Arbeitswelt in der Kirche: Gesellschaftliche und theologische Perspektivenwechsel zu ehrenamtlicher (Mit-)Arbeit in Kirche und Diakonie [1 ed.] 9783666564895, 9783525564899

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Arbeitswelt in der Kirche: Gesellschaftliche und theologische Perspektivenwechsel zu ehrenamtlicher (Mit-)Arbeit in Kirche und Diakonie [1 ed.]
 9783666564895, 9783525564899

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APTLH 96

Petra Brunner

Die Autorin Dr. Petra Brunner ist derzeit Vikarin der Johanniskirchen­ gemeinde Bonn-Duisdorf.

BAND 96

Das Ehrenamt ist essenziell für die kirchlich-diakonische Arbeit. Doch schnell verkommt es zum Lückenbüßer – Petra Brunner schafft mit ihrer Verknüpfung theologischer und gesellschaftlicher Diskurse eine Neu-Begründung. Brunner analysiert das kirchlich-diakonische Ehrenamt in den drei gesellschaftlichen Begründungsdiskursen von Professionalität, Macht/Teilhabe und Arbeit. Fazit: Unzureichend. Ausgehend vom Reich-Gottes-Motiv entwickelt die Autorin daher theologisch verantwortlich und mit systemischem Blick ein theologisch-sozialpolitisches Prozessmodell. Darin erscheinen ehrenamtliche und anders verortete Arbeiten und Tätigkeiten im kirchlich-diakonischen Bereich als Form der Teilhabe am Reich Gottes. Das kann nur gerechte Arbeitsbedingungen und eine neue Wertschätzung zur Folge haben!

ISBN 978-3-525-56489-9

9 783525 564899

Brunner  Arbeitswelt in der Kirche

ARBEITEN ZUR PASTORALTHEOLOGIE, LITURGIK UND HYMNOLOGIE

Arbeitswelt in der Kirche Gesellschaftliche und theologische Perspektivenwechsel zu ehrenamtlicher (Mit-)Arbeit in Kirche und Diakonie

Arbeiten zur Pastoraltheologie, Liturgik und Hymnologie Herausgegeben von Eberhard Hauschildt, Franz Karl Praßl und Anne M. Steinmeier

Band 96

Petra Brunner

Arbeitswelt in der Kirche Gesellschaftliche und theologische Perspektivenwechsel zu ehrenamtlicher (Mit-)Arbeit in Kirche und Diakonie

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2021, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: 3w+p, Rimpar Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2197-1242 ISBN 978-3-666-56489-5

Den Frauen in meiner Familie

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Gesellschaftliche und theologische Perspektiven in der inner- und außerkirchlichen Ehrenamtsdebatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Analyse der Diskurse zum Phänomen freiwilliges Engagement . . . Diskurse ums Ehrenamt in der unmittelbaren Nachkriegszeit . . . 1.1.1 Diskurs um Professionalisierungsprozesse und Professionalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1.1 Ehrenamt im Professionalisierungs- bzw. Professionalitätsdiskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1.1.1 Ehrenamt als mangelhaft professionalisierte Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1.1.2 Professionelle im Konflikt mit Ehrenamtlichen – Freiwillige Mitarbeitende sind durch professionelle Fachkräfte zu managen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1.2 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.2 Diskurs um Macht und Teilhabe . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.2.1 Ehrenamtliches oder zivilgesellschaftliches Engagement im Macht- und Teilhabediskurs . . . . . 1.1.2.1.1 Der gesellschaftliche Wertewandel bedingt den Wandel der Ehrenamtstypen . . . . . . . 1.1.2.1.2 Zivilgesellschaftliches Engagement als Weg gesellschaftlicher Teilhabe und Veränderung . 1.1.2.2 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.3 Diskurs um Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.3.1 Freiwillige Arbeit im Arbeitsdiskurs . . . . . . . . . .

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Inhalt

1.1.3.1.1 Freiwillige Arbeit entlastet die sozialstaatlichen Kassen . . . . . . . . . . . . 1.1.3.1.2 Ehrenamtliche Arbeit als Substitut für die sinnstiftende Dimension der Lohnarbeit . . . 1.1.3.1.3 Freiwillige Arbeit als alternative (weibliche) Arbeitsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.3.2 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.4 Fazit der „Diskursanalyse“ zu freiwilligem Engagement . . . 1.2 Ehrenamt in theologischen Motiven . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Freiwillige Mitarbeit als Priestertum aller Gläubigen . . . . . 1.2.2 Ehrenamt als Praxis der Charismen . . . . . . . . . . . . . . 1.2.3 Ehrenamt als Nächstenliebe und Nachahmung diakonischer Vorbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.4 Exkurs: Gesamtdarstellungen zum Ehrenamt . . . . . . . . . 1.2.5 Fazit der theologischen Motive . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Das Ehrenamt in drei Diskursen und unter Bezug auf drei theologische Motive – ein Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. „Lohnabhängige“ und „freiwillige“ Arbeit in Kirche und Diakonie – ein Perspektivwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Definitorische „Unterscheidung“ lohnabhängiger und freiwilliger Arbeit sowie Care- bzw. Fürsorgearbeit . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Freiwillige Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1.1 Ehrenamt und Selbsthilfe . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1.2 Freiwillige Arbeit bzw. Freiwillige Mitarbeit und Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Lohnabhängige Arbeit bzw. Erwerbsarbeit . . . . . . . . . . . 2.1.3 Fürsorge- oder Carearbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.4 Arbeitskontinuum – die Aufhebung der strengen „Unterscheidung“ lohnabhängiger und freiwilliger Arbeit sowie Care- bzw. Fürsorgearbeit . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Deutungen, Bedingungen und Logiken der Arbeit in Kirche und Diakonie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Theologische Deutungen und praktische Implikationen der Dienstgemeinschaft – Dienstgemeinschaft als theologische Chiffre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1.1 Dienstgemeinschaft in den Kirchenverfassungen bzw. in der Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1.2 Dienstgemeinschaft im kirchlichen Arbeits- und Dienstrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

2.2.1.2.1 Rechtliche Unterscheidung der Arbeitsverhältnisse in Kirche und Diakonie . 2.2.1.2.2 Außerkirchlicher Ursprung und Herkunft der „Dienstgemeinschaft“ . . . . . . . . . . . . . 2.2.1.2.3 Grundlegende Bestimmung der Dienstgemeinschaft durch den Kirchenjuristen Werner Kalisch . . . . . . . . 2.2.1.2.4 Entwicklung der Dienstgemeinschaft . . . . . 2.2.1.2.5 Dienstgemeinschaft als theologische Chiffre der Gestaltung kirchlich-diakonischer Arbeit – Theologische Leitideen und soziale Wirklichkeit der diakonischen Arbeitswelt im Widerspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1.3 Fazit zu den praktischen und theologischen Implikationen der Dienstgemeinschaft . . . . . . . . . 2.2.2 Rollenerwartungen und Arbeitsüberlastung kirchlich-diakonischer Mitarbeitender . . . . . . . . . . . . . 2.2.2.1 Arbeitsüberlastung der Pfarrer*innen . . . . . . . . . 2.2.2.1.1 Der Pfarrberuf als Schlüsselrolle mit Verantwortung für den Fortbestand der Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2.1.2 (Unklare Abgrenzung von) Arbeitszeiten und Aufgabengebiet der Pfarrer*in . . . . . . . . . 2.2.2.1.3 Das Pfarrhaus als Projektionsfläche moralischer und familiärer Ideale . . . . . . . 2.2.2.1.4 Kirchenrechtliche sowie theologische Zusammenhänge des Pfarrberufs und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2.2 Arbeitsüberlastung der Gemeindepädagogen . . . . . 2.2.2.3 Arbeitsüberlastung der diakonischen Mitarbeitenden . 2.2.2.4 Bedrängende Rollenerwartungen und umfangreiche Arbeitsüberlastung in der kirchlich-diakonischen Erwerbsarbeit – ein Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Ökonomisierung der wohlfahrtsstaatlichen Diakonie und der evangelischen Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3.1 Ökonomisierung der wohlfahrtsstaatlichen Diakonie . 2.2.3.1.1 Diakonische Bewegungen und die Entstehung des deutschen sozialstaatlichen Arrangements . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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10 2.2.3.1.2 Ökonomisierung der Sozialpolitik und der Arbeit der Wohlfahrtsverbände . . . . . . . 2.2.3.1.3 Fazit Ökonomisierung der Sozialpolitik und der Arbeit der Wohlfahrtsverbände . . . . . 2.2.3.2 Ökonomisierung der evangelischen Kirche . . . . . 2.2.3.3 Fazit Ökonomisierung der Arbeitswelt in evangelischer Kirche und Diakonie . . . . . . . . . . 2.2.4 Die Deutungen, Bedingungen und Logiken lohnabhängiger Arbeit in Kirche und Diakonie zeigen ein spannungsvolles Bild – ein Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Freiwillige und/oder lohnabhängige Tätigkeit als Arbeit – Leitlinien für einen weiten Arbeitsbegriff aus verschiedenen Arbeitsverständnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Beginn der Arbeitsgeschichte – Arbeit in der Antike . . . . 2.3.2 Arbeit als alltägliches Tun in Relation zu Gott – Arbeitsperspektiven der biblischen Tradition . . . . . . . . 2.3.2.1 Arbeit im Alten Testament . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2.1.1 Arbeit in der Tora . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2.1.2 Sozialgeschichtliche Perspektiven des Alten Testaments zur Arbeit . . . . . . . . . . . . 2.3.2.1.3 Arbeit im Alten Testament – ein Fazit . . . 2.3.2.2 Arbeit im Neuen Testament . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2.2.1 Das sprachliche Vorkommen von Arbeit im NT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2.2.2 Arbeitsteilung und Berufe im biblischen Zeugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2.2.3 Christliche Berufs- und Arbeitsverbote . . . 2.3.2.2.4 Sklavenarbeitende in der christlichen Gemeinde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2.2.5 Fazit Arbeit im Neuen Testament . . . . . . 2.3.2.3 Fazit Arbeit im biblischen Zeugnis . . . . . . . . . . 2.3.3 Arbeit als menschliche Selbstwirksamkeit und zugleich als Anlass zur Buße – Das ambivalente Arbeitsverständnis von der Zeitenwende bis zum Ausgang des Mittelalters . . . . . 2.3.4 Arbeit als von Gott gesehener Beruf – Reformatorisch-wertschätzende Perspektiven auf Arbeit . . 2.3.5 Arbeit als Beitrag zu menschlichem Fortschritt und Verengung auf Lohnarbeit – Neuzeitliche Perspektiven auf Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.5.1 Arbeit in der Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2.3.5.1.1 Ökonomisierte Arbeit – Lohnarbeit . . . . . . 2.3.5.1.2 Tätigkeit in der industrialisierten Arbeitswelt 2.3.5.2 Produktive Arbeit sichert das Gemeinwohl – Adam Smith . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.5.3 Arbeit als Weg der Selbstbewusstwerdung und Selbstverwirklichung – Georg Wilhelm Friedrich Hegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.5.4 Industrialisierte Arbeit entfremdet den Menschen – Karl Marx . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.5.5 Lohn- bzw. Erwerbsarbeit als Beruf – Max Weber . . . 2.3.5.6 Neuzeitliche Perspektiven auf Arbeit und Arbeitswelt – Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.5.7 Moderne Perspektiven auf Arbeit . . . . . . . . . . . . 2.3.6 Theologische Arbeitsperspektiven in der modernen Arbeitswelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.6.1 Berufstheologie des 16. Jh. als Deutungsschema der modernen Arbeitswelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.6.2 Die theologische Deutung mit agrarisch-geprägten Schemata in der kapitalistischen Arbeitswelt . . . . . 2.3.6.3 Die gesellschaftliche (Arbeits-)Position als göttlich angeordneter Beruf – Albrecht Benjamin Ritschl . . . 2.3.6.4 Der Wandel theologischer Deutung von Beruf zur Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.6.5 Arbeit als Erwerbsarbeit in der theologischen Betrachtung nach dem Zweiten Weltkrieg . . . . . . . 2.3.6.5.1 Die Hochzeit der theologisch-kirchlichen Beschäftigung mit Arbeit seit dem Zweiten Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.6.5.2 Die theologische Betrachtung von gefährdeter Erwerbsarbeit seit den Wirtschaftskrisen der 1970er Jahre . . . . . . 2.3.6.5.3 Gegenwärtige theologische Arbeitsdebatten . 2.3.7 Freiwillige und lohnabhängige Tätigkeit als Arbeit – Synthetisches Arbeitsverständnis sowie Fazit . . . . . . . . . 2.4 Neue Perspektiven zu „lohnabhängiger“ und „freiwilliger“ Arbeit in Kirche und Diakonie – ein Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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12 3. Das Reich Gottes als Hoffnungsperspektive für die Arbeit in Kirche und Diakonie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Das Reich Gottes als transformatives Motiv . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Biblisch-Theologische Perspektiven des Reiches Gottes . . . . 3.1.2 Theologiegeschichtliche Rezeption des Reich-Gottes-Motivs . 3.1.3 Das kommende und gekommene Reich Gottes in der gegenwärtigen Lebenswelt – Jürgen Moltmann . . . . . . . . 3.1.3.1 Geschichtstheologie nach dem Zweiten Weltkrieg . . . 3.1.3.2 Vorgeschichte und Einflüsse auf Jürgen Moltmanns Theologie der Hoffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3.3 Jürgen Moltmanns Theologie der Hoffnung als Reich-Gottes-Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3.3.1 Geschichte und Geschichtlichkeit der biblischen Tradition . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3.3.2 Die noch ausstehende Zukunft der biblischen Reich-Gottes-Verheißungen als Grund der Hoffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3.3.3 Die Auferweckung Jesu als Hoffnungsgrund für das gekommene und kommende Gottesreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3.3.4 Gerechtigkeit, Leben und Reich Gottes als Dimensionen der Verheißung . . . . . . . . . 3.1.3.3.5 Das Reich Gottes als konkrete Gegenwart und Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3.4 Kritische Würdigung des theologischen Entwurf Moltmanns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.4 Das Reich Gottes als transformatives Motiv – eine Synthese . 3.2 Nancy Frasers Modell zur Erlangung von Teilhabe auf Augenhöhe (partizipatorische Parität) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Identitäts- und Umverteilungspolitik in der gegenwärtigen politisch-philosophischen Bestimmung sowie grundsätzliche ethische Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1.1 Identitäts- und Umverteilungsforderungen als Ausdrucksformen gegenwärtiger Teilhabe- sowie Gerechtigkeitsanliegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1.2 (Diskurs-)Ethische Grundlegungen des Fraser’schen Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1.2.1 Frasers Rezeption der Habermas’schen Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

3.2.1.2.2 Gesinnungs- oder Verantwortungsethik als ausschließende Alternativen? Diskursethische Konzepte als dritter Weg . . 3.2.2 Nancy Frasers Gerechtigkeitsmodell der partizipatorischen Parität – Analyse-, Strategiebildungs- und Aushandlungsverfahren zur Erlangung von Teilhabe auf Augenhöhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.1 Das „postsozialistische Zeitalter“ als Ausgangpunkt der Gerechtigkeitstheorie Nancy Frasers . . . . . . . . 3.2.2.2 Anerkennung oder Umverteilung – eine falsche Alternative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.3 Nur mehrdimensionale Gerechtigkeitstheorien können Ungerechtigkeitserfahrungen treffend analysieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.3.1 Ablehnung einer Subsumierung von Anerkennung unter Umverteilung . . . . . . 3.2.2.3.2 Subsumierung von Umverteilung unter Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.4 Frasers eigene Positionierung und Kritik an eindimensionalen Entwürfen . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.5 Die partizipatorische Parität als Norm und Ziel der Fraser’schen Gerechtigkeitsvorstellung . . . . . . . . . 3.2.2.6 Erlangung partizipatorischer Parität . . . . . . . . . . 3.2.2.6.1 Affirmative und transformative Strategien zur Erlangung der Teilhabe auf Augenhöhe . 3.2.2.6.2 Diagonale Handhabe und Grenzstrategie als unterstützende Werkzeuge der Strategiebildung . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Kritische Würdigung von Nancy Frasers Gerechtigkeitsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Das begonnene Reich Gottes und die kirchlich-diakonische Arbeitswelt – Das Reich Gottes als Möglichkeitsraum in Kirche und Diakonie zur Ereignung partizipatorischer Parität . . . . . . . 3.3.1 Das Reich Gottes und Nancy Frasers partizipatorische Parität 3.3.2 Der Möglichkeitsraum zur Gestaltung der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3 Rahmenmodell und Verfahren zur Gestaltung der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt unter Orientierung am Reich Gottes im Sinne einer Teilhabe auf Augenhöhe . . . . .

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14 3.4 Analyse-, Strategiebildungs- und Aushandlungsverfahren Frasers zur Eröffnung eines Möglichkeitsraums für Partizipatorische Parität am Beispiel freiwilliger Mitarbeitender in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1 Die EKiR bzw. die Diakonie RWL als Rahmen für das Verfahren zur Erlangung partizipatorischer Parität und entsprechende Organisationsstrukturen . . . . . . . . . . . . 3.4.1.1 Die EKiR und Diakonie RWL als Bezugsrahmen . . . 3.4.1.2 Mitarbeitende der EKiR und Diakonie RWL . . . . . . 3.4.1.3 Die Evangelische Kirche im Rheinland . . . . . . . . . 3.4.1.4 Kirchlich-diakonische Regelungen freiwilliger Mitarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1.5 Missionarische und diakonische Werke der EKiR . . . 3.4.2 Analyse-, Strategiebildungs- sowie Aushandlungsverfahren in der Arbeitswelt in der rheinischen Kirche und Diakonie . . 3.4.2.1 Gemeinsame Referenztexte sowie Praxen als Deutungshintergrund aller Mitglieder im Rahmen EKiR und Diakonie RWL . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2.2 Initiierung der Analyse-, Strategiebildungs- und Aushandlungsverfahren in der Arbeitswelt der EKiR und Diakonie RWL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2.2.1 Die Diskurskultur in Kirche und Diakonie stärken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2.2.2 Die erweiterte Synode als kollektives Diskussionsforum der EKiR und Diakonie RWL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2.3 Eine Gruppe von ehrenamtlichen Mitarbeitenden analysiert ihre mangelnde Teilhabe auf Augenhöhe in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt . . . . . . . . . 3.4.2.4 Eine komplexe Strategie aus bedingungslosem Grundeinkommen und allgemeinen Vokationshandlungen zur Ermöglichung von partizipatorischer Parität der ehrenamtlichen Mitarbeitenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2.4.1 Bedingungsloses Grundeinkommen als affirmative Strategie auf der wirtschaftlichen Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2.4.2 Allgemeine Vokationshandlungen als transformative Strategie der Statusordnung .

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3.4.2.4.3 Doppelstrategie der freiwilligen Mitarbeitenden zur Erlangung partizipatorischer Parität in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt . . . . . .

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Schlusswort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Anhang: Dienstgemeinschaft bzw. Dienstbegriff in Verfassung/Ordnung/Grundordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort

Die hier vorliegende Arbeit wurde im Juli 2018 von der evangelisch-theologischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn als Promotionsschrift angenommen. Ich danke der Fakultät für die freundliche Aufnahme in das strukturierte Promotionsprogramm, welches mir den vielfältigen Austausch mit allen theologischen Disziplinen ermöglicht hat. Mein ganz besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Eberhard Hauschildt, der mich von Anfang an in meinem Promotionsvorhaben begleitet und unterstützt hat. Seine ermutigenden Worte haben mich im Zusammenspiel mit unseren kritisch-konstruktiven Fachgesprächen über meine Promotionsschrift mein Vorhaben konsequent verfolgen lassen. Sein ressourcenorientierter Blick und seine praktisch-theologischen Positionen sind mir Anregung und Vorbild gewesen. Durch die Betreuung von Prof. Dr. Hauschildt konnte ich die unterschiedlichen pädagogischen, theologischen, sozialwissenschaftlichen und politischen Fäden zu einer praktisch-theologischen Forschungsarbeit zusammenweben. Mein besonderer Dank gilt dem Zweitgutachter dieser Arbeit, Herrn Prof. Dr. Meyer-Blanck für seine pointierten kritischen Rückfragen, die mich herausgefordert haben, meine Arbeit stets achtsam und gründlich zu prüfen. Herr Prof. Dr. Meyer-Blanck hat dankenswerterweise das Zweitgutachten abgefasst. Ich danke der Geschwister-Weck-Stiftung für die großzügige Unterstützung durch ein Studienabschlussstipendium, das mir die nötige Ruhe für das Abschließen dieser Forschungsarbeit ermöglicht hat. Ich danke der Maecenata-Stiftung, den Collegiat*innen und Moderatoren des zivilgesellschaftlichen Forschungscollegiums für den kollegialen, interdisziplinären und stets anregenden Austausch zum weiten Feld der Zivilgesellschaftsforschung. Ich danke den Nachwuchswissenschaftler*innen der Praktischen Theologie und Religionspädagogik für den anregenden Austausch auf den Netzwerktagungen. Ich danke der Evangelischen Kirche im Rheinland für die großzügige Gewährung eines Druckkostenzuschusses.

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Vorwort

Ich danke dem Herausgebendenkreis dieser Reihe herzlich für die Aufnahme meiner Promotionsschrift in die Arbeiten zur Pastoraltheologie, Liturgik und Hymnologie. Für die fachliche Begleitung durch den Verlag danke ich Frau Miriam Espenhain und Herrn Dr. Jörn Laakmann. Ich danke Prof. Dr. Peter Bubmann für den freundlichen Austausch und die Überlassung von Grafiken. Ich danke Ursula Hofmeister für die unermüdlichen und gründlichen Korrekturarbeiten. Mein herzlicher Dank gilt meinem Ehemann Matty Ben Urmersbach, meinen Freund*innen und meiner Familie für die inspirierenden Gespräche und die vielfältige Unterstützung.

Einleitung

Das Ehrenamt ist allgegenwärtig: Eine pensionierte Lehrerin gibt in einer Erstaufnahmeeinrichtung Deutschunterricht für geflüchtete Jugendliche. Die ehrenamtlichen Schöffen am Jugendgericht tragen entscheidend zur Urteilsfindung bei. Der freiwillig engagierte Sporttrainer ermöglicht der Kindergruppe, jede Woche schwitzend um den Sportplatz zu traben. Ohne das bürger*innenschaftliche Engagement vieler wären die Stadtparlamente dutzender Kleinstädte leer. Außerdem blieben Büchereien, Beratungsstellen, Chorproben und vieles mehr geschlossen. Der letzte bundesrepräsentative Freiwilligensurvey 2014 beziffert die Engagementquote der BRD mit 43,6 %.1 Demnach sind fast die Hälfte aller Bürger*innen ab 14 Jahren freiwillig aktiv. Diese hohe Zahl illustriert, dass ehrenamtliche Tätigkeit sowohl für die gesamte deutsche Gesellschaft als auch „für die Evangelische Kirche von entscheidender Bedeutung“2 ist. Das Thema ehrenamtliches Engagement findet seit mindestens 16 Jahren, nämlich seit dem Bericht der Enquete-Kommission im Jahr 2002 – „Zur Zukunft des bürgerlichen Engagements“ – hohe Beachtung in der öffentlichen Debatte. Die Förderung freiwilligen Engagements ist Teil der politischen Agenda geworden. Außerdem setzen sich unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen, politische Verbände oder auch die Kirche für die Stärkung des Ehrenamts ein. Dabei sind die Gründe, sich für freiwilliges Engagement starkzumachen, ganz unterschiedliche: So wird freiwilliges Engagement von manchen als Ausgleichsmöglichkeit für die leeren Kassen der Kommunen in der sozialen Versorgung gesehen. Andere wähnen darin eine Gelegenheit, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken. Hinsichtlich der Organisationen Kirche und Diakonie werden ebenfalls ganz verschiedene Hoffnungen mit dem Ehrenamt verknüpft. Die Angst vor dem Pfarrer*innen- und Finanzmangel lässt die Freiwilligen als Rettung der schrumpfenden Kirche erscheinen. Die wohlfahrtsstaatlich refi1 Vgl. Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2016, S. 70. 2 Kirchenamt der EKD o. J. Zitat von der Homepage des EKD-Projekts „Zukunft Ehrenamt“, welches seit 2016 existiert.

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nanzierten Organisationen der Diakonie spüren die Auswirkungen des staatlich forcierten Wettbewerbs auf einer Art „Sozialmarkt“. Konkurrenz zwischen den verschiedenen freien Trägern und der weitergegebene Kostendruck machen Freiwillige als Ressource bzw. „Freiwilligenmanagement“ in der Diakonie zur Kosteneinsparung attraktiv. All dies stiftet allein noch keine hinreichende theoretische Begründung, vielmehr zeigen sich ganz unterschiedliche Motive bei der Förderung freiwilligen Engagements. Demnach ist Ehrenamt gesamtgesellschaftlich und auch in den kirchlich-diakonischen Organisationen allgegenwärtig und von daher stellt sich folgende Forschungsfrage: Wie kann das Ehrenamt in Kirche und Diakonie begründet werden? Im Rahmen dieser praktisch-theologischen Untersuchung werden zur Beantwortung dieser Fragestellung sowohl sozialwissenschaftliche als auch theologische Begründungszusammenhänge beachtet. Diese vielfältigen Perspektiven scheinen relevant, um den Forschungsgegenstand aus verschiedenen Blickwinkeln in Augenschein zu nehmen. Die wechselnden Perspektiven sollen das Bild vom Ehrenamt komplettieren. Ferner dient das Wechselspiel der Perspektiven auch der Schärfung der Fragestellung sowie der Blickrichtung. An dieser Stelle ist ein spezifischer Aspekt, welcher einen Perspektivwechsel hinsichtlich der Fragestellung bedingen könnte, bereits zu nennen: In den Organisationen, in denen häufig ehrenamtliches Engagement stattfindet, sind in der Regel zugleich hauptberufliche und freiwillige Mitarbeitende neben- bzw. miteinander tätig. Diese Vermischung von freiwilligen und beruflichen Strukturen ist im sozialen und religiösen Bereich besonders ausgeprägt. Die Gründe für das Bestehen erwerbsarbeiterischer und ehrenamtlicher Strukturen können unterschiedlich beurteilt werden: So kann der Sachverhalt als eine unvollständige Professionalisierung im Zuge der gesellschaftlichen Ausdifferenzierung verstanden werden oder auch als konstitutives Element des partizipativen Charakters der Organisation. Kirchlicherseits wird der große Anteil von freiwilligen Mitarbeitenden teilweise als Konsequenz einer verweigerten umfassenden modernen Ausdifferenzierung durch den religiösen Bereich gedeutet. Trotzdem sind die kirchlich-diakonischen Organisationen von vielfältigen Modernisierungsprozessen (Ausdifferenzierung und Professionalisierung) betroffen. So bestehen viele unterschiedliche berufliche Tätigkeitsbereiche innerhalb dieser Organisationen: pädagogisch-psychologische, theologische, pflegerisch-medizinische, administrativ-verwaltende, musische und technisch-handwerkliche Tätigkeiten werden durch Erwerbsarbeit geleistet. Bedingung für die berufsförmig organisierte Arbeit, wie sie sich auch gesamtgesellschaftlich wiederfindet, sind ganz unterschiedliche Qualifikationen sowie Ausbildungszertifikate. Neben diesen beruflichen Mitarbeitenden sind auch stets Ehrenamtliche in allen Arbeitsbereichen aktiv.

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Es wird zu prüfen sein, ob diese Tatsache nicht zu einem Perspektivenwechsel bzw. zu einer Erweiterung hinsichtlich der Fragestellung einlädt. Es ist denkbar, dass die Fragstellung dieser Untersuchung von ehrenamtlicher Mitarbeit auf alle Formen bezahlter und unbezahlter Arbeit in den kirchlich-diakonischen Organisationen zu erweitern ist. Damit würde sich folgende Forschungsfrage stellen: Wie ist (freiwillige und entlohnte) Arbeit in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt zu begründen? Auch hinsichtlich eines solchen erweiterten Anliegens, nämlich dem Nebenund Miteinander von freiwilligen und beruflichen Strukturen, sind dann die vielfältigen sozialwissenschaftlichen als auch theologischen Perspektiven zu berücksichtigen und in einen Dialog zu bringen. In der Theologie wurde das Thema „freiwillige bzw. ehrenamtliche Mitarbeitende“ lange Zeit nicht wahrgenommen.3 In den einschlägigen theologischen Lexika ist kein Artikel „Ehrenamt“ vorhanden bzw. wurde erst kürzlich aufgenommen.4 Diese Beobachtung steht paradigmatisch für die Auseinandersetzung mit dem Phänomen Ehrenamt bzw. freiwillige Mitarbeitende in der Theologie. Ab Mitte der 1990er gewann das Phänomen Freiwilligkeit bzw. Ehrenamt im Zuge mit der gesamtgesellschaftlichen Beachtung auch vermehrt in der Theologie Aufmerksamkeit. Die bundesrepräsentativen Freiwilligensurveys von 1999, 2004, 2009 und 2014 wurden auch von Kirche, Diakonie sowie Theologie mit großem Interesse rezipiert und regten eine intensive Auseinandersetzung mit freiwilligem Engagement an. So liegen mittlerweile zahlreiche eigene empirische Untersuchungen sowie Sonderauswertungen der Freiwilligensurveys5 vor. Hervorzuheben ist insbesondere die Studie der Diakonie6, die im Jahr 2010 700.000 freiwillige Mitarbeitende in den unterschiedlichen diakonischen Arbeitsbereichen aufführt. Darin werden Tätigkeitsbereiche und Arbeitszusammenhänge genauer untersucht. Zudem bezeichnet das Papier Freiwillige als „von unschätzbarer Bedeutung”7 und fragt: „Mit welchen zeitgemäßen, adäquaten und organisatorischen Instrumenten und Verfahren können wir auf sämtlichen Ebenen der Diakonie dieses Engagement erschließen, fördern und weiterentwickeln?”8

3 Vgl. Hofmann 2012, S. 338. 4 Die TRE enthält bisher keinen eigenständigen Artikel zum „Ehrenamt“. In der RGG wurde „Ehrenamt“ 1999 in die 4. Auflage aufgenommen. 5 Z. B.: Ahrens 2017; Evangelische Hochschule Nürnberg 2012; Hollfelder/Riesterer/Stemmer 2011; Horstmann 2013; Horstmann 2017; König/Maschke 2017; Ohlendorf/Sinnemann 2017; Seidelmann 2012; Sinnemann 2017 Seidelmann 2016, Bd. 25. 6 Diakonisches Werk der Evangelischen Kirche Deutschland e.V. 2012. 7 Ebd., S. 45. 8 Ebd., S. 46.

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In vielen der genannten Publikationen ist weder die theologische noch die sozialwissenschaftliche Begründung des Ehrenamts profiliert: Freiwillige Mitarbeit wird für gewöhnlich ohne genauere Erklärungen als „Basis der Kirche“9 und als „eine tragende Säule der Diakonie”10 bezeichnet. Ebenso wird die Stärkung des freiwilligen Engagements als Auftrag der Kirche gedeutet11, ohne diese Position zu belegen. Einige Publikationen weisen zwar auf Problematiken des Amts- und Rollenverständnisses hin12 und benennen die Notwendigkeit, „die Rollenprofile von Haupt- und Ehrenamtlichen in der evangelischen Kirche zu schärfen”13. Jedoch fallen theologische Klärungen – wenn sie überhaupt vorkommen – meist sehr knapp aus. Am häufigsten nennen die protestantischen Veröffentlichungen zur Begründung des freiwilligen Engagements die reformatorische Formel vom Priestertum aller Gläubigen.14 In diesem Sinne werden freiwillige Mitarbeitende oftmals mit der Verwirklichung des Priestertums Aller identifiziert. In der Folge wird das kirchliche Amt sodann mit dem Pfarrberuf identifiziert. Auf diesem Wege wird die komplexe kirchlich-diakonische Arbeitswelt auf unzulässige Weise vereinfacht. Hauschildt verweist bei dem Konsultationstag der EKD zum Thema Ehrenamt im Frühjahr 2013 eindringlich darauf hin, dass das Dual von Allgemeinem Priestertum und Predigtamt für sich unfähig ist, den Ehrenamtlichen eine angemessene Stellung in ihrem System zuzuweisen – und auch unfähig ist, den anderen vielen Hauptberufen, die es inzwischen im Zusammenhang der Kirche gibt, gerecht zu werden.15

Von daher wird zu untersuchen sein, auf welche Weise freiwilliges Engagement aus sozialwissenschaftlichen und theologischen Perspektiven Begründung erfährt. In einem zweiten Schritt wäre zu erörtern: Wie ist die kirchlich-diakonische Arbeitswelt zu gestalten, dass gelingende Arbeit möglich wird? Um sich den beiden genannten Forschungsfragen zu nähern, wird schrittweise vorgegangen. Der erste Teil der Darstellung thematisiert gesellschaftliche sowie theologische Perspektiven in der inner- und außerkirchlichen Ehrenamtsdebatte (1.). Darauf folgt ein Perspektivwechsel hin zu „lohnabhängiger“ und „freiwilliger“ Arbeit in Kirche und Diakonie (2.). Im dritten und letzten Teil wird das Reich Gottes als Hoffnungsperspektive für die Arbeit in Kirche und Diakonie (3.) untersucht.

9 10 11 12 13 14 15

Bremische Evangelische Kirche 2012, S. 3. Diakonisches Werk der Evangelischen Kirche Deutschland e.V. 2013, S. 6. Vgl. Evangelische Kirche Mitteldeutschland 2012, S. 11. Vgl. Evangelisches Bildungszentrum Gemeindeentwicklung und Gottesdienst 2013, S. 2. Seidelmann 2012, S. 8. Vgl. Heckel 2004; Kirchenamt der EKD 2006. Hauschildt 2013, S. 13.

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Der erste Gliederungspunkt beruht auf der These, dass „Ehrenamt“ (bzw. zivilgesellschaftliches/bürger*innenschaftliches Engagement, freiwillige Arbeit, Selbsthilfe etc.) als ein Container-Begriff fungiert, der in sehr unterschiedlichen Auseinandersetzungen als Bezugspunkt gewählt wird. Die Literatur zum Thema Ehrenamt bzw. freiwilligem Engagement muss daher stets im Kontext anderer dominierender Diskurse gelesen werden. In drei zu unterscheidenden politischen, gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Diskursen in Deutschland nach dem 2. Weltkrieg wird Engagement jeweils sehr unterschiedlich verstanden und begründet (1.1). Durch die Analyse der (wissenschaftlichen) Literatur und Zeitgeschichte werden die drei Bezugsdiskurse Verberuflichung/Professionalität, Macht/Teilhabe und Arbeit herausgestellt. Im ersten Teil der Forschungsarbeit wird gezeigt, dass diese Bezugsdiskurse auch im Rahmen kirchlich-theologischer Literatur Anklang finden. Neben den typischen Argumentationslogiken treten in der kirchlich-theologischen Literatur noch eigene theologische Motive hinzu, die eigens erläutert werden (1.2). Insgesamt ist es das Anliegen des ersten Teils dieser Untersuchung, die gesellschaftlichen Diskurse sowie entsprechende Legitimationsstrategien und Ehrenamtsrhetoriken in diesen Diskursen darzulegen. Auf diese Weise findet eine erste Annäherung an die Forschungsfrage nach den Begründungszusammenhängen von Engagement statt. Wie bereits vorab erwähnt, drängt die Diskurslage zur Erweiterung des Blicks auf die ganze Arbeitswelt in Kirche und Diakonie. Dazu werden im zweiten Teil die unterschiedlichen Formen von Arbeit und ihr jeweiliges Verhältnis zueinander näherhin betrachtet (2.1 und 2.2). Es wird der Versuch unternommen, die kirchlich-diakonische Arbeitswelt mittels eines erweiterten Arbeitsbegriffs zu rekonstruieren und sowohl freiwillige Arbeit als auch entlohnte Arbeit als Tätigkeit innerhalb der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt zu konzipieren (2.3 und 2.4). Auf dieser Grundlage des ersten und zweiten Teils werden im dritten Teil Impulse zur Konkretisierung und Gestaltung der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt entworfen. Denn nachdem die vielfältigen Ausprägungen der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt begründet wurden, gilt es nun, Bedingungen oder Kriterien für gelingende Arbeit zu identifizieren. Dazu wird ein Aushandlungsmodell (3.2) vorgeschlagen, mit dem die kirchlich-diakonische Arbeitswelt orientiert am Ziel der Teilhabe auf Augenhöhe sowie dem theologischen ReichGottes-Motiv (3.1) gestaltet werden kann. Damit wird die kirchlich-diakonische Arbeitswelt zugleich an einer Zielvorgabe (Teilhabe auf Augenhöhe) ausgerichtet und die Erlangung des Reiches Gottes wird in den Aushandlungsprozess selbst hineinverlegt (3.3). Insgesamt ist es das Anliegen dieser praktisch-theologischen Untersuchung hinsichtlich der Forschungsfragen, immer wieder theologische und sozialwissenschaftliche Perspektiven miteinander ins Gespräch zu bringen und ge-

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geneinander zu kontrastieren. Die Autorin erhofft sich, dadurch einen modifizierten Blick auf die kirchlich-diakonische Arbeitswelt zu erschließen. Schließlich soll das unter 3.4 exemplifizierte Fallbeispiel sowohl die durchaus abstrakten Themen von Ehrenamts- bzw. Arbeitsverständnis als auch das Aushandlungsmodell in Bezug auf die faktische kirchlich-diakonische Arbeitswelt der EKiR/ Diakonie RWL illustrieren und konkretisieren. Im Rahmen dieser praktisch-theologischen Forschungsarbeit, deren Anliegen gesellschaftliche sowie theologische Perspektivenwechsel sind, werden bestimmte Methoden eingesetzt. Es handelt sich maßgeblich um eine Literaturarbeit, wobei die Autorin sich in eine Auseinandersetzung mit der vorgestellten Literatur und auch (gesellschaftlichen) Positionen begibt. Als biodeutsche, weiße Frau, Theologin sowie Pädagogin usw. in der Welt stelle ich mich als Autorin im Prozess dieser Untersuchung dem Für und Wider bestimmter Ansichten und Standpunkte. So bildet der vorgelegte Text auch diesen Prozess der Modifizierung und Schärfung der eigenen Position nach. In einer dialektischen Weise werden unterschiedliche Standpunkte wertschätzend anerkannt und möglicherweise ggf. sogar gegensätzliche Positionen miteinander verbunden. So entsteht ein zusammengesetztes, durch die Positionen modifiziertes, und in diesem Sinne synthetisches verändertes Verständnis. Dabei soll nicht gesagt werden, dass dabei im Sinne einer Hegel’schen Synthese alle Widersprüche der unterschiedlichen Positionen auf einer höheren Ebene aufgehoben sind. Vielmehr stellt die synthetische Position das Ergebnis des Dialogs mit der Literatur dar und wird dann zur Diskussion gestellt. Dieses methodische Vorgehen findet sich besonders ausgeprägt in den Abschnitten 2.3.7 (Freiwillige und lohnabhängige Tätigkeit als Arbeit) sowie in 3.1.4 (Das Reich Gottes als transformatives Motiv – eine Synthese). Ein weiterer Gesichtspunkt zur Methodik sei noch genannt. Obwohl es sich um eine praktisch-theologische Untersuchung handelt, finden sich in den Abschnitten 2.3.2, 2.3.3, 2.3.4 sowie 2.3.616 teilweise längere Abschnitte mit Darstellung exegetischer bzw. systematisch-theologischer Inhalte. Diese können und sollen nicht die kontemporären Fachdebatten der entsprechenden theologischen Disziplinen darlegen. Es geht jeweils darum, Konsenspositionen bzw. symptomatische Lesarten und die damit verbundenen Deutungspotentiale aus der zweiten Hälfte des 20. Jh. wiederzugeben. Ferner werden gängige theologiegeschichtlich wirksame Reich-Gottes-Rezeptionen sowie Arbeits- bzw. Berufs16 2.3.2 Arbeit als alltägliches Tun in Relation zu Gott – Arbeitsperspektiven der biblischen Tradition, 2.3.3 Arbeit als menschliche Selbstwirksamkeit und zugleich als Anlass zur Buße – Das ambivalente Arbeitsverständnis von der Zeitenwende bis zum Ausgang des Mittelalters, 2.3.4 Arbeit als von Gott gesehener Beruf – Reformatorisch-wertschätzende Perspektiven auf Arbeit, 2.3.6 Theologische Arbeitsperspektiven in der modernen Arbeitswelt.

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vorstellungen im sozialen Zusammenhang referiert. Denn es soll zum einen angezeigt werden, in welchem sozialen Kontext eine bestimmte Deutung verortet ist. Zum anderen soll das kritische Potential der entsprechenden Lesart Eingang finden. Im Rahmen dieser praktisch-theologischen Studie sind von daher die aus solchen Deutungen für die Praxis erwachsenden Wechselspiele sowie Dynamiken näher zu betrachten. Die gängigen sowie potentiellen Lesarten wirken auch in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt, auf die die Arbeit thematisch fokussiert ist.

1.

Gesellschaftliche und theologische Perspektiven in der inner- und außerkirchlichen Ehrenamtsdebatte

Das Phänomen freiwilliges bzw. ehrenamtliches Engagement wird in der vorliegenden Untersuchung jeweils im Kontext unterschiedlicher gesellschaftlicher Diskurse1 betrachtet. Dabei ergeben sich unterschiedliche Wahrnehmungen sowie Bestimmungen der freiwilligen Mitarbeit. Dieses Vorgehen unterscheidet sich von der Rekonstruktion einer (vermeintlich) kontinuierlichen Geschichte

1 Wenn an dieser Stelle von Diskurs gesprochen wird, dann in seiner allgemeinsten Form als „die Produktion sozialen Sinns, verstanden als die symbolische (d. h. sprachliche, visuelle, auditive) Darstellung, Vermittlung und Konstitution von Gegenständen in kommunikativen Prozessen.“ (Traue/Pfahl/Schürmann 2014, S. 493) Im Rahmen dieser Untersuchung werden die Vermittlung und Konstitution des Ehrenamts in drei verschiedenen Diskursen unter Bezugnahme auf die kirchlich-theologische Literatur sowie Praxen analysiert. Sodann werden unterschiedliche Diskursstränge, die sich zum Ehrenamt formieren, herausgestellt. Diskurse zeigen an, wie zu einer bestimmten Zeit und in einem bestimmten Kontext über ein Thema wie Ehrenamt gedacht wird. Die einzelnen Aussagen können immer nur zusammen mit dem (gesamt-)gesellschaftlichen Bedeutungs- und Handlungskontext verstanden werden. Diese hier gewählte Orientierung entspricht auch der der sozialwissenschaftlichen Diskursanalyse. Zwar wird insbesondere im Zusammenhang des ersten Teils dieser Untersuchung von den analysierten Diskursen gesprochen, jedoch wird dabei nicht die Anwendung diskursanalytischer, sozialwissenschaftlicher Verfahren impliziert. Die Diskursanalyse ist eine Forschungsperspektive, die seit den 1970er Jahren von Frankreich ausgehend große Verbreitung gefunden hat. Insbesondere Foucault und seine grundsätzlichen diskursanalytischen Ausführungen (Foucault 2017; Foucault 2008, Bd. 356) waren für diese Forschungsmethodologie prägend, im Anschluss daran entwickelten sich unterschiedliche diskursanalytische Verfahren. (Vgl. z. B.: Berger/Luckmann/Plessner 2016; Jäger/Jäger 2007; Keller 2011; Laclau/Mouffe 2001.) Dabei fällt nicht nur in diesem ersten Teil der Terminus Diskurs, sondern auch im dritten Teil dieser Untersuchung wird von Diskursen die Rede sein. Keller warnt: „Die Verwendung des Diskursbegriffs im Sinne der Diskursethik […] sorgt für Missverständnisse.“ (Keller 2011, S. 111) Es ist unbedingt zwischen den zwei verschiedenen Diskursbegriffen zu unterscheiden. Der Diskursbegriff der sozialwissenschaftlichen Methodologie ist analytisch und deskriptiv. Hingegen kennzeichnet „Diskurs“ in diskursethischen Ansätzen, wie dem von Jürgen Habermas oder Karl Otto Apel, ein normatives Ziel von Aushandlungsprozessen, nämlich den herrschaftsfreien Diskurs. Zu der im Rahmen dieser Arbeit gewählten diskursethischen Variante mehr unter Gliederungspunkt 3.2.1.

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Gesellschaftliche und theologische Perspektiven

des Ehrenamts2. Bei solchen Vorhaben ist die Idee leitend, dass v. a. die Motive für ehrenamtliches bzw. freiwilliges Engagement unabhängig vom zeitlich-räumlichen Kontext konstituierend sind. Wird in kirchlich-theologischen Zusammenhängen in dieser Weise argumentiert, dann wird auf die verbindende christlich-theologische Engagementmotivation als einendes Element verwiesen.3 In dieser Untersuchung hingegen werden explizit die politischen, gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Zusammenhänge um die freiwillige Tätigkeit einbezogen und in ihren Wechselwirkungen mit dem Ehrenamt analysiert. Die zu betrachtenden Diskurse zu ehrenamtlichem Engagement werden sowohl in zeitlicher als auch geographisch-räumlicher Perspektive begrenzt. Als eine entscheidende Zäsur wird die Industrialisierung bzw. der industrielle Kapitalismus angenommen, der mit umfassenden Veränderungen gesellschaftlicher 2 Dem Versuch, eine Geschichte bzw. Genealogie des Ehrenamts zu schreiben, liegt meist das Interesse zugrunde, durch den historischen Aufweis der ehrenamtlichen Tätigkeit ein solches Engagement in der Gegenwart zu fordern. Explizit christliche Ehrenamtsgenealogien wie beispielsweise in Brackneys „Christian Voluntarism“ halten in der Regel das christliche Element für konstitutiv. Dementsprechend wird dann diese religiöse Motivation in einer Linie von der Antike bis zur Gegenwart nachvollzogen und als ursprünglich qualifiziert. Dieses ursprüngliche Tun dient der religiösen Legitimierung der zeitgenössischen Engagementforderung. Brackney klassifiziert: „the history of Christianity is in its voluntarism.“ (Brackney 1997, S. XIII.) Indem Brackney die Kirchen bzw. kirchliche Vereinigungen als typische freiwillige Versammlungen bzw. Assoziationen klassifiziert, nähert er kontemporäre US-amerikanische Vergesellschaftungsformen und biblisches Zeugnis aneinander an. Insgesamt will Brackney mit seiner Interpretation von Aaron als den Leiter einer informellen, freiwilligen religiösen Assoziation, die gemeinsam das goldene Kalb (Ex 32) verehrt hat, das US-amerikanische Staat-Kirche-Verhältnis begründen. (Vgl. Brackney 1997, S. 10.) Auch in der deutschsprachigen Ehrenamtsdebatte wird häufig genealogisch argumentiert, so konstatiert Rose „der Jüngerkreis Jesu und die junge christliche Kirche [hat] vor allem aus Ehrenamtlichen bestanden.” (Rose 2008, S. 2.) Die gegenwärtige Kirche solle sich an diesem Vorbild orientieren. Der Faktor Ursprünglichkeit bzw. Originalität verschafft genealogischen Rechtfertigungsmustern eine gewisse Überzeugungskraft. Allerdings werden dabei die diversen gesellschaftlichen sowie zeitgeschichtlichen Kontexte außer Acht gelassen. Ein solcher Blick bleibt eindimensional, denn, dass die Formen religiösere Beteiligung zu Zeiten Jesu kaum mit den arbeitsteiligen Verhältnissen der Moderne zu vergleichen sind, ist evident. Im Rahmen dieser Untersuchung sollen solche anachronistischen Eintragungen möglichst vermieden und verschiedene Phänomene in ihrem sozialen Kontext präzise ergründet werden. D. h. im Folgenden wird explizit keine Genealogie des Ehrenamtes als urtypisch religiöses Phänomen vorgenommen. 3 Der Artikel „Ehrenamt“ in der RGG 4 interpretiert die Tätigkeit in der frühen Kirche und der Mönchsgemeinschaften in dieser Weise als freiwilliges, d. h. ehrenamtliches Engagement. (Vgl. Picard 1998–2007, S. 1105.) Ebenso nimmt Fischers Monographie „Ehrenamtliche Arbeit, Zivilgesellschaft und Kirche“ den Standpunkt ein, dass das Ehrenamt letztlich genealogisch aus der Antike herzuleiten sei. Ursprung des christlichen Ehrenamts sei die in Apg 16 bezeugte Tätigkeit der Purpurhändlerin Lydia und ihr Einsatz für die christliche Gemeinde. (Vgl. Fischer 2004, S. 23.)

Gesellschaftliche und theologische Perspektiven

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Verwertungs- und Produktionsbedingungen wesentlich zur Ausbildung eines modernen Arbeits- und Berufsverständnisses beitrug. So tauchte der Terminus „Ehrenamt“ im Zusammenhang der sozialen Verwerfungen der Frühindustrialisierung und eines veränderten Verständnisses von Arbeit bzw. Armut durch Nicht-Arbeit erstmals 1808 in der preußischen Städteordnung auf. Im engeren Fokus der vorgelegten Analyse stehen Verhältnisse und Begründungen des Ehrenamts in der arbeitsteiligen Gesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg.4 Neben der zeitlichen lenkt auch eine geographische Einschränkung den Blick bei der Untersuchung der Ehrenamtsdiskurse: Die vorliegende Untersuchung konzentriert sich insbesondere auf den Raum des deutschsprachigen Protestantismus und auf das Gebiet des späteren Nationalstaats Deutschland.5 Mittels der zweifachen Begrenzung wird der Kontext der Diskurse in seinen gesellschaftlichen, wohlfahrtsstaatlichen (Wohlfahrtsstaat westlichen Typs), kirchlichen (landesherrliches Kirchenregiment) und theologischen Perspektivierungen klarer fassbar. Für diesen ersten Teil der Untersuchung gilt die Grundannahme, dass es sich beim Terminus Ehrenamt bzw. freiwillige Mitarbeit oder bürger*innenschaftliches Engagement um einen „Container“-Begriff handelt. Das Ehrenamt selbst ist wenig aussagekräftig. Aus diesem Grund reagiert es sehr sensibel auf ganz unterschiedliche gesellschaftliche Auseinandersetzungen sowie Trends und zeigt eine hohe Anschlussfähigkeit an andere, dominante Diskurse. Seit Mitte der 1990er Jahre befasst sich eine Fülle ganz unterschiedlicher Politikbereiche, Beratungsstellen, Kongresse, Forschungsschwerpunkte und Literatur direkt oder indirekt mit dem Thema des freiwilligen Engagements. Ferner weist die diffuse Begriffsvielfalt (ehrenamtliches, bürger*innenschaftliches oder freiwilliges Engagement usw.) auf Veränderungsprozesse und ganz unterschiedliche Ideen bzw. Konzepte, die mit den Begriffen jeweils verbunden werden, hin. Die umfassende Literatur zu den Phänomenen freiwilliges Engagement, Ehrenamt, bürger*innenschaftliches Engagement, freiwillige Arbeit etc. wird im Folgenden im Zusammenhang dreier Diskurslinien aufgegriffen und 4 Die Beschränkung auf die gesellschaftliche Entwicklung nach 1945 impliziert nicht die These der „Stunde Null“ als einem einzigartigen, gesellschaftlichen Neubeginn nach dem Zweiten Weltkrieg. Denn die personellen und ideologischen Kontinuitäten sind ganz besonders in den Institutionen, in denen Engagement stattfindet, zu offensichtlich, um diese ausblenden zu können. Seitens der protestantischen Kirchen und diakonischen Einrichtungen bestehen trotz des Stuttgarter Schuldbekenntnisses theologische Traditionslinien und personelle Kontinuitäten, die in die Zeit vor 1945 hineinreichen. Im Rahmen dieser Arbeit sei v. a. auf die Wirkungsgeschichte des Begriffs „Dienstgemeinschaft“ verwiesen. (Vgl. 2.2.1.) 5 Dieser analytische Fokus ist einem pragmatischen Vorgehen geschuldet. Keinesfalls werden damit nationalstaatliche Zusammenhänge legitimiert. Vielmehr dient diese Beschränkung der präzisen Betrachtung eines zeitlich-lokal begrenzten Phänomens im Kontext der weltweit zusammengehörigen Kirche.

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Gesellschaftliche und theologische Perspektiven

zugeordnet. In Nachkriegsdeutschland ergeben sich drei Diskurslinien, zu denen freiwilliges Engagement in Beziehung tritt: Professionalisierung/Professionalität, Macht/Teilhabe und Arbeit. Im Speziellen wird jeweils die grobe Entwicklung des entsprechenden Diskurses nachgezeichnet, Hauptargumentationsweisen herausgestellt und relevante Publikationen zum Ehrenamt angeführt. Auch explizit theologisch-kirchliche Literatur findet Berücksichtigung. In einem zweiten analytischen Schritt (1.2) werden explizit theologische Veröffentlichungen zum „Ehrenamt“ und die Bezugnahme zu theologischen Eigendebatten und Motiven aufgegriffen. Die theologischen Motive werden nach der Häufigkeit des Vorkommens untersucht, dargestellt und kritisch gewürdigt. Die zweistufige Analyse der Debatte(n) ums Ehrenamt lässt freiwilliges Engagement als Stellvertreterbegriff in den entsprechenden Bezugs-Diskursen klar hervortreten. Durch die Verortung der kirchlich-theologischen Literatur zeigt sich, wie die jeweiligen Diskurse innerhalb von Kirche bzw. Diakonie Gestalt annehmen. Durch die Prüfung und Darstellung der theologischen Motive kann das eigenständige theologische Argumentationspotential hinsichtlich der Beschreibung und Legitimation ehrenamtlichen Engagements genauer wahrgenommen werden.

1.1

Analyse der Diskurse zum Phänomen freiwilliges Engagement

Im Folgenden werden die drei Diskurse Professionalisierung bzw. Professionalität, Macht und Teilhabe sowie Arbeit ausführlich nachvollzogen.6 Vorweg aber noch ein knapper Einblick in die Ehrenamtsdebatten der unmittelbaren Nachkriegszeit. Diskurse ums Ehrenamt in der unmittelbaren Nachkriegszeit In der ersten Nachkriegszeit fand das Thema Ehrenamt keine Aufnahme. Dennoch strukturierten die Konstitution der parlamentarischen Demokratie, die Orientierung an den Westalliierten und auch Traditions- bzw. Angrenzungslinien zur Zeit der Nazidiktatur den gesellschaftlichen Rahmen der folgenden Bestimmung und Auseinandersetzung mit dem Ehrenamt wesentlich. Die Reaktivierung bürgerlicher 6 Eine knappe Analyse gesamtgesellschaftlicher Trends und Ehrenamtsdebatten unternimmt Coenen-Marx in „‚Engagementpolitik‘ in der Kirche“ Dabei stellt sie das Demokratisierungspotential der Kirchen „als Kooperationspartner und Sammlungsorte“ (CoenenMarx 2017, S. 99.) einer offenen, demokratischen Kultur heraus. Gesamtgesellschaftliche Trends und Ehrenamtsdebatten setzt auch Röbke in Beziehung. Er analysiert das Verhältnis Ehren- und Hauptamt als gesamtgesellschaftliche Formierung: „Im Kern, so meine These, geht es gar nicht um eine persönliche Beziehungsebene zwischen zwei Mitarbeitergruppen, sondern um ein strukturelles Problem: nämlich um eine enorme Spannung zwischen Gemeinwohlorientierung und Marktsituation, Sparvorgaben und Gemeindeauftrag, Verdienstleistung und Geschenkökonomie.“ (Röbke 2017, S. 143.).

Analyse der Diskurse zum Phänomen freiwilliges Engagement

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Verhaltensmuster, Werte sowie Ideale in der jungen BRD ist auf Grundlage der mangelnden Auseinandersetzung mit der politisch-gesellschaftlichen Katastrophe der Shoa äußerst plausibel. Achtung der Autoritäten, Unterordnung, Fleiß oder schlicht die klassisch preußischen Pflichttugenden prägten die unmittelbare Nachkriegsgesellschaft. Der Rückzug ins Private, in die individuelle „heile Welt“ wurde vielen nach Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zum Fluchtpunkt. In diesen Zeiten großer individuell-sozialer Verunsicherung wurde insbesondere den Großkirchen als stabilen, gesellschaftlich relevanten Institutionen Vertrauen geschenkt.7 Dies drückt sich u.a. in der sehr hohen, gesamtgesellschaftlichen Kirchenmitgliedschaftsquote aus: 1950 waren 96 % der Gesamtbevölkerung Kirchenmitglied.8 Die Kirchenaustrittszahlen der evangelischen und katholischen Kirche stagnierten bis Ende der 1960er Jahre bei 0,05 bis 0,2 % und befanden sich damit auf dem historischen Tiefststand des 20. Jh. Das kirchliche Christentum der BRD blieb bis in die späten 1960er Jahre äußerst stabil: d. h. der Gottesdienstbesuch ist häufig, die Zustimmung zur kirchlichen Lehre ist groß und auch Teilnahme an den Kasualien ist stark verbreitet.9 Die Institution Kirche und die ihr zugehörigen Pfarrer*innen repräsentierten eine sichere, intakte (bürgerliche) Welt. Von daher kann die große Zustimmung zur Institution Kirche als Teil einer eher konservativen Wertorientierung mit hohen Pflicht- und Akzeptanzwerten verstanden werden.10 Trotz restaurativer Bestrebungen (Idealisierung des „Alten“) vollzog sich seit den 1950er Jahren zusammen mit dem Aufbau der zerstörten Infrastruktur und einem wirtschaftlichen Aufschwung die rapide gesellschaftliche Modernisierung. Der Wirtschaftsboom („Wirtschaftswunder“) der Nachkriegsjahre beendete die Versorgungsmängel (Mangelwirtschaft) und führte zum Einkommenszuwachs der Gesamtbevölkerung. Formalisierte Arbeitsverhältnisse stiegen in den 1950er Jahren um 30 % auf ca. 26,5 Mio. Erwerbstätige an. Das gleichzeitige starke Absinken der Arbeitslosenquote und der hohe zeitliche Arbeitsumfang (Sechs-TageWoche) zeigen die (zeitliche) Dominanz von (Erwerbs-)Arbeit in der deutschen Gesellschaft an. (Erwerbs-)Arbeit diente in erster Linie dem (allgemeinen) Wiederaufbau und dem eigenem Sparen bzw. Bausparen. Verbunden mit dem Zuwachs an Wohlstand nahm auch die Konsumneigung innerhalb des kapitalistischen Systems kontinuierlich zu.11 Ferner trug die wirtschaftliche Prosperität zum Aufbau bzw. Ausbau des Sozialstaats in den Jahren zwischen 1949–1966 bei.12 Die 7 8 9 10 11 12

Vgl. Schildt/Siegfried 2009, S. 48. D. h. Mitglied in einer Freikirche, der evangelischen oder der katholischen Kirche. Vgl. Gabriel 1992, Bd. 141, S. 44. Kmieciak/Klages 1981; Klages 1984; Klages 1988. Vgl. Schildt/Siegfried 2009, S. 100. Die Entwicklung des deutschen Sozialstaats wird entsprechend dem analytischen Modell des Bielefelder Sozialpolitik-Forschers Leisering in vier Phasen nachvollzogen: Konstitution des Sozialstaats (1949–1966), Modernisierung des Sozialstaats (1966–1975), Sozialstaat in

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Gesellschaftliche und theologische Perspektiven

frühen Jahre der BRD legten das Fundament für die weitere wohlfahrtsstaatliche Entwicklung, die Rückwirkungen auf ehrenamtliches Engagement sowie die jeweiligen Diskurse hatten. Solche Weichenstellungen sind beispielsweise die Schaffung der Rahmenbedingungen der diakonischen Tätigkeit, organisiert als Wohlfahrtsverband, oder auch die Konstitution des Rentenversicherungssystems, das die Dominanz von Erwerbsarbeit gegenüber anderer Arbeit zugrunde legt. Insgesamt kann die unmittelbare Nachkriegszeit bis zu den beginnenden 1960er Jahren als Phase der „notorischen Häuslichkeit“13 mit der Hinwendung zum familiären Nahraum sowie einer Konzentration auf Erwerbsarbeit treffend klassifiziert werden. Die häuslich-private Mentalität und mangelnde zeitliche Ressourcen stehen potentiellem ehrenamtlichem Engagement, verstanden als außerhäusliche Tätigkeit neben der Lohnarbeit, eher entgegen. Findet dennoch freiwilliges Engagement statt, dann stets innerhalb traditioneller Vereine oder auch der Kirche: Fußballverein, Kegelclub oder kirchlicher Posaunenchor.14 Bis in die 1960er Jahre hinein wird in den politisch-sozial-kulturellen Debatten kein Bezug auf freiwilliges Engagement genommen. Nur eine einzige Publikation, die das Thema Ehrenamt aufgreift, konnte ermittelt werden.15 1.1.1 Diskurs um Professionalisierungsprozesse und Professionalität Der gesellschaftliche Diskurs um Professionalisierung bzw. Professionalität thematisiert Verberuflichungsprozesse bisher nicht erwerbsförmig organisierter Tätigkeiten bzw. Höherqualifizierung bzw. Verwissenschaftlichung bestimmter Arbeitsgebiete. Ein besonderer Schwerpunkt wird bei der Kontextualisierung dieses Diskurses auf den pädagogisch-pflegerischen Bereich gelegt. Denn zum einen gehören pflegerisch-pädagogische Tätigkeiten zu den kirchlich-diakonischen Kernaufgaben, zum anderen lassen sich an diesem Bereich die vielfältigen Übergänge von nicht-erwerbsförmig, ggf. freiwillig-ehrenamtlich geleisteter, hin zu erwerbsförmig erbrachter Arbeit in den letzten 50 Jahren treffend illustrieren. Freiwilliges Engagement wird in diesem Diskurs als noch professionalisierungsbedürftige Arbeit verstanden. Die junge Bundesrepublik wurde zuerst durch die Pariser Verträge (1955) wirtschaftlich, dann aber auch schnell militärisch sowie politisch in die Gemeinschaft der westeuropäischen Staaten bzw. der USA und ihrer wirtBedrängnis (1975–1995) und schließlich Krise des Sozialstaats (ab 1995). (Vgl. Leisering 2003, S. 3f.) 13 Schildt/Siegfried 2009, S. 105. 14 Für diese frühe Phase der BRD liegen keine empirischen Daten vor. Die vorgenommene Einschätzung basiert auf Rückschlüssen vom gesamtgesellschaftlichen Kontext. 15 Es handelt sich um eine juristische Promotionsschrift, die sich mit den rechtlichen Rahmenbedingungen des kommunalen Ehrenamtes beschäftigt. (Vgl. Linkermann 1962.)

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schaftlich-gesellschaftlichen Ordnung eingebunden. Daher folgten auf den sog. Sputnik-Schock (1957) nicht nur in den USA, sondern auch in vielen anderen westlichen Ländern16 umfassende Bildungsreformen bzw. eine Bildungsexpansion, die die naturwissenschaftlichen Fächer betonte und den Schulbetrieb stärker verwissenschaftlichte.17 Georg Pichts Artikelserie „Die deutsche Bildungskatastrophe“18, die um die mangelnde Zukunftsausrichtung der deutschen Bildungspolitik kreist, verdeutlicht die Virulenz der bildungspolitischen Debatte.19 Der Soziologe Ralf Dahrendorf kritisiert in seiner Streitschrift „Bildung ist Bürgerrecht”20 die mangelnde Chancengleichheit des deutschen Bildungssystems, was die geringe Beteiligung der unteren sowie mittleren Schichten an der zunehmenden gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrt bedingt. In den 1960er Jahren wurden vielfältige bildungspolitische Reformen wie beispielsweise die Erhöhung der Studierendenzahl von Frauen, angestoßen. Daneben wirkten wirtschaftliche Prosperität und die Konstitution der BRD als einer modernen Industrienation auf eine vertiefte bildungs- und berufspolitische Ausdifferenzierung hin. Die zunehmende Akademisierung und Ausdifferenzierung von Bildungsgängen trifft mit der Tendenz zu einer Höherqualifizierungsspirale zusammen. Die Studierendenzahlen stiegen ab Ende der 1960er bis Mitte der 1970er Jahre rapide an und die Hochschullandschaft wurde stark ausgebaut. Die sich vollziehende Bildungsexpansion kann besonders deutlich am durchschnittlichen Quotienten von Studienanfängerinnen einer Jahrgangsgruppe gezeigt werden. Zu Beginn des 20. Jh. lag dieser Wert stets zwischen 1 % und 2 %. 1950 lag der Quotient bei 3,9 %, stieg jedoch kontinuierlich an. 1977 erreichte der Quotient einen Wert über 20 %. Dieser rasch ansteigende Quotient belegt die Tendenz zur 16 Bereits kurze Zeit vorher war in der jungen BRD ein steigendes Interesse an länderübergreifender, bildungspolitischer Kooperation und Planung herangereift, was u. a. in der Gründung des Wissenschaftsrates 1957 kulminierte. Der Wissenschaftsrat (Gremium aus Vertretenden aus Wissenschaft und öffentlichem Leben) empfahl die inhaltliche und strukturelle Weiterentwicklung des Hochschulsystems. Die entstandene Reformdynamik wurde durch den Sputnik-Schock befeuert und zu Beginn der 1960er Jahre wurden neue Hochschulgründungen angeregt. In der Folge kam es zu „systemumfassende[n] Initiativen“ (Kehm 2004, S. 7.), die die bildungspolitische Kooperation intensivierten und in der Konsequenz den gesellschaftlichen Trend der Höherqualifizierung anregten. Das Hamburger Abkommen (1964) kann exemplarisch die vertiefte Kooperation und Höherqualifizierung illustrieren. Beim Hamburger Abkommen sollte durch bundesländerübergreifende Zusammenarbeit das Schulsystem vereinheitlicht werden, wozu der verpflichtende Fremdsprachunterricht ab der fünften Jahrgangsstufe (Höherqualifizierung) eingeführt wurde. (Vgl. Kehm 2004, S. 6.) 17 Vgl. Korte 2009, S. 49ff. 18 Pichts Artikel erschienen 1964 in der Wochenzeitung „Christ und Welt“. (Vgl. auch Picht 1964.) 19 Vgl. Allmendinger 2014. 20 Dahrendorf 1965.

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stärkeren Verwissenschaftlichung bzw. Verberuflichung (Professionalisierung) und Höherqualifizierung, die auch fortgesetzt weiter wirkt. Bereits 1991 wuchs der Studienanfängerquotient auf über 30 % (auf dem Gebiet Westdeutschlands).21 Gegenwärtig lässt sich dieser soziale Gesamttrend an unterschiedlichen Maßnahmen im Zusammenhang des Bologna-Prozesses nachvollziehen.22 Der politische Gestaltungsrahmen des Bundes im Bereich der Hochschulpolitik wurde durch die Grundgesetzänderung im Jahr 196923 ausgeweitet, indem der „Ausbau und Neubau von Hochschulen einschließlich der Hochschulkliniken” (Art. 91a Abs.1. GG) und auch die allgemeine Forschungsförderung als Gemeinschaftsaufgaben des Bundes und der Länder definiert wurden. Dieses starke Zusammenwirken der Länder bei der hochschulpolitischen Gestaltung wird als Phase des „kooperativen Föderalismus“24 mit „einer Reform- und Gesetzgebungsdynamik“25 klassifiziert. Der bildungspolitisch einflussreiche Akteur Bund-Länder-Kommission26 wurde 1970 als Organ für Bildungsplanung und Forschungsfragen geschaffen. Wirksam wurde beispielsweise der Strukturplan der BLK (BundLänder-Kommission) für das deutsche Bildungs- und Erziehungswesen von 1970, der den gesamten Bildungsbereich neu gliederte. Außerdem wurden Gesamtschulen gegründet und durch das neue Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) eine größere Zahl von Menschen in Ausbildung staatlich unterstützt. Die angeregte Akademisierung und Ausdifferenzierung des Bildungswesens zeigt sich auch an der stetig steigenden Zahl der universitären Einrichtungen. Bis 1969 existierten in der ΒRD rund dreißig Universitäten27, zusammen mit anderen Hochschularten lag die Gesamtzahl bei achtzig Einrichtungen (1969). Mit der Überführung von lehrerbildenden Akademien in Pädagogische Hochschulen sowie der Einführung von Gesamthochschulen und Fachhochschulen stieg die Zahl mit 21 Vgl. Windolf 1997. 22 Der Höherqualifizierungstrend nimmt gegenwärtig in einigen Facetten des BolognaProzesses Gestalt an. Allen voran sind die Erleichterung des Hochschulzugangs und die extensive Ausdifferenzierung bisheriger Studiengänge bzw. die Etablierung neuer Studienabschlüsse zu nennen. Im September 2017 existierten 18.658 akkreditierte Studiengänge (vgl. Akkreditierungsrat 2017) und damit so viele Studienangebote wie nie zuvor, die für die unterschiedlichsten Tätigkeitsbereiche formalisiertes (wissenschaftliches) Wissen zur Verfügung stellen. Die Vielzahl der Universitätsabsolventen ist Ausdruck des Höherqualifizierungstrends, der mittelbar auch auf die berufspolitische Gestaltung der unterschiedlichen Bereiche des Erwerbslebens wirkt. 23 Bei der Föderalismusreform (2006) wurde Art. 91a GG wieder geändert und die Hochschulpolitik als Gemeinschaftsaufgabe ersatzlos gestrichen. 24 Kehm 2004, S. 8. 25 Ebd. 26 Die Bund-Länder-Kommission (BLK) wurde 2006 im Zuge der Föderalismusreform in die Wissenschaftskonferenz mit verringerten Befugnissen überführt. 27 Daneben existierten konstant neun Technische Hochschulen. Wohingegen die Anzahl Theologischer Hochschulen von 21 auf 14 (1969) absank und die Zahl der Kunsthochschulen von rund 20 (1950) auf 26 (1969) anstieg.

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einer Art Gründungswelle 1972 auf 19228 an. In den folgenden Dekaden setzte sich auch dieser Zuwachs fort und im 2001 näherte sich die Anzahl auf 300 (auf dem Gebiet Westdeutschlands) an.29 Die gezielten bildungspolitischen Reformbestrebungen der 1960er und 1970er Jahre trugen wesentlich zum Akademisierungsbzw. Verwissenschaftlichungstrend auch von Ausbildungsgängen bzw. Wissensbereichen bei, die zuvor nicht (in diesem Umfang) akademisch erschlossen waren. Die Geschichte der heutigen Evangelischen Hochschule Nürnberg illustriert exemplarisch den Trend der Verwissenschaftlichung, Höherqualifizierung und stetigen Professionalisierung im Rahmen einer kirchlichen Einrichtung: Die Evangelische Frauenschule, 1927 in Nürnberg gegründet, bot für den Bereich der pädagogisch-pflegerisch-haushalterischen Tätigkeit, die üblicherweise unentgeltlich von Frauen übernommen wurde, Weiterbildungsmöglichkeiten, um ggf. mit Erreichen eines Zertifikats einer Erwerbsarbeit nachzugehen. Sie wurde 1939 durch den nationalsozialistischen Staat zwangsweise geschlossen. Im Jahr 1947 wurde die Einrichtung am nahegelegenen Standort Neuendettelsau als Soziales und Katechetisches Seminar, welches sich diesmal nicht explizit nur an Frauen richtete, wiedereröffnet. Im Zuge der sich gesamtgesellschaftlich vollziehenden Verwissenschaftlichung und Höherqualifizierung kam es im sozialen Bereich zu Fachschulgründungen. Das Seminar wurde 1967 in das Evangelische Sozialinstitut Nürnberg überführt, welches verschiedene Fachschulen30 vereinigte. Im Zuge der umfassenden (Fach-)Hochschulgründungen wurden die Höheren Fachschulen zu Fachhochschulen, in diesem Fall 1971 in die Evangelische Stiftungsfachhochschule Nürnberg, umgewandelt. Durch die Zusammenlegung von Fachhochschulstudiengängen der Kirchlichen AugustanaHochschule und der Evang. Stiftungsfachhochschule Nürnberg 1995 gründete sich die Evangelische Fachhochschule Nürnberg mit drei Fachbereichen (Pflegemanagement, Religionspädagogik/Kirchliche Bildungsarbeit, Sozialwesen). 2010 erfolgte die Umbenennung in Evangelische Hochschule Nürnberg.31 Diese Institutionengeschichte trägt deutlich Züge der gesamtgesellschaftlichen Verwissenschaftlichungs- und Professionalisierungstrends.32 28 Außerdem wurden 83 Fachhochschulen gegründet. 29 Vgl. Lundgreen/Schwibbe 2008. 30 Höhere Fachschule für Sozialarbeit, Höhere Fachschule für Sozialpädagogik und Fachschule für Sozialpädagogik. 31 Vgl. Evangelische Hochschule Nürnberg o. J. 32 Der Professionalisierungs- und Höherqualifizierungstrend hat außerdem mannigfaltige Effekte sowohl auf die arbeitgebenden diakonisch-kirchlichen Organisationen als auch auf die Individuen, die ausgebildet werden. Aus organisationaler Perspektive sei exemplarisch auf die veränderten Machtgleichgewichte hingewiesen. Denn, wenn beispielsweise neben Pfarrer*innen auch Religionspädagog*innen Religionsunterricht erteilen, verändern sich etablierte Machtgleichgewichte. Aus dem Blickwinkel des Individuums führt die Höherqualifizierung zu verbesserten Chancen auf dem Erwerbsarbeitsmarkt und damit zu höheren

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Nicht nur pädagogische Schulen in kirchlicher Trägerschaft nehmen diesen Weg, sondern die Fachdisziplin Erziehungswissenschaft sowie ihre Fachwissenschaftler*innen selbst unterstützen die bildungspolitische Reformen, nicht zuletzt auch aus eigenen Professionalisierungsbestrebungen. Die Etablierung pädagogischer Fächer an den Hochschulen war ein starkes Element der Verberuflichung der erzieherischen Tätigkeiten. Nach 1945 konstituierte sich die Erziehungswissenschaft in einer Phase der Restauration in der „klassisch-deutschen“ Unterscheidung zwischen akademischer Universitätspädagogik einerseits und der Professionstheorie für den Lehrberuf andererseits. Dennoch ergab sich schon früh die Tendenz zur Integration der verschiedenen Formen der Disziplin33 sowie zugleich auch die Profilierung der verschiedenen Subdisziplinen. Ferner äußerten sich Erziehungswissenschaftler umfangreich in der bildungspolitischen Debatte und reflektierten die Reformbestrebungen theoretisch. Die Arbeit des Deutschen Ausschusses für das Erziehungsund Bildungswesen34 (1953–1965) mit dem Ziel, die Entwicklung des deutschen Erziehungs- und Bildungswesens voranzutreiben, wurde durch Erziehungswissenschaftlerinnen und ihre pädagogischen Konzepte wesentlich vertieft sowie umfassend theoretisch begleitet.35 Ferner profilierte sich die Disziplin Erziehungswissenschaft, indem sowohl ein verpflichtender pädagogischer Studienanteil innerhalb der Lehrerbildung als auch grundständige erziehungswissenschaftliche Diplom- und Magisterstudiengänge eingerichtet wurden. Die Kultusministerkonferenz verabschiedete 1969 die „Rahmenordnung für die Diplomprüfung in Erziehungswissenschaft“, worauf an 42 Hochschulen der Studiengang Diplom-Pädagogik eingerichtet wurde.36 Das Fach Erziehungswissenschaft37 wuchs bezogen auf die Studierendenzahlen sehr schnell38 und wurde zu einem der größten Fächer an den deutschen Hochschulen.39 Neben dem disziplinär berufsständischen Eigeninteresse hatten Ende der 1960er Jahre auch die sozialstaatliche Modernisierung mit umfassendem Ausbau der Leistungsansprüche und die gesellschaftliche Hoffnung auf Demokratisierung durch Bildung zusammengewirkt und auf diese Weise sowohl

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Einkommen. Diese knappen Hinweise auf die weiteren Implikationen der Professionalisierungsspirale sollen an dieser Stelle genügen. Bereits seit 1952 waren künftige Gymnasiallehrer durch die Kultusministerkonferenz zum Ablegen einer Abschlussprüfung in Erziehungswissenschaft verpflichtet. (Vgl. Furck 2004, S. 15.) Der Ausschuss ist eine gemeinsame Einrichtung von Bund und Ländern. Vgl. Tenorth 2006, S. 145. Außerdem ist die wissenschaftliche Begleitung und Evaluierung der bildungspolitischen Reformbemühungen selbst Ausdruck des Verwissenschaftlichungstrends. Vgl. Faulstich 2004, S. 55. In der Erziehungswissenschaft wurde eine Binnendifferenzierung in Sonderpädagogik, Sozialpädagogik, Erwachsenenbildung, Freizeitpädagogik und Elementarpädagogik vorgenommen. Der neu eingerichtete Diplomstudiengang war sehr beliebt und die Studierendenzahlen stiegen rasch an. 1970: 993, 1972/73: 7199; 1974/75: 18236. (Vgl. Furck 2004, S. 19.) Vgl. Tenorth 2006, S. 145.

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zum massiven Erfolg des Diplom-Studiengangs als auch zur generellen Akademisierung der Tätigkeiten im Erziehungs- und Bildungsbereich beigetragen. Diese Expansion im (sozial-)pädagogischen Bereich führte in der Sozialpädagogik zur Klassifikation des 20. Jh. als „das Sozialpädagogische Jahrhundert“40. Die Erwerbstätigkeit im sozialen Bereich nahm seit den 1950er Jahren kontinuierlich zu. Die Expansion der praktisch pädagogischen Berufsfelder wurde in der theoretischen Wissensentwicklung durch die Erziehungswissenschaft/Sozialpädagogik begleitet. Hauptanliegen der pädagogischen Theoriebildung sind die Theorie-Praxis-Relation, der disziplinäre Kern der Erziehungswissenschaft und auch die Abhängigkeit der Sozialen Arbeit von staatlichen Strukturen41. Im Kontext der berufspolitischen Erschließung von (neuen) Arbeitsfeldern, d. h. durch die zum einen durch den Staat, zum anderen durch die Disziplin forcierten Professionalisierungsprozesse bzw. Verberuflichungsprozesse, findet die eigene (wissenschaftliche) Selbstbestimmung als Profession statt. Diese Professionsbestimmung erfolgt implizit (meist) im Gegenüber zu ehrenamtlicher Arbeit. Die Abgrenzung gegenüber klassischerweise häufig ehrenamtlich oder auch im familiären Nahraum stattfindenden Tätigkeiten wird in der Regel nicht expliziert. Die Unterscheidungen werden häufig in Form von Ideal- und Schreckensbildern vorgenommen. Beispielsweise wird die professionelle, erwerbsförmige Altenpflege durch Nähe, Respekt und Zugewandtheit zum autonomen alten Menschen positiv charakterisiert. Dagegen sei Pflege durch Angehörige übergriffig, gewalttätig oder gar aus niederen Gründen (Erbe) motiviert. Damit zeigt sich, dass die Beschäftigung mit pädagogischer Profession(alität) bzw. professionellen Tätigkeiten auch immer Bilder und Bestimmungen des Ehrenamts bzw. freiwilliger Arbeit mit vermittelt.42 Die Öl- und Wirtschaftskrise 1973/74 brachte den stetigen „bis dahin beispiellose[n] Ausbau des Sozialstaats”43 zwischen 1969–75, der auch die Pro40 Vgl. Thiersch 1992 und dabei insbesondere das Kapitel „Das Sozialpädagogische Jahrhundert“ S. 235–254; Rauschenbach 1999. 41 Dieses spannungsvoll-ambivalente Verhältnis wird maßgeblich als die Frage nach „Autonomie und Zwang in der Sozialen Arbeit“ kontrovers debattiert. 42 Aktuell sind solche Akademisierungsprozesse in der frühkindlichen Bildung evident. Bis 2003 existierten weniger als zehn qualifizierende Hochschulstudiengänge mit dem Schwerpunkt frühkindliche Bildung. Sowohl der Reformdruck in Folge des „Pisa-Schocks“ seit 2001 als auch Maßnahmen der Bologna-Reform forcierten die Zunahme akademischer Angebote. 2010 gab es bereits über siebzig Angebote für BA, MA, Diplom oder Zusatzzertifikate in diesem Bereich. Die Auswirkungen dieses Akademisierungsschubs auf das Arbeitsfeld und Anstellungsverhältnisse (Lohnniveau) in den Kindertagesstätten sind noch nicht abzusehen. (Vgl. Wildgruber/Becker-Stoll 2011, S. 64.) Insgesamt sind der Teilbereich Elementarbildung und seine weitere Entwicklung für Kirche bzw. Diakonie von großem Interesse, da viele Kindertagesstätten in kirchlicher Trägerschaft sind. Auf diese Weise wirken die Professionalisierungsprozesse in der Frühpädagogik unmittelbar auf kirchlich-diakonische Träger. 43 Schmidt 1998, Bd. 2, S. 78.

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fessionalisierungsprozesse angetrieben hatte, zum Stocken. Sozial- und bildungspolitische Leistungen wurden in der sog. Phase sozialstaatlicher Bedrängnis (1975–1995)44 nicht weiter ausgebaut. Ab 1982 wurden unter der Regierung Kohl soziale Leistungen eingeschränkt und Kürzungen in vielen sozialpolitischen Bereichen45 vorgenommen. Seither ist die Dominanz fiskalischer Aspekte für die sozialpolitische Gestaltung unübersehbar. Der (partielle) Rückbau sozialer Leistungen im Zuge des „Umbaus des Sozialstaats” löste ab Mitte 1980er Jahre gleichermaßen den Protest von Kirchen bzw. Wohlfahrtsverbänden und den berufspolitischen bzw. fachwissenschaftlichen Vertreterinnen der pädagogischen Disziplin aus. Denn sozialstaatliche Leistungskürzungen seien die Grundlage des zu erwartenden Personalabbaus. Zu den wichtigsten Sparmaßnahmen gehören neben Kürzungen bzw. Konsolidierungsbestrebungen im Bereich des Leistungsrechts insbesondere auch Restrukturierungsmaßnahmen öffentlicher Institutionen gemäß ökonomischer Gesichtspunkte, was mittelbar auch auf die Leistungserbringer (Wohlfahrtsverbände) rückwirkt. „Durch vorgegebene Produktbeschreibungen, ein ausgeprägtes Berichtswesen und die in diesem Zusammenhang eingeforderten Nachweise von Qualität, Effektivität, Effizienz, letztlich vom Nachweis möglichst kostengünstig erreichter Erfolge“46, wird den betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten Vorrang vor pädagogischen Kriterien gegeben. Damit entsteht fachfremde Kontrolle über die (berufliche) Tätigkeit im sozialen Bereich. Dieser Vorgang der Ökonomisierung bildet einen Verlust von professioneller Autonomie und stellt damit eine Gefährdung des bisher im sozialen Bereich erlangten Professionsstatus’ dar. Die vielfachen Wechselwirkungen zwischen sozialpolitischer Gestaltung und den Verberuflichungsprozessen im sozialen Bereich erklären die Intensität, mit der der Diskurs um Profession bzw. Professionalisierung in Pädagogik/Sozialer Arbeit/Erziehungswissenschaft ab Beginn der 1990er Jahre geführt wird. Mit einer machttheoretischen Betrachtungsweise kann die Verschiebung gesellschaftlicher Machtgleichgewichte zugunsten bestimmter einflussreicher (Berufs-)Gruppen gegenüber anderen Gruppen (hauptberuflich geleistete Arbeit vs. familial bzw. freiwillig erbrachte Arbeit) als grundgelegter Konflikt erkannt werden. Auf diese Weise wird das Interesse der Pädagog*innen, erlangte soziale Standards, Leistungsansprüche und Definitionsmacht zu bewahren, plausibel. Die entsprechende Berufsgruppe möchte ein bestimmtes Image für eine Leistungserbringung und Monopolstellung bei der Bearbeitung eines Problems 44 Vgl. Leisering 2003, S. 6. 45 Neben den weitreichenden Kürzungen muss aber auch auf die sozialpolitische Expansion einiger familienpolitischer Leistungen verwiesen werden. Denn seit der Regierung Kohl werden Erziehungsgeld, Erziehungsurlaub und Erziehungszeiten in der Rentenversicherung berücksichtigt. 46 Hammerschmidt/Sagebiel 2010, Bd. 1, S. 16.

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erhalten bzw. erlangen. Der Professionsstatus mit professioneller Autonomie, hohem Einkommen, Macht- und Prestigezugewinn wird gesellschaftlich vermittelt, wenn die besondere Leistung der entsprechenden Profession allgemein akzeptiert wird.47 Gegenüber dem drohenden weiteren Sozialstaatsumbau sowie Stellenstreichungen seit Beginn der 1990er Jahre formiert sich der Diskurs Profession bzw. Verberuflichung in Form einer berufsständischen Legitimationsstrategie. 1.1.1.1 Ehrenamt im Professionalisierungs- bzw. Professionalitätsdiskurs Der hohe Rechtfertigungs- und Legitimierungsdruck, dem verberuflichte Soziale Arbeit ausgesetzt ist, dabei im Speziellen die Frage nach dem Proprium verberuflichter sozialer Arbeit, verstärkt das Konkurrenzdenken zwischen hauptberuflichen und freiwilligen Mitarbeitenden.48 Standespolitische Interessen leiten die Entwicklung spezifisch pädagogischer Professionalitätstheorien, die exklusiv berufliche Mitarbeitende und ihre Klient*innen einbeziehen und dabei das Phänomen freiwilliger Arbeit nicht berücksichtigen. Im dargestellten Diskurs um Professionalität bzw. Professionalisierung im sozialen Bereich wird zeitgleich mit der Stagnation bzw. Gefährdung der fortschreitenden Professionalisierung seit Mitte der 1980er Jahre ehrenamtliche Arbeit aufgenommen. Freiwilliges Engagement ist im Professionalisierungsdiskurs als Vorstufe professioneller Arbeit oder als noch zu entwickelnde, defizitäre oder managementbedürftige Arbeit im sozialen Bereich interpretiert. Die Thesen vom konfliktreichen Verhältnis zwischen Professionellen und Freiwilligen sowie die defizitäre Professionalität des Ehrenamts wird im Folgenden unter Berücksichtigung aktueller Literatur expliziert. 1.1.1.1.1 Ehrenamt als mangelhaft professionalisierte Arbeit Eine der wenigen Publikationen zum Phänomen der kontinuierlichen Verberuflichung vor Mitte der 1980er Jahre ist die Darstellung Bergers zu den Ursprüngen sozialer Arbeit: „Die ehrenamtliche Tätigkeit in der Sozialarbeit. Motive, Tendenzen, Probleme: dargestellt am Beispiel d. Elberfelder Systems“49. 47 Vgl. Daheim 1992, S. 24. 48 Die Tendenz fortschreitender Professionalisierung, d. h. Verberuflichung bzw. Höherqualifizierung erfasst nahezu alle Lebensbereiche. Der soziale Bereich wird in dieser Untersuchung exemplarisch hervorgehoben, da wissenschaftliche Theoriebildung über Verberuflichungsabläufe und die tatsächlichen Professionalisierungsprozesse zusammentreffen. Diese Verberuflichungsprozesse zeigen sich aber auch in anderen Bereichen; z. B. wird das Ehrenamt in Kommune und Sport zunehmend durch hauptberufliche Sporttrainer*innen oder Berufspolitiker*innen verdrängt. (Vgl. Alff/Martini/Braun 1985, S. 15.) Vergleiche dazu ferner Heinemann/Schubert 1992, Bd. 78. 49 Berger 1979, Bd. 37.

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Berger beleuchtet die historischen Entwicklungslinien von ehrenamtlicher Tätigkeit hin zu fortschreitender Professionalisierung im sozialen Bereich. Ihre Grundannahme ist, dass ehrenamtliches Engagement die Vorform beruflichen Handelns im sozialen Bereich bildet. Professionelle Sozialarbeit sei als erfolgreichere Hilfeform gegenüber nicht-beruflicher bzw. freiwillig oder ehrenamtlich geleisteter sozialer Hilfe zu präferieren. An einigen, wenigen Stellen in der Publikation Bergers wird dieses Konzept singulär hauptberuflicher Professionalität (erworbene Kompetenzen und Position im Hilfesystem) in Frage gestellt, wenn auf die besonderen Fähigkeiten der „Laien“ verwiesen wird. Diese Anmerkungen sind aber im Gesamtzusammenhang der Veröffentlichungen Bergers nur Seitenkommentare. Demgegenüber formuliert Müller-Kohlenberg in den 1990er Jahren die Idee einer besonderen „Laienkompetenz“ in ihren beiden Monographien „Laienkompetenz“ und „Laien als Experten“50. Auf Grundlage empirischer Untersuchungen charakterisiert sie die besonderen Fähigkeiten und Kenntnisse sog. Laien, d. h. ehrenamtlicher bzw. freiwilliger Mitarbeitender, als Laienkompetenz. Müller-Kohlenberg kommt zu dem Schluss, dass die freiwillig Engagierten über umfassende Fähigkeiten verfügen, die auch (oft) zu gelingendem Handeln im sozialen Bereich führen. Von daher seien die Fähigkeiten bzw. Kompetenzen der Ehrenamtlichen „eine Herausforderung an die Theorien professionellen Helfens”51. Mit dieser Idee, auch ehrenamtliche Mitarbeitende als Faktor für die Frage nach gelingendem (d. h. professionellem?) Handeln zu bedenken, ist Müller-Kohlenberg eine vereinzelte Stimme im Diskurs um Professionalisierung. Um ein vielfaches lauter und dominanter – und das besonders ab 199052 – sind die Stimmen, die eine professionstheoretische Bestimmung und

50 Müller-Kohlenberg/Kardorff/Kraimer 1994, Bd. 12. Müller-Kohlenberg 1996. 51 Müller-Kohlenberg 1990, S. 253. 52 Die sozialpädagogische Professionalität wurde schon seit Beginn verberuflichter sozialer Arbeit immer wieder in Zweifel gezogen. Abraham Flexner fragte bereits 1915 „Is Social Work a Profession?“. Ausgehend von strukturfunktionalistischen Grundannahmen kam er in seiner Professionstheorie zum Ergebnis, dass sozialpädagogische Professionalität nur bedingt möglich sei. (Vgl. Flexner 1915, S. 1.) In der zweiten Hälfte des 20. Jh. tat sich namentlich Amitai Etzioni 1969 in der Debatte um (sozial-)pädagogische Professionalität hervor. Unter Zuhilfenahme eines Kriterienkatalogs qualifizierte er den Professionalitätsgrad verschiedener beruflicher Tätigkeiten. Hinsichtlich Sozialer Arbeit bzw. Sozialpädagogik folgert er, dass diese v. a. gegenüber den klassischen Professionen nicht in vollem Maße als Profession zu klassifizieren sind. Denn ihr „status is less legitimated, their right to privileged communication less established, there is less of a specialized body of knowledge, and they have less autonomy“ (Etzioni 1969, V.) Von daher sei die Sozialpädagogik eine „semi-profession“(Etzioni 1969, 5.). An dieser Beurteilung „SemiProfessionalität“ kämpften sich einige Fachvertreter in den 1970er und 1980er Jahren ab. Jedoch fand eine extensive Diskussion erst seit den 1990er Jahren statt.

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professionalitätstheoretische Reflexion53 vornehmen und als Akteur*innen nur hauptberufliche, wissenschaftlich gebildete Pädagog*innen und ihre Adressat*innen einbeziehen. Bis in die Gegenwart hinein bilden alle bisher vorliegenden Professionalitätstheorien nur das Verhältnis zwischen zwei Akteur*innen ab, nämlich der Professionellem und dem Klienten (ggf. der Gruppe von Klient*innen). Damit wird in aller Klarheit deutlich, dass freiwillige Arbeit im Professionsdiskurs vielfach als Abgrenzungsfolie fungiert. 1.1.1.1.2 Professionelle im Konflikt mit Ehrenamtlichen – Freiwillige Mitarbeitende sind durch professionelle Fachkräfte zu managen Nadai u. a. empirische Untersuchung „Fürsorgliche Verstrickung. Soziale Arbeit zwischen Profession und Freiwilligenarbeit“ (2005) basiert auf der Grundthese, dass das soziale-pädagogische Professionalisierungsprojekt unabgeschlossenen, fragil und immer wieder bedroht sei. Zwar hätten insbesondere Frauen im sozialen Bereich „weibliche“ Erwerbstätigkeiten aus nichtberuflicher, freiwilliger Arbeit erschlossen, jedoch sei der volle Professionsstatus noch eine ausstehende Hypothek. „Soziale Arbeit und Freiwilligenarbeit stehen aus historischen Gründen in einem symbiotischen, wenngleich spannungsreichen Verhältnis zueinander“54 – symbiotisch, weil sich berufliche Arbeit aus der freiwilligen Tätigkeit entwickelt hat, was auch die Angst der gegenseitigen Substitution und damit Abgrenzungsbestrebungen verstehbar macht. In der empirischen Untersuchung verschiedener Praxisfelder identifizieren Nadai u. a. drei defensive Strategien der hauptberuflichen Mitarbeitenden im Umgang mit ehrenamtlichen Mitarbeitenden: Einflussnahme auf die Auswahl sowie Allokation der Freiwilligen; Ausweichtaktik gegenüber möglicher Kooperation mit Ehrenamtlichen und Manipulation der freiwilligen Mitarbeitenden.55 Diese defensiven Strategien sind Teil des Diskurses Profession bzw. Professionalisierung, der immer wieder kritisch das Thema freiwillige Arbeit bzw. ehrenamtliche Mitarbeitende aufgreift. Im Speziellen wird die These vom konfliktreichen Verhältnis zwischen frei-

53 Seit den 1990er Jahren wurde in einer Art Publikationswelle eine Vielzahl von Professionstheorien veröffentlicht. Vorrangig sind Oevermanns, Luhmanns, Stichwehs und Schützes Professionstheorie sowie strukturfunktionalistische Konzepte zu nennen: Oevermann 1996; Luhmann/Schorr 1982, Bd. 391; Luhmann/Schorr 1988; Luhmann/Schorr 1992; Stichweh 1994; Stichweh 1996; Stichweh 2000, Bd. 1500; Stichweh 2005; Schütze 1992; Schütze 1996; Parsons 1939; Parsons 1968; Parsons 1973, Bd. 15. Daneben erschienen einige Sammelbände – unter diesen sind folgende besonders hervorzuheben: Dewe/Ferchhoff/Radtke 1992; Alisch/Baumert/Beck 1990, Bd. 28; Combe/Helsper 1996. Ferner sei exemplarisch auf die Titel Dewe 2001; Heiner 2004; Helsper Werner 2004; Klatetzki/Tacke 2005 und Niemeyer 2003 verwiesen. 54 Nadai u. a. 2005, S. 67. 55 Vgl. ebd., S. 177.

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willigen und hauptberuflichen Mitarbeitenden elaboriert, welches mittels einer (professionellen) Managementstrategie bewältigt werden könne. In den empirischen Untersuchungen zum Verhältnis freiwilliger und hauptberuflicher Mitarbeitender ist die Annahme eines konfliktären Verhältnisses äußerst verbreitet. Otto-Schindler kommt 1996 in ihrer Studie zu dem Schluss, dass „eine gelungene Kooperation zwischen beruflichen und ehrenamtlichen HelferInnen nicht existiert.“56 Graeff/Weiffen beschreiben 2001 „Das gestörte Verhältnis zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen“ und stellen schließlich die Frage „Was ist zu tun?“57 Steinbacher sieht 2004 die Konflikte identitätstheoretisch begründet und macht ein grundsätzlich verschiedenes Rollenverständnis bei Freiwilligen und Hauptberuflichen für die auftretenden Konflikte verantwortlich.58 Auch Heimgartner konstatiert 2004 ein prinzipiell konfliktbehaftetes Verhältnis zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen. Er qualifiziert in seiner Untersuchung sechs unterschiedliche Konfliktfelder: den Professionalitätskonflikt, den Bezahlungskonflikt, den Autoritätskonflikt, den Autonomiekonflikt, den Unterstützungskonflikt und schließlich den Identitätskonflikt.59 Die Lösung für diese scheinbar konfliktreiche Beziehung und auch für den generellen Umgang mit freiwilligen Mitarbeitenden bilden aus beruflichprofessioneller Perspektive Sozial- bzw. Freiwilligenmanagement-Ansätze. Badelt betont schon 1997 in seinem Handbuch der Non-Profit-Organisationen, dass das Verhältnis der beiden Mitarbeitendengruppen einer „wichtigen Managementfunktion“60 bedarf. In verschiedenen Sozialmanagement-Handbüchern61 werden verstärkt Managementansätze aus der freien Wirtschaft rezipiert. Unter der Berücksichtigung „kleine[r] große[r] Unterschied[e]“62 versuchen sich die hauptberuflich Mitarbeitenden, mittels Ausbildung eines professionellen Sozialbzw. Freiwilligenmanagements ein neues Arbeitsfeld zu erschließen. Die freiwillig Mitarbeitenden werden von einer möglichen Konkurrenzgruppe63 zu Adressaten einer professionellen Bearbeitung in Form des Freiwilligenmanagements. Ab 1998 und verstärkt seit den 2000er Jahren erschienen viele Publikationen zum Freiwilligenmanagement. Das Fachgebiet Freiwilligenmanagement erhält v. a. durch drei Personengruppen seine Prägung. Das sind erstens die „Beratergruppe Ehrenamt“ bzw. die „Akademie für Ehrenamtlichkeit 56 57 58 59 60 61 62 63

Otto-Schindler 1996, S. 164. Graeff/Weiffen 2001. Vgl. Steinbacher 2004, S. 119. Vgl. Heimgartner 2004, Bd. 916, S. 138. Badelt 2007, S. 376. Z. B.: Gehrmann/Müller 1999. Bader 2002, S. 22. Als Konkurrenzgruppe bedrohen Ehrenamtliche die eigene innerorganisationale Erwerbsposition und werden als Gefahr für die Substitution der eigenen Berufstätigkeit durch unbezahlte Arbeit wahrgenommen.

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Deutschland“ um Carola Reifenhäuser/Thomas Kegel64, zweitens Doris Rosenkranz/Angelika Weber, die mit unterschiedlichen Projekten und Ausbildungen zum „Freiwilligenmanagement” an der Hochschule Würzburg-Schweinfurt65 bzw. auch im Kontext der Hochschul-Kooperation-Ehrenamt66 aktiv sind; schließlich drittens Annette Zimmer und Kollegen, die das Zentrum für Nonprofit-Management bzw. den Studiengang Nonprofit-Management and Governance an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster leiten.67 Diese drei Personenkreise gehören zu den wesentlichen Wegbereitern von Freiwilligenmanagementansätzen im deutschen Sprachraum. Ihren Reihen entspringen viele Publikationen sowie einschlägige Fortbildungen. An dieser Stelle seien exemplarisch „Management in Nonprofit-Organisationen“68, „Freiwilligenarbeit. Einführung in das Management von Ehrenamtlichen in der Sozialen Arbeit“69, und das „Lehrbuch Strategisches Freiwilligen-Management“70 genannt.71 Auf der Homepage der Hochschul-Kooperation-Ehrenamt72 wird beispielsweise die Fortbildung für hauptberufliche Mitarbeitende im Kontakt mit freiwilligen Mitarbeitenden wie folgt beworben: Gelingen wird das [der Umgang mit Freiwilligen] jedoch nur, wenn Hauptamtliche ausreichend auf die Zusammenarbeit mit Ehrenamtlichen vorbereitet sind und die Dienste und Organisationen sich strategisch auf die Integration von Freiwilligen ausrichten. Ein gutes Freiwilligenmanagement und zeitgemäße Konzepte der Personalund Organisationsentwicklung können diese Dynamik fruchtbar werden lassen. […] Die Fort- und Weiterbildung richtet sich vorrangig an alle, die die Integration von Ehrenamtlichen in sozialen Einrichtungen oder die Begleitung und Gestaltung

64 http://www.freiwilligenmanagement.de/ (abgerufen am 19. September 2016). http://www.beratergruppe-ehrenamt.de/ (abgerufen am 19. September 2016). 65 http://www.fhws.de/hochschule/profil/verwaltung/presse/weitere_meldungen/details/news/ event-statt-ehrennadel-der-bedarf-am-ehrenamt-steigt-kontinuierlich-und-wandelt-sichstetig-185.html (abgerufen am 19. 09. 2016). 66 http://hochschul-kooperation-ehrenamt.de/home/ (abgerufen am 19. September 2016). 67 http://weiterbildung.uni-muenster.de/de/masterstudiengaenge/nonprofit-managementgovernance/uebersicht/ (abgerufen am 19. September 2016). 68 Zimmer/Nährlich 2000. 69 Rosenkranz 2002. 70 Kegel/Reifenhäuser/Schaaf-Derichs 2004. 71 Ferner sind beispielsweise noch zu nennen: Anheier/Langer/Schröer 2011; Fisher/Cole 1993; Kaltenbrunner 2010, Bd. 21; Kegel/Reifenhäuser 2002; Liao-Troth 2008; Reifenhäuser u. a. 2016; Reifenhäuser/Reifenhäuser 2013; Schäfer 2009; Wallraff 2010; Reifenhäuser u. a. 2016. 72 Die Technische Hochschule Nürnberg, die Evangelische Hochschule Nürnberg, die Katholische Stiftungsfachhochschule München, das Landesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement Bayern und die bayerische Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege bilden zusammen seit 2010 die Hochschul-Kooperation-Ehrenamt. In gemeinsamer Trägerschaft wird die Fortbildung Freiwilligenmanagement („Fortbildung Professionelles Management der Ehrenamtlichen“) angeboten.

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bürgerschaftlichen Engagements in unterschiedlichen Bereichen auf eine professionelle Basis stellen wollen.73

Diese Kursbeschreibung verdeutlicht, dass die Beziehung zwischen freiwilligen und hauptberuflichen Mitarbeitenden als inhärent konfliktär qualifiziert wird. So verstanden könne sie nur mittels einer Bearbeitung durch die professionellen Hauptberuflichen fruchtbar gemacht werden. Auch in der kirchlichen Arbeit erfreut sich Freiwilligenmanagement großer Beliebtheit.74 Die Landeskirchen Sachsen und Hessen-Nassau beispielsweise bilden an ihren eigenen sog. Ehrenamtsakademien zur Freiwilligenmanager*in bzw. zur Ehrenamtskoordinator*in aus. Auch in ihren Curricula wird das Verhältnis zwischen freiwilligen und hauptberuflichen Mitarbeitenden thematisiert, wobei es stets pragmatisch um die „Verminderung des Konfliktpotentials zwischen Hauptund Ehrenamtlichen“ geht.75 Daasch votiert für professionelles, kirchliches Freiwilligenmanagement, denn dieses könne „Kooperation statt Konkurrenz“ ermöglichen.76 Freiwilligenmanagement77 wird in diesem Zusammenhang oftmals als „eine unternehmenspolitische Maßnahme”78 des „professionelle[n] Personalmarketing[s]“79 und sowohl der „Organisations- als auch […] Personalentwicklung in den Kirchen“80 verstanden. Wüsch und Kegel nehmen in „Den Schatz ‚Ehrenamt‘ pflegen – Erfahrungen mit Ehrenamtsmanagement in der landeskirchlichen Praxis“81 die bestehende Implementierung von Freiwilligenmanagement in der Evangelischen Landeskirche Hannover in den Blick. Hess und Roß zeigen die Rahmenbedingungen für ein systematisches Ehrenamtsmanagement.82 Insgesamt sind in den letzten Jahren viele Handreichungen, Leitlinien sowie Praxishilfen für die Zusammenarbeit von freiwilligen und 73 Hochschul-Kooperation-Ehrenamt o. J. 74 Die Debatte um kirchliches Freiwilligenmanagement steht im Kontext des auch innerkirchlich bzw. innertheologisch geführten Professions- bzw. Professionalitätsdiskurses der Theologinnen, Religions- und Gemeindepädagogen. 75 Vgl. dazu beispielsweise: Ökumenische Tagung zum ehrenamtlichen Engagement in Kirche und Gesellschaft: Modifizierte Thesen der Diskussion am 31. Januar 2009 in den Foren der Ökumenischen Tagung. (Vgl. Ökumenische Tagung zum ehrenamtlichen Engagement in Kirche und Gesellschaft 2009.) 76 Daasch 2017. 77 Als Handlungsempfehlungen für Freiwilligenmanagement werden meist folgende Punkte genannt: Kenntnis über freiwillige Mitarbeitende erlangen, zu besetzende Stellen ausschreiben, Tätigkeitsprofile erstellen, Freiwillige als eigene Personalgruppe wahrnehmen, durch Zeitbudgets und Passung Überforderung vermeiden, usw. (Vgl. Göpfert-Divivier/ Schäffer/Schnabel-Bitterlich 2011, S. 43.) 78 Diakonisches Werk der Evangelischen Kirche Deutschland e.V. 2013, S. 6. 79 Göpfert-Divivier/Schäffer/Schnabel-Bitterlich 2011, S. 3. 80 Ökumenische Tagung zum ehrenamtlichen Engagement in Kirche und Gesellschaft 2009, S. 3. 81 Wünsch/Kegel 2017. 82 Hess/Roß 2017.

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hauptberuflichen Mitarbeitenden im kirchlich-diakonischen Umfeld erschienen.83 „Bei sinkender Mitgliederzahl um etwa ein Drittel geht die finanzielle Leistungsfähigkeit nahezu um die Hälfte zurück.“84 Aufgrund ihrer auf Wirtschaftlichkeit ausgerichteten Perspektive ziehen viele Ehrenamts-Handreichungen den Schluss, dass schon allein die „nüchternen Zahlen”85 für den Einsatz von freiwilligen Mitarbeitenden sprechen. Im stärker fachwissenschaftlich geprägten Diskurs positionieren Hanusa/Hess/Roß 2010 ihren Sammelband „Engagiert in der Kirche. Ehrenamtsförderung durch Freiwilligenmanagement“86. Für Ausbildung und Studium der verschiedenen hauptberuflichen Mitarbeitenden der Kirche87 wird die Aufnahme von „Freiwilligenmanagement“ angeregt.88 Dies gilt für den pädagogischen Bereich89 aber auch den praktischtheologischen Teil der Pfarrer*innensausbildung sowie die Ausbildung von Gemeindepädagog*innen und Religionspädagog*innen.90 Das Aufgreifen der Steuerungsaufgabe Freiwilligenmanagement als einer Strategie, um die eigene, machtvolle Position zu legitimieren und zu stabilisieren, wird auch am Pfarrberuf deutlich: Im Versuch der pfarramtlichen Professionsbestimmung wird klar, dass „die Krise des gemeindlichen Ehrenamts […] auch als Hinweis auf eine Unsicherheit pfarramtlicher Profession zu begreifen und zu bearbeiten“91 ist. Natrup interpretiert die mangelnde Leitung durch die Pfarrer*in als Grund des Rückgangs von Freiwilligen. Der Fortbestand beruflicher Arbeit wird bei ihr zur Bedingung nichtberuflicher, ehrenamtlicher und freiwilliger Arbeit gemacht. Insbesondere im gemeindepädagogischen Professionsdiskurs sind das Aufgreifen 83 Beinahe alle Landeskirchen beschäftigen sich mit dem Ehrenamt und geben konkrete Hinweise zur praktischen Gestaltung. Vgl. dazu beispielsweise: Bremische Evangelische Kirche 2012; Diakonisches Werk der Evangelischen Kirche Deutschland e.V. 2011; Diakonisches Werk der Evangelischen Kirche Deutschland e.V. 2013; Diakonie Hessen und Nassau 2008; Ehrenamts-Akademie 2008; Evangelische Kirche Mitteldeutschland 2012; Haus kirchlicher Dienste der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers 2009; Haus kirchlicher Dienste der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers 2010; Landeskirchelicher Arbeitskreis Ehrenamt der Ev. Landeskirche in Württemberg 2013; Sommer-Loeffen 2009. 84 Kirchenamt der EKD 2006, S. 22. 85 Rose 2008, S. 2. 86 Hanusa/Hess/Ross 2010, Bd. 9. 87 Dies gilt für die Ausbildungen von Pfarrer*innen, Gemeindepädagog*innen, Religionspädagog*innen und Sozialarbeiter*innen. Andere berufliche Mitarbeitende wie Kirchenmusiker*in, Sekretär*in, Erzieher*in, Sozialassistent*in usw. haben keinen Anteil an der Erschließung eines neuen Arbeitsfelds Freiwilligenmanagement. 88 Vgl. Koch 2017. 89 Die Studie Habeck 2015, gibt Hinweise auf die sich verfestigende Konstituierung von Bedarfen des Freiwilligenmanagements im erwachsenenpädagogischen Arbeitsfeld. 90 Dabrock 2011; Goder-Fahlbusch 2008, Bd. 35; Frantzmann/Wolter 2007; Kampmann-Grünewald 2001; Rupnow 2009; Schuster/Schmidt 2008, Bd. 1; Stein 1995/1996; Wohlfarth 1997. 91 Natrup 1998, S. 222.

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von Managementstrategien und der starke Abgrenzungsreflex gegenüber Ehrenamtlichen Ausdruck eines unsicheren Professionsstatus. Der Professionsstatus der gemeindepädagogischen Berufe ist gegenüber anderen kirchlichen Berufen wie Pfarrer*in defizitär ausgebildet. Dies liegt zum einen in der Diversität von Ausbildungswegen, Berufsbezeichnungen und Arbeitsfeldern92, zum anderen aber auch in der Nähe zu den klassischen Frauenberufen (soziale Berufe). Als sozialer Beruf zeigen die gemeindepädagogischen Arbeitsbereiche generell eine Nähe zu freiwilliger Tätigkeit und haben das Schicksal einer unabgeschlossenen Professionalisierung. Die eigene professionelle Verunsicherung führt bei vielen Gemeindepädagog*innen zur Abwehrhaltung, und daher meint Rupnow, dass „die Rollen und Handlungsfelder zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen abzugrenzen“93 seien. Der Diskurs um gemeindepädagogische Professionalität nimmt das Thema Ehrenamt aktuell mittels Freiwilligenmanagement-Perspektive auf, was daher als ein berufs- und standespolitisch bedingtes Verhalten verstanden werden kann. Die Gemeindepädagogik nutzt Freiwilligenmanagement, um zu zeigen, „dass gemeindepädagogisch ausgebildete hauptamtlich Mitarbeitende für diese Aufgabe von ihren Kompetenzen her gut vorbereitet sind.“94 1.1.1.2 Fazit Der gesellschaftliche Diskurs Professionalisierung bzw. Professionalität rekurriert insbesondere seit Ende der 1960er Jahre auf die zunehmende Verberuflichung von nicht-erwerbsförmig organisierter Arbeit hin zu Berufsarbeit und der intensivierten Verwissenschaftlichung bzw. Höherqualifizierung lohnarbeiterischer Tätigkeit. Diese Verberuflichungsprozesse vollziehen sich auch in den kirchlichen Bildungsinstitutionen (FH-Gründungen) und betreffen in großem Maße die pädagogisch-pflegerischen Tätigkeiten und damit auch explizit diese Felder der kirchlich-diakonischen Arbeit. Wird im Professionalisierungsdiskurs das Thema Ehrenamt oder freiwillige Arbeit aufgenommen, dann wird diese in aller Regel verstanden als defizitäre und professionalisierungs- bzw. managementbedürftige Tätigkeit.

92 Dazu siehe ausführlich: Kirchenamt der EKD 2014, Bd. 118. 93 Rupnow 2009, S. 23. 94 Ebd., S. 27; Rupnow 2009, S. 27.

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1.1.2 Diskurs um Macht und Teilhabe Der Diskurs Macht und Teilhabe kommt in einem restaurativ-autoritär geprägten gesellschaftlichen Klima, welches enge Verbindungen zur Zeit der Nazi-Diktatur hat, insbesondere seit Ende der 1960er Jahre zum Tragen. Der Begriff Macht steht paradigmatisch für die Analyse sowie Kritik an autoritären entmündigenden Institutionen bzw. Strukturen und den entsprechenden Akteuren und ihren machtvollen Positionen. Als Alternative wird den mächtigen Strukturen mit dem Terminus Teilhabe eine gleichberechtigte Beteiligung aller Personen entgegengestellt. Freiwilliges Engagement wird in diesem Diskurs als eine Möglichkeit gesellschaftlicher Teilhabe entgegen machtvoller Institutionen interpretiert. Trotz der konservativ-restaurativen Bestrebungen95 weiter gesellschaftlicher Kreise der jungen Bundesrepublik („Ära Adenauer“), sammelten sich bereits in den 1950er und 1960er Jahren viele kritische Stimmen, die sich in verschiedenen gesellschaftlichen Bewegungen vereinten und spätestens ab 1965 in der sog. Studierendenbewegung laut wurden.96 Eine der wichtigsten Trägergruppen der diversen Studierendenbewegung der 1960er Jahre war der Sozialistische Deutsche Studentenbund. Angesichts der autoritär-hierarchisch-konservativen Strukturen forderte der SDS zusammen mit dem Verband Deutscher Studentenschaften (VDS) die „Demokratisierung der Hochschule”97. Die westdeutsche Studierendenbewegung98 befasste sich zuerst mit genuin universitären Problemen, jedoch weitete sich ihre Kritik schnell zur generellen Gesellschaftskritik aus. Die universitären Missstände wurden fortan als Ausdruck bzw. Symptom tieferliegender gesellschaftlicher Problemlagen gedeutet. Spezifikum der Studierendenbewegung99 ist der Rekurs auf die nationalsozialistische Vergangenheit und die bestehenden gesellschaftlichen Kontinuitäten. In Abgren95 Diese zeichnen sich durch großes Interesse an der Wiederherstellung vergangener, vermeintlich klarer gesellschaftlicher Ordnung sowie durch einen eher apolitischen Rückzug ins Private aus. 96 Vgl. Naar 2008, S. 61. 97 Mit beispielsweise dem Slogan „Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren“ wurden die traditionell-hierarchischen Hochschulstrukturen kritisiert. Es wurde eine Beteiligung von Studierenden bzw. anderen universitären Mitarbeitenden in den universitären Entscheidungsgremien, das Recht der Studierendenschaft sich selbst zu verfassen sowie verschiedene Studiengangsreformen erlangt. 98 „Aufgrund der Dominanz der studentischen Trägergruppen in der damals so bezeichneten außerparlamentarischen Opposition wird der Begriff ‚Studentenbewegung‘ häufig als pars pro toto für die gesamte Mobilisierungswelle gebraucht, welche die bundesrepublikanische Gesellschaft in dieser Phase [ab 1967] erfasste.“ (Schulz 2008, S. 418.) 99 Die deutsche Studierendenbewegung ist zwar mit der internationalen von den USA ausgehenden Studierendenbewegung verbunden, jedoch stellen die Bezugspunkte Nationalsozialismus und „Autorität“ ein Spezifikum dar.

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zung zu autoritär-konservativen Wertvorstellungen betont die Bewegung Emanzipation, Demokratisierung und gesellschaftliche Teilhabe als Zielvorstellungen. Die Bildung der großen Koalition im November 1966, bei der rund 90 % aller parlamentarischen Mandate auf die Regierung entfielen, verstärkte das Gefühl der gesellschaftlichen Nichtbeachtung bzw. des Ausschlusses oppositioneller, insbesondere stärker progressiver Positionen junger Menschen. Dieser antizipierte parlamentarische Kontrollverlust und gesellschaftliche Exklusion begünstigte die rasche Formierung einer „Außerparlamentarischen Opposition“ (APO) als einem losen Bündnis vielfältiger oppositioneller Kräfte. Unter dem Dach der APO wurden neben der obengenannten Studierendenbewegung auch die Anti-Atom-Bewegung100 und ferner unterschiedliche Protestgruppen und Einzelpersonen, die sich gegen die geplante Notstandsgesetzgebung wandten, vereint.101 Die APO war eine Bewegung, die ein formalpolitisches Politikverständnis (Gremien, repräsentative Demokratie) als verengt ansah und über verschiedenste außerparlamentarische Aktivitäten gesellschaftliche Beteiligung/ Partizipation ausübte. Die APO betonte, dass ihr Widerstand demokratisch, d. h. gesellschaftlich legitimiert sei und sich durch ihre Beteiligung ein breiteres gesellschaftliches Meinungs- und Beteiligungsbild ergäbe. Die APO trug auf diese Weise zu einem veränderten Politikverständnis (politische Meinungsbildung ist mehr als der Wahlakt) bei. Schildt schildert „die Rolle der APO als Demokratisierungskatalysator für einen erheblichen Teil der Bundesbürger“102. Neben dem Einstellungswandel hinsichtlich demokratischer Beteiligung kann in diesem gesamtgesellschaftlichen Wirkungsgefüge auf tiefer liegender Ebene von einem weitreichenden Werte- und Einstellungswandel gesprochen werden. Helmut Klages beschreibt für die BRD spätestens seit 1965 einen Wertewandelschub von Pflicht- und Akzeptenzwerten hin zu Selbstentfaltungswerten.103 Diesem weit-

100 Die Anti-Atom-Proteste der BRD gehörten zur Friedensbewegung, die sich gegen die atomare Bewaffnung wandte. Bereits seit dem Nato-Beitritt 1954 hatten sich unterschiedliche gesellschaftliche Akteure (Kirchen, DGB, Parteien etc.) in der „Ohne-mich“-Bewegung gegen die Wiederaufrüstung stark gemacht. Ab 1960 organisierten pazifistische Gruppen erstmals „Ostermärsche“ gegen die Stationierung von Atomwaffen in Deutschland. (Vgl. Buro 2008, S. 272f.) 101 Vgl. Schulz 2008, S. 422ff. 102 Schildt/Siegfried 2009, S. 278. 103 Disziplin, Gehorsam, Leistung, Ordnung, Pflichterfüllung, Treue, Unterordnung, Fleiß sowie Bescheidenheit gehören nach Klages zu den Pflicht- und Akzeptanzwerten. Selbstentfaltungswerte hingegen sind Emanzipation, Gleichbehandlung, Gleichheit, Demokratie, Partizipation und Autonomie. Aufs Individuum bezogen nehmen die Pflicht- und Akzeptanzwerte als Selbstbeherrschung, Pünktlichkeit, Anpassungsbereitschaft, Fügsamkeit und Enthaltsamkeit Form an. Selbstverwirklichungswerte realisieren sich als individuelle Neigung zu Genuss, Abenteuer, Spannung, Abwechslung, dem Ausleben emotionaler

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reichenden Wertewandelschub geht eine lange Vorbereitungsphase voran, deren Wurzeln in der Industrialisierung (ab 1870) liegen. Denn die Industrialisierungsprozesse trugen zu maßgeblichen Modifikationen der Lebens- und Arbeitspraxen (höherer Lebensstandard, geringere Verbindlichkeit von Tradition, Individualisierungsprozesse, moderne Kleinfamilie usw.) bei. Jedoch erfolgten nur in geringem Umfang Einstellungsänderungen hinsichtlich der tradierten Pflicht- und Akzeptanzwerte. Erst die signifikante Häufung synchroner sozioökonomischer Wandlungsvorgänge, wie sie in den 1960er Jahren der BRD gegeben waren, löste einen offenkundigen Wertewandelschub aus. Klages nennt folgende Punkte als Bedingungen des Wandlungsschubs: anhaltende Prosperität, abnehmende Arbeitszeit, umfassende Mobilität bzw. Motorisierung, Sozialstaatsausbau, Bildungsexpansion und schließlich umfassender Zugang zu modernen Medien (Fernsehen). Die 1950er und 1960er Jahre waren tendenziell sowohl auf individueller als auch auf gesellschaftlicher Ebene von sehr konservativen Wertorientierungen geprägt, wobei z. B. die alternative Studierendenschaft davon abweichendes Verhalten auslebte, was als Einbruch in die gesellschaftlich konservative Wertorientierung gewertet werden kann. Nach Klages wird der Wertewandel dann unvermeidbar, wenn traditionelle Wertorientierungen nicht ausreichend durch soziale Institutionen stabilisiert werden. Der Wertewandelschub der 1960er Jahre war nach Klages äußerst tiefgehend und führte in der Folge zur Akzentuierung der Selbstentfaltungswerte, wobei aber zugleich ganz eigene Wertesynthesen möglich werden. Insgesamt brachte der Wertewandelschub eine starke und zugleich richtungsoffene Pluralisierung der Einstellungen und verstärkte Diversifizierung der Lebensstile hervor.104 Ein zentraler Referenzpunkt verschiedener Gruppen und Akteure und ihrer sich neu konstituierenden (Werte-)Selbstverständnisse war die deutsche Vergangenheit der Shoa. Gesellschaftliche und personelle Kontinuitäten, die seit der nationalsozialistischen Diktatur bestanden, und auch die relativ hohe gesellschaftliche Autoritätsgläubigkeit wurden zur Kontrastfolie der Protestbewegungen. Die Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit ist Teil des Diskurses um Macht und Teilhabe, der Fragen nach legitimer Autorität, machtvollen Strukturen, gesellschaftlicher Teilhabe und Mündigkeit thematisiert. Der Historiker Wolfrum klassifiziert den Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit in der jungen BRD als ein Vorgehen, das eine funktionale und dadurch skandalöse Politik mit Blick auf die NS-Funktionseliten und den Umgang mit der Vergangenheit [erkennen ließ]. Diese Eliten wurden weniger Bedürfnisse, Kreativität, Spontanität, Selbstverwirklichung, Ungebundenheit und Eigenständigkeit. (Vgl. Klages 1988, S. 112ff.) 104 Vgl. Klages 1993, S. 52ff.

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bestraft als vielmehr in den neuen Staat integriert. […] Das ‚Erfolgsrezept‘ fußte auf einer Doppelstrategie: Amnesie und Amnestie war die eine Seite, kontrastive Absetzung vom ‚Dritten Reich‘, […], war die andere Seite.[…] In überaus großzügiger Weise wurden Beamte, die während der Besatzungszeit entlassen worden waren, wieder eingestellt, und darunter befanden sich viele Zehntausende, die erheblich belastet waren. Sicher, von den besonders prominenten NS-Größen überlebte politisch keiner in der Bundesrepublik, aber die mittlere Garnitur fand ihren Platz im neuen Staat, und dass der Kommentator der Nürnberger (Rasse-)Gesetze, Hans Globke, von Adenauer zum Staatssekretär im Bundeskanzleramt berufen wurde, stellte die neue Demokratie ins Zwielicht.105

Diese ungebrochenen politisch-gesellschaftlichen Kontinuitäten sowie die „ungesühnte Nazijustiz“106 wurden von den gesellschaftlichen Bewegungen ab Ende der 1960er Jahre bemängelt.107 Die Legitimität solcher Strukturen sei nur innerhalb eines an Pflichtwerten orientierten Wertekanons nachvollziehbar. Die demokratischen Ideale der neugegründeten BRD mit dem souveränen, mündigen Bürger, der sich in den politischen Prozess einbringt, treten in den 1960er Jahren in offenen Widerspruch zu den noch bestehenden gesellschaftlichen Gegebenheiten. Um eine mündige und demokratische Gesellschaft zu erlangen, wird die Hoffnung auf eine demokratische, auf Mündigkeit zielende Erziehung und Bildung gesetzt. Das Gegenüber zu diesem Ideal des mündigen Menschen ist „the authoritarian personality“, die Adorno, Sanford, Levinson und Frenkel-Brunswik108 1950 beschrieben. Die Forschergruppe wies einen engen Zusammenhang zwischen Einstellungsmustern und Persönlichkeitsmerkmalen nach. Sowohl antidemokratische als auch faschistische Einstellungen und Verhaltensweisen sind Teil der autoritären Persönlichkeit. Mittels der sogenannten F-Scala wurden in der Studie „implicit antidemocratic trends“109 gemessen, d. h. je weniger demokratisch eine Persönlichkeit ist, desto höhere Werte erlangt sie auf der F(-aschismus)-Skala.110. Adorno u. a. betonen, dass Persönlichkeitsmerkmale und Einstellungen 105 Wolfrum 2009, S. 365f. 106 Glienke 2008, Bd. 20. 107 Angestoßen wurde die gesellschaftliche Vergangenheitskontroverse u. a. durch den Ulmer Einsatzgruppenprozess 1957/58, die darauf folgende Gründung der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen sowie den Eichmannprozess in Jerusalem bzw. Hannah Arendts Berichterstattung über diesen (Arendt 2000) und schließlich auch die Frankfurter Auschwitzprozesse 1963–1966. 108 Das Forschungsprojekt wurde 1944 eröffnet; die Ergebnisse wurden 1950 veröffentlicht. Adorno u. a. 1950, Bd. 1. Adorno 1995, Bd. 1182. 109 Adorno u. a. 1950, Bd. 1, S. 222. 110 Die F-Skala unterscheidet die Dimensionen Konventionalismus, autoritäre Unterordnung und Aggression, Anti-Intrazeption, Aberglaube bzw. Stereotypie, Machtdenken, „Kraftmeierei“, Destruktivität bzw. Zynismus, Projektivität sowie starre Geschlechterrollen. (Vgl. ebd., S. 255ff.)

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wesentlich durch Erziehung und gesamtgesellschaftliche Sozialisation geformt werden. Es sind also gesellschaftliche Sozialisationsaspekte (darin eingeschlossen Familie bzw. Familienverständnis etc.), die die Ausbildung des autoritären Charakters bedingen. Der Antipode einer Sozialisation zum autoritären, antidemokratischen Menschen ist die Erziehung hin zur Mündigkeit bzw. Teilhabe und damit einer demokratischen Gesellschaft. In den zwischen 1959 und 1969 im Hessischen Rundfunk stattfindenden pädagogischen Disputationen erörtert Adorno die Möglichkeiten der Erziehung mündiger Bürgerinnen. Die autoritäre, undemokratische Vorgeschichte erfordere eine „Aufarbeitung der Vergangenheit“111 Adorno führt aus: Es kommt wohl wesentlich darauf an, in welcher Weise das Vergangene vergegenwärtigt wird; ob man beim bloßen Vorwurf stehenbleibt oder dem Entsetzen standhält durch die Kraft, selbst das Unbegreifliche noch zu begreifen. Dazu bedürfte es freilich einer Erziehung der Erzieher.112

Prämisse der produktiven Verarbeitung der undemokratischen Vergangenheit sowie der Gräueltaten der Nazis sei die Erziehung der Erzieher. D. h., dass alle Personen, die in einer erzieherischen Funktion tätig sind, selbst einer Persönlichkeitsbildung bzw. Umorientierung bedürften. Denn nur so sei ein veränderter Umgang mit dem Faschismus bzw. der Shoa und auch die Entwicklung einer demokratischen und teilhabeorientierten Gesellschaft möglich. Diesem Anliegen Adornos entspricht spiegelbildlich die Kritik der APO und Studierendenbewegung an gesellschaftlichen Kontinuitäten in Institutionen, Politik usw., die sie als ursächlich für den fortgesetzten Faschismus bzw. Autoritarismus sehen. Adorno erhofft sich die Bildung demokratischer Persönlichkeiten, denn „die Forderung, daß Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung.“113 Er folgert: Auschwitz war der Ausdruck der Barbarei und diese „Barbarei besteht fort, solange die Bedingungen, die jenen Rückfall [in die Barbarei] zeitigten, wesentlich fortdauern.“114 Unter der Annahme des Fortbestands der Bedingungen für Diktatur bzw. Ungerechtigkeit machten sich verschiedene gesellschaftliche Akteure daran, die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen bzw. Erziehung in der Form umzugestalten, dass eine Bildung mündiger Menschen und Teilhabe an Gesellschaft ermöglicht wird. Autoritätsverhältnisse und Machtstrukturen werden kritisch beleuchtet; den Erziehungszielen Mündigkeit bzw. Emanzipation kommt großes Gewicht zu. Auf der Suche nach alternativen pädagogischen Konzepten lebten reformpädagogische Ideen wieder auf. Bereits in den 1920er Jahren forschte der 111 112 113 114

Adorno/Becker/Kadelbach 1971, Bd. 11, S. 10. Ebd., S. 25. Ebd., S. 88. Ebd.

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Reformpädagoge A.S. Neill über die Möglichkeiten demokratischer und selbstgesteuerter (Schul-)Erziehung. Seine Versuche demokratischer Beschulung wurden nach dem Krieg in Summerhill, England, fortgeführt und erlangten wegen des großen Interesses an alternativen Leitideen für die pädagogische Arbeit große Bekanntheit und Beliebtheit. 1969 wurde Neills Buch115 neu unter dem Titel „Theorie und Praxis der antiautoritären Erziehung“116 aufgelegt und erreichte binnen weniger Monate eine Auflage von über 400.000 und war damit äußerst erfolgreich.117 Das genannte Schlagwort „anti-autoritäre“ Erziehung verweist weniger auf ein einheitliches Theoriekonzept, sondern eher auf eine Grundorientierung an selbstregulierender Bildung des Menschen hin zu Demokratie, Mündigkeit und Humanität. Auch in der pädagogischen Arbeit ist der Wertewandel beobachtbar, nämlich in der Abgrenzung von den alten Pflicht- und Akzeptanzwerten hin zu einem stärker an Selbstentfaltungswerten ausgerichtetem Ideal. Eine an antiautoritären Grundeinsichten ausgerichtete Erziehung setzt sich kritisch mit Herrschafts- und Machtverhältnissen auseinander, um so die Entstehung des autoritären Charakters zu vermeiden und die Entwicklung von Teilhabe und Mündigkeit zu begünstigen. Die sog. „Kinderläden“ waren ein Erprobungsfeld anti-autoritärerer Erziehungsziele, die durch elterliche Selbsthilfeinitiativen seit 1969 Kinderbetreuung in leerstehenden Geschäftsräumen angeboten wurden. Ferner gaben die Kinderläden Impulse für den gesamtgesellschaftlichen Ausbau öffentlicher Kinderbetreuung.118 Durch die Reflexion von Machtbeziehungen sollte die unkritische Übernahme von gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnissen umgangen werden und die pädagogische Arbeit am Motiv der Teilhabe angelehnt sein. In der gemeinsamen Erziehung der Kinder wurden auch die elterlichen Sozialisationserfahrungen achtsam beleuchtet. Ziel dieser Erziehung war neben Mündigkeit auch der systematische Abbau von autoritären, machtvollen Beziehungen bzw. Strukturen der Gesellschaft.119 Mit dem selbst-organisierten Han115 Der frühere Titel lautete „Erziehung in Summerhill. Das revolutionäre Beispiel einer freien Schule“. 116 Neill 1969, Bd. 60209. 117 Vgl. ebd., Vorwort. 118 Vor der Gründung zahlreicher Kinderländen war öffentliche Kinderbetreuung v. a. alleinerziehenden, berufstätigen Frauen vorbehalten, die nicht dem gesellschaftlichen Ideal „Hausfrau und Mutter“ entsprachen. Die Kinderladenbewegung verknüpfte das Anliegen öffentlicher Kinderbetreuung mit der Frage nach weiblicher Erwerbsarbeitsbeteiligung. Die Kinderladenbewegung gab ferner Impulse zur kommunalen Institutionalisierung der öffentlichen Kinderbetreuung. (Vgl. Schildt/Siegfried 2009, S. 298.) 119 Die Frankfurter Schule bzw. Kritische Theorie bilden einen wesentlichen Interpretationsrahmen bei Entstehung, Begründung der Kinderläden und ihrer Ausrichtung. Die Studien über Autorität und Familie von Horkheimer u. a. (1936), liegen auch den von Adorno u. a. vorgenommenen Studien zu Grunde. In Band I, im Unterkapitel „Sozialpsychologische Grundlagen“ macht Fromm darauf aufmerksam, dass der soziale Charakter v. a. durch

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deln sind die Kinderladen-Initiativen Ausdruck der sich formierenden Idee „Selbsthilfe“. Im Rahmen eines sich wandelnden Politik- und Gesellschaftsverständnisses (Wertewandelschub) Ende der 1960er Jahre realisiert sich die freiwillige soziale Selbsthilfe als ein Gegenüber zum paternalistischen als entmündigend verstandenen klassischen Hilfesystems. Selbsthilfe wird aus dieser Perspektive als autonome, solidarische, selbst gestaltete, basisdemokratische und subsidiarische Hilfe Betroffener definiert. Diese soziale Selbsthilfe grenzt sich bewusst von der Hilfe der Professionellen und ihren Institutionen ab.120 Im Speziellen ist es die Selbsthilfebewegung, die sich zum professionellen Hilfesystem der Experten, ihren Definitionskriterien und damit verbundenen machtvollen Zuschreibungen mittels einer starken Institutionenkritik in ein kritisches Verhältnis setzt. In der Antipsychiatrie-Bewegung verband sich eine generelle Institutionenkritik („totale Institutionen“) mit der kritischen Beschäftigung der Disziplin Psychiatrie, ihren Wissenschaftlern und Institutionen121 während der NSDiktatur122 und den bis in die Bundesrepublik reichenden Kontinuitäten. Der Soziologe Erving Goffmann123 klassifiziert psychiatrische Einrichtungen, Krankenhäuser, Pflegeheime, Internate usw. als totale Institutionen, d. h. soziale Einrichtungen, die alle Lebensbereiche124 des Individuums umfassen und autoritär strukturieren. Dies verursache Rollenkonflikte, wobei jegliche, individuelle Autonomie und Gestaltungsfähigkeit aufgehoben werde, was schließlich zur Zerstörung der Person und ihres Selbst führe. Goffmann charakterisiert

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Grunderlebnisse der frühen Sozialisation in Familie und Gesellschaft geprägt wird. Die (frühe) Orientierung an Gehorsam, Unterwürfigkeit usw. führe zu Anpassung und Ausbildung einer autoritären, unmündigen Charakterstruktur. Der Familie komme als primärem Sozialisationskontext eine entscheidende Bedeutung für das individuelle und gesellschaftliche Leben zu. (Vgl. Horkheimer u. a. 1936.) Vgl. Rohrmann 1999, S. 19. Neben den Psychiatrien geraten auch zunehmend kirchliche Einrichtungen in die Kritik, da sich diese während der Nazi-Diktatur meist bereitwillig an der „Sichtung und Vernichtung lebensunwerten Lebens“ (Klee 1995) beteiligt hatten. Mit dem Motiv „Mitleid“ (Dörner 1989) knüpften die kirchlichen Träger bzw. ihre Funktionäre an die nationalsozialistische Ideologie an und planten das leidende Leben durch Mord „in Gottes Hand zurückzugeben“ (Klee/Petrich 1988). Das eugenetisch motivierte Euthanasieprogramm der NS-Diktatur ermordete und zwangssterilisierte viele sog. „Geisteskranke“ auf Grundlage des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ aus 1933. Dieses Gesetz nannte u. a. Schizophrenie, manischdepressives Verhalten, Chorea-Huntington, vererbte Blind- und Taubheit, körperliche Missbildungen wie Kleinwuchs oder spastische Lähmungen sowie auch Alkoholismus oder sozial abweichendes Verhalten, was sich z. B. in Konflikten in Beruf und Schule äußerte, als Kennzeichen der Geisteskrankheit und vollzog auf diese Weise die stigmatisierende Abwertung. (Vgl. Landeszentrale für Politische Bildung Baden-Württemberg 2000, S. 7.45.) Goffman 1961 erschien 1971 auf Deutsch. Die Lebensbereiche Schlafen, Spielen und Arbeiten sind schon rein lokal nicht mehr zu unterscheiden.

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totale Institutionen wie folgt: Alle Lebensvollzüge finden innerhalb einer Einrichtung statt; die einzelnen Mitglieder befinden sich immer in Gesellschaft von „Schicksalsgenoss*innen“ und führen vorgeschriebene Tätigkeiten aus, wobei sie permanent überwacht werden. Die verordneten Aufgaben werden durch einen rationalen Plan zur festgelegten Zielerreichung legitimiert.125 Durch institutionelle Rituale126 sowie Bestrafungsmaßnahmen werden systematisch feste Rollendifferenzen zwischen den Insassen und dem Anstaltspersonal etabliert und so die Gesamtstruktur der totalen Institution stabilisiert. In der fundamentalen Unterscheidung zwischen „Insassen“ und Aufsichtspersonal sind wirkmächtige Zuschreibungen aktiv: Das Interpretationsschema der totalen Institution kommt, sobald der Insasse eintritt, automatisch in Gang, da das Personal der Ansicht ist, daß der Eintritt als solcher ein sichtbarer Beweis dafür ist, daß der Betreffende zu dem Personenkreis gehört, für den die Institution eingerichtet wurde.127

In seiner Untersuchung „Stigma“ zeigt Goffmann weiterhin, dass solche machtvollen Zuschreibungsprozesse nicht nur innerhalb totaler Institutionen, sondern gesamtgesellschaftlich strukturierend wirken. Die Chancen gesellschaftlicher Teilhabe sinken bei abweichendem Verhalten, welches stigmatisiert und Ausschluss erfährt.128 Neben Erving Goffman, David Cooper, Gilles Deleuze und Félix Guattari war auch Franco Basaglia Teil der Antipsychiatrie-Bewegung, die gesellschaftlichen Ausschluss mittels machtvoller Zuschreibungen am Beispiel der psychischen Krankheiten untersuchte. Der Ursprung psychischer Krankheiten sei in der Umwelt und in der widersprüchlichen Gesellschaft zu suchen, die Menschen von Teilhabe ausschließt, mit abweichenden Merkmalen versieht und institutionalisiert. Der Italiener Basaglia nahm die Funktion von Institutionen bei der Ausübung von Herrschaft bzw. Exklusion nuanciert wahr und setzte sich für die Abschaffung dieser Institutionen ein. Seine Reformbestrebungen waren von der Einsicht, dass Isolation und Diagnosen stigmatisierend wirken, geprägt. Er setzte sich aktiv für die Aufhebung von Zwangsmaßnahmen (Fixierung, Elektrokrampftherapie etc.) ein und favorisierte ein 125 Vgl. Goffman 1973, S. 15ff. 126 Z. B.: Eingangsuntersuchung, Wegnehmen von Privatbesitz, Hausordnung mit Straf- und Privilegiensystem usw. 127 Goffman 1973, S. 87. 128 Im Prozess der Stigmatisierung werden ausgehend von Normalitätsvorstellungen unerwünschte und diskreditierbare Merkmale zugeschrieben. Goffmann unterscheidet zwischen dem diskreditierten, offen und für jeden ersichtlichen Stigma (wie z. B. „Hautfarbe“) und dem diskreditierbaren Stigma, das in Gefahr steht, offenbar zu werden (z. B. früherer Gefängnisaufenthalt). Durch Fremd- und Selbstzuschreibungsprozesse sind Stigmata wirksam und von den Individuen wird ein Stigmatamanagement erfordert. (Goffman 1975, Bd. 140.)

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gemeinschaftliches Arrangement, das in der ebenbürtigen Begegnung alternative Handlungsoptionen für Patient*innen, Pfleger*innen und Ärzt*innen eröffnete. Mit der Freiheit der Patienten sei auch die Befreiung der Psychiaterinnen von gesellschaftlichen Rollenerwartungen zu erwarten. Die AntipsychiatrieBewegung legte ebenso wie die pädagogischen Versuche der Kinderläden ein positiv-ressourcenorientiertes Menschenbild zu Grunde.129 Entsprechend dem italienischen Vorbild wurde auch in Deutschland die Kritik an den klassischen Fürsorgeinstitutionen mit ihren ausschließenden Tendenzen und den durch Macht strukturierten Beziehungsdynamiken laut. Gegen solche mächtigen Institutionen wurden Selbsthilfe-Initiativen wie das Heidelberger „Sozialistisches Patienten-Kollektiv“ oder die Berliner „Irren-Offensive“ aktiv, die gesellschaftliche Partizipation einforderten. Den Teilhabeforderungen, bezogen auf die mächtige Institution Psychiatrie, begegnete man in Deutschland staatlicherseits ferner durch die Einsetzung der Psychiatrie-Enquete-Kommission 1971. Ihr „Bericht über die Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland” aus dem Jahr 1975 problematisiert ebenfalls die Institution. Entsprechende „Mängel[n] in der Versorgung“130 sollte durch eine sozialpsychiatrische Reform begegnet werden. Die Kommission schlägt eine Intensivierung der Präventions- und Aufklärungsmaßnahmen, den Ausbau der ambulanten und teilstationären Dienste, Schaffung von Selbsthilfegruppen und Beratungsstellen, eine Umstrukturierung der sog. Großkliniken und schließlich die Förderung von Beratungsdiensten und Selbsthilfegruppen, vor.131 Die Arbeit der Kommission belegt, dass sich auch staatliche Akteure für eine stärkere Partizipationsorientierung und damit den Abbau von entmündigenden, machtvollen Strukturen und Institutionen engagierten. In den 1980er Jahren konzipierte die Community Psychology bzw. die Gemeindepsychologie unter Aufnahme der Institutionenkritik sowie der Annahme der gesellschaftlichen Bedingtheit sozialer bzw. psychischer Problemla-

129 Vgl. Basaglia 1971, S. 114 und Basaglia/Pfäfflin 2002, S. 44; Basaglia 1971, S. 141. Die Arbeit Basaglias führte in Italien zur Deinstitutionalisierung bzw. Schließung aller Psychiatrien sowie zu erweiterten Rechtsgarantien für die Betroffenen. 130 Deutscher Bundestag- Enquete-Kommission Psychiatrie 1975, S. 11. Der Bericht weist auf das Fehlen entsprechender Unterstützungsangebote für Kinder und Jugendliche, Suchtkranke sowie chronisch psychisch Kranken und sog. Behinderten hin. Insbesondere mangele es an präventiven komplementären, ambulanten und gemeindenahen Diensten. Ferner moniert die Kommission, dass die Patienten in großen Fachkliniken mehrheitlich über zwei Jahre verbleiben und sogar 31 % (was 30.000 Personen entspricht) länger als zehn Jahre institutionalisiert werden. Damit seien die Gefahren der Fehlbehandlung und Hospitalismus kaum zu übersehen. 131 Vgl. ebd., S. 16.

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gen Empowermentansätze132 zur Handhabung von Macht- und Autoritätsfragen. Julian Rappaport, einer der Begründer der Gemeindepsychologie, greift den Begriff „Empowerment“ auf, entwickelt ihn weiter und stellt diesen ins Zentrum seines sozialpolitischen Konzepts. Wörtlich übersetzt ist Empowerment Bemächtigung und Stärkung von Autonomie bzw. Selbstbestimmung. Ferner beschreibt Empowerment den Prozess, im Zuge dessen Menschen selbst über ihr Leben bestimmen und ihre Autonomiespielräume erweitern und auf diesem Weg individuelle sowie kollektive Ohnmachtserfahrungen überwunden werden. Empowermentansätze akzentuieren den Zusammenhang der Problemlagen von Einzelpersonen bzw. Gruppen und der ganzen Gesellschaft. Schließlich werden Vorstellungen von hilfsbedürftigen ohnmächtigen Klient*innen in Frage gestellt. Den institutionellen und organisationalen Strukturen der Fürsorgeeinrichtungen bzw. der Gesamtgesellschaft, die dem Erreichen des Ziels Empowerment der Mündigkeit entgegenwirken, wird jegliche Legitimität aberkannt: „We will, should we take empowerment seriously, no longer be able to see people as simply children in need or as only citizens with rights, but rather as full human beings, who have both rights and needs.”133 Gemeindepsychologische Ansätze lehnen die Kontrolle der Adressat*innen durch sozialstaatliche, gesundheitsund bildungspolitische Maßnahmen ab. Vielmehr votieren sie für Ressourcenorientierung, um so Selbstbestimmung an die Adressat*in zurückzugeben, die Gestaltung des eigenen Lebens sowie solidarische Beziehungen zu fördern und auf diese Weise schließlich soziale Gerechtigkeit und Teilhabe zu ermöglichen.134 Wie die APO, die Studierendenbewegung und auch die neue soziale Bewegung steht der Empowerment-Ansatz in einem äußerst kritischen Verhältnis zu (gesellschaftlicher) Macht.135 Mittels Selbsthilfe, nicht die Intervention von Experten136, sollen Menschen das eigene Leben selbstbestimmt bewältigen und gestalten.

132 Ursprünglich war das Konzept des Empowerment in der US-amerikanischen Bürger*innenrechtsbewegung beheimatet und meinte dabei v. a. die Durchsetzung von gemeinschaftlichen, aber auch individuellen Inklusionsansprüchen. (Vgl. Sohns 2009, S. 76.) Durch Barbara Solomon (Solomon 1976) fand die Empowerment-Thematik Eingang in die sozialarbeiterische Fachliteratur. Solomon beschreibt Empowerment als Methode in der Arbeit mit afroamerikanischen Communities. Ihre zentrale Forderung ist die Erweiterung demokratischer Selbstbestimmung für marginalisierte Gruppen und Individuen. In diesem Zusammenhang wird mit dem Schlagwort „Selbstexpertisierung” auf die Relevanz von Bildung und Wissenserwerb verwiesen. (Vgl. Sohns 2009, S. 76.) In den 1980er-Jahren wurde der Begriff Empowerment durch Julian Rappaport aufgegriffen und im Rahmen der Gemeindepsychologie weiterentwickelt. 133 Rappaport 1981, S. 15. 134 Vgl. ebd., S. 13. 135 Vgl. Sohns 2009, S. 76. 136 Wie z. B. Sozialarbeitern oder Therapeutinnen.

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Damit sind nun Ursprung und Kontext des Diskurses um Macht und Teilhabe näher ausgeführt und exemplarisch illustriert. Die oben vorgestellten Trends, die sich in Bezug auf Macht und Teilhabe bereits in den 1960er Jahren in APO und Studierendenbewegung zeigten, gingen nach 1969 aus diesem losen Zusammenschluss in unterschiedliche Gruppen und Reformbemühungen, der „Neuen Sozialen Bewegung“, über. „Neue Soziale Bewegung“ (NSB)137 bezeichnet ideologisch verschiedene Gruppierungen bzw. kollektive Akteure138 wie beispielsweise die Frauen-, Friedens-, Umwelt-, Anti-Atomkraft-, Dritte- bzw. EineWelt- oder auch die Schwulen- und Lesbenbewegung. Gemeinsam sind ihnen das offensive zumeist freiwillige Engagement jenseits von formalisierten institutionellen Strukturen und die grundlegende Beschäftigung mit Macht- bzw. Autoritätskritik. Ferner teilen die verschiedenen Gruppierungen der NSB die Zurückweisung hauptberuflicher „Expert*innen“ sowie des klassischen Ehrenamts in den traditionellen Institutionen. Das traditionelle Ehrenamt, das in den Kirchen, den Wohlfahrtsverbänden usw. stattfindet, wird aufgrund des institutionalisierten Charakters und damit als autoritär-entmündigend verstandenen Strukturen abgelehnt.139 Trotz der Zurückweisung ehrenamtlichen Engagements in Institutionen bleibt die massive Ausweitung und Praktizierung des Beteiligungs- und Teilhabegedankens eine äußerst folgenreiche Konsequenz der NSB. Beteiligung wird dabei in freiwilliges Engagement als Selbsthilfe, Bürgerinitiativen, kreative Aktion und Protest übersetzt. „Partizipation wurde […] als kritisches Engagement des Einzelnen in überschaubaren Gruppen“140 verstanden. 137 Das Adjektiv „neu“ klassifiziert diese soziale Bewegung nicht als vollkommen neu oder vorbildlos, vielmehr soll die Aktualität angezeigt werden. Ferner qualifiziert „neu“ auch das Element der Systemmodernisierung, welches durch eine solche die Bewegung in den politischen Zusammenhangs eingebracht wird. (Vgl. Huber 1988, S. 424.) 138 Die NSB ist in informellen, selbstorganisierten, regionalen bis hin zu überregionalen (in letzter Zeit auch globalen) stark formalisierten Gruppen bzw. Akteuren organisiert. Insgesamt ist seit den 1980er Jahren eine stärkere Formalisierung hinsichtlich des Organisationsgrades zu beobachten. In der Gegenwart kommt es begünstigt durch moderne Kommunikationstechnologien immer wieder zum (Neu-) Entstehen sozialer Bewegungen, die teilweise in gemeinsamer Tradition mit der NSB stehen, aber nicht explizit als NSB bezeichnet werden. 139 Im Zuge des durch Klages beschriebenen Wertewandels kommt es auch zur Abwendung von den Institutionen, die an diesen Werten starr festhalten bzw. sie reproduzieren. Dies sind z. B. Einrichtungen, die sehr bürokratisch und autoritär funktionieren. Das Engagement in diesen Organisationen nimmt tendenziell eher ab. Dennoch fanden auch die alternative Protestbewegung (z. B. die Solidaritätsbewegung mit der Mehrheitswelt oder die Friedensbewegung) in einer der klassischen Institutionen wie der Kirche Heimat. Der Bericht der Enquete-Kommission zu bürgerschaftlichem Engagement blickt auf diese Entwicklungen zurück und konstatiert: „Im langfristigen Trend haben formelle Organisationen (Interessenverbände, Kirchen, Parteien), die zunächst die Hauptträger von Protesten waren, in dieser Funktion an Bedeutung verloren, während der Anteil von informellen Gruppen und Netzwerken deutlich zugenommen hat.“ (Deutscher Bundestag 2002, S. 102.) 140 Schildt/Siegfried 2009, S. 365.

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Der NSB ist die Akzentuierung von Teilhabe auch außerhalb der formalisierten Politik in Staat/Parteien als einem legitimen (politischen) Einsatz in der und für die bundesrepublikanische Demokratie zu verdanken. Die Beanstandung der Machtverhältnisse bietet positiv gewendet als Betonung des Beteiligungs- und Teilhabeaspekts einen Anschlusspunkt für die Debatte um das jeweilige Gesellschaftsverständnis. Die Forderung nach erhöhter Teilhabe ist häufig mit den schillernden Begriffen Bürger- oder Zivilgesellschaft zu finden. Die beiden Termini implizieren v. a., dass sich politisches Handeln nicht nur auf formalpolitischem Weg (Wahlen, Mandatsträger, Parteien etc.) ereignet, sondern dass eine Gesellschaft auch auf informelle Meinungsbildungsprozesse und Beteiligung angewiesen ist. Kaase bezeichnet die aus dem Teilhabebestreben erwachsenden gesellschaftlichen Veränderungen als „partizipatorische Revolution“141. Die deutsche Verfassung142, die durch starke repräsentative Elemente (z. B. das Parteienprivileg) bestimmt war, wurde durch andere Partizipationsformen erweitert. Zwar hatten einige einzelne Gruppen kein Interesse an der Kooperation mit Institutionen und Verwaltungen, aber viele Akteure waren durchaus an der Zusammenarbeit mit staatlichen bzw. kommunalen Organisationen interessiert. Die partizipatorische Revolution hatte auf diesem Weg auch Effekte auf die Verwaltungsreformen (öffentliche Verwaltung) der 1970er Jahre, die mehr „Bürgernähe“ und Effizienzsteigerung schaffen sollten.143 Auf kommunaler Ebene wurden Anhörungs- und Informationsrechte gestärkt; durch bundesgesetzliche Änderungen144 wurden Bürger*innenbeteiligungsangebote bei räumlichen Planungsprozessen angestoßen145. Die Partizipationsmöglichkeiten wurden in den 1990er Jahren erweitert, indem die Durchführung direktdemokratischer Verfahren wie Bürger*innenentscheid und Bürger*innenbegehren erleichtert wurden. Die durch den Wertewandel hervorgebrachten Emanzipationsforderungen fanden auch sozialpolitisch Eingang und führten zu einer Reihe neuer Gesetze. Der Zeitraum zwischen 1966 und 1975 kann als Modernisierung des Sozialstaats klassifiziert werden. Der erhebliche Aus- und Umbau des Sozialstaats begann bereits in der Regierungszeit der Großen Koalition (1966–1969).146 Willy Brandts 141 Kaase 1982. 142 Als Reaktion auf die Erfahrungen der nationalsozialistischen Diktatur und dem Scheitern der Weimarer Demokratie ist die Verfassung der BRD stark durch repräsentative Elemente wie das Parteienprivileg geprägt. 143 Dies v. a. auf Länderebene, da Verwaltung maßgeblich Sache der Länder ist. 144 Dabei handelte es sich zuerst um Beteiligungsprozesse im Bereich des Städtebaus. Dazu fand eine Änderung des Bundesbaugesetzbuchs und Städtebauförderungsgesetzes statt. 145 Vgl. Bogumil 2006, S. 371. 146 Dazu standen wegen des hohen Steueraufkommens in Verbindung mit einer sehr niedrigen Arbeitslosenquote umfangreiche finanzielle Ressourcen zum Sozialstaatsausbau zur Verfügung.

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Slogan, „Wir wollen mehr Demokratie wagen“147, drückt die reformpolitische Stimmung der sozialliberalen Nachfolgeregierung (1969–1974) trefflich aus. Gesetze, die den Forderungen nach gesellschaftlicher Teilhabe, materieller Sicherung und Chancengleichheit Rechnung tragen, sind beispielsweise die Herabsetzung des Wahlalters148, das Arbeitsförderungsgesetz (1969), das Berufsbildungsgesetz (1969), das Ausbildungsförderungsgesetz (1971), das Schwerbehindertengesetz (1974) oder auch das Betriebsverfassungsgesetz (1972). 1.1.2.1 Ehrenamtliches oder zivilgesellschaftliches Engagement im Macht- und Teilhabediskurs In den vorgehenden Abschnitten wurden die Ursprünge und Zusammenhänge des Diskurses um Macht und Teilhabe nachvollzogen. Innerhalb dieses Diskurses wird das Thema Ehrenamt bzw. freiwilliges Engagement mit den Schlagworten Teilhabe, Partizipation, Institutionenkritik, Zivilgesellschaft, Bürgergesellschaft, Demokratie, Empowerment, Solidarität und Gemeinsinn aufgegriffen. Zivilgesellschaftliches Engagement wird im Macht- und Teilhabediskurs positiv gewendet als Partizipationschance verstanden, der das Potential eignet, die Gesellschaft zu verändern. Die Forderungen nach größerer Teilhabe und auch der institutionenkritische Impetus wirken sich seit den 1970er Jahren auch aufs Ehrenamt und die entsprechenden Auseinandersetzungen im Diskurs Macht/ Teilhabe aus. Die Thesen von zugleich mit dem Wertewandel gewandelten Formen des Engagements sowie dem transformativen Potential des zivilgesellschaftlichen Engagements werden im Folgenden unter Berücksichtigung aktueller Literatur expliziert. 1.1.2.1.1 Der gesellschaftliche Wertewandel bedingt den Wandel der Ehrenamtstypen Insbesondere seit den 1980er Jahren haben die großen Institutionen (Wohlfahrtsverbände, Volksparteien, Kirchen usw.) Schwierigkeiten bei der Rekrutierung neuer Ehrenamtlicher und klagen daher über die Krise des Ehrenamts.149 Diese Krisenrhetorik verband sich regelmäßig mit modernisierungskritischen Momenten und gipfelte im Lamento über die „Egogesellschaft“150 oder eine „Entsolidarisierung“151. Der Pädagoge Olk verweigert eine solche kulturpessimistische Deutung und konstatiert 1987 stattdessen den Strukturwandel des 147 Brandt 1982. 148 Das Wahlalter wurde 1970 auf 18 Jahre abgesenkt. Vorher lagen das aktive Wahlrecht bei 21 Jahren und das passive Wahlrecht bei 25 Jahren. 149 Vgl. Peglow 2002, S. 26. 150 Z. B. Apin 2013, Bd. 1368. 151 Beispielsweise Große Kracht 2001 thematisiert dies.

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Ehrenamts. Die Veränderung gesellschaftlicher sowie organisationaler Strukturen152 und auch Werte wirken sich auf Inhalte, Formen und Motive freiwilligen Engagements aus.153 Im Kontext des Wertewandelschubs seit Mitte der 1960er Jahre, den politischen Veränderungen, und ganz allgemein dem Machtdiskurs wird der Strukturwandel häufig als Umbruch „vom ‚alten‘ zum ‚neuen‘ Ehrenamt”154 schematisiert. Altes Ehrenamt Weltanschaulich oder religiöse Bindung an eine Organisation; lebenslange oder zeitlich sehr lange Tätigkeit in einer Organisation; Mitgliedschaft

Neues Ehrenamt Vielfältiges Engagement, welches selbstbezüglich begründet wird; Engagement findet zeitlich befristet und tendenziell projektorientiert in unterschiedlichen Bereichen statt

Milieugebundene Sozialisation Altruistisches Handeln; Fürsorge

Biographische Passung Reziprozität von Geben und Nehmen; Selbstverwirklichung, Qualifizierung

Unentgeltlichkeit Laientätigkeit

Aufwandsentschädigungen Ausbildungs- und Qualifizierungsorientiert

Die der oben stehenden Tabelle zu entnehmende Unterscheidung zeigt an, dass sich freiwilliges Engagement diversifiziert hat. Zwar kann nicht von der Ablösung des alten durch das neue Ehrenamt gesprochen werden. Dennoch sinkt die Zahl der Personen, die ein altes Ehrenamt ausüben, stetig, zugleich tritt das neue Ehrenamt in vielen unterschiedlichen Gestalten hinzu und wächst quantitativ. Außerdem verändern sich inhaltliche Bezugspunkte des Engagements im biographischen Verlauf und die Themen Globalisierung und Ökologie kommen als neue Engagementbereiche dazu. Im Übrigen erweitert sich das klassische Ehrenamt um freiwillige Tätigkeiten mit Aufwandsentschädigungen; diese können v. a. im Niedriglohnbereich Quasi-Erwerbsarbeitsverhältnisse als freiwilliges Engagement verschleiern. Das Engagement der sozialen Bewegungen 152 Z. B. Frantz/Zimmer untersuchten die Unterschiede zwischen „alten“ und „neuen“ NGOs. (Vgl. Frantz/Zimmer 2002, Bd. 6.) 153 Vgl. Olk, Das soziale Ehrenamt 1989, S. 84ff. Hinsichtlich der Träger der freien Wohlfahrtspflege kommt Olk zu dem Schluss, dass „die Bereitschaft zur Ableistung ehrenamtlicher Tätigkeiten bei den Wohlfahrtsverbänden wie schon in den letzten Jahrzehnten auch in Zukunft weiter abnehmen wird […]. Mit der wachsenden Partizipation der Frauen am Arbeitsmarkt und der Abnahme konfessioneller Bindungen […] scheint das klassische Reservoir ehrenamtlicher Arbeit in der verbandlichen Wohlfahrtspflege stetig im Schwinden begriffen zu sein.” (Olk, Das soziale Ehrenamt 1989, S. 87.) 154 Vgl. Olk, Vom „alten“ zum „neuen“ Ehrenamt: Ehrenamtliches Engagement außerhalb etablierter Träger Verfasser 1989, S. 7ff.

Analyse der Diskurse zum Phänomen freiwilliges Engagement

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formierte sich v. a. in Selbsthilfegruppen und Bürgerinitiativen.155 Ferner erfreute sich in den letzten Jahren die Form der bürgerlichen Stiftung gesteigerter Beliebtheit. Altruistischer Einsatz für Andere war das Motiv des traditionellen Ehrenamts. Beim neuen Ehrenamt gesellen sich zu dem Engagement fürs Gemeinwohl als Motive auch Selbstverwirklichung, Spaß und soziale Kontakte.156 Wessels untersucht 1994157 die These vom Strukturwandel des Ehrenamts am speziellen Fall des weiblichen Engagements. Sie kommt zum Schluss, dass sich die weibliche Bereitschaft zur Aufnahme bestimmter freiwilligen Tätigkeiten mit der intensivierten Erwerbsbeteiligung verändert hat. Wessels stellt damit den Zusammenhang zwischen freiwilliger Tätigkeit als einer nicht entlohnten Arbeitsform und Lohnarbeit her. Daraus zieht sie Rückschlüsse für den Umgang mit diesen neuen Ehrenamtlichen, wie es auch Brandenburg158 1995 tut. Die These vom Strukturwandel des Ehrenamts wird vornehmlich den Studien von Beher/Liebig/Rauschenbach 2000159 und von Gensicke/Klages 1999 detailliert untersucht. Gensicke/Klages Speyerer Survey nahm den „Wertewandel und bürgerschaftliches Engagement“ in den Blick und erörterte die Abhängigkeit freiwilligen Engagements von Lebensstil bzw. Milieu.160 Entgegen der landläufig verbreiteten Auffassung, dass der Wertewandel mit Betonung von Selbstentfaltungswerten zu egoistischen Bürger*innen ohne Interesse an freiwilliger Mitarbeit führt, konnten die Autor*innen zeigen, dass sich Selbstentfaltungswerte und der Einsatz fürs Gemeinwohl nicht ausschließen. Vielmehr konnten sie belegen, 155 Beher/Liebig/Rauschenbach nennen als weitere Beispiele Tauschbörsen, Kooperationsringe, Selbsthilfe- und Betroffenengruppen. (Vgl. Beher/Liebig/Rauschenbach 1998, Bd. 163.) 156 Vgl. Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2016, 418ff. Die Frage nach den Motiven wird v. a. auch in den Freiwilligensurveys und in der neu entstandenen eigenen Engagementmotivforschung untersucht. (siehe dazu z. B.: Institut für Demoskopie Allensbach 2013; Klöckner 2016; Oostlander/Wehner/Güntert 2015; Strubel u. a. 2015.) 157 Wessels 1994, Bd. 22. 158 Brandenburg 1995. 159 Beher/Liebig/Rauschenbach 2000. 160 Dabei wurde ein stark differenziertes Verfahren zur Erhebung der Zahl der freiwilligen Engagierten angewendet und eine Engagementquote über 30 % erhoben. Der zeitlich darauf folgende bundesrepräsentative Freiwilligensurvey geht mit 36 % sogar von einer noch höheren Quote für das Jahr 2009 aus. (Vgl. Gensicke/Geiss 2010, 5ff.) Der Freiwilligensurvey 2014 belegt eine Engagementquote von 43,6 % für die Bürger*innen über 14 Jahre in der BRD. (Vgl. Simonson/Vogel/Tesch-Römer 2016, S. 70.) Die Mitte der 1990er Jahre erschienenen Eurovol-Studien (1996) gingen mit 18 % von einer eher geringen bundesrepublikanischen Engagementquote aus. (Vgl. Gaskin/Smith/Paulwitz 1996.) Es muss damit gerechnet werden, dass Gaskin u. a. die Engagementquote wesentlich unterschätzten. Insgesamt weisen die unterschiedlichen Zahlen auch auf die unbedingt zu beachtende Definition des freiwilligen Engagements hin, denn ob beispielsweise stiften oder spenden freiwillige Tätigkeit begründet, ist jeweils umstritten. Siehe dazu ferner Kapitel 2.1, welches die (Un-)Möglichkeiten der Unterscheidung verschiedener Formen von Arbeit untersucht.

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dass Selbstentfaltungswerte und auch Engagement fürs Gemeinwohl als Motive ehrenamtlicher Tätigkeit gleichauf liegen.161 Die Studien über den Strukturwandel veranschaulichen die unterschiedlichen Engagementtypen als Konsequenz und Abbild moderner, pluraler Gesellschaften. Außerdem belegen sie, dass gerade die Teilhabeforderungen der 1960er Jahre die Bereitschaft und Formen zu bürger*innenschaftlichem Engagement verstärkt und diversifiziert haben.162 Die oben genannten Studien und der erste bundesrepräsentative Freiwilligensurvey (1999) wurden insbesondere zur Erhellung des Verständnisses verschiedener Engagementformen rezipiert. Heinz/Strünck bezeichnen 2001 das pluralisierte und diversifizierte Ehrenamt als „alte Melodie, neu vertont“163; endlich werden auch Selbstverwirklichungsmotive als Aspekt des freiwilligen Engagements akzeptiert, denn „auch gute Menschen wollen Spaß”164. Auch in den Sonderauswertungen des zweiten, dritten und vierten Freiwilligensurveys für die evangelische Kirche durch Grosse 2006 bzw. Seidelmann 2012 und Sinnemann 2017 wird differenziert Auskunft über Motive und sozialstrukturelle Merkmale der Engagierten gegeben.165 Piroths kurzer Aufsatz „Altes und neues Ehrenamt: eine Frage von Biografie, Milieu und Lebensstil” verknüpft die Ergebnisse des Freiwilligensurveys mit Schulz/Hauschildt/Kohlers Applikation der Milieutheorie als kirchengemeindliche Planungshilfe: „Im kirchlichen Bereich überwiegt im Vergleich mit anderen gesellschaftlichen Engagementbereichen ein Engagement höher Gebildeter und gut situierter, was sich inhaltlich widerspiegelt in einem erhöhten Engagement in den Bereichen Kultur und Bildung.”166 Von daher seien die kirchlich-diakonischen Engagementgelegenheiten für Menschen mit anderen als hochkulturellen Lebensstilen, mit sinnvollen Arbeitsbereichen zu erweitern. Ferner habe der ehrenamtliche Einsatz seine unmittelbare Selbstverständlichkeit verloren und müsse daher durch die Kirche und ihre hauptberuflichen Mitarbeitenden plausibel gemacht werden.167 Dieses auch von Piroth grundgelegte Ideal der breit gefächerten Beteiligung sowie Teilhabe möglichst vieler Personen bzw. Gruppen an den kirchlich-diakonischen Institutionen bzw. der Gesellschaft entspringt dem skizzierten Wandel von autoritären hin zu stärker teilhabe-orientierten Arrangements. Mit den Termini 161 Der Freiwilligen-Survey kommt zum gleichen Ergebnis. 162 V. a. in kurzen Zeitschriftenartikeln sowie Handreichungen für die praktische Arbeit mit freiwilligen Mitarbeitenden in Kirche und Diakonie werden die Untersuchungsergebnisse zum Motivwandel rezipiert. Exemplarisch seien dazu genannt: Abel/Giesen 2012; Bock 1998; Ganter 2009; Grom 2001; Nothelle-Wildfeuer 2000, 2001; Notz 1998, Bd. 134; Pitsch 2008. 163 Heinze/Strünck 2001, S. 20. 164 Bohle 2001, S. 24. 165 Grosse 2006; Sinnemann 2017. 166 Piroth 2009, S. 14. 167 Vgl. ebd., S. 13.

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Bürgergesellschaft oder Zivilgesellschaft unter Bezugnahme auf Engagement wird ebenfalls der Macht- und Teilhabediskurs geführt. Begrifflich wird in diesem Kontext weniger von freiwilliger Mitarbeit oder gar Ehrenamt gesprochen, sondern vielmehr von zivilgesellschaftlichem oder bürger*innenschaftlichem Engagement.168 Im Folgenden werden in einem Exkurs zu Zivilgesellschaft und bürger*innenschaftlichem Engagement einige Hinweise zur inhaltlichen Präzision gegeben. Exkurs Zivilgesellschaft und bürger*innenschaftliches Engagement Die Diskurse um Macht und Teilhabe werden seit den 1990er Jahren verstärkt unter Rückgriff auf bürger*innenschaftliches bzw. zivilgesellschaftliches Engagement geführt. Die Definition der Enquete-Kommission aus dem Abschlussbericht „Zur Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ (2002) wurde weithin rezipiert. Enquete-Kommissions-Begriff Die Kommission versteht Bürger*innenschaftliches Engagement sehr breit als politisches, soziales und Gemeinwohl förderndes Engagement169. Dieses Handeln findet in Kirchen, Vereinen, Verbänden und öffentlichen Organisationen statt. Auch Nachbarschaftshilfe, Selbsthilfe und ferner die Teilnahme an Protestaktionen sowie Spenden und Stiften gehören dazu. „Bürgerschaftliches Engagement ist als individuelles Handeln eingebettet in gesellschaftliche Organisationen und staatliche Institutionen. Für die Zukunftsfähigkeit einer demokratischen Gesellschaft ist bürgerschaftliches Engagement eine wesentliche Voraussetzung.“170 Dabei betont die Kommission, dass alle Formen des genannten Einsatzes eine wichtige Funktion für den Zusammenhalt der Gesellschaft haben.171 Im Bericht werden Zivilgesellschaft und Bürger*innenschaft/ Bürger*innengesellschaft synonym verwendet.

168 Die Begriffe bürger*innenschaftliches und freiwilliges Engagement bzw. Bürger*innengesellschaft und Zivilgesellschaft werden in der öffentlichen Debatte häufig synonym verwendet. Die Enquete-Kommission 2002 beispielsweise verwendet in ihrem Bericht „Zur Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ die Termini Zivil- bzw. Bürgergesellschaft synonym. Mögliche unterschiedliche, begriffliche Akzentuierungen werden im Folgenden Definitionskapitel genauer erörtert. 169 Im Duden wird neben der vertraglichen Verpflichtung einer Künstler*in auch der persönliche Einsatz (aus weltanschaulichen Gründen) für eine bestimmte Sache bzw. Person als Engagement bestimmt. (Vgl. Duden o. J.) Engagement meint also auch die Involvierung bzw. der Einsatz aus eigenem Antrieb ohne unmittelbaren Zwang. 170 Deutscher Bundestag 2002, S. 24. 171 Vgl. ebd., S. 24.

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Zivilgesellschaft bzw. Bürgergesellschaft172 Der Terminus Zivilgesellschaft impliziert stets eine Verhältnisbestimmung zwischen Staat und Gesellschaft.173 In der gegenwärtigen Debatte wird zivilgesellschaftliches Engagement als mögliche Antwort auf die starke Fragmentierung moderner (demokratischer) Gesellschaften und ihre mangelnde Integrationsfähigkeit verstanden. Zivilgesellschaftliche Ansätze können in liberale174, radikaldemokratische175, kommunitaristische176 sowie diskurstheoretische177 unterschieden werden. Allen Modellen ist das Grundverständnis von Zivilgesellschaft als autonomer, demokratischer, pluraler, diskursiver und kritischer Ort gemein. Daneben bestehen teils große Unterschiede. Liberale und kommunitaristische Ansätze unterstreichen die Verantwortung der Bürger und die bürgerlichen Tugenden. Aus einer liberalen Perspektive ist die Garantie bürgerlicher Rechte der unhintergehbare Kern der Zivilgesellschaft. Demgegenüber wird aus kommunitaristischem Blickwinkel der Zusammenschluss politisch aktiver Bürger*innen (Citoyen) in nichtstaatlichen Organisationen als wesentlich betont. Sowohl liberale als auch diskurstheoretische und radikaldemokratische Ansätze sehen die Zivilgesellschaft in einer Kontrollfunktion gegenüber dem Staat. Liberale Zivilgesellschaftskonzepte fassen die Gruppe der zivilgesell172 Die Begriffe Bürger- und Zivilgesellschaft werden im Deutschen teils synonym verwendet, teils unterschieden. In der englischsprachigen Debatte kann rein sprachlich schon gar nicht zwischen Zivil- und Bürgergesellschaft differenziert werden, denn bei beiden handelt es sich um „civil society“. 173 Seit der Aufklärung wird die Dichotomie zwischen Staat und Gesellschaft betont, wobei Zivilgesellschaft die vorstaatliche Öffentlichkeit bildet. (Vgl. Locke, Montesquieu usw.) G.W.F. Hegel schließlich definiert den Bereich zwischen Familie und Staat als Bürgergesellschaft mit den sechs Dimensionen: 1. Polizei 2. Wechselseitige, marktförmig organisierte Abhängigkeitsverhältnisse 3. Rechtspflege 4. Vereinigungen und Kooperationen 5. Ständeversammlungen 6. Öffentlichkeit. Die auf Hegel folgenden Bestimmungen von Zivilgesellschaft greifen in der Regel eine oder mehrere dieser sechs Aspekte heraus und beziehen diese in den eigenen Gesellschaftsentwurf ein. Beispielsweise entwickelt Marx sein Verständnis der bürgerlichen Gesellschaft als marktförmige Abhängigkeitsverhältnisse, mittels derer die Eliten herrschen. Dagegen unterscheidet Tocqueville in seiner Analyse Kooperationen, Vereinigungen sowie Zusammenschlüsse als Zivilgesellschaft vom Staat und der politischen Gesellschaft. Zivilgesellschaft sei demnach der Raum öffentlicher und sozialer Integration, welcher das soziale Zusammenleben gelingen lasse. Tocquevilles Unterscheidung in die drei Bereiche ist besonders auf Seiten deutscher Theoriebildung (z. B. bei Jürgen Habermas) einflussreich und liegt vielen Entwürfen bzw. Positionen der aktuellen Engagementdebatte zu Grunde. Schließlich sei noch auf Antonio Gramscis Verständnis von Zivilgesellschaft als Ort von sowohl Unterdrückung als auch Widerstand verwiesen. Denn die societa civile sei der Schauplatz von Kämpfen um kulturelle Hegemonie. (Vgl. Schade 2002, S. 7.) 174 Dahrendorf 1992; Kneer 1997. 175 Rödel/Frankenberg/Dubiel 1989; Touraine 1977. 176 Taylor 1995, Bd. 1178; Taylor 1996, Bd. 1233; Taylor 2002, Bd. 1569; MacIntyre 1995, Bd. 1193; MacIntyre 2001; Walzer 2006. 177 Habermas 1995, Bd. 1175.

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schaftlichen Akteure am weitesten: Soziale Bewegungen, Selbsthilfegruppen, NGOs, Vereine, Wirtschafts- bzw. Berufsverbände, Wirtschaftsakteure, Gewerkschaften und Parteien. Dagegen schließen andere Ansätze in der Regel Parteien aus und zumindest die radikaldemokratischen bzw. diskurstheoretischen Modelle nehmen wirtschaftliche Akteure vom Bereich der Zivilgesellschaft aus.178 Insgesamt bezieht zivilgesellschaftliches Engagement stets einen größeren politiktheoretischen Rahmen ein, jedoch kann die Bezeichnung Bürgergesellschaft nach Frank Adloff daneben auch einfach nur Ausdruck „zivile[r] Umgangsformen und ein[es] utopische[n] Projekt[s]“179 sein, was wiederum die große Offenheit und hohe Anschlussfähigkeit von Bürger- bzw. Zivilgesellschaft markiert. 1.1.2.1.2 Zivilgesellschaftliches Engagement als Weg gesellschaftlicher Teilhabe und Veränderung Wird freiwillige Mitarbeit im Zusammenhang des Macht/Teilhabe-Diskurses als bürger*innenschaftliches sowie zivilgesellschaftliches Engagement referiert, dann ist mit dieser Formulierung auch stets die Hoffnung auf den demokratisierenden und partizipativen Effekt dieser Tätigkeit beinhaltet. Auch kirchlich-diakonische Träger konzipieren sich in dieser Auseinandersetzung als zivil- bzw. bürger*innenschaftliche Akteure und „ehrenamtliches Engagement in Kirche und Zivilgesellschaft“180 wird zum Motor für Partizipation. Im Themenheft „Zivilgesellschaft“ widmet sich die Zeitschrift Amos International beispielsweise in Bleyers Beitrag dem zivilgesellschaftlichen Engagement, dass dieser als Korrektiv zum Staat verstanden wissen will.181 „Ein Plädoyer für die Bürgergesellschaft“182 wird von Autoren wie Dettling vehement vorgetragen; Hausmanninger interpretiert den „Aufbruch in eine neue Bürgergesellschaft“183 als eine Chance, ausstehende Teilhabepotentiale durch freiwilliges Engagement zu verwirklichen und so eine demokratischere Gesellschaft zu realisieren. Kirchliche und/oder wissenschaftliche Veröffentlichungen nehmen den Zusammenhang zwischen „religious involvement and volunteering: implications for civil society“184 in den Blick. Ferner prägen sich eigene Diskursstränge über die Rolle von Religion bzw. Kirche im Kontext der Zivilgesellschaft unter Berücksichtigung der Säkularisierungsthese aus.185 Im Widerspruch zu einer ab178 179 180 181 182 183 184 185

Vgl. Schade 2002, S. 33. Adloff 2005, S. 9. Bergmann 2010. Vgl. Bleyer 2011, S. 11. Dettling 2004, S. 12. Hausmanninger 2001, S. 99. Becker/Dhingra 2001, S. 315. Z. B. bei Alvira/Glendon 2014, Bd. 5, S. 14.

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solut areligiösen gesellschaftlichen Programmatik denkt beispielsweise Vollmer die Zivilgesellschaft und ihre ideologischen Gruppen bzw. Organisationen als das ethische Fundament des Rechtsstaats. Die Kirchen qualifiziert er eindeutig als zivilgesellschaftlichen Akteur und betont gemäß dem Böckenförde-Diktum die Angewiesenheit des Staats auf vorstaatliche weltanschauliche Begründungszusammenhänge.186 Ansgar Klein geht in Kirche als zivilgesellschaftlicher Akteur darauf ein, dass kirchlich-religiöse Organisationen bzw. die verfassten Kirchen lange Zeit in der Zivilgesellschaftsforschung stiefmütterlich behandelt wurden. Dagegen konstatiert er ganz klar: „Kirchen sind in der großen Breite ihrer amtskirchlichen sowie gesellschaftlichen Organisationsformen bedeutende Akteure der Zivilgesellschaft.“187 Insgesamt existiert eine große Fülle an Literatur, die zivilgesellschaftliches Tätigsein als Grund und Ursache einer partizipativen Gesellschaft versteht.188 Nach Hobelsberger sind die Querverbindungen und wechselseitigen Abhängigkeiten der Zivil- bzw. Bürgergesellschaft mit dem Ehrenamt so stark, dass er sogar von der „zivilgesellschaftliche[n] Wende im deutschen Ehrenamtsdiskurs“189 spricht. Abschließend ist noch anzumerken, dass bei einer genaueren Betrachtung der mannigfaltigen Positionen190 jeweils die exakte Argumentationsweise unter Berücksichtigung des zugrundeliegenden Gesellschaftsmodells und des vorgeschlagenen Kirche-Staats-Verhältnisses näher zu untersuchen wäre.

186 Vgl. Vollmer 2000, S. 20. Die „Consultation on Theology and Civil Society“ der Evangelischen Akademie Loccum (1995) nahm sich auch des Themas Zivilgesellschaft unter dem Blickwinkel der ökumenischen Zusammenarbeit an. In der Mehrheit der Tagungsbeiträge wird die Angewiesenheit des modernen Staats auf Wert- und Moralvermittlung durch nichtstaatliche Akteure, also beispielsweise durch die Kirchen, verwiesen. Es geht ferner um die Beteiligung von Christ*innen an und in der Gesellschaft, v. a. in Gestalt von freiwilligem Engagement. Zivilgesellschaftliche Arbeit wird als besonderer Beitrag zur Bürgergesellschaft gewürdigt und die unterschiedlichen Akteure werden theologisch als Ausdruck der schöpfungsgemäßen Vielfalt, wertgeschätzt. (Vgl. Anhelm 1996, Bd. 95,23.) 187 Klein 2017, 132. 188 Vgl. dazu auch: Bedford-Strohm 2008; Campell 2003; Caddy 2003; Cochrane 2002; Fingerle 2000; Wegner 2008/2009. 189 Hobelsberger 2006, S. 165. 190 Weitere Literaturhinweise: Bock 1999, 2001; Böhm 1999; Evers 2002; Grunwald/Otto 2006; Keupp 2009; Olk 2010; Olk/Klein/Hartnuss 2010, Bd. 32; Otto/Bartjes 1999; Rätz-Heinisch 2007; Rätz-Heinisch/Heeg 2009; Rosenzweig/Eith 2004, Bd. 2; Vitzthum/Kämmerer 2000; Zöller/Barbier 2000, Bd. 55.

Analyse der Diskurse zum Phänomen freiwilliges Engagement

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1.1.2.2 Fazit Der gesellschaftliche Diskurs über Macht und Teilhabe rekurriert häufig im Kontext des Ideals Zivil- und Bürgergesellschaft auf Engagement bzw. Ehrenamt in der Argumentationslogik von Partizipationschancen. Das Teilhabemotiv entfaltet sich insbesondere seit Ende der 1960er Jahre zusammen mit dem Wertewandelschub und der generellen Kritik an autoritären Gesellschaftsstrukturen. Im kontrastierenden Gegenüber zu mächtigen Sozial- und Fürsorgeeinrichtungen mit ihrem entmündigendem Potential für die Adressat*innen und damit die ganze Gesellschaft wird das Bild einer mündigen und teilhabeorientierten Gesellschaft gezeichnet. In Opposition zur Macht der Expert*innen bzw. Institutionen werden in freiwilligem Engagement bzw. Selbsthilfe vielfältige Teilhabechancen und Alternativen für eine demokratischere, gleichberechtigtere und mündige Gesellschaft erblickt.

1.1.3 Diskurs um Arbeit Der Diskurs um Arbeit entfaltet sich im kapitalistischen System der BRD, das mit dem Modus Erwerbsarbeit zur gesellschaftlichen Existenzsicherung sowie Teilhabe operiert. In Zeiten steigender Arbeitslosenquoten, prekärer Arbeit und fehlenden Arbeitsplätzen wird freiwillige Tätigkeit als eine Arbeitsform und Alternative zu Erwerbsarbeit interpretiert. Im Arbeitsdiskurs bestehen Schnittmengen sowohl zum Professionalisierungs- als auch Teilhabediskurs. Jedoch ist freiwillige Arbeit in diesem Kontext weniger professionalisierungsbedürftig, sondern vielmehr eine Möglichkeit gesellschaftlicher Teilhabe, die bisher häufig über Erwerbsarbeit erreicht wurde. Auf diese Weise wird ehrenamtliche Arbeit zum Mittel, die Folgen mangelnder Erwerbsarbeit auszugleichen. Im Arbeitsdiskurs kommen durch die Thematisierung freiwilliger Arbeit verschiedene Arbeitsverständnisse und andere Arbeitsformen wie Familienarbeit oder freiwillige Arbeit und die entsprechenden Grenzziehungen zwischen diesen in den Blick. Die unmittelbare Nachkriegszeit war durch zeitlich umfassende, manuelle Erwerbstätigkeit geprägt, wobei Mitte der 1950er Jahre die Mehrheit der Bevölkerung an sechs Arbeitstagen beinahe fünfzig Stunden erwerbsmäßig tätig war.191 Die Gewerkschaften forderten daher seit Anfang der 1950er Jahre die 40Stunden Woche. Mittels gewerkschaftlicher Aktivitäten wie beispielsweise der DGB-Kampagne „Samstags gehört Vati mir“192 wurde auf eine Arbeitszeitver191 Vgl. Schildt 1996. 192 IG Metall 1955.

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kürzung durch Tarifvereinbarungen hingewirkt.193 Der Erwerbsarbeitsumfang wurde in den verschiedenen Branchen zu variierenden Zeitpunkten, teils unter Anwendung von Streiks, umgesetzt. Im Jahr 1963 arbeiteten 82 % der TarifBeschäftigten zwischen 43 und 47 Stunden pro Woche; nur 0,2 % hatten eine Arbeitszeitvereinbarung von 40 Stunden. Dieses Verhältnis kehrte sich rasch um und 1974 war die Arbeitszeit von rund 92 % aller Tarifbeschäftigten auf 40 Stunden in der Woche abgesunken. Im Jahr 1983 war die 40-Stunden-Woche praktisch flächendeckend implementiert (98,5 %).194 Bis zur Gegenwart sank die durchschnittliche Tarifwochenarbeitszeit stetig bis auf durchschnittlich 37,1 Stunden ab.195 Die in der jungen BRD noch hohe Zahl der Arbeitnehmenden im handwerklich-manuellen Produktionsbereich veränderte sich seit den 1950er Jahren zügig. 1950 sind 25 % der Beschäftigten im primären Sektor, 43 % im sekundären und 33 % im tertiären Sektor tätig. Im Jahr 1960 hat sich die Zahl der Beschäftigten im ersten Sektor bereits halbiert. Im Folgenden kommt es zur fortgeführten Abnahme der Arbeitnehmer*innen im ersten Sektor und zugleich einer stetigen Zunahme im Dienstleitungssektor.196 Denn gesellschaftliche Modernisierung und ein hoher Technisierungsgrad gaben der BRD das Gepräge einer stark wissens- und dienstleistungsorientierten Gesellschaft und führten dazu, dass die Mehrheit der Erwerbspersonen im industriellen (sekundären) Sektor und Dienstleistungssektor (tertiärer Bereich)197 arbeitet. Durch den umfassenden Einsatz neuer Technologien wurden viele Beschäftigte im ersten und zweiten Produktionsbereich obsolet. Seit den 1980er Jahren sind die meisten Arbeitenden im Dienstleistungssektor insbesondere mit betreuungsintensiven Tätigkeiten (face-to-face-Interaktion) beschäftigt. Nachstehende Tabelle illustriert den Prozentanteil der Erwerbstätigen nach Wirtschaftssektor:

193 Vgl. Artinger 2000, S. 114ff. 194 Vgl. Scharf 1987, Bd. 40, S. 639. 195 Die Reduktion des Erwerbsarbeitsumfangs wurde im Zusammenhang der steigenden Arbeitslosenzahlen seit 1975 als ein mögliches Instrument zur arbeitsmarktpolitischen Steuerung diskutiert. Das heißt mögliche Arbeitszeitverkürzungen könnten dazu dienen, die vorhandene Erwerbsarbeit auf alle Arbeitnehmenden umzuverteilen. Eine nach SGB III §§ 95ff. mögliche Maßnahme ist die Kurzarbeit, die in den letzten Jahren auch immer wieder beispielsweise in der Automobilbranche zum Erhalt von Erwerbsarbeitsplätzen eingesetzt wurde. 196 Vgl. Stockmann/Kleber/Willms-Herget 2004. 197 Entgegen der klassischen Drei-Sektoren-Hypothese wird selten auch von einem vierten Sektor, dem Informationssektor, gesprochen. In der gegenwärtigen (volkswirtschaftlichen) Debatte wird aber meist auf die Drei-Sektoren-Hypothese Bezug genommen und die Arbeit im IT-Bereich bzw. digitalisierte Arbeit sowie Arbeit 4.0 im tertiären Sektor verortet.

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Analyse der Diskurse zum Phänomen freiwilliges Engagement

Prozentanteil der Erwerbstätigen nach Wirtschaftssektoren.198 Jahr 1950 1960 1970 1980

Primärer Sektor 25 13 9 5

Sekundärer Sektor 43 48

Tertiärer Sektor 33 39

48 45

43 50

Die Gesamtzahl der erwerbsfähigen Personen in der BRD (Erwerbsquote) bewegte sich seit den 1950er Jahren um einen Wert von 50 % und dies bei zeitgleich niedriger Arbeitslosenquote (1950: 3,37 %). Die Arbeitslosenzahl sank kontinuierlich (1957: 1,29 %) und erreichte ab 1960 historische Tiefstände von unter 0,5 %.199 In der Dekade zwischen 1950 und 1960 herrschte damit „Vollbeschäftigung“ und in einigen Branchen200 standen nicht einmal genügend Erwerbsarbeitskräfte zur Verfügung, weswegen ab 1955 die Arbeitsmigration durch sog. Anwerbeabkommen erleichtert wurde.201 Diese Phase der umfassenden Erwerbsbeschäftigung mit dem fortgesetzten Wirtschaftswachstum in den 1960er Jahren geriet 1973 mit der ersten Ölkrise ins Stocken. Die Ölkrise markiert den partiellen Zusammenbruch des Weltwirtschaftssystems sowie das Ende der Wirtschaftswunder-Prosperität und illustriert dabei zugleich die Abhängigkeit der Industriestaaten von fossiler Energie. Der Einbruch der Wirtschaftswachstumsraten löste auch einen sprunghaften Anstieg der Arbeitslosigkeit zuerst auf 1,74 % (1974) aus. Jedoch blieb es nicht dabei, und die Arbeitslosenzahlen wuchsen kontinuierlich. Als Folge dieser Entwicklung stiegen auch die Sozialausgaben an und es wurde in vielen Betrieben Kurzarbeit eingeführt. Die zweite Ölkrise (1979/1980) zusammen mit der gesamtwirtschaftlichen Rezession bedingte ab 1982 weitere Entlassungen, was mittelbar 198 Vgl. Stockmann/Kleber/Willms-Herget 2004. 199 In den gesamten 1960er Jahren war die Arbeitslosenquote mit jeweils unter 0,5 % äußerst niedrig und zugleich ereignete sich die Hochphase des sog. „Wirtschaftswunders“ mit einer sehr hohen Erwerbsbeteiligung. Inmitten dieser Phase umfassender wirtschaftlicher Prosperität wurde 1967 das „Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft“ verabschiedet, das u. a. ein ständig steigendes Wirtschaftswachstum und einen hohen Beschäftigungsstand als gesamtwirtschaftliche Ziele festlegt. Vollbeschäftigung in diesem Sinne sei umfassende Erwerbsbeteiligung mit einer Arbeitslosenquote unter 0,8 %. Dies wurde nur in der kurzen Phase der 1960er Jahre erreicht; später wurde die Quote auf 2 bzw. 4 % erhöht. (Vgl. Pierenkemper 2012, S. 38.) 200 Nicht nur das stetige Wirtschaftswachstum, sondern auch geburtenschwache Jahrgänge, die Verlängerung von Schul- und Ausbildungszeiten, die Reduktion der Wochenarbeitszeit sowie das Absinken des Renteneintrittsalters und die allgemeine Wehrpflicht trugen zum Arbeitskräftemangel bei. (Vgl. Höhne u. a. 2014, Bd. 16, S. 3.) 201 Zwischen 1955 und 1973 schloss die BRD aufgrund des Arbeitskräftemangels Anwerbeabkommen mit Italien, Spanien, Griechenland, der Türkei, Marokko, Portugal, Tunesien, Jugoslawien und Südkorea. (Vgl. Oltmer 2012, S. 10.)

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auch steigende Sozialversicherungsbeiträge und Sozialleistungskürzungen verursachte. Die Arbeitslosenquote erreichte für bundesrepublikanische Verhältnisse neue Höchststände: 1982 sind es 3,73 % und 1985 5,58 %.202 Die Arbeitslosenquote ist seitdem auf dem hohen Niveau geblieben und schwankte zwischen 5 % und 13 % (2005); derzeit ist sie mit 5,7 % auf einem relativ niedrigen Stand.203 Die Finanzierung des deutschen Sozialsystems, welches maßgeblich auf Versicherungsbeiträgen beruht, ist bei zurückgehenden Erwerbstätigenzahlen gefährdet und es ist mit dem Absinken des Beitragsvolumens zu rechnen. Hinsichtlich des deutschen Rentensystems bedeutet steigende Arbeitslosigkeit und antizipierter Geburtenrückgang eine bevorstehende Unterfinanzierung. Gründe für die steigenden Arbeitslosenzahlen sind dem Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome (1972) zu entnehmen. Die hohe Erwerbslosenquote sei Konsequenz eines stetig auf Wachstum ausgelegten Wirtschaftens. Der Bericht konstatiert, dass maßgeblich wegen der Faktoren Bevölkerungszuwachs, landwirtschaftliche Massenproduktion, Aufbrauchen der nichterneuerbaren Ressourcen, industrielle Herstellung und Umweltverschmutzung das Wachstum begrenzt sei. Technologien könnten die Wirtschaft nur bedingt wachsen lassen und spätestens 2100 sei kein weiteres Wachstum mehr möglich.204 Wachstumskritische Thesen, wie die des Club of Rome, wurden in der politischen Gestaltung des Sozialstaats, der Wirtschafts- und Arbeitswelt kaum beachtet. Vielmehr versuchte man die Krise des Sozialstaats, womit die Unsicherheit der Refinanzierung sozialstaatlicher Leistungen und die steigende Sozialleistungsempfängerzahl gemeint sind, durch eine Politik orientiert am Wachstumsparadigma zu lösen.205 Fiskalische Aspekte beherrschen seit der Weltwirtschaftskrise bzw. spätestens seit dem Regierungswechsel Schmidt/Kohl 1982 den sozialpolitischen Kurs. Die sozialliberale Politik wollte durch aktive staatliche Intervention (Kreditaufnahme, aktiver Strukturwandel mit Ausbau des Dienstleistungssektors) eine erhöhte Erwerbsarbeitsbeteiligung verursachen. Die am stetigen Wirtschaftswachstum bzw. Vollbeschäftigung ausgerichteten Politiken sollen die Refinanzierung der sozialen Sicherungssysteme sicherstellen.206 Die Öl- und Wirtschaftskrisen stoßen volkswirtschaftliche Veränderungen an. Der globale, wirtschaftliche Druck (Globalisierung und Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft) begründet seitens der Betriebe eine Rationalisierung der Arbeit, Ausgliederung unrentabler Produktionsbereiche und damit weitere 202 203 204 205 206

Vgl. Sensch 2004. Bundesagentur für Arbeit 2017. Vgl. Meadows u. a. 1972; Meadows/Randers/Meadows 2004. Vgl. Butterwegge o. J., S. 1ff. Vgl. Fach 2008, S. 96ff.

Analyse der Diskurse zum Phänomen freiwilliges Engagement

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Entlassungen. Bei der Gestaltung der konkreten Arbeitswelt werden im globalisierten, kapitalistischen Kontext verstärkt globale Arbeits- und Konsumpotentiale mitbedacht. Um unter diesen Vorzeichen die Arbeitswelt gelingend zu gestalten, wird eine Flexibilisierung des Arbeitsmarktes durch Deregulierung207 zugunsten eines erstarkenden Wettbewerbs forciert. Die erste Maßnahme der umfassenden Deregulierungspolitik seitens der konservativ-liberalen Bundesregierung bildet das 1985 verabschiedete Beschäftigungsförderungsgesetz, was den Kündigungsschutz lockert und Leiharbeit erleichtert.208 Folge der arbeitsmarktpolitischen Deregulierung ist die Erosion des sog. Normalarbeitsverhältnisses209, die Festigung der Arbeitslosenquote auf dauerhaft hohem Niveau und die Konstituierung der Gruppe von „Langzeitarbeitslosen“. Die Flexibilisierung bzw. Deregulierung des Arbeitsmarkts trägt zur Zunahme „atypischer“210 Arbeitsformen bei. Insbesondere Frauen, die v. a. seit den 1980er Jahren211 verstärkt am Erwerbsleben beteiligt sind, sind häufig atypisch beschäftigt, was in der Regel die Kombination unbezahlter Fürsorgearbeit mit Erwerbsarbeit im Teilzeitverhältnis meint. Insgesamt kann der Anstieg der Teilzeitarbeitsverhältnisse anhand des sinkenden Jahresarbeitsvolums pro Erwerbsperson abgelesen werden. Das durchschnittliche Wochenarbeitsvolumen 207 Solche Maßnahmen sind eine erhöhte Flexibilisierung des Lohnniveaus sowie der Arbeitszeiten, eine erhöhte Mobilität der Arbeitnehmenden und der Abbau des Arbeits- und Kündigungsschutzes. 208 Vgl. Kress 1998, S. 493. 209 Mit Normalarbeitsverhältnis wird ein festes, unbefristetes Vollzeitarbeitsverhältnis mit tarifvertraglich gesichertem Entgelt, Sozialversicherungspflicht und persönlicher Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber bezeichnet. (Vgl. Statistisches Bundesamt, Normalarbeitsverhältnis 2016.) Ulrich Mückenberger spricht 1985 von der „Krise des Normalarbeitsverhältnisses“, womit er die Erosion des bis dahin weitverbreitenden, als „normal“ angenommenem festem und unbefristetem Vollzeitarbeitsverhältnis mit Leitbildcharakter beschreibt. Das Normalarbeitsverhältnis zeichne sich durch die Schutz-, Antriebs- und Selektionsfunktion aus. (Vgl. Mückenberger 1989, S. 212.) Insgesamt müsse ein konstruktiver Umgang mit den sich wandelnden Arbeitskontexten gefunden werden, wobei aber die Schutzfunktion gegenüber zu stark flexibilisierten Arbeitsbedingungen und die Selektionsfunktion gegenüber einem stark wachsenden Niedriglohnsektor zu bewahren seien. (Vgl. Mückenberger 1989, S. 215.) 210 In Abgrenzung zur Normalarbeit sind damit Tätigkeiten gemeint, die befristet sind oder in Teilzeit mit 20 bzw. weniger Arbeitsstunden pro Woche oder als geringfügige Beschäftigungen bzw. Zeitarbeit ausgeführt werden. (Vgl. Statistisches Bundesamt, Atypische Beschäftigung in Abgrenzung vom Normalarbeitsverhältnis 2016.) 211 Jedoch waren Frauen bereits zu Beginn des 20. Jh. umfangreich an Erwerbsarbeit beteiligt. So lag die Frauenerwerbsquote 1907 bei 45 % und 1925 bei 48 %. Zu Beginn der NS-Diktatur sank bedingt durch das konservative Frauenbild der Frauenerwerb; stieg aber in der Phase des Krieges und der militärischen Hochrüstung auf rund 50 % an. In der jungen BRD war die Frauenerwerbsquote mit 44 % bis 46 % (1970er Jahre) relativ niedrig, und wuchs nur langsam an. Im Zusammenhang sich verändernder Rollenbilder stieg die Quote Anfang der 1980er Jahre auf über 50 % (52,9 %). (Vgl. Willms-Herget/Stockmann 1982.)

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sank seit 1950 von 48 auf 37 Stunden (1972), auf 32 Stunden (1984) und schließlich 27 Stunden (2002) ab.212 Diese Zahlen implizieren bei gestiegener Frauenerwerbstätigkeit, dass Teilzeitarbeitsverhältnisse zugenommen haben, wobei die große Mehrzahl dieser weiblich besetzt ist. In den 1980er Jahren sind 90 % der Teilzeitarbeiterinnen weiblich.213 Diese Daten illustrieren, dass die Erwerbsarbeitsvorstellung „Normalarbeitsverhältnis“ ein spezifisch männlich geprägtes Idealbild ist, dem weibliche Erwerbsarbeit wegen der umfänglichen Pflege- sowie Fürsorgearbeit nie entsprochen hat. Gesamtgesellschaftlich erodiert das männlich-dominierte Normalarbeitsverhältnis mit der Zunahme männlicher Teilzeitarbeitsverhältnisse auf 10 % (1994) bzw. auf 14 % (2000).214 Problematisch bleibt jedoch, dass das deutsche beitragsfinanzierte Sozialversicherungssystem am männlichen Normalerwerbsverhältnis bzw. an Familienmodell mit männlichem Vollerwerb orientiert ist. Demnach ergeben sich für (weibliche) Personen, die nicht in großem Umfang und kontinuierlich erwerbstätig sind, beispielsweise verringerte Leistungsansprüche im Rentenalter. Damit wird deutlich, in welch großem Maß Erwerbsarbeit gesellschaftliche Teilhabe bedingt. Im Jahr 2015 sind Frauen über 65 Jahren mit 19,1 % gegenüber Männern (15 %) wesentlich stärker von Altersarmut und sozialer Ausgrenzung gefährdet.215 In Zukunft ist mit steigender Altersarmut und damit verbunden einer Verhinderung gesellschaftlicher Teilhabe zu rechnen, was auch durch die neuste Bertelsmann-Studie belegt wird.216 Die Altersarmut von Frauen verdeutlicht die zentrale Erwerbsarbeitsfunktion der gesellschaftlichen Integration. Ferner wird offenbar, dass mit dem Terminus Arbeit in der Regel erwerbsarbeiterische Tätigkeiten verbunden werden. Die vorab skizzierten (Erwerbs-)Arbeitsbedingungen und Kontexte regen zu vielfältigen und unterschiedlichen Ideen der künftigen (Erwerbs-)Arbeitsgestaltung an. Zum einen wird die Zielvorstellung Vollbeschäftigung sowie die Erwerbsarbeitsdominanz bezüglich gesellschaftlicher Teilhabe beibehalten. 212 213 214 215 216

Vgl. Schildt 1996. 1985: 93 %; 1988: 92 %, 1990: 91 %. Vgl. Sensch 2004. Vgl. Statistisches Bundesamt, Lebensbedingungen, Armutsgefährdung 2016. „Das Risiko für Altersarmut, gemessen als Armutsquote und Grundsicherungsquote, steigt über die Zeit an. Auf Basis der Simulationen finden wir, dass die Armutsrisikoquote von etwa 16 % in den Jahren 2015–2020 auf etwa 20 % in der ersten Hälfte der 2030er Jahre steigt. […] Das Armutsrisiko und seine Entwicklung unterscheiden sich stark nach Gruppen. Über den gesamten Zeitraum ist das Risiko besonders hoch für Personen mit geringer Bildung, alleinstehende Frauen sowie für Personen, die von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen waren oder die einen Migrationshintergrund haben. Für Haushalte in Ostdeutschland steigt das Armutsrisiko stark an. In den Jahren 2031–2036 wird laut unseren Simulationen das Armutsrisiko für Neurentnerinnen und Neurentner in Ostdeutschland fast doppelt so hoch liegen wie für Neurentnerinnen und Neurentner in Westdeutschland.“ (Haan u. a. 2017, S. 103.)

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Diese Position nahmen die Bundesregierungen der 1970er und 1980er Jahre ein, indem sie durch Deregulierung versuchten, das Wirtschaftswachstum zu stimulieren. Leitend für diese Strategie ist der Slogan „Hauptsache Arbeit für alle“. Gegen solche politischen Steuerungsversuche wenden Kritiker*innen ein, dass sich die Arbeitswelt und die Rolle von Arbeit für die Gesellschaft grundlegend verändert haben. Die „Krise der Arbeitsgesellschaft“217, im Sinne einer erwerbsarbeitszentrierten Gesellschaft, sei nur mittels neuer Ideen bzw. kreativer Lösungen zu bewältigen. Es wird das Zukunftsszenario einer Gesellschaft entworfen, die auf Grund des hohen Technisierungsgrads, des allgemeinen Wohlstands und des hohen Selbstverwirklichungsinteresses auf die kapitalistische Organisierung der Arbeitswelt, auf das Ziel Vollbeschäftigung sowie auf Normalarbeitsverhältnisse verzichtet. Verschiedene, visionäre Gesellschaftsmodelle votieren für ein modifiziertes Arbeitsverständnis, das v. a. durch die Entkopplung von Erwerbsarbeit und Einkommen charakterisiert ist.218 Einige dieser Entwürfe werden nachfolgend knapp dargestellt. Der Soziologe Ralf Dahrendorf konstatiert: „Die Arbeitsgesellschaft ist am Ende.“219 Ein neuer Gesellschaftsvertrag mit zivilgesellschaftlicher Ausrichtung und untergeordneter Rolle der Erwerbsarbeit sei nötig. Mittels negativer Einkommensteuer und Bürgergeld solle die Existenzgrundlage auch für nur in geringem Maße an Lohnarbeit Beteiligte gesichert sein. Auf diese Weise sei es äußerst wahrscheinlich, dass viele Menschen sich in freien Assoziationen engagierten und die Arbeitsgesellschaft sich jenseits von Lohnarbeit neu konstituiere.220 Viele Positionen der 1980er Jahre zielen auf die von Offe 1984 formulierte „Dezentrierung der Arbeitssphäre gegenüber anderen Lebensbezügen“221 ab. Denn die stark flexibilisierten Arbeitsformen, die Bedrohung der Arbeitslosigkeit verbunden mit dem Wertewandel hin zu postmateriellen Werten, stellen die Gleichsetzung von Arbeit mit Erwerbsarbeit zunehmend in Frage. In den 1990er Jahren entfaltet beispielsweise Beck in seinem Konzept der Bürgerarbeit (1999) eine mögliche Alternative zur Erwerbsgesellschaft. Ferner gehören die Bemühungen der Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen (1997), die Zukunftskommission der Friedrich Ebert Stiftung (1998)

217 Die Deutsche Gesellschaft für Soziologie beschäftigte sich 1982 beim 21. Deutschen Soziologentag mit der „Krise der Arbeitsgesellschaft“, was die Bedeutung der Veränderungen der Arbeitswelt auch in der soziologischen Forschung anzeigt. Neben den Veränderungen der Arbeitswelt werden auch die möglichen Implikationen des Wandels für die Sozialsysteme und die sozialstaatliche Gestaltung debattiert. (Vgl. Matthes 1983.) 218 Vgl. Janczyk/Correll/Lieb 2003, S. 17. 219 Dahrendorf 1982. 220 Vgl. Dahrendorf 1982. 221 Offe 1984, S. 28.

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und das Zukunftsmanifest der IG Metall (2002) in den Kontext eines neuen möglichen Gesellschaftsideals.

1.1.3.1 Freiwillige Arbeit im Arbeitsdiskurs Der Diskurs Arbeit thematisiert die veränderten Bedingungen von Erwerbsarbeit und die bleibende gesellschaftliche Bedeutung von Arbeit an sich. Erwerbsarbeit ist ein zentraler, gesellschaftlicher Integrationsfaktor und die Veränderungen der Erwerbsarbeitswelt werden auch unter Bezugnahme auf freiwillige bzw. ehrenamtliche Arbeit debattiert. Der Arbeitsdiskurs nimmt ehrenamtliches Engagement im Zusammenhang hoher Arbeitslosigkeit, der sozialstaatlichen Krise und der Frage nach unterschiedlichen Arbeitsformen ( jenseits von Lohnarbeit) auf. Für diese Problematiken wird freiwillige Arbeit in diesem Diskurskontext als mögliche Lösung präsentiert und dies in drei grob zu unterscheidende Richtungen. Erstens wird argumentiert, dass freiwillige Arbeit die sozialstaatlichen Kassen entlasten könne. Auf diese Weise wird freiwilliges Engagement zum Garanten des Wohlfahrtsstaats bzw. der Wohlfahrtsverbände. Zweitens könne ehrenamtliche Arbeit die sinnstiftende Aufgabe von Lohnarbeit, wenn die Existenz durch ein Bürgergeld gesichert sei, substituieren. Drittens wird freiwillige Arbeit v. a. aus feministischer Perspektive als alternative Arbeitsform (oder auch spezifisch weibliche Arbeit) diskutiert. Für diese drei unterschiedlichen Stoßrichtungen, mit denen das Thema Ehrenamt bzw. freiwillige Arbeit im Arbeitsdiskurs aufgenommen wird, werden im Folgenden jeweils Literaturbeispiele zur Illustration angeführt. 1.1.3.1.1 Freiwillige Arbeit entlastet die sozialstaatlichen Kassen Die Denkschrift der Konrad-Adenauer-Stiftung „Ehrenamtlichkeit im sozialen Bereich“ (1985) gesteht ein: „In der Tat fällt die besondere Aufmerksamkeit, die der Ehrenamtlichkeit geschenkt wird, zeitlich mit der Diskussion um die finanzielle Krise des Sozialstaats zusammen.“222 Demnach könne die professionelle, staatlich-refinanzierte Hilfe (Sozialleistungen) durch Ehrenamtliche ergänzt bzw. ersetzt werden, um auf diesem Wege die sozialstaatliche Finanzierung erheblich zu entlasten. Diese Agenda kann exemplarisch an der 1989 vom Familienministerium in Auftrag gegebenen Studie mit dem Titel „Ehrenamtliche soziale Dienstleistungen“ nachvollzogen werden. Hinsichtlich des antizipierten demographischen Wandels mit einer erhöhten Pflegebedürftigkeit im Alter und

222 Alff/Martini/Braun 1985, S. 11.

Analyse der Diskurse zum Phänomen freiwilliges Engagement

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unter gleichzeitiger Abnahme familiennah erbrachter Pflegeleistung223 eruiert die Studie, „ob und wie bei den sozialen Diensten für alte, kranke und behinderte Menschen sowie deren Familien durch Mitarbeit ehrenamtlicher Helfer die Chancen für bedürfnisgerechte, funktionale und effektive soziale Dienstleistungen verbessert oder geschaffen werden können.“224 Es wird deutlich, dass freiwillige Arbeit als „ehrenamtliche soziale Dienstleistung“ im Rahmen der Finanzierungskrise des Sozialstaats kalkulierbar gemacht werden soll. Die Expertise entwirft das Bild der Gesellschaft als „Zwei-Bahn-Straße“, in der Erwerbsarbeit und freiwillige, unbezahlte Tätigkeit gleichberechtigt nebeneinander herlaufen. Die quantitative Steigerung freiwilligen Engagements könne sowohl die hohe Arbeitslosigkeit beheben als auch gestiegene Hilfebedarfe befriedigen. Dazu werden folgende politische Maßnahmen gefordert: steuerliche und sozialversicherungsrechtliche Begünstigung freiwilliger Arbeit, um die öffentliche Anerkennung und materielle Situation der Freiwilligen zu verbessern.225 Die Untersuchung favorisiert freiwilliges Engagement als Lösung für die Sozialstaatsund Arbeitsmarktkrise. Diese staatliche Ausrichtung zeigt auch Wirkung auf die Wohlfahrtsverbände, was auch Brauns Untersuchung eines Spitzenverbands (1988) zeigt. Denn „in der Analyse konnten Anhaltspunkte dafür gewonnen werden, daß finanzpolitische Absichten (staatliche Einsparungen im Sozialbereich) mit sozialpolitischer Ideologie (Subsidiaritätsprinzip) legitimiert werden.“226 Die Vertreter des untersuchten Verbandes seien aber durchaus bereit, die staatlicherseits forcierte Stärkung des Ehrenamts, welche v. a. durch das ökonomische Sparpotential motiviert ist, mitzutragen. Dies aber unter der Bedingung, dass die sozialstaatliche Refinanzierung und damit die Arbeitsplätze im psychosozialen Bereich garantiert werden.227 Sparmaßnahmen dieser Art werden weithin in den 1980er Jahren praktiziert und können unter Kohls Diktum des „schlanken Staates“228 subsumiert werden. In den 1990ern werden Sozialstaatsreformen mit der Leitidee des aktivierenden Staats intensiver forciert. Die Verantwortungsbereiche des Staats, des sog. dritten Sektors und den Individuen bei der öffentlichen Aufgabenerledigung sollen 223 Dies beruht auf der These, dass durch die zunehmende Erwerbsneigung von Frauen die familiäre Pflegeleistung abnimmt, die Frauen bisher größtenteils übernommen hatten. 224 BMJFFG 1989, Bd. 231, S. 16. 225 Demnach sollten rechtliche Hemmnisse ehrenamtlicher, sozialer Tätigkeit abgebaut werden und eine haftungs-, sozial- und steuerrechtliche Besserstellung freiwilliger Tätigkeit erfolgen. (Vgl. ebd., S. 240.) Beispielsweise werden die Möglichkeit der Beteiligung Freiwilliger an der Rentenversicherung oder auch der Sozialversicherungsbeitritt von Ehrenamtlichen erörtert. 226 Braun 1988, S. 169. 227 Vgl. ebd., S. 169. 228 Ferner gehören dazu Kundenorientierung, Verwaltungsreform, Reduzierung staatlicher Aufgaben usw.

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durch Reformen neu verteilt werden.229 Das gestärkte ehrenamtliche bzw. bürger*innenschaftliche Engagement wird als Ersatz für gekürzte, sozialstaatliche Leistungen propagiert und in dieser Form auch von zahlreichen Autor*innen unterstützt.230 Diese Politiken zeigen „den staatlichen Willen nach einer Neugestaltung der Sozialpolitik mit weniger Ressourcenaufwand“231. Wohlfahrt mahnt angesichts der aktivierenden Maßnahmen, dass die Wohlfahrtsverbände nicht mittels Ehrenamt die fehlende staatliche Refinanzierung planbar machen könnten. Viel grundsätzlicher sei freiwilliges Engagement, die historische Grundlegung der Wohlfahrtsverbände und insbesondere die politisch geförderte Ökonomisierung (und Professionalisierung) im Bereich sozialer Hilfe führe zur Verringerung der freiwillig Engagierten in den Verbänden.232 Wohlfahrt wehrt sich vehement gegen die Funktionalisierung freiwilligen Engagements als Entlastung für die sozialstaatlichen Kassen. Denn bisher ist die Debatte durch die Tendenz geprägt, soziale Ausgrenzung und gesellschaftliche Marginalisierung als unhinterfragbare, geradezu naturalistische Folgen von Modernisierungsprozessen aufzufassen. Gemeinden, Nachbarschaften, Frauen, Beschäftigte wie Arbeitslose – alle müssen sich den Anforderungen des Marktes anpassen, sich flexibilisieren, qualifizieren, empowern, sich aktivieren: kurzum: ihr soziales Kapital mobilisieren. Damit werden zivilgesellschaftliche Netzwerke und bürgerschaftliches Engagement eingebaut in politische Maßnahmen zur Förderung ökonomischen Wachstums und die Definition dieser Ressourcen als soziales Kapital macht sie nutzbar für die Bemühungen, das neoliberale Projekt eines international wettbewerbsfähigen Standorts Deutschland stärker gesellschaftlich zu verankern.233

In diesem Sinne warnt auch Ripplinger vor der Funktionalisierung freiwilliger Arbeit in staatlicher Manier. Es sei zwar richtig, dass ehrenamtlich in neu entstehenden Problemfeldern meist schnell und pragmatisch Hilfe geleistet werden kann. Jedoch besteht sozialstaatlicherseits die stete Gefahr, „– quasi durch die Hintertür –, einen zweiten Arbeitsmarkt aufzubauen“234, der mit

229 Vgl. Lamping u. a. 2002, S. 29. 230 Demnach könne ehrenamtliche Mitarbeit zur Erhaltung und Weiterentwicklung des Sozialstaats bzw. der Verbände beitragen (vgl. z.B: Schwalb 2007, S. 63; Deimer 1990, Bd. 6.) Ferner fordert beispielsweise Solinger in „Zivilgesellschaft und soziales Handeln: bürgerschaftliches Engagement in eigenen und gemeinschaftlichen Belangen“ eine enge Verknüpfung von bürgerschaftlichem Engagement und Sozialpolitik. Denn, um die Maßnahmen des aktivierenden Staats erfolgreich umzusetzen, müsse freiwilliges Engagement eindeutig plan- und berechenbar gemacht werden. (Vgl. Solinger 1996, S. 7.) 231 Vgl. Wohlfahrt o. J., S. 4. 232 Vgl. ebd., S. 5ff. 233 Ebd., S. 12f. 234 Ripplinger/Möller 1995, S. 76.

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freiwilliger Tätigkeit als Ersatzarbeit ohne monetäre Gegenleistung gesichert wird.235 1.1.3.1.2 Ehrenamtliche Arbeit als Substitut für die sinnstiftende Dimension der Lohnarbeit Hans Geisler weist die Frage der sozialstaatlichen Finanzierung zurück und stellt die seiner Meinung nach entscheidende „ordnungspolitische Frage […]: Welchen politischen und gesellschaftlichen Stellenwert genießt das Ehrenamt […] heute?“236 Zwar bestünde die gegenwärtige Erwerbsgesellschaft weiter, jedoch müssten angesichts der Defizite von Lohnarbeit auch andere Arbeitsformen wie freiwillige Tätigkeit unterstützt werden. Durch das Ehrenamt könne sinnvolle, d. h. für die Gemeinschaft wichtige Aufgaben geleistet werden. Um dies zu gewähren, seien jedoch Lohnfortzahlungen und Freistellungen für freiwillige Arbeit nötig.237 Überdies wird die These vertreten, dass freiwilliges Engagement nach Pensionierung bzw. Verrentung die nun fehlende Lohnarbeit substituieren könne und so zu Sinnstiftung und gesellschaftlicher Integration beitragen könne. Der Sammelband „Engagement im Ruhestand“ untersucht die entsprechenden Potentiale ehrenamtlichen Engagements238, wobei stets das Ziel ist, dass „Engagement […] nun an die Stelle der Integration durch Erwerbsarbeit treten“239 könnte und so Sinnstiftung und gesellschaftliche Teilhabe durch diese andere Form der Arbeit möglich werde. Diese Hoffnungen bewerten der Theologe Kampmann-Grünewald sowie Jakob als überzogen, denn gesamtgesellschaftlich bestünde kein Interesse, von der Erwerbszentrierung abzuweichen. „Ehrenamt statt Arbeitsamt“240 sei nur eine Strategie zur Rückführung auf den ersten Arbeitsmarkt, wobei aber auf diesem nicht genügend Arbeitsplätze zur sozialen Integration sowie Existenzsicherung aller Personen zur Verfügung stünden. Diese sozialen Problemlagen seinen unabhängig davon zu lösen und ehrenamtliche Arbeit müsse als eigenständige Arbeitsform Anerkennung erfahren.241 Blaschke teilt die Grundannahme, dass in der Gegenwart sowohl gesellschaftliche Integration als auch Existenzsicherung nicht (mehr) für alle Menschen durch Erwerbstätigkeit gesichert werden kann. Grund hierfür ist die 235 236 237 238 239 240

Vgl. Ripplinger und Möller 1995, S. 75. Geisler 1995, S. 40. Vgl. Geisler 1995, S. 38. Vgl. Roth und Simoneit 1993, S. 143ff. Kampmann-Grünewald 2006, S. 143. Die Devise „Ehrenamt statt Arbeitsamt“ gilt teilweise gleichzeitig mit der Sanktionsdrohung, dass wenn Erwerbslose einer solchen verordneten ehrenamtlichen Tätigkeit nicht nachkommen, es zu Kürzungen der Transferleistungen kommt. 241 Vgl. Jakob 2002, S. 112.

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Sättigung der Güter-, Dienstleistungs- und Arbeitsmärkte, die zu steigenden Arbeitslosenzahlen, Flexibilisierung der Arbeitswelt und zur sog. Arbeitsarmut242 führt. Außerdem kommt dazu noch der hohe Rationalisierungsgrad, was die lohnarbeitsmäßig organisierte Arbeit reduziert. Das Fehlen von Erwerbsarbeitsplätzen müsse zur Differenzierung von Lohnarbeit und gesellschaftlicher Teilhabe bzw. Existenzsicherung anleiten, um so Partizipation und Arbeit jenseits strikter ökonomischer Regime zu gewähren. Blaschke schlägt ein existenzsicherndes Grundeinkommen für alle Staatsangehörigen vor, um die Lebensgrundlage zu garantieren und auf diese Weise Potentiale für ehrenamtliche Arbeit freizusetzen. Freiwillige Tätigkeit, die unter Bestand eines existenzsichernden Grundeinkommens stattfindet, kann nach Blaschke die vorher durch Lohnarbeit erfüllten Funktionen (Anerkennung, soziale Teilhabe usw.) umfassend übernehmen.243 Ulrich Becks Konzept der „Bürgerarbeit“ nimmt auch eine Grundsicherung, nämlich das „Bürgergeld“, zum Ausgangpunkt eines freiwilligen Engagements, das Anerkennung sowie Partizipation zuteilwerden lässt. Becks Vorschlag ging in den 1997 veröffentlichten dreiteiligen244 Bericht „Erwerbstätigkeit und Arbeitslosigkeit in Deutschland: Entwicklung, Ursachen, Maßnahmen“ der Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen ein. Becks Ausführungen nehmen den Wandel von der „Arbeitnehmerzentrierten Industriegesellschaft“245 hin zur individuelleren, „unternehmerischen Wissensgesellschaft“246 zum Ausgangspunkt. Die industrielle Erwerbsarbeitszentrierung sei zugunsten der individuellen Wahl selbstbestimmter Arbeit (Bürgerarbeit) aufzugeben. Beck definiert Bürgerarbeit als freiwilliges soziales Engagement, das von Arbeit im familiären Fürsorgebereich sowie Erwerbsarbeit bzw. erwerbsarbeitsähnlichen Formen247 unterschieden ist. Bürgerarbeit diene nicht vorrangig der 242 Das Phänomen Arbeitsarmut bzw. „working poor“ bezeichnet Erwerbstätige, die trotz Erwerbsbeteiligung unterhalb der nationalen Armutsgrenze leben. Innerhalb der EU liegt die Lohnarmutsgrenze bei 60 % eines durchschnittlichen Vollzeiterwerbseinkommens. Wird dieses bei Erwerbstätigkeit unterschritten, entspricht dies einer Erwerbsarmut. (Vgl. Bruckmeier et al. 2008, S. 5ff.) 243 Vgl. Blaschke 2006, S. 85. 244 Im ersten Teil (1996) befasst sich die „Kommission für Zukunftsfragen“ mit der „Entwicklung von Erwerbstätigkeit und Arbeitslosigkeit in Deutschland und anderen frühindustrialisierten Ländern“. (Vgl. Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen 1996.) Der zweite Teil (1997) ist den „Ursachen steigender Arbeitslosigkeit“ gewidmet. (Vgl. Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen 1997a.) Im dritten Teil (1997) schließlich werden „Maßnahmen zur Verbesserung der Beschäftigungslage“ eruiert. (Vgl. Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen 1997b.) 245 Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen 1997b, S. 1. 246 Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen 1997b, S. 1. 247 Z. B. Schwarzarbeit.

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Existenzsicherung, sondern bemühe sich ums Gemeinwohl248. Dennoch werde das freiwillige Engagement durch immaterielle Gratifikationen wie Qualifikationen, Ehrungen, die Anerkennung von Rentenansprüchen bzw. Sozialzeiten und „Favor Credits“249 entlohnt. Diese projektgebundene, kooperative und selbstorganisierte Arbeitsform soll nach Beck unter der Aufsicht von Gemeinwohl-Unternehmen250 organisiert werden.251 Bürgerarbeit stünde prinzipiell allen offen, jedoch adressiert Beck v. a. Rentner*innen, Arbeitslose, Hausmänner nach der Kindererziehungsphase, Teilzeitarbeitende und Jugendliche in Ausbildung.252 Die Beck’sche Bürgerarbeit will Ehrenamt als eine mögliche Alternative zu Erwerbsarbeit etablieren. Jedoch ist im Anschluss an Strecker festzuhalten, dass dies nur bedingt gelingt und durch Bürgerarbeit v. a. offene Arbeitslosigkeit reduziert wird und kostengünstige soziale Dienste bereitgestellt werden.253 Denn fehlt Erwerbseinkommen und wird gleichzeitig Bürgerarbeit ausgeübt, verschwinden diese Personen aus der Erwerbslosenstatistik. Dies ist problematisch, da das Bürgergeld auf Sozialhilfeniveau zusammen mit den immateriellen Leistungen einen prekären Lohn bildet: Faktisch handelt es sich nicht um ein Bürgergeldkonzept im wissenschaftlichen oder politischen Sinne, sondern inhaltlich erfolgt die Umbenennung der Sozialhilfe. […] Der Terminus Bürgergeld ist somit lediglich ein Synonym für Sozialhilfetransfers. […] Statt Arbeitslosigkeit und Sozialhilfebezug wird nun ‚Bürgerarbeit‘ finanziert.254

Der Vorschlag Becks bzw. der Zukunftskommission versucht also, deutlich Ehrenamt als Quasi-Arbeit zu etablieren, um so das Problem der steigenden Arbeitslosenzahlen zu bewältigen, ohne an der grundgelegten Erwerbsarbeitszentrierung und den entsprechenden Arbeitsverständnissen zu rütteln. Insgesamt wird innerhalb dieser Linie des Arbeitsdiskurses sehr häufig Ehrenamt bzw.

248 Als solche gemeinwohlfördernden Beschäftigungsbereiche werden neben Selbsthilfeaktivitäten der Arbeitslosen die Bereiche Bildung, Umwelt, Gesundheit, Sterbebegleitung, Betreuung von Wohnungslosen, Geflüchteten, usw. genannt. 249 Favor Credits konzipiert Beck als Vorteile bzw. Leistungen, die für den Bürgerarbeiter aus seiner freiwilligen Tätigkeit entstehen. Beck schlägt beispielsweise einen kostenfreien Kindergartenplatz als Favor Credit vor. 250 Gemeinwohlunternehmen sind nicht von Kommunen, freien Trägern, Vereinen oder auch Wohlfahrtsverbänden getragen, sondern Beck denkt an eine Verbindung von Gemeinwohlorientierung und unternehmerischem Geist als wirtschaftlich-soziale Organisationsform. (Vgl. Stecker 1999, S. 1008.) 251 Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen 1997b, S. 148. 252 Vgl. Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen 1997b, S. 148. 253 Vgl. Stecker 1999, S. 1009. 254 Stecker 1999, S. 1013. Nach Stecker ist das von Beck konzipierte Bürgergeld eine Form der Sozialhilfe bzw. des Lohnersatzes und in diesem Sinne kein unter dem Namen Bürgergeld/Sozialdividende bekanntes garantiertes Mindesteinkommen aller Bürger. (Vgl. dazu ferner 3.4.3.4.1.)

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Gesellschaftliche und theologische Perspektiven

der „Bürgerarbeitssektor operationalisiert“255, um die bestehende kapitalisierte Arbeitswelt beizubehalten. Jedoch mahnen die gewandelte Arbeitswelt, hohe Arbeitslosenzahlen sowie individuelle Arbeitswünsche bzw. Motive, Arbeitsverständnisse und die Rolle von (Lohn-)Arbeit für die Gesellschaft näher zu explizieren, wie dies im Folgenden Punkt exemplarisch getan wird. 1.1.3.1.3 Freiwillige Arbeit als alternative (weibliche) Arbeitsform Wird freiwillige Arbeit aus einer spezifisch feministischen Perspektive betrachtet, werden die stereotypischen Zuschreibungen bestimmter Tätigkeiten bzw. Arbeitsformen (bezahlt – unbezahlt) deutlich. Für die Organisierung der kapitalistischen Arbeitswelt bzw. des deutschen Sozialsystems sind männliche Ideale (beispielsweise das Normalarbeitsideal) leitend. Wohingegen typisch weibliche Tätigkeiten im familialen Nahraum oder Ehrenamt nicht monetär entlohnt werden. Dieser Zusammenhang kann, wie im Professionalisierungsdiskurs gezeigt wurde, zu Forderungen nach Verberuflichung führen oder eine generelle Öffnung des ökonomistisch verengten Arbeitsbegriffs bewirken.256 Aus feministischem Blickwinkel werden Appelle zum Ausbau der Bürgergesellschaft teils harsch als „paternalistisch, autoritäres Konzept“257 zurückgewiesen. Denn die Akzentuierung der immensen Wichtigkeit von Engagement verbunden mit dem Abbau sozialstaatlicher Leistungsansprüche führe zur Re-Privatisierung sozialer Aufgaben und darüber hinaus werde die Zuständigkeit von Frauen für den sozialen Bereich gefestigt. Ferner wird durch die strikte Definition von bürger*innenschaftlichem Engagement als zusätzliche Tätigkeit neben der Erwerbsarbeit die eigene Dignität von Arbeit, die nicht lohnabhängig organisiert ist (v. a. weiblich-konnotierte Arbeiten im Fürsorge- und Nahbereich), aberkannt. Durch einen solchen (Erwerbs-)Arbeits- bzw. Engagementbegriff werde unbezahlte Arbeit als Arbeit komplett unsichtbar gemacht.258

255 Stecker 1999, S. 1017. 256 Die Schweizer Ökonomin Mascha Madörin setzt sich beispielsweise für die volkswirtschaftliche (Ein-) Berechnung weiblicher Haus- und Familienarbeit sowie anderer Formen unbezahlter Tätigkeit zum Brutto-Inlandsprodukt, ein. 257 Appel 2009, S. 247. Mittels machttheoretischer Analyse kommt Backes zu dem Schluss, dass freiwillige Arbeit eine Zwischenform zwischen Erwerbs- und Carearbeit ist. Die freiwillige Arbeit werde von machtvollen (männlichen) Statusgruppen dazu genutzt Frauen, die mit Fürsorgearbeit nicht ausgelastet sind, von der Erwerbsarbeit fernzuhalten. (Vgl. Backes 1987.) 258 Vgl. Appel 2009, S. 242. Alternativ lassen sich auch stärker ressourcenorientierte Deutungen freiwilliger Tätigkeit finden; so z. B. bei Wessels 1994. Wessels beschreibt vor dem Hintergrund erstarkender, weiblicher Erwerbsbeteiligung „Ehrenamt als Chance für die berufliche Integration“. Aus ihrem Interviewmaterial generiert sie die These, dass aus individueller, biographischer Perspektive freiwillige Tätigkeit eine spezifisch weibliche Strategie zur Gestaltung der ei-

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Die Soziologin Gertrud Backes nimmt, als eine der Ersten, Ehrenamt im Kontext des Arbeitsdiskurses aus spezifisch feministischer Perspektive in den Blick. In „Frauen und soziales Ehrenamt“ (1987) differenziert sie zwischen dem typisch männlichen, politischen259 und dem typisch weiblichen, sozialen Ehrenamt260. Entgegen der Selbstverwirklichungsidee sei weibliche, freiwillige Arbeit durch die Nähe zu Fürsorgearbeiten geprägt, wodurch Frauen zum einen gesellschaftliche Erwartungshaltungen erfüllten und zum anderen die klassische Verteilung von (Erwerbs-)Arbeit mit typischen Männer- und Frauenberufen reproduziert würde. Dementsprechend könnten Frauen im Engagement nur mit wenig gesellschaftlicher Anerkennung rechnen. Backes vermutet den Ursprung des typisch weiblichen Ehrenamts in der Industrialisierung, insbesondere der (bürgerlichen) Frauenbewegung. Gegenwärtig sei der Bestand des sozialen Ehrenamts Ausdruck der unabgeschlossenen Verberuflichung vieler weiblicher Berufe und damit einhergehend der mangelnden Teilhabe von Frauen an der Erwerbsarbeitswelt. Backes Vision der geschlechtergerechten Arbeitswelt sei nur durch „eine neue Form gesellschaftlicher Arbeitsteilung zwischen und innerhalb der Arbeitsverhältnisse“261 und der Geschlechter zu erreichen.262 Der Appell zur Gestaltung einer alternativen Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern wird auch von Giesela Notz formuliert. Laut ihrer Untersuchung „Frauen im sozialen Ehrenamt“ (1989) dürfe ehrenamtliche Arbeit nicht weibliche Erwerbsbeteiligung ersetzen, denn auf diese Weise würde die Vormachtstellung des vollerwerbstätigen Mannes in Familie und Gesellschaft reproduziert. In diesem Sinne seien Fortbildungsangebote sowie Aufwandsentschädigungen für ehrenamtliche Arbeit nur eine Art „Trostpflaster“ für die ausstehende, gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in Arbeit und Leben. Arbeit sei in ihren verschiedenen Formen neu zu verteilen und ein erster praktischer Schritt dazu sei

259

260

261 262

genen Erwerbsbiographie sei, denn dem sozialen Ehrenamt komme eine Mittelposition zwischen Lohnarbeit und Fürsorgearbeit zu. Beispiele für solches „politisches“ Ehrenamt sind die Vorstandschaft in Wohlfahrtsverbänden, Aufsichtsräten, kulturellen, wissenschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen sowie kirchlichen Gremien. Teilweise werden die Engagierten hierfür von ihrer Erwerbsarbeit unter Lohnfortzahlung freigestellt. Soziales Ehrenamt dagegen findet in sozial-kulturell-ökologischen Bereichen statt und ist häufig durch den direkten Kontakt mit Menschen und Natur gekennzeichnet. Das soziale Ehrenamt hat einen unterstützend-helfenden Charakter und ist meist Beziehungs-, Betreuungs- oder Dienstleistungstätigkeit. Backes 1987, S. 232. Insbesondere die Beschäftigung mit weiblicher Tätigkeit im Carebereich (v. a. in der Altenpflege) lässt die vehemente Forderung der Überwindung des „gender bias“ im Bereich Care heranreifen. Die „De- Konstruktion von ‚naturgegebenen‘ Wesensmerkmalen und dem Aufbrechen der Zuschreibungen dieser Tätigkeiten zum privaten, familiären ‚weiblichen‘ Raum, [sei dringend nötig, denn nur dadurch] könnte ein neuer Arbeitsbegriff entstehen.“ (Backes et al. 2008, S. 51.)

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eine einkommensunabhängige Mindestrente (und damit die Trennung von sozialstaatlichen Leistungsansprüchen zu zuvor eingezahlten Versicherungsbeiträgen).263 Ganz in diesem Sinne formuliert Backes 2001: Schließlich geht es darum Konzepte, zu entwickeln, die geeignet sind, die begrenzt vorhandene sinnvolle Arbeit so zu verteilen, dass alle Menschen – Männer und Frauen – die das wollen, in die Lage versetzt werden, existenzsichernde, sinnvolle Arbeit zu leisten, verbunden mit den Möglichkeiten, die erwerbsfreie Zeit (auch) für Haus- und Sorgearbeit und für politisches und bürgerschaftliches Engagement zu nutzen.264

Auch theologische Veröffentlichungen bzw. Studien mit kirchlichem Bezug nehmen geschlechterspezifische Aspekte des Ehrenamts im Arbeitsdiskurs auf. Sigrid Reihs Studie (1995) illustriert, dass gesellschaftliche Bilder von männlicher Vollerwerbstätigkeit und unbezahlter, weiblicher Fürsorgearbeit, die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in der kirchlichen Arbeitswelt (auch in Bezug auf freiwillige Arbeit) strukturieren bzw. reproduzieren.265 Zwar sei nur rund die Hälfte der Kirchenmitglieder weiblich, jedoch 65 % der Engagierten.266 Typisch weibliche Tätigkeitsfelder in der Evangelisch-Lutherischen Kirche Bayerns sind nach Reihs Kuchen backen, Seniorenkreis sowie Besuchsdienste organisieren und Sammlungen durchführen. Typisch männliche Aufgabenfelder umfassten prestigeträchtige Tätigkeiten wie Kirchenvorstands-, Synodal- und Jugendarbeit.267 Die Studie „Frauen im kirchlichen Ehrenamt“268 von Bauer/ Gubitzer/Winkler (2001) knüpft an die Differenzierung zwischen männlichem und weiblichem Ehrenamt an und problematisiert die Aufrufe an Frauen, freiwillig im sozialen Bereich zu arbeiten. Denn freiwillige Arbeit in diesen sozialen Engagementbereichen könne unmittelbar Arbeitsplätze anderer Frauen in typischen Frauenberufen bedrohen. Die Autorinnen warnen eindrücklich davor, durch ehrenamtliches Engagement weibliche Erwerbsarbeit zu substituieren269, denn so würden klassische, patriarchale Familienformen reproduziert.270 Wenn ehrenamtliche Arbeit tatsächlich frei gewähltes Engagement sein soll, dann müsse die ökonomische Sicherung der jeweiligen Personen vorausgesetzt sein. In diesem Sinne fordern Bauer/Gubitzer/Winkler von der kirchlich-diakonischen

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Vgl. Notz 1989 oder auch: Notz 2012. Notz 2001, S. 20. Reihs 1995. Vgl. Reihs 1995, S. 73. Vgl. Reihs 1995, S. 128. Sehr ähnliche Ergebnisse finden sich u. a. bei Buchholz 1999. 268 Diese Studie nimmt die Evangelische Kirche in Österreich zur Grundlage. 269 Dies geschieht insbesondere durch die Vergabe von Quasi-Arbeitsverträgen, die Zahlung von Aufwandsentschädigungen usw. Denn auf diese Weise nähern sich entsprechende Tätigkeiten der Berufsarbeit an, jedoch unter Verzicht auf adäquate monetäre Entlohnung. 270 Vgl. Bauer et al. 2001, S. 73.

Analyse der Diskurse zum Phänomen freiwilliges Engagement

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Organisation, über gerechte Arbeitsteilung und Gestaltung der Arbeitswelt nachzudenken.271 Einen ähnlichen Tenor schlägt Pfarr an, wenn sie 1998 in „Frauen, Amt und Ehre“ konstatiert, dass eine Bestandserhaltung des Ehrenamtes in Kirche und Diakonie nur möglich sei, wenn eine Neuverteilung von Arbeit zwischen Männern und Frauen unter der Berücksichtigung veränderter Lebensmodelle stattfindet.272 Die geschlechtsspezifische Organisierung der Arbeitswelt stellt für die Auseinandersetzung mit freiwilligem Engagement im Arbeitsdiskurs eine bleibende Herausforderung dar. 1.1.3.2 Fazit Der gesellschaftliche Diskurs über Arbeit setzt sich unter Bezug auf die bleibende Bedeutung von Arbeit mit freiwilliger Arbeit und der veränderten Erwerbsarbeitsgesellschaft auseinander. Insbesondere seit den 1980er Jahren unter dem Eindruck von kapitalistischen Wirtschaftskrisen und angesichts der hohen Arbeitslosenquote, den hohen Erwartungen an Erwerbsarbeit (Sinnstiftung, Existenzsicherung usw.) und auch dem fortgesetzten gesellschaftlich-technologischem Wandel (Digitalisierung und globalisierter Kapitalismus) wird Ehrenamt im Arbeitsdiskurs als Form freiwilliger Arbeit debattiert. Die drei Argumentationsrichtungen (Ehrenamt als Sozialstaatsgarantie, als Ersatz für Erwerbsarbeit und als Anregung für ein neues Arbeitsverständnis) des Arbeitsdiskurses, in denen freiwillige Tätigkeit thematisiert wird, verweisen insgesamt auf die fortgesetzte einflussreiche Stellung von Erwerbsarbeit zur Erlangung von Teilhabe und Anerkennung. Je nach Position wird ein Beibehalten oder auch ein Neustrukturieren der Arbeitswelt, unter Einschluss alternativer Formen zu Lohnarbeit, gewünscht.

1.1.4 Fazit der „Diskursanalyse“ zu freiwilligem Engagement Freiwilliges Engagement ist ein unterbestimmter Containerbegriff, der nur im Zusammenhang der vorangehend explizierten Diskurslinien konkrete Gestalt annimmt. Die Diskurse Professionalisierung bzw. Professionalität, Macht und Teilhabe sowie Arbeit deuten demnach das Ehrenamt in je spezifischer Manier. Die vorgestellten Diskurse finden sich in dieser Art sowohl in der gesamtdeutschen, gesellschaftlich-wissenschaftlichen als auch der theologischen Ehrenamtsdebatte wieder. Der Durchgang durch die vorliegende Ehrenamts- und Freiwilligenliteratur ergab, dass alle bekannten Publikationen den ent271 Vgl. Bauer et al. 2001, S. 56. 272 Vgl. Pfarr 1998, S. 97.

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Gesellschaftliche und theologische Perspektiven

sprechenden Diskursen zugeordnet werden können. Für die Auseinandersetzung mit freiwilligem Engagement in Kirche und Diakonie bzw. in der kirchlichdiakonischen Arbeitswelt kann dementsprechend nicht reibungslos an eine einzelne der Diskurslogiken angeknüpft werden. Dennoch regen die vorgestellten Diskurse, in denen freiwilliges Engagement debattiert wird, die weitere Beschäftigung mit dem Thema an. Es werden wichtige Hinweise gegeben und Fragestellungen angeleitet. Die Diskurse Professionalisierung/Professionalität und Arbeit stellen beide in ähnlicher Weise die Fragen: Ist freiwillige Tätigkeit Arbeit? Was ist Arbeit? Welche gesellschaftliche Funktion und Rolle kommt freiwilliger und beruflicher Arbeit zu? Wie können Arbeitswelten gestaltet werden? Daneben thematisieren sowohl der Macht- und Teilhabe-Diskurs als auch der Professionsdiskurs die Hierarchien- und Machtverhältnisse in Institutionen sowie der gesamten Gesellschaft. Bezogen auf ehrenamtliches Engagement ist zu untersuchen, inwiefern es gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht und durch welche institutionellen bzw. gesellschaftlichen Begrenzungen das Ehrenamt gegenüber anderen Bezugsgrößen abgewertet wird. Wenn im Rahmen dieser Untersuchung freiwilliges Engagement im Speziellen in Kirche und Diakonie betrachtet wird, dann soll verhindert werden, dass das Ehrenamt in einen der drei Diskurse hineingesogen wird. Dazu ist ehrenamtliche Mitarbeit in der sozialen Realität der kirchlich-diakonischen Organisationen zu verorten. Freiwilliges Engagement wird als Form der Tätigkeit, die (noch nicht) verberuflicht ist und im Wechselspiel mit anderen Tätigkeiten steht, interpretiert. Die Beachtung der organisationalen Konkretion ist unbedingt nötig, um eine eigenständige Position, unabhängig von vereinnahmenden Diskurslogiken, für freiwilliges Engagement zu gewinnen. Bevor aber weitere Ausführungen zur möglichen Deutung ehrenamtlicher Tätigkeit in Kirche und Diakonie erfolgen, werden noch die theologischen Motive kritisch erörtert, die neben den jeweiligen Bezugsdiskursen in der kirchlich-diakonischen Literatur aufgeführt werden.

1.2

Ehrenamt in theologischen Motiven

Die unter 1.1 explizierten Diskurse, in denen das Ehrenamt Aufnahme findet, existieren in dieser Weise auch in der Kirche bzw. Diakonie, was die Zuordnung der spezifisch kirchlich-theologischen Literatur zu den entsprechenden Diskussionslinien verdeutlicht hat. Zu diesen diskurstypischen Begründungslogiken des Engagements treten in der kirchlich-theologischen Literatur noch eigene theologische Argumente hinzu. Denn auch mit genuin theologischen Motiven setzten sich die Autor*innen für freiwilliges Engagement ein. Im Folgenden werden die in der Ehrenamtsdebatte auftretenden theologischen Figuren sowie Eigenargumentationen knapp allgemein charakterisiert und

Ehrenamt in theologischen Motiven

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sodann wird die entsprechende Spielart dieses Motivs in Bezug auf freiwilliges Engagement geschildert. Auf spezifische Dynamiken, die durch den Rekurs auf bestimmte Motive entstehen, wird gesondert verwiesen. Protestantische Publikationen rekurrieren am häufigsten auf das Motiv des Priestertums aller Gläubigen. An zweiter Stelle folgt der Bezug zu den Geistesgaben bzw. Charismen. Darüber hinaus wird auf das Motiv Nächstenliebe und diakonische Vorbilder Bezug genommen. Diese Motive und die bestehenden Gesamtdarstellungen werden im Folgenden entsprechend der Häufigkeit der Bezugnahme dargestellt.

1.2.1 Freiwillige Mitarbeit als Priestertum aller Gläubigen Das theologische Motiv des Priestertums aller Getauften bzw. aller Gläubigen273 kommt in der Auseinandersetzung um freiwilliges Engagement mit Abstand am häufigsten vor. Petry beispielsweise stellt es als eine Besonderheit protestantischer Theologie heraus, dass sie sich einerseits für die Lehre vom allgemeinen Priestertum stark macht, anderseits aber gleichzeitig an der Notwendigkeit eines kirchlichen Amtes festhält. […] Dadurch entsteht das Bild einer Ellipse mit zwei Brennpunkten, allgemeinem Priestertum und kirchlichen Amt. Wird die Zusammenarbeit zwischen Pfarrerinnen und engagierten Ehrenamtlichen auf dieser Basis gedeutet, wird schnell klar, dass die reformierte Theologie gegenüber den modernen Erwartungslagen von Ehrenamtlichen offen ist, ja, dass sie diese geradezu voraussetzt.274

Das vorgehende Zitat identifiziert das Priestertum aller Gläubigen mit ehrenamtlichem Engagement und interpretiert es als notwendiges Gleichgewicht zum kirchlichen Amt, welches als Pfarramt verstanden wird. Das Beispiel zeigt die hohe Anschlussfähigkeit reformatorischer Theologie zu moderner, ausdifferenzierter Arbeitsteilung und dem Phänomen freiwilliger Tätigkeit. Neben 273 Das Priestertum aller Gläubigen und das Priestertum aller Getauften werden in diesem Zusammenhang synonym verwendet. Durch die jeweilige Formulierung wird entweder die gnadenhafte Zuwendung Gottes zu den Menschen in der Taufe oder die vertrauensvolle Annahme der göttlichen Gnade durch den Glauben akzentuiert. Insgesamt sind beide Akzente im Kontext der lutherischen Rechtfertigungslehre und der Lehre vom Priestertum aller Gläubigen eng verbunden. 274 Petry 2002, S. 97. Trotz der Bezugnahme auf das Priestertum aller Gläubigen entfaltet Petry in seinem Artikel keine Berufstheorie, die allgemeines Priestertum und kirchliches Amt in einen wechselseitigen Bezug stellt. Vielmehr hofft Petry, dass eine solche Berufstheorie aus der neuen Praxis entspringt. In der Zwischenzeit sollen sich Berufsinhaber*innen am Bild der Pfarrer*innen als Gehilfen der Freude (2 Kor 1,24) orientieren. Die Pfarrer*in solle in diesem Sinne Menschen freudig helfen, damit alle Christ*innen ihre eigene Berufung finden. (Vgl. Petry 2002, S. 103.)

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dem oben genannten Beispiel wird das Priestertum aller Gläubigen in ganz unterschiedlichen Spielarten aufgenommen. Zuerst aber zum Ursprung des Motivs, der in der reformatorischen Theologie, v. a. der Martin Luthers, zu suchen ist. Luther nimmt die biblischen Anknüpfungspunkte aus 1 Petr 2,5.9275: Und auch ihr als lebendige Steine erbaut euch zum geistlichen Hause und zur heiligen Priesterschaft, zu opfern geistliche Opfer, die Gott wohlgefällig sind durch Jesus Christus. 9 Ihr aber seid das auserwählte Geschlecht, die königliche Priesterschaft, das heilige Volk, das Volk des Eigentums, dass ihr verkündigen sollt die Wohltaten dessen, der euch berufen hat von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht; die ihr einst ‚nicht ein Volk‘ wart, nun aber ‚Gottes Volk‘ seid, und einst nicht in Gnaden wart, nun aber in Gnaden seid.

und Off 5,9f: Und sie sangen ein neues Lied: Du bist würdig, zu nehmen das Buch und aufzutun seine Siegel; denn du bist geschlachtet und hast mit deinem Blut Menschen für Gott erkauft aus allen Stämmen und Sprachen und Völkern und Nationen und hast sie unserm Gott zu Königen und Priestern gemacht, und sie werden herrschen auf Erden.

auf. Diese beiden Bibelstellen weisen für Luther auf das universalgeschichtliche Heilsgeschehen in Christus hin, welches die Ausweitung des Rufs ins Gottesvolk für alle Menschen bedeutet. Zugleich ergeht der Ruf, Priester*in zu sein, an alle Menschen. Zwar nimmt Luther diese biblischen Einzelaussagen auf, in seiner ganzen Argumentation jedoch spielen sie nur eine untergeordnete Rolle. Luthers Ausführungen zum Priestertum aller Gläubigen erwachsen vielmehr aus seiner theologischen Deutung des gesamten biblischen Zeugnisses und damit seiner Theologie (insbesondere aus der Christologie und dem Rechtfertigungsglauben).276 Im Folgenden wird Luthers Priestertum aller Gläubigen in seinen Grundlinien v. a. anhand der reformatorischen Hauptschriften sowie der Confessio Augusta subsumiert. In der Flugschrift „An den christlichen Adel deutscher Nation von des Christlichen Standes Besserung” wendet sich Luther 1520 im Reformstreit mit der katholischen Kirche an die weltlichen Herrscher.277 Im Zuge dessen widerlegt er den Wesensunterschied zwischen Laien und Klerikern, indem er die Rechtfertigung aus Glauben allein und das Sakrament der Taufe betont. Gegen den 275 Vgl. z. B. WA 7,27,20ff. oder WA 12,307,23ff. 276 Vgl. Barth 2009, S. 396. 277 Vgl. WA 6,407,5. Luther wirft der römischen Kirche vor, sich durch eine Art dreifache Mauer vor jeglichen Reformbestrebungen zu schützen. Diese dreifache Mauer entspreche den drei wesentlichen Prinzipien der römischen Kirche, die Luther im Folgenden widerlegt. Vorrangig lehnt er den Wesensunterschied zwischen Laien und Klerikern auf Grund seines Rechtfertigungs- sowie Taufverständnisses ab. Von daher erweist er auch die Notwendigkeit der apostolischen Sukzession, die alleinige Schlüsselgewalt des Papstes und sein alleiniges Recht zur Einberufung eines Konzils als nichtig.

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Wesensdualismus zwischen Laien und Klerikern wendet er ein, dass der geistliche Stand „nit weytter noch wirdiger“278 sei. Luther beruft sich auf das paulinische Bild (1 Kor 12,12f) des Leibes Christi, an dem alle Christinnen teilhaben und dadurch untereinander verbunden sind. Aus der Zusammengehörigkeit aller zu einem Leib folgert er, dass keine graduellen Abstufungen oder Vor- bzw. Nachrangigkeit abzuleiten seien: der geistliche Stand ist nicht vorgeordnet, denn „alle Christen sein warhafftig geystlichs Stands“279 „den die tauff, Evangelium und glauben machen allein geistlich und Christen volck“280. Durch die Taufe habe Gott gleichsam die Priesterweihe an allen vollzogen. Das Taufsakrament, das alle Christinnen vereint, dient Luther als Beleg der radikalen Gleichheit aller (Priester/Laien) vor Gott: „was ausz der tauff krochen ist, das mag sich rumen, das es schon priester, Bischoff und Bapst geweyhet sey“281. Den Prozess der Auswahl eines Pfarrers in einer Gemeinde vergleicht Luther mit einer Gruppe gleichberechtigter Erben, die einen von ihnen zur Verwaltung des Erbes erwählen282. Weil sie, die Erben, „alle gleyche[n] gewalt haben“283 können sie als souverän Handelnde jemand bestimmen, der die Verwaltung ausführt. Auf diese Weise wertet Luther die Gemeinde ungemein auf, denn sie wird als Versammlung mündiger Christ*innen verstanden, die sich selbstständig jemanden zum Dienst an ihrer statt beruft.284 Folglich gilt das „ampt, […] gehore und nutzlich sey der Christlichen gemeyne.“285 Ausgehend von der Grundthese, dass die Priesterweihe keinen character indelebilis und keine weitreichenden Befugnisse verleiht286, sei jedes „ampt odder werck“287 unter dem Aspekt der Nützlichkeit bzw. Dienstbarkeit für die ganze Christenheit zu evaluieren. Luther unterstreicht die gegenseitige Abhängigkeit, indem er exemplarisch auf die Angewiesenheit der Priester auf den Schuster für seine Schuhe aufmerksam macht.288 Ampt, Werk bzw. Beruf sind in der lutherischen Theologie Begriffe für die Position des jeweiligen Menschen in Gottes Schöpfung. Durch die treue Erfüllung dieser Position bzw. des Diensts im Vertrauen auf Gott kooperiere der Mensch mit dem göttlichen Schöpfungs- und Erhaltungswillen. 278 279 280 281 282 283

284 285 286 287 288

WA 6,409,3. WA 6,407,13f. WA 6,407,18f. WA 6,408,11f. Vgl. WA 6,407,29ff. WA 6,408,15. Mit dem Wort „Gewalt“ bezieht sich Luther auf das lateinische „potestas“, was die besondere „Gewalt“ bzw. Befugnisse, die in der Priesterweihe übereignet werden (vgl. Priesterweihe-Formular), bezeichnet. Indem Luther allen Getauften „Gewalt“ zuspricht, impliziert er die Übereignung aller weihepriesterlichen Befugnisse mittels Taufe. Vgl. WA 6,407,38ff. WA 6,408,10f. WA 6,409,1ff. WA 6,409,8. Vgl. WA 6,409,20ff.

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Ähnliche Aspekte bringt Luther in der Auseinandersetzung mit der katholischen Sakramentenlehre in „De captivitate Babylonica ecclesiae“289 ebenfalls aus dem Jahr 1520 ein. Die umfassende priesterliche potestas-Vollmacht solle auf den Dienst am Sakrament beschränkt werden. Ferner komme allen Menschen durch die Taufe die gleiche Würdigkeit zu, ganz unabhängig davon, welche Ämter bzw. Berufe sie erfüllen. Luther illustriert dies an der Gegenüberstellung von Priester und Bauer, indem er kontraintuitiv behauptet, dass die Werke von beiden keinen qualitativen Unterschied290 bergen. Dies plausibilisiert er auf Grundlage des gemeinsamen geistlichen Stands291: alle, soweit wir getauft sind, auf gleiche Weise Priester sind – wie wirs auch in Wahrheit sind – und ihnen allein das geistliche Amt – jedoch mit unserer Bewilligung – aufgetragen wäre, dann wüßten sie auch zugleich, daß sie kein Herrschaftsrecht über uns besäßen, außer, soweit wir es ihnen freiwillig zugestünden.292

Darüber hinaus trägt auch die Freiheitsschrift (1520) zu den Grundlinien des Priestertums aller Getauften bei. Im Kontext der Freiheitsschrift greift Luther auf das Bildfeld der mittelalterlichen Brautmystik zurück, um den „frohlich wechßel“293, den Tausch, der zwischen Christus und dem Menschen stattfindet, zu veranschaulichen: In einem intimen Prozess wird die menschliche Sünde durch die christliche Gerechtigkeit ersetzt. Als Erster unter den Auferstandenen, als wahrer Gerechter und Priester „alßo teyllet er sie [die Gerechtigkeit] mit allenn seynen Christen, das sie durch den glauben mussen auch alle kunige uund priester seyn mit Christo.“294 Dieser rechtfertigende Vorgang befreie die Christ*in dazu, sich in Dankbarkeit und Liebe gegenüber Gott, dem göttlichen Werk zu widmen. Das Werk/Ampt/Beruf finde aus freier Liebe als Dienst am Nächsten (priesterlicher Dienst) vor Gott statt und sei dabei stets dankbare Konsequenz des Rechtfertigungsgeschehens.295 „Das priesterthum uns wirdig macht fur Gott zu tretten und fur andere zu bitten.“296 Mit Gott in Schöpfung und Erhaltung zu kooperieren, wird nach Luther erst durch das vorgängige Handeln Gottes in der Rechtfertigung möglich.297 Die Gemeinde sei die „fraternitas Christiana“298, die 289 Diese Schrift war für das entsprechende Fachpublikum auf Lateinisch abgefasst. An dieser Stelle wurde neben dem lateinischen Text (WA 6,497–573) auch die deutsche Übersetzung nach Luther und Aland 1991, S. 171–238, grundgelegt. 290 Luther nimmt die Gleichwertigkeit aller Werke an. Dies gilt auf der Grundlage, dass Gott durch Stände bzw. Regimenter oder ganz allgemein durch gesellschaftliche Ordnung seine Regierung ausübt. 291 Vgl. Luther und Aland 1991, S. 215. 292 Luther und Aland 1991, S. 229. 293 WA 7,25, 34. 294 WA 7, 27, 17ff. 295 Vgl. WA 7, 30,11ff. 296 WA 7, 28, 6f. 297 Vgl. WA 7,31,34ff.

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durch die gegenseitige Angewiesenheit aufeinander und den Dienst aneinander zusammengefügt ist. Der Blick auf die reformatorischen Hauptschriften aus dem Jahr 1520 zeigt, dass das Priestertum aller Gläubigen in Luthers Theologie ein eng mit Christologie und Rechtfertigungslehre verbundenes Prinzip ist. „Luther vertritt schon […] 1520 und von da an kontinuierlich bis zu seinem Tod den Gedanken des Allgemeinen Priestertums mit Nachdruck als ekklesiales Grundprinzip.“299 Was nun die Rede vom Priestertum aller Getauften ganz praktisch zu bedeuten hat, bleibt jedoch offen. Goertz meint, dass „vor dem Hintergrund des biblischen Zeugnisses auch inhaltlich vom Priestertum nur in metaphorischem Sinne auf angemessene Weise geredet werden kann, nämlich von dem einen, realen ‚Priestertum‘ aller Christen unter ihrem ‚Hohepriester‘ Christus.“300 Von daher ist es schwierig, von einem tatsächlichen Priestertum zu sprechen, jedoch werden bei der Konkretisierung des Priestertums aller Getauften auch stets die Fragen nach dem kirchlichen Amt bzw. Pfarramt mitzudenken sein. Luther intendierte nicht die Abschaffung des Pfarramtes. Zwar lehnt er die Verleihung besonderer Vollmachten durch die Ordination ab, denn alle, soweit wir getauft sind, auf gleiche Weise Priester sind – wie wirs auch in Wahrheit sind – und ihnen allein das geistliche Amt – jedoch mit unserer Bewilligung – aufgetragen wäre, dann wüßten sie auch zugleich, daß sie kein Herrschaftsrecht über uns besäßen, außer, soweit wir es ihnen freiwillig zugestünden.301

Daher gilt, dass das kirchliche Amt nicht durch besondere Weihen/Würden legitimiert werden kann und dass alle pfarramtlichen Befugnisse allein der gemeindlichen Bevollmächtigung geschuldet sind. Hierbei ist v. a. das Argument der Ordnung in der Gemeinde und der ordentlichen Ausführung des gemeindlichen Auftrags zur Begründung des ordinierten Amts entscheidend. Zur näheren Präzision des ordinierten Amtes in der Kirche findet v. a. das Augsburger Bekenntnis Berücksichtigung. CA XIV führt aus, dass sine rite vocatus niemand in der Kirche öffentlich predigen oder die Sakramente reichen soll. Die Bedingung der Sakramentsverwaltung sowie der öffentlichen Predigt ist demnach die ordnungsgemäße Berufung. Bei gleichzeitiger Betrachtung von CA V bzw. CA VII und CA XIV stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis die in CA V benannte göttliche Stiftung des Predigtamtes zur Kirche und dem ordinierten 298 WA 6,564,4. 299 Härle 1997, S. 3. Zwar kann, wie Bäumler einräumt, beobachtet werden, dass im Verlauf der Reformation das Prinzip des Priestertums aller Gläubigen stärker in den Hintergrund tritt. Dennoch gehöre es zeitlebens zu Luthers Theologie und seiner grundsätzlichen Ausrichtung. Seine These illustriert Bäumler unter Verweis auf eine Predigt Luthers (WA 49,714,36ff.), die das Priestertum aller Gläubigen am 15. April 1545 und damit kurz vor seinem Tod referiert. (Vgl. Bäumler 1983, S. 372.) 300 Goertz 1999, S. 46. 301 Luther und Aland 1991, S. 229.

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Amt steht. CA V nennt als Gnadenmittel, denen sich der Heilige Geist in freier Selbstbindung bedient, die Evangeliumsverkündigung in Wort und Sakrament. CA VII nimmt diesen Faden auf, indem Wort und Sakrament als unabdingbare Kennzeichen der Kirche qualifiziert werden. Denn nur dort, wenn evangelium pure docetur et recte administrantur sacramenta (CA VII), kann sich der Heilige Geist dieser Mittel bedienen und die Kirche wird gebildet. Daher ist im Augsburger Bekenntnis Kirche eindeutig creatura verbi. Die göttliche Stiftung des Predigtamts („Gott hat eingesetzt“) aus CA V muss auf Gottes Handeln hin, das sich freiwillig ans Evangelium bindet, interpretiert werden. Wohl stiftet Gott die Evangeliumsverkündigung, allerdings ist nach CA V nicht spezifiziert, wem der Dienst am Evangelium aufgegeben ist. Daher kann geschlussfolgert werden, dass der Dienst am Evangelium [auf Deutsch: das Predigtamt] erst einmal allen Christ*innen aufgegeben ist. Ich fasse zusammen: Die Verkündigung des Evangeliums, die nach göttlicher Einsetzung notwendig ist, um den Glauben zu erlangen, steht systematisch in CA V noch jenseits der Unterscheidung von allgemeinem Priestertum und dem Amt, zu dem der Pastor ordiniert wird.302

Das institutionell-verfasste Amt erwächst primär aus dem Ordnungsbedürfnis heraus. Denn in einer Situation, in der potentiell alle Christ*innen durch die Taufe die priesterlichen Vollmachten haben, können dennoch nicht alle predigen bzw. die Sakramente verwalten. Um klare Aufgabenbereiche zu schaffen, werden also Personen zur stellvertretenden öffentlichen Wahrnehmung der Wortverkündigung bzw. Sakramentsverwaltung beauftragt. Das institutionelle Amt ruht also organisatorisch auf der Auswahl, der Beauftragung und der Zustimmung durch die Gemeinde. Die Teilhabe am Priestertum aller Gläubigen geht dem institutionell-verfassten Amt voran.303 Die auf diese Weise Berufenen erhalten der CA und der lutherischen Theologie entsprechend legitime Autorität über die Gemeinde. Das partielle Gegenüber zwischen den Berufenen und den Berufenden bildet die theologische Analogie zum christlichen Glauben, der auf das von außen kommende äußere Wort angewiesen ist, da der Einzelne sich nicht selbst das Evangelium weitergeben kann. (Dies gilt aber auch unbedingt für Pfarrer*innen.) Die Aufgabe der Amtsinhaberin ist die öffentliche, verständliche, verlässliche und evangeliumsgemäße Verkündigung. Härle betont trotz des allen Christen zukommenden Auftrags der Evangeliumsverkündigung die „Schutz- und Erhaltungsfunktion für das Allgemeine Priestertum“304, die dem ordinierten Amt eignet. Der Ordinierte solle das allgemeine Priestertum schützen und die Praxis 302 Brandt 2001, S. 238. 303 Vgl. Neebe 2001, S. 69. 304 Härle 1996, S. 68.

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des Priestertums aller Gläubigen entsprechend der Kriterien Kompetenz und Partizipation fördern.305 Ganz allgemein entspricht es der reformatorischen Tradition, nicht zwischen einem besonderen geistlichen Stand und einem Laienstand zu differenzieren, da alle Christ*innen gleichermaßen in einem unmittelbaren Gottesverhältnis (durch das rechtfertigende Handeln Christi in der Vermittlung durch den Heiligen Geist) stehen. Insgesamt bleibt jedoch eine gewisse Deutungsoffenheit bezüglich der Zuordnung von allgemeinem Priestertum und ordiniertem kirchlichem Amt. In der Konsequenz entsteht eine Bandbreite von theologischen Positionen, die das Verhältnis des Pfarramts und der Gemeindemitglieder bzw. der anderen Berufe deutet. Die Bestimmung dieser Relation hat beispielsweise in der Lutherrenaissance des 19. Jh., in der ökumenischen Begegnung und in der gegenwärtigen Auseinandersetzung um Ordination bzw. Berufung sowie schließlich auch in der Ehrenamtsdebatte weitreichende Implikationen. Die Verortung vom Priestertum aller Gläubigen und dem ordinierten Amt findet meist auf dem Spektrum zwischen zwei Extrempositionen statt. Die beiden Pole können schlagwortartig mit „Bleibendes[m] Gegenüber (Ableitung) oder Harmonisierung (Gleichursprünglichkeit und Koordination)“306 des allgemeinen Priestertums und dem besonderen Amt charakterisiert werden. In der Literatur finden ferner die Termini Institutions- bzw. Stiftungstheorie und Übertragungs- bzw. Ableitungstheorie Verwendung.307 Die Institutionstheorie klassifiziert das geistliche Amt als Stiftung Christi. Die Berufung der Apostel durch Christus und ihre herausgehobene Stellung werde durch das Gegenüber der Gemeinde zum kirchlichen Amt gleichsam nachgeformt. Ebenso, wie Christus direkt die Apostel berief, sei das ordinierte Amt der Ruf Christi zum Dienst. Durch die Vorstellung der unmittelbaren, apostolischen Berufung durch Christus wird die zeitliche sowie rangmäßige Vorordnung des ordinierten Amts vor der Gemeinde bzw. dem Priestertum aller Gläubigen legitimiert. Demgegenüber betonen Vertreter der Ableitungstheorie das gemeinsame Recht bzw. die gemeinsame Pflicht aller Christ*innen, das Evangelium zu verkünden. Rein aus Gründen der Zweckmäßigkeit würde die Ausübung der öffentlichen Evangeliumsverkündigung dem Ordinierten übertragen. Die Berufung ins kirchliche Amt leitet sich demnach vom Priestertum aller Gläubigen und dem Ruf aller Christinnen zum Dienst ab.308 Die Bestimmung von Kirche und Amt wurde im Verlauf der Luther-Renaissance, insbesondere seit 1840 (v. a. in der lutherischen konfessionellen Theologie), kontrovers debattiert. Friedrich Julius Stahl ist ein typischer Vertreter der Stiftungstheorie, der 1840 das Amt als vom Priestertum 305 306 307 308

Vgl. Härle 1997, S. 12. Dittmer 2009, S. 10. Vgl. Brunotte 1977, S. 217; Goertz 1997, S. 1. Vgl. Brunotte 1977, S. 217.

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aller Gläubigen unabhängige göttliche Stiftung behauptet. Johann Wilhelm Friedrich Höfling hingegen repräsentiert die Übertragungstheorie. Seine These lautet, dass für die sichtbare Kirche keine göttliche Ordnung möglich sei, da diese auf Grundlage der Rechtfertigungsbotschaft allein durch innere Freiheit sowie Zweckmäßigkeit bestimmt sei. Höfling unterscheidet zwischen Amt als Dienst bzw. Funktion und Amt als Institution. Das Amt im Sinne von Dienst sei die göttlich eingesetzte Funktion der Wortverkündigung bzw. Sakramentsspendung, die qua Priestertum aller Gläubigen Auftrag aller sei. Das Amt im Sinne von Institution sei keine göttliche Ordnung, sondern vielmehr eine pragmatische Beauftragung durch die Gemeinde, die nur mit einer kirchenrechtlichen, aber nicht göttlichen Privilegierung des Ordinierten einherginge. Varianten beider Positionen sind im 19. und 20. Jh. anzutreffen. Wilhelm Löhe, Ernst Wolf oder Heinz Brunotte sind Vertreter der Stiftungstheorie. Dagegen rücken Gottlieb Christoph Harleß und Martin Rade in die Nähe der Ableitungstheorie. Für Mittelpositionen bzw. auch die Idee einer doppelten Begründung des geistlichen Amts bei Luther (Ordnung des Priestertums aller Gläubigen und zugleich göttliche Stiftung) stehen August Wilhelm Dieckhoff, Theodosius Harnack, Hellmut Lieberg und Paul Althaus.309 Mit Leppin hingegen können Amt und Priestertum aller Glaubenden als „mehrdimensionales Beziehungsgeflecht untereinander und zu Gott“310 hin, verstanden werden Die im 19. Jahrhundert aufgemachte Alternative zwischen einer Begründung des Amtes aus dem allgemeinen Priestertum oder aus der Institution Gottes erweist sich im Wesentlichen als künstlich: Die Wortverkündigung kann gar nichts anderem folgen als dem Auftrag Gottes. Da dieser aber allen Glaubenden als Priestern und Priesterinnen gilt, erfolgt die konkrete öffentliche Beauftragung durch diese.311

Ausgehend vom gemeinsamen Auftrag folge eine funktionale Arbeitsteilung zwischen Priestertum aller Gläubigen und Amt. So sehr dabei eine Konzentration auf das Predigtamt als paradigmatische Ausübung des mit dem allgemeinen Priestertum gegebenen Auftrags erhalten bleibt, so sehr kann doch die Fülle der unterschiedlichen Dienste in der Gemeinde in ihrem Bezug auf diese eine gemeinsame Aufgabe gewürdigt, begründet und funktional aufeinander bezogen werden.312 309 Vgl. Goertz 1997, S. 1 Zur historischen Einordung ist Leppin 2017 geeignet. Dabei bieten ferner z. B. Aarts 1972; Stein 1974 und Voss 1990 eigene, nicht klar zuzuordnende Konzepte. Zu den genannten Positionen die entsprechenden Literaturhinweise: Stahl 1840; Höfling 1850; Löhe 1851; Wolf 1954; Brunotte 1959; Harleß 1837; Rade 1918; Dieckhoff 1865, Harnack 1862; Lieberg 1962; Althaus 1962. 310 Leppin 2017, S. 151. 311 Leppin 2017, S. 161. 312 Leppin 2017, S. 169.

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Insgesamt wird in den vorherigen Absätzen offenbar, dass, wenn unter Aufnahme des Priestertums aller Gläubigen Aussagen über bestimmte Tätigkeiten getroffen werden, stets Aussagen bzw. Positionierungen hinsichtlich des kirchlichen Amts bzw. des ordinierten Pfarramts impliziert sind. Dies gilt auch für die gegenwärtigen Ehrenamtsdebatten, wenn aufs Priestertum aller Gläubigen rekurriert wird, dann wird zumindest implizit auch eine Verhältnisbestimmung von ordiniertem Pfarramt und Priestertum aller Gläubigen vorgenommen. Dies führt teilweise zu weitreichenden theologischen und berufspolitischen Konsequenzen. In der aktuellen Debatte tauchen sowohl die Ableitungs- als auch die Stiftungstheorie, Mischformen und neue Varianten auf. Der von den lutherischen Kirchen zwischen den Jahren 1998 und 2006 geführte Diskussionsprozess um Ordination, Pfarrer*innen, Prädikant*innen und das allgemeine Priestertum313 ist ein zeitgenössisches Beispiel, das die Schwierigkeiten bei der Zuordnung von kirchlichem Amt, Priestertum aller Gläubigen und ehrenamtlicher und beruflich-ordinierter Arbeit treffend illustriert. Die Debatte wurde 2006 mit der „Empfehlung der Bischofskonferenz der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) zur Berufung zu Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung nach evangelischem Verständnis“ mit dem Titel „Ordnungsgemäß berufen“314 beschlossen. Hinsichtlich des Priestertums aller Gläubigen nimmt der Vorschlag an, dass „die geistliche Qualifizierung für das Amt der Verkündigung allen getauften Christenmenschen“315 gegeben ist und damit Auftrag der ganzen Gemeinde sei. Daneben sei die öffentliche Evangeliumsverkündigung Aufgabe des besonderen Amts. Dies bedeutet „im Sinne von CA 14 […] deshalb keine Einschränkung des allgemeinen Priestertums, sondern sichert im Gegenteil gerade dessen Bestand.“316 Die Empfehlung konstatiert, dass sich das besondere Amt welches in CA XIV genannt wird, historischerseits meist im Pfarramt realisiert hat, was aber nicht zwingend exklusiv zu verstehen sei. Vielmehr fordere CA XIV den rite vocatus für jeden, der öffentlich predigen und Sakramente verwalten will. Sowohl die Ordination von Pfarrpersonen als auch die Beauftragung von Prädikant*innen sei dem rite vocatus entsprechend eine ordnungsgemäße Berufung: Pfarrer wie Prädikanten sind gleichermaßen nach CA 14 ordnungsgemäß berufen und üben gemeinsam den Auftrag der Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung im Namen und Auftrag der Kirche aus. Damit verbindet sich die Einsicht, dass dieses Amt

313 2004 erschien ein erster Entwurf mit Empfehlungen unter dem Titel: Lutherisches Kirchenamt der VELKD 2004. 314 Lutherisches Kirchenamt der VELKD 2006. 315 Lutherisches Kirchenamt der VELKD 2012, S. 2. 316 Lutherisches Kirchenamt der VELKD 2012, S. 3.

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in unterschiedlichem Umfang bzw. in differenzierter Weise wahrgenommen werden kann.317

Trotz des gemeinsamen öffentlichen Diensts werden ehrenamtliche Prädikant*innen und hauptberufliche Pfarrer*innen unterschieden. Als Differenzkriterium wird der Dienstauftrag der Ehrenamtlichen, der zeitlich und örtlich beschränkt sein kann, angegeben. Im Unterschied dazu ist der Dienstauftrag der Pfarrer*in ganz allgemein, d. h. weder zeitlich noch örtlich limitiert. Das theologische und organisationale Anliegen des Beratungsprozesses bzw. des Empfehlungspapiers ist es, die verschiedentlich organisierten Tätigkeiten (hauptberuflich und ehrenamtlich) von Pfarrer*innen und Prädikant*innen trotz unterschiedlicher Dienstaufträge dem einen Auftrag der Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung zuzuordnen. Dieses Vorgehen ist jedoch stets auch von Bestandserhaltungsbestrebungen bestimmter traditioneller Privilegierungen (Unterscheidung von Ordination und Vokation) geleitet. Insgesamt ist das VELKD-Papier stärker an der sog. Ableitungstheorie orientiert. Dies kritisiert beispielsweise Wenz ausführlich und wünscht eine stiftungstheoretische Position, die das Pfarramt als Gegenüber der Gemeinde versteht: Diese Ordnungsnotwendigkeit ist durch die ekklesiologische Notwendigkeit des geordneten Amtes selbst bedingt. Dieses kann insofern als eine gottgeordnete Institution gelten. […] Zugleich verdankt sich das ordinationsgebundene Amt keiner Delegation durch die Gemeinde. Das mit der Ordination übertragene Amt ist ekklesiologisch notwendig und steht nicht im Belieben gemeindlicher Verfügung. Beide Grenzmarkierungen sind durch einen gedanklichen Zusammenhang bedingt, dem sie entsprechen. Allgemeines Priestertum und das besondere Amt, welches durch Ordination vermittelt wird, stehen in keinem Gegensatz zueinander, sondern sind ‚organisch‘ aufeinander bezogen.318

Wenz reklamiert, dass das Amt der öffentlichen Evangeliumsverkündigung einheitlich sei und auch einheitlich zu übertragen sei. Von daher würden durch die Unterscheidung von Vokation und Ordination graduelle Differenzen in der öffentlichen Verkündigung eingeführt. Schließlich würde der Auftrag der Ordination von der Berufung aller Christ*innen ununterscheidbar. Als Konsequenz fordert Wenz, dass nur Ordinierte die öffentliche Wortverkündigung im vollen Sinne ausüben.319 Die Vorsitzende des theologischen Ausschusses der VELKD Wendebourg greift in ihrem Sondervotum die benannte Dimension Einheitlichkeit auf und problematisiert, dass Prädikant*innen zwar den Auftrag zur Wortverkündigung bzw. Sakramentsverwaltung erteilt würde, jedoch jene nicht ordinationswürdig seien: „Was auf diese Weise entsteht, ist die Abstufung 317 Lutherisches Kirchenamt der VELKD 2012, S. 4. 318 Wenz 2005. 319 Vgl. Wenz 2005.

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zwischen einem clerus maior und einem clerus minor, die die Einheit des von der Aufgabe der öffentlichen Verkündigung her definierten Amtes im theologischen Kern auflöst.“320 Dagegen votiert Wilckens strikt gegen eine Ableitung des kirchlichen Amtes aus dem Priestertum aller Gläubigen. Er betont, das kirchliche Amt sei in Form des Pfarramts als bleibendes Gegenüber zur Gemeinde gesetzt. Von daher lehnt er das VELKD-Papier und seine umfassende Legitimation der Sakraments- und Wortverwaltung durch Nicht-Ordinierte ab, denn dies widerspräche dem lutherischen Bekenntnis.321 Er [der Dienst des kirchlichen Amtes] unterscheidet sich daher von allen übrigen Diensten […] sein besonderer Dienst ist wesenhaft anderer Art, sofern er nicht zu den vielerlei Diensten zählt, die durch den allen in der Taufe gegebenen Geist zugeteilt werden, sondern durch besondere Berufung Jesu Christi und entsprechend durch besondere geistliche Bevollmächtigung in der Ordination zugeteilt wird. Bei aller Gleichheit des geistlichen Charakters besteht ein qualitativer Unterschied darin, dass die Pfarrer wie Apostel von Christus selbst dazu berufen und bevollmächtigt sind, in ihrem Wirken an Christi Statt zu wirken.322

Der reformierte Theologe Körtner bezieht in der Diskussion eine Art Zwischenposition. Zwar favorisiert er stärker eine Ableitung des kirchlichen Amtes aus dem Priestertum aller Gläubigen, bewertet aber den Vorschlag der VELKD als „theologisch untauglichen Versuch.“323 Der VELKD-Ansatz lasse die theologische Ernsthaftigkeit vermissen, da die Modifikation des Zugangs zum Dienst am Evangelium allein von Sparmaßnahmen getrieben sei und es so unintendiert zum Relevanzverlust des Theologiestudiums, der theologischen Fakultäten etc. kommen könne.324 Insbesondere Körtners Standpunkt belegt, dass die Fragen nach Ordination, kirchlichem Amt und Berufung je auch innerhalb moderner, professionalisierter Beruflichkeit von Theolog*innen entfaltet werden. Wird Ordination bzw. Vokation und kirchliches Amt bzw. Priestertum aller Gläubigen thematisiert, geschieht dies immer auch vor dem Hintergrund der kirchlichen Arbeitsteilung. Brandt nimmt die arbeitsteilige Ausdifferenzierung in der Kirche zum Ausgangspunkt und kommt zu dem Schluss, dass die Unterscheidung der ordnungsgemäßen Berufung nach CA XIV eine Chance sei, um den komplexer werdenden kirchlichen Verhältnissen Rechnung zu tragen.325 Auch Neebe hält die Diversifizierung der kirchlichen Dienste und entsprechenden Berufungsvarianten für möglich. Denn im Anschluss an Härle und Goertz326 320 321 322 323 324 325 326

Wendebourg 2004, S. 20. Vgl. Wilckens 2006, S. 42. Wilckens 2006, S. 41. Körtner 2005, S. 30. Vgl. Körtner 2005, S. 29. Vgl. Brandt 2001, S. 250. Goertz 1997; Härle 1996.

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versteht sie CA V als allgemeinen Ruf zum Dienst am Evangelium, dem sei CA XIV nachrangig (geordnete Form des kirchlichen Amts) beigefügt.327 Die Debatten um den VELKD-Prozess328 belegen exemplarisch, dass mit der Rechtfertigung ehrenamtlicher Tätigkeit mittels Priestertums aller Gläubigen auch stets zentrale pastoraltheologische Fragestellungen aufgeworfen werden. Sowohl die Regelungen zum kirchlichen Amt bzw. dem entsprechenden Personal als auch die Beziehung zwischen Priestertum aller Gläubigen und kirchlichem Amt haben weitreichende Implikationen für die allgemeine Sozialgestalt der Kirche, aber auch die kirchendienstrechtliche Konkretion. Die vorhergehenden Ausführungen demonstrieren, dass die Argumentationsfigur Priestertum aller Gläubigen immer auch die spezifische Bestimmung der Relation zum kirchlichen Amt und dessen Inhalt erfordert. Will sagen, wird das Priestertum aller Gläubigen zum Anschlusspunkt für ehrenamtliches Engagement, wird auf diese Weise auch immer der kirchliche Auftrag und das Verhältnis zu anderen kirchlichen Tätigkeitsbereichen mitgesetzt. Das Priestertum aller Gläubigen nimmt so eine Vielfalt von freiwilligen, ehrenamtlichen Tätigkeiten (Lektor*innen, nichtordinierte Synodale usw.) aber auch andere hauptamtlich Mitarbeitende in den Blick. Im Diskussionsprozess „Ordnungsgemäß berufen“ konnte diese Komplexität an unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen, die an der Kommunikation des Evangeliums teilhaben, nicht bewältigt werden, man behalf sich mit der Beschränkung darauf, für die Personengruppen eine Klärung herbeizuführen, die den Verkündigungsauftrag auf der Grundlage einer spezifisch theologischen Fachkompetenz wahrnehmen, wie sie zur selbständigen Auslegung des Evangeliums – insbesondere im Gottesdienst – notwendig ist. Davon zu unterscheiden ist die musikalische, didaktische oder diakonische Fachkompetenz anderer kirchlicher Berufsgruppen. Es erscheint sinnvoll, diese verschiedenen Formen der Berufung in ihrer jeweiligen Eigenständigkeit zu bewahren.329

Mittels solcher Einschränkungen wird eine Regelung ermöglicht. Aber ausgehend von der komplexen Arbeitswelt in der Kirche ist fraglich, ob diese Unterscheidung bzw. der Ausschluss von beispielsweise Gemeindepädagog*innen, Diakon*innen oder Religionspädagog*innen der kirchlichen Praxis gerecht wird. Kann für diese Berufe wirklich konstatiert werden, dass für ihre Aufgabenerfüllung keine spezifisch theologische Kompetenz notwendig sei? Neebe problematisiert die Über-Setzungsschwierigkeiten zwischen kirchenrechtlichen Einteilungen, bekenntnisgeprägten Begriffe und gegenwärtiger kirchlicher Praxis: 327 Vgl. Neebe 2001, S. 74ff. 328 Dabei wären ferner berücksichtigenswert: Conring 2009; Dittmer 2009; Jüngel 2005; Herbst 2000; Müller 1999; Müller 2006; Sparn 2005; Wischmeyer 2005. 329 Lutherisches Kirchenamt der VELKD 2012, S. 5.

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Fraglich ist […] schließlich auch, ob und wie die heute notwendig gewordenen vielfältigen funktionalen Differenzierungen der Aufgaben ordinierter Amtsträger sowie der haupt- und ehrenamtlich Tätigen als Ausformungen des einen Dienstes am Evangelium verstanden werden können.330

Im vorherigen Abschnitt wurde bereits auf die Missklänge zwischen Amts- bzw. Ordinationsfragen und dem Priestertum aller Gläubigen mit den modernen arbeitsteiligen Verhältnissen hingewiesen. Daraus folgt, dass die Legitimierung ehrenamtlichen Engagements durchs Priestertum aller Gläubigen zumindest schwierig ist bzw. häufig in ihren vielfältigen Konsequenzen nicht zu Ende gedacht ist. Dennoch wird in den kirchlich-theologischen Ehrenamtsdebatten in vielen Artikeln, Einzelpublikationen sowie Themenheften331 zu allermeist auf dieses Motiv verwiesen. Die simpelste Variante Motivvariante ist die Gleichsetzung von Priestertum aller Gläubigen und dem freiwilligen Engagement. Die These „Ehrenamt ist in der Evangelischen Kirche gelebtes ‚Priestertum aller Gläubigen‘, wie es von den Reformatoren hervorgehoben wurde“332, ist ein Beispiel dieser Argumentationslogik. In den Evangelischen Aspekten wird in der theologischen Klärung im Themenheft Engagement die Gleichsetzung „Kirche ist Ehrenamt“333 vorgenommen. Die Differenzierung zwischen Laien und Klerikern in Form von hauptberuflichen Pfarrer*innen und ehrenamtlichen Mitarbeitenden habe eine immense Fehlentwicklung der Kirche angestoßen, die bis heute als sog. „Pastorenkirche“ fortbestünde. Dagegen beinhalte das reformatorische Konzept des Priestertums aller Gläubigen kritisches Potential gegenüber der Dominanz der Hauptberuflichen. Gärtner zeichnet das Bild von Kirche als neue Gemeinschaft der Gleichgestellten, die auf Grundlage des Priestertums aller Gläubigen ebenbürtig sind und als Haupt- und Ehrenamtliche einander dienten.334 Ähnlich verkürzt ist Heckels Haltung. Er subsumiert in seinen „19 Thesen zum Priestertum aller Gläubigen, Ehrenamt und Notwendigen Wandel“, dass „Der Vorstellung vom Priestertum aller Gläubigen […] heute eine bewusste Stärkung des Ehrenamtes“335 entspricht. Die dauerhafte Förderung sowie Unterstützung des freiwilligen Engagements sei Aufgabe der Pfarrer*in. Heckel definiert die Ordination als Ausdruck der funktionalen Aufgabenteilung, wobei er jedoch unterlässt, die komplexe soziologische Realität vieler verschie-

330 Neebe 2001, S. 78. 331 Themenhefte Ehrenamt erschienen bei Zeitzeichen, Evang. Aspekte, Praxis Gemeindepädagogik sowie Amt und Gemeinde. 332 Evangelische Kirche Hessen und Nassau. 333 Gärtner 2001, S. 47. 334 Vgl. Gärtner 2001, S. 47ff. 335 Heckel 2004.

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dener Kirchenberufe und die Unterscheidung von Vokation bzw. Ordination genauer zu klären.336 Auch die kirchlichen Richt- und Leitlinien zum Umgang mit freiwilliger Tätigkeit nehmen Bezug zum Priestertum aller Getauften. Ralf Hoburgs kenntnisreiche Zusammenstellung337 dieser kirchlichen Richt- und Leitlinien aus dem Jahr 2001 weist nach, dass diese meist zwischen 1990 und 1998 überarbeitet wurden. Dies kann als Hinweis für die gesteigerte Beschäftigung mit dem Thema gelten. Allen Richtlinien ist eine theologisch-exegetische Begründung vorangestellt.338 Hoburg analysiert, dass im allgemeinen unter Bezug auf 1 Kor 12 oder 1 Petr 2,9 bzw. das Priestertum aller Gläubigen über die Dienstgemeinschaft kirchlicher Mitarbeitender oder auch von der ehrenamtlichen Beteiligung am kirchlichen Auftrag gesprochen wird. Konfessionelle Unterschiede zeigten sich zwischen lutherischer und reformierter Theologie insofern, dass sich unierte bzw. reformierte Landeskirchen auf Calvin bzw. die Barmer Theologische Erklärung und die Vielfalt der Ämter bezögen. Im Kontrast dazu unterstrichen lutherische Auffassungen eher das eine Amt der Verkündigung. Insgesamt bestünden zwar konfessionelle Akzentuierungen339, jedoch fällt generell auf, „dass die Zuordnung ‚Amt und Ehrenamt‘ in den kirchlichen Leitlinien nur unzureichend geklärt ist und die Problematik der Zuordnung der Ämter sich mit dem Ehrenamt deutlich stellt.“340 Hoburg erkennt das Defizit „einer in gewisser Weise unklaren Zuordnung der Ämter in der Kirche, die das Ehrenamt den anderen ‚Diensten‘ in der Kirche unter den veränderten soziologischen und gesellschaftlichen Bedingungen zuordnet.“341 Der Systematiker Hans-Martin Barth pointiert die gemeinsame Sendung des Priestertums aller Gläubigen und des kirchlichen Amts, was eine Priorisierung des einen gegenüber dem anderen umgehe. Die kirchliche Sendung in die Welt nehme in den unterschiedlichen Diensten (Amt und Priestertum aller Gläubigen) Gestalt an, wobei aber stets das Priestertum aller Getauften zugleich Ausgangs-342 als auch Zielpunkt343 des Amts bleibe.344 Um das Priestertum aller Gläubigen in der Gegenwart als Ehrenamt wiederzugewinnen, sind nach Barth zwei Kriterien zu erfüllen. Erstens müsse die pastorale Identität jenseits von Allzuständigkeit neu definiert werden. Zweitens solle sich die Kirche auf die 336 337 338 339 340 341 342 343

Vgl. Heckel 2004. Hoburg 2001. Entweder beziehen sie sich auf 1 Kor 12,4–6 oder 1 Petr 2,9. Vgl. Hoburg 2001, S. 18. Hoburg 2001, S. 20. Hoburg 2001, S. 21. Kirchliches Amt konstituiert die Gemeinde wesentlich. Das Kirchliche Amt dient der möglichst breiten Verwirklichung des Priestertums aller Gläubigen. 344 Vgl. Barth 1990, S. 230.

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gegenseitige Angewiesenheit aller Personen aufeinander als Kern der christlichen Existenz besinnen.345 Würden diese Bedingungen erfüllt, könne das Priestertum aller Gläubigen als ehrenamtliches Engagement, was Grundlage und Ziel der kirchlichen Arbeit sei, wiedergewonnen werden. Im Weiteren ordnet Barth das kirchliche Amt dem Pfarrberuf und das Priestertum aller Gläubigen dem freiwilligen Engagement zu, wobei er direkt eingesteht, dass dies ein unterkomplexes Abbild der kirchlichen Arbeitswelt ist. Denn „durch die zunehmende Zahl von nicht-theologisch ausgebildeten hauptamtlichen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen kompliziert sich die Situation noch einmal.“346 Die Problemlagen bzw. theologischen Unklarheiten, die sich durch viele verschiedene (berufliche) Kirchenmitarbeitende ergeben, qualifiziert Barth als „großes und unklares Störelement des allgemeinen Priestertums“347, das er im Folgenden aber auch nicht zu lösen vermag. Foitzik zumindest beachtet die moderne kirchliche Arbeitsteilung und nimmt diese zum Ausgangspunkt. Er dreht in seiner Monographie „Mitarbeit in Kirche und Gemeinde“ die volkskirchliche Perspektive um: „Begründet werden muss nicht das Ehrenamt, sondern die ‚Hauptamtlichkeit‘ als berufliche, bezahlte und professionelle Ausweitung der ehrenamtlichen Arbeit.“348 Denn Ehrenamtlichkeit sei der Normalfall mündiger Gemeindemitglieder, der auch vom Priestertum aller Gläubigen her gefordert sei, aber strukturell kaum umgesetzt würde.349 Isolde Karle hingegen schätzt die zunehmende Ausdifferenzierung, Funktionalisierung und Professionalisierung der Gesellschaft und interpretiert Arbeitsteilung bzw. Aufgabenerfüllung durch die hauptberufliche Pfarrer*in als angemessene Konkretion des Priestertums aller Gläubigen, das den gemeinsamen Grund aller Christ*innen bilde.350 In der Nebeneinanderstellung wird offenkundig, dass Foitzik die gesellschaftlichen Modernisierungsprozesse mit den Phänomenen Rationalisierung bzw. Ausdifferenzierung für den kirchlichen Bereich nicht passend findet. Im Kontrast dazu ordnet Karle ihren Entwurf in die modernen Ausdifferenzierungsprozesse ein. Schließlich sei noch auf BreitKesslers/Vorländers Artikel „Ehrenamtliche in der Kirche – Wiederentdeckung – Zusammenarbeit – Begleitung“ hingewiesen. Ausgangspunkt der beiden ist die Ausdifferenzierung in haupt- bzw. nebenberufliche und auch freiwillige Tätigkeit, die in der Kirche als verschiedene Ämter erfüllt werden. Das Priestertum aller Gläubigen begründe die Gleichrangigkeit, aber nicht Gleichartigkeit aller Ämter und Personen. Bei vielen gemeindlichen Aktivitäten müssen Haupt- und 345 346 347 348 349 350

Vgl. Barth 1997, S. 7. Barth 1997, S. 8. Barth 1997, S. 8. Foitzik 1998, S. 20. Vgl. Foitzik 1998, S. 21. Vgl. Karle 2001b, S. 26 und Karle 2001a.

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Ehrenamtliche partnerschaftlich zusammenarbeiten, da beide Gruppen berufen und gebraucht würden.351 Schließlich benennt Herbst zwar die wichtige Stellung der Pfarrperson als „ein Katalysator für das Allgemeine Priestertum“352, wobei er mahnt: „Ich nenne es allerdings heute nur noch ‚einen‘ Katalysator, weil hier endlich die systematische Unterschlagung der anderen kirchlichen Berufe enden muss.“353 Die Anmerkung Herbsts über das Fehlen der anderen Berufsgruppen ist wichtig und richtig, jedoch fehlen entsprechende Konkretisierungen. Insgesamt bleibt beim Blick in die Ehrenamtsliteratur eine gewisse Unschärfe durch die häufig anzutreffende Unverbundenheit des Motivs Priestertum aller Gläubigen bzw. kirchlichem Amt mit den konkreten Arbeitsvollzügen in Ehrenamt, Pfarramt, haupt- und nebenberuflicher Arbeit. Sigrid Reihs zieht das präzise Fazit, dass eine (theologische) Auseinandersetzung mit dem Ehrenamt „zwangsläufig auch die Problematisierung des traditionellen Amtsverständnis in der Kirche“354 einschließe und die verschiedenen Arbeitsverhältnisse zu bedenken sind. Gerade die Professionalisierungs- bzw. Ausdifferenzierungsprozesse, die zu vielen Arbeitsbereichen mit unterschiedlichen hauptberuflichen Mitarbeitenden geführt haben, zeigen an, dass einfache Zuteilungen (Priestertum aller Gläubigen = Ehrenamt, Kirchliches Amt = Pfarrberuf) nicht möglich sind.355 Hauschildt systematisiert dieses Nebeneinander als ein „Viererfeld“356, in dem Priestertum aller Gläubigen und ordiniertes Amt auf einer Ebene liegen sowie ehrenamtliche und berufliche Arbeit. Die Aspekte nebeneinander stehen in einem theoretisch-konzeptionellen Zusammenhang, wobei Gleichsetzungen zwischen den beiden Ebenen nach Hauschildt stets problematisch sind. Das Bilden von einfachen Entsprechungen bzw. Gleichsetzungen vereinfache die komplexen Ausdifferenzierungen der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt holzschnittartig und könne die vielfältige kirchliche Arbeits- bzw. Berufspraxis357 nicht nachbilden. Das theologische Motiv Priestertum aller Gläubigen veranschaulicht die Relevanz pastoral- und amtstheologischer Fragestellungen im Zusammenhang der Bestimmung freiwilliger Arbeit. Ferner wäre bei Aufnahme des Priestertums aller Getauften auch der Kontext der lutherischen Ständelehre, des „Berufs“ bzw. der vocatio der Christen in Welt und Kirche zu eruieren. In der 351 352 353 354 355

Vgl. Breit-Keßler und Vorländer 2008, S. 227. Herbst 2017, S. 10. Ebd. Reihs 2001, S. 14. Dabei ergeben sich im reformierten Bereich mit den unterschiedlichen Ämtern, die alle dem einen Auftrag dienen (Dienst), eigene Problemstellungen. Beispielsweise wäre das Verhältnis zwischen dem Auftrag aller Christ*innen und den unterschiedlichen Amtsträger*innen näher zu qualifizieren. 356 Hauschildt 2013a, S. 394. 357 Dabei sind die Kategorien haupt- und nebenberuflich, aber auch mit oder ohne Ordination bzw. Vokation (z. B. werden in EMK Gemeindepädagog*innen ordiniert) von Relevanz.

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Engagementdebatte wird zwar sowohl qualitativ als auch quantitativ diese Argumentationsfigur rezipiert, jedoch meist ohne ausreichende Berücksichtigung der Implikationen. Dies verhindert, dass das Motiv sein transformatives Potential zur Geltung bringen kann. Vielmehr werden mit der Referenz Priestertum aller Gläubigen oft gefestigte kirchliche Strukturen reproduziert. Insgesamt wird in den kirchlich-theologischen Ehrenamtsdebatten in der Regel eine der benannten Diskurslinien aufgenommen. Unter Rückgriff auf das (verkürzte) reformatorische Erbe des Priestertums aller Gläubigen wird dies meist ohne weitere Begründung legitimiert.

1.2.2 Ehrenamt als Praxis der Charismen In den paulinischen Schriften ist die Organisation der Gemeindeleitung nur eine Facette […]. Folgt man den anerkannt echten Briefen, steht sie auch nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit. Wichtiger ist einerseits die Konzentration auf den Dienst des Apostels […], andererseits auf die Charismen und ihr Zusammenwirken. Sowohl im Ersten Korintherbrief (1 Kor 12–14) als auch im Römerbrief (Röm 12,3–8) hat Paulus die Gnadengaben betont, wo es um die Vitalität des ‚Leibes Christi‘ und den Aufbau der Gemeinde geht.358

Das ntl. χάρισμα ist nach Käsemann in der paulinischen und nachpaulinischen Theologie der Terminus, mit dem das Wesen und die Aufgabe aller kirchlichgemeindlichen Tätigkeiten qualifiziert wird. Diese sind alle aus der einen Gnade Gottes herzuleiten und damit Gnadengaben oder Geschenke, die „Manifestation und Konkretion“359 der einen göttlichen gnadenhaften Zuwendung Gottes sind. Eine Gnadengabe wird durch den Geist vermittelt und gibt Anteil am Wirken Gottes bzw. Jesu: „Denn es gibt keine göttliche Gabe, die nicht zugleich Aufgabe wäre, keine Gnade, die nicht aktivierte.“360 Paulus stellt mit seinem Charismenverständnis dem institutionalisierten Amt etwas entgegen, denn seine Absicht war es nicht, „die Ordnung der Kirche unter das Kriterium eines faktisch Geltenden und Vorfindlichen zu stellen.“361 Bei den Pastoralbriefen hingegen ist der Impuls der gnostisch-enthusiastischen Bedrohung durch fest installierte Ämter mit Ordinationsverpflichtungen Stabilität entgegenzusetzen.362 Das paulinische Charismenverständnis formiert eine flexible und anpassungsfähige

358 359 360 361 362

Söding 2014, S. 393f. Käsemann 1964, S. 110. Käsemann 1964, S. 111. Käsemann 1964, S. 126. Vgl. Käsemann 1964, S. 110ff.

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Gemeindeordnungsform, die deshalb auch in den aktuellen363 Debatten ums freiwillige Engagement in Kirche und Diakonie rezipiert wird. Die paulinische Darlegung der Charismen (1 Kor 12,1–11 und Röm 12,1–8) wird in der Weise interpretiert bzw. aktualisiert, dass freiwilliges Engagement die Möglichkeit der Praxis der Charismen darstelle. Die EKD-Dokumentation „Ehrenamtliche Mitarbeit in der Kirche“ aus dem Jahr 1994 versammelt unterschiedliche landeskirchliche Texte bzw. Regelungen bezüglich Rahmenbedingungen (wie Versicherungen oder Auslagenerstattung) ehrenamtlichen Engagements. Die Publikation nimmt explizit den Diskurs Professionalisierung auf und argumentiert im grundlegenden Beitrag „Zum gegenwärtigen Stand der Diskussion um Ehrenamtlichkeit“ auch theologisch. Einleitend wird das Schriftzitat „Es sind verschiedene Gaben; aber es ist ein Geist. Und es sind verschiedene Ämter; aber es ist ein Herr. Und es sind verschiedene Kräfte; aber es ist ein Gott, der da wirkt alles in allen.“ (1 Kor 12,4–6) vorangestellt und auf freiwilliges Engagement appliziert. Demnach sollen so viele Christ*innen wie möglich aktiv die Kirche gestalten, denn diese ehrenamtliche Beteiligung ermögliche die Ausübung der geistgewirkten Charismen. Ferner sei das freiwillige Engagement eine gute Ergänzung und mögliche Kontrollinstanz gegenüber 363 In der politisch-gesellschaftlichen Diskussion werden immer wieder charismatische Führungspersönlichkeiten debattiert; so heißt es beispielsweise über den russischen Staatspräsidenten: „Er ist Jäger, Angler, Drachenflieger, Eishockeyspieler und so weiter. Wladimir Putin gibt sich als charismatischer Herrscher.“ (Schimmang 2015). Das Konzept vom charismatischen Parteiführer bzw. Politiker geht maßgeblich auf Max Weber zurück und findet von da aus Eingang in die Debatte. Weber unterscheidet in seiner Herrschaftstypologie zwischen traditioneller, legal-bürokratischer und charismatischer Herrschaft. Weber definiert: „‚Charisma‛ soll eine als außeralltäglich […] geltende Qualität einer Persönlichkeit heißen, um derentwillen sie als mit übernatürlichen oder übermenschlichen oder mindestens spezifisch außeralltäglichen, nicht jedem andern zugänglichen Kräften oder Eigenschaften [begabt] oder als gottgesandt oder als vorbildlich und deshalb als ‚Führer‛ gewertet wird.“ (Weber 2002, 140.) Die charismatische Führergestalt leitet auf Grund von Ausstrahlung und muss sich nicht an bürokratische Verfahrensregeln halten. “Few terms in the sociological canon are as popular as ‘charisma’ yet the history of this elusive term remains obscure. Weber’s pioneering role is common knowledge, but little else is widely known. That Weber adapted the vocabulary of ‘the charismatic’ from the Lutheran jurist Rudolf Sohm (1841–1917), who in turn revived the heritage of Paul’s epistles to the Corinthians, is data incognita for most sociologists. Talcott Parsons, for example, twice said that Weber invented the word charisma himself.” (Smith 1998, S. 34.) Der Kirchenjurist und Historiker Rudolph Sohm konstatiert, dass in der frühen Kirche keine rechtliche (Amts-) Struktur, sondern vielmehr eine charismatische Organisationstruktur bestanden habe. Das Kirchenrecht habe sich nur zugunsten des Verlusts der charismatischen Struktur ereignet. Die Sohm’sche Vorstellung, dass das Charisma ein unverfügbares durch Gott gegebenes Geschenk sei (Gnadenwirkung), das der christlichen Gemeinde dient, wird in den Grundzügen von Weber aufgenommen. (Vgl. Sohm 1892.) Charismatische Herrschaft ist demnach keine persönlich erworbene Eigenschaft oder der eigene Herrschaftswille, sondern eine unverfügbare Gnadengabe.

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dem beruflich ausgeübten Pfarramt. Wie sich diese unverfügbaren geistgewirkten Charismen ferner zu gegenwärtiger bezahlter bzw. nicht-bezahlter oder ehrenamtlicher Arbeit verhalten, bleibt unklar. Die Autorin konstatiert, dass „das Nachdenken über Ehrenamtlichkeit […] somit das Amtsverständnis in der Kirche generell“364 berührt, jedoch seien die Fragen des Amtsverständnisses nicht an dieser Stelle zu klären. Jedoch wird deutlich, indem Kontrolle bzw. Ergänzung des (Haupt-)Amts durch das Ehrenamt propagiert wird, sollen organisationsimmanente Machtproblematiken durch die Implementierung freiwilliger Mitarbeitender abgeschwächt werden. Unterdies wird die Praxis der Charismen in verengender Manier auf freiwillige Tätigkeiten reduziert, was die Tätigkeit von Pfarrer*innen bzw. anderen beruflichen Mitarbeitenden von der Praxis der Charismen exkludiert.365 Etwas allgemeiner spricht der Brennpunkt Gemeinde Studienbrief „Das Ehrenamt zwischen Tradition und Innovation- vom Helferdienst zum selbstbestimmten Engagement“ von Begabungen im Menschen, die nach Entfaltung streben. Die Autor*innen Oppermann-Zapf/Bürger differenzieren erstens schöpfungstheologisch begründete Begabungen, die allen Menschen qua Geschöpflichkeit zukommen und zweitens geistgewirkte Charismen (Röm 12; 1 Kor 12–14; Röm 6,23; 1 Petr 4,10). Die Charismen sind als „Gottes Gaben an einzelne Menschen, die […] durch den Glauben an Christus – wie in einem Magnetfeld die Eisenspäne – geordnet und zusammengebracht“366 werden. In ihrer klaren Ausrichtung in gegenseitiger Angewiesenheit, Beschränkung und Verantwortung auf die christliche Gemeinde seien die pneumatologisch gewirkten Gaben unzweifelhaft von den schöpfungsmäßigen Begabungen zu trennen. Oppermann-Zapf/Bürger bringen eine spezifisch „geistliche Seite des Ehrenamtes“ zur Sprache: Dieser spirituelle Aspekt des freiwilligen Engagements ist die glaubensvolle Deutung der eigenen Begabung bzw. Kenntnisse als pneumatologisch gewirkte Charismen und damit dem Ruf ins allgemeine Priestertum aller Glaubenden. Die Autor*innen des Studienbriefs resümieren, dass die biblisch-theologischen Ausführungen zwar Impulse für den Umgang mit Ehrenamt geben, jedoch sei die schlüssige Verknüpfung von Ehrenamt und Priestertum aller Gläubigen eine noch ausstehende Aufgabe.367 Die möglichen Widersprüche, die durch die Motivkombination Charismen und Priestertum aller Gläubigen erwachsen, werden nicht weiter bearbeitet, was aber durchaus herausfordernd wäre. 364 Arbeitsgemeinschaft der Frauenbeauftragten/Frauenreferate in den Gliedkirchen der EKD 1994, S. 3. 365 Vgl. Arbeitsgemeinschaft der Frauenbeauftragten/Frauenreferate in den Gliedkirchen der EKD 1994, S. 3. 366 Oppermann-Zapf und Bürger 2000, S. 8. 367 Vgl. Oppermann-Zapf und Bürger 2000, S. 6.

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Auf Grundlage ihrer These, dass biblische Gemeindebilder stets kooperative Bilder (wie z. B. οίκος του Θεού, ein Leib mit vielen Gliedern oder die Heiligen) sind, lehnt die reformierte Theologin Palsma das klassisch gewordene Gegenüber von Laien und Ordinierten ab. Denn laut Palsma sind alle Christ*innen berufen sowie charismatisch begabt (Eph 4,1–11; 1 Petr 2,4f.9.10) und alle Glieder wirken in den jeweiligen Verantwortungsbereichen für den einen Leib Christi mit. Da allen Christ*innen Gaben zukommen, sind auch Ehrenamtliche, nicht nur Ordinierte und/oder bezahlte Mitarbeitende, zum Dienst am Leib Christi ermächtigt368: „The responsibility to build up the body of Christ falls to the many who are both gifted and equipped for ministry.“369 Dienstbedingung sei neben der Begabung auch die Ausstattung, womit Palsma auf die Ausbildung der Mitarbeitenden verweist, die diese befähigt, gemeinsam Verantwortung für die Kirche übernehmen zu können. Palsma favorisiert mit dem Charismenmotiv eine dynamische Gestaltung der kirchlichen Arbeitswelt, die Chancen zur Charismenpraxis aller Christ*innen gibt und ggf. die moderne kirchliche Arbeitsteilung mit Experten bzw. stark ausdifferenzierten Arbeitsfeldern in den Hintergrund treten lässt. Anschließend an Palsmas Grundideen, wäre die praktische Konkretion des Zusammenspiels zwischen Hauptberuflichen und ehrenamtlich Engagierten zu spezifizieren. Wird in der Engagementdiskussion mit dem Motiv Charisma argumentiert, ergibt sich häufig eine große Nähe zu Begabung oder Kompetenz. Baumert kommt in seiner empirischen Untersuchung charismenorientierter Ansätze in der Arbeit mit freiwilligen Mitarbeitenden in der badischen Landeskirche zu dem Schluss, dass in vielen praktisch-theologischen Publikationen die Geistesgaben terminologisch sehr nah an den Kompetenzbegriff heranrücken.370 „Fast durchweg [liegt] ein schillerndes Charismenverständnis bzw. – angesichts der unterschiedlichen verwendeten Synonyme – eine gewisse Sprachverwirrung

368 Vgl. Palsma 2001, S. 45. 369 Palsma 2001, S. 52. 370 Der katholische Theologe Alter nähert in seinem Entwurf allgemein-menschliche, d. h. „natürliche“ Begabungen und die geistgewirkten Charismen aneinander an. Insgesamt sei das Ehrenamt an den Begabungen bzw. Charismen der Gemeindeglieder auszurichten. Eine kirchengemeindliche Arbeitszuteilung nach organisationalen Erfordernissen (z. B. Erhalt eines Seniorenkreises) sei vollkommen unangebracht. „Die Organisation des Ehrenamtes durch die Zuweisung von Zuständigkeitskompetenzen ist ohnedies mehr ein Erbe des Preußischen Reiches als ein Teil der christlichen Tradition.“ (Alter 1999, S. 135.). Mit dem naturrechtlichen Grundsatz, dass die Gnade der vorausgehenden Natur bedürfe, argumentiert Alter, dass die alltäglichen, natürlichen Kompetenzen bzw. Begabungen den Entfaltungsraum der geistgewirkten Charismen benötigen. Ein Perspektivwechsel hin zur Kompetenzorientierung in den Gemeinden sei an der Zeit. (Vgl. Alter 1999, S. 136.) Kritisch anzumerken ist, dass auch an dieser Stelle der typischerweise vernachlässigte Zusammenhang der hauptberuflich Tätigen als charismatisch Begabte fehlt.

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vor.“371 Baumert selbst definiert die göttliche Berufung bzw. Begabung zum kirchlichen Engagement als Charisma, das in die trinitarische Struktur von Schöpfung, Erlösung und Heiligung eingefügt ist. „Natürliche“ Begabungen und Charismen könnten nicht unterschieden werden, denn beide seien schöpfungsgemäß angelegte Fähigkeiten, die sich prozessual in der Gemeinde unter der Begleitung von Hauptamtlichen entfalten.372 Ohne die „Entwicklung des Ehrenamtes“373 sei die charismatisch-trinitarische Vorstellung einer Beteiligungskirche nicht zu realisieren. Sehr gelungen ist Baumerts Klärung der Relation von Begabung und Charisma. Dennoch bleibt der Zusammenhang von Charisma und hauptberufliche Anleitung bzw. auch ekklesiologische und amtstheologische Fragen noch offen. Hofmann meint, drei theologische Motive374 eigneten sich zur theologischen Fundierung des Ehrenamtes. Wird das biblische Charismenmotiv bedacht, sei unbedingt das Ziel des Gemeindeaufbaus zu berücksichtigen.375 Die Ergebnisse des bundesweiten Freiwilligen-Surveys, insbesondere die Engagement-Motive, seien Anknüpfungspunkt für die theologische Rede von den Charismen. Denn bei der freiwilligen Mitarbeit könnten Menschen neue Seiten an sich selbst entdecken. Dies sei geistgewirktes Geschehen, denn der Geist Gottes leitet Menschen dazu, Neues zu wagen und neue Aspekte an sich und in ihrem Leben zu entdecken. Auf diese Weise interpretiert sie die Bereitschaft, sich zu engagieren als eine Geistesgabe.376 Hofmann leistet eine aussagekräftige theologische Begründung des Arbeitsbereichs Ehrenamt, wobei jedoch auch sie das Problem des hauptberuflichen Charismas noch nicht beantwortet hat und damit nur einen Teil der kirchlichen Arbeitsbereiche legitimiert hat. Abschließend wird der umfassende systematisch-theologische Vorschlag des Lutheraners Kärkkäinen nachvollzogen. In „The calling of the whole people of God into ministry: The spirit, church and laity“ nimmt der Autor an, dass das ganze Volk Gottes in den Dienst gerufen sei. Die charismatische Struktur der Kirche sei die notwendige Vorbedingung der Lehre vom Priestertum aller Gläubigen. Die Geistesgaben und die Gemeinde gehörten ferner untrennbar zusammen. Die Verwobenheit von Begabung und Gemeinschaft werde an folgenden vier Aspekten einsichtig: Interdependenz der Charismen, Diversität der Charismen, nicht festgelegte Zahl der Charismen und Begabung jedes Einzelnen durch den Heiligen Geist. Die unterschiedlichen Begabungen bzw. Charismen führten in der Gemeinde in ein Beziehungsgefüge (von gegenseitigem Dienst und 371 372 373 374 375 376

Baumert 2013, S. 269. Vgl. Baumert 2013, S. 269. Baumert 2013, S. 272. Priestertum aller Gläubigen, Charismen und Nächstenliebe bzw. gute Werke. Vgl. Hofmann 2012, S. 340. Hofmann 2009, S. 4.

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Angewiesenheit) hinein. Die Relationalität der Charismenpraxis in der Kirche sei trinitätstheologisch begründet, denn mit der charismatischen Kirchenstruktur entspricht sie als Beziehungsgeflecht der Trinität Gottes selbst. Letztendlich verlangt Kärkkäinen unter Verweis auf Volf und Moltmann die „ecclesiologies and the theology of laity“377 zu beschreiben. Unter Berücksichtigung der charismatischen bzw. trinitarischen Grundstruktur der Kirche könne endlich die Bipolarität von Amt und Gemeinde überwunden werden.378 Kärkkäinens Ansatz weiß das Charismenmotiv theologisch so zu differenzieren, dass es tatsächlich mit der sozialen Praxis der Kirche ins Gespräch kommt. Um dann tatsächlich freiwillige Arbeit in der Kirche zu präzisieren, wären im Anschluss an Kärkkäinen die organisationspraktischen Fragen hinsichtlich Arbeit bzw. Lohnarbeit zu eruieren. Insgesamt verschmilzt in der kirchlich-diakonischen Ehrenamtsdiskussion das Motiv Charismen mit den Termini Kompetenzen und Begabungen. Den Vorschlägen der Literatur folgend können diese unter Anleitung eines Freiwilligenmanagements ausgeübt werden oder als mögliche Alternativen für berufliche Arbeit in der Kirche angesichts sinkender Finanzen installiert werden. Die vorgestellten Beispiele und die entsprechenden Argumentationsweisen demonstrieren, dass das Charismenmotiv in der Regel im Kontext eines geordneten sozialen Raums (Ortsgemeinde), in dem feste Erwerbsberufe und organisationale Strukturen etabliert sind, verwendet wird. Die Charismen in Form des Ehrenamts sollen innerhalb dieser Strukturen eingebracht werden; nur selten wird für eine größere Flexibilität der Organisation votiert. Insgesamt bleiben die Fragen nach Charisma und seiner Realisierung innerhalb lohnabhängiger Strukturen (v. a. Pfarrberuf) unbeantwortet. Die Wechselbeziehungen zwischen charismatischer Begabung und der festgefügten Amts- sowie Berufsstruktur bzw. die soziologische Gestalt der Gemeinde in Relation zu geistgewirkten Begabungen sind noch offen.379

1.2.3 Ehrenamt als Nächstenliebe und Nachahmung diakonischer Vorbilder In diakoniewissenschaftlicher Perspektive bzw. in Publikationen mit dem Fokus auf diakonische Arbeitsfelder wird ehrenamtliches Engagement als praktische Nächstenliebe bzw. als Nachahmung des vorbildhaften Verhaltens diakonischer Gründerfiguren interpretiert. In dieser Argumentationslogik wird freiwillige

377 Kärkkäinen 2000, S. 153. 378 Vgl. Kärkkäinen 2000, S. 150. 379 Vgl. z. B. Bergmann 2010, S. 1; Fischer 2004, S. 116.

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Mitarbeit als zeitgemäße Praxis der Nächstenliebe und als Imitation der diakonischen Vorbilder interpretiert. Angeregt durch die sozialen Verwerfungen, ausgelöst durch den tiefgreifenden industriellen Wandel im 19. Jh., ereignete sich ein diakonischer Aufbruch, der die Gründung von Einrichtungen der Inneren Mission (z. B. Rauhes Haus/ Wichern) und die Etablierung von Mutter- und Brüderhäusern auslöste. In diesen Häusern vereinigten sich sog. Schwestern bzw. Brüder, die im Namen Christi das Ideal des Dienstes aneinander und an den Armen teilten. Die Glaubens-, Lebens- und Dienstgemeinschaft verband das ganze Leben der Mitarbeitenden bzw. Mitglieder in den Gemeinschaften.380 Das Gleichnis vom Weltgericht (Mt 25,31–46) und das Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lk 10,30– 35) sind die vornehmlichen biblischen Referenztexte dieser Bewegung. Die eschatologische Weltgerichtsszene aus Mt 25 berichtet vom Menschensohn, der das Endgericht führt. Sein Urteil über Heil bzw. Unheil ist abhängig von den getanen Liebeswerken gegenüber den Marginalisierten, mit denen sich der Menschensohn selbst identifiziert. Auch das Gleichnis vom Hilfehandeln des Samariters berichtet von tätiger Nächstenliebe. Dem Verletzten, der am Wegesrand liegt, wird weder durch einen Priester noch durch einen Leviten, sondern durch den kulturell-religiös nicht zugehörigen Samariter mit großem Einsatz geholfen. Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter ist der entscheidende Referenztext evangelischer Diakonie. Der Rückgriff auf Lk 10 geschieht stets mit einer ethischen Auslegung, denn die Parabel verpflichte, wie Bovon paradigmatisch formuliert, „die Gläubigen zur Praxis der Barmherzigkeit. Sie drückt also klar das zweite Gebot aus, die Liebe zum Nächsten, […] und dient dem nächsten Abschnitt, der Episode von Martha und Maria (10,38–42), dem Kommentar zum ersten Gebot, der Liebe zu Gott, als Pendant.“381 Die Samariter-Parabel bzw. das Nächstenliebemotiv wird v. a. in der diakonischen Literatur und Selbstbegründung verarbeitet. Indem ehrenamtliche Mitarbeit und die entsprechenden Gleichnisse verbunden werden, wird freiwillige Mitarbeit bzw. Unterstützung als Ausdruck der christlichen Nächstenliebe und auch die solidarische, mitleidende Hilfe am Vorbild Christi verstanden. Das Ehrenamt ermögliche das Mitleiden. In diesem Geist werden Nächstenliebe und Engagement verknüpft: „Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter […] ist die Urgeschichte des Ehrenamtes“382. Die ehrenamtliche Tätigkeit wird als Imitation des vorbildhaften Barmherzigen Samariters gedeutet.383 „Die Lehren des barmherzigen Samariters 380 381 382 383

Vgl. Turbe 2005, S. 385. Bovon 1996, S. 98. Bock 1998, S. 62. Vgl. Bock 1998, S. 61.

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für ehrenamtlich Engagierte“384 werden in einem Projekt der württembergischen Landeskirche verarbeitet. Ehrenamtliche Mitarbeitende sollten sich an den vom exemplarischen Handeln des Samariters abgeleiteten Handlungsschritten ausrichten. Durch „Hinschauen – Helfen – Abgrenzen – Kooperieren – Skandalisieren – Reflektieren“385 könne das freiwillige Handeln den Samariter nachahmen und auf diese Weise sein modellhaftes Verhalten aktualisieren. Die Stilisierung des vorbildhaften Samariters muss jedoch unbedingt begrenzt werden, denn viel zu oft wurden bzw. werden Ehrenamtliche durch die absolute Orientierung des Dienstes am Nächsten ausgenutzt. Hofmann mahnt folgerichtig, dass gerade bei der Rezeption des Doppelgebots der Liebe (Mk 12,31f.) neben der Gottes- und Nächstenliebe auch ganz besonders der Aspekt der Selbstliebe zu beachten sei: Der Blick auf die eigene Person, auch den eigenen Nutzen, ist bisher verpönt. Diese Spannung spiegelt sich auch in der kirchlichen Anerkennungskultur. Wertschätzung und persönliche Würdigung sind in einer Kirche, in der ‚mein Lohn ist, dass ich darf‘ und man sich ‚um der Sache willen‘ engagiert, nicht gut entwickelt bzw. schnell im Verdacht einer falschen Werkgerechtigkeit.386

An dieser Stelle ist schließlich anzumerken, dass die explizite Aufnahme des Motivs „gute Werke tun“ ggf. auch unter Bezug auf die Szene vom Gericht der Werke (Mt 25) im Protestantismus als Engagementbegründung nicht ausgeprägt ist.387 Indessen beglaubigen eigene diakonische Publikationen den Sinn des Engagements unter Bezugnahme auf Gründerväter bzw. Gründermütter der Diakonie wie beispielsweise Johann Hinrich Wichern388 oder Wilhelm Löhe389. Der ehrenamtliche Einsatz sei in diesem Sinne die Imitation des vorbildhaften Dienstes am Nächsten, zu dem sie von Christus berufen wurden. Dieses nachahmenshafte Tun der Leitfiguren wird aber v. a. zum Modell für die freiwillig Tätigen. Denn die beruflichen Mitarbeitenden sind durch den Wandel bzw. Wachstum diakonischer Einrichtungen und auch die zunehmende Einbindung in den Wohlfahrtsstaat stärker vom beruflich-professionellen als vom geistlichen Moment bewegt: Die berufliche Professionalität fand stärkere Berücksichtigung bei Anstellungen als die geistliche Prägung. […] So wurde eine Entwicklung eröffnet, die heute ein differen384 385 386 387

Hammer 2012, S. 21. Hammer 2012, S. 21. Hofmann 2012, S. 341. Nur einzig der Artikel von Löhr versteht „Das Ehrenamt als Ausdruck der Freiheit eines Christenmenschen“ (Löhr 1997, S. 206), der seinem Nächsten durchs Ehrenamt dient. 388 Unter Bezug auf Johann Hinrich Wichern wird für aktuelle diakonische Arbeit oder sozialreformerische Projekte geworben. So beispielsweise bei Strohm 1998 oder Herrmann 2010. 389 Vgl. Hofmann 2009.

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ziertes Bild der Zusammensetzung der Mitarbeiterschaften ergibt: Die einen sind vom christlichen Glauben geprägt und tun ihre Arbeit aus innerer Berufung. Sie wollen Mitarbeitende Gottes sein […] und verstehen ihre Arbeit als Dienst am Auftrag des Herrn Jesus Christus. Andere kommen in die diakonische Einrichtung, weil sie mit und für Menschen arbeiten wollen. […] Sie suchen die Mitarbeit in der Diakonie, weil sie sich für ein menschliches Gemeinwesen engagieren wollen.390

Mit dem Motiv Nächstenliebe wird in der Auseinandersetzung um ehrenamtliches Engagement die Hoffnung verknüpft, dass durch christliche Nächstenliebe die ambivalente Berufspraxis der Diakonie als professionalisierte Lohnarbeit überwunden werden könne. Freiwilliges Engagement wird als Chance verstanden, christlich-motivierte Nächstenliebe jenseits von starren Vorgaben der Erwerbsarbeit sowie zugehörigen Weisungsverhältnissen und Pflichten umzusetzen. Die Gleichsetzung von freiwilligem Engagement mit praktizierter Nächstenliebe ist insofern problematisch, da die diakonischen Einrichtungen große arbeitsteilige Organisationen sind, die auf einem Sozialmarkt agieren. Von daher können freiwillige Mitarbeitende nur zu einem gewissen Grad frei aus der Motivation Nächstenliebe heraus agieren, denn sie sind in ihrer Tätigkeit durch den organisationalen Rahmen diakonischer Einrichtungen beschränkt.

1.2.4 Exkurs: Gesamtdarstellungen zum Ehrenamt In der theologischen Auseinandersetzung um freiwilliges Engagement finden sich neben den Motiven nur drei Gesamtdarstellungen zum Ehrenamt, wovon zwei aus dem englischsprachigen Raum kommen. Im Folgenden werden ein englisch- und ein deutschsprachiger Entwurf knapp vorgestellt. Der US-amerikanische Protestant391 R. Paul Stevens legt mit „The Other Six Days. Vocation, Work and Ministry in Biblical Perspective“ seinen Gesamtentwurf zum Ehrenamt vor.392 Stevens widerspricht der Differenzierung in Laien 390 Turbe 2005, S. 385. 391 Evangelical. 392 Neben Stevens legt nur der bereits erwähnte baptistische Theologe William H. Brackney (Brackney 1997) einen englischsprachigen Gesamtentwurf vor. In „Christian Voluntarism“ werden biblisch-theologische Traditionen der Freiwilligkeit und der moderne Voluntarismus verbunden. Brackney nimmt die für die nordamerikanischen Gesellschaften sehr wichtige Organisationsform der freiwilligen Assoziationen auf und verbindet diese mit theologischen Argumenten. Im Sinne John Lockes sind ganz unterschiedliche freiwillige Versammlungen Grundlage der (US-amerikanischen) Gesellschaft und konstituieren eine freie, bürgerliche Gesellschaft. (Vgl. Locke 2013.) Als explizit theologische Argumente nennt er neben den zahlreichen einzelnen Bibelstellen insbesondere die baptistische Theologie und das Kirchenverständnis, der „voluntary theology of the church“ (Brackney 1997, S. 33),

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Gesellschaftliche und theologische Perspektiven

und Kleriker, die er in nahezu allen Kirchenentwürfen sämtlicher Denominationen ausmacht. Ausgehend vom ntl. λαὸς τοῦ θεοῦ entfaltet er die Vorstellung der Kirche als Volk Gottes, denn im Neuen Testament komme zwar dem κλῆρος eine leitende Funktion zu, wobei dieser stets Bestandteil des ganzen Volkes bleibe.393 Um seine These der rein funktionalen Trennung zu stärken, bezieht Stevens die sog. Tradition der „non clerical ministry in the Old Testament“394 ein. Diese beginne mit dem exilischen Ruf, „ein Königreich von Priester*innen und ein heiliges Volk“ (Ex 19,6) zu sein und setze sich bis zu Joels Vision der Ausgießung des göttlichen Geistes auf alles Fleisch (Joel 2,28–32) immer wieder durch. Zusammenfassend folgert Stevens: The overwhelming impression left by the Old Testament is not of an active priest and passive recipients of such vicarious ministry, but a rather covenantal ministering of people quite different from the surrounding nations. Early defence of the separated clergy often appealed to the priest-people distinction in the Old Testament. […] But in many ways churches have not even appropriated the many significant contributions to the whole-people ministry embodied in the older covenant. These include viewing Adam and Eve as priests of creation and prototypes for the human vocation; […] envisioning the servant of the Lord as the paradigm for ministry by the laos of God; […] and finally making covenant the relational basis of vocation, work and ministry.395

Durch das Kommen Jesu und die Geistausgießung schließlich werde Gottes Ruf ins Volk und die Befähigung aller universalgeschichtlich letztgültig erfüllt. Damit finde „the transformation of the Old Testament laos into a newly reconstituted people in which all minister“396 statt. Auf dieser Grundlage bildet Stevens sein ntl. Kirchenverständnis: Die Kirche ist Gemeinschaft von Prophet*innen, Priester*innenn usw. Alle Kirchen- bzw. Gemeindemitglieder haben Anteil an der Vollmacht bzw. Berufung zum wechselseitigen Dienst Gottes. Stevens wendet kritisch ein, dass beinahe alle gegenwärtigen Kirchenformen von diesen ntl. Leitperspektiven abweichen, da meist streng zwischen Laien und Klerus im Sinne von zwei strikt separierten Gruppen differenziert würde. Auch die Reformation habe diesen Missstand nicht vollständig beheben können.397 Im Kontrast dazu

393 394 395 396 397

die im Gegenüber zum Staat verfasst ist. Brackneys Ansatz entfaltet v. a. für die US-amerikanische Gesellschaft interessante Gedanken, wobei nämlich der Zusammenhang zwischen staatlicher Verfassung und den Erfahrungen der europäischen Religionsflüchtlinge wohl kaum von der Hand zu weisen sind. Dennoch hat Brackneys Entwurf für moderne, gesellschaftliche und kirchliche Organisationen, in denen sowohl hauptberufliche als auch freiwillige Mitarbeitende tätig sind, keinerlei Erklärungskraft. Vgl. Stevens 2000, S. 24. Stevens 2000, S. 34. Stevens 2000, S. 37. Stevens 2000, S. 38. Vgl. Stevens 2000, S. 30ff.

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bestimmt Stevens die Bilder398 vom Volk Gottes näher als sog. kooperative Bilder. Das heißt, die verschiedenen Personen bzw. Glieder, Materialien etc. sind eng miteinander verbunden. Außerdem zeichneten sich diese stets auch durch den unmittelbaren Bezug auf den einen Gott als Winzer, Vater, Haupt, Erbauer usw. aus. Der Autor schlussfolgert letztlich, dass die Unterscheidung zwischen Laien und Priestern unhaltbar sei. Sein eigener kirchentheoretischer Entwurf ist trinitarisch gestaltet, denn der eine Gott in drei Personen könne sich gleichermaßen in dem einen Volk Gottes nur trinitarisch verwirklichen. Im Anschluss an die kappadokischen Väter und die Lehre von Perichorese, der vollständigen gegenseitigen Durchdringung unter Fortbestand der Eigenheit der Personen, fordert Stevens die „perichoretic church“399. Die perichoretische Kirche charakterisiert er dreifach: Erstens alle Glaubenden sind in einer „cooperate inclusive personality“400 verbunden. Zweitens existieren keine Hierarchien zwischen den unterschiedlichen Diensten bzw. Ämtern. Drittens gehören alle Mitglieder des Volkes Gottes zusammen, brauchen und dienen einander. Ferner kommentiert Stevens, dass häufig berufliche Erwerbsarbeit und Berufung verwechselt würden. Jedoch sei die Berufung ins Volk Gottes ganz anderer Natur als berufliche Erwerbsarbeit, da sie nicht auf einen bestimmten (beruflichen) Teil des Lebens beschränkt sei, vielmehr umschließe sie das ganze Leben. Diese Berufung drückt sich als „communion with God, community building and co–creativity as vocation and ministry of the people of God (laos)“401 aus. Stevens primäres Zielpublikum sind die US-amerikanischen Freiwilligkeits- und Beteiligungskirchen, daher akzentuiert er die Ortsgemeinde und lehnt Ämter zugunsten von Gemeindefunktionen402 ab. Stevens beschließt seinen konzeptionellen Entwurf mit dem Lob der Laien403, denn nur diese könnten die besondere Aufgabe der Moderation zwischen Kirche und Welt übernehmen. Der Laie bzw. Ehrenamtliche spiegele die Zugehörigkeit zu beiden Welten (Volk Gottes als Gemeinde und säkularer (Arbeits-)Welt) und könne deswegen den ungebrochenen Dialog zwischen Kirche und Welt führen.404 Äußerst positiv hervorzuheben ist Stevens Versuch, biblisch-theologische Traditionen mit dem gegenwärtigen Kirchen- bzw. Amtsverständnis und einem modernen Beruf(ungs)verständnis ins Gespräch zu bringen. Durch den weiten 398 Ekklesia (1 Thess 1,1), Heilige (Apg 9,41; Eph 4,12), Auserwählte (1 Petr 1,1; Kol 3,12), Königliche Priesterschaft (1 Petr 2,9–11), Haus Gottes (1 Tim 3,15), Leib Christi (1 Kor 12,12–26), heiliger Tempel (Eph 2,21f.). 399 Stevens 2000, S. 63. 400 Stevens 2000, S. 63. 401 Stevens 2000, S. 101. 402 Zu diesen Funktionen, welche sich am Charakter sowie den Gaben des Berufenen orientieren, wird die Person durch die Gemeinde berufen. 403 Damit meint Stevens immer die nichtberuflich Mitarbeitenden. 404 Vgl. Stevens 2000, S. 72.

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Gesellschaftliche und theologische Perspektiven

Blick werden die ökumenischen Gemeinsamkeiten, d. h. die weithin akzeptierte Unterordnung der Nicht-Ordinierten bzw. Nicht-Bezahlten, augenfällig. Jedoch bleibt in seinem generalistischen Ansatz wenig Spielraum für konfessionelle Akzentuierungen sowie mögliche Anknüpfungspunkte405. Stevens Vision einer kirchlichen Gemeinschaft ohne Hierarchien ist ein Gegenmodell zu bestehenden Praxen und schließlich auch die Konsequenz seiner kritischen machttheoretischen Untersuchung kirchlicher Verhältnisse. Als kritische Anfrage muss sich Stevens gefallen lassen, ob die unterschiedenen kirchlichen Rollen mit den entsprechenden Einfluss- bzw. Machtfaktoren (Befugnisse, Lohn, Ressourcen etc.) wirklich durch das Aufstellen einer Gegenvision überwunden werden können. Außerdem wäre in Stevens Ansatz die ganze kirchliche Arbeitswelt mit all ihren hauptberuflichen Funktionen (nicht nur den Ordinierten) näher einzubeziehen. Ralph Fischers „Ehrenamtliche Arbeit, Zivilgesellschaft und Kirche. Bedeutung und Nutzen unbezahlten Engagements für Gesellschaft und Staat“ aus dem Jahr 2004 ist die einzige deutschsprachige Monographie, die sich aus kirchlichtheologischer Perspektive mit dem Phänomen Ehrenamt beschäftigt. Die Forschungsarbeit ist breit angelegt und greift sowohl grundlegende empirische Untersuchungen ehrenamtlicher Tätigkeit als auch verschiedene, prominente Theorien (Dritter Sektor, Zivilgesellschaft usw.) auf. Fischers Forschungsfragen sind: Wer (in der Kirche) hat Interesse an der Förderung ehrenamtlichen Engagements und wem in der Kirche nützt freiwillige Tätigkeit? Im Fazit beantwortet er dies und konstatiert, dass der größte Nutzen ehrenamtlicher Tätigkeit für die hauptberuflichen Mitarbeitenden, an zweiter Stelle für die freiwillig Engagierten, dann für die Nutzer*innen kirchlicher Angebote und schließlich für das Gemeinwesen entstünde.406 In einer Genealogie freiwilligen Engagements leitet Fischer dies aus der Antike über mehrere Zwischenschritte her. Beginnend mit dem Verhalten der Purpurhändlerin Lydia (Apg 16,18), die vorbildlichen ehrenamtlichen Einsatz gezeigt habe, geht Fischer ohne weitere Zwischenstationen auf drei für die Bestimmung des gegenwärtigen Ehrenamts wichtige Verordnungen ein. Diese einflussreichen Ordnungen seien die Ziegenhainer Zuchtordnung (1539), die Hamburger Armenordnung (1788) und schließlich die preußische Städteordnung (1808). Diese Verordnungen ließen die Beteiligungsidee klar erkennen und von daher räsoniert Fischer: Ehrenamtliches Engagement war ein wichtiger und unverzichtbarer Motor für die Entstehung einer Demokratie, weil die Partizipation der Bürger bzw. deren zuneh-

405 Z. B. Luthers Lehre vom Beruf oder das Priestertum aller Getauften. 406 Vgl. Fischer 2004, S. 206.

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mender Anspruch auf Beteiligung sich z. B. nicht auf den Bereich der Kommune oder Vereinstätigkeit beschränken ließ.407

Das Prinzip der Teilhabe sei in der neutestamentlichen Tradition des Leibes Christi (1 Kor 12) grundgelegt. „Auf jeden Fall aber waren und sind die Kirchen auf das freiwillige Engagement ihrer Mitglieder angewiesen, wenn sie den neutestamentlichen Aussagen entsprechen wollen.“408 Ferner begründet Fischer freiwilliges Engagement auch durchs Priestertum aller Gläubigen, kritisiert aber dessen Umsetzung vehement, da es „eine nicht selten anzutreffende andere Praxis des evangelischen ‚Klerus‘ und dessen oftmalige Duldung durch evangelische ‚Laien‘“409 gäbe. „Die radikale Ausweitung, die in der Priesterschaft aller Gläubigen intendiert ist, ist aufgrund ihrer politischen Dimension unter den freiwillig Engagierten der Kirchen nicht mehrheitsfähig.“410 Fischers zentrale Annahme ist, dass das Ehrenamt bzw. die biblische Tradition den Abbau von Machtungleichgewichten fordert, der aber durch die Vormachtstellung der bezahlten Kräfte nicht realisiert wird. Die mangelnde Umsetzung des Priestertums aller Gläubigen durchs Ehrenamt gefährde zunehmend die Glaubwürdigkeit der evangelischen Kirchen. Durch die bewahrerische Haltung der privilegierten Hauptamtlichen, (die ihre „Ordination als Joker“411 nutzen), und die paternalistischen Organisationsstrukturen würden entsprechende Reformen gebremst.412 Mit großer Skepsis begegnet Fischer den kirchlichen Strukturen, der Dominanz hauptberuflicher Mitarbeitender und den fehlenden Partizipationschancen. Die Darstellung Fischers regt Aufmerksamkeit für kirchliche Machtstrukturen bzw. Hierarchien und die Suche nach Teilhabegelegenheiten an. Jedoch benötigt eine vertiefte Debatte eine differenzierte theologische Argumentation. Die oftmals zu schnell vollzogene Identifikation ehrenamtlichen Engagements mit der ausstehenden Umsetzung der reformatorischen Einsicht des Priestertums aller Gläubigen ist auch in diesem Entwurf heikel. Außerdem zeigt auch Fischer die schwierigen Vereinnahmungstendenzen, wenn er alle hauptberuflichen Mitarbeitenden mit dem kirchlichen Amt, (ohne jedoch zwischen Ordinierten und Nicht-Ordinierten zu unterscheiden), ineinander setzt. Die Vielfalt der kirchlichen Arbeitswelt, die sich im Zuge sozialer Ausdifferenzierung gebildet hat, wäre in ihrer Fülle zu eruieren. Denn das vormoderne bzw. frühmoderne

407 408 409 410 411 412

Fischer 2004, S. 31. Fischer 2004, S. 116. Fischer 2004, S. 169. Fischer 2004, S. 168. Fischer 2004, S. 139. Vgl. Fischer 2004, S. 165.

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Gesellschaftliche und theologische Perspektiven

Ehrenamt, d. h. nach Fischer das Priestertum aller Gläubigen, ist keine simple Lösung moderner Hierarchieprobleme. Abschließend sei noch auf „Altruismus, Geselligkeit, Selbstentfaltung. Motive Ehrenamtlicher in der evangelischen Kirche.“, die empirische Untersuchung Stephan Seidelmanns aus 2016 verwiesen. Seidelmann nimmt grundsätzlich eine Opposition von allgemeinem Amt und Priestertum aller Gläubigen an, was auf das Verhältnis von Pfarr- und Ehrenamt zu übertragen sei. In der hervorgehobenen Position des Pfarramts sieht Seidelmann, unter Bezug auf die pfarramtliche Professionstheorie Karles, eine besondere Möglichkeit der Förderung freiwilligen Engagements durch die hauptberuflichen Pfarrer*innen. Damit nimmt Seidelmann den Professionsdiskurs auf und verwebt diesen mit explizit evangelisch-theologischer Argumentation unter Rückbezug auf Karle. Es bleibt anzumerken, dass die anderen kirchlichen Berufsgruppen in dieser Betrachtung keine Berücksichtigung erfahren.413 Seidelmann arbeitet auf Grundlage der These vom „Neuen Ehrenamt“414. Er erörtert, inwieweit die evangelische Kirche durch freiwilliges Engagement gestärkt werden kann und welche Aufgaben tatsächlich von hauptberuflichen in freiwillige Hände wandern könnten.415 Dies sei, betont Seidelmann, nicht nur ein finanzpolitisches Anliegen, sondern immer auch durch die evangelische Ekklesiologie geboten. „In dieser ekklesiologischen Perspektive ist das Ehrenamt ein wichtiges Element: es ermöglicht die Kirche zu erhalten und als Kirche gleichzeitig in der Gesellschaft verankert zu sein.“416 Seidelmann bewertet die Implikationen von Engagement sowohl für die Institution, als auch die Engagierten in seiner Wirkung als sehr hoch. Bei Seidelmann tritt die Analyse der verschiedentlichen Arbeitsverhältnisse innerhalb der Institution sowie der gesamten Gesellschaft leider in den Hintergrund. Dennoch leistet der Verfasser, die vom ihm angestrebte Klärung der Motive der Engagierten der evangelischen Kirche. Dazu arbeitet er vorrangig mit den vorliegenden Daten aus den Freiwilligensurveys.

1.2.5 Fazit der theologischen Motive Neben den drei wesentlichen Diskurslinien der Ehrenamtsdebatte (1.1), die maßgeblich die Argumentationslogiken determinieren, treten noch die eben erörterten drei theologischen Motive (1.2) in der kirchlich-theologischen 413 414 415 416

Vgl. Seidelmann 2016, Bd. 25, S. 64ff. Siehe dazu auch 1.1.2.1.1. Vgl. Seidelmann 2016, Bd. 25, S. 66ff. Ebd., S. 69.

Ehrenamt in theologischen Motiven

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Diskussion freiwilliger Tätigkeit hervor. Den theologischen Motiven (Priestertum aller Gläubigen, Charismen, Nächstenliebe) kommt in den kirchlich-theologischen Engagementdiskussionen die Funktion zu, dieses zusätzlich theologisch zu begründen und die Auseinandersetzung als genuin theologische zu markieren. Jedoch kommen die theologischen Motive mit der tatsächlichen Praxis freiwilliger Arbeit und deren Bedingungen in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt nur in äußerst geringem Maße ins Gespräch. Das Motiv der Nächstenliebe wird häufig ohne konkrete Berücksichtigung der organisationalen Strukturen der arbeitsteiligen und modernen Kirche und Diakonie appliziert. Das Motiv des Priestertums aller Gläubigen und das Charismenmotiv werden nur auf das Ehrenamt bezogen, wobei das kirchliche Amt bzw. die anderen Mitarbeitendengruppen und Arbeitsformen im Kontext dieser Motive nicht erörtert werden. Damit wird die Ernsthaftigkeit des Nachdenkens über ehrenamtliches Engagement unter Bezug auf die drei theologischen Motive fraglich. Es scheint fast, dass diese nur theologische Worthülsen sind. Die vorangehende Analyse der theologischen Ehrenamtsmotive regt jedoch dazu an, die theologischen Deutungen in stärkerem Maße mit der Praxis der (freiwilligen) Mitarbeit in Kirche und Diakonie in ein kritisches Zwiegespräch zu bringen. Dazu sind sowohl die praktisch-organisationale Seite (ehrenamtlicher) Arbeit als auch die möglichen theologischen Bestimmungen des Ehrenamtes bzw. der verschiedenen kirchlichdiakonischen Arbeitsformen zu bedenken. Ein solcher Austausch könnte fruchtbar sein, ist aber bisher in dieser Form ein noch ausstehendes Forschungsdesiderat. Insgesamt weisen die Ausführungen der vorangehenden Untersuchung der theologischen Motive (1.2) ähnlich wie die drei Diskurse (1.1) auf die These zurück, dass es sich beim freiwilligen Engagement um einen Container-Begriff handelt, der weitgehend unterbestimmt bleibt. Im Anschluss an die Betrachtung der theologischen Motive ergibt sich, ähnlich wie im Fazit der drei Diskurslinien, die Notwendigkeit, die Fragestellung zu erweitern. Denn es reicht nicht aus, den Blick nur auf ehrenamtliche Tätigkeit zu richten, vielmehr ist die ganze Arbeitswelt in Kirche und Diakonie in den Blick zu nehmen. Um ehrenamtliches Engagement theologisch adäquat zu deuten, müssen sowohl der organisationspraktische Zusammenhang als auch die verschiedenen Arbeitsformen Beachtung finden. Für den weiteren Fortgang dieser Forschungsarbeit geben die vorgestellten theologischen Motive Impulse, die im Folgenden mitgeführt werden. Zum einen ergibt sich ausgehend vom Priestertum aller Gläubigen sowie den Charismen, dass keine strenge Hierarchisierung verschiedener Tätigkeiten möglich ist, sondern vielmehr alle zur gemeinsamen Arbeit und zum Leben beitragen. Zum anderen, dass der Zusammenhang der christlichen Nächstenliebepraxis und der konkreten Arbeitspraxis, d. h. die Beziehung von christlicher Sendung und lebensweltlicher Realität, einer klaren Bestimmung bedarf. Zur

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Gesellschaftliche und theologische Perspektiven

Deutung der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt wird im dritten Teil dieser Untersuchung das Motiv des Reiches Gottes grundgelegt, wobei aber die beiden Impulse der Analyse theologischer Motive berücksichtigt werden.

1.3

Das Ehrenamt in drei Diskursen und unter Bezug auf drei theologische Motive – ein Fazit

Das Ehrenamt fungiert als ein Container-Begriff innerhalb der drei gesellschaftlichen Diskurse um Verberuflichung, Macht/Teilhabe und Arbeit. Wie gezeigt werden konnte, wird ehrenamtliches Engagement in Kirche/Diakonie auch entsprechend dieser Diskurslinien debattiert. Zu diesen spezifischen Argumentationslinien treten grob drei mögliche theologische Motive hinzu, die diese Prozesse interpretieren und legitimieren. Jedoch begründet die vorliegende Literatur aus dem kirchlich-theologischen Bereich freiwilliges Engagement und ehrenamtliche Mitarbeit in den Organisationen Kirche/Diakonie nicht ausreichend, da sie zu sehr jeweils in einer der Diskurslinien verhaftet bleiben. Dennoch geben die drei Diskurse insgesamt je wichtige Hinweise für die Begründung und Strukturierung freiwilliger Arbeit in Kirche und Diakonie. Die Debatte um Professionalisierung weist auf Verberuflichungsprozesse und damit die unterschiedlichen Logiken verberuflichter und freiwilliger Arbeit hin. Die möglichen Konflikte zwischen bezahlten Mitarbeitenden und freiwilligen Mitarbeitenden lenken den Blick auf das theologisch zu klärende Verhältnis der unterschiedlichen Mitarbeitendengruppen innerhalb einer Organisation. Die These von den autoritär-entmündigenden Strukturen der Institutionen sowie Hilfeorganisationen, denen sich freiwilliges Engagement als Selbsthilfe entgegensetzt, gibt einen äußerst kritischen Hinweis auf die Frage nach organisationalen Machtstrukturen, Zuschreibungsprozessen, festen Rollenarrangements und auch Hierarchien in Kirche und Diakonie. Der Macht- und Teilhabediskurs gibt den Impuls, die kirchlich-diakonischen Organisationsstrukturen hinsichtlich ihrer Legitimität zu untersuchen und aus der Perspektive Macht die unterschiedlichen Mitarbeitendengruppen und Arbeitslogiken zu analysieren. Schließlich bietet der Diskurs um Arbeit, ähnlich wie die Debatte Verberuflichung, einen wichtigen Anknüpfungspunkt für die genauere Beschäftigung mit „Arbeit“ und darüber, ob nur Erwerbsarbeit „wirkliche“ Arbeit ist. Ferner tauchen die Fragen auf, was mit den typisch weiblichen unbezahlten Tätigkeiten zu geschehen hat und in welchem Maße Arbeit sinnvoll und existenzsichernd sein muss. Diese kritischen Anfragen verdeutlichen erneut, dass die Betrachtung freiwilliger Tätigkeit in Kirche/Diakonie stets auch Beachtung der erwerbsförmig vollzogenen Tätigkeiten mit sich bringt. Die drei Diskurse um freiwillige Tätig-

Das Ehrenamt in drei Diskursen und unter Bezug auf drei theologische Motive

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keit in Kirche und Diakonie referieren freiwilliges Engagement als einen Container-Begriff innerhalb ihrer je eigenen Logiken. Werden jedoch die Bezugsdiskurse als wichtige Hinweisgeber für die Frage nach Begründung und Struktur von freiwilliger Arbeit in Kirche/Diakonie angenommen, führt dies zu einer veränderten und präziseren Fragestellung. Freiwillige Mitarbeit ist sodann nicht mehr allein als ein Managementproblem der Hauptamtlichen oder als ein möglicher Ersatz für diese zu betrachten. Vielmehr geraten Ehrenamtliche zusammen mit den beruflichen Mitarbeitenden in den Blick. Die Vergesellschaftungsformen bezahlter sowie unbezahlter Arbeit, im Speziellen in den kirchlichdiakonischen Organisationen, sind gleichermaßen beachtenswert. Zunächst wäre freiwillige und berufliche Arbeit innerhalb der Kirche zu untersuchen. Dazu sind die Deutungen, Bedingungen und Logiken von Erwerbsarbeit zu beschreiben, um Möglichkeiten der Verortung von (freiwilliger) Arbeit innerhalb dieser Organisationen zu erörtern. Außerdem sind Ressourcen zur möglichen Bestimmung des Verhältnisses unterschiedlicher Mitarbeitender (Dienstgemeinschaft) einzubringen. Theologisch ist nach einem Begriff der Arbeit zu fragen, der Tätigkeit innerhalb vom Kirche und Diakonie umfassend beschreiben kann. Dementsprechend widmet sich der zweite Teil dieser Forschungsarbeit den Perspektivwechseln von freiwilliger und beruflicher Arbeit in Kirche bzw. Diakonie. Wobei schließlich die Unterscheidung zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit als Ergebnis eines gesellschaftlichen Aushandlungsprozesses verstanden wird, die keinerlei theologische Bewertung dieser Tätigkeiten impliziert. Auf der Grundlage, dass die kirchlich-diakonische Arbeitswelt durch ganz verschiedene Tätigkeiten (bezahlt, unbezahlt) geprägt ist, wird im abschließenden dritten Teil nach den Bedingungen gelingender Arbeit bzw. Arbeitsgestaltung in Kirche und Diakonie gesucht.

2.

„Lohnabhängige“ und „freiwillige“ Arbeit in Kirche und Diakonie – ein Perspektivwechsel

Die detaillierte Untersuchung der Bezugsdiskurse freiwilligen Engagements in Kirche und Diakonie leitet die Refokussierung der Fragestellung an. Um hinsichtlich des kirchlich-diakonischen Ehrenamts aussagekräftig und verantwortbar sprechen zu können, ist der Perspektivwechsel hin zur ganzen kirchlichdiakonischen Arbeitswelt zu vollziehen. Sowohl „lohnabhängige“ als auch „freiwillige“ Arbeit ist in ihrer sozialen Wirklichkeit in den Organisationen der Kirche bzw. Diakonie sowie in ihrer theologischen Deutung bzw. Legitimierung zu beachten. Ferner sind auch die Bedingungen und Logiken der kirchlichdiakonischen Arbeit(sorganisation) miteinzubeziehen. Wirklichkeit und Deutung stehen in einem steten Wechselspiel, wobei beiden kritisches Potential beigemessen werden kann. Grundlegend für den hier vollzogenen Perspektivwechsel, der freiwillige und lohnarbeiterische Arbeit einbezieht, ist die unter 2.1 entfaltete These eines „Arbeitskontinuums“. Das Arbeitskontinuum weist nach, dass die gesellschaftlich differenzierten Arbeitsformen (Erwerbsarbeit, Familienoder Privatarbeit und freiwillige bzw. ehrenamtliche Arbeit) nicht strikt zu unterscheiden sind. Vielmehr ergeben sich vielfältige verlaufshafte Übergänge zwischen den Arbeitsformen, die zu Grunde liegende soziale Differenzierungsund Zuschreibungsprozesse hervortreten lassen. Von hier aus ergibt sich die Forderung an die kirchlich-diakonische Arbeitswelt jenseits eingefahrener Wege, die Perspektive zu wechseln und viele verschiedene Formen von Arbeit innerhalb dieser Organisation zu bedenken. Um dies in angebrachter Weise zu tun, werden unter 2.2 sowie 2.3 sowohl die empirischen als auch theoretischen (Arbeits-) Kontexte der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt einbezogen und eigene Akzente gesetzt. Unter 2.2 werden die theologischen Deutungen sowie kirchlich-diakonische Arbeitsbedingungen und Arbeitslogiken kritisch beleuchtet. Sodann wird unter 2.3 ein weiter Arbeitsbegriff entwickelt. Auf diese Weise werden 2.2 und 2.3 zur Grundlage der weiteren Beschäftigung sowie den Gestaltungsmodellen der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt.

120

2.1

„Lohnabhängige“ und „freiwillige“ Arbeit in Kirche und Diakonie

Definitorische „Unterscheidung“ lohnabhängiger und freiwilliger Arbeit sowie Care- bzw. Fürsorgearbeit

Lohnabhängige und freiwillige Arbeit folgen teilweise recht unterschiedlichen Logiken und werden auch gemeinhin als unterschiedliche Tätigkeiten differenziert. Im Folgenden werden die Termini Ehrenamt und freiwillige Arbeit gegeneinander abgegrenzt und dargelegt, welcher Begriff bevorzugt wird. Sodann schließt eine knappe Definition von freiwilliger Arbeit an. Ferner werden lohnabhängige Arbeit bzw. Erwerbsarbeit und Fürsorgearbeit (Care) näher qualifiziert und definiert. In der Auseinandersetzung um lohnabhängige und freiwillige Arbeit wird, wie im ersten Teil v. a. im Zusammenhang des Professionalisierungsund Arbeitsdiskurses gezeigt werden konnte, streng zwischen erwerbsarbeiterischer und freiwilliger Arbeit unterschieden. Diese festen Zuschreibungen werden schließlich anhand eines Arbeits- bzw. Tätigkeitskontinuums relativiert. Denn definitorische Abgrenzungen freiwilliger, lohnabhängiger und fürsorgender Arbeit implizieren häufig die Unhinterfragbarkeit zugrunde liegender Vergesellschaftungs- und Aushandlungsprozesse. Das Arbeitskontinuum soll vorausschauend für 2.3 zeigen, dass Arbeit und die Bestimmung dieser in hohem Maße von gesellschaftlichen Zuschreibungsprozessen geprägt ist.

2.1.1 Freiwillige Arbeit Im weiteren Fortgang werden die Phänomene der freiwilligen bzw. ehrenamtlichen Mitarbeit, des zivil- bzw. bürgergesellschaftlichen Engagements, der Selbsthilfe, ehrenamtlichen Arbeit usw. als freiwillige Tätigkeit bzw. freiwillige Arbeit bezeichnet. Die Termini Ehrenamt, Selbsthilfe und bürger*innenschaftliches bzw. zivilgesellschaftliches Engagement können, abgesehen von ihrer breiten und eher undifferenzierten Verwendung (Container-Begriff), wie im ersten Teil gezeigt, unerwünschte Konnotationen beinhalten. Diese sind hier noch einmal zusammengestellt, bevor der Begriff freiwillige Tätigkeit als zu bevorzugender Terminus gesetzt wird.1

1 Für die weitere Beschäftigung ist Hauschildts These von Interesse. Hauschildt weist darauf hin, dass die unterschiedlichen Termini zur Bezeichnung von nicht-beruflicher Mitarbeit in der Kirche in der gegenwärtigen Verfassung mit entsprechenden Idealbildern von Kirche verknüpft sind. So gehören Ehrenamt und Kirche für alle, Engagierte und Kirche als Avantgarde und Freiwillige mit effektiver bzw. effizienter Kirche zusammen. (Vgl. Hauschildt 2017, S. 166.)

Definitorische „Unterscheidung“ lohnabhängiger und freiwilliger Arbeit

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2.1.1.1 Ehrenamt und Selbsthilfe Das „Ehrenamt“ wurde begrifflich erstmals in der preußischen Städteordnung vom 19. 11. 1808 genannt, was auf die große Nähe zu staatlichem Handeln hinweist. Die Stein-Hardenberg’sche Verwaltungsreform2 implementierte ein kommunales Selbstverwaltungsrecht (unter staatlicher Aufsicht) und eine Magistratsverfassung, d. h. eine Stadtverordnetenversammlung mit einem nachgeordneten Magistrat. Das wirtschaftlich erstarkende Bürgertum3 stellte mittels kommunaler Ehrenämter die Stadtverordnetenversammlung.4 Die preußische Städteordnung5 bezieht Ehrenamt als einen Begriff der kommunalen Selbstverwaltung ein. Auch in der städtischen Armenfürsorge werden ehrenamtliche Armenpfleger eingesetzt. In der Zeit der Industrialisierung kam es zu großen sozialen Verwerfungen und viele Städte orientierten sich bei der Organisierung der Hilfe am bekannten sowie „erfolgreichen“, rationell organisierten „Elberfelder System“, das mit der Armendordnung der Stadt Elberfeld vom 9. Juli 1852 realisiert wurde. Die Armenpflegeordnung etablierte die individualisierte Leistungsbemessung, die Dezentralisierung von Entscheidungen und schließlich die ehrenamtliche Durchführung der öffentlichen Fürsorge.6 Männliche Vollbürger (oftmals reiche Fabrikbesitzer) entschieden als ehrenamtliche Armenpfleger über die Vergabe staatlicher Hilfeleistungen gegenüber den Armen und hatten dabei große Sanktions- und Kontrollmöglichkeiten. In vielen Publikationen wird das Elberfelder Armenfürsorgesystem als Ursprung eines sozialen gegenüber eines stärker kommunal-administrativen Ehrenamtes der preußischen Städteordnung gekennzeichnet. So konstatiert beispielsweise Sachße „Das soziale Ehrenamt wurde dann 1853 durch das später berühmt gewordene ‚Elberfelder System‘ geschaffen.“7 In vielen (auch kirchlichen Veröffentlichungen) wird eine Traditionslinie von modernem Engagement hin zur 2 Ziel ist es, „den Städten eine selbstständigere und bessere Verfassung zu geben, in der Bürgergemeine einen festen Vereinigungs-Punkt gesetzlich zu bilden, ihnen eine thätige Einwirkung auf die Verwaltung des Gemeinwesens beizulegen und durch diese Theilnahme Gemeinsinn zu erregen zu erhalten.“ (Königreich Preußen 19. 11. 1808, 1.) 3 Ein Ehrenamt kann nur durch einen Mann mit vollem Bürgerrecht (d. h. Hausbesitzer mit einem Jahreseinkommen über 150 bzw. 200 Taler) übernommen werden. Frauen und Menschen mit geringem Einkommen wurden vom Ehrenamt ausgeschlossen. Damit war die Gruppe, die für solche Ämter in Frage kam, nur auf wenige Prozent der Stadtbewohner beschränkt. Von daher wurden durch diese Kommunalreformen nur in sehr geringem Umfang Beteiligungsmöglichkeiten intensiviert, vielmehr wurden bereits reiche und prestigeträchtige Gruppen fortgesetzt privilegiert. 4 Vgl. Schäfer 1982, S. 78. 5 Sowohl in Preußen als auch in den anderen Ländern und Herzogtümern (Bayern, Baden, Württemberg, Hessen, Nassau, etc.) entstanden etwa zur gleichen Zeit Formen kommunaler Selbstverwaltung, die mittels des Prinzips der kommunalen Ehrenmänner, organisiert waren. 6 Vgl. Sachße und Tennstedt 1991, S. 414. 7 Sachße 2002, S. 4.

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Armenfürsorge nach dem Elberfelder Vorbild gezeichnet.8 Damit schwingt bei „Ehrenamt“ stets die Nähe zu staatlichem bzw. staatskirchlichem Handeln mit. Die kommunalen Zuständigkeiten (Verwaltung und Soziales) stiegen bis Ende des 19. Jh. in dem Maße an, dass nicht mehr alle Aufgaben durch Ehrenamtliche erfüllt werden konnten9, daher kamen immer mehr hauptberufliche Kommunalbeamte sowie Verwaltungsangestellte hinzu. Solche staatsnahen, ehrenamtlichen Strukturen existierten sowohl in der Weimarer Republik als auch während der Nazidiktatur weiter.10 Auch in der Bundesrepublik ist der Terminus Ehrenamt noch durch seine große Nähe zu staatlichem bzw. institutionellem Handeln, welches stark formalisiert ist, gekennzeichnet. Tätigkeiten des kommunalen Ehrenamtes sind Wahlhelfer, Stadtrat, Gemeinderats- oder Kreistagsmitglied, Bürgermeister*in (in kleinen Städten) oder als Vertrauensperson der Sozialversicherungsträger.11 Begriffsgeschichtlich ist das Ehrenamt an staatlich verliehene, nicht erwerbsförmig ausgeübte Tätigkeiten angebunden. Jedoch fand der Begriff auch zunehmend innerhalb der staatskirchlichen Strukturen des deutschen Protestantismus für freiwillige Tätigkeit Verwendung. Für die gegenwärtige Aufnahme des Terminus ist die enge Verbindung zu staatlichen Pflichten sowie Aufgaben problematisch, da diese Staatsnähe einer Vielzahl moderner ehrenamtlicher Aufgaben nicht entspricht. Schließlich bleibt eine umfassende Begriffsgeschichte des „Ehrenamts“ ein ausstehendes Forschungsdesiderat. Ferner erweist sich „Ehrenamt“ als Kompositum von Ehre und Amt in der Gegenwart als durchaus schwierig verständlich. Anschließend an Peter L. Berger wird Ehre als irrelevante Kategorie gegenwärtiger Selbstdeutung verstanden. Peter L. Berger proklamiert „the obsolence of the concept of honor“12, denn im Zuge der Modernisierung sei die Ehrvorstellung, die stark mit festen Institutionen sowie Rollen verbunden war, durch das Konzept der unverlierbaren Würde des Individuums abgelöst worden. „The modern discovery of dignity took place percisely amid the wreckage of debunked conceptions of honor.“13 Der soziale Bezug auf die Kategorie Würde statt Ehre sei den modernen, egalitären Emanzipationsbewegungen geschuldet. Im Anschluss an Berger ist der Ehrbegriff ge8 Vgl dazu z. B.: Backes 1987, S. 17; Peglow 2002, S. 12; Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern 9 Dies geschah relativ schnell im Aufgabenfeld der ehrenamtlichen Armenpflege, die nach dem Elberfelder Vorbild in vielen Städten etabliert worden waren. Die ehrenamtlichen Armenpfleger wurden sukzessive durch hauptamtliche Kräfte ersetzt und schließlich wurde mit der Bismarck’schen Sozialgesetzgebung die soziale Fürsorge grundlegend verändert. 10 Vgl. Linkermann 1962, S. 92.108. 11 Zu den rechtlichen Rahmenbedingungen des kommunalen Ehrenamtes vgl. z. B. Gemeindeordnung Bayern GO Art.19 (Gemeindeordnung 1998) oder Gemeindeordnung NordrheinWestfalen GO NRW §28 (Gemeindeordnung 1994). 12 Berger 1983. 13 Berger 1983, S. 176.

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genwärtig verzichtbar geworden und wird daher tendenziell vermieden.14 Dem unbelassen bleibt eine mögliche Wiedergewinnung eines offeneren Ehrbegriffs in der Zukunft.15 Dessen ungeachtet nutzen viele sog. Ehrenamtliche zur Selbstbeschreibung ihrer Tätigkeit weniger den Ehrenamtsbegriff. Im Rahmen des ersten Freiwilligen-Surveys 1999 wurden den Befragten sechs verschiedene Bezeichnungen für ihre Tätigkeit zur Auswahl gestellt. Die untenstehende Tabelle zeigt, dass zwar rund ein Drittel den Terminus zur Selbstbezeichnung wählt, aber auch fast die Hälfte der Befragten ihre Tätigkeit „Freiwilligenarbeit“ nennt.16 Bezeichnung Ehrenamt

Prozent 32

Freiwilligenarbeit Nebenberuf

48 3

Selbsthilfe Bürgerengagement

2 6

Initiativen-/Projektarbeit Tabelle nach Rosenbladt 2001, S. 51.

7

Ferner wird schließlich in kirchlich-diakonischen Kontexten durch den Amtsbegriff in „Ehrenamt“ die theologische Frage nach dem (kirchlichen) Amt aufgeworfen, welche eigens zu klären ist. Die begriffliche Nähe von Hauptamt, d. h. beruflicher Tätigkeit in der Gemeinde, ehrenamtlicher Tätigkeit, dem kirchlichen Amt sowie auch dem Pfarramt innerhalb der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt kann leicht zu Unklarheiten führen. Zwar hat „Ehrenamt“ vielfach dazu gedient, Engagement in Kirche/Diakonie zu beschreiben, jedoch sind es die unklaren amtstheologischen Implikationen, der latent altertümliche Klang, der staatlich-kommunale Einschlag sowie schließlich die eigene Präferenz der Engagierten, die dazu anleiten, im Zusammenhang dieser Forschungsarbeit weitgehend auf den Terminus zu verzichten. Wenn die Bezeichnung Ehrenamt gebraucht wird, dann geschieht dies unter Bezugnahme auf die Literatur und meint Ehrenamt stets im Sinne freiwilliger Mitarbeit. Darüber hinaus sei noch auf den Begriff Selbsthilfe, der wesentlich widerständige Arbeit gegenüber von Institutionen/Organisationen bestimmt, aufmerksam 14 Vgl. Berger 1983, S. 180. 15 Vgl. dazu beispielsweise: Vogt und Zingerle 1994; Vogt 1997; Vogt 2005. Ferner finden sich beispielsweise auch bei Axel Honneth und seiner Anerkennungstheorie der Gerechtigkeit Versuche zur Konzeption eines kontemporären Ehrbegriffs. Vgl. dazu: Honneth 1985; Honneth 1994; Honneth 2008. 16 Vgl. Rosenbladt 2001, S. 50.

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gemacht. Aufgrund des institutionenkritischen Untertons kommt Selbsthilfe im Blick auf freiwillige Tätigkeit in den Institutionen Kirche bzw. Diakonie nicht in Frage. Dennoch bietet die Bezugnahme auf Zivilgesellschaft bzw. Bürgergesellschaft durchaus spannende Anknüpfungspunkte für die Auseinandersetzung mit der Rolle freiwilligen Engagements in Kirche und Diakonie fürs gesellschaftliche Zusammenleben. Da aber in dieser Untersuchung die kirchlichdiakonischen Organisationen und ihr Selbstverständnis sowie ihre Arbeitsstrukturen akzentuiert werden, wird aus pragmatischen Gründen auf eine Einordnung innerhalb eines demokratietheoretischen Rahmens verzichtet und die Bezeichnungen freiwillige Arbeit/Tätigkeit favorisiert. 2.1.1.2 Freiwillige Arbeit bzw. Freiwillige Mitarbeit und Tätigkeit Der Terminus „Freiwillige*r“ fand v. a. über die angelsächsische Debatte und Forschung seinen Weg in den deutschen Diskurs. Wesentlich dafür ist u. a. die Auseinandersetzung mit dem Non-Profit-Bereich (NPO) und den Theorien des Dritten Sektors als einem Sektor neben Markt und Staat. Die in diesem Bereich Engagierten werden „volunteers“ genannt.17 Paulwitz ist die erste Forscherin, die 1988 den Begriff „Freiwillige“ verwendete, um diesen Tätigkeitsbereich zu beschreiben.18 Daraufhin wurde auch in der zwischen 1992–1995 erhobenen europaweit vergleichenden Eurovol-Studie die Bezeichnung „Volunteering“ benutzt.19 Zunehmend gewann die Benennung Volunteer bzw. Freiwillige an Beliebtheit. Dies zum einen, weil er auch im internationalen Diskurs verständlich ist, zum anderen, da freiwilliges im Gegensatz zum bürger*innenschaftlichen Engagement nicht so stark an die jeweils politiktheoretischen Hintergründe gebunden ist. Die Prominenz des Begriffs stieg weiter an, da in den USA das Phänomen des Volunteerism mit Sozialmanagement-Ansätzen assoziiert wurde. Diese Konzepte wurden ab Ende der 1990er Jahre auch in Deutschland rezipiert und mit dem sog. „Freiwilligenmanagement“ erfreute sich die Idee der Freiwilligkeit größter Beliebtheit. Ab dem Jahr 2000 lässt sich das Adjektiv „freiwillig“ in unzähligen Zusammenhängen nachweisen, was folgende Beispiele illustrieren: Freiwilligenmanagement, das „Jahr der Freiwilligen“ 200120, Freiwilligenagen17 Helmut K. Anheier, einer der bekanntesten Wissenschaftler, der an international vergleichenden Studien zum Non-Profit-Sektor (Anheier und Seibel 1993) arbeitet und lange Zeit auch das „Comparative Nonprofit Sector Projekt“ der Johns-Hopkins-Universität mitleitete, trug zur Verbreitung der Termini „Volunteer“ bzw. „Volunteering“ bei. Bei Anheiers Untersuchungen in den 1990er Jahren spielten v. a. die soziale und ökonomische Bedeutung von NPOs eine wichtige Rolle. 18 Paulwitz 1988. 19 Vgl. Gaskin et al. 1996. 20 Das „Jahr der Freiwilligen“ war eine von der UNO 2001 ausgelobte Kampagne. (Vgl. dazu beispielsweise BMFSFJ 2002.)

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turen oder auch das unternehmerische Cooperate Volunteering21. Der Freiwilligen-Survey, eine seit 1999 erhobene, einflussreiche, bundesrepräsentative Längsschnittstudie trägt den vollen Titel „Freiwilliges Engagement in Deutschland. Ergebnisse der Repräsentativerhebung 1999 zu Ehrenamt, Freiwilligenarbeit und bürger*innenschaftlichem Engagement“. Definiert wird freiwilliges Engagement dort als „Bürger übernehmen außerhalb ihrer beruflichen Tätigkeit und außerhalb des rein privaten, familiären Bereichs Verantwortung im Rahmen von Gruppierungen, Initiativen, Organisationen und Institutionen.“22 Darüber hinaus benennt der Bericht der Enquete-Kommission23 die Engagierten auch als Freiwillige. Unter 2.1.1.1 wurde bereits gezeigt, dass viele Betroffene gern die Selbstbeschreibung Freiwilligenarbeit wählen. Daneben nutzen viele Publikationen (auch innerhalb des kirchlichen Diskurses)24 den Begriffskomplex der Freiwilligkeit. Demnach ist der Begriff Freiwilligenarbeit bzw. freiwillige Mitarbeit sehr verbreitet. Inhaltlich verleiht „Freiwilligkeit“ im Kontext der Ausübung einer bestimmten Arbeit bzw. Tätigkeit oder Engagement dem „ohne irgendeinen Zwang“ (gesetzlich, zur Existenzsicherung usw.) Nachdruck. Durch freien Willensentschluss und Umsetzung dessen im Tun kommt es zu freiwilliger Tätigkeit. Das Adjektiv „freiwillig“ akzentuiert in Kombination mit Engagement bzw. Tätigkeit die aus eigener Überzeugung gewonnene Motivation für den tätigen Einsatz. Hierbei eignet sich der Wille als theologischer Anschlusspunkt, der die Freiwilligkeit in Richtung Egoismus begrenzen kann. Hinsichtlich weltlicher diesseitiger Dinge ist der menschliche Wille, d. h. das menschliche Bestreben, sich für etwas Bestimmtes einzusetzen, etwas zu wählen, sich zu verhalten usw. frei. Gegenüber Gott jedoch ist dieser Wille unfrei (servum arbitrium). Trotz dieser Beschränkung besteht schöpfungsgemäß ein relativer Handlungsspielraum des freien Willens in allen anderen Beziehungen. Theologisch gesprochen kann freiwillige Tätigkeit als Handeln aus dem eigenen Entschluss des Menschen heraus interpretiert werden. Als solches Handeln aus freiem Willen gehört es zur menschlichen Kreatürlichkeit. Indes kann freiwilliges Handeln, d. h. aus dem freien menschlichen Willen heraus, ohne eine Rückbindung an die ganze Schöpfung schnell zu egoistischem, d. h. sündhaftem Handeln, werden. Freiwilliges Handeln muss daher stets die Relationalität des Einzelnen in der Sozialität der ganzen Schöpfung mitbeachten. Der freie Wille bzw. freiwillige Tätigkeit kann nur im sozialen Kontext angemessen bestimmt werden. Neben diesen theologischen 21 22 23 24

Backhaus-Maul 2010; Hain 2009; Stark und Tewes 2011; Schäfer 2009; Schubert et al. 2002. Rosenbladt 2001, S. 33. Deutscher Bundestag 2002. Baldas et al. 2001; Bovay und Tabin 1998; Born 2011; Diakonisches Werk der Evangelischen Kirche Deutschland e.V. 2012; Fischer 2011; Grosse 2006; Igl 1994; Notz 2012; Notz 1998; Petzschke 2003; Pinl 2013.

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Aspekten deuten die vorab explizierten Gründe nämlich die breite Rezeption des Terminus Freiwilligkeit sowie seine theoretische Anschlussfähigkeit und seine hohe Beliebtheit für die Verwendung des Begriffs im Rahmen dieser Forschungsarbeit. Im weiteren Verlauf dieser Untersuchung wird das Ehrenamt als freiwilliges Engagement, freiwillige Tätigkeit bzw. Arbeit sowie freiwillige Mitarbeit gekennzeichnet. Diese Begriffsbestimmungen lassen das Phänomen zwischen den verschiedenen Konnotationen changieren. Freiwilliges Engagement akzentuiert den aus freiem Willensentschluss und eigener Einsicht entstandenen Antrieb des Tuns. Ähnlich verhält es sich mit der freiwilligen Tätigkeit, wobei durch Tätigkeit das Tun sowie der handelnde Vollzug betont werden. Schließlich pointiert das Adjektiv freiwillig in Kombination mit „Arbeit“ die Notwendigkeit der freiwilligen Tätigkeit. Denn nicht immer geschieht freiwilliges Tun aus einem kreativen Antrieb heraus, sondern es ist auch (teilweise) durch die Bedürfnisstruktur der Mitmenschen begründet. Ferner impliziert der Arbeitsbegriff, dass dieses Tun nicht unbedingt immer mit Freude und Motivation verbunden sein muss, sondern er erinnert an Konnotationen von Zwang und Mühe. Ferner erscheint es wichtig, dass durch die Verwendung des Begriffs Arbeit die gesellschaftliche Wichtigkeit dieser Tätigkeit herausgestellt werden kann. Dennoch ist freiwillige Arbeit in der Regel durch den Faktor der monetären Entlohnung von Erwerbsarbeit unterschieden. Praktische Beispiele für freiwillige Arbeit innerhalb der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt sind: Freiwillige Arbeit als Presbyter*in oder Kirchenvorstandsmitglied, Prädikant*in, Kindergottesdienstmitarbeiter*in, Mitarbeiter*in in der Telefonseelsorge, im Besuchsdienst, in der Sozialberatung, in der Geflüchtetenhilfe usw.

2.1.2 Lohnabhängige Arbeit bzw. Erwerbsarbeit Wird über „Arbeit“ gesprochen, dann ist in der Regel Erwerbsarbeit gemeint, die aber nur eine Arbeitsform von vielen ist.25 Im Speziellen kann Erwerbsarbeit abhängig, d. h. lohnarbeiterisch oder unabhängig, d. h. als selbstständige Arbeit, 25 Der offizielle Sektor einer Volkswirtschaft ist die öffentliche Wirtschaft, die alle Tätigkeiten beinhaltet, die staatlich administriert und besteuert werden. Daneben existiert der sog. informelle Sektor, der alle privatwirtschaftlichen Tätigkeiten umfasst, die nicht in die Berechnung des Brutto-Inlands-Produkt (BIP) eines Landes eingehen. (Enste 2008, S. 24.) Dieser informelle Sektor beinhaltet je nach theoretischer Bestimmung alle wirtschaftlich relevanten Tätigkeiten von Eigenarbeit, Reproduktionsarbeit, Fürsorge/Sorge/Care, Hausarbeit, Schwarzarbeit, Schattenwirtschaft, Selbsthilfeaktivitäten, Tauschringe sowie ehrenamtliche Arbeit. Die Auseinandersetzung mit dem informellen Sektor formierte sich

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organisiert sein.26 Erwerbsarbeit ist durch die monetäre Erwerbsdimension in Form von Gehältern, Löhnen, Gratifikationen, Tantiemen, Vergütungen und anderen Bezügen von allen anderen Arbeitsformen unterschieden. Der Bezahlungsaspekt ist das wesentliche und zentrale Unterscheidungsmerkmal gegenüber anderen Arbeitsformen.27 Häufig geht mit der monetären Entlohnung generell ein höherer Regulierungsgrad der Tätigkeit einher, der mittels Arbeitsverträgen mit gegenseitigen Rechten sowie Pflichten von Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden gestaltet wird. Ferner wird Erwerbsarbeit häufig berufsförmig ausgeübt. Die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit hat in vielen Bereichen die Erlangung bestimmter (Berufs-)Ausbildungszertifikate zur Bedingung, wobei Art. 12 GG das Recht auf freie Berufswahl, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte verbürgt. Insgesamt sind Berufe rechtlich stark regulierte lohnarbeiterische Formen, wie beispielsweise die gesetzliche Bundeskompetenz zur Regelung der Ausbildungsgänge zeigt. Demnach obliegt es dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie oder das sonst zuständige Fachministerium im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung durch Rechtsverordnung, […] Ausbildungsberufe staatlich anerkennen und hierfür Ausbildungsordnungen […] erlassen.28

wesentlich in den 1980er Jahren und setzte sich unter dem Eindruck der Wachstumsbegrenzung sowie der Fragen der Arbeitszukunft mit möglichen alternativen Ökonomien auseinander. (Vgl. Henckel et al. 2008, S. 9.) Die weithin verbreiteten neoklassischen Wirtschaftstheorien legen den Schwerpunkt auf monetäre entlohnte Arbeit mit dem Ziel der Herstellung eines Produkts. Demgegenüber ist die sog. unproduktive Arbeit nicht entlohnt, jedoch für den Erhalt der Gesellschaft bzw. individuellen Arbeitskraft notwendig. Diese Arbeit wird von Marx als Reproduktionsarbeit bezeichnet. Seit den 1970er Jahren bzw. im Zusammenhang der zweiten Frauenbewegung wird Reproduktionsarbeit als Pendant zur Lohnarbeit untersucht. Reproduktionsarbeit wird in Familien oder sozialen Netzwerken geleistet und zeigt sich z. B. als Erziehung und Ernährung von Kindern sowie Tätigkeiten zum Erhalt der eigenen Arbeitsfähigkeit und der Arbeitsfähigkeit anderer Erwerbspersonen. (Vgl. Winker 2015, S. 17.) Konzepte wie Reproduktionsarbeit oder informeller Sektor zeigen, dass neben monetär entlohnter Arbeit noch andere Arbeitsformen existieren, die nicht in Kennzahlen wie dem BIP verrechnet werden: Dies ist nach Enste auf Grund internationaler Gepflogenheiten sowie den Schwierigkeiten bei der Erhebung bestimmter Arbeitsleistungen, d. h. aus pragmatischen Gründen, so. (Vgl. Enste 2008, S. 24.) 26 Diese Bezeichnungen entstammen der Finanzgesetzgebung (z. B. dem Einkommensteuergesetz.). 27 Hinsichtlich bezahlter und unbezahlter Carearbeit wird dies deutlich: Wird eine Senior*in von seinen Angehörigen gepflegt, ist diese Arbeit unbezahlte (familiale) Arbeit. Wird er hingegen in einem Senior*innenheim von einer möglicherweise Hilfskraft ohne Ausbildung gepflegt, dann wird dies als bezahlte Arbeit oder Erwerbsarbeit gesehen. 28 Berufsbildungsgesetz (BBiG) § 4 Anerkennung von Ausbildungsberufen.

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Daneben greifen auch Gewerbe- und Handwerksordnungen usw. rechtlich regulierend in die Erwerbsarbeit ein.29 Allgemein kann zwischen den staatlich regulierten Zugängen (Qualifikationszertifikaten) und den entsprechenden beruflich ausgeübten Tätigkeiten unterschieden werden. Denn formale Berufsausbildung ist für manche, aber nicht alle Erwerbstätigkeiten gefordert.30 Schließlich hat der Terminus Beruf im Kontext der Erwerbsarbeit in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg noch eine besondere Konnotation. Denn trotz der weitgehenden Loslösung von der Dimension der göttlichen Berufung zum Tätigsein geht Beruf nicht vollständig in „Erwerbsarbeit“ auf. Dies illustriert das Bundesverfassungsgerichtsurteil von 1979 treffend: Darüber hinaus unterscheidet er sich jedoch von ihr [der Gewerbefreiheit] durch seinen personalen Grundzug: Der ‚Beruf‘ wird in seiner Beziehung zur Persönlichkeit des Menschen im ganzen verstanden, die sich erst darin voll ausformt und vollendet, daß der Einzelne sich einer Tätigkeit widmet, die für ihn Lebensaufgabe und Lebensgrundlage ist und durch die er zugleich seinen Beitrag zur gesellschaftlichen Gesamtleistung erbringt. Das Grundrecht gewinnt so Bedeutung für alle sozialen Schichten; die Arbeit als ‚Beruf‘ hat für alle gleichen Wert und gleiche Würde.31

Dementsprechend schwingt noch in den 1980er Jahren, wenn über Beruf gesprochen wird, eine irgendwie geartete besondere Verbindung, Befähigung oder Erfüllung der ausführenden Person bei ihrer Tätigkeit mit. Beruf beinhalte eine besondere Verbindung von ggf. lebenslang ausgeführter Tätigkeit und dem eigenen Charakter. Diese Berufsvorstellung ist nach der Jahrtausendwende in dieser Form eher selten geworden, da die zur Verfügung stehenden Erwerbspositionen tendenziell befristet sind und nicht mehr unbedingt mit dem lebenslangen Verbleib bei einer Stelle zu rechnen ist. Der Berufsbegriff tritt zunehmend gegenüber der „Profession“ in den Hintergrund. Profession charakterisiert auch eine besondere Form der Erwerbsarbeit, die sich unter den kontemporären Bedingungen konstituiert und maßgebliche Überschneidungen mit dem Berufsverständnis des BuVerfG hat. Denn auch Professionen werden in der Regel lebenslang ausgeübt. Ferner signalisiert die Idee der professionellen 29 Einzelne Berufsgruppen üben mittels eigener Kammern und deren ständisches Recht Kontrolle der Berufspraktiker*innen aus. 30 Z. B. gilt für die stationäre Unterbringung für unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge das „Fachkräftegebot“, wenn diese Unterbringung im Auftrag staatlicher-kommunaler Träger erbracht wird (SGB VIII § 72). D. h. in der Regel sind in diesen Bereichen nur Erzieher*innen, Sozialarbeiter*innen und Diplom-Pädagog*innen tätig. Darüber hinaus kann eine Person mit einer sozialarbeiterischen Qualifikation auch einen anderen Beruf außerhalb des sozialen Bereichs ergreifen. Beispielsweise bei der Ausübung der Tätigkeit als Journalist*in für die städtische Zeitung sind der erlernte und der ausgeübte Beruf der Sozialarbeiter*in unterschieden. Der Zugang zum Berufsfeld Journalismus ist zumindest rechtlich weniger stark reguliert, als der Bereich der sozialen Arbeit. 31 Bundesverfassungsgericht 1979.

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Persönlichkeit, ähnlich wie der Terminus Beruf, eine besondere Nähe von Charakter und Erwerbstätigkeit. Darüber hinaus akzentuiert sowohl die Berufs- als auch Professionsrhetorik die Nachrangigkeit der monetären Entlohnung. Vielmehr wissen sich beide Erwerbsarbeitsformen insofern als herausgestellt, da sie in ihrer beruflichen bzw. professionellen Praxis v. a. an den Standes- bzw. Berufsethos gebunden sind. Erwerbstätigkeit in einem solchen Sinne ist durch eine gewisse Starrheit, aber auch hohe individuelle Sicherheit charakterisiert. Mit der staatlichen Deregulierung bzw. Flexibilisierung des Arbeitsmarktes sind Arbeitsverhältnisse, die dieser Berufsvorstellung entsprechen, quantitativ zurückgegangen und prekäre Erwerbstätigkeiten haben zugenommen. Das englische Wort „Job“ klassifiziert solche weniger stark regulierten und insbesondere an der Erwerbsdimension orientierten Tätigkeiten. Diese Arbeitsverhältnisse gerinnen begrifflich in folgenden Termini: Jobben, Job, 400-Euro-Job, 1-Euro-Job oder auch Ferienjob.32 Daneben hebt „Job“ stärker die zeitliche Befristung bzw. den möglichen Wechsel und/oder die Kombination unterschiedlicher Tätigkeiten hervor. Die Popularität des Jobbegriffs ist Hinweis für die Entstandardisierung des sog. „Normalarbeitsverhältnisses“ und damit verbunden die staatliche Deregulierung sowie Flexibilisierung des Arbeitsmarktes bzw. einzelner Berufsbiographien. In diesem Sinne qualifiziert die Bezeichnung Job dann nicht mehr nur prekäre Arbeitsverhältnisse, sondern unterschiedliche Jobs werden auch als Schritte33 oder Bausteine34 der eigenen Karriere konzipiert. Dementsprechend werden Jobwechsel teilweise im Dienst des höheren Ideals Karriere geplant und umgesetzt. „Karriere“ ist weniger starr und statisch an Aufgaben orientiert, wie noch der Berufsbegriff es war. Vielmehr wird eine Laufbahn an Karrierezielen wie große Verantwortung, hohes Einkommen und Prestigemaximierung usw. ausgerichtet. Die eigene Karrierelaufbahn wird mit einzelnen Erwerbstätigkeiten sowie Jobelementen individuell konstruiert.35 Den oben genannten Interpretationen entsprechend können Job und Beruf jeweils einem höheren Ideal dienen. Der Beruf als professionelle Tätigkeit akzentuiert ein bestimmtes Ethos und hat eine stärkere soziale Orientierung. Jobs hingegen dienen in besonderer Weise den individuell formulierten Karrierezielen. 32 Die Umbenennung der „ARGE“ in „Jobcenter“, im Kontext der Hartz-Reformen, ist ein Hinweis auf die begriffliche Verbindung prekärer Lebenslagen und mit dem Terminus „Job“ als geringqualifizierte, prekäre Arbeit. 33 Dies lässt sich z. B. am Namen des Arbeitsvermittlungsportals StepStone ablesen. 34 Vgl z. B.: Werle 2012. Sogar die Elternzeit kann als Baustein einer individuellen Karriere gelten. 35 Die Planung und Umsetzung der eigenen Karriere besteht jedoch größtenteils nur in der eigenen Wahrnehmung. Erwerbsarbeitsverläufe sind in hohem Maße durch die Reproduktion gesellschaftlicher Verhältnisse gekennzeichnet.

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Lohnarbeit36 ist eine historisch relativ junge Entwicklung, die an die Erfindung des Geldes bzw. der Etablierung kapitalistischer Wirtschaftssysteme gebunden ist. Noch bis ins Mittelalter existieren Agrargesellschaften mit einer Subsistenzund Gebrauchswertorientierung. Es waren wohl verschiedene Arbeitsformen vorhanden, aber zum Lebenserhalt waren diese gleichermaßen notwendig und hinsichtlich der gesellschaftlichen Anerkennung nicht wesentlich unterschieden. Insbesondere seit der Industrialisierung mit gesteigerter Rationalisierung, Technisierung, Urbanisierung, Ausdifferenzierung sowie Kapitalisierung (Warenförmigkeit) gewann die Form der (produktiven) Erwerbsarbeit mit dem monetären Aspekt eine herausgehobene gesellschaftliche Stellung. Denn Erwerbsarbeit wurde zum zentralen Modus der Existenzsicherung, was bis heute in den kapitalistischen Wirtschaftssystemen gilt. Nach dem Zweiten Weltkrieg im Zusammenhang der sog. Tertiarisierung der Wirtschaft werden Dienstleistungstätigkeiten in großem Maße erwerbsförmig erbracht; eine stetig zunehmende Zahl von Personen bestreitet ihre Lebensgrundlage durch Arbeit im tertiären Sektor.37 Bei Arbeit im tertiären Sektor ist besonders augenfällig, dass die Anerkennung einer Tätigkeit als entlohnte Erwerbsarbeit an gesellschaftliche Aushandlungsprozesse gekoppelt ist. Dies lässt sich am Bereich der sog. Care bzw. der partiellen Verberuflichung der Care- bzw. Fürsorge-/Sorgearbeit nachvollziehen, was exemplarisch unter 1.1.1 (Professionalisierungsdiskurs) nachvollzogen werden kann. Grundsätzlich ist Erwerbsarbeit nicht scharf durch die Tätigkeitsbereiche von den anderen Arbeitsformen wie Carearbeit oder freiwillige Arbeit abgetrennt. Vielmehr ist es allein die Erwerbsdimension, also die monetäre Entlohnung, die diese Arbeitsform singulär macht. Aufgrund der gesellschaftlichen Zentralfunktion (Existenzsicherung sowie soziale Integration im umfassenden Sinne) von Erwerbsarbeit kommt der Erwerbsarbeit gesamtgesellschaftlich hohe Wertschätzung und Vorrang entgegen. Alle Formen strukturierter Tätigkeit, die monetär entlohnt werden und wesentlich der Existenzsicherung dienen, werden im Kontext dieser Untersuchung als Erwerbsarbeit bezeichnet. Beispiele für erwerbsarbeiterische Tätigkeiten in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt sind: Die Tätigkeit im Pfarrberuf, als Gemeindepädagog*in oder Sekretär*in in einer Parochialgemeinde. Die Arbeit von Krankenpfleger*innen, Psycholog*innen, Ärzt*innen, Putzkräften, Servicepersonal, Sozialarbeiter*innen und Physiotherapeut*innen in Krankenhäusern in diakonischer Trägerschaft. Die Arbeit von Therapeut*innen, Erzieher*innen, Sozialarbeiter*innen, Sonderpäd-

36 Vgl. dazu detaillierter 2.3.5. 37 Vgl. dazu Arbeitsdiskurs 1.1.3.

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agog*innen, Heilerzieher*innen usw. in stationären Jugendhilfeeinrichtungen der Diakonie.

2.1.3 Fürsorge- oder Carearbeit In der „Care“-Debatte wird der inhaltliche Aspekt der Sorge/Fürsorge (Care) als Personenbezug akzentuiert, wobei die Tätigkeit durch Kommunikation und Zeitintensität geprägt ist. Sorge und Hausarbeit sind nach Winker als direkte38 und unterstützende39 Care-Arbeit zu unterscheiden.40 „Das Distinktionsmerkmal von Care-Arbeit ist demzufolge weder der Ort noch die Organisationsweise, noch die Funktion in Bezug auf die kapitalistische Produktionsweise, sondern ‚das Care-Element‘ in der Arbeit.“41 Razavi definiert 2007 ausführlich: Care work involves direct care of persons; it can be paid or unpaid. Those with intense care needs include young children, the frail elderly and people with various illnesses and disabilities, but able-bodied adults also require and receive care. Paid carers include nannies, childminders, nurses and care workers in homes for the elderly and other institutional settings; they can work in a variety of institutions (public, market, not-forprofit). Direct care of persons (bathing them, feeding them, accompanying them to the doctor, taking them for walks, talking to them and so on) is often seen as separate from the other necessary activities that provide the preconditions for personal caregiving such as preparing meals, shopping and cleaning sheets and clothes. But such boundaries are arbitrary, especially since the persons needing intensive care are often also unable to do such tasks themselves. […] Unpaid care work is care of persons for no explicit monetary reward. The largest amount of unpaid care work in nearly all societies takes place within households/families, but individuals also perform unpaid care across households and across families – for other kin, friends, neighbours and community members – and also within a variety of institutions (public, market, not-for-profit, community) on an unpaid or voluntary basis.42

Durch die Bezahlung wird Fürsorgearbeit43 den Logiken des kapitalistischen Arbeits- und Austauschprozesses unterworfen. Jedoch unterlaufen sorgende Erwerbsarbeit bzw. Care-Arbeitsbeziehungen das klassische ökonomische Autonomie-Paradigma des konsumierenden Individuums sowie des typischerweise anonymen Warentauschs. Demnach ist bezahlte Care-Arbeit dem warenförmigen Austauschprozess unterworfen, widersetzt sich aber zeitgleich durch 38 Arbeit an und mit dem Menschen. 39 Arbeit, die für den Menschen geleistet wird, wie z. B. Medikamente besorgen oder Hausarbeit erledigen. 40 Vgl. Winker 2015, S. 24. 41 Chorus 2013, S. 33. 42 Razavi 2007, S. 6. 43 Bezahlte Fürsorgearbeit wird u. a. als personenbezogene Dienstleistung bezeichnet.

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die Unabgeschlossenheit und Zeitintensität diesen Marktlogiken. Die Schweizer Ökonomin Madörin verdeutlicht, dass gerade ökonomisierte Carearbeit, da sie eine Grunddimension menschlichen Zusammenlebens sowie menschlicher Bedürfnisse be-arbeitet, die bestehende Arbeitsteilung bzw. Konzentration auf Lohnarbeit in Frage stellt.44 Denn der Blick auf die Verberuflichungsprozesse klassischer weiblicher Tätigkeiten illustriert, dass Care-Arbeit auch den wandelbaren gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen unterliegt, die bestimmte Tätigkeiten als Erwerbsarbeit definieren. Unbezahlte Fürsorgearbeit wird seit den 1970er Jahren und der zweiten Frauenbewegung auch unter dem Konzept „Reproduktionsarbeit“ als Pendant zur Lohnarbeit verhandelt. Reproduktionsarbeit wird gebrauchswertorientiert in Familien oder sozialen Netzwerken geleistet. Beispiele hierfür sind Erziehung und Ernährung von Kindern sowie Tätigkeiten, die zum Erhalt der eigenen Arbeitsfähigkeit und der Arbeitsfähigkeit anderer Erwerbspersonen dienen.45 Sowohl Reproduktions- als auch Fürsorgearbeit finden in der Regel im familialen bzw. sozialen Nahraum statt.46 Im Zusammenhang dieser Untersuchung wird bezahlte Care- bzw. Fürsorgearbeit unter Erwerbsarbeit subsumiert. Unbezahlte Fürsorgearbeit hingegen bleibt als Arbeit im familialen Nahraum aufgrund des geringen Organisationsgrades für die Betrachtung der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt im Wesentlichen unthematisch. Praktische Beispiele für solche unthematischen unbezahlten Fürsorgearbeiten wäre Kindererziehung durch die Eltern, Pflege der Schwiegermutter durch die Schwiegertochter oder Hausarbeit im eigenen Haus.

2.1.4 Arbeitskontinuum – die Aufhebung der strengen „Unterscheidung“ lohnabhängiger und freiwilliger Arbeit sowie Care- bzw. Fürsorgearbeit Um die Beschreibung der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt handhabbar zu machen und auch an die gesellschaftlichen Debatten anzuknüpfen, wurden vorstehend drei grobe Arbeits- bzw. Tätigkeitsformen unterschieden und für das weitere Vorgehen im Rahmen dieser Untersuchung bestimmt. Jedoch ist festzuhalten, dass die Übergänge zwischen freiwilliger, fürsorgender und lohnabhängiger Arbeit stets fließend sind. Die Tätigkeit selbst ist nur in geringem Maße dafür ausschlaggebend, als welche der drei Arbeitsformen sie bestimmt wird. 44 Vgl. Madörin 2009, S. 86. 45 Hinsichtlich der Eigenarbeit bzw. Selbstsorge beschreibt das Marx’sche Konzept Reproduktionsarbeit diese Arbeit zum Erhalt der eigenen Arbeitskraft als zur Reproduktionsarbeit gehörig. Beim Carearbeits-Verständnis hingegen ist Eigenarbeit ausgeschlossen. 46 Vgl. Winker 2015, S. 17.

Definitorische „Unterscheidung“ lohnabhängiger und freiwilliger Arbeit

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Vielmehr sind es entsprechende soziale Kontextualisierungen, Vergesellschaftungsformen sowie Machtverhältnisse, die eine bestimmte Tätigkeit als bestimmte Arbeitsform festschreiben. Die mangelnde scharfe Abgrenzungsfähigkeit verschiedener Arbeitsformen gegeneinander wird anhand des Arbeitskontinuums mit Beispielen illustriert. Insgesamt formuliert die These vom Arbeitskontinuum den Appell an die kirchlich-diakonische Arbeitswelt, jenseits eingefahrener Wege die Perspektive zu wechseln und die verschiedenen Arbeitsformen zu erwägen. Die Bestimmung einer Arbeitsform als Erwerbsarbeit ist wesentlich von gesellschaftlichen Zuschreibungsprozessen und dem erreichten Machtstatus einer bestimmten Profession abhängig (vgl. dazu die Professionalisierungsgeschichte der sozialen Berufe unter 1.1.1). Erwerbstätigkeit ist allgemein durch den Aspekt der monetären Entlohnung zur Existenzsicherung sowie sozialen Integration charakterisiert. Freiwilliges Engagement kann v. a. durch monetäre Aufwandsentschädigungen bzw. auch durch Sachleistungen ggf. in existenzsichernde Erwerbsarbeit übergehen. Denn Menschen in prekären Lebenslagen engagieren sich beispielsweise „freiwillig“, um zusätzlich zu den geringen Hartz-IVLeistungen einen steuerfreien Zuverdienst bis zu 200 € pro Monat zu erhalten.47 Die erlangten monetären Entschädigungen oder auch Sachleistungen (beispielsweise in Form von Mittagessen) können für Geringverdienende insbesondere auch als Beitrag für die eigene Existenzsicherung bzw. des Erwerbs übernommen werden. Diese Fokussierung macht dieses „freiwillige“ Engagement nicht qualitativ schlechter, jedoch fungiert es insbesondere für Menschen in prekären Lebenslagen in der Art wie Erwerb mit einer Existenzsicherungsfunktion. Damit wird der Übergang von freiwilliger Arbeit zu bezahlter Arbeit auf dem Arbeitskontinuum einsichtig.48 47 Überschreiten Aufwandsentschädigungen nicht den Wert von 200 € pro Monat, dann sind sie steuerfrei und werden nicht auf die Hartz-Leistungen angerechnet (SGB XII § 82 Abs. 3). Denn der Gesetzgeber geht davon aus, dass dieser Betrag allein der Deckung der durchs Engagement entstandenen Auslagen dient. 48 Einen ähnlichen (problematischen) Übergang von freiwilliger zu erwerbsförmiger Arbeit stellen die entsprechenden Regelungen zur Öffnung des Bundesfreiwilligendienstes für Menschen über 27 Jahren dar. Denn damit ist es auch beispielsweise älteren Hartz-IVEmpfänger*innen möglich, 6–24 Monate als BuFDi mit jeweils zwischen 20,5 und 40 Stunden pro Woche tätig zu sein. Das so erworbene „Taschengeld“ des Bundesfreiwilligendienstes im Umfang von bis 200 € ist für Hartz-IV-Empfänger*innen ein steuerfreier Zuverdienst. Mit diesen Regelungen beabsichtigt der Gesetzgeber, den Bereich des Bundesfreiwilligendienstes für Hartz-IV-Empfängerinnen zu öffnen und diese zum „freiwilligen“ Tätigsein zu motivieren. Diese gesetzlichen Regelungen entsprechen den unter 1.1.3 diskutierten Logiken des Arbeitsdiskurses in der Variante von freiwilligem Engagement als Ersatz für Erwerbsarbeit. Laut Statistik des Bundesamts für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben waren sowohl im November 2017 (28,3 %) als auch November 2015 (29,6 %) knapp 30 % aller Menschen im

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Aus Lohnarbeitsperspektive verschwimmen die Grenzen zwischen Erwerbsarbeit und freiwilligem Engagement in besonderer Weise dort, wo durch formalisierte Arbeitsverträge ein „freiwilliges“ Engagement, d. h. unbezahlte Tätigkeit innerhalb der Organisation bzw. eigenen Arbeitszusammenhänge, erwartet wird.49 Mittels unentgeltlich außerhalb der formalen Arbeitszeit übernommenen Tätigkeiten für den Arbeitgebenden oder auch durch beispielsweise unbezahlte Überstunden wird die strenge Differenzierung zwischen Erwerbsarbeit und Formen „freiwilliger“ Arbeit aufgeweicht. Die Verwischung der Übergänge von Carearbeit zu Erwerbstätigkeit geschieht durch die sog. „shadow work“50. Schattenarbeiten sind Arbeiten, die dem Nachgehen von Erwerbsarbeit unmittelbar als eine Form von Eigenarbeit vorgeordnet sind. Beispiele hierfür sind das Autofahren zum Arbeitsplatz oder die Zubereitung einer Mahlzeit für die Mittagspause während der ErwerbstäBundesfreiwilligendienst über 27 Jahre alt. (Vgl. Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben 2017; Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben 2015) (Für die übrigen Jahre wurden keine Daten zum Alter der BuFDis veröffentlicht.) Ein ähnliches Bild zeigt die Begleitstudie „Ein Jahr Bundesfreiwilligendienst. Erste Erkenntnisse einer begleitenden Untersuchung“ aus dem Jahr 2012. (Anheier et al. 2012.) Im April 2012 waren 33,5 % der Bundesfreiwilligen über 27 Jahre alt. (Vgl. Anheier et al. 2012, S. 7.) „Differenziert nach Regionen ist auffallend, dass die älteren Freiwilligen in allen ostdeutschen Bundesländern überproportional stark vertreten sind. In den Ländern Thüringen, SachsenAnhalt, Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg liegt der Anteil der älteren Freiwilligen jeweils bei über 50 Prozent.“ (Anheier et al. 2012, S. 8.) Die genannten Zahlen geben Hinweise auf einen beachtlichen Teil von BuFDis, die diese Tätigkeit nur bedingt freiwillig, sondern vielmehr als prekäre Erwerbsarbeit übernehmen. Dies scheint insbesondere für Menschen über 50 Jahre der Fall, da sie als schwer vermittelbar auf dem Arbeitsmarkt eingestuft werden. Durch die Rahmung des Bundesfreiwilligendienstes können auch Hausmeister- oder Pflegetätigkeiten, die ebenso erwerbersarbeiterisch ausgeführt werden könnten, als BuFDi klassifiziert werden und so der gesetzlich vorgegebene Mindestlohn umgangen werden. In diesem Zusammenhang wird schnell klar, dass der Bundesfreiwilligendienst durchaus seinen Charakter der Freiwilligkeit verlieren kann. Geschieht dies, dann müssen diese Tätigkeiten als prekäre Arbeit eingestuft werden, da nichts von freiwilliger, intrinsisch motiviertem Einsatz für andere oder sich selbst zu finden ist. Solche Formen sog. freiwilliger Arbeit, die aber verdeckte Erwerbsarbeit sind, verstärken gesellschaftlichen Ausschluss. Denn durch diese prekäre, „freiwillige“ Arbeit werden keine Rentenansprüche etc. erworben und von daher ist damit zu rechnen, dass sich die prekäre Lage, weswegen der Freiwilligendienst aufgenommen wurde, im lebensgeschichtlichen Verlauf fortsetzen wird. 49 Diese Erwartung wird teilweise in Arbeitsverträgen von Gemeindepädagog*innen bzw. Jugendreferent*innen formuliert. (Diese Informationen liegen der Autorin durch Einsicht bzw. Bericht mehrerer Arbeitsverträge vor.). Bei den kirchlichen Berufen insgesamt wird häufig wegen des gemeinsamen Dienstes für die Sache der Kirche ein Einsatz für diese „gute Sache“ auch über die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit hinaus erwartet. Damit wird insbesondere von den Kirchen ein in der Aufgabe grundgelegtes Verschwimmen zwischen freiwilligem Engagement und Erwerbsarbeit reklamiert. 50 Illich 1981; Lambert 2015.

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tigkeit. Schattenarbeit wird als Eigenarbeit oder unbezahlte Carearbeit nicht als Teil der lohnabhängigen Arbeit anerkannt, wobei diese aber unmittelbar die lohnabhängige Tätigkeit bedingend ermöglicht.51 In diesem Sinne wird nachvollziehbar, wie unbezahlte Carearbeit in Erwerbsarbeit übergeht. Schließlich sind die Abgrenzungen zwischen freiwilliger Tätigkeit und unbezahlter Care- bzw. Reproduktionsarbeit noch diffuser als zwischen den bereits genannten Arbeitsformen. Insbesondere wenn Tätigkeiten nicht im Kontext familialer Nahbeziehungen bzw. verwandtschaftlicher Gefüge stattfinden, bestehen ggf. Definitionsfragen über das Ob und Wie des freiwilligen Engagements. Ein in hohem Maße streitbares Beispiel wäre der Einkauf für eine Seniorin in der Nachbarschaft. Ist diese Seniorin als Tante mit der Einkäuferin in ein familiär-verwandtschaftliches Verhältnis gestellt, dann wird diese Hilfe als private Carearbeit für die Verwandtschaft bestimmt. Findet die Seniorin Einkaufshilfe durch eine nicht näher verwandte Person, beispielweise durch ein Nachbarschaftshilfeportal, dann wird die Tätigkeit der Person tendenziell eher als freiwilliges Engagement für ältere Bürger*innen im Gemeinwesen ihres Stadtteils bezeichnet. Dieser exemplarische Fall veranschaulicht, dass die Grenzen zwischen freiwilliger Arbeit und Carearbeit fließend sind und in diesem Fall kaum zu unterscheiden sind. Daher ist zu schlussfolgern, dass die Trennung bzw. Differenzierung in private Carearbeit und öffentliches Engagement nicht tragfähig ist. Die These vom Arbeitskontinuum mit den vielfachen Übergängen sowie Transitionsphänomenen wurde anhand konkreter Grenzbeispiele anschaulich gemacht. Von daher wird augenfällig, dass strikte Differenzierungen der Arbeitsformen kaum möglich sind. Um dem Problem der unterschiedlichen Arbeitsformen innerhalb eines Arbeitskontinuums zu begegnen, können verschiedene Antworten gefunden werden. Es wäre vorstellbar, durch weitere definitorische Begriffs- und Abgrenzungsarbeit möglichst präzise und klar abgrenzbare Arbeitsbegriffe zu entfalten. Daneben ist es auch denkbar, das Arbeitskontinuum als Ausgangpunkt der weiteren Beschäftigung mit der kirchlich-diakonischen Arbeit zu nehmen und einen breiten Arbeitsbegriff, der möglichst das ganze Kontinuum erfasst, zum Ziel zu setzen. Bei der Definition eines umfassenden Arbeitsterminus wären sodann Kriterien für gute und gelingende Gestaltung der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt zu profilieren. In dieser Forschungsarbeit wird der zweite Schritt gewählt.

51 Ferner könnte auch ggf. das in Bayern noch gesetzlich geregelte „Betreuungsgeld“ (Herdprämie), besonders für Menschen bzw. Mütter in prekären Lebenslagen als Teil der eigenen Existenzsicherung herangezogen werden. Dadurch befände sich auch das Betreuungsgeld als staatliche Leistung für die private Kinderbetreuung am Übergang zu Formen der (prekären) Erwerbsarbeit.

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Im Zusammenhang des dargelegten Arbeitskontinuums sind die Differenzierungen zwischen einer vermeintlich öffentlichen und privaten Sphäre nicht von Relevanz. Damit soll nicht impliziert werden, dass Eingriffe seitens des Staates auf die privat-persönliche Lebensgestaltung gerechtfertigt sind. Vielmehr soll ausgedrückt werden, dass es sich bei den sozialen Arbeitsarrangements zwischen verschiedenen Personen stets um politisch-soziale Zuteilungsprozesse handelt, die keinesfalls mit dem Rückzug auf private Gründe ausreichend erklärt werden können. In diesem Sinne sind die Kategorien privat-öffentlich für die Fragen nach den unterschiedlichen Formen der Arbeit nicht von imminenter Bedeutung. Darüber hinaus muss auch aus theologischer Perspektive angemerkt werden, dass im Gottesverhältnis die Unterscheidung in öffentlicher und privater Arbeit nicht getroffen werden kann, da das ganze Leben vor dem Hintergrund des christlichen Zeugnisses zu deuten ist. Denn aus christlicher Sicht kann es keinen Bereich im Leben52 geben, der einer Eigengesetzlichkeit unterliegt. Die Arbeit der Christ*innen, sei sie bezahlt, freiwillig oder im Carebereich, ist in einem lutherischen Sinne als Dienst gegenüber Gott zu verstehen, wobei aber die theologischen Termini Beruf bzw. Dienst näher zu bestimmen wären. Dennoch sind im Kontext dieser Forschungsarbeit insbesondere die unterschiedlichen beruflichen und freiwilligen Arbeitsformen von Interesse, da die formalisierten bzw. teilweise formalisierten Tätigkeiten in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt im Fokus stehen. Um die kirchlich-diakonische Arbeitswelt neu in den Blick nehmen zu können, wurden im vorgehenden Schritt sowohl grobe Definition der verschiedenen Arbeitsformen als auch zugleich die Dekonstruktion dieser Unterscheidung vorgenommen. Neben den gesellschaftlichen Differenz- und Selektionskriterien bei der Determinierung einer Tätigkeit auf dem Kontinuum stehen neben den sozial-gesellschaftlichen Mechanismen auch noch theologische Zuschreibungen von Amt, Ämtern, Beruf(ung) und Diensten zur Verfügung. Die empirischen Gegebenheiten der modernen, arbeitsteiligen und vielfältig ausdifferenzierten Organisationen der evangelischen Kirche und Diakonie sind Ausgangspunkt der weiteren Ausführungen. Dazu werden lohnabhängige und ehrenamtliche Tätigkeit v. a. in ihren problematischen Aspekten sowie den theologischen Deutungen näher betrachtet. Ferner werden die Bedingungen sowie vielfältigen Imperative, mit denen (erwerbsförmiges) Tätigsein in der Kirche konfrontiert ist, untersucht und mit den theologischen Vorstellungen von Amt bzw. Dienst zusammengebracht. Insgesamt werden die Herausforderungen der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt und ihrer Gestaltung gesammelt. Die vorstehenden Aspekte (Deutungen, Bedingungen und Logiken der Arbeit in Kirche und Diakonie) werden unter Gliederungspunkt 2.2 behandelt. Sodann wird unter 2.3 ein allgemeiner 52 Weder „private“ Familienarbeit noch „privatwirtschaftliche“ Erwerbsarbeit.

Deutungen, Bedingungen und Logiken der Arbeit in Kirche und Diakonie

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Arbeitsbegriff entwickelt, der durch biblische sowie geschichtliche Aspekte inspiriert ist und der durch Leitlinien näher bestimmt wird. Die Ausführungen von 2.2 und 2.3 bieten die empirisch-theoretische Grundlage für die Gestaltung der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt, wie sie unter 3. vorgenommen wird. Dabei ist die bleibende Herausforderung, die soziale und theologische Wirklichkeit tatsächlich miteinander ins Gespräch zu bringen und beiden treu zu bleiben; Reuter formuliert dieses Anliegen treffend wie folgt: Die Kirche kann sich in ihrer äußeren Gestaltwerdung im Prinzip aller Vergesellschaftungsformen bedienen, die für die Verwirklichung des Auftrags geeignet sind, solange – dieses Basiskriterium ist allerdings wichtig – damit die umfassende Zeichenund Zeugnisfunktion allen kirchlichen Handelns erkennbar bleibt.53

Die nun anschließende Auseinandersetzung versucht, diese Aufgabe in angemessener Ernsthaftigkeit zu bearbeiten.

2.2

Deutungen, Bedingungen und Logiken der Arbeit in Kirche und Diakonie

Um freiwillige sowie lohnabhängige Arbeit in Kirche/Diakonie präzise zu qualifizieren, müssen die organisationalen Rahmenbedingungen, die theologischen Deutungen der Arbeit(steilung), die empirischen Arbeitspraktiken sowie die Arbeitsproblematiken und schließlich die die kirchlich-diakonische Arbeitswelt leitenden gesellschaftlichen Logiken beachtet werden. Vorrangig werden in diesem Abschnitt die Lohnarbeitszusammenhänge in den Blick genommen; dies ist aus mehreren Gründen so. Zum einen lädt die im ersten Teil der Untersuchung belegte These vom Containerbegriff freiwillige Arbeit dazu ein, die gesamtgesellschaftliche dominante Form der Erwerbsarbeit in ihrer Verwirklichung innerhalb der kirchlich-diakonischen Arbeit näher zu erkunden. Ferner können vor dem Hintergrund der Bedingungen und Logiken von kirchlichdiakonischer Erwerbsarbeit die Chancen für die Bestimmung freiwilliger Arbeit klarer eruiert werden. Insgesamt wird ebenfalls, wenn auch nur in geringerem Maße, auf die Deutungen, Bedingungen und Logiken freiwilligen Engagements eingegangen. In dieser Untersuchung soll die kirchlich-diakonische Arbeitswelt unter Beachtung freiwilliger und erwerbsarbeiterischer Tätigkeit rekonstruiert werden. Die verfasste Kirche und Diakonie sind die konkreten Organisationen bzw. Institutionen, in denen die kirchlich-diakonische Arbeitswelt Gestalt annimmt. Neben den organisationalen Arbeitsteilungsmustern, Vergesellschaftungs53 Reuter 1996, S. 47.

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formen sowie den konkret-praktischen Arbeitsverständnissen werden auch theologisch-religiös motivierte Begründungen bzw. Ziele inkludiert. Demnach sind die Verbindungen, Dissonanzen und auch Synergien, die durch den Zusammenklang von beispielsweise CA VII der Kirche als creatura verbi (einer Gemeinschaft, die durch Gottes Wort und Geist konstituiert wird), mit der empirisch beobachtbaren, organisationalen Konkretion als protestantische Partikularkirchen (Konfessionskirchen, Landeskirchen oder auch Ortsgemeinden) unbedingt relevant. Im engeren Sinne richtet sich der Blick dieser Untersuchung auf Kirche als die evangelischen Kirchen in Deutschland, also alle Landeskirchen, die sich unter dem gemeinsamen Dach der EKD verbunden wissen. Daneben wird christlich motiviertes, unterstützendes und helfendes Handeln, d. h. Diakonie als Ausdrucksform des christlichen Glaubens, berücksichtigt. Diakonie umfasst sowohl spontanes, christlich motiviertes Hilfehandeln als auch die organisierte Gemeindediakonie als die Form der unmittelbaren sozialen Arbeit im Nahfeld der Ortsgemeinde und schließlich auch diakonische Einrichtungen oder Diakonieunternehmen, die im System der Wohlfahrtspflege agieren und in den diakonischen Dachverbänden organisiert sind. Die Diakonie Deutschland versammelt die diakonischen Werke der Landeskirchen, eine große Zahl von Fachverbänden sowie die diakonische Arbeitsgemeinschaft. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt übernimmt die Diakonie als evangelisch-kirchliche Organisationen im Vergleich mit anderen europäischen Ländern sehr viele Aufgaben bei der Erbringung sozialer Dienste. Im Jahr 2014 gehörten 30.093 Einrichtungen mit 1.051.124 Plätzen und 464.828 hauptamtlichen Mitarbeitenden zur bundesdeutschen Diakonie.54 Durch das bundesrepublikanisch konstitutionell verankerte Subsidiaritätsprinzip und die entsprechende Sozialgesetzgebung55 bedingt, übernehmen die diakonischen Träger in großem Umfang sozialstaatlich weitestgehend refinanzierte Aufgaben. Bis zu 90 % der Finanzierung der diakonischen Träger wird durch die kommunalen Sozialleistungsträger bzw. auch Sozialversicherungen über Leistungsentgelte oder ggf. auch Leistungspauschalen getragen. Theologisch-christlich wird die Diakonie als Ausdruck christlicher Nächstenliebe bzw. christlich motiviertem, unterstützendem Handeln interpretiert, worauf sich sowohl Kirche als auch organisierte Diakonie in ihrem Selbstverständnis berufen. Strukturell jedoch sind Kirche und Diakonie in eigenen Organisationen verfasst, wobei vielfache personelle und strukturelle Verbindungen bestehen. Die Grundordnung der EKD (1945) qualifiziert in Art. 15 die diakonisch-missionarischen Dienste als „Lebens- und Wesensäußerungen der 54 Vgl. Diakonie Deutschland 2015, 3. 55 Die deutsche Sozialgesetzgebung favorisiert die komplexe (neo-)korporatistische Verflechtung von staatlicher Verwaltung und den freien Trägern.

Deutungen, Bedingungen und Logiken der Arbeit in Kirche und Diakonie

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Kirche.“ Die Diakonie versteht ihr Handeln als christlich motiviertes Hilfehandeln. Damit wird deutlich, dass verfasste Kirche und Diakonie sich in unterschiedlicher Weise aufeinander beziehen. Ferner nehmen die diakonischen Träger Privilegien der organisierten Kirche (Selbstordnungs- und Selbstverwaltungsrecht Art. 136, 137, 138, 139 und 141 der Weimarer Reichsverfassung in Verbindung mit Art. 140 GG) in Anspruch. Sowohl Kirche als auch Diakonie sind kontemporäre vergemeinschaftete Formen christlichen Lebens und Handelns, das unter Bezug auf Bibel und Bekenntnis gebildet wird. Trotz unterschiedlicher rechtlicher Positionen56 in der deutschen Gesellschaft ist festzuhalten, dass sich Kirche und Diakonie insgesamt sehr ähnlich in einer professionalisierten, arbeitsteiligen Erfüllung der Aufgaben konstituieren. Hinsichtlich der Fragestellung ist insbesondere der spannungsvolle Zusammenhang zwischen den entsprechenden Vergesellschaftungsformen, Arbeitsteilungsmustern, Rollenbildern, Machtstrukturen usw. und der theologischen Bestimmung dieser sozialen Bestimmungen der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt von Interesse. Wo entstehen Synergien? Wo kommt es zu Dissonanzen? Auf welche Weise kann die kirchlich-diakonische Arbeitswelt sowohl den organisatorischen als auch theologischen Aspekten Rechnung tragen? Wie kommen Deutungen, Bedingungen und Logiken der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt für lohnabhängige und freiwillige Arbeit zum Tragen? Das Anliegen, theologische Deutungen, Arbeitsbedingungen und gesamtgesellschaftliche Logiken kohärent zu verbinden, teilen beispielsweise auch der Diakonatsprozess57, die unterschiedlichen Berufsbildprozesse auf EKD- bzw. Landeskirchenebene58 sowie die verschiedenen Kirchenreformprozesse. Im Zusammenhang dieser Arbeit werden die Herausforderungen für ein solches kohärentes Zusammenspiel von Deutung, Bedingung und Logiken der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt unter Beachtung freiwilliger sowie lohnabhängiger Arbeit im Fazit unter 2.2.4 benannt. Zu allererst erfolgt aber die detailgenaue Untersuchung der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt mit ihren sozialen und theologischen Deu56 Die hohe Zahl von Vorschriften und Gesetzen zum Betrieb von Hilfeeinrichtungen lassen „die formelle Rechtsposition der freien Träger zwar unangefochten, machen Betrieb und Förderung von Einrichtungen aber faktisch von einer ganzen Reihe von öffentlichen Vorgaben abhängig und schränken damit den Gestaltungsspielraum der freien Träger zunehmend ein. […] Die freien Träger [verlieren] ihren Charakter als freie, ungebundene Kräfte und werden faktisch zu abhängigen Bestandteilen eines Gesamtkomplexes öffentlicher Wohlfahrtspolitik, der ihre Gestaltungsspielräume notwendig einengt.“ (Sachße 1995, S. 136.) 57 Vgl. Kirchenamt der EKD 1996, was die Ergebnisse des 2003 zum Stillstand gekommenen Diakonatsprozesses der EKD seit den 1990er Jahren abbildet. Fortgesetzte Bemühungen in dieser Richtung finden sich bei Zippert 2014 oder auch bei der Evangelische Kirche Württemberg 2016. Die Evangelische Landeskirche in Württemberg debattiert seit 2008 die Ämterfrage im Kontext der Diakonie. 58 Vgl. z. B. den Pfarrbildprozess in der ELKB: Evangelisch-Lutherische Landeskirche Bayern 2013.

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tungen, Bedingungen und Logiken. Im Folgenden werden dazu Ursprung und Verwendung des „Dienstgemeinschafts-“Begriffs des kirchlichen Arbeits- und Dienstrechts sowohl für erwerbsarbeiterische als auch freiwillige Arbeitszusammenhänge erörtert. Außerdem werden Rollenerwartungen und Arbeitsüberlastung kirchlich-diakonischer Mitarbeitender sowie die Ökonomisierung der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt expliziert. Die entsprechenden Problematiken werden exemplarisch unter Bezugnahme auf eine bestimmte Mitarbeitenden- bzw. Berufsgruppe hin verdichtet dargestellt.

2.2.1 Theologische Deutungen und praktische Implikationen der Dienstgemeinschaft – Dienstgemeinschaft als theologische Chiffre Wenn innerhalb der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt über Tätigsein gesprochen wird, dann geschieht das, wie unter 2.3 nachgewiesen werden wird, bis in die Gegenwart weniger mit dem Terminus „Arbeit“, sondern tendenziell mit dem Begriff des „Dienstes“. Die Wortbildung „Dienstgemeinschaft“ klassifiziert das Verhältnis von haupt-, neben- und ehrenamtlichen Tätigkeiten in einigen Kirchenverfassungen. Darüber hinaus charakterisiert „Dienstgemeinschaft“ aber v. a. die arbeitsteiligen Erwerbsarbeitsverhältnisse und bildet die legitimatorische Grundlage des kirchlichen Dienst- und Arbeitsrechtes. Dienstgemeinschaft fungiert in diesem Zusammenhang als eine theologische Chiffre zur Rechtfertigung der Erwerbsarbeitsverhältnisse in Kirche und Diakonie. Dies wird im Folgenden ausführlich unter 2.2.2.2 erörtert werden, vorab die Dienstgemeinschaft in der Kirche bzw. den Kirchenverfassungen. 2.2.1.1 Dienstgemeinschaft in den Kirchenverfassungen bzw. in der Kirche „Dienstgemeinschaft“ wird im Kontext vieler Kirchenverfassungen genannt; insgesamt neun Kirchenverfassungen59 der EKD erwähnen den Terminus. Es sind zwei Verwendungsweisen zu unterscheiden: 59 Evang. Landeskirche Anhalts, Evang. Landeskirche in Baden, Evang. Kirche in BerlinBrandenburg-Schlesische Oberlausitz, Evang.-Luth. Landeskirche Hannovers, Evang. Kirche in Mitteldeutschland, Evang.-Luth. Kirche in Norddeutschland, Evang. Kirche der Pfalz, Evangelische Kirche im Rheinland und Evang.-Luth. Landeskirche Sachsens. In einigen Kirchenverfassungen z. B. in der der Bremischen Evangelischen Kirche sowie der Evangelisch-Reformierten Kirche kommt der Terminus Dienst gar nicht vor. In den anderen Verfassungen findet der Begriff bezogen auf die Frage nach unterschiedlichen Arbeiten/ Arbeitsbereichen keine Verwendung (Evang.-Luth. Kirche in Oldenburg und Evang.-Luth. Landeskirche Schaumburg-Lippe). Dagegen nehmen z. B. die Kirchenverfassungen der Evang.-Luth. Landeskirche in Braunschweig, der Evang. Kirche in Hessen und Nassau, der Evang. Kirche von Kurhessen-Waldeck, der Lippischen Landeskirche und auch der Evange-

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1. Dienstgemeinschaft im Sinne des gemeinsamen Diensts unterschiedlicher organisational-institutioneller (Teil-)Organisationen bzw. Hierarchieebenen. Die Grundordnung der EvLB besagt in Art. 32.(2) in einem solchen Sinne „Der Kirchenbezirk nimmt seine Aufgaben in einer eigenständigen Dienstgemeinschaft wahr. Zu diesem Zweck kann er bezirkliche Dienste, Ämter und Einrichtungen schaffen und eigene Arbeitsformen entwickeln.“ 2. „Dienstgemeinschaft“ als Verhältnisbestimmung unterschiedlicher Tätigkeiten und Arbeitsformen – hier stehen die verschiedenen Mitarbeitendengruppen im Fokus. Die Kirchenverfassung der EvLaS beispielsweise nennt in § 19.2: Kirchliche Mitarbeiter sind haupt-, neben- und ehrenamtlich in einer Dienstgemeinschaft tätig. Auf diese Weise erfüllt „Dienstgemeinschaft“ neben der Regulierungsfunktion für berufsarbeiterische Verhältnisse bzw. arbeitsrechtliche Arrangements auch eine Verhältnisbestimmungsfunktion für die Beziehungen von hauptberuflichen, nebenberuflichen und freiwilligen Mitarbeitenden zueinander. Die Regulierungs- und die Verhältnisbestimmungsfunktion finden sowohl in der kirchlichen als auch in der diakonischen Arbeitswelt Verwendung. Außerdem wird im Zusammenhang der verstärkten Aufmerksamkeit des Engagementthemas auch häufig in Handreichungen, Stellungnahmen oder Leitlinien zum Ehrenamt auf Dienstgemeinschaft verwiesen. Die anhaltische Kirche beispielsweise formuliert in ihren Leitlinien zum Ehrenamt: Ehrenamtliche, nebenamtliche und hauptamtliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in Kirche und ihrer Diakonie sind in einer Dienstgemeinschaft innerhalb der jeweiligen Aufgabenbereiche gleichberechtigt nebeneinander tätig. Gegenseitige Anerkennung und ein partnerschaftliches Miteinander trotz der verschiedenen Verantwortlichkeiten sind Grundlage einer guten Arbeitsatmosphäre.60

lischen Kirche von Westfalen den „Dienst“ auf und ordnen damit unterschiedliche Arbeitsbereiche einander zu. Z. B. führt die Verfassung der EKKW aus: „Art. 1. In der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck stehen alle ihre Glieder in gemeinsamer Verantwortung und im gemeinsamen Dienst.“ Und „Art. 7.1. Die Gemeindeglieder haben nach Maßgabe der kirchlichen Ordnungen teil am geistlichen Dienst der Kirche und am Leben der Kirche und Gemeinde.“ Daneben bezeichnet „Dienst“ auch den Auftrag, der durch unterschiedliche Arbeitsformen (Erwerbsarbeit bzw. freiwillige Arbeit) erfüllt wird. So z. B. in den Verfassungen der Evang.-Luth. Landeskirche in Braunschweig oder der, der Evang. Kirche in Hessen und Nassau. Die Kirchenordnung der EKHN formuliert in Art. 6.1., dass Dienste in ehrenamtlicher, neben- oder hauptberuflicher Tätigkeit vollzogen werden können. Eine detaillierte Überblicktabelle über die jeweiligen Bestimmungen in den Kirchenverfassungen mittels des Terminus Dienstes findet sich im Anhang. 60 Evangelische Landeskirche Anhalt 2000.

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Dabei wird keine scharfe Unterscheidung zwischen bezahlter und freiwilliger Arbeit und denen mit den unterschiedlichen Arbeitsformen verbundenen Privilegien gemacht, sondern der gemeinsame Dienst im Sinne einer gemeinsamen Sendung bzw. dem Priestertum aller Gläubigen herausgestellt. Jedoch können durch die Dienstgemeinschaft schnell strukturelle Differenzen unterschiedlicher Arbeitsformen vernachlässigt werden und auf diese Weise die Existenz unterschiedlicher Arbeitsformen (bezahlt und freiwillig) pauschal und unkritisch legitimiert werden. 2.2.1.2 Dienstgemeinschaft im kirchlichen Arbeits- und Dienstrecht Neben der Dienstgemeinschaft in den Kirchenverfassungen wird diese umfänglich im Rahmen der Diakonie rezipiert. Bezogen auf die diakonische Arbeitswelt kommt Dienstgemeinschaft eine Regulierungsfunktion für berufsarbeiterische Verhältnisse bzw. arbeitsrechtliche Arrangements zu. Dienstgemeinschaft wird im Folgenden unter Beachtung der unterschiedlichen Arbeitsverhältnisse, dem Ursprung, der kirchenjuristischen Definition sowie der rechtlich-sozialen Entwicklung des Begriffs charakterisiert. 2.2.1.2.1 Rechtliche Unterscheidung der Arbeitsverhältnisse in Kirche und Diakonie In der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt existieren neben privatrechtlichen noch beamtenähnliche und schließlich freiwillige Arbeitsverhältnisse, die entsprechend je unterschiedlich begründet und rechtlich verfasst sind. Wird zwischen freiwilliger und lohnabhängiger Arbeit unterschieden, dann ist festzuhalten, dass freiwillige Tätigkeit in diesem Sinne kaum reguliert ist. Daher wird im Folgenden v. a. die Regulierung der lohnabhängigen bzw. alimentierten Arbeitsverhältnisse beschrieben. Die verfassten Kirchen machen als Körperschaft des öffentlichen Rechts von der damit verbundenen Dienstherrenfähigkeit Gebrauch und begründen eigene öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse (Pfarrer und Kirchenbeamtinnen). Das Arbeitsrecht für Pfarrer*innen und Kirchenbeamt*innen61 ist maßgeblich am staatlichen Beamt*innenrecht orientiert. Der weitaus größere Teil62 der kirchlich61 Das Kirchenbeamtengesetz der EKD (KBG.EKD) aus dem Jahr 2005 regelt diese Arbeitsverhältnisse. Das KBG.EKD ist dem staatlichen Beamt*innenrecht sehr ähnlich. (Vgl. Kirchenamt der EKD 2005.) 62 In den verfassten Kirchen sind bezogen auf die gesamte EKD rund 21.500 Theologen (2009) beschäftigt. Bei einer Gesamtzahl von ca. 230.000 erwerbsabhängig Beschäftigten (2014) sind dies weniger als 10 %. (Vgl. Kirchenamt der EKD 2015.) In den diakonischen Landes- und Fachverbänden und in der diakonischen Arbeitsgemeinschaft wurden 464.828 (2014) Mitarbeitende und damit die große Mehrheit in privatrechtlichen Arbeitsverhältnissen beschäftigt. (Vgl. Diakonie Deutschland 2015, S. 3.)

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diakonischen beruflich Mitarbeitenden hingegen ist auf privatrechtlicher Grundlage angestellt.63 Bei der Gestaltung dieser privatrechtlichen kirchlichdiakonischen Dienstverhältnisse kommen Kirche/Diakonie aufgrund der kirchlichen Autonomie besondere Gestaltungsfreiräume zu. Schließlich liegen neben den rechtlich sehr stark regulierten erwerbsarbeiterischen Dienstbeziehungen auch noch (Arbeits-)Verhältnisse in Form freiwilligen Engagements vor. All diese unterschiedlichen Mitarbeitendengruppen bzw. Arbeitsverhältnisse sind mittels kirchenrechtlicher Gesetze oder Ordnungen bzw. auch staatlicher Gesetzgebung geregelt. Geistlich-theologische Begründungen sowie arbeitsrechtliche Rechte und Pflichten sind häufig ineinander verwoben und aufeinander bezogen.64 Kirchenbeamt*innen/Pfarrer*innen Die staatskirchlichen Zusammenhänge bedingen, dass das gegenwärtige Kirchenbeamt*innenverhältnis am staatlichen Beamt*innenrecht ausgerichtet ist. Dies impliziert die Idee des öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnisses zwischen der Beamt*in und ihrem Dienstherren. Die Arbeitsbeziehung der Beamt*in ist als öffentlich-rechtliches Verhältnis von privatrechtlichen Arbeitsverhältnissen unterschieden. Sowohl Rechte (KBG.EKD §§ 34–41) als auch Pflichten (KBG.EKD §§ 18–33) kennzeichnen das Beamt*innenverhältnis. Zu den besonderen Pflichten gehört eine hohe Verbindlichkeit gegenüber der Kirche mit persönlichem Einsatz sowie unter Berücksichtigung des eigenen Privatlebens (Treuepflicht), die Residenzpflicht, die Gehorsamspflicht gegenüber dem Dienstherren (inklusive Streikausschluss) und die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit. In der Regel wird das Beamt*innenverhältnis auf Lebenszeit geschlossen und beinhaltet neben den Pflichten auch vielfältige Berechtigungen. Fürsorge- und Unterhaltsrecht garantieren die kontinuierliche Alimentierung dieser Tätigkeit in einem vergleichbar (angelehnt ans staatliche Beamtenrecht) hohen Umfang. Ferner befinden sich Beamt*innen auf Lebenszeit in einem sicheren, unkündbaren Dienstverhältnis, aus dem sie nur wegen strafrechtlich relevanter Vergehen oder aufgrund eines disziplinarrechtlichen Verfahrens entlassen werden können (KBG.EKD §§ 75–85).

Insgesamt ist mit weit über 650.000 Mitarbeitenden in Kirche und Diakonie zu rechnen, die auf privatrechtlicher Grundlage angestellt sind. 63 Vgl. Grethlein 2015, S. 151. 64 So werden im Pfarrdienstgesetz der EKD (PfDG.EKD) aus dem Jahr 2010 geistliche Normierungen und arbeitsrechtliche Rechte und Pflichten miteinander verwoben und stark aufeinander bezogen.

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Privatrechtliche Erwerbsarbeitsbeziehungen Privatrechtliche Erwerbsarbeitsbeziehungen65 in Kirche bzw. Diakonie66 werden seit den 1950er Jahren eigenständig gestaltet, was grundgesetzlich durch das kirchliche Selbstverwaltungsrecht Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV67 zugestanden wird. Ferner befreien gesetzliche Ausnahmeregelungen Kirche bzw. Diakonie von der Umsetzung des Betriebsverfassungs- und Personalvertretungsgesetzes. Neben den individualrechtlich relevanten Loyalitätsforderungen des kirchlichen Arbeitsrechtes sind v. a. die genannten kollektivrechtlichen Güter, wie die Koalitionsfreiheit, von Bedeutung.68 Das im Rahmen des kirchlichen Selbstverwaltungsrechts 2013 novellierte Mitarbeitervertretungsgesetz (MVG.EKD 2013) bestimmt die eigene Personalvertretung für kirchlichdiakonische Mitarbeitende. Im Fall von Streitigkeiten bezüglich des Mitarbeitendenvertretungsrechts übernehmen kirchliche Instanzen69 die Regulierung und den Rechtschutz. Die Präambel des MVG.EKD 2013 sagt aus: Kirchlicher Dienst ist durch den Auftrag bestimmt, das Evangelium in Wort und Tat zu verkündigen. Alle Frauen und Männer, die beruflich in Kirche und Diakonie tätig sind, wirken als Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen an der Erfüllung dieses Auftrages mit. Die gemeinsame Verantwortung für den Dienst der Kirche und ihrer Diakonie verbindet Dienststellenleitungen und Mitarbeiter wie Mitarbeiterinnen zu einer Dienstgemeinschaft und verpflichtet sie zu vertrauensvoller Zusammenarbeit.70

Nicht nur das MVG.EKD 2013, sondern das kirchliche Arbeitsrecht insgesamt ist vom Motiv der „Dienstgemeinschaft“ geleitet. Hinsichtlich der Konstitution des „Dritten Wegs“ spielt „Dienstgemeinschaft“ die entscheidende Rolle. Dritter Weg meint, dass die Bedingungen privatrechtlicher Erwerbsarbeitsverhältnisse weder

65 Das umfasst „kollektiv- und einzelvertragliche Regelungen der internen Arbeitsorganisation und Interessenvertretung sowie der normativen Begründung der Arbeitstätigkeiten und der Struktur von Einrichtungs- und Verbandsverfassungen“ (Beyer und Nutzinger 2001, S. 40.) 66 Gemäß der Grundordnung der EKD (1948) werden die diakonisch-missionarischen Dienste als „Lebens- und Wesensäußerungen der Kirche“ (GO.EKD Art.15) verstanden. Daher bestehen für diese Dienste (z. B. Missionswerke oder diakonische Werke) die gleichen rechtlichen Privilegien wie für die verfasste Kirche. 67 Dennoch haben natürlich allgemein gültige Gesetze wie das Arbeitszeitgesetz oder das Kündigungsschutzgesetz Bestand, jedoch besteht hinsichtlich des Tarifvertragsgesetzes kirchliche Handlungsfreiheit. Wenn es zwischen kirchlich gesetztem Recht und staatlichem Recht (z. B. im Bereich des Kündigungsschutzes) zu Kollisionen kommt, entscheidet ein Gerichtsverfahren über den Umfang der kirchlichen Selbstbestimmung im jeweiligen Fall. 68 Vgl. Munsonius 2015, S. 117. 69 Kirchengericht oder kirchliches Verwaltungsgericht. 70 Kirchenamt der EKD 2013. Daneben findet der Begriff Dienstgemeinschaft noch in § 33 MVG.EKD 2013 bei der Bestimmung der Grundsätze zur Zusammenarbeit unterschiedlicher Mitarbeitendengruppen und Hierarchieebenen Verwendung.

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durch Tarifverträge71 noch einseitig durch die gesetzgebenden Organe der Arbeitgeber (in diesem Fall die Synoden) festgelegt werden.72 Der „dritte Weg“ ist demgegenüber ein drittes alternatives Vorgehen zur Festsetzung privatrechtlicher Arbeitsbedingungen in Kirche bzw. Diakonie. Dazu wird eine paritätisch besetzte sog. Arbeitsrechtliche Kommission (ARK) gebildet. Die ARK legt in den Arbeitsvertrags-Richtlinien (z. B. AVR.DW) 73 die Arbeitsbedingungen und Entlohnung im jeweiligen Zuständigkeitsgebiet fest. Die ARK der Diakonie Deutschland beispielsweise besteht aus je zwölf Vertreter*innen von Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden, die für je vier Jahre in dieses Gremium gewählt bzw. entsandt werden. Gegenüber einem gewerkschaftlich organisierten Modell, welches die Möglichkeit des Arbeitskampfes zur Interessendurchsetzung bietet, ist der dritte Weg am Ideal der „Dienstgemeinschaft“ mit dem gemeinsamen Auftrag bzw. Dienst sowie am Prinzip des Konsenses bzw. der Versöhnung orientiert. Auf diese Weise wird der leitende Charakter der „Dienstgemeinschaft“ zur arbeitsrechtlichen Gestaltung bzw. Organisation deutlich. In der Präambel des Arbeitsrechtegrundsätzegesetzes der EKD (ARGG.EKD) aus dem Jahr 2011 heißt es: Alle Männer und Frauen, die beruflich in der Kirche und Diakonie tätig sind, wirken an der Erfüllung dieses Auftrages mit. Die gemeinsame Verantwortung für den Dienst der Kirche und ihrer Diakonie verbindet Dienstgeber und Mitarbeiter wie Mitarbeiterinnen zu einer Dienstgemeinschaft.

Grundlage dieses gemeinsamen Dienstes ist nach ARGG.EKD § 2 die gemeinsame Verantwortung und der partnerschaftliche Umgang miteinander. Der Begriff „Dienstgemeinschaft“ ist für die Bestimmung des kirchlichen Arbeitsrechts bzw. bei der Ausgestaltung des Dritten Wegs zentral und soll daher im Folgenden näher in seinem theologischen wie auch praktischen Gehalt erörtert werden. 2.2.1.2.2 Außerkirchlicher Ursprung und Herkunft der „Dienstgemeinschaft“ Der Terminus „Dienstgemeinschaft“ ist in der theologischen Debatte, wie Hermann Lührs in seiner begriffsgeschichtlichen Untersuchung nachweist, relativ neu. Sowohl in protestantischen als auch in katholischen Kontexten wird erst seit den 1950er Jahren und nur im Zusammenhang des kirchlichen Arbeitsrechts von Dienstgemeinschaft gesprochen. Dementsprechend ist „Dienstgemeinschaft“ erst Ende der 1950er Jahre in den theologischen Lexika und 71 Das Aushandeln von kollektiven Arbeitsrechtsregelungen sowie Tarifen durch Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände wird erster Weg genannt. 72 Der zweite Weg ist die einseitige Festlegung der Arbeitsbedingungen durch die Arbeitgebenden. Bis 1976 wurde dieses Vorgehen in Kirche und Diakonie praktiziert. 73 Arbeitsrechtliche Kommission der Diakonie Deutschland 2016.

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Fachkompendien nachzuweisen.74 In RGG 4 existiert erstmals ein eigenständiger Artikel über Dienstgemeinschaft verfasst vom Juristen Peter v. Tiling. Demnach sei die Zusammenarbeit freiwilliger und beruflicher Mitarbeitender generell der gemeinsame kirchliche Dienst. Darüber hinaus qualifiziert er „Dienstgemeinschaft“ im Wesentlichen als konkrete Erwerbsarbeitsverhältnisse mit Rechten und Pflichten.75 Neben Tiling sind es im Weiteren v. a. (Kirchen-)Juristen, die mit dem Terminus „Dienstgemeinschaft“ operieren und diesen explizieren. Findet die „Dienstgemeinschaft“ Erwähnung, dann in der Regel im Kontext des kirchlichen Arbeitsrechts. Dies zeigt sich exemplarisch an der TRE, der zwar ein eigener Artikel Dienstgemeinschaft fehlt, jedoch alle Belegstellen76 in der TRE im Zusammenhang des kirchlichen Arbeitsrechts stehen.77 Lührs weist nach, dass der Terminus Dienstgemeinschaft aus der staatlichen Tarifordnung der NSDiktatur kommend Eingang in die Ordnungen der Caritas bzw. der Inneren Mission gefunden hat.78 Zum Zeitpunkt 1930 ist die Dienstgemeinschaft kein Bestandteil des kirchlichen Lebens oder der Glaubenslehre beider Konfessionen – und zwar weder in der Weite theologischenzyklopädischer Zusammenfassungen noch im engeren Funktionsbereich von Diakonie und Caritas. Die Dienstgemeinschaft kommt als Kategorie des kirchlichen Selbstverständnisses vor 1930 schlechterdings nicht vor.79

1934 führte ein Gesetz die nationalsozialistische Betriebsgemeinschaftsidee sowie das Führer-/Gefolgschaftsprinzip in allen öffentlichen und privatwirtschaftlichen Organisationen ein. Zugleich wurde auch die gewerkschaftliche Interessenvertretung verboten.80 Diese allgemeine Tarifordnung des NS-Staats 74 In RGG 3 wird „Dienstgemeinschaft“ nur im Zusammenhang mit dem Art. Dienstrecht erwähnt. 75 Vgl. v.Tiling, S. 841. 76 In der TRE wird „Dienstgemeinschaft“ nicht eigens theologisch bestimmt, sondern v. a. in Abhängigkeit der Beschreibung der arbeitsrechtlichen Besonderheiten und Regelungen des Dritten Wegs erörtert. In Buttler 1990 wird Dienstgemeinschaft im arbeitsrechtlichen Zusammenhang als Begriff zur Beschreibung der Verhältnisse nach 1950 und der Gestaltung des dritten Wegs verwendet. Ferner heißt es in Ehnes 1990: „Da die Mitarbeiter im Dienst der Kirche ohne Rücksicht auf ihre arbeitsrechtliche Stellung eine Dienstgemeinschaft im Gehorsam gegen Jesus Christus, den Herrn der Kirche, bilden, haben die meisten Kirchen den Abschluß von Tarifverträgen abgelehnt und stattdessen eigene Arbeitsrechtsregelungsgesetze (‚Dritter Weg‘) erlassen, in denen gewählten Mitarbeitervertretern und den Verbänden kirchlicher Mitarbeiter und den Gewerkschaften ÖTV und DAG Mitwirkungsmöglichkeiten eingeräumt sind.“ (Ehnes 1990, 170) Schließlich versteht der Art. Kirche von Ulrich Kühn die Kirche als „Kirche für Andere“ und bezieht dabei Philippis Gottesdienstverständnis (vgl. Philippi 1984) ein. Die Kirche sei demnach Zeugnis- und Dienstgemeinschaft. 77 Vgl. Lührs 2009, S. 116. 78 Vgl. Lührs 2009, S. 120. 79 Lührs 2009, S. 121. 80 In § 2 (Gesetz zur Ordnung der Arbeit in öffentlichen Verwaltungen und Betrieben vom 23. 03. 1934) heißt es „Der Führer (einer öffentlichen Verwaltungsstelle, HL) sorgt für das Wohl der

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galt als staatliches Recht für alle Personen. Die allgemeine Tarifordnung der Nazis interpretierte alle Arbeit, die am Prinzip Führer-Gefolgschaft ausgerichtet war, als Arbeit in der in Dienstgemeinschaft. Diese Arbeit sei der gemeinsame Dienst am Volk bzw. Staat. Diese Deutung wurde zwangsweise auch in die einzelnen Ordnungen der Inneren Mission bzw. Caritas aufgenommen, die zu diesem Zeitpunkt nicht mehr selbstständig waren.81 Nach dem Krieg haben die Alliierten die Gesetze des NS-Staates zwar aufgehoben. Das Tarifvertragsgesetz von 1949 sah auch vor, dass Tarifordnungen aus der NS-Zeit durch Tarifverträge ersetzt werden müssen. Um aber Verhandlungen mit einer Gewerkschaft zu vermeiden, hätten die Kirchen die Dienstgemeinschaft quasi christlich getauft.82

Ferner wurden die Tarifordnungen der NS-Zeit erst sukzessive revidiert. Lührs illustriert, dass die diakonisch-kirchlichen Einrichtungen auf die Grundordnungen diakonischer Einrichtungen von Beginn des Jh. zurückgriffen, aber den gängigen Begriff der Arbeitsgemeinschaft seit den 1950er Jahren durch den Terminus „Dienstgemeinschaft“ ersetzten.83 Zwar ist der Bezugsrahmen dieser Dienstgemeinschaft die Kirche, nicht der nationalsozialistische Staat, jedoch schwingen sowohl in Kirche als auch Nazi-Diktatur jeweils die Aspekte Unterordnung und Opferbereitschaft mit. Es mangelt einer eigenständigen theologisch-qualifizierenden Verknüpfung zur Dienstgemeinschaft, „denn hierzu fehlt die Voraussetzung der Existenz einer solchen selbstständigen kirchlichen Kategorie […] Vor den 1950er Jahren existierte die ‚Dienstgemeinschaft‘ […] nicht als religiöses Symbol bzw. Inhalt einer Glaubensaussage der Kirchen.“84 Lührs folgert insgesamt eine hohe Ambivalenz des Terminus Dienstgemeinschaft in den 1950er Jahren. Denn einerseits sei „Dienstgemeinschaft“ Ausdruck restaurativer kirchlicher Tendenzen, zugleich sei aber andererseits die Bezeichnung mittlerweile auch zu einem allgemein relevanten arbeitsrechtlichen Terminus geworden.85

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Beschäftigten. Diese haben ihm die in der Dienstgemeinschaft begründete Treue zu halten und eingedenk ihrer Stellung im öffentlichen Dienst in ihrer Diensterfüllung allen Volksgenossen Vorbild zu sein.“ (zitiert nach Lührs 2009, S. 122.) Lührs 2009, S. 116ff. Fleischmann 2012, S. 17. Vgl. Lührs 2009, S. 120ff. Lührs 2009, S. 124. Vgl. Lührs 2009, S. 120.

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2.2.1.2.3 Grundlegende Bestimmung der Dienstgemeinschaft durch den Kirchenjuristen Werner Kalisch Der Artikel „Grund- und Einzelfragen des kirchlichen Dienstrechts“86 des Kirchenjuristen Werner Kalisch aus dem Jahr 1952 ist für die Bestimmung der „Dienstgemeinschaft“ als kirchenjuristischer Kategorie und fürs kirchliche Arbeitsrecht entscheidend. Kalisch leitet aus Art.137 WRV i.V.m. Art.140 GG, also dem verfassungsgemäßen Recht der Religionsgemeinschaften zur selbstständigen Verwaltung und Ordnung ihrer Angelegenheiten, die Möglichkeit ab, im Rahmen der Kirchenautonomie ein eigenes kirchliches Arbeits- und Dienstrecht zu gestalten. Im Gefolge der Trennung von Kirche und Staat 1918 entwickelte sich ein Kirchenbeamtentum am Vorbild des Staatsbeamtentums. Auch die arbeitsrechtlichen Regelungen für kirchliche Arbeiter*innen bzw. Angestellte nach 1918 und insbesondere seit 1945 seien äußerst stark an die Normierungen für Kirchenbeamte angelehnt. Kalisch bewertet dies als Herausbildung eines eigenen kirchlichen Dienstrechts neben dem allgemeinen Arbeitsrecht. Ein eigenes kirchliches Arbeitsrecht sei demnach quasi vorhanden und von daher legitim. Ferner akzentuiert Kalisch die Zusammengehörigkeit unterschiedlicher Werke bzw. Verbände (der inneren und äußeren Mission) und der verfassten Kirche. Um dieses Verhältnis und auch das entsprechende kirchliche Arbeitsrecht näher zu fassen, greift Kalisch auf die „Dienstgemeinschaft“ aus den Richtlinien für Arbeitsverträge der Inneren Mission zurück. Er definiert „Dienstgemeinschaft“ wie folgt:87 In dem aufgetragenen Zeugnis von der in Jesus Christus geoffenbarten Gnade liegt das den kirchlichen Dienst konstituierende und legitimierende Element, und darin besteht das Verbindende, die Einheit alles kirchlichen Dienstes. Das in allen noch so verschiedenen Funktionen des einen Dienstes in der Kirche und in ihren Werken lebendige Bezeugen der frohen Botschaft verbindet alle darin Stehenden zu einer großen Gemeinschaft des Dienstes. Mit dieser vorgegebenen Dienstgemeinschaft ist der Kirche aufgegeben, die Gestaltung eines eigenständigen kirchlichen Dienstrechts für alle kirchlichen Dienstzweige […] Das kirchliche Dienstrecht ist weder Arbeitsrecht noch öffentliches Recht, sondern Kirchenrecht.88

Kalisch differenziert verschiedene kirchliche Dienstzweige mit entsprechenden eigenen rechtlichen Regelungen. Es sei das Dienstrecht für den „Lebensberuf“ der Pfarrer, welche zur öffentlichen Wortverkündigung berufen bzw. ordiniert sind, und das Dienstrecht für alle anderen kirchlichen Mitarbeitenden zu unterscheiden. Kalisch argumentiert, dass der Pfarrberuf die notwendige Prämisse zum Hören des Evangeliums und damit auch die Vorbedingung für alle 86 Kalisch 1952/1953. 87 Vgl. Kalisch 1952/1953, S. 28ff. 88 Kalisch 1952/1953, S. 31f.

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anderen Tätigkeiten sei. Auf diese Weise trete der Vorrang des Pfarrberufs vor allen anderen Tätigkeiten und damit einhergehend auch seine arbeitsrechtliche sowie monetäre Privilegierung klar hervor.89 Kalisch fordert die Weiterentwicklung des Dienstrechts für sog. Geistliche und Kirchenbeamte. Hinsichtlich der anderen kirchlichen Tätigkeiten bzw. Erwerbsarbeitsformen (Arbeiter*innen und Angestellte90) lehnt er die Angleichung ans Beamtenrecht ab. Dies v. a. auch aus dem funktionalen Grund, dass ein starker Zuwachs dieser Arbeitsverhältnisse prognostiziert wird. Kalisch zieht die Möglichkeit einer graduellen Abstufung des Dienstrechts der Ordinierten in Erwägung. Je näher eine Tätigkeit der Wortverkündigung stehe, desto mehr pfarramtliche Rechtsprivilegien seien zuzuordnen.91 Hinsichtlich der Konkretion des komplexen kirchlichen Arbeitsrechts gebe es einen hohen Regulierungsbedarf, wobei jedoch ein einheitliches Dienstrecht für alle kirchlichen Berufe keinesfalls eine gangbare Lösung sei.92 Zur Begründung argumentiert Kalisch nicht theologisch, sondern bezieht sich auf eine verwaltungspragmatische Tradition.93 Darüber hinaus lehnt Kalisch auch die Option kirchlicher Tarifordnungen für diese privatrechtlichen Arbeitsverhältnisse in Kirche bzw. Diakonie ab. Kollektivrechtliche Regelungen stünden „mit dem Wesen der Kirche zutiefst im Widerspruch.“94 Denn Christus, der Herr der Kirche, lasse keinen legitimen Dissens zwischen Kirchenleitung und kirchlichen Mitarbeitenden zu. Auf diese Weise werden kollektivrechtliche Regelungen und eine mögliche gewerkschaftliche Organisation der Mitarbeitenden mit theologischen Deutungen der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt abgewehrt. Außerdem wird ohne entsprechende Konkretion eine abstrakte brüderliche Zusammenarbeit der unterschiedlichen Mitarbeitendengruppen gefordert.95 Insgesamt liegt dem Kirchenjuristen Kalisch die Begründung eines eigenen kirchlichen Dienstrechts für Angestellte bzw. Arbeiter*innen am Herzen. Dies aber unter Beibehaltung der vielfach privilegierten Position der Kirchen89 Vgl. Kalisch 1952/1953, S. 34. 90 Diese anderen haupt- und nebenberuflichen Tätigkeiten in der Kirche bzw. Diakonie sind nach Kalisch beispielsweise Pfarrhelfer, Diakone, Katecheten, Prediger, Kirchenmusiker, Schwestern, Pfleger, Ärzte, Kindergärtnerinnen, Arbeiter auf Friedhöfen und in stationären Einrichtungen usw. 91 Vgl. Kalisch 1952/1953, S. 49. 92 „Bedenklich ist dagegen der Versuch, besoldungsrechtliche Vorschriften auf die Bezüge der Angestellten zu erstrecken. […] Nach der überkommenen deutschen Rechts- und Verwaltungstradition [besteht] ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Beamtenverhältnis und dem Dienstverhältnis des Angestellten […] andererseits.“ (Kalisch 1952/1953, S. 55.) 93 Kalisch nennt keine theologischen Argumente für die besondere Privilegierung der Kirchenbeamten. Vielmehr verdiene der Pfarrer die Stellung im klassischen Amt, was sich aus Tradition, ähnlich wie bei Staatsbeamten, herleite. 94 Kalisch 1952/1953, S. 58. 95 Vgl. Kalisch 1952/1953, S. 57.

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beamt*innen bzw. Pfarrer*innen. Ferner soll das kirchliche Dienstrecht weitestgehend unabhängig vom Staat sein. Durch den Dienstgemeinschaftsbegriff bindet Kalisch sein Modell und seine Grundannahmen eng zusammen. Für den bis heute relevanten, kirchenrechtlichen Grundsatzartikel sind weniger theologische Einsichten zu Amt, Ordination oder Priestertum aller Gläubigen für die Zuordnung unterschiedlicher beruflicher sowie ehrenamtlicher Tätigkeiten innerhalb der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt leitend. Vielmehr ist aus kirchenrechtlicher Perspektive der Zugewinn eines durch das Kirchenrecht zu regulierenden Arbeitsbereichs von Interesse. Die kritische Reflexion bisheriger pfarrberuflicher bzw. kirchenbeamtlicher Arbeitsregelungen tritt in den Hintergrund, da ein verwaltungspragmatisches Vorgehen gewählt wird. Dem folgenden Fazit Grethleins ist zuzustimmen: Dieser – ursprünglich aus der nationalsozialistischen Arbeitswelt stammende Begriff – Begriff wurde erst recht spät von Kirchenjuristen adaptiert, um kirchlichen Beschäftigungsverhältnissen eine Grundlage zu geben. Entgegen anderslautenden Behauptungen verdankt er sich keiner theologischen Reflexion. Vielmehr galt es – entsprechend Barmen III – nach dem Zweiten Weltkrieg, als vermehrt Mitarbeiter im Arbeiter- und Angestelltenverhältnis in Kirchen und Diakonie eingestellt wurden, ein adäquates Arbeitsrecht zu erstellen.96

2.2.1.2.4 Entwicklung der Dienstgemeinschaft Ein auf der Grundlage Kalischs und seiner Dienstgemeinschaftsinterpretation fußendes kirchliches Dienstrecht konnte bis in die 1980er Jahre beinahe kritiklos entfaltet werden. Bis 1985 gehörte „Dienstgemeinschaft“ hauptsächlich zur Sprache und Deutung der Kirchenjuristen bzw. Verwaltungsbeamten. Dies änderte sich 1985 im Zusammenhang eines Gerichtsverfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht zwischen Angestellten und Kirche bzw. Diakonie/Caritas. Hinsichtlich der Frage nach der Legitimität eines eigenen kirchlichen Dienstrechts gestand das Bundesverfassungsgericht zu, dass die „Dienstgemeinschaft“ in besonderer Weise ein eigenes kirchliches Arbeitsrecht legitimiere.97 Im 96 Grethlein 2015, S. 180. 97 Das Bundesverfassungsgericht argumentierte 1985 in seiner Urteilsbegründung, dass es sich im Fall der eingereichten Kündigungsklage um eine rechtmäßige Kündigung durch die (in diesem Fall katholische) Kirche handle, da die Kirchen besondere Loyalitätspflichten und Verhaltensweisen von ihren Mitarbeitenden fordern können. Ein Verstoß gegen diese Loyalitätspflichten rechtfertige eine Kündigung: „Gewährleistet die Verfassungsgarantie des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts, daß die Kirchen bei der arbeitsvertraglichen Gestaltung des kirchlichen Dienstes das Leitbild einer christlichen Dienstgemeinschaft zugrunde legen und die Verbindlichkeit kirchlicher Grundpflichten bestimmen können, so ist diese Gewährleistung bei der Anwendung des Kündigungsschutzrechts auf Kündigungen von Arbeitsverhältnissen wegen der Verletzung der sich daraus für die Arbeitnehmer ergebenden Loyalitätsobliegenheiten aus verfassungsrechtlichen Gründen zu berücksichtigen und ihre Tragweite festzustellen. Eine Rechtsanwendung, bei der die vom kirchlichen Selbstver-

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Anschluss an dieses Urteil wurde der Terminus sowohl theologisch als auch rechtspraktisch präzisiert und gewann auf diese Weise an Bedeutung.98 Theologischerseits wird der Begriff zum einen mit dem Priestertum aller Gläubigen und zum anderen mit der Barmer Theologischen Erklärung in Verbindung gebracht.99 Jedoch bleibt der Zusammenhang zum Priestertum aller Gläubigen und der Barmer Theologischen Erklärung eher assoziativ und wenig konkret. Ferner benennen weder Barmen noch Karl Barth die „Dienstgemeinschaft“ und auch in den evangelischen Dogmatiken findet keine Näherbestimmung dieser statt. Alles in allem fehlt der „Dienstgemeinschaft“ die eigene theologische Kontur.100 Kreß folgend [zeigt] sich eine Schieflage: fehlende Verankerung des Begriffs in der Kirchen- und der Theologiegeschichte/fehlende theologische Plausibilisierung/Defizite der ethischen und rechtlichen Operationalisierbarkeit versus Schlüsselfunktion als Leitbegriff, der das innerkirchliche Arbeitsrecht gegenüber Staat und Öffentlichkeit fundieren soll.101

Trotz mangelnder theologischer Fundierung determiniert der Terminus die Debatten um den dritten Weg sowie ihre grundlegende Gestaltung, indem die kollektive Arbeitsregelung102 bzw. das Streikrecht durch diesen ausgeschlossen

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ständnis her gebotene Verpflichtung der kirchlichen Arbeitnehmer auf grundlegende Maximen kirchlichen Lebens arbeitsrechtlich ohne Bedeutung bliebe, widerspräche dem verfassungsverbürgten Selbstbestimmungsrecht der Kirchen.“ (Bundesverfassungsgericht 1985.) Seitdem wird der Terminus „Dienstgemeinschaft“ als zentrales Argument zur Begründung eines eigenen Arbeitsrechts sowohl seitens der katholischen Kirche bzw. Caritas als auch der evangelischen Kirchen bzw. Diakonie, herangezogen. Vgl. Kreß 2012, S. 53. An dieser Stelle seien zwei Beispiele für entsprechende Argumentationsfiguren genannt. Der Bezug zur Barmer Theologischen Erklärung findet sich z. B. auf der Homepage zur EKiR, die Informationen zur Dienstgemeinschaft und Drittem Weg bietet: Evangelische Kirche im Rheinland. Der Bezug zum Priestertum aller Gläubigen findet sich z. B. in einer Publikation der Diakonie Schleswig-Holstein, die über Arbeit in der Diakonie aufklärt: „Die rechtliche Ausgestaltung der hauptamtlichen Mitarbeit in Kirche und Diakonie orientiert sich ausgehend vom Priestertum aller Gläubigen am Grundgedanken der Dienstgemeinschaft.“ (Diakonie Schleswig-Holstein 2009, S. 6.) Vgl. Kreß 2012, S. 54. Kreß 2012, S. 54. Verdi und der Marburger Bund setzten sich für die Durchsetzung des Streikrechts in kirchlichen Einrichtungen ein. Das Bundesarbeitsgericht traf im Urteil vom 20. 11. 2012, 1 AZR 179/11, eine mittlere Lösung. So wurde zwar das absolute Streikverbot in Einrichtungen kirchlicher Trägerschaft aufgehoben. Dennoch kann das Streikrecht für die Mitarbeitenden immer noch ausgeschlossen werden, und zwar, wenn die Arbeitsbedingungen auf dem Dritten Weg mit ARK unter organisatorischer Beteiligung der Gewerkschaften geschlossen wurden. (Vgl. Bundesarbeitsgericht 2012a.) Auch durch den Abschluss eigener „kirchgemäßer“ Tarifverträge (zweiter Weg), die per se Streikausschluss beinhalten, können Streiks in Kirche/Diakonie umgangen werden. Dies urteilte das BAG in seinem Urteil vom

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wird. Neben diesen kollektivrechtlichen Implikationen eignen der „Dienstgemeinschaft“ auch individualrechtliche Aspekte, denn gegenwärtig ist der Zugang zu Erwerbstätigkeit in der kirchlichen Arbeitswelt in den meisten Landeskirchen vom Bewerbendenmerkmal Kirchenmitgliedschaft abhängig.103 Insgesamt wird in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt zumindest die Anerkennung der evangelischen Prägung kirchlich-diakonischer Arbeit erwartet. Die dezidierten Loyalitätspflichten sind je nach konkreter Tätigkeit unterschieden; im Rahmen der Diakonie104 beschränken sich diese auf eine Generalklausel.105

20. 11. 2012, 1 AZR 611/11. (Vgl. Bundesarbeitsgericht 2012b.) Demnach ist ein Streik in Kirche bzw. Diakonie nur dann möglich, wenn die genannten Aspekte nicht zutreffen. Insgesamt hat das Bundesarbeitsgericht recht unterschiedliche Vorgaben zur Gestaltung des Dritten Wegs und der organisatorischen Einbindung der Gewerkschaften gemacht. Die unterschiedlichen Akzente der Rechtsprechung spiegeln sich auch in den unterschiedlichen Reaktionen und Bewertungen dieser Urteile wider. Verdi lehnt diese Rechtsprechung ab, klagte gegen das erste Urteil beim Bundesverfassungsgericht und scheiterte mit der Klage. Der Ethiker Kreß bezeichnet das Urteil als unzureichend und wenig stringent, denn zum einen würden die Rechte der kirchlich-diakonischen Arbeitnehmenden in nicht ausreichender Weise geschützt, zum anderen jedoch handle es sich durch die Vorgabe der Einbindung der Gewerkschaften in die kirchliche Organisation der ARK um einen weitreichenden Eingriff in das kirchliche Selbstbestimmungs- bzw. Selbstorganisationsprinzip. (Vgl. Kreß 2013, S. 684.) Wegner hingegen deutet die in den Urteilen enthaltene Kooperationsaufforderung für die Kirche/Diakonie und die Gewerkschaften als Gelegenheit zum Ausgleich gewerkschaftlicher Rechte und kirchlicher Selbstbestimmungsrechte. „Die große Chance dieses gemeinsamen Weges liegt nicht nur darin, die Arbeitsbedingungen in Kirche und Diakonie zu stabilisieren, sondern auch durch die anschließende Durchsetzung von Flächentarifverträgen für den sozialen Bereich erheblich bessere Ausgangspositionen gegenüber den Kostenträgern und damit eine Zähmung des ruinösen Wettbewerbs auf Kosten der Lohne im Sozialbereich zu erreichen.“ (Wegner 2015, S. 1f). Durch die Kooperation könne eine breitere Basis entstehen, die einen Flächentarifvertrag Soziales entgegen der fortgesetzten Ökonomisierung, durchsetzen könne. 103 Unbenommen davon sind die Ausnahmeregelungen gegenüber Mitgliedern anderer christlicher Kirchen bzw. Personen ohne Kirchenzugehörigkeit. 104 Zur Zugehörigkeit der Mitarbeitenden zur verfassten Kirche siehe auch die Loyaliätsrichtlinie der EKD (EKD 2016) sowie Novellierung der MAV-EKD 2019 (EKD 2019) (§10 wurde kürzlich um das aktive Wahlrecht für Mitarbeitende ohne Kirchenmitgliedschaft erweitert). Siehe ferner z. B. AVR Diakonie Deutschland § 1 „(2) Alle in einer diakonischen Einrichtung tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bilden eine Dienstgemeinschaft. Von den Mitgliedern dieser Dienstgemeinschaft wird erwartet, dass ihr Verhalten innerhalb und außerhalb des Dienstes der Verantwortung für die Nächste und den Nächsten entspricht. (3) Der diakonische Dienst geschieht im Auftrag Jesu Christi. Wer sich aus anderen Beweggründen zu diesem Dienst bereitfindet, ist Mitarbeiterin und Mitarbeiter mit gleichen Rechten und Pflichten; sie bzw. er muss jedoch die evangelische Grundlage der diakonischen Arbeit anerkennen.“ Insgesamt ist aber zu beachten, dass sich die Fragen der Kirchenmitgliedschaft der diakonischen Mitarbeitenden nicht in dieser Schärfe stellen würden, wenn die Arbeitsorganisation der Diakonie nicht durch den dritten Weg bestimmt wäre. Würde ein Flächentarif

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2.2.1.2.5 Dienstgemeinschaft als theologische Chiffre der Gestaltung kirchlich-diakonischer Arbeit – Theologische Leitideen und soziale Wirklichkeit der diakonischen Arbeitswelt im Widerspruch Auf Grundlage der Kirchenautonomie und unter Rückgriff auf „Dienstgemeinschaft“ wird ein kirchliches Arbeitsrecht für privatrechtliche Arbeitsverhältnisse formuliert, das theologisch Arbeit als gemeinsamen Dienst aller Mitglieder und als geteilten Glaubensdienst interpretiert. Diese theologische Deutung der geschwisterlich-solidarischen Tätigkeit in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt weicht beachtlich von der tatsächlichen Arbeitsrealität ab. Im Folgenden wird dies am Beispiel der diakonischen Arbeitswelt illustriert, die scheinbar die theologische Idee der solidarischen Arbeit in der Dienstgemeinschaft in ihrer Praxis mittels des Terminus ins Gegenteil verkehrt. Die Ausgegliederte Dienstgemeinschaft – Outsourcing, Servicegesellschaften und Leiharbeit in der diakonischen Arbeitswelt Die Studie von Dahme u. a. „Leiharbeit und Ausgliederung in diakonischen Sozialunternehmen: Der ‚Dritte Weg‘ zwischen normativem Anspruch und sozialwirtschaftlicher Realität“ stellt die Realität der diakonischen Erwerbsarbeitswelt dar. Die Untersuchung fokussiert auf diakonische Organisationen, die Ausgründungen bzw. Ausgliederungen als Mittel der Flexibilisierung der Arbeitsbedingungen und Senkung der Arbeitskosten jenseits eigener diakonischer Standards nutzen. Dies wird breit anhand der Praxen der diakonischen Werke sechs unterschiedlicher Kirchen sowie einer Fallstudie zur Diakonie in Ostdeutschland106 veranschaulicht. Allgemein wird unter Ausgliederung oder Ausgründung bzw. Outsourcing die Schaffung eines oder mehrerer aus dem Wohlfahrtsverband rechtlich selbstständiger, ausgegliederter Zweckbetriebe in Form von GmbHs verstanden.107 Damit verschiebt sich die Verantwortung für den laufenden Geschäftsbetrieb vom Vorstand des diakonischen Vereins hin zur Geschäftsführung der GmbH. Grund für solche Maßnahmen sind in der Regel antizipierte Effektivitäts- und Effizienzsteigerungen, um die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber anderen (privatwirtschaftlichen) Anbietern in der Sozialwirtschaft zu erhöhen und die eigene Position im wohlfahrtsstaatlichen Arrangement Soziales geschaffen, wäre der Faktor Kirchenmitgliedschaft möglicherweise von geringerer Relevanz. 105 Vgl. Reuter 2006, S. 43. 106 Die Diakonie in Ostdeutschland umfasst das DW Sachsen, DW Berlin-Brandenburg, DW Mitteldeutschland und DW Mecklenburg-Vorpommern. Mit 110.000 beruflichen Mitarbeitenden ist die Diakonie Ostdeutschland einer der größten Arbeitgeber in der Region. 107 Ggf. kann mit der Ausgliederung der Geschäftsführung nahezu auch das gesamte Betriebsvermögen ausgelagert werden. D. h. Ausgründungen sind möglicherweise massive strukturelle Veränderungen.

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zu sichern. Tendenziell werden die hauptberuflich-professionellen Arbeitsfelder den GmbHs und das freiwillige Engagement den ehrenamtlichen Vereinen zugeschlagen. Freiwillige Mitarbeit wird in diesem Zusammenhang als ergänzender Faktor der Leistungserbringung eingerechnet.108 Als Vorteile von Ausgliederungen werden die schnellere Reaktionsfähigkeit durch Vermeidung basisdemokratischer Entscheidungen über Restrukturierungen und die höhere Professionalität der Entscheidungsfindung durch die Besetzung von Führungsfunktionen mit hauptamtlichen Mitarbeitern genannt. Auch die Möglichkeit einer Lösung von den – meist an den BAT/TVöD angelehnten – Tarifverträgen der Wohlfahrtsverbände wird häufig als Vorteil einer Ausgliederung gesehen.109

Durch die sog. GmbH-isierung, d. h. der Ausgliederung von Betriebsteilen aus den diakonietypischen Organisationsformen wie Verein oder Stiftung, entstehen sehr große überregionale und in vielen Bundesländern aktive Betriebe. Diese deutschlandweit operierenden Organisationen folgen nicht (mehr) der traditionellen Territorial- oder auch Regionalbindung.110 Denn diese großen Träger (GmbHs) sind oft Mitglied in verschiedenen Diakonischen Werken und haben „spitzenverbandsübergreifende Organisationsstrukturen […] und holdingähnliche Strukturen.“111 Insgesamt zeigen sich die Veränderungen an der heterogenen Mitgliedsstruktur vieler Landesverbände. Denn seit den 1990er Jahren ist neben den üblichen lokalen Trägern (Vereinsform) auch eine steigende Zahl von gGmbHs112 bzw. GmbHs und auch gemeinnützigen Aktiengesellschaften Mitglied in den Landesverbänden. Die Machtgleichgewichte in der Dachorganisation verschieben sich sukzessive zugunsten der großen Träger (GmbHs).113 Die Studie belegt, dass die ausgegründeten gGmbHs häufig neue gGmbHs ausgliedern, was den „größeren diakonischen Träger[n] die Konturen einer Holdinggesellschaft […] (Mutter-Tochtergesellschaften-Struktur)“114 verleiht. Diesen Ausgründungen zweiten Grades folgen häufig solche dritten Grades, die Tätigkeiten organisieren, die von allen anderen ausgegliederten Einrichtungen in Anspruch genommen werden. Diese sog. Querschnittsleistungen werden dann in einer ausgegliederten diakonischen Servicegesellschaft angeboten. Solche Servicegesellschaften, die v. a. Catering, Technik, Reinigungsdienste, Hausmeister108 109 110 111 112 113

Vgl. Dahme et al. 2012, S. 26. Dahme et al. 2012, S. 27. Vgl. Dahme et al. 2012, S. 64. Dahme et al. 2012, S. 73. gemeinnützige GmbH. Im DW Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz z. B. sind rund ein Viertel der Mitgliedsorganisationen (134 von insgesamt 435) als gGmbH bzw. GmbH verfasst. Ferner ist auch eines der größeren Mitglieder als gemeinnützige Aktiengesellschaft verfasst. Diese Aktiengesellschaft, die EJF gAG (Evangelisches Jugend- und Fürsorgewerk), ist ferner auch noch im DW EKM tätig. 114 Dahme et al. 2012, S. 73.

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tätigkeiten usw. anbieten, fungieren als Quasi-Leiharbeitsfirmen. Denn die Angestellten werden flexibel in unterschiedlichen Betrieben des Unternehmens und an verschiedenen Standorten eingesetzt. Die Autorinnen belegen, dass Ausgründungen dritten Grades in der Diakonie in Ostdeutschland in allen stationären Einrichtungen (Krankenhäuser, Pflege- und Behinderteneinrichtungen) praktiziert werden. Die Entlohnung der Mitarbeitenden in Ausgründungen weicht allermeist von den eigentlich für die Diakonie gültigen AVR nach unten ab.115 Vor einer solchen Praxis war bereits im EKD-Text „Soziale Dienste“ 2002 gewarnt worden: „Häufig erfolgen solche Ausgliederungen allerdings nur, um Tarife zu umgehen, die als nicht sachgerecht angesehen werden. In diesem Falle können gravierende Fehlsteuerungen die Folge sein.“116 Daneben existiert auch innerhalb der Diakonie Zeit- bzw. Leiharbeit117, der jedoch aufgrund der schlechten Arbeitsbedingungen beispielsweise vom Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt118 oder auch vom Kirchengericht der EKD119 enge 115 Vgl. Dahme et al. 2012, S. 72. Der Fall der BruderhausDiakonie Württemberg, die rund 4000 Mitarbeitende beschäftigt, illustriert die schwierigen Arbeitsverhältnisse treffend. Die Arbeitsgemeinschaft der Mitarbeitervertretungen (AGMAV) im Diakonischen Werk Württemberg, also der Zusammenschluss der diakonischen Mitarbeitervertretungen, wandte sich im Dezember 2014 mit der „Reutlinger Erklärung“ gegen die Ausgründungspraxis dieses großen diakonischen Trägers und argumentierte: „Im Jahre 2005 wurde die BruderhausService GmbH als hundertprozentige Tochter der BruderhausDiakonie gegründet. Erklärtes Ziel der Gründung war es, hauswirtschaftliche Tätigkeiten, die bis dato von Mitarbeitenden der BruderhausDiakonie wahrgenommen wurden, nach und nach von Mitarbeitenden der BruderhausService GmbH auf der Basis von Werkverträgen ausführen zu lassen. Als wesentliche Argumente wurden genannt, dass hauswirtschaftliche Tätigkeit kein diakonisches Kerngeschäft sei und die BruderhausDiakonie mit der Vergütung nach AVR-Württemberg in diesem Bereich nicht weiter konkurrenzfähig wäre. […] Die Mitglieder der Mitarbeitervertretungen der BruderhausDiakonie wehren sich gegen die Auflösung der Dienstgemeinschaft durch die Unternehmensleitung.“ (Teilnehmerinnen und Teilnehmer der AGMAV-Vollversammlung 2014.) 116 Kirchenamt der EKD 2002, S. 17. 117 Die allgemeinen Grundlagen der Leiharbeit ergeben sich aus dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, wobei seit 2003 die zeitliche Beschränkung bei der Überlassungsdauer aufgehoben ist. Hinsichtlich Leiharbeit besteht kein Befristungs-, Wiedereinstellungs- und Synchronisationsverbot. 118 Der Kirchliche Dienst in der Arbeitswelt (KDA) will Leiharbeit in seiner Stellungnahme aus dem Jahr 2012 an folgende Kriterien gebunden wissen: „Equal Pay/Equal Treatment“ sowie Prekaritätszulage für die Leiharbeitenden, Beschränkung des Leiharbeitnehmendenanteils auf max. 5 % der gesamten Belegschaft usw. Insgesamt bewertet der KDA Leiharbeit kritisch und formuliert: „Kirchliche Arbeitgeber können als ‚sozialethische Impulsgeber‘ eine wichtige Vorbildfunktion einnehmen. Leiharbeit ist im kirchlichen Bereich als Dienstgemeinschaft vereinbar.“ (Kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt 2012, S. 18.) 119 Im Streitfall, ob eine Mitarbeitendenvertretung die auf zwei Jahre befristete Einstellung einer Leiharbeitnehmerin (Pflegehelferin im Behindertenbereich) berechtigterweise verweigern durfte, entschied der Kirchengerichtshof der EKD mit einem Urteil (KGH.EKD II-0124/ M35–06) vom 09. 10. 2006. Dieser Beschluss beinhaltete auch grundlegende Leitsätze zur

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Grenzen gesetzt wurden. Die Kirchengerichte oder auch die kirchliche Gewerkschaft120 qualifizieren die strukturelle Ungleichheit der Erwerbsarbeitsbedingungen von Leiharbeitenden und Festangestellten als unvereinbar mit dem kirchlich-diakonischen Leitbild „Dienstgemeinschaft“. Dem zum Trotz agieren bundesweit aktive diakonische Großkonzerne wie die Agaplesion gAG oder die Stiftung Bethel mit eigenen Leiharbeitsfirmen und begründen dies mit dem Zwang zum Kostenmanagement sowie der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit.121 Insgesamt spielt Leiharbeit jedoch eine quantitativ ungeordnete Rolle.122 Alles in allem zeigen die Organisationspraxen in der diakonischen Arbeitswelt, dass diese mit den Maßnahmen Ausgründungen, Servicegesellschaften und Leiharbeit entsprechend der anderen Akteure der (Sozial-)Wirtschaft und der gegenwärtig gültigen Logiken vergesellschaftet sind. Denn die kostensenkende Politik der Wohlfahrtsverbände ist die Reaktion auf die umfangreichen Sparbestrebungen der staatlichen Kostenträger. Die diakonischen Träger setzen den Sparzwang meist mit Personaleinsparungen um, denn mit Hilfe ausgegründeter Servicegesellschaften kann die Tarifbindung der Einrichtungen umgangen werden.123

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Gestaltung der Leiharbeit: Erstens Leiharbeit in der Diakonie ist nicht grundsätzlich verboten. Zweitens Leiharbeit dient der Überbrückung eines kurzzeitigen Beschäftigungsbedarfs (z. B. Vertretungsfälle für Krankheit oder Urlaub). Drittens die dauerhafte Beschäftigung von Leiharbeitenden als Ersatz für reguläre Mitarbeitende ist nicht mit dem kirchlichen Leitbild der Dienstgemeinschaft vereinbar. Insgesamt beurteilte das Gericht das Vorgehen der Mitarbeitendenvertretung im vorliegenden Fall als richtig. (Vgl. Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland 2006.) Der Verband Kirchlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – Gewerkschaft für Kirche und Diakonie äußert sich zur Praxis von Leiharbeit und Ausgliederungen in Kirche und Diakonie beispielsweise in dieser Art: „Nach zwei Jahren (oder einer anderen, beliebig festgelegten Zeit) wird dann überlegt, ob die Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter übernommen werden. Eine aus gewerkschaftlicher Sicht unverschämte Ausdehnung der Probezeit. Und unter Umständen eine ebenso unverschämte Aushöhlung von tariflichen Standards, wie zum Beispiel der Höhe des Entgelts! Besonders dreist ist das Überleiten von Betriebsteilen in Tochterunternehmen, welche nicht mehr kirchliche bzw. diakonische Arbeitgebende zu sein vorgeben. Somit würde dann auch die tarifliche Bindung an kirchliches bzw. diakonisches Arbeitsrecht entfallen.“ (Kirchengewerkschaft Landesverband Baden 2010.) Zu den diakonischen Organisationen mit je eigenen Arbeitnehmerüberlassungsgesellschaften, d. h. Zeitarbeitsfirmen, gehören viele große Träger. Beispielsweise die Bodelschwinghschen Anstalten Bethel, die Stiftung Friedehorst in Bremen, die Diakonische Altenhilfe in Lilienthal, Agaplesion in Hessen, die Rummelsberger Diakonie, der Alexanderstift in Baden-Württemberg, die Paulinerpflege Winnenden sowie das Evangelisches Johannesstift in Berlin. (Vgl. Ehrlich 2013, S. 26.) Vgl. Dahme et al. 2012, S. 75. Vgl. Dahme et al. 2012, S. 80.

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Die zersplitterte Dienstgemeinschaft der Arbeitsvertragsrichtlinien Außerdem geben das kirchliche Arbeitsrecht bzw. der dritte Weg den kirchlichen Verbänden weitere Spielräume, die im Sinne einer Kostenminimierung und einer Gewinnmaximierung genutzt werden können. Konkret zeigen sich diese in den Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR), was am Beispiel des AVR.DD.2015 nachvollzogen wird. § 1 AVR.DD.2015 nennt die Dienstgemeinschaft aller diakonischer Mitarbeiter*innen, denen von daher gleiche Rechte und Pflichten zukommen sollen. Jedoch bergen die Arbeitsvertragsrichtlinien selbst Mechanismen zum Ausschluss Mitarbeitender aus den gleichen Berechtigungen: Nach § 1 sind Leiharbeiter ausgeschlossen¸ § 17 eröffnet ferner die Möglichkeit, dass in einer diakonischen Einrichtung oder einem Subunternehmen eine davon abweichende Vereinbarung mit abweichendem Lohn getroffen werden kann. Die sog. „Öffnungsklausel“ erlaubt es, den vereinbarten Lohn bis auf 60 % dieses Entgelts abzusenken. Die Klausel formuliert: In einer schwierigen Wettbewerbssituation, die absehbar dazu führen wird, dass die Leistungsangebote bei Anwendung der Entgelttabelle nicht aufrecht erhalten werden können, kann bis zu einem Gesamtvolumen von 6 v. H. des Entgelts einer jeden Mitarbeiterin und eines jeden Mitarbeiters in einer Dienstvereinbarung geregelt werden.124

Dementsprechend ist (in schwierigen wirtschaftlichen Situationen bzw. Wettbewerbssituationen) eine Flexibilisierung der Arbeitsstrukturen durch abweichende Dienstvereinbarungen mit verringerten Lohn- und Gehaltszahlungen (Gehalt, Jahressonderzahlung, Urlaub usw.) möglich. Diese Öffnungsklauseln und auch der Ausschluss von Leiharbeiterinnen aus den im ARV gesetzten Rechten unterminieren die in § 1 beschworene Dienstgemeinschaft. Denn die Dienstgemeinschaft wird unter einen ökonomischen Vorbehalt gestellt und auf diese Weise wird die theologische Legitimierung den wirtschaftlichen Logiken nachgeordnet. Dahme u. a. schätzen, dass auf je 10.000 Diakonie-Angestellte rund 800 Beschäftigte kommen, die in ausgegründeten Betrieben tätig sind und daher für sie die AVR keine Anwendung findet. Außerdem sei pro Diakonisches Werk mit durchschnittlich zwei Leiharbeitsfirmen, in denen die AVR keine Geltung haben, zu rechnen. Insgesamt sei zukünftig eine Zunahme von Outsourcingmaßnahmen anzunehmen, wobei dann jeweils die Anwendung der entsprechenden AVR streitbar würde. Neben diesen Optionen des AVR.DD können auch die Richtlinien bzw. Regelungen der Landesverbände bzw. der entsprechenden diakonischen Werke herangezogen werden. Demnach können diakonische Organisationen, die auf dem Gebiet unterschiedlicher AVRs aktiv sind, den für sie (kos-

124 AVR.DW.2015 § 17(2).

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ten-)günstigsten AVR wählen und für alle Betriebsstandorte anwenden.125 Ferner können bundesweit vertretene Sozialkonzerne eigene AVRs, in der Regel besonders kostengünstige, beschließen. Schließlich wird das Privileg des Streikausschlusses, verankert im kirchlichen Arbeitsrecht verbunden mit der Leitidee Dienstgemeinschaft, von vielen Akteuren beansprucht. Entsprechend favorisieren Betriebe, auch mit nur einer kleineren Beteiligung kirchlicher Akteure an einem zu großen Anteilen (säkularen) Betrieb, häufig die AVR sowie kirchliches Arbeitsrecht.126

Die soziale Wirklichkeit und die theologische Idee der Dienstgemeinschaft im Widerspruch Die vorab dargestellte Instrumentalisierung des kirchlichen Arbeitsrechts ist nutzenorientiert und durch die Ökonomisierung des Sozialstaats bedingt. Seitens der Diakonie führt dies aber dazu, dass „die normative Identität verbandlichen Handelns und damit deren Identität als gemeinnützige Organisationen mit zivilgesellschaftlichem Auftrag“127 in den Hintergrund gedrängt wird. Die Abhängigkeit von einer staatlich forcierten Rationalisierung des wohlfahrtsstaatlichen Sektors führt mit der wachsenden tariflichen Pluralisierung128 und den Ausgliederungen seit den 1990er Jahren zu großen Veränderungen und dem Anwachsen prekärer Arbeitsbedingungen in der diakonischen Arbeitswelt. Insbesondere die weiblichen Mitarbeitenden sind in großem Maße von diesen Umstrukturierungen betroffen, da es sich bei vielen sozial-pflegerischen Tätigkeiten um klassische Frauenberufe handelt. Insgesamt genießt das Dienstgemeinschaftsideal einen hohen bleibenden Stellenwert, zumindest bei der verbalen Selbstvergewisserung der Alleinstellung diakonischer Arbeit. Jedoch lässt die zersplitterte AVR-Regelung sowie die undurchsichtigen diakonischen Unterund Nebenstrukturen die Rede vom gemeinschaftlichen Dienst am Evangelium zur Worthülse verkommen. Insgesamt 125 Dies kann bereits am Beispiel der Schwankung der wöchentlichen Arbeitszeit illustriert werden. In der AVR-DD sind 39 Stunden pro Woche vorgesehen, während es im der AVR Diakonisches Werk Bayern 40 Stunden sind. 126 Vgl. Dahme et al. 2012, S. 80. 127 Dahme et al. 2012, S. 86. 128 Über lange Zeit war die tarifliche Entlohnung im sozialen Bereich wesentlich am Bundesangestelltentarif ausgerichtet, denn die ARKs hatten stark an den BAT angelehnte AVRs geschaffen. Durch das bis in die 1990er Jahre bestehende Kostendeckungsprinzip der staatlich-kommunalen Refinanzierung bestand quasi eine einheitliche, Flächentarifähnliche Entlohnung. Erst durch die Ökonomisierung des Sozialstaats ergab sich für die Wohlfahrtsverbände die Notwendigkeit, kommunale Flexibilisierungs- und Rationalisierungsforderungen umzusetzen. In diesem Zusammenhang werden von Organisationen des kirchlichen „Dritten Wegs“ entsprechende Instrumente durch Caritas und Diakonie genutzt, um die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. (Vgl. Dahme et al. 2012, S. 89.)

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ist eine neue Arbeitsteilung entstanden: Der Verband ist zuständig für die Mission, die Betriebe für die Wirtschaftlichkeit; eine Arbeitsteilung, die den Geschäftsführungen den Betrieben weder bei ihrer Wettbewerbsorientierung noch bei ihrem Streben nach Ausweitung der Geschäftsfelder im Wege steht. Beides findet aber nur noch schwer zusammen. Der Verband wird neben seiner Zuständigkeit für die Mission vor allem auch aus arbeits- und vergütungsrechtlichen Gründen benötigt.129

Die These, dass die theologische Grundlegung der Dienstgemeinschaft und Praxis in der diakonischen Arbeitswelt in starkem Maße auseinanderdriften, wird auch bei der Betrachtung zeitgenössischer Bestimmungen des theologischrechtlichen Konzepts Dienstgemeinschaft offenbar. Die vorstehenden Erörterungen der unter dem Begriff Dienstgemeinschaft gestalteten diakonischsozialmarktlichen Arbeitswelt dient als Hintergrund für das Verstehen der kirchenrechtlichen Position, wie sie beispielsweise von Hendrik Munsonius vertreten wird. Der Kirchenrechtler Munsonius bestimmt, dass in der Dienstgemeinschaft theologisch die Machtdifferenzen zwischen Arbeitgebenden und Arbeitnehmer*in in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt aufgehoben sind.130 Die gestaltete Dienstgemeinschaft führe zum vertrauensvollen Miteinander und damit zu „Nivellierungen von Machtdifferenzen.“131 In der Dienstgemeinschaft wird z. B. ein Arbeitsverhältnis, das sich im Kern als zweipoliger Austausch von Arbeitsleistung und Lohn darstellt, in einen größeren Zusammenhang gestellt. Das antagonistische Verhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer wird von der beiderseits bestehenden Gottesbeziehung überformt. Das Zusammenwirken dient damit […] einem gemeinsamen Auftrag, nämlich der Kirche Jesu Christi erfahrbare Gestalt zu geben. […] Die Verwirklichung der Dienstgemeinschaft kann darum zwar durch das Kirchenrecht ermöglicht und unterstützt werden. Garantiert werden kann sie aber nicht. Sie ist abhängig vom Handeln der beteiligten Personen und dem Wachsen einer entsprechenden Kultur.132

Zwar können in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt Ungleichheitsstrukturen beobachtet werden, doch diese seien nicht strukturell, sondern durch individuelle Lösungen der betroffenen Personen zu bearbeiten. Dienstgemeinschaftsdeutungen dieser Art verschleiern Macht- und Dominanzstrukturen in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt theologisch und stabilisieren auf diesem Weg Ungleichheitsstrukturen, die durch die ökonomisierte Praxis der Wohlfahrtsverbände begründet sind. Denn die kirchliche Dienstgemeinschaft fungiert diskursiv als Abgrenzungsprinzip der kirchlichen Beschäftigungsverhältnisse von anderen Arbeitsverhältnissen und als

129 130 131 132

Dahme et al. 2012, S. 76. Vgl. Munsonius 2015, S. 96. Munsonius 2015, S. 96. Munsonius 2015, S. 97.

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Ausschließungsprozedur […] von Arbeitskampfmaßnahmen insbesondere der Gewerkschaften zur Regulierung der Arbeitsbeziehungen im kirchlichen Sektor.133

Wie Dahme u. a. demonstriert hatten, stehen die normativ-theologische Idee der hierarchiefreien Gemeinschaft sowie der gemeinsame Dienst am Evangelium unverbunden neben der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt der deutschen Sozialwirtschaft (Wettbewerb, Kostensteuerung, Budgetierung etc.). Kirchliche Privilegien werden „aktiv als Geschäfts- und Wettbewerbsstrategie genutzt […], um sich gegenüber sozialwirtschaftlichen Konkurrenten durchzusetzen.“134 Aufgrund des dritten Wegs haben die Mitarbeitendenvertretungen nur eine schwache Position; die Teilhabe an der Gestaltung der eigenen Arbeitswelt ist eingeschränkt und es besteht unzureichender Schutz der Mitarbeitenden gegenüber dem hohen organisatorischen Flexibilisierungspotential. Die diakonische Arbeitswelt profitiert von den Handlungsspielräumen des dritten Wegs, da sie als „Lebens- und Wesensäußerungen der Kirche“ (Art. 15 GO.EKD) verstanden wird. Jedoch ist vielfach die Stellung bzw. das Verhältnis der Diakonie zu den ausgegliederten Betrieben unklar.135 Unterdes sind die ausgegründeten Leiharbeits- oder Servicefirmen meist zu 100 Prozent diakonische Tochtergesellschaften und die Geschäftsführungen der verschiedenen Organisationseinheiten sind mehrheitlich identisch. Die Einrichtung, in der eine solche Servicegesellschaft tätig wird, wird betont als diakonische Organisation charakterisiert.136 Die Servicegesellschaft hingegen wird selbst als Quasi-Leiharbeitsfirma nicht als Teil der Diakonie konzipiert, da auf diese Weise existierende diakonische Standards wie Lohnuntergrenzen oder eine Begrenzung der Leiharbeit unterlaufen werden können.137 Es wird deutlich, dass es massiv an der Umsetzung von der durch die Ideale Dienstgemeinschaft bzw. Priestertum aller Gläubigen geforderten Partnerschaftlichkeit in der diakonischen Arbeitswelt mangelt. Denn stets wird dem ökonomischen Paradigma Vorrang erteilt: Der ‚Dritte Weg‘ als ‚gelebte Dienstgemeinschaft‘ [ist] in der Praxis faktisch obsolet ist. Er folgt in der sozialunternehmerischen Wirklichkeit den Gesetzmäßigkeiten der gesamten Sozialbranche und die ist von den herrschenden Refinanzierungsbedingungen bestimmt und nicht von Glaubens- bzw. Wertebesonderheiten.138

Der EKD-Text 75 aus 2002 warnt vor der Gefahr, „dass soziale Dienstleistungen eher produktorientiert als beziehungsorientiert ausgerichtet sind“139 und damit 133 134 135 136 137 138 139

Lührs 2009, S. 127. Dahme et al. 2012, S. 94. Nur teilweise sind sie Mitglieder im diakonischen Werk oder im Dachverband. Dies geschieht, um die Privilegien des dritten Wegs in Anspruch nehmen zu können. Vgl. Dahme et al. 2012, S. 90. Dahme et al. 2012, S. 96. Kirchenamt der EKD 2002, S. 8.

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das diakonische Selbstverständnis faktisch zur Disposition stünde. Denn die vermehrte Ausrichtung an der Sozialwirtschaft intensiviert die Spannung zwischen den Polen der Unternehmensdiakonie140 und der anwaltschaftlichen Diakonie. In der gegenwärtigen sozialstaatlichen Entwicklung droht die anwaltschaftliche Diakonie (Solidarität mit den Marginalisierten)141, zugunsten einer ökonomisierten diakonischen Arbeitswelt in den Hintergrund zu treten.142 Insgesamt ist die Dienstgemeinschaft in der diakonischen Arbeitswelt theologisch gesprochen zu einer Worthülse geworden. Denn die unterschiedlichen Arbeitsformen (Beamt*innentum, privatrechtliche Angestellte in unterschiedlichen Betrieben etc.) werden vorrangig als Dienstgemeinschaft klassifiziert, um die Privilegien des Dritten Wegs zu behalten. Trotz der egalitären 140 Die Debatte um Unternehmensstrategien innerhalb der Diakonie wurde durch Jäger 1986 angeregt. Jäger versteht die Diakonie als Non-Profit-Unternehmen, das Managementstrategien nutzen sollte. Im Kontext der sog. Unternehmensdiakonie wird v. a. das St. Gallener Management Modell (SGMM) rezipiert. Das SGMM ist ein systemtheoretisch orientierter Managementansatz, der bereits in den 1960er Jahren entwickelt wurde und seitdem kontinuierlich erweitert wurde. Dies wurde und wird v. a. an der Kirchlichen Hochschule in Wuppertal getan. (Vgl. dazu beispielsweise Leitbild des Instituts für Diakoniewissenschaft und Diakoniemanagement an den Kirchlichen Hochschulen Wuppertal/Bethel: Institut für Diakoniewissenschaft und DiakonieManagement.) Ferner können folgende Titel herangezogen werden: Starnitzke 1996; Lohmann 1997; Haas 2006. 141 Die Diakonie als Träger innerhalb des sozialstaatlichen Arrangements findet sich zwischen den oben genannten spannungsvollen Polen wieder. Die Leitbilder der sozialstaatlichen Diakonie geben über die entsprechenden christlichen Leitbilder Auskunft, wie die folgenden Beispiele belegen: Leidende Menschen in der Nachfolge Jesu ansehen und ihnen helfen. (Vgl. Diakonie Deutschland 1997). Diakonie gründet in der helfenden und heilenden Zuwendung Gottes bzw. Jesu zu den Menschen und dabei wird Diakonie vom Geist befähigt sich für gesellschaftliche Gerechtigkeit einzusetzen. (Vgl. Diakonie Württemberg). Christlich – kompetent – kommunikativ als Ausdruck von Nächsten- und Gottesliebe. (Vgl. Diakonie Michaelshoven). Die genannten Beispiele zeigen, dass auf ganz unterschiedlichen diakonischen Organisationsebenen christlich-kirchliche Leitbilder bestehen. Diese Leitbilder können im Wechselspiel mit sozialwirtschaftlichen Imperativen schnell ins Abseits geraten. Insbesondere die sozialstaatlichen Veränderungen („Sozialmarkt“) verstärken die Spannungen um unterschiedliche diakonische Orientierungen, wie anwaltschaftliche Diakonie bzw. Gesellschaftsdiakonie, Verbandsdiakonie oder auch die unternehmerische Diakonie. 142 Kirche und Diakonie nehmen häufig nur bedingt kritisch gegenüber der Ökonomisierung des Sozialen Stellung, vielmehr üben sich die kirchlichen Träger in einer angepassten Reaktion auf die veränderten Gegebenheiten. In der Veröffentlichung der EKD aus dem Juli 2011 mit „Fragen und Antworten zum Arbeitsrecht der evangelischen Kirche und ihrer Diakonie“ heißt es z. B. zur Refinanzierung durch staatliche Träger: „Neben Kosten und Fallpauschalen werden Aufträge im sozialen Bereich inzwischen immer häufiger auch durch Ausschreibungen erteilt. Diese Veränderungen der Refinanzierungsstrukturen erzeugen einen generellen Kostendruck im Sozial- und Gesundheitswesen. Auch die diakonischen Einrichtungen müssen in ihren Preisen daher ‚marktfähig‘ sein. Das Ziel, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern möglichst gute Gehälter zu zahlen, kann nur innerhalb dieses Rahmens erreicht werden.“ (Kirchenamt der EKD 2011, S. 8.)

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Dienstgemeinschaftsvorstellung werden auch Ungleichheiten akzeptiert, die durch größere Nähe/Ferne zum kirchlich-diakonischen Auftrag (vom allgemeinen Priestertum und dem gemeinsamen Auftrag aller Getauften, das Evangelium in Wort und Tat zu verkünden) legitimiert werden. Jedoch sind graduelle Differenzierungen in unmittelbar, mittelbar und nicht dem Wort zuordenbaren Tätigkeiten schwerlich mit der reformatorischen Berufsperspektive zu vereinbaren.143 Ferner trägt die Dienstgemeinschaft an dieser Stelle auch nur den beruflichen Tätigkeiten Rechnung144 und führt dabei die zentrale Stellung des Pfarrberufs uneingeschränkt fort. Die mannigfaltigen Ausdifferenzierungen der einen Dienstgemeinschaft in der tatsächlichen kirchlich-diakonischen Arbeitswelt145 und die theologisch geforderte Geschwisterlichkeit sind nur in geringem Maße deckungsgleich. Die diakonische Arbeitswelt und ihre Arbeitsformen werden maßgeblich durch verwaltungspragmatische, ökonomisch-rationale, machttheoretische usw. Kalküle strukturiert, wobei die theologische Deutung der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt sowie kirchlich-diakonische Leitbilder funktionalistisch in den Hintergrund treten. Letztlich wird hinsichtlich der zersplitterten kirchlich-diakonischen Arbeitswelt, die gesamtgesellschaftlichen Vergesellschaftungsmustern und im diakonischen Bereich in großem Umfang ökonomischen Logiken folgt, eine theologische Bestimmung der konkreten diakonisch-kirchlichen Arbeitswelt zum Desiderat. Die Arbeitswelt in der Diakonie wäre an einem theologischen Paradigma (ggf. dem der Dienstgemeinschaft) auszurichten, wobei die theolo143 „Mit der Unterscheidung von verkündigungsnahen und verkündigungs-fernen Diensten scheint sich die Kirche diese Auffassung zu eigen gemacht zu haben. Nur müsste man diese Differenzierung dann auch in den diakonischen Sozialbetrieben anwenden und auch hier das ‚Priestertum aller Gläubigen‘ neu definieren und sich dazu durchringen zu entscheiden, wer Priester ist und wer nicht (also: der Tendenzverwirklichung näher und ferner steht). Eine solche Entscheidung würde aber die arbeitsrechtlichen Besonderheiten des ‚Dritten Weges‘ theologisch ins Absurde bringen.“ (Dahme et al. 2012, S. 92.) 144 Der Terminus „Dienstgemeinschaft“ nimmt bei der Betrachtung der diakonischen Arbeitswelt die Reduktion auf erwerbsarbeiterische Zusammenhänge vor und ehrenamtliche Arbeit wird schlicht ausgeblendet. 145 Ansätze wie der von Hans-Richard Reuter versuchen, durch eine differenzierte Beschreibung der Dienstgemeinschaft den Dritten Weg zu „retten“, indem ein Modell von abgestuften Rechten und Pflichten entsprechend der Nähe bzw. Ferne zum kirchlichen Auftrag entwickelt wird. Jedoch gerät dieses Modell mit der grundgelegten Idee, dass Diakonie eine Wesensäußerung der evangelischen Kirche sei und damit auch mit der Grundlegung des kirchlich-diakonischen Arbeitsrechts in Konflikt. Welche kirchlichen Privilegien darf die Diakonie in Anspruch nehmen dürfen, wenn sie nur indirekt kirchliches Handeln ist? Würde eine graduelle Abstufung durchgesetzt, wäre mit einer organisationalen Verkomplizierung zu rechnen: Für welche Mitarbeitenden ist die Mitarbeitendenvertretung – für welche der Betriebsrat zuständig? Welche Mitarbeitenden haben ein Streikrecht? Neben solchen organisationspraktischen Fragen ist auch aus theologischer Perspektive eine Differenzierung zwischen der direkten und der indirekten Kommunikation des Evangeliums kaum trennscharf zu begründen. (Reuter 1996.)

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gischen Perspektiven den konkreten Arbeitsvollzug in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt anleiten und im Wechselgespräch strukturieren sollen. 2.2.1.3 Fazit zu den praktischen und theologischen Implikationen der Dienstgemeinschaft Unter Rückgriff auf „Dienstgemeinschaft“ werden wesentlich die Arbeitsstrukturen, Arbeitsformen sowie Arbeitsverhältnisse in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt legitimierend arrangiert. Zum einen ist „Dienstgemeinschaft“ die arbeitsrechtliche (in Bezug auf Erwerbsarbeit) Begründung der kirchlichen Sonderstellung und damit die Rechtsgrundlage des Streikausschlusses (Prinzip der Versöhnung bzw. des Konsenses). Zum anderen ist Dienstgemeinschaft die theologische Argumentationsfigur für die gemeinsame Mitarbeit sowie Teilhabe am kirchlich-diakonischen Auftrag durch berufliche als auch nichtberufliche Mitarbeitende. In der Debatte um freiwillige Arbeit tritt insbesondere das subjektive Moment des sich in Dienststellenlassens hervor, wohingegen Dienstgemeinschaft hinsichtlich des Dritten Wegs v. a. wirtschafts- nicht konsensorientierte Regelungen meint. Dienstgemeinschaft hat trotz seines Ursprungs durchaus theologische Anklänge und kann ggf. durch die Lehre vom Priestertum aller Gläubigen gefüllt werden. Jedoch bleibt dieser kirchenrechtliche Begriff maßgeblich in der Rechtsprechung verankert und dient auf diese Weise dem Streikausschluss sowie der Gestaltung von Arbeitsbedingungen entlang ökonomischer Logiken. Insgesamt eignen dem Terminus „Dienstgemeinschaft“ recht unterschiedliche Impulse, wobei aber alles in allem die Rezeption des Begriffs in der Rechtsprechung zum kirchlichen Arbeitsrecht dominiert. Auf diese Weise wird das kritische Potential einer hierarchiefreien gemeinsamen Tätigkeit in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt wesentlich eingeengt und kann kaum zur Sprache kommen. Im Anschluss an Grethlein gilt: „Der Selbsterhalt der Organisation droht an die Stelle von deren Aufgabe zu treten, die Kommunikation des Evangeliums zu fördern.“146 Da mit Dienstgemeinschaft wesentlich die Sicherung kirchlich-diakonischer Privilegien vorangetrieben wird, markiert dieser Terminus eine gewisse organisationale Starre sowie Rückwärtsgewandtheit, die, wie Grethlein meint, die Aufgabe Kommunikation des Evangeliums und auch die kirchlich-diakonische Arbeitswelt beschränkt.147 Die kirchlich-diakonische Arbeitswelt ist in ihrer konkreten Vergesellschaftung von üblichen wirtschaftlichen Logiken, Machtkämpfen, Ausdifferenzierungsprozessen etc. geprägt, wobei jedoch eine ausgleichende Orientierung entlang theologischer Leitlinien bzw. Leitbegriffe ertragreich wäre. Die oben beschriebenen Prozesse 146 Grethlein 2015, S. 184. 147 Vgl. Grethlein 2015, S. 181.

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sowie konservativen Tendenzen qualifizieren den Dienstgemeinschaftsbegriff für die weitere Auseinandersetzung im Rahmen dieser Forschungsarbeit als verengt und daher als ungeeignet. Jedoch werden am Dienstgemeinschaftsideal die offenen theologischen Forderungen bei der Gestaltung der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt zumindest teilweise sichtbar. Im Folgenden werden neben den bereits unter 2.2.1 erörterten Bedingungen und Logiken der kirchlich-diakonischen Arbeit weitere problematische Bedingungen sowie Logiken der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt näher erörtert.

2.2.2 Rollenerwartungen und Arbeitsüberlastung kirchlich-diakonischer Mitarbeitender Die Konsequenzen problematischer Arbeitsbedingungen werden in den letzten Jahren vermehrt unter dem Namen „Burnout“ subsumiert. Der Psychoanalytiker Freudenberger beschrieb das Erschöpfungsphänomen „Staff burn-out“ erstmals 1974: Sowohl bezahlte Mitarbeitende in helfenden Berufen als auch Ehrenamtliche waren nach einer Phase großen Engagements zunehmend distanziert, zynisch und abgeklärt bei ihrer Arbeit.148 Insgesamt fasst der Begriff Burnout unterschiedlichste Erschöpfungssymptomatiken149 zusammen – zudem kommt die Wissenschaft zu ganz unterschiedlichen Einschätzungen150: „Die Spannweite 148 Vgl. Freudenberger 1974, 1975. 149 Michael Burisch nennt folgende Symptome: Überhöhter Energieeinsatz, Erschöpfung, reduziertes Engagement, emotionale Reaktionen wie Depression oder Aggression, Abbau der kognitiven Leistungsfähigkeit oder Motivation sowie Kreativität, Verflachung des emotionalen, geistigen sowie sozialen Lebens, psychosomatische Reaktionen und schließlich Verzweiflung. (Vgl. Burisch 2006, S. 25f.) Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2011 kommt zu dem Ergebnis, dass bisher kein standardisiertes, allgemeingültiges Vorgehen zur Burnout-Diagnose existiert. (Vgl. Kaschka et al. 2011, S. 787.) Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ordnet im ICD 10 bzw. 11 den verschiedensten „Burnout-Beschwerden“ kein eigenes Krankheitsbild zu und somit ist „Burnout“ keine eigenständige Diagnose. Jedoch plädieren WHO und DGPPN dafür, bei der Wahrnehmung von Burnout-Phänomenen die Gesundheitsdienste zu kontaktieren und eine genauere Diagnostik vorzunehmen. (Vgl. Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde 2012, S. 5.) 150 Schaufeli/Buunk unterscheiden die Burnout-Definitionen nach zwei Definitionstypen: „state definitions“ und „process definitions“. „Of course, both types of definitions are not mutually exclusive. Even more so, in a certain sense, they are complementary, because state definitions describe the end-state of the burnout process“ (Schaufeli und Buunk 2003, S. 386.) Die Status-Definitionen (state definitions) sind allesamt durch folgende fünf Charakteristika zu klassifizieren: 1. Dysphorische, d. h. depressive Stimmungslage und emotionale Erschöpfung herrschen vor. 2. Es handelt sich um psychische oder Verhaltensstörungen 3. Burnout ist in der Regel arbeitsbezogen. 4. Die Symptome werden bei „normalen“ Menschen beschrieben. 5. Es kommt zu sinkender Effektivität und Arbeitsleistung wegen negativer Einstellung bzw. Verhalten. Bei der Prozessdefinition (process definitions)

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der Diskussion reicht von der völligen Negierung der Relevanz des Burnouts als psychische Erkrankung bis hin zur Warnung vor einer tickenden, bisher übersehenen Zeitbombe.“151 Die synthetische Burnout-Definition von Schaufeli/ Enzmann dient an dieser Stelle als Arbeitsdefinition. Demnach ist Burnout eine andauernde, negative, arbeitsbezogene Einstellung, welche sich als umfassende Erschöpfung manifestiert. Dazu kommen weitere Symptome wie affektive, kognitive, physische und auf das Verhalten bezogene Störungen, eine gesunkene Motivation und die Entwicklung dysfunktionaler Einstellungen bzw. Verhaltensweisen gegenüber der Arbeit. Burnout entwickelt sich graduell über die Zeit hinweg, bleibt oftmals unbemerkt und perpetuiert sich auf diese Weise. Schaufeli/Enzmann betonen, dass die Betroffenen nicht psychopathologisch belastet sind.152 Eine Burnout-Diagnose kann das subjektive Leiden der Betroffenen validieren, wobei das Ziel einer Behandlung die Vergrößerung des jeweiligen Handlungsspielraums ist. Im Rahmen dieser Studie sind jedoch weniger individuelle Vorbedingungen der Erkrankungen und deren Bewältigung von Interesse, vielmehr stehen Arbeits- bzw. Organisationsstrukturen, die zu Burnout-Phänomenen führen, im Zentrum.153. Burnout-Erscheinungen lassen auf äußerst problematische Arbeitsstrukturen rückschließen. Die Weigerung Deutschlands zur Implementierung der europäischen Vereinbarung zu „Stress am Arbeitsplatz“154 weist auf die gesellschaftliche Stimmung bezüglich arbeitsmäßiger Belastungen hin. Zum Konzept moderner Erwerbsarbeit gehört eine hohe Leistungsorientierung, ein durch die Ökonomisierung verringerter Handlungsspielraum, enge Zeitregime, die ständige Forderung nach Flexibilität sowie Lernbereitschaft und schließlich

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hingegen wird Burnout als der langsame Prozess des Ausbrennens beschrieben. Der Prozess beginnt in der Regel mit einer erhöhten Belastung/Stress durch die Diskrepanz zwischen individuellen Erwartungen und Idealen gegenüber der harten Arbeitsrealität. Dieses Stresserleben kann bewusst wahrgenommen werden oder auch lange Zeit unbewusst bleiben. Die betreffende Person ist zunehmend emotional erschöpft. Bei gleichbleibender Belastung kommt es zum Burnout. (Vgl. S Schaufeli und Buunk 2003, S. 387.) Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde 2012, S. 1. Vgl. Schaufeli und Buunk 2003, S. 388. In den Sozialwissenschaften wird der Zusammenhang zwischen dem massiven Auftreten von Burnoutphänomenen und gesellschaftlichen Bedingungen umfänglich eruiert. Exemplarisch können folgende Titel herangezogen werden: Ehrenberg 2004; Neckel und Wagner 2013; Nötling 2014; Gahntz und Graefe 2016; Rau 2016; Rau 2010; Voß und Weiß 2013; Heinemann und Heinemann 2013; Kurz-Scherf et al. 2005. Die EU-Sozialpartnervereinbarung „Stress am Arbeitsplatz“ (2004) hat in vielen Ländern dazu geführt, psychosoziale Belastungsfaktoren als Teil der Gefährdungsbeurteilungen für Arbeitssicherheit aufzunehmen. Damit gelten neben Lärm, Licht, Vibration, Toxinen auch für psychosozialen Stress Grenzwerte, die auf Grund entsprechender Arbeitsschutzvorkehrungen nicht überschritten werden dürfen. In Deutschland jedoch ist eine Gefährdungsbeurteilung des psychosozialen Stress‘ am Arbeitsplatz weder rechtlich noch tariflich vorgesehen. (Vgl. Europäische Kommission 2011.)

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die unklare Abgrenzung von Erwerbstätigkeit und Erholungsphasen (Digitalisierung). Die andauernde Überforderung der Arbeitnehmenden verursacht letztlich Burnout bzw. Arbeitsüberlastung und bildet damit die Vorstufe von chronifiziertem Stress und Folgeerkrankungen wie beispielsweise Tinnitus oder Bluthochdruck. Auch die kirchlich-diakonischen Arbeitsverhältnisse sind entsprechend den Bedingungen moderner Erwerbsarbeit gegliedert. Diese sozial vermittelten Arbeitskulturen werden mit theologisch geformten Arbeits- bzw. Organisationsbildern kombiniert, was bei vielen Mitarbeitendengruppen in Arbeitsüberlastung resultiert. „Die Zeit“ titelte 2003 entsprechend „Die Hirten sind müde.“155 Die Studie „Zwischen Burnout und spiritueller Erneuerung“ von Andreas von Heyl analysierte das Phänomen Arbeitsüberlastung und seine Ursachen näher. Von Heyl interviewte dazu rund 200 Pfarrer*innen der ELKB und konnte so nachweisen, dass im Jahr 2001 die Hälfte (49,5 %) der bayerischen Pfarrer*innen Burnout-gefährdet (v. a. durch emotionale Erschöpfung und Einschränkung der persönlichen Leistungsfähigkeit)156 war. Darüber hinaus waren 7,5 % der Befragten akut bedroht und 2 % aktuell von einem Burnout betroffen. Ein Vorgesetzter formuliert: „Ich begegne vielen, die sind so ausgebrannt, daß ich nicht weiß, ob sie anderen Menschen noch etwas geben können.“157 Dies zeigt an, dass die Arbeitsüberlastung nicht nur massive gesundheitliche Konsequenzen für die Betroffenen selbst hat, sondern auch die Tätigkeit innerhalb der Organisation Kirche erschwert. Die Studie von Heyls nennt als Auslöser für die Arbeitsüberlastung stetig steigende Erwartungen verbunden mit „Vereinsamung“ durch die hohe Arbeitsbelastung und die herausgehobene Stellung innerhalb der Organisation.158 Im Folgenden werden die überfordernden Rollenerwartungen sowie die Arbeitsüberlastung von Pfarrer*innen, Gemeindepädagog*innen sowie ganz allgemein diakonischer Mitarbeitender weiter expliziert.

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Etscheit 2003. Vgl. Heyl 2003, S. 276. Ausbilder im Interview nach Heyl 2003, S. 281. Vgl. Heyl 2003, S. 282. Von Heyls Studie bezog rund 10 % der Pfarrer*innen der ELKB ein. Insgesamt ist mit ähnlichen Tendenzen auch in anderen Landeskirchen zu rechnen. Darauf lassen die sehr ähnlichen Arbeitsbedingungen, aber auch die Existenz von therapeutischen Kriseninterventionshäusern für Pfarrer*innen, Priester oder andere kirchliche Mitarbeitende (Haus Respiratio, Schwanberg und Haus Recollectio, Münsterschwarzach) schließen.

Deutungen, Bedingungen und Logiken der Arbeit in Kirche und Diakonie

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2.2.2.1 Arbeitsüberlastung der Pfarrer*innen Hinsichtlich der pfarrberuflichen Arbeitsüberlastung werden die antizipierte pastorale Schlüsselrolle, die hohe Arbeitsintensität, die moralische Instanz Pfarrhaus und schließlich weitere kirchenrechtliche bzw. theologische Zusammenhänge konkretisiert. 2.2.2.1.1 Der Pfarrberuf als Schlüsselrolle mit Verantwortung für den Fortbestand der Kirche Die erste Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU) aus dem Jahr 1972 resümiert: „der Pfarrer [ist] in der Schlüsselrolle”159. Dem Beruf, aber auch dem Subjekt des Pfarrers, wird hier paradigmatisch eine herausragende Rolle für die Volkskirche bescheinigt: Der vorfindliche Gottesdienst ist nicht mehr für alle das Symbol, an dem man die Zugehörigkeit zu dem ‚Wir‘ einer Gemeinde erkennt. Im Augenblick ist das umfassende Symbol der Pfarrer, der meist in allen Bereichen gegenwärtig ist und die eigentliche Klammer im volkskirchlichen Gefüge darstellt. Insofern ist die Volkskirche notwendig pfarrer-zentriert, wie immer man theologisch dazu stehen mag.160

Die fünfte KMU (2014) kommt zu dem Ergebnis, dass kirchenverbundene Mitglieder sowohl Kontakt mit der Pfarrer*in als auch anderen kirchlichen Mitarbeitenden pflegen und für sie alle diese Mitarbeitenden die Institution Kirche repräsentieren. Für mehr als die Hälfte (56 %) der evangelischen Kirchenmitglieder jedoch ist es v. a. die Pfarrer*in, der mit der Institution Kirche assoziiert wird.161 „Insofern kann durchaus von einer ‚pastoralen Schlüsselrolle‘ für die Wahrnehmung der Kirche im Ganzen gesprochen werden.“162 Die Mehrheit der evangelischen Kirchenmitglieder (63 %) besuchen Kasualgottesdienste mit einem biographischen Bezug.163 Unterdies rückt die kontinuierlich hohe Taufbereitschaft164 die Pfarrer*in als Garant*in des Kasualvollzugs und damit auch der Volkskirche in den Mittelpunkt.165 In der praktischen Theologie führt dies zur Besinnung auf pastoraltheologische Zusammenhänge und einer 159 160 161 162 163 164

Krusche 1975. Kugler 1983, S. 584. Vgl. Kirchenamt der EKD 2014a, S. 96. Kirchenamt der EKD 2014a, S. 103. Vgl. Kirchenamt der EKD 2014a, S. 56. Die Taufbereitschaft evangelischer Kirchenmitglieder zur Taufe ihres Kindes bewegt sich im Gesamtvergleich (1972–2012) mit 90 % auf hohem Niveau. Die Trau- und Konfirmationsbereitschaft der Kirchenmitglieder ist ebenfalls hoch. Dabei ist jedoch interessant, dass die Anteile der tatsächlich vollzogenen Taufen, kirchlichen Trauungen und Bestattungen niedriger ausfallen. (Vgl. Kirchenamt der EKD 2014a, S. 18.) 165 In der Regel werden die Kasualien durch die Pfarrerin durchgeführt, teilweise aber auch durch Prädikanten.

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starken Auseinandersetzung mit den Kasualien bzw. dem Gottesdienst.166 In der praktisch-theologischen Literatur entstand eine Fülle pastoraltheologischer Entwürfe bzw. Berufsrollenbilder167, die die Pfarrer*in ins Zentrum stellen.168 Das zumindest angenommene Gewicht der Pfarrer*in für den Fortbestand der (Volks-)Kirche in der modernen Gesellschaft ist eine belastende Erwartung dieser Mitarbeitendengruppe. 2.2.2.1.2 (Unklare Abgrenzung von) Arbeitszeiten und Aufgabengebiet der Pfarrer*in Die Intensität der Pfarrtätigkeit schlägt sich bereits im hohen zeitlichen Arbeitsumfang nieder. In der EKD galt lange eine durchschnittliche Arbeitszeit von 54 Stunden pro Woche. Durch die EU-Arbeitszeitrichtlinie169 wurde diese Stundenzahl begrenzt, was mittlerweile in vielen Landeskirchen Eingang fand. Dienstordnungen gehen mittlerweile von einer regulären 48-Stunden-Woche für Pfarrer*innen aus. Die Stundenzahlreduktion wurde jedoch nur auf dem Papier der Dienstordnungen durchgeführt – in der Regel erfolgte keine Begrenzung des Aufgabengebiets bzw. Zuständigkeitsbereichs. Diese Praxis lässt sich beispielsweise aus einer kirchlichen Handreichung zur Dienstordnungsgestaltung der ELKB aus dem Jahr 2015 herauslesen, wonach die Arbeitszeitvorgabe nicht zu ernst zu nehmen sei, denn „besondere Situationen erfordern besondere Anstrengungen.“170 Die grundsätzliche Erreichbarkeit, die Aufgabenvielfalt mit 166 Ahuis 1985; Bohren 1960; Dierken 1991; Fechtner 2003; Gräb 2011; Josuttis 1991; Paul 1990; Wagner-Rau 2000; Winkler 1995. 167 Ferner werden in Kirchen-Reformpapieren auch solche Pfarrzentrierungen vorgenommen. Das Impulspapier Kirche der Freiheit formuliert z. B. als sechstes Leuchtfeuer: „Auf Gott vertrauen und das Leben gestalten – den Beruf der Pfarrer*innen als Schlüsselberuf der evangelischen Kirche stärken.“ (Kirchenamt der EKD 2006, S. 71. 168 Pastoraltheologie wird im Allgemeinen als theologisch legitimiertes berufliches Handeln von Pfarrer*innen verstanden. Dabei ist der Grundtenor der Konzentration auf die Pfarrperson maßgeblich. Die pastoraltheologischen Ansätze argumentieren in zwei grob zu unterscheidende Richtungen. Einerseits wird die professionalisierte Beruflichkeit hinsichtlich der (Kasual-)Praxis hervorgehoben (vgl. z. B. Karle 2001a; Karle 2004). Anderseits die vorbildhafte Subjektivität der Pfarrer*in als exemplarischer Gläubigen betont (vgl. Josuttis 1982; Josuttis 1991) in den Vordergrund rücken. Bei beiden Tendenzen jedoch stehen die beruflichen Vollzüge dieser Mitarbeitenden im Zentrum der Betrachtung, nicht eine mögliche Orientierung an kirchlichen Aufgaben oder Vollzügen. Bubmann schlägt gegenüber der Konzentration auf Pfarrer*innen in der kirchlichen Schlüsselrolle einen Pastoraltheologiebegriff vor, der wesentlich an den kirchlichen Aufgaben, nicht so sehr an den Personen, ausgerichtet ist. (Vgl. Bubmann 2015b, S. 2.) 169 Richtlinie 2003/88/EG vom November 2003 begrenzt in Art. 6 die maximale Wochenarbeitszeit auf 48 Stunden im gesamtjährlichen Durchschnitt. (Vgl. Europäisches Parlament und Rat 2003.) 170 Evangelisch-Lutherische Landeskirche Bayern 2015, S. 15. Tatsächlich bestehen trotz der hohen Anforderungen nur relativ wenig Kontrollmöglichkeiten gegenüber dem Pfarrstelleninhaber. Denn in der Ortsgemeinde übernimmt die Pfarrer*in häufig Vorgesetzten-

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unklaren Dienst- sowie Privatzeiten und auch oft der Leitungsverantwortung in vielen Bereichen begünstigen die Arbeitsüberlastung. In manchen Landeskirchen werden Arbeitszeiterfassungs-Apps171, Zeitmanagement-Seminare während der Ausbildung172 oder auch selten kollegiale Beratung bzw. Supervision als individuelle Hilfestellungen bereitgestellt. Diese Unterstützungsangebote bedürfen des dringenden Ausbaus, dennoch blenden solche Maßnahmen die zugrunde liegenden strukturellen Ursachen der Arbeitsüberlastung aus. Denn die Erholungsmöglichkeiten sind massiv eingeschränkt, da am garantierten freien Tag eine grundsätzliche Erreichbarkeit zu gewähren ist.173 2.2.2.1.3 Das Pfarrhaus als Projektionsfläche moralischer und familiärer Ideale Die Verpflichtung von Pfarrer*innen, am Dienstsitz zu wohnen, erleichtert aufgrund der bereitgestellten Dienstwohnung zwar mögliche Probleme bei der Wohnungssuche. Jedoch manifestiert sich in der Residenzpflicht, die nur für Pfarrer (nicht für andere kirchliche Mitarbeitende) gilt, die zentrale Stellung des Pfarrberufs.174 Die Inhaber*in einer Pfarrstelle wird somit als Mitarbeitende in einer mächtigen Berufsrolle privilegiert, zugleich aber auch mit einem hohen Grad an Verpflichtung bzw. sozialer Kontrolle an das Pfarrhaus gebunden. Bereits seit der Reformation ist es protestantische Tradition, dass der Pfarrer mit seiner Familie im Pfarrhaus lebt. Das Pfarrhaus ist durch mannigfaltige gesellschaftliche Erwartungshaltungen und Vorstellungen aufgeladen. Das Pfarrhaus sei ein Hort universeller Bildung und bürgerlichen Lebens, das Vorbild christlicher Lebensführung, Ursprung von Literatur, Philosophie und Wissenschaft: Das evangeli-

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funktion und ist auch einen großen Zeitanteil mit vorbereitenden oder verwaltenden Tätigkeiten beschäftigt. Insgesamt bestehen bei Gestaltung der pfarramtlichen Arbeitszeit bzw. auch bei der Organisation dieser große Handlungs- und Autonomiespielräume. Leider zeugen die hohen Zahlen zu Burnout bzw. Arbeitsüberlastung davon, dass die Autonomiespielräume unzureichend zur eigenen Erholung bzw. Begrenzung der Arbeit genutzt werden. Dies ist zum einen auf die sekundären Gewinne durch die Annahme vieler Aufgaben (Anerkennung, Wertschätzung etc.) und zum anderen auf die internalisierte Selbstausbeutung bedingt durch die Rollenerwartungen zurückzuführen. Evangelisch-Lutherische Landeskirche Bayern. Z. B. ist in der Studienordnung des Vorbereitungsdiensts in der ELKWü (vgl. Evangelische Kirche Württemberg 2005) ein Seminar „Arbeitsökonomik“ vorgesehen. Bei der badischen Kirche dagegen ist „Zeitmanagement“ Lehrinhalt. (Evangelische Landeskirche Baden 2005.) Entsprechende Regelungen finden sich im PfDG.EKD, was meist in den einzelnen Landeskirchen in eigene Pfarrdienstgesetze umgesetzt wurde. Im Rahmen der VELKD ist das PfDG.EKD als Pfarrdienstrechtsneuordnungsgesetz (PfDRNOG.VELKD) 2011 grundsätzlich angenommen und spezifiziert worden. § 39 PfDG.EKD.

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sche Pfarrhaus als Lebensform ist seit Jahrhunderten Projektionsfläche gesellschaftlicher und familiärer Ideale.175

Die Reformation und ihr Bildungsprogramm machten das Pfarrhaus insbesondere in ländlichen Kontexten zu einem Ort (umfassender) Bildung, von dem aus beispielsweise die geistliche Schulaufsicht geführt wurde.176 Ferner exemplifizieren der Pfarrer und seine Familie im Pfarrhaus christlich-ethische Standards und das Leben einer „heiligen Familie“. Das Bild der intakten Pfarrfamilie ist aufs engste mit dem bürgerlich-inspirierten Familienideal verbunden. In der heiligen Pfarr- und Kirchenwelt wird der männliche Amtsinhaber klassischerweise durch seine liebevoll-häusliche Frau unentgeltlich und selbstlos in allen Bereichen der christlichen Gemeinde unterstützt.177 Der Pfarrberuf, welcher ans Pfarrhaus gebunden ist, symbolisiert damit eine klassisch-patriarchale Aufgaben- und Arbeitsteilung: Der männliche Pfarrer ist in ein Erwerbsverhältnis eingebunden, welches monetär hoch entlohnt wird und hohe Prestigegewinne mit sich bringt. Die sog. Pfarrfrau hingegen leistet unbezahlte Care175 Begleittext der Ausstellung „Leben nach Luther. Eine Kulturgeschichte des evangelischen Pfarrhauses“ im DHM (Deutsches Historisches Museum.) 176 Das protestantische Bildungsideal kann anhand des universitären Gelehrtengewands, das zur Berufskleidung protestantischer Pfarrer wurde, illustriert werden. Die Hochschätzung der Bildung setzte sich im Laufe der Geschichte immer konsequenter durch und die Qualifikationsanforderungen für die Übernahme einer Pfarrstelle wurden deutlich ausdifferenziert. Heute schreibt das PfDG.EKD das universitäre Theologiestudium als Bedingung des Pfarrberufs zwingend vor. 177 Bis 1977 lautete § 1356 BGB: „(1) [1] Die Frau führt den Haushalt in eigener Verantwortung. [2] Sie ist berechtigt, erwerbstätig zu sein, soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist. (2) Jeder Ehegatte ist verpflichtet, im Beruf oder Geschäft des anderen Ehegatten mitzuarbeiten, soweit dies nach den Verhältnissen, in denen die Ehegatten leben, üblich ist.“ (BGB). Auf Grundlage dieser allgemeinen Gesetzeslage wurde die Frauenerwerbstätigkeit bis 1977 durch die Ehemänner eingeschränkt. Ferner lässt sich an § 1356 BGB Abs. 2 nachvollziehen, dass es nicht nur im Pfarrberuf, sondern auch in anderen Bereichen üblich war, dass die Frauen im Beruf des Mannes qua Pflicht mitarbeiteten. Erst seit den 1960er Jahren wurden in den evangelischen Kirchen Frauen ordiniert. Den Anfang in Richtung Gleichstellung zwischen Männern und Frauen im Pfarrberuf machten die Evang. Landeskirche Anhalts, die Evang. Kirche der Pfalz und die lutherische Kirche in Lübeck 1958 mit der kirchengesetzlichen Anerkennung von Pfarrerinnen als Geistliche im vollen Sinne (inklusive Ordinationsberechtigung). Trotz diesen Anfangs war es ein mindestens „20 Jahre dauernder Prozess, die restaurativen Tendenzen allmählich […] [zu überwinden]. Im landeskirchlichen Vergleich traten große Ungleichzeitigkeiten im Blick auf Fragen der Ausbildung, Ordination, Titulatur, Amtstracht, gleicher Entlohnung und der Abschaffung der Zölibatsklausel auf.“ (Schlarb 2008, S. 393f). Der lange andauernde Wandel, der bis zur Gleichstellung der Frauen im Pfarrberuf nötig war bzw. ist, kann nur im Kontext der sozialen Prozesse/Kategorien von Arbeitsteilung und Gender verstanden werden. In der Gegenwart werden Schwierigkeiten zwischen dem „männlich geformten“, d. h. an klassischen Geschlechter- und Arbeitsteilungsmustern orientiertem Pfarramt und der Besetzung dieses Amtes durch Menschen unterschiedlichen Geschlechts, deutlich. (Vgl. Schlarb 2008, S. 392ff.)

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Arbeit sowie freiwillige Arbeit in der Kirchengemeinde. Diese Arbeitsteilungsverhältnisse reproduzieren übliche gesellschaftliche Arbeitsteilungs- und Anerkennungsprozesse. Gerade in der Gegenwart sind jedoch Partner*innen von Pfarrpersonen oft nicht dazu bereit, diese Arbeitsteilung zu praktizieren. Bei Bezug des Pfarrhauses bzw. der Dienstwohnung stehen für die Pfarrer*in die lebensweltlichen Zusammenhänge des eigenen Wohnens im Mittelpunkt; der eigene Wohnort ist aber, wie oben gezeigt wurde, durch viele gesellschaftliche Vorstellungen besetzt. Es ist die Struktur des Pfarramtes selbst, die diese Rollenverteilung mitsamt der dazugehörigen Ideologie hervorgebracht hat […]. Ideologie und Struktur des Hirtenamtes schließen alle Ansätze partnerschaftlicher Lebens- und Arbeitsformen aus sowohl theologisch als auch praktisch. Denn ein jeder wird einsehen, dass ein Hirte, der sich in seiner Familie und seiner Gemeinde auf die Ebene der Herde begibt, strenggenommen kein Hirte mehr ist.178

Die mit dem Pfarrhaus verbundene klassische Arbeitsteilung sowie das patriarchale Arbeitsverständnis werden auf diese Weise v. a. für Pfarrer*innen oder auch Partner*innen von Amtsinhabenden zur Schwierigkeit. Der Anspruch eines moralisch-vorbildhaften Lebens setzt Familie sowie Partnerschaft unter Druck und die fehlende Balance zwischen Berufsrolle und privater Person trägt zu erhöhtem Stress bei.179 2.2.2.1.4 Kirchenrechtliche sowie theologische Zusammenhänge des Pfarrberufs und Ausblick Der Pfarrberuf wird nach §1 PfDG.EKD ganz allgemein unter Bezugnahmen auf CA VII bzw. CA V als Amt der öffentlichen Wortverkündigung bzw. Sakramentsverwaltung und auf diese Weise als Auftrag und Recht der Pfarrer*innen qualifiziert. Die Kirchengesetze spezifizieren die pfarramtlichen Aufgaben nicht näher. Das unklare Mandat ist im Laufe der Zeit immer facettenreicher geworden und es sind kontinuierlich neue Arbeitsbereiche hinzu gewachsen. Der Pfarrberuf ist gegenwärtig mit der Kasualienverwaltung, Religionsunterricht, Administration, Kirchenleitung180, Finanzverantwortung181, Seelsorge, Konfirmandenunterricht sowie weiteren Bereichen betraut.182 Die 178 Wind 1980, S. 154. 179 Josuttis und Stollberg 1995. 180 Neben der häufig vorgesehenen Kirchengemeindeleitung gehören dazu auch noch die Aufgaben als Dienstvorgesetzte der anderen kirchlichen Mitarbeitenden. 181 In der EKiR beispielsweise sind viele Mitarbeitende durch die Umstellung vom System der Kameralistik zu einem betriebswirtschaftlich organisierten System („NKF-Neues Kirchliches Finanzwesen“) durch zusätzlichen Arbeitsaufwand äußerst belastet. 182 „Die immerwährende Mühle unterschiedlichster Obliegenheiten geht nicht nur auf die Nerven, sondern im Laufe der Zeit auch an die Grundfesten der Person. […] Nur: Brauchen

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gesellschaftliche Ausdifferenzierung hat nur in geringem Umfang zur weiteren expliziten Arbeitsteilung z. B. mit Gemeindepädagog*innen geführt. Pfarrer*innen sind im Arbeitsgefüge der Ortsgemeinde in den allermeisten Landeskirchen die einzig Ordinierten183, was sowohl rechtlich (Leitungsverantwortung, Kasualien, Gottesdienste usw.) als auch symbolisch (Ordination zeitlich und örtlich ungebunden) zur Vorordnung des Pfarrberufs vor allen anderen Tätigkeiten anleitet. In praktisch-theologischen Entwürfen wird diese dominante Position von Pfarrer*innen trotz vielfacher Be- und Überlastungen theologisch weitestgehend stabilisiert.184 Beispielhaft dafür sind die pastoraltheologischen Entwürfe von Isolde Karle oder Manfred Josuttis.185 Isolde Karle verbindet dazu einen kontemporären Professionsbegriff mit dem klassischen Amts- bzw. Pfarramtsbegriff (CAV bzw. VII) und schlussfolgert daher „Das Pfarramt ist die professionelle Konkretion des einen Predigtamtes und des einen Priestertums, das alle Christen miteinander teilen.“186 Das Amt der Kirche aus CA VII wird in den (lutherischen) Kirchen meist in einem ersten Schritt mit dem Pfarramt bzw. Pfarrberuf, dann in einem zweiten mit dem Erwerbsarbeitsverhältnis der Theologin in der Kirche gleichgesetzt.187 Dieser quasi natürlich vollzogene Doppelschritt zur Identifikation des Amts der Kirche mit einem privilegierten Arbeitsverhältnis verschmilzt reformatorische Ekklesiologie und gegenwärtige Arbeitsteilung. Auf diese Weise erhält die Arbeitstätigkeit des Pfarrers eine starke Legitimation, dies sowohl bezogen auf die Rechtfertigung der hohen Arbeitsbelastung aber zugleich auch der heraus-

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die Menschen den Pfarrer wirklich als den ‚guten Freund von nebenan‘, als Hausmeisterin, Baufachfrau, Plauderin über den Gartenzaun, Historikerin, Lokalpolitikerin, Stimmungskanone, Reiseleiterin, Sozialarbeiterin, Hans Dampf in allen Gassen, Weihnachtsmann, Kinderclown, Spielonkel oder -tante im Altenheim und wie all die Rollenzumutungen lauten mögen?“ (Heyl 2011, S. 64.) Mit der Ordination wird das Amt der Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung auf Lebenszeit übertragen (§ 3 PfDG.EKD). Durch die Ordination einer der evangelischen Landeskirchen entstehen für den ordinierten Gemeindepfarrer sowohl Rechte als auch Pflichten. Dazu gehören das Tragen von Amtskleidung, die Residenzpflicht, die Pflicht zur grundsätzlichen Erreichbarkeit, das Parochialrecht, das Beichtgeheimnis usw. Diese regelhaft vorgesehene Berufung auf Lebenszeit auf Grundlage der Berufung auf Probe (§ 8– 23 PfDG.EKD) hebt die Pfarrerin gegenüber anderen Berufen in der Kirche bewusst heraus. Dies ist ggf. auch Konsequenz der beruflich-wissenschaftlichen Sozialisation der entsprechenden Wissenschaftlerinnen. Denn viele (Praktische) Theologen haben selbst das kirchliche Examen abgelegt, waren als Pfarrerinnen tätig und befinden sich nun im universitären Dienst. Karle 2001a, Josuttis 1982. Karle 2001a, S. 147f. Die reformierte Lehre vom einen Dienst und den vier Ämtern bietet eine theologische Ressource, um einseitigen Machtverteilungen entgegenzuwirken. Jedoch dominiert in vielen Kirchen bzw. Ortsgemeinden auf Grund der großen Anzahl der Kasualien, der Ordination, dem Pfarrhaus usw. ebenfalls die Pfarrer*in die anderen Ämter.

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gehobenen Stellung dieses Arbeitsverhältnisses. Ob aber die theologischen und soziologischen Implikationen des Amtsbegriffs für den Pfarrberuf (noch) zutreffend sind oder diese ggf. im Widerspruch mit der empirischen Berufspraxis sowie gegenwärtigen theologischen Einsichten stehen, ist bisher kaum untersucht. Es bleibt abzuwarten, wie sich die unterschiedlichen Pfarrbildprozesse, die in der EKD oder auch den Landeskirchen im Gange sind, zu diesem nicht (mehr) zutreffenden Berufsrollenbild positionieren werden. Schließlich werden zukünftig aber auch die stark sinkende Pfarranwärterinnenzahl und das verringerte kirchliche Finanzaufkommen zum Umdenken bzw. zur Neuorientierung hinsichtlich des Pfarrberufs und dem kirchlichen Amt bzw. Auftrag führen müssen. Diese äußeren Faktoren können dazu beitragen, die kirchliche Arbeitsrealität wieder in Dialog mit den theologischen Grundlegungen zu bringen und auf diesem Weg neue Perspektivierungen für die kirchlich-diakonische Arbeitswelt zu gewinnen. Insgesamt stellt sich die Herausforderung, kirchliche Arbeitsstrukturen sowohl theologisch zu rechtfertigen als auch im Zusammenhang sozialer Aushandlungsprozesse zwischen unterschiedlichen (Berufs-) Gruppen zu verstehen.

2.2.2.2 Arbeitsüberlastung der Gemeindepädagogen Auch gemeindepädagogisch-diakonische Mitarbeitende bzw. Mitarbeiter*innen in Verkündigung, Seelsorge und Bildungsarbeit haben bei ihrer beruflichen Tätigkeit ein hohes Arbeitsüberlastungspotential. Im Gegensatz zum stark ausgeprägten Pfarrerbild ist die Rolle Gemeindepädagogin äußerst diffus und erlangt auch entsprechend weniger gesellschaftlich vermittelte Anerkennung. Die variierenden Berufsbezeichnungen: Sozialdiakon*in, Jugendreferent*in, Mitarbeitende in Verkündigung, Seelsorge und Bildung usw. illustrieren dies.188 „Nicht selten handelt es sich dabei um eine sehr ähnliche Tätigkeit, die Varianz der Berufsbezeichnungen erklärt sich eher aus unterschiedlichen Ausbildungen, zum Teil auch aus der Differenzierung von Berufs- und Amtsbezeichnung.“189 Während alle Landeskirchen Pfarre*rinnen zum Dienst ordinieren, wird bei den Gemeindepädagog*innen zwischen Berufung (14×), Einsegnung (36×), Vokation 188 Vgl. Kirchenamt der EKD 2014b, S. 84. 189 Kirchenamt der EKD 2014b, S. 84. Die Kommission subsumiert: „Aufs Ganze gesehen existieren somit im Bereich der EKD mindestens sechs verschiedene Berufsbezeichnungen, wobei die verschiedenen Varianten mit ‚Diakon/in‘ zu einem zusammengefasst und unspezifische Bezeichnungen wie ‚Mitarbeiter/in‘ nicht mitgezählt wurden: Diakon/-in, Gemeindepädagoge/-in, Gemeindehelfer/-in, Jugendreferent/-in, Katechet/-in, Religionspädagoge/-in.“ (Kirchenamt der EKD 2014b, S. 85.)

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(16×) und Ordination (4x) unterschieden.190 Auch die Berufszugänge sind nicht einheitlich geregelt und reichen von Ausbildungen bis zu Hochschulabschlüssen.191 Die Position in der Organisation Kirche kann an den relevanten Weisungsverhältnissen nachvollzogen werden. Je nach landeskirchlicher Regelung übt die gliedkirchliche, die regionale oder auch die lokale Ebene, d. h. in der Regel vertreten durch die Pfarrer*in, die Dienstaufsicht aus.192 Diese knappe Zusammenstellung illustriert bereits die Vielfalt der rechtlichen sowie institutionellen Rahmenbedingungen dieser beruflichen Tätigkeit, was zudem auch berufliche Durchstiege und Wechsel von Landeskirchen stark erschwert. Außerdem fehlt eine EKD-weite Anerkennungsregelung für erlangte Berufsabschlüsse und kirchliche Ämter. Das Berufs- bzw. Rollenbild Gemeindepädagog*in ist sehr fragil, was individuelle Berufsperspektiven einschränkt. Außerdem empfinden viele gemeindepädagogische Mitarbeitende die Weisungsgebundenheit gegenüber der ordinierten Pfarrer*in, mit der sie sich in einer „Dienstgemeinschaft“193 befinden, als beschränkend für die gelingende Tätigkeit. Die teils kirchenrechtlich verwendete Bezeichnung „Mitarbeitende für Seelsorge, Verkündigung und Bildungsarbeit“ impliziert demgegenüber nämlich, dass diese Mitarbeitenden am gemeinsamen Auftrag der Kommunikation des Evangeliums teilhaben. Schließlich üben Gemeindepädagog*innen in Seelsorge, Jugendgottesdiensten, Konfirmandenunterricht, Altenheimen und in der Arbeit mit allen Altersgruppen Tätigkeiten aus, die denen des Pfarrberufs stark ähneln. Zumal auch der verkündigende Aspekt, welcher häufig zur Legitimation der Privilegierung des Pfarrberufs herangezogen wird, eingeschlossen ist. Da jedoch das Predigtamt (CA V) – wie oben gezeigt werden konnte – mit dem Pfarrberuf identifiziert wird, fehlt den Gemeindepädagogen eine ähnlich starke 190 Vgl. Kirchenamt der EKD 2014b, S. 59. 191 Der Bericht „Perspektiven für diakonisch-gemeindepädagogische Ausbildungs- und Berufsprofile. Tätigkeiten – Kompetenzmodell – Studium“ (EKD-Text 118) der Ad-Hoc Kommission der Gliedkirchen und ihrer Diakonie (2014) widmet sich dieser diversen Berufsgruppe. Die Kommission bildet insgesamt 56 unterschiedliche Studien- und Ausbildungsgänge im gemeindepädagogischen-diakonischen Bereich ab. Ferner ordnet die Kommission diese unterschiedlichen Niveaustufen innerhalb des Deutschen Qualifikationsrahmens (DQR) und damit professionellen, d. h. beruflichen Tätigkeitsbereichen, zu. Dazu werden vier unterschiedliche Strukturtypen von Ausbildungen an Fachschulen (DQR 6), Bachelor- und Masterabschlüssen an Hochschulen (DQR 6 bzw. DQR 7) beschrieben. Strukturtyp 1: Doppelter Bachelor- bzw. Berufsabschluss (staatlich und kirchlich anerkannt); Strukturtyp 2: Aufbauende Qualifikation durch Fort- und Weiterbildung auf einen Berufs- bzw. Studienabschluss; Strukturtyp 3: Doppelte Qualifikation integriert in einen berufsqualifizierenden Studien- und Ausbildungsabschluss; Strukturtyp 4: Ausbildungs-, Berufs-, oder Studienabschluss ohne doppelte Qualifikation für kirchliche und freie oder missionarische Anstellungsträger. (Vgl. Kirchenamt der EKD 2014b, S. 65–69.) 192 Vgl. Kirchenamt der EKD 2014b, S. 83ff. 193 Vgl. dazu 2.2.1.

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Legitimationsgrundlage. Daher kann nicht von Partnerschaftlichkeit bei der Kommunikation des Evangeliums gesprochen werden. Vielmehr sind strukturelle Weisungsverhältnisse bzw. die arbeits- und kirchenrechtliche Differenzierung leitend. Insgesamt agieren Gemeindepädagog*innen in einem ähnlich diffusen Arbeitsfeld mit hochkomplexen Situationen – jedoch unter Vorbehalt der gleichen Anerkennung.194 Das offensichtliche Missverhältnis zwischen sehr ähnlichen Arbeitsaufgaben, aber sehr unterschiedlichen Anerkennungsmechanismen kann Arbeitsunzufriedenheit, Arbeitsüberlastung und Burnout bedingen. Weitere beanspruchende Faktoren sind das sehr anspruchsvolle Klientel, die Arbeitszeiten (abends und am Wochenende), die Sechs-Tage-Woche, häufig fehlender Überstundenausgleich und im Vergleich zu anderen kirchlichen Mitarbeitenden ein geringer Lohn. Als besonders Burnout gefährdet ist beispielsweise eine Gruppe rheinischer Gemeindepädagog*innen-Stelleninhabender, die nicht ausreichend qualifiziert sind, einzustufen. In der EKiR sind „fachfremde“ Akademiker*innen (z. B. Jurist*innen) im Arbeitsverhältnis als Gemeindepädagog*in eingesetzt. Fehlende Zugangsvoraussetzungen, d. h. entsprechende Qualifikationsabschlüsse im pädagogischen Bereich, führen zur äußerst niedrigen Entlohnung auf dem Niveau von BAT-KF 6195. Entsprechende Mitarbeitende nehmen meist aus einer persönlichen (im Glauben erfahrenen) Berufung dieses Erwerbsarbeitsverhältnis auf und zeigen daher eine besonders hohe, intrinsische Arbeitsmotivation. Ohne Weiterqualifizierung mangelt es dieser Mitarbeitendengruppe an professionellen Ressourcen, um der ohnehin diffusen Arbeitsrealität der gemeindepädagogischen Tätigkeit zu begegnen. Daher ist diese Mitarbeitendengruppe für Arbeitsüberlastung bzw. BurnoutPhänomene prädestiniert. Aufgabe der Anstellungsträger ist es, in diesem Fall die Mitarbeitenden nachzuqualifizieren. Diese knappe Skizzierung der Arbeitsbedingungen von Diakon*innen lässt die mannigfaltigen Gefährdungen und geringe Anerkennung bereits klar hervortreten. Beim weiteren Nachdenken über Arbeit im gemeindepädagogischen Bereich sind theologische Legitimationsstrategien sowie tatsächliche Arbeitsvollzüge genauer zu bedenken.

2.2.2.3 Arbeitsüberlastung der diakonischen Mitarbeitenden Der große Sektor diakonischer Arbeit ist ebenfalls durch überfordernde Erwerbsarbeitsstrukturen bestimmt. Insbesondere soll an dieser Stelle nochmals auf den Zusammenhang zwischen psychischer Arbeitsbelastung und physischen/ psychischen Erkrankungen, v. a. in den Pflege-/Gesundheits-/Erziehungs- und 194 Status, Geld, Prestige, Jobsicherheit usw. 195 Dies entspricht dem Gehalt von Kinderpfleger*innen.

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Bildungskontexten, eingegangen werden.196 Studien zur Messung der Arbeitsbelastung machen seit Ende der 1990er Jahre auf stark steigende Belastungswerte für Erwerbstätigkeit aufmerksam. Diese Stresswerte befinden sich seitdem auf einem konstant hohen Niveau.197 Die gemeinsam vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) und der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) durchgeführte Erwerbstätigenbefragung198 subsumiert folgendermaßen: Den Stand der psychischen Arbeitsanforderungen könnte man verkürzt mit den Schlagworten ‚viel gleichzeitig, schnell und auf Termin, immer wieder neu, aber auch oft das Gleiche‘ zusammenfassen: Denn es sind vor allem Kriterien, wie das ‚verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen’ (58 Prozent) sowie der ‚starke Termin- und Leistungsdruck’ (52 Prozent), aber auch Arbeitsunterbrechungen (44 Prozent) sowie ‚sehr schnell arbeiten müssen’ (39 Prozent), von denen häufiges Auftreten berichtet wird (auf einer vierstufigen Skala von nie, selten, manchmal, häufig). Darüber hinaus sind auch ‚ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge’ (50 Prozent) noch sehr verbreitet und immerhin auf Platz drei der psychischen Anforderungen.199

Arbeitsorganisation, Beschäftigungssituation und Arbeitszeit sind in besonderem Maße für diakonische Mitarbeitende so angelegt, dass sie häufig hohe psychische Belastung bedingen. Die Erwerbstätigenbefragung aus 2012 belegt, dass die Bereiche Erziehung/Unterricht und Gesundheits-/Sozialwesen mit rund 70 % Zustimmung zu „verschiedenartige Arbeiten gleichzeitig betreuen“ die absoluten Spitzenwerte der ganzen Studie bilden. Erziehung/Unterricht und Gesundheits-/Sozialwesen sind Kernbereiche der Arbeit von und in Diakonie. Im Gesundheits- und Sozialwesen herrscht hoher Termindruck und die Arbeit ist häufig durch Wiederholungen gekennzeichnet.200 Die hohe Arbeitsintensität in Krankenhäusern trägt entscheidend dazu bei, dass jede fünfte Pflegekraft (21,5 %) hochbelastet ist.201 Ferner sind mindestens ein Drittel der Altenpfleger*innen bei ihrer Tätigkeit äußerst belastet, was laut vielen Studien zu Burnout-Phänomenen, Krankheiten und Berufswechseln beisteuert.202 Da die Angebote der diakonischen Organisationen größtenteils durch die öffentlichen Träger refinanziert sind (Sozial- bzw. Krankenversicherungsbeiträge sowie Steuermittel von Bund/Ländern/Kommunen), ist es nicht verwunderlich, dass

196 vgl. z.B: Hasselhorn und Portuné 2010; Sauer und Elsässer 2013. 197 Vgl. Lohmann-Haisla 2012, S. 9ff. 198 Bei den BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragungen werden 20.000 Erwerbstätige im Zeitraum von jeweils sechs Jahren befragt. 199 Lohmann-Haisla 2012, S. 34. 200 Vgl. Lohmann-Haisla 2012, S. 43f. 201 Vgl. Isfort und Weidner 2010, S. 60. Insgesamt gefährdet die hohe Belastung sowohl die Pflegekräfte selbst als auch die zu Pflegenden gesundheitlich. 202 Brause et al. 2010, S. 18ff.

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der staatlich geschaffene Gesundheits- und Sozialmarkt („Quasi-Märkte“) mit seinem großen Preis- und Wettbewerbsdruck auf die anbietenden Organisationen sowie ihre Mitarbeitenden rückwirkt. Die kompetitiven Strukturen des Sozialmarkts spiegeln sich in der ökonomisch-rationalen Organisierung von z. B. Krankenhäusern wider, die unmittelbar die Arbeitsrealität der Angestellten determinieren. Insbesondere im sozialen Bereich entspricht die Arbeits- und Beschäftigungssituation in Diakonie weitestgehend den gesamtgesellschaftlichen Bedingungen moderner Arbeit.203

2.2.2.4 Bedrängende Rollenerwartungen und umfangreiche Arbeitsüberlastung in der kirchlich-diakonischen Erwerbsarbeit – ein Fazit Hohe Arbeitsbelastung und damit verbundene krankheitswertige Konsequenzen kennzeichnen viele kontemporäre (Erwerbs-)Arbeitsverhältnisse, so auch in der Arbeitswelt der Kirche und Diakonie. Die Arbeitsüberlastung unterscheidet sich je nach Mitarbeitendengruppe und deren Arbeitsstrukturen graduell. Für einige besteht strukturellerseits eine geringe Tendenz zur Arbeitsüberlastung – für andere wiederum ein hohes Burnout-Potential. Die verschiedenartigen Arbeitsverhältnisse in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt differenzieren sich hinsichtlich Entlohnung und gesellschaftlichem Status. Zwar bewegen sich Pfarrer*in und Altenpfleger*in innerhalb dieser kirchlich-diakonischen Arbeitswelt, jedoch könnten die Stellungen nicht unterschiedlicher sein. Die hochbelastete, aber gut entlohnte Pfarrer*in mit hoher „Jobsicherheit“ und die nur prekär entlohnte, ebenfalls (psychisch und physisch) sehr belastete Altenpfleger*in in kaum prestigeträchtiger Position haben wenig gemein. Die ungleiche Lasten-, Anerkennungs-, Entlohnungsverteilung ist Ergebnis sozialer Aushandlungsprozesse, die klassischerweise weibliche bzw. Pflegearbeit geringschätzen. Die Missverhältnisse hinsichtlich Belastung, Anerkennung und Entlohnung fordern die Idee vom gemeinsamen Dienst und der partnerschaftlichen Verantwortung für die kirchlich-diakonische Aufgabe heraus.204 Schließlich geben Arbeitsüberlastung und Burnoutphänomene vieler Mitarbeitender Hinweis auf die Notwendigkeit der Gestaltung dieser Arbeitsstrukturen: die kirchlich-diakonische Arbeitswelt ist so zu arrangieren, dass Menschen ihre jeweilige Tätigkeit gelingend ausführen können, ohne unter der Last dieser 203 Schließlich ist seit der Novellierung des Arbeitsschutzgesetzes § 5 Abs. 3.6 (2013) die Berücksichtigung psychischer Belastung in der entsprechenden betrieblichen Gefährdungsbeurteilung vorgeschrieben. D. h. alle Organisationen sind verpflichtet, die Gefährdung bei der Tätigkeit (auch durch psychische Belastung) einzuschätzen sowie präventive bzw. gefahrenverringernde Maßnahmen zu ergreifen. Insgesamt ist die Wirksamkeit dieses Gesetzes jedoch zweifelhaft. (Vgl. dazu z. B. Parpart 2016.) 204 Vgl. Präambel und § 2 ARGG-EKD 2011.

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Arbeit zusammenzubrechen. Im Großen und Ganzen müssen die gewachsenen Arbeitsstrukturen mit ihrer theologischen Legitimierung wegen der problematischen Folgen kritisch gewürdigt werden. Die Arbeitsbedingungen der kirchlichdiakonischen Arbeitswelt sind in der Weise zu modifizieren, dass gelingende Erwerbsarbeit ermöglicht wird.

2.2.3 Ökonomisierung der wohlfahrtsstaatlichen Diakonie und der evangelischen Kirche Ökonomisierung bezeichnet das Übergreifen wirtschaftlicher Logiken wie der Kosten-Nutzen-Maximierung auf Lebensbereiche neben der Wirtschaft, in denen zuvor andere Logiken, beispielsweise lebensweltliche Hilfe maßgeblich waren. Das Phänomen der Ökonomisierung ist damit ein genuin modernes Phänomen, was die Ausdifferenzierung unterschiedlicher gesellschaftlicher Teilbereiche voraussetzt. Ökonomisierung bedingt die Dominanz des Mediums Geld, welches den Menschen bzw. die menschlichen Arbeitsverhältnisse restriktiv regelt und zum alles determinierenden Faktor wird. Neoliberale Politiken halten die möglichst umfassende Marktförmigkeit weitgehend ohne (staatliche) Regulierung und mit einem umfassenden Wettbewerb für die Grundlage gelingenden (wirtschaftlichen) Zusammenlebens. Das ökonomische Paradigma hat seit dem industriellen Kapitalismus bis in die neoliberale Gegenwart immer mehr Bedeutung erlangt. Gegenwärtig besteht (fast) weltweit eine hohe staatliche sowie gesellschaftliche Ausrichtung am Neoliberalismus und damit den Politiken staatlicher Deregulierung, Wettbewerbsorientierung zur Kreativitäts- sowie Gewinnsteigerung und dem Nutzenparadigma. Auch in Kirche und Diakonie erringen ökonomische Begründungszusammenhänge bisweilen die Deutungshoheit, was als Prozess der Ökonomisierung der Diakonie/ Kirche charakterisiert werden kann. Im weiteren Verlauf werden zuerst die Entstehung des deutschen wohlfahrtsstaatlichen Systems sowie die Rolle der Diakonie darin nachvollzogen. Dann werden die gegenwärtigen ökonomisierten Praxen der Wohlfahrtsverbände unter Beachtung der Implikationen für Arbeit im sozialen Bereich erörtert. Schließlich wird noch auf Ökonomisierungsprozesse im Rahmen der Kirche geblickt.

2.2.3.1 Ökonomisierung der wohlfahrtsstaatlichen Diakonie Um die Ökonomisierung der wohlfahrtsstaatlichen Diakonie verstehen zu können, wird im ersten Teilschritt die verflochtene Geschichte zwischen diakonischen Bewegungen und dem sozialstaatlichen Arrangement referiert. Im

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zweiten Teilschritt werden sodann zeitgenössische Ökonomisierungspolitiken und ihre jeweiligen Implikationen für Arbeit in der Diakonie dargestellt. 2.2.3.1.1 Diakonische Bewegungen und die Entstehung des deutschen sozialstaatlichen Arrangements Im 19. und zu Beginn des 20. Jh. wurde soziale Fürsorge staatsunabhängig, d. h. privat durch eine vielfältige Verbands- und Vereinigungslandschaft, organisiert. Diese Vereine waren „sämtlich Derivate der bürgerlichen Vereinsbewegung, deren Anfänge bis in die Spätaufklärung zurückreichen.“205 Die großen wirtschaftlichen bzw. sozialen Freiräume, die der Staat dem Bürgertum gewährt hatte, wurden im Laufe der Zeit wieder stärker z. B. durchs Vereinsrecht reguliert.206 Sowohl diese private Wohltätigkeit als auch die in geringem Maße vorhandene öffentliche Fürsorge kamen bedingt durch die Massenarmut der Industrialisierung sehr schnell an ihre Grenzen. Der Staat beantwortete entstehende soziale Notlagen mit dem Ausbau der Fürsorgeleistungen sowie der Etablierung des Bismarck’schen Versicherungssystems. Dies trug zur Expansion, Rationalisierung und Verwissenschaftlichung der Fürsorgebemühungen seitens der Kommunen, aber auch der Verbände bzw. Vereine bei. Zwischen öffentlicher, d. h. staatlich finanzierter, und privater sozialer Hilfe kam es zu gegenseitigen „Koordinations- und Abgrenzungszwänge[n].“207 Die Kommunen installierten in einigen Städten das „Frankfurter System“, das Fürsorge unter Einbindung208 privater Wohltätigkeit steuerte. Auf der Ebene des Deutschen Reichs schlossen sich Verbände, Gesellschaften sowie Vereinigungen in den „deutschen Vereinen“209, deren Interesse die Entwicklung einer wissenschaftlich-professionellen Koordination von öffentlicher und privater Fürsorge war, zusammen. Diese Vernetzungsbemühungen sind eine erste wichtige Schnittstelle zwischen der öffentlichen und privaten Fürsorge, die bisher finanziell sowie organisatorisch voneinander unabhängig waren.210 Im Speziellen arbeiteten in der Phase vom ausgehenden 19. Jh. bis zum Ersten Weltkrieg nur die freien Wohlfahrtsverbände der protestantischen Inneren Mission211 und des deutschen Caritasverbands212 in einer Vielzahl von Arbeitsfeldern insgesamt mit einer großen Zahl von Einrichtungen (stationäre und ambulante Hilfen, Krankenversorgung).213 205 206 207 208 209 210 211 212 213

Kaiser 1995, S. 150. Vgl. Kaiser 1995, S. 150. Sachße 1995, S. 126. Teilweise unter einer staatlichen Bezuschussung bzw. Subventionierung. „Verein für Socialpolitik“ (1873); „Deutscher Verein für öffentliche Gesundheitspflege“ (1873) und „Deutscher Verein für Armenpflege und Wohltätigkeit“ (1880). Vgl. Sachße 1995, S. 126. Gründung der Inneren Mission 1848. Gründung des Caritasverbands 1897. Vgl. Kaiser 1995, S. 155f.

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Denn während der Zeit des Kaiserreichs kam den Dachverbänden der lokalen bzw. regionalen Wohlfahrtspflege tendenziell eine nachgeordnete Rolle zu, da bis 1914 die Wohlfahrt allein kommunale Aufgabe war. Jedoch änderte sich dies bereits während des Ersten Weltkriegs, als der Staat teilweise die Kontrolle über die private bzw. freie Wohltätigkeit übernahm.214 In der Weimarer Republik schließlich wurde der Wohlfahrtsstaat umfassend ausgebaut (soziale Grundrechte, Sozialstaatsklausel Art.151 WRV, Reichsjugendwohlfahrtsgesetz usw.) und der Staat übernahm weitestgehend die wohlfahrtsstaatliche Regulierung sowie Finanzierung.215 Eine enge Kooperation zwischen Staat und freien Trägern wurde allseits befürwortet. Denn staatlicherseits entdeckte man die Gelegenheit, das unübersichtliche Feld der sozialen Hilfe zu kontrollieren. Seitens der Deutschen Vereine nahm man dies als staatliche Garantie sozialer Hilfe und Möglichkeit zur Professionalisierung wahr.216 Um die eigene Stellung im sich etablierenden Sozialstaat zu sichern, konnten die konfessionellen Verbände auf die bereits bestehende Spitzenverbandsstruktur zurückgreifen (andere Verbände hingegen nahmen Neugründungen vor217). Das Reich forcierte218 die Verbandsbildung der freien Träger gegenüber einer rein durch die Kommunen übernommenen Sozialpolitik und machte das Reichsarbeitsministerium zum Ansprechpartner der Wohlfahrtsverbände. 1924 gründete sich die „Deutsche Liga der freien Wohlfahrtspflege“, der Dachverband der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege. Die Liga ist das Gegenüber zur zentralisierten staatlichen Sozialpolitik auf Reichs- und Landesebene.219 Durch die Etablierung dieses wohlfahrtsstaatlichen Arrangements kam es für die freien Verbände zur Angleichung an die Strukturen öffentlicher Verwaltung, die nicht mehr primär auf die Erbringung sozialer Dienste und Leistungen bezogen war, sondern auf die Beschaffung von Finanzmitteln und die Beeinflussung der Gesetzgebung. Die Konfessionen und die sozialdemokratische Arbeiterkultur, die bereits in der Zeit des Kaiserreichs in vielfältigen Vereinen und Assoziationen organisiert waren, schufen sich so eine neue, dem 214 Die Kontrolle bzw. Aufsicht sowie Regulierung ist durch die kriegsbedingten umfangreichen sozialen Problemlagen bedingt. 215 Vgl. Sachße 1995, S. 130. 216 Vgl. Kaiser 1995, S. 161. „Außerdem fühlten sich die so denkenden Männer und Frauen als Wohlfahrtsexperten resp. -expertinnen, die bereits das ‚Berufsfeld Soziale Arbeit‘ für sich persönlich verwirklicht hatten. Sie fochten im Bewusstsein ihrer Professionalität für die gesellschaftliche wie staatliche Anerkennung der neuartigen sozialen Berufe, was nur gelingen konnte, wenn das Vorurteil überwunden wurde, daß dafür Hilfsbereitschaft aus philanthropischen oder religiösen Motiven sowie ehrenamtliches Engagement völlig ausreichten.“ (Kaiser 1995, S. 162.) 217 Die AWO beispielsweise gründete sich 1919. 218 Jugendwohlfahrtsgesetz (1922), Reichsfürsorgeordnung (1924), Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (1927). 219 Vgl. Sachße 1995, S. 131.

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entstehenden Wohlfahrtsstaat angepaßte und angemessene Form sozialer Repräsentation. Dadurch wurden öffentliche und freie Wohlfahrtspflege zu einem einheitlichen ‚wohlfahrtsindustriellen Komplex‘ verkoppelt, innerhalb dessen sowohl die Problemdefinition wie auch die Lösungsmuster exklusiv verhandelt wurden. Die Weimarer Republik war also die Geburtsstunde des korporatistischen Aushandlungssystems, das die deutsche Wohlfahrtspflege bis heute kennzeichnet.220

Das korporatistische Wohlfahrtssystem ist geprägt von der Idee der Subsidiarität: Die sog. Vorrangklausel bevorzugt die Träger der freien Wohlfahrtspflege vor den öffentlichen Trägern. D. h. die öffentlichen Träger dürfen nur dann Einrichtungen gründen, wenn diese Strukturen nicht bei freien Trägern bestehen oder durch diese geschaffen werden können.221 Dieses Sozialsystem der BRD knüpft an grundlegende Aspekte des dualen Systems der Weimarer Republik an und ist nach Esping-Andersen als konservativ-korporatistischer Wohlfahrtsstaatstypus222 zu klassifizieren. Für den entsprechenden Typus sind Versicherungsleistungen in Abhängigkeit von zuvor bezahlten Beiträgen zentral. Außerdem charakterisiert den bundesrepublikanischen Sozialstaat die enge Kooperation mit den Wohlfahrtsverbänden, deren Entwicklung seit der Weimarer Republik nur in Staatsabhängigkeit zu denken ist. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden durch die rechtliche Kodifizierung des Bundessozialhilfegesetzes und die Novellierung des Jugendwohlfahrtsgesetzes 1961 weitere grundsätzliche Weichenstellungen der bundesrepublikanischen Sozialpolitik getroffen. Dies ist die Festschreibung der eindeutigen gesetzlichen Vorrangstellung der freien vor den öffentlichen Trägern – in der Weimarer Reichsverfassung hingegen war nur der Bestand bzw. die Autonomie der freien Träger garantiert.223 Auf diese Weise wurde die Verflechtung zwischen Staat und freien Trägern vertieft. Das Subsidiaritätsprinzip formiert sich als ein komplexes System zwischen freien und 220 Sachße 1995, S. 133. 221 Vgl. Sachße 1995, S. 134. 222 Dieses Typus ist v. a. in Kontinentaleuropa verbreitet. Vgl. dazu: Esping-Andersen 1990. 223 CDU/CSU traten für den Vorrang der freien Träger ein. Die SPD hingegen votierte für die Kommunalisierung der sozialen Hilfen, da sie die Konfessionalisierung des Sozialsystems befürchtete. Auch seitens der Kommunen regte sich Kritik am Vorrang der Verbände, da sich die Kommunen in ihrer politiksetzenden Funktion beschnitten fühlten. Diese Streitpunkte wurden als Kontroverse um die grundgesetzkonforme Aufgabenteilung zwischen freien und öffentlichen Trägern debattiert. Das Bundesverfassungsgericht entschied 1967 in seinem Urteil schließlich, dass die Aufgabenverteilung zwischen freien und öffentlichen Trägern verfassungskonform sei, wenn diese als partnerschaftliche Zusammenarbeit gestaltet werde. Dabei impliziert die sog. Partnerschaftsformel die gleichzeitige Beachtung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts und des Selbstgestaltungsrechts der freien Träger. (Vgl. Eyßell 2015, S. 21.) Es zeigte sich in der Folge, dass es nicht zur befürchteten Abnahme der Zahl von Einrichtungen in öffentlicher Trägerschaft kam. Von 1961–1982 stieg die Quote der Einrichtungen in öffentlicher Trägerschaft sogar von 19,4 % auf 27,3 % an. (Vgl. Sachße 1995, S. 136.)

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öffentlichen Trägern, denn diese sind in Betrieb und Refinanzierung von staatlichen Vorgaben abhängig. Sachße demonstriert, dass beispielsweise in der Jugend- und Sozialhilfe die freien Träger bei der Leistungserbringung immens wichtig sind. Ihm zufolge kann jedoch nicht mehr von freien Trägern der Wohlfahrtspflege im Sinne unabhängiger Organisationen gesprochen werden, da diese de facto Bestandteile der staatlichen Sozialpolitik geworden sind. Demnach existiert in diesem Arrangement eine immense wechselseitige Abhängigkeit der Wohlfahrtsverbände bzw. der freien Träger und des Staats. In diesem Setting profitieren die freien Träger wohl von gesicherten Arbeitsplätzen oder auch einer Finanzierungsgarantie, obgleich die staatliche Abhängigkeit auch eigene Gestaltungsspielräume beschneidet.224 Das klassisch korporatistische System wurde seit den 1970er Jahren aus folgenden Gründen zunehmend in Frage gestellt: Erstens verlor die weltanschauliche Basis der Verbände an Plausibilität und damit auch die Verbände selbst.225 Zweitens wurde durch die sozialstaatliche Expansion und das damit verbundene Anwachsen der freien Träger deren Rationalitätsdefizite offenbar. Drittens traten im Vergleich zu den entstehenden Selbsthilfe-Bewegungen die starke Bürokratisierung der Wohlfahrtsverbände sowie deren Distanz zur Lebenswelt der Adressaten hervor. Als Reaktion auf diese Kritik kam es zu Reformprozessen in der deutschen Sozialpolitik. Insbesondere seit den 1990er Jahren fand eine Abkehr vom klassischen Wohlfahrtskorporatismus mit dessen herausgehobener Position der freien Verbände und der Dominanz des Subsidiaritätsprinzips statt: Der Modernisierungszug gewann deutlich an Fahrt, als der Sozialgesetzgeber in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre Modernisierungsziele für den gesamten sozialen Dienstleistungssektor vorgab und in der Sozialgesetzgebung verankerte. […] Ziel des Sozialgesetzgebers und der Sozialverwaltung, die diesen Prozess vor Ort steuert, ist es, ein effizient gestaltetes und besser integriertes Versorgungssystem zu schaffen, um den sozialen Dienstleistungssektor sozialwirtschaftlich auszurichten.226

Das Subsidiaritätsprinzip wurde transformiert und mit der Leitidee des aktivierenden Staates verbunden. Demnach sollen sozialpolitische Leistungen kosteneffizienter erbracht werden, wobei u. a. bürger*innenschaftliches Enga-

224 Vgl. Sachße 1995, S. 135. 225 Ein zentraler Grund für den Vorrang der Verbände war „ihr personenbezogenes Engagement, ihr wertgebundener Dienst am Nächsten im Unterschied zum weltanschaulich neutralen, bürokratisch-standardisierten Handeln staatlicher oder kommunaler Administration. Dieser Anspruch einer besonderen, personenbezogenen Handlungslogik ist seit langem durch den säkularen Prozeß der Bürokratisierung und Professionalisierung sozialer Dienste problematisch geworden.“ (Sachße 1995, S. 143.) 226 Dahme et al. 2005, S. 14.

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gement eine wichtige Ressource darstellt.227 Der neoliberale gesellschaftliche Paradigmenwechsel erfasst zunehmend auch die Sozialpolitik und damit verbunden auch immer die Wohlfahrtsverbände. Der schlanke Staat fördert die Ökonomisierung des Sozialen. 2.2.3.1.2 Ökonomisierung der Sozialpolitik und der Arbeit der Wohlfahrtsverbände Unter dem Eindruck neoliberaler Gesellschaftsreformen hält das ökonomische Nutzenmaximierungsprinzip auch in der Sozialpolitik Einzug. Demnach gäbe der korporatistisch organisierte Wohlfahrtsstaat den freien Trägern nicht genügend Anreize zum betriebswirtschaftlich orientierten Management und Finanzaufwendung. Um dies zu beheben und einen stärkeren Wettbewerb zwischen sozialen Dienstleistern anzuregen, findet eine Restrukturierung vom klassischen Wohlfahrtskorporatismus hin zum „Wohlfahrtsmix“ bzw. „Wohlfahrtspluralismus“ statt. Namentlich wird auf den antizipierten Finanzmangel von Bund, Ländern und v. a. der Kommunen hingewiesen, der die ökonomische (Neu-)Orientierung plausibilisiert. Die Einsparungsbemühungen der sozialstaatlichen Leistungsträger werden rhetorisch oftmals mit der Rückgabe von Verantwortung an die Bürgerinnen bzw. die Zivilgesellschaft legitimiert, denn niemand könne einen paternalistisch-kontrollierenden Sozialstaat wollen. Die Finanzkrise der Gemeinden geht der Restrukturierung v. a. auf kommunaler Ebene voran. Insbesondere bei den Jugend- und Sozialämtern strebte man seit den 1990er-Jahren eine Verwaltungsmodernisierung an.228 Die Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGSt)229 regte seit Beginn der 1990er Jahre die Implementierung eines neuen Steuerungsmodells für die öffentlichen Verwaltungen, die bis dahin noch mit dem System der Kameralistik arbeiteten, an. Durch die Implementierung des „Neuen Steuerungsmodells“, also einer Einführung von New Public Management-Ansätzen im System der sozialen Sicherung, kam es zu einer weitreichenden Ökonomisierung im sozialen Bereich. Mit Hilfe des neuen Steuerungsmodells erhofften sich v. a. die kommunalen Sozialverwaltungen eine effektivere sowie kostengünstigere Erbringung sozialer Dienste. Die Umgestaltung von Jugend- und Sozialämtern folgte unternehmensähnlichen Gesichtspunkten, z. B. wurde eine starke Outputorientierung eingeführt. Die öffentlich-rechtlichen Sozialleistungsträger, also die Kommunen, haben Quasi-Märkte geschaffen, auf denen die verschiedenen freien Anbieter wie Wohlfahrtsverbände oder auch privatwirtschaftliche GmbHs um die Mittel der staatlichen Refinanzierung konkurrieren. Es kam ferner zur Abkehr vom Prinzip 227 Vgl. Dahme et al. 2005, S. 54. 228 Vgl. Leisering 2003, S. o. A. 229 Die KGSt (nun: Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement) ist ein von den Kommunen getragener Fachverband.

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der Selbstkostendeckung230 hin zu prospektiven Entgelten bzw. dem Kontraktmanagement231, welche durch Qualitätsentwicklungsvereinbarungen und Leistungs- sowie Kostenvereinbarungen umgesetzt werden. Der damit entstehende „Kostendruck“ und die weitreichende Preisorientierung werden folglich auf die Wohlfahrtsverbände übertragen. Die Reformmaßnahmen der öffentlichen Träger sind wegen der hohen staatlichen Abhängigkeit extrem wirkungsvoll für die Wohlfahrtsverbände und führten mittelbar auch zum Umbau der Organisationsstruktur dieser. Die freien Träger adaptierten daher betriebswirtschaftliche Handlungslogiken wie Qualitätsmanagement, Budgetierung, Controlling oder Output-Orientierung. Durch die Implementierung des neuen Steuerungsmodells werden die freien Träger verstärkt zu Dienstleistungserbringern, die bedingt durch die sozialmarktliche Öffnung zunehmend im Wettbewerb mit privat-kommerziellen Trägern stehen. Jedoch bleibt es dabei, dass der Löwenanteil der Leistungen immer noch durch die freien Träger erbracht wird. Insgesamt jedoch entstehen durch die genannten Reformen für die pädagogische, pflegerische, bildendende, erziehende, beratende sowie therapeutische Arbeit der entsprechenden Fachkräfte bei den freien Trägern massive Einbußen der jeweiligen professionellen Autonomie.232 Diese wird „durch vorgegebene Produktbeschreibungen, ein ausgeprägtes Berichtswesen und die in diesem Zusammenhang eingeforderten Nachweise von

230 Das Prinzip der Selbstkostendeckung ermöglichte es, den freien Trägern nachträglich die Übernahme von entstandenen Kosten beim Leistungsträger zu erlangen. Seitens der Leistungsträger wurden dabei mangelnde Transparenz sowie der hohe bürokratische Aufwand (Nachweispflicht, langwierige Nachverhandlungen) moniert. Außerdem böte diese Finanzierungsstruktur nicht ausreichend Anreize zur Effizienzorientierung. (Naegele et al. 2000, 4.) Zwar waren die freien Träger bereits durch das BSHG gesetzlich daran gebunden ihr Handeln wirtschaftlich zu gestalten. Jedoch betont die Ausrichtung am ökonomischen Paradigma im sozialen Bereich die unvollständige Umsetzung bestimmter Rationalitätskriterien auf dem (noch) stark regulierten Sozialmarkt. In der Folge kommt es zur Abkehr vom Selbstkostendeckungsprinzip und die Gewährleistungs- und Durchführungsverantwortung werden getrennt. Demnach werden staatliche Akteure nicht mehr als Garanten bzw. Investoren bestimmter Sozialstrukturen inklusive Aufbau und Unterhalt von sozialen Strukturen verstanden. Vielmehr werden die öffentlichen Leistungsträger nun mehr Garanten der rechtlichen Rahmen für die Leistungserbringer. Im Rahmen von Kosteneinsparungsbestrebungen wird eine Reduktion des Leistungsumfangs durch den Sozialstaat angestrebt. Ferner wird die Kontrolle der Leistungserbringer durch die öffentlichen Träger intensiviert. (Vgl. Dahme et al. 2005, S. 53.) 231 Mittels Kontraktmanagement wird eine neuartige Anbieterstruktur innerhalb der Erbringung sozialer Dienste ausgebildet: „Im Rahmen des Kontraktmanagements versucht der öffentliche Träger, die eigene Leistungserstellung zu privatisieren bzw. über Sozialraumbudgets und Leistungsverträge eine überprüfbare und in der Kostenentwicklung kontrollierbare Leistungserbringung durchzusetzen.“ (Dahme et al. 2005, S. 54.) 232 Vgl. Hammerschmidt und Sagebiel 2010, S. 15f.

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Qualität, Effektivität, Effizienz letztlich vom Nachweis möglichst kostengünstig erreichter Erfolge“233 immens beschnitten. Dieser Sachverhalt lässt sich gut am Fallbeispiel einer Beraterin in einer Familienberatungsstelle in diakonischer Trägerschaft illustrieren: Die Beraterin darf nur die exakt vorgegebene Zeit (z. B. 45 Minuten) für die Beratung in Anspruch nehmen, da nur genau für eine 45-minütige Sitzung der öffentliche Träger eine Refinanzierung zur Verfügung stellt. Eine andersgeartete Strukturfinanzierung gibt es kaum noch. Damit ist die Beraterin an diese Zeitvorgabe gebunden, auch wenn sie aus professioneller Perspektive noch zehn Minuten mehr Zeit bräuchte, um die Beratung gelingend abzuschließen. Die Organisationslogiken (dominiert durch ökonomische Imperative) und die professionellen Logiken bzw. professionelle Ethik können auf diese Weise sehr schnell in einen massiven Konflikt miteinander geraten. Dies macht die professionelle Arbeitssituation sehr fragil.234 Der Konflikt ist v. a. für die arbeitnehmende Beraterin als innerer Zwiespalt (zwischen professionellem Ziel und organisatorischem Setting) auszutragen. Schließlich ist es unter Bezug auf Habermas’ Kolonialisierungsthese sehr wahrscheinlich, dass die organisationalen Logiken des Wohlfahrtsverbands, (welche durch staatliche Vorgaben stark ökonomisiert sind), die professionellen Logiken kolonialisieren. D. h. die ökonomischen Gesetzmäßigkeiten werden zum alles bestimmenden Faktor der diakonischen Arbeit. Ferner gerät die grundsätzliche Ausrichtung des Wohlfahrtsverbands (z. B. die Leitidee Nächstenliebe) in Widerstreit mit ökonomischen Imperativen und muss sich diesen ggf. unterordnen. Dahme warnt in diesem Zusammenhang ganz grundsätzlich: Es könnte […] auch zur Auflösung der Verbände führen: ein klassischer Fall reformorientierter Selbstenthauptung. Zumindest ist schon zu gegebenem Zeitpunkt das von den Verbänden verfolgte Modell, nachdem sie soziale Dienstleister, sozialpolitische Lobbyisten und Sozialanwälte der Klienten zugleich sind, in Frage zu stellen. Diese verschiedenen Funktionen lassen sich nicht nur immer schwerer miteinander vereinbaren, sie treten – siehe Hartz-Gesetzgebung – sogar in einen offenen Gegensatz.235

Im Ganzen gesehen ist es heikel, dass die Diakonie die Interessen der Adressat*innen schützen soll bzw. sich an ihrem Leitbild zu orientieren hat, aber zugleich von den finanziellen Mitteln des Staats abhängig ist. Die Gefahr besteht in der Dominanz ökonomischer Logiken, die jedwede kritische Perspektive der Wohlfahrtsverbände zu unterminieren droht und die wohlfahrtsverbandliche Arbeit auf dem neoliberalen Sozialmarkt verschlungen wird.

233 Hammerschmidt und Sagebiel 2010, S. 16. 234 Schütze 1992; Schütze 1996. 235 Dahme et al. 2005, S. 15.

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2.2.3.1.3 Fazit Ökonomisierung der Sozialpolitik und der Arbeit der Wohlfahrtsverbände Die enge Verflechtung von Trägern der freien Wohlfahrtspflege und Staat konstituiert die Pfadabhängigkeit der Wohlfahrtsverbände von sozialstaatlicher Politik. Zwar haben die freien Träger stets eine gewisse Handlungsfreiheit, die jedoch unter der Prämisse, für den Staat weiterhin Leistungen erbringen zu wollen, bedeutend eingeschränkt ist. Indes setzt die sozialstaatliche Steuerung Veränderungsprozesse in den Wohlfahrtsverbänden in Gang. Im Zusammenhang dieser Untersuchung ist das bzw. sind die Arbeitsverständnis(se) und Arbeitsbedingungen, unter denen Erwerbsarbeit, aber auch andere Arbeitsformen organisiert werden, besonders beachtenswert. Den Vermarktlichungsprozessen kann sich die Diakonie durch die Nähe zur sozialstaatlichen Wohlfahrtspolitik als Leistungserbringer, der monetär entlohnt wird, schlecht entziehen. Auf diese Weise haben v. a. die geänderten Finanzierungsmodalitäten und die Implementierung betriebswirtschaftlicher Vorgaben überaus heftige Wirkungen. 2.2.3.2 Ökonomisierung der evangelischen Kirche Die Kirchen sind im Vergleich mit der Diakonie zu einem wesentlich geringeren Grad vom Staat abhängig, weshalb sich die ökonomisierte Sozialpolitik weniger stark auswirkt. Dennoch beeinflusst der gesellschaftliche Ökonomisierungstrend insbesondere Organisationen, Institutionen sowie Netzwerke und damit auch die verfasste Kirche. Schlamelchers religionssoziologische Untersuchung „Ökonomisierung der protestantischen Kirche? Sozialgestaltliche und religiöse Wandlungsprozesse im Zeitalter des Neoliberalismus“ belegt dies. Die Ökonomisierungsprozesse führen in und durch die protestantische Kirche zu veränderten Vergesellschaftungsformen. Das ökonomische Paradigma wird in der protestantischen Kirche seit den 1990er Jahren zunehmend rezipiert und in einem langsamen Wandel erodieren ehemals stabile Gemeinschaftsformen zugunsten einer tendenziell marktförmigen Organisation.236 Sowohl in religionssoziologischer als auch in theologischer Perspektive wird bereits seit den 1970er Jahren, aber insbesondere seit den 1990er Jahren, eine religiöse bzw. kirchliche „Ökonomie“ formuliert. Das ökonomische Marktmodell ist Grundlage der soziologischen als auch theologisch-kirchlichen Debatte237 um den „Religions236 Vgl. Schlamelcher 2013, S. 94. 237 Der US-amerikanische Soziologe Peter L. Berger hat 1967 (Berger 1973 bzw. 1979 (Berger 1980)) die These vorgelegt, dass in modernen, d. h. pluralistischen Gesellschaften, Religionen sich auf dem Markt miteinander konkurrierender Sinnstiftungen bewegen. In der Vormoderne hingegen seien religiöse Praxen und Inhalte unhinterfragt akzeptiert worden. Bergers soziologische Analysen werden im Kontext der Debatten um Säkularisie-

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markt“ oder „Wie die Welt zum Supermarkt der Religionen wird.“238 Schlamelcher illustriert die Rezeption des ökonomischen Paradigmas im Protestantismus sowohl anhand von (Reform-)Debatten als auch am Beispiel ausgewählter Kirchengemeinden der EKiR nach. Die Vertreterinnen des ökonomischen Paradigmas in Kirche und Theologie argumentieren: Die heute eingenommene ökonomische Perspektive weise auf und zeige in einem neuen Licht, was es in der Kirche, besonders zu ihren besten Zeiten, immer schon gegeben habe. Diese Einsichten schließlich, dass auch Religion Marktgesetzen unterworfen sei und die Kirchen sich optimal an diesen Markt anpassen müsse, indem sich die Kirche in ihrer Organisationsstruktur optimiere – sprich verschlanke – und ihre Operation maximal an den Mitgliedern/Kunden/Konsumenten ausrichten müsse, bilden den Kern der Reformforderungen von Seiten der Befürworter eines ökonomisierten kirchlichen Selbstverständnisses.239

In vielen gegenwärtigen kirchlichen Verlautbarungen, Reform- und Strategiepapieren240 wurde nach Schlamelcher eine Zweck-Mittel-Verkehrung vorgenommen. Wobei das Medium Geld eine veränderte Rolle erhalten habe und nicht mehr primär der Gestaltung der religiösen Praxis diene. Vielmehr werde umgekehrt argumentiert: Durch die fortgesetzte „Nachfrage nach Gott“ könne die Kirche ihr Kernproblem, nämlich ihre Finanzierung, lösen. Religiöse Praxis sei damit Mittel zum Zweck der Finanzsicherung geworden.241 Das sinkende Kirchensteueraufkommen wird in dieser Denke als Problemkern interpretiert, welchem man durch die umfangreiche Implementierung betriebswirtschaftlichen Wissens und dem Verständnis von Kirche als Organisation zu begegnen versucht. Kritisch zu kommentieren ist, dass durch die Betonung des ökonomischen Paradigmas bzw. durch die organische Verbindung von Betriebswirtschaft und Theologie andere kirchliche Logiken (beispielsweise imminent theologische Argumente) an Relevanz verlieren. Neben den ökonomisch geprägten kirchlich-theologischen Diskursen illustriert Schlamelcher auch, wie Ökonomisierung in den konkreten Praxen der

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rung, religiösem Pluralismus sowie der Aufnahme der ökonomischen Markttheorie seit den 1990er Jahren intensiv rezipiert. (Vgl. Berger 2013, VIf.) So der Untertitel von Graf 2014b. Schlamelcher 2013, S. 116. Dabei widmet sich der Autor insbesondere dem Papier Kirchenamt der EKD 2006 und analysiert dies mit einer Sequenzanalyse. Vgl. Schlamelcher 2013, S. 125. Die präzise Analyse von Kirche der Freiheit ist insofern interessant, da Schlamelcher belegen kann, dass im Reformpapier in erster Linie organisations- bzw. betriebswirtschaftliche Interpretationen und erst in zweiter Linie theologische Argumente zur Sprache kommen. Schlamelcher sieht die Gefahr, dass „die Deutungshoheit kirchlicher Selbstdeutung und Programmatik von der Theologie an die Ökonomie, von Theologen an Betriebswirtschaftler und Manager abgetreten zu werden droht.“ (Schlamelcher 2013, S. 143.)

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„Lohnabhängige“ und „freiwillige“ Arbeit in Kirche und Diakonie

Landeskirchen sowie Ortsgemeinden realisiert wird. Für die landeskirchliche und mittlere (Kirchenkeis-)Ebene erbringt er den Nachweis „marktförmige[r] Arrangements organisatorischer Einheiten“242 und des Qualitätsmanagements.243 Einige der zu benennenden strukturellen Veränderungen der Organisation Kirche sind: die Einführung von verpflichtenden Mitarbeitendengesprächen (mit Zielvereinbarungen), die Erstellung von Gemeindekonzeptionen bzw. Leitbildern und auch die Umgestaltung der kirchlichen Struktur bzw. der Parochie durch die Stärkung des Kirchenkreises. Schlamelcher konstatiert, dass in diesen Reformmaßnahmen das Ökonomisierungsparadigma in den protestantischen Landeskirchen als Organisationen konkret Gestalt annimmt.244 Trotz allem sind die kirchlichen Vorgehensweisen noch nicht in dem Maße ökonomisiert, dass die Mittelvergabe für die Ortsgemeinden bzw. auch die kirchlichen Angestellten an Qualitätsprüfung bzw. Erfolgszahlen gebunden ist. Ob sich ökonomische Rationalitätskriterien und das Kirchenbild Organisation245 künftig noch vehementer durchsetzen, ist nach Schlamelcher noch nicht abzusehen. Zumindest hemme die synodal-presbyteriale Grundordnung der evangelischen Kirchen mit ihren mehrstufigen und demokratisch angelegten Entscheidungsverfahren tendenziell ökonomische Umgestaltungsimpulse von oben. In der Summe wird augenfällig, dass das Kosten-Nutzen-Paradigma auch in den kirchlichen Kontexten plausibel ist. Es ist anzunehmen, dass ökonomische Argumente zukünftig die Entscheidungen der Synoden in noch größerem Maße leiten werden. Gerade im Zusammenhang der kirchlichen Reformprozesse, welche wegen sinkender finanzieller Einnahmen initiiert werden, sind die vorgenommenen betriebswirtschaftlich-organisatorischen Gestaltungsprozesse theologisch zu bewerten und zu steuern. Die kirchliche Organisationsförmigkeit 242 Schlamelcher 2013, S. 155. 243 Marktförmige Arrangements einzelner Einheiten zeigen sich z. B. bei den Predigerseminaren der EKHN. Diese werden nicht mehr grundständig durch die Landeskirche getragen, sondern durch Kopfpauschalen refinanziert. Dies lässt eine Anbieter-Kunden-Beziehung zwischen Seminar und Landeskirche entstehen. Die umgestellte Finanzierung führt seitens des Predigerseminars zu weniger Verlässlichkeit, stärkt aber jedoch auch die Autonomie dieser Einrichtung gegenüber der Landeskirche. Das Predigerseminar ist auf Grund der instabilen Finanzierung darauf angewiesen weitere Kunden inner- und außerhalb der Kirche zu gewinnen. (Vgl. Schlamelcher 2013, S. 155.) 244 Vgl. Schlamelcher 2013, S. 157. 245 Der Autor sieht ein starkes Übergewicht des Kirchenbilds Organisation gegenüber den Kirchenbildern Gemeinschaft und Institution. „Die enge Verzahnung von amtskirchlicher Organisation und der Gemeinschaft der Kerngemeinde beginnt sich aufzulösen, die Gemeinde-als-Organisation beginnt sich von der Gemeinde-als-Gemeinschaft zu differenzieren – mit potentiell prekären Auswirkungen auf die Gemeinschaft der Kirchentreuen. Die organisatorische Restrukturierung gelingt [nur] auf Kosten der Gemeinschaftlichkeit der Kirchengemeinden.“ (Schlamelcher 2013, S. 280.) Schlamelcher sieht durch die Akzentuierung des ökonomischen Paradigmas und damit eines eher kurzlebigeren Organisations-/ Unternehmensbilds die Stabilität der Institution Kirche gefährdet.

Deutungen, Bedingungen und Logiken der Arbeit in Kirche und Diakonie

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ist mit dem institutionellen und gemeinschaftlichen Charakter der Kirche auszubalancieren. Im Kontext dieser Untersuchung sind insbesondere die Gestaltung von Arbeitsverhältnissen und die Bestimmung unterschiedlicher Formen von Arbeit innerhalb der Arbeitswelt Kirche von Interesse. Es ist unbedingt darauf zu achten, dass Arbeit nicht nur entlang des Kosten-Nutzen-Paradigmas ausgerichtet wird und beispielsweise freiwilliges Engagements nicht nur in ökonomischer Manier als Ersatz für knappe finanzielle Ressourcen funktionalisiert wird.

2.2.3.3 Fazit Ökonomisierung der Arbeitswelt in evangelischer Kirche und Diakonie Kirche und v. a. Diakonie befinden sich in einem Dilemma, denn, wenn weiterhin am wohlfahrtsstaatlichen Arrangement partizipiert werden will, dann ist es nötig, „sich Fremdorientierungen zu unterstellen.“246 In diesem Fall ist aber theologisch und auch professionell zu bestimmen, unter welchen (Arbeits-)Bedingungen noch gute und gelingende (soziale) Arbeit geleistet werden kann. Gegenwärtig werden (Erwerbs-) sowie ganz allgemein die Arbeitsbedingungen in Kirche/ Diakonie entlang von Kriterien wie der Kosten-Nutzen-Maximierung gestaltet. Damit drohen die Logiken Macht und Geld, die gesamten Handlungsvollzüge in Kirche/Diakonie zu kolonialisieren. Die Vereinbarkeit dieser ökonomisierten Orientierung unter Aufnahme neoliberaler Vergesellschaftungsformen ist mit den theologischen Begründungen von Tätigkeit/Arbeit in Kirche/Diakonie kritisch in einen Austausch zu bringen. Denn die Adaption neoliberaler Vergesellschaftungsmuster sowie die Ausnutzung der durch den Dritten Weg gegebenen arbeitsrechtlichen Spielräume, um entsprechende Marktanteile der Sozialwirtschaft hinzuzugewinnen, stehen im Widerspruch zum Auftrag der Kirche bzw. Diakonie. Ferner erwachsen zwischen den konkreten Arbeitsteilungsmustern sowie Begründungen und den theologischen Idealen bzw. Legitimierungen vom Priestertum aller Gläubigen bzw. der Dienstgemeinschaft Dissonanzen. Schließlich ist festzuhalten, dass ökonomische Organisationspraxen nicht per se für Kirche oder Diakonie ungeeignet sind. Jedoch muss eine differenzierte und kritische Würdigung dieser Ökonomisierungsprozesse vorgenommen werden, wenn die ökonomischen Logiken allein determinierend zu werden drohen. Bezogen auf die kirchlich-diakonische Arbeitswelt haben ökonomische Begründungen eine große Reichweite erlangt und sind daher unbedingt vom theologischen Auftrag und den theologischen Grundorientierungen her für gelingende Arbeit zu prüfen und ggf. anzupassen. 246 Reuter 1996, S. 50.

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„Lohnabhängige“ und „freiwillige“ Arbeit in Kirche und Diakonie

2.2.4 Die Deutungen, Bedingungen und Logiken lohnabhängiger Arbeit in Kirche und Diakonie zeigen ein spannungsvolles Bild – ein Fazit Die Deutungen, Bedingungen und Logiken lohnabhängiger Arbeit in der Kirche bzw. Diakonie illustrieren, dass gesamtgesellschaftliche Ökonomisierungsmuster und auch Phänomene wie Burnout bzw. Arbeitsüberlastung in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt in großem Maße spürbar sind. Die Organisationen Kirche und Diakonie folgen den gesamtgesellschaftlich wirksamen Arbeitsteilungsmustern sowie Vergesellschaftungsformen und daher entspringen zeitgenössisch übliche Problematiken bei der Organisierung von Erwerbsarbeit. Es zeigt sich ferner eindeutig, dass auch innerhalb der Kirche und Diakonie Erwerbsarbeit die dominante Form von Arbeit ist. Darüber hinaus versuchen unterschiedliche Akteure innerhalb der Organisationen, ihre eigene Position durch Macht und Einfluss zu sichern; außerdem sind tradierte Rollenvorstellungen, wie beispielsweise die des Pfarrberufs, äußerst durchsetzungsfähig. In diesem Sinne fungiert Dienstgemeinschaft als theologische Legitimation der bestehenden Arbeitsteilungsverhältnisse. Eine theologisch induzierte Ausrichtung der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt ist durch das kirchenrechtlich-verwaltungspragmatische Konstrukt nicht wirklich gegeben. Die kirchlich-diakonische Arbeitswelt ist in ihrer erwerbsarbeiterischen Ausgestaltung durch vielfache Macht- und Hierarchieproblematiken gekennzeichnet. Die Gestaltung der lohnabhängigen Arbeit ist diakonischerseits in großem Maße durch Ökonomisierungslogiken des Sozialmarkts angetrieben (was für die Kirche in verringertem Umfang zutrifft). Damit ergibt sich, dass die kirchlichdiakonische Arbeitswelt keine eigenen Logiken bietet, freiwillige Arbeit in diesen Zusammenhängen zu verorten. Vielmehr sind die bestehenden Arbeitsformen sowie Bereiche durch eigene Problematiken für die Mitarbeitenden und auch umfängliche Rollenerwartungen sowie Arbeitsüberlastung geprägt. Auf diese Weise tritt der Bedarf einer theologischen Grundorientierung zur Gestaltung der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt klar hervor. In der zu berücksichtigenden kirchlich-diakonischen Arbeitswelt sind die unterschiedlichen Formen der Arbeit, also lohnabhängige sowie freiwillige Arbeit, einzubeziehen. Die Beschäftigung mit der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt erfordert erstens das stete Wechselspiel zwischen sozialer und theologischer Wirklichkeit. Zweitens ist aufgrund der grundgelegten These vom Arbeitskontinuum für die ganze Arbeitswelt der Kirche/Diakonie ein Arbeitsbegriff zu stiften, der sowohl freiwillige als auch lohnabhängige Arbeit als Arbeit klassifiziert und auch Leitlinien für gelingende Arbeit vorgibt. Dieser Arbeitsbegriff wird im Folgenden unter 2.3 entwickelt und bildet die Grundlage für die weitere Beschäftigung mit der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt im dritten Teil dieser Forschungsarbeit.

Freiwillige und/oder lohnabhängige Tätigkeit als Arbeit – Leitlinien

2.3

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Freiwillige und/oder lohnabhängige Tätigkeit als Arbeit – Leitlinien für einen weiten Arbeitsbegriff aus verschiedenen Arbeitsverständnissen

Gesamtgesellschaftlich werden mit „Arbeit“ mehrheitlich formalisierte Tätigkeiten, die dem Erwerb dienen, d. h. monetär entlohnt werden, verbunden. Sprachgeschichtlich impliziert das indogermanische Wort „Arbeit“ bzw. „arbeiten“247 generell die Aspekte Mühe oder Anstrengung. Das lateinische „laborare“ meint dementsprechend mühsam arbeiten oder sich plagen.248 Dennoch existieren in allen Sprachen neben diesen teils negativ konnotierten Arbeitstermini auch positive wie „Werk“, „Tätigkeit“ oder „schaffen“249. Arbeit, egal wie sie genau verstanden wird, ist stets ein ambivalenter Begriff, bei dem die belastende Anstrengung des Lebens, aber auch die Hoffnung auf Sicherung sowie Gestaltung des Lebens mitschwingt.250 Weitere Kennzeichen von Arbeit wie z. B. Werkzeuggebrauch, körperliche Anstrengung, Wertbildung usw. sind äußerst kontrovers debattiert.251 Insbesondere der mit dem Schlagwort „Digitalisierung“ assoziierte gesellschaftliche Wandel lässt strittig werden, was Arbeit 4.0 bzw. Industrie 4.0252 ist bzw. sein kann. Wie ist Arbeit zu verstehen? Was qualifiziert 247 „ahd. arbeit f., arbeiti n. ‚Mühsal, Plage, Anstrengung, Ertrag der Arbeit‘ (8. Jh.), mhd. ar(e)beit f. n., asächs. arҍed, arҍid f., […] Die Ausgangsbedeutung der germ. Bildung ‚schwere körperliche Anstrengung, Mühsal‘ reicht bis ins Nhd. (zuweilen durch Zusammensetzungen wie Mords-, Riesenarbeit veranschaulicht); im Mhd. tritt der Begriff ‚Mühsal, Not, die man leidet oder freiwillig übernimmt‘, besonders hervor. Danach tritt der Sinn von ‚mühseliger, qualvoller Tätigkeit‘ zurück, und Arbeit erstreckt sich auf jede zweckgerichtete, zunächst körperliche, später auch geistige Tätigkeit des Menschen. Die positive Bewertung der Arbeit (zuerst bei Luther) vollzieht sich unter dem Einfluß des aufsteigenden Bürgertums und der zunehmenden Entwicklung kapitalistischer Produktionsverhältnisse.“ (o. A.) 248 Die lateinische Wurzel findet sich im englischen „labor“ (Arbeit) wieder. 249 Dieser Aspekt kommt im lateinischen „opus“, im englischen „work“ und deutschen „Werk“ zum Ausdruck. „Siehe auch ‚Werk-Zeug‘, ‚Hand-Werker‘ oder ‚Werker‘ (eine Bezeichnung in modernen Industriebetrieben, die oft ungern von ‚Arbeitern‘ sprechen).“ (Voß 2010, S. 26.) 250 Vgl. Voß 2010, S. 24. 251 Bereits in den 1920er Jahren kam es zu einer sozialwissenschaftlichen Beschäftigung mit der Frage, was Arbeit ausmacht. Vgl. dazu beispielsweise: Becker 1925; Bücher 1904; Elster 1919; Gottl-Ottlilienfeld 1923; Lufft 1925; Nowack 1929. 252 Der Terminus Arbeit 4.0 impliziert, dass sich kapitalisierte Arbeit in den letzten Jh. wesentlich verändert habe. Diese These wird u. a. vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales vertreten; auf der entsprechenden Homepage wird wie folgt unterschieden: Arbeiten 1.0: Beginnende Industrialisierung mit der Dampfmaschine (Ende des 18. Jh.); Arbeiten 2.0: Massenproduktion des 19. Jh. mit Einführung von Sozialversicherungen; Arbeiten 3.0: Nachkriegsdeutschland mit Sozialstaat mit umfassenden Arbeitnehmendenrechten, aber dann auch zunehmende Deregulierung und stark steigende Nutzung von Informationstechnologien. Die nun kommende Phase der Arbeitsgestaltung wird als Arbeit 4.0 klassifiziert. (Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2016.) Insgesamt

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„Lohnabhängige“ und „freiwillige“ Arbeit in Kirche und Diakonie

Arbeit als solche? Reicht es aus, Arbeit durch das Kriterium Lohn oder das Kriterium Mühe zu bestimmen? Im Rahmen dieser Untersuchung stellt sich insbesondere die Frage, ob freiwillige und lohnabhängige Tätigkeit Arbeit sind. Um den Blick für ein kontemporäres Arbeitsverständnis jenseits festgefügter Vorstellungen zu öffnen, werden im Folgenden einige Schlaglichter auf philosophisch-theologische Arbeitsperspektiven in ihrer zeitlichen Entwicklung geworfen. Ferner werden die Arbeits- bzw. Berufsdebatten in Theologie und Kirche nach dem Zweiten Weltkrieg detailliert dargestellt. Aus dem Vorgestellten werden sodann aus der dialogischen Auseinandersetzung mit den vorgestellten Positionen leitende Aspekte für ein zeitgemäßes Arbeitsverständnis gewonnen. Das Ergebnis der Beschäftigung mit den verschiedenen Arbeitsperspektiven im Wechselspiel mit den kontemporären Herausforderungen der kirchlichdiakonischen Arbeitswelt gipfelt schließlich in einem synthetischen253 Arbeitsverständnis (2.3.7). Dieses bildet die Grundlage für die unter 3. folgenden Ausführungen. Vorab aber nun zur Geschichte der Arbeit mit den Schwerpunkten wird der Begriff bei der Diskussion um sich verändernde Arbeitswelten staatlicherseits seit 2011 häufig verwendet. (Vgl. z. B.: Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen; Bundesministerium für Arbeit und Soziales.) Die Bezeichnung Arbeit 4.0 bzw. Industrie 4.0 entstand im Zusammenhang staatlich initiierter Projekte zum Austausch von Wissenschaft und Wirtschaft. (Vgl. Stary 2016, S. 7.) Arbeit 4.0 charakterisiert in diesem Kontext v. a. flexibilisierte (und teilweise prekäre), digitalisierte Dienstleistungsarbeit im tertiären Sektor. Digitalisierung der Arbeit bzw. der Produktion meint den großflächigen Einsatz elektronischer bzw. Informationstechnologien und digitaler sowie mobiler Geräte, Roboter, E-Mail, Internet, soziale Netzwerke, Onlineplattformen, Doodle, Wikis usw. Durch den Einsatz von neuen Netzwerken mit umfassenden Technologien entstehen „Cyber Physical Systems“ oder das „Internet der Dinge“, die durch digitale, dezentrale Vernetzung via Internet Arbeits- bzw. Produktionsprozesse (SmartFactory, SmartHospital, SmartServiceWorld) steuern. (Vgl. Pfeiffer 2015.) Die durch diese Neuerungen bedingten, antizipierten Veränderungen der (Erwerbs-) Arbeitswelt werden sehr unterschiedlich bewertet. Brynjolfsson/McAfee/Pyka vom MIT klassifizieren den digitalen Wandel als zweites Maschinenzeitalter (Brynjolfsson et al. 2014). Die industrielle Revolution habe einen massiven Wandel der Arbeit und ihrer Bedingungen verursacht, ein solcher Wandel in noch größerem Umfang stehe unmittelbar bevor. Die Autoren zeichnen ein Bild vom gesellschaftlichen Fortschritt, der durch Technologien ermöglicht werde, wobei die Stärken von Mensch und Maschine sich wechselseitig ergänzen sollen. Autoren wie Dyer-Witheford 2015 oder Huws 2014, hingegen warnen vor den negativen Implikationen des digitalen Wandels. Denn auch bei digitalisierter Arbeit habe die soziale Dimension der Klasse weiterhin die Funktion eines sozialen Ausschlussmechanismus. Ferner sei die Rolle von Großunternehmen wie Google oder Facebook für den Wandel kritisch zu beleuchten. Insgesamt sind die Wechselwirkungen zwischen fortgesetzter Digitalisierung und der (Erwerbs-)Arbeitsgestaltung nicht zu unterschätzen. Dazu vgl. exemplarisch ferner: Botthof und Hartmann 2015; Hirsch-Kreinsen 2015; Matuschek 2016; Meireis 2017; Rump und Eilers 2017; Wetzel 2016. 253 Vgl zu diesem methodischen Vorgehen die Anmerkung und nähere Erläuterungen in der Einleitung sowie unter Gliederungspunkt 3.1.

Freiwillige und/oder lohnabhängige Tätigkeit als Arbeit – Leitlinien

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Arbeit in der Antike (2.3.1), Arbeitsperspektiven der biblischen Tradition (2.3.2), Arbeit von der Zeitenwende bis zum Mittelalter (2.3.3) und Reformatorische Arbeitsperspektiven (2.3.4). Schließlich folgen der neuzeitliche (2.3.5) sowie kontemporäre theologische Blick auf Arbeit (2.3.6).

2.3.1 Beginn der Arbeitsgeschichte – Arbeit in der Antike Die „Standarderzählung zur Geschichte der Arbeit“254 zeichnet meist eine in der Antike beginnende Entwicklungslinie von der Geringschätzung der Arbeit als unwürdig, über sukzessive Wandlungsprozesse zur stärkeren Hochschätzung der Arbeit.255 Unter Bezug auf Jochum wird in dieser Darstellung 8000 v. Chr. begonnen. Demnach war das mythische Arbeitsverständnis Alteuropas bzw. des Orients durch die „Kooperation mit dem subjektivierten Kosmos“256 gekennzeichnet. Der Mensch in der agrarischen Welt sei in der Konsequenz in die Naturkreisläufe eingebunden und interagiere mit Mutter Erde oder der Gottheit Maiskorn.257 „Die Arbeit der Ackerbauern ist in diese mythisch gedeutete Welt integriert: Sie dient der Unterstützung der kreativen Kräfte des lebendigen Arbeitsgegenstandes und wird als Kooperation mit einer subjektivierten, vergöttlichten, verzauberten Natur verstanden.“258 In der griechisch-römischen Antike transformiert dieses „kosmozentrische Arbeitsverständnis des Mythos zum anthropozentrischen Arbeitsverständnis der abendländischen Ratio.“259 Denn durch den neuerlichen Feuer- sowie Werkzeuggebrauch wird die Be-Arbeitung der Welt möglich und damit neue Lebenschancen greifbar. Aischylos (525–456 v. Chr.)260 erzählt vom heldenhaften Prometheus, der den Menschen das Feuer und neue τέχνη, d. h. Arbeitsverfahren, beibringt und sie auf 254 Kocka 2000, S. 477. 255 Jochum folgt in seinem Entwurf dieser Standarderzählung, wobei er aber von kontinuierlichen Schwankungen in der Bewertung von Arbeit ausgeht. Jochum nennt als weitere Darstellungen, die diesem Standardmuster folgen: Aßländer 2005; Conze 1972; Frambach 1999; Riedel 1973; Walther 1990. 256 Jochum 2010, S. 85. 257 Jochum 2010, S. 83ff. 258 Jochum 2010, S. 87. 259 Jochum 2010, S. 87. 260 Bei Hesiod (um 700 v. Chr.) findet sich die älteste und mit der von Aischylos im Gegensatz stehende Deutung der Prometheussage: Der Raub des Feuers wird als frevelhafte Tat des Prometheus gegenüber Zeus verstanden. Als Strafe für diese Tat fesselt Zeus Prometheus und straft die Menschen mit der Büchse der Pandora. (Vgl. dazu: Hesiod 1911b und Hesiod 1911a.) Die Folgen des Feuer- und Werkzeugerwerbs sind nach Hesiod also verheerend und begründen alle Übel in der Welt, die der Büchse entspringen. Hesiod vertritt demnach eine kulturpessimistische Perspektive hinsichtlich der menschlichen Arbeit.

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diese Weise aus ihrem defizitären, naturverhafteten Dasein herausführt. Die Unvollkommenheit des Kosmos mache demnach die menschliche Be-Arbeitung der Welt erforderlich. In dieser Interpretation der Prometheusfigur werde der einschneidende Wandel vom mythisch-intersubjektiven zum stärker technischinstrumentellen Arbeitsverständnis fassbar.261 Denn ein veränderter Werkzeuggebrauch sowie die intensivierte Spezialisierung bzw. Arbeitsteilung im antiken Griechenland regten die Deutung an, die τέχνη als aufgebrachte Kunstfertigkeit in den verschiedenen Bereichen (z. B. des Handwerks, der Kunst oder der Wissenschaft) würdigt. Trotz der Bejahung des menschlichen Arbeits- bzw. Gestaltungspotentials bleibt das antike Arbeitsverständnis ambivalent. Denn körperlich-handwerkliche Arbeit wurde meist als (Sklav*innen-)Arbeit durch Ausländer*innen bzw. Nicht-Bürger*innen geleistet, was Zeichen der geringen gesellschaftlichen Anerkennung dieser Tätigkeit seitens der Eliten ist. Sokrates und Platon kritisieren dementsprechend dieses handlungsleitende (Arbeits-) Wissen, (das die Sophisten hochschätzen), als minderwertig. Platon zieht das Streben nach Weisheit sowie das Wissen zur politischen Orientierung solch praktischen Fertigkeiten vor. In der Drei-Stände-Lehre der Politeia gliedert er die verschiedenen Arbeiten hierarchisch. Die körperlich-handwerklich-wirtschaftliche Arbeit ist auf unterster Ebene, dann die der Wehrmänner und allen Tätigkeiten übergeordnet an der Spitze ist das geistig-politische Tun. Die grundlegende Einsicht des Vorrangs von geistigen Tätigkeiten vor handwerklicher Arbeit war äußerst wirksam für die westliche Philosophie. In diesem Sinne differenziert Aristoteles zwischen freier und unfreier Arbeit. Freie Arbeit sei πρᾶξις unter Aufwendung von φρόνησις, unfreie Arbeit dagegen sei ποίησις unter Anwendung der τέχνη. Dem Philosophen jedoch, der weder freier noch unfreier Arbeit nachgehe, sondern das Leben theoretisch erfasse, komme höchster Rang zu. Auch in der römischen Philosophie wird diese Grundunterscheidung getroffen. Cicero (106–43 v. Chr.) beispielsweise trennt die artes liberales von den artes sordidi. Die als schmutzig bezeichnete Tätigkeit ist neben Sklav*innenarbeit auch jegliche Arbeit, die von äußeren oder inneren Zwängen262 geleitet ist. Demgegenüber seien die freien Künste moralisch höherwertig. Dieser devaluierende Reflex gegenüber handwerklich-manueller und auch lebenssichernder Arbeit war bzw. ist bis heute in der westlichen Philosophie einflussreich und wird reproduziert.263 261 Vgl. dazu auch: Marx 1972, 675.; Blumenberg 2014, S. 327–437. 262 Diese Vorstellung einer freien, allein aus eigener Motivation kommenden Beschäftigung mit einer Sache wird gegenwärtig häufig im Bereich der Kunst verwendet. Darüber hinaus auch im Zusammenhang mit freiwilligem Engagement, das freie Tätigkeit idealisiert wird. Das freie Engagement wird auf diese Weise zum Gegenüber anderer Arbeit stilisiert, die durch vielfältige Zwänge „unfrei“ erscheint. 263 Vgl. Jochum 2010, S. 87.

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2.3.2 Arbeit als alltägliches Tun in Relation zu Gott – Arbeitsperspektiven der biblischen Tradition Der biblische Kanon berichtet von einer vielfältigen Arbeitswelt: Zwangsarbeit in Ägypten, existenzsicherndes Fischen der Jünger oder auch die Gemeindearbeit des Apostels Paulus. Arbeit tritt in unterschiedlichen Varianten in Erscheinung und es muss festgehalten werden: „Arbeiten und Arbeit ist konstitutiv für Anthropologie und Theologie der Bibel.“264 Sowohl die atl. als auch die ntl. Arbeitsperspektiven werden im Folgenden expliziert. 2.3.2.1 Arbeit im Alten Testament Um die atl. Perspektiven auf Arbeit zu ergründen, werden Arbeit in der Tora sowie sozialgeschichtliche Aspekte atl. Arbeit erörtert und ein abschließendes Fazit gezogen. 2.3.2.1.1 Arbeit in der Tora In den atl. Schöpfungserzählungen (Gen 1,1–2,4a; Gen 2,4bff.) wird Gottes Erschaffung der Welt mit alltäglichen Arbeits-Vokabeln umschrieben.265 Der sog. priesterschriftliche Schöpfungsbericht (Gen 1,1–2,4a) beendet Gottes Schöp-

264 Kegler und Eisen 2009a, S. 16. Demgegenüber wendet Preuß kritisch ein: „1. ‚Arbeit‘ ist innerhalb des AT kein besonders wichtiges Thema. Daher fließen die Aussagen darüber – abgesehen von einigen wenigen Texten – mehr nebenbei ein und sind anderen Themen zugeordnet. 2. Daher dürfen diese Aussagen nicht zu stark systematisiert werden (z. B. zur ‚biblischen Lehre von der Arbeit‘) und man muß sich vor ungerechtfertigten Zuordnungen wie theologischen Überinterpretationen hüten.“ (Preuß 1978, S. 613.) Tatsächlich handelt es sich bei der Arbeit um ein zentrales Thema der biblischen Überlieferung, denn die sozialen bzw. arbeitsmäßigen Zusammenhänge sind die lebensweltliche (Hintergrund-)Folie, auf der die biblischen Geschichten erzählt werden, bzw. bilden die Lebenswelt, in die die Propheten hineinsprechen. Jedoch erschwert die Vielstimmigkeit des biblischen Kanons und die sich über die Zeit verändernden sozialen (Arbeits-)Zusammenhänge eine kohärente, kondensierte Darstellung „einer“ biblischen Arbeitsperspektive. Dennoch können aus der biblischen Tradition Leitlinien sowie Grundeinsichten gewonnen werden, die mit den gegenwärtigen Arbeitswelten ins Gespräch gebracht werden können. Als Gesamtdarstellungen zum Thema Arbeit in der Bibel eignen sich folgende: Bienert 1954; Agrell 1976. 265 Das hebräische ‫ ברא‬wird zwar exklusiv für Gottes Handeln verwendet, aber daneben „werden in Schöpfungskontexten auch zahlreiche andere Verben gebraucht, neben dem allgemeinen ‚machen’ (a¯´sa¯h), (dieses Verb findet sich in der Formel: ‚Gott machte Himmel und Erde’ häufig wieder: Ps 115,15; 121,2; 124,8; 134,3; 146,6; Ex 20,11; 31,17) auch solche wie ‚formen‘ ( ja¯sar), ‚bauen‘ (ba¯na¯h), ‚gründen‘ ( ja¯sad), ‚fest sein‘ (kûn), ‚aufspannen‘ (na¯ta¯h), ˙ ‚ausbreiten‘ ˙(ra¯qa‘), ‚gebären‘ ( ja¯lad), ‚pflanzen‘ (na¯ta‘), ‚reden‘ (a¯mar), ‚rufen/benennen‘ ˙ (qa¯ra¯’) und ‚befehlen‘ (sa¯wa¯h Pi.).“ (Schellenberg 2016). Diese Verben, die auch mensch˙

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fungsarbeit mit der Ruhe am siebten Tag (‫)שבת‬266, zuvor jedoch erhält der Mensch in Gen 1,28 noch eine Aufgabe (Mehrungs- und Herrschaftsauftrag): Die ‚Unterwerfung‘ der Erde lässt sich als Arbeitsauftrag verstehen, der als göttlich gewährtes Privileg zugleich Herrschaftsauftrag ist. […] Ohne dass uns der Schöpfungsbericht darüber genaue Auskunft gibt, legt er die Vermutung nahe, dass Arbeit hier vor allem als Arbeit des Viehzüchters gesehen wird. Viehzucht gilt offenbar als eine hochrangige, positiv bewertete Tätigkeit, die, anders als bäuerliche Feldarbeit, leichter zu bewältigen ist und größeren Reichtum verspricht.267

Im sog. jahwistischen Schöpfungsbericht wird der Mensch in den Paradiesgarten gesetzt, um diesen zu bebauen und zu bewahren (Gen 2,15), was wahrscheinlich an das Vorbild der schwierigen Ackerbauarbeit der Levante anknüpft.268 Die beiden Schöpfungstraditionen akzentuierten den Arbeitsauftrag des Menschen jeweils anders. Der Bebauungs- und Bewahrungsauftrag (Gen 2) leitet den Menschen zur kooperativen Arbeit in und mit Gottes Schöpfung an. Der Jahwist markiert als Grenze menschlichen Arbeitens die Bewahrung der Schöpfung. Dagegen entfaltet der priesterschriftliche Auftrag dominium terrae, sich wirkungsgeschichtlich269 häufig als „domination and the will to power.“270 Demnach wird Gen 1,28 häufig als ein ausbeuterisches menschliches (Wirtschafts-) Verhalten gegenüber der Schöpfung geltend gemacht, das durchaus mit der ökologischen Katastrophe in Verbindung gebracht werden kann. Die beiden Schöpfungstraditionen setzen verschiedene Akzente hinsichtlich der Arbeitsgestaltung. Jedoch ist beiden gemeinsam, dass menschliche Arbeit nicht zu den Konsequenzen des Sündenfalls gerechnet, sondern als schöpfungsmäßige Grundkonstitution des Menschen interpretiert wird. Gen 3 formuliert zwar Anstrengung und Mühe bei der Arbeit als Konsequenz der Sünde (Gen 3,17ff);

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liches Handeln beschreiben, lassen Gott und sein Handeln teilweise sehr dem menschlichen Tun ähnlich erscheinen). Die Sabbatruhe ist in diesem Text noch kein Gebot, jedoch wird die Ruhe innerhalb des Schöpfungsdramas als siebter Tag verankert. Lang 2008. Vgl. Lang 2008. Gerstenberger zeichnet die Wirkungsgeschichte des Herrschaftsauftrags seit dem 19. Jh. nach: „Die Genesiskommentare des 19. und 20. Jahrhunderts stellen in der Regel die absolute Vorrangstellung des Menschen heraus und leiten davon seine totale Verfügungsgewalt über die Natur ab. […] Die Vormacht des Menschen auf der Erde ist nun – unter der Wucht der technischen Entwicklung der letzten 200 Jahre – umfassend und grundsätzlich gedacht. Alle im Schöpfungstext vorkommenden Begriffe sind ins Allgemeine und Absolute hin entgrenzt. Der beschränkte Sinn der ursprünglichen Aussagen wird nicht mehr wahrgenommen. Hermann Gunkel sieht in dem Segensspruch Gen 1,28 ‚gewaltige Worte, das Programm einer ganzen Geschichte der Kultur des menschlichen Geschlechts!‘“ (Gerstenberger 1994, 248.) Zur atl. Entwicklung des Herrschaftsauftrags vgl. auch: Rüterswörden 1993. Sölle und Cloyes 1984, S. 20.

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dennoch bleibt Arbeit eine anthropologische Grundkonstante und der menschliche Auftrag ist, „dass er den Erdboden bebaue“ (Gen 3,22).271 Sowohl in der Schöpfungserzählung (Gen 2,2f) als auch im gesamten biblischen Kanon wird häufig zusammen mit Arbeit auch Ruhe bzw. der Sabbat thematisiert. In der priesterschriftlichen Tradition soll auch der Mensch entsprechend der göttlichen Arbeitsunterbrechung bzw. Sabbatruhe seine Tätigkeit pausieren, den Sabbat einhalten und der göttlichen Schöpfung mit der Ordnung von Arbeit und Ruhe gedenken. Die Begründungen des Sabbats variieren im atl. Zeugnis. Das Sabbatgebot des Dekalogs in Dtn 5,12ff. formuliert und begründet wie folgt: Den Sabbattag sollst du halten, dass du ihn heiligst, wie dir der Herr, dein Gott, geboten hat. Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun. Aber am siebenten Tag ist der Sabbat des Herrn, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit tun, auch nicht dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht, deine Magd, dein Rind, dein Esel, all dein Vieh, auch nicht dein Fremdling, der in deiner Stadt lebt, auf dass dein Knecht und deine Magd ruhen gleichwie du. Denn du sollst daran denken, dass auch du Knecht in Ägyptenland warst und der Herr, dein Gott, dich von dort herausgeführt hat mit mächtiger Hand und ausgerecktem Arm. Darum hat dir der Herr, dein Gott, geboten, dass du den Sabbattag halten sollst.

Dtn 5,12–15 und Ex 23,12 setzen den Sabbat als Ausdruck des Mitleids bzw. der Zuwendung gegenüber den Unterdrückten und Ausgebeuteten. In diesem Sinne ist der Sabbat ein Schutz vor (Zwangs-)Arbeit, was insbesondere mit der Erinnerung an die Sklaverei und die Befreiung durch JHWH verbunden ist. Der befreiende Gott der Sabbatgebote (Ex, Dtn), der trotz der Arbeitsunterbrechung für Genug zur Existenzsicherung sorgt, steht im Kontrast mit dem unterdrückerischen und gierigen (Wirtschafts-)System des ägyptischen Pharaos. Der Wechsel von Arbeit und Ruhe ruft die Befreiungstat Gottes aus allen Ausbeutungssystemen in Erinnerung. Das Heiligkeitsgesetz führt die Sabbatobservanz auf die von Gott gespiegelte Heiligkeit des Volkes zurück. Das Sabbatgebot stellt alle menschliche Arbeit sowie Produktivität unter den Vorbehalt Gottes, der dazu Gelingen schenkt. Schließlich wird die gebotene Arbeitsniederlegung während der geheiligen, zyklischen Zeiten (Lev 23,25) mit positiven Effekten für das religiöse sowie sozioökonomische Wohlergehen der Gesellschaft assoziiert. Auf diese Weise sind in der Tora menschliche Arbeitsgestaltung und Gottesverhältnis eng miteinander verbunden. 271 „Zudem ist dieser Segen der Arbeit keineswegs nur vor dem Sündenfall verheißen, sondern für die Dauer der Erde. Die Tatsache, daß die Arbeit auch mit großer Mühsal verbunden und von Misserfolgen begleitet ist, schließt den Segen und die Freude darüber nicht aus, macht ihn als Segen nur umso deutlicher.“ (Bienert 1954, S. 33) Den Bestand der Segensverheißung formuliert auch Preuß 1978. Wird dagegen die durch die Arbeit verursachte Mühe bzw. Anstrengung nach dem Sündenfall betont, dann ist die Arbeit ganz in die Fluchtradition eingerückt.

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2.3.2.1.2 Sozialgeschichtliche Perspektiven des Alten Testaments zur Arbeit Unter sozialgeschichtlichem Blickwinkel sind v. a. die Sklav*innen- bzw. Zwangsarbeit in der Geschichte Israels relevant. Denn die Exoduserzählung (Ex 1–5) berichtet aus der Perspektive der Fronarbeiter*innnen, die die steigenden Produktionsforderungen sowie Repressionen nicht mehr ertragen können. JHWH beendet diese ausbeuterische Arbeit. Er befreit die versklavten Israelit*innen und Hebräer*innen aus dem sozial-ökonomischen System des Pharaos, welches self-serving self-aggrandizement through accumulation wrought with cheap labor. The loss of cheap labor means the end of inordinate accumulation and, therefore, the end of political, economic self-sufficiency, which is driven by hubris and which in turn produces hubris. […] The positive purpose of emancipation if the slaves is variously given as ‘serving’ or ‘worshiping,’ ‘celebrating festival,’ and ‘sacrificing.’ The most used and most comprehensive of these, ‘to serve’ (′abad), means to enter into loyal obedience. Yahweh, thus, directly claiming the allegiance of a community that cannot serve two masters.272

Der Plagenzyklus und der Auszug aus dem „Sklavenhaus Ägypten“ illustrieren den Sturz des imperialen Systems des Pharao-Gottes durch JHWH, denn der Machtanspruch des Pharaos und der JHWHs sind unvereinbar.273 Viele der sozialen sowie ökonomischen Implikationen der biblischen Gottesherrschaft274 sind auslegungsbedürftig, wobei aber das Nein zur Sklaverei275 vollkommen klar ist.276 Dennoch ist das Phänomen Zwangsarbeit atl. weit verbreitet277, wobei die atl. Tradition zugleich mit dem Motiv Solidarität zur Begrenzung278 bzw. zur 272 Brueggemann 1995, S. 46. Oder auch Brueggemann 2013. 273 “Our subject is framed by the awareness that the rule of Yahweh in the tradition of Israel is shaped as a political metaphor expressed in the phrase ‘kingship of God’ or ‘kingdom of God’.” (Brueggemann 1995, S. 32.) 274 Vgl. z. B.: Brueggemann 2014. 275 Das hebräische ‫ ֶעֶבד‬bedeutet Sklave bzw. Diener, wobei damit ein Beziehungs- kein Standesaspekt formuliert wird. ‫ ֶעֶבד‬kann dreierlei Verhältnis bezeichnen: Erstens ein unterdrückerisch-abhängiges Sklavenverhältnis zum Herren. Zweitens die Vasallität von Staaten. Drittens die Teilhabe an der Herrschaft eines Herren als Königsminister. Ferner kann der Begriff in einem religiösen Kontext auf das Gottesverhältnis als ‚Knecht Gottes‘ bezogen werden. (Vgl. Kessler 2006.) 276 Vgl. Brueggemann 1995, S. 47ff. 277 1 Kön beispielsweise berichtet von den Zwangsarbeitsmaßnahmen durch den israelitischen König: Zur Bewältigung der vielfältigen Bauprojekte richtete Salomo ein Fronarbeitssystem (1 Kön 9,20–22) ein. In 1 Kön 9,15ff wird eine mit hoher Wahrscheinlichkeit realistische Zahl von 30.000 Fronarbeitenden angegeben. (Vgl. Kegler und Eisen 2009a, S. 20.) 278 Das Sklav*innengesetz aus Ex 21,2–11 schreibt vor, dass hebräische, gekaufte Sklav*innen nach sechs Jahren freizulassen sind. Darüber hinaus verbietet Dtn 23,16f entlaufende Sklav*innen an den Herren auszuliefern, vielmehr ist ihnen das Recht zur Ansiedlung zu geben.

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Aufhebung der Sklaverei (Lev 25) neigt. Die atl. Sklavenarbeitspraxis unterscheidet sich von der zeitlich späteren hellenistisch-römischen Praxis, welche erst Sklav*innen zum Eigentum bzw. zur Sache (res)279 machte. „Die Sklaverei in hellenistisch-römischen Gesellschaften ist durch die Totalität des Zugriffs auf einen Menschen, d. h. auf seinen Körper, definiert.“280 Vorausschauend auf das NT ist anzumerken, dass die jüdische Gesellschaft die hellenistisch-römische Form der Sklaverei praktizierte.281 2.3.2.1.3 Arbeit im Alten Testament – ein Fazit Das Fazit der atl. Arbeitsperspektiven soll anhand des häufig vorkommenden Verbs ‫ עבד‬nachvollzogen werden.‫ עבד‬bzw. „arbeiten“ ist eine im biblischen Kanon dargestellte Tätigkeit Gottes oder des Menschen.282 Zwar kann das Verb eine Form des kultisch-religiösen Dienens meinen283, jedoch „in Dtn und DtrGW findet sich ‘a¯bad mit JHWH als Obj. in einer Bedeutung, die […] weit über den kultischen Bereich hinausreicht.“284 In diesem Sinne kann hier und für die Mehrheit der atl. Tradition gelten, dass der Dienst/die Arbeit an und für JHWH zu einer Grundhaltung führt, in der alle folgenden Lebens- sowie Arbeitszusammenhänge gestaltet werden.285 Sowohl religiös-kultische Tätigkeit als auch einfache Arbeit können durchs gleiche Verb beschrieben werden, was auf die ethische Relevanz jeglicher Arbeit hinweist. Alle menschliche Arbeit in ihren konkreten wirtschaftlichen, organisatorischen Bedingungen ist nicht von der Loyalitätsfrage zu trennen. In diesem Sinne sind Gottesverhältnis und menschliche Arbeit eng miteinander verwoben.286

279 Sklav*innen wurde der Personstatus nicht zuerkannt. Menschen gerieten u. a. durch Kriegsgefangenschaft, politischen Widerstand, Verkauf, Verschuldung, Geburt als Kind einer Sklavin usw. in die Sklaverei. 280 Kreuzer und Schottroff 2009, S. 527. 281 Vgl. Kreuzer und Schottroff 2009, S. 525ff. 282 Vgl. dazu z. B. Jes 43,23f, das beides zum Ausdruck bringt. „JHWH hat nicht Israel durch auferlegte Opfer ‚arbeiten lassen‘ (d. h. Mühe bereitet, belastet), Israel dagegen hat JHWH durch seine Sünden Mühe bereitet.“ (Ringgren et al. 1986, S. 988.) 283 Der Dienst an JHWH wird im Zusammenhang von Opfer und liturgischer Feier genannt; vgl. z. B.: Ex 4,23; 7,16.26; 8,16; 9,1.13; 10,3.7f,11.24.26; 12,31. 284 Ringgren et al. 1986, S. 993. 285 Z. B. Dtn 10,12f. 286 Vgl. Ringgren et al. 1986, S. 982ff.

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2.3.2.2 Arbeit im Neuen Testament Um die ntl. Perspektiven auf Arbeit zu ergründen, werden sprachliches Vorkommen, Arbeitsteilung sowie Berufe, christliche Berufs- und Arbeitsverbote sowie die Position der Sklavenarbeiter*innen in den christlichen Gemeinden skizziert und schließlich ein Fazit gezogen. 2.3.2.2.1 Das sprachliche Vorkommen von Arbeit im NT Die Arbeit im NT wird durch eine große Zahl von Worten näher beschrieben: πράσσω287 ist Beschäftigt- oder Tätigsein, teils mit einem negativ-angestrengten Unterton. Die Adjektive βάρος und κόπος bringen die belastende und mühevolle Seite der Arbeit zum Ausdruck. Das Verb ποιέω spezifiziert das schöpferische bzw. zielstrebige Handeln und ἐργᾰ´ ζομαι betont den personalen Aspekt einer Handlung bzw. Arbeit.288 Dieses Verb289 bzw. das zugehörige Substantiv ἔργον kommen häufig im NT vor290 und können tendenziell mit Arbeit, Aufgabe, das durch diese Arbeit erreichte und verantwortete Werk, Berufs- sowie Amtstätigkeit übersetzt werden.291 In der pln. Paränese findet sich die aus dem AT bekannte Verknüpfung zwischen menschlicher Arbeit und dem Gottesverhältnis wieder. Paulus konstatiert, dass die Zugehörigkeit zur Herrschaft Christi (Röm 13,12; Gal 5,19ff.) in der menschlichen Arbeit offenbar werde, denn sein Tun soll Frucht des Geistes sein. Im ntl. Kanon kommt das Verb ποιέω292 für menschliches, göttliches sowie jesuanisches Tun äußerst häufig (568-mal) vor.293 Damit werden sowohl Wunderwirken (Apg 6,8; 8,6) als auch verschiedene allgemeine Handlungen294 wie das Herstellen von Kleidung (Apg 9,39) beschrieben.295 Κόπος und das zugehörige Verb qualifizieren mühevolle, alltägliche Arbeit296, aber auch den Einsatz für das Reich Gottes297. Im pln. Sprachgebrauch wird κόπος sowohl für die eigene 287 Mit nur 39 Belegstellen kommt πράσσω im NT nicht allzu häufig vor, wobei es sich stets auf menschliches Verrichten oder Tun, welches zumeist negativ konnotiert ist, bezieht. (Vgl. z. B. Joh 5,29; Röm 2,2f.) Vgl. Thiele 2014, S. 68f. 288 Vgl. Thiele 2014, S. 54. 289 Lk 13,14; Mt 21,28; Mt 25,16. 290 Von den insgesamt 169 Belegstellen finden sich nur wenige bei den Synoptikern. (Vgl. Heiligenthal 2011, 124.) 291 Vgl. Hahn 2014, 56 Schließlich unterliegt das gesamte Werk der moralischen Bewertung (gut/ schlecht), vgl. dazu: Mt 5,16; Apg 9,36; Röm 2,7; Kol 1,21; Heb 6,1; 9,14; Eph 5,11. 292 Tun, machen, bewirken oder handeln. 293 Wird das Verb für Gott angewendet, dann referiert es das schöpferische und heilswirksame Handeln Gottes bzw. Jesu. 294 Mk 11,3.5; Joh 19,12; Jak 4,13. 295 Vgl. Radl 2011, S. 295ff. 296 Mt 6,28; Lk 5,5; Röm 16,6; 1 Kor 3,8. 297 Joh 4,38; 2 Tim 2,16.

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Handarbeit des Paulus (z. B. 1 Thess 2,9) als auch für die Missions- bzw. Gemeindearbeit durch ihn oder andere benutzt.298 Auf diese Weise umfasst das pln. κόπος verschiedenste Arbeitsformen (Handwerken, Predigen).299 Ebenso stehen ἔργον und seine Ableitungen bei Paulus sowohl für existenzsichernde Arbeit als auch für die Reich-Gottes-Verkündigung.300 Diese Tendenz, dieselben Worte zur Bezeichnung unterschiedlicher Tätigkeiten zu wählen, impliziert, dass im ntl. Kontext nicht wesentlich zwischen verschiedenen Arbeitsformen unterschieden wird. Vielmehr werden Arbeit für den Lebensunterhalt bzw. Versorgung der Armen301 und Verkündigungsarbeit gleichgestellt. Insgesamt wird vor der übermäßigen Arbeitssorge und Reichtumsfixierung302 gewarnt.303 2.3.2.2.2 Arbeitsteilung und Berufe im biblischen Zeugnis Der biblische Kanon stellt mannigfaltige Tätigkeiten dar, wobei jedoch die Mehrheit der Personen sowohl im atl. als auch ntl. Kontext landwirtschaftlich arbeitete. Es kann nicht eindeutig nachvollzogen werden, ob bzw. wann sich im antiken Israel eine differenzierte Arbeitsteilung (im Sinne von funktionalen Berufen) herausbildete oder ob unterschiedliche Tätigkeiten (Landwirtschaft und Hauswirtschaft) anlassbezogen von beiden Geschlechtern (vgl. Prov 31) praktiziert wurden. In der Königszeit jedenfalls ist die stärkere Ausdifferenzierung unterschiedlicher Bau- und Handwerkstätigkeiten bzw. Arbeit am Hof belegbar.304 Das NT listet Handwerks-305, Handels-306, Dienstleistungs-307, Verwaltungs-308 sowie militärische und kultische Arbeit auf.309 Über Jesus selbst wird berichtet, er sei τέκτων (Mk 6,3)310, d. h. Verfertiger bzw. Erzeuger im Bereich 298 Vgl. Seitz und Thiele 2014, S. 63. Z. B.: Röm 16,6.12; 1 Kor 3,8; 15,10.58 16,16; 2 Kor 10,14f; Gal 4,11; 1 Thess 1,3; 3,5. 299 1 Thess 2,9; 2 Kor 6,5; 11,23.27; 2 Thess 3,8. 300 Mt 9,37 par Lk 10,2; Mt 10,10 par Lk 10,7. 301 Lebenssicherung: 1 Thess 4,11;1 Kor 4,12; Apg 20,33f; 1 Tim 6,6.8f. Versorgung der Armen: Apg 20,35; Eph 4,28. 302 Kol 3,5; Mt 6,25–34 par Lk 12,22–32; 1 Kor 7,29–32. 303 Vgl. Kegler und Eisen 2009a, S. 16ff. 304 Die Handwerker werden in Stein-, Holz- sowie Metallarbeitende unterschieden, die sich dann in mannigfaltige Unterberufe entsprechend der verschiedenen Bearbeitungsstufen des Rohstoffs ausgliedern. Diese Tatsache weist auf eine hoch differenzierte Arbeitsteilung. In der staatlichen Verwaltung des Königshofs wird über die Arbeit von Statthaltern, Schreibern etc. (2 Sam 8,16–18; 20,23–26; 1 Kön 4,1–6) berichtet. 305 Schneiderin (Apg 9,39), Gerber (Apg 9,43), Silberschmied (Apg 19,24). 306 (Purpur-) Händlerin (Apg 16,14), Taubenhändler, Geldwechsler (Mt 21,12). 307 Arzt (Kol 4,3), Gastwirt (Lk 10,35), Prostituierte, Anwalt (Apg 24,1), Matrosen (Apg 27,27), Kapitän (Apg 27,11). 308 (Römischer) Statthalter (Lk 3,1), Stadtkämmerer (Röm 16,23), Zöllner (Lk 19). 309 Priester (Lk 10,31), levitischer Tempeldiener (Lk 10,32; Joh 1,19). 310 Bzw. der Sohn eines τέκτων (Mt 13,55).

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der Holzarbeit gewesen.311 Die Jünger Jesu waren, bevor sie mit Jesus durchs Land zogen, Zöllner (Lk 19), Fischer (Mk 1,16) oder sie hatten Kleinbetriebe (Mk 1,16– 20). Die Reich-Gottes-Verkündigung soll nach Mt 10,10 par Lk 10,7 Arbeit zur Existenzsicherung sein, was später dann auch in der paulinischen Versorgungsregel institutionalisiert wird.312 Hinsichtlich der Berufe in der frühen Kirche wird folgende Einschätzung als gut nachvollziehbar geteilt: Es kann nicht gesagt werden, ob die sich in der zweiten Hälfte des 1. Jh. herausbildenden diakonischen und bischöflichen Ämter den erlernten Beruf der Betreffenden ersetzten (Phil 1,1; 1 Tim 1,1–13). Die Logik der Versorgungsregel für die Apostelinnen und Apostel lässt jedoch darauf schließen, dass die Amtsträgerinnen und Amtsträger ihre Ämter wie Berufe [in diesem Sinne als vollzeitliche und spezialisierte Tätigkeit mit existenzsicherndem Charakter] ausübten und von den Gemeinden unterstützt wurden.313

2.3.2.2.3 Christliche Berufs- und Arbeitsverbote Die bleibende, enge Verbindung zwischen Gottes- und Arbeitsverhältnis führt in der biblischen Tradition und auch in der frühen Kirche zu Arbeits- und Berufsverboten aus theologischen Gründen. In diesem Zusammenhang bleibt Arbeit unhinterfragbar Grundkonstitutiv menschlichen Lebens, jedoch werden die Grenzen der Vereinbarkeit religiöser Praxis mit bestimmten Arbeitsvollzügen aufgezeigt.314 2.3.2.2.4 Sklavenarbeitende in der christlichen Gemeinde Ein relativ großer Teil der hellenistisch-römisch geprägten Gesellschaften (bis zu 25 %) waren Sklav*in315. Sie hatten keine körperliche Autonomie, mussten Zwangsarbeiten verrichten316, konnten kein eigenes Geld erwirtschaften 311 Dies kann sowohl einen einfachen Bauhandwerker als auch einen gut ausgebildeten Zimmermann meinen. 312 Vgl. Eisen und Kegler 2009, S. 44ff. 313 Eisen und Kegler 2009, S. 46. 314 Im AT sind es v. a. mantische Tätigkeiten wie Zeichendeutung, (Toten-)Beschwörung (1 Sam 28) oder Zauberei (Jes 57,3), die abgelehnt werden. Jedoch kann belegt werden, dass diese religiösen Praxen durchaus in Juda bzw. Israel verbreitet waren. Im NT erfahren insbesondere die Berufe des Zöllners und der/m Prostituierten Ablehnung. Dabei kritisiert Pls den gesellschaftlich üblichen Prostituiertenbesuch, da dieser die Gläubigen entheilige (1 Kor 6,12–20). Jedoch verachtet die Evangeliumsüberlieferung nicht die gesamten Berufsgruppen, sondern spricht auch vom Eingehen der Prostituierten sowie Zöllner ins Reich Gottes. Ferner wird die ungerechte Übervorteilung der zu Besteuernden als negative Qualität der Zöller angeführt, aber zugleich auch ihre Umkehrbereitschaft herausgehoben. (Vgl. Kegler und Eisen 2009b, S. 602ff.) 315 In ntl. Griechisch mit δοῦλος, δούλη und οι̉κέτης bezeichnet. 316 Zu den durch Sklav*innen verrichteten Tätigkeiten gehören Hilfsdienste wie Tür bewachen (Mk 13,34) oder auch sehr verantwortungsvolle (Verwaltungs-) Arbeiten (Mt 18,23–35; Lk 12,41–46).

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(Lk 16,1–8) und waren schließlich der absoluten Verfügungsgewalt des Herren unterworfen (Mt 18,34). In diesen Gesellschaften war den Sklav*innen weitestgehend rechtlich-soziale Teilhabe verwehrt. Gal 3,28 oder Apg 2,18 zeichnen demgegenüber das Bild der christlichen Gemeinde, in der alle Menschen auf Augenhöhe teilhaben: „Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.“ (Gal 3,28). Empirisch jedoch setzte sich die Vorstellung der Ebenbürtigkeit in den christlichen Gemeinden nur mangelhaft durch:317 Einheit im Glauben brachte also letztlich keine egalitären urchristlichen Sozialgemeinschaften hervor (vgl. aber das Idealbild in Apg 4,32–37.) Im Gegenteil: Die positive Konnotierung des Metaphernfeldes ‚Sklaverei‘ im Blick auf Jesus Christus […] konnten freie Christen und Christinnen dahingehend funktionalisieren, dass die Untergebenheit der (christlichen) Sklavinnen und Sklaven auch christologisch festgeschrieben wurde.318

2.3.2.2.5 Fazit Arbeit im Neuen Testament Jegliche Arbeitszusammenhänge der menschlichen Lebenswelt bilden die Hintergrundfolie, auf der sich das ntl. Zeugnis entfaltet. Dabei wird die enge Verknüpfung zwischen menschlichem und göttlichem Tun, wie sie aus der atl. Tradition bekannt ist, auch in diesem Kontext greifbar. Ausgehend vom göttlichen Heilshandeln ergibt sich ein holistischer Arbeitsbegriff, der sowohl Verkündigung als auch existenzsichernde Arbeit als notwendig aufnimmt. Die Implikation der Herrschaftsfreiheit bzw. Teilhabe auf Augenhöhe seitens verschiedener Arbeitsformen bzw. Menschen ist eine bleibende Herausforderung der Christusbotschaft. 2.3.2.3 Fazit Arbeit im biblischen Zeugnis Das biblische Zeugnis zeigt eine bunte Arbeitswelt und berichtet von einer Vielzahl von Tätigkeitsformen sowie Arbeitsperspektiven. Die sozialgeschichtlichen Praxen und Traditionsstränge sind zu vielfältig, um eine geschlossene biblische Theologie der Arbeit zu formulieren. Jedoch können einige Leitlinien für kontemporäre theologische Antworten auf Arbeitsfragen der Gegenwart 317 Apg 12,13–17 berichtet von der Teilnahme der Sklavin Rhode an einer Gemeindeversammlung. Da sie aber ihre Arbeitsaufgabe nicht richtig erfüllt hatte, wird sie bestraft. 1 Tim 6,2 lehnt die Reform innerweltlicher Sklav*in-Herr-Verhältnisse aus theologischen Gründen (Ebenbürtigkeit aller Geschwister im Herren) ab. Die Haustafeln (Kol 3,22; Eph 6,5f.) gebieten ebenso den Gehorsam der Sklav*innen und ihren Verbleib in dieser marginalisierten Position mit christologischen Argumenten. Auf diese Weise dienen diese biblischen Texte der Legitimation mächtiger Gruppen. Vgl. Roose 2010b. 318 Roose 2010b.

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gewonnen werden. Diese Leitlinien sind dann in einem zweiten Schritt auf die sich gegenwärtig abbildende Arbeitswelt hin zu interpretieren. Der biblische Kanon sieht Arbeit als grundsätzlich zum menschlichen Leben gehörig an. Fürs Gottesverhältnis ist Arbeit nur bedingt von Bedeutung, aber auch nicht irrelevant, wie die biblischen Berufsverbote anzeigen.319 Der Kanon nimmt Arbeit als Teil menschlichen Lebens (mit Bezug auf Gott) ernst, setzt dieser aber durch den Ruhe-Arbeits-Wechsel klare Grenzen. Das biblische Zeugnis verdeutlicht, dass keine getrennten Sphären zwischen den religiösspirituellen und alltäglich-sozialen-gesellschaftlichen Bereichen bzw. Arbeiten existieren. Gott, der Schöpfer, hat die Welt als sein Gegenüber gewählt und ist von daher von der innerweltlichen Arbeitsausbeutung der Sklav*innen in Ägypten betroffen. Gottes Teilhabe am Leid und seine Solidarität zeigen sich auch in der inkarnatorischen Theologie des NT. Jesus hat Anteil an konkreten Lebens- sowie Arbeitsvollzügen und seine Reich-Gottes-Botschaft realisiert sich unter diesen Bedingungen. In seiner Reich-Gottes-Verkündigung manifestiert sich eine neue Gesellschaftsordnung, in der alte Hierarchien und Ausschließungsmechanismen, wie ethnisch-nationale, arbeitsmäßige oder genderbasierte Kategorien, nicht mehr gelten. Die konkrete Lebenswelt ist hinsichtlich Gal 3,28 zu gestalten. Damit gilt auch, dass die menschliche Arbeitswelt theologisch zu bewerten und ins Verhältnis zu setzen ist. Die Vielfalt der Arbeitsbezüge der christlichen Tradition sowie die inkarnatorische Theologie weisen klar darauf hin, dass um ein angemessenes Arbeitsverständnis christlicherseits immer wieder neu zu ringen ist. Im Anschluss an diese biblisch-theologische Grundlegung wird das Ringen um ein angemessenes Arbeitsverständnis bzw. auch die Praxen der sich entfaltenden Arbeitswelten im zeitlichen Verlauf dargelegt. Dabei finden besonders die Auseinandersetzung mit Arbeit bzw. Beruf kirchlich- und theologischerseits seit dem Zweiten Weltkrieg Beachtung.

319 In der Tradition der frühchristlichen Berufsverbote könnte es auch hilfreich sein, für die Gegenwart zu bestimmen, ob es Tätigkeiten gibt, die mit dem christlichen Glauben unvereinbar sind. Dabei könnte die aktive Verhinderung von Recht, Gerechtigkeit, Frieden und Teilhabe ein Kriterium sein.

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2.3.3 Arbeit als menschliche Selbstwirksamkeit und zugleich als Anlass zur Buße – Das ambivalente Arbeitsverständnis von der Zeitenwende bis zum Ausgang des Mittelalters Die alte Kirche hatte Hochachtung vor handwerklich-manueller Arbeit als Lebensgrundlage vieler Gemeindemitglieder.320 Trotzdem waren die Gemeinden doch mit der antiken, elitären Verachtung praktischer Tätigkeiten konfrontiert, die solche Arbeiten als moralisch zweifelhaft klassifizierte. Die Kirchenväter (beispielsweise Clemens und Origenes) wehrten solche Vorstellungen apologetisch ab und bestimmten Arbeit als göttliches Gebot. Denn Arbeit diene der Existenzsicherung und auf diesem Weg führe die Arbeitsanstrengung zur ethisch-spirituellen Vervollkommnung der Christen. Dieser Grundausrichtung entsprechend hielten die Gemeindeordnungen des 3. Jh. die Christen zu fleißiger Arbeit an und lehnten Müßiggang ab. Bereits im 3. Jh. hatte sich ein Gemeindekassensystem etabliert, was die Lebensgrundlage der kirchlichen Mitarbeitenden sicherte, die zu diesem Zeitpunkt nicht mehr oder nur in geringerem Umfang anderer Arbeit nachgingen.321 Im mittelalterlichen Arbeitsverständnis Zentraleuropas verbanden sich die jüdisch-christliche Tradition, die keltisch-germanische Kultur und Aspekte der griechisch-römischen Antike, was zu einem abwertenden Arbeitsverständnis zusammenwirkte. Die Anstrengung ließ Arbeit als Ausdruck der Sündenverstrickung und damit Anlass zur Buße erscheinen. Seit der karolingischen Renaissance (ab dem 8. Jh.) wurden landwirtschaftliche, handwerkliche sowie literarische Tätigkeiten vermehrt hoheitlich gefördert, was auch die Aufwertung dieser Arbeiten implizierte. Der landwirtschaftliche Aufschwung des 11.–13. Jhs. verstärkte die positive Wahrnehmung dieser Arbeit. Darüber hinaus verwies die sich ab dem 11. Jh. durchsetzende Idee der Drei-Stände-Gesellschaft (oratores, bellatores und laboratores) mit drei Funktionsbereichen mit je eigener Dignität auf den ordnungsstiftenden Aspekt der Arbeit.322 Dennoch wurde zugleich an der Vorstellung festgehalten, dass Arbeitsmühe und Arbeitsstrukturen Konsequenzen des Sündenfalls seien. Arbeit war im Mittelalter ambivalent und religiös durch Ruhegebote sowie die Limitierung des Gewinnstrebens eingehegt.323 Ab Mitte des 12. Jh. regte die landwirtschaftliche Ausdifferenzierung zusammen mit demographischem Wachstum den wirtschaftlichen Aufschwung der Städte an. In den städtischen Betrieben entwickelten sich in der Folge erste Formen von 320 Denn die Sozialstruktur der alten Kirche ist durch eine Vielzahl von Personen ohne vollen Rechtsstatus (Frauen, Sklaven usw.) charakterisiert. Manuelle Arbeit bildet für die Mehrheit der Mitglieder die Sicherung ihrer Lebensgrundlage. 321 Vgl. Gülzow 1978, S. 624ff. 322 Vgl. Le Goff 1978, S. 626ff. 323 Vgl. Jochum 2010, S. 96.

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Lohnarbeit sowie eine vertiefte Arbeitsteilung. Die städtischen Handwerker organisierten sich in Zünften, welche sozial-berufsständische Momente und religiöse Deutung verbanden. Im Kontakt mit den Arbeitermilieus veränderte sich der Blick des städtischen Pfarrklerus auf handwerkliche Arbeit. Theologisch wird Arbeit aufgewertet. Ferner richten sich die Pfarrer in den sermones ad status an die Christen in ihrer arbeitenden Funktion, und durch die Zuordnung von Schutzpatronen zu bestimmten Zünften wird Arbeit gleichsam „geheiligt“.324 Trotz dieses Fortgangs besteht Thomas von Aquin (ca. 1225–1274) auf der Hierarchisierung der Arbeitsformen, wenn er die aristotelische Unterscheidung von vita activa und vita contemplativa325 zum Ausgangspunkt nimmt. Demnach sei die vita contemplativa dem wirkenden-aktiv-arbeitenden Leben vorgeordnet. Arbeit könne zwar ein Weg der Erlösung sein, letztlich aber seien andere Wege vorzuziehen326, da handwerkliche Arbeit als opus servile der Erbsünde sehr nahestehe. Der sich in Opposition zur Scholastik konstituierende Humanismus unterschied sich hinsichtlich des Arbeitsverständnisses kaum von dieser. Die Humanisten lobten zwar die Strebsamkeit der neuen Klassen, reproduzieren aber im Anschluss an Platon, Aristoteles und Cicero die Geringschätzung der Handarbeit. Zeitgleich erstarkte das Bürgertum und engagierte sich seit dem 14. Jh. für bessere Arbeitsbedingungen (Regulierung der Arbeitszeiten) und größere gesellschaftliche Anerkennung.327 Diese Agenda des städtischen Bürgertums verbindet sich im 15. und 16. Jh. trefflich mit wissenschaftlichen und theologischen Entdeckungen, die die generelle Weltwahrnehmung modifizieren. Neben diesen wissenschaftlichen, technischen, politischen Veränderungsprozessen formierte sich zu Ausgang des Mittelalters auch eine religiöse Erneuerungsbewegung, die reformatorische Bewegung. Die reformatorische Bewegung akzentuierte in eigener Manier Arbeit – bzw. Berufsverständnis. Im

324 „Die inzwischen gegründeten Zünfte und Bruderschaften, die sich unter der Kontrolle einer mißtrauischen Kirche entwickeln, wählen sich zu Patronen und Schutzherren Heilige aus, deren Ikonographie nun Wandlungen erfährt, um dem Handwerkszeug und den Tätigkeiten ihrer Schützlinge ihre Weihe zu geben. Die von Zünften gestifteten Kirchenfenster stellen Arbeitsszenen dar, und sie führen zur selben Zeit wie die Fresken und Statuen, die Heilige mit Arbeitsgeräten als Attribute zeigen, die Darstellung der Arbeit in den sakralen Bereich der Kirche ein, an deren Türen sich sehr oft auch noch die Bilder der bäuerlichen Monatsarbeiten finden.“ (Le Goff 1978, S. 632.) 325 In der 182. Frage (Theologische Summe II–II, Qu. 182) vergleicht Thomas das tätige (vita activa) und das beschauliche Leben (vita contemplativa) miteinander. Er listet neun Gründe auf, warum das beschauliche dem aktiven Leben vorzuziehen sei. Jedoch gesteht er ein, dass, wenn die Bedürfnisse des Lebens aktive Tätigkeit erfordern, so könne das tätige Leben besser sein. Denn es sei besser, ein aktiv-tätiges Leben zu führen als notzuleiden. (Vgl. Thomas von Aquin 1888.) 326 Vgl. Jochum 2010, S. 96. 327 Vgl. Le Goff 1978, S. 631ff.

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Kontext dieser Forschungsarbeit sind die lutherische Berufstheologie sowie ihre mannigfaltigen Fortwirkungen im Fokus des Interesses. Die Idee der persönlichen Berufung wurde in der alten Kirche zusammen mit dem Mönchtum verbreitet. Der Beruf(ung)sgedanke verband sich mit dem Selbstbewusstsein des Mönchstandes, was der Vorordnung dieser religiösspirituellen Tätigkeit vor den alltäglichen Arbeiten entspricht.328 „Die Beschlagnahmung des Titels vocatio durch das Mönchtum hat es nun auch im Abendland lange verhindert, daß sich eine entsprechende religiöse Schätzung der weltlichen Stände entwickelte oder daß das Wort vocatio für sie üblich wurde.“329 Im Mittelalter jedoch konkurrierten das mönchische Selbstbewusstsein und das erstarkte Selbstbewusstsein der wirtschaftlich sowie politisch prosperierenden Stände miteinander. Zeitgleich formulierte die Mystik eine religiöse Schätzung weltlicher Arbeit. Der Mystiker Tauler beispielsweise nimmt an, dass auch in der Praxis weltlicher Arbeit höchste Gottesnähe empfunden werden kann. Denn es ergehe ein egalitärer Ruf Gottes nach jeder einzelnen Seele an ihrem Ort und zu ihrer Arbeit.330 Die mystische Theologie bereitete das reformatorische Arbeitsverständnis wesentlich vor. Insgesamt blieb aber kirchlicher-/theologischerseits die Hochachtung des mönchischen Lebens sowie die Abwertung weltlicher Arbeit bis hin zur Reformation bestehen.

2.3.4 Arbeit als von Gott gesehener Beruf – Reformatorisch-wertschätzende Perspektiven auf Arbeit Die reformatorische Theologie deutet Arbeit als weltgestaltendes Tun mit dem Terminus Beruf bzw. Berufung/Vocatio/κλῆσις. Auf diese Weise steht die protestantische Theologie menschlicher Tätigkeit positiv gegenüber, begrenzt aber menschliche Allmachtsphantasien und ein zu großes Zutrauen in menschlichen Fortschritt durch die Einordnung in ein christliches Weltbild. Luthers theologische Bestimmung von Beruf entwickelt den Berufsgedanken entscheidend weiter und löst diesen aus der engen kirchlich-mönchischen Umarmung. Die Abstufung im Näheverhältnis zu Gott, ausgehend von der sozialen Position (Stand, Amt, Arbeit), wird abgelehnt – dies hat auch Auswirkungen auf die Bewertung der damit verbundenen Tätigkeiten. Luther nimmt den Terminus 328 Vgl. Holl 1928, S. 190. 329 Holl 1928, S. 199. 330 Vontobel spricht in ihrer Arbeit zum protestantischen Arbeitsethos von zwei Strömen, nämlich dem lutherischen, eher „oberirdischen“ Strom und dem tendenziell „unterirdisch“ verlaufenden Strom der deutschen Mystik. Beide Ströme bildeten integral die Grundlage des protestantischen Arbeitsethos. (Vgl. Vontobel 1946, S. 58.)

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vocatio bzw. κλῆσις (1 Kor 7,20)331 auf und verschärft diesen durch seine deutsche Wortweiterbildung „Be-ruf“. Insgesamt changiert Beruf bei Luther zwischen den Polen Ruf/Berufung, Ordnen, Stand/Amt und Befehl.332 Luthers Beruf gehört in den Kontext der Zwei-Regimenter-Lehre mit dem Priestertum aller Gläubigen. Das Priestertum aller Gläubigen wird in der Adelsschrift (1520) als radikale Gleichheit aller Gesellschaftsmitglieder aus der Taufe heraus begründet. In der christlichen Kirche bzw. Gemeinde und ebenso der Gesellschaft gebe es keine Hierarchien zwischen den unterschiedlichen Ständen – alle gehörten durch die Taufe dem einen geistlichen Stand an. Die ganze Gesellschaft wird von Luther als eine christliche Gesellschaft von Gleichen begriffen, in der jeder Einzelne durch Gott an seinen Platz gestellt ist. Das „werck“, das die Menschen leisten, diene nicht der Erlangung des Heils, könne aber als liebevoller Dienst am Nächsten interpretiert werden. Die weltliche Gewalt wird aufgewertet, da sie als Gottes angeordnete Regierweise der Welt klassifiziert wird. Sie diene der christlichen Gesellschaft durch Schutz der Frommen und zur Strafe der Bösen.333 Martin Luther nimmt den Terminus vocatio bzw. Beruf 334 auf, um sowohl die weltliche als auch die geistliche Tätigkeit der Christen zu beschreiben. Unter Bezugnahme auf 1 Kor 7,20 wendet Luther den gesellschaftlichen Stand (Amt/ Funktion) und die damit verbundene Arbeit theologisch als Beruf. Beruf sei Teil des göttlichen Schöpfungswerks und als mandatum Dei durch Gott angeordnet. Im Beruf werde Gottes Schöpfungs- und Erhaltungswille erkennbar.335 Demnach sind gesellschaftliche Stände Teilaspekt des göttlichen Berufs und damit 331 Das urchristliche κλῆσις bezeichnet im NT die Berufung aller Christinnen. Allein in 1 Kor 7,20 wird davon abweichend eine spezifische Berufung thematisiert. 1 Kor 7,20 ist Luthers maßgebliche Referenzstelle für die Entfaltung seiner Berufstheologie. 332 Vgl. Holl 1928, S. 199. 333 Vgl. WA 6, S. 381ff. 334 In Luthers Theologie kann der Terminus vocatio nicht nur Beruf im engeren Sinne, sondern darüber hinaus auch den allgemeinen Ruf zum Glauben bezeichnen. Diese beiden Dimensionen der Beruf(ung) werden als vocatio interna und externa unterschieden. Gatzen ordnet der vocatio interna das Evangelium und der vocatio externa den Stand zu. Beruf im engeren Sinne, nämlich der Stand sei mandatum Dei, d. h. göttliches Gebot, denn Gott gebiete, den jeweiligen Platz in der ständisch-stratifizierten Gesellschaft treu zu erfüllen (Berufswechsel sind bei Luther ausgeschlossen). Um die Welt durch die Berufe gut zu leiten, bediene sich Gott der Mittel Stand, Recht, Vernunft, Person, Gebot usw., d. h. dem sozialgesellschaftlichen Kontext. Die gesellschaftliche Ordnung bzw. Arbeitsteilung oder auch Ständeordnung sei die diversifizierte vocatio externa, die von Gott in je verschiedener Weise ergehe. Demnach sei der entsprechende Beruf im Glauben an Gottes Liebe treu anzunehmen. Dagegen erginge der Ruf (vocatio interna) des Evangeliums allen Christen in gleicher Weise und dementsprechend seien keine Unterschiede hinsichtlich Stands zu machen. Im Zusammenhang dieser Untersuchung wird im Weiteren vom lutherischen Beruf im Sinne der vocatio externa gesprochen. (Vgl. Gatzen 1964, S. 29ff.) 335 Vgl. Wingren 1952, S. 15.

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Schöpfungsordnungen, welche unabhängig von menschlicher Individualität Geltung hätten. Mittels menschlicher Arbeit schließlich werde Gottes Zuwendung zur Welt tätlich erfahrbar, womit der Beruf im sozialen Bezug höchst relevant sei. Luther erkennt die gesellschaftliche Ungleichverteilung von Macht bzw. Einfluss und Geld durch die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Beruf als Faktum an. Dies ist für ihn jedoch nicht weiter von Belang, da für ihn innerweltliche Sozialbezüge keine eschatologische Qualität haben. Hinsichtlich der Gottesbeziehung bzw. des Heils sind die (beruflichen) Werke bei Luther bedeutungslos und es könne keine besondere Belohnung Gottes durch den je durch Gott zugeteilten Beruf abgeleitet werden. Berufe sind nach Luther damit nicht Gnade, sondern göttliches Gesetz, mit dem er die Welt wohl ordnet. Dieses göttliche Gesetz der beruflich-gesellschaftlichen Strukturen sei nur im Glauben als Gottes gnädiges Handeln in der Welt zu begreifen. Denn nur in glaubensvoller, gehorsamer Haltung könne der eigene Beruf bzw. Stand als göttliche Vorsehung angenommen werden. Nur auf diese Weise werde die Berufsausübung in cooperatio Dei möglich. Im Beruf könne der Mensch am fortgesetzten göttlichen Erhaltungshandeln und damit am Wirken Gottes in der Welt teilhaben. Die alltägliche Arbeit bzw. das Werk, orientiert an Nächstenliebe, geschieht im Zusammenwirken mit Gott. Diese cooperatio Dei sei häufig in den Larven Gottes, also den schwierigen Umständen, verborgen. Insgesamt sind die Werke bei Luther jedoch unerheblich fürs Heil. Demnach konstituiert das Werk bzw. auch die Arbeit nicht den Sinn des Lebens, sondern dieser entsteht aus dem rechtfertigenden und gnädigen Handeln Gottes. Auf diese Weise wird das Werk eher zu einem „Pol der Ruhe“336. Meireis konstatiert trotz einiger Unterschiede337 zwischen Luthertum und Calvinismus doch große Gemeinsamkeiten hinsichtlich der Arbeit: Zwar betonen beispielsweise die Pietisten den innerlichen Beruf, die englischen Puritaner hingegen Methode und Effizienz, dennoch stehen sowohl die lutherische als auch die calvinistische Richtung für die theologische Aufwertung der alltäglichen Lebensvollzüge bzw. der Arbeit gegenüber religiösen Betätigungen wie Wallfahrten und dem Mönchsstand. Dennoch bleibt berufliches Tätigsein/Dienst/Arbeit bis zur Aufklärung dem soteriologischen Handeln Gottes nachgeordnet.338 Das Arbeitsverständnis Luthers zeigt ganz anders als beispielsweise bei Bacon einen stärker sozial-konservierenden Impetus gegen336 Frey 1983, S. 122. 337 Das Luthertum akzentuiert beim Berufsgedanken insbesondere den Gehorsamsaspekt. Dagegen wird in der calvinistischen Tradition der berufliche Erfolg zum Kriterium für gelingende bzw. gesegnete Tätigkeit. Für den Lutheraner ist der gehorsame berufliche Dienst einzig sicheres Kennzeichen der Befolgung des göttlichen Willens (Befolgung der gottgeschaffenen Ordnungen sowie Dienst am gegebenen Ort). Der Puritaner hingegen erkennt im Gelingen der beruflichen Arbeit die eigene soteriologische Erwählung. 338 Vgl. Meireis 2008, S. 93.

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über möglicher fortschrittlicher Dynamik.339 Die lutherische Berufstheologie erfährt in der Folge der reformatorischen Bewegung breite Aufnahme. Meireis meint, die Wirkung des lutherischen Berufs-Begriffs im deutschen Sprachraum sei kaum zu überschätzen.340 Bei der Rezeption der lutherischen Berufstheologie bleibt kritisch mitzuführen, dass die Lebenswelt des 16. Jh. (mittelalterliche, theozentrische Gesellschaft) maßgeblich von einer ausdifferenzierten, kapitalistischen Moderne zu unterscheiden ist.341 Luthers Aussagen zu Arbeit sowie Beruf können demnach nicht einfach in gewandelten gesellschaftlichen Bedingungen appliziert werden. Denn Luther und seine Zeitgenossen rechneten nicht mit umfänglichen Modernisierungsprozessen; vielmehr sahen sie das Eschaton unmittelbar bevorstehen.342 „Das alltägliche Werk der Reformation entfaltet sich um einen Pol der Ruhe; Arbeit schafft nicht den Sinn des Lebens; die Prediger der Aufklärung hingegen versetzen die Menschen in steten Fortschritt, der nicht zur Ruhe kommt und doch den Sinn des Lebens herstellen will.“343 Veränderte Arbeitsbedingungen und die gesamtgesellschaftlichen Säkularisierungs- und Ausdifferenzierungstendenzen formieren sich in folgender Weise: Die Gesellschaft […] differenzierte sich selbst in der Weise, daß an die Stelle des ursprünglich dynamischen Systems der Drei-Stände-Lehre eine Verselbstständigung der Bereiche einsetzte, die in ihrer Eigengesetzlichkeit zu einer Pluriformität führte, die die gesellschaftlichen Kräfte auseinanderdriften ließ.344

Die lutherische Berufstheologie wird in diesem Kontext adaptiert und als innere Haltung bzw. treuer Dienst in den sich schnell verändernden sozialen Zusammenhängen, die aber durch Gott angeordnet sind, konzipiert. Zum protestantischen Arbeitsverständnis der beginnenden Neuzeit gehört, dass die Arbeit selbst oder auch das Produkt nicht maßgeblich sind, vielmehr die Haltung gegenüber Gott sei entscheidend.345 Im geschichtlichen Verlauf kombiniert sich dieses Arbeitsverständnis mit einer Interpretation der Zwei-Reiche-Lehre im Sinne einer strikten Trennung von Kirche und Welt bzw. Staat. Durch diese selektive Adaption der lutherischen Theologie seit dem 19. Jh. wird eine funktionale Unterscheidung der Regimenter (Kirche und Welt bzw. Staat) getroffen. Auf diese Weise werden Kirche und Welt als vollkommen voneinander losgelöst stilisiert. Diese sind geschlossene Systeme, die je eigene, voneinander 339 Vgl. Wingren 1952, S. 35. 340 Vgl. Meireis 2008, S. 65. 341 Frey erinnert daran „dem Sinn lutherischer Aussagen zu Beruf und Arbeitswelt wird nur gerecht, wer festhält, wie sehr sich die Lebenswelt des 16. Jahrhunderts und der Alltag der industriellen Periode unterscheiden.“ Frey 1983, S. 111. 342 Vgl. Meireis 2008, S. 80. 343 Frey 1983, S. 122. 344 Rohloff 1997, S. 148. 345 Vgl. Rohloff 1997, S. 149.

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unabhängige Logiken haben. In diesem Sinn werden die Welt-, Gesellschafts- und auch Arbeitszusammenhänge als vollkommen eigenständig verstanden: „Weil [damit] diese gesellschaftlichen Bereiche nicht in religiöser Perspektive in den Blick genommen werden dürfen, gilt theologische Stellungnahme oder gar Kritik letztlich als ausgeschlossen.“346 Die neulutherische Theologie zu Beginn des 20. Jh. bezeichnete die getrennten Bereiche theologisch als Schöpfungsordnungen bzw. Erhaltungsordnungen347, die nur ihren Eigenlogiken folgten. Auf diese Weise wird das theologische Repertoire (Zwei-Reich-Lehre, Schöpfungsordnungen), das das statische Welt- und Gesellschaftsverständnis des 16. Jh. widerspiegelt auf den zeitgeschichtlichen Kontext des 20. Jh. appliziert: Gesellschaftlich-technischer Fortschrittsoptimismus, Nationalismus, industrieller Kapitalismus usw. werden mit der theologischen Bewertung einer göttlichüberzeitlichen Setzung, einer Schöpfungsordnung, belegt. Darüber hinaus wirken sich diese Fortschreibungen lutherischer Berufstheologie auch unmittelbar auf die faktischen Arbeitsbedingungen aus. Insbesondere haben das lutherische Verbot des Berufswechsels und die Forderung des treuen Annehmens der eigenen Position desaströse Effekte auf das seit der Industrialisierung entstandene Prekariat, das theologisch zum Verharren in ihrer Position animiert wird. Die agrarisch-subsistenzartigen Verhältnisse des 16. Jh. hatten sich hin zu einer industrialisierten, technisierten und entpersonalisierten sowie kapitalisierten Produktion gewandelt. Die entstandene soziale Ungleichheit wird durch das lutherische Berufsverständnis stabilisiert. Alles in allem ist es jedoch schwierig, die Berufstheologie Luthers, die auf der Annahme einer agrarischen Gesellschaft mit hoher sozialräumlicher Nähe fußt, ohne größere Schwierigkeiten auf die Situation des nationalstaatlichen Kapitalismus des 19. und 20. Jh. zu übertragen.348 Trotz dieser Warnungen vor einer Vereinnahmung lutherischer Berufstheologie ist festzuhalten, dass der wertschätzende reformatorische Blick auf Arbeit zusammen mit der räumlichen Entgrenzung und dem wirtschaftlichen Wandel neue Arbeitsperspektiven ermöglicht: „Die Aufwertung der Arbeit eröffnet die Perspektive ihrer Aufhebung.“349

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Meireis 2008, S. 86. Vgl. z. B. dazu: Althaus 1931; Althaus 1934. Vgl. Meireis 2008, S. 85. Arndt 2001, S. 100.

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2.3.5 Arbeit als Beitrag zu menschlichem Fortschritt und Verengung auf Lohnarbeit – Neuzeitliche Perspektiven auf Arbeit Arbeit in der Neuzeit ist in großem Maße von der sich konstituierenden kapitalistischen Wirtschaftsweise geprägt. Diese entwickelt sich ausgehend von physiokratischen bzw. merkantilistischen Wirtschaftssystemen hin zum modernen globalisierten Kapitalismus. Die wirtschaftlich-sozialen Prozesse stehen in unmittelbarer Wechselwirkung mit den Bedingungen von Arbeit sowie dem Arbeitsverständnis. Im Folgenden wird die Konstitution des modernen Arbeitsbegriffs skizziert (2.3.5.1) und wesentliche neuzeitliche Arbeitshoffnungen nachvollzogen. Die entsprechenden Thesen sind: Produktive Arbeit sichert das Gemeinwohl (2.3.5.2), Arbeit als Weg der Selbstverwirklichung und Selbstbewusstseinswerdung (2.3.5.3), Industrielle Arbeit entfremdet den Menschen (2.3.5.4), Lohn- und Erwerbsarbeit sind Berufs-Arbeit (2.3.5.5). Resultierend daraus wird ein Fazit gezogen (2.3.5.6) und ein Ausblick auf kontemporäre Arbeitsperspektiven (2.3.5.7) gewagt. 2.3.5.1 Arbeit in der Neuzeit In der Neuzeit ereignete sich eine vielfache Entgrenzung menschlicher Lebenssowie Arbeitswelten, die Jochum eine dreifache „Sphärenrevolution“350 nennt. Demnach wird erstens der Raum der Ozeanosphäre351 eröffnet. Zweitens wird die Erdtiefe durch den Metallabbau zugänglich. Schließlich werden drittens eschatologisch-transzendente Himmelserwartungen astronomisch-naturwissenschaftlich erreichbar. Auf diese Weise wird der gesamte Kosmos zugänglich und menschlich be-arbeitbar. Die publizierten Technik- bzw. Maschinenbücher und utopische Entwürfe, wie der Francis Bacons, sehen in technischmanueller Tätigkeit die Chance zur Befreiung aus weltlicher Not sowie der Rückkehr zum paradiesischen Urzustand.352 Es herrscht eine „Vision der Vervollkommnung der Welt durch Wissenschaft, Technik und Arbeit. […] Das neuzeitliche Verständnis von Arbeit ist zutiefst geprägt durch diese Verwandlung der christlichen Eschatologie in ein technizistisch-scientifisches Fortschrittsprojekt.“353

350 Jochum 2010, S. 97. 351 Das meint die Erforschung der Tiefen des Ozeans und die Kolonialisierung der beiden Amerikas sowie die darauffolgende Entwicklung des planetarischen Weltbilds. 352 Vgl. Jochum 2010, S. 104ff. 353 Jochum 2010, S. 106.

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Die merkantilistische354 bzw. physiokratische355 Wirtschaftspolitik des 16. und 17. Jh. in den absolutistischen Staaten regulierte die frühkapitalistischen Verhältnisse streng und forderte die gehorsame Eingliederung in die ständische Ordnung (Berufstreue, Gebet für die Machthabenden). Von daher kamen fortschrittsorientierte sowie positiv-technische Arbeitsvorstellungen nur bedingt zur Geltung. In der Aufklärung verlor die lebenszeitlich-andauernde gesellschaftliche Aufgabe (Stand) als göttlich angeordneter Beruf an Relevanz und zugleich gewannen intensivierte Arbeitsteilung sowie bürgerlicher Erwerb an Bedeutung. Wenn theologisch von Berufstreue gesprochen wird, schwingt vermehrt ein Leistungsaspekt mit, der Beruf weniger als Vorbereitung auf Jenseitiges versteht, sondern auf Fortschritt im Diesseitigen setzt.356 „Stetige Leistungssteigerung und -verbesserung wird zum Ziel, Pflichterfüllung im Fortschrittszusammenhang der eigentliche Inhalt der Religion.“357 In der Aufklärung wird Beruf zum diesseitig bestimmten Dienst (bzw. zur Pflicht) an der sozialen Gemeinschaft.358 In der frühen Neuzeit (16.–18. Jh.) begünstigen die wirtschaftlichen sowie sozialen Veränderungen des 17. bzw. 18. Jh. (sukzessive Durchsetzung des Kapitalismus359 und staatenbildende Politik der absolutistischen Fürsten) die Durchsetzung eines allgemeinen positiven Arbeitsbegriffs. Arbeit beinhaltet demnach körperliche sowie geistige Tätigkeiten, welche intentional zur Bedürfnisbefriedigung getan werden und damit Teil des menschlichen Daseins sind.360 Insgesamt wurden auch die merkantilistisch-physiokratischen wirtschaftspolitischen Vorstellungen sukzessive zugunsten des ökonomischen Liberalismus abgelöst. Die liberale Wirtschaftstheorie und die liberale ökonomische Praxis bewirken eine zunehmende Ökonomisierung des Arbeitsbegriffs, d. h. die starke Verknüpfung zwischen Arbeit und Lohn.

354 Der Merkantilismus ist eine Form frühkapitalistischer Wirtschaftspolitik, die sowohl Produktion als auch Export förderte, um den staatlichen Reichtum bzw. Macht zu vergrößern. 355 Das physiokratische Wirtschaftssystem ist stark reguliert, wobei die Landwirtschaft besonders bevorzugt wird. Durch günstige Steuergesetze sowie Zölle hat eine Vielzahl der Menschen, ähnlich wie im Merkantilismus, teil am erwirtschafteten Reichtum. François Quesnay (1694–1774) ist ein Vertreter des Physiokratismus und Jean-Baptiste Colbert (1619–1683) ein Vertreter des Merkantilismus. 356 Schlingensiepen-Pogge 1967, S. 126ff. Demgegenüber kam dem Beruf bei Luther keinerlei sittliche Qualität zu und durch den Beruf konstituierte sich nicht das Selbstbewusstsein des Menschen. Der Beruf der Aufklärung ist demgegenüber das Tätigsein des schöpferischen Menschen, wobei Arbeitsamkeit und Fleiß zu den geforderten Qualitäten werden. 357 Meireis 2008, S. 96. 358 Vgl. Schlingensiepen-Pogge 1967, S. 132. 359 Fernhandel, protoindustrielle Heimwirtschaft und Großlandwirtschaft gehören zu den Vorläufern des industriellen Kapitalismus. 360 Vgl. Kocka 2003, S. 82.

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2.3.5.1.1 Ökonomisierte Arbeit – Lohnarbeit Kocka definiert Lohnarbeit als Tätigkeit unter Tauschverhältnissen zwischen Arbeitnehmerin und Arbeitgebenden, die unter festgelegten Bedingungen und gegen Gehaltszahlung die Arbeitskraft zur Verfügung gestellt bekommen. Der Tausch wird in (zumindest formal) freiwilligen361, vertraglichen Absprachen formalisiert. Die Arbeitsbeziehung ist zeitlich begrenzt und kann beiderseits durch Kündigung beendet werden.362 In der kapitalistischen Wirtschaftsordnung wird das Prinzip der Kommodifizierung konsequent auf menschliches Tätigsein angewendet. Dadurch wird Lohnarbeit zur dominanten Arbeitsform. Dementsprechend wird die gesellschaftliche Arbeitswelt größtenteils nach kapitalistischen Logiken organisiert und kapitalistischer Erwerb wird zum entscheidenden Modus der Existenzsicherung sowie gesellschaftlicher Teilhabe. Dagegen war in vorkapitalistischer Zeit Lohnarbeit nur in geringem Maße üblich: wenn, dann handelte es sich um besitzlose Erwachsene und Kinder, die umherzogen, um bei Bauern, Kaufleuten, Handwerkern und anderen mächtigen Personen gegen Entgelt zu arbeiten.363 Über einen längeren Zeitraum modifizierten sich die traditionell feudalistisch geprägten Sozialformen zu stärker kapitalistisch orientierten Arbeitsformen. Im Speziellen sind es die Lockerung der Herrschafts- und Schollenbindung, die Lösung des engen Handwerksgesellen-Meister-Verhältnisses, die steigende Einbeziehung von Hilfsarbeiter*innen in der Landwirtschaft bzw. im Handwerk sowie intensivierte überregionale Handelsbeziehungen, die zur Verbreitung von Lohnarbeit beitrugen. Kocka gibt an, dass Mitte des 16. Jh. rund ein Viertel der Bevölkerung lohnabhängig tätig war. Diese Zahl wuchs bereits Ende des 18. Jh. auf mehr als 50 % an. Spätestens im 19. Jh. ist Lohnarbeit zum Massenphänomen westlicher Gesellschaften geworden.364 Dabei half im Westen die teils revolutionär und durch Krieg […], meist aber reformerisch durchgesetzte, dann sich meist über Jahrzehnte hinschleppende Abschaffung jener traditionellen Ordnungen, die in der einen oder anderen Weise unfreie Arbeit stabilisiert hatten. Zu nennen sind das Verbot […] des Sklavenhandels, […] der Sklaverei, […] der ‚Indentur‘, jener Knechtschaft auf Zeit365 […], Anschaffung der 361 Diese Freiwilligkeit ist jedoch eingeschränkt, da in der Regel Lohnarbeit zur Sicherung der Existenz eingegangen werden muss. Ferner erlauben auch die Abhängigkeit von Vorgesetzten oder Regelungen bezüglich dieser Arbeit nur relative Freiwilligkeit. 362 Vgl. Kocka 2013, S. 99. 363 Diese wurden als Tagelöhner, Hilfs-, Gelegenheits-, Wander- oder Saisonarbeiter und Hilfskräfte bezeichnet. 364 Vgl. Kocka 2013, S. 99. 365 Durch den „indentured service“ wird die eigene Arbeitskraft für einige Jahre als Preis für die transatlantische Überfahrt verpfändet. In den USA wurde diese zeitlich begrenzte Verpfändung streng von Sklaverei oder Leibeigenschaft unterschieden und als moderne

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Leibeigenschaft […] sowie die Aufhebung oder Schwächung der Zunftordnungen im Zuge der Durchsetzung der ‚Gewerbefreiheit‘.366

Es wird deutlich, dass Lohnarbeit mit der engen Verknüpfung von Arbeit und Lohn zum entscheidenden Faktor der Existenzsicherung sowie gesellschaftlichen Teilhabe wird. Die sukzessive Ausbreitung von Lohnarbeit bzw. auch einem ökonomisierten Arbeitsbegriff ist bedingt durch die Entwicklung des industriellen Kapitalismus. 2.3.5.1.2 Tätigkeit in der industrialisierten Arbeitswelt Industrialisierung367 umschreibt einen Wirtschaftswandelprozess, der folgendermaßen gekennzeichnet ist: stetig steigendes Erzeugungswachstum (mindestens 1,5 %) pro Kopf und Jahr über mehrere Jahrzehnte, mindestens gleichermaßen zunehmendes Einkommen, Nutzung neuer Energie (fossile Brennstoffe) und neuer Technologien sowie mechanisierte Fabrikproduktion in Großbetrieben als vorherrschende Produktionsform.368 Die weitreichende Verbreitung von Technologien369 eingeschlossen der Gebrauch komplexer Maschinen betrieben mit fossiler Energie, v. a. seit der zweiten Hälfte des 18. Jh., begründen die „Epoche der Technologie der Maschine“370. Die Maschine wird zum zentralen Vergleichspunkt für Natur, d. h. Körper- und

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Arbeitsform zu Beginn des 19. Jh. im Übergang zur „freien“ Arbeit begriffen. (Vgl. Osterhammel 2009, S. 1005.) Kocka 2013, S. 102. Die Wendung „Industrielle Revolution“ wird von Historikerinnen exklusiv für den Wirtschaftswandel zwischen 1750 und 1850 in Großbritannien verwendet. Dieser industrielle Wirtschaftswandelprozess in England wurde maßgeblich durch drei Faktoren begünstigt: Erstens hatte die wachsende Mittelschicht des 18. Jh. großes Konsuminteresse (Luxusgüter). Zweitens war Großbritannien zu dieser Zeit intensiv im Überseehandel vernetzt bzw. war als Kolonialmacht einflussreich (Rohstoff- und Produktmärkte). Drittens hatten sich zu Beginn des 18. Jh. in Großbritannien wissenschaftlich-theoretische Forschung und praktischmanuelle Arbeit einander angenähert, was technologische Innovation (vielfältige Neuerungen, Neben- und Folgeerfindungen) begünstigte. Ähnliche Industrialisierungsprozesse, wie der in England, ereigneten sich bald auch in den Niederlanden, Nordfrankreich, Flandern, Zentraljapan etc. All diesen Industrialisierungsprozessen waren die Hochschätzung von Arbeit, ein ausgeprägtes Fleißideal, eine hochentwickelte bzw. hochproduktive Landwirtschaft sowie hohe Produktion für den Export und schließlich eine leistungsfähige bäuerliche bzw. textile Produktion gemeinsam. (Vgl. Osterhammel 2009, S. 917.) Vgl. Osterhammel 2009, S. 916. Technologien, die nicht mehr nur einfache Werkzeuge (betrieben mit menschlicher oder tierischer Kraft) sind. Popitz 1989, S. 11. Dieser Phase gehen die Maschinenbücher sowie die mittelalterliche Wind- und Wassernutzung voraus. Das große Veränderungspotential dieser Maschinen und Technologien wurde maßgeblich erst durch die Verbreitung von Maschinen, die andere als menschlichtierische Energien nutzten, zugänglich.

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Umweltprozesse.371 Der Liberalismus, die wirtschaftliche Konzentration auf die kapitalistische Güterproduktion, das Prinzip der Kosten-Nutzen- bzw. Gewinnmaximierung sowie die gesteigerte soziale Reichweite der Arbeitsbeziehungen führte sukzessive zu weitreichenden Veränderungen des Arbeitsbegriffs (insbesondere hinsichtlich der Geld- und Leistungsdimension).372 Die vertiefte Arbeitsteilung und die zeitlich getakteten Arbeitsabschnitte industrialisierter Tätigkeit geben dem Aspekt der Zeit eine immense Bedeutung für das Arbeitsverständnis. Demgegenüber war vorindustrielle Arbeit durch andere Zeitregime wie Jahreszeiten, liturgische Kalender oder Hausabläufe strukturiert. Ferner erhält auch der Raum-Arbeits-Bezug eine veränderte Bedeutung im Kapitalismus, da seit der Industrialisierung Arbeit häufig außerhalb des Hauses bzw. Dorfes in Fabriken oder an anderen Arbeitsplätzen stattfindet. Auf diese Weise wird die Unterscheidung von Lohn- bzw. Erwerbsarbeit und anderen Formen der Arbeit manifestiert. Mit Beginn der Industrialisierung setzt sich die Differenzierung zwischen unbezahlter Haus- und entlohnter Erwerbsarbeit flächendeckend durch. Nachfolgend werden Stimmen mit dezidierten Perspektivierungen und je eigene Akzente für den modernen Arbeitsbegriff aufgeführt.

2.3.5.2 Produktive Arbeit sichert das Gemeinwohl – Adam Smith Adam Smith (1723–1790), der Vater der klassischen Nationalökonomie373, konzipierte die Theorie einer arbeitsteiligen Marktgesellschaft unter Bezugnahme auf seine Arbeitswertlehre.374 Die Aufgabe des Staats sei die Schaffung eines freien, ökonomischen Raums, um ein freies Spiel der (Markt-)Kräfte zu gewähren. Den Individuen müsse die Verfolgung ihrer egoistischen Einzelinteressen in größtmöglichem Umfang gestattet werden, denn dies führe zum 371 Vgl. Popitz 1989, S. 10ff. 372 Vgl. Frambach 2002, S. 231. 373 Smith 1970; Smith und Hanley 2009. Als weitere Vertreter sind zu nennen: Frühe Klassiker: Thomas Hobbes (1588–1679), John Locke (1632–1704); Klassiker: Adam Smith (1732–1790), Jeremy Bentham (1748–1832), David Ricardo (1772–1836), James Mill (1773–1836); Nachklassiker: John Stuart Mill (1806–1873). (Vgl. Pfetsch 2003, S. 216.) 374 Demnach sei der Wert einer Ware durch die investierte Arbeitszeit zu bestimmen, denn alle Waren sind vergegenständlichte Arbeit. Die Smith’sche Arbeitswertlehre beinhaltet auch die Unterscheidung zwischen Tausch- und Gebrauchswert. Der Gebrauchswert entspricht dem subjektiven Nutzen der Ware. Der Tauschwert hingegen ist das objektive Austauschverhältnis Güter-Waren, was in monetären Werten ausgedrückt wird. Die Arbeitswertlehre Smiths findet über Ricardo Eingang bei Marx. Insgesamt konzentrieren sich Smith, Marx sowie die ganze Neoklassik auf den objektiven Tauschwert. Im Gegensatz dazu versuchen Volkswissenschaftler wie Joseph Schumpeter, Friedrich August von Hayek oder Vilfredo Pareto, den Gebrauchsnutzen zum bestimmenden Faktor ihrer ökonomischen Grenznutzentheorie zu machen.

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bestmöglichen Ergebnis für alle und zu gesellschaftlichem Wohlstand.375 Für Smith ist Arbeit keine anthropologische Grundkonstante, sondern durch menschliche Existenzsicherung und Egoismus angetrieben.376 „People work, not because work is an expression of their humanity, but in order to satisfy their needs, raging from physical necessities to fascination with ‚frivolous objects‘.“377 Arbeit bzw. gelingende Arbeitsteilung378 seien die alleinige Quelle von Produktivitäts- sowie Effektivitätssteigerungen und auf diese Weise von gesellschaftlichem Fortschritt in Form von wirtschaftlichem Wachstum bzw. Reichtum. Nicht jede Arbeit würde Reichtum generieren, denn nach Smith sind produktive und unproduktive Arbeit zu differenzieren.379 Ultimately, labor is productive for Adam Smith if it is expended in such a way as to permit its ‘storage’ – i. e., if it is incorporated into a product which can be employed, or consumed, at some future date. The output of productive labor thus becomes a store of value, having money like properties.380

Produktive Arbeit sei entsprechend dem hohen Produktivitätsgrad, deren Umfang von der investierten Arbeit abhänge, mit einem graduell erhöhten Warenwert zu bemessen. Unproduktive Arbeit dagegen sei nicht gut tauschbar, da diese Arbeitsform keine Wertspeicherung in Produktform zulasse.381 In der Konsequenz ergeben sich nach Smith für unproduktive Arbeit geringe Warenwerte sowie niedrige oder keine Entlohnung. Um Löhne und ökonomisches Wachstum zu steigern, sei Arbeitsteilung mit dem Schwerpunkt auf produktiver Arbeit zu favorisieren.382 Ferner stärke die Spezialisierung bzw. Ausdifferenzierung in einzelne Arbeitsschritte die bestehenden Interdependenzen und folglich auch den sozialen Zusammenhalt. Die einzelne Arbeiter*in könne ihre Arbeitskraft als Tauschprodukt am Markt einsetzen. Da jeder Arbeitsschritt zur Erstellung des Produkts nötig sei, trägt dies nach Smith zur Emanzipation der 375 Partikularinteressen seien positiv, natürlich (aus menschlichen Handlungs- und Tauschtrieb begründet) und regulierten die Gesamtgesellschaft. Diese Einzelinteressen sind nach Smith durch die freiwillige Anerkennung von gemeinsamen Gesetzen sowie Regeln in einem Staat begrenzt. 376 Vgl. Pfetsch 2003, S. 226. 377 Volf 2001, S. 50. 378 Gelingende Arbeitsteilung ist nach Smith durch industrielle Rationalität in einem fabrikähnlichen System gekennzeichnet. 379 Vgl. McNulty 1973, S. 345. 380 McNulty 1973, S. 351. 381 Die Arbeit einer Dienstbot*in beispielsweise ist nach Smith unproduktive Arbeit, da das Ergebnis dieser Tätigkeit nicht in einem Warenwert gespeichert werden kann. Im Anschluss daran bezieht sich Marx in seiner ökonomischen Theorie auch auf das Gegensatzpaar produktiver und unproduktiver Arbeit. Bei Marx jedoch wäre die Arbeit einer Bot*in, wenn sie der Herr*in kapitalisierten Gewinn verschafft, produktive Arbeit. Unproduktive Arbeit ist nach Marx, Tätigkeit, die nicht lohnabhängig organisiert ist. 382 Vgl. McNulty 1973, S. 354.

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Arbeiter*in aus paternalistisch-philanthropischen Verhältnissen bei. Die intellektuell-moralisch-körperlichen Einschränkungen des von Smith imaginierten kleinteiligen sowie monotonen Vollzugs des immer gleichen Arbeitsschritts müssten zugunsten der vielfältigen gesamtgesellschaftlichen Gewinne in Kauf genommen werden.383 Die volkswirtschaftliche Theorie Smiths mit ihrer Konzentration auf einen produktorientierten Arbeitsbegriff im kapitalistischen Kontext sowie die Prämisse, dass ökonomischer Egoismus (Marktmechanismen) bestmöglich zum Gemeinwohl aller beiträgt, wurde im Arbeitsverständnis des sich entfaltenden industriellen Kapitalismus leitend. Smiths enge Verknüpfung von Arbeit und Lohn wirft lange Schatten auf den kapitalisierten Arbeitsbegriff der Gegenwart.384 Denn „die von den klassischen Nationalökonomen intensiv geführte Produktivitätsdiskussion bringt es mit sich, daß Arbeit kaum mehr unter einem anderen Gesichtspunkt als dem der Produktivität diskutiert wird, und dies stützt die Auffassung von Arbeit als rein ökonomisches Objekt.“385 Die klassische Nationalökonomik wurde vielfach kritisiert386, dennoch konstituierte sich die Ökonomie im Anschluss mit ähnlichen Grundannahmen. Ökonomie sei demnach rationale Wissenschaft, am Kosten-Nutzen-Kalkül orientiert, und von daher wird sowohl in klassisch-neoklassischer d. h. neoliberaler387 als auch keynensianischer bzw. ordoliberaler388 Fassung ausnahmslos die Verengung von Arbeit auf erwerbsarbeiterische Tätigkeit vorausgesetzt.

383 Vgl. Hill 2007, S. 346 Ferner wird als Ausgleich für die negativen Folgen einer solchen Arbeitsteilung öffentliche Bildung und Erziehung angeboten. 384 Im Anschluss an Smith entwickelt sich die neoklassische ökonomische Theorie (z. B. Léon Walras (1834–1910)), die sich am naturwissenschaftlichen Vorbild selbst als rationallogische Wissenschaft konstruiert. Für dieses Anliegen sind nicht die soziale Lage der Arbeitenden, sondern exakte Begriffe sowie wirtschaftliche Gesetze leitend. In diesem Sinne bestimmt das ökonomische Kosten-Nutzen-Kalkül menschliche Arbeit als physikalische Energie, welche vom Menschen geistig oder körperlich zur Erlangung von Nutzen aufgebracht wird. Der Energieaufwand ist für die neoklassische Wirtschaftstheorie eine klar berechenbare Größe, die Eingang in das Kosten-Nutzen-Kalkül findet. (Vgl. Frambach 2002, S. 234.) 385 Frambach 1999, S. 418. 386 Die Kritik der klassischen Nationalökonomik ist durch die massiven sozialen Verwerfungen bedingt, die diese Wirtschaftsordnung impliziert. Demgegenüber entwickeln der Sozialismus, die romantisch-ethische Nationalökonomik sowie die deutsche historische Schule unterschiedliche wirtschaftspolitische Alternativen. 387 Friedrich v. Hayek, Ludwig v. Mises und Milton Friedman. 388 John Maynard Keynes.

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2.3.5.3 Arbeit als Weg der Selbstbewusstwerdung und Selbstverwirklichung – Georg Wilhelm Friedrich Hegel Die Philosophie Georg Wilhelm Friedrich Hegels (1770–1831) nimmt einen vielfältigen Arbeitsbegriff auf, der sowohl ökonomische als auch geistige Arbeit umfasst, und alle Arbeitsformen grundlegend zur menschlichen Existenz gehörig begreift. Arbeit sei der Modus der selbstbestimmten Weltaneignung und sei Teil des menschlichen Befreiungsprozesses. Mit der Herren-Knechts-Parabel389 illustriert Hegel seine Dialektik und dabei trägt menschliche Tätigkeit bzw. Arbeit wesentlich zur Transformation bei: Die aktive Arbeit des Knechts führt diesen schrittweise aus seiner untergeordneten Sklavenmentalität heraus. Denn durch die praktizierte Naturherrschaft gewinnt der Knecht ein neues Selbstverständnis – er ist demnach „mehr“ als ein Abhängiger. Arbeit leitet die Selbstbewusstwerdung des Sklaven an und dieser gewinnt schließlich Selbstbewusstsein und damit Unabhängigkeit von seinem Herren. Das Selbstbewusstsein der Herren ist durch die ihm entgegengebrachte Anerkennung des Sklaven bedingt. Indem der Herr seine Umwelt passiv genießt und nicht arbeitet, mangelt es ihm an Austausch mit seiner Umwelt, was in der Konsequenz sein Selbstbewusstsein schmälert. Die Nicht-Arbeit bzw. die Passivität führt in sklavische Abhängigkeiten. Mit dieser Parabel veranschaulicht Hegel seine dialektische Methode, wobei die menschliche Arbeit wesentlich zur Selbstbewusstwerdung des Menschen beiträgt.390 „Die dialektische Grundfigur der Arbeit ist bei Hegel das Bei-sich-sein-im-Anderssein.“391 Durch den arbeitenden Prozess werde das selbstbewusste und verantwortliche Ich des Menschen konstituiert. Ob der Mensch sich nun an ökonomischen oder kulturellen Zwecken abarbeitet oder dieses von Erfolg gekrönt ist, ist für Hegel irrelevant. Entscheidend sei alleine die durch Arbeit angestoßene Transformation des menschlichen Selbst- und Weltverhältnisses: Arbeit ist das bewusste Hervorbringen, bei dem der Mensch in einem Selbstentäußerungs- und Aneignungsprozess zu sich selbst kommt. Mit der Annahme, dass menschliche Arbeit wesentlich ein Akt der Selbstbestimmung sowie Motor der Selbstbewusstseinswerdung sei, vertritt Hegel einen typisch modernen Arbeitsbegriff. Gegenwärtig wird dieser in den Schlagworten „Selbstverwirklichung“ durch die Tätigkeit fassbar.

389 Vgl. v. a. „Abschnitt B. Selbstbewusstsein IV.A. Selbstständigkeit und Unselbstständigkeit des Selbstbewusstseins; Herrschaft und Knechtschaft“ (Hegel 1983, S. 145–155.) 390 Vgl. Pfetsch 2003, S. 424. 391 Frambach 1999, S. 136.

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2.3.5.4 Industrialisierte Arbeit entfremdet den Menschen – Karl Marx Karl Marx (1818–1883) nimmt anders als Hegel die empirischen Bedingungen industrialisierter Lohnarbeit zum Ausgangspunkt seiner Arbeitsbestimmung. Allgemein definiert sei Arbeit im Anschluss an Hegel ein Weltaneignungsprozess, aber auch eine anthropologische Grundkonstante392. Durch lebendige, körperliche aber zugleich auch immer geistige Tätigkeit werde die vorgefundene Welt beherrscht und umgeformt. Die Arbeit führe, weil sie aktive Selbstbeherrschung sei, auch stets zur Selbstveränderung des Arbeitenden. Dem Hegel’schen Idealismus mit der arbeitenden Entäußerung und Rückgewinnung des Menschen ordnet Marx die Produktions- bzw. Arbeitsbedingungen sowie das Produkt bei. Ob entsprechende Arbeit zur menschlichen Selbstbewusstseinsbildung geeignet sei, könne nur in Anhängigkeit von Arbeitsbedingungen und -ergebnis bestimmt werden.393 Marx problematisiert die im Smith’schen Sinne hochgeschätzte Arbeitsteilung. Denn die Spezialisierung einzelner Arbeitsschritte und deren monotoner Vollzug entfremde den Menschen von sich selbst, dem Produkt und den körperlichen sowie intellektuellen Momenten seiner Arbeit. Ferner knüpft Marx an die Arbeitswerttheorie Smiths394 mit der Unterscheidung von Gebrauchswert und Tauschwert an. Der Tauschwert der Arbeitskraft müsste dem benötigten Aufwand zur Wiederherstellung der Arbeitskraft (also den Ausgaben für Kleidung, Nahrung, Bildung der Kinder usw.) entsprechen. Marx kritisiert, dass unter kapitalistischen Bedingungen der Tauschwert für die Arbeitskraft zu niedrig angesetzt wird, da die Arbeiterinnen zu lange arbeiten müssen. Die Differenz zwischen dem gezahlten Tauschwert für die Arbeitskraft und dem erzielten Tauschwert für das Produkt ergibt den durch den Fabrikanten erwirtschafteten Mehrwert. Der Fabrikant bzw. Arbeitgebende kann sich die Produktionsmittel dauerhaft aneignen und die Arbeiter*in wird langfristig depriviert.395 Letztlich kritisiert Marx, dass die Arbeitskraft selbst warenförmigen Charakter annimmt und die Arbeiter*in auf diese Weise zum Objekt 392 Arbeit sei Naturprozess des Naturwesens Mensch mit seiner natürlichen Anlage zum Tätigsein. 393 Vgl. Voß 2010, S. 32. 394 Dabei bezieht Marx den Tauschwert nicht nur auf Produkte, sondern auch auf Dienstleistungstätigkeiten. 395 „Die kapitalistische Produktion beruht darauf, daß der produktive Arbeiter seine eigene Arbeitskraft, als seine Ware, dem Kapitalisten verkauft, in dessen Händen sie dann bloß als ein Element seines produktiven Kapitals fungiert. Diese, der Zirkulation angehörige Transaktion – Verkauf und Kauf der Arbeitskraft –, leitet nicht nur den Produktionsprozeß ein, sondern bestimmt implizit seinen spezifischen Charakter. Die Produktion eines Gebrauchswerts und selbst die einer Ware, (denn diese kann auch seitens unabhängiger produktiver Arbeiter hervorgehen), ist hier nur Mittel für die Produktion von absolutem und relativem Mehrwert für den Kapitalisten.“ (Marx 1963, S. 384.)

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wird – verdinglicht wird. Arbeit unter kapitalistischen Bedingungen sei demnach fremdbestimmt und enthumanisiert und führe zu weitreichender gesellschaftlicher Ungleichheit.396 Marx nimmt die Realität der industriekapitalistischen Arbeitswelt zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen und konstatiert, dass das gesellschaftliche Sein (Produktionsverhältnisse der kapitalistischen Gesellschaft) das Bewusstsein bestimme. (Hegel hingegen sieht Gesellschaft und auch Arbeit durch die geistig-denkerische Bewegung bestimmt.)397 Marx will nicht Arbeit per se, sondern nur Arbeit unter kapitalistischen Produktionsbedingungen überwinden. In Marx‘ utopischem Entwurf bleibt die Notwendigkeit der Arbeit, wenn auch in geringerem Umfang, bestehen.398 Mit seinem utopischen Konzept einer klassenlosen Gesellschaft stellt Marx eine Form des Zusammenlebens vor, in der Arbeit (in geringerem Umfang) weiterhin bestünde, aber nicht durch den Waren- bzw. Geldfetisch verstellt wäre. Arbeit würde unter solchen Bedingungen einer allgemein menschlichen Grundbeschäftigung sowie der Selbstbewusstwerdung entsprechen.

2.3.5.5 Lohn- bzw. Erwerbsarbeit als Beruf – Max Weber Max Webers (1864–1920) „Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ (1904 bzw. 1905) illustriert unabhängig von der These des kausalen Zusammenhangs protestantischer Theologie und der Entstehung des modernen Kapitalismus399, dass zu Beginn des 20. Jh. Lohnarbeit bzw. Berufsarbeit Grundlage des menschlichen Lebens geworden sind und eine hohe kapitalistische Konsumorientierung die Gesellschaft leitet.400 Bedingt durch die moderne Rationalität bzw. Säkularität habe der Terminus Beruf als ein genuin religiöser Begriff seine religiöse Komponente eingebüßt. Beruf solle demnach „jene Spezifizierung, Spezialisierung und Kombination von Leistungen einer Person heißen, welche für sie Grundlage einer kontinuierlichen Versorgungs- oder Erwerbschance ist.“401 In diesen Formulierungen Webers wird klar nachvollziehbar, dass spätestens seit Beginn des 20.Jh. der lutherisch forcierte „Beruf“ eng ans Ziel Geldverdienen gekoppelt ist. Die gesellschaftliche Dimension der Ständeordnung war bereits verschwunden und die Aspekte Berufsstolz und Standesbewusstsein treten zugunsten von Rationalität, Effektivität, Pünktlichkeit und 396 397 398 399 400

Vgl. Gamm 1997, S. 33. Und daher bestimmt bei Hegel das Bewusstsein das gesellschaftliche Sein. Vgl. Arndt 2001, S. 104. Vgl. Conze 1972, S. 166; Wallerstein 1986, S. 213. „Der Mensch ist auf das Erwerben als Zweck seines Lebens, nicht mehr das Erwerben auf den Menschen als Mittel zum Zweck der Befriedigung seiner materiellen Lebensbedürfnisse bezogen.“ (Weber 1988, S. 35.) 401 Weber 2002, S. 80.

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Schnelligkeit in den Hintergrund. Der Berufsbegriff wurde ähnlich wie der Arbeitsbegriff im Zuge der wirtschaftlichen Veränderungen ökonomisch verengt.

2.3.5.6 Neuzeitliche Perspektiven auf Arbeit und Arbeitswelt – Fazit In der Neuzeit hat sich die Perspektive auf Arbeit sukzessive und grundsätzlich gewandelt. Arbeit wird zwar noch als anstrengend klassifiziert, ist aber zugleich Motor des menschlich-gesellschaftlichen Fortschritts. Mit Technologie- und Maschineneinsatz wird die umgebende Welt bearbeitet in der Hoffnung eine bessere Gesellschaft sowie ein besseres Leben zu ermöglichen. Ökonomische Theorien und der sich durchsetzende Kapitalismus bzw. die ausdifferenzierte Arbeitsteilung mit Tausch- und Preismechanismen machen Arbeit als produktive und tauschbare Tätigkeit zum Zentrum neuzeitlicher Arbeitsperspektiven. Die aristotelische Hierarchisierung von Arbeit bleibt zwar in gewissem Maße402 bestehen, jedoch wird die Dimension der Entlohnung bzw. Organisierung von Arbeit als Erwerbsarbeit zum determinierenden Faktor, was richtige bzw. gesellschaftlich relevante Arbeit angeht. Die Mehrheit der Arbeitsdebatten fokussiert auf einen limitierten Arbeitsbegriff (Erwerbsarbeit)403, welcher suggeriert, Arbeit erstrecke sich allein auf Grundsicherung und Gewinnmaximierung. Die vielen anderen Gründe für menschliche Arbeit sowie unbezahlte Arbeitszusammenhänge werden außer Acht gelassen. In dieser Verengung auf (abhängige) Erwerbsarbeit zeigt sich „das große Gewicht der Ökonomie für die gesamte Lebenswelt“404. Von daher ist die Sprachkonvention, unter Arbeit zuallererst Erwerbsarbeit zu verstehen, nachvollziehbar.405 Weiterhin verweist dieses Arbeitsverständnis auf die grundlegende Erfordernis von Erwerbsarbeit für gesellschaftliche Integration und Teilhabe innerhalb einer kapitalistischen Gesellschaft.406 Ferner ist der Aspekt Selbstbewusstseinswerdung bzw. Selbstverwirklichung für die neuzeitliche Arbeitswelt von Belang. In der Nachfolge Hegels wird 402 403 404 405

Denn Eliten bevorzugen weiterhin universitäre Bildung etc. Vgl. Frambach 1999, S. 413ff. Frambach 1999, S. 443. Dazu sei exemplarisch der Arbeits- und Industriesoziologe Jochum zitiert, der über den Arbeitsbegriff seiner Disziplin Auskunft gibt: „Die industriegesellschaftliche Erwerbsarbeit wird dabei zum kulturell dominierenden Standardmodell der Gestalt von Arbeit, das dann auch in der klassischen Arbeits- und Industriesoziologie zum Leitbild wird.“ (Jochum 2010, S. 110.) 406 Beispielsweise wird im deutschen Wohlfahrtsstaat die Mehrheit der Sozialleistungen gemäß dem Prinzip der Reziprozität verteilt. Dieses Prinzip festigt die zentrale Rolle der Erwerbsarbeit. (Vgl. Kaufmann 2003.) Ferner ist. die Grundsicherung Hartz IV in der Weise konzipiert, dass ohne eine Teilhabe am ersten Arbeitsmarkt mit gesellschaftlicher Exklusion in großem Umfang zu rechnen ist. (Butterwegge 2015.)

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Arbeit, in der Regel Erwerbsarbeit, mit dem Ziel Selbstwerdung bzw. Selbstverwirklichung motiviert. Im Anschluss an Marx müssen jedoch hinsichtlich des ökonomisierten Arbeitsbegriffs stets die Bedingungen und Ergebnisse dieser Arbeit bedacht werden. Denn der neuzeitlichen Arbeit eignet auch stets das Potential, nicht den menschlichen Fortschritt und seine Befreiung von der Mühe voranzubringen, sondern gerade durch die kontemporär bestehende kapitalistische Arbeitsorganisierung den Menschen zu enthumanisieren und gutes Leben zu verhindern. Schließlich verliert der multidimensionale Berufsbegriff mit der Konzentration auf Erwerbsarbeit an Bedeutung. In diesem neuzeitlichen Zusammenhang gehört also die Verankerung des Berufsbegriffs im ständischen Gesellschaftshintergrund der Vergangenheit an, aber mit ihr auch seine theologische Dimension.

2.3.5.7 Moderne Perspektiven auf Arbeit Frambach bestätigt den umfangreichen Bedeutungsverlust des Berufsbegriffs auch für die Gegenwart. Beruf ist kein klar bestimmtes Tätigkeitsfeld mehr oder wie noch in den 1950er Jahren eine lebenslang bzw. dauerhaft ausgeübte Tätigkeit zur Sicherung der Lebensgrundlage. Der Terminus Beruf ist so diffus geworden, dass er gegenwärtig „jede Teilnahme am volkswirtschaftlichen Produktionsprozess […] unabhängig von der Erfordernis einer Berufsausbildung, von der Dauer und Art der Ausübung und dem Ausmaß […] [meint] – entscheidend ist ausschließlich das Kriterium des Erwerbs, des Geldverdienens.“407 Dies gilt in sehr ähnlicher Weise für „Arbeit“, die gegenwärtig weithin auf lohnabhängige Tätigkeit verengt ist. Kritische Reflexion erfährt dieser Arbeitsbegriff seitens alternativ-ökonomischer, soziologischer sowie philosophischer Konzeptionen. Dementsprechend thematisieren Ansätze wie Dualwirtschaft (informeller und formeller Arbeitssektor), Schattenwirtschaft, Eigenwirtschaft usw. die Existenz sowie den Stellenwert von Arbeitszweigen, die in der traditionellen Ökonomie unberücksichtigt bleiben. Aus dieser Blickrichtung setzten sich feministische sowie informelle Arbeitstheorien für einen revidierten Arbeitsbegriff ein. Denn Arbeit sei auch jenseits von Produktorientierung, Naturbeherrschung und Entlohnung Arbeit. Die Dimensionen Macht, Gender usw. seien bei der Bestimmung von Arbeit als solcher kritisch zu bedenken. Jedoch ist der ökonomische Arbeitsbegriff (Arbeit als Lohnarbeit) äußerst beständig, da dieser durch das bestehende Wirtschafts- und Gesellschaftssystem (Renten- und Existenzsicherung) in seiner zentralen Funktion kontinuierlich reproduziert wird. 407 Frambach 2002, S. 235.

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2.3.6 Theologische Arbeitsperspektiven in der modernen Arbeitswelt Neben bereits dargelegten Arbeitsperspektiven werden nun die spezifischen theologischen Arbeitsperspektiven seit Beginn der Neuzeit skizziert. Besonders bedenkenswert ist die bereits genannte lutherische Berufstheologie, die als ein Deutungsschema des 16. Jh. auch im geschichtlichen Verlauf intensiv rezipiert wurde (2.3.6.1). Schließlich jedoch wandelte sich die theologische Deutung von Tätigkeit von Beruf hin zu Arbeit, dies geschah insbesondere seit Beginn des 20. Jh. (2.3.6.2). Abschließend werden die spärlichen theologischen Arbeitsdebatten mit dem Fokus Erwerbsarbeit seit dem Zweiten Weltkrieg thematisiert (2.3.6.3). 2.3.6.1 Berufstheologie des 16. Jh. als Deutungsschema der modernen Arbeitswelt Im Folgenden wird die theologische Deutung der kapitalistischen Arbeitswelt mittels agrarisch-geprägter Schemata im Allgemeinen und dann im Speziellen anhand der Theologie Albrecht Benjamin Ritschls illustriert. 2.3.6.2 Die theologische Deutung mit agrarisch-geprägten Schemata in der kapitalistischen Arbeitswelt Die sich stark verändernden Arbeitsformen (Lohnarbeit) und Arbeitsbedingungen (industrielle Arbeit) werden in der theologischen Debatte im 19. und bis mindestens Mitte des 20. Jh. nicht ausreichend berücksichtigt.408 Theo408 Dies trifft auch auf die diakonische Bewegung zu, die sich zumeist stärker mit den sozialen Implikationen der kapitalistischen Gesellschaftsordnung befasste. Die auf dem ersten Kirchentag 1848 und Wicherns Stegreifrede folgende stärkere Koordinierung (Gründung des Central-Ausschusses für die Innere Mission der deutschen evangelischen Kirche) und Forcierung (Gründung weiterer Hilfsvereine und Initiativen) der diakonischen Arbeit hatte explizit Personenkreise, die unter den kapitalistischen Arbeitsbedingungen litten, zur Zielgruppe. Jedoch waren dabei v. a. soziale Fürsorge und Hilfe die Hauptinteressen der diakonischen Bewegung. Ein eigener Arbeitsbegriff oder politisch-theologische Forderungen für gelingende Arbeit sind vordergründig meist nicht zu erkennen. Die religiösen Sozialist*innen hingegen befassten sich explizit mit der Lage der Arbeitenden sowie den kapitalistischen Arbeitsbedingungen. Ausgehend vom Reich-Gottes-Begriff problematisierten sie die Arbeitswelt ihrer Zeit. Meist fehlt in diesem Zusammenhang jedoch eine eigene theologische Bestimmung von Beruf bzw. Arbeit. Einen solchen möglichen Begriff beispielsweise auf Grundlage der Schriften Hermann Kutters oder Leonhardt Ragaz nachzubilden, ist ein ausstehendes Forschungsdesiderat. Schließlich bilden nur „Schleiermacher und Rothe […] eine Ausnahme. – Die durchschnittliche evangelische Ethik ging auf die durch die Produktionsverhältnisse geschaffenen Arbeitsbedingungen nicht ein und behandelte das Problem der Arbeit als Frage des Berufsethos.“ (Honecker 1978, 648.) Schleiermacher kritisiert die Monotonie industrieller

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logen versuchen, sich in dieser neuen industriellen Arbeitswelt mit dem Arbeitsverständnis von agrarisch-handwerklichen Gesellschaften zurechtzufinden. Dementsprechend gilt Honeckers Schlussfolgerung: Die theologische Ethik […] tradierte weithin lediglich die überkommenen Deutungen der Arbeit, ohne zu bedenken, inwieweit die neuzeitlichen Änderungen in Arbeitsauffassung und Arbeitsorganisation auch diese ihre Deutungsmuster betrifft. […] So wird in der evangelischen Theologie vor allem das Gebot zur Arbeit eingeschärft (II Thess 3,10) und die Thematik der Arbeit vornehmlich unter dem Oberbegriff des Berufes (so noch A. Ritschl) oder des Standes abgehandelt.409

2.3.6.3 Die gesellschaftliche (Arbeits-)Position als göttlich angeordneter Beruf – Albrecht Benjamin Ritschl Meireis hält Ritschls Berufskonzept für das „Paradigma theologischer Erfassung der Arbeitsfrage im Protestantismus der beginnenden Arbeitsgesellschaft.“410 Denn an Ritschls Entwurf kann die Schwierigkeit bzw. Sprachlosigkeit evangelischer Theologie hinsichtlich der zeitgenössischen (prekären) Arbeitswelt und der wachsenden gesellschaftlichen Ungleichheit mit den konservierenden Kategorien der Reformation hervorragend illustriert werden. Albrecht Benjamin Ritschl (1822–1889) verortet Arbeit bzw. Beruf in seiner Reich-Gottes-Theologie als Möglichkeit der Teilhabe an diesem (in ethischer Dimension). Das Werk Jesu Christi411 bezeichnet er mit lutherischer Terminologie als Beruf 412, den dieser treu erfüllt habe. In dieser Manier zeichne sich christliches Handeln durch die treue Erfüllung und Arbeit im Beruf innerhalb der natürlichen Ordnungen (Staat, Wirtschaft, Familie usw.) aus.413 Konkreter definiert Ritschl jede regelmäßige Tätigkeit zum Nutzen anderer Personen als Beruf, der pflichtgemäß entsprechend der christlichen Sendung zu verwirklichen sei. Die christliche Berufsarbeit sei treu am jeweiligen sozialen Ort zu leisten. Insgesamt ist Berufsarbeit nach Ritschl die ethisch-konkrete Antwort auf die Freiheit eines Christenmenschen.414 In der Phase der umfassenden Modernisierung inklusive Industrialisierung greift Ritschl auf das berufsständische Denken des ausgehenden Mittelalters

409 410 411 412 413 414

Arbeit und bezeichnet diese als unwürdig. Arbeit solle demgegenüber ein freies und geistiges Leben ermöglichen. Anknüpfend an diesen warnt auch Richard Rothe vor den sittlichen Gefahren der kapitalistischen Arbeitswelt. (Vgl. Honecker 1978, S. 646ff.) Honecker 1978, S. 640. Meireis 2008, S. 106. Damit knüpft er an Schleiermacher an. Jesu Leben und Sterben bezeichnet Ritschl als ein Leben in christlicher Berufstreue. Vgl. Lessing 2000, S. 40. Vgl. Axt-Piscalar 2014, S. 288. Axt-Piscalar 2014, S. 289.

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zurück und qualifiziert die Lebens- sowie Arbeitswelt des ausgehenden 19. Jh. als festgefügte göttliche Ordnungen. Von daher sieht er keinen Anlass, soziale Ungleichheit zu kritisieren oder die Emanzipationsforderungen der Marginalisierten zu unterstützen. Das Industrieproletariat solle sein berufliches Kreuz geduldig ertragen. Ritschl nimmt zwar treffend die aufklärerische Tätigkeitsorientierung für die zeitgenössische Arbeitswelt auf. Indem er aber christliches Erlösungshandeln und ethisches Handeln stärker voneinander trennt (Lösung der vocatio interna von der voactio externa), fehlen ihm ausgehend vom Evangelium Traditionen zum theologischen Einspruch gegen die zeitgenössische Arbeitswelt. In der industrialisierten Arbeitswelt vertritt Ritschl eine eher reaktionär-konservierende Arbeitsposition.415 Ganz allgemein eignet seinem Arbeitsbegriff ein weiter Charakter (alle Tätigkeiten zum Nutzen des Nächsten), der jedoch durch die Kontextualisierung in der industrialisierten Arbeitswelt Arbeit v. a. als Lohnarbeit interpretiert. 2.3.6.4 Der Wandel theologischer Deutung von Beruf zur Arbeit In der theologischen Auseinandersetzung mit der Arbeitswelt wird im 20. Jh. noch von einigen Autoren der Terminus Beruf gewählt, indes wandelt sich diese Sprachkonvention sukzessive vom Berufs- hin zum Arbeitsbegriff. Hierbei wird häufig eine göttliche Anordnung von Beruf bzw. Arbeit impliziert. Nach Gatzen können die theologischen Berufs- bzw. Arbeitsvorstellungen des 20. Jh. anhand der systematischen Verortung im Apostolicum klassifiziert werden. Demnach spreche die Einordnung von Arbeit im 1. Artikel für einen Tätigkeitsbegriff, der diesen ganz den Bereichen Schöpfung, Vorsehung, Erhaltung und Gesetz zuordnet. Arbeit wird damit zwar innerhalb der Theologie bestimmt, jedoch unabhängig von der Soteriologie bzw. dem 2. und 3. Artikel gedacht. Dies führe in der Tendenz zu einer eher konservierenden Haltung gegenüber der Arbeitswelt ihrer Zeit. Gatzen entsprechend fallen die Entwürfe Wünschs, Seebergs, Althaus‘, Trillhaas‘ oder auch Fuchs‘ in dieses Schema. Demgegenüber impliziere eine Verhandlung von Berufung bzw. Arbeit im 2. und 3. Artikel, dass die Berufung die Handlungsfolge der göttlichen Offenbarung sei. Ferner sei menschliche Arbeit bzw. Beruf Ausdruck des Gehorsams gegenüber Gott sowie seinem Gesetz. Wird Arbeit in dieser Weise eingegliedert, eröffnet sich ein größerer Spielraum hinsichtlich der theologischen Konkretion der Arbeit sowie der kritischen Auseinandersetzung mit der empirischen Arbeitswelt. Gatzen folgend fallen die Entwürfe Thielickes, Brunners, Bonhoeffers und Barths in dieses Schema.416 415 Vgl. Meireis 2008, S. 106. 416 Vgl. Gatzen 1964, S. 230.

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Die theologischen Konzepte des 20. Jh. nehmen durchaus die Arbeitsthematik auf und qualifizieren menschliches Tätigsein als Arbeit. Es werden biblischtheologische Arbeitsbestimmungen vorgenommen, die jedoch häufig unverbunden neben der Praxis der zeitgenössischen industriellen Arbeitswelt stehen. Es besteht eine Kluft zwischen dem Anspruch evangelischer Ethik, an biblischen und reformatorischen Einsichten sich auszurichten, und der Wirklichkeit moderner Industriearbeit. Biblische Überlieferung und empirische Beobachtung stehen oft unverbunden nebeneinander.417

Emil Brunners (1889–1966) theologischer Arbeitskonzeption gelingt es, im Gegensatz zu vielen anderen Theologen, sich der modernen Arbeitswelt theologisch unter Aufnahme der Begriffe Arbeit sowie Beruf zu nähern. Arbeit sei göttliche Schöpfungsordnung und gottgegebener Beruf zum Dienst am Nächsten. Von daher sei eine Klassifizierung der Arbeit in manuell-geringgeschätzte und geistlich-hochwertige Tätigkeiten unangebracht.418 Zur Bewertung sei die soziale Kategorie Dienlichkeit gegenüber dem Nächsten angebracht. Ferner solle gottgewollte Arbeit durch Ruhe bzw. Muße begrenzt werden. Brunner problematisiert das kapitalistische Wirtschaftssystem sowie das maßlose, menschliche Weltbeherrschungsstreben als widersprüchlich mit der Perspektive der Gottesherrschaft. Brunners Kritik der „Zivilisationsdämonie“, die Dinge Menschen vorordnet und die Verobjektivierung der Menschen statt der Menschlichkeit propagiert, nimmt die Marx’sche Entfremdungsthese auf. In seiner Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Arbeitswelt zieht Brunner schließlich das Fazit: Das „Annehmen des Berufs aus Gottes Hand [wird] dem Einzelnen fast unmöglich gemacht durch die tatsächlichen Arbeitsverhältnisse.“419 Brunners Aussagen zu industrialisierter Arbeit formulieren theologische Kritik und fordern implizit eine Veränderung der Arbeitswelt. Eine Konkretion, wie christlicherseits Arbeit zu verstehen sei, fehlt allerdings. Brunner spricht zwar auch noch vom Beruf, dieser tritt aber in der Folge zugunsten des Arbeitsbegriffs in den Hintergrund, wenn es um die Befassung mit konkreten Tätigkeiten geht. In den theologischen Entwürfen wird die generelle Verengung des Arbeits- bzw. auch Berufsbegriffs auf ökonomisierte Tätigkeiten wirksam. Die Aufnahme des Arbeitsbegriffs trägt zum einen den veränderten Arbeitsrealitäten und zum anderen der zentralen Rolle von Erwerbsarbeit zur Existenzsicherung sowie gesellschaftlicher Teilhabe Rechnung. Andererseits führt die Konzentration auf den Terminus Arbeit, in seiner auf Lohnarbeit verengten Variante, zur Sprachlosigkeit der Theologie gegenüber Tätigkeiten 417 Honecker 1978, S. 653. 418 „Der Adel der Arbeit fließt nicht mehr aus ihrem Was sondern aus ihrem Warum.“ (Brunner 1939, S. 374.) 419 Brunner 1939, S. 379.

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bzw. Arbeit, die nicht erwerbsförmig gestaltet ist. Der lutherische Berufsbegriff hatte in seiner Vieldimensionalität, die mit der ständischen Gesellschaft verwoben war, einen gewissen Sprachraum, über verschiedene gesellschaftliche Positionen sowie Tätigkeiten ins Gespräch zu kommen und diese theologisch zu beschreiben. Indem aber der Berufsbegriff aus diesem Kontext gelöst wird und zum Beruf im Weber’schen Sinne bzw. zur (Erwerbs-)Arbeit wird, geraten Teile der menschlichen Arbeitswelt aus dem theologischen Blick. Mit dem ökonomisierten Arbeitsbegriff werden Vergesellschaftungsprozesse menschlicher Arbeit häufig zum unhinterfragten Ausgangspunkt der theologischen Befassung mit Arbeit.

2.3.6.5 Arbeit als Erwerbsarbeit in der theologischen Betrachtung nach dem Zweiten Weltkrieg Der Berufsbegriff findet in der theologischen Nachkriegsliteratur zu Arbeit kaum420 noch Beachtung. Der lutherische Beruf war durch viele Wandlungsprozesse hindurch vom Begriff einer gesellschaftlich-sozialen Verantwortungsposition in der göttlich wohlgeordneten Welt zum Terminus für eine lohnarbeiterisch ausgeführte Tätigkeit geworden. Meireis erörtert wie folgt: Da auch ausgewiesene Lutherkenner zunehmend davon ausgehen, dass Luthers Berufsbegriff sich nicht unmittelbar auf hochindustrielle Verhältnisse anwenden lässt, nimmt der theologische Rekurs auf diesen Begriff in der Arbeitsfrage nur noch eine marginale Position ein.421

Diese Feststellung Meireis’ ist insofern für die kirchlich-theologische Beschäftigung mit Arbeitszusammenhängen außerhalb der Kirche und Diakonie, also in der industriellen oder wirtschaftlichen Arbeitswelt äußerst zutreffend, wie im Folgenden gezeigt werden wird. Denn nach dem Zweiten Weltkrieg findet eine Zuwendung v. a. zu den lohnabhängigen Tätigkeiten in der Arbeitswelt, d. h. in der Regel außerhalb von Kirche und Diakonie statt. Die theologische Konzentration auf Arbeit, im Sinne von Erwerbsarbeit, lässt sowohl Kirche als auch Diakonie gegenüber anderen Arbeitsformen wie freiwilliger und fürsorgender Tätigkeit verstummen. Über Meireis hinausgehend gilt, dass „Beruf“ bzw. „Berufung“, losgelöst von den modernen Arbeitsbedingungen und der modernen gesellschaftlichen Ausdifferenzierung, noch im Blick nach Innen, d. h. auf die kirchlich-diakoni420 Die historisch orientierten Untersuchungen von Wingren, Auer und Vontobel setzen sich zwar vorrangig mit dem lutherischen Berufsbegriff auseinander, ziehen aber kaum Verbindungslinien vom lutherischen Beruf zu moderner Erwerbsarbeit. (Vgl. Wingren 1952; Auer 1966; Vontobel 1946.) 421 Meireis 2008, S. 184.

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schen Tätigkeiten bzw. Arbeit Anwendung findet. Zwar bildet sich auch in Kirche und Diakonie die moderne Arbeitswelt ab, jedoch wird in kirchlich-diakonischen Zusammenhängen gerne von Beruf, Berufung oder auch Diensten bzw. Ämtern gesprochen. Dies gilt in besonderer Weise in Kirchenverfassungen, Ordinationsund pastoraltheologischen Debatten. In Bezug auf die kirchlich-diakonischen Arbeitsverhältnisse wird, wie die Untersuchung der „Dienstgemeinschaft“ gezeigt hat, eine moderne arbeitsteilige Organisation vorrangig mit dem Terminus des Dienstes beschrieben. Demnach gilt über weite Strecken, dass die kirchlich-theologische Arbeitsdebatte sich v. a. der außerkirchlichen sowie außerdiakonischen Arbeitswelt widmet. Die theologischen Arbeitsdebatten werden im Folgenden seit der unmittelbaren Nachkriegszeit, in den 1970er Jahren sowie in der Gegenwart nachvollzogen. 2.3.6.5.1 Die Hochzeit der theologisch-kirchlichen Beschäftigung mit Arbeit seit dem Zweiten Weltkrieg Nach dem Zweiten Weltkrieg ist die Hochzeit des Arbeitsbegriffs eingeläutet und im kirchlichen Leben Deutschlands ist die Frage nach dem rechten (biblischen) Verständnis der Arbeit erst recht in Fluß gekommen. Sozialethische Anschlüsse, evangelische Akademien und die evangelischen Kirchentage haben diese Probleme immer wieder auf ihre Tagesordnung gesetzt und bereits beachtliche Verlautbarungen […] hervorgebracht.422

Kirche bzw. Theologie stellen sich den Fragen sowie Anliegen der Erwerbsarbeitswelt: Wie kann und soll moderne industrielle Arbeit organisiert werden? Wie kann die Arbeiterschaft als kirchlich entfremdetes Klientel erreicht werden? Durch Analyse der veränderten Arbeitsbedingungen sowie entsprechende Handlungsempfehlungen wollen Kirche/Theologie auf die Gestaltung der Arbeitswelt in der jungen BRD hinwirken.423 Darüber hinaus wird die Arbeiterschaft zur Zielgruppe kirchlich-theologischer Literatur, von Tagungen oder auch Verlautbarungen.424 Ferner thematisieren die Kirchentage zu Beginn der 1950er Jahre Arbeit. Das 1952 in Vorbereitung erschienene Heft „Brüder bei der Arbeit“425 bringt Theologen und Gewerkschafter über den Sinn von Arbeit miteinander ins Gespräch. In der Arbeitswelt dieser Zeit würde die eigene Arbeit häufig als sinnlos verstanden, von daher ist die sinnvolle, d. h. dem Nächsten 422 Bienert 1954, S. 13. 423 Dazu z. B. Kirche im Volk 1951b. 424 Beispielsweise veranstaltete die Evangelische Akademie Hermannsburg „Tage der Stille und Besinnung für Arbeitgeber und Arbeitnehmende“. Im Jahr 1949 finden neun dieser Tagungen statt und im Jahr darauf wird das Arbeits-Programm um „Tage des Gesprächs für leitende Männer in der Wirtschaft“ erweitert. (Vgl. Pabst 1992, S. 118.) 425 Kirche im Volk 1951a.

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dienende Arbeit, eine „Wohltat des Wortes“426. Die kirchentagliche Beschäftigung mit Arbeit inspirierte die Konstitution von Netzwerken wie dem AHK (Arbeitsgemeinschaft Handwerk und Kirche). Die AHK wurde 1952 von Handwerkern bzw. dem Arbeitsbereich Männerarbeit in der Kirche auf dem Stuttgarter Kirchentag gegründet. Neben der protestantischen Kirche zeigte auch die ökumenische Bewegung vertieftes Interesse an der Arbeitswelt. Sowohl bei der Gründungsversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen als auch bei der Vollversammlung in Evanston 1954 sprach J.H. Oldham über Arbeitsbedingungen und Wünsche der Arbeiterschaft.427 Oldham war außerdem einer der ersten, der gegenwärtig eine spezifische Theologie der Arbeit428 formuliert. Demnach solle der christliche Glaube in der Arbeitswelt praktisch werden, denn „ein jenseitiges Verständnis des Christentums mag das Interesse der Theologen fesseln, aber es lässt die Christen, die in der Welt leben und an ihrem Tun teilnehmen müssen, ohne Weisung über den Sinn ihrer täglichen Arbeit.“429 Arbeit sei nur dann christlicherseits legitim, wenn diese Gott und dem Nächsten bzw. der Gemeinschaft der Menschen diene. Es gäbe daher keine christlich neutrale berufliche Tätigkeit, sondern jedwede Arbeit müsse sich daran messen, ob sie Anteil am göttlichen Erhaltungswillen habe.430 Eine christliche Arbeitslehre will keine neue Art von theologischem Beruhigungsmittel sein. Eins wird eine solide theologische Lehre von der Arbeit nicht tun, sie wird der großen Masse der Menschen nicht sagen, Gott fordere von ihnen, nunmehr aus theologischen Gründen das weiter zu tun, was sie bereits aus wirtschaftlichen Gründen tun. [… Denn] alle Arten der Arbeit in der modernen Gesellschaft verlangen im Lichte des christlichen Lebensverständnisses geprüft zu werden.431

Oldham bezieht christlich-theologisch Stellung zur Aufgabe der Christ*innen in der Arbeitswelt. Im Blick auf die „moderne Arbeitswelt“432 sticht bei den Kirchen nach dem Zweiten Weltkrieg dennoch die mangelhafte Beziehung zur Arbeiterschaft ins Auge. Die Entfremdung von Kirche und Arbeiter*innenschaft insgesamt hatte eine bis in die Anfänge der Industrialisierung zurückreichende Vorgeschichte:433 Die Allianz von Thron und Altar zusammen mit einer Zwei426 427 428 429 430

Kirche im Volk 1951a, S. 27. Vgl. Ostring 2014, S. 60. Oldham 1950. Oldham 1950, S. 63. „Man kann nicht leicht sagen, dass es starke religiöse Gründe für die Wahl einer weltlichen Beschäftigung statt einer anderen gibt. Alle solche Stellungen bieten, solange sie den wirklichen Bedürfnissen der menschlichen Gesellschaft dienen, die Möglichkeit, Gott und den Menschen zu dienen.“ (Oldham 1950, S. 82.) 431 Oldham 1950, S. 83. 432 Kirche im Volk 1955. 433 Vgl. dazu näherhin: Rehm 2017.

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Reiche-Lehre, die die Obrigkeit göttlich legitimierte sowie einem Berufsverständnis, das Berufswechsel ausschloss und Berufstreue forderte, drängte v. a. die prekäre Arbeiter*innenschaft an den Rand. Die soziale Lage der Arbeiter*innen wurde theologisch rationalisiert und als das von Gott auferlegte treu zu tragende Kreuz interpretiert. Zwar engagierten sich die Kirchen karitativ für die Marginalisierten, Revolution, politischer Widerstand, gewerkschaftliche Organisierung oder kommunistisch-sozialistische Umverteilung jedoch lehnte die Mehrheit434 der kirchlich- protestantischen435 Kreise ab. Diese Grundorientierung gegenüber den Arbeiter*innenanliegen trug zusätzlich zu den allgemeinen Effekten der Modernisierung bzw. Verstädterung maßgeblich zur belasteten, äußerst distanzierten Beziehung von Arbeiterschaft und Kirchen bei. Um dieses Verhältnis zu verbessern, suchten die Kirchen nach der NS-Diktatur Kontakt zu Gewerkschaften bzw. zur Arbeiter*innenschaft. In den Landeskirchen sowie auf EKDEbene wurden in den 1950er Jahren Arbeitsbereiche für die Betreuung, Begleitung und Vertretung der Arbeitnehmer*innenschaft eingerichtet. Innerhalb der EKD wurde 1952 das „Evangelische Arbeiterwerk“ und die evangelische Aktionsgemeinschaft für Arbeiterfragen436 gegründet. Die in den Landeskirchen etablierten Stellen wie Sozialsekretär*innen, Industriepfarrer*innen oder Kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt wurden in Dachorganisationen zusammengeschlossen; der Kirchliche Dienst in der Arbeitswelt (KDA) schließt seit 1976 die entsprechenden Bemühungen EKD-weit zusammen. Der KDA wurde 2011 zusammen mit anderen Akteuren437 auf EKD-Ebene im Evangelischen 434 Neben dieser Mehrheit engagierte sich auch eine Minderheit für die Anliegen der Arbeiter. Zu der Gruppe, die sich explizit für das Wohl der Arbeiterschaft einsetzte, gehörten insbesondere die christlichen Gewerkschaften, die v. a. auch aus katholischen Arbeitervereinen entstanden waren und die atheistische Ausrichtung anderer Gewerkschaften nicht teilten. „Auch wenn sich bei der Gründung der Christlichen Gewerkschaften in den [18]90er Jahren ohne Zweifel mehrere Traditionslinien überlagerten, so sahen sie sich doch selbst vor allem eingebunden in die Kontinuität der kirchlich-religiös orientierten Sozialreform. Gerade unter dem Aspekt der Aufgabenstellung (Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Arbeiter), der Organisationsform und schließlich der Praxis in tarif- und sozialpolitischen Auseinandersetzungen knüpften die Christlichen Gewerkschaften jedoch an die Tradition der Gewerkschaftsbewegung an.“ (Schneider 1981, S. 711) 1899 bzw. 1900 wurde der Verband christlicher Gewerkschaften als Dachverband geschaffen, der aber durchaus die Gründung vieler einzelner regionaler oder berufsspezifischer Gewerkschaftsgründungen beförderte. Bei Konstitution des Dachverbands wurden rund 80.000 Mitglieder (1900) gezählt. Diese Zahl stieg rasch an und vor Kriegsbeginn 1912 lag die Zahl bei fast 400.000 Mitgliedern. 1920 hatten die christlichen Gewerkschaften 1.400.000 Mitglieder und kurz vor ihrem Verbot noch 700.000 (1931) Mitglieder. (Vgl. Schneider 1981, S. 714.) 435 Eine stärkere Aufnahme des Anliegens der Arbeiterbewegung bzw. eine Auseinandersetzung mit der sozialen Frage findet tendenziell katholischerseits (z. B. 1864 durch Ketteler 2013) bzw. auch aus reformierter Perspektive (beispielsweise durch Leonhard Ragaz und seine Maurerstreikpredigt 1903) statt. 436 AkfA. 437 KDA, AHK und BVEA (Bundesverband Evangelischer Arbeitnehmerorganisationen e.V.

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Verband Kirche Wirtschaft Arbeitswelt (KWA) eingebunden. Anliegen des KWA sind Gesellschafts-, Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik.438 Die etablierten Strukturen kommunizieren das insgesamt gestiegene kirchliche Interesse an der modernen Arbeitswelt mit dem Akzent auf Lohnarbeit. Seltsamerweise stehen v. a. Arbeitsstrukturen außerhalb der kirchlichen Organisationen im Fokus der Beschäftigung – die Arbeitswelt in der Kirche bzw. Diakonie selbst bleibt weitgehend unbeachtet. 2.3.6.5.2 Die theologische Betrachtung von gefährdeter Erwerbsarbeit seit den Wirtschaftskrisen der 1970er Jahre „In der evangelischen Theologie ist die Arbeit erst im Zusammenhang mit dem neuen Auftreten einer erheblichen Arbeitslosigkeit in den meisten […] Industrienationen wieder nennenswert als Thema in den Vordergrund getreten.“439 Die Arbeitslosenzahlen waren seit den 1970er Jahren440 deutlich gestiegen und das große theologische Interesse zeigt sich exemplarisch an der Jahrestagung der Gesellschaft für Evangelische Theologie (1979) mit dem thematischen Schwerpunkt „Recht auf Arbeit. Sinn der Arbeit.“441 In diesen Arbeitsdiskursen votiert Brakelmann für ein Recht auf Arbeit442 als „Verpflichtung der Solidar438 Vgl. Evangelischer Verband Kirche, Wirtschaft, Arbeitswelt. 439 Koch 1992, S. 64. 440 Die Arbeitslosenzahlen stiegen insbesondere im Zusammenhang der beiden Ölpreiskrisen 1973 bzw. 1980/81. In den folgenden Wirtschaftskrisen stiegen die Arbeitslosenzahlen je drastisch an. 441 Vier Referate nähern sich dem Arbeitsthema an: Brakelmann 1979; Zimmerli 1979; Moltmann 1979; Klappert 1979. In den biblisch-theologischen Vorträgen erläutern Zimmerli und Klappert neu- sowie alttestamentliche Aspekte zur „Arbeit“. Zimmerli nimmt unterschiedliche atl. Traditionsstränge auf. Den Herrschafts- und Mehrungsauftrag versteht Zimmerli als Auftrag zur gestaltenden Arbeit in der Welt. Weiterhin sei die gebotene Arbeit in Bezug zur Sabbatruhe als Teilhabe an Gottes Ruhe gegenüber ständiger Arbeit zu denken. Schließlich bleibe auch der Aspekt der Mühe der Arbeit, kommend von Gen 3, erhalten. Zimmerlis Arbeits-Bild ist alles in allem durch vielfältige atl. Traditionen geprägt. (Vgl. Zimmerli 1979, S. 42.) Darüber hinaus erweitert Klappert die nur schöpfungstheologische Perspektive auf Arbeit um eine versöhnungstheologisch-eschatologische Bestimmung menschlicher Arbeit. Als Ausgangpunkt wählt Klappert Phil 2,6–11. Im Philliperhymnus werde eine Reich-GottesTheologie entfaltet und der Mensch durch Gottes Freiheits-, Friedens- und Rechtshandeln, also Gottes Arbeit zur Mitarbeit am Gottesreich befähigt. Klappert fordert daher besonders seitens der Kirche die Umsetzung dieser freien Arbeit, seitens der Gesellschaft sei eine Humanisierung der Arbeitswelt an der Zeit. (Vgl. Klappert 1979, S. 86.) 442 Das „Recht auf Arbeit“ stellt eine sozialpolitische Teilhabeforderung dar, die in dieser Art beispielsweise in Art. 163 WRV gegeben war. Im GG hingegen existiert kein solches Teilhaberecht. Jedoch wird in Art. 23 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte das Recht auf Arbeit benannt. Dieses Recht auf Arbeit wird im UN-Sozialpaket (Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte – IPWSKR) 1966 spezifiziert. Art. 6 formuliert: „Die Vertragsstaaten erkennen das Recht auf Arbeit an, welches das Recht jedes

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gemeinschaft der arbeitsfähigen Mitglieder permanent in den Arbeitsprozess einzubinden.“443 Arbeit sei Tätigkeit zur Existenzsicherung, welche aber in der Gegenwart häufig hochtechnisiert und dadurch entfremdet sei. Dagegen sei humane Arbeit in den sozialen Kontext eingebunden und nicht nur durch ökonomische Kalküle bestimmt.444 Weitere Kriterien humaner Arbeit sind nach Brakelmann die Sicherung der Lebensgrundlage, Partizipation, Verantwortung etc.445 Moltmanns Tagungsbeitrag „Sinn von Arbeit“ geht von einem dreifachen Arbeitszweck aus: Arbeit erfülle sowohl für den einzelnen Menschen als auch die menschliche Gemeinschaft und ganz allgemein fürs Leben eine Funktion. Moltmann problematisiert den erwerbsmäßig ausgerichteten Berufsbegriff im Zusammenspiel mit dem lutherischen Berufsterminus im Sinne von Erwerbsarbeit: Die Geschichte des Luthertums zeigt ebenso wie die lutherischen Ethiken, daß Luthers kühne Identifizierung des Berufs mit der Berufung immer wieder zur Integration der Berufung in den Beruf und des Berufs in den Stand und so zur Heiligung der berufsständischen Ordnung geführt hat.446

443 444

445 446

einzelnen auf die Möglichkeit, seinen Lebensunterhalt durch frei gewählte oder angenommene Arbeit zu verdienen, umfasst und unternehmen geeignete Schritte zum Schutz dieses Rechts.“ (Humanrights). Im inhaltlich eng mit dem Recht auf Arbeit verbundenen Art. 7 IPWSKR wird dieses Recht weiter konkretisiert. Der Sozialpakt wurde 1973 seitens der BRD ratifiziert und trat 1976 in Kraft. Über die Justiziabilität eines solchen Rechts wird kräftig gestritten. Dennoch besteht in Deutschland weithin kein Recht auf Arbeit. Denn dies sei ein „Anspruch des Einzelnen gegen den Staat auf Gewährleistung der Möglichkeit, sich den Lebensunterhalt durch ökonomische Verwertung der Arbeitskraft zu sichern. Das GG gewährt kein solches Recht, da dieses in (wirtschaftlichen) Notzeiten ein weitgehendes staatliches Verfügungsrecht über Arbeitsplätze, staatliche Wirtschaftslenkung und eine entsprechende Arbeitspflicht erfordern würde und deshalb mit den Grundrechten der Berufsfreiheit und des Eigentums und mit einer mehr privat- und marktwirtschaftlichen Ordnung nicht vereinbar wäre.“ (Duden Recht A–Z). Mit der Forderung eines Rechts auf Arbeit wird gemeinhin Teilhabe für Menschen angestrebt, die außerhalb der Erwerbsarbeit oder in prekärer Lohnarbeit stehen und ihnen auf diese Weise weitgehend auch gesellschaftliche Teilhabe verweigert wird. Das Recht auf Lohnarbeit wünscht die Partizipation aller Menschen an der kapitalistisch strukturierten Arbeitswelt, um gesellschaftlichen Ausschluss zu vermeiden. Brakelmann 1979, S. 14. „Im Topos ‚Recht auf Arbeit‘ ist die Sinnfrage menschlicher Existenz als tätiger Existenz im gesellschaftlichen Zustand signalisiert. Und es ist die Rechtsverpflichtung der staatlichen Rechtsgemeinschaft formuliert, dafür Sorge zu tragen, daß der Wille des einzelnen zu sinnvoller Arbeit auch realisiert werden kann, daß jedermann die Möglichkeit hat, seinen Lebensunterhalt durch eine freie übernommene Tätigkeit zu verdienen.“ (Brakelmann 1979, S. 15.) Vgl. Brakelmann 1979, S. 38. Moltmann 1979, S. 70.

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Überdies will Moltmann die lutherische Berufstheologie neu in der gegenwärtigen Arbeitsdebatte beleben und ihre Vieldimensionalität herauskehren. Beruf als Arbeit bzw. gesellschaftliche Position und die Dimension Berufung dürften nicht miteinander verschmelzen. Allein der Ruf zum Glauben sei göttliche Berufung. Dagegen seien Erwerbsberufe bzw. konkrete Arbeitspositionen keine göttliche Berufung oder gar Anordnung, sondern nur geschichtlich veränderbare Möglichkeiten in der gegenwärtigen Arbeitswelt.447 Er schlägt einen arbeitsorientierten (statt einen produktorientierten) Arbeitsbegriff vor, der Arbeit als tätige Teilnahme am sozialen Leben448 beschreibt, die von Ruhe begrenzt wird.449 Menschliche Arbeit bzw. Ruhe ähnelten der göttlichen – in beidem habe der Mensch an der Sendung in die Welt teil und sei daher Mitarbeiter Gottes.450 Moltmann nimmt einen modernen Berufsbegriff, wie Frambrach ihn beschreibt, zum Ausgangspunkt: Beruf ist kein klar bestimmtes Tätigkeitsfeld mehr oder wie noch in den 1950er Jahren eine lebenslang bzw. dauerhaft ausgeübte Tätigkeit zur Sicherung der Lebensgrundlage. Der Terminus Beruf ist so diffus geworden, dass er gegenwärtig jede Teilnahme am volkswirtschaftlichen Produktionsprozess […] unabhängig vom Erfordernis einer Berufsausbildung, von der Dauer und Art der Ausübung und dem Ausmaß […] [meint] – entscheidend ist ausschließlich das Kriterium des Erwerbs, des Geldverdienens.451

Dementsprechend ist Beruf (im Sinne von Arbeit oder gesellschaftlicher Position) allein der historisch variable Kontext, in dem sich das christliche Leben abspielt. Berufung könne allein der Ruf zum Glauben sein. Indem Moltmann diese Differenz akzentuiert und die Verengung von Beruf auf historisch zufällige (Lohn-)Arbeitskontexte akzeptiert, eröffnet er den Raum, über mögliche Alternativen jenseits des ökonomisierten Arbeitsbegriffs nachzudenken. 2.3.6.5.3 Gegenwärtige theologische Arbeitsdebatten Im Großen und Ganzen ist die theologische Auseinandersetzung mit Arbeit seit den 1980er Jahren zumeist auf die Erwerbsarbeitswelt v. a. durch den KDA usw. beschränkt. Kiss konstatiert vor 35 Jahren, dass für die Mehrheit der christlichen Stimmen Arbeit nicht relevant ist.452 Dieses Urteil gilt bis in die Gegenwart hinein. 447 Hierbei brauche das Individuum eine innere, in Gott gefestigte Identität, um sich in der flexibilisierten Arbeitswelt zurechtzufinden. (Vgl. Moltmann 1979, S. 72.) 448 Vgl. Moltmann 1979, S. 78. 449 Die Ruhe begrenzt die menschliche Arbeit als (Selbst-)Verwirklichungschance; in diesem Sinne lehnt Moltmann die Hegel‘sche Vorstellung von Arbeit als absolute Selbstverwirklichung des Geistes ab. 450 Vgl. Moltmann 1979, S. 63. 451 Frambach 2002, S. 235. 452 Vgl. Kiss 1983.

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In der unmittelbaren letzten Zeit sind es allein die ethischen Entwürfe von Thorsten Meireis sowie Manfred Rohloff, die sich dezidiert dem Thema Arbeit widmen. Rohloffs ethischer Entwurf 453 setzt sich wesentlich mit Arbeit sowie Eigentum auseinander, da diese das menschlich-gesellschaftliche Leben maßgeblich bestimmten. Auf Grundlage der breiten theologischen Fundierung mit einer systematischen Betrachtung der Menschwerdung Gottes sowie der theologischen Anthropologie und philosophisch-theologischen Deutungen des Wesens menschlicher Arbeit wendet sich Rohloff der gegenwärtigen Arbeitswelt zu. Die Bedingungen bzw. Kontexte der modernen Arbeitswelt (Flexibilisierung und Entfremdung) seien die kontemporären ethischen Herausforderungen. Diese gegenwärtige Situation sucht Rohloff mit einem befreiungstheologischinspirierten Ansatz unter Rückgriff auf das Reich-Gottes-Motiv sowie die Moltmann’sche Theologie zu interpretieren. Seine sozialethische Forderung trägt ein dialogethisches (bzw. diskursethisches) Gesicht und setzt sich ausgehend vom Reich Gottes für die Vermittlung von sog. Sach- und Menschengerechtem ein. Es sei die kirchlich-diakonische Aufgabe, ein sozialer Erprobungsraum zu sein und „eine Neuorientierung der Lebensformen und Lebensziele“454 auch hinsichtlich Arbeit und Eigentum zu ermöglichen. „Das bleibt das Ziel, daß aus einer sozialen Bewußtseinswandlung eine qualitativ neue gesellschaftliche Wirklichkeit entstehe und aus der Veränderung der gesellschaftlichen Wirklichkeit ein qualitativ neues Bewußtsein.“455 Dieses erneuerte Bewusstsein sei an Glaube, Liebe, Hoffnung auszurichten und führt auf diese Weise immer wieder zur Politik des Teilens bzw. zur Teilhabe. Rohloff beschließt seine Ausführungen mit orientierenden sowie kapitalismuskritischen Thesen für eine Theologie der Arbeit: „Es geht darum, das Eigentumsinstitut auf dem Hintergrund grenzenloser Armut und Ungerechtigkeit neu zu gewichten und so als Kirche Profil zu gewinnen.“456 Rohloff plädiert vehement für eine Theologie, die ausgehend von der inkarnatorischen Perspektive der biblischen Tradition immer wieder neu in den menschlichen Lebens- bzw. Wirtschaftswelten ihre Potentiale zur Geltung bringt und dabei mit dem unverfügbaren Wirken des göttlichen Geistes rechnet. Rohloffs theologischer Entwurf setzt sich auf fruchtbare Weise mit den konkreten Vollzügen der gegenwärtigen Arbeitswelt ideologiekritisch auseinander und bringt diese trefflich mit dem christlichen Glaubens ins Gespräch. Insgesamt bezieht er in ganz eigener Weise Stellung in der ethischtheologischen Arbeitsdebatte; von daher ist unklar, warum sich in seiner Nach453 454 455 456

Rohloff Rohloff Rohloff Rohloff

1997. 1997, S. 253. 1997, S. 253. 1997, S. 279f.

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folge bisher keine weitere Auseinandersetzung oder Konkretion seiner ArbeitsTheologie im Speziellen bezogen auf die kirchlich-diakonische Arbeitswelt entwickelt hat. Zweitens sei noch auf Meireis‘ ethisches Arbeits-Konzept457 verwiesen. Traugott Jähnichen nennt Meireis Studie zur modernen Arbeitsgesellschaft „ein Standardwerk zur ethischen Orientierung in den Umbrüchen der heutigen Arbeitsgesellschaft […], das für die weitere Diskussion wegweisend sein dürfte.“458 In diesem Urteil wird angezeigt, dass Meireis sowohl detailliert auf die Geschichte evangelischer Arbeitsethik als auch auf die gegenwärtigen Herausforderungen eingeht. Dennoch unterlässt auch er es, sich mit den kontemporären Arbeitsdebatten im Hinblick auf die kirchlich-diakonische Arbeitswelt auseinanderzusetzen. Insgesamt nimmt Meireis die Thesen von der Dienstleistungsgesellschaft sowie der Entgrenzung der Arbeit zum Ausgangspunkt seiner Studie. Er lehnt einen ökonomistisch verengten Arbeitsbegriff ab. Jedoch sei die weite Definition von Arbeit als Erwerb, Engagement und Fürsorge auch ein „nutzlose[r] Begriff.“459 Meireis will „Arbeit“ ganz allgemein als ein Deutungsmuster verstanden wissen, das Fragen des Naturumgangs, der gesellschaftlichen Anerkennung, der ökonomischen Umverteilung, der Teilhabe sowie des Lebenssinns umfasst.460 Meireis setzt sich sodann mit den protestantischen Arbeitskonzepten Luthers, Ritschls, Barths sowie Arthur Richs und ihren Erträgen auseinander. Im dritten Teil schließlich ersetzt er den Arbeitsbegriff durch den Tätigkeitsbegriff und konzipiert gutes Leben im protestantischen Sinne als tätiges Leben. Demnach sei das „unverfügbare Gute“461 bzw. das gute Leben allein vom Geist gestiftet, jedoch bleibe dem Menschen die Möglichkeit, das Gute zu intendieren, was als tätiges Leben mit dem Dienst am Nächsten Gestalt annehme.462 Im Folgenden bringt Meireis dann Aspekte gegenwärtiger Arbeit mit dem beabsichtigten Guten ins Gespräch, wobei er kritisch fragt, wie die Verheißung des erfüllten Lebens im tätigen Leben der modernen Arbeit möglich werden könne. Im Zusammenhang dieser Untersuchung ist insbesondere die Auseinandersetzung mit dem Bereich Lohnarbeit interessant, wobei Meireis eindrücklich vom „Auseinanderklaffen von Teilhabechancen am Medium Erwerbsarbeit“463 warnt. Gutes Leben dürfe keinesfalls mit Arbeit oder gar Erwerbsarbeit identifiziert werden. Da aber das bundesdeutsche sozialstaatliche bzw. wirtschaftspolitische System nicht gleichermaßen die Teilhabe aller Men457 458 459 460 461 462 463

Meireis 2008. Jähnichen 2011, S. 314. Meireis 2008, S. 39. Vgl. Meireis 2008, S. 44ff. Meireis 2008, S. 505. Vgl. Meireis 2008, S. 511. Meireis 2008, S. 524.

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schen garantieren könne, seien laut Meireis weitreichende Bildungsprogramme sowie ein „nicht-konditionales, existenzsicherndes Grundeinkommen“464 nötig. Denn durch diese Reformvorschläge sollen die Bedingungen dafür geschaffen werden, dass sich gutes Leben im christlichen Sinne durch ganz unterschiedliche Tätigkeiten (erwerbsförmig und nicht-erwerbsförmig) realisieren kann.465 Insgesamt wird Meireis theologisches Arbeitskonzept zugleich der evangelischen Tradition und der gegenwärtigen sozialen Situation gerecht. Ferner regt Meireis komplexer Entwurf dazu an, insbesondere die Anliegen gesellschaftlicher Teilhabe sowie ökonomischer Umverteilung (insbesondere den Vorschlag eines bedingungslosen Grundeinkommens) bei der Bestimmung der kirchlichdiakonischen Arbeitswelt einzubeziehen.

2.3.7 Freiwillige und lohnabhängige Tätigkeit als Arbeit – Synthetisches Arbeitsverständnis sowie Fazit Nach diesem skizzierten Gang durch die Geschichte menschlicher Arbeit unter besonderer Berücksichtigung der biblischen Tradition sowie der Arbeitsdeutungen seit der umfassenden Etablierung der Lohnarbeit werden im Folgenden die dargelegten Positionen gegeneinander abgewogen und gewichtet. Ziel ist, ein Arbeitsverständnis bzw. Leitlinien für Arbeit in sowie außerhalb der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt der Gegenwart zu gewinnen. Das arbeitende Tun wird je eigens interpretiert, dabei changiert das Verständnis aber stets zwischen den Polen Arbeit als anstrengende Last und Arbeit als kreativ-schöpferisches Wirken. Eine Auflösung der ambivalenten Arbeitsdeutung nach der einen oder der anderen Seite, wie manche Autor*innen vorschlagen, wird weder der menschlichen Erfahrung noch dem biblischen Zeugnis gerecht. Denn zum einem wird Arbeit von vielen Menschen immer wieder als kreativer Prozess erlebt, zum anderen aber auch als mühevolle Belastung empfunden. Theologisch gesprochen wird in der Arbeit das kreativschöpferische Potential des Menschen realisiert. Diese Arbeit findet jedoch zugleich stets unter den Bedingungen der Sünde statt, d. h. auch die gesamte Arbeitswelt unterliegt Strukturen, die nicht lebensdienlich sind. Auf diese Weise ist Arbeit zeitgleich gute Gabe und anstrengende Aufgabe. Gegenüber einem anthropozentrischen Arbeitsverständnis der Antike bzw. der Gegenwart gibt das tendenziell kosmozentrische Arbeitskonzept des Mythos einen bedenkenswerten Impuls zur Begrenzung menschlicher Arbeit. Denn die kosmozentrisch orientierte Überlieferung lässt die menschliche Arbeit in Verbindung mit 464 Meireis 2008, S. 488. 465 Meireis 2008, S. 529f.

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dem als göttlich verstandenen Kosmos geschehen. Die hohe Sozialbezüglichkeit dieser Vorstellung ähnelt dem Bewahrungsauftrag des zweiten Schöpfungsberichts. Dieser fordert, dass menschliche Arbeit der ganzen Schöpfung Gottes dient und relational in diese eingebunden ist. Menschliche Arbeit ist demnach sinnvollerweise durch das Wohl der ganzen Schöpfung begrenzt. Kontemporär sind es v. a. Umwelt-, Klima- und Degrowth-Aktivistinnen, die diesen Impuls in der Auseinandersetzung ums Thema Arbeit repräsentieren. Ferner ist die Tendenz, verschiedene Arbeits- bzw. Tätigkeitsformen zu hierarchisieren, im Verlauf der Geschichte immer wieder zu beobachten. Im Zuge dessen wird zwischen „besserer“, d. h. höherwertiger, moralisch überlegener sowie „schlechterer“, d. h. minderwertiger, moralisch unterlegener Arbeit unterschieden. Insbesondere der Vorzug geistig-theoretischer Tätigkeiten wirkt stark auf die westliche Philosophie in aristotelischer Tradition. Unterdies sind aber die entsprechenden Hierarchisierungsprozesse mit gesellschaftlichen Bewertungen und Zuteilungen von Status bzw. Anerkennung verknüpft, die einer bestimmten Gruppe entgegengebracht werden. Die Bewertung von Arbeit vollzieht sich zusammen mit sozialen Ausschlussmechanismen, wobei die Anerkennung von Arbeit als höherwertige oder „wirkliche“ Arbeit, wie die Verberuflichungsprozesse zeigen, häufig Ergebnis sozialer Machtkämpfe ist. In der Antike beispielsweise verbinden sich Missachtung der manuellen Handarbeit mit der Geringschätzung der Gruppen, nämlich v. a. Sklav*innen, Frauen und Ausländer*innen, die diese Arbeit leisten. Von daher sollte bei der Hierarchisierung von Arbeit bzw. Arbeitsformen auch stets der soziale Zusammenhang beachtet werden, in dem diese stattfinden. Ferner ist die Trennung in theoretisch-geistige sowie manuelle Arbeit gegenwärtig kaum (mehr) möglich, da die Mehrheit der Tätigkeiten planerisch-organisierende und damit intellektuelle Elemente beinhaltet. Schließlich erweist sich die Unterscheidung der materiellen und geistigen Dimension der Arbeit im Kontext der neueren neurologischen Erkenntnisse (Denken und Bewusstsein sind bedingt durch körperlich-biologische bzw. biochemische Prozesse) als nicht mehr haltbar. Trotz alldem ist die Vision von freier Tätigkeit, die durch Überzeugung, Muße usw. angetrieben ist, bis in die Gegenwart Teil vieler Idealbilder, die erstrebenswerte Tätigkeit intrinsisch motiviert sowie selbstgesteuert interpretieren. In den Debatten um gute Arbeit spielen diese idealisierten Vorstellungen eine wichtige Rolle. Da jedoch die Praxis erwerbsarbeiterischer Tätigkeit in vielen Bereichen von diesem Ideal abweicht, werden diese idealisierten Anforderungen auf freiwillige Arbeit projiziert. In diesem Sinne wird von freiwilliger Tätigkeit erhofft, dass diese die Versprechen idealer Arbeit einlösen könne. Im Rahmen dieser Untersuchung werden die Aspekte der freien, rein intrinsisch angetriebenen Arbeit sowie Fragen der Motivation nicht intensiv weiterverfolgt, da

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unser Fokus auf der Tätigkeit in ihrer sozialen Interaktion, Vermittlung und Organisation in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt liegt. Aus dem biblischen Kanon kann der Grundsatz gewonnen werden, dass Arbeit als anthropologische Grundkonstante integral zum menschlichen Leben gehört. Denn die Offenbarungsgeschichte Gottes vollzieht sich in der konkreten menschlichen Lebenswelt, die durch die alltägliche Tätigkeit bzw. Arbeit geprägt ist. Gott geht sowohl nach dem Verständnis der atl. Tradition als auch der ntl. inkarnatorischen Theologie in die reale Welt, ihre Arbeitsformen sowie Lebensvollzüge ein und ereignet sich dort. Diese theologische Perspektive achtet die materielle Welterfahrung des Menschen nicht gering, sondern schätzt sie als Ort der Realisation des Heils wert. In der Konsequenz sind die alltäglichen Lebenszusammenhänge sowie Arbeitspraxen im ganzen biblischen Zeugnis nie von der spirituell-geistigen Glaubensdimension zu trennen. Denn die konkrete Erfahrung Gottes in der menschlichen Lebenswelt leitet auch zur Gestaltung dieser an. Zutrauen zu und Glaube an Gott ist entsprechend der biblischen Tradition durch die Gestaltung der konkreten Arbeitspraxen und Lebenswelt geprägt. Welche Auswirkungen der Glaube auf die menschliche Arbeitswelt konkret hat, ist umstritten, weil man je nach hermeneutischem Zugang zu unterschiedlichen Ergebnissen kommt. Darüber hinaus differenziert der biblische Kanon nicht zwischen Tätigkeiten inner- und außerhalb des Kultus bzw. der Gemeinde. Denn die Beschreibung der verschiedenen Tätigkeiten mit den gleichen hebräischen Vokabeln lässt auf die Gleichwertigkeit der unterschiedlichen Arbeitsbereiche sowie Arbeitsformen schließen. Die vielfältige biblische Arbeitswelt unterscheidet Arbeitsformen nur funktional, wobei jedoch die Kompatibilität der entsprechenden Tätigkeit mit dem Gottesverhältnis zu prüfen ist. In Grenzfällen werden im biblischen Kanon bzw. der christlichen Tradition Berufsverbote ausgesprochen, die auf die Unvereinbarkeit einer bestimmten Arbeit mit dem Gottesglauben hinweisen. Hinsichtlich gegenwärtiger Arbeit ist kritisch zu überprüfen, ob nicht einzelne Arbeitstätigkeiten mit dem Gottesglauben sowie den biblisch-christlichen Grundorientierungen in Widerspruch geraten. Schließlich erfährt Arbeit im biblischen Zeugnis stets durch das Gegengewicht der Sabbat- bzw. Ruhegebote und der Sozialbezüglichkeit aller Tätigkeit eine Begrenzung. Denn alle menschliche Arbeit ist als gute Gabe sowie anstrengende Aufgabe in den sozialen Zusammenhang gestellt und soll dort das gute und gelingende Leben der Gemeinschaft ermöglichen. Von daher ist es insbesondere die atl. Tora- und Prophetietradition, die ausgehend von der Gemeinschaftstreue Gottes für ein Zusammenleben in Gerechtigkeit, Frieden und Teilhabe eintritt. Bezogen auf die atl. Arbeitswelt führt diese Grundorientierung zur massiven Einschränkung der Sklavenarbeit sowie dem Aufruf zur Schaffung sozioökonomischer Gerechtigkeit (Lev 25). Die Exoduserzählung illustriert eindrücklich,

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dass eine ausbeuterische Arbeitswelt bzw. ein Wirtschaftssystem (personifiziert als Pharao) mit JHWH unvereinbar ist. Schließlich werden (Wirtschafts-) Systeme, die absolute Loyalität fordern, nach biblischer Vorstellung Götzen genannt. Diese Götzen und der Dienst an ihnen sind mit dem Anspruch JHWHs, alleine Gott zu sein, unvereinbar. Das Verbot eines absoluten, allumfassenden Wirtschafts- und Arbeitssystems sowie das biblische Ruhegebot stehen unter Gottes Zusage, Schöpfer und Erhalter der Welt zu sein. Unter der Prämisse der Versorgung der ganzen Schöpfung (Mt 6,19–33) in Fülle und Überfluss466 sowie der göttlichen Güte und Gemeinschaftstreue kann das menschliche Tun begrenzt werden. Das Gelingen menschlicher Arbeit wird aus biblischer Perspektive häufig an den unverfügbaren Segen Gottes rückgebunden. Diese biblisch-theologische Grundorientierung mit dem Gelingensvorbehalt des göttlichen Segens sowie der Limitierung allmächtiger Wirtschafts- und Arbeitssysteme aufgrund des Gottesverhältnisses gerät mit einigen technizistisch-utopischen Arbeitsvorstellungen, v. a. seit der Aufklärung, in Konflikt. Insbesondere der industrielle Fortschrittsoptimismus des ausgehenden 19. Jh. mit den zugehörigen liberalen bzw. neoliberalen Wirtschaftstheorien verabsolutierten den Markt als einzige und eigentliche Regulationsgröße menschlicher Arbeits- und Lebenswelt. Demgegenüber gerät die Sozialorientierung und Begrenzung der Arbeit durch Ruhe zugunsten einer Deregulation für ein freies Spiel der Marktkräfte ins Hintertreffen. Das biblische Zeugnis warnt vor einem übermäßigen Zutrauen in den Götzen Markt. Doch die Smith’sche Grundorientierung setzt genau auf diesen Markt, der im rational-technizistischen, hochspezialisierten Wirtschaftssystem zu den besten Ergebnissen führe und Wohlstand für die ganze Gesellschaft ermögliche. Arbeit, aus biblisch-theologischer Position stets ein ambivalentes Phänomen, wird sowohl in der Aufklärung als auch im Kulturprotestantismus oder gegenwärtig in der Start-up-Branche auf ihren kreativ-schöpferischen Aspekt reduziert und zugleich als utopisches Mittel zur Erlangung einer guten Gesellschaft bzw. innerweltlichem Heil entgrenzt. Ein solches Arbeitsverständnis vergisst die Dimension der schöpferischen Fürsorge Gottes und schenkt außerdem den empirisch beobachtbaren Arbeitsverhältnissen keine Beachtung. Die Industrialisierung mit dem Rückgang der Subsistenzwirtschaft, der generellen Produktorientierung und der weitgehenden Organisierung von Arbeit als Lohnarbeit ist ein zentraler, transformierender Einschnitt in das Arbeitsverständnis. Denn industrialisierte Lohnarbeit verknüpft die Faktoren Arbeit und Lohn aufs engste, und demnach ist „richtige“ Arbeit fortan „produktive“ Arbeit, die monetär entlohnt wird. Unproduktive Tätigkeit ist dementsprechend 466 1 Kön 17,2–6.7–16; 2 Kön 4,1–7.4244; Mk 6,35–44 par Mt 14,13–21; Lk 9,10–17; Joh 6,1–13, Mk 8,1–9 par Mt 15,32–38, Lk 5,1–11, Joh 21,3–6, Joh 2,1–11.

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nicht erwerbsförmig ausgeübte Arbeit. Diese Transformation bzw. Reduktion des Arbeitsbegriffs in einer ökonomistischen Weise ist bis in die Gegenwart wirksam. Die kapitalistischen Gesellschaften der Gegenwart erfordern Erwerbsarbeit zur Existenzsicherung und auch generell zur gesellschaftlichen Partizipation sowie Integration, da beispielsweise die sozialen Sicherungssysteme mit den in großem Maße beitragsabhängigen Leistungen Lohnarbeit als präferierte Arbeitsform festigen. Die zentrale soziale Funktion, die Erwerbsarbeit übernimmt, macht einsichtig, dass, wenn über Arbeit gesprochen wird, häufig nur Erwerbs- und Lohnarbeit gemeint ist. Insgesamt sind es also ökonomische Mechanismen sowie die Waren- bzw. Tauschwertorientierung, die den Blick auf Arbeit beschränken und Arbeit mehrheitlich als bereits ökonomisch anerkannte Arbeit festschreiben. Die inneren Logiken der Arbeit selbst als auch die Bedeutung der Tätigkeit für die soziale Gemeinschaft bleiben bis auf wenige Ausnahmen unbeobachtet. Die Smith’sche Werttheorie illustriert treffend, dass Arbeiten, deren Ergebnisse sich tendenziell dem warenförmigen Charakter bzw. der Produktorientierung entziehen, in größerem Umfang Schwierigkeiten bei der Verberuflichung der entsprechenden Tätigkeit zeigen. Dies gilt insbesondere für die Bereiche der Pflege, Erziehung sowie Bildung. Diesen Tätigkeiten kann ein ökonomistisch verengter Arbeitsbegriff in der Regel nicht gerecht werden, da diese in hohem Maß durch einen Lebensweltbezug geprägt sind. Marx richtet seinen Blick auf die veränderten Arbeitsbedingungen und zeigt, dass die jeweiligen Produktions- und Arbeitsbedingungen sowohl auf den einzelnen Arbeiter als auch die ganze Gesellschaft wirken. Im Fall der kapitalistischen Arbeitsorganisierung zusammen mit dem hohen Technisierungs- und Rationalisierungsgrad werden diese kapitalistisch-ökonomischen Logiken alleinbestimmend für (Lohn-)Arbeit. Marx sowie die atl. Exoduserzählung und prophetische Tradition warnen vor zügelloser Ausbeutung in einem imperialen kapitalistischen Wirtschaftssystem, das Profit, Macht und Geld den menschlichgesellschaftlichen Belangen vorordnet. Denn eine solche Arbeitswelt entfremdet den Menschen und raubt ihm seine Menschlichkeit (Dehumanisierung). Nach Marx bedingen und prägen die sozialen Kontexte (das gesellschaftliche Sein) das menschliche Bewusstsein. D. h. die konkreten Vollzüge sowie Rahmenbedingungen der Arbeitswelt formen den Menschen unmittelbar. Diese grundsätzliche Einsicht der Verbundenheit von Haltungen, Einstellungen, Glauben, Selbstverständnis usw. und den materialen Lebensbedingungen teilt die atl. Tradition. In diesem Sinne stehen alltägliche Arbeits- bzw. Wirtschaftspraxis und Gottesverhältnis in einer Relation zueinander: Alles Arbeiten und Wirtschaften steht unter dem Primat, dass JHWH alleine Gott ist und wohlwollend für seine Schöpfung sorgt. Wird diese Prämisse geteilt, dann darf weder der Markt zum Götzen werden noch dürfen Menschen für wirtschaftlichen Gewinn geopfert werden (Am 2,6f.). Vielmehr ist bedingt durch die Fürsorge Gottes für die ganze

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„Lohnabhängige“ und „freiwillige“ Arbeit in Kirche und Diakonie

Schöpfung, Arbeit in der Weise zu gestalten, dass sie möglichst die Teilhabe aller erlaubt. Die modernen, kapitalistischen Arbeitswelten des 19. und 20. Jh. fordern sowohl Theologie als auch Kirche heraus, sich zu positionieren. Die Theologie Ritschls steht paradigmatisch für die Sprachlosigkeit der Theologen in dieser Zeit, sich gegenüber der Arbeitswelt zu äußern und diese vor einem biblischtheologischen Hintergrund zu deuten. Die evangelische Theologie begegnet der modernen, kapitalistischen, nationalstaatlichen, hoch ausdifferenzierten Gesellschaft samt ihren sozialen Problemlagen mit der reformatorischen Berufstheologie, die von einer festgefügten Ständegesellschaft ausgeht. Mittels einer intensiven Rezeption der lutherischen Berufstheologie sowie der berufsständischen Vorstellungen, ausgerichtet an göttlichen Schöpfungsordnungen, wird in der Folge die gesellschaftlich-staatliche Organisation und die gegenwärtige, kapitalistische Arbeitswelt (mit ihren Arbeitsformen, ihrer Arbeitsorganisation und ihrer Arbeitsteilung) gerechtfertigt. Die individuell erlangte Lohnarbeitsstellung wird mit der reformatorischen Kategorie Beruf belegt, und dann kann aus einer solchen theologischen Perspektive nur noch wenig Kritik an der konkreten Erwerbsarbeit vorgenommen werden. Ferner fallen andere Arbeitsformen und unbezahlte Tätigkeiten aus dem Rahmen der theologischen Berufsdeutung. Die Aufnahme des Verbots des Berufswechsels sowie der Tugend der Berufstreue haben im Kontext der kapitalistisch-modernen Gesellschaftsordnung dazu beigetragen, dass bestimmte (ungerechte) gesellschaftliche Arbeitsteilungs- und Exklusionsmuster (Prekarisierung der Arbeiter*innenschaft) unter Bezugnahme auf Beruf(ung)stheologie legitimiert werden konnten. Dennoch wurde bis zu Beginn des 20. Jh. in der theologischen Tradition der reformatorische Berufsbegriff weitertradiert. Spätestens jedoch bei Max Weber lässt sich die Identifizierung von Beruf und Erwerbsarbeit467 nachweisen. Indem sich der lutherische Berufsbegriff an Formen der Lohnarbeit annähert, vollzieht sich zugleich auch eine Verengung der theologischen Arbeitsperspektive spätestens zu Beginn des 20. Jh. Von daher wird in der Folge auch die Rezeption des Arbeitsbegriffs in der theologischen Debatte eröffnet. Der Arbeitsterminus ist, wie gezeigt wurde, in starkem Maße ökonomistisch verengt. Auf diese Weise setzt sich die Begrenzung der theologischen Arbeitsdebatte fort. Andere mögliche Formen der menschlichen Arbeit, die nicht lohnarbeiterisch organisiert sind, werden aus der Arbeitsdebatte ausgeschieden. Diese können in der Konsequenz höchstens als ehrenamtliches Priestertum aller Gläubigen, als Familienleben 467 Demnach ist Beruf verbunden mit der Erwerbschance bzw. der Gelegenheit zum Geldverdienen. Die Dimensionen gesellschaftlicher Stand und der Zwei-Reiche-Lehre im Sinne einer göttlichen Wohlordnung der Welt werden sukzessive aus dem Berufskonzept ausgeschieden.

Freiwillige und/oder lohnabhängige Tätigkeit als Arbeit – Leitlinien

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oder als Fürsorge und eben nicht als Arbeit thematisiert werden. „Dieser ‚ökonomistische‘ Arbeitsbegriff schreibt somit ‚ökonomische Arbeit‘ positivistisch auf bereits ökonomisch anerkannte Arbeit fest. Es mangelt ihm an gesellschaftskritischem Potential.“468 Um aber die kritische Sprachfähigkeit gegenüber der kontemporären Arbeitswelt zu wahren, müsste der Arbeitsbegriff auf Grundlage des weiten biblischen sowie reformatorischen Tätigkeitsbegriffs wieder erweitert werden. Die theologisch-ethische Beschäftigung mit Arbeit bzw. Beruf wird nach dem Zweiten Weltkrieg etwas intensiver geführt. Theologisch wird Arbeit sowohl als Schöpfungsordnung bzw. sündhafte Strukturen im Rahmen des 1. Art. des Apostolicums als auch im Kontext des 2. und 3. Art. wahrgenommen, was tendenziell zur Transformation von Arbeit bzw. Arbeitsbedingungen, ausgehend vom Evangelium, auffordert. Anhand dieser Grundorientierungen der theologischen Arbeitspositionen lässt sich erneut die zu beachtende theologische Grundeinsicht, dass Arbeit zugleich innerhalb der sündhaften Strukturen, aber auch der Dimension der Erlösung zu deuten ist, nachvollziehen. Letztlich bleibt Arbeit in der modernen Gesellschaft stets auch mühevolle Aufgabe und kreative Gabe. Und dies gerade unter Beachtung der Herausforderungen der kapitalistisch organisierten Arbeitswelten nach dem Zweiten Weltkrieg mit den Verwerfungen globaler Wirtschaftskrisen sowie hoher Arbeitslosenzahlen. Die Forderung Oldhams aus den 1950er Jahren, „alle Arten der Arbeit in der modernen Gesellschaft verlangen im Lichte des christlichen Lebensverständnisses geprüft zu werden“469, verhallte bisher ungehört. Kirche und Theologie wandten sich nach dem Krieg zwar der entfremdeten Arbeiter*innenschaft und der säkularen Arbeitswelt zu. Jedoch wurde bei diesen Aktivitäten stets der Bezugspunkt Lohnarbeit gewählt, die sich außerhalb der Kirche abspielt, wodurch der ökonomistische Arbeitsbegriff reproduziert wurde. Der Fokus auf ökonomisch bereits anerkannte Arbeit verunmöglicht tendenziell das grundsätzliche Nachdenken über Arbeit im Sinne vielfältiger Tätigkeiten. Indem man den Terminus Beruf aus der arbeitsethischen Debatte fast vollkommen ausschied, verlor er seine Relevanz in der ethischen Thematisierung der Arbeitswelt. Die kirchlich-diakonische Arbeitswelt dagegen wurde kaum als Arbeitswelt, sondern meist als Dienstgemeinschaft oder Ort der Verwirklichung des Priestertums aller Gläubigen bzw. des kirchlichen Amtes interpretiert. Den arbeitsteiligen Realitäten in Kirche und Diakonie wurde und wird weniger mit dem Arbeitsbegriff, sondern mit „Dienst“ sowie der lutherischen „Berufung“ begegnet. Mittels Beruf und Berufung werden lediglich verschiedene kirchlich-diakonische Arbeitstätigkeiten und Positionen qualifiziert. Bedingt durch diese Prozesse kann 468 Krebs 2002, S. 28f. 469 Oldham 1950, S. 83.

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„Lohnabhängige“ und „freiwillige“ Arbeit in Kirche und Diakonie

theologisch kaum über Arbeit im Sinne einer Tätigkeit, die nicht erwerbsförmig ist, gesprochen werden. Letztlich ist der Blick auf die Organisationen Kirche und Diakonie als einem der größten Arbeitgeber in Deutschland470 verstellt. Um im Zusammenhang dieser Untersuchung zum kirchlichen Ehrenamt die Arbeitswelt in Kirche und Diakonie in ihrer Komplexität in den Blick nehmen zu können, muss der Horizont erweitert werden und dazu ist ein offenerer Arbeitsbegriff notwendig. Ferner ist im Rahmen dieser Forschungsarbeit, daran sei noch einmal erinnert, die Dimension der persönlichen Berufung eher nachrangig von Interesse, vielmehr stehen die arbeitsteiligen Verhältnisse im Fokus, wobei eine ökonomische Verengung gerade vermieden werden soll. Die theologische Berufstradition dient nun aber doch als Impulsgeberin für die theologische Beschäftigung mit Arbeit. Der lutherische Begriff Beruf bringt insbesondere wegen seiner Differenz zum Terminus Beruf als Erwerbsarbeit ein kritisches Potential ein. Denn das Berufskonzept sanktioniert dabei einerseits die grundsätzliche und nicht abschließbare, an der Mannigfaltigkeit menschlicher Individualität orientierte Vielfalt von Tätigkeiten und Tätigkeitsformen, die als Möglichkeit der individuellen Gestaltung des tätigen Lebens zur Verfügung stehen, sodass etwa eine Begrenzung auf die Form der Erwerbsarbeit nicht begründbar erscheint, wertet aber andererseits die Tätigkeiten weder nach ihrem Wirkungsgrad noch nach ihrem gesellschaftlichen Status, sodass das Konzept eine antielitäre Pointe hat.471

Diese kritischen Aspekte des lutherischen Berufsbegriffs bilden den Ausgangspunkt eines weiten und anti-elitären Tätigkeitsbegriffs. Theologisch ist festzuhalten, dass menschliches Tätigsein unabhängig von menschlichen Anerkennungs- und Statuszuschreibungsmechanismen stattfindet. Gott lässt der menschlichen Tätigkeit unabhängig von gesellschaftlichem Status oder monetärer Entlohnung Wertschätzung472 zukommen. Von daher ist der ökonomisch verengte Arbeitsbegriff zu öffnen und bezahlte sowie unbezahlte Tätigkeiten im Kontext des christlichen Lebens zu erörtern. In diesem Kontext ist auch die durch Meireis vorgeschlagene politische Lösung eines bedingungslosen Grundeinkommens im Hinterkopf zu behalten. Denn der relationale Bezug

470 Im Vergleich zu großen privatwirtschaftlichen Unternehmen mit vielen Mitarbeitenden (Deutsche Post, Edeka, Volkswagen, Siemens usw.) hat die verfasste Kirche mit 235.000 beruflichen Mitarbeitenden um ein vielfaches mehr. Die Diakonie übersteigt diese Zahl mit ihren 465.000 beruflichen Mitarbeitenden nochmals. Zusätzlich dazu verteilen sich auf Kirche und Diakonie rund 2. Millionen freiwillige Mitarbeitende. (Vgl. Diakonie Deutschland 2016, S. 9.21.) 471 Meireis 2008, S. 90. 472 In Grenzfällen kann aber auch hochentlohnte und gesellschaftlich anerkannte Arbeit vor Gott Geringschätzung erfahren, nämlich dann, wenn sie im Widerspruch zu Gottes fürsorgendem Wesen für die ganze Schöpfung gerät.

Freiwillige und/oder lohnabhängige Tätigkeit als Arbeit – Leitlinien

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Gottes zur ganzen menschlichen Lebenswelt fordert die Menschen heraus, auch ihre Arbeitswelt an der Botschaft vom Gottesreich auszurichten. Der durch Moltmann bzw. auch Rohloff vorgeschlagene Terminus des Reiches Gottes erweist sich in diesem Zusammenhang als geeignet (siehe dazu ferner den III. Teil dieser Untersuchung). Durch den Bezug zum Reich-Gottes-Motiv werden zugleich die Bedingungen der menschlichen Lebens- sowie Arbeitswelt, in die sich das Reich hineinereignet als auch die Dimension der unverfügbaren, zukommenden Gottesbotschaft ernst genommen. Die kirchlich-diakonischen Organisationen stehen vor der Herausforderung, ihre eigene vielfältige Arbeitswelt theologisch verantwortlich zu deuten. Dazu ist bezahlte, d. h. als Arbeit bereits anerkannte Tätigkeit und freiwillige Arbeit, die in der Regel nicht als Arbeit gedeutet wird, einzubeziehen und die verschiedenen Logiken zu berücksichtigen. Der aus der reformatorischen Berufstheologie, aber auch dem Priestertum aller Gläubigen sowie aus dem biblischen Zeugnis abzuleitende Impuls der radikalen Gleichheit unterschiedlicher Arbeitsformen bildet eine bleibende Herausforderung für die Gestaltung der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt. Es gilt die Prämisse, dass weder Jude noch Grieche, weder Sklavin noch Freie, weder Mann noch Frau sei, sondern alle vor Gott radikal gleichgestellt sind (Gal 3,28) und von da aus arbeiten bzw. tätig sind. Um eine einseitige Verengung von Arbeit auf Erwerbsarbeit zu vermeiden, wird Arbeit im Zusammenhang dieser Untersuchung im Sinne von Tätigkeit sehr weit definiert: Arbeit ist eine menschliche Tätigkeit, die bewusstes, intentionales und planmäßiges Handeln meint. Diese Tätigkeit geschieht außerdem unter Kraftaufwendung und wird wiederholt als ein komplexes Tun ausgeführt. Die Arbeit bzw. die Ergebnisse der Arbeit stehen in einem sozialen Bezug und es findet ein sozialer Austausch dieser statt. Die Aspekte der Selbstbewusstseinsbildung im Arbeitsprozess (Hegel), die eigene Arbeitsmotivation, Arbeit für sich selbst (Eigenarbeit) usw. spielen bei der oben genannten Minimaldefinition keine Rolle. Im Zusammenhang dieser Forschungsarbeit ist dennoch die Minimaldefinition ausreichend, da die Fragestellung auf unterschiedliche Arbeitsformen innerhalb der Gesellschaft im Allgemeinen und in der Kirche/Diakonie im Speziellen fokussiert. Der weite Tätigkeits- bzw. Arbeitsbegriff ermöglicht es, die ganze kirchlich-diakonische Arbeitswelt in den Blick zu bekommen und nach gelingenden Bedingungen für die unterschiedlichen Tätigkeiten zu fragen.

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2.4

„Lohnabhängige“ und „freiwillige“ Arbeit in Kirche und Diakonie

Neue Perspektiven zu „lohnabhängiger“ und „freiwilliger“ Arbeit in Kirche und Diakonie – ein Fazit

Aus diesem zweiten Teil der Untersuchung ergeben sich neue Perspektiven zu „lohnabhängiger“ und „freiwilliger“ Arbeit in Kirche und Diakonie. Ausgehend von der im ersten Teil grundgelegten These, dass das Ehrenamt ein ContainerBegriff ist, der weder durch die theologischen Motive noch durch die drei Diskurse ausreichend geklärt werden kann, ergibt sich die Notwendigkeit, freiwillige kirchlich-diakonische Arbeit näher zu qualifizieren. Es sind insbesondere die theologischen Motive des Priestertums aller Gläubigen sowie der Charismen, die den Blick auf die anderen Tätigkeiten/Arbeitsformen lenken. Außerdem gelten die unter Gliederungspunkt 1.3 zusammengefassten offenen Anfragen für die kirchlich-diakonische Arbeitswelt, die sich aus den drei Diskurslinien ergeben: In welchem Verhältnis stehen die unterschiedlichen Arbeitsformen (lohnabhängig und freiwillig)? Wie werden Macht- bzw. Hierarchiestrukturen der Organisation mit ihren Partizipation verhindernden Potentialen begründet bzw. begrenzt? Wie wird mit der Dominanz ökonomischer Logiken in Kirche und Diakonie umgegangen? Wie verhält sich Kirche/Diakonie zu den Differenzierungen von verschiedenen Arbeitsformen angesichts des christlichen Zeugnisses? Die Grundlegungen sowie kritischen Anfragen aus dem ersten Teil leiteten die Refokussierung der Fragestellung nach (freiwilliger) Arbeit in den konkreten sozialen Vollzügen der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt an. Vom ersten Teil ausgehend wurde demnach nach einer Gestaltung und auch Begründung freiwilliger sowie lohnabhängiger Arbeit in Kirche und Diakonie gesucht. Dieser Perspektivwechsel ergab sich auf Grundlage des ersten Schritts (2.1), dem Arbeitskontinuum, als sinnvoll. Denn es können zwar Erwerbsarbeit und andere Arbeitsformen differenziert werden, jedoch sind diese Unterscheidungen weder trennscharf noch in der Tätigkeit selbst begründet. Demnach eignet der Differenzierung dieser Arbeitsformen ein tendenziell nachrangiger Charakter, was die Herausforderung bekräftigt, alle kirchlich-diakonischen Arbeitsformen in den Blick zu nehmen, um die Frage nach ehrenamtlicher Arbeit in Kirche und Diakonie zu beantworten. Unter 2.2 wurden sodann Deutungen, Bedingungen und Logiken der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt illustriert, wobei sich die lohnarbeiterisch verfassten Arbeitsformen in den Vordergrund drängten, da diese in großen Maße reguliert sind. Insgesamt wurde die Dominanz von Erwerbsarbeit und der ökonomischen Logiken äußerst präsent und gut nachvollziehbar. Ferner traten die Auswirkungen von Macht bzw. Konkurrenz, Rollenerwartungen sowie Arbeitsüberlastung für die verschiedenen Mitarbeitendengruppen hervor. Es wurde

Neue Perspektiven zu „lohnabhängiger“ und „freiwilliger“ Arbeit – ein Fazit

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außerdem unter 2.2 nachgewiesen, dass „Dienstgemeinschaft“ leider keine theologische Inspiration zur Gestaltung der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt anbietet. Vielmehr fungiert „Dienstgemeinschaft“ als theologische Chiffre zur Legitimierung von Machtpositionen, dem sog. „Dritten Weg“, und ganz allgemein den Erfordernissen des Sozialmarktes. Daher kann dem in der Rede von Dienstgemeinschaft, aber auch der vom Priestertum aller Gläubigen oder dem lutherischen Berufsbegriff anklingenden egalitären Potential, in der kirchlich-diakonischen Praxis nicht Rechnung getragen werden. Aufgrund der vielfachen Be- und Überlastungen der (Erwerbs-)Arbeit, ergeben sich Schwierigkeiten, freiwillige Arbeit innerhalb der kirchlich-diakonischen Organisationen zu orientieren und zu verorten. Neben der freiwilligen Arbeit sollte auch ein guter Ort für lohnabhängige Arbeit in Kirche und Diakonie gefunden werden. Ein Arrangement der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt in der Weise, dass freiwillige sowie lohnabhängige Arbeit gleichbedeutsam vollzogen und begründet werden können, ist damit die bleibende Aufgabe. Entlang der Ausführungen unter Gliederungspunkt 2.3 konnte ausführlich nachgewiesen werden, dass philosophisch-theologischerseits ein weiter Arbeitsbegriff angebracht ist. Ein dementsprechender Arbeitsterminus wurde sodann auch zum Fundament der kommenden Überlegungen zur Gestaltung der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt mit den Formen lohnabhängiger und freiwilliger Arbeit gemacht. Denn es gilt, dass Arbeit eine menschliche Grundkonstante ist. Ereignet sich Arbeit in den kirchlich-diakonischen Organisationen, muss christlicherseits immer die Grundeinsicht, dass soziale Vollzüge (in diesem Fall Arbeitsteilung, Arbeitsorganisation, Arbeitsformen) nie vom Gottesverhältnis losgelöst gedacht werden können, Berücksichtigung erfahren. Demnach kann menschliche Arbeitstätigkeit nie von der religiösen Praxis separiert werden. Diese Tatsache leitet dazu an, die unter 2.2 beobachteten Deutungen, Bedingungen und Logiken kritisch vom christlichen Zeugnis her zu prüfen. Schließlich ist kirchlich-diakonische Arbeit sowie Arbeitswelt unter Rückbezug auf theologische Einsichten und im Gespräch mit der sozialen Wirklichkeit zu gestalten. Dafür wurde der weite Arbeitsbegriff, der sich aus 2.1 und 2.3 generierte, zum Ausgangspunkt, um sowohl lohnarbeiterische als auch freiwillige Arbeit zu Tätigkeiten innerhalb der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt zu bestimmen. Die Aufgabe, die sich für den dritten Teil stellt, ist es, Vorschläge zur theologisch verantwortungsvollen Gestaltung freiwilliger sowie lohnarbeiterischer Tätigkeit in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt zu machen. Die nun zu bestimmenden theologischen Leitlinien leiten im Wechselspiel zwischen theologischer und empirischer Wirklichkeit zur Gestaltung unterschiedlicher Formen von Arbeit an. Arbeit in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt wird im dritten Teil dieser Untersuchung unter der Hoffnungsperspektive des Reiches

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„Lohnabhängige“ und „freiwillige“ Arbeit in Kirche und Diakonie

Gottes gedeutet und es werden mögliche Leitlinien zur Strukturierung der freiwilligen sowie lohnabhängigen Arbeit in Kirche und Diakonie entwickelt.

3.

Das Reich Gottes als Hoffnungsperspektive für die Arbeit in Kirche und Diakonie

Die kirchlich-diakonische Arbeitswelt wird nun im weiteren Verlauf unter der Hoffnungsperspektive des Reiches Gottes interpretiert und es werden entsprechende Ableitungen für die diakonische Arbeit in Kirche und Diakonie getroffen. In diesem dritten Teil kommen das biblisch-theologische Motiv des Reiches Gottes mit seinem transformativen Potential und ein kontemporärer Gerechtigkeitsentwurf zusammen und bilden im Zwiegespräch eine Möglichkeit, die Gestaltung der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt in den Blick zu nehmen. Das Motiv des Reiches Gottes wird näher unter 3.1 expliziert und ruft die dynamische Realisierung der Gottesherrschaft in der gegenwärtigen menschlichen Lebenswelt in Erinnerung. Denn das Gottesreich ereignet sich immer wieder neu in die menschliche Lebens- und Arbeitswelt hinein. Unter Bezug auf das Reich Gottes in der biblischen Tradition sowie der theologiegeschichtlichen Rezeption wird synthetisch, aber maßgeblich unter Bezug auf Jürgen Moltmanns Theologie und das biblische Zeugnis, die theologische Chiffre des Möglichkeitsraums gebildet. Dieser sog. Möglichkeitsraum wird durch die vier Facetten des Königtum Gottes strukturiert. Um einen solchen Möglichkeitsraum für die gegenwärtige menschliche Lebens- und Arbeitswelt präziser zu beschreiben und zu konkretisieren, wird die politische Philosophie Nancy Frasers und ihr Prozessmodell zur Erlangung partizipatorischer Parität, was ausführlich unter Gliederungspunkt 3.2 eingeführt wird, herangezogen. Fraser analysiert und formuliert die gegenwärtigen Gerechtigkeitsbelange in den Dimensionen Statusanerkennung und ökonomischer Umverteilung. Demnach sind diese die gesellschaftlich maßgeblichen Kategorien, die Gerechtigkeit, Teilhabe und friedvolles Zusammenleben ermöglichen oder verhindern. Um auch im Kontext dieser Forschungsarbeit die kontemporäre menschliche Lebenswelt in ihrer Konkretion aufzugreifen, wird auf das Fraser’sche Analyse- und Aushandlungsmodell zurückgegriffen. Dieses Modell eignet sich hervorragend, da es zum einen gesellschaftliche Vorgänge in ihrer Komplexität abbilden kann und zum anderen ebenso eine große Offenheit für die Ermöglichung der Erlangung von Gerechtigkeit durch dynamische Reformprozesse hat. Dieser prozesshafte

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Das Reich Gottes als Hoffnungsperspektive für die Arbeit in Kirche und Diakonie

Charakter schließt an den dynamischen sowie unabschließbaren Möglichkeitsraum des Reiches Gottes an. Um beide Aspekte zur Geltung zu bringen, werden das Fraser’sche Modell und das Reich Gottes zur Näherbestimmung der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt verbunden. Dies erfolgt in der Absicht, zugleich den unverfügbaren, prozesshaften Charakter des Gottesreichs beizubehalten sowie tatsächliche Ableitungen für die praktische Organisierung verschiedener Formen von Arbeit in Kirche und Diakonie zu treffen. Unter Gliederungspunkt 3.3 wird das entsprechende Aushandlungsverfahren für die Gestaltung der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt vorgestellt. Im Anschluss wird dieses Modell in einer Art Nachtragskapitel (3.4) exemplarisch illustriert. Das Beispiel richtet den Blick auf die EKiR sowie insbesondere die Gruppe der ehrenamtlichen Mitarbeitenden. Es soll gezeigt werden, wie ein solches Modell konkret Gestalt annehmen könnte und ein Möglichkeitsraum gebildet werden könnte, in den sich dann das Reich Gottes hineinereignen könnte.

3.1

Das Reich Gottes als transformatives Motiv

Das Reich-Gottes-Motiv ist breit in Bibel sowie Bekenntnis bezeugt und ihm eignet ein dynamisch-transformativer Charakter, der nach Verwirklichung in der gegenwärtigen Lebenswelt strebt. Damit repräsentiert dieses Motiv ein Grundanliegen des christlichen Glaubens. Denn der Glaube an Gott will immer wieder neu in den jeweiligen Lebens- und Weltumständen gewonnen werden. Von Bibel und Bekenntnis her wird der dreieine Gott als der geglaubt, der sich im menschlichen Leben immer als treu erweist. Die Realisierung des Reiches Gottes wird in der theologischen Tradition allermeist unter einen eschatologischen Vorbehalt gestellt. Das ambivalent-spannungsvolle schon-jetzt und noch-nicht des Reiches Gottes entsprechen der ambivalenten menschlichen Erfahrung in Relation zu Gott. Die nach dynamischer Realisierung in der gegenwärtigen Lebenswelt strebende Gottesherrschaft ist für das Anliegen der konkreten Gestaltung der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt geeignet. Es war zu beobachten, dass kirchlich-theologischerseits die Arbeitsverhältnisse seit dem Zweiten Weltkrieg tendenziell mit einem fromm-religiösen Beruf(ungs)begriff und damit aus der Innenperspektive qualifiziert werden. Nach außen hingegen auf außerkirchliche Strukturen bzw. Institutionen sowie die ganze Gesellschaft gerichtet, werden ethische Standpunkte und Forderungen verknüpft mit dem Terminus Arbeit gestellt. So gesehen ist das Reich-Gottes-Motiv zur näheren theologischen Bestimmung der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt geeignet, da es stets die akuten Grenzziehungen zwischen Innen und Außen destabilisiert. Denn das Reich Gottes transzendiert von seinem Charakter her feste Strukturen, Institutionen sowie eindeutige Vergesellschaftungsprozesse. Ferner handelt es sich um

Das Reich Gottes als transformatives Motiv

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ein vielfach ausgemaltes sowie buntes Motiv, das leitend bei der arbeitsweltlichen Konkretion des Reiches Gottes wirksam werden kann.1 Im Zusammenhang dieser Untersuchung wird v. a. auf das Motiv des Reiches Gottes in der Moltmann’schen Hoffnungstheologie Bezug genommen (3.1.3).2 Ohne jedoch zu vernachlässigen welche herausragende Rolle dieses Motiv sowohl in der biblischen als auch theologiegeschichtlichen Tradition spielt. Dazu werden im Folgenden einige grobe Linien der biblisch-theologischen Perspektiven des Reiches Gottes in alt-, zwischen- sowie neutestamentlicher Blickrichtung charakterisiert (3.1.1). Darauf folgt eine knappe Skizze der theologiegeschichtlichen Rezeption des Reich-Gottes-Motivs (3.1.2). Abschließend wird das transformative Potential der Gottesherrschaft in einer Synthese zusammengestellt (3.1.4).

3.1.1 Biblisch-Theologische Perspektiven des Reiches Gottes In der alttestamentlichen Grundlegung des Reiches Gottes werden menschliches und göttliches Königtum in ethischer Entsprechung gedacht. Im atl. Zeugnis dient die Rede von der Königsherrschaft Gottes einer von zwei möglichen Hauptfunktionen: Zum einen kann das Königtum Gottes den irdischen König und seine (gesellschaftlich-konservierende) Politik garantieren. Diese erste Funktion sichert die Beständigkeit der entsprechenden Gesellschaft. Zum anderen bildet das Königtum Gottes aber auch eine Kontrastfolie gegenüber korrupter Politik und ungerechten gesellschaftlichen Zuständen. JHWH wird als der beschrieben, der sich immer wieder als König erweisen will und eine ihm gemäße Weltgestaltung fordert. Auf diese Weise hat die zweite Funktion einen kritisch-emanzipativen Zug.3 Im Zusammenhang des Staatsendes und der Exilssituation kommt es zur eschatologisch-apokalyptischen Ausdifferenzierung der Königsherrschaft Gottes. Im Speziellen wird in den spätexilischen bzw. nachexilischen Texten das Königtum JHWHs eschatologisiert bzw. globalisiert und die Dimensionen Universalität-Partikularität werden ins Verhältnis gesetzt.4 In der Exilsituation 1 Insgesamt geht sind in diesem praktisch-theologischen Forschungsvorhaben, weniger systematisch-exegetische Position relevant, sondern vielmehr die aus entsprechenden Deutungen für die Praxis erwachsenden Wechselspiele sowie Dynamiken insbesondere hinsichtlich der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt. 2 Hinsichtlich des Forschungsgegenstandes werden v. a. die Relation von Gläubigen und Welt bzw. Kirche und Gesellschaft, die mögliche Partizipation am Reich Gottes, die geschichtliche Konkretion des Königtums Gottes sowie das Verhältnis zwischen futurischen und präsentischen Dimensionen der Gottesherrschaft bedacht. 3 Vgl. Zenger 1986, S. 176. 4 Vgl. Leuenberger 2012.

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Das Reich Gottes als Hoffnungsperspektive für die Arbeit in Kirche und Diakonie

verschmelzen ferner das Motiv des Königtum Gottes, seine Schöpfermacht und die Exodustradition. Zur Bestimmung des Königtums JHWHs und seines Reichs ist im Speziellen ‫ ָשׁלוֹם‬treffend. Der Frieden des Schalom ist weit mehr als die Abwesenheit von Gewalt und Unfrieden; Schalom ist der Zustand kollektiven Wohlergehens, das alle Beziehungen durchdringt. Darauf aufbauend kann Schalom auch eine lebensförderliche Weltordnung in rechtlicher, kultischer, politischer und kreatürlicher Perspektive sowie ganz allgemein Wohlsein, Ruhe und Sicherheit meinen. Dieser Frieden und auch Gerechtigkeit ‫( ְצ ָדָקה‬Abschaffung ungerechter, menschlicher hegemonialer Machtverhältnisse) sind Qualitäten des Gottesreichs, wie es in der Jesaja-Schule klassifiziert wird: „Und ich will den Frieden zu deiner Obrigkeit machen und die Gerechtigkeit zu deinem Herrscher.“ (Jes 60,17) Die Aspekte Frieden und Gerechtigkeit sind in der Überlieferung zentral und intim miteinander verbunden – Ps 85 formuliert, dass das Reich Gottes und sein Königtum sich zeigen, indem „Gerechtigkeit und Friede sich küssen“ (Ps 85,11). Die Vision eines gerechten und friedvollen Königtums bzw. Reich Gottes ist auch wesentlicher Kern der apokalyptischeschatologischen Texte des AT.5 In der Schnittmenge von alttestamentlichen und zwischentestamentlichen apokalyptischen Perspektiven wartet das Reich Gottes auf die apokalyptische Aufrichtung. In nachexilischer Zeit wird mit Reich-Gottes-Vorstellung in den deuteronomistischen, prophetischen und apokalyptischen Texten die Herrschaft Gottes als mehr oder weniger unmittelbar bevorstehend interpretiert. Die zwischentestamentliche Literatur6 spielt mit Aspekten der Reich-Gottes-Motivik. Für die zwischentestamentlichen Texte gelten die nachstehenden Grundlinien: Das Königtum Gottes ist erstens (nur noch) himmlische Größe oder wird eschatologisch erwartet. Die Gottesherrschaft besteht zweitens seit jeher und ist damit auch stets gegenwärtig, jedoch ist diese himmlisch-göttliche Herrschaft nur für wenige praktisch erfahrbar. Schließlich wird drittens das Reich Gottes apokalyptisch aufgerichtet. Eine solche endzeitliche Installation der Gottesherrschaft kann u. a. folgende Elemente beinhalten: Vernichtung bzw. Entmachtung des Satans; endzeitlicher, siegreicher Krieg, in welchem die Feinde geschlagen werden und die Fremdherrschaft beendet wird; Sammlung Israels als ein heiliges Volk und damit verbunden Herrschaft über andere Völker sowie schließlich die Errichtung einer neuen Welt.7 Diese Vorstellungen zur Gottesherrschaft werden im NTaufgenommen. In der ntl. Deutung des Reiches Gottes ist die Vorstellung der Zeitwende sowie der 5 Vgl. Liwak 2011. 6 Vgl. dazu beispielsweise die Psalmen Salomos (Ps Sal 2; 17), die Himmelfahrt Moses (Ass Mos 4; 10) oder auch Schriften aus Qumran (1QSb; 1QM). 7 Vgl. Vanoni und Heininger 2002, S. 66ff.

Das Reich Gottes als transformatives Motiv

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begonnenen Gottesherrschaft beinhaltet. Das NT greift die Vorstellung von der Herrschaft bzw. dem Reich Gottes oder seines Königtums auf. Die synoptische Tradition erwähnt βασιλεία als βασιλεία τοῦ θεοῦ bzw. βασιλεία τῶν ουρανῶν (bei Mt) sehr häufig (162-mal).8 Die βασιλεία Gottes ist das zentrale Anliegen der Botschaft Jesu.9 Jesu Rede knüpft offensichtlich an das alt- und zwischentestamentliche Motiv vom Königtum Gottes an, denn zum einen setzt Jesus die Verständlichkeit dessen voraus und zweitens fragen ihn seine Zeitgenossen selbstredend nach dem Reich Gottes (Lk 14,15; Mt 11,2).10 „Er benutzt diese Metapher, weil sie ihm – das ist die notwendige Voraussetzung dieses Interpretationsvorgangs – aufgrund ihres semantischen Profils in herausragender Weise geeignet erschien, das von Gott auf die Menschen zukommende Heil zu kennzeichnen.“11 Ähnlich wie das hebräische ‫ ַמְלכוּת יהוה‬vereint auch der griechische Terminus vielfältige Begriffsdimensionen: Bei βασιλεία schwingt sowohl der funktionale Aspekt des Regierungsvollzugs (Königsherrschaft, Gottesherrschaft) als auch die geographisch-soziale Dimension (Königsreich, Reich Gottes) mit, 8 In Kontrast zum atl. Zeugnis sind im NT sehr häufig explizit βασιλεία, nicht nur ihre Ableitungen βασιλεύς bzw. βασιλεύω, genannt. βασιλεία und die entsprechenden Ableitungen gehören vorrangig in die synoptische Jesus-Tradition. Der Königstitel βασιλεύς wird im Vollsinn in den ntl. Schriften nur für Gott bzw. Jesus angewendet. Weltliche Könige und Kaiser hingegen werden oft als widerständig gegenüber Gottes Handeln bzw. seinem Messias gezeichnet (z. B.: Mt 2,1ff, 14,9; Lk 1,5; Apg 12,1.20, 25,13f; 2 Kor 11,32). Ihre Macht ist als Könige der Erde (Mt 17,25) bzw. der Völker (Lk 22,25) begrenzt. Denn sie haben zwar auf Steuererhebung sowie Wirtschaftssystem Einfluss, jedoch ist ihnen die Macht über die Menschen, die Ebenbild Gottes sind (Lk 20,25), verwehrt. Auch in der Offenbarung wird der Anspruch eines weltlichen Herrschers, dem Kaiser Domitian, mit Gottes Anrecht der einzige König der Völker (Off 15,3) mit dem Großkönig Jesus (Off 19,16) zu sein, kontrastiert. Positive Erwähnung finden im NT daneben nur Melchisedek (Hebr 7) als Glaubensvorbild sowie David als Stammvater Jesu (Mt 1,6; Röm 1,3). Mit dem Hoheitstitel (Messias-)König bzw. βασιλεὺς τῶν Ἰουδαίων oder βασιλεὺς Ἰσραὴλ wird Jesus in den Evangelien v. a. im Kontext seiner Verhandlung (Mt 27; Mk 15; Lk 23; Joh 18f) durch Pilatus, seine Soldaten oder auch jüdische Gegner belegt. Auf die Frage, ob Jesus beansprucht, der König Israels zu sein, reagiert Jesus in der Regel indirekt ausweichend. Nur in Mk 14,62 antwortet Jesus mit einem „Ich bin es.“. Insgesamt sind die Anfragen nach dem Hoheitsanspruch Jesu Messiaskönig zu sein historische Anhaltspunkte für seine Verkündigung und Tun, die in der messianischeschatologischen Tradition stand. (Vgl. Klappert 2014, S. 1487f.) 9 Johannes der Täufer hingegen hat nur vom nahe herbeigekommenen Himmelreich gesprochen und damit sein Handeln begründet (Mt 3,2). Der Täufer bleibt an dieser Stelle weitgehend unberücksichtigt. Es sei noch auf die drei wesentlichen Unterschiede der Figuren Jesus und Johannes des Täufers hingewiesen. Erstens: Jesus vertritt kein alles vernichtendes Buß- bzw. Reinigungsfeuer, vielmehr wird der göttliche Machtanspruch bei Jesus durch die Negierung der Macht des Satans durchgesetzt. Zweitens ist das entscheidende eschatologische Ereignis kein Scheidungsgericht wie bei Johannes, sondern in Jesu Tun und Botschaft nimmt das eschatologische Reich Gottes in der gegenwärtigen Welt Gestalt an. Schließlich drittens versteht Jesus das Eingreifen Gottes als längeren Prozess, Johannes hingegen denkt an ein sehr bald bevorstehendes einmaliges Geschehen. (Vgl. Stegemann 1982, S. 14.) 10 Vgl. Söding 2012, S. 114ff. 11 Wolter 1995, S. 6.

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d. h. bei der jeweiligen Übersetzung ist die andere nicht genannte Ebene jeweils mitzuhören.12 Besonders die synoptische Tradition verwendet den Vorstellungskomplex Gottesreich zur Formulierung der Botschaft Jesu.13 Jesu öffentliches Wirken beginnt mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer Berufungsvision, welche im Einzellogion (Lk 10,18) „Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz.“ erhalten ist.14 Eine solche Entmachtung des Bösen und seiner illegitimen Herrschaft gehört zum atl. und frühjüdischen Bestand des Reiches Gottes bzw. des Gerichts. Dieser Zusammenhang wird in der Weise aufgenommen, dass der Satanssturz als gegenwärtiges Ereignis interpretiert wird und Jesus damit sein Handeln sowie seine Verkündigung begründet.15 Ferner wird in den Gleichnissen Jesu das prozesshaft anwachsende, gerechte Reich Gottes thematisiert. Die Parabelerzählungen verweben atl. apokalyptischeschatologische Traditionsstränge und die Verkündigung bzw. das Tun Jesu: die eschatologische Gottesherrschaft ist gegenwärtig und setzt sich prozesshaft durch – bis zur Vollendung ist diese in Verkündigung sowie Tun Jesu erfahrbar. Deutlich zeigt sich bei den Wachstumsgleichnissen, dass der unscheinbare Anfang von der künftigen Größe zwar unterschieden werden kann, jedoch stets zusammengehört – so beispielsweise auch in den Parabeln vom Senfkorn (Mk 4,30–32 par QLk 13,18f.; Mt 13,31f.; EvThom 20) und vom Sauerteig 12 Vgl. Lindemann 1986, S. 200. Der Raumaspekt tritt stärker in Mk 9,47 oder Mt 5,20 hervor. In Mt 6,10 oder Lk 9,11 ist die Herrschaftsfunktion akzentuiert. Insgesamt lässt sich aber keine Entscheidung zu einer Seite hin treffen. „Für die dt. Übers. stellen sich Probleme, da Reich nicht den funktionalen Bereich abdeckt und Herrschaft in geographischen Sinn heute antiquiert ist.“ (Vgl. Luz 2011, S. 483.) 13 Pls und die deuteropaulinischen Briefe erwähnen das Reich Gottes selten. „Die scheinbare Zurückhaltung des Paulus gegenüber dem Basileia-Thema dokumentiert zunächst nicht eine bewusste theologische Reserve, sondern entspricht genau seiner primären Verwendung in der nachösterlichen Gemeinde. Wenn Paulus nicht öfter auf dieses Thema zurückgreift, so hat das vor allen anderen Erwägungen seinen ganz natürlichen Grund darin, dass die Lebensprobleme seiner Gemeinden nicht einfach von Missionspredigt und Taufparaklese her zu lösen sind, sondern neue theologische Antworten nötig machen.“ (Haufe 1985, S. 472.) Pls spricht von der Herrschaft Gottes, die durch Christus ausgeübt wird, nur in 1 Kor 15,24 in der Form von βασιλεύς. In aller Regel betitelt Pls Jesu mit κύριος (Röm 14,9; Phil 2,11), dem Herrscher und Überwinder der feindlichen Mächte (Röm 5,14.21; 6,9.14; 7,1). (Vgl. Lindemann 1986, S. 200.) 14 Vgl. Wolter 1995, S. 6. Diese Position wird von der Mehrheit des Exegeten vertreten. Vgl. dazu exemplarisch: Kümmel 1956; Bietenhard 1951; Jüngel 2004; Schnackenburg 1959; Hengel 1968; Schwarz 1985; Merklein 1983; Merklein 1983; Marcus 1995. Gegen diese Annahme wendet sich in jüngerer Zeit Rusam 1999. Auch Stegemann bezweifelt die Authentizität des Logions und auch die Gegenwart der Gottesherrschaft. (Vgl. Stegemann 2010.) 15 Vgl. Lindemann 1986, S. 204; Merklein 1978, S. 161.

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(Lk 13,20–21 par Mt 13,33; EvThom 96). Darüber hinaus werdn die sozialen Implikationen der durch Jesus verkündigten Gottesherrschaft u. a. anhand von Gleichniserzählungen (z. B. Gleichnis vom großen Abendmahl (Lk 14,16–24)) näher qualifiziert werden. Das Reich Gottes, wie Jesus es verkündigt, ist eine neue Tischgemeinschaft, die unabhängig von gesellschaftlichem Macht- und Statusdenken durch Gott und die entsprechenden solidarischen Rechts- sowie Gerechtigkeitsvorstellungen der atl. Tradition gegliedert ist.16 Das messianische Gastmahl Gottes, der Ort, an dem die Ausgeschlossenen eingeladen sind, und ihnen Teilhabe ermöglicht wird. „Es geht um das messianische Mahl als Vision der Gerechtigkeit unter Menschen. Die Armen und Kranken liegen gemeinsam mit Wohlhabenden und Mächtigen am Tisch (Lk 14,12–14).“17 Insgesamt verleiht die Bildsprache der Gleichnisse dem gekommenen sowie dem kommenden Reich Gottes Konturen: Gott agiert als gerechter Herrscher bzw. König, der seinen Regierungsbereich (bzw. sein Reich) ausdehnt und die Menschen an seinem Königtum beteiligt. Gottes Heilswille setzt sich trotz widriger Umstände durch18, wobei stets Zukünftigkeit und Gegenwart des Gottesreiches eng verbunden sind. Denn zum einen ist die Herrschaft Gottes bereits in der Art gegenwärtig, dass Menschen, die diese finden, alles für sie hergeben (Mt 13,44 oder Mt 13,45f). Zum anderen jedoch ist die Frucht noch nicht vollends gereift und daher die Erntezeit noch nicht da (Mk 4,30). Schließlich kommt in Exorzismen und Mahlgemeinschaft Jesu die episodale Verwirklichung des Reiches Gottes zum Ausdruck. Indem Jesus (exorzistisch) heilt, Mahlsgemeinschaft hat und auch predigt, wird das göttliche Heilshandeln scheinbar nur an einigen Personen oder Gruppen wirksam. Jedoch können diese Zöllner, Sünder, Kranken und Marginalisierten, denen sich Jesus zuwendet, als Vertreter*innen der gegenwärtigen Unheilssituation Israels interpretiert werden.19 Ferner kommt durch Jesu Interaktion mit diesen ausgegrenzten sozialen Gruppen auch die ganze Gesellschaft in den Blick, da sich an ihnen Exklusionsprozesse sowie soziale Störungen ausprägen. Indem Jesus sich also mit den Ausgeschlossenen befasst, geraten zugleich auch stets die anderen, d. h. die Gesunden, Reichen, Mächtigen usw. in den Blick. Jesu paradigmatische Beachtung der bzw. Solidarität mit den Randgruppen konkretisiert das beginnende Reich Gottes, indem er die Kategorien sozialer Abwertung dekonstruiert und eine neue Gemeinschaft konstituiert. Gelingende soziale Beziehungen und Teilhabe sind ebenfalls Aspekte der atl. zuerst formulierten Facetten Frieden, Recht und Gerechtigkeit des Reiches Gottes. In Jesu Handeln werden diese Di16 17 18 19

Vgl. Popp 2007, S. 586ff. Schottroff 2007, S. 601. Vgl. Erlemann 1999, S. 104f. Vgl. Wolter 1995, S. 12f.

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mensionen v. a. in seiner Mahlpraxis20 und seinen Erzählungen vom gemeinsamen Essen vergegenständlicht. Die Mahlpraxis Jesu lässt die radikale Egalität und die friedvoll-heilsamen sozialen Beziehungen des Gottesreiches real werden. Die Essenspraxis Jesu wird zum utopisch-eschatologisches[n] Bild einer idealen Gemeinschaft, die in begrenztem Maß schon jetzt erfahren wird. […] In der Gegen- und Leitbildfunktion zeigt sich die religiöse Dimension des gemeinsamen Essens für die konkrete Gemeinschaftserfahrung, denn das Mahl ist eine Teilrealisierung des Heils, das man sich für die kommende Welt erhofft. Sie äußert sich v. a. in zwei Aspekten, nämlich der Fülle von Speisen und der Gleichheit der Teilnehmenden. […] Darum stellt die Aufhebung bzw. Umkehrung der Standesunterschiede beim Tischdienst (der grundlegenden Sklavenfunktion) die radikalste Form der Gleichheit dar.21

Im gemeinsamen, egalitären Essen Jesu wird die endzeitliche Sammlung Gottes jenseits sozialer Grenzziehungen und damit das Reich Gottes exemplarisch verwirklicht. Schließlich ist auch das exorzistisch-charismatische Handeln Jesu22 eine Facette der einsetzenden Gottesherrschaft. Die Gegenwart und Zukunft des Reiches Gottes sind in Jesu Heilungen23, Exorzismen, Geschichten, Sündenver20 Der polemische Vorwurf, Jesus sei ein „Fresser und Weinsäufer“ (Mt 11,19; Lk 7,34) zeigt an, dass Jesus nicht nur Geschichten über Tischgemeinschaft bzw. Essen erzählt hat (Mk 14, 25 par Lk 22,16; Mt 22,1–14 par Lk 16,19–21; Lk 17,7–10), sondern selbst häufig Mahlgemeinschaft mit verschiedensten Menschen (Lk 5,29–39; 7,36–50; 11,37–54; 14,1–24) hatte. 21 Klinghardt und Staubli 2009, S. 121f. 22 Die Wissenschaft geht gemeinhin davon aus, dass der historische Jesus exorzistischcharismatische Dämonenaustreibungen und Krankenheilungen vorgenommen hat. Vgl. dazu z. B.: Becker 1996; Gnilka 1993; Kollmann 1996; Theißen und Merz 2011. Entgegen der Vorstellung des heldenhaft dargestellten θεῖος ἀνήρ muss festgehalten werden: „Jesus belongs to a charismatic branch of a first century Galilean Pharisaic-Rabbinic movement […] Its validity, however, lies in two observations, first in the sense that analogies may explain certain gospel traditions, and second that there is nothing that speaks against Jesus having been a miracle worker.“ (Oegema 2003, S. 516.) 23 In der ntl. Überlieferung wird von Jesus berichtet der auch Heilungen, d. h. Therapien vornimmt. Im NT wird zwischen Therapien und Exorzismen unterschieden: Bei Dämonenaustreibungen sind die entsprechenden Krankheiten durch die Besessenheit durch einen Dämon verursacht, dahingegen sind Krankheiten, die therapiert werden, Ausdruck einer Schwäche. Heilung ist in diesem Zusammenhang eine helfende Kraftübertragung. Die Sabbatheilungen illustrieren den Zusammenhang zwischen Heilungen und Reich Gottes. Jesus heilt auch am Sabbat Menschen (Mk 3,1–6; Lk 13,10–17; Lk 14,1–6; Joh 5,1–18; Joh 9,1– 14), womit er in Konflikt mit dem gegenwärtigen jüdischen Recht gerät, was Sabbatheilungen nur bei Lebensgefahr für den Erkrankten erlaubt. Die eindrückliche Bedeutung der Sabbatheilungen wird unter Erinnerung an das Sabbatverständnis als Zielpunkt der Schöpfung (Gen 2,2f) klarer. Denn in der Umwelt Jesu wurde in der rituellen Sabbatfeier das endzeitlich noch ausstehende Heil antizipiert. („Ein Tag des heiligen Reiches für ganz Israel ist dieser Tag nämlich … immerdar.“ Jubiläen 50,9). Von daher erhalten Jesu Sabbatheilungen eine starke theologische Aufladung: Durch sie hat Jesus Teil an der göttlichen Schöpferkraft und er ermöglicht, dass durch die Therapie der Geheilte an der endzeitlichen Gottesherrschaft partizipiert. (Vgl. Roose 2010a.)

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gebung und auch gemeinsamen Mahlzeiten eng miteinander verknüpft. „Was die Propheten für die Endzeit verheißen hatten, erfüllt sich in Verbindung mit dem Auftreten Jesu, wird für jedermann verstehbar und handgreiflich deutlich.“24 Die Zeitenwende hin zur Heilszeit, der aufgerichteten Gottesherrschaft (Mt 13,10f par Lk 10,23f) hat sich vollzogen und die illegitime Herrschaft des Satans ist bereits gebrochen (Lk 10,18 bzw. Joh 12,31). Durch die Aufnahme und Interpretation der apokalyptisch-eschatologischen Aspekte der atl. Reich-GottesMotivik entsteht im NT eine „apokalyptische Erwartung universeller Heilszukunft und die episodale Verwirklichung gegenwärtigen Heils.“25 Die Vollendung der Herrschaft Gottes steht in der Tradition als universale und sichtbare Gottesherrschaft über die ganze Schöpfung noch aus. Gegenwart und Zukunft sind jedoch in einem untrennbaren Prozess verwoben. Die Verflechtung von Jesu Person bzw. Tun und der Realisierung der Gottesherrschaft wird durch den Tod Jesu am Kreuz in Frage gestellt. Jedoch verweist das Zeugnis vom durch Gott auferweckten Jesus auf die Herrschaft Gottes und beglaubigt diese. Eine Bannung der Todesmacht ist in der atl. Tradition eine Dimension des eschatologischen Gottesreichs. In diesem Kontext kommt die Auferweckung Jesu der Beglaubigung der eschatologisch-wirksamen Gottesherrschaft gleich.

3.1.2 Theologiegeschichtliche Rezeption des Reich-Gottes-Motivs In der frühen Rezeption noch innerhalb des NT gehörte die Hoffnung der Urgemeinde auf die baldige Parusie Jesu und damit die vollständige Aufrichtung der Gottesherrschaft zum zentralen Bestand: „Die Erwartung auf eine Parusie Christi bildet daher eine Variable in der plural formulierten, jedoch konstant christusbezogenen endzeitlich-eschatologischen Hoffnungssprache der Urchristenheit“26, die ganz unterschiedliche Ausprägungen annahm.27 Jedoch wurde die zeitliche Naherwartung nicht unmittelbar erfüllt, was im NT samt seiner theologischen Implikationen debattiert wird.28 Die entsprechende Frustration über die ausbleibende Vollendung der Gottesherrschaft wirkt sich auf Glauben und Lehre der jungen Kirche aus, wobei das zentrale biblische Motiv Reich Gottes in der weiteren theologiegeschichtlichen Entwicklung sukzessive in den Hintergrund tritt. Trotz der Aufgabe der unmittelbaren Parusiehoffnung 24 25 26 27 28

Stegemann 1982, S. 15. Theißen 1974, S. 274. Mell 2012. Z. B.: Mt 24,3; 1 Kor 15,23; 1 Thess 2,19; 2 Thess 2,8; 2 Petr 3,4; 1 Joh 2,28. Dazu gehört die Frage aus 1 Thess 4,13ff, was mit den vor der Wiederkunft Jesu Verstorbenen passiert.

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wird das Reich-Gottes-Motiv im Kontext der eschatologisch-theologischen Überlegungen, (insbesondere bei der individuellen Eschatologie, da der eigene Tod immer unmittelbar bevorstehend ist), eingebracht. Das spannungsvolle Moment des Gottesreichs, wie es sich in der ntl. bzw. apokalyptischen Tradition findet, wird in den folgenden Jh. meist zu einer Seite hin aufgelöst: entweder wird das Reich Gottes mit der Kirche und/oder dem Staat identifiziert oder die Gottesherrschaft wird als strenge jenseitige Kategorie eschatologisiert bzw. als strikte innerliche Kategorie spiritualisiert, was zumeist in der Nachfolge Augustinus geschieht.29 Alles in allem sind die Bezüge zum Reich Gottes als einem entscheidenden Traditionsstrang biblischer Überlieferung bis zur Reformation eher gering30: „Dem Begriff Herrschaft Gottes und seinen Äquivalenten eignet über weite Strecken ihrer Verwendung hin eine geringere Spezifik als anderen wichtigen theologischen Begriffen.“31 Erst die pietistische Bewegung nimmt das Reich Gottes und damit auch die Fragen nach Kirche, Gottesreich, Staat sowie Politik wieder auf. Überdies wird unter Reich Gottes beispielsweise bei Kant ein geschichtsphilosophisches Grundprinzip verstanden. Das Reich Gottes kristallisiert sich in der Philosophie seit der Aufklärung als bedeutsames Motiv heraus (beispielsweise das Hegel’sche 29 Diese theologischen Grundlinien entfalten sich meist im Anschluss an die Theologie Augustins, der seinen Entwurf als Gegenüber zur „Reichseschatologie“ Eusebius entwickelt. In den ersten Jh. nach der Zeitenwende war v. a. die Frage der Zuordnung von Politik, Kirche und Reich Gottes virulent. Eusebius von Caeseraea (260/264–340) deutet das Ende der Christ*innenverfolgungen sowie die konstantinische Wende als eschatologische Realisierung im und durch das Römische Imperium. Die Geschichte vollende sich in der Christianisierung durch das Römische Reich und damit der Herrschaft des gottgesandten Kaisers Konstantin. In der Reichseschatologie des Eusebius verschmelzen Reich Gottes, Staat, Kirche und Welt in eins. Demgegenüber konzipiert rund hundert Jahre nach der Konstantinischen Wende Augustinus (354–430) seine theologiegeschichtlich prägende Position in seinem Werk „De civitate Dei“, das im Kontext der Eroberung Roms durch die Westgoten (410) zu lesen ist. (Denn durch diese Eroberung wurde die eschatologische Hoffnung auf das Römische Reich im Sinne einer Reichseschatologie frustriert.) Augustinus differenziert die „civitas Dei“ und die „civitas terrena“. Sein Entwurf ist futurisch-eschatologisch orientiert und geht zwar davon aus, dass die Gottesherrschaft bereits begonnen habe (sie ist jedoch nur in der Gemeinschaft der Glaubenden als Hoffnung gegenwärtig), jedoch liegt die Erfüllung der civitas Dei im eschatologischen Futurum jenseits der Geschichte. Nach Augustinus ist unklar, wer oder was zur civitas terrena und zur civitas Dei gehört (auch die Kirche gehört nicht eindeutig zur civitas Dei). Dies sei letztlich nur für Gott erkennbar. Augustinus Anliegen ist es, das weitgehende Neben- oder auch Gegeneinander der beiden Herrschaftsbereiche zu verdeutlichen. Ferner soll das Augenmerk der Chris*innten von den innergeschichtlichen Zusammenhängen und Ideen hin auf das Endgericht gelenkt werden. Die strenge Unterscheidung der Kirche von der Civitas Dei bzw. von weltlicher Macht sowie civitas terrena hält er nicht konsequent durch. Diese Uneindeutigkeiten bzw. Begriffsverschiebungen begünstigen mittelalterliche Deutungen, die teils ein christliches Kaisertum bzw. Herrschaft der Kirche unter Bezug auf Augustinus begründete. (Vgl. Hauschild 2007; Heussi 1991.) 30 Vgl. Mell 2012. 31 Mau 1986, S. 218.

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Reich des Geistes).32 Dittmer qualifiziert die quasi inflationäre Verwendung des Reich-Gottes-Begriffs seit dem 18. Jh. als den Ausdruck einer Suchbewegung […], die nach einer Vereinbarkeit von modernem Denken und Weltverständnis mit dem christlichen Glauben fragt. Er eignet sich als Antwort auf diese Suche v. a. deshalb, weil er ein offener Begriff ist, dem zwar einige biblische Bestimmungen allgemeiner aber auch paradoxer Art (hier ist beispielsweise an das Schon und Noch-Nicht der Gegenwärtigkeit des Reiches Gottes zu denken) zu eigen sind, der aber gerade keine fest gefügten oder konkreten Gehalte hat.33

Sowohl die Philosophie der Aufklärung als auch der Pietismus bereiteten die „Sternstunde“ des Reiches Gottes in der Theologie vor: Im 19. Jh. wird das Reich Gottes implizit oder explizit „Programmbegriff“ theologischer Großkonzeptionen.34 Im Zusammenhang mit dem Motiv Gottesherrschaft wird über Gott, die Christologie und auch die sozialen Position sowie Aufgabe des Menschen in der Welt reflektiert. „Hierzu gehört die Beschäftigung mit Gemeinschaftsformen wie Familie, Kirche und Staat ebenso wie die Betätigung von Menschen im kulturellen und wissenschaftlichen Bereich sowie mit der Gestaltung dieser Bereiche.“35 Auf diese Weise wurde das Reich Gottes aus der Enge der Themen Gericht bzw. Auferstehung befreit. Seit dem 19. Jh. wurde das biblischtheologisch zentrale Motiv wieder zu einem substantiellen Bestandteil theologischen Nachdenkens. Als wichtige Stationen seien folgende Theologen und ihre Entwürfe schlagwortartig charakterisiert. Die Neuaufnahme des Reich-GottesMotivs wird mit dem Namen Albrecht Benjamin Ritschl verbunden, der als erster dieses zur leitenden Deutungskategorie seiner Theologie und eine Art kultureller Wende in der evangelischen Theologie erhob. Darauffolgend werden die Debatten um die Verhältnisbestimmung von gegenwärtiger und kommender Gottesherrschaft, die mit den eschatologischen bzw. ethischen Interpretationen Johannes Weiß und Albert Schweitzers virulent. Auch in der Theologie Blumhardts des Jüngeren wird die Gottesherrschaft zum Bezugspunkt und dies für die Gesamtheit des menschlichen Lebens. Die fortgesetzte gesellschaftliche Modernisierung bedingt durch den industriellen Kapitalismus und Nationalis32 Vgl. Beintker 1986, S. 226. 33 Dittmer 2014, S. 10f. Walther hingegen bewertet die umfängliche Rezeption des Reich-Gottes-Motiv ganz anders als Dittmer und kritisiert v. a. seine Säkularisierung sowie Entleerung: „In der Tat lag in der Säkularisierung des Reich-Gottes-Begriffs, wie sie vor allem in der Staats- und Geschichtsanschauung der Philosophie des deutschen Idealismus vollzogen wurde, eine gefährliche Neigung, den Menschen und sein sittliches Vermögen wie aber auch die staatlichen Ordnungen zu hypostasieren. Man wird wohl auch sagen müssen, daß an manchen Punkten Theologie und Kirche dieser Neigung, wenn überhaupt, dann nur sehr zögernd widerstanden haben.“ (Walther 1961, S. 10f.) 34 Vgl. Dittmer 2014, S. 6. 35 Dittmer 2014, S. 7.

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mus sowie ihre Verfallserscheinungen (Prekarisierung und Erster Weltkrieg) zu Beginn des 20. Jh. regen Theologen zu neuen Antworten unter Rückgriff aufs Gottesreich-Motiv an. Beispielsweise beim dem religiösen Sozialisten Leonhard Ragaz (die konkret arbeitende Lebenspraxis der Moderne) sowie ganz anders beim früheren dialektischen Theologen Rudolf Bultmann (Existenz und Geschichte im Reich Gottes). Für die Bearbeitung der Fragen nach der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt wird an dieser Stelle auf den Reich-Gottes-Entwurf des zeitgenössischen Theologen Jürgen Moltmann zurückgegriffen. Er spielt nach dem Zweiten Weltkrieg mit utopischen Hoffnungspotentialen auf emanzipative Aufbrüche, wobei er zugleich die Erinnerung der Shoa bzw. des Leids der ganzen Schöpfung bzw. menschlichen Lebenswelt beibehält. Moltmann verbindet in seiner Theologie mittels des Reiches Gottes präsentische und futurische Elemente, um auf diese Weise ein konkretes und doch hoffnungsvolles Bild zu stiften. Aus Moltmanns Entwurf werden die wesentlichen Impulse für ein zeitgenössisches Reich-GottesVerständnis gewonnen, das jedoch um biblisch-theologische Einsichten erweitet wird. Der auf diese Weise erlangte Reich-Gottes-Begriff soll sodann zugleich der theologischen Tradition und auch der gegenwärtigen Konkretion der menschlichen Lebenswelt treu sein sowie schließlich den Ausgangspunkt für die praktisch-theologische Befassung mit der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt bilden.

3.1.3 Das kommende und gekommene Reich Gottes in der gegenwärtigen Lebenswelt – Jürgen Moltmann Der Tübinger Theologe Jürgen Moltmann (1926) entfaltet seit den 1960ern seinen theologischen Ansatz unter Einbezug futurisch-eschatologischer Aspekte (Geschichtstheologie) und dem Reich-Gottes-Motiv. Damit ist Moltmann Teil einer theologischen Bewegung, die Eschatologie und Geschichte erneut und mit Referenz auf Theologien des 18. und 19. Jh. aufgreift. Von daher wird unter Gliederungspunkt 3.1.3.1 näherhin auf die sich entfaltende Geschichtstheologie nach dem Zweiten Weltkrieg und dann explizit auf Vorgeschichte und Einflüsse auf Jürgen Moltmanns Theologie der Hoffnung (3.1.3.2) eingegangen. Schließlich wird Jürgen Moltmanns Theologie der Hoffnung als Reich-GottesTheologie dargelegt (3.1.2.3) und mit einer kritischen Würdigung seines Entwurfs (3.1.2.4) abgerundet.

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3.1.3.1 Geschichtstheologie nach dem Zweiten Weltkrieg Der zeitgeschichtliche Kontext nach dem Zweiten Weltkrieg plausibilisiert die hohe Aktualität der Geschichtstheologie sowie der Themen Zukunft und Hoffnung. Anschließend an die Weltkriege des 20. Jh. sind einerseits große Fortschritts- und Friedenshoffnungen präsent, jedoch wird andererseits auch die stete Bedrohung von Mensch bzw. Umwelt wahrgenommen. Zeitgeschichtlich ist fraglich: Welche Menschen(-gruppen) oder Länder haben Zukunft? Wer kann Hoffnung haben? Wer wird an den Rand gedrängt? Wie kann der Wille Gottes in den politischen, sozialen und ökonomischen Fragen der Zeit erkannt werden?36 Darauf antwortend verknüpfen geschichtstheologische Entwürfe die zeitgeschichtliche Situation und die theologische Perspektive eng miteinander. Ganz allgemein legen entsprechende theologische Entwürfe Geschichte als grundlegende Kategorie zu Grunde; diese ist nach Sauter wie folgt charakterisiert: Geschichte existiert nur als eine Geschichte. Ferner ist Geschichte ein ästhetischer Gesamtzusammenhang, der jedoch nur im Überblick als Sinn der Geschichte aufleuchten könne. Außerdem ist Geschichte ein Geschehenszusammenhang, an dem sich der Mensch Gottes Willen entsprechend beteiligen soll. Auf diese Weise sind in der Geschichte der Wille Gottes und die menschliche Teilhabe an diesem Willen verflochten. Schließlich soll der Mensch Geschichte in ihren groben Tendenzen überblicken, um sich dem Willen Gottes in der Geschichte unterzuordnen.37 Dieser Typus der Eschatologie ist ein unentbehrlicher Bestandteil einer jeden Geschichtstheologie mit dem Bindeglied einer teleologischen Ausrichtung der Geschichte: betontermaßen der Geschichte als eines einheitlichen, alles verbindenden Geschehenszusammenhanges.38 36 Der große Bucherfolg Moltmanns sowie die extensive öffentliche Wahrnehmung der „Theologie der Hoffnung“ hängen wahrscheinlich auch mit dem breiten zeitgenössischen Interesse an der Hoffnungs- und Zukunftsthematik zusammen. Moltmann erreicht(e) mit seinem progressiven Ansatz v. a. auch Menschen, die mit traditionell autoritärer oder auch kulturprotestantischer Kirchlichkeit nichts anfangen können. Der Spiegel fasste 1968 zusammen: „Wahrscheinlicher Grund des ungewöhnlichen BuchErfolges ist der revolutionäre Inhalt von ‚Theologie der Hoffnung‘. Moltmann propagiert darin ein umstürzlerisches, gesellschaftsänderndes – wie er sagt: ursprüngliches – Christentum und offeriert damit Christen und Kirchen eine Theologie, die zu aktiven, ja aggressiven Auseinandersetzungen mit der politischen Umwelt ermächtigt und anfeuert.“ (Der Spiegel 1968, S. 94.) Ferner regten auch eigene theologische Debatten (v. a. im AT) zum Wiedererwachen des Interesses an Geschichte, Heilsgeschichte sowie eschatologischen Fragen. Westermann beispielsweise untersuchte das atl. Geschichtsverständnis genauer, woraufhin die möglichen Differenzen zum griechisch geprägten Geschichtsverständnis debattiert wurden. (Vgl. z. B.: Westermann 1960.) 37 Vgl. Sauter 1995, S. 119ff. 38 Sauter 1995, S. 122.

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3.1.3.2 Vorgeschichte und Einflüsse auf Jürgen Moltmanns Theologie der Hoffnung Die Veröffentlichung der „Theologie der Hoffnung. Untersuchungen zur Begründung und zu den Konsequenzen einer christlichen Eschatologie“39 1964 verschaffte Moltmann internationale Bekanntheit. Er wird zu einem der wichtigsten zeitgenössischen Theologen, die ihr Werk am Motiv des Reiches Gottes bzw. der Eschatologie orientieren. Die Vorgeschichte der Theologie der Hoffnung (ThdH) begann mit Vorlesungen in Bonn bzw. Wuppertal, wo Moltmann das Manuskript der ThdH las. Einige Grundideen hatte er schon seit 1961 im Herausgeberkreis der Zeitschrift Evangelische Theologie debattiert. Damals ging Moltmann vom hermeneutischen Prinzip einer „Zukunft der Schrift“ anstatt der klassischen Mitte der Schrift aus.40 Das Zukunfts-Thema wurde im Verlauf mittels einer Art eschatologischer Hermeneutik bzw. eschatologischer Grundausrichtung Moltmanns für seine ganze Theologie relevant. Moltmann positioniert sich im Gegenüber zu den (theologischen) Entwürfen von Kant, Hegel, Barth oder auch Bultmann, die eine Art transzendentale Eschatologie vertreten, die sich allein auf die Erfahrungs- und Wissensbedingungen für die letzten Dinge im jeweils konkreten Jetzt bezieht. Von daher sind diese eschatologischen Perspektiven präsentisch orientiert und berücksichtigen Geschichte nicht. Demgegenüber will Moltmann die Geschichte eigenständig in den Blick nehmen, wozu er an die Geschichtstheologie des 19. Jh. anknüpft und Zeit in Form von Geschichte41 zur zentralen Dimension erklärt.42 Darüber hinaus trägt Moltmanns Zukunftsorientierung zur Aktualisierung der futurischen Eschato39 Moltmann 1977 Im Folgenden wird Moltmanns Theologie der Hoffnung mit ThdH abgekürzt. 40 Vgl Moltmann 1992. 41 Moltmanns Ansatz weist einige Gemeinsamkeiten mit dem Konzept Pannenbergs, das er mit seiner Programmschrift Pannenberg 1961 1961 vorgelegt hatte. Pannenberg distanzierte sich von „den beiden herrschenden Gestalten der Wort-Gottes-Theologie, der existentialen Hermeneutik der Bultmannschule und dem religionskritischen Offenbarungsdenken des Barthianismus, gleichermaßen […]. Der antihistorische Glaubenssubjektivismus, welcher diese beiden Spielarten der Dialektischen Theologie nach Pannenbergs Urteil kennzeichnete, sollte überwunden werden durch Wiederentdeckung der Universalgeschichte als des umfassenden Mediums der Offenbarung Gottes und durch Nachweis einer allem Irrationalismus und Dezisionismus überlegenen Vernünftigkeit des Glaubens.“ (Wenz 2014, S. 1.) In Zusammenarbeit mit anderen Fachwissenschaftlern (Rolf und Trutz Rendtorff sowie Ulrich Wilckens) begründet Pannenberg eine universalgeschichtliche Hermeneutik, die annimmt, dass das Handeln Gottes als Ganzes in der Geschichte geschehe und sei daher auch erst vom Ende, also der eschatologischen Zukunft, her voll zu verstehen. Die Auferweckung Jesu sei jedoch Prolepse, d. h. Vorgriff auf die noch ausstehende Zukunft. Im Weiteren entfaltete Pannenberg eine Theologie, die versucht, diese besondere Position Jesu vernünftig zu rechtfertigen sowie die Vernünftigkeit des Glaubens herauszuarbeiten. Vgl. dazu ferner: Pannenberg 1995; Pannenberg 1969; Pannenberg 2011; Pannenberg 1980. 42 Vgl. Bauer 2009, S. 344ff.

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logie bei. Diese sei nicht zu missachten, da aus biblisch-theologischer Perspektive noch viele Verheißungen Gottes für die Welt sowie die Menschen unerfüllt seien. Moltmann gewinnt seine Zukunftsorientierung sowie seine eschatologische Reich-Gottes-Theologie maßgeblich unter Bezug auf die beiden Blumhardts. Daneben ist aber auch “the Role of Pietism in the Theology of Jürgen Moltmann”, wie Steven O’Malley zeigt, nicht zu unterschätzen. Moltmann greift v. a. auf Motive und Aspekte des schwäbischen Pietismus zurück (v. a. Johann Albrecht Bengel und Friedrich Christoph Oetinger). Weitere Einflüsse aus der pietistisch geprägten Frömmigkeit sowie Theologie sind: Friedrich Adolf Lampe, Gottfried Arnold, Graf Nikolaus Ludwig von Zinzendorf, Gerhard Tersteegen, Johann Tobias Beck und natürlich Christoph bzw. Johann Christoph Blumhardt.43 Ferner wird seit der ersten Rezeption der ThdH kontinuierlich auf den Eingang Ernst Blochs Philosophie v. a. aus dem dreibändigen Werk „Prinzip der Hoffnung“44 verwiesen. Moltmann hatte dies zu Beginn der 1960er Jahre in einem Schweiz-Urlaub gelesen. Blochs dialektisch-apokalyptische Philosophie mit jüdischer Wurzel wirkte mit großer Sicherheit auf die Grundausrichtung der ThdH.45 Doch wurde dabei häufig der starke Einfluss der pietistischen Tradition sowie insbesondere auch der beiden Blumhardts übersehen.46 Moltmann selbst formuliert so47: „My ‘Theology of Hope’ has two roots: Christoph Blumhardt and Ernst Bloch. […] I was first influenced by Christoph Blumhardt before I read Ernst Bloch through my involvement with others in a ‘Blumhardt circle’.”48 Zusammen mit diesem Lesekreis49 widmete sich Moltmann Ende der 1950er Jahre der Blumhardt-Lektüre, als er sich vom intensiven Barth-Studium abgewendet hatte. Durch die Lektüre von Christoph Blumhardts Schriften zusammen mit denen Dietrich Bonhoeffers entdeckte Moltmann scheinbar vergessene Hoff43 Vgl. O’Malley 1993, S. 121f. Der Einfluss dieser Autoren wird an dieser Stelle nicht näherhin expliziert, wobei aber der bleibende Einfluss auf Moltmanns Denken festzuhalten ist: “Our examination of Pietist sources in the thought of Jürgen Moltmann indicates an extensive interest in this tradition as a conveyor and, in some aspects, an originator of theological motifs that have been seminal influence upon the shaping of his thought. This influence has been traced both in his historical and systematic thought. Moltmann has avoided the overall negative assessment of Pietism that has been evident in Pannenberg as well as in Barth.” (O’Malley 1993, S. 126.) 44 Bloch 1978b; Bloch 1978c; Bloch 1978a. 45 Vgl. Winn und Heltzel 2009, S. 28. 46 Beispielsweise Meeks 1974 nennt zwar pietistische Theologie als einflussreich für Moltmann im Allgemeinen, jedoch werden die Blumhardts bei den Quellen für die ThdH nicht erwähnt. Dabei kann gerade die Berücksichtigung des theologischen Gesamtzusammenhangs dazu führen, die äußerst kritische Aufnahme der Theologie Karl Barths besser zu verstehen. 47 Der dezidierte Hinweis auf die Blumhardts wurde erst sehr spät von Moltmann selbst verbalisiert. 48 Moltmann 2004, S. 4. 49 Zu diesem Lesekreis gehörten Johannes Harder, Rudolf Bohren und Johannes Rau.

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nungs- und Zukunftshorizonte des christlichen Glaubens wieder. Außerdem erschlossen sich ihm die Dimensionen Weltlichkeit, tatsächliche Menschlichkeit, Natürlichkeit und insbesondere auch die Rolle des Heiligen Geistes beim Anbruch des Reiches Gottes neu.50 Seiner Selbstauskunft entsprechend beeindruckt ihn beim älteren Blumhardt v. a. der Reich-Gottes-Bezug in der Alltäglichkeit gemeinsamer Mahlzeiten und dem Tätigsein (keine sonderreligiöse Praxen) sowie der Heilungstätigkeit. Außerdem sieht Moltmann in Blumhardts Loslösung von allen Institutionen sein radikales Gewahrsein des bereits begonnenen Gottesreiches und dem Leben in dessen Unmittelbarkeit ausgedrückt. Für seine eigene Theologie bewertet er insbesondere die hoffnungsvolle Erwartung mit ihrem Spannungsverhältnis zwischen fortschreitender Eile und geduldigem Abwarten sowie die kosmologischen Akzente als produktiv.51 Ferner rezipiert Moltmann Blumhardts Schöpfungs- sowie Weltzugewandheit, die die Erde als Gegenüber und auch als Ausdruck des göttlichen Handelns interpretiert.52 Moltmann will die Einsicht, dass die ganze Schöpfung sich zugleich nach der Gottesherrschaft sehnt und dieses Reich dem Menschen aus der Schöpfung zukommt, in seinem theologischen Profil noch stärker zur Geltung bringen. Beide Blumhardts stünden für einen universalgeschichtlich orientierten geschichtstheologischen Entwurf, der von einem zurechtbringenden Gericht mit restituierender Wiederbringung aller Dinge, der Allversöhnung der Menschen untereinander und mit Gott, also einem Reich Gottes mit universeller Versöhnung, die christologisch rückgebunden ist, ausgeht. Diese geschichtstheologische Perspektive lässt auch Moltmann die ganze Zeit bzw. Geschichte in ihrer Entwicklung in den Blick nehmen.53 Er selbst legt Rechenschaft über seine traditionsreiche Verbindung mit den Blumhardts und deren umfangreichen Einfluss ab. Überzeugend erscheint mir die These Winn/Heltzels that the Blumhardts’ influence on Moltmann is deep and abiding, and that when this ‘hidden’ influence is acknowledged, Moltmann’s later ‘shift’ is more easily understood as a shift of emphasis rather than substance. That is, his later thought is essentially in continuity, rather than discontinuity, with his earlier thought. This is because both Blumhardts sought to include a commitment to the embodied presence of God in creation within their intense eschatological expectation of the inbreaking power of the kingdom of God.54

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Vgl. Moltmann 2004, S. 4f. Vgl. Moltmann 2004, S. 6ff. Vgl. Moltmann 2004, S. 8ff. Vgl. Moltmann 2004, S. 14ff. Winn und Heltzel 2009, S. 27f.

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Exkurs: Das Reich Gottes als Deutekategorie für das ganze Leben in seiner Sozialbezüglichkeit – Christoph Friedrich Blumhardt Christoph Friedrich Blumhardt transzendiert in seiner Theologie die ethischeschatologische Ambivalenz des Reich-Gottes-Motivs (Weiß, Schweitzer) und deutet mit der Kategorie Gottesreich das ganze menschliche Leben aus. Christoph Friedrich Blumhardt (Christoph Blumhardt der Jüngere) ist nur auf dem Hintergrund seines Vaters Christoph Blumhardt dem Älteren (Johann Christoph Blumhardt) zu verstehen. Blumhardt der Ältere (1805–1880) entfaltet, aus dem württembergischen Pietismus kommend, seine Reich-Gottes-Theologie aufgrund einer exorzistischen Heilungserfahrung. Eine Frau aus seiner Gemeinde wurde nach langem Gebet von ihren Krämpfen, Geisterscheinungen bzw. Halluzinationen geheilt, was er als Ausdruck der begonnenen Gottesherrschaft interpretiert.55 Von da aus transzendiert Blumhardt der Ältere seine pietistischen Wurzeln und begreift das Reich Gottes nicht (mehr) als individuelle Heilshoffnung, sondern als universales Geschehen. Indem göttliches und menschliches Handeln einander zugeordnet werden, wird das Entweder-Oder zwischen eschatologischer und ethischer Ausrichtung negiert. Auf dem Fundament seines Vaters konzipiert Blumhardt der Jüngere seine Theologie. Nach dem Tod Blumhardts des Älteren übernimmt dessen Sohn Christoph Friedrich Blumhardt (1842–1919) die Leitung des Seelsorgezentrums in Bad Boll. Zwar knüpft der Jüngere an die Grundeinsichten des Vaters an, jedoch wird der Ton gegenüber der Institution Kirche sowie ihren als nur halbherzig wahrgenommenen Reformbestrebungen kritischer. Ferner lehnt er auch den sog. „Ich-bezogenen“ Charakter der Bad Boller Frömmigkeit, d. h. eine spiritualistisch-individualistische Verengung der Gottesherrschaft, ab. Die Theologie sei noch weiter zur Zeitgeschichte hin zu öffnen56, da nach Blumhardt die Gottesherrschaft und dämonische Mächte innerhalb eines eschatologischantithetischen Rahmens um Einfluss ringen.57 Blumhardts Ansatz trägt eine explizit pneumatologische Ausrichtung, denn durch den Geist des Pfingstfests wird die nach innen gewandte Gemeinde (Apg 1) hinaus in die Welt (Apg 2) gesendet, was nach Blumhardt ein eschatologischer Akt sei. Der Heilige sei stets ein institutionenkritischer Geist, der die Realisierung der Gottesherrschaft in je neuen, ungewöhnlichen sowie institutionenkritischen Formen erwirke.58 Die Gemeinde bilde als fragile Gruppe zusammen mit der Predigt den Boden für Gotteserfahrung, nämlich Wahrnehmung davon, was das Leben im Reich Gottes sei. Die Gottesherrschaft komme stets unverfügbar auf die Menschen zu, jedoch 55 56 57 58

Vgl. Ising 2002, 148ff., Blumhardt 2010; Blumhardt 2014. Vgl. Kerlen 1980, S. 720. Vgl. Sauter 1962, S. 330. Vgl. Sauter 1962, S. 325ff.

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könne man sich durch eine eher mystische Einführung in das Geheimnis Gottes vorbereiten.59 Darüber hinaus wird er als Gründervater des religiösen Sozialismus angesehen, da er als erster die sozialistische Revolution zusammen mit christlicher Eschatologie und dem Motiv des eschatologisch-transzendenten Gottesreichs integriert.60 Die Verhältnisbestimmung von Geschichte61 und Reich Gottes ist explizites Anliegen des Jüngeren, der das Gottesreich als Verzeitlichung Gottes definiert.62 Das handelnde Warten der christlichen Gemeinde wird beim Jüngeren zum teleologischen Impuls zur Vollendung der Gottesherrschaft. Gegenüber kulturprotestantischen Perspektiven differiert Blumhardt: „Die Kontinuität der Reich-Gottes-Geschichte besteht trotz ihrer Bedrohung durch die Weltgeschichte, die die Scheidung von Gott und Welt, von Welt und Gottesreich zu verwischen bestrebt ist.“63 Die Gottesherrschaft ist demnach ein dauerhaft bestehender Machtbereich, der jedoch nicht notwendigerweise eine stringente geschichtliche Kontinuität (im Sinne einer Fortschrittsgeschichte) aufweist. Garant für den Bestand des Reiches Gottes sind Jesus Christus, seine Auferstehung und schließlich die Vollendung bzw. Enthüllung seiner Herrschaft, die als eschatologische Heilszeit, d. h. Heilszeit vor dem Ende, hereinbricht.64 Diese eschatologische Heilszeit realisiert sich im Spannungsverhältnis zwischen Erfüllung und Verheißung, also dem „noch nicht“ und „schon jetzt“. „Dies ermöglicht das eschatologisch allein erlaubte Verständnis geschichtlicher Dynamik und Teleologie, abseits von der Gebundenheit in der Aufeinanderfolge von Ontik und Noetik in einem heilsgeschichtlichen Publikationsvorgang.“65 Die ganze Welt als Schöpfung mit ihrer physiologisch-leiblichen Struktur und daher auch Geschichte sowie Kreatürlichkeit sind nach Blumhardt der Bezugspunkt zum Handeln Gottes. Für ihn gilt: „Schöpfung ist Einheit von Natur und Geschichte, [denn] beide bilden in gegenseitiger Isolierung den zwingenden Reiz 59 Vgl. Kerlen 1981, S. 26ff. 60 Vgl. Rohls 1997, S. 171f. 61 „An ihn schließt sich auf Erden eine Geschichte an, in welche in immer größeren Kreisen einzelne Menschen und ganze Völker und zuletzt alle Welt verschlungen werden soll. Ziel dieser Geschichte ist die Herstellung eines Friedensreiches aufgrund neuer Weltordnungen“ (Blumhardt 1938, S. 200.) 62 „Es muss etwas vom lieben Gott sichtbar sein, und da muss infolgedessen sich auf Erden etwas um dieses herum göttlich bilden, – das ist Reich Gottes.“ (Blumhardt 1938, S. 234.) 63 Sauter 1962, S. 94. 64 Vgl. Sauter 1962, 304ff. „Wenn dann noch mehr geschehen wollte, daß man nicht nur im Herzen die Wahrheit davon empfindet und im Glauben danach greifen kann, sondern daß man auch bald reell etwas an sich von der Erlösung spüren dürfte nach Leib, Seele und Geist, daß etwas von den Übeln dieser Welt müßte brechen, daß es anfinge mit der Zerstörung dieser gegenwärtigen Welt – denn das bedeutet der Christtag –, dann wären wir vollkommen glückliche Leute.“ (Blumhardt 1938, S. 209.) 65 Sauter 1962, S. 324.

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zum Götzendienst.“66 Blumhardts Theologie will angesichts der konkreten gesellschaftlichen Umstände nicht schweigen, sondern Raum für aktuelle Fragen eröffnen: Nun ist es ganz merkwürdig, wie gerade in unserer Zeit – vielleicht auch zum ersten Male, so lange die Welt steht – das geistige Moment, das bisher so hoch gehalten worden ist im Kulturleben der Menschen, das philosophische, das theologische, das mystische, das theosophische zurücktritt, und die ganz plumpe Frage: wieviel Besoldung hat der? und wie ist sein Haus beschaffen? – die ganz plumpe Lohnfrage, Brotfrage, Magenfrage kommt auf mit der Begründung: ist die gelöst, dann ist der Völkerfriede da, das Völkerheil.67

In Blumhardts Antwort werden „revolutionär-evangelische Sozialgesinnung mit einem recht massiven biblischen Realismus, der einerseits den Klassenkampf als notwendige Folgerung der Botschaft vom Gottesreich, anderseits den aktiven Kampf für ein irdisches Reich der Gerechtigkeit und des Friedens“68 ansieht, verbunden. Die Mehrheit der Kirchen bzw. Theologen stellten sich im entfaltenden Kapitalismus bzw. Nationalismus und den zugehörigen (sozialen) Problemlagen auf die Seite der gesellschaftlich Mächtigen. Blumhardt dagegen solidarisierte sich aus theologischen Gründen mit den Arbeitern bzw. dem Prekariat. 1899 besuchte er eine Veranstaltung in Göppingen, die Einspruch gegen die hoheitliche „Zuchthausvorlage“, die das Streikrecht der Arbeitenden massiv einschränken und kriminalisieren sollte, erhob. Er zeigte sich dort und in der Folge solidarisch mit der Arbeiter*innenschaft.69 Auf SPD-Parteiversammlungen erklärte er, dass die Beantwortung der sozialen Frage der Verwirklichung der Gottesherrschaft im gegenwärtigen Kontext gleichkomme und auch, dass Jesus selbst eine sozialistische Haltung gehabt habe. Die Presse wertete diese Äußerungen als Bekenntnis zur Sozialdemokratie. Da eine Richtigstellung als Verleugnung des Anliegens der Arbeiter*innenschaft erscheinen konnte, nahm er die von ihm immer auch als ambivalent70 wahrgenommene SPD-Parteimitgliedschaft an. Er stellte sich zur württembergischen Landtagswahl und wurde im Kreis Göppingen mit großer Mehrheit gewählt. Sein Reich-GottesVerständnis in dieser Weise (Parteimitgliedschaft und Mandat) fortzuführen, hat

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Sauter 1962, S. 110. Blumhardt 1936, S. 289. Röhr 1974, S. 64. Vgl. Sauter 1962, S. 131ff. Blumhardts Institutionenkritik erstreckt sich dabei nicht nur auf die Kirche, sondern er lehnt auch ein erstarrtes politisches System bzw. eine erstarrte politische Partei ab. Das dynamische Reich Gottes sei unverfügbar und habe unbedingten Vorrang vor allen Institutionen. Das Gottesreich dürfe nicht durch ein sozialdemokratisches Reich ersetzt werden. (Vgl. Pfeiffer 1976, S. 86.)

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ihn mit vielen seiner früheren Begleiter (Bad Boll) entzweit.71 Zwar sorgte Blumhardts SPD-Parteimitgliedschaft für Aufregung, jedoch rief seine vehemente Betonung sozialer Rahmenbedingungen für das Reich Gottes mindestens in gleichem Maße Unmut hervor: Es ist hier nur noch die Grundvoraussetzung anzudeuten, die für Blumhardt gilt: Da das Reich Gottes den Gesamtbereich des Lebens trifft, ist das gesellschaftliche Miteinanderleben nicht ein Bereich, der nur sekundär und von einer sich in irgendeiner anderen Sphäre – etwa der individuell-soteriologischen – vollziehenden Entscheidung ableitbar berührt würde, sondern ist selbst primär der Ort, an dem die Wirklichkeit der Gottesherrschaft zur Geltung kommt und von dem aus das Einzelleben bestimmt wird.72

Wegen seiner Parteimitgliedschaft wurde Blumhardt der Pfarrertitel aberkannt und sowohl christliche als auch sozialdemokratische Kreise beäugten ihn aufmerksam, während er zeitlebens Kritik an starren Institutionen und sich verfestigenden Kirchen- oder Parteistrukturen übte.73 Obwohl die beiden Blumhardts eher randständige Theologen des 19. Jh. waren, trägt ihr kreativer Umgang mit dem Reich-Gottes-Motiv wesentlich zur Wiederentdeckung der apokalyptischen Perspektive in der protestantischen Theologie des späten 19. und beginnenden 20. Jh. bei. In ihrer christologisch konzentrierten Eschatologie wird die Spannung zwischen hereinbrechender Zukunft und Gegenwart aufrechterhalten, was die biblische Ambivalenz zwischen präsentischer und futurischer Eschatologie gelungen balanciert, die auch bei Jürgen Moltmann Aufnahme findet.74 3.1.3.3 Jürgen Moltmanns Theologie der Hoffnung als Reich-Gottes-Theologie Nachfolgend wird Jürgen Moltmann Ansatz seiner Reich-Gottes-Theologie näher expliziert. Dazu wird im Speziellen auf Geschichte bzw. Geschichtlichkeit der biblischen Tradition, die ausstehenden biblischen Reich-GottesVerheißungen als Grund der Hoffnung, die Auferweckung Jesu als Hoffnungsgrund für das gekommene bzw. kommende Gottesreich sowie Gerechtigkeit, Leben und Reich Gottes als Verheißungsaspekte eingegangen. Die Ausführungen schließen mit der Betrachtung des Reiches Gottes als einer praktischen Konkretion für Gegenwart und Zukunft bei Moltmann.

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Vgl. Pfeiffer 1976, S. 81ff. Sauter 1962, S. 136f. Vgl. Pfeiffer 1976, S. 86. Vgl. Winn und Heltzel 2009, S. 32ff.

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3.1.3.3.1 Geschichte und Geschichtlichkeit der biblischen Tradition Moltmanns Position besteht weder auf einer Konzentration auf die Gegenwart75 als erfüllende Gottesgegenwart noch auf einem kühlen Realismus, der sich mit dem tragischen Weltzustand abfindet. Vielmehr wird sein Standpunkt durch den christologisch gefüllten Hoffnungs- und Zukunftsbegriff näher bestimmt. Dazu sei die Auseinandersetzung mit den Kategorien Geschichte bzw. Geschichtlichkeit der christlichen Offenbarung unumgänglich. Indem Moltmann die christliche Hoffnung76 streng an Leiden, Sterben sowie Auferstehen Jesu rückbindet, widerspricht er üblichen, erfolgs- und fortschrittsorientierten Welt- und Geschichtsabläufen ausdrücklich. Anhand der Geschichte Jesu sei das göttliche Handeln mit dem Zielpunkt der Neuschöpfung aller Dinge nachvollziehbar. Insgesamt sei es diese Geschichte Jesu, die die christliche Hoffnung konstituiere. Ferner gehe die Hoffnung von Gott aus, wobei „Christus und seine Zukunft“ die menschliche Zukunft ermöglichten.77 Gemäß Moltmann wird die Geschichte durch Christus sowie seine Verheißungen für eine neue und zukünftige Wirklichkeit geöffnet.78 Für die menschliche Erfahrung bedeutet dies, dass „die Geschichtlichkeit des Wirklichen […] in diesem Widerspruch an der Frontlinie der Gegenwart zur verheißenen Zukunft“79 spürbar wird, denn das göttliche Handeln realisiere sich in geschichtlichen Kategorien. Indem Gott an Jesus handelt (v. a. durch die Auferweckung) eröffne er die Zukunft Jesu, worin auch die Zukunftschancen für die ganze Erde als dem Ort der Kreuzigung Jesu impliziert sind.80 Durch die Beschreibung des Hoffnungsund Zukunftshorizonts christlicher Theologie zeichnet Moltmann der ganzen Theologie eschatologische Züge (nicht nur eine explizite Lehre von den letzten Dingen) ein.81 Moltmann bemängelt, dass die Zentralität der Eschatologie in Jesu Botschaft bzw. Selbstverständnis sowie im Urchristentums nie in der Theologie Fuß fassen konnte. Denn sogar „die sog. ‚konsequente Eschatologie‘ war niemals 75 „Diese Seinsmystik der gelebten Gegenwart setzt eine Gottunmittelbarkeit voraus, die dem Glauben, der um Christi Willen Gott glaubt, nicht zu eigen werden kann, ohne dass geschichtliche Vermittlung und Versöhnung Gottes mit dem Menschen im Christusgeschehen und damit auch die Wahrnehmung der Geschichte in der Kategorie der Hoffnung verschwinden.“ (Moltmann 1977, S. 24.) 76 „Ohne die Christuserkenntnis des Glaubens wird die Hoffnung zur Utopie, die sich in leere Luft streckt.“ (Moltmann 1977, S. 16.) 77 Vgl. Moltmann 1977, S. 11ff. 78 Vgl. Moltmann 1977, S. 204f. 79 Moltmann 1977, S. 204. 80 Vgl. Moltmann 1977, S. 11ff. 81 „Es ist darum immer nur schwer möglich, eine Eschatologie für sich zu entfalten. Viel wichtiger ist es, die Hoffnung als Fundament und als Triebfeder des theologischen Denkens überhaupt aufzuweisen und die eschatologische Perspektive in die theologischen Aussagen von Gottes Offenbarung, von der Auferstehung Christi, von der Sendung des Glaubens und von der Geschichte hineinzubringen.“ (Moltmann 1977, S. 15.)

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wirklich konsequent und hat daher ein eigentümliches Schattendasein geführt“82. Seine eigene Theologie soll daher den eschatologischen Grundton christlicher Theologie radikal umsetzen. Moltmann konkretisiert die ThdH mit der Grundthese, dass Geschichte bzw. Geschichtlichkeit im biblisch-israelitischen Offenbarungsbegriff von unbedingter Relevanz sind. Dies verdeutlicht er mittels der Differenzierung zwischen griechischem und biblisch-christlichem Denken. Die westliche Philosophie bzw. Theologie formende, griechische Sichtweise sowie ihr Wahrheitsbegriff gingen vom λόγος im Sinne einer ewigen Wahrheit, die epiphan wird, aus.83 Dahingegen sei dem biblisch-christlichen Denken ein absolut-abstrakter Wahrheitsbegriff fremd, da es vielmehr durch Verheißung bzw. Zusage und Offenbarwerden Gottes geprägt ist: „Offenbarung Gottes in Israel [wird] verstanden als ein Weiterführen in der Zeit, ein Verheißen von Zukunft und Eröffnen von Novum.“84 Der Aspekt des Offenbarwerdens Gottes in der Zeit, welches in der atl. Tradition wesentlich an die Verheißungen Gottes gebunden sei, könne nur unter Sprachschwierigkeiten und mit Beschränkungen in einer griechischen Denkungsweise ausgedrückt werden.85 Moltmann schließt sich der These an, dass die Formulierung des christlichen Glaubens innerhalb des griechischen Denkens bzw. die Hellenisierung des Christentums zum Verfall bzw. zur Verstummung der biblischen Eschatologie führte.86 Dagegen will er das jüdisch-christliche Offenbarungsverständnis „vom Bann einer Epiphanie des ewigen ‚Ich-selbst‘ befreien […,] [um die] paradoxe Identität von ewigem Gott und zeitlichem Menschen“87 näher zu fassen. Folgend auf dieses erste Kapitel der ThdH „Eschatologie und Offenbarung“88 fokussiert er in „Verheißung und Geschichte“89 auf die Verheißungsgehalte der atl. Tradition. Verheißung bzw. Hoffnung90 sind nach Moltmann in der frühnomadischen Religion der Erzeltern leitend. Der Gott der Erzeltern sei „Transmigrationsgott“, der selbst auf dem Weg ist und ein Ziel bzw. Zukunft hat. Dieser bewegte Gott91 sei beim Übergang zum halbsesshaften bzw. sesshaften Leben nicht zugunsten statischer Epiphaniegötter aufgegeben worden, „sondern Landbesitz und das Bauen und Wohnen im Lande [wurde] als 82 Moltmann 1977, S. 31. 83 D. h. die ewige Gottheit zeigt sich; das oder der Ewige wird epiphan unter den Bedingungen von Zeit und Raum. 84 Marsch 1967a, S. 122. 85 Vgl. Moltmann 1977, S. 32ff. 86 „Die christliche Eschatologie in der Sprache der Verheißung wird dabei ein wesentlicher Schlüssel bei der Freisetzung der christlichen Wahrheit sein.“ (Moltmann 1977, S. 35.) 87 Marsch 1967a, S. 123. 88 Vgl. Moltmann 1977, S. 31–84. 89 Moltmann 1977, S. 85–124. 90 Verheißung und Hoffnung werden in der ThdH weitestgehend synonym verwendet. 91 Gottesvorstellung von einem Gott in Bewegung.

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eine neue Geschichtserfahrung in die ursprüngliche Verheißungsreligion“92 eingebracht. 3.1.3.3.2 Die noch ausstehende Zukunft der biblischen Reich-Gottes-Verheißungen als Grund der Hoffnung Moltmann verwendet die Begriffe Verheißung und Hoffnung weitgehend synonym, denn im AT sei die Verheißung die Zusage einer noch ausstehenden, zukünftigen Wirklichkeit, die demnach auch erhofft wird. Hierbei könne Verheißung weder Wiederholung noch Wiederkehr des Gleichen meinen, sondern impliziere stets das qualitativ Neue, welches zukünftig durch Gott erfüllt werden müsse. Diese hoffnungsvollen Erwartungen eröffneten einen spannungsvollen Raum zwischen Verkündung und Erfüllung. Dieser Zwischenraum93 existiere als geschichtliche Wirklichkeit, da die atl. Verheißungen nie vollständig realisiert wurden94: Fragt man nach dem Grund für den beständigen Mehrwert der Verheißung gegenüber der Geschichte, so muss man wieder ein abstraktes Verheißungs-Erfüllungs-Schema verlassen. Man muss dann auf die theologische Deutung dieses Vorgangs zurückgreifen: Der Grund für den Mehrwert der Verheißung und ihre ständige Überschüssigkeit über die Geschichte liegt in der Unausschöpflichkeit des Verheißungsgottes, der sich in keiner geschichtlichen Wirklichkeit erschöpft, sondern erst ‚zur Ruhe‘ kommt in einer Wirklichkeit, die ihm ganz entspricht.95

Obwohl Moltmann die Geschichte als Medium der Verheißung bzw. Erfüllung hochschätzt, will er festhalten, dass geschichtlichen Ereignissen selbst nicht der Charakter der Wahrheit eignet, denn in diesen scheine das Ziel bzw. Ende nur auf. Gegenüber der weltlichen Faktizitäten leiste die Verheißung, welche in der Offenbarung Christi kulminiert, radikalen Widerspruch zu Gebrochenheit sowie Zerbrechlichkeit des menschlichen Lebens und der ganzen Welt. Wenn also diese Verheißung erkannt und erhofft werde, dann eröffnet sie den „Spielraum der Geschichte, der von der Sendung, von der Verantwortung der Hoffnung […] und durch den Aufbruch in die verheißene Zukunft erfüllt ist.“96 Schließlich sei Hoffnung nur dann möglich, wenn die gegenwärtige Wirklichkeit geschichtlich offen sei und sich das Erhoffte auch in Zukunft realisieren könne.97 Trotz alldem bleibe Geschichte unter den weltlichen bzw. schöpfungsgemäßen Bedingungen 92 Moltmann 1977, S. 87. 93 Die Metapher vom „Zwischenraum“ ist an dieser Stelle von der Verfasserin gewählt. Zur näheren Bestimmung dieses „Zwischenraums“ bzw. „Möglichkeitsraums“ finden sich an späterer Stelle Erklärungen. 94 Moltmann 1977, S. 92ff. 95 Moltmann 1977, S. 95. 96 Moltmann 1977, S. 76. 97 Vgl. Moltmann 1977, S. 74ff.

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widersprüchlich und Sünde könne ggf. die ganze Welt an den Rand der Zerstörung führen. Keinesfalls könne Geschichte Fortschrittsgeschichte oder unbedingter Sinnzusammenhang sein. Jedoch seien gerade diese konkreten Umstände und Logiken (Sünde, Macht, Ungleichheit, Ausschluss usw.) der Zusammenhang, in dem die Verheißungen Gottes auf eine neue Zukunft zu hören seien.98 Moltmann illustriert in einem Durchgang durch das AT die unterschiedlichen Perspektiven der Verheißungstradition99, wobei diese angesichts der Bedrohung durch Assur, Persien sowie Babylon, welche als Gericht JHWHs über sein Volk interpretiert wird, maßgeblich transformiert wurde. Die Prophetie universalisierte das eschatologische Handeln JHWHs, der nun Herr aller Völker und des kommenden Heils ist. Die dynamischen Bilder vom neuen Exodus bzw. vom neuen Bund verdeutlichten, dass dieses Neue keine Restitution des Alten ist, sondern qualitativ unterschieden werden müsse, da alle Menschen einbezogen werden. Im Zusammenhang der fraglichen Gegenwartserfahrungen und der entsprechenden theologischen Modifikations- sowie Deutungsprozesse gerate auch zunehmend der Tod als menschliche Grenze in den Fokus. In der Konsequenz werde der Tod als Endlichkeit des Menschen zunehmend in Frage gestellt. Weitere Diversifizierung sowie Transformationen seien in den apokalyptischen Texten, die das göttliche Handeln auf die ganze Welt bzw. den ganzen Kosmos beziehen, nachweisbar. Die apokalyptische Tradition ziehe den „Kosmos […] geschichtlich in den Prozeß des Eschaton“100 hinein. Auf diese Weise hebe die Apokalyptik die eschatologische Theologie nicht auf, sondern erweitere die Hoffnung auf ein endzeitliches Handeln Gottes universal-kosmologisch.101 Mit diesem atl. Fundament der ThdH legt Moltmann den Grundstein zum Verständnis der christlichen Zukunftshoffnung, denn diese sei aufs engste mit dem AT verzahnt. Dies ergebe sich erstens, weil der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, d. h. der Gott der atl. Tradition, auch der sei, der Jesus von den Toten auferweckt hat. Zweitens schließlich habe sich Jesus selbst als Jude verstanden und von daher sein Tun auf dem Hintergrund der atl. Verheißungen bestimmt.102 98 Vgl. Moltmann 1977, S. 96ff. 99 Dazu gehören Verheißung und Gesetz (vgl. Moltmann 1977, S. 108–112), Verheißung in prophetischer Eschatologie (vgl. Moltmann 1977, S. 112–120) und Realisierung der Verheißung in apokalyptischer Eschatologie (vgl. Moltmann 1977, S. 120–124.) Im Speziellen an dieser Stelle eine Anmerkung zum Verhältnis Verheißung und Gesetz: Moltmann betrachtet das Gesetz aus dem Blickwinkel der wandernden Nomaden als unbedingt nötige Wegweisung zur Erreichung des Ziels. Die Gebote seien daher als ethische Rückseite der gottgegebenen Verheißung zu verstehen. Verheißung und Gebot werden von Moltmann als unbedingt zueinander gehörig qualifiziert. (Vgl. Moltmann 1977, S. 108–112.) 100 Moltmann 1977, S. 123. 101 Vgl. Moltmann 1977, S. 112ff. 102 Vgl. Moltmann 1977, S. 127.

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Trotz seiner breiten atl. Grundlegung entfaltet Moltmanns die ThdH im Wesentlichen unter Rückgriff auf Jesu Tun sowie Predigt und hat daher ein eindeutig christologisches Zentrum. 3.1.3.3.3 Die Auferweckung Jesu als Hoffnungsgrund für das gekommene und kommende Gottesreich Moltmann spezifiziert dies im Buchabschnitt „Auferstehung und Zukunft Jesu Christi“103 in insgesamt 14 Paragraphen. Die Person Jesus und Gottes Handeln an ihr sind demnach Gottes geschichtliches Handeln an Israel bzw. der ganzen Welt. Jesus offenbare keine allgemeine Wahrheit, sondern das konkrete, einmalige, geschichtliche Ereignis der Kreuzigung und Auferweckung Jesu durch Jahwe, den Gott der Verheißung, der aus dem Nichts das Sein schafft, wird durch den universalen eschatologischen Horizont, den es vorauswirft, allgemein.104

In der christlichen Theologie werde die geschichtliche Existenz des Gekreuzigten durch die Ostererscheinungen mit der Existenz des Auferstandenen identifiziert: „Jesus wird in den Ostererscheinungen wahrgenommen als der, der wirklich war. […] Jesus wird in den Ostererscheinungen wahrgenommen als der, der er wirklich sein wird.“105 Dies könne als widersprüchlich-ambivalente Identität verstanden werden, theologisch sei dies aber als Gottes Treue gegenüber Jesus zu deuten. Gottes Tun demonstriert seine Loyalität an Jesus exemplarisch. In diesem Sinne gilt Gottes Treue universell allen Menschen und dem Kosmos, die allesamt in tödlichen Verstrickungen, d. h. in Sünde verfangen sind.106 Im Für und Wider der geschichtlichen Wirklichkeit der Auferweckung entscheide sich, ob eine begründete Hoffnung und damit Zukunftsfähigkeit dieses Glaubens bestehe. Die Kontroverse um die Geschichtlichkeit der Auferstehung wird schon seit der ntl. Traditionsbildung107 bis in die gegenwärtige Theologie geführt.108 Moltmann will die Geschichtlichkeit der Auferweckung Jesu, als Grund seiner Hoffnungstheologie beibehalten und problematisiert daher jegliche Geschichtsbegriffe, die vom Analogieprinzip geprägt sind. Das Analogieprinzip erklärt das Alltägliche bzw. üblicherweise Erfahrbare oder Normale 103 104 105 106 107 108

Moltmann 1977, S. 125–129. Moltmann 1977, S. 127f. Moltmann 1977, S. 75. Vgl. Moltmann 1977, S. 75. Z. B. Act 2,14.3,15. 5,31; 1 Kor 15,3 usw. Moltmann kritisiert sowohl die historisch-kritische als auch die existentiale Interpretation der Auferstehung Jesu, denn beide Ansätze versuchten die Auferstehung in ein bisher bestehendes Weltbild zu integrieren. Wer Gott ist, werde rein in menschlichen Kategorien gedeutet, statt sich von der Auferstehung her ein neues Bild über Gott, sich selbst und auch die Geschichte zu machen.

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zur Richtschnur für das in der Zukunft Mögliche und Glaubwürdige.109 Die Annahme, dass geschichtliche Ereignisse nur im Kontext bisher erlebter innerweltlicher Wirk- und Handlungszusammenhänge möglich seien, kritisiert Moltmann als positivistischen Fehlschluss. Demgegenüber votiert er dafür, in historischen Zusammenhängen gerade das Zufällige, das ganz plötzlich Neue und Kontingente wahrzunehmen. Theologisch führt er diese Grundannahme noch weiter: „Denn mit der Auferweckung Jesu Christi ist nicht die Kategorie des Zufällig-Neuen verbunden, sondern die Erwartungskategorie des Eschatologisch-Neuen.“110 Denn die Auferweckung selbst sei kein denkbarer geschichtlicher Vorgang gewesen. Vielmehr sei sie eschatologisches Geschehen, das die ganze Weltgeschichte einbezieht und neue Möglichkeiten für Mensch, Welt und Geschichte selbst konstituiert. Moltmann konstatiert: Die Auferweckung ist in ihrer Singularität geschichtsstiftendes Ereignis. Die Auferstehung sei „Urdatum der Vergeschichtlichung der Welt“111, die in apokalyptischen Texten theologisch bereits formuliert wurde. Alles in allem sei die Auferstehung ein geschichtliches Ereignis, jedoch nicht, weil sie in der Geschichte vollzogen wurde, sondern weil sie geschichtsstiftend wirke. Indem Gott an Jesus handelt, breche die kommende Gottesherrschaft über den ganzen Kosmos an.112 Auf Grundlage dessen kommt Moltmann zu dem Fazit, dass das Auferweckungsgeschehen „nur im modus der Verheißung verstanden wird. Es hat seine Zeit noch vor sich, wird als ‚geschichtliches Phänomen‘ nur in seiner Bezogenheit auf seine Zukunft begriffen.“113 Moltmann wendet sich im Weiteren der Bezeugung der Auferweckung durch die Ostererscheinungen der Jüngerinnen zu. Die Begegnungen mit dem Auferstandenen qualifiziert er im Rahmen seines Geschichtsbegriffs als das Neue, was durchaus wahrscheinlich ist und ebenso in der christlichen Tradition breit überliefert wurde. Moltmann lenkt sodann den Blick auf die Tatsache, dass die Zusammentreffen mit dem Auferstandenen zugleich beglaubigenden sowie berufenden Charakter für die Jünger haben. Diese Berufung bzw. Sendung von einzelnen Personen oder einer Gruppe weise stets in die Zukunft, die als 109 In der Theologie dient v. a. die einflussreiche Trias der historischen Methode, wie sie Ernst Troeltsch 1898 formuliert hatte, als Richtschnur. Die Trias besteht aus Kritik, Analogie und Korrelation. Bezüglich des Analogieprinzips gelte: „Die Analogie des vor unseren Augen Geschehenen und in uns sich Begebenden ist der Schlüssel zur Kritik.“ (Troeltsch 1913, S. 732.) Geschichte sei zwar nicht einfach eine Wiederholung des bereits Geschehenen, aber es sei von der prinzipiellen Gleichartigkeit allen Geschehens auszugehen, die zwar „den Unterschieden allen möglichen Raum läßt, im Übrigen aber jedesmal einen Kern gemeinsamer Gleichartigkeit voraussetzt, von dem aus die Unterschiede begriffen und nachgefühlt werden können“ (Troeltsch 1913, S. 732.) 110 Moltmann 1977, S. 162. 111 Sauter 1967, S. 109. 112 Vgl. Moltmann 1977, S. 150ff. 113 Moltmann 1977, S. 172.

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eschatologischer Möglichkeitsraum bestehe. Bei „Möglichkeitsraum“ handelt es sich um einen im Kontext der Bloch’schen Hoffnungsphilosophie verbreiteten Terminus. Der Begriff Möglichkeitsraum wird jedoch hier von der Autorin auf Grundlage der Moltmann’schen Theologie konkretisiert. Die Raummetapher wird aus der Moltmann’schen Theologie gewonnen („Spielraum von Geschichte“114 sowie „Vorraum des Möglichen aller Dinge“115). „Raum“ eignet sich, die örtlich-lokale Ausdehnung des Reiches Gottes in seiner Konkretion zu erfassen. Kombiniert mit dem Moltmann’schen Terminus der Möglichkeit („die eröffneten Möglichkeiten“116, die „zukünftigen Möglichkeiten“117 und ganz allgemein „des Möglichen“118), der die Possibilität eines zu Seienden ausdrückt, ergibt sich der Möglichkeitsraum. Dieser Möglichkeitsraum ist ein von Gott her unter temporalen Bedingungen konstituierter Ort, der sich durch die eschatologische Spannung des Reiches Gottes, also dem noch-nicht und jetzt-schon auszeichnet. In diesen geschichtlichen Raum kann sich das Reich Gottes unverfügbar hineinereignen. Im Folgenden wird die Metapher des Möglichkeitsraums bei Moltmann noch näherhin spezifiziert, was die Grundlage für die detaillierte Bestimmung im Kontext des synthetischen Reich-Gottes-Verständnisses bildet. Grundsätzlich sei „christliche Eschatologie […] Tendenzkunde der Auferstehung und Zukunft Jesu Christi und geht darum unmittelbar in das praktische Wissen über die Sendung über.“119 In gleichem Maße wie auf die biblischen Verheißungen von der neuen Zukunft Gottes gehofft werde, sei stets mit der eigenen Berufung bzw. Sendung zu rechnen. Nach Moltmann ist die Hoffnung auf die vollständige Realisierung des Reiches stets mit ethisch-praktischen Implikationen verbunden. Die Sendung der Menschen ähnle der Berufung Jesu insofern, als in ihr Gottes Verheißungen bereits in die Tat umgesetzt wurden. Jedoch stehe die letztendliche Erfüllung noch zukünftig aus. Diese Dialektik erläutert Moltmann unter Rückgriff auf Ernst Bloch. Moltmann erkannte in Bloch das verschüttete Erbe des jüdischen Messianismus, obwohl und während Bloch selbst diese Wurzel seines Denkens meinte geringschätzen zu dürfen und dafür seine marxistische Geschichtsauffassung in den Vordergrund rückte. Moltmann […] reklamierte in Bloch den verkannten jüdischen Lehrer der Hoffnung. Das Werk des Leipziger Philosophen hatte […] eine katalysatorische Funktion für Moltmanns theologische Suche. Es öffnete ihm die Augen für ein Thema,

114 115 116 117 118 119

Moltmann 1977, S. 76. Moltmann 1977, S. 206. U. a. Moltmann 1977, S. 27.84. Moltmann 1977, S. 30. Moltmann 1977, S. 206. Moltmann 1977, S. 177.

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das zu den Kernstücken der christlichen Botschaft gehört, aber unter einem behäbigen und angepaßten Christentum verborgen lag.120

Der marxistische Philosoph Ernst Bloch (1885–1977) entfaltet v. a. im Prinzip Hoffnung seinen Entwurf einer konkreten Utopie, die sich innerhalb der materialen Welt prozesshaft vollziehe. Die utopische, d. h. erhoffte, Zukunft habe bereits an der gegenwärtigen Zeit teil. Leitbegriffe Blochs sind hierbei Materie, Prozess, Front, Novum, Tendenz und Latenz. Die Dialektik von Tendenz und Latenz spiegelt nach Bloch den utopischen Prozess wider. Der zwischen Tendenz und Latenz erfahrene Mangel in der Gegenwart treibe die Realisierung der utopischen Gehalte voran. Insbesondere die Bloch‘sche Figur von Latenzen und Tendenzen121 findet Eingang in Moltmanns ThdH: „Prozeßhaft-konkrete Utopie ist in den beiden Grundelementen der marxistisch erkannten Wirklichkeit: in ihrer Tendenz, als der Spannung des verhindert Fälligen, in ihrer Latenz, als dem Korrelat der noch nicht verwirklichten objektiv-realen Möglichkeiten in der Welt.“122 Die christliche Theologie spiegle die Dialektik zwischen Latenz und Tendenz wider. Denn die fragmentarische christliche Erkenntnis sowie Theologie sind Ausdruck der unter den Umständen der leidenden bzw. sterbenden Welt verborgenen göttlichen Verheißungen – d. h. diese sind latent. Zugleich ist es aber die Latenz der Auferweckung Christi, die die Tendenz auf das Neue und die Hoffnung anstößt:123

120 Müller-Fahrenholz 2000, S. 34. 121 Vgl. Moltmann 1977, S. 156ff. „Die Welt ist in den Augen Blochs voll Anlage zu etwas, Tendenz auf etwas, Latenz von etwas und nur von diesem Unabgeschlossensein und Tendieren ist das Sein zu verstehen.“ (Matic 1983, S. 30.) „Das Eigentliche oder Wesen ist dasjenige, was noch nicht ist, was im Kern der Dinge nach sich selbst treibt, was in der Tendenz-Latenz des Prozesses seine Genesis erwartet; es ist selber erst fundierte, objektive reale Hoffnung.“ (Bloch 1978a, S. 1625.) Insgesamt wird auf den Einfluss Blochs unter Gliederungspunkt 3.1.3.4 knapp eingegangen. In der Rezeption der ThdH wird das von Bloch übernommene Begriffspaar Latenz-Tendenz besonders stark kritisiert; Moltmann benennt dies in der Folge mit den Termini adventus und futurum. 122 Bloch 1978c, S. 727. Treffend formuliert Bloch später in Experimentum mundi: „Es erhellt nun, dass Totalität, indem sie dergestalt in der Tendenz geht, jedoch gehemmt und noch unerreicht, zugleich das utopisch Fundierende der Tendenz einschließt: die Latenz. Mit ihr ist nicht Verstecktes gemeint, wie es nur ausgepackt werden müsste. […] Stattdessen ist mit Verborgenem hier ein Zustand gemeint, worin noch ferne Geburt eines Neuen umgeht und so, dass ohne den ungekommenen Austrag von Latentem überhaupt nichts schwanger sein könnte. […] Latenz, in einer Art Erwartungsraum, erscheint derart leicht wie ein letztes Stück des alten Himmels, des fertig jenseitigen Himmels, in den der Strom der guten Werke mündet. […] mit anderen Worten: Latenz ist die Weise, womit der noch nicht seiende Zielinhalt sich in der Tendenz geltend macht.“ (Bloch 1985, S. 147.) 123 Vgl. Moltmann 1977, S. 184f.

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Wenn wir aber das absconditum sub cruce als Latenz und das revelatum in resurrectione als Tendenz nehmen, wenn wir nach der Intention Gottes in der Sendung Jesu fragen, so stoßen wir auf das zuvor Verheißene. Die missio Jesu wird allein verständlich an der promissio. Seine Zukunft, in deren Lichte er erkennbar wird als das, was er ist, wird im Vorschein erhellt durch: die Verheißung der Gerechtigkeit Gottes, die Verheißung des Lebens aus der Auferstehung von den Toten und die Verheißung des Reiches Gottes in einer neuen Totalität des Seins.124

Moltmann differenziert die Latenz-Tendenz-Dialektik (adventus-futurum) in folgende drei Aspekte des Christusgeschehens: Verheißung der Gerechtigkeit Gottes, Totenauferstehung sowie Reich Gottes.125 3.1.3.3.4 Gerechtigkeit, Leben und Reich Gottes als Dimensionen der Verheißung Die drei Dimensionen Gerechtigkeit, Leben und Reich spezifizierten die Verheißung bzw. Hoffnung näher. Dabei sei Gerechtigkeit Gottes das wohlordnende Handeln Gottes, mit dem er die ganze Schöpfung leitet, ferner seine Gemeinschaftstreue und Rechtsetzung für die Opfer bzw. Täter*innen von Ungerechtigkeit. Gottesgerechtigkeit wird gegenwärtig realisiert – ist aber zugleich auch noch eine Verheißung.126 „In ihr wird das Verheißene gegenwärtig dargereicht und wird doch ergriffen in der Hoffnung des Glaubens.“127 Die zweite Hoffnungsfacette ist nach Moltmann die allgemeine Auferstehung der Toten sowie die Überwindung des Todes. Durch die Auferweckung Jesu von den Toten zeige sich Gott als mächtiger Überwinder von Hoffnungslosigkeit und Verdammnis. Durch den Tod Jesu werde die Todesmacht paradigmatisch überwunden und zugleich eine ganz neue Zukunft konstituiert.128 Die dritte Verheißungsdimension Reich Gottes schließlich ist laut Moltmann „die eigentliche Mitte“129 der Hoffnung. Das Gottesreich subsumiere daher für alle Hoffnungsaspekte der christlichen Tradition. Insgesamt sei das Reich Gottes in der Dialektik zwischen Tendenz-Latenz bzw. adventus-futurum gegenwärtig, jedoch stünde seine Zukunft ebenso noch aus.

124 125 126 127 128

Moltmann 1977, S. 185. Dies bestimmt er nun in den folgenden Paragraphen 11–13 näher. Vgl. Moltmann 1977, S. 184ff. Moltmann 1977, S. 189. „Die Wahrnehmung des Auferstehungsgeschehens Christi ist darum eine hoffende und erwartende Erkenntnis dieses Geschehens. Sie nimmt die Latenz des ewigen Lebens, das aus Negation des Negativen […] in diesem Geschehen war. Sie nimmt die Tendenz zur Auferstehung der Toten in diesem Geschehen der Auferweckung des einen an.“ (Moltmann 1977, S. 192.) 129 Moltmann 1977, S. 197.

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3.1.3.3.5 Das Reich Gottes als konkrete Gegenwart und Zukunft Moltmann hebt die Kontinuität bzw. die Gemeinsamkeiten des Reich-GottesMotivs innerhalb der biblischen Tradition hervor, wobei die Modifikationen Ausdruck des Dialogs zwischen Verheißung und geschichtlicher Erfahrung seien. Der atl. Wandel von der partikularen zur universalen Gottesherrschaft zeige nur unterschiedliche Momente dergleichen Vorstellung: Daß nach dem Zerbrechen der geschichtlichen Eigenständigkeit Israels die Erwartung der Gottesherrschaft in der rabbinischen Theologie im Gehorsam des Thoragerechten vergegenwärtigt wurde und in der apokalyptischen Theologie durch weltgeschichtliche Spekulationen futurisiert wurde und sein Kommen an weltgeschichtliche Spekulationen delegiert wurde, zeigt die Unmöglichkeit an, ohne neue Erfahrungsgehalte die Verheißung der Gottesherrschaft sowohl geschichtlich wie eschatologisch zu begreifen.130

Moltmann schließt sich dem theologischen Konsens an, dass βασιλεία das Grundmotiv Jesu sei, denn es verbinde die Idee vom messianischen Gottesreich mit dem Geheimnis seiner eigenen Gegenwart. Nach Jesu Tod und den Ostererscheinungen würde die Reich-Gottes-Verkündigung durch kosmologischapokalyptische Aspekte erweitert, um auf diese Weise Tod und Auferweckung Jesu innerhalb des Motivs Gottesherrschaft interpretieren zu können. Die ReichGottes-Hoffnung des vorösterlichen Jesus sowie die Christologie der urchristlichen Gemeinde gehörten aufgrund der Identität von Gekreuzigtem und Auferstandenem zusammen. Dies belege wiederum die Bedeutsamkeit des ReichGottes-Motivs.131 Zusammenfassend illustriere die Auferstehung die bleibende eschatologische Ausrichtung des Reiches Gottes132: „Beginnt das Reich Gottes gleichsam mit dem neuen Schöpfungsakt, so ist endlich der Versöhner der Schöpfer, und so muss die eschatologische Aussicht auf Versöhnung, die Versöhnung der ganzen Kreatur meinen und eine Eschatologie aller Dinge entfalten.“133 Schließlich sei nicht zu vergessen, dass die christliche Gemeinde durch die Sendung in die Gottesherrschaft hineingenommen werde. Zwar lenkten Kreuz, Leiden sowie Gottverlassenheit den Blick auf das noch ausstehende Reich und seine Charakteristika Recht, Gerechtigkeit, Frieden und Teilhabe. Dennoch stifteten die Ostererscheinungen zur Hoffnung der Gottesherrschaft unter konkret-geschichtlichen Umständen an. Ist das Reich Gottes „als Verheißung und Hoffnung gegenwärtig, so wird diese seine Gegenwart bestimmt durch den Widerspruch des Zukünftigen, Möglichen und Verheißenen 130 Moltmann 1977, S. 198. 131 „Sie erinnern Jesus auf Grund der durch die Auferstehungserscheinungen geweckten Erwartungen auf seine Zukunft und stellen den irdischen, gekommenen Jesus im Lichte seiner mit Ostern erhoffbaren Zukunft dar.“ (Moltmann 1977, S. 200.) 132 Vgl. Moltmann 1977, S. 198ff. 133 Moltmann 1977, S. 203.

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gegen die schlechte Wirklichkeit.“134 Die Zukunft des Reiches Gottes bzw. Recht, Gerechtigkeit, Frieden und Teilhabe sind gemäß Moltmann durch den eschatologischen Möglichkeitsraum eröffnet, in welchem der hoffnungsvolle Mensch den Erfahrungen von Ungerechtigkeit und Leid widersprechen könne. Diese hoffnungsvollen Menschen könnten sich gar nicht mehr von der geschichtlichen Welt abwenden, sondern müssten sich motiviert aus der Verheißung heraus mit den Leidenden bzw. Ausgeschlossenen solidarisieren. „Die pro-missio des Reiches begründet die missio der Liebe in die Welt.“135 Die Hoffnung auf das Gottesreich begründe die christliche Sendung in die Welt, die mit offenem und hoffnungsvollem Blick auf die festgefahrenen geschichtlichen Normalitäten und Strukturen sieht.136 „Die Sendung der Hoffenden in diesen Vorraum des Möglichen aller Dinge hinein folgt der Richtung der Tendenz des Handelns Gottes, indem sie seiner Treue und seiner Verheißung in seiner Allmacht folgt“137 – in diesen Möglichkeitsraum sei die christliche Gemeinde hineingestellt. Die Kirche müsse unbedingt der christlichen Verheißung gegenüber vielfältigen gesellschaftlichen Erwartungen138 sowie Funktionalisierungsversuchen treu bleiben. Außerdem habe Kirche sich aus dem gesellschaftlichen Rollenkorsett zu befreien und müsse aktiv Widerspruch gegen Ungerechtigkeit erheben. Aufgrund der christlichen Sendung und der Hoffnungsperspektive sei gegenüber den Selbstverständlichkeiten moderner Gesellschaften (Geschlechter- und Rollenverständnis, Arbeitsteilung, Vergesellschaftungsformen etc.) kritische Vorsicht angebracht. Denn die Reich-Gottes-Hoffnung fordere Christ*innen dazu auf, sich wachsam mit diesen „Normalitäten“ auseinanderzusetzen bzw. die jeweilige soziale Wirklichkeit am Reich Gottes auszurichten, um in diesem Sinne ihrer Sendung treu zu bleiben.139 Wenn die christliche Gemeinde so auf die Zukunft des Herrn ausgerichtet ist und sich selbst und ihr eigenes Wesen immer nur von dem Zukommen des Herren, der ihr voraus ist, erwartend und hoffend empfängt, dann muß auch ihr Leben und Leiden, ihr Wirken und Handeln in der Welt von dem geöffneten Vorraum in der Welt bestimmt sein.140

134 135 136 137 138

Moltmann 1977, S. 203. Moltmann 1977, S. 204. Vgl. Moltmann 1977, S. 202ff. Moltmann 1977, S. 206. Vgl. Moltmann 1977, S. 280–299. Moltmann führt die verschiedenen Erwartungen und Funktionalisierungen an, denen Kirche in der modernen Gesellschaft ausgesetzt ist: § 1 Der Kult des Absoluten und die moderne Gesellschaft; § 2 Religion als Kult der neuen Subjektivität; § 3 Religion als Kult der Mitmenschlichkeit; § 4 Religion als Kult der Institution. 139 Vgl. Moltmann 1977, S. 299. 140 Moltmann 1977, S. 301.

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Alles in allem sei also die Berufung der Gemeinde am eschatologischen Erwartungshorizont der Gottesherrschaft orientiert, in den sie die Welt mit hineinnehmen soll. Die Sendung in die Welt: „Das bedeutet nicht Seelenheil, individuelle Rettung aus der bösen Welt, Trost im angefochtenen Gewissen allein, sondern auch Verwirklichung eschatologischer Rechtshoffnung, Humanisierung des Menschen, Sozialisierung der Menschheit, Frieden der ganzen Schöpfung.“141 Durch die Auferstehungshoffnung wird der Menschen nach Moltmann zum Engagement für eine mögliche andere Welt befähigt. Dieser Einsatz für eine andere Welt bzw. das Reich Gottes ist nach Moltmann ein Mittelweg, der sich immer wieder gegenüber den Extremen abgestumpft-kühles Ertragen menschlicher Verhältnisse und der stolzen-erfüllungsmächtigen Umsetzung der Gottesherrschaft ausbalancieren muss. Auf diese Weise bleibe das Reich Gottes zwar unverfügbar, jedoch sei durch die Verheißung der Möglichkeitsraum eröffnet und die Menschen zum mutigen Handeln darin aufgerufen. Das Reich Gottes werde demnach im hoffnungsvollen Tun antizipiert.142 Dabei strukturiere sich dieses konkrete Handeln entlang der Dimensionen Recht, Gerechtigkeit, Teilhabe, Frieden, Teilhabe und Leben in Fülle und nehme dann als Verkündigung bzw. Abendmahl sowie auch als praktisches Tun Gestalt an. Die Hoffnung auf das endzeitlich noch zu vollendende Reich Gottes bzw. der gegenwärtige Möglichkeitsraum regt die Gemeinde an, vermeintliche Sicherheiten zurückzulassen. Vielmehr finde die Gemeinde unter den hoffnungsvollen Umständen den Mut, den Handlungsimperativen, die sich aus der Dissonanz zwischen gegenwärtigem Sein und erhoffter Zukunft der Gottesherrschaft ergeben, zu folgen.143 Die christliche Hoffnung wirft darum in einem institutionalisierten Leben die ‚Sinnfrage‘ auf, weil sie sich mit diesen Verhältnissen in der Tat nicht abfinden kann und die ‚wohltätige Fraglosigkeit des Lebens‘ in ihnen nur als eine Gestalt des Nichtigen und des Todes erkennt. Sie ist in der Tat auf ‚andere Institutionen‘ aus, weil sie das wahre, ewige Leben, die wahre und ewige Würde des Menschen, die wahren und gerechten Verhältnisse von dem zukommenden Reich Gottes erwarten muß. Sie wird darum die modernen Institutionen aus ihren immanenten Stabilisierungstendenzen herauszuführen trachten, sie verunsichern, sie vergeschichtlichen und zu jener Elastizität öffnen, die der Offenheit auf jene Zukunft entspricht, die sie erhofft. Im praktischen Widerstand und in schöpferischer Neugestaltung stellt die christliche Hoffnung das Bestehende in Frage und dient so dem Kommenden. Sie überholt das Vorfindliche in Richtung auf das erwartete Neue und sucht nach Gelegenheiten, der verheißenen Zukunft in der Geschichte immer besser zu entsprechen.144

141 142 143 144

Moltmann 1977, S. 303. Vgl. Moltmann 1977, S. 312. Vgl. Moltmann 1977, S. 299ff. Moltmann 1977, S. 304f.

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Moltmann fokussiert mittels des Begriffs „institutionalisiertes Leben“ die konkreten gesellschaftlichen Sozial-(isations)formen, die festgefügten Handlungsregeln bzw. gesellschaftlichen Organisationsformen, die das soziale Zusammenleben strukturieren. Problematisch sei, dass diese Arrangements stets immanente Stabilisierungstendenzen, die vorgefundene Macht- bzw. Ungerechtigkeitsstrukturen konservieren, hätten. Die christliche Kirche dürfe nicht an der Fest- und Fortschreibung von Macht- bzw. Ungerechtigkeitsstrukturen beteiligt sein. Dahingegen sei die Kirche gefordert, den eröffneten Möglichkeitsraum der Gottesherrschaft zu antizipieren und in der Gegenwart eine Welt orientiert am Reich Gottes zu konkretisieren. Moltmann setzt sich im Zusammenhang seiner These von der Berufung jeder Christ*in bzw. der Gemeinde mit der Wirkungsgeschichte des Priestertums aller Getauften auseinander. Protestantischerseits würde die christliche Sendung seit der Reformation mit der Lehre vom Priestertum aller Gläubigen sowie dem Beruf bzw. der Berufung verbunden. Ausgesprochen heikel sei zum einen die Verfestigung bzw. Reduktion von Berufen auf lohnarbeiterische Tätigkeiten und zum anderen sei die theologische Tendenz, Berufe geschichts- und schöpfungstheologisch zu legitimieren, nicht unbedenklich. Moltmann setzt einen starken Kontrapunkt zur klassischen lutherischen Berufstheologie des 20. Jh., indem er zwar daran festhält, dass der Mensch an einem tatsächlichen geschichtlichen Ort zum Einsatz fürs Reich Gottes berufen sei, jedoch dabei zugleich die jeweiligen Gesellschafts- und Berufsformen für rein zufällig bzw. nur durch mächtige Personen determiniert hält. „In Wahrheit aber zielt die Berufung zur Nachfolge Christi nicht auf treue und liebevolle Berufserfüllung im […] Vorgegebenen. Diese Berufung hat vielmehr ihr eigenes Ziel. Es ist die Berufung zur Mitarbeit am Reiche Gottes.“145 Daher sei Beruf nicht göttlich angeordnete Erwerbsarbeit bzw. soziale Position, sondern die menschliche Arbeit bzw. die Tätigkeit in der Welt sei der geschichtliche Zusammenhang, in den sich die Berufung Gottes hinein ereignen könne. In den je eigenen Tätigkeiten in ihrer organisierten Form, beispielsweise als Lohnarbeit, müssten Realisationsmöglichkeiten für das Reich Gottes bzw. die eigene Berufung gesucht werden.146 „Das Kriterium für Berufswahl, Berufswechsel, nebenberufliche Tätigkeiten sowie für die Annahme und Gestaltung des Sozialisierungsvorgangs ist allein die Sendung der christlichen Hoffnung“147, welche schöpferisch-kreativ und für die Zukunft offen sein solle. Moltmann hebt hervor, dass die christliche Sendung bestehende ggf. willkürlich entstandene Ordnungen nicht bedingungslos bewahren müsse. Er rechnet vielmehr mit Kritik an kontemporären Tätigkeiten sowie gesellschaftlichen 145 Moltmann 1977, S. 307. 146 Vgl. Moltmann 1977, S. 304ff. 147 Moltmann 1977, S. 308.

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Strukturen. Indem die gegenwärtigen Vollzüge anhand der universellen ReichGottes-Hoffnung bemängelt würden, sei der Möglichkeitsraum der Gottesherrschaft eröffnet, die sich über die Berufung in den tatsächlichen Lebensvollzügen ereignen kann.148 Die Erwartung der verheißenen Zukunft des Reiches Gottes, das zurechtbringend und lebenschaffend zur Erde und zu den Menschen kommt, macht bereit, sich rückhaltlos und vorbehaltlos in die Liebe und in die Arbeit der Versöhnung der Welt mit Gott und seiner Zukunft zu entäußern. Die gesellschaftlichen Institutionen, Rollen und Funktionen sind Medien auf dem Wege dieser Entäußerung. Sie sind darum von der Liebe schöpferisch zu gestalten, damit das menschliche Zusammenleben in ihnen gerechter, humaner, friedlicher und in gegenseitiger Zuerkennung von Menschenwürde und Freiheit erfolge. Sie sind darum nicht […] als Abfall in die Entfremdung oder Erstarrung des Lebens anzusehen, sondern als Wege und geschichtliche Formen der Entäußerung, darum auch als Vorgänge und Prozesse, die auf die Zukunft Gottes hin offen sind. Die schöpferische Hoffnung vergeschichtlicht diese Verhältnisse und widersteht darum ihren immanenten Stabilisierungstendenzen und erst recht jener ‚wohltätigen Fraglosigkeit‘ des Lebens in ihnen.149

Insgesamt arbeitet sich Moltmann in der ThdH am Reiches-Gottes-Motiv und seiner Geschichtlichkeit ab; dies jedoch ohne den gesellschaftlich konservierenden Ton mancher geschichtstheologischer Ansätze. Moltmann aktiviert unter Rückgriff auf die Blumhardt’sche Theologie bzw. Blochs Philosophie die Dimension der Hoffnung auf das Reich Gottes in der gebrochenen Gegenwart. Er setzt die Gleichzeitigkeit von „noch nicht“ und „schon jetzt“, wie sie auch im NT präsent ist, treffend in seiner geschichtlichen Theologie um: „Geschichtsbewusstsein ist Sendungsbewusstsein, und das Wissen um die Geschichte ist ein Veränderungswissen.“150 Indem die christliche Zukunftshoffnung antizipiert werde, eröffne sich ein Möglichkeitsraum für die Ereignung des Gottesreichs, das dann je neu Gestalt annehmen könne. 3.1.3.4 Kritische Würdigung des theologischen Entwurf Moltmanns Moltmanns „Theologie der Hoffnung“ war „ein ‚event‘, ein Medienereignis“151, das sowohl in der theologischen als auch außer-theologischen Welt für Aufsehen sorgte und breit rezipiert wurde. Insgesamt gestaltet es sich schwierig, die Rezeptionsgeschichte des Werks bzw. der ganzen Moltmann’schen Theologie bisher nachzuvollziehen. Dies liegt u. a. daran, dass die Gesamtwürdigung des Werkes des kürzlich 90 Jahre alt gewordenen Theologen noch nicht eingesetzt 148 149 150 151

Vgl. Moltmann 1977, S. 299ff. Moltmann 1977, S. 311f. Moltmann 1977, S. 79. Müller-Fahrenholz 2000, S. 46.

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hat. Im Folgenden findet v. a. eine Beschäftigung mit den vielfältigen unmittelbaren Reaktionen auf die ThdH statt.152 Außerdem werden einige allgemeine kritische Punkte eingebracht.153 Moltmann bezieht in ausgreifender Weise die atl. Traditionen in seinen theologischen Entwurf ein, womit er zwar der Verkürzung christlicher Theologie auf das NT entgeht, jedoch sich die Kritik vieler zuzieht, die bei ihm das Verhältnis von ATund NTunterbestimmt sehen. Geyer prangert die Relation von altem und neuem Bund als unzureichend geklärt an. Weiterhin unterstellt er Moltmann, dass dieser im NT nur eine Explikation des alten Bundes sehe: Das Moment der Explikation beherrscht so stark die Szene, daß der konstitutive Charakter der Geschichte Jesu Christi zumindest nicht deutlich genug zum Vorschein kommt und ihre Funktion als Grund und Bedingung der alttestamentlichen Verheißungsgeschichte so wenig entfaltet wird, daß der Schein entstehen kann, als sei die 152 Diese sind von Marsch in einem Sammelband (Marsch 1967b) zusammengetragen worden, wobei auch eine antwortende Reaktion von Moltmann beigefügt wurde. 153 Daneben ist zu erwähnen, dass Moltmann eine große Zahl an Schüler*innen rekrutieren konnte, die sich in der Regel auf mehrere seiner Publikationen beziehen. Anmerkungen und Kommentierungen aus seinem Schülerkreis finden im Zusammenhang dieses Abschnitts nur Erwähnung, falls diese sich explizit auf die ThdH beziehen. Neben der konkreten Auseinandersetzung mit den Fortwirkungen der ThdH wäre es auch angebracht, die Rolle der Moltmann’schen Theologie innerhalb des Kontexts sog. politischer Theologie und ihrer Aufbrüche seit den 1950er bzw. 1960er Jahren zu untersuchen. Moltmann definiert diese: „Politische Theologie beginnt mit einer Analyse der politischen und praktischen Situation, in der Theologie gedacht, diskutiert und verbreitet wird. Sie ist keine Theorie, die nach einer Praxis ruft, sondern eine Reflexion der vorhandenen Praxis im Lichte des welterneuernden Evangeliums. Das Verhältnis von Theorie und Praxis wird nicht mehr einlinig idealistisch vorgestellt, sondern in dialektischer Verschränkung gesehen. Das soll freilich nicht heißen, daß nun umgekehrt die Praxis einlinig materialistisch die Theorie bestimmt. Im Lichte des befreienden Evangeliums korrigieren sich Praxis und Theorie gegenseitig.“ (Moltmann 1984, S. 9.) Sowohl in Lateinamerika als auch in Europa kam es zu theologischen Aufbrüchen, die in einem neuen Sinne gesellschaftliche und theologische Wirklichkeit miteinander ins Gespräch bringen wollten und sich gegen Privatisierungstendenzen sowie für die Beseitigung der Dualismen Welt – Gott oder auch Orthodoxie – Orthopraxie einsetzten. Eine solche Theologie findet sich beispielsweise bei Johann Baptist Metz, „bei Karl Rahner mit seiner anthropologischen Methode und seinem Dialogantrag an den Marxismus; bei Edward Schillebeeckx mit der anthropologischen Christologie, bei Jürgen Moltmann mit der Theologie der Hoffnung; bei Dorothee Sölle mit ihrem politischen Nachtgebet bzw. der sogenannten ‚Theologie nach dem Tode Gottes‘; in der englischsprachigen Theologie bei John A. T. Robinson mit der auf Deutsch sogenannten ‚Gott-ist-Tot-Theologie‘; Harvey Cox und Richard Shaull mit einer Theologie der Revolution; bei Ruben Alves und Gustavo Gutierrez ( jeweils im spanischen und portugiesischen Sprachraum) unter anderen im lateinamerikanischen Kontext mit seinem Entwurf einer Befreiungstheologie.“ (Jordán 2013, S. 24.) Insgesamt ist die globale Entwicklung der politisch-befreienden Theologie und den entsprechenden Verbindungen sowie Wechselwirkungen ein für die Zukunft noch ausstehendes Forschungsdesiderat, wobei insbesondere die Rolle von Moltmann näher untersucht werden könnte.

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Auferstehung Jesu Christi im originären Sinne als ein Teil und Element der Abrahamsgeschichte zu begreifen.154

Hinz hingegen lässt den Verdacht laut werden, dass der Hoffnungsaspekt der ThdH so eng an die Auferstehung Jesu geknüpft wird und die lebensweltliche, leidende Konkretion der Wirklichkeit in den Hintergrund tritt. Denn die Verurteilung der erfahrenen Wirklichkeit zur Gottverlassenheit [ist] einer marcionitischen Leidenschaft nicht unähnlich, welche die Radikalität der Erlösungshoffnung mit dem Preis der Abwertung der geschaffenen Welt und des Schöpfergottes bezahlt. Und es scheint, daß um solchen Preis die Exodusgemeinde des Auferstandenen ihre Hoffnung nicht tragen kann.155

Ferner kritisiert auch Fries, dass die Unterschiedlichkeit sowie Zusammengehörigkeit des AT und des NT nicht ausreichend spezifiziert sei, was er in der sowohl auf das AT als auch auf das NT bezogenen Kategorien der Verheißung und Erfüllung nachvollzieht.156 Muntenau schließlich bemängelt, dass in der ThdH nur eine „monopersonale“ Auffassung, nämlich Gott als der Gott des Exodus und damit der atl. Tradition, zum Tragen käme. Die trinitarische Struktur der zu Grunde liegenden Gottesvorstellung sei nicht ausreichend expliziert, wozu er jedoch Bedarf erkennt.157 Muntenau gesteht schließlich ein, dass „sich diese Vermittlungsfunktion des Heiligen Geistes bereits in der Theologie der Hoffnung erschließen [lässt], wenn auch nur indirekt.“158 Gegenüber diesem und anderen trinitätstheologischen Einwänden, dass eine eschatologische Trinitätslehre zu entwickeln sei, akzentuiert Moltmann die „Einheit des ex nihilo schaffenden Gottes mit dem auferweckten Christus im Geist, der lebendig macht.“159 Detaillierte Präzisionen finden sich in der 1980 publizierten Trinitätslehre Moltmanns „Trinität und Reich Gottes“. Im Abschnitt V. Das Reich der Freiheit160 formuliert Moltmann sein trinitarisches Verständnis auf Grundlage der Lehre von der Perichorese, unter Betonung der Sozialität Gottes161 sowie den doxologisch explizierten trinitarischen Aussagen. Ferner qualifiziert 154 155 156 157 158 159 160

Geyer 1967, S. 65. Hinz 1967, S. 156. Fries 1967, S. 101. Vgl. Munteanu 2003, S. 16. Munteanu 2003, S. 16f. Moltmann 1967, S. 221. Im abschließenden fünften Kapitel (V. Das Reich der Freiheit, in: Moltmann 1980, S. 207– 239) mit den Gliederungsabschnitten § 1 Kritik des politischen und klerikalen Monotheismus, § 2 Trinitarische Reichslehre sowie § 3 Trinitarische Reichslehre schafft die Verbindung zwischen der menschlichen Lebenswelt und dem Reich Gottes unter Bezugnahme auf den trinitarischen Gott. 161 Wobei er „Personalismus und Sozialismus aus ihrer Antithese heraus[bringt]. […] Die christliche Trinitätslehre nötigt dazu, den sozialen Personalismus bzw. den personalen Sozialismus zu entwickeln.“ (Moltmann 1980, 216f.)

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Moltmann das Reich Gottes ausgehend von der Trinitätslehre mittels der Reichslehre von Joachim von Fiore und der fortschreitenden sowie anwachsenden menschlichen Freiheit neu.162 Daraus leitet Moltmann dann die Lehre von der Freiheit des Menschen ab; denn „die trinitarische Reichslehre ist die theologische Freiheitslehre. Der theologische Begriff der Freiheit ist der Begriff der trinitarischen Geschichte Gottes: Gott will unablässig die Freiheit seiner Schöpfung. Gott ist die unerschöpfliche Freiheit seiner Geschöpfe.“163 Demnach seien die verschiedenen Freiheitsaspekte nicht im Sinne Joachim von Fiores als heilsgeschichtliche Stufen, sondern vielmehr als Schichten der Freiheit zu denken, die sich in der Erfahrung mit Gott prozesshaft realisieren würden.164 Alles in allem zeigt sich klar, dass Moltmann die Frage nach dem Zusammenhang von ThdH bzw. Reich-Gottes-Theologie und Trinitätstheologie nicht sofort, aber in zeitlicher Nachfolge und auch im Zusammenhang der Reich-Gottes-Theologie ausführlich beantwortet. Gegenüber den von Geyer gemachten Kritikpunkten wendet Moltmann ein, dass eben nicht die Geschichte Christi als ganz eingerückt ins AT zu verstehen sei, sondern vielmehr umgekehrt gelte, dass die atl. Tradition von der Erfüllung der Verheißung in Christus zu deuten sei. Denn der „Ursprung erläutert sich erst im Ende. Was sich aber im Ende erläutert ist der wahre Ursprung. Das Novum stiftet das Kontinuum, wenn die Zukunft Gottes die Vergangenheit erlöst.“165 Ebenso muss auf Grund der Beachtung der expliziten Solidarität Moltmanns mit den Leidenden Hinz‘ These von einer marcionitischen Theologie Moltmanns zurückgewiesen werden. Insofern sich die Hoffnung auf das Neue bei Moltmann nicht aus einem geschichtsvergessenen Optimismus heraus konstituiert, sondern „eine Hoffnung […] gewinnt ihre Freiheit nicht durch Vergessen, was war und nicht zu ändern ist, sondern genau umgekehrt durch das Erinnern des Vergangenen.“166 Dies schlägt sich auch im weiteren theologischen Werk Moltmanns nieder. So akzentuiert er bei Erscheinen von „Der gekreuzigte Gott“ (1972), dass es sich keinesfalls um eine Rücknahme seiner Hoffnungstheologie handle. Nämlich bereits in der ThdH habe er die Eschatologie als „eschatologia crucis“ 162 Das Reich des Vaters ist durch die Schöpfung sowie Erhaltung der Welt und damit die Konstitution der menschlichen Freiheit als Erhaltung ihres Lebensraums gekennzeichnet. Das Reich des Sohnes ist durch die Befreiung des Menschen aus seiner Selbstverschlossenheit bestimmt – damit wird die Freiheit der Geschöpfe wieder hergestellt und sie werden von den selbstzerstörerischen Kräften befreit. Das Reich des Geistes kann durch die Kräfte der neuen Schöpfung charakterisiert werden, die Menschen glauben lässt. Diese drei Bestimmungen des Reiches Gottes sind geschichtliche Qualitäten, die auf das eschatologische Reich Gottes hinweisen. (Vgl. Moltmann 1980, 226ff.) 163 Moltmann 1980, S. 236. 164 Vgl. Moltmann 1980, S. 207ff. 165 Moltmann 1967, S. 220. 166 Moltmann 1967, S. 220.

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konzipiert, was er nun mit anderer Akzentsetzung entsprechend fortführt. Demnach handle seine Kreuzestheologie auch stets vom „Kreuz des Auferstandenen.“167 Darüber hinaus gehörte die kritische Würdigung der Bloch-Rezeption bei Moltmann zu einem wesentlichen Anknüpfungspunkt der unmittelbaren Auseinandersetzung mit seinem Werk. Ein häufig wiederholter Vorwurf 168 findet sich in einem Brief Karl Barths vom 17. November 1964 an Jürgen Moltmann. Barth kommt nach der ThdH-Lektüre in seiner postalischen Rückmeldung zu dem Schluss, dass dies ein „lesenswertes Buch“169 sei. Jedoch bleibt die Kritik nicht aus und Barth formuliert wie folgt: „Spitz gefragt: Ist Ihre ‚Theologie der Hoffnung‘ etwas Anderes als das getaufte ‚Prinzip Hoffnung‘ des Herrn Bloch?“170 In diesem Zusammenhang monieren Sauter und andere Autor*innen, dass die Verbindung zu Bloch nur an wenigen Stellen der ThdH durch Fußnoten oder andere Verweise kenntlich gemacht wurde. „Da kommen andere Autoren, zum Beispiel Bultmann oder Buber, Ebeling oder Hegel, Käsemann oder Kant, Luther oder Pannenberg, von Rad oder Zimmerli, Wittram oder Wilkens, übrigens auch Karl Barth selbst, sehr viel ausführlicher zu Wort.“171 Sauter beanstandet darüber hinaus, dass die Rezeption der Bloch’schen Termini einer präzisen Explikation bedürften, obwohl viele der Kritiker*innen das grundlegende Anliegen, „sprachlich und gedanklich manche Anleihen bei E. Bloch zu [machen] […], nicht […] verargen.“172 Denn „nur zum Schaden ihrer selbst hat sich die evangelische Theologie allzu ängstlich von der philosophischen Reflexion isoliert.“173 Auch Sauter schätzt das anregende Potential der Philosophie, regt aber eine nähere Untersuchung des Terminus „Möglichkeit“ an. Er nimmt an, dass „beim Begriff der Möglichkeit die Beziehung zu Bloch problematisch wird.174 Dieses Verhältnis sei noch genauer zu fassen, da Möglichkeit ein ontologischer Grundbegriff Blochs sei, der „für Moltmann selber entscheidende Bedeutung [gewinnt]. ‚Möglichkeit‘ ist nicht nur ein Wort, das einer ‚Ontologie des Noch-Nicht-Seins‘ zeitweilig entliehen werden könne, sondern behauptet sich als Kategorie, also als Verstehensgrundlage.“175 Sauter merkt an, dass das Verhältnis des objektiv Realmöglichen und des göttlich Möglichen unklar ist. Auf diese Weise komme es zum „Nebeneinander von göttlich Möglichem und der 167 Moltmann 1972, S. 10. 168 „Nicht wenige haben damals dieses griffige Urteil des Basler Meisters nachgesprochen.“ (Müller-Fahrenholz 2000, S. 33.) 169 Barth 1979, S. 276. 170 Barth 1979, S. 276. 171 Müller-Fahrenholz 2000, S. 33. 172 Marsch 1967a, S. 123. 173 Marsch 1967a, S. 123. 174 Sauter 1967, S. 116. 175 Sauter 1967, S. 117.

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Geschichte als Reservoir von Möglichkeiten.“176 In letzter Konsequenz kläre Moltmann die Beziehung von Gott und Welt sowie dem Grund der Hoffnung nicht ausreichend: „Hier wird der Dialektik von Gott und Welt ausgewichen – von Gott und Welt, deren ‚Versöhnung‘ nicht in einer Theologie der Geschichte denkbar gemacht werden kann (von ihrer Nähe zu Hegel ganz zu schweigen).“177 Darauf antwortet Moltmann: „Für G. Sauter habe ich mich mit E. Bloch der Pandämonie der Möglichkeiten im Weltprozess ergeben, anstatt als Theologe an dem undefinierbaren Verheißungswort festzuhalten.“178 Moltmann will seinen Möglichkeitsbegriff bzw. seine Verhältnisbestimmung von Gott – Welt so verstanden wissen, dass es nicht nur um die Differenzierung beider geht, sondern vielmehr auch um deren Entsprechung. Die Dialektik Gott – Welt sei „geschichtlich vermittelt durch das gegenwärtige Wirken des Geistes“179, den er geschichtlich sowie materialistisch charakterisiert als Geist der Sehnsucht, Qual und „Spannkraft der Materie“180. Demnach sollten idealistische Missverständnisses des Geistes vernachlässigt werden. Ferner sei die vorgeschlagene Differenzierung Gott – Welt eine falsche Alternative. Denn Hoffnung sei als geschichtliche Möglichkeiten des Geistes sowohl auf die Geschichte Gottes als auch die der Welt angewiesen.181 Die Kommentierungen Sauters an dieser Stelle sind exemplarisch für die Auseinandersetzung der Kritiker*innen mit der Moltmann’schen Blochrezeption aufgeführt. Aufgrund des großen Interesses an Blochs Einfluss auf Moltmann wurde ab der dritten Auflage der ThdH der Aufsatz „‚Das Prinzip der Hoffnung‘ und die ‚Theologie der Hoffnung‘ – Ein Gespräch mit Ernst Bloch“182 dazu gefügt und auf diese Weise dem Einfluss Blochs Rechnung getragen. An dieser Stelle soll auch nochmal Moltmanns eigenes Anliegen bei seiner Bloch-Rezeption zur Sprache kommen, was trefflich im Vorwort aus der 13. Auflage der ThdH Ausdruck findet: Es ging um nichts Geringeres als um die Überwindung des allgemeinen Existentialismus der Nachkriegszeit, um Zukunftsperspektiven für eine gerechtere, friedlichere und menschlichere Welt zu gewinnen. Wir wollten heraus aus der Apathie und suchten Hoffnungen, mit denen man leben kann. […] Ich entdeckte die ersten Bände seines ‚Prinzips Hoffnung‘1958/59, las die ostdeutsche Ausgabe während eines Urlaubs in der Schweiz 1960 und war davon so fasziniert, dass ich die Schönheit der Schweizer Berge gar nicht wahrnahm, – sehr zum Leidwesen meiner Frau. Warum hat sich die christliche 176 177 178 179 180 181 182

Sauter 1967, S. 118. Sauter 1967, S. 120. Moltmann 1967, S. 206. Moltmann 1967, S. 236. Moltmann 1967, S. 236. Vgl. Moltmann 1967, S. 236f. Der Aufsatz (zuerst veröffentlicht in: EvTh 23, 1963, S. 537–557) beruht auf einem öffentlichen Kolloquium mit Ernst Bloch und Jürgen Moltmann. (Vgl. Moltmann 1977, S. 313– 334.)

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Theologie die Hoffnung entgehen und nehmen lassen, die ursprünglich und wesentlich ihr ureigenstes Thema ist? Das war mein erster Eindruck. Dann aber fragte ich mich selbstkritisch: Wo ist der aktive, urchristliche Geist der Hoffnung heute geblieben? Ich wollte Ernst Blochs ‚Prinzip Hoffnung‘ nicht nachahmen. Ich wollte es auch nicht ‚taufen‘ […]. Ich wollte eine Parallelhandlung in der Theologie auf den theologischen Voraussetzungen von Juden und Christen. Für Ernst Bloch sollte der Atheismus die aktive Hoffnung in der Geschichte begründen, wie für Jean-Paul Sartre damals der Atheismus die einzige Grundlage der menschlichen Freiheit war. Für mich aber war und ist der Gott des Exodus und der Verheißung, der Gott der Auferweckung Christi und des Auferstehungsgeistes in uns der Grund und das Motiv der in der Geschichte aktiven und im Leiden standhaften Hoffnung, des Messianismus ebenso wie der Apokalyptik. Doch jener Atheismus, der Menschen von Aberglauben und Götzendienst befreien will, und der Messianismus, der sie aus ihren äußeren und inneren Gefängnissen zur Freiheit des kommenden Reiches Gottes befreien will, – diese beiden Bewegungen müssen nicht Gegner sein, sondern können auch zusammenarbeiten. Ob nach Bloch ‚ohne Transzendenz‘ geschichtlich in die Zukunft transzendieren, oder, wie ich behaupte, ‚mit Transzendenz‘, das Ergebnis können wir getrost jener Zukunft überlassen, die auf uns wartet.183

Die von Moltmann sogenannte „Parallelhandlung“ zeigt an, dass durchaus eine strukturelle Ähnlichkeit Moltmanns und Blochs existiert, jedoch darf der Einfluss Blochs nicht überschätzt werden. Dabei sei insbesondere die „kleine Programmschrift von 1959“184 Gemeinde im Horizont der Herrschaft Christi185 zu beachten. Denn diese zeigt nach Müller-Fahrenholz, dass „hier bereits in Ansätzen vorhanden war, was sich in der Begegnung mit Bloch klärte.“186 Ebenso muss die erst in der jüngeren Vergangenheit deutlicher in den Vordergrund getretene Verbindung zu den Blumhardts unbedingte Berücksichtigung finden. Dennoch bleibt es ein offenes Forschungsanliegen, Moltmanns Rezeptionsweise(n) der Bloch’schen Philosophie systematisch zu untersuchen. Schließlich kann gerade der aus der Philosophie der Hoffnung stammende Utopiebegriff die gegenwärtigen gesellschaftlich-theologischen Debatten bereichern. Hinsichtlich der Relevanz bzw. Verstehbarkeit der Moltmann’schen Hoffnungstheologie formulierte das Editorial eines Pfarrerblatts kürzlich: Nach der Lektüre der ‚Theologie der Hoffnung‘ muss sich, […] natürlich gleich die Frage anschließen, wohin das nach Moltmanns Ansicht damals auf Zukunft ausgerichtete Handeln der Gemeinde sich heute orientieren kann angesichts von völlig 183 Moltmann 1997, Vorwort (ohne Seitenzählung). 184 Müller-Fahrenholz 2000, S. 34. „Mit seiner Programmschrift von 1959 gibt sich Moltmann als ein Theologe zu erkennen, der die Botschaft vom Reich Gottes als den weiten Horizont des christlichen Lebens und die zurechtbringende Zukunft Gottes als den offenen Raum der Geschichte Gottes begreifen lehrt.“ (Müller-Fahrenholz 2000, S. 31.) 185 Moltmann 1959. 186 Müller-Fahrenholz 2000, S. 34.

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veränderten gesellschaftlichen Diskursen über Hoffnung? Nicht nur in den gesellschaftlichen Debatten, sondern auch in den Kirchen hat sich eine Haltung gegenüber der Zukunft breit gemacht, der es kaum noch darum geht, Veränderungspotentiale auszuloten. […] Es spricht also vieles dafür, dass wir in ein völlig utopieloses Zeitalter eintreten, in dem sich nur noch die Älteren daran erinnern, dass einmal ernsthaft über gesellschaftliche und politische Utopien diskutiert werden konnte.“187

In diesen Worten findet sich eine vorherrschende Grundstimmung vieler kirchlich-gesellschaftlicher Kreise wieder. Große Abstiegsängste verursachen den Rückzug ins „private Glück“ sowie die Verweigerung gesellschaftlicher Solidarität und dies trotz der Bedrohungen von Terrorismus, Naturkatastrophen, politischen Verwerfungen usw. Sogar die Jugend ist „pragmatisch und unideologisch“, so schätzten zumindest die Shell-Jugendstudien zwischen 2002– 2014 diese ein. Die Jugendstudie 2015 hingegen beobachtet Veränderungen und konstatiert eine „Generation im Aufbruch“, die mit einer optimistischen Grundhaltung in die Zukunft blickt und wesentlich am Umweltschutz interessiert ist. Dennoch bleiben Familie sowie Respekt vor Gesetz/Ordnung für die Jugendlichen, wie schon in den letzten Dekaden, immens wichtig.188 Insgesamt also braucht es eine Hoffnungssprache, die aus der Suche nach dem kleinen Glück befreien kann. Mit hoffnungsvollen Utopien können Menschen sowohl zum Sprechen als auch zum Handeln angesichts gegenwärtiger politischer Herausforderungen wie Zusammenhalt im globalisierten Kapitalismus sowie den Bedrohungen durch den erstarkenden Nationalismus, die Machtgierigkeit von Gruppen und schließlich gewalttätigen Kriegen angeregt werden. Gegenüber gesellschaftlichen Endzeitrhetoriken eröffnet die Utopie neue Möglichkeiten. Unterdies will Moltmann die Utopien stets christlich, d. h. durch die im Tun Gottes geerdete Hoffnung, rückgebunden wissen. Von daher gilt für die utopische Hoffnung nach gesellschaftlicher Veränderung: Die Hoffnung ist nichts anderes als die Erwartung der Dinge, die nach der Überzeugung des Glaubens von Gott wahrhaftig verheißen sind. […] Ohne die Christuserkenntnis des Glaubens wird die Hoffnung zur Utopie, die sich in leere Luft streckt. So macht die Hoffnung den Glauben an Christus weit und führt ihn ins Leben hinein.189

Im Übrigen ähneln die sich anschließenden Anfragen nach dem Verhältnis von göttlichem und menschlichem Wirken angesichts der Realisation der Hoffnung, (wie sind diese beiden miteinander verbunden bzw. voneinander abhängig?), dem Sauter’schen Impuls der Konkretion des Bloch-Moltmann’schen Möglichkeitsbegriffs: „Hier müsste Moltmann klare Auskunft darüber geben, wie in seinem Sinne die Realisation zwischen der christlichen Aktivität und der 187 Schuck 2017. 188 Vgl. Shell Deutschland 2015b. Siehe ferner: Shell Deutschland 2015a. 189 Moltmann 1977, S. 16.

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göttlichen Subjektivität im Hinblick auf das eschatologische Ziel der Sendung Christi zu denken sei.“190 Hierbei ist Geyer nicht klar, ob die Tätigkeit der Christinnen nur Zweck und nicht Ziel ist, oder ob die tätige Christenheit zugleich Zweck und Ziel des Prozesses ist, wobei Prozess und Progress verwoben wären.191 Fries knüpft daran an und kennzeichnet dies als echtes theologisches Problem, wobei er für Moltmann bereits folgerichtig antizipiert: „Die Antwort wird sich notwendig – dialektisch – zwischen dem Nein eines theologischen Dualismus und dem Ja eines heilsgeschichtlichen Fortschrittsoptimismus bewegen und bewähren müssen.“192 Nicht zuletzt fügt sich die kritische Anmerkung Tödts zu den vorgenannten Stimmen: Kurzum ich möchte genauer wissen, wie Reich-Gottes-Hoffnung und Hoffnung für die Welt (im Vorletzten) sich zueinander verhalten; ich möchte genauer wissen, wie Hoffnung sich der theologischen Ethik mitteilt […] und ich möchte wissen, wie sich das alles darstellt, wenn man es exemplarisch bei einem ganz bestimmten konkreten Problem zu Ende denkt.193

Demnach wünscht Tödt eine äußerst praktische Umsetzung und auch Geyer will ihm eine „Konkretion abverlangen, die er in seinem Buch schuldig geblieben ist“194. Dem allen stimmt Sauter zu, wenn er Unklarheiten über die Praxis der Hoffnung bemängelt.195 Entgegen einer Kant’schen Trennung von Theorie und Praxis, wie sie Sauter grundlegt, versucht Moltmann hingegen eine Integration beider, wie sie sich auch bei Marx bzw. Hegel finden lässt. In diesem Fall umfasse Praxis nicht nur die ethische Glaubensdimension, sondern den ganzen gemeindlichen Auftrag in der Geschichte. Er wendet sich explizit gegen Tödts Vorwurf eines „chiliastisch beeinflussten Kulturprotestantismus“196, denn Moltmanns Vorstellung entsprechend steht das christliche Handeln stets unbedingt unter einem eschatologischen Vorbehalt. Moltmann räumt zwar ein, dass das letzte Kapitel der ThdH in einer gewissen Offenheit schließe, nämlich der „Unklarheit im Verhältnis der gesellschaftlichen Aktivität der Christen und der herrschaftlichen Souveränität Gottes im Prozeß und in der Vollendung der Geschichte.“197 Von daher präzisiert er, dass das christliche Handeln bzw. die Sendung der Gemeinde eindeutig der Auferweckung nachgeordnet sei. Dennoch hält er daran fest, dass die glaubende Gemeinde an der Sendung des Geistes in die Welt teilhat. Die Aufrichtung der eschatologischen Herrschaft Gottes „entfaltet 190 191 192 193 194 195 196 197

Geyer 1967, S. 74. Vgl. Geyer 1967, S. 74f. Fries 1967, S. 103. Tödt 1967, S. 199f. Geyer 1967, S. 73. Vgl. Sauter 1967, S. 113. Moltmann 1967, S. 231. Moltmann 1967, S. 231.

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darum einen umfassenden Erwartungshorizont für die weltverändernde Initiative des Glaubens“198 und dies in einer dreifachen Weise als die Verkündigung des Evangeliums vom Reich Gottes, als die Sammlung der christlichen Gemeinde und drittens als schöpferische Nachfolge, die in der menschlichen Gesellschaft wirksam wird. Diese drei Taten der Hoffnung antizipierten die „durch Christus inaugurierte […] und in Christus inkarnierte […] Zukunft Gottes.“199 Von daher sei nicht aus der Gegenwart in die Zukunft zu blicken, sondern umgekehrt müsse je die Gegenwart des Geistes als Adventus der Zukunft interpretiert werden. Auf diese Weise trete auch der Vorwurf der Herstellung der Zukunft durch die Gegenwart in den Hintergrund. Er ergänzt: „Pneumatologisch ist Gottes ‚Subjektivität‘ die Kraft menschlicher Aktivität und das ‚Jenseits‘ die ‚Kraft des Diesseits‘.“200 Die daraus folgende Praxis ergreift die „Möglichkeiten des endzeitlichen Geistes in der Geschichte von Gott und Welt.“201 Zum Abschluss der kritischen Würdigung der Moltmann’schen Hoffnungstheologie sei nochmals auf die Anklage eingegangen, dass die ThdH nicht in ausreichender Weise praktisch werde. Dazu meint Marsch, dass die ThdH kein Zukunftsorakel sein wolle. Dies zeige sich darin, dass ihr praktischer Teil blaß und unpraktisch gerät. (Nebenbei bemerkt: Auch diejenigen, die ihm hier mangelnde Konkretion vorwerfen, ich schließe mich ein, haben noch kaum genauer anzugeben vermocht, wie denn nun – über fundamental-demokratische, gemeinschaftliche oder sozialistische Postulate hinaus – Gottes ‚neue Welt‘ eigentlich aussieht.)202

Dieser Kritikpunkt wird im Rahmen dieser Forschungsarbeit zum Ausgangspunkt für das weitere Vorgehen. Nachfolgend soll der Versuch unternommen werden, den dialogischen Weg „zwischen Glauben und Wissen, des Übergewichts der Zukunft über Vergangenheit und Gegenwart, des unauflöslichen Zusammenhangs von Existenz und Natur, einer universalen Erwartung und einer unbegrenzten Mit-Verantwortlichkeit – kurz: den Weg der Hoffnung“203 weiter zu beschreiten und praktisch zu konkretisieren. Zu diesem Zweck wird abschließend an diese Ausführungen das Motiv des Reiches Gottes und sein transformatives Potential unter Rückgriff aus Moltmann, sowie weitere biblische und theologiegeschichtliche Elemente herausgestellt.

198 199 200 201 202 203

Moltmann 1967, S. 232. Moltmann 1967, S. 235. Moltmann 1967, S. 236. Moltmann 1967, S. 237. Marsch 1967c, S. 12. Jong 1967, S. 38.

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3.1.4 Das Reich Gottes als transformatives Motiv – eine Synthese Das Reich Gottes bewegt sich im 19. Jh. zwischen den Polen ethische Bestimmung (Ritschl) und eschatologische Fassung (Weiß), woraus ein spannungsvolles Mittelfeld erwächst. Diese Dichotomie ist auch in den Kern der ntl.-eschatologischen Tradition eingegossen, denn diese beinhaltet zeitgleich sowohl präsentische als auch futurische Elemente. Deshalb ist diese Spannung unbedingt in den hier entwickelten Reich-Gottes-Begriff zu integrieren. Hierdurch wird einer möglichen (kulturprotestantischen) Verengung auf rein innerweltliche Realisierung des Gottesreiches gewehrt. Ausgehend von der Endgestalt des biblischen Kanons kommt man nicht umhin, zugleich die futurisch-eschatologischen als auch die präsentischen Facetten des Reiches Gottes wahrzunehmen. Es gehört zu den Verdiensten von Weiß bzw. Schweitzer, an die Bedeutsamkeit dieser Verhältnisbestimmung zwischen präsentischer und futurischer Gottesherrschaft in theologischer Rede zu erinnern. Die synoptische Reich-GottesVerkündigung Jesu ist jedenfalls konstitutiv eschatologisch. Die ntl. Perikope vom Satanssturz markiert die Zeitenwende hin zur Heilszeit. Die atl. Prophetien (Jes 35; Jes 61; Lk 4,18; Mt 11,5) sind bereits erfüllt, da sich in Jesu Verkündigung, Mahlpraxis, Heilungen, Totenauferweckungen und Exorzismen das Reich Gottes schon jetzt episodal realisiert. Die Parabeln Jesu (v. a. die Wachstumsgleichnisse) illustrieren zusätzlich, dass die eschatologisch-apokalyptische Gottesherrschaft gegenwärtig ist, jedoch noch zu voller Entfaltung kommen muss. Die Einheit von exorzistischem, heilendem sowie zeichenhaftem Handeln Jesu auf dem Hintergrund des Satanssturzes bringt den unumkehrbaren Beginn des Reiches Gottes sowie der endzeitlichen Heilszeit zum Ausdruck. Diese biblischen Grundeinsichten vorausgesetzt, wird nochmals augenfällig, dass das Gottesreich der biblischen Tradition verantwortlich nur zugleich in der Dichotomie von gegenwärtig bereits erfüllt sowie noch zukünftig ausstehend angenommen werden kann. Theologiegeschichtlich sind die Denkungsarten einer präsentischen Realisierung der Gottesherrschaft (Ritschl, Rothe usw.) schlussendlich im Kontext des Ersten Weltkriegs bzw. der sich gegenüber dem zeitgenössischen Fortschrittsoptimismus formierenden Ernüchterung sowie nichttraditionalistischen Modernekritik fraglich geworden. Spätestens nach der Shoa und seit der Theologie nach Auschwitz sind ungebrochene Ideen einer präsentischen Realisierung des Reiches Gottes an ihr Ende gekommen. Alles in allem trägt die hier eingenommene doppelpolige Position den ambivalenten menschlichen Erfahrungen Rechnung, die zwischen gelingendem und ungerecht-scheiternden Lebenszusammenhängen aufgespannt ist: Die Ausbeutung der Armen durch den globalisierten Kapitalismus (Hungersnöte, Rassismus, Krieg, Terror, moderne Sklaverei usw.) gefährdet beispielsweise das menschliche Leben bzw. die Realisierung von Recht, Gerechtigkeit, Frieden und Teilhabe und damit die Umsetzung der

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Charakteristika der Gottesherrschaft. Dennoch drängen zugleich neue wissenschaftliche Erkenntnisse, emanzipatorische Bewegungen oder auch politische Rechtsdurchsetzung zu einer Verwirklichung von Gerechtigkeit, Frieden, Recht und Teilhabe. Die atl. Perspektive ist, wie auch die Entwürfe der beiden Blumhardts und Moltmanns, geschichtstheologisch, was die Verwirklichung des Reiches Gottes unter temporalen Bedingungen beinhaltet. Die inkarnatorischen Elemente der ntl. Theologie bezeugen in ganz ähnlicher Weise, dass sich die Gottesherrschaft unter den Zwängen der menschlichen Wirklichkeit, d. h. auch in ihrer Temporalität realisiert. Indem Moltmann, wie auch Blumhardt, das Gottesreich zwar innerhalb der Geschichte, jedoch nicht zwangsweise innerhalb gesellschaftlicher Institutionen, Kultur und Ordnungen verorten, bleiben er der grundlegenden Unverfügbarkeit göttlichen Handelns treu. Das göttliche Wirken, nicht einfach an verfasste Kirche oder kirchliche Strukturen gebunden zu denken, gehört zur guten reformatorischen Tradition der ecclesia invisibilis sowie der ZweiRegimenter-Lehre. Es entspricht der empirischen Beobachtung, dass Institutionen wie Kirche, Nation oder bestimmte politische oder theologische Systeme erstarren können und auf diese Weise nicht mehr optimal auf die gesellschaftlichen Erfordernisse reagieren. Die beiden Blumhardts, sowie die Theologie Jürgen Moltmanns stellen den verfestigten Strukturen eine dynamische ReichGottes-Hoffnung entgegen. Diese ist zur Zukunft Gottes hin offen, wobei insbesondere die apokalyptisch-eschatologische Dimension des atl. und ntl. Kanons berücksichtigt wird. Auf diesem Wege wird ein dynamisches Reich-Gottes-Verständnis den immer wieder notwendigen Auslegungs- und Verstehensbedarf der Gottesherrschaft, gerade unter sich verändernden geschichtlichen Bedingungen, gerecht. Eine rein heilsgeschichtliche Interpretation der säkularen Geschichtszusammenhänge sowie gesellschaftlicher Prozesse bzw. Ordnungen lehnt Moltmann strikt ab. Moltmann erkennt im Leiden, Sterben und Auferstehen Jesu den paradigmatischen Widerspruch zu üblichen und demnach erwartbaren Weltsowie Geschichtsabläufen. Das Wirken Jesu, seine eschatologisch-apokalyptische Botschaft und schließlich seine Auferweckung vom Tod zeigen die Offenheit der Zukunft – in dieser erhofften Zukunft ist etwas anderes möglich als das übliche Leiden sowie Sterben von Mensch und Welt. Die eschatologisch-apokalyptische Botschaft von der Gottesherrschaft setzt den destruktiven Abläufen, den verhärteten Strukturen sowie den zerstörerischen Weltzusammenhängen ein mögliches Novum entgegen. Diese Aufgeschlossenheit für eine noch ausstehende Zukunft findet Moltmann bereits in der Erzelterntradition, die Gott als einen Transmigrationsgott vorstellt. Der Reich-Gottes-Begriff Moltmanns bindet seine Zukunftsvision an die häufig noch zu erfüllenden biblischen Verheißungen, die die ausstehende Zukunft des Gottesreiches ankündigen. In der christlichen

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Tradition entsteht also durch die noch ausstehenden Gehalte der Reich-GottesHoffnung ein spannungsvoller geschichtlicher Zwischenraum zwischen der sich realisierenden Gegenwart und der noch ausstehenden Zukunft. Moltmanns wichtiger Impuls besteht darin, den Facetten Welt und Geschichte in seinem theologischen Entwurf eine zentrale Stellung zuzuweisen, ohne aber geschichtliche Abläufe und Reich Gottes zu identifizieren. Die Verheißung verschiebt sich innerhalb des biblischen Zeugnisses von der Konzentration auf ein Volk bzw. eine Gruppe hin auf die ganze Welt mit all ihren Gruppierungen sowie auch den Kosmos als Ganzes, was entsprechend in Moltmanns Darstellung einfließt. Schließlich wird mit der apokalyptischen Tradition auch die Grenze des Todes zunehmend streitbar und es konstituiert sich eine universal-kosmologische Hoffnung auf ein eschatologisches Geschehen, in welchem sich die Verheißungen der Gottesherrschaft realisieren werden. Diese biblischen Hoffnungsgehalte werden in der christlichen Theologie insbesondere mit dem Geschick Jesu verbunden, der als Gekreuzigter und Auferstandener das Reich und die Verheißungen Gottes beglaubigt sowie auf die künftige endgültige Erfüllung dieser vorausschaut. In der Auferweckung manifestiert sich nach Moltmann das eschatologisch Neue der Gottesherrschaft. Moltmann geht in seinem Entwurf sogar so weit, dass er die Auferstehung das Urdatum der Vergeschichtlichung der Welt nennt, wobei im Anschluss an Moltmann näher zu eruieren wäre, ob Geschichte vor der Auferstehung möglich gewesen sei. Jedenfalls ist Moltmann insofern beizupflichten, dass die Auferweckung Jesu in der christlichen Tradition der Ankerpunkt der Reich-Gottes-Hoffnung ist. In ihr nämlich ist das Gottesreich bereits angebrochen und es ist zu erwarten, dass Gott künftig über den ganzen Kosmos herrscht und schließlich eschatologisch den Tod besiegt. Im NT wird das atl. Reich-Gottes-Motiv, welches bereits universell geweitet und mit kosmologisch-apokalyptischen Aspekten versehen war, auf Wirken, Tod und Auferweckung Jesu hin interpretiert. Die Zukunfts- sowie Reich-GottesHoffnung des vorösterlichen Jesus und die Christologie der urchristlichen Gemeinde werden durch die Bezeugung der Identität von Gekreuzigtem und Auferstandenem vereint. Letztlich wird das Gottesreich, das in der Verkündigung Jesu unumkehrbar begann, durch die Auferstehungszeugen in seiner Radikalität und Wirksamkeit gegenüber den Mächten der Sünde sowie des Todes umfassend beglaubigt. Das Leiden und Sterben Jesu signalisieren die Verfallenheit der Welt unter der Signatur der Sünde. Von daher wartet die ganze Schöpfung auf die zukünftige Verwirklichung der Gottesherrschaft: „Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf, dass die Kinder Gottes offenbar werden. Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick seufzt und in Wehen liegt.“ (Röm 8,19.22) Die Gotteskindschaft aller Menschen wurde im Wirken Jesu expliziert und in seiner Auferweckung wurde der Tod als lebenszerstörende Macht in einem schöpferischen Akt überwunden. Das so bereits angebrochene

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Reich Gottes regt Hoffen und Sehnen auf die noch ausstehende Vollendung an. Moltmanns theologischer Hoffnungsentwurf verwebt atl. mit ntl. Strängen und macht das eschatologische Reich Gottes zum Kern seiner Theologie. Die eschatologische Hoffnung auf die bereits gekommene und sich nun realisierende Wirklichkeit der Gottesherrschaft ist, wie es die Wachstumsgleichnisse illustrieren, in einem unumkehrbaren Prozess des Anwachsens und der Ausbreitung begriffen. Es lässt die Menschen, die auf diese Hoffnung vertrauen und ihr glauben, in den zweifelhaften Umständen der Geschichte mit den Armen solidarisch sein und sich für das Reich Gottes engagieren. In diesem Sinne konstatiert Moltmann, dass die episodale Realisierung des Reiches Gottes im Wirken Jesu sowie in der Geschichte der Kirche bzw. des Christentums als Widerspruch bzw. Widerstand gegen aussichtslose Umstände ansichtig wird. Im Zuge dessen ist eine nähere Zuordnung von menschlichem und göttlichem Handeln innerhalb der Gottesherrschaft vorzunehmen. Zuerst einmal ist festzuhalten, dass der Anbruch des Gottesreiches (entsprechend biblischer Tradition) nicht nur Konsequenzen für das einzelne Individuum, sondern für die ganze Welt und Zeitgeschichte hat und dabei aber immer unverfügbar bleibt. Dies zeigt sich im atl. Zeugnis im prophetischen Einspruch gegen die staatlich funktionalisierte Tempelideologie, den Geschichten vom Exodus, in denen sich Gott auf dem Weg handelnd erweist, oder auch in den Schöpfungstraditionen, die Gott als den zeigen, der in seiner Unverfügbarkeit ex nihilo schafft. Wenn ntl. die gnadenhafte Zuwendung Gottes zu Mensch bzw. Schöpfung versichert wird, dann ist auch dies Kennzeichen der göttlichen Unverfügbarkeit. Trotz dieser grundlegenden und wichtigen Einsicht darf nicht vernachlässigt werden, dass Gott sich bei der Ausbreitung seines Reiches auch menschlicher Akteure bedient. Obendrein agiert Gott innerhalb der menschlichen Lebenswelt und mit diesen Menschen, womit das göttliche Tun nicht vollkommen unverfügbar und losgelöst vom menschlichen Tun sein kann. Dies wird bildhaft in den atl. Berichten über die josianische Reform oder den König Kyros. Die unverfügbare, aber kontinuierlich auf die ganze Schöpfung bezogene Gottesherrschaft wird als von Menschen gestaltete gerechte sozio-politische Ordnung orientiert an Recht, Gerechtigkeit und Frieden in den menschlichen Lebenszusammenhängen manifest. Moltmann setzt die göttliche und menschliche Dimension des Reiches Gottes durch die Figur von promissio-missio in klassisch protestantischer Weise ins Verhältnis: Das göttliche Handeln ermöglicht das menschliche Handeln – die von Gott zukommende Gerechtigkeit ermöglicht die (zwischen-)menschliche Gerechtigkeit. Das Versprechen des Reiches Gottes (die pro-missio) geht von Gott aus und wird in der Begegnung mit dem Auferstandenen beglaubigt. Im ntl. Zeugnis ist dieses Aufeinandertreffen stets mit einer Sendung, d. h. missio, in und für die Welt verbunden. Indem die Kirche in Jesu Wirken und Auferweckung das Reich Gottes erkennt, wird dies schon teilhaftig. Darüber hinaus sendet die

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eschatologische Hoffnung auf die dynamische Verwirklichung der Gottesherrschaft die Kirche in die Welt. Moltmann konstatiert, dass aus dem promissiomissio-Geschehen heraus die Gemeinde das Gottesreich tätlich antizipiert und anstrebt, durch das eigene Tun an der Realisierung des Reiches Gottes teilzuhaben. In dem unverfügbaren Zukommen der Gottesherrschaft sowie der hoffnungsvollen Erwartung des Gottesreiches und dem aktiven Einsatz für Recht, Gerechtigkeit, Frieden und Teilhabe eröffnet sich der Möglichkeitsraum, in welchem sich das Reich Gottes realisieren kann. Die Neubildung „Möglichkeitsraum“ ist im Anschluss an Moltmann bzw. die biblische Theologie ein von Gott her unter temporalen Bedingungen konstituierter Ort, der sich durch die eschatologische Spannung des Reiches Gottes, also dem noch-nicht und jetztschon auszeichnet. In diesen geschichtlichen Raum kann sich das Reich Gottes unverfügbar hineinereignen. Dieser Möglichkeitsraum ist auf eine Fläche hin abgebildet gleich einem Quadrat angelegt, das in der Vertikale nach oben hin für das Eschaton und nun nach unten hin für die praktische Konkretion offen angelegt ist. Die Chiffre Möglichkeitsraum ist damit zugleich offen im Sinne der potentiellen Realisierung von Möglichkeiten der Gottesherrschaft (ggf. eschatologisch ausstehend) und auch geschlossen im Sinne einer konkreten Raumes, wie dieser durch die Dimensionen des Reiches Gottes bezogen auf die Fragestellung nach der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt konkretisiert werden kann. Dieser Möglichkeitsraum ist ein geschichtlicher, offener, dynamischer Bereich, voller Elastizität für die Zukunft des Reiches Gottes, welches sich immer wieder neu in diesem ereignet. Ferner ist er von der Hoffnung auf das Reich Gottes, d. h. einer eschatologischen Rechtshoffnung, der Humanisierung der Menschen, Sozialisierung der Menschheit und Frieden der ganzen Schöpfung geprägt. Nach Moltmann wird in einem solchen Möglichkeitsraum Handeln, das die vorgefundenen Zustände in der Welt in Richtung auf das Neue (Reich Gottes, Futurum, Novum) überschreitet, denkbar. Das anbrechende Gottesreich sowie die promissio von einer anderen Welt führen bei den Menschen, die das glauben und erhoffen, zu einem nachahmenden Tun, das sich von dieser Hoffnung getragen weiß. Das durch den Menschen erhoffte und geglaubte Reich ist nicht durch das menschliche Handeln herstellbar. Jedoch kann sich im menschlichen Tun das Reich Gottes hineinereignen. Die Königsherrschaft Gottes und seine Gemeinschaftstreue brechen als Novum in die ungerechten Verhältnisse hinein. Trotz der Unverfügbarkeit der Gottesherrschaft lassen sich Qualitäten dieser bzw. Qualitäten des Möglichkeitsraums aus dem biblischen Zeugnis ableiten. Die Qualitäten des Möglichkeitsraums sind demnach zugleich Grundkonstitutiv und Ziel des Möglichkeitsraums sowie der Ereignung der Gottesherrschaft, was der spannungsvollen Ambivalenz der ntl. Reich-Gottes-Traditionen entsprechen. Zwar ist der Möglichkeitsraum eschatologisch unverfügbar, dennoch lädt die

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nach unten offene Seite zur Konkretion des Möglichkeitsraums und dies auch insbesondere hinsichtlich der Fragestellung nach der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt ein. Die nähere Bestimmung der Qualitäten des Reiches Gottes wird vorrangig aus dem biblischen Zeugnis generiert. Das AT verdeutlicht, dass das Königtum Gottes im Widerspruch zu lebensfeindlichen Strukturen (politischen Systemen, Nationalstaaten, ausbeuterischen Wirtschaftssystemen, Krankheit, Sünde, Tod usw.) steht. Die kontinuierliche Wechselbeziehung zwischen gesellschaftlich-politisch-rechtlicher sowie kultischer Praxis ist als unhinterfragt gegeben vorausgesetzt (vgl. beispielsweise die Kultkritik der Propheten oder das Heiligkeitsgesetz). Diese Korrelation bestimmt auch die ntl. Tradition, denn Jesu Handeln sowie Verkündigung vollzieht sich in allen Dimensionen der menschlichen Lebenswelt, wobei keine exklusive religiöse Sphäre existiert. Vielmehr ist das Kommen Jesu von der Alltäglichkeit der menschlichen Lebenswelt geprägt (Sitzordnungen bei Gastmählern, alltäglichen Krankheits- und Entfremdungserfahrungen usw.). Theologiegeschichtlich wird in der biblischen Tradition die Hoffnung auf die gerechte Königsherrschaft Gottes eschatologisiert und mit apokalyptischen Elementen versehen. Die atl. Propheten kündigen mehrheitlich ein für die Endzeit verheißenes Gottesreich an, welches mit der Beendigung der unheilvollen Verstrickungen der Welt, in diesem Sinne der Macht des Satans, einhergeht. Gott selbst ist es, der sein Reich aufrichtet; und so wird beispielsweise von Deuterojesaja ausgemalt, wie JHWH seine ganze Schöpfung aus unheilvollen zerstörerischen Lebensbedingungen in den Zustand des umfassenden Heils geleitet (Reich Gottes). Ferner tritt die Figur des Menschensohns in biblischen Texten zur Installation der Gottesherrschaft in Erscheinung – das Menschensohnmotiv ist ein Verbindungsglied atl., zwischentestamentlicher sowie ntl. Literatur. Das Motiv Reich bzw. Königsherrschaft Gottes ist ein vielschichtiges, vertrautes atl. und zwischentestamentliches Motiv, das auf diese Weise im NTeine zentrale Stellung einnehmen konnte. Überdies ist das Reich Gottes weniger ein ganz konkretes Theologumenon, sondern vielmehr geläufiges Bild oder ein bildhafter Raum, der den Interpretationsrahmen sowohl für Jesus selbst als auch für sein Geschick in der Deutung durch die Urchristenheit aufsteckt. Das Königtum Gottes, das Reich Gottes, sein Herrschaftsgebiet und seine Regierung können nach dem biblischen Zeugnis folgendermaßen qualifiziert werden: Nur Gott bzw. JHWH ist legitimerweise König bzw. Herrscher. Seine Regierungspraxis ist gerecht, heilvoll und lebensdienlich. Alle anderen gesellschaftlichen, politischen oder hierarchischen Strukturen sind ihm und seiner Herrschaft nachgeordnet und diese sind nur insofern akzeptabel, wenn sie die Königsherrschaft Gottes anerkennen. Herrschaftsstrukturen dürfen allein der funktionalen Gestaltung der Gesellschaft dienen. Macht-, Status- oder Anerkennungsgewinn von einzelnen Personen oder Gruppen sind keine legiti-

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men Handlungsziele im Reich Gottes. Politische Machtbereiche sowie gesellschaftliche Positionen dürfen nicht zum Nachteil anderer Menschen oder der ganzen Schöpfung genutzt werden. Ausbeuterische oder unterdrückerische Systeme/Ordnungen sind nicht mit der durch Jesus gezeigten sowie in der atl. Tradition geforderten Solidarisierung mit den Armen bzw. Unterdrückten und schließlich auch der Gemeinschaftstreue Gottes zu vereinbaren. In den Gleichnissen und atl. Erzählungen vom messianischen Mahl wird bildlich kommuniziert, dass bei Gott, der mit den Menschen zu Tisch sitzt, keine Statusunterscheidungen getroffen werden, sondern alle Menschen gleichsam an der heilsamen Fülle Gottes sowie seiner Gemeinschaft teilhaben können. Dementsprechend charakterisiert der Aspekt Teilhabe das Reich Gottes eindeutig. In der alttestamentlichen Tradition sind ‫ ָשׁלוֹם‬, ‫ִמ ְשׁ ָפּט‬, ‫ ְצ ָדָקה‬die zentralen Kennzeichen der Gottesherrschaft, und unter Bezug auf diese Aspekte wird unter der Königsherrschaft Gottes eine Ordnung geschaffen, die leitend an diesen Kategorien orientiert ist. Schalom ist der Zustand kollektiven Wohlergehens der ganzen Schöpfung, der mit Recht, Sicherheit und einer Versorgung aller mit einem Überfluss an Lebensgütern einhergeht. Schalom ist auch stets relational gedacht und meint so, dass alle Menschen sich untereinander auf Augenhöhe befinden. Demgegenüber ist allein Gott als König herausgehoben, wobei seine Regierung durch Liebe, Wohlwollen, Barmherzigkeit gegenüber der ganzen Schöpfung geprägt ist. Das Königtum Gottes schafft Recht und Gerechtigkeit, welche entgegen gesellschaftlicher Disparitäten, politischer Verwerfungen sowie Unterdrückung ein Zusammenleben von Gott, einzelnen Menschen, sozialen Gruppen sowie der ganzen Schöpfung ermöglichen. In diesem Sinne lässt sich das atl. Gesetz als lebensförderliche Ordnung verstehen, die sich gegen eine Ausnutzung der Armen bzw. Unterdrückten wendet und so das Bild des gelingenden Zusammenlebens aller unter der alleinigen Herrschaft des gerechten Gottes zeichnet. Jesus stellt dieses mit Recht, Gerechtigkeit, Frieden und Teilhabe zu charakterisierende Motiv der Gottesherrschaft ins Zentrum seiner Verkündigung (bei den Synoptikern). Unterdies nimmt Jesus den apokalyptisch-eschatologischen Ton der atl. Spätschriften offensiv auf. Ferner werden die atl. Solidaritäts- und Gerechtigkeitsvorstellungen besonders virulent, wenn er in Solidarität mit den Marginalisierten isst und in seiner Elitenkritik die radikale Egalität aller Menschen vor Gott hervorhebt. Jenseits sozial wirksamer Grenzziehungen begegnet Jesus Menschen in ihrer Lebenswelt und antizipiert das Reich Gottes, indem sie gemeinsam essen. Jesus restituiert ihre Möglichkeit der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben durch Exorzismen und Heilungen. Die praktizierte Mahlgemeinschaft Jesu, die Geschichten von einem messianischen Mahl mit Reichen und Armen an einer Tafel oder die Parabel von der Essenstafel mit einer revidierten Sitzordnung, nicht an üblichen Status- und Reziprozitätslogiken orientiert, setzen die gesellschaftlichen Exklusionsmechanismen außer Kraft und

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markieren diese als nicht lebensförderlich. Im Reich Gottes verliert das Statusund Reziprozitätsdenken seine Funktion, denn alle Menschen können an der Tischgemeinschaft Gottes teilhaben – es herrscht Schalom. Die Neuordnung der Gesellschaft bzw. Welt wird zeichenhaft realisiert. Die Freude und Fülle der Gottesherrschaft kann in den Brot- und Weinvermehrungen nachgeschmeckt werden und die Totenauferweckungen lassen die begrenzte Macht des Todes erspüren. Schließlich sind es die Heilungen und Exorzismen, die die Menschen und ganze Gemeinschaften zerstörenden Kräfte in ihre Schranken weisen. Alles in allem wird das Reich Gottes durch Gott selbst begonnen; er setzt den Prozess des Wachsens der Gottesherrschaft in Bewegung und die ganze Schöpfung wird sukzessive daran beteiligt. In der ntl. Deutung des Todes Jesu, seiner Auferweckung und den Ostererscheinungen wird auch der Traditionsfaden des Gottesreichs aufgenommen. Denn im Reich Gottes sind die lebensfeindlichen Todesmächte gebrochen. Schließlich zeigt das Leiden und Sterben Jesu die Bedürftigkeit der Welt nach dem kommenden Reich Gottes an, wobei in seiner Auferweckung das Reich Gottes und der Sieg über den Tod bereits gegenwärtig realisiert wird. Die gegenwärtige Verwirklichung bzw. die Antizipation der Gottesherrschaft kommt in der urchristlichen Gemeinde insbesondere in der gleichberechtigten Teilhabe und Hierarchiefreiheit innerhalb dieser zum Ausdruck. In diesem Sinne formuliert Paulus: „Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.“ (Gal 3,28) Paulus verweist auf die Irrelevanz national-ethischer, kultureller, machtorientierter, ökonomischer, sexueller und andere Kategorien der Über- bzw. Unterordnung sowie der gesellschaftlichen Trennung. Das Reich Gottes hebt die Grenzziehungen auf und ordnet alle Menschen als Geschwister allein der versorgenden Liebe Gottes unter. Bezogen auf die Arbeitswelt findet sich in den Gleichnissen die Darstellung der restriktiven, unterdrückerischen und sklavischen Arbeitsverhältnisse vieler Zeitgenossen Jesu als eine Art Anti-Basileia. Diese Arbeitswelten sind weder an Recht, Gerechtigkeit, Frieden noch an Teilhabe für diese Menschen bzw. Gruppen ausgerichtet. Die Arbeitsverhältnisse der Parabeln illustrieren, dass menschliches Tätigsein im Reich Gottes nicht den lebenszerstörerischen Logiken ausbeuterischer Wirtschaftssysteme folgen kann. Machthierarchien, Ausnutzung und Unterdrückung sind mit der Gottesherrschaft nicht vereinbar. Ausgehend von der Darstellung des Reiches Gottes und der Arbeitswelt ergeben sich Impulse für die Organisierung der Arbeitsteilung beispielsweise aus der gleichen Entlohnung von unterschiedlich langen Arbeitszeiten (Mt 25). Diese Impulse sind im Zusammenhang der Dimensionen Recht, Gerechtigkeit, Frieden und Teilhabe daraufhin zu überprüfen, welche Handlungsanregungen für die gegenwärtige Arbeitsteilung und die bestim-

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menden ökonomischen Nutzenmaximierungs- und Wettbewerbslogiken gewonnen werden können. Um Tätigsein innerhalb des Reiches Gottes gezielt zu klären und Anknüpfungspunkte für die Ergebnisse von Teil I bzw. II dieser Untersuchung zu entwickeln, wird nun anknüpfend an Moltmann Tätigkeit bzw. Arbeit als Teil der Sendung/missio präzisiert. Moltmann greift auf die klassisch lutherische Kategorie Beruf zurück. Zwar setzt er sich mit der problematischen Rezeptionsgeschichte (Beruf als Schöpfungsordnung bzw. Beruf als von Gott auferlegte zu ertragende, unveränderbare gesellschaftliche Position) auseinander, dennoch will Moltmann den Berufsbegriff im Zusammenhang seiner Reich-GottesHoffnung produktiv nutzen. Beruf beinhaltet nach Moltmann die Berufung bzw. Sendung oder Missio der Menschen, die die Nachricht vom Reich Gottes aufgenommen haben. Berufung wird verstanden als ein aktives Tätigsein und Mitwirken am Reich Gottes. Dabei sollen die gesellschaftlichen Formen, in denen Menschen tätig sind, stets Spielraum offen halten für die göttliche Berufung und dafür, dass sich die Gottesherrschaft dort hineinereignen kann. Dieser Bestimmung der missio der Gottesherrschaft stimme ich grundsätzlich zu, führe hier aber einen alternativen Begriff ein, um dieses Tun zu beschreiben. Denn der Terminus Beruf ist in der Gegenwart nicht ohne den Aspekt der Lohnarbeit zu hören. Diese lohnarbeiterischen Strukturen folgen aber den gefestigten gesellschaftlichen sowie ökonomischen Imperativen und nicht der Berufung ins Reich Gottes. Daher plädiere ich hier entgegen dem Berufsbegriff von Moltmann, der in seiner konservativen und lohnarbeiterisch geprägten Variante nicht konsequent genug ist, für die Verwendung eines offeneren Oberbegriffs, nämlich den der „Tätigkeit“. Denn die Berufung zur Mitarbeit Gottes ereignet sich nicht zwangsweise in die gesellschaftlichen Berufs- und Arbeitsteilungsmuster, die Rollen sowie die festgefügten sozialen Erwartungen hinein, sondern ergibt sich in flexiblen sowie offenen Tätigkeitsstrukturen, die an den Dimensionen des Reiches Gottes ausgerichtet sind. Auch menschliche Tätigkeit ist von immanenten Stabilisierungstendenzen der gesellschaftlichen Institutionen und Organisationen betroffen. Deshalb mahnt Moltmann, dass die missio, um der pro-missio (der Zusage bzw. Ansage der Gottesherrschaft) wirklich treu bleiben zu können, einen offenen Möglichkeitsraum benötigt. Alles in allem ist menschliche Tätigkeit bzw. Arbeit als mögliche Formen, in denen der Einsatz für das Reich Gottes kultiviert wird, äußerst relevant. Insgesamt schließe ich mich diesen Ausführungen zum Tätigsein als allgemeiner menschlicher Tätigkeit, die einen Raum für die Mitarbeit am Reich Gottes bietet und auf diese Weise der promissio bzw. der Reich-GottesHoffnung treu bleibt, an. Daher verwende ich aus oben und an anderer Stelle ausgeführten Gründen den Begriff der Tätigkeit bzw. Arbeit und nicht den des Berufs.

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Die Reich-Gottes-Hoffnung eröffnet einen Möglichkeitsraum für das gesamte diesseitige Leben und damit auch die kirchlich-diakonische Arbeitswelt, indem diese neue Herrschaft antizipiert werden kann. Die herausgearbeiteten Kernqualitäten der Gottesherrschaft nämlich Teilhabe, Frieden, Recht und Gerechtigkeit bieten Anleitung bei der Gestaltung der kirchlich-diakonischen Arbeitsbedingungen. Wie in den ersten beiden Teilen dieser Untersuchung gezeigt werden konnte, bilden sich allerdings in Kirche und Diakonie weitgehend dieselben arbeitsteiligen Strukturen wie in der gesamten Gesellschaft ab. Das geschieht, obwohl die Dominanz von Erwerbsarbeit sowie herausgehobenen Erwerbsarbeitsrollen nicht theologisch begründbar ist. Stattdessen sind die unterschiedlichen Arbeitsformen je als eigene Möglichkeiten der Sendung vom und zugleich ins Reich Gottes zu interpretieren. Die entsprechenden Arbeitsformen sind unter der Annahme sowie Antizipation der begonnenen und sich prozesshaft realisierenden Gottesherrschaft zu gestalten. Die Sendung der Gemeinde soll sich auch in den Tätigkeiten innerhalb der Organisationen Kirche und Diakonie verwirklichen können. Zur näheren kontemporären Bestimmung der Reich-Gottes-Dimensionen (Recht, Gerechtigkeit, Teilhabe und Frieden in der menschlichen Lebenswelt) wird auf das Konzept der partizipatorischen Parität von Nancy Fraser zurückgegriffen. Frasers Ansatz verbindet dieses Anliegen stets mit den Fragen der (Status- bzw. Identitäts-)Anerkennung sowie der ökonomischen Umverteilung. Von daher scheint es sinnvoll, in dieser Untersuchung die Fraser’sche Gerechtigkeitstheorie als Werkzeug zu nutzen, um die menschliche Lebens- und Arbeitswelt präzise mittels der Grammatik gegenwärtiger Gerechtigkeitsdebatten zu formulieren. Der durch die vorstehenden theologischen Grundorientierungen deutlich hervortretende Möglichkeitsraum soll im Folgenden durch Frasers Ansatz eine Spezifizierung erhalten. Jedoch soll der Möglichkeitsraum seine Flexibilität und Spannkraft erhalten, damit sich das Reich Gottes unverfügbar in diesen hineinereignen kann.

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Nancy Frasers Modell zur Erlangung von Teilhabe auf Augenhöhe (partizipatorische Parität)

Im Folgenden wird der Gerechtigkeitsansatz von Nancy Fraser erörtert, der vorab unter Gliederungspunkt 3.2.1 im Kontext gegenwärtiger Debatten von Identitätsund Umverteilungspolitik verortet wird. Neben der grundsätzlichen Sprachfähigkeit dieses Ansatzes werden vorab ebenfalls die (diskurs-)ethischen Grundlagen erläutert. Daraufhin wird das Fraser’sche Gerechtigkeitsmodell der partizipatorischen Parität mit seinen Analyse-, Strategiebildungs- und Aus-

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handlungsverfahren zur Erlangung von Teilhabe auf Augenhöhe (3.2.2) dargelegt. Daran schließt sich eine kritische Würdigung dieses Konzepts an.

3.2.1 Identitäts- und Umverteilungspolitik in der gegenwärtigen politisch-philosophischen Bestimmung sowie grundsätzliche ethische Überlegungen Die Gerechtigkeitstheorie Frasers wird nachfolgend im Rahmen allgemeiner gesellschaftlicher Diskurse um Gerechtigkeit, Teilhabe, Umverteilung sowie Anerkennung kontextualisiert. Es wird illustriert, dass Identitäts- und Umverteilungsforderungen Ausdrucksformen gegenwärtiger Teilhabe- sowie Gerechtigkeitsanliegen sind (3.2.1.1). Anschließend werden die (diskurs-) ethischen Grundlegungen des Fraser’schen Ansatzes eruiert und spezifiziert (3.2.2.2). 3.2.1.1 Identitäts- und Umverteilungsforderungen als Ausdrucksformen gegenwärtiger Teilhabe- sowie Gerechtigkeitsanliegen Bei den Wahlen zum Bundestag im September 2017 erhielt mit der AfD eine Partei rund 15 % der Stimmen, die rückgreifend auf eigene Identität sowie rassistisch-völkische Vorstellungen versucht, eine Anerkennung ihrer Ansprüche auf politische Teilhabe durchzusetzen. Im Zusammenhang der massiven Stimmenzugewinne der AfD bei den Wahlen der Bundes- sowie der Länderparlamente wird auch auf das Scheitern der plural-multikulturellen Gesellschaft in Zeiten von Wirtschafts- und Migrationskrisen verwiesen. Die zumindest antizipierte Angst vor sozialem Abstieg treibe die Arbeiter*innen, aber auch Teile der gesellschaftlichen Mitte, zur Wahl rechtspopulistischer Parteien. Denn „exklusive Solidarität kann auch deshalb als plausible Antwort für Teile der Arbeiterklasse erscheinen, weil es an einer hoffnungsvollen Alternative fehlt. […] Die hiesige Linke hat in den zurückliegenden Jahren die soziale Frage vernachlässigt.“204 Die angedeuteten Debatten angesichts der Wahlerfolge rechtspopulistischer Parteien thematisieren sowohl identitäts- bzw. anerkennungspolitische Interessen als auch ökonomische Umverteilungsforderungen. Hierbei ist je umstritten, ob ökonomische oder differenzpolitische Forderungen bzw. deren Umsetzung zum gerechten Zusammenleben beitragen. Jedoch illustriert dieses Schlaglicht auf die gegenwärtigen politischen Debatten eindringlich, dass Fragen des guten, gelingenden und schlussendlich gerechten Zusammenlebens in der Gegenwart mit den beiden Polen der umverteilenden und anerkennenden 204 Friedrich 2017.

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Politik assoziiert werden. Bis Mitte des letzten Jahrhunderts sind die Forderungen nach ökonomischer Umverteilung und auch identitätspolitischer Anerkennung häufig eng verknüpft. Zum Kernanliegen der emanzipativen Arbeiter*innen-Bewegung – und in einem weiteren Sinne der linken Politik – gehört die ökonomische Redistribution, um gesellschaftliche Gerechtigkeit zu erlangen. Unter Beibehaltung der kapitalismuskritischen Grundidee fokussieren die Bürger*innenrechtsbewegung in den USA, der antiimperialistische Widerstand, Eine-Welt-Gruppen, die zweite Welle des Feminismus, die Schwulen- und Lesbenbewegung oder ganz allgemein die neue soziale Bewegung seit den 1970er Jahren auf die unterdrückte Identität beziehungsweise spezifische Kultur der marginalisierten Gruppen. Impulse hierzu kommen von unterschiedlichen Autor*innen205, die v. a. nach der Natur, dem Ursprung und der Zukunft der verteidigten Identitäten bzw. Kulturen fragen. Die Grundthese ist, dass Erfahrungen von Ungerechtigkeit und gesellschaftlichem Ausschluss von beispielsweise People of Color durch die Dimension Identität bzw. Kultur strukturiert und legitimiert werden. Bestimmte Identitäten sind besonders vulnerabel für Marginalisierung, Gewalt oder Ausbeutung durch kulturelle Abwertung seitens hegemonialer Gruppierungen. Durch Stereotypenbildung oder auch Verleugnung entsprechender Gruppenidentitäten sichern einflussreiche Gruppen ihre eigene Position. Dadurch wird einsichtig, dass es sich beim Thema Identität in erster Linie um ein Anliegen emanzipativer Bewegungen handelt und erst in zweiter Linie um ein explizit liberal-demokratisches und formal-politisches Projekt.206 Insgesamt verstärkte sich im Laufe der 1980er Jahre das Interesse an Identität bzw. Kultur im Zusammenhang der allgemeinen kulturellen Wende (cultural turn) in den Geistes- und Sozialwissenschaften noch. Auf Grundlage poststrukturalistischer Diskursanalyse oder konstruktivistischer Argumentation werden Anerkennungsforderungen formuliert, die aber häufig auch mit Fragen der monetären Umverteilung verbunden bleiben. Seit den 1990er Jahren veränderte sich dies, insofern die Dimensionen Anerkennung und Umverteilung sowohl in der Theorie als auch in der Praxis stärker getrennt wurden. Es entwickelte sich so etwas wie ein sozialer Flügel, der sich weiterhin mit Institutionen sowie der politischen Ökonomie beschäftigte. Daneben befasste sich der kulturelle Flügel vornehmlich mit den Aspekten Identität und Anerkennung. Bernstein warnt davor, die Analyse von Kultur bzw. Identität ohne Berücksichtigung des ökonomischen Zusammenhangs bzw. der Machtverhältnisse zu betreiben. Denn wenn man gesellschaftliche Differenzanerkennung mit dem radikalen Individualismus einer neoliberalen Wirtschaftsordnung kombiniert, verliert das 205 Fanon 2016 (1952); Fanon 2015 (1961); Foucault 1973 (1961); Said 2017 (1978), Spivak et al. 2014 (1988). 206 Vgl. Heyes 2016.

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identitätspolitische Anliegen sein emanzipatives Potential. Dies gilt ferner auch für die nationalistisch-hegemoniale Interpretation einer Identitätspolitik. Schließlich bestehe bei identitätspolitischen Forderungen stets die Gefahr der Essentialisierung der Unterschiede, d. h. der Andere wird auf sein jeweiliges Anderssein als sein eigentliches Wesen bzw. Essenz festgelegt.207 The essentialism of identity politics precludes the articulation of a universal vision for social change, such as the New Left had done, instead making particularistic claims for group-based benefits and leading to the decline of the left. They claim that because identity groups tend to splinter into ever more narrow categories, they cannot agree on or sustain anything but opposition to a common enemy.208

Dagegen schlägt Gayatri Chakravorty Spivak einen „strategischen Essentialismus“ vor, da aus der äußerst marginalisierten Stellung heraus nicht auf eine gewisse essentialistische Betonung der Unterschiede verzichtet werden könne. Dies dürfe jedoch nur im Bewusstsein über den Konstruktionscharakter der entsprechenden Differenzen geschehen. Dieser Essentialismus sei als ausgleichende Strategie nur bis zur Durchsetzung der Gleichberechtigung der unterdrückten Gruppe aufrechtzuerhalten.209 „Others argue that a relational social ontology, which makes clear the fluidity and interdependence of social groups, should be developed as an alternative to the reification of other approaches to identity politics.”210 Iris Marion Young legt 2000 einen solchen Entwurf vor.211 Sowohl Young als auch Spivak halten an der Notwendigkeit gewisser Formen von identitätspolitischer bzw. anerkennungstheoretischer Politik fest, dies aber stets zusammen mit Gerechtigkeits- und Umverteilungsbestrebungen. Zeitgleich mit den sich formierenden Forderungen nach Identitätsanerkennung marginalisierter Gruppen wurden in der politischen Theorie maßgeblich Gerechtigkeitstheorien mit dem Akzent auf Umverteilung favorisiert. In der US-amerikanischen Tradition ist John Rawls und seine liberal-universalistische Theorie der Gerechtigkeit212 (1971), die sich an Kant anschließt und einen Schwerpunkt auf Verteilungsgerechtigkeit legt, relevant. Demgegenüber wurden seit den 1980er Jahren kommunitaristische Gerechtigkeitstheorien, im Anschluss an Hegel, formuliert. Die Neohegelianer Charles Taylor (1989/1994/ 2009)213 und Alasdair MacIntyre (1981/1994)214 beziehen sich in ihren Gerech207 208 209 210 211 212 213 214

Vgl. Bernstein 2005, S. 49ff. Bernstein 2005, S. 51. Vgl. Spivak 1990, S. 1–16. Heyes 2016. Young 2000. Rawls 1999. Taylor 1996; Taylor 2002; Taylor et al. 2009. MacIntyre 1995; MacIntyre 1994.

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tigkeitstheorien explizit auf Anerkennungs- und Identitätsbelange, da sie meinen, die moralisch notwendige Sittlichkeit sei ein kulturell-eingeübtes Gefühl. Heidenreich moniert im Anschluss an Rainer Forst215 die ausschließende Opposition der kontemporären Gerechtigkeitstheorien in entweder liberalkantianische oder kommunitaristisch-hegelianische: „die Kommunitaristen [wollten] die Sphäre der Politik nach dem Modell der ethischen Gemeinschaft rekonstruieren […], während sich die Liberalen am Paradigma der Rechtsgemeinschaft orientierten. Beides greift jedoch zu kurz.“216 Heidenreich lehnt die Unterscheidung zwischen identitätspolitischer bzw. anerkennungstheoretischer und umverteilender Politik als empirisch mangelhaft ab. Neben der Kritik an entsprechenden Gerechtigkeitstheorien wendet er sich auf diese Weise auch gegen den kulturellen Flügel identitätspolitischer Forderungen und klassifiziert ihre Perspektive als unterkomplex. Insgesamt könne eben nicht streng zwischen rechtlichen bzw. umverteilungstheoretischen und ethischen bzw. anerkennungstheoretischen Kategorien unterschieden werden. Diese Einschätzung teilen v. a. weibliche Philosophinnen, die seit den 1980er Jahren in den Debatten um Gerechtigkeit, Umverteilung, Identität und Anerkennung ihre Stimme erheben. Zu ihnen gehören Iris Marion Young, Martha Nussbaum und auch Nancy Fraser. Sie fordern, insbesondere Macht- und Herrschaftsverhältnisse im Kontext von Gerechtigkeitsfragen zu erörtern.217 In der Gegenwart sind demnach Recht, Gerechtigkeit, Teilhabe und Frieden in der menschlichen Lebenswelt immer auf eine Weise mit den Aspekten der (Status- bzw. Identitäts-)Anerkennung sowie der ökonomischen Umverteilung verbunden. Die Komplexität menschlicher Lebens- und Arbeitswelt lässt es sinnvoll erscheinen, im Rahmen dieser Forschungsarbeit auf eine Gerechtigkeitstheorie zurückzugreifen, die Ungerechtigkeit als Mangel von sowohl Anerkennung als auch auf Umverteilung formuliert. Auf diese Weise wird die kontemporäre Grammatik gegenwärtiger Gerechtigkeitsdebatten genutzt, um so die menschliche Lebens- und Arbeitswelt präziser zu beschreiben. Von daher ist es sinnvoll, die politische Philosophie Frasers sowie ihr Prozessmodell zur Erlangung partizipatorischer Parität auszuwählen. Fraser analysiert und formuliert die gegenwärtigen Gerechtigkeitsbelange in den Dimensionen der Statusanerkennung und der ökonomischen Umverteilung. Die unter 3.1 grundgelegten Ziele bzw. Qualitäten des Reiches Gottes, nämlich Gerechtigkeit, Teilhabe und friedvolles Zusammenleben, werden mittels dem Fraser’schen Analyse- und Aushandlungsmodell konkretisiert. Die sich in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt vollziehenden komplexen gesellschaftlichen 215 Forst 1994; Forst 1999. 216 Heidenreich 2011, S. 162. 217 Vgl. Heidenreich 2011, S. 162ff.

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Prozesse können auf diese Weise differenziert und in einer gegenwärtig verständlichen Sprache abgebildet werden. Ferner eignet sich das Modell Frasers im Zusammenspiel mit den gebildeten Grundannahmen des Reiches Gottes, da es eine große Offenheit für die Ermöglichung der Erlangung von Gerechtigkeit durch dynamische Prozesse hat. Dieser prozesshafte Charakter schließt an den dynamischen und unabschließbaren Möglichkeitsraum des Reiches Gottes an. 3.2.1.2 (Diskurs-)Ethische Grundlegungen des Fraser’schen Ansatzes An dieser Stelle sollen die durch das Fraser’sche Modell getroffenen bzw. implizierten diskursethischen Grundannahmen (v. a. von der Habermas’schen Philosophie geprägt) untersucht werden (3.2.1.2.1). Sodann wird dazu eine eigene kritische Position entfaltet, die insbesondere die Alternative der Gesinnungs- oder Verantwortungsethik untersucht und schließlich eigene (diskurs-)ethische Grundlegungen vornimmt (3.2.1.2.2). Insgesamt wird die strukturelle Entsprechung von theologischem Reich-Gottes-Motiv und philosophisch, diskursethischer Bestimmung geleistet. 3.2.1.2.1 Frasers Rezeption der Habermas’schen Philosophie Im Generellen gehen diskursethische Konzepte von der kommunikativen Erlangung (vermittelt durch den Diskurs) ethischer Aussagen aus. „Diskurs“ bezeichnet nach Habermas „die durch Argumentation gekennzeichnete Form einer Kommunikation […], in der problematisch gewordene Geltungsansprüche zum Thema gemacht und auf ihre Berechtigung hin untersucht werden.“218 Fraser entwickelt einen eigenen diskursethischen Entwurf. Hinsichtlich der Habermas’schen Grundannahmen formuliert sie: Habermas’ concept of the public sphere permits us to keep in view the distinctions between state apparatuses, economic markets, and democratic associations, distinctions that are essential to democratic theory. For these reasons, I am going to take as a basic premise for this essay that something like Habermas’s idea of the public sphere is indispensable to critical social theory and to democratic political practice.219

Jedoch sei die Idee der bürgerlichen Öffentlichkeit bei Habermas auch teilweise begrenzt und „needs to undergo some critical interrogation and reconstruction if it is to yield a category capable of theorizing the limits of actually existing democracy.”220 Sie problematisiert Habermas‘ Konzept der bürgerlichen Öffentlichkeit, denn gegenwärtig sei seine Vorstellung der „liberalen bürgerlichen Öffentlichkeit“ nur in begrenzter Weise mit der Realität der sozialstaatlichen 218 Habermas 1998, S. 130. 219 Fraser 1990, S. 57. Vgl. auch: Fraser 1992. 220 Fraser 1990, S. 57.

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Massendemokratie vereinbar. „He never explicitly problematizes some dubious assumptions that underlie the bourgeois model”221, womit Fraser die häufig in der Literatur benannte Idealisierung der bürgerlichen Öffentlichkeit des 18. bzw. 19. Jh. thematisiert. Unter Bezug auf historische Quellen kann Fraser nachweisen, dass Habermas‘Idealbild der inklusiven bürgerlichen Öffentlichkeit im 18. bzw. 19. Jh. nicht zutreffend ist. Sie zeigt auf, dass die Konstitution dieser bürgerlichen Öffentlichkeit vor dem 20. Jh. maßgeblich über gesellschaftliche Exklusion von beispielsweise Frauen oder Männern der Arbeiter*innenklasse stattfand. Diese ausgeschlossenen Gruppen versuchten dann sog. „subaltern counterpublics“222 zu formen und von daher habe es nie nur eine Öffentlichkeit gegeben. Die öffentliche Sphäre setzt sich vielmehr aus verschiedenen miteinander in Konflikt stehenden und antagonistischen Öffentlichkeiten zusammen. Durch diesen Widerstreit könne Teilhabe aller Gruppierungen auf Augenhöhe erlangt werden.223 Ferner hält Fraser die Bedingung Habermas‘, dass sich die Diskursteilnehmenden verhielten, als ob sie Ebenbürtige wären, nicht für ausreichend für den gelingenden Diskurs auf Augenhöhe. Langfristig sei eine tatsächliche Angleichung der Diskursteilnehmenden unbedingt nötig. Außerdem differenziere Habermas zu streng zwischen öffentlichen und privaten Angelegenheiten, denn auf diese Weise würden bestimmte Themen ausgeschlossen und nur öffentliche Belange von allgemeinem Interesse (Gemeinwohl) könnten debattiert werden. Bei Habermas werden oft ökonomische Besitzfragen sowie die Anliegen des intim-häuslichen Zusammenlebens als privat klassifiziert. Ein solche Unterscheidung fungiert häufig „ideologically to delimit the boundaries of the public sphere in ways that disadvantage subordinate social groups.“224 Auf diese Weise werden wirtschaftliche Fragen ökonomisiert und intime Fragen des Zusammenlebens privatisiert bzw. familiarisiert. Damit werden dann beispielsweise die Themen Erbrecht oder häusliche Gewalt aus der Öffentlichkeit ausgeschlossen. Dies sei jedoch unbedingt zu vermeiden, und Fraser votiert dagegen, generalistisch zwischen öffentlich und privat zu unterscheiden. Sämtliche Fragen und Themen, die Menschen einbringen, seien in der öffentlichen Sphäre zu bedenken, denn nur auf diese Weise könne eine republikanisch-zivilgesellschaftliche Gemeinschaft entstehen. Schließlich werde die strenge Differenzierung von zivilgesellschaftlicher Öffentlichkeit und Staat nicht der empirischen Realität der öffentlichen Sphäre und ihren Aufgaben gerecht: „Any conception of the public sphere that requires a sharp separation between (associational) civil society and the state will be unable to imagine the forms of self221 222 223 224

Fraser 1990, S. 58. Fraser 1990, S. 67. Diese formulieren Gegendiskurse und entwickeln alternative Narrationen. Vgl. Fraser 1990, S. 58ff. Fraser 1990, S. 73.

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management, inter-public coordination, and political accountability that are essential to a democratic and egalitarian society.“225 Mit ihrer Kritik möchte Fraser verhindern, dass öffentliche Debatten zum Instrument der Machtsicherung und Dominanz einflussreicher (bürgerlicher und männlicher) Gruppen werden. Insgesamt gilt: The dialogue between Habermas and feminist political theory has contributed to the development of a more inclusive perspective on the model of deliberative democracy and on the public sphere. Regarding the latter, feminist political theory discusses a claim to solidarity (Dean 1996), to particularity (Benhabib 1992), to heterogeneity (Young 2000) and to elements of a post-bourgeois conception of a public sphere (Fraser 1992).226

Frasers leicht modifiziertes Konzept ist im Wesentlichen diskursethisch angelegt und operiert u. a. mit dem revidierten Öffentlichkeitsbegriff von Habermas. Insgesamt kombiniert Frasers gerechtigkeitstheoretischer Entwurf sowohl poststrukturalistische als auch feministische Aspekte zusammen mit der kritischen Theorie. Dadurch entsteht ein ganz eigenes Modell, wobei aber an dieser Stelle der Untersuchung die diskursethischen Grundannahmen in einem stärker Habermas’schen Sinne auf ihre Berechtigung sowie Implikationen hin überprüft werden. Ferner wird erörtert, ob das diskursethische Modell Frasers sich im Kontext dieser Forschungsarbeit als geeignet erweist. Hinsichtlich der ethischen Grundlegung für die Betrachtung der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt wird nun erst auf die allgemeine und klassisch gewordene Unterscheidung von gesinnungs- und verantwortungsethischen Positionen eingegangen. Schließlich wird gezeigt, dass diskursethische Verfahren beide Aspekte auf gelingende Weise zusammenstellen. 3.2.1.2.2 Gesinnungs- oder Verantwortungsethik als ausschließende Alternativen? Diskursethische Konzepte als dritter Weg In der evangelischen Ethik sind in den letzten Jahrzehnten insbesondere Positionen vertreten worden, die mit dem Schlagwort der „Verantwortungsethik“227 zu verknüpfen sind. Dagegen meint der Terminus Gesinnungsethik 225 Fraser 1990, S. 76. 226 Fiig 2006, S. 3f. Die Auseinandersetzung mit den feministischen Theoretiker*innen wirkte auf Habermas‘ Verständnis der Öffentlichkeit. Im Jahr 1992 erschienen Faktizität und Geltung (Habermas 2014, S. 472–492) hat Habermas den Gedanken Frasers von den vielfältigen „weak and strong publics“ aufgenommen und seine Vorstellung von der einen Öffentlichkeit modifiziert. Im Allgemeinen zeigte die Debatte mit den feministischen Kritiker*innen insofern Wirkung, als Habermas in der Folge die öffentliche Sphäre stärker plural konzeptualisierte. 227 Hier sei exemplarisch auf Jonas 2003 (1984 erstmals) hingewiesen, der seine Ethik der Verantwortung in der technologischen Moderne formuliert. „Der Begriff der Verantwortung wird in seiner Philosophie zum Synonym einer neu hervorgetretenen Pflicht im Antlitz der Drohungen der Moderne und ihrer kausalen Reichweite in die Zukunft.“ (Nielsen-Sikora

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eine Ethosgestalt bzw. eine ethische Theorie und begegnet als solcher in Max Webers Theorie über die Evolution ethischer Positionen, die von der Gesetzesethik des scholastischen Naturrechtsdenkens zur Gesinnungsethik der Reformation und von dort zur Verantwortungsethik der Aufklärung führt.228

Die idealtypische Unterscheidung Gesinnungs- oder Verantwortungsethik geht auf Max Weber zurück, der 1919 formuliert: „Wir müssen uns klarmachen, dass alles ethisch orientierte Handeln unter zwei voneinander grundverschiedenen, unaustragbar gegensätzlichen Maximen stehen kann: Es kann ‚gesinnungsethisch‘ oder ‚verantwortungsethisch‘ orientiert sein.“229 Weber wirft dem Gesinnungsethiker vor, dass dieser „die ethische Irrationalität der Welt“230 nicht ertrage. Damit wendet sich Weber in strikter Weise gegen die Kant’sche deontologische Ethik sowie gegen religiöse Ethiken und schließlich auch gegen die jesuanische Bergpredigt, die Weber für eine paradigmatische Gesinnungsethik hält. Weber klassifiziert diese wie folgt: Mit der Bergpredigt – gemeint ist: die absolute Ethik des Evangeliums – ist es eine ernstere Sache, als die glauben, die diese Gebote heute gern zitieren. Mit ihr ist nicht zu spaßen. Von ihr gilt, was man von der Kausalität in der Wissenschaft gesagt hat: Sie ist kein Fiaker, den man beliebig halten lassen kann, um nach Belieben ein- und auszusteigen. Sondern: ganz oder gar nicht, das gerade ist ihr Sinn, wenn etwas anderes als Trivialitäten herauskommen soll. Also, z. B. der reiche Jüngling: ‚Er aber ging traurig davon, denn er hatte viele Güter.‘ Das evangelische Gebot ist unbedingt und eindeutig: gib her, was du hast – alles, schlechthin. Der Politiker wird sagen: eine sozial sinnlose Zumutung, solange es nicht für alle durchgesetzt wird. Also: Besteuerung, Wegsteuerung, Konfiskation, – mit einem Wort: Zwang und Ordnung gegen alle. Das ethische Gebot aber fragt danach gar nicht, das ist sein Wesen. Oder: ‚Halte den anderen Backen 2015, S. 2.) Jonas trifft einen zeitgeschichtlichen Nerv, wenn er in der Hochphase des Kalten Kriegs einen verantwortungsvollen Einsatz der Politik fordert. Hierbei kritisiert er linksmarxistische Utopien sowie eine strikte Kant’sche Prinzipien- oder Gesinnungsethik. Jonas will vielmehr ethische Verantwortung in den zwischenmenschlichen Machtgefügen zur Geltung kommen sehen. Hippler verweist darauf, dass der Terminus „Verantwortung“ äußerst große Wirksamkeit in den politisch-ethischen Debatten seit den 1980er Jahren entfaltet. Dabei schwanke dieser als bedeutungsoffener Begriff zwischen der diffusen emotionalen Betroffenheit (mit unklaren Zuständigkeiten) und der Verantwortung, die aus bestimmten Machtstrukturen erwächst. Insgesamt stünde „Verantwortung“ damit in der steten Gefahr des Missbrauchs durch realpolitische Unternehmungen, die nicht klar machten, welche Art der Verantwortung gemeint sei. (Vgl. Hippler 2015.) Dies lässt sich gegenwärtig in den öffentlichen Debatten, insbesondere in der Auseinandersetzung mit sog. Sicherheitsfragen (Einschränkungen der Grundrechte, Vorratsdatenspeicherung, Videoüberwachung am Berliner Südkreuz mit Gesichtserkennung usw.), nachvollziehen. Denn häufig werden politische Schritte mit der „Verantwortung“ für Gefahren- bzw. Terrorabwehr und letztlich zur Erlangung von Sicherheit begründet. 228 Stock. 229 Weber 1992, S. 70. 230 Weber 1992, S. 71.

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hin!‘. Unbedingt, ohne zu fragen, wieso es dem anderen zukommt, zu schlagen. Eine Ethik der Würdelosigkeit – außer für einen Heiligen. Das ist es: man muß wie ein Heiliger sein in allem, zum mindesten dem Wollen nach, muß leben wie Jesus, die Apostel, der heilige Franz und seinesgleichen, dann ist diese Ethik sinnvoll und Ausdruck einer Würde. Sonst nicht. Denn wenn es in Konsequenz der akosmistischen Liebesethik heißt: ‚dem Übel nicht widerstehen mit Gewalt‘, – so gilt für den Politiker umgekehrt der Satz: Du sollst dem Übel gewaltsam widerstehen, sonst – bist du für seine Überhandnahme verantwortlich. […] Aber nach ‚Folgen‘ fragt eben die absolute Ethik nicht. Da liegt der entscheidende Punkt. Wir müssen uns klarmachen, daß alles ethisch orientierte Handeln unter zwei voneinander grundverschiedenen, unaustragbar gegensätzlichen Maximen stehen kann: es kann ‚gesinnungsethisch‘ oder ‚verantwortungsethisch‘ orientiert sein. Nicht daß Gesinnungsethik mit Verantwortungslosigkeit und Verantwortungsethik mit Gesinnungslosigkeit identisch wäre. […] Aber es ist ein abgrundtiefer Gegensatz, ob man unter der gesinnungsethischen Maxime handelt – religiös geredet: ‚Der Christ tut recht und stellt den Erfolg Gott anheim – oder unter der verantwortungsethischen: daß man für die (voraussehbaren) Folgen seines Handelns aufzukommen hat.231

Webers Auseinandersetzung mit der religiösen Ethik speist sich aus unterschiedlichen Quellen wie seiner eigenen religiösen Sozialisation, seinem Selbstverständnis als Kulturprotestant sowie aus freundschaftlichen Verbindungen zu Theologen.232 Weber war „eng verbundenen [mit] Otto Baumgarten und Ernst Troeltsch.“233 Mit dem praktischen Theologen Otto Baumgarten verband Weber ein verwandschaftliches Verhältnis. Weber und sein Cousin Baumgarten standen im Austausch miteinander.234 Was in diesem Fall zur „Konvergenz eines ethischen Themas in der Praktischen Theologie Otto Baumgartens und in der Soziologie Max Webers“235 führte. All diese unterschiedlichen Aspekte kommen in seinem soziologischen Entwurf zur Geltung. 231 Weber 1992, S. 68–70. 232 Dazu gehört insbesondere die enge „Fachmenschenfreundschaft“ mit dem Theologen Ernst Troeltsch. In Heidelberg gehörte Troeltsch zum Freundeskreis Max Webers und nahm bei vielen Zusammentreffen im Hause Webers teil. Die Beziehung zwischen Weber und dem Theologen ist gut fachwissenschaftlich beleuchtet. (Vgl. dazu z. B.: Schluchter und Graf 2005; Graf 2014a; Runde 2017.) 233 Voigt 2002, S. 265. 234 Vgl. dazu ferner Roth 2001. 235 Drehsen 1986. Zwischen der protestantischen Theologie des ausgehenden 19. und frühen 20. Jh. und der Weber’schen Soziologie bestehen vielfältige Einflüsse und Wechselwirkungen. Der junge Max Weber stand v. a. in Kontakt zur späten liberalen Theologie, zu Otto Baumgarten und zu den Vertretern der Religionsgeschichtlichen Schule. In höherem Alter ist insbesondere der enge Austausch zwischen Weber und Ernst Troeltsch zu beachten. So kann Troeltschs Religionstheorie als paradigmatisches Gegenmodell der Soziologie Webers gelten. (Vgl. Graf 1987, S. 123.) „Das Religionsverständnis dieser älteren kulturprotestantischen Theologen hat Weber vor allem in zweierlei Hinsicht nachhaltig geprägt: hier findet er die in seiner

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Die Zwischenbetrachtung aus der universalhistorischen Studie ‚Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen‘ ist ein prominentes religionssoziologisches Text- und Theoriestück Webers […] Den Zwischentitel verdankt der fast vierzigseitige Text dem Umstand, dass er einen systematisierenden Einschub darstellt. […], und einen Vorläufertext in Webers systematischer Religionssoziologie hat.236

Weber spricht hier von „den Spannungsverhältnissen zwischen Welt und Religion“237, die sich im Zuge der modernen Ausdifferenzierung nur noch verschärften, denn jeder Bereich folgt den entsprechenden Eigenlogiken sowie Ordnungen. Die Welt unterscheidet er in „ökonomische, politische, ästhetische, erotische, intellektuelle Sphäre“238, von denen sich die Religion in ihrer asketischen oder auch mystischen Form immer stärker entfernt und zu der sie in Widerspruch gerät. Schließlich beginne die Religion, eigene Logiken zu beschreiben und sich als irrationale außergesellschaftliche Praxis zu konstituieren. Inhaltlich identifiziert Weber Religion in der Zwischenbetrachtung erneut mit einer „religiösen Brüderlichkeitsethik“ (oder der „Akosmismus der Liebe“). Die Evolution der Brüderlichkeitsethik kann im Anschluss an Tyrell in acht Phasen gegliedert werden: 1. Urwüchsige Not- und Nachbarschaftshilfe, 2. Almosen und „Verwerfung des Zinses“; 3. Karität und ethnisch-religiöse Brüderlichkeit (Dtn); 4. Nächstenliebe – bis hin zur Feindesliebe; 5. Gesinnungsethische Systematisierung; 6. Religiöse Gemeindebildung und Liebeskommunismus; 7. Liebesakosmismus und Brüderlichkeitsuniversalismus; 8. Virtuosenreligiosität.239 Insgesamt gilt: Je rationaler und gesinnungsethisch sublimierter die Idee der Erlösung gefaßt wurde, desto mehr steigerten sich daher jene aus der Reziprozitätsethik des Nachbarschaftsverbandes erwachsenen Gebote äußerlich und innerlich. Äußerlich bis zum brüderlichen Liebeskommunismus, innerlich aber zur Gesinnung der Caritas, der Liebe zum Leidenden als solchen, der Nächstenliebe, Menschenliebe und schließlich Feindesliebe. […] Stets […] lag ihre ethische Anforderung irgendwie in der Richtung einer universalistischen Brüderlichkeit über alle Schranken der sozialen Verbände, oft einschließlich des eigenen Glaubensverbands, hinweg. Immer stieß diese religiöse Brüderlichkeit, je mehr sie in ihren Konsequenzen durchgeführt wurde, desto härter mit den Ordnungen und Werten der Welt zusammen. Und zwar pflegte – und darauf kommt es

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familiären Sozialisation vor allem durch die Frömmigkeit der Mutter repräsentierte Selbständigkeit des Religiösen theoretisch gerechtfertigt, und hier lernt er die gesinnungsethische Konkretion von Frömmigkeit als eine für den neueren Protestantismus signifikante Religiosität kennen.“ (Graf 1987, S. 124.) Tyrell 2017, S. 348. Die „Zwischenbetrachtung: Theorie der Stufen und Richtungen religiöser Weltablehnung“ findet sich bei Weber 1988, S. 536–573. Weber 1988, S. 540. Weber 1988, S. 536. Vgl. Tyrell 2017, S. 361–380.

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hier an – je mehr diese nach Eigengesetzlichkeiten rationalisiert und sublimiert wurden, desto unversöhnlicher dieser Zwiespalt sich geltend zu machen.240

Weber lehnt sog. gesinnungsethische Positionen als nicht mit den rationalen Logiken der ausdifferenzierten Moderne vereinbar ab: „das ökonomische und das politische rationale Handeln [folgt] seinen Eigengesetzlichkeiten […] und gerät daher irgendwie in Spannung zur Brüderlichkeitsethik.“241 In der Gesinnungsethik werde das Ergebnis ethischen Handelns allein Gott überlassen, was Weber als verantwortungslos und irrational klassifiziert.242 In diesem Sinn versteht Weber die wertneutrale Rationalität, die beispielsweise von Politikern oder Ökonomen gefordert sei, als unvereinbar mit den letzten Setzungen bzw. Bewertungen der religiösen Ethik. Die im Westen stattgefundenen Ausdifferenzierungsprozesse anhand des Kriteriums der Rationalität würden nach Weber dazu beitragen, dass die „Spannung gegenüber den politischen Ordnungen der Welt […], für die konsequente Brüderlichkeitsethik der Erlösungsreligion ebenso scharf werden“243 musste. Unter Aufnahme der Weber’schen Kritik wurden seit Beginn des letzten Jh. häufig sog. verantwortungsethische Entwürfe gegenüber sog. Gesinnungsethischen Ansätzen präferiert. Insbesondere in der evangelischen Ethik zeigt sich schwerpunktmäßig die Tendenz zur Rezeption der sog. Verantwortungsethik.244 Jedoch ist insgesamt zu eruieren, ob die scharfe Trennung der verantwortungsund gesinnungsethischen Position tatsächlich Bestand hat bzw. wie theologische Ethiken mit der Schwierigkeit der Vermittlung metaethischer Setzungen umgehen können. Denn Weber schließt aus seiner Vorstellung eines wertfreien Rationalismus, das Ergebnis der gesellschaftlich-religiösen Ausdifferenzierung sei, dass normative bzw. moralische Prinzipien nicht begründet werden können. Diese Debatte um einen ethischen Relativismus entflammt insbesondere seit Ende der 1960er-Jahre wieder im sog. „Begründungsstreit“, also der Auseinandersetzung um die Möglichkeit einer Letztbegründung in der Philosophie bzw. Ethik. Ausgehend vom kritischen Rationalismus Karl Poppers245 bestreitet sein

240 Weber 1988, S. 543f. 241 Weber 1988, S. 552. Eigengesetzlichkeit ist ein Begriff, den Max Weber verwendet, um das Ergebnis der okzidentalen Rationalisierungsprozesse zu charakterisieren. Dieser Terminus wird dann „in historisch unzulässiger Weise in Luthers Denken zurückgespiegelt; die – unzutreffende – Behauptung, Luther habe eine Lehre von der Eigengesetzlichkeit der Welt vertreten, verleiht […] dem Begriff […] einen normativen Rang.“ (Huber 1985, S. 58.) 242 Vgl. Weber 1988, S. 553. 243 Weber 1988, S. 546. 244 Vgl. beispielsweise: Körtner. 245 Vgl. Popper 1971 (1935).

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Schüler Hans Albert die prinzipielle Möglichkeit einer Letztbegründung.246 Auf diese Weise wird grundsätzlich die Möglichkeit einer universellen Ethik bzw. von letzten Gründen in einer rationalen Auseinandersetzung bestritten. Hinsichtlich ethischer Entscheidungen kommt es zu einem Relativismus und einem dezisionistischen Standpunkt, der an die Stelle eines Universalismus von Grundnormen bzw. Prinzipien [tritt]. Die Sphäre des Moralischen wird aus dem Gebiet des Rationalen, des universal Prüfbaren und Einsehbaren, herausgeschnitten. Das Rationale selbst schrumpft zum amoralischen Mittel-Zweck-Kalkül, der sogenannten ‚Zweckrationalität‘. Weber und seine Nachfolger liquidieren die von Kant in den Mittelpunkt der Philosophie gerückte Frage, ob die Vernunft an sich selber praktisch, und zwar moralisch orientierungsfähig sowie verbindlich sei.247

Entgegen solcher möglichen Positionen suchen diskursethische Ansätze wie der Jürgen Habermas‘ und Karl-Otto Apels, die Kant‘sche Transzendentalphilosophie mit dem Anspruch der Universalisierbarkeit zu verteidigen. Habermas und Apel teilen trotz der unterschiedlichen Akzentsetzungen viele Grundannahmen und gemeinsame Traditionen wie den Bezug zum dialogischen Prinzip des sokratischen Gesprächs. Sowohl Apel als auch Habermas reagieren auf die Entwicklungen in den Debatten nach dem linguistic(-pragmatic) turn und entwickeln sprach- bzw. intersubjektivitätsphilosophische Entwürfe, die am Anspruch auf universelle Gültigkeit bzw. allgemeinen Konsens als realistische Option festhalten. Im Folgenden wird dazu die Apel’sche Transzendentalpragmatik (an einigen Stellen unter Verweis auf Habermas) knapp erörtert, dabei findet insbesondere der Apel-Schüler Dietrich Böhler Berücksichtigung. Apel konzipiert seine transzendentalpragmatische Diskursethik248 auf Grundlage des „Aprioris der Kommunikationsgemeinschaft“249 und bietet damit eine Letztbegründung. Demnach stelle die Argumentationssituation selbst einen unhintergehbaren Fakt dar, der bestimmte Aspekte bzw. Grundregeln des Diskurses impliziere.250 Denn mit jeder Behauptung sei notwendigerweise ein 246 Das „Münchhausen-Trilemma“ von Hans Albert soll zeigen, dass die Möglichkeit der Letztbegründung unmöglich ist, da diese entweder zum 1. Unendlichen Regress, oder 2. Zirkelschluss oder 3. Abbruch der Kommunikation führe. (Vgl. Albert 1982, S. 58ff.) 247 Böhler 2018, S. 58. 248 Daneben bestehen auch existentielle Begründungsansätze der Entwicklungspsychologie, die auf dem nicht in strikterweise logischen Weg versuchen, eine Letztbegründung zu erlangen. 249 Apel formuliert zwar einen Letztbegründungsanspruch, jedoch sind es seine Schüler, die diesen ausführlich begründen. (Vgl. beispielweise Kuhlmann 1985; Böhler 1985.) 250 ,,Im Apriori der Argumentation liegt der Anspruch, nicht nur alle ‚Behauptungen‘ der Wissenschaft, sondern darüber hinaus alle menschlichen Ansprüche, (auch die impliziten Ansprüche von Menschen an Menschen, die in Handlungen und Institutionen enthalten sind), zu rechtfertigen. Wer argumentiert, der anerkennt implizit alle möglichen Ansprüche aller Mitglieder der Kommunikationsgemeinschaft, die durch vernünftige Argumente

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Wahrheitsanspruch mitgesetzt, der sich sowohl an die realen als auch die idealen Gegenüber in der Kommunikation richte. Der Geltungsanspruch, den der Behauptungsakt eines ernsthaften und d. h. eines wirklichen Arguments enthält, ist notwendig der Anspruch, daß alle möglichen konsistent Argumentierenden unter idealen Bedingungen des Verfahrens das Argument als gültig anerkennen würden, so daß ein Konsens in einer unbegrenzten, d. h. kein Argument ohne zureichende Begründung ausschließender Argumentationsgemeinschaft zu erwarten ist.251

Indem Menschen Aussagen treffen, erheben sie einen Gültigkeitsanspruch, der nicht auf die zufällig anwesenden Personen reduziert werden darf. Dadurch, dass gesprochen bzw. gedacht wird, werden implizit bereits immer Gültigkeitsansprüche der eigenen Aussage mitgesetzt. Demnach werden, indem die Person in eine Kommunikationssituation bzw. in einen Diskurs eintritt, bereits die Regeln eines argumentativen Diskurses impliziert. Böhler argumentiert, dass eine Verengung auf Subjekt-Objekt-Beziehung in der Gegenstandsbetrachtung zu durchbrechen sei. Denn Rationalität ist mehr und anderes denn subjektvergessene Gegenstandsorientierung und bloße Mittel-Zweck-Kalkulation, nämlich Erkenntnis des argumentativen Dialogs mit seinen normativen Verbindlichkeiten und Selbsterkenntnis des Erkenntnissubjekts

gerechtfertigt werden können […], und er verpflichtet sich zugleich, alle eigenen Ansprüche an Andere durch Argumente zu rechtfertigen. Darüber hinaus sind die Mitglieder der Kommunikationsgemeinschaft (und das heißt implizit: alle denkenden Wesen) m. E. auch verpflichtet, alle virtuellen Ansprüche aller virtuellen Mitglieder zu berücksichtigen – u. d. h. alle menschlichen ‚Bedürfnisse‘, sofern sie Ansprüche an die Mitmenschen stellen könnten. Menschliche ‚Bedürfnisse‘ sind als interpersonal kommunizierbare ‚Ansprüche‘ ethisch relevant; sie sind anzuerkennen, sofern sie durch Argumente interpersonal gerechtfertigt werden können. […] Der Sinn der moralischen Argumentation könnte geradezu in dem – nicht eben neuen – Prinzip ausgedrückt werden, dass alle Bedürfnisse von Menschen – als virtuelle Ansprüche – zum Anliegen der Kommunikationsgemeinschaft zu machen sind, die sich auf dem Wege der Argumentation mit den Bedürfnissen aller übrigen in Einklang bringen lassen. Damit scheint mir das Grundprinzip einer Ethik der Kommunikation angedeutet zu sein, das zugleich die – eingangs vermißte – Grundlage einer Ethik der demokratischen Willensbildung durch Übereinkunft (‚Konvention‘) darstellt. Die angedeutete Grundnorm gewinnt ihre Verbindlichkeit nicht etwa erst durch die faktische Anerkennung derer, die eine Übereinkunft treffen (‚Vertragsmodell‘), sondern sie verpflichtet alle, die durch den Sozialisationsprozeß ‚kommunikative Kompetenz‘ erworben haben, in jeder Angelegenheit, welche die Interessen (die virtuellen Ansprüche) Anderer berührt, eine Übereinkunft zwecks solidarischer Willensbildung anzustreben; und nur diese Grundnorm – und nicht etwa das Faktum einer bestimmten Übereinkunft – sichert den einzelnen normgerechten Übereinkünften moralische Verbindlichkeit.“ (Dieser Abschnitt entstammt dem Aufsatz ,,Das Apriori der Kommunikationsgemeinschaft und die Grundlagen der Ethik: Zum Problem einer rationalen Begründung der Ethik im Zeitalter der Wissenschaft.“ In: Apel 1999, S. 358–435; hier: Apel 1999, S. 424ff.) 251 Böhler in: Kuhlmann und Böhler 1982, S. 104.

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als Partner eines Diskurses, den es durch seine Geltungsansprüche immer schon und unvermeidlich eröffnet hat.252

Die Voraussetzungen sowie Geltungsansprüche des erkennenden Subjekts sind nicht von ihren sozialen Bedingungen bzw. ihrer sozialen Verortung und den jeweils auch stets mitgegebenen Grundorientierungen zu lösen. Das Erkennen als menschlicher Prozess ist sozial vermittelt und damit intersubjektiv bestimmt. Beim Eintritt in den Diskurs sind die konstitutiven Regeln dieses Diskurses je bereits impliziert.253 Habermas formuliert diese als „Universalisierungsgrundsatz U“ und „Diskursethischem Grundsatz D“. U besagt: So muß jede gültige Norm der Bedingung genügen, daß die Folgen und Nebenwirkungen, die sich jeweils aus ihrer allgemeinen Befolgung für die Befriedigung der Interessen eines jeden einzelnen (voraussichtlich) ergeben, von allen Betroffenen akzeptiert (und den Auswirkungen der bekannten alternativen Regelungsmöglichkeiten vorgezogen) werden können.254

Die Habermas’sche Diskursethik kann im Grundsatz D zusammengefasst werden: Eine Norm kann „nur dann Geltung beanspruchen, wenn alle von ihr möglicherweise Betroffenen als Teilnehmer eines praktischen Diskurses Einverständnis darüber erzielen (bzw. erzielen würden), daß diese Norm gilt.“255 Apels „Transzendentalpragmatik“ versucht, die unhintergehbaren Voraussetzungen des konkreten Diskurses zu bestimmen und tut dies einerseits mittels einer intersubjektiv gewendeten Anknüpfung an Kant sowie anderseits durch einen Bezug auf die Sprechakttheorie unter besonderer Beachtung des Aspekts des „performativen Selbstwiderspruchs“. In einer Kommunikationssituation werden in der Regel ideale Diskursbedingungen wie Gleichberechtigung, wechselseitige Anerkennung der Kommunikationsteilnehmenden, Transparenz, Offenheit sowie Wahrhaftigkeit aller Beteiligten vorausgesetzt.256 Da jedoch die reale Kommunikationssituation von der idealen Kommunikationssituation 252 Böhler 2018, S. 59. 253 Die Diskursregeln selbst sind nach Habermas bzw. Apel diskursreflexiv zu begründen, d. h. sie müssen dergestalt formuliert sein, dass eine Bestreitung dieser Grundregeln in einen performativen Selbstwiderspruch führen würde. 254 Habermas 2015, S. 75f. 255 Habermas 2015, S. 76. 256 „Vorausgesetzt und sogar – wie jeder ernsthafte Argumentationsakt zeigt – kontrafaktisch antizipiert werden muß die Solidarität einer idealen Kommunikationsgemeinschaft, in der die, eng miteinander verwobenen, Grundnormen der Gleichberechtigung und der gleichen Mitverantwortung für das Aufwerfen und Lösen von Problemen in der wechselseitigen Anerkennung der Diskurspartner befolgt werden. (Daraus ergibt sich dann unmittelbar die Forderung, daß alle moralischen Probleme, welche die Diskurspartner aufwerfen könnten – z. B. solche von Interessenkonflikten in der Lebenswelt, die sonst nicht gewaltfrei gelöst werden könnten – durch praktische Diskurse der Betroffenen gelöst werden sollten.)“ (Apel 1998, S. 602f.)

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abweicht, vertritt Apel, anders als Habermas (universalpragmatische Variante), eine transzendentalpragmatische Version der Diskursethik.257 Dazu richtet sich Apel an der diskursethischen Grundnorm in ihrer metaethischen Bestimmung aus. Darüber hinaus bezieht er noch ein Ergänzungsprinzip bzw. einen Teil B, d. h. verantwortungsethische bzw. teleologische Aspekte, ein.258 Denn die ideale Kommunikationssituation existiert in dieser Weise nicht und es kann durchaus problematisch für einzelne Personen sein, sich entsprechend der idealen Situation zu verhalten, da sie in vielfältigen Machthierarchien eingebunden sind und mit einem solchen Tun ggf. ihre eigene Position innerhalb des sozialen Gefüges massiv gefährden würden. Teil B mit dem Ergänzungsprinzip E soll sicherstellen, dass die konkrete Situation sowie die Folgen des Handelns im Diskurs berücksichtigt werden und sich die Bedingungen des idealen herrschaftsfreien Diskurses sukzessive realisieren.259 Apel ordnet Teil A und Teil B der Diskursethik in folgender Weise einander zu: Wer sich am Diskurs beteiligt, setzt damit immer schon das Ziel der Verwirklichung des herrschaftsfreien Diskurses, d. h. der idealen Kommunikationssituation, mit. Wenn eine Person dieses Ideal erlangen will, sind jedoch auch Maßnahmen zur Erhaltung der Person bzw. der realen Kommunikationsgemeinschaft geboten.260 Beide Orientierungen sind nach Apels Ansatz, ganz im Gegensatz zur Weber’schen Wahrnehmung, nicht in strikter Weise zu trennen. Der Apel-Schüler Böhler bringt dies trefflich wie folgt zur Sprache: Rationalität ist mehr und anderes denn subjektvergessene Gegenstandsorientierung und bloße Mittel-Zweck-Kalkulation, nämlich Erkenntnis des argumentativen Dialogs mit seinen normativen Verbindlichkeiten und Selbsterkenntnis des Erkenntnissubjekts als Partner eines Diskurses, den es durch seine Geltungsansprüche immer schon und unvermeidlich eröffnet hat. Gesinnungsethik, die ein rein dialogisches oder gar Liebesverhalten postuliert, und Erfolgs-Verantwortungsethik, welche zu Erfolgsstrategien gegen moralgefährdende Handlungsweisen, Institutionen (z. B. Führerstaat) und Weltanschauungen (z. B. Rassismus, Verschwörungstheorien) auffordert, sind zwei Seiten einer Medaille, nämlich

257 Apel will auf diese Weise einen ethischen Rigorismus umgehen und die tatsächliche Situation einbeziehen, ohne jedoch die Allgemeingültigkeit seiner Ethik aufzugeben. 258 Apel versteht Verantwortungsethik im Weber’schen Sinne als Opposition einer Kant’schen Prinzipienethik, die die Folgen einer Handlung außer Acht lässt. (Vgl. Tschentscher 2001, S. 24f.) 259 „Erstens muß es in allem Tun und Lassen darum gehen, das Überleben der menschlichen Gattung als der realen Kommunikationsgemeinschaft sicherzustellen, zweitens darum, in der realen die ideale Kommunikationsgemeinschaft zu verwirklichen. Das erste Ziel ist die notwendige Bedingung des zweiten Ziels; und das zweite Ziel gibt dem ersten seinen Sinn, – den Sinn, der mit jedem Argument schon antizipiert ist.“ (Apel 1999, S. 431.) 260 Tschentscher 2001, S. 28.

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der unverkürzten Vernunft des Erkenntnissubjekts bzw. Diskurssubjekts, das a priori zweierlei Gegenläufiges von sich weiß: (These) Kraft seiner vorausgesetzten Ansprüche auf mögliche Wahrheit seiner Aussagen und auf Legitimität seines Verhaltens und seiner Handlungsaufforderungen ist es Bürger einer reinen Kommunikationsgemeinschaft, in der nichts als sinnvolle Argumente zählen und in der es sich auch strikt als Partner im argumentativen Dialog weiß und sich gegenüber Anderen ausnahmslos als glaubwürdiger Diskurspartner verhält – mithin so, wie es den Imperativen der Gesinnungsethik entspricht. (Antithese) Andererseits ist jedes Diskurssubjekt zugleich kraft ‚Gebürtigkeit‘ (Hannah Arendt) eine, auf Selbstbehauptung angewiesene und hinsichtlich dieser eine tendenziell mit Anderen konkurrierende, im Extremfall auch von diesen bedrohte, leibhafte Existenz. Eine solche kann es sich nicht leisten, ausschließlich offen und dialogisch zu agieren, sondern kommt ohne Durchsetzungs- und Erfolgsstrategien nicht aus, wenn sie sich selbst bewahren will. Zudem darf sie sich das nicht leisten, wenn sie für andere leibhafte Existenzen, für eine Gruppe solcher oder gar für ein Staatswesen zu sorgen hat.261

Böhler resümiert, dass durch die Diskursethik in Apel’scher Manier sowohl „die Ethik der guten Gesinnung bzw. des reinen Willens zum Zuge kommen als auch die politisch kluge Erfolgs- und Verantwortungsethik.“262 Schließlich ist noch zu fragen „ob jedoch der Idealtyp einer strikten Ethik der absoluten Güte und uneingeschränkten Brüderlichkeit umstandslos auf Jesus angewandt werden kann“263 bzw. ob die radikale Kritik in der Weber’schen Tradition an jeglicher theologischer Ethik seine Berechtigung hat. Dazu wurde im vorgehenden Punkt aus allgemein philosophischer Perspektive eine diskursethische Antwort auf die problematische Alternative von Gesinnung oder Verantwortung gegeben; daher seien an dieser Stelle nur noch einige kleine Anmerkungen hinzugefügt. Huber mahnt, dass durch den Bezug auf Webers dezisionistischen Zweck-Mittel-Rationalismus zwar pragmatisch über Handlungen, jedoch nicht mehr über Ziele Auskunft gegeben werden könne.264 „Diese Problemkonstellation kehrt in der neuprotestantischen Fassung der ZweiReiche-Lehre in präziser Form wieder.“265 Denn Webers Kritik an der theologischen Ethik folgt im Grunde einem neulutherischen ‚Trennungsmodell‘ der, so nicht von Luther vertretenen, aber auf ihn zurückgeführten, Zwei-Reiche-Lehre. […] Auf der einen Seite steht also eine privatisierende Innerlichkeit, in der das Gewissen herrscht und wo jeder sich nach seinem 261 262 263 264 265

Böhler 2018, S. 59f. Böhler 2018, S. 61. Böhler 2018, S. 47. Vgl. Huber 1985, S. 44. Huber 1985, S. 45.

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Glauben an bestimmten Normen und Werten orientiert, auf der anderen Seite instrumentelle Rationalität im Dienst politischer Sachzwänge und nationaler Selbstbehauptung – das wurde die Struktur der geistigen Situation des 20. Jahrhunderts. Sie ist ein Ergebnis des von Luther angestoßenen Säkularisierungsprozesses und fungierte als Arbeitsteilung zwischen dem szientistischen Geist technischer und bürokratischer Rationalität einerseits, dem existentialistischen bzw. dezisionistischen Geist subjektiver Wertentscheidung andererseits.266

Böhler wendet sich vehement gegen die These Webers, dass Jesus einen ethischen Rigorismus propagiere, indem er nachweist, Jesus habe „zumindest Spuren eines verantwortungsethischen Dilemmabewußtseins“267 gekannt, jedoch ohne „das Dilemma im Sinne einer moralischen Strategiebildung aufzulösen“268. Böhler schlägt vor, Jesu ethisches Handeln diskurs-prinzipienethisch zu präzisieren, denn Jesu ethische Orientierung sei nur im Sinne einer halb theonomen und halb autonomen Grundausrichtung zu verstehen. Es sei je zu unterscheiden, ob Jesus ein allgemein ethisches Prinzip ausspreche, oder ob er eine direkte Handlungsorientierung für die konkrete Situation gebe. Es muß vollkommen klar sein, ob ein Prinzip ausgesprochen wird, dessen Anwendung, also Umsetzung in eine Handlungsweise, erst noch zu bedenken und zu beurteilen bleibt – das wäre Sache eines praktischen Diskurses –, oder ob eine direkte Handlungsorientierung, z. B. ein konkretes Gebot, gegeben wird. Eine gewisse Tendenz zu dieser Differenzierung der Begründungsebenen zeigt sich m. E. in Jesu Verkündigung.269

Die bei Jesus und auch den Schriftpropheten stets mitgedachte ideale Prinzipienebene, die mit einer allgemeinen moralischen Prinzipienebene verglichen werden kann, ist in das relationale Bundesverhältnis von Gott und seinem Volk eingebettet. Das Verhältnis von Gott und seinem Volk ist durch das dialogische Miteinander sowie den gemeinsamen Weg gekennzeichnet. Dieser dialogischrelationale sowie intersubjektive Rahmen, in dem der Mensch in seine Beziehung gegenüber Gott gesetzt ist, stellt die prinzipienethische Absicherung von jeweils vorgenommener verantwortungsethischer Konkretion dar, denn die situationsbezogene Handlungsstrategie muss sich stets im Gottesverhältnis rechtfertigen lassen.270 Böhler präzisiert die jesuanischen Prinzipien derart, dass er die 266 267 268 269 270

Böhler 2018, S. 56f. Böhler 2018, S. 48. Böhler 2018, S. 48. Böhler 2018, S. 52. Böhler leitet diesen Gedanken aus der genaueren Betrachtung von Mt 10,16 („Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe. Darum seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben.“) her. Er verortet sowohl den gesinnungs- als auch den verantwortungsethischen Blickwinkel in dieser Aussage. Denn die Hörenden Jesu würden aufgefordert, zugleich gerecht und nach Gottes Gebot zu handeln (halbtheonom bzw. gesinnungsethischer Aspekt) und ebenso für den Erfolg dieses Handelns in einer verantwortungsethischen Perspektive Rechnung zu tragen. Das Verhältnis zwischen den beiden

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319

Forderung Jesu an seine Zuhörenden in der Bergpredigt (Mt 5,48 par Lev 19,2), nämlich wie Gott selbst, gerecht, vollkommen und heilig zu sein, als ethisches Prinzip bzw. als Aufforderung, das je eigene Verhalten im Dialog (mit Gott) diskursiv verständlich zu machen, deutet. Jesus verlange von seinen Zuhörenden, sich mit ihren ethischen Handlungsabsichten in einen Rechtfertigungsdiskurs zu begeben. Im Allgemeinen sei die moralische Prinzipienfrage, wie Böhler anmerkt, „schlechthin universalistisch […] und [kann] somit auch ohne Gottesbezug auskommen.“271 Schließlich setze der Appell, wie Gott selbst gerecht zu sein, bereits ein ethisches Verständnis über moralische Gerechtigkeit voraus. „Dermaßen ließe sich das religiös-moralische Heiligkeits- und Unbedingtheitspostulat in eine logische und insofern säkulare Sprache übersetzen.“272 Derweil könne das Prinzip der Gerechtigkeit/Vollkommenheit vor Gott mit dem der Gerechtigkeit bzw. universale Zustimmungswürdigkeit aus vernünftigen Gründen273 ausgetauscht werden, wobei der Bezugsrahmen nicht auf eine kleine (religiöse) Gruppe beengt bleiben dürfe. Vielmehr müsse die kontrafaktisch gedachte unbegrenzte, reine Argumentationsgemeinschaft einbezogen werden und dies trotz des Bestehens der real begrenzten Wert- und Handlungsgemeinschaft.274 Ethisches Handeln habe sich demnach auch christlich-theologischerseits zugleich auf die allgemeine, stärker gesinnungsethische Begründungsebene sowie die konkrete Situation im Sinne einer erfolgsorientierten Handlungsanweisung zu beziehen. Dies ist wie bereits oben unter Bezug auf Habermas bzw. Apel geklärt, im Sinne einer diskursethischen Vermittlung sinnvollerweise möglich. Im Kontext der Fragestellung nach gelingender kirchlich-diakonischer Arbeit erweist sich die Gerechtigkeitstheorie Frasers bisher und insbesondere hinsichtlich der vorab geprüften diskursethischen Grundannahmen als geeignet. Zwar sind die diskursethischen Grundannahmen Habermas‘ von Fraser bereits

271 272 273

274

Dimensionen der Ethik Jesu werde deutlich, wenn diese „ohne Falsch“ sei, d. h. nach Böhler, dass das ethische Handeln im Dialog (mit Gott) kommunikativ zu rechtfertigen sein muss. (Vgl. Böhler 2018, S. 48f.) Böhler 2018, S. 51. Böhler 2018, S. 51. Damit nimmt Böhler den oben vorgestellten Universalisierungsgrundsatz U im Habermas’schen Sinne bzw. die ideale Ebene (Teil A) des Apel’schen diskursethischen Modells in Anspruch. Böhler fasst dies wie folgt entsprechend zusammen: „Rein geltungslogisch und somit säkular würde die moralische Prinzipienfrage etwa lauten: ‚Was ist es, was wir prinzipiell sollen und was wir, die wir uns in einem reinen Dialog als Argumentationspartner befragen und uns wahrhaftig sowie gegenseitig achtungsvoll verhalten, auch eigentlich wollen?‘ Denn die Bereitschaft zu einem Verhalten, das dem Moralprinzip gerecht zu werden versucht, also eine prinzipienethische Gesinnung mit entsprechend selbstkritischer Bemühung, die sich an der Befolgung des Moralprinzips mißt, ist zweifellos zu fordern – jedenfalls im Sinne einer normativen universalistischen Ethik.“ (Böhler 2018, S. 51.) Vgl. Böhler 2018, S. 48ff.

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näher geklärt worden, jedoch erfahren die häufig bei Fraser unausgesprochen mitgedachten diskursethischen Bedingungen an dieser Stelle ihre Präzision durch die Apel’sche Fassung der Diskursethik. Vorab muss aber allgemein festgehalten werden, dass ein intersubjektiv sowie kommunikativ orientierter Ansatz sehr tauglich für eine theologische Untersuchung ist, denn „das Verständnis von Freiheit als kommunikativer Freiheit hat auch seinen Grund im Begriff Gottes, der sich selbst in Christus definiert. In dem Sohn kommt Gott als der in Freiheit liebende zum Menschen und befreit ihn zu einer Identität, die sich in Akten kommunikativen Daseins verwirklicht.“275 Frasers kritische Erweiterung der Habermas’schen bürgerlichen Öffentlichkeit wird mitgeführt, jedoch sind die diskursethischen Grundannahmen Frasers gemeinhin wenig durchsichtig gemacht bzw. auch nicht ausreichend reflektiert. Daher wurde voranstehend gerade in Bezug auf die (theologischen) Debatten um die Alternative Gesinnungs- oder Verantwortungsethik das diskursethische Modell Karl-Otto Apels zur Spezifizierung gewählt. Die Verknüpfung mit Apel hat sich in philosophischer als auch in theologischer Weise verantwortbar erwiesen, da sowohl die ethischen Prinzipien (Gerechtigkeit Gottes, Reich Gottes usw.) als auch die konkrete situative Lebenswelt Berücksichtigung finden, ohne sie gegeneinander auszuspielen. Die Spezifizierung des Fraser’schen Ansatzes durch Apels bzw. Böhlers Ausführungen trägt dem Fraser’schen Modell insofern Rechnung, da die Orientierung am Prinzip der partizipatorischen Parität und zugleich die lebensweltlich-pragmatische Konkretion in situativen Aushandlungsprozessen gewahrt bleiben. Im Blick auf Apels Ansatz der idealen Kommunikationsgemeinschaft geben Frasers Ausführungen zu den vielfältigen Öffentlichkeiten bzw. „counter publics“ Impulse, da diese auf eigene Weise sicherstellen, dass nicht verkürzt nur situationsbezogene Ethiken sich durchsetzen. Denn eine Vielheit an Öffentlichkeiten versucht, dementsprechend je in eigener Art die Vermittlung zwischen dem allgemeinen Prinzip sowie der konkreten Situation (Teil A und Teil B) auszubalancieren und sich je verständlich zu machen. Schließlich kann das unter Gliederungspunkt 3.1 illustrierte Reich-GottesMotiv, was von der prozesshaften sowie inkarnatorischen Theologie geprägt ist, mit der Vorstellung der noch auf Vollendung wartenden idealen Diskursgemeinschaft (Teil A) bzw. den noch auf Vollendung wartenden universellen Prinzipien, die sich jedoch bereits in der lebensweltlichen Konkretion entfalten, parallelisiert werden. Ein diskursethischer Entwurf entspricht dem eschatologischen Reich Gottes in struktureller Hinsicht, denn beide ereignen sich in intersubjektiv vermittelten Prozessen in die konkrete Lebenssituation hinein. Dabei sind die Frustrationen im Diskurs, nämlich das Nichtentsprechen der 275 Huber 1985, S. 118.

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Diskursteilnehmenden gemäß den Annahmen des idealen Diskurses, philosophisch mit dem Apel’schen Teil B der Diskursethik und theologisch als die Welt, die noch in den Sündenstrukturen gefangen ist und auf die Vollendung des Reiches Gottes wartet, zu sehen. Alles in allem wird durch die strukturell einander entsprechenden Konzepte des theologischen Reich-Gottes-Motivs und der philosophischen Diskursethik Apels bzw. dem daran anschließenden Modell Frasers der Bruch von Reich Gottes Motiv und philosophischer Bestimmung vermieden. Vielmehr erlaubt die Zusammenstellung der theologischen mit den philosophischen Aspekten die Präzision der Gottesherrschaft durch kontemporäre philosophische Ansätze. Abschließend ist noch zu ergänzen, dass die von Böhler vorgestellten ethischen Diskurse schon immer die zugrundeliegende Idee des universell Guten nicht jenseits von intersubjektiven Sozialisationsprozessen existiert. Von daher muss an dieser Stelle an die Relevanz christlicher Traditionen sowie Narrationen erinnert werden, die helfen, den Begriff der Gerechtigkeit näher hin ( jedoch nicht abschließend) zu konkretisieren und dafür sprachlichbildliches Material zur Verfügung stellen.

3.2.2 Nancy Frasers Gerechtigkeitsmodell der partizipatorischen Parität – Analyse-, Strategiebildungs- und Aushandlungsverfahren zur Erlangung von Teilhabe auf Augenhöhe Nancy Fraser (1947) ist eine US-amerikanische Philosophin, die derzeit die Henry and Louise A. Loeb-Professur für Philosophie und Politik an der New School for Social Research in New York innehat. Frasers frühes Werk war insbesondere von der französischen Philosophie, allen voran Michel Foucault und Jacques Derrida, geprägt. Ihr späteres Wirken steht unter dem Einfluss der deutschen Philosophie in der Tradition der kritischen Theorie der Frankfurter Schule.276 Fraser akzentuiert bei den Rezeptionsvorgängen jeweils ihre eigene feministische Ausrichtung, wenn sie sich mit den Themen Gender, gesellschaftliche Machtverhältnisse, Marginalisierungsprozesse, der Kritik von Identitätspolitik sowie mit Fragen sozialer Gerechtigkeit unter den Bedingungen des Neoliberalismus277 befasst. Bekanntheit erlangte sie maßgeblich durch ihre 276 Der Einfluss beider Richtungen lässt sich gut an dem Aufsatz „Die Frauen, die Wohlfahrt und die Politik der Bedürfnisinterpretation“ (S. 222–247 in Fraser 1994) nachvollziehen, denn dieser „was written under the influences of both Foucault and Habermas before Nancy Fraser definitely chose the German way.“ (Ferrarese, S. 2.) 277 Siehe z. B.: Fraser 1989 (Dt.: Fraser 1994); Fraser und Bartky 1992; Fraser et al. 1994; Fraser 1997b (Dt.: Fraser 2001); Fraser und Olson 1999; Fraser und Honneth 2003a (Dt.: Fraser und Honneth 2003b); Fraser 2009; Fraser 2013; Fraser 2014b; Fraser 2014a; Fraser und Boltanski 2014.

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Gerechtigkeitstheorie mit dem Ziel der partizipatorischen Parität. Frasers Ansätze finden in verschiedenen Zusammenhängen Eingang. Beispielsweise wird sie in dem Gender- bzw. Feminismusdiskurs, den Diversity bzw. Disability Studies, der Intersektionalitätsdebatte oder auch in Fragen sozialer Gerechtigkeit unter den Bedingungen eines globalisierten Kapitalismus rezipiert. Nachfolgend wird Nancy Frasers Gerechtigkeitsmodell der partizipatorischen Parität mit seinen Analyse-, Strategiebildungs- und Aushandlungsverfahren zur Erlangung von Teilhabe auf Augenhöhe detailliert erläutert. Fraser konzipiert ihre Theorie ausgehend von dem eigens zu charakterisierenden „postsozialistischen Zeitalter“ (3.2.2.1). Insgesamt handle es sich bei Anerkennung oder Umverteilung um eine falsche Alternative (3.2.2.2), wohingegen Fraser für mehrdimensionale Gerechtigkeitstheorien plädiert (3.2.2.3) und eindimensionale Entwürfe umfassend kritisiert (3.2.2.4). Schließlich wird abschließend die Erlangung partizipatorischer Parität im Fraser’schen Modell beschrieben (3.2.2.6). Alle nachstehenden Ausführungen basieren v. a. auf Grundlage ihrer eigenen Schriften.

3.2.2.1 Das „postsozialistische Zeitalter“ als Ausgangpunkt der Gerechtigkeitstheorie Nancy Frasers Fraser verortet ihren Entwurf im Kontext des „postsozialistischen Zeitalters“ (seit 1989), welches sie anhand von drei Punkten charakterisiert. Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts fehlten erstens ernsthafte, glaubwürdige, politische Alternativen zur geltenden kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Zweitens habe sich ein Wechsel der Grammatik, nach der sich politische Forderungen formieren, vollzogen. Demnach werden Gerechtigkeitsbelange nun vermehrt mit den Begriffen der Anerkennung von kultureller Differenz bzw. Identität formuliert, statt Ausbeutung und Ressourcenumverteilung zu thematisieren.278 By the 1990s, however, the situation had changed dramatically. By that point, the cultural and economic dimensions of emancipatory struggles were coming apart. Academic feminism, for example, was increasingly divided between a cultural wing, drawn to poststructuralist paradigms of discourse analysis, and a social wing, committed to institutional analysis and political economy. And that split was mirrowed in practical politics, where currents working on bread-and-butter distributive issues were progressively more estranged from those seeking to promote women’s culture or to parody entrenched gender norms. At one level, this uncoupling of redistribution and recognition reflected a familiar development in the life cycle of social movements. […] More fundamentally, however, the uncoupling of the politics of recognition from the politics of redistribution reflected a larger historical development: the simultaneous rise 278 Vgl. Fraser 2001, S. 9f.

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of identity politics, on the one hand, and of global economic neo-liberalism, on the other. It was that conjunction that impelled me to rethink the relation of economy and culture.279

Drittens sei die postsozialistische Situation durch einen erstarkten Wirtschaftsliberalismus in der Form eines globalisierten Neoliberalismus gekennzeichnet. Dies führe in der Konsequenz für viele Menschen zur Verschlechterung der Lebensbedingungen (Aushöhlung der sozialen Sicherungssysteme sowie sinkenden Teilhabechancen durch Transnationalisierung bzw. Ökonomisierung). In der Folge sei eine „‚postsozialistische‘ Entkopplung der kulturorientierten Politik von der Sozialpolitik“280 zu beobachten, die oftmals zur Trennung oder gar Entgegensetzung von Ökonomie und Kultur führe. Dementsprechend würden ökonomische Ressourcenumverteilungsansinnen (klassische Sozialoder Klassenpolitik) mit dem Ziel egalitärer Lebensbedingungen zunehmend von Forderung nach Anerkennung kultureller Differenz (Kultur- bzw. Identitätspolitik) separiert oder gar miteinander kontrastiert. Fraser nimmt die wachsende soziale Ungleichheit bzw. Ökonomisierung beinahe aller Lebensbereiche zusammen mit der politischen Konzentration auf Anerkennungsforderungen zum Ausgangspunkt ihrer Theorie der bivalenten Gerechtigkeit, die sowohl Umverteilungs- als auch Anerkennungsthemen berücksichtigt.281 Sie definiert ihre Aufgabe als Heranbildung „eine[r] kritische[n] Theorie der Anerkennung […], die diejenigen Versionen einer kulturalistischen Politik der Differenz bestimmt und auch nur diese Versionen verteidigt, die sich mit der Sozialpolitik der Gleichheit kohärent verbinden lassen.“282

3.2.2.2 Anerkennung oder Umverteilung – eine falsche Alternative Mit einer Reihe von Beispielen illustriert Fraser, dass die einseitige Konzentration auf Anerkennungs- oder Umverteilungsfragen in der Regel reduktionistisch ist, denn unter Beachtung nur eines Aspekts können die komplexe Ungerechtigkeitserfahrung von Menschen bzw. Gruppen nicht voll umfänglich aufgezeigt werden. Um diese Grundthese näher zu erörtern, bildet Fraser ein Spektrum mit den Polen Anerkennung und Umverteilung auf den je gegenüberliegenden Seiten. Die jeweiligen Enden des Spektrums sind durch Gruppen besetzt, die sich je für einen Gerechtigkeitsbegriff eignen. Auf dem langen Strahl zwischen den beiden Extremen befindet sich das Mittelfeld, dass alle Gruppen bzw. ihre Forderungen nach Gerechtigkeit umfasst, nämlich alle, die sowohl 279 280 281 282

Fraser 2004, S. 375. Fraser 2001, S. 16. Vgl. Fraser 2001, S. 9ff. Fraser 2001, S. 24.

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Anerkennungs- als auch Umverteilungselemente einbeziehen.283 Fraser belegt die idealtypischen Extrempunkte einerseits mit der klar abgegrenzten Wirtschaftsstruktur, andererseits mit der deutlich abgesteckten Statusordnung einer Gesellschaft. Demnach sei eine Ungerechtigkeitserfahrung (bzw. ein gesellschaftlicher Ausschluss), wenn sie eindeutig der Extremstelle Wirtschaftsstruktur zuzuordnen seien, durch die politische Ökonomie, also sozioökonomisch bedingt. Grenzziehungen bzw. soziale Exklusion dieser Art können daher durch ökonomische Umverteilung aufgelöst werden. Ein solch klarer Wirkungszusammenhang sei in manchen Kämpfen der Arbeiter*inneenbewegung bzw. in der Analyse der orthodoxen marxistischen Wirtschaftstheorie zu finden. Fraser präzisiert den idealtypischen Pol Wirtschaftsstruktur mit dem Marx’schen Klassenbegriff, der Ungerechtigkeitserfahrungen singulär auf die ungerechten Arbeitsbedingungen des Proletariats zurückführt. Indem gesellschaftliche Ungerechtigkeit bzw. Ungleichheit auf dem Pol Wirtschaftsstruktur lokalisiert wird, ist die Bewältigung der Problemlage auch allein durch Umverteilung ökonomischer Ressourcen, im Marx’schen Sinne die Erlangung der klassenlosen Gesellschaft, erreichbar. Im Folgenden benennt Fraser den Pol Wirtschaftsstruktur auch synonym mit Klasse.284Auf der gegenüberliegenden Seite des vorgestellten Spektrums setzt Fraser die idealtypischerweise streng abgegrenzte Statusordnung einer Gesellschaft. Demnach sei eine Ungerechtigkeitserfahrung (bzw. gesellschaftlicher Ausschluss), wenn sie eindeutig der Extremstelle Statusordnung zuzuordnen sei, durch mangelnde Anerkennung, vermittelt in gesellschaftlich institutionalisierten kulturellen Wertschemata, begründet. Ein solcher Wirkungszusammenhang sei in gesellschaftlich institutionalisierten kulturellen Wertschemata bezogen auf Sexualität bzw. sozial verachtete sexuelle Identitäten zu beobachten. Fraser zeigt am Beispiel Homosexualität, dass in heteronormativ ausgerichteten Gesellschaften Homosexualität als deviant abgewertet wird, was entsprechend beispielsweise im Familien- oder Strafrecht285 institutionalisiert wird.286: 283 Fraser bezeichnet dieses Spektrum mit seinen idealtypischen Grenzziehungen als ein „Gedankenexperiment“ (Fraser und Honneth 2003b, S. 27), das dazu dient, die beiden Pole zu illustrieren und daneben auch insbesondere auf die Zweidimensionalität beinahe aller Forderungen nach Gerechtigkeit hinzuweisen. 284 Marx selbst setzt Klasse und Wirtschaftsstruktur nicht gleich, jedoch kommt es in seiner Nachfolge häufig zur Identifizierung der beiden Begriffe. 285 Das Beispiel des § 175 StGB (Verbot homosexueller Handlungen zwischen erwachsenen Männern unter Androhung von Haftstrafe) macht die Abwertung dieser Sexualität besonders deutlich; § 175 war in vollem Umfang bis 1969 gültig. Dieser Paragraph war dazu aus dem Strafgesetzbuch des deutschen Reichs von 1871 übernommen worden. Die dort entsprechend zu findende Formulierung zeigt deutlich auch den Zusammenhang zu Anerkennungsfragen: „Widernatürliche Unzucht, welche zwischen Personen männlichen Geschlechts oder von Menschen mit Thieren begangen wird, ist mit Gefängniß zu bestrafen;

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Um Homophobie und Heterosexismus zu überwinden, muss man dann, allgemein gesprochen, die Statushierarchie der Sexualitäten verändern, die heterosexuell zentrierten Wertmuster ihrer institutionalisierten Geltung berauben und sie durch Muster ersetzen, die Schwulen und Lesben nicht minderen Respekt entgegenbringen.287

Indem gesellschaftliche Ungerechtigkeit bzw. Ungleichheit auf dem Pol Statusordnung lokalisiert wird, ist die Bewältigung der Problemlage auch allein durch Anerkennung sowie Aufwertung dieser Gruppe nicht nur durch faktische Rechtssetzung, sondern auch durch symbolische Anerkennung erreichbar. Die Mechanismen gesellschaftlichen Ausschlusses bzw. Grenzziehung sind laut Fraser an den entsprechenden Extrempolen des Anerkennungs-UmverteilungsSpektrums eindeutig. Jedoch sei die Mehrheit der exkludierten Gruppen bzw. Menschen irgendwo auf dem Feld zwischen den Polen aufzufinden. Diese sog. bivalenten Gruppen seien von zweidimensionalen Grenzziehungen, (verursacht durch Wirtschaftsstruktur und Statusordnung), betroffen und formierten hybride Gestalten. Fraser geht in ihrer weiteren Darstellung von der zweidimensionalen Gerechtigkeit bzw. Ungerechtigkeit aus: Zugleich in der Wirtschaftsstruktur und der Statushierarchie der betreffenden Gesellschaft verankert, bewirken sie Ungerechtigkeiten, die auf beide Wurzeln zurückzuführen sind. Zweidimensional benachteiligte Gruppierungen erleiden sowohl ökonomische Benachteiligungen als auch mangelnde Anerkennung, und dies in einer Form, in der keine der beiden Arten von Ungerechtigkeit eine indirekte Wirkung der anderen darstellt, in der vielmehr beide primär und gleichursprünglich sind. Mithin wird in diesem Falle weder eine Politik der Umverteilung noch eine solche der Anerkennung allein ausreichen. Zweidimensional niedrig gestellte Gruppierungen brauchen beides.288

An den Beispielen Gender und Race289 erläutert Fraser, dass es sich bei der zweidimensionalen Ungerechtigkeit um den Regelfall handelt: „Vom praktischen Gesichtspunkt können mithin fast alle real existierenden zu Benachteiligung führenden Prozesse als zweidimensional charakterisiert werden.“290 Im je vorliegenden Fall seien das Gewicht und die Gestalt der jeweiligen Dimensionen unterschiedlich und daher stets neu zu qualifizieren. Anhand von Gender, dem sozialen Geschlecht, erörtert sie, dass mittels dieser Kategorie sowohl sozioökonomische als auch anerkennungstheoretische Grenzziehungen strukturiert

286 287 288 289 290

auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden.“ (Deutsches Reich 1876, S. 51) § 175 wurde schließlich erst 1994 aus dem StGB der BRD gestrichen. Vgl. Fraser und Honneth 2003b, S. 27ff. Fraser und Honneth 2003b, S. 31. Fraser und Honneth 2003b, S. 32. Als zweites von Fraser gewähltes Beispiel, auf das beide Gerechtigkeitsdimensionen, nämlich ökonomische Ordnung und Statusordnung, zutreffen, ist die Kategorie „Race“. Fraser und Honneth 2003b, S. 40.

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werden. Zum einen fungiert Gender als Differenzkriterium in Umverteilungsbelagen. Denn mittels Gender werde zwischen bezahlter männlich konnotierter Erwerbstätigkeit und unbezahlter weiblich konnotierter Hausarbeit bzw. auch zwischen weiblich dominierten schlechter bezahlten Professionen und männlich dominierten besser entlohnten Professionen unterschieden. Zum anderen komme allen als sozial weiblich erkennbaren Personen auf der Statusordnung eine untergeordnete Stellung gegenüber dem männlichen Gender zu. Die defizitäre Anerkennung des „Weiblichen“ könne beispielsweise anhand der massenmedialen Verobjektivierung von Weiblichkeit oder auch der mangelhaften Strafverfolgung im Zusammenhang mit Vergewaltigung nachvollzogen werden.291 3.2.2.3 Nur mehrdimensionale Gerechtigkeitstheorien können Ungerechtigkeitserfahrungen treffend analysieren Mehrdimensionale Ungerechtigkeitserfahrungen sind demnach üblich und können mittels des idealtypischen Anerkennungs-Umverteilungs-Spektrums detailliert beschrieben werden. Ausgehend von ihrer Analyse konstatiert Fraser, dass dem vieldimensionalen Ausschluss mit mehrdimensionalen Gegenstrategien begegnet werden muss. Frasers Doppelperspektive widerspricht anderen Gerechtigkeitstheorien, die teilweise einen der beiden Aspekte unter dem jeweils anderen subsumieren. Diese Trennung der beiden Dimensionen sei philosophiegeschichtlich begründet, denn „als philosophische Begriffe sind ‚Umverteilung‘ und ‚Anerkennung‘ unterschiedlicher Provenienz.“292 Das Paradigma Umverteilung bzw. Redistribution ist insbesondere Teil des anglo-amerikanischen Liberalismus des 20. und 21. Jh., der individuelle Freiheit sowie egalitäre Ausrichtung zu verbinden sucht. John Rawls beispielsweise entwickelt unter Bezugnahme auf Kant, Rousseau und Locke in seiner Vertragstheorie die Vorstellung von Gerechtigkeit als einer Form der Umverteilung. Andere zeitgenössische Gerechtigkeitskonzepte orientiert an Redistribution kommen von Amartya Sen, Ronald Dworkin, Todd Gitilin oder auch Richard Rorty. Dagegen ist Recognition bzw. Anerkennung aus der Hegel’schen Philosophie herzuleiten. Dieser konstituiert Gesellschaft nicht mittels eines Vertrags, sondern stellt das wechselseitige, reziproke Anerkennungsgeschehen als Grundlage der individuellen bzw. kollektiven Identität ins Zentrum. Seit Mitte des 20. Jh. kam es zu einer Art Renaissance von Anerkennungstheorien.

291 Vgl. Fraser und Honneth 2003b, S. 32ff. 292 Fraser und Honneth 2003b, S. 18.

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Gegenwärtig sind Axel Honneth293 und Charles Taylor294 die bekanntesten Vertreter.295 Diesen beiden Strömungen gegenüber will Fraser ihre Theorie der Gerechtigkeit in der Form einer partizipatorischen Parität nicht auf eine der beiden Dimensionen (Anerkennung oder Umverteilung) konzentrieren bzw. einen Aspekt unter den je anderen subsumieren.296 Frasers Vorgehen sowie ihre Beschäftigung mit bestehenden Theoriealternativen ist äußerst pragmatisch und sie formuliert ihren Einspruch von empirischen Beispielen her. Insgesamt ist Frasers Ansatz dadurch charakterisiert, dass sie zwar einen theoretischen Rahmen entfaltet, ohne jedoch den Bezug zur Praxis zu verlieren, weshalb sie auch an vielen Stellen mit sehr konkreten Fallbeispielen arbeitet. Als Nächstes zeigt Fraser, warum die Subsumierung eines Aspekts unter den je anderen unmöglich ist. Dazu expliziert sie die Konstellation der Subsumierung von Anerkennung unter Umverteilung (3.2.2.3.1) sowie der Subsumierung von Umverteilung unter Anerkennung (3.2.2.3.2), die sie beide als unzureichend ablehnt. 293 Die anerkennungstheoretischen Prinzipien Honneths gehen in die theologische Ehrenamtsdebatte ein: Ralph Charbonnier geht davon aus, dass die Rechtfertigung des Menschen vor Gott ihn zum beruflichen sowie ehrenamtlichen Dienst in der Kirche befähigt. Auf Basis dieser theologischen Grundlegung sei eine Anerkennungskultur in der evangelischen Kirche zu entwickeln. Charbonnier schlägt in seinem Konzept einen von dieser Forschungsarbeit unterschiedenen Ansatz vor, nämlich anknüpfend an Frasers Gesprächspartner Axel Honneth. (Vgl. Charbonnier 2017, S. 204f.) Dabei sei das Modell Honneths besonders bei der Strukturanalyse hilfreich und Charbonnier qualifiziert einige Problemfelder der kirchlichen Anerkennungskultur: „Werkgerechtigkeit in der Mitarbeit, Kirche als Familie, Pastorenkirche, Ehrenamtskirche, ehrenamtliche Mitarbeit als Privatsache, berufliche Mitarbeit als Job.“ (Charbonnier 2017, S. 210–212.) Charbonnier will durch seine von Honneth geleitete Analyse dazu beitragen den „Rahmen einer strategischen Entwicklung einer Anerkennungskultur“ (Charbonnier 2017, S. 213) zu stiften. An dieser Stelle sei auf die Kritik an Honneths Konzept im Gespräch mit Fraser verwiesen, denn eine solche Anerkennungskultur darf die Fragen nach Klasse bzw. ökonomischer Ungleichheit nicht aussparen, um die Bedingungen von Arbeit in der Kirche nicht unzulässig zu verkürzen. Ebenso nimmt der Aufsatz „Wechselseitige Anerkennung – Ein Schlüsselthema für hauptund ehrenamtlich Engagierte“ von Hagen Fried und Thomas Popp Honneths Theorie zur Grundlage. (Fried/Popp 2017.) Zur Aufnahme von Honneths philosophischen Konzept bzw. dem Anerkennungskonzept vgl. ferner: Hafeneger/Henkenborg/Scherr 2013; Kammeyer 2012; Polak 2013; Nothdurft 2007; Röbke 2014; Schäfter 2009. 294 Taylor/Gutmann/Habermas 2009, Bd. 1929. 295 Vgl. Fraser und Honneth 2003b, S. 18f. 296 Von den entsprechenden Gegenseiten werden Anerkennung bzw. Umverteilung (recognition and redistribution) häufig als irrelevant abgetan. So halten liberale Vertreter*innen einer Verteilungsgerechtigkeit den kommunitaristischen Aspekt der Anerkennungstheoretiker*innen für überflüssig. Anerkennungstheoretiker*innen hingegen bewerten Ansätze einer reinen Verteilungsgerechtigkeit als konsumorientiert und zu individualistisch.

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3.2.2.3.1 Ablehnung einer Subsumierung von Anerkennung unter Umverteilung Liberale Gerechtigkeitstheorien (Rawls u. a.) konstatieren, dass eine gerechte ökonomische Güterverteilung soziale Missachtung verhindert bzw. Anerkennung impliziert. Als Gegenbeispiel erzählt Fraser folgende Geschichte: Eine Person of Color ist als Banker an der Wall Street tätig und kann nach einem langen Arbeitstag in New York kein Taxi bekommen. Dies veranschauliche eindeutig, dass der Zugang zu ausreichenden ökonomischen Ressourcen nicht zugleich mit einer gesellschaftlichen Anerkennung einhergehe. Trotz ausreichender monetärer Mittel (Umverteilungsdimension) erfahre der Börsenhändler durch die Nichtbeförderung im Taxi gesellschaftliche Missachtung, denn ihm werde die Statusanerkennung, ein „guter“ Fahrgast zu sein, verweigert. Die Schwierigkeit einer Person of Color, ein Taxi zu bekommen, zeige klar auf, dass die Umverteilungsdimension der Gerechtigkeit nicht alle Formen gesellschaftlicher Exklusion umfassen könne.297 3.2.2.3.2 Subsumierung von Umverteilung unter Anerkennung Gegen die Subsumierung von Umverteilungs- unter Anerkennungsanliegen, also die These, dass alle ökonomische Ungleichheit durch eine Veränderung der gesellschaftlichen Anerkennung zu lösen sei, wendet Fraser folgende Beispielgeschichte ein: Ein gut ausgebildeter, weißer und männlicher Arbeiter, der somit vielfach privilegiert ist und dem weithin hohe kulturelle Anerkennung (Statusordnung) zukommt, wird bei einer Firmenfusion entlassen, womit ihm nur noch wenige monetäre Ressourcen zur Verfügung stehen. Trotz der hohen erlebten gesellschaftlichen Anerkennung des Mannes konnte diese seine Kündigung (Umverteilungsproblematik) nicht verhindern. Die Schwierigkeit des Arbeiters, seine Lebensgrundlage zu sichern, zeige klar auf, dass die Anerkennungsdimension der Gerechtigkeit nicht alle Formen gesellschaftlicher Exklusion umfassen kann.298 3.2.2.4 Frasers eigene Positionierung und Kritik an eindimensionalen Entwürfen Auf Grundlage dieser Beispielgeschichten wendet sich Fraser vehement gegen den sog. „substantiellen Dualismus“, der Umverteilung und Anerkennung als zwei streng zu unterscheidende Gerechtigkeitsdimensionen mit zwei eigenen Bezugsaspekten (nämlich Kultur oder Wirtschaft) postuliert. Obgleich die moderne Gesellschaft vielfach ausdifferenziert sei, bleibe eine strikte Trennung von zwei unterschiedlichen Sphären undenkbar. In der Tradition der Kritischen Theorie hält sie an der gegenseitigen Durchdringung von Kultur und Wirtschaft 297 Vgl. Fraser und Honneth 2003b, S. 51f. 298 Vgl. Fraser und Honneth 2003b, S. 52f.

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sowie den jeweiligen Bereichslogiken fest. Ferner klassifiziert sie auch radikal dekonstruktivistische Ansätze (beispielsweise der Judith Butlers), die die Dichotomie zwischen Ökonomie und Kultur vollkommen dekonstruieren wollen, als ungeeignet. Zwar beschreibe die These der engen Verwobenheit aller gesellschaftlichen Bereiche die Wirklichkeit treffend. Jedoch sei durch eine radikale Dekonstruktion der Verlust politischer Sprach- sowie Handlungsfähigkeit zu befürchten, was das politische Engagement zum Abbau von Ungerechtigkeit verunmöglichte.299 Aus diesen Gründen konzipiert Fraser ihre bivalente Gerechtigkeitstheorie mit den beiden Dimensionen Anerkennung und Umverteilung. Frasers Anerkennungskonzept grenzt sich explizit gegenüber den neohegelianischen Entwürfen Honneths und Taylors ab. Diesen wirft Fraser vor, dass Anerkennung zur Grundlage der eigenen Subjektwerdung genommen werde und auf diese Weise insbesondere für die Selbstverwirklichung bzw. Identitätsfindung und nicht so sehr für Gerechtigkeit relevant werde.300 Neben dem Selbstverhältnis sei für Honneth/Taylor die Beschäftigung mit erlittenen Identitätsbeschädigungen durch verweigerte gesellschaftliche Anerkennung zentral. Ziel der neohegelianischen Theorien sei die Überwindung internalisierter negativer Selbstbilder durch alternative Bewertungen. Finden solche Prozesse kollektiv statt, kann dies zur gesamtgesellschaftlichen Anerkennung führen. Zwar könnten durch diese theoretische Perspektive mit Konzentration auf das Subjekt sowie seine Anerkennungs- bzw. Identitätsbeschädigungen in besonderer Weise die negativen Effekte sozialen Ausschlusses sichtbar gemacht werden.301 Jedoch gilt nach Fraser: “By equating the politics of recognition with identity politics, it encourages both the reification of group identities and the displacement of redistribution.”302 Frasers eigenes Anerkennungsverständnis unterlässt den Bezug auf individuelle Befindlichkeiten, Selbstbilder etc. und betont dagegen die soziale Vermitteltheit von Anerkennungsprozessen. Daher sei Anerkennung als Dimension der zwischenmenschlichen Gerechtigkeit zu qualifizieren: Vielmehr sollte man erwidern, daß es ungerecht ist, wenn einigen Individuen und Gruppen der Status eines vollwertigen Partners in der sozialen Interaktion vorenthalten wird, und das nur infolge bestimmter institutionalisierter Muster kultureller Wertsetzung, an deren Zustandekommen sie nicht gleichberechtigt beteiligt waren und die

299 Vgl. Fraser und Honneth 2003b, S. 20. 300 „Recognition from others is thus essential to the development of a sense of self. To be denied recognition—or to be ‘misrecognized’—is to suffer both a distortion of one’s relation to one’s self and an injury to one’s identity.” (Fraser 2000, S. 109.) 301 Vgl. Fraser 2000, S. 109f; Fraser und Honneth 2003b, 43f; Fraser und Honneth 2003b, S. 240ff. 302 Fraser 2000, S. 110.

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ihre besonderen Merkmale oder die ihnen zugeschriebenen Eigenarten verächtlich machen.303

Fraser setzt voraus, dass institutionalisierte, kulturelle Bewertungsschemata verschiedene Akteure als gleichrangig qualifizieren müssen, damit diese auf Augenhöhe miteinander agieren können bzw. Statusgleichheit existiert. Dagegen sei die Zuschreibung minderwertige Position bzw. Ausschluss von der sozialen Interaktion durch institutionalisierte, kulturelle Bewertungsschemata Ausdruck mangelnder sozialer Anerkennung bzw. statusgemäße Benachteiligung.304 Auf diese Weise verbindet Fraser Anerkennung und Statusfrage, denn Anerkennungsverweigerung sei kein Ausdruck individueller Missachtung oder individueller Identitätsbeschädigung. Vielmehr würde Anerkennung im Sinne einer Statusordnung maßgeblich durch gesellschaftliche Institutionen bzw. (deren) sozialer Interaktion entlang kultureller Normen strukturiert.305 Die Statushierarchie gliedert über kulturell institutionalisierte Wertmuster die Über- bzw. Unterordnung bestimmter Personen bzw. Gruppen in einer Gesellschaft. Fraser definiert mangelnde Anerkennung in ihrem Statusmodell als öffentlichen, manifesten und nachprüfbaren Ausschluss von einzelnen Personen bzw. Gruppen von der vollberechtigten Teilhabe an Gesellschaft.306 Status sei ferner eine Struktur (intersubjektiver)307 Unterordnung.308 Positiv hervorzuheben ist, dass das Statusmodell der Anerkennung den Forderungen nach Statusanerkennung eine gewisse normative Kraft jenseits individueller Identitätsbildung und subjektiver Identitätsbeschädigung geben kann und sie als Aspekte gesellschaftlicher Gerechtigkeit expliziert.309 Klassenstruktur definiert Fraser als ob303 304 305 306 307

Fraser und Honneth 2003b, S. 44. Vgl. Fraser und Honneth 2003b, S. 44f. Vgl. Fraser und Honneth 2003b, S. 45. Vgl. Fraser und Honneth 2003b, S. 48. Der von Fraser verwendete Begriff der „intersubjektiven Bedingung“ kann etwas irreführend sein, denn es geht in diesem Zusammenhang nicht um die Anerkennung, die in einer Begegnung zwischen zwei Subjekten ausgetauscht wird, sondern sie bezeichnet damit vielmehr die gesellschaftlich, kulturell institutionalisierten Werte- und Anerkennungsmuster. Diese institutionalisierten Werte- und Anerkennungsmuster können zwar auch in der Begegnung zwischen zwei Individuen reproduziert werden, sind jedoch dort nicht gesellschaftlich institutionalisiert. Für Fraser sind insbesondere die gesellschaftlichen Institutionen, die eine solche Anerkennung durch bestimmte Wertsetzungen machtvoll verhindern, von Interesse. 308 Fraser grenzt sich zum einen vom klassisch marxistischen Klassenverständnis als Bestimmung des Verhältnisses zu den Produktionsmitteln ab. Zum anderen will sie ihr Statusverständnis auch vom Status als einer Art Prestigequotienten, der auch den Faktor monetäres Einkommen einbezieht, abheben. 309 Angesichts der Anerkennungstheorie Honneths grenzt sich Fraser mit vier Argumenten gegenüber dessen Modell ab. Zum ersten erfordere das Statusmodell der Anerkennung keinen gesellschaftlichen Konsens über die Vorstellung von Selbstverwirklichung oder dem guten Leben. Daher sei es in pluralen gesellschaftlichen Zusammenhängen leicht zu

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jektive Benachteiligung, die einigen gesellschaftlichen Gruppen die ausreichenden Mittel bzw. Chancen vorenthält, um gesellschaftliche Teilhabe zu erlangen; stattdessen determinieren ökonomische Mechanismen gesellschaftliche Exklusion.310 Der Status entspricht der Dimension der Anerkennung, die die Wirkungen institutionalisierter Bedeutungen und Normen auf den relativen Rang sozialer Akteure betrifft. Die Klasse dagegen entspricht der Dimension der Verteilung, die die Zuteilung von ökonomischen Ressourcen und Vermögen betrifft.311

D.h. Statusungerechtigkeit bezeugt v. a. die mangelnde Anerkennung, welche aber auch mit ökonomischer Benachteiligung verquickt sein kann. Ebenso ist Klassenungerechtigkeit primär die ökonomische Benachteiligung, die aber auch mit mangelnder Anerkennung assoziiert sein kann. Insgesamt wird nochmals deutlich, dass in Frasers Modell in der Regel das Zusammenspiel bzw. die Wechselwirkungen von Klasse und Status ursächlich für mögliche gesellschaftlich verwurzelte Unterordnung ist. Sowohl Status als auch Klasse können (zumeist als Mischung) das Ziel gesellschaftlicher Teilhabe auf Augenhöhe verhindern.312

3.2.2.5 Die partizipatorische Parität als Norm und Ziel der Fraser’schen Gerechtigkeitsvorstellung Als normativen Kern ihres Gerechtigkeitskonzepts benennt Fraser die partizipatorische Parität: „Nach dieser Norm erfordert die Gerechtigkeit gesellschaftliche Vorkehrungen, die allen (erwachsenen) Gesellschaftsmitgliedern vermitteln, da die Anerkennungsansprüche unabhängig von einer konkreteren (gemeinsamen) Vision des guten Lebens bestehen. „Ansprüche auf Anerkennung vermag sie für all diejenigen verbindlich zu rechtfertigen, die ohne weiteres an der Übereinkunft einer Interaktion mit gleichen Chancen unter den Bedingungen eines Wertepluralismus festhalten.“ (Fraser und Honneth 2003b, S. 47) Zweitens ermögliche das Verständnis von mangelnder Anerkennung als einem Statusproblem, dieses an den Kriterien der be- oder verhinderten gesellschaftlichen Teilhabe konkret zu fassen. Dagegen tendiere Honneths Anerkennungsmodell stärker dazu, mangelnde Anerkennung an individuellem psychischem Leiden festzumachen und die Anerkennungsforderung am Maß der psychischen Deformierung der Leidenden zu bemeßen. Drittens trage das Statusmodell der Anerkennung der Tatsache Rechnung, dass Menschen ein unterschiedliches Maß an Achtung entgegengebracht wird. Dies ist nach Fraser auch so in Ordnung, solange eben alle Menschen unter chancengleichen Bedingungen nach gesellschaftlicher Achtung streben dürfen. Viertens schließlich biete die bivalente Gerechtigkeitsperspektive (Umverteilung und Anerkennung) die Chance, beides als Teilfragen der Gerechtigkeit zu verhandeln und auf diese Weise ein äußerst umfassendes Bild der Gerechtigkeitsfragen zu zeichnen. (Vgl. Fraser und Honneth 2003b, S. 46ff.) 310 Vgl. Fraser und Honneth 2003b, S. 40. 311 Fraser und Honneth 2003b, S. 71f. 312 Vgl. Fraser und Honneth 2003b, S. 70f.

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erlauben, miteinander als Ebenbürtige zu verkehren.“313 Dazu müssten erstens ein objektives und zweitens ein intersubjektives Kriterium erfüllt sein. Die objektive Bedingung ist eine Verteilung materieller Ressourcen, die die Unabhängigkeit sowie das „Stimmrecht“314 aller Partizipierenden gewähren kann. Demnach sind Formen von ökonomischer Abhängigkeit oder auch Prekarität ausgeschlossen. Ferner sei Teilhabe auf Augenhöhe an die intersubjektive Bedingung, dass die institutionalisierten kulturellen Wertmuster allen Partizipierenden gleichen Respekt sowie Chancengleichheit beim Erwerb gesellschaftlicher Anerkennung garantieren, gebunden. Dementsprechend sind Bewertungsschemata, die Gruppen oder Individuen wegen der ihnen zugeschriebenen Qualitäten herabsetzen und dadurch den Zugang zur Interaktion auf Augenhöhe verunmöglichen, nicht gestattet.315

313 Fraser und Honneth 2003b, S. 54f. 314 In späteren Versionen von Frasers Gerechtigkeitstheorie nennt sie nicht nur die beiden Dimensionen von Anerkennung und Umverteilung, sondern als drittes das auch bereits hier anklingende „Stimmrecht“, also die „voice“ bzw. die Möglichkeit, sich selbst mit seiner Stimme zu vertreten. Fraser expliziert diese dritte Dimension seit 2005, wobei auch zuvor die Fragen nach der Rahmung des gesellschaftlichen Diskurses sowie des Stimmrechts in ihren Schriften präsent waren. In ihrem Essay “Mapping the Feminist Imagination: From Redistribution to Recognition to Representation” zeigt sie am Beispiel Gender die Notwendigkeit einer “third dimension of gender justice, beyond redistribution and recognition. I call this third dimension representation. As I understand it, representation is not only a matter of ensuring equal political voice for women in already constituted political communities. In addition, it requires reframing disputes about justice that cannot be properly contained within established polities. In contesting misframing, therefore, transnational feminism is reconfiguring gender justice as a three dimensional problem, in which redistribution, recognition, and representation must be integrated in a balanced way.” (Fraser 2005a, S. 305; Vgl. dazu ferner: Fraser 2005b; Fraser 2009; Fraser 2013.) Damit macht Fraser die politische Repräsentation zu einer eigenen Dimension der Gerechtigkeit. In politischen Zusammentreffen wird Personen bzw. Gruppen oft die Möglichkeit vorenthalten, sich und ihre Anliegen als gleichberechtigte Partner in einem politischen Austausch zu repräsentieren. Es ist stets kritisch zu fragen: Welche Personen bzw. Gruppen werden in der Auseinandersetzung um Teilhabe auf Augenhöhe einbezogen und können legitim ihre Ansprüche vertreten? Welche Personen bzw. Gruppen werden durch einen bestimmten Rahmen von diesen Auseinandersetzungen ausgeschlossen? Die Verunmöglichung der Repräsentation sei oft eine Folge des „misframings“, also der Rahmen- oder Grenzziehung. Das Problem des falschen Rahmens sei eines der signifikantesten Probleme in der globalisierten Welt, da Nationalstaaten dazu tendieren, eine nachgeordnete Rolle zu spielen. Im Zusammenhang dieser Arbeit, die sich mit den Fragen der Arbeitsverhältnisse in den kirchlich-diakonischen Organisationen befasst, wird Repräsentation nicht als dritte Dimension der Gerechtigkeit eingeführt, wohl aber findet die Frage nach der Rahmung Berücksichtigung. 315 Vgl. Fraser und Honneth 2003b, S. 55f.

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3.2.2.6 Erlangung partizipatorischer Parität Frasers Modell zur Erlangung von Gerechtigkeit, d. h. in ihrem Sinne von partizipatorischer Parität, nimmt an, dass verschiedene Gruppen bzw. Individuen mit Teilhabewünschen und Gerechtigkeitsansprüchen auftreten. Ob diese Forderungen berechtigt oder unberechtigt sind, sei in einem diskursiven Setting zu klären. Partizipatorische Parität fungiert nach Fraser zugleich als Zielvorgabe und Bewertungsstandard, welcher legitime von illegitimen Umverteilungs- und/ oder Anerkennungswünschen unterscheiden helfen solle. Es obliege den anspruchsstellenden Individuen bzw. Gruppen nachzuweisen, dass die bestehenden Bedingungen sie daran hindern, auf Augenhöhe am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Im Fall einer (monetären) Umverteilungsforderung muss gezeigt werden, dass bestehende Arrangements ihnen Ressourcen und damit Möglichkeiten für eine partizipatorische Parität vorenthalten. Werde hingegen Anerkennung verlangt, sei zu demonstrieren, dass institutionalisierte Muster kultureller Bewertung die Chancen auf den Erwerb gesellschaftlicher Anerkennung minimieren.316 Fraser verlagert die Prüfung der Anspruchsberechtigung in den Diskurs gesellschaftlicher Gruppen. Auf diese Weise macht sie die Erlangung partizipatorischer Parität zum Ergebnis eines gesellschaftlich vermittelten dialogischen Aushandlungsprozesses.317 Der offene und prozesshafte Charakter ihres Modells trägt der Tatsache Rechnung, dass die unterschiedlichen Ansprüche nicht alle im Vorhinein zu beschreiben sind. Ferner kann sie damit umgehen, ein Idealbild von Gerechtigkeit, welches über die Vorstellung der partizipatorischen Parität hinausgeht, zu entwerfen. Von daher vermeidet Fraser die Gefahr eines abstrakten Gerechtigkeitsbegriffs, dem der lebensweltliche Bezug fehlt. Eine solche Konzeptualisierung erweist sich auch aus theologischer Perspektive ertragreich. Denn es wird zwar eine konkrete Gerechtigkeitsvorstellung qualifiziert und auch festgehalten, wie diese durch ein Verfahren zumindest partiell realisiert werden kann. Jedoch zeichnet sich die partizipatorische Parität auch durch einen eschatologischen Vorbehalt aus, da die entsprechende Gerechtigkeit äußerst fragil ist und nicht konkret zu fassen ist. Denn jeder durchlaufene Prozess zur Erlangung von partizipatorischer Parität bleibt auch in Zukunft noch anfechtbar. Alles in allem eignet diesem Konzept der partizipatorischen Parität ein ähnlicher Charakter wie dem Reich Gottes, wodurch sich vielfältige Anknüpfungspunkte ergeben. In den nächsten Absätzen werden im Anschluss an das Fraser’sche Analysemodell ihr Vorgehen zur Stra316 Vgl. Fraser und Honneth 2003b, S: 57f. 317 „Aus dieser Perspektive ist Gerechtigkeit keine von außen her auferlegte Anforderung, die über die Köpfe derer hinweg bestimmt wird, die sie in die Pflicht nimmt. Vielmehr ist sie nur insofern verbindlich, als ihre Adressaten sich auch zu Recht auch als ihre Urheber verstehen können.“ (Fraser und Honneth 2003b, S. 65.)

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tegiebildung in Aushandlungsverfahren zur Erlangung von Teilhabe auf Augenhöhe vorgestellt. Zuerst wird die Differenzierung in affirmative und transformative Strategien nachvollzogen (3.2.2.6.1), woraufhin noch unterstützende Werkzeuge der Strategiebildung, nämlich diagonale Handhabe sowie die Bildung einer Grenzstrategie (3.2.2.6.2), erörtert werden. 3.2.2.6.1 Affirmative und transformative Strategien zur Erlangung der Teilhabe auf Augenhöhe Ausgehend von der Analyse bivalenter Ungerechtigkeitserfahrungen sowie der Beschreibung der jeweiligen spezifischen Formierung der verhinderten Teilhabe im Feld von Statusordnung bzw. Statushierarchie und Wirtschaftsstruktur bzw. Klassenordnung, so Fraser, stünden vielfältige Handlungsstrategien zur Erlangung partizipatorischer Parität zur Verfügung. Ökonomische Umstrukturierung könne Einkommensumverteilung, Reorganisation der Arbeitsteilung, Erbschaftssteuerreformen oder vieles mehr meinen. Anerkennungsforderungen könne beispielsweise mit der Universalisierung von Privilegien oder durch Bevorzugung der bisher Benachteiligten begegnet werden. Alle denkbaren Handlungsstrategien sind nach Fraser in affirmative und transformative Strategien zu unterscheiden. Sie ordnet die Perspektiven Affirmation und Transformation quer zu den Dimensionen Umverteilung und Anerkennung an.318 Affirmation Umverteilung Liberaler Wohlfahrtsstaat oberflächliche Neuzuteilungen vorhandener Güter an existierende Gruppen; unterstützt Gruppendifferenzierung; kann Missachtung erzeugen Anerkennung Üblicher Multikulturalismus oberflächliche Neuzuteilung von Respekt an bestehende Identitäten existierender Gruppen; unterstützt Gruppendifferenzierungen Tabelle nach Fraser 2001, S. 55.

Transformation Sozialismus gründliche Umstrukturierung der Produktionsverhältnisse; weicht Gruppendifferenzierung auf; kann manche Formen der Missachtung abschaffen helfen Dekonstruktion gründliche Umstrukturierung von Anerkennungsverhältnissen; destabilisiert Gruppendifferenzierungen

Fraser definiert wie folgt: Affirmative Strategien wollen die Ungerechtigkeiten bedingt durch gesellschaftliche Strukturen korrigieren, ohne diese Strukturen selbst zu reformieren. Transformative Strategien hingegen wollen durch die Veränderung der grundgelegten Gesellschaftsstrukturen auch die entstandene Ungleichheit beheben. In diesem Sinne ist der Sozialleistungstransfer Hartz-IV eine auf Umverteilung zielende affirmative Strategie. Dagegen ist eine sozialistische Wirtschaftsreform eine transformative Strategie. Bezogen auf die An318 Vgl. Fraser und Honneth 2003b, S. 100ff.

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erkennungsdimension ist die Stärkung der individuellen Rechte von homosexuellen Menschen (beispielsweise die „Ehe für Alle“) eine affirmative Strategie. Eine transformative Strategie hingegen würde sich mit der Dekonstruktion der binären Geschlechterordnung bzw. von Heteronormativität beschäftigen (Queer Politics).319 Für sich genommen haben affirmative bzw. transformative Strategien nach Fraser verschiedene Tendenzen (konservierend bzw. progressiv). Affirmative Strategien neigten dazu, Ungleichheitsverhältnisse zu zementieren. Dies ist beispielsweise bei Leistungen nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch, die keine Veränderung der ausschließenden ökonomischen Strukturen bewirken, der Fall. Die ökonomisch prekäre Lage wird dabei nur partiell behoben und es treten noch stigmatisierende Wertungen („hartzen“, „arbeitsfaul“ oder „Sozialschmarotzer“) hinzu, so dass gesellschaftliche Anerkennung in hohem Maße verwehrt wird. Solche affirmativen Maßnahmen führen dazu, „dass zu der verletzenden Verarmung noch eine beleidigende Respektlosigkeit hinzutritt.“320 Mit Bezug auf Statusanerkennung legten affirmative Strategien häufig eine Verdinglichung bzw. Essentialisierung kollektiver Identitäten sowie eine Festschreibung von Personen auf den anzuerkennenden Gruppentypus zu Grunde. Transformative Strategien umgingen die genannten Schwierigkeiten zum großen Teil, da sie für Anerkennungsansprüche eine weite Ausdifferenzierung bzw. Dekonstruktion bestehender Kategorien vorschlagen. Bei Umverteilungsforderungen seien transformative Strategien solidarisch, da sie die Wirtschafts-bzw. Arbeitsbedingungen als Ursprung der Ungleichheit umzustrukturieren suchen. Fraser konstatiert, dass transformative Strategien Vorteile bergen, jedoch auch mit Problemen behaftet seien:321 Wenn man danach verlangt, binäre Gegensätze zu dekonstruieren, so steht das dem unmittelbaren Anliegen derjenigen meistens fern, die selbst mangelnder Anerkennung ausgesetzt sind; denn diese sind eher dazu geneigt, Selbstachtung durch Affirmation einer geringgeschätzten Identität zu gewinnen als durch die Auflösung der Statusunterschiede. Desgleichen stoßen Aufrufe zur wirtschaftlichen Transformation bei den ökonomisch Benachteiligten erfahrungsgemäß zumeist auf taube Ohren, da sie unmittelbaren Nutzen eher aus Einkommenstransfers als auch einer dirigistischen Wirtschaft zu ziehen glauben. […] Wenn nun transformative Strategien im Prinzip vorzuziehen, in der Praxis aber schwieriger einzusetzen sind, muß offensichtlich auf eines von beiden verzichtet werden. Soll man also Grundsätze auf dem Altar des Realismus opfern?322

Um eine gelingende Strategie zur Erlangung von Teilhabe auf Augenhöhe zu bilden, müssten kontextbedingt die jeweiligen Folgen der entsprechenden 319 320 321 322

Vgl. Fraser 2001, S. 46ff. Fraser und Honneth 2003b, S. 107. Vgl. Fraser und Honneth 2003b, S. 105ff. Fraser und Honneth 2003b, S. 108.

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Strategie abgeschätzt werden. Fraser illustriert diesen Abwägungsprozess am Beispiel des bedingungslosen Grundeinkommens als möglicher Strategie. Auf den ersten Blick entspricht dies einer affirmativen Strategie, da es das kapitalistische Wirtschaftssystem sowie Eigentumsverhältnisse unverändert belässt. Jedoch argumentiert Fraser, dass dem Grundeinkommen dennoch ein transformatives Potential eignet. Denn durch ein bedingungsloses Grundeinkommen könne sich die Verbindung von Lohn bzw. Kapital und Arbeit verändern. Ferner könnten in der Folge möglicherweise auch Arbeitsbedingungen bzw. Arbeitsformen modifiziert werden. Damit hätte diese eher affirmative Strategie weitreichende Transformationen hinsichtlich der Dimension Umverteilung bzw. der gesellschaftlichen Klassenstruktur ausgelöst. Bezogen auf die Statusordnung könnte eine affirmative Strategie wie beispielsweise die Anerkennung von Weiblichkeit, wobei jedoch stets Einigkeit über die Konstruiertheit dieser Klassifikation bestehen müsste, zur langfristigen Destabilisierung der binären Geschlechterordnung beitragen. Demnach hätte auch diese affirmative Strategie transformative Folgen. Festzuhalten ist, dass die genannte Strategie in einer eher traditionalistischen Gesellschaft wahrscheinlich zur Essentialisierung der Unterscheidung Mann-Frau führen würde.323 Insgesamt bleibt Fraser angesichts dekonstruierender Strategien vorsichtig: Wo jedoch Differenzierungen nicht per se oppressiv sind, mag das bevorzugte telos sozialen Wandels nicht ihre Dekonstruktion sein. In solchen Fällen, wo Unterscheidungen nur kontingenterweise mit institutionalisierten Disparitäten in puncto Beteiligung zusammenfallen, könnte die Zielsetzung vielmehr lauten, die Disparitäten zu beseitigen und die Differenzierungen sich selbst oder der Entscheidung späterer Generationen zu überlassen.324

Eine gelingende Strategie kann nach Fraser durchaus affirmative Strategien beinhalten, welche aber später ggf. ihr transformatives Potential zur Geltung bringen können. Ein solch handlungspragmatisches Vorgehen betitelt Fraser als nichtreformistische Reform:325 Nichtreformistische Reformen versuchen, Transformationen in der Statusordnung auszulösen – nicht nur direkt, durch unmittelbare institutionelle Intervention, sondern auch politisch, indem sie die Bedingungen verändern, unter denen künftige Kämpfe um Anerkennung ausgetragen werden. Daher stellt dieser Ansatz sowohl für das Paradigma der Anerkennung als auch der Umverteilung einen Mittelweg zwischen Affirmation und Transformation dar, der die besten Eigenschaften miteinander kombiniert.326

323 Vgl. Fraser und Honneth 2003b, S. 108ff Dies wurde auch oben als strategischer Essentialismus durch Spivak beschrieben. 324 Fraser und Honneth 2003b, S. 113. 325 Vgl. Fraser und Honneth 2003b, S. 110ff. 326 Fraser und Honneth 2003b, S. 114.

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Im Prozess der tatsächlichen Strategiebildung seien ferner beide Gerechtigkeitsdimensionen integrativ zu beachten und nicht eine der beiden auszulassen. Bei der Strategiebestimmung seien außerdem die ggf. implizierten (Gegen-) Wirkungen dieser Strategie auf die entsprechend andere Dimension der Gerechtigkeit zu berücksichtigen. „Was deshalb gebraucht wird, ist ein integrativer Ansatz, der ökonomische Benachteiligung und mangelnde Anerkennung gleichzeitig gegensteuern kann.“327 Nur der perspektivische Dualismus könne eine zielführende Strategiebildung anleiten. 3.2.2.6.2 Diagonale Handhabe und Grenzstrategie als unterstützende Werkzeuge der Strategiebildung Zur Strategiebildung schlägt Fraser außerdem noch die Handlungswerkzeuge diagonale Handhabe sowie die Grenzstrategie vor. Beide werden anschließend näher erörtert. Diagonale Handhabe Diagonale Handhabe „wohlüberlegt eingesetzt, als Teil einer umfassenden, koordinierten Strategie nichtreformistischer Reform, kann […] dazu beitragen, unerwünschte trade-offs zu umgehen.“328 Diagonale Handhabe wäre die Wahl einer Umverteilungsstrategie zur Erlangung von mehr Anerkennung und umgekehrt. Beispiele für eine solche diagonale Handhabe sind: Zugang von Frauen zu bezahlter Arbeit, um ihre Status-Anerkennung zu stärken; Anerkennung von homosexuellen Menschen, um deren ökonomische Lage (Erbrecht oder Arbeitsmarktzugang) zu stärken. Frasers Anliegen ist es, mit der diagonalen Handhabe integrative Strategien zu konstituieren und der Verflochtenheit beider Dimensionen Rechnung zu tragen.329 Grenzstrategie Schließlich sei die Reformstrategie noch daraufhin zu überprüfen, welchen Einfluss diese auf bestehende Gruppengrenzen hat. Denn einige Maßnahmen tragen eher dazu bei, Grenzziehungen zu stabilisieren (affirmative Anerkennungsstrategien), andere wiederum, sie aufzuweichen oder zu verwischen (affirmative Umverteilungsstrategien und transformative Umverteilungs- sowie Anerkennungsstrategien). Die angestrebten Reformmaßnahmen müssten je kritisch untersucht werden. In dem Fall, dass sich verschiedene Reformstrategien

327 Fraser und Honneth 2003b, S. 115. 328 Fraser und Honneth 2003b, S. 117. 329 Vgl. Fraser und Honneth 2003b, S. 115ff.

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gegenseitig untergraben bzw. nicht in eine ähnliche Richtung hin wirksam werden, müsste eine Modifikation vorgenommen werden.330 Angesichts der Möglichkeiten unbeabsichtigter Wirkungen wird das Bedürfnis nach einer Grenzstrategie umso dringlicher. Schließlich droht allen Reformen, daß sie ihr erklärtes Ziel verfehlen. Wir haben etwa gesehen, daß affirmative Strategien gegen Verteilungsungerechtigkeiten oftmals einen Rückfall in puncto Anerkennung bewirken und dadurch gerade die Grenzziehungen festschreiben, die sie zu verwischen versucht haben; während sie also vorgeblich die Abschaffung der Grenzen anstreben, tragen sie womöglich zur faktischen Absicherung der Grenzziehungen bei. Auch in solchen Fällen kann die Grenzstrategie unbeabsichtigten Wirkungen zuvorkommen helfen. In Verbindung mit dem perspektivischen Dualismus und der Strategie der diagonalen Handhabe erleichtert sie die Bemühungen einen Ansatz zu realisieren, der Umverteilung und Anerkennung integriert.331

Frasers Gerechtigkeitstheorie beschreibt mittels des perspektivischen Dualismus Ungerechtigkeit äußerst differenziert. Darauf antwortend eröffnet ihr Modell mittels integrierter Umverteilungs- und Anerkennungsstrategien (nichtreformistische Reform, diagonale Handhabe und Grenzstrategie) Wege, partizipatorische Parität zu erlangen. Fraser geht davon aus, dass die entsprechenden Ungerechtigkeitserfahrungen in einem öffentlichen Diskussionsforum geteilt werden. Sodann würden die Strategien zur Erlangung partizipatorischer Parität im Diskurs unterschiedlicher Ansprüche sowohl von Gruppen als auch individuellen Akteur*innen ausgehandelt. Hinsichtlich dieses Diskussions- bzw. Aushandlungsforums gibt Fraser weniger konkrete Hinweise, sie beschränkt sich darauf, drei Gefahren sowohl für das Diskussionsforum als auch ihrem gesamten Konzept zu benennen. Die Erlangung partizipatorischer Parität würde durch Verdrängung, Verdinglichung und falsche Rahmensetzung gefährdet.332 Alle bedrohen soziale Gerechtigkeit in der Wissensgesellschaft. Sobald die Betonung von Kämpfen um soziale Achtung die Verteilungsprobleme verdrängt, kann de facto ökonomische Ungleichheit gefördert werden. Insofern die kulturelle Wende kollektive Identitäten verdinglicht und hypostasiert, läuft sie Gefahr, die Verletzung von Menschenrechten zu billigen und die jeweiligen Antagonismen zu fixieren, die sie zu vermitteln vorgibt. Wenn schließlich Auseinandersetzungen jeder Art transnationale Prozesse ignorieren, laufen sie Gefahr, den Raum für Gerechtigkeit zu beschneiden und relevante soziale Akteure auszuschließen.333

Partizipatorische Parität als zu erreichendes Ziel festzusetzen, ist nur dann möglich, wenn bestimmte Foren der Partizipation abgegrenzt werden können,

330 331 332 333

Vgl. Fraser und Honneth 2003b, S. 117f. Fraser und Honneth 2003b, S. 118. Vgl. Fraser und Honneth 2003b, S. 122ff. Fraser 2002, S. 10.

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denn nur so können die Teilnehmenden des Diskurses benannt werden, die ihre Ansprüche zur Teilhabe auf Augenhöhe zum Ausdruck bringen können.334

3.2.3 Kritische Würdigung von Nancy Frasers Gerechtigkeitsmodell Nancy Frasers Modell der partizipatorischen Parität sowie ihre Hypothesen fanden große Beachtung und wurden sowohl im Zusammenhang der feministisch-kulturwissenschaftlichen Auseinandersetzung335 als auch in den politischphilosophischen336 Gerechtigkeitsdiskursen extensiv debattiert. Nachfolgend werden in erster Linie die kritischen Kommentierungen von Iris Marion Young, Judith Butler sowie Axel Honneth, die sich in einem kooperativ-kontroversen Austausch mit Fraser engagieren, dargelegt. Ferner werden noch kleinere kritische Anmerkungen berücksichtigt und abschließend werden die unter334 Vgl. Fraser und Honneth 2003b, S. 126ff. 335 Vgl. z. B.: Regina Becker-Schmidt äußert sich gegenüber Fraser mit dem Aufsatz „Was mit Macht getrennt wird, gehört gesellschaftlich zusammen. Zur Dialektik von Umverteilung und Anerkennung in Phänomenen sozialer Ungleichstellung“ und kritisiert auch die Unterscheidung von Kultur und Ökonomie. Unter Bezug auf die Kritische Theorie Adornos analysiert Becker-Schmidt gesellschaftliche Ungleichheit im geschichtlich perspektivischen Verlauf unter besonderer Berücksichtigung der Geschlechterverhältnisse. „Geistige Arbeit steht über körperlicher, produktive über unproduktiver, marktvermittelte über häuslicher, männliche über weiblicher.“ (Becker-Schmidt 2001, S. 119.) Becker-Schmidt setzt in ihren Überlegungen und Analysen die Dimensionen Anerkennung und Umverteilung mittels gesellschaftlicher Tauschbeziehungen ins Verhältnis. Dabei spielen gegenwärtig besonders Arbeitsteilung sowie die geschlechtlich orientierte Teilung in bezahlte und unbezahlte Arbeit eine herausgehobene Rolle. Anerkennung und Umverteilung sind für Becker-Schmidt innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft aufs engste miteinander verwoben. BeckerSchmidt rückt gegenüber Fraser jedoch die kapitalistischen Arbeitsteilungslogiken, Herrschaftsverhältnisse sowie die Geschlechtsfragen stärker in den Vordergrund. (Vgl. BeckerSchmidt 2001, S. 91ff.) 336 Aus dem Kontext des Gerechtigkeitsdiskurses werden zum einen Einzelaspekte kritisiert (vgl. dazu exemplarisch Fraser und Olson 1999), zum anderen findet auch eine detaillierte Auseinandersetzung mit Frasers Theorie statt, wie bei Robeyns beispielsweise. Robeyns akzentuiert, dass es durchaus vorstellbar sei, dass eine Theorie der distributiven Gerechtigkeit auch die Anerkennungsdimension umfasse und nicht unbedingt eine bivalente Theorie notwendig sei. In ihrem Aufsatz „Is Nancy Fraser’s Critique of Theories of Distributive Justice Justified?” merkt Robeyns an, dass zwar viele Konzepte distributiver Gerechtigkeit nicht die Anerkennungsdimesion einbezögen, was Fraser kritisiert. “I agree that this critique is to some extent valid. However, Fraser ignores the differences between different theories of distributive justice. While her critique holds for some theories of distributive justice, such as Ronald Dworkin’s or Philippe Van Parijs’s, it seems to be an oversimplified judgement of John Rawls’s theory and it does not hold for Amartya Sen’s capability approach.” (Robeyns 1999, S. 538). Robeyns vergleicht sodann den Ansatz Frasers mit dem Sens und kommt schließlich zu dem Urteil, dass Sens Capabilities-Approach Anerkennungsansprüche in einem viel größeren Maße als Fraser inkooperieren kann. (Vgl. Robeyns 1999, S. 539ff.)

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schiedlichen Aspekte der Fraser’schen Theorie in ihrer Gesamtheit kritisch gewürdigt. Judith Butler und Fraser teilen eine skeptische Einstellung gegenüber einer simplen Identitätspolitik, die mangelnde Anerkennung von queeren Menschen als „merely cultural“337 klassifiziert. Jedoch sei das bei Fraser angeschlossene Konzept insbesondere hinsichtlich der Anerkennungsanliegen von homosexuellen oder auch queeren Menschen nicht effektiv genug: Nevertheless, she [Nancy Fraser] reproduces the division that locates certain oppressions as part of political economy, and relegates others to the exclusively cultural sphere. Positing a spectrum that spans political economy and culture, she situates lesbian and gay struggles at the cultural end of this political spectrum. Homophobia, she argues, has no roots in political economy, because homosexuals occupy no distinctive position in the division of labor, are distributed throughout the class structure, and do not constitute an exploited class: ‘the injustice they suffer is quintessentially a matter of recognition’, thus making their struggles into a matter of cultural recognition, rather than a material oppression.338

Demgegenüber lehnt Butler jegliche Versuche, gesellschaftlichen Ausschluss als kulturelles oder ökonomisches Problem zu verstehen, ab. Denn solch eine strikte Trennung sei zu rigide. Das Fallbeispiel homosexueller Personen illustriere eindeutig, dass sich Anerkennungsfragen auf ökonomische Einschränkungen (mangelnde Jobchancen oder erbrechtliche Benachteiligung) auswirken. Ferner beruhe die kapitalistische Gesellschaft mit ihrer politischen Ökonomie auf der Organisation in heterosexuellen Kleinfamilien, die ihrerseits gegenderte Individuen hervorbringen, die für das Funktionieren der politischen Ökonomie zentral sind. Auf diese Weise sei die Regulierung von Sexualitäten bzw. Genderfragen nicht nur eine kulturelle Frage, sondern „systematically tied to the mode of production proper to the functioning of political economy.”339 Klare Unterscheidungen in ökonomischen oder kulturellen Ausschluss müssten unbedingt vermieden werden, da diese, wie Butler Fraser vorwirft, gesellschaftliche Ungleichheit stabilisieren würden. Schließlich seien beide Aspekte nur in einem einzigen System zusammenzudenken.340 Diesen kritischen Anfragen entgegnet Fraser mit dem Argument, dass ihre Destinktion der beiden Dimensionen Ökonomie sowie Kultur nur eine normativ-analytische Unterscheidung ist. Sie sei „far from claiming that cultural harms are superstructural reflections of economic harms, I have proposed an analysis in which the two sorts of harms are co-fundamental and conceptually irreducible.”341 Fraser stimmt Butler zwar zu, 337 338 339 340 341

Butler 1998, S. 38. Butler 1998, S. 39. Butler 1998, S. 40. Vgl. Butler 1998, S. 39ff. Fraser 1998, S. 142.

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dass mangelnde Anerkennung nicht “merely cultural” sei, sondern sich durchaus materialisiere. Dennoch sei eine Dekonstruktion im Butler’schen Sinne als Dekonstruktion der Sphären Kultur und Ökonomie unzureichend. Fraser geht trotz der engen Verflochtenheit verschiedener Logiken davon aus, dass Ausdifferenzierungs- und Modernisierungsprozesse zum „relative uncoupling of economic distribution from structures of prestige, and where status and class can therefore diverge, misrecognition and maldistribution are not fully mutually convertible”342 geführt haben. Ihre Unterscheidung zwischen tendenziell ökonomischen und tendenziell kulturellen Ansprüchen ermöglicht es, Ökonomie und Lebenswelt (vgl. dazu auch Habermas343) analytisch zu unterscheiden und auf diese Weise die Komplexität der modernen Gesellschaft differenziert zu beschreiben.344 Neben Judith Butler formuliert auch Iris Marion Young Vorbehalte gegen die doppelte Abgrenzung in „Fraser’s Dual Systems Theory.“345 Eine „‚bifocal‘ categorization“346 würde nur zur unangebrachten Komplexitätsreduktion der pluralen Wirklichkeit führen. Demgegenüber plädiert Young in ihrem Buch “Justice and the Politics of Difference”347 für die Beachtung von fünf Formen der

342 Fraser 1998, S. 141f. 343 Habermas unterscheidet in der Theorie des kommunikativen Handelns zwischen zwei durch gesellschaftliche Modernisierung bzw. Ausdifferenzierung zu unterscheidenden Bereichen, nämlich System und Lebenswelt. System (Staat und Ökonomie) widmen sich der materiellen Reproduktion. Lebenswelt (Öffentlichkeit und private Familie) widmen sich der symbolischen Reproduktion. Dieser Unterscheidung zwischen zwei unterschiedlichen Logiken stimmt Fraser grundsätzlich als einem Ergebnis moderner Ausdifferenzierungsprozesse zu. Insgesamt aber kritisiert sie Habermas’ Ansatz als „dualistisch“ und sie wendet sich aus der Geschlechterperspektive gegen sein Vorgehen: „Dabei ist zu bedenken, daß dieser Aspekt von Habermas’ kategorialer Trennung zwischen systemischen und lebensweltlichen Institutionen die institutionelle Trennung von Familie und offizieller Ökonomie, Haushalt und bezahltem Arbeitsplatz in den männlichen beherrschten kapitalistischen Gesellschaften getreulich widerspiegelt. Der Gegensatz hat also prima facie einigen Rückhalt in der sozialen Realität. Zu beachten ist aber auch, daß die Charakterisierung der Familie als eines sozial integrierten Bereichs symbolischer Produktion einerseits und der Charakterisierung des bezahlten Arbeitsplatzes als eines systemisch integrierten Bereichs materieller Produktion andererseits darauf hinauslaufen, die Unterschiede zwischen ihnen zu übertreiben und die Ähnlichkeiten zu überdecken.“ (Aus dem Kapitel „Was ist kritisch an der Kritischen Theorie? Habermas und die Geschlechterfrage; Fraser 1994, S. 182). Ferner muss jedoch auch festgehalten werden, dass Habermas diese strikte Trennung zwischen Ökonomie und Lebenswelt nicht aufrechterhält, sondern durch die sog. Kolonialisierungsthese (Übergreifen der jeweils einen Logik auf den je anderen Bereich) aufweicht und damit sich wieder an Frasers Position annähert. 344 Vgl. Fraser 1998, S. 140ff. 345 Young 1997, S. 147. 346 Young 1997, S. 150. 347 Young und Allen 2001.

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Unterdrückung bzw. Ungerechtigkeit.348 Die vielfältigen Diskriminierungserfahrungen (institutionell, individuell und kulturell) seien im Kontext von Macht- und Unterdrückungsstrukturen zu analysieren und durch eine differenzsensible Politik auszugleichen.349 Ein großer Kritiker Frasers ist Axel Honneth, der in einem intensiven Austausch mit ihr steht.350. Honneth konzipiert sein anerkennungstheoretisches Gerechtigkeitsmodell vor einem neohegelianischen Hintergrund sowie unter Bezugnahme auf den symbolischen Interaktionismus George Herbert Meads. Nach Honneths Ansatz formiert sich der gesellschaftliche Zusammenhalt durch Kämpfe um Anerkennung, was Anerkennung zum wesentlichen Element aller gesellschaftlichen Prozesse macht. Es existierten drei Modi der Anerkennung, welche sich in drei verschiedenen gesellschaftlichen Sphären realisierten: emotionale Zuwendung (Intimbeziehungen-Liebe), kognitive Achtung (Rechtsbeziehungen-Rechtsansprüche) und soziale Wertschätzung (SozialbeziehungenLeistung).351 Laut Honneth wird in der Sphäre der Liebe das Selbstverhältnis bzw. Selbstvertrauen, in der Rechtssphäre die Selbstachtung und in den wirt348 Als Formen der Unterdrückung nennt sie violence, exploitation, marginalization, powerlessness, and cultural imperialism. 349 “Her [Nancy Frasers] polarization of redistribution versus recognition, however, leads her to exaggerate the extent to which some groups and movements claiming recognition ignore such issues. To the degree such a tendency exists, I have argued, the cure is to reconnect issues of symbols and discourse to their consequences in the material organization of labour, access to resources, and decision-making power, rather than to solidify a dichotomy between them. I have suggested that a better theoretical approach is to pluralize concepts of injustice and oppression so that culture becomes one of several sites of struggle interacting with others.” (Young 1997, S. 160.) Dagegen wendet Fraser wiederum ein: “[I] defended the project of integrating the best of socialist politics with the best of multicultural politics, while frankly acknowledging its genuine difficulties. I did not claim, contra Young, that redistribution conflicts with recognition. I argued, rather, that in the current historical context, the tensions between various group-differentiating and group de-differentiating claims assume the guise of a single contradiction, which I called ‘the redistribution/recognition dilemma.’ In this context, demands for economic justice seem to conflict necessarily with demands for cultural justice.” ( Fraser 1997a, S. 129.) 350 Nancy Fraser und Axel Honneth veröffentlichten 2003 eine gemeinsame Auseinandersetzung mit dem Titel „Anerkennung und Umverteilung“, in der sie jeweils ihre Gerechtigkeitstheorie vorstellen und die andere Position kritisieren. 351 „In Intimbeziehungen, die Praktiken der wechselseitigen Zuwendung und Fürsorge umfassen, vermögen sie sich als Individuen mit einer jeweils eigenen Bedürftigkeit begreifen; in jenen Rechtsbeziehungen, die sich nach dem Muster der wechselseitigen Einräumung von gleichen Rechten (und Pflichten) entfalten, lernen sie, sich als Rechtspersonen zu verstehen, denen dieselbe Autonomie wie allen anderen Gesellschaftsmitgliedern zukommt; und in den weitmaschigen Sozialbeziehungen schließlich, in denen es unter Herrschaft des einseitig ausgelegten Leistungsprinzips zur Konkurrenz um beruflichen Status kommt, können sie sich im Prinzip als Subjekte begreifen lernen, die Fähigkeiten und Talente besitzen, die von Wert für die Gesellschaft sind.“ (Fraser und Honneth 2003b, S. 168.)

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schaftlichen Verhältnissen die Selbstschätzung gewonnen. Im Fall der Anerkennungsverweigerung in einem der drei Bereiche komme es zur Verletzung des Individuums in Form von Missachtung, Diskriminierung, Entwürdigung, Ungerechtigkeit oder Exklusion. Honneth charakterisiert das Zusammenleben als Kampf um Anerkennung, womit er das Aufeinanderangewiesensein zur Erlangung dieser umschreibt. Insgesamt müsse Anerkennung in allen drei Dimensionen erworben werden, um eine gesunde Identität bzw. Selbstbeziehung auszubilden und soziale Inklusion zu erleben. Der Terminus Anerkennung differenziert in drei Formen, soll in Honneths Darstellung einen einheitlichen Theorierahmen stiften, der folglich die gesamte (kapitalistische) Gesellschaft als ‚institutionalisierte Anerkennungsordnung’ beschreiben kann.352 Ausgehend von seinem breit gefächerten Anerkennungsverständnis qualifiziert er Frasers Anerkennungsbegriff als reduktionistisch, da dieser nur unzureichend in rechtlich-politisch-kulturelle Anerkennung differenziere. Damit verbalisiert Honneth einen wichtigen Kritikpunkt gegenüber Frasers Ansatz, denn tatsächlich bestimmt Fraser nicht klar, innerhalb welcher Gerechtigkeitsdimension Rechtsansprüche zu verorten wären. Dennoch ist zu bedenken, dass Honneth den Aspekt der gegenseitigen Durchdringung von Kultur und Ökonomie nicht denken kann, sondern alles innerhalb seines (zwar erweiterten) Anerkennungsbegriffs subsumiert. Honneth nennt Frasers Dichotomie simplistisch und hält ferner ökonomische Belange nur in Form der Anerkennungs- oder Anerkennungsverweigerung und damit als moralische Fragen für relevant. Schließlich will Honneth auch die individuellen Beschädigungen der Menschen aufgrund mangelnder Anerkennung berücksichtigt wissen; dies könne Fraser durch die Konzentration auf den Bereich Kultur bzw. Institutionen nicht leisten.353 Honneths Modell hat, anders als Frasers, stark normativen Charakter, da es Selbstverwirklichung als Ziel setzt, was aber nur auf Grundlage eines gewissen Normen- und Wertekonsenses möglich ist. Ein solcher gemeinsamer Wertekonsens ist jedoch in pluralen Gesellschaften schwerlich zu bestimmen. Demgegenüber ist positiv hervorzuheben, dass Fraser in ihrem Ansatz keinen extensiven geteilten Wertekanon grundlegen muss. Vielmehr zeigt sich Ungerechtigkeit nach Fraser an mangelnder Teilhabe, welche, wie auch die Anerkennungs- sowie Umverteilungsansprüche, jeweils diskursiv vermittelt wird. Bei der vergleichenden Betrachtung von Frasers und Honneths Theorie wird offenkundig, dass beide in sehr unterschiedlichen Theorietraditionen stehen, was die Anerkennungsbegriffe der beiden unvereinbar erscheinen lässt. David Owen und James Tully weisen darauf hin, dass Frasers Anerkennung eher enger 352 Vgl. Fraser und Honneth 2003b, S. 162ff. 353 Vgl. Fraser und Honneth 2003b, S. 131ff.

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im Sinne von Statusgleichheit zu verstehen sei. Honneth hingegen wolle mit Anerkennung in einem breiten, allgemeinen Sinn die ganze Gesellschaft theoretisch strukturieren. Von daher ist es einsichtig, dass Fraser diesem engeren Terminus die Umverteilungsdimension zuordnet. Bedingt durch den weiten Anerkennungsbegriff untersucht Honneth Umverteilungsfragen auch als Anerkennungsansprüche.354 Sowohl Fraser als auch Honneth operieren in ihren Theorien mit einem verengten Anerkennungsbegriff: Honneth konzentriert sich v. a. auf das Subjekt. Fraser hingegen nimmt v. a. die Ansprüche des Subjekts bzw. der Gruppe innerhalb des sozialen Settings in den Blick. Im Hinblick auf die Fragestellung dieser Forschungsarbeit, die nach Arbeit und unterschiedlichen Arbeits- bzw. Tätigkeitsformen innerhalb kirchlich-diakonischer Organisationen fragt, ist die etwas eingeschränkte Perspektive Frasers passend. Denn Fraser kann den Aspekt des sozialen Austauschs, wie er auch in Kirche bzw. Diakonie stattfindet, besser berücksichtigen. Die Kritik, dass Fraser sich kaum mit individueller Identität bzw. individuellen psychologischen Verletzungen beschäftigt, wie ihn beispielweise Zurn 2003355, Baum 2004356 und auch Honneth 2003 formulieren, besteht weiterhin. Trotz allem bleibt die Fokussierung auf das Statusmodell Anerkennung im Rahmen der Fraser‘schen Theorie durchaus sehr funktional. Denn ihre Vereinfachung ermöglicht es, in Organisationen und Institutionen gesellschaftliche Ungerechtigkeit als mangelnde Statusanerkennung zu thematisieren. Schließlich ist die Bestimmung zweier Gerechtigkeitsdimensionen als pragmatisches und handhabbares Analyseinstrument, auch gerade gegenüber Youngs fünf Formen der Unterdrückung, zu bevorzugen. Zurns Fazit des Theorievergleichs von Fraser, Honneth und Taylor ist zuzustimmen: To summarize, I take Fraser’s bifocal theory of economic and cultural injustices to have decisive advantages over Taylor’s and Honneth’s approaches: it does not displace maldistribution by focusing exclusively on misrecognition; it is open to the complex interconnections between economic and cultural injustices; and it doesn’t attempt an unfeasible one-dimensional social theory that reduces solely to economic or cultural factors. I don’t think it adequately incorporates legal and political institutions, but it is an improvement over Taylor’s and Honneth’s models.357

Nancy Fraser spannt mit ihrem Modell der partizipatorischen Parität einen diskursiven Rahmen auf, der das „Entweder-Oder“ der öffentlichen Debatte um ökonomische sowie kulturelle Ansprüche zu überwinden sucht. Insgesamt ist gerade ihr pragmatisches Vorgehen nicht ohne Kritik geblieben, jedoch sollten die vorstehenden Punkte nachvollziehbar gemacht haben, dass ihr praktischer 354 355 356 357

Vgl. Owen und Tully 2007, S. 268. Zurn 2003. Baum 2004. Zurn 2003, S. 526.

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Zugang mit den beiden Dimensionen Ökonomie und Kultur eine fokussierte Analyse gesellschaftlicher Ungleichheit unter der Perspektive Gerechtigkeit zulässt. Frasers Ansatz ist in größerem Maße als der Honneths um weltanschauliche Offenheit bemüht. Dennoch vertritt sie keine ideologisch neutrale Position. Indem sie bestimmte Teilhabebemühungen, nämlich die von Frauen, homosexuellen bzw. queeren Menschen, wirtschaftlich prekären oder auch People of Color benennt, macht sie implizit klar, dass nicht alle Partizipationsansprüche gleichsam berechtigt sind. Von daher grenzt sich Fraser explizit von den Anerkennungsforderungen nationalistisch-rassistischer Bewegungen ab. Fraser entwickelt ihr Modell auf Grundlage einer Gesellschaft, die die Menschenrechte achtet und einen diskursiven öffentlichen Raum zur Aushandlung von Gleichheits- sowie Teilhabeansprüchen hat. Frasers offenes, prozesshaftes Modell zur Aushandlung partizipatorischer Parität kann im Zusammenhang eines solchen Gesellschaftsbildes funktionieren. Trotz der Offenheit in diesem Gerechtigkeitsmodell sind für das Abstraktum Gerechtigkeit bzw. partizipatorische Parität eine gewisse Näherbestimmung nötig. Hinsichtlich der Forschungsfrage (unterschiedliche Arbeitsformen in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt) muss das Ideal der partizipatorischen Parität von der Grundlage des kirchlichdiakonischen Gesellschaftsbilds bzw. kirchlich-diakonischer Leitbilder sowie biblisch-theologischer Motive her entfaltet werden. Der Rückbezug partizipatorischer Parität auf das theologische Motiv des Reiches Gottes bzw. auf biblischtheologische Traditions- und Argumentationsstränge bindet die Teilhabe auf Augenhöhe einerseits in eine starke fundierende und orientierende Tradition ein. Andererseits unterstützt das theologische Gottesreich-Motiv kombiniert mit Frasers Ansatz ihren grundgesetzten diskursiven Charakter, da mit theologischen Topoi auch stets hermeneutische Aushandlungsprozesse verknüpft sind. Nach der Darlegung des Fraser’schen Modells partizipatorischer Gerechtigkeit (3.2) sowie der Bestimmung des Reiches Gottes (3.1) werden im nächsten Schritt (3.3) die beiden als Fäden miteinander verwoben, wobei die Herrschaft Gottes sich stimmig mit Frasers Ansatz verbinden lässt. Ihr konkretes Vorgehen sowie pragmatische Strategiebildung können helfen, unterschiedliche Tätigkeiten und Arbeitsformen in Kirche bzw. Diakonie am Reich-Gottes-Motiv auszurichten und mittels der Orientierung an partizipatorischer Parität praktisch zu fokussieren. Durch die Verbindung der Gottesherrschaft und der partizipatorischen Parität können sowohl die kulturell-theologischen Dimensionen der Arbeitsteilung als auch die ökonomischen Perspektiven dieser in Kirche bzw. Diakonie zugleich beachtet werden. Die Ausrichtung an der partizipatorischen Parität Frasers als einer offenen, prozesshaft zu erlangenden Gerechtigkeit, welche sich in Aushandlungsprozessen einstellen kann, wird somit auch der theologischen Perspektive der menschlichen Unverfügbarkeit des Reiches Gottes gerecht.

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Das Reich Gottes als Hoffnungsperspektive für die Arbeit in Kirche und Diakonie

Theologisch gesprochen kann sich das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit in die Aushandlungsprozesse zur partizipatorischen Parität hineinereignen, dennoch bleibt ein eschatologischer Vorbehalt bestehen, denn ebenso wie die partizipatorische Parität hat dies immer einen prozesshaften nicht statischen Charakter.

3.3

Das begonnene Reich Gottes und die kirchlich-diakonische Arbeitswelt – Das Reich Gottes als Möglichkeitsraum in Kirche und Diakonie zur Ereignung partizipatorischer Parität

Nachfolgend wird unter der theologischen Grundeinsicht, dass die Gottesherrschaft bereits begonnen hat, die kirchlich-diakonische Arbeitswelt näherhin bestimmt. Dazu werden die unter 3.1 grundgelegten Ausführungen zum Reich Gottes mit dem Fraser’schen Ansatz verwoben (3.3.1). Dabei wird der theologisch konstituierte Möglichkeitsraum zur Gestaltung der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt mittels Nancy Frasers Konzept spezifiziert (3.3.2). Abschließend wird ein konkretes Rahmenmodell und Verfahren zur Gestaltung der kirchlichdiakonischen Arbeitswelt unter Orientierung am Reich Gottes im Sinne einer Teilhabe auf Augenhöhe (3.3.3) vorgestellt.

3.3.1 Das Reich Gottes und Nancy Frasers partizipatorische Parität Das Reich-Gottes-Motiv wurde als wegweisend für die Gestaltung der Arbeitswelt in Kirche bzw. Diakonie herausgearbeitet. Im nun folgenden Schritt wird dieses handlungsleitende Motiv mit dem pragmatischen Entwurf Nancy Frasers zusammengedacht. Auf diese Weise können die Qualitäten der Gottesherrschaft im Sinne der partizipatorischen Parität operationalisiert werden. Die Gottesherrschaft impliziert, dass alle, auch marginalisierte Personen bzw. Gruppen, einander ebenbürtig sind und allein Gott als König herrscht. Um diese Teilhabe auf Augenhöhe zu erreichen, sind Veränderungsstrategien zu formulieren, die in der Konsequenz die Ereignung partizipatorischer Parität ermöglichen. Frasers Fokus liegt auf den gesellschaftlich bzw. institutionell vermittelten Ungerechtigkeitserfahrungen sozialer Exklusion, bedingt durch wirkmächtigestigmatisierende Zuschreibungen sowie monetäre Ungleichheit. Indem Fraser die Rolle von Gesellschaft bzw. deren Organisationen sowie Institutionen akzentuiert, erhält ihr Entwurf eine hohe Anschlussfähigkeit hinsichtlich der Ungerechtigkeitserfahrungen innerhalb der Arbeitswelt. Dies gilt insbesondere auch für die kirchlich-diakonische Arbeitswelt, die verschiedene Formen von

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Tätigkeit/Arbeit vergesellschaftet. In den kirchlich-diakonischen Organisationen werden Arbeitsformen sowie Arbeitsorganisation entlang gesamtgesellschaftlicher und theologischer Deutungen strukturiert. Unterdies sind sowohl ökonomische als auch kulturelle Logiken von Belang. Im Kontext dieser Untersuchung werden weniger eigener Antrieb oder eigenes Verständnis der beruflichen oder ehrenamtlichen Arbeit thematisiert, womit auch die Fragen der individuell erfahrenen Identitätsbeschädigungen bzw. der individuellen Gerechtigkeit in den Hintergrund treten. Der Fokus dieser Forschungsarbeit hingegen liegt auf Arbeit in ihrem sozialen Zusammenhang. Alles in allem ist dies auch der explizite Schwerpunkt des Fraser’schen Ansatzes, der dem sozial-relationalen Blickwinkel der Gottesherrschaft entspricht. In der biblischen Tradition verweist ‫ ָשׁלוֹם‬auf die mit dem Reich Gottes verbundene Hoffnung auf gelungene Beziehungen unter- und zueinander sowie auf das Freisein von hierarchischen Macht- und Herrschaftserfahrungen. Wenn Gott als gerechter König herrscht, dann leben alle Menschen auf Augenhöhe zusammen und die gesellschaftlichen Aufgaben sowie Arbeiten werden rein funktional geteilt. Theologisch ist festzuhalten, dass das Reich Gottes von Gott ausgehend auf die Menschen bzw. die ganze Schöpfung zukommt. Denn die ganze Schöpfung ist in Unrechtserfahrungen, Ausgrenzungsmechanismen, Korruption, Leid usw., d. h. also in der Sündenstruktur (Röm 1), gefangen. Erst durch die gnadenhafte Zuwendung Gottes kann die Macht der Sünde gebrochen werden. Im Kommen Jesu hat sich die eschatologische Zeitenwende vollzogen (Lk 10,18); diese wird in Jesu Tun und seiner Auferweckung episodal realisiert. Das Gottesreich ist im Prozess des Wachsens begriffen und die zerstörerischen Mächte sowie lebensfeindlichen Ordnungen haben nur noch bedingt Einfluss. Wenn Menschen nun ausgehend von und orientiert an der promissio der Gottesherrschaft aktiv werden, arbeiten und tätig sind, dann entspricht dies der aus der promissio folgenden missio. Denn in der Begegnung mit dem Auferstandenen wird die Gemeinde bzw. werden Menschen in die Sendung, d. h. missio, des Reiches Gottes hineingestellt. In der leidenden, hoffnungsarmen Welt, in der die Mächtigen regieren und die Armen ausgebeutet werden, stiftet die Verheißung des Gottesreichs Hoffnung auf eine veränderte Gegenwart sowie Zukunft. Das hoffnungsvolle Wissen um sowie der Glaube an die Auferstehung trotz der Erfahrung des menschlichen Todes und der Zerstörung sind Ausdruck der Latenz-Tendenz-Dialektik des Reiches Gottes. Insgesamt beauftragt die Sendung die Gemeinde, die Gottesherrschaft gegenwärtig zu antizipieren, sich nach dieser auszustrecken und an ihr ausgerichtet zu leben, zu arbeiten und zu handeln. Durch die Hoffnung auf die vollendete Realisierung des Gottesreiches (pro-missio) und die Orientierung des ganzen Lebens und Handelns an den Qualitäten der Königsherrschaft Gottes entsteht ein Möglichkeitsraum, in den sich das Reich Gottes hineinereignen kann.

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Die Gottesherrschaft kann sich im Möglichkeitsraum realisieren. Dieser ist im Anschluss an Moltmann bzw. die biblische Theologie ein von Gott her unter temporalen Bedingungen konstituierter Ort, der durch die eschatologische Spannung des noch-nicht und jetzt-schon charakterisiert ist. In diesen geschichtlichen Raum kann sich das Reich Gottes unverfügbar hineinereignen. Auf die Fläche hin abgebildet ist der Möglichkeitsraum gleich einem Quadrat angelegt, das in der Vertikale nach oben hin für das Eschaton und nun nach unten hin für die praktische Konkretion im Sinne von Frasers pragmatischer Theorie offen angelegt ist. Ferner zeigt das Bild vom Möglichkeitsraum zugleich seine Offenheit und Abgeschlossenheit an. Dabei ist dieser offen für die potentielle Realisierung der Möglichkeiten der Gottesherrschaft (ggf. eschatologisch ausstehend) und auch als konkreter Raum geschlossen, umgrenzt und bestimmt entsprechend den Qualitäten des Reiches Gottes. Denn trotz der Unverfügbarkeit der Gottesherrschaft sind Recht, Gerechtigkeit, Frieden und Teilhabe die Qualitäten dieser bzw. des Möglichkeitsraums. Diese Qualitäten sind zugleich Prämisse und Ziel des Möglichkeitsraums bzw. der Gottesherrschaft – diese spannungsvolle Ambivalenz von Vorbedingung und Zielpunkt korrespondiert mit dem Wesen der ntl. ReichGottes-Tradition. Trotz der bleibenden eschatologischen Unverfügbarkeit lädt die nach unten offene Seite zur Konkretion des Möglichkeitsraums ein. Der Gerechtigkeitsansatz Frasers ist ein hervorragendes Werkzeug zur praktischen Strukturierung eines solchen Möglichkeitsraums, in den sich das Reich Gottes hineinereignen kann. Wie in der diskursethischen Bestimmung des Fraser’schen Ansatzes unter Bezugnahme auf Apels Transzendentalpragmatik gezeigt wurde, entspricht ein solches Vorgehen strukturell dem dargelegten Reich-Gottes-Motiv. Das Element der diskursiven Vermittlung von Ungerechtigkeitserfahrungen und ebenso die auszuhandelnden Strategien zur Erlangung von partizipatorischer Parität tragen der Auslegungsbedürftigkeit der Reich-Gottes-Botschaft unter konkreten gesellschaftlichen Bedingungen Rechnung. Unter der geschichtlichen Bedingtheit eignet der Gottesherrschaft eine prozesshafte Dynamik, die ggf. zur temporären Realisation der Teilhabe auf Augenhöhe führt. Partizipatorische Parität entsteht als Konsequenz gelungener Verhandlungen und daraus folgenden Neuordnungen. Sie besteht, bis sich kulturelle Bewertungen oder Umverteilungspraxen verändern oder eine andere marginalisierte Personengruppe mit dem Wunsch nach Erlangung partizipatorischer Parität auftritt und der Prozess erneut beginnt. Diesen kollektiven Aushandlungsprozessen, denen partizipatorischer Parität unterliegt, entspricht die kollektive Auslegungsbedürftigkeit des Kanons durch die Kirche bzw. die Gemeinde. Denn auch an dieser Stelle geraten häufig unterschiedliche Verständnisse miteinander in einen Widerstreit und die angemessene Auslegung muss sich im Prozess erweisen. Der Einsatz zur Erlangung partizipatorischer Parität ist theologisch gesprochen die Antizipation der rechtmäßigen, gerechten, friedvollen und partizipativen Gottesherrschaft, welche durch

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Gottes promissio geweckt wird. Die Gestaltung des Möglichkeitsraums für die Ereignung des Reiches Gottes anhand der Qualitäten der Gottesherrschaft mittels des Fraser’schen Analyse- und Aushandlungsverfahrens wird an dieser Stelle als kontemporäre Gestaltung der missio vorgeschlagen. Aufgrund seines dynamischen Charakters kann Frasers Ansatz die Erlangung der Teilhabe auf Augenhöhe bzw. Gerechtigkeit nicht garantieren – vielmehr wird das Ziel in den Prozess verlagert. Hinsichtlich der theologischen Einsicht, dass Gottes Handeln unverfügbar, gnadenhaft Gerechtigkeit schafft und seine Herrschaft aufrichtet, ist die Aufnahme des Fraser’schen Konzepts theologisch verantwortbar. Denn einerseits wird die Möglichkeit der Realisierung von Gerechtigkeit eröffnet, jedoch kann sie anderseits nicht garantiert werden – dies zeigt die Chancen sowie Grenzen menschlichen Handelns in Bezug auf das Reich Gottes auf. Indem Frasers Entwurf rezipiert wird, wird die Grenze der Verwirklichung des Gottesreiches durch menschliche Akteure innerhalb geschichtlicher Bedingungen ernst genommen und dem Gedanken eines permanenten gesellschaftlichen Fortschritts hin zu mehr Gerechtigkeit widerstanden. Auf diese Weise wird auch theologisch die Gefahr einer Überbetonung des menschlichen Mitwirkens hinsichtlich der Königsherrschaft Gottes gewahrt, weil dynamische Aspekte erhalten bleiben, ohne aber die Gottesherrschaft in einen progressiven Fortschrittsoptimismus aufgehen zu lassen. Insgesamt bleibt Frasers vorgestellter Gerechtigkeitsbegriff etwas abstrakt, denn dieser beinhaltet zwar eine Zielvorstellung (Teilhabe auf Augenhöhe), jedoch ließ sie weitere Spezifika einer solchen Gerechtigkeit bzw. die diskursethischen Grundlegungen unterbestimmt. Dies erlaubt es jedoch, das ReichGottes-Motiv und den christlichen Glauben als Ganzes zur orientierenden Grundfolie für Gerechtigkeit zu erklären bzw. diese als Zielvorgaben im Sinne der Diskursebene A also dem Ideal der partizipatorischen Parität zu präzisieren. Hinsichtlich der Fragestellung (unterschiedliche Arbeitsformen in der kirchlichdiakonischen Arbeitswelt) ist das Ideal der partizipatorischen Parität auf Grundlage des kirchlich-diakonischen Gesellschaftsbilds bzw. kirchlichdiakonischer Leitbilder sowie biblisch-theologischer Motive zu explizieren. Durch den Rückbezug auf das theologische Reich-Gottes-Motiv wird die Zielvorstellung Teilhabe auf Augenhöhe in eine orientierende Tradition eingebunden. Alles in allem wird der eschatologische Vorbehalt des Gottesreichs gewahrt, da keine konkreten Ziele zur Realisation der umfassenden Teilhabe auf Augenhöhe benannt werden und auch das ganze Aushandlungsverfahren nur partielleepisodale Realisation von Gerechtigkeit ermöglicht. Die Aushandlungsprozesse mit unterschiedlichen Gruppen führen zu kurzen, episodalen Verwirklichungen. Die beiden durch Fraser vorgestellten Dimensionen der Statusanerkennung und der monetären Umverteilung bestimmen maßgeblich die gesellschaftliche

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Ungleichheit in der Gegenwart. Daher ist es durchaus sinnvoll, das Motiv der Königsherrschaft Gottes, welches sich je neu unter den jeweiligen Umständen realisiert, auch in den kontemporär verständlichen Kategorien zu formulieren. Sowohl die Anerkennungs- als auch die Umverteilungsdimension lassen sich als Grundthematik auch im Kanon aufspüren. Denn im biblischen Zeugnis sind gerade ökonomische Fragen auch im Zusammenhang der alleinigen Königsherrschaft Gottes bedeutsam. Außerdem korreliert die Dimension Statusanerkennung mit der entsprechend durch Gott zuerkannten Geschöpflichkeit des Menschen, die alle Menschen gleichermaßen als Gottes Ebenbilder anerkennt. Nancy Fraser nimmt insbesondere die vergesellschafteten Formen der Ungleichheit durch Institutionen, Organisationen usw. in den Blick und bezieht sich damit in elaborierter Weise auf die ausdifferenzierte, moderne Gesellschaft. Auch Moltmann sieht in Organisationen sowie Institutionen äußerst wichtige und mächtige Akteure, die entscheidend zu gesellschaftlicher In- und Exklusion beitragen und auf diese Weise das Gottesreich befördern oder behindern können. Da sowohl Moltmann als auch Fraser Institutionen als Teil von Vergesellschaftungsprozessen sehen, sind diese auch im Kontext des Reiches Gottes bzw. partizipatorischer Parität von Belang. Beide sehen in der Korrumpierung bzw. Verfestigung von Strukturen, Institutionen sowie Organisationen die Stabilisierung gesellschaftlicher Ungleichheit und damit einen Widerspruch zum Reich Gottes. Trotz allem können Institutionen sowie Organisationen auch an Aushandlungsprozessen zu partizipatorischer Parität bzw. an der Konstituierung eines Möglichkeitsraums beteiligt sein, dies ist jedoch nur bei ausreichender Flexibilität der Strukturen denkbar. Abschließend ist anzumerken, dass Nancy Fraser zwar die theologische Vorannahme Gottes und seines Reiches nicht teilt, aber sich Frasers Theorie durchaus, wie oben gezeigt wurde, zur Näherbestimmung und Konkretisierung der Gottesherrschaft unter gegenwärtigen Bedingungen eignet und der diskursethische Ansatz Frasers dem Reich Gottes strukturell entspricht. Die theologische Vorstellung vom Reich Gottes geht notwendigerweise über den Fraser’schen Ansatz hinaus, was besonders an der Hoffnung auf die von Gott zukommende Gottesherrschaft deutlich wird. Außerdem erweist sich das Reich-Gottes-Motiv des biblischen Kanons bzw. der Theologiegeschichte als sehr viel umfangreicher und vielschichtiger als Frasers Ansatz. Dennoch wird bezogen auf die Forschungsfrage Frasers Ansatz als Analyseinstrument und pragmatisches Verfahren zur Näherqualifizierung des Reiches Gottes fruchtbar. Die Leitkategorie bei der Bestimmung von Arbeit/Arbeitsformen sowie Tätigkeit in Kirche und Diakonie, also der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt, ist das Reich Gottes, welches durch Fraser handhabbar und ausbuchstabiert wird. Der auf diese Weise entstehende Aushandlungsrahmen und die ent-

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sprechenden Verfahren werden wiederum durch das Reich Gottes und seine Dimensionen näher qualifiziert.

3.3.2 Der Möglichkeitsraum zur Gestaltung der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt In dieser Studie wird die gesamte kirchlich-diakonische Arbeitswelt mit all ihren unterschiedlichen Arbeitsformen (bezahlter, ehrenamtlicher, ordinierter usw. Tätigkeit) unter der Linse der Sendung des Reiches Gottes betrachtet. Denn ausgehend von der promissio ist die Gottesherrschaft in Bezug zur ganzen Schöpfung, der menschlichen Lebenswelt und in diesem speziellen Fall zu jedwedem menschlichen Leben, Tun, Arbeiten sowie Handeln auch in den Organisationen Kirche und Diakonie zu setzen. Die Sendung bzw. missio der Gottesherrschaft gehört nach Selbstkundgabe von Kirche und Diakonie zu deren Kernaufgaben. Von daher ist die Orientierung kirchlich-diakonischer Einrichtungen am theologischen Motiv des Gottesreiches gefordert. Praktischalltägliche Organisations- sowie Arbeitszusammenhänge und das Gottesverhältnis gehören nach dem biblischen Zeugnis integral zusammen. Denn Kultus und praktisches Tun können nicht voneinander getrennt werden, da sich das Reich Gottes in den konkret geschichtlichen, lebensweltlichen Bezügen inkarniert. Unterdies kommt den arbeitenden und wirtschaftenden Tätigkeiten eine herausgehobene Rolle zu, da beispielsweise in der Exodustradition auf die Gefahr der Vergötzung von Wirtschafts- und Machtsystemen hingewiesen wird. Bestehende gesellschaftliche Systeme, Ausbeutungs- und Unterdrückungsmechanismen, der Götze Markt oder Systemzwänge können in Konkurrenz mit dem Anspruch JHWHs, der alleinige, gerechte König zu sein, treten. Ausgehend vom gekommenen und kommenden Reich Gottes müssen die bestehenden Macht-, Ungerechtigkeits- und Exklusionsmechanismen radikal auf ihre Vereinbarkeit mit der Gottesbeziehung hin befragt werden. In der modernen, arbeitsteiligen, kapitalistisch-neoliberalen Gesellschaft mit vielfältigen Über- und Unterordnungslogiken, die auch die Kirche bzw. Diakonie bestimmt, leitet die Hoffnung auf das Reich Gottes, welche sich aus dem Glauben bzw. der Begegnung mit dem Auferstandenen generiert, zur Antizipation der Gottesherrschaft an. In diesem Sinne sind alle menschlichen Lebens- und damit auch Arbeitsvollzüge unter der Perspektive der Gemeinschaftstreue Gottes und den Dimensionen des Reiches Gottes zu gestalten. Die Gottesherrschaft bleibt unverfügbar, ist aber mit dem menschlichen Tun insofern verbunden, als sich in der Antizipation der Gottesherrschaft in ihrer Latenz-Tendenz-Dialektik ein Möglichkeitsraum eröffnet, in den sich diese hineinereignen kann. Diese Antizipation konkretisiert sich in Kirche bzw. Diakonie, indem die Gottesherrschaft geglaubt und erhofft wird und daher das Handeln sich schon vollkommen an dem Reich Gottes bzw. den

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Qualitäten der Gottesherrschaft orientiert. Auf diese Weise wird im zeitlichen Zusammenhang der begonnenen Gottesherrschaft und der noch ausstehenden Vollendung ein Möglichkeitsraum geschaffen, in welchem sich das Reich Gottes in der menschlichen Lebens- und Arbeitswelt realisieren kann. Betrachtet man Kirche bzw. Diakonie mit dieser dynamischen Reich-Gottes-Perspektive, wird fraglich, ob die gesellschaftliche Formierung von Arbeit in bezahlte und unbezahlte Tätigkeit oder kirchlich gesprochen in beispielweise ordinierte-berufliche und laienhaft-ehrenamtliche Tätigkeit verbunden mit einem Mehr oder Weniger an Anerkennung bzw. Teilhabe theologisch relevant ist. Kann die bestehende Arbeitswelt in Kirche und Diakonie mit den vielfältigen Be- und Überlastungen vieler Mitarbeitender mit den Dimensionen des Reiches Gottes in Einklang gebracht werden? Sind die gesellschaftlich-willkürlich gefestigten Unterscheidungen von bezahlter und nichtbezahlter Arbeit, wie sie sich als Vergesellschaftungsformen auch in den Organisationen Kirche bzw. Diakonie widerspiegeln, mit dem Zeugnis der egalitären Gottesherrschaft zu verbinden? Die Hierarchisierung von unterschiedlichen Berufen, Arbeitsbereichen und Arbeitsformen gehört zur Geschichte der Arbeit wie selbstverständlich dazu und ist vor dem Hintergrund der kapitalistischen Wirtschaftsordnung der letzten Jahrhunderte mit der marktwirtschaftlichen Logik von Angebot und Nachfrage ideologisch kaum anders denkbar. Demgegenüber wird an dieser Stelle ausgehend vom biblischen Zeugnis sowie dem reformatorischen Erbe, was mit seiner anti-elitären Pointe des reformatorischen Berufsbegriffs aufwartet, die radikal gleiche Anerkennung aller Tätigkeit vor Gott festgehalten. Demnach kann eine gesellschaftlich vermittelte Höher- und Geringerschätzung, die sich in der Arbeitswelt im Allgemeinen zeigt, in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt zumindest nicht theologisch legitimiert werden. Dies wurde auch im Zusammenhang der Auseinandersetzung um das Priestertum aller Gläubigen sowie das Ehrenamt nachgewiesen. Die gegenwärtige, ausdifferenzierte Arbeitswelt in Kirche und Diakonie kann schwerlich mit dem Gegenüber vom Priestertum aller Gläubigen und kirchlichem Amt aus dem 16. Jh. begründet werden. Ausgehend von der Einsicht, dass alles menschliche Handeln von Gott Wertschätzung erfährt und möglicherweise als cooperatio Dei zu seinem Reich beiträgt, darf es nicht zur eschatologischen Spiritualisierung von Gerechtigkeitsanliegen und zur Indifferenz gegenüber der konkreten Arbeitsgestaltung führen. Die Fragen nach Anerkennung, Teilhabe, Frieden, Recht und Gerechtigkeit, die sich auch in den menschlichen Arbeitsvollzügen ergeben, dürfen nicht ins Jenseits verschoben werden, da das Reich Gottes sich in Beziehung zur gegenwärtigen Arbeitswelt setzt. Ferner ist Arbeiten oder Tätigsein ein wesentlicher Bestandteil menschlichen Lebens und damit eine anthropologische Grundkonstante, in der sich das kreativ-schöpferische Potential des Menschen zeigt. Dies alles leitet dazu an, nach den Implikationen für Tätigkeit ausgehend vom Reich Gottes zu fragen.

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Arbeit nur im Sinne von Erwerbsarbeit zu verstehen, ist, wie vorne ausführlich gezeigt wurde, extrem verengt, da so nur über Tätigkeiten gesprochen werden kann, die gesellschaftlich als Lohnarbeit anerkannt wurden (privilegierte Arbeit). Arbeit muss in einem weiten Sinne als menschliche Tätigkeit, als bewusstes, intentionales und planmäßiges Handeln verstanden werden. Diese Tätigkeit geschieht unter Kraftaufwendung und ist wiederholt komplexes Tun. Außerdem steht Arbeit bzw. stehen ihre Ergebnisse in einem sozialen Bezug, d. h. es wird stets in sozialen Zusammenhängen gearbeitet und die Arbeit und ihre Ergebnisse werden sozial ausgetauscht. Für die hier zu bestimmende Arbeitswelt in Kirche bzw. Diakonie ist diese weite Minimaldefinition von Arbeit ausreichend, um die sozialen Arbeitsverhältnisse und Arbeitsformen innerhalb der gesellschaftlichen Organisationen Kirche und Diakonie zu bestimmen. Die Aspekte der Selbstbewusstseins- bzw. Identitätsbildung im Arbeitsprozess, wie sie in der Nachfolge Hegels herausgestellt werden, sowie die eigene Motivation zur Arbeit und die Arbeit an sich werden an dieser Stelle keine weitere Beachtung finden. Zwar wäre es äußerst spannend, den Zusammenhang der Selbstbewusstseinsbildung bei der Arbeit in seiner Wechselwirkung mit der theologischen Kategorie der Berufung zu untersuchen, dies kann aber leider im Rahmen dieser Forschungsarbeit nicht geleistet werden. Ferner treten auch die Debatten um Eigenarbeit, Arbeit sowie Muße oder im Speziellen auch die Auseinandersetzung um Care- bzw. Reproduktionsarbeit in den Hintergrund, da in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt ein organisiert-formalisierter Arbeitskontext grundgelegt wird. Insgesamt ermöglicht der weite und eher allgemein gehaltene Tätigkeits- bzw. Arbeitsbegriff, die ganze kirchlich-diakonische Arbeitswelt in den Blick zu bekommen und nach gelingenden Bedingungen für die unterschiedlichen Tätigkeiten zu fragen. Theologisch gesprochen geht es um die Konkretisierung der Botschaft vom Reich Gottes sowie ihre gegenwärtige Bedeutung. Dabei sind Tätigkeiten, die nicht mit der Gottesherrschaft und ihren Qualitäten vereinbar sind, relativ einfach zu benennen: Tätigkeiten, die das Recht beugen, die Armen und Marginalisierten noch weiter an den Rand drängen sowie ihnen die Lebensgrundlage entziehen und so für ihren Tod sorgen, sind eindeutig nicht Teil der missio Gottes. In dieser Arbeit geht es jedoch um Tätigkeitsformen innerhalb evangelischer Kirche und Diakonie, die sich als Organisationen in der Nachfolge der Botschaft vom Reich Gottes verstehen. Die Tätigkeiten – ob bezahlt oder unbezahlt, beruflich oder freiwillig – sollen an den Qualitäten des Reiches Gottes (Recht, Gerechtigkeit, Frieden und Teilhabe) ausgerichtet werden, damit sich der Möglichkeitsraum konstituiert, in den sich dann wiederum das Gottesreich mit seinen Qualitäten hineinereignen kann. Aus der Kombination des vorgestellten Reich-Gottes-Motivs mit dem pragmatischen Modell Frasers erwächst ein konkretes Rahmenmodell für Aushandlungs- und Umgestaltungsprozesse in der

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vielfältigen kirchlich-diakonischen Arbeitswelt. Ziel dieser Prozesse ist die Erlangung partizipatorischer Parität bzw. theologisch gesprochen die Konstitution eines Möglichkeitsraums für die Ereignung der Gottesherrschaft. Die Tatsache, dass Kirche und Diakonie sich zwar dem Einsatz für das Reich Gottes verpflichtet fühlen, jedoch zugleich auch wesentlich durch immanente Stabilisierungstendenzen zur Festigung und Reproduktion gesellschaftlicher Ungleichheit beitragen, bildet eine Herausforderung dieser Forschungsarbeit. Fraser und Moltmann hatten bereits darauf hingewiesen, dass es sich bei Kirche und Diakonie um Institutionen, Organisationen und gesellschaftlich mächtige Gruppen handelt, die durchaus widersprüchliche Ziele verfolgen können. Durch die organisatorisch-vergesellschaftete Form als evangelische Kirche bzw. Diakonie in einer modernen, ausdifferenzierten, kapitalistischen, heteronormativen, nationalistischen Gesellschaft können ihre konkreten Organisationsstrukturen und das praktische Handeln mit dem explizit verbalisierten Ziel („Einsatz für das Reich Gottes“) im Widerspruch geraten. Im zweiten Abschnitt dieser Untersuchung wurde dies bei der Betrachtung der Idee vom gemeinsamen hierarchiefreien Tätigsein bzw. Dienst aus der gemeinsamen Sendung („Dienstgemeinschaft“) nachvollzogen. So zeigt sich bei den diakonischen Organisationen eine frappierende Diskrepanz zwischen der theologischen Einsicht und ihrer praktischen Umsetzung. Denn das egalitäre Motiv und die mannigfaltige Ausdifferenzierung hinsichtlich von Bezahlung, Befugnissen, Privilegien, Rechtssicherheit usw. sind nicht deckungsgleich. Aus theologischer Perspektive kann Dienstgemeinschaft im Sinne eines gemeinsamen hierarchiefreien Diensts als eine Formulierung der Sendung, ausgehend von der Hoffnung auf das Reich Gottes, interpretiert werden. Jedoch zeigt dies im zweiten Schritt umso deutlicher, wie der Terminus „Dienstgemeinschaft“ im Zusammenhang der Sicherung der sozialstaatlich-rechtlichen Sonderposition der Diakonie im Wohlfahrtsstaat (Dritter Weg) instrumentalisiert wird. Es werden weniger Arbeitsverhältnisse auf Augenhöhe gestaltet, sondern vielmehr der Streikausschluss in der Diakonie ermöglicht, was die Mitsprache der Mitarbeitenden wesentlich beschneidet. Neben diesen organisationalen Aspekten zeigen sich auch bei bestimmten Berufsrollen innerhalb der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt immanente Stabilisierungstendenzen. Eine solche machtvolle Berufsposition in der verfassten Kirche ist der Pfarrberuf. Denn eigentlich soll der Stelleninhaber des Pfarrberufs an der Kommunikation der Reich-Gottes-Botschaft teilhaben und der Gemeinde dienen. Jedoch ist diese Rolle durch vielfache Privilegien, hohe Anerkennung und weitreichende Machtbefugnisse charakterisiert, was tendenziell die Ausnutzung dieser Privilegien zur berufspolitischen Sicherung der eigenen erlangten Position bzw. Privilegien begünstigt, und auf diese Weise die Kommunikation bzw. der Dienst am Reich Gottes aus dem Blick geraten lässt. In der

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Regel ist die Pfarrer*in die hierarchisch Vorgesetzte unterschiedlicher bezahlter und nicht-bezahlter Tätigkeiten. Diese herausgehobene Position wird oft mit einer verengten Amtstheologie und einem professionalisierten Ordinationsverständnis gestützt. Im zweiten Teil wurde ausführlich nachgewiesen, welche mannigfaltigen Problematiken zwischen den unterschiedlichen Formen von Erwerbsarbeit innerhalb von Kirche und Diakonie bestehen. Der Vergleich der verschiedenen Mitarbeitendengruppen ließ die Missverhältnisse hinsichtlich Arbeitsbelastung, Machtbefugnissen, Entlohnung, Anerkennung usw. deutlich hervortreten. Demnach bestehen bei den verschiedenen Formen bezahlter Tätigkeiten in Kirche und Diakonie massive Diskrepanzen hinsichtlich Anerkennung und Umverteilung. Aus den unterschiedlichen Formen finanzieller Sicherheit (beispielsweise Festanstellung, Leiharbeit oder Kirchenbeamtentum) und damit verbunden auch der Zusicherung von Altersbezügen erwachsen unterschiedliche Sicherheits- bzw. Risikolagen bei den jeweiligen Mitarbeitenden. Insgesamt kann kaum von gleichberechtigten Arbeitsverhältnissen oder einer Teilhabe auf Augenhöhe gesprochen werden. Es ist nicht zutreffend, dass die Altenpfleger*in in einer ausgegliederten Tochtergesellschaft dritten Grades in Form einer gGmbH mit der verbeamteten Pfarrer*in auf Augenhöhe agiert. Alles in allem sind die Idee der Dienstgemeinschaft sowie auch die Forderungen des Reiches Gottes nach Frieden, Recht, Gerechtigkeit und Teilhabe bereits für den Lohnarbeitsbereich in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt nur mangelhaft umgesetzt. Darüber hinaus wird in Kirche und Diakonie eine große Zahl an Tätigkeiten ehrenamtlich bzw. freiwillig ausgeführt, die ebenfalls expliziten Zuschreibungs- und Hierarchisierungsprozessen unterliegen. Beruflich-lohnarbeiterische Tätigkeiten sind freiwilliger Arbeit primär durch die Dimension des Gehalts und die damit verbundenen gesellschaftlichen Vorrangstellungen gegenüber anderen Formen von Tätigkeit vorgeordnet. Auch hinsichtlich der Unterscheidung zwischen beruflicher und freiwilliger Tätigkeit wird in der Kirche und Diakonie gerne die hohe Wertschätzung gegenüber ehrenamtlicher Tätigkeit sowie die Verbundenheit mit dem Priestertum aller Gläubigen behauptet. Dies jedoch, während zeitgleich die gesellschaftlich übliche Arbeitsteilung mit entsprechenden Arbeitsbedingungen, Arbeitsformen sowie Arbeitsverhältnissen mit ihren vielfachen Hierarchisierungen sowie der Dominanz wirtschaftlicher Logiken (Ökonomisierung) reproduziert wird. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass kirchlich-diakonische Organisationen durch gesellschaftliche In- und Exklusionsmechanismen geprägt sind, die gesellschaftliche Ungleichheit hinsichtlich unterschiedlicher Formen von Tätigkeit wirkmächtig reproduzieren, wobei theologische Motive häufig als Legitimationsstrategien bestehender Verhältnisse herangezogen werden. Die immanenten Stabilisierungstendenzen mit den gesellschaftlichem Überund Unterordnungsmechanismen, wie sie sich als Grenzziehungen durch Sta-

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tusordnung und Wirtschaftssystem in Kirche und Diakonie zeigen, werden in Bezug auf Tätigkeit/Arbeit untersucht. Alles in allem ist Arbeit eine äußerst zentrale Kategorie der modernen, kapitalistischen Gesellschaften, wobei Lohnarbeit gesellschaftlicher Vorrang zur Existenzsicherung, Sinnstiftung, Alterssicherung, gesellschaftlicher Teilhabe usw. eingeräumt wird. Da von Arbeit angenommen wird, dass sie den Menschen Sinn, Existenzsicherung, Teilhabe, Anerkennung u.v.m. verschaffen könne, muss geprüft werden, ob allen Formen von Arbeit gleichermaßen die Möglichkeiten zur Erlangung der partizipatorischen Parität mittels ihrer Arbeit offenstehen. Unterdies sind die kirchlichdiakonischen Institutionen sowie machtvolle Gruppen in Kirche/Diakonie, die stabilisieren und perpetuieren, zu bedenken, wenn nach dem Reich Gottes und der Arbeit gefragt wird. Theologisch gesprochen kann die Ereignung des Gottesreichs nicht unabhängig von menschlicher (Arbeits-)Welt gedacht werden. Nur, wenn in der Kirche und Diakonie das arbeitsmäßige Handeln an den Qualitäten des Reiches Gottes entgegen möglicher wirkmächtiger Logiken ausgerichtet wird, dann wird in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt ein Möglichkeitsraum für die Ereignung des Reiches Gottes bzw. partizipativer, friedvoller und gerechter Zustände und damit für die Teilhabe auf Augenhöhe geschaffen. Es bleibt festzuhalten, dass sich die Gottesherrschaft unverfügbar inner- und außerhalb der kirchlich-diakonischen Organisationen ereignet; dennoch ist die Kirche bzw. Diakonie dazu gesandt (missio), einen Möglichkeitsraum zu konstituieren, in dem die kirchlich-diakonische Arbeitswelt entsprechend der promissio ihre eigene missio gerecht, friedvoll, rechtmäßig und partizipativ gestalten kann. Indem Kirche und Diakonie sich in der jeweiligen Situation an den Dimensionen des Reiches Gottes ausrichten, entsteht nach Moltmann ein flexibler und elastischer Raum – nämlich der Möglichkeitsraum, in dem sich das Reich Gottes als eine Teilhabe unterschiedlicher Gruppen und Personen auf Augenhöhe ereignen kann. Bezogen auf den Untersuchungsgegenstand müssen dazu die verfestigten Arbeitsstrukturen sowie Definitionen von Arbeit und der problematische theologische Berufsbegriff hinterfragt werden. Absicht dieser Forschungsarbeit ist es, die Formen von Arbeit innerhalb der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt unter der Beachtung der promissio des Reiches Gottes als Teil der missio zu konzipieren. Daher wird angenommen, dass Tätigkeit sowohl entlohnte als auch nicht entlohnte Arbeit umfasst. Eine Unterscheidung entlang des Aspekts der monetären Entlohnung würde nur wieder bereits erreichte privilegierte Formen der Arbeit bevorzugen und die dynamischen Professionalisierungsprozesse, die sich von unbezahlter zu bezahlter Arbeit hin vollziehen, als sozialgeschichtlichkontingente Vorgänge ausblenden. Entscheidend für die Fragestellung dieser Untersuchung ist allein, ob die Tätigkeit im Zusammenhang der Organisation von Kirche und Diakonie stattfindet, womit aber nicht ausgeschlossen wird, dass

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sich in Arbeit außerhalb kirchlich-diakonischer Einrichtungen die Gottesherrschaft hineinereignen kann. Insgesamt ist die kirchlich-diakonische Arbeitswelt zum Möglichkeitsraum für partizipatorische Parität zu modifizieren, d. h. alle Tätigkeiten und unterschiedliche Mitarbeitendengruppen richten ihr Tun an den Qualitäten der Gottesherrschaft aus. Außerdem sind die Bedingungen für diese Arbeit selbst an den Dimension des Reiches Gottes zu orientieren. In diesem Sinne muss Kirche bzw. Diakonie für Arbeit bzw. Mitarbeit der Möglichkeitsraum zur Realisierung der eigenen Sendung bzw. der Gottesherrschaft werden. Kirche und Diakonie sind eindeutig abgegrenzte Organisationen358, in denen das Ziel Teilhabe auf Augenhöhe der verschiedenen Arbeitsformen bzw. Mitarbeitendengruppen klar gesetzt ist. Indem das Zusammenspiel der verschiedenen Formen von Arbeit durch das pragmatische Verfahren Frasers geprüft und an den Qualitäten des Reiches Gottes ausgerichtet bzw. am Ziel der partizipatorischen Parität orientiert wird, entsteht der Möglichkeitsraum. Handlungspraktisch ist dazu auch noch ein diskursiver Rahmen zu setzen, indem die Aushandlungsprozesse unterschiedliche Gruppen kirchlich-diakonischer Tätiger mit dem Ziel gerechter, friedvoller und partizipativer Arbeit geführt werden können. Innerhalb eines noch näher zu bestimmenden kollektiven Diskussionsforums ist es Aufgabe der unterschiedlichen Gruppen – seien es Berufsoder Tätigkeitsgruppen –, ihre mangelnde Teilhabe auf Augenhöhe diskursiv verständlich zu machen. (Beispielhaft wird eine solche mangelnde Teilhabe auf Augenhöhe in dem Berufsrollenpapier Gemeindepädagogik359 ausgedrückt.) Sodann kann die betreffende Gruppe (gern auch zusammen mit anderen Gruppen) eine Strategie vorschlagen, die zur Erlangung von mehr Teilhabe auf Augenhöhe führt. Diese Strategie muss geprüft werden und durch ein diskursives-konsensorientiertes Verfahren als geeignete Strategie für die Erlangung von partizipatorischer Parität bestimmt werden. Die diskursive Aushandlung ist kirchlich-diakonischerseits aufgrund des synodalen Prinzips vertraut. Auch die Idee, dass alle Menschen vor Gott gleiches Ansehen genießen und insgesamt das theologische Motiv des Reiches Gottes zielen in Richtung einer stärkeren Realisierung partizipatorischer Parität ab. In der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt sollen ungünstige, verfestigte Strukturen, die Ausschluss stabilisieren, durch die entsprechenden Aushandlungsprozesse geöffnet werden. Dies alles, 358 Damit ist ein klar abgegrenzter Rahmen im Sinne Frasers (vgl. 3.2.2.6.2) beschrieben. 359 Dabei bemängeln die Gemeindepädagog*innen, dass keine Teilhabe auf Augenhöhe innerhalb der Organisation möglich ist und kritisieren v. a. die Position von Pfarrer*innen. Theologisch wird angemerkt, dass die Frage nach Amt in Angriff genommen werden muss. Dies wird aber im Zusammenhang der Berufsrollenbildprozesse durch den Pfarrbildprozess der EKD bzw. durch die Vertreter dieser Berufsgruppe verneint. Die mächtigen Privilegien sowie institutionellen Mechanismen helfen den Pfarrern, ihre vorrangige Position zu sichern und die Machtungleichgewichte zu stabilisieren.

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damit Kirche und Diakonie antizipierend an der Dynamik der Königsherrschaft Gottes sowie der prozesshaften Realisation des Reiches Gottes teilhaben können.

3.3.3 Rahmenmodell und Verfahren zur Gestaltung der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt unter Orientierung am Reich Gottes im Sinne einer Teilhabe auf Augenhöhe An dieser Stelle soll die Beschreibung des konkreten Verfahrens sowie des Rahmenmodells für Aushandlungsprozesse beschrieben werden, die Weichen für mehr partizipatorische Parität der verschiedenen Gruppen bzw. Personen in der konkreten kirchlich-diakonischen Arbeitswelt stellen. Das Leitmotiv bleibt Reich Gottes, welches in der menschlichen Lebenswelt langsam prozesshaft heranwächst. Unter Gliederungspunkt 3.3.3 kommen die bisherigen Ausführungen von 3.3 zu ihrer stärksten Konkretion, worauf anschließend unter Punkt 3.4 in einer Art Nachtragskapitel die Praktikabilität des Prozessmodells anhand eines Beispiels illustriert wird. Insgesamt muss das Aushandlungsverfahren mit dem Ziel partizipatorischer Parität diskursiv und durch einen klar begrenzten Rahmen mit eindeutig identifizierbaren Akteuren mit Stimmrecht charakterisiert sein. Fraser sieht die größte Gefahr für das Misslingen von Aushandlungsprozessen zur Erlangung von Gerechtigkeit in der ungenügenden oder falschen Bestimmung des Settings (bzw. Rahmens). Wird es zu klein bzw. zu eng gezogen, dann wird eine zu kleine Gruppe in Betracht gezogen und relevante Personen werden ausgeschlossen. In Bezug auf Kirche und Diakonie würde ein zu enger Rahmen allein bezahlte, beruflich (angestellte sowie verbeamtete) Mitarbeitende einbeziehen. Diese Begrenzung auf nur monetär entlohnte Arbeit würde, wie oben gezeigt wurde, den ökonomistisch orientierten Arbeitsbegriff reproduzieren und auch dem kirchlichen Selbstanspruch, dass Menschen durch ihre bezahlte sowie nichtbezahlte Arbeit an der Sendung des Reiches Gottes beteiligt sind, vernachlässigen. Ebenso ist ein zu weites, unbegrenztes Feld problematisch, da dann nicht klar ist, welche Gruppen und Personen an den Aushandlungsprozessen um eine Teilhabe auf Augenhöhe beteiligt sind oder den Anspruch auf partizipatorische Parität geltend machen können. Bezogen auf die Kirche bzw. Diakonie wäre beispielsweise der Einbezug aller Mitgliedskirchen des lutherischen Weltbundes ein zu weiter diffuser Rahmen. Zwar ist hinsichtlich des globalisierten Kapitalismus und der dadurch immens beeinflussten Arbeitsteilungsregime eine weltweite kirchliche Perspektive auf die Frage nach Arbeit durchaus sinnvoll. Dennoch sollten zu Beginn von Aushandlungsprozessen innerhalb des Rahmenmodells die Grenzen etwas enger gezogen werden, damit historische Entwicklungen, gesellschaftliche Kontextualisierung sowie Bewertungen von Arbeit

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bzw. Arbeitsformen ausgiebig bedacht werden können. Ein eindeutiger Rahmen ermöglicht es, genau zu bestimmen, welche Akteur*innen beteiligt sind, somit eine Stimme haben und gehört werden. Schließlich ist der Rahmen aus organisatorisch-logistischen Gründen so eng zu ziehen, dass die Betreffenden sich tatsächlich austauschen können und ein kollektives Diskussionsforum (am besten nicht nur digital) stattfinden kann. Eine Landeskirche und/oder die zugehörigen diakonischen Werke, die EKD und/oder die diakonischen Träger einer Landeskirche wären ein solcher klar begrenzter Rahmen. Innerhalb des Rahmens, also in diesem Fall innerhalb der kirchlich-diakonischen Organisationen, ist eine diskursethisch ausgerichtete Gesprächskultur zu etablieren, die das kontroverse Aushandeln von Ansprüchen gegenüber hierarchischen Durchsetzungsverfahren bevorzugt. Diese Diskurskultur ist an den Grundsätzen der transzendentalpragmatischen Apel’schen Diskurstheorie ausgerichtet. Damit erhalten sowohl die prinzipienethische Ausrichtung am idealen Bild der gerechten Gottesherrschaft als auch die verantwortungsethische Konkretion dieser in den faktischen Lebens- und Arbeitswelten Beachtung. Durch die synodale Verfasstheit sind Kirche und Diakonie dafür bereits gut aufgestellt, wobei diese diskursive Kultur weiter vertieft werden kann. Das Organ, in dem die kollektiven Aushandlungsprozesse stattfinden, wird als kollektives Diskussionsforum bezeichnet. Die auf Grundlage der präzisen Analyse der jeweiligen Ungerechtigkeitserfahrungen (Status- und Wirtschaftsordnung) formulierten Belange sowie gewonnenen Strategien bestimmter Gruppen werden in diesem Forum zur Sprache gebracht bzw. diskursiv vermittelt. Schließlich werden Veränderungsmaßnahmen in konsensorientierten Entscheidungsverfahren, stets unter Berücksichtigung der dualistischen Perspektive, beschlossen und implementiert. Um in diesem kollektiven Diskussionsforum die unterschiedlichen Anliegen zum Ausdruck bringen zu können, sind vorab unterschiedliche Gelegenheiten zum Austausch, beispielsweise als Unterforen, einzurichten. In diesen können Menschen und Gruppen sprachfähig werden, ihre Erfahrungen von Ungleichheit bzw. mangelnder Teilhabe teilen, sich vernetzen und Strategien zur Umgestaltung entwickeln. Nur wenn innerhalb der Organisation solche Freiräume bestehen, können sich Prozesse zur Erlangung von partizipatorischer Parität ereignen. Ferner zeichnet sich das Nachdenken, Argumentieren und die Selbstdeutung innerhalb des Rahmens durch gemeinsame, in diesem Fall christliche, Referenztexte sowie Referenzpraxen aus, wobei durchaus unterschiedliche Verständnisse und Versionen bestehen können. Im Speziellen teilen alle Mitglieder innerhalb des kirchlich-diakonischen Rahmens auch die Idee vom Reich Gottes als einem handlungsleitenden Motiv. Dieses kann und sollte in einer Art grundsätzliche Vision zusammen mit der Idee der partizipatorischen Parität als Zielvorgabe formuliert werden. Eine solche Vision und die gemeinsamen Praxen sowie Texte bieten Referenzpunkte für den

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Diskurs und erleichtern auf diese Weise die Kommunikation sowie konstruktive Zusammenarbeit bei der Aushandlung ggf. kontroverser Teilhabeansprüche. Denn manche Reformvorschläge können ggf. aus individueller Perspektive auch als negativ empfundene Veränderungen für einige Gruppen (beispielsweise Machteinschränkung oder Lohnreduktion) implizieren. Insgesamt bleiben die Qualitäten des Reiches Gottes (Frieden, Recht, Gerechtigkeit und Teilhabe) die Normen, an denen sich die Gruppen zu orientieren haben, um ihrer Sendung als christliche Gemeinde treu zu bleiben. Ziel ist, solche kirchlich-diakonischen Strukturen zu schaffen, die es allen Mitgliedern erlauben, miteinander als Ebenbürtige zu verkehren und auf diese Weise den Möglichkeitsraum für die Ereignung des gerechten, friedvollen und partizipativen Reiches Gottes zu öffnen. In dem Fall, dass ein Verfahren zur Erlangung partizipatorischer Parität innerhalb eines kirchlich-diakonischen Rahmens installiert werden soll, muss vorab Frasers Ansatz als Konkretion des nach unten und oben geöffneten Möglichkeitsraums der Gottesherrschaft plausibilisiert werden. Sodann müssen neben der Bildung des kollektiven Diskussionsforums, der Diskurskultur sowie den entsprechenden Unterforen auch Frasers perspektivischer Dualismus und entsprechende Analyseverfahren erläutert werden. Denn diese sind als Instrumente zur Durchsetzung der Veränderungswünsche nötig. Als Analysekategorien werden die eng verflochtenen Dimensionen der Statusordnung und der wirtschaftlichen Ordnung betrachtet. Das analytische Verfahren Frasers wird als Möglichkeit vorgestellt, um ungerechte Strukturen konkret zu beschreiben und mittels affirmativer oder transformativer Strategien Veränderungen zu erlangen. Aus handlungspragmatischen Gründen sind für die fokussierte Arbeit innerhalb des Rahmens auch thematische Interessenschwerpunkte festzulegen. Der thematische Fokus des kollektiven Diskussionsforums bzw. der Unterforen gestattet es, mit erhöhter Aufmerksamkeit an einem Aspekt zu arbeiten, der sich durch besonders schwierige und mannigfaltige Ungleichheitserfahrungen auszeichnet. Dennoch muss im kollektiven Diskussionsforum stets die Möglichkeit vorbehalten bleiben, neue Anliegen und Benachteiligungserfahrungen einzubringen sowie Veränderungsmöglichkeiten vorzuschlagen. Ein solches Schwerpunktthema kann Arbeit und die Hierarchisierung der unterschiedlichen Formen von Tätigkeit in Kirche und Diakonie sein. Insbesondere die Berufsrollenbildprozesse, die diakonischen Arbeitsbedingungen oder auch die Frage nach der Begründung ehrenamtlichen Engagements machen das Thema der Tätigkeit besonders virulent. Nach der Festlegung eines Themas beginnen die unterschiedlichen Gruppen bzw. Personen, sich in Foren und Netzwerken damit zu befassen. Bereits bestehende, d. h. beispielsweise berufspolitisch organisierte Gruppen (wie die

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Gemeindepädagog*innen, Pfarre*rinnen usw.) sowie neue Gruppen (wie ehrenamtliche Mitarbeitende in der Jugendarbeit oder alle Presbyteriums-/Kirchenvorstandsvorsitzenden usw.), formieren sich. Sodann tauschen diese sich über ihre jeweilige Tätigkeit und deren Kennzeichen aus. Ihre Debatten werden ferner von der Frage, ob die eigene Tätigkeit so gestaltet ist, dass eine Teilhabe auf Augenhöhe innerhalb der kirchlich-diakonischen Organisation möglich ist, geleitet. Dementsprechend werden die konkreten Arbeitsvollzüge bzw. das Tätigsein und seine Bedingungen untersucht, inwieweit sie der Norm der partizipatorischen Parität entsprechen und inwiefern Änderungen vorzunehmen sind. Durch die Konkretion des Reich-Gottes-Motivs anhand Frasers Gerechtigkeitstheorie mit ihren analytischen Instrumenten wird es möglich, Aspekte der kirchlich-diakonischen Arbeitsteilung bzw. Organisation aufzudecken, die mit den Dimensionen des Reiches Gottes im Widerspruch stehen und ihnen ggf. durch Umgestaltungsstrategien entgegenzuwirken. Schließlich muss die Organisation auch Möglichkeiten bieten, in denen sich Personen und Gruppen, die sich außerhalb des Rahmens befinden, Gehör mit ihren Anliegen verschaffen können. Denn nur auf diese Weise kann sichergestellt werden, dass den möglicherweise zu engen Grenzziehungen bei der Rahmenbestimmung gewehrt werden kann. Es ist denkbar, dass innerhalb des Diskussionsforums externe Personen bzw. Gruppen Rederecht erhalten oder Externen-Hearings, die im kollektiven Diskussionsforum berücksichtigt werden, ausgerichtet werden. Genannte Maßnahmen können in der Folge ggf. zur Erweiterung des Rahmens führen. Alles in allem sind dies Wege zur Sicherung der Flexibilität sowie Dynamik des Aushandlungsprozesses und verdeutlichen erneut auch die Vorbehaltlichkeit der Aushandlungsprozesse um ein „Mehr“ an Gerechtigkeit. Im konkreten Fall wäre das Fraser’sche Verfahren als Antizipation der Gottesherrschaft sowie der Konstitution des Möglichkeitsraums, in dem sich partizipatorische Parität ereignen kann, wie folgt vorzustellen: Beispielsweise formiert sich die Gruppe von ehrenamtlich in der Kirchenleitung tätigen Mitarbeitenden, die mit dem analytischen Instrument des perspektivischen Dualismus, d. h. unter Berücksichtigung der Dimensionen Anerkennung sowie Umverteilung, ihre Position untersucht. Diese Gruppe arbeitet heraus, ob sie auf Augenhöhe innerhalb der Kirche bzw. Diakonie teilhaben kann oder ob seitens Anerkennung oder wirtschaftlicher Sicherung Nachteile bestehen, die bisher eine Teilhabe auf Augenhöhe verhindern. Für die Erlangung partizipatorischer Parität müssen sowohl eine objektive als auch eine intersubjektive Bedingung erfüllt sein. Die objektive Bedingung ist eine Verteilung materieller Ressourcen, die die Unabhängigkeit und das „Stimmrecht“ aller Partizipierenden gewähren kann, d. h. Formen von ökonomischer Abhängigkeit oder auch Prekarität sind ausgeschlossen, da sie eine Parität verhindern. Die intersubjektive Bedingung von Teilhabe auf Augen-

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höhe meint, dass die institutionalisierten kulturellen Wertmuster allen Partizipierenden gleichen Respekt zollen und Chancengleichheit beim Erwerb gesellschaftlicher Anerkennung geboten werden. Dadurch sind Bewertungsschemata, die Gruppen oder Individuen wegen ihnen zugeschriebener Eigenschaften abwerten, abzuschaffen. In der Regel sind beide Dimensionen betroffen, da diese integrativ zu verstehen sind, sie können dies aber in unterschiedlichem Maße sein. In diesem angenommenen Fall ist die Teilhabe auf Augenhöhe bisher verwehrt, und daher engagiert sich diese Gruppe für Reformen, die sowohl die Anerkennungs- als auch Umverteilungsdimension betreffen. Wenn die besagte Gruppe der in der Kirchenleitung Tätigen nun jeweils Veränderungen bei einer der beiden bzw. beiden Dimensionen fordert, dann müssen sie dafür Argumente anführen und diese im kollektiven Diskursforum vermitteln. Wird eine monetäre Umverteilung gefordert, muss nachgewiesen werden, dass die bestehenden Arrangements ihnen Ressourcen und Möglichkeiten für die partizipatorische Parität vorenthalten. Wird dagegen Anerkennung gefordert, ist nachzuweisen, dass institutionalisierte Muster kultureller Bewertung die Chancen auf den Erwerb gesellschaftlicher Anerkennung minimieren. Bei der Frage nach der monetären Umverteilung sind die jeweilige Entlohnung, Arbeitsverträge, Arbeitsplatzsicherheit, lohnabhängige/ verbeamtete oder auch unbezahlte bzw. freiwillige Arbeit zu bedenken. Die Dimension Statusanerkennung leitet dazu an, die vergesellschafteten Muster kultureller Anerkennung in Kirche und Diakonie näher zu untersuchen. Statusanerkennung wird als kulturelle Anerkennung einer bestimmten Mitarbeitendengruppe und die Wertschätzung von bestimmten Tätigkeitsbereichen teils als Berechtigung und Befugnisse ausgedrückt, was häufig auch eng mit Entlohnungsstufe und Arbeitsplatzsicherheit einhergeht. Gerade bei der Frage nach der Statusanerkennung einer bestimmten Gruppe hinsichtlich ihrer Tätigkeit sind komplexe und dichte Beschreibungen nötig, um die in der Organisation präsenten Wertschemata umfassend darzustellen. Zudem spielen nicht nur die kulturellen Wertschemata, die in dieser Organisation präsent sind, eine Rolle, sondern auch die gesamtgesellschaftlichen. Als innerorganisationales Wertschema wäre die Amtsfrage zu beleuchten, als gesamtgesellschaftlich wichtiges Wertschema wäre die Zentralität von Erwerbsarbeit innerhalb der bundesrepublikanischen Gesellschaft zu bedenken. Die institutionalisierten kulturellen Wertschemata sind keine absoluten und rechtlich kodifizierten Urteile, vielmehr werden unterschiedliche Bewertungsaspekte zu einem dominanten Bewertungsschema, die institutionell gestützt werden, zusammengefügt. Solche Formen institutionalisierter kultureller Wertschemata werden in Richtlinien, Rechtsetzungen, Bewertungen usw. offenbar. Entsprechende Beispiele sowie dichte Beschreibungen zeigen in der Argumentation der entsprechenden Gruppe die Benachteiligung hinsichtlich der Statusordnung an.

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Zwei Gefahren, die Fraser nennt, müssen bei der Analyse mittels der bivalenten Gerechtigkeitstheorie unbedingt berücksichtigt werden: Verdrängung ökonomischer Belange durch kulturelle Fragen sowie die Essentialisierung kultureller Differenzen. Im Beispiel der kirchenleitenden Mitarbeitenden würden die ökonomischen Aspekte verdrängt, wenn nur allein die Funktion des Vorsitzes im Kirchengemeinderat/Presbyterium betrachtet würde und dabei die unterschiedlichen ökonomischen Hintergründe von Pfarrer*innen mit Kirchenbeamt*innenstatus und ggf. Ehrenamtlichen ohne lohnabhängige Beschäftigung ausgeblendet würden. Verdrängen die kulturellen Identitätsfragen ökonomische Aspekte, wird die Analyse von Ungerechtigkeit eindimensional und verliert an Aussagekraft. Die Bedrohung der Essentialisierung ist bestimmt als Festschreibung der Andersartigkeit einer bestimmten Gruppe, wobei so etwas wie ein innerer Wesenskern konstatiert wird, der die Unterscheidung qua Natur gegenüber anderen Gruppen unabhängig vom Kontext rechtfertigt und stabilisiert. Auf die Kirchenleitung bezogen beispielsweise wäre eine ontologische Bestimmung dieser Funktion eine Essentialisierung, die langfristig zur Verfestigung eines Vorrangs dieser Gruppe führen würde und auf diese Weise den dynamischen Aushandlungsprozess partizipatorischer Parität unterbräche. Werden Ungleichheitserfahrungen verbalisiert, müssen stets beide Gerechtigkeitsaspekte aufgenommen werden, um den genannten Gefahren zu wehren. Auf der Basis der argumentativen Beschreibung dieser Mitglieder bzw. dieser Gruppe wird von diesen eine Strategie zur Erlangung von mehr Teilhabe auf Augenhöhe entwickelt und formuliert. Sowohl transformative als auch affirmative Reformen sowie insgesamt die nichtreformistische Reform können bereits Wertungen bzw. Zuschreibungen innerhalb des Rahmens so verstören, dass es zur dynamischen Neuordnung der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt kommt. Insgesamt berücksichtigt die genannte Gruppe bei der Strategiefindung diagonale Handhabe und Grenzstabilisierungstendenzen, um negative Implikationen hinsichtlich der Schaffung partizipatorischer Parität zu verhindern. Dementsprechend könnte die Gruppe der Kirchenleitenden bei ihrer Strategie Maßnahmen der monetären Umverteilung vorschlagen, um die Statusanerkennung zu verbessern und umgekehrt. Auf diese Weise können unerwünschte Nebeneffekte umgangen werden. Auch wenn nicht bei jeder Strategiebildung für die Erlangung der Teilhabe auf Augenhöhe die diagonale Handhabe umgesetzt werden muss, so sind zumindest die unterschiedlichen Optionen einer diagonalen Handhabe zu bedenken. Außerdem muss die gefundene Strategie auf ihren Einfluss auf die bestehenden Gruppengrenzen hin untersucht werden. Insgesamt sind bei harschen Gruppengrenzen destabilisierende Strategien zu favorisieren. Die angestrebten Reformstrategien sind kritisch mit diesen Instrumentarien zu prüfen und ggf. zu modifizieren.

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Wenn schließlich nach einem Analyse- und Strategiebildungsprozess innerhalb der kleinen Gruppe eine Position formuliert wurde, wird beides im kollektiven Diskussionsforum eingebracht. Die Prüfung der Forderung erfolgt innerhalb dieses Forums. Ggf. können Ansprüche zurückgewiesen werden oder auch Modifikationen an Strategien vorgenommen werden. Wenn die entsprechenden Strategien im Diskurs vermittelbar sowie zustimmungswürdig sind, werden sie in einem konsensorientierten Verfahren beschlossen und dann in der Folge implementiert. Auf diese Weise richten sich Kirche bzw. Diakonie am Ideal der partizipatorischen Parität bzw. genauer am Reich Gottes aus und antizipieren bereits die Gottesherrschaft und konstituieren auf diese Weise einen Möglichkeitsraum, in den sich das Reich Gottes hineinereignen kann. Diese Hinein-Ereignung findet in die konkreten organisationalen Arbeitszusammenhänge, Arbeitsformen und Arbeitsverständnisse hinein statt. Frieden, Gerechtigkeit und Teilhabe bleiben theologisch gesprochen stets unverfügbar, jedoch können sich Kirche/Diakonie redlich um die Schaffung eines Möglichkeitsraums mit den Qualitäten des Rechts, der Gerechtigkeit, des Friedens und der Teilhabe bemühen, damit sich diese Dimensionen einstellen können. Schließlich kann, wenn der Aushandlungsprozess positiv abgeschlossen ist, von einer verbesserten Teilhabe auf Augenhöhe innerhalb des Rahmens gesprochen werden. Dieser Zustand ist aber nur stabil bis zum Auftreten anderer Gruppenansprüche, die sich ggf. erst in der Zukunft formieren oder auch nur bis zu einer Veränderung des gesamtgesellschaftlichen Kontextes. Die Annäherung an partizipatorische Parität ist damit ein äußerst fragiles Unterfangen, was nicht zu einer dauerhaften Lösung der Frage nach Gerechtigkeit führt, sondern es handelt sich um eine Momentaufnahme der zu diesem Zeitpunkt bestmöglichen Bestimmung der Teilhabe auf Augenhöhe aller Mitglieder des gesetzten Rahmens. Die kirchlich-diakonischen Organisationen müssen diesen fragilen und zugleich dynamischen Prozess unbedingt gegenüber den immanenten Stabilisierungstendenzen sowie mächtigen Positionen in der Organisation, die möglicherweise kein Interesse an Veränderung haben, schützen. Nur wenn der Rahmen dynamisch offen für weitere Veränderungen bleibt und kontinuierlich am Ideal der partizipatorischen Parität orientiert ist, dann besteht die Möglichkeit, dass sich das Reich Gottes dynamisch in diesen Strukturen realisieren kann.

Analyse-, Strategiebildungs- und Aushandlungsverfahren Frasers

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Analyse-, Strategiebildungs- und Aushandlungsverfahren Frasers zur Eröffnung eines Möglichkeitsraums für Partizipatorische Parität am Beispiel freiwilliger Mitarbeitender in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt

Das Anliegen des abschließenden Gliederungspunktes 3.4 ist es, ausgehend von der Grundfrage nach ehrenamtlicher Arbeit, ganz am Ende der Untersuchung eine mögliche Konkretion anzubieten. Denn im ersten Schritt wurden die im Zusammenhang der drei Diskurslinien formulierten Ansätze, freiwillige Arbeit zu verstehen, als nicht aussagekräftig für die Kirche bzw. Diakonie qualifiziert. Im zweiten Teil wurde dementsprechend die Fragestellung auf die gesamte Arbeitswelt in Kirche und Diakonie erweitert. Drittens schließlich wurde unter Aufnahme des Reich-Gottes-Motivs mit den Dimensionen Recht, Gerechtigkeit, Frieden und Teilhabe sowie der Gerechtigkeitstheorie Frasers ein prozesshaftes Verfahren zur Gestaltung der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt entwickelt. Dieses Prozessverfahren ist wesentlich an der Hoffnung auf die Gottesherrschaft orientiert und versucht, mit der Etablierung dieses Prozessverfahrens einen Möglichkeitsraum in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt zu konstituieren, in dem sich das Reich Gottes bzw. partizipatorische Parität ereignen kann. Ausgehend von der Thematik Ehrenamt wurde die Fragestellung zu Arbeit bzw. verschiedenen Formen von Arbeit in Kirche bzw. Diakonie erweitert, womit der Abstraktionsgrad der Fragestellung anstieg. In Reaktion darauf bezieht die vorgeschlagene Lösungsperspektive mit einem sehr weiten Blick alle Arbeitsformen der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt ein. Das vorab erörterte Modell versucht, Reich Gottes und tatsächliche Arbeitswelt ins Verhältnis zu setzen. Das an dieser Stelle explizierte Fallbeispiel soll illustrieren, dass das Reich Gottes bzw. die partizipatorische Parität nicht ohne tatsächliche Implikationen bleibt. Vielmehr kann sich die Gottesherrschaft in einen kirchlich-diakonischen Möglichkeitsraum hineinereignen, wobei dieser an den Dimensionen des Reiches Gottes bzw. an den Verfahren zur Erlangung von partizipatorischer Parität orientiert ist. Entsprechende Aushandlungsprozesse, Reformvorschläge und Veränderungsbemühungen garantieren nicht, dass sich das Reich Gottes in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt realisiert, sondern sie eröffnen nur den Raum, in dem dies geschehen könnte. Die Gestaltung des Möglichkeitsraums des Reiches Gottes, aber auch die prozesshaften Verfahren Frasers sind je dynamische Prozesse, die theologisch gesprochen unverfügbar bleiben müssen und zugleich auch stets unter dem eschatologischen Vorbehalt stehen. Zur näheren Bestimmung des Ehrenamts in Kirche und Diakonie wurde also ein äußerst komplexes Vorgehen in den drei Teilen der Forschungsarbeit entfaltet. Bezogen auf den Fragefokus (Ehrenamt) sowie auf die theologische

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Einsicht, dass Christentum stets politische und praktische Gestalt annehmen muss, wird nun in dem folgenden noch einmal ausführlich ausgestalteten Schluss- wie Anhangskapitel 3.4 ein letzter exemplarischer Schritt gewagt. Er soll die prinzipielle Praktikabilität des Modells zeigen und Hinweise geben welche Richtung Gestalt in der Praxis erst noch zu entwickelnde Reformvorschläge nehmen könnten. Die tatsächliche Formulierung, Debattierung sowie Entscheidung über einen Reformvorschlag obliegt jedoch stets der jeweiligen konkreten Gruppe, die innerhalb eines gesetzten Rahmens aktiv ist und prozesssowie diskurshaft arbeitet. Entsprechend umgesetzte Reformen sind kein Garant für das Reich Gottes, sondern tragen nur der Gestaltung des Möglichkeitsraums bzw. der Verfahren zur Erlangung partizipatorischer Parität Rechnung. Infolge von Reformen kann, aber muss sich nicht, das Reich Gottes in den Möglichkeitsraum hineinereignen. Trotz dieser strikten Vorbehaltlichkeit wird dennoch eine Konkretion gewagt. Anhand des Falls der EKiR und der Diakonie wird skizziert, was das Rahmenmodell genau für diese Organisationen leisten könnte. Dazu wird insbesondere das prozesshafte und kollektive Verfahren zur Analyse und Strategiebildung von der Autorin (für die Gruppe der Ehrenamtlichen exemplarisch sprechend) illustriert. Die vorgeschlagenen Strategieideen, bedingungsloses Grundeinkommen und auch allgemeine Vokationshandlungen sollen der Leserin verdeutlichen, auf welche Weise sich ökonomischen und anerkennungstheoretischen Ungleichheitserfahrungen in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt, im Speziellen bezogen auf die Gruppe der Ehrenamtlichen, entgegenkommen ließe. Zur vorgeschlagenen Reformstrategie gehört, dass sie im Diskussionsforum bzw. Entscheidungsorgan mit seinen weiteren Gruppen plausibel gemacht werden und durch dieses diskutiert werden. Es ist schließlich voraussichtlich mit einer mehr oder minder starken Modifikation der Reformvorschläge zu rechnen, bevor Veränderungen beschlossen und schließlich implementiert werden können. Nun noch einige Anmerkungen vorab zur vorgeschlagenen Doppelstrategie mit den Maßnahmen bedingungsloses Grundeinkommen und allgemeine Vokationshandlungen. Allgemeine Anmerkungen zum konkreten Strategievorschlag mit bedingungslosem Grundeinkommen und allgemeinen Vokationshandlungen Die konkrete Doppelstrategie zu Veränderungen einer bestimmten Position in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt basiert auf der Analyse der verhinderten Teilhabe auf Augenhöhe in diesen Organisationen. Die entwickelte Strategie sucht nach Lösungen, die ausgehend von der eigenen defizitären Situation eine Verbesserung bieten könnten. Die in diesem Sinne entstandene Strategie muss aber nicht nur für vorschlagende Gruppen plausibel sein, sondern wird dann im Diskussionsverfahren anderen Gruppen verständlich gemacht. Wenn diese Gruppen argumentieren können, dass durch die vorgeschlagenen Reformen aber

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partizipatorische Parität für eine andere bestimmte Gruppe verhindert wird, dann wäre die entsprechende Strategie keine gelingende Strategie. Nun einige leitende Kommentierungen zu bedingungslosem Grundeinkommen und allgemeinen Vokationshandlungen. Anmerkungen zum bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) als Teilstrategie Das BGE soll der Ungleichheit auf der ökonomischen Ebene entgegenwirken. Der Vorschlag basiert auf der Grundannahme, dass es neben Erwerbsarbeit noch andere Formen der Arbeit gibt, die aber nicht im gleichen Maße wie Erwerbsarbeit zur gesellschaftlichen Teilhabe bzw. Integration beitragen. Durch ein steuerfinanziertes BGE wird die Existenz von Menschen gesichert sowie eine mögliche Entkopplung von Arbeit und Lohn angestoßen. Dies kann in der Folge weitere Neubestimmungsprozesse in der Erwerbsarbeitswelt auslösen. Unterdies wird im Großen und Ganzen die kapitalistische Gesellschaftsordnung beibehalten; jedoch wird der zwangsmäßige Anreiz zur Erwerbsarbeit durch die bereits gesicherte Existenz reduziert bzw. aufgehoben. Ferner wird sichergestellt, dass Menschen Zeit zu unbezahltem Ehrenamt sowie zu Fürsorgearbeit haben. Außerdem nimmt das BGE auch die Angst vor Altersarmut, die durch entsprechend fehlende Rentenversicherungsbeitragszahlungen wegen Nichterwerbszeiten als stete Gefahr droht. Das BGE könnte insgesamt eine Veränderung von Arbeitsformen sowie Arbeitsverständnissen hervorrufen, was auch angesichts der Grenzen des Wachstums sowie der gesamtgesellschaftlich in geringerem Maße vorhandenen Erwerbsarbeit beabsichtigt ist. Das BGE als unrealistisch zu klassifizieren, hat oft hohe Anteile einer emotionalen Reaktion, was auf eine vorgestellte Unhinterfragbarkeit gegenwärtiger Arbeits- und Wirtschaftspraxen hinweist. Die gute Finanzierung des BGE ist aber in der Tat unbedingt zu bedenken. Zugleich müssen auch die Schritte in Richtung Weitung des Arbeitsverständnisses (nicht nur Lohnarbeit ist Arbeit!) geschehen. Es ist ausgehend von der Erfahrung der Notwendigkeit erziehender Familienarbeit sowie aus christlicher Perspektive mit dem offenen theologischen Arbeitsbegriff unbedingt geboten, die gegenwärtige Arbeitswelt am Reich-Gottes-Motiv auszurichten. Das BGE ist in diesem Sinne eine Maßnahme, die am Ziel der partizipatorischen Parität orientiert ist und ggf. in ihrer Realisierung den Raum zur Ereignung der Gottesherrschaft schafft. Alles in allem ist zutreffend, dass der politische Einsatz für ein BGE in seiner weiteren Umsetzung sehr voraussetzungsreich wäre. Denn auch wenn das kollektive Diskussionsforum für ein BGE votieren würde, wäre damit nicht die politische Implementierung garantiert, da solche Schritte nur vom Parlament umgesetzt werden können. Wäre abzusehen, dass die politische Umsetzung des BGE nicht zu realisieren ist, müssten dringend auch andere Lösungsperspektiven innerhalb des Diskussionsforums entwickelt werden. Entsprechende Reformstrategien müssten die Dimension der ökonomischen

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Ungleichheit, die zwischen verschiedenen Arbeitsformen in der kirchlichdiakonischen Arbeitswelt besteht, in den Blick nehmen und strategisch versuchen, ein „Mehr“ an partizipatorischer Parität zu erlangen. Mögliche Ideen für Reformstrategien, die in der Umverteilungsdimension wirksam werden, wären beispielsweise Beitragszahlungen für freiwillige Mitarbeitende zur Rentenversicherung durch die Kirche bzw. Diakonie oder auch generelle Aufwandspauschalen. Solche Vorschläge wären aber hinsichtlich der Wirksamkeit auf die Dimensionen Anerkennung und Umverteilung zu prüfen und ggf. auszuarbeiten. Insgesamt ist die Abhängigkeit von Kirche bzw. Diakonie von politischgesellschaftlichen Arrangements Ausdruck des bleibenden politischen Auftrags von Kirche und Diakonie.

Anmerkungen zu den allgemeinen Vokationshandlungen als Teilstrategie Die Einführung von allgemeinen Vokationshandlungen soll in ähnlicher Weise überkommene und gefestigte Strukturen in Kirche bzw. Diakonie hinsichtlich von Anerkennungsfragen transformieren. Vokationshandlungen sind ein Weg, wie Anerkennung symbolisch-rituell in Kirche und Diakonie vermittelt werden könnte. In diesem Zusammenhang wären auch die Einwände theologischer Positionen, die die Ernsthaftigkeit sowie Hochschätzung von Ordinations- bzw. Vokationshandlungen betonen, berücksichtigenswert. Generell zeigen jedoch die zu erwartenden Widerstände vieler Ordinierter gegen eine verbreiterte Vokationsbzw. Ordinationspraxis an, dass die privilegierte Position durchaus bewusst ist und gesichert werden soll. Demgegenüber regen theologische Grundeinsichten dazu an, über eigene Interessen hinaus auch andere Personen in den Blick zu nehmen. Die Kombination von Vokationshandlungen und BGE könnte, sofern sie so durch das kollektive Diskussions- bzw. Entscheidungsforum implementiert würde, einen Prozess zur Erlangung der partizipatorischen Parität bzw. des Reiches Gottes anregen. Jedoch ereignet sich das Reich Gottes nur möglicherweise in diesen Zusammenhang hinein. Ferner können immer wieder neue Gruppen mit Reformvorschlägen zur Erlangung partizipatorischer Parität auftreten, die dann zu debattieren sind. Insgesamt steht das Reich Gottes auch bei Implementierung des Fraser’schen Systems noch unter dem eschatologischen Vorbehalt und die Spannung zwischen noch-nicht und schon-jetzt bleibt bestehen. Im Anschluss wird nun das Fallbeispiel der ehrenamtlichen Mitarbeitenden in der EKiR bzw. der Diakonie RWL spezifiziert. Dazu wird in einem ersten Schritt die Rahmensetzung (EKiR und Diakonie RWL) begründet und Organisationsstruktur bzw. Aufbau der EKiR sowie der Diakonie RWL geschildert. Außerdem werden besondere kirchliche Regelungen für freiwillige Mitarbeit vorgestellt. Unter dem abschließenden Punkt 3.4.2 werden Analyse-, Strategiebildungs- und Aushand-

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lungsverfahren anhand der Arbeitswelt in der rheinischen Kirche und Diakonie exemplifiziert.

3.4.1 Die EKiR bzw. die Diakonie RWL als Rahmen für das Verfahren zur Erlangung partizipatorischer Parität und entsprechende Organisationsstrukturen 3.4.1.1 Die EKiR und Diakonie RWL als Bezugsrahmen Es wird der Bezugsrahmen einer Landeskirche gewählt. Der Rahmen Landeskirche bietet gegenüber dem der EKD folgende Vorteile. Es besteht bezüglich Amt, Ordination bzw. Vokation weitgehend theologischer Konsens. Die Strukturen der Landeskirche, kirchlicher Gremien und Institutionen sind räumlich näher, haben einen geringeren Abstraktionsgrad, eine höhere Erreichbarkeit und damit insgesamt eine größere Flexibilität. Für die ehrenamtlich Tätigen bestehen im Gegensatz zum Rahmen EKD bessere Möglichkeiten, sich persönlich über die Fläche der Landeskirche hinweg zu vernetzen. Schließlich gibt es eindeutige kirchengesetzliche Regelungen, die beispielsweise den Zugang und die Rekrutierung zur Synode determinieren. Insgesamt bildet eine Landeskirche einen ausreichend komplexen Rahmen, da diese ein großer eigenständiger Anstellungsträger ist und eigene theologische Gremien (Synode, Expert*innengruppen, Arbeitsgruppen im Landeskirchenamt usw.) hat.360 Jenseits eines landeskirchlichen Rahmens wären auch Aushandlungsprozesse zur kirchlich-diakonischen Arbeitswelt auf gemeindlicher oder Kirchenkreisebene361 durchführbar, wobei die fehlenden Kompetenzen hinsichtlich der Gestaltung von Arbeitsbedingungen einen produktiven Prozess hindern. Von daher eignet sich der Rahmen Landeskirche am besten für Verfahren zur Erlangung partizipatorischer Parität. Dies gilt stets unter Berücksichtigung der organisationalen Strukturen Parochie und Kirchenkreis. Gerade bei der Konstitution oder Erneuerung von Diskussionsräumen eignet sich die sozialräumlich noch sehr nahe, dennoch nicht beengte Struktur der Kirchenkreise hervorragend. Um das Analyse-, Strategiebildungs- und Aushandlungsverfahren noch weiter zu konkretisieren wird in diesem Fallbeispiel die Evangelische Kirche im Rheinland zusammen mit der Diakonie RWL als Rahmen gewählt. Die EKiR zusammen mit der Diakonie RWL bilden ein interessantes Fallbeispiel, da ihrem Selbstver360 Wobei natürlich auch die EKD über vielfältige Ressourcen sowie Publikationsmöglichkeiten verfügt. Insgesamt eignet sich die EKD auf Grund der sehr unterschiedlichen Regelungen zur Ordination hinsichtlich eines kurzen Fallbeispiels nicht so gut. 361 Bzw. Dekanats-, Kirchenbezirks-, Propstei-, Ephorie-, Superintendentur- oder Klassenebene.

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ständnis nach eine egalitäre Ausrichtung zwischen verschiedenen Mitarbeitendengruppen besteht (Ordinationspraxis), wobei zu untersuchen ist in welcher Weise noch mehr Partizipatorische Parität erlangt werden kann. 3.4.1.2 Mitarbeitende der EKiR und Diakonie RWL Die Rheinische Landeskirche hat rund 2,6 Mio. Gemeindeglieder.362 In der Kirchenordnung werden die unterschiedlichen Arbeitsformen (freiwillige und beruflich-bezahlte Arbeit) als grundlegende Arbeitsformen innerhalb dieser Organisation benannt: Der Erfüllung ihrer [der Kirche] Aufgaben dient alle Mitarbeit, die beruflich oder ehrenamtlich in den Kirchengemeinden, den Kirchenkreisen und der Landeskirche sowie ihren jeweiligen Einrichtungen geschieht. (KO Art. 2 (1))

Bei der EKiR gibt es verbeamtete sowie angestellte und freiwillige Mitarbeitende; die Diakonie RWL hat angestellte und freiwillige Mitarbeitende. Innerhalb der EKiR existieren 1.905363 Pfarrstellen und andere Planstellen für die berufliche Tätigkeit von Theologi*nnen.364 Daneben befinden sich weitere knapp 19.500 Personen im übrigen kirchlichen Dienst, sind also als angestellte Mitarbeitende beschäftigt.365

362 Vgl. Evangelische Kirche im Rheinland. 363 1.805,7 Stellen in Vollzeitäquivalenten, d. h. die überwiegende Mehrzahl aller im Pfarrberuf tätigen Personen tut dies innerhalb eines Vollzeitbeschäftigungsverhältnisses. Mit den rund 2000 Stellen innerhalb der EKiR sind Gemeindepfarrstellen, Funktionspfarrstellen von Kirchengemeinden, Kirchenkreisen und Verbänden, Pfarrstellen mit besonderem Auftrag und Landeskirchliche Pfarrstellen (einschl. sonst. Planstellen für Theologen, jedoch ohne Probedienst-, Sonderdienst-, Gemeindemissionars-Stellen) umfasst. (Vgl. Evangelische Kirche im Rheinland 2018, S. 4.) 364 Vgl. Evangelische Kirche im Rheinland, S. 3. 365 Vgl. Evangelische Kirche im Rheinland. Wobei unter den Theolog*innen 80 % Vollzeitstellen und 20 % Teilzeitstellen haben. Die Mitarbeitenden auf kirchengemeindlicher bzw. kirchenkreislicher Ebene verteilen sich wie folgt: Vollzeit: 31 %, Teilzeit: 50 %, Geringfügig Beschäftigt: 19 %. Die Mitarbeitenden auf landeskirchlicher Ebene verteilen sich auf 27 % Teilzeitbeschäftigte, 7 % Geringfügig Beschäftigte und 46 % Vollzeitbeschäftigte. Bei dieser Aufschlüsselung könnte auch die Verteilung nach Geschlecht genauer untersucht werden, denn beispielswiese sind von den 50 % Teilzeitbeschäftigten fast alle weiblich (46 % der Grundgesamtheit). Bei der Beschreibung der jeweiligen Gruppe und ihrer Strategie wären auch solche Faktoren unbedingt berücksichtigenswert. (Vgl. Evangelische Kirche im Rheinland, S. 3.)

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Tabelle nach Evangelische Kirche im Rheinland, S. 21.

Ferner kommen noch angestellte Mitarbeitende der Diakonie RWL dazu. Die Arbeit/Tätigkeit innerhalb der Diakonie auf dem Gebiet der EKiR ist innerhalb der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe e.V. (Diakonie RWL) organisiert.366 Es gibt ca. 1.900 diakonische Einrichtungen auf dem Gebiet der rheinischen Kirche367 mit rund 70.000 lohnarbeiterisch Beschäftigten.368 Neben den lohnabhängig Beschäftigten innerhalb von Kirche und Diakonie engagieren sich schließlich rund 115.000 Menschen freiwillig in Kirche und gemeindlicher Diakonie, wobei Mitglieder im Presbyterium rund 8000 Personen ausmachen.369 Für die Diakonie RWL auf dem Gebiet der EKiR liegen keine genauen Zahlen für freiwilliges Engagement vor; konservativ geschätzt wäre jedoch nochmals mit mindestens 70.000 zu rechnen.370 Die Gesamtzahl der Mitarbeitenden in der EKiR 366 2008 bzw. 2016 wurden das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche im Rheinland e. V., das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche von Westfalen e. V. und das Diakonische Werk der Lippischen Landeskirche e. V. zusammengeschlossen bzw. verschmolzen. 367 Vgl. Evangelische Kirche im Rheinland. 368 Vgl. Evangelische Kirche im Rheinland. Es fehlt eine genauere Aufschlüsselung der Voll- bzw. Teilzeitbeschäftigten sowie Geringfügiger Beschäftigter für die Diakonie auf dem Gebiet der EKiR. 369 Vgl. Evangelische Kirche im Rheinland. 370 Vgl. Diakonie Rheinland Westfalen Lippe. Die Schätzung beruht auf der Beobachtung, dass von der Gesamtzahl der Mitarbeitenden mehr als 50 % auf Einrichtungen der Diakonie RWL auf dem Gebiet der EKiR entfallen, ebenso wie sich rund 2/5 der Einrichtungen sich auf dem Gebiet der EKiR befinden. Von daher ist damit zu rechnen, dass sich mindestens mehr als ein Viertel (35 %) der frei-

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inklusive der missionarisch-diakonischen Einrichtungen beläuft sich auf 276.405 Mitarbeitende, davon leisten mehr als die Hälfte (66,93 %) freiwillige Arbeit.

In der folgenden Grafik wird das Verhältnis von Theolog*innen-Positionen zu allen anderen Arbeitsstellen nachvollzogen. In EKiR und Diakonie werden 2,08 % der entlohnten bzw. alimentierten Arbeitsstellen von Theologen eingenommen.

willigen Mitarbeitenden auf dem Gebiet der EKiR innerhalb der Diakonie RWL engagieren. Die Statistik der Diakonie RWL nennt als Gesamtheit 200.000 Ehrenamtliche, was zur Schätzung von mindestens 70.000 Freiwilligen in der Diakonie RWL auf dem Gebiet der EKiR führt.

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Die Quote der Theolog*innen reduziert sich nochmals, wenn die unterschiedlichen Formen von bezahlter und nicht-entlohnter Arbeit in Kirche und Diakonie zusammen betrachtet werden. Die Theolog*innen machen dann 0,70 % aller Mitarbeitenden aus.

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3.4.1.3 Die Evangelische Kirche im Rheinland An dieser Stelle werden einige Anmerkungen zum presbyterial-synodalen Aufbau der EKiR unter Berücksichtigung unterschiedlicher Tätigkeitsformen bzw. deren Befugnissen und Privilegien gemacht. An einigen Stellen werden Kommentierungen hinsichtlich des Prozessmodells gemacht. Auf parochialer Ebene ist das presbyteriale Gremium relevant. Das Presbyterium leitet die Kirchengemeinde und fasst die dafür notwendigen Beschlüsse (KO Art. 15(1)). Die Presbyterzahl ist abhängig von der Größe der Kirchengemeinde. Mitglied im Presbyterium sind gewählte Presbyter*innen und die Pfarrer*innen, die Gemeindemissionar*innen, ggf. die Mitarbeitenden im Gemeinsamen Pastoralen Amt371 sowie die gewählten Mitarbeitenden.372 Das

371 Das Kirchengesetz über das gemeinsame pastorale Amt aus 2005 (Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland 2005) (bzw. in seiner Novellierung mit dem Kirchengesetz zur Änderung des Kirchengesetzes über das Gemeinsame Pastorale Amt vom 15. Januar 2020; Vgl. Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland 2020) ermöglicht die Beauftragung verschiedener beruflicher Mitarbeitender mit Verkündigung, Seelsorge, Bildungsarbeit und Diakonie, wobei all diese Teilaspekte beruflicher Arbeit als ein (!) gemeinsames pastorales Amt verstanden werden. Das Kirchengesetz zum gemeinsamen pastoralen Amt referiert in der Präambel die These 4 der Barmer Theologischen Erklärung und formuliert weiter, dass das gemeinsame Amt „in der Gaben- und Dienstgemeinschaft, die in der Kirche von Anfang an angelegt ist“ (Präambel des Kirchengesetzes zum gemeinsamen pastoralen Amt), gründet. Sowohl Pfarrer*innen, Diakon*innen, Gemeindehelfer*innen als auch Gemeindepädagog*innen können an Verkündigung/Seelsorge beteiligt und damit ordiniert werden (§ 2 (2)). (Strukturell ist die Ordination jedoch in der Praxis noch an den vorher absolvierten Prädikant*innenkurs gebunden, was auf Probleme bei der Umsetzung des gemeinsamen pastoralen Amts hindeutet.) Die herausgehobene Stellung der Pfarrerinnen unter den beruflichen Mitarbeitenden wird auch in diesem Kirchengesetz mit einer Art Sperrklausel beibehalten. Denn mindestens die Hälfte der Positionen müssen durch den Pfarrberuf besetzt werden. Die kirchenrechtliche Option der Implementierung eines gemeinsamen pastoralen Amtes (sowohl auf der Gemeindeebene, als auch der mittleren Ebene) trägt den gewandelten arbeitsteiligen Verhältnissen innerhalb der Kirche insofern Rechnung, als dass die unterschiedlichen Berufe als Teil eines gemeinsamen Amtes verstanden werden. Auf diese Weise können die unterschiedlichen Berufe durch die geteilte Ordination am gemeinsamen Amt partizipieren. Dennoch bleibt die Teilhabe auf Augenhöhe der unterschiedlichen Berufsgruppen nur partiell umgesetzt, da die dienstrechtlichen Verhältnisse (lohnabhängige Arbeit seitens der Gemeindepädagoginnen und die kirchliche Verbeamtung seitens der Pfarrer*in) die Verschiedenheit der beiden Berufsgruppen deutlich markieren. Ferner zeigen sich auch in diesem Gesetz für Institutionen typische immanente Stabilisierungstendenzen (vgl. Moltmann/Fraser) an der Sperrklausel. Denn durch die Sperrklausel, dass mindestens eine Pfarrstelle in uneingeschränktem Umfang bestehen bleiben muss, übt die mächtige Gruppe der Personen im Pfarrberuf Einfluss aus und sichert ihre Position. Dennoch hat die Eröffnung der Möglichkeit des gemeinsamen pastoralen Amtes symbolhafte Wirkung hinsichtlich der Status-Anerkennung der anderen beruflichen Mitarbeitenden. Ferner schafft dieses Gesetz Flexibilisierungspotential, die Arbeitswelt in der Kirche neu und anders zu denken. Das gemeinsame pastorale Amt wurde wegen der umfangreichen,

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Mitarbeitendenwahlgesetz (MWG) aus 2011 bestimmt die Regelungen zur Wahl beruflicher Mitarbeitender (d. h. angestellter Mitarbeitender im kirchlichem Dienstverhältnis nach KO Art. 66) in das Presbyterium (KO Art. 44.46). Die Anzahl der zu wählenden beruflichen Mitarbeitenden wird durch das Presbyterium beschlossen; es muss mindestens einen sog. Mitarbeiter-Presbyter geben, wobei bis zu ein Viertel aller Presbyter*innen Mitarbeiter-Presbyter*innen sein dürfen.373 In der Konsequenz sind im Presbyterium einer Kirchengemeinde stets zu einer großen Zahl ehrenamtliche bzw. freiwillige Mitarbeitende, neben den Inhabern der Pfarrstellen und mindestens einem weiteren beruflichen Mitarbeitenden, vertreten. Gemäß MWG kann die Quote beruflicher Mitarbeitender erhöht werden, und auf diese Weise können die diversen beruflichen Tätigkeiten innerhalb der Kirche besser abgebildet werden. Die im Pfarrberuf tätigen Personen innerhalb der Kirchengemeinde haben insofern eine privilegierte Position, da sie automatisch Mitglied des Presbyteriums sind. Übernimmt eine Presbyter*in den Presbyteriumsvorsitz, dann wird eine Person im Pfarrberuf zwangsweise zur Stellvertreter*in gewählt. Demnach ist die Mitgliedschaft einer im Pfarrberuf tätigen Person im Vorsitz der rechtsverbindlichen Vertretung der Kirchengemeinde, dem Presbyterium, garantiert.374 Dieses gemeindliche Entscheidungsgremium ist nur in begrenztem Maße partizipativ, da zwar die Öffentlichkeit der Sitzungen beschlossen werden kann. Jedoch muss ein Antrag durch Gemeindeglieder auf Anhörung nicht gewährt werden; ferner ist das Anhörungsverfahren als partizipatives Element nicht institutionalisiert. Insgesamt sind im Presbyterium unterschiedliche Tätigkeitsbereiche (ehrenamtliche sowie berufliche Arbeit) präsent. Jedoch existiert ein gewisses Übergewicht bzw. eine starke Machtposition der Pfarrpersonen; wobei die Möglichkeit zur intensivierten Beteiligung der anderen beruflich Tätigen beinhaltet ist. Zur Verbesserung der Diskurskultur innerhalb der Ortsgemeinde wären ggf. die Sitzungen des Presbyteriums öffentlich und mit einem institutionalisierten Rederecht durch die anderen Mitglieder der Organisation zu erweitern. Die mittlere Strukturebene der EKiR ist der Kirchenkreis, der Kirchengemeinden regional zusammenschließt und durch die Kreissynode geleitet wird. Die Kreissynode besteht wesentlich aus Inhaber*innen von Pfarrstellen und Abgeordneten, die durch Presbyterien entsandt wurden.375 Bezogen auf den

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konzeptionellen Vorarbeiten sowie der festgefahrenen Rollenbilder hinsichtlich des Pfarrberufs nur sehr selten realisiert. KO Art. 17. Vgl. MWG § 4; Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland 14. 01. 2011. Es gilt auch umgekehrt in dem Fall, dass eine Pfarrperson zur Vorsitzenden gewählt wird, dann muss eine Presbyter*in die Stellvertretungsposition besetzen (KO Art. 21). Ferne siehe KO Art. 97ff.

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Forschungsgegenstand Arbeit bzw. Tätigkeit sind besonders folgende Kompetenzen der Kreissynode hervorzuheben: Wahl der Superintendentin sowie der Abgeordneten der Landessynode, Einrichtung von bezahlten Arbeitsstellen für den Pfarrberuf sowie anderer kirchlicher Berufe auf kreiskirchlicher Ebene, und der Beschluss eines Rahmenkonzepts für alle beruflich Mitarbeitenden, was einer Personalplanung im regionalen Zusammenschluss entspricht.376 Mit dem Personalplanungsgesetz (PPG)377 aus 2012 wurden die Kirchenkreiskompetenzen (KO Art. 66) hinsichtlich der gemeinsamen Planung sowie Ordnung der bezahlten Arbeit in Kirchengemeinden erheblich erweitert. Der Kreissynodalvorstand erstellt ein Rahmenkonzept für die gemeinsame Personalplanung. In diesem Rahmenkonzept wird entsprechend dem im Kirchenkreis gewählten Kooperationsmodell378 eine Personalplanung vorgenommen379 und die bezahlten Tätigkeiten380 für einen Zeitraum von drei Jahren festgelegt (v. a. PPG § 2). Auf diese Weise wird eine langfristige Koordinierung von bezahlter Arbeit (aller Mitarbeitender außer den Pfarrberufen) im Kirchenkreis angestrebt und je nach gewähltem Kooperationsmodell verschieden stark forciert. Das Modell der „Regionalen Kooperationsräume“ verursacht eine kleinteiligere Zusammenarbeit zwischen benachbarten Kirchengemeinden, die in unterschiedlichem Maße verbindlich sein kann – bei einer sehr engen Kooperation ist die gemeinsame Stellenfinanzierung denkbar. Demgegenüber bietet das sog. Kirchenkreismodell, bei welchem die Anstellungsträgerschaft für alle Gemeindemitarbeitenden auf die mittlere Ebene des Kirchenkreises übergeht, eine stärkere Integration der parochialen in die mittlere Ebene. Denn in diesem Modell wird durch kirchenkreisliche Dienstanweisungen das Personal den Gemeinden bzw. Regionen zugewiesen. In diesem Fall haben die Presbyterien eine anleitende Funktion für die entsandten Mitarbeitenden. Die Fachaufsicht jedoch leistet der Kirchenkreis.

376 KO Art. 66. 377 Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland 13. 01. 2012. 378 Zur Verfügung stehen vier Modelle: „a. Festlegung von Regionalen Kooperationsräumen, in denen der Einsatz von beruflich Mitarbeitenden gemeinsam geplant und koordiniert verwirklicht wird (Modell Regionale Kooperationsräume) oder b. Zuordnung von beruflich Mitarbeitenden des Kirchenkreises zu den Kirchengemeinden und Festlegung von Art und Umfang ihrer Tätigkeit (Kirchenkreismodell) oder c. Verbindungen beider Modelle (Partielles Kirchenkreismodell/Mischmodelle) oder d. eine andere Form gemeindeübergreifender Zusammenarbeit im Kirchenkreis.“ (PPG §2 (5)). 379 Wobei die Pfarrberufe in einem separaten kreiskirchlichen Rahmenkonzept bedacht werden. 380 Dies ist bezogen auf Vollzeitstellen und Stellen im Arbeitsumfang von mindestens 50 % der Fall.

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Je nach gewähltem Kooperationsmodell sind Kirchenkreis und Ortsgemeinde zu unterschiedlichen Graden interdependent. Dennoch gilt, dass durch das PPG die Zuständigkeiten des kirchlichen Arbeitslebens insgesamt zugunsten der mittleren Ebene verschoben wurden. Das PPG moduliert damit die Verhältnisse der unterschiedlichen Mitarbeitendengruppen in der Kirche und versetzt die kirchengemeindliche Arbeitswelt in Dynamik. Denn indem nicht mehr notwendigerweise das lokale Presbyterium, sondern eine regionale Stelle Anstellungsträger ist, verändert sich die Position dieser Mitarbeitenden im lokalen Sozialgefüge. Es ist gut vorstellbar, dass sich die Beziehung zur Berufsgruppe Pfarrer*in wandelt, da diese ggf. nicht länger in einer anleitenden Funktion beispielsweise der Gemeindepädagog*in oder der Kirchenmusiker*in übergeordnet sind. Die durchs PPG grundgelegte Offenheit für verschiedene Kooperationsmodelle, mit der eine modifizierte Kompetenzverteilung einhergeht, ist im Sinne des Fraser’schen Modells äußerst angemessen. Die durchs PPG ermöglichten Spielräume wehren nämlich den immanenten Stabilisierungstendenzen der Organisation. In Zukunft bleibt allerdings abzuwarten, wie der Kirchenkreis bzw. der Kreissynodalvorstand seine Position innerhalb dieses Gefüges ausbildet. Neben den Ebenen Kirchengemeinde und Kirchenkreis existiert noch die landeskirchliche Eebene mit Landessynode und Landeskirchenamt. Das Steuerungsgremium der EKiR ist mit 210 Mitgliedern die Landessynode. In der Zusammensetzung ist tendenziell die Akteursgruppe Pfarrer*innen bzw. sog. Volltheolog*innen (in der Regel ordiniert) überproportional repräsentiert, da sie rund 50 % oder mehr Sitze belegen.381 Nach KO Art. 134 ergibt sich, dass die andere große Gruppe in der Landessynode die durch die Kreissynoden gewählten Abgeordneten (mindestens zwei pro Kirchenkreis)382 sind. Im besten Fall ist mit einer paritätischen Zusammensetzung Theolog*innen – Presbyter*innen in der Landessynode zu rechnen. Jedoch kann, je nach Personalzusammensetzung im Landeskirchenamt, schnell eine Mehrheit der ordinierten Theolog*innen im kirchenbeamtlichen Arbeitsverhältnis entstehen, da keine Sperrklausel diese Mehrheit verhindert.383 Diese Dichotomie von zwei Tätigkeitsformen, nämlich dem Pfarrberuf und dem Ehrenamt (in der Regel als presbyteriales freiwilliges Engagement), zeigt 381 Diese Gruppe setzt sich wie folgt zusammen: 38 Superintendent*innen, mindestens einer gewählten Pfarrer*in pro Kirchenkreis (bei mehr als 100.000 Mitgliedern wird eine weitere Pfarrer*in entsandt (KO Art. 134)), drei Theologieprofessor*innen plus durch die Kirchenleitung berufene Pfarrer*in. 382 Kirchenkreise mit mehr als 80.000 Mitgliedern entsenden eine weitere Abgeordnete, solche mit mehr als 120.000 Mitgliedern zwei weitere Abgeordnete. (KO Art. 134 (3)). 383 Dies im Gegensatz zur mittleren Ebene der Kreissynode, in welcher eine Sperrklausel verbietet, dass sog. theologische Mitarbeitende mehr als 49 % aller Mitglieder ausmachen.

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sich auch in den Kirchengesetzen zur Kirchenleitung (beispielsweise in KO Art. 148ff).384 In dieser opponierenden Zuspitzung werden die theologischen und soziologischen Realitäten einer anderen Zeit sichtbar. Die Dominanz der Pfarrer*innen zeigt die theologisch legitimierte Zentralstellung dieses Berufs an und kann in der Gegenüberstellung auch ein Hinweis auf das theologische Verständnis sein, welches kirchliches Amt (identifiziert mit Pfarrberuf) dem allgemeinen Priestertum (identifiziert mit ehrenamtlichen Mitarbeitenden) gegenüberstellt. Die soziologische Realität, dass in den Kirchengemeinden Pfarrer*innen die einzigen bezahlten oder alimentierten Tätigen sind, ist schon lange vorbei. Bereits zu Beginn des letzten Jh. gab es in der EKiR lohnarbeiterisch angestellte Verwaltungskräfte. Spätestens seit der Gründung der Bundesrepublik ist es durch Professionalisierungsschübe im sozialen Bereich sowie durch eine arbeitsteilige Ausdifferenzierung zum starken Anwachsen unterschiedlichster Berufe innerhalb der Kirche gekommen. Diese bezahlten Arbeitsformen, welche als nicht-theologische Berufe qualifiziert werden, stellen die Mehrheit der kirchlichen Mitarbeitenden, sind aber in den Gremien nicht vertreten und haben daher kein Stimmrecht. Hinsichtlich des Verfahrens zu Erlangung partizipatorischer Parität wäre bei der Konstitution des kollektiven Diskussionsforums sicherzustellen, dass diese nicht vertretenen beruflich-angestellten Mitarbeitenden innerhalb des Rahmens EKiR eine Stimme erhalten und an Aushandlungsprozessen teilhaben können. Denn bisher ist es die zweipolige Landessynode (Ehrenamt – Pfarramt), die maßgebliche Kompetenzen385 zur Regulierung der kirchlichen Arbeitswelt hat. In dem Fall, dass die Landessynode innerhalb des Rahmens EKiR das kollektive 384 Dieses Verhältnis bildet sich in dieser Art im Leitungsgremium der EKiR ab. Acht der 15 Mitglieder der Kirchenleitung sind derzeit Theolog*innen, wobei diese Zahl ggf. nach unten abweichen kann, wenn eine der Abteilungsleitungspositionen im Landeskirchenamt durch eine Nicht-Theologin besetzt würde (vgl. Evangelische Kirche im Rheinland). Insgesamt sind in der rheinischen Kirchenleitung neben ordinierten Theolog*innen sieben andere gewählte Repräsentant*innen der Landessynode vertreten. Diese anderen Vertreter*innen sind v. a. ehrenamtlich Engagierte aus den Presbyterien. Die Gruppe der innerhalb der Kirche lohnabhängig Tätigen ist nicht vertreten. Es besteht zwar theoretisch die Möglichkeit, dass Mitarbeiterpresbyter*inneen aus den Kreissynoden in die Landessynoden und dann schließlich in die Kirchenleitung gewählt werden. Jedoch ist dies aufgrund der zahlenmäßig geringen Mitarbeiter*innenpresbyterzahl äußerst unwahrscheinlich. In der gegenwärtigen Zusammensetzung der Kirchenleitung kann das nebenamtliche Mitglied Helga Siemens-Weibring im weitesten Sinne als eine Akteurin der anderen beruflich-lohnarbeiterisch Tätigen innerhalb der Kirche verstanden werden. Sie ist Beauftragte für Sozialpolitik der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe (RWL) und daneben auch ehrenamtlich im Presbyterium der Ortsgemeinde engagiert. (Vgl. Evangelische Kirche im Rheinland). 385 Sie setzt z. B. die Voraussetzungen für die Berufung der Ordinierten fest und ordnet die dienstrechtlichen Verhältnisse der Mitarbeitenden (vgl. KO Art. 130).

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Diskussionsforum bilden soll, wären die Zugangsmöglichkeiten bzw. die Zusammensetzung dringend zu verändern. 3.4.1.4 Kirchlich-diakonische Regelungen freiwilliger Mitarbeit In den kirchlich-diakonischen Organisationen sind ehrenamtliche Mitarbeitende in großer Zahl präsent, wobei abhängig von den entsprechenden Regelungen unterschiedliche Positionen innerhalb der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt erwachsen. Auf der parochialen Ebene bestehen Partizipationsmöglichkeiten, da sie bei Entscheidungen des Presbyteriums hinzugezogen werden und ein Anhörungsrecht haben, wenn es um ihr Aufgabengebiet geht (KO Art. 26 (3)). Innerhalb der Gruppe freiwillige Mitarbeitende haben die Prädikant*innen insofern eine besondere Stellung, da sie wie die hauptberuflich tätigen Pfarrer*innen ordiniert sind (KO Art. 63). Sie teilen damit dieses Merkmal der privilegierten Gruppe Pfarrer*innen im Gegensatz zu anderen Tätigen (bezahlt oder nicht bezahlt). Gemäß Kirchenordnung ist für alle anderen Mitarbeitenden (beruflich und freiwillig) eine Einführung im Rahmen des Gottesdienstes gewünscht (KO Art. 64 (3)). Dies ist eine symbolisch-rituelle Handlung, die Anerkennung vermittelt. Ferner wird das Ehrenamt in der rheinischen Kirchenordnung als „ursprünglicher und wesentlicher Bestandteil“386 der kirchlichen Arbeitswelt interpretiert. In diesem Zusammenhang wird auf das Priestertum aller Gläubigen und auch die „Dienstgemeinschaft“ Bezug genommen (KO Art. 42): (1) Aufgrund der Taufe sind alle Christinnen und Christen zum Zeugnis und Dienst in der Welt berufen. Der Erfüllung dieses Auftrags dienen alle Dienste der Kirchengemeinde, die ehrenamtlich oder beruflich ausgeübt werden. Diese Dienste stehen gleichwertig nebeneinander. (2) Mit ihren unterschiedlichen Gaben stehen alle Mitarbeitenden in einer Dienstgemeinschaft, die vertrauensvolle Zusammenarbeit, gegenseitige Achtung und Anerkennung erfordert.

Die verstärkte, gesellschaftliche Auseinandersetzung mit ehrenamtlichem Engagement seit den 1990er Jahren setzte auch einen Prozess in der EKiR in Gang, der im Jahr 2000 in Leitlinien für die Arbeit mit Ehrenamtlichen gipfelte. Diese verweisen ebenfalls aufs Priestertum aller Gläubigen387. Die Leitlinien fordern gegenseitige Wertschätzung der bezahlten und unbezahlten Arbeit388 386 KO Art. 65 (1). 387 Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland. 388 „Wegen der unterschiedlichen Ausbildungs- und Lebenssituation und der damit verbundenen Positions- und Statusunterschiede kommt es im Miteinander von Haupt- und Ehrenamtlichen immer wieder zu ungewollten Konflikten. Dem ‚innerkirchlichen‘ Zeit- und

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sowie eine ernst zu nehmende Beteiligung ehrenamtlicher Mitarbeitender an Entscheidungsprozessen“389 ein, da dies in der Praxis häufig fehlt. Schließlich werden entsprechende Ehrenamts- bzw. Freiwilligenmanagementansätze rezipiert. Daneben publiziert die EKiR unterschiedliche Handreichungen390, bietet Fortbildungen für Presbyter*inneen391 an und weist auf der Homepage auf verschiedene Internetangebote392 wie das Internetforum zum EKD-Projekt „EKD Zukunft Ehrenamt“393 hin. Dieses EKD-Projekt möchte durch die Bereitstellung unterschiedlicher Positionen, thematischer Artikel und partizipativer OnlineDiskussionsforen zur Weiterentwicklung freiwilliger Arbeit in der Kirche beitragen.394 Die große Zahl der ehrenamtlich Engagierten in der Diakonie RWL führt zu einer im Vergleich zur verfassten Kirche noch stärkeren Beachtung des Themas.395 Der Dachverband der Diakonie stellt vielfältige Publikationen zum Ehrenamt sowie Handreichungen, Hilfestellungen und auch Positionspapiere zur Verfügung.396 In diesen Veröffentlichungen dominiert im Wesentlichen auch die Blickrichtung des Sozialmanagements in Form eines Freiwilligenmanagements, was im Zusammenhang der Wohlfahrtsverbände als professionalisierte Leistungserbringer zumindest aus organisationaler Perspektive sinnvoll ist. Besonders beachtenswert ist hier das „Qualitätshandbuch Ehrenamt“397 aus dem Jahr 2010, das ein solches Freiwilligenmanagement vorschlägt.

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Informationsvorsprung der Hauptamtlichen steht die in außerkirchlichen Alltags- und Berufserfahrungen erworbene Kompetenz der Ehrenamtlichen gegenüber. Hier zu einem respektvollen und partnerschaftlichen Umgangs- und Gesprächsstil zu finden, ist unverzichtbar.“ (Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland). Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland. Evangelische Kirche im Rheinland. Evangelische Kirche im Rheinland. Evangelische Kirche im Rheinland. Kirchenamt der EKD. Eine solche Internetplattform kann als eine Möglichkeit der Eröffnung eines Diskursraumes zur Erlangung partizipatorischer Parität verstanden werden. In der Satzung des Diakonischen Werkes Rheinland-Westfalen-Lippe e. V. – Diakonie RWL in der Fassung vom 22. 06. 2016 werden ehrenamtliche Mitarbeitende ganz automatisch impliziert und nur in § 2 und § 6 bei den Fragen Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen und Anspruch darauf werden sowohl die freiwilligen als auch die beruflichen Mitarbeitenden als Berechtigte benannt. (Diakonie Rheinland Westfalen Lippe). Z. B.: Diakonie Rheinland Westfalen Lippe 2011; Diakonie Rheinland Westfalen Lippe; Diakonie Rheinland Westfalen Lippe; Diakonie Rheinland Westfalen Lippe. Frantzmann und Wolter 2007.

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3.4.1.5 Missionarische und diakonische Werke der EKiR Die diakonische Arbeit auf dem Gebiet der EKiR ist in der Diakonie RheinlandWestfalen-Lippe e.V. (Diakonie RWL) organisiert.398 Der Vorstand der Diakonie RWL führt die Geschäfte entsprechend der kirchlichen Ordnungen, jedoch können die verschiedenen kirchlichen Ordnungen innerhalb der drei Landeskirchen ggf. unterschiedliche Arbeitsregelungen beinhalten. Bei auftretenden Widersprüchen zwischen den Ordnungen sind die Vorstandsentscheidungen wegweisend. Schließlich ist die Organisation des diakonischen Arbeitsbereiches insgesamt weniger starr abgegrenzt und umrissen als die verfasste Kirche. Entsprechend wurde im zweiten Teil dieser Untersuchung erörtert, dass einzelne diakonische Einrichtungen bzw. ihre Ausgründungen nicht einem Territorialprinzip gemäß an das jeweilige Diakonische Werk anschließen müssen. Vielmehr kann beispielsweise die Ausgründung einer diakonischen Einrichtung (Unternehmensdiakonie) in Düsseldorf auch Mitglied im diakonischen Werk Bayern werden. Die sog. unternehmerische Diakonie sind sozialwirtschaftliche diakonische Unternehmen, die in der Regel überregional tätig sind und sich einem diakonischen Dachverband, beispielsweise der Diakonie RWL, anschließen. Auf Grundlage dieser Ausführungen muss eingestanden werden, dass der für das Verfahren gesetzte Rahmen der EKiR und der zugehörigen Diakonie nicht trennscharf umrissen werden kann.399 Dennoch soll die Arbeitswelt in der rheinischen Diakonie in dieser Forschungsarbeit und explizit in diesem Fallbeispiel einbezogen werden. Denn auf diesem Weg wird der diakonischer- bzw. kirchlicherseits immer wieder vorgebrachten Vorstellung der Diakonie als „Wesensäußerung und Sozialgestalt der Kirche“ und damit verbunden der reklamierten rechtlichen Sonderposition (Streikausschluss usw.) Rechnung getragen. Die Verbindung zwischen der EKiR, den Kirchenkreisen und Gemeinden einerseits und den einzelnen diakonischen und missionarischen Werken andererseits ist durch das Kirchengesetz über die Ordnung der diakonischen Arbeit in der Evangelischen Kirche im Rheinland (Diakoniegesetz) aus dem Jahr 2016 geordnet. Dies benennt die diakonische Arbeit als gesamtkirchlichen Auftrag innerhalb unterschiedlicher Organisationsteile und angeschlossener, aber dennoch selbstständiger Werke. Im Diakoniegesetz § 1 heißt es: 398 2008 bzw. 2016 wurden das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche im Rheinland e.V., das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche von Westfalen e.V. und das Diakonische Werk der Lippischen Landeskirche e.V. zusammengeschlossen. 399 Die diakonischen Eigenlogiken bzw. die Entwicklung wohlfahrtsstaatlicher Diakonie weist auf die komplexe Verwobenheit zwischen Wohlfahrtsverband und Staat und damit auch auf das sozialstaatliche Arrangement der BRD hin.

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Die Kirche hat den Auftrag, Gottes Liebe zur Welt in Jesus Christus allen Menschen zu bezeugen. Diakonie ist eine Gestalt dieses Zeugnisses und nimmt sich besonders der Menschen in leiblicher Not, in seelischer Bedrängnis und in sozial ungerechten Verhältnissen an. Sie sucht auch die Ursachen dieser Nöte zu beheben. […]. Diese Liebe verpflichtet alle Glieder der Kirche zum Dienst und gewinnt in besonderer Weise Gestalt im Diakonat der Kirche; demgemäß ist Diakonie Wesens- und Lebensäußerung der Kirche.

Heil und Wohl des Menschen gehören untrennbar zusammen. Diakonie vollzieht sich in Wort und Tat als ganzheitlicher Dienst am Menschen. Damit wird eine an Recht, Gerechtigkeit, Teilhabe und Frieden orientierte kirchlich-diakonische Praxis gefordert, welche sowohl durch die Kirchengemeinden, Kirchenkreise und kirchlichen Verbände der EKiR als auch durch rechtlich selbstständige Träger diakonisch-missionarischer Arbeit (zusammengeschlossen im Diakonischen Werk RWL) getätigt werde. Das Diakoniegesetz führt aus, wie die pariochiale, kirchenkreisliche und landeskirchliche Ebene der EKiR und die Diakonie sowohl im Sinne einer helfenden Praxis (Gemeindediakonie) als auch der wohlfahrtsverbandlich und unternehmerisch organisierten Diakonie zusammengehören. Ferner regelt das Diakoniegesetz den Einfluss der landeskirchlichen Ebene, nämlich durch die Kirchenleitung, als theologischpfarramtlich dominiertes Gremium, auf den Landesverband Diakonie RWL (Dachverband). Bei der Wahl der Verwaltungsratsvorsitzenden sowie bei der Berufung bzw. Abberufung des Vorstandes des Diakonischen Werkes RWL (vgl. Diakoniegesetz § 11) ist die Zustimmung der Kirchenleitung nötig. Außerdem besteht zwischen EKiR und Diakonie RWL die Pflicht zur gegenseitigen Information, Beratung und Koordination der unterschiedlichen Arbeitsbereiche sowie die kirchliche Mitwirkung in diakonischen Gremien (vgl. Diakoniegesetz § 10.12). Die rechtlichen Bestimmungen des Diakoniegesetzes illustrieren die Verbindung zwischen EKiR und wohlfahrtsstaatlicher Diakonie (der gemeinsame Bezug zur christlichen Tradition – Diakonie als Wesensäußerung der Kirche, sowie ferner finanzielle Beziehungen durch Spenden und Co-Finanzierung). Dennoch sind Diakonie und Kirche auch zu differenzieren, da im Gegensatz zur kirchlichen Mitgliedsstruktur in der Diakonie viele Mitarbeitende keine Kirchenglieder sind. Dies gilt in besonderem Maße für die neuen Bundesländer, in denen kaum ausreichend Fachkräfte rekrutiert werden können, die eine Kirchenmitgliedschaft aufweisen. Insgesamt ist für die Verfahren zur Erlangung partizipatorischer Parität und für grundlegend zu entwickelnde gemeinsame Vision das entsprechende (christliche) Selbstverständnis der Mitarbeitenden sowie ihr diverser Bezug zu religiösen Praxen und Referenztexten zu berücksichtigen.

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Trotz der vielfachen kirchlich-diakonischen Distinktionen sollte der Rahmen der EKiR keinesfalls um die diakonischen Arbeitsbereiche reduziert werden. Denn im Zusammenhang des Reich-Gottes-Motivs und damit verbunden dem Ziel der Teilhabe der Marginalisierten müssen der kirchliche und der diakonische Auftrag unbedingt zusammengehalten werden. Unterstützendes und solidarisches Handeln gehört zur Gottesherrschaft. In zweiter Linie gilt, Diakonie und Kirche gehören deshalb zusammen, da beide sich je aufeinander beziehen: Indem die Diakonie sich als Wesensäußerung der Kirche darstellt, hat sie auch Anteil an kirchlichen Privilegien (wie beispielsweise dem Streikausschluss). Seitens der Kirche wird unter Verweis auf das diakonische Handeln der Kirche durch die organisierte Diakonie versucht, Kirche als privilegierte Institution im Staat bzw. in der Öffentlichkeit zu legitimieren. Alles in allem wird plausibel, dass in dieser Untersuchung die EKiR und damit verbunden die Diakonie RWL zum Rahmen für Aushandlungsprozesse gesetzt wird.

3.4.2 Analyse-, Strategiebildungs- sowie Aushandlungsverfahren in der Arbeitswelt in der rheinischen Kirche und Diakonie Im Folgenden werden entwickelte Analyse-, Strategiebildungs- sowie Aushandlungsverfahren in der Arbeitswelt in der rheinischen Kirche und Diakonie noch weiter exemplifiziert. Unter Gliederungspunkt 3.4.2.1 werden gemeinsame Referenztexte sowie Praxen als Deutungshintergrund aller Mitglieder innerhalb des Rahmens beschrieben. Sodann wird erörtert, wie die Analyse-, Strategiebildungsund Aushandlungsverfahren in der Arbeitswelt der EKiR und Diakonie RWL initiiert werden könnten (3.4.2.2). Daran anschließend wird exemplarisch eine Gruppe von ehrenamtlichen Mitarbeitenden herausgestellt, die ihre eigene Situation analysiert (3.4.2.3) und sich mit einer komplexen Strategie aus bedingungslosem Grundeinkommen und Vokationshandlungen für die Ermöglichung von partizipatorischer Parität der ehrenamtlichen Mitarbeitenden einsetzt (3.4.2.4). 3.4.2.1 Gemeinsame Referenztexte sowie Praxen als Deutungshintergrund aller Mitglieder im Rahmen EKiR und Diakonie RWL Die Diakonie des Rheinlands (d. h. die innerhalb der Diakonie RWL zusammengeschlossenen diakonischen Werke und Träger auf dem Gebiet NordrheinWestfalens) und die EKiR sind der Rahmen, in dem Analyse-, Strategiebildungsund Aushandlungsverfahren durchgeführt werden. Der gewählte Rahmen legt eindeutig die Mitglieder fest. Dementsprechend gehören alle Mitglieder der EKiR sowie alle Personen, die freiwillig bzw. beruflich bei der EKiR oder in einer diakonischen Einrichtung, welche in einem lokalen, diakonischen Werk auf dem

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Gebiet der EKiR organisiert ist, oder bei einem diakonischen Träger, der Mitglied bei der Diakonie RWL auf dem Gebiet der rheinischen Kirche ist, tätig sind. Die innerhalb dieses Rahmens verbundenen Personen und Gruppen teilen gemeinsame religiöse Referenztexte sowie Praxen. Gemeinsame Referenztexte sind beispielsweise die Bibel (das Gleichnis vom Samariter, die Bergpredigt, die Gleichnisse, der Dekalog usw.), die Kirchenordnung der EKiR oder die Bekenntnisse (beispielsweise die Barmer Theologische Erklärung). Gemeinsame Praxen sind beispielsweise die gottesdienstliche Feier oder Gebet. Der weite Rahmen EKiR und der dazugehörigen Diakonie löst mit großer Wahrscheinlichkeit eine relative Varianz der Interpretation der gemeinsamen Referenztexte und Praxen aus. Diese Bandbreite der Deutungen kann und soll im Zusammenhang einer kirchlichdiakonischen Diskurskultur anregend wirken. Ausgehend von den im vorherigen Schritt dargestellten bestehenden kirchlich-diakonischen Regelungen sowie Strukturen und deren Auswirkungen auf die kirchlich-diakonische Arbeitswelt sind größere Anstrengungen der Organisationen, die sich typischerweise durch immanente Stabilisierungs- und Konservierungstendenzen auszeichnen, nötig. Um die vorgeschlagenen Analyse-, Strategiebildungs- und Aushandlungsverfahren zu implementieren und damit den kirchlich-diakonischen Möglichkeitsraum zur Erlangung partizipatorischer Parität bzw. der Gottesherrschaft zu erweitern, ist die kirchlich-diakonische Diskurskultur zu vertiefen und ferner sind ein kollektives Diskussionsforum sowie Unterforen einzurichten. Das Anliegen der partizipatorischen Parität als Konkretion der Gottesherrschaft sowie die entsprechenden analyse- und strategiebildenden Verfahren sind in den Organisationen Kirche und Diakonie konkret praktisch zu entwickeln. Diese Maßnahmen können eine Veränderung der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt anregen, was einer Öffnung des kirchlich-diakonischen Möglichkeitsraums entspricht, in den sich das Reich Gottes weiter hineinereignen kann. 3.4.2.2 Initiierung der Analyse-, Strategiebildungs- und Aushandlungsverfahren in der Arbeitswelt der EKiR und Diakonie RWL Bei der Initiierung sowie Implementierung der Prozesse um partizipatorische Parität kommt der Landessynode der EKiR sowie der Kirchenleitung ein großes Gewicht zu. Diese Organe können die Beschäftigung mit der Teilhabe auf Augenhöhe bzw. der Arbeitsthematik sowie die weiteren Schritte (beispielsweise die Implementierung eines kollektiven Diskussionsforums) verhindern oder befürworten. Mit dem Anliegen, die eigene anerkannte und mächtige Position zu sichern, könnten solche anzustoßenden Reformprozesse insbesondere von der Gruppe Pfarrberuf blockiert werden. Denn Veränderungen zugunsten einer Teilhabe auf Augenhöhe aller Mitarbeitender würde möglicherweise deren eigene Stellung schwächen. Die Organisationen Kirche bzw. Diakonie und ihre bis

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dato einflussreichen Gruppen sollten sich aber aufgrund eines theologischen und eines pragmatischen Aspekts für Veränderung stark machen. Die These, dass durch Einsatz für die Bedingungen (orientiert an den Dimensionen Recht, Gerechtigkeit, Frieden und Teilhabe) bzw. Verfahren zur Erlangung partizipatorischer Parität ein Möglichkeitsraum für die Ereigung des Reiches Gottes geschaffen wird, entspricht theologisch auch der Sendung dieser Mitarbeitendengruppen sowie der ganzen Kirche. Daneben könnten durch Reformverfahren auch handlungspragmatische Neuordnungen der vielfach be- und überbelasteten Personen im Pfarrberuf erreicht werden. Im zweiten Teil dieser Untersuchung wurde veranschaulicht, dass Pfarrpersonen zwar vielfach privilegiert, jedoch auch hochbelastet sind. Die beiden vorab genannten Perspektiven können die Synoden und Kirchenleitung dominierenden Theologen dazu anspornen, sich für organisationale Veränderungen zur Ermöglichung partizipatorischer Parität in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt zu engagieren. Schließlich hat die Landessynode bzw. die Kirchenleitung in den nun folgenden Schritten eine organisierende und durchsetzende Position zur Implementierung des Verfahrens inne. Dies umfasst zum einen eine Stärkung der kirchlich-diakonischen Diskurskultur (3.4.2.2.1) und zum anderen eine Erweiterung der Synode als kollektives Diskussionsforum der EKiR und Diakonie RWL (3.4.2.2.2).

3.4.2.2.1 Die Diskurskultur in Kirche und Diakonie stärken Die Kirchenleitung bzw. die Landessynode erörtern die Optionen zur Verbesserung der kirchlich-diakonischen Diskurskultur. Dazu werden Chancen für Austausch sowie Meinungsbildung in neuen oder bestehenden Diskussionsforen und Netzwerken untersucht. Im Fall der dadurch bereits beginnenden Implementierung der Analyse-, Strategiebildungs- und Aushandlungsverfahren ist auf die fokussierte Fragestellung der Gestaltung der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt abzuheben. In diesem Zusammenhang ist die Thematik Arbeit bzw. Tätigkeit in Kirche und Diakonie in den Diskussionsforen sowie Netzwerken zu forcieren. Mögliche Ideen hierfür wären: • Stärkung der berufspolitischen Organisationen in Kirche und Diakonie; Freistellung der beruflichen Mitarbeitenden für 1,5 Stunden in der Woche für berufspolitische Arbeit. • Einrichtung eines interaktiven Onlineforums mit Impulsartikeln über Tätigkeitsformen (bezahlt/unbezahlt). • Entwicklung einer (halb-)dokumentarischen Filmreihe „Vielfalt der unterschiedlichen Tätigkeiten in EKiR/Diakonie RWL“, welche über regionale Filmfestivals mit Diskussionen die Auseinandersetzung mit dem Thema anregt. • Vernetzung freiwilliger Mitarbeitender in Fortbildungstagen oder bei Freiwilligentagen auf Kirchenkreisebene oder landeskirchlicher Ebene.

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• •

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Bereitstellung finanzieller Ressourcen zur unkomplizierten Schaffung von Vernetzungsprojekten. …

3.4.2.2.2 Die erweiterte Synode als kollektives Diskussionsforum der EKiR und Diakonie RWL Als kollektives Diskussionsforum im Fraser’schen Sinne, in welchem die Teilhabeanliegen aller Gruppen, Personen debattiert werden, eignet sich im Rahmen EKiR und Diakonie RWL das Gremium der Synode, die jedoch personell zu erweitern wäre. Die synodale Struktur hat eine lange Tradition und eignet sich mit ihrer diskursiven Orientierung sowie auch den bereits bestehenden Strukturen bzw. Mechanismen als kollektives Diskussionsforum. Insgesamt hat die Synode als Gremium große Ähnlichkeit mit dem, was Fraser sich unter einem kollektiven Diskussionsforum zur Durchsetzung partizipatorischer Parität vorstellt. Denn die Synode hat Entscheidungskompetenz hinsichtlich von Veränderungen (d. h. der Implementierung von Gegenstrategien zur Erlangung von „mehr“ partizipatorischer Parität) und ihre Entscheidungen sind rechtsetzend und verbindlich für die Organisationen Kirche bzw. Diakonie. Ferner tagt die Synode regelmäßig, was auch von einem kollektiven Diskussionsforum gefordert ist. Um Teilhabe auf Augenhöhe bzw. Debatten sowie Reformprozesse zur Erlangung partizipatorischer Parität zu ermöglichen, muss die ganze Vielfalt der kirchlich-diakonischen Mitarbeitenden repräsentiert sein. Aus diesem Grund ist die bereits lange kritisierte Zusammensetzung der Synode zu modifizieren. Hierbei ist insbesondere die Dominanz der Gruppe Pfarrberuf zugunsten anderer lohnarbeiterisch sowie freiwillig Tätiger in Kirche bzw. Diakonie abzuändern. Um die bestehende Sitzverteilung (zum Vorteil des Pfarrberufs) zu verändern, wäre die Landessynode durch Vertreterinnen anderer kirchlichdiakonischer Berufe zu ergänzen. Dazu wäre es denkbar, die Landessynode durch Vertreter*innen der anderen kirchlich-diakonischen Berufe entsprechend ihrem prozentualen Anteil aller Tätigen hinzuzufügen oder ggf. die Zahl der Pfarrer*innen zu reduzieren. Außerdem wäre die Synode durch weitere Vertreter*innen der ehrenamtlichen Mitarbeitenden zu komplementieren. Durch diese Modifikation der synodalen Zusammensetzung könnte in größerem Maße gewährleistet werden, dass die unterschiedlichen Belange sowie Perspektiven in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt zur Sprache kommen können. Ferner ließe sich die Dominanz der Landessynode und ihrer Organe durch eine Gruppe und deren entsprechende Eigeninteressen tendenziell verhindern. Darüber hinaus wäre sicherzustellen, dass in der Synode ein Rederecht für Personen oder Gruppen institutionalisiert wird, die selbst nicht Mitglieder des kollektiven

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Diskussionsforums sind. Dieses institutionalisierte Rederecht umgeht die Abriegelung dieses kollektiven Forums gegenüber Interessen bzw. Gruppen, die bisher nicht vertreten wurden. In der Folge kann ein solches Rederecht ggf. die erneute Modifikation des Rahmens anstoßen. Auf diese Weise garantiert das Rederecht die Flexibilität des Rahmens und wirkt den immanenten Stabilisierungstendenzen der hochkomplexen sowie professionalisierten Organisationen Kirche bzw. Diakonie entgegen. Im Beispiel sind nun bisher Rahmen, Gruppen bzw. Personen mit Stimmrecht, eine Diskurskultur mit Möglichkeiten zur Konstituierung von Gruppen bzw. Positionen und auch das leicht modifizierte synodale Gremium als kollektives Diskussionsforum als gesetzt vorgeschlagen. Um entsprechende Analyse-, Strategiebildungs- und Aushandlungsverfahren für Teilhabe auf Augenhöhe in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt näher zu illustrieren, wird im Folgenden der weitere Prozess anhand einer spezifischen Gruppe in groben Linien nachvollzogen. Dazu wird in diesem Fall die Gruppe der ehrenamtlichen Mitarbeitenden in den Blick genommen. 3.4.2.3 Eine Gruppe von ehrenamtlichen Mitarbeitenden analysiert ihre mangelnde Teilhabe auf Augenhöhe in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt Im Folgenden wird das Analyse-, Strategiebildungs- und Aushandlungsverfahren Frasers zur Eröffnung eines Möglichkeitsraums für partizipatorische Parität exemplarisch an einer Gruppe freiwilliger Mitarbeitender und aus deren Stellung nachvollzogen. Eine größere Gruppe von freiwilligen Mitarbeitenden aus Kirche und Diakonie hat sich vernetzt und analysiert mit dem perspektivischen Dualismus Frasers und unter Berücksichtigung des Reich-Gottes-Motivs ihre eigene Position hinsichtlich ihrer Arbeit in der Organisation. Dabei zeigt sich deutlich, dass ehrenamtliche Arbeit insbesondere gegenüber beruflicher Arbeit oft als nachrangig, defizitär oder managementbedürftig verstanden wird. In diesem Sinne ist für die ehrenamtlich Tätigen bisher keine Teilhabe auf Augenhöhe möglich. Die Ehrenamtlichen berücksichtigen bei ihrer Analyse beide Aspekte, nämlich Statusanerkennung und Umverteilung. Auf der Dimension der Statusanerkennung wird die freiwillige Arbeit in der Regel als eine der Erwerbsarbeit nachgeordnete Tätigkeit, welche zusätzlich zu Lohnarbeit oder bei gesicherter Existenz durch die Partner*in, Rente usw. erfolgt, angesehen. Freiwillige Arbeit wird in professionalisierten Wohlfahrtsverbänden mit ökonomisierter Logik funktional verrechnet und muss sich auf diese Weise dem ökonomischen Paradigma, das auch bezahlte Arbeit reguliert, unterordnen. Auch in der Kirchenleitung kommt den ehrenamtlichen Presbyter*innen und

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Synodalen gegenüber der mächtigen Gruppe Pfarrer*innen eine defizitäre Stellung zu. Obwohl aus theologischer Perspektive (Priestertum aller Gläubigen sowie gemeinsamer Dienst lohnarbeiterisch und freiwillig erfüllter Arbeit)400 ein gemeinsamer Dienst auf Augenhöhe angestrebt ist – entspricht die Praxis nicht diesem Ideal. Denn in den Synoden und Kirchengemeinden haben in aller Regel die ordinierten Theolog*innen leitende sowie weisende Funktion. In den kirchlichdiakonischen Organisationen haben sich wirksame kulturelle Wertschemata herausgebildet, die ehrenamtliche Arbeit gegenüber lohnabhängiger bzw. alimentierter Arbeit geringschätzen: Zum einen wird dies in der Bevorzugung bezahlter Arbeit gegenüber unbezahlten Tätigkeit anschaulich. Zum anderen zeigt sich dies in der Vorherrschaft der akademischen Theologie in Form des Pfarrberufs, dessen besondere Stellung durch die Ordination stabilisiert wird. Auf der Umverteilungs-Dimension ist für freiwillige Mitarbeitende eine Teilhabe auf Augenhöhe verhindert, da ihre Tätigkeit in Kirche und Diakonie keine existenzsichernde Funktion erfüllt. Denn erst, wenn die freiwilligen Mitarbeitenden (in Form von eigener Lohnarbeit, durch die Partner*in usw.) ihre Lebensgrundlage gesichert haben, können sie in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt tätig werden. Demgegenüber bietet die lohnarbeiterisch bzw. alimentierte Arbeit in der Kirche bessere Chancen, da mit dieser auch die ökonomische Sicherung geleistet werden kann. Diese skizzenhafte Analyse durch die Brille des perspektivischen Dualismus illustriert, dass freiwillige Mitarbeitende auf beiden Dimensionen gegenüber beruflicher Arbeit (im Speziellen gegenüber verbeamteter beruflicher Arbeit) in Kirche bzw. Diakonie nicht als Ebenbürtige innerhalb der Organisation agieren können. Darauf fußend konzipieren die Ehrenamtlichen eine komplexe, affirmative oder transformative Strategie, um die verhinderte Teilhabe auf Augenhöhe zu beheben. Außerdem wird auf diese Weise auch der Einsicht, dass alle unterschiedlichen Tätigkeiten in Kirche und Diakonie unabhängig von der Position innerhalb der organisationalen Hierarchie sowie dem gesellschaftlich vermittelten monetären Wertmaß im Dienst der Kirche zusammenwirken, Rechnung getragen.

400 „Aufgrund der Taufe sind alle Christinnen und Christen zum Zeugnis und Dienst in der Welt berufen. Der Erfüllung dieses Auftrags dienen alle Dienste der Kirchengemeinde, die ehrenamtlich oder beruflich ausgeübt werden. Diese Dienste stehen gleichwertig nebeneinander.“ (KO Art. 42 (1)).

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3.4.2.4 Eine komplexe Strategie aus bedingungslosem Grundeinkommen und allgemeinen Vokationshandlungen zur Ermöglichung von partizipatorischer Parität der ehrenamtlichen Mitarbeitenden Die Ehrenamtlichen schlagen eine komplexe, zweidimensionale Strategie mit einer transformativen und einer affirmativen Maßnahme vor. Der transformative Schritt der Vokation bzw. Ordination der ehrenamtlichen Mitarbeitenden (3.4.2.4.2) wird mit dem affirmativen Schritt des bedingungslosen Grundeinkommens401 (3.4.2.4.1) verbunden. Diese Doppelstrategie soll die in ihrer Kombination der Benachteiligung ehrenamtlich Tätiger abhelfen und die Möglichkeit schaffen, dass diese Gruppe in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt Teilhabe auf Augenhöhe erlangen kann. Die benannte Doppelstrategie ist ausgerichtet an den Dimensionen des Reiches Gottes und soll theologisch gesprochen, den Möglichkeitsraum für die Ereignung der Gottesherrschaft konstituieren. In den nächsten Absätzen wird die komplexe Strategie mit ihren beiden Teilmaßnahmen begründet, erörtert und die intendierten Folgen präzisiert. 3.4.2.4.1 Bedingungsloses Grundeinkommen als affirmative Strategie auf der wirtschaftlichen Ordnung Aufgrund ökonomischer Zwänge zur Existenzsicherung in kapitalistischen Gesellschaften sind Ehrenamtliche bzw. potentielle freiwillige Mitarbeitende402 nicht in der Lage, sich in gleichem zeitlichen Umfang wie die Erwerbsarbeitenden in der Kirche zu engagieren und damit sich als Ebenbürtige zu beteiligen, da sie für ihre freiwillige Arbeit keine monetäre Absicherung erhalten. Insbesondere Personen in prekären Arbeitsverhältnissen können sich nicht auf Augenhöhe in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt einbringen, da sie mindestens einen großen Teil ihrer verfügbaren Zeit aufwenden müssen, um ihre Lebensgrundlage zu sichern. Da theologischerseits keine Über- bzw. Unterordnung zwischen den verschiedenen Arbeitsformen vorgenommen werden kann, ist möglichst vielen Mitgliedern der EKiR die Mitarbeit in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt zu eröffnen. Um die Existenzgrundlage aller Mitarbeitenden zu sichern, votiert die Gruppe der Ehrenamtlichen für den politischen Einsatz der Kirche bzw. Diakonie für ein existenzsicherndes, bedingungsloses Grundeinkommen.403 401 Bzw. dem Einsatz für die politische Realisierung eines bedingungslosen Grundeinkommens. 402 Nur bestimmte gesellschaftliche Schichten ist es wegen der gesicherten Existenz möglich, sich in Kirche bzw. Diakonie zu engagieren. Dies kann durch die Freiwilligensurveys bzw. auch die KMUs bestätigt werden. 403 Der Impuls, sich auch aus dezidiert theologischer Perspektive für ein bedingungsloses Grundeinkommen stark zu machen, geht auf den Ethiker Meireis zurück. Dieser fordert

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Ein solches politisches Engagement für ein staatlich ausgezahltes bedingungsloses Grundeinkommen akzentuiert zwei Grundeinsichten: Erstens wird daran die theologische Grundüberzeugung, dass das Reich Gottes nicht auf die Kirche zu verengen ist, ansichtig. Die Gottesherrschaft lässt sich theologisch nicht auf den organisationalen Rahmen der Kirche bzw. Diakonie beschränken404; der Bezugspunkt des Gottesreichs ist die gesamte Schöpfung und dieses ereignet sich in die alltäglichen Vollzüge des geschöpflichen Lebens hinein. In dieser Forschungsarbeit stehen zwar kirchlich-diakonische Organisationen im Fokus, jedoch kann die Reich-Gottes-Hoffnung nicht exklusiv für die verfassten Organisationen gedacht werden. Das Engagement für ein allgemeines, bedingungsloses Grundeinkommen kirchlich-diakonischerseits zeigt an, dass sich das Reich Gottes unverfügbar, inner- und außerhalb kirchlicher sowie diakonischer Strukturen als gerechte gesellschaftliche (Arbeits-)Strukturen orientiert am Reich Gottes realisiert. Zudem trägt der Einsatz für die politische Etablierung eines bedingungslosen Grundeinkommens in der BRD den westlich-kapitalistischen Vergesellschaftungsmustern, die sowohl inner- als auch außerhalb der Kirche wirken, Rechnung. Denn diese Vergesellschaftungsmuster bestimmen „richtige“ Arbeit im Sinne von Erwerbsarbeit und damit werden freiwillige, Haus- oder Reproduktionsarbeit zu minderwertigen Tätigkeits- bzw. Arbeitsformen. Da es gesamtgesellschaftliche Arbeitsteilung, Ausdifferenzierung sowie Wirtschaftsordnung sind, die die ökonomische Ungleichheit in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt wesentlich mitbestimmen, müssen Veränderungsstrategien sinnvollerweise auch diese gesellschaftlichen Ebenen einbeziehen. Im Folgenden werden allgemein die Optionen und Modelle eines bedingungslosen, existenzsichernden Grundeinkommens beschrieben. Sodann wird über die Höhe eines solchen Grundeinkommens debattiert, und es werden die alternativen Versionen Götz Werners sowie der Ansatz der BAG Grundeinkommen verglichen. Schließlich wird das bedingungslose Grundeinkommen der BAG Grundeinkommen als Teil der komplexen Strategie der Ehrenamtlichen dargelegt. Modelle des bedingungslosen, existenzsichernden Grundeinkommens In der politischen Diskussion beziehen sich ganz unterschiedliche Konzepte und Akteure auf ein „Grundeinkommen“. Diese sind

ausdrücklich, dass zur Sicherung der Teilhabe aller Menschen neben weitreichenden Bildungsprogrammen auch unbedingt ein „nicht-konditionales, existenzsicherndes Grundeinkommen“ (Meireis 2008, S. 488) nötig sei. Die entsprechenden Reformen würden die Teilhabechancen aller Menschen verbessern. 404 „Der Wind weht, wo er will.“ (Joh 3,18).

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bekanntlich keineswegs auf Kräfte beschränkt, die sich um solidarische Alternativen zur neoliberalen Konterrevolution gegen den Sozialstaat bemühen. Vielmehr reicht er über einzelne Interessenvertreter des Arbeitgeberlagers und neokonservative Politiker bis hin zu ‚ideologischen‘ Falken des Neoliberalismus.405

Die hier vorgeschlagene Strategie bezieht sich auf bedingungsloses Grundeinkommen, durch das Einkommen und Erwerbsarbeit entkoppelt und ferner die dominierende Tätigkeitsform der Erwerbsarbeit aufgelöst wird, da die zwanghafte Notwendigkeit der Existenzsicherung entfällt. Dies kann zu weitreichenden Veränderungen der Bewertung unterschiedlicher Tätigkeitsformen führen. An dieser Stelle werden verschiedene Modelle eines solchen bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) allgemein eruiert und die jeweiligen positiven bzw. negativen Implikationen beschrieben sowie gegeneinander abgewogen. Ein BGE ist durch folgende vier Kriterien zu charakterisieren: Erstens besteht ein individueller Rechtsanspruch. Zweitens gibt es keine sozialstaatliche Bedarfsprüfung. Drittens ist es an keine Erfüllung von anderen Arbeiten oder Tätigkeiten gebunden und ist unabhängig von anderen zu erfüllenden Zwangsleistungen garantiert. Viertens schließlich ist das Grundeinkommen existenzsichernd und ermöglicht auf diese Weise gesellschaftliche Teilhabe.406 Die in der politischen Debatte thematisierte „Grundsicherung“407 scheint dem „Grundeinkommen“ zu ähneln, denn beide sind steuerfinanzierte Transfers, auf welche vorleistungsunabhängiger408 Anspruch besteht. Ferner sind beide monetäre Transferleistungen, die eine Existenzsicherung ermöglichen sollen. Gegenüber dem Grundeinkommen ist die Grundsicherung jedoch abhängig von einer Bedürftigkeitsprüfung409 und wird in der Regel an Haushalte bzw. Bedarfsgemeinschaften ausgezahlt.410 Außerdem ist die Grundsicherungszahlung411 an eine Arbeits- bzw. Gegenleistungsbereitschaft- bzw. -pflicht geknüpft. Wenn keine Arbeits- bzw. Gegenleistungsbereitschaft besteht, werden dementsprechend Zwangsmaßnah405 406 407 408

Kreutz 2009, S. 162. Vgl. Dazu: Spannagel 2015, S. 3.; Blaschke 2010a, S. 305. Manchmal wird auch der Begriff „Mindestsicherung“ verwendet. Es müssen keine Versicherungsbeiträge gezahlt worden sein, um einen Anspruch dieser Leistungen rechtswirksam durchsetzen zu können. Demgegenüber ist der Anspruch auf Arbeitslosengeld-I in Abhängigkeit von zuvor bezahlten Versicherungsbeiträgen bestimmt. 409 Diese wird durch die Sozialadministration durchgeführt und berücksichtigt Haushalt sowie Einkommen. 410 „In diesem Falle werden vor der Zahlung die Einkommen und Vermögen aller Mitglieder einer – wie auch immer rechtlich konstruierten – Bedarfsgemeinschaft überprüft. Diese werden nach Prüfung mit dem Transferanspruch verrechnet. Sie minimieren also die Auszahlhöhe des Transfers.“ (Blaschke 2010a, S. 305). 411 Unter Grundsicherung werden Leistungen verstanden, die der sozio-kulturellen Existenzsicherung der Empfänger dienen und nicht von vorher eingezahlten Versicherungsbeiträgen (ALG-I, Rente usw.) abhängig sind.

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men vollzogen und diese Sozialleistungen gekürzt oder entzogen.412 Um das Grundeinkommen zu präzisieren, ist es hilfreich, dieses mit anderen sozialstaatlichen Grundsicherungsleistungen im deutschen System zu vergleichen.

Bedingungsloses Grundeinkommen

Individueller Bedürftigkeitsprüfung Bedingungslosigkeit Rechtsanspruch Ja Nein Ja

Arbeitslosengeld II Nein (ALG II bzw. Hartz IV) Grundsicherung im Nein Alter und bei Erwerbsminderung

Ja

Nein

Ja

Ja

Kindergeld

Nein

Ja

Ja, aber nur für Kinder Tabelle nach Spannagel 2015, S. 4.

ALG II und Grundsicherung nehmen das gesamte Einkommen der Bedarfsgemeinschaft als Berechnungsgrundlage der Leistungsberechtigung, welche nur nach Verbrauch des Großteils entsprechender Vermögen bzw. Ersparnisse gewährt wird. Hartz IV-Zahlungen sind an die Bedingungen des Jobcenters gebunden, das bei Nichterfüllung die Leistungsminderung bzw. Streichung anordnet. Die bisher genannten Sicherungsleistungen sind alle auf bestimmte Personenkreise beschränkt. Das in der Tabelle genannte Kindergeld kommt dem Grundeinkommen am nächsten, da es ohne Bedürfnisprüfung und bedingungslos mit individuellem Rechtsanspruch ausgezahlt wird. Jedoch ist das Kindergeld nur eine Art partielles Grundeinkommen, da es an die Eltern ausgezahlt wird und nicht der alleinigen Existenzsicherung des Kindes dient.413 Das unterscheidet das ‚echte‘ Grundeinkommen und seine Einstiegsvarianten von jeder sozialhilfeähnlichen Lösung. Der entscheidende Unterschied ist die Abkehr von der Arbeitsabhängigkeit, von einer Ideologie der Erwerbsarbeit. Dass das Grundeinkommen daneben auch den Einstieg in den Arbeitsmarkt wie in gemeinnützige Tätigkeiten im ‚Dritten Sektor‘ fördert, steht dazu nicht im Widerspruch. Das Grundeinkommen soll nicht den Ausstieg aus der Gesellschaft fördern, sondern den selbst bestimmten Einstieg. Es überlässt aber dem Einzelnen, wie er einsteigt.414

Trotz der bereits genannten Kriterien eines BGE werden die unterschiedlichen Modelle und Ansätze des „Grundeinkommens“ im nächsten Abschnitt über-

412 Vgl. Blaschke 2010a, S. 304f. 413 Vgl. Spannagel 2015, S. 4f. 414 Opielka 2004, S. 11.

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blicksmäßig dargestellt415 und im Anschluss der gewählte Typ genauer qualifiziert. Das Grundeinkommen wird in der Literatur hinsichtlich der Auszahlung in Sozialdividende und negative Einkommensteuer differenziert. Nach Blaschke ist Sozialdividende ein echtes Grundeinkommen, da diese vor einem steuer- bzw. abgabenrechtlichen Abzug der Einkommen bzw. Vermögen an alle Bürger*innen ausgezahlt wird. Jede einzelne Person erhält ohne Berechtigungsprüfung die Sozialdividende in gleicher Höhe, wobei eine Anpassung der Höhe gemäß unterschiedlicher Altersgruppen vorbehalten ist. Demgegenüber besteht der Anspruch auf die Auszahlung einer negativen Einkommensteuer in Abhängigkeit vom abgabe- und steuerrelevanten Einkommen bzw. der Steuerschuld der jeweiligen Person. Daher variiert die Auszahlungshöhe bzw. es erfolgt keine Zahlung.416 Die „negative“ Einkommensteuer ist eine Kombination aus einer (linear, progressiv oder degressiv) wachsenden positiven Steuer, die ab dem ersten Euro aus einem Erwerbseinkommen fällig wird, sowie aus einer pauschalen, auszahlbaren Steuergutschrift. Diese Kombination führt zur Auszahlung einer Negativsteuer in Höhe der Steuergutschrift an jeden Steuerzahler ohne eigene Einkommensquellen. Wenn ein eigenes Einkommen vorliegt und die sich daraus errechnete Steuerschuld mit der Steuergutschrift verrechnet, so dass das Finanzamt letztendlich eine reduzierte Steuergutschrift auszahlen muss. Ein Steuerzahler mit einer positiven Steuerschuld, die genau der Summe der Steuergutschrift entspricht, bezahlt gar nichts, erhält jedoch auch nichts: Er befindet sich an der Transfergrenze bzw. dem break even point. Alle anderen Steuerzahler bezahlen eine positive Steuer, die mit dem wachsenden Einkommen steigt.417

Blaschke qualifiziert Grundeinkommen in Form der negativen Einkommensteuer als unechtes Grundeinkommen, da es nicht bedingungslos an jede Person ausgezahlt wird. „Die negative Einkommensteuer steht zwischen dem liberalen und dem konservativen Wohlfahrtsregime-Typ“418 und die ‚negative Einkommensteuer‘, die von liberalen Ökonomen bevorzugt wird, möchte den Arbeitsanreiz perfektionieren und gleichzeitig die Kosten begrenzen. Deshalb setzen sie das Grundeinkommensniveau möglichst niedrig an. Zusätzliche Einkommen sollen zudem ‚nur‘ mit etwa 50 Prozent besteuert werden, so dass alle Erwerbstätigen vom Existenzminimum bis zur doppelten Höhe des Grundeinkommens (‚break even point‘) eine Mischung aus eigenem (‚primärem‘) Einkommen und ‚Negativsteuer‘ erhalten. Faktisch handelt es sich um die Subvention eines Niedriglohnsektors.419

415 Übersichtstabellen finden sich z. B. bei: Wagner 2009, S. 20–36.; Blaschke 2012; Vanderborght und van Parijs 2005. 416 Vgl. Blaschke 2010b, S. 23f. 417 Vanderborght und van Parijs 2005, S. 51. 418 Opielka 2004, S. 9. 419 Opielka 2004, S. 7.

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Das Modell „negative Einkommensteuer“ wurde vom liberalen Wirtschaftsökonomen Milton Friedmann420 in den USA entwickelt und in der BRD durch beispielsweise Joachim Mitschke rezipiert.421 Mitschkes Ansatz des sog. Bürgergelds, den er seit 1985 entwickelt hat422, überführt alle sozialstaatlichen Transferleistungen in dieses Bürgergeld, welches als negative Einkommensteuer gezahlt wird und sich insgesamt auf einem relativ niedrigen Niveau befindet:423 Die Höhe der Grundsicherung muß unter Einbeziehung aller bedürfnisorientierten Detailleistungen sozialstaatswürdig sein, darf aber keine Höhe erreichen, bei der es sich auf Dauer bequem einrichten läßt. Insbesondere ist zu gewährleisten, daß das verfügbare Einkommen von Erwerbstätigen immer und in anreizstiftender Höhe über dem des alleinigen Grundsicherungsempfängers liegt.424

Mitschke vereinfacht das sozialstaatliche Leistungswesen bzw. das Steuersystem. Mit dem geringen Leistungsniveau will er Anreize zur Erwerbsarbeitsaufnahme setzen. Insgesamt ist Mitschkes Bürgergeld kein BGE, da es lohnergänzenden Charakter (im Sinne eines Kombilohns) hat und die Ausweitung prekärer Arbeit im Niedriglohnsektor begünstigt. Mitschkes Bürgergeld manifestiert auf diese Weise die gesellschaftliche Zentralstellung der Erwerbsarbeit.425 Darüber hinaus nimmt die negative Einkommensteuer die steuerliche Veranlagung des ganzen Haushalts zur Berechnungsgrundlage, womit das Kriterium des individuellen Anspruchs nicht erfüllt wird. Das genannte Beispiel verdeutlicht, dass die negative Einkommensteuer nicht die vier Charakteristika des BGE erfüllt. Grundeinkommensvorschläge in der Form „negative Einkommensteuer“ entsprechen eher einer minimalen Grundsicherung und werden daher im Kontext

420 Friedman 1962. 421 Weitere Vorschläge zur Umsetzung einer negativen Einkommensteuer finden sich in der deutschen Debatte: Solidarisches Grundeinkommen von Johannes Israel/Frank Mai u. a. (Mitglieder der Piratenpartei D) 2012; Solidarisches Grundeinkommen von SPD Rhein-Erft 2010; Das Modell des Deutschen Bundesjugendrings 2004; Grundeinkommen von Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) 2003/07; Solidarisches Bürgergeld von Dieter Althaus 2010; Bürgergeld von Joachim Mitschke 2004; Liberales Bürgergeld der FDP 2009 (vgl. Blaschke 2012). 422 Mitschke 1985; Mitschke 2004. 423 Bei Mitschke besteht der Anspruch auf 333 € ab 18 Jahren, der Gesamtbedarf eine Ehe-Transfereinheit sind 625 € plus eine regional angepasste Pauschale für Wohnbedarf plus 15 % der Kaltmiete für Neben- bzw. Heizkosten. Daneben haben Kinder unter 12 Jahren einen Anspruch auf 250 € (350 € für Kinder Alleinerziehender). (Vgl. Blaschke 2010a, S. 335f). 424 Mitschke 2004, S. 92. 425 Vgl. Blaschke 2010a, S. 337.

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dieser Untersuchung nicht weiterverfolgt. Im weiteren Verlauf werden nur Modelle der Sozialdividende berücksichtigt.426 Höhe des bedingungslosen Grundeinkommens Die Transferleistungshöhe bestimmt, ob das entsprechende Grundeinkommen existenzsichernd ist, d. h. für die entsprechende Person die Lebensgrundlage sichert und eine Teilhabe an Gesellschaft427 gewährt. Blaschkes Kalkulationsvorschlag kombiniert verschiedene Berechnungsmethoden428 und deren Transferhöhen: Schaut man sich die sechs Möglichkeiten an, sich einer Angabe über die Höhe des Transfers zu nähern, der die Existenz sichern und gesellschaftliche (Mindest-)Teilhabe eines Menschen ermöglichen soll, ergeben sich Werte zwischen 800 und 1000 Euro (netto) im Monat für eine alleinstehende, erwachsene Person. Sehr konservativ betrachtet wäre also ein Niveau von Netto-Transfers von mindestens 800 Euro netto/ Monat (Tendenz zu 1000 Euro) nötig, um Existenz zu sichern und (Mindest-)Teilhabe zu ermöglichen. Die Höhe von 800 Euro (netto) muss also auch bei einem (bedingungslosen) Grundeinkommen mindestens garantiert sein […] – sollten keine sozialversicherungspflichtigen Einkommen gegeben sein – die Kosten für Kranken- und Pflegeversicherung und gegebenenfalls noch weitere Versicherungsbeiträge vom Gemeinwesen übernommen werden.429

Daraus resultiert ein Betrag von rund 1000 € (netto) plus etwaige Kosten für Krankenversicherung oder für besondere Bedarfe (Krankheit, Behinderung, Schwangerschaft usw.) für ein existenzsicherndes und Teilhabe ermöglichendes BGE.

426 Wobei nicht alle Grundeinkommen, die als Sozialdividende gezahlt werden, einen entsprechenden emanzipativen Charakter hinsichtlich unterschiedlicher Formen von Tätigkeit haben. Vgl. dazu an späterer Stelle die Auseinandersetzung mit dem Modell Götz Werners. 427 „Teilhabe an Kultur, Politik, Bildung, soziale Kontakte usw. im Sinne einer Mindestteilhabe.“ (Blaschke 2010a, S. 307). 428 Um die Höhe zu berechnen, stehen unterschiedliche Methoden zur Verfügung: Armutsrisikogrenze, Warenkorb, Statistikmodell, Mindesteinkommensabfrage, Pfändungsfreigrenze und Selbstbehalt bei Unterhaltsverpflichtungen. (Näheres zu diesen unterschiedlichen Verfahren vgl. Blaschke 2010a, S. 308–315). Blaschke versucht, die Probleme der jeweiligen Methoden durch sein synthetisches Verfahren zu umgehen. Denn beispielsweise ergibt sich bei der Bestimmung der Transferhöhe durch die Armutsrisikogrenze das Problem, dass das Armutsrisiko aus dem durchschnittlichen Einkommen abgeleitet wird und daher nicht unbedingt mit den realen Bedarfen der Menschen korreliert. 429 Blaschke 2010a, S. 315.

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Zwei alternative Modelle eines bedingungslosen Grundeinkommens: Götz Werners Ansatz und das Modell der BAG Grundeinkommen Im Folgenden wird das Modell des Unternehmers Götz Werner und dann ein alternatives Konzept eines BGE im Sinne der vorgelegten Kriterien vorgestellt. Die Präferenz für eines der beiden wird im Anschluss näher erläutert. Massenmedial wird das Thema BGE immer wieder aufgegriffen; so titelte die FAZ: „‚1000 Euro für jeden machen die Menschen frei‘ Drogerie-Gründer Götz Werner macht sich für ein Grundeinkommen für alle stark.“430 Werner lehnt es ab, „nur Erwerbsarbeit für Arbeit [zu halten]. […] Tatsächlich gibt es viel mehr Arbeit als Erwerbsarbeit. Neben der eigentlichen ‚Hausarbeit‘ sind das etwa Erziehung, Pflege, soziales Engagement, Kulturarbeit, Jugendarbeit, Sport, Brauchtum.“431 Erwerbsarbeit sei ein „historische[r] Spezialfall“432, der nur aus Gründen der Existenzsicherung bestehe. Werner wünscht sich die Befreiung der Menschen von Lohnarbeitszwang, damit sie zur kreativen Selbstentfaltung gelangen können. Werner formuliert den „kategorische[n] Imperativ der Gesellschaft des bedingungslosen Grundeinkommens […]: Du bekommst ein Grundeinkommen und lässt deine Talente zur Entfaltung kommen. Zeig, was du kannst!“433 Die Höhe des BGE gibt er mit 800–1600 € netto (Anpassung nach Alter, Krankheit usw. möglich) an. In Werners Konzept werden schrittweise alle Sozialtransfers substituiert. Zusätzliche Einkommen zum BGE sind nicht zu versteuern, da alle Steuern- sowie Versicherungsbeiträge434 zugunsten einer einzigen Steuer – der Konsumsteuer abgeschafft werden. Der Konsumsteuersatz ist nach Werner bis zu 50 %.435 Durch diese Maßnahmen erhofft er sich eine Vereinfachung des Steuersystems, die Weckung des kreativ-unternehmerischen Geistes der Menschen jenseits von Arbeitszwang, individuelle Selbstverwirklichung sowie auch einen größeren Verhandlungsspielraum für zu zahlende Löhne bzw. Gehälter.436 Das Werner‘sche BGE-Modell akzentuiert menschliche Selbstverwirklichung jenseits des Erwerbsarbeitszwangs, was Anknüpfungspunkte für ein alternatives Arbeitsverständnis anbietet. Kritisch zu bedenken ist, dass die Abschaffung aller Steuern (Erbschaftssteuer, Vermögenssteuer, Kapitalertragssteuer usw.) und Sozialversicherungen437 die Macht430 431 432 433 434

Meck 2010. Weitere Beispiele: Timm 2016; SWR 2016; Zurheide 2016. Werner 2007, S. 64. Werner 2007, S. 64. Werner 2007, S. 96. Werner plädiert für die Abschaffung der Lohnsteuer, der Einkommensteuer, der Erbschaftssteuer usw. Außerdem will er die Arbeitslosenversicherung und weitere Sozialversicherungen abschaffen. 435 Vgl. Werner 2007, S. 147ff. 436 Vgl. Werner 2007, S. 100f. 437 „Die meisten nicht-emanzipatorischen Modelle eines bedingungslosen Grundeinkommens sehen vor, das System sozialer Sicherung […] zu streichen. Hier stellt sich die Frage, wie sich

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konzentration sowie Kapitalakkumulation der Reichen fördere. Die auf 50 % erhöhte Konsumsteuer belastet außerdem die Armen bzw. Menschen, die nur ein BGE zur Verfügung haben, übermäßig stark, da diese den größten Teil ihres Einkommens für die alltäglichen Güter ausgeben müssen. Indem nur die Konsumsteuer zur Finanzierung des BGE zur Verfügung steht, werden ferner bestehende Ungleichheitsverhältnisse zwischen Reichen und Armen verfestigt. Nach Wagner ist das BGE-Modell des Unternehmers neoliberal geprägt.438 Bei Werner ist die Frage weniger, wie soziale Absicherung in Zeiten von Globalisierung und flexibilisierten Ökonomien gehandhabt werden kann, sondern umgekehrt vor allem, wie die Flexibilisierung von (Arbeits-)Märkten weitestgehend vorangetrieben werden kann, ohne dabei eine allzu starke gesellschaftliche Destabilisierung zu riskieren. […] Mit anderen Worten: Das Grundeinkommen in seiner neoliberalen Ausprägung dient nicht in erster Linie einer gerechten Gesellschaft, sondern der Wahrung einer Gesellschaft, welche das ökonomische System nicht in Frage stellt. Im Mittelpunkt steht also die Anpassung der Gesellschaft an den Markt – und eben nicht ein neuer Kompromiss zwischen Markt und Gesellschaft; dies ist der wesentliche Unterschied zu sozialliberalen Ansätzen.439

Als Alternative dient das Modell der Bundesarbeitsgemeinschaft Grundeinkommen (BAG Grundeinkommen) und der Partei DIE LINKE. Dieser Ansatz ist als Sozialdividende geformt, die den vier BGE-Kriterien entspricht und sozialpolitisch einen emanzipativen Charakter hinsichtlich unterschiedlicher Tätigkeiten entfaltet.440 Das BGE soll „eine Umverteilung von oben nach unten sowie eine geschlechtergerechte Neuausrichtung von Erwerbsarbeit und anderen notwendigen Tätigkeiten befördern“441 und damit eine „dekommodifizierende Wirkung“442 zeigen. Die Grundeinkommenshöhe wird auf Grundlage des Durchschnittseinkommens für Personen ab 16 Jahren mit 1080 € netto (unter

438 439 440 441 442

das auf die soziale Kohäsion einer Gesellschaft auswirkt. […] Ein weitreichender Rückzug des Sozialstaats bedeutet, dass Individuen selbst ihre sozialen Risiken absichern müssen […]. Auch die Tatsache, dass sehr reiche Personen dieselbe Einkommenshöhe erhalten wie Arme, kann dazu führen, dass sich die soziale Ungleichheit auf Dauer verschärft und die Reichen, sozusagen mit direkter staatlicher Unterstützung, immer reicher werden […].“ (Spannagel 2015, S. 17). Vgl. Wagner 2009, S. 20. Wagner 2009, S. 24. Dieses Modell ähnelt in hohem Maße dem Vorschlag des Existenzgelds der Bundesarbeitsgemeinschaft der Sozialhilfeinitiativen (BAG SHI): Bundesarbeitsgemeinschaft der Sozialhilfeinitiativen (BAG SHI) 2000. Bundesarbeitsgemeinschaft Grundeinkommen in und bei der Partei DIE LINKE 2016, S. 30. Bundesarbeitsgemeinschaft Grundeinkommen in und bei der Partei DIE LINKE 2016, S. 29.

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16 Jahren mit 540 €) für das Jahr 2013443 angegeben. Dazu kommen zusätzliche Leistungen für Kranke, Schwangere, Behinderte usw. und eine kostenlose Kranken- und Pflegeversicherung, wenn keine weiteren Einkommen neben dem BGE vorliegen. Zusätzliche Einkommen sind mit drei Einkommensteuersätzen zu versteuern.444 Die niedrigen Einkommensteuersätze bei geringen Einkommen verbessern die finanzielle Lage der Geringverdienenden. Zur Finanzierung des BGE wird eine BGE-Abgabe von 33,5 % erhoben, die zur höheren Gesamtbelastung aller Bruttoprimäreinkommen als bisher führt.445 Diese Belastung setzt sich wie folgt zusammen: BGE-Abgabe + Einkommensteuer + Versicherungsbeiträge. Die Gesamtbelastung beträgt zwischen 50 Prozent bei kleinen Einkommen und 70 Prozent ab 5401 Euro Einkommen pro Person und Monat. Trotzdem werden die meisten Menschen (nämlich die mit einem monatlichen Bruttoeinkommen unter 7000 €, insbesondere die unteren Einkommensschichten) zusammen mit dem Grundeinkommen als Steuergutschrift […] geringere tatsächliche Abzüge vom Bruttoeinkommen und netto mehr haben als vorher.446

Die bisher bestehenden Grundsicherungen werden durchs BGE ersetzt und das Wohngeld wird modifiziert. Im Gegensatz zu Werners Modell bleiben im Ansatz der BAG Grundeinkommen/Die Linke die Sozialversicherungen (Renten-, Kranken-, Pflege- sowie Arbeitslosenversicherung) in veränderter Form bestehen. Außerdem gibt es einen Mindestlohn.447 Die Umsetzung des Modells bewirkt eine radikale Umverteilung von oben nach unten. Personen mit einem Bruttoeinkommen bis 6000 Euro werden mit diesem Konzept besser gestellt als bisher, insbesondere im unteren Einkommensbereich. Das BGE ist in eine umfassende gesellschaftstransformatorische und emanzipatorische Perspektive eingebunden.448

Das BGE der BAG Grundeinkommen führt mit der stärkeren Besteuerung der höheren Einkommen, der Beibehaltung der Sozialversicherungen und insbesondere der Umverteilung von (gesellschaftlich notwendiger) Arbeit zu 443 Dieser Betrag wäre im Jahr 2018 auf Grund des Inflationsausgleichs bei rund 1122 € anzusetzen. 444 „Es werden drei Einkommensteuersätze eingeführt, die sich an der Höhe des BGE für Erwachsene orientieren. Die ersten 2160 € Bruttoprimäreinkommen pro Monat und Person (bis zum zweifachen BGE-Satz) werden pauschal mit 5 Prozent besteuert. Zwischen 2161 und 5400 € pro Person und Monat (bis zum fünffachen BGE-Satz) fallen 15 Prozent Einkommensteuer an, für jeden Euro darüber 25 Prozent.“ (Bundesarbeitsgemeinschaft Grundeinkommen in und bei der Partei DIE LINKE 2016, S. 35). 445 Vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft Grundeinkommen in und bei der Partei DIE LINKE 2016, S. 30ff. 446 Bundesarbeitsgemeinschaft Grundeinkommen in und bei der Partei DIE LINKE 2016, S. 37. 447 Vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft Grundeinkommen in und bei der Partei DIE LINKE 2016, S. 38ff. 448 Blaschke 2010a, S. 362.

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emanzipativ-transformativer Veränderung in kapitalistischen Arbeitsteilungsverhältnissen. Und dies trotz der Verortung innerhalb des kapitalistischen Systems. Insgesamt erlaubt dieses BGE Modell, die Frage nach der Relevanz unterschiedlicher Tätigkeiten zu stellen und ggf. Neubewertungen vorzunehmen. Bezogen auf die kirchlich-diakonische Arbeitswelt kann das BGE als Teilstrategie seine Relevanz v. a. auf der Ebene der Umverteilung entfalten.449 Das BGE der BAG Grundeinkommen als Teil der komplexen Strategie der Ehrenamtlichen Die Ehrenamtlichengruppe in EKiR bzw. Diakonie RWL vertritt ein emanzipatives Grundeinkommen entsprechend dem Modell der BAG Grundeinkommen als Teil ihrer komplexen Reformstrategie, die maßgeblich auf die Dimension der Wirtschaftsordnung und die Fragestellung nach Arbeit bezogen ist. Die Wirksamkeit des BGE hinsichtlich der Wirtschaftsordnung wird auch an den folgenden Implikationen eines BGEs verdeutlicht. Vobruba problematisiert den allgemeinen, d. h. auf Lohnarbeit verengten Arbeitsbegriff, da dieser Lohnarbeitsbedingungen ausblendet sowie Arbeit als Erwerbsarbeit zum Ziel eines jeden Menschen und auch der Politik der Vollbeschäftigung macht. Im Zusammenhang der prekären Arbeitsbedingungen für Leiharbeitende in Reinigungsfirmen oder Menschen in Scheinselbstständigkeit wirke ein mögliches Recht auf Arbeit zynisch.450 Gesellschaftliche Teilhabe und Existenzsicherung seien aufs engste in Lohnarbeit miteinander verknüpft. Da reguläre Erwerbsarbeit infolge der unaufhaltsamen Produktivitätssteigerung zwangsläufig tendenziell rar wird451, kann der Vorschlag des bedingungslosen Grundeinkommens […] als gerechter Ausgleich für einen wachsenden Anteil der heute und in Zukunft immer schwerer am Arbeitsmarkt unterzubringenden Erwerbsbevölkerung betrachtet werden.452

Das BGE ist die Alternative zum wirtschaftspolitischen Ziel Vollbeschäftigung453, weil Lebenschancen auch außerhalb des Arbeitsmarkts gefunden werden können.454 Durch das BGE werden Arbeit und Einkommen entkoppelt, wobei „die Hoffnung […] ist, dass sich eben diese Verbindung nach und nach auflöst 449 Vgl. Wagner 2009, S. 37. 450 Vgl. Vobruba 2007, S. 17ff „Damit ist die Forderung nach einem Recht auf Arbeit ebenso inhuman wie die Bedingungen selbst es sind, unter denen die Arbeit stattfindet. Idolisierung der Arbeit und Ausblenden der konkreten Arbeitsverhältnisse – dazwischen spannt sich ein Feld von Ideologie, in dem die Diskussion um das Recht auf Arbeit heute weitgehend verhangen zu sein scheint.“ (Vobruba 2007, S. 18.) 451 Digitalisierung, Beibehaltung der 40-Stunden-Woche usw. 452 Vanderborght und van Parijs 2005, S. 75. 453 Vgl. u. a. dazu: Theobald 1967; Gorz 2000; Offe 1992; Offe 1995. 454 Vgl. Vobruba 2007, S. 34f.

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und alternative Lebenskonzepte [und Arbeitsformen] tatsächlich wirklich gesellschaftsfähig werden.“455 Die BGE-Einführung demontiert die Zentralstellung der Erwerbsarbeit innerhalb des Arbeitskontinuums (2.1.4), da die Existenzsicherung durchs BGE geleistet werden kann. Hinsichtlich der unterschiedlichen Tätigkeiten wird das BGE zu „einer zumindest partiellen Relativierung der Dominanz des Marktes für die gesellschaftlichen Beziehungen“456 und damit auch Arbeitsbeziehungen beitragen. Schließlich wird durch das BGE als Existenzgrundlage das Engagement in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt jenseits von Erwerb bedingungslos möglich, was die willkürliche Zuteilung von monetärer Entlohnung verschiedener Arbeiten unterläuft. Die durchs BGE ermöglichte Arbeit ist weniger „Selbstverwirklichung“457, sondern „wirkt auf die autonome Sphäre der Tätigkeiten befördernd, weil es die Individuen bis zur Höhe des Grundeinkommens freisetzt von der Notwendigkeit der Erwerbsarbeit bzw. erwerbsfixierter Arbeiten.“458 Es wird möglich, den Tätigkeiten, die ausgehend vom Reich Gottes als wichtig und sinnvoll klassifiziert werden, nachzugehen und dies unabhängig davon, ob die entsprechende Tätigkeit lohnarbeiterisch strukturiert ist oder nicht. Schließlich bietet das BGE auch die Gelegenheit, sich schwierigen erwerbsarbeiterischen Zusammenhängen zu entziehen. Dies wäre beispielsweise für die Erwerbstätigen, die unter den prekären Bedingungen, dem warenförmigen Charakter der Arbeit und auch durch die kompetitive Organisation der Diakonie auf dem Quasimarkt des Sozialen leiden, eine Option. Das BGE versetzt Menschen in die Position, prekäre Arbeitsbedingungen zu verweigern. Die hochgradig gegenderte Arbeitsteilung in weibliche, unbezahlte Hausarbeit und dem männlichen Familienernährer (in einem Normalarbeitsverhältnis) wird durch das BGE verstört und dies kann einen massiven Autonomiegewinn insbesondere für Frauen bedeuten. Das BGE eröffnet die Chance, die derzeitigen Benachteiligungen von Frauen auf dem Arbeitsmarkt – etwa den ‚Gender Pay Gap‘, das niedrigere Lohnniveau […], die schlechteren Arbeitsbedingungen in vielen ‚Frauenberufen‘ oder die geringere Erwerbsbeteiligung von Frauen sowie den hohen Anteil an geringfügiger Beschäftigung – aufzubrechen.459 455 Spannagel 2015, S. 12. 456 Wagner 2009, S. 37. 457 Das Motiv, sich selbst zu verwirklichen schwingt natürlich immer mit, wird aber hinsichtlich der sozialen Notwendigkeit und Sozialbezüglichkeit vieler Tätigkeiten häufig in seiner Bedeutung überschätzt. Selbstverwirklichung spielt als Motiv für Tätigsein durchaus eine Rolle, jedoch nicht alleine, denn Selbstentfaltungswerte und der Einsatz fürs Gemeinwohl schließen einander nicht aus. Bei Tätigsein liegen Selbstentfaltungswerte sowie das Engagement fürs Gemeinwohl als Motive ehrenamtlicher Tätigkeit gleichauf wie der Freiwilligensurvey zeigte. (Vgl. 1.1.2.1.1.) 458 Blaschke 2010b, S. 73. 459 Spannagel 2015, S. 13.

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Die hier favorisierte Fassung des BGE-BAG Grundeinkommens schafft immense Spielräume zur Gestaltung von Arbeit sowie Tätigkeitsformen. Das BGE wird mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass gesellschaftlich notwendige Tätigkeiten, die bisher sehr schlecht entlohnt werden (beispielsweise in der Pflege), große Lohnsteigerungen erleben, da Personen zur (erwerbsarbeiterischen) Erfüllung dieser Tätigkeiten motiviert werden müssen. Um zu verhindern, dass es zu einem Absinken der Löhne gerade im Niedriglohnsektor kommt und das BGE als eine Art Kombilohn wirkt, muss mit dem BGE zusammen ein entsprechender Mindestlohn festgesetzt werden. Außerdem sollten die Sozialversicherungen und damit das Lohnnebenkostenniveau beibehalten werden, um die Flexibilisierung sowie Deregulierung der Arbeitsmärkte zu umgehen.460 Denn nur wenn BGE und eine solche solidarische Politik (mit Sozialversicherungen und Mindestlohn) zusammenspielen, kann das BGE die „Abschaffung bzw. Entschärfung der Exklusionsfalle“461 bewirken. In der Konsequenz werden bisherige Arbeitsteilungsmuster überdacht und verschiedene Arbeitsformen können als „wirkliche“ Arbeit anerkannt werden.462 Neben den positiven Implikationen des BGEs für die Arbeitswelt sprechen noch zahlreiche weitere Argumente für seine Einführung, diese werden im Weiteren nicht explizit ausgeführt.463 Jedoch sollen auch die kritischen Anfragen zum BGE bedacht werden. Es wird vorgebracht, dass das BGE die wirtschaftliche Wertschöpfungskette sowie die Motivation zur Erwerbstätigkeit absenken könnte. Zum ersten ist zu sagen, dass ein entsprechend hohes Grundeinkommen mit hoher Wahrscheinlichkeit die Konsumneigung sowie die Volkswirtschaft stabilisiert.464 Die zweite Anfrage

460 461 462 463

464

Dabei ist anzumerken, dass das BGE auch zu einer Verdrängung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt führen könnte. Denn durch die Existenzsicherung des BGE und der implizierten Möglichkeit von v. a. Frauen, sich den unbezahlten Pflege- sowie Erziehungsarbeiten zu widmen, könnte es dazu kommen, dass Arbeitgeber sich weniger mit der Vereinbarkeit von Lohnarbeit und Familie bzw. Lohnarbeit und anderen Formen von Tätigkeit auseinandersetzen und es zu einer fortgesetzten Dominanz der Erwerbsarbeit gegenüber anderen Tätigkeiten kommt. Um solche Fortwirkungen zu verhindern, wird im Zusammenhang der hier entwickelteten Strategie stets die dualistische Perspektive beachtet, wodurch eben auch die Dimension der Anerkennung explizit berücksichtigt wird. Solche Konsequenzen aber liegen im Interesse der sog. neoliberalen Modelle des Grundeinkommens. Vanderborght und van Parijs 2005, S. 77. Vgl. Vanderborght und van Parijs 2005, S. 76ff. Siehe dazu bei Vobruba 2007, S. 178–181. Er unterteilt die Argumente für ein BGE in gesellschaftspolitische, ökonomische und sozialpolitische. Zu den gesellschaftspolitischen zählt er das Autonomieargument, das Ökologieargument sowie das frauenpolitische Argument. Zu den ökonomischen zählt er das Argument alternativer Arbeit, das Kaufkraftargument und das Arbeitslosigkeitsargument. Zu den sozialpolitischen zählt er das Armutsargument, das Bürokratieargument sowie das Armutsfallenargument. Vgl. Spannagel 2015, S. 15ff.

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nach dem Arbeitsanreiz formuliert eine anthropologische Grundfrage: Ist der Mensch ein arbeitendes-tätiges-kreatives Wesen oder ist er faul und selbstgenügsam? Insgesamt wird im Kontext dieser Untersuchung vom Menschen als soziales Wesen ausgegangen, das im Umgang mit seiner sozial-geschöpflichen Umwelt stets kreativ-schöpferisch-fürsorgend tätig ist bzw. arbeitet. Von daher ist schwer vorstellbar, dass die Mehrheit der Menschen nicht mehr arbeiten würde, wenn sie ein BGE empfingen. Dennoch ist es richtig, dass das BGE ggf. die Erwerbsneigung verringert. Dies ist im Zusammenhang der hier forcierten Doppelstrategie ein durchaus erwünschter Effekt, da so die Verbindung von Lohn und Arbeit gelöst wird und Erwerbsarbeit ihr Alleinstellungsmerkmal Existenzsicherung verliert. Auf diese Weise kann neu die Sinnhaftigkeit bestimmter Tätigkeiten evaluiert werden und Arbeit ihre Bedeutung aus der Rolle für das soziale Zusammenleben schöpfen. Insgesamt ist das BGE Teil der komplexen Strategie zur Veränderung der Position der ehrenamtlich Tätigen in Kirche bzw. Diakonie. Diese Gegenstrategie will eine Teilhabe auf Augenhöhe für die freiwilligen Mitarbeitenden, v. a. im Hinblick auf die Dimension der Umverteilung, erreichen. Die Position der Freiwilligen gegenüber der anderen Mitarbeitenden innerhalb der kirchlichdiakonischen Arbeitswelt wird mit dem BGE verbessert, da beide Gruppen ihre Tätigkeit verrichten können und die Lebensgrundlage beider gesichert ist. Verschiedene Tätigkeiten in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt, die entsprechend der eigenen Grundausrichtung der Kirchenordnung als elementar verstanden werden, sind dann in den unterschiedlichen Arbeitsformen möglich, da Lohnzahlungen oder BGE die monetäre Absicherung übernehmen. Der mit dem BGE ausgesetzte Lohnarbeitszwang gibt den freiwilligen Mitarbeitenden die Gelegenheit, sich als Ebenbürtige in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt zu engagieren. Das BGE destabilisiert die strikten Grenzziehungen zwischen den unterschiedlichen Tätigkeiten. Ferner werden durch das BGE als Teil einer integrativen, komplexen Doppelstrategie immer auch gesellschaftliche institutionalisierte, kulturelle Wertschemata der Statusordnung modifiziert. Denn die transformative Umverteilung setzt ebenso wie die affirmative Umverteilung normalerweise eine universalistische Konzeption der Anerkennung, nämlich den gleichen moralischen Wert von Personen, voraus. […] Ein Ansatz, der zum Ziel hat, Ungerechtigkeit der Verteilung auszugleichen, kann also dabei helfen, auch (manche) Ungerechtigkeiten in der Form fehlender Anerkennung wettzumachen.465

Das heißt, das BGE wirkt durch die ökonomischen Mechanismen auch auf die kulturellen Wertmuster, die Ehrenamtliche oder weibliche unbezahlte 465 Fraser 2001, S. 53.

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Carearbeiterinnen nicht nur ökonomisch, sondern auch statusmäßig gegenüber der männlichen Berufstätigkeit oder dem männlichen Pfarramt nachordnet. Das BGE ist eine wirksame Teilstrategie zur Erlangung partizipatorischer Parität. Auf den ersten Blick entspricht es zwar einer affirmativen Strategie, da die politisch-ökonomische Struktur kapitalisierter Arbeit weitgehend intakt bleibt. Jedoch kann das BGE als Grenzstrategie im Fraser’schen Sinne die festen Abgrenzungen zwischen „wirklicher“, d. h. bezahlter Arbeit und der Arbeit, welche freiwillig in Kirche bzw. Diakonie geleistet ist, destabilisieren. Auf diesem Weg entfaltet das BGE sein transformatives Potential.466 3.4.2.4.2 Allgemeine Vokationshandlungen als transformative Strategie der Statusordnung Die kirchlich-diakonische Arbeitswelt ist durch kulturelle Wertmuster reguliert, die gesellschaftliche Praxen der Arbeitsteilung sowie gesellschaftliche Wertungen durch theologische Motive und Begründungen legitimieren. (Vgl. beispielsweise 1.1 und 2.2.1) Freiwilligen Mitarbeitenden mangelt es gegenüber beruflichen Mitarbeitenden an Anerkennung ihrer Arbeit. Dies gilt in besonderem Maße in Kontrast mit der Berufsgruppe der Pfarrer*innen, der auch innerhalb der beruflich Tätigen ein besonderer Status, viele Privilegien, Macht und eine herausgehobene, äußerst einflussreiche Position zu eigen ist. Zwar deutet die Kirche ehrenamtliche Arbeit gern als gemeinsamen Dienst oder gemeinsames Priestertum aller Gläubigen sowie als Teilhabe am Reich Gottes. Jedoch werden freiwillige Mitarbeitende handlungspraktisch als managementbedürftiges Arbeitskräftepotential wahrgenommen, die in finanziellen Notsituationen der Organisationen zum stabilen Arbeitsablauf beitragen können. Die freiwilligen Mitarbeitenden seien defizitär professionell und müssten unbedingt durch die beruflichen Mitarbeitenden in entsprechende Bahnen gelenkt werden. Das frappierende Übergewicht der Theologinnen in den Entscheidungsorganen der EKiR bzw. Diakonie RWL gegenüber den anderen Arbeitsfeldern bzw. Berufsgruppen illustriert den hohen Status dieser Gruppe. Im Vergleich dazu sind zugleich die anderen lohnar466 Fraser nimmt das Grundeinkommen als ein mögliches affirmatives oder transformatives Beispiel hinsichtlich der Dimension gender auf: „Tatsächlich würde ein garantiertes Grundeinkommen dazu beitragen, einen ‚Mommy Track‘ entstehen zu lassen, einen Markt für flexible, nur kurzfristige und größtenteils weibliche Arbeit, wodurch wieder Tiefenstrukturen der gender-bedingten ökonomischen Benachteiligung nur festgeschrieben, anstatt transformiert werden. Andererseits könnte das garantierte Grundeinkommen durchaus tiefenstrukturelle Wirkungen zeitigen, wenn es als einer unter mehreren Bestandteilen eines sozialdemokratisch-feministischen Regimes institutionalisiert wird. Wenn es etwa mit dem Konzept des ‚vergleichbaren Werts‘ und mit umfassender öffentlicher Kinderbetreuung kombiniert wird, könnte es die Machtbalance innerhalb heterosexueller Haushalte antasten und dadurch Veränderungen bei der gender-förmigen Verteilung von Arbeit initiieren.“ (Fraser und Honneth 2003b, S. 109f.)

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beiterisch Tätigen und die Freiwilligen stark unterrepräsentiert. Die herausgehobene Stellung der Pfarrer*innen wird theologisch oftmals durch die Identifikation des Pfarrberufs mit dem Pfarramt als Amt der Kirche verbunden und begründet sowie symbolisch-rituell in der Ordination manifestiert. Diese Missverhältnisse auf der Dimension der Statusordnung verhindern die Teilhabe auf Augenhöhe. Unter Gliederungspunkt 2.2.1.3 wurde nachgewiesen, dass der gemeinsame Dienst bzw. Dienstgemeinschaft wohl eine theologische Begründung der verschiedenen Arbeitsformen darstellt, diese aber nur unzureichend in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt praktisch wird. Um die Position der freiwilligen Mitarbeitenden hinsichtlich der Statusanerkennung zu verbessern, wird der pastoraltheologische Entwurf Peter Bubmanns, der der komplexen Situation unterschiedlicher Berufsgruppen in der Kirche und dem theologischen Auftrag der Kirche zugleich gerecht werden will, aufgenommen. Bubmanns Ansatz wird modifiziert und erweitert, um eine passende Strategie zur Veränderung der Statusanerkenung der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt zu formulieren. An dieser Stelle wird die die Statusordnung betreffende Maßnahme der komplexen Doppelstrategie als kirchlich-diakonische Vokationshandlungen für alle Mitarbeitenden erörtert. Nachfolgend wird vorab Peter Bubmanns Konzept der Kommunikation des Evangeliums in fünf Dimensionen bzw. seine Theologie kirchlicher Berufe sowie sein Amtsbegriff dargelegt. Daran anschließend wird die gemeinsame Vokation aller Mitarbeitender als Konsequenz der Grundannahme der Kommunikation des Evangeliums in fünf Dimensionen entfaltet und diese Vokationshandlungen als Teil der komplexen Strategie der Ehrenamtlichen konzipiert.

Peter Bubmanns Kommunikation des Evangeliums in fünf Dimensionen – Theologie kirchlicher Berufe Bubmann nimmt Ernst Langes These des kirchlichen Auftrags als Kommunikation des Evangeliums zum Ausgangspunkt seiner handlungspraktischen orientierten Theologie der kirchlichen Berufe. Auf Grundlage der Fragestellung dieser Untersuchung wird Bubmanns Theologie der kirchlichen Berufe zur Theologie der kirchlichen Mitarbeiten/Arbeit bzw. zur Theologie der kirchlichdiakonischen Arbeitswelt erweitert. Dies deutet der Autor selbst in seinen Publikationen bereits als gangbaren Weg an: Eine Theologie der kirchlichen Berufe […] muss gewachsene Traditionen betrachten und zugleich die möglichen Formen von Beruflichkeit wie Neben- und Ehrenamtlichkeit in der Kirche je neu am Grundauftrag der Kommunikation des Evangeliums und an der Dienstleitung fürs Allgemeine Priestertum messen.467 467 Bubmann 2015b.

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Die verschiedenen beruflichen Tätigkeiten in Kirche und Diakonie seien rein funktional ausdifferenziert. Die kirchlichen Berufe unterliegen keiner theologisch begründeten Vor- bzw. Nachrangstellung; klerikalisierenden Tendenzen sei zu wehren, denn der Pfarrberuf sei nur einer von vielen kirchlichen Berufen. Durch Arbeitsteilungs- und Ausdifferenzierungsprozesse wurde Erwerbsarbeit auch in Kirche bzw. Diakonie zur zentralen Vergesellschaftungsform. Der herausgehobene Status des Pfarrberufs ist laut Bubmann als theologische Verengung auf eine bestimmte Berufsgruppe zu verstehen, wobei diese zwar selbst andere dominiert, aber zugleich wegen der vielfältigen zugewachsenen Verpflichtungen tendenziell sehr überlastet ist. Die vielfältigen Aufgaben, die durch den kirchlichen Auftrag Kommunikation des Evangeliums begründet werden, ließen sich nicht auf die Predigt begrenzen. Denn die menschliche Lebenswelt und die in dieser verankerten Praxis Jesu (Mahlgemeinschaft, Heilungen usw.) erfordern unterschiedliche kirchliche Arbeitsbereiche sowie Mitarbeitende. Insgesamt werden dieser religionsphänomenologischen und theologischen Überlegung allein „unterschiedliche[r] Modi religiöser Kommunikation und verschiedener Dimensionen des kirchlichen Auftrags im Dienst der Kommunikation des Evangeliums“468 gerecht. Um die Vielfalt kirchlich-diakonischer Arbeit zu spezifizieren, entwickelt Bubmann folgende fünf gleichrangige Dimensionen des kirchlichen Auftrags Kommunikation des Evangeliums:469 symbolisches, darstellendes Handeln (leiturgia): Feiern und Darstellen dessen, was im Glauben trägt und bewegt, Wahrnehmung von und Begegnung mit symbolischen Darstellungen des Evangeliums; kommunikatives Handeln (martyria): verkündigen, bezeugen und bekennen; soziales, steuerndes und gestaltendes Handeln (koinonia): Gemeinschaft entwickeln und pflegen, leiten und steuern; bildendes, reflexives und orientierendes Handeln (paideia): die eigenen Begabungen entfalten und entwickeln und Wirklichkeit deuten; helfendes, ausgleichendes und wiederherstellendes Handeln (diakonia): helfen und heilen; aber auch gemeinsam Leid und Misslingen aushalten und erleiden470

468 Bubmann 2013, S. 91. 469 Vgl. Bubmann 2013, S. 90ff. 470 Bubmann 2015a, S. 418. Diese Unterscheidung in fünf Dimensionen ähnelt den Entwürfen von Linder und Zippert, die im Anschluss an Schleiermacher ihre Unterscheidung darstellen. (Vgl. Lindner 1994; Lindner 2000; Zippert 2008, S. 51–56.)

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Das Reich Gottes als Hoffnungsperspektive für die Arbeit in Kirche und Diakonie

Die genannten Dimensionen sind Aspekte der Kommunikation des Evangeliums und werden in zweiter Linie auch als Strukturen der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt interpretiert. Wenn im Folgenden diese Arbeitswelt am Fraser’schen Modell ausgerichtet wird, dann sind die Dimensionen des kirchlichen Auftrags auch als Grundstrukturen des sich konstituierenden Möglichkeitsraums für die Ereignung des Reiches Gottes anzunehmen. Diese ergeben zusammen die Fülle des Reiches Gottes, welches sich in seiner Unterschiedlichkeit in die praktischen Handlungsvollzüge kirchlicher Arbeit hineinereignen kann. Nach Bubmann können den Dimensionen schwerpunktmäßig bestimmte Handlungsfelder zugeordnet werden, wobei sich aber die Dimensionen nicht in den Handlungsfeldern erschöpfen, sondern umgekehrt ein Handlungsfeld immer mehreren Dimensionen zugedacht wird. Beispielsweise ist das Handlungsfeld Konfirmand*innenarbeit der Dimension des bildenden, reflexiven sowie orientierenden Handelns (paideia) zuzuordnen, jedoch bestehen Verbindungslinien zu koinonia und leiturgia.471

471 Vgl. Bubmann 2015a, S. 418.

Analyse-, Strategiebildungs- und Aushandlungsverfahren Frasers

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Abbildung nach Bubmann 2019, 145472

Peter Bubmanns Amtsbegriff Den Dimensionen seien in Folge der modernen Ausdifferenzierungsprozesse Personen mit „je eigenen ‚Ämtern‘ (oder ‚Amtsfeldern‘)“473 zugeteilt, die sich maßgeblich um die Erfüllung entsprechender Arbeit sorgen, was haupt-, nebenoder ehrenamtlich möglich sei. Die stark formalisierte beruflich-lohnarbeiterisch strukturierte kirchlich-diakonische Arbeitswelt ist nach Bubmann im Anschluss 472 Die neuere Abbildung aus Bubmann 2019, S. 145 nehmen anders als die Abbildung aus Bubmann 2013, S. 94 keine Zuordnungen von bestimmten Berufen zu Dimensionen vor. Damit möchte Bubmann verhindern, dass es zu vereinseitigenden Zuordnung bestimmter Berufsgruppen zu einer Dimension kommt und die bestehenden Verbindungslinien in den Hintergrund treten. 473 Bubmann 2015a, S. 418.

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an Collmar474 als verfestigte Ausdrucksform charismatischer Begabung zu verstehen. Auf diese Weise verbindet Bubmann die ntl. Charismenkataloge (1 Kor 12, Röm 12) mit der modernen Ausdifferenzierung der Arbeitsformen, wobei er die Unterscheidung zwischen bezahlten und freiwilligen Tätigkeiten als historische Zufälligkeit betrachtet.475 Theologisch sei kein sog. Amt, also ein Mitarbeiter oder ein Arbeitsbereich, gegenüber anderen höherzustellen. Die Amtsbereiche seien kirchliche Aufgabenbereiche, in denen je freiwillige sowie beruflich-bezahlte Arbeit stattfinden. Daneben bindet Bubmann seine vorgeschlagene Vielfalt der Ämter noch an die Bekenntnisse zurück. Nach CA V sei die Aufgabe der Kirche aufs Predigtamt zugespitzt, womit aber keinesfalls die Verengung dieses Amtes auf den gegenwärtigen Pfarrberuf zu folgern sei. Ausgehend vom ntl. Zeugnis könnten Heilungen, Mahlgemeinschaft und ganz allgemein solidarisches Handeln der Predigt nicht nachgeordnet werden, denn laut Bubmann sind diese alle Kommunikationsweisen des Evangeliums. Das Predigtamt der CA V sei der Minimalkonsens der Kirche, und CA VII sowie XVIII eröffnen den Horizont für weitere kirchliche Aufträge bzw. Kommunikationsformen (Sakramente, Kirchenzucht usw.). Daraus leitet Bubmann ab, dass nicht nur das Predigen das kirchliche Amt bestimmt, sondern das Amt im Sinne des Dienstes bzw. Auftrags der Kirche zu verstehen sei. Alles in allem sei der Auftrag der Kirche die Kommunikation des Evangeliums in verschiedenerlei Gestalt. Ferner setzt Bubmann dies in Beziehung zu Barmen III und IV476 und der dort grundgelegten reformierten Amtstheologie. Barmen III versteht die christliche Kirche als die Gemeinde von Brüdern, in der Jesus Christus in Wort und Sakrament durch den Heiligen Geist als der Herr gegenwärtig handelt. Sie hat mit ihrem Glauben wie mit ihrem Gehorsam, mit ihrer Botschaft wie mit ihrer Ordnung mitten in der Welt der Sünde als die Kirche der begnadigten Sünder zu bezeugen, dass sie allein sein Eigentum ist, allein von seinem Trost und von seiner Weisung in Erwartung seiner Erscheinung lebt und leben möchte.

Hinsichtlich der verschiedenen kirchlichen Ämter legt Barmen IV eine funktionale Aufgabenteilung zugrunde, die keine Hierarchisierungen fundieren kann. Vielmehr wird die gemeinsame Ausübung des einen Dienst(-auftrags) durch verschiedene Ämter, d. h. unterschiedliche Aufgabenbereiche, vorgeschlagen. Die Barmer Theologische Erklärung von 1934 und mit ihr die reformierte amtstheologische Tradition dreht – ausgehend vom biblischen Leitbegriff der diakonia – die 474 Collmar 2014. 475 Diese Verfestigungsprozesse sind zum einen durch historische Zufälligkeiten, zum anderen jedoch auch durch Machtansprüche bestimmter Gruppen sowie durch organisationale Notwendigkeiten bedingt. 476 Vgl. Bubmann 2013, S. 87ff.

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Terminologie um: Der eine gemeinsame Dienst (der Verkündigung und Versöhnung) realisiert sich demnach in den verschiedenen Ämtern.477

Bubmann behält dementsprechend davon inspiriert den Amtsbegriff im Sinne der Aufgabenstruktur bei. „Im Amtsbegriff kommen m. E. der Auftragscharakter und der (auch) überpersönliche, institutionelle Charakter der Aufgabe deutlich zum Ausdruck.“478 Er nennt die Ämter der Verkündigung/Zeugnis, Gemeinschaftsbildung, Bildung, Seelsorge/Diakonie sowie Liturgie/Spiritualität. Insgesamt entsprächen diese Ämter den gleichberechtigten Dimensionen der Kommunikation des Evangeliums. Das Amt sei unbedingt von einer bestimmten beruflichen oder ehrenamtlichen Tätigkeit479 zu unterscheiden, wobei er dennoch meint, dass bestimmten Ämtern schwerpunktmäßig bestimmte berufliche Tätigkeiten zuzuordnen wären.480 Die Zahl der Ämter sei nicht unabgeschlossen und offen für weitere Differenzierungen, was die Offenheit gegenüber gesellschaftspolitischen und kirchlichen Veränderungen anzeigt. Im Anschluss an Lindner481 bleibt festzuhalten, dass Ämterunterscheidung rein

477 Bubmann 2015a, S. 419. 478 Bubmann 2015a, S. 419 479 „Bewusst wird hier zwischen Ämtern in der Kirche und den diesen Ämtern zugeordneten kirchlichen Berufen bzw. ehrenamtlichem Engagement in diesen Ämtern unterschieden. Die Ämter repräsentieren grundlegende Handlungsvollzüge des kirchlichen Auftrags und sind als Institutionen auf Dauer gestellt. Wer ‚Amtsträger‘ ist, bringt seine Qualifikationen und Kompetenzen beruflich oder ehrenamtlich in einen Amtsbereich ein und erhält mit der Amtsübergabe die offizielle Beauftragung zu diesem Dienst. Dabei stehen die Amtsbereiche (Ämter) in der Regel verschiedenen Berufsgruppen offen.“ (Bubmann 2015a, S. 420). 480 Bubmann tut dies für erwerbsarbeiterische Tätigkeiten: (Vgl. Bubmann 2015a, S. 419f.) Amt der Liturgie/Spiritualität: Kirchenmusiker*innen, Theolog*innen Amt der Verkündigung/Zeugnis: Theolog*innen, christliche Publizist*innen Amt der Gemeinschaftsbildung/Verwaltung/Leitung: Kirchenjurist*innen, Verwaltungskräfte, Pfarramt als Leitungsamt der Parochie, landeskirchliche Leitung, Küster*innen/ Mesner*innen Amt der Seelsorge/Diakonie: Diakon*innen, sämtliche Pflegeberufe, Ärzt*innen, Sozialpädagog*innen, Theolog*innen Amt der Bildung: Erzieher*innen, Religionslehrer*innen, Religionspädagog*innen und Erwachsenenpädagog*innen Bubmanns Entwurf setzt sich insbesondere mit beruflichen Tätigkeiten in der Kirche auseinander, wobei die Ausrichtung der entsprechenden Ämter und auch der kirchlichen Berufe an den Dimensionen des kirchlichen Auftrags die Chance für eine differenziertere Bestimmung jeweils nötigen Kompetenzen bietet. Die Kompetenzprofile der jeweiligen Berufsgruppen werden bisher meist ausgehend vom Handlungsfeld konzipiert, was häufig zu Konflikten führt, da unterschiedliche Berufsgruppen sich verantwortlich für bestimmte Handlungsfelder fühlen. Dem begegnet der Ansatz Bubmanns, da im Modell der fünf Dimensionen immer schon die Kooperation mitgedacht ist. Trotz allem behalten die unterschiedlichen Berufsgruppen eigene je schwerpunktmäßige Kompetenzen. (Vgl. Bubmann 2015c, 20.) 481 Lindner 1990; Lindner 1994.

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funktional begründet ist. Bubmann akzentuiert, dass Ämterzahl keinesfalls aus Bibel oder Bekenntnis abzuleiten sei.482 Den Terminus „Dienst“ nutzt Bubmann dann, „um das konkrete Verhalten derer, die sich unter diesen Auftrag stellen, zu bezeichnen.“483 Den Ämtern seien „vielfältige Dienste (und diesen wiederum verschiedene Berufe bzw. neben- und ehrenamtliche Tätigkeiten) als Ausdruck der gemeinsamen missio zugeordnet.“484 Konfirmand*innenarbeit wäre beispielswiese ein Dienst, der durch berufliche sowie freiwillige Arbeit von Pfarrer*innen, Gemeindepädagog*innen und ehrenamtlichen Mitarbeitenden in der Konfiarbeit erfüllt wird. Dabei würden die verschiedenen Ämter bzw. Dimensionen der Kommunikation des Evangeliums realisiert, was in diesem Fall Bildung (paideia), Gemeinschaftsbildung (koinonia) sowie Liturgie/Spiritualität (leiturgia) wären. Durch seine spezifische Begriffswahl verwehrt sich Bubmann gegen die Verengung des kirchlichen Auftrags auf ein kirchliches Amt im Sinne des Pfarramts in seiner Ausprägung des kontemporären Pfarrberufs. Er formuliert eine Theologie der kirchlichen Berufe, die Amt als grundsätzlichen Aufgabenbereich bzw. Dimension der Kommunikation des Evangeliums versteht. Diese weite Perspektive beruht auf der Grundannahme, dass alle Christ*innen zum gegenseitigen Dienst am Reich Gottes berufen bzw. gesendet sind. Dieses gleichberechtigte Amts- bzw. Aufgabenfeldverständnis bringt Bubmann zu folgender Forderung: „Alle Mitarbeiter sollen einen vergleichbaren Status erhalten. […] Im Blick auf die derzeitige Realität wird man allerdings sagen müssen: Die 4. These der Barmer Theologischen Erklärung wartet noch immer auf ihre Einlösung.“485 Gemeinsame Vokation aller Mitarbeitender als Konsequenz der Grundannahme der Kommunikation des Evangeliums in fünf Dimensionen Die gemeinsame missio der Kommunikation des Evangeliums, zu dem alle Christ*innen gleichermaßen berufen sind, verursache die vielfältige kirchlichdiakonische Arbeitswelt. Für die vielfältigen Berufsgruppen fordert Bubmann: TheologInnen, PädagogInnen, MusikerInnen und DiakonInnen sind daher in gleicher Weise für ihren Dienst in verschiedenen Ämtern zu ordinieren, soweit die eben genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Sie sind status- und besoldungsmäßig einander anzugleichen, wenn vergleichbare Bildungsabschlüsse vorliegen.486 482 483 484 485 486

Vgl. Bubmann 2015c, S. 19. Bubmann 2015a, S. 419. Bubmann 2015a, S. 419 Bubmann 2006. Bubmann 2006 Ein Fortbestehen bestimmter Besoldungsunterschiede sei rein funktional zu begründen und müsse sich an den unterschiedlichen Ausbildungsstufen nach dem Europäischen bzw. Deutschen Qualifikationsrahmen zusammen mit dem jeweiligen Verantwortungsbereich ausrichten. (Vgl. Bubmann 2015b.)

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Der Bubmann’sche Ansatz nutzt den Amtsbegriff, um vom Aufgabenbereich oder Dimension des kirchlichen Auftrags zu sprechen. Auf diese Weise kann er seinen Entwurf trefflich zur ntl. Ämterlehre, den Bekenntnissen sowie den Kirchenordnungen in Beziehung setzen. Jedoch ist kritisch anzumerken, dass die enge Verbindung des Amtsbegriffs mit dem Pfarramt und ggf. auch mit dem Ehrenamt diesen Terminus tendenziell mit einer bestimmten (Berufs-)Rolle in Verbindung bringt. Da solche lang gefestigten Konnotationen schwer zu lösen sind, wird in dieser Forschungsarbeit die Rede von Dimension oder Aufgabenbereich präferiert. Dem grundsätzlichen Anliegen Bubmanns, die Gleichberechtigung der Aufgabenbereiche herauszustellen, ist jedoch unbedingt beizupflichten. Die Vielfalt der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt ist Teil des Möglichkeitsraums, in den sich das Reich Gottes unverfügbar hineinereignen kann. Insgesamt wirken berufliche und freiwillige Arbeit bei der Kommunikation des Evangeliums zusammen. Ausgehend von dieser Grundannahme kann die kirchlich-diakonische Arbeitswelt frei bzw. flexibel organisiert werden.487 Indem beispielsweise die Leitung der Parochie als Leitungsdienst vom Predigtdienst getrennt würde und von einem sog. „Gemeindemanager“ oder anderen Steuerungsexperten übernommen würde, könnten dynamische Veränderungen in Gang gesetzt werden, die wesentliche Auswirkungen auf die Anerkennungsdimension bzw. Statusordnung des Fraser’schen Modells hätten. Dieser große Spielraum hinsichtlich Amts- bzw. Arbeitsfragen gehört nach Bubmann zum Protestantismus, und dieses „historisch flexible Amtsverständnis […] [ist sein] Profil und Erbe.“488

487 Bubmann votiert insgesamt nicht nur für Veränderungen bei den Tätigkeiten von Theolog*innen (Konzentration in Praxis und Ausbildung auf die Verkündigung), sondern beispielsweise auch für Reformen bei der Diakonen-Ausbildung und Praxis. Denn bei diesen wäre es sinnvoll, zwischen den stärker gottesdienstlichen und den pflegerisch-fürsorglichen Bereichen zu differenzieren und dazu ggf. auch unterschiedliche Berufsbezeichnungen einzuführen. Ferner schlägt Bubmann vor, dass Kirchenmusiker*innen zur leitenden Fachkraft im liturgischen Amt würden und Pfarrer*innen nicht mehr unbedingt zur gottesdienstlichen Feier nötig wären. (Vgl. Bubmann 2013, S. 99f.) Diese Beispiele illustrieren, dass durch die Konzentration auf Ämter im Sinne von Aufgabenbereichen, in denen unterschiedliche Mitarbeitende sich engagieren, zu einer erhöhten Kooperationsverpflichtung, aber auch geteilter Verantwortung führt. Bubmanns Konzeptmodell regt die Neuordnung in Ämtern als Aufgabenbereiche an und die entstehende Flexibilität und mögliche Variationen wehren institutionsimmanenten Stabilisierungstendenzen und eröffnen den Möglichkeitsraum für die Ereignung des Reiches Gottes. 488 Bubmann 2013, S. 100. Trotz der im NT beschriebenen Vielfalt der Ämter wird in der pastoraltheologischen Diskussion „zur Bestimmung heutiger ordinationsgebundener Ämter jedoch allein auf die Confessio Augustana (Art. 14) rekurriert. Darin zeigt sich eine Tendenz zum BekenntnisFundamentalismus, der der Orientierung an der Bibel wie den heutigen Herausforderungen einer Kirchentheorie gerade nicht gerecht zu werden mag.“ (Bubmann 2006).

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Hauschildt betrachtet gerade die Einsichten Bubmanns bzw. Fermors zur Ämtervielfalt in Verbindung mit der Ordination von Prädikant*innen als sichere Ausgangsbasis, um ein grundlegendes Bild bzw. Verständnis zur „Zusammenarbeit von Berufstätigen der Kirche und kirchlichen Ehrenamtlichen“489 zu entwickeln. Insgesamt geht der vorgestellte Vorschlag Bubmanns weit über die Praxis der meisten evangelischen Kirchen hinaus, da in der Regel nur Pfarrer ordiniert werden. In der EKiR jedoch werden nicht nur hauptberufliche Pfarrer*innen, sondern auch ehrenamtliche Prädikant*innen ordiniert. Entsprechend dem Beschluss der Landessynode „Ordination, Dienst und Ämter nach evangelischem Verständnis“ ist sowohl der bezahlte als auch der ehrenamtliche Predigtdienst mit Kasualverwaltung zu ordinieren (zeitlich, inhaltlich und räumlich unbeschränkt). Angelehnt an Barmen IV spricht das Ordinationspapier von verschiedenen Ämtern und der Vielfalt hauptberuflich, nebenamtlich und ehrenamtlich ausgeübter Tätigkeiten: Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker, Angestellte in der Kirchenverwaltung, Erzieherinnen und Erzieher, Kindergottesdiensthelferinnen und -helfer, Küsterinnen und Küster, Friedhofsgärtnerinnen und -gärtner, Mitarbeitende im ärztlichen und pflegerischen Dienst, …490

Alle Christ*innen seien gleichermaßen zur Arbeit in der Kirche berufen. Das Alleinstellungsmerkmal der ordinierten Tätigkeit (Wortverkündigung) in der Kirche bestehen allein in der Übernahme einer organisational-strukturellen Aufgabe stellvertretend für alle Christ*innen, „durch die sie [die Kirche] sich vermittelt und verdeutlicht, sichtbar und verbindlich darstellt.“491 Sie sind zu ordinieren, da diese wortverkündigenden Personen eine „konstitutive[n], kritische[n] und kommunikative[n] Aufgabe“492 der Kirche übernähmen.493 489 490 491 492

Hauschildt 2017, S. 164. Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland 2004, S. 11. Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland 2004, S. 13. Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland 2004, S. 17. „Durch die Ordination wird der allgemeine Dienst insofern geordnet, als die Kirche einzelnen Mitgliedern die im allgemeinen Interesse liegende Aufgabe zuweist, • die für die Kirche konstitutiven Handlungen verantwortlich zu vollziehen und durch sie öffentlich (für alle erkennbar) herauszustellen, was Kirche zur Kirche macht (konstitutive Aufgabe), • die empirisch gegebene Kirche, die als corpus permixtum, als Gemeinschaft der gerechtfertigten Sünder, immer auch ‚Kirche im Widerspruch‘ ist, kritisch an ihrem Grund zu messen und auf ihr Ziel auszurichten (kritische Aufgabe) und • die Gemeinde als communio sanctorum in der ‚einen, heiligen, allgemeinen (katholischen) und apostolischen Kirche‘ zu bewahren und ihre Teilhabe an den ‚Gütern‘ und Gaben, die das Heil vermitteln, zu fördern (kommunikative Aufgabe).“ (Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland 2004, S. 14.) 493 Vgl. Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland 2004, S. 11ff.

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Hinsichtlich der unterschiedlichen Begrifflichkeiten für die Kirchenordnung wird vermerkt: Verschiedene Dienste sind spezifische Aufgabenstellungen, die dadurch ihr Profil gewinnen, dass der eine Dienst für besondere Situationen und Kontexte konkretisiert wird. Mit dem Begriff Dienst der Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung wird der Dienst der Ordinierten bezeichnet, durch den der eine Dienst der Gemeinde in besonderer Weise öffentlich institutionalisiert wird. Ämter sind Funktionen innerhalb der Institution Kirche. Vermieden werden sollte der Begriff ‚das Amt‘ für den Dienst Ordinierter, da er die Gefahr enthält, geistlichen Auftrag und institutionelle Autorität zu identifizieren. Wenn vom ‚Pfarramt‘ die Rede ist, wird damit zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine institutionalisierte Funktion handelt. ‚Pfarrdienst‘ drückt demgegenüber die Ausübung des pastoralen Dienstes aus.494

Der Synodenbeschluss „Ordination, Dienst und Ämter nach evangelischem Verständnis“ hält die Ämtervielfalt und Ämter als institutionalisierte Funktionen fest. Ferner könne die institutionalisierte Autorität495, die den Vorrang des Pfarrberufs durch die symbolisch-rituelle Handlung der Ordination untermauert, ausgenutzt werden. Dieser Gefahr sei zu wehren. Schließlich votiert selbst die Synode für die Prüfung einer Ordination anderer beruflicher Mitarbeitender der Kirche.496 Alles in allem bleibt die Ordinationspraxis der EKiR auf die Wortverkündigung verengt, wobei jedoch die Ausweitung auf ehrenamtliche Wortverkündigung ein äußerst positives Signal gibt. Bubmanns Ordinationsvorschlag geht einerseits weit über diese Praxis hinaus, indem er vorschlägt, alle beruflich Mitarbeitenden zu ordinieren. Zum anderen jedoch beschränkt er die Ordination auf beruflich-bezahlte Tätigkeitszusammenhänge, denn diese spezielle Ordination sei „exemplarische[r] und professionalisierte[r] Vollzug der allge494 Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland 2004, S. 22. In der Kirchenordnung der EKiR wird der Begriff „Dienst“ für die Tätigkeit unterschiedlicher Mitarbeitender (Pfarrberuf, Gemeindepädagogin usw.) verwendet. „Demgegenüber bezeichnet der Begriff ‚Amt‘ in der KO der Evangelischen Kirche im Rheinland durchgängig eine institutionalisierte Leitungsfunktion (Pfarr-‚Amt‘; Presbyter-‚Amt‘; ‚Amts‘-Zeit in kirchenleitenden Gremien …). […] ‚Amtsverständnis‘ im Sinne der KO bezieht sich aber strenggenommen nur auf den Dienst der Leitung, der ausdifferenziert wird in das Presbyteramt, das Kirchmeisteramt, die Leitungsfunktion der Pfarrerinnen und Pfarrern, die Leitungsfunktionen auf Kirchenkreis- und Landeskirchen-Ebene. Die Beauftragungen zu Verkündigung, Sakramentsverwaltung, Seelsorge, Unterricht und Diakonie werden in der KO mit dem ‚Dienst‘-Begriff zum Ausdruck gebracht.“ (Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland 2004, S. 9.) 495 „Um seine Aufgabe erfüllen zu können, muss der Dienst der Ordinierten Anerkennung und Wertschätzung seiner theologischen Kompetenz innerhalb der Gemeinde erwarten können. Er muss aber seinerseits zwischen der Autorität des Dienstes der Wortverkündigung und institutioneller Autorität unterscheiden können, um glaubwürdig zu sein.“ (Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland 2004, S. 17.) 496 Vgl. Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland 2004, S. 23.

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meinen Ordination ins allgemeine Priesteramt durch die Taufe.“497 Bubmann konzentriert sich in seinem Ansatz auf die berufliche Arbeitswelt der Kirche und plädiert für die „Ordination aller Berufe in Ämtern der Kommunikation des Evangeliums.“498 Nach Bubmanns Vorstellung wären alle beruflichen Mitarbeitenden, die in den fünf Ämtern bzw. Dimensionen oder Aufgabenbereichen an der Kommunikation des Evangeliums mitwirken, zu ordinieren. Ordination sei feierlich-gottesdienstliche Beauftragung zur Kommunikation des Evangeliums in unterschiedlichen Dimensionen, (dies unter dem Auftrags-, Verbindlichkeitsund dem kritisch-prophetischen Aspekt). Bubmann geht jedoch davon aus, dass sich die bisher Ordinierten möglicherweise gegen eine allgemeine Ordination wehren könnten, da der Terminus historischerseits eng mit Berufung ins Predigtamt verknüpft ist. Sein Vorgehen, um hinsichtlich der Statusanerkennung der beruflichen Mitarbeitenden Veränderung zu schaffen, ist eine terminologische Strategie […], die die Ordination (aus historischen Gründen und nur aus solchen!) dem Verkündigungsamt (leiturgia & martyria) in Predigt und Sakramentsverwaltung überlässt und als übergreifenden Begriff für die ‚Ordination‘ aller Ämter denjenigen der Berufung/vocatio oder Sendung/missio wählt.499

Damit seien sowohl Ordination als auch Vokation denkbar: Entscheidend sind an dieser Stelle nicht die Begrifflichkeiten, sondern die (auch durch Einsegnungshandlungen sichtbar werdende) Würdigung der zentralen Bedeutung der verschiedenen gleichberechtigten Ämter und Dienste innerhalb des einen Auftrags der Kommunikation des Evangeliums und die reale Verbesserung des Verhältnisses von Diensten und Berufsgruppen in der Kirche zueinander.500

Im Kontext der transformativen Maßnahme als Teil der komplexen Doppelstrategie zur Erlangung partizipatorischer Parität wird der Vorschlag Bubmanns in modifizierter Weise aufgenommen. Um die Statusanerkennung ehrenamtlicher Mitarbeitender zu verbessern, Wertschemata kultureller Unterordnung zu durchbrechen sowie Teilhabe auf Augenhöhe zu erlangen, werden allgemeine Vokationshandlungen als transformative Strategie vorgeschlagen. Der grundlegenden These Bubmanns von der Kommunikation des Evangeliums in fünf unterschiedlichen, aber gleichwertigen Dimensionen unter Ablehnung der Engführung des kirchlichen Amts auf den Pfarrberuf ist zuzustimmen. Dies ist insbesondere ausgehend von den Ausführungen des ersten und zweiten Teils dieser Untersuchung nachvollziehbar. Die in der Folge vorgeschlagene Ordination bzw. Vokation aller kirchlichen Berufe, entsprechend 497 498 499 500

Bubmann 2013, S. 101. Bubmann 2013, S. 101. Bubmann 2013, S. 102. Bubmann 2013, S. 102.

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ihrer „eigenen Dignität“501, betont die Vielfalt der Reich-Gottes-Botschaft, die sich auf die ganze menschliche Lebenswelt bezieht. Dennoch bleibt Bubmann typischerweise in den Unterscheidungen vergesellschafteter Arbeitsteilungsmuster verhaftet. Bubmanns Entwurf reproduziert dementsprechend die gesellschaftliche Dominanz der Erwerbsarbeit gegenüber anderen Arbeitsformen. Denn wie auch Erwerbsarbeit allein als „richtige“ Arbeit wahrgenommen wird, so wird auch allein Erwerbsarbeit als ordinationswürdige Tätigkeit hervorgehoben. Dies impliziert den höheren institutionell legitimierten Status der beruflichen Tätigkeit auch im Entwurf Bubmanns. Eine solche Differenzierung zwischen unterschiedlichen Tätigkeitsformen kann im Rahmen dieser Untersuchung mit dem grundgelegten weiten Arbeitsbegriff (Arbeit als Tätigkeit – 2.4) sowie dem Arbeitskontinuum (2.1.4) nicht mitgetragen werden. Auch freiwillige Mitarbeitende tragen dem Auftragsaspekt, dem Verbindlichkeitsaspekt sowie dem kritisch-prophetischem Aspekt durch ihr in der Sendung beauftragtes Tun in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt Rechnung. Verantwortliche Tätigkeit kann nicht notwendigerweise auf Erwerbstätigkeit reduziert werden, denn dies wird durchaus beispielsweise durch eine ehrenamtliche Presbyter*in, der die Gemeinde nach außen vertritt und damit die Gemeindeleitung innehat, getan. Ferner übernehmen freiwillige Mitarbeitende auch prophetische Kritik, welche gerade deswegen, weil sie nicht in unmittelbarer Lohnabhängigkeit von der Kirche bzw. Diakonie stehen, kritischdistanzierter ausfallen kann. Schließlich ist die Idee der Verbindlichkeit, „lebenslang mit ihrer ganzen Existenz einstehen“502, zu stark am Vorbild des Pfarrberufs mit seiner lebenslangen Verbeamtung und Alimentierung orientiert503 und dadurch ausgelöst. Denn die Ordinierung anderer Erwerbsberufe würde auch nicht zum lebenslangen kirchlich-diakonischen Dienst führen. Der empirisch zu beobachtende Rückgang der sog. Normalarbeitsverhältnisse mit einer langen Verbleibdauer beim gleichen Arbeitgeber macht dies äußerst unwahrscheinlich. Dennoch erfüllen solche Mitarbeitende ihre Tätigkeit verantwortlich. Gerade die empirische Erfahrung zeigt, dass ehrenamtliche Mit-

501 Bubmann 2013, S. 102. 502 Bubmann 2013, S. 101. 503 Für den klassischen Pfarrberuf mag eine lebenslange Tätigkeit innerhalb einer Landeskirche noch wahrscheinlich sein, wobei dies ein privilegierter Spezialfall ist. Dieser lebenslange Dienst z. B. in der EKiR wird durch die besondere Position der Verbeamtung sowie die entsprechende Alimentierung forciert. Der klassische Pfarrberuf entspricht damit dem im Schwinden begriffenen Normalarbeitsverhältnis. Jedoch ist auf Grund der hohen Arbeitsbelastung oder der als ungünstig erlebten organisationalen Rahmenbedingungen (Residenzpflicht) sogar auch im Pfarrberuf Berufswechsel zu beobachten. Die Tätigkeit der Pfarrer*in mit der lebenslangen Verpflichtung entspricht gemeinhin nicht mehr der gegenwärtigen Arbeitswirklichkeit vieler Menschen, die häufige Berufswechsel beinhaltet.

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Das Reich Gottes als Hoffnungsperspektive für die Arbeit in Kirche und Diakonie

arbeitende häufig zeitlich länger als berufliche Mitarbeitende in einer Gemeinde tätig sind und durchaus verbindlich mitarbeiten. Allgemeine Vokationshandlungen für alle Mitarbeitenden in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt als Teil der komplexen Strategie der Ehrenamtlichen Insgesamt wird demnach für die Vokation sowohl freiwilliger als auch beruflicher Mitarbeitender votiert. Durch die symbolisch-rituell vermittelte Handlung wird eine transformative Strategie zur Erlangung der Teilhabe auf Augenhöhe für die Gruppe der ehrenamtlichen Mitarbeitenden gewählt. Die Vokation ist eine öffentliche Einführung sowie Verantwortungsübertragung für bezahlte und freiwillige Mitarbeitende in ihre Tätigkeit in einem der fünf allgemeinen Aufgabenbereiche. Die Beziehungen zwischen den unterschiedlichen Mitarbeitenden in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt, welche oftmals verbal als „Dienstgemeinschaft“ bezeichnet oder auch mit dem in Barmen IV beschworenen hierarchiefreien Verhältnis klassifiziert werden, werden durch die allgemeine Vokation auf der symbolischen Ebene tatsächlich in ein Verhältnis auf Augenhöhe transformiert. Diese Neuordnung auf der Ebene Statusanerkennung kann unabhängig von monetärer Privilegierung und Position in der Organisation die gemeinsame gleichrangige Sendung aller Mitarbeitenden durch die promissio des Reiches Gottes ausdrücken. Die Strategie der gemeinsamen Vokation kann als starkes Symbol auch eine weitere Umorientierung auf der Ebene der Statusanerkennung auslösen und damit ggf. auch die als belastend erlebte Allzuständigkeit der Pfarrer*in beheben. Eine denkbare negative Konsequenz der allgemeinen Vokationen könnte eine Ununterscheidbarkeit der vielfältigen Verantwortungsgrade in Kirche bzw. Diakonie sein. Dem sind klare beschriebene Verantwortungsbereiche entgegenzusetzen, denn die gemeinsame Vokation erlaubt unbedingt die organisational-funktionelle Differenzierung. Es können demnach Unterschiede hinsichtlich der Besoldung, Verantwortungsbereiche und auch der Kompetenzen bestehen bleiben, jedoch dürfen diese nicht als theologisch begründete Hierarchien zwischen Hauptamt und Ehrenamt legitimiert werden. Damit ist die gemeinsame Vokation ein probates Mittel, das bezogen auf den Gerechtigkeitsaspekt Statusanerkennung, in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt eine Teilhabe der freiwilligen Mitarbeitenden auf Augenhöhe ermöglichen kann.

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3.4.2.4.3 Doppelstrategie der freiwilligen Mitarbeitenden zur Erlangung partizipatorischer Parität in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt Im vorgelegten Fallbeispiel hat die Gruppe der freiwilligen Mitarbeitenden ihre Lage analysiert und darauf aufbauend eine komplexe Doppelstrategie zur Erlangung partizipatorischer Parität und damit verbunden zur Eröffnung eines Möglichkeitsraums für die Ereignung des Reiches Gottes beigetragen. Die komplexe Strategie besteht aus einer transformativen und einer affirmativen Maßnahme, die in ihrer Wechselwirkung ihr Reformpotential entfalten. Die Dimension der Wirtschaftsordnung wird durch den Einsatz für ein bedingungsloses Grundeinkommen und damit verbunden ökonomische Umverteilung bearbeitet. Defizitäre Anerkennung, d. h. die Dimension der Statusordnung, wird mittels der gemeinsamen Ordination bzw. Vokation angegangen. Indem beide Teilstrategien zu einer komplexen Strategie verwoben werden, kann die Situation der freiwilligen Mitarbeitenden hin zu partizipatorischer Parität im Fraser’schen Sinne verbessert werden. Die Gruppe von Ehrenamtlichen stellt nach Analyse und Strategiebildung beides im kollektiven Diskussionsforum vor. Die analysierte verhinderte Teilhabe auf Augenhöhe seitens der freiwilligen Mitarbeitenden wird ebenso wie die Doppelstrategie diskursiv vermittelt. Die anderen Gruppen bzw. Personen im kollektiven Diskussionsforum sind im rationalen Diskurs zu überzeugen. Ferner sind gemeinsam die nicht intendierten Konsequenzen der vorgeschlagenen Doppelstrategie zu eruieren. Die Strategie kann ggf. angepasst werden. In dem Fall, dass eine passende Strategie zur Erlangung bzw. Erhöhung partizipatorischer Parität gefunden wurde, wird diese im Konsens des kollektiven Diskussionsforums beschlossen. Schließlich wird die festgelegte Strategie implementiert und die Folgeprozesse werden andere Gruppen formiert werden, die ihre Ansprüche zum Ausdruck bringen. In der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt sind viele unterschiedliche Gruppen denkbar, die sich bilden könnten und mögliche Veränderungswünsche zugunsten partizipatorischer Parität geltend machen könnten. Hierbei ist im Speziellen an das medizinische sowie gemeindeleitende ehrenamtliche Personal, die Kirchenmusiker*innen oder auch den Bereich der diakonisch-gemeindepädagogischen Arbeit zu denken. Das Fraser’sche Modell zur Erlangung partizipatorischer Parität in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt wurde als Konkretion des Reiches Gottes am Fall EKiR/Diakonie RWL unter besonderer Beachtung der Gruppe freiwillige Mitarbeitende exemplarisch in groben Linien skizziert. Das Beispiel illustriert, wie anhand des Fraser’schen Modells das Motiv des Reiches Gottes und seine Aspekte (Recht, Gerechtigkeit, Frieden und Teilhabe) für die kirchliche Arbeitswelt fruchtbar gemacht werden können. Das vorgeschlagene Analyse-, Strategiebildungs- und Aushandlungsverfahren bietet Rahmen, Regeln und eine Orientierung am Wert der partizipatorischen Parität bzw. dem strukturanalogen

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Reich-Gottes-Motiv, um entsprechende Prozesse anzuleiten. Auf diese Weise werden die Dimensionen des Reiches Gottes in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt konkretisiert und ein Möglichkeitsraum für die Hineinereignung des Reiches Gottes in die organisationalen Strukturen konstituiert.

Schlusswort

Am Ende des Wegs der Forschungsarbeit (Ehrenamtliche Mit-Arbeitende in Kirche und Diakonie. Sozialwissenschaftliche und Theologische Perspektivenwechsel) haben wir aus vielfältigen Blickrichtungen auf den Forschungsgegenstand – das Ehrenamt in Kirche und Diakonie – geschaut. Zum Abschluss der gemeinsamen Reise möchte ich nochmals den Weg zurück zum Ausgangspunkt dieser Studie entlang der ganzen Route mit all ihren Wegbiegungen rekapitulieren. Zu 3.4: Ganz am Ende der Wegstrecke haben wir das Fallbeispiel der ehrenamtlichen Mitarbeitenden in der EKiR/Diakonie RWL erreicht, welches mit möglichen, konkreten Reformstrategien zur Gestaltung des freiwilligen Engagements in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt aufwartete. Die weiterhin zu diskutierenden Vorschläge von bedingungslosem Grundeinkommen in Verbindung mit allgemeinen Vokationshandlungen illustrieren, auf welche Weise eine Konkretion der für die kirchlich-diakonische Arbeitswelt formulierten Gerechtigkeits- und Teilhabeansprüche denkbar wäre. Ferner bringt das praktische Handlungsbeispiel das Grundanliegen dieser praktischtheologischen Studie, nämlich Theorie über und in Dialog mit der Praxis zu sein, zum Ausdruck. Schließlich wird mit dem Fallbeispiel auch der Versuch unternommen, dem der Studie wesentlich zugrunde liegenden Reich-GottesMotiv und seiner Hineinereignung in die tatsächlichen Lebens- und Arbeitswelten, Rechnung zu tragen. Der Gedankengang endete mit dem Fallbeispiel in einer Art Nachtragskapitel zum dritten Teil (3.4). Dorthin führte der dritte Reiseabschnitt, der von der Suche nach allgemeinen Leitlinien zur Bestimmung der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt geprägt war. Zur Orientierung in diesem zu Beginn noch äußerst diffus und komplex erscheinenden Territorium der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt wurde zunächst das zentrale biblisch-theologische Motiv des Reiches Gottes als Leitstern ausgewählt (3.1). Die Gottesherrschaft spannt sich zwischen der promissio und der missio als die Hoffnung und Antizipation auf gerechtes, rechtmäßiges, friedvolles und partizipatives Zusammenleben auf. Demnach be-

420

Schlusswort

steht unter konkret geschichtlichen Umständen ein Möglichkeitsraum des Gottesreiches. Auf eine quadratische Fläche hin abgebildet spannt sich dieser nach unten hin offen zur Konkretion innerhalb der menschlichen Lebenswelt und durch den Bezug zum Eschaton (eschatologischer Vorbehalt) auf. Zur kontemporären Gestaltung des Möglichkeitsraums mit den Qualitäten Recht, Gerechtigkeit, Frieden und Teilhabe, die zugleich Vorbedingung und Ziel der Ereignung des Reiches Gottes sind, wurde das prozesshaft-dynamische Modell Nancy Frasers gewählt (3.2). Da Frasers diskursethisches Verfahren strukturell der herausgearbeiteten Gottesherrschaft entspricht, schien es sinnvoll, die weitere Route unter Begleitung von Nancy Fraser abzuschreiten. Die vorgenommenen diskursethischen Grundlegungen unter Bezug auf Frasers Ansatz sowie mit einer Grundausrichtung an Karl-Otto Apel bzw. Dietrich Böhler ermöglichte einen Ausweg bzw. dritten Weg zwischen den scheinbar alternativlosen Wegstrecken in gesinnungs- oder verantwortungsethischen Orientierung (3.2.1). Demgegenüber gewährte das diskursethische Modell Frasers den stolperfreien Fortgang auf dem Weg zur näheren Bestimmung der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt unter Orientierung im Reich Gottes sowie Bezugnahme zu Frasers Entwurf partizipatorischer Parität. Frasers Grammatik kontemporärer Gerechtigkeits- und Teilhabeansprüche eröffnete schließlich den Weg hin zur Präzision der gegenwärtigen kirchlich-diakonischen Arbeitswelt, ohne die leitende Orientierung am Reich Gottes zu verlieren (3.3). Die Betrachtung der ganzen kirchlich-diakonischen Arbeitswelt auf dem dritten Routenabschnitt ist insbesondere dem Fortgang des Wegs innerhalb des zweiten Wegabschnitts (Teil 2) geschuldet. Zu Beginn stand die grundsätzlich Orientierung schaffende These vom Tätigkeitskontinuum, das die kategoriale Differenzierung zwischen verschiedenen Formen der Arbeit dekonstruierte (2.1). Dies lud neben den bereits im ersten Teil erkundeten Bedingungen und Deutungen der freiwilligen Arbeit zur Exploration der Bedingungen und Deutungen von bezahlter Arbeit in der Kirche ein. (2.2) Daran schloss sich die Betrachtung des Arbeits- bzw. Tätigkeitsbegriffs durch die Geschichte an (2.3), worauf im Anschluss ein synthetischer weiter Arbeits- bzw.– Tätigkeitsbegriff formuliert wurde (2.4). Diese Definition von Arbeit als bezahlte und freiwillige Tätigkeit, die sozial vermittelt stattfindet, bildete die Brücke vom zweiten Routenabschnitt hin zum dritten Teil, der sodann die ganze kirchlich-diakonische Arbeitswelt betrachtete. Hingegen standen im ersten Abschnitt noch allein die Ehrenamtlichen im Fokus, aber gegen Ende des ersten Streckenabschnitts wurde bereits das Gelände schlecht begehbar. Denn es zeichnete sich ab, dass neben der freiwilligen Arbeit auch der Bereich der Lohnarbeit in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt erkundet werden musste. Der erste Routenabschnitt (Teil 1) untersuchte die theologischen Motive in der Diskussion des Ehrenamts sowie die gesamtgesellschaftlichen Diskurse und

Schlusswort

421

deren implizite Argumentationslogiken. Die erörterten theologischen Motive (1.2) waren wegweisend in Richtung des zweiten Routenabschnitts, da das theologische Motiv Priestertum aller Gläubigen oder Charismen, nicht nur (wie es aber getan wird) auf das ehrenamtliche Tätigsein hin interpretiert werden darf. Theologischerseits ist nicht nur die Beschäftigung mit einer Form der modernen Arbeit (nämlich freiwilligem Engagement) in den Organisationen Kirche und Diakonie gefordert. Vielmehr wurde eingeladen, alle Arbeitsformen in Kirche und Diakonie zu betrachten. Ähnliche Impulse gingen auch von den drei Diskursen, in denen Ehrenamt debattiert wird, aus (1.1). In diesen Diskursen fungiert Ehrenamt als ein Containerbegriff, der je nach Diskurszusammenhang und entsprechender Argumentationslogik gefüllt wird. Anstatt den Weg einer der Argumentationslogiken zu folgen, lud die Vielzahl der Diskurse unter Beachtung der theologischen Motive zur Präzisierung der Fragestellung (1.3) und zur erneuten Ausrichtung des Weges ein, wobei dann die Organisationen Kirche und Diakonie sowie die ehrenamtlichen und lohnarbeiterisch angestellten Mitarbeitenden zu beachten sind. Die Diskurse Professionalisierung/Professionalität und Arbeit stellten beide in ähnlicher Weise die Fragen: Ist freiwillige Tätigkeit Arbeit? Was ist Arbeit? Welche gesellschaftliche Funktion und Rolle kommt freiwilliger und beruflicher Arbeit zu? Wie können Arbeitswelten gestaltet werden? Daneben thematisieren sowohl der Macht- und Teilhabe-Diskurs als auch der Professionsdiskurs die Hierarchien- und Machtverhältnisse in Institutionen sowie der gesamten Gesellschaft. Bezogen auf ehrenamtliches Engagement deutete sich an, dass zu prüfen ist, inwiefern es gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht und durch welche institutionellen bzw. gesellschaftlichen Begrenzungen das Ehrenamt gegenüber anderen Bezugsgrößen abgewertet wird. Wenn im Zusammenhang dieser Studie bereits im ersten Teil die Wegroute auf die Organisationen Kirche und Kirche fokussiert wurde, dann um zu verhindern, dass das Ehrenamt in einen der drei Diskurse hineingesogen wird. Ehrenamtliche Mitarbeit wurde in der sozialen Realität der kirchlich-diakonischen Organisationen verortet. Freiwilliges Engagement wurde als Form der Tätigkeit, die (noch nicht) verberuflicht ist und im Wechselspiel mit anderen Tätigkeiten steht, interpretiert. So sind wir nun vom Schlusspunkt der Wegstrecke aus auf dem Rückweg über die drei Routenabschnitte, einen wichtigen Brückenpass und einige Abzweigungen zurück zur grundgelegten Forschungsfrage gelangt. Hinter uns liegt ein langer, bewältigter Pfad. Diesen Weg, (ehrenamtliche) Arbeit in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt als Teil der christlichen Sendung (missio) unter der Orientierung am Reich Gottes zu begreifen, ist sicher nicht alternativlos. Auch andere Wegrouten, das Gelände zu erkunden, sind denkbar; so kann das Ehrenamt beispielsweise als Beruf der Christinnen interpretiert werden. Der hier abgeschrittene Weg nahm sowohl theologische als auch sozialwissen-

422

Schlusswort

schaftliche Impulse auf. Anliegen dieser praktisch-theologischen Forschungsarbeit war es, die theologisch-theoretische Reflexion und die Betrachtung der konkreten Praxis miteinander zu verbinden. Der prozesshaft-dynamische Charakter, der auch dem Reich Gottes eignet, lud die Lesenden ein, sich an den Aushandlungsprozessen der kirchlichdiakonischen Arbeitswelt zu beteiligen oder auch in den kritischen Dialog über die vorgeschlagene Route zu treten. All dies in der gemeinsamen Hoffnung, dass sich in unser Bemühen das Reich Gottes hineinereignen möge.

Anhang: Dienstgemeinschaft bzw. Dienstbegriff in Verfassung/Ordnung/Grundordnung

Landeskirche Bekenntnis §§

Wortlaut

Evang. Landeskirche Anhalts

uniert

§ 19 Kirchenverfassung (2) Kirchliche Mitarbeiter sind § 19 haupt-, neben- und ehrenamtlich in einer Dienstgemeinschaft tätig.

Evang. Landeskirche in Baden

uniert

Grundordnung Art. 32 Art. 98

Dienstgemeinschaft Ja

Ja Art. 32 (2) Der Kirchenbezirk nimmt seine Aufgaben in einer eigenständigen Dienstgemeinschaft wahr. Zu diesem Zweck kann er bezirkliche Dienste, Ämter und Einrichtungen schaffen und eigene Arbeitsformen entwickeln. Art. 89 (3) Die besonderen Gaben und Kräfte Einzelner wirken in den verschiedenen Ämtern und Diensten der Kirche in partnerschaftlicher Zuordnung zusammen. Die in der Kirche Mitarbeitenden bilden eine Dienstgemeinschaft und sind in ihrer Ausübung an den Auftrag der Kirche gebunden. Sie tragen die Mitverantwortung dafür, dass er in den Gemeinden und in der Welt in rechter Weise erfüllt wird.

424

Dienstgemeinschaft bzw. Dienstbegriff in Verfassung/Ordnung/Grundordnung

(Fortsetzung) Landeskirche Bekenntnis §§ Evang.-Luth. Kirche in Bayern

lutherisch

Evang. Kirche uniert in BerlinBrandenburgschlesische Oberlausitz

Wortlaut

KirchenBezug zum gemeinsamen verfassung Dienst unterschiedlicher Mitarbeitender in Art. 14

Grundordnung Art. I.10 Art. 53 Art. 87

Dienstgemeinschaft Nein

Art. 14. Weitere kirchliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen haben im Gottesdienst, in Diakonie und Mission, bei der religiösen Bildung, in der sonstigen Gemeindearbeit und in der kirchlichen Verwaltung teil an den Aufgaben des Amtes der Kirche. Ja Art. I.10 Sie [die Kirche] fördert die Zeugnis- und Dienstgemeinschaft in der Evangelischen Kirche in Deutschland und nimmt durch ihre Zusammenarbeit mit den Kirchen der Ökumene teil an der Verwirklichung der Gemeinschaft Christi auf Erden und an der Ausbreitung des Evangeliums im eigenen Land und in aller Welt. Art. 53 (1) Die Superintendentin oder der Superintendent nimmt im Kirchenkreis einen gesamtkirchlichen Auftrag wahr. Sie oder er fördert die Zeugnis- und Dienstgemeinschaft von Kirchengemeinden, Kirchenkreis und Landeskirche. Ihr oder sein Wirken ist geschwisterlicher Dienst unter Gottes Wort.

Dienstgemeinschaft bzw. Dienstbegriff in Verfassung/Ordnung/Grundordnung

425

(Fortsetzung) Landeskirche Bekenntnis §§

Wortlaut Art. 87 (1) Die Bischöfin oder der Bischof und die Generalsuperintendentinnen und Generalsuperintendenten nehmen eine gesamtkirchliche Aufgabe im Verkündigungsdienst der Kirche wahr und haben teil an der Leitung der Kirche. Sie achten mit der Kirchenleitung auf das Geschehen in den Gemeinden und in der Ökumene und helfen, dass die Kirche ihre Aufgaben als Zeugnis- und Dienstgemeinschaft in der Welt wahrnimmt. Bezug zum gemeinsamen Dienst unterschiedlicher Mitarbeitender in Art .II.3 Art. II.3 Kraft des Priestertums aller Gläubigen ist jedes Gemeindeglied verpflichtet und berechtigt, nach dem Maß seiner Gaben, Kräfte und Möglichkeiten kirchliche Dienste wahrzunehmen. Grundsätzlich bedarf die Ausübung bestimmter ehrenamtlicher und beruflicher Dienste eines Auftrags der Gemeinde. In Notlagen können alle Dienste, auch der der öffentlichen Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung, ohne besonderen Auftrag wahrgenommen werden.

Dienstgemeinschaft

426

Dienstgemeinschaft bzw. Dienstbegriff in Verfassung/Ordnung/Grundordnung

(Fortsetzung) Landeskirche Bekenntnis §§ Evang.-Luth. Landeskirche in Braunschweig

lutherisch

Wortlaut

KirchenBezug zum gemeinsamen verfassung Dienst unterschiedlicher Mitarbeitender in Art. 1 und Art. 13

Dienstgemeinschaft Nein

Art. 1 (2) Die Verantwortung für Zeugnis und Dienst tragen alle Kirchenmitglieder gemeinsam. Sie werden dazu von der Landeskirche zugerüstet.

Bremische Evangelische Kirche

uniert

Evang.-luth. Landeskirche Hannovers

lutherisch

Art. 13. (1) In den Kirchengemeinden, Propsteien, ihren rechtsfähigen Zusammenschlüssen, der Landeskirche sowie den sonstigen Einrichtungen und Werken werden Kirchenmitglieder den Erfordernissen des kirchlichen Lebens entsprechend beruflich oder ehrenamtlich zum kirchlichen Dienst bestellt (Mitarbeiter). KirchenEs gibt keinen Bezug zum ge- Nein verfassung meinsamen Dienst unterschiedlicher Mitarbeitender; außerdem kommt der Dienstbegriff kaum vor KirchenArt. 1 verfassung (4) Ehrenamtlicher und beArt. 1 ruflicher Dienst sind in einer Dienstgemeinschaft aufeinander bezogen. Beide dienen mit gleichem Rang auf je eigene Weise dem Aufbau der Gemeinde Jesu Christi.

Ja

Dienstgemeinschaft bzw. Dienstbegriff in Verfassung/Ordnung/Grundordnung

427

(Fortsetzung) Landeskirche Bekenntnis §§

Wortlaut

Evang. Kirche uniert in Hessen und Nassau

Bezug zum gemeinsamen Dienst unterschiedlicher Mitarbeitender in Art. 4 und Art. 6

Kirchenordnung

Dienstgemeinschaft Nein

Art. 4 (1) Alle Glieder am Leib Christi sind berufen, das Evangelium in Wort und Tat in allen Lebenszusammenhängen zu bezeugen. Nach dem Maße ihrer Kräfte übernehmen sie Dienste und Ämter und tragen durch Opfer und Abgaben zur Erfüllung der gemeindlichen und kirchlichen Aufgaben bei.

Lippische Landeskirche

reformiert

Art. 6 (1) Dienste können in ehrenamtlicher, neben- oder hauptberuflicher Tätigkeit vollzogen werden. KirchenBezug zum gemeinsamen verfassung Dienst unterschiedlicher Mitarbeitender in Art.15 Art. 15 (2) Alle Gemeindeglieder sollen nach dem Maß ihrer Gaben, Kräfte und Möglichkeiten in der Gemeinde mitarbeiten. Ämter und Dienste, die ihnen die Gemeinde überträgt, sollen sie willig übernehmen und sorgfältig ausüben.

Nein

428

Dienstgemeinschaft bzw. Dienstbegriff in Verfassung/Ordnung/Grundordnung

(Fortsetzung) Landeskirche Bekenntnis §§

Wortlaut

Evang. Kirche uniert in Mitteldeutschland

Ja Art. 3 (1) Das kirchliche Leben ist in den Rechtsformen der Kirchengemeinde, des Kirchengemeindeverbandes, des Kirchenkreises und der Landeskirche, ihrer sonstigen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen sowie ihrer Einrichtungen und Werke geordnet. Diese bilden als Zeugnis- und Dienstgemeinschaft eine innere und äußere Einheit. In dieser Einheit haben sie die zur Erfüllung ihrer besonderen Aufgaben notwendige Eigenverantwortung und Freiheit, die durch die kirchliche Ordnung gesichert und begrenzt werden. (2) Gemeindliches Leben geschieht auch in verschiedenen Bereichen der Bildung, im Zusammenhang besonderer Berufs- und Lebenssituationen, in geistlichen Zentren und in Gruppen mit besonderer Prägung von Frömmigkeit und Engagement sowie in Gemeinden auf Zeit. Diese besonderen Formen von Gemeinde ergänzen das Leben der kirchlichen Körperschaften nach Absatz 1. Sie sind nach Maßgabe der kirchlichen Ordnung in die Zeugnis- und Dienstgemeinschaft eingebunden.

Kirchenverfassung Art. 3 Art. 21 Art. 34 Art. 38

Dienstgemeinschaft

Dienstgemeinschaft bzw. Dienstbegriff in Verfassung/Ordnung/Grundordnung

429

(Fortsetzung) Landeskirche Bekenntnis §§

Wortlaut Art. 21 (3) Die Kirchengemeinde steht in der Zeugnis- und Dienstgemeinschaft ihres Kirchenkreises und der Landeskirche. Art. 34 (1) Der Kirchenkreis ist die Gemeinschaft der zu ihm gehörenden Kirchengemeinden. Zur Zeugnis- und Dienstgemeinschaft des Kirchenkreises gehören auch die kirchlichen Dienste, Einrichtungen und Werke in seinem Bereich. Art. 38 (1) In der Kreissynode haben die Kirchengemeinden und Dienstbereiche teil an der Leitung des Kirchenkreises. Die Kreissynode hat die Aufgabe, die Zeugnis- und Dienstgemeinschaft im Kirchenkreis zu fördern. Bezug zum gemeinsamen Dienst unterschiedlicher Mitarbeitender in Art. 5 Art. 5 (2) Bei der Gestaltung des Lebens der Kirche und in ihrer Leitung sind ehrenamtliche und berufliche Dienste einander zugeordnet und aneinander gewiesen. Sie nehmen die ihnen übertragenen Aufgaben eigenverantwortlich wahr und wirken geschwisterlich zusammen.

Dienstgemeinschaft

430

Dienstgemeinschaft bzw. Dienstbegriff in Verfassung/Ordnung/Grundordnung

(Fortsetzung) Landeskirche Bekenntnis §§ Evang.-Luth. lutherisch Kirche in Norddeutschland

Wortlaut

Art. 3 (2) Die KirchengeKirchenverfassung meinden, die Kirchenkreise und die Landeskirche sowie Art. 3 ihre Dienste und Werke bilden als Zeugnis- und Dienstgemeinschaft eine innere und äußere Einheit.

Dienstgemeinschaft Ja

Bezug zum gemeinsamen Dienst unterschiedlicher Mitarbeitender in Art. 14 und Art. 15 Art. 14 (1) Der eine Auftrag der Kirche wird in der Gemeinschaft der verschiedenen Dienste wahrgenommen. (2) Die ehrenamtlich und beruflich wahrgenommenen Dienste sind gleichwertig und aufeinander bezogen.

Evang.-Luth. Kirche in Oldenburg

lutherisch

Evang. Kirche uniert der Pfalz

Kirchenordnung

Art. 15 (1) Alle, die ehrenamtlich oder beruflich in der EvangelischLutherischen Kirche in Norddeutschland mitarbeiten, haben Teil an der Erfüllung des einen kirchlichen Auftrages. (2) In den ehrenamtlichen und beruflichen Diensten kommen die Fülle der Gaben und das Allgemeine Priestertum in unverzichtbarer Vielfalt zur Geltung. Es gibt keinen Bezug zum ge- Nein meinsamen Dienst unterschiedlicher Mitarbeitender; außerdem kommt der Dienstbegriff kaum vor

KirchenEs gibt keinen Bezug zum geverfassung meinsamen Dienst unterschiedlicher Mitarbeitender; außerdem kommt der Dienstbegriff kaum vor

Nein

Dienstgemeinschaft bzw. Dienstbegriff in Verfassung/Ordnung/Grundordnung

431

(Fortsetzung) Landeskirche Bekenntnis §§ Evangelischreformierte Kirche

reformiert

Evangelische Kirche im Rheinland

uniert

Wortlaut

Dienstgemeinschaft Nein

KirchenEs gibt keinen Bezug zum geverfassung meinsamen Dienst unterschiedlicher Mitarbeitender; Dienst wird tendenziell im Sinne von Auftrag oder für den Pfarrberuf verwendet Ja KirchenArt. 42 ordnung (1) Aufgrund der Taufe sind Art. 42 alle Christinnen und Christen Art. 43 zum Zeugnis und Dienst in der Welt berufen. Der Erfüllung dieses Auftrags dienen alle Dienste der Kirchengemeinde, die ehrenamtlich oder beruflich ausgeübt werden. Diese Dienste stehen gleichwertig nebeneinander. (2) Mit ihren unterschiedlichen Gaben stehen alle Mitarbeitenden in einer Dienstgemeinschaft, die vertrauensvolle Zusammenarbeit, gegenseitige Achtung und Anerkennung erfordert. Art. 43 Die Presbyterinnen und Presbyter leiten in gemeinsamer Verantwortung mit den Pfarrerinnen und Pfarrern und den übrigen Mitgliedern des Presbyteriums die Kirchengemeinde. Ihren Gaben und Kräften gemäß sollen sie in dem vielfältigen Dienst der Kirchengemeinde mitarbeiten. Darüber hinaus stehen sie in der Dienstgemeinschaft der Kirche.

432

Dienstgemeinschaft bzw. Dienstbegriff in Verfassung/Ordnung/Grundordnung

(Fortsetzung) Landeskirche Bekenntnis §§ Evang.-Luth. Landeskirche Sachsens

Evangelische Kirche von Westfalen

lutherisch

uniert

Wortlaut

§ 11 Kirchenverfassung (3) Alle Amtsträger und Mitarbeiter der Kirchgemeinde § 11 bilden eine Dienst-gemeinschaft, die ihre Aufgaben miteinander abstimmt, so dass der Gemeinde am besten gedient wird.

Kirchenordnung

Bezug zum gemeinsamen Dienst unterschiedlicher Mitarbeitender in § 6 §6 (3) Kirchliche Mitarbeiter im Haupt-, Neben- oder Ehrenamt haben im Rahmen ihres besonderen Dienstes Anteil am Auftrag der Kirche. Bezug zum gemeinsamen Dienst unterschiedlicher Mitarbeitender in Art.18; Dienst kommt insgesamt sehr häufig vor

Dienstgemeinschaft Ja

Nein

Art. 18 Auf Grund der Taufe sind alle Christinnen und Christen zum Zeugnis und Dienst in der Welt berufen. Alle Ämter und Dienste der Kirche dienen der Erfüllung dieses Auftrages. Der gemeinsame Auftrag verpflichtet die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kirche zu vertrauensvoller Zusammenarbeit. Evang. Lan deskirche in Württemberg

lutherisch

KirchenEs gibt keinen Bezug zum geverfassung meinsamen Dienst unterschiedlicher Mitarbeitender; außerdem kommt der Dienstbegriff kaum vor

Nein

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