IN

IIXUD INTEL-

NON UT

ILLE

Vorrede zu 'Lob- und

Trauerreden'

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würde gewahr werden, er habe darum geredet, damit man wissen mochte, was ihm gefiele; nicht aber, damit er selbst gefallen mochte." Alle diese vortreffliche Eigenschaften nun hatten, mich schon vor mehr als zwanzig Jahren zu einem Liebhaber und Bewunderer der Lobreden Fleschiers gemacht; als ich die, auf den Grafen von Turenne, übersetzte, und in meinem kleinen Grundrisse der Redekunst zuerst ans Licht stellete. Ich glaubte nämlich, daß dasjenige was mich so sehr gerühret hätte, auch meine Leser und Zuhörer rühren würde: und ich betrog mich nicht. So unvollkommen auch vieleicht meine Uebersetzung war, so viel Liebhaber erwarb sie dem Bischof F l e s c h i e r ; und man wünschte nach der Zeit mehr als einmal, alle seine Lobreden deutsch zu lesen. Doch niemand wagte sich an diese Arbeit; die auch in der That ihre große Schwierigkeiten hatte. Es ist so leicht nicht, als jemand denket, die Schönheit und Starke eines so vollkommenen und erhabenen Originals in einer andern Sprache recht auszudrucken; niemals matt zu werden, niemals zu sinken, niemals die zarten Züge des Urbildes zu verfehlen, auf welche zuweilen kein geringer Theil seiner Schönheit ankommt. Ich schweige noch, daß man sehr stark im Franzosischen seyn muß, den ganzen Nachdruck des Grundtextes einzusehen; und sodann auch das Deutsche sehr in seiner Gewalt haben muß, um im Stande zu seyn, alles gehörig auszudrücken. Allein die Ehre eine so schwere Arbeit glücklich ins Werk gerichtet zu haben, war den geschickten Mitgliedern der königlichen Deutschen Gesellschaft in Königsberg vorbehalten. Sie haben sich allerseits mit so vieler Fähigkeit, und so großem Fleiße an dieses Werk gemacht, daß man bey allen Reden fast einerley Starke, einerley Feuer, einerley Schönheit des Ausdruckes verspüret. Man hat mir die Ehre gethan, mir alle diese Stücke, vor dem Drucke, zu genauer Einsicht, und zur Vergleichung mit dem Grundtexte, anzuvertrauen: und ich kann versichern, daß ich nichts, so von 23

Gottsched

X/l

350

Johann Christoph Gottsched

einiger Erheblichkeit gewesen wäre, dabey zu erinnern nöthig befunden. Da man meiner Uebersetzung der Lobrede auf den Marschall von Turenne die Ehre thun wollte, sie mit in dieser Sammlung beyzubehalten: so habe ich Ursache gehabt, sie nochmals sorgfaltig zu prüfen, und sie an verschiedenen Stellen, dieser Gesellschaft würdiger zu machen, als sie vorher gewesen. Da es nun ein weit großer Verdienst um das Vaterland ist, die Meisterstücke der Auslander, in trefflichen Uebersetzungen bekannter zu machen, als selbst was mittelmaßiges hervorzubringen: so hoffe ich auch, daß es ein jeder Kunstverstandiger diesen gelehrten Gliedern der Königlichen Deutschen Gesellschaft Dank wissen wird; daß, da sie auch im Stande gewesen waren, selbst was schönes von ihrer eigenen Arbeit zu liefern, sie sich auf diese nützliche Art haben beschäftigen wollen. Mein Wunsch gehet übrigens dahin, daß wir bald glückliche Folgen von der Bekanntmachung dieser Lobreden, in geschickten Nachahmungen derselben sehen mögen. Denn soviel ist gewiß, daß es uns bisher, an ganz untadelichen Mustern großer Lobreden, noch gewisser maßen gefehlet hat. Haben gleich K o n i g s d o r f , N e u k i r c h , und G u n d l i n g u . e . a . dergleichen Stücke geliefert: so ist doch der eine mit seiner Schreibart fast immer zu schwülstig, der andre sehr oft zu spitzfindig, und der dritte nicht selten ein wenig zu niedrig geblieben. Geschrieben d. 28. Marz 1748.

Vorrede zu Virgils Hirtengedichte übersetzt von Johann Daniel Overbeck 1750

Unparteyischer, deutschgesinnter Leser! D a ich auf inständiges Begehren, des gelehrten Herrn Uebersetzers, dessen Freundschaft ich seit vielen Jahren, der Empfehlung des Herrn Kanzlers v o n M o s h e i m zu danken habe, seine Uebersetzung der auserlesenen Hirtenlieder Virgils, mit einer Vorrede in die Welt begleiten soll: so habe ich lange berathschlaget, ob ich solches wagen, und wenn ich es ja thate, wovon ich dabey handeln sollte? Von beydem will ich kürzlich die Gründe melden. Das erste kann niemanden Wunder nehmen, der sich noch auf den kritischen Unfug besinnet, der vor einigen Jahren angefangen worden, als ich der verdeutschten Aeneis, gleichfalls auf Ersuchen des Herrn Uebersetzers, eine Vorrede vorgesetzet hatte. Dieses Werk hatte das Unglück, gewissen allein=klugen und handfesten Kunstrichtern in den Alpen zu misfallen, denen alles schal und abgeschmackt vorkommt, was nicht von ihren Eidgenossen oder Bundsverwandten herkommt"'; und dieses so unbändigen als ohnmachtigen Zorn, mußte damals auch der unschuldige Vorredner mit entgelten. Ich hatte es noch niemals gewußt, oder wissen können, daß ein Vorredner, alles was in dem Buche, das er begleitet, vorkommt, verantworten und vertheidigen müsse: viel weniger hatte ich mich bey diesem Virgil ins besondre dazu anheischig gemacht. Ich hatte gedachte Uebersetzung *

MENCKENII

C H A R L A T . E R U D . p . 5 8 . 5 9 . 6 0 . n e b s t d e n N o t e n ; in d e r

lat. A u s g a b , v o n 1 7 2 7 . ITEM EJUSDEM D I S S E R T . A C A D . D I S S . I V . § .

XVI.

p. 175. 176. Endlich auch die Mittel in der gel. Welt berühmt zu werden, die 1736. in 8. gedruckt worden, im 10. Cap.

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Gottsched

weder ganz gesehen, ehe sie heraus kam; noch, wie man leicht denken kann, an einem ungelesenen Werke alles gebilliget. Am allerwenigsten hatte ich sie für ein ganz untadelhaftes Meisterstück ausgegeben: dafür gewiß Virgil seine eigene Arbeit nicht gehalten, als er sterbend sie zu verbrennen befohlen. Ich hatte nur gesagt: H e r r S c h w a r z habe mit seiner Dollmetschung alle seine deutsche Vorganger übertroffen: und wer ist so unverschämt, dieses bis auf diese Stunde zu leugnen? W o nun bey solchen Umstanden, die so berüchtigte k r i t i s c h e G e r e c h t i g k e i t geblieben sey, ob sie geschlafen, oder das hitzige Fieber gehabt, das war schwer zu sagen: so viel war gewiß, daß sie ihre altere Schwester, die v e r n ü n f t i g e B i l l i g k e i t , ganz von der Seite verlohren hatte. So wenig ich aber meines Theils mich damals, wegen solches Unfuges gereget; weil ich es langst gewohnt bin, ein lästerndes Geschrey mit tauben Ohren zu verachten, zumal da es bey allen Vernünftigen schon zu einem Lobspruche geworden: so sehr bedaurete ich den Herrn S c h w a r z , der sich gewiß auch damit, an jenen allgewaltigen Richtern und Selbsthaltern des deutschen Parnasses, gröblich versündigt hatte, daß er von mir, und nicht von ihnen selbst, eine Vorrede begehret hatte. Da mir nun dieses noch einiger maßen im Gedachtnisse schwebte, als der gelehrte Herr S u b r e c t o r O v e r b e c k mich um eine gleiche Gefälligkeit, bey seiner Uebersetzung ansprach: so habe ichs ihm, in den besten Absichten, aus dem Sinne zu reden gesucht, dieselbe von mir zu begehren. Allein meine Gründe sind ihm nicht wichtig genug vorgekommen: und er hat nicht eher nachgelassen, bis er meinen Widerstand überwunden hat. Ich habe also Ihm und seinem Verleger willfahren müssen; und nun fragt es sich nur, wovon diese meine Vorrede handeln soll? Die ersten sechs Bogen dieser wohlgerathenen Uebersetzung habe ich in Händen; und ersehe sowohl aus den Vorerinnerungen, als

Vorrede zu Virgils Hirtengedichte

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aus den Anmerkungen, daß mir der berühmte Herr Verfasser derselben, sehr viele Materien, davon ich etwan handeln konnte, schon selbst beschnitten hat. Sehe ich aber des, mit so vieler Einsicht als Belesenheit begabten Herrn M. G o t t f r . E p h r . M ü l l e r s , Abhandlung vom Virgil an*, ein Buch, das unsern Zeiten Ehre macht, und sonder Zweifel in den Händen aller Liebhaber der freyen Künste seyn muß, so finde ich dieselbe so reich und überflüßig mit allem demjenigen versehen, was nur von diesem großen Dichter immer mehr gesagt werden kann; daß mir beynahe nichts übrig geblieben ist, was ich noch nachholen konnte. Ein einziges nur finde ich noch zu thun, das diesem gelehrten Manne, seinen Absichten nach, beyzubringen, eben nicht so nöthig war; das aber in einer Vorrede sich gar wohl mitnehmen laßt. Nach seiner Gewohnheit hat er auch die Uebersetzungen der romischen Schriftsteller, fleißig genennet, und zuweilen beurtheilet: und selbst bey dem V i r g i l hat er es daran nicht mangeln lassen. Man findet bey ihm alles, was theils in den C r i t . B e y t r ä g e n , theils in meiner Vorrede vor der übersetzten A e n e i s , theils bey andern, davon angezeiget worden. Allein theils sind mir nach der Zeit noch ein paar Stücke in die Hände gefallen, die ich damals noch nicht gekannt; und davon kann ich also hier einige Nachrichten geben: theils kann ich auch in Ansehung der H i r t e n g e d i c h t e eben das thun, was ich dort, in Absicht auf die A e n e i s , gethan habe. Da ich nämlich, in Aufsuchung aller deutschen Uebersetzungen der alten griechischen und romischen Schriftsteller, nicht nur sorgfältig, sondern auch ziemlich glücklich gewesen'1": so habe ich itzo die meisten S. der Histor. Critischen Einleitung zu nothiger Kenntniß und nützlichem Gebrauche der alten lateinischen Schriftsteller III. T h . I. B . X I . Cap. Ich besitze wirklich von den griechischen Autoren auf die 60 Bande, von den lateinischen aber bereits über die 100 Bände: derer einzelnen Stücke zu geschweigen, die anderswo eingeschaltet worden.

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Jobann Christoph Gottsched

davon wirklich selbst in Händen, und kann sie also hier denen Liebhabern bekannt machen; die nicht allemal Gelegenheit haben, ihrer ansichtig zu werden. Hieraus aber wird so viel erhellen, daß unser neuer H e r r U e b e r s e t z e r , nicht nur an Gelehrsamkeit, sondern auch an Geschicklichkeit, alle seine Vorgänger ubertroffen habe. Was nun die Uebersetzungen der Aeneis betrifft; so habe ich damals derjenigen ältesten, die H e i n r i c h v o n V e l d e c k e im X l l t e n Jahrh. gemacht, nicht gedenken können; weil mir das MSt. aus der Hochfurstl. Gothaischen Bibliothek erst nachmals in die Hände gefallen. Es hatte aber desselben schon vor mir C y r i a c S p a n g e n b e r g , in seinem Buche von der Musik und dem Aufkommen der MeisterSinger gedacht, daraus E n o c h H a n n e m a n n , in seinen Anmerkungen über O p i t z e n s deutsche Prosodie, einen Auszug gegeben hat. Ferner hatten auch O m e i s in seiner Reim= und Dichtkunst, W a g e n s e i l in seinem Werke von der Meister=Singer holdseligen Kunst, und T e n z e l in seinen monatlichen Unterredungen vom Nov. des 1691sten Jahres etwas davon erwähnet, ja zum Theil Proben daraus angeführet. Der oben gerühmte Herr M . M ü l l e r hat auch in so weit ganz recht, wenn er nach dem, was ich in einer akademischen Einladungsschrift davon gemeldet habe, urtheilet: daß es keine rechte Uebersetzung heißen könne: weil er theils viel von dem Grundtexte weglaßt, theils viel hinzusetzt. Allein vieleicht ist dieß nicht H e i n r i c h s v o n V e l d e c k , sondern seines waischen Vorgangers Schuld, dem er mehr, als dem Lateine, gefolget zu seyn scheint. Man kennt nämlich das weitlauftige Gewissen dieser wallischen, oder gallischen Uebersetzer schon: und aus dieser Probe kann man sehen, daß es schon vor 550 und mehr Jahren nicht enger gewesen, als itzo. Es ist nur zu bedauren, daß unser Landsmann sich nach einem so Übeln Muster gerichtet hat; da er allem Ansehen nach, das Latein eben so wohl verstanden, als sein poetischer Kamerad, Meister A l b r e c h t

Vorrede zu Virgils Hirtengedichte

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v o n H a l b e r s t a d t , der uns um eben die Zeit, die O v i d i s c h e n V e r w a n d l u n g e n aus der Grundsprache übersetzet hat. Darf ich nun in einem Stücke, von des Herrn M. M ü l l e r s Urtheile* abgehen: so wird es dieses seyn, daß man diese Uebersetzung nur e i n e n d e u t s c h v e r k l e i d e t e n V i r g i l würde nennen müssen; wenn man sie drucken lassen, und ihr Abgang verschaffen wollte. Ohne Zweifel will derselbe durch diesen Ausspruch den ehrlichen V e l d e c k mit dem S c a r r o n ; und seine A e n e i s , mit dem V I R G I L E TRAVESTI in eine Reihe stellen. Mit des Herrn Magisters gütigen Erlaubniß aber, getraue ich mir die Vertheidigung dieses ehrlichen Meistersingers zu übernehmen. Die Beschaffenheit des ganzen Werkes zeigt nämlich zur Gnüge, daß er die Absicht nicht gehabt, den V i r g i l lacherlich zu machen: als worinn eigentlich S c a r r o n s Fehler besteht. Alles ist nach dem Geschmacke seiner Zeiten sehr ernstlich und ordentlich erzahlet: und wenn er gleich hin und her ein Episodium von eigener Erfindung einschaltet: so ist doch auch dieses gar nicht spaßhaft, oder poßirlich, sondern enthalt solche lebhafte Abschilderungen des menschlichen Herzens, daß man die Hand eines großen Meisters darinn sieht. Ich will dieses mit einem Exempel erläutern. Des Königs L a t i n u s Gemahlinn, will ihre Tochter L a v i n i a zur Liebe des T u r n u s bewegen: diese aber hat Tages zuvor den A e n e a s zu sehen bekommen, und sich sterblich in ihn verliebet. Das will nun die Mutter von ihr heraus bringen: die Tochter aber will ihn aus Schamhaftigkeit nicht nennen; bis ihr die Mutter befiehlt, seinen Namen aufzuschreiben. Dieses thut sie nun, wie man sehen wird: Da sprach die Kunigynne Ja iz weiz got tochter meyn S. am angef. O . a. d. 355sten S.

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LAV.

KON.

L.

K. L. K. L. K. L. K. L.

Christoph

Gottsched

Vrowe so mac iz wol sein Sprach die juncvrove wider Un sach vil truriclichen nider Mein herz ist mir gebunden Sprach sie in kurzen stunden Das e was ledicliche vrey Ich en weiz ob iz von mynne sei. Tochter ich bin iz vil gewis N u sage mir recht wie dir iz Stet dir zu ymanne dein mut Muter weiz got ia iz tut Sprach sie mit großen sorgen Ja sint gestern morgen Da ich eynen man sach Des ich vergessen nicht en mach Noch en mac noch en kan Tochter nu nenne mir den man Vrowe weiz got ich en torste So en ist ez nicht der Vorste Turnus da ich dir zu riet Nein vrowe her ist sein niet N u sage mir wer her sey Ich tet ez gerne, wan owy Das ich mich vurchte und schäme Tochter so schreib mir seinen name Und las mich in lesen Vrowe iz muz doch also wesen Sprach die maget lustsam Ire tavelen sie da name Unde eynen griffel von golde Da sie scryben wolde. Mit angesten plante"'' sie das wachs

plante, planirte, vonplaniren oder eben machen; wie man auf den Wachstafeln der Alten thun mußte, wenn sie schon gebraucht waren, ehe man schreiben konnte.

Vorrede zu. Virgils Hirtengedichte

K. L. K.

Unde solde scryben Eneas D o ir die muter orloup gab Ein E was der erste buchstab Darnach ein N und aber ein E Die angest tet ir vil we Darnach schrieb sie ein A und S Da bereit sich die muter des Und sprach da siez gelaz Hir stet gescreben Eneas J a , sprach sie muter mein Das muzestu unsalich seyn Sprach die Konigynne Das du dyne mynne An den man kerest Damite du dich enterest Und alles dein geschlechte D u ne weist nicht rechte Wie ez um denselben stet Was meres** von ime get Witen after lande Die Werlt hat sein schände H e r ist so ein unreine man Das ich dich ime nicht gan Wan her hat einen bösen leip Her ne gemynnete nie weip Iz ist zu sagene nicht gut Was her mit den mannen tut Das he die wiber nicht ir gert Du wirst vil ubele mit ime gewert. Wan her nie wip lip gewan U n d phlegen alle man Des bösen sitten des her phliget, Den her vil ho wiget

Mähre, was für Reden und Erzählungen von ihm umher gehen.

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Johann

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Der unsalige Troyan Die Werlt mußte alle zugan Inner hundert jaren Des sagen ich die vorwaren Das schadete vil sere So wurde nimer mere Von Wiben kint gewunnen Wie muchte ich ime dich gunnen Ich gunde dir des todes baz Nu hastu wol vernomen das Wie unreyne ein Ion Her gab vrowen Dydon Die ime gut und ere bot Sie bleib von seynen schulden tot Von ime ne quam nie Wibe gut Tochter noch Dirne tut Her ist aller tugend ane schult Das du ime wurdest ie so hult Daz sie dem hoesten gote geclagt. Nu ne weiz ich muter, sprach die magt Wes der here entgeldet Das ir in so sere scheidet Her ist ein vurste wol gezogen Swie her wider u sey belogen Her ist ein edel troyan Und vil reyniclich getan So man in rechte besieht Her glichet eyme bösen manne nicht Her ist von den goten geborn Swie ir in durch uweren zorn Scheidet also sere Und ime sprechet an sein ere Das mochtet ir gerne lazen Des müze dich got vorwazen Sprach die Kunigynne

Vorrede

L.

zu Virgils Hirtengedichte

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Dich betrüget seyne minne. Das hert dich duncket schone Das dich got gehone Wie getorstu in immer geloben Nu du so vru woidest toben Unde denken umbe man Wan nimmest du Turnum dan Der dich nu minnet manchen tac Sie sprach vrowe ich ne mac Ich bin zu verne daran komen Syne mynne hant mir genomen Meyn herz und meynen syn Mir ist leit das ich ime so holt bin Das tut mir der mynne getwanc Das ist ane meynen danc Des bin ich vil unvro Der mynnen got cupido Ist eneas bruder Unde venus ist sein muter Die geweidige gottynne Die hat mir seine mynne In meyn herze so getan Das ich ir nicht mac abestan.

Mich dünkt nun, dieses ernsthafte Gespräch zwischen Mutter und Tochter habe alles das an sich, was ein gutes und richtiges Bild der Natur haben soll. Die Mutter braucht von ihrer Seite alles, was sie kann, den A e n e a s verhaßt zu machen; unter andern auch der D i d o trauriges Ende; die Tochter aber vergißt auf ihrer Seite gleichfalls nichts, wodurch sie ihn schützen, und ihre Liebe entschuldigen kann. O b das nun auf gut scarronisch den Virgil verstellen heiße, will ich niemanden anders, als den berühmten Herrn Magister M ü l l e r selbst urtheilen lassen.

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Jobann

Christoph

Gottsched

Doch ich halte mich gar zu lange dabey auf. Ich habe noch eine neue Auflage von M u r n e r s Uebersetzung der Aeneis zu melden, die ich damals nicht gekannt habe. Nach derjenigen nämlich, die 1543 ohne Meldung des Ortes ans Licht getreten, ist auch 1559 zu Frankfurt am Mayn eine erschienen: welches sattsam zeigen kann, wie fleißig damals dieser große Dichter, auch im Deutschen gelesen worden. Ihre Aufschrift kann ich mittheilen, weil ich sie selbst besitze: „ V e r g i l i j M a r o n i s dreyzehen Bücher von dem tewren Helden Enea, was der zu Wasser und Land bestanden. Jetzund, von newen widerumb ubersehen, mit Fleiß corrigirt, und schonen Figuren geziert. Zu Franckfurdt 1559. 8". Die darauf folgende kleine Vorrede ist eben die, welche man nachmals 1606 zu Jena in der neuern Auflage wieder abdrucken lassen. Nur dieses ist merkwürdig, daß, da in derselben der Figuren Meldung geschieht, womit diese Ausgabe gezieret seyn soll, gleichwohl keine einzige darinnen zu finden ist. Der Anfang des Werkes geschieht auch nicht, wie in der Jenischen Ausgabe, mit dem B e g r i f f e des 1 B u c h s V e r g i l i i v o n E n e a s ; sondern gleich mit dem neuen Zusätze: I L L E EGO, QUI QUONDAM &c. der in den vorigen Ausgaben nicht gestanden hatte; doch in einigen Worten anders, als in der nächstfolgenden Jenischen; wie wir hier anmerken wollen: Ich der vormals hab zugericht in der jenischen Mit grobem gsang ein schlecht gdicht NB. Gericht Darnach bald auß den walden gieng, Und mich des bawfelds underfieng, NB. Feldbaws Damit es frucht bracht nach der schwer, Wie geitzig schon sein Bauman wer, Ein angnem werck den Ackerleuten: Sing nu von stürmen und von streiten, Und bschreib die Waffen und den Mann Des, der von Troia, der erst entrann. NB. T r o j .

Vorrede zu Virgils Hirtengedichte

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Ueberhaupt bemerkt man, daß in dieser Ausgabe die Hauptworter (SUBST.) noch nicht alle mit großen Buchstaben anfangen; welches aber in der jenischen Ausgabe bereits sorgfaltig beobachtet worden: so wie man in dieser, auch dem Sylbenmaaße zu gut, manchen Vers ein wenig verkürzt, oder verändert hat. Wer übrigens die Besorgung dieser Ausgabe übernommen habe, davon ist keine Spur zu sehen: nur der Buchdrucker hat sich am Ende gemeldet, wo es heißt: G e d r u c k t z u F r a n k f u r t am M a i n , d u r c h David Z o p f e i n z u m E y s e r n H u t h 1559. Auf der 21 S. meiner Vorrede zu der S c h w a r z i s c h e n A e n e i s habe ich ferner der m e l e t h r a i s c h e n Uebersetzung gedacht, aber von derselben keine andre Nachricht geben können, als daß sie 1644 in H a m b u r g herausgekommen. Itzo bin ich im Stande, sie naher bekannt zu machen; weil ich sie endlich doch aufgetrieben habe. Ihr völliger Titel lautet so: „ V E N E I S , das ist, des hochberühmten Poeten P. V I R G I L I I M A R O N I S Bücher, von Reisen und ritterlichen Thaten des gewaltigen und frommen Helden JENE-E: Wie derselbe nach Zerstörung der Stadt T R O J A , ZU Wasser, durch mancherley Unfall endlich in Italien, mit wenig Schiffen und Volcke angelanget, und daselbst nach glücklich überwundenen allen Widerwertigkeiten, mit den Seinen zu einem ruhigen Stande gekommen, und des Romischen Reiches Grund geleget. Der studierenden Jugend zu N u t z e , und jedermannig zu anmuthiger Ergetzlichkeit in Deutsch verfertiget, durch M. B E R N H A R D U M M E L E T H R ^ E U M , C O N R E C T O R E M der Schulen zu H a m b u r g . Mit Rom. Kayserl. PRIVIL. nicht nachzudrucken. H a m b , bey Jacob Rebenlein, in Verl. des A U T O R I S 1644." Die Zueignungsschrift ist an den Rath zu H a m b u r g in lateinischer Sprache gerichtet, darinn der Verfasser sagt, daß er schon 14 Jahre bey der Schule gedienet, und daß ihn ein vornehmes Rathsglied, welches ein Stück von seiner Arbeit zu sehen bekommen, angetrieben habe, sie zu vollenden: wobey es merkwürdig ist, daß damals weder die

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Schulmanner, noch die Patronen geglaubt haben, daß die Verdeutschungen der lateinischen Schriftsteller, der Jugend schädlich wären. Nach der Zuschrift folgen e t l i c h e A n m e r k u n g e n an d e n L e s e r . Weil diese recht was sonderbares sind, das mir sonst noch nirgends vorgekommen, und zu der anzuführenden Probe zum Schlüssel dient: so muß ich sie dem geneigten Leser mittheilen. Es lautet so: „Erstlich ist zu wissen, daß der Leser, der den Poeten nach dieser VERSION wil verstehen lernen, das gantze Buch, das er, oder darin er etwas verstehen wil, mit Zahlen, nach arithmetischer PROGRESSION, abzeichnen muß, als 1. 10. 20. 30. oder 1. 5. 10. 15. und muß darin nichtes versehen werden, alsdenn kan er nach den Zahlen im Deutschen richtig finden was er wil. 2. Was mit grossen Buchstaben abkennlich gedrucket ist, stehet nicht im lateinischen Text, sondern wird in der deutschen VERSION zur Erklärung hinzugethan" JC. Hernach erklaret der Verfasser noch andre Zeichen, derer er sich bedienet, als —, —:, —: —:, :—: —, womit er ganz sonderbare Dinge hat andeuten wollen. Nun müssen wir hören wie seine Uebersetzung selbst lautet.

.¿ENEIDOS VIRGILII

das Erste Buch. „ I c h bin der Poete, der weyland auf einer dünnen Pfeiffen, von Strohalmen 2. etliche Hirten=Lieder quenckeliret, unnd darnach mich aus den Waideren herfür gethan, und die nechstgelegene Felder dahin genothiget, 3. daß sie dem Bawren, wenn er gleich noch so geitzig wäre, gehorchen müssen. Das ist: „1. Ich bin derselbige Poete, der weiland mit einer geringen Art von STYLO 2. die BUCOLICA oder Hirten=Gesprache verfertiget, und nechst denselben die

Vorrede

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GEORGICA, das sind 4 Bucher vom Acker=Baw geschrieben, darinnen gelehret wird, wie die Bawren den Acker recht bearbeiten sollen, 3. damit er reichlich gebe. 4. Welches ein sehr nützlich Buch für die Bawren ist. Aber nun hinführo 5. will ich schreiben von grawsamen Kriegen unnd dem tapfferen Manne, welcher u n t e r allen T r o j a n e n der Fürnehmste aus dem Lande Troja 6. nach Gottes Rath und Willen flüchtig, in Italien und 6. 7. die Gegend des Italienischen Strandes, da nachmals die Stadt Lavinium erbawet worden, 6. angekommen. 7. Derselbe ist mächtig viel zu Lande und Wasser herumbgetrieben 8. durch den Gewalt der himmlischen Gotter, wegen deß unvergeßlichen Zorns der grimmigen Junonis. 9. Er hat auch viel in Kriegen erlidten, biß er endlich die Stadt Lavinium bawen, 10. und seines V a t e r l a n d e s Gotter, und R e l i g i o n in Italien einführen köndte. Von welchem die Latiner, mit dem T r o j a n i s c h e n G e b l ü t e v e r m i s c h e t , in aller W e l t so h e r r lich und b e r ü h m t g e w o r d e n . 11. Von welchem auch die Albanische Herrschafft, und die gewaltige Stadt Rom ihren Ursprung haben. 12. Musa sage mir doch die Ursachen, wodurch die Gottliche Majestät so hoch beleidiget worden 13." So steigen nun die Zahlen mit dem Fortgange jedes Buches. Da dann das Ende der ganzen Aeneis so aussieht: „Nachdem ^NEAS das Gedachtniß seines großen Hertzleides, das er zu der Z e i t ü b e r PALLAS seinem T o d e e m p f u n d e n , 946. nemblich den Gürtel, w e l c h e n TURNUS dem ü b e r w u n d n e n PALLAS a b g e n o m m e n h a t t e , 945. mit seinen Augen 946. ersehen, da entbrannte er in Grimm, unnd 947. sähe schrecklich aus, 946. von Zorn; 948. Solltest - : 947. du 948. mir 947. von hinnen 948 : entgehen, 947, der mit der meinigen Raube angetahn bist, 948: PALLAS, PALLAS 949 opfert - : 948 dich : - auff 948 durch diese Wunde, 949. unnd nimpt Rache von deinem bübischen Blute 950: Da er das gesaget, stieß 951. zornig 950 ihm den Degen gantz ins Hertz: 951. Aber TURNUS 24

Gottsched X / l

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Gottsched

streckte sich und erkaltete über seinem gantzen Leib: 952 und die Seele fuhr unwillig mit Seufftzen hinunter in die Holle." FINIS LIBRI

XII.

Was von dieser Art zu ubersetzen zu halten sey, davon will ich das Urtheil meinen verstandigen Lesern überlassen. Die neue Auflage von des S a l e m y n d o n i s Frygier A e n e a s , von 1658, die ich damals nicht besaß, habe ich nach der Zeit auch aufgetrieben; ja auch von S c h i r m e r s übersetzter Aeneis die zweyte Ausgabe von 1672 endlich gefunden, deren Titel etwas verändert so lautet: „Eigentlicher Abriß, eines frommen, verstandigen und tapffern Fürsten 2C. auch in dieser andern Ausfertigung an etlichen Orthen verbessert von M . Michael Schirmer, Leipzigern IC. Berlin in Verlegung des Uebersetzers, gedruckt bey Christoph Runge im Jahre 1622. zu verkaufen bey Rupert Volkkern, Buchhändler." Sonst bemerket man eben keinen großen Unterscheid. Denn Zuschrift und Vorrede sind einerley, nur ein Glückwunsch an den Uebersetzer ist hier mehr, von einem, der sich D . L. F. R . V. nennet. Vielleicht heißen die ersten Buchstaben: D e i n e L i e b e F r a u ; und die bey den letzten ihren Namen, der uns nicht bekannt ist; aber vieleicht R e g i n a U r s u l a geheißen hat. Die Verse sind daktylisch: Den italienischen Virgilius Weil er schon Latein hat in Versen geschrieben, Staatssachen auch keiner hat hoher getrieben, Billig, ja billig hoch rühmen man muß. H . Schirmer hat ihn nu ins Teutsch übersetzet JC. Uebrigens steht hier vor jedem Buche der Inhalt desselben, unter dem Namen der H a u p t p u n c t e ; und in den Versen selbst ist hin und wieder etwas verändert: wie denn auch in der Rechtschreibung die Hauptworter durchgehends mit

Vorrede zu Virgils Hirtengedichte

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großen Buchstaben geschrieben worden, welches in der ersten nicht war. Die Schrift ist hier so viel kleiner, daß aus den 668 Seiten der ersten Auflage nur 525 geworden. Der Inhalt des ganzen Werkes, der bey jener am Ende stund, ist hier weggeblieben. Nun ist es Zeit auf die Hirtengedichte selbst zu kommen, und auch von den meisten Vorgangern unsers Herrn Uebersetzers etwas zu melden. Ich besitze vier von denen, die der belesene H e r r M . M ü l l e r in seinem trefflichen Werke angeführet; die nämlich alles übersetzet haben. Der älteste davon ist C h a l e n u s , dessen Buch unter folgendem Titel herausgekommen: ,,Zehen Hirtenlieder, des Weltberühmtesten und fürtrefflichsten lateinischen Poeten Marens in deutsche Reime übersetzet, und mit nützlichen Anmerkungen erkläret. Hall in Sachsen, gedr. und verl. von Melch. Oelschlägels S. Wittib und Lrben 1648. 8 . " Die Zueignungsschrift ist an den berühmten D i e t r i c h v o n d e m W e r d e r , und C u n o O t t o m a r v o n B o d e n h a u s e n , gerichtet, die er seine gebiethende Herren nennet. Er lobet darinnen den Eifer großer Prinzen, für die Reinigkeit ihrer Muttersprache. Z. E. den Kaiser C l a u d i u s , der das Wort MONOPOLIUM nicht sonder gebethene Erlaubniß brauchen wollen, und EMBLEMA, gar nicht leiden können, bloß weil sie beyde griechisch waren: wie D i o C a s s i u s meldet. Er kommt davon auf die Fruchtbringende Gesellschaft, und redet Deutschland so an: „ O siehe auf, liebes Deutschland, erkenne die hohe Himmelsgunst, welche nach so viel Blutstürzung und Zerrüttung, den Ruhm zierlicher Zungen dir überlassen wollen 2C." So dann beweist er, daß das Uebersetzen der alten Schriftsteller, ein schönes Mittel sey, seine Sprache zu üben, und führt O p i t z e n zum Zeugen an u . s . w . unterschreibt sich sodann M . F r i e d r i c h C a h l e n u s , K a y s . P o e t u n d C o n r e c t o r . Halle, am lOten des Wintermonats 1647. Nach einigen Glückwünschen und Zeugnissen der alten und neuern Kunstrichter vom V i r g i l , folgt seine An24*

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rede an den gönstigen und deutschliebenden Leser, in Versen. Wir wollen doch den Anfang hersetzen. Mein Leser, wer du bist, der du allhier wilst richten, was gut sey oder schlimm, und wie man müsse dichten, nach alter Künstler art, ja wie der Sprachen ziehr, im übersetzen auch zu halten nach gebühr. Laß dich erinnern vor, das etwas frey erfinden im dichten leichter sey, als wann man sich muß binden an vorgeschriebne wort, so das der inhalt auch zusamt der Rede glantz verbleib im rechten brauch: Drumb dichs nicht wundern soll, wenn etwas hier versehen, weil bey dem klügsten oft ein fehler kan geschehen JC. Hierauf folgt das Verzeichniß seiner Lehrlinge, die an dieser Arbeit der Uebersetzung Theil gehabt: daraus denn erhellet, daß er selbst sie nur verbessert, und mit Anmerkungen begleitet habe. D a s e r s t e v i r g i l i a n i s c h e H i r t e n l i e d , g e n a n n t T i t y r u s , g e s p r ä c h w e i s e g e s t e l l t , hebt so an: MELIBOSZ.

Mein Tityrus, du ligst bedeckt von dieser buchen, Und kanst im schatten hier dir Lust und Anmuth suchen. Kanst auf dem dünnen Halm dir einen Hirtenthon erzwingen, daß der Wald erschallen muß davon Ich muß mein Vaterland die lieben felder meyden, Muß räumen diesen orth 2C.

Wie nun diese Verse so gar übel nicht klingen; so sind auch seine Anmerkungen nicht unrecht gemacht. Das zweyte A l e x i s ist auch in langen Versen mit ungetrennten Reimen; aber etwas gezwungener in der Wortfügung. Das dritte P a l a m o n hebt so an:

Vorrede zu Virgils Hirtengedichte

MENALC. DAMOT.

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Wem stehn die Schafe zu, Damötas, Meliböen? Nein, Egons ist das Vieh, das du hierum siehst gehen. Der hat es unlängst mir zu treuer Hut vertraut K.

Die Anmerkungen zu beyden sind mit vieler Belesenheit der alten Schriftsteller angefüllet. Das vierte, Pollio, ist in daktylischen Versen abgefasset, und in Strophen getheilet. Die erste klingt so: Sicilische Musen nun lasset uns singen Ein hoher Gedichte, das besser erquickt, Die geister, so hoher die sinnen erschwingen, Das tapferer Helden lob himmelan schickt. Denn niedrig gestrauche beliebet nicht allen, Doch tragen auch Helden an Wäldern gefallen. Dieses klingt nun ganz munter und ungezwungen; und so geht es auch bis zum Ende fort: so daß ich zweifle, ob damals, außer A u g u s t B u c h n e r n selbst, jemand bessere Daktylen gemacht habe? Die Anmerkungen dazu, sind nicht minder gelehrt. Doch wir müssen auch sehen, wie ihm die trochäischen Verse gelingen. Das fünfte, D a p h n i s , wird es uns zeigen. MEN.

Weil wir hier seynd und uns üben, Ich im singen, du noch mehr Auf der leichten Pfeiffen=rohr. Mops, so laß uns nach belieben Unsre Kurzweil stellen an, Auf dem Ilm= und Haselplan.

Gut genug! Das sechste ist wieder in sechsfüßigen Jamben, wie auch das siebente und achte. Das neunte ist wiederum eine sechszeiligte trochäische Ode; das zehnte aber auch in langen Versen. Zuletzt macht der Herausgeber eine Schlußerinnerung, die untergelaufenen Fehler zu entschuldigen.

370

Jobann Christoph

Gottsched

Man kann überhaupt sagen, daß dieser erste Versuch V i r g i l s Hirtengedichte zu verdeutschen, nach Beschaffenheit der Zeiten, nicht übel gerathen sey. Gleich das Jahr darauf gab M. A d a m O l e a r i u s , „Oswald Belings verdeutschete Waldlieder, oder zehn Hirtengesprache des allerfürtrefflichsten lateinischen Poeten, Virgil. Marons, in deutsche Verse übersetzet, mit Außlegung der fremden Worter und dunckeln Oerter erklaret, vnd mit schonen Kupferstücken gezieret, heraus; worbey ein absonderlich Hirten=Gesprach, einer Fürstlichen Person zu Ehren gemachet, wie auch die Grabschrift und Ehren-Gedächtnis des Sei. Belings. In Verl. Joh. Naumanns in Hamburg, gedr. zu Schleßwig 1649. in Quer=Quartformat." Die Zueignungsschrift ist an den damaligen Erbprinzen zu Holstein, F r i e d e r i c h , gerichtet. M. O l e a r i u s meldet darinnen, daß, als er vor 19 Jahren hier in Leipzig Studiret, „ O p i t z , der Meister deutscher Lieder, wie ihn F l e m m i n g , der andre O p i t z , nennet, allhier durchgegangen; dem er denn seinen Besuch abgestattet, und ihm wegen der, in Erhebung unser Muttersprache angewandten Treue und glücklichem Fleiß gedanket." Als er ihm aber sonderlich wegen der verdeutschten A r g e n i s Dank gesagt, habe selbiger bezeuget: daß er dafür keinen besondern Dank verdiene, weil es nur ein neuerer Scribent wäre K. Dagegen er dem O l e a r i u s selbst gerathen, den Virgil in gute deutsche Verse zu übersetzen. Dieses nun, nach seinen Kräften zu thun, wäre er zwar, wenigstens in Ansehung der Hirtengedichte, geneigt gewesen: wenn ihn nicht der damalige dreyßigj ährige Krieg aus Leipzig nach Holstein getrieben hätte; wo er von dem Herzoge mit der großen Gesandtschaft nach Rußland und Persien geschicket worden. Nach seiner Rückkunft aber hätte er O s w a l d B e l i n g e n , einen muntern jungen Holsteiner gefunden, der unter andern auch zur deutschen Dichtkunst Lust und Geschick gehabt. Diesem hätte er selbst fernere Anleitung dazu gegeben, und ihn die B u c o -

Vorrede zu Virgils Hirtengedichte

371

l i c a zu verdeutschen angetrieben: die selbiger auch 1642 innerhalb 4 Monaten zu Stande gebracht. Allein als bald darauf, nämlich 1646 der Verfasser zu Cassel an den Pocken gestorben, habe er in seinem Testamente verordnet, daß O l e a r i u s , der ihn dazu vermocht hatte, seine Arbeit auch ans Licht stellen mochte. Dieses thut er nun, füget einige Anmerkungen hinzu, und eignet sie, nach der Absicht des Seligen, dem Erbprinzen zu. In der Vorrede entschuldigt er einige harte Stellen, auf eine sehr gelehrte und geschickte Art. Er bittet auch um Vergebung, daß er einigen damaligen Grüblern zu gefallen, F ó b u s , O r f e u s , f ü r P h ó b u s , O r p h e u s geschrieben: und misbilligt die H ä r t e derer, die durchaus alle fremde Worter, als E l e m e n t , M a t e r i e , P e r s o n , P a t r o n , u . d . g l . aus dem Deutschen verbannen wollen: wünschet aber auch, daß einige sprachverständige Männer aus der Fruchtbr. Gesellschaft zusammen treten, und theils von den lateinischen Endungen der eigenen N a m e n , theils von andern streitigen Puncten, eine gewisse Richtschnur geben mochten. Imgleichen wünschet er über O p i t z e n s Prosodie ein ausführlicher Werk, nach der rechten meißnischen Sprache, zu sehen. Endlich sagt er: „Es sey hier an d i e u n z e i t i g e n R i c h t e r , selbige zu besänftigen, nichts geschrieben: weil sie selbst, nach Art der Bauer= und Schäferhunde, wenn sie einen vorüberreisenden Fremden lange angebellet, für sich zu schweigen pflegen." Von diesen führt er einen an, der sonst Kunst halber, bey vielen in großem Ansehen wäre, und vor etlichen Monaten zu ihm gekommen, und sein Urtheil auch von den jetzigen deutschen Poetereyen gefället, auch gesaget hätte: E r h ä t t e n o c h n i e m a l s e i n e n r e c h t s c h a f f e n e n d e u t s c h e n V e r s g e s e h e n . Als aber eben dieser hernach mit einem Stücke von seiner Arbeit hervorgekommen, hätte er, Olearius, ihm gesaget: W e n n , s e i n e r M e y n u n g n a c h , die a n d e r n , so er g e s e h e n , a u c h s o w ä r e n , als d i e s e ; s o g l a u b t e e r s i h m g a r w o h l .

372

Johann

Christoph

Gottsched

O wie billig konnte man diese alte Scene, auch in unsern Tagen, gegen solche trotzige Kunstrichter wiederholen, die dem damaligen Z e s e n (denn ohne Zweifel hat er diesen gemeynet,) vollkommen ahnlich sind; und ihnen mit O l e a r i o zuruffen: W e n n EXCELLENS müsse

HABET

dieser

e s w a h r s e y , Q U O D L I B E T INGENIUM ALIQUID

wohl

ein

DEMENTIA INGENIUM

ADMIXTUM;

SO

EXCELLENTISSIMUM

haben. Es ist Zeit, auch eine Probe von diesem Dichter anzuführen. Nach einem kurzen Inhalte desselben, hebt das erste Hirtengesprach so an: MEN.

MEN.

DU kannst, mein Tityrus, dich untern Buchbaum strecken, Und dir noch Hirtenlust, mit deiner Pfeif erwecken: Den Rücken wenden wir dem Vaterlande zu, Du aber, Tityrus, liegst hier in guter Ruh. Wir müssen, leider, fort, du kanst im Schatten singen, Und lassen durch den Wald ein Bulerlied erklingen, Von Amaryllis Lob. TIT. Das danck ich Gott allein, Der mich damit verehrt. So lang ich werde seyn, Will ich für meinen Gott biß an den Tod ihn schätzen, Und seinen Rauchaltar mit Lammerblut benetzen. Mein Rind=Vieh lasset Er ohn Scheuchtern, in der still Umbgrasen wie du sihst, mich spielen wie ich will. Ich sag es nicht darumb, ob wolt ich dirs nicht gönnen, Mich wundert, wie doch du das hast erhalten können, In so bedrengter Zeit. Ey schawe, wie ich noch, Der ich von Traurigkeit und vielen Schmerzen doch Selbst unvermögend bin, muß meine Ziegen treiben; Und diese kan kaum fort, bald wird sie liegen b l e i b e n 2C.

Vorrede zu Virgils Hirtengedichte

373

Nach einigen Anmerkungen, zu etlichen schweren Stellen, folgt auch die andre. Dieser Eingang ist zwar auch in langen Versen, aber das bewegliche Lied an den A l e x i s , hat der Uebersetzer in kurze Verse gebracht. Ein paar Strophen zeigen seine Stärke, oder vielmehr seine Schwache in Oden. O Alexis, du von Sinnen Allzuhart und grausam bist, Alles für dir nichtig ist, Was ich auch nur mag beginnen. All mein Tichten all mein Singen Schlegt bey dir vergebens an, Du wirst mich, wenn ich nicht kann, Dich bewegen, ins Grab bringen 2C. In der dritten Ekloge hat er den Wettstreit der Schafer ebenfalls in eine Ode gebracht, davon wir doch eine Probe sehen müssen. Die ersten Zeilen: A B J O V E P R I N C I P I U M , MUS^E. J O V I S OMNIA PLENA; I L L E C O L I T T E R R A S , ILLI MEA CARMINA C U R ^ .

heißen so:

Gott, ich will dich erst besingen, Alles ist von dir erfüllt, Und geziert, weil du auch wilt, Daß mein Dichten soll gelingen.

Schlecht genug. Noch eins. Die Zeilen M A L O ME GALATEA PETIT, LASCIVA PUELLA, E T FUGIT AD SALICES, ET SE CUPIT ANTE V I D E R I .

giebt er so: Galatea aus der maßen Schalckhafft, wirfft mit Apffel mich, Laufft zu Busch, und wil doch sich Noch vorher erblicken lassen. 25

Gottsched X / l

374

Johann

Christoph

Gottsched

Nach den virgilischen Hirtengedichten, folgt noch ein deutsches Original des Verfassers, der A. O . geheissen, und also A d a m O l e a r i u s selbst gewesen seyn muß. Von eben diesem ist auch B e l i n g s , als Hessischen Hauptmanns und G e b i e t h i g e r s in K o r b a c h , Ehrengedachtniß aufgesetzet: wobey ich mich aber nicht aufhalten kann. Ich schreite also zu einem neuen Uebersetzer, und dessen Werk

heißt

so:

,,P.

VIRGILII

MARONIS

BUCOLICA,

oder

Hirten=Lieder, der studirenden Jugend zum Nutz in Deutsch versetzet, durch M. CHRISTIANUM Haberland, von Wittenberg aus Sachsen, der Heil. Sehr, beflissenen. Lübeck in Verl. Mich. Volcken 1659. 8 . " Man sollte es wohl kaum denken, daß der oben erwähnte M e l e t h r a u s , mit seiner sonderbaren Art zu übersetzen, noch Nachahmer gefunden haben würde. Gleichwohl findet sichs auch hier, daß nichts so schlecht ist, was nicht seine Liebhaber antreffen sollte. Die von demselben deutsch eingekleidete Aeneis, hat an unserm H a b e r l a n d einen solchen Bewunderer gefunden, daß er, wie es in der Zuschrift heißt, oft gewünschet, „daß die

BUCOLICA

und

LIBRI

GEORGICORUM

mochten

auch

also VERTiret seyn. Weil er aber gesehen, daß es bishero verblieben (vieleicht unterblieben); und er von andern dazu angereizet worden, hat er den Anfang dazu machen wollen." Denn er ist hernach 1660 auch so gar mit den GEORGICIS, auf eben die schone Art erschienen. Doch weil dieses sein Werk einen g r ö ß e r e n PATRONUM N B . vonnothen hatte, j e g e r i n g e r es w a r , deswegen hat er auch billig, dem Herrn (THOM^ SELLIO, w e l t b e r ü h m t e n M u s i c o u n d CANTORI in H a m b u r g , ) solches wollen zuschreiben. Nachdem er nun den obigen m e l e t h r a i s c h e n Schlüssel zu seinen Zahlen vorangeschicket, und den Inhalt vorgesetzet; so hebt Herr H a b e r l a n d so an: „Mein lieber TITYRE, du liegest dar im kühlen Schatten des weitaußgebreiteten Buchbaums, 2. und erdenckest auff einem geringen Haberhalm (ohne Zweifel hat Herr Haber-

Vorrede zu Virgils Hirtengedichte

375

land bloß um dieser AVENA halber, sichs belieben lassen, Virgils Uebersetzer zu werden) „einen Waldgesang, U n d s p i e l e s t d a s e l b s t auf d e i n e r P f e i f f e n ein S c h a f e r l i e d . W i r aber müssen unser liebes Vaterlandt, und unser wolgebautes Feldt, so uns allen lieb ist, verlassen, 4. W i r müssen aus unserm Vaterlande weichen, und solches gleichsam mit dem Rücken ansehen: D u TITYRE aber streckest dich wie ein Fauler im Schatten, und 5. indem du ein Liedlein spielest von deiner liebsten Amaryllis, machest du, daß das ECHO in den Waldern dir darauf antwortet 6. TIT. O mein lieber Meliböe, daß ich also sicher und frey meine acker kan bewohnen, daß habe ich dem Keyser AUGUSTO zu dancken, 7. denn ihn wil ich allezeit als meinen G o t t ehren, 8. aus meiner Heerde, wil ich ihm zu Ehren, offt ein junges Lamm opfern 9. K . " D o c h genug davon. W i r kommen auf dieses Jahrhundert, und da hat uns ein geschickter Schulmann zu Frankfurt am M a y n , J o h a n n V a l e n t i n , etwas bessers geliefert. Das W e r k hat f o l g e n d e n T i t e l : „PUBLII VIRGILII MARONIS

des

nie genug gepriesenen lateinischen Poeten Gedichte, als die zehn Hirtenlieder: V o m Hauß= und Feldwesen vier Bücher, wie auch von des Trojanischen Fürsten Aenea Kriegs^ und andern Heldenthaten zwolff Bücher, So in ungebundne Hoch=Teutsche Red übersetzt, J o h a n n Valentin, des GYMNASII zu Franckf. am M . weyland RECTOR. Frf. am M . verl. J o h . Ad. Stock im J a h r 1724. 8 . " Was mich bey diesem Titel befremdet, ist dieses, daß der Verfasser für todt ausgegeben wird; da doch seine Vorrede gleich nach dem ersten Blatte folget, und kein Mensch uns sagt, ob er irgend über dem W e r k e gestorben, oder ob dieß eine zweyte Ausgabe sey, u . d . m . Er entschuldigt sich aber, daß etwa seine Uebersetzung vielen hie und da in e t w a s g e z w u n g e n , und der Eigenschaft teutscher Zungen W o l r e d e n h e i t z u w i d e r v o r k o m m e n m o c h t e , damit; daß er darinn nicht sowohl auf die Zierde und h o c h h e r 25""

376

Johann

Christoph

Gottsched

g e s u c h t e Redensarten, als auf den W o r t v e r s t a n d , und Nutz der Schuljugend gesehen. Er bezeugt auch, daß ihm noch niemand, der sich einer solchen Verdeutschung unterfangen, bekannt sey. Eben das sagt sein erster Lobdichter, in seiner daktylischen Ode. Daß Maro, die Perle der edelsten Dichter, Die jemals die prächtige Tyber geehrt, Auf unserem Helikon, nunmehr viel lichter Herschimmert und seinen Glantz zu uns gekehrt; J a daß er schon würcklich in Hochteutscher Zungen Verstanden kan werden von Alten und Jungen; Diß hat euch Teutonien einig zu dancken, Großedeler VALENTIN, weil ihr allein Ihn habet aus LATIENS machtigen Schranken, Geführet bis hieher an unseren Mayn. Was keiner noch vor euch getraut zu berühren, Das kontet ihr glücklich und loblich vollführen. Der berühmte M o s c h e r o s c h fängt sein Gedicht so an: Daß, MARO, dein berühmter Nam, Versetzet ROMA wird gelesen, Macht daß ich jüngst ins Zweifeln kam, Von dem ich noch nicht gar genesen: O b du von Rom, mehr Ruhm und Zier Erlangt habst, oder Sie von dir? Eine Krankheit, daran auch nach ihm, bey andern Gelegenheiten noch viele darnieder gelegen. Die Antwort, die er sich giebt, ist nicht viel gründlicher, als der Zweifel war. Dem sey wies woll', so glaub doch ich, Daß künfftig nun wird Franckfurt können, Durch dich, o Teutscher Maro, sich Mehr blühend und berühmter nennen, Und ihr, Herr Valentin, zu Lohn Tragt Theil an solchem Ruhm davon.

Vorrede zu Virgils Hirtengedichte

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U m doch auch von dieser U e b e r s e t z u n g eine P r o b e zu sehen, wollen wir gleichfalls den A n f a n g der ersten E k l o g e ansehen, damit man sie mit den vorigen vergleichen k ö n n e .

PRIMA ECLOGA,

Das erste Hirtengedicht. Gespräch-Personen, MELIBOEUS u n d TITYRUS. MELIBOEUS.

M e i n F r e u n d TITYRE ! du ligst da unter einem kühlen B u c h baum an der R u h , und dichtest auff einer reinen und hell* lautenden F l o t h e n ein W a l d - o d e r Hirten=Lied. W i r arme L e u t aber von M a n t u a , müssen unser armes Vatterland, H a a b und G u t verlassen: W i r müssen j e t z u n d das Elend b a u e n ; A b e r du, mein F r e u n d TITYRE, hast dich da in den Schatten gestrecket, und lehrest die B a u m e im W a l d das Lied von der schonen AMARYLLIDE wieder erschallen. TITYRUS.

O mein lieber F r e u n d MELIBCEE ! G o t t (der K a y s e r A u g u stus) hat mir diese R u h e b e s c h e r e t : V o n nun an will ich ihn allezeit v o r meinen G o t t halten: dessen Altar soll offtmals ein jung O p f f e r = L a m m aus meinem P e r c h mit seinem Blut anfeuchten, und besprengen. E r hat mir vergünstiget, wie du siehst, daß mein V i e h mag weiden, und ich selbst auf meiner F l ö t h e pfeiffen, was v o r L i e d e r m i r belieben. MELIBCEUS.

F ü r w a h r ich m i ß g ö n n e dir diese G n a d n i c h t , verwundre m i c h vielmehr drüber, so seltzam gehet es auf dem gantzen L a n d durch einander: D a n n siehe, mein lieber T i t y r e , ich baufällig und b e t r ü b t e r M a n n , treibe m e i n e Gaißlein vor m i r h e r : kan diese alte kaum fortbringen JC. 2C.

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Johann

Christoph

Gottsched

Anmerkungen findet man bey dieser Verdeutschung gar nicht; sieht aber wohl, daß freylich ihr Urheber fleißig bey seiner Regel und Absicht verblieben sey, jungen Leuten den Wortverstand seines Dichters deutlich und leicht zu machen. Es würde mir zu weitläuftig fallen, wenn ich auch die einzelnen Stucke melden wollte, die uns theils der berühmte Herr Rector in Zwickau, in den Schriften der hiesigen Deutschen Gesellschaft; theils noch neulich in dem neuen Buchersaale der schönen Wissenschaften und freyen Künste, einige junge Dichter zu Königsberg in Preußen geliefert haben. Die Granzen einer Vorrede würden von mir dabey überschritten werden: daher ich ihnen nur kürzlich das verdiente Lob habe ertheilen wollen. Von einer weit höhern und edlern Art ist also die gegenwärtige Arbeit, des berühmten Herrn S u b r e c t o r s , welche hier ans Licht tritt. Es ist derselbe nicht zufrieden gewesen, uns Virgils bloßen Sinn in einer magern ungebundenen Rede zu liefern; sondern er hat ihm auch den Wohlklang des Sylbenmaaßes nicht rauben wollen. Er hat ihm auch die poetischen Schönheiten des Ausdruckes gelassen; so viel die niedrige Schreibart der Hirtengedichte solches verstattete. Er ist zugleich bey der deutschen Sprachrichtigkeit standhaft geblieben, und hat sich nicht durch die Sucht, sinnreicher, oder vielmehr versteckter und verwirrter, zu schreiben, als andre, von der Bahn der schönen Natur abwendig machen lassen. Seine Anmerkungen sind gelehrt, und zeigen sowohl von vieler Belesenheit, als Einsicht; und werden allen Liebhabern des Alterthums überall ein angenehmes Licht anzünden; der Jugend aber zu einem Leitfaden dienen, viele andre Dichter allmählich verstehen zu lernen. Doch was bemühe ich mich, einen Dichter zu loben, der meines Lobes gar nicht bedarf, und sich nur selbst zeigen darf, um zu gefallen? Nur solche Gedichte muß man mit ganzen Büchern der Welt anpreisen, die niemand ohne Ekel lesen kann; und die alles Anpreisens ungeachtet, dennoch

Vorrede

zu Virgils Hirtengedichte

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niemand lesen, vielweniger bewundern wird. Von unserm Herrn Uebersetzer wünschen wir nur, daß er uns auch die Bucher vom F e l d b a u , davon wir schon etwas gesehen haben, bald völlig liefern möge. Sollte man schließlich eins wünschen, so würde es dieses seyn, daß Er uns doch seine Ursachen entdecken mochte: warum er in verschiedenen Wortern das y in ein i verwandelt, zumal am Ende, als d a b e i , u . d . g l . da er es doch so wohl in Tityrus, als in g e w e y h t , und W e y d e , u . a . m . noch beybehalten, die es doch eben so nothig nicht gehabt hatten. Ich habe in der zweyten Ausgabe meiner Sprachkunst die G r ü n d e angegeben, warum man das y nicht abschaffen soll: habe auch nach der Zeit aus einigen neuentdeckten Eigenschaften der alten deutschen Sprache, noch mehrere Ursachen gefunden, diesen bisherigen Gebrauch, sonderlich am Ende der Worter zu bestätigen. Bey Gelegenheit will ich dieselben bekannt machen, und sie selbst durch das Ansehen unsers ältesten Sprachlehrers, O e l i n g e r s , bestätigen. Doch das ist nur eine Kleinigkeit, die vieleicht nur dem Verbesserer der ersten Abdrücke zuzuschreiben ist, und die ich also besser mit Stillschweigen hatte übergehen sollen. Leipzig, den 19 Marz, 1750.

Vorrede zu Auserlesene Schriften von Bernard de Fontenelle 1751

Geneigter Leser, D a ß gegenwartige fontenellische Schriften sich sowohl in Deutschland, und andern auswärtigen Landen, als in ihrem Vaterlande, beliebt zu machen gewußt, hat die bisherige gute Aufnahme und der Abgang dreyer Auflagen zur Gnuge gewiesen. Ware dieses nicht gewesen, und hätte sich weiter keine Nachfrage nach denenselben gefunden: so würde gewiß der Herr Verleger an diese neue Ausgabe nicht gedacht haben. Allein Bücher von so bewährter Güte verlieren ihre Liebhaber sobald nicht; und vernünftige Buchhändler suchen ihrem Verlage bey solchen Umständen, durch alles, was in ihrem Vermögen ist, einen neuen Glanz, und eine noch bessere Aufnahme zu verschaffen. Es geschieht von meiner Seite mit dem großesten Vergnügen, daß ich solches durch diese neue Auflage der fontenellischen Schriften als mit einem Beyspiele bestätigen kann. Die Gespräche von mehr als einer Welt sind dasjenige Werk, womit ich mich zuerst ans Licht gewaget: und da ich mit diesem Versuche nicht eben unglücklich gewesen; so habe ich gegen denselben allemal eine Art der vorzüglichen Zuneigung empfunden, die man sonst den Aeltern gegen ihre ältesten Kinder zuzuschreiben pflegt. Doch ich gehe vieleicht zu weit, wenn ich mir ein Buch zueigne, dessen Uebersetzer ich nur bin. Ich will aber auch solches nur in soweit gesaget und verstanden haben; als es einem Dollmetscher zukommt, an dem Beyfalle, den ein fremdes Werk in der Uebersetzung findet, Theil zu nehmen. Und ob ich gleich weis, daß die Nachsicht meiner Leser bey den ersten Ausgaben mir manche Unvollkommenheit übersehen hat: so habe ich doch aus alter Neigung gegen diese Schriften alle-

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Jobann

Christoph

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mal gewünschet, noch einmal die letzte Hand daran legen zu können; und sie alsdann mit mehrerer äußerlicher Schönheit ans Licht gestellet zu sehen. Mein Wunsch ist itzo erfüllet. Der Herr Verleger, welcher nicht leicht etwas an sich ermangeln laßt, was zur Ehre des deutschen Buchhandels, und zum Vergnügen der Liebhaber guter Bücher gereichen kann, hat sich entschlossen, auch diesem seinem ersten Verlagsbuche diejenige Ehre anzuthun, die ihm in Holland, durch eine mit schonen Kupfern gezierte Auflage wiederfahren war. Er hat sich die Kosten nicht dauren lassen, selbige, die von dem berühmten picardischen Grabstichel sind, aufs sauberste nachstechen zu lassen: und unser jüngerer Herr Bernigeroth hat gewiß alle seine Geschicklichkeit dabey gewiesen. Dazu gehörte nun auch ein ansehnlicheres Format, welches in einem bequemen Bande, alle drey vorige Bandchen fassen konnte: und auch hieran hat es der Herr Verleger nicht fehlen lassen; so daß nunmehr diese fontenellischen Meisterstücke, in einer ihrem Werthe ganz anstandigen Gestalt, vor deine Augen treten können. Außer dem aber, daß ich bey dieser neuen vierten Ausgabe, die Schreibart meiner Uebersetzung durch und durch nochmals übersehen und verbessert habe; bin ich auch auf einige wichtigere Verbesserungen bedacht gewesen. Ich habe hin und wieder nicht nur meine alten Anmerkungen geprüfet, und ihnen einige Flecken abgewischet; sondern auch verschiedene neue Gedanken, und Erlauterungen hinzugesetzet. Dieses ist nun auch in der Historie der heydnischen Orakel bisweilen geschehen, wo vorhin keine solche Zusätze zu finden waren. Die den Gesprächen von mehr als einer Welt vorhin angehenkten kleinern Stücke des Herrn Verfassers, stehen itzo ganz am Ende; ja sie sind noch mit verschiedenen Stücken vermehret, die man entweder dabey, oder noch gar nicht im Deutschen gefunden hatte.

Vorrede zu 'Auserlesene Schriften' Fontenelles

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Dieses letzte gilt von der vortrefflichen A b h a n d l u n g des H e r r n Verfassers, vom D a s e y n G o t t e s , a u s d e r B e t r a c h t u n g d e r T h i e r e . D i e s e habe ich i t z o allererst übersetzet, und zu mehrerer Erläuterung mit verschiedenen A n m e r k u n g e n begleitet. E i n e W a h r h e i t , die von solcher W i c h t i g k e i t ist, kann nicht sattsam eingescharfet w e r d e n : und sie wird o h n e Zweifel auch in diesem neuen L i c h t e , darinn sie H e r r von F o n t e n e l l e zeiget, bey vielen Lesern die zum Zweifel geneigt sind, einen starkern E i n d r u c k machen. D a m i t dieser B a n d nicht zu dick und u n b e q u e m w ü r d e , hat man es für gut b e f u n d e n , b e y dem Tractate von den O r a k e l n der H e y d e n , alle fremde Zusätze wegzulassen. D i e o h n m a c h t i g e n E i n w ü r f e des P. B a l t u s , gegen den L e h r s a t z des van D a 1 e und H e r r n von F o n t e n e l l e : daß alle O r a k e l der H e y d e n b l o ß e Betrügereyen der G ö t z e n p f ä f f e n gewesen; haben in D e u t s c h l a n d nicht den geringsten E i n d r u c k gem a c h t . U n s r e evangelische Gottesgelehrten sind viel zu gelehrt, und zu vernünftig gewesen, als daß sie in Vertheidigung eingebildeter T e u f e l e y e n , mit diesem jesuitischen W i d e r s a c h e r der W a h r h e i t , gemeine Sache hätten machen w o l l e n . U n d folglich brauchte dieser so gründliche, als angenehme T r a c t a t auch keiner Vertheidigung gegen dieselben. In den G e s p r ä c h e n von m e h r als einer W e l t , wird man eine kleine Veränderung gewahr w e r d e n , die ich vieleicht nicht hätte wagen sollen. D e r H e r r Verfasser hatte seine U n t e r r e d u n g e n mit der Marquisinn in eine z u s a m m e n hangende E r z ä h l u n g verwandelt; und sich dadurch genothiget gesehen, alle A u g e n b l i c k e zu sagen: erwiederte die M a r quisinn, versetzte ich, antwortete die M a r q u i s i n n , versicherte ich dieselbe, u . d . m . W ä r e dieses nicht vielen vernünftigen L e s e r n , die es mir selbst e n t d e c k e t , verdrüßlich gefallen; und verlShre irgend die ganze U n t e r ( r e ) d u n g , durch die Auslassung so ekelhafter W i e d e r h o l u n g e n , das allergeringste:

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so wurde ich sie unverändert gelassen haben, wie sie in den ersten Auflagen gestanden. Allein meines Erachtens wird die itzige Einrichtung, dem Leser diesen Ueberdruß ersparen, und die Gespräche selbst, werden durch die Abrückung aller Antworten, und Vorsetzung der Namen, keine geringe Deutlichkeit und Anmuth gewonnen haben. Ueber jedes Gesprach habe ich einen Zierrath in Kupfer stechen lassen, der aber etwas mehr, als ein bloßer Zierrath seyn wird. Der erste zeiget den copernicanischen Weltbau, darinn sich die Erde um die Sonne walzet. Der andere, das Bild des Mondes, wie er durch gute Sehrohre erscheint; der dritte den Abriß desselben, wie er sich nach der Vernunft vorstellet, und im Hevelius abgebildet worden; so gut es sich im Kleinen hat ausdrücken lassen. Der vierte zeiget die Gestalt der sechs Hauptplaneten, durch gute Fernglaser betrachtet; da denn auch die Erde ihren Platz behauptet, so wie sie von ferne erscheinen muß. Der fünfte zeiget die Bahnen der Cometen um die Sonnen und Fixsterne, nach einem neuern und bessern Lehrgebäude, als das cartesianische war, welches Herr von Fontenelle vorgetragen. Das sechste endlich zeiget die Gestalt des 1744 erschienenen Cometen, so wie ihn Herr Prof. Heinsius damals, durch ein treffliches gregorianisches Sehrohr, zu Petersburg beobachtet, und in Kupfer hat stechen lassen. Zum Schlüsse habe ich das artige Schaferspiel des Herrn von Fontenelle wieder mittheilen wollen, welches ich schon bey der ersten Ausgabe übersetzet, und dem Drucke überlassen hatte. Ich bin darinn nach dem Muster des Originals, bey der bequemen Versart geblieben, die kurze und lange Zeilen untereinander laufen laßt; und wohl gar die Versarten vermischet. So sehr dieselbe manchen Lesern von Poesien gefallt; so unbequem ist sie den Schauspielern, die solche Verse lernen sollen; wenn es nicht Opern sind, die musikalisch aufgeführet werden: und eben deswegen, war ich dieser meiner Arbeit so gram geworden, daß ich sie bey

Vorrede zu 'Auserlesene Schriften'

Fontenelles

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den neuern Auflagen weggelassen hatte. Da indessen die Erfindung an sich selbst, auch durch diese faule Reimart nichts verliert, habe ich sie wiederum Gnade finden, und dieser neuen Ausgabe beyfügen lassen. Hätte der Herr Verleger diese Sammlung noch starker machen wollen: so hatte man sie leicht mit der Arbeit fremder Federn, die etwas fontenellisches übersetzet haben, bereichern können. So steht zum E. in dem I u. II B. des Büchersaales der schonen Wissenschaften und fr. K. die schone Abhandlung von der Dichtkunst überhaupt, und der theatralischen insbesondere; die sich von der Hand meiner Freundinn und Gehülfinn herschreibt. Und in den Schriften der hiesigen deutschen Gesellschaft sind noch einige andre fontenellische Stücke in Versen verdeutschet anzutreffen. Allein, wie gesagt, diese Sammlung gerieth schon stark genug: und jene Schriften sind ohnedem in jedermanns Händen, so daß es nicht nothig war, sie hier nochmals abzudrucken. Meine Abhandlung von Gesprächen, die sonst vor den Todtengesprachen stund, habe ich als eine Einleitung zu dem ganzen Bande voransetzen lassen, nachdem ich sie übersehen und in etlichen Stücken verbessert hatte. Der geneigte Leser lasse sich auch diese meine Bemühung gefallig seyn, und bleibe mir ferner gewogen. Geschrieben den 22sten Jänner 1751.