Arbeiter und Angestellte: Zur Unterscheidung im Arbeits- und Sozialversicherungsrecht [Reprint 2019 ed.] 9783110893373, 9783110136302

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Arbeiter und Angestellte: Zur Unterscheidung im Arbeits- und Sozialversicherungsrecht [Reprint 2019 ed.]
 9783110893373, 9783110136302

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsübersicht
Abkürzungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
1. Kapitel: Problematik
1. Teil: Verfassungsrecht, Europarecht, DDR-Recht, die beiden Staatsverträge und Rechtsvergleichung
2. Kapitel: Verfassungsrecht
3. Kapitel: Europarecht, DDR-Recht, die beiden Staatsverträge und Rechtsvergleichung
2. Teil: Arbeitsrecht
1. Abschnitt: Allgemeines
4. Kapitel: Einführung
2. Abschnitt: Individualarbeitsrecht
5. Kapitel: Das Kündigungsrecht
6. Kapitel: Das Entgeltfortzahlungsrecht
7. Kapitel: Das Recht der Wettbewerbsverbote
8. Kapitel: Arbeitsschutzrecht
3. Abschnitt: Kollektives Arbeitsrecht
9. Kapitel: Mitbestimmungsrecht
10. Kapitel: Die Bindung an den Gleichheitssatz bei den einzelnen Rechtsquellen
3. Teil: Sozialversicherungsrecht
11. Kapitel: Die Geschichte der Sozialversicherung und der Sozialfürsorge
12. Kapitel: Das Recht der Rentenversicherung
13. Kapitel: Unfall-, Arbeitslosen- und Krankenversicherungsrecht
4. Teil: Die Definition des Arbeiters und des Angestellten
14. Kapitel: Die Definition des Arbeiters und des Angestellten
5.Teil: Zusammenfassung
Sachregister

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Rolf Wank Arbeiter und Angestellte

Arbeiter und Angestellte Zur Unterscheidung im Arbeits- und Sozialversicherungsrecht

von

Rolf Wank unter Mitarbeit von Monika Müller und Michael Schmidt

w DE

G 1992 Walter de Gruyter • Berlin • New York

Universitätsprofessor Dr. Rolf Wank, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels-, Wirtschafts- und Arbeitsrecht an der Ruhr-Universität Bochum; Monika

Müller

und Assessor Dr. Michael

Schmidt,

Ruhr-Universität, Bochum.

© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

Die Deutsche Bibliothek



CIP-Einheitsaufnahme

Wank, Rolf: Arbeiter und Angestellte : zur Unterscheidung im Arbeits- und Sozialversicherungsrecht / von Rolf Wank. Unter Mitarbeit von Monika Müller und Michael Schmidt. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1992 ISBN 3-11-013630-9

© Copyright 1992 by Walter de Gruyter & Co., D-1000 Berlin 30. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Druck: WB-Druck GmbH, 8959 Rieden am Forggensee Bindearbeiten: Dieter Mikolai, 1000 Berlin 10 Umschlagentwurf: Thomas Beaufort, 2000 Hamburg 20

Vorwort Die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten ist bereits mit der Entstehung des deutschen Arbeitsrechts verknüpft. Im Laufe der Zeit ist sie zusehends fragwürdig geworden. Nach zwei neueren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur S ach Widrigkeit der Differenzierung stellt sich die Frage, ob es überhaupt noch einen sachlichen Grund gibt, diese Unterscheidung im deutschen Arbeits- und Sozialversicherungsrecht aufrechtzuerhalten. Die vorliegende Schrift geht dieser Frage umfassend nach. Die Untersuchung beruht auf einem Gutachten für das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, das im Oktober 1991 abgeschlossen wurde. Die weitere Entwicklung in Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur wurde berücksichtigt. Bochum, im März 1992

Inhaltsübersicht Vorwort

V

Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis Literaturverzeichnis

VII XXV XXXI

1. Kapitel:

Problematik

1. Teil:

Verfassungsrecht, Europarecht, DDR-Recht, die beiden Staatsverträge und Rechtsvergleichung

5

2. Kapitel:

Verfassungsrecht

5

3. Kapitel:

Europarecht, DDR-Recht, die beiden Staatsverträge und Rechtsvergleichung

2. Teil:

1

Arbeitsrecht

47 67

1. Abschnitt: Allgemeines

67

4. Kapitel:

67

Einführung

2. Abschnitt: Individualarbeitsrecht

69

5. Kapitel:

Das Kündigungsrecht

6. Kapitel:

Das Entgeltfortzahlungsrecht

70

7. Kapitel:

Das Recht der Wettbewerbsverbote

387

8. Kapitel:

Arbeitsschutzrecht

415

139

3. Abschnitt: Kollektives Arbeitsiecht

424

9. Kapitel:

426

Mitbestimmungsrecht

10. Kapitel: Die Bindung an den Gleichheitssatz bei den einzelnen Rechtsquellen 443 3. Teil:

Sozialversicherungsrecht

11. Kapitel: Die Geschichte der Sozialversicherung und der Sozialfürsorge

461 462

12. Kapitel:

Das Recht der Rentenversicherung

471

13. Kapitel:

Unfall-, Arbeitslosen- und Krankenversicherungsrecht

492

4. Teil:

Die Definition des Arbeiters und des Angestellten

504

14. Kapitel: Die Definition des Arbeiters und des Angestellten

504

5. Teil:

513

Sachregister

Zusammenfassung

519

Inhaltsverzeichnis Vorwort Inhaltsübersicht Abkürzungsverzeichnis Literaturverzeichnis 1. Kapitel: Problematik 1. Teil:

Verfassungsrecht, Europarecht, DDR-Recht, die beiden Staatsverträge und Rechtsvergleichung

2. Kapitel: Verfassungsrecht A. Die beiden Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts zur Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten I. Der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 16.11.1982 1. Allgemeine Aussagen zu Art. 3 Abs. 1 GG 2. Die Ungleichbehandlung bei den Lebensaltersgrenzen a) Das Argument der Rechtssicherheit b) Das Argument der historischen Entwicklung c) Einzelne Sachgründe aa) Einfacherer Stellenwechsel bb) Geringere Betriebsbindung cc) Flexibilitätserfordernisse dd) Kosten der Anpassung 3. Folgerungen für den Gesetzgeber 4. Methodenkritik II. Der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 30.5.1990 1. Allgemeine Aussagen zu Art. 3 Abs. 1 GG 2. Die Ungleichbehandlung bei den Kündigungsfristen a) Die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten im allgemeinen b) Der Legitimationszusammenhang c) Fehlender Legitimationszusammenhang aa) Geistige und körperliche Tätigkeit bb) Gruppenmentalität cc) Richtigkeitsübeizeugung dd) Längere Ausbildung ee) Leistungsansporn d) Grundsätzlich bestehender Legitimationszusammenhang aa) Schnellerer Stellenwechsel bb) Verteuerung von Sozialplänen cc) Flexibiliätserfordemisse des Arbeitgebers e) Auswirkungen der Entscheidung f) Methodische Würdigung

V VII XXV XXXI 1 5 5 5 5 6 7 7 8 9 9 10 10 10 11 11 12 12 13 13 14 14 14 15 15 15 15 16 16 16 16 18 18

X B. Weitere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 3 Abs. 1 GG I. Die Art der gesetzgeberischen Maßnahme II. Der Prüfungsmaßstab des Bundesverfassungsgerichts 1. WUlkürkontrolle 2. Angemessenheitskontrolle, neue Formel 3. Ermessen des Gesetzgebers III. Vom Gesetzgeber zu berücksichtigende Gesichtspunkte 1. Anknüpfungskriterien 2. Bindung an die Verfassung 3. Systemgerechtigkeit 4. Historische Entwicklung 5. Generalisierung, Typisierung und Praktikabilität IV. Die Korrektur der Ungleichbehandlung C. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des LAG Hamm zu Art. 3 Abs. 1 GG und zum arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz im Hinblick auf die Unterscheidung von Arbeitern und Angestellten I. BAG, Weihnachtsgratifikation I II. BAG, Weihnachtsgratifikation II III. BAG, § 1 Abs. 3 Nr. 2 LFZG IV. LAG Hamm, Betriebliche Altersversorgung D. Die Interpretation des Art 3 Abs. 1 GG in der Literatur I. Der Ermessensspielraum des Gesetzgebers 1. Willkürkontrolle 2. Angemessenheitskontrolle II. Das Prüfschema E. Eigene Stellungnahme zur Auslegung des Art. 3 Abs. 1 GG F. Der unterschiedliche Stand der Gesetzgebung als Problem des Art. 3 Abs. 1 GG und der Auslegung und Rechtsfortbildung I. Geltendes Recht II. Die Anpassung des geltenden Rechts durch Auslegung und Rechtsfortbildung 1. Das alte Gesetz 2. Das neue Gesetz

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3. Kapitel: Europarecht, DDR-Recht, die beiden Staatsverträge und Rechtsvergleichung A. Europarecht I. Arbeitnehmerbegriff II. Gleichheitssatz 1. Art. 48 Abs. 2 EWGV 2. Art. 119EWGV 3. Art. 7 Abs. 1 EWGV 4. Das Grundrecht auf Gleichbehandlung B. Das Recht der ehemaligen DDR I. Arbeitsrecht II. Sozialversicherungsrecht

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XI C. Arbeiter und Angestellte in den beiden Staatsverträgen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR I. Der Gesetzgebungsauftnig zur Schaffung eines Arbeitsvertragsgesetzes II. Arbeiter und Angestellte im Einigungsvertrag 1. Individualarbeitsrecht 2. Kollektives Arbeitsrecht 3. Sozialversicherungsrecht III. Weitere Unterscheidungen innerhalb der Arbeitnehmerschaft 1. Kaufmännische Angestellte 2. Technische Angestellte 3. Geweibliche Arbeitnehmer D. Rechtsvergleichung I. Rechtsordnungen mit Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten 1. Österreich 2. Frankreich 3. Belgien 4. Dänemark 5. Italien II. Rechtsordnungen ohne Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten 1. DDR 2. Schweiz 3. England 4. Niederlande, Portugal und Spanien E. Zusammenfassung zum 3. Kapitel

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2. Teil:

67

Arbeitsrecht

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1. Abschnitt: Allgemeines

67

4. Kapitel: Einfährung A. Das Schrifttum zur Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten B. Die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten im Arbeitsrecht, Vorbemerkung

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2. Abschnitt: Individualarbeitsrecht

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5. Kapitel: Das Kündigungsrecht A. Die Systematik des Kündigungsrechts B. Die historische Entwicklung des Kündigungsrechts I. Der Zusammenhang zwischen historischer Entwicklung und rechtlicher Würdigung II. Darstellung der historischen Entwicklung des Kündigungsrechts C. Die heutige Rechtslage I. Angestellte 1. Die Grundkündigungsfrist

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XII 2. Die verlängerten Kündigungsfristen a) Sachlicher Geltungsbereich b) Dauer der Fristen 3. Die Kündigungstermine 4. Abdingbarkeit II. Arbeiter 1. Die Grundkündigungsfrist 2. Die verlängerten Kündigungsfristen 3. Die Kündigungstermine 4. Abdingbarkeit III. Fortbestehende Unterschiede in der gesetzlichen Regelung für Arbeiter und Angestellte 1. Die Grundkündigungsfrist 2. Die verlängerten Kündigungsfristen 3. Die Kündigungstermine 4. Abdingbarkeit IV. Sachliche Gründe für die bestehenden Unterschiede? 1. Kündigungsfristen 2. Kündigungstermine D. Rechtsvergleichung I. Darstellung des Kündigungsrechts im Hinblick auf Kündigungsfristen 1. Österreich 2. Frankreich 3. Belgien 4. Dänemark 5. Italien 6. Schweiz 7. Vereinigtes Königreich 8. Irland 9. Luxemburg II. Zusammenfassung zur Rechtsvergleichung im Kündigungsrecht E. Bisherige Vorschläge zur Neuregelung I. Der Entwurf der Arbeitsgesetzbuchkommission 1. Darstellung 2. Stellungnahme a) Grundkündigungsfrist b) Verlängerte Kündigungsfristen c) Kündigungstermine d) Lebensalter II. Der Entwurf der SPD-Fraktion 1. Darstellung 2. Stellungnahme III. Der Vorschlag Kraushaars 1. Darstellung 2. Stellungnahme IV. Der Vorschlag von Beuthien/Sponer 1. Darstellung

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xni 2. Stellungnahme V. Der Vorschlag des DGB vom 5.4.1977 1. Darstellung 2. Stellungnahme F. Das Arbeitsgesetzbuch der DDR G. Gesichtspunkte für eine Neuregelung I. Grundprobleme einer Neuregelung II. Der Sinn des KUndigungsschutzrechts 1. Verzicht auf das Kündigungsrecht 2. Abfindungsschutz statt Bestandsschutz 3. Sonstige Neuvorschläge 4. Verzicht auf Kündigungsfristen III. Die Grundkündigungsfrist IV. Der Kündigungstermin 1. Der Kündigungstermin zum Quartalsende a) Die Entstehung der Regelung b) Die Bedeutung des Kündigungstermins 2. Der Kündigungstermin zum Monatsende V. Die verlängerten Kündigungsfristen 1. Die Bedeutung des Lebensalters 2. Die Dauer der Betriebszugehörigkeit 3. Die Kombination von Lebensalter und Dauer der Betriebszugehörigkeit 4. Die Betriebsgröße VI. Die Dispositivität zugunsten der Tarifparteien VII. Die Dispositivität zugunsten des Einzelarbeitsvertrages VIII. Gleiche Kündigungsfristen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer IX. Übergangsfristen H. Eigener Vorschlag

97 100 100 101 102 104 104 10S 105 106 107 107 107 111 112 112 114 116 118 123 124

6. Kapitel: Das Entgeltfortzahlungsrecht A. Vorüberlegungen B. Die geschichtliche Entwicklung des Entgeltfortzahlungsrechts C. Das Entgeltfortzahlungsrecht seit Inkrafttreten des Lohnfortzahlungsgesetzes D. Arbeitsrechtliche oder sozialversicherungsiechtliche Lösung I. Die Entwicklung II. Bedenken 1. Volkswirtschaftliche Bedenken 2. Arbeitsrechtliche Bedenken 3. Verfassungsrechtliche Bedenken a) Art 12 GG b) Art. 3 Abs. 1 GG (Steuergleichheit) c) Art 3 Abs. 1 GG (Kleinbetriebe) d) Sozialstaatsprinzip III. Gegeneinwände E. Rechtsvergleichung

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XIV I. Belgien II. Dänemark III. Frankreich IV. Italien V. Niederlande VI. Portugal VO. Schweiz VIII. Spanien IX. Großbritannien X. Luxemburg XI. Griechenland F. Die Verfassungsmäßigkeit des Rechts der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und Vorschläge zur Neuregelung I. Grundsätzliche Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des Rechts der Entgeltfortzahlung II. Die Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der einzelnen Ungleichbehandlungen von Arbeitern und Angestellten im Entgeltfortzahlungsrecht 1. Der Zeitpunkt der Entstehung des Entgeltfortzahlungsanspruchs im Krankheitsfall a) Darstellung der unterschiedlichen Rechtsstellung von Arbeitern und Angestellten b) Vorüberlegungen zur Überprüfung der Vereinbarkeit einer Norm mit Art. 3 Abs. 1 GG c) Sozialversichemngsrechtliche Ansprüche als relativierender Faktor im Bereich der durch § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG normierten Benachteiligung d) Die effektive Benachteiligung im Bereich des § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG e) Zwischenergebnis zur Ungleichbehandlung f) Die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung aa) Die Rechtsprechung zur Frage der Verfassungsmäßigkeit von § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG bb) Die Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit von § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG anhand der allgemeinen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zu Art 3 Abs. 1 GG aaa) Geschichtliche Entwicklung bbb) Gruppengröße ccc) Wirtschaftliche Interessen der Arbeitgeber ddd) Erhöhte Treuepflicht von Angestellten eee) Art der Tätigkeit fff) Gruppenmentalität ggg) Höhere Qualifikation der Angestellten hhh) Größere Betriebstreue der Angestellten iii) Flexibilität im produktiven Bereich jjj) Höherer Ausländeranteil unter den Arbeitnehmern

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XV kkk) Höheier Krankenstand von Arbeitern g) Verfassungskonforme Auslegung und Analogie h) Zwischenergebnis i) Bisherige Vorschläge für eine Neuregelung aa) Der Vorschlag der Arbeitsgesetzbuchkommission aaa) Darstellung bbb) Stellungnahme bb) Der Vorschlag Trieschmanns aaa) Darstellung bbb) Stellungnahme cc) Der Vorschlag des DGB aaa) Darstellung bbb) Stellungnahme j) Überlegungen zu einer gesetzlichen Neuregelung k) Eigener Vorschlag aa) Der Zusammenhang zwischen Lohnfortzahlung und Fortsetzung des BeschäftigungsVerhältnisses bb) Der Zusammenhang zwischen Arbeitsrecht und Sozial versichemngsrecht cc) Der Mißbrauchsgedanke 2. Die Verhinderung an der Arbeitsleistung durch krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit a) Die Rechtslage für Arbeiter b) Die Rechtslage für Angestellte c) Der Vergleich zwischen der Rechtslage für Arbeiter und der für Angestellte aa) Praktische Einwände bb) Die Ungleichbehandlung cc) Die Prüfung der Verfassungswidrigkeit aaa) Die Benachteiligung bbb) Sachliche Gründe für die Benachteiligung dd) Verfassungskonforme Auslegung d) Eigener Vorschlag 3. Der wiederholte Entgeltfortzahlungsanspruch bei Fortsetzungsericrankungen a) Die Problematik b) Die Rechtslage bei Arbeitern c) Die Rechtslage bei Angestellten d) Die konkrete Ungleichbehandlung e) Die Verfassungswidrigkeit der Regelung f) Verfassungskonforme Auslegung und Analogie g) Bisherige Vorschläge für eine Neuregelung aa) Darstellung aaa) Der Vorschlag der Arbeitsgesetzbuchkommission bbb) Der Vorschlag des DGB ccc) Der Vorschlag Trieschmanns bb) Stellungnahme

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XVI h) Eigener Vorschlag 4. Der anspruchsberechtigte Personenkreis a) Die Regelung für Arbeiter und Angestellte b) Die Verfassungswidrigkeit der Regelung im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG (Arbeiter/Angestellte) aa) Die Regelung betr. Mutterschaftsgeld bb) Die Regelung betr. Teilzeitbeschäftigte und kurzfristig Beschäftigte aaa) Die Ungleichbehandlung bbb) Die Verfassungswidrigkeit der Regelung (1) Geringere Fürsorgepflicht (2) Schaffung wirtschaftlicher Werte (3) Erfordernis stärkerer Fluktuation (4) Unterschiedliches Sicherungsbedürfnis (5) Höherer Krankenstand cc) Verfassungskonforme Auslegung c) Die Verfassungswidrigkeit der Regelung im Hinblick auf Art 3 Abs. 1 GG (Teilzeit/Vollzeit; kurzfristige Beschäftigung/ Dauerbeschäftigung) aa) Vollzeitbeschäftigte und teilzeitbeschäftigte Arbeiter aaa) Fürsorgepflicht und Integration bbb) Schaffung wirtschaftlicher Werte ccc) Schutzbedürfnis bb) Kurzzeitig beschäftigte Arbeiter und langfristig beschäftigte Arbeitnehmer (Arbeiter und Angestellte) aaa) Schaffung wirtschaftlicher Weite bbb) Sicherungsbedürfnis ccc) Fürsorgepflicht des Arbeitgebers d) Die Verfassungswidrigkeit der Regelung im Hinblick auf Art 119 EWGV, Art. 3 Abs. 2 GG aa) Art. 119 EWGV bb) Art. 3 Abs. 2 GG e) Die geplante Neuregelung nach EG-Recht sowie die Arbeitsschutzrichtlinie f) Bisherige Neuregelungsvorschläge aa) Der Vorschlag der Arbeitsgesetzbuchkommission aaa) Darstellung bbb) Stellungnahme bb) Der Vorschlag des DGB aaa) Darstellung bbb) Stellungnahme cc) Der Vorschlag Trieschmanns aaa) Darstellung bbb) Stellungnahme g) Eigener Vorschlag 5. Tariföffnungsklauseln a) Darstellung

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XVII b) Die Höhe des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts (Tariföffnungsklausel für Arbeiter) aa) Die Regelung für Arbeiter bb) Die Regelung für Angestellte cc) Die Ungleichbehandlung dd) Die Verfassungswidrigkeit der Ungleichbehandlung ee) Bisherige Neuregelungsvorschlage ff) Eigener Vorschlag c) Die Dauer des Entgeltfortzahlungsanspruchs (Tariföffnungsklausel für Angestellte) aa) Die Ungleichbehandlung bb) Die Verfassungswidrigkeit der Ungleichbehandlung cc) Bisherige Neuregelungsvorschläge dd) Eigener Vorschlag 6. Die Anzeige- und Nachweispflichten des Arbeitnehmers a) Einführung b) Die Rechtslage bei Arbeitern aa) Anzeige- und Nachweispflicht bei Inlandserkrankung bb) Anzeige- und Nachweispflicht bei Auslandserkrankung aaa) Auslandserkrankung in einem Land, mit dem kein Sozialversicherungsabkommen besteht bbb) Auslandserkrankung in einem Land, mit dem ein Sozialversicherungsabkommen besteht cc) Anzeige- und Nachweispflicht bei nicht in einer gesetzlichen Krankenversicherung versicherten Arbeitern c) Die Rechtslage bei Angestellten aa) Die Anzeigepflicht bb) Die Nachweispflicht d) Zusammenfassende Darstellung der Ungleichbehandlung e) Die Verfassungswidrigkeit der Ungleichbehandlung f) Bisherige Vorschläge für eine gesetzliche Neuregelung aa) Der Vorschlag Trieschmanns aaa) Darstellung bbb) Stellungnahme bb) Der Vorschlag der Arbeitsgesetzbuchkommission aaa) Darstellung bbb) Stellungnahme cc) Der Vorschlag des DGB aaa) Darstellung bbb) Stellungnahme g) Eigener Vorschlag 7. Der Forderungsübergang bei Schädigung durch einen Dritten a) Einführung b) Die Rechtslage für Arbeiter aa) Der Forderungsübergang bb) Das Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers c) Die Rechtslage für Angestellte

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XVIII aa) Der Forderungsübergang bb) Das Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers d) Die Verfassungswidrigkeit der Regelung e) Bisherige Neuregelungsvorschläge aa) Der Vorschlag Trieschmanns bb) Der Vorschlag der Arbeitsgesetzbuchkommission aaa) Darstellung bbb) Stellungnahme cc) Der Vorschlag des DGB aaa) Darstellung bbb) Stellungnahme f) Eigener Vorschlag aa) Verpflichtung zur Forderungsabtretung bb) Forderungsübergang ab Entgeltfortzahlung cc) Forderungsübergang ab Entstehung des Schadensersatzanspruchs 8. Kuren und Schonungszeiten a) Einführung b) Kurbewilligung, Kostentragung und Entgeltfortzahlung aa) Die Rechtslage für Arbeiter aaa) Kurträger bbb) Kur i.S. des Lohnfortzahlungsgesetzes ccc) Bewilligung ddd) Volle Kostenübemahme eee) Voraussetzungen nach § 1 LFZG fff) Der Zusammenhang zwischen § 7 LFZG und dem Sozialversicherungsrecht bb) Die Rechtslage für Angestellte aaa) Kurträger bbb) Kur ccc) Bewilligung ddd) Volle Kostenübemahme cc) Die Verfassungswidrigkeit der Regelung aaa) Die Ungleichbehandlung zwischen Arbeitern und Angestellten bbb) Die Ungleichbehandlung der nicht gesetzlich krankenversicherten Arbeiter gegenüber der Gruppe der gesetzlich krankenversicherten Arbeiter und der Gesamtgruppe der Angestellten ccc) Die Ungleichbehandlung der wegen kurzfristiger oder geringfügiger Beschäftigung nicht sozialversicherten Arbeiter gegenüber den anderen Arbeitnehmern ddd) Mittelbare Ungleichbehandlung eee) Die Kompensation der Ungleichbehandlung fff) Der fehlende sachliche Grund dd) Bisherige Neuregelungsvorschläge

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XIX aaa) Der Vorschlag der Arbeitsgesetzbuchkommission (1) Darstellung (2) Stellungnahme bbb) Der Vorschlag des DGB (1) Darstellung (2) Stellungnahme ccc) Der Vorschlag Trieschmanns (1) Darstellung (2) Stellungnahme ee) Eigener Vorschlag c) Anzeige- und Nachweispflichten aa) Die Rechtslage für Arbeiter bb) Die Rechtslage für Angestellte cc) Ungleichbehandlung und Vorschlag für eine Neuregelung aaa) Die Frage der Verfassungsmäßigkeit bbb) Bisherige Vorschläge für eine gesetzliche Neuregelung (1) Darstellung (2) Stellungnahme (3) Eigener Vorschlag d) Die Lohnfortzahlung während der Schonungszeit aa) Die Rechtslage für Arbeiter bb) Die Rechtslage für Angestellte cc) Die Verfassungswidrigkeit der Regelung dd) Bisherige Vorschläge für eine Neuregelung aaa) Darstellung bbb) Stellungnahme ee) Eigener Vorschlag e) Anzeige- und Nachweispflichten bei einer Schonungszeit aa) Die Rechtslage für Arbeiter bb) Die Rechtslage für Angestellte cc) Ungleichbehandlung und Vorschlag für eine Neuregelung 9. Die Anrechnung konkurrierender Sozialleistungen a) Die unterschiedlichen Regelungen b) Die Verfassungswidrigkeit der Regelung c) Vorschlag für eine Neuregelung 10.Die Arbeitsverhinderung aufgrund unverschuldeten Unglücks a) Die unterschiedlichen Regelungen aa) Die Ansicht des Bundesarbeitsgerichts bb) Die Ansicht der Literatur b) Die Verfassungswidrigkeit der Regelung c) Vorschlag für eine Neuregelung G. Die Entgeltfortzahlung bei der Pflege eines erkrankten Kindes oder eines sonstigen Familienangehörigen I. Einführung II. Die Ungleichbehandlung im geltenden Gesetzesrecht 1. Zwingendes Recht 2. Lebensalter des Kindes

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XX 3. Dauer des Anspruchs III. Die Gleichbehandlung aufgrund der neueren Rechtsprechung IV. Bisherige Neuregelungsvorschlage, DDR-Recht sowie die Rechtslage im öffentlichen Dienst 1. Der Vorschlag der Arbeitsgesetzbuchkommission 2. Der Vorschlag des DGB 3. DDR-Recht 4. Die Rechtslage im öffentlichen Dienst V. Eigener Vorschlag 1. Die Kostenverteilung 2. Zwingendes Recht 3. Pflegebedürftiger Personenkreis 4. Lebensalter des Kindes 5. Dauer des Anspruchs 6. Zusammenfassung H. Das Ausgleichsverfahren I. Die Rechtslage in den alten Bundesländern II. Die Rechtslage in den neuen Bundesländern III. Die Neuregelung der §§ 10-19 LFZG I. Eigener Vorschlag für ein Lohnfortzahlungsgesetz

353 354

7. Kapitel: Das Recht der Wettbewerbsverbote A. Geschichtliche Entwicklung I. Wettbewerbsverbote während des Bestehens des Arbeitsverhältnisses II. Nachvertragliche Wettbewerbsverbote B. Die unterschiedlichen gesetzlichen Regelungen I. Wettbewerbsverbote während des Bestehens des Arbeitsverhältnisses II. Wettbewerbsverbote nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses 1. Das Wettbewerbsverbot für kaufmännische Angestellte 2. Das Wettbeweibsverbot für technische Angestellte und für Auszubildende 3. Das Wettbewerbsverbot für die übrigen Arbeitnehmer 4. Das Recht der neuen Bundesländer III. Die Gleichstellung durch die Rechtsprechung IV. Rechtsvergleichung V. Bisherige Neuregelungsvorschläge 1. Der Vorschlag Fischers a) Darstellung b) Stellungnahme 2. Der Vorschlag des Bundesarbeitsministeriums a) Darstellung b) Stellungnahme 3. Der Entwurf der Arbeitsgesetzbuchkommission a) Darstellung b) Stellungnahme

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XXI VI. Eigener Vorschlag 1. Wettbewerbsverbot während des Arbeitsverhältnisses 2. Nach vertragliches Wettbewerbsverbot

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8. Kapitel: Arbeitsschutzrecht A. Geschichtliche Entwicklung des Nachtarbeitsverbots B. Verfassungsmäßigkeit des § 19 AZO I. Das Nachtarbeitsverbot 1. Die Ungleichbehandlung von Albeiterinnen und weiblichen Angestellten 2. Die Ungleichbehandlung von Albeiterinnen und männlichen Arbeitnehmern (Arbeitern und Angestellten) II. Der Frühschluß vor Sonn- und Feiertagen C. Bisherige Vorschläge zur Neuregelung des Nachtarbeitsverbots D. Eigener Vorschlag

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3. Abschnitt: Kollektives Arbeitsrecht

424

9. Kapitel: Mitbestimmungsrecht A. Die Problematik B. Die historische Entwicklung des Betriebsverfassungsrechts C. Die historische Entwicklung im Recht der Untemehmensmitbestimmung D. Die Verfassungsmäßigkeit der Regelung I. Die gegenwärtige Regelung II. Überlegungen für eine Neuregelung

426 426 427 432 436 436 438

10. Kapitel: Die Bindung an den Gleichheitssatz bei den einzelnen Rechtsquellen A. Tarifverträge I. Rechtstatsachen II. Die Bindung der Tarifverträge an den Gleichheitssatz III. Konsequenzen für den Gesetzgeber 1. Allgemeinverbindlicherklärungen 2. Außenseiterklauseln 3. Dispensierung vom Gleichheitssatz 4. Generelle inhaltliche Vorgaben für die Tarifparteien 5. Tariföffnungsklauseln und Gleichbehandlungsvorbehalt 6. Gleichbehandlungsvorbehalt mit Differenzierung B. Betriebsvereinbarungen I. Rechtstatsachen II. Die Bindung der Betriebsvereinbarungen an den Gleichheitssatz III. Konsequenzen für den Gesetzgeber C. Betriebliche Einheitsregelungen I. Rechtstatsachen II. Die Bindung von allgemeinen Arbeitsbedingungen an den Gleichheitssatz III. Konsequenzen für den Gesetzgeber D. Regelgeleitetes Verhalten

443 443 443 443 447 448 448 449 449 450 450 452 452 452 454 455 455 456 457 457

417

XXII I. Grundsätze II. Einzelfragen 1. Einstellungen 2. Beförderungen 3. Sozialleistungen und Weisungen 4. Kündigungen III. Konsequenzen für den Gesetzgeber E. Individualarbeitsverträge F. Zusammenfassung zum 10. Kapitel

457 458 458 458 458 459 459 459 459

3. Teil:

461

Sozialversicherungsrecht

11. Kapitel: Die Geschichte der Sozialversicherung und der Sozialfürsorge A. Antike B. Mittelalter und Neuzeit

462 462 463

12. Kapitel: Das Recht der Rentenversicherung A. Die Ungleichbehandlung als Tatbestand B. Die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung C. Ungleichbehandlung durch Organisation I. "Suspekte Unterscheidungen" II. Die Entwicklung der Gruppe der Angestellten III. Die Entwicklung der Gruppe der Arbeiter IV. Arbeiter und Angestellte als Gruppen 1. Theorien zur Gruppenbildung der Angestellten 2. Das Ansehen von Angestellten und Arbeitern 3. Abgrenzungsversuche 4. Neuere Untersuchungen D. Ergebnis E. Berufsunfähigkeit I. Das Stufenschema für Arbeiter II. Das Stufenschema für Angestellte III. Die Verfassungsmäßigkeit der Rechtsprechung

471 471 472 474 475 477 478 480 480 481 482 483 485 488 490 490 491

13. Kapitel: Unfall-, Arbeitslosen- und Krankenversicherungsrecht A. Unfallversicherungsrecht B. Arbeitsförderungsrecht I. Schlechtwettergeld II. Wintergeld C. Krankenversicherungsrecht

492 492 492 493 495 497

4. Teil:

Die Definition des Arbeiters und des Angestellten

504

14. Kapitel: Die Definition des Arbeiters und des Angestellten A. Die Abgrenzung im Sozialversicherungsrecht I. Rentenversicherung und Angestelltenversicherung 1. § 3 Abs. 1 AVG, "insbesondere"

504 504 504 505

xxni 2. Berufsgruppenverzeichnis 3. Allgemeine Kriterien a) Verkehrsanschauung b) Hand- und Kopfarbeit II. Andere Zweige der Sozialversicherung B. Die Abgrenzung im Arbeitsrecht C. Die Abgrenzungsproblematik D. Reform Vorschlag

505 506 506 506 508 508 509 510

S.Teil:

513

Zusammenfassung

Sachregister

519

Abkürzungsverzeichnis a.A. a.a.O. Abg. ABG ABGB ABl. EG Abs. Abschn. Abt. AcP ADHGB a.E. a.F. AFG AGB AGBG AiB ALR ANBA AngKSchG Anl. Anm. AOG AOK AöR AP ArbG ArbGG AR-Blattei ArbPlSchG ArbKrankhG ArG ArGVO ARS Art. AT-Angestellte AU Aufl. AÜG AuR AVG AZO BAG BAGE

anderer Ansicht am angegebenen Ort Abgeordneter Allgemeines Berggesetz für die preußischen Staaten vom 24.6.1865 Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch für Österreich Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften (Ausgabe C: Mitteilungen und Bekannimachungen, Ausgabe L: Rechtsvorschriften) Absatz Abschnitt Abteilung Archiv für die civilistische Praxis Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch von 1861 am Ende alte Fassung Arbeitsförderungsgesetz Allgemeine Geschäftsbedingungen Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen Arbeitsrecht im Betrieb (Zeitschrift) Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten Amtliche Nachrichten der Bundesanstalt für Arbeit Gesetz Uber die Fristen für die Kündigung von Angestellten Anlage Anmerkung Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 20.1.1934 Allgemeine Ortskrankenkasse Archiv des öffentlichen Rechts Arbeitsrechtliche Praxis (Entscheidungssammlung) Arbeitsgericht Arbeitsgerichtsgesetz Arbeitsrechts-Blattei Arbeitsplatzschutzgesetz Arbeiterkrankheitsgesetz Arbeitsgesetz (Schweiz) Verordnung zum schweizerischen Arbeitsgesetz Arbeitsrechtssammlung Artikel Außertarifliche Angestellte Arbeitsunfähigkeit Auflage Arbeitnehmerüberlassungsgesetz Arbeit und Recht (Zeitschrift) Angestelltenversicherungsgesetz Arbeitszeitordnung Bundesarbeitsgericht Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts

XXVI BAT BayVBl. BB BBG BBiG Bd. BDA Beil. BeschFG 1985 Beschl. BetrAVG BetrVG 1952 BetrVG 1972 BetrVG BfA BGB BGBl. BGH BGHZ BKK BIStSozArbR BM BMV-Ä BR-Drucks. BRG BRTV BSG BSGE BT-Drucks. Buchst. BundesversorgungsG BUrlG BVerfG BVerfGE BW CFDT Cod. civ. DAG DB ders. dies. DGB DOK DÖV DtZ DVB1. EEK EG EGBGB

Bundes-Angestelltentarifvertrag Bayerische Verwaltungsblatter (Zeitschrift) Der Betriebs-Berater (Zeitschrift) Bundesbeamtengesetz Berufsbildungsgesetz Band Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Beilage Beschäftigungsförderungsgesetz Beschluß Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung Betriebsverfassungsgesetz vom 11.10.1952 Betriebsverfassungsgesetz vom 15.1.1972 Betriebsverfassungsgesetz in der aktuellen Fassung Bundesversicherungsanstalt für Angestellte Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Die Betriebskrankenkasse (Zeitschrift) Blätter für Steuerrecht, Sozialversicherung und Arbeitsrecht (Zeitschrift) Bundesminister Bundesmantelvertrag für Ärzte Bundesratsdrucksache Betriebsrätegesetz vom 4.2.1920 Bundesrahmentarifvertrag für die Bauwirtschaft Bundessozialgericht Entscheidungen des Bundessozialgerichts Bundestagsdrucksache Buchstabe Gesetz über die Versorgung der Opfer des Krieges Bundesurlaubsgesetz Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Burgerlijk Wetboek (Niederlande) Confédération Française Démocratique du Travail Codice civile (Italien) Deutsche Angestelltengewerkschaft Der Betrieb (Zeitschrift) derselbe dieselbe; dieselben Deutscher Gewerkschaftsbund Die Ortskrankenkasse (Zeitschrift) Die öffentliche Verwaltung (Zeitschrift) Deutsch-Deutsche Rechtszeitschrift Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift) Entscheidungssammlung zur Entgeltfortzahlung an Arbeiter und Angestellten bei Krankheit, Kur und Mutterschaft Europäische Gemeinschaften Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch

XXVII Einf. Einl. EMRK EPCA ErsK ET EuGH EuZW EWG EWGV EWiR EzA f., ff. FamRZ FAZ FL FUL Fußn. GBl. gem. GewG GewO GG GK-BetrVG GK-TzA GKV GroßK GS HGB h.M. Hrsg. HS HzA IAVG ICR IKK I.R.L.R. i.S. i.V.m. JA JArbSchG JR Jura JuS JZ Kap. KE KO

Einführung Einleitung (Europäische) Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Gmndfreiheiten Employment Protection (Consolidation) Act 1978 Die Ersatzkasse (Zeitschrift) Estatuto de los Trabajadores (spanisches Arbeitsgesetz) Europäischer Gerichtshof Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht (Entscheidungssammlung) Entscheidungssammlung zum Arbeitsrecht folgende Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Frankfurter Allgemeine Zeitung Funktionaerloven (Belgien) dänisches Angestelltengesetz Fußnote Gesetzblatt gemäß; gemeinsam Königlich Sächsisches Gewerbegesetz von 1861 Gewerbeordnung Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Gemeinschaftskommentar zum Betriebsverfassungsgesetz Gemeinschaftskommentar zum Teilzeitarbeitsrecht Gesetzliche Krankensicherung Großkommentar zum Handelsgesetzbuch Gesetzessammlung; Großer Senat Handelsgesetzbuch herrschende Meinung Herausgeber Halbsatz Handbuch zum Arbeitsrecht Invaliditäts- und Altersversicherungsgesetz von 1889 Industrial Cases Reports Innungskrankenkasse Industrial Relations Law Reports im Sinne in Verbindung mit Juristische Arbeitsblätter (Zeitschrift) Jugendarbeitsschutzgesetz Juristische Rundschau (Zeitschrift) Juristische Ausbildung (Zeitschrift) Juristische Schulung (Zeitschrift) Juristenzeitung Kapitel Kommissionsentwurf Konkursordnung

xxvni KR krit. KSchG KVLG LAG LFZG LS Ltd. LVA MitbestErgG MitbestG 1976 MittAB MK MTLII MTV-Aib. MuSchG m.w.N. Nachw. NdGewO n.F. NJW NJW-RR NVwZ NWPVG NZA OLG OR PersV PrGewO RAG RArbBl. RdA R.D.L. Rdnr. RdSchr. RGBl. RKnG Rs. Rspr. RVO S. s. SAE SDSRV sec. SeemannsG SGb. SGB Slg. s.o.

Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz kritisch Kündigungsschutzgesetz Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte Landesarbeitsgericht Lohnfortzahlungsgesetz Leitsatz limited (Gesellschaft mit beschränkter Haftung im angelsächsischen Recht) Landesversicherungsanstalt Mitbestimmungsergänzungsgesetz Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer Mitteilungen zur Arbeitsmarkt- und Berufsforschung Münchener Kommentar zum BGB Manteltarifvertrag für die Arbeiter der Länder, 1966 Manteltarifvertrag für Arbeiter (Bund/Länder) Mutterschutzgesetz mit weiteren Nachweisen Nachweis Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes von 1869 neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift NJW-Rechtsprechungsreport Zivilrecht (Zeitschrift) hjeue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Nordrhein-Westfälisches Personalvertretungsgesetz Neue Zeitschrift für Arbeits-und Sozialrecht Oberlandesgericht Obligationenrecht (Schweiz) Die Personalvertretung (Zeitschrift) Preußische Gewerbeordnung von 1845 Reichsarbeitsgericht Reichsarbeitsblatt Recht der Arbeit (Zeitschrift) Regio decreto legge Randnummer Rundschreiben Reichsgesetzblatt Reichsknappschaftsgesetz Rechtssache Rechtsprechung Reichsversicherungsordnung Satz; Seite siehe Sammlung Arbeitsrechtlicher Entscheidungen (Zeitschrift) Schriften des Deutschen Sozialrechtsverbandes section Seemannsgesetz Die Sozialgerichtsbaikeit (Zeitschrift) Sozialgesetzbuch Sammlung siehe oben

XXIX ssp str. st. Rspr. TULRA TVG TVVO Urt. V.

VBG 100 VFA VG VGH VO Vorbem. VVDStRL VVG w.N. WRV ZAS ZfA ZfS ZGR ZIAS ZPO ZRP ZTR

statutory sick pay streitig ständige Rechtsprechung Trade Union and Labour Relations Act 1974 Tarifvertragsgesetz Tarifvertragsverordnung Urteil versus; von Unfallverhütungsvorschrift über arbeitsmedizinische Vorsorge Versicherungsgesetz für Angestellte von 1911 Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof EG-Verordnung; Rechtsverordnung Vorbemerkung Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Versicherungsvertragsgesetz weitere Nachweise Weimarer Reichsverfassung Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht (Österreich) Zeitschrift für Arbeitsrecht Zentralblatt für Sozialversicherung, Sozialhilfe und Versorgung (Zeitschrift) Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für ausländisches und internationales Arbeits- und Sozialrecht Zivilprozeßordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Tarifrecht

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XL IV Wendt, Rudolf i Der Gleichheitssatz, NVwZ 1988, S. 778 Wertheimer, Frank, Anm. zu BAG, Urt. v. 22.5.1990, - 3 AZR 647/88 JZ 1991, S. 882 Wiedemann, Herbert, Das Arbeitsverhältnis als Austausch- und Gemeinschaftsverhältnis, Karlsruhe 1966 ders., Gesellschaftsrecht, Bd. I, München 1980 Wiedemann, HerbertlSteinberg, F., Anm. zu BAG, Urt. v. 13.9.1969, - 3 AZR 138/68 -, AP Nr. 24 zu § 611 BGB Konkurrenzklausel Windscheid, Bernhard, Lehrbuch des Pandektenrechts, 9. Aufl., Frankfurt a.M. 1906 Winter, Gerd, Direktwirkungen von EG-Richtlinien, DVB1. 1991, S. 657 Wißmann, Hellmut, Neues Gesetz zur Sicherung der Montanmitbestimmung, DB 1989, S. 426 Wiedemann, Herbert/Stumpf, Hermann, Tarifvertragsgesetz, 5. Aufl., München 1977 Wlotzke, Otfried, Entwicklungstendenzen im Arbeitsrecht, RdA 1963, S. 1 ders.. Die Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes und das Gesetz über Sprecherausschüsse der leitenden Angestellten (I), DB 1989, S. 111 Wlotzke, Otfried/Lorenz, Martin, Arbeitsrecht und Arbeitsschutz im deutsch-deutschen Einigungsprozeß, BB 1990, Beilage Nr. 35 Wlotzke, Otfried/Wißmann, Hellmut, Die Gesetzesinitiative der Bundesregierung zur Montanmitbestimmung, DB 1981, S. 623 Wolf, ManfredlHorn, Norbert/Lindacher, Walter F., AGB-Gesetz, 2. Aufl., München 1989 Zmarzlik, Johannes, Frauenarbeitsschutz, BB 1980, S. 1802 ders., Zum Entwurf eines Arbeitszeitgesetzes, NZA 1987, Beil. Nr. 3, S. 15 Zöllner, Wolfgang, Arbeitsrecht, 3. Aufl., München 1983 ders., Immanente Grenzen arbeitsvertraglicher Regelungen, RdA 1989, S. 152 ders.. Der kritische Weg des Arbeitsrechts zwischen Privatkapitalismus und Sozialstaat, NJW 1990, S. 1

1. Kapitel: Problematik Das geltende Arbeitsrecht knüpft nur scheinbar an einen einheitlichen Begriff des Arbeitnehmers an. Tatsächlich findet sich in Gesetzen, vor allem aber auch in der tariflichen und in der betrieblichen Praxis eine Aufteilung insbesondere in Arbeiter und Angestellte und darüber hinaus in weitere Gruppen von Arbeitnehmern.1 Die Zusammenfassung zu einem einheitlichen Arbeitnehmerbegriff erweist sich, historisch gesehen, als Abstraktionsleistung. Das Mittelalter kannte demgegenüber nur eine Gliederung in Berufsgruppen2. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelten sich allmählich die beiden großen Gruppen der Arbeiter und der Angestellten3. Kennzeichnend war die Kodifikation des Rechts der im Handel Beschäftigten im Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch von 1861 und der in der Industrie Beschäftigten in der preußischen Gewerbeordnung von 1845. Aus der Gruppe der im Handel Beschäftigten entwickelte sich die Gruppe der Angestellten, aus der der gewerblichen Arbeitnehmer die Gruppe der Arbeiter. Weitere Differenzierungen innerhalb dieser großen Gruppen kamen hinzu, so in leitende Angestellte, AT-Angestellte und einfache Angestellte einerseits und in Facharbeiter und ungelernte Arbeiter andererseits. Während die weitere Untergliederung jedenfalls in leitende Angestellte und in andere Angestellte durch den Gesetzgeber zunehmend aufgegriffen und vertieft wurde (so im Betriebsverfassungsgesetz, im Mitbestimmungsgesetz und im Sprecherausschußgesetz), findet sich eine Unterscheidung innerhalb der Gruppe der Arbeiter vor allem in Tarifverträgen, in Betriebsvereinbarungen und Individualarbeitsverträgen. So gesehen, läßt sich auf der einen Seite eine geschichtlich gewachsene Untergliederung der Arbeitnehmerschaft in arbeitsrechtlichen und sozialversicherungsrechtlichen Gesetzen, in Tarifverträgen, Betriebvereinbarungen und Individualarbeitsverträgen finden, die auch weitgehend vom Bewußtsein der Beteiligten getragen wird. Die Untergliederung ist, nicht zuletzt durch das Sprecherausschußgesetz, noch gesetzlich verstärkt worden. 1 Vgl. zu den verschiedenen Arbeitnehmergruppen sowie den gesetzlichen Grundlagen: Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, §§ 12 ff., S. 44 ff. 2 Vgl. Braun, Gewerkschaften, S. 66. 3 Zur Geschichte der Arbeiter und Angestellten vgl. Croner, Soziologie der Angestellten; Hromadka, Recht der leitenden Angestellten, S. 11 ff.; Lederer, Privatangestellte; Schelp, BB 1960, S. 1339.

2 Auf der anderen Seite ist die Berechtigung der Unterscheidung nach Arbeitern und Angestellten aber sowohl in der Rechtsprechung4 als auch in der Literatur5 vor allem in den letzten Jahren zunehmend bezweifelt worden6. Das kann an zwei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts7 und drei Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts8 im einzelnen aufgezeigt werden. Damit stellt sich die Frage, ob insgesamt die bestehenden Unterschiede zwischen Arbeitern und Angestellten mit der Verfassung im Einklang stehen. Dazu bedarf es einer Gesamtanalyse des geltenden Normenbestandes im Arbeits- und im Sozialversicherungsrecht, soweit er auf die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten bezug nimmt. Der Maßstab der Prüfung ergibt sich in erster Linie aus Art. 3 Abs. 1 GG9. Dazu ist zunächst dessen Interpretation durch das Bundesverfassungsgericht darzustellen, ferner sind die Interpretationen im Schrifttum hinzuzunehmen, an die sich ein eigenes Prüfraster zur genaueren Analyse der nachfolgend untersuchten Einzelvorschriften anschließt. Ein weiterer Rahmen ergibt sich aus dem EG-Recht, dem früheren DDRRecht und den beiden Staatsverträgen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR. Aus der Rechtsvergleichung können sich weitere Argumente ergeben. Regelungen des bundesdeutschen Rechts, die zwar noch nicht vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig erklärt wurden, die aber verfassungsrechtlich bedenklich oder die als unzweckmäßig erscheinen, wurden entgegen dem allgemeinen Grundsatz des Art. 8 des Einigungsvertrages10 von vornherein nicht in das DDR-Recht übernommen. Auch enthält der Einigungsvertrag in Art. 30 die Verpflichtung des Gesetzgebers, eine Neuregelung des Arbeitsvertragsrechts zu schaffen. In diesem Zusammenhang werden die Erkenntnisse aus dem Einigungsvertrag im 4 BVerfGE 62, S. 256, 266; BVerfG, NJW 1990, S. 2246; BAG AP Nr. 44 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; BAG, NZA 1984, S. 326; BAG, BB 1987, S. 2453. 5 Vgl. beispielsweise Mayer-Maly, JZ 1961, S. 553 ff.; Gerhard Müller, DB 1981, S. 792,796 f.; Trieschmann, AuR 1962, S. 42 ff. 6 Nikisch, Neuabgrenzung; Trieschmann, Festschrift für Herschel, S. 421 ff.; Lipke, DB 1983,113. 7 BVerfG, Beschl. vom 16.11.1982 - 1 BvL 16/75-, BVerfGE 62, S. 256; BVerfG, Beschl. vom 30.5.1990 - 1 BvL 2/83 u.a.-, NJW 1990, S. 2246. 8 BAG AP Nr. 44 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; BAG, NZA 1984, S. 326; BAG, BB 1987, S. 2453. 9 Vgl. zur Gewährleistung der Gruppengleichheit BVerfGE 8, S. 1, 35; Hamann/ Lenz, Art. 3 GG, Anm. B 2 b. 10 BGBl. 1 1990, S. 1206 ff.

3 Hinblick auf die Untergliederung der Arbeitnehmerschaft aufzuarbeiten sein. Die vorliegende Untersuchung verfolgt daher auch den Zweck, dem Gesetzgeber für die von ihm vorzunehmende Neuregelung des Arbeitsvertragsrechts Entscheidungshilfen zu geben. Bei der sich anschließenden Untersuchung der Einzelfragen müssen, wie das auch der europarechtlichen und der neueren rechtsdogmatischen Sicht entspricht, Arbeits- und Sozialrecht als Einheit gesehen werden; im Laufe der Entwicklung hat es zur Lösung von gleichen Rechtsfragen (u.a. bei der Lohnfortzahlung und beim Ruhegeld) sowohl arbeitsrechdiche als auch sozialversicherungsrechtliche Lösungen gegeben, so daß die funktionale Äquivalenz der beiden Teilgebiete deutlich wird. Innerhalb des Arbeitsrechts stellt sich die Lage für den Gesetzgeber, die Tarifparteien, die Betriebsparteien und die Parteien des Individualvertrages unterschiedlich dar. Differenzierungen, die dem Gesetzgeber verboten sind, können aufgrund der Tarifautonomie und der Privatautonomie zulässig sein.11 Andererseits können privatautonome Regelungen von Änderungen im Gesetzesrecht nicht unbeeinflußt bleiben. Im gesetzlichen Arbeitsrecht ist die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten bisher nur für das Individualarbeitsrecht in Frage gestellt worden. Im Betriebsverfassungsrecht geht demgegenüber die Tendenz eher dahin, die Unterscheidung zwischen den einzelnen Arbeitnehmergruppen zu verstärken, wobei auf die Regelung über den Minderheitenschutz in der letzten Novelle zum Betriebsverfassungsgesetz und auf das Sprecherausschußgesetz verwiesen sei. Es bedarf der Klärung, inwieweit sich diese beiden unterschiedlichen Tendenzen miteinander vereinbaren lassen. Die angesprochenen Fragen sollen in der Weise untersucht werden, daß jeweils zunächst die historische Entwicklung, die geltenden Regelungen, Rechtstatsachen, Rechtsprechung und Literatur dargestellt werden. Daran schließt sich eine Überprüfung anhand des Art. 3 Abs. 1 GG, gegebenenfalls auch des Art. 3 Abs. 2 GG und des Art. 119 EWGV, an. Daraus wird gefolgert, welche Änderungen des geltenden Rechts verfassungsrechtlich geboten und welche rechtspolitisch erwünscht sind. Die Untersuchung hat damit sowohl einen rechtsdogmatischen als auch einen rechtspolitischen Charakter. Rechtsdogmatisch geht es um eine Überprüfung der vorhandenen Regelungen insbesondere anhand des Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG. Dieser rechtsdogmatische Ansatz stößt

11 Allerdings sind auch die Tarifparteien an die Grundrechte gebunden; s. BAG, NZA 1991, S. 5 9 5 , 5 9 7 (st. Rspr.).

4 aus zwei Gründen an Grenzen. Zum einen hat eine Überprüfung anhand des Art. 3 Abs. 1 GG grundsätzlich nur kassatorischen Charakter: Die Regelung kann sich aufgrund dieser Prüfung als verfassungswidrig herausstellen; aber auf der Grundlage des Gewaltenteilungsprinzips hat der Gesetzgeber einen breiten Ermessensspielraum bei der Entscheidung, in welcher Weise er eine einheidiche Regelung ohne Diskriminierung verwirklichen will. Die Möglichkeiten für eine Neuregelung zu untersuchen, ist eine rechtspolitische Aufgabe. Ein zweiter Ansatz für eine rechtspolitische Untersuchung ergibt sich daraus, daß es Regelungen unterhalb der Schwelle eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG gibt, die aber in ähnlicher Weise bedenklich sein können wie verfassungswidrige Regelungen. Das ist insbesondere der Fall, wenn sich zwar noch ein sachlicher Grund i.S. des Art. 3 Abs. 1 GG für eine Regelung angeben läßt, dieser Grund aber keine große Überzeugungskraft besitzt. Dann darf zwar das Bundesverfassungsgericht die Regelung nicht aufheben, da die Zweckmäßigkeit einer Regelung nicht seiner Kontrolle unterliegt. Es ist dann jedoch eine rechtspolitische Aufgabe, festzustellen, ob die Regelung beibehalten werden sollte und welche Alternativen sich anbieten. Kommen unterschiedliche Arten einer Neuregelung in Betracht, so bietet die Gesetzgebungslehre Kriterien dafür, wie eine gesetzliche Regelung sinnvollerweise ausgestaltet sein sollte.12 Schließlich hat auch das Bundesverfassungsgericht Grundsätze dafür angegeben, wie der Gesetzgeber seinem Auftrag, eine Gleichbehandlung herbeizuführen, nachkommen kann. Auch derartige Fragen der Umsetzbarkeit verfassungsrechtlicher Vorgaben, wie Regelungsalternativen und zeitliche Streckung, sollen behandelt werden.

12 Vgl. hierzu Göge, BB 1986, S. 1772 ff.

1. Teil: Verfassungsrecht, Europarecht, DDR-Recht, die beiden Staatsverträge und Rechtsvergleichung 2. Kapitel: Verfassungsrecht Für die Untersuchung der Einzelregelungen zur Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten sind zwei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts von zentraler Bedeutung, die jeweils eine Regelung dieser Art für verfassungswidrig erklärt haben. A.

Die beiden Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts zur Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten

In beiden Fällen ging es um arbeitsrechtliche Fragen, nämlich das eine Mal um die unterschiedliche Berücksichtigung von Lebensjahren für die Verlängerung der Kündigungsfrist, das andere Mal um unterschiedlich lange Kündigungsfristen für länger beschäftigte Arbeiter und für länger beschäftigte Angestellte. In beiden Beschlüssen lehnte es das Gericht ab im zweiten ausdrücklich - die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten generell für verfassungswidrig zu erklären. Die Argumentation ist vielmehr jeweils auf die Einzelregelung zugeschnitten. I.

Der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 16.11.19821

In diesem Beschluß ging es um den Zusammenhang zwischen einer längeren Beschäftigungszeit und einer längeren Kündigungsfrist, und zwar speziell um Beschäftigungszeiten vor dem 35. oder dem 25. Lebensjahr. Nach § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB verlängern sich die Kündigungsfristen des § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB für Arbeiter nach fünfjähriger Beschäftigung in demselben Betrieb oder Unternehmen auf einen Monat zum Monatsende, nach zehn Jahren auf zwei Monate zum Monatsende und schließlich nach zwanzig Jahren auf drei Monate zum Quartalsende. Beschäftigungszeiten, die vor der Vollendung des 35. Lebensjahres liegen, wurden nach der damals geltenden Fassung dieser Vorschrift bei der Berechnung nicht berücksichtigt.

1 BVerfGE 62, S. 256.

6 Für Angestellte, deren Kündigungsfrist in § 622 Abs. 1 BGB geregelt ist, ergeben sich bei längerer Beschäftigung andere Kündigungsfristen, wobei die Regelung im BGB durch das Angestelltenkündigungsschutzgesetz vom 9.7.1926 ergänzt wird. Dieses Gesetz stellt in § 2 Abs. 1 Satz 1 besondere Anwendungsvoraussetzungen auf. Bei einer längeren als fünfjährigen Beschäftigung darf einem Angestellten nur mit einer Frist von drei Monaten zum Ende eines Kalendervierteljahres gekündigt werden; nach acht Jahren erhöht sich die Frist auf vier, nach zehn Jahren auf fünf und nach zwölf Jahren auf sechs Monate zum Quartalsende. Im Hinblick auf den Beginn der Berechnung der Dienstjahre gilt hier, daß Dienstjahre vor der Vollendung des 25. Lebensjahres nicht berücksichtigt werden. Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Entscheidung war die Frage, ob es mit dem Gleichheitssatz vereinbar ist, daß bei Arbeitern Beschäftigungsjahre erst dann Berücksichtigung finden, wenn sie nach dem 35. Lebensjahr abgeleistet werden, während bei Angestellten bereits Dienstzeiten ab dem 25. Lebensjahr berücksichtigt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Frage verneint. 1. Allgemeine Aussagen zu Art. 3 Abs. 1 GG Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ist Art. 3 Abs. 1 GG dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu einer anderen Gruppe anders behandelt wird, obgleich zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und von solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen2. Bei der Anwendung des Gleichheitssatzes sei der jeweilige Lebens- und Sachbereich zu berücksichtigen3. Damit benutzt das Bundesverfassungsgericht, wie seit einigen Jahren in ständiger Rechtsprechung, eine neue Formel zur Untersuchung des Gleichheitsverstoßes. Nach der früher verwandten, auf Leibholz zurückgehenden Willkürformel4 wurde nur geprüft, ob der Gesetzgeber eine willkürliche Abgrenzung vorgenommen hatte,5 wäh2 BVerfGE 62, S. 256, 274; BVerfGE 55, S. 72, 88; 58, S. 369, 373 f.; 60, S. 123, 133 f.; 60, S. 329, 346; 65, S. 104, 112 f.; 65, S. 377, 384; 66, S.66, 75; 66, S. 234, 242; 67, S. 231, 236; 67, S. 348, 365; 68, S. 287, 301; 70, S. 230, 239 f.; 71, S. 39, 58 f.; 71, S. 146, 154 f.; 72, S. 141, 150; 73, S. 301, 321; 74, S. 9, 24; 74, S. 203, 217; 75, S. 78, 105; 75, S. 166, 179; 75, S. 246, 277; 75, S. 284, 300; 75, S. 348, 357; 75, S. 382,393. 3 BVerfGE 35, S. 348, 357; 60, S. 123, 134; 62, S. 256, 274; BVerfG, NJW 1990, S. 2247. 4 Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 72 ff.

7 rend die neue Formel eine weitergehende Überprüfung des gesetzgeberischen Ermessens ermöglicht. Dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers sind nach dem genannten Beschluß dort engere Grenzen gesetzt, wo die Regelung Auswirkungen auf die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit hat.6 - Da jedenfalls alle arbeitsrechtlichen Gesetze vom Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG erfaßt werden, könnte man meinen, daß das Bundesverfassungsgericht in diesem Beschluß die konkrete Regelung auch anhand des Art. 12 Abs. 1 GG überprüft und dabei einen strengen Maßstab angelegt hätte. Die Berufung auf Art. 12 Abs. 1 GG wird jedoch in den weiteren Beschlußgründen nicht mehr aufgegriffen. Die Ungleichbehandlung bei den Lebensaltersgrenzen 2. Bei seiner konkreten Untersuchung des § 622 Abs. 2 Satz 2, 2. Halbsatz BGB arbeitet das Bundesverfassungsgericht zunächst den Regelungszweck heraus. Längere Kündigungsfristen dienen danach der Sicherung der beruflichen Existenz. Die Anpassung an eine veränderte berufliche Situation, die Suche nach einer anderen Arbeitsstelle solle mit Hilfe längerer Kündigungsfristen erleichtert werden7. Wenn insoweit bei Arbeitern und Angestellten die Kündigungsfristen von einem unterschiedlichen Lebensalter abhängig gemacht werden, bedürfe es dafür eines sachlichen Grundes. Bei der Prüfung möglicher sachlicher Gründe setzt sich das Bundesverfassungsgericht vor allem mit den Argumenten in den von ihm eingeholten Stellungnahmen auseinander. a) Das Argument der Rechtssicherheit Die Tatsache, daß die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten nicht immer leicht zu treffen sei, führe noch nicht zu einem Verstoß gegen den Gleichheitssatz. Die Abgrenzung könne letztlich durch die Gerichte vorgenommen werden, deren herkömmliche und anerkannte Aufgabe die Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe sei8.

5 Seit BVerfGE 1, S. 14, 52. W. N. zur Rechtsprechung bei Leibholz/Rinck/Hesselberger, Art. 3 GG, Rdnr. 21; v. Münch-Gubelt, Art. 3 GG, Rdnr. 10 m.w.N. 6 BVerfGE 62, S. 256, 274; BVerfG, NJW 1990, S. 2246, 2247; Maaß, NVwZ 1988, S. 14,15. 7 BVerfGE 62, S. 256,274. 8 BVerfGE 62, S. 256,275.

8 Die Frage der Rechtssicherheit bei der Gesetzesauslegung wird üblicherweise unter dem Aspekt des Rechtsstaatsprinzips und des Bestimmtheitsgebots gesehen, die vom Bundesverfassungsgericht ebenfalls angesprochen werden. Allerdings führt der rechtsdogmatische Aufwand in aller Regel in der Praxis nicht zum Erfolg. Eine Regelung mag noch so unbestimmt sein - das Bundesverfassungsgericht hat in seiner langjährigen Rechtsprechung bisher fast immer festgestellt, daß die Gerichte zu einer Abgrenzung in der Lage seien. Im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG geht es im Grunde um ein anderes Argument: Die Unsicherheit bei der Abgrenzung der beiden Gruppen ist ein Indiz dafür, daß das für die Einteilung gewählte Abgrenzungskriterium körperliche oder geistige Arbeit - fragwürdig geworden ist. Je größer der Bereich der unklaren Fälle ist, desto zweifelhafter wird die Abgrenzung insgesamt. b) Das Argument der historischen Entwicklung Die Tatsache, daß die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten historisch gewachsen sei, könne die Verfassungsmäßigkeit einer unterschiedlichen Regelung nicht rechtfertigen. Wenn allerdings die genannten Regelungen verzweigt und vielgestaltig und ohne einheiüichen Plan entstanden seien, so müsse es dem Gesetzgeber überlassen bleiben, in welcher zeitlichen Reihenfolge er Anpassungen vornehmen wolle. Dabei habe er aber vertretbare Zeiträume einzuhalten. Es sei zu berücksichtigen, ob erhebliche Eingriffe in die Systematik verschiedener Regelungsbereiche mit nennenswerten finanziellen Auswirkungen erfolgten9. Die Bundesregierung hatte die geprüfte Vorschrift in ihrer Stellungnahme deshalb für verfassungskonform gehalten, weil die Neuregelung durch das Arbeitsrechtsbereinigungsgesetz ein erster Schritt auf dem Wege zu einer umfassenden Reform sei10. Diesen Einwand erkannte das Bundesverfassungsgericht jedoch nicht an. Den Materialien zum Arbeitsrechtsbereinigungsgesetz entnahm es, daß § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht als erster Schritt in Richtung auf eine Angleichung der Vorschriften für Arbeiter und Angestellte gedacht war, sondern daß der Zweck der Ungleichbehandlung darin lag, daß die Mobilität der Arbeiter gefördert werden solle11. 9 BVerfGE 62, S. 256,277 f. 10 BVerfGE 62, S. 256,264 f. 11 BVerfGE 62, S. 256,286 f.

9 Dem historischen Argument kommt danach nur begrenzte Bedeutung zu. Historische Gründe allein können eine Ungleichbehandlung nicht rechtfertigen. Es geht nur darum, innerhalb welcher Zeit und in welcher Reihenfolge der Gesetzgeber die Angleichung vorzunehmen hat. Dabei kann auf gesetzgeberische Schwierigkeiten und finanzielle Belastungen Rücksicht genommen werden. Auch sind zeitliche Verschiebungen in Kauf zu nehmen, wenn der Gesetzgeber eine längere Vorbereitungszeit für eine umfassende Neuregelung benötigt. Es muß dann aber für das Bundesverfassungsgericht deutlich werden, welches Endziel der Gesetzgeber verfolgt und in welchen Schritten es angestrebt wird. Der bloße Hinweis auf gesetzgeberische Planungen genügt gegenüber dem Bundesverfassungsgericht nicht12. c) Einzelne Sachgründe Während die beiden zuvor genannten Argumente unterschiedliche Abgrenzungen zwischen Arbeitern und Angestellten im allgemeinen betrafen, geht es bei den weiteren Sachgründen um spezielle Rechtfertigungsversuche für die unterschiedliche Berücksichtigung des Lebensalters bei den Kündigungsfristen. Dabei prüft das Bundesverfassungsgericht jeweils zweierlei: einmal, ob die für die Begründung angegebenen Prämissen rechtstatsächlich zutreffen. Insofern geht es weniger um Wertungen als um Tatsachenfeststellungen, so daß hier auch auf empirische Wissenschaften zurückgegriffen werden kann. Zum anderen ist zu prüfen, ob diese Tatsachen die Rechtsfolge in Form der vorliegenden gesetzlichen Regelung rechtfertigen. aa) Einfacherer Stellenwechsel Die Ungleichbehandlung in § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB wurde darauf gestützt, daß bei Arbeitern ein Wechsel der Arbeitsstelle einfacher und üblicher sei als bei Angestellten13. Bei der in großem Umfang vorgenommenen Auswertung von statistischem Material ergibt sich für das Bundesverfassungsgericht, daß bei länger beschäftigten Arbeitern ein Stellenwechsel nicht verbreiteter ist als bei länger beschäftigten Angestellten. Auch die Annahme, ein länger beschäftigter Arbeiter finde leichter eine neue Arbeitsstelle als ein länger beschäftigter gleichaltriger Angestellter, trifft nach Auffassung des Senats nicht zu. Mit zunehmender Beschäftigungsdauer nehme die Mobilität bei Arbeitern und Angestellten in glei-

12 BVerfGE 62, S. 256,268. 13 BVerfGE 62, S. 256,268.

10 eher Weise ab. Eher zeige sich sogar, daß Arbeiter bei längerer Arbeitslosigkeit schwerer zu vermitteln seien als Angestellte 14 . Da von den Befürwortern der Ungleichbehandlung eine Tatsachenbehauptung aufgestellt wurde, entfällt die Schlüssigkeit des Arguments, sobald die Tatsachenbehauptung widerlegt ist.

bb)

Geringere

Betriebsbindung

Im Schrifttum wurde die Ungleichbehandlung damit zu rechtfertigen versucht, daß bei einer großen Zahl von Arbeitern, nämlich den ungelernten und den angelernten, die Bindung an den Betrieb geringer sei als bei Angestellten 15 . Dem hält das Bundesverfassungsgericht entgegen, daß sich auch bei Arbeitern entsprechende Bindungen entwickeln würden 16 . Auf beiden Seiten wird wiederum eine Tatsachenbehauptung aufgestellt. Um sie zu überprüfen, wären wieder empirische Untersuchungen notwendig. Dabei müßte das Merkmal "Bindung an den Betrieb" operational gemacht werden. Es könnte die innere Einstellung zum Unternehmen erfragt werden oder man könnte die Fluktuationshäufigkeit untersuchen. Selbst wenn aber die Prämisse stimmen sollte, fragt sich, ob eine geringere emotionale Bindung mit einer kürzeren Kündigungsfrist bestraft werden muß. So verringert sich beispielsweise die Frist aus § 1565 B G B nicht deshalb, weil der eine Ehegatte eine geringere emotionale Bindung an die Ehe zeigt.

cc)

Flexibilitätserfordernisse

Nach Ansicht der Arbeitgeberverbände ist die Ungleichbehandlung deshalb gerechtfertigt, weil Arbeiter vor allem in der Produktion eingesetzt würden und weil dort ein höheres Maß an Flexibilität erforderlich sei (s. u. 2. Kap. II 2 d cc) 1 7 . Auf dieses Sachargument geht das Bundesverfassungsgericht nicht weiter ein. Die Auseinandersetzung damit wird erst in dem Urteil von 1990 nachgeholt.

dd)

Kosten der Anpassung

Die Arbeitgeberverbände trugen des weiteren vor, daß eine Angleichung der Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten mit erheblichen

14 BVerfGE 62, S. 2 5 6 , 2 8 0 ff. 15 KR-HiUebrecht, 2. Aufl. 1981, § 622 BGB, Rdnr. 113. 16 BVerfGE 62, S. 256,285. 17 Stellungnahme der Arbeitgeberverbände, referiert in BVerfGE 62, S. 2 5 6 , 2 6 6 f.

11 Kosten verbunden sein würde 18 . Dieses Argument erkennt das Bundesverfassungsgericht jedoch nicht an. Auch hohe Kosten einer Anpassung rechtfertigten keine Ungleichbehandlung. 3. Folgerungen für den Gesetzgeber Im Hinblick auf das von den Arbeitgebern vorgetragene Kostenargument zieht das Bundesverfassungsgericht in Erwägung, daß sich die Angleichung der Rechtsstellung der Arbeiter an die der Angestellten auch stufenweise vollziehen könne 19 . Dem Gesetzgeber stünden für eine Angleichung unterschiedliche Wege zur Verfügung. Geboten sei nicht unbedingt eine Anpassung nach oben, sondern es könne auch eine mittlere Lösung gewählt werden. Der Gesetzgeber hat 1990 in der Weise reagiert, daß er für Arbeiter und Angestellte in gleicher Weise an das 25. Lebensjahr angeknüpft hat20. Damit sind die Fragen nach einer zeitlichen Streckung und nach einer mittleren Lösung erledigt. Eine zeitliche Streckung ergibt sich bereits dadurch, daß die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bereits 1983 erging und die gesetzliche Neuregelung erst im Jahre 1990 erfolgte, so daß für die Praxis genügend Zeit für eine Umstellung vorhanden war. 4. Methodenkritik Eine Ungleichbehandlung zwischen Arbeitern und Angestellten im gesetzlichen Kündigungsrecht findet sich im Hinblick auf eine Reihe von Punkten, nämlich Lebensalter als Anknüpfungspunkt für berücksichtigungsfähige Beschäftigungszeiten Grundkündigungsfrist Grundkündigungstermin verlängerte Kündigungfrist verlängerter Kündigungstermin Dispositivität Zahl der im Betrieb Beschäftigten.

In der Entscheidung von 1982 ging es nur um eine einzige unter all diesen Fragen, nämlich um das Lebensalter von Arbeitern und Angestellten. Von daher hätten sich Befürworter und Gegner der zu prüfenden Regelung eigentlich auf diese Frage beschränken müssen. Tatsächlich behandeln aber beide Seiten eingehend die Zulässigkeit der Abgrenzung zwischen Arbeitern und Angestellten im allgemeinen sowie der längeren 18 BVerfGE 62, S. 256,267. 19 BVerfGE 62, S. 2 5 6 , 2 8 7 f. 20 BGBl. 1 1990, S. 1206 ff.

12 Kündigungsfristen für länger beschäftigte Arbeiter und Angestellte im besonderen, während die eigentlich entscheidungserhebliche Frage vom Bundesverfassungsgericht nur am Rande angesprochen wird. In Form eines Hilfsarguments zu seiner Argumentation betreffend den leichteren Stellenwechsel führt das Bundesverfassungsgericht aus, selbst wenn Arbeiter leichter eine neue Stelle finden würden, so sei das bereits durch die kürzeren Kündigungsfristen berücksichtigt worden und dürfe nicht noch zusätzlich bei der Berechnung der Beschäftigungszeiten angeführt werden 21 . Insoweit offenbart die Entscheidung ein Dilemma der verfassungsgerichtlichen Überprüfung von Gesetzen. Die Frage eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG stellt sich sowohl für die grundsätzliche Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten im Arbeitsrecht als auch konkret zu allen oben genannten Fragen des Kündigungsrechts. Wenn das Bundesverfassungsgericht versuchen wollte, alle zusammenhängenden Fragen in einem Zug zu behandeln, so würde das einzelne Verfahren überfrachtet. Auf der anderen Seite zeigt sich, daß die Verkürzung des Streitgegenstandes (von "Ist die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten im geltenden Arbeitsrecht zulässig?" zu "Ist die Zahl fünfunddreißig in § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB verfassungsmäßig?") dazu führen kann, daß einerseits alle anderen einschlägigen Fragen zwar angesprochen werden, aber nur in Form von obiter dicta, und daß andererseits diese Fragen in späteren Entscheidungen wieder aufgegriffen werden müssen. II.

Der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 30.5.1990

Wie in der Entscheidung von 1982, so ging es auch im Beschluß des Bundesverfassungsgerichts von 1990 wieder um § 622 Abs. 2 BGB 22 . Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Überprüfung war dieses Mal jedoch nicht mehr der unterschiedliche Berechnungsmodus für anrechenbare Beschäftigungszeiten, sondern waren die unterschiedlichen Kündigungsfristen für Arbeiter und Angestellte. Auch in diesem Beschluß hält das Bundesverfassungsgericht die unterschiedliche Regelung für verfassungswidrig. 1. Allgemeine Aussagen zu Art. 3 Abs. 1 GG Zur Auslegung des Art. 3 Abs. 1 GG führt das Bundesverfassungsgericht wieder aus, daß eine ungleiche Behandlung mehrerer Gruppen von 21 BVerfGE 62, S. 256,284. 22 BVerfG, NJW 1990, S. 2246 = AP Nr. 28 zu § 622 BGB.

13 Normadressaten nur dann mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, wenn zwischen ihnen Unterschiede von solcher Art und von solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen23. Ergänzt wird diese Aussage durch das Erfordernis, daß die Ungleichbehandlung und der rechtfertigende Grund in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen müssen24. Inwieweit dadurch auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip bezug genommen wird25, wird unten zu klären sein. Auch in dieser Entscheidung hält es das Bundesverfassungsgericht wieder für bedeutsam, ob sich die Ungleichbehandlung auf Freiheitsgrundrechte auswirkt. Auch dieses Mal bleibt es bei einem Obersatz, der im weiteren Verlauf nicht aufgegriffen wird. 2.

Die Ungleichbehandlung

bei den

Kündigungsfristen

a)

Die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten im allgemeinen In diesem Beschluß läßt das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich offen, ob die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten im Gesetzesrecht ingesamt haltbar ist oder nicht26. Es gibt auch keinen Hinweis in die Richtung, daß die beiden bisherigen Beschlüsse zum Lebensalter und zu den Kündigungsfristen nur exemplarische Bedeutung hätten und daß die Unterscheidung nicht nur insoweit, sondern allgemein überholt sei. Unmittelbar aus den beiden Verfassungsgerichtsentscheidungen kann man daher zu den im folgenden zu untersuchenden weiteren Regelungen keine Folgerung herleiten. Das ist vielmehr nur mittelbar in der Weise möglich, daß man die Prüfungsmaßstäbe des Bundesverfassungsgerichts aus diesen beiden und auch aus anderen Entscheidungen herausarbeitet und aufgrund dessen untersucht, ob nach diesen Maßstäben die Unterschiede in anderen Fällen verfassungsgemäß sind. 23 BVerfGE 55, S. 72, 88; 58, S. 369, 373 f.; 60, S. 123, 133 f.; 60, S. 329, 346; 62, S. 256, 274; 65, S. 104, 112 f.; 65, S. 377, 384; 66, S. 66, 75; 66, S. 234, 242; 67, S. 231, 236; 67, S. 348, 365; 68, S. 287, 301; 70, S. 230, 239 f.; 71, S. 39, 58 f.; 71, S. 146, 154 f.; 72, S. 141, 150; 73, S. 301, 321; 74, S. 9, 24; 74, S. 203, 217; 75, S. 78, 105; 75, S. 166, 179; 75, S. 246, 277; 75, S. 284, 300; 75, S. 348, 357; 75, S. 382,393. 24 BVerfG, NJW 1990, S. 2246. 25 Katzenstein (BVerfGE 62, S. 256, 289 f.) sowie Hesse (AöR 109 (1984), S. 189) sehen in der neuen Formel des BVerfG den Aspekt der Verhältnismäßigkeit enthalten. Vgl. als Befürworter einer Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips im Rahmen des Art. 3 AbS. 1 GG in der Literatur auch v. Münch-Gu6e/(, Art. 3 GG, Rdnr. 18; Kloepfer, Gleichheit, S. 62 ff.; Stein, Staatsrecht, S. 239 ff. 26 BVerfG, NJW 1990, S. 2246,2247.

14

b)

Der

Legitimationszusammenhang

Aussagen in Rechtsprechung und Literatur zu Art. 3 Abs. 1 GG haftet vielfach eine gewisse Willkür an27. Argumente für oder gegen eine Ungleichbehandlung werden erörtert, ohne daß hinreichend klar wird, anhand welchen Maßstabes die Überprüfung vorgenommen wird. In diesem Punkt hat die Entscheidung von 1990 erheblich mehr Klarheit geschaffen. Das Bundesverfassungsgericht führt hier als neuen Topos den Legitimationszusammenhang ein28; d.h. zwischen der konkreten Ungleichbehandlung auf der Tatbestandsseite und der konkreten Rechtsfolge muß ein Sinnzusammenhang bestehen. Es müssen im Tatsächlichen Unterschiede gerade im Hinblick auf die geregelte Einzelfrage von solcher Art und von solchem Gewicht vorliegen, daß sie gerade diese Form der Regelung rechtfertigen. Damit weist die Prüfung des Art. 3 Abs. 1 GG Parallelen zum Vorgehen bei der teleologischen Auslegung auf. Auch bei ihr geht es darum, einen Sinnzusammenhang zwischen Tatbestand und Rechtsfolge herzustellen. Auf dieser gedanklichen Grundlage ordnet das Bundesverfassungsgericht seine weiteren Erörterungen nach zwei Gruppen. Eine erste Gruppe umfaßt diejenigen Unterschiede zwischen Arbeitern und Angestellten, die von vorneherein nicht geeignet sind, eine Ungleichbehandlung zu rechtfertigen, weil es an einem Legitimationszusammenhang zwischen ihnen und den Kündigungsfristen fehlt. Zur zweiten Gruppe gehören diejenigen Unterschiede, die dem Grunde nach eine Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten, die aber nicht hinreichend gruppenspezifisch sind. Dabei geht es um Unterschiede, die nicht hinreichend für die Gruppe der Arbeiter und der Angestellten als Ganze sind, sondern nur für Teilgruppen innerhalb der beiden großen Gruppen, so daß nur die jeweilige Teilgruppe einen zulässigen Anknüpfungspunkt abgeben könnte.

c)

Fehlender

Legitimationszusammenhang

aa) Geistige und körperliche Tätigkeit Das Bundesverfassungsgericht läßt es dahinstehen, ob die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten nach der Art der Tätigkeit, also einer überwiegend geistigen oder einer überwiegend körperlichen Tätigkeit, überhaupt noch zutreffend ist. Selbst wenn das der Fall sei, liege darin jedenfalls im vorliegenden Zusammenhang kein rechtfertigender 27 Vgl. Wendt, NVwZ 1988, S. 7 7 8 , 7 7 9 f. 28 BVerfG, NJW 1990, S. 2246, 2247; vgl. zu diesem Begriff Wank, Begriffsbildung, S. 87 ff.; Wendt, N V w Z 1988, S. 778, 780 f.

15

Grund. Aus der Art der Tätigkeit ergebe sich kein erhöhtes Schutzbedürfnis im Hinblick auf die Kündigungsfristen. Im übrigen verweist der Senat insoweit auf seinen Beschluß vom 16.11.198229.

bb)

Gruppenmentalität

Auch eine behauptete Gruppenmentalität der Angestellten gebe keinen Rechtfertigungsgrund ab. Aus ihr lasse sich keine Schutzwürdigkeit im Hinblick auf längere Kündigungsfristen ableiten30.

cc)

Richtigkeitsüberzeugung

Einige Gruppen hatten in ihrer Stellungnahme vorgetragen, die betroffenen Kreise seien von der Notwendigkeit kürzerer Kündigungsfristen für Arbeiter überzeugt. Das Bundesverfassungsgericht sieht für das Vorliegen derartiger Überzeugungen keine Anhaltspunkte. Selbst wenn sie bestünden, vermöchten sie eine Ungleichbehandlung nicht zu rechtfertigen. Ein Verfassungsverstoß werde nicht dadurch ausgeräumt, daß ihn die Betroffenen billigen31.

dd) Längere Ausbildung Auch den Einwand, Angestellte verdienten höheren Schutz vor Arbeitslosigkeit, weil sie wegen einer längeren vorberuflichen Ausbildung erst später ins Erwerbsleben einträten, läßt der Senat nicht gelten. Kündigungsfristen seien nicht dazu bestimmt, die aktive Arbeitszeit zu verlängern, sondern dazu, den Übergang auf eine neue Stelle zu erleichtern. Außerdem seien nur bei akademisch ausgebildeten Angestellten die Ausbildungszeiten wesentlich länger. Wegen dieser Besonderheiten bei einer Teilgruppe lasse sich eine Begünstigung der gesamten Gruppe nicht rechtfertigen 32 .

ee)

Leistungsansporn

Eine Ungleichbehandlung lasse sich auch nicht dadurch begründen, daß kürzere Kündigungsfristen einen Leistungsansporn darstellen. Das Bundesverfassungsgericht hält diesen Zusammenhang nicht für belegt. Außerdem sei angesichts der gleichartigen Schutzbedürfnisse beider

29 30 31 32

BVerfG, NJW BVerfG, NJW BVerfG, NJW BVerfG, NJW

1990, 1990, 1990, 1990,

S. S. S. S.

2246,2247. 2246,2247. 2246,2247. 2246,2247.

16

Gruppen ein Leistungsanspom kein Sachgesichtspunkt, der nach Gewicht und Tragweite eine Ungleichbehandlung rechtfertigen könne33. d)

Grundsätzlich bestehender

Legitimationszusammenhang

aa) Schnellerer Stellenwechsel Als Begründung für die unterschiedlichen Kündigungsfristen wird vorgebracht, daß Angestellte länger arbeitslos seien als Arbeiter. Weil Arbeiter schneller eine andere Beschäftigung fänden, seien kürzere Kündigungsfristen ausreichend. Mit diesem Argument hatte sich der Senat bereits in seinem Beschluß vom 16.11.1982 auseinandergesetzt. Damals hatte er aus den Materialien entnommen, daß die Dauer der Beschäftigungslosigkeit für beide Gruppen etwa gleich lang sei. Nunmehr stellt er fest, daß nach den heutigen Statistiken Angestellte einige Wochen länger arbeitslos sind als Arbeiter. Dennoch kann er keine gruppenspezifischen Schwierigkeiten der Angestellten bei der Stellensuche erkennen. Die unterschiedliche Dauer der Arbeitslosigkeit beruhe auf Gründen, die nur bestimmte Teile der Angestellten beträfen, nämlich die höher qualifizierten. Wegen dieser relativ kleinen Gruppe dürfe nicht die Gruppe der Angestellten insgesamt begünstigt werden. Einfache Angestellte, die die Mehrzahl innerhalb der gesamten Gruppe der Angestellten ausmachten, brauchten nicht mehr Zeit für die Suche nach einem neuen Arbeitsplatz als Arbeiter vergleichbarer Stufe. bb) Verteuerung von Sozialplänen Auch das Argument, eine Verlängerung der Kündigungsfristen für Arbeiter würde Sozialpläne verteuern, sieht das Bundesverfassungsgericht nicht als gruppenspezifisch an. Zwar sei die Berücksichtigung wirtschaftlicher Interessen der Unternehmer grundsätzlich geeignet, Unterscheidungen zu rechtfertigen. Der Gesetzgeber müsse auch wirtschaftliche Auswirkungen seiner Regelung berücksichtigen. Das dürfe aber nicht in der Weise geschehen, daß eine Benachteiligung einseitig zu Lasten einer Gruppe erfolge34. cc) Flexibiliätserfordernisse des Arbeitgebers Schließlich setzt sich der Senat mit einem Argument auseinander, das er in seinem Beschluß von 1982 nicht weiter verfolgt hatte: Die Unternehmen müßten Personal, das in der Produktion beschäftigt ist, schnell entlassen können. Das Bundesverfassungsgericht sieht das Bedürfnis nach 33 BVerfG, NJW 1990, S. 2246,2247. 34 BVerfG, NJW 1990, S. 2246,2248.

17 erhöhter Flexibilität bei in der Produktion Beschäftigten grundsätzlich als geeignet an, eine unterschiedliche Behandlung zu rechtfertigen. Der Gesetzgeber könne auf derartige besondere Bedingungen der Wirtschaft durch unterschiedliche Kündigungsfristen reagieren 35 . Da das Bundesverfassungsgericht auch dieses, am ehesten als tragfähig eingeschätzte Argument letztlich zurückweist, sieht es sich zu weiteren methodischen Überlegungen veranlaßt. Danach ist die Einschätzung der Regelungsbedürfnisse allein Sache des Gesetzgebers. Dessen Gestaltungsspielraum habe das Bundesverfassungsgericht zu respektieren. Erst wenn die einem Gesetz zugrundeliegenden tatsächlichen Voraussetzungen sich als evident unzutreffend erwiesen, könne daraus die Verfassungswidrigkeit der Regelung folgen. Im Ergebnis bejaht das Bundesverfassungsgericht hier das evidente Fehlen der behaupteten Prämissen. Das Flexibilitätsargument hat nach Auffassung des Senats seine Bedeutung für unterschiedliche Kündigungsfristen verloren. Heute könne man das Tätigkeitsfeld von Arbeitern nicht mehr mit einer Beschäftigung in der Produktion gleichsetzen; ein größerer Teil der Arbeiter, nämlich 3,5 Millionen, sei im Dienstleistungsbereich tätig. Zwar sei der Gesetzgeber in weitem Umfang berechtigt, typisierende und pauschalisierende Regelungen zu treffen; bei einer so großen Zahl von Gruppenmitgliedem, bei denen die behaupteten Prämissen nicht zuträfen, sei die Regelung jedoch nicht als gerechtfertigt anzusehen36. Nicht nur in persönlicher Hinsicht, sondern auch in sachlicher Hinsicht sei eine Ungleichbehandlung durch das Argument des Flexibilitätsbedürfnisses nur teilweise gedeckt. Es treffe nämlich nur auf betriebsbedingte Kündigungen zu. Bei normaler Konjunktur seien jedoch fast zwei Drittel aller Kündigungen personenbedingt und verhaltensbedingt, und auch in Zeiten schlechter Konjunktur seien mehr als die Hälfte der Kündigungen auf diese und nicht auf betriebsbedingte Gründe gestützt37. Der Senat schließt seine Ausführungen damit, daß unterschiedliche Kündigungsfristen für Arbeiter und Angestellte schon dem Grunde nach ungerechtfertigt seien und daß dies erst recht für die weitergehenden Unterschiede bei längerer Beschäftigungsdauer gelte. Damit sind von den insgesamt ursprünglich vorhandenen zahlreichen Unterschieden zwischen Arbeitern und Angestellten im Kündigungsschutzrecht ausdrücklich als verfassungswidrig erklärt worden: Unterschiede 35 BVerfG, NJW 1990, S. 2246,2248. 36 BVerfG, NJW 1990, S. 2246,2248. 37 BVerfG, NJW 1990, S. 2246,2248.

18 beim Lebensalter, bei der Grundkündigungsfrist und bei den verlängerten Kündigungsfristen. Nicht ausdrücklich angesprochen wurde die unterschiedliche Regelung bei den Kündigungsterminen, und zwar sowohl bei den Grundkündigungsterminen als auch bei den verlängerten

Kündi-

gungsterminen. D i e Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zu den Kündigungsfristen lassen sich jedoch ohne weiteres auf die Unterschiede bei den Kündigungsterminen für Arbeiter und Angestellte übertragen. Die

weiteren Unterschiede im Hinblick

auf Dispositivität

und

Be-

schäftigtenzahl wurden v o m Bundesverfassungsgericht bisher noch nicht erörtert.

e)

Auswirkungen der Entscheidung

Da es mehrere Möglichkeiten gebe, die Ungleichbehandlung zwischen Arbeitern und Angestellten bei den Kündigungsfristen zu beseitigen, müsse die Art der Regelung dem Gesetzgeber überlassen bleiben. Prozesse, bei denen es auf diese Frage ankomme, seien bis zu einer Entscheidung des Gesetzgebers auszusetzen. Diese Linie hatte auch das Bundesarbeitsgericht nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1982 verfolgt. Das Bundesverfassungsgericht setzt dem Gesetzgeber eine Frist bis zum 30.6.1993, um eine der Verfassung entsprechende R e gelung zu schaffen. Ein weiterer Aufschub sei mit der Rechtsschutzgarantie des Art. 20 Abs. 3 G G unvereinbar 38 .

f)

Methodische Würdigung

Der methodische Zugang zu dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts erschließt sich über die Stichworte "Tatsachenprüfung", "Legitimationszusammenhang" und "gruppenspezifisches

Unterscheidungsmerk-

mal". W i e schon in dem Beschluß von 1982 untersucht das Bundesverfassungsgericht, ob die behaupteten Rechtstatsachen, die ein Argument für eine Ungleichbehandlung stützen sollen, zutreffen. Ist das nicht der Fall, scheidet dieses Argument von vornherein aus. Sind die Tatsachen zutreffend, stellt sich die Frage nach dem Legitimationszusammenhang: Kann gerade diese Tatsache gerade diese Rechtsf o l g e rechtfertigen? Besteht kein Sinnzusammenhang, wird das Argument ebenfalls nicht weiter erörtert. Nur wenn die behaupteten Rechtstatsachen vorliegen und ein Sinnzusammenhang mit der Rechtsfolge besteht, stellt sich die Frage nach A r t und Gewicht des Unterscheidungsmerkmals. Anzuerkennen 38 BVerfG, NJW 1990, S. 2246,2248 f.

sind nur

Kri-

19 terien, die gruppenspezifisch sind, d.h. das Merkmal sollte bei allen oder doch den allermeisten Mitgliedern der einen Gruppe vorhanden und bei den Mitgliedern der anderen Gruppe nicht vorhanden sein. Trifft das vom Gesetzgeber gewählte Merkmal nur bei einer Teilgruppe zu oder ist es gar bei Mitgliedern beider Gruppen anzutreffen, so ist jedenfalls diese konkrete Anknüpfung falsch gewählt39. Verfassungsgemäß wäre dann allerdings eine gesetzliche Regelung, die bei bestehendem Legitimationszusammenhang die Gruppenspezifik beachtet; d.h. das Unterscheidungsmerkmal muß vollständig oder weitgehend mit der Zugehörigkeit zu einer Gruppe korrelieren. Damit sind, im Vergleich zu früheren Aussagen des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 3 Abs. 1 GG, klare Abgrenzungskriterien gewonnen, die der Untersuchung der einzelnen Gesetze zugrundegelegt werden können. B.

Weitere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 3 Abs. 1 GG

Die beiden hier behandelten Entscheidungen sind zwar einerseits insofern einschlägig, als sie gerade auf die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten eingehen. Zudem enthalten auch beide Beschlüsse einige allgemeine Aussagen zur Anwendung des Gleichheitssatzes. Andererseits sind in ihnen aber nicht alle einschlägigen Aussagen zum Gleichheitssatz aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aufgenommen, die für die weitere Einzelprüfung im Arbeitsund Sozialversicherungsrecht erheblich sind. Im folgenden sollen deshalb aus der sehr umfangreichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 3 Abs. 1 GG diejenigen Gesichtspunkte herausgegriffen werden, die für die weitere Prüfung bedeutsam sein werden. I.

Die Art der gesetzgeberischen Maßnahme

Wenn auch üblicherweise eine Überprüfung nach Art. 3 Abs. 1 GG nur dann erfolgt, wenn eine Gruppe von Normadressaten benachteiligt wird, so ist doch nur die Ungleichheit Tatbestandsmerkmal.40 - Diese Feststellung des Bundesverfassungsgerichts hat Bedeutung für die Untersuchung deijenigen Rechtsvorschriften, bei denen - wie bei organisatorischen Vorschriften - eine konkrete Benachteiligung der Gruppenangehörigen nicht immer feststellbar ist. 39 BVerfG, NJW 1990, S. 2246,2248. 40 BVerfGE 18, S. 38,46.

20 Bei bevorzugender Typisierung soll nach der Rechtsprechung die Gestaltungsfreiheit weiter sein als bei einer benachteiligenden Typisierung41. Diese Abgrenzung ist zweifelhaft, wenn, wie in Fällen der Verteilungsgerechtigkeit, die Bevorzugung der einen Gruppe mit einer Benachteiligung der anderen Gruppe zusammenfallt. Die Prüfung anhand des Art. 3 Abs. 1 GG wurde lange Zeit als Willkürprüfung verstanden. Mit dem Gedanken der Willkür werden üblicherweise auch subjektive Elemente assoziiert. Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch klargestellt, daß es nicht auf eine Benachteiligungsabsicht des Gesetzgebers ankommt, sondern nur auf das objektive Vorliegen einer Ungleichbehandlung42. II.

Der Prüfungsmaßstab des Bundesverfassungsgerichts

Willkürkontrolle 1. Im Anschluß an die Monographie Gerhard Leibholz' (bis Anfang der siebziger Jahre Bundesverfassungsrichter) "Die Gleichheit vor dem Gesetz" verstand das Bundesverfassungsgericht Art. 3 Abs. 1 GG über lange Zeit ausschließlich als Willkürverbot43. Der weite Ermessensspielraum 44 des Gesetzgebers fand seine Grenze erst dort, wo wesentlich Gleiches willkürlich ungleich oder wesentlich Ungleiches willkürlich gleich behandelt wurde45. Als willkürlich wurde dabei nur eine Differenzierung angesehen, für die sich ein vernünftiger, aus der Natur der Sache sich ergebender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund nicht finden 41 BVerfGE 17, S. 1, 23 f.; S. 210, 221; 22, S. 163,169; 49, S. 280, 283 m.w.N. Offengelassen dagegen in BVerfGE 60, S. 16, 42; 61, S. 138, 147. Vgl. aus der Literatur auch v. Mangoldt/Klein/Storafc, Art. 3 GG, Rdnr. 18; Hamann/Lenz, Art 3 GG, Anm. B 4 b; Hesse, AöR 109 (1984), S. 190; kritisch Rupp, Festschrift Bundesverfassungsgericht Bd. II, S. 364, 372 f. 42 BVerfGE 1, S. 14, 52; 51, S. 1, 26 f.; 55, S. 72, 90. Vgl. hierzu ebenso v. Mangoldt/Klein/Swrafc, Art. 3 GG, Rdnr. 10; Siein, Staatsrecht, S. 240; Wendt, NVwZ 1988, S. 778,779 f. 43 BVerfGE 3, S. 58, 135 f.; 9, S. 201, 206 ff.; 14, S. 221, 238; 23, S. 12, 25; 50, S. 57, 77; 54, S. 11, 26; 66, S. 84, 95; so insbes. Leibholz, Gleichheit, S. 72 ff.; hierzu auch Hesse, AöR 109 (1984), 186 f.; Wendt, NVwZ 1988, S. 778,779. 44 Zur Weite des gesetzgeberischen Ermessens vgl. BVerfGE 1, S.264, 276; 2, S. 118, 119; 4, S. 7, 18; 9, S. 124,130; 12, S. 326, 333, 337 f.; 12, S. 341, 348; 54, S. 11, 26; 64, S. 158, 168 f.; Rupp (o. Fußn. 41), S. 371; Maqß, NVwZ 1988, S. 14,15; Schoch, DVB1. 1988, S. 863, 875. 45 BVerfGE 1, S. 14, 52; 3, S. 225, 240; 4, S. 144, 155; 27, S. 364, 371, 372; 46, S. 55, 62; Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 3 GG, Rdnr. 303; v. Münch-Gute/f, Art. 3 GG, Rdnr. 10.

21 ließ46. Von Willkür wurde nicht schon dann gesprochen, wenn der Gesetzgeber nicht die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung gewählt hatte47; der Richter dürfe seine Vorstellung von Gerechtigkeit und Gleichheit nicht an die Stelle des verfassungsrechtlich legitimierten Gesetzgebers setzen.48 2. Angemessenheitskontrolle, neue Formel Seit einer Entscheidung im 55. Band hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts seine Rechtsprechung zu Art. 3 Abs. 1 GG neu formuliert49. Nunmehr soll eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG schon dann vorliegen, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl keine Unterschiede von solcher Art und von solchem Gewicht bestehen, daß sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen können.50 Noch ungeklärt ist allerdings, ob sich das Bundesverfassungsgericht mit dieser Formulierung von der Willkürpriifung endgültig lösen und stattdessen eine Art von Verhältnismäßigkeitsprüfung einführen wollte, wie sie auch in dem Bereich der Freiheitsgrundrechte bekannt ist.51 Immerhin eröffnet diese "neue Formel" dem Bundesverfassungsgericht die Möglichkeit, den kontrollfreien

46 BVerfGE 1, S. 14, 52; 11, S. 245, 253; 14, S. 142, 150; 18, S. 38, 46; 18, S. 121, 124; 21, S. 6,9; 23, S. 50,60; 25, S. 101,105; 46, S. 224,233; 49, S. 260,271; 54, S. 11, 25 f.; 64, S. 158, 168 f.; Maaß, NVwZ 1988, S. 14. Vgl. zum sachlichen Grund auch Wendt, NVwZ 1988, S. 778. 47 BVerfGE 3, S. 162,182. 48 BVerfGE 3, S. 162,182; 9, S. 201,206; 11, S. 105, 123; Hesse, Grundzüge, Rdnr. 439; PierothlSchlink, Grundrechte, Rdnr. 508; Rupp (o. Fußn. 41), S. 371; Stein, Staatsrecht, S. 240 f. Vgl. auch, differenzierend, Stettner, BayVBl 1988, S. 545, 550. 49 BVerfGE, 55, 72, 88. Zu weiteren Entscheidungen des BVerfG Maaß, NVwZ 1988, S. 14, Fußn. 8. Als einzige Entscheidung des 2. Senates, in der die neue Formel übernommen wurde, s. BVerfGE 65, S. 377,384. 50 BVerfGE 55, S. 72, 88; 58, S. 369, 373 f.; 60, S. 123, 133 f.; 60, S 329, 346; 62, S. 256, 274; 65, S. 104, 112 f.; 65, S. 377, 384; 66, S. 66, 75; 66, S. 234, 242; 67, S. 231, 236; 67, S. 348, 365; 68, S. 287, 301; 70, S. 230, 239 f.; 71, S. 39, 58 f.; 71, S. 146, 154 f.; 72, S. 141, 150; 73, S. 301, 321; 74, S. 9, 24; 74, S. 203, 217; 75, S. 78, 105; 75, S. 166, 179; 75, S. 246, 277; 75, S. 284, 300; 75, S. 348, 357; 75, S. 382, 393. 51 Zur Anknüpfung der neuen Formel an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vgl. BVerfGE 62, S. 256,289 f. abweichende Meinung des Richters Katzenstein-, Hesse, AöR 109 (1984), S. 189. Vgl. auch Maaß, NVwZ 1988, S. 14, 16; Robbers, DÖV 1988, S. 749,751 f.

22 Ermessensspielraum des Gesetzgebers weiter einzuengen52. Nicht nur die willkürliche, sondern bereits die unverhältnismäßige Ungleichbehandlung kann danach zur Verfassungswidrigkeit führen 53 . Die Auswirkung dieser neuen Betrachtung wurde bereits am Beispiel der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Mai 199054 aufgezeigt. Danach genügte es dem Bundesverfassungsgericht nicht, daß überhaupt ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten bei den Kündigungsfristen vorhanden war, sondern dieser sachliche Grund mußte darüber hinaus gruppenspezifisch sein, also auch vom Gewicht und der Zahl der Normadressaten her die Ungleichbehandlung rechtfertigen. Bei der weiteren Prüfung der Einzelgesetze in dieser Schrift ist diese neue Formel zugrundezulegen; d.h. die vorhandenen gesetzlichen Unterscheidungen zwischen Arbeitern und Angestellten sind daraufhin zu untersuchen, ob die Ungleichbehandlung durch Gründe gerechtfertigt ist, die nach Art und Gewicht eine unterschiedliche Regelung erlauben. Ermessen des Gesetzgebers 3. Auch nach der neuen Formel bleibt grundsätzlich das gesetzgeberische Ermessen erhalten. Es ist in erster Linie Sache des politisch verantwortlichen Gesetzgebers und der Regierung, die für zweckmäßig erachteten Entscheidungen zu treffen. Die Gerichte dürfen nicht ihre Einschätzung an die Stelle der dazu nach der Verfassung berufenen Organe setzen.55 III.

Vom Gesetzgeber zu berücksichtigende Gesichtspunkte

1. Anknüpfungskriterien56 Grundsätzlich ist es Sache des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselbe oder eine unterschiedliche Rechtsfolge 52 BVerfGE 70, S. 230, 241; Sondervotum von Katzenstein, in: BVerfGE 74, S. 9, 28 f.; Hesse, Grundzüge, Rdnr. 439; ders., AöR 109 (1984), S. 189; Maaß, NVwZ 1988, S. 14, 15 f. Beachte aber zu den Grenzen Maafi, NVwZ 1988, S. 14, 18 f.; Wendt, NVwZ 1988, S. 778,781. 53 Zum Verhältnismäßigkeitsmaßstab Katzenstein, BVerfGE 74, S. 9, 28 ff.; Maaß, NVwZ 1988, S. 14, 21; im Ergebnis so wohl auch Wendt, NVwZ 1988, 778, 781, 785. Vgl. auch die Hinweise in Fußn. 34, 60. Kritisch dagegen Herdegen, Common Market Law Review 22 (1985), S. 686 ff. 54 BVerfG, NJW 1990, S. 2246. 55 Zur Weite des gesetzgeberischen Ermessens Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 508. Vgl. aber auch Maaß, NVwZ 1988, S. 14,17. Weitere Hinweise s. Fußn. 64. 56 Vgl. hierzu Robbers, DÖV 1988, S. 749,750.

23 knüpft.57 Allerdings muß er die Auswahl sachgerecht vornehmen.58 Dabei muß er sein Anknüpfungskriterium an der Art der zu regelnden Lebensverhältnisse ausrichten. Da die Lebenssachverhalte nie völlig gleich sind, darf und muß der Gesetzgeber typisieren und gewisse Unterschiede vernachlässigen.59 Für die Einzeluntersuchungen in dieser Schrift folgt daraus, daß jeweils auch die rechtstatsächlichen Gegebenheiten und die Eigenheiten des jeweiligen Lebensbereichs in die Untersuchung einzubeziehen sind. 2. Bindung an die Verfassung Das Ermessen des Gesetzgebers findet seine Grenze, soweit die Verfassung selbst Vorgaben enthält.60 Wenn ein Gesetz in seinen Regelungen differenziert, um einem Verfassungsgebot zu entsprechen, ist diese Differenzierung nicht willkürlich. Im übrigen sind die Konkretisierungen des Gleichheitssatzes durch die Verfassung selbst in Art. 3 Abs. 2 und 3, Art. 6 Abs. 5, Art. 9 Abs. 3 und Art. 2 Abs. 1 GG zu beachten.61 Soweit also bei der folgenden Einzeluntersuchung auf Gesetze eingegangen wird, die nicht nur zwischen Arbeitern und Angestellten, sondern des weiteren zwischen Männern und Frauen differenzieren (Beispiel: Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen/kein Verbot für männliche Arbeiter und männliche und weibliche Angestellte), ist auf Art. 3 Abs. 2 GG als lex specialis abzustellen. Im Tarifrecht ist Art. 9 Abs. 3 GG in die Untersuchung einzubeziehen. Schließlich hatte das Bundesverfassungsgericht in den beiden bereits genannten Beschlüssen darauf hingewiesen, daß im Rahmen der Prüfung nach Art. 3 Abs. 1 GG das Freiheitsrecht aus Art. 12 GG besonders zu berücksichtigen sei; es hat allerdings hieraus selbst keine Konsequenzen gezogen. - Die Frage wird bei der weiteren Untersuchung dann bedeutsam, wenn eine allein an Art. 3 Abs. 1 GG orientierte Betrachtung

57 58 59 60

Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 3 GG, Rdnr. 3; Rupp (o. Fußn. 41), S. 371. BVerfGE 21, S. 12,26 f.; 23, S. 229,239 f.; 26, S. 1,8; Rupp (o. Fußn. 41) S. 378. Hesse, Grundzüge, Rdnr. 432,439; Rupp (o. Fußn. 41), S. 377 f. Hamann/Lenz, Art. 3 GG, Anm. B 4 a, B 4 c, aa, bb; Schmidl-BleibtreulKlein, Art. 3 GG, Rdnr. 4; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 546, die aber die allgemeine Handlungsfreiheit nicht als Vorgabe ansehen wollen; Maaß, NVwZ 1988, S. 14, 19. 61 Hamann/Lenz, A l t 3 GG, Anm. B 4 a, B 4 c, bb.; Hesse, Grundzüge, Rdnr. 434 ff. Vgl. auch Rupp (o. Fußn. 41), S. 368; Gusy, JuS 1982, S. 30; Hesse, AöR 109 (1984), S. 184.

24 zur Verfassungsgemäßheit einer Regelung führen würde, während sich aus Art. 12 GG ein strengerer Maßstab ergäbe. 6 2 3.

SystemgerechtigkeitP*

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verstößt eine Systemabweichung für sich allein noch nicht gegen A r t 3 Abs. 1 GG. 6 4 Grundsätzlich kann der Gesetzgeber durch Sonderbestimmungen von den Grundregeln abweichen, die er selbst gesetzt hat. 65 Diese Abweichung kann aber ein Indiz für eine Willkür sein. 6 6 Der Gedanke der Systemgerechtigkeit darf allerdings nicht zu einer Verkrustung der Gesellschaftsordnung führen. 67 Der Gesetzgeber muß die Möglichkeit zu einer Neubewertung bislang anders bewerteter Sachverhalte haben. 68 Gerade bei einer umfassenden Untersuchung eines Regelungsbereichs, wie sie hier vorgenommen wird, stellt sich die Frage nach d e m System, das einem bestimmten Lebensbereich zugrundeliegt. S o könnten bei62 Vgl. Maaß, NVwZ 1988, S. 14, 17, 19. Zur Unterscheidung allgemeiner Gleichheitssatz/strenger Gleichheitssatz v. Arnim, DÖV 1984, S. 85. 63 Vgl. zu Fragen der Systemgerechtigkeit insbes. v. Mangoldt/Klein/Sfarcfc, Art. 3 GG, Rdnr. 33 ff.; Battis, Festschrift für Hans Peter Ipsen, S. 11 ff.; Degenhart, Systemgerechtigkeit S. 49-61; Peine, Systemgerechtigkeit, passim; Rupp (o. Fußn. 41), S. 380 ff.; Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, S. 383 f.; aber auch Kirchhof, NJW 1987, S. 2354,2356; Stettner, BayVBl 1988, S. 545,549. Gegen die Systemgerechtigkeit als Bestandteil von Alt. 3 Abs. 1 dagegen Gusy, JuS 1982, S. 30,35; Georg Müller, VVDStRL 47 (1989), S. 37,52. 64 BVerfGE 59, S. 36, 49; 61, S. 138, 149; 66, S. 214, 223 f.; 67, S. 70, 84 f.; 68, S. 237, 253; 75, S. 78, 107; 75, S. 382, 395; 76, S. 130, 140; s. auch v.MünchGubelt, Ait. 3 GG, Rdnr. 25; Peine, Systemgerechtigkeit, S. 208 ff., 299 f.; Wendt, NVwZ 1988, S. 778,783. 65 Vgl. BVerfGE 18, S. 315,334; 24, S. 174,181. 66 So die ältere Rspr., vgl. u.a. BVerfGE 9, S. 20,28; 24, S. 75,100; 34, S. 103,115; 36, S. 383, 393 f.; 40, S. 109,120; 59, S. 36,49 m.w.N.; 60, S. 16, 40; 61, S. 138, 149; 66, S. 214,223 f.; 67, S. 70, 84 f.; 68, S. 237,253. Eine Indizfunktion lehnen dagegen ab BVerfGE 75, S. 382, 385; 76, S. 130, 139 f. Vgl. zur Entwicklung der Rechtsprechung des BVerfG im Bereich der Systemgerechtigkeit Robbers, DÖV 1988, S. 749, 755; Schoch, DVB1. 1988, S. 863, 878 f.; Stettner, BayVBl 1988, S. 545, 549. Abweichend von der neueren Rechtsprechung befürwortet die Literatur weiterhin die Indizfunktion der Systemgerechtigkeit, s. Hesse, Grundzüge, Rdnr. 439; Rupp (o. Fußn. 41), S. 380 ff.; Starck, in: Symposium zum 80. Geburtstag von Gerhard Leibholz, S. 1,70 ff. 67 v. Mangoldt/Klein/Sfarafc, Art 3 GG, Rdnr. 336. 68 BVerfGE 60, S. 16, 43; Robbers, DÖV 1988, S. 749, 755 f.; Stettner, BayVBl 1988, S. 545,549.

25 spielsweise bestimmte Benachteiligungen für Arbeiter dann gerechtfertigt sein, wenn ihnen im vergleichbaren Maße an anderer Stelle Vorteile gegenüber Angestellten gewährt würden. Laufen umgekehrt alle Einzelregelungen auf eine Benachteiligung von Arbeitern hinaus, so kann der Gedanke der systematischen Zusammenschau zu einer anderen Bewertung führen. In den einzelnen Sachbereichen gilt es im übrigen, die jeweiligen Leitgedanken des Systems herauszuarbeiten, um dann zu prüfen, ob sich eine abweichende Regelung als folgerichtig erklären läßt. Wenn man allerdings, wie das Bundesverfassungsgericht und die überwiegende Literatur, dem Gesetzgeber selbst die Wahl des Systems und der systemtragenden Grundsätze überläßt,69 reduziert sich dieses Merkmal in der Regel auf eine Überprüfung der Folgerichtigkeit.70 Zu einer weitergehenden Überprüfung gelangt man nur dann, wenn man, wie vom Verfasser vertreten,71 mehrere Subsysteme in eine übergreifende Systembetrachtung einbezieht. Historische Entwicklung 4. Wie bereits anhand der beiden genannten Verfassungsgerichtsentscheidungen dargestellt, kann die historische Entwicklung allein eine Ungleichbehandlung nicht rechtfertigen.72 In dieser Hinsicht waren frühere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts großzügiger.73 Aber auch der neuere strengere Maßstab steht in einem gewissen Gegensatz zur Ansicht des Bundesverfassungsgerichts bei der Systemwidrigkeit. So soll sich aus dem Gleichheitssatz nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassunsgerichts kein Gebot ergeben, ähnliche Sachverhalte in verschiedenen Oidnungssystemen mit anderen systematischen und sozial-geschichtlichen Zusammenhängen gleich zu regeln. 74 69 BVerfGE 52, S. 264,276; 75, S. 78,107; Maunz/Dßrig/Herzog/Scholz, Art. 3 GG, Rdnr. 313a ff.; vgl. auch Rupp AöR 92 (1967), S.215f.; ders. (o. Fußn. 41), S. 379 ff.; Wendt, NVwZ 1988, S. 778, 782 f. Ablehnend hierzu Rüfner, SGb. 1984, S. 147. 70 v. Mangoldt/Klein/Siarafc, Art. 3 GG, Rdnr. 33. 71 Zur weitergehenden Überprüfung im Bereich der Systemgerechtigkeit Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, S. 383 f. 72 BVerfGE 62, S. 256,277; So aber Richter/Schuppert, Casebook Verfassungsrecht, S. 107. 73 Vgl. BVerfGE 9, S. 291,294 f. 74 BVerfGE 9, S. 237, 243; 11, S. 283, 293; 43, S. 13, 21; Hesse, Grundzüge, Rdnr. 439; ders., AöR 109 (1984), S. 188; kritisch Rupp (o. Fußn. 41), S. 383 mit weiterführenden Hinweisen in Fußn. 82,83.

26 Bei der Einzeluntersuchung wird daher die sozial-geschichtliche Entwicklung und der systematische Zusammenhang der Regelungen mit Unterscheidungen zwischen Arbeitern und Angestellten zu berücksichtigen sein. 5. Generalisierung, Typisierung75 und Praktikabilität76 Der Gesetzgeber muß notwendigerweise generalisieren. Er darf dabei von dem Gesamtbild ausgehen, das sich aus vorliegenden Erfahrungen ergibt. Härten in Einzelfällen sind hinzunehmen. 77 Um der Rechtssicherheit willen kann er auch eine Regelung treffen, die im Einzelfall zu einer Benachteiligung der Betroffenen führt. 78 Bei der Einzeluntersuchung wird also in rechtstatsächlicher Hinsicht zu prüfen sein, welche Sachverhalte in der Lebens Wirklichkeit erfaßt werden und ob Ungleichbehandlungen vereinzelte Randfälle oder einen größeren Personenkreis betreffen. 79 IV.

Die Korrektur der Ungleichbehandlung

Wird eine Norm nach Art. 3 Abs. 1 GG für verfassungswidrig erklärt, so kann der Gesetzgeber frei darüber entscheiden, in welcher Weise er dem Gleichheitssatz Rechnung tragen will.80 Verletzt die Benachteiligung einer bestimmten Gruppe den Gleichheitssatz, so kann das Bundesverfassungsgericht nicht etwa die gleiche Behandlung dieser Gruppe anordnen. 81 Etwas anderes gilt nur dann, wenn mit Sicherheit anzunehmen ist, daß der Gesetzgeber die Regelung auch auf diese Gruppe erstrecken

75 Vgl. Schoch, DVB1. 1988, S. 868,879. 76 Vgl. Schmidt-Bleiblreu/Klein, Art. 3 GG, Rdnr. 17. 77 Vgl. BVerfGE 26, S. 265, 275 f.; 29, S. 22, 32; 51, S. 115, 122 f.; 63, S. 119, 128; Hesse, Grundzüge, Rdnr. 439; ders., AöR 109 (1984) S. 187. 78 So BVerfGE 18, S. 97, 106; 23, S. 74, 83; 51, S. 115, 122 f.; 63, S. 119, 128; Hesse, Grundzüge, Rdnr. 439; Starck, in: Symposium zum 80. Geburlstag von Gerhard Leibholz, S. 1, 58 f.; Sleitner, BayVBl 1988, S. 545, 548 f. Rupp (o. Fußn. 41), S. 378 weist aber zutreffend darauf hin, daß die Verfassungswidrigkeit nicht schon dann ausgeschlossen ist, wenn sich eine Regelung nur in einer geringen Zahl von Fällen auswirkt. Zur Begünstigung einzelner Arbeitnehmer s. LAG Schleswig-Holstein, DB 1987, S. 442. 79 v. Mangoldt/Klein/Sfarat, Art. 3 GG, Rdnr. 18; Stettner, BayVBl 1988, S. 545, 548 f. 80 Vgl. zur Unterscheidung der Nichtigerklärung von der Verfassungswidrigkeitserklärung durch das BVerfG Rupp (o. Fußn. 41), S. 385 f., 388. 81 Rupp (o. Fußn. 41), S. 385 f.

27 will oder wenn, um die Gleichheit herzustellen, nur eine Regelung möglich ist.82 Der Gesetzgeber hat für die Regelungen des Übergangs von einer überholten zu einer neuen und verfassungsgemäßen Regelung einen erheblichen Spielraum. 83 Bei Übergangsvorschriften ist die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers um so größer, je geringfügiger die Ungleichheit nach Dauer oder Höhe ist.84 Soweit in den folgenden Einzeluntersuchungen die Verfassungswidrigkeit einer Regelung festgestellt wird, soll jeweils auch aufgezeigt werden, welche Möglichkeiten dem Gesetzgeber zur Verfügung stehen. C.

Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des L A G H a m m zu Art. 3 Abs. 1 GG und zum arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz im Hinblick auf die Unterscheidung von Arbeitern und Angestellten

Bei der späteren Überprüfung des Tarifrechts, des Rechts der betrieblichen Einheitsbedingungen und der gesetzlichen Regelung im Lohnfortzahlungsrecht ist auf Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts und des LAG Hamm zur Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten einzugehen, die hier im Zusammenhang vorab dargestellt werden sollen. Eine nähere Auseinandersetzung mit diesen Entscheidungen bleibt der Darstellung in den einschlägigen Zusammenhängen vorbehalten. I.

BAG, Weihnachtsgratifikation I 85

Im Jahre 1980 hatte sich der Fünfte Senat des BAG mit der unterschiedlichen Behandlung von Arbeitern und Angestellten bei der Gewährung einer Weihnachtsgratifikation zu befassen. Nachdem der beklagte Arbeitgeber zunächst nur seinen 30 Angestellten eine Weihnachtsgratifikation gezahlt hatte, gewährte er sie in den nachfolgenden Jahren auch seinen 9 Arbeitern. Während jedoch die Gratifikation der Angestellten der Höhe 82 Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 556 f.; Rupp (o. Fußn. 41), S. 386. 83 Dies gilt nach BVerfGE 44, S. 1, 20 f. verstärkt, wenn ein ganzes Rechtsgebiet einer Neuordnung unterzogen wird. Trotz des weiten Spielraums ist das BVerfG dazu übergegangen, dem Gesetzgeber eine Frist für eine Neuregelung zu setzen. Hierzu BVerfGE 39, S. 169, 194 f. Zu dem Problem der Fristsetzung vgl. insbes. Rupp (o. Fußn. 41), S. 386 f. 84 BVerfGE 44, S. 283, 287; Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art 3 , Rdnr. 17; Rupp (o. Fußn. 41), S. 377 f. 85 BAG AP Nr. 44 zu § 242 BGB Gleichbehandlung.

28 eines Monatsgehalts entsprach, betrug die der Arbeiter im Jahre 1977 nur 70% und 1978 80% des Monatslohns. Der Arbeitgeber war der Ansicht, daß er bei der Höhe der freiwillig gewährten Gratifikation zwischen Angestellten und Arbeitern unterscheiden könne. Die klagenden Arbeiter beriefen sich dagegen auf den Gleichbehandlungsgrundsatz und begehrten ebenfalls Zahlung einer Weihnachtsgratifikation in Höhe von 100% des Monatslohns. Die Revision beim BAG hatte Erfolg. Der Anspruch der Arbeiter ergebe sich aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Dem Arbeitgeber sei es sowohl verwehrt, zwischen seinen Angestellten und seinen Arbeitern verschiedene Gruppen zu bilden, als auch diese Gruppen unterschiedlich zu behandeln. Bei freiwilligen Leistungen dürfe der Arbeitgeber die Voraussetzungen für eine Gewährung nicht so formulieren, daß hierdurch willkürlich oder sachfremd bestimmte Gruppen von Arbeitnehmern ausgeschlossen würden. Ein sachlicher Grund, der allein am Zweck der freiwilligen Leistung gemessen werden müsse, liege für eine Gruppenbildung nach Angestellten und Arbeitern nicht vor. Die Angehörigen beider Gruppen hätten in der Vergangenheit ihre Arbeitsleistung erbracht und ihnen entstünden zu Weihnachten vermehrte Ausgaben. Wenn es im Wert der von den Angestellten und den Arbeitern erbrachten Leistungen Unterschiede gebe, so sei das bereits ausreichend durch die verschiedene Höhe des monatlichen Arbeitsentgelts berücksichtigt. Wenn in anderen Bereichen des Arbeitsrechts Differenzierungen zwischen Angestellten und Arbeitern vorgenommen würden, so könne dies eine unterschiedliche Gewährung von Weihnachtsgeld nicht rechtfertigen, da die Differenzierung im Zusammenhang mit dem jeweiligen Regelungsgegenstand gesehen werden müsse. Das Bundesarbeitsgericht stellt jedoch ausdrücklich fest, daß nach dieser Entscheidung eine unterschiedliche Gewährung freiwilliger Leistungen an Angestellte und Arbeiter nicht generell ausgeschlossen sei. Eine Differenzierung sei möglich, soweit ein Arbeitgeber hierfür einen sachlichen Grund anführe. Eine derartige sachliche Rechtfertigung könne in dem Versuch bestehen, eine bestimmte Arbeitnehmergruppe stärker an den Betrieb zu binden oder in der Anknüpfung an die besondere Belastung einer Arbeitnehmergruppe im abgelaufenen Arbeitsjahr.

29 II.

BAG, Weihnachtsgratifikation II86

Die Gewährung einer Weihnachtsgratifikation war auch Gegenstand einer weiteren Entscheidung des Fünften Senats des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahre 1984. Kläger waren in diesem Fall gewerbliche Arbeitnehmer, die im Vergleich zu den Angestellten desselben Betriebs eine Weihnachtsgratifikation in geringerer Höhe erhalten hatten. Die Revision blieb erfolglos. Der Arbeitgeber hatte die erhöhte Zuwendung zugunsten der Angestellten mit dem Zweck einer stärkeren Betriebsbindung begründet. Darin sah das Bundesarbeitsgericht eine sachliche Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung. III.

BAG, § 1 Abs. 3 Nr. 2 LFZG 87

In einem weiteren Verfahren im Hinblick auf die unterschiedliche Behandlung von Angestellten und Arbeitern hatte sich der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts im Jahre 1987 mit § 1 Abs. 3 Nr. 2 LFZG zu befassen. Eine Arbeiterin, deren monatliche Arbeitszeit unter 45 Stunden lag, war für eine Woche arbeitsunfähig erkrankt. Der beklagte Arbeitgeber verweigerte für diese Zeit die Lohnfortzahlung. Die Arbeiterin sah in der einschlägigen Norm des § 1 Abs. 3 Nr. 2 LFZG eine unzulässige Ungleichbehandlung einer teilzeitbeschäftigten Arbeiterin im Vergleich zu einer teilzeitbeschäftigten Angestellten, der ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zusteht. Das Bundesarbeitsgericht setzte gem. Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG das Verfahren aus und legte dem Bundesverfassungsgericht die Frage vor, ob § 1 Abs. 3 Nr. 2 LFZG gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoße. Die Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift gründen sich darauf, daß bei teilzeitbeschäftigen Angestellten der Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall auch bei noch so geringer Beschäftigung nicht eingeschränkt ist. Das ergibt sich für Angestellte aus § 616 Abs. 2 BGB, § 63 Abs. 1 HGB und aus § 133 c GewO. Nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts gibt es für die Ungleichbehandlung teilzeitbeschäftigter Arbeiter im Vergleich zu teilzeitbeschäftigten Angestellten keine sachliche Rechtfertigung. Die historisch gewachsene Unterscheidung zwischen den beiden Gruppen von Arbeitnehmern könne 86 BAG, NZA 1984, S. 326. Vgl. hierzu auch Bauschke, BB 1985, S. 598 ff. 87 BAG, BB 1987, S. 2453 = AP Nr. 72 zu § 1 LohnFG; s. im einzelnen u. 2. Teil, 6. Kap., F II 4 c.

30 für sich allein eine Ungleichbehandlung nicht rechtfertigen. Eine soziale Schutzbedürftigkeit bestehe bei einer Erkrankung von Angestellten und Arbeitern in gleicher Weise. In diesem Zusammenhang müsse auch berücksichtigt werden, daß die Zahl deijenigen Arbeitnehmer, die auf eine Teilzeitbeschäftigung zur Sicherung ihrer Existenz angewiesen seien, wachse. Das Bundesverfassungsgericht hat über diesen Vorlagebeschluß bisher noch nicht entschieden. IV.

L A G Hamm, Betriebliche Altersversorgung

In einem Urteil des LAG Hamm aus dem Jahre 198888 ging es um die Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten bei einer betrieblichen Altersversorgung. Zu einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts kam es wegen der Rücknahme der Revision nicht. Der klagende Arbeiter verlangte, bei der Betriebsrente so gestellt zu werden wie ein Angestellter. Der Arbeitgeber hatte 1953 seinen Arbeitern und Angestellten eine betriebliche Altersversorgung gewährt. Zwar legte er unterschiedliche Berechnungsgrundsätze zugrunde, jedoch wichen anfangs die Ergebnisse kaum voneinander ab. Aufgrund von Veränderungen der tatsächlichen Umstände hatten sich die Versorgungsleistungen so sehr auseinander entwickelt, daß beispielsweise der Kläger nur ein Drittel der Leistung eines vergleichbaren Angestellten erhielt. Das LAG Hamm war der Auffassung, der Arbeitgeber habe bei der Aufstellung der Ruhegeldrichtlinie den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz beachtet; damit liege kein Verstoß vor. D.

Die Interpretation des Art. 3 Abs. 1 GG in der Literatur

Die Literatur zu Art. 3 Abs. 1 GG ist mittlerweile nahezu unübersehbar. 89 Sie befaßt sich mit einer Vielzahl von Facetten des Themas, die im Rahmen dieser Untersuchung außer Betracht bleiben können. 90 Die folgende Darstellung konzentriert sich vielmehr auf zwei Fragen, die grundlegend für die nachfolgenden Einzeluntersuchungen sind. Zum einen geht es um den Ermessensspielraum des Gesetzgebers oder, anders gesagt, um den 88 LAG Hamm, DB 1988, S. 1906; s. auch Höfer, in : Hromadka, Gleichstellung, S. 79. 89 Vgl. u.a. Maqß, NVwZ 1988, S. 14,20; Robbers, DÖV 1988, S. 749,750 ff. 90 Siehe zu diesen vorliegend nicht interessierenden Themen Schoch, DVB1. 1988, S. 863 ff. m.w.N.

31 Prüfungsmaßstab des Bundesverfassungsgerichts, zum anderen um die Entwicklung eines Prüfschemas, um Vorschriften methodisch rational anhand des Gleichheitssatzes überprüfen zu können.

I.

Der Ermessensspielraum des Gesetzgebers

Ebenso wie in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lassen sich zum Ermessensspielraum des Gesetzgebers in der Literatur zwei Phasen unterscheiden. In den älteren Darstellungen, insbesondere bei Leibholz 91 , Ipsen 92 und Dürig 93 , wird der Gleichheitssatz als reines Willkürverbot verstanden, 94 wenn auch im einzelnen der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers von diesen Autoren unterschiedlich weit gesehen wird. Dieses Verständnis des Gleichheitssatzes liegt teilweise auch den neueren Darstellungen, wie denen von Alexy 95 und Gubelt96, zugrunde. Andere Autoren, wie z.B. Kloepfer 97 , Müller98 und Maaß", erkennen zwar ebenfalls einen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers an, unterziehen aber die Regelung einer engeren Prüfung. Dabei lehnen sie sich an die oben dargestellte neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an, das einen sachlichen Grund verlangt, der nach Art und Gewicht die Differenzierung trägt. Für diesen engeren Maßstab versuchen die genannten Autoren genauere Kriterien herauszuarbeiten. Dabei ist ihnen gemeinsam, daß sie Gesichtspunkte der Angemessenheit der Regelung in ihre Prüfung einbeziehen. Im folgenden sollen die unterschiedlichen Standpunkte anhand der Ausführungen einiger Autoren exemplarisch dargestellt werden. 1. Willkürkontrolle Leibholz hat mit seiner grundlegenden Monographie "Die Gleichheit vor dem Gesetz" 100 jahrelang die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der obersten Gerichtshöfe des Bundes beeinflußt. Die vom 91 92 93 94 95 96 97 98 99 100

Leibholz, Gleichheit. Ipsen, Gleichheit, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner, S. 184. Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 3 GG, Rdnr. 28. Robbers, DÖV 1988, S. 749, 750. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1986, S. 357 ff. v. Münch-Gufce/i, Art. 3 GG, Rdnr. 11 ff. Kloepfer, Gleichheit. Georg Müller, VVDStRL 47 (1989), S. 37 ff. Maaß, NVwZ 1988, S. 14 ff. Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, passim.

32 Gericht früher verwandte Formel, der Gesetzgeber habe bei steter Orientierung am Gerechtigkeitsgedanken Gleiches gleich, Ungleiches seiner Eigenart entsprechend ungleich zu behandeln, geht auf ihn zurück. Der Gleichheitssatz sei verletzt, wenn sich für eine Regelung keine vernünftigen Erwägungen finden lassen, die sich aus der Natur der Sache ergeben oder sonstwie einleuchtend sind101. Art. 3 Abs. 1 GG enthalte ein Willkürverbot102, wobei die Willkür nach objektiven Kriterien zu bestimmen sei.103 Der Gesetzgeber habe bei der Rechtsgestaltung ein pflichtgemäßes, rechtlich gebundenes Ermessen, dessen Grenze durch den Rechtsmißbrauch gezogen werde104. Ein Rechtsmißbrauch liege vor, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung (oder für die Ungleichbehandlung) nicht finden lasse105. Das sei zum einen der Fall, wenn überhaupt kein innerer Zusammenhang zwischen der gesetzlichen Bestimmung und der zu regelnden Materie bestehe, und zum anderen, wenn zwar ein solcher Zusammenhang bestehe, aber doch in einem offenbar unzulänglichen Verhältnis106. Die Willkür sei zwar ein unbestimmter Rechtsbegriff, er könne aber in ständiger Praxis durch die Gerichte sinnvoll konkretisiert werden107. Dadurch sei auch eine Anpassung an situationsbedingte Umstände möglich. Einerseits sei Willkür damit zeitabhängig108, andererseits enthalte der Gleichheitssatz aber auch überzeitliche, fundamentale Sätze109. In seiner sehr frühen Auseinandersetzung mit Art. 3 Abs. 1 GG gesteht H.P. Ipsen dem Gesetzgeber einen weiteren Gestaltungsspielraum zu als Leibholz. Der allgemeine Gleichheitssatz enthalte nämlich keine konkreten Anhaltspunkte für eine verfassungsrechtliche Prüfung.110 Schon bei der Bildung von Vergleichsgruppen könne der Gesetzgeber willkürlich handeln.111 Spezielle Gleichheitssätze gingen Art. 3 Abs. 1 GG vor.112 Im 101 Leibholz, Gleichheit, S. 245. Eine ähnliche Bestimmung des Gehaltes des Gleichheitssatzes hat auch Triepel vorgenommen, Goldbilanzenverordnung und Vorzugsaktien, S. 30. 102 Leibholz, Gleichheit, S. 72. 103 BVerfGE 2, S. 266,281 - st. Rspr. 104 Leibholz, Gleichheit, S. 72. 105 Leibholz, Gleichheit, S. 245. 106 Leibholz, Gleichheit, S. 76,245. 107 Leibholz, Gleichheit, S. 82 f., 249. 108 Leibholz, Gleichheit, S. 73,251. 109 Leibholz, Gleichheit, S. 254. 110 Ipsen, Gleichheit, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner, S. 178. 111 Ipsen, Gleichheit, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner, S. 187.

33 Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG müsse festgestellt werden, welche Unterschiede rechtlich relevant seien. Wertvorgaben aus der Verfassung seien dabei zu berücksichtigen. Sie ergäben sich insbesondere aus den grundlegenden Verfassungsprinzipien, wie dem Demokratieprinzip, dem Rechtsstaatsprinzip, dem Gewaltenteilungsprinzip sowie der Sozialstaatlichkeit und der Bundesstaatlichkeit. 113 Willkür liege nur vor, wenn das Handeln des Gesetzgebers jenseits jedweder rechtlich vertretbaren Erwägung liege.114 Dürig schlägt einen Weg zwischen Leibholz und Ipsen ein. Auch er geht von einer Konzeption des Art. 3 Abs. 1 GG als Willkürverbot aus. 115 Willkür sei dabei objektiv zu verstehen. 116 Ziel des Gleichheitssatzes sei grundsätzlich eine Angleichung nach oben, 117 die allerdings auch stufenoder gruppenweise erfolgen könne. Hesse unterscheidet zwischen der Bindung des Gesetzgebers an den Gleichheitssatz und dem Umfang der verfassungsgerichtlichen Kontrolle.118 Das Bundesverfassungsgericht habe nur eine Willkürkontrolle durchzuführen 119 . Strengere Maßstäbe könnten sich allerdings aus den Umständen des Einzelfalles ergeben; so z.B., wenn das materielle Gewicht der Ungleichbehandlung erheblich sei oder sich dieses Gewicht aus der Verfassung ergebe oder weil die Gleich- oder Ungleichbehandlung für die Betroffenen von ganz besonderer Bedeutung sei120. Zu beachten bleibe aber immer, daß in der repräsentativen Demokratie dem Bundesverfassungsgericht nur eine Kontrollaufgabe zukomme, die nicht in politische Gestaltung umschlagen dürfe 121 . Nach Starck genügen die in Rechtsprechung und Literatur verwandten Formeln "Gerechtigkeit, Natur der Sache, Sachgerechtigkeit und Willkürverbot" den Anforderungen an eine nachprüfbare Auslegung nicht. 122 112 113 114 115 116

117 118 119 120 121 122

Ipsen, Gleichheit, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner, passim. Ipsen, Gleichheit, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner, S. 170 ff., 178. Ipsen, Gleichheit, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner, S. 187. Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 3 GG, Rdnr. 28; Robbers, DÖV 1988, S. 749, 750. Maunz/Dürjg/Herzog/Scholz, Art. 3 GG, Rdnr. 334. Ebenso auch: BVerfGE 2, S. 266, 281; 4, S. 144, 155; 42, S. 64, 73; 51, S. 1, 27; 58, S. 163, 167 f.; 62, S. 189,192; 66, S. 324,330; 70, S. 93,97. Maunz/Dörig/Herzog/Scholz, Art 3 GG, Rdnr. 28. Ebenso Robbers, DÖV 1988, S. 749,750. Hesse, Grundzüge, Rdnr. 430. Hesse, AöR 1984 (109), S. 191. Hesse, AöR 1984 (109), S. 191. v. Mangoldt/Klein/S/arafc, Art. 3 GG, Rdnr. 10,11.

34 Richtig sei allerdings der Ansatz beim Willkürverbot, aus dem sich ein beachtlicher Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers ergebe. Konkretisierungen des allgemeinen Gleichheitssatzes seien zunächst aus den besonderen Gleichheitsgarantien des Grundgesetzes123 abzuleiten sowie aus den in der Gesellschaft herrschenden Gerechtigkeits- und Wertvorstellungen.124 Danach seien zur Konkretisierung die verfassungsrechtlichen Differenzierungsgebote und -verböte heranzuziehen. Dabei brauche das Gesetz allerdings nicht die Lebenswirklichkeit in möglichst kleinen Gattungen zu erfassen. Typisierungen und Pauschalierungen seien zulässig, wenn die durch sie eintretenden Härten nur eine verhältnismäßig kleine Zahl beträfen und wenn die durch sie verursachte Ungerechtigkeit nur unter Schwierigkeiten vermeidbar sei.125 Im übrigen habe sich der Gesetzgeber im Rahmen von ihm aufgestellter Ordnungs- und Regelungssysteme zu bewegen. Der Gedanke der Systemgerechtigkeit sei weiter zu strukturieren durch die Aspekte der Systemgebundenheit und der Systembestimmung sowie durch verfassungsrechtliche Wertungen.126 2. Angemessenheitskontrolle Anders als die bislang behandelten Autoren gehen die nachfolgend vorgestellten Autoren über eine Willkürkontrolle hinaus in Richtung auf eine Angemessenheitskontrolle. Auch Georg Müller127 geht zunächst von den speziellen verfassungsrechtlichen Differenzierungsgeboten und -verboten aus sowie vom Zusammenhang des Gleichheitssatzes mit anderen Grundrechten. Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers sei größer, wenn er nicht in Grundrechte eingreife, sondern Leistungen regele. Aber auch durch Kompetenz- und Aufgabennormen der Verfassung könne der Gleichheitssatz konkretisiert werden128. Zwischen dem Regelungsziel und der Gleichbehandlung habe der Gesetzgeber abzuwägen, er habe also eine praktische Konkordanz im Sinne Hesses herzustellen.129 Dabei könnten auch Gesichtspunkte der Praktikabilität und der Verwaltungsökonomie in die Ab123 v. Mangoldt/Klein/Starc*, Art. 3 GG, Rdnr. 13. 124 v. Mangoldt/Klein/SiarcA:, Art. 3 GG, Rdnr. 18; so auch BVerfGE 63, S. 119, 128 ff. 125 v. Mangoldt/Klein/Swrafc, Art. 3 GG, Rdnr. 8, 9; vgl. auch Robbers, DÖV 1988, S. 749,750. 126 v. Mangoldt/Klein/Srarofc, Art. 3 GG, Rdnr. 3 4 - 4 1 . 127 Georg Müller, VVDStRL 47 (1989), S. 37. 128 Georg Müller, VVDStRL 47 (1989), S. 37,51. 129 Georg Müller, VVDStRL 47 (1989), S. 37,50.

35 wägung einbezogen werden. Hier handele es sich allerdings nicht um eine Verhältnismäßigkeitsprüfung 130 . Den Gedanken der Systemgerechtigkeit hält Müller nicht für tragfähig131; die Bindung des Gesetzgebers an ein einmal gewähltes System solle eher den Prinzipien Rechtssicherheit und Vertrauensschutz zugeordnet werden. 132 Kloepfer nimmt eine Unterscheidung zwischen dem Differenzierungskriterium und dem Differenzierungsziel vor und verlangt zwischen beiden eine "Sachangemessenheit" 133 . Bei der Prüfung dieser Sachangemessenheit geht Kloepfer bei dem Gleichheitsrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG anders als andere Autoren - ebenso vor, wie das bei Freiheitsrechten üblich ist, also gestaffelt nach Grundrechtstatbestand, Grundrechtsschranken und Schranken-Schranken 134 . Die Grundrechtsschranke ist die Befugnis des Gesetzgebers, einen Lebenssachverhalt nach seinem Ermessen zu gestalten135. Wesensgehaltsgarantie und Übermaßverbot 136 dienen dann als Schranken-Schranke. Nach Ansicht von Maaß reicht das Willkürverbot als Prüfungsmaßstab nicht aus.137 Es müsse vielmehr eine Relation zwischen dem Differenzierungskriterium und dem Differenzierungsziel einerseits und den verschiedenen Regelungen andererseits durchgeführt werden 138 . Eine reine Willkürprüfung verliere demgegenüber den Vergleich als eigentliches Ziel aus dem Blick. Vielmehr komme dem Willkürverbot nur noch eine Auffangfunktion zu. II.

Das Prüfschema

Wenn man Art. 3 Abs. 1 GG methodische Konturen geben will, so dürfen nicht einzelne Abwägungsgesichtspunkte beliebiger Art in beliebiger Reihenfolge angeführt werden, sondern die Prüfung muß einem geordneten Schema folgen. 130 131 132 133 134 135 136 137 138

Georg Müller, VVDStRL 47 (1989), S. 37,52. Georg Müller, VVDStRL 47 (1989), S. 37,52. Georg Müller, VVDStRL 47 (1989), S. 37,52. Kloepfer, Gleichheit, S. 58 ff., 61; vgl. hierzu auch Robbers, DÖV 1988, S. 749, 750 f. Kloepfer, Gleichheit, S. 54 ff.; vgl. auch Robbers, DÖV 1988, S. 749,750. Kloepfer, Gleichheit, S. 58. Kloepfer, Gleichheit, S. 62. Kritisch zum Willkürverbot Maaß, NVwZ 1988, S. 1 4 , 2 0 f. Maaß, NVwZ 1988, S. 14, 20; s. zur Verhältnismäßigkeitsprüfung bei Art. 3 Abs. 1 GG ferner Bethge, NJW 1991, S.2391, 2397; zur entsprechenden Problematik bei Art. 14 EMRK Peuckert/Frowein, Art. 14 EMRK, Rdnr. 18.

36 Bei einer ersten, eher formalen Sicht kann man danach unterscheiden, wieviele Stufen die Autoren ihrer Prüfung zu Art. 3 Abs. 1 GG zugrundelegen. So prüft beispielsweise Friaufi39 in einer ersten Stufe, ob zwischen den unterschiedlich behandelten Sachverhalten tatsächlich eine Verschiedenheit besteht und in einer zweiten Stufe, ob die festgestellte Verschiedenheit ihrer Art nach gerade eine solche Ungleichbehandlung zu tragen vermag. Nach Gusy140 sind in einer ersten Stufe die Ungleichbehandlung und das dafür maßgebliche Kriterium festzustellen. An zweiter Stelle muß das Ziel der Ungleichbehandlung unter Berücksichtigung des Gesetzeszwecks ermittelt werden.141 In einem dritten Schritt ist zu klären, ob das ermittelte Ziel das Kriterium für die Ungleichbehandlung trägt. Ähnlich prüft Gubelt142 zunächst das Differenzierungskriterium, dann das Differenzierungsziel und schließlich, ob Differenzierungskriterium und Differenzierungsziel143 im richtigen Verhältnis zueinander stehen.144 Im Rahmen dieser Prüfung sei das Erfordernis der Geeignetheit zu beachten. Das Differenzierungskriterium brauche jedoch nicht dem Grundsatz der Erforderlichkeit zu genügen, weil sonst der Spielraum des Gesetzgebers zu sehr eingeschränkt werde.145 Bedeutsam sei hierbei der Gedanke der Systemgerechtigkeit, der allerdings nicht zu Innovationshemmungen führen dürfe.146 Ein vierstufiges Prüfschema entwickelt Kirchhof47 auf der Grundlage der Arbeiten von Starck. Zunächst müsse der Gesetzgeber die tatsächlichen Verschiedenheiten vollständig ermitteln. Die Bildung von Vergleichsgruppen sei im Hinblick auf das Ziel vorzunehmen (Sachgerechtigkeit). Die ermittelten Verschiedenheiten müßten sodann im Rahmen der Gesamtrechtsordnung und hinsichtlich der rechtlichen Vorgaben bewertet werden. Die Wertungen ergäben sich aus der Verfassung, aber auch aus dem aus ihr abgeleiteten und von ihr geprägten einfachen Gesetzesrecht (Systemgerechtigkeit in der Gesamtrechtsordnung). In einem 139

Friauf\ Leasing, S.

17,20,21.

140 Gusy, JuS 1982, S. 30,34. 141 Vgl. auch Podlech, Gehalt und Funktionen, S. 113 -117. 142 v. Münch-Gute/i, Art. 3 GG, Rdnr. 12; vgl. auch Maunz/Mng/Herzog/Scholz, Art. 3 GG, Rdnr. 285,292, 303. 143 v. Münch-Gute/«, Art. 3 GG, Rdnr. 14 ff. 144 v. Münch-Gute/f, Art. 3 GG, Rdnr. 18. 145 v. Münch-GuAe/i, Art. 3 GG, Rdnr. 24. 146 v. Münch-Gufefr, Art 3 GG, Rdnr. 24.

147 Kirchhof, NJW 1987, S. 2354,2356.

37 dritten Schritt müsse die Einzelregelung im Binnenbeieich des rechtlichen Teilsystems ausgestaltet werden (Systemgerechtigkeit innerhalb eines Teilsystems). Die sach- und systemgerecht konzipierte Entscheidung müsse der Gesetzgeber in der Ausgestaltung des Gesetzes den Grundgedanken gemäß konsequent weiterführen (Folgerichtigkeit). Wie dargelegt, wählt Kloepfer insofern einen anderen Ansatz, als er die Gleichheitsrechte der gleichen Prüfung unterzieht wie die Freiheitsrechte. 148 Zum Verhältnismäßigkeitsprinzip führt Kloepfer aus, daß die Ungleichbehandlung nicht evident ungeeignet zur Zielerreichung sein dürfe. Das auf der Grundlage der Verfassung legitime Ziel dürfe nur durch die vorgenommene Ungleichbehandlung und nicht durch geringere Ungleichbehandlungen erreichbar sein. So seien Stichtage und Typisierungen vermeidbar, wenn das Gesetz trotz einer weiteren Differenzierung praktikabel bleibe149. Schließlich dürfe die Ungleichbehandlung nicht zu einer Einbuße führen, die außerhalb jeden Verhältnisses zum erzielten Erfolg stehe150. - Auch wenn Kloepfer meint, in seinen Ergebnissen nicht weit von anderen, neueren Modellen entfernt zu sein 151 , führt sein Modell zur intensivsten Überprüfung der gesetzgeberischen Entscheidung. Das ergibt sich daraus, daß Kloepfer das Verhältnismäßigkeitsprinzip in seiner bei Freiheitsrechten üblichen Fassung verwendet und daher, anders als alle anderen Autoren, die Erforderlichkeit der gesetzlichen Regelung im einzelnen überprüft. 152 E.

Eigene Stellungnahme zur Auslegung des Art. 3 Abs. 1 G G

Für die weitere Prüfung der Einzelvorschriften des Arbeits- und Sozialversicherungsrechts soll ein einheitliches Prüfschema nach Art. 3 Abs. 1 GG zugrundegelegt werden. Es muß sich zum einen an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts orientieren, wie sie oben im 2. Kap. unter A, B dargestellt worden ist. Unabhängig von einer eigenen Stellungnahme sind die Aussichten einer Richtervorlage nach Art. 100 GG oder eines Normenkontrollverfahrens jedenfalls daran zu messen, wie die Frage vom Bundesverfassungsgericht voraussichtlich entschieden würde.

148 149 150 151 152

Kloepfer, Gleichheit, S. 58 ff. Kloepfer, Gleichheit, S. 63. Kloepfer, Gleichheit, S. 63. Kloepfer, VVDStRL 47 (1989), S. 86. Zum Prüfschema Friedrich Müllers, s. ders., Methodik, S. 283 ff.

38 Des weiteren sind die oben im 2. Kap. unter D dargestellten Ansichten in der Literatur zu berücksichtigen. Sie sind teilweise methodisch ausdifferenzierter als die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und lassen die unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten deutlich werden. 153 Im übrigen soll bei der eigenen Stellungnahme herausgestellt werden, in welchen Punkten in Rechtsprechung und Literatur inzwischen Übereinstimmung herrscht und welche Punkte streitig sind. Auf dieser Grundlage läßt sich ein erster Teil eines Prüfschemas als weitgehend unstreitig entwickeln. In einer ersten Stufe sind danach die Vergleichgruppen herauszuarbeiten, 154 die der unterschiedlichen gesetzlichen Regelung zugrundeliegen. Wie von Pfarr und dem Verfasser an Fällen zu Art. 3 Abs. 2 GG aufgezeigt, können Fehler in diesem Punkt zu verfälschten Ergebnissen führen. 155 Auch die letzte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zur mittelbaren Diskriminierung bei der Bewerbung schwangerer Frauen um einen Arbeitsplatz geht nach Ansicht des Verfassers von einem unzutreffenden Vergleichspaar ("schwangere Frauen/nichtschwangere Frauen" statt "Nichtschwangere (= Männer)"/"potentiell Schwangere (= Frauen)") aus. 156 Als nächstes ist festzustellen, ob eine Ungleichbehandlung vorliegt. Ob damit eine Benachteiligung verbunden sein muß, wie überwiegend verlangt, aber vom Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung verneint wird, wird im einschlägigen Zusammenhang zu erörtern sein. Die Ungleichbehandlung ist nur dann von Bedeutung, wenn zwischen den beiden Gruppen eine Vergleichbarkeit besteht. 157 Diese ersten Schritte lokalisieren das Gleichheitsproblem, während es im folgenden um Fragen des sachlichen Grundes geht. Soweit sich Differenzierungsgebote und -verböte aus der Verfassung ergeben, sind sie der Überprüfung anhand des allgemeinen Gleichheits153 Vgl. vor allem Maaß, NVwZ 1988, S. 14,20; Robbers, DÖV 1988, S. 749, 750 f. 154 Jpsen, Gleichheit, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner, S. 177 f.; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 496 ff.; vgl. zur Vergleichsgruppenbildung und den damit verbundenen Schwierigkeiten Robbers, DÖV 1988, S. 749,751. 155 Pfarr, Anm. zu BAG, AP Nr. 11 zu Art. 119 EWG-Vertrag; Wank, RdA 1985, S. 1,21. 156 BAG, AP Nr. 31 zu § 123 BGB. 157 Gallwas, Grundrechte, S. 39 f., 46; Heußner, in: Symposium zum 80. Geburtstag von Gerhard Leibholz, S. 107 f.; Ipsen, Gleichheit, in: Neumann/Nipperdey/ Scheuner, S. 178 ff.; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 496 ff.; Wendt, NVwZ 1988, S. 778,779, 782 f.

39 satzes vorgelagert.158 Vorweg zu prüfen sind spezielle Differenzierungsgebote, wie z.B. aus Art. 6 Abs. 1 GG, und spezielle Differenzierungsverbote, wie z.B. aus Art. 3 Abs. 2 GG. 159 Weitere Wertungen sind aus anderen Grundrechten einzubeziehen. An dieser Stelle ist auf die oben erwähnte Bezugnahme des Bundesverfassungsgerichts auf Art. 12 GG hinzuweisen.160 Schließlich fließen die tragenden Prinzipien der Verfassung in die Wertung ein, und zwar sowohl materielle Prinzipien wie das Demokratieprinzip und das Sozialstaatsprinzip161 als auch Kompetenznormen. 162 Bei der Anwendung des Art. 3 Abs. 1 GG kann sodann ein besonderer Aspekt vorab geprüft werden, die Systemgerechtigkeit der Regelung. Hier ist darauf hinzuweisen, daß das Bundesverfassungsgericht mit diesem Merkmal nur zu einer großzügigen Kontrolle gelangt, 163 während teilweise im Schrifttum und auch vom Verfasser ein strengerer Maßstab angelegt wird. Unstreitig ist allerdings, daß die Folgerichtigkeit einer konkreten Regelung im Rahmen eines Systemzusammenhangs zu überprüfen ist. An dieser Stelle ist auch auf Argumente aus der geschichtlichen Entwicklung einzugehen. Sowohl anhand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als auch anhand der Literatur ist allerdings das Gewicht dieses Arguments unklar. Es kann sich nunmehr eine Willkürprüfung anschließen. 164 Dieses Vorgehen hat den Vorteil, daß nach allen Ansichten, sowohl der des Bundesverfassungsgerichts als auch nach fast allen Autoren, eine Ungleichbehandlung jedenfalls dann verfassungswidrig ist, wenn sich dafür kein sachlicher Grund finden läßt, wenn also wesentlich Gleiches ungleich oder wesentlich Ungleiches gleich behandelt wird. Einigkeit besteht auch darüber, daß Willkür hier objektiv zu verstehen ist.165 158 Gallwas, Grundrechte, S.41 f.; Hesse, AöR 109 (1984) S. 184; Schock, DVB1. 1988, S. 863, 866; vgl. mit Ausdehnung auch auf verwaltungsrechtliche Rechtsregeln Ipsen, Gleichheit, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner, S. 190. 159 Hamann/Lenz, Art. 3 GG, Anm. B 4 c, bb. 160 Vgl. BVerfGE 62, S. 256,274. 161 Vgl. v. Mangoldt/Klein/Siarcfc, Art. 3 GG, Rdnr. 23. 162 Vgl. Hamann/Lenz, Art. 3 GG, Anm. B 4 c, aa. Nach Robbers, DÖV 1988, S. 749, 753 f. steht Art. 3 Abs. 1 GG im Gesamtbezug aller anderen Verfassungsnormen. 163 BVerfGE 59, S. 36, 49; 66, S. 214, 223 f.; 67, S. 70, 84 f.; 68, S. 237, 253; 75, S. 382, 395; Rupp (o. Fußn. 41), S. 380 ff.; Schoch, DVBI. 1988, S. 868, 878 f. m.w.N. 164 Der Willkürprüfung kommt so eine Auffangfunktion zu, vgl. Maaß, NVwZ 1988, S. 14,21. 165 Hesse, Grundzüge, Rdnr. 440; Stein, Staatsrecht, S. 240.

40 Ein Meinungsstreit besteht allerdings insofern, als teilweise eine darüber hinausgehende Überprüfung des gesetzgeberischen Ermessens vorgenommen wird. 166 Das kommt in der neueren Rechtsprechung des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts zum Ausdruck, nach der ein nach Art und Gewicht tragfähiger Grund für die Ungleichbehandlung gefordert wird. Wie dargelegt, ist das Schrifttum in dieser Frage gespalten. Auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erscheint insoweit noch nicht ganz klar. Bei der Entscheidung muß einerseits beachtet werden, daß eine zu weitgehende Überprüfung des gesetzgeberischen Ermessens einen Verstoß gegen das Gewaltenteilungsprinzip bedeuten würde. 167 Dieses Prinzip ist, wie vom Verfasser an anderer Stelle dargelegt, als Prinzip sachgemäßer Aufgabenverteilung zu verstehen. Andererseits führt die bloße Willkürkontrolle vielfach dazu, daß Art. 3 Abs. 1 GG leerläuft. Schließt man sich der Ansicht an, die eine Angemessenheitskontrolle befürwortet, 168 so sind herauszuarbeiten: Differenzierungskriterium, Differenzierungsmittel und Differenzierungsziel sowie die Relation zwischen ihnen. 169 Sowohl in der Terminologie als auch in der Sache herrschen insoweit in der Literatur erhebliche Unklarheiten und Abweichungen. Im Rahmen der Angemessenheitskontrolle ist des weiteren eine Art von Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen. Während Kloepfer hier das Verhältnismäßigkeitsprinzip in gleicher Weise wie bei der Prüfung von Freiheitsrechten zugrundelegen will, betonen alle anderen Autoren - soweit sie auf diese Frage eingehen - mit Recht, daß hier eine Verhältnismäßigkeitsprüfung anderer Art gemeint ist. Unter diesen Autoren ist eine zweistufige Prüfung anerkannt. Die vom Gesetzgeber gemeinte Maßnahme muß zur Verfolgung des Regelungsziels geeignet sein. Insofern sind die rechtstatsächlichen Prämissen zu überprüfen. Wie anhand der beiden zentralen Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen dargelegt, scheitert eine Reihe von Argumenten bereits an dieser Stelle. An einem geeigneten Sachgrund fehlt es auch dann, wenn keine Gruppenspezifik vorliegt, wie ebenfalls anhand der 166 v. Mangoldt/Klein/Sfarat, Art 3 GG, Rdnr. 11. Zur Kritik an der bloßen Willkürprüfung und zur Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung der beiden Senate des BVerfG vgl. u.a. Schock, DVB1.1988, S. 863,875 ff. 167 S. zum Gewaltenteilungsprinzip zuletzt Wank, Jura 1991, S. 622. 168 Vgl. u.a. Georg Müller, VVDStRL 47 (1989), S. 37, 51; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 506; s. auch BSG, NZA 1990, S. 917,919. 169 Eine Relation zwischen Differenzierungskriterium und Differenzierungsziel befürwortet u.a. auch Maaß, NVwZ 1988, S. 14,20.

41 Bundesverfassungsgerichtsentscheidung vom 30.5.1990 aufgezeigt werden konnte. Die entscheidenden Abwägungen vollziehen sich schließlich bei der Überprüfung des Legitimationszusammenhangs und bei der Interessenabwägung. Es muß ein Sinnzusammenhang zwischen dem Ziel und dem Mittel der Regelung bestehen. Bei der Interessenabwägung sind die Bedeutung des Ziels, die Grundrechtsbetroffenheit, die Intensität der Benachteilung und die Zahl der Betroffenen, ferner die Rechtssicherheit, die Praktikabilität und die Kostenbelastung sowie schließlich das Interesse des Gesetzgebers an einer Typisierung und Pauschalierung gegeneinander abzuwägen. F.

Der unterschiedliche Stand der Gesetzgebung als Problem des Art. 3 Abs. 1 GG und der Auslegung und Rechtsfortbildung

Wenn im Rahmen dieser Untersuchung die Verfassungswidrigkeit von Regelungen geprüft wird, geht es nicht nur um die Subsumtion von einfachem Recht unter Verfassungsrecht, hier insbesondere Art. 3 Abs. 1 GG, sondern immer auch um Fragen der Auslegung und der Fortbildung des einfachen Rechts. Einige im folgenden häufig wiederkehrende Fragen dazu sollen hier vorab behandelt werden. I.

Geltendes Recht

Fragt man, ob eine Regelung im einfachen Recht verfassungsgemäß ist, so stellt sich die Vorfrage, was das geltende Recht ist. Man kann dabei einmal an das geltende Gesetzesrecht denken und könnte es unabhängig von Rechtsprechung und Literatur "aus sich heraus" interpretieren. Dabei würde jedoch außer acht gelassen, daß zur Geltung im normativen Sinne auch die tatsächliche Handhabung in Kraft gesetzter Vorschriften gehört170. Da sich die Gerichte auf den staatlichen Zwangsapparat stützen können und sich die Rechtsunterworfenen auch unabhängig von einer konkreten Entscheidung und aktuellem Zwang an der Rechtsprechung, jedenfalls an einer ständigen Rechtsprechung, orientieren, bedeutet "geltendes Recht" im folgenden einfaches Gesetzesrecht in seiner Auslegung durch die Gerichte, hier insbesondere durch das Bundesarbeitsgericht. Die Interpretation durch das Gericht braucht nicht die allein vertretbare zu sein. Ergänzend wird daher auch jeweils die Auslegung des Gesetzesrechts in der Literatur dargestellt. 170 S. zum Geltungsbegriff Henkel, Rechtsphilosophie, S. 543 ff.

42 Mißt man nun das geltende Gesetzesrecht in seiner Auslegung durch die Rechtsprechung an Art. 3 Abs. 1 G G , so kann sich ergeben, daß die Rechtsprechung im Gesetzesrecht bestehende verfassungswidrige Ungleichbehandlungen im W e g e der Auslegung oder der Rechtsfortbildung beseitigt hat; aber auch, daß erst die Rechtsprechung Ungleichbehandlungen geschaffen hat. In beiden Fällen könnte man meinen, daß sich eine gesetzliche Neuregelung erübrigt: im einen Fall, weil bereits die Gerichte für eine Harmonisierung sorgen, im anderen Fall, weil der Gesetzestext selbst nicht verfassungswidrig ist. Die Folgerung ist jedoch unberechtigt. Der Gesetzeswortlaut sollte das geltende Recht zutreffend widerspiegeln. Deshalb sollte trotz einer verfassungskonformen Auslegung durch die Gerichte ein an sich verfassungswidriger Gesetzeswortlaut entsprechend dieser Rechtsprechung abgeändert werden. Führt umgekehrt erst die Auslegung durch die Gerichte zu einem verfassungswidrigen oder auch sachlich ungerechtfertigten Ergebnis, so muß der Gesetzgeber durch eine neue Formulierung für eine Kurskorrektur sorgen. II.

D i e A n p a s s u n g des geltenden R e c h t s durch A u s l e g u n g und Rechtsfortbildung

Ebenso wie die Rechtsprechung dem geltenden Gesetzesrecht durch eine andere Auslegung oder durch Rechtsfortbildung einen verfassungskonformen Inhalt geben kann, stellt sich auch für denjenigen, der das geltende Recht anhand des Art. 3 Abs. 1 G G überprüft, die Frage, ob ein auf diese Weise festgestellter Verfassungsverstoß nicht durch Auslegung oder Rechtsfortbildung beseitigt werden könnte. Auch wenn eine bestimmte Lösung bisher noch nicht in der Rechtsprechung oder in der Literatur erwogen wurde, ist die Frage zu prüfen. Auch das Bundesverfassungsgericht würde, bevor es eine gesetzliche Vorschrift für verfassungswidrig erklärt, eine Erhaltung der Vorschrift mittels Auslegung oder Rechtsfortbildung vorab prüfen. Dieser verfassungsrechtliche Ansatz der verfassungskonformen Auslegung und der verfassungskonformen Rechtsfortbildung gerät allerdings leicht mit den Regeln der Methodenlehre, jedenfalls so wie sie weithin verstanden werden, in Konflikt. Das soll im folgenden am Beispiel des "alten Gesetzes" 1 7 1 und am Beispiel des "neuen Gesetzes" näher erläutert werden. 171 BVerfGE 34, S. 269, 288 ff.; Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 65 ff.

43 1. Das alte Gesetz Verfassungswidrige Ungleichbehandlungen im geltenden Gesetzesrecht beruhen vielfach darauf, daß unterschiedliche gesetzliche Regelungen in einer Zeit geschaffen wurden, als man noch unterschiedliche Sachverhalte annahm, während es sich aus heutiger Sicht nur um Varianten eines einheitlichen Sachverhalts handelt. Sieht man nun die Lage im Hinblick auf den historischen Gesetzgeber, wie das insbesondere die subjektive Theorie der Gesetzesauslegung tut172, dann läßt sich eine Vereinheitlichung im geltenden Recht durch Auslegung kaum erreichen. Der Wortlaut weist die Regelungen als selbständig und unterschiedlich aus, nach der Systematik liegen unterschiedliche Systeme zugrunde, entstehungsgeschichtlich gesehen dachte der Gesetzgeber in getrennten Regelungskomplexen, und auch der Sinn und Zweck der einzelnen Regelungen ist jeweils unterschiedlich. Wenn man demgegenüber aus heutiger Sicht für die unterschiedlichen Regelungen einen gleichen Sachverhalt annimmt, so wird damit dem historisch gewachsenen Gesetz eine andere Sichtweise übergestülpt. Methodisch gesehen ist das nur mit Hilfe der objektiven Auslegung möglich 173 . Nach ihr kann ein Gesetz aufgrund der späteren Entwicklung einen anderen Inhalt im Wege der Auslegung bekommen. Dazu berechtigt ein Wandel der tatsächlichen Umstände oder ein Wandel des Rechtsbewußtseins. Dazu gehört auch, daß erst aufgrund neuer Erkenntnis früher unterschiedliche Sachverhalte nunmehr als Varianten eines einheitlichen Sachverhalts betrachtet werden. Die Umsetzung dieser neuen verfassungsrechtlichen Sicht kann im Wege verfassungskonformer Auslegung oder im Wege verfassungskonformer Rechtsfortbildung erfolgen. Bei der verfassungskonformen Auslegung sind zwei Erscheinungsformen zu unterscheiden, die verfassungskonforme Auslegung als Inhaltsbestimmung und die verfassungskonforme Auslegung als Inhaltskontrolle™. Der Inhaltsbestimmung 175 liegt der Fall zugrunde, daß das geltende einfache Gesetz nicht verfassungswidrig ist. Es läßt aber mehrere Auslegungen zu, von denen einige "näher an der Verfassung" sind als andere. Dann ist es verfassungsrechtlich und methodisch - nach Abwägung mit

172 Zu ihr EnnecceruslNipperdey, Allgemeiner Teil, S. 317 f., 320; weitere Nachw. bei Engisch, Einführung, Anm. 95 d, S. 227. 173 Zu ihr Lorenz, Methodenlehre, S. 316 ff., 333 ff. 174 Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 104 ff. 175 Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 104.

44 anderen Auslegungskriterien - geboten, die verfassungskonforme oder verfassungskonformere Auslegung zugrundezulegen. Verfassungskonforme Auslegung als Inhaltskontrolle176 betrifft den Fall, daß das geltende Recht verfassungswidrig ist. Unter den mehreren zum geltenden Recht bestehenden Auslegungsmöglichkeiten ist aber eine, bei deren Anwendung die Regelung mit der Verfassung im Einklang stünde. Dann ist es verfassungsrechtlich geboten, diese Auslegungsvariante zu wählen. Läßt sich, auch unter Berücksichtigung der objektiven Methode der Gesetzesauslegung, das verfassungsrechtlich gebotene Ergebnis nicht durch Auslegung erreichen, so kommt eine (verfassungskonforme) Rechtsfortbildung in Betracht. Die Anpassung des geltenden einfachen Rechts an die Verfassung kann durch den Gesetzgeber erfolgen, aber unter bestimmten Voraussetzungen auch durch die Gerichte. Eine Legitimation zur Rechtsfortbildung ergibt sich allerdings nicht schon daraus, daß die neue Interpretation dem Grundgesetz entspricht. Rechtsfortbildung hat nicht nur einen materiellrechtlichen, sondern auch einen kompetenzrechtlichen Aspekt. Nur unter Beachtung des Gewaltenteilungsprinzips, des Rechtsstaatsprinzips und des Demokratieprinzips dürfen die Gerichte anstelle des Gesetzgebers tätig werden177. Das Instrumentarium der Anpassung des geltenden Gesetzes an die Verfassung besteht im Rahmen der Auslegung auch in erweiternder oder einschränkender Auslegung178, im Rahmen der Rechtsfortbildung in Analogie, teleologischer Extension und teleologischer Reduktion. Die h.M. in der Methodenlehre grenzt Auslegung und Rechtsfortbildung danach ab, ob sich die Interpretation in den Grenzen des möglichen Wortsinns hält (dann Auslegung) oder nicht (dann Rechtsfortbildung)179. Nach der hier vertretenen Gesetzessinntheorie kommt es demgegenüber darauf an, ob die Interpretation noch mit dem Sinn des Gesetzes vereinbar ist oder nicht. Verfassungskonforme Auslegung im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG liegt danach vor, wenn man dem Gesetz bei objektiver Auslegung, ohne ihm Gewalt anzutun, eine Harmonisierung entnehmen kann. Andernfalls kann eine (verfassungskonforme) Rechtsfortbildung oder auch als einzige Möglichkeit eine Neuregelung durch den Gesetzgeber in Betracht kommen. 176 Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 104 f. 177 Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 154 ff., 207 ff.; ders., ZGR 1988, S. 349 ff. 178 Lorenz, Methodenlehre, S. 353 ff. 179 Nachw. bei Wank, ZGR 1988, S. 316 ff., 338 ff.

45

Rechtsprechung und Literatur haben in den hier genannten Fällen häufig Schwierigkeiten, methodische und verfassungsrechtliche Erfordernisse miteinander in Einklang zu bringen. Häufig gibt es zwei Meinungslager: Der Gesetzgeber ist von unterschiedlichen Sachverhalten ausgegangen, und er hat unterschiedliche Regelungskomplexe geschaffen. Dann ist es nicht möglich, durch Auslegung oder Rechtsfortbildung eine Vereinheitlichung herbeizuführen. Insbesondere scheidet auch eine Analogie aus. Nach anderer Meinung: Die unterschiedliche Behandlung ist heute nicht mehr haltbar; also ist eine einheitliche Auslegung oder eine Analogie geboten.

Beide Meinungen erfassen nur Teilaspekte des Problems. Die Berufung auf den historischen Gesetzgeber greift angesichts von objektiver Auslegung und verfassungskonformer Auslegung zu kurz. Die schlichte Folgerung allerdings, das materielle Recht verlange eine Gleichstellung, also könnten die Gerichte eine Analogie vornehmen, übersieht den kompetenzrechtlichen Aspekt der Rechtsfortbildung. Auch wenn materiellrechtlich eine Gleichbehandlung noch so sehr geboten ist, kann es insbesondere aus Gründen der Gewaltenteilung sein, daß allein der Gesetzgeber zu einer Anpassung berechtigt ist und nicht die Gerichte. Man wird vielmehr zwei Arten von Regelungen unterscheiden müssen.180 Geht es um Fragen der Zweckmäßigkeit oder der Gesetzgebungstechnik, so sind in der Regel die Gerichte zu einer Vereinheitlichung durch Auslegung oder Rechtsfortbildung befugt. Gleiches gilt, wenn eine Norm im Hinblick auf eine andere Norm nur konkretisiert wird. Anders steht es mit grundlegenden Systementscheidungen, die hinter der einen oder der anderen Regelung stehen. Hier ist es nicht Sache der Gerichte, sich für das eine oder das andere System zu entscheiden. Im folgenden wird insoweit jeweils geprüft, ob die Regelung im geltenden Recht nicht im Wege einer verfassungskonformen Auslegung oder Rechtsfortbildung aufrechterhalten weiden kann, wobei aber jeweils die verfassungsrechtlichen Grenzen der Rechtsfortbildung beachtet werden. Die hier erörterte Problematik begegnet uns insbesondere im Recht der Wettbewerbsverbote. Hier herrschte lange Zeit die Meinung vor, angesichts der bestehenden spezialgesetzlichen Regelung sei eine Erstreckung auf alle Arbeitnehmer methodisch nicht zulässig.181

180 Wank, ZGR 1988, S. 316, 322 f. 181 S. unten 7. Kapitel.

46 2. Das neue Gesetz In anderer Gestalt begegnet uns das Problem beim "neuen Gesetz", 182 insbesondere im Lohnfortzahlungsrecht. 183 Zu einer Zeit, als zwischen Arbeitern und Angestellten unterschiedliche Regelungen bereits als bedenklich erscheinen konnten, schuf der Gesetzgeber für Arbeiter eine umfassende Neuregelung und beließ es für Angestellte gleichzeitig beim alten Rechtszustand. Auch in diesem Fall bieten sich zwei Betrachtungsweisen an: Der Gesetzgeber hat bewußt eine Neuregelung nur für Arbeiter geschaffen. Dann ist eine entsprechende Auslegung oder eine Rechtsfortbildung im Recht der Angestellten nicht möglich. Oder: Wenn der Gesetzgeber schon im Recht der Arbeiter eine gelungene Neuregelung geschaffen hat, sollte man sie auch für Angestellte übernehmen.

Bei differenzierender Sicht muß man auch hier wieder nach der Art der Regelung unterscheiden. Soweit es um rechtspolitisch neutrale Regelungen geht, kann das neue Gesetz als Ausdruck eines allgemeinen Gedankens gesehen werden, seine Regelungen sind übertragbar. Steht demgegenüber hinter der Neuregelung eine rechtspolitische Entscheidung, so ist eine Übertragung des Gedankens durch die Gerichte nicht möglich. Soweit in späteren Teilen dieser Untersuchung auf die Möglichkeiten einer Gleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten durch Auslegung oder Rechtsfortbildung eingegangen wird, liegen dem die hier dargelegten Vorüberlegungen zugrunde.

182 Dazu Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 64. 183 S. unten 6. Kapitel.

3. Kapitel: Europarecht, DDR-Recht, die beiden Staatsverträge und Rechtsvergleichung A.

Europarecht

Bei der Überprüfung der Gültigkeit von Vorschriften des einfachen Rechts sind außer dem Grundgesetz auch das Primärrecht und das Sekundärrecht der Gemeinschaft zu beachten. Es gilt der Rechtsanwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts. 1 I.

Arbeitnehmerbegriff

Zunächst ist zu klären, inwieweit das Gemeinschaftsrecht von den Begriffen Arbeitnehmer, Arbeiter und Angestellter ausgeht und welche Aussagen sich darin zur Gleichbehandlung der Arbeitnehmergruppen finden. Der EWG-Vertrag selbst nennt in Art. 48 Abs. 1 als Normadressaten für die Regelung über Freizügigkeit die "Arbeitnehmer". Dieser Begriff ist einerseits abgegrenzt von dem des Selbständigen und zum anderen von dem des in der "öffentlichen Verwaltung" Beschäftigten, auf den die Vorschrift nach Art. 48 Abs. 4 EWGV nicht anwendbar ist.2 Einen eigenen Begriff des Selbständigen führt der EWG-Vertrag nicht ein. Er spricht aber in Art. 52 Abs. 1 von "Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates" und in Art. 59 f. von Dienstleistungen von "Angehörigen der Mitgliedstaaten". Bei systematischer Auslegung ergibt sich daraus, wie allgemein anerkannt ist, daß insoweit dem Arbeitnehmer auf der einen Seite (Art. 48 - 51 EWGV) der Selbständige auf der anderen Seite (Art. 52 - 58, Art. 59 - 66 EWGV) entgegengestellt werden soll. 3 Aus alledem ergibt sich ein eigenständiger EG-rechtlicher Begriff des Arbeitnehmers. 4 Im Sekundärrecht der Gemeinschaft wird die Gruppe der Ar1 S. für alle EuGH, EuZW 1990, S. 578. 2 EuGH, NJW 1990, S. 3069 (Leitsatz) = NVwZ 1990, S. 851; Battis (Hrsg.), Europäischer Binnenmarkt und nationaler öffentlicher Dienst; ders., NJW 1991, S. 1586, 1587; Lecheler, Die Interpretation des Art. 48 Abs. 4 EWGV; Vorlagebeschluß ArbG Elmshorn - 3 a Ca 881/88 vom 28.9.1990 -; zur geplanten Erweiterung des Beamtenstatus für EG-Ausländer S. FAZ Nr. 238 v. 14.10.1991, S. 7. 3 Randelzhofer, in: Grabitz, Art. 48 EWGV, Rdnr. 2. 4 EuGH, Rs. 75/63, Unger/Bedrijfsverenigung voor Detailhandel en Ambachten, Slg. X (1964), S. 379; Hailbronner, EuZW 1991, S. 171, 173; Oppermann, Europarecht, Rdnr. 1420.

48 beitnehmer in Art. 1 VO Nr. 1612/78 umschrieben als "Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis". 5 Damit ist, entsprechend dem Recht einiger Mitgliedstaaten, die Untergliederung in Arbeiter und Angestellte gemeint. 6 Im übrigen verwendet das Sekundärrecht der Gemeinschaft in der Regel den Oberbegriff des Arbeitnehmers, ohne zwischen Arbeitern und Angestellten zu differenzieren. Die neuesten Richtlinienvorschläge der Kommission beziehen sich auf befristet Beschäftigte, Teilzeitbeschäftigte und Leiharbeitnehmer als Untergruppen, 7 wobei ebenfalls keine Sonderregelungen für Arbeiter und Angestellte getroffen werden. Wenn die genannte Verordnung selbst auf die Unterteilung in Arbeiter und Angestellte bezug nimmt, kann die deutsche Rechtsordnung allein durch diese Unterscheidung nicht gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen. II.

Gleichheitssatz

Die Unterscheidungen innerhalb der Arbeitnehmerschaft könnten allerdings einem EG-rechtlichen Differenzierungsverbot widersprechen. Das EG-Recht kennt, wie das deutsche Recht, mehrere spezielle EG-eigene Gleichheitssätze, einen eigenen EG-Gleichheitssatz und schließlich den Gleichheitssatz als EG-Grundrecht. 1. Art. 48 Abs. 2 EWGV Unter den speziellen Gleichheitssätzen ist für Arbeitnehmer in erster Linie Art. 48 Abs. 2 EWGV einschlägig, der eine unterschiedliche Behandlung in bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen verbietet. Jedoch ist Voraussetzung, daß die Diskriminierung an die Staatsangehörigkeit anknüpft. 8 Damit werden auch indirekte Diskriminierungen, etwa durch Anknüpfung an den Wohnort, erfaßt. 9 Die im folgenden untersuchten Regelungen des deutschen Rechts enthalten jedoch keine Bezugnahme auf die Staatsangehörigkeit oder den Wohnort.

5 Zum Arbeitnehmerbegriff nach Art. 2 Abs. 1 VO Nr. 1408/71 s. EuGH, NZA 1991, S. 614. 6 Randelzhofer, in: Grabitz, Art. 48 EWGV, Rdnr. 2; S.auch EuGH, NZA 1991, S. 614 zu VO Nr. 1408/71. 7 S. Info RdA 1991, S. 44. 8 Randelzhofer, in: Grabitz, Art. 48 EWGV, Rdnr. 26. 9 EuGH, Rs. 152/73, Sotgiu/Deutsche Bundespost, Slg. 1974, S. 153,165.

49 2. Art. 119 EWGV Ein weiteres spezielles Diskriminierungsverbot ergibt sich aus Art. 119 EWGV, der die Ungleichbehandlung von Männern und Frauen beim Entgelt verbietet. Im Hinblick auf das Entgelt hat eine Konkretisierung stattgefunden durch die Richtlinie Nr. 75/117/EWG des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen, vom 10.2.1975.10 Eine Erweiterung durch das Verbot von Ungleichbehandlung im Arbeitsleben allgemein fand durch die Richtlinie Nr. 76/207 EWG des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen, vom 9.2.1976, statt.11 Schließlich wurden zwei Richtlinien zur Verwirklichung der Gleichberechtigung im Bereich der sozialen Sicherheit erlassen, nämlich die Richtlinie Nr. 79/7 EWG des Rates zur schrittweisen Verwirklichung Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich sozialen Sicherheit, vom 19.12.1978 12 und die Richtlinie 86/378/EWG des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes Gleichbehandlung von Männer und Frauen bei den betrieblichen Systemen sozialen Sicherheit, vom 24.7.1976. 13

des der der der

Diese Vorschriften wurden durch die §§ 61 la ff. BGB, allerdings unvollkommen, 14 in deutsches Recht umgesetzt. Aber auch die weiteren Einzelvorschriften des deutschen Arbeits- und Sozialversicherungsrechts sind an den genannten Vorschriften zu messen. Für die vorliegende Untersuchung sind Fragen der Gleichberechtigung nur insoweit von Interesse, als deutsche Vorschriften die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten mit dem Merkmal Mann/Frau kombinieren. In diesen Zusammenhängen wird auf die Frage der Gleichberechtigung näher einzugehen sein. 3. Art. 7 Abs. 1 EWGV Soweit die speziellen Diskriminierungsverbote nicht eingreifen, kann das allgemeine Differenzierungsverbot aus Art. 7 EWGV herangezogen wer-

10 11 12 13 14

ABl. EG L 45/19. ABl. EG L 39/40. ABl. EG L 6/24. ABl. EG L 225/40. S. u.a. BAG, AP Nr. 5 zu § 611a BGB.

50 den. Es regelt allerdings, wie Art. 48 Abs. 2 EWGV, nur die Ungleichbehandlung "aus Gründen der Staatsangehörigkeit". In erster Linie werden von Art. 7 Abs. 1 EWGV Fälle erfaßt, in denen Ausländer gegenüber Inländern schlechter gestellt werden. Im Wege der Auslegung ergibt sich eine Erstreckung auf den Fall, daß Inländer gegenüber Ausländern schlechter behandelt werden ("Inländerdiskriminierung"). 15 Sehr umstritten ist allerdings die Frage, ob das EG-Diskriminierungsverbot auch einen Fall ohne EG-Berührung, also einen reinen Inlandssachverhalt, erfaßt. 16 Der EuGH verlangt jedenfalls für die Geltung von EGRecht einen Gemeinschaftsbezug. 17 4. Das Grundrecht auf Gleichbehandlung Über die im EWG-Vertrag genannten Grundfreiheiten hinaus hat der Europäische Gerichtshof Grundrechte anerkannt, die er aus der EMRK und der allgemeinen Rechtsüberzeugung in den Mitgliedstaaten herleitet. 18 Zu diesen Grundrechten gehört auch das Grundrecht auf Gleichbehandlung. 19 Auch hier gilt allerdings die bereits mehrfach genannte Einschränkung, daß der Fall einen Gemeinschaftsbezug aufweisen muß. Im Ergebnis ist festzuhalten: Die im deutschen Recht vorhandene Untergliederung nach Arbeitern und Angestellten verstößt nicht als solche gegen EG-Recht; Verstöße im einzelnen können sich nur im Hinblick auf ein Diskrimierungsverbot ergeben. Bei reinen Inlandssachverhalten kommen insoweit nur Art. 119 EWGV und die genannten EG-Richtlinien und deren Umsetzung in deutsches Recht in Betracht, wobei es in diesem Bereich nicht auf einen Gemeinschaftsbezug ankommt.

15 EuGH, Rs. 136/78 Auer, Slg. 1979, S. 437, 449; EuGH, Rs. 115/78 Knoors, Slg. 1979, S. 399, 410; Grabitz, in: Grabitz, Art. 7 EWGV, Rdnr. 6; Reitmaier, Inländerdiskriminierungen nach dem EWG-Vertrag; s. im übrigen auch Art. 3 des Katalogs von Grundrechten und Grundfreiheiten des Europäischen Parlaments, NVwZ 1991, S. 759. 16 S. z.B. Kewenig, JZ 1990, S. 20 ff.; Oppermann, Europarecht, S. 553; Pernice, NJW 1990, S. 2417; Wägenbaur, EuZW 1991, S. 4 2 7 , 4 2 9 ff. 17 EuGH, Rs. 35/82; EuGH, NJW 1988, S. 3069. 18 Mosler/Bernhardt/Hilf (Hrsg.), Grundrechtsschutz in Europa; Ress/Ukrow, EuZW 1990, S. 499. 19 EuGH, Rs. 125/77 Isoglukose; st. Rspr.; Feige, Der Gleichheitssatz im Recht der EG.

51 B.

Das Recht der ehemaligen DDR

I.

Arbeitsrecht

Das Arbeitsrecht war in der ehemaligen DDR überwiegend zusammengefaßt im Arbeitsgesetzbuch vom 16.6.197720 geregelt. Es wurde abgelöst durch eine im Anschluß an den Staatsvertrag zwischen der Bundesrepublik und der Deutschen Demokratischen Republik geänderte Fassung, die vom 1. Juli 1990 bis zum 2. Oktober 1990 galt.21 Im Arbeitsgesetzbuch a.F. wird als Adressat der "Werktätige" genannt, das entspricht unserem Begriff des Arbeitnehmers. Zwischen Arbeitern und Angestellten wurde grundsätzlich nicht unterschieden.22 Überbleibsel der früheren Untergliederung fanden sich nur in §§ 89, 90, 178 AGB sowie im Steuerrecht der DDR. In § 89 AGB ging es um die Übertragung einer anderen Arbeit an einen Arbeiter und in § 90 AGB an einen Angestellten. § 178 Abs. 2 AGB bestimmte, daß Angestellte mit Hochschul- oder Fachschulqualifikation keinen Anspruch auf Lohn und Zuschläge für Überstundenarbeit haben. In allen zentralen Bereichen, sei es Kündigungsrecht oder Lohnfortzahlungsrecht, gab es zwischen Arbeitern und Angestellten in der DDR keine Unterschiede, und zwar weder im Arbeitsrecht noch im Sozialversicherungsrecht. Auch im Arbeitsrecht der DDR gab es die besondere Gruppe der leitenden Angestellten, z.B. in §§ 73 Abs. 3, 81 Abs. 1, 82, 295 AGB.23 II.

Sozialversicherungsrecht

Das Sozialversicherungsrecht der DDR kannte bei den Versicherten keine Unterscheidung nach Arbeitern und Angestellten und beim Versicherungsträger keine Unterscheidung nach den Zweigen Krankenversicherung, Rentenversicherung und Unfallversicherung. Eine Arbeitslosenversicherung war bis 1990 ohnehin unbekannt.24

20 21 22 23 24

GBl. DDR 1 1977, Nr. 18, S. 188. S. Mwi*,RdA 1991, S. 1,3. S. Wank, DtZ 1990, S. 42,45. Wank, DtZ 1990, S. 42,45. Wank, RdA 1991, S. 1,15 f.

52 C.

Arbeiter und Angestellte in den beiden Staatsverträgen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR

Inzwischen ist auch auf dem Gebiet der ehemaligen DDR die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten in Angleichung an das Recht der alten Bundesrepublik Deutschland eingeführt worden. Allerdings ist damit zugleich die Möglichkeit verbunden worden, für die gesamte Bundesrepublik die Berechtigung dieser Unterscheidung zu überprüfen. I.

Der Gesetzgebungsauftrag zur Schaffung eines Arbeitsvertragsgesetzes

Die Rechtsangleichung zwischen dem Arbeitsrecht der Bundesrepulbik Deutschland und derii der DDR hätte sich auch in der Weise vollziehen können, daß aus den jeweils besseren Regelungen der beiden Rechtsordnungen ein neues Arbeitsrecht konzipiert worden wäre.25 Der Zeitdruck26 ließ dies nicht zu. Sowohl im ersten der beiden Staats Verträge vom 18.5.1990 (im folgenden "Staatsvertrag")27 als auch im zweiten Staatsvertrag vom 31.8.1990 (im folgenden "Einigungsvertrag")28 ist im wesentlichen nur eine Anpassung des Arbeitsrechts der DDR an das der Bundesrepublik vorgesehen, während die Änderungen des bundesdeutschen Rechts Übergangsfragen betreffen und marginalen Charakter haben.29 Um jedenfalls im nachhinein das DDR-Recht auf seine Übernahmefahigkeit zu prüfen, aber auch um einer aus dem Gewaltenteilungsprinzip und aus dem EG-Recht herrührenden Verpflichtung nachzukommen, ist der gesamtdeutsche Gesetzgeber im Einigungsvertrag verpflichtet worden, u.a. das Arbeitsvertragsrecht neu zu regeln, Art. 30 Einigungsvertrag. Ein zweites kommt hinzu. Aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 30.5.199030 zur Kündigungsfrist bei Arbeitern und Angestellten ist der Gesetzgeber ohnehin verpflichtet, Kündigungsfristen und -termine für Arbeiter und Angestellte bis zum 30.6.1993 neu zu 25 S. Wank, DtZ 1990, S. 42 ff.; Arbeitsgruppe "Deutsches Arbeitsrecht", RdA 1990, S. 152. 26 S. Sozialbericht, BT-Drucks. 11/7527, S. 11. 27 BGBl. II 1990, S. 518. 28 BGBl. II 1990, S. 885. 29 S. zu den Einzelheiten Däubler, AiB 1990, S. 364 ff.; Lorenz, DB 1990, S. 3118 ff.; Schwedes, Das Arbeitsrecht der Gegenwart 28 (1991), S. 21 ff.; Wank, RdA 1991, S. 1 ff.; WlolzkelLorenz, BB Beil. Nr. 35/1990. 30 BVerfG, NJW 1990, S. 2246.

53 regeln.31 In diesem Zusammenhang zeigt sich, daß zwar nicht nach dem Buchstaben des genannten Beschlusses, wohl aber nach dessen Geist eine Fülle ähnlicher Fragen neu geregelt werden muß. In der Koalitionsvereinbarung für die 12. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages vom 16.1.1991 zwischen CDU, CSU und FDP heißt es unter I. 4.: "Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird die gesetzliche Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten im Arbeitsvertragsrecht sichergestellt. Das bezieht sich insbesondere auf die gesetzlichen Kündigungsfristen und die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall." II.

Arbeiter und Angestellte im Einigungsvertrag

Diese Erkenntnis wurde bereits im Einigungsvertrag bei den die Arbeiter und Angestellten betreffenden Vorschriften vorweggenommen. 1.

Individualarbeitsrecht

Wenn auch nach der Grundregel des Art. 8 des Einigungsvertrages grundsätzlich das Recht der Bundesrepublik seit dem 3. Oktober 1990 in der ehemaligen DDR gilt, so sind doch einige arbeitsrechtliche Vorschriften im Einigungsvertrag von der Übernahme ausgenommen worden. Dafür waren teils beschäftigungspolitische Gründe und teils solche des Überleitungsrechts maßgebend,32 aber auch verfassungsrechtliche Erwägungen. Da das Bundesverfassungsgericht die Regelung in § 622 BGB (und damit auch im Angestelltenkündigungsschutzgesetz) im Hinblick auf unterschiedliche Grundkündigungsfristen und verlängerte Kündigungsfristen (und damit implizit auch hinsichtlich der Grundkündigungstermine und der verlängerten Kündigungstermine) für verfassungswidrig erklärt hatte, konnten deshalb sowohl § 622 Abs. 2 BGB33 als auch das Angestelltenkündigungsschutzgesetz34 nicht in das Recht der ehemaligen DDR übernommen werden. Zwar hätte § 622 BGB im übrigen auch für die ehemalige DDR eingeführt werden können, doch hat man davon angesichts des Zwangs zu einer Neuregelung abgesehen.

31 Nach StahlhackelPreis, Kündigung, Rdnr. 1369 muß die Neuregelung bereits bis Ende 1992 abgeschlossen sein. 32 Erläuterungen, BT-Drucks. 11/7817, S. 135 f. 33 BGBl. II 1990, S. 1206. 34 BGBl. II 1990, S. 1020.

54 Soweit in anderen Vorschriften außerhalb des § 622 Abs. 2 BGB und des Angestelltenkündigungsschutzgesetzes unterschiedliche Regelungen für Arbeiter und Angestellte enthalten sind, hätte die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts angesichts ihres beschränkten Streitgegenstandes eine Übernahme nicht gehindert. Dennoch hat der Gesetzgeber des Einigungsvertrages auch an anderer Stelle davon abgesehen.35 Das gilt insbesondere für das Recht der Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle.36 Hierzu enthält das Recht der alten Bundesrepublik Deutschland eine unterschiedliche Regelung für Arbeiter und Angestellte. In der ehemaligen DDR galten aufgrund des EinigungsVertrages sowohl § 616 Abs. 2 und 3 BGB als auch, bis zum 1.7.1991, das Lohnfortzahlungsgesetz nicht. Vielmehr bleibt das ursprüngliche Recht der DDR - im Hinblick auf eine gesamtdeutsche Neuregelung - zunächst in Kraft. Die §§ 115a und 115c - e AGB wurden unbefristet übernommen.37 2.

Kollektives

Arbeitsrecht

Im Recht der betrieblichen Mitbestimmung und der Unternehmensmitbestimmung wurden in der DDR bereits nach dem Staatsvertrag, mit Wirkung vom 1.7.1990, das Betriebsverfassungsgesetz und die Mitbestimmungsgesetze eingeführt.38 Diese zunächst als DDR-Recht erlassenen Gesetze gelten seit dem Einigungsvertrag mit einigen Änderungen als bundesdeutsches Partikularrecht fort. Damit wurde auch in der ehemaligen DDR die Unterscheidung zwischen Arbeitern, Angestellten und leitenden Angestellten sowohl im Betriebsverfassungsrecht (und im Personalvertretungsrecht)39 als auch im Recht der Unternehmensmitbestimmung (wieder) eingeführt. Wenn dabei § 6 BetrVG eine eigenständige Definition des Angestellten enthält, so hat das gesetzgebungstechnische Ursachen; eine inhaltliche Neuregelung war damit nicht beabsichtigt.40

35 Erläuterungen, BT-Drucks. 11/7817, S. 136 (zu Abschnitt III Nr. 1 und Abschnitt III Nr. 4). 36 Dazu Erläuterungen, BT-Drucks. 1/7817, S. 155; Lorenz, DB DDR-Report 1990, S. 3118, 3119; Schmedes, Das Arbeitsrecht der Gegenwart 28 (1991), S. 21, 29 f.; Wank, RdA 1991, S. 1,7; Wlotzke/Lorenz, BB Beil. Nr. 35/1990, S. 1, 7. 37 BGBl. II 1990, S. 1207. 38 Schwedts, Das Arbeitsrecht der Gegenwart 28 (1991), S. 21, 25 ff; Wank, RdA 1991, S. 1 , 1 3 f.; Wlotzke/Lorenz, BB Beil. Nr. 35/1990, S. 1 , 3 , 5. 39 Wank, RdA 1991, S. 1,5. 4 0 Wank, RdA 1991, S. 1,13.

55 3. Sozialversicherungsrecht Auch im Gebiet der ehemaligen DDR ist inzwischen die gegliederte Sozialversicherung nach Krankenversicherung, Rentenversicherung, Unfallversicherung und Arbeitslosenversicherung eingeführt. Dabei gelten die gleichen Unterscheidungen zwischen Arbeitern und Angestellte wie im bundesdeutschen Recht.41 III.

Weitere Unterscheidungen innerhalb der Arbeitnehmerschaft

Das geltende Recht der alten Bundesrepublik Deutschland kennt innerhalb der beiden großen Gruppen der Arbeiter und Angestellten weitere Differenzierungen. Eine Überprüfung anhand des Art. 3 Abs. 1 GG kann an diesen zusätzlichen Fragen nicht vorbeigehen; denn wenn die Unterscheidung bei den Großgruppen verfassungswidrig sein sollte, wäre auch die Berechtigung der Unterscheidung bei den Untergruppen in Frage zu stellen. Dabei ist zu unterscheiden zwischen solchen unterschiedlichen Vorschriften für die Untergruppen, die in unterschiedlichen Gesetzen, teils auch in unterschiedlichen Formulierungen, materiellrechtlich dasselbe regeln und anderen, bei denen auch das materielle Recht Unterschiede aufweist. Bestehen Unterschiede im materiellen Gesetzesrecht, stellt sich die weitere Frage, ob und inwieweit sie im Wege der Auslegung beseitigt werden können und wo es bei materiellrechtlichen Differenzierungen verbleiben muß. Auf alle diese Fragen wird im jeweiligen Zusammenhang mit der Sachmaterie einzugehen sein. Innerhalb der Gruppe der Angestellten unterscheidet das geltende Arbeitsrecht die Untergruppen der kaufmännischen Angestellten und der gewerblichen Angestellten. 1. Kaufmännische Angestellte Das Recht der kaufmännischen Angestellten42 ist in den §§ 59 ff. HGB geregelt. Diese Vorschriften enthalten teils Parallelregelungen zu den für andere Arbeitnehmer geltenden Vorschriften nach den §§ 611 ff. BGB, teils aber auch eigenständige Regelungen. Obwohl das HGB grundsätzlich auch in den neuen Bundesländern übernommen wurde, gilt das nicht für die §§ 62 Abs. 2 - 4, 63, 64, 73, 75 Abs. 3, 75b Satz 2, 82a und 41 Wank, RdA 1991, S. 1,14 ff. 42 Schaub, Arbeitsrechts - Handbuch, § 12 III, S.45; Staudinger - Richardi, §§ 611 ff. BGB, Rdnr. 301; Baumbach/Duden/Hopl, §§ 59 ff. HGB.

vor

56 83 HGB.43 Das beruht teilweise auf verfassungsrechtlichen Gründen.44 So sind §75 Abs. 3 HGB und §74b Satz 2 HGB vom Bundesarbeitsgericht für verfassungswidrig erklärt worden.45 Insofern ist der Gesetzgeber - wenn er nicht eine Regelung überhaupt für entbehrlich hält - bereits für das Recht der alten Bundesrepublik zu einer Neuregelung verpflichtet. Hierbei zeigt sich, daß es im Grunde nicht um ein Sonderproblem der kaufmännischen Angestellten geht. Ein Wettbewerbsverbot wird zwar in erster Linie für kaufmännische Angestellte von Bedeutung sein, gilt aber im übrigen kraft Individualvertrages oder abgeleitet aus der Treuepflicht auch für andere Arbeitnehmergruppen. Eine sachgerechte Neuregelung müßte deshalb das Wettbewerbsverbot für alle Arbeitnehmer umfassen. Andere Vorschriften des HGB sind deshalb nicht in das Recht der früheren DDR übernommen worden, weil sie sich als im Recht der alten Bundesrepublik entbehrlich erwiesen haben. Das gilt für §§ 63, 64, 82a und 83 HGB.46 In das Recht der ehemaligen DDR übernommen wurden dagegen die Vorschriften über das Wettbewerbsverbot (§§ 60 f., 74 ff. HGB), über die Provision (§ 65 im. §§ 87 ff. HGB) und über die Vertretung (§§ 75e, h HGB). Auch diese Vorschriften sind nicht nur für kaufmännische Angestellte, sondern allgemein für Angestellte von Bedeutung. Bei einer Neuregelung müßten sie auf alle Arbeitnehmer erstreckt werden. 2.

Technische

Angestellte

Innerhalb der Gruppe der gewerblichen Arbeitnehmer enthalten §§ 133 c - f GewO Sondervorschriften für "technische Angestellte",47 betreffend Lohnfortzahlung, Lohnüberzahlung und nachvertragliches Wettbewerbsverbot.48 Auch in diesen Fällen gibt es keinen sachlichen Grund, Sondervorschriften für gewerbliche Angestellte zu schaffen, da die gleichen Fragen auch bei anderen Arbeitnehmergruppen auftreten. So ist nicht einzusehen, warum bei einem gewerblichen Arbeitnehmer nach § 119a GewO nur ein Viertel des Lohns einbehalten werden darf, bei einem 43 44 45 46 47

BGBl. II 1990, S. 959,1020. S. Erläuterungen, BT-Drucks. 11/7817, S. 53 f., 136 (zu Abschnitt III Nr. 2). BAG AP Nr. 6 zu § 75 HGB; AP Nr. 32 zu § 74 HGB; AP Nr. 14 zu § 75b HGB. Wank, RdA 1991, S. 1,6. Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, § 12 II, S. 44; Staudinger-Äj'cAardi, vor § 611 ff. BGB.Rdnr.295. 48 Zur Geltung in den neuen Bundesländern s. Erläuterungen, BT-Drucks. 11/7817, S. 136 (zu Abschnitt III Nr. 3); Wank, RdA 1991, S. 1,6.

57

technischen Angestellten nach § 119a i.V.m. § 133e GewO dagegen ein beliebig hoher Betrag. 3. Gewerbliche Arbeitnehmer Neben den Gruppen der Arbeiter und der Angestellten kennt das Recht der Gewerbeordnung die weitere Gruppe der "gewerblichen Arbeitnehmer".49 Sie werden durch einen Klammerzusatz des Gesetzes definiert als "Gesellen, Gehilfen, Lehrlinge, Betriebsbeamte, Werkmeister, Techniker und Fabrikarbeiter". Damit verläuft diese Gruppe quer zu derjenigen der Arbeiter und Angestellten. Für "Lehrlinge" findet sich eine Sonderregelung im Berufsbildungsgesetz, der Ausdruck "Betriebsbeamte" bezeichnet heutige Angestellte, "Werkmeister" und "Techniker" dürften überwiegend den Angestellten zuzurechnen sein, während "Fabrikarbeiter" in die heutige Gruppe der Arbeiter gehören. In das Recht der ehemaligen DDR wurden mehrere Vorschriften aus diesem Bereich nicht übernommen, nämlich §§ 105,113 - 114d, 115a, 119a, 133c - 133f.50 Wenn diese Vorschriften als überflüssig oder überholt angesehen werden, dann muß diese Bewertung in gleicher Weise für das Recht der alten Bundesrepublik gelten. Es stellt sich also anhand des Art. 3 Abs. 1 GG die Frage, ob der Gesetzgeber eine von ihm als überholt angesehene Regelung für eine Teilgruppe von Arbeitnehmern in einem Teilgebiet seines Staates aufrechterhalten darf. D.

Rechtsvergleichung

Ob eine Regelung des nationalen Rechts sachlich gerechtfertigt ist, kann auch im Wege der Rechtsvergleichung geprüft werden: Wird dieselbe Frage auch in anderen Rechtsordnungen problematisiert und sind die Problemlösungen unterschiedlicher Rechtsordnungen mit dem nationalen Recht vergleichbar, so spricht das dafür, daß Problem und Lösung in der Sache begründet sind. Deshalb soll im folgenden untersucht werden, inwieweit die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten auch in ausländischen Rechtsordnungen anzutreffen ist. Dabei kann zwischen Rechtsordnungen unterschieden werden, in denen diese Differenzierung noch ausgeprägt vorhanden ist, und anderen, die diese Differenzierung beseitigt oder so gut wie beseitigt haben. Im fol49 Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, § 12 II, S. 44; Staudinger-ÄicAardi, vor §§ 611 BGB, Rdnr. 201; Wank, RdA 1991, S. 1,6. 50 Erläuterungen, BT-Drucks. 11/7817, S. 136 (zu Abschnitt II Nr. 3); Wank, RdA 1991, S. 1,6.

58 genden werden jeweils einige Rechtsordnungen als Beispiele ausführlicher vorgestellt, einige andere nur im Überblick. I.

Rechtsordnungen mit Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten

Als Beispiele für die erste Gruppe sollen die Arbeitsrechtsordnungen Österreichs und Frankreichs vorgestellt werden. 1. Österreich Der deutschen Rechtsordnung steht die Österreichs nahe. Das österreichische Recht kennt keine gesetzliche Definition des Arbeitnehmers, geht aber in ähnlicher Weise vom "Arbeitnehmer" als Oberbegriff aus, der dem des "freien Dienstnehmers" entgegengesetzt ist. 51 Auch im österreichischen Arbeitsrecht gibt es die drei Untergruppen Arbeiter Angestellte 52 leitende Angestellte. 53 Zur Abgrenzung zwischen Arbeitern und Angestellten ist von §§ 1 und 2 des Angestelltengesetzes auszugehen. 54 Angestellte 55 sind Arbeitnehmer, die im Betrieb von Kaufleuten und sonstigen Gewerbetreibenden und diesen Gleichgestellten angestellt sind. Hierzu gehören ferner Beschäftigte bei Vereinen, Stiftungen, Unternehmen nach der Gewerbeordnung, Banken, Versicherungen usw. Arbeitnehmer, die nicht Angestellte sind, sind Arbeiter. Die Arbeitszeit des Angestellten muß "mindestens ein Fünftel des 4,3fachen der durch Gesetz oder Kollektivordnung vorgesehenen wöchentlichen Normalarbeitszeit betragen", also bei einer 40-Stunden-Woche mindestens 8 Stunden in der Woche. Innerhalb der Gruppe der Angestellten unterscheidet das Gesetz Arbeitnehmer, die beschäftigt sind mit kaufmännischen Diensten Kanzleiarbeiten und anderen Diensten höherer Art. 56 51 Floretta/Spielbüchler/Strasser, Arbeitsrecht Bd. I, S. 13 ff.; Mayer-Maly, Erwerbsabsicht und Arbeitnehmerbegriff; Mayer-Maly/Marhold, Österreichisches Arbeitsrecht, Bd. I, S. 44; Tomandl, Wesensmerkmale. 52 Floretta/Spielbüchler/Strasser, Arbeitsrecht Bd. I, S. 31 f., 33 ff. 53 Floretta/Spielbüchler/Strasser, Arbeitsrecht Bd. I, S. 37; Mayer-Maly, ZAS 1974, S. 203 f. 54 (österreichisches) BGBl. 1921, S. 292. 55 Mayer-Maly, Arbeiter und Angestellte, 1969; Spielbüchler, ZAS 1969, S. 1 ff. 56 Floretta/Spielbüchler/Strasser, Arbeitsrecht Bd. I, S. 35 f.

59 Die Abgrenzung der leitenden Angestellten gegenüber den übrigen Angestellten erfolgt je nach Gesetz unterschiedlich. Materiellrechtlich wirkt sich der Unterschied zwischen Arbeitern und Angestellten bei der Lohnfortzahlung und bei der Kündigung aus. So gilt für Angestellte folgende Staffelung für die Lohnfortzahlung bei Dienstverhinderung, § 8 Angestelltengesetz:57 Dienstjahre unter 5 Jahren nach 5 Jahren nach 15 Jahren nach 25 Jahren

Lohnfortzahlung für 6 Wochen volles Entgelt weitere 4 Wochen halbes Entgelt 8 Wochen 10 Wochen 12 Wochen

Die entsprechende Regelung für Arbeiter58 findet sich im Entgeltfortzahlungsgesetz:59 Dauer des Arbeitsverhältnisses 2 Wochen nach 5 Jahren nach 15 Jahren nach 25 Jahren

Lohnfortzahlung für 4 Wochen 6 Wochen 8 Wochen 10 Wochen

Für Kündigungen60 besteht folgende Staffelung: Nach § 77 der Gewerbeordnung von 1859 und nach § 1159 c des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs (ABGB) gilt bei gewerblichen Hilfsarbeitern eine Kündigungsfrist von vierzehn Tagen für beide Teile (nach der Gewerbeordnung dispositiv, nach dem ABGB zwingend). Für die Kündigung durch Angestellte ist eine einmonatige Kündigungsfrist zum letzten des Monats einzuhalten, § 20 Abs. 4 Angestelltengesetz. Für die arbeitgeberseitige Kündigung gegenüber Angestellten gilt eine Kündigungsfrist von sechs Wochen (bis zu fünf Monaten) zum Ende des Kalendervierteljahres. Für 57 Floretta/Spielbüchler/Strasser, Arbeitsrecht Bd. I, S. 152 f.; Mayer-Malyl Marhold, Österreichisches Arbeitsrecht, S. 126. 58 Floretta/Spielbüchler/Slrasser, Arbeitsrecht Bd. I, S. 153; Mayer-Maly/Marhold, Österreichisches Arbeitsrecht, S. 127. 59 (österreichisches) BGBl. 1974, S. 399. 60 Floretta/Spielbüchler/Slrasser, Arbeitsrecht Bd. I, S. 192 ff.; Mayer-Malyl Marhold, Österreichisches Arbeitsrecht, S. 168 f.; s. im einzelnen auch u. 5. Kap. D i l .

60 Dienste höherer Art gilt eine Kündigungsfrist von vier Wochen, wenn die Erwerbstätigkeit den Dienstnehmer hauptsächlich in Anspruch nimmt und das Beschäftigungsverhältnis schon mindestens drei Monate gedauert hat. Als Beispiel für den romanischen Rechtskreis soll im folgenden die Lage in Frankreich dargestellt werden. 2.

Frankreich

Als Oberbegriff enthält das französische Recht den Begriff des Arbeitsverhältnisses = "contrat du travail", 61 wobei als zusammenfassende Bezeichnung für abhängig Beschäftigte auch der Begriff des Arbeitnehmers = "salarier" 62 gebräuchlich ist. Innerhalb dieser Gesamtgruppe werden, ähnlich wie im deutschen Recht, drei Untergruppen unterschieden, - Arbeiter - "ouvriers" - Angestellte -"employées" und - leitende Angestellte -"cadres" 63 . Dabei kennt das französiche Recht innerhalb dieser Gruppen wiederum Untergruppen, und zwar bei den Arbeitern - ungelernte Arbeiter - "ouvriers ordinaires" - angelernte Arbeiter - "ouvriers spécialisés" - Facharbeiter - "ouvriers qualifiés" - qualifizierte Facharbeiter - "ouvriers hautement qualifiés" 64 . Innerhalb der Gruppe der Angestellten, auch "collaborateurs" 65 genannt, gibt es die - "agents de maîtrise" und die - "techniciens". Schließlich gibt es die Gruppe der leitenden Angestellten 66 , untergliedert in - "cadres par titre", also aufgrund Berufsausbildung, und - "cadres par délégation", also durch Ernennung.

61 Camerlynck/Lyon-Caen/Pélissier, Droit du travail, S. 173 ff. 62 Camerlynck/Lyon-Caen/Pélissier, Droit du travail, S. 7; Javillier, Manuel de droit du travail, S. 17 ff. 63 Camerlynck/Lyon-Caen/Pélissier, Droit du travail, S. 90; Rivero/Savatier, Droit du travail, 9. Aufl., Paris 1984, S. 97. 64 Camerlynck/Lyon-Caen/Pélissier, Droit du travail, S. 93 ff. 65 Rivero/Savatier, Droit du travail, S. 97. 66 Camerlynck/Lyon-Caen/Pélissier, Droit du travail, S. 94; s. auch Birk, RdA 1988, S. 211 ff.

61 Die Abgrenzung zwischen Arbeitern und Angestellten wird, ähnlich wie in Deutschland, danach vollzogen, ob manuelle Arbeit geleistet wird. 67 Unterschiede im Arbeitsrecht der Arbeiter und Angestellten finden sich in folgenden Bereichen: - Lohnfortzahlung bei Betriebsstörung - Lohnfortzahlung bei Krankheit - Lohnfortzahlung bei Mutterschaft - Anrechnung von Beschäftigungszeiten - Kündigungsfristen - Lohnsysteme. Vor allem in Tarifverträgen sind Unterschiede verbreitet. 68 Unterschiede ergeben sich auch im Hinblick auf die Organe der Mitbestimmung und auf die Wahlen betr. prud'hommes im Hinblick auf Arbeiter und Angestellte einerseits, leitende Angestellte andererseits. 69 3. Belgien In Belgien ist die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten wichtig für folgende Gebiete: Kündigungsfristen, Probezeit und Lohnfortzahlung, ferner für Arbeitnehmervertretungen und Gewerkschaftsorganisation sowie für die Einteilung der Arbeitsgerichte in verschiedene Kammern. Leitende Angestellte erscheinen in einigen Gesetzen sowie in Tarifverträgen als eigene Gruppe. 70 4. Dänemark Das Angestelltengesetz (Funktionaerlov, FL) gilt gemäß seinem § 1 nur für Angestellte, seine Regelungen werden teilweise aber auch auf andere Arbeitnehmer angewandt. Die Angestellten sind gegenüber Arbeitern besser gestellt, so z.B. in § 5 Abs. 2 FL durch Kündigungsschutz nach Krankheit. 71 5. Italien Das italienische Arbeitsrecht kennt vier Arbeitnehmerkategorien, nämlich: - Arbeiter 67 CamerlynckJLyon-Caen/Pélissier, Droit du travail, S. 92 f. 68 CamerlyncklLyon-Caen/Pélissier, Droit du travail, S. 91; Kronke, Regulierungen, S. 62. 69 Rivero/Savatier, Droit du travail, S. 97 f. 70 Kronke, Regulierungen, S. 42; Nyssen, Länderbericht Belgien. 71 Kronke, Regulierungen, S. 50 f.

62 - gewöhnliche Angestellte - Angestellte des mittleren Managements (cadri) - leitende Angestellte (dingend), Art. 2095 Abs. 1 Cod. civ. 72 II.

Rechtsordnungen ohne Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten

1. DDR Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß die ehemalige DDR die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten weitgehend beseitigt hatte. 2. Schweiz Eine ähnliche Entwicklung läßt sich auch für das schweizerische Arbeitsrecht feststellen. Im Arbeitsrecht der Schweiz wird ebenfalls zwischen Arbeitnehmern und Selbständigen unterschieden, wobei allerdings auch hier die terminologische Zusammenfassung zum Begriff des Selbständigen noch aussteht.73 Innerhalb der Arbeitnehmerschaft wurde auch in der Schweiz früher zwischen Arbeitern und Angestellten in mehreren Vorschriften differenziert, und zwar in Art. 55 OR, Haftung des Geschäftsherrn Art. 101 OR, Haftung für Hilfspersonen Art. 128 OR, Verjährung von Forderungen Art. 333 OR, Lohnzahlungstermine und Art. 347 OR, Kündigung. Danach galten jeweils unterschiedliche Lohnfortzahlungs- und Kündigungsfristen. Diese Unterscheidungen sind inzwischen beseitigt worden. Das Arbeitsgesetz74 verwendet einheitlich den Ausdruck "Arbeitnehmer".75 Teilweise gelten besondere Vorschriften für "kaufmännische, technische und andere Angestellte", so in 72 Kronke, Regulierungen, S. 81; zur Kündigungsfrist s. u. 5. Kap. D I 5, zur Lohnfortzahlung u. 6. Kap. E IV. 73 M. Rehbinder, Schweizerisches Arbeitsrecht, S. 23. 74 Bundesgesetz vom 13. März 1964 über die Arbeit in Industrie, Gewerbe und Handel (Arbeitsgesetz) nebst Verordnungen I und II vom 14. Januar 1966 und Verordnung III vom 26. März 1969, Systematische Sammlung des Bundesrechts (SR)

822.11.

75 Bigler, Kommentar zum Arbeitsgesetz, Art. 1 ArG, Anm. 5; Kronke, rungen, S. 140 f.

Regulie-

63 Art. 9 Abs. 1 und 5 AiG, wöchentliche Höchstarbeitszeit Art. 317 Abs. 1 Buchst, c ArGVO I, Verlängerung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit. So gilt für Arbeitnehmer in der Industrie sowie für Büropersonal, technische und andere Angestellte grundsätzlich eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von 45 Stunden und für alle übrigen Arbeitnehmer von 50 Stunden. Im übrigen sind Arbeiter und Angestellte einander gleichgestellt. Beseitigt sind also die Unterschiede bei der Lohnfortzahlung, 76 im Kündigungsiecht 77 und beim Konkurrenzverbot. 78 Bei der Nachtarbeit wird weder zwischen Arbeitern und Angestellten noch zwischen Männern und Frauen unterschieden: Sie ist nach Art. 16 ArG grundsätzlich verboten. 79 Die Unterscheidung zwischen den Arbeitnehmergruppen kommt rudimentär auch noch in der Organisation der Gewerkschaften zum Ausdruck. Die meisten Arbeitnehmer sind Mitglieder eines der Zentralverbände des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, die nach dem Industrieverbandsprinzip organisiert sind. Unter den Spitzenverbänden der Minderheitsgewerkschaften ist die "Vereinigung Schweizerischer Angestelltenverbände" zu nennen, die immerhin ein Drittel der Mitgliederzahl des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes hat. 3. England Das englische Recht kennt, wie die anderen Rechtsordnungen, die Abgrenzung zwischen den Arbeitnehmern auf der einen Seite und den Selbständigen auf der anderen Seite. Der Selbständige wird als "independent contractor" oder als "self-employed" bezeichnet.80 Andere Abgrenzungen betreffen den "partner", den "agent" und den "director".81 Der Arbeitnehmer wird im englischen Recht üblicherweise "employee" genannt.82 Daneben gibt es ähnliche Ausdrücke, wie "worker", so in sec. 30 (1) TULRA 197483 u n ( i s e c . 28 Wages Councils Act 1979. Der Aus76 77 78 79 80 81 82 83

Rehbinder, Schweizerisches Arbeitsrecht, S. 64 ff. Rehbinder, Schweizerisches Arbeitsrecht, S. 100 ff. Rehbinder, Schweizerisches Arbeitsrecht, S. 112 ff. Art. 9 ArG und VO vom 26. November 1975; Rehbinder, Schweizerisches Arbeitsrecht, S. 133 f. Drake, Labour Law, S. 5; Lord Wedderburn, The worker and the law, S. 110. Drake, Labour Law, S. 10 f. Drake, Labour Law, S. 5. S. die Zusammenstellungen bei Drake, Labour Law, S. 9; Wedderburn, The worker and the law, S. 119.

64 druck "workman" schließlich wird in sec. 8 Industrial Courts Act 1919 verwandt. Innerhalb der Gruppe der Arbeitnehmer ist als Untergruppe die der "office-holder"84 zu erwähnen, die aber im Rahmen der vorliegenden Untersuchung außer Betracht bleiben kann. Die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten war im TruckRecht enthalten, und zwar im Truck Act von 1831 ebenso wie noch im Payment of Wages Act i960. 85 Diese Gesetze nennen als Adressaten den "artificer", ein Ausdruck, der seit langem den mit manueller Arbeit jeder Art Beschäftigten bezeichnet. Die Truck-Gesetze bestimmen u.a., daß dem Arbeiter sein Entgelt nicht in Naturalien ausgezahlt werden darf. Die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten wurde jedoch als überholt angesehen und beispielsweise von Kahn-Freund "an absurd atavistic freak" genannt.86 In der Wages Bill 1986 wurde sie beseitigt. So gibt es im heutigen englischen Recht weder hier noch in anderen Bereichen unterschiedliche gesetzliche Regelungen für Arbeiter und Angestellte, auch nicht im Recht der Lohnfortzahlung87 oder im Recht der Kündigung.88 Allerdings können für "höhere Angestellte" im Rahmen der Treuepflicht erhöhte Pflichten bestehen.89 Differenzierungen ergeben sich im übrigen in Tarifverträgen und in der Rechtsprechung.90 4.

Niederlande,

Portugal und Spanien

Das niederländische Arbeitsrecht unterscheidet nicht zwischen Arbeitern und Angestellten,91 ebensowenig das portugiesische Recht.92 Auch das spanische Recht geht von einem einheitlichen Arbeitnehmerbegriff aus. Besondere Vorschriften gelten nur für "Arbeitsverhältnisse mit speziel-

84 85 86 87 88 89 90

Drake, Labour law, S. 10. Drake, Labour law, S. 103 f.; Wedderburn, The worker and the law, S. 386 ff. Kahn-Freund, Labour and the law, S. 50. Drake, Labour law, S. 60 ff. Drake, Labour law, S. 121 ff.; Wedderburn, The worker and the law, S. 172 ff. Wedderburn, The worker and the law, S. 181. S. aus der Rechtsprechung Ready Mixed Concrete (South East) Ltd. v. Minister of Pensions and National Insurance (1968), 2 Q.B. 496; Market Investigations Ltd. v. Minister of Social Security (1969), 2. Q.B. 173; Lee v. Chung (1990) I.C.R. 409; (1990) I.R.L.R. 237 (P.C.) m. Anm. Pitt, Industrial Law Journal 19 (1990), S. 252 ff.; ferner Kronke, Regulierungen, S. 181. 91 Kronke, Regulierungen, S. 117. 92 Kronke, Regulierungen, S. 130.

65 lern Charakter", Art. 2 Estatuto de los Trabajadores, wie z.B. die leitenden Angestellten, Dekret 1382/1985.93 E.

Zusammenfassung zum 3. Kapitel

Die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten im deutschen Recht kann gegen das Grundgesetz, vor allem gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen, dagegen verstößt diese Unterscheidung als solche nicht gegen EG-Recht. Ein derartiger Verstoß kann sich vielmehr nur im Hinblick auf das gemeinschaftsrechtliche Gleichberechtigungsgebot und im Hinblick auf den deutschen Gleichberechtigungssatz ergeben. Der Einigungsvertrag läßt erkennen, daß dem Gesetzgeber über die konkret vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fragen hinaus die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten insgesamt, also z.B. im Lohnfortzahlungsrecht, als fragwürdig erscheint, ebenso auch die weiteren Untergliederungen in Untergruppen der Arbeiter und Angestellten. Ausländische Rechtsordnungen weisen teils eine ähnliche Abgrenzung zwischen Arbeitern und Angestellten und ähnliche Rechtsfolgen auf, teils ist die Differenzierung ganz oder so gut wie ganz beseitigt.94

93 Kronke, Regulierungen, S. 149. 94 Kronke, Regulierungen, S. 194.

2. Teil: Arbeitsrecht 1. Abschnitt: Allgemeines 4. Kapitel: Einführung A.

Das Schrifttum zur Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten

Bis vor einigen Jahren wurde im deutschen Recht die Untergliederung der Arbeitnehmerschaft in Arbeiter und Angestellte problemlos hingenommen. Allerdings gibt es seit längerem die gewerkschaftliche Forderung, für Angestellte bestehende günstigere Rechtspositionen auf Arbeiter zu erstrecken.1 Das wurde jedoch lange Zeit nur als rechtspolitisches Anliegen verstanden. Erst in jüngster Zeit wurde die Differenzierung aus rechtlichen Gründen infrage gestellt. Insoweit sind zwei Ansätze erkennbar. Die konkrete Unterscheidung knüpft an die Kriterien des Sozialversicherungsrechts an. Hier erwies es sich zunehmend als schwieriger, überzeugende Begründungen dafür zu finden, warum gerade dieser Beruf zu den Arbeiterberufen und jener zu den Angestelltenberufen zu rechnen sei.2 Deshalb wurde im Schrifttum vereinzelt die Auffassung vertreten, eine nachvollziehbare und willkürfreie Unterscheidung sei nicht möglich, so daß schon aus diesem Grunde die Unterscheidung aufgegeben werden müsse. 3 Dem läßt sich allerdings entgegenhalten, daß es im Grunde überhaupt keine trennscharfen Begriffe gibt. Solange also die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten im Kern berechtigt ist und jedenfalls für bestimmte Fälle zweifelsfrei vollzogen werden kann, ist es aus Gründen des Art. 3 Abs. 1 GG nicht entscheidend, daß Zweifelsfälle bestehen. 4 1 Vgl. die Stellungnahme des DGB in BVerfGE 62, S. 256, 269 ff.; Entschließung 153 "Arbeitsgesetzbuch", 10. Ordentlicher DGB-Bundeskongreß; zur Tarifpolitik Entschließung 23 "Angestelltenpolitik", 13. Ordentlicher Gewerkschaftstag der IG Metall. 2 Höfer, in: Hromadka, Gleichstellung, S. 80 ff. 3 Brill, DB 1981, S.316; Lipke, DB 1983, S. 111; Schelp, BB 1960, S. 1339 ff.; Trieschmann, Festschrift für Herschel, S. 421 ff.; Wiotzke, RdA 1963, S. 2 ff. 4 Vgl. Wank, Begriffsbildung, S. 17 ff.

68 Ein anderer Ansatz in der Literatur geht dahin, die Differenzierung zwischen Arbeitern und Angestellten in der Sache als überholt zu kennzeichnen. Dieser Ansatz wird sowohl in der pauschalen Form vertreten, daß die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten grundsätzlich abzuschaffen sei oder jedenfalls, daß tendenziell darauf hinzuarbeiten sei, als auch in der Form, daß jedenfalls in bestimmten Bereichen die Differenzierung nicht sachlich begründet sei.5 Demgegenüber wird auch weiterhin die Ansicht vertreten, die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten sei sinnvoll und sachlich gerechtfertigt; sei es generell, sei es für die jeweils behandelten Bereiche. 6 Allerdings fehlt es bisher an einer Untersuchung, die sich auf den gesamten Bereich des Arbeits- und des Sozialversicherungsrechts im Hinblick auf die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten bezieht. B.

Die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten im Arbeitsrecht, Vorbemerkung

Im folgenden ist nur auf diejenigen arbeitsrechtlichen Gesetze einzugehen, die auch heute noch eine Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten vornehmen. Dabei ist zwischen Gesetzen zu unterscheiden, die nur die entsprechenden Begriffe verwenden, daran aber keine unterschiedlichen Rechtsfolgen anknüpfen, und anderen, bei denen mit der Differenzierung auch andere Rechtsfolgen verbunden sind. Getrennt aufgeführt werden Arbeiter und Angestellte in einigen Gesetzen, die den Arbeitnehmerbegriff gegen den Begriff des Selbständigen abgrenzen. 7 Das Gesetz kann dann formulieren: "Dieses Gesetz gilt für Arbeitnehmer", oder "Dieses Gesetz gilt für Arbeitsverhältnisse". In dieser Weise wird z.B. in § 1 ArbPlSchG, § 1 JArbSchG, § 1 AÜG oder §611a BGB verfahren. Andere Gesetze definieren den Arbeitnehmerbegriff extensional in der Weise, daß sie die ihm unterfallenden drei Gruppen "Arbeiter und Angestellte sowie die zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten" nennen, wie § 2 BUrlG, § 5 Abs. 1 ArbGG, § 17 Betr5 S. z.B. Hanau, Festschrift der rechtswissenschaftlichen Fakultät, S. 183, 184; Hromadka, Das Arbeitsrecht der Gegenwart 21 (1984), S. 49 ff; Nikisch, Neuabgrenzung, S. 16 ff.; Söllner, Arbeitsrecht, § 4 11. 6 Falkenberg, Das Arbeitsrecht der Gegenwart 7 (1970), S. 59, 64 ff.; Thomas, in: Hromadka, Gleichstellung, S. 43 ff. 7 Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, S. 5 ff.

69 AVG oder § 5 Abs. 1 BetrVG. Daß in einer extensionalen Definition 8 auf die Unterscheidung bezug genommen wird, ist rechtlich unerheblich. Selbst wenn man das Differenzierungsverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG in einem weitesten Sinne versteht,9 können derartige Formulierungen zwar als anachronistisch, nicht aber als gleichheitswidrig angesehen werden. Die folgende Untersuchung befaßt sich daher nur mit denjenigen Bereichen, in denen aus der Differenzierung unterschiedliche Folgen abgeleitet werden. Das sind im Individualarbeitsrecht das Kündigungsrecht, das Lohnfortzahlungsrecht und das Recht der Wettbewerbsverbote; hier ist auch das Nachtarbeitsverbot und der Frühschluß vor Sonn- und Feiertagen für Arbeiterinnen zu nennen.

2. Abschnitt: Individualarbeitsrecht Die weitere Untersuchung geht zunächst nur auf das Individualarbeitsrecht ein. Hier ist die Interessenlage zunächst noch überschaubar. Zu vergleichen ist die Rechtslage zwischen Arbeitern und Angestellten. Die Konsequenzen einer Neuregelung für die Arbeitgeber und für den Gesetzgeber sind zu bedenken. Demgegenüber kommen im kollektiven Arbeitsrecht weitere Abwägungsgesichtspunkte ins Spiel, auf die unten einzugehen sein wird (s. unten 3. Abschnitt).

8 Dazu Wank, Begriffsbildung, S. 35 ff. 9 Vgl. zu Art. 3 Abs. 2 GG Sachs, Grenzen des Diskriminierungsverbots.

5. Kapitel: Das Kündigungsrecht Unter den in dieser Schrift untersuchten Regelungen mit Differenzierung zwischen Arbeitern und Angestellten nimmt das Kündigungsrecht eine besondere Stellung ein. Nur für diesen Bereich liegen zwei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vor, die sich zwar nur zu bestimmten Fragen äußern, aber verallgemeinerungsfähige Gedanken enthalten. Wegen dieser Vorgaben braucht in diesem Bereich die Verfassungswidrigkeit der Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten nicht in gleichem Umfang selbständig überprüft zu werden wie in anderen Fällen. A.

Die Systematik des Kündigungsrechts

Das Kündigungsrecht setzt sich aus mehreren Grundkomponenten zusammen, und zwar aus Vorschriften über: - Kündigungserklärung - Kündigungsgrund - Kündigungsfrist - Kündigungstermin - Kündigungsverfahren. Im Hinblick auf Kündigungserklärung und Kündigungsgrund stimmen die Regelungen für Arbeiter und Angestellte überein. Das geltende Recht differenziert demgegenüber bei den Kündigungsfristen und den Kündigungsterminen sowie im Hinblick auf das Verfahren in bezug auf die Zulässigkeit von Abweichungen vom geltenden Recht. In der folgenden Untersuchung geht es daher in erster Linie speziell um Kündigungsfristen und um Kündigungstermine, aber auch um die übrigen Differenzierungen. B.

Die historische Entwicklung des Kündigungsrechts

I.

Der Zusammenhang zwischen historischer Entwicklung und rechtlicher Würdigung

Die historische Entwicklung einer Differenzierung zwischen Normadressaten spielt im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG in mehrfacher Hinsicht eine Rolle. Zum einen muß bei der Prüfung nach Art. 3 Abs. 1 GG ein Sinnzusammenhang zwischen dem Differenzierungsziel und den Differen-

71 zierungskriterien untersucht werden. Für diesen Zweck ist es zunächst erforderlich, den "Sinn und Zweck des Gesetzes" bezogen auf diese Unterscheidung zu ermitteln. Dieses Vorgehen bezieht sich einmal auf das in der Methodenlehre bekannte "Auslegungsziel"1 und zum anderen auf eines der vier in der Methodenlehre als verbindlich anerkannten Auslegungskriterien, nämlich auf die historische Auslegung. 2 Beide stehen in einem engen Verbund. Bei der historischen Auslegung geht es um die Feststellung der geschichtlichen Entwicklung hin zu einem Gesetz. Gewicht und Bedeutung dieser Feststellung hängen dann davon ab, ob man beim Auslegungsziel der subjektiven oder der objektiven Theorie folgt und innerhalb dieser Theorien jeweils dem entstehungszeitlichen oder dem geltungszeitlichen Ansatz. 3 Das bedeutet: In manchen Fällen läßt sich eindeutig ermitteln, aus welchem Grund ein Gesetz geschaffen wurde. Hat sich an dem Grund nichts geändert, so sind die historischen Motive des Gesetzgebers auch heute noch für die Feststellung der Gesetzeszwecke maßgeblich. Haben sich allerdings Sach- und Rechtslage oder die Willensrichtung des heutigen Gesetzgebers geändert, so muß - je nach Auslegungstheorie - untersucht werden, was der heutige Sinn des Gesetzes in Abweichung von der ursprünglichen Zielvorstellung des Gesetzgebers ist. Die historische Entwicklung ist des weiteren von Bedeutung, wenn es um die Berechtigung des Differenzierungskriteriums nach Art. 3 Abs. 1 GG geht. Zwar kann die Tatsache, daß etwas "immer schon so war", für sich allein keinen Rechtfertigungsgrund abgeben. 4 Jedoch können sich daraus im Hinblick auf die Betroffenen Vertrauensgesichtspunkte ableiten lassen; im Hinblick auf den Gesetzgeber können sich Rechtfertigungsgründe für Übergangsregelungen ergeben. Schließlich muß bei einem Vorschlag für eine Neuregelung berücksichtigt werden, auf welche Dauer eine Regelung zurückblicken kann, weil dann aus Gedanken des Vertrauensschutzes einer Neuregelung nicht so leicht das Wort geredet werden kann. Unter diesen Aspekten sind die folgenden Ausführungen zur historischen Entwicklung des Kündigungsrechts zu sehen. Dabei wird zunächst allein der historische Ablauf dargestellt. Soweit es um die Begründung des historischen Gesetzgebers geht, wird darauf im jeweiligen Sachzusammenhang später eingegangen. 1 2 3 4

S. Bydlinski, Methodenlehre, S. 428 ff. S. Bydlinski, Methodenlehre, S. 449 ff. Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 64 ff. S. oben 2. Kap. A 12 b.

72 II.

Darstellung der historischen Entwicklung des Kündigungsrechts

Bis etwa zur Zeit des Ersten Weltkrieges unterlag die Kündigung keinen materiellen Einschränkungen, sondern allein dem Willen der Parteien. Lediglich Kündigungsfristen gab es als formale Schranken schon seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. Sie dienten jedoch nicht dem Schutz des Arbeitnehmers, sondern hatten lediglich Ordnungsfunktion. Der Arbeitgeber konnte so die Neubesetzung einer Stelle rechtzeitig planen, wenn ein Arbeitnehmer eine Kündigung aussprach.5 Bereits die preußische Gewerbeordnung vom 17.1.18456 sah eine vierzehntägige beiderseitige Kündigungsfrist vor. Sie galt gem. § 139 PrGewO für Gesellen und Gehilfen und gem. § 145 PrGewO entsprechend für Fabrikarbeiter. Das Königlich Sächsische Gewerbegesetz von 18617 legte in § 65 die Auslohnungsfrist als Kündigungsfrist fest. Gem. § 86 GewG galt diese Frist auch für kaufmännisches Hilfspersonal, soweit das Handelsrecht nichts anderes bestimmte. Die Auseinanderentwicklung der Regelungen für Arbeiter und Angestellte setzte bereits 1861 ein. Im ADHGB von 18618 wurde Handlungsgehilfen eine Kündigungsfrist von sechs Wochen zum Ende eines Kalendervierteljahres eingeräumt. Für die gewerblichen Arbeitnehmer wurden zunächst die Regelungen der preußischen Gewerbeordnung inhaltlich in die Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes von 18699 übernommen. Gem. § 110 NdGewO galt die Vierzehntagesfrist für Gesellen und Gehilfen sowie gem. § 127 auch für Fabrikarbeiter. Für Werkmeister, also für höhere Angestellte, enthielt § 126 NdGewO10 einen Vorbehalt. Danach war § 110 NdGewO auf sie nicht anwendbar. Bei ihnen regelte sich die Kündigung nach den allgemeinen Regeln des Bürgerlichen Rechts. Die Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes wurde mit Gesetz vom 10.11.187111 für das gesamte Reichsgebiet übernommen.

5 6 7 8 9 10 11

Göller, Kündigungsschutzrecht, S. 26. Gesetzessammlung Preußen, 1845, S. 41. Zitiert nach Königsheim (Hrsg.), Königlich Sächsisches Gewerbegesetz. RGBl. 1869, S. 404 ff. RGBl. 1869, S. 245. RGBl. 1869, S. 262. RGBl. 1871, S. 392.

73

Der Vorbehalt zugunsten der Werkmeister trat mit der Novelle zur Gewerbeordnung vom 17.7.187812 außer Kraft. Nachdem in der Folgezeit die für höhere Angestellte geltende Fristenregelung problematisch geworden war, regelte das Gesetz vom 1.6.189113 die Fristen für gewerbliche Angestellte neu. Für Gehilfen, Gesellen und Fabrikarbeiter galt gem. § 12214 und § 13415 weiterhin eine Kündigungsfrist von vierzehn Tagen. Für Betriebsbeamte, Werkmeister u.a. sowie für Maschinentechniker, Bautechniker, Chemiker, Zeichner u.a. galt nach dem neu eingeführten § 133 a GewO16 eine Kündigungsfrist von sechs Wochen zum Ende eines Kalendervierteljahres. Die Regelung war damit der des Handelsrechts angepaßt. Allerdings waren alle diese Vorgaben vollständig dispositiv. Dies änderte sich erst im Jahre 1900 mit dem Inkrafttreten des Handelsgesetzbuchs vom 10.5.189717 und der Novelle der Gewerbeordnung vom 30.6.1900.18 § 67 HGB und § 133a GewO legten eine gesetzliche Mindestkündigungsfrist von einem Monat zum Monatsende fest. Im Bürgerlichen Gesetzbuch, das am 1.1.190019 in Kraft trat, wurden die Kündigungsfristen für diejenigen Arbeitnehmer geregelt, die keinen Spezialgesetzen unterlagen. Für Angestellte, die feste Bezüge erhielten, Dienste höherer Art zu leisten hatten und deren Erwerbstätigkeit durch das Dienstverhältnis hauptsächlich in Anspruch genommen wurde20, wurden die bestehenden Regelungen des HGB und der Gewerbeordnung übernommen, d.h. es konnte ihnen gem. § 622 BGB a.F.21 unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von sechs Wochen nur für den Schluß eines Kalendervierteljahres gekündigt werden. Bei Arbeitern wurde im BGB unterschieden zwischen Zeit- und Akkordlöhnern. Bei jenen richtete sich die Kündigungsfrist gem. § 621 BGB a.F.22 nach der Bemessung der Vergütung, bei diesen galt nach § 623 BGB a.F.23 in der Regel eine zweiwöchige Kündigungsfrist un12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23

RGBl. 1878, S. 199,205. RGBl. 1891, S. 261. RGBl. 1891, S. 272. RGBl. 1891, S. 273. RGBl. 1891, S. 277. RGBl. 1897, S. 219. RGBl. 1900, S. 321. RGBl. 1896, S. 189. Dazu ausführlich Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht, § 5 8 1 2 a. RGBl. 1896, S. 300 f. RGBl. 1896, S. 300. RGBl. 1896, S. 301.

74 abhängig von den Vergütungszeiträumen. Die Kündigungsfristen des BGB waren allesamt vollständig abdingbar. Die Auseinanderentwicklung der Kündigungsfristen für Arbeiter und Angestellte erreichte ihren Höhepunkt mit dem Angestelltenkündigungsschutzgesetz von 1926. Darin wurden für Angestellte gestaffelte Kündigungsfristen abhängig von der Beschäftigungsdauer eingeführt, die bis zu sechs Monaten zum Quartalsende reichten. Erst das Erste Arbeitsrechtsbereinigungsgesetz von 196924 verbesserte den Kündigungsschutz hinsichtlich der Kündigungsfristen vor allem für Arbeiter. Die unterschiedlichen Regelungen im BGB und in Spezialgesetzen wurden vereinheitlicht. Die sechswöchige Kündigungsfrist wurde auf alle Angestellten ausgedehnt, und eine einzelvertraglich nicht abdingbare Mindestkündigungsfrist von einem Monat wurde eingeführt. Arbeitern wurde hingegen nur eine Kündigungsfrist von zwei Wochen zugestanden, die gleichzeitig auch die Mindestkündigungsfrist war. In Anlehnung an das Angestelltenkündigungsschutzgesetz wurden älteren Arbeitern in § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB abhängig von der Beschäftigungsdauer längere Kündigungsfristen bewilligt. Diese waren aber erheblich kürzer als die der älteren Angestellten; im übrigen zählten bei Arbeitern Beschäftigungszeiten, die vor dem 35. Lebensjahr zurückgelegt wurden, für die Beschäftigungsdauer nicht, während bei Angestellten bereits Beschäftigungszeiten ab dem 25. Lebensjahr berücksichtigt wurden. Diesen zuletzt genannten Unterschied hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluß vom 16.11.1982 für mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar erklärt25. Der Gesetzgeber hat daraufhin 199026 auch für Arbeiter festgelegt, daß die Beschäftigungszeiten ab dem 25. Lebensjahr zu berücksichtigen sind. Den vorläufig letzten Punkt dieser Entwicklung stellt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 30.5.1990 27 dar, in der die unterschiedlichen Kündigungsfristen für Arbeiter und Angestellte für verfassungswidrig erklärt wurden. C.

Die heutige Rechtslage

Die heutige Rechtslage ist nur für Angestellte festgelegt. Für Arbeiter herrscht eine unsichere Situation. Die Regelungen über Kün24 BGBl. 1,1969, S. 1206. 25 BVerfGE 62, S. 256 ff. 26 Gesetz zur Änderung des Arbeitsgerichtsgesetzes und anderer arbeitsrechtlicher Vorschriften vom 26.6.1990, BGBl. 1 1990, S. 1206. 27 BVerfG, NJW 1990, S. 2246.

75 digungsfristen sind verfassungswidrig. Der Gesetzgeber hat den Auftrag, bis zum 30.6.1993 die Fristen anzugleichen. Daraus kann sich auch eine Änderung für Angestellte ergeben. Einfluß hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auch auf die Kündigungstermine, da hierdurch mittelbar die Kündigungsfristen betroffen sind. Für die Darstellung und den Vergleich der Rechtslage bezüglich der Angestellten und der Arbeiter wird zunächst für Arbeiter auf § 622 Abs. 2 BGB trotz seiner Verfassungswidrigkeit abgestellt. Dies ist zum einen erforderlich für eine rechtspolitische Würdigung und für Vorschläge, die zu einer Angleichung führen können. Falls der Gesetzgeber nicht die Fristen für Arbeiter den jetzt für Angestellte geltenden anpaßt, sondern eine mittlere Lösung wählt, können die jetzigen Gesetzesfassungen Anhaltsund Eckpunkte dafür liefern. Durch die Anknüpfung an Bestehendes kann unter Umständen auch der Änderungsaufwand begrenzt werden. Zum anderen ist zu berücksichtigen, daß die Kündigungstermine nicht (ausdrücklich) für verfassungswidrig erklärt wurden. Wegen des engen Zusammenhangs mit den Kündigungsfristen bietet sich ein gemeinsamer Überblick an. I.

Angestellte

Für Angestellte enthält das Gesetz eine eigenständige Regelung betr. Grundkündigungsfrist, verlängerte Kündigungsfrist und Kündigungstermin. 1. Die Grundkündigungsfrist Für Angestellte besteht nach § 622 Abs. 1 Satz 1 BGB eine Regelkündigungsfrist von sechs Wochen zum Ende eines Kalendervierteljahres. Daraus ergibt sich, daß eine Kündigung, die für das nächste Quartalsende gelten soll, spätestens am 17.2. (in einem Schaltjahr am 18.2.), am 19.5., 19.8. oder am 19.11. zugestellt sein muß. 2. Die verlängerten Kündigungsfristen Im Hinblick auf die Kündigung von Angestellten, die bereits länger in einem Betrieb beschäftigt sind (üblich ist die etwas ungenaue Bezeichnung "ältere Angestellte", obwohl es an Lebensjahren ältere Angestellte gibt, die wegen Arbeitsplatzwechsels diesen Schutz nicht erhalten, ebenso wie jüngere, die seit langem in demselben Betrieb arbeiten und unter die Regelung fallen), wird die Fristregelung in § 622 Abs. 1 Satz 1

76 BGB durch das Angestelltenkündigungsschutzgesetz vom 9.7.192628 (im folgenden AngKSchG) ergänzt. Das Gesetz wurde durch das Rentenreformgesetz 1992 am 18.12.1989 geändert.29 Die Änderungen sind am 1.1.1992 in Kraft getreten. Im Verhältnis zu der Regelung über verlängerte Kündigungsfristen bei Arbeitern enthält das Gesetz nicht nur andere verlängerte Kündigungsfristen, sondern umschreibt auch eigenständig seinen sachlichen Geltungsbereich. a) Sachlicher Geltungsbereich Der sachliche Geltungsbereich ergibt sich aus § 2 Abs. 1 Satz 2 und Satz 4 AngKSchG. Das Gesetz gilt nur für Arbeitgeber, die drei oder mehr Angestellte beschäftigen. Dabei enthält das Gesetz zusätzlich eine Regelung betr. Teilzeitbeschäftigung. Es wird, wie in § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG, zwischen geringfügig und mehr als geringfügig Teilzeitbeschäftigten unterschieden. Mehr als geringfügig Teilzeitbeschäftigte werden auf die Arbeitnehmerzahl voll angerechnet, geringfügig teilzeitbeschäftigte Angestellte bleiben demgegenüber bei der Berechnung unberücksichtigt. Die Grenze liegt bei wöchentlich 10 Stunden oder monatlich 45 Stunden regelmäßiger Arbeitszeit, § 2 Abs. 1 Satz 4 AngKSchG. Lehrlinge werden bei der Berechnung nicht mitgezählt, § 2 Abs. 1 Satz 1 AngKSchG. b) Dauer der Fristen Dem Angestelltenkündigungsschutzgesetz liegt der Gedanke zugrunde, daß der Angestellte mit zunehmender Dauer der Beschäftigung einen größeren Bestandsschutz erdient hat. Die Kündigungsfristen sind mit zunehmender Beschäftigungsdauer gestaffelt erhöht. Sie betragen: Beschäftigungsdauer unter 5 Jahren mindestens 5 Jahre mindestens 8 Jahre mindestens 10 Jahre mindestens 12 Jahre

Kündigungsfrist 6 Wochen 3 Monate 4 Monate 5 Monate 6 Monate

Beschäftigungszeiten vor Vollendung des 25. Lebensjahres werden gem. § 2 Abs. 1 Satz 3 AngKSchG nicht mitgerechnet. Berücksichtigt wird nur 28 RGBl. 1 1926, S. 399. 29 BGBl. 1 1989, S. 2261.

77 die Beschäftigung bei demselben Arbeitgeber, § 2 Abs. 1 Satz 1 AngKSchG. 3. Die Kündigungstermine Für die Grundkündigungsfrist bestimmt § 622 Abs. 1 Satz 1 BGB, daß immer nur zum Schluß eines Kalendervierteljahres gekündigt werden kann. Auch § 2 Abs. 2 Satz 1 AngKSchG nennt als Termin für die verlängerte Kündigungsfrist das Quartalsende. In ihrer Wirkung muß man die Regelung durch Kündigungsfristen und Kündigungstermine im Zusammenhang sehen. So ist beispielsweise der 19.5. der letzte mögliche Kündigungstag für eine Kündigung zum 30.6. Ergibt sich ein Kündigungsgrund beispielsweise am 20.5., so kann erst wieder zum 30.9. gekündigt werden, d.h. der Angestellte hat de facto eine Kündigungsfrist von fast 18 Wochen. 4. Abdingbarkeit Das Kündigungsrecht der Angestellten läßt abweichende Regelungen speziell für Angestellte in § 622 Abs. 1 Satz 2 BGB zu. Danach darf die Kündigungsfrist einen Monat nicht unterschreiten, Kündigungstermin ist in jedem Fall das Ende des Kalendermonats. II.

Arbeiter

1. Die Grundkündigungsfrist Die Grundkündigungsfrist beträgt für Arbeiter zwei Wochen. 2. Die verlängerten Kündigungsfristen Nach § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB verlängern sich die Kündigungsfristen ab einem bestimmten Lebensalter mit zunehmender Beschäftigungsdauer. Durch Gesetz vom 26.6.199030 wurde als Lebensalter, ab dem die Berechnung läuft, auch für Arbeiter das 25. Lebensjahr festgesetzt. 3. Die Kündigungstermine Im Hinblick auf die Grundkündigungsfrist ist kein Termin vorgesehen. Demgegenüber ist für die verlängerten Kündigungsfristen teils das Monatsende, teils das Quartalsende Kündigungstermin. Insgesamt ergibt sich damit für Arbeiter folgende Staffelung:

30 S. Art. 2 und 3 des Gesetzes zur Änderung des Arbeitsgerichtsgesetzes und anderer arbeitsrechtlicher Vorschriften vom 26.6.1990, BGBl. 1 1990, S. 1206.

78 Beschäftigungsdauer unter 5 Jahren mindestens 5 Jahre mindestens 10 Jahre mindestens 20 Jahre

Kündigungsfrist 2 Wochen 1 Monat 2 Monate 3 Monate

Kündigungstermin kein Termin Monatsende Monatsende Quartal sende

Abdingbarkeit 4. Eine besondere Regelung im Hinblick auf die einzelvertragliche Abdingbarkeit der gesetzlichen Regelung über Fristen und Termine speziell für Arbeiter enthält das Gesetz nicht. III.

Fortbestehende Unterschiede in der gesetzlichen Regelung für Arbeiter und Angestellte

1. Die Grundkündigungsfrist Einer Grundkündigungsfrist von 6 Wochen für Angestellte steht bei Arbeitern eine Grundkündigungsfrist von 2 Wochen gegenüber. 2. Die verlängerten Kündigungsfristen Die verlängerten Kündigungsfristen für Angestellte sind in zweifacher Hinsicht günstiger: Zum einen sind die Kündigungsfristen durchweg länger, zum anderen sind die Erhöhungsstaffeln enger (von 5 bis 12 Jahren bei Angestellten, von 5 bis 20 Jahren bei Arbeitern). Ältere Angestellte werden im übrigen durch die Regelung im Angestelltenkündigungsschutzgesetz gegenüber Arbeitern benachteiligt. So kommen die Angestellten in den Genuß der verlängerten Kündigungsfristen nur dann, wenn ihr Arbeitgeber in der Regel mehr als zwei Angestellte beschäftigt. Bei Arbeitern besteht diese Einschränkung nicht. Nach dem Gesetzeswortlaut weichen die Regelungen im übrigen insofern voneinander ab, als die verlängerten Kündigungsfristen für Angestellte nur für die Kündigung durch den Arbeitgeber gelten, während es für die Kündigung durch den Angestellten selbst bei der Sechs-Wochen-Frist nach § 622 Abs. 1 Satz 1 BGB bleibt.31 Der Wortlaut der entsprechenden Regelung für Arbeiter ist zwar anders gefaßt, ausgelegt wird aber auch

31 BAG AP Nr. 99 zu § 611 BGB; zweifelnd MK-Schwerdtner, § 622 BGB, Rdnr. 20.

79 §622 Abs. 2 Satz 2 BGB nach h.M. dahingehend, daß nur die arbeitgeberseitige Kündigung gemeint ist.32 3. Die Kündigungstermine Während für jede Kündigung gegenüber einem Angestellten ein Kündigungstermin eingehalten werden muß, braucht bei der Grundkündigungsfrist gegenüber einem Arbeiter kein Kündigungstermin eingehalten zu werden. Nur bei den verlängerten Kündigungsfristen gelten auch für Arbeiter Kündigungstermine. 4. Abdingbarkeit Zwar ist nur die Grundkündigungsfrist für Angestellte abdingbar, aber die vertraglich verkürzte Frist ist dann immer noch länger als die Grundkündigungsfrist gegenüber einem Arbeiter. Zusammenfassend ergibt sich im Hinblick auf Besser- und Schlechterstellung folgendes: 1. Benachteiligung von Arbeitern Angestellte

Arbeiter

Beschäftigungs- Kündigungsdauer frist

Kündigungstermin

Kündigungsfrist

Kündigungstermin

unter 5 Jahren mind. 5 Jahre mind. 8 Jahre mind. 10 Jahre mind. 12 Jahre mind. 20 Jahre

Quartalsende Quartalsende Quartalsende Quartalsende Quartalsende Quartalsende

2 Wochen 1 Monat 1 Monat 2 Monate 2 Monate 3 Monate

kein Termin Monatsende Monatsende Monatsende Monatsende Quartalsende

6 3 4 5 6 6

Wochen Monate Monate Monate Monate Monate

2. Benachteiligung von Angestellten

Verlängerte Kündigungsfrist nur, wenn Arbeitgeber zwei Angestellte beschäftigt.

IV.

Sachliche Gründe für die bestehenden Unterschiede?

1. Kündigungsfristen Soweit es um die unterschiedlichen Kündigungsfristen für Arbeiter und Angestellte geht, braucht auf die Frage der Verfassungswidrigkeit hier

32 BAG AP Nr. 11 zu § 622 BGB m.Anm. Canaris-, a.A. Fitting, DB 1969, S. 1559; Herschel, BB 1970, S. 7; Trieschmann, AuR 1969, S. 354,464.

80 nicht näher eingegangen zu werden; insoweit ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 30.5.1990 zugrundezulegen. Nicht angesprochen hat das Bundesverfassungsgericht die Ungleichbehandlung der älteren Angestellten gegenüber Arbeitern. Ältere Angestellte kommen nur dann in den Genuß längerer Kündigungsfristen, wenn ihr Arbeitgeber in der Regel mehr als zwei Angestellte beschäftigt. Für diese Ungleichbehandlung müßte es einen sachlichen Grund geben. Hier könnten ähnliche Gründe bestehen wie für die Einführung der Kleinbetriebsklausel in § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG. Zwar ist nicht jeder Arbeitgeber, der nur drei Angestellte beschäftigt, auch Inhaber eines Kleinbetriebes; er kann auch gleichzeitig sehr viele Arbeiter beschäftigen. Dennoch kann man davon ausgehen, daß es sich in den Fällen, in denen das Angestelltenkündigungsschutzgesetz nicht anwendbar ist, regelmäßig um sehr kleine Betriebe handelt. Insofern könnten, ähnlich wie im Hinblick auf § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG, finanzielle Erwägungen für diese Kleinbetriebsklausel sprechen. Es könnte in einem Kleinbetrieb unzumutbar sein, z.B. im Falle einer betriebsbedingten Kündigung einen Angestellten bis zu 6 Monaten (im Falle der Kündigung zum Quartalsende nahezu noch weitere 3 Monate) zu bezahlen, obwohl ein rentabler Einsatz nicht mehr möglich ist. Ebenso könnte es unzumutbar sein, einen Arbeitnehmer, mit dem eine weitere Zusammenarbeit nicht mehr möglich erscheint, über einen so langen Zeitraum noch zu dulden. Diese Gründe würden es jedoch nicht rechtfertigen, eine Mindestzahl an Beschäftigten für das Eingreifen längerer Kündigungsfristen einzuführen. Nach geltendem Recht ist der Inhaber eines Kleinbetriebes an die verlängerten Kündigungsfristen gebunden - bei Arbeitern in jedem Fall, bei Angestellten, wenn mehr als zwei Beschäftigte aus der Gruppe der Angestellten für ihn tätig sind. Die besondere finanzielle und arbeitsorganisatorische Situation des Arbeitgebers im Kleinbetrieb wird im Kündigungsschutzgesetz durch die erleichterte Kündigungsmöglichkeit im Hinblick auf Kündigungsgründe berücksichtigt.33 Eine weitergehende Bevorzugung von Kleinbetrieben auch hinsichtlich der Kündigungsfristen ist jedoch nicht gerechtfertigt. Schließlich müssen alle Rechtfertigungsversuche daran scheitern, daß die bestehende Einschränkung nach dem Angestelltenkündigungsschutzgesetz nur die Gruppe der Angestellten trifft. Zwar können, wie das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, finanzielle Erwägungen sowie die

33 S. zur Verfassungsgemäßheit der Regelung im geltenden Recht BAG EzA § 23 KSchG Nr. 8 m. Anm. Wank.

81

Interessen der Arbeitgeber bei der Gestaltung der Kündigungsfristen mit berücksichtigt werden; doch müssen die daraus resultierenden Belastungen auf sämtliche Arbeitnehmer gleichmäßig verteilt werden. Sie dürfen nicht nur zu Lasten einer Gruppe ausschlagen.34 2. Kündigungstermine Vom Bundesverfassungsgericht ebenfalls nicht angesprochen wurde die Frage der unterschiedlichen Termine für Arbeiter und für Angestellte. So gilt der Kündigungstermin (nach 5 Jahren Beschäftigung) des Monatsendes (nach 20 Jahren: Quartalsende) für Arbeiter und des Quartalsendes für Angestellte. Durch diese Regelung werden Arbeiter benachteiligt. Nach § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB beträgt die Kündigungsfrist für einen Arbeiter sowohl längstens als auch mindestens 2 Wochen. Bei Angestellten stellt sich die Situation anders dar. Im kürzesten Fall, also z.B. bei Zugang einer Kündigung am 19.5., beträgt die Frist 6 Wochen, bei Zustellung am 20.5. im Extremfall bis zu 17 Wochen und 6 Tagen. Es stehen einander also die Frist von 2 Wochen und die Frist von 6 bis 17 Wochen und 6 Tagen gegenüber.35 Ein sachlicher Grund für dieses Ergebnis muß in zweifacher Hinsicht überprüft werden: zum einen für die damit verbundenen Unterschiede bezüglich der Kündigungsfristen und zum anderen bezüglich der unterschiedlichen Termine selbst. Soweit die Termine Einfluß auf die Länge der Kündigungsfristen haben, ist die unterschiedliche Regelung verfassungswidrig. Das ergibt sich aus dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 30.5.1990. Danach ist kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, den Angestellten pauschal längere Kündigungsfristen zuzubilligen. Soweit sich die unterschiedlich langen Fristen aus unterschiedlichen Kündigungsterminen ergeben, ist eine eigenständige Überprüfung erforderlich. So kann das Erfordernis der Einhaltung von Kündigungsterminen sachlich gerechtfertigt sein. Ist das der Fall, so würde es bei einer Neuregelung darum gehen, einheitliche Kündigungstermine für Arbeiter und Angestellte vorzusehen. Es kann aber auch sein, daß das Erfordernis der Kündigungstermine als solches zu sachlich nicht gerechtfertigten Unterschieden führt. In diesem Fall müßten die Kündigungstermine insgesamt abgeschafft oder zumindest eingeschränkt werden. 34 BVerfG, NJW 1990, S. 2246,2247. 35 S. auch Blanke, AuR 1991, S. 1,8 Fußn. 88.

82 Als sachlicher Grund für das Erfordernis von Kündigungsterminen könnte die Struktur des Arbeitsmarktes in Betracht kommen. Wenn nur zum Ende eines Kalendervierteljahres gekündigt werden kann, entsteht zu diesem Zeitpunkt ein großes Angebot sowie auch eine entsprechende Nachfrage. Der Stellenwechsel kann für die Angestellten ohne Schwierigkeiten vollzogen werden; Arbeitgeber finden zu diesem Zeitpunkt, wenn eine Stelle durch Kündigung frei geworden ist, eine Anzahl von Bewerbern vor. Dieser ideale Arbeitsmarkt ist aber nirgendwo verwirklicht. Arbeitsplätze werden nicht nur frei, weil ein Arbeitnehmer gekündigt hat, sondern auch neu geschaffen. Die Nachfrage entsteht nicht nur zum Quartalsende. Ebenso treten viele Arbeitsplatzverluste auch zwischen diesen Terminen ein (z.B. wenn der Kündigungstermin einzel- oder tarifvertraglich abbedungen wurde). Dann müssen Arbeitnehmer für Übergänge oftmals ihren Urlaub zu ungünstigen Zeitpunkten einsetzen. Der Vorteil von Kündigungsterminen wird durch ihre Starrheit wieder aufgewogen. Selbst wenn aber ein sachlicher Grund für Kündigungstermine zum Quartalsende sprechen würde, ist die Regelung, die dies nur für Angestellte vorsieht, verfassungswidrig. Es ist kein Grund ersichtlich, warum für Arbeiter die oben genannten Gründe nicht zutreffen sollten. Entscheidend ist aber, daß kein Grund ersichtlich ist, der die durch den Kündigungstermin zum Quartalsende verlängerten Kündigungsfristen für Angestellte rechtfertigen würde. Es muß also auch eine Angleichung der Termine erfolgen. Zusammenfassend ist festzustellen: Soweit außer bei der Grundkündigungsfrist weitere Unterschiede im Kündigungsrecht zwischen Arbeitern und Angestellten bestehen, gibt es dafür keine sachliche Rechtfertigung. Aus den Gründen des Art. 3 Abs. 1 GG ist in allen Punkten eine einheitliche Regelung für Arbeiter und Angestellte erforderlich. Damit bleibt aber offen, wie eine derartige neue Regelung aussehen könnte. D.

Rechtsvergleichung

Wenn im folgenden das Kündigungsrecht einiger europäischer Länder in bezug auf die Regelung der Kündigungsfristen im Vergleich vorgestellt wird, so bedeutet das nicht, daß sich daraus unmittelbar Folgerungen für eine Neuregelung des deutschen Rechts ableiten lassen. Der Rechtsvergleich erlaubt aber die Beurteilung, welche Arten von Regelungen einem europäischen Konsens entsprechen.

83 I.

Darstellung des Kündigungsrechts im Hinblick auf Kündigungsfristen

1. Österreich36 Das Recht bezüglich der Kündigungsfristen und -termine ist in Österreich auf zahlreiche Einzelgesetze verteilt, die jeweils für bestimmte Berufsgruppen gelten, so z.B. das Journalistengesetz, das Gesetz betreffend Gutsangehörige, das Schauspielergesetz und viele andere mehr. Die Länge der Kündigungsfristen und die Lage der Kündigungstermine sind in den einzelnen Gesetzen weitgehend unterschiedlich geregelt. Diese Rechtszersplitterung wird noch verstärkt durch die einzelnen Kollektivverträge. Als Beispiele für gesetzliche Regelungen seien die für Arbeiter geltende Gewerbeordnung und das ABGB sowie das Angestelltengesetz herausgegriffen. §77 der Gewerbeordnung und § 1159c ABGB setzen für Arbeiter eine Kündigungsfrist von 14 Tagen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer fest. Danach gilt für Arbeiter die Kündigungsfrist von 14 Tagen für beide Teile. Ein Kündigungstermin ist nicht festgelegt. Für Angestellte findet sich eine entsprechende Regelung in § 20 Abs. 4 Angestelltengesetz. Für die Kündigung des Angestellten gilt eine einmonatige Kündigungsfrist zum Monatsende. Die Kündigungsfrist des Arbeitgebers beträgt sechs Wochen zum Ende eines jeden Kalendervierteljahres. Nach dem vollendeten zweiten Dienstjahr erhöht sich die Frist auf zwei Monate, nach dem fünften Dienstjahr auf drei und nach dem vollendeten fünfzehnten Dienstjahr auf vier und schließlich nach dem 25. Dienstjahr auf fünf Monate. Auch den übrigen Kündigungsregeln liegt das Senioritätsprinzip zugrunde, d.h. die Länge der Kündigungsfristen für die arbeitgeberseitige Kündigung erhöht sich mit zunehmender Dauer des Arbeitsverhältnisses.37 2. Frankreich38 In Frankreich gilt ein einheitliches Arbeitsrecht für Arbeiter und Angestellte. Die französischen Kündigungsfristen sind zwingend, kürzere Fristen sind gem. Art. L 122-7 Code du Travail nichtig. Nach einer Beschäftigungsdauer von sechs Monaten greift zugunsten des Arbeitnehmers eine einmonatige Kündigungsfrist ein; diese Frist erhöht sich nach zwei Beschäftigungsjahren auf zwei Monate gem. Art. L 122-6 36 Vgl. dazu Floretta/SpielbächlerlStrasser, Arbeitsrecht, S. 195 ff. sowie o. 3. Kap. D I 1. 37 Zu weiteren Einzelheiten vgl. Florelta/Spielbächler/Strasser, Arbeitsrecht, S. 194. 38 Vgl. hierzu Kronke, Regulierungen, S. 220.

84 Code du Travail. Zu beachten ist hier allerdings, daß die Regelung der Kündigungsfristen zum großen Teil in Tarifverträgen erfolgt, die in der Regel günstigere Regelungen für die Arbeitnehmer enthalten. 3. Belgier?9 In Belgien findet sich eine differenzierte Regelung, die grundsätzlich an die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten anknüpft. Arbeitern steht bei der arbeitgeberseitigen Kündigung eine Kündigungsfrist von 28 Tagen zu. Im Fall der arbeitnehmerseitigen Kündigung muß eine 14tägige Kündigungsfrist eingehalten werden. Diese Fristen verdoppeln sich nach 20 Jahren. Weitere Staffelungen sind nicht vorgesehen. Die Kündigungsfristen von Angestellten sind unterschiedlich. Die Angestellten werden in drei Gruppen unterteilt, die vom Einkommen abhängig sind. Bis zu einem jährlichen Jahreseinkommen von 684.000 Belgischen Francs (ca. 30.000 DM Jahresgehalt) muß der Arbeitgeber bei Angestellten, die weniger als fünf Jahre beschäftigt sind, eine Kündigungsfrist von drei Monaten einhalten. Zu Beginn eines jeden neuen Fünfjahresabschnitts erhöht sich die Kündigungsfrist um weitere drei Monate. Nach sechs Jahren Beschäftigung hat der Angestellte z.B. eine Kündigungsfrist von sechs Monaten. Kündigt der Angestellte, beträgt die Kündigungsfrist die Hälfte der arbeitgeberseitigen Frist, höchstens jedoch 3 Monate. Bei einem Jahresgehalt, das über 684.000 Belgischen Francs liegt, werden die Kündigungsfristen vertraglich geregelt oder durch den Richter festgelegt gem. Art. 82. Der Arbeitgeber muß aber bei der Kündigung eine Frist einhalten, die mindestens der der Angestellten, die weniger als 684.000 Francs verdienen, entspricht. Kündigt der Angestellte, so darf die Kündigungsfrist bei einem Einkommen zwischen 684.000 und 1.368.000 Belgischen Francs 4 1/2 Monate, bei einem höheren Einkommen sechs Monate nicht überschreiten. 4. Dänemark In Dänemark ist das Kündigungsrecht, auch hinsichtlich der Fristen, grundsätzlich unbeschränkt.40 Lediglich für Angestellte existiert ein Spezialgesetz. Danach kann der Arbeitgeber nur unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von einem Monat nach mindestens sechsmonatigem und 39 Vgl. zum folgenden Kronke, Regulierungen, S. 212; Nyssen, Jura Europae, Länderbericht Belgien, 20.16, Nr. 60 ff. 40 Kronke, Regulierungen, S. 50 f.

85 von drei Monaten nach längerem Bestehen des Arbeitsverhältnisses wirksam kündigen. Nach jeweils weiteren drei Jahren verlängert sich die Kündigungsfrist um einen Monat, maximal jedoch auf sechs Monate. In Dänemark ist das Individualarbeitsrecht auch weitgehend in den Tarifverträgen geregelt, die von den gesetzlichen Vorgaben zum Teil abweichen. 5. Italien41 Rechtsquellen für Kündigungsfristen in Italien sind Tarifverträge, das Gewohnheitsrecht und das Gesetz vom 13.11.1924 Art. 10, r.d.l. Nr. 1825. Die Kündigungsfrist richtet sich nach dem Dienstalter oder nach der beruflichen Qualifikation. Grundlage für die Berechnung der Kündigungsfrist von Arbeitern ist nur das Dienstalter. Sie beträgt in Abhängigkeit von diesem zwischen sechs und zwölf Arbeitstage. Die Fristberechnung bei Angestellten beruht auf einer Kombination von Dienstalter und beruflicher Qualifikation. Die Fristen betragen nach dem Gesetz r.d.l. Nr. 1825 mindestens vierzehn Tage und höchstens vier Monate. Diese Fristen sind häufig tarifvertraglich zugunsten der Angestellten verlängert. 6. Schweiz In der Schweiz gilt seit dem 1.1.1989 ein neues Kündigungsrecht.42 Nach Art. 335a Abs. 1 OR müssen die Kündigungsfristen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer grundsätzlich gleich sein. Besteht das Arbeitsverhältnis für weniger als ein Jahr, so beträgt die Kündigungsfrist einen Monat. Bei Arbeitsverhältnissen, die länger als ein Jahr, aber weniger als zehn Jahre bestehen, ist eine zweimonatige Frist und bei einem mehr als zehn Jahre bestehenden Arbeitsverhältnis eine sechsmonatige Frist einzuhalten. Diese Fristen können einzel- oder tarifvertraglich verkürzt oder verlängert werden, wobei jede Verlängerung oder Verkürzung, auch wenn sie nur für einen Teil vorgenommen wird, gem. Art. 335a Abs. 1 OR automatisch für beide Vertragsteile gilt. 7. Vereinigtes Königreich Gesetzliche Mindestkündigungsfristen sind in sec. 49 EPCA 1978 geregelt. Bei einer Beschäftigung von vier Wochen bis zu zwei Jahren ist eine Frist von einer Woche einzuhalten. Für jedes weitere Be41 Vgl. zum folgenden Sanseverino, Jura Europae, Länderbericht Italien, 40.10, Nr. 114 ff. 42 Rehbinder,ZWS 1988, S. 319.

86 schäftigungsjahr zwischen zwei und 12 Jahren kommt eine weitere Woche hinzu. Bei einer Beschäftigungszeit von Uber 12 Jahren beträgt die Frist 12 Wochen. Für Arbeitnehmer, die dem EPCA gem. sec. 141, 144 und 145 nicht unterfallen, gelten Spezialregelungen oder das common law. Nach common law ist eine Kündigung unter Einhaltung einer vernünftigen Frist möglich. Irland« 8. Nach dem Minimum Notes in Terms of Employment Act 1973 hat der Arbeitgeber bei der Kündigung von der Dauer der Betriebszugehörigkeit abhängige Kündigungsfristen einzuhalten. Die Kündigungsfristen haben eine Dauer von einer Woche bei weniger als zwei Jahren Beschäftigungszeit und bis zu acht Wochen nach mehr als fünfzehnjähriger Betriebszugehörigkeit. Die Kündigungsfristen sind durch ausdrückliche Vereinbarungen abdingbar und gelten nicht für Personen, die weniger als dreizehn Wochen ununterbrochen beschäftigt sind und für Personen, die wöchentlich weniger als einundzwanzig Stunden bei demselben Arbeitgeber beschäftigt sind. 9. Luxemburg44 Auch in Luxemburg wird zwischen Arbeitern und Angestellten unterschieden. Die Kündigungsfrist ist auch hier abhängig von der Beschäftigungsdauer; sie beträgt für Arbeiter zwischen vier und zwölf Wochen. Angestellten steht bei einer Beschäftigung von weniger als fünf Jahren eine zweimonatige Kündigungsfrist zu. Diese steigert sich mit zunehmender Beschäftigungsdauer. Nach zehn Jahren wird die Höchstfrist von sechs Monaten erreicht. II.

Zusammenfassung zur Rechtsvergleichung im Kündigungsrecht

Die Kündigungsregelungen der einzelnen europäischen Länder zeigen viele Unterschiede im einzelnen. Auch innerhalb der einzelnen Länder sind die Regelungen zum Teil zersplittert. Gemeinsam ist den Regelungen der meisten Länder, daß sie überhaupt Kündigungsfristen gewähren. Hinsichtlich von Kündigungsterminen, auch wenn sie in vielen Ländern die Regel bilden, findet sich schon keine einheitliche Handhabung mehr. Gemeinsam ist allen Rechtsordnungen das Senioritätsprinzip. 43 Vgl. zum folgenden Kronke, Regulierungen, S. 227 f. 44 Vgl. dazu Kronke, Regulierungen, S. 244 f.

87 Die Kündigungsfrist verlängert sich mit der Dauer der Beschäftigung. Diesen Punkt kann man im europäischen Kündigungsrecht als common sense bezeichnen. Die Verlängerung der Kündigungsfristen wird in der Regel nur von der Dauer der Betriebszugehörigkeit abhängig gemacht. Eine altersmäßige Untergrenze ist in den meisten Ländern nicht erkennbar, besteht eine solche, so liegt sie in der Regel bei achtzehn Jahren. Eine gesetzliche Vorschrift wie § 622 Abs. 2 Satz 2 2. Halbsatz und § 2 Abs. 1 Satz 3 AngKSchG, wonach bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer Dienstjahre, die vor Vollendung des 25. Lebensjahres liegen, nicht berücksichtigt werden, ist, soweit ersichtlich, einmalig in Europa. E.

Bisherige Vorschläge zur Neuregelung

Bevor die eigene Auffassung für eine sinnvolle, dem Art. 3 Abs. 1 GG gerecht werdende Neuregelung vorgestellt wird, soll zunächst auf die bisherigen Vorschläge für eine Neuregelung bei den Kündigungsfristen und -terminen eingegangen werden. I.

Der Entwurf der Arbeitsgesetzbuchkommission

1. Darstellung Im November 1970 wurde von der Bundesregierung eine Arbeits gesetzbuchkommission eingesetzt. Ihr gehörten 23 Mitglieder aus Kreisen der Wissenschaft, der Arbeitsgerichtsbarkeit, der Tarifvertragsparteien und der Länder an. Die Kommission legte 1977 ihre Beratungsergebnisse in Form eines Entwurfs eines Arbeitsgesetzbuches vor.45 Der Entwurf enthält - gesetzgebungstechnisch bedenklich - einen eigenen Abschnitt für die Kündigung durch den Arbeitgeber (Zweiter Titel, §§ 93 ff. Kommissionsentwurf (KE)) und für die Kündigung durch den Arbeitnehmer (Vierter Titel, §§ 105 ff. KE). Die Vorschrift für die arbeitgeberseitige Kündigung lautet: §95 Kündigungsfristen (1) Der Arbeitgeber kann das Arbeitsverhältnis spätestens am fünfzehnten eines jeden Kalendermonats zum Schluß des folgenden Kalendermonats ordentlich kündigen. Arbeitgeber und Arbeitnehmer können 45 Arbeitsgesetzbuchkommission, Entwurf eines Arbeitsgesetzbuches - Allgemeines Arbeitsvertragsrecht -, Hrsg. der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Bonn 1977.

88

eine kürzere als die in Satz 1 bestimmte Kündigungsfrist rechtswirksam nur vereinbaren, wenn die Kündigungsfrist drei Wochen nicht unterschreitet und die Kündigung nur zum Schluß eines Kalendermonats zulässig ist. (2) Abweichend von Absatz 1 beträgt die Kündigungsfrist, wenn das Arbeitsverhältnis bei ihrem Ablauf 1. fünf Jahre bestanden hat, drei Monate, 2. acht Jahre bestanden hat, vier Monate, 3. zehn Jahre bestanden hat, fünf Monate, 4. zwölf Jahre bestanden hat, sechs Monate, 5. fünfzehn Jahre bestanden hat, neun Monate zum Schluß eines Kalendermonats. Bei der Berechnung der Dauer des Arbeitsverhältnisses bleiben Zeiten vor der Vollendung des dreißigsten Lebensjahres des Arbeitnehmers außer Betracht. Als Merkposten sind Übergangsbestimmungen vorgesehen. Die Vorschrift für die arbeitnehmerseitige Kündigung lautet: §105 Ausschluß und Einschränkung der ordentlichen Kündigung

Für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer darf einzelvertraglich keine längere Frist vereinbart werden als für die Kündigung durch den Arbeitgeber. §106 Kündigungsfrist bei ordentlicher Kündigung

(1) Der Arbeitnehmer kann das Arbeitsverhältnis spätestens am 15. eines jeden Kalendermonats zum Schluß des folgenden Kalendermonats ordentlich kündigen. (2) Eine längere als die in Absatz 1 bestimmte Kündigungsfrist kann rechtswirksam nur vereinbart werden, soweit sie 12 Monate zum Schluß eines Kalendervierteljahres nicht übersteigt. 2. Stellungnahme Der Kommissionsentwurf sieht bereits eine einheitliche Regelung für Arbeiter und Angestellte vor und ist deshalb grundsätzlich als Diskussionsgrundlage geeignet. a) Grundkündigungsfrist Sieht man von der Koppelung an die starren Kündigungsfristen ab, so sieht der Kommissionsentwurf sowohl für die arbeitgeberseitige als auch

89 für die arbeitnehmerseitige Kündigung eine Grundkündigungsfrist von sechs Wochen vor. b) Verlängerte Kündigungsfristen Der Kommissionsentwurf enthält - nur für die arbeitgeberseitige Kündigung - eine Staffelung nach fünf, acht, zehn und fünfzehn Jahren Beschäftigung. Die Kündigungsfristen betragen dann drei, vier, fünf, sechs und neun Monate. c) Kündigungstermine Der Kommissionsentwurf sieht sowohl für die Grundkündigungsfrist als auch für die verlängerten Kündigungsfristen das Monatsende als Kündigungstermin vor. Eine weitere Besonderheit des Entwurfs besteht darin, daß er die Frist bis zum Kündigungstermin für die Grundkündigungsfrist nicht in Wochen ausdrückt, sondern in der Weise, daß die Kündigung spätestens am 15. eines Kalendermonats erfolgen muß. Für die Regelung des Kommissionsentwurfs für den Ausspruch der Kündigung spricht die Rechtssicherheit. Der Kündigungstermin ist auf den 15. eines Monats fixiert, so daß keine Berechnung des Termins für den Ausspruch der Kündigung - wie nach geltendem Recht - erforderlich ist. Gegen die Regelung des Kommissionsentwurfs im Hinblick auf den Endtermin spricht die Starrheit der Kündigungstermine. Für die Arbeitsverwaltung ergeben sich Probleme, wenn die Zahl der Vermittlungsfälle zu einem bestimmten Zeitpunkt besonders hoch ist. Die Haupteinwände gegen einen festen Kündigungstermin folgen aus der Kombination von Kündigungsfristen und festen Kündigungsterminen. Je nach dem Datum des Ausspruchs der Kündigung schwankt die reale Dauer der Kündigungsfrist. Einleuchtende Gründe für die Fristverlängerung bei einzelnen Arbeitnehmern sind nicht ersichtlich. Hier ergibt sich zudem ein Wertungswiderspruch zu der Regelung der verlängerten Kündigungsfristen in § 95 Abs. 2 KE. Nach fünf Jahren soll die Kündigungsfrist drei Monate zum Monatsende betragen. Unter Umständen kommt ein kurzzeitig Beschäftigter durch den Ausspruch der Kündigung nach dem 15. eines Monats in den Genuß einer Kündigungsfrist von elf Wochen und damit in die Nähe der Frist, die nur seit längerem Beschäftigten zugestanden werden soll. Die Frist wird für ihn faktisch verlängert, ohne daß die rechtfertigenden Voraussetzungen für eine Fristverlängerung vorliegen.

90 Die hier vorgebrachten Einwände gelten entsprechend für den zu Lasten des Arbeitnehmers wirkenden Termin nach § 106 Abs. 1 KE. d) Lebensalter Nach dem Kommissionsentwurf sind Zeiten vor der Vollendung des dreißigsten Lebensjahres des Arbeitnehmers nicht zu berücksichtigen. Der Entwurf wollte damit offenbar eine mittlere Linie zwischen der damals für Angestellte geltenden Regelung (25 Jahre) und der für Arbeiter (35 Jahre) einschlagen. Da inzwischen für Arbeiter und Angestellte die Grenze einheitlich bei 25 Jahren angesetzt ist, ist der Kommissionsentwurf insoweit überholt. II.

Der Entwurf der SPD-Fraktion

1. Darstellung Die SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag hat am 14.10.1987 einen Gesetzentwurf vorgelegt.46 Die maßgebliche Bestimmung lautet: § 622 BGB (1) Das Arbeitsverhältnis kann unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von sechs Wochen zum Schluß eines Kalendervierteljahres gekündigt werden. Eine kürzere Kündigungsfrist kann einzelvertraglich nur vereinbart werden, wenn sie einen Monat nicht unterschreitet und die Kündigung nur für den Schluß eines Kalendermonats zugelassen wird. (2) Abweichend von Absatz 1 beträgt die Kündigungsfrist für den Arbeitgeber, wenn das Arbeitsverhältnis bei dem Arbeitgeber oder seinem Rechtsvorgänger bei Ablauf der Kündigungsfrist 1. fünf Jahre bestanden hat, drei Monate 2. acht Jahre bestanden hat, vier Monate 3. zehn Jahre bestanden hat, fünf Monate 4. zwölf Jahre bestanden hat, sechs Monate 5. fünfzehn Jahre bestanden hat, neun Monate zum Schluß eines Kalendervierteljahres. Bei der Berechnung der Dauer des Arbeitsverhältnisses bleiben Zeiten vor der Vollendung des fünfundzwanzigsten Lebensjahres des Arbeitnehmers außer Betracht. (3) Eine kürzere als die in Absatz 1 genannte Kündigungsfrist kann durch Tarifvertrag vereinbart werden. Im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrages gelten die abweichenden tarifvertraglichen Bestimmungen

46 Gesetzentwurf der SPD-Fraktion, BT-Drucks. 11/956 vom 14.10.1987.

91 zwischen nichttarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, wenn ihre Anwendung zwischen ihnen vereinbart worden ist. (4) Ist ein Arbeitnehmer zur vorübergehenden Aushilfe eingestellt, so kann eine kürzere als die in Absatz 1 genannte Kündigungsfrist auch einzelvertraglich vereinbart werden; dies gilt nicht, wenn das Arbeitsverhältnis über die Zeit von drei Monaten hinaus fortgesetzt wird. Der Entwurf sieht eine einheitliche Lösung für Arbeiter und Angestellte vor. In dem Entwurf sind für die Kündigungsfristen die Vorschläge des Kommissionsentwurfs mit dem z.Z. für Angestellte geltenden Recht kombiniert worden. § 622 BGB soll geändert werden und eine einheitliche Regelung für Arbeiter und Angestellte enthalten; das Angestelltenkündigungsschutzgesetz soll aufgehoben werden. Die Grundkündigungsfrist beträgt sechs Wochen, und zwar für die arbeitgeberseitige und für die arbeitnehmerseitige Kündigung. Als Kündigungstermin ist der Schluß des Kalendervierteljahres festgelegt. Besteht das Arbeitsverhältnis fünf Jahre, so erhöht sich die Kündigungsfrist auf drei Monate, nach acht Jahren auf vier Monate, nach zehn Jahren auf fünf Monate, nach zwölf Jahren auf sechs Monate und nach fünfzehn Jahren Beschäftigung auf neun Monate, jeweils zum Ende eines Kalendervierteljahres. Bei der Berechnung der Dauer des Arbeitsverhältnisses bleiben Zeiten vor der Vollendung des 25. Lebensjahres außer Betracht. 2. Stellungnahme In der Regelung des SPD-Entwurfs sind die jeweils günstigsten Vorschriften des geltenden Rechts für die Kündigung von Angestellten mit den günstigsten des Kommissionsentwurfs verknüpft worden. Die Grundkündigungsfrist wird bei den Arbeitern der geltenden Grundkündigungsfrist für Angestellte angepaßt. Die Festlegung der Kündigungstermine auf das Quartalsende führt zu den bereits geschilderten nachteiligen Konsequenzen für die Arbeitsverwaltung und für die Arbeitnehmer. Die verlängerten Kündigungsfristen entsprechen denen des Kommissionsentwurfs. Der Beginn des Berechnungszeitraums wird auf das 25. Lebensjahr festgelegt und entspricht damit dem seit 1990 geltenden Recht. Im SPD-Entwurf werden die Gründe, die im geltenden Recht zur Verlängerung der Kündigungsfrist führen, nämlich die Dauer der Betriebszugehörigkeit und das Lebensalter, nicht ausreichend berücksichtigt. Die abnehmende Flexibilität des Arbeitnehmers und die schwierigere Vermittelbarkeit sind vor allem vom Lebensalter abhängig.

92 Nach dem Entwurf werden die Höchstkündigungsfristen relativ früh erreicht. Die neunmonatige Kündigungsfrist überwälzt einen großen Teil des Arbeitmarktrisikos auf den Arbeitgeber. Dagegen bestehen Bedenken. Volkswirtschafdich kann auch für das Arbeitsrecht der Marktaspekt nicht beliebig außer acht gelassen werden. Die optimale Allokation der Ressourcen verlangt, daß sich Unternehmer von Arbeitnehmern, die nicht mehr benötigt werden oder die ungeeignet sind, unter angemessenen Bedingungen wieder trennen können. Zu früh erreichbare und zu lange dauernde Kündigungsfristen führen zur Beschäftigung von Arbeitnehmern, für die kein Bedarf besteht. Das macht sich vor allem bei der betriebsbedingten Kündigung, aber auch bei der personenbedingten Kündigung mit dem Hauptanwendungsfall krankheitsbedingte Kündigung bemerkbar. In wirtschaftlichen Krisensituationen wird die Unrentabilität des Unternehmens verstärkt, es kann zu mehr Entlassungen als ohne den starken Kündigungsschutz und zu Konkursen kommen. Ganz allgemein führt ein zu weitgehender Kündigungsschutz zur Bindung von Kapital, das an anderer Stelle sinnvoller eingesetzt werden könnte. Ein notwendiger Strukturwandel, der durch einen Rückgang der Beschäftigtenzahlen in einem Bereich indiziert sein kann, verzögert sich. Auch wenn insofern sicher kein unmittelbarer Vergleich mit den Verhältnissen in der DDR möglich ist, so geben die Verhältnisse in den neuen Bundesländern doch eine Anschauung von den Konsequenzen einer verdeckten Arbeitslosigkeit. In der DDR waren Beendigungen von Arbeitsverhältnissen zwar rechtlich möglich, fanden in der Praxis aber kaum statt. Wie sich nunmehr bei der Privatisierung von DDR-Unternehmen zeigt, haben diese durchweg einen Überhang von ca. einem Drittel der Arbeitnehmer. Die jetzige Unrentabilität der Unternehmen in den neuen Bundesländern geht insofern vielfach auf einen überzogenen Kündigungsschutz zurück. Den volkswirtschaftlichen Bedenken gegen einen zu weit gehenden Kündigungsschutz entsprechen Bedenken auf betriebswirtschaftlicher Ebene. Der ausreichende Sozialschutz der Arbeitnehmer muß mit den zumutbaren Belastungen für das Unternehmen in Einklang gebracht werden. Anderenfalls kann es zu Konträrfolgen kommen. In rechtlicher Hinsicht muß schließlich berücksichtigt werden, daß das Arbeitsverhältnis ein Austauschverhältnis ist, das allerdings einen besonderen personalen Bezug aufweist. Das Äquivalenzverhältnis ist gestört, wenn der Arbeitnehmer nicht mehr sinnvoll eingesetzt werden kann. Es muß also zwischen dem Schutzinteresse des Arbeitnehmers an

93 der Erhaltung des Arbeitsplatzes und dem Rentabilitätsinteresse des Unternehmens abgewogen weiden. Gegen den SPD-Entwurf spricht schließlich, daß danach von den Vorschriften über die verlängerten Kündigungsfristen weder durch Einzelarbeitsvertrag noch durch Tarifvertrag abgewichen werden kann. Damit wird den Tarifparteien verwehrt, auf branchentypische Situationen, z.B. in der Bauwirtschaft, zu reagieren, wo die besonderen Umstände in der Regel kürzere Kündigungsfristen erfordern. Auch findet sich im SPD-Entwurf insoweit ein Wertungswiderspruch. Das Recht, die Kündigungsfristen zu verkürzen, wird nämlich den Arbeitsvertragsparteien hinsichtlich der Grundkündigungsfristen zugestanden. Dort wird also ein Bedürfnis für eine Verkürzung der Fristen anerkannt. Es ist nicht ersichtlich, daß dieses Bedürfnis bei länger beschäftigten Arbeitnehmern fehlt. Durch diese Regelung wird auch der Verhandlungsspielraum der Tarifvertragsparteien eingeengt. Bisher konnten Kündigungsfristen als Verhandlungsposition mit herangezogen werden. Die Gewerkschaften konnten kürzere Fristen akzeptieren, wenn dafür in einem anderen Bereich, wie z.B. bei der Lohnzahlung, Vorteile geboten wurden. Damit war den Tarifvertragsparteien auch eine Einflußmöglichkeit auf konjunkturelle Entwicklungen eingeräumt. Es sind keine Gründe ersichtlich, warum den Tarifparteien die Möglichkeit genommen werden soll, die Kündigungsfristen zu verkürzen. III.

Der Vorschlag Kraushaars

Darstellung 1. Kraushaar entwickelt in einem Beitrag von 199047 ein abgestuftes Modell, in dem er an die Stelle der beiden Gruppen der Arbeiter und der Angestellten vier neu gebildete Gruppen setzt, die sich nach ihrem Ausbildungsstand unterscheiden, nämlich: Ungelernte Arbeitnehmer mit zwei- bis dreijähriger Ausbildung nach dem Berufsbildungsgesetz Meister und Fachschulabsolventen Akademiker.

Kraushaar geht es darum, ein Kriterium für eine Differenzierung zu finden, das auch vor der neueren BVerfG-Rechtsprechung Bestand hätte. Das unterschiedliche Ausbildungsniveau sei auch vom Bun-

47 Kraushaar, BB 1990, S. 1764 ff.

94 desverfassungsgericht als Kriterium anerkannt worden.48 Die Kündigungsfristen sollten nach acht Stufen unterteilt werden, gestaffelt von zwei Wochen bis zu sechs Monaten, je nach dem Ausbildungsstand und der Dauer der Betriebszugehörigkeit. Ungelernte beginnen auf Stufe 1 mit einer Kündigungsfrist von zwei Wochen, Akademiker auf Stufe 4 mit zwei Monaten. Ungelernte erreichen die Höchstkündigungsfrist von sechs Monaten nach 18 Jahren Beschäftigung, Akademiker dagegen bereits nach neun Jahren. Da ältere Arbeitnehmer allgemein größere Probleme haben, einen Arbeitsplatz zu finden, soll die Verlängerung der Kündigungsfristen von bestimmten Altersstufen an unabhängig von der Dauer der Betriebszugehörigkeit eintreten. Als Vorzug seines Systems sieht Kraushaar an, daß die relativ kurzen Kündigungsfristen zu Beginn der Beschäftigung, insbesondere bei Ungelernten, nur geringere Einstellungshindernisse bedeuten würden. Der generell erhöhte Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmer sei an bereits bestehende tarifliche Regelungen, wie z.B. § 53 BAT, angelehnt. Diese Vorschriften seien in der Praxis weit verbreitet und hätten sich bewährt. 2. Stellungnahme An die Stelle der traditionellen Zweiteilung der Arbeitnehmerschaft treten nach Kraushaar vier Gruppen, unterteilt nach dem Ausbildungsstand. Es ist zweifelhaft, ob diese Unterteilung verfassungsrechtlichen Vorgaben genügt.49 Das Bundesverfassungsgericht hat zwar die unterschiedliche Ausbildung als möglichen Anknüpfungspunkt anerkannt; damit ist aber noch nicht jede Differenzierung nach diesem Kriterium erlaubt. Es darf nämlich nicht allein auf die Art der Ausbildung bei den Grundkündigungsfristen abgestellt werden. Das wäre nur zulässig, wenn die unterschiedliche Qualität der Ausbildung Ursache für unterschiedliche Betroffenheit von Arbeitslosigkeit wäre. Um verfassungsrechtlich als sachgerecht anerkannt zu werden, müßte der Zusammenhang empirisch belegbar sein. Kraushaar geht von der Prämisse aus, je qualifizierter die Ausbildung, desto stärker sei die Spezialisierung und um so schwieriger sei es für den Arbeitnehmer, einen neuen Arbeitsplatz zu finden.50

48 BVerfG, NJW 1990, S. 2246,2247. 49 Krit. Blanke, AuR 1991, S. 1,9. 50 Kraushaar, BB 1990, S. 1764, 1771; s. auch Rosenbladt/Bächtemann, 1980, S. 552,558.

MittAB

95 Um diese These zu stützen, wäre zunächst zu untersuchen, ob z.B. gelernte Fachkräfte (Gesellen, Meister) länger arbeitslos sind als ungelernte, so daß sie für die längere Dauer der Stellensuche auch auf längere Kündigungsfristen angewiesen sind. Nach der jetzigen Wirtschaftslage ist das jedenfalls nicht der Fall. Nach den Zahlen von 1989 sind Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung kürzer arbeitslos (durchschnittlich 5,7 Monate) als ungelernte (durchschnittlich 7,6 Monate).51 Die zu einem Hindernis beim Stellenwechsel führende Spezialisierung tritt nur bei einigen Angestellten in leitender Position auf52. In dem mittleren Bereich werden qualifizierte Fachkräfte nach wie vor gesucht. Die These Kraushaars ist also zu wenig differenziert. - Nicht berücksichtigt wird auch die unterschiedliche Situation in den verschiedenen Branchen. Auch wenn man einmal unterstellt, die Prämisse Kraushaars wäre richtig, so stellt sich die weitere Frage, ob eine differenzierte Regelung bei den Kündigungsfristen zweckmäßig wäre. Die tatsächlichen Grundlagen für eine Differenzierung zwischen den Gruppen wandeln sich im Laufe der Zeit. So ist beispielsweise die bisher oft verwandte Unterscheidung zwischen Hand- und Kopfarbeit zur Charakterisierung der Arbeiter- und der Angestelltentätigkeit in weiten Bereichen hinfällig geworden und stellt heute kein tragfähiges Differenzierungskriterium mehr dar. Die Verknüpfung des Ausbildungsstandes oder der Qualifikation mit der Schutzwürdigkeit der Arbeitnehmer bei der Kündigungsfrist mag zur Zeit berechtigt sein. Wie schnell sich aber die Verhältnisse wandeln, mag man daran sehen, daß schon in dem Zeitraum zwischen den beiden einschlägigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts sich Unterschiede bei der Dauer der Arbeitslosigkeit zwischen Arbeitern und Angestellten ergaben. Während nach dem statistischen Material, das das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 16.11.1982 ausgewertet hat, Arbeiter im Durchschnitt etwas länger arbeitslos waren als Angestellte,53 ergab sich bei der zweiten Entscheidung eine längere Arbeitslosigkeit der Angestellten.54 Ebenso kann die Arbeitslosigkeit von Ungelernten, Facharbeitern und Akademikern stark schwanken, und es können sich auch branchenspezifische Unterschiede ergeben.

51 Arbeitsmarktanalyse 1988 anhand ausgewählter Bestands- und Bewegungsdaten, Amtliche Nachrichten der Bundesanstalt für Arbeit (ANBA) 1989, S.621,677. 52 Arbeitsmarktanalyse 1988 anhand ausgewählter Bestands- und Bewegungsdaten, ANBA 1989, S.621,677. 53 BVerfGE 62, S. 256,282 f. 54 BVerfG, NJW 1990, S. 2246,2247.

96 Soweit es um eine gesetzliche Regelung geht, wäre nur eine grobe Einteilung möglich, wenn man nicht ganz auf eine Differenzierung zwischen unterschiedlichen Gruppen von Arbeitnehmern verzichten will. Andererseits kann nur eine differenzierte Regelung die zeit- und branchentypischen Besonderheiten ausreichend erfassen. Sie sollte allerdings nicht durch ein Gesetz erfolgen, das nur schwer geändert werden und Besonderheiten nicht ausreichend berücksichtigen kann. Vielmehr sollte die Erledigung dieser Anpassung auf die Tarifparteien delegiert werden, die nach den Erfordernissen und Verhältnissen in den einzelnen Branchen flexibler und angemessener reagieren können. Eine gesetzliche Neuregelung sollte also eine Tariföffnungsklausel enthalten. IV.

Der Vorschlag von Beuthien/Sponer

1. Darstellung Beuthien/Sponer stützen sich bei ihrem Vorschlag für eine Neuregelung55 auf drei Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts: gegenüber höherqualifizierten Arbeitnehmern sind längere Kündigungsfristen zulässig, Kündigungsregelungen dürfen aus Kostengriinden abgestuft werden, das Bedürfnis nach erhöhter personalwirtschaftlicher Flexibilität im produktiven Bereich rechtfertigt kürzere Kündigungsfristen.

Darauf aufbauend nehmen Beuthien/Sponer bei den Kündigungsfristen eine Aufteilung zwischen leitenden Angestellten auf der einen Seite und einfachen Angestellten sowie Arbeitern auf der anderen Seite vor. Leitende Angestellte würden sich aufgrund ihrer Ausbildung und Qualifizierung von den anderen Arbeitnehmern abheben. Sie seien damit heute diejenige Gruppe, die der ursprünglichen Gruppe der Angestellten entspreche. Auch die Rechtsvergleichung spreche für die kündigungsrechtliche Privilegierung.56 Die Regelung komme dem Bedürfnis der Arbeitgeber entgegen, nach Leistung abzustufen. Auf die Definition in § 5 Abs. 3,4 BetrVG könne Bezug genommen werden. Im Hinblick auf einen Ausgleich zwischen den Interessen der Arbeitnehmer und denen der Arbeitgeber sei es rechtlich entweder möglich, von der Regelung für Arbeiter oder von der für Angestellte oder von einem Mittelweg auszugehen. Die Regelung auf dem Stand für Arbeiter 55 Beuthien/Sponer, SAE 1991, S. 146 ff. 56 Sie verweisen auf: Kommission der Europäischen Gemeinschaften. Vergleichende Studie über die Regelung der Arbeitsbedingungen in den Mitgliedstaaten, Brüssel, Juni 1989, S. 52.

97 bedeute für Angestellte einen zu starken Einschnitt. Die Anhebung auf das Angestelltenniveau führe zu einer zu hohen Kostenbelastung für die Arbeitgeber. Als Mittelweg schlagen Beuthien/Sponer für Arbeiter und einfache Angestellte eine Grundkündigungsfrist von einem Monat vor (eine Frist für leitende Angestellte nennen sie nicht; sie dürfte aber wohl sechs Wochen, wie bisher, betragen). Sofern überhaupt an festen Kündigungsterminen festgehalten werden soll, solle das Quartalsende durch das Monatsende ersetzt werden. Als verlängerte Kündigungsfristen schlagen Beuthien/Sponer vor: Dauer der Beschäftigung unter 1 Jahr über 1 Jahr über 5 Jahren alle 5 Jahre Höchstgrenze 25 Jahre

Kündigungsfrist 1 Monat 6 Wochen 2 Monate je 1 Monat längere Kündigungsfrist 6 Monate

Für Beschäftigte in der Produktion und in der Verwaltung könnten zwar theoretisch unterschiedliche Kündigungsfristen geschaffen werden; doch sollte man wegen unüberwindlicher Abgrenzungsprobleme davon absehen. Alle Regelungen sollten tarifdispositiv sein. 2. Stellungnahme Beuthien/Sponer schlagen ein differenziertes Modell für die Neuregelung der Kündigungsfristen vor. Ihre Anregungen tendieren dahin, die jetzt für Angestellte geltenden Regelungen auch auf Arbeiter zu übertragen. Dabei sind sie bemüht, die dadurch entstehenden Kostenbelastungen für die Arbeitgeber durch vermittelnde und neue Vorschläge zu senken. Dem Kündigungstermin gegenüber sind Beuthien/Sponer eher ablehnend eingestellt.57 Der vorgeschlagene gänzliche Verzicht, mindestens aber die Streuung auf möglichst viele Termine, entspricht auch der hier vertretenen Ansicht. Als Grundkündigungsfrist schlagen sie einen Monat vor, die Frist soll sich aber bereits nach einer Betriebszugehörigkeit von einem Jahr auf sechs Wochen erhöhen. Dieser Vorschlag hat den Vorteil, daß er eine mittlere Lösung zwischen der jetzt geltenden Regelung für Arbeiter und Angestellte anstrebt. Allerdings korrespondiert er nicht ausreichend 57 Beuthien/Sponer, SAE 1991, S. 148.

98 mit anderen rechtlichen und tatsächlichen Vorgaben. Ein echter Ausgleich für die Arbeitgeber liegt darin nicht. Ein großer Teil des ersten Arbeitsjahres, in der Regel drei bis sechs Monate, entfallt auf die Probezeit, in der im allgemeinen eine kürzere Frist vereinbart wird. Der Vorteil für die Arbeitgeber würde sich dann nicht auf das gesamte erste Jahr erstrecken, sondern wesentlich weniger betragen. Außerdem müßte ermittelt werden, wieviele Arbeitsverhältnisse innerhalb des ersten Jahres nach Ablauf der Probezeit - durch eine arbeitgeberseitige Kündigung beendet werden. Nur dann ist eine Aussage möglich, ob dieser Vorschlag tatsächlich einen Mittelweg darstellt, wovon Beuthien/Sponer ausgehen. Zu berücksichtigen ist weiterhin, daß die Arbeitgeber bei Neueinstellungen sich bereits jetzt schon die Erleichterungen, die das Beschäftigungsförderungsgesetz gewährt, zunutze machen können. Daß eine Kündigungsfrist von vier Wochen für das erste Beschäftigungsjahr einen Vorteil bietet, der die für die Arbeitgeber entstehenden Nachteile ausgleicht, ist nicht ersichtlich. Weiterhin regen Beuthien/Sponer an, daß unterschiedliche Kündigungsfristen für die Beschäftigten in Produktion und Verwaltung eingeführt werden. Die Möglichkeit der Differenzierung in diesem Bereich hat auch das Bundesverfassungsgericht angedeutet.58 Die Schwierigkeiten, die sich hierbei aus einer notwendigen Differenzierung ergeben, sehen auch Beuthien/Sponer.59 Eine Festlegung im Gesetz kann den unterschiedlichen Verhältnissen in verschiedenen Branchen und den einzelnen Konjunkturphasen nicht Rechnung tragen. Deshalb sollte eine solche Regelung, sofern sie erforderlich ist, den Tarifvertragsparteien vorbehalten bleiben, die bei dem Erfordernis einer differenzierten Regelung für die Bereiche Produktion und Verwaltung eine entsprechende Regelung besser setzen können. Eine pauschale Unterscheidung zwischen dem Produktions- und dem Verwaltungsbereich ist auch sogleich wieder dem Problem der Vergleichbarkeit im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG ausgesetzt. Sofern eine gesetzliche Regelung nicht den einzelnen gruppenspezifischen Bedürfnissen Rechnung trägt, können erneut verfassungsrechtliche Bedenken entstehen.60 Zusätzlich regen Beuthien/Sponer an, die Kündigungsfristen für die betriebsbedingte Kündigung im Verhältnis zu sonstigen Kündigungen zu halbieren.61 Dem ist entgegenzuhalten, daß gerade bei der be58 59 60 61

BVerfG, NJW 1990, S. 2246,2248. Beuthien/Sponer, SAE 1991, S. 148. Vgl. BVerfG, NJW 1990, S. 2246,2247 f. Beuthien/Sponer, SAE 1991, S. 148.

99 triebsbedingten Kündigung, auf die der Arbeitnehmer keinen Einfluß hat, das Erfordernis einer sozialen Abfederung in erhöhtem Maße besteht. Genauso gut ließe sich vertreten, für personen- und erst recht für verhaltensbedingte Kündigungen die Fristen zu verkürzen, da hier der Arbeitnehmer, insbesondere bei der verhaltensbedingten Kündigung, Einflußmöglichkeiten hat. Unterschiedliche Kündigungsfristen würden zudem das bisher bestehende System des Kündigungsrechts weiter verwirren und zudem einen Anreiz dafür bieten, daß die arbeitgeberseitige Kündigung vorrangig auf betriebsbedingte Gründe gestützt wird. Bei den verlängerten Kündigungsfristen sehen Beuthien/Sponer eine Erhöhung der Kündigungsfrist auf einen Monat bei fünfjähriger Betriebszugehörigkeit vor. Die Frist soll sich alle fünf Jahre um einen Monat erhöhen bis zu einer 25jährigen Betriebszugehörigkeit. Dieser lineare Anstieg trägt jedoch den Gründen, die eine längere Kündigungsfrist bedingen, nicht hinreichend Rechnung und berücksichtigt die Arbeitnehmerinteressen zu wenig. Die Gründe für eine Verlängerung der Kündigungsfristen sind das Lebensalter und die Betriebszugehörigkeit. Hierbei ist besonderes Gewicht auf die Betriebszugehörigkeit zu legen. Der daraus entstehenden Verfestigung der außer- und innerbetrieblichen Lebensverhältnisse des Arbeitnehmers und seiner dadurch abnehmenden Flexibilität ist dadurch Rechnung zu tragen, daß ihm ein gesteigerter Bestandsschutz gewährt wird, wenn eine solche Verfestigung eingetreten ist. Deshalb sollte bereits nach acht Jahren und relativ kurz darauf folgend nach zehn Jahren eine deutliche Erhöhung der Kündigungsfrist erfolgen, um diesen Umständen Rechnung zu tragen. Bei Beuthien/Sponer wird eine fünfmonatige Kündigungsfrist erst nach 20 Jahren der Betriebszugehörigkeit erreicht. Damit wird dem Lebensalter eine größere Bedeutung als der Betriebszugehörigkeit zugemessen. Richtig ist aber, so auch der Vorschlag von Beuthien/Sponer, eine Kombination von Lebensalter und Betriebszugehörigkeit, wobei das größere Gewicht auf die Betriebszugehörigkeit zu legen ist. Für leitende Angestellte verlangen Beuthien/Sponer eine längere Kündigungsfrist als für andere Arbeitnehmer. Begründet wird diese Forderung damit, daß leitende Angestellte schwieriger einen neuen Arbeitsplatz fänden. 62 Längere Kündigungsfristen für leitende Angestellte können daher gerechtfertigt sein. Fraglich ist aber, ob insoweit ein Handlungsbedarf besteht. In der Regel wird für leitende Angestellte individualvertraglich eine sehr lange Kündigungfrist - 6 Monate zum 6 2 Beuthien/Sponer,

SAE 1991, S. 147; vgl. auch BVerfG, NJW 1990, S. 2246,2248.

100 Jahresende oder auch 9 Monate zum Halbjahresende - vereinbart. Das Erfordernis, daß leitenden Angestellten eine längere Frist zur Arbeitsplatzsuche gewährt werden muß, ist bereits dadurch verwirklicht, daß die Unternehmen leitende Angestellte langfristig an sich binden wollen und daher, oft zum Nachteil der leitenden Angestellten, die Auflösung des Arbeitsverhältnisses erschweren. Es stellt sich daher eher das Problem, daß die individualvertraglichen Kündigungsfristen für leitende Angestellte für die arbeitnehmerseitige Kündigung zu lang sind. Handlungsbedarf unter dem Aspekt, daß leitenden Angestellten eine längere Kündigungsfrist zuzubilligen ist, ist auch deshalb nicht gegeben, weil diese Angestelltengruppe regelmäßig in der Lage ist, für sich günstige Fristen auszuhandeln. Nach Beuthien/Sponer sollen die künftigen gesetzlichen Regelungen zum Kündigungsrecht vollständig tarifpositiv sein. Begründet wird dies damit, daß bei den im Wechselspiel der sozialen Gegenkräfte zustande kommenden Abreden der Tarifparteien die Sachgerechtigkeit am ehesten zu vermuten ist. Sie müsse daher im Vordergrund stehen.63 Dem ist ohne Einschränkung zuzustimmen. V.

Der Vorschlag des DGB vom 5.4.1977

Darstellung 1. Der DGB hat am 5.April 1977 einen eigenen Entwurf zu einem Arbeitsvertragsgesetz vorgelegt, der als Alternativentwurf zum Entwurf der Arbeitsgesetzbuchkommission 1977 gedacht war.64 Die Kündigungsfristen sind in § 118 des Entwurfs geregelt.65 Der Vorschlag des DGB lautet: §118 Kündigungsfristen

(1) Der Arbeitgeber kann das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung einer Frist von 2 Monaten zum Schluß eines Kalendermonats ordentlich kündigen. Eine andere als die im Satz 1 bestimmte Kündigungsfrist kann nur durch Tarifvertrag vereinbart werden. (2) Abweichend von Abs. 2 beträgt die Kündigungsfrist, wenn das Arbeitsverhältnis bei ihrem Ablauf 1. 5 Jahre bestanden hat, 3 Monate, 63 Beuthien/Sponer, SAE 1991, S. 148. 64 Der DGB-Vorschlag ist abgedruckt in RdA 1977, S. 166 ff. 65 RdA 1977, S. 177.

101 2. 8 Jahre bestanden hat, 4 Monate, 3.10 Jahre bestanden hat, 5 Monate, 4.12 Jahre bestanden hat, 6 Monate, 5. 15 Jahre bestanden hat, 9 Monate zum Schluß eines Kalendermonats. Bei der Berechnung der Dauer des Arbeitsverhältnisses bleiben Zeiten vor der Vollendung des 25. Lebensjahres des Arbeitnehmers außer Betracht. (3) Mit Vollendung des 40. Lebensjahres verlängern sich die Kündigungsfristen nach Abs. 2 um einen Monat, mit Vollendung des 45. Lebensjahres um zwei und mit Vollendung des 50. Lebensjahres um drei Monate. 2.

Stellungnahme

Der Entwurf des DGB ist der eines Interessenverbandes. Die einzelnen Vorschriften gehen zugunsten der Arbeitnehmer noch weiter als die Regelungen, die für Angestellte derzeit gem. § 622 BGB und dem Angestelltenkündigungsschutzgesetz gelten. Die Fristen sind sehr lang gewählt und erhöhen sich nach fünfzehnjähriger Betriebszugehörigkeit auf neun Monate. Die einzige Abweichung von der Angestelltenregelung des § 622 Abs. 1 BGB findet sich in § 118 Abs. 2 des Entwurfs. Darin wird der Kündigungstermin auf das Monatsende festgelegt. Diese Verkürzung der Arbeitnehmeiposition wird aber durch die übrigen Regelungen mehr als kompensiert. Insgesamt ist der Vorschlag des DGB unausgewogen und berücksichtigt einseitig allein die Arbeitnehmerinteressen. Er ist allenfalls als Verhandlungsbasis diskutabel, die auf ein Nachgeben ausgerichtet ist. Eine Chance zur Verwirklichung besteht nicht. Die Einwände, die gegen diese Regelung vorgebracht werden müssen, entsprechen denen, die bereits dem Entwurf der Arbeitsgesetzbuchkommission und dem SPD-Entwurf entgegengehalten wurden, nur in erheblich verstärktem Maße. Eine Besonderheit enthält der Entwurf des DGB in § 118 Abs. 3. Unabhängig von der Betriebszugehörigkeit sollen sich die Kündigungsfristen nach dem Lebensalter erhöhen. Ein fünfzigjähriger Arbeitnehmer erhält also eine Mindestkündigungsfrist von vier Monaten, wenn er ein Arbeitsverhältnis neu eingeht, hingegen bis zu 12 Monaten nach fünfzehnjähriger Betriebszugehörigkeit. Daraus ergibt sich zunächst für eine lange Betriebszugehörigkeit ein doppelter Bonus, der nicht gerechtfertigt ist. Die erforderliche Verlängerung der Kündigungsfristen nach dem 25. Lebensjahr, abhängig von der steigenden Betriebszugehörigkeit, bezieht ja bereits das Lebensalter mit ein. Der DGB versucht durch die

102 gesetzestechnische Trennung, diese Aspekte noch einmal zu berücksichtigen. Diskutabel wäre allein, ob nicht älteren Arbeitnehmern, die zum Beispiel nach dem fünfzigsten Lebensjahr ein Arbeitsverhältnis neu begründen, allein aufgrund ihres Lebensalters eine längere Kündigungsfrist einzuräumen ist, da sie eine längere Betriebszugehörigkeit kaum mehr im ausreichenden Maße erreichen können. Dies scheint auf den ersten Blick sozial geboten. Die Nachteile einer solchen Regelung überwiegen jedoch. Sie würde für ältere Arbeitnehmer ein immenses Einstellungshindernis bedeuten, das ihre Lage auf dem Arbeitsmarkt weiter drastisch verschlechtern würde. In Zeiten einer schlechten Arbeitsmarktlage würde ein Arbeitgeber einen älteren Arbeitnehmer nicht mehr einstellen. Auch diesem Vorschlag des DGB ist, auch in der angesprochenen Abwandlung, nicht zu folgen. F.

Das Arbeitsgesetzbuch der DDR

Der Impuls zur Aufnahme des Art. 30 in den Einigungsvertrag geht auf die DDR zurück. Dahinter steht der Gedanke, daß Gedankengut aus dem Arbeitsrecht der DDR in ein neues Arbeitsvertragsrecht übernommen werden sollte. Von daher bietet sich ein Vergleich mit der Rechtslage in der DDR und den neuen Bundesländern an. Das Arbeitsgesetzbuch der DDR (AGB) in seiner Fassung vor der Wende66 unterschied - von wenigen Ausnahmen abgesehen - nicht zwischen Arbeitern und Angestellten, sondern hatte allein den "Werktätigen" als Adressaten.67 Es sah in § 55 AGB eine Kündigungsfrist von zwei Wochen vor. Die Regelung lautete: §55 Kündigungsfristen und -termine

Die Kündigungsfrist beträgt mindestens zwei Wochen. Im Arbeitsvertrag können Kündigungsfristen bis zu drei Monaten und als Kündigungstermin das Monatsende vereinbart werden. Für bestimmte Personengruppen können in Rechtsvorschriften besondere Kündigungsfristen und -termine festgelegt werden. Es kann wohl kaum empfohlen werden, auch für die Angestellten in der

66 GBl. DDR 1 1977, Nr. 18, S. 188. 67 S. oben 3. Kap. B 11.

103 Bundesrepublik diese Kündigungsfrist, die derjenigen der Arbeiter entspricht, zu übernehmen. Eine Verbesserung für die Arbeitnehmer der DDR trat am 1. Juli 1990 ein. In § 55 AGB wurde aus dem bundesdeutschen Recht die Regelung für seit längerem beschäftigte Arbeiter in das Recht der DDR übertragen, mit Geltung für alle Arbeitnehmer, also für Arbeiter und Angestellte. Dem lag die Überlegung zugrunde, daß § 622 B G B und das Angestelltenkündigungsschutzrecht ohnehin reformiert werden müßten, so daß diese teilweise verfassungswidrige Regelung nicht auf die DDR übertragen werden sollte. Der Einigungsvertrag schrieb die am 1. Juli 1990 geltende Regelung für die neuen Bundesländer fest. Derzeit gelten also in den neuen Bundesländern sowohl für seit längerem beschäftigte Arbeiter als auch für seit längerem beschäftigte Angestellte die in den alten Bundesländern für Arbeiter geltenden Fristen. § 55 AGB in der Fassung, die in den neuen Bundesländern derzeit unbefristet fortgilt, lautet: §55 (1) Hat der Arbeitsvertrag in demselben Betrieb oder Unternehmen fünf Jahre bestanden, erhöht sich für die Kündigung durch den Arbeitgeber die Kündigungsfrist auf einen Monat zum Monatsende, hat er zehn Jahre bestanden, erhöht sich die Kündigungsfrist auf zwei Monate zum Monatsende, hat er zwanzig Jahre bestanden, erhöht sich die Kündigungsfrist auf drei Monate zum Ende des Kalendervierteljahres; bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer werden Zeiten, die vor der Vollendung des fünfundzwanzigsten Lebensjahres des Arbeitnehmers liegen, nicht berücksichtigt. (2) Kürzere als die im Absatz 2 genannten Kündigungsfristen können durch Tarifvertrag vereinbart werden. Im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrages gelten die abweichenden tarifvertraglichen Bestimmungen zwischen nicht tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, wenn ihre Anwendung zwischen ihnen vereinbart ist. (3) Für die Kündigung des Arbeitsvertrages durch den Arbeitnehmer darf arbeitsvertraglich keine längere Frist vereinbart werden als für die Kündigung durch den Arbeitgeber. (4) Für bestimmte Personengruppen können in Rechtsvorschriften besondere Kündigungsfristen und -termine festgelegt werden. Es war das Bestreben des Gesetzgebers des Einigungsvertrages, eine Regelung zu finden, die einerseits auf die neue BVerfG-Rechtsprechung Rücksicht nimmt, andererseits aber eine zukünftige gesamtdeutsche Neu-

104 regelung nicht präjudiziert. Deshalb wurde einerseits eine für Arbeiter und Angestellte gleiche Regelung geschaffen, andererseits wurde bei den Fristen eine Sockellösung zugrundegelegt. Sie kann daher für eine zukünftige gesamtdeutsche Regelung auch nur den unteren Stand wiedergeben und läßt Raum für stärker im Sinne des Arbeitnehmerschutzes liegende Regelungen. G.

Gesichtspunkte für eine Neuregelung

I.

Grundprobleme einer Neuregelung

Das Bundesverfassungsgericht hat sich zwar nur zu den Grundkündigungsfristen und den verlängerten Kündigungsfristen geäußert; doch ist offensichtlich, daß auch die Kündigungstermine von der Neuregelung erfaßt werden. Damit steht § 622 BGB insgesamt ebenso zur Disposition wie das Angestelltenkündigungsschutzgesetz. In diesem Zusammenhang soll deshalb auch auf diejenigen Fragen eingegangen werden, in denen keine Ungleichbehandlung zwischen Arbeitern und Angestellten vorliegt, die aber in den Gesamtzusammenhang des § 622 BGB gehören. Das Bundesverfassungsgericht verpflichtet den Gesetzgeber nur, eine für Arbeiter und Angestellte gleiche Regelung zu schaffen; inhaltliche Vorgaben sind damit nicht verbunden. Unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 Abs. 1 GG ist daher sowohl eine Lösung möglich, die die derzeit für Arbeiter geltende Regelung insgesamt auf Angestellte überträgt, als auch eine Lösung, die sich ganz an den Vorschriften für Angestellte orientiert. Schließlich kommt unter dem Aspekt des Gleichheitssatzes auch eine Lösung in Betracht, die irgendwo zwischen der Regelung für Arbeiter und der für Angestellte liegt, sowie schließlich eine Lösung, die weder auf die Regelung für Arbeiter noch auf die für Angestellte zurückgreift, sondern eigenständig ist. Wenn die verfassungsrechtliche Vorgabe derart offen ist, stellt sich die weitere Frage nach Gründen der Sachgerechtigkeit für die eine oder die andere Lösung. Jedoch gibt es keine gleichsam naturrechtlich vorgegebene Kündigungsfrist und keine naturrechtlich vorgegebenen Kündigungstermine. Soll die vorgeschlagene Lösung also nicht willkürlich sein, so gilt es die Gesichtspunkte herauszuarbeiten, die bei einer Neuregelung zu beachten sind. Die insoweit im folgenden aufgeführten Überlegungen sind vor einer gesetzlichen Neuregelung in jedem Fall zu berücksichtigen. Da aber innerhalb der verfassungsrechtlichen Vorgaben sehr viel Spielraum für eine Neufassung des Kündigungsrechts bleibt,

105 kann der sich anschließende Vorschlag auch nur eine subjektive Bewertung und Gewichtung der vorgetragenen Überlegungen darstellen. Ein Grundproblem aller derartigen Anpassungen ist, daß es leichter ist, den Arbeitnehmerschutz anzuheben und Vergünstigungen auf andere zu erstrecken als einen einmal erreichten Standard herabzusenken. Es geht aber nicht nur um die Interessen der Arbeitnehmer, die auf möglichst lange Kündigungsfristen und -termine zielen, sondern auch um die der Arbeitgeber als Unternehmer. Jede Verlängerung der Kündigungsfristen und -termine bedeutet wirtschaftlich eine höhere Belastung der Unternehmen ohne Gegenwert; denn da es sich um gekündigte Arbeitnehmer handelt, sieht der Arbeitgeber deren Beschäftigung als nicht mehr vorteilhaft für das Unternehmen an. Zur Sachgerechtigkeit der Neuregelung gehört des weiteren im Hinblick auf die Rechtssicherheit die Überschaubarkeit der Regelung. Das bedingt einen klar gegliederten Gesetzesaufbau mit möglichst wenigen oder jedenfalls nachvollziehbaren Differenzierungen. Zu berücksichtigen ist femer, daß die Neuregelung praktikabel sein muß. Schließlich muß die vorgeschlagene Neuregelung auch Akzeptanz finden, und zwar sowohl bei den Arbeitern und den Angestellten selbst als auch bei den Gewerkschaften, bei den Arbeitgebern und ihren Verbänden sowie bei den politischen Parteien. Die Rücksicht auf die Akzeptanz darf zwar nicht dazu führen, daß sachlich gebotene Lösungen verworfen werden; doch sollte von Vorschlägen abgesehen werden, die erkennbar nicht durchzusetzen sein werden. II.

Der Sinn des Kündigungsschutzrechts

Unmittelbarer Regelungsbedarf im Kündigungsrecht besteht zwar nur im Hinblick auf die unterschiedlichen Kündigungsfristen für Arbeiter und für Angestellte. Wenn der Gesetzgeber aber das Kündigungsrecht überhaupt neu aufgreifen muß, stellt sich die Frage, ob eigendich das bisherige System sachgerecht ist. In einem anderen System könnte sich vielleicht auch das Problem der Kündigungsfristen erübrigen. 1. Verzicht auf das Kündigungsrecht Im Hinblick auf die Daseinsberechtigung eines besonderen arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzrechts lassen sich zwei Extremmodelle feststellen68: Auf der einen Seite steht das deutsche Modell eines weitgehenden Kündigungsschutzrechts, auf der anderen Seite das ame68 Wank, DtZ 1990, S. 42,49.

106 rikanische Modell des Kündigungsschutzrechts, über das man - pointiert gesagt - eigentlich nur sagen kann, daß es nicht existiert 69 - und zwar weder was den Schutz über Erfordernisse an Kündigungsgründen noch was den Schutz über Kündigungsfristen angeht. Jedenfalls gilt das für das gesetzliche Kündigungsschutzrecht. Durch Tarifverträge wird zwar ein gewisser, aber keineswegs weitgehender Schutz erreicht. Sieht man den Arbeitsmarkt als einen Markt wie andere auch, 70 dann ist in den Vereinigten Staaten eine hohe Stufe der Deregulierung des Kündigungsrechts erreicht; genauer: Eine Regulierung hat hier gar nicht erst bestanden, da dem amerikanischen Rechtsbewußtsein die soziale Betrachtung des Arbeitsrechts bis heute fremd geblieben ist. - Unter den Bedingungen eines ausgewogenen Marktes mag dieses System funktionieren. Wenn genügend Arbeitsplätze frei sind und jeder gekündigte Arbeitnehmer sofort einen neuen Arbeitsplatz findet, bedürfen Kündigungen keiner intensiven Kontrolle. Wenn weniger nach Stellenbeschreibungen und formalen Qualifikationen als vielmehr von den ad hoc erwarteten und bewiesenen Fähigkeiten ausgegangen wird, ist der Arbeitsmarkt zugunsten beider Seiten flexibler. Für Deutschland würde die Übernahme eines derartigen Modells eine derart revolutionäre Entwicklung bedeuten, daß eine Übernahme derzeit nicht als konsensfähig angesehen werden kann. Im Hinblick auf Kündigungsfristen jedenfalls dürfte das amerikanische Modell zudem den Interessen beider Parteien des Arbeitsvertrages nicht gerecht werden. Arbeitnehmer brauchen eine längere Zeit für die Suche nach einem neuen Arbeitsplatz, Arbeitgeber für die Suche nach einem neuen Bewerber. 2. Abfindungsschutz statt Bestandsschutz In der neueren Literatur wird vorgeschlagen, 71 auf den Kündigungsschutz als Bestandsschutz, wie er der gesetzlichen Regelung zugrundeliegt, zu verzichten und stattdessen die Rechtslage der geltenden Praxis anzupassen. Danach bedürfte es für die Kündigung keines Grundes mehr, dafür aber wäre in jedem Falle eine Abfindung zu zahlen. - Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung braucht dieser Vorschlag nicht vertieft zu 69 S. die Darstellungen bei Jander/Lorenz, RdA 1990, S. 97 ff.; Möllers/Brusche, JR 1989, S. 441 ff. 70 S. zum Ganzen Deregulierungskommission, Textziffer 556 ff.; zum Recht auf Arbeit Wank, Das Recht auf Arbeit, sowie zuletzt Nebendahl, ZRP 1991, S. 257. 71 Kraushaar, BB 1988, S. 2202, 2204; Rühle, DB 1991, S. 1378, 1379 ff.; weitere Vorschläge bei Becker/Rommelspacher, ZRP 1976, S. 40.

107 werden. Er setzt beim Erfordernis des Kündigungsgrundes an; Kündigungsfristen werden dadurch nicht in Frage gestellt. 3. Sonstige Neuvorschläge Auch die weiteren Vorschläge zur grundsätzlichen Neuregelung des Kündigungsschutzrechts, wie z.B. die Ersetzung der Kündigungserklärung durch eine gerichtliche Auflösungsentscheidung,72 berühren die hier zu erörternde Problematik der Kündigungsfristen nicht. 4.

Verzicht auf

Kündigungsfristen

Die radikale Lösung, auf Kündigungsfristen im Arbeitsrecht ganz zu verzichten, wurde bisher auch von den Befürwortern einer weitgehenden Deregulierung nicht vertreten. Auch hat der rechtsvergleichende Überblick ergeben, daß ein gesamteuropäischer Konsens im Hinblick auf die Notwendigkeit von Kündigungsfristen besteht.73 Die späteren Ausführungen zu den Kündigungsfristen werden sich aber sowohl mit der grundsätzlichen Notwendigkeit der Kündigungsfristen als auch mit den Argumenten für eine bestimmte Dauer auseinandersetzen müssen. III.

Die Grundkündigungsfrist

Geht man vom geltenden Recht aus, so besteht für Arbeiter eine Grundkündigungsfrist von zwei Wochen, für Angestellte von mindestens sechs Wochen (in Verbindung mit starren Kündigungsterminen: von bis zu fast 18 Wochen), in den neuen Bundesländern einheitlich von zwei Wochen. Dem Vorschlag Kraushaars liegen gestaffelte Grundkündigungsfristen, je nach Arbeitnehmergruppe, von zwei Wochen bis zu zwei Monaten zugrunde. Die Arbeitgesetzbuchkommission hat bereits 1977 eine Grundkündigungsfrist für Arbeiter und Angestellte von sechs Wochen vorgesehen. Der SPD-Entwurf folgt dem. Rechtstatsächlich gilt eine Grundkündigungsfrist von sechs Wochen in den alten Bundesländern für mehr als die Hälfte der Arbeitnehmer, während in den neuen Bundesländern die Zweiwochenfrist für alle Arbeitnehmer gilt. Dafür, die Sechswochenfrist zur Grundlage einer Neuregelung zu machen, spricht ihre lange historische Verfestigung. Für bestimmte Angestellte wurde die Sechswochenfrist gesetzlich bereits 1861 in Art. 60 ADHGB eingeführt. Das Gesetz schuf dieses Privileg nicht neu, sondern 72 KR Wo//, Grundsätze, Rdnr. 628; Nickel, AuR 1975, S. 97 f. 73 S. o. 5. Kapitel D II.

108 griff auf eine entsprechende Übung der Handelsstände zurück.74 Allerdings waren die Angestellten damals nur eine kleine herausgehobene Gruppe von Arbeitnehmern, ähnlich den leitenden Angestellten heute. Die Sechswochenfrist wurde jedoch später auf immer breitere Kreise der Arbeitnehmer ausgedehnt, so auf die gewerblichen Angestellten in § 133a GewO.75 Schließlich wurde diese Frist einheidich für alle Angestellten ins BGB übernommen. Sie gilt somit für alle Angestellten seit 91 Jahren. Auch wenn der Anteil der Angestellten an der Arbeitnehmerschaft damals bei weitem nicht an das heutige Verhältnis heranreichte, so verbindet sich doch im Bewußtsein der Arbeitnehmer die Stellung als Angestellter seit Jahrzehnten mit dem Gedanken an eine sechswöchige Kündigungsfrist. Auch die Dispositivität der Regelung über die Kündigungsfrist wurde bereits früh eingeschränkt.76 Der Gedanke einer Mindestkündigungsfrist für Arbeitnehmer, die einzelvertraglich nicht abdingbar ist, kam bereits früh auf.77 In vielen Gewerbegesetzen des 19. Jahrhunderts gab es bereits unterschiedlich lange - Kündigungsfristen.78 Für eine gesetzliche Neuregelung muß jedoch herausgearbeitet werden, welchen Sinn Kündigungsfristen allgemein haben und welchen Sinn insbesondere eine Frist von sechs Wochen hat. Der Arbeitgeber ist für eine von ihm ausgehende Kündigung nicht auf eine Kündigungsfrist angewiesen. Er könnte jeweils ad hoc oder mit deijenigen Frist kündigen, die er für die Wiederbesetzung der Stelle benötigt. Anders verhält es sich mit der arbeitnehmerseitigen Kündigung. Hier muß der Arbeitgeber vorausplanen können, wenn ein Arbeitnehmer durch Kündigung ausscheidet. Um die Kontinuität von Arbeitsabläufen zu wahren, ist ein möglichst lückenloser Anschluß durch ein neues Arbeitsverhältnis erforderlich. Das setzt genügend Zeit voraus, um einen geeigneten Nachfolger zu suchen, mit ihm zu verhandeln und eine Auswahl unter mehreren Bewerbern zu treffen. Da oftmals mehrere Bewerber in Betracht kommen und sie unter Umständen mehrere Angebote von anderen Arbeitgebern haben, so daß sie trotz einer positiven Entscheidung des einen Arbeitgebers ein anderes Angebot wählen, nimmt das Verfahren von Einladung, Gespräch, Abwägung und Entscheidungs74 75 76 77 78

Entwurf eines Handelsgesetzbuchs, 2. Teil, Motive, S. 35. Durch die Novelle zur Gewerbeordnung von 1871. BGBl. 1869, S. 404 ff. Entwurf eines Handelsgesetzbuchs, 2. Teil, Motive, S. 35. Vgl. § 110 GewO von 1869: 14 Tage; § 122 GewO von 1878: 14 Tage.

109 findung einen gewissen Zeitraum in Anspruch. Sechs Wochen erscheinen hier angemessen. Allerdings war die Sechswochenfrist ursprünglich auf höher qualifizierte Arbeitnehmer beschränkt. Bei deren Einstellung nimmt das Verfahren wegen der gebotenen Abwägung und der Tragweite der Entscheidung unter Umständen mehr Zeit in Anspruch als bei der Einstellung Ungelernter; hier mag das Angebot zeitweise größer und es mögen die Anforderungen an die Entscheidungsfindung geringer sein. - Aus Arbeitgebersicht brauchte die Kündigungsfrist daher nicht unbedingt einheitlich sechs Wochen zu betragen. Dem Arbeitnehmer gibt die Kündigungsfrist - im Falle der arbeitgeberseitigen Kündigung - ebenfalls Zeit, sich nach einer neuen Beschäftigung umzusehen und an Bewerbungs- und Auswahlverfahren teilzunehmen. Welche Zeit ausreicht, hängt von der, unter Umständen branchenspezifischen, Arbeitsmarktsituation ab. In Zeiten schlechter Konjunktur kann ein langer Zeitraum vergehen, bis ein neuer Arbeitsplatz gefunden wird. Damit stellt sich die Frage, inwieweit der Arbeitgeber das Risiko tragen sollte, daß ein entlassener Arbeitnehmer keinen neuen Arbeitsplatz findet. In der DDR war dem Arbeitgeber auch dieses Risiko zugewiesen. Anstelle einer Kündigung sollte er eine Überleitung vornehmen, d.h. selbst einen neuen Arbeitgeber suchen und den Arbeitnehmer dorthin vermitteln.79 Unter den Bedingungen der Marktwirtschaft kann die Fürsorge des Arbeitgebers nicht so weit gehen. Grundsätzlich ist es Sache des Arbeitnehmers selbst, sich in angemessener Frist um einen neuen Arbeitsplatz zu bemühen. Gelingt das nicht, so kann das Risiko jedenfalls nicht mit den Mitteln des Arbeitsrechts, sondern nur mit den Mitteln des Sozialrechts aufgefangen werden. In einer ersten Stufe greift die Arbeitslosenversicherung ein, deren Träger dem Arbeitnehmer bei der Stellensuche behilflich sind und die durch Arbeitslosengeld die Zeit der Stellensuche überbrücken. Soweit die Voraussetzungen für die Zahlung von Arbeitslosengeld nicht oder nicht mehr bestehen, kommt in einer zweiten Stufe die Arbeitslosenhilfe sowie schließlich die Sozialhilfe zum Zuge. Im Rahmen des marktwirtschaftlichen Systems kann also die Einräumung einer Kündigungsfrist nicht den Sinn haben, den gesamten Zeitraum bis zum Antritt eines neuen Arbeitsplatzes zu überbrücken. Innerhalb von sechs Wochen muß bei normaler Situation auf dem Arbeits79 S. Wank, Das Recht auf Arbeit, S. 72 ff.

110 markt das Verfahren der Stellensuche einschließlich eines eventuell erforderlichen Umzugs abgeschlossen sein. Allerdings erscheint die Sechswochenfrist eher nur für höher qualifizierte Arbeitnehmer angemessen. Weniger qualifizierte Arbeitnehmer bedürfen in der Regel zur Durchführung eines Bewerbungs- und Einstellungsverfahrens nur eines kürzeren Zeitraums. Nach dem bisherigen Stand der Überlegungen ist zwar verfassungsrechtlich vorgegeben, daß nicht zwischen Arbeitern und Angestellten differenziert werden darf. Jedoch gibt es einen sachlichen Grund für abgestufte Kündigungsfristen je nach dem Stand der Qualifikation des Arbeitnehmers. Dem Vorschlag Kraushaars entsprechend könnte man von daher gestaffelte Kündigungsfristen vorsehen. Oben wurden aber bereits die Bedenken gegen eine derartige Lösung vorgetragen; sie sprechen dafür, eine einheitliche Kündigungsfrist für alle Arbeitnehmer zugrundezulegen. Wie dargelegt, kann die Sechswochenfrist dazu führen, daß bestimmte Gruppen von Arbeitnehmern eine längere Kündigungsfrist erhalten, als sie für ihre Stellensuche benötigen. Insoweit muß allerdings neben dem Aspekt "Zeit für Stellensuche" als zweites der Aspekt der "sozialen Abfederung" berücksichtigt werden. Als nachwirkende Pflicht aus dem Arbeitsverhältnis ergibt sich die Verpflichtung, dem Arbeitnehmer eine begrenzte zeitliche Auslauffrist zu gewähren, wenn er nicht sofort einen neuen Arbeitsplatz finden kann. Diese Auslauffrist kommt den niedrig wie den hoch qualifizierten Arbeitnehmern zugute. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die Kündigungsfrist dazu dient, dem Arbeitgeber die Neubesetzung eines frei gewordenen Arbeitsplatzes so zu ermöglichen, daß Übergangsschwierigkeiten vermieden werden. Das Gleiche gilt für den Arbeitnehmer, der eine neue Arbeitsstelle sucht. Bei der Länge der hierzu erforderlichen Fristen können sich Unterschiede je nach der Art der Beschäftigung oder nach der Qualifikation ergeben, die unterschiedliche Regelungen rechtfertigen könnten. Da die Kündigungsfrist aber zugleich der sozialen Abfederung dient, ist für alle Arbeitnehmer eine einheitliche Kündigungsfrist festzulegen. Dafür bietet sich die Sechswochenfrist an. Diese Frist hat eine lange Tradition und gehört zum gesicherten Besitzstand großer Teile der Arbeitnehmerschaft. Die Rechtsvergleichung hat ergeben, daß in den untersuchten Ländern jeweils eine Grundkündigungsfrist besteht, die von 6 Tagen für Arbeiter in Italien bis zu 3 Monaten für Angestellte in Belgien reicht. Soweit eine einheitliche Kündigungsfrist für Arbeiter und Angestellte besteht, wie in

111 Frankreich und in der Schweiz, beträgt sie einen Monat. Rechtsvergleichend gesehen bewegt sich der Vorschlag, die 6-Wochen-Frist der Angestellten auf Arbeiter zu erstrecken, innerhalb des europäischen Rahmens. Für Angestellte bedeutet dieser Vorschlag, daß sie ihre bisherige privilegierte Stellung gegenüber den Arbeitern verlieren. Da jedoch die Gleichbehandlungspflicht ohnehin vorgegeben ist, müssen sie daran interessiert sein, ihren bisherigen hohen Standard beizubehalten. Für Arbeiter bedeutet der Sprung von der Zweiwochenfrist zur Sechswochenfrist eine ganz erhebliche Verbesserung. Erhebliche Bedenken sind demgegenüber von Arbeitgeberseite zu erwarten. In diesem Zusammenhang ist an das Schicksal des Vorschlags der Arbeitsgesetzbuchkommission zu erinnern. Er ist gescheitert, weil er den Arbeitgebern zu weit und den Arbeitnehmern nicht weit genug ging. Einer der Hauptstreitpunkte war dabei die Länge der Kündigungsfrist, insbesondere die Anhebung der Stellung der Arbeiter auf das Niveau der Angestellten. In der Kritik am SPD-Entwurf wurde bereits dargelegt, daß den Einwänden der Arbeitgeber gegen längere Kündigungstermine durchaus beachtliche wirtschaftliche Bedenken zugrunde liegen. Es muß also zwischen den Interessen der Arbeiter und denen der Arbeitgeber abgewogen werden.80 Dabei darf allerdings nicht nur auf die Grundkündigungsfristen gesehen werden; vielmehr ist das gesamte hier vorgeschlagene Regelungspaket als Einheit zu sehen. IV.

Der Kündigungstermin

Eine Neuregelung muß auch die Kündigungstermine betreffen. Das geltende Recht sieht für Angestellte als Kündigungstermin für die Grundkündigungsfrist das Quartalsende vor, für Arbeiter besteht kein gesetzlicher Kündigungstermin. Die Arbeitsgesetzbuchkommission hatte auf der einen Seite bei der Grundkündigungsfrist die Arbeiter den Angestellten gleichstellen wollen. Wohl als Ausgleich dafür wurde der Kündigungstermin zum Quartalsende auf das Monatsende gesenkt. Der SPD-Entwurf sieht demgegenüber auch für Arbeiter sechs Wochen zum Quartalsende vor.

80 Zu undifferenziert Blanke, AuR 1991, S. 1, 10, der sich auf ein angebliches "Rückschrittsverbot" beruft.

112 1. Der Kündigungstermin zum Quartalsende Es ist bemerkenswert, daß es für die eine Hälfte der deutschen Arbeitnehmerschaft einen festen Kündigungstermin, zum Quartalsende, gibt, während für die andere Hälfte der Arbeitnehmerschaft kein solcher Termin existiert. Abgesehen von der grundsätzlichen Forderung, die Arbeiter im Kündigungsrecht den Angestellten gleichzustellen, ist das Fehlen eines Kündigungstermins bei den Arbeitern offenbar nicht als störend empfunden worden. Das gibt Veranlassung, grundsätzlich der Frage nach der Berechtigung fester Kündigungstermine nachzugehen. Dabei soll zunächst der Kündigungstermin zum Quartalsende betrachtet werden. Würde man den Kündigungstermin zum Quartalsende ganz abschaffen und für Arbeiter und Angestellte eine Kündigungsfrist von sechs Wochen ohne Kündigungstermin vorsehen, so ergäbe sich für Arbeiter insoweit nichts Neues. Dagegen würde die bisherige Rechtsstellung von Angestellten verschlechtert. Durch die Kombination der Sechswochenfrist mit dem Quartalsende kann sich nach geltendem Recht die Kündigungsfrist eines Angestellten, je nach dem Datum der Kündigung, von sechs Wochen auf maximal 17 Wochen und sechs Tage verlängern. Während jedoch die Sechswochenfrist seit langem zum festen Bestandteil des Kündigungsrechts für Angestellte zählt, gehörte die Verlängerung der Frist durch den Termin zum Monatsende nicht zum Kembereich der Regelungen. a) Die Entstehung der Regelung Die Kündigungstermine zum Quartalsende waren ursprünglich vor allem für zwei Arbeitnehmergruppen vorgesehen, und zwar in der Gewerbeordnung von 1891 und im ADHGB von 1861 sowie im ADHGB von 186981. Im ADHGB war der Kündigungstermin zum Quartalsende in Art. 61 erstmals gesetzlich geregelt. Die Bestimmung lautete: Art. 61 Abs. 1 ADHGB Das Dienstverhältnis zwischen dem Prinzipal und dem Handlungsdiener kann von jedem Theile mit Ablauf eines jeden Kalendervierteljahres nach vorgängiger sechwöchentlicher Kündigung aufgehoben werden. Ist durch Vertrag eine kürzere oder längere Zeitdauer oder eine kürzere oder längere Kündigungsfrist bedungen, so hat es hierbei sein Bewenden.

81 BGBl, des Norddeutschen Bundes, 1869, S. 404 ff.

113

Die sechswöchige Kündigungsfrist war in der Handelswelt üblich und wurde als angemessen erachtet.82 Für den Kündigungstermin kamen als Zeitpunkte sechs Wochen nach Zugang oder das Ende des Kalendervierteljahres in Betracht. Das Quartalsende wurde gewählt, um den Bedürfnissen des Handelsverkehrs zu entsprechen. Es war Ecktermin für die Geschäfts- und die Buchführung.83 Die Handelsstände hätten sich bereits auf die Quartalsenden eingestellt; das Ende des Dienstverhältnisses sollte mit ihnen zusammenfallen. Bereits im Gesetzgebungsverfahren zum Handelsgesetzbuch von 1897 wurde der Kündigungstermin schon wieder infragegestellt. § 61 HGB sah eine Kündigungsfrist von sechs Wochen zum Quartalsende vor, die einzelvertraglich auf einen Monat zum Monatsende verkürzt werden konnte. Bei den Beratungen der Handelskammer als dem betroffenen Interessenverband zu dieser Vorschrift wurden zwei Änderungsvorschläge eingebracht, einer, die Kündigung zwingend nur zum Ende eines Kalendervierteljahres zuzulassen84, und ein anderer, die Frist generell zum Monatsende auslaufen zu lassen.85 Der erste Vorschlag wurde mit großer Mehrheit abgelehnt; ein Bedürfnis nach kürzeren Kündigungsfristen wurde anerkannt. Der zweite Antrag wurde unter Hinweis auf Art. 61 Abs. 2 des Entwurfs zum HGB für nicht notwendig befunden. Eine kürzere Frist oder andere Kündigungstermine könnten ja zum Monatsende vereinbart werden. Der Antrag wurde daraufhin zurückgezogen. Diese Regelung, die Art. 71 ADHGB 1861 entsprach, wurde im Gesetzgebungsverfahren von den zuständigen Organen nicht mehr problematisiert. Der Kündigungstermin zum Quartalsende wurde später auf die gewerblichen Angestellten, wie z.B. Betriebsbeamte, Werkmeister und ähnliche, ausgedehnt. Bis zur Novellierung der Gewerbeordnung im Jahre 1871 galt für diese Arbeitnehmer gem. § 126 GewO von 1869 nicht die Gewerbeordnung, sondern es galten die entsprechenden Regelungen des Bürgerlichen Rechts.86 Diese Regelungen wurden jedoch der herausgehobenen Position dieser Arbeitnehmer - auch nach deren eigenem 82 Entwurf eines HGB, 2. Teil, Motive, S. 35. 83 Entwurf eines HGB, 2. Teil, Motive, S. 35. 84 Antrag der Handelskammer Frankfurt, Verhandlungen des 23. Deutschen Handelstages zu Berlin, 15. und 16. Oktober 1896 in Berlin: Mittheilungen an die Mitglieder, Jahrgang XXXVI Nr. 20, 1896, S. 15, zitiert nach Schubert/Schmiedel/ Krampe, Quellen zum Handelsgesetzbuch, 2. Bd., 1. Halbband, S. 589. 85 S. vorhergehende Fußnote, S. 590. 86 Schenkel, Gewerbeordnung, § 133 a Anm. 1.

114 Selbstverständnis - nicht gerecht. So wurden vom Verband der Werkmeister (25.2.1888) und vom deutschen Technikerverband (17.5.1886) Petitionen an den Reichstag gerichtet, die dieser zur Berücksichtigung dem Reichskanzler überwies. Darin wurde auf die besondere Situation dieser Arbeitnehmer hingewiesen. In der Begründung zum Gesetzentwurf von § 189187 wurde ausgeführt, daß die bisherigen Kündigungsfristen für diese Arbeitnehmer nicht ausreichten. Für Werkmeister und Techniker sei die Gelegenheit, ein neues Arbeitsverhältnis einzugehen, nicht so reichlich vorhanden wie für gewöhnliche Arbeitnehmer. Auch der Arbeitgeber finde für ausscheidende Arbeitnehmer dieser Art nicht so leicht Ersatz. In der Begründung wurde der Unterschied in den wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen zwischen den Klassen der gewöhnlichen Arbeitnehmer und denen, die sich durch Ausbildung und/oder leitende Funktionen davon abheben, anerkannt. Ihnen wurde eine Mittelstellung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern eingeräumt. Nicht zu verkennen ist aber auch die sozial- und staatspolitische Absicht, einen Teil der Arbeitnehmer enger an die Arbeitgeber zu binden und von der übrigen Arbeitnehmerschaft abzuspalten. In diesem Zusammenhang ist nicht nur die günstige Kündigungsregelung, sondern z.B. auch die gleichzeitig eingeführte Lohnfortzahlung zu nennen. Der gesamte Status der höheren Angestellten sollte verbessert werden. Mit der Novellierung wurde diesen Arbeitnehmern der gleiche herausgehobene Status zugebilligt wie den Handlungsgehilfen. Zu den Kündigungsterminen kam es, weil es das Vorbild des Art. 61 ADHGB gab. Ein darüber hinausgehender Grund ist nicht ersichtlich. Der Termin Quartalsende war also ursprünglich durch Arbeitgeberinteressen motiviert. Im Wege von Gesetzesnovellierungen wurde er auf weitere Arbeitnehmergruppen ausgedehnt. Dabei standen staats- und sozialpolitische Gründe im Vordergrund. Die Arbeiterklasse sollte durch Privilegierung einzelner Teile destabilisiert werden. Schutzbelange spielten nur vordergründig eine Rolle. b) Die Bedeutung des Kündigungstermins Durch Termine zum Ende eines Kalendervierteljahres tritt die Situation ein, daß die Länge der Kündigungsfrist vom Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung abhängt. Sie kann sechs Wochen, aber im Extremfall auch 17 Wochen und sechs Tage betragen. Für die dadurch entstehende Ungleichbehandlung ist kein sachlicher Grund ersichtlich. Die faktische 87 S. 40/41, zitiert nach Rohrscheidt, Gewerbeordnung, § 133 a I, II.

115 Fristverlängerung dient auch nicht den obengenannten Zwecken einer Kündigungsfrist. Lediglich die soziale Abfederung wird verstärkt. Damit gelangen einige Arbeitnehmer in den Bereich der Länge der Kündigungsfristen für die länger Beschäftigten. Es ist nicht einzusehen, warum ein Arbeitnehmer, dem zu einem für ihn günstigeren Zeitpunkt gekündigt wird, mehr soziale Abfederung genießen soll als ein anderer, dem die Kündigung exakt sechs Wochen vor dem Quartalsende zugeschickt wird. Erkennt man die soziale Abfederung als einen Zweck von Kündigungsfristen an, so muß diese für Arbeitnehmer, die sich in vergleichbaren Situationen befinden, auch gleich lang sein. Zu berücksichtigen ist hier auch die Kostensituation der Arbeitgeber, die durch die Verlängerung der Kündigungsfristen für Arbeiter verschlechtert wird. Durch die faktische Verkürzung der Kündigungsfristen für Angestellte würde hier ein gewisser Kostenausgleich geschaffen. Fraglich ist, inwieweit auf das Kalendervierteljahr als fester Kündigungstermin verzichtet werden kann. Für die Beibehaltung dieses Erfordernisses könnte zum einen sprechen, daß es sich um einen sozialen Besitzstand handelt, zum anderen könnte sich dieses Erfordernis aus praktischen Erwägungen ergeben. Die durch Termine zum Ende eines Kalendervierteljahres verlängerten Fristen haben jedoch noch nie den originären Kernbereich der Fristenregelung ausgemacht. Schon bei der Einführung dieser Regelungen für Handlungsgehilfen ins HGB waren die Kündigungstermine umstritten. Die Entwurfsregelung des damaligen § 61, die auch Gesetz wurde, sah eine Kündigungsfrist von 6 Wochen zum Quartalsende vor, die einzelvertraglich gem. § 61 Abs. 2 des Entwurfs zum HGB von 1897 auf einen Monat zum Monatsende verkürzt werden konnte. Bei den Beratungen zu dieser Vorschrift wurden Änderungsvorschläge dahingehend eingebracht, die Kündigung zwingend nur zum Ende eines Kalendervierteljahres zuzulassen88 und die Frist generell zum Monatsende auslaufen zu lassen.89 Der erste Vorschlag wurde mit großer Mehrheit abgelehnt. Ein Bedürfnis nach kürzeren Kündigungsfristen und abweichenden Kündigungsterminen wurde anerkannt. Der zweite Antrag wurde unter Hinweis auf Art. 61 Abs. 2 des Entwurfs zum Handelsgesetzbuch für nicht notwendig befunden. Eine kurze Frist bzw. abweichende Kündigungstermine konn88 Antrag der Handelskammer Frankfurt, Verhandlungen des 23. Deutschen Handelstages zu Berlin, 15. und 16. Oktober 1896, in: Mittheilungen an die Mitglieder, Jahrgang XXXVI Nr. 20, 18%, S. 15, zitiert nach Schubert/Schmiedel/ Krampe, Quellen zum Handelsgesetzbuch von 1897,2. Bd. 1. Halbband, S. 589. 89 A.a.O. S. 590.

116 ten danach zum Monatsende vereinbart werden. Der Antrag wurde daraufhin zurückgezogen. Im Gesetzgebungsverfahren vor den zuständigen Organen wurde diese Regelung, die Art. 61 ADHGB 1869 entsprach, nicht weiter problematisiert. Schon damals wurde vorgetragen, daß eine zu lange Frist auch zum Nachteil des Handlungsgehilfen gereichen könnte, wenn er bis zu viereinhalb Monate warten müsse, um seine Arbeitsstelle zu wechseln, um eine bessere Verbindung eingehen zu können. Den notwendigen Schutz des Handlungsgehilfen sah man durch die Mindestkündigungsfrist von einem Monat gewährleistet.90 Heutzutage sprechen gegen Kündigungstermine zum Quartalsende auch Erwägungen der Arbeitsverwaltung. Die Beschränkung für alle Arbeitnehmer auf vier Termine im Jahr bewirkt zu diesem Zeitpunkt einen gewaltigen Arbeitsanfall bei der Bundesanstalt für Arbeit. Die Kapazität zur Vermittlung ist zu diesen Zeitpunkten erschöpft. So könnte es geschehen, daß trotz freier Arbeitsplätze eine Vermittlung wegen Überlastung nicht erfolgen könnte. Nachteile ergeben sich dabei für die Arbeitnehmer, die dann unnötigerweise arbeitslos werden und zu diesem Zeitpunkt auch finanziell schlechter gestellt sind, weil sie nur Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe beziehen können. Da die Prüfung der Voraussetzungen für die Bewilligung von Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt, kann es sogar zeitweilig zum Einkommensausfall kommen, so daß in dieser Zeit Ersparnisse aufgezehrt werden müßten oder gar Sozialhilfe beantragt werden muß. Gleichzeitig würden potentielle Beitragszahler zu Leistungsbeziehern. Dies betrifft sowohl die Arbeitslosenversicherung als auch die Kranken- und die Rentenversicherung. Fest steht damit, daß Kündigungstermine zum Quartalsende aufzuheben sind. Damit ist noch nicht gesagt, daß generell Kündigungstermine, etwa zum Monatsende, keine Berechtigung haben. 2. Der Kündigungstermin zum Monatsende Für feste Kündigungstermine sprechen praktische Erwägungen. Lohnabschlüsse weiden in vielen Fällen zum Ende des Monats vorgenommen. Auch innerbetriebliche Abläufe, z.B. die Ausgabe von Essenmarken, können auf den Kalendermonat bezogen sein. Dies gilt auch für weitere Sozialleistungen. Auch wenn mit dem Arbeitsstellenwechsel ein Umzug verbunden ist, ist durch die gesetzlichen oder vertraglichen Mietkündigungsfristen ein Endtermin zum Monatsende naheliegend. Ansonsten 90 A.a.O. S. 590.

117 müßten Zeiten zwischen der Arbeitsaufnahme und dem Bezug des neuen Wohnraums kostenträchtig überbrückt werden. Auch fiele dann der Beendigungszeitraum in gewissen Fällen mit dem Freiwerden eines anderen Arbeitsplatzes zusammen. Gegen feste Kündigungstermine lassen sich eine Reihe von Gründen anführen. Durch Termine entsteht eine Ungleichbehandlung bei den Kündigungsfristen, die vom Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung abhängt. Die Fristen können sich - beim Monatsende als Termin - um bis zu einen Monat verlängern. Warum eine unterschiedliche Kündigungsfrist bei gewissen Arbeitnehmern vorliegen soll, ist nicht ersichtlich. Weder haben sie Anspruch auf mehr Zeit zur Stellensuche noch auf größere soziale Abfederung. Die Überlegungen zur Angemessenheit der Kündigungsfrist werden durch den festen Kündigungstermin konterkariert. Auch den Aufgaben der Arbeitsverwaltung wird am besten durch eine möglichst weitgehende Entzerrung Rechnung getragen. Soweit sich dadurch der Vermittlungsanfall nicht auf einzelne Daten beschränkt, ist eine effektivere Verwaltungsarbeit möglich. Die durch die Ausdehnung der Kündigungsfristen für Angestellte auf Arbeiter verursachte Kostensteigerung auf Seiten der Arbeitgeber wird zum Teil durch die faktische Verkürzung der Angestelltenfristen und durch die Vereinheitlichung auf eine reine Sechs-Wochen-Frist wieder aufgefangen. Bei einer Gesamtwürdigung haben die Argumente für bestimmte Kündigungstermine geringeres Gewicht. Innerbetriebliche Abläufe, wie z.B. die Lohnbuchhaltung, rechtfertigen feste Termine nicht. So ist in vielen Bereichen der Lohnzahlungszeitpunkt nicht das Monatsende oder der Beginn eines Monats, sondern der 15. oder der 10. eines jeden Monats. Dort hat ein Termin keine Berechtigung. Selbst wenn man aber feste Termine aus Gründen der Übung für zweckmäßig hält, kann dies nur für die regelmäßig und massenhaft anfallende Personalverwaltung für die gesamte Belegschaft gelten. Kündigungen und Neueinstellungen machen diese Masse nicht aus. Solche aus der Reihe fallenden Ereignisse können auch zwischen fest vorgegebenen Terminen bewältigt werden. Gleiches gilt für die Ausgabe von Essenmarken und ähnlichem. Etwas schärfer formuliert läßt sich sagen, daß Buchhaltungsprobleme bei der Frage nach dem Bedarf einer Besetzung eines Arbeitsplatzes keine Rolle spielen, weder für den Arbeitgeber noch für den Arbeitnehmer. Gewichtiger erscheint die Anknüpfung an Kündigungstermine für den Wohnraum. Vorab ist aber festzustellen, daß ein Wohnungswechsel im Zusammenhang mit der Aufnahme einer neuen Tätigkeit eher die Aus-

118 nähme darstellt. Die Kündigungsfristen des § 565 B G B enden zwar (nach den wichtigsten Fällen gem. § 565 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 B G B ) zum Monatsende, aber die Fristen entsprechen nicht den Kündigungsfristen für Arbeitsverhältnisse. Mit ihnen sind die Kündigungstermine und -fristen für Wohnraum nicht abgestimmt. Ein Zusammentreffen der Beendigungstermine wäre eher zufällig. Einzig Bestand hat das Argument, das auf den Arbeitsmarkt abstellt, feste Kündigungstermine könnten zu Austauschzeiten führen, in denen einem bestimmten Angebot eine entsprechende Nachfrage gegenübersteht. Letztendlich kann aber auch dieser Aspekt Kündigungstermine nicht rechtfertigen. Als Grund für diese Termine waren ursprünglich die Bedürfnisse des Handelsverkehrs ausschlaggebend. Diese bestehen heute nicht mehr. Für die gewerblichen Angestellten wurde diese Regelung ohne Prüfung oder Problematisierung übernommen. Sie sollten sich von der Klasse der einfachen Fabrikarbeiter abheben. Die staatspolitische Raison, die diese Regelung hauptsächlich mitverursacht hat, zählt heute nicht mehr. Auch Angestellte unterer sozialer Stufen genießen die sechswöchige Kündigungsfrist und den Kündigungstermin zum Quartalsende. Der rechtsvergleichende Überblick zeigt, daß Kündigungstermine entbehrlich sind. Nur in Österreich, und auch dort nur für die Kündigung gegenüber Angestellten, ist ein fester Kündigungstermin (Quartalsende) vorgesehen. Gegen Termine spricht auch der Umstand, daß sie für die Hälfte der Arbeitnehmer, nämlich die Arbeiter, bisher gesetzlich nicht fixiert waren. Auch dieser Umstand spricht gegen ein Bedürfnis nach festen Kündigungsterminen. Allerdings ist in vielen Einzelarbeitsverträgen sowie Tarifverträgen ein fester Endpunkt vorgesehen. Ein echtes Bedürfnis hierfür ist aber nicht erkennbar. Es liegt die Vermutung nahe, daß es sich um eine Gewohnheit handelt, die dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit und festen Daten entspringt, die sich aber bei näherem Hinsehen rational nicht zwingend begründen läßt. Wegen dieser Gewohnheit ist mit einer längeren Zeitverzögerung für eine Akzeptanz des Verzichts auf Termine zu rechnen. V.

Die verlängerten Kündigungsfristen

Das geltende Recht sieht sowohl für Arbeiter als auch für Angestellte neben der Grundkündigungsfrist verlängerte Kündigungsfristen bei längerer Beschäftigung vor. Die Regelung ist sowohl unterschiedlich im Hinblick

119 auf die Zahl der Beschäftigungsjahre, nach denen eine Verlängerung eintritt, als auch im Hinblick auf die Kündigungstermine.91 Gleich ist die Regelung insofern, als die Berechnung mit dem 25. Lebensjahr beginnt und nur Beschäftigungszeiten bei demselben Arbeitgeber zählen. Ungleich ist die Regelung insoweit, als nur bei Angestellten eine bestimmte Betriebsgröße Voraussetzung ist. Der Entwurf der Arbeitsgesetzbuchkommission sah ebenfalls verlängerte Kündigungsfristen vor. Wie im geltenden Recht für Angestellte enthielt er folgende Staffelung: Beschäftigungszeit 5 Jahre 8 Jahre 10 Jahre 12 Jahre

Kündigungsfrist 3 Monate 4 Monate 5 Monate 6 Monate.

Insoweit wurde die für Angestellte geltende Regelung vollständig anstelle der Regelung für Arbeiter übernommen. Abweichungen ergeben sich bei der Höchstkündigungsfrist. Einerseits hat nach geltendem Recht der Angestellte die Höchstkündigungsfrist nach 12 Jahren Beschäftigung erreicht; andererseits kommt er später nie über eine Frist von sechs Monaten hinaus. Bei Arbeitern ist dagegen nach der Stufe 12 Jahre Beschäftigung eine weitere Stufe bei 20 Jahren Beschäftigung, mit einer Erhöhung der Kündigungsfrist, vorgesehen. Allerdings erreichen Arbeiter dann nur eine Frist von drei Monaten zum Quartalsende. Der Kommissionsentwurf hat mit seinem Vorschlag von neun Monaten nach fünfzehn Jahren Beschäftigungszeit also auf die für Angestellte derzeit geltende Regelung noch draufgesattelt! Der SPD-Entwurf hat diese Regelung der Arbeitsgesetzbuchkommission voll übernommen. Während aber der Entwurf der Arbeitsgesetzbuchkommission wenigstens als gewissen Ausgleich das Monatsende als Kündigungstermin vorsah, behielt der SPD-Entwurf zu alledem auch noch den Schluß des Quartals als Termin bei. Nach dem Vorschlag Kraushaars wird die Höchstkündigungsfrist von sechs Monaten nach achtzehn Jahren Beschäftigung erreicht. Bei dem auf dem ersten Blick recht komplizierten Modell von Kraushaar ist zwischen vier Gruppen von Arbeitnehmern zu unterscheiden. Kraushaar nennt diese Gruppen - vereinfacht - Ungelernte, Gesellen, Meister und 91 S.o. 5. Kapitel C I und II sowie die Tabelle unter II am Ende.

120 Akademiker.92 Ungelernten, die weniger als zwei Jahre beschäftigt sind, steht lediglich eine Kündigungsfrist von zwei Wochen zu. Diese erhöht sich im Zweijahresrhythmus um jeweils zwei Wochen bis zu einer sechsjährigen Betriebszugehörigkeit. Von da an steigert sich die Kündigungsfrist im Dreijahresrhythmus um jeweils einen Monat, bis schließlich nach achtzehn Beschäftigungsjahren die Höchstfrist von sechs Monaten erreicht ist. Gesellen steht bereits bei einer Beschäftigung von weniger als zwei Jahren eine Kündigungsfrist von einem Monat zu. Diese erhöht sich im selben Rhythmus und um dieselben Zeiträume wie bei Ungelernten. Aufgrund der Tatsache aber, daß Gesellen bereits auf einer höheren Stufe beginnen, erreichen sie die höchste Kündigungsfrist von sechs Monaten bereits nach fünfzehn Jahren. Meister beginnen bereits auf der dritten Stufe mit einer sechswöchigen Kündigungsfrist. Dadurch erreichen sie die Höchstkündigungsfrist bereits nach zwölf Jahren. Akademikern, die bereits auf der vierten Stufe mit einer Kündigungsfrist von zwei Monaten beginnen, steht nach neun Jahren eine sechsmonatige Kündigungsfrist zu. Sowohl das geltende Recht als auch die Vorschläge der Arbeitsgesetzbuchkommission und der SPD-Fraktion berücksichtigen nur Beschäftigungszeiten bei demselben Arbeitgeber. Kraushaar möchte unabhängig von der Betriebszugehörigkeit, an die auch seine Steigerungen der Kündigungsfristen anknüpfen, älteren Arbeitnehmern auch ohne Rücksicht auf die vorangegangene Betriebszugehörigkeit eine längere Kündigungsfrist zubilligen, eine Art Alterszuschlag. Sie sollten daher bereits mit der Vollendung des 40. Lebensjahres mit 48 und mit 55 Jahren in eine höhere Kündigungsschutzstufe aufrücken.93 Die Arbeitsgesetzbuchkommission hatte beim Lebensalter 30 Jahre angesetzt, der SPD-Entwurf legt das 25. Lebensjahr zugrunde. Kraushaar hingegen legt keine Untergrenze fest, ab der die Berechnung der Betriebszugehörigkeit beginnen soll. Die untersuchten ausländischen Regelungen enthalten diese Untergrenze nicht. Im folgenden soll untersucht werden, welchen Sinn verlängerte Kündigungsfristen haben. Für den Sinnzusammenhang zwischen dem Tatbestand der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und der Rechtsfolge der Grundkündigungsfrist wurde oben auf die Notwendigkeit der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz und auf die soziale Abfederung hingewiesen. Verlängerte Kündigungsfristen sind dann gerechtfertigt, wenn bei den 92 Zu den einzelnen Aufschlüsselungen dieser Gruppen s. Kraushaar, BB 1990, S. 1764,1773. 93 Kraushaar, BB 1990, S. 1764,1771.

121 entsprechenden Tatbeständen eine längere Zeit für die Stellensuche oder eine erhöhte soziale Absicherung erforderlich sind oder wenn andere Gesichtspunkte hinzukommen. Der Tatbestand für die verlängerten Kündigungsfristen knüpft an die Dauer der Betriebszugehörigkeit und an das Alter des Arbeitnehmers an. Eine solche Regelung liegt sowohl § 622 Abs. 2 BGB als auch § 2 AngKSchG zugrunde. Vorrangig wird auf die Betriebszugehörigkeit abgestellt. Indem nur Beschäftigungszeiten nach Vollendung des 25. Lebensjahres berücksichtigt werden, spielt auch das Lebensalter eine Rolle. Als Sachgesichtspunkt kommt neben dem Erfordernis einer längeren Zeit für die Stellensuche vor allem ein erhöhtes Schutzbedürfnis und eine erhöhte soziale Abfederung für seit längerem beschäftigte Arbeitnehmer in Betracht. Das setzt voraus, daß das Lebensalter einen sachlichen Grund für einen erhöhten sozialen Schutz darstellt. Immerhin enthält ja die Grundkündigungsfrist mit der Anknüpfung an die Stellensuche ein objektives Kriterium. Nunmehr geht es um die Rechtfertigung von Unterschieden zwischen einzelnen Gruppen von Arbeitnehmern aus Gründen in der Person. Ein Legitimationszusammenhang ist aber gegeben, wenn diese personelle Anknüpfung allgemein akzeptiert ist und wenn sie durch Unterschiede im Tatsächlichen zu belegen ist. Eine Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte findet im Arbeitsrecht im Hinblick auf den Kündigungsgrund statt. Dabei ist einmal der Fall zu sehen, daß nur ein einzelner Arbeitnehmer für eine Kündigung in Betracht kommt und zum anderen der Fall, daß zwischen mehreren für eine Kündigung in Betracht kommenden Arbeitnehmern eine soziale Auswahl stattfinden muß. Geht es um die Kündigung eines einzelnen Arbeitnehmers, der nach §§ 1 Abs. 1, 23 KSchG Kündigungsschutz genießt, so kommt es nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 2 KSchG allein auf betriebsbedingte, personenbedingte oder verhaltensbedingte Gründe an. Die Dauer der Betriebszugehörigkeit und das Lebensalter werden nicht einmal andeutungsweise im Gesetz genannt und dürften daher eigentlich keine Rolle spielen. Jedoch nimmt die Rechtsprechung seit langem in all diesen Fällen eine "Interessenabwägung" vor.94 Dabei wird dem Interesse des Arbeitgebers an der Kündigung das Interesse des Arbeitnehmers an dem Erhalt des Arbeitsplatzes gegenübergestellt. Als Gesichtspunkte auf seiten des Arbeitnehmers werden dabei u.a. eine lange Beschäftigungszeit im Betrieb des

94 Nachweise bei KR-Becker, § 1 KSchG, Rdnr. 149 -151.

122 Arbeitgebers sowie ein höheres Alter und damit verbundene Probleme auf dem Arbeitsmarkt genannt. 95 Kommen mehrere Arbeitnehmer für eine Kündigung in Betracht und muß zwischen ihnen eine soziale Auswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG stattfinden, so braucht der Arbeitgeber nach dem Wortlaut des Gesetzes nur "soziale Gesichtspunkte ausreichend" zu berücksichtigen. Das Bundesarbeitsgericht hält den Arbeitgeber allerdings insoweit für verpflichtet, zunächst immer die drei sozialen Grunddaten - Lebensalter - Dauer der Betriebszugehörigkeit und - Unterhaltsverpflichtungen zu berücksichtigen. 96 Auch insoweit werden also Lebensalter und Beschäftigungszeit als sachgerechte Kriterien anerkannt. Die Bedeutung der Betriebszugehörigkeit für die Sozialauswahl ergibt sich, wie Linck 97 und Preis 98 richtig dargelegt haben, aus der ganz engen Verbindung mit dem Bestand des Arbeitsverhältnisses. Dieses Kriterium knüpft direkt an das Arbeitsverhältnis an. Auch das Bundesarbeitsgericht hat diesen Gesichtspunkt zum Ausdruck gebracht. Es hat, allerdings im Zusammenhang mit dem Kündigungsschutzgesetz, ausgeführt, daß der kündigungsrechtliche Bestandsschutz gewissermaßen auf dem Boden gemeinsamer Zusammenarbeit wächst.99 Die Bedeutung des Lebensalters des Arbeitnehmers ergibt sich daraus, daß es unmittelbar mit seiner Person verknüpft ist und daher wegen des besonderen personalen Charakters des Arbeitsverhältnisses noch in einem Zusammenhang mit diesem steht.100 Im Betriebsverfassungsrecht enthält § 75 BetrVG eine Konkretisierung des Gleichheitssatzes. Unterschiedliche Behandlungen beispielsweise nach Abstammung, Religion oder Nationalität sind nach § 75 Abs. 1 Satz 1 BetrVG untersagt. Eine Ungleichbehandlung wegen des Alters wird hier nicht genannt, jedoch ist nach Abs. 1 Satz 2 eine Benachteiligung wegen des Alters verboten. § 80 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG legt demgegenüber

95 KR-Becker, § 1 KSchG, Rdnr. 352. 96 Vgl. Linck, Die soziale Auswahl, S. 86 ff.; Preis, Prinzipien, S. 420 ff., jeweils mit zahlreichen weiteren Nachweisen zu den einzelnen Auswahlkriterien. 97 Linck, Die soziale Auswahl, S. 87. 98 Preis, Prinzipien, S. 421. 99 BAG AP Nr. 79 zu § 1 KSchG. 100 Linck, Die soziale Auswahl, S. 89; Preis, Prinzipien, S. 422.

123

dem Betriebsrat auf, "die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer im Betrieb zu fördern".101 Auch im europäischen Ausland ist, wie die rechtsvergleichende Untersuchung gezeigt hat, eine Unterscheidung zwischen einer Grundkündigungsfiist und verlängerten Kündigungsfristen allgemein üblich. Durchweg wird die Verlängerung an das Dienstalter gekoppelt; nur in Bezug auf Angestellte knüpft das italienische Recht an Dienstjahre und berufliche Qualifikation an. Grundsätzlich können nach alledem das höhere Alter und die längere Betriebszugehörigkeit als anerkannte soziale Differenzierungskriterien angesehen werden. Allerdings muß der Sinnzusammenhang mit den verlängerten Kündigungsfristen im einzelnen nachgewiesen werden. 1. Die Bedeutung des Lebensalters Wenn im folgenden altersbedingte Veränderungen aufgezeigt werden, so liegt dem eine typisierende Betrachtung zugrunde. Soweit daraus ein erhöhter Sozialschutz abgeleitet wird, kommt er auch denen zugute, die im Einzelfall vielleicht nicht in dieser Weise schutzbedürftig sind. Im Hinblick auf den Aspekt "Zeit zur Stellensuche" kann allgemein festgestellt werden, daß - jedenfalls ab einer bestimmten, je nach Branche unterschiedlichen Altersstufe - die Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt proportional mit dem Alter zunehmen. Bestätigt wird das durch die besonders hohe Dauerarbeitslosigkeit bei älteren Arbeitnehmern.102 Zwar können ältere Arbeitnehmer mehr Erfahrungen und Routine sowie mehr Bedachtsamkeit als Charaktereigenschaften in die Waagschale werfen.103 Dennoch ziehen Arbeitgeber in der Regel den jüngeren Bewerber vor. Sie halten den jüngeren für leistungsfähiger, sie fürchten die Kosten einer Altersversorgung sowie, daß das Alter bei einem Kündigungsschutzprozeß dazu führt, daß ein Kündigungsgrund nicht durchgreift. Der Arbeitgeber muß auch damit rechnen, daß sich beim älteren Arbeitnehmer die Anfälligkeit für Krankheiten und damit die Gefahr von Fehlzeiten erhöht, auch fallen häufiger Kuren an. Vor allem muß damit gerechnet werden, daß sich der ältere Arbeitnehmer in dem neuen Betrieb schlechter anpaßt. Aus alledem ergibt sich, daß ältere Arbeitnehmer mehr Schwierigkeiten bei der Stellensuche haben, so daß es sachlich gerechtfertigt ist, ihnen

101 S. dazu BAG, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; BAG EWiR § 1 KSchG 4/90, 1016 (Stege)', GK-BetrVG-A>a/r, § 80 BetrVG, Rdnr. 45. 102 S. ANBA 1989, S. 621 ff. 103 Lehr, Psychologie des Altems, S. 180.

124 gegenüber jüngeren Arbeitnehmern erhöhte Kündigungsfristen zuzubilligen.104 Im Hinblick auf den Aspekt "soziale Abfederung" geht es darum, ob einen älteren Arbeitnehmer die Kündigung härter trifft als einen jüngeren Arbeitnehmer, so daß er auch einer längeren Umstellungszeit bedarf. Allgemein nimmt mit zunehmendem Alter die Flexibilität ab. 105 Die mit einem Arbeitsplatzwechsel verbundenen Umstellungen können schlechter bewältigt werden. Die Einbindung in das soziale Umfeld, auch im Betrieb, ist gefestigt. Wenn ein neuer Arbeitsplatz angetreten wird, fällt eine längere Einarbeitungszeit an, die Anpassung an andere Arbeitsabläufe fällt schwerer. Aber auch die örtliche Mobilität nimmt ab, der ältere Mensch ist mehr in seiner Umgebung verwurzelt. Er hat vielleicht ein Haus gekauft und selbst hergerichtet, er hat einen seit längerem gleichbleibenden Bekanntenkreis am Ort und feste Gewohnheiten. Aus den genannten Gründen der Arbeitsplatzsuche und der sozialen Schutzbedürftigkeit ergibt sich, daß es gerechtfertigt ist, dem älteren Arbeitnehmer einen höheren Schutz durch verlängerte Kündigungsfristen zuzubilligen. Die Dauer der Betriebszugehörigkeit 2. Es leuchtet nicht von vornherein ein, warum nicht allein an das Lebensalter oder an die Jahre der Beschäftigung überhaupt, sondern an die Beschäftigung bei demselben Arbeitgeber angeknüpft wird. Sieht man einen Zusammenhang zwischen dem Lebensalter und zunehmendem Flexibilitätsverlust, dürfte es allein auf das Lebensalter ankommen. Andererseits ist zweifelhaft, ob man Ausbildungsjahre und Berufsjahre in ihren Belastungen gleichstellen kann. Von daher bietet es sich an, die Kündigungsfristen mit dem Lebensalter steigen zu lassen, aber die Steigungen erst mit der ersten Beschäftigung beginnen zu lassen. Demgegenüber knüpfen das geltende Recht ebenso wie die Reformvorschläge an die Dauer der Beschäftigung bei demselben Arbeitgeber an. 104 Zum Lebensalter als sachlichem Grund bei Versorgungsordnungen s. Gamillscheg, Grundrechte, S. 51. 105 Lehr, Psychologie des Alterns, S. 133 f., z.T. kritisch; S. 167 führt Lehr die abnehmende Flexibilität nicht allein auf altersbedingte Faktoren zurück, sondern auch auf soziale, situative und familiäre. Im allgemeinen ist die Frage noch nicht abschließend wissenschaftlich geklärt; Hinw. bei Rosenmeyer/Köckeis, in: Thome/Lehr, Altem, Probleme und Tatsachen, 1968, S. 415,429; Schohn, ebenda, S. 202,213 stellt einen Zusammenhang zwischen der Vorliebe für Gewohntes und dem Lebensalter fest; Granick, ebenda, S. 370, 372 hält ältere Menschen im allgemeinen für nicht so beweglich wie jüngere.

125 Sucht man einen sachlichen Grund für diese Gestaltung, so bietet sich als ein Gesichtspunkt, ebenso wie beim Alter, der Flexibilitätsverlust an. Er ist allerdings bezogen auf den spezifischen Flexibilitätsverlust durch langjährige Beschäftigung beim selben Unternehmen zu sehen. Wer immer nur in demselben Unternehmen arbeitet, kann sich schwer auf die Beschäftigung in einem neuen Unternehmen einstellen. Die Vermittelbarkeit kann gegenüber einem Arbeitnehmer, der durch Firmenwechsel Flexibilität gezeigt hat, erschwert sein. Ähnlich verhält es sich mit der sozialen Schutzbedürftigkeit Die langjährige Verbindung mit ein und demselben Unternehmen prägt die Lebensweise und das soziale Umfeld. Auch kann die private Sphäre auf das Unternehmen ausgerichtet sein, in dem z.B. die Wohnung in die Nähe des Unternehmens verlegt wurde. Wahrscheinlicher ist allerdings, daß hinter der Anknüpfung an die Beschäftigung in demselben Unternehmen weniger soziale Erwägungen stehen als vielmehr das Bestreben der Unternehmer, Arbeitnehmer an ihr Unternehmen zu binden. Allgemein gibt es im Arbeitsrecht, so insbesondere bei den Sozialleistungen, die Tendenz, Vergünstigungen an die Jahre der Betriebszugehörigkeit zu binden.106 Ausbildungsklauseln mit RückZahlungsverpflichtungen107 verfolgen neben dem Zweck der Qualifizierung des eigenen Mitarbeiters den Zweck einer Bindung an diesen Betrieb. Dieser Sinnzusammenhang wird meist positiv formuliert als "Belohnung für die erbrachte Betriebstreue". Volkswirtschaftlich kann man demgegenüber Bedenken haben. Unter dem Aspekt der optimalen Verteilung der Arbeitskräfte bestehen bereits gegen die Schaffung von Kündigungsfristen Bedenken.108 Jeder Arbeitgeber, der einen Arbeitnehmer für ungeeignet hält, müßte ihn - unter diesem Aspekt umgehend entlassen können; jeder Arbeitnehmer, dem sich anderswo bessere Arbeitsbedingungen bieten, müßte jederzeit den Arbeitsplatz wechseln können. Eine Kündigungsfrist überhaupt und insbesondere eine verlängerte Kündigungsfrist lassen sich nur unter dem Aspekt des Sozialschutzes rechtfertigen. Demgegenüber läuft die Bindung an die Betriebstreue dem Allokationsinteresse eher zuwider. Dieser rein wirtschaftlichen Betrachtung kann aber entgegengesetzt werden, daß die Arbeitsleistung nicht nur von den materiellen Ar106 S. BAG, NZA 1991, S. 689; EuGH, AuR 1991, S. 122 m. Anm. Bertelsmann, S. 126; ferner Gamillscheg, Grundrechte, S. 51; Stege, EWiR § 1 KSchG 4/90, 1015. 107 S. Borrmann, AR-BlaUei (D) Rückzahlungsklauseln I. 108 Wank, DtZ 1990, S. 42,49.

126 beitsbedingungen abhängt, sondern auch vom persönlichen Befinden. Wer sich als Teil einer ihn einbeziehenden Organisation fühlt, wer sich in dem vorherrschenden Betriebsklima wohlfühlt, der wird auch bessere Arbeitsleistungen erbringen. Die Belohnung der Betriebstreue nimmt auch auf diesen Zusammenhang bezug. Vor allem aber muß berücksichtigt werden, daß als Sachkriterium für unterschiedliche arbeitsrechtliche Regelungen der Gedanke der Betriebstreue sowohl bei Arbeitnehmern als auch bei Arbeitgebern seit langem verwurzelt ist. 3.

Die Kombination von Lebensalter und Dauer der Betriebszugehörigkeit In vielen Fällen werden längere Betriebszugehörigkeit und erhöhtes Lebensalter zusammenfallen. Es sind jedoch auch andere Fallgestaltungen denkbar. Beispiele: Der Arbeiter A ist 45 Jahre alt. Schon seit Beginn seiner Lehrzeit ist er beim Arbeitgeber X beschäftigt. - Er erhält den höchstmöglichen Kündigungsschutz: gerechnet ab dem 25. Lebensjahr ist er zwanzig Jahre bei demselben Arbeitgeber beschäftigt. Der Angestellte B ist 54 Jahre alt. Nachdem sein Arbeitgeber X, bei dem er seit der Lehre beschäftigt war, in Konkurs gefallen ist, arbeitet B seit einem Jahr bei Y. - Zugunsten des B greift nur die Mindestkündigungsfrist ein. Die erste verlängerte Frist erhält B mit 59 Jahren, und den Höchstschutz kann er bis zum 65. Lebensjahr nicht einmal mehr erreichen. Das Gesetz kombiniert also "Lebensalter" und "Betriebszugehörigkeit" in der Weise, daß Beschäftigungszeiten, die vor dem 25. Lebensjahr liegen, bei der Berechnung der Dauer der Betriebszugehörigkeit nicht berücksichtigt werden. Nach dieser Altersschwelle zählt dann jedoch nur die Dauer der Betriebszugehörigkeit. Es fragt sich, ob die vom Gesetz gewählte Kombination beibehalten werden sollte oder ob nicht ab einem bestimmten Lebensalter allein das Alter des Beschäftigten und nicht die bei einem Arbeitgeber verbrachte Zeit entscheidend sein sollte. Daraus könnte sich folgende Dreiteilung ergeben: Beschäftigungen bis zum 25. Lebensjahr können, wie im geltenden Recht, keine verlängerten Kündigungsfristen begründen. Die Argumente, die zugunsten verlängerter Kündigungsfristen genannt werden, greifen zugunsten jüngerer Arbeitnehmer nicht ein.

Empirisch ist die These allerdings nicht unzweifelhaft. Gerade bei Jugendlichen, die ihre Ausbildung beendet haben, kann eine höhere

127 Arbeitslosigkeit bestehen als bei Arbeitnehmern im mittleren Alter. Allerdings erscheint der Gedanke an Jugendliche mit verlängerten Kündigungsfristen nicht überzeugend. Wenn man der Jugendarbeitslosigkeit beikommen will, so muß es um die Vermittlung in neue Arbeitsplätze gehen, nicht um das künstliche Festhalten an einem einmal erlangten Arbeitsplatz. Eine zweite Stufe könnte Arbeitnehmer mittleren Alters umfassen. Hier könnte man, wie dargelegt, an die Dauer der Beschäftigung bei demselben Arbeitgeber anknüpfen. In einer dritten Stufe könnte es schließlich um den Schutz älterer Arbeitnehmer gehen. Insoweit könnte man auf das Erfordernis der längeren Beschäftigung bei ein und demselben Arbeitnehmer ganz verzichten und allein an das Lebensalter anknüpfen.

Die letztgenannte Alternative eines Schutzes der älteren Arbeitnehmer soll im folgenden dem geltenden Recht gegenübergestellt werden. Das Problem abnehmender Flexibilität und schwindender Leistungsfähigkeit des älteren Arbeitnehmers wird durch die Zubilligung längerer Kündigungsfristen nur aufgeschoben, aber nicht aufgehoben. Nach Ablauf einer Kündigungsfrist von 3, 6 oder 9 Monaten stellen sich die Probleme in unverminderter Härte. Die schlechtere Vermittelbarkeit auf dem Arbeitsmarkt wird allerdings durch die längere Zeit zur Stellensuche teilweise kompensiert. Im übrigen aber müßte die Lösung statt in verlängerten Kündigungsfristen im Ausschluß der ordentlichen Kündigung bestehen. Ein entsprechender Ausschluß der Kündigung für die Zeit von zwei Jahren vor der Pensionierung findet sich z.B. im polnischen Kündigungsschutzrecht. 109 Auch tarifliche Regelungen schließen oftmals die ordentliche Kündigung älterer Arbeitnehmer aus; so ist z.B. nach § 53 BAT ein vierzigjähriger Arbeitnehmer mit einer Betriebszugehörigkeit von mehr als 15 Jahren nicht mehr kündbar. Der Manteltarifvertrag der Tarifindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden von 1988 beispielsweise sieht eine Unkündbarkeit vor, wenn der Arbeitnehmer nach einer mehr als dreijährigen Betriebszugehörigkeit das 53. Lebensjahr vollendet hat. Fraglich ist aber, ob man dem Arbeitnehmer mit einer solchen Regelung, etwa einer Unkündbarkeit ab dem 55., dem 58. oder 60. Lebensjahr nicht Steine statt Brot gibt. Wie seit einiger Zeit in der arbeitsrechtlichen Literatur erörtert wird, müssen im Arbeitsrecht bei Regelungen zum Schutz bestimmter Personengruppen immer auch die Konträrfolgen gesehen

109 Art. 39 des Gesetzbuchs der Arbeit der Volksrepublik Polen vom 26.6.1974.

128

werden.110 Eine Regelung, die scheinbar zugunsten des Arbeitnehmers ausfällt, insbesondere beim Kündigungsschutz, wirkt sich auf der anderen Seite, bei der Einstellung, vielfach zu Lasten der Angehörigen dieser Gruppe aus. So würden bei einem verstärkten Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmer deren ohnehin schon geringe Vermittlungschancen vollends schwinden111. Würde man also die hier als Alternative vorgestellte Lösung im Gesetz verankern, so brächte das den älteren Arbeitnehmern keine Vorteile. Bei der bestehenden Regelung weiß ein Arbeitgeber, daß es auf das Lebensalter des Eingestellten für die Berechnung der Kündigungsdauer nicht ankommt. Bewährt sich der neue ältere Mitarbeiter nicht, kann er mit kurzer Frist entlassen werden. Hat er sich dagegen im Unternehmen bewährt, so ist auch die längere Kündigungsfrist - unabhängig vom Lebensalter - sachgerecht. In den bisherigen Ausführungen stand die Arbeitnehmersicht im Vordergrund. Für eine Interessenabwägung kommt es aber ebenso auf die Interessen der Arbeitgeber an. So fragt sich im Hinblick auf verlängerte Kündigungsfristen, warum gerade der Arbeitgeber das Risiko der schweren Vermittelbarkeit tragen oder die erhöhte soziale Abfederung finanzieren soll. Dem Arbeitgeber wird damit der Schutz des älteren Arbeitnehmers aufgebürdet. Denkbar wäre als Alternative eine sozialversicherungsrechtliche Lösung in der Weise, daß z.B. älteren Arbeitnehmern für sechs Monate 100% des Nettogehaltes als Arbeitslosengeld ausgezahlt würde; in diese Richtung geht auch § 106 AFG; vgl. dazu auch § 105c AFG. Aspekte der sozialen Abfederung und der Rücksichtnahme auf die schwere Vermittelbarkeit wären dann ebenso erfaßt. Nachteilig ist allerdings der - wie fast immer rein monetäre Ausgleich des Sozialrechts. In vielen Fällen ist dem Arbeitnehmer aber mehr damit gedient, so lange wie möglich im Betrieb zu bleiben und den Makel der Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Schließlich erscheint eine Überwälzung des Altersrisikos der Arbeitnehmer auf den Arbeitgeber angreifbar. Sie ist auch nirgends gesetzlich durchgeführt. Es finden sich lediglich Regelungen, die primär an die Betriebszugehörigkeit anknüpfen, so z.B. § 622 Abs. 2 BGB, § 2 Abs. 1 AngKSchG, § 10 Abs. 2 KSchG. Im Fall der Betriebszugehörigkeit erscheint es, anders als beim Lebensalter, sachnäher, dem Arbeitgeber die 110 S. zu Konträrfolgen allgemein Wank, Das Recht auf Arbeit, S. 82 ff. 111 Nach ANBA 1989, S. 621, 677 war die Dauer der Arbeitslosigkeit bei älteren Arbeitnehmern wesentlich höher: unter 20 Jahre 4,6 Monate; bis 30 Jahre ca. 6 Monate; bis 40 Jahre ca. 7 Monate; bis 50 Jahre ca. 8 Monate; bis 55 Jahre 9,3 Monate; bis 60 Jahre 11,6 Monate; bis 65 Jahre 22 Monate.

129 Risiken aufzubürden. Schließlich hat der Arbeitnehmer seine Flexibilität in dessen Unternehmen verloren. Er ist in die Struktur des Betriebes hineingewachsen und hat unter Umständen sein Leben auf die Arbeit und die Arbeitsstätte mit ausgerichtet. Hier mag man eine nachvertragliche Treuepflicht anerkennen, die dem Arbeitgeber einen Teil auch des Altersrisikos auferlegt. Hinzu kommt eine Art Belohnung für Betriebstreue. Dem Arbeitnehmer sind somit längere Kündigungsfristen zu Lasten des Arbeitgebers zuzugestehen, wenn er eine längere Betriebszugehörigkeit hat. Die daraus resultierenden Verschlechterungen seiner Chancen auf dem Arbeitsmarkt sind vom Arbeitgeber mitzutragen. Schließlich ist zusammenfassend zu fragen, bei welchen Kriterien ein Bezug zum Arbeitsverhältnis besteht. Die Frage taucht in einem ähnlichen Zusammenhang bei der Zulässigkeit von Sonderabgaben auf. Wie in Rechtsprechung und Literatur anerkannt ist, dürfen Sonderabgaben nur auferlegt werden, wenn zwischen dem Verpflichteten und dem Begünstigten eine "Nähebeziehung" besteht, also ein Sinnzusammenhang gegeben ist.112 Diese Überlegung gilt darüber hinaus allgemein, wenn das Arbeitsrecht dem Arbeitgeber Pflichten auferlegt, die über das Äquivalenzverhältnis hinausgehen. Dann ist jeweils zu fragen, welcher Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis besteht und warum diese Belastung gerade vom Arbeitgeber zu tragen ist. Unter diesem Aspekt besteht ein Bezug zum Arbeitsverhältnis und zum konkreten Arbeitgeber bei der Anknüpfung an die Dauer der Betriebszugehörigkeit. Dieses Merkmal ist daher bei der Verlängerung der Kündigungsfristen zu beachten. Zwischen den konkreten Arbeitsverhältnissen und dem Lebensalter des Arbeitnehmers besteht ein solcher Sinnzusammenhang nicht.113 Es ist jedoch ein persönliches Kriterium und steht wegen des besonderen personalen Charakters des Arbeitsverhältnisses noch mit ihm im Zusammenhang.114 Bei den Arbeitsmarktchancen ist ein Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis streitig. Die herrschende Meinung berücksichtigt diese Frage bei der sozialen Auswahl.115 Aufschluß gibt diese Diskussion für die

112 Wank, Anm. zu BAG AP Nr. 84,84 a zu § 1 LohnFG; s. zuletzt Semler, JuS 1991, S. 598; s. im einzelnen unten 6. Kap. D. 113 Linck, Die soziale Auswahl, S. 89. 114 So Linck, Die soziale Auswahl, S. 89; Preis, Prinzipien, S. 422. 115 BAG AP Nr. 7 und Nr. 12 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; AP Nr. 10 zu § 1 KSchG Soziale Auswahl; LAG Düsseldorf, DB 1952, S. 828; Jobs,

130 vorliegende Problematik im Hinblick auf die Frage, ob die allgemeinen Lebensrisiken des Arbeitnehmers auf den Arbeitgeber abgewälzt werden dürfen. Die Frage ist vom Gesetzgeber bis heute dahin entschieden worden, daß eine gewisse Abwälzung möglich ist. Schon in § 13 der Demobilmachungsverordnung vom 12.2.1919116 war z.B. das Lebensalter als Schutzkriterium anerkannt. Beim Lebensalter wird man also eine eingeschränkte Berücksichtigung oder eine mit der Betriebszugehörigkeit kombinierte Berücksichtigung beibehalten können und müssen. Das Kriterium Arbeitsmarktlage ist im übrigen insofern ambivalent, als zwar bei normaler Arbeitsmarktlage ältere Arbeitnehmer schlechter zu vermitteln sind117; bei hoher Dauerarbeitslosigkeit können aber auch jüngere Arbeitnehmer für längere Zeit arbeitslos werden.118 Unabhängig von der Frage, ob dem Arbeitgeber dieses Risiko auferlegt werden soll, zeigt sich, daß schon die Prämissen, unter denen Arbeitsmarktschancen zu berücksichtigen sind, konjunkturabhängig sind. Es ist daher bei der Zubilligung längerer Kündigungsfristen - auch wenn andere Einflüsse mit hineinspielen - vorrangig auf die Betriebszugehörigkeit abzustellen. Folgende Regelung erscheint dabei sachgerecht: Verlängerte Kündigungsfristen sind nach der Dauer der Beschäftigungszugehörigkeit zu staffeln. Beschäftigungszeiten vor Vollendung des 25. Lebensjahres sind nicht mitzurechnen. Nach einer Beschäftigungszeit von fünf Jahren gilt für die Kündigung durch den Arbeitgeber eine Frist von drei Monaten. Die Kündigungsfristen erhöhen sich nach einer Beschäftigungsdauer von acht Jahren auf vier Monate, nach einer Beschäftigungsdauer von zehn Jahren auf fünf Monate und nach einer Beschäftigungsdauer von zwanzig Jahren auf sechs Monate. Bei den vorgeschlagenen verlängerten Kündigungsfristen werden für Beschäftigungszeiten von fünf, acht und zehn Jahren die Fristen aus dem Angestelltenkündigungsschutzgesetz auch für Arbeiter übernommen; übernommen wird auch eine Steigerung bei acht Jahren. Auf den weiteDB 1986, S. 538, 540; KR-Becker, § 1 KSchG, Rdnr. 55; Weller, RdA 1986, S. 222. 116 RGBl. 1920, S. 218; ebensolche Regelungen enthielten die Vorläuferbestimmungen, wie § 7 Abs. 1 Demobilmachungsverordnung vom 4.1.1919 für Arbeiter, RGBl. 1919, S. 8 und die Demobilmachungsverordnung vom 24.1.1919 für Angestellte, RGBl. 1919, S. 100. Das ab 1923 allein geltende Betriebsrätegesetz enthielt eine entsprechende Bestimmung in § 84 Nr. 4. 117 Vgl. ANBA 1989, S. 621,677. 118 Jobs, DB 1986, S. 540.

131 ren Sprung nach zwölf Jahren wird verzichtet, vielmehr wird gemäß dem Angestelltenkündigungsschutzgesetz eine weitere Verlängerung der Kündigungsfristen erst nach zwanzig Jahren erreicht, wie es in § 622 Abs. 2 BGB vorgesehen ist. Längere Kündigungsfristen als sechs Monate, wie sie der Kommissionsentwurf und der Entwurf der SPD-Bundestagsfraktion vorsahen, sollten durch Gesetz nicht eingeführt werden, sondern Tarifverträgen vorbehalten bleiben. Generell werden die Kündigungstermine zum Kalendervierteljahr nach dem Angestelltenkündigungsschutzgesetz und zum Monatsende für die einzelvertraglich verkürzte Frist für Angestellte beseitigt. Dadurch wird insgesamt eine Abkürzung der tatsächlichen Kündigungsfrist erreicht. So erscheint unter Berücksichtigung der oben genannten Schutzwürdigkeitsgesichtspunkte eine angemessene Regelung für alle Arbeitnehmer gegeben, bei der auch die Arbeitgeber angemessen zum Schutz der länger beschäftigten, älteren Arbeitnehmer herangezogen werden. 4. Die Betriebsgröße Im geltenden Recht hängen die verlängerten Kündigungsfristen bei Angestellten auch davon ab, daß in demselben Betrieb zwei Angestellte beschäftigt werden. Sowohl der Entwurf der Arbeitsgesetzbuchkommission als auch der SPD-Entwurf verzichten auf dieses Erfordernis. Wie bereits oben dargelegt, ist es berechtigt, Kleinunternehmen im Arbeitsrecht besondere Vergünstigungen zuzugestehen. Belastungen, die in einem großen Unternehmen leichter aufgefangen werden können, weil sie sich auf mehrere Arbeitnehmer verteilen, schlagen in einem Kleinunternehmen viel stärker zu Buche. Aus diesem Grunde ist es auch zumindest nicht verfassungswidrig, wenn § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG den Kündigungsschutz nach § 1 Abs. 2, 3 KSchG nur Arbeitnehmern in Betrieben gewährt, die mindestens fünf Arbeitnehmer haben. 119 Jedoch ist es nicht erforderlich, den Schutz des Kleinbetriebs darüber hinaus auf die Kündigungsfristen zu beziehen. Sofern daran gedacht wird, auch bei der Fristregelung eine Sonderregelung für Kleinbetriebe zu schaffen, müßte im übrigen der Schwellenwert an denjenigen des Kündigungsschutzgesetzes angepaßt, also auf fünf Arbeitnehmer heraufgesetzt werden.

119 BAG, EzA § 23 KSchG Nr. 8 m. Anm. Wank = AP Nr. 8 zu 23 KSchG 1969; s. jedoch ArbG Reutlingen, Vorlagebeschluß, BB 1991, S. 1642 = EuZW 1991, S. 608; allgemein zum Kleinbetrieb ferner Hanau, Festschrift der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, S. 183, 191 f.

132 VI.

Die Dispositivität zugunsten der Tarifparteien

Nach geltendem Recht kann durch Tarifverträge sowohl bei den Grundkündigungsfristen für Arbeiter und Angestellte nach § 622 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 BGB als auch von der verlängerten Kündigungsfrist für Arbeiter gem. § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB abgewichen werden, § 622 Abs. 3 Satz 1 BGB. Der Wortlaut des Gesetzes nimmt auf die verlängerten Kündigungsfristen nach dem Angestelltenkündigungsschutzgesetz nicht bezug. Von daher liegt eine Ungleichbehandlung zwischen Arbeitern und Angestellten vor. Durch Auslegung ergibt sich jedoch, daß auch die verlängerten Kündigungsfristen nach dem Angestelltenkündigungsschutzgesetz der Disposition durch die Tarifparteien unterliegen.120 Der Entwurf der Arbeitsgesetzbuchkommission sah keine Tarifvertragsdispositivität der Regelung des § 95 KE vor. Der SPD-Entwurf übernahm für § 622 BGB n.F. wörtlich die geltende Fassung des § 622 Abs. 3 BGB. An der Dispositivität gem. § 622 Abs. 3 Satz 1 BGB ist festzuhalten. In der Neuregelung müßte klargestellt werden, daß sich dies auf die Grundkündigungsfrist und auf die verlängerte Kündigungsfrist bezieht. Wenn man den Unterschied zwischen Arbeitern und Angestellten aufhebt, ist es noch mehr als bislang erforderlich, die Regelung den Tarifparteien zu überlassen. Bereits im Zusammenhang mit dem Novellierungsvorschlag von Kraushaar wurde darauf hingewiesen, daß eine Regelung am besten ist, die auf Konjunkturschwankungen und Besonderheiten einer Branche eingeht. Dies kann ein Gesetz nicht leisten. Eine sachnahe Regelung ist vielmehr bei den Tarifparteien am besten aufgehoben.121 Sie können den einen oder den anderen Aspekt der Kündigungsfristen mehr oder weniger stark in der Vordergrund stellen sowie auch innerhalb der Arbeitnehmerschaft Differenzierungen vornehmen, die denen von Kraushaar entsprechen können. Gegenüber den dadurch eröffneten Möglichkeiten ist Kraushaars generelles Modell noch zu grob angelegt 122 Die Tarifparteien können damit auch innerhalb der Arbeitnehmerschaft Gruppen bilden. Dabei sind sie allerdings an Art. 3 Abs. 1 GG gebunden. Zwar hatte der Gesetzgeber des Beschäftigungsförderungsgesetzes gemeint, die Tarifparteien von der Beachtung des Gleichheitssatzes dispen120 Die Frage ist streitig. 121 Vgl. dazu auch Bengelsdorf, NZA 1991, S. 121 ff. 122 Vgl. die Beispiele für den Metall- und den Elektrobereich bei 1991, S. 121,127 ff.

BengelsdorfNZA

133 sieren zu können, vgl. § 6 Abs. 1 BeschFG. Dem hat das Bundesarbeitsgericht aber mit Recht widersprochen.123 Allerdings sind die Tarifparteien selbst Grundrechtsträger nach Art. 9 Abs. 3 GG; bei der Einschätzung eines sachlichen Grundes dürfte ihnen daher ein Beurteilungsspielraum zuzubilligen sein.124 Fraglich ist, ob auch eine tarifvertragliche Festlegung von Kündigungsterminen zulässig sein soll. Damit könnte man dem Bedürfnis nach festen Terminen im Einzelfall und in einzelnen Bereichen gerecht werden. Es steht jedoch zu befürchten, daß dann die alten Regelungen ohne sachliche Berechtigung festgeschrieben werden. Verneint man, wie hier geschehen, grundsätzlich einen sachlichen Grund für die Festlegung fester Kündigungstermine, so sind auch die Tarifparteien zu einer Abweichung nur aus sachlichem Grund berechtigt. Schließlich ist im vorliegenden Zusammenhang noch darauf hinzuweisen, daß § 622 Abs. 3 Satz 2 BGB eine sachgerechte Regelung enthält, die beibehalten werden sollte. VII. Die Dispositivität zugunsten des Einzelarbeitsvertrages Das geltende Recht sieht zwei Sonderregelungen bezüglich einer Abweichung durch den Einzelarbeitsvertrag vor. Zum einen geht es - in bezug auf Arbeiter und Angestellte - um Einstellungen zur vorübergehenden Aushilfe bis zu drei Monaten. In diesem Fall kann gem. § 622 Abs. 4 BGB die Kündigungsfrist einzelvertraglich beliebig herabgesetzt werden. Daneben findet sich eine Regelung, die zwar einerseits nicht an besondere Umstände anknüpft, die aber andererseits nur für Angestellte gilt, in § 622 Abs. 1 Satz 2 BGB. Danach gilt eine Kündigungsfrist von mindestens einem Monat mit dem Schluß des Kalendermonats als Kündigungstermin. Die Arbeitsgesetzbuchkommission ist der Arbeitgeberseite insoweit entgegengekommen, als § 95 Abs. 1 Satz 2 KE nur eine Kündigungsfrist von drei Wochen bei gleichem Kündigungstermin vorsieht. Besonderheiten für die vorübergehende Aushilfe sind nicht vorgesehen. 123 BAG, NZA 1990, S. 37,38; vgl. GK-Mikosch, § 6 BeschFG, Rdnr. 13 ff.; Hanau, NZA 1984, S. 345; Lipke, AuR 1991, S. 78; Schüren, RdA 1985, S. 25; s. zu Art. 3 Abs. 1 GG bei tariflichen Kündigungsfristen einerseits BAG, DB 1992, S. 226, andererseits BAG-Urteile v. 23.1.1992, Pressemitteilung, DB 1992, S. 329 = BB 1992, S. 279. 124 Vgl. Bengelsdorf, NZA 1991, S. 121, 129 ff.

134 Der SPD-Entwurf übernahm § 622 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 4 BGB des geltenden Rechts. Zweifelhaft ist, ob man überhaupt eine Abweichung durch Einzelarbeitsvertrag zulassen sollte. Wie die Diskussion zu den allgemeinen Geschäftsbedingungen zunehmend zeigt, ist es Sache des Gesetzgebers, von vornherein eine ausgewogene Regelung zu schaffen; Abweichungen sollten an einen sachlichen Grund gebunden sein. Ein sachlicher Grund besteht jedenfalls im Hinblick auf Beschäftigungen zur vorübergehenden Aushilfe. Da hier die Einstellung insgesamt zweckgebunden ist und auch der Arbeitnehmer auf keinen bleibenden Bestandsschutz vertrauen kann, ist es sachgerecht, an der Regelung des geltenden Rechts festzuhalten. Sachgerecht ist auch die Regelung, daß bei einer Beschäftigung von mehr als drei Monaten das Argument der nur vorübergehenden Aushilfe nicht mehr eingreift. Nicht berücksichtigt ist allerdings im geltenden Recht die Besonderheit des Arbeitsverhältnisses während der ersten sechs Monate. In dieser Zeit genießen Arbeitnehmer gem. § 1 Abs. 1 KSchG keinen Kündigungsschutz im Hinblick auf das Erfordernis eines Kündigungsgrundes nach § 1 Abs. 2, 3 KSchG. Dagegen erhalten sie nach der bestehenden gesetzlichen Regelung den vollen Kündigungsschutz im Hinblick auf Frist und Termin. Allerdings tragen die Arbeitsverhältnisse in dieser Zeit regelmäßig den Charakter von Probearbeitsverhältnissen. Der Arbeitgeber wird daher bei Angestellten entweder ausdrücklich eine kurze Frist nach § 622 Abs. 1 Satz 2 BGB vereinbaren oder die Vereinbarung einer kürzeren Frist ergibt sich aus dem Charakter als Probearbeitsverhältnis durch Auslegung. 125 Hier empfiehlt es sich aber, daß das Gesetz selbst eine angemessene Regelung enthält und die Vertragsparteien nicht zwingt, selbst tätig zu werden. Hebt man die Grundkündigungsfrist für Arbeiter auf sechs Wochen an, so entsteht während der ersten sechs Monate der Beschäftigung auch insoweit ein Bedürfnis nach Verkürzung der Kündigungsfrist. Insoweit bietet sich die Regelung an, für die ersten sechs Monate eine Kündigungsfrist von zwei Wochen vorzusehen. Das entspricht auch der Tendenz, die Kündigungsfrist nach der Dauer der Beschäftigung zu staffeln. Im übrigen muß es auch weiterhin den Arbeitsvertragsparteien möglich sein, eine kürzere als die gesetzliche Frist von sechs Wochen zu vereinbaren. Für eine Inhaltskontrolle besteht kein Anlaß, wenn die ge125 S. zum Probearbeitsverhältnis BAG, AP Nr. 16, 22, 24, 45, 56 und 61 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag.

135 setzliche Mindestkündigungsfrist lang genug ist. Hier ist an der Frist von einem Monat gem. § 622 Abs. 1 Satz 2 BGB festzuhalten. Ein Kündigungstermin sollte allerdings hier wie auch sonst entfallen. VIII. Gleiche Kündigungsfristen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer Nach § 622 Abs. 5 BGB, der für Arbeiter und Angestellte gilt, darf für die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer einzelvertraglich keine längere Frist vereinbart werden als für die Kündigung durch den Arbeitgeber. Der Entwurf der Arbeitsgesetzbuchkommission hat diese Regelung wörtlich in § 105 KE übernommen. Im SPD-Entwurf kommt eine dem § 622 Abs. 5 BGB entsprechende Regelung nicht vor. Da die vorgeschlagenen Änderungen nur § 622 Abs. 1 - 4 BGB betreffen, ist davon auszugehen, daß § 622 Abs. 5 BGB auch nach dem SPD-Entwurf weitergelten soll. Die Regelung knüpft nicht an eine bestimmte Dauer der Kündigungsfrist an. Sie sieht vielmehr nur ein Benachteiligungsverbot vor. Durch diese Regelung wird anerkannt, daß sowohl der Arbeitnehmer als auch der Arbeitgeber ein schutzwürdiges Interesse an der Einhaltung von Kündigungsfristen haben. Gefordert wird nur, daß die Kündigungsfrist für beide Teile gleich ist. Die Regelung ist sachgerecht. Sie sollte als inhaltliche Eingrenzung der Dispositivität durch Einzelarbeitsvertrag beibehalten werden.126 IX.

Übergangsfristen

Sowohl der Entwurf der Arbeitsgesetzbuchkommission als auch der SPD-Entwurf haben vorgesehen, daß die Belastungen durch verlängerte Kündigungsfristen die Arbeitgeber nicht unmittelbar mit Inkrafttreten des Gesetzes, sondern erst mit Übergangsfristen treffen sollten. Fraglich ist allerdings, ob bei der Heilung eines Verstoßes gegen den Gleichheitssatz überhaupt Übergangsfristen möglich sind. Das Bundesverfassungsgericht räumt dem Gesetzgeber zur Beseitigung von Verstößen gegen den Gleichheitssatz oder gegen den Gleichberechtigungssatz regelmäßig eine Frist ein. Diese soll aber nur dazu dienen, die Vorüberlegungen und Beratungen für die Gesetzesänderung durchzuführen. So hat das Bundesverfassungsgericht beispielsweise dem

126 S. zu § 53 Abs. 2 BAT BAG, UrL v. 20.12.1990 - 2 AZR 412/90.

136 Gesetzgeber zur Neuregelung des § 622 BGB eine Frist bis zum 30.6.1993 gesetzt. Für die Zeit bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung sind die Aussagen des Bundesverfassungsgerichts unterschiedlich. Teilweise enthält es sich einer Aussage; so hat es für die Zeit bis zur Neufassung des § 622 BGB nicht etwa die Fortgeltung der bestehenden Vorschriften angeordnet, sondern im Grunde die Arbeitsgerichte zur Aussetzung aller einschlägigen Verfahren gedrängt127 - eine Maßnahme, die einer Rechtsverweigerung gleichkommt und die rechtsstaatlich bedenklich ist. Andererseits hat es den Interessen der Verlobten, die sich nicht auf einen gemeinsamen Familiennamen einigen können, höchste Priorität eingeräumt und selbst eine Übergangsregelung geschaffen, die bis ins Detail alle Varianten berücksichtigt.128 Der Gesetzgeber selbst verfahrt bei einer Anpassung ebenfalls unterschiedlich. So wurde in § 622 BGB das Lebensalter von 25 Jahren auch für Arbeiter eingefügt, aber nur für laufende Verfahren und für zukünftige Fälle, ohne Rückwirkung.129 Auch im Hinblick auf eine Neuregelung der Kündigungsfristen dürfte es sich empfehlen, nur zukünftige Fälle sowie rechtshängige Verfahren zu erfassen und keine Rückwirkung vorzunehmen. Es bleibt die Frage, ob die neue Regelung gleich mit Inkrafttreten des Gesetzes gelten soll oder ob für eine Übergangszeit gestaffelte Fristen vorzusehen sind. Akzeptiert man den Einwand der Arbeitgeber, daß sich verlängerte Kündigungsfristen als Kostenbelastung niederschlagen, so könnte die Neuregelung für Arbeitgeber dadurch verträglicher sein, daß die Anhebung der Kündigungsfrist für Arbeiter an die für Angestellte nur schrittweise erfolgt. Andererseits könnte dagegen sprechen, daß ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz sofort beseitigt werden muß, ohne daß Anpassungsfristen in Betracht kommen.130 Die letztgenannte Betrachtungsweise ist jedoch zu eng. Immerhin kann die Unterscheidung zwischen Arbeitern und An127 S. BVerfG, NJW 1990, S. 2246,2248. 128 BVerfG, NJW-RR 1991, S. 818 (LS). 129 Gesetz vom 26.6.1990, BGBl. I, S. 1206; kriL zur fehlenden Berücksichtigung der Heimarbeiter Schwab, NZA 1991, S. 657,658. 130 S. BAG, AP Nr. 8 zu § 1 BetrAVG Hinterbliebenenversorgung; BAG, NZA 1991, S. 635, 637; EuGH, DB 1990, S. 1824; dagegen Colneric, EuZW 1991, S. 75, 76; zum Ganzen Hanau/Preis, DB 1991, S. 1276 ff; zu Übergangsfristen bei komplexen Materien BVerfG, NJW 1991, S. 555, 557; s. auch Blanke, AuR 1991, S. 1, 12.

137 gestellten auf mehr als hundert Jahre zurückblicken. Bis vor kurzem wurde die unterschiedliche Regelung der Fristen für Arbeiter und Angestellte allgemein als unbedenklich angesehen.131 Unter diesen Umständen läßt sich auch die Einführung einer Übergangsfrist mit dem Rechtsbewußtsein vereinbaren. Rechtlich möglich wäre eine Rückwirkung für alle Kündigungsfristen, eine Rückwirkung für laufende Verfahren, eine ex-nunc-Wirkung und eine gestreckte Übergangsregelung für die Zukunft. Wegen der faktischen Gegebenheiten bleiben jedoch nur wenige Möglichkeiten übrig. Eine Rückwirkung auf alle zurückliegenden Kündigungsvorgänge ist praktisch unmöglich. Hier bestehen auch Bedenken hinsichtlich der Rechtssicherheit. Da die Arbeitsgerichte aber zahlreiche Verfahren ausgesetzt haben,132 sollte eine gewisse Rückwirkung vorgesehen werden. Dabei ist zu beachten, daß jede rückwirkende Erhöhung der Kündigungsfristen einseitig die Arbeitgeber belasten würde, da als einzige denkbare Maßnahme des Gesetzgebers bleibt, daß die Fristen für Arbeiter erhöht werden. Daher könnte hier eine mittlere Anpassung erwogen werden, in der Form, daß die Kündigungsfristen für Arbeiter rückwirkend auf vier Wochen erhöht werden. Auch für die Zukunft könnte man eine Übergangsregelung in Erwägung ziehen. Wählt der Gesetzgeber aber einen weitgehend kostenneutralen Vorschlag, ist eine Übergangsregelung nicht erforderlich. Eine Neuregelung würde die betroffenen Kreise, die ja an der Diskussion beteiligt sind, auch nicht unvorbereitet treffen. Die Kenntnis oder das Bewußtsein, daß die Kündigungsfristen verfassungswidrig sind, besteht ja bereits seit 1982. Wägt der Gesetzgeber Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbelange gegeneinander ab, so ist eine Übergangsregelung nicht erforderlich. Sie wäre allenfalls aus finanziellen Erwägungen erforderlich. Praktische Schwierigkeiten oder Rechtsunsicherheiten würden sich durch eine sofortige Umstellung nicht ergeben. Eine Zeit zur Umorientierung, in der gestaffelte Kündigungsfristen gelten, ist daher nicht erforderlich. H.

Eigener Vorschlag

Im Hinblick auf die vorstehenden Überlegungen wird folgende gesetzliche Neuregelung vorgeschlagen:

131 S. oben 4. Kap. A. 132 Zum Teil wird in der Rechtsprechung die Ansicht vertreten, daß die Verfahren nicht ausgesetzt werden können, bis das Bundesverfassungsgericht entschieden hat; s. LAG Niedersachsen, Entsch. v. 22.8.1990, - 3 Sa 10/82 -, m.w.N.

138 § 622 BGB (1) Ein Arbeitsverhältnis kann unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von sechs Wochen gekündigt werden. Bei einer Beschäftigungszeit von fünf Jahren gilt für eine Kündigung durch den Arbeitgeber eine Frist von drei Monaten. Die Kündigungsfrist erhöht sich nach einer Beschäftigungsdauer von acht Jahren auf vier Monate, nach einer Beschäftigungsdauer von zehn Jahren auf fünf Monate und nach einer Beschäftigungsdauer von zwanzig Jahren auf sechs Monate. Bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer werden Zeiten, die vor der Vollendung des 25. Lebensjahres liegen, nicht berücksichtigt. (2) Das Arbeitsverhältnis kann während der ersten sechs Monate mit einer Frist von zwei Wochen gekündigt werden. (3) Eine kürzere als die in Absatz 1 genannte Kündigungsfrist kann durch Tarifvertrag vereinbart werden. (4) Eine kürzere als die in Abs. 1 Satz 1 genannte Kündigungsfrist kann durch Arbeitsvertrag vereinbart werden. Sie darf einen Monat nicht unterschreiten. Eine kürzere Frist kann bei Beschäftigung zur vorübergehenden Aushilfe vereinbart werden; dies gilt nicht, wenn das Arbeitsverhältnis über die Zeit von drei Monaten hinaus fortgesetzt wird. (5) Für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer darf keine längere Frist vereinbart werden als für die Kündigung durch den Arbeitgeber. Das Angestelltenkündigungsschutzgesetz wird aufgehoben.

6. Kapitel: Das Entgeltfortzahlungsrecht A.

Vorüberlegungen

Das vorstehend erörterte Kündigungsrecht gehört zum Kernbereich des Rechts der Austauschverträge in Form der Dauerschuldverhältnisse. Bei der Beendigung des Vertrages mittels Kündigung sind in jedem Fall Übergangsfristen einzuhalten. Besonderheiten ergaben sich insofern, als auch Gründe in der Person des Arbeitnehmers (wie das Alter), die mit dem Arbeitsverhältnis nicht in unmittelbarem Zusammenhang stehen, in die Regelung einbezogen wurden. Im Bereich der Entgeltfortzahlung kehrt sich das Verhältnis zwischen Regel (typischer Inhalt des Austauschverhältnisses) und Ausnahme um. Es stellt sich bereits grundsätzlich die Frage, warum es zu den Aufgaben des Arbeitgebers gehören soll, dem Arbeitnehmer das Arbeitsentgelt auch dann fortzuzahlen, wenn dieser dem Arbeitgeber gegenüber keine Arbeitsleistung erbringt. Dem Grundgedanken des Austauschverhältnisses - s. § 323 BGB - widerspricht dies diametral. Die gegenwärtige Rechtslage im Bereich der Entgeltfortzahlung läßt sich vor allem historisch erklären. Dabei zeigt sich, daß hinter der Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber ursprünglich vor allem drei Gedanken standen: Zum einen eine paternalistische Sicht des Beschäftigungsverhältnisses, bei der der Arbeitgeber über die Arbeitsleistung hinaus für das gesamte Leben des Beschäftigten verantwortlich ist; zum anderen eine Begünstigung für bestimmte Gruppen von Arbeitnehmern und schließlich die Neigung des Staates, aus Kostengründen ihm obliegende Pflichten auf die Arbeitgeber abzuwälzen. Entgeltfortzahlungsregelungen gibt es in unterschiedlichen Zusammenhängen, s. z.B. § 37 Abs. 6 BetrVG u.a.1 Im folgenden werden jedoch nur diejenigen Vorschriften behandelt, in denen sich die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten auswirkt. Dies sind die Vorschriften, die die Pflicht des Arbeitgebers zur Entgeltfortzahlung im Falle der Erkrankung des Arbeitnehmers (unter F) und der Erkrankung von Familienangehörigen des Arbeitnehmers (unter G) regeln. Terminologischer Hinweis: Für die krankheitsbedingte Entgeltfortzahlung von

Arbeitern

und

Angestellten

ist

sowohl

die

Terminologie

"Lohnfortzahlungsrecht" als auch "Entgeltfortzahlungsrecht" gebräuch1 Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, § 221 V 6.

140 lieh. Andererseits spricht man im allgemeinen bei Arbeitern von "Lohn" und bei Angestellten von "Gehalt". Dementsprechend müßte als Oberbegriff für das Arbeitsentgelt von Arbeitern und Angestellten eine andere Bezeichnung als "Lohn" gewählt werden. Im folgenden werden die Ausdrücke "Entgeltfortzahlung" und "Lohnfortzahlung" synonym verwandt.

B.

Die geschichtliche Entwicklung des Entgeltfortzahlungsrechts

Arbeitnehmern wurde schon frühzeitig eine soziale Absicherung für den Fall eigener, aber auch fremder Erkrankung zuerkannt. Diese zunächst noch karge soziale Absicherung hat sich im Laufe der Jahrhunderte zu einem System entwickelt, das dem Vergleich mit Systemen sozialer Absicherung in anderen Ländern standhält. Die Entwicklung des Rechts der Entgeltfortzahlung ging nicht stetig vor sich, sondern war einem steten Auf und Ab unterworfen, das sich an den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen ausrichtete. Die mit der geschichtlichen Entwicklung einhergehende Aufspaltung der Arbeitnehmerschaft in Arbeiter und Angestellte hat dazu geführt, daß einzelne Arbeitnehmergruppen gegenüber anderen begünstigt wurden. Obwohl diese Begünstigungen im Laufe der Jahre weitgehend wieder abgebaut worden sind, bestehen einige Überbleibsel im Recht der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall bis heute fort.2 Ob die Besserstellung einzelner Arbeitnehmergruppen im Entgeltfortzahlungsrecht verfassungsrechtlich unbedenklich ist, ist zweifelhaft und bedarf einer Überprüfung anhand des allgemeinen Gleichheitssatzes nach Art. 3 Abs. 1 GG3 sowie gegebenenfalls anhand von Art. 3 Abs. 2 GG und Art. 119 EWGV. Wegen der Abhängigkeit des heutigen Rechts der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle von der historischen Entwicklung soll diese vorab dargestellt werden.4 Am Anfang der Entwicklung des Entgeltfortzahlungsrechts steht der paternalistische Gedanke. 2 Vgl. u.a. Thomas, in: Hromadka, Gleichstellung, S. 49 ff. 3 Kraushaar, AuR 1981, S. 65, 73 hält die Ungleichbehandlung zwischen Arbeitern und Angestellten für verfassungsrechtlich bedeutungslos; ähnlich Farthmann, Festschrift für Hilger/Stumpf, S. 177, 193; vgl. zur Frage der Aufhebung der beiden Arbeitnehmergruppen auch Bornemann, AuR 1981, S. 239; Mayer-Maly, Arbeiter und Angestellte, S. 18, 47 ff., 51 ff. 58; Nikisch, Neuabgrenzung, S. 16 ff., 23,24. 4 Dazu Schmitt, ZTR 1991, S. 3, 4; Schusser, in: Hromadka, Gleichstellung, S. 61; allgemein zur Bedeutung des historischen Zusammenhangs o. 1. Teil, 2. Kap., B III, F.

141 So wurden im alten Rom die Sklaven, wenn auch ohne Rechtsanspruch, im Falle ihrer Erkrankung regelmäßig von ihrem Herrn unterhalten.5 Der locator (Arbeitnehmer, der sich als "freier Mann" durch den Abschluß freier Arbeitsverträge an den Arbeitgeber band) besaß gegenüber dem conductor (Arbeitgeber) dagegen bereits einen einzelvertraglich abdingbaren Entgeltfortzahlungsanspruch,6 wenn die Arbeitsverhinderung, wie im Falle der Krankheit, nicht in seiner Sphäre lag.7 Bei den Germanen war die Rechtslage ähnlich.8 Der unfreie Germane unterschied sich im wesentlichen nicht von dem Sklaven in Rom. Der freie Germane (Gefolgsmann, Antrustio, Vasall, Muntmann) begab sich, ähnlich wie der freie Mann in Rom, durch einen Treudienstvertrag in ein normalerweise lebenslang andauerndes Abhängigkeitsverhältnis, ohne im Grundsatz seine Freiheit zu verlieren.9 Einen Lohnanspruch gegenüber seinem Dienstheirn im Krankheitsfalle besaß er nicht. Der Dienstherr hatte ihm lediglich aufgrund von Schutz- und Fürsorgepflichten Pflege im Krankheitsfalle zu gewähren.10 Beim mittelalterlichen Dienstvertrag schob sich der Gedanke von Leistung und Gegenleistung in den Vordergrund, ohne daß das personenrechtliche Element des Treudienstvertrages, das bei der damals häufig anzutreffenden Aufnahme des Arbeitnehmers in die häusliche Gemeinschaft des Dienstherrn stark ausgeprägt war, entfiel.11 Das personenrechtliche Element war für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall entscheidend. Durch das Aufkommen von gewerblichen Gesellenverträgen1213 entstanden viele lohnfortzahlungsrechtliche Bestimmungen, die sich dadurch auszeichneten, daß Anspruchsgegner neben den Arbeitgebern die

5 Fluhr, Lohnzahlung bei Arbeitsversäumnis, S. 10, 34; Ogris, RdA 1967, S. 286, 287 (Fußn. 4) betont, daß es in Rom kaum freie Arbeitsverträge gab. 6 Mayer-Maly, RdA 1967, S. 281,285; Moll, RdA 1980, S. 138,142 (Fußn. 41 ff.). 7 Vgl. Dudek, Lohnfortzahlung, S. 4; Moll, RdA 1980, S. 138,142 (Fußn. 43). 8 Dudek, Lohnfortzahlung, S. 5; v. Gierke, Dienstvertrag, S. 39 f. 9 v. Gierke, Dienstvertrag, S. 40. 10 Moll, RdA 1980, S. 138,145. 11 Dudek, Lohnfortzahlung, S. 6; v. Gierke, Dienstvertrag, S. 43 f.; Nikisch, Arbeitsrecht Bd. 1, S. 14; Ogris, RdA 1967, S. 286,288 f., 294,297. 12 Verträge der Handwerker, Seeleute, Bergarbeiter und ähnlicher Berufsgruppen. 13 Ogris, RdA 1967, S. 286,289.

142 Interessenvereinigungen in Form der bergmännischen Knappschaften,14 der Gesellenverbände der Handwerker u.a.15 waren.16 Im Rahmen der Handwerkerverträge blieb die Lohnfortzahlung auch weiterhin nur eine Ausnahme.17 Im Bereich der Gesindeverträge18 hatte der Dienstherr aufgrund des Fürsorgeprinzips die Pflicht, dem Gesinde im Krankheitsfall Pflege zukommen zu lassen,19 eine darüber hinausgehende Lohnfortzahlung war regelmäßig nicht üblich.20 Einen wichtigen Schritt in der Entwicklung des Entgeltfortzahlungsrechts stellte der Entwurf des Preußischen Allgemeinen Landrechts von 1794 dar.21 Während bislang nur für einzelne Berufsgruppen lohnfortzahlungsrechtliche Bestimmungen bestanden, enthielt dieser Entwurf erstmalig für breite Kreise Entgeltfortzahlungsregelungen:22 Bei Berufskrankheiten hatte der Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber während der Dauer des Arbeitsverhältnisses einen Anspruch auf Fortzahlung des Lohnes sowie auf Gewährung von Kur und Verpflegung bis zur Genesung. Bei außerdienstlichen Erkrankungen mußte der Arbeitgeber die Kurkosten übernehmen, soweit nahe Verwandte dieser Verpflichtung nicht nachkommen konnten. Der Arbeitgeber konnte diese Kosten vom Lohn abziehen.

Diese Regelungen hatten jedoch praktisch keine Auswirkungen. Zwar gab es nunmehr für alle Kreise geltende lohnfortzahlungsrechtliche Bestimmungen. Sie waren aber gegenüber den Gesindeordnungen der einzelnen Provinzen subsidiär.23 Erst durch die preußische Gesindeordnung vom 8.11.1810, in der sie weitgehend übernommen wurden, kam ihnen wirkliche Bedeutung zu. Ab dem beginnenden 19. Jahrhundert verlief die Entwicklung im Entgeltfortzahlungsbereich aufgrund der Industrialisierung und der damit verbundenen Abnahme der kleineren Handwerks- und Manufaktur-

14 15 16 17 18 19 20

Ogris, RdA 1967, S. 286,291. Wagner, RdA 1958, S. 401,405,406. Dudek, Lohnfortzahlung, S. 6,7. Dudek, Lohnfortzahlung, S. 7. Dazu v. Gierke, Dienstvertrag, S. 50 f.; Ogris, RdA 1967, S. 286,288. Nach Ogris, RdA 1967, S. 286,288 meist jedoch nur für 8 - 14 Tage. Anders Ogris, RdA 1967, S. 286, 288. Dienstboten wurde Lohnfortzahlung nach vielen Rechten gewährt, jedoch mußten sie sich Lohnabzug gefallen lassen oder die versäumte Zeit nacharbeiten. 21 Später Teil II Titel 5 Preußisches Allgemeines Landrecht. 22 Dudek, Lohnfortzahlung, S. 8; Moll, RdA 1980, S. 138,145,146. 23 S. §§ 86 ff. preußische Gesindeordnung; Dudek, Lohnfortzahlung, S. 8; Moll, RdA 1980, S. 138,146.

143 betriebe24 sowie der Zunahme des Liberalismusgedankens in der Wirtschaft rückläufig.25 Im Rahmen der Arbeitsverhältnisse galt, da das Zeitalter der Industrialisierung - mehr als jedes andere - vom Kampf um die Interessengegensätze zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern geprägt war, nur noch das Prinzip von Leistung und Gegenleistung26 auf der Basis der Vertragsfreiheit.27 Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts besann man sich in einigen Sonderrechtsgebieten auf die personenrechtliche Bindung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zurück.28 In diesem Zusammenhang wird ein zweiter grundlegender Gedanke des Entgeltfortzahlungsrechts sichtbar. Ursache für die auf einen begrenzten Personenkreis bezogene Entgeltfortzahlung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war nämlich das Interesse der Arbeitgeber an besonders qualifizierten und damit seltenen Arbeitskräften und nicht ein plötzlich wachsendes Fürsorgeverständnis gegenüber den Arbeitnehmern. Dadurch, daß einzelnen Arbeitnehmern eine privilegierte Stellung eingeräumt wurde, kam es zur Aufteilung in die Gruppen der Arbeiter und der Angestellten. In zahlreichen gesetzlichen Regelungen über die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall fand diese Aufteilung schließlich ihren Ausdruck.29 Der Handlungsgehilfe, der als Stütze des Arbeitgebers galt und mit höheren Diensten und Aufsichtsfunktionen betraut war30, erlangte durch Art. 60 Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch (ADHGB) - das von 1861 bis 1865 weitverbreitet als Landesrecht in Kraft trat - einen Sonderstatus im Bereich der Entgeltfortzahlung.31 Gemäß Art. 60 ADHGB hatte er, wenn er durch unverschuldetes Unglück zeitweilig an der Erbringung der Dienstleistung verhindert war, Gehalts- und Unterhaltsansprüche bis zu einer (auch heute noch geltenden) Höchstdauer 24 25 26 27 28

Zu ihnen Ogris, RdA 1967, S. 286,290. Vgl. v. Gierke, Dienstvertrag, S. 53. Moll, RdA 1980, S. 138,146. Ogris, RdA 1967, S. 286,297. Fuchs, AcP 34, S. 385, 404, 405; Mommsen, Obligationenrecht Bd. I, S. 67, 383 ff.; Windscheid, Pandektenrecht, §§ 401,404. 29 Schmitt, ZTR 1991, S. 3,4. 30 Ogris, RdA 1967, S. 286,292,293. 31 Vorläufer des Art. 60 ADHGB war Art. 59 des preußischen Entwurfs eines Handelsgesetzbuches aus dem Jahre 1857. Art. 60 ADHGB wiederum bildete die Grundlage für Art. 58 des Entwurfs des HGB, der am 10.5.1897 als § 63 HGB Gesetzeskraft erlangte (RGBl. 1897, S. 219) und heute noch als § 63 Abs. 1 Satz 1 HGB fortgilt.

144 von sechs Wochen. Eine dem heutigen § 6 Abs. 1 LFZG vergleichbare Regelung für Handlungsgehilfen fand sich erstmalig in § 72 HGB a.F. Neben den Handlungsgehilfen gestand man teilweise auch gewerblich Tätigen eine rechtliche Sonderstellung zu. So gewährten § 140 Abs. 2 Allgemeine Gewerbeordnung vom 17.1.1845 und § 111 Nr. 6 Abs. 2 GewO des Norddeutschen Bundes vom 28.6.186932 dem gewerblichen Arbeitnehmer, der aufgrund von Arbeitsunfähigkeit entlassen wurde, einen Entschädigungsanspruch, wenn sich dies aus dem Arbeitsvertrag oder aus allgemeinen gesetzlichen Vorschriften ergab.33 Das Arbeiterschutzgesetz vom 1.6.189134 übernahm diesen Entschädigungsanspruch in § 123 Nr. 8 Abs. 3 GewO und behielt ihn bis 1969 bei. §140 Allgemeine Gewerbeordnung war die Vorgängervorschrift des § 133c GewO. Dieser sah in der Fassung des Arbeiterschutzgesetzes vor, daß der Dienstherr bei anhaltender Krankheit die Aufhebung des Dienstverhältnisses gegenüber den in § 133a GewO bezeichneten Personen (leitende, beaufsichtigende und höhere technische Angestellte) verlangen konnte. Gleichzeitig normierte er aber auch eine sechswöchige Leistungspflicht des Arbeitgebers bei Verhinderung des Arbeitnehmers aufgrund unverschuldeten Unglücks.35 Sonderregelungen im Lohnfortzahlungsbereich fanden sich für Seeleute in den Seemannsordnungen vom 27.12.187236 und vom 2.6.190237 sowie für Bergbauangestellte im ABG38 in der Fassung des Gesetzes vom 28.7.1909, insbesondere in § 90a Abs. 1 ABG. § 616 BGB von 189639, der als § 616 Abs. 1 BGB fortgilt, enthielt für alle Arbeitnehmer, die nicht unter Sonderregelungen fielen, eine Entgeltfortzahlungsregelung.40 Arbeitern und Angestellten wurden mithin durch § 616 BGB, wenn für sie keine Sonderregelungen galten, die gleichen Rechte zuerkannt.41

32 § 111 Nr. 6 Abs. 2 GewO erstreckte sich nach der Gründung des Deutschen Reiches auch auf andere Länder. 33 Dudek, Lohnfortzahlung, S. 10. 34 RGBl. I, S. 261. 35 Dudek, Lohnfortzahlung, S. 9. 36 RGBl. S. 409 ff. 37 RGBl. S. 175 ff. 38 GS S. 677 ff. 39 RGBl. 1896, S. 195. 40 RGBl. 1896, S. 195; dazu Schmitt, ZTR 1991, S. 3, 5. 41 Schmitt, ZTR 1991, S. 3,5.

145

Weil die Regelung des § 616 BGB 42 jedoch - wie die der §§ 63 HGB, 133c GewO - abdingbar war, besaß sie kaum praktische Auswirkungen.43 Während Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung gemäß §§ 63 HGB, 133c GewO wohl weitgehend aus eigenem Interesse bei Arbeitnehmern, die Dienste höherer Art wahrnahmen, nicht individualrechtlich ausschlössen, ist davon auszugehen, daß dies bei der Masse der Arbeitnehmer, die unter § 616 BGB fielen, der Fall war.44 Der dritte Gestaltungsfaktor für das Recht der Entgeltfortzahlung machte sich anläßlich der Weltwirtschaftskrise (1929 - 1932) bemerkbar, in der es zum Zusammenbruch der Wirtschaft und der Staatsfinanzen sowie zu hoher Arbeitslosigkeit kam. Es ging dem Staat darum, die Krankenkassen finanziell zu entlasten.45 Deshalb erließ der Reichspräsident drei Notverordnungen. Diese führten dazu, daß die §§ 616 BGB, 63 HGB und 133c GewO für Angestellte für unabdingbar erklärt wurden.46 In § 616 BGB fügte die dritte Notverordnung ein, daß unter "verhältnismäßig nicht erheblich" eine Zeit von sechs Wochen zu verstehen sei, wenn durch Tarifvertrag - was regelmäßig der Fall war - kein anderer Zeitraum bestimmt war. Durch die Notverordnungen kam allen Angestellten im Ergebnis ein sechswöchiger unabdingbarer Entgeltfortzahlungsanspruch gegenüber dem Arbeitgeber zu, der voll auf die Versicherungsleistung angerechnet wurde. Während durch die Notverordnungen einerseits die Rechtslage der Arbeiter von der der Angestellten immer mehr abwich, wurde andererseits die Rechtslage bei den Angestellten zusehends vereinheitlicht. Zunächst besaß nur die Gruppe der kaufmännischen und gewerblichen Angestellten, für die die §§ 63 HGB, 133c GewO galten, eine Sonderstellung. Dann wurde der Gruppe der Angestellten durch die Unabdingbarkeit der §§ 616 BGB, 63 HGB, 133c GewO insgesamt ein 6-wöchiger Entgeltfortzahlungsanspruch zuerkannt.

42 Nach der damals herrschenden Auslegung stand den unter diese Vorschrift fallenden Arbeitnehmern damit kein Gehaltsanspruch im Falle einer vorübergehenden Verhinderung aufgrund von Krankheit zu; BAG, Beschl. vom 18.12.1959, AP Nr. 22 zu § 616 BGB. 43 Dudek, Lohnfortzahlung, S. 13,14. 44 Diesbezüglich widersprechen sich die Angaben in der Literatur; s. u.a. Dudek, Lohnfoitzahlung, S. 14. 45 Schmatz/Fischwasser, Vergütung, Einf. B 301, 302; Kaiser/Dunkl, Entgeltfortzahlung, Einf. S. 39. 46 Schmitt, ZTR 1991, S. 3,5.

146 Für die Gruppe der Arbeiter verblieb es demgegenüber bei der Abdingbarkeit der Regelung des § 616 BGB, von der regelmäßig Gebrauch gemacht wurde.47 Durch die Notverordnungen vom 27.7.193048, 1.12.193049 und vom 5.6.193150 entstand mithin erstmals eine erhebliche, praktisch relevante Ungleichbehandlung zwischen den Gruppen der Arbeiter und der Angestellten. 1955 sah der SPD-Entwurf eines Gesetzes zur Gleichstellung aller Arbeitnehmer im Krankheitsfall51 eine Änderung des § 616 BGB mit dem Inhalt vor, daß Arbeitern nunmehr ein unabdingbarer sechswöchiger Lohnfortzahlungsanspruch im Krankheitsfall zukommen sollte52. Der Entwurf enthielt daneben Überlegungen zur Bildung eines Ausgleichstockes bei Betrieben bis zu 100 Arbeitnehmern, durch den den Arbeitgebern 75% ihrer geleisteten Entgeltfortzahlungen erstattet werden sollten (vgl. heute §§ 10 ff. LFZG). Für den Entwurf konnte trotz mehrfacher Beratungen in den Ausschüssen für Sozialpolitik, Arbeit und Mittelstandsfragen keine Mehrheit erzielt werden. Deshalb wurde dem Bundestag schließlich nur eine gespaltene Lösung53, die eine Krankengelderhöhung von 50% mit einem Zuschuß des Arbeitgebers zum Krankengeld verbinden wollte, vorgelegt. Der Bundesrat verabschiedete nach weiteren Beratungen am 26.6.1957 schließlich das "Gesetz zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfall" (ArbKrankhG), das am 1.7.1957 in Kraft trat54. Das Arbeiterkrankheitsgesetz sah im wesentlichen eine Erhöhung des Krankengeldes auf 65 bis 75 % des Grundlohnes vor sowie einen sechswöchigen Zuschuß des Arbeitgebers zu den Leistungen der Sozialversicherung vom dritten Tag der Arbeitsunfähigkeit an55, bis zur Gesamthöhe von 90 % des Nettoarbeitsentgelts, wenn der Arbeiter seit vier Wochen bei dem Arbeitgeber beschäftigt war.56 Die Karenztage entfielen bei einem Arbeitsunfall und wenn die Arbeitsunfähigkeit länger als zwei Wochen andauerte. 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56

Schmitt, ZTR 1991, S. 3,5. RGBl. 1 1930, S. 311. RGBl. 1 1930, S. 517. RGBl. 11931, S. 279. Dieser Entwurf stimmte im wesentlichen mit dem zuvor vom DGB unterbreiteten Vorschlag einer Abänderung des § 616 BGB überein. Vgl. zum Entwurf Aye, BB 1955, S. 350, 351; Hueck, RdA 1955, S. 291. Schmitt, ZTR 1991, S. 3,5. RGBl. I, S. 649. Schmitt, ZTR 1991, S. 3, 5. Schmitt, ZTR 1991, S. 3,5.

147 Am 1.8.1961 trat das auf einem Entwurf der CDU/CSU-Fraktion beruhende "Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfälle"5,1 in Kraft, das gegen die Stimmen der FDP vom Bundestag angenommen wurde. Es enthielt gegenüber dem Arbeiterkrankheitsgesetz für Arbeiter die Verbesserung der Verkürzung der Karenzzeit von zwei Tagen auf einen Tag und die Anhebung der Arbeitgeberzuschüsse zum Krankengeld auf 100% des Nettolohnes. Das Arbeiterkrankheitsgesetz stellte damit die Gruppen der Arbeiter und der Angestellten im wesentlichen wirtschaftlich gleich.58 - Eine Ungleichbehandlung gegenüber den Angestellten bestand aber weiterhin darin, daß während der Arbeitsunfähigkeit eines Arbeiters keine Rentenversicherungsbeiträge gezahlt wurden, ein Karenztag beibehalten wurde, der Arbeiter gegebenenfalls seine Ansprüche gegenüber zwei Anspruchsgegnern durchsetzen mußte und durch seine Krankenversicherungsbeiträge einen Teil seiner Lohnfortzahlung selbst finanzieren mußte 59 . - Eine Schlechterstellung der Angestellten gegenüber den Arbeitern enthielt demgegenüber § 3 ArbKrankhG. Während Arbeiter im Falle einer durch die Arbeitsunfähigkeit bedingten Kündigung einen Lohnfortzahlungsanspruch für sechs Wochen hatten, hatten Angestellte einen kürzeren Anspruch, wenn ihre Kündigungsfrist (was allerdings selten der Fall war) weniger als sechs Wochen betrug. Da die Unterschiede zwischen Arbeitern und Angestellten nach dem Arbeiterkrankheitsgesetz und seiner Novellierung zwar verringert, nicht aber beseitigt wurden, legte die Bundesregierung im Rahmen des "Sozialpakets" 1962 den Entwurf eines Lohnfortzahlungsgesetzes vor 60 . Dieser sah für alle Arbeitnehmergruppen einen unabdingbaren sechswöchigen Lohnfortzahlungsanspruch und zum Zwecke des Ausgleichs der Arbeitgeberaufwendungen ein Ausgleichsverfahren vor, in dem dem Arbeitgeber 75% der durch die Lohnfortzahlung an Arbeiter entstandenen Bruttoaufwendungen erstattet werden sollten. Das Sozialpaket enthielt neben dem Entwurf eines Lohnfortzahlungsgesetzes einen Entwurf über die Neuregelung der Krankenversicherung und des Bundeskindergeldgesetzes. Während das Bundeskindergeldgesetz angenommen wurde, wurde der Entwurf des Lohnfortzahlungsgesetzes wegen des nicht so bald zu realisierenden Entwurfes der Neuregelung der Kranken57 58 59 60

Vom 12.7.1961. BGBl. I, S. 913 Dudek, Lohnfortzahlung, S. 21. Z>ude*,Lohnfortzahlung, S. 21. BT-Drucks. IV Nr. 817.

148 Versicherung, nachdem er den Bundesrat passiert hatte und dem Bundestag zugeleitet worden war, nach der 1. Lesung 1963 aufgegeben61. Nach dem konjunkturellen Aufschwung lebte die Frage der Lohnfortzahlung für Arbeiter 1968 im Rahmen der "Konzertierten Aktion" wieder auf52. Wie schon 1962, lehnte man eine arbeitsrechtliche Lösung nicht mehr entschieden ab.63 Ein Gesetzentwurf des Bundesarbeitsministeriums über die Entgeltfortzahlung für Arbeitnehmer und über Änderungen des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung fand aus Uneinigkeit im Bereich der Krankenversicherung nicht die erforderliche Mehrheit in der Bundesregierung. Deshalb legten am 18.3.1969 die Fraktionen der SPD und der CDU/CSU jeweils einen eigenen Entwurf eines Lohnfortzahlungsgesetzes vor.64 Unterschiede zwischen den Entwürfen gab es - abgesehen von der Höhe des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts und des Ausgleichsverfahrens - kaum; die SPD befürwortete für die Berechnung das Regellohnprinzip, das schon aus der Krankenversicherung bekannt war, die CDU/CSU-Fraktion das Lohnausfallprinzip. Im Rahmen der ersten Lesung der beiden Entwürfe im Bundestag am 23.4.1969 hoben sowohl die SPD- als auch die CDU/CSU-Fraktion hervor, daß eine rechtlich unterschiedliche Behandlung von Arbeitern und Angestellten nicht mehr sinnvoll und zeitgemäß sei, so daß - wie von der SPD unter Beibehaltung der sprachlichen Differenzierung betont - eine Gleichstellung der beiden Arbeitnehmergruppen zu erfolgen habe65. Nach der ersten Lesung wurden die Entwürfe den Ausschüssen für Arbeit (federführend), für Sozialpolitik und für Wirtschaft und Mittelstandsfragen zur Beratung zugeleitet. Am 4.6.1969 schloß der Ausschuß für Arbeit seine Beratungen ab und schlug dem Plenum des Bundestages eine Gesetzesfassung vor, die beide Entwürfe miteinander kombinierte66. Am 12.6.1969 wurde das Lohnfortzahlungsgesetz (im folgenden LFZG) vom Bundestag nach einigen Änderungen in dritter Lesung angenommen und trat nach Zustimmung des Bundesrates am 1.1.1970 in Kraft.67 61 Vgl. Dudek, Lohnfortzahlung, S. 22. 62 Zu den näheren Gründen vgl. Kaiser/Dunkl, Entgeltfortzahlung, Einl. S.41; Schmatz/Fischwasser, Vergütung, Einf. zum LFZG, B 307. 63 Anders aber das Handwerk, das eine versicherungsrechtliche Lösung favorisierte. 64 BT-Drucks. V/3985; BT-Drucks. V/3983. 65 Abg. Götz, Verhandlungen des Dt. Bundestages, 5. Wahlperiode, 227. Sitzung; Abg. Schellenberg, in der gleichen Sitzung. 66 BT-Drucks. V/4285, BGBl. I, S. 946. 67 Die übrigen seit 1970 erfolgten Gesetzesänderungen haben die Ungleichbehandlung nicht beseitigt; vgl. Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte vom 10.8.1972, BGBl. I, S. 1433; Strafrechtsreform-Ergänzungsgesetz vom 28.8.1965,

149 C.

Das Entgeltfortzahlungsrecht seit Inkrafttreten des Lohnfortzahlungsgesetzes

Der Erlaß des Lohnfortzahlungsgesetzes ist Ausdruck der bislang letzten Bemühung des Gesetzgebers, die geschichtlich gewachsene unterschiedliche und unübersichtliche Rechtsstellung der Arbeiter und der Angestellten im Entgeltfortzahlungsrecht zu vereinheitlichen. Mit dem Inkrafttreten des Lohnfortzahlungsgesetzes entfiel der Hauptunterschied zwischen den beiden Arbeitnehmergruppen im Entgeltfortzahlungsrecht. Sowohl Arbeitern als auch Angestellten steht seit 1970 ein sechswöchiger unabdingbarer Entgeltfortzahlungsanspruch im Krankheitsfall gegen den Arbeitgeber zu68. Da durch die Einführung des Lohnfortzahlungsgesetzes aber keine vollständige Rechtsvereinheitlichung und übersichtliche Gestaltung des Entgeltfortzahlungsrechts bewirkt wurde,69 ist eine weitere Änderung des Entgeltfortzahlungsrechts unerläßlich, selbst wenn sie verfassungsrechtlich nicht zwingend sein sollte. Neben dem für Arbeiter geltenden Lohnfortzahlungsgesetz gelten für Angestellte als leges speciales, je nach Angestelltenstatus, die §§ 63 HGB, 133c GewO und § 616 Abs. 2 BGB. Der für Handlungsgehilfen anwendbare § 63 HGB sowie der für gewerbliche Angestellte geltende § 133c GewO unterscheiden sich im wesentlichen von § 616 Abs. 2 BGB dadurch, daß sie nicht ausdrücklich auf eine Erkrankung des Arbeitnehmers bezug nehmen, sondern stattdessen den gesetzlich nicht definierten Begriff des Unglücks verwenden, der die Fälle der Krankheit mit umfaßt. Die Vorschriften für Angestellte in §§ 616 Abs. 2 BGB, 63 HGB, 133c GewO regeln im Vergleich zum Lohnfortzahlungsgesetz die Rechtslage sehr ungenau.70 Deshalb hat die Rechtsprechung das Recht der Entgeltfortzahlung für Angestellte fortgebildet.71 Der Gesetzgeber des Lohnfortzahlungsgesetzes hat, obwohl beim Erlaß des Gesetzes die Absicht, die Rechtsstellung der Arbeiter an die der Angestellten anzuglei-

68 69 70 71

BGB1.1, S. 2289; Gesetz zur Verbesserung der Haushaltsstruktur vom 18.12.1975, BGBl. I, S. 3091; Gesetz über die Verwaltung der Mittel der Träger der gesetzlichen Krankenversicherung vom 15.12.1979, BGBl. I, S. 2241; Beschäftigungsförderungsgesetz 1985 vom 26.4.1985, BGBl. I, S. 710; Gesundheits-Reformgesetz vom 20.12.1988, BGBl. I, S. 2477. Thomas, in: Hromadka, Gleichstellung, S. 49. Schmitt, ZTR 1991, S. 3,4. Trieschmann, Festschrift für Herschel, S. 421,444. Trieschmann, Festschrift für Herschel, S. 421,444.

150 chen, ausdrücklich betont wurde, 72 die Gesetzesfassung des Lohnfortzahlungsgesetzes trotzdem nicht immer an der höchstrichterlichen Rechtsprechung der Entgeltfortzahlung für Angestellte oder den gesetzlichen Vorschriften für Angestellte ausgerichtet. Im Ergebnis folgt daraus - wenn auch in einem durch das Lohnfortzahlungsgesetz verringerten Umfang - eine Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten, weitgehend in Form einer Benachteiligung der Arbeiter. Die Rechtsprechung hat, wohl um die gesetzlich normierte Ungleichbehandlung zu reduzieren, versucht, die Regelungen des Lohnfortzahlungsgesetzes weitestmöglich in einer Weise auszulegen, die der Rechtsprechung zu den Angestelltenregelungen entspricht. 73 Bei einer Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der Ungleichbehandlung ist auch auf die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung oder Analogie einzugehen. Das auf verschiedenen Normen beruhende Entgeltfortzahlungsrecht für Angestellte wird im folgenden einheitlich behandelt, da die Normen im wesentlichen inhaltsgleich sind. 74 In der DDR wurde die Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle als Regelungsproblem der Sozialversicherung angesehen, §281 Buchst. 1 AGB der DDR. 75 Nach § 282 AGB erhielten Arbeitnehmer - zwischen Arbeitern und Angestellten wurde in der DDR insoweit nicht unterschieden sechs Wochen Krankengeld in Höhe von 90% des Nettodurchschnittsverdienstes, nach Ablauf dieser sechs Wochen zwischen 50% und 90%. Bereits mit dem Staatsvertrag trat in der DDR 76 an die Stelle der sozialversicherungsrechtlichen eine arbeitsrechtliche (genauer gesagt, gemischte) Lösung. Eine dem bundesdeutschen Lohnfortzahlungsgesetz entsprechende Regelung wurde in §§ 115a ff. AGB übernommen. 77 Da-

72 BVerfGE 62, S. 256, 283; Göge, BB 1986, S. 1772; Thomas, in: Hromadka, Gleichstellung, S. 49. 73 BAG, AP Nr. 14 zu § 1 LohnFG; BAG, BB 1971, S. 614; BAG, BB 1972, S. 221; Göge, BB 1986, S. 1772; s. zum grundsätzlichen Problem 2. Kap. unter F. 74 Auf die übrigen Arbeitnehmergruppen, die weder Arbeiter noch Angestellte sind, wie z.B. auf Seeleute (§ 48 Abs. 1 SeemannsG), angestellte Besatzungsmitglieder, Kapitäne auf Kauffahrteischiffen (§§ 48 Abs. 1, 78 SeemannsG) und Auszubildende (§§ 3,12 BBiG) wird hier nicht weiter eingegangen. 75 Wank, DtZ 1990, S. 42,43. 76 Zum Lohnfortzahlungsrecht in den neuen Bundesländern s. Dörner/Widlak, NZA 1991, Beil. 1, S. 43 ff.; Marburger, RdA 1991, S. 153 ff.; Wank, RdA 1991 S. 1,7, 8; Wlotzke/Lorenz, BB 1990, Beil. 35, S. 1,7. 77 Wank, RdA 1991, S. 1,3.

151 bei wurde aber weiterhin auf die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten verzichtet. Aufgrund des Einigungsvertrages gelten die §§ 115a ff. AGB in einer teilweise geänderten Fassung fort. An die Stelle der Anknüpfung an den früheren Durchschnittsverdienst ist das Lohnausfallprinzip getreten. In der Fassung des § 115b Abs. 2 AGB nach dem Staatsvertrag galt zunächst eine Sonderregelung für Betriebe bis zu 30 Arbeitnehmern. Seit dem 1.7.1991 gelten auch in den neuen Bundesländern die §§ 8, 10 - 19 LFZG, wenn auch in einer gegenüber dem bundesdeutschen Recht leicht abweichenden Fassung. Damit gelten heute folgende Regelungen über die Entgeltfortzahlung für Arbeitnehmer im Krankheitsfalle: für Arbeiter: das Lohnfortzahlungsgesetz (str.; bei Krankheit ohne Arbeitsunfähigkeit kann § 616 Abs. 1 BGB gelten; nur bei Krankheit und Arbeitsunfähigkeit gilt das Lohnfortzahlungsgesetz abschließend)78 für Angestellte: - Angestellte allgemein: § 616 Abs. 1,2 BGB - kaufmännische Angestellte: § 63 HGB - gewerbliche Angestellte: § 133c GewO, für Arbeiter und Angestellte in den neuen Bundesländern: § 115a ff. AGB.

Die einzelnen Vorschriften sollen nicht vorab einander gegenübergestellt werden. Vielmehr wird im folgenden (unter F), von den Vorschriften des Lohnfortzahlungsgesetzes ausgehend, der Inhalt der einzelnen Vorschriften jeweils für Arbeiter und für Angestellte, und zwar im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 3 Abs. 2 GG und Art. 119 EWGV, verglichen. D.

Arbeitsrechtliche oder sozialversicherungsrechtliche Lösung

I.

Die Entwicklung

Wie nachstehend im einzelnen dargelegt wird, ist im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG, teilweise auch wegen Art. 3 Abs. 2 GG, 119 EWGV, eine Angleichung des Rechts der Entgeltfortzahlung für Arbeiter und Angestellte erforderlich. Bevor aber auf die Einzelheiten der Regelungen im geltenden Recht eingegangen wird, ist zunächst die grundsätzliche Frage zu klären, ob der vom bundesdeutschen Gesetzgeber eingeschlagene Weg der arbeitsrechtlichen Lösung79 überhaupt richtig und zulässig ist. 78 Vgl. u.a. Kaiser/Dunkl, Entgeltfortzahlung, S. 67. 79 Genauer gesagt, muß man von einer gemischten Lösung sprechen, da es auch noch bei Leistungen der Krankenkassen geblieben ist; jedoch stehen rechtstatsächlich

152 Wie der Vergleich mit dem Recht der DDR und der Blick in die Geschichte des deutschen Rechts der Entgeltfortzahlung zeigt, kommen nämlich grundsätzlich zwei Modelle der Lohnfortzahlung in Betracht, eine arbeitsrechtliche Lösung, bei der sich der Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber richtet, und eine sozialversicherungsrechtliche Lösung, bei der der Anspruch gegen den Sozialversicherungsträger, die Krankenkasse, gerichtet ist (sowie schließlich eine gemischte Lösung). Im Laufe der historischen Entwicklung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall sind verschiedene Möglichkeiten der sozialen Absicherung des Arbeitnehmers diskutiert worden. Neben der heutigen, im Lohnfortzahlungsgesetz und in den §§ 616 BGB, 63 HGB, 133c GewO normierten arbeitsrechtlichen Lösung wurde im Rahmen von Ausschußberatungen über das am 28.9.1955 von der SPD als Entwurf vorgelegte "Gesetz zur Gleichstellung aller Arbeitnehmer im Krankheitsfalle" die Einführung einer sozialversicherungsrechtlichen und einer gespaltenen Lösung erwogen. Hinsichtlich der sozialversicherungsrechtlichen Lösung bestand schnell Einigkeit darüber, daß sie aus finanziellen Erwägungen heraus direkt zu verwerfen sei. Darüber hinaus lehnten die beratenden Ausschüsse für Sozialpolitik, Arbeit und Mittelstandsfragen auch eine rein arbeitsrechtliche Lösung ab, obwohl ihnen diese grundsätzlich als erstrebenswert erschien, weil sie nicht an deren politische und wirtschaftliche Durchsetzbarkeit glaubten. Dem Bundestag wurde deshalb nur eine gespaltene Lösung vorgelegt, die eine Krankengelderhöhung mit einem Arbeitgeberzuschuß zum Krankengeld verband. Am 1.7.1957 trat das auf der gespaltenen Lösung basierende "Gesetz zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfall" (ArbKrankhG) in Kraft. Das am 1.8.1961 in Kraft getretene "Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfall" behielt - bei einer grundsätzlichen Besserstellung der Arbeiter - die gespaltene Lösung bei. Erst der 1962 von der Bundesregierung im Rahmen des "Sozialpaketes" vorgelegte, aber nicht Gesetz gewordene Entwurf eines Lohnfortzahlungsgesetzes sah eine arbeitsrechtliche Lösung vor. Nach dem konjunkturellen Wirtschaftsaufschwung in den Jahren 1966/67 wurde

heute die Leistungen des Arbeitgebers im Vordergrund, so daß abgekürzt von einer arbeitsiechtlichen Lösung gesprochen werden soll.

153 diese arbeitsrechtliche Lösung mit dem Lohnfortzahlungsgesetz von 1969 erstmals gesetzlich verankert. Die noch 14 Jahre zuvor als nicht durchsetzbar abgelehnte arbeitsrechtliche Lösung beruhte auf einem Entwurf sowohl der CDU/CSUFraktion als auch auf einem Entwurf der SPD-Fraktion. Nur die FDP sprach sich gegen die mit dem Lohnfortzahlungsgesetz verbundene arbeitsrechtliche Lösung aus. Wenn auch die arbeitsrechtliche Lösung seit über 20 Jahren besteht und sich als ein mögliches System der sozialen Sicherung behauptet hat,80 ist sie doch erheblichen Bedenken ausgesetzt. II.

Bedenken

1. Volkswirtschaftliche Bedenken Geht man von dem Gedanken aus, daß Kosten systemgerecht zugerechnet werden müssen, damit Preise eine Indikator- und Lenkungsfunktion81 erfüllen können, dann ist die Zurechnung aller im Äquivalenzverhältnis stehenden Kosten zur Arbeitskraft systematisch zutreffend.82 Wird der Preis für die Arbeitsstunde dagegen mit anderen Kosten belastet, so kann eine Verzerrung eintreten: Arbeitnehmer werden beispielsweise wegen der hohen Kosten durch Maschinen ersetzt, obwohl der "echte Lohn" niedriger liegt. Kleinunternehmen, die beispielsweise Lohnfortzahlung für Krankheit oder Mutterschaft leisten müssen, werden - weil gegebenenfalls Aushilfskräfte eingestellt werden müssen, da eine Umverteilung der Arbeit bei einem geringen Mitarbeiterstamm kaum möglich ist - unverhältnismäßig belastet und erleiden dadurch Wettbewerbsnachteile. Daher empfiehlt sich eine arbeitsrechtliche Lösung nur für die dem Arbeitsverhältnis zurechenbaren Kosten. Für andere Leistungen der sozialen Absicherung ist demgegenüber eine nicht-arbeitsrechtliche Lösung, sei es eine sozialversicherungsrechtliche, eine privatversicherungsrechtliche oder eine eigenwirtschaftliche, vorzuziehen. Arbeitsrechtliche Bedenken 2. Wenn man heute das Arbeitsverhältnis nicht mehr als patemalistische Beziehung sieht und sich gerade darum bemüht, vom personen80 Zur Entstehungsgeschichte der arbeitsrechtlichen Lösung im einzelnen s. Kaiser/Dunkl, Entgeltfortzahlung, S. 39 ff.; Schmatz/Fischwasser, Vergütung, Einf. B 301 ff. 81 Vgl. Samuelson, Volkswirtschaftslehre, S. 62 ff., 64. 82 Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, S. 86 ff., 91 ff.

154 rechtlichen Verhältnis und von Treue- und Fürsorgepflicht abzukommen im Hinblick auf eine Austauschbeziehung,83 dann gehören die Überbleibsel des Fürsorgeprinzips nicht in das heutige System des Arbeitsrechts.84 Die Absicht der Arbeitgeber, durch Lohnfortzahlung bestimmte Arbeitnehmer zu privilegieren, hat mit der Erstreckung der Lohnfortzahlung auf Arbeiter längst ihnen Sinn verloren. Geblieben ist die "Rechtfertigung", daß der Staat seine Aufgaben auf Arbeitgeber abwälzt. 3.

Verfassungsrechtliche

Bedenken85

a) Art. 12 GG Die Verpflichtung der Arbeitgeber zur Lohnfortzahlung verstößt gegen Art. 12 GG, wenn sie nicht dem Gebot der Verhältnismäßigkeit entspricht.86 Zwar ist die Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber statt durch ein Sozialversicherungssystem zur Absicherung der Arbeitnehmer im Krankheitsfalle geeignet. Bedenken bestehen aber im Hinblick auf die Erforderlichkeit der Maßnahme.87 Ein gleich geeignetes, gegenüber den Arbeitgebern milderes Mittel besteht in einer Sicherung durch die soziale Krankenversicherung. Auch die gespaltene Lösung, wie sie vor der Einführung des Lohnfortzahlungsgesetzes bestand, ist im Vergleich zur arbeitsrechtlichen Lösung ein milderes, gleich geeignetes Mittel. Verfassungsrechtlich gerechtfertigt wäre die Lösung des geltenden Rechts daher nur dann, wenn konkrete Sachgründe dafür sprächen. Sachgründe, die die Abkehr von der gespaltenen Lösung zugunsten der arbeitsrechtlichen Lösung erforderlich gemacht hätten, sind nicht ersichtlich, wenn man die staatliche Haushaltssituation oder die Finanzlage der Krankenkassen außer acht läßt. Aber selbst wenn man die finanzielle Situation der Kassen berücksichtigt, ergibt sich daraus kein Sachgrund. Die Kassen finanzieren sich hälftig aus Arbeitgeber- und 83 S. Wiedemann, Das Arbeitsverhältnis als Austausch- und Gemeinschaftsverhältnis; Schwerdtner, Fürsorgetheorie und Entgelttheorie im Recht der Arbeitsbedingungen. 84 Wank, Anm. zu BAG, AP Nr. 84,84 a zu § 1 LohnFG. 85 Auf Art. 14 GG kann in diesem Zusammenhang nicht näher eingegangen werden. Bemerkt sei nur, daß das Bundesverfassungsgericht Art. 14 GG anspricht, sich in der Sache selbst mit diesem Grundrecht aber nicht weiter befaßt. 86 BVerfG, AP Nr. 62 zu § 12 GG. 87 In BVerfG, AP Nr. 62 zu Art. 12 GG hat das BVerfG diese Überlegungen systematisch und in der Sache unzutreffend beim Merkmal Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne geprüft; krit. Anm. Wank zu BAG, AP Nr. 84, 84 a zu § 1 LohnFG; s. auch BAG, AP Nr. 1 - 3 zu § 9 BildungsurlaubsG NRW mit gemeinsamer Anm. Wank.

155 Arbeitnehmerbeiträgen, so daß über eine Beitragsanhebung die finanziellen Mehrbelastungen, die mit einer sozialversicherungsrechtlichen Lösung verbunden sind, abgefangen werden können. Dadurch würde der Arbeitgeber zwar auch mit Mehrkosten belastet, diese sind aber geringer als die Lohnfortzahlungskosten, die der Arbeitgeber allein zu tragen hat. Die Solidargemeinschaft der Versicherten würde bei dieser Lösung schließlich einen erheblichen Kostenanteil mittragen. Im übrigen ist nach geltendem Recht die Krankenkasse nach Ablauf der Lohnfortzahlungshöchstdauer von 6 Wochen durch den Arbeitgeber ohnehin zur Zahlung von Krankengeld verpflichtet. Eine sozialversicherungsrechtliche Lösung würde mithin gegenüber der gegenwärtigen Rechtslage bedeuten, daß die Zahlungspflicht der Kasse früher einsetzt. Die sozialversicherungsrechtliche Lösung hat damit bereits eine Grundlage im geltenden System, wenn allerdings auch der Hauptteil der Leistungen aufgrund kurzfristiger Erkrankungen von den Arbeitgebern erbracht wird. Gegen diese Lösung kann man nicht einwenden, daß der Arbeitnehmer zur Eigenversorgung unfähig sei. Zum einen damit würde dem Arbeitnehmer ohne konkrete Anhaltspunkte eine Unselbständigkeit unterstellt88, zum anderen zahlt der Arbeitnehmer im Rahmen der Krankenversicherung hälftig seine Beiträge, die vom Arbeitsentgelt direkt abgehalten weiden. Eine arbeitsrechtliche Lösung verstößt mithin aufgrund der fehlenden Erforderlichkeit des Eingriffs gegen die Berufsausübungsfreiheit des Arbeitgebers gemäß Art. 12 GG 89 . b) Art. 3 Abs. 1 GG (Steuergleichheit) Besondere Bedenken bestehen auch im Hinblick auf die Vereinbarkeit der arbeitsrechtlichen Lösung mit Art. 3 Abs. 1 GG unter dem Aspekt des Grundsatzes der Steuergleichheit, der ebenfalls für Sonderabgaben gilt. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, daß Lohnfortzahlungsvorschriften nicht den strengen Zulässigkeitsvoraussetzungen für Sonderabgaben unterfallen und daß die Zahlungspflicht des Arbeitgebers bei Weiterbildungsmaßnahmen nicht Steuer und nicht Sonderabgabe sei.90 Dennoch muß die Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers als Sonderabgabe eingestuft werden. Das Bundesverfassungsgericht hat die Zahlungspflicht des Bürgers durch Rechtsfortbildung neben den gesetzlichen Finanzierungs- und Abgabeformen Steuer, Gebühr und Beitrag um 88 Wank, Anm. zu BAG, AP Nr. 84,84a zu § 1 LohnFG. 89 Wank, Anm. zu BAG, AP Nr. 84,84a zu § 1 LohnFG. 90 BVerfG, AP Nr. 62 zu Art. 12 GG.

156

die Figur der Sonderabgaben erweitert." Dem Bundesverfassungsgericht steht es nicht frei, die Lohnfortzahlungspflicht als eine weitere neue Zahlungspflicht des Bürgers, die weder den Sonderabgaben noch den gesetzlichen Finanzierungsformen unterfällt, einzustufen. Dazu genügt auch nicht der Hinweis des Bundesverfassungsgerichts, daß die Lohnfortzahlungspflicht in untrennbarem Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehe.92 Das Bundesverfassungsgericht hat im Rahmen der Überprüfung des § 7 Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz NRW die Anwendung der Zulässigkeitsvoraussetzungen für Sonderabgaben auch deshalb verneint, weil durch die Zahlung des Arbeitgebers keine Geldleistungspflicht gegenüber dem Staat begründet werde.93 Diese Argumentation kann schon im Ansatz nicht überzeugen. Es kann keinen Unterschied machen, ob der Staat eine Abgabepflicht mit dem Inhalt, daß der Verpflichtete eine Zahlung an ihn oder unmittelbar an einen Dritten vornimmt, normiert. Der Gesetzgeber kann den Arbeitgeber zur Lohnfortzahlung und damit zu einer fremdnützigen Sonderabgabe nur verpflichten, wenn "die Natur der Sache eine finanzielle Inanspruchnahme (gerade) der Abgabenpflichtigen zugunsten fremder Begünstigter aus triftigem Grund eindeutig rechtfertigt".94 Die Lohnfortzahlungspflicht durch den Arbeitgeber muß mithin, um unter dem Aspekt der Steuergleichheit verfassungsrechtlich unbedenklich zu sein, den Zulässigkeitsvoraussetzungen für Sonderabgaben genügen. Als Zulässigkeitsvoraussetzungen für Sonderabgaben sind anerkannt, daß:95 die Verpflichteten einer homogenen Gruppe angehören müssen;

91 92 93 94

Vgl. Wank, Anm. zu BAG, AP Nr. 1 - 3 zu § 9 BildungsurlaubsG NRW. S. auch die Kritik von Friauf, DB 1991, S. 1773,1775. BVerfG, AP Nr. 62 zu Art. 12 GG. S. auch BVerfG, BB 1990, S. 325 ff.; BVerfGE 55, S. 274, 307; BVerfGE 57, S. 139,170; s. auch BVerfGE 67, S. 256,276. 95 So BAG, AP Nr. 1 - 3 zu § 9 BildungsurlaubsG NRW mit Anm. Wank unter Bezugnahme auf BVerfGE 4, S. 7 ff.; BVerfGE 8, S. 274 ff.; BVerfGE 11, S. 105 ff.; BVerfGE 13, S. 167 ff.; BVerfGE 17, S. 1 ff.; BVerfGE 18, S. 274 ff.; BVerfGE 29, S. 402 ff.; BVerfGE 37, S. 1 ff.; BVerfGE 42, S. 229 ff.; BVerfGE 55, S. 274 ff.; BVerfGE 57, S. 139 ff.; BVerfGE 67, S. 256 ff.; BVerfGE 75, S. 108; s. zuletzt W. Schmidt, NVwZ 1991, S. 36, 37; an diesen Zulässigkeitsvoraussetzungen fehlt es auch bei der geplanten Arbeitgeberbeteiligung an einer Pflegeversicherung; s. dazu den Antrag der Länder Bremen u.a., BR-Drucks. 534/91; Blüm, Bundesarbeitsblatt Heft 7 - 8/1991, S. 5, 7; Friauf, DB 1991, S. 1773, 1774 ff.

157 zwischen den Abgabepflichten und dem mit der Abgabe verfolgten Zweck eine Sachnähe besteht; für diesen Zweck eine Gruppenverantwortung besteht; das Aufkommen gruppennützig verwendet wird.

Zusätzlich bedürfen Sonderabgaben einer besonderen Begründung, weil sie eine Durchbrechung der Finanzverfassung, selbst bei Lenkungsabgaben, bedeuten. Damit sind Sonderabgaben jedenfalls, wie schon erwähnt, nur zulässig, wenn zwischen der "Maßnahme und dem Zahlungsverpflichteten eine Sachnähe, eine Verantwortungsbeziehung besteht." Bei Krankheiten des Arbeitnehmers, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dessen Berufstätigkeit stehen, also bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten, läßt sich ohne weiteres eine Sachnähe und eine Verantwortungsbeziehung bejahen. In den übrigen Krankheitsfällen besteht ein solcher Zusammenhang nicht. Allein die Tatsache, daß ein Arbeitsverhältnis besteht und der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Fürsorge zukommen lassen muß, vermag eine Verantwortungsbeziehung für Sonderabgaben nicht zu begründen. Aus dem Gesichtspunkt der Sonderabgaben ist eine arbeitsrechtliche Lösung nicht vertretbar. c) Art. 3 Abs. 1 GG (Kleinbetriebe) Im Rahmen der Zulässigkeit der arbeitsrechtlichen Lösung ist im übrigen auch zu beachten, daß vor allem kleine Unternehmen, die ohne Auszubildende in der Regel mehr als zwanzig Arbeitnehmer beschäftigen und deshalb nicht unter das Pflichtige Lohnausgleichsverfahren fallen, mit dem regelmäßig eine 80%ige Kostenerstattung verbunden ist (vgl. § 10 Abs. 1 LFZG), mit den durch die arbeitsrechtliche Lösung entstehenden erheblichen, nicht vorher kalkulierbaren Lohnfortzahlungskosten häufig überfordert sind. Das in § 19 LFZG erwähnte freiwillige Ausgleichsverfahren vermag dem nicht entgegenzustehen. Insgesamt muß allerdings beachtet werden, daß der richtige Schwellenwert bei der Abgrenzung zwischen Kleinbetrieben und anderen immer problematisch ist und daß der Gesetzgeber insoweit einen erheblichen Spielraum hat.96 Bedenken bestehen auch im Hinblick auf kleine Unternehmen, die unter das Pflichtige Lohnausgleichsverfahren fallen, bei denen sich aber der Beschäftigtenanteil hauptsächlich aus Angestellten zusammensetzt, für die ein finanzieller Ausgleich über das Ausgleichsverfahren nicht gewährt wird. Im Jahr 1989 schwankten die Lohnfortzahlungskosten bei96 BAG, EzA § 23 KSchG Nr. 8 unter II 2 a cc; Anm. Wank., aaO, S. 18.

158 spielsweise zwischen DM 3,90 und DM 5,10 pro DM 100,- Arbeitsentgelt. Bezieht man die Häufigkeit krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit und der Scheinarbeitsunfähigkeit in die Durchschnittswerte mit ein, so wird der Umfang der finanziellen Belastungen aus der Lohnfortzahlung für den Arbeitgeber, insbesondere für den kleineren Arbeitgeber, deutlich. Berücksichtigt man, daß nach den Gesetzen der Statistik die Belastung mit Lohnfortzahlungskosten einen Kleinbetrieb unverhältnismäßig härter treffen kann als einen Großbetrieb und daß Kleinbetriebe in gleicher Weise der Verpflichtung unterliegen, so ergibt sich eine unter dem Aspekt des Art. 3 Abs. 1 GG bedenkliche Ungleichbehandlung, wenn sich das Ausgleichsverfahren nicht auf Angestellte erstreckt. Eine Finanzierung der Lohnfortzahlungskosten über die Krankenkassen hätte gegenüber der arbeitsrechtlichen Lösung den Vorteil einer besseren Umlage der Lohnfortzahlungskosten und würde damit die Situation kleinerer Arbeitgeber verbessern, deren Lage nach dem geltenden Recht, insbesondere durch das Lohnausgleichsverfahren, nicht befriedigend geregelt werden kann. Der Arbeitgeber würde nicht mehr ad hoc mit hohen, außerplanmäßigen, nicht berechenbaren Lohnfortzahlungskosten belastet, so daß sein wirtschaftliches Risiko sich erheblich verringern würde. d) Sozialstaatsprinzip Bedenklich erscheint die arbeitsrechtliche Lösung auch mit Blick auf das Sozialstaatsprinzip. Das Sozialstaatsprinzip, das die Gewährung sozialer Fürsorge zu einer staatlichen Aufgabe macht, kann nicht ohne weiteres auf den Arbeitgeber übertragen werden. Der Staat hat grundsätzlich verfassungsrechtlich übernommene Aufgaben eigenständig wahrzunehmen und kann sie nicht aus Kostengründen auf Privatpersonen und damit auch nicht auf den privaten Arbeitgeber abwälzen. Eine Übernahme einer verfassungsrechtlichen Aufgabe durch eine Privatperson ist nur in sehr engen Grenzen zulässig und bedarf besonderer rechtfertigender Gründe. Da Gründe dieser Art nicht bestehen, vor allem aber nicht in einer bloßen Kostensenkung gesehen werden können, ist die Beibehaltung einer arbeitsrechtlichen Lösung nicht vertretbar. Lediglich für öffentlichrechtliche Arbeitgeber mag ein abweichendes Ergebnis vertretbar sein.97

97 Vgl. unten 6. Kapitel GIV 4.

159 III.

Gegeneinwände

Neben politischen Kontroversen, die die Ablösung der arbeitsrechtlichen durch die sozialversicherungsrechtliche Lösung unzweifelhaft mit sich bringen würde, sind weitere konkrete Probleme zu erwarten. Probleme könnte die Finanzierung der Krankenkassen bereiten. Mit der Einführung einer sozialversicherungsrechtlichen Lösung würden die Kosten der Krankenkassen enorm ansteigen mit der Folge, daß die gesetzlichen Krankenkassen98 ihre Beitragssätze erheblich anheben müßten, was wiederum eine finanzielle Belastung des beitragszahlenden Arbeitnehmers bewirken würde. Der Belastung des "sozial schwachen Arbeitnehmers" kann nur vorgebeugt werden, indem das Lohnniveau der Beitragszahler insgesamt angehoben oder aber der Arbeitgeberanteil entsprechend erhöht wird. Eine Abwälzung der Kosten einer sozialversicherungsrechtlichen Lösung auf den Arbeitnehmer erhielte wahrscheinlich politisch nicht die erforderliche Mehrheit. Eine Abwälzung auf den Arbeitgeber würde diesen quasi doch zum Lohnfortzahlungsverpflichteten machen. - Selbst wenn der Arbeitgeber aber die Kosten der Lohnfortzahlung grundsätzlich weiterhin übernehmen würde, wäre eine solche Lösung für ihn im Vergleich zur geltenden arbeitsrechtlichen Lösung von Vorteil. Die Vorteile des Arbeitgebers resultieren aus dem mit der Einführung der sozialversicherungsrechtlichen Lösung verbundenen besseren Umlageverfahren. Sie bleiben sowohl bei einer Lohnerhöhung oder/und einer Erhöhung der Kosten für den anteiligen Krankenkassenbeitrag weitgehend bestehen. Von seiten der Arbeitgeber wird deshalb, selbst wenn mit der Einführung der sozialversicherungsrechtlichen Lösung gleichzeitig das Lohnniveau und/oder der Arbeitgeberbeitrag an die Krankenkassen erhöht wird, kaum Widerspruch zu erwarten sein. Probleme könnten sich aus der Einführung der sozialversicherungsrechtlichen Lösung aber aus anderen Gründen ergeben. So muß möglicherweise mit der sozialversicherungsrechtlichen Lösung eine Änderung des Sozialrechts einhergehen. Ein Arbeitnehmer, der aufgrund seines hohen Einkommens krankenversicherungsfrei ist und sich nicht freiwillig gesetzlich krankenversichert, würde im Krankheitsfall, wenn er nicht anderweitig abgesichert ist, keine finanzielle Unterstützung erhalten. Die sechswöchige Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber würde entfallen. Um diesem Problem zu entgehen, bietet sich gleichzeitig mit der Einführung der sozialversicherungsrechtlichen Lösung die Einführung einer 98 In der vorliegenden Untersuchung wird die Lage der privaten Krankenkassen ausgeklammert

160 allgemeinen Versicherungspflicht an. Zu beachten ist aber, daß sich der Rechtsanspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber nach der geltenden Rechtslage grundsätzlich nur auf sechs Wochen erstreckt, wenn nicht verschiedene Krankheitsursachen vorliegen, so daß durch die Einführung der sozialversicherungsrechtlichen Lösung auch nur insofern eine Schlechterstellung im Vergleich zur geltenden Rechtslage in Betracht kommen kann. Zudem handelt es sich bei dem betroffenen Arbeitnehmerkreis um einen solchen, der wegen seines überdurchschnittlich hohen Verdienstes (über 4875 D M ) nicht sozial bedürftig ist. Andererseits liegen Krankheitszeiten in der Regel unterhalb der 6-Wochen-Grenze. Nach dem oben Gesagten ist bei Einführung einer sozialversicherungsrechtlichen Lösung eine Versicherungspflicht von Vorteil. Denkbar wäre es aber auch, eine Versicherungspflicht für die Personengruppen auszuschließen, deren Einkommen weit über dem jetzigen Versicherungsfreibetrag liegt. Als Ergebnis bleibt damit festzuhalten, daß die Einführung einer versicherungsrechtlichen Lösung zwar wünschenswert, jedoch politisch kaum umsetzbar ist. Im folgenden wird mit Rücksicht auf der Grundlage der arbeitsrechtlichen Lösung des geltenden argumentiert. E.

sozialderzeit darauf Rechts

Rechtsvergleichung

Die lohnfortzahlungsrechtlichen und die sozialversicherungsrechtlichen Leistungen im Falle der Krankheit des Arbeitnehmers sind von Land zu Land unterschiedlich geregelt. Dies gilt nicht nur für Einzelfragen der Lohnfortzahlung und des Krankengeldes, sondern beginnt bereits bei der Entscheidung des Gesetzgebers über die Frage der finanziellen Lastenverteilung zwischen Arbeitgeber und Krankenversicherung. Hierbei finden sich neben der sozialversicherungsrechtlichen Lösung vor allem gemischte Lösungen. Eine rein arbeitsrechtliche Lösung gibt es in keinem der dargestellten Länder. Hinsichdich der Höhe und der Dauer der Lohnfortzahlung sowie des Krankengeldes lassen sich zwischen den verschiedenen Ländern kaum Gemeinsamkeiten feststellen. Zwar ähneln sich einige Rechtssysteme, wie zum Beispiel die Rechtssysteme Österreichs und der Bundesrepublik Deutschland; andere Systeme weichen jedoch so erheblich voneinander ab, daß eine systematische, alle Systeme vergleichende Darstellung kaum möglich ist.

161

I.

Belgien

Das belgische Recht99 unterscheidet grundsätzlich strikt zwischen dem Recht der Arbeiter (Art. 47 ff. des Arbeitsvertragsgesetzes ) und dem der Angestellten ( Art. 66 ff. ). Entsprechend finden sich im belgischen Recht Lohnfortzahlungsregelungen für den Krankheitsfall in den Art. 52 ff. für Arbeiter und in den Art. 70 ff. für Angestellte. Angestellte, deren Arbeitsverhältnis für einen kürzeren Zeitraum als 3 Monate geschlossen ist, unterliegen gem. Art. 71 Arbeitsvertragsgesetz den Vorschriften für Arbeiter. Die Voraussetzungen und die Dauer der Lohnfortzahlung richten sich nach dem Arbeitnehmerstatus. Nach Art. 52 Arbeitsvertragsgesetz steht einem Arbeiter gegen seinen Arbeitgeber bei einem Beschäftigungszeitraum von über einem Monat ein siebentägiger Lohnfortzahlungsanspruch in voller Höhe zu. Ein Arbeiter, der für einen kürzeren Zeitraum als 15 Tage arbeitsunfähig erkrankt ist, muß sich dabei den 1. Krankheitstag als Karenztag anrechnen lassen. Beruht die Arbeitsunfähigkeit des Arbeiters auf einem Arbeitsunfall, Wegeunfall oder auf einer Berufskrankheit, so entsteht der Lohnfortzahlungsanspruch sofort nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, auch wenn der Arbeiter noch keinen Monat in dem Unternehmen tätig war. Seit dem 1.11.1986 ist die finanzielle Belastung der Arbeitgeber darüber hinaus zugunsten der Krankenversicherungen durch einen Königlichen Erlaß gestiegen. Nunmehr ist der Arbeitgeber nicht nur für 7 Tage zur Lohnfortzahlung verpflichtet, sondern für 14 Tage. Für die weiteren 7 Tage beträgt die Höhe der Lohnfortzahlung jedoch nur noch 60 % des Bruttolohnes. Die Krankenversicherungsleistung - ebenfalls in Höhe von 60 % des Bruttolohnes - tritt damit, obwohl die Verpflichtung der Kasse bereits ab dem 8. Krankheitstag entsteht, tatsächlich erst ab dem 15. Krankheitstag ein. Daneben wird die Rechtslage der Arbeiter im Krankheitsfall in Tarifverträgen erheblich verbessert. Hierin findet sich beispielsweise die Regelung, daß der Arbeitgeber ab dem 8. bis zum 30. Tag nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit einen Zuschuß von 26,97 % eines plafondierten Lohnes zu zahlen hat, der mithin für die letzten 15 Tage einen Zuschuß des Arbeitgebers zu dem Krankengeld der Krankenversicherungen (60 %) darstellt. Bei einem Arbeitsunfall oder einer Berufskrankheit steht dem Arbeiter von vornherein ab dem 8. Krankheitstag gegen die Krankenversicherung 99 S.Kronke, Regulierungen, S.41, 48, 49; Birk/Abele/Kasel-Seibert/Maurer, ZIAS 1987, S. 45,49 ff.

162 ein Krankengeldanspruch in Höhe von 90 % des Bruttolohnes zu, ohne daß es zur Anrechnung eines Karenztages kommt. Angestellten steht gemäß Art. 66 ff. ein Lohnfortzahlungsanspruch im Krankheitsfall ohne Anrechnung eines Karenztages für die Dauer von 30 Tagen zu, gleichgültig wie lange der Angestellte in dem Unternehmen tätig war. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Angestellte in der Probezeit steht und noch keine Woche gearbeitet hat, oder wenn der Angestellte einen Zeitarbeitsvertrag oder einen Vertrag über bestimmte Aufgaben mit dem Arbeitgeber abgeschlossen hat und diese Verträge einen Zeitraum von 3 Monaten nicht überschreiten. Ansonsten unterliegen die Angestellten gemäß Art. 71 den Regelungen für Arbeiter. Im Anschluß an die Arbeitgeberleistung steht dem Angestellten, ebenso wie dem Arbeiter, eine Krankenversicherungsleistung in Höhe von mindestens 60 % des maßgeblichen Bezugsentgelts eines Jahres zu. Im Falle eines Arbeitsunfalls und einer Berufskrankheit gelten höhere Sätze. II.

Dänemark

Das dänische Recht100 unterscheidet im lohnfortzahlungsrechtlichen und im krankenversicherungsrechtlichen Bereich grundsätzlich nicht nach Arbeitern und Angestellten. Dennoch ist die Rechtslage aufgrund von Sonderregelungen für Angestellte häufig günstiger als die für Arbeiter. Durch Tarifverträge werden diese Sonderregelungen teilweise aber ausgeglichen, so daß tatsächlich wiederum eine Angleichung stattfindet. Einem dänischen Arbeitnehmer steht im Falle der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit, Arbeitsunfalls oder Berufskrankheit gem. § 1 Abs. 1 des Gesetzes über die Lohnfortzahlung von 1982 bei Krankheit und Geburt ein Anspruch auf Zahlung einer "dagpenge" zu, worunter sowohl die Lohnfortzahlung als auch das Krankengeld zu verstehen ist; im dänischen Recht wird nicht zwischen der Lohnfortzahlung und dem Krankengeld unterschieden. Voraussetzung für eine "dagpenge" ist jedoch, daß der Arbeitnehmer in den letzten 4 Wochen vor seinem Arbeitsausfall je 40 Stunden gearbeitet hat und für wenigstens 3 Monate vor Eintritt der Krankheit in einem Beschäftigungsverhältnis stand. Kein Lohnfortzahlungsanspruch kommt mithin Kurzzeitbeschäftigten zu. Weitere Voraussetzung für einen Lohnfortzahlungsanspruch ist, daß der Arbeitnehmer ein steuerpflichtiges Arbeitseinkommen erzielt. Der Anspruch besteht ab dem ersten Tag der 100 S. Kronke, Regulierungen, S. 50, 58, 59; Birk!Abele!Kasel-SeibertlMaurer, ZIAS 1987, S. 45,52 ff.

163 vollen Arbeitsverhinderung für die Dauer von 5 Wochen, und zwar regelmäßig in Höhe von 90 % des durchschnittlichen Wochenverdienstes der letzten 4 Wochen. Die wöchentlich auszahlbare Höchstsumme ist beschränkt. Der Lohnfortzahlungsanspruch entfällt, wenn der Arbeitnehmer die Arbeitsunfähigkeit vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeiführt. §§ 11-13 regeln Befreiungsmöglichkeiten von der Lohnfortzahlung für bestimmte Arbeitgebergruppen. Soweit eine Befreiung eines Arbeitgebers stattfindet oder der Arbeitgeber den Lohn unberechtigterweise nicht fortzahlt, übernimmt ein kommunaler Sozialausschuß die Vergütungsfortzahlung. Angestellte haben gem. § 5 Abs. 1 des Angestelltengesetzes (FUL) im Krankheitsfall einen Anspruch auf Fortzahlung der Vergütung in voller Höhe einschließlich der regelmäßig bezahlten Zuschläge für den gesamten Zeitraum ihrer Arbeitsunfähigkeit. Die weiteren Voraussetzungen und Ausschlußgründe stimmen im wesentlichen mit denen bei den übrigen Arbeitnehmern überein. Nachteilig wirkt sich für den Angestellten gegebenenfalls die Möglichkeit des Arbeitgebers aus, ihm bei schriftlichem Vorbehalt im Arbeitsvertrag mit einmonatiger Frist zu kündigen, wenn er in 12 aufeinanderfolgenden Monaten Lohnfortzahlung für 120 Tage in Anspruch genommen hat, § 5 Abs. 2. Ist der Leistungszeitraum des Arbeitgebers, die "Arbeitgeberperiode", abgelaufen, zahlt gem. §§ 16 ff. der Sozialausschuß der Wohnsitzgemeinde des Arbeitnehmers den Lohn fort. Zahlt der Arbeitgeber den Lohn trotz Beendigung der Arbeitgeberperiode aufgrund Tarifvertrages oder Individualarbeitsvertrags weiter, so kann er die Auszahlung des Krankengeldes bis zur Höhe des Arbeitsentgelts verlangen. Krankengeld steht auch dem Arbeitnehmer zu, der von der Lohnfortzahlung ausgeschlossen ist. Im weiteren gelten für das Krankengeld die gleichen Anspruchsvoraussetzungen wie für die Lohnfortzahlung. Das Krankengeld, das nach dem jährlichen Gehalt berechnet wird und für das eine Höchstgrenze gilt, wird wöchentlich bis zur Höchstdauer von 91 Wochen bezogen auf 3 Jahre an den arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmer gezahlt und beträgt 90 % des Arbeitsentgelts. Nach Ablauf der 91 Wochen erhält der Arbeitnehmer nur dann weiter Krankengeld, wenn nach diesem Zeitraum die Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers wiederholt bestanden hat. Arbeitnehmer, die das 67. Lebensjahr vollendet haben, erhalten kein Krankengeld mehr.

164 III.

Frankreich

Die Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers ist in Frankreich101 erstmalig gesetzlich mit Gesetz vom 19.1.1978102 normiert worden, da weder der Code civil noch der Code du travail eine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall vorsehen. Bis 1978 galt weitgehend bei Kurzerkrankungen das Arbeitsverhältnis als suspendiert, längere Erkrankungen rechtfertigten eine Kündigung. Seit diesem Zeitpunkt steht nunmehr allen Arbeitnehmern, gleichgültig ob sie als Arbeiter oder Angestellte beschäftigt sind, ein Lohnfortzahlungsanspruch zu, wenn sie nicht unter den Anwendungsbereich spezieller Tarifverträge fallen, die im Gesetz von 1978 für allgemeinverbindlich erklärt werden. Das Gesetz von 1978 nimmt im übrigen auch ausdrücklich bezug auf die "droits nouveaux ouverts par les clauses de l'accord national interprofessionnel", die die näheren Voraussetzungen einer Lohnfortzahlung regeln.103 Gem. Art. 7 des einschlägigen "Accord" muß der Arbeitnehmer, um einen Anspruch auf Fortzahlung der Vergütung zu erhalten, mindestens 3 Jahre dem Betrieb des Arbeitgebers angehören. Die Lohnfortzahlung des Arbeitgebers beginnt ab dem 11. Abwesenheitstag des Arbeitnehmers, d.h. nach 10 Karenztagen, wenn nicht ein Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit vorliegt, und beträgt 90 % des Bruttolohns in den ersten 30 Tagen und 2/3 für weitere 30 Tage. Ist der Arbeitnehmer seit 5 Jahren und länger im Betrieb des Arbeitgebers tätig, so verlängert sich mit Ablauf von jeweils 5 Jahren der Lohnfortzahlungszeitraum um je 10 Tage bis zur Höchstgrenze von 90 Tagen. Der Arbeitnehmer muß dem Arbeitgeber seine Arbeitsunfähigkeit binnen zwei Tagen mitteilen. Das französische Recht unterscheidet nicht zwischen Fortsetzungs- und Wiederholungserkrankungen. Krankheiten innerhalb eines Jahres, gleich welcher Ursache, werden zusammengerechnet, d.h. der Arbeitgeber ist, wenn keine Verlängerung durch eine über 5 Jahre andauernde Betriebszugehörigkeit eintritt, zur Lohnfortzahlung für 60 Tage im Jahr verpflichtet. Krankengeld steht dem Arbeitnehmer ab dem 4. Tag seiner Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von 3 Jahren zu und beträgt 50 % des täglichen Grundlohnes. Nach dem 31. Tag der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers steigt das Krankengeld auf eine Höhe von 2/3 des Grundlohnes an, wenn er Unter101 S. Kronke, Regulierungen, S. 61, 72, 73; Birk/Abele/Kasel-SeibertlMaurer, ZIAS 1987, S. 45, 57 ff. 102 Loi no. 78 - 49 rélative à la mensualisation et à la procédure conventionnelle. 103 Tarifverträge regeln vor allem die Rechtslage bei Angestellten günstiger und sehen keine Karenztage vor.

165 haltspflichten gegenüber mindestens 3 Kindern hat, und zwar bis zur Höchstdauer von 3 Jahren. Besteht eine Verpflichtung des Arbeitgebers aufgrund Gesetzes oder Tarifvertrags, das Arbeitsentgelt an den Arbeitnehmer voll oder teilweise weiterzuzahlen, kann er die staadichen Lohnersatzleistungen anrechnen. Die sécurité sociale bleibt aber zur Leistung an den Arbeitnehmer verpflichtet. Nur wenn der Arbeitgeber den Lohn in voller Höhe fortzahlt, geht der Krankengeldanspruch unmittelbar auf ihn über. Sonderregelungen für Fälle der Berufskrankheiten und Arbeitsunfälle sind im Code du travail und im Code de sécurité sociale enthalten. IV.

Italien

Das italienische Recht104 trifft für Arbeiter und Angestellte unterschiedliche Regelungen im Falle ihrer Erkrankung. Dies gilt auch, obwohl gem. Art. 2110 Cod.civ. jeder Arbeitnehmer im Falle der Krankheit, eines Unfalls, der Schwangerschaft und der Entbindung im Grundsatz gleichermaßen der Arbeit fernbleiben kann, ohne seinen Anspruch auf Lohnfortzahlung zu verlieren. Der Arbeitgeber ist während dieses Zeitraumes nicht berechtigt, das Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitnehmer zu lösen. Die Dauer des Freistellungsanspruches richtet sich nach Spezialgesetzen, Kollektivverträgen oder gewohnheitsrechtlichen Grundsätzen. Eine gesetzliche Regelung für die Dauer und die Höhe der Lohnfortzahlung existiert nur für Angestellte. Im Krankheitsfall besteht ein Freistellungsanspruch für die Dauer von mindestens 3, nach 10 Jahren Betriebszugehörigkeit von 6 Monaten und gegebenenfalls sogar länger. Eine unbezahlte Verlängerung der Freistellung ist darüber hinaus ebenfalls möglich. Angestellte mit einem dreimonatigen Freistellungsanspruch erhalten das volle Gehalt im ersten Monat und das halbe Gehalt in den beiden Folgemonaten. Beträgt der Freistellungsanspruch 6 Monate, so wird das volle Gehalt für 2 Monate gezahlt und anschließend das halbe Gehalt für die restlichen 4 Monate. Für Arbeiter ist mangels entsprechender Regelungen weitgehend auf Kollektivverträge zurückzugreifen. Tarifverträge regeln die Rechtslage für Arbeiter und Angestellte aber zumeist einheitlich. Erhält der Arbeitnehmer von der staatlichen Krankenversicherung Geldleistungen, so entfällt gem. Art. 2110 Abs. 1 Cod.civ. die Lohnfortzahlungspflicht des 104 S. Kronke, Regulierungen, S. 80, 97, 98; 1987, S. 45,73 ff.

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ZIAS

166 Arbeitgebers. Der staatliche Krankengeldanspruch entsteht mit dem Beginn des Arbeitsverhältnisses und kann geltend gemacht werden, wenn die Krankheit bis zu 60 Tage nach Suspension oder Auflösung des Arbeitsverhältnisses auftritt. Der staatliche Krankengeldanspruch beträgt 50 % des durchschnittlichen Tagesverdienstes für die ersten 20 Tage unter Einrechnung von 3 Karenztagen und 2/3 des durchschnittlichen Tagesverdienstes für die weiteren Tage bis zu einer Gesamtzeit von 180 Tagen pro Jahr. Liegt innerhalb von 30 Tagen nach erfolgter Genesung eine erneute Erkrankung aufgrund des gleichen Leidens vor, so entfallt die Karenzzeit, und das Krankengeld beträgt sofort 2/3 des Tagesverdienstes. Die Berechnung des Tagesverdienstes wird anhand des Monats, der der Erkrankung vorausgeht, vorgenommen. Dies bedeutet, daß der Arbeitgeber praktisch den Unterschiedsbetrag zwischen dem staatlichen Krankengeld und seiner Arbeitgeberleistung zu erbringen hat und ihn somit Art. 2110 Abs. 1 Cod.civ. nicht völlig von seiner Lohnfortzahlungspflicht befreit. Hinsichtlich des Krankengeldes ist die Besonderheit zu beachten, daß nicht alle Arbeitnehmer krankengeldberechtigt sind. So sind zwar grundsätzlich Arbeiter und im Handel beschäftigte Angestellte krankengeldberechtigt, nicht aber Angestellte in der Industrie, leitende Angestellte und Auszubildende. V.

Niederlande

Dem niederländischen Recht105 ist eine Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten zwar bekannt, dennoch werden diese Begriffe häufig synonym verwandt. Gem. Art. 1638 c Burgerlijk Wetboek steht einem niederländischen Arbeitnehmer im Krankheitsfall oder bei einem Unfall ohne Mindestbeschäftigungsdauer ein voller Lohnfortzahlungsanspruch für eine verhältnismäßig unerhebliche Dauer zu, wenn die Arbeitsunfähigkeit nicht vorsätzlich oder durch sittlich verwerfliches Verhalten verursacht worden ist und wenn die Krankheit auf einem Umstand beruht, über den der Arbeitnehmer bei Vertragsschluß nicht bewußt falsche Angaben gemacht hat. Was unter dem Begriff "verhältnismäßig unerheblich" zu verstehen ist, ist in der Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt worden. So sind sowohl Zeiten von einigen Tagen bis hin zu 17 Wochen als verhältnismäßig unerheblich angesehen worden. Regelmäßig wird dieser unbestimmte Rechtsbegriff aber durch Tarifverträge näher bestimmt. Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes vom 6.11.1986 besteht der 105 S.Kronke, Regulierungen, S. 117, 127, 128; ZIAS 1987, S. 159,164 ff.

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167 Lohnfortzahlungsanspruch jedoch wenigstens für die Dauer von 6 Wochen. Sozialversicherungsleistungen finden gem. Art. 1638c Abs. 2 Anrechnung auf den Lohnfortzahlungsanspruch, wenn nicht etwas anderes vereinbart wurde. Der Anspruch auf Krankengeld (Ziekengeld) ist im Ziektewet von 1913 geregelt. Danach steht sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmern nach Ablauf der Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber nach 2 Karenztagen ein Anspruch auf Krankengeld in Höhe von 70 % des maßgeblichen Tagesentgelts für die Höchstdauer von 52 Wochen pro Krankheitsfall zu. Bei Folgeerkrankungen entfällt die Karenzzeit, wenn die vorherige Erkrankung weniger als einen Monat zurückliegt. Mehrere Krankheitsperioden werden zusammengerechnet, wenn sie weniger als einen Monat auseinanderliegen. Ist der Arbeitnehmer eingeschränkt arbeitsfähig, so mindert sich das Krankengeld. Das Krankengeld wird auf die Arbeitgeberleistung angerechnet. Der Lohnfortzahlungsanspruch kann völlig abbedungen werden. VI.

Portugal

Das portugiesische Arbeitsrecht106, das nicht zwischen Arbeitern und Angestellten unterscheidet, enthält weitgehend eine sozialversicherungsrechtliche Lösung. Art. 23 Nr. 2 Buchst, e Gesetzesdekret 874/1976 bestimmt, daß die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit eine gerechtfertigte Fehlzeit darstellt. Ein Lohnfortzahlungsanspruch gegenüber dem Arbeitgeber besteht gem. Art. 26 Nr. 2 Buchst. b,c jedoch während dieser Fehlzeit nur dann, wenn der Arbeitnehmer keine Leistungen der staatlichen Krankenversicherung oder Unfallversicherung erhält. Dies gilt selbst bei einer Karenzzeit, so daß innerhalb der Karenzzeit kein Anspruch auf Lohnfortzahlung besteht. Da nahezu alle Arbeitnehmer hinsichtlich des staatlichen Krankengeldes anspruchsberechtigt sind, besteht praktisch keine Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers. In den wenigen Fällen, in denen ein solcher Anspruch besteht, erlischt er nach Ablauf eines Monats, da nach Art. 26 Nr. 3 Gesetzesdekret 874/1976 i.V.m. Art. 2 Gesetzesdekret 398/1983 das Arbeitsverhältnis als suspendiert gilt. Freiwillige Lohnfortzahlungsleistungen sind durch das Kollektivvertragsgesetz - meist nicht praktisch effektiv - verboten. Tarifverträge dürfen die Rechtslage der Arbeitnehmer im Krankheitsfall nicht verbessern. Voraussetzung für eine Krankengeldleistung (subidio 106 S. Kronke, Regulierungen, S. 130, 137, 138; ZIAS 1987, S. 159,169 ff.

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168 pecunario) ist, daß der Arbeitnehmer 6 Monate in der Krankenversicherung eingeschrieben war und innerhalb der letzten drei Monate vor der Erkrankung für mindestens 8 Tage Beiträge bezahlt hat. Grundsätzlich besteht eine Karenzzeit von 3 Tagen, wenn nicht der Arbeitnehmer stationär behandelt werden muß. Die Höhe des Krankengeldes beträgt 60 % des durchschnitdichen Entgelts der beiden Monate, die dem zweiten Monat vor der Arbeitseinstellung unmittelbar vorangegangen sind. Das Krankengeld wird auf Tagesbasis errechnet, wobei das Gesamteinkommen der zu berücksichtigenden zwei Monate durch 60 geteilt wird. In die Monate, die Referenzperiode, sind Monate nicht einzurechnen, in denen für weniger als 20 Tage Beiträge bezahlt wurden. Gab es vom dritten bis zum achten Monat vor Arbeitseinstellung keine zwei Monate mit mindestens 20 Tagen, so wird das Durchschnittsentgelt nach den zwei besten Monaten berechnet. Das Krankengeld kann höchstens bis zu einer Dauer von 1095 Tagen gezahlt werden, wobei die Dauer bei jeder Arbeitsverhinderung, die nicht innerhalb von 90 Tagen seit der letzten ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit auftritt, wieder neu entsteht. VII. Schweiz Für Arbeiter und Angestellte in der Schweiz107 ist der gesetzliche Lohnfortzahlungsanspruch im Krankheitsfall in Art. 324 a, 324 b des Obligationenrechts (OR) geregelt. Ist der Arbeitnehmer aus Gründen, die in seiner Person liegen, nicht imstande, die Arbeitsleistung zu erbringen, so steht ihm ein Anspruch auf Lohnfortzahlung nach Art. 324 a OR zu. Dieser Anspruch entsteht bei einem befristen Arbeitsverhältnis sofort, wenn die Befristung über 3 Monate hinausgeht, und bei einem unbefristeten Arbeitsverhältnis frühestens, nachdem das Arbeitsverhältnis drei Monate angedauert hat. Insofern unterscheidet das Schweizer Arbeitsrecht zwischen befristeten und unbefristeten Arbeitsverhältnissen. Die Dauer des Lohnfortzahlungsanspruchs richtet sich dabei nach der Dauer der bisherigen Beschäftigung. So hat der Arbeitnehmer in der Schweiz im ersten Dienstjahr höchstens für die Dauer von drei Wochen einen Anspruch auf Lohnfortzahlung; soweit der Arbeitnehmer über ein Jahr bei dem Arbeitgeber beschäftigt ist, kann er für eine "angemessene längere Zeit" Lohnfortzahlung verlangen. Was als angemessen in diesem Sinne anzusehen ist, rich107 S. Kronke, Regulierungen, S. 139, 146, 147; ZIAS 1987, S. 159,190 ff.

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169 tet sich nach der Dauer des Arbeitsverhältnisses und ergibt sich in der Praxis aus den Berner und Basler Skalen. Von diesen Grundsätzen läßt Art. 324 a Abs. 4 OR jedoch abweichende Vereinbarungen zu, wenn diese nicht für den Arbeitnehmer nachteilig sind. Dabei ist durchaus eine Schlechterstellung im Einzelfall möglich, sofern sie durch andere Maßnahmen ausgeglichen wird. Bei großem Selbstverschulden sieht Art. 324 a OR eine Anspruchskürzung vor. Gem. Art. 324 b Abs. 1 OR entfällt bei obligatorischer Pflichtversicherung der Lohnfortzahlungsanspruch, wenn durch die Pflichtversicherung mindestens 80 % des Lohnes an den Arbeitnehmer ausgezahlt werden. Da nur bei Arbeitsunfällen eine solche Höhe, unter Einbeziehung von drei Karenztagen, erreicht wird, entfällt die Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers trotz Art. 324 b Abs. 1 OR nahezu nie. Im übrigen ist nur in zwei Kantonen eine Krankenversicherung obligatorisch. VIII. Spanien Das spanische Arbeitsrecht108 enthält keine Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten und, ebenso wie das portugiesische, weitgehend eine sozialversicherungsrechtliche Lösung, die nur durch kollektivvertragliche Lohnfortzahlungsklauseln modifiziert wird. Im spanischen Recht findet sich jedoch kein gesetzlicher Lohnfortzahlungsanspruch des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer im Falle der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers (vgl. Art. 45 Estatuto de los Trabajadores (ET)). Lediglich Art. 68 des alten, noch fortgehenden Arbeitsvertragsgesetzes von 1944 sieht für vier Tage pro Jahr eine Lohnfortzahlung in Höhe von 50 % des Entgelts vor. Darüber hinausgehend ist der Arbeitgeber gem. Art. 48 Nr. 1 ET nur verpflichtet, dem Arbeitnehmer während des Zeitraums der krankheitsbedingten vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit den Arbeitsplatz freizuhalten. Das Arbeitsverhältnis selber gilt als suspendiert, die Hauptleistungspflichten entfallen. Eine Kündigung aufgrund der vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit dagegen ist gem. Art. 55 Nr. 6 ET nichtig. Besteht keine vorläufige, sondern eine endgültige krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers (Dauerinvalidität), so wird bei deren Eintritt das Arbeitsverhältnis automatisch ohne Kündigung beendet, Art. 49 Nr. 5 ET. Das spanische Recht stellt an den Umstand der endgültigen krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit strenge Anforderungen. Das Allge108 S. Kronke, Regulierungen, S. 148, 166, 167, 168; Maurer, ZIAS 1987, S. 159,176 ff.

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170 meine Sozialversicherungsgesetz bejaht eine solche aber spätestens nach sechs Jahren nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit, Art. 133 Nr. 1 Buchst, d, unabhängig von medizinischen Gutachten. Der Arbeitgeber muß damit im für ihn ungünstigsten Fall den Arbeitsplatz sechs Jahre lang freihalten. Mangels gesetzlicher Lohnfortzahlungsansprüche sind kollektivvertragliche Lohnfortzahlungsklauseln weitverbreitet. Sie enthalten oft eine Regelung, wonach dem Arbeitnehmer der Unterschiedsbetrag zwischen dem staatlichen Krankengeld und seinem Lohn zusteht. Voraussetzung ist jedoch, daß der Arbeitnehmer innerhalb der letzten 5 Jahre mindestens für 180 Tage Beiträge entrichtet hat, wenn nicht ein Unfall vorliegt. Das staatliche Krankengeld, das nach 3 Karenztagen ausgezahlt wird, beträgt bis zum 20. Tag der Erkrankung 60 % der an der Lohnhöhe orientierten Beitragsbemessungsgrundlage und danach 75 % der Beitragsbemessungsgrundlage (Art. 2 Nr. 1 Dekret 3158/1966, Art. ünico Dekret 53/1980) und wird bis zur Dauer von 18 Monaten ausgezahlt. IX.

Großbritannien

Bis Mitte der 80er Jahre galt in Großbritannien109 im Krankheitsfall des Arbeitnehmers die sozialversicherungsrechtliche Lösung. Der Arbeitnehmer war allein auf staatliche Sozialleistungen angewiesen, wenn er nicht vom Arbeitgeber aufgrund kollektiv- oder individualvertraglicher Vereinbarungen Lohnfortzahlung erhielt. Eine Lohnfortzahlung sieht das common law nicht vor. Seit der Einführung des SSP (statutory sick pay) ist der Arbeitgeber jedoch zur Zahlung von Krankengeld an alle Arbeitnehmer gleichermaßen verpflichtet. Seit dem 6.4.1986 besteht für den Arbeitgeber nach drei Karenztagen eine Pflicht zur Lohnfortzahlung, die der Höhe nach gestaffelt ist, für die Dauer von 28 Wochen. Voraussetzung hierfür ist, daß der arbeitsunfähig erkrankte Arbeitnehmer einen gewissen wöchentlichen Mindestlohn erzielt und noch nicht im Rentenalter steht. Daneben bleibt eine Anhebung auf die volle Lohnfortzahlung vertraglichen Vereinbarungen der Parteien überlassen. Für den Zeitraum der Lohnfortzahlung entfallen die staatlichen Leistungen, wobei eine Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers gem. ss. 19-22 EPCA 1978 (Schedule 1) für maximal 6 Monate besteht, wenn sogleich der Arbeitnehmer aus medizinischen Gründen nach dem Gesetz über Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz suspendiert wird. Erwogen wird derzeit 109 S. Kronke, Regulierungen, S. 180, 189, 190; ZIAS 1987, S. 45,63 ff.

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171 eine Ersetzung der Arbeitgeberzahlung des SSP durch eine Lohnfortzahlung in gleicher Höhe zwecks Verwaltungsvereinfachung. Eine Anrechnung auf die Sozialversicherungsabgaben soll dann nicht mehr stattfinden. X.

Luxemburg

Die Rechtslage im Falle der Erkrankung eines Arbeitnehmers ist in Luxemburg110 zwischen Arbeitern und Angestellten unterschiedlich geregelt. Für Arbeiter gilt das Dienstvertragsgesetz für Arbeiter, für Angestellte das Dienstvertragsgesetz für Privatangestellte. Das luxemburgische Recht kennt keinen Lohnfortzahlungsanspruch für Arbeiter im Krankheitsfall. Der Arbeiter wird gesetzlich nur insoweit geschützt, als dem Arbeitgeber eine Kündigung während der Krankheit des Arbeiters bis längstens 26 Wochen verwehrt ist. Angestellten steht demgegenüber ein Lohnfortzahlungsanspruch in voller Höhe zu, und zwar für den Monat der Erkrankung und die drei folgenden Monate. Die Kündigung des Arbeitgebers ist daneben während der Dauer der Lohnfortzahlung unzulässig, wenn nicht der Angestellte die Arbeitsunfähigkeit vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat. Kündigt der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis nach Ablauf dieser Frist nicht, obwohl der Angestellte weiterhin arbeitsunfähig erkrankt ist, so steht dem Angestellten für 12 Monate ein Lohnfortzahlungsanspruch in Höhe des Differenzbetrages zwischen Krankengeld und Nettolohn zu. Sozialversicherungsrechtlich werden versicherte Arbeiter und Angestellte gleichbehandelt, wobei man allerdings begrifflich zwischen der Arbeiter- und der Angestelltenversicherung unterscheidet. Arbeiter und Angestellte erhalten Krankengeld in der Höhe des Bruttolohns, mindestens aber den sozialen Mindestlohn; Angestellte höchstens das Vierfache des sozialen Mindestlohns eines ungelernten Arbeitnehmers. Das Krankengeld wird, wenn der Arbeitnehmer die Krankheit innerhalb der ersten drei Tage der Krankenversicherung gemeldet hat, ohne Karenztag für längstens 52 Wochen ausgezahlt. Kommt der Arbeitnehmer seiner Meldepflicht nicht nach, so entsteht der Anspruch auf Krankengeld erst mit dem Tag der Meldung. Zahlt der Arbeitgeber den Lohn tatsächlich fort, so ruht der Anspruch auf Krankengeld. Kommt der Arbeitgeber seiner Lohnfortzahlungspflicht nicht nach, zahlt zunächst die Krankenkasse, nimmt jedoch anschließend den Arbeitgeber in Regreß. Die Auszahlung

110 Birk!AbelelKasel-SeibertIM aurer, ZIAS 1987, S. 159,161 ff.

172 des Krankengeldes nimmt der Arbeitgeber vor, wenn er mindestens 20 Arbeitnehmer beschäftigt. XI.

Griechenland

Das griechische Recht111 trifft hinsichtlich der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall keine Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten. Beiden Arbeitnehmergruppen steht, wenn sie mindestens 10 Tage bei dem Arbeitgeber beschäftigt sind, ein Lohnfortzahlungsanspruch in Höhe des vollen Lohnes für die Dauer von einem Monat zu. Ist der Arbeitnehmer jedoch noch nicht länger als ein Jahr bei dem Arbeitgeber beschäftigt, so verkürzt sich die Dauer der Lohnfortzahlung auf einen halben Monat. Der Arbeitgeber ist nach griechischem Recht berechtigt, die staatlichen Sozialleistungen, die der Arbeitnehmer erhält, anzurechnen. Dies führt dazu, daß der Arbeitgeber ca. 50 % des fortgezahlten Lohnes für die oben genannten Zeiträume aufzubringen hat. Die übrigen 50 % deckt die staatliche Krankengeldzahlung ab. Anspruch auf Krankengeld steht dem Arbeitnehmer zu, wenn er keine Rente von der "Idryma Koinomikon Asphalision" erhält, mindestens 100 Arbeitstage in dem der Krankmeldung vorgehenden Kalenderjahr oder in den 15 Monaten vor der Krankmeldung geleistet hat, wobei in letzterem Fall die in den letzten drei Kalendermonaten gearbeiteten Arbeitstage unberücksichtigt bleiben. Die Krankheit muß unverschuldet sein und mehr als drei Tage gedauert haben, da das Krankengeld erst ab dem vierten Tag nach der beim Träger der Krankenversicherung erfolgten Meldung der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit gezahlt wird. Das Krankengeld wird in Höhe des hälftigen Referenzlohnes gezahlt, der sich an bestimmten Versicherungsgruppen orientiert. Für einen unterhaltsberechtigten Familienangehörigen erhält der Arbeitnehmer einen 10%igen Zuschlag zum Grundbetrag. Die Höchstgrenze des Krankengeldes einschließlich der Zuschläge bildet aber der Referenzlohn. Für dieselbe Krankheit besteht ein Krankengeldanspruch höchstens bis zur Dauer von 182 Tagen.

111 S. BirkJAbele/Kasel-Seibert/Maurer, ZIAS 1987, S. 45,61 ff.

173 F.

Die Verfassungsmäßigkeit des Rechts der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und Vorschläge zur Neuregelung

I.

Grundsätzliche Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des Rechts der Entgeltfortzahlung

Sieht man von den Bedenken gegen die arbeitsrechtliche Lösung ab, so ergeben sich Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des Rechts der Entgeltfortzahlung aus folgenden Gründen: Eine Differenzierung im Lohnfortzahlungsrecht müssen folgerichtig alle diejenigen Autoren ablehnen, die die Unterscheidung mangels eindeutiger Abgrenzungskriterien allgemein nicht mehr für tragfähig halten.112 Ein Indiz für die Verfassungswidrigkeit ergibt sich aus der im Einigungsvertrag gewählten Lösung. Nach Art. 8 des Einigungsvertrages gilt seit dem 3. Oktober 1990 das Recht der Bundesrepublik grundsätzlich auch in der ehemaligen DDR. Der Gesetzgeber des Einigungsvertrages hat aber von einer Übernahme der §§ 616 Abs. 2, 3 BGB113, § 63 HGB, § 133c GewO und der §§ 1 - 7,9 LFZG und, bis zum 1.7.1991, auch der §§ 8, 10 - 19 LFZG in den neuen Bundesländern abgesehen.114 Während für die vorübergehende Unanwendbarkeit der §§ 8, 10 - 19 LFZG vor allem Gründe der Anpassung verantwortlich waren,115 sind die übrigen Regelungen aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht übernommen worden. Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des Lohnfortzahlungsgesetzes weiden auch in einigen Vorlagebeschlüssen an das Bundesverfassungsgericht deutlich. Insbesondere zu den §§ 1 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 LFZG sind in letzter Zeit Vorlagebeschlüsse ergangen.116 Noch im Jahre 1972 hatte das Bundesarbeitsgericht die Regelung des § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG mit Art. 3

112 Brill, DB 1981, S. 316; Kehrmann, AiB 1987, S. 55; Lipke, DB 1983, S. 111,116; Schelp, BB 1960, S. 1339 ff.; Trieschmann, Festschrift für Herschel, S.421 ff.; Wlotzke, RdA 1963, S. 1,2 ff. 113 Anl. I Kap. 3 Sachgebiet B Abschn. II = Art. 230 EGBGB n.F., BGBl. II 1990, S. 941 = Anl. I Kap. 8 Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1, BGBl. II 1990, S. 1020. 114 Anl. I Kap. VIII Abschn. III Nr. 1 - 4, 7 des Einigungsvertrages; vgl. Wank, RdA 1991, S. 1,7,8. 115 Wank, RdA 1991, S. 1,7. 116 Vgl. u.a. Vorlagebeschluß des Arbeitsgerichtes Reutlingen v. 3.6.1975, BB 1975, S. 1016, 1017; Vorlagebeschluß des Arbeitsgerichtes Gelsenkirchen vom 23.7.1987, NZA 1987, S. 670.

174 Abs. 1 GG für vereinbar erklärt.117 1975 gab das Arbeitsgericht Reutlingen118 (wenn auch nicht im Hinblick auf das Lohnfortzahlungsgesetz) den ersten Anstoß dazu, eine Regelung in Frage zu stellen, die für Arbeiter eine andere Rechtslage als für Angestellte normierte.119 Mit dem Vorlagebeschluß vom 3.6.1975 legte es gemäß Art. 100 Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB zur Prüfung der Vereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 GG vor. Mit Beschluß vom 16.11.1982120 bestätigte das Bundesverfassungsgericht die Bedenken des Arbeitsgerichts Reutlingen. Die Vorlagebeschlüsse an das Bundesverfassungsgericht beziehen sich nur auf Regelungen des Lohnfortzahlungsgesetzes, nicht auf §§ 63 HGB, 133c GewO, da diese vorkonstitutionell sind. II.

Die Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der einzelnen Ungleichbehandlungen von Arbeitern und Angestellten im Entgeltfortzahlungsrecht

1.

Der Zeitpunkt der Entstehung des spruchs im Krankheitsfall

Entgeltfortzahlungsan-

a)

Darstellung der unterschiedlichen Rechtsstellung von Arbeitern und Angestellten Gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG steht einem Arbeiter ein Anspruch auf Lohnfortzahlung zu, wenn er nach Beschäftigungsbeginn arbeitsunfähig erkrankt und aus diesem Grunde an der Erbringung der Arbeitsleistung verhindert ist.121 Mithin ist für den Zeitpunkt der Entstehung eines Lohnfortzahlungsanspruchs eines Arbeiters im Krankheitsfall der Beginn der Beschäftigung maßgeblich. Das Tatbestandsmerkmal des "Beginns der Beschäftigung" wird weit ausgelegt. Es gilt unstreitig als erfüllt, wenn der Arbeiter sich auf den regelmäßigen, erstmaligen Weg zur Arbeitsstätte gemacht hat und nicht erst, wenn er mit der Arbeitsaufnahme

117 BAG, AP Nr. 23 zu § 1 LohnFG; s. Thomas, in: Hromadka, Gleichstellung, S. 44. 118 Arbeitsgericht Reutlingen, Beschluß vom 3. Juli 1975, BB 1975, S. 1016, 1017; vgl. auch den Beschluß vom 6.2.1991 - 1 Ca 611/78 - derselben Kammer des ArbG Reutlingen. 119 Vgl. Thomas, in: Hromadka, Gleichstellung, S. 44. 120 BVerfGE 62, S. 256,287. 121 BAG, AP Nr. 23 zu § 1 LohnFG; KaiserlDunkl, Entgeltfortzahlung, S. 76.

175 begonnen hat.122 Das Bundesarbeitsgericht begründet die extensive Auslegung des Merkmals "Beginn der Beschäftigung" damit, daß der Arbeiter sich eine angemessene und ausreichende Zeit vor dem eigentlichen Arbeitsbeginn auf den Weg zur Arbeitsstätte begeben müsse, um seiner Arbeitspflicht rechtzeitig nachkommen zu können. Es belohnt mit der weiten Auslegung folglich Arbeiter, die ihre Bereitschaft zur Arbeitsaufnahme nach außen kundgetan haben. Dies erklärt auch, warum das Bundesarbeitsgericht den nicht regelmäßigen Weg zur Arbeitsstätte nicht zum Beginn der Beschäftigung rechnen will.123 Es führt als Begründung zwar an, daß dieser nicht zu den täglichen Obliegenheiten des Arbeiters gehöre, der wirkliche Grund scheint aber bei der Frage zu liegen, ob der Arbeiter tatsächlich mit der Arbeitsaufnahme beginnen will. Die extensive Auslegung des Merkmals Beginn der Beschäftigung dient der sozialen Absicherung von Arbeitern bei Wegeunfällen. Andere Fälle, in denen Arbeiter auf dem erstmaligen regelmäßigen Weg zur Arbeit arbeitsunfähig erkranken, sind die Ausnahme (z.B. Herzinfarkt). Arbeiter, die arbeitsunfähig krank den Weg zur Arbeit angetreten haben, erlangen gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Dies gilt selbst dann, wenn sie die Arbeit tatsächlich für einige Zeit aufgenommen haben.124 Arbeiter, die zum Zeitpunkt des erstmaligen regelmäßigen Weges zur Arbeit erkrankt, nicht aber arbeitsunfähig sind, erhalten bei anschließendem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit einen Entgeltfortzahlungsanspruch gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG. Im Gegensatz zum Lohnfortzahlungsgesetz enthalten die für Angestellte geltenden Regelungen der §§ 616 Abs. 2 BGB, 63 HGB, 133c GewO keine Begrenzung des Anspruches auf den Fall des Beschäftigungsbeginns. Angestellte haben vielmehr aufgrund des Arbeitsvertrages ab dem Tag der vertraglich vereinbarten Arbeitsaufnahme gegen ihren Arbeitgeber einen Anspruch auf Fortzahlung der Vergütung im Krank-

122 BAG, AP Nr. 14 zu § 1 LohnFG m. Anm. Gitter; BAG, AP Nr. 23 zu § 1 LohnFG; BAG, BB 1972, S. 732, 733; BAG, BB 1972, S. 661, 662; BT-Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung in seiner Stellungnahme zu den LFZG-Entwürfen, BTDrucks. V/4285, S. 3; Schmatz!Fischwasser, Vergütung, C 146 h ff.; Göge, BB 1986, S. 1772,1773 will auf den Zeitpunkt des wirksamen Zustandekommens des Arbeitsverhältnisses abstellen. 123 Vgl. auch Hunold, Krankheit, S. 182. 124 BAG, BB 1972, S. 1004.

176

heitsfall,125 unabhängig davon, ob sie vor Dienstantritt arbeitsunfähig erkrankt sind.126 Für den Zeitpunkt der Entstehung eines Gehaltsfortzahlungsanspruchs ist nur der Zeitpunkt des Vertragsschlusses entscheidend. Durch die Regelung des § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG werden Arbeiter gegenüber Angestellten ungleich behandelt, wenn sie nach Vertragsschluß und vor ihrem ersten Arbeitstag bei dem neuen Arbeitgeber arbeitsunfähig erkranken oder wenn sie am ersten Arbeitstag nicht den regelmäßigen Weg zur Arbeit eingeschlagen haben.127 Selbst die extensive Auslegung des Begriffs "Beginn der Beschäftigung" beseitigt diese Ungleichbehandlung nicht.128 Ob diese Ungleichbehandlung, die zu einer Benachteiligung von Arbeitern gegenüber Angestellten führt, einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz darstellt mit der Folge, daß § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG verfassungswidrig ist, muß anhand der im ersten Teil erarbeiteten Ergebnisse unter Einbeziehung der in den Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen entwickelten Maßstäbe überprüft werden. b)

Vorüberlegungen zur Überprüfung der Vereinbarkeit einer Norm mit Art. 3 Abs. 1 GG Das Bundesverfassungsgericht sieht Art. 3 Abs. 1 GG als verletzt an, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen ihnen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die Ungleichbehandlung zu rechtfertigen vermögen. Mithin setzt ein Gleichheitsverstoß eine de facto bestehende Ungleichbehandlung der einen Gruppe im Vergleich zu der anderen Gruppe voraus, die sich nicht durch

125 Loddenkemper, Gleichbehandlung, S. % - mit Verweis auf die Parallele zum "mißglückten Arbeitsversuch" im Sozialversicherungsrecht, dessen Übertragung auf das Entgeltrecht streitig ist; befürwortend BAG, BB 1983, S. 1987, 1988; ablehnend LAG Berlin, BB 1988, S. 2059, 2060. Vgl. hierzu auch LAG München, EEK I, S. 698; Schulte-Mimberg, DOK 1980, S. 57, 68; vgl. auch Schulin, ZfA 1978, S. 215,216,227,228. 126 LAG Düsseldorf, BB 1967, S. 1138; LAG Frankfurt, DB 1972, S. 1683; Hunold, Krankheit, S. 183; Kaiser/Dunkl, Engeltfortzahlung, S. 272; Loddenkemper, Gleichbehandlung, S. 95. 127 BAG, AP Nr. 23 zu § 1 LohnFG m. Anm. Gitter; Becker, DB 1987, S. 1990; Hunold, Krankheit, S. 182,183. 128 LAG Stuttgart, AP Nr. 1 zu § 63 HGB; Göge, BB 1986, S. 1772, 1773; Loddenkemper, Gleichbehandlung, S. 95,96; Schulin, ZÌA 1978, S. 215,233,234.

177

tragfahige Sachgründe rechtfertigen läßt.129 Ein Verfassungsverstoß knüpft damit in erster Linie an die Ungleichbehandlung von Personengruppen an, nicht an eine Bevorzugung oder eine Benachteiligung. Deshalb kann ein Verfassungsverstoß auch vorliegen, wenn eine Ungleichbehandlung der Gruppen ohne Benachteiligung oder Bevorzugung einer Gruppe besteht. Die Schwere einer Benachteiligung, Bevorzugung oder das Vorliegen einer neutralen Handlung beeinflußt jedoch die Anforderungen, die an den sachlichen Rechtfertigungsgrund gestellt werden, sowie die Weite des gesetzgeberischen Ermessens. Je schwerer eine Benachteiligung wiegt, desto geringer ist das gesetzgeberische Ermessen und umso stärkere Anforderungen sind an den Rechtfertigungsgrund zu stellen. Für die Bevorzugung und die neutrale Behandlung besteht ein der konkreten Sachlage entsprechendes Abhängigkeitsverhältnis. Bei der Bevorzugung soll der gesetzgeberische Ermessensspielraum weiter sein als bei einer Benachteiligung, und bei einer neutralen Handlung wird ein Verfassungsverstoß nicht ohne weiteres anzunehmen sein.130 Eine verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung kann zudem nur selten vorliegen, wenn sie durch einen Vorteil anderer Art ausgeglichen wird. Dies bedeutet, daß ein Verfassungsverstoß kaum angenommen werden kann, wenn auf der einen Seite eine Ungleichbehandlung besteht, die durch eine Bevorzugung auf der anderen Seite kompensiert wird. c)

Sozialversicherungsrechtliche Ansprüche als relativierender Faktor im Bereich der durch § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG normierten Benachteiligung Die Auswirkungen der durch § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG gesetzlich normierten Benachteiligung der Arbeiter für die Frage eines Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz lassen sich nicht feststellen, wenn das Entgeltfortzahlungsrecht isoliert vom Sozialversicherungsrecht betrachtet wird. Auch das Sozialversicherungsrecht, insbesondere das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, wirkt auf die Rechtsstellung der Arbeiter im Krankheitsfall ein. Aus dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung kann sich ein Anspruch eines Arbeiters auf Kran129 Z.T. wird eine Angemessenheit zwischen der Ungleichbehandlung mit dem rechtfertigenden Grund gefordert, so Schmitt, ZTR 1991, S. 3 , 8 unter Berufung auf die Rechtsprechung des BVerfG. 130 Die Konsequenzen der hier vertretenen strengeren Ansicht werden unten im 12. Kapitel aufgezeigt

178

kengeld ergeben. Dieser Anspruch könnte einem Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz insoweit entgegenstehen, als damit der durch § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG normierte Nachteil finanziell ausgeglichen wird. Der Entgeltfortzahlungsanspruch ist unabhängig von dem Anspruch des Arbeitnehmers auf Krankengeld. Soweit anstelle der Lohnfortzahlung Krankengeld an den Arbeitnehmer ausgezahlt wird, relativiert sich die Benachteiligung des Arbeitnehmers. Eine Kompensation der durch die Einfügung des Beschäftigungsbeginns als Anspruchsvoraussetzung entstandenen Benachteiligung von Arbeitern kommt mithin in Betracht, wenn dem Arbeiter anstelle des Entgeltfortzahlungsanspruches gegen den Arbeitgeber tatsächlich ein Anspruch auf Krankengeld gegen die Krankenkasse zusteht und dieser vollständig den Verlust des Lohnfortzahlungsanspruchs ausgleicht. Die Ungleichbehandlung, die durch die Anknüpfung des Anspruchs auf Lohnfortzahlung an den Beschäftigungsbeginn entsteht, könnte verfassungsrechtlich weniger ins Gewicht fallen, wenn sie durch einen von der Krankenkasse gewährten finanziellen Ersatz vollständig beseitigt wird. Zu berücksichtigen ist dabei die Frage, ob es im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG bei einer relevanten Andersbehandlung verbleibt, wenn Arbeitnehmer Geldansprüche gegen verschiedene Anspruchsgegner haben. Nach dem oben Gesagten ist dies fraglich, wenn hinsichtlich der Ansprüche und der Möglichkeit der Anspruchsverwirklichung kein Unterschied besteht.131 Dem einzelnen Arbeiter ist es regelmäßig gleichgültig, ob sein Geldanspruch sich gegen den Arbeitgeber oder gegen die Krankenkasse richtet, soweit die Höhe der Ansprüche und die Möglichkeit ihrer Verwirklichung identisch sind. d)

Die effektive Benachteiligung im Bereich des § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG Ob eine Benachteiligung der Arbeiter im Bereich des § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG tatsächlich besteht, soll im folgenden anhand von Fällen untersucht werden: 1. Fall: a)

Der Arbeitnehmer ist nach Vertragsschluß und vor dem Beginn der Beschäftigung bei dem neuen Arbeitgeber arbeitsunfähig erkrankt, so daß er von vornherein die Arbeitsleistung nicht erbringen kann, Dem Arbeiter steht gegen den Arbeitgeber kein Entgeltfortzahlungsanspruch gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG zu. Ob dem Arbeiter ein Krankengeldanspruch

131 Vgl. hierzu aber auch die Problematik der unterschiedlichen Rentenversicherungsträger für Arbeiter und Angestellten, unten 12. Kapitel.

179

b)

c)

zusteht, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Grundsätzlich besteht ein Krankengeldanspruch nur, wenn der Arbeitnehmer sozialversichert ist, d.h. wenn der Arbeitnehmer bereits tatsächlich die Beschäftigung aufgenommen hat und wenn er gleichzeitig nicht versicherungsfrei ist Damit dürfte vorliegend kein Krankengeldanspruch bestehen. Dennoch kann sich aufgrund der Rechtsfigur der "nachgehenden Leistungsansprüche" (zu Einzelheiten s. u. 6. Fall) ein Krankengeldanspruch des Arbeiters ergeben (vgl. § 19 SGB V), wenn er zur Zeit seines früheren Arbeitsverhältnisses krankenversichert war und dieses Arbeitsverhältnis noch nicht länger als einen Monat zurückliegt. Steht der Arbeiter zum ersten Mal in einem Beschäftigungsverhältnis, so entsteht beim Vorliegen der Umstände von Fall 1 kein Krankengeldanspruch. Der Angestellte erhält (regelmäßig) in Höhe des vollen Bruttoarbeitsentgeltes sechs Wochen Gehaltsfortzahlung vom Arbeitgeber. Ein Anspruch auf Krankengeld kommt ihm daneben nur unter den gleichen Voraussetzungen wie dem Arbeiter zu, d.h. nur im Fall der nachgehenden Leistungspflichten. Teilweise wird dem Angestellten in der Praxis von den gesetzlichen Krankenkassen nach der sechswöchigen Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber Krankengeld gewährt, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis mit dem Angestellten trotz dessen Erkrankung fortführt. Zum einen gehen die Krankenkassen davon aus, daß der Angestellte, weil der Arbeitgeber sein Interesse an der Aufrechterhaltung des Arbeitsvertrages durch die fehlende Kündigung bekundet hat, nicht viel länger als sechs Wochen arbeitsunfähig erkrankt ist, so daß sie dem Angestellten kein oder kaum Krankengeld zahlen müssen. Zum anderen möchten die gesetzlichen Krankenversicherungen ein gutes Verhältnis zum Versicherten mit Wahlrecht behalten oder aufbauen. Die große Anzahl der Ersatzkassen sowie deren Tendenz, ihren Versichertenkreis weiter auszubauen, hat zu einer Wettbewerbssituation im Bereich der Krankenkassen geführt. Sie belastet am stärksten die AOK, die nicht nur regional unterschiedlich hohe Beitragssätze, sondern auch höhere Beitragssätze als die Ersatzkassen haben. Dem Arbeitnehmer ist es durch die Ausdehnung des Versichertenkreises der Ersatzkassen mehr als früher möglich, zwischen verschiedenen Krankenkassen zu wählen. Da er eher der für ihn günstigsten Kasse als Versicherter beitreten wird, gewähren die Kassen gewisse Leistungen ohne gesetzliche Verpflichtung, um für den Arbeitnehmer attraktiv zu bleiben. Mithin ist der Angestellte im 1. Fall gegenüber dem Arbeiter durch den Anspruch auf Fortzahlung des Gehalts bis zur Dauer von sechs Wochen durch Gesetz begünstigt; darüberhinaus gegebenenfalls auch durch die freiwillige Zahlung von Krankengeld. Die Krankengeldleistung, die an einen Arbeiter in vergleichsweise wenigen Fällen aufgrund nachgehender Leistungspflicht ausgezahlt wird, vermag die Benachteiligung durch die fehlende Lohnfortzahlung des Arbeitgebers nicht zu beseitigen. Das Krankengeld ist betragsmäßig geringer als die Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber. Während sich das Krankengeld nach dem Nettolohn des Arbeitnehmers bestimmt, ist bei dem Entgeltfortzahlungsanspruch vom vollen Bruttoarbeitsentgelt auszugehen. Der Nettolohn, der quasi das Bruttokrankengeld darstellt, mindert sich um die Leistungen für die Arbeitslosenversicherung (ab 1.4.1991 3,4 %) so-

180

2. Fall: 3. Fall:

a)

wie die Leistungen an die Rentenversicherung (8,85%) und wird somit zum Nettokrankengeld, das ab 1.4.1991 um 12,25 % unter dem Bruttokrankengeld liegt. Der Entgeltfortzahlungsanspruch liegt betragsmäßig - abgesehen von den verschiedenen Berechnungsmethoden beim Bruttoarbeitsentgelt und beim Krankengeld - um ca. 12,25 % höher als das Nettokrankengeld. Abgesehen von der geringeren Höhe ist der auf den Krankengeldanspruch verwiesene Arbeitnehmer auch durch die zeitlich spätere Entstehung des Krankengeldanspruches im Vergleich zum Entgeltfortzahlungsanspruch benachteiligt. Der Entgeltfortzahlungsanspruch entsteht am ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit, der Krankengeldanspruch jedoch gemäß § 46 Nr. 2 SGB V erst an dem Tag, der dem Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgt Der Arbeitnehmer verunglückt auf dem erstmaligen nicht regelmäßigen Weg zur Arbeit und wird infolgedessen arbeitsunfähig krank. Die Rechtslage ist die gleiche wie im 1. Fall. Der Arbeitnehmer ist nach Vertragsschluß und vor dem Beginn der Beschäftigung bei dem neuen Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt, nimmt aber dennoch vorübergehend, gleichgültig aus welchen Gründen, die Arbeit bei dem Arbeitgeber auf. Ein Arbeiter, der vor Arbeitsbeginn arbeitsunfähig erkrankt, aber dennoch seine Arbeit erstmalig antritt, erhält bei Wiedereinstellung der Arbeit wegen desselben Leidens keinen Lohnfortzahlungsanspruch gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG. Entscheidend für den Lohnfortzahlungsanspruch ist allein, ob der Arbeiter vor Beginn der Beschäftigung arbeitsunfähig krank war oder nicht, nicht dagegen, ob er die Arbeit angetreten hat. Obwohl der Arbeiter mit der Arbeit tatsächlich begonnen hat, erhält er auch kein Krankengeld, wenn sich dies nicht aus den nachgehenden Leistungsansprüchen ergibt. Dem Krankengeldanspruch steht nämlich die sozialversicherungsrechtliche, nicht gesetzlich geregelte Rechtsfigur des mißglückten Arbeitsversuches132 entgegen, die die mißbräuchliche Geltendmachung eines Krankengeldanspruches von vornherein verhindern will. Indizien, die nach Ansicht der Krankenkassen für einen mißglückten Arbeitsversuch sprechen, sind, daß objeküv bei Beginn der Mitgliedschaft in der Krankenkasse oder bei Aufnahme der Arbeit bereits die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers vorlag oder aber die Arbeitsaufnahme von vornherein nur unter der Verschlimmerung einer Krankheit möglich war. Daneben gilt als Kriterium für die Annahme eines mißglückten Arbeitsversuches, daß der Arbeiter keine Arbeit von wirtschaftlichem Wert erbracht hat und daß zwischen dem Beginn der Arbeitsaufnahme und dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit nicht mehr als sechs Wochen liegen. Die Rechtsprechung133 geht von einem mißglückten Arbeitsversuch aus, wenn der Arbeitnehmer infolge einer vor der Arbeitsaufnahme bestehenden Krankheit gar nicht imstande war, die Beschäfti-

132 Bley, Sozialrecht, C II 3 a bb (1). 133 Vgl. zur Rechtsprechung Kunze, DOK 1981, S. 454 ff. m.w.N.

181

b)

c) 4. Fall: a)

b) c) 5. Fall:

gung bis zum Ablauf einer wirtschaftlich ins Gewicht fallenden Zeit auszuüben. Dem Angestellten steht gemäß §§ 63 HGB, 133c GewO, 616 Abs. 2 BGB ebenso wie im 1. Fall ein Gehaltsfortzahlungsanspruch zu. Für den Angestellten ist, wie schon erwähnt, allein der Zeitpunkt des Vertragsschlusses für die Entstehung des Anspruches maßgebend. Einen Krankengeldanspruch hat der Angestellte nur, wenn sich dies aus den nachgehenden Leistungsansprüchen ergibt. Im übrigen gelten auch hier die zum mißglückten Arbeitsversuch entwickelten Grundsätze.134 Die Krankenkasse wird dem Angestellten möglicherweise aber auch ohne Rechtsanspruch aus den schon im 1. Fall beschriebenen Gründen Krankengeld im Anschluß an die Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber auszahlen. Die tatsächliche Benachteiligung des Arbeiters gegenüber dem Angestellten stimmt mit derjenigen überein, die im 1. Fall dargestellt wurde. Der Arbeitnehmer ist nach Vertragsschluß und vor dem Beginn der Beschäftigung erkrankt. Die Arbeitsunfähigkeit tritt erst nach dem Beginn der Beschäftigung ein. Dem Arbeiter steht gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG ein Lohnfortzahlungsanspruch gegen den Arbeitgeber zu. § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG unterscheidet ausdrücklich zwischen der Arbeitsunfähigkeit des Arbeiters und seiner Erkrankung. Gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG muß die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit nach dem Beginn der Beschäftigung eingetreten sein. Ist der Arbeiter vor Beginn der Beschäftigung erkrankt, aber noch nicht arbeitsunfähig, so liegt erst nach dem Beginn der Beschäftigung eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit i.S. von § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG vor, wenn der Arbeiter aufgrund der Krankheit schließlich doch arbeitsunfähig wird. Gem. § 44 Abs. 1 SGB V steht dem Arbeiter ein Anspruch auf Krankengeld gegenüber der Krankenkasse zu. In dem Moment, in dem der Arbeiter die Arbeit tatsächlich aufnimmt, wird er krankenversicherungspflichtig und kann ab diesem Zeitpunkt im Falle der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit folglich Krankengeld verlangen. Eine Ausnahme ergibt sich allerdings auch hier beim mißglückten Arbeitsversuch. Der Angestellte hat ebenso wie der Arbeiter einen Entgeltfortzahlungsanspruch und zudem auch einen Anspruch auf Krankengeld gegen die Krankenkasse. Eine Benachteiligung der Arbeiter gegenüber den Angestellten findet nicht statt. Beiden Arbeitnehmergruppen steht sowohl ein Entgeltfortzahlungsanspruch als auch ein Krankengeldanspruch zu. Der Arbeitnehmer ist nach Vertragsschluß und vor dem Beginn der Beschäftigung erkrankt, ohne gleichzeitig arbeitsunfähig zu werden. Aufgrund der Krankheit ist dem Arbeitnehmer die Erbringung der Arbeitsleistung unzumutbar. Hierzu ist auf die Ausführungen unter 2. zur "Verhinderung an der Dienstleistung durch krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit" hinzuweisen. Der 5. Fall ist spezifisch für die unter 2. dargestellte Ungleichbehandlung von Arbeitern

134 Vgl. Vornote.

182

6. Fall:

a)

b)

und Angestellten. Für den Zeitpunkt der Entstehung des Entgeltfortzahlungsanspruches ist er von untergeordneter Bedeutung. Der Arbeitnehmer hat während eines Beschäftigungsverhältnisses einen neuen Arbeitsvertrag abgeschlossen und ist nach Abschluß dieses Arbeitsvertrages bei seinem alten Arbeitgeber arbeitsunfähig erkrankt, wobei das Arbeitsverhältnis noch fortbesteht. Die Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit besteht noch in dem Zeitpunkt fort, in dem der Arbeitnehmer die Beschäftigung bei seinem neuen Arbeitgeber aufgrund des neuen Arbeitsvertrages hätte aufnehmen müssen. Dem Arbeiter steht kein Entgeltfortzahlungsanspruch gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG gegen den neuen Arbeitgeber zu, da er vor Beginn der Beschäftigung bereits arbeitsunfähig erkrankt ist. Der Entgeltfortzahlungsanspruch gegen seinen alten Arbeitgeber erlischt spätestens nach sechs Wochen, regelmäßig aber früher, und zwar mit dem Ende des Arbeitsvertrages, unter Umständen also schon nach einem Tag (eine Ausnahme hiervon ist in § 6 Abs. 1 LFZG vorgesehen). Der Arbeiter erhält bei dieser Fallkonstellation aber zumindest über die sogenannten nachgehenden Leistungsansprüche einen Krankengeldanspruch gem. § 19 i.V.m. § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V gegen die Krankenkasse. Die nachgehenden Leistungsansprüche sollen den Arbeitnehmer gegen einen Verlust der noch zur Zeit seiner Mitgliedschaft entstandenen und damit einmal erworbenen Ansprüche schützen. Die sogenannten nachgehenden Leistungsansprüche unterscheiden sich im wesentlichen nicht von den übrigen Krankengeldansprüchen; d.h., der Arbeiter erwiibt gegen die Krankenkasse einen Krankengeldanspruch bis zur Dauer von 78 Wochen innerhalb von drei Jahren gem. § 48 Abs. 1 SGB V. Für die ersten sechs Wochen dieses Zeitraumes ruht der Anspruch gegen die Kasse jedoch nicht gem. § 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, da der Arbeiter von seinem neuen Arbeitgeber keine Lohnfortzahlung erhält. Im Anschluß an den Entgeltfortzahlungsanspruch gegen seinen bisherigen Arbeitgeber bekommt der Arbeiter mithin direkt Krankengeldleistungen von der Krankenkasse. Dem Angestellten steht, da ein Arbeitsvertrag mit dem neuen Arbeitgeber bereits zustande gekommen ist, gem. §§ 63 HGB, 133c GewO, 616 Abs. 2 BGB ein Entgeltfortzahlungsanspruch gegen diesen zu. Gegen den alten Arbeitgeber hat der Angestellte ebenso wie der Arbeiter einen Entgeltfortzahlungsanspruch im Falle der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit bis längstens zur Dauer von sechs Wochen, regelmäßig aber lediglich bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses (etwas anders gilt nur, wenn die Voraussetzungen der §§ 63 Abs. 1 Satz 3 , 4 HGB, 133c Satz 1,2 GewO, 616 Abs. 2 Satz 4, 5 BGB gegeben sind, die § 6 Abs. 1 LFZG entsprechen). Unter Umständen kann dem Angestellten somit zweimal ein sechswöchiger Entgeltfortzahlungsanspruch zukommen. Neben den Entgeltfortzahlungsansprüchen hat der krankenversicherte Angestellte auch einen Anspruch auf Krankengeld für die Dauer von 78 Wochen in drei Jahren. Dieser Anspruch gegen die Krankenkasse ruht im Falle der Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber gem. § 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V.

183 c)

7. Fall:

a)

b)

c)

Der Arbeiter ist gegenüber dem Angestellten benachteiligt, weil er, anders als der Angestellte, keinen Entgeltfortzahlungsanspruch gegen den neuen Arbeitgeber erlangt. Während der Arbeiter nach der Entgeltfortzahlung durch den alten Arbeitgeber auf das Krankengeld angewiesen ist, erhält der Angestellte in diesem Zeitraum zunächst vom neuen Arbeitgeber für längstens sechs Wochen Entgeltfortzahlung, an die sich dann auch für ihn die Kassenleistung anschließt. Die Benachteiligung der Arbeiter wird durch die Krankengeldleistungen nicht vollständig beseitigt. Die Zahlung des Krankengeldes schließt sich zwar aufgrund der nachgehenden Leistungsansprüche direkt an die Entgeltfortzahlung durch den alten Arbeitgeber an, das Krankengeld ist betragsmäßig aber geringer als die Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber. 135 Zudem entsteht der Krankengeldanspruch, anders als der Entgeltfortzahlungsanspruch, erst an dem Tag, der dem Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit f o l g t Diese Benachteiligung wird sich allerdings bei der beschriebenen Fallkonstellation kaum auswirken. Der Arbeitnehmer ist nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem alten Arbeitgeber und nach dem Abschluß des Arbeitsvertrages mit dem neuen Arbeitgeber, aber vor Beschäftigungsbeginn bei dem neuen Arbeitgeber arbeitsunfähig erkrankt. Der Arbeiter erhält in diesem Fall wiederum keinen Lohnfortzahlungsanspruch. Ihm stehen gegebenfalls jedoch gegen die Krankenkasse Krankengeldansprüche zu, obwohl der Versicherungsfall erst nach beendeter Mitgliedschaft eingetreten ist Die Krankenkassen gewähren dem früheren Versicherungsnehmer nach Ablauf des Versicherungsverhältnisses innerhalb des nächsten Monats Leistungen, wenn er keinen Lohnfortzahlungsanspruch hat. Endet beispielsweise das Versicherungsverhältnis mit Ablauf des 28.2.1991 und will der Arbeitnehmer am 19.3.1991 bei dem neuen Arbeitgeber die Beschäftigung aufnehmen, so beginnt die Monatsfrist für den Versicherungsfall nach beendeter Mitgliedschaft am 1.3.1991 und läuft mit dem letzten Märztag ab. Ist nun der Arbeiter am 15.3.1991 arbeitsunfähig erkrankt, so erhält er bis zum letzten Märztag Krankengeld. Der Angestellte erlangt ab dem Zeitpunkt des vertraglich vereinbarten Arbeitsbeginns bei dem neuen Arbeitgeber einen Entgeltfortzahlungsanspruch gegen diesen. Darüber hinaus gelten für den Angestellten die Grundsätze Uber die nachgehenden Leistungsansprüche im Versicherungsfall nach beendeter Mitgliedschaft. Im genannten Beispielsfall würde der Angestellte zunächst für den Zeitraum vom 15.3.1991 bis zum 19.3.1991 Krankengeld und anschließend wegen § 63 HGB usw. Entgeltfortzahlung durch den neuen Arbeitgeber erhalten. Der Arbeiter ist gegenüber dem Angestellten benachteiligt, weil er gegen den neuen Arbeitgeber keinen Entgeltfortzahlungsanspruch erwirbt. Zwar kom-

135 Während sich das Krankengeld nach dem Nettolohn des Arbeitnehmers bestimmt, ist bei dem Entgeltfortzahlungsanspruch vom vollen Bruttolohn auszugehen; vgl. B A G , A P Nr. 9 zu § 2 LohnFG; Bauer/Röder, Krankheit, S. 44 f.

184 pensiert das über die nachgehenden Leistungsansprüche im Versicherungsfall nach beendeter Mitgliedschaft zu zahlende Krankengeld den finanziellen Verlust des Arbeiters in gewisser Weise. Zum einen ist jedoch zu beachten, daß das Krankengeld der Höhe nach unter der Entgeltfortzahlung liegt und der Krankengeldanspruch grundsätzlich später entsteht, und zum anderen, daB das Krankengeld aufgrund der nachgehenden Leistungsanspriiche im Versicherungsfall nach beendeter Mitgliedschaft grundsätzlich auch dem Angestellten für einen Monat zusteht Mithin tritt die Kompensation des durch den fehlenden Entgeltfortzahlungsanspruch gegen den neuen Arbeitgeber entstandenen finanziellen Verlustes des Arbeiters nur in einem Fall ein, in dem der geplante Arbeitsbeginn bei dem neuen Arbeitgeber im Rahmen der Monatsfrist liegt. Beispiel: 28.2.1991 Ende des Versicherungsverhältnisses 15.3.1991 Krankheit des Arbeitnehmers 01.4.1991 Geplanter Arbeitsbeginn bei dem neuen Arbeitgeber Der Arbeiter erhält vom 15.3.1991 bis Ende März Krankengeld. Der Angestellte erhält für diesen Zeitraum ebenfalls Krankengeld. Ab dem 1.4.1991 bekommt der Angestellte, anders als der Arbeiter, Entgeltfortzahlung von seinem neuen Arbeitgeber. Die Krankenkasse muß deshalb ab dem 1.4.1991 kein Krankengeld mehr an den Angestellten leisten. Der Arbeiter erhält ab dem 1.4.1991 keine finanziellen Leistungen.

e) Zwischenergebnis zur Ungleichbehandlung Das Krankenversicherungsrecht trifft hinsichtlich des Krankengeldes keine Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten. Da aber das Lohnfortzahlungsrecht eine solche Unterscheidung vorsieht und das Krankengeld ruht, wenn Entgeltfortzahlung geleistet wird, kommt in einigen wenigen Sonderfällen (6. und 7. Fall) ein gewisser, aber nicht vollständiger finanzieller Ausgleich der Benachteiligung der Arbeiter durch das Krankengeld in Betracht. Die Andersbehandlung der Arbeiter bleibt in Fällen, in denen es zu einem finanziellen Teilausgleich kommt, für den Arbeiter nachteilig, so daß auch in diesen Fällen nicht von einer unwesentlichen und damit für Art. 3 Abs. 1 GG unbeachtlichen Benachteiligung gesprochen werden kann. Es liegt mithin durch § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG eine relevante, weil nicht geringfügige Ungleichbehandlung vor, die nicht durch anderweitige Leistungen ausgeglichen wird. Eine Ungleichbehandlung der Arbeiter gegenüber den Angestellten besteht auch durch die Anknüpfung des § 6 Abs. 1 LFZG an § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG. Zwar findet die für Arbeiter geltende Regelung des § 6 Abs. 1 LFZG ihre Entsprechung in den §§ 63 Abs. 1 Satz 3, 4 HGB, 133c Satz 1, 2 GewO, 616 Abs. 2 Satz 4, 5 BGB, so daß diesbezüglich

185 keine Ungleichbehandlung gegeben ist. Die Anknüpfung an den bereits entstandenen Entgeltfortzahlungsanspruch in den §§ 6 Abs. 1 LFZG, 63 Abs. 1 Satz 3, 4 HGB, 133c Satz 1, 2 GewO, 616 Abs. 2 Satz 4, 5 BGB bewirkt aber eine Ungleichbehandlung. Die Entstehung des Entgeltfortzahlungsanspruches ist, wie in den obigen Fällen zu § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG gezeigt wurde, für Arbeiter nicht nur, wie bei den Angestellten, vom Vertragsschluß abhängig, sondern entsteht erst mit dem tatsächlichen Beschäftigungsbeginn. Folglich entsteht auch der Schutz des § 6 Abs. 1 LFZG später als deijenige der §§ 63 Abs. 1 Satz 3, 4 HGB, 133c Satz 1, 2 GewO, 616 Abs. 2 Satz 4, 5 BGB. Der Arbeitgeber kann mithin, ohne die in den §§ 6 Abs. 1 LFZG, 63 Abs. 1 Satz 3, 4 HGB, 133c Satz 1, 2 GewO, 616 Abs. 2 Satz 4, 5 BGB enthaltenen Konsequenzen befürchten zu müssen, das Arbeitsverhältnis mit einem Arbeiter durch eine Kündigung auflösen, wenn dieser nach Vertragsschluß, aber vor Beschäftigungsbeginn arbeitsunfähig erkrankt ist. Es besteht für ihn nicht die Verpflichtung zur sechswöchigen Entgeltfortzahlung. Da bei einem Angestellten schon mit Vertragsschluß der Entgeltfortzahlungsanspruch entsteht, muß der Arbeitgeber einem Angestellten im Falle einer Kündigung aufgrund einer Krankheit sechs Wochen die Vergütung fortzahlen. Eine Kündigung eines Angestellten vor Beschäftigungsbeginn aufgrund krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit ist für den Arbeitgeber, anders als bei einem Arbeiter, nicht ohne die Verpflichtung zur sechswöchigen Entgeltfortzahlung möglich. Da Arbeiter keinen Entgeltfortzahlungsanspruch erwerben, wenn sie vor dem Beginn der Beschäftigung arbeitsunfähig erkrankt sind, kommt ihnen die Regelung des § 6 Abs. 1 LFZG in diesen Fällen nicht zugute. Mithin bestehen im Falle der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit eines Arbeiters für den Arbeitgeber keine Hemmnisse, dem Arbeiter direkt nach Auftritt seiner krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit zu kündigen. Da nach alledem § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG eine Ungleichbehandlung von Arbeitern gesetzlich normiert, könnte diese Norm verfassungswidrig sein. f) aa)

Die Rechtfertigung der

Ungleichbehandlung

Die Rechtsprechung zur Frage der Verfassungsmäßigkeit von § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG Das Bundesverfassungsgericht hat bisher zu der Frage der Verfassungsmäßigkeit von § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG, anders als das Bundes-

186

arbeitsgericht, 136 noch keine Stellung genommen. Dem Bundesverfassungsgericht liegen aber gem. Art. 100 Abs. 1 GG verschiedene noch nicht entschiedene Vorlagebeschlüsse von Arbeitsgerichten zu § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG vor.' 37 Das Bundesarbeitsgericht (5. Senat) nahm erstmals in seiner Entscheidung vom 9.6.1972 ausdrücklich zur Verfassungsmäßigkeit von § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG Stellung.138 Der 5. Senat bejahte in diesem Rahmen die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift und betonte: "Eine ungleiche Behandlung von Menschen durch den Gesetzgeber, soweit es sich nicht gerade um Umstände handelt, die im Menschsein als solchem begründet sind, ist statthaft, wenn es sich um Personen handelt, die sich eben nicht in gleicher, sondern in verschiedener Lage befinden. Dabei bleibt dem Gesetzgeber notwendigerweise ein weiter Spielraum für die Betätigung seines Ermessens. Dieses Ermessen hat der Gesetzgeber ausgeübt, wenn er bei Verabschiedung des LFZG den Anspruch der Arbeiter verschieden von der Angestelltenregelung gestaltet hat."139 Worin die Andersartigkeit der beiden Arbeitnehmergruppen bei einer Erkrankung vor dem ersten Dienstantritt liegt, erläuterte der Senat nicht. 140 In einer nicht veröffentlichten Entscheidung vom 17.7.1985 konnte der 5. Senat des Bundesarbeitsgerichts die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG dahinstehen lassen, da nach seiner Auffassung die Arbeitsunfähigkeit nach dem Beginn der Beschäftigung eingetreten war. 141 Am 1.4.1987 bezog derselbe Senat des Bundesarbeitsgerichtes, der noch in der Entscheidung vom 9.6.1972 die Verfassungsmäßigkeit von § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG bejaht hatte, eine gegensätzliche Position. 142 In einer Stellungnahme an das Bundesverfassungsgericht erklärte er, daß hinsichtlich des Zeitpunktes der Entstehung eines Vergütungsanspruches im Krankheitsfall keine sachlichen Gründe für eine Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten erkennbar seien.143 Legt man den vom 136 Vgl. BAG, AP Nr. 23 zu § 1 LohnFG. 137 Vgl. u.a. die Vorlagebeschlüsse des ArbG Gelsenkichen v. 23.7.1987, NZA 1987, S. 670, sowie des ArbG Köln v. 21.11.1985. 138 BAG, AP Nr. 23 zu § 1 LohnFG; vgl. auch Thomas, in: Hromadka, Gleichstellung, S. 44. 139 BAG, AP Nr. 23 zu § 1 LohnFG. 140 Becker, DB 1987, S. 1090. 141 BAG - 5 AZR 133/84 - v. 17.7.1985; nach Thomas, in: Hromadka, Gleichstellung, S. 50,51. 142 Nach Thomas, in: Hromadka, Gleichstellung, S. 51. 143 Nach Thomas, in: Hromadka, Gleichstellung, S. 51.

187 Bundesverfassungsgericht entwickelten Maßstab zugrunde, nach dem eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG schon dann vorliegt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen können, so folgt aus der Stellungnahme des Bundesarbeitsgerichts, daß es eine Verfassungswidrigkeit von § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG nunmehr bejahen würde. Das Bundesarbeitsgericht ist, abgesehen von seiner Stellungnahme vom 1.4.1987, bei der Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit von Ungleichbehandlungen zwischen Arbeitern und Angestellten in Bereichen, in denen es nicht um § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG, sondern um andere Ungleichbehandlungen ging, weiterhin unsicher geblieben. 144 In seinem Urteil vom 3.6.1987145, in dem es um die Anrechnung einer Tariflohnerhöhung auf übertarifliche Zulagen ging, führte das Bundesarbeitsgericht sinngemäß aus, daß eine Andersbehandlung von Arbeitern und Angestellten sich aus den zwischen beiden Gruppen bestehenden zahlreichen Unterschieden im Arbeits- und Sozialversicherungsrecht rechtfertige. Aufgrund dieser im Urteil vom 3.6.1987 noch nach der Stellungnahme vom 1.4.1987 - getroffenen allgemeingültigen und somit auch auf § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG übertragbaren Aussage durch das Bundesarbeitsgericht hätte es bis zur Bundesverfassungsgerichtsentscheidung vom 30.5.1990 nicht verwundert, wenn das Bundesarbeitsgericht in einem Urteil, in dem die Frage der Verfassungsmäßigkeit von § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG relevant geworden wäre, diese wiederum bejaht hätte. bb)

Die Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit von § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG anhand der allgemeinen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 3 Abs. 1 GG Seit der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung vom 30.5.1990 spricht vieles dafür, daß die Rechtsprechung § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG für mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar hält. Da das Bundesverfassungsgericht noch nicht abschließend zur Verfassungsmäßigkeit von § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG Stellung genommen hat, muß die Verfassungsmäßigkeit dieser Norm überprüft werden. Dabei sind die Ausführungen im ersten Teil dieser Untersuchung zur Verfassungsmäßigkeitsprüfung, die insbesondere 144 Vgl. Thomas, in: Hromadka, Gleichstellung, S. 4 4 , 4 5 . 145 BAG, AP Nr. 58 zu § 1 TVG Tarifverträge Metallindustrie; vgl. auch BAG, SAE 1988, S. 156 m. kru. Anm. Weber, S. 159,160.

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auf der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung vom 30.5.1990 basieren, als Grundlage heranzuziehen. Das Bundesverfassungsgericht betont, daß ein Gleichheitsverstoß nicht von vornherein bei einer Andersbehandlung von Arbeitern und Angestellten bejaht wenden kann.146 Dennoch unterstreicht es, daß der jeweilige Status des Arbeitnehmers allein nicht geeignet ist, um eine unterschiedliche Behandlung der beiden großen Gruppen zu begründen.147 Art. 3 Abs. 1 GG fordere vielmehr, daß die an den Status des Arbeitnehmers anknüpfende Unterscheidung auf sachgerechten Erwägungen beruhe;148 d.h., für die Andersbehandlung bedürfe es eines sachlichen Grundes, der die spezifische Ungleichbehandlung nach Art und Gewicht zu rechtfertigen vermag. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen zu den verschiedenen Kündigungsfristen ergangenen Entscheidungen sachliche Gründe auf ihre Tragfähigkeit hin untersucht. In der Entscheidung vom 30.5.1990 ist das Bundesverfassungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, daß bei einem Teil der Gründe der Legitimationszusammenhang fehlt und bei dem übrigen Teil die Gruppenspezifik, so daß kein Sachgrund die gesetzliche Ungleichbehandlung im Bereich der Kündigungsfristen zu rechtfertigen vermag.149 Für die Verfassungsmäßigkeitsprüfung des § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG bedarf es einer erneuten Überprüfung der im Kündigungsrecht die rechtliche Unterscheidung nicht rechtfertigenden Sachgründe, weil diese Gründe möglicherweise für den unterschiedlichen Zeitpunkt der Entstehung des Entgeltfortzahlungsanspruches eine unterschiedliche Regelung rechtfertigen können. Ob ein sachlicher Grund nach Art und Gewicht die durch § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG gesetzlich normierte Ungleichbehandlung der Arbeiter im Vergleich zu den Angestellten rechtfertigen kann, bestimmt sich danach, ob Differenzierungskriterium (= sachlicher Grund = tatsächlicher Unterschied zwischen den Normadressaten), Differenzierungsmittel (= Ungleichbehandlung, die auf dem Unterschied zwischen § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG und den §§ 63 HGB, 133c GewO, 616 Abs. 2 BGB hinsichtlich des Zeitpunktes der Entstehung eines Entgeltfortzahlungsanspruches beruht) und Differenzierungsziel (= objektiver, tatsächlicher oder vorstellbarer Gesetzes zweck) gegeben sind150; des weiteren danach, ob eine Re146 147 148 149 150

BVerfGE 62, S. 256 ff.; Thomas, in: Hromadka, Gleichstellung, S. 46. BVerfGE 62, S. 256 ff.; Thomas, in: Hromadka, Gleichstellung, S. 46. BVerfGE 62, S. 256 ff.; Thomas, in: Hromadka, Gleichstellung, S. 46. S. oben 2. Kapitel A II 2; Schmitt, ZTR 1991, S. 3 , 8 , 9 . Vgl. Wank, Anm. zu BAG, EzA § 23 KSchG Nr. 8, S. 14 f.

189 lation zwischen den drei Differenzierungspunkten besteht, die einer eingeschränkten Verhältnismäßigkeitsprüfung151 standhält. Ungleichbehandlung und rechtfertigender Grund müssen, wie das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich betont, in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen, wobei insbesondere die Auswirkungen der Ungleichbehandlung auf grundrechtlich gesicherte Freiheiten zu beachten sind. Die Relation zwischen den drei Differenzierungspunkten kann einer eingeschränkten Verhältnismäßigkeitsprüfung standhalten, wenn das Differenzierungskriterium das Differenzierungsmittel im Hinblick auf das Differenzierungsziel rechtfertigen kann; d.h. wenn der tatsächliche Unterschied zwischen den beiden Gruppen von Normadressaten die auf der gesetzlichen Differenzierung basierende Ungleichbehandlung im Hinblick auf einen Gesetzeszweck rechtfertigen kann. Daraus ergibt sich im Hinblick auf § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG folgendes Prüfschema, bei dem alle Stufen kumulativ erfüllt sein müssen, damit die Regelung verfassungsmäßig ist: 1. Stufe:

Unterscheiden sich Arbeiter und Angestellte, und ist diese Unterscheidung nach Art und Gewicht so starte, daß unterschiedliche Voraussetzungen an die Entstehung des Entgeltfortzahlungsanspruches geknüpft werden können? Z u p r ü f e n ist s o m i t , o b : a)

es einen gruppenspezifischen Unterschied zwischen Arbeitern und Angestellten gibt und b) ein Zusammenhang zwischen dem Unterschied und der Ungleichbehandlung besteht - sogenannter Legitimationszusammenhang - und c) die Schwere des Unterschiedes der Schwere der Andersbehandlung entspricht. 2. Stufe: Gibt es einen Gesetzeszweck, der so bedeutsam ist, daß hierfür eine unterschiedliche Regelung bei der Entstehung des Entgeltfortzahlungsanspruches getroffen werden kann? Z u p r ü f e n ist s o m i t zusätzlich, o b : a) b)

durch die Ungleichbehandlung der Gesetzeszweck erreicht werden kann 1 5 2 und ein angemessenes Verhältnis zwischen der rechtlichen Andersbehandlung und ihren Rechtsfolgen sowie dem ErTeichen des Gesetzeszweckes besteht.

Für die Verfassungsmäßigkeit des § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG müssen zusätzlich aber auch noch die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten und der Gesetzeszweck verfassungsgemäß sein. 151 Vgl. oben 2. Kapitel E. 152 Hierbei ist insbesondere zu beachten, daß mehrere Gesetzeszwecke kollidieren können, d.h. sie können sich ergänzen, unter Umständen aber auch einschränken, wenn sie gegenläufig sind.

190 Als rechtfertigende Sachgründe für die Ungleichbehandlung kommen in Betracht:

aaa) Geschichtliche Entwicklung Das Bundesverfassungsgericht hat im Zusammenhang mit den Kündigungsfristen die historische Entwicklung als möglichen Rechtfertigungsgrund für die Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten abgelehnt. 153 Auch im Hinblick auf das Lohnfortzahlungsrecht kann die geschichtliche Entwicklung nur insoweit legitimierend herangezogen werden, als ursprüngliche Sachgründe auch heute noch anzuerkennen sind.154

bbb) Gruppengröße Die Gruppengröße kann ein Differenzierungskriterium darstellen, 155 wenn sich der Anteil der Arbeiter an der Arbeitnehmerschaft von dem der Angestellten unterscheidet. Nach dem Statistischen Jahrbuch von 1989 sind mehr als die Hälfte aller Arbeitnehmer Angestellte. 156 Da der Arbeiteranteil mithin kaum von dem der Angestellten abweicht, kann die Gruppengröße kein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung sein. 157

ccc) Wirtschaftliche Interessen der Arbeitgeber Gegebenenfalls können die wirtschaftlichen Interessen der Arbeitgeber einen Rechtfertigungsgrund für die in § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG normierte Benachteiligung der Arbeiter abgeben. Eine Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten hätte für den Arbeitgeber eine frühere Entstehung des Entgeltfortzahlungsanspruches zur Folge. Zudem hätte der Arbeitgeber gem. § 6 Abs. 1 LFZG im Fall der Kündigung eines arbeitsunfähig erkrankten Arbeiters bereits nach Vertragsschluß Arbeitsentgelt fortzuzahlen. Gegenwärtig kann § 6 Abs. 1 LFZG, weil er einen Entgeltfortzahlungsanspruch voraussetzt, erst eingreifen, wenn der Arbeiter mit der Beschäftigung begonnen hat. Durch eine Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten wäre der Arbeitgeber folglich finanziellen Mehrbelastungen ausgesetzt. Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts sind die wirtschaftlichen Konsequenzen eines Gesetzes

153 154 155 156 157

BVerfGE 62, S. 256 ff. Vgl. zusammenfassend zur geschichtlichen Entwicklung oben B. BVerfGE 62, S. 256,279. Statistisches Jahrbuch 1989, S. 95. So auch Becker, DB 1987, S. 167,172.

191 für den Arbeitgeber vom Gesetzgeber zu beachten 158 . Dennoch darf der Gesetzgeber laut Bundesverfassungsgericht keine Regelung treffen, die die Kosten für den Arbeitgeber gering hält, aber einseitig zu Lasten einer der beiden Gruppen geht.159 Folgerichtig hat das Bundesverfassungsgericht eine Rechtfertigung der Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten im Bereich der Kündigungsfristen wegen der wirtschaftlichen Interessen der Arbeitgeber abgelehnt. Der Schutz der wirtschaftlichen Interessen des Arbeitgebers kann zwar ein vom Gesetzgeber zu beachtender Gesetzeszweck sein, ein Unterschied zwischen den beiden großen Gruppen der Arbeiter und der Angestellten, der eine Ungleichbehandlung rechtfertigen könnte, resultiert allein hieraus aber nicht. Die Beachtung der wirtschaftlichen Interessen des Arbeitgebers kann zwar ein Differenzierungsziel sein, das Differenzierungskriterium kann hierdurch aber nicht ersetzt werden. Erst wenn ein Differenzierungskriterium zu den wirtschaftlichen Interessen des Arbeitgebers hinzutritt, kann die Frage gestellt werden, ob die Benachteiligung der Arbeiter gerechtfertigt ist. ddd) Erhöhte Treuepflicht von Angestellten Differenzierungskriterium für die Ungleichbehandlung der Arbeiter gegenüber den Angestellten könnte die Treuepflicht sein. Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, zu der nach h.M. auch die Gehaltsfortzahlungspflicht im Krankheitsfall gehört, 160 könnte, wenn Angestellte eine höhere Treuepflicht gegenüber dem Arbeitgeber als Arbeiter besäßen, im Gegenzug eine höhere Fürsorgepflicht des Arbeitgebers begründen. Mithin könnte der Gesetzgeber, um der unterschiedlichen Treue- und Fürsorgepflicht hinreichend Rechnung zu tragen, die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall bei Angestellten an geringere Voraussetzungen knüpfen als bei Arbeitern. Differenzierungskriterium wäre folglich die Treuepflicht, Differenzierungsmittel die sich aus § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG ergebende Ungleichbehandlung und Differenzierungsziel die Berücksichtigung der unterschiedlichen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers durch den Gesetzgeber. Die Treuepflicht von Angestellten unterscheidet sich jedoch grundsätzlich nicht von der der Arbeiter. Zwar mag einzelnen Angestellten, die

158 BVerfG, NJW 1990, S. 2246,2238 ( C 1 4 g). 159 Dazu Schmitt, ZTR 1991, S. 3 , 9 . 160 S. zur Fürsorgepflicht Münkel, Verschulden, S. 1, 2; Zöllner, Arbeitsrecht, § 16 III.

192 in leitender Stellung tätig sind, eine erhöhte Treuepflicht zukommen. 161 Die Masse der Angestellten hat aber keine stärkere Treuepflicht als die Arbeiter. Aufgrund der fehlenden Gruppenspezifik kann die Treuepflicht daher nicht rechtfertigend für die Ungleichbehandlung sein. eee) Art der Tätigkeit Neben dem Angestelltenversicherungsgesetz162 und dem Berufsgruppenverzeichnis163 wird bei der Abgrenzung zwischen Arbeitern und Angestellten nach der Art der Beschäftigung vorgegangen.164 Während für Arbeiter die manuelle Tätigkeit charakteristisch sein soll, soll es beim Angestellten die überwiegend geistige Arbeit sein.165 Auf die grundsätzliche Berechtigung dieser Abgrenzung soll hier nicht eingegangen werden. Unterstellt man, daß ein spezifischer Unterschied zwischen Arbeitern und Angestellten in der Verschiedenheit ihrer Tätigkeit liegt, so schließt dies eine Verfassungswidrigkeit des § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG nicht aus; denn neben dem gruppenspezifischen Differenzierungskriterium muß auch ein Legitimationszusammenhang bestehen, d.h. ein Zusammenhang zwischen dem Differenzierungskriterium und der aus der gesetzlichen Differenzierung resultierenden Ungleichbehandlung166. Das Bundesverfassungsgericht hat den Legitimationszusammenhang, als es um die Frage des Zusammenhanges zwischen Hand- und Kopfarbeit mit ungleichen Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten ging, verneint.167 Vorliegend fehlt ein Zusammenhang zwischen Hand- und Kopfarbeit einerseits und dem unterschiedlichen Zeitpunkt der Entstehung des Entgeltfortzahlungsanspruches andererseits. Die Unterscheidung nach der Betätigungsart kann nur den betrieblichen Aufgabenbereich betreffen, nicht denjenigen im Vorfeld einer betrieblichen Tätigkeit168: Nach Vertragsschluß und vor Beschäftigungsbeginn ist die Situation für Arbeiter und Angestellte gleich. Sie haben noch nicht gearbeitet, so daß die Unterscheidung nach der Art der Tätigkeit in diesem Zusammenhang keine 161 Zöllner, Arbeitsrecht, § 13 II 2 a, c betr. Überstunden und Anzeigepflicht. 162 § 3 AVG; anders jetzt § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI. 163 Bestimmung von Berufsgruppen der Angestellten-Versicherung vom 8.3.1924 (RGBl. I, S. 274, 410), geändert durch Verordnungen vom 4.2.1927 und vom 15.7.1927 (RGBl. I, S. 58,222). 164 Vgl. Staudinger-Richardi, Vorbem. zu §§ 611 ff., Rdnr. 334. 165 S. auch unten 14. Kapitel A I 3 b. 166 Vgl. hierzu die o. unter 1. d) aufgeführten Fälle. 167 Dazu Schmitt, ZTR 1991, S. 3,8. 168 Becker, DB 1987, S. 1090.

193 Rolle spielen kann. Im übrigen ergibt sich aus der Art der Tätigkeit kein erhöhtes Schutzbedürfnis für Angestellte, das deren Besserstellung im Vergleich zu den Arbeitern zu begründen vermag. f f f ) Gruppenmentalität Die vielfach als gruppenspezifischer Unterschied herausgestellte Gruppenmentalität der Angestellten169 steht in keinem Legitimationszusammenhang damit, daß den Angestellten bereits ab Vertragsschluß ein Entgeltfortzahlungsanspruch zugestanden wird.170 Die Überzeugung der Arbeiter von der Notwendigkeit der geltenden, für sie ungünstigeren Rechtslage steht, selbst wenn man eine solche Überzeugung annehmen würde, einem Verfassungsverstoß nicht entgegen. ggg) Höhere Qualifikation der Angestellten Als Argument für eine Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten wird, ausgehend von der Überlegung, daß Arbeiter manuell und Angestellte geistig arbeiten, angeführt, daß Angestellte eine höhere Qualifikation besäßen und schon deshalb gegenüber Arbeitern zu privilegieren wären.171 Ob diese Aussage angesichts der veränderten Tätigkeitsfelder am Arbeitsplatz noch Geltung hat, erscheint fraglich. Die Qualifikation eines Arbeitnehmers ist an den konkreten Arbeitsplatz gebunden, nicht an die Zugehörigkeit zu der einen oder anderen Gruppe. Unterstellt man die Gruppenspezifik dennoch, so scheitert die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung am fehlenden Legitimationszusammenhang. Eine Benachteiligung der Arbeiter für den Fall einer nach Vertragsschluß, aber vor Arbeitsbeginn eingetretenen Arbeitsunfähigkeit kann sich nicht aus einer höheren Qualifikation der Angestellten ergeben, da sich diese Qualifikation erst mit der Wahrnehmung von betrieblichen Aufgaben zugunsten der Arbeitgeber niederschlagen kann. Für eine vorzeitige Honorierung der höheren Qualifikation gibt es keinen Grund. Im übrigen spiegelt sich die höhere Qualifikation in der Höhe des Arbeitsentgelts nieder, für unterschiedliche Voraussetzungen bei der Entstehung des Entgeltfortzahlungsanspruches bietet die Qualifikation keinen Ansatzpunkt.

169 BVerfG, NJW 1990, S. 2246,2247. 170 Vgl. auch Schmitt, ZTR 1991, S. 3,8. 171 BVerfG, NJW 1990, S. 2246,2247,2248.

194 hhh) Größere Betriebstreue der Angestellten Die angeblich größere Betriebstreue der Angestellten 172 vermag den unterschiedlichen Zeitpunkt der Entstehung des Entgeltfortzahlungsanspruchs nicht zu rechtfertigen. Soll die frühere Entstehung des Entgeltfortzahlungsanspruches als Honorierung der Betriebstreue gelten, so kann sie nicht stattfinden, wenn der Angestellte vor Arbeitsbeginn erkrankt ist, da er zu diesem Zeitpunkt noch keine Betriebstreue bewiesen hat.173 iii) Flexibilität im produktiven Bereich Grundsätzlich geeignet, unterschiedliche Kündigungsfristen zu rechtfertigen, ist, wie vom Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zu den unterschiedlichen Kündigungsfristen betont, die Flexibilität im produktiven Bereich.174 Ein Arbeitnehmer, der vor Arbeitsbeginn arbeitsunfähig erkrankt, ist noch nicht im produktiven Bereich tätig gewesen, so daß in diesem Fall die Flexibilität nicht rechtfertigend wirken kann. Es fehlt der erforderliche Legitimationszusammenhang. 175 j j j ) Höherer Ausländeranteil unter den Arbeitnehmern Die Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten im Bereich des § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG ist vor allem gescheitert, weil man angeworbenen ausländischen Arbeitnehmern keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung vor Beschäftigungsbeginn zugestehen wollte. 176 Aufgrund der guten Konjunkturlage wurden zur Zeit der Verabschiedung des Lohnfortzahlungsgesetzes und in den darauf folgenden Jahren Arbeitskräfte im Ausland angeworben. Da eine Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit in diesem Bereich unzulässig ist, galt für diese ausländischen Arbeitnehmer deutsches Recht und das Recht über die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Bei den angeworbenen Arbeitnehmern handelte es sich vorwiegend um Arbeiter und nur in seltenen Fällen um Angestellte. Um dem Problem der mißbräuchlichen Geltendmachung eines Entgeltfortzahlungsanspruches 172 BVerfGE 62, S.256, 279 f.; so auch KR-Hillebrecht, § 6 2 2 BGB, Rdnr. 113; Trieschmann, Festschrift für Herschel, S. 421,434. 173 KR-Hillebrecht, § 622 BGB, Rdnr. 113. 174 BVerfG, NJW 1990, S. 2246,2248 ( C 1 4 h). 175 Die Flexibilität eines vor Arbeitsbeginn arbeitsunfähig erkrankten Arbeiters ist zudem wegen § 6 Abs. 1 LFZG gegeben. 176 S. o. zur Entstehungsgeschichte des Lohnfortzahlungsrechts 6. Kapitel B; KehrmannlPelikan, § 1 LFZG, Rdnr. 45.

195 vor Arbeitsbeginn entgegenzutreten, reichte es also aus, eine Beschränkung des Entgeltfortzahlungsanspruches für den Bereich der Arbeiter zu schaffen. Bei einer Übernahme der für Angestellte geltenden Regelungen befürchtete man einen Mißbrauch durch ausländische Arbeiter. Man nahm an, daß ausländische Arbeitnehmer, die im Ausland erkrankt sind, nach ihrer Genesung die Arbeit bei dem deutschen Arbeitgeber nicht antreten werden, aber trotzdem den ihnen zustehenden Entgeltfortzahlungsanspruch für die Dauer von sechs Wochen gegen den Arbeitgeber geltend machen. Der Arbeitgeber hätte dann vor Eintritt seiner tatsächlichen Fürsorgepflicht und ohne jemals von dem Arbeitnehmer einen Gegenwert zu erhalten, die Lohnfortzahlung zu leisten. 177 Probleme sah man darüber hinaus auch bei der Nachprüfung der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit durch den Arbeitgeber, wenn die Arbeitsunfähigkeit im Ausland festgestellt worden ist. 178 Die unterschiedliche Regelung hinsichtlich des Zeitpunkts der Entstehung des Entgeltfortzahlungsanspruches kann nur gerechtfertigt sein, wenn der Anteil ausländischer Arbeiter den Anteil ausländischer Angestellter übersteigt. Ob heutzutage, wo eine Anwerbung in dieser Form nicht mehr stattfindet,179 der Anteil ausländischer Arbeiter höher ist als derjenige der Angestellten, kann aber dahinstehen, wenn dieser Sachgrund ohnehin die Ungleichbehandlung im Hinblick auf den Gesetzeszweck nicht zu rechtfertigen vermag. Fraglich ist zum einen, ob die Schwere des Unterschiedes im Tatsächlichen der Schwere der Benachteiligung, die sich aus § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG ergibt, entspricht, da die vorliegende Benachteiligung eine erhebliche Härte für die betroffenen Arbeitnehmer darstellt. Obwohl die Ungleichbehandlung geeignet ist, den legitimen Gesetzeszweck (Regelung gegen den Mißbrauch des Lohnfortzahlungsgesetzes durch ausländische Arbeiter) zu erreichen, ist zum anderen auch fraglich, ob das Verhältnis zwischen der rechtlichen Andersbehandlung und ihren Rechtsfolgen einerseits sowie dem Erreichen des Gesetzeszwecks andererseits angemessen ist. Der Gesetzeszweck hätte auch durch andere Maßnahmen erreicht werden können, die keine Ungleichbehandlung der Arbeiter gegenüber den Angestellten zur Folge gehabt hätten. 180 177 Becker, DB 1987, S. 1090. 178 Kehrmann/Pelikan, § 1 LFZG, Rdnr. 45. 179 Seit 1973 gilt ein Anwerbestop für ausländische Arbeitnehmer, BM für Arbeit und Soziales, Sozialpolitische Informationen v. 15.7.1976, S. 45. 180 Bedenken gegen die Wahl des Mittels äußert Loddenkemper, Gleichbehandlung, S. 97.

196 Zwar wäre eine Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit nicht möglich gewesen.181 Der Gesetzgeber hätte jedoch beispielsweise strengere Anforderungen an den Nachweis der Arbeitsunfähigkeit stellen können. Obwohl der Gesetzgeber nicht verpflichtet ist, bei der Wahl des Mittels das mildeste zu wählen, da er einen weiten gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum hat und ihm allein die Wahl des Mittels obliegt, ist vorliegend die Angemessenheit zwischen der Benachteiligung und dem Gesetzeszweck zweifelhaft. Zum einen stellt sich die Benachteiligung durch die Regelung des § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG für Arbeiter als schwerwiegend dar. Zum anderen muß, wie das Bundesverfassungsgericht betont, bei den Auswirkungen der Ungleichbehandlung auf grundrechtlich gesicherte Freiheiten abgestellt werden, hier auf Art. 12 Abs. 1 GG. Der Arbeitgeber kann dem Arbeiter, der vor Beschäftigungsbeginn arbeitsunfähig erkrankt ist, kündigen, ohne daß die Rechtsfolgen des § 6 Abs. 1 LFZG eintreten. Mithin ist der Arbeitgeber bei einem vor Beschäftigungsbeginn arbeitsunfähig erkrankten Arbeiter eher geneigt, eine Kündigung auszusprechen als bei einem Angestellten. Dem Angestellten müßte der Arbeitgeber bei derselben Fallkonstellation nämlich gem. §§ 63 Abs. 1 Satz 3, 4 HGB, 133c Satz 1, 2 GewO, 616 Abs. 2 Satz 4, 5 BGB bis zu sechs Wochen Gehaltsfortzahlung leisten. Der Arbeitgeber wird, wenn ein Arbeitnehmer vor Beschäftigungsbeginn erkrankt, davon ausgehen, daß der Arbeitnehmer bei Fortbestand des Arbeitsverhältnisses möglicherweise häufiger erkranken wird als ein Arbeitnehmer, der bei Dienstantritt nicht arbeitsunfähig krank ist, so daß der Fall der Kündigung bei Arbeitsunfähigkeit vor Arbeitsbeginn praktisch relevant ist. Zu beachten ist aber auch, daß die Art der Erkrankung eine wesentliche Rolle bei der Kündigung spielt. Dadurch, daß der Gesetzgeber Regelungen erlassen hat, die einem Arbeitgeber die Kündigung eines Arbeiters erleichtern, ist die Berufsausübung der Arbeiter i. S. von Art. 12 Abs. 1 GG mittelbar tangiert. Auch wenn an die rechtmäßige Einschränkung der Berufsausübung im allgemeinen sehr geringe Anforderungen gestellt werden und ein vernünftiger Grund des Gemeinwohls für die Rechtmäßig-

181 Loddenkemper, Gleichbehandlung, S. 97, schlägt eine Differenzierung danach vor, ob der Aibeitnehmer im In- oder Ausland angeworben wurde. Becker/Brasch, HzA Gruppe 11/408 ff. befürworten eine Umgestaltung des Anwerbeverfahrens in der Weise, daß der Arbeitsvertrag nach der Ankunft des Arbeitnehmers in Deutschland abgeschlossen wird.

197 keit der Einschränkung der Berufsausübung ausreicht,182 kann der hier angeführte Grund eine Grundrechtsbeschränkung nicht rechtfertigen. Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang, daß es andere Möglichkeiten gegeben hätte, den Gesetzes zweck, ohne daß Art. 12 GG berührt würde, zu verwirklichen. Bei dem von § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG betroffenen Personenkreis handelt es sich auch nicht um eine kleinere Gruppe, bei der eine Typisierung und Pauschalierung durch den Gesetzgeber gegebenenfalls erlaubt wäre. Mangels Angemessenheit ist die Ungleichbehandlung nicht gerechtfertigt. kkk) Höherer Krankenstand von Arbeitern § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG könnte verfassungsgemäß sein, wenn der Umstand, daß Arbeiter einen höheren Krankenstand als Angestellte aufweisen und deshalb öfter vor Arbeitsbeginn erkranken, ein geeigneter, sachlich rechtfertigender Grund wäre. In statistischen Übersichten wird der jährliche Krankenstand von Arbeitern mit einem höheren Wert angegeben als deijenige von Angestellten. Es ist jedoch fraglich, ob dies auf einen gruppenspezifischen Unterschied zwischen den beiden Arbeitnehmergruppen hinweist. Die Krankheit eines Arbeitnehmers hängt im wesentlichen von seiner körperlichen Konstitution und nicht davon ab, ob er als Arbeiter oder als Angestellter einzustufen ist. Zudem weist die in Statistiken angegebene Anzahl der Krankentage auch innerhalb der Arbeitnehmergruppen erhebliche Schwankungen auf.183 So erkranken Arbeitnehmer, die im öffentlichen Dienst tätig sind, regelmäßig häufiger als solche, die in privatwirtschaftlichen Unternehmen ihre Arbeit verrichten. Die Größe eines Betriebes hat ebenfalls Einfluß auf den Krankenstand der dort Beschäftigten. Diejenigen, die in kleineren und somit überschaubareren Betrieben arbeiten, erkranken wesentlich seltener als Arbeitnehmer in Großbetrieben. Daneben reflektiert sich die Art des Betriebes im Krankenstand ihrer Arbeitnehmer. Da die Höhe der Krankentage mithin von vielfältigen unterschiedlichen Faktoren abhängig ist, kann in der Höhe der Krankentage ein gruppenspezifischer Unterschied zwischen Arbeitern und Angestellten nicht gesehen werden. Sieht man die Zahl der Krankentage trotzdem als gruppenspezifischen Unterschied an, so erscheint aber eine Rechtfertigung der durch § 1 Abs. 182 St. Rspr., BVerfGE 7, S. 405; s. zuletzt etwa BVerfGE 76, S. 207; 77, S. 332; 78, S. 162. 183 Salowsky, arbeitgeber 1991, S. 522 ff.

198 1 Satz 1 LFZG gesetzlich normierten Benachteiligung von Arbeitern nicht gerechtfertigt. Obwohl ein Legitimationszusammenhang zwischen der Höhe der Krankentage und der Regelung des § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG besteht und die Schwere des Unterschiedes der Schwere der Ungleichbehandlung gegebenenfalls entspricht, ergeben sich Bedenken im Hinblick auf den Gesetzeszweck. In Betracht kommen vorliegend die wirtschaftlichen Interessen des Arbeitgebers. Eine Angleichung der Rechtsstellung der Arbeiter an die der Angestellten würde zu einer erheblichen Erhöhung des Kostenrisikos der Arbeitgeber im Entgeltfortzahlungsbereich führen. Diese erhöhte Kostenlast könnte den Arbeitgebern unter Umständen nicht zumutbar sein. Dafür spricht zum einen, daß die Arbeitgeber grundsätzlich schon durch die Einführung der arbeitsrechtlichen Lösung belastet sind, und zum anderen, daß vor Beschäftigungsbeginn die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer noch nicht - jedenfalls aber nicht in dem Maße - bestehen kann wie während der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers. Nur dann erhält der Arbeitgeber schließlich eine Gegenleistung. - Die Regelung des § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG ist geeignet, das Kostenrisiko des Arbeitgebers geringer zu halten und deshalb den wirtschaftlichen Interessen des Arbeitgebers Rechnung zu tragen, mithin also geeignet, den Gesetzeszweck zu eireichen. Ob die wirtschaftlichen Interessen des Arbeitgebers aber einen beachtlichen Gesetzeszweck im Bereich des Art. 3 Abs. 1 GG abgeben, ist fraglich. Das Bundesverfassungsgericht hat dies nicht eindeutig entschieden. Es hat ausgeführt, daß die finanziellen Interessen des Arbeitgebers bei Erlaß eines Gesetzes zu beachten sind. Daneben hat es aber angemerkt, daß die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Interessen nicht einseitig zu Lasten der Arbeiter oder der Angestellten geschehen darf. Die finanziellen Interessen des Arbeitgebers können die unterschiedliche Behandlung zwischen Arbeitern und Angestellten allein nicht rechtfertigen, da dies einseitig zu Lasten der Arbeiter geschehen würde. Die finanziellen Belange der Arbeitgeber könnten aber Berücksichtigung finden, wenn noch ein anderer Gesichtspunkt für die Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten sprechen würde. Zu denken wäre gegebenenfalls an die Verhinderung von Mißbrauch. Hierbei ist zu beachten, daß sowohl ein Mißbrauch durch Arbeiter als auch ein solcher durch Angestellte vermieden werden sollte. Dafür, daß bei Arbeitern die Abänderung des § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG zu ihren Gunsten zu einem höheren Krankenstand fuhren würde, bestehen keine Anhaltspunkte. Es ist nicht ersichtlich, daß Arbeiter bei einer Rechtsangleichung Mißbrauch durch Krankmeldungen in höherem

199 Maße betreiben würden als Angestellte dies derzeit tun. Eine gesetzliche Änderung in dieser Form verändert nicht den Krankenstand. Das Lohnfortzahlungsgesetz hatte die Verbesserung der sozialen Absicherung der Arbeiter im Krankheitsfall und die weitgehende Angleichung der Rechtsstellung der Arbeiter an die der Angestellten zum Ziel. Arbeiter und Angestellte bestreiten ihren Lebensunterhalt gleichermaßen durch die Einkünfte aus einem Arbeitsverhältnis und sind in gleicher Weise auf diese Einkünfte zur Erhaltung ihrer Lebensgrundlage angewiesen und somit auch in gleicher Weise schutzbedürftig. Selbst wenn Arbeiter durch eine Änderung des § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG im Einzelfall zu einem Mißbrauch im Bereich der Krankmeldung veranlaßt würden, so schränkt das Ziel der sozialen Absicherung das Ziel der möglichen Verhinderung des Mißbrauches vorliegend ein. § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG ist aufgrund des fehlenden oder eingeschränkten Gesetzeszweckes nicht verfassungsgemäß, da kein angemessenes Verhältnis zwischen der rechtlichen Andersbehandlung und ihren Rechtsfolgen sowie dem Gesetzeszweck besteht. g) Verfassungskonforme Auslegung und Analogie Da es keinen sachlichen Grund gibt, der nach Art und Gewicht die dargestellte Ungleichbehandlung rechtfertigen kann, ist § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG verfassungswidrig. Etwas anderes ergibt sich nur dann, wenn der Verfassungsverstoß mit Hilfe einer verfassungskonformen Auslegung oder einer Analogie beseitigt werden kann.184 Bevor ein Gesetz wegen Verstoßes gegen Normen des Grundgesetzes für verfassungswidrig erklärt werden kann, ist eine verfassungskonforme Auslegung durchzuführen, und zwar eine verfassungskonforme Auslegung als Inhaltskontrolle.185 Das Gebot zur verfassungskonformen oder auch grundrechtskonformen Auslegung einfachgesetzlichen Rechts ergibt sich aus dem Geltungsvorrang der Verfassung.186 Soweit sich bei einer Norm das Problem der Verfassungswidrigkeit stellt, ist zunächst anhand der allgemeinen Auslegungsgrundsätze jede mögliche Auslegung der Norm festzustellen. Anschließend sind von den so gefundenen Auslegungen alle diejenigen auszuklammern, bei denen ein Widerspruch mit dem Grundrecht nicht vermieden wird. Nur wenn jede 184 Im Ergebnis so auch Loddenkemper, Gleichbehandlung, S. 98. 185 Wank, Grenzen, S. 104 ff. 186 Wank, Grenzen, S. 97 ff., 104 ff.

200 mögliche Auslegung einer Norm dem Grundgesetz widerspricht, ist sie verfassungswidrig. Im Bereich des Art. 3 Abs. 1 GG ergibt sich eine Besonderheit. Während grundsätzlich nur zu prüfen ist, ob eine Norm so ausgelegt werden kann, daß sie einem Grundrecht nicht widerspricht, müssen bei Art. 3 Abs. 1 GG diejenigen Rechtsnormen, aus denen sich eine unterschiedliche Rechtslage ergibt, jeweils auf die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung überprüft weiden. Für § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG bedeutet dies, daß er nicht verfassungswidrig wäre, wenn entweder § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG ausdehnend oder wenn die §§ 616 Abs. 2 BGB, 63 HGB, 133c GewO einschränkend in der Weise ausgelegt werden könnten, daß sich die Rechtslage der Arbeiter nicht mehr von deijenigen der Angestellten unterscheidet. § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG schränkt ausdrücklich, anders als die §§ 616 Abs. 2 BGB, 63 HGB, 133c GewO, die Entstehung des Entgeltfortzahlungsanspruches auf Fälle ein, in denen der Arbeiter "nach Beginn der Beschäftigung" arbeitsunfähig erkrankt ist. Der Wortlaut des § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG ist unmißverständlich. Eine Auslegung in der Weise, daß der Entgeltfortzahlungsanspruch in allen Fällen einer Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit, die nach Vertragsschluß entstanden sind, entstehen soll, ist mit dem Wortlaut der Norm nicht zu vereinbaren.187 Zwar kann aufgrund teleologischer Auslegung auch gegen den Wortlaut einer Norm entschieden werden, wenn der Zweck des Gesetzes dem Wortlaut widerspricht. So liegt es hier jedoch nicht. Der Gesetzgeber des Lohnfortzahlungsgesetzes hat die Voraussetzung "nach Beginn der Beschäftigung" in § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG eingefügt, obwohl die wesentlich älteren Regelungen der §§ 616 Abs. 2 BGB, 63 HGB, 133c GewO eine solche Ausweitung der Entstehungsvoraussetzungen des Entgeltfortzahlungsanspruches nicht vorsahen und niemals vorgesehen haben. Folglich muß davon ausgegangen werden, daß der Gesetzgeber bewußt eine andere Rechtslage für Arbeiter als für Angestellte schaffen wollte.188 Dem Bericht des zuständigen Bundestagsausschusses läßt sich entnehmen, daß der 5. Deutsche Bundestag sich mit der Frage befaßt hat, ob der erstmalige Weg zum Betrieb als "Beginn der Beschäftigung" einzu187 Vgl. auch Becker, DB 1987, S. 1090. 188 Die Schranke sollte vor mißbräuchlicher Inanspruchnahme schützen gegen einen Arbeiter, der bei Arbeitsfähigkeit nicht in den Betrieb eintritt; so Trieschmann, Festschrift für Herschel, S. 421,445; Kehrmann, Das Arbeitsrecht der Gegenwart 8 (1970), S. 55,63.

201 stufen ist.189 Diese Frage hätte sich nicht gestellt, wenn der Gesetzgeber durch § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG die Rechtslage der Arbeiter nicht abweichend von der der Angestellten ausgestalten wollte.190 Das Lohnfortzahlungsgesetz sollte die Lage der Arbeiter gegenüber dem Arbeiterkrankheitsgesetz verbessern und an die der Angestellten angleichen, andererseits aber nicht dazu führen, daß Arbeiter bei vor Beschäftigungsbeginn eingetretener Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit einen Entgeltfortzahlungsanspruch erlangen.191 Eine Auslegung des § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG in dem Sinne, daß zwischen der Rechtslage der Arbeiter und der der Angestellten kein Unterschied mehr besteht, würde die Grenzen verfassungskonformer Auslegung überschreiten,192 weil Wortlaut, Systematik, Entstehungsgeschichte und Gesetzeszweck dagegen sprechen. Zu diesem Ergebnis steht nicht in Widerspruch, daß das Bundesarbeitsgericht § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG entgegen dem Wortlaut auf Fälle ausdehnt, bei denen der Arbeiter sich auf den erstmaligen regelmäßigen Weg zur Arbeit gemacht hat. Diese Auslegung ist, wenn auch nicht mit dem Wortlaut, so doch jedenfalls mit dem gesetzgeberischen Willen vereinbar193. Einer Einschränkung der Regelungen im Angestelltenrecht dahingehend, daß auch für Angestellte an den Beginn der Beschäftigung anzuknüpfen wäre, stehen der abweichende Gesetzeswortlaut sowie der gesetzgeberische Wille entgegen.194 Auch eine Analogie zu den Vorschriften für Angestellte kommt im Rahmen des § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG nicht in Betracht. Bei Erlaß des Lohnfortzahlungsgesetzes war dem Gesetzgeber die abweichende Rechtslage für die Angestellten bekannt, so daß § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG keine Regelungslücke enthält. Ebensowenig kann - mangels Regelungslücke - eine Analogie bei den Angestelltenregelungen durchgeführt werden.

189 Bundestagsausschuß für Arbeit und Sozialordnung in seiner Stellungnahme zu den Gesetzentwürfen zur Lohnfortzahlung, vgl. hierzu auch die BT-Drucks. V/4285, S.3. 190 Becker, DB 1987, S. 1090. 191 BT-Drucks. IV/817, S. 28; Becker, DB 1987, S. 1090. 192 Ebenso Becker, DB 1987, S. 1090. 193 Vgl. BT-Drucks. V/4258, S. 3. 194 LAG Stuttgart, AP Nr. 1 zu § 63 HGB; Becker, DB 1987, S. 1090; Loddenkemper, Gleichbehandlung, S. 99.

202 h) Zwischenergebnis § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG ist verfassungswidrig. Durch die Unanwendbarkeit des verfassungswidrigen § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG ist eine gesetzliche Unvollständigkeit des Lohnfortzahlungsgesetzes entstanden. Diese muß durch eine gesetzliche Neuregelung für den Fall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit nach Vertragsschluß und vor dem Beginn der Beschäftigung beseitigt werden. Bei dieser gesetzlichen Neuregelung ist, weil kein sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten besteht, eine einheitliche Regelung für beide Arbeitnehmergruppen zu entwickeln. i) Bisherige Vorschläge für eine Neuregelung Vorschläge für eine Neuregelung liegen von Seiten der Arbeitsgesetzbuchkommission, des Bundesvorstands des Deutschen Gewerkschaftsbundes und von Seiten Trieschmanns vor. aa)

Der Vorschlag der

Arbeitsgesetzbuchkommission

aaa) Darstellung Die einschlägigen Bestimmungen der Arbeitsgesetzbuchkommission lauten: § 55 Abs. 1 KE Der Arbeitgeber ist verpflichtet, dem Arbeitnehmer das Arbeitsentgelt bis zur Dauer von sechs Wochen auch dann zu entrichten, wenn der Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert ist. Dasselbe gilt für die Fälle, in denen die Arbeitsunfähigkeit infolge einer nicht rechtswidrigen Sterilisation oder eines nicht rechtswidrigen Abbruchs der Schwangerschaft durch einen Arzt eintritt. Beginnt die Arbeitsunfähigkeit während der Arbeitsleistung, so ist der Arbeitgeber auch für diesen Tag zur Entrichtung des Arbeitsentgelts verpflichtet, ohne daß dies auf die Anspruchsdauer nach Satz 1 anzurechnen ist. § 55 Abs. 6 KE Die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Entrichtung des Arbeitsentgelts nach Absatz 1 kann für den Fall, daß der Arbeitnehmer wegen Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an der erstmaligen Arbeitsaufnahme verhindert ist, vertraglich an die Bedingung geknüpft werden, daß die Arbeit nach der Beendigung der Arbeitsunfähigkeit aufgenommen wird. Dies gilt nicht für den Fall des Wegeunfalls.

203 bbb) Stellungnahme § 55 Abs. 1 KE, der den Grundsatz der Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers normiert, verzichtet, anders als § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG, auf den Zusatz "Beginn der Beschäftigung". Damit wird deutlich, daß die Arbeitsgesetzbuchkommission die Entstehung des Lohnfortzahlungsanspruchs nicht mehr von der tatsächlichen Aufnahme der Beschäftigung abhängig machen will, sondern vielmehr den Zeitpunkt der Entstehung des Lohnfortzahlungsanspruchs auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorverlagern möchte. Die Arbeitsgesetzbuchkommission übernimmt in ihrem Entwurf somit im wesentlichen die für Angestellte geltende Regelung. § 55 Abs. 6 KE modifiziert die in § 55 Abs. 1 KE getroffene Grundsatzentscheidung für die Angestelltenregelung jedoch insoweit, als er eine vertragliche Vereinbarung mit dem Inhalt zuläßt, daß die Entstehung der Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers an die Bedingung der Arbeitsaufnahme durch den Arbeitnehmer nach Beendigung der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers gekoppelt ist. Lediglich für den Fall des Wegeunfalls soll eine vertragliche Vereinbarung in dieser Form (§ 55 Abs. 6 Satz 2 KE) nicht zulässig sein, weil schon nach der geltenden Rechtslage für Arbeiter der Wegeunfall als Beginn der Beschäftigung anzusehen ist und deshalb einen Lohnfortzahlungsanspruch auslöst. Die Arbeitsgesetzbuchkommission hat richtig gesehen, daß der Arbeitgeber ein schutzwürdiges Interesse daran hat, die Lohnfortzahlung nur zu leisten, wenn danach das Arbeitsverhältnis fortgesetzt wird. Daß sie dennoch den Zusammenhang zur Lohnfortzahlung und zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nur über eine Einzelfallvereinbarung herstellen will, ist schwer verständlich. Das geltende Angestelltenrecht stellt für die Entstehung des Lohnfortzahlungsanspruchs allein auf die vertragliche Entstehung des Arbeitsverhältnisses ab. Dadurch, daß § 55 Abs. 6 KE nunmehr eine vertragliche Vereinbarung zuläßt, die die Anspruchsentstehung an eine Bedingung knüpft, verändert sich die Rechtsstellung der Angestellten nachteilig. Daß dies schon deshalb hinzunehmen ist, weil durch diese Vereinbarung nur ein "rechtsmißbräuchliches" Verhalten ausgeschlossen werden soll, wird bei den betroffenen Angestellten auf wenig Verständnis stoßen. Gegen den Vorschlag der Arbeitsgesetzbuchkommission läßt sich zum einen einwenden, daß es in der Praxis häufig nicht zu einer vertraglichen Vereinbarung i.S. von § 55 Abs. 6 Satz 1 KE kommen wird, obwohl diese grundsätzlich immer sachlich angebracht wäre. Zum anderen muß dem Vorschlag der Arbeitsgesetzbuchkommission, wie schon von Trieschmann betont, entgegengehalten werden, daß es in der Praxis häufig unklar sein wird, ob

204 eine vertragliche Vereinbarung i.S. von § 55 Abs. 6 Satz 1 KE geschlossen worden ist. bb)

Der Vorschlag Trieschmanns

aaa) Darstellung Ausgehend von dem Gedanken, daß die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers den Arbeitnehmer sowie den Arbeitgeber unabhängig davon, ob die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers vor oder nach dem Beschäftigungsbeginn eingetreten ist, wirtschaftlich in gleichem Maße trifft, wenn der Arbeitnehmer die Arbeit bei dem Arbeitgeber nach seiner Genesung aufnimmt, und unter Berücksichtigung dessen, daß durch die Einführung "Beginn der Beschäftigung" in § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG nur dem Problem des Mißbrauchs, Lohnfortzahlung zu verlangen, ohne eine Gegenleistung zu erbringen, begegnet werden sollte, schlägt Trieschmann195 eine differenzierende Lösung vor. Sie beruht auf dem geltenden Lohnfortzahlungsrecht für Angestellte und gesteht dem Arbeitgeber hinsichtlich des Lohnfortzahlungsanspruchs ein Leistungsverweigerungsrecht zu, bis der Arbeitnehmer mit der Arbeitsaufnahme bei ihm begonnen hat. Lediglich für den Fall des Wegeunfalls läßt Trieschmann, ebenso wie auch die Arbeitsgesetzbuchkommission in § 55 Abs. 6 Satz 2 KE, eine Ausnahme gelten, indem er im Falle des Wegeunfalls dem Arbeitnehmer einen Lohnfortzahlungsanspruch zugesteht, gegen den der Arbeitgeber kein Leistungsverweigerungsrecht geltend machen kann. Der Arbeitnehmer habe schließlich seine Bereitschaft zur Aufnahme der Beschäftigung mit dem Verlassen des Hauses bekundet, so daß davon auszugehen sei, daß der Arbeitnehmer nach Beendigung seiner Arbeitsunfähigkeit die Arbeit bei dem Arbeitgeber aufnehmen werde. Die Zeitspanne zwischen dem Zeitpunkt, zu dem die Lohnfortzahlung ohne Ausübung des Leistungsverweigerungsrechts vonstatten gegangen wäre, und der tatsächlichen Aufnahme der Arbeit und damit dem Erlöschen des Leistungsverweigerungsrechts will Trieschmann wie folgt überbrücken: Die Krankenkasse leistet an den Arbeitnehmer zunächst Krankengeld, das sie von dem Arbeitgeber nach Aufnahme der Beschäftigung für maximal sechs Wochen ersetzt verlangen kann. Im übrigen wendet Trieschmann auch ein, daß die finanziellen Konsequenzen des Leistungsverweigerungsrechts sich in Grenzen halten, da der Lohnfortzahlungsanspruch erst zu dem Zeitpunkt fällig wird, an dem das Arbeitsentgelt fällig wird.

195 Trieschmann, Festschrift für Herschel, S. 421,446.

205 bbb) Stellungnahme Trieschmann geht ebenso wie die Arbeitsgesetzbuchkommission im Grundsatz von der geltenden Rechtsstellung der Angestellten aus. Er verlangt aber, anders als diese, keine vertragliche Abrede zwischen dem einzelnen Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber mit dem Inhalt, daß die Entstehung des Anspruchs an die Vorausetzung der Arbeitsaufnahme geknüpft ist. Dennoch knüpft er die Verbindung von Entgeltfortzahlung und Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses wiederum an eine Handlung des Arbeitgebers, nämlich die Erhebung einer Einrede. Konsequent wäre es demgegenüber, den Zusammenhang schon kraft Gesetzes zu berücksichtigen. cc)

Der Vorschlag des DGB

aaa) Darstellung Die betreffenden Bestimmungen des DGB-Vorschlags196 sind in folgenden Paragraphen enthalten: § 60 Abs. 1 Der Arbeitgeber ist verpflichtet, dem Arbeitnehmer das Arbeitsentgelt bis zur Dauer von sechs Wochen zu entrichten, wenn der Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert ist. Beginnt die Arbeitsunfähigkeit während der Arbeitsleistung, so ist der Arbeitgeber auch für diesen Tag zur Entrichtung des Arbeitsentgelts veipflichtet, ohne daß dies auf die Anspruchsdauer nach Satz 1 anzurechnen ist. Ebenso dürfen für den Arbeitnehmer nichtarbeitsfreie Tage, an denen er im Falle seiner Arbeitsfähigkeit aus anderen Gründen berechtigterweise nicht gearbeitet hätte, auf die Anspruchsdauer nach Satz 1 nicht angerechnet werden. § 60 Abs. 7 Die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Entrichtung des Arbeitsentgelts nach Abs. 1 und 2 besteht auch dann, wenn der Arbeitnehmer wegen Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an der erstmaligen Arbeitsaufnahme verhindert ist. bbb) Stellungnahme Anders als Trieschmann und die Arbeitsgesetzbuchkommission übernimmt der DGB-Entwurf die geltende Rechtslage für Angestellte ohne 196 RdA 1977, S. 166 ff.

206 Einschränkungen. § 60 Abs. 1 enthält demgemäß keine Beschränkung der Entstehung des Anspruchs auf den "Beginn der Beschäftigung" wie in § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG. In § 60 Abs. 7 des Entwurfs ist im Gegenteil ausdrücklich ohne Einschränkung geregelt, daß der Lohnfortzahlungsanspruch des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber auch dann entsteht, wenn der Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an der erstmaligen Arbeitsaufnahme verhindert ist. Damit berücksichtigt der DGB-Entwurf nicht, daß die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers vor der erstmaligen Arbeitsaufnahme den Arbeitnehmer und den Arbeitgeber nur dann genauso trifft wie die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers nach Beschäftigungsaufnahme, wenn der Arbeitnehmer nach seiner Genesung das Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitgeber fortsetzt. Wie schon ausgeführt, wäre der Arbeitgeber ansonsten zur Lohnfortzahlung verpflichtet, ohne vom Arbeitnehmer einen Gegenwert zu erhalten. Um Mißbräuche auszuschließen, erscheint mithin, wie schon von der Arbeitsgesetzbuchkommission und von Trieschmann vorgeschlagen, eine völlige Übernahme der Regelung für Angestellte nicht geeignet, das Problem der Ungleichbehandlung der Arbeiter nach der geltenden Rechtslage zu beseitigen und zu einer einheitlichen und sinnvollen Neuregelung beizutragen. j) Überlegungen zu einer gesetzlichen Neuregelung Eine einheitliche gesetzliche Regelung für den Fall der Entgeltfortzahlung, nach Vertragsschluß, aber vor Beschäftigungsbeginn könnte im Grundsatz so aussehen, daß mit Vertragsschluß ein Entgeltfortzahlungsanspruch entsteht oder aber erst mit dem Beginn der Beschäftigung.197 Daneben könnte eine sinnvolle Neuregelung auch in einer vermittelnden Lösung liegen, die nur partiell auf die bekannten gesetzlichen Regelungen zurückgreift. Die Regelung für Angestellte ist, wie schon in der Stellungnahme zum Vorschlag des DGB erwähnt, jedoch nicht ohne Modifizierungen zu übernehmen. Welche Lösung für eine einheitliche Neuregelung gewählt wird, ist durch eine Abwägung der Vor- und Nachteile der einzelnen Lösungen für die Betroffenen zu entscheiden.198 Würde man für alle Arbeitnehmer eine den Angestelltenregelungen vergleichbare Regelung einführen, so hätte dies eine zeitlich frühere Ent197 § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG könnte als Basis für weitere gesetzliche Vorhaben verstanden werden; vgl. BAG, AP Nr. 14 zu § 1 LohnFG. 198 Sowohl Arbeitgeber- als auch Arbeitnehmerinteressen müssen berücksichtigt werden; s. Trieschmann, Festschrift für Herschel, S. 421,446.

207 stehung des Entgeltfortzahlungsanspruches für Arbeiter und somit steigende Entgeltfortzahlungskosten für die Arbeitgeber zur Folge. Würde man die Entstehung des Entgeltfortzahlungsanspruchs für Angestellte an die Bedingung des Beschäftigungsbeginns knüpfen, so würde dies den Widerstand der Arbeitnehmervereinigungen nach sich ziehen. Die Angestelltenvereinigungen möchten die einmal erworbene Rechtsstellung nicht nachteilig abgewandelt wissen. Die Arbeitervereinigungen kämpfen seit geraumer Zeit um eine Anhebung der Rechtsstellung der Arbeiter auf das Niveau der Angestellten.199 Aufgrund der Interessengegensätze der Betroffenen ist jede Lösung mit Nachteilen entweder für die Gruppe der Arbeitnehmer oder die der Arbeitgeber verbunden. Eine alle befriedigende Lösung ist nicht möglich. Ziel einer Neuregelung kann mithin nur eine weitgehend gerechte Lösung sein, die die Nachteile für alle Betroffenen gering hält. Für eine Neuregelung auf der Grundlage der geltenden Regelung für Arbeiter lassen sich verschiedene Argumente anführen: Aus dem Umstand, daß der 1970 in Kraft getretene § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG gegenüber den §§ 616 Abs. 2 BGB, 63 HGB, 133c GewO jüngeren Datums ist, wird abgeleitet, daß er den Maßstab einer gesetzlichen Neuregelung bilden muß. Der Gesetzgeber habe sich im Rahmen seines Erlasses wiederholt mit der Frage des Zeitpunktes der Entstehung des Entgeltfortzahlungsanspruches auseinandergesetzt und bewußt eine von den älteren Vorschriften abweichende Regelung getroffen. Dem Argument kann nicht zugestimmt werden. Die Tatsache, daß der Gesetzgeber eine vergleichbare Rechtslage abweichend von einer bereits geregelten entschieden hat, sagt nichts über die Gründe des Gesetzgebers aus, die ihn zu der Abweichung veranlaßt haben. Zudem läßt der Zeitpunkt des Erlasses einer Norm keine Rückschlüsse darauf zu, daß die spätere Norm, wenn sie denselben oder einen ähnlichen Regelungsgegenstand wie die ältere Norm umfaßt, diesem eher gerecht geworden ist. Ob eine Vorschrift besser ist als eine vergleichbare Vorschrift, bestimmt sich nach dem Inhalt der Norm, der von den Beweggründen des Gesetzgebers, die zum Erlaß geführt haben, abhängt. Die Beweggründe des Gesetzgebers lassen sich nicht unmittelbar dem Zeitpunkt des Erlasses einer Norm entnehmen, auch wenn sie regelmäßig zeitabhängig sind. So können bei Erlaß des Lohnfortzahlungsgesetzes durchaus Gründe, die

199 Vgl. insoweit § 60 Abs. 7 des DGB-Entwurfs zum Arbeitsverhältnisrecht, RdA 1977, S. 166 ff. sowie Art. 60 der Arbeitsgesetzbuchkommission.

208 später weggefallen sind, den Gesetzgeber zur Einfügung des Merkmals "Beginn der Beschäftigung" veranlaßt haben. Aus den Ausschußprotokollen ergibt sich, daß § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG vor einer mißbräuchlichen Geltendmachung des Lohnfortzahlungsanspruches durch ausländische Arbeiter, die damals noch verstärkt angeworben wurden, schützen sollte. Die Gefahr der mißbräuchlichen Inanspruchnahme des Entgeltfortzahlungsanspruches durch ausländische Arbeitnehmer, die früher für die Arbeiterregelung ins Feld geführt worden ist, kann heutzutage nicht mehr als Argument aufgegriffen werden: Die Zeiten, in denen ausländische Arbeitnehmer in großen Zahlen im Ausland angeworben wurden, sind vorbei. Zugunsten der Regelung für Arbeiter wird weiterhin angeführt, daß sich bei ihr das Mißbrauchsproblem seltener als bei der Regelung für Angestellte stellen kann. Durch diese Regelung wird der Arbeitgeber nämlich davor geschützt, Entgelt an den Arbeitnehmer zahlen zu müssen, obwohl dieser gegebenenfalls nach beendeter Arbeitsunfähigkeit nicht in den Betrieb eintritt und für den Arbeitgeber niemals einen wirtschaftlichen Wert erbringt.200 Diesem Argument ist entgegenzuhalten, daß der Entgeltfortzahlungsanspruch auch bei der Angestelltenregelung auf Fälle beschränkt werden könnte, in denen der Arbeitnehmer nach beendeter Arbeitsunfähigkeit tatsächlich in den Betrieb eintritt. Des weiteren wird zugunsten der Arbeiterregelung angeführt, daß bei der Unfall- und bei der Krankenversicherung die Versicherungspflicht mit dem Antritt der Beschäftigung und nicht mit dem Abschluß des Arbeitsvertrages entsteht. Die arbeitsrechtliche Entgeltfortzahlungsregelung würde zeitlich parallel mit der sozialversicherungsrechtlichen Regelung verlaufen, wenn eine Neuregelung der Arbeiterregelung entspräche. Eine Angleichung des Arbeitsrechts an das Sozialversicherungsrecht oder auch umgekehrt sei aus Gründen der Rechtsvereinheitlichung und -klarheit wünschenswert. - Dennoch sind hier verschiedene Ansatzpunkte zu beachten. So kann es durchaus Gründe geben, die einer Angleichung aufgrund der besonderen Eigenarten des Lohnfortzahlungsanspruches im Vergleich zu den anderen Ansprüchen entgegenstehen. Für die für Angestellte geltende Regelung lassen sich mehr Argumente zusammentragen als für die Regelung für Arbeiter. Ob diese, anders als 200 Vgl. Trieschmann, Festschrift für Herschel, S.421, 445, 446; Kehrmann, Das Arbeitsrecht der Gegenwart 8 (1970), S. 55,63.

209 die Argumente, die für die Regelung für Arbeiter sprechen, überzeugen können, bleibt zu prüfen: Der Begriff des "Beginns der Beschäftigung" i.S. von § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG wird durch die Rechtsprechung extensiv ausgelegt.201 Schon der erstmalige regelmäßige Weg zur Arbeitsstätte soll als Beginn der Beschäftigung anzusehen sein.202 Hieraus könnte man folgern, daß die Regelung des § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG verfehlt sei. Die Rechtsprechung hätte nämlich eine Annäherung der Rechtsstellung der Arbeiter an die der Angestellten durch eine restriktive Auslegung der Angestelltenregelungen erzielen können. Der "Beginn der Beschäftigung" hätte im Rahmen der Angestelltenregelungen als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal verstanden werden können. Durch die weite Auslegung des Merkmals Beginn der Beschäftigung in § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG hat die Rechtsprechung aber, wie sich aus den Aus Schußprotokollen ergibt, lediglich den gesetzgeberischen Willen umgesetzt. In den Ausschußsitzungen wurde die Frage des Wegeunfalls diskutiert, er wurde unter § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG subsumiert. Eine Auslegung, die die Angestelltenregelungen weiter ausdehnt, ist nicht möglich. Ebensowenig kann der Beginn der Beschäftigung in die Angestelltenregelungen über die Rechtsfigur des ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals gelangen. Ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal kann nur dann angenommen werden, wenn der gesetzgeberische Wille es erfordert. Dies ist bei den Angestelltenregelungen nicht ersichtlich. Für die Angestelltenregelung wird weiterhin angeführt, daß eine Abkehr von der Angestelltenregelung nicht möglich sei, weil damit den Angestellten eine einmal erworbene günstige Position entzogen würde. Zu beachten ist jedoch, daß insoweit kein Bestandsschutz bestehen kann. Er ist vielmehr nur bei selbständig erworbenen, auf eigenen Leistungen begründeten Positionen möglich. Zudem sollte über die Regelung des § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG die mißbräuchliche Geltendmachung des Entgeltfortzahlungsanspruches vermieden werden. Die gesetzliche Ausschaltung von Rechtsmißbrauch stellt regelmäßig keine Rechtsbenachteiligung dar. Befürwortet wird die Angestelltenregelung des weiteren, weil Verpflichtungen aus einem Vertragsverhältnis immer bereits dann begründet werden, wenn ein wirksamer Vertrag zustande gekommen ist.203 Dies müsse deshalb auch für die Entgeltfortzahlungspflicht des Arbeitgebers 201 BAG, AP Nr. 14 zu § 1 LohnFG. 202 BAG, AP Nr. 14 zu § 1 LohnFG. 203 Göge, BB 1986, S. 1772,1773.

210 gelten, die Hauptpflicht des Arbeitsvertrages sei. 204 - Zu berücksichtigen ist aber, daß der Vertragsschluß nichts über den Zeitpunkt der Entstehung der Verpflichtungen aussagt. Selbst wenn Pflichten entstanden sind, muß noch lange keine Lohnfortzahlungspflicht entstanden sein. Die Arbeitspflicht des Arbeitnehmers beginnt auch nicht notwendig mit dem Tag des Vertragsschlusses. Die Treuepflicht des Arbeitnehmers entsteht erst, wenn dieser mit der Beschäftigung begonnen hat. Die Fürsorgepflicht, aus der die Entgeltfortzahlungspflicht des Arbeitgebers nach h.M. abzuleiten ist, kann mithin auch erst später entstehen. Die Angestelltenregelung wird darüber hinaus teilweise als gerechter empfunden, weil eine Arbeitsunfähigkeit, die nach Vertragsschluß entstanden ist, den Arbeitnehmer in ihren wirtschaftlichen Folgen immer in gleicher Art und Weise trifft. 205 Die tatsächliche Arbeitsaufnahme wirkt sich auf die finanzielle Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmer nicht aus. Neben den wirtschaftlichen Interessen der Arbeitnehmer sind aber bei einer Neuregelung auch die der Arbeitgeber zu beachten. 206 Zwar mag es aus der Arbeitgebersicht wirtschaftlich ohne Belang sein, ob die Arbeitsunfähigkeit vor oder unmittelbar nach Arbeitsantritt auftritt, solange der Arbeitnehmer nach beendeter Arbeitsunfähigkeit seiner Arbeitspflicht nachkommt. 207 Dennoch sind die finanziellen Belastungen eines Arbeitgebers im Falle der Übernahme der Angestelltenregelung für alle Arbeitnehmer höher als bei der Übernahme der Arbeiterregelung. Ein weiteres Argument für die Angestelltenregelung folgt aus den §§ 6 Abs. 1 LFZG, 63 Abs. 1 Satz 3, 4 HGB, 133c Satz 1, 2 GewO, 616 Abs. 2 Satz 4, 5 BGB. Bei der Arbeiterregelung wird der Arbeitgeber durch diese Normen zur Kündigung des Arbeitnehmers verleitet. Der Arbeitgeber kann dem Arbeitnehmer nämlich bis zu dem Zeitpunkt, bis zu dem ein Entgeltfortzahlungsanspruch entstanden ist, aufgrund krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit kündigen, ohne sechs Wochen lang zur Zahlung des Arbeitsentgelts verpflichtet zu sein. 208 Erst wenn ein Entgeltfortzahlungsanspruch entstanden ist, ist der Arbeitgeber gemäß den oben genannten Normen zur Entgeltfortzahlung für die Dauer von sechs Wochen verpflichtet. Bei der Arbeiterregelung würde der Entgeltfortzahlungsanspruch nach der Arbeitsaufnahme, bei der Angestelltenregelung mit Vertragsschluß entstehen. 204 205 206 207 208

Göge, BB 1986, S. 1772,1773. Trieschmann, Festschrift für Herschel, S. 421,445. Trieschmann, Festschrift für Herschel, S. 421,445,446. Trieschmann, Festschrift für Herschel, S. 421,445,446. Vgl. Bauer/Röder, Krankheit, S. 43,44.

211 Die angeführten Argumente vermögen mit Ausnahme des letzten Arguments weitgehend nicht zu überzeugen. Weder die Übernahme der einen noch der anderen Lösung erscheint aufgrund der oben angeführten Argumente zwingend. Zusammenfassend läßt sich feststellen: Für die Arbeiterregelung spricht, daß der Arbeitgeber bei der Angestelltenregelung das Risiko der Erkrankung des Arbeitnehmers schon vor dem eigentlichen Eintritt seiner Fiirsorgepflicht trägt; daß bei der Arbeiterregelung ein Mißbrauch des Anspruches weitgehend ausgeschlossen ist. Das erwähnte Problem im Zusammenhang mit den ausländischen Arbeitnehmern stellt sich nicht mehr. Der Arbeitgeber ist bei der Angestelltenregelung dem Risiko der Lohnfortzahlung ausgesetzt, obwohl der Arbeitnehmer die Beschäftigung bei dem Arbeitgeber nach seiner Gesundung möglicherweise nicht antritt und somit für den Arbeitgeber niemals einen wirtschaftlichen Wert erwirtschaftet; daß der Arbeitgeber bei der Angestelltenregelung höheren finanziellen Belastungen ausgesetzt wird.

Demgegenüber spricht gegen die Arbeiterregelung:

Der Arbeitnehmer ist auf die soziale Absicherung angewiesen. Dies gilt umso mehr, als ihm ein Anspruch auf Krankengeld regelmäßig erst mit der Aufnahme der Beschäftigung zukommt. Der Arbeitgeber wird aufgrund der §§ 6 Abs. 1 LFZG, 63 Abs. 1 Satz 3, 4 HGB, 133c Satz 1, 2 GewO, 616 Abs. 2 Satz 4, 5 BGB zur Kündigung des Arbeitnehmers verleitet, wenn es zur Übernahme der Arbeiterregelung kommt.

k)

Eigener Vorschlag

aa) Der Zusammenhang zwischen Lohnfortzahlung setzung des Beschäftigungsverhältnisses

und Fort-

Wer mit seinen Überlegungen dort ansetzt, wo nach der gesetzlichen Konstruktion die Unterscheidung liegt, kämpft an der falschen Front. Geht man einmal davon aus, daß das Arbeitsverhältnis nach Ablauf der Lohnfortzahlung von den Parteien fortgesetzt wird, so gibt es keinen Grund dafür, warum die Lohnfortzahlung nicht mit dem Tag beginnen soll, an dem laut Vereinbarung die Arbeit aufzunehmen war. Ob der Arbeitnehmer schon zu diesem Zeitpunkt krank ist, ob er die Arbeit aufnimmt und drei Tage später krank wird oder drei Monate später, kann keinen Unterschied machen. Für den Arbeitgeber ist es gleichgültig, für welchen Zeitpunkt er seiner Lohnfortzahlungspflicht nachkommen muß, ob gleich zu Beginn der vorgesehenen Beschäftigung, drei Tage später oder drei Monate später. Nach geltendem Recht ist es allerdings gegenüber Arbeitern möglich, daß eigentlich alle Voraussetzungen für einen Lohnfortzahlungsanspruch

212 bestehen (Arbeitsverhältnis, bestehende Arbeitspflicht, Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit) und der Arbeitgeber trotzdem keine Lohnfortzahlung leisten muß. Diese Ungleichbehandlung zwischen Arbeitern, die kurz nach Aufnahme der Beschäftigung krank werden, gegenüber Arbeitern, die schon bei Beginn der Beschäftigung krank sind, ist sachlich nicht gerechtfertigt und daher verfassungswidrig. Aus der Sicht der Arbeitnehmer spricht nichts dafür, daß der Lohnfortzahlungsanspruch nicht schon mit dem vereinbarten Datum der Arbeitsaufnahme beginnen soll. Die Arbeitnehmer sind regelmäßig auf das Arbeitsentgelt zur Erhaltung ihrer Lebensgrundlage angewiesen. Zwar sind bis zum vorgesehenen Antritt der neuen Beschäftigung die meisten Arbeitnehmer über ein früheres Arbeitsverhältnis für den Krankheitsfall gesichert, und der Arbeitnehmer erhält gegebenenfalls Krankengeldleistungen aufgrund der nachgehenden Leistungsansprüche. Dies gilt jedoch nicht für alle Arbeitnehmer. Eine sachgerechte Lösung kann daher nur so aussehen, daß im Falle der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses der Anspruch des Arbeitnehmers auf Entgeltfortzahlung gegen den Arbeitgeber mit dem vertraglich vorgesehenen Beginn der Beschäftigung, nicht mit dem eventuell späteren tatsächlichen Arbeitsantritt, entsteht. bb)

Der Zusammenhang zwischen Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht Wie oben dargelegt,209 ist für die Lohnfortzahlung sowohl eine arbeitsrechtliche als auch eine sozialversicherungsrechtliche Lösung möglich. Im Grunde tritt der Arbeitgeber nach geltendem Recht nur an die Stelle der eigentlich zuständigen Sozialversicherung. Als Minimum einer folgerichtigen Lösung könnte man erwarten, daß einerseits dem Arbeitgeber nichts zugemutet wird, was nicht auch der Kasse zugemutet wird, und daß es für die Arbeitnehmer gleichgültig ist, ob ihr Anspruchsgegner der Arbeitgeber oder die soziale Krankenversicherung ist. Dieses Minimum an Folgerichtigkeit läßt das geltende Recht vermissen. Jedenfalls bei Angestellten entsteht zwar der Anspruch gegen den Arbeitgeber, auch wenn der Arbeitnehmer beim vorgesehenen Beginn der Beschäftigung krank ist und später die Arbeit nicht aufnimmt. Gegen die Kasse dagegen entsteht mangels Versicherungsverhältnis kein Anspruch, wenn kein Fall der nachgehenden Leistungspflicht vorliegt. Im Hinblick auf Arbeiter kann nach geltendem Recht der Fall eintreten, daß der Ar209 S. oben 6. Kapitel D.

213 beiter zehn Minuten im Betrieb ist und sich dadurch den Anspruch gegen den Arbeitgeber erwirbt, während ein Anspruch gegen die Kasse nach den Grundsätzen des mißglückten Arbeitsversuchs entfällt. Die Gründe, die für eine Privilegierung der Kasse gegenüber dem Arbeitgeber vorgebracht werden, vermögen nicht zu überzeugen. Angeblich knüpft das Arbeitsrecht an den Vertrag, das Sozialversicherungsrecht dagegen an die tatsächliche Beschäftigung an. Dieser Differenzierung lag früher einmal der Gedanke zugrunde, als das Arbeitsrecht das fehlerhafte Arbeitsverhältnis noch nicht entdeckt hatte, dem Arbeitnehmer trotzdem Sozialversicherungsschutz zukommen zu lassen.210 Von diesem Sonderfall abgesehen, knüpft natürlich auch das sozialversicherungsrechtliche Beschäftigungsverhältnis an das Arbeitsverhältnis als vertraglich begründetes Rechtsverhältnis an, wie das auch in § 7 Abs. 1 SGB IV zutreffend zum Ausdruck kommt. Sucht man nach einem Sachgrund für die unterschiedliche Lösung im Arbeits- und im Sozialversicherungsrecht, so wird vorgebracht, daß die Gesamtheit der Beitragszahler nicht mit Leistungen für Arbeitnehmer belastet werden soll, die gegebenenfalls später keine Beiträge zur Krankenversicherung zahlen; m.a.W. es fehle an der Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung. Dieses Argument muß aber zugunsten des Arbeitgebers auch gelten. Es ist nicht einzusehen, warum er für einen Arbeitnehmer Lohnfortzahlung leisten soll, der ihm nie eine Leistung erbracht hat. Folgerichtig muß die Leistungspflicht des Arbeitgebers ebenfalls erst ab dem Zeitpunkt eintreten, ab dem die Leistungspflicht der Sozialversicherung eintritt, d.h. grundsätzlich mit dem Beginn des Versicherungsverhältnisses. Hinsichtlich der Rechtsfigur des mißglückten Arbeitsversuchs im Recht der sozialen Krankenversicherung ist zu beachten, daß sie entweder beseitigt werden sollte oder aber auch auf das Arbeitsrecht, d.h. auf die Verpflichtung des Arbeitgebers ausgedehnt werden sollte. Dem Arbeitgeber müßten die gleichen Rechtsgedanken hinsichtlich der Versagung eines Anspruchs zugebilligt werden wie der Sozialversicherung. Ein weiterer Unterschied zwischen Krankengeld und Arbeitgeberlohnfortzahlung liegt in der unterschiedlichen Höhe dessen, was der Arbeitnehmer ausgezahlt erhält. Geht man von der Austauschbarkeit der arbeitsrechtlichen und der sozialversicherungsrechtlichen Lösung aus, müßte die Auszahlung an den Arbeitnehmer in beiden Fällen gleich sein.

210 Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, S. 341,343 f.

214 cc) Der Mißbrauchsgedanke Ganz anders als bisher erläutert stellt sich die Situation dar, wenn nach dem Zeitraum der Lohnfortzahlung das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht fortgesetzt wird. In diesem Fall hat der Arbeitgeber seinerseits eine erhebliche Leistung erbracht, ohne dafür eine Gegenleistung zu erhalten. Der soziale Einschlag des Arbeitsverhältnisses geht dann zu Lasten des Arbeitgebers über das zumutbare Maß hinaus. Hierbei sind die Fälle zu unterscheiden, in denen der Arbeitnehmer oder der Arbeitgeber kündigt. Nimmt der Arbeitnehmer zunächst die Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber entgegen und kündigt er dann vor dem tatsächlichen Beginn der Arbeitsaufnahme, so wird dies teilweise in der Literatur als Fall des Mißbrauchs eingestuft. Es geht aber nicht um das individuell vorwerfbare oder undankbare Verhalten des Arbeitnehmers, sondern um die objektive Äquivalenzstörung. Das Problem sollte daher nicht nach § 242 BGB im Einzelfall, sondern generell durch Gesetz gelöst werden. Wird das Arbeitsverhältnis nach Beendigung der Lohnfortzahlung nicht fortgesetzt, so darf jedenfalls der Arbeitgeber nicht mit dem Lohnfortzahlungsanspruch belastet werden. Insofern haben die Arbeitsgesetzbuchkommission und Trieschmann den Zusammenhang durchaus richtig gesehen. Nicht richtig ist es aber, eine vertragliche Regelung oder die Erhebung einer Einrede zu verlangen. Vielmehr muß die gesetzliche Regelung so gefaßt sein, daß der Lohnfortzahlungsanspruch aufschiebend bedingt ist durch die tatsächliche Aufnahme der Arbeit. Der Arbeitnehmer kann zwar nach Inanspruchnahme der Lohnfortzahlung seinerseits kündigen - er weiß dann aber, daß er für diesen Zeitraum keine Lohnfortzahlung erhält. Da der erste Zahlungstermin in der Regel ohnehin vier Wochen nach der Arbeitsaufnahme liegt, bedeutet die vorgeschlagene Regelung für den Fall der Fortsetzung der Beschäftigung nur ein Hinausschieben um höchstens zwei Wochen. Für das Recht der Krankenversicherung kann dieselbe Lösung gelten. Wird die tatsächliche Beschäftigung später aufgenommen, erhält der Arbeitnehmer einen Lohnfortzahlungsanspruch; der Krankengeldanspruch "ruht". Kündigt der Arbeitnehmer dagegen innerhalb des Lohnfortzahlungszeitraums oder nach dessen Ende, so entsteht kein Lohnfortzahlungsanspruch. Da das Krankengeld u.a. von der tatsächlichen Arbeitsaufnahme abhängt, würde auch kein Krankengeldanspruch entstehen. Zu berücksichtigen ist schließlich der Fall der Kündigung durch den Arbeitgeber. Im Hinblick auf den Kündigungsgrund greifen die strengen

215 Voraussetzungen nach der BAG-Rechtsprechung für eine Kündigung wegen Krankheit211 während der ersten sechs Monate der Beschäftigung wegen § 1 Abs. 1 KSchG nicht ein. Jedoch gelten zum Schutze des Arbeitnehmers die Kündigungsfristen. Nach geltendem Recht kann der Arbeitgeber einem Arbeiter, der zum vorgesehenen Zeitpunkt des Arbeitsantritts krank ist, unter Einhaltung der Kündigungsfrist kündigen. Endet das Arbeitsverhältnis noch vor der Genesung des Arbeitnehmers, entsteht kein Lohnfortzahlungsanspruch. Nach der vorgesehenen Neuregelung wäre der Arbeitgeber zur Lohnfortzahlung verpflichtet, sofern der Arbeitnehmer später die Arbeit tatsächlich aufnimmt. Nach alledem könnte eine gesetzliche Neuregelung wie § 1 Abs. 1 des unter IV abgedruckten Neuvorschlags aussehen. 2.

Die Verhinderung an der Arbeitsleistung durch krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit Im Hinblick auf die Krankheit als anspruchsbegründendes Merkmal ist die Regelung im geltenden Recht für Arbeiter und für Angestellte unterschiedlich.

a) Die Rechtslage für Arbeiter Für Arbeiter knüpft § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG die Entstehung des Lohnfortzahlungsanspruchs an die Bedingung, daß der Arbeiter an der Erbringung der Dienstleistung durch "Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit" verhindert ist; d.h. dem Arbeiter steht nur dann ein Lohnfortzahlungsanspruch gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG zu, wenn ihn ein "Krankheitsgeschehen außer Stande setzt, die ihm nach dem Inhalt des Arbeitsverhältnisses obliegende Arbeit zu verrichten oder, wenn er seine Arbeit nur unter der Gefahr, in absehbarer naher Zukunft seinen Zustand zu verschlimmern, fortsetzen könnte".212 Der Arbeiter ist somit sowohl im Falle der Unmöglichkeit der Erbringung der Arbeitsleistung als auch, wenn die Nichtarbeit zur Vermeidung eines Rückfalls oder zur Festigung des Gesundheitszustandes ärztlich empfohlen wird, arbeitsunfähig erkrankt. Wann der Arbeiter arbeitsunfähig erkrankt ist und damit einen Lohnfortzahlungsanspruch gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG erlangt, ist aufgrund des umstrittenen Begriffs der Arbeitsunfähigkeit streitig.

211 S. beispielsweise BAG, DB 1989, S. 2382. 212 Schmatz!Fischwasser, Vergütung, C 116, Rdnr. 46.

216

b)

Die Rechtslage für Angestellte

Kaufmännischen und gewerblichen Angestellten gewähren §§ 63 HGB, 133c GewO einen Entgeltfortzahlungsanspruch, wenn sie "durch unverschuldetes Unglück" an der Verrichtung der Dienste verhindert sind. § 616 Abs. 2 BGB, der für alle übrigen Angestellten gilt, unterscheidet sich von den §§ 63 HGB, 133c GewO im wesentlichen dadurch, daß er anstelle des Begriffs "Unglück" den der "Krankheit" verwendet. Die Unterscheidung zwischen Krankheit und Unglück soll im vorliegenden Zusammenhang außer Betracht bleiben, da die Krankheit jedenfalls ein Unterfall des Unglücks ist.

c)

Der Vergleich zwischen der Rechtslage für Arbeiter und der für Angestellte

Mithin läßt sich feststellen, daß Arbeitern nach dem Wortlaut des Gesetzes nur dann ein Lohnfortzahlungsanspruch nach § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG zusteht, wenn ihre Krankheit gleichzeitig zur Arbeitsunfähigkeit geführt hat, während bei Angestellten nach dem Wortlaut der §§ 616 Abs. 2 BGB, 63 HGB, 133c GewO nur die Krankheit, nicht aber die Arbeitsunfähigkeit Voraussetzung für einen Lohnfortzahlungsanspruch ist. Angestellte erhalten demnach aufgrund des Wortlauts schon dann nach §§ 616 Abs. 2 BGB, 63 HGB, 133c GewO Lohnfortzahlung, wenn ein regelwidriger körperlicher oder geistiger Zustand dem Angestellten die Verrichtung der Dienste unmöglich oder unzumutbar macht. Ein Anspruch eines Arbeitnehmers auf Lohnfortzahlung nach der im Vergleich zu den §§ 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG, 616 Abs. 2 BGB, 63 HGB, 133c GewO ungünstigeren Norm des § 616 Abs. 1 BGB bleibt von der Frage der Arbeitsunfähigkeit unberührt. Im folgenden ist zu untersuchen, inwieweit sich aus dem unterschiedlichen Wortgebrauch der Regelungen für Angestellte und für Arbeiter eine Ungleichbehandlung ergibt.

aa) Praktische Einwände Wenn die Unterscheidung nach "Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit" und "Krankheit" im geltenden Recht im folgenden im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG untersucht wird, dann nicht ohne den Hinweis, daß die Unterscheidung eher akademischer Natur ist. In der Praxis ist es gleichgültig, ob ein Arbeitnehmer krank oder arbeitsunfähig ist. Entscheidend ist allein, ob ihn ein Arzt krankschreibt oder nicht. Nach der Rechtsprechung

217 des Bundesarbeitsgerichts hat ein Arbeitgeber kaum eine Chance, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eines Arztes anzugreifen.213 Ein Arzt müßte eigentlich danach unterscheiden, ob er einen Arbeiter gegenüber dem Arbeitgeber ("krank" und "arbeitsunfähig" im arbeitsrechtlichen Sinne), einen Angestellten gegenüber dem Arbeitgeber ("krank" im arbeitsrechtlichen Sinne) oder einen Arbeitnehmer (Arbeiter oder Angestellten) gegenüber der Krankenkasse ("krank" und "arbeitsunfähig" im sozialversicherungsrechtlichen Sinne) 214

krankschreibt. Es dürfte jedoch nur wenige Arzte in der Bundesrepublik Deutschland geben, denen diese subtile Differenzierung bekannt ist und noch weniger Ärzte, die danach verfahren. Geht man von dem Zweck der Regelungen aus, ist es eigentlich selbstverständlich, daß nicht jede beliebige Krankheit das Arbeitsverhältnis berührt, sondern nur eine Krankheit, die den Arbeitnehmer zwingend an der Erbringung der Arbeitsleistung hindert. Zutreffend nehmen deshalb § 1 LFZG und § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB V nur auf Krankheiten bezug, die arbeitsunfähig machen. Man muß schon sehr gesetzeswortlautgläubig sein, um für Angestellte zu einem anderen Ergebnis zu kommen. Tatsächlich besteht eher das Problem, daß bei der ärztlichen Krankschreibung, soweit bekannt, der genaue Zusammenhang zwischen der zu verrichtenden Arbeit und der Krankheit nicht immer genügend überprüft wird. Die gesetzliche Fehlkonstruktion wird bereits daraus ersichtlich, daß es bis vor kurzem keine eingeschränkte Arbeitsunfähigkeit215 und dementsprechend auch keine derartige Bescheinigung gab. Der Bundesausschuß für Ärzte und Krankenkassen hat nunmehr am 3. September 1991 die Richtlinien über die Beurteilung von Arbeitsunfähigkeit und zur stufenweisen Wiedereingliederung verabschiedet (AU-Richtlinien)216. Darin ist eine "stufenweise Wiedereingliederung" vorgesehen (Ziff. 3, 26 - 33). Allerdings bleibt auch danach der Arbeitnehmer arbeitsunfähig; seine eingeschränkte Arbeitsfähigkeit ist - bei Freiwilligkeit des Arbeitnehmers - auf einem besonderen Vordruck nach Ziff. 13 anzugeben.

213 S. zuletzt LAG München, BB 1991, S. 1494 (Leitsatz), 5. Kammer einerseits, LAG München, BB 1991, S. 1494 (Leitsatz), 2. Kammer andererseits. 214 S. dazu Bley, Sozialrecht, B III 2 b. 215 Seit dem 1.1.1989 ist allerdings - sozialversicherungsrechtlich - eine Teilarbeitsunfähigkeit anerkannt, § 74 SGB V. 216 Bundesarbeitsblatt 11/1991, S.28ff.; s. dazu Hamacher, Arbeitgeber 1991, S. 1034; Wanner, DB 1992, S. 93.

218 bb) Die Ungleichbehandlung Die Literatur geht aufgrund der unterschiedlichen gesetzlichen Formulierung in § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG einerseits und den Angestelltenregelungen andererseits überwiegend davon aus, daß Angestellten ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung schon dann zusteht, wenn eine Krankheit vorliegt, die nicht zur Arbeitsunfähigkeit fuhrt. Um nicht jeden Krankheitsfall als lohnfortzahlungsbegründend einzustufen, wird dann jedoch als Voraussetzung für den Entgeltfortzahlungsanspruch im Falle einer Erkrankung ohne gleichzeitige Arbeitsunfähigkeit gefordert, daß dem Angestellten die Erbringung der Arbeitsleistung durch die Krankheit unzumutbar ist. Der Begriff der Unzumutbarkeit wird hierbei frühzeitig bejaht; sie wird auch dann angenommen, wenn keine konkrete Verschlimmerung der Krankheit droht. Als Fälle der Unzumutbarkeit der Erbringung der Arbeitsleistung werden Arztbesuche, Impfungen, Massagen, Schonzeiten sowie Vorsorgeuntersuchungen angesehen, wenn diese den Angestellten nicht außerhalb der Arbeitszeit möglich sind. Nach h.M. in der Literatur werden Arbeiter und Angestellte mithin ungleich behandelt, wenn die Arbeitsunfähigkeit i.S. von § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG nicht derart weit ausgelegt wird, daß sie quasi leerläuft. Das Bundesarbeitsgericht hat sich der Frage, ob für den Entgeltfortzahlungsanspruch von Angestellten Arbeitsunfähigkeit vorliegen muß, entzogen, indem es die beiden Begriffe Krankheit und Arbeitsunfähigkeit vermischt hat, wenn eine Krankheit ohne gleichzeitige Arbeitsunfähigkeit bestand und dem Arbeitnehmer die Erbringung der Arbeitsleistung unzumutbar war. Das Bundesarbeitsgericht ging nicht mehr von dem vorherrschenden medizinischen Krankheitsbegriff aus, sondern legte einen arbeitsrechtlichen Krankheitsbegriff zugrunde. Nach dem arbeitsrechtlichen Krankheitsbegriff ist eine von einem Arzt festgestellte Krankheit arbeitsrechtlich erst relevant, wenn die Erkrankung den Arbeitnehmer hindert, die von ihm geschuldete Leistung zu erbringen oder wenn er die Arbeit nur unter der Gefahr, seinen Gesundheitszustand in absehbarer Zeit zu verschlimmern, fortsetzen kann. Damit ist im Ergebnis eine Krankheit nahezu nur dann arbeitsrechtlich relevant, wenn sie zur Arbeitsunfähigkeit führt. Somit behandelt das Bundesarbeitsgericht im Ergebnis Arbeiter und Angestellte weitgehend gleich.217 Bedenken gegen die Auslegung durch das Bundesarbeitsgericht könnten sich wegen des unterschiedlichen Gesetzeswortlauts ergeben. Die Me-

217 Anders BAG, AP Nr. 12 zu § 1 LohnFG; vgl. auch Schulin, ZfA 1978, S. 215, 234 ff. zum Begriff der Arbeitsunfähigkeit.

219 thodenlehre zwingt jedoch nicht dazu, einer Norm mit mißverständlichem Wortlaut eine verfehlte Interpretation zu unterlegen. In einer arbeitsrechdichen oder einer sozialversicherungsrechtlichen Lohnfortzahlungsvorschrift bei Krankheit kann "krank" sinnvollerweise nur "arbeitsunfähig krank" meinen, so daß das Bundesarbeitsgericht teleologisch zutreffend ausgelegt hat. 218 Folgt man der engen Wortlautauslegung der h.M. in der Literatur, so ergibt sich eine Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten. Diese Ungleichbehandlung wird aber dadurch relativiert, daß das Merkmal der Arbeitsunfähigkeit in § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG unterschiedlich ausgelegt wird. Zum Teil wird sogar eine völlige Aushöhlung des Merkmals Arbeitsunfähigkeit i.S. von § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG vertreten, so daß de facto keine Ungleichbehandlung zwischen Arbeitern und Angestellten mehr besteht. Die Ungleichbehandlung ist mithin nicht nur davon abhängig, ob man für Arbeiter die Arbeitsunfähigkeit fordert und für Angestellte nicht, sondern auch von den Anforderungen, die an die Arbeitsunfähigkeit selbst gestellt werden. Das Bundesarbeitsgericht sieht die Arbeitsunfähigkeit auch dann als gegeben an, wenn dem Arbeiter die Arbeit nicht unmöglich ist, sondern wenn er seine Arbeit verrichten könnte und nur deshalb außerstande ist, seiner Arbeit nachzukommen, weil er sich z.B. einer Krankenhausbehandlung unterzogen hat. 219 Diese Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gilt selbst dann, wenn durch den "regelwidrigen Körperzustand" die konkrete Arbeitsleistung nicht beeinträchtigt wird. Ambulante Arztbesuche sowie Fälle, in denen der Arbeiter nicht den Weg zur Arbeit, aber die Arbeit selbst bewältigen kann, werden von der Rechtsprechung regelmäßig nicht als Fälle der Arbeitsunfähigkeit i.S. von § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG anerkannt. Das Bundesarbeitsgericht begründet die weite Auslegung des Begriffs der Arbeitsunfähigkeit, die schon beinahe dem Verzicht auf dieses Kriterium gleichkommt, mit systematischen und teleologischen Gesichtspunkten. Arbeitsrechtlicher und sozialversicherungsrechtlicher Arbeitsunfahigkeitsbegriff seien inhaltlich übereinstimmend, was sich schon aus § 3 LFZG ergebe. Der Arbeitsunfähigkeitsbegriff des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB V (früher § 182 RVO) verlange nur, daß der Arbeitnehmer durch die Krankheit in seiner Lebensführung beeinträchtigt sei. Ergänzend zieht das Bundesarbeitsgericht für seine extensive Interpretation des Arbeitsunfähigkeitsbegriffs den Sinn

218 BAG, AP Nr. 12 zu § 1 LohnFG; Bauer/Röder, Krankheit, S. 21 - 24. 219 BAG, AP Nr. 12 und Nr. 40 zu § 1 LohnFG.

220 und Zweck des Lohnfortzahlungsgesetzes heran, der nur dann verwirklicht werden könne, wenn der Arbeitnehmer vor allen nachteiligen arbeitsrechtlichen Folgen einer krankheitsbedingt unerläßlichen Heilbehandlung geschützt werde. Das Bundesarbeitsgericht kommt zum einen durch die extensive Auslegung des Begriffs Arbeitsunfähigkeit i.S. des § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG und zum anderen durch die Vermengung der Begriffe der Arbeitsunfähigkeit und der Krankheit bei einer Frage der Lohnfortzahlung von Angestellten zu einer Gleichstellung der Rechtslage von Arbeitern und Angestellten. Eine die Arbeitsunfähigkeit früher als das Bundesarbeitsgericht annehmende und ansonsten auf der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts basierende Auffassung vertritt Schulin.220 Nach seiner Ansicht liegt Arbeitsunfähigkeit selbst dann vor, wenn der Arbeitnehmer an Untersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten teilnimmt sowie in Fällen einer ärztlich verordneten Schonungszeit. Dabei ist sich Schulin bewußt, daß dem Arbeitgeber nicht aufgrund seiner Fürsorgepflicht diese frühzeitige Lohnfortzahlung zugemutet werden kann. Er ist vielmehr der Auffassung, daß die Lohnfortzahlung sowie die damit im Zusammenhang stehenden Krankengeldleistungen allein dazu dienen, das krankheitsbedingte Lohnrisiko angemessen zwischen dem Arbeitgeber und der Krankenkasse zu verteilen. Schulin behält damit eine großzügige Handhabung der Lohnfortzahlung der Angestellten bei und gleicht durch die weite Auslegung des Begriffs Arbeitsunfähigkeit die Rechtslage der Arbeiter an die der Angestellten zu Lasten der Arbeitgeber an. Der weite Arbeitsunfähigkeitsbegriff des Bundesarbeitsgerichts221 und damit erst recht die weitergehende Auslegung von Schulin222 werden in der Literatur nicht kritiklos hingenommen. So werden teilweise nur Fälle der ernsthaften Bedrohung der Arbeitsfähigkeit sowie ihrer völligen Aufhebung als Arbeitsunfähigkeit i.S. des § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG eingestuft. Als Begründung hierfür wird neben dem Wortlaut die systematische Stellung des § 1 LFZG im Verhältnis zu § 7 LFZG angeführt. Der krankheitsbedingten Arbeitsverhinderung unter Entgeltfortzahlung wird schließlich nur die Kur gleichgestellt. Andere krankheitsbedingte Arbeitsverhinderungen ohne gleichzeitige Arbeitsunfähigkeit seien von der abdingbaren Grundnorm des § 616 Abs. 1 BGB erfaßt, da dieser Rückgriff gem. § 616 Abs. 3 BGB durch das Lohnfortzahlungsgesetz nicht

220 Schulin, ZfA 1978, S. 215 ff. 221 BAG, AP Nr. 12 und Nr. 4 0 zu § 1 LohnFG. 222 Schulin, ZfA 1978, S. 215 ff.

221 ausgeschlossen sei, soweit keine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vorliege. Das Problem der Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten hinsichtiich der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit stellt sich im Ergebnis dann, wenn man mit der h.M. in der Literatur für Arbeiter, anders als für Angestellte, die Arbeitsunfähigkeit als Anspruchsvoraussetzung verlangt, und wenn man, wie jedenfalls die Vertreter der engen Auslegung des Begriffs der Arbeitsunfähigkeit, das Arbeitsunfahigkeitserfordernis des § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG nicht aushöhlt, aber entsprechend dem Gesetz zwischen Arbeitsunfähigkeit und Krankheit unterscheidet. Folgt man bei der Auslegung des Arbeitsunfahigkeitsbegriffs dem Bundesarbeitsgericht, so besteht zwar keine völlige Gleichbehandlung, die verbleibende Ungleichbehandlung ist aber minimal. Bei der Auslegung des Begriffs der Arbeitsunfähigkeit ist mit der h.M. in der Literatur von einer engen Auslegung auszugehen, obwohl damit eine Ungleichbehandlung vorgenommen wird. Für eine enge Auslegung spricht zum einen, daß der Arbeitgeber bei einer weiteren Auslegung über Gebühr mit der Lohnfortzahlung belastet würde, und zum anderen, daß der Begriff der Arbeitsunfähigkeit sonst nahezu leerlaufen würde. Dies gilt auch, obwohl die Arbeitsunfähigkeit sicher nicht erst bei Unmöglichkeit, sondern schon dann angenommen werden sollte, wenn dem Arbeitnehmer die Arbeitsleistung aufgrund der Gefahr einer konkreten Verschlimmerung unzumutbar ist.223 Ist dem kranken Arbeitnehmer allerdings die Erbringung der Arbeitsleistung zumutbar, so hat der Arbeiter mangels Arbeitsunfähigkeit und der Angestellte mangels Unzumutbarkeit keinen Anspruch aus §§ 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG, 616 Abs. 2 BGB, 63 HGB oder 133c GewO. Eine Ungleichbehandlung zwischen Arbeitern und Angestellten besteht insoweit nicht. Zu einer Ungleichbehandlung kommt es dagegen, wenn der Arbeitnehmer erkrankt ist und ihm die Arbeitsleistung auch unzumutbar ist, ohne daß er aber arbeitsunfähig ist. Dabei werden die Fälle gleichbehandelt, in denen der Arbeitnehmer nach Vertragsschluß, aber vor Beschäftigungsbeginn erkrankt und diejenigen, in denen er nach Vertragsschluß und nach Beschäftigungsbeginn erkrankt. In diesen Fällen steht dem Arbeiter jedenfalls aus § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG kein Anspruch zu. (Allerdings kann ihm nach allgemeiner Auf-

223 Loddenkemper,

Gleichbehandlung, S. 101,102.

222 fassung unter den Voraussetzungen des § 616 Abs. 1 BGB ein Anspruch zustehen.) Der Angestellte hat dagegen nach überwiegender Meinung einen Anspruch nach §§ 616 Abs. 2 BGB, 63 HGB oder 133c GewO. (Auch hier kann ein Anspruch aus § 616 Abs. 1 BGB in Betracht kommen.) cc) Die Prüfung der Verfassungswidrigkeit Die dargestellte Ungleichbehandlung ist wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG verfassungswidrig, wenn kein sachlicher Grund nach Art und Gewicht diese Ungleichbehandlung rechtfertigen kann. Für einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG bedarf es, wie schon erwähnt, nicht notwendig einer Benachteiligung einer Gruppe. Eine neutrale Handlung und eine Bevorzugung können die Verfassungsmäßigkeit einer Norm ebenfalls in Frage stellen. Anknüpfungspunkt im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG ist nur die Ungleichbehandlung. Dennoch ist es weder gleichgültig, ob eine Benachteiligung vorliegt, noch wie schwer sie ist, da die Weite des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums im wesentlichen hiervon abhängt. Bei einer Benachteiligung ist der gesetzgeberische Gestaltungsspielraum geringer als bei einer neutralen Handlung und einer Bevorzugung einer Gruppe. Mithin muß hier geprüft werden, ob eine Benachteiligung einer Gruppe vorliegt und wenn, welches Gewicht sie hat. aaa) Die Benachteiligung Ein Anspruch aus § 616 Abs. 1 BGB weicht der Höhe nach nicht von einem Anspruch aus §§ 616 Abs. 2 BGB, 63 HGB oder 133c GewO ab. Eine Benachteiligung der auf § 616 Abs. 1 BGB angewiesenen Arbeitnehmer kann sich aber daraus ergeben, daß § 616 Abs. 1 BGB, anders als die §§ 616 Abs. 2 BGB, 63 HGB, 133c GewO, abdingbar ist. Zwar ist nicht unumstritten, ob § 616 Abs. 1 BGB vollständig abbedungen werden kann, weil er zum sozialen Schutz des Arbeitnehmers eingeführt worden ist, unstreitig ist jedoch, daß er weitgehend einschränkbar ist. Selbst eine begrenzte Einschränkbarkeit des sich aus § 616 Abs. 1 BGB ergebenden Anspruchs beeinträchtigt die Interessen der hierauf angewiesenen Arbeitnehmer nachteilig. Einen weiteren Nachteil im Vergleich zu den §§ 616 Abs. 2 BGB, 63 HGB, 133c GewO enthält § 616 Abs. 1 BGB insofern, als er dem Arbeitnehmer einen Entgeltfortzahlungsanspruch nur für eine "verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit" zugesteht, während die §§ 616 Abs. 2 BGB, 63 HGB und 133c GewO für insgesamt sechs Wochen unabdingbar einen

223 Entgeltfortzahlungsanspruch normieren. Wie lange der Anspruch aus §616 Abs. 1 BGB besteht, was also als verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit anzusehen ist, wird in der Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt, hängt regelmäßig aber von der Dauer des Arbeitsverhältnisses ab. Legt man die durchschnittlichen Werte, die die Rechtsprechung als verhältnismäßig nicht erheblich im Sinne von § 616 Abs. 1 BGB ansieht, zugrunde, so wird ein Arbeitnehmer erst nach einer Betriebszugehörigkeit von sechs Jahren die verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit von 6 Wochen erreichen.224 Ist der Arbeitnehmer für eine verhältnismäßig erhebliche Zeit an der Erbringung der Dienstleistung verhindert, so erhält er keinerlei Entgeltfortzahlung.225 Auch für die verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit steht ihm dann kein Anspruch aus § 616 Abs. 1 BGB zu (Alles-oder-Nichts-Prinzip). Der Arbeiter ist damit gegenüber dem Angestellten benachteiligt,226 wenn: der Anspruch aus § 616 Abs. 1 BGB abbedungen worden ist; die Zeitdauer der Verhinderung des Arbeitnehmers über den verhältnismäßig nicht erheblichen Zeitraum hinausreicht, da er dann für keinen Zeitraum einen Entgeltfortzahlungsanspruch geltend machen kann; wenn die verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit sehr gering ist, weil der Arbeitnehmer erst seit kurzer Zeit in einem Arbeitsverhältnis zu dem Arbeitgeber stand; insbesondere, wenn der Arbeitnehmer keinen Entgeltfortzahlungsanspruch für sechs Wochen erlangt, obwohl er diesen benötigt.

Die Ungleichbehandlung der Arbeiter ist allerdings - sieht man von der Schonungszeit ab - trotz dieser zunächst als schwerwiegend erscheinenden Benachteiligung von geringer praktischer Bedeutung. Eine Krankheit ohne Arbeitsunfähigkeit, durch die dem Arbeitnehmer die Erbringung der Dienstleistung unzumutbar ist, ist nur in den seltensten Fällen gegeben und wird sich regelmäßig nur auf einen verhältnismäßig kurzen Zeitraum erstrecken. Die Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten kann damit nur in Fällen des Arztbesuches und der Teilnahme an Untersuchungen der Früherkennung stattfinden, die außerhalb der Arbeitszeit nicht möglich sind, sowie in Fällen einer ärzt224 Die Rechtsprechung schwankt; vgl. Becker, BB 1987, S. 167 (Fußn. 6) m.w.N. 225 BAG GS, BB 1960, S. 357 ff.; BAG, DB 1964, S. 37,38; DB 1977, S. 2332,2333; Soergel-A>a/f, § 616 BGB, Rdnr. 31. Die gegenteilige Ansicht des Zweiten Senats des BAG (DB 1955, S. 582) hat sich nicht durchsetzen können; vgl. hierzu auch Trieschmann, DB 1955, S. 800 ff. 226 Durch § 616 Abs. 1 BGB ist der Arbeiter gegenüber dem Angestellten aber auch geringfügig bessergestellt, weil die Zeiten, die unter § 616 Abs. 1 BGB fallen, nicht von dem sechswöchigen Lohnfortzahlungsanspruch nach § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG abgezogen werden; vgl. hierzu Säbel, EEK, C 152.

224 lieh verordneten Schonungszeit. Mit Ausnahme der Schonungszeit, die normalerweise für einen Zeitraum bis zu einer Woche gewährt wird, handelt es sich bei den Arbeitsverhinderungen, bei denen eine Ungleichbehandlung der Arbeiter in Betracht kommen kann, nur um Zeiträume von einigen Stunden. Die Entgeltfortzahlung des Arbeitnehmers ist bei derart geringfügigen Zeiträumen regelmäßig auch von § 616 Abs. 1 BGB abgedeckt. Selbst wenn der Arbeitnehmer erst seit kurzer Zeit bei dem Arbeitgeber gearbeitet hat, wird die verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit die Verhinderung für einige Stunden umfassen. Eine Benachteiligung der Arbeiter ist folglich nur in den Fällen gegeben, in denen der Anspruch aus § 616 Abs. 1 BGB abbedungen worden ist. Der Anspruch aus § 616 Abs. 1 BGB wird allerdings häufig abbedungen, so daß es insofern häufig zu einer Benachteiligung der Arbeiter kommt, wenn sie für einige Stunden an der Erbringung der Dienstleistung verhindert sind. Die eigentliche Benachteiligung der Arbeiter besteht, wenn es um Schonungszeiten geht.227 § 7 Abs. 4 LFZG gewährt Arbeitern eine Schonungszeit unter Lohnfortzahlung nur, wenn diese arbeitsunfähig sind. §§ 616 Abs. 2, 63 HGB, 133c GewO gestehen Angestellten auch bei fehlender Arbeitsunfähigkeit einen solchen Anspruch zu. Arbeiter können eventuell für den Zeitraum der Schonungszeit einen Anspruch nach §616 Abs. 1 BGB haben, wenn keine Arbeitsunfähigkeit gegeben ist. Dieser Anspruch ist, wenn er nicht von vornherein abbedungen worden ist, nur für die von der Dauer des Arbeitsverhältnisses abhängige verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit zu gewähren. Soweit für den Arbeiter die verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit noch nicht den Zeitraum der Dauer der Schonungszeit ausmacht, erhält er keinen Entgeltfortzahlungsanspruch aus § 616 Abs. 1 BGB. Die Ungleichbehandlung bei der Schonungszeit hat darüber hinaus auch Auswirkungen hinsichtlich der Anrechenbarkeit auf den Erholungsurlaub, § 10 BUrlG. Durch die Zahlung von Leistungen eines Sozialversicherungsträgers kann die Benachteiligung der Arbeiter bei der Schonungszeit in gewisser Weise kompensiert weiden. Das System der Sozialversicherungsleistungen ist hierbei jedoch schwer zu durchschauen. Im Grundsatz ist der Rentenversicherungsträger für die Kostentragung im Rahmen einer Kur und einer sich hieran anschließenden Schonungszeit verantwortlich, da die Kostentragung durch die Krankenkasse der Kostentragung durch den Rentenversicherungsträger nachgeht. Die Subsidiarität der Krankenkassenleistungen gilt nur dann 227 Vgl. Loddenkemper, Gleichbehandlung, S. 108, 109.

225 nicht, wenn die vom Rentenversicherungsträger geforderte Versicherungsmindestzeit nicht erfüllt ist und die medizinischen Voraussetzungen für eine Schonungszeit nicht bestehen. Erschwert wird das Verständnis des Verhältnisses der Zahlung von Übergangsgeld durch den Rentenversicherungsträger und der Zahlung von Krankengeld durch die Krankenkasse dadurch, daß das Krankenversicherungsrecht an sich keine Schonungszeiten kennt und der Rentenversicherungsträger nicht, wie die Krankenkasse, zwischen Vorsorge- und Rehabilitationskur unterscheidet, sondern Übergangsgeld nur für Rehabilitationskuren gewährt. Da der Rentenversicherungsträger aber Schonungszeiten im Anschluß an eine Rehabilitationskur kennt, gewährt er Übergangsgeld auch für eine Schonungszeit. Handelt es sich mithin bei der Schonungszeit um eine solche, die im Anschluß an eine Rehabilitationskur gewährt wird, so ist der Rentenversicherungsträger zur Zahlung von Übergangsgeld verpflichtet, wenn der Arbeiter nicht unterhalb der Versicherungsmindestgrenze liegt und die erforderlichen medizinischen Voraussetzungen bestehen. Dies gilt gem. § 1240 RVO selbst dann, wenn der Arbeiter, wie vorliegend, nicht arbeitsunfähig ist. Eine völlige Kompensation der Benachteiligung der Arbeiter durch die Zahlung von Übergangsgeld kommt jedoch nicht in Betracht. Das Übergangsgeld beträgt 90% oder 75% des Krankengeldes, je nach Familienstand, und liegt somit unterhalb dessen, was dem Arbeiter durch den fehlenden Lohnfortzahlungsanspruch entgangen ist. Handelt es sich bei der Schonungszeit um eine solche, die im Anschluß an eine Vorsorgekur gewährt wird - hierbei können Abgrenzungsschwierigkeiten zur Rehabilitationskur der Rentenversicherungsträger auftreten, die regelmäßig zu Lasten der Rentenversicherungsträger gehen -, oder liegt der Arbeiter unterhalb der Versicherungsmindestgrenze, so ist die Krankenkasse nicht vorrangig für die Sozialversicherungsleistung zuständig. Gem. § 44 SGB V besteht ein Krankengeldanspruch aber nur dann, wenn der Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt ist oder auf Kosten der Kasse stationär in einem Krankenhaus, einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung behandelt wird. Im vorliegenden Falle ist der Arbeiter gerade nicht arbeitsunfähig erkrankt. Während einer Schonungszeit wird der Arbeiter auch nicht in einer Vorsorgeoder Rehabilitationseinrichtung behandelt. Ein Krankengeldanspruch gegenüber der Krankenkasse besteht mithin nicht. Im Ergebnis kommt eine teilweise Kompensation der Benachteiligung im Rahmen einer Schonungszeit nur dann in Betracht, wenn der Rentenversicherungsträger für diese Schonungszeit Übergangsgeld gewährt.

226 Dies setzt neben den allgemeinen Voraussetzungen, die an die Zahlung von Übergangsgeld gestellt werden, voraus, daß dem Arbeiter die Schonungszeit im Anschluß an eine Rehabilitationskur i.S. der Rentenversicherung und nicht an eine Vorsorgekur i.S. der Krankenversicherung ärztlich verordnet worden ist bbb) Sachliche Gründe für die Benachteiligung Als sachliche Gründe, die die Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten gegebenenfalls rechtfertigen können, kommen keine anderen als die schon zuvor aufgeführten in Betracht. Die Art der Tätigkeit kann keinen Sachgrund für die Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten abgeben, da kein Zusammenhang zwischen der Tätigkeit und der nur bei Arbeitern geforderten Arbeitsunfähigkeit besteht. In Fällen der Arbeitsverhinderung spielt die Art der Tätigkeit keine Rolle. Hand- und Kopfarbeiter können, wenn sie krank, aber nicht arbeitsunfähig sind, gleichermaßen ihren Tätigkeiten nachgehen. Die höhere Qualifikation, die teilweise als Sachgrund für eine Besserstellung der Angestellten angeführt wird, kann sich nicht in Fällen der Arbeitsverhinderung niederschlagen, so daß auch hier der erforderliche Legitimationszusammenhang fehlt. Ebensowenig kann die Betriebstreue von Angestellten einen Sachgrund ergeben. Die Betriebstreue von Arbeitnehmern zeigt sich schließlich nicht in Fällen der Arbeitsverhinderung. Möglicherweise stellt jedoch der hohe Anteil ausländischer Arbeiter an der Arbeitnehmerschaft einen Sachgrund für eine Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten dar. Unterstellt, der Anteil ausländischer Arbeiter ist höher als derjenige ausländischer Angestellter, so könnte der Anteil einen Sachgrund darstellen, wenn die durch den abweichenden Wortlaut gesetzlich normierte Unterscheidung zwischen den Arbeitnehmergruppen einen legitimen Gesetzeszweck verfolgt. Als Gesetzeszweck kommt die Verhinderung von Mißbrauch in Betracht. Ausländische Arbeiter erkranken, wenn ihr Anteil größer ist als der ausländischer Angestellter, häufiger im Ausland als ausländische Angestellte. Dies gilt sowohl für die Zeit vor dem erstmaligen Arbeitsantritt als auch für die Zeit nach einem vorübergehenden Aufenthalt in ihrem Heimatland (regelmäßig nach der Urlaubszeit). Da die Krankheit eines im Ausland erkrankten Arbeitnehmers für den Arbeitgeber schwer feststellbar ist, erscheint es gerechtfertigt, neben der Krankheit auch die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers zu fordern und nicht nur auf die

227 Unzumutbarkeit der Erbringung der Arbeitsleistung abzustellen. Dennoch kann der Anteil ausländischer Arbeiter keinen Sachgrund darstellen, da es an der Angemessenheit fehlt. Zwar ist eine Ungleichbehandlung von ausländischen Arbeitern und inländischen Arbeitern, die das Mißbrauchsproblem gleichfalls ausschließen könnte, nicht möglich. Der Gesetzgeber hätte aber strengere Anforderungen an den Nachweis der Krankheit und die Unzumutbarkeit der Erbringung der Arbeitsleistung stellen können. Einen Sachgrund könnte schließlich der höhere Krankenstand der Arbeiter im Vergleich zu dem der Angestellten darstellen. Der höhere Krankenstand von Arbeitern hat zur Folge, daß Arbeiter häufiger unter einer Krankheit leiden, die keine Arbeitsunfähigkeit mit sich bringt, bei der aber die Erbringung der Arbeitsleistung unzumutbar ist. Obwohl der höhere Krankenstand damit ein tragfähiges Differenzierungskriterium sein könnte, ergeben sich Bedenken im Hinblick auf die Gruppenspezifik bei der Erkrankung von Arbeitnehmern.228 Weitere Bedenken ergeben sich, wenn auch nicht in bezug auf den Legitimationszusammenhang, so doch bei der Frage, ob der höhere Krankenstand von seiner Schwere her der Schwere der Benachteiligung der Arbeiter entspricht. Fraglich ist darüber hinaus auch, ob es einen verfassungsmäßigen Gesetzeszweck gibt, der durch die Ungleichbehandlung erreicht werden kann. Er könnte in der Verhinderung von Mißbrauch liegen. Mißbrauchsprobleme sollten sowohl bei Arbeitern als auch bei Angestellten weitestgehend ausgeschlossen werden. Dem Ziel der Verhinderung von Mißbrauch steht zudem das Ziel der sozialen Absicherung des Arbeitnehmers entgegen, so daß es an einem tragfähigen Gesetzeszweck letztlich fehlt. Die beiden Gesetzesziele schränken sich, da sie gegenläufig sind, ein. Der höhere Krankenstand von Arbeitern kann mithin keinen tragfähigen Sachgrund für die Ungleichbehandlung im Hinblick auf den Gesetzeszweck darstellen. dd) Verfassungskonforme Auslegung § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG ist hiemach, soweit er auf die Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit abstellt, verfassungswidrig, da kein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung besteht.229 Wenn man nicht der Meinung ist, daß sich eine harmonisierende Auslegung der einschlägigen Vorschriften durch eine teleologische Ausle228 S. oben 6. Kapitel F II 1 f) bb) kkk). 229 Im Ergebnis ebenso Loddenkemper, Gleichbehandlung, S. 106 - 108; vgl. auch ErmznlKüchenhoff; 7. Aufl. § 616 BGB, Rdnr. 17.

228 gung der §§ 616 Abs. 2 BGB, 63 HGB, 133 c GewO ergibt, so muß man jedenfalls im Wege einer verfassungskonformen Auslegung zu dem gleichen Ergebnis kommen. § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG kann zwar aufgrund des Wortlauts nur in der oben als Literaturansicht beschriebenen Art und Weise ausgelegt werden. Es ist aber möglich, in die §§ 616 Abs. 2 BGB, 63 HGB und 133 c GewO die Erweiterung durch das Merkmal Arbeitsunfähigkeit hineinzulesen; d.h. den Begriff der Verhinderung an der Arbeitsleistung im Krankheitsfall durch das Erfordernis der Arbeitsunfähigkeit zu konkretisieren. Die Verhinderung an der Arbeitsleistung infolge Krankheit ohne Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit wäre dann einheitlich für alle Arbeitnehmer nach § 616 Abs. 1 BGB zu beurteilen (wenn man insoweit überhaupt der h.M. folgen will). Diese verfassungskonforme Auslegung steht mit dem gesetzgeberischen Willen in Einklang. Das Bundesverfassungsgericht dürfte nach alledem § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG unter diesem Gesichtspunkt nicht für verfassungswidrig erklären, da die §§ 616 Abs. 2, 63 HGB und 133c GewO verfassungskonform so ausgelegt werden können, daß eine Ungleichbehandlung zwischen Arbeitern und Angestellten nicht mehr besteht. d) Eigener Vorschlag Obwohl keine Verfassungswidrigkeit besteht, sollte zweckmäßigerweise eine einheitliche Regelung für Arbeiter und Angestellte geschaffen werden, die sich an der für Arbeiter bestehenden Regelung des § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG zu orientieren hat. Die Anknüpfung der Arbeitsverhinderung durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit entspricht dem gesetzgeberischen Willen. Auch ansonsten bestehen keine Bedenken gegen die Regelung für Arbeiter. Vielmehr enthalten sogar § 55 Abs. 1 KE und § 60 Abs. 1 des DGB-Vorschlags mit der Arbeiterregelung übereinstimmende Neuregelungsvorschläge. Im übrigen müßte klarstellend darauf hingewiesen werden, daß sich ein Entgeltfortzahlungsanspruch im Falle von Krankheit nur aus den dafür speziellen Vorschriften und nicht aus § 616 Abs. 1 BGB ergeben kann. Dies setzt aber voraus, daß Fälle der Erkrankung ohne Arbeitsunfähigkeit, wie z.B. Arztbesuche, die für Arbeiter ausschließlich unter § 616 Abs. 1 BGB fallen, bei einer Neuregelung im Lohnfortzahlungsgesetz selbst geregelt werden. Da eine Neuregelung einheitlich die Arbeitsunfähigkeit als Anspruchsvoraussetzung für die Lohnfortzahlung vorsehen sollte, müßte die Formulierung wie § 1 Abs. 1 der hier vorgelegten Neuregelung lauten.

229 3.

Der wiederholte Entgeltfortzahlungsanspruch Fortsetzungserkrankungen

a)

Die

bei

Problematik

Der Lohnfortzahlungsanspruch gegen den Arbeitgeber beträgt für alle Arbeitnehmer einheitlich sechs Wochen. Dennoch gibt es Unterschiede hinsichtlich des Lohnfortzahlungsanspruchs von Arbeitern und Angestellten dort, wo es um den Bezugszeitraum von Fortsetzungserkrankungen geht, d.h. von Erkrankungen, die auf derselben Krankheit beruhen. Das Lohnfortzahlungsgesetz enthält in § 1 Abs. 1 Satz 2 LFZG eine Sonderregelung für den Fall, daß der Arbeiter an derselben Krankheit wiederholt arbeitsunfähig erkrankt. Als Bezugszeiträume für den Entgeltfortzahlungsanspruch enthält § 1 Abs. 1 Satz 2 LFZG eine Frist von sechs und zwölf Monaten. Eine § 1 Abs. 1 Satz 2 LFZG vergleichbare Regelung enthalten die §§ 616 B G B , 63 HGB, 133 c GewO nicht. Für den in § 1 Abs. 1 Satz 2 LFZG verwandten Begriff "dieselbe Krankheit" besteht keine Legaldefinition. Üblicherweise wird insoweit auf das Krankenversicherungsrecht, insbesondere auf die zu den §§ 183 Abs. 2 R V O (jetzt § 48 Abs. 2 S G B V), 20 Abs. 1 K V L G entwickelten Grundsätze zurückgegriffen. Wiederholte Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit ist hiemach anzunehmen, 230 wenn die Krankheit, die Ursache der früheren Arbeitsunfähigkeit war, medizinisch nicht völlig in der Zeit zwischen dem Ende der vorausgegangenen und dem Beginn der neuen Arbeitsunfähigkeit ausgeheilt war. 231 Die Krankheit muß als Grundleiden latent fortbestanden haben, so daß die neue Erkrankung sich als Fortsetzung der früheren darstellt. Obwohl die wiederholte Arbeitsunfähigkeit auf demselben nicht behobenen Grundleiden beruhen muß wie die frühere Arbeitsunfähigkeit, kann sie aufgrund anderer Krankheitserscheinungen entstanden sein. 232 Eine Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit i.S. von § 1 Abs. 1 Satz 2 LFZG liegt im übrigen auch vor, wenn die Arbeitsverhinderung teils unmittelbar auf der Krankheit, teils auf einer hierdurch erforderli-

230 BAG, AP Nr. 2 und 3 zu § 63 HGB; BAG, AP Nr. 41 zu § 1 LohnFG; BAG, NZA 1985, S. 501; BAG, NZA 1986, S. 289,290. 231 BAG, AP Nr. 3 zu § 63 HGB; Bauer/Röder, Krankheit, S. 36. 232 BAG, NZA 1986, S. 289, 290; Kaiser/Dunkl, Entgeltfortzahlung, S. 91 (Rdnr. 176); KehrmannIPelikan, § 1 LFZG, Rdnr. 65; Hunold, Krankheit, S. 191.

230 chen Kur basiert.233 Zeiten einer Arbeitsverhinderung infolge einer Kur stehen dabei Zeiten einer Arbeitsunfähigkeit gleich.234 b) Die Rechtslage bei Arbeitern Einem Arbeiter steht im Falle der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit grundsätzlich ein Entgeltfortzahlungsanspruch gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG für die Dauer von sechs Wochen zu. Im übrigen muß zwischen dem Fall der neuen Krankheit und dem der Fortsetzungserkrankung unterschieden werden. Bei wiederholter Arbeitsunfähigkeit infolge einer neuen Krankheit entsteht der Lohnfortzahlungsanspruch immer wieder neu. Die Krankheitszeiten werden nicht zusammengerechnet. Nur wenn eine "Einheit des Verhinderungsfalles" gegeben ist,235 entsteht auch bei neuen Erkrankungen kein erneuter Entgeltfortzahlungsanspruch. Eine Einheit des Verhinderungsfalles liegt vor, wenn während einer Arbeitsunfähigkeit zu einer bestehenden Krankheit eine neue hinzutritt oder eine Krankheit die andere ablöst, ohne daß der Arbeiter zwischenzeitlich arbeitsfähig gewesen ist.236 Keine Einheit des Verhinderungsfalles liegt dagegen vor, wenn sich nahtlos an die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit eines Arbeiters eine auf einer anderen Krankheit beruhende Fortsetzungskrankheit anschließt. Für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit infolge der Fortsetzungskrankheit besteht dann ein Lohnfortzahlungsanspruch unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 2 LFZG. Tritt während bestehender Arbeitsunfähigkeit eine neue Krankheit auf, die früher Arbeitsunfähigkeit verursacht hatte, so sind im Rahmen des Entgeltfortzahlungsanspruchs die vorhergehenden Bezugszeiten wegen dieser hinzugetretenen Krankheit unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 2 1. HS LFZG von dem Zeitpunkt an anzurechnen, in dem die hinzugetretene Krankheit alleinige Ursache der Arbeitsunfähigkeit ist.237 233 Hunold, Krankheit, S. 193. 234 Dies gilt nicht für Schonungszeiten nach einer Kur, die in diesem Sinne grundsätzlich Arbeitsfähigkeitszeiten darstellen, so Hunold, Krankheit, S. 190. 235 So im Falle BAG, NZA 1991, S. VIII "Terminvoischau". Anders dagegen entschieden von den Vorinstanzen, die beide die Klage abgewiesen haben. 236 BAG, AP Nr. 27 zu § 63 HGB; BAG, AP Nr. 48 zu § 1 LohnFG; Hunold, Krankheit, S. 191; Schaub, Aibeitsrechts-Handbuch, § 98, III. Zu beachten ist aber der fehlgeschlagene mißglückte Arbeitsversuch des erkrankten Arbeitnehmers, bei dem die tatsächliche Arbeitsaufnahme keinen neuen Lohnfortzahlungsanspruch auslöst (BAG, AP Nr. 54 zu § 1 LohnFG; BAG, DB 1983, S. 1987, 1988; Bauer/Röder, Krankheit, S. 35, 36; Hunold, Krankheit, S. 186,187). 237 So im Fall BAG, NZA 1991, S. VIII.

231 Bei einer Fortsetzungserkrankung erneuert sich der sechswöchige Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 1 Abs. 1 Satz 2 LFZG gegenüber dem Arbeitgeber erst dann wieder, wenn zwischen den in Zusammenhang stehenden Krankheiten des Arbeitnehmers sechs aufeinanderfolgende Monate liegen, in denen der Arbeiter arbeitsfähig war 238 (Wartefrist-Regelung) oder aber, wenn er nach zwölf Monaten infolge derselben Krankheit wiederholt arbeitsunfähig wird239 (Stichtagsregelung). Anders als bei verschiedenen Krankheiten, bei denen jeweils der Entgeltfortzahlungsanspruch gegen den Arbeitgeber für sechs Wochen entsteht, ist damit der Entgeltfortzahlungsanspruch bei derselben Krankheit auf sechs Wochen insgesamt begrenzt, wenn nicht der Arbeitnehmer sechs Monate lang arbeitsfähig war oder aber nach zwölf Monaten wiederholt arbeitsunfähig wird. Bei einem Arbeiter, der bei einer Fortsetzungskrankheit einen Lohnfortzahlungsanspruch erwirbt, weil er sechs Monate nicht wegen derselben Krankheit arbeitsunfähig krank war, wird die Zwölfmonatsfrist durch die Sechsmonatsfrist des § 1 Abs. 1 Satz 2, 2. HS LFZG unterbrochen.240 Erst mit Beginn der außerhalb des Sechsmonatszeitraums liegenden Fortsetzungserkrankungen läuft die Zwölfmonatsfrist. Die Sechsmonatsfrist, die sich ebenso wie die Zwölfmonatsfrist gem. §§ 187, 188 BGB berechnen läßt, wird durch andere Erkrankungen des Arbeiters nicht unterbrochen.241 c) Die Rechtslage bei Angestellten Die Angestelltenregelungen der §§ 616 Abs. 2 BGB, 63 HGB, 133 c GewO treffen keine Sonderregelung für den Fall der Fortsetzungserkrankung.242 Mithin bestimmen sie auch nicht, wie § 1 Abs. 1 Satz 2 LFZG, bestimmte Bezugszeiträume bei Fortsetzungserkrankungen. Allein nach dem Gesetzeswortlaut der Angestelltenregelung könnte man deshalb annehmen, daß regelmäßig alle Fälle - mit Ausnahme der Fälle der "Einheit des Verhinderungsfalles" -, in denen eine wiederholte Er-

238 BAG, BB 1977, S. 39,40; Bauer/Röder, Krankheit, S. 37,38. 239 Aus der Begründung des Ausschusses für Arbeit geht hervor, daß in § 1 Abs. 1 Satz 2 LFZG die Angestelltenrechtsprechung kodifiziert werden sollte; vgl. BTDrucks. V/4285, S. 3; vgl. auch BAG, DB 1973, S. 2404; BAG, BB 1984, S. 405, 406; Schmitt, ZTR 1991, S. 3 , 5 , 6 . 240 BAG, AP Nr. 60 zu § 1 LohnFG; BAG, DB 1985, S. 659,660; Hunold, Krankheit, S. 193. 241 BAG, AP Nr. 33, 56 zu § 1 LohnFG; Bauer/Röder, Krankheit, S. 37,38. 242 BAG, AP Nr. 3 zu § 63 HGB.

232 krankung des Arbeitnehmers besteht, die zur Arbeitsunfähigkeit führt, einen sechswöchigen Entgeltfortzahlungsanspruch auslösen. Die Rechtsprechung hat Angestellten jedoch trotz fehlender gesetzlicher Grundlage bei Fortsetzungserkrankungen einen sechswöchigen Entgeltfortzahlungsanspruch gegen den Arbeitgeber nur unter Beachtung einer sechsmonatigen Wartefrist zuerkannt. 243 Nur wenn der letzte Krankheitsabschnitt des Angestellten mindestens sechs zusammenhängende Monate zurücklag, sah die Rechtsprechung unter dem Aspekt, daß eine nach sechs Monaten auftretende Krankheit arbeitsrechtlich als neue Krankheit zu werten ist, die Voraussetzungen für die Entstehung eines erneuten sechswöchigen Entgeltfortzahlungsanspruchs als gegeben an. 244 Die Übernahme der zwölfmonatigen Rahmenfrist und damit eine vollständige Übertragung des Gedankens des § 1 Abs. 1 Satz 2 LFZG auf die Angestelltenregelungen lehnt die Rechtsprechung jedoch ab. 245 - Hinsichtlich der übrigen für Arbeiter geltenden Grundsätze bestehen heutzutage keine Unterschiede mehr zu den Angestellten. 246 d) Die konkrete Ungleichbehandlung Handelt es sich um jeweils erneute Erkrankungen, haben Arbeiter und Angestellte einen immer neuen Lohnfortzahlungsanspruch. Dagegen sind Angestellte im Rahmen von Fortsetzungserkrankungen gegenüber Arbeitern benachteiligt. Die Entstehung eines erneuten Entgeltfortzahlungsanspruchs ist für sie immer an die Bedingung geknüpft, daß der Angestellte sechs Monate lang nicht aufgrund desselben Grundleidens arbeitsunfähig erkrankt ist.247 Angestellte können somit gegebenenfalls jahrelang keinen erneuten Entgeltfortzahlungsanspruch erwerben.248 Einem Arbeiter steht dagegen auch bei wiederholter Arbeitsunfähigkeit aufgrund desselben Grundleidens binnen sechs Monaten 243 BAG, AP Nr. 50 zu § 1 LohnFG; BAG, AP Nr. 23 zu § 1 Arbeiterkrankheitsgesetz; BAG, AP Nr. 29, 30,33,34 zu § 63 HGB. 244 BAG, AP Nr. 33, 34 zu §63 HGB; Loddenkemper, Gleichbehandlung, S. 110; Hunold, Krankheit, S. 193,194; Schmitt, ZTR 1991, S. 3,5. 245 BAG, DB 1973, S. 2404; Bauer/Röder, Krankheit, S. 39; Hunold, Krankheit, S. 194. 246 Der Verlauf der Sechsmonatsfrist wird durch eine andere Krankheit des Angestellten nicht mehr gehemmt - BAG, AP Nr. 50 zu § 1 LohnFG; anders dagegen BAG, AP Nr. 30 zu § 63 HGB. Arbeiter und Angestellte werden insoweit gleich behandelt; Bauer ¡Röder, Krankheit, S. 39. 247 BAG, DB 1966, S. 1360; BAG, DB 1971, S. 1483; BAG, DB 1973, S. 976; BAG, DB 1985, S. 710,711; BAG, DB 1986, S. 600. 248 Becker, DB 1987, S. 1090,1091.

233 ein erneuter Entgeltfortzahlungsanspruch zu, wenn der Arbeiter nach zwölf Monaten aufgrund desselben Grundleidens erneut arbeitsunfähig wird. 249 § 1 Abs. 1 Satz 2 LFZG begünstigt mithin Arbeiter gegenüber Angestellten im Bereich der Entgeltfortzahlung, wenn der Arbeitnehmer nach Ablauf eines Jahres wiederholt an derselben Krankheit erkrankt und zuvor sechs Monate lang wegen des Grundleidens nicht arbeitsunfähig war. Zusammenfassend soll anhand von drei Fällen die Benachteiligung der Angestellten vereinfacht dargestellt werden: 1. Fall: Der Arbeitnehmer ist ununterbrochen aufgrund desselben Grundleidens erkrankt Bei ununterbrochener Krankheit erhält der Arbeiter ebenso wie der Angestellte einen sechswöchigen Entgeltfortzahlungsanspruch gegen seinen Arbeitgeber. Ist der Entgeltfortzahlungsanspruch erschöpft, erhält der Arbeitnehmer (Arbeiter oder Angestellter) für weitere 72 Wochen innerhalb von drei Jahren Krankengeld von der Krankenkasse, § 48 Abs. 2 SGB V; während der ersten sechs Wochen ruht der Krankengeldanspruch gem. § 49 Nr. 1 SGB V. 2. Fall: Der Arbeitnehmer ist ein Jahr lang unterbrochen aufgrund desselben Grundleidens erkrankt. Wenn der Arbeitnehmer (Arbeiter oder Angestellter) nicht sechs Monate lang trotz seines Grundleidens arbeitsfähig war, erwirbt er keinen erneuten Entgeltfortzahlungsanspruch. Die Rechtslage entspricht derjenigen beim 1. Fall. 3. Fall: Der Arbeitnehmer ist länger als ein Jahr lang unterbrochen aufgrund desselben Grundleidens erkrankt. Wird ein Arbeiter nach zwölfmonatiger Arbeitsunfähigkeit arbeitsfähig, wenn auch nur kurzzeitig, und erkrankt er dann wiederholt an demselben Grundleiden, so erlangt er einen erneuten Entgeltfortzahlungsanspruch für sechs Wochen. Dem Arbeiter steht daneben Krankengeld zu, und zwar bei Fortsetzungserkrankungen für 78 Wochen innerhalb von drei Jahren, § 48 Abs. 2 SGB V. Übersicht: Entgeltfortzahlung bei Arbeitern AU 1. Jahr 6 Wochen LohnFZ

46 Wochen Krankengeld

6 Wochen LohnFZ

AU 2 0 Wochen Krankengeld

Angestellten steht nach der Rechtsprechung, wenn sie nicht sechs Monate lang trotz ihrer Fortsetzungserkrankung arbeitsfähig waren, kein Entgeltfortzahlungsanspruch zu. Sie erhalten, ebenso wie Arbeiter, für 78 Wochen innerhalb von drei Jahren Krankengeld.

249 Becker, DB 1987, S. 1090,1091; Schmitt, ZTR 1991, S. 3,6.

234 Übersicht: Entgeltfortzahlung bei Angestellten AU 6 Wochen LohnFZ

1. Jahr 46 Wochen Krankengeld

1 AU 26 Wochen Krankengeld

Angestellte sind also bei der dritten Fallgestaltung gegenüber Arbeitern benachteiligt. Diese Benachteiligung wird nicht dadurch ausgeglichen, daß der Angestellte einen Anspruch auf Krankengeld hat Das Krankengeld ist der Höhe nach geringer, der Anspruch entsteht erst einen Tag nach der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit, § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V.

e) Die Verfassungswidrigkeit der Regelung Diese Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten könnte verfassungswidrig sein. Der Gesetzgeber hat in den §§ 616 Abs. 2, 63 HGB, 133c GewO keine ausdrücklich von § 1 Abs. 1 Satz 2 LFZG abweichende Regelung getroffen. Die Rechtsprechung behandelt die Angestellten hinsichtlich Fortsetzungserkrankungen anders als Arbeiter. Es stellt sich daher die Frage, ob eine bestehende gesetzliche Regelung deshalb gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, weil sich aufgrund der Rechtsprechung eine Benachteiligung einer Gruppe ergibt. Geht man von einem realistischen Geltungsbegriff aus,250 so haben Gesetze keine "Geltung an sich", sondern sie gelten in der Fassung, wie sie von den Gerichten ausgelegt und angewandt wird. Wird also ein Gesetz von den Gerichten so angewandt, daß es im Ergebnis gegen das Grundgesetz verstößt, dann sind sowohl die Rechtsprechung als auch das Gesetz (in dieser konkreten Auslegung) verfassungswidrig. Eine zweite Frage ist dann, ob die Verfassungswidrigkeit durch eine bloße Änderung der Rechtsprechung oder nur durch eine Änderung des Gesetzes erreicht werden kann. Wie dargelegt, bestehen für Arbeiter und Angestellte nach der Rechtsprechung keine Unterschiede im Hinblick auf die Sechsmonatsfrist bei Fortsetzungserkrankungen. Im übrigen nimmt das Bundesarbeitsgericht die Berechnung der Sechsmonatsfrist bei Arbeitern und Angestellten nunmehr einheitlich vor251 und erkennt auch an, daß die Sechsmonatsfrist bei Angestellten nicht mehr durch zwischenzeitliche 250 S. zum Geltungsbegriff Henkel, Rechtsphilosophie, S. 543 ff. 251 Vgl. BAG, AP Nr. 33 zu § 1 LohnFG; BAG, AP Nr. 30 zu § 63 HGB = BAG, DB 1966, S. 1360.

235 Arbeitsunfähigkeit aus Gründen, die nicht mit der Fortsetzungskrankheit in Zusammenhang stehen, gehemmt wird.252 Die Literatur vertritt hiervon abweichend zum Teil noch die Ansicht, daß die Sechsmonatsfrist bei anderen Erkrankungen gehemmt ist, sich also im Ergebnis um die Krankheitstage, die sich aus den anderen Erkrankungen ergeben, verlängert.253 Im Hinblick auf die Zwölf-Monats-Frist bleibt es nach der Rechtsprechung bei den dargelegten Unterschieden. Der Vergleich der Regelungen für Arbeiter und für Angestellte ergibt hier, daß Arbeiter gegenüber Angestellten besser stehen. Von daher stellt sich die Frage, ob in diesem Fall nicht das Lohnfortzahlungsgesetz wegen Benachteiligung der Arbeiter, sondern die §§616 Abs. 2 BGB, 63 HGB und 133c GewO wegen Benachteiligung der Angestellten verfassungswidrig sind. Nach hier vertretener Ansicht ist die Frage schief gestellt. Eine Verfassungswidrigkeit nach Art. 3 Abs. 1 GG setzt immer einen Vergleich zweier Rechtsnormen voraus, verfassungswidrig ist nicht die eine oder die andere Norm, sondern die Relation zwischen beiden. Das Bundesverfassungsgericht dagegen unterscheidet zwischen einer Regelung, die wegen Bevorzugung einer Gruppe gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt und einer Regelung, die wegen Benachteiligung einer Gruppe gegen die Verfassung verstößt. Bei einer Bevorzugung sei der gesetzgeberische Gestaltungsspielraum größer als bei einer Benachteiligung.254 Mithin kann auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine bevorzugende Norm, wenn auch unter engeren Voraussetzungen, verfassungswidrig sein. Eine Bevorzugung einer Gruppe im Vergleich zu einer anderen Gruppe hat schließlich gleichzeitig immer die Benachteiligung der anderen Gruppe zur Folge. In der Literatur ist bei der Frage, ob eine Bevorzugung oder eine Benachteiligung gegeben ist, auf die Gruppengröße abgestellt worden. Beziehe sich die Bevorzugung auf eine Minderheit, so liege eine Bevorzugung vor, die den gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum ausweite. Beziehe sich die Bevorzugung auf eine größere Gruppe, so liege eine Benachteiligung vor.

252 BAG, DB 1983, S. 233,234 unter Aufgabe von BAG, AP Nr. 30 zu § 63 HGB. 253 So Loddenkemper, Gleichbehandlung, S. 110,111. 254 BVerfGE 11, S. 50,60; 60, S. 16,42.

236 Vorliegend kann der Meinungsstreit dahinstehen, da sich die Gruppengrößen kaum unterscheiden, so daß sich die Benachteiligung der Angestellten auch ohne Rückgriff auf die Gruppengröße ergibt. Damit die Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten verfassungsrechtlich unbedenklich ist, bedarf es eines sachlichen Grundes, der nach Art und Gewicht die vorliegende Ungleichbehandlung im Hinblick auf einen Gesetzeszweck zu rechtfertigen vermag. Aus den schon erörterten Sachgründen ergibt sich keine Rechtfertigung der Andersbehandlung von Arbeitern und Angestellten im Bereich der Fortsetzungserkrankungen. Vielmehr spricht, soweit man der Ansicht ist, daß der höhere Krankenstand der Arbeiter gruppenspezifisch ist, dieser eher für eine Benachteiligung der Arbeiter als für eine solche der Angestellten. f) Verfassungskonforme Auslegung und Analogie Eine Verfassungswidrigkeit der geltenden Regelung wäre zu verneinen, wenn es - sei es durch verfassungskonforme Auslegung, sei es durch verfassungskonforme Analogie - möglich wäre, zu einer für Arbeiter und Angestellte gleichen Regelung zu gelangen. Das Bundesarbeitsgericht hat eine analoge Anwendung des § 1 Abs. 1 Satz 2 LFZG auf Angestellte zunächst abgelehnt, weil eine planwidrige Gesetzeslücke im Bereich der Angestelltenregelungen fehle. 255 Nach den Materialien zum Lohnfortzahlungsgesetz folge, daß der Gesetzgeber ein Sonderrecht für Arbeiter schaffen wollte.256 In dem zunächst geplanten einheitlichen Lohnfortzahlungsgesetz für beide Arbeitnehmergruppen war eine dem § 1 Abs. 1 Satz 2 LFZG vergleichbare Regelung über Fortsetzungserkrankungen noch nicht enthalten.257 Dazu, ob eine verfassungskonforme Fortbildung der richterrechtlichen Ergänzungen zu §§ 616 Abs. 2 BGB, 63 HGB, 133c GewO möglich ist, hat sich das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil von 1972 nicht geäußert. Nunmehr bejaht jedoch das Bundesarbeitsgericht eine Übertragung des Gedankens aus § 1 Abs. 1 Satz 2 LFZG auf die Angestelltenregelungen.258

255 BAG, AP Nr. 34 zu § 63 HGB mit Anm. Trieschmann; Becker, DB 1987, S. 1090, 1091; v. Maydell, DB 1973, Beil. Nr. 15, S. 1 ff. 256 Becker, DB 1987, S. 1090,1091. 257 BT-Drucks.IV/817v. 7.12.1962. 258 BAG, DB 1983, S. 233,234,249.

237 Die Literatur stimmt im wesentlichen mit der jüngeren BAG-Rechtsprechung überein und bejaht eine Analogie zu § 1 Abs. 1 Satz 2 LFZG. 259 Nach der Ansicht Beckers kann die Sonderregelung des § 1 Abs. 1 Satz 2 LFZG nur dann nicht auf Angestellte übertragen werden, wenn bei der Schaffung des Lohnfortzahlungsgesetzes die Möglichkeit dieser Fortsetzungsregelung auch für Angestellte erörtert und verworfen worden wäre. 260 So liege es hier jedoch nicht. Der zuständige Bundestagsausschuß habe damals zwar geplant, die in der Rechtsprechung zu den Fortsetzungserkrankungen entwickelten Grundsätze zu übernehmen, er habe dabei jedoch übersehen, daß die Zwölfmonatsfrist nicht Gegenstand der Rechtsprechung war.261 Becker bejaht somit das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke. 262 Auch hinsichtlich der Rechtsähnlichkeit hat er wegen des gleichen sozialen Schutzbedürfnisses von Arbeitern und Angestellten keine Bedenken. Eine Analogie zu § 1 Abs. 1 Satz 2 LFZG sei geradezu geboten. 263 Kaiser/Dunkl befürworten eine analoge Anwendung der Zwölfmonatsfrist auf die Angestelltenregelungen mit folgenden Überlegungen 264 : Der Sechsmonatszeitraum sei von der Rechtsprechung aus einer Abwägung der Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zunächst für die §§ 616 Abs. 2 BGB, 63 HGB und 133c GewO entwickelt worden. Der Gesetzgeber habe diese Interessenabwägung in das Lohnfortzahlungsgesetz übernommen und durch die Einführung der Zwölfmonatsfrist zugunsten der Arbeiter modifiziert. Aus Gründen der Gleichbehandlung sei es seitens der Rechtsprechung geradezu geboten, die vom Gesetzgeber im Lohnfortzahlungsgesetz für Arbeiter übernommene und zu deren Gunsten korrigierte Interessenabwägung auch auf die Entgeltfortzahlung der Angestellten zu übertragen. Den Autoren ist im Ergebnis zuzustimmen. Eine verfassungskonforme Auslegung in dem Sinne, daß die Zwölfmonatsfrist in die Angestelltenregelungen hineingelesen wird, widerspricht weder dem Wortlaut der Normen noch dem gesetzgeberischen Willen. Allein eine Auslegung in

259 Becker, DB 1987, S. 1090, 1091; Erman-Hanau, § 616 BGB, Rdnr. 58; Hanau/Adomeit, Arbeitsrecht, S. 221; Säbel, EEK-Register, C 1245; Schmitt, ZTR 1991, S. 3,6. 260 Becker, DB 1987, S. 1090,1091. 261 Becker, DB 1987, S. 1090,1091. 262 Becker, DB 1987, S. 1090,1091; Loddenkemper, Gleichbehandlung, S. 114. 263 Becker, DB 1987, S. 1090,1091; Loddenkemper, Gleichbehandlung, S. 114. 264 Kaiser/Dunkl, Entgeltfortzahlung, S. 275.

238 dieser Weise vermag den Verfassungsverstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG auszuschließen. g) Bisherige Vorschläge für eine Neuregelung Vorschläge für eine Neuregelung hinsichtlich der Bezugszeiträume bei Fortsetzungserkrankungen sind von der Arbeitsgesetzbuchkommission, vom DGB265 und von Trieschmann266 vorgelegt worden. aa)

Darstellung

aaa) Der Vorschlag der

Arbeitsgesetzbuchkommission

§ 55 Abs. 2 KE Wird der Arbeitnehmer innerhalb von zwölf Monaten infolge derselben Krankheit wiederholt arbeitsunfähig, so hat er den Anspruch auf Arbeitsentgelt nur für die Dauer von insgesamt sechs Wochen; war der Arbeitnehmer vor der erneuten Arbeitsunfähigkeit jedoch mindestens sechs Monate nicht infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig, so hat er wegen der erneuten Arbeitsunfähigkeit den Anspruch nach Abs. 1 für einen weiteren Zeitraum von höchstens 6 Wochen. Die zwölfmonatige Frist ist vom Tage der erneuten Arbeitsunfähigkeit an zurückzurechnen. bbb) Der Vorschlag des DGB § 60 Abs. 2 Wird der Arbeitnehmer innerhalb von 12 Monaten infolge derselben Krankheit wiederholt arbeitsunfähig, so hat er den Anspruch auf Arbeitsentgelt nur für die Dauer von insgesamt 6 Wochen; war der Arbeitnehmer vor der erneuten Arbeitsunfähigkeit jedoch mindestens 6 Monate nicht infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig, so hat er wegen der erneuten Arbeitsunfähigkeit den Anspruch nach Absatz 1 für einen weiteren Zeitraum von höchstens 6 Wochen. Die 12-monatige Frist nach Satz 1 ist vom Tage des Eintritts der erneuten Arbeitsunfähigkeit an zu berechnen. ccc) Der Vorschlag Trieschmanns Trieschmann befürwortet für Angestellte und Arbeiter die für Arbeiter derzeit geltende Regelung des § 1 Abs. 1 Satz 2 LFZG, da sie sozialpolitisch wünschenswert und fortschrittlich sei und im übrigen ein Wi265 RdA 1977, S. 166 ff. 266 Trieschmann, Festschrift für Herschel, S. 421,450.

239 derspruch gegen die Übernahme des § 1 Abs. 1 Satz 2 LFZG auf Angestellte nicht zu erwarten sei. bb) Stellungnahme §§ 55 Abs. 2 KE und 60 Abs. 2 DGB-Vorschlag stimmen inhaltlich mit § 1 Abs. 1 Satz 2 LFZG überein. § 55 Abs. 2 Satz 2 KE dient lediglich der Konkretisierung der bestehenden Rechtslage. Da auch Trieschmann § 1 Abs. 1 Satz 2 LFZG zum Gegenstand einer einheitlichen Regelung machen will, wird einheitlich die Lösung des geltenden Rechts als sachgerecht angesehen und eine Erstreckung auf alle Arbeitnehmer befürwortet. h) Eigener Vorschlag Die Regelung des geltenden Rechts für Arbeiter zeichnet sich jedoch durch mehrere Ungereimtheiten aus. Daher empfiehlt sich eine Neuregelung, die sich von § 1 Abs. 1 Satz 2 LFZG löst. Im geltenden Recht für Arbeiter wird nach Fortsetzungserkrankungen und neuen Erkrankungen unterschieden. Diese Differenzierung ist nicht einsichtig. Für den sozialen Schutz des Arbeitnehmers ist es gleichgültig, welche Krankheit ihn an der Erbringung der Arbeitsleistung hindert. Den Arbeitgeber interessiert vorrangig die finanzielle Belastung und nicht die Ursache der Krankheit; die Krankheitsursache interessiert den Arbeitgeber nur insoweit, als sich hieraus die Häufigkeit künftiger Krankheitsfälle absehen läßt. Zu empfehlen ist deshalb eine Regelung, die den Arbeitgeber zu höchstens sechs Wochen Entgeltfortzahlung pro Kalenderjahr je Arbeitnehmer verpflichtet. Der Arbeitgeber wäre damit nicht, wie nach der gegenwärtigen Rechtslage, unvorhersehbaren und unkalkulierbaren finanziellen Belastungen bei Krankheiten, die auf verschiedenen Ursachen beruhen, ausgesetzt. Heutzutage ist der Arbeitgeber mit jeder Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers aufgrund einer neuen Erkrankung mit der Lohnfortzahlung für je sechs Wochen belastet. Würde man nun für den Jahreszeitraum eine gewisse Höchstbelastung des Arbeitgebers mit Lohnfortzahlungskosten je Arbeitnehmer unabrückbar normieren, so wüßte der Arbeitgeber von vornherein, mit welchen finanziellen Aufwendungen er im Höchstfalle zu rechnen hätte und könnte diese Höchstbelastung seinen Berechnungen als Kalkulationsfaktor zugrundelegen. Für diese Lösung spricht auch, daß die arbeitsrechtliche Lösung schon an sich bedenklich ist. Für Angestellte hätte eine Regelung, die den Arbeitgeber jährlich im Höchstfalle zu 6 Wochen Lohnfortzahlung verpflichtet, je nach Einzelfall Vor- oder Nachteile.

240 Vorteile sind für Angestellte nur bei Fortsetzungserkrankungen möglich. Für Arbeiter hätte eine solche Regelung nur Nachteile. Die für die Arbeiter mit einer solchen Regelung verbundenen Nachteile sind aber hinzunehmen, weil durch die Zahlung von Krankengeld eine finanzielle Absicherung gewährleistet ist. Allerdings wird nicht nur im Lohnfortzahlungsrecht zwischen Fortsetzungs- und neuen Erkrankungen unterschieden, sondern auch im Krankenversicherungsrecht. Das Krankenversicherungsrecht kennt im übrigen, ebenso wie § 1 Abs. 1 Satz 2 LFZG, eine Sechs-Monats-Frist. Dennoch sollte eine Neuregelung des Lohnfortzahlungsrechts keine Differenzierung mehr vorsehen und gleichgültig, ob es sich bei einer Erkrankung des Arbeitnehmers um eine Fortsetzungserkrankung oder um eine bloße Wiederholungserkrankung handelt, den Arbeitgeber nur zu sechs Wochen Lohnfortzahlung pro Kalendeijahr verpflichten. Als Bezugszeitraum sollte bei einer Neuregelung das Kalenderjahr und nicht die Zwölf-Monats-Frist zugrundegelegt werden. Bei der Zwölfmonatsfrist muß für jeden Arbeitnehmer individuell der Beginn der ersten Krankheit festgestellt werden. Durch die Neuregelung würde dann die Berechnung für beide Parteien des Arbeitsverhältnisses übersichtlicher. Als Gesetzesvorschlag empfiehlt sich § 1 Abs. 1 der hier vorgeschlagenen Neuregelung. 4. Der anspruchsberechtigte Personenkreis a) Die Regelung für Arbeiter und Angestellte Einen Anspruch auf Lohnfortzahlung haben alle Angestellten und alle Arbeiter, soweit er nicht durch § 1 Abs. 3 LFZG ausgeschlossen ist. Jedem Arbeiter steht gem. § 1 Abs. 1 LFZG grundsätzlich ein Entgeltfortzahlungsanspruch im Krankheitsfall gegen seinen Arbeitgeber zu. Zu den davon ausgenommenen, § 1 Abs. 3 Nr. 1 - 3 LFZG unterfallenden Personen gehören: gem. § 1 Abs. 3 Nr. 1 LFZG Arbeiter, die nur kurzfristig, d.h. nicht länger als für vier Wochen, ein Arbeitsverhältnis eingegangen sind; ausgenommen hiervon sind Arbeiter, die in einem Probearbeitsverhältnis 267 stehen; gem. § 1 Abs. 3 Nr. 2 LFZG Arbeiter, die als Teilzeitkriifte tätig sind; ihre regelmäßige Arbeitszeit darf nicht mehr als zehn Stunden wöchentlich oder fünfundvierzig Stunden monatlich umfassen; 268

267 Zum Begriff des echten und unechten Probearbeitsverhältnisses und seinen Auswirkungen hinsichtlich des Lohnfortzahlungsanspruches vgl. Hunold, Krankheit, S. 63. 268 Vgl. Hunold, Krankheit, S. 64.

241 gem. § 1 Abs. 3 Nr. 3 LFZG Arbeiterinnen, denen ein Anspruch auf Mutterschaftsgeld zusteht.

Angestellte, bei denen die Voraussetzungen für einen Entgeltfortzahlungsanspruch gem. §§ 616 Abs. 2 BGB, 63 HGB, 133c GewO erfüllt sind, erhalten in jedem Falle Entgeltfortzahlung. In den Angestelltenregelungen ist keine Begrenzung des anspruchsberechtigten Personenkreises enthalten.269 Eine analoge Anwendung des § 1 Abs. 3 Nr. 13 LFZG auf die Angestelltenregelungen wird von der Rechtsprechung nicht vorgenommen.270 b)

Die Verfassungswidrigkeit der Regelung im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG (ArbeiterlAngestellte) Fraglich ist, ob die Regelung des § 1 Abs. 3 Nr. 1 - 3 LFZG verfassungswidrig ist, weil sie gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt oder weil ein Fall mittelbarer Diskriminierung vorliegt. Voraussetzung wäre, daß der Ausschluß bestimmter Gruppen von Arbeitern durch § 1 Abs. 3 Nr. 1 - 3 LFZG zu einer Ungleichbehandlung dieser Personen im Verhältnis zu einer anderen Gruppe führt, sei es beispielsweise zur Gruppe der Arbeiter, die gem. § 1 Abs. 1 LFZG einen Lohnfortzahlungsanspruch haben, sei es zur Gruppe der in Teilzeit oder kurzzeitig beschäftigten Angestellten oder der übrigen Angestellten, die einen Entgeltfortzahlungsanspruch nach §§ 616 Abs. 2 BGB, 63 HGB, 133 c GewO haben. Bei der Feststellung der Ungleichbehandlung ist zwischen den Fällen der Nr. 3 und den Fällen der Nr. 1 und 2 zu unterscheiden. aa) Die Regelung betr. Mutterschaftsgeld § 1 Abs. 3 Nr. 3 LFZG schließt den Anspruch auf Entgeltfortzahlung für Arbeiterinnen aus, die Mutterschaftsgeld erhalten. Während der Schutzfristen nach §§ 3 Abs. 2, 6 Abs. 1 MuSchG tritt das Mutterschaftsgeld an die Stelle des Lohns, und zwar für die Arbeitnehmerin in gleicher Höhe.271 Für weibliche Angestellte ergibt sich, auch wenn es an einer § 1 Abs. 3 Nr. 3 LFZG entsprechenden Regelung fehlt, nichts anderes.272 Auch sie haben, wie Arbeiterinnen, einen Anspruch auf Mutterschaftsgeld nach § 200 RVO, § 13 MuSchG. Die Leistung setzt sich zusammen aus der Zahlung der Kasse und dem sogenannten Zuschuß des Arbeitgebers nach 269 270 271 272

Kehrmann/Pelikan, § 1 LFZG, Rdnr. 21,25 a. Kehrmann/Pelikan, § 1 LFZG, Rdnr. 6. Bauer/Röder, Krankheit, S. 20 f. Bauer/Röder, Krankheit, S. 21.

242 § 14 MuSchG. Das Zusammenspiel der Vorschriften aus Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht ist, wie üblich, unübersichtlich und unklar geregelt. Die schlichte Aussage, daß bei Bestehen eines Anspruchs auf Mutterschaftsgeld der Lohnanspruch entfällt, fehlt; sie ergibt sich jedoch mittelbar aus § 11 Nr. 1 MuSchG, § 200 Abs. 1 RVO. Da es insoweit an einer Ungleichbehandlung der Arbeiterinnen gegenüber den weiblichen Angestellten fehlt,273 liegt kein Verfassungsverstoß vor. Allerdings sollte der Gesetzgeber bei einer Neuregelung des Lohnfortzahlungsrechts das Verhältnis von Mutterschaftsgeld zu Lohnfortzahlung für alle weiblichen Arbeitnehmer eindeutig regeln. Nicht empfehlenswert ist die Formulierung des § 49 SGB V: Im Verhältnis der arbeitsrechtlichen zu den sozialversicherungsrechtlichen Ansprüchen geht es nicht um das "Ruhen" eines Anspruchs, sondern um das "Entfallen" eines der beiden Ansprüche. bb)

Die Regelung betr. Teilzeitbeschäftigte Beschäftigte

und kurzfristig

aaa) Die Ungleichbehandlung Für bestimmte kurzfristig oder in Teilzeit beschäftigte Arbeiter ist der Lohnfortzahlungsanspruch nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 und 2 LFZG ausgeschlossen. Da §§ 616 Abs. 2 BGB, 63 HGB, 133c GewO eine derartige Einschränkung nicht enthalten und sie sich auch nicht aus anderen Vorschriften ergibt, haben Angestellte in diesen Fällen immer einen Lohnfortzahlungsanspruch. Das Bundesverfassungsgericht hat sich bislang nicht zu der Frage geäußert, ob § 1 Abs. 3 Nr. 1 und 2 LFZG verfassungswidrig sind. Mit einem Vorlagebeschluß vom 5.8.1987 bat das Bundesarbeitsgericht274 um eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich der Vereinbarkeit von § 1 Abs. 3 Nr. 2 LFZG mit dem Grundgesetz. Das Bundesarbeitsgericht führte aus, daß Sachgründe, die die unterschiedliche Behandlung von teilzeitbeschäftigten Arbeitern und Angestellten im Bereich der Entgeltfortzahlung rechtfertigen könnten, nicht

273 Bauer/Röder, Krankheit, S. 21. 274 BAG, AP Nr. 72 zu § 1 LohnFG.

243 ersichtlich seien.275 Nach Ansicht des 5. Senats des Bundesarbeitsgerichts ist § 1 Abs. 3 Nr. 2 LFZG mithin verfassungswidrig.276 § 1 Abs. 3 Nr. 1 LFZG hat in zwei Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts eine Rolle gespielt,277 ohne daß sich das Bundesarbeitsgericht bislang aber zur Frage der Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift geäußert hätte. In der Entscheidung des 5. Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 11.12.1985278 sowie in der Entscheidung vom 27.1.1988279 war von der in § 1 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 LFZG eingeräumten rechtlichen Gestaltungsmöglichkeit jeweils in objektiv funktionswidriger Weise Gebrauch gemacht worden, so daß das Bundesarbeitsgericht dem Kläger den geltend gemachten Lohnfortzahlungsanspruch auch ohne Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit von § 1 Abs. 3 Nr. 1 LFZG zuerkennen konnte.280 Eine Vorlage des § 1 Abs. 3 Nr. 1 LFZG zum Bundesverfassungsgericht war deshalb entbehrlich. Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht zu § 1 Abs. 3 Nr. 1 LFZG hat aber das Arbeitsgericht Bremen am 1.7.1990 eingebracht.281 In seiner Begründung zum Vorlagebeschluß stützt es sich im wesentlichen auf den Vorlagebeschluß des Bundesarbeitsgerichts vom 5.8.1987. Um zu klären, ob § 1 Abs. 3 Nr. 1 und 2 LFZG gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen, muß auf die allgemeinen Grundsätze zurückgegriffen werden. Der Gesetzgeber hat einen je nach Sachbereich verschieden weiten Gestaltungspielraum, aber er darf nicht ohne sachlichen Grund Gleiches ungleich behandeln. Dabei verlangt Art. 3 Abs. 1 GG keine absolute Gleichbehandlung in allen Bereichen; geringfügige Differenzierungen, die einen zahlenmäßig kleinen Anteil aller gesetzlich geregelten Fälle erfassen, darf der Gesetzgeber vernachlässigen. Ihm ist eine Typisierung und Pauschalierung gestattet, wenn dadurch nur in Einzelfallen eine Ungleichbehandlung erfolgt.282

275 BAG, AP Nr. 72 zu § 1 LohnFG; s. auch BAG, Urt. v. 9.10.1991 - 5 AZR 598/90 zu Art 119 EWGV; Thomas, in: Hromadka, Gleichstellung, S. 49,50. 276 BAG, AP Nr. 72 zu § 1 LohnFG; Thomas, in: Hromadka, Gleichstellung, S. 49, 50. 277 BAG, AP Nr. 65, 75 zu § 1 LohnFG; Thomas, in: Hromadka, Gleichstellung, S. 51. 278 BAG, AP Nr. 65 zu § 1 LohnFG. 279 BAG, AP Nr. 75 zu § 1 LohnFG. 280 Die Entgeltfortzahlung erfolgt nach Hunold hier aus dem Rechtsgedanken des § 6 Abs. 1 LFZG, vgl. hierzu Hunold, Krankheit, S. 62,63. 281 ArbG Bremen, BB 1990, S. 2340. 282 BVerfG, NJW 1990, S. 2246,2247.

244 Bei den von den Regelungen der Nr. 1, 2 LFZG betroffenen Personen handelt es sich nicht um eine kleine Gruppierung.283 Der Gesetzgeber sah die Gruppe der Teilzeitbeschäftigten und die der kurzfristig beschäftigten Arbeiter als groß genug an, um eine Ausnahmeregelung für sie zu erlassen.284 Teilzeitbeschäftigte machen ca. 12% an der Gesamtzahl der Beschäftigten aus.285 Es bedarf mithin eines sachlichen Grundes, um die Ungleichbehandlung von in Teilzeit und kurzfristig beschäftigten Arbeitern und Angestellten zu rechtfertigen. Zunächst ist insoweit zu klären, ob die durch § 1 Abs. 3 Nr. 1,2 LFZG normierte Ungleichbehandlung zu einer Benachteiligung führt. Hiervon hängt nämlich - folgt man der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - die Weite des gesetzgeberischen Ermessensspielraums ab und damit auch die Schwere des sachlichen Grundes, der für eine Rechtfertigung der Ungleichbehandlung gegeben sein muß. Je weiter der gesetzgeberische Gestaltungsspielraum, desto geringere Anforderungen sind an den Sachgrund für die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung zu stellen. Hat man einmal eine Benachteiligung festgestellt, so ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob der Nachteil auf anderem Wege kompensiert wird. In Betracht kommt hier gegebenenfalls eine Absicherung der betroffenen Arbeiter durch sozialversicherungsrechtliche Leistungen. Ein Lohnfortzahlungsanspruch der von § 1 Abs. 3 Nr. 1 und 2 LFZG erfaßten Arbeiter nach § 616 Abs. 1 BGB kommt nicht in Betracht, da §616 Abs. 1 BGB jedenfalls bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit gem. § 616 Abs. 3 BGB vom spezielleren Lohnfortzahlungsgesetz verdrängt wird.286 Möglich ist aber, daß die in § 1 Abs. 3 Nr. 1 und 2 LFZG genannten Arbeiter einen Anspruch auf Krankengeld gegen die Krankenkasse haben. Dieser ist, wie oben gezeigt, niedriger als die Lohnfortzahlung und kann 283 Vgl. BAG, AP Nr. 72 zu § 1 LohnFG; ArbG Oldenburg, NZA 1990, S. 438, 439 m.w.N.; vgl. auch Schmitt, ZTR 1991, S. 3, 10. Nach der statistischen Übersicht über Arbeitskräfte, vorgelegt von der Europäischen Kommission, betrug die Anzahl der Arbeitnehmer mit bis zu neun Wochenstunden 1987 176.000 Arbeitnehmer. Die Anzahl der befristet oder geringfügig beschäftigten Arbeitnehmer lag bei über 200.000 Art>eitnehmem. 284 So Becker, DB 1987, S. 167,172. 285 Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften, Europa in Zahlen, Nr. 11. 286 BAG, DB 1960, S. 357; Bauer/Röder, Krankheit, S. 19; Becker, DB 1987, S. 167, 172. Dies gilt auch, wenn § 616 Abs. 1 BGB gegenüber dem Lohnfortzahlungsgesetz günstiger ist: Erman-Hanau, § 616 BGB, Rdnr. 4.

245 schon deshalb keine vollwertige Kompensation bieten. Hinzu kommt folgendes: Ein großer Teil der kurzfristig Beschäftigten und der Teilzeitbeschäftigten erhält weder Lohnfortzahlung noch Krankengeld. Der Krankengeldanspruch steht nämlich nur "Versicherten" zu, § 44 Abs. 1 SGB V. Versichert sind zum einen die Versicherungspflichtigen, zum anderen die freiwillig Versicherten. Versicherungspflichtig sind zwar nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V scheinbar alle Arbeiter und Angestellten. § 7 SGB V normiert jedoch eine Versicherungsfreiheit bei geringfügiger Beschäftigung. Geringfügig Beschäftigte sind nach § 8 SGB IV "Teilzeitbeschäftigte" und "kurzfristig Beschäftigte".287 Krankenversicherungsfrei wegen Teilzeitbeschäftigung ist zum einen, wer regelmäßig weniger als 15 Stunden in der Woche arbeitet und wessen Arbeitsentgelt im Monat ein Sechstel der monatlichen Bezugsgrenze (1992: 500 DM) nicht übersteigt, § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV.2»» Zum anderen ist deijenige krankenversicherungsfrei wegen kurzfristiger Beschäftigung, dessen Beschäftigung seit ihrem Beginn innerhalb eines Jahres auf längstens zwei Monate oder 50 Arbeitstage begrenzt ist, § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV. Die Beschäftigung darf jedoch nicht berufsmäßig ausgeübt werden. Die Verdienstgrenze beträgt ebenfalls 500,— DM. Keine LohnFZ § 1 Abs. 3 Nr. 1 LFZG höchstens 4 Wochen

Kurzfristige Beschäftigung Keine KV-Pflicht 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV höchstens 2 Monate oder 50 Arbeitstage innerhalb eines Jahres seit Beschäftigungsbeginn

§ 1 Abs. 3 Nr. 2 LFZG wöchend. bis 10 Stunden monatl. bis 45 Stunden

Teilzeitbeschäftigung § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV wöchentl. weniger als 15 Stunden Arbeitsentg. bis 500 DM oder 1/6 des Gesamteinkommens

287 S. zum Gesamtkomplex Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, S. 183 ff. 288 § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV. Die Hälfte von ihnen ist nicht krankenversichert; so Becker, DB 1987, S. 167,173. Bei der Beratung des BeschFG ging der Bundestag von folgenden Zahlen aus: 8,15% aller Arbeitnehmer sind Teilzeitbeschäftigte (BT-Drucks. 10/2102, S. 16), von den Teilzeitkräften sind ca. 1,8 Mio. krankenversicherungspflichtig und 1,52 Mio. wegen geringfügiger Beschäftigung sozialversicherungsfrei und im Krankheitsfall ohne jede Sicherung.

246 Wie die Übersicht zeigt, ist ein erheblicher Teil der nicht Lohnfortzahlungsberechtigten auch in der sozialen Krankenversicherung versicherungsfrei. Dies gilt für Arbeiter und Angestellte. Allerdings könnte sich der von § 1 Abs. 3 Nr. 1 und 2 LFZG betroffene Personenkreis freiwillig unter den Voraussetzungen des § 9 SGB V versichernDas wäre für diese Personen aber mit erheblichen Kosten im Vergleich zu ihrem geringen oder kurzzeitigen Einkommen verbunden, so daß sie regelmäßig hiervon Abstand nehmen. Eine Kompensation der Benachteiligung der unter § 1 Abs. 3 Nr. 1, 2 LFZG fallenden Personen durch anderweitige Leistungen kommt nicht in Betracht. Mithin läßt sich feststellen, daß die unter § 1 Abs. 3 Nr. 1, 2 LFZG fallenden Personen keinen Lohnfortzahlungsanspruch erhalten und daß sie deshalb benachteiligt sind. Zwar können sie sich gegebenenfalls freiwillig versichern, sie haben dann jedoch im Vergleich zu ihrem Verdienst unverhältnismäßig hohe Kosten. Zusätzlich zu der Benachteiligung durch den fehlenden Lohnfortzahlungsanspruch wird der Personenkreis, der unter § 1 Abs. 3 Nr. 1, 2 LFZG fällt, weiter auch in Fällen benachteiligt, in denen diese Personen krankenversicherungspflichtig sind. Wie sich anhand der Übersicht ergibt, besteht die Möglichkeit, daß ein Arbeiter keinen Lohnfortzahlungsanspruch erlangt, aber dennoch krankenversicherungspflichtig ist. Beispiele: Ein 500 Ein 500

Arbeiter arbeitet wöchentlich nicht über 10 Stunden, verdient dabei aber über DM. Arbeiter arbeitet im Monat nicht mehr als 45 Stunden, er verdient aber über DM.

Ein Arbeiter steht nur für höchstens 4 Wochen in einem Arbeitsverhältnis, er verdient aber über 500 DM.

Dieser Personenkreis ist benachteiligt, weil er aufgrund der Versicherungspflicht erhöhte Beitragssätze im Vergleich zu anderen Versicherten entrichten muß. Die erhöhten Beitragssätze werden erhoben, weil der Arbeiter für die ersten 6 Wochen seiner Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit keinen Lohnfortzahlungsanspruch erhält, so daß der Krankengeldanspruch nicht "ruht"; die Krankenkasse ist somit sofort zur Krankengeldleistung an den Arbeiter verpflichtet. bbb) Die Verfassungswidrigkeit der Regelung Das Bundesarbeitsgericht hat das Vorliegen von sachlichen Gründen für eine Ungleichbehandlung von teilzeitbeschäftigten Arbeitern im Ver289 Bley, Sozialrecht, C II 2 a ff.

247 gleich zu teilzeitbeschäftigten Angestellten verneint.290 Es betonte u.a., daß kein Unterschied bezüglich des sozialen Schutzbedürfnisses geringfügig beschäftigter Arbeiter zu geringfügig beschäftigten Angestellten bestehe. Zudem wies es darauf hin, daß die Ungleichbehandlung nicht mit dem Hinweis zu rechtfertigen sei, daß geringfügige Angestelltentätigkeiten seltener seien.291 In den Materialien zum Lohnfortzahlungsgesetz finden sich keine Anhaltspunkte für Sachgründe, die die vorliegende Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten.292 Der Entwurf von 1962, der sich auf alle Arbeitnehmer bezog, enthielt keine dem § 1 Abs. 3 Nr. 1,2 LFZG vergleichbare Regelung293. Die von der SPD und der CDU/CSU vorgelegten Entwürfe führten sie ohne Begründung ein294. Der Bericht des 19. Bundestags-Ausschusses bildet hiervon keine Ausnahme295, da beide Entwürfe, die Grundlage der Entscheidung des Bundestags-Ausschusses waren, übereinstimmend den Ausschluß geringfügig und kurzfristig Beschäftigter enthielten. Im folgenden soll geprüft werden, ob sachliche Gründe, die ihren Ursprung gerade in dem Umstand der kurzfristigen Dauer oder der geringen Wochen- oder Monatsarbeitszeit des Arbeitsverhältnisses haben, bestehen. (1) Geringere Fürsorgepflicht In der Literatur findet sich die Auffassung, daß der Ausschluß geringfügig oder kurzfristig Beschäftigter von der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gerechtfertigt sei, weil die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers bei diesen Beschäftigten geringer sei als bei Vollzeit- und dauerhaft Beschäftigten296. Vollzeitbeschäftigte stellen ihre gesamte Arbeitskraft dem Arbeitgeber zur Verfügung, während dies bei Teilzeitbeschäftigten nicht der Fall sei; dauerhaft Beschäftigte stellen im Vergleich zu kurzzeitig Tätigen dem Arbeitgeber ihre Arbeitskraft nicht nur vorübergehend zur Verfügung. Zudem sei die Betriebsverbundenheit und die Integration in den Betrieb

290 291 292 293 294 295 296

BAG, AP Nr. 72 zu § 1 LohnFG. BAG, AP Nr. 72 zu § 1 LohnFG; Schmitt, ZTR 1991, S. 3,9. Becker, DB 1987, S. 167,172. Entwurf, BT-Drucks. IV/817. Entwürfe, BT-Drucks. V/3983; BT-Drucks. V/3985. BT-Drucks. V/4285. Trieschmann, Festschrift für Herschel, S. 421,447; ders., AuR 1969, S. 354,356.

248 bei Kurzzeit- und Teilzeitbeschäftigten nicht so stark ausgeprägt wie bei Vollzeit- und dauerhaft Beschäftigten.297 Unterstellt man die Richtigkeit dieser Argumentation, so erklärt dies noch nicht, warum teilzeit- und kurzzeitig beschäftigte Arbeiter keinen Lohnfortzahlungsanspruch erhalten sollten, wenn ein solcher Angestellten zusteht. Ein sachlicher Grund für die Andersbehandlung gerade Teilzeitbeschäftigter und Kurzzeitbeschäftigter untereinander liegt hierin jedenfalls nicht.298 Ein solcher könnte lediglich dann gegeben sein, wenn die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers bei einem Angestellten größer wäre als bei einem Arbeiter; daß dies nicht der Fall ist, ist bereits an anderer Stelle dargestellt worden. (2) Schaffung wirtschaftlicher Werte Der Ausschluß kurzzeitig beschäftigter Arbeiter von der Lohnfortzahlung nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 LFZG wird auch heutzutage noch, wie schon zur Zeit des Arbeiterkrankheitsgesetzes, damit begründet, daß der Kurzzeitbeschäftigte, der nicht mehr als vier Wochen bei einem Arbeitgeber tätig ist, nur ein Mindestmaß an wirtschaftlichen Werten erbringen kann299. Es ist aber auch hierbei nicht ersichtlich, weshalb ein Angestellter einen wirtschaftlich bedeutsamen Wert für den Arbeitgeber bereits ab oder sogar vor dem ersten Tag seiner Tätigkeit erbracht haben soll. Hinsichtlich der Schaffung wirtschaftlicher Werte eines teilzeitbeschäftigten Arbeiters und eines teilzeitbeschäftigten Angestellten gilt Entsprechendes. (3) Erfordernis stärkerer Fluktuation § 1 Abs. 3 Nr. 1 LFZG wird, wie schon § 1 Abs. 2 ArbKrankhG, damit zu erklären versucht, daß in einzelnen Gewerbezweigen die Fluktuation stärker sein müsse300. Bei Arbeitertätigkeiten müsse im Gegensatz zu Angestelltentätigkeiten der Arbeitnehmerwechsel rascher vonstatten gehen, so daß die Fluktuation einen sachlichen Grund für den Ausschluß kurzzeitig beschäftigter Arbeiter abgeben könne. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Hinweis auf Fluktuationsmöglichkeiten eine gewisse Berechtigung nicht abgesprochen.301 Der Versuch, hierin einen sachlichen Rechtfertigungsgrund für die Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten im Lohnfortzah297 298 299 300 301

Vgl. Trieschmann, Festschrift für Herschel, S. 421,447. Loddenkemper, Gleichbehandlung, S. 128. Vgl. ArbG Dortmund, BB 1958, S. 270,271; Becker, DB 1987, S. 167,172. Becker, DB 1987, S. 167,172. BVerfG, NJW 1990, S. 2246,2248.

249 lungsrecht zu finden, überzeugt jedoch nicht. Das Lohnfortzahlungsgesetz stellt nicht auf die Fluktuation von Arbeitnehmern ab. Während zur Zeit des Arbeiterkrankheitsgesetzes alle Arbeiter erst nach vierwöchiger Betriebszugehörigkeit einen Entgeltfortzahlungsanspruch erwarben, schließt § 1 Abs. 3 Nr. 1 LFZG ausdrücklich nur Arbeiter, bei denen das Arbeitsverhältnis von vornherein auf vier Wochen begrenzt ist, von der Entgeltfortzahlung aus. Unbefristet eingestellte Arbeiter erhalten vom ersten Arbeitstag an einen Entgeltfortzahlungsanspruch. 302 Dies gilt selbst dann, wenn sie nicht länger als vier Wochen in dem Betrieb tätig sind.303 Langfristig teilzeitbeschäftigte Arbeiter erfaßt dieser Gesichtspunkt ohnehin nicht.304 (4) Unterschiedliches Sicherungsbedürfnis Als Argument für die Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten durch § 1 Abs. 3 Nr. 1,2 LFZG findet sich weiterhin der Verweis auf das unterschiedliche Sicherungsbedürfnis dieser Arbeitnehmergruppen 305 . - Warum allerdings Angestellte bei gleicher sozialrechtlicher Ausgangslage größeren Schutz benötigen sollen als Arbeiter, ist nicht ersichtlich und wird auch nicht begründet. 306 (5) Höherer Krankenstand Auch der höhere Krankenstand von Arbeitern wird als Sachgrund für § 1 Abs. 3 Nr. 1 , 2 LFZG angeführt 307 . So erkranken teilzeit- und kurzzeitig beschäftigte Arbeiter häufiger als Angestellte. Unterstellt, dies wäre ein legitimes Argument, so müßte es allgemein für Arbeiter eine andere Regelung der Lohnfortzahlung geben als für Angestellte. Warum von der Benachteiligung nur die kurzfristig und die teilzeitbeschäftigten Arbeiter betroffen sein sollen, wird nicht begründet. Daneben ist hinsichtlich des Krankenstandes ohnehin schon die Gruppenspezifik fraglich. Eine Erkrankung wird im wesentlichen durch die körperliche Konstitution bestimmt. Ein Sachargument findet sich im höheren Krankenstand somit nicht.

302 303 304 305

So Becker, DB 1987, S. 167,172. Becker, DB 1987, S. 167,172. Becker, DB 1987, S. 167,172. Vgl. zu § 1 Abs. 3 Nr. 2 LFZG BAG, AP Nr. 72 zu § 1 LohnFG; Becker, DB 1987, S. 167,172. 306 Vgl. Loddenkemper, Gleichbehandlung, S. 128. 307 Vgl. Becker, DB 1987, S. 167,173.

250 Zusammenfassend zeigt sich, daß die in der Literatur angeführten Argumente häufig nicht kurzzeitbeschäftigte Arbeiter mit kurzzeitbeschäftigten Angestellten und teilzeitbeschäftigte Arbeiter mit teilzeitbeschäftigten Angestellten vergleichen, sondern Vollzeit- mit Teilzeitbeschäftigung und dauerhafte mit kurzfristiger Beschäftigung. Damit liegt von vornherein ein falscher Ansatzpunkt zugrunde. Die Regelungen der §§ 1 Abs. 3 Nr. 1,2 LFZG sind verfassungswidrig.308 Ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung von kurzfristig und teilzeitbeschäftigten Arbeitern und kurzfristig und teilzeitbeshäftigten Angestellten besteht nicht. cc) Verfassungskonforme Auslegung Aufgrund des eindeutigen Gesetzeswortlauts und des klaren gesetzgeberischen Willens hinsichtlich § 1 Abs. 3 Nr. 1 , 2 LFZG kommt eine verfassungskonforme Auslegung des § 1 Abs. 3 LFZG in dem Sinne, daß kurzzeit- und teilzeitbeschäftigte Arbeiter nicht mehr von der Entgeltfortzahlung ausgeschlossen sind, nicht in Betracht. Auch eine verfassungskonforme Auslegung oder Analogie zu § 1 Abs. 3 Nr. 1,2 LFZG mit der Folge, daß nunmehr auch kurzzeitbeschäftigten und teilzeitbeschäftigten Angestellten kein Entgeltfortzahlungsanspruch mehr zustehen soll, ist nicht möglich.309 Es bleibt somit bei der Feststellung, daß § 1 Abs. 3 Nr. 1,2 LFZG verfassungswidrig ist.310 c)

Die Verfassungswidrigkeit der Regelung im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG (Teilzeit/Vollzeit; kurzfristige Beschäftigung/ Dauerbeschäftigung) § 1 Abs. 3 Nr. 1,2 LFZG könnte nicht nur im Verhältnis von kurzfristig und teilzeitbeschäftigten Arbeitern zu kurzfristig und teilzeitbeschäftigten Angestellten verfassungswidrig sein. In Betracht kommt auch eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung von teilzeitbeschäftigten Arbeitern zu Vollzeitbeschäftigten (Arbeitern und Angestellten) sowie von kurzfristig beschäftigten Arbeitern zu Dauerbeschäftigten (Arbeitern und Angestellten).

308 BAG, AP Nr. 59 zu § 1 LohnFG m.Anm. Hanau-, Farthmann, Festschrift für Hilger/Stumpf, S. 177,200,202. 309 Loddenkemper, Gleichbehandlung, S. 127. 310 So auch Schmitt, ZTR 1991, S. 3,10.

251 aa)

Vollzeitbeschäftigte

und teilzeitbeschäftigte

Arbeiter

aaa) Fürsorgepflicht und Integration Im Schrifttum wird ein Verfassungsverstoß durch § 1 Abs. 3 Nr. 2 LFZG gegen Art. 3 Abs. 1 GG mit dem Argument abgelehnt, daß die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers bei Teilzeitbeschäftigung schwächer ausgeprägt sei als bei Vollzeitbeschäftigung 311 . Vollzeitbeschäftigte seien stärker in den Betrieb integriert und besäßen eine größere Betriebsbindung als Teilzeitbeschäftigte. Selbst wenn man der Auffassung folgen wollte, daß sich die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers nach der Arbeitszeit staffelt, so ist dem entgegenzuhalten, daß sich die Betriebsverbundenheit und Integration bei Teilzeitbeschäftigten, die über Jahre hinweg in einem Betrieb tätig sind, regelmäßig nicht von derjenigen der Vollzeitbeschäftigten unterscheidet. Mangels Gruppenspezifik hinsichtlich der Betriebsintegration und der Betriebsverbundenheit kann die Fürsorgepflicht zwischen Vollzeit- und Teilzeitkräften nicht abgestuft werden. bbb) Schaffung wirtschaftlicher Werte Ein rechtfertigender Sachgrund für § 1 Abs. 3 Nr. 2 LFZG kann nicht darin liegen, daß der Vollzeitbeschäftigte größere wirtschaftliche Werte erbringt als der Teilzeitbeschäftigte. Zwar schafft der Teilzeitbeschäftigte wirtschaftliche Werte nur im Rahmen seiner Arbeitszeit, gegebenenfalls liegen diese aber, weil er durch seine begrenzte Stundenzahl ausgeruhter ist als der Vollzeitbeschäftigte, auf die Stundenzahl bezogen höher als bei Vollzeitbeschäftigten. 312 ccc) Schutzbedürfnis Ein unterschiedliches Sicherungsbedürfnis zwischen Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten kann die mit § 1 Abs. 3 Nr. 2 LFZG vollzogene gesetzliche Differenzierung im Lohnfortzahlungsrecht der Arbeiter nicht rechtfertigen. Der Vollzeitbeschäftigte erhält im Gegenteil von der Krankenkasse Krankengeld im Krankheitsfall. Der Teilzeitbeschäftigte ist häufig weder durch eine Entgeltfortzahlung noch durch Krankengeld sozial abgesichert. Da es keinen sachlichen Grund gibt, Teilzeitbeschäftigte anders als Vollzeitbeschäftigte zu behandeln, ist § 1 Abs. 3 Nr. 2 LFZG, der eine solche Unterscheidung normiert, verfassungswidrig. 311 Vgl. Trieschmann, Festschrift für Herschel, S. 421,447. 312 Wank, RdA 1985, S. 1,17.

252 bb)

Kurzzeitig beschäftigte Arbeiter und langfristig Arbeitnehmer (Arbeiter und Angestellte)

beschäftigte

aaa) Schaffung wirtschaftlicher Werte Daß kurzzeitig Tätige einen geringeren wirtschaftlichen Wert für den Arbeitgeber erwirtschaften als länger beschäftigte Arbeitnehmer, rechtfertigt eine unterschiedliche Behandlung hinsichtlich der Entgeltfortzahlung nicht. Unter Umständen erwirtschaften diese sogar, bezogen auf die Vertragsdauer, einen größeren wirtschaftlichen Wert als langfristig beschäftigte Arbeitnehmer. Zudem kann der Arbeitgeber selbst ein Interesse an der vorübergehenden Beschäftigung von Arbeitnehmern haben, das sich aus betrieblichen Erfordernissen und der Art der Beschäftigung ergeben kann. Daneben erspart der Arbeitgeber Arbeitgeberaufwendungen zur Sozialversicherung313. bbb) Sicherungsbedürfnis Ob ein geringeres Sicherungsbedürfnis bei kurzzeitig Beschäftigten im Vergleich zu langfristig Beschäftigten vorliegt, läßt sich nicht generell entscheiden. Die Frage des Sicherungsbedürfnisses ist personenbezogen und bestimmt sich nach den Verhältnissen des jeweiligen Arbeitnehmers. ccc) Fürsorgepflicht des Arbeitgebers Anders sieht es dagegen mit der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers aus. Der Arbeitgeber, der nur für längstens vier Wochen einen Arbeitnehmer einstellt, steht zu ihm in keiner intensiven Beziehung. Das Arbeitsverhältnis ist von vornherein nur auf eine festgelegte, eng begrenzte Zeit ausgerichtet. Die Beteiligten wissen um den Umstand, daß das Arbeitsverhältnis nach Ablauf von längstens vier Wochen beendet ist. Ist dies im Einzelfall nicht gegeben, weil es zu einer Vertragsverlängerung kommt, so steht dem Arbeitnehmer mit der Vereinbarung der Vertragsverlängerung ein Entgeltfortzahlungsanspruch gegen den Arbeitgeber zu. Sollte der Arbeitgeber jedes Arbeitsverhältnis zunächst auf vier Wochen befristen und dann eine Verlängerung anstreben, so nimmt das Bundesarbeitsgericht an, daß der Arbeitgeber in objektiv funktionswidriger Weise von der Befristungsmöglichkeit Gebrauch gemacht hat, so daß diese unwirksam ist und dem Arbeitnehmer ein Entgeltfortzahlungsanspruch zukommt314. Bei einem auf höchstens vier Wochen befristeten Arbeitsverhältnis geht es den Beteiligten im Gegensatz zu einem langfristig 313 Wank, RdA 1985, S. 1,17. 314 Vgl. BAG, AP Nr. 65, 75 zu § 1 LohnFG.

253 angelegten Arbeitsverhältnis um den bloßen Leistungsaustausch. Hier besteht deshalb ein Grund, den Arbeitgeber von der Lohnfortzahlungspflicht im Krankheitsfall zu befreien. § 1 Abs. 3 Nr. 1 LFZG ist daher nicht unter dem Aspekt, daß kurzzeitig Beschäftigten im Gegensatz zu langfristig Beschäftigten kein Entgeltfortzahlungsanspruch im Krankheitsfalle zusteht, verfassungswidrig. d)

Die Verfassungswidrigkeit der Regelung im Hinblick auf Art. 119 EWGV, Art. 3 Abs. 2 GG § 1 Abs. 3 Nr. 1,2 LFZG könnte zu einer europarechtswidrigen und verfassungswidrigen Ungleichbehandlung von Männern und Frauen führen. Frauen sind diejenigen Arbeitnehmer, die aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung als Hausfrauen und Mütter am häufigsten einer Tätigkeit nachgehen, die nur vorübergehend ist oder die sich nur auf eine geringere Stundenzahl erstreckt. Da der Anteil der Frauen an der Zahl der Teilzeitbeschäftigten und der kurzfristig Beschäftigten erheblich höher ist als der der Männer,315 könnte in der entsprechenden Benachteiligung dieser Arbeitnehmergruppe zugleich eine mittelbare Frauendiskriminierung liegen. aa) Art. 119 EWGV Art. 119 EWGV liegt ein weiter Entgeltbegriff zugrunde, der jedenfalls auch die Lohnfortzahlung umfaßt.316 Auch wenn § 1 Abs. 3 LFZG nicht unmittelbar auf den Unterschied zwischen Mann und Frau abstellt, so genügt jedenfalls für Art. 119 EWGV auch eine mittelbare Diskriminierung.317 Nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs verstößt § 1 Abs. 3 Nr. 2 LFZG nur dann gegen Art. 119 EWGV, wenn sich kein sachlicher Grund für die Differenzierung zwischen Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten in Bezug auf die Fortzahlung des Arbeitsentgelts ergibt. Allein die Tatsache, daß von der Regelung des § 1 Abs.3 Nr. 2 LFZG mehr Frauen als Männer betroffen sind, begründe aber noch keinen Verstoß gegen Art. 119 EWGV.318 Da, wie dargelegt, bereits teilzeitbeschäftigte 315 316 317 318

Vgl. die Angaben im Urt. ArbG Oldenburg, NZA 1990, S. 438,439. EuGH, NZA 1990, S. 437,438; ArbG Oldenburg, NZA 1990, S. 438,439. Vgl. EuGH, NZA 1990, S. 437,438. EuGH, NZA 1990, S.437, 438. Das BAG hat inzwischen durch Urteil v. 9.10.1991, DB 1992, S. 330 entschieden, daß es keine objektiven Faktoren gebe, die eine Schlechterstellung von Frauen rechtfertigen könnten; § 3 Abs. 1 Nr. 2 LFZG verstoße daher gegen Art. 119 EWGV.

254 Männer gegenüber vollzeitbeschäftigten Männern ohne sachlichen Grund benachteiligt werden, liegt jedenfalls auch eine unzulässige mittelbare Diskriminierung von Frauen vor.319 Überträgt man die Aussage des Europäischen Gerichtshofs auf § 1 Abs. 3 Nr. 1 LFZG, so ergibt sich ein Unterschied in der Argumentation insofern, als die Kurzfristigkeit der Beschäftigung eine unterschiedliche Regelung zwischen den beiden Gruppen von Männern rechtfertigt. Nach der älteren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs würde dieser sachliche Grund zur Ungleichbehandlung von Gruppen männlicher Arbeitnehmer auch zur Ungleichbehandlung von Männern und Frauen genügen. Nach der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs reicht allerdings für eine tatsächliche Ungleichbehandlung von Frauen gegenüber Männern nicht mehr ein schlichter sachlicher Grund aus, sondern es muß ein gravierender sachlicher Grund sein.320 Von daher könnte § 1 Abs. 3 Nr. 1 LFZG gegen Art. 119 EWGV verstoßen. Die Frage muß als offen angesehen werden. Auf die Argumente soll zu Art. 3 Abs. 2 GG näher eingegangen werden. bb) Art. 3 Abs. 2 GG Während für Art. 3 Abs. 1 GG ein sachlicher Grund für die Differenzierung ausreicht, bedarf es für eine Ungleichbehandlung im Hinblick auf Art. 3 Abs. 2 GG eines zwingenden sachlichen Grundes.321 Dem ist zuzustimmen, soweit unmittelbare Diskriminierungen betroffen sind. Handelt es sich um die vom Arbeitgeber selbst beherrschte Sphäre, können diese strengen Anforderungen mit Recht erhoben werden. Anders steht es dagegen in Fällen einer mittelbaren Diskriminierung. Hier ist allerdings das Bundesarbeitsgericht der Meinung, für unmittelbare und mittelbare Diskriminierungen müßten dieselben Maßstäbe gelten,322 und auch in der Literatur wird diese Ansicht vertreten.323 Sie übersieht, daß der Arbeitgeber nicht der richtige Adressat ist, um alle Versäumnisse des Staates wieder gutzumachen.324 319 Ebenso ArbG Minden, BB 1990, S. 1980; ArbG Oldenburg, BB 1990, S. 349; LAG Köln, BB 1991, S. 912; s. aber auch LAG Hamm, DB 1991, S. 1286. 320 EuGH, NZA 1990, S. 437,438: "notwendige Ziele". 321 BVerfGE 3, S. 2 2 5 , 2 3 9 f.; 21, S. 329, 343; 39, S. 169, 186; 48, S. 346, 365 f.; 52, S. 369, 374. 322 BAG, AP Nr. 11 zu Art. 119 EWG-Vertrag; allerdings widerspricht dem BAG, AP Nr. 4 zu § 1 BetrAVG Gleichberechtigung; s. dazu Wank, ZfA 1987, S. 355, 446 ff. 323 Kirsten, RdA 1990, S. 282 ff. 324 S. Wank, ZfA 1987, S. 355,448.

255 Beispiel: Beim Arbeitgeber A nehmen an Fortbildungskursen zahlenmäßig mehr Männer als Frauen teil, weil es an Kindergartenplätzen und Ganztagsschulen fehlt. Nach der Logik des Bundesarbeitsgerichts müßte allein aufgrund des Zahlenverhältnisses eine mittelbare Diskriminierung durch den Arbeitgeber vorliegen. Er müßte also entweder die Fortbildungskurse für Männer und Frauen abschaffen oder Kindergärten und Ganztagsschulen errichten. Tatsächlich liegt ein Defizit auf Seiten des Staates - der Kommune und des Landes - vor. Sie sind zu realen Leistungen gegenüber Eltem verpflichtet, statt nur zu Verbalaktivismus. Mit dem Arbeitsverhältnis hat der Bereich der Kinderbetreuung ebensowenig zu tun wie politische Weiterbildung, Segelscheine oder Museumsbesuche.

Soweit in der Literatur das Problem der mittelbaren Diskriminierung richtig gesehen wird, wird versucht, eine Einschränkung der Arbeitgeberpflichten aufgrund des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu erreichen. 325 So richtig der Ansatz auch ist, wenn es um mittelbare Diskriminierungen in der Arbeitgebersphäre geht, so muß doch zuvor der Bereich abgesteckt werden, der auf staatlichen Defiziten beruht und der dem Arbeitgeber nicht zuzurechnen ist. Die Gegenansicht führt zu bedenklichen Ergebnissen. Wenn kurzfristig beschäftigte Arbeiter von der Lohnfortzahlung ausgenommen sind, dann aufgrund der zutreffenden Erkenntnis des Gesetzgebers, daß bei der Lohnfortzahlung das Arbeitsverhältnis mit einer sozialversicherungsrechtlichen Aufgabe überfrachtet wird, die jedenfalls dann nicht mehr zumutbar ist, wenn der Arbeitgeber überhaupt keine Gegenleistung erhält. Der gesetzliche Leistungsausschluß kompensiert also nur eine im Ansatz zweifelhafte gesetzliche Regelung in einem Teilbereich; mit einer Ungleichbehandlung von Männern und Frauen hat das nichts zu tun. Würde dem Arbeitgeber beispielsweise die Lohnfortzahlung von der Krankenkasse erstattet, dürfte er selbstverständlich nicht nach kurzfristig und längerfristig Beschäftigten (Männern oder Frauen) differenzieren. Im Ergebnis liegt nach hier vertretener Ansicht kein Verstoß gegen Art. 119 EWGV oder Art. 3 Abs. 2 GG vor; doch könnten Europäischer Gerichtshof und Bundesarbeitsgericht eine andere Beurteilung zugrundelegen.

e)

Die geplante Neuregelung nach EG-Recht sowie die Arbeitsschutzrichtlinie

Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat 1990 drei Richtlinienvorschläge für atypische Arbeitsverhältnisse vorgelegt, die sich auch auf Teilzeitbeschäftigte und auf kurzfristig Beschäftigte be-

325 Hanau/Preis, ZfA 1988, S. 177,190,191.

256 ziehen.326 Die auf Art. 118 a EWGV gestützte Arbeitsschutzrichtlinie ist im Juli 1991 in Kraft getreten.327 Sollten auch die beiden anderen Richtlinien verabschiedet werden, wäre auch der deutsche Gesetzgeber nach Art. 189 Abs. 3 EWGV daran gebunden. Ohne daß die Realisierung dieser beiden Richtlinien z.Z. abgesehen werden kann, sollen sie jedenfalls kurz vorgestellt werden. Teilzeitbeschäftigte weiden in Art. 1 Nr. 1 Buchst, a des Vorschlags für eine Richtlinie des Rates über bestimmte Arbeitsverhältnisse hinsichtlich der Arbeitsbedingungen (Arbeitsbedingungsrichtlinie) erfaßt. Sie haben nach Art. 3 der Richtlinie bei der Gewährung von Geldleistungen im Rahmen eines Sozialfürsorgesystems oder eines nicht beitragsgebundenen Systems der sozialen Sicherheit einen Anspruch auf vergleichbare Behandlung wie Vollzeitarbeitnehmer. Auch der Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über bestimmte Arbeitsverhältnisse im Hinblick auf Wettbewerbsverzerrungen (Wettbewerbsverzerrungsrichtlinie) führt Teilzeitbeschäfte in Art. 1 Nr. 1 Buchst, a auf. Nach Art. 2 dieser Richtlinie müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, daß Teilzeitbeschäftigte einen sozialen Schutz auf der Grundlage der gesetzlichen und betrieblichen Systeme der sozialen Sicherheit genießen, der unter Berücksichtigung der Dauer der Arbeit auf der gleichen Grundlage und den gleichen Kriterien beruht, die auch für Vollzeitarbeitnehmer gelten. - Anders gesagt: Bei Zahlungen des Arbeitgebers dürfen Teilzeitbeschäftigte nicht ohne sachlichen Grund ungleich gegenüber Vollzeitbeschäftigten behandelt werden. Am geltenden Recht der Bundesrepublik Deutschland ändert sich also nichts. Die Arbeitsschutzrichtlinie enthält keine Regelungen über die Teilzeitbeschäftigung. Kurzfristig Beschäftige werden in Art. 1 Nr. 1 Buchst, b erster Spiegelstrich der Arbeitsbedingungsrichtlinie und in Art. 1 Nr. 1 Buchst, b erster Spiegelstrich der Wettbewerbsverzerrungsrichtlinie genannt. Auch für sie gelten die oben genannten Vorschriften über die Gleichbehandlung, wobei jeweils auf die Beziehung kurzfristig Beschäftigte / unbefristet Beschäftigte bezug genommen wird. - Auch hier ändert sich nichts am geltenden Recht. Die allein wichtige Frage, wie es mit der mittelbaren Diskriminierung steht, wird nicht angesprochen. Die Arbeitsschutzrichtlinie regelt unter dem Oberbegriff "Zeitarbeit" außer der Leiharbeit auch die kurzfristige Beschäftigung. Sie enthält zwar konkrete Gleichheitssätze zum Sozialversicherungsrecht, aber keinen allgemeinen arbeitsrechtli326 S. den Abdruck in RdA 1991, S. 44 ff.; dazu Wank, RdA 1992, S. 103. 327 ABl. v. 29.7.1991, Nr. C 206/19.

257 chen Gleichheitssatz. Insofern ist sie für die hier behandelte Frage nicht einschlägig.

f)

Bisherige

Neuregelungsvorschläge

Bisherige Neuregelungsvorschläge sind im DGB-Entwurf zum Arbeitsverhältnisrecht, im Kommissionsentwurf und in den Ausführungen von Trieschmann enthalten.

aa) Der Vorschlag der aaa) Darstellung

Arbeitsgesetzbuchkommission § 5 6 KE

§ 55 gilt nicht 1.

2. 3.

für einen Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis, ohne ein Probearbeitsverhältnis zu sein, auf eine bestimmte Zeit, höchstens für vier Wochen, begründet ist. Wird das Arbeitsverhältnis über vier Wochen hinaus fortgesetzt, so gilt § 55 vom Tage der Vereinbarung der Fortsetzung an. Ergibt sich die Dauer des Arbeitsverhältnisses aus Art, Zweck oder Beschaffenheit der vereinbarten Arbeitsleistung, so gilt § 55 von dem Tage, an dem erkennbar ist, daß das Arbeitsverhältnis über vier Wochen hinaus fortgesetzt wird. (Leerstelle) für einen Zeitraum, für den eine Arbeitnehmerin Anspruch auf Mutterschaftsgeld hat.

bbb) Stellungnahme § 56 KE sieht zwei Fälle vor, in denen einem Arbeitnehmer ein Lohnfortzahlungsanspruch gem. § 55 KE nicht zustehen soll. § 56 Nr. 1 KE entspricht im wesentlichen § 1 Abs. 3 Nr. 1 LFZG und schließt Arbeitnehmer, die nur für höchstens vier Wochen bei einem Arbeitgeber beschäftigt sind, von der Lohnfortzahlung aus. § 56 Nr. 3 KE enthält einen Ausschluß für Arbeitnehmerinnen, die Mutterschaftsgeld beziehen, und übernimmt § 1 Abs. 3 Nr. 3 LFZG. Anders als § 1 Abs. 3 Nr. 2 LFZG klammert § 56 KE jedoch Beschäftigte, die regelmäßig wöchentlich nicht mehr als zehn Stunden oder monatlich nicht mehr als 45 Stunden arbeiten, nicht mehr von dem Anspruch auf Lohnfortzahlung aus. Damit erkennt der Kommissionsentwurf an, daß Teilzeitbeschäftigte ebenso wie Vollzeitbeschäftigte auch im Hinblick auf die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gleichzubehandeln sind. Lediglich kurzfristig Beschäftigte, die anders als Teilzeitbeschäftigte von vornherein nur für einen kurzen Zeitraum in den Betrieb integriert sind, sollen auch weiterhin keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung erhalten. Der Kommissionsentwurf

258 übernimmt im Ergebnis somit teils die geltende Rechtslage für Arbeiter, teils die für Angestellte.

bb) Der Vorschlag des DGB aaa) Darstellung328 §61 § 60 gilt nicht für einen Zeitraum, für den eine Arbeitnehmerin Anspruch auf Mutterschaftsgeld hat.

bbb) Stellungnahme Abweichend vom Kommissionsentwurf schließt § 61 DGB-Entwurf nur Bezieherinnen von Mutterschaftsgeld von der Lohnfortzahlung aus, da diese durch das Mutterschaftsgeld hinreichend finanziell abgesichert sind und keinen doppelten Anspruch erlangen sollen. Der DGB-Vorschlag überträgt mithin die Rechtslage für Angestellte ohne Einschränkungen auch auf Arbeiter.

cc)

Der Vorschlag Trieschmanns329

aaa) Darstellung Trieschmann will, ebenso wie der DGB-Vorschlag, die Rechtslage für Angestellte ohne Veränderungen auch auf Arbeiter anwenden. Bei der Begründung seines Neuregelungsvorschlags geht Trieschmann auf den Einwand ein, daß kurzzeitig und teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer anders als dauerhaft und vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer in den Betrieb integriert sind und deshalb die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, die ihren Ausdruck u.a. in der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall findet, bei der ersten Gruppe entfällt. Er bejaht dabei, daß die Fürsorgepflicht verschieden stark ausgeprägt sein kann, hält aber den Einwand der Verfechter der geltenden Rechtslage für zweifelhaft. Im übrigen weist Trieschmann darauf hin, daß der durch § 1 Abs. 3 Nr. 1 , 2 LFZG von der Lohnfortzahlung ausgeschlossene Personenkreis ebenso wie andere Arbeitnehmer zur Sicherung des Unterhalts auf die Lohnfortzahlung angewiesen sei. Mit Recht gibt Trieschmann auch zu bedenken, daß bei Arbeitsverhältnissen i.S. von § 1 Abs. 3 Nr. 1,2 LFZG die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Lohnfortzahlung zeitlich oder der Höhe nach geringer ist als bei dauerhaft und vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern. Vom gewünschten Ergebnis her argumentiert, erscheint der Hinweis Triesch328 RdA 1977, S. 166 ff. 329 Trieschmann, Festschrift für Herschel, S. 421,446,447.

259 manns berechtigt, daß bei befristeten Arbeitsverhältnissen das Krankheitsrisiko größer sei als bei unbefristeten Arbeitsverhältnissen, daß dies aber unbeachtlich sei, da nicht jeder kurzzeitig angestellte Arbeitnehmer erkrankt, so daß schließlich das höhere Risiko für den Arbeitgeber tragbar sei. Im übrigen endet der Lohnfortzahlungsanspruch gegen den Arbeitgeber, wie Trieschmann ebenfalls betont, mit dem Ablauf des Vertrages. Als letztes Argument führt Trieschmann ins Feld, daß wirtschaftlich sowie sozialpolitisch die Übernahme der Rechtslage für Angestellte auf Arbeiter vertretbar sei. Jedenfalls dieses Argument scheint allein von dem Gedanken getragen, den finanziell schwächeren Arbeitnehmer zu Lasten des Arbeitgebers zu schützen, zumal für eine große Anzahl der von § 1 Abs. 3 Nr. 1 , 2 LFZG Betroffenen auch kein Anspruch auf Kassenleistungen besteht. bbb) Stellungnahme Zu Trieschmanns Argumenten wird im Zusammenhang mit dem eigenen Regelungsvorschlag Stellung genommen. g) Eigener Vorschlag Im Hinblick auf Teilzeitbeschäftigte ist an einer Neuregelung in dem Sinne, daß auch bei Teilzeitbeschäftigung in gleicher Weise Lohnfortzahlung zu erbringen ist wie bei Vollzeitbeschäftigung, nicht vorbeizukommen. Eine abweichende Regelung verstößt gegen Art. 119 EWGV, 330 gegen Art. 3 Abs. 1 GG in zweifacher Hinsicht sowie gegen Art. 3 Abs. 2 GG. Auch im Hinblick auf § 2 Abs. 1 BeschFG läßt sich die unterschiedliche Regelung nicht rechtfertigen. 331 Im Hinblick auf kurzfristig Beschäftigte wurde dargelegt, daß das Grundübel in der arbeitsrechtlichen Lösung liegt und daß § 1 Abs. 3 Nr. 1 LFZG der Reparaturversuch für eine verfehlte Regelung ist. Hält man aber mit der herrschenden juristischen und sozialpolitischen Meinung an der bisherigen Lösung fest, daß es Aufgabe des Arbeitgebers sei, für das gesamte Wohl und Wehe des Arbeitnehmers außerhalb des Arbeitsverhältnisses zu sorgen, dann müssen auch weitere Ungereimtheiten in Kauf genommen werden. Wenn man sich so weit vom Äquivalenzverhältnis löst, wie das ganz überwiegend geschieht, dann wird man auch davon 330 Vgl. EuGH, NZA 1990, S. 437 f.; ArbG Oldenburg, NZA 1988, S. 697, 698; NZA 1990, S. 438 ff. Vgl. auch zur mittelbaren Diskriminierung von Teilzeitkräften Colneric, Anm. zu EuGH AR-Blattei Gleichbehandlung im Arbeitsverhältnis Entscheidungen Nr. 77. 331 Becker, DB 1987, S. 167,173; vgl. auch SPD-Fraktion, BT-Dracks. 10/2559.

260 absehen, nach Axt. 12 GG zu prüfen, ob die Belastung des Arbeitgebers mit einem Lohnfortzahlungsanspruch verhältnismäßig ist, wenn er für diese Zahlung zu keinem Zeitpunkt eine Gegenleistung erhält. Beispiel: Arbeiter A, der für vier Wochen eingestellt ist, erkrankt eine Stunde nach Arbeitsaufnahme vier Wochen lang aufgrund eines privaten Verhaltens vom Vortage. Wird § 1 Abs. 3 Nr. 1 LFZG gestrichen, muß der Arbeitgeber für den gesamten Zeitraum von vier Wochen Lohnfortzahlung erbringen. Stellt er eine Ersatzkraft ein, zahlt er den zweifachen Lohn für eine Arbeitsleistung.

Mithin erscheint es sachgerecht, nicht dem Arbeitgeber die Kosten der Lohnfortzahlung für kurzzeitig beschäftigte Arbeitnehmer aufzubürden. 332 Gegebenenfalls könnte man, da der Einwand Trieschmanns zutreffend ist, daß einen kurzfristig beschäftigten Arbeitnehmer im Grundsatz wie jeden anderen bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit der Verlust der Entgeltfortzahlung trifft, einen Lohnersatzanspruch des Arbeitnehmers gegenüber der Krankenkasse normieren. Dabei sollte jedoch der Lohnersatzanspruch geringer sein als das Arbeitsentgelt, um die Gefahr mißbräuchlicher Inanspruchnahme der Kasse auszuschließen. Um dann einer Ungleichbehandlung von Mitgliedern der gesetzlichen Krankenkassen und Nichtmitgliedern vorzubeugen, sollte der Lohnersatzanspruch auch Arbeitnehmern zustehen, die nicht Mitglieder sind. Da diese wiederum keine Beiträge an die gesetzlichen Krankenkassen entrichten, könnte die Finanzierung des Lohnersatzanspruchs allenfalls durch eine Umlage, die entweder von allen Arbeitnehmern erhoben wird oder von allen kurzzeitig beschäftigten Arbeitnehmern, erfolgen. Damit wäre zum einen aber ein enormer Verwaltungsaufwand ohne angemessenes Kosten-Nutzen-Verhältnis verbunden, zum anderen eine Kostenbelastung der Arbeitnehmer, die zumindest für kurzzeitig und damit regelmäßig wenig verdienende Arbeitnehmer zu erheblichen und unverhältnismäßigen finanziellen Belastungen führen würde. Deshalb erscheint es sachgerecht, mit dem Kommissionsentwurf auf einen Lohnfortzahlungsanspruch für kurzzeitig beschäftigte Arbeitnehmer zu verzichten. Der Arbeitgeber jedenfalls kann mit einem solchen Lohnfortzahlungsanspruch unter dem Gesichtspunkt des Äquivalenzverhältnisses nicht belastet werden. 5.

Tariföffhungsklauseln

a) Darstellung Außer nach den gesetzlichen Vorschriften regelt sich die Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle überwiegend nach Tarifverträgen. Nach gel332 S. auch Zöllner, NJW 1990, S. 1, 5 zum Äquivalenzprinzip.

261 tendem Recht dürfen sie nicht beliebig vom gesetzlichen Lohnfortzahlungsrecht abweichen. Das Gesetz regelt das Konkurrenzverhältnis durch Tariföffnungsklauseln, durch Außenseiterklauseln und durch die Anordnung der zwingenden Wirkung des Gesetzesrechts. Für Arbeiter ist die Materie in § 2 Abs. 3 sowie in § 9 LFZG geregelt. § 2 Abs. 3 Satz 1 LFZG enthält eine Tariföffnungsklausel bezüglich der Berechnung des Arbeitsentgelts, d.h. die Tarifparteien dürfen von § 2 Abs. 1 und 2 LFZG auch zuungunsten des Arbeitnehmers abweichen.333 Im übrigen schließt § 9 LFZG eine für Arbeiter nachteilige Abweichung von den § § 1 - 8 LFZG ausdrücklich aus.334 Für Angestellte besteht keine § 2 Abs. 3 LFZG entsprechende Tariföffnungsklausel. Andererseits läßt § 616 Abs. 2 Satz 2 BGB bezüglich der Länge der Lohnfortzahlung eine Abweichung durch Tarifvertrag für Angestellte, die nicht kaufmännische oder gewerbliche Angestellte sind, zu. Eine Regelung für kaufmännische und für gewerbliche Angestellte findet sich in § 63 Abs. 1 Satz 5 HGB und in § 133c Satz 5 GewO. Danach darf der Entgeltfortzahlungsanspruch dieser Angestellten nicht durch Vertrag ausgeschlossen oder beschränkt werden. Da eine Sonderregelung für Tarifverträge fehlt, sind Verschlechterungen durch Tarifvertrag ausgeschlossen. Mit den genannten Vorschriften übereinstimmende Verbote enthalten auch § 9 LFZG und § 616 Abs. 2 Satz 1 BGB, doch kommen diese im Hinblick auf Tarifverträge in dem in § 2 Abs. 3 LFZG und in § 616 Abs. 2 Satz 2 BGB genannten Umfang nicht zum Tragen. Das Entgeltfortzahlungsrecht enthält mithin eine Tariföffnungsklausel für Arbeiter (§ 2 Abs. 3 LFZG), eine davon abweichende Tariföffnungsklausel für nicht kaufmännische oder gewerbliche Angestellte (§ 616 Abs. 2 Satz 2 BGB), darüber hinaus vier gesetzliche Verbote, die im Rahmen der Angestelltenregelungen wörtlich übereinstimmen.

Die vom Arbeitnehmerstatus abhängige Tarifdispositivität bedarf somit einer verfassungsrechdichen Überprüfung, wobei zunächst auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 2 Abs. 3 LFZG und anschließend auf die des § 616 Abs. 2 Satz 2 BGB eingegangen werden soll335. 333 Bauer/Röder, Krankheit, S. 50; im Ergebnis ebenso Thomas, in: Hromadka, Gleichstellung, S. 51 f. 334 Bauer/Röder, Krankheit, S. 49 f. 335 Eine Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten wurde früher hinsichtlich des Verzichts auf den Entgeltfortzahlungsanspruch angenommen; der Streit hat sich inzwischen erledigt; vgl. Bauer/Röder, Krankheit, S. 50 f.

262 b)

Die Höhe des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts (Tariföjfnungsklausel für Arbeiter)

aa) Die Regelung für Arbeiter § 2 LFZG, der die Höhe des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts für Arbeiter regelt, enthält in Abs. 3 Satz 1 einen Tarifvorbehalt mit dem Inhalt, daß von den Absätzen 1 und 2 durch Tarifvertrag abgewichen werden kann. Im Rückschluß aus § 9 LFZG, der mit Ausnahme von § 2 Abs. 3 LFZG nur für Arbeiter vorteilhafte Abweichungen von den gesetzlichen Regelungen zuläßt, folgt, daß die Tarifvertragsparteien auch nachteilige Abweichungen von § 2 Abs. 1 und 2 LFZG vereinbaren können. 336 Eine Abweichung zuungunsten der Arbeiter durch Betriebsvereinbarung oder Individualabrede hinsichtlich der Höhe des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts ist aufgrund der §§ 9, 2 LFZG ausgeschlossen. § 2 Abs. 3 Satz 2 LFZG erweitert die Tarifdispositivität auf Personen, die nicht tarifgebunden sind, mit denen aber im Geltungsbereich eines Tarifvertrages die Anwendung des gesamten Tarifvertrages einzelvertraglich vereinbart worden ist. Diese Vereinbarung kann auch formlos und konkludent erfolgen. Die Höhe des Entgeltfortzahlungsanspruches nach § 1 Abs. 1 LFZG bestimmt sich sowohl für Leistungs- als auch für Zeitlöhner337 nach dem modifizierten Lohnausfallprinzip.338 Der Gedanke des Lohnausfallprinzips ist, daß der Arbeiter während seiner krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit finanziell weder schlechter noch besser gestellt werden soll, als wenn er arbeitsfähig wäre.339 Modifiziert ist das Lohnausfallprinzip, weil dem Arbeiter nicht die in dieser Zeit wahrscheinlich anfallende Vergütung gezahlt wird, sondern die maßgebende regelmäßige Arbeitszeit vergütet wird.340 Leistungslöhnern steht der in der für sie maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit erzielbare Durchschnittsverdienst zu. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Arbeiterkrankheitsgesetz, die auf § 2 LFZG übertragbar ist, läßt sich die für den Entgeltfortzahlungsanspruch erhebliche regelmäßige Arbeitszeit aus dem Zeitraum von drei Monaten vor dem Eintritt der Arbeitsunfähig336 Thomas, in: Hromadka, Gleichstellung, S. 51 f. 337 Vgl. § 2 Abs. 1 Satz 3 LFZG für Leistungslohn, § 2 Abs. 1 Satz 1 LFZG für Zeitlohn; vgl. dazu auch Hunold, Krankheit, S. 215. 338 Göge, BB 1986, S. 1772, 1773; Hunold, Krankheit, S. 205 f.; KaiserlDunkl, Entgeltfortzahlung, S. 110 f. 339 Eine Einschränkung enthält § 2 Abs. 1 Satz 2 LFZG; dazu Göge, BB 1986, S. 1772,1773; Hunold, Krankheit, S. 211. 340 Hunold, Krankheit, S. 206.

263 keit ermitteln. Abweichungen der Arbeitszeit über einen Zeitraum von 1-2 Wochen bleiben hierbei ohne Auswirkungen. Unter der maßgeblichen Arbeitszeit des Arbeitnehmers i.S. von § 2 Abs. 1 Satz 1 LFZG wird die individuelle Arbeitszeit des erkrankten Arbeiters verstanden. Der arbeitsrechtliche Arbeitsentgeltbegriff umfaßt diejenige Gegenleistung, die dem Arbeitnehmer aufgrund des Arbeitsvertrages zusteht, mit Ausnahme des (reinen) Aufwendungsersatzes. Arbeitsentgelt i.S. von § 2 Abs. 1 Satz 1 LFZG ist demgegenüber das fortzuzahlende Arbeitsentgelt, d.h. das regelmäßig fortlaufend bezahlte Arbeitsentgelt. In Rechtsprechung und Literatur ist streitig, worauf sich die Tariföffnungsklausel des § 2 Abs. 3 LFZG erstreckt. Nach einer weiten, von Schaub vertretenen Auffassung 341 unterfallen der Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien das Lohnausfallprinzip, die Berechnung der maßgebenden Arbeitszeit, das der Berechnung zugrunde zu legende Arbeitsentgelt, die Definitionen und die Kurzarbeit. Nach der engsten Auffassung kann durch § 2 Abs. 3 LFZG tarifvertraglich nur die Berechnungsmethode verändert werden 342 . Jede weitergehende Abweichung soll dem gesetzlichen Verbot des § 9 LFZG unterfallen. Neben dem gesetzlich vorgesehenen Lohnausfallprinzip könnte somit durch Tarifvertrag z.B. das sogenannte Referenzperiodenprinzip 343 zur Berechnung des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts gewählt werden. 344 Darüber hinaus könnten dem Zeit- und dem Leistungslohn 345 unterschiedliche Berechnungsmethoden zugrunde gelegt werden. Unzulässig sind nach der engen Ansicht jedoch Abweichungen zuungunsten der Arbeiter in bezug auf das der Berechnung zugrundeliegende Arbeitsentgelt. Nach vorherrschender Meinung können verschiedene Entgeltbestandteile durch Tarifvertrag aus der Berechnung des Arbeitsentgelts ausgeklammert werden, so daß die Höhe der Entgeltfortzahlung weitgehend dispositiv ist. Eine Grenze soll sich nur in der Weise ergeben, daß der Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG nicht völlig ausgeschlossen werden darf. Hierin zeigt sich das Hauptproblem des § 2 Abs. 3 LFZG. Zwar ist allgemein anerkannt, daß die Höhe des Entgeltfortzahlungsanspruchs durch § 2 Abs. 3 LFZG dispositiv ist und auch

341 342 343 344

Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, § 98 VIII. Hunold, Krankheit, S. 206. Hunold, Krankheit, S. 212. Vgl. zur Einführung der Bezugsmethode Hunold, Krankheit, S. 106 ff.; s. auch § 8 Ziff. 8 i.V.m. § 15 des Manteltarifvertrages für Arbeiter, Angestellte und Auszubildende in der Metallindustrie Nordrhein-Westfalen vom 30.4.1980. 345 Vgl. Hunold, Krankheit, S. 215 f.

264 zum Nachteil der Arbeiter herabgesetzt werden kann. Wie weit diese Dispositivität aber geht, ist streitig. Fest steht nur, daß der Entgeltfortzahlungsanspruch nicht soweit der Höhe nach abdingbar ist, daß er de facto leerläuft. Für eine Lösung des Meinungsstreits kann nicht auf eine Legaldefinition des Arbeitsentgelts zurückgegriffen werden. In Rechtsprechung und Literatur hat sich aber ein weitgehend anerkannter Begriff des Arbeitsentgelts i.S. des § 2 Abs. 1 LFZG herausgebildet. Abweichungen von diesem Arbeitsentgeltbegriff gehen über eine Abweichung von § 2 Abs. 1 LFZG hinaus und werden von der Tariföffnungsklausel des § 2 Abs. 3 LFZG nicht mehr erfaßt. Eine Veränderung des Arbeitsentgeltbegriffs vereitelt nämlich den Zweck des Lohnfortzahlungsgesetzes, den vollen Lebensstandard des Arbeitnehmers während des Krankheitsfalles aufrechtzuerhalten. Lediglich der Berechnungsmodus, der der Höhe nach den Entgeltfortzahlungsanspruch nur geringfügig zu ändern vermag, kann abweichend vom gesetzlich vorgesehenen Lohnausfallprinzip tarifvertraglich geändert werden. bb) Die Regelung für Angestellte Die Angestelltenregelungen der §§ 616 Abs. 2 BGB, 63 HGB und 133c GewO enthalten keine dem § 2 Abs. 3 LFZG vergleichbare Tariföffnungsklausel. Die einzige Tariföffnungsklausel, die sich in den Angestelltenregelungen findet, nämlich § 616 Abs. 2 Satz 2 BGB, läßt durch Tarifvertrag nur zu, daß der Zeitraum für die Gehaltsfortzahlung abweichend von der gesetzlichen Regelung des § 616 Abs. 2 Satz 1 LFZG festgelegt wird. Hinsichtlich der Höhe besteht für keine Angestelltengruppe eine Tariföffnung. Der Anspruch der Angestellten richtet sich mithin nach den zwingenden Vorschriften der §§ 63 HGB, 133c GewO und der jedenfalls bezüglich der Höhe nach nicht abdingbaren Regelung des § 616 Abs. 2 Satz 1 LFZG. 346 Die §§ 616 Abs. 2 Satz 1 BGB, 63 Abs. 1 Satz 5 HGB, 133c Satz 5 GewO enthalten im Gegenteil gesetzliche Verbote, indem sie durch Vertrag weder den Ausschluß noch eine Beschränkung des Entgeltfortzahlungsanspruchs gestatten. cc) Die Ungleichbehandlung Hinsichtlich der Höhe des Entgeltfortzahlungsanspruchs liegt eine Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten vor.

346 BAG, AP Nr. 1 zu § 20a AVR; Hunold, Krankheit, S. 210.

265 § 2 Abs. 3 LFZG i.V.m. § 9 LFZG gestattet, anders als die Angestelltenregelungen, die nur eine günstigere tarifvertragliche Vereinbarung als die gesetzlichen Regelungen zulassen, auch zum Nachteil der Arbeiter eine Abweichung von dem modifizierten Lohnausfallprinzip und damit eine andere Berechnungsmethode und somit eine gegebenenfalls geringere Höhe des Entgeltfortzahlungsanspruchs als nach den gesetzlichen Regelungen. Da die Höhe des Entgeltfortzahlungsanspruchs über die Art der Berechnungsmethode hinaus keiner weiteren tarifvertraglichen Disposition zugänglich ist, entspricht die Höhe des Entgeltfortzahlungsanspruchs im wesentlichen der, die sich schon aus den gesetzlichen Regelungen ergibt. Arbeiter sind mithin nur geringfügig im Vergleich zu Angestellten durch § 2 Abs. 3 LFZG benachteiligt. dd) Die Verfassungswidrigkeit der Ungleichbehandlung Die Geringfügigkeit der gegebenenfalls aus einer anderen Berechnungsmethode resultierenden Benachteiligung der Arbeiter schließt einen Verfassungsverstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG nicht von vornherein aus. Art. 3 Abs. 1 GG knüpft allein an die Ungleichbehandlung an. Die Schwere einer Benachteiligung hat Auswirkungen auf den sachlichen Grund. Je größer die Benachteiligung, desto stärkere Anforderungen sind an den rechtfertigenden sachlichen Grund zu stellen. Jede Ungleichbehandlung bedarf eines sachlich rechtfertigenden Grundes, wenn von ihr nicht nur eine kleine Gruppe von Normadressaten betroffen ist mit der Folge, daß der Gesetzgeber im Rahmen seines weiten Gestaltungsspielraums pauschalieren und typisieren und dabei eine geringfügige Differenzierung zwischen beiden Gruppen vornehmen darf. Die Rechtsprechung hat sich noch nicht mit der Frage der Verfassungswidrigkeit des § 2 Abs. 3 LFZG befaßt. In einer Entscheidung vom 25.3.1987 sah das Bundesarbeitsgericht tarifliche Regelungen und Bestimmungen einer Arbeitsvertragsrichtlinie, wonach Nachtarbeitszuschläge nicht in die Berechnung der Krankenvergütung einbezogen werden sollten, als unwirksam an347. Somit bestätigte das Bundesarbeitsgericht die geltende Rechtslage für Angestellte. Die Literatur ist in der Frage der Verfassungswidrigkeit des § 2 Abs. 3 LFZG uneins. Teilweise wird ein Verfassungsverstoß bejaht, teilweise wird ein Verfassungsverstoß aufgrund der Geringfügigkeit der Benachteiligung verneint. Der Meinungsstreit beruht im wesentlichen darauf, 347 BAG, AP Nr. 1 zu § 20a AVR; dazu Thomas, in: Hromadka, Gleichstellung, S. 52.

266 daß umstritten ist, was als durch § 2 Abs. 3 LFZG tarifdispositiv gilt. Soweit nicht nur die Regelung der Berechnungsart als dispositiv angesehen wird, sondern auch der Begriff des Arbeitsentgelts, wird eine Verfassungswidrigkeit weitergehend befürwortet; denn dann ist nicht nur eine geringfügige Ungleichbehandlung der Arbeiter im Vergleich zu den Angestellten möglich. Sachliche Gründe für eine Rechtfertigung der Ungleichbehandlung der Arbeiter im Vergleich zu den Angestellten werden in der Literatur nicht angeführt. Da es sich bei den Gruppen der Arbeiter und der Angestellten um in etwa gleich starke Arbeitnehmergruppen handelt und deshalb eine gesetzgeberische Pauschalierung und Typisierung nicht möglich ist und weitere Sachgründe nicht ersichtlich sind, ist § 2 Abs. 3 LFZG verfassungswidrig. Auch eine analoge Anwendung des § 2 Abs. 3 LFZG im Angestelltenrecht ist nicht möglich. 348 Ihr stehen die gesetzlichen Verbote der §§ 616 Abs. 2 Satz 1 BGB, 133c Satz 5 GewO, 63 Abs. 1 Satz 5 HGB entgegen. ee) Bisherige Neuregelungsvorschläge § 59 Abs. 6 DGB-Entwurf 349 enthält eine Tariföffnungsklausel. Sie bezieht sich aber nicht auf die Höhe der Lohnfortzahlung. Von Seiten der Arbeitsgesetzbuchkommission, des DGB oder von Trieschmann bestehen im übrigen keine Neuregelungsvorschläge. ff) Eigener Vorschlag Verfassungsrechtliche Vorgaben, die dem Gesetzgeber keine Wahl lassen, ob er die Tariföffnungsklausel für Arbeiter beseitigt oder ob er sie für Angestellte neu einführt, bestehen im Hinblick auf Art. 9 Abs. 3 GG nicht. Zwar ist die Tarifautonomie verfassungsrechtlich gesichert. Das bedeutet aber nur, daß den Tarifvertragsparteien überhaupt (genügend) tarifvertraglich regelbare Bereiche verbleiben müssen. Welche Sachbereiche das im einzelnen sind und in welchem Umfang, ist dabei nicht vorgegeben. 350 Gegen die Tarifdispositivität des Lohnfortzahlungsanspruches könnte sprechen, daß die Lohnfortzahlung einen Eckpfeiler der sozialen Sicherung darstellt und daß sie den vollen Lebensstandard des erkrankten Ar348 So BAG, AP Nr. 1 zu § 20a AVG. 349 RdA 1977, S. 166 ff. 350 Wiedemann/Stumpf, TVG, Einl. Rdnr. 42, 107, 159 ff.; Zachert/Zilius, TVG, Einl. Rdnr. 86 ff., 106 ff.

Hagemeier/Kempen/

267 beitnehmers sichern soll. Eine Tariföffnung, die die Höhe des Entgeltfortzahlungsanspruchs zum Nachteil des Arbeitnehmers abdingbar macht, könnte diese Funktion vielleicht nicht erfüllen. Auch wenn der Unterschied, der sich für den Arbeitnehmer aus einer vom Lohnausfallprinzip abweichenden Berechnungsmethode ergeben kann, nur geringfügig ist, betrifft dies vor allem den ohnehin wenig verdienenden Arbeitnehmer, der mit jeder Mark rechnen muß und sich häufig zur Finanzierung von Anschaffungen finanziellen Dauerbelastungen aussetzt. Es sprechen jedoch mehr Argumente für die Tariföffnungsklausel und damit für ihre Erstreckung auch auf alle Angestellten. In der Literatur wird insoweit ausgeführt, das Lohnfortzahlungsgesetz, in dem die Tariföffnung durch den Gesetzgeber vorgesehen ist, sei im Vergleich zu den Angestelltenregelungen das jüngere Gesetz. Bei Erlaß einer von den Angestelltenregelungen abweichenden Tariföffnungsklausel im Lohnfortzahlungsgesetz habe sich der Gesetzgeber mit der Frage auseinandergesetzt, ob eine Tariföffnung sinnvoll sei und dies, wie sich durch die Einfügung des § 2 Abs. 3 LFZG ersehen lasse, bejaht. Ausschlaggebend ist jedoch, daß der Gesetzgeber grundsätzlich wenn möglich den Tarifparteien gem. Art. 9 Abs. 3 GG den Vorrang einräumen sollte. Etwas anderes sollte nur gelten, wenn zu befürchten ist, daß die Tarifparteien ungerechtfertigte Einschnitte in den Kernbereich des Arbeitnehmerschutzes vornehmen könnten. Davon kann hier nicht die Rede sein. Schließt man sich der hier vertretenen Auffassung an, daß der Entgeltbegriff nicht tarifdispositiv ist, so geht es allein um die Berechnungsmethode. Man kann aber nicht sagen, daß allgemein eine bestimmte Berechnungsweise (Lohnausfallprinzip, modifiziertes Lohnausfallprinzip, Referenzperiodenprinzip) die gerechteste sei. Dann muß es aber Sache der Tarifvertragsparteien sein, das jeweils angemessene System auszuwählen. Von der Zufälligkeit, ob es im Einzelfall für den einen Arbeitnehmer günstiger oder ungünstiger ist als die gesetzliche Regelung, kann die Entscheidung nicht abhängen. Durch die Zulässigkeit von vom Lohnausfallprinzip abweichenden Berechnungsmethoden kann auf die individuellen Bedürfnisse der unterschiedlichsten Wirtschaftszweige besser eingegangen werden. Bei einem Saisonarbeiter sind andere Belange als bei einem Schichtarbeiter zu berücksichtigen. Im übrigen sind die Tarifvertragsparteien - abgesehen davon, daß die Art der Berechnung nur geringfügige Auswirkungen auf die Höhe des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts hat - stark genug, um sich nicht auf Regelungen einzulassen, die den Arbeitnehmer schwerwiegend nachteilig treffen. In der Tariföffnungsklausel liegt mithin keine Gefahr.

268 Soweit man allerdings die Auffassung vertritt, daß auch die Bestandteile des Arbeitsentgeltes der Disposition der Tarifvertragsparteien unterliegen, wächst die Gefahr einer Benachteiligung der Arbeitnehmer an. Im Zweifel wird auch diese hinnehmbar sein, weil die Tarifvertragsparteien in der heutigen Arbeitswelt eine genügend starke Position innehaben, um eine sachgerechte Regelung zu finden. Im Rahmen einer Neuregelung sollte eine § 2 Abs. 3 LFZG entsprechende Tariföffnungsklausel für die Arbeitnehmergruppen der Arbeiter und der Angestellten eingeführt werden.351 c)

Die Dauer des Entgeltfortzahlungsanspruchs (Tariföffnungsklausel für Angestellte)

aa) Die Ungleichbehandlung Gemäß § 616 Abs. 2 Satz 2 BGB kann durch Tarifvertrag die Dauer der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall auf eine kürzere Zeitspanne als die gesetzliche Sechswochenfrist begrenzt werden.352 Die Vergütungspflicht muß nur vom ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit an bestehen.353 Der Gehaltsfortzahlungsanspruch von kaufmännischen und gewerblichen Angestellten richtet sich nach den §§ 63 HGB und 133c GewO. §§ 63 HGB, 133c GewO sind vollständig unabdingbar.354 Gegenüber den Angestellten, für die § 616 Abs. 2 BGB gilt, sind nicht nur die kaufmännischen und die gewerblichen Angestellten, sondern auch die Arbeiter bessergestellt; § 9 LFZG untersagt jede Uber § 2 Abs. 3 LFZG hinausgehende tarifvertragliche Vereinbarung. Darüber hinaus sind tarifgebundene Angestellte, für die § 616 Abs. 2 Satz 2 BGB gilt, im Vergleich zu nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern möglicherweise benachteiligt. Insoweit wird jedoch angenommen355, daß individualvertraglich die Geltung einer tarifvertraglichen Regelung, die die Dauer des Entgeltfortzahlungsanspruchs verändert, zulässig ist. Mithin werden durch § 616 Abs. 2 Satz 2 BGB sowohl Angestellte untereinander als auch Angestellte, die nicht kaufmännische oder gewerbliche Angestellte sind, gegenüber Arbeitern ungleich behandelt. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 616 Abs. 2 Satz 2 BGB stellt sich deshalb in doppelter Hinsicht. 351 352 353 354

Im Ergebnis zustimmend Göge, BB 1986, S. 1772,1773. Soergel/tfra/f, § 616 BGB, Rdnr. 5. Dazu Becker, DB 1987, S. 167,170. BAG, DB 1957, S. 238 (bezogen auf § 63 HGB); SchmatzIFischwasser, gütung, K 118. 355 Bauer/Röder, Krankheit, S. 52; Feichtinger, Entgeltfortzahlung, S. 124.

Ver-

269 bb) Die Verfassungswidrigkeit der Ungleichbehandlung Das Bundesverfassungsgericht hat sich zur Verfassungsmäßigkeit des § 616 Abs. 2 Satz 2 BGB noch nicht geäußert. Der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts hat in einer Entscheidung von 1960 ausgeführt, daß unterschiedliche Ansprüche einzelner Angestelltengruppen gröblich willkürlich seien.356 Dennoch hat der Große Senat § 616 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht für verfassungswidrig erklärt.357 In der Literatur ist die Verfassungsmäßigkeit des § 616 Abs. 2 Satz 2 BGB selten in Frage gestellt worden.358 Dies gilt sowohl hinsichtlich der Angestelltenregelungen untereinander als auch hinsichtlich der Regelungen für Angestellte nach § 616 Abs. 2 Satz 2 BGB im Verhältnis zur Regelung für Arbeiter. Weitgehend geht die Literatur ohne nähere Prüfung von der Gültigkeit der Tariföffnungsklausel in § 616 Abs. 2 Satz 2 BGB aus.359 Sachliche Gründe für die Zulässigkeit der Ungleichbehandlung werden in der Literatur nicht angeführt. Becker hält allerdings die Regelung des § 616 Abs. 2 Satz 2 BGB für verfassungswidrig.360 Er betont, daß allein die Tatsache, daß Tarifvertragsparteien besonderen Verhältnissen flexibler Rechnung tragen können, keine Beschränkung der tariflichen Regelungsbefugnis auf § 616 Abs. 2 BGB rechtfertige;361 besondere Fälle, die einer besonderen Behandlung bedürften, gebe es auch im Bereich der §§ 133c GewO und 63 HGB.362 Die ursprünglich für die unterschiedliche tarifliche Regelungsbefugnis sprechenden Gründe aus der Entstehungsgeschichte des § 616 Abs. 2 BGB seien heutzutage weggefallen. Dem ist zuzustimmen. Früher mußte die Entgeltfortzahlungsgrenze durch die Tarifvertragsparteien festgelegt werden, da § 616 BGB nur vorsah, daß der Arbeitgeber zur Lohnfortzahlung verpflichtet ist, wenn der Arbeitnehmer für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit an der Erbringung der Arbeitsleistung verhindert war. Welcher Zeitraum als verhältnismäßig nicht erheblich i.S.von § 616 BGB anzusehen war, war nicht ausdrücklich und verbindlich normiert. Bei den §§ 63 HGB, 133c GewO war hingegen der Zeitraum der Entgeltfortzahlung von vornherein auf sechs 356 BAG GS, DB 1960, S. 357,360. 357 BAG GS, DB 1960, S. 357,360. 358 Die Verfassungsmäßigkeit stellt in Frage: Thomas, in: Hromadka, Gleichstellung, S. 52; verneinend jedoch Becker, DB 1987, S. 161,170. 359 MK-Schaub, § 616 BGB, Rdnr. 45; Schmatz/Fischwasser, Vergütung, L 415. 360 Becker, DB 1987, S. 167,170. 361 Becker, DB 1987, S. 167,170. 362 Becker, DB 1987, S. 167,170.

270 Wochen festgelegt. Da § 616 Abs. 2 BGB heutzutage einen Entgeltfortzahlungszeitraum von sechs Wochen vorsieht, ist die Tariföffnungsklausel für nur eine Gruppe von Angestellten nicht mehr zu rechtfertigen und mithin verfassungswidrig. Bei einer gesetzlichen Neuregelung müssen Angestellte untereinander gleich behandelt werden. Aber auch für die Ungleichbehandlung zwischen Arbeitern und Angestellten ist im vorliegenden Fall kein Sachgrund ersichtlich. 363 Das soziale Schutzbedürfnis von Arbeitern und Angestellten unterscheidet sich nicht. Eine analoge Anwendung des § 616 Abs. 2 Satz 2 BGB im Geltungsbereich der §§ 63 HGB, 133c GewO und des Lohnfortzahlungsgesetzes, die eine Verfassungswidrigkeit gegebenenfalls heilen könnte, kommt aufgrund der gesetzlichen Verbote der §§ 9 LFZG, 63 Abs. 1 Satz 5 HGB und 133c Satz 5 GewO nicht in Betracht. cc) Bisherige Neuregelungsvorschläge Hierzu existieren weder von der Arbeitsgesetzbuchkommission noch vom DGB oder von Trieschmann Neuregelungsvorschläge. dd) Eigener Vorschlag Im Rahmen einer erforderlichen Neuregelung des § 616 Abs. 2 Satz 2 BGB müssen beide oben aufgeführten Verfassungsverstöße beseitigt werden. Verfassungsrechtliche Vorgaben hinsichtlich der Einführung einer Tariföffnungsklausel für die beiden Arbeitnehmergruppen bestehen nicht. Der Gesichtspunkt, daß das gegenüber den anderen Regelungen jüngere Lohnfortzahlungsgesetz eine § 616 Abs. 2 Satz 2 BGB vergleichbare Tariföffnungsklausel nicht vorsieht, sondern vielmehr ausdrücklich durch § 9 LFZG unter ein gesetzliches Verbot stellt, könnte gegen die Einführung einer Tariföffnungsklausel i.S.des § 616 Abs. 2 Satz 2 BGB für alle Arbeitnehmergruppen sprechen. Der Gesetzgeber hat sich mit der Zulässigkeit von tarifvertraglichen Vereinbarungen im Bereich des Lohnfortzahlungsgesetzes befaßt und im Vergleich zu den älteren Gesetzen bewußt in diesem jüngeren Gesetz eine abweichende Regelung vorgesehen. Grundgedanke des Lohnfortzahlungsgesetzes war die soziale Absicherung des arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmers. Eine Gefährdung dieser sozialen Absicherung des Arbeitnehmers wurde befürchtet, falls es zu

363 Becker, DB 1987, S. 167,170.

271 einer weitgehenden Öffnung des Entgeltfortzahlungsrechts zugunsten tarifvertraglicher Vereinbarungen käme. Das Argument der finanziellen Absicherung des Arbeitnehmers kann einer Tariföffnungsklausel aber nicht entgegenstehen, wenn seine finanzielle Absicherung anderweitig gewährt ist. Soweit der Arbeitgeber keine Entgeltfortzahlung an den Arbeitnehmer im Krankheitsfall leistet, ist die Krankenkasse, deren Leistungspflicht nur während der Leistungen durch den Arbeitgeber "ruht", zur Zahlung von Krankengeld verpflichtet. Der Arbeitnehmer erhält zwar durch die Krankenkassenleistungen regelmäßig weniger als durch den Entgeltfortzahlungsanspruch, dies hat aber selbst bei weniger verdienenden Arbeitnehmern keine finanzielle Not zur Folge. Hinzu kommt, daß tarifvertragliche Regelungen, die eine kürzere Dauer des Entgeltfortzahlungsanspruches durch den Arbeitgeber vorsehen, kaum existieren. Eine Ausweitung dieser tarifvertraglichen Regelungen steht nicht zu befürchten. Die gesetzliche Neuregelung sollte die Tariföffnungsklauseln aus § 2 Abs. 3 LFZG und § 616 Abs. 2 Satz 2 BGB miteinander kombinieren. Auch die Außenseiterklausel des § 2 Abs. 3 Satz 2 LFZG sollte verallgemeinert werden. Die Neuregelung könnte wie § 3 der hier vorgeschlagenen Neuregelung lauten. 6.

Die Anzeige- und Nachweispflichten

des

Arbeitnehmers

a) Einführung Ist ein Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt, so geht es einmal darum, daß der Arbeitgeber über den Arbeitsausfall informiert wird und zum anderen darum, daß die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit als Ursache der Arbeitsverhinderung auch nachgewiesen wird. Darüber hinaus stellt sich die Frage, mit welchen Mitteln der Arbeitnehmer zur Einhaltung der Anzeige- und Nachweispflichten bewogen werden kann. Für Arbeiter enthalten die §§ 3 und 5 LFZG Regelungen zu diesen Fragen, während die Vorschriften für Angestellte zu diesem Thema schweigen.364 Bei einem Vergleich des für Arbeiter und des für Angestellte gel364 Die Pflicht des Arbeitnehmers, den Arbeitgeber von Eintritt und Dauer der Erkrankung zu benachrichtigen, bestand schon vor dem Inkrafttreten des Lohnfortzahlungsgesetzes für Arbeiter und Angestellte in gleicher Weise, LAG Berlin, AP Nr. 4 zu § 611 BGB Treuepflicht m. Anm. Hueck; //ueflfc/Nipperdey, Arbeitsrecht, Bd. 1, S. 338, 339; Nikisch, Arbeitsrecht, Bd. I, S. 621,620; a.A. Krem, BB 1961, S. 99,100.

272 tenden Rechts ist auf der Tatbestandsseite zwischen der Anzeige- und der Nachweispflicht zu unterscheiden, des weiteren zwischen Inlandserkrankung, Auslandserkrankung und Erkrankung von Arbeitnehmern, die nicht Mitglieder einer gesetzlichen Krankenversicherung365 sind. Auf der Rechtsfolgenseite kommen Schadensersatzansprüche und Kündigungsmöglichkeiten sowie ein Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers in Betracht. b)

Die Rechtslage bei Arbeitern

aa) Anzeige- und Nachweispflicht bei Inlandserkrankung Um der Anzeigepflicht nach § 3 Abs. 1 Satz 1 LFZG zu genügen, muß der Arbeiter dem Arbeitgeber unverzüglich (§ 121 BGB) schrifdich, mündlich oder fernmündlich die Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit sowie deren voraussichtliche Dauer mitteilen.366 Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als zunächst angenommen, so muß der Arbeiter dem Arbeitgeber seine weitere Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer ebenfalls unverzüglich anzeigen.367 Hat der Arbeitgeber bereits Kenntnis von der Arbeitsunfähigkeit des Arbeiters, wie z.B. bei einem Betriebsunfall, so reicht eine Mitteilung der voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit zur Erfüllung der Anzeigepflicht aus.368 Um seiner Nachweispflicht i.S. von § 3 LFZG nachzukommen, muß der Arbeiter dem Arbeitgeber oder dessen Vertreter den Besitz an der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor dem Ablauf des dritten Kalendertages nach dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit (§§ 187, 188, 193 BGB) vermittelt haben.369 Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gilt diese Frist auch für Folgebescheinigungen.370 Die Vorlage 365 Die Rechtslage von Arbeitnehmern, die einer privaten Krankenkasse angehören, bleibt unberücksichtigt. 366 Bauer/Röder, Krankheit, S. 52. Darüberhinaus hat der Arbeitnehmer nach dem Grundsatz von Treu und Glauben dem Arbeitgeber das Bestehen einer Fortsetzungserkrankung anzuzeigen, wenn für ihn eindeutig erkennbar ist, daß er an einer solchen leidet; Bauer/Röder, Krankheit, S. 54; Hunold, Krankheit, S. 70,71. 367 So auch Bauer/Röder, Krankheit, S. 52; a.A. aber BAG, AP Nr. 18 zu § 1 LohnFG. 368 Hunold, Krankheit, S. 71; Kaiser/Dunkl, Entgeltfortzahlung, S. 131. 369 Bauer/Röder, Krankheit, S. 52; Hunold, Krankheit, S. 68, 74. 370 BAG, AP Nr. 18 zu § 6 LohnFG; a.A. Bauer/Röder, Krankheit, S. 53, die die unverzügliche Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung fordern. Zu Recht weist Hunold (Krankheit, S. 74) darauf hin, daß Folgebescheinigungen auch dann dem Arbeitgeber vorzulegen sind, wenn der Arbeiter länger als sechs Wochen ar-

273 einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist bei jeder Erkrankung, d.h. auch bei eintägigen Erkrankungen, Pflicht. 371 Legt der Arbeiter dem Arbeitgeber keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor, so hat dieser ein vorübergehendes Leistungsverweigerungsrecht hinsichüich der Arbeitsvergütung gem. § 5 Nr. 1 LFZG, das mit der Erfüllung der Nachweispflicht durch den Arbeiter entfällt. 372 Darüber hinaus hat der Arbeitgeber auch dann ein Leistungsverweigerungsrecht, wenn die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht die erforderlichen Angaben enthält. Voraussetzung für das Leistungsverweigerungsrecht ist in jedem Fall ein Vertretenmüssen auf Seiten des Arbeiters gem. § 5 Satz 2 LFZG. Die ordnungsgemäße Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung muß enthalten: 373 den Namen des arbeitsunfähigen Arbeiters, ein Attest über die Arbeitsunfähigkeit, die Angabe der voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit, den Arztvermerk, daß dem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung unverzüglich eine Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit mit Angaben über Befund und Dauer übersandt wird. Die Bescheinigung muß ferner vom behandelnden Arzt ausgestellt und unterschrieben sein sowie das Datum der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit enthalten. Im übrigen muß das Schriftformerfordemis gewahrt sein.

Darüber hinaus beschreibt § 21 BMV-Ä (Bundesmantelvertrag für Ärzte) vom 28.8.1978 374 die weiteren Voraussetzungen für eine wirksame Arbeitsunfahigkeitsbescheinigung i.S. von § 3 Abs. 1 LFZG. Verstößt die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gegen zwingende Bestimmungen des § 21 BMV-Ä, liegt keine Bescheinigung i.S. von § 3 Abs. 1 LFZG vor. 375 bb) Anzeige- und Nachweispflicht bei Auslandserkrankung Gem. § 3 Abs. 2 LFZG bestehen für im Ausland arbeitsunfähig erkrankte Arbeiter besondere Verpflichtungen, die jedoch nicht die Pflichten, die

371 372 373

374 375

beitsunfähig erkrankt ist (vgl. LAG Köln, DB 1989, S. 1294) . Hunold sieht für Angestellte eine entsprechende Verpflichtung. BAG, DB 1985, S. 1400; Bauer/Röder, Krankheit, S. 53. Hunold, Krankheit, S. 82. Hunold, Krankheit, S. 78, 79; Kaiser/Dunkl, Entgeltfortzahlung, S. 134, 135; Schmatz/Fischwasser, Vergütung, C 308, 309, 310; seit dem 1.10.1991 gelten die neuen Arbeitsunfähigkeits-Richtlinien, Bundesarbeitsblatt 11/1991, S. 28 ff.; s. dazu Wanner, DB 1992, S. 93. DOK 1978, S. 795,799. Lepke, Kündigung, S. 91; Schman! Fischwasser, Vergütung, C 317, 318.

274 dem Arbeiter nach § 3 Abs. 1 LFZG obliegen, ersetzen. 376 Der Arbeiter, der im Ausland arbeitsunfähig erkrankt, ist mithin grundsätzlich zur Anzeige und zum Nachweis seiner Arbeitsunfähigkeit gegenüber dem Arbeitgeber verpflichtet, wie wenn er im Inland erkrankt wäre. 377 Eine Ausnahme besteht nur insoweit, als die Arbeitsunfahigkeitsbescheinigung gem. § 3 Abs. 2 Satz 3 LFZG keinen Vermerk i.S. von § 3 Abs. 1 Satz 2 LFZG enthalten muß. 378

aaa) Auslandserkrankung in einem Land, mit dem kein Sozialversicherungsabkommen besteht § 3 Abs. 2 LFZG ist hauptsächlich auf Fälle zugeschnitten, in denen der krankenversicherte Arbeiter in einem Land arbeitsunfähig erkrankt, mit dem kein Sozialversicherungsabkommen besteht. Soweit ein derartiges Abkommen besteht, gilt ein vereinfachtes Verfahren. Nach § 3 Abs. 2 LFZG ist der Arbeiter verpflichtet, dem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung seine Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich anzuzeigen. 379 Daneben hat er, auch wenn dies im Gesetz nicht ausdrücklich erwähnt wird, seinen Aufenthaltsort anzugeben. 380 Eine weitere Anzeige wird gem. § 3 Abs. 2 Satz 2, 4 LFZG erforderlich, wenn der Arbeiter länger als zunächst angezeigt arbeitsunfähig erkrankt ist und wenn der arbeitsunfähig erkrankte Arbeiter nach Deutschland zurückkehrt.

bbb) Auslandserkrankung in einem Land, mit dem ein Sozialversicherungsabkommen besteht Ist der Arbeiter in einem Mitgliedstaat der EG, in Jugoslawien, Marokko, Österreich, Schweden, der Türkei oder in einem anderen Land, mit dem ein zwischenstaatliches Sozialversicherungsabkommen geschlossen wurde, erkrankt, so gilt ein vereinfachtes Verfahren. 381 Der Arbeiter erfüllt seine Verpflichtungen aus § 3 Abs. 2 LFZG, wenn er das in den Merkblättern der Krankenkassen vorgesehene Verfahren über die Meldung, den Nachweis und die Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit befolgt. Eine Vorlage der ausländischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung an den 376 Hunold, Krankheit, S. 79; Schmatz/Fischwasser, Vergütung, C 320. 377 Bauer/Röder, Krankheit, S. 54. Bei einer Auslandserkrankung können etwaige zeitlich unvermeidbare Verzögerungen bezüglich der Erfüllung der Nachweispflicht gestattet sein. Vergütung, C 320. 378 Schmatz/Fischwasser, 379 Schmatz/Fischwasser, Vergütung, C 320. 380 Schmatz/Fischwasser, Vergütung, C 320. 381 Schmatz/Fischwasser, Vergütung, C 321.

275 Arbeitgeber und die Anzeige der Arbeitsunfähigkeit an die deutsche Krankenkasse ist nach diesen für die einzelnen Länder unterschiedlichen Merkblättern häufig entbehrlich. 382 Im Hinblick auf das Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers gilt: Hat der Arbeiter die Anzeigepflichten nach § 3 Abs. 2 LFZG schuldhaft nicht erfüllt, ist der Arbeitgeber nach § 5 Nr. 1 LFZG berechtigt, die Entgeltfortzahlung vorübergehend bis zur Erfüllung dieser Pflichten auszusetzen.383 Da der Arbeitgeber keine Kenntnis von der Verletzung der Pflichten gem. § 3 Abs. 2 LFZG hat, ist die Kasse verpflichtet, dem Arbeitgeber auf dessen Anfrage hin Auskunft über die Erfüllung der Anzeigepflichten zu geben. 384 Unterrichtet der Arbeiter die gesetzliche Krankenkasse von seiner Arbeitsunfähigkeit erst nach seiner Rückkehr nach Deutschland, ist die Anzeigepflicht nicht erfüllt. § 3 Abs. 2 LFZG geht von einer Unterrichtung aus dem Ausland aus. 385 Der Arbeitgeber hat in einem solchen Fall ein endgültiges und nicht nur ein vorübergehendes Leistungsverweigerungsrecht. 386 Eine zeitliche Verzögerung bei der Erfüllung der in § 5 Nr. 1 LFZG genannten Verpflichtungen bewirkt dagegen, selbst wenn die Verzögerung erheblich ist, noch keine Verwirkung des Lohnfortzahlungsanspruches. 387 Eine Verwirkung kommt nur in Betracht, wenn zu der Verzögerung noch besondere Umstände hinzutreten, insbesondere ein Verhalten des Arbeiters, das den Arbeitgeber zu der Annahme bewegen muß, daß der Arbeiter den Anspruch auf Lohnfortzahlung nicht mehr geltend machen will. 388

cc)

Anzeige- und Nachweispflicht bei nicht in einer gesetzlichen Krankenversicherung versicherten Arbeitern

Besonderheiten im Bereich der Anzeige- und Nachweispflichten ergeben sich für Arbeiter, die nicht in einer gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind; d.h.:

382 Dazu LAG Köln, NZA 1989, S. 599; Marburger, BB 1978, S. 1419, 1421; Schmatz/Fischwasser, Vergütung, C 321. 383 Hunold, Krankheit, S. 82; Kaiser/Dunkl, Entgeltfortzahlung, S. 143. 384 Kaiser/Dunkl, Entgeltfortzahlung, S. 143. 385 Kaiser/Dunkl, Entgeltfortzahlung, S. 164; Schmatz/Fischwasser, Vergütung, C 505. 386 LAG Düsseldorf, DB 1990, S. 488; Kaiser/Dunkl, Entgeltfortzahlung, S. 164; Schmatz/Fischwasser, Vergütung, C 504,505. 387 Kaiser/Dunkl, Entgeltfortzahlung, S. 164. 388 BAG, AP Nr. 1 zu § 3 LohFG; Schmatz/Fischwasser, Vergütung, C 506.

276 für Arbeiter, die gem. § 7 SGB V i.V.m. § 8 SGB IV als geringfügig Beschäftigte krankenversicherungsfrei sind und sich nicht freiwillig in einer gesetzlichen Krankenversicherung versichert haben 389 und für Arbeiter, deren Einkommen über der Versicherungspflichtgrenze liegt und die deshalb gem. § 6 Abs. 1 SGB V krankenversicherungsfrei sind und sich ebenfalls nicht freiwillig in einer gesetzlichen Krankenversicherung versichert haben.

Daß geringfügig beschäftigte Arbeiter sowie Arbeiter, deren Einkommen oberhalb der Versicherungspflichtgrenze liegt, nicht krankenversicherungspflichtig sind, berücksichtigen die arbeitsrechtlichen Vorschriften des Lohnfortzahlungsgesetzes nicht. Daher können alle Vorschriften im Lohnfortzahlungsgesetz, die auf die Krankenversicherungspflicht bezug nehmen, auf diesen Personenkreis nicht angewandt werden. Das gilt für § 3 Abs. 1 Satz 3 LFZG, der bestimmt, daß in der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein Vermerk enthalten sein muß, daß der Krankenkasse eine Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit mit Angaben über Befund und voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit übersandt worden ist.390 Ebenso gilt es für § 3 Abs. 2 LFZG sowie für das damit in Zusammenhang stehende Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers. Eine einheitliche Meinung dazu, welche Pflichten der keiner gesetzlichen Krankenversicherung angehörende Arbeiter stattdessen arbeitsrechtlich hat, hat sich noch nicht herausgebildet. c) Die Rechtslage bei Angestellten Aus dem Wortlaut der Angestelltenregelungen in §§ 616 Abs. 2 BGB, 63 HGB und 133c GewO ergeben sich keine Hinweise auf Anzeige- und Nachweispflichten des Angestellten im Krankheitsfall. 391 Auch ein § 5 LFZG entsprechendes Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers ist hierin nicht enthalten. aa) Die Anzeigepflicht Obwohl die genannten Bestimmungen eine Anzeigepflicht nicht ausdrücklich vorsehen, wird dennoch allgemein auch für Angestellte eine Anzeigepflicht im Falle der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit gegenüber dem Arbeitgeber bejaht, 392 die sich als arbeitsrechtliche Ne389 Ein geringfügig Beschäftigter wird sich allerdings in der Praxis nicht freiwillig versichern. 390 Vgl. Schmatz/Fischwasser, Vergütung, C 317. 391 Bauer/Röder, Krankheit, S. 55; Schmitt, ZTR 1991, S. 3,6. 392 Hunold, Krankheit, S.69; MK-Schaub, §616 BGB, Rdnr. 125; Schmatz/Fischwasser, Vergütung, L 501,502; Schmitt, ZTR 1991, S. 3,6.

277 benpflicht aus der Treuepflicht des Angestellten ergeben soll393. Jeder Vertragsteil, der seinen Vertragspflichten nicht nachkommen kann, habe dies schließlich ohne ausdrückliche gesetzliche Verpflichtung seinem Vertragspartner anzuzeigen.394 Da der Zweck der Anzeigepflicht, dem Arbeitgeber eine rechtzeitige betriebliche Disposition zu ermöglichen, bei Arbeitern und Angestellten identisch sei, soll sich nach allgemeiner Ansicht die Anzeigepflicht der Angestellten nicht von der der Arbeiter unterscheiden. Die schuldhafte Nichterfüllung der Anzeigepflicht stelle mithin bei Angestellten ebenso wie bei Arbeitern eine Vertragsverletzung dar, die je nach den konkreten Umständen des Einzelfalles eine Schadensersatzverpflichtung395 und einen Kündigungsgrund ergeben könne. Auf den Entgeltfortzahlungsanspruch hat die Nichterfüllung der Anzeigepflicht keine Auswirkungen. Das Bundesarbeitsgericht hat in einer Entscheidung aus dem Jahre 1975 § 3 LFZG analog im Hinblick auf die Anzeigepflicht bei Angestellten angewandt.396 Es hat sich aber gescheut, auch den Begriff "unverzüglich" im Bereich der Anzeigepflicht von Angestellten zu verwenden, und hat statt dessen die "rechtzeitige" Anzeige der Arbeitsverhinderung gefordert. Im praktischen Ergebnis dürfte jedoch kaum ein Unterschied zwischen der rechtzeitigen und der unverzüglichen Anzeige bestehen. Da zwischen Arbeitern und Angestellten bezüglich der Anzeigepflicht gegenüber dem Arbeitgeber kein Unterschied besteht, ist die unterschiedliche Herleitung der Anzeigepflicht ohne praktische Bedeutung. bb) Die Nachweispflicht Die überwiegende Ansicht in der Literatur verneint eine Nachweispflicht für Angestellte, wenn sie sich nicht ausdrücklich aus einzel- oder kollek-

393 BAG, DB 1976, S. 1067, 1068; Bauer/Röder, Krankheit, S. 55; Becker, DB 1987, S. 1090, 1092; Erman-Z/a/ia«, § 616 BGB, Rdnr. 65; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht, Bd. 1, S. 338, 339; Hunold, Krankheit, S. 69; Krent, BB 1961, S. 99, 100; Soergel-Hanau, § 616 BGB, Rdnr. 65. Beachte in diesem Zusammenhang auch § 18 Abs. 3 BAT, § 20 Abs. 3 MTL II für Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes. 394 So Göge, BB 1986, S. 1772,1773. 395 Vgl. Göge, BB 1986, S. 1772, 1773. 396 BAG, DB 1975, S. 1082, 1083; a.A. MK-Schaub, §616 BGB, Rdnr. 125; Schmatz/Fischwasser, Vergütung, L 501.

278 tivvertraglichen Regelungen ergibt.397 Nur soweit die Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit über einen längeren Zeitraum andauert oder berechtigte Zweifel an der Richtigkeit der Krankmeldung bestehen, soll auch der Angestellte verpflichtet sein, seine Arbeitsunfähigkeit gegenüber dem Arbeitgeber nachzuweisen.398 § 3 LFZG kann nach überwiegender Auffassung im Hinblick auf die Nachweispflicht mangels Regelungslücke nicht analog auf Angestellte angewandt werden.399 Verneint man mit der h.M. eine Nachweispflicht von Angestellten, so liegt zwischen Arbeitern und Angestellten eine Ungleichbehandlung vor. Zum Teil wird demgegenüber in der Literatur die Ansicht vertreten, § 3 LFZG lasse sich zwar nicht analog auf Angestellte übertragen, aus der Treuepflicht ergebe sich aber eine Nachweispflicht der Angestellten.400 Im Unterschied zur Nachweispflicht der Arbeiter, die nur durch die Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erfüllt werden kann, sollen bei Angestellten aber andere Beweismittel zum Nachweis der Arbeitsunfähigkeit gegenüber dem Arbeitgeber zulässig sein. Die Treuepflicht schränke nämlich nicht, wie die gesetzliche Regelung in § 3 LFZG, die Beweismittel auf die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein. Uneinigkeit im Bereich der Nachweispflicht von Angestellten besteht auch bezüglich des Zeitraums, in dem die Arbeitsunfähigkeit nachgewiesen werden muß. Die Rechtsprechung legt ebenso wie bei Arbeitern die Dreitagesfrist zugrunde.401 Soweit man der Ansicht ist, daß sich die Nachweispflicht aus der allgemeinen Treuepflicht ergibt, besteht zwischen Arbeitern und Angestellten jedenfalls insoweit eine Ungleichbehandlung, als Arbeiter gegenüber dem Arbeitgeber ihre Arbeitsunfähigkeit nur mittels Arbeitsun-

397 Becker, DB 1987, S. 1090, 1092; Feichtinger, AR-Blattei, Krankheit III, Lohnund Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfalle, G II 2; Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, § 98 VI, 4; Schmatz/Fischwasser, Vergütung, L 503, 504; Schmitt, ZTR 1991, S. 3, 6; a.A. LAG Düsseldorf, DB 1961, S. 1103; Beuthien, in: Studienkommentar zum BGB, § 616 BGB, Anm. II 6; Kaiser/Dunkl, Entgeltfortzahlung, S. 277; Kächenhoff, RdA 1972, S. 336, 339. 398 ArbG Essen, DB 1970, S. 1646, 1647; Bauer/Röder, Krankheit, S. 55; Schmitt, ZTR 1991, S. 3 , 6 ; Soergel-Kraft, § 616 BGB, Rdnr. 34. 399 Vgl. MK/Schaub, § 616 BGB, Rdnr. 125; Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, § 98 VI, 4. 400 Kaiser/Dunkl, Entgeltfortzahlung, S. 277, 278; Kächenhoff, RdA 1972, S. 336, 339. 401 Vgl. u.a. LAG Düsseldorf, DB 1961, S. 1103.

279 fähigkeitsbescheinigung nachweisen können, Angestellte dagegen mit allen denkbaren Beweismitteln,402 Dieser Unterschied wirkt sich auch hinsichtlich des Leistungsverweigerungsrechtes aus. Arbeiter können sich nur durch die Vorlage oder schuldlose Nichtvorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor einem Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers schützen. Gem. § 5 LFZG besteht nämlich das Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers gegenüber Arbeitern grundsätzlich auch dann, wenn sie mit anderen Beweismitteln ihre Arbeitsunfähigkeit nachweisen. Die Geltendmachung des Leistungsverweigerungsrechts kann in diesem Fall jedoch rechtsmißbräuchlich sein. Bei Angestellten ist umstritten, ob überhaupt ein Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers besteht. 403 Wer es im Grundsatz bejaht und die Nachweispflicht von Angestellten aus der Treuepflicht ableitet, muß konsequenterweise zum Ausschluß des Leistungsverweigerungsrechts alle Beweismittel für den Arbeitsunfähigkeitsnachweis zulassen. Kaiser/Dunkl befürworten eine generelle Nachweispflicht von Angestellten als vertragliche Nebenpflicht. 404 Die Nachweispflicht diene dazu, den Arbeitgeber vor einer unberechtigten Inanspruchnahme der Entgeltfortzahlung, die für ihn immerhin mit nicht unerheblichen finanziellen Einbußen verbunden ist, zu schützen. Deshalb geböten es Treu und Glauben, daß auch Angestellte den Nachweis ihrer Arbeitsunfähigkeit erbringen. Kaiser/Dunkl 405 bejahen, wenn keine individual- oder kollektivrechtlichen Abreden bestehen, die eine Nachweispflicht normieren, die Nachweispflicht nach dem Lohnfortzahlungsgesetz über eine vertragliche Nebenpflicht auch für Angestellte. Einer Übertragung der Nachweispflicht auf Angestellte steht laut Kaiser/Dunkl 406 kein gesetzgeberischer Wille entgegen. Der Gesetzgeber habe zwar bei der Regelung des Lohnfortzahlungsgesetzes nicht gleichzeitig die Nachweispflicht des § 3 LFZG in die §§ 63 HGB, 133c GewO, 616 BGB aufgenommen. Hieraus 402 Vgl. BAG, DB 1985, S. 498,499; Becker, DB 1987, S. 1090, 1092, 1093; für den öffentlichen Dienst BAG, DB 1970, S. 1278, 1279. Im Prozeß können Arbeiter ihre Arbeitsunfähigkeit unstreitig auch durch andere Beweismittel nachweisen. Darüber hinausgehend läßt Hunold, Krankheit, S. 82 für Arbeiter alle Beweismittel von vorneherein zu. 403 Ein Leistungsverweigerungsrecht lehnen ab: Bauer/Röder, Krankheit, S. 55, 56; Göge. BB 1986, S. 1772, 1773; a.A. Hunold, Krankheit, S. 85; Kaiser/Dunkl, Entgeltfortzahlung, S. 279. 404 Kaiser/Dunkl, Entgeltfortzahlung, S. 277; so auch Göge. DB 1986, S. 1771,1773. 405 Kaiser/Dunkl, Entgeltfortzahlung, S. 278. 406 Kaiser/Dunkl, Entgeltfortzahlung, S. 278.

280 sei aber noch nicht der Schluß zu ziehen, daß der Gesetzgeber unterschiedliche Regelungen für Arbeiter und Angestellte schaffen wollte. Zum Zeitpunkt des Erlasses des Lohnfortzahlungsgesetzes waren vielmehr gesetzgeberische Bestrebungen zur Schaffung eines einheitlichen Arbeitsgesetzbuches für Arbeiter und Angestellte im Gange. Der Gesetzgeber konnte davon ausgehen, daß eine einheitliche Kodifizierung sich an den gesetzlichen Neuregelungen orientieren werde. Seit Erlaß des Lohnfortzahlungsgesetzes steht mithin für Kaiser/Dunkl fest, daß der Gesetzgeber eine Vorlagepflicht für alle Arbeitnehmer befürwortet. Vertritt man die Auffassung, § 3 LFZG sei entgegen der h.M. 407 analog anwendbar, so besteht kein Unterschied zwischen Arbeitern und Angestellten. Während Arbeiter einem Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers ausgesetzt sind, wenn sie die Pflichten aus § 3 Abs. 1,2 LFZG nicht erfüllen, gibt es ein solches Leistungsverweigerungsrecht bei Angestellten nicht ausdrücklich. Folglich ist ebenso wie bei der Nachweispflicht streitig, ob ein Leistungsverweigerungsrecht überhaupt besteht und wenn ja, wie es dann ausgestaltet ist. Zum Teil wird ein Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers bei Angestellten schon deshalb abgelehnt, weil es nicht ausdrücklich gesetzlich vorgesehen ist408. In diesem Fall besteht eine Ungleichbehandlung zwischen Arbeitern und Angestellten. Sie bezieht sich nicht nur auf das Leistungsverweigerungsrecht selbst, sondern auch auf damit im Zusammenhang stehende Rechtswirkungen. So schiebt das Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers den Zeitpunkt der Fälligkeit des Lohnes hinaus mit der Folge, daß der Arbeiter erst für die Zeit nach dem ordnungsgemäßen Nachweis der Arbeitsunfähigkeit Verzugszinsen nach §§288, 286 BGB verlangen kann.4*» Einem Angestellten, gegenüber dem kein Leistungsverweigerungsrecht besteht, stehen Verzugszinsen von dem Zeitpunkt des ursprünglichen Fälligkeitstermins seines Gehaltes an zu. 410 Bei monatlicher Vergütung wird ein Angestellter damit gegenüber einem Arbeiter geringfügig finanziell bessergestellt, wenn der Nachweis pflichtwidrig nicht bis zum nächsten Lohnfortzahlungstermin erbracht worden ist.411 Die Ungleichbehandlung be407 Gegen eine Analogie MK-Schaub, § 616 BGB, Rdnr. 125; Schaub, ArbeitsrechtsHandbuch, § 98 VI, 4. 408 MK-Schaub, § 616 BGB, Rdnr. 129; a.A. Schlegelberger/ScArtfder, § 63 HGB, Rdnr. 8a. 409 So Becker, DB 1987, S. 1090,1093. 410 Becker, DB 1987, S. 1090,1093. 411 Becker, DB 1987, S. 1090,1093.

281 züglich der Verzugszinsen kann aufgrund der minimalen Konsequenzen jedoch vernachlässigt werden. Nicht mehr als geringfügig bezeichnet werden kann aber folgende Ungleichbehandlung von Arbeitern gegenüber Angestellten, wenn gegenüber Angestellten ein Leistungsverweigerungsrecht abgelehnt wird: Das Leistungsverweigerungsrecht des § 5 Nr. 1 LFZG hat der Gesetzgeber generell als vorübergehendes ausgestaltet. In dem Fall des § 3 Abs. 2 LFZG, in dem der Arbeiter der Krankenkasse gegenüber - soweit er krankenversichert ist - seine im Ausland eingetretene Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit nicht vor der Rückkehr nach Deutschland anzeigt, wird es jedoch zu einem endgültigen Leistungsverweigerungsrecht. Der Arbeitgeber kann in diesem Fall die Entgeltfortzahlung gegenüber dem Arbeiter dauerhaft verweigern. Zum Teil wird ein Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers bei Angestellten bejaht, weil die Interessenlage des Arbeitgebers im Krankheitsfall eines Arbeiters nicht anders sei als im Krankheitsfall eines Angestellten. Bei der Herleitung des Leistungsverweigerungsrechtes gibt es jedoch Unterschiede. Während die eine Gruppe das Leistungsverweigerungsrecht bei Angestellten aus einer Analogie zu § 5 LFZG gewinnt, versuchen andere ein Leistungsverweigerungsrecht über § 273 BGB oder § 273 BGB i.V.m. § 242 BGB zu entwickeln.41* Wendet man § 5 LFZG analog auf Angestellte an, so besteht kein Unterschied zwischen Arbeitern und Angestellten, der nicht auf einen Unterschied im Bereich der Nachweispflicht zurückgeht. Ein Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers gem. § 273 BGB kommt nicht in Betracht. Die Verpflichtungen, die in § 3 LFZG beschrieben sind, sind keine selbständigen Gegenleistungen gegenüber dem Lohnfortzahlungsanspruch, wie § 273 BGB es verlangt, 413 sondern lediglich unselbständige Nebenpflichten. 414 Auch ein Leistungsverweigerungsrecht gem. § 242 BGB i.V.m. § 273 BGB, wie Kaiser/Dunkl vorschlagen, muß hieran scheitern. 415 Der Gesetzeswortlaut des § 273 BGB läßt sich nicht durch einen Rückgriff auf § 242 BGB umgehen. 416 Kaiser/Dunkl417 leiten ein weiteres Lei4 1 2 Göge, BB 1986, S. 1772,1773; Kaiser/Dunkl, Entgeltfortzahlung, S. 279. 413 MK-Keller, § 273 BGB, Rdnr. 4. 414 Brecht, § 5 LFZG, Rdnr. 1; Göge, BB 1986, S. 1772, 1773; Loddenkemper, Gleichbehandlung, S. 123; Marienhagen, § 5 LFZG, Rdnr. 1. 415 Göge, BB 1986, S. 1772, 1773; Kaiser/Dunkl, Entgeltfortzahlung, S. 1279; Loddenkemper, Gleichbehandlung, S. 123. 416 Göge, BB 1986, S. 1772,1773.

282 stungsverweigerungsrecht neben § 242 BGB i.V.m. § 273 BGB aus dem prozessualen Grundsatz her, daß deijenige, der Ansprüche geltend mache, diese auch nachzuweisen habe. Dieses Leistungsverweigerungsrecht soll solange bestehen, bis der Nachweis der Arbeitsverhinderung erbracht ist. Weitere Pflichten bestehen für Angestellte nicht. Im Rahmen der Anzeige- und Nachweispflichten von Angestellten ist nach h.M. insbesondere weder eine Differenzierung nach Auslands- und Inlandserkrankungen vorzunehmen, noch eine solche zwischen Mitgliedern und Nichtmitgliedem einer gesetzlichen Krankenversicherung. d) Zusammenfassende Darstellung der Ungleichbehandlung Die Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten läßt sich basierend auf der h.M. vereinfacht wie folgt darstellen: Krankenversicherte und nicht gesetzlich krankenversicherte Angestellte werden gleichbehandelt. Krankenversicherte und einer gesetzlichen Krankenversicherung nicht angehörende Arbeiter werden ungleich behandelt bezüglich: - § 3 Abs. 1 Sau 3 LFZG - § 3 Abs. 2 LFZG sowie - des Leistungsverweigerungsrechts. Einer gesetzlichen Krankenversicherung angehörende Arbeiter werden gegenüber Angestellten ungleich behandelt bezüglich: - § 3 Abs. 1 Satz 3 LFZG, - § 3 Abs. 2 LFZG, - gegebenenfalls der Nachweispflicht sowie - des Leistungsverweigerungsrechts. Einer gesetzlichen Krankenversicherung nicht angehörende Arbeiter werden gegenüber Angestellten ungleich behandelt bezüglich: - gegebenenfalls der Nachweispflicht sowie - des Leistungsverweigerungsrechts.

e) Die Verfassungswidrigkeit der Ungleichbehandlung Da sich die Anzeige- und Nachweispflichten der Angestellten, anders als die der Arbeiter, nicht unmittelbar aus dem Gesetz ergeben, sondern nur durch Rechtsprechung und Literatur entwickelt wurden, muß die gesetzliche Regelung für Arbeiter mit der Rechtslage für Angestellte nach Rechtsprechung und Literatur verglichen werden. Allerdings ist diese Rechtslage insbesondere im Bereich der Nachweispflichten sowie im Bereich des Leistungsverweigerungsrechts des Arbeitgebers lebhaft umstritten. 417 Kaiser/Dunkl, Entgeltfortzahlung, S. 279.

283 Nur diejenigen, die, anders als die überwiegende Ansicht, die §§ 3, 5 LFZG analog auf Angestellte anwenden, behandeln Arbeiter und Angestellte gleich.418 Im übrigen kommt es aber zu einer von der Rechtsprechung 419 verfassungsrechtlich noch nicht überprüften Ungleichbehandlung, für die es keinen sachlichen Grund gibt.420 Die Ungleichbehandlungen hinsichtlich §§ 3 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 LFZG sind dagegen durch einen sachlichen Grund - Versicherung in einer gesetzlichen Krankenkasse - gerechtfertigt.

f)

Bisherige Vorschläge für eine gesetzliche Neuregelung

Vorschläge für eine einheitliche Neuregelung der Anzeige- und Nachweispflichten sowie des Leistungsverweigerungsrechts wurden von der Arbeitsgesetzbuchkommission, vom DGB und von Trieschmann vorgelegt.

aa) Der Vorschlag Trieschmanns421 aaa) Darstellung Nach Trieschmanns Ansicht sollte die Anwendung der § § 3 und 5 LFZG auf Angestellte erstreckt werden. 422 Er begründet dies zum einen damit, daß Tarifverträge in der Praxis häufig die für Arbeiter geltenden Regelungen der §§ 3 und 5 LFZG inhaltlich auch für Angestellte übernehmen. Zum anderen sieht er es als "Selbstverständlichkeit" an, daß der arbeitsunfähig erkrankte Arbeitnehmer, der vom Arbeitgeber Lohnfortzahlung begehrt, ihm zunächst seine Arbeitsunfähigkeit anzeigt und nachweist, wenn der Arbeitgeber hierauf nicht von sich aus verzichtet.

bbb) Stellungnahme Trieschmann ist im wesentlichen zuzustimmen. Die Regelungen in den §§ 3 und 5 LFZG sollen verhindern, daß Lohnfortzahlung rechtsmißbräuchlich in Anspruch genommen wird. Der Arbeitnehmer, der keinen Mißbrauch beabsichtigt, wird dem begründeten Interesse des Arbeitgebers an der Anzeige und dem Nachweis der Arbeitsunfähigkeit ohne weiteres entsprechen. Ihm entsteht dadurch kein Nachteil. Bezüglich §§ 3 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 LFZG sollte zwischen Arbeitnehmern, die Mitglie418 Vgl. Loddenkemper, Gleichbehandlung, S. 122,123; Schmitt, ZTR 1991, S. 3 , 6 . 419 BAG, DB 1975, S. 1082,1083; BAG, DB 1985, S. 498. 420 A.A. Becker, DB 1987, S. 1090, 1093 im Hinblick auf die bloße Geringfügigkeit der Unterscheidung. 421 Trieschmann, Festschrift für Herschel, S. 4 2 1 , 4 5 0 , 4 5 1 . 422 So auch Göge, BB 1986, S. 1772,1773; Schmitt, ZTR 1991, S. 3 , 6 .

284 der einer gesetzlichen Krankenversicherung sind, und Nichtmitgliedern unterschieden werden. Bei Nichtmitgliedern ist sowohl der Vermerk auf der ärztlichen Bescheinigung, daß der Krankenkasse unverzüglich eine Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit mit Angaben über den Befund und die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit übersandt wird, als auch die Anzeige nach § 3 Abs. 2 LFZG an die Krankenkasse sinnlos. bb)

Der Vorschlag der

Arbeitsgesetzbuchkommission

aaa) Darstellung Die einschlägigen Vorschriften lauten: §57 KE (1) Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich anzuzeigen. Er hat vor Ablauf des dritten Kalendertages nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit eine ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer nachzureichen. Es kann jedoch vereinbart werden, daß der Arbeitnehmer nicht verpflichtet ist, eine ärztliche Bescheinigung nachzureichen, wenn die Arbeitsunfähigkeit die Dauer von drei Arbeitstagen nicht überschreitet. Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als in der ärztlichen Bescheinigung angegeben, so ist der Arbeitnehmer vexpflichtet, eine neue ärztliche Bescheinigung vorzulegen. (2) Hat der Arbeitgeber begründete Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers, so kann er diese dem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung mitteilen und anregen, daß eine Begutachtung der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers veranlaßt wird. (3) Die Kosten einer ärztlichen Bescheinigung nach Absatz 1 hat, soweit sie nicht vom Träger der gesetzlichen Krankenversicherung zu übernehmen sind, der Arbeitgeber zu tragen. (4) Ist der Arbeitnehmer nicht Mitglied eines Trägers der gesetzlichen Krankenversicherung und hat der Arbeitgeber begründete Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers und teilt er sie dem Arbeitnehmer mit, so kann er von ihm die Vorlage einer weiteren, von einem anderen Arzt ausgestellten Bescheinigung nach Absatz 1 verlangen. Der Arbeitgeber hat die hieraus entstehenden notwendigen Kosten zu tragen. §59 KE (2) Der Arbeitgeber ist berechtigt, die Entrichtung des Arbeitsentgelts nach § 56 zu verweigern, solange

285 1.

2.

3.

Der Arbeitnehmer eine von ihm nach § 57 vorzulegende ärztliche Bescheinigung nicht vorlegt oder den ihm nach § 58 Abs. 2 obliegenden Verpflichtungen nicht nachkommt, der Arbeitnehmer einer durch den Träger der gesetzlichen Krankenversicherung veranlaßten Aufforderung zur Begutachtung oder der Aufforderung zur Vorlage einer Bescheinigung gemäß § 57 Abs. 4 nicht nachkommt, der Arbeitnehmer einem Verlangen des Arbeitgebers auf Auskunft über die für die Beschränkung des Anspruchs auf Weiterentrichtung des Arbeitsentgelts nach § 55 Abs. 2 maßgeblichen Umstände nicht nachkommt.

(1) Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, das Arbeitsentgelt nach § 55 zu entrichten, 1.

2.

3.

wenn und soweit der Arbeitnehmer den Übergang eines Schadensersatzanspruchs gegenüber einem Dritten auf den Arbeitgeber (§ 58) oder dessen Durchsetzung verhindert, für die Zeit bis zur Vorlage einer nach § 57 erforderlichen Bescheinigung, wenn die Bescheinigung später als zehn Kalendertage nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit vorgelegt wird, oder die Tage, für die der Arbeitnehmer während der Arbeitsunfähigkeit eine andere Erwerbstätigkeit aufnimmt, sowie für die Tage, um die sich die Arbeitsunfähigkeit dadurch verlängert.

(3) Absatz 1 Nrn. 1 und 2 und Absatz 2 gelten nicht, wenn der Arbeitnehmer die Verletzung dieser ihm obliegenden Verpflichtung nicht zu vertreten hat. bbb) Stellungnahme Zur Anzeige- und Nachweispflicht. § 57 KE, der gleichermaßen für Arbeiter wie für Angestellte gelten soll, entspricht im wesentlichen § 3 LFZG. Damit besteht zwischen Trieschmann und der Arbeitsgesetzbuchkommission im Grundsatz Einigkeit über die gesetzliche Normierung der Anzeige- und Nachweispflicht auch für Angestellte. § 57 Abs. 1 KE entspricht § 3 Abs. 1 LFZG mit folgenden Änderungen: Während § 3 Abs. 1 Satz 3 LFZG einen Vermerk auf der ärztlichen Bescheinigung verlangt, enthält § 57 Abs. 1 KE keine vergleichbare Regelung. § 57 Abs. 1 Satz 3 KE findet dagegen keine Entsprechung in § 3 LFZG. Gem. § 57 Abs. 1 Satz 3 KE kann der Arbeitnehmer von der Pflicht, eine ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit nachzureichen, entbunden werden, wenn dies zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbart worden ist und wenn die Arbeitsunfähigkeit die Dauer von drei Tagen nicht überschreitet. § 57 Abs. 1 Satz 3 KE sieht damit gesetzlich eine Regelung vor, die auch ohne § 57 Abs. 1 Satz 3 KE zwischen den Parteien möglich wäre. § 9 LFZG sieht lediglich vor, daß eine Abweichung zum Nachteil der Arbeitnehmer nicht zulässig ist. § 3 Abs. 2 LFZG findet in § 57 KE keine Entsprechung. Anders als in § 3

286 LFZG sieht § 57 Abs. 2 - 4 KE jedoch Regelungen vor, die dem Arbeitgeber die Möglichkeit geben, Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers durch eine Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit zu beseitigen. § 57 Abs. 2 KE bezieht sich auf einen Arbeitnehmer, der Mitglied einer gesetzlichen Krankenversicherung ist, und § 57 Abs. 4 KE auf einen Arbeitnehmer, der kein Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung ist. § 57 Abs. 3 KE enthält eine Kostentragungspflicht. Die Arbeitsgesetzbuchkommission hat § 57 KE anders ausgestaltet als § 60 Abs. 1 KE, auf den im folgenden noch eingegangen wird. Um Mitglieder der gesetzlichen Kranken- oder Rentenversicherung und Nichtmitglieder weitgehend gleich zu behandeln, hat die Arbeitsgesetzbuchkommmission in § 60 Abs. 1 Satz 2 KE für beide Personengruppen identische Voraussetzungen normiert und erst in § 60 Abs. 1 Satz 3 KE erklärt, daß diese allgemeinen Voraussetzungen jedenfalls erfüllt sind, wenn die nur bei Mitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherungen möglichen besonderen Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 3 KE erfüllt sind. Mitglieder und Nichtmitglieder werden somit weitgehend gleich behandelt, weil die Grundlage der Lohnfortzahlung für beide gleich ist. Für Mitglieder der Kranken- oder der Rentenversicherung besteht nur insoweit ein Unterschied, als durch die Erfüllung der strengeren Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 3 KE automatisch die Voraussetzungen des Satzes 2 als gegeben angesehen werden. Im Rahmen des § 57 KE wäre es besser gewesen, ähnlich zu verfahren wie bei § 60 KE. Konkret würde dies bedeuten, daß § 57 Abs. 4 KE als allgemeine Regelung für Mitglieder und Nichtmitglieder der gesetzlichen Krankenkassen ausgestaltet werden sollte und daß darüber hinaus die Regelung in § 57 Abs. 2 KE für Mitglieder der gesetzlichen Krankenkassen die Regelung über die Untersuchung durch einen anderen Arzt nach § 57 Abs. 4 KE ersetzen kann. Im übrigen sollte zwischen im Inland und im Ausland erkrankten Arbeitnehmern unterschieden werden, weil die Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit eines im Ausland erkrankten Arbeitnehmers schwieriger ist. Zum Leistungsverweigerungsrecht. Das Lohnfortzahlungsgesetz sieht ein Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers vor, wenn der Arbeiter die Pflicht zur Vorlage der ärztlichen Bescheinigung an den Arbeitgeber oder die Anzeigepflicht an die Krankenkasse bei einem Auslandsaufenthalt verletzt. Dabei ist das Leistungsverweigerungsrecht im Grundsatz als vorübergehendes und nicht als endgültiges ausgestaltet. Lediglich für den Fall, daß der Arbeiter die gesetzliche Krankenkasse

287 von seiner Arbeitsunfähigkeit erst nach seiner Rückkehr nach Deutschland unterrichtet, wird, jedenfalls soweit hierauf in der Literatur überhaupt eingegangen wird, ein endgültiges Leistungsverweigerungsrecht angenommen. 423 Das Leistungsverweigerungsrecht des § 59 KE ist demgegenüber differenzierter. Zwar unterscheidet der Kommissionsentwurf ebenfalls zwischen vorübergehendem und endgültigem Leistungsverweigerungsrecht, er enthält aber über § 5 LFZG hinausgehende Regelungen. Ein endgültiges Leistungsverweigerungsrecht enthält § 59 Abs. 1 Nr. 2 KE. Hiemach ist der Arbeitgeber berechtigt, die Lohnfortzahlung bis zur Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit zu verweigern, wenn die Bescheinigung später als zehn Kalendertage nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit nachgereicht wird. Ein endgültiges Leistungsverweigerungsrecht sieht der Kommissionsentwurf auch in § 59 Abs. 1 Nr. 3 KE für die Tage vor, an denen der Arbeitnehmer trotz Arbeitsunfähigkeit einer anderen Erwerbstätigkeit nachgeht, sowie für die Tage, um die sich dadurch die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers verlängert. Voraussetzung für das endgültige Leistungsverweigerungsrecht ist, ebenso wie im Rahmen von § 5 LFZG, daß die Pflichtverletzung vom Arbeitnehmer zu vertreten ist. Ob man die in § 59 Abs. 1 Nr. 2 und 3 KE enthaltenen Leistungsverweigerungsrechte in eine Neuregelung übernehmen will, hängt davon ab, welche Sanktionsmittel der Arbeitgeber erhalten soll. Im Falle des § 59 Abs. 1 Nr. 3 KE ist der Arbeitgeber wohl auch nach der geltenden Rechtslage unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmißbrauchs nicht zur Lohnfortzahlung verpflichtet. § 59 Abs. 2 KE regelt das vorübergehende Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers. § 59 Abs. 2 Nr. 1 KE entspricht dabei § 5 Nr. 1 LFZG mit Ausnahme der Bezugnahme auf den Inhalt von § 3 Abs. 2 LFZG, der im Kommissionsentwurf keine Entsprechung findet. § 59 Abs. 2 Nr. 2 KE gesteht dem Arbeitgeber ein vorübergehendes Leistungsverweigerungsrecht zu, wenn der Arbeitnehmer einer Aufforderung zur Begutachtung durch den Träger der gesetzlichen Krankenversicherung oder der Aufforderung zur Vorlage einer weiteren ärztlichen Bescheinigung nach § 57 Abs. 4 KE nicht nachkommt. Dabei gibt der Kommissionsentwurf dem Arbeitgeber ein Sanktionsmittel an die Hand, um den Arbeitnehmer bei Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers zu einer weiteren Untersuchung zu veranlassen. Konsequenter wäre es, weitergehend zu normieren, daß der Arbeitgeber auf Dauer nicht

423 Kaiser/Dunkl, 504,505.

Entgeltfortzahlung, S. 164; Schmatz/Fischwasser,

Vergütung, C

288 zur Lohnfortzahlung verpflichtet ist, wenn der Arbeitnehmer § 59 Abs. 2 Nr. 1 KE nicht erfüllt und seine Arbeitsunfähigkeit nicht auf andere Art und Weise nachweist. § 59 Abs. 2 Nr. 3 KE, der sich auf § 55 Abs. 2 KE bezieht, findet keine Entsprechung in § 5 LFZG, obwohl § 55 Abs. 2 KE die Regelung des § 1 Abs. 1 Satz 2 LFZG aufgreift. Eine Übernahme des Leistungsverweigerungsrechts i.S. von § 59 Abs. 2 Nr. 3 KE kommt vorliegend schon deshalb nicht mehr in Betracht, weil nach der hier vorgeschlagenen Neuregelung abweichend vom Lohnfortzahlungsgesetz und den anderen genannten Vorschlägen eine Unterscheidung zwischen Wiederholungs- und Fortsetzungserkrankung nicht als sinnvoll erachtet wird, wodurch die in § 1 Abs. 1 Satz 2 LFZG normierte Berechnung entbehrlich ist Nach dem hier entwickelten Vorschlag soll der Arbeitgeber lediglich für 6 Wochen pro Kalendeijahr zur Lohnfortzahlung verpflichtet sein, gleichgültig auf welcher Art von Erkrankung die Arbeitsunfähigkeit beruht. cc)

Der Vorschlag des DGB«"

aaa) Darstellung Die einschlägigen, mit §§ 3 und 5 LFZG vergleichbaren Regelungen sind: §62 (1) Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich anzuzeigen und auf Verlangen des Arbeitgebers eine ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer nachzureichen. Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als in der ärztlichen Bescheinigung angegeben, so ist der Arbeitnehmer verpflichtet, auf Verlangen des Arbeitgebers eine neue ärztliche Bescheinigung vorzulegen. (2) Ist der Arbeitnehmer Mitglied eines Trägers der gesetzlichen Krankenversicherung, so haben ärztliche Bescheinigungen nach Absatz 1 einen Vermerk des behandelnden Arztes zu enthalten, daß dem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung unverzüglich eine Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit mit Angaben über den Befund und die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit übersandt wird. (3) Hält sich der Arbeitnehmer, der Mitglied eines Trägers der gesetzlichen Krankenversicherung ist, bei Beginn der Arbeitsunfähigkeit außerhalb des Geltungsbereiches dieses Gesetzes auf, so gilt Absatz 2 424 RdA 1977, S. 166 ff.

289 Satz 1 nicht. Der Arbeitnehmer hat jedoch dem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung, bei dem er versichert ist, die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer anzuzeigen. Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als angezeigt, so hat der Arbeitnehmer dem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung die voraussichtliche Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit mitzuteilen. Kehrt ein arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer in den Geltungsbereich dieses Gesetzes zurück, so hat er dem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung seine Rückkehr unverzüglich anzuzeigen. (4) Ist der Arbeitnehmer nicht Mitglied eines Trägers der gesetzlichen Krankenversicherung und hat der Arbeitgeber begründete Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers und teilt er sie dem Arbeitnehmer mit, so kann er von ihm die Vorlage einer weiteren, von einem anderen Arzt ausgestellten Bescheinigung nach Absatz 1 verlangen. (5) Die Kosten einer nach den Absätzen 1 bis 4 vom Arbeitnehmer vorzulegenden ärztlichen Bescheinigung hat, sofern sie nicht vom Träger der gesetzlichen Krankenversicherung zu übernehmen sind, der Arbeitgeber zu tragen. §64 (1) Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, das Arbeitsentgelt nach § 60 zu entrichten, wenn und soweit der Arbeitnehmer den Übergang eines Schadensersatzanspruchs gegen einen Dritten auf den Arbeitgeber (§ 63) verhindert. (2) Der Arbeitgeber ist berechtigt, die Entrichtung des Arbeitsentgelts nach § 60 zu verweigern, solange 1.

2.

der Arbeitnehmer eine von ihm nach § 62 vorzulegende ärztliche Bescheinigung nicht vorlegt oder den ihm nach § 62 Abs. 3 oder § 63 Abs. 4 obliegenden Verpflichtungen nicht nachkommt. der Arbeitnehmer einer durch den Träger der gesetzlichen Krankenversicherung wegen begründeter Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit veranlaßten Aufforderung zur Begutachtung durch den Vertrauensarzt nicht nachkommt.

(3) Absätze 1 und 2 gelten nicht, wenn der Arbeitnehmer die Verletzung dieser ihm obliegenden Verpflichtungen zu vertreten hat. Das Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers nach Absatz 2 entfällt im übrigen, wenn der Arbeitnehmer begründete Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit auf andere Weise ausräumt, im Falle der Ziff. 2 auch durch Vorlage einer von einem anderen Arzt ausgestellten Bescheinigung. bbb) Stellungnahme Zur Anzeige- und Nachweispflicht. Ebenso wie die übrigen Vorschläge beruht auch der DGB-Entwurf zu Recht darauf, daß die Anzeige- und

290 Nachweispflicht auf Angestellte ausgedehnt werden sollte. § 62 Abs. 1, 2 des Entwurfs stimmen im wesentlichen mit § 3 Abs. 1 LFZG überein. Anders als in § 3 Abs. 1 LFZG und § 57 Abs. 1 KE ist in § 62 Abs. 1 Satz 1 aber nicht geregelt, daß der Arbeitnehmer bis zum Ablauf des dritten Kalendertages nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit seinem Arbeitgeber eine ärztliche Bescheinigung nachreichen muß. § 62 Abs. 1 Satz 1 regelt lediglich eine Pflicht des Arbeitnehmers, dem Arbeitgeber auf dessen Verlangen hin eine ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit und ihre voraussichtliche Dauer vorzulegen. Damit macht der DGB-Entwurf den Nachweis der Arbeitsunfähigkeit davon abhängig, daß ihn der Arbeitgeber im Einzelfall ausdrücklich verlangt. Aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit sollte jedoch die Regelung des Kommissionsentwurfs oder des Lohnfortzahlungsgesetzes übernommen werden. Das bedeutet eine gesetzliche Nachweispflicht ohne vorheriges Tätigwerden des Arbeitgebers sowie eine Frist von drei Tagen. Dies ist umso mehr berechtigt, als eine solche Regelung ohnehin nur dem Ausschluß von Rechtsmißbrauch dient. Es ist sinnvoller, im Einzelfall einen Verzicht des Arbeitgebers auf die ärztliche Bescheinigung zuzulassen. In Übereinstimmung mit § 3 Abs. 1 Satz 3 LFZG und in Abweichung von § 57 KE enthält § 62 Abs. 2 des DGB-Entwurfs eine Regelung, wonach die ärztliche Bescheinigung einen Vermerk des behandelnden Arztes darüber enthalten muß, daß der Krankenkasse eine Bescheinigung übersandt wird. Ein Grund gegen diese Regelung, wenn der Arbeitnehmer bei einer gesetzlichen Krankenkasse versichert ist, ist nicht ersichtlich, so daß § 3 Abs. 1 Satz 3 LFZG beibehalten werden sollte. § 62 Abs. 4, 5 des DGB-Entwurfs findet seine Entsprechung in § 57 Abs. 3, 4 KE. Dadurch, daß § 62 Abs. 3 des DGB-Entwurfs, anders als der Kommissionsentwurf, die Regelung des § 3 Abs. 2 LFZG übernimmt und damit für Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung, die sich im Ausland befinden, Anzeigepflichten normiert, behandelt der DGB-Entwurf Mitglieder und Nichtmitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung unterschiedlich. Ob insofern ein sachlicher Grund besteht, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls dient § 3 Abs. 2 LFZG dazu, der Krankenkasse eine Überprüfung eines im Ausland arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmers zu ermöglichen; insbesondere, weil mit verschiedenen Ländern Sozialversicherungsabkommen bestehen. Diese Überprüfung bereitet bei Nichtmitgliedern Schwierigkeiten. Wenn aber für den Arbeitgeber die Möglichkeit gesetzlich vorgesehen wird, sowohl bei Mitgliedern als auch bei Nichtmitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung eine weitere ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit zu verlangen, so

291 werden beide Gruppen gleich behandelt. Wenn daneben dennoch eine § 3 Abs. 2 LFZG entsprechende Regelung für Mitglieder vorgesehen ist, so ist dies unschädlich. Zum Leistungsverweigerungsrecht. § 64 Abs. 2 des DGB-Entwurfs enthält ein vorübergehendes Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers für verschiedene Fälle. Mit dem Kommissionsentwurf und dem geltenden Lohnfortzahlungsgesetz sieht der DGB-Entwurf in § 64 Abs. 2 Nr. 1 ein vorübergehendes Leistungsverweigerungsrecht vor, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit nicht durch Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung nachweist. Darüber hinaus besteht ein Leistungsverweigerungsrecht, wenn der Arbeitnehmer den in § 62 Abs. 3 des Entwurfs geregelten, mit § 3 Abs. 2 LFZG übereinstimmenden, Pflichten nicht nachkommt. Diesbezüglich stimmt der DGB-Entwurf mit dem Lohnfortzahlungsgesetz völlig überein. Der Kommissionsentwurf weicht nur deshalb hiervon ab, weil er ohnehin auf die Anzeigepflichten nach § 3 Abs. 2 LFZG verzichtet. § 64 Abs. 2 Nr. 2 DGB-Vorschlag enthält eine Besonderheit gegenüber dem Lohnfortzahlungsgesetz, indem er ein Leistungsverweigerungsrecht für den Fall vorsieht, daß der Arbeitnehmer, der Mitglied einer gesetzlichen Krankenversicherung ist, nicht der Aufforderung zur Begutachtung durch den Vertrauensarzt folgt. § 64 Abs. 2 Nr. 2 DGB-Vorschlag ist somit mit § 59 Abs. 2 Nr. 2 KE vergleichbar. § 64 Abs. 2 Nr. 2 des DGB-Vorschlags enthält, anders als § 59 Abs. 2 Nr. 2 KE, aber kein Leistungsverweigerungsrecht für den Fall, daß der Arbeitnehmer, wenn der Arbeitgeber Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers hat und sie ihm mitteilt, keine erneute Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung durch einen anderen Arzt vorlegt. Hieran ändert auch § 64 Abs. 3 DGB-Vorschlag nichts, der dem Arbeitnehmer zu Recht die Möglichkeit einräumt, das Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers zu beseitigen, wenn er die Zweifel des Arbeitgebers an der Arbeitsunfähigkeit durch Vorlage einer weiteren ärztlichen Bescheinigung zerstreut. Die Anzeige- und Nachweispflicht soll nach allen Neuregelungsvorschlägen auf Angestellte ausgedehnt werden. Zudem besteht auch Übereinstimmung darüber, daß dem Arbeitgeber als Sanktionsmittel für die Einhaltung vor allem der Nachweispflicht, aber zum Teil auch der Anzeigepflicht i.S. von § 3 Abs. 2 LFZG ein Leistungsverweigerungsrecht zukommen soll. Der DGB-Vorschlag und der Kommissionsentwurf bieten jeweils gute Lösungen, wie die Anzeige- und Nachweispflicht sowie das Leistungsverweigerungsrecht ausgestaltet werden sollten. Dabei be-

292 mühen sie sich um eine weitgehende Gleichstellung von Mitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherungen und von Nichtmitgliedem. g) Eigener Vorschlag Die Ungleichbehandlung von Arbeitern ist im wesentlichen geringfügig. Nur wenn der Arbeiter aufgrund eines endgültigen Leistungsverweigerungsrechtes keine Lohnfortzahlung mehr erhält, weil er nach Deutschland zurückgekehrt ist, ohne der Krankenkasse vom Ausland aus seine Arbeitsunfähigkeit mitgeteilt zu haben, kann die Ungleichbehandlung schwerwiegend sein. Die Pflichtverletzung i.S. von § 3 Abs. 2 LFZG ist geringfügig im Vergleich zu den möglichen Konsequenzen, auch wenn das Leistungsverweigerungsrecht Verschulden voraussetzt. Ein endgültiges Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers i.S. von § 5 Nr. 1 LFZG sollte sie nicht zur Folge haben. Dem Arbeitnehmer sollte vielmehr die Möglichkeit gegeben werden, die Arbeitsunfähigkeit später noch nachzuweisen. § 3 Abs. 2 LFZG i.V.m. § 5 Nr. 1 LFZG sollte bei einer einheitlichen Neuregelung deshalb nur mit dieser Modifikation übernommen werden. Bei dem hier vorgelegten Neuregelungsvorschlag wird zwischen der Arbeitsunfähigkeit eines im Inland befindlichen Arbeitnehmers und eines im Ausland befindlichen Arbeitnehmers unterschieden. Zudem soll sowohl für Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung als auch für Nichtmitglieder das Recht bestehen, Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit durch eine weitere ärztliche Bescheinigung auszuräumen. Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung sollen darüber hinaus die Möglichkeit erhalten, anstelle eines anderen Arztes den medizinischen Dienst aufzusuchen und dort eine weitere Untersuchung vornehmen zu lassen. Damit sind Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung gegenüber Nichtmitgliedem weder besser noch schlechter gestellt. Die ärztliche Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit durch den medizinischen Dienst wird im Zweifel schwerer zu erlangen sein als eine ärztliche Arbeitsunfahigkeitsbescheinigung durch einen anderen Arzt. Deshalb sollte, wie hier in § 5 Abs. 1 der Neuregelung vorgeschlagen, im Inland nur ein Arzt aufgesucht werden können, auf den sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer zuvor geeinigt haben. Bezüglich des Leistungsverweigerungsrechts sei auf § 7 verwiesen. Die hier behandelten Fragen finden sich in §§ 4, 5, 7 der vorgeschlagenen Neuregelung.

293 7.

Der Forderungsübergang

bei Schädigung durch einen Dritten

a) Einführung Verursacht ein Dritter die Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers, so können dem Arbeitnehmer zwei Ansprüche zustehen. Gegen den Dritten kann er einen Anspruch beispielsweise aus unerlaubter Handlung haben,425 der auch den Schadensersatz wegen des Verdienstausfalls umfaßt, §§ 823, 842 BGB.426 Daneben hat der Arbeitnehmer gegen seinen Arbeitgeber einen Anspruch auf Lohnfortzahlung. Im Ergebnis sollte der Arbeitnehmer aber nur eine Leistung erhalten, da er im Falle seiner Arbeitsunfähigkeit nicht besser gestellt werden sollte als bei Arbeitsfähigkeit. Die Vorschriften für Arbeiter und die für Angestellte lösen das Problem auf unterschiedliche Weise. b)

Die Rechtslage für Arbeiter

aa) Der Forderungsübergang Für Arbeiter normiert § 4 Abs. 1 LFZG einen gesetzlichen Forderungsübergang i.S. des § 412 BGB, durch den der Schadensersatzanspruch des Arbeiters gegen den Dritten wegen Verdienstausfalls auf den Arbeitgeber insoweit übergeht, als dieser seiner Lohnfortzahlungspflicht nach dem Lohnfortzahlungsgesetz nachgekommen ist und die auf das Arbeitsentgelt entfallenden Arbeitgeberbeiträge zur Bundesanstalt für Arbeit, zur Sozialversicherung und zu Einrichtungen der zusätzlichen Alters- und Hinterbliebenenversorgung tatsächlich abgeführt hat.427 Dadurch daß der Arbeitgeber sich an dem Dritten schadlos halten kann, wird der Dritte, der für die Arbeitsunfähigkeit des Arbeiters und damit auch für die Entstehung des Lohnfortzahlungsanspruchs gegen den Arbeitgeber verantwortlich ist, nicht zu Lasten des Arbeitgebers von seiner Schadensersatzpflicht befreit. Er kann sich gegenüber dem Arbeitgeber aber gem. §§ 404, 412 BGB auf alle Einwendungen, die zum Zeitpunkt des Forderungsübergangs begründet waren, sowie auf die Schuldnerschutzvorschriften der §§ 406-409 BGB berufen.428

425 Vgl. Hunold, Krankheit, S. 232. 426 Vgl. BGHZ 7, S. 30, 48; BGHZ 21, S. 112 ff.; BGHZ 43, S. 378, 381; BAG, AP Nr. 3 zu § 4 LohnFG. 427 Dies gilt auch, wenn der Arbeitgeber nicht zur Lohnfortzahlung verpflichtet war, BAG AP Nr. 3 zu § 4 LFZG; Bauer/Röder, Krankheit, S. 60; Hunold, Krankheit, S. 232. 428 Kaiser/Dunld, Entgeltfortzahlung, S. 152.

294 Der Arbeiter erleidet durch den Forderungsübergang keinen Nachteil. Er erhält den ihm entstandenen Schaden ersetzt, aufgrund des gesetzlichen Forderungsübergangs gem. § 4 Abs. 1 LFZG aber keinen doppelten Schadensersatz. Schäden, die nicht in einem Verdienstausfall bestehen, erhält der Arbeiter von dem Dritten ersetzt, sofern diese Ersatzansprüche nicht auf andere, wie zum Beispiel den Versicherungsträger gem. § 116 SGB X, übergehen. Gem. § 4 Abs. 1 LFZG werden von dem Forderungsübergang gesetzliche (nicht vertragliche Schadensersatzansprüche) Ansprüche aus Vertragsverletzung und vorvertraglicher Haftung gegen den schädigenden Dritten erfaßt, die zur Erstattung des Verdienstausfalls bestimmt und damit inhaltlich mit dem Lohnfortzahlungsanspruch kongruent sind. 429 Ein Forderungsübergang gem. § 4 Abs. 1 LFZG ist ausgeschlossen, wenn für den schädigenden Dritten ein Haftungsausschluß besteht, wie nach § 67 Abs. 2 VVG, §§ 636, 637 RVO.«o Sind mehrere Schädiger für die Arbeitsunfähigkeit des Arbeiters verantwortlich, bezieht sich ein Haftungsausschluß aber nur auf einen Schädiger, so hat der Arbeitgeber gegen den Dritten, gegen den kein Haftungsausschluß besteht, einen Anspruch auf Ersatz desjenigen Schadens, den dieser im Innenverhältnis zu dem anderen Schädiger nach § 426 Abs. 1 BGB i.V.m. § 254 BGB zu leisten verpflichtet gewesen wäre. 431 Ist die Schadensersatzpflicht des Dritten gegenüber dem Arbeiter eingeschränkt, beispielsweise wegen einer bestehenden Haftungshöchstgrenze oder wegen Mitverschuldens, so geht gem. § 4 Abs. 1 LFZG der Schadensersatzanspruch nicht in voller Höhe auf den Arbeitgeber über. Dem Arbeitgeber erwächst hieraus jedoch kein Recht, dem Arbeitnehmer nur in dem Umfang den Verdienstausfall zu ersetzen, wie ihm selbst gleichzeitig ein Anspruch zusteht.432 § 4 Abs. 3 LFZG dient dem Schutz des Arbeiters vor mit dem Forderungsübergang nach § 4 Abs. 1 LFZG verbundenen Nachteilen. Soweit der Arbeitgeber gegen den Dritten trotz eines entsprechenden Anspruchs keine vollständige Befriedigung erlan-

429 Kaiser/Dunk!, Entgeltfortzahlung, S. 152. 430 Zu § 67 Abs. 2 VVG vgl. BGH, AP Nr. 2 zu § 4 LFZG; BGH, NJW 1964, S. 860, 861. Zu §§ 6 3 6 , 6 3 7 RVO vgl. Bauer/Röder, Krankheit, S. 62. 431 Kaiser/Dunkl, Entgeltfortzahlung, S. 153, 154. 432 Vgl. Bauer/Röder, Krankheit, S. 61.

295 gen kann, ist er nicht berechtigt, in der verbleibenden Höhe gegen seinen Arbeitnehmer vorzugehen.433 bb) Das Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers Gem. § 5 Nr. 2 LFZG hat der Arbeitgeber, wenn der Arbeiter den Übergang nach § 4 Abs. 1 LFZG schuldhaft verhindert und nicht bloß die Geltendmachung des Anspruches beeinträchtigt, ein endgültiges Leistungsverweigerungsrecht hinsichtlich des Lohnfortzahlungsanspruches. Verhindert der Arbeiter teilweise den Übergang des Ersatzanspruches auf den Arbeitgeber, so besteht das Leistungsverweigerungsrecht in dem Umfang, in dem der Arbeiter den Übergang verhindert hat. Gem. § 4 Abs. 2 LFZG ist der Arbeiter verpflichtet, dem Arbeitgeber unverzüglich alle erforderlichen Auskünfte für die Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs gegen den Dritten zu geben,434 selbst wenn er davon ausgeht, daß der Schadensersatzanspruch gegen den Dritten nicht besteht oder nicht durchsetzbar ist. Kommt der Arbeiter dieser Auskunftspflicht nicht oder nicht vollständig nach, hat der Arbeitgeber gem. § 5 Nr. 1 LFZG ein Leistungsverweigerungsrecht hinsichtlich des Lohnfortzahlungsanspruchs bis zu dem Zeitpunkt, bis zu dem der Arbeiter die erforderlichen Angaben nachgeholt hat.435 § 4 Abs. 2 LFZG ist weit auszulegen; der Arbeiter muß, selbst wenn er aufgrund des Lohnfortzahlungsanspruchs gegen den Arbeitgeber kein eigenes Interesse an dem Schadensersatzanspruch des Dritten hat, alle möglichen und zumutbaren Feststellungen für die Geltendmachung des Schadensersatzanspruches gegen den Dritten treffen. c)

Die Rechtslage für

Angestellte

aa) Der Forderungsübergang Angestellten, die durch einen Dritten an der Erbringung ihrer Arbeitsleistung verhindert worden sind, steht, gleichgültig ob sie gegenüber dem Dritten einen Schadensersatzanspruch haben, ebenso wie Arbeitern, ein Entgeltfortzahlungsanspruch gegenüber ihrem Arbeitgeber zu. In den Angestelltenregelungen der §§ 616 BGB, 63 HGB, 133c GewO findet sich keine Entsprechung für § 4 LFZG.436 Nach h.M. ist § 4 LFZG auch 433 Vgl. BGHZ 22, S. 136 ff. zur Verneinung eines Quotenvorrechtes des Dienstherm; Bauer/Röder, Krankheit, S. 61; Brecht, § 4 LFZG, Rdnr. 9,12; Kehrmann/Pelikan, § 4 LFZG, Rdnr. 7; Loddenkemper, Gleichbehandlung, S. 124,125. 434 Brecht, § 4 LFZG, Rdnr. 10,11; Hunold, Krankheit, S. 237,238. 435 Hunold, Krankheit, S. 237. 436 Göge, BB 1986, S. 1772,1774.

296 nicht analog im Rahmen der Entgeltfortzahlung von Angestellten anwendbar 437 . Trotzdem erhalten Angestellte keine doppelte Leistung. Analog § 255 BGB,«8 „ach anderer Ansicht gem. §§ 255, 281 BGB, 439 sind Angestellte zur Abtretung des sich auf den Verdienstausfall beziehenden Schadensersatzanspruchs des Dritten an den Arbeitgeber verpflichtet. Der Arbeitgeber kann nach der rechtsgeschäftlichen Forderungsabtretung selbständig den Anspruch des Angestellten gegenüber dem Dritten hinsichtlich des Verdienstausfalls geltend machen. Voraussetzung für die Verpflichtung zur Forderungsabtretung durch den Angestellten ist, ebenso wie im Rahmen des § 4 LFZG, daß dem Angestellten gegenüber dem Dritten ein Schadensersatzanspruch aufgrund gesetzlicher Vorschriften wegen Verdienstausfalles zusteht, der Arbeitgeber das Arbeitsentgelt tatsächlich fortgezahlt und die Arbeitgeberanteile abgeführt hat. Für Arbeitgeberleistungen, die über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts hinausgehen, besteht kein Anspruch des Arbeitgebers auf Forderungsabtretung. Die in § 4 Abs. 2 LFZG normierte Auskunftspflicht des Arbeiters findet ihre Entsprechung in dem inhaltlich mit § 4 Abs. 2 LFZG übereinstimmenden § 402 BGB. 440 Ob bei Angestellten ein sog. Quotenvorrecht besteht, obwohl eine dem § 4 Abs. 3 LFZG entsprechende Regelung nicht existiert, wird in der Literatur kaum diskutiert. Lediglich Schaub 441 leitet ein solches Quotenvorrecht aus Treu und Glauben ab. bb) Das Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers Ein Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers besteht gegenüber Angestellten nicht. 442 Zwar nehmen Kaiser/Dunkl ein Zurückbehal-

437 BGH, DB 1989, S. 1565; BGH, EzA § 4 LFZG Nr. 4; OLG Koblenz, VersR 1981, S. 465,466; Kaiser/Dunkl, Entgeltfortzahlung, S. 280; Schmatz/Fischwasser, Vergütung, L 341, 342; Wank, RdA 1991, S. 1, 7; wohl auch Säbel, VersR 1973, S. 302, 303; a.A. Beuthien, Studienkommentar zum BGB, § 616 BGB, Anm. IV; Derleder, Altemativ-Kommentar,§ 616 BGB, Rdnr. 16; Loddenkemper, Gleichbehandlung, S. 125,126; Neumann-Duesberg, BB 1970, S. 493,495. 438 BGH, AP Nr. 6 zu § 616; BGH, BB 1956, S. 688, 689; Bauer/Röder, Krankheit, S. 72. 439 Hunold, Krankheit, S. 234. 440 Kaiser/Dunkl, Entgeltfortzahlung, S. 281. 441 MK-Schaub, § 616 BGB, Rdnr. 146. 442 A.A. Bauer/Röder, Krankheit, S. 62; Hunold, Krankheit, S. 238.

297 tungsrecht gem. §§ 242, 273 BGB an,443 aus den schon oben dargestellten Gründen muß dieses jedoch abgelehnt werden. Der Arbeitgeber, der seiner Entgeltfortzahlungspflicht nachgekommen ist, kann allenfalls einen Schadensersatzanspruch gegen den Angestellten geltend machen, wenn dieser schuldhaft seine Pflichten verletzt. Insbesondere bei Rechtsmißbrauch und Verwirkung verstößt die Geltendmachung des Entgeltfortzahlungsanspruchs gegenüber dem Arbeitgeber gegen Treu und Glauben gem. § 242 BGB.

d)

Die Verfassungswidrigkeit der Regelung

Im Falle der Dritthaftung sind Arbeiter gegenüber Angestellten benachteiligt. Gem. § 4 Abs. 1 LFZG besteht bei der Schädigung eines Arbeiters ein gesetzlicher Forderungsübergang, während Angestellte lediglich zur vertraglichen Abtretung analog § 255 BGB 444 oder gem. §§ 255, 281 BGB verpflichtet sind.445 Damit können Angestellte solange frei über den Schadensersatzanspruch gegen den Dritten verfügen, bis sie ihn an den Arbeitgeber abgetreten haben. Arbeiter können dagegen nur solange über den Schadensersatzanspruch verfügen, bis der Arbeitgeber das Arbeitsentgelt und die Arbeitgeberbeiträge erbracht hat, da dann im Wege der cessio legis gem. § 4 Abs. 1 LFZG der Anspruch des Arbeiters gegen den Dritten auf den Arbeitgeber übergeht. 446 Anders als Angestellte können sie insoweit den Zeitraum, in dem ihnen eine Verfügung noch möglich ist, nicht selbständig bestimmen, da die Zeitspanne vom Tätigwerden des Arbeitgebers abhängt. 447 Ein vorübergehendes Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers, wenn der Arbeiter nicht unverzüglich die erforderlichen Angaben zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruches gemacht hat, oder ein endgültiges Leistungsverweigerungsrecht, wenn der Arbeiter den Übergang des Schadensersatzanspruchs schuldhaft verhindert hat, existiert im Angestelltenrecht nicht. § 4 Abs. 3 LFZG, der den Arbeiter davor schützen soll, daß er Nachteile durch den Forderungsübergang gem. § 4 Abs. 1 LFZG erleidet, bezieht sich nur auf § 4 Abs. 1 LFZG und enthält keine weiteren Vorteile für den Arbeiter. Hinsichtlich der Auskunftspflicht 443 Vgl. auch Becker, DB 1987, S. 1090, 1094; Kaiser/Dunkl, Entgeltfortzahlung, S. 281. 444 BGH, AP Nr. 6 zu § 616 BGB; BGH, BB 1956, S. 688,689; Bauer/Röder, Krankheit, S. 234. 445 Hunold, Krankheit, S. 234. 446 Göge, BB 1986, S. 1772,1773. 447 Göge, BB 1986, S. 1772,1773,1774.

298 nach §§ 4 Abs. 2 LFZG, 402 BGB besteht zwischen Arbeitern und Angestellten kein Unterschied. Sachliche Gründe für die Ungleichbehandlung gibt es nicht.448 Mithin sind die §§ 4449; 5 Nr. 1, Satz 1, 3. HS; 5 Nr. 2 LFZG verfassungswidrig. e)

Bisherige

Neuregelungsvorschläge

aa) Der Vorschlag Trieschmanns450 Trieschmann schlägt vor, die §§ 4 und 5 LFZG ohne Veränderung auf Angestellte zu übertragen. Das Leistungsverweigerungsrecht im Rahmen des § 4 LFZG entspreche dabei allgemeinen Rechtsgrundsätzen. bb)

Der Vorschlag der

Arbeitsgesetzbuchkommission

aaa) Darstellung § 58 KE (1) Kann der Arbeitnehmer aufgrund gesetzlicher Vorschriften von einem Dritten Schadensersatz wegen Verdienstausfalls beanspruchen, so wird dieser Anspruch nicht dadurch berührt, daß der Arbeitnehmer gemäß § 55 Anspruch auf Entrichtung des Arbeitsentgelts hat. Soweit der Arbeitgeber danach das Entgelt weiter entrichtet hat, geht für diesen Zeitraum der Anspruch des Arbeitnehmers auf Schadensersatz wegen Verdienstausfalls auf den Arbeitgeber über. Das gleiche gilt für 1. 2. 3.

Teile von einmaligen Leistungen, die dem Zeitraum entsprechen, die auf das nach § 55 weiterentrichtete Arbeitsentgelt entfallenden, vom Arbeitgeber zu tragenden und abgeführten Beiträge zur Bundesanstalt für Arbeit, die Arbeitgeberanteile a) an Beiträgen zur gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung, b) an Beiträgen zu befreienden Kranken- und Lebensversicherungen, c) an Aufwendungen für die betriebliche Altersversorgung im Sinne von § 1 des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung.

(2) Der Arbeitnehmer hat dem Arbeitgeber unverzüglich die zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruches erforderlichen Angaben zu machen. (3) Der Forderungsübergang nach Absatz 1 kann nicht zum Nachteil des Arbeitnehmers geltend gemacht werden.

448 Vgl. Neumann-Duesberg, BB 1970, S. 493,494. 449 Anders Loddenkemper, Gleichbehandlung, S. 125, 126, der eine analoge Anwendung des § 4 LFZG auf Angestellte bejaht; ebenso Neumann-Duesberg, BB 1970, S. 493,495. 450 Trieschmann, Festschrift für Herschel, S. 421,450,451.

299 § 59 KE (2) Der Arbeitgeber ist berechtigt, die Entrichtung des Arbeitsentgelts nach § 5 6 zu verweigern, solange 1. der Arbeitnehmer eine von ihm nach § 57 vorzulegende ärztliche Bescheinigung nicht vorlegt oder den ihm nach § 58 Abs. 2 obliegenden Verpflichtungen nicht nachkommt, 2. der Arbeitnehmer einer durch den Träger der gesetzlichen Krankenversicherung veranlaßten Aufforderung zur Begutachtung oder der Aufforderung zur Vorlage einer Bescheinigung gemäß § 57 Abs. 4 nicht nachkommt, 3. der Arbeitnehmer einem Verlangen des Arbeitgebers auf Auskunft Uber die für die Beschränkung des Anspruchs auf Weiterentrichtung des Arbeitsentgelts nach § 55 Abs. 2 maßgeblichen Umstände nicht nachkommt. (1) Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, das Arbeitsentgelt nach § 55 zu entrichten, 1. wenn und soweit der Arbeitnehmer den Übergang eines Schadensersatzanspruchs gegenüber einem Dritten auf den Arbeitgeber (§ 58) oder dessen Durchsetzung verhindert, 2. Für die Zeit bis zur Vorlage einer nach § 57 erforderlichen Bescheinigung, wenn die Bescheinigung später als zehn Kalendertage nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit vorgelegt wird, oder 3. die Tage, für die der Arbeitnehmer während der Arbeitsunfähigkeit eine andere Erweibstätigkeit aufnimmt, sowie für die Tage, um die sich die Arbeitsunfähigkeit dadurch verlängert (3) Absatz 1 Nrn. 1 und 2 und Absatz 2 gelten nicht, wenn der Arbeitnehmer die Verletzung dieser ihm obliegenden Verpflichtung nicht zu vertreten hat. bbb)

Stellungnahme

§ 58 KE entspricht inhaltlich § 4 LFZG. Das Leistungsverweigerungsrecht hinsichtlich des § 58 KE stimmt mit § 5 Nr. 1 LFZG überein. Darüber hinaus sieht § 5 9 Abs. 1 Nr. 1 KE ein endgültiges Leistungsverweigerungsrecht nicht nur für den Fall vor, daß der Arbeitnehmer den Übergang des Schadensersatzanspruchs gegen den Dritten auf den Arbeitgeber verhindert, sondern auch für den Fall, daß dessen Durchsetzung verhindert wird.

300 cc) aaa)

Der Vorschlag des DGB 451 Darstellung

§63 (1) Kann der Arbeitnehmer aufgrund gesetzlicher Vorschriften von einem Dritten Schadenersatz wegen Verdienstausfalls beanspruchen, so wird dieser Anspruch nicht dadurch berührt, daß der Arbeitnehmer gemäß § 60 Anspruch auf Entrichtung des Arbeitsentgelts hat. Soweit der Arbeitgeber danach das Arbeitsentgelt weiter entrichtet hat, geht für diesen Zeitraum der Anspruch des Arbeitnehmers auf Schadenersatz wegen Verdienstausfalls auf den Arbeitgeber über. Das gleiche gilt für Teile von einmaligen Leistungen, die dem Zeitraum entsprechen. (2) Der Arbeitgeber kann gegen den Dritten auch geltend machen die auf das nach § 60 weiter entrichtete Arbeitsentgelt entfallenden, vom Arbeitgeber zu tragenden und abgeführten Beiträge a) b) c) d)

zur Bundesanstalt für Arbeit, zur gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung, zu befreienden Lebensversicherungen sowie Aufwendungen für die betriebliche Altersversorgung im Sinne von § 1 des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung.

(3) Absatz 1 und 2 findet keine Anwendung, wenn der schädigende Dritte ein mit dem Arbeitnehmer in häuslicher Gemeinschaft lebender Familienangehöriger ist oder von diesem unterhalten wird, es sei denn, die Schädigung wurde vorsätzlich herbeigeführt. (4) Der Arbeitnehmer hat dem Arbeitgeber unverzüglich die zur Geltendmachung des Schadenersatzanspruches erforderlichen Angaben zu machen. (5) Der Forderungsübergang nach Absätze 1 und 2 kann nicht zum Nachteil des Arbeitnehmers geltend gemacht werden. §64 (1) Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, das Arbeitsentgelt nach § 60 zu entrichten, wenn und soweit der Arbeitnehmer den Übergang eines Schadensersatzanspruchs gegen einen Dritten auf den Arbeitgeber (§ 63) verhindert. (2) Der Arbeitgeber ist berechtigt, die Entrichtung des Arbeitsentgelts nach § 60 zu verweigern, solange 1.

der Arbeitnehmer eine von ihm nach § 62 vorzulegende ärztliche Bescheinigung nicht vorlegt oder den ihm nach § 62 Abs. 3 oder § 63 Abs. 4 obliegenden Verpflichtungen nicht nachkommt

451 RdA 1977, S. 166 ff.

301 2.

der Arbeitnehmer einer durch den Träger der gesetzlichen Krankenversicherung wegen begründeter Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit veranlaßten Aufforderung zur Begutachtung durch den Vertrauensarzt nicht nachkommt.

(3) Absätze 1 und 2 gelten nicht, wenn der Arbeitnehmer die Verletzung dieser ihm obliegenden Verpflichtungen nicht zu vertreten hat. Das Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers nach Absatz 2 entfällt im übrigen, wenn der Arbeitnehmer begründete Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit auf andere Weise ausräumt, im Falle der Ziff. 2 auch durch Vorlage einer von einem anderen Arzt ausgestellten Bescheinigung. bbb) Stellungnahme § 63 des DGB-Vorschlags entspricht ebenfalls § 4 LFZG. § 63 Abs. 3 des Entwurfs enthält eine über § 4 LFZG hinausgehende Regelung. Sie ändert aber nicht die bestehende Rechtslage für Arbeiter nach § 4 LFZG ab, da § 63 Abs. 3 des Entwurfs nur auf §§ 636, 637 RVO bezug nimmt, die auch im Rahmen von § 4 LFZG zu beachten sind. § 64 Abs. 1 enthält in Übereinstimmung mit § 5 Nr. 2 LFZG ein endgültiges Leistungsverweigerungsrecht für den Fall, daß der Arbeitnehmer den Übergang des Schadensersatzanspruchs auf den Dritten verhindert.452 § 63 Abs. 2 Nr. 1 des DGB-Entwurfs enthält das Leistungsverweigerungsrecht nach § 5 Nr. 1 LFZG. Sowohl die Arbeitsgesetzbuchkommission als auch der DGB haben vorgeschlagen, §§ 4 und 5 LFZG auf Angestellte zu erstrecken. Die einzige Abweichung von der geltenden Rechtslage für Arbeiter enthält der Kommissionsentwurf, indem er ein Leistungsverweigerungsrecht auch dann annimmt, wenn der Arbeitnehmer die Durchsetzung des Schadensersatzanspruchs gegen den schädigenden Dritten verhindert. Hinzuweisen ist im übrigen auch auf die Rechtslage für BAT-Angestellte. Für sie ist tarifvertraglich die Verpflichtung zur Abtretung, die Verpflichtung, nicht vor der Abtretung über die Schadensersatzforderung gegen den Dritten zu verfügen und ein Zurückbehaltungsrecht hinsichtlich der Gehaltsfortzahlung, wenn der Angestellte die Abtretung nicht erklärt, vereinbart worden. f) Eigener Vorschlag Sinn und Zweck des gesetzlichen Forderungsübergangs gem. § 4 Abs. 1 LFZG und des Anspruchs auf Abtretung der Forderung analog § 255 BGB oder gem. §§ 255, 281 BGB ist es, dem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsunfähigkeit durch einen Dritten verursacht worden ist, nicht zwei 452 So Kaiser/Dunkl, Entgeltfortzahlung, S. 165.

302 gleichgerichtete Leistungen von Seiten des Dritten und des Arbeitgebers zukommen zu lassen. Eine finanzielle Besserstellung eines Arbeitnehmers, der durch einen Dritten an der Erbringung seiner Arbeitsleistung gehindert ist, ist im Vergleich zu einem aus anderen Gründen arbeitsunfähigen Arbeitnehmer nicht gerechtfertigt. Dem Arbeitnehmer soll nur der tatsächliche Schaden ersetzt werden; er soll aber aus der Arbeitsunfähigkeit keinen Vorteil ziehen. § 4 Abs. 1 LFZG und die Verpflichtung des Angestellten auf Forderungsabtretung an den Arbeitgeber dienen daneben dazu, dem Arbeitgeber die Möglichkeit zu geben, den durch die Arbeitsverhinderung des Arbeitnehmers und die Entgeltfortzahlungspflicht entstandenen, auf den Drittschädiger rückführbaren Schaden von diesem ersetzt zu verlangen. Der Arbeitgeber hat im Falle der Drittschädigung des Arbeitnehmers einen Schaden erlitten, ohne daß ihm ein originärer Anspruch gegen den Dritten zusteht. Der Arbeitnehmer hat aufgrund der Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber keinen Schaden erlitten, aber einen Anspruch gegen den Dritten. Damit der Arbeitnehmer den Forderungsübergang nicht verhindert und seine Auskunftspflicht gem. § 4 Abs. 2 LFZG nicht verletzt, hat der Gesetzgeber des Lohnfortzahlungsgesetzes dem Arbeitgeber als Druckmittel ein Leistungsverweigerungsrecht zuerkannt. Das geltende Recht sieht für Arbeiter einen gesetzlichen Forderungsübergang nach § 4 Abs. 1 LFZG und für Angestellte einen Anspruch des Arbeitgebers auf Abtretung des Schadensersatzanspruches gegen den Dritten vor. Der gesetzliche Forderungsübergang des § 4 Abs. 1 LFZG weist die Besonderheit auf, daß der Anspruch gegen den Dritten nicht schon mit seiner Entstehung auf den Arbeitgeber übergeht, sondern zunächst, bis der Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung an den Arbeiter erbracht und die Arbeitgeberbeiträge abgeführt hat, dem Arbeiter verbleibt. Damit stellt § 4 Abs. 1 LFZG nicht den typischen Fall eines gesetzlichen Forderungsübergangs dar. Stattdessen wäre eine Regelung denkbar, nach der der gesetzliche Forderungsübergang mit dem Zeitpunkt der Entstehung des Schadensersatzanspruchs des Arbeitnehmers gegen den Dritten zusammenfällt. Neben den beiden im Entgeltfortzahlungsrecht bestehenden Möglichkeiten eines Forderungsübergangs ist somit noch eine dritte möglich. Daß ein Forderungsübergang auf den Arbeitgeber stattfinden muß, ist unzweifelhaft; im Verhältnis des Arbeitnehmers und des Arbeitgebers zum Dritten steht das Ergebnis fest. Nach welchem der drei aufgezeigten Modelle sich aber der Forderungsübergang vollziehen sollte, hängt von der Abwägung der Arbeitnehmer- und der Arbeitgeberinteressen ab.

303 aa) Verpflichtung zur Forderungsabtretung Die im Angestelltenrecht geltende vertragliche Verpflichtung zur Forderungsabtretung analog § 255 BGB oder gem. §§ 255, 281 BGB beläßt dem Angestellten bis zur Abtretung die Möglichkeit, ungehindert über den Schadensersatzanspruch gegen den Dritten zu verfügen. Er kann den Forderungsübergang durch Vorausabtretung, Erlaß, Abfindungsvergleich u.a. verhindern. Zudem können Gläubiger des Angestellten jederzeit bis zur vom Angestellten selbst vorzunehmenden und damit vom Arbeitgeber außerhalb eines Gerichtsverfahrens nicht beeinflußbaren Forderungsabtretung den Schadensersatzanspruch pfänden und mittels Überweisungsbeschluß einziehen lassen. Ein Leistungsverweigerungsrecht hinsichtlich der Entgeltfortzahlung steht dem Arbeitgeber nicht zu. Er hat nur Schadensersatzansprüche aus positiver Forderungsverletzung, wenn die Abtretung ins Leere geht. 453 Dabei trägt der Arbeitgeber dann jedoch das Risiko, daß er eine tarifliche Ausschlußfrist versäumt hat. 454 Mit dem Zeitpunkt der Entgeltfortzahlung, nicht aber mit einer eventuellen Klageabweisung gegenüber dem Drittschädiger ist der gegebenenfalls über die positive Forderungsverletzung ersatzfähige Schaden entstanden. 455 Diese Lösung ist abzulehnen. Es ist nicht einzusehen, warum der Forderungsübergang von einer Handlung des Arbeitnehmers abhängen soll und warum er berechtigt sein soll, zwischenzeitlich über die Forderung zu verfugen. bb) Forderungsübergang ab Entgeltfortzahlung Das Lohnfortzahlungsgesetz normiert in § 4 Abs. 1 LFZG einen gesetzlichen Forderungsübergang, der nicht mit der Entstehung des Anspruches gegen den Dritten eintritt, sondern an die Bedingung geknüpft ist, daß der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer das Entgelt fortgezahlt und die Arbeitgeberbeiträge erbracht hat. Damit sollte der Arbeitnehmer, anders als bei dem bekannten Modell des gesetzlichen Forderungsübergangs, davor geschützt werden, daß der Arbeitgeber den Schadensersatzanspruch gegen den Dritten geltend macht, ohne seinerseits der Entgeltfortzahlungspflicht nachzukommen. Der Arbeitgeber sollte es jedoch, anders als beim Angestelltenrecht, selbst in der Hand haben, den Forderungsübergang zu bewirken. Lediglich zwischenzeitlich, d.h. bis der Arbeitgeber die Voraussetzungen für den Forderungsübergang geschaffen hat, kann der Arbeitnehmer selbst über den Anspruch verfügen, 453 Becker, DB 1987, S. 1090,1094. 454 Becker, DB 1987, S. 1090,1094. 455 Becker, DB 1987, S. 1090,1094.

304 oder dessen Gläubiger können die Forderung pfänden. 456 § 4 Abs. 1 LFZG ist im Vergleich zu der Rechtslage der Angestellten vorzugswürdig. Er ist für den Arbeitnehmer nicht mit unvertretbaren Nachteilen verbunden und bringt dem Arbeitgeber mehr Sicherheit.457 Gegen dieses Modell spricht aber, daß auch danach der Arbeitnehmer zu Zwischenverfügungen in der Lage ist. cc)

Forderungsübergang ab Entstehung des Schadensersatzanspruchs Anders als bei § 4 Abs. 1 LFZG ist der gesetzliche Forderungsübergang nach § 87 a BBG, der Vorbild für § 4 Abs. 1 LFZG 458 war, sowie derjenige nach § 116 SGB X, nicht von einer Zahlung des Dienstherrn, Versicherungsträgers oder Trägers der Sozialhilfe abhängig. Abweichend von § 4 Abs. 1 LFZG wird der Verletzte bei dem gesetzlichen Forderungsübergang nach §§ 87 a BBG, 116 SGB X nicht, und zwar auch nicht vorübergehend, Inhaber der Forderung gegenüber dem Dritten. Er kann deshalb nicht über den Schadensersatzanspruch verfügen, und dessen Gläubiger können ihn nicht pfänden lassen. Dem zur Leistung rechtlich Verpflichteten steht der Anspruch gegenüber dem Dritten direkt mit dessen Entstehung zu. Ein gesetzlicher Forderungsübergang nach dem Muster der §§ 87 a BBG, 116 SGB X wäre für den Arbeitgeber deshalb vorteilhafter als ein solcher nach § 4 Abs. 1 LFZG. Für den Arbeitnehmer stellt dieser Forderungsübergang keine erheblichen Risiken dar. Kommt der Arbeitgeber aus irgendwelchen Gründen, zum Beispiel aufgrund fehlender Solvenz, seiner Zahlungspflicht nicht nach, so erhält der Arbeitnehmer Krankengeld von der Krankenkasse. Die Krankenkasse erlangt gem. § 115 SGB X ihrerseits den Entgeltfortzahlungsanspruch gegenüber dem Arbeitgeber und kann sich an diesem schadlos halten. Der Arbeitnehmer erhält zwar im Vergleich zu dem bei dem Lohnfortzahlungsanspruch zu zahlenden Bruttoarbeitsentgelt ein geringeres Krankengeld. Wegen der Risiken, die für den Arbeitgeber mit einer Regelung, die § 4 Abs. 1 LFZG vergleichbar ist, verbunden sind, hat er dies jedoch hinzunehmen. Fälle, in denen der Arbeitgeber dauerhaft nicht leisten kann, kommen zudem selten vor.

456 Vgl. §§ 829,835 ZPO sowie Göge, BB 1986, S. 1772,1774. 457 So Göge, BB 1986, S. 1772,1774. 458 Vgl. den Entwurf zu einem Lohnfortzahlungsgesetz von 1962, IV/817, S. 11.

BT-Drucks.

305 Kaiser/Dunkl459 vertreten die Ansicht, daß der Arbeitgeber im Hinblick auf nachteilige Verfügungen bezüglich der Schadensersatzforderung durch das Leistungsverweigerungsrecht gem. § 5 Nr. 2 LFZG hinreichend geschützt sei, so daß § 4 Abs. 1 LFZG und nicht ein § 87 a BBG entsprechender Forderungsübergang im Rahmen der Neuregelung eingeführt werden sollte. Das Argument, daß der Arbeitgeber durch das Leistungsverweigerungsrecht gegen Verfügungen hinreichend geschützt ist, ist bedenklich. Der Arbeitgeber wird regelmäßig keine Kenntnis von einer Zwischenverfügung des Arbeiters haben und deshalb die Lohnfortzahlung erbringen, ohne sich auf das Leistungsverweigerungsrecht nach § 5 Nr. 2 LFZG zu berufen. Er kann sich die geleistete Lohnfortzahlung dann zwar von dem Arbeitnehmer gem. §§812 ff. BGB zurückholen oder aber gem. §§ 387 ff. BGB mit künftigen Lohnforderungen in Höhe der pfandbaren Beträge (§ 394 BGB) aufrechnen, ein hinreichender Schutz besteht damit für ihn aber nicht. Sollte der Arbeitgeber die Lohnfortzahlung geleistet haben, obwohl ihm ein dauerndes Leistungsverweigerungsrecht zustand, so kann er die Rückzahlung des Lohnes gem. § 813 Abs. 1 BGB nur verlangen, wenn die Lohnfortzahlung ohne Kenntnis des Leistungsverweigerungsrechts erfolgte. § 814 BGB findet auch im Rahmen des § 813 BGB Anwendung. Im Ergebnis erscheint ein gesetzlicher Forderungsübergang nach dem Vorbild der §§ 87 a BBG, 116 SGB X am ehesten geeignet, den Interessen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern gerecht zu werden. Gründe der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit gebieten es zudem, diese Lösung einer bloßen Übernahme von § 4 LFZG vorzuziehen. Mit Ausnahme dieser Abweichung sollte § 4 LFZG übernommen werden. 460 Das Leistungsverweigerungsrecht sollte, so wie es in § 5 LFZG ausgestaltet ist, als mögliches Druckmittel des Arbeitgebers beibehalten werden. Damit empfiehlt sich als Neuregelung der in §§ 6, 7 der hier vorgelegten Fassung aufgeführte Vorschlag. 8.

Kuren und

Schonungszeiten

a) Einführung Wie oben dargelegt, bestehen gegen die Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber schon deshalb Bedenken, weil zwischen der Krankheit und 459 Kaiser/Dunkl, Entgeltfortzahlung, S. 154. 460 Für eine nicht modifizierte Übernahme von § 4 LFZG dagegen sind Hanau, ARBlattei, Schadensersatz im Arbeitsrecht, B; Neumann-Duesberg, BB 1970, S. 493, 495.

306 dem Arbeitsverhältnis kein Zusammenhang besteht. Auch wenn man sich über diese grundsätzlichen Bedenken hinwegsetzt, besteht aber noch die Gefahr, daß der Arbeitnehmer die Lohnfortzahlung mißbräuchlich in Anspruch nimmt. Arbeitnehmer werden, wie allgemein bekannt ist, nicht immer nur wegen einer emsthaften Erkrankung krankgeschrieben, sondern auch bei leichten Erkrankungen, Unwohlsein oder Arbeitsunlust. Die Mißbrauchsgefahr im Bereich der Lohnfortzahlung ist umso größer, je angenehmer der Arbeitnehmer die Zeit der "Arbeitsverhinderung" verbringen kann. Bei Arbeitnehmern, die an einem anderen Ort unter angenehmen Bedingungen eine Kur durchführen oder aufgrund einer Schonungszeit, bei deren Gestaltung sie nahezu völlig frei sind, der Arbeit fernbleiben können, besteht somit in weitaus größerem Maße die Mißbrauchsproblematik als bei Arbeitnehmern, die gezwungen sind, sich aufgrund ihrer Erkrankung zuhause aufzuhalten. Ist der Arbeitnehmer ernsthaft krank und arbeitsunfähig, so muß ihm konsequenterweise - unter Zugrundelegung des arbeitsrechtlichen Modells der Lohnfortzahlung auch ein Entgeltfortzahlungsanspruch zugebilligt werden. Dies muß natürlich auch dann gelten, wenn er für diesen Zeitraum eine Kur oder eine Schonungszeit durchführt. Ob dem Arbeitnehmer darüber hinaus auch ein Anspruch auf Lohnfortzahlung zukommen sollte, wenn er nicht arbeitsunfähig, aber aufgrund einer Kur oder einer Schonungszeit an der Erbringung der Arbeitsleistung "verhindert" ist, ist im weiteren noch zu überprüfen. Dann müßte jedenfalls aber eine Mißbrauchskontrolle stattfinden, die sowohl nach materiellem Recht als auch über das Verfahren durchgeführt werden könnte. Als Anspruchsvoraussetzung für eine Kur könnten im Gesetz beispielhaft bestimmte schwere Krankheiten aufgezählt werden; verfahrensrechtlich könnte der Lohnfortzahlungsanspruch davon abhängig gemacht werden, daß bestimmte Personen die Kurbedürftigkeit feststellen. Das geltende Recht regelt die Anforderungen, die an die Gewährung der Entgeltfortzahlung während der Dauer einer Kur oder einer ärztlich verordneten Schonungszeit gestellt werden, für Arbeiter und Angestellte unterschiedlich. Gleiches gilt für die Anzeige- und Nachweispflicht des Arbeitnehmers sowie das damit in Zusammenhang stehende Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers.

307 b)

Kurbewilligung,

Kostentragung

und

Entgeltfortzahlung

aa) Die Rechtslage für Arbeiter Der Lohnfortzahlungsanspruch eines Arbeiters während einer Kur richtet sich nach § 7 Abs. 1 LFZG. Im einzelnen müssen danach folgende Voraussetzungen erfüllt sein: Ein anerkannter Kurträger muß eine Kur i.S. des Lohnfortzahlungsgesetzes

bewilligt und die Kosten der Kur voll übernommen haben.

Rechtsfolge ist ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung für die Zeitdauer der Kur bis zu höchstens 6 Wochen. aaa) Kurträger Kurträger i.S. von § 7 Abs. 1 LFZG sind die Träger der gesetzlichen Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung, ferner alle Stellen, die mit der Gewährung und Bewilligung von Kriegsopferversorgungsleistungen betraut sind, sowie alle anderen öffentlichrechtlichen Sozialleistungsträger. 461 Privatrechtliche Leistungsträger, wie private Krankenkassen, oder soziale private Einrichtungen, wie das "Rote Kreuz", sind keine Bewilligungsstellen i.S. von § 7 Abs. 1 LFZG. 462 Eine Kurbewilligung von ihrer Seite löst keinen Lohnfortzahlungsanspruch des Arbeiters gegenüber dem Arbeitgeber aus. Etwas anderes gilt nur, wenn der Arbeiter während einer solchen Kur arbeitsunfähig ist. Dann steht ihm ein Entgeltfortzahlungsanspruch gem. § 1 LFZG, nicht aber gem. § 7 Abs. 1 LFZG zu. Dies folgt aus § 7 Abs. 1 Satz 1 LFZG, der die Regelungen der § § 1 , 2 , 4-6 LFZG für den Zeitraum einer Kur für entsprechend anwendbar erklärt.

461 Vgl. mit näherer Auflistung der öffentlichrechtlichen Sozialleistungsträger Hunold, Krankheit, S. 197. Die Begrenzung der Kurträger dient der Sicherung eines ordnungsgemäßen Kurverfahrens, d.h. es soll gesichert werden, daß das Kurverfahren unter der Aufsicht und Begleitung eines erfahrenen Leistungsträgers steht, um den angestrebten gesundheitlichen Nutzen zu erreichen: so Göge, BB 1986, S. 1772, 1774. 462 Kehrmann/Pelikan, § 7 LFZG, Rdnr. 5; vgl. auch Schmitt, ZTR 1991, S. 3 , 7 .

308 bbb) Kur i.S. des Lohnfortzahlungsgesetzes § 7 Abs. 1 LFZG normiert nur für den Fall einer Vorbeugungs-,463 Heil464- oder Genesungskur465 einen Lohnfortzahlungsanspruch des Arbeiters gegenüber dem Arbeitgeber. Für alle anderen Kurarten ist ein Lohnfortzahlungsanspruch damit ausgeschlossen. § 7 Abs. 1 LFZG definiert ebensowenig wie andere gesetzliche Vorschriften, wann eine Kur eine Vorbeugungs-, Heil- oder Genesungskur i.S. des Lohnfortzahlungsgesetzes ist. In der Literatur finden sich für diese Kurarten folgende Umschreibungen:466 Die Vorbeugungskur, die auch als Vorsorgekur (vgl. § 23 Abs. 2 SGB V; die Rentenversicherung kennt diese Kurart nicht) bezeichnet wird, dient der Abwendung einer bestimmten, noch nicht zum Ausbruch gekommenen, aber in naher Zukunft drohenden Erkrankung. Die Heilkur verfolgt den Zweck, eine bestimmte Krankheit auszuheilen. Die Genesungskur dagegen soll die Wiederherstellung der Gesundheit, die Stärkung und die Kräftigung des Gesamtorganismus nach einer Uberstandenen Krankheit bewirken. Bei allen drei Kurarten ist des weiteren Voraussetzung, daß sie medizinisch notwendig sind und sachgerecht gestaltet werden, d.h. einen Heilund Kurzweck erzielen können. Wann ein Heil- und Kurzweck i.S. von § 7 Abs. 1 LFZG eintreten kann, ist umstritten. Zum Teil werden sehr strenge Anforderungen an die medizinische Betreuung und den Einfluß auf die Lebensführung des Kurenden gestellt.467 In der Praxis wird aber regelmäßig angenommen, daß eine Kur die Voraussetzungen für § 7 Abs. 1 LFZG erfüllt, wenn ein Sozialleistungsträger i.S. von § 7 Abs. 1 LFZG die Kur bewilligt hat und die vollen Kurkosten übernimmt.468 Dem Arbeitgeber bleibt es jedoch auch dann unbenommen, konkrete Tatsachen vorzutragen, die einen Lohnfortzahlungsanspruch im Einzelfall ausschließen.46» Umstritten ist, ob die medizinische Notwendigkeit der Kur eigenständige Voraussetzung eines Lohnfortzahlungsanspruches nach § 7 Abs. 1 LFZG 463 Beispiel: Kur im Rahmen des § 23 Abs. 4 SGB V; dazu Hunold, Krankheit, S. 196; Kaiser/Dunkl, Entgeltfortzahlung, S. 178. 464 Beispiel: Schwerkriegsbeschädigte nach § 11 Abs. 1 BundesversorgungsG; vgl. Hunold, Krankheit, S. 196. 465 Beispiel: Kur im Rahmen des § 1230 Abs. 1 RVO; dazu Hunold, Krankheit, S. 196. 466 Vgl. Schmatz/Fischwasser, Vergütung, C 703. 467 BAG, AP Nr. 4 zu § 7 LohnFG; Kaiser/Dunkl, Entgeltfortzahlung, S. 179. 468 BAG, AP Nr. 4 zu § 7 LohnFG; Kaiser/Dunkl, Entgeltfortzahlung, S. 179. 469 BAG, DB 1980, S. 551, 552; BAG, AP Nr. 4 zu § 7 LohnFG; Hunold, Krankheit, S. 202.

309 ist. Anders als das Bundesarbeitsgericht470 bejahen Kaiser/Dunkl471 die medizinische Notwendigkeit als eigene Anspruchsvoraussetzung, weil ohne diese Voraussetzung eine Kur nur der allgemeinen Stabilisierung und Kräftigung des Gesundheitszustandes diene. - Eine Kur, die allein eine Kräftigungs- und Stabilisierungsfunktion hat, kommt ihrem Zweck nach aber einer Erholungskur gleich, so daß sie ohnehin keine Kur i.S. von § 7 Abs. 1 LFZG ist. Die Voraussetzungen, die an eine Kur i.S. von § 7 Abs. 1 LFZG gestellt werden, nehmen mithin das Merkmal der medizinischen Notwendigkeit in sich auf. Im übrigen gehen auch Kaiser/Dunkl ohne weiteres vom Vorliegen der medizinischen Notwendigkeit aus, wenn die Kur von einem Sozialleistungsträger i.S. von § 7 Abs. 1 LFZG bewilligt worden ist.472 Kuren i.S. des Lohnfortzahlungsgesetzes grenzen sich von den sogenannten Erholungskuren ab,473 die ohne akuten Krankheitsanlaß der Vorbeugung gegen allgemeine Abnutzungserscheinungen oder der bloßen Aufbesserung des Allgemeinbefindens dienen. Im Zusammenhang mit Kuren wird häufig auch die sogenannte gesetzlich nicht definierte "Badekur" oder "Offene Badekur" erwähnt. Dabei wird nicht ganz klar, ob es sich um eine besondere Kurart neben Vorbeugungs-, Heil- und Genesungskur oder um die Art der medizinischen Durchführung (wie Kneippkur, Badekur) handeln soll. Die "Offene Badekur" wird vom Arbeitnehmer finanziert. Da sie aber medizinische Anwendungen umfaßt und für die Gesundheit des Arbeitnehmers förderlich ist, können sich die gesetzlichen Krankenkassen (nicht die Rentenversicherung) an den Kosten mit einem täglichen Zuschuß in Höhe von 15 DM beteiligen und darüber hinaus die konkreten Anwendungen des Arbeitnehmers finanzieren. Um eine Kur i.S. des Lohnfortzahlungsgesetzes handelt es sich unabhängig von der Art und Durchführung der Kur nur dann, wenn neben den anderen Voraussetzungen die vollen Kosten übernommen werden. ccc) Bewilligung Im Hinblick auf das Merkmal Bewilligung in § 7 Abs. 1 LFZG und in § 7 Abs. 2 LFZG wird gefolgert, daß der Arbeitnehmer vor seinem Kurantritt die Zustimmung eines der in § 7 Abs. 1 LFZG abschließend aufgeführten

470 471 472 473

BAG, AP Nr. 2 zu § 7 LFZG. Kaiser/Dunkl, Entgeltfortzahlung, S. 179. Kaiser/Dunkl, Entgeltfortzahlung, S. 179,180. Becker, DB 1987, S. 1090,1091.

310 Sozialleistungsträger eingeholt haben muß.474 Bemüht sich der Arbeitnehmer erst während einer Kur oder nach Kurabschluß um eine Zustimmung zur Kur, so steht ihm ein Entgeltfortzahlungsanspruch gegenüber seinem Arbeitgeber nicht zu.475 ddd) Volle Kostenübernahme Als weitere Voraussetzung für den Lohnfortzahlungsanspruch enthält § 7 Abs. 1 LFZG die volle Kostenübernahme durch einen Sozialleistungsträger i.S. von § 7 Abs. 1 LFZG. Der Arbeiter darf nicht, und zwar auch nicht teilweise, an notwendigen Kosten, die unmittelbar mit der Durchführung der Kur entstehen, beteiligt werden. Nicht zu den unmittelbaren Kurkosten gehören nahezu unstreitig die Reisekosten476. Lohnersatzleistungen der Bewilligungsstelle (die ohnehin regelmäßig angesichts der Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber entfallen) oder die Zahlung von Taschengeld haben keinen Einfluß auf die Entstehung des Lohnfortzahlungsanspruches. Auswirkungen auf den Lohnfortzahlungsanspruch soll es aber nach Kaiser/Dunkl haben, wenn die Bewilligungsstelle einen Eigenanteil des Arbeiters an den Verpflegungskosten verlangt, weil dieser häusliche Aufwendungen erspart477. Dem kann jedenfalls dann nicht zugestimmt werden, wenn der beispielsweise nach §§ 23 Abs. 6, 40 Abs. 5 SGB V grundsätzlich vom Versicherten zu entrichtende Pauschalsatz von 10 DM/Tag als "Verpflegungskostenanteil" und nicht als bloßer "Versichertenbeitrag" angesehen wird. eee) Voraussetzungen nach § 1 LFZG Neben den Voraussetzungen, die § 7 Abs. 1 LFZG ausdrücklich für den Lohnfortzahlungsanspruch des Arbeiters fordert, ist durch die Bezugnahme auf § 1 LFZG des weiteren erforderlich, daß die Arbeitsverhinderung durch die Kur nach dem Beginn der Beschäftigung eingetreten ist und daß die Krankheit, aufgrund derer die Kur durchgeführt werden muß, nicht vom Arbeiter verschuldet ist.478

474 Brecht, § 7 LFZG, Anm. 3; Kaiser/Dunkl, Entgeltfortzahlung, S. 178; Kehrmann/Pelikan, § 7 LFZG, Anm. 6; Schmatz/Fischwasser, Vergütung, C 705, 706. 475 A.A. aber wohl RdSchr. 85a zu § 7 LFZG Anm. 2.5. (1987). 476 Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, § 99 II, 3; Schmatz/Fischwasser, Vergütung, C 707. 477 Kaiser/Dunkl, Entgeltfortzahlung, S. 181. 478 Schmatz/Fischwasser, Vergütung, C 708.

311 Die Entgeltfortzahlung für eine nach § 7 LFZG bewilligte Kur kann im Höchstfall 6 Wochen betragen. Die Kur steht nach § 7 Abs. 1 Satz 2 LFZG einer Arbeitsunfähigkeit i.S. von § 1 Abs. 1 Satz 2 LFZG gleich, so daß die Grundsätze über die Fortsetzungskrankheit anzuwenden sind, wenn der Arbeiter zeitweilig wegen einer Krankheit arbeitsunfähig ist und dann wegen derselben Krankheit eine Kur durchführt.479 Die Zeiten der Kur und der Krankheit werden für die Berechnung der 12- oder der 6-Monats-Frist (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 2 LFZG) und damit für die Frage, ob und wielange ein Lohnfortzahlungsanspruch besteht, zusammengerechnet.480 Für die Fristberechnung ist der Kurantritt, nicht die Bewilligung maßgeblich.481 Gem. § 7 Abs. 3 LFZG besteht während der Dauer einer Kur über § 7 Abs. 1 LFZG hinaus kein Lohnfortzahlungsanspruch. Sind die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 LFZG nicht erfüllt, so kann sich mithin der Arbeiter nicht auf einen Anspruch nach § 616 Abs. 1 BGB berufen. Ihm steht aber ein Lohnfortzahlungsanspruch nach § 1 LFZG zu, wenn er während der Kur arbeitsunfähig wird und ihm kein Anspruch nach § 7 Abs. 1 LFZG zusteht. Dies folgt zum einen daraus, daß die Rechtsstellung des Arbeiters nach dem Arbeiterkrankheitsgesetz sich nicht durch das Lohnfortzahlungsgesetz verschlechtern sollte, und zum anderen daraus, daß § 7 Abs. 4 LFZG selbst bei Arbeitsunfähigkeit während einer Schonungszeit einen Lohnfortzahlungsanspruch vorsieht. f f f ) Der Zusammenhang zwischen § 7 LFZG und dem Sozialversicherungsrecht Die arbeitsrechtliche Regelung der Kur muß im Zusammenhang mit der sozialversicherungsrechtlichen gesehen werden. Dabei lassen sich folgende Grundsätze feststellen: 1. 2. 3. 4.

Das Krankenversicherungsrecht unterscheidet zwischen Vorsorge- und Rehabilitationskuren, vgl. §§ 23 Abs. 2,40 SGB V. Das Rentenversicherungsrecht kennt nur die Rehabilitationskur, vgl. § 1236 RVO für Arbeiter, § 13 AVG für Angestellte (seit dem 1.1.1992 gelten §§ 9 ff. SGB VI). Das Lohnfortzahlungsgesetz kennt Vorbeugungs-, Heil- und Genesungskuren. Die Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber geht Sozialversicherungsleistungen vor.

479 Bauer/Röder, Krankheit, S. 40, 41; Hunold, S. 199, 200 mit der Folge der Aufrechterhaltung der dort beschriebenen Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten. 480 Bauer/Röder, Krankheit, S. 40,41. 481 BAG, AP Nr. 30 zu § 63 HGB; Feichtinger, AR-Blattei, Krankheit III, Lohn- und Gehaltsfortzahlung, H 2 c, bb.

312 S.

Rentenversicherungsleistungen gehen bei Kuren den Krankenversicherungsleistungen vor (§ 1239 RVO, Ermessensvorschrift; s. jetzt § 13 Abs. 2 SGB VI i.V.m. § 40 SGB V).

Mithin sind zum einen sowohl Arbeitgeberleistungen mit Sozialversicherungsleistungen als auch Sozialversicherungsleistungen untereinander miteinander verwoben. Zum anderen wird die Übersichtlichkeit der arbeits- und der sozialversicherungsrechtlichen sowie der sozialversicherungsrechtlichen Regelungen untereinander dadurch erschwert, daß kein einheitlicher Kurbegriff oder mehrere einheitliche Kurbegriffe verwendet werden, sondern statt dessen, je nach Rechtszweig, ein völlig eigenes Begriffssystem entwickelt wurde. Dies verwundert umso mehr, als die grundsätzlich gegebene Eigenständigkeit des Arbeitsrechts und des Sozialversicherungsrechts nicht bedeutet, daß die jeweils einschlägigen Regelungen unabhängig voneinander bestehen. Das Arbeitsrecht enthält Regelungen, die in den Bereich des Sozialversicherungsrechts hineinreichen, und das Sozialversicherungsrecht enthält Regelungen des Arbeitsrechts. Das Verhältnis der Regelungen ist dabei häufig so, daß die Regelung des anderen Rechtsgebietes unbeachtet bleibt. Im Ergebnis ist es deshalb weitgehend der Praxis überlassen worden, ein geeignetes und angemessenes System für ein funktionierendes Miteinander von Sozialversicherungsrecht und Arbeitsrecht zu entwickeln. Da die Arbeitgeberleistung für Arbeiter im Rahmen einer Kur von einer Sozialversicherungsleistung (Kurbewilligung, volle Kostentragung) abhängt, hätte man zumindest hinsichtlich des SGB V aus dem Jahre 1988 erwarten können, daß es die mit der Kur in Zusammenhang stehenden Fragen für beide Rechtsbereiche einheitlich klärt. bb) Die Rechtslage für Angestellte Angestellte haben gem. §§ 63 HGB, 133c GewO, 616 Abs. 2 BGB einen Gehaltsfortzahlungsanspruch, wenn sie durch ein Unglück oder einen in ihrer Person liegenden Grund die Arbeitsleistung nicht erbringen können.482 Nach allgemeiner Auffassung sind diese Voraussetzungen erfüllt, wenn ein Angestellter: eine Kur, die regelmäßig denselben Voraussetzungen wie eine Heil- oder Genesungskur i.S. des § 7 Abs. 1 LFZG unterliegt,483 bewilligt erhalt.

Vorbeugungs-,

Rechtsfolge ist ebenfalls ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung für die Zeitdauer der Kur bis zu 6 Wochen. 482 BAG, AP Nr. 21 - 23 zu § 63 HGB; BAG, AP Nr. 25 zu § 133 c GewO; LAG Baden-Württemberg, DB 1959, S. 380; Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, § 99 III. 483 Hunold, Krankheit, S. 198; Trieschmann, Festschrift für Herschel, S. 421,448.

313 aaa) Kurträger Während für Arbeiter die Bewilligung durch einen der in § 7 Abs. 1 LFZG genannten Kurträger Voraussetzung für den Lohnfortzahlungsanspruch ist, genügt es für den Lohnfortzahlungsanspruch eines Angestellten, daß die Kur bewilligt wurde, gleichgültig, ob vom Hausarzt oder von einer privaten Krankenkasse u.a.484 Die von § 7 Abs. 1 LFZG abweichende Rechtslage der Angestellten hinsichtlich der Kurträger läßt sich wie folgt erklären: Angestellte konnten sich, wenn ihr Arbeitsentgelt oberhalb der Pflichtversicherungsgrenze lag, privat krankenversichern, §165 Abs. 1 Nr. 2 RVO.485 Arbeitern wurde diese Möglichkeit erst durch § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V eröffnet. Zusätzlich bestand für Angestellte, anders als für Arbeiter, zeitweilig die Möglichkeit, sich von ihrer Rentenversicherungspflicht befreien zu lassen. Hätte man für Angestellte die gleichen Voraussetzungen in bezug auf die Bewilligungsstelle gefordert wie für Arbeiter in § 7 Abs. 1 LFZG, so wären Angestellte gegenüber Arbeitern benachteiligt worden. Angestellte, die nicht rentenversichert sind, hätten sich nicht an den Rentenversicherungsträger als Bewilligungsstelle wenden können. Angestellte, die nicht gesetzlich krankenversichert sind, hätten sich nicht an die gesetzliche Krankenversicherung als Bewilligungsstelle wenden können - diese Fallgestaltung ist allerdings nur relevant, wenn nicht ohnehin die bei Rehabilitationsmaßnahmen eines Rentenversicherten (vgl. § 13 Abs. 2 SGB VI i.V.m. § 40 Abs. 2 SGB V) in erster Linie zuständige Rentenversicherung für die Kurbewilligung zuständig ist. Angestellten, die weder gesetzlich krankenversichert noch rentenversichert sind, wäre mangels Bewilligungsstelle i.S. von §7 Abs. 1 LFZG gegebenfalls die Möglichkeit, eine Kur unter Entgeltfortzahlung durchzuführen, völlig genommen worden. bbb) Kur Wenn auch auf die Kur in den Angestelltenregelungen nicht eingegangen wird, so werden doch allgemein hinsichtlich der Kurarten unter Entgeltfortzahlung die gleichen Voraussetzungen zugrunde gelegt wie bei Ar-

484 BAG, AP Nr. 23 zu § 63 HGB; Bauer/Röder, Krankheit, S.41, 42; Feichtinger, AR-Blattei, Krankheit III, Lohn- und Gehaltsfortzahlung, H II 2; Göge, BB 1986, S. 1772, 1774; Hunold, Krankheit, S. 198, 199; Kaiser/Dunkl, Entgeltfortzahlung, S. 268; Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, § 99 III, 2; Schmatz/Fischwasser, Vergütung, L 332,333; Schmitt, ZTR 1991, S. 3,7. 485 Dazu Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, § 99 III, 2.

314 beitern. 486 Bei Erholungskuren steht einem Angestellten ebensowenig ein Entgeltfortzahlungsanspruch zu wie einem Arbeiter.487 ccc) Bewilligung Wenn der Gesetzgeber des Lohnfortzahlungsgesetzes bei der Schaffung des § 7 Abs. 1 LFZG davon ausging, daß die Bewilligung durch den Sozialversicherungsträger eine gewisse Garantie für die Berechtigung der Kur und damit auch der Lohnfortzahlung für den Kurzeitraum gibt, so kann dies bei einer Bewilligung durch die private Krankenversicherung oder einen Privatarzt eher zweifelhaft sein. Nach der Rechtsprechung muß die ordnungsgemäße Durchführung der Kur gewährleistet und die Erreichung des Kurzwecks möglich sein488. Sie hat Entgeltfortzahlungsansprüche anerkannt, wenn die Kur unter denselben Voraussetzungen durchgeführt wurde, unter denen der Träger der gesetzlichen Rentenversicherung das Heilverfahren bewilligt hätte489. Die Voraussetzungen für die Zulassung zu einem Heilverfahren der Rentenversicherungsträger haben nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts Indizwirkung für die Kurbedürftigkeit des Arbeitnehmers. 490 ddd) Volle Kostenübernahme Gem. § 7 Abs. 1 LFZG muß der bewilligende Sozialleistungsträger die vollen Kosten der Kur übernehmen. Die Rechtsprechung hat dies bei Angestellten aufgrund der Tatsache, daß bei ihnen nicht von einer Mitgliedschaft in einer gesetzlichen Kranken- oder Rentenversicherung ausgegangen werden kann, nicht gefordert. Angestellte können mithin, wenn eine Vorbeugungs-, Heil- oder Genesungskur bewilligt worden ist, die Kurkosten im Extremfall vollständig selbst tragen, ohne daß der Gehaltsfortzahlungsanspruch entfällt. Hierbei ist praktisch aber zu beachten, daß Kurkosten eine Größenordnung von ab 8000 DM erreichen, so daß auch Angestellte ihre Kurkosten regelmäßig nicht selbst tragen werden. cc) Die Verfassungswidrigkeit der Regelung Im Hinblick auf die Prüfung der Verfassungswidrigkeit wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG muß wiederum zwischen der Ungleich486 487 488 489

Vgl. Hunold, Krankheit, S. 198. Brill, ZfS 1980, S. 195, 197; Hunold, Krankheit, S. 198. Dazu Göge, BB 1986, S. 1772,1774. BAG, AP Nr. 23 zu § 63 HGB; BAG, BB 1961, S. 826, 827; Hunold, Krankheit, S. 199; Trieschmann, Festschrift für Herschel, S. 4 2 1 , 4 4 7 . 490 Vgl. BAG, AP Nr. 2 1 , 2 2 , 2 3 zu § 63 HGB; Göge, BB 1986, S. 1772,1774.

315 behandlung und dem sachlichen Grund differenziert werden. Dabei zeigen sich Ungleichbehandlungen einerseits zwischen Arbeitern und Angestellten, zum anderen aber auch solche zwischen nicht gesetzlich krankenversicherten Arbeitern gegenüber den übrigen Arbeitnehmern und der wegen kurzfristiger oder geringfügiger Beschäftigung nicht sozialversicherten Arbeiter gegenüber den anderen Arbeitnehmern. aaa) Die Ungleichbehandlung zwischen Arbeitern und Angestellten Der Unterschied im Bereich der Kurverfahren für Arbeiter und Angestellte liegt, wie gezeigt, in den Kurträgern sowie in der Kostentragung.491 Theoretisch hat die geltende Regelung für Angestellte den Vorteil, daß sie häufiger eine Kur unter Fortzahlung des Entgelts durchführen können als Arbeiter, denn sie sind nicht auf die volle Kostentragung durch einen Sozialversicherungsträger angewiesen. 492 Sie können die Kurkosten ganz oder anteilig selbst übernehmen und sich die Kur auch von anderen als den in § 7 Abs. 1 LFZG aufgeführten Bewilligungsstellen bewilligen lassen. Arbeiter sind folglich gegenüber Angestellten bezüglich der Entgeltfortzahlung im Rahmen eines Kurverfahrens benachteiligt. Allerdings wirkt sich der Unterschied in der Praxis nur bei privat versicherten Angestellten aus. Bei privaten Krankenkassen mag dem Versicherten bei einer Kostenbeteiligung eher eine Kur bewilligt werden als ohne Kostenbeteiligung. Für die Mehrzahl der Arbeiter und der Angestellten, nämlich für alle, die in einer gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung versichert sind, ist zu berücksichtigen, daß die Bewilligung einer Kur nicht häufiger ausgesprochen wird, wenn der Angestellte einen Teil oder die gesamten Kurkosten selbst trägt. Im übrigen ist auch hier wieder zu beachten, daß die Kosten einer Kur so hoch sind, daß auch der Angestellte sie nicht übernehmen wird und damit nicht häufiger als der Arbeiter eine Kur unter Entgeltfortzahlung durchführen wird. Wenn man also bei der Prüfung der Verfassungsgemäßheit auch auf die konkreten praktischen Auswirkungen sieht, reduzieren sich die Unterschiede erheblich. Zusammenfassend ist folgendes zu beachten: Kuren werden in erster Linie vom Rentenversicherungsträger und nicht von der Krankenkasse finanziert. Nur bei reinen Vorsorgekuren, die keine Rehabilitationsmaßnahmen i.S. von §§ 1236 ff. RVO, 13 ff. AVG, jetzt §§ 9 ff. SGB VI, sind und die nur das Krankenversicherungsrecht kennt, besteht dieses gesetzliche Subsidiaritätsverhältnis nicht. Die Be491 Trieschmann, Festschrift für Herschel, S. 421,448. 492 Trieschmann, Festschrift für Herschel, S. 421,448.

316 willigung der Kuren durch einen Sozialversicherungsträger ist von den Kurkosten unabhängig, d.h. die Möglichkeit, daß der Versicherte einen Teil der Kosten selbst trägt, um häufiger eine Kur zu erhalten, besteht bei den Rehabilitationskuren, Heil-, Genesungs- und Vorbeugungskuren nicht. Angestellte, die nicht rentenversichert sind, weil sie die ihnen zeitweilig eingeräumte Möglichkeit genutzt haben, sich von der Rentenversicherungspflicht befreien zu lassen, sind aufgrund ihrer geringen Anzahl für die folgende Untersuchung kaum relevant. Angestellte, die nicht gesetzlich krankenversichert sind, gibt es dagegen wesentlich häufiger; da aber in erster Linie der Rentenversicherungsträger für die Kur aufzukommen hat, haben sich diese Angestellten ohnehin an den Rentenversicherungsträger und nicht an die gesetzliche Krankenkasse zu wenden. Darüber hinaus besteht zwar die theoretische Möglichkeit, daß sich Angestellte die Kur nicht von einem Sozialversicherungsträger bewilligen lassen; soweit sie dann aber nicht auf eine private Krankenkasse zurückgreifen können, die die Kosten übernimmt, müßten sie die Kur selbst finanzieren. Vergegenwärtigt man sich die Kosten, die mit einer Kur verbunden sind, ab ca. 8000 DM aufwärts, so ist einsichtig, daß sich auch Angestellte zur Erlangung und Finanzierung einer Kur an einen Sozialversicherungsträger, insbesondere also an den Rentenversicherungsträger wenden. Eine Kur auf eigene Kosten durchzuführen, wird sie aufgrund der damit verbundenen hohen Kosten kaum reizen. Die Entgeltfortzahlung, die ihnen auch bei einer auf eigene Kosten durchgeführten Kur zustehen würde, kann den Angestellten sicherlich nicht zu einer Kur unter dem Aspekt des vom Arbeitgeber "bezahlten Urlaubs" bewegen. bbb) Die Ungleichbehandlung der nicht gesetzlich krankenversicherten Arbeiter gegenüber der Gruppe der gesetzlich krankenversicherten Arbeiter und der Gesamtgruppe der Angestellten In § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V ist Arbeitern die Versicherung in einer gesetzlichen Krankenkasse freigestellt, wenn ihr regelmäßiges Arbeitsentgelt über 75 vom Hundert der Beitragsbemessungsgenze nach § 1385 Abs. 2 RVO liegt. Gleichzeitig ist für Arbeiter aber nicht der Kreis der Bewilligungsstellen nach § 7 Abs. 1 LFZG erweitert worden. Sie können sich mithin nicht wie Angestellte, die nicht Mitglied einer gesetzlichen Krankenversicherung sind, von einem Privatarzt oder einer privaten Krankenkasse eine Kur bewilligen lassen, wenn sie ihren Lohnfortzahlungsanspruch nicht verlieren wollen. Zusätzlich müssen sie, weil ihnen auch weiterhin nur nach § 7 Abs. 1 LFZG ein Lohnfort-

317 Zahlungsanspruch zusteht, eine volle Kostentragung durch eine Bewilligungsstelle i.S. von § 7 Abs. 1 LFZG vorweisen. Arbeiter, die dem von § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V erfaßten Personenkreis unterfallen und sich nicht in einer gesetzlichen Krankenversicherung freiwillig versichert haben, sind somit gegenüber der Gruppe der gesetzlich krankenversicherten Arbeiter und der Gesamtgruppe der Angestellten benachteiligt.493 Dadurch, daß aber, wie schon erwähnt, hauptsächlich der Rentenversicherungsträger für Kuren zuständig ist und alle Arbeiter rentenversichert sind, ist die Ungleichbehandlung praktisch wenig bedeutsam. Zusätzlich ist auch zu beachten, daß Arbeiter auch die Möglichkeit wahrnehmen, sich freiwillig in einer gesetzlichen Krankenversicherung weiter zu versichern. ccc) Die Ungleichbehandlung der wegen kurzfristiger oder geringfügiger Beschäftigung nicht sozialversicherten Arbeiter gegenüber den anderen Arbeitnehmern Neben der Ungleichbehandlung durch § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V besteht noch eine weitere Ungleichbehandlung im Bereich der "kurzfristig" und der "Teilzeitbeschäftigten", die von der Arbeiterlohnfortzahlung nicht ausgeschlossen sind, aber sozialversicherungsfrei sind. Gem. § 7 SGB V i.V.m. § 8 SGB IV besteht keine Krankenversicherungspflicht für geringfügig Beschäftigte, d.h. für Beschäftigte, die nicht mehr als 480 DM verdienen und nicht über 15 Stunden pro Woche arbeiten. Für diesen Personenkreis besteht auch keine Rentenversicherungspflicht. Dennoch kann für Arbeiter, die diesem Personenkreis unterfallen, ein Lohnfortzahlungsanspruch bestehen, da an diesen andere Voraussetzungen geknüpft sind. Ein Lohnfortzahlungsanspruch setzt voraus, daß der Beschäftigte mehr als 10 Stunden wöchentlich oder 45 Stunden monatlich arbeitet. Arbeitet der Arbeiter mithin 11-14 Stunden wöchentlich und verdient er nur 480 DM, so besteht grundsätzlich zwar gem. § 1 Abs. 1 LFZG ein Lohnfortzahlungsanspruch, der Arbeiter ist aber nicht kranken- oder rentenversicherungspflichtig. Für einen weder kranken- noch rentenversicherten Arbeiter gibt es regelmäßig keine Bewilligungsstelle i.S. von § 7 Abs. 1 LFZG, die die vollen Kurkosten übernimmt. Folglich können die betroffenen Arbeiter keine Kur unter Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber durchführen. Zu beachten ist aber, daß auch diese Arbeitnehmer häufig krankenversichert sind, sei es, daß sie freiwillig oder privat versichert sind, oder aber, was wohl hauptsächlich der Fall sein wird, 493 Zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung vor dem Gesundheitsreformgesetz vgl. Schmitt, ZTR 1991, S. 3,7.

318 über den Ehegatten oder die Eltern; auch kommt Sozialhilfe gem. §§ 13, 36 ff. BSHG in Betracht. Dieselbe Lücke, die bei "teilzeitbeschäftigten" Arbeitern zwischen dem Lohnfortzahlungsgesetz und dem Sozialversicherungsrecht besteht, besteht auch bei "kurzfristig" Beschäftigten. Auch in diesem Zusammenhang ist wieder festzustellen, daß die Abstimmung zwischen Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht im geltenden Recht nicht gelungen ist und bei einer Neuregelung stärker beachtet werden müßte.

ddd) Mittelbare Ungleichbehandlung Eine mittelbare Konsequenz der Benachteiligungen resultiert aus § 10 BUrlG. § 10 BUrlG verbietet eine Anrechnung der Kurzeit auf den Urlaub, wenn die Voraussetzungen für eine Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber gegeben sind. Da diese Voraussetzungen bei Angestellten großzügiger ausgestaltet sind, findet bei Arbeitern eine Anrechnung der Kurzeit auf den Urlaub eher statt als bei Angestellten. Eine Benachteiligung besteht unter den beschriebenen Umständen insofern auch für Arbeiter, die wegen § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V krankenversicherungsfrei sind und nicht freiwillig versichert sind, sowie für Arbeiter, die aufgrund einer "kurzfristigen" oder einer "Teilzeitbeschäftigung" nicht sozialversichert sind, aber dennoch nicht mehr zu dem in § 1 Abs. 3 LFZG aufgeführten Personenkreis gehören.

eee) Die Kompensation der Ungleichbehandlung Die Benachteiligung der Arbeiter wird teilweise durch die Zahlung von Übergangsgeld oder Krankengeld ausgeglichen. Arbeitern und Angestellten steht neben dem gegebenenfalls existierenden Entgeltfortzahlungsanspruch ein Anspruch auf Sozialversicherungsleistungen zu, der ruht, wenn der Arbeitgeber die Bezüge weiterzahlt. Der Arbeiter erhält mithin, während der Angestellte das Arbeitsentgelt durch den Arbeitgeber weiterbezieht, jedenfalls Übergangsgeld oder Krankengeld für die Dauer der Kur, wenn er gesetzlich renten- oder krankenversichert ist. Die Sozialversicherungsleistungen werden jedoch nicht in gleicher Höhe gewährt wie das Arbeitsentgelt, so daß sie den Verlust des Arbeitsentgelts nicht völlig ausgleichen. Nachteilig wirkt sich bei der Zahlung von Übergangsgeld auch aus, daß es vom Versicherungsträger erst Wochen nach der eigentlichen Entgeltfortzahlung ausgezahlt wird.

319 fff) Der fehlende sachliche Grund Während die Unterscheidung hinsichtlich der Kurbewilligung und der Kostenübernahme durch den Kurträger früher sachgerecht war, weil Angestellte im Gegensatz zu Arbeitern bei höherem Einkommen nach § 165 Abs. 1 Nr. 2 RVO nicht krankenversicherungspflichtig und häufig privat versichert waren, könnte durch die Befreiung der Arbeiter mit höherem Einkommen von der Krankenversicherungspflicht der sachliche Grund weggefallen sein.494 Ein sachlicher Grund könnte aber darin liegen, daß nur einige Angestellte, nicht aber Arbeiter rentenversicherungsfrei sind, weil sie die nur ihnen kurzzeitig eingeräumte Möglichkeit, sich von der Rentenversicherungspflicht befreien zu lassen, genutzt haben. Für diese Angestellten kann nämlich bei einer Ausweitung des § 7 Abs. 1 LFZG der Rentenversicherungsträger weder Bewilligungsstelle noch Kostenträger sein. Da jedoch nur wenige Angestellte nicht rentenversichert sind und die Möglichkeit einer Befreiung heutzutage nicht mehr besteht, ist es mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar, Angestellte und Arbeiter insgesamt unter diesem Aspekt ungleich zu behandeln. Soweit ein Angestellter nicht rentenversichert ist, könnte für ihn und nur für ihn eine von den übrigen Arbeitern und Angestellten abweichende Regelung für Kuren normiert werden. Die Ungleichbehandlung der Gesamtgruppe der Arbeiter im Vergleich zu den Angestellten sowie die übrigen oben erwähnten Ungleichbehandlungen lassen sich jedenfalls durch die Tatsache, daß einige wenige Angestellte nicht rentenversichert sind, nicht rechtfertigen. Nunmehr müßten, damit ein Verfassungsverstoß ausgeschlossen wäre, Arbeiter und Angestellte mit Ausnahme der nicht rentenversicherten Angestellten gleich behandelt werden. dd)

Bisherige

Neuregelungsvorschläge

aaa) Der Vorschlag der

Arbeitsgesetzbuchkommission

(1) Darstellung § 60 Abs. 1,4 KE lautet: § 60 KE (1) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, den Arbeitnehmer für die Dauer einer ärztlich verordneten Vorbeugungs-, Heil- oder Genesungskur und einer daran anschließenden ärztlich verordneten Schonungszeit von der Arbeit freizustellen und ihm bis zur Dauer von sechs Wochen das Arbeitsentgelt zu entrichten. Dies gilt jedoch nur, wenn die Erwerbsfähig494 Schmitt, ZTR 1991, S. 3, 7.

320 keit des Arbeitnehmers infolge von Krankheit oder anderer Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte gefährdet oder gemindert ist und sie durch die ärztlich verordnete Kur voraussichtlich erhalten, wesentlich gebessert oder wieder hergestellt werden kann. Die Voraussetzungen des Satzes 2 gelten als erfüllt, wenn ein Träger der Sozialversicherung, eine Verwaltungsbehörde der Kriegsopferversorgung oder ein sonstiger Sozialleistungsträger die Kur bewilligt hat und ihre notwendigen Kosten übernimmt (4) Eine Kur nach Absatz 1 und die daran anschließende ärztlich verordnete Schonungszeit stehen im Sinne des § 55 Abs. 2 einer Arbeitsunfähigkeit gleich. Im übrigen finden die §§ 55, 56, 58 und 59 entsprechende Anwendung. (2) Stellungnahme Die Arbeitsgesetzbuchkommission hat im Rahmen ihres Neuregelungsvorschlages zu den Kuren im wesentlichen den Inhalt von § 7 Abs. 1 LFZG aufgegriffen. Lediglich dort, wo § 7 Abs. 1 LFZG nicht mit der geltenden Rechtslage für Angestellte übereinstimmt, hat sie § 7 Abs. 1 LFZG modifiziert. Der Entwurf der Arbeitsgesetzbuchkommission übernimmt damit im Grundsatz dort, wo eine Abweichung zwischen der Rechtslage von Arbeitern und Angestellten besteht, die Angestelltenregelung. Der Entwurf der Arbeitsgesetzbuchkommission normiert zunächst für alle Arbeitnehmer in § 60 Abs. 1 Satz 2 KE einheitliche Voraussetzungen für einen Lohnfortzahlungsanspruch gegen den Arbeitgeber. Anschließend berücksichtigt der Entwurf die Besonderheiten von gesetzlich Kranken- und Rentenversicherten, indem er die bisherige Regelung des § 7 Abs. 1 LFZG für diesen Personenkreis zusätzlich übernimmt und zu § 60 Abs. 1 Satz 3 KE werden läßt. Die Voraussetzungen für einen Lohnfortzahlungsanspruch gegenüber dem Arbeitgeber können damit auf zweierlei Weise erfüllt werden: entweder nach § 60 Abs. 1 Satz 2 KE oder aber nach § 6 0 Abs. 1 Satz 3 KE. Soweit die Voraussetzungen von § 60 Abs. 1 Satz 3 KE erfüllt sind, d.h. wenn der Arbeitnehmer eine Bewilligung eines Sozialleistungsträgers und dessen Kostenübernahme vorweist, brauchen die allgemeinen Voraussetzungen nach § 60 Abs. 1 Satz 2 KE nicht mehr im einzelnen überprüft zu werden, sondern sie gelten als erfüllt. Der Kommissionsentwurf trägt damit sowohl den Besonderheiten von gesetzlich kranken- und rentenversicherten Arbeitnehmern als auch von nicht gesetzlich kranken- oder rentenversicherten Arbeitnehmern Rechnung, ohne eine Ungleichbehandlung vorzunehmen. Die in § 60 Abs. 1 Satz 3 KE normierten Vor-

321 aussetzungen für einen Lohnfortzahlungsanspruch während der Dauer einer Kur sind im Regelfall nämlich schwieriger zu erfüllen als die Voraussetzungen nach § 60 Abs. 1 Satz 2 KE. Die Sonderregelung nach § 60 Abs. 1 Satz 3 KE stellt folglich keine Besserstellung oder Schlechterstellung von Mitgliedern der gesetzlichen Kranken- oder Rentenversicherung dar. Eine Kurbewilligung eines öffentlich-rechtlichen Sozialleistungsträgers und dessen Kostenübernahme dürfte in der Praxis schwieriger zu erlangen sein als irgendeine ärztliche Bescheinigung über die Kurbedürftigkeit. Dies gilt wohl auch unabhängig davon, daß die Kurarten und die medizinischen Erfordernisse, die für eine Kur vorliegen müssen, auch schon nach der geltenden Rechtslage für Arbeiter und Angestellte übereinstimmen. Anlaß zu Bedenken gibt der Kommissionsentwurf aber unter dem Aspekt, daß Arbeitnehmer bei einer dem Kommissionsentwurf entsprechenden Regelung gegebenenfalls veranlaßt werden könnten, häufiger als früher eine Kur unter Entgeltfortzahlung durchzuführen.495 Sie könnten nämlich einen Teil der Kurkosten oder sogar die gesamten Kurkosten selbst tragen und so gegebenenfalls zeitlich und medizinisch früher eine Kur bewilligt bekommen. Der Riegel, den § 7 Abs. 1 LFZG durch die Bewilligung und die volle Kostentragung enthielt, entfällt bei der Neuregelung nach § 60 KE. Deshalb wendet Trieschmann496 gegen den Kommissionsentwurf ein, daß dieser die Gefahr in sich birgt, daß Arbeitnehmer in großem Umfang Kuren ganz oder teilweise auf eigene Kosten durchführen werden und damit den Arbeitgeber mit erheblichen Entgeltfortzahlungskosten belasten werden. Die Praxis hat aber gezeigt, daß selbst bei einer Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber bislang kein Interesse der Angestellten bestanden hat, eine Kur auf eigene Kosten durchzuführen. In dieser Hinsicht wird wohl auch keine Veränderung in der allgemeinen Einstellung entstehen, da die Kurkosten so hoch sind, daß eine eigene Kostentragung durch den Arbeitnehmer nicht zu erwarten steht. Bei einer Teilkostentragung ist Trieschmanns Einwand zwar nicht von der Hand zu weisen; praktisch ist er aber nur in wenigen Fällen relevant, weil jedenfalls nach § 60 Abs. 1 Satz 3 KE eine volle oder nahezu vollständige Kostentragung durch den Sozialversicherungsträger Voraussetzung für die Lohnfortzahlung ist.

495 So Trieschmann, Festschrift für Herschel, S. 421,448 f. 496 Trieschmann, Festschrift für Herschel, S. 421,448 f.

322 bbb) Der Vorschlag des DGB (1) Darstellung** § 65 Abs. 1,4 DGB-Entwurf lautet: §65

(1) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, den Arbeitnehmer für die Dauer einer ärztlich verordneten Vorbeugungs-, Heil- oder Genesungskur und einer daran anschließenden ärztlich verordneten Schonungszeit von der Arbeit freizustellen und ihm bis zur Dauer von sechs Wochen das Arbeitsentgelt zu entrichten. Dies gilt jedoch nur, wenn a)

b)

ein Träg» der Sozialversicherung, eine Verwaltungsbehörde der Kriegsopferversorgung oder ein sonstiger Sozialleistungsträger die Kur bewilligt hat und ihre Kosten voll übernimmt, wobei eine verhältnismäßig geringfügige Selbstbeteiligung des Arbeitnehmers unberücksichtigt bleibt, oder bei Arbeitnehmern, die weder Mitglied eines Trägers der gesetzlichen Krankenversicherung, noch eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung sind, wenn die Erwerbsfähigkeit des Arbeitnehmers infolge der Krankheit oder anderer Gebrechen oder Schwächen seiner körperlichen oder geistigen Kräfte gefährdet ist und sie durch die ärztlich verordnete Kur voraussichtlich erhalten, wesentlich verbessert oder wieder hergestellt werden kann, und der Arbeitnehmer dies durch ärztliche Bescheinigung nachweist.

§ 62 Abs. 4 gilt entsprechend. (4) Eine Kur nach Absatz 1 und die daran anschließende ärztliche verordnete Schonungszeit stehen im Sinne des § 60 Abs. 2 einer Arbeitsunfähigkeit gleich. Im übrigen finden die §§ 60, 63 und 64 entsprechende Anwendung. (2) Stellungnahme Der DGB-Entwurf zu den Kuren entspricht im wesentlichen dem Kommissionsentwurf. Er enthält aber zwei nicht unwesentliche Abweichungen. Zum einen soll eine "verhältnismäßig geringfügige" Selbstbeteiligung durch den Arbeitnehmer bei den Kurkosten den Lohnfortzahlungsanspruch nicht ausschließen. Zum anderen soll für Mitglieder einer gesetzlichen Kranken- oder Rentenversicherung die Regelung für Arbeiter nach § 7 Abs. 1 LFZG beibehalten werden (§ 65 Abs. 1 Buchst, a) und nur für nicht kranken- oder rentenversicherte Arbeitnehmer eine Sonderregelung, die der des § 60 Abs. 1 Satz 2 KE entspricht, in § 60 DGB-Entwurf aufgenommen werden. Dadurch, daß der DGB-Entwurf nicht für alle gleiche Voraussetzungen fordert, weil er bei Mitgliedern der gesetzlichen Kranken- oder Rentenversicherung die Voraussetzungen 497 RdA 1977, S. 166.

323 für einen Lohnfortzahlungsanspruch nur dann als erfüllt ansieht, wenn eine Bewilligung eines Sozialleistungsträgers und dessen notwendige Kostentragung vorliegt, differenziert er weiterhin zwischen Mitgliedern einer gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung und Nichtmitgliedern.498 Hieran ändert auch der Verweis auf § 62 Abs. 4 nichts, d.h. das Erfordernis einer weiteren ärztlichen Bescheinigung bei Zweifeln des Arbeitgebers an der Kurbedürftigkeit. Zwar hat der DGB-Entwurf für sich, daß der Arbeitnehmer, der in einer gesetzlichen Kranken- oder Rentenversicherung versichert ist, nicht übermäßig oft eine Kur unter gleichzeitiger Entgeltfortzahlung zu Lasten des Arbeitgebers durchführen kann. Er hat aber, wie Trieschmann499 feststellt, auch Nachteile, weil er entgegen allgemeinen Gerechtigkeitsüberlegungen für Angestellte, die nicht Mitglieder einer gesetzlichen Kranken- oder Rentenversicherung sind, keine Begrenzung i.S. von § 7 Abs. 1 LFZG vorsieht und zudem, weil Angestellte, die entweder der gesetzlichen Kranken- oder der Rentenversicherung angehören, benachteiligt werden könnten, weil sie sich entsprechend nur an eine Bewilligungsstelle wenden können, durch die allein die Voraussetzungen für einen Entgeltfortzahlungsanspruch geschaffen werden können. Bei einer Neuregelung sollte es vermieden werden, eine vorhandene Benachteiligung durch eine andere zu ersetzen. ccc) Der Vorschlag

Trieschmannssco

(1) Darstellung Trieschmann schlägt vor, ärztlich verordnete Kuren wegen derselben Krankheit nur in gewissen, der heutigen Praxis der Sozialleistungsträger entsprechenden Zeitspannen unter Zahlung von Arbeitsentgelt durch den Arbeitgeber zu gewähren, wobei einzelne Ausnahmen aufgrund besonderer medizinischer Indikation möglich sein sollten. Damit übernimmt er zwar nicht den Riegel von § 7 Abs. 1 LFZG, er schafft aber in gewissem Rahmen eine neue Begrenzung. Im Rahmen der Gestattung von Ausnahmen ist nach Ansicht Trieschmanns die 6-Wochen-Frist bezüglich der Dauer der Lohnfortzahlung zu beachten, und es sind die Grundsätze über die Fortsetzungserkrankung zu berücksichtigen. Die Kurnotwendigkeit im Rahmen der Ausnahme soll nach Trieschmann durch den Kurarzt sowie einen weiteren kollektivvertraglich oder einzelvertraglich bestimmten Arzt bescheinigt werden. Soweit der Arbeit498 Trieschmann, Festschrift für Herschel, S. 421,448 f. 499 Trieschmann, Festschrift für Herschel, S. 421,448 f. 500 Trieschmann, Festschrift für Herschel, S. 421,447 ff.

324 nehmer sich an einen Sozialversicherungsträger wendet, sieht Trieschmann einen Verzicht auf die ärztliche Bescheinigung als möglich an, wenn der Arbeitnehmer dessen Kurbewilligung vorlegt. (2) Stellungnahme Die Stellungnahme erfolgt im Rahmen des eigenen Neuregelungsvorschlags. ee) Eigener Vorschlag Für Arbeiter und Angestellte muß zur Vermeidung eines Verfassungsverstoßes eine gleichartige Regelung unabhängig von einer Mitgliedschaft in einer gesetzlichen Krankenversicherung geschaffen werden. Darüber hinaus könnte man auch durch die Schaffung allgemeiner Anspruchsvoraussetzungen auf die Differenzierung nach der Mitgliedschaft in einer Rentenversicherung verzichten. Ein solcher Verzicht wäre sicherlich sinnvoll. Eine Übertragung des für Arbeiter geltenden Rechts auf Angestellte ist nicht möglich. Dann müßten sich nämlich auch nicht sozialversicherungspflichtige Angestellte eine Kur von einem Sozialversicherungsträger bewilligen lassen und von diesem eine Kostentragung anfordern. Dagegen erscheint eine Übernahme der Angestelltenregelung möglich, wenn auch nicht ganz unproblematisch. Als Bewilligungsstelle wird man, wie im geltenden Angestelltenrecht, jede Stelle und damit auch den Privatarzt zulassen können. Gefährlicher erscheint es, auf die Kostentragung der Sozialversicherungsträger völlig zu verzichten. Es könnte dann nämlich dazu kommen, daß Sozialversicherungsträger bei einer Kostenbeteiligung des Arbeitnehmers veranlaßt werden könnten, zeitlich und medizinisch "verfrüht" eine Kur zu bewilligen, die dann für den Arbeitgeber eine Lohnfortzahlungspflicht bewirken würde. Dies gilt vor allem deshalb, weil der Sozialversicherungsträger befürchten müßte, daß er in absehbarer Zeit ohne Kostenbeteiligung des Arbeitnehmers die Kur zu bewilligen hätte. Das Problem besteht mithin darin, daß der Sozialversicherungsträger nicht nur über seine eigenen Leistungen entscheidet, sondern darüber hinaus auch über die Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers. Diese Konstellation, daß ein Dritter über die Entgeltfortzahlung des Arbeitgebers zu entscheiden hat, ist zwar unglücklich, läßt sich aber bei einer Beibehaltung der bestehenden Systeme kaum vermeiden. Damit es aber nicht zu einer unbegründeten Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers kommt, etwa weil dem Arbeitnehmer eine Zuzahlung zu den Kosten

325 einer Kur freigestellt ist mit der Folge, daß der Sozialversicherungsträger diese Kur eher bewilligt, muß eine Schranke eingeführt werden. Sie kann eigendich nur in der Kostentragung des Sozialversicherungsträgers liegen. Zu beachten ist aber, daß auch bei nicht sozialversicherten Arbeitnehmern keine Pflicht der vollen Kostentragung durch eine andere Stelle besteht, so daß die Beibehaltung der vollen Kostentragung für sozialversicherte Arbeitnehmer einen Gleichheitsverstoß zur Folge haben könnte. Diesem Gleichheitsverstoß könnte aber dann erfolgreich begegnet werden, wenn die Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers an einheitliche Voraussetzungen für alle Arbeitnehmer geknüpft würde. Neben diesen einheitlichen Voraussetzungen könnte, wie schon im Entwurf der Arbeitsgesetzbuchkommission vorgeschlagen, für sozialversicherte Arbeitnehmer eine Sonderregelung geschaffen werden in dem Sinne, daß wenn die dort genannten Voraussetzungen für einen Lohnfortzahlungsanspruch erfüllt sind, die allgemeinen Voraussetzungen jedenfalls erfüllt sind und nicht mehr gesondert überprüft werden müssen. Diese Sonderregelung müßte dann, damit die Problematik der Fremdbestimmung gering gehalten wird, so aussehen, daß ein Sozialleistungsträger die Kur bewilligt und 90 % der Kosten für die Kur übernimmt. Im übrigen muß beachtet weiden, daß die Mitglieder der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung ohnehin sozialversicherungsrechtlich die Bewilligung durch den Versicherungsträger benötigen, wenn sie die Kurkosten nicht selbst tragen wollen. Bei den allgemeinen Voraussetzungen für einen Lohnfortzahlungsanspruch sind strenge Maßstäbe zu entwickeln. Entscheidend für einen Lohnfortzahlungsanspruch ist, ob die Kur zeitlich und medizinisch notwendig ist. Materiellrechtlich müßte daher entweder eine bestehende oder drohende Arbeitsunfähigkeit Voraussetzung sein, sei es weil eine Krankheit noch nicht ausgeheilt ist oder gerade besteht oder in naher Zukunft droht. Für einen Lohnfortzahlungsanspruch auf eine bestehende Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers abzustellen, ist wenig sinnvoll, weil dann ohnehin ein Lohnfortzahlungsanspruch gegen den Arbeitgeber besteht und weil sich die Rechtslage im Vergleich zum geltenden Lohnfortzahlungsgesetz verschlechtem würde. Bei der Durchführung der Kur müßte gesichert sein, daß ein Heilerfolg eintreten kann. Kuren sollten des weiteren nur im Abstand von drei Jahren gewährt werden und eine Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers auslösen (vgl. §40 Abs. 3 SGB V und Trieschmanns Vorschlag). Lediglich in Einzelfällen sollte hiervon eine Ausnahme gemacht werden, nämlich, wenn der Gesund-

326 heitszustand des Arbeitnehmers dies dringend gebietet. Der Arbeitnehmer sollte dann aber verpflichtet sein, seinen Gesundheitszustand überprüfen zu lassen und zwar nicht nur vom Hausarzt, sondern vom medizinischen Dienst oder aber von zwei Ärzten, auf die sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer geeinigt haben. Eine Verpflichtung des Arbeitnehmers, einen Betriebsarzt aufzusuchen, sollte, weil dieser dem Arbeitgeber näher steht als ein unabhängiger Arzt, einzelvertraglich nicht zulässig sein. In eine Neuregelung sollte, wie von Bauer/Röder501 gefordert, eine Regelung aufgenommen werden, die besagt, daß zwischen der Erstellung des ärztlichen Gutachtens über die Kurbedürftigkeit und dem Kurantritt nicht mehr als sechs Monate liegen dürfen. Das Bundesarbeitsgericht hat die Kurbedürftigkeit eines Arbeitnehmers zwar erst in einem Falle abgelehnt, in dem zwischen der ärzdichen Untersuchung und dem Kurantritt ein Jahr lag; aber schon bei einem Zeitabschnitt von sechs Monaten scheint die Kurbedürftigkeit in Frage gestellt. Die Neuregelung für den Bereich der Kur könnte also wie § 9 des Neuregelungsvorschlags lauten. c) Anzeige- und Nachweispflichten Da eine vom Arbeitgeber unabhängige Stelle die Kur bewilligt sowie Termine und Dauer mit verbindlicher Wirkung für den Arbeitgeber festsetzt, muß dieser möglichst früh informiert werden. Für Arbeiter ergeben sich die Einzelheiten der Anzeigepflicht, darüber hinaus aber auch der Nachweispflicht aus § 7 Abs. 2 LFZG502 als einer Sonderregelung gegenüber § 3 LFZG, verbunden mit dem Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers nach § 5 LFZG. Für Angestellte fehlt es dagegen an einer gesetzlichen Regelung. aa) Die Rechtslage für Arbeiter Arbeiter sind nach § 7 Abs. 2 Satz 1 LFZG verpflichtet, dem Arbeitgeber unverzüglich eine Bescheinigung über die Kurbewilligung vorzulegen und den Zeitpunkt des Kurantritts mitzuteilen.503 Die Bewilligungsbescheinigung muß gem. § 7 Abs. 2 Satz 2 LFZG Angaben über die Dauer der Kur und über die Kostentragung durch den So501 Bauer/Röder, Krankheit, S. 41; vgl. auch ArbG Stuttgart, APNr.6 zu § 7 LohnFG m. Anm. Obermann. 502 Bauer/Röder, Krankheit, S. 41; Feichtinger, AR-Blattei (D) Krankheit III, Lohnund Gehaltsfortzahlung, H II 3. 503 Bauer/Röder, Krankheit, S. 41; Hunold, Krankheit, S. 197.

327 zialleistungsträger enthalten.504 Letzteres ist erforderlich, weil die Lohnfortzahlungspflicht durch den Arbeitgeber nur bei voller Kostentragung besteht. Falls die Kur verlängert wird, muß der Arbeiter gem. § 7 Abs. 2 Satz 3 LFZG dem Arbeitgeber unverzüglich eine entsprechende Folgebescheinigung vorlegen. Da nach § 7 Abs. 1 Satz 1 LFZG die §§ 1, 2 , 4 - 6 LFZG im Rahmen einer Kur entsprechend anwendbar sind, ergibt sich auch ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 5 LFZG analog bei einer Pflichtverletzung des Arbeiters nach § 7 Abs. 2 LFZG.505 Das Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers besteht, ebenso wie bei der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, wenn der Arbeiter schuldhaft keine Kurbescheinigung oder Fortsetzungsbescheinigung vorlegt oder zwar eine Bescheinigung vorlegt, diese aber nicht vollständig den Voraussetzungen nach § 7 Abs. 2 LFZG gerecht wird.506 Analog § 5 Nr. 1 LFZG besteht jedoch kein Leistungsverweigerungsrecht, wenn der Arbeiter dem Arbeitgeber den Kurantritt nicht mitteilt507. Insofern kommen wiederum allein aufrechenbare Schadensersatzansprüche des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeiter in Betracht. Erfüllt der Arbeiter die oben beschriebenen Verpflichtungen, so entfällt das Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers rückwirkend.508 bb) Die Rechtslage für Angestellte Im Recht der Angestellten fehlt eine dem § 7 Abs. 2 LFZG entsprechende gesetzliche Regelung. Vergleichbare Pflichten des Angestellten werden aber aus der arbeitsrechtlichen Treuepflicht abgeleitet.509 Der Angestellte muß danach dem Arbeitgeber die Kurbewilligung unverzüglich anzeigen510 und die Notwendigkeit der Kur nachweisen.511 Dieser Nachweispflicht genügt er regelmäßig nur durch die Vorlage eines

504 Bauer/Röder, Krankheit, S. 41; Hunold, Krankheit, S. 197. 505 BAG, AP Nr. 1 zu § 7 LohnFG; KaiserlDunkl, Entgeltfortzahlung, S. 183. 506 Kaiser/Dunkl, Entgeltfortzahlung, S. 183. Die Rechtsprechung leitet das Leistungsverweigerungsrecht aus einer Analogie zu § 5 LFZG ab: BAG, AP Nr. 1 zu § 7 LohnFG; vgl. auch Göge, BB 1986, S. 1772,1774. 507 KaiserlDunkl, Entgeltfortzahlung, S. 183. 508 BAG, BB 1972, S. 1189; vgl. auch Feichtinger, Entgeltfortzahlungsrecht, S. 114. 509 Bauer/Röder, Krankheit, S. 42. 510 Bauer/Röder, Krankheit, S. 42; Hunold, Krankheit, S. 199; Schaub, ArbeitsrechtsHandbuch, § 99 III 3. 511 Bauer/Röder, Krankheit, S. 42; Hunold, Krankheit, S. 199; Schaub, ArbeitsrechtsHandbuch, § 99 III 3.

328 ärztlichen Attestes.512 Hat allerdings ein Rentenversicherungsträger im Rahmen des Bewilligungsverfahrens die Kurvoraussetzungen geprüft oder legt der Angestellte die Kurbewilligung eines öffentlichrechtlichen Sozialleistungsträgers vor, wird in der Literatur ein ärztliches Attest nicht für erforderlich gehalten. Hinsichtlich des Leistungsverweigerungsrechtes ist bei Angestellten auf die Ausführungen zu § 3 LFZG zu verweisen. Auch im Rahmen einer Kur kann die Verletzung von Nachweispflichten des Angestellten kein Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers begründen.513

cc) Ungleichbehandlung und Vorschlag für eine Neuregelung aaa) Die Frage der Verfassungsmäßigkeit Die Ungleichbehandlung zwischen Arbeitern und Angestellten im Bereich der Anzeige- und Nachweispflichten ist zwangsläufige Folge der Ungleichbehandlung bezüglich des Kurverfahrens. Da aber sowohl für Arbeiter als auch für Angestellte eine Anzeige- und Nachweispflicht angenommen wird, liegt kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor. Die Andersbehandlung im Rahmen des Leistungsverweigerungsrechtes beruht auf § 5 LFZG, für den es im Rahmen der Angestelltenregelungen keine Entsprechung gibt. Obgleich § 7 Abs. 2 LFZG und § 5 LFZG analog kaum eine selbständige, über die schon betrachteten Benachteiligungen hinausgehende Benachteiligung enthalten, müssen sie aufgrund der gesetzlichen Fixierung der Ungleichbehandlung als verfassungswidrig angesehen werden, so daß es einer gesetzlichen Neuregelung bedarf, die an die Veränderungen im Rahmen der Kur anzupassen ist.

bbb) Bisherige Vorschläge für eine gesetzliche Neuregelung (1) Darstellung § 65 Abs. 2 DGB-Entwurf514 lautet: §65 (2) Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, dem Arbeitgeber unverzüglich eine Bescheinigung über die Bewilligung der Kur vorzulegen und den Zeitpunkt des Kurantritts mitzuteilen. Die Bewilligung muß Angaben über die voraussichtliche Dauer der Kur sowie darüber enthalten, ob die Kosten der Kur voll übernommen weiden. Dauert die Kur länger, als in der 512 Hunold, Krankheit, S. 199. 513 A.A. Bauer/Röder, Krankheit, S. 42. 514 RdA 1977, S. 166 ff.

329 Bescheinigung angegeben ist, so hat der Arbeitnehmer eine weitere entsprechende Bescheinigung vorzulegen. Im Falle einer Kur nach Absatz 1 Satz 2 Ziff. b) ist der Arbeitnehmer verpflichtet, anstelle der Bescheinigung über die Bewilligung der Kur die ärztliche Bescheinigung über die Verordnung der Kur sowie deren voraussichtliche Dauer vorzulegen; im übrigen bleiben Satz 1 und 3 unberührt. § 60 Abs. 2 KE lautet: § 60 KE (2) Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, dem Arbeitgeber unverzüglich die ärztliche Verordnung einer Kur im Sinne des Absatzes 1, den Zeitpunkt des Kurantritts sowie die voraussichtliche Dauer der Kur mitzuteilen. Der Arbeitnehmer ist weiter verpflichtet, dem Arbeitgeber eine ärztliche Bescheinigung über die Verordnung der Kur sowie deren Dauer vorzulegen. Im Falle einer Kur nach Absatz 1 Satz 3 ist der Arbeitnehmer, abweichend von Satz 2, verpflichtet, dem Arbeitgeber eine Bescheinigung über die Bewilligung der Kur vorzulegen; die Bewilligung muß Angaben über die voraussichtliche Dauer der Kur sowie darüber enthalten, ob die notwendigen Kosten der Kur übernommen werden. Dauert die Kur länger als in der Bescheinigung angegeben ist, so hat der Arbeitnehmer eine neue ärztliche Bescheinigung vorzulegen. (2) Stellungnahme Die Entwürfe des DGB und der Arbeitsgesetzbuchkommission sehen übereinstimmend Anzeige- und Nachweispflichten vor. Anders als § 7 Abs. 2 LFZG differenzieren sie dabei zwischen Mitgliedern einer gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung und Nichtmitgliedern. § 60 Abs. 2 KE sieht, wie in Abs. 1, eine Grundregelung vor, in der allgemeine Voraussetzungen für alle Arbeitnehmergruppen enthalten sind. In § 60 Abs. 2 Satz 3 KE führt der Kommissionsentwurf Besonderheiten auf, wenn der Arbeitnehmer anstelle der ärztlichen Bescheinigung eine Bewilligungsbescheinigung eines Sozialleistungsträgers vorlegt. Der Kommissionsentwurf behandelt folglich alle Arbeitnehmer gleich und gestattet lediglich Mitgliedern einer gesetzlichen Kranken- oder Rentenversicherung unter Berücksichtigung der spezifischen Besonderheiten dieser Gruppe im Hinblick auf die Versicherungsmitgliedschaft, eine Bewilligungsbescheinigung eines Sozialleistungsträgers anstelle einer ärztlichen Bescheinigung vorzulegen. Es ist davon auszugehen, daß eine Bewilligungsbescheinigung mit Kostentragung schwieriger zu erlangen ist als andere ärztliche Bescheinigungen, so daß keine Benachteiligung der Nichtmitglieder besteht. § 65 Abs. 2 des DGB-Entwurfs trifft Son-

330 derregelungen für Mitglieder und Nichtmitglieder, ohne zuvor eine gemeinsame Grundlage zu schaffen. Damit setzt der DGB-Entwurf seine Ungleichbehandlung von Mitgliedern und Nichtmitgliedern aus § 65 Abs. 1 DGB-Entwurf fort. Mithin ist die Regelung des Kommissionsentwurfs - abgesehen von der Kostenregelung - dem DGB-Entwurf vorzuziehen. (3) Eigener Vorschlag Anzeige- und Nachweispflichten bestehen nach der geltenden Rechtslage sowohl für Arbeiter als auch für Angestellte und sollten, um dem Arbeitgeber frühzeitige betriebliche Dispositionen zu ermöglichen und um einen Mißbrauch des Kurverfahrens durch die Arbeitnehmer auszuschließen, beibehalten werden. Die Anzeigepflicht könnte mit der des § 7 Abs. 2 Satz 1 LFZG übereinstimmen, wenn anstelle der Bewilligung auf eine ärzdiche Bescheinigung abgestellt würde. Zusätzlich könnte entsprechend dem Kommissionsentwurf für Mitglieder der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung eine Sonderregelung eingefügt werden. Soweit diese sich nicht auf eine Bewilligung eines Arztes, sondern auf eine Kurbewilligung eines Sozialversicherungsträgers bezieht, sollten die Arbeitnehmer verpflichtet sein, dem Arbeitgeber diese Bewilligung vorzulegen. Die Bewilligung hat aus den beschriebenen Gründen eine 90%ige Kostentragung durch den Sozialversicherungsträger zu enthalten. Das Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers sollte gegenüber Arbeitern und Angestellten einheitlich eingeführt werden, zumal Arbeitnehmer durch die Einhaltung der Nachweispflicht nicht über Gebühr belastet werden. d) Die Lohnfortzahlung während der Schonungszeit Für den Lohnfortzahlungsanspruch aus § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG ist "Arbeitsunfähigkeit" Voraussetzung. Für die Vorbeugungs-, Heil- oder Genesungskur nach § 7 Abs. 1 LFZG besteht diese Voraussetzung nicht. Für die Schonungszeit im Anschluß an eine Kur wird bei Arbeitern wiederum Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung für den Entgeltfortzahlungsanspruch gefordert, § 7 Abs. 4 LFZG. aa) Die Rechtslage für Arbeiter Arbeitern steht gem. § 7 Abs. 4 Satz 1 LFZG ein Anspruch auf Lohnfortzahlung während einer sich an eine Kur anschließenden ärztlich verordneten Schonungszeit zu, wenn sie für den Zeitraum der Schonungszeit

331

arbeitsunfähig sind.515 Die Schonungszeit wird auch Nachkur genannt, ist aber keine Kur i.S. von § 7 Abs. 1 LFZG.516 Sozialversicherungsrechtlich gilt sie als Maßnahme der sozialen Betreuung des Versicherten, nicht als Kur. Die Schonungszeit bezweckt die Sicherung und Festigung eines Kurerfolges und wird deshalb regelmäßig, aber nicht notwendig, unmittelbar im Anschluß an eine Kur durchgeführt.517 Liegen die Voraussetzungen für einen Lohnfortzahlungsanspruch nach § 7 Abs. 4 Satz 1 LFZG vor, so steht dem Arbeiter für eine Höchstdauer von insgesamt 6 Wochen ein Lohnfortzahlungsanspruch zu. Bei der Berechnung der 6-Wochen-Frist werden die Kur- und die Schonungszeit zusammengerechnet. Schließt sich die Schonungszeit unmittelbar an die Kurzeit an, so hat diese Berechnungsmethode ihren Grund in der Einheit des Verhinderungsfalles.518 Schließt sie sich nicht unmittelbar an die Kurzeit an, so gilt der Grundsatz des § 1 Abs. 1 Satz 2 LFZG zu den Fortsetzungskrankheiten.519 Ist der Arbeiter nach der Kur bei Antritt der Schonungszeit arbeitsfähig und wird er erst während der Schonungszeit wegen einer neuen Krankheit arbeitsunfähig, so finden die Grundsätze der Einheit des Verhinderungsfalles keine Anwendung. Für das Vorliegen eines einheitlichen Verhinderungsfalles ist immer Voraussetzung, daß der Arbeiter bei Eintritt der neuen Erkrankung noch krankheitsbedingt arbeitsunfähig ist.520 Von einer Kur unterscheidet sich die Schonungszeit hauptsächlich dadurch, daß der Arbeitnehmer bei der Gestaltung der Schonungszeit nahezu frei ist. Er muß sich weder, wie bei einer Kur, in regelmäßigen Abständen einer ärztlichen Kontrolle unterziehen, noch muß er die Schonungszeit an einem bestimmten Ort oder in einem bestimmten Sanatorium verbringen.521 Die Schonungszeit gleicht deshalb ihrem äußeren Erscheinungsbild nach eher einem Erholungsurlaub als einer Kur. Die gesetzliche Regelung leidet an einem unüberbrückbaren inneren Widerspruch. Wie dargelegt, führen Erholungskuren nie zu einem Lohnfortzahlungsanspruch, weil sie die Voraussetzungen, die an eine Heil-, Genesungs- oder Vorbeugungskur gestellt weiden, nicht erfüllen. Wenn aber 515 Bei fehlender Arbeitsunfähigkeit ist die Zahlung von Übergangsgeld zu berücksichtigen; Thomas, in: Hromadka, Gleichstellung, S. 52. 516 KaiserlDunkl, Entgeltfortzahlung, S. 184. 517 KaiserlDunkl, Entgeltfortzahlung, S. 185. 518 KaiserlDunkl, Entgeltfortzahlung, S. 185. 519 KaiserlDunkl, Entgeltfortzahlung, S. 185. 520 LAG Hamm, BB 1982, S. 1175; KaiserlDunkl, Entgeltfortzahlung, S. 185. 521 Vgl. KaiserlDunkl, Entgeltfortzahlung, S. 185.

332 die Schonungszeit nicht anders als ein Erholungsurlaub ausgestaltet ist, dürfte auch insoweit kein Lohnfortzahlungsanspruch bestehen. Allerdings hat der Gesetzgeber diesen inneren Widerspruch dadurch zu mildern versucht, daß er den Entgeltfortzahlungsanspruch an eine Arbeitsunfähigkeit des Arbeiters knüpft. Damit hat er aber nur einen neuen Widerspruch geschaffen. Ist der Arbeiter aufgrund krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit an der Erbringung seiner Arbeitsleistung verhindert, so steht ihm ein Lohnfortzahlungsanspruch bereits nach § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG zu. § 7 Abs. 4 Satz 1 LFZG ist daher überflüssig522 und eher irreführend. In dem Versuch, diese verfehlte Vorschrift zu retten, ist der Begriff der "Arbeitsunfähigkeit" in § 7 Abs. 4 Satz 1 LFZG teilweise weiter ausgelegt worden als in § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG.523 Die Arbeitsunfähigkeit i.S. von § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG ist nach Schmatz/Fischwasser524 dann gegeben, wenn der Arbeiter außerstande ist, "die ihm obliegende Arbeit zu verrichten oder wenn er die Arbeit nur unter der Gefahr in absehbarer Zeit seinen Zustand zu verschlimmern fortsetzen kann". Ähnlich definiert das Bundesarbeitsgericht525 den Begriff der "Arbeitsunfähigkeit" des Arbeiters i.S. von § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG. Hiernach soll die Arbeitsunfähigkeit des Arbeiters dann vorliegen, wenn dem Arbeitnehmer die Arbeitsleistung unzumutbar ist, d.h. wenn sie ihm möglich ist, eine Weiterarbeit aber nur unter der Gefahr, daß der Arbeitnehmer seinen Gesundheitszustand verschlimmert, fortgesetzt werden kann. Demgegenüber bejahen Kaiser/Dunkl526 die Arbeitsunfähigkeit i.S. von § 7 Abs. 4 Satz 1 LFZG schon dann, "wenn ohne die Schonungszeit der Zweck der Kur gefährdet wird und die Schonungszeit für die Festigung des Gesundheitszustandes erforderlich ist." Göge527 fordert für die Arbeitunfähigkeit i.S. von § 7 Abs. 4 Satz 1 LFZG - allerdings mit Verweis auf Kaiser/Dunkl - lediglich, daß der Zweck der Kur gefährdet wird.

522 523 524 525

Vgl. MällerlLilge, Gesamtkommentar RVO, § 1240, Anm. 6 a.E. Becker, DB 1987, S. 1090,1092. Schmatz!Fischwasser, Vergütung, C 116 m.wJV. BAG, DB 1972, S. 635; BAG, EzA § 616 BGB Nr. 20; Göge, BB 1986, S. 1772, 1774; Hunold, Krankheit, S. 26,27. 526 Kaiser/Dunkl, Engeltfortzahlung, S. 185. 527 Göge, BB 1986, S. 1772, 1775. Dies liegt aber daran, daß er wohl lieber das Merkmal der Arbeitsunfähigkeit in § 7 Abs. 4 Satz 1 LFZG gestrichen wüßte.

333 Die genannten Rettungsversuche können nicht überzeugen. § 7 Abs. 4 LFZG ist eine überflüssige Vorschrift.528 Der Anspruch eines arbeitsunfähig erkrankten Arbeiters folgt schon aus § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG. In der Praxis wird deshalb auch einem aus einer Kur arbeitsunfähig entlassenen Arbeiter regelmäßig keine Schonungszeit gewährt, weil er ohnehin nach § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG einen Lohnfortzahlungsanspruch hat. bb) Die Rechtslage für Angestellte Einem Angestellten, dem eine Schonungszeit im Anschluß an eine Kur verordnet oder empfohlen wird, steht nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts529 und nach h.M.530 gem. §§ 616 Abs. 2 BGB, 63 HGB, 133c GewO ein Entgeltfortzahlungsanspruch auch im Falle seiner Arbeitsfähigkeit zu. Damit ist die Rechtslage für Arbeiter und Angestellte unterschiedlich. Eine abweichende Ansicht vertreten Kaiser/Dunkl531, indem sie für die Entgeltfortzahlung von Angestellten die Arbeitunfähigkeit fordern; ihre Ausführungen sind aber widersprüchlich. Ihrer Auffassung nach hat der Gesetzgeber in § 7 Abs. 4 Satz 1 LFZG zwar eine von der Rechtsprechung zu den Schonungszeiten für Angestellte abweichende Regelung getroffen, ihm könne deshalb aber noch nicht unterstellt werden, daß er Arbeiter und Angestellte willkürlich ungleich behandeln wollte.532 Vielmehr habe er mit § 7 Abs. 4 Satz 1 LFZG die Rechtsprechung für Angestellte § 7 Abs. 4 Satz 1 LFZG anpassen wollen. Kaiser/Dunkl schränken ihre Aussage aber dadurch wieder ein, daß sie das Merkmal "Arbeitsunfähigkeit" großzügig handhaben. So soll schon dann eine Entgeltfortzahlung und damit die Arbeitsunfähigkeit zu bejahen sein, wenn ohne die Schonungszeit der Kurzweck gefährdet wird und die Schonungszeit zur Festigung des Gesundheitszustandes erforderlich ist.533 Da eine Schonungszeit grundsätzlich nur unter diesen Voraussetzungen ver528 Vgl. Becker, DB 1987, S. 1090,1092. 529 BAG, AP Nr. 10 zu § 10 BUrlG Schonzeit; BAG, AP Nr. 25 zu § 133c GewO; BAG, BB 1974, S. 259. 530 Eiman-Hanau, § 616 BGB, Rdnr. 27 m.w.N; Göge, BB 1986, S. 1772, 1774; Kaiser/Dunkl, Entgeltfoitzahlung, S.268, 269; Thomas, in: Hromadka, Gleichstellung, S. 52. Anders nur, wenn die Schonungszeit einem Urlaub gleicht, Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, § 99 III 4. 531 Kaiser/Dunkl, Entgeltfortzahlung, S. 267,268,269. 532 Kaiser/Dunkl, Entgeltfortzahlung, S. 269. 533 Kaiser/Dunkl, Entgeltfortzahlung, S. 185, 269; Marburger, RdA 1982, S. 149, 151.

334 ordnet wenden kann, hat das Merkmal der Arbeitsunfähigkeit bei dieser Auslegung keinen eigenen Stellenwert mehr. cc) Die Verfassungswidrigkeit der Regelung Nach der geltenden Rechtslage sind Arbeiter durch § 7 Abs. 4 LFZG gegenüber Angestellten benachteiligt, da ihnen nur bei Arbeitsunfähigkeit ein Entgeltfortzahlungsanspruch zusteht. Im Rahmen des 2. Arbeitsrechtsbeieinigungsgesetzes beabsichtigte die Bundesregierung, die mit der Einführung von § 7 Abs. 4 Satz 1 LFZG entstandene Ungleichbehandlung aufzuheben, hatte damit aber keinen Erfolg.534 Neben der Anknüpfung an die Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung für einen Lohnfortzahlungsanspruch sind Arbeiter gegenüber Angestellten des weiteren mittelbar dadurch benachteiligt, daß bei ihnen gem. § 10 BUrlG die ärztlich verordneten Schonungszeiten auf den Erholungsurlaub angerechnet werden, wenn kein Lohnfortzahlungsanspruch besteht, d.h. wenn der Arbeiter nicht arbeitsunfähig ist. Bei Angestellten erfolgt eine solche Anrechnung der Schonungszeiten auf den Erholungsurlaub selbst dann nicht, wenn der Angestellte nicht arbeitsunfähig ist.535 Die in § 7 Abs. 4 Satz 1 LFZG normierte Benachteiligung der Arbeiter kann teilweise durch die Zahlung von Übergangsgeld durch den Rentenversicherungsträger kompensiert werden. Da das Übergangsgeld geringer als das Arbeitsentgelt ist und regelmäßig erst Wochen nach dem Entgeltfortzahlungstermin ausgezahlt wird, stellt es keine völlige Kompensation der durch § 7 Abs. 4 Satz 1 LFZG geschaffenen Benachteiligung dar. Eine zusätzliche Kompensation zugunsten der Arbeiter könnte dadurch erfolgen, daß dem nicht arbeitsunfähigen Arbeiter ein Lohnfortzahlungsanspruch nach § 616 Abs. 1 BGB zusteht.536 Geht man vom Wortlaut des § 616 Abs. 3 BGB aus, so findet man dort zwar einen Bezug auf die Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit, Sterilisation, Schwangerschaftsabbruch und Kur, nicht aber auf die Schonungszeit, so daß im Rückschluß grundsätzlich ein Anspruch aus § 616 Abs. 1 BGB gegeben sein könnte. Eine teleologische Auslegung ergibt jedoch, daß der Gesetzgeber nur ungenau formuliert hat und in § 616 Abs. 3 BGB Kur und Schonungszeit meinte, so daß die Regelung nach dem Lohn534 Antwort der Bundesregierung auf eine entsprechende Anfrage: Protokolle über die Sitzung des Deutschen Bundestages vom 16.3.1971, S. 6573 (A) und vom 20.10.1971, S. 8267 (C, D); Thomas, in: Hromadka, Gleichstellung, S. 52. 535 Vgl. Thomas, in: Hromadka, Gleichstellung, S. 52 f. 536 Göge, BB 1986, S. 1772,1774; fCaiserlDunkl, Entgeltfortzahlung, S. 185.

335 fortzahlungsgesetz auch im Hinblick auf die Schonungszeit abschließend ist. Selbst wenn man aber einen Anspruch aus § 616 Abs. 1 BGB bejahen wollte, kann er aufgrund der weiteren Voraussetzungen dieser Vorschrift nur selten und nur für einen kurzen Zeitraum in Betracht kommen, so daß Arbeiter auch in diesem Fall im Bereich der Schonungszeit benachteiligt wären. Aufgrund dieser Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten bedarf § 7 Abs. 4 Satz 1 LFZG der verfassungsrechtlichen Überprüfung. In einer Entscheidung aus dem Jahre 1971 hat das Bundesarbeitsgericht lediglich die geltende Rechtslage bestätigt, indem es ausführte, daß Schonungszeiten für Angestellte nicht auf den Urlaub angerechnet werden, selbst wenn sie nicht mit Arbeitsunfähigkeit verbunden sind.537 Auch nach Inkrafttreten des Lohnfortzahlungsgesetzes sah das Bundesarbeitsgericht mithin keine Veranlassung, seine ursprüngliche Rechtsprechung zu den §§ 616 Abs. 2 BGB, 63 HGB, 133c GewO in bezug auf Schonungszeiten zu ändern.538 In den letzten Jahren tendiert das Bundesarbeitsgericht ansatzweise zu einer analogen Anwendung des § 7 Abs. 4 Satz 1 LFZG,539 ohne jedoch eine ausdrückliche Analogie zu bejahen. In der Literatur ist mehrfach betont worden, daß ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten hinsichtlich der Schonungszeiten nicht bestehe.540 Vielmehr wird darauf verwiesen, daß die Schonungszeit eines Arbeiters ebenso wie die eines Angestellten ablaufe. Wenn man wegen der freien Gestaltungsmöglichkeit der Schonungszeit diese eher mit einem Erholungsurlaub vergleicht und deshalb für den Entgeltfortzahlungsanspruch im Rahmen einer Schonungszeit Arbeitsunfähigkeit verlangt, so muß dies sowohl für Arbeiter als auch für Angestellte gefordert werden.541 Aus diesen Gründen sieht Becker die Differenzierung zwischen Arbeitern und Angestellten im Rahmen der Schonungszeit als objektiv willkürlich an.542 Der Gesetzgeber habe trotz Kenntnis von der Angestelltenrechtsprechung mit § 7 Abs. 4 Satz 1 LFZG eine hiervon abweichende Regelung getroffen. Sachliche Gründe, 537 BAG, AP Nr. 10 zu § 10 BUrlG Schonzeit; dazu Thomas, in: Hromadka, Gleichstellung, S. 53. 538 BAG, AP Nr. 10 zu § 10 BUrlG Schonzeit. 539 Göge, BB 1986, S. 1772,1775. 540 Becker, DB 1987, S. 1090, 1092; zum Großteil hat die h.M. in der Literatur die Vereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht geprüft. 541 So auch Becker, DB 1987, S. 1090,1092. 542 Becker, DB 1987, S. 1090,1092.

336 die die Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten rechtfertigen können, bestehen in bezug auf die Schonungszeiten seiner Auffassung nach nicht. § 7 Abs. 4 Satz 1 LFZG sei mithin als verfassungswidrig zu bewerten. Nur wenn § 7 Abs. 4 Satz 1 LFZG oder §§ 616 Abs. 2 BGB, 63 HGB, 133c GewO durch verfassungskonforme Auslegung so ausgelegt werden könnten, daß zwischen der Rechtslage bei Arbeitern und bei Angestellten im Bereich der Schonungszeiten kein Unterschied mehr verbleibt, ist § 7 Abs. 4 Satz 1 LFZG zwar änderungsbedürftig, aber nicht verfassungswidrig. § 7 Abs. 4 Satz 1 LFZG müßte, wenn man Arbeitern einen Entgeltfortzahlungsanspruch ohne gleichzeitiges Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit zusprechen wollte, entgegen seinem ausdrücklichen Wortlaut ausgelegt werden. Ein gesetzgeberisches Versehen, das darin liegen könnte, daß in § 7 Abs. 4 Satz 1 LFZG die Arbeitsunfähigkeit als Anspruchsvoraussetzung aufgenommen worden ist, kann jedoch nicht angenommen weiden. Der Gesetzgeber des Lohnfortzahlungsgesetzes hat in § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG die Arbeitsunfähigkeit gefordert, in § 7 Abs. 1 LFZG jedoch ausdrücklich nicht verlangt. Dadurch, daß er in § 7 Abs. 4 Satz 1 LFZG wiederholt Bezug auf die Arbeitsunfähigkeit nimmt, ist davon auszugehen, daß er sich mit der zugrundeliegenden Rechtsfrage auseinandergesetzt hat. Eine Einschränkung des § 7 Abs. 4 Satz 1 LFZG in einer Weise, die einem Verzicht auf das Merkmal der Arbeitsunfähigkeit gleichkäme, würde nicht nur dem Wortlaut, sondern auch dem gesetzgeberischen Willen widersprechen. Dennoch hat sich ein Streit darüber entwickelt, ob nicht das Merkmal Arbeitsunfähigkeit im Hinblick auf Arbeiter zumindest sehr weit ausgelegt werden kann mit der Folge, daß de facto nahezu kein Unterschied mehr zwischen den Voraussetzungen eines Entgeltfortzahlungsanspruchs für Arbeiter und Angestellte besteht. So ist vorgeschlagen worden, eine Arbeitsunfähigkeit i.S. von § 7 Abs. 4 Satz 1 LFZG schon dann anzunehmen, wenn der Kurzweck ohne die Schonungszeit gefährdet werde543 und nicht erst, wenn eine Gefährdung des Gesundheitszustandes des Arbeiters zu befürchten stehe544. Bei dieser Auslegung der Arbeitsunfähigkeit würde aber nicht nur die Arbeitsunfähigkeit des § 7 Abs. 4 Satz 1 LFZG anders als diejenige des § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG definiert, sondern das Tatbestandsmerkmal der Arbeitsunfähigkeit würde leerlaufen. Eine 543 So Becker, 1987, S. 1090, 1092; Göge, BB 1986, S. 1772, 1775; Kaiser/Dunkl, Entgeltfortzahlung, S. 185. 544 Becker, DB 1987, S. 1090,1092.

337 Schonungszeit hat immer zur Voraussetzung, daß der Kurerfolg ohne die Schonungszeit gefährdet wird.545 Einer Auslegung des Merkmals Arbeitsunfähigkeit in § 7 Abs. 4 Satz 1 LFZG in dem Sinne, daß hierunter nur eine Gefahrdung des Kurzwecks zu verstehen ist, läuft dem Wortlaut und dem Gesetzeszweck des § 7 Abs. 4 Satz 1 LFZG zuwider. § 7 Abs. 4 Satz 1 LFZG läßt sich folglich nicht so auslegen, daß die Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten beseitigt wird. Umgekehrt könnte man daran denken, die Angestelltenregelungen, wie nach Beckers Vorschlag, durch richterrechtliche Rechtsfortbildung dem § 7 Abs. 4 Satz 1 LFZG anzupassen.546 Becker meint, daß das Lohnfortzahlungsgesetz einer solchen Auslegung nicht entgegenstünde.547 Ein Gesetz für bestimmte Arbeitnehmer billige nicht die bestehende Rechtslage für Arbeitnehmer, die nicht unter das Sondergesetz fallen.548 Dem ist zuzustimmen. Für eine Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten würde ein Rechtsprechungswandel ausreichen. Das Bundesarbeitsgericht lehnt die genannte Rechtsfortbildung jedoch ab.549 Im Zuge einer Neuregelung müßte deshalb auch diese Frage aufgegriffen werden. dd)

Bisherige Vorschläge für eine Neuregelung

aaa) Darstellung Trieschmann550 verlangt für die Lohnfortzahlung des Arbeitgebers während einer ärztlich bewilligten Schonungszeit des Arbeitnehmers keine Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers mehr. Die Schonungszeit soll nach Trieschmanns Auffassung den Erfolg der Kur sichern. Dafür sei es dann aber ohne Belang, ob der Arbeitnehmer in dieser Zeit arbeitsunfähig ist oder nicht. § 65 Abs. 1,4 DGB-Entwurf v lautet: §65 (1) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, den Arbeitnehmer für die Dauer einer ärztlich verordneten Vorbeugungs-, Heil- oder Genesungskur und einer daran anschließenden ärztlich verordneten Schonungszeit von der

545 546 547 548 549 550 551

BSGE 46, S. 108,109,110; Becker, DB 1987, S. 1090,1092. Becker, DB 1987, S. 1090,1092. Becker, DB 1987, S. 1090,1092. Becker, DB 1987, S. 1090,1092. BAG, AP Nr. 10 zu § 10 BUrlG Schonzeit. Trieschmann, Festschrift für Herschel, S. 421,449,450. RdA 1977, S. 166.

338 Arbeit freizustellen und ihm bis zur Dauer von sechs Wochen das Arbeitsentgelt zu entrichten. Dies gilt jedoch nur, wenn a)

b)

ein Träger der Sozialversicherung, eine Verwaltungsbehörde der Kriegsopferversorgung oder ein sonstiger Sozialleistungsträger die Kur bewilligt hat und ihre Kosten voll übernimmt, wobei eine verhältnismäßig geringfügige Selbstbeteiligung des Arbeitnehmers unberücksichtigt bleibt, oder bei Arbeitnehmern, die weder Mitglied eines Trägers der gesetzlichen Krankenversicherung, noch eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung sind, wenn die Erwerbsfähigkeit des Arbeitnehmers infolge der Krankheit oder anderer Gebrechen oder Schwächen seiner körperlichen oder geistigen Kräfte gefährdet ist und sie durch die ärztlich verordnete Kur voraussichtlich erhalten, wesentlich verbessert oder wieder hergestellt werden kann, und der Arbeitnehmer dies durch ärzdiche Bescheinigung nachweist

§ 62 Abs. 4 gilt entsprechend. (4) Eine Kur nach Absatz 1 und die daran anschließende ärzdich verordnete Schonungszeit stehen im Sinne des § 60 Abs. 2 einer Arbeitsunfähigkeit gleich. Im übrigen finden die §§ 60, 63 und 64 entsprechende Anwendung. § 60 Abs. 1 , 4 KE lautet: § 60 KE (1) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, den Arbeitnehmer für die Dauer einer ärztlich verordneten Vorbeugungs-, Heil- oder Genesungskur und einer daran anschließenden ärztlich verordneten Schonungszeit von der Arbeit freizustellen und ihm bis zur Dauer von sechs Wochen das Arbeitsentgelt zu entrichten. Dies gilt jedoch nur, wenn die Erwerbsfähigkeit des Arbeitnehmers infolge von Krankheit oder anderer Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte gefährdet oder gemindert ist und sie durch die ärztlich verordnete Kur voraussichtlich erhalten, wesentlich gebessert oder wieder hergestellt werden kann. Die Voraussetzungen des Satzes 2 gelten als erfüllt, wenn ein Träger der Sozialversicherung, eine Verwaltungsbehörde der Kriegsopferversorgung oder ein sonstiger Sozialleistungsträger die Kur bewilligt hat und ihre notwendigen Kosten übernimmt. (4) Eine Kur nach Absatz 1 und die daran anschließende ärzdich verordnete Schonungszeit stehen im Sinne des § 55 Abs. 2 einer Arbeitsunfähigkeit gleich. Im übrigen finden die §§ 55, 56, 58 und 59 entsprechende Anwendung.

bbb) Stellungnahme Die bisherigen Vorschläge für eine Neuregelung der Schonungszeiten von Trieschmann, dem DGB und der Arbeitsgesetzbuchkommission

339 stimmen vollständig überein. Sie verlangen für einen Lohnfortzahlungsanspruch gegen den Arbeitgeber keine Arbeitsunfähigkeit mehr und stellen die ärztlich im Anschluß an eine Kur verordnete Schonungszeit der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit ebenso gleich wie die Kur. Trieschmann begründet dies damit, daß die Schonungszeit den Erfolg der Kur sichern soll und es hierfür gleichgültig sei, ob während der Schonungszeit Arbeitsunfähigkeit besteht oder nicht. Abgesehen davon, daß man sich darüber streiten kann, ob bei einer Schonungszeit das Arbeitsentgelt fortgezahlt werden sollte und ob für einen solchen Anspruch Arbeitsunfähigkeit als Anspruchsvoraussetzung vorliegen sollte, oder wann eine Arbeitsunfähigkeit besteht, ist es nicht sinnvoll, wie im Kommissionsentwurf und im DGB-Vorschlag, die Schonungszeit im gleichen Absatz wie die Kur zu regeln und dann ausschließlich auf die Kurvoraussetzungen einzugehen. Für die Schonungszeit sollte eine eigene Norm geschaffen werden. ee) Eigener Vorschlag Bevor man sich mit den Einzelheiten einer Neuregelung befaßt, ist zunächst zu klären, ob der Arbeitgeber überhaupt zur Lohnfortzahlung während der Dauer einer Schonungszeit verpflichtet werden sollte. Die Argumente, die gegen eine arbeitsrechtliche Lösung angeführt werden, greifen erst recht hinsichtlich der Schonungszeiten. Dem Arbeitgeber ist es nicht zumutbar, auch nicht unter dem Gesichtspunkt der völligen Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers, zum Zwecke der Erhaltung oder Schaffung der vollen Arbeitskraft des Arbeitnehmers Entgeltfortzahlung für eine Schonungszeit zu leisten. Dies gilt vor allem deshalb, weil der Arbeitnehmer die Schonungszeit wie einen Erholungsurlaub gestalten kann. Es wird daher hier vorgeschlagen, auf die schillernde Institution der Schonungszeit ganz zu verzichten. Die folgenden Überlegungen beruhen darauf, daß gegen den Abbau bestehender Arbeitnehmerrechte, gleichgültig wie berechtigt oder unberechtigt sie sein mögen, harter politischer Widerstand zu erwarten ist. Von daher soll für den Fall einer Beibehaltung der Regelung über die Schonungszeit geprüft werden, ob das Merkmal "Arbeitsunfähigkeit" Anspruchsvoraussetzung sein sollte. Zum Teil wird in der Literatur die Ansicht vertreten, daß für die Schonungszeit die Arbeitsunfähigkeit nicht Voraussetzung sein dürfe, weil die Schonungszeit der Genesungskur vergleichbar sei, bei der die Ar-

340 beitsunfahigkeit keine Anspruchsvoraussetzung darstellt.552 Die Schonungszeit diene der Sicherung des Kurerfolgs und die Genesungskur der Sicherung eines eingetretenen Heilerfolges. Daß der Arbeitnehmer sich bei einer Schonungszeit, anders als bei der Genesungskur, keinem geregelten Kurablauf unterziehen müsse, könne hieran nichts ändern. Der primäre Zweck der Schonungszeit liege schließlich in der Wiederherstellung der völligen Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers und nicht in der Einhaltung von Kurregelungen.553 Eine Therapie, die im Rahmen einer Kur durchgeführt werde, bewähre sich oftmals erst, wenn dem Arbeitnehmer ein Zeitraum verbleibe, in dem er sich auf die Arbeit vorbereiten könne, d.h. eine Schonungszeit.554 Diese wird nicht zuletzt deshalb auch als Nachkur bezeichnet. Folgt man dem, so handelt es sich nur um zwei Seiten derselben Medaille: Genesungskur ist die "Nachkur unter Kurbedingungen", Schonungszeit ist die "Nachkur unter Urlaubsbedingungen". In beiden Fällen ist der Arbeitnehmer regelmäßig nicht arbeitsunfähig; er könnte also nicht krankgeschrieben werden; aber es wäre um des Kurerfolgs willen besser, wenn er trotz Arbeitsfähigkeit nicht arbeiten würde. Diese Auffassung ist jedenfalls konsequent, anders als die Versuche, "arbeitsunfähig" bei der Schonungszeit in einem besonderen Sinne zu verstehen. Damit kommen nur zwei Lösungen in Betracht: Entweder, wie hier vorgeschlagen, die Vorschrift über die Schonungszeit zu beseitigen oder aber in § 7 Abs. 4 LFZG das Merkmal Arbeitsunfähigkeit zu beseitigen.555 Im Falle einer Streichung müßte allerdings die Abweichung gegenüber der bisherigen Rechtsprechung deutlich gemacht werden: Für die Zeiten einer an eine Kur anschließenden ärztlich verordneten Schonungszeit des Arbeitnehmers bestehen keine Ansprüche auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts.

552 Göge, BB 1986, S. 1772, 1775. Zur Definition der Genesungskur vgl. Kaiser/Dunkl, Entgeltfortzahlung, S. 178. 553 Göge, BB 1986, S. 1772,1775. 554 Göge, BB 1986, S. 1772, 1774, 1775. Göge bietet zwei Lösungen an: Das Merkmal Arbeitsunfähigkeit weit auszulegen oder aber auf dieses Merkmal ganz zu verzichten. 555 Für eine Beseitigung des Merkmals Arbeitsunfähigkeit auch Trieschmann, Festschrift für Herschel, S.421, 449; a.A. BDA Allgemeines Arbeitsvertragsrecht, S. 24.

341 e)

Anzeige- und Nachweispflichten bei einer

Schonungszeit

aa) Die Rechtslage für Arbeiter Arbeiter sind gem. § 7 Abs. 4 Satz 2 LFZG in jedem Falle verpflichtet, dem Arbeitgeber unverzüglich die Verordnung der Schonungszeit und ihre Dauer mitzuteilen.556 Die Pflicht zur Anzeige der Arbeitsverhinderung aufgrund einer Schonungszeit besteht damit unabhängig von einem Lohnfortzahlungsanspruch des Arbeiters gegenüber dem Arbeitgeber.557 § 7 Abs. 4 Satz 2 LFZG normiert die analoge Anwendung des § 3 LFZG im Falle einer Schonungszeit. Damit besteht für die Arbeiter die Pflicht, dem Arbeitgeber vor Ablauf des dritten Kalendertages nach Verordnung der Schonungszeit eine ärztliche Bescheinigung über die Verordnung der Schonungszeit und ihre Dauer vorzulegen.558 Die ärztliche Bescheinigung muß einen Vermerk über die Kassenbenachrichtigung von der Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer enthalten.559 Sollte der Arbeiter über die Dauer der Schonungszeit hinaus arbeitsunfähig sein, so richtet sich der Nachweis der Arbeitsunfähigkeit ausschließlich nach § 3 LFZG. Der Arbeitgeber hat bei schuldhafter Verletzung der Nachweispflicht gem. § 5 Nr. 1 LFZG ein vorübergehendes Leistungsverweigerungsrecht bis zu dem Zeitpunkt, bis zu dem der Arbeiter seiner Nachweispflicht nachkommt.560 bb) Die Rechtslage für Angestellte Die entsprechenden Pflichten für Angestellte sind aus der arbeitsrechtlichen Treuepflicht abzuleiten. Angestellte müssen dem Arbeitgeber, ebenso wie Arbeiter, die Verordnung der Schonungszeit und ihre voraussichtliche Dauer unverzüglich mitteilen und durch ärztliche Bescheinigung nachweisen.561 Ein Leistungsverweigerungsrecht hat der Arbeitgeber im Falle der unvollständigen oder fehlenden Erfüllung der Nachweispflicht des Angestellten nicht. Im übrigen ist ergänzend auf die

556 557 558 559

Hunold. Krankheit, S. 198. KaiserlDunkl, Entgeltfortzahlung, S. 186. Schmatz/Fischwasser, Vergütung, C 715. KaiserlDunkl, Entgeltfortzahlung, S. 186, s. ab 1.10.1991 auch die neuen Arbeitsunfähigkeits-Richtlinien, Bundesarbeitsblatt 11/1991, S. 28 ff. 560 So Gemeinsames Rundschreiben zum LFZG (RdSchr. 85a) v. 28.10.1985; zweifelhaft, weil § 7 Abs. 4 LFZG § 5 LFZG nicht für entsprechend anwendbar erklart. 561 Vgl. Hunold, Krankheit, S. 199; Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, § 99 III 4. Die Literatur befaßt sich im übrigen nur selten mit der Frage der Anzeige- und Nachweispflicht von Angestellten im Rahmen einer Schonungszeit.

342 Ausführungen zur Anzeige- und Nachweispflicht im Rahmen des Kurverfahrens hinzuweisen.

cc)

Ungleichbehandlung und Vorschlag für eine Neuregelung

Arbeiter und Angestellte unterscheiden sich562 mithin zum einen aufgrund der unterschiedlichen Herleitung der Anzeige- und Nachweispflichten und zum anderen hinsichtlich des Leistungsverweigerungsrechts des Arbeitgebers: Nur der Arbeitgeber eines Arbeiters hat ein Leistungsverweigerungsrecht analog § 5 LFZG, der Arbeitgeber eines Angestellten dagegen nicht. Für den Fall, daß man entgegen der hier vertretenen Ansicht eine Regelung über die Schonungszeit beibehalten möchte, sollte im Rahmen einer einheitlichen Neuregelung die Anzeige- und Nachweispflicht sowie das bezüglich der Nachweispflicht bestehende Leistungsverweigerungsrecht für alle Arbeitnehmer ausdrücklich geregelt werden. Hierbei ist zu beachten, daß bei Arbeitern und Angestellten, die nicht krankenversichert sind, die ärztliche Bescheinigung über die Verordnung einer Schonungszeit keinen Nachweis über die Mitteilung der Arbeitsverhinderung an die gesetzlichen Krankenversicherungsträger enthalten muß. Im übrigen ist auf die Ausführungen zur Anzeige- und Nachweispflicht und zum Leistungsverweigerungsrecht im Rahmen einer Kur zu verweisen. Zu den bisherigen Neuregelungsvorschlägen vgl.: § 65 Abs. 3,4 DGB-Entwurf (3) Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, dem Arbeitgeber unverzüglich die Verordnung einer Schonungszeit und deren Dauer anzuzeigen sowie eine ärztliche Bescheinigung hierüber vorzulegen. (4) Eine Kur nach Absatz 1 und die daran anschließende ärztliche verordnete Schonungszeit stehen im Sinne des § 60 Abs. 2 einer Arbeitsunfähigkeit gleich. Im übrigen finden die §§ 60, 63 und 64 entsprechende Anwendung. § 60 Abs. 3,4 KE (3) Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, dem Arbeitgeber unverzüglich die Verordnung einer Schonungszeit und deren Dauer anzuzeigen sowie eine ärztliche Bescheinigung hierüber vorzulegen. 562 Hierbei ist zu beachten, daß die Rechtslage der Angestellten recht unklar ist und daß das Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeiter ebenfalls nicht unproblematisch ist.

343 (4) Eine Kur nach Absatz 1 und die daran anschließende ärztlich verordnete Schonungszeit stehen im Sinne des § 55 Abs. 2 einer Arbeitsunfähigkeit gleich. Im übrigen finden die §§ 55, 56, 58 und 59 entsprechende Anwendung. 9. Die Anrechnung konkurrierender Sozialleistungen Während in der bisherigen Untersuchung zum Lohnfortzahlungsrecht die Regelungen für Arbeiter und Angestellte einander gegenübergestellt wurden, geht es im folgenden um eine Andersbehandlung von kaufmännischen Angestellten gegenüber anderen Angestellten. Daneben wird die Gruppe der kaufmännischen Angestellten aber auch anders behandelt als die gesamte Gruppe der Arbeiter. a) Die unterschiedlichen Regelungen Die Frage der Anrechnung konkurrierender Sozialleistungen auf den Entgeltfortzahlungsanspruch ist mithin kein spezifisches Problem der Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten, sondern vielmehr ein solches von kaufmännischen Angestellten im Vergleich zu den übrigen Arbeitnehmern. § 133c Satz 3 GewO sowie § 616 Abs. 1 Satz 2 BGB regeln ausdrücklich die Zulässigkeit einer Anrechnung von Beträgen, die dem Arbeitnehmer für den Zeitraum der Arbeitsverhinderung aus einer kraft gesetzlicher Verpflichtung bestehenden Kranken- oder Unfallversicherung zustehen.563 Für Arbeiter findet sich im Lohnfortzahlungsgesetz keine Bestimmung, die sich mit der Anrechnung von Sozialleistungen befaßt. Dennoch wird unstreitig auch für diese eine Anrechnung von Leistungen der Kranken- und Unfallversicherung mit Blick auf Art. 3 Abs. 1 GG zugelassen.564 § 63 Abs. 2 Satz 1 HGB normiert dagegen, anders als noch die Vorgängerregelung des Art. 60 ADHGB, unmißverständlich ein Anrechnungsverbot im Bereich der kaufmännischen Angestellten. Die Rechtslage für Handlungsgehilfen weicht mithin zu ihren Gunsten von detjenigen der übrigen Arbeitnehmer ab. Praktisch hat das Anrechnungsverbot des § 63 Abs. 2 Satz 1 HGB allerdings kaum Auswirkungen. Bezieht der Angestellte Gehalt, so werden die konkurrierenden Geldleistungen gem. §§ 49 Nr. 1 SGB V, 560 Abs. 1,568 Abs. 5 RVO, 20 RKnG dem Angestellten nicht ausgezahlt.

563 Vgl. Schmitt, ZTR 1991, S. 3,4 (Fußn. 16). 564 Becker, DB 1987, S. 167,170; ders., DB 1987, S. 1090,1093.

344 Die Anrechnung konkurrierender Sozialleistungen565 beschränkt sich deshalb heutzutage auf die Anrechnung des Wertes einer Verpflegung im Krankenhaus sowie der Verköstigung während einer Kur.566 Streitig ist, ob Lohnersatzleistungen, die der Sozialleistungsträger ohne eine gesetzliche Pflicht an den Arbeitnehmer ausgekehrt hat, anrechenbar und damit in bezug auf den Entgeltfortzahlungsanspruch abzugsfähig sind. Während das Bundesarbeitsgericht dies offenbar nicht für möglich hält, verweisen beispielsweise Hanau567 und Becker568 darauf, daß der Arbeitnehmer bei bestehender Gutgläubigkeit über die §§ 45,48, 50 SGB X vor Rückforderungen geschützt sei und bei fehlender Anrechnung folglich in ungerechtfertigter Weise doppelt entschädigt würde. b) Die Verfassungswidrigkeit der Regelung Trotz der bloß geringfügigen Begünstigung der Handlungsgehilfen durch § 63 Abs. 2 Satz 1 HGB im Vergleich zu den übrigen Angestelltengruppen und zu den Arbeitern kann § 63 Abs. 2 Satz 1 HGB gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen, wenn die Ungleichbehandlung der Handlungsgehilfen nicht durch sachliche Gründe zu rechtfertigen ist. Der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts hat, wenn auch in anderem Zusammenhang, betont, daß die unterschiedliche Behandlung einzelner Angestelltengruppen gröblich willkürlich sei.569 Becker beschränkt dies zutreffend nicht nur auf den Fall der Entstehung eines Entgeltanspruchs, sondern erstreckt dies auf die nach der geltenden Rechtslage vom Arbeitnehmerstatus abhängigen Einwendungen gegen diesen Anspruch.570 Wie bereits festgestellt, kann selbst eine neutrale Ungleichbehandlung und damit erst recht eine geringfügige Schlechterbehandlung einen Verfassungsverstoß begründen. Die Tatsache, daß Handlungsgehilfen gegenüber anderen Arbeitnehmern begünstigt werden, steht einem Verfassungsverstoß nicht entgegen, sondern hat, wie ausgeführt, nur Auswirkungen auf die Weite des gesetzgeberischen Ermessensspielraums.

565 Vgl. Becker, DB 1987, S. 167,169. 566 RAG ARS 18, S. 174; Becker, DB 1987, S. 167, 169; Landmann/Róhmer/Neumann, § 133c GewO, Rdnr. 32; Nikisch, Arbeitsrecht Bd. I, S. 623; Staudinger-Afo/wen, § 616 BGB, Rdnr. 43. 567 Eiman-Hanau, § 616 BGB, Rdnr. 80. 568 Becker, DB 1987, S. 167,169 (Fußn. 29). 569 BAG GS, DB 1960, S. 357,359,360. 570 Becker, DB 1987, S. 167,169.

345 Für die Ungleichbehandlung der Handlungsgehilfen läßt sich kein sachlicher Grund finden,571 so daß § 63 Abs. 2 Satz 1 HGB verfassungswidrig ist. Die 18. Reichstagskommission572 hat das Anrechnungsverbot in Abweichung von der Vorgängerregelung des Art. 60 ADHGB in § 63 Abs. 2 Satz 1 HGB trotz schon damals bestehender heftiger Kritik573 eingeführt, weil damals die Auffassung bestand, daß Handlungsgehilfen zur Erhaltung ihres Lebensunterhaltes neben dem Entgelt auf die Sozialleistungen angewiesen seien.574 Zudem wollte man Handlungsgehilfen diese Gelder nicht vorenthalten, weil sie zum größten Teil auf eigenen Beiträgen basierten. Die 18. Reichstagskommission wies im übrigen darauf hin, daß Anrechnungsverbote seit langer Zeit üblich seien, selbst wenn Art. 60 ADHGB kein Anrechnungsverbot enthielt, so daß die Einführung des Anrechnungsverbotes nur als gesetzliche Fixierung des ohnehin Üblichen anzusehen sei. Heutzutage sind Handlungsgehilfen nicht bedürftiger als andere Angestellte oder Arbeiter und zahlen wie diese neben dem Arbeitgeber die Hälfte der Krankenversicherungsbeiträge, wenn sie Mitglied einer gesetzlichen Krankenversicherung sind. Die Unfallversicherungsbeiträge trägt der Arbeitgeber für alle Angestellten und Arbeiter allein. Die Gründe, die die Reichstagskommission zur Einführung eines auf Handlungsgehilfen beschränkten Anrechnungsverbotes bewogen haben, gelten heutzutage nicht mehr.575 Soweit sich das Schrifttum mit dem Anrechnungsverbot des § 63 Abs. 2 Satz 1 HGB befaßt hat, hält es den Abzug des Krankenhausverpflegungswertes mit § 63 HGB für vereinbar,576 soweit es sich um Naturalvergütungen handelt. Daraus folgert Becker, daß das Doppelentschädigungsverbot auch für Barentlohnungen gelten müsse und damit für Lohnersatzleistungen der Sozialleistungsträger, die ohne gesetzliche Pflicht ausgezahlt worden sind; denn eine Differenzierung nach der Vergütungsform sei jedenfalls willkürlich.577

571 Becker, DB 1987, S. 167,169. 572 Vgl. BT-Drucks. IV/735, Session 1895/97, S. 27 ff. 573 Mütter-Erzbach, Handelsrecht, S. 139; Titze, Ehrenbergs Handbuch, 2. Band, II. Abteilung, § 126 (S. 757 ff.). 574 Becker, DB 1987, S. 167,169. 575 Becker, DB 1987, S. 167,169. 576 Schlegelberger/ScÄntaer, § 63 HGB, Rdnr. 8. 577 Becker, DB 1987, S. 167,169.

346 c) Vorschlag für eine Neuregelung Im Rahmen einer Neuregelung ist § 63 Abs. 2 HGB ersatzlos zu streichen. Eine finanzielle Besserstellung eines an der Erbringung der Arbeitsleistung verhinderten Arbeitnehmers im Gegensatz zu einem seine Arbeitspflicht erfüllenden Arbeitnehmer ist weder sozialpolitisch wünschenswert noch aus anderen Gründen gerechtfertigt. 10.

Die Arbeitsverhinderung aufgrund unverschuldeten

Unglücks

a) Die unterschiedlichen Regelungen Die Angestelltenregelungen, die einen Entgeltfortzahlungsanspruch außerhalb der Norm des § 616 Abs. 1 BGB vorsehen, stimmen inhaltlich nicht überein. Gem. §§ 133c GewO und 63 HGB haben gewerbliche Angestellte und Handlungsgehilfen einen Entgeltfortzahlungsanspruch, wenn sie aufgrund unverschuldeten Unglücks an der Erbringung der Arbeitsleistung verhindert sind. Den übrigen Angestellten sowie den Arbeitern kommt ein Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 616 Abs. 2 BGB und dem Lohnfortzahlungsgesetz zu, wenn sie wegen einer Krankheit oder einer der Krankheit gleichgestellten Verhinderung und damit einer Kur, Schonungszeit, Sterilisation oder einem Schwangerschaftsabbruch ihre Arbeitsleistung nicht erbringen können. Der Begriff des Unglücks i.S. von §§ 133c GewO, 63 HGB ist mangels einer gesetzlichen Definition auslegungsbedürftig. Ausgehend von seinem Wortlaut scheint er mehr Verhinderungsfälle zu umfassen als das Lohnfortzahlungsgesetz oder § 616 Abs. 2 BGB. Soweit dies tatsächlich der Fall ist, besteht zwischen gewerblichen und kaufmännischen Angestellten sowie den übrigen Arbeitnehmern eine verfassungsrechtlich zu übeiprüfende Ungleichbehandlung in dem Umfang, in dem die §§63 HGB, 133c GewO mehr Tatbestände erfassen als § 616 Abs. 2 BGB und das Lohnfortzahlungsgesetz. Angestellte nach § 616 Abs. 2 BGB und Arbeiter sind, wenn ein Entgeltfortzahlungsanspruch sich nicht aus § 616 Abs. 2 BGB oder dem Lohnfortzahlungsgesetz ergibt, auf den weniger günstigen Anspruch aus § 616 Abs. 1 BGB angewiesen. Demgegenüber könnten sich gewerbliche Angestellte und Handlungsgehilfen in gleichartigen Verhinderungsfällen auf die günstigeren, weil unabdingbaren (vgl. §§ 63 Abs. 1 Satz 5 HGB, 133c Satz 5 GewO) Vorschriften der §§ 133c GewO, 63 HGB berufen,578 die einen sechswöchigen Entgeltfortzahlungsanspruch vorsehen. Der ab578 Becker, DB 1987, S. 167.

347 dingbare § 616 Abs. 1 B G B 5 7 9 sieht eine Entgeltfortzahlung nur vor, wenn der Arbeitnehmer für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit an der Erbringung seiner Arbeitsleistung verhindert ist. 5 8 0 Was als verhältnismäßig nicht erhebliche Zeitdauer anzusehen ist, bestimmt sich nach der Dauer des Vertragsverhältnisses und erreicht nach den Durchschnittswerten in der Rechtsprechung erst nach sechsjähriger Beschäftigung eine Dauer von 6 Wochen. 581 Dauert die Verhinderung länger als die ermittelte verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit an, so besteht kein Entgeltfortzahlungsanspruch, und zwar auch nicht für den Zeitraum, der unterhalb der Erheblichkeitsgrenze liegt. 582 aa)

Die Ansicht des

Bundesarbeitsgerichts

Das Bundesarbeitsgericht, das zunächst das "Unglück" als ein dem Arbeitnehmer ungünstiges Ereignis definierte, das den Betroffenen wider seinen Willen belastet und nach den Anschauungen des Verkehrs als Nachteil empfunden wird, 583 hat später sein Verständnis vom Unglücksbegriff modifiziert. Es äußerte Bedenken dagegen, daß unter dem Unglück i.S. der §§ 63 HGB, 133c GewO Tatbestände subsumiert werden könnten, bei denen es nicht um die Erkrankung des Arbeitnehmers geht. 584 In allen übrigen Fällen der Arbeitsverhinderung, die nicht auf der Erkrankung des Arbeitnehmers basieren, soll die Entgeltfortzahlung nach 579 Die Abdingbarkeit von § 616 Abs. 1 BGB durch einzel- oder kollektivvertragliche Abreden ergibt sich aus dem Umkehrschluß zu § 619 BGB; vgl. Loddenkemper, Gleichbehandlung, S. 90. 580 Becker, DB 1987, S. 167. 581 Die Rechtsprechung schwankt; vgl. Becker, DB 1987, S. 167 (Fußn. 6). 582 BAG GS, DB 1960, S. 357, 360; BAG, DB 1977, S. 2332; Soergel-ATro/i, § 616 BGB, Rdnr. 31. Die a.A. des BAG, DB 1955, S. 582, 583, hat sich nicht durchsetzen können; vgl. insoweit auch Trieschmann, DB 1955, S. 800. 583 BAG, AP Nr. 22 und 35 zu § 63 HGB; BAG, AP Nr. 47 zu § 616 BGB; BAG, DB 1977, S. 2332; BAG, NJW 1978, S. 2318; LAG Frankfurt, DB 1972, S.268; ebenso Landmann/Rohmer/Neumann, § 133c GewO, Rdnr. 14; GroßKWürdinger, § 63 HGB, Anm. l i l a ; Schlegelberger-Sc/iräter, § 63 HGB, Rdnr. 3; Schmatz/ Fischwasser, Vergütung, L 320. 584 BAG, AP Nr. 49 zu § 616 BGB; BAG, DB 1983, S. 397; KaiserlDunkl, Entgeltfortzahlung, S. 265. Ungleichbehandlungen unter den Angestellten hat der GS des BAG als grob willkürlich bezeichnet; BAG GS, DB 1960, S. 357, 360. Die damalige Literatur hat das Abdingungsverbot der §§ 63 HGB, 133c GewO auf Krankheitsfälle beschränkt; vgl. Löwisch, DB 1979, S. 209, 210; vgl. auch BAG, DB 1979, S. 1946, 1947, 1948; BAG, DB 1979, S. 1993, 1994; krit. aber Herschel, Anm. zu BAG, AP Nr. 49 zu § 616 BGB; ders. hat in der Anm. zu BAG, AP Nr. 35 zu § 63 HGB die verfassungskonforme Auslegung noch bejaht.

348 Auffassung des Bundesarbeitsgerichts für alle Arbeitnehmer einheitlich § 616 Abs. 1 BGB unterliegen.585 Damit geht das Bundesarbeitsgericht wohl in Zukunft dazu über, durch verfassungskonforme Auslegung den Begriff des Unglücks auf die Fälle einzuengen, die dem Lohnfortzahlungsgesetz unterfallen, nämlich Krankheit, Kur, Schonungszeit, Sterilisation und Schwangerschaftsabbruch. Die vom Bundesarbeitsgericht vorgenommene Interpretation des Unglücksbegriffs mit Hilfe der verfassungskonformen Auslegung beseitigt eine verfassungswidrige Begünstigung bestimmter Angestelltengruppen, die zwangsläufige Folge einer anderen Auslegung des Unglücksbegriffs wäre.586 Trotz der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist der Unglücksbegriff aber weiterhin umstritten. bb) Die Ansicht der Literatur Kaiser/Dunkl fassen, ebenso wie das Bundesarbeitsgericht, unter den Begriff des Unglücks die eigene Krankheit des Arbeitnehmers, eine rechtmäßige Sterilisation, einen rechtmäßigen Schwangerschaftsabbruch sowie Kuren und Schonungszeiten.587 In der übrigen Literatur ist diese Auslegung des Unglücksbegriffs nicht allgemein verbreitet. Kraft hält beispielsweise nach wie vor an einem weiten Unglücksbegriff fest.588 Als Unglück i.S. von § 63 HGB bezeichnet er alle für den Handlungsgehilfen ungünstigen Ereignisse (Leid oder Mißgeschick), also nicht nur Krankheiten oder Unfälle. Aus einer sich an diese Definition anschließenden Aufzählung folgt, daß er hierunter auch Erkrankungen naher Angehöriger faßt sowie Todesfälle innerhalb der Familie. Löwisch versucht das Problem der Ungleichbehandlung anders zu lösen. Im Grundsatz möchte er wohl wie die bisher h.M. an einem weiten Unglücksbegriff festhalten, aber die Unabdingbarkeit der §§ 63 HGB, 133c GewO auf die Fälle der Lohnfortzahlung im eigenen Krankheitsfall beschränken.589 Damit würde Löwisch zwar hinsichtlich der Abdingbarkeit eines Entgeltfortzahlungsanspruchs alle Arbeitnehmer gleichstellen,590 585 Vgl. dazu BAG, DB 1983, S. 397; Ammermüller, DB 1974, S. 187, 189; Kaiser/Dunkl, Entgeltfortzahlung, S. 265. 586 Vgl. auch Loddenkemper, Gleichbehandlung, S. 92. 587 Kaiser/Dunkl, Entgeltfortzahlung, S. 265, 266; so auch Becker, DB 1987, S. 167, 169. 588 Soeigel-ATrqft § 616 BGB, Rdnr. 53. 589 Löwisch, DB 1979, S. 209,210 (Fußn. 7 m.w.N). 590 Vgl. zu den Bedenken gegen die von Löwisch vorgeschlagene Lösung auch Loddenkemper, Gleichbehandlung, S. 93 ff.

349 eine Ungleichbehandlung aber nicht völlig ausschließen. § 616 Abs. 1 BGB unterscheidet sich schließlich nicht nur von den §§ 133c GewO, 63 HGB in bezug auf die Abdingbarkeit, sondern auch hinsichtlich der Dauer der Entgeltfortzahlung. b) Die Verfassungswidrigkeit der Regelung Damit §§ 63 HGB, 133c GewO nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstoßen, bedarf es entweder einer verfassungskonformen Auslegung in dem Sinne, daß den §§ 63 HGB, 133 c GewO nur noch Tatbestände unterfallen, die als Verhinderungsfälle i.S. des Lohnfortzahlungsgesetzes anerkannt sind, oder aber eines sachlich rechtfertigenden Grundes. Einen solchen haben sowohl das Bundesarbeitsgericht591 als es um die Frage der Ungleichbehandlung von Angestellten untereinander ging als auch die h.M. in der Literatur ausdrücklich abgelehnt.592 Zwar rechtfertigte sich die Ungleichbehandlung von kaufmännischen und gewerblichen Angestellten früher aus dem besonderen Vertrauensverhältnis dieser Personengruppen zu ihrem Arbeitgeber und aus der besonderen Art ihrer Aufgaben, die sich von der Arbeit der Masse der Beschäftigten durch ihre höhere Qualifikation abhob. Der Geltungsbereich der §§ 133c GewO, 63 HGB hat sich jedoch gewandelt. § 63 HGB gilt nunmehr auch bei untergeordneten Tätigkeiten,593 und § 133c GewO klammert besonders verantwortungsvolle Tätigkeiten aus, wenn diese selbständig ausgeübt werden oder kein Gewerbe sind.594 c) Vorschlag für eine Neuregelung Mithin besteht der ursprünglich rechtfertigende Sachgrund nicht mehr.595 Im Rahmen einer erforderlichen oder zweckmäßigen Neuregelung sollte der Begriff des Unglücks zumindest durch die Begriffe Krankheit, Kur, (Schonungszeit), Sterilisation und Schwangerschaftsabbruch ersetzt werden. Sinnvoller wäre es jedoch, ganz auf die §§ 63 HGB, 133c GewO zu verzichten und die Verhinderungsfälle des Lohnfortzahlungsgesetzes für alle Arbeitnehmer zu übernehmen. Dies gilt vor allem auch deshalb, weil § 616 Abs. 2 BGB nicht ausdrücklich Kuren und Schonungszeiten als Verhinderungsfälle der Krankheit des Arbeitnehmers gleichstellt und 591 592 593 594 595

BAG GS, DB 1960, S. 357,360. So Loddenkemper, Gleichbehandlung, S. 90. Becker, DB 1987, S. 167,168. Becker, DB 1987, S. 167,168. Einen sachlichen Grund abl. Ammermäller, DB 1974, S. 187, 188; Niläsch, Arbeitstecht, Bd. 1, S. 623; Schmatz!Fischwasser, Vergütung, L 320.

350 sich deren Gleichstellung nur aus der Rechtsprechung zu § 616 Abs. 2 BGB ergibt. G.

Die Entgeltfortzahlung bei der Pflege eines erkrankten Kindes oder eines sonstigen Familienangehörigen

I.

Einführung

Bei den unter F. untersuchten Lohnfortzahlungsansprüchen ging es jeweils um Fälle der eigenen Erkrankung des Arbeitnehmers. Im folgenden wird die Rechtslage für den Fall der Erkrankung eines Familienangehörigen untersucht. Während die arbeitsrechtliche Lösung schon für die Eigenerkrankung mangels Zusammenhangs mit dem Arbeitsverhältnis zweifelhaft ist, besteht beim Tatbestand der im folgenden abgekürzt genannten "Kinderkrankenpflege" erst recht kein derartiger Zusammenhang. Allerdings müssen zwei Aspekte unterschieden werden, das Fernbleiben und die Kostenverteilung. In einer Reihe von Fällen kann dem Arbeitnehmer die Arbeitsleistung nicht zumutbar sein. Darauf muß das Arbeitsrecht in der Weise Rücksicht nehmen, daß der Arbeitnehmer kraft Gesetzes für diese Fälle von der Arbeit freizustellen ist. Sieht man das Arbeitsverhältnis als Austauschverhältnis, so ergibt sich die Rechtsfolge aus §§ 611, 275, 323 BGB: Der Arbeitnehmer braucht nicht zu arbeiten, erhält aber auch kein Entgelt. Von dieser Grundregel machen §§616 Abs. 1 BGB auf der einen Seite und §§ 133c GewO und 63 HGB auf der anderen Seite eine Ausnahme. Für bestimmte Fälle der persönlichen Verhinderung hat der Arbeitnehmer nicht nur einen Freistellungsanspruch, sondern er behält auch seinen Entgeltanspruch. Die Kinderkrankenpflege paßt aber nicht recht in diesen Rahmen. Zum einen liegt der Grund eigentlich nicht in der Person des Arbeitnehmers, sondern in der des Verwandten. Ist dieser krank, so betrifft die Pflegebedürftigkeit wie die Krankheit selbst einen sozialversicherungsrechtlichen Tatbestand. Zum anderen weicht der zeitliche Rahmen, der für die Kinderkrankenpflege erforderlich ist, erheblich von dem sonstigen Umfang (etwa Zeitaufwand für Zeugenvernehmung, Umzug, Hochzeit) ab. Das geltende Gesetzesrecht berücksichtigt den Fall der Kinderkrankenpflege im Recht der sozialen Krankenversicherung, während die arbeitsrechtlichen Gesetze diesen Sonderfall überhaupt nicht als Sonderfall herausheben.

351 Im Sozialversicherungsrecht fand sich die Regelung früher in § 185c RVO und findet sich nunmehr, im wesentlichen unverändert, in § 45 SGB V. § 45 SGB V wurde inzwischen durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch v. 20.12.1991596 in Absatz 1 und Absatz 2 geändert. Im neuen Absatz 1 wurden die Worte "achte Lebensjahr" durch die Worte "zwölfte Lebensjahr" ersetzt. Absatz 2 hieß früher: "Anspruch auf Krankengeld nach Absatz 1 besteht in jedem Kalenderjahr für jedes Kind längstens für fünf Arbeitstage." Jetzt lautet die Vorschrift: "Anspruch auf Krankengeld nach Absatz 1 besteht in jedem Kalenderjahr für jedes Kind längstens für 10 Arbeitstage, für alleinerziehende Versicherte längstens für 20 Arbeitstage. Der Anspruch nach Satz 1 besteht für Versicherte für nicht mehr als 25 Arbeitstage, für alleinerziehende Versicherte für nicht mehr als 50 Arbeitstage je Kalenderjahr." Da Rechtsprechung und Literatur zum Arbeitsrecht, zu § 616 Abs. 1 BGB, noch an den alten Text im Sozialversicherungsrecht anknüpfen, wird im folgenden zunächst die alte Fassung des § 45 SGB V zugrundegelegt. Auf die Abweichungen durch die Gesetzesänderung wird unten eingegangen. § 45 SGB V weist dasselbe gesetzestechnisch zweifelhafte Niveau auf wie die anderen hier behandelten Brückennormen zwischen Arbeits- und Sozialrecht. Wie üblich, wird eingangs eine Leistungspflicht der Krankenkasse behauptet, sie wird aber in einem späteren Satz wieder zurückgenommen (also nach der gleichen Technik wie in §§ 44, 49 SGB V). Formuliert man den Text in eine ehrliche Aussage um, lautet er: Im Falle der Kinderkrankenpflege gewährt die Krankenkasse dem Versicherten nur dann Krankengeld, wenn er aus diesem Grunde ausnahmsweise keinen Anspruch gegen seinen Arbeitgeber haben sollte, §§ 45 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 SGB V i.V.m. § 49 Nr. 1 SGB V. Hat der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung gegen seinen Arbeitgeber, so hat er - unter besonderen Voraussetzungen einen Anspruch auf unbezahlte Freistellung gegen seinen Arbeitgeber und zugleich einen Anspruch auf Zahlung von Krankengeld gegen seine Krankenkasse, § 45 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 SGB V.

Dieser arbeitsrechtliche Freistellungsanspruch ist sinnigerweise in eine rein sozialversicherungsrechtliche Vorschrift eingestellt worden. Die wichtigere Frage allerdings, wann der Arbeitnehmer nicht nur einen An596 BGBl. 19911, Nr. 67, S. 2325,2326.

352 spruch auf unbezahlte, sondern auf bezahlte Freistellung hat und unter welchen Voraussetzungen, ist weder in diesen sozialversicherungsrechtlichen noch in den einschlägigen arbeitsrechtlichen Vorschriften geregelt. Stattdessen sind heranzuziehen § 133c GewO für technische Angestellte, § 63 HGB für kaufmännische Angestellte und § 616 Abs. 1 BGB für alle Arbeiter und für alle anderen Angestellten.

II.

Die Ungleichbehandlung im geltenden Gesetzesrecht

Gem. § 616 Abs. 1 Satz 1 BGB behält der Arbeitnehmer seinen Lohnansprach, wenn er für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Arbeitsleistung verhindert wird. Das Merkmal "in seiner Person liegender Grund" wird allgemein so verstanden, daß sich der Verhinderungsgrund auf den Arbeitnehmer beziehen muß, daß aber auch die schwere Erkrankung eines Angehörigen darunter fällt, wenn sie den Arbeitnehmer zwingt, der Arbeit fernzubleiben.597 Bis zu seiner Entscheidung vom 20.6.1979598 sah das Bundesarbeitsgericht für technische und kaufmännische Angestellte §§ 133c GewO und 63 HGB als Spezialvorschriften an. Unter einem "unverschuldeten Unglück" i.S. der §§ 133c GewO, 63 HGB verstand es auch die Erkrankung eines nahen Angehörigen, der der Pflege des Arbeitnehmers bedurfte. Nur vereinzelt hatte das Bundesarbeitsgericht in der Regelung in § 616 Abs. 1 Satz 1 BGB und in § 63 HGB eine unzulässige Ungleichbehandlung gesehen.599 Trotz dieser Parallelschaltung im Grundsätzlichen gab es zwischen der BGB-Regelung und den Spezialvorschriften einige Unterschiede, die den zwingenden Charakter, das Alter des Kindes und die Dauer des Lohnfortzahlungsanspruchs betrafen. 1. Zwingendes Recht Im Falle der Erkrankung eines nahen Angehörigen stand danach dem technischen und dem kaufmännischen Angestellten ein unabdingbarer Ansprach auf 6 Wochen Entgeltfortzahlung zu, § 63 Abs. 1 Satz 5 HGB, § 133c Abs. 1 Satz 5 GewO. Andere Arbeitnehmer waren auf den abdingbaren Anspruch aus § 616 Abs. 1 Satz 1 BGB verwiesen. Wenn also der Entgeltanspruch abbedungen wurde, stand dem Angestellten das 597 BAG, AP Nr. 48 zu § 616 BGB; Brill, ZfS 1980, S. 221,222. 598 BAG, NJW 1980, S. 903,904 = BAG, AP Nr. 49 zu § 616 BGB. 599 Vgl. u.a. BAG, AP Nr. 21 zu § 63 HGB.

353 Pflege-Krankengeld der Krankenkasse nach § 185c RVO (heute: § 4 5 Abs. 1 SGB V) zu. Gem. § 185c RVO bekamen Arbeitnehmer, deren Entgeltfortzahlungsanspruch gem. § 616 Abs. 1 Satz 1 B G B ausgeschlossen war, zum einen nur bei Erkrankung eines Kindes, das das 8. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, Pflege-Krankengeld, zum anderen bedeutete die Leistung von Pflege-Krankengeld durch die Krankenkasse im Gegensatz zu einer Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber den (entsprechenden) Ausfall der Beitragsleistung zur Rentenversicherung.

2.

Lebensalter des Kindes

Darüber hinaus stand aufgrund der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts einem Arbeitnehmer, der im Fall der Erkrankung eines nahen Angehörigen seinen Entgeltfortzahlungsanspruch lediglich auf § 616 Abs. 1 Satz 1 B G B stützen konnte, in Anlehnung an die Regelung des § 185c RVO stets nur bis zur Vollendung des 8. Lebensjahres eines pflegebedürftigen Kindes ein Entgeltfortzahlungsanspruch zu, 600 während für die beiden anderen Anspruchsgrundlagen keine derartige Einschränkung bestand.

3.

Dauer des Anspruchs

Schließlich besteht zwischen den Regelungen des § 616 Abs. 1 Satz 1 B G B auf der einen Seite und den §§ 133c GewO, 63 HGB auf der anderen Seite insoweit ein Unterschied, als nach § 616 Abs. 1 Satz 1 B G B ein Entgeltfortzahlungsanspruch nur dann gegeben ist, wenn der Arbeitnehmer insgesamt nur "für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit" an der Leistung der Dienste verhindert ist, während in §§ 133c GewO, 63 HGB eine solche Anspruchsvoraussetzung nicht vorgesehen ist. Die dort genannte zeitliche Begrenzung auf 6 Wochen bezieht sich nur auf die Entgeltfortzahlung bei Erkrankung des Arbeitnehmers. Der Gesetzgeber hätte angesichts der oben dargestellten Neuregelung des § 45 SGB V die Gelegenheit gehabt, mit der sozialversicherungsrechtlichen Regelung eine arbeitsrechtliche Regelung zu verbinden. Er hat jedoch wiederum nur eine rein sozialversicherungsrechtliche Änderung vorgenommen. Damit hat er die bestehende Rechtsunsicherheit nur vergrößert. Bisher hat man nämlich zur Auslegung des § 616 Abs. 1 B G B auf § 45 SGB V a.F. bezug genommen; d.h.: Lohnfortzahlung für Kinder bis zu acht Jahren für maximal 5 Tage im Jahr. Beläßt man es dabei, dann bedeutet das: 600 BAG, AP Nr. 48 zu §616 BGB.

354 Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber gibt es nur für Kinder bis zu acht Jahren, Krankengeld gibt es für Kinder bis zu zwölf Jahren.

Anders gesagt: Für ein zwölfjähriges Kind gibt es keine Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber, sondern vom ersten Tag an Krankengeld. Würde man demgegenüber die Auslegung des § 616 Abs. 1 BGB an § 45 SGB V n.F. ausrichten und den Lohnfortzahlungsanspruch auf zwölfjährige Kinder ausdehnen, so hieße das, daß eine arbeitsrechtliche Pflicht des Arbeitgebers mittelbar aufgrund einer Änderung des Sozialversicherungsrechts, ohne jede gesetzliche Grundlage, erheblich ausgeweitet würde; das kann nicht rechtens sein. Es muß daher - trotz der genannten Unstimmigkeit - bei der bisherigen Auslegung des § 616 Abs. 1 BGB verbleiben. Der Gesetzgeber muß endlich seiner Aufgabe nachkommen, eine abgestimmte einheitliche Regelung für das Arbeitsrecht und das Sozialversicherungsrecht zu schaffen. III.

Die Gleichbehandlung aufgrund der neueren Rechtsprechung

Mit seiner Entscheidung vom 20.6.1979 gab das Bundesarbeitsgericht seine bisherige Rechtsprechung auf.601 Entgegen der früheren weitergehenden Auslegung der §§ 133c GewO, 63 HGB kann nunmehr nicht länger daran festgehalten werden, daß bei der Pflege eines erkrankten Kindes die für einen Entgeltfortzahlungsanspruch des betreuenden technischen oder kaufmännischen Angestellten erforderliche Voraussetzung eines "unverschuldeten Unglücks" gegeben sei. Das Bundesarbeitsgericht griff damit eine bereits zuvor von Herschel vertretene Auffassung auf602, wonach zwar die Erkrankung eines Kindes für sich ein Unglück sei, dieses Unglück jedoch den Angestellten nicht unmittelbar an der Erbringung seiner Arbeitsleistung hindere, sondern erst die übernommene Pflege für das erkrankte Kind, die wiederum lediglich die Erfüllung einer rechtlichen und sittlichen Pflicht der Eltern sei. Hiernach ist die Entgeltfortzahlung zugunsten von technischen und kaufmännischen Angestellten im Fall der Arbeitsverhinderung infolge der Pflege eines Kindes oder eines sonstigen nahen Familienangehörigen aus dem Regelungsbereich der Spezialnormen §§ 133c GewO, 63 HGB herausgenommen. Das Bundesarbeitsgericht begründet die nunmehr vertretene engere Auslegung des Begriffs "unverschuldetes Unglück" im Hinblick auf den

601 BAG, NJW 1980, S. 903,904 = BAG, AP Nr. 49 zu § 616 BGB. 602 Herschel, Anm. zu BAG, AP Nr. 35 zu § 63 HGB.

355 Gleichheitssatz gem. Art. 3 Abs. 1 GG.603 Die Beschneidung der §§ 133c GewO, 63 HGB um das Merkmal der Arbeitsverhinderung eines Angestellten infolge der Notwendigkeit, einen nahen Angehörigen pflegen zu müssen, vermeide einerseits im Fall der Entgeltfortzahlung aus dem gleichen Anlaß eine Ungleichbehandlung der verschiedenen Arbeitnehmergruppen.604 Andererseits habe sich die Entgeltfortzahlung im Fall der Pflege erkrankter Kinder zu einem Massentatbestand entwickelt und erfordere daher eine klar abgrenzbare Verteilung der Lasten zwischen Arbeitgeber, Krankenkasse und Arbeitnehmer. Eine solche klar abgrenzbare Verteilung habe bisher lediglich im Hinblick auf die Leistungspflicht der Krankenkasse aufgrund des § 185c RVO (heute: § 45 Abs. 1 SGB V) bestanden. Das Bundesarbeitsgericht hat seit seiner Entscheidung vom 20.6.1979 im Bereich der Entgeltfortzahlung bei der Erkrankung eines nahen Angehörigen den Kriterien der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit insoweit Rechnung getragen, als diese Rechtsfrage bis zum Zeitpunkt der obigen Entscheidung sowohl in der Rechtsprechung als auch von der Literatur kontrovers betrachtet wurde und nunmehr unter Berücksichtigung des Normzwecks abschließend geklärt ist. Ein Arbeitnehmer, gleich, ob Arbeiter oder Angestellter, gleich, welcher Angestelltengruppe er angehört, hat nach dieser Rechtsprechung im Fall der Erkrankung eines nahen Angehörigen, insbesondere eines Kindes, gemäß der abdingbaren Regelung des § 616 Abs. 1 Satz 1 BGB einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung, der in Anlehnung an den damaligen § 185c Abs. 2 RVO beziehungsweise den heutigen § 45 Abs. 2 SGB V zum einen auf die Dauer von 5 Tagen begrenzt ist und zum anderen an die Voraussetzung geknüpft ist, daß das Kind das 8. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Soweit eine Entgeltfortzahlung gem. § 616 Abs. 1 Satz 1 BGB ausgeschlossen ist, steht dem verhinderten Arbeitnehmer gegen die Krankenkasse gem. § 45 Abs. 1 SGB V (früher § 185c Abs. 1 RVO) ein Anspruch auf PflegeKrankengeld zu, der sich allein insoweit von dem nach § 616 Abs. 1 Satz 1 BGB möglichen Entgeltfortzahlungsanspruch unterscheidet, als der Arbeitnehmer in diesem Fall keine Beitragsleistung zur Rentenversicherung erhält. 603 Dieser Rechtsprechung des BAG, die sich auf verfassungsrechtliche Erwägungen stützt, stimmen zu: Ammermülier, DB 1974, S. 187, 188, 189; Loddenkemper, Gleichbehandlung, S. 91. Krit. Meisel, Gem. Anm. zu BAG, SAE 1979, S. 87 und BAG, SAE 1979, S. 90, SAE 1979, S. 92,93,94. 604 Diese Ungleichbehandlung war bereits, wie erwähnt, vom BAG in seiner Entscheidung vom 7.6.1978, BAG, AP Nr. 35 zu § 63 HGB herausgestellt worden.

356 Methodisch gesehen, hätte kein Hindernis bestanden, wie bisher auf drei unterschiedliche Anspruchsgrundlagen zurückzugreifen und die Anspruchsvoraussetzungen durch konkretisierende Auslegung ebenfalls einheitlich zu gestalten. Da weder der "in seiner Person liegende Grund" noch das "unverschuldete Unglück" Einzelheiten erkennen lassen, war es methodisch möglich, zur Konkretisierung aller drei arbeitsrechtlichen Anspruchsgrundlagen auf die sozialversicherungsrechtliche Anspruchsbeschreibung bezug zu nehmen im Hinblick auf Kindesalter und Anspruchsdauer. Im Ergebnis hat das Bundesarbeitsgericht aus dem unabdingbaren Anspruch nach § 133c GewO und § 63 HGB abdingbare Ansprüche nach § 616 Abs. 1 BGB gemacht. M.a.W.: Die Gesetzeslage ist weiterhin uneinheitlich, wobei sich der Unterschied auf die Abdingbarkeit reduzieren ließe; die Rechtsprechung hat aber entgegen der gesetzlichen Regelung eine Vereinheitlichung gebracht: Eine für alle Arbeitnehmer abdingbare Regelung. Entweder ist somit die gesetzliche Regelung wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG verfassungswidrig, weil sie ohne sachlichen Grund für einige Arbeitnehmer eine Unabdingbarkeit, für andere eine Abdingbarkeit des Anspruchs normiert; oder aber die Rechtsprechung kann verfassungswidrig sein, weil sie technischen und kaufmännischen Angestellten ohne methodische Legitimation die Unabdingbarkeit ihres Anspruchs genommen hat. In jedem Fall ist eine vereinheitlichende Neuregelung angebracht IV.

Bisherige Neuregelungsvorschläge, DDR-Recht sowie die Rechtslage im öffentlichen Dienst

1.

Der Vorschlag der Arbeitsgesetzbuchkommission

Der Entwurf der Arbeitsgesetzbuchkommission regelte die Eigenerkrankung des Arbeitnehmers in den §§55 ff. KE. Anstelle des § 616 Abs. 1 BGB war § 54 KE (mit der euphemistischen Überschrift "Freistellung"; gemeint war: "bezahlte Freistellung") vorgesehen. In der Ausschußfassung hieß es in § 54 Abs. 5: "Der Arbeitgeber ist verpflichtet, den Arbeitnehmer auf sein Verlangen für die notwendige häusliche Pflege seines in seinem Haushalt lebenden erkrankten Kindes oder Ehegatten bis zu fünf Tage von seiner Arbeit freizustellen, wenn eine andere in seinem Haushalt lebende Person die Pflege nicht übernehmen kann. Der Arbeitgeber ist nur dann verpflichtet, dem Arbeitnehmer für die Zeit der Freistellung das Arbeitsentgelt zu

357 entrichten, wenn dies vereinbart ist oder die Voraussetzungen des § 185c Abs. 1 RVO vorliegen." Danach gibt es also zwei Fallgestaltungen, 1. Fallgestaltung Kind bis zum 8. Lebensjahr ärztliches Zeugnis Krankenpflege erforderlich

Rechtsfolge: bezahlte Freistellung bis zu 5 Tagen 2. Fallgestaltung Kind nach Vollendung des 8. Lebensjahres oder Ehegatte ohne ärztliches Zeugnis (?) Krankenpflege erforderlich

Rechtsfolge: unbezahlte Freistellung bis zu 5 Tagen. Die Kommission hat den Vorschlag nicht übernommen. 2. Der Vorschlag des DGB Darstellung60S. Die einschlägigen Regelungen im DGB-Entwurf lauten: §59 Bezahlte Arbeitsbefreiung (1) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, das Arbeitsentgelt für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit auch dann zu entrichten, wenn der Arbeitnehmer durch von ihm nicht zu vertretende Umstände an der Arbeitsleistung verhindert wird. Diese Verpflichtung besteht insbesondere, soweit dem Arbeitnehmer wegen der ihm nur während der Arbeitszeit möglichen Erfüllung anderer Verpflichtungen oder Wahrnehmung berechtigter Interessen die Arbeitsleistung nicht zumutbar ist. Die Verpflichtung entfällt, wenn die Arbeitsverhinderung durch unverständiges oder leichtfertiges Verhalten des Arbeitnehmers herbeigeführt worden und dem Arbeitgeber deswegen die Entrichtung des Arbeitsentgelts nicht zumutbar ist. (2) Der Anspruch nach Abs. 1 kann im voraus nicht vertraglich abbedungen werden. (3) Ist ein Arbeitnehmer zum Zwecke der notwendigen häuslichen Pflege seines in seinem Haushalt lebenden erkrankten Kindes oder Ehegatten an der Arbeitsleistung verhindert, so gilt als verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 ein Zeitraum von 5 Arbeitstagen pro pflegebedürftiger Person und Kalenderjahr.

605 RdA 1977, S. 166 ff.

358 Stellungnahme. Der DGB-Entwurf schlägt vor, dem Arbeitnehmer Lohnfortzahlung für 5 Arbeitstage pro Kalendeijahr zu gewähren, wenn er aufgrund der Pflege eines im selben Haushalt lebenden erkrankten Kindes oder Ehegatten an der Erbringung seiner Arbeitsleistung verhindert ist. Der DGB-Vorschlag behandelt Ehegatten und Kinder gleich. Für die Pflege eines erkrankten Ehegatten kann jedoch eher auf andere Personen zurückgegriffen werden - Caritas, Kirche oder Zivildienstleistende übernehmen häufig diese Pflege - als bei der Pflege eines erkrankten Kindes, zu dessen Heilung es regelmäßig wesentlich beiträgt, ob eine Bezugsperson die Pflege übernimmt oder nicht. Im übrigen besteht nach dem DGBVorschlag keine Ausdehnung auf pflegebedürftige im Haushalt des Arbeitnehmers lebende Dritte. DDR-Recht 3. Im Recht der DDR wurde seit langem großer Wert auf die Erwerbstätigkeit von Frauen gelegt. Das führte zu einem hohen Versorgungsgrad bei Kinderkrippen, während in der Bundesrepublik die berufliche Gleichberechtigung der Frau zwar von Bundes- und Landesregierungen proklamiert wird, die entsprechenden Voraussetzungen durch die öffentliche Hand aber nur halbherzig geschaffen wurden. Es gibt zu wenig Kindergartenplätze, die Öffnungszeiten sind nicht auf berufstätige Eltem abgestimmt, und Schulen haben keine Aufenthalts- und Betreuungsmöglichkeiten für Rahmenstunden vor und nach dem Unterricht. Der andere Ansatz der DDR bestand auch darin, weitgehende Freistellungsmöglichkeiten zur Kinderbetreuung einzuräumen. § 186 AGB a.F. normierte einen Kinderbetreuungsurlaub, der nicht die einschränkenden Voraussetzungen des bundesdeutschen Rechts enthielt. In der geänderten Fassung galt der neue § 186 AGB bis zum 30.6.1991.606 § 186 AGB n.F. lautete: §186 (1) Arbeitnehmer sind von der Arbeit freizustellen, wenn es zur ärztlich bescheinigten Pflege ihres erkrankten Kindes erforderlich ist. Das gleiche gilt, wenn die Betreuung des Kindes wegen vorübergehender Quarantäne für die Kinderkrippe oder für den Kindergarten erforderlich und durch andere nicht möglich ist. (2) Für die Dauer der Freistellung wird von der Sozialversicherung eine Unterstützung entsprechend den Rechtsvorschriften gezahlt. 606 Einigungsvertrag, Anl. II Kap. VIII Sachgebiet A Abschn. IV Nr. 1 e, BGBl. II 1990, S. 1207.

359 Da in der DDR der Staat zugleich Arbeitgeber war, lassen sich die beiden Funktionen kaum trennen. Soweit eine Regelung im Recht der DDR übernommen werden könnte, muß immer die Frage gestellt werden, ob sie in unserer Rechtsordnung als arbeitsrechtliche oder als sozialversicherungsrechtliche oder als verwaltungsrechtliche Regelung systemkonform wäre. 4. Die Rechtslage im öffentlichen Dienst Ähnliche Vorbehalte sind angebracht, wenn man auf die Kinderbetreuungsvorschriften für den öffentlichen Dienst in der Bundesrepublik sieht. Im Hinblick auf Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst hat das Bundesarbeitsgericht unter Berufung auf § 50 Abs. 2 BAT die Kindesbetreuung als einen wichtigen Grund für die Urlaubsgewährung angesehen und entsprechend einen Anspruch auf bezahlten Sonderurlaub zur Kindesbetreuung bejaht, soweit dienstliche Belange nicht entgegenstehen.607 Für Beamte und Richter im Bundesdienst gewährt § 12 Abs. 2 Sonderurlaubsverordnung u.a. im Falle der Betreuung eines pflegebedürftigen Kleinkindes einen Anspruch auf Sonderurlaub.608 Nach der genannten Vorschrift kann Sonderurlaub zur Kinderbetreuung für maximal 5 Tage im Jahr gewährt werden. Die Stadtverwaltung Frankfurt will zukünftig darüber hinaus im Rahmen einer bundesweit einmaligen Regelung im Falle der Pflege erkrankter Kinder ihren Bediensteten einen Anspruch von bis zu 11 Tagen bezahlten Urlaub im Jahr zubilligen.609 Die Sonderurlaubsregelung für Arbeits- und Dienstverhältnisse mit öffentlich-rechtlichen Arbeitgebern oder Dienstherrn spricht damit zwar im Fall der Arbeitsverhinderung infolge Pflegebedürftigkeit eines erkrankten Kindes (oder sonstigen nahen Angehörigen) für die Annahme einer Kostenverteilung zu Lasten der Arbeitgeberseite. In diesem Zusammenhang darf jedoch nicht außer acht gelassen werden, daß soweit Arbeitgeber oder Dienstherr die öffentliche Hand ist, einerseits damit mittelbar die Solidargemeinschaft bereits die Kostenlast zu tragen hat. Andererseits kann ein öffentlich-rechtlicher Dienstherr aus diesem Grunde eine Kostenbelastung finanziell eher auffangen als ein privater Arbeitgeber.

607 BAG, DB 1989, S. 230. 608 Weber/Banse, Das Urlaubsrecht des öffentlichen Dienstes, § 12 SonderurlaubsVO, Rdnr.4. 609 Kölner Stadt-Anzeiger vom 7.5.1991, S. 7.

360 V.

Eigener Vorschlag

Bei einer abschließenden und umfassenden gesetzlichen Regelung des Problems der Verhinderung des Arbeitnehmers infolge Pflegebedürftigkeit eines nahen Angehörigen, insbesondere eines Kindes, sind folgende Fragen zu bedenken: die Kostenverteilung, der zwingende Charakter der Regelung, die Abgrenzung des pflegebedürftigen Personenkreises, das Lebensalter des pflegebedürftigen Kindes und die Dauer des Anspruchs. 1. Die Kostenverteilung Eine Arbeitsverhinderung infolge Pflegebedürftigkeit eines Angehörigen kommt vor allem in Betracht, wenn der die Betreuung übernehmende Arbeitnehmer aus einer Doppelverdienerehe stammt oder aber Alleinerziehender ist. Hier stellt sich mehr noch als bei der Eigenerkrankung des Arbeitnehmers die Frage, ob sich darin ein persönliches Risiko eines Arbeitnehmers verwirklicht, das im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis steht und das deshalb vom Arbeitgeber getragen werden muß, oder um einen vom Arbeitsverhältnis unabhängigen (Sozial)Versicherungstatbestand. Rechtsprechung und Literatur verschleiern das Problem dadurch, daß sie die Kinderkrankenpflege als einen der zahlreichen Anwendungsfälle des § 616 Abs. 1 BGB darstellen. Ein erheblicher Unterschied beispielsweise zur bezahlten Freistellung wegen Beerdigung eines nahen Angehörigen liegt jedoch in der Zahl der in Betracht kommenden Arbeitstage und damit im Umfang der Kosten des Arbeitgebers. Während die sonstigen Verhinderungsfälle nach § 616 Abs. 1 BGB für einen Arbeitnehmer und bezogen auf die gesamte Dauer eines Arbeitsverhältnisses auf eine verschwindend geringe Anzahl von Arbeitstagen begrenzt sind, muß von einer Arbeitsverhinderung infolge der Pflege eines erkrankten Kindes jährlich in großem Umfang ausgegangen werden. Hinzu kommt, daß bei mehreren Kindern der Freistellungsanspruch mehrfach besteht. Bei zwei Kindern beträgt die zusätzliche bezahlte Freistellung ca. 30% des üblichen tariflichen Erholungsurlaubs! Des weiteren kommt bei diesem wie bei anderen arbeitsrechtlichen Ansprüchen, die das Äquivalenzverhältnis gefährden, der Eintritt von Konträrfolgen hinzu.610 Ein umfangreicher Entgeltfortzahlungsanspruch wird sich vielfach als Hindernis für solche Arbeitnehmer auswirken, die regelmäßig mit der Pflege erkrankter Kinder betraut sind, also insbesondere die Einstellungschancen von Frauen mit kleinen Kindern mindern. 610 S. allgemein Wank, Das Recht auf Arbeit, S. 82 ff.

361 Sachgerecht ist im Falle der Kinderkrankenpflege nach alledem die sozialversicherungsrechtliche Lösung. Soweit dadurch, wie bei der geltenden Rechtslage, Verluste bei der Rentenversicherung entstehen, ist dieses Ergebnis entweder sachgerecht oder die Lösung muß in einer Änderung des Sozialversicherungsrechts bestehen. Auf der anderen Seite ist zu bedenken, daß die arbeitsrechtliche Lösung in Deutschland seit langem besteht und daß in der Politik die Änderung derartiger den Arbeitnehmer begünstigender Regelungen schwer durchsetzbar ist. Auch legt das Bundesverfassungsgericht Art. 12 GG sowie die finanzverfassungsrechtlichen Vorschriften des Grundgesetzes in einer Weise aus, die Belastungen des Arbeitgebers mit Ansprüchen zuläßt, die mit dem Arbeitsverhältnis nichts zu tun haben.611 Wenn unter diesen Umständen eine arbeitsrechtliche Lösung unvermeidlich ist, müßten deren Voraussetzungen geklärt und sie muß mit der sozialversicherungsrechtlichen Lösung abgestimmt werden. 2. Zwingendes Recht Die Sonderregelungen in § 133c GewO und in § 63 HGB müssen zugunsten einer einheitlichen Regelung abgeschafft werden. Dieser könnte man die Abdingbarkeit gem. § 616 Abs. 1 BGB oder die Unabdingbarkeit gem. den beiden anderen Vorschriften zugrundelegen. Geht man davon aus, daß um der zu betreuenden Person willen ein Kernanspruch unverzichtbar sein sollte, müßte die Regelung einheitlich zwingend ausgestaltet sein. Auch geht es nicht an, diesen besonderen Fall in einer allgemeinen Regelung wie § 616 Abs. 1 BGB zu verstecken, sondern der Sonderfall muß auch gesondert ausgewiesen werden. 3. Pflegebedürftiger Personenkreis Während die arbeitsrechtlichen Ansprüche auch die Pflege anderer Angehöriger als der Kinder umfassen, bezog sich § 185c RVO und bezieht sich § 45 SGB V allein auf die Kinderkrankenpflege. Eine abgestimmte arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Lösung müßte zunächst Kinder und Ehegatten in gleicher Weise erfassen. Im Zuge der Überlegungen zur Pflegeversicherung müßte darüber hinaus dafür gesorgt werden, daß auch andere Familienangehörige soweit wie möglich von der Familie gepflegt und nicht auf soziale Einrichtungen abgeschoben werden. Auch insoweit könnte daher an einen Freistellungsanspruch für schwer pflegebedürftige Verwandte, die im Haushalt betreut werden, gedacht werden. Da in diesen Fällen jeglicher Zu611 S. BVerfG, AP Nr. 84 a zu § 1 LFZG m. Anm. Wank.

362 sammenhang mit dem Arbeitsverhältnis fehlt, kann es von vornherein nur um eine unbezahlte Freistellung gehen. Eine bezahlte Freistellung würde demgegenüber, ebenso wie der geplante Arbeitgeberbeitrag zur Pflegeversicherung, eine verfassungswidrige Sonderabgabe bedeuten. Die weiteren Voraussetzungen des § 45 SGB V, das ärztliche Zeugnis und die Unmöglichkeit, anderen Personen die Pflege anzuvertrauen, sollten übernommen werden. 4. Lebensalter des Kindes Die auf Kinder bis zu 8 Jahren beschränkte Regelung des geltenden Rechts aus § 45 Abs. 1 SGB V a.F., durch das Bundesarbeitsgericht auf § 616 BGB übertragen, erscheint unangebracht. Eine Heraufsetzung auf das 10. Lebensjahr ist demgegenüber angemessen. Erst mit der Beendigung der Grundschulzeit und dem damit verbundenen Einschnitt in der Entwicklung des Kindes kann davon ausgegangen werden, daß ein Kind die erforderliche Selbständigkeit hat, um im Krankheitsfall zumindest kurzfristig ohne die Pflege, Aufsicht und seelische Betreuung durch einen Elternteil auszukommen. Die Novelle zum SGB V hat das Lebensalter für den Krankengeldanspruch auf zwölf Jahre heraufgesetzt. Wie dargelegt, bedeutet diese gesetzgeberische Fehlleistung, daß nunmehr arbeitsrechtlich eine Grenze von acht Jahren und sozialversicherungsrechtlich eine Grenze von zwölf Jahren gilt. Richtig wäre es, die Altersgrenze für § 616 Abs. 1 BGB und für § 45 SGB V einheitlich auf zehn Jahre festzusetzen. 5. Dauer des Anspruchs Geht man von dem tatsächlichen Betreuungsbedarf aus, so sind 5 Tage pro Kind pro Jahr knapp bemessen. Bei der arbeitsrechtlichen Lösung ist allerdings bereits dieses Ergebnis für den Arbeitgeber sehr belastend. Unabhängig von der Frage der arbeitsrechtlichen oder sozialversicherungsrechtlichen Lösung ist daran zu denken, einen Grundanspruch mit Entgeltfortzahlung und für weitere Tage einen bloßen Freistellungsanspruch ohne Entgeltfortzahlung zu schaffen.612 6. Zusammenfassung Empfehlenswert ist eine rein sozialversicherungsrechtliche Lösung. In § 45 SGB V müßte der Anspruch auch auf die Pflege des Ehegatten er612 Auch ein solcher Freistellungsanspruch stellt für den Arbeitgeber eine Belastung dar; vgl. insoweit Meisel, Gem. Anm. zu BAG, SAE 1979, S. 87 und BAG, SAE 1979, S. 90, SAE 1979, S. 92,93.

363 streckt werden. Zu denken ist an eine Ausdehnung auf die Pflege von Verwandten, die im selben Haushalt wie der Arbeitnehmer leben. Mit dieser Ausdehnung des Anspruchs muß aber gleichzeitig eine Einschränkung verbunden werden. Die Pflege von Erwachsenen und Kindern ab 10 Jahren unterliegt nämlich anderen Voraussetzungen als die Pflege von unter 10 Jahre alten Kindern. Während Erwachsene und ältere Kinder mehr auf eine Versorgung und weniger auf die seelische Betreuung und Aufsicht angewiesen sind, reicht bei kleineren Kindern eine bloße Versorgung nicht aus. Daher sollten an die Entstehung des Anspruchs bei der Betreuung eines Erwachsenen oder älteren Kindes strengere Anforderungen gestellt werden als bei kleineren Kindern. Nur wenn sich der Erwachsene nicht selbst versorgen kann und eine Versorgung durch Dritte unmöglich ist, sollte der Arbeitnehmer einen Anspruch gem. § 45 SGB V haben. Bei Kindern unter 10 Jahren sollte der Anspruch dagegen selbst bei nicht schwerwiegenden Erkrankungen schon früher bestehen, weil gerade die körperliche und seelische Betreuung und die Beaufsichtigung des erkrankten Kindes durch eine Vertrauensperson erforderlich ist und wesentlich zur Heilung des Kindes beiträgt. Des weiteren sollten zusätzlich 5 unbezahlte Freistellungstage gewährt werden. Im B G B oder in einem neuen Arbeitsgesetzbuch sollte der lOtägige Freistellungsanspruch ohne Entgeltanspruch normiert werden. Wird statt der hier vorgeschlagenen sozialversicherungsrechtlichen eine arbeitsrechtliche Lösung bevorzugt, so müßte sie ebenfalls die genannten Änderungen enthalten, und sie müßte unabdingbar sein. Damit würde die Belastung der Arbeitgeber allerdings sehr gesteigert. Vorzuziehen ist, wenn es beim Arbeitgeber als Anspruchsgegner bleibt, dann jedenfalls einen Erstattungsanspruch des Arbeitgebers gegen die Krankenkasse vorzusehen oder aber zumindest einen Lohnfortzahlungsanspruch nur bei der Pflege eines Kindes unter 10 Jahren für 5 Tage zu normieren und es ansonsten bei dem lOtägigen Anspruch des Arbeitnehmers auf Freistellung zu belassen. In jedem Fall bedarf die Gesamtlösung einer Regelung sowohl im Arbeitsrecht als auch im Sozialversicherungsrecht. § 45 SGB V muß klar und eindeutig auf die arbeitsrechtliche Seite bezug nehmen. Nach der vorliegenden Untersuchung könnte die Vorschrift wie § 11 der hier vorgeschlagenen Neuregelung lauten.

364 H.

Das Ausgleichsverfahren

Im Rahmen einer aus verfassungsrechtlichen Gründen erforderlichen Neuregelung des Entgeltfortzahlungsrechts sollten auch die das Ausgleichsverfahren regelnden §§ 10 ff. LFZG überdacht werden. Zwar enthalten die §§ 10 ff. LFZG keine Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten und sind insoweit verfassungsrechtlich unproblematisch, sie verzichten aber nicht auf eine - bedenkliche - Unterscheidung zwischen den beiden Arbeitnehmergruppen. I.

Die Rechtslage in den alten Bundesländern 613

Mit dem Lohnfortzahlungsgesetz vom 27.7.1969 hat der Gesetzgeber die wesentlichste Ungleichbehandlung zwischen Arbeitern und Angestellten abgeschafft, indem er nunmehr auch für Arbeiter in § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG einen sechswöchigen unabdingbaren Lohnfortzahlungsanspruch normierte. Gleichzeitig mit dieser Angleichung der Rechtsstellung der Arbeiter an die der Angestellten wurde das Ausgleichsverfahren in das Lohnfortzahlungsgesetz mit aufgenommen. Der Gesetzgeber befürchtete nämlich eine finanzielle Überlastung kleinerer Unternehmer mit den neu entstehenden Lohnfortzahlungskosten für Arbeiter im Krankheitsfall. Vor allem kleinere Unternehmen bekommen die Konsequenzen der Erkrankung eines Arbeitnehmers besonders stark zu spüren. Zu den finanziellen Belastungen mit der Lohnfortzahlung für den erkrankten Arbeitnehmer kommen häufig Kosten für eine Aushilfskraft hinzu: Anders als in Großbetrieben ist eine Umverteilung der Aufgaben auf andere Arbeitnehmer während des Zeitraums der Erkrankung eines Arbeitnehmers kaum möglich, so daß zur Erhaltung der vollen Arbeitskapazität Aushilfskräfte eingestellt werden müssen. Obwohl die Erwägungen hinsichtlich der Entgeltfortzahlungskosten für Arbeiter und Angestellte in kleineren Unternehmen gleichermaßen gelten, ist im Lohnfortzahlungsgesetz eine Ausweitung der Erstattung auf die Entgeltfortzahlung von Angestellten nicht vorgesehen. Das Lohnfortzahlungsgesetz sollte die Rechtslage für arbeitsunfähig erkrankte Arbeiter, nicht aber für Angestellte regeln. Im übrigen wurde die Notwendigkeit einer Umlage für Angestellte verneint, weil der Krankenstand von Angestellten unter demjenigen der Arbeiter lag, so daß die Lohnfortzahlung für Arbeiter größere finanzielle Belastungen der Arbeitgeber mit sich bringt als dieje613 Vgl. hierzu insbesondere Figge, S. 225 ff.

DB

1985, S . 2 5 6 0 ff.; Hunold,

Krankheit,

365 nige für Angestellte. Daneben mag es für die fehlende Ausdehnung des Ausgleichsverfahrens entscheidend gewesen sein, daß die Lohnfortzahlung für Angestellte bereits seit längerer Zeit von den Arbeitgebern finanziert wurde. Mit Hilfe des Ausgleichsverfahrens und damit einer gleichmäßigeren Umlage der im Grundsatz unvorhersehbaren und unkalkulierbaren Lohnfortzahlungskosten wollte der Gesetzgeber das Problem der finanziellen Überforderung kleinerer Unternehmen verringern. Zwar sollte das Ausgleichsverfahren von vornherein von den hiervon profitierenden kleineren Unternehmern finanziert werden, man ging aber davon aus, daß die Festsetzung einer bestimmten regelmäßigen Geldzahlung zu einem Absinken des unternehmerischen Risikos führen würde und damit leichter zu verkraften sei. Mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz vom 26.4.1985 ist das Ausgleichsverfahren, das sich zunächst nur auf die Lohnfortzahlung für arbeitsunfähig erkrankte Arbeiter erstreckte, am 1.1.1986 auf Aufwendungen ausgeweitet worden, die im Zusammenhang mit dem Mutterschutz stehen. Darüber hinaus ist das Ausgleichsverfahren auch auf die Krankheitsvergütung für Auszubildende, d.h. für auszubildende Arbeiter und Angestellte, erstreckt worden. Die Ausdehnung auf alle Auszubildenden ist deshalb bemerkenswert, weil bei der Ermittlung der Betriebsgröße zwar Arbeiter und Angestellte zusammengerechnet werden, die erstattungsfähigen Lohnfortzahlungskosten aber nicht die an Angestellte fortgezahlten Arbeitsentgelte erfassen. Einhergehend mit den am 1.1.1986 vorgenommenen Veränderungen des Ausgleichsverfahrens hat der Gesetzgeber das Ausgleichsverfahren auf bislang nicht betroffene Arbeitgeberkreise erstreckt. Durch das Ausgleichsverfahren werden den am Pflichtigen Ausgleichsverfahren (§ 10 LFZG) beteiligten Arbeitgebern 80 % der Kosten erstattet, und zwar für: die im Höchstfall sechs Wochen dauernde Lohnfortzahlung an Arbeiter gem. §§ 1 Abs. 1 , 2 ; 7 Abs. 1 LFZG, die im Höchstfall sechs Wochen dauernde Fortzahlung der Ausbildungsvergütung an Auszubildende nach § 12 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b BBiG, den vom Arbeitgeber nach § 14 Abs. 1 MuSchG gezahlten Zuschuß zum Mutterschaftsgeld, das vom Arbeitgeber nach § 11 MuSchG bei Beschäftigungsverboten gezahlte Arbeitsentgelt und die auf die oben genannten Arbeitsentgelte und Vergütungen entfallenden, von den Arbeitgebern zu tragenden Beiträge zur Bundesanstalt für Arbeit sowie Arbeitgeberanteile an Beiträgen zur gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung,

366 wenn nicht durch Satzung der zuständigen, das Ausgleichsverfahren durchführenden Krankenkassen dieser Prozentsatz gem. § 16 Abs. 2 Nr. 1 LFZG der Höhe nach herabgesetzt wird.614 Den Krankenkassen steht es darüber hinaus ebenfalls frei, durch Satzung die Erstattung auf das Arbeitsentgelt bis zur Beitragsbemessungsgrenze der Rentenversicherung zu begrenzen. Nicht erstattungsfähig sind im Rahmen des Ausgleichsverfahrens aber folgende Aufwendungen des Arbeitgebers 615 : das Entgelt, das an Angestellte im Krankheitsfall fortgezahlt wird, der Lohn, der an Arbeiter, die unter § 1 Abs. 3 Nr. 1 , 2 LFZG fallen, ohne gesetzliche Verpflichtung fortgezahlt wird, das Arbeitsentgelt, das ebenfalls ohne gesetzliche Verpflichtung länger als sechs Wochen lang ausgezahlt wird (auch wenn der Arbeitgeber bei einer Vorerkrankung eine anrechenbare Zeit nicht berücksichtigt hat), einmalig gezahltes Arbeitsentgelt sowie Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld oder Gewinnbeteiligungen, die während der Arbeitsunfähigkeit ausgezahlt werden, Zahlungen, die über die Bezüge hinausgehen, die nach dem Lohnfortzahlungsgesetz zu zahlen wären, selbst wenn eine tarifliche oder vertragliche Regelung den Arbeitgeber zu diesen Zahlungen verpflichtet und die Steuern, die auf den Krankenlohn entfallen und vom Arbeitgeber zu tragen sind.

Das Pflichtige Ausgleichsverfahren nach § 10 LFZG bezieht in die Lohnfortzahlungsversicherung nur solche Arbeitgeber ein, die regelmäßig nicht mehr als 20 Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten beschäftigen. Gem. § 16 Abs. 2 Nr. 4 LFZG können seit dem 1.1.1986 durch satzungsmäßige Bestimmung der Arbeitgeber in den Selbstverwaltungsorganen der Krankenkassen Unternehmen, die bis zu 30 Arbeitnehmer beschäftigen, in die Lohnfortzahlungsversicherung mit einbezogen werden. Hiervon ist teilweise, insbesondere bei den Ortskrankenkassen, Gebrauch gemacht worden. Welche Arbeitgeber an der Lohnausgleichsversicherung teilnehmen, wird vom Träger der Krankenversicherung zu Beginn jedes Kalenderjahres festgestellt. Die Berechnung der regelmäßigen Anzahl der Beschäftigten eines Betriebes wird dabei unabhängig von ihrer Zuordnung zur Gruppe der Arbeiter oder Angestellten vorgenommen. Ausgenommen von den zugrundezulegenden Beschäftigten sind lediglich616: 614 Die Ortskrankenkassen beschränken die Erstattung normalerweise auf 50%. 615 Figge, DB 1985, S. 2560. 616 Figge, DB 1985, S. 2561.

367 Auszubildende, Heimarbeiter, Hausgewerbetreibende, Wehr- und Zivildienstleistende, geringfügig beschäftigte Arbeiter und Angestellte mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von bis zu 10 Stunden oder einer regelmäßigen monatlichen Arbeitszeit von nicht mehr als 45 Stunden und Schwerbehinderte.

Teilzeitbeschäftigte, die über 10 Stunden wöchentlich arbeiten, werden seit dem 1.1.1986 mit einem prozentualen Anteil je nach der Höhe ihrer Beschäftigungszeit in Ansatz gebracht, der wie folgt aussieht: 0,5 bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 11 bis 20 Stunden, 0,75 bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 21 bis 30 Stunden und 1,0 bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von über 30 Stunden.

Der in § 10 Abs. 1,2 LFZG enthaltene Zusatz "in der Regel" deutet auf das Verfahren hinsichtlich der Beschäftigtenzahl hin, das in § 10 Abs. 2 LFZG detailliert beschrieben ist. Für die Frage, ob ein Arbeitgeber in der Regel mehr als 20 oder 30 Arbeitnehmer beschäftigt, ist grundsätzlich das Kalendeijahr zugrundezulegen, das demjenigen vorausgeht, für das die Feststellung zu treffen ist. Hat der Arbeitgeber in diesem letzten Kalenderjahr mindestens 8 Monate lang nicht mehr als 20 (30) Arbeitnehmer beschäftigt, so gehört er zum Kreis der anspruchsberechtigten Arbeitgeber. Ist der Betrieb erst in dem Kalendeijahr errichtet worden, das für die Feststellung regelmäßig zugrunde gelegt wird, so nimmt der Arbeitgeber dann am Ausgleichsverfahren teil, wenn während der überwiegenden Zahl der Kalendermonate seit Bestehen des Betriebes nicht mehr als 20 (30) Arbeitnehmer beschäftigt worden sind. Ein Betrieb, der erst während eines Kalenderjahres errichtet wird, nimmt an dem Ausgleich der Arbeitgeberaufwendungen teil, wenn nach der Art des Betriebes davon auszugehen ist, daß die Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer während der meisten Kalendermonate des Kalendeijahres 20 (30) Arbeitnehmer nicht übersteigt. Aus § 14 Abs. 2 LFZG wurde bislang geschlossen, daß Arbeitgeber, die zwar die vorliegenden Voraussetzungen erfüllen, aber kein Arbeitsentgelt an Arbeiter zahlen und damit auch keine Rentenversicherungsbeiträge für die Arbeiterrentenversicherung abführen mußten, aus der Lohnfortzahlungsversicherung auszuklammern seien. Reinen Angestelltenbetrieben kam damit das Ausgleichsverfahren bis zum 1.1.1986, an dem das Umlageverfahren modifiziert wurde, nicht zugute. Die Finanzierung der Erstattungsbeiträge geschieht im Rahmen des Ausgleichsverfahrens durch ein sogenanntes Umlageverfahren, wobei die

368 Umlage von den am Ausgleich beteiligten Arbeitgebern aufgebracht wird (§ 14 Abs. 1 LFZG). Das Umlageverfahren wird von den zuständigen Krankenkassen durchgeführt, d.h. von den zuständigen: Ortskrankenkassen, Innungskrankenkassen, Seekrankenkassen und der Bundesknappschaft,

wenn der Arbeiter, Auszubildende oder die unter den Mutterschutz fallende Frau dort versichert sind oder versichert wären, wenn sie versicherungspflichtig wären, oder wenn sie sich nicht von der Mitgliedschaft in einer dieser Kassen durch die Mitgliedschaft in einer Ersatzkasse haben befreien lassen. Die Krankenkassen bilden zu diesem Zweck zwei selbständige Sondervermögen: ein Sondervermögen für den Ausgleich der Lohnfortzahlung an arbeitsunfähig erkrankte Arbeiter und Auszubildende (Ul) sowie ein weiteres Sondervermögen seit dem 1.1.1986 für den Ausgleich der Arbeitgeberaufwendungen während der Schutzfrist nach dem Mutterschutzgesetz (U2). Ausgleichsfähig sind insoweit auch die auf das weitergezahlte Arbeitsentgelt und die weitergezahlte Ausbildungsvergütung entfallenden Arbeitgeberanteile der Sozialversicherungsbeiträge. Die Umlagebeträge sind gem. § 14 Abs. 2 LFZG in Vomhundertsätzen des Arbeitsentgelts (Umlagesatz) festzusetzen. Gem. § 16 Abs. 1 Nr. 1 LFZG ist die Höhe der Umlagesätze satzungsmäßig bestimmbar. Die Umlagen für den Ausgleich der jeweiligen Aufwendungen der Arbeitgeber sind von dem Arbeitsentgelt zu berechnen, nach dem die Beiträge zu den gesetzlichen Rentenversicherungen für die im Betrieb beschäftigten Arbeiter und Auszubildenden (Ul) oder für die Angestellten und Auszubildenden (U2) bemessen werden, oder bei Versicherungspflicht in den gesetzlichen Rentenversicherungen zu bemessen wären (vgl. § 14 Abs. 2 LFZG). Auf die Rentenversicherungsbeiträge ist im Zusammenhang mit der Bemessungsgrundlage für die beiden Umlagen abgestellt wonlen, weil nur Bezüge, die Arbeitsentgelt i.S. der Sozialversicherung sind, für die Umlageberechnung herangezogen werden sollten. Umlagen sind sowohl von dem laufenden als auch von dem einmalig gezahlten Arbeitsentgelt unter Beachtung der anteiligen Beitragsbemessungsgrenze zu berechnen. Der Umlagepflicht unterliegen das an erkrankte Arbeitnehmer fortgezahlte Arbeitsentgelt und der nach § 11 MuSchG weitergezahlte Mutterschutzlohn, ferner das Arbeitsentgelt der Schwerbehinderten. Keine

369 Umlagen sind dagegen von den Arbeitsentgelten von Arbeitern zu erheben, die gem. § 1 Abs. 3 Nr. 1,2 LFZG im Krankheitsfall keinen Lohnfortzahlungsanspruch gegenüber ihrem Arbeitgeber haben. Das Arbeitsentgelt von Angestellten, die aufgrund ihrer Arbeitszeit Arbeitern nach § 1 Abs. 3 Nr. 1,2 LFZG vergleichbar sind, ist für die Bemessung der Umlage U2 heranzuziehen. Die Umlage U1 richtet sich nach dem Arbeitsentgelt der Arbeiter und Auszubildenden (Arbeiter und Angestellte). Das an Angestellte gezahlte Arbeitsentgelt bleibt unberücksichtigt. Die Umlage U2 zur Erstattung von Aufwendungen des Arbeitgebers für den Zuschuß zum Mutterschaftsgeld während der Schutzfrist und zur Erstattung von aufgrund eines Beschäftigungsverbotes gezahltem Arbeitsentgelt bestimmt sich nach dem Arbeitsentgelt der Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden. Damit sind durch diese Umlage auch Arbeitgeber in die Pflichtige Lohnausgleichsversicherung mit einbezogen, die nur Angestellte beschäftigen und sogar solche, die nur rentenversicherungspflichtige männliche Angestellte beschäftigen. Neben dem Pflichtigen Ausgleichsverfahren ist die Beteiligung an einem freiwilligen Ausgleichsverfahren unter den Voraussetzungen des § 19 LFZG möglich. Erstattungsfähig sind in diesem Zusammenhang jedoch ebenfalls nur die Lohnfortzahlungskosten für Arbeiter, nicht dagegen Lohnfortzahlungskosten für Angestellte (mit Ausnahme der Auszubildenden zu einem Angestelltenberuf). II.

Die Rechtslage in den neuen Bundesländern

Aus dem Einigungsvertrag ergibt sich, daß das Lohnfortzahlungsgesetz vom 27.7.1969 im Bereich der ehemaligen DDR weitgehend keine Anwendung findet617. Lediglich für das in den §§ 10-19 LFZG normierte Ausgleichsverfahren sowie für die Heimarbeiterregelung des § 8 LFZG sieht der Einigungsvertrag eine Übernahme ab dem 1.7.1991 im Grundsatz vor. Ausnahmen ergeben sich laut Einigungsvertrag für die §§ 10 Abs. 1 Nr. 1, 10 Abs. 4, 11 Abs. 2 Nr. 2, 12, 14 Abs. 2 Satz 4 LFZG insoweit, als sie auf die in der ehemaligen DDR nicht anwendbaren §§ 1 Abs. 1,2,3 Nr. 1,2,4,7 LFZG bezug nehmen. Um das als sinnvoll erachtete Ausgleichsverfahren auch in der ehemaligen DDR trotz der Unanwendbarkeit der §§ 1,4,7 LFZG einführen zu können und um im Bereich der Entgeltfortzahlung im Rahmen des Einigungsvertrages möglichst 617 Wank, RdA 1991, S. 1,7; Einigungsvertrag Kap. VIII, Sachgebiet A, Abschn. III 4.

370 schnell zu brauchbaren Ergebnissen zu kommen, hat die Kommission des Einigungsvertrages anstelle der unanwendbaren §§ 1, 4, 7 LFZG im Bereich der §§ 10-19 LFZG die am ehesten mit diesen vergleichbaren Regelungen aus dem Arbeitsgesetzbuch der DDR übernommen. So ist i n : § 10 Abs. 1 Nr. 1 LFZG die Angabe "§ 1 Abs. 1 und 2 und den in § 7 Abs. 1" ersetzt worden durch § 115a Abs. 1 und 2 des Arbeitsgesetzbuches der DDR, § 10 Abs. 4 LFZG die Angabe "§ 1 Abs. 1 und 2 oder § 7 Abs. 1" ersetzt worden durch § 115a Abs. 1 oder 2 des Arbeitsgesetzbuches der DDR, § 11 Abs. 2 Nr. 2 LFZG die Angabe "§ 1 oder 7 dieses Gesetzes" ersetzt worden durch § 115a Abs. 1 oder 2 des Arbeitsgesetzbuches der DDR; § 12 LFZG die Angabe "§ 4" ersetzt worden durch § 115c des Arbeitsgesetzbuches der DDR und in § 14 Abs. 2 Satz 4 LFZG die Angabe "§ 1 Abs. 3 Nr. 1 und 2" ersetzt worden durch die Angabe § 115a Abs. 3 Buchstabe a des Arbeitsgesetzbuches der DDR.

In den neuen Bundesländern weicht die Rechtslage im Bereich des Ausgleichsverfahrens durch die Ersetzung der §§ 1, 4, 7 LFZG durch die §§ 115a, c des Arbeitsgesetzbuches der DDR von derjenigen in den alten Bundesländern ab. Dabei ist festzustellen, daß, da das Arbeitsgesetzbuch der DDR für Arbeiter und Angestellte gleichermaßen gilt618, viele zuvor als verfassungswidrig angesehene Ungleichbehandlungen und änderungsbedürftige Normen fortfallen. Dies gilt umso mehr, als auch die §§ 616 Abs. 2, 3 BGB, 63 HGB, 133c GewO dort nicht anzuwenden sind. Mit Ausnahme der Anknüpfung der Entstehung des Lohnfortzahlungsanspruchs an den "Beginn der Beschäftigung" in § 1 Abs. 1 Satz 1 LFZG entspricht das Recht der ehemaligen DDR dem Lohnfortzahlungsgesetz für Arbeiter und nicht der Rechtslage der Angestellten in den alten Bundesländern. Im Arbeitsgesetzbuch der DDR finden sich somit, sieht man von der Erstreckung auf Angestellte ab, lediglich geringfügige Abweichungen vom Lohnfortzahlungsgesetz. Die Rechtslage in den neuen Bundesländern hinsichtlich des Ausgleichsverfahrens weicht im wesentlichen wie folgt von derjenigen in den alten Bundesländern ab: Erstattungsfähig sind neben den Arbeitsentgelten von arbeitsunfähig erkrankten Arbeitern auch die von arbeitsunfähig erkrankten Angestellten. Erstattungsfähig sind die Lohnfortzahlungskosten nicht nur für Kuren, sondern auch für Schonungszeiten, wenn der Arbeitnehmer während der Dauer der Schonungszeit arbeitsunfähig ist. Kurzeiten sind schon dann Zeiten der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit gleichgestellt, wenn ein Sozialversicherungsträger sie be-

618 S. Wan*,DtZ 1990,S.42,45.

371 willigt. Auf die Kostentragung wird im Arbeitsgesetzbuch der DDR nicht abgestellt. Umlagebeträge sind auch für Teilzeitbeschäftigte zu entrichten. Für eine rechtmäßig vorgenommene Sterilisation oder einen rechtmäßig vorgenommenen Schwangerschaftsabbruch findet keine Erstattung des fortgezahlten Arbeitsentgelts nach den §§ 10-19 LFZG statt.

III.

Die Neuregelung der § § 10-19 LFZG

Das seit dem 1.7.1991 in den neuen Bundesländern geltende Ausgleichsverfahren hat gegenüber dem Ausgleichsverfahren in den alten Bundesländern einige Vorteile. So erscheint es sinnvoll, das Ausgleichsverfahren nicht nur auf die Arbeitsentgelte von Arbeitern, sondern auch auf diejenigen von Angestellten zu erstrecken. Daneben sollten auch für Teilzeitbeschäftigte Umlagebeiträge durch den Arbeitgeber erbracht werden. Für Teilzeitbeschäftigte sollte, anders als dies in § 1 Abs. 3 Nr. 2 LFZG vorgesehen ist, eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ebenso wie für Vollzeitbeschäftigte eingeführt werden. Dies hätte dann zwangsläufig zur Folge, daß ebenso wie bei Vollzeitbeschäftigten auch hier Umlagebeiträge zu erbringen wären. Da nach den vorherigen Neuregelungsvorschlägen eine Schonungszeit nicht durch den Arbeitgeber vergütungspflichtig sein sollte, bedarf es bei einer Neuregelung des Ausgleichsverfahrens keiner Aufnahme der Erstattung der während einer Schonungszeit gezahlten Arbeitsentgelte. Sinnvoll könnte gegebenenfalls aber eine grundlegende Neugestaltung des Ausgleichsverfahrens sein. So wäre es denkbar, wie schon zur Zeit des Arbeiterkrankheitsgesetzes und ebenso wie im Bereich des Mutterschutzgesetzes, anstelle einer Umlage den Arbeitgeber zu einer Zuschußzahlung zum fortzuzahlenden Arbeitsentgelt für jeden arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmer zu verpflichten. Die übrigen Kosten der Entgeltfortzahlung müßte dann ein Sozialleistungsträger übernehmen. Dies hätte den Vorteil, daß kleinere Unternehmer in weitaus geringerem Maße mit Lohnfortzahlungskosten belastet werden. Gleichzeitig könnte dies aber zur Folge haben, daß Arbeitgeber versuchen werden, Unternehmensgrößen auf bis zu 20 (30) Beschäftigte zu begrenzen, um sich so den Vorteil der begrenzten Lohnfortzahlungskosten zunutze zu machen. Dies könnte durch die Schaffung von selbständigen Kleinbetrieben geschehen. Um diese unerwünschte Konsequenz zu vermeiden, müßte ausdrücklich normiert werden, wann ein Unternehmen mit 20 (30) Arbeitnehmern in den Genuß der bloßen Zuschußregelung kommen sollte. Eine

372 derartige Regelung wirft erhebliche gesetzgeberische Probleme auf. Zwar stellt sich ein vergleichbares Mißbrauchsproblem schon im geltenden Recht, aber hier hat dieser Mißbrauch nicht die gleichen Folgen wie er sie im Bereich der Zuschußregelung aller Voraussicht nach hätte. Beim Umlageverfahren werden die Lohnfortzahlungskosten von der Gesamtheit aller Arbeitgeber ohne Beteiligung einer Sozialversicherung aufgebracht. Bei der Zuschußregelung erspart der Arbeitgeber dagegen konkret Lohnfortzahlungskosten, so daß sein Interesse, zu den anspruchsberechtigten Arbeitgebern zu gehören, vergleichsweise höher ist. Die Zuschußregelung hätte den nicht unwesentlichen Vorteil, daß der Arbeitgeber nur insoweit mit Lohnfortzahlungskosten belastet werden würde, als Arbeitnehmer tatsächlich in seinem Betrieb erkranken. Ein Arbeitgeber, der positive Arbeitsbedingungen geschaffen hat oder in dessen Betrieb ein gutes Betriebsklima herrscht und der deshalb weniger Krankmeldungen erhält als andere Arbeitgeber, wäre demgegenüber immer zur Umlagezahlung verpflichtet, obwohl sie ihm nur in vergleichsweise geringem Maße zugute kommt. Ein Nachteil dieser Zuschußregelung besteht andererseits aber darin, daß den Arbeitgeber im Zweifel durch die Zuschußzahlung wiederum unvorhersehbare und damit unkalkulierbare Lohnfortzahlungskosten treffen, so daß ihm im Zweifel das unternehmerische Risiko der Erkrankung eines Arbeitnehmers überlassen bleibt. Aufgrund dieser Überlegungen erscheint es am sinnvollsten, das Ausgleichsverfahren der §§ 10-19 LFZG dem Grunde nach beizubehalten und nur insoweit anzupassen, als dies verfassungsrechtlich erforderlich ist und sich aus den Änderungen des Lohnfortzahlungsgesetzes in den §§ 1-7 LFZG ergibt. I.

Eigener Vorschlag für ein Lohnfortzahlungsgesetz

Im Rahmen des Vorschlags für eine Neuregelung wurde außer auf die Beseitigung der Ungleichbehandlungen auf die vollständige Regelung der Lohnfortzahlung bei eigener und fremder Erkrankung Wert gelegt. § 616 Abs. 1 BGB ist deshalb neben dem nachstehend dargestellten Lohnfortzahlungsgesetz auf Krankheitsfälle nicht mehr anwendbar. Das Lohnausgleichsverfahren ist im wesentlichen beibehalten worden; durch die Einbeziehung Teilzeitbeschäftigter in die Lohnfortzahlung ist jedoch die Berechnung der Umlage auch auf diese Personen zu erstrecken. Vorgeschlagen wird im folgenden, die Lohnfortzahlung für alle Ar-

373 beitnehmergruppen einheitlich in einem umgestalteten Lohnfortzahlungsgesetz zu regeln. In der vorstehenden Untersuchung sowie bei dem Neuvorschlag wird nur begrenzt auf diejenigen Fragen eingegangen, die sich im Zusammenhang mit der Problematik des Mißbrauchs der Lohnfortzahlung ergeben, da Schwerpunkt der Untersuchung die Verfassungsmäßigkeit des geltenden Rechts mit seiner Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten ist. Bei einer Reform des Lohnfortzahlungsrechts müßte auch über diese Fragen nachgedacht werden. Bekanntlich beruht ein großer Teil der Abwesenheitstage, die mit Krankheit begründet werden, nicht auf Krankheit. 619 Anhaltspunkte dafür sind u.a.: Häufung von Krankmeldungen an bestimmten Wochentagen sowie vor und nach Feiertagen, bei ausländischen Arbeitnehmern häufig Krankheit im Heimatland, auffälliger Arztwechsel beträchtliche Unterschiede zwischen den einzelnen Branchen.

Als Abhilfe werden u.a. folgende Maßnahmen vorgeschlagen: Wiedereinführung von Karenztagen (Rechtszustand bis 1957), gekürztes Entgelt während der ersten drei Tage, gekürztes Entgelt während des Lohnfortzahlungszeitraums, Zahlung des Arbeitsentgelts während der Karenztage an die Kassen statt an den Arbeitnehmer, Zahlung des Lohns ohne Zulagen, Beitragsrückerstattung, Anwesenheitsprämie und Attestpflicht ab dem ersten Krankheitstag.

Nach den hier erörterten Überlegungen könnte ein neues Lohnfortzahlungsgesetz wie folgt lauten: Gesetz über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle (Lohnfortzahlungsgesetz) Erster Abschnitt. Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle §1 Grundsatz der Entgeltfortzahlung (1) Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an der Erbringung seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne daß ihn Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit 620 trifft, so verliert er dadurch nicht den Anspruch auf Arbeitsentgelt für die Zeit seiner Arbeitsunfähigkeit bis zur 619 S.Salowsky, Fehlzeiten; ferner Diergarten/Hagedorn, arbeitgeber 1991, S. 580; Priester, AiB 1991, S. 304. 620 Zur Verschuldensfrage vgl. Anm. Wank zu BAG, AR-Blattei (D) Krankheit III A, Entscheidungen 145.

374 Höchstdauer von 6 Wochen innerhalb eines Kalenderjahres. Erkrankt der Arbeitnehmer innerhalb eines Kalenderjahres mehrfach arbeitsunfähig, so sind alle Arbeitsunfahigkeitszeiten für die Berechnung der Sechswochenfrist zusammenzurechnen. Ist ein Arbeitnehmer bereits zu Beginn der Beschäftigung arbeitsunfähig erkrankt, so ist der Lohnfortzahlungsanspruch des Arbeitnehmers aufschiebend bedingt durch die tatsächliche Aufnahme der Beschäftigung. Dies gilt nicht für den Fall, daß sich der Arbeitnehmer auf den erstmaligen regelmäßigen Weg zur Arbeit begeben hat. Bei eingeschränkter Arbeitsfähigkeit erhält der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Lohnfortzahlung insoweit, als er nicht ohnehin wegen der erbrachten Arbeitsleistung Arbeitsentgelt erhält. Kommt der Arbeitnehmer, obwohl ihm der Arbeitgeber eine zumutbare Arbeit angeboten hat, seiner Arbeitspflicht nicht nach, so erhält er den Anspruch auf Lohnfortzahlung in der Höhe, in der ihm bei Erfüllung seiner Verpflichtung der Lohnfortzahlungsanspruch zusteht. Arbeitsentgelt erhält er für diesen Fall nicht. (2) Ist der Arbeitnehmer an der Erbringung der Arbeitsleistung verhindert, weil er sich eines Arztbesuches, einer ärztlichen Behandlung oder einer Vorsorgeuntersuchung unterziehen muß, die nur während der Arbeitszeit möglich sind, so stehen diese Zeiträume der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit nach Absatz 1 gleich. (3) Fälle einer nicht rechtswidrigen Sterilisation und eines nicht rechtswidrigen Schwangerschaftsabbruchs durch einen Arzt stehen Fällen der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit nach Absatz 1 gleich. 621 (4) Die Absätze 1,2, 3 gelten nicht 1.

2.

für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis, ohne ein Probearbeitsverhältnis zu sein, für eine bestimmte Zeit, höchstens für 4 Wochen, begründet ist. Wird das Arbeitsverhältnis über 4 Wochen hinaus fortgesetzt, so gilt Absatz 1 vom Tage der Vereinbarung der Fortsetzung an. Ergibt sich die Dauer des Arbeitsverhältnisses aus Art, Zweck oder Beschaffenheit der vereinbarten Arbeitsleistung, so gilt § 1 Abs. 1 von dem Tage an, an dem erkennbar ist, daß das Arbeitsverhältnis über 4 Wochen hinaus fortgesetzt wird für den Zeitraum, für den eine Arbeitnehmerin Anspruch auf Mutterschaftsgeld hat.

(5) Der Anspruch des arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmers auf Arbeitsentgelt nach Absatz 1, 2, 3 wird nicht dadurch berührt: 1.

daß der Arbeitgeber den Arbeitnehmer während des Zeitraums der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers auch dann nicht beschäftigt hätte oder eine für die Leistung der Arbeit notwendige Handlung nicht vorgenommen hätte, wenn der Arbeitnehmer leistungsfähig und den Umständen nach leistungsbereit war oder

621 Vgl. hierzu Wank. Gem. Anm. zu BAG, AP Nr. 84,84a zu § 1 LohnFG.

375 2.

die Arbeit infolge eines gesetzlichen Feiertages ausgefallen wäre.

(6) Arbeitnehmer im Sinne dieses Gesetzes sind auch die zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten. Der Erste Abschnitt dieses Gesetzes findet keine Anwendung auf die zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten, denen ein Anspruch auf Fortzahlung ihrer Vergütung im Krankheitsfalle nach dem Berufsbildungsgesetz zusteht. §2 Höhe des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts (1) Für den in § 1 Absatz 1 bezeichneten Zeitraum ist dem Arbeitnehmer das ihm bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit zustehende Arbeitsentgelt fortzuzahlen. Zum Arbeitsentgelt gehörende Sachleistungen, die während der Ausfallzeit nicht weitergewährt werden, sind für die Dauer der Ausfallzeit angemessen abzugelten. Ausgenommen sind Auslösungen, Schmutzzulagen und ähnliche Leistungen, soweit der Anspruch auf sie im Falle der Arbeitsfähigkeit davon abhängig ist, ob und in welchem Umfang dem Arbeitnehmer Aufwendungen, die durch diese Leistungen abgegolten werden sollen, tatsächlich entstanden sind, und dem Arbeitnehmer solche Aufwendungen während der Arbeitsunfähigkeit nicht entstehen. Erhält der Arbeitnehmer Akkordlohn oder eine sonstige auf das Ergebnis der Arbeit abgestellte Vergütung, so ist der von dem Arbeitnehmer in der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit erzielbare Durchschnittsverdienst fortzuzahlen. Der Durchschnittsverdienst errechnet sich durch Feststellung der Durchschnittsleistung der letzten drei abgerechneten Monate oder der letzten dreizehn abgerechneten Wochen vor Beginn des Fortzahlungszeitraums. (2) Wird in dem Betrieb verkürzt gearbeitet und würde deshalb das Arbeitsentgelt des Arbeitnehmers im Falle seiner Arbeitsfähigkeit gemindert, so ist die verkürzte Arbeitszeit für ihre Dauer als die für den Arbeitnehmer maßgebende regelmäßige Arbeitszeit im Sinne des Absatzes 1 anzusehen. §3 Tariföffnungsklauseln (1) Die Höhe des fortzuzahlenden Arbeitsentgeltes nach § 2 Absatz 1 und Absatz 2 unterliegt der Disposition der Tarifvertragsparteien insoweit, als eine andere als die nach dem Gesetz vorgesehene Berechnungsmethode gewählt werden kann. Nicht der Tarifdispositivität unterliegen die einzelnen Bestandteile des Arbeitsentgelts. (2) Durch Tarifvertrag kann ebenfalls von der Regelung über die Dauer des Lohnfortzahlungsanspruchs abgewichen werden.

376 (3) Im Geltungsbereich solcher Tarifverträge kann zwischen nicht tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern die Anwendung der tarifvertraglichen Regelungen über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle vereinbart werden. §4 Anzeige- und Nachweispflichten (1) Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, dem Arbeitgeber die Tragweite seiner Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich anzuzeigen und vor Ablauf des dritten Kalendertages nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit eine ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit/eingeschränkte Arbeitsfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer nachzureichen. Dauert die Arbeitsunfähigkeit/eingeschränkte Arbeitsfähigkeit länger als in der Bescheinigung angegeben, so ist der Arbeitnehmer verpflichtet, eine neue ärztliche Bescheinigung vorzulegen. Soweit der Arbeitnehmer Mitglied einer gesetzlichen Krankenversicherung ist, müssen die Bescheinigungen einen Vermerk des behandelnden Arztes darüber enthalten, daß der Krankenkasse unverzüglich eine Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit/eingeschränkte Arbeitsfähigkeit mit Angaben über den Befund und die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit/eingeschränkte Arbeitsunfähigkeit übersandt wird. Die Kosten einer ärztlichen Bescheinigung hat, soweit sie nicht vom Träger der gesetzlichen Krankenversicherung zu übernehmen sind, der Arbeitgeber zu tragen. (2) Hält sich ein Arbeitnehmer, der Mitglied einer gesetzlichen Krankenversicherung ist, bei Beginn der Arbeitsunfähigkeit außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes auf, so ist er verpflichtet, auch der Krankenkasse, bei der er versichert ist, die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich anzuzeigen. Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als angezeigt, so ist der Arbeitnehmer verpflichtet, der Krankenkasse die voraussichtliche Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit mitzuteilen. Absatz 1 Satz 3 ist nicht anzuwenden. Kehrt ein arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer in den Geltungsbereich dieses Gesetzes zurück, so ist er verpflichtet, der Krankenkasse seine Rückkehr unverzüglich anzuzeigen. (3) Ist der im Ausland befindliche arbeitsunfähig erkrankte Arbeitnehmer nicht Mitglied eines Trägers der gesetzlichen Krankenversicherung und hat der Arbeitgeber begründete Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers und teilt er sie dem Arbeitnehmer mit, so kann er von ihm die Vorlage einer weiteren, von einem anderen Arzt ausgestellten Bescheinigung nach Absatz 1 verlangen. Der Arbeitnehmer ist verpflichtet,

377 dem Arbeitgeber durch Mitteilung einer Adresse oder auf vergleichbare Weise die Möglichkeit zu geben, Bedenken im Hinblick auf die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers diesem gegenüber vorzubringen. Die Kosten der weiteren ärztlichen Bescheinigung trägt der Arbeitgeber. (4) Ein im Ausland befindlicher eingeschränkt arbeitsfähig erkrankter Arbeitnehmer hat dem Arbeitgeber seine eingeschränkte Arbeitskraft ab dem Zeitpunkt anzubieten, ab dem er ohne eingeschränkte Arbeitsverhinderung seiner Arbeit hätte nachgehen müssen. §5 Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit/eingeschränkten Arbeitsfähigkeit

(1) Hat der Arbeitgeber begründete Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit/eingeschränkten Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers und teilt er sie dem Arbeitnehmer mit, so kann er von ihm die Vorlage einer weiteren, von einem anderen Arzt, auf den sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer geeinigt haben, ausgestellten Bescheinigung nach § 4 Absatz 1 verlangen. Der Arbeitgeber hat die hieraus entstehenden notwendigen Kosten zu tragen. (2) Der Untersuchung im Sinne von Absatz 1 steht die Untersuchung des Arbeitnehmers durch den Medizinischen Dienst gleich. Der Arbeitgeber kann von dem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung verlangen, daß dieser eine Begutachtung der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers veranlaßt. (3) Entzieht sich der Arbeitnehmer einer ärztlichen Untersuchung, so spricht eine widerlegbare Vermutung dafür, daß keine Arbeitsunfähigkeit besteht. §6 Forderungsübergang bei Dritthaftung

(1) Kann der Arbeitnehmer auf Grund gesetzlicher Vorschriften von einem Dritten Schadensersatz wegen des Verdienstausfalls beanspruchen, der ihm durch die Arbeitsunfähigkeit entstanden ist, so geht dieser Anspruch im Zeitpunkt seiner Entstehung auf den Arbeitgeber über. Dies gilt sowohl für das Arbeitsentgelt, das der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nach § § 1 , 2 dieses Gesetzes fortzuzahlen hat, als auch für: 1. 2. 3.

Teile von einmaligen Leistungen, die während des Lohnfortzahlungszeitraums entstehen, die auf das weiterzuentrichtende Arbeitsentgelt entfallenden, vom Arbeitgeber zu tragenden Beiträge zur Bundesanstalt für Arbeit, die vom Arbeitgeber zu zahlenden Anteile an Beiträgen zur gesetzlichen Krankenund Rentenversicherung, an Beiträgen zu befreienden Kranken- und Lebensversi-

378 cherungen, an Aufwendungen für die betriebliche Altersversorgung im Sinne von § 1 des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung.

(2) Der Arbeitnehmer hat dem Arbeitgeber unverzüglich die zur Geltendmachung des Schadenersatzanspruchs erforderlichen Angaben zu machen. (3) Der Forderungsübergang nach Abs. 1 kann nicht zum Nachteil des Arbeitnehmers geltend gemacht werden. §7 Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers Der Arbeitgeber ist berechtigt, die Fortzahlung des Arbeitsentgelts zu verweigern, 1.

2.

solange der Arbeitnehmer die von ihm nach § 4 Absatz 1 vorzulegende ärztliche Bescheinigung Uber die Arbeitsunfähigkeit nicht vorlegt oder den ihm nach § 6 Absatz 2 obliegenden Verpflichtungen nicht nachkommt, bis der Arbeitnehmer einer Aufforderung durch einen Träger der gesetzlichen Krankenversicherung zur Begutachtung oder der Aufforderung zur Vorlage einer Bescheinigung nach § 5 nachkommt. Der Arbeitgeber hat in diesen Fällen kein Leistungsverweigerungsrecht, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit/eingeschränkte Arbeitsfähigkeit ihm gegenüber auf andere Weise nachweist.

Nummern 1 und 2 gelten nicht, wenn der Arbeitnehmer die Verletzung der ihm obliegenden Verpflichtungen nicht zu vertreten hat. §8

Beendigung des Arbeitsverhältnisses (1) Der Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts wird nicht dadurch berührt, daß der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus Anlaß der Arbeitsunfähigkeit kündigt. Das gleiche gilt, wenn der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis aus einem vom Arbeitgeber zu vertretenden Grunde kündigt, der den Arbeitnehmer zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigt. (2) Endet das Arbeitsverhältnis vor Ablauf der in § 1 Absatz 1 bezeichneten Zeit nach dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit, ohne daß es einer Kündigung bedarf, oder infolge einer Kündigung aus anderen als den in Absatz 1 bezeichneten Gründen, so endet der Anspruch mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses. §9 Kuren (1) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, den Arbeitnehmer für die Dauer einer ärztlich verordneten Vorbeugungs-, Heil- oder Genesungskur von der Arbeit freizustellen und ihm bis zur Höchstdauer von 6 Wochen das Arbeitsentgelt fortzuzahlen. Dies gilt jedoch nur, wenn die Kur medizinisch

379 wegen drohender oder vorliegender Arbeitsunfähigkeit erforderlich ist, wenn sie erfolgversprechend ist und nach der Art und Weise des Kurablaufs eine gezielte intensive medizinische Behandlung des Arbeitnehmers gewährleistet ist. Vor Ablauf von 3 Jahren nach Durchführung der letzten Kur entsteht eine Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers nicht, es sei denn medizinische Gründe machen die vorherige Durchführung einer Kur dringend erforderlich. Die dringende Notwendigkeit muß vom Medizinischen Dienst oder von zwei Ärzten, auf die sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber geeinigt haben, festgestellt werden. Zwischen der Erstellung des ärztlichen Gutachtens über die Kurbedürftigkeit und dem Kurantritt dürfen nicht mehr als 6 Monate liegen. Anderenfalls wird vermutet, daß die Kur medizinisch nicht mehr erforderlich ist. Erbringt der Arbeitnehmer ein erneutes ärztliches Gutachten, so läuft die Sechsmonatsfrist erneut. (2) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 2 gelten als erfüllt, wenn ein Träger der Sozialversicherung, eine Verwaltungsbehörde der Kriegsopferversorgung oder ein sonstiger Sozialleistungsträger die Kur bewilligt hat und mindestens 90 % der Kurkosten übernimmt. (3) Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, dem Arbeitgeber unverzüglich die ärztliche Verordnung einer Kur im Sinne des Absatzes 1, den Zeitpunkt des Kurantritts sowie die voraussichtliche Dauer der Kur mitzuteilen. Der Arbeitnehmer ist weiter verpflichtet, dem Arbeitgeber eine ärztliche Bescheinigung über die Verordnung der Kur sowie deren Dauer vorzulegen. Im Falle einer Kur nach Absatz 2 ist der Arbeitnehmer, abweichend von Satz 2, verpflichtet, dem Arbeitgeber eine Bescheinigung über die Bewilligung der Kur vorzulegen; die Bewilligung muß Angaben über die voraussichtliche Dauer der Kur sowie darüber enthalten, in welcher Höhe die Kosten der Kur übernommen werden. Dauert die Kur länger als in der Bescheinigung angegeben, so hat der Arbeitnehmer unverzüglich eine weitere entsprechende ärztliche Bescheinigung vorzulegen. Satz 3 gilt entsprechend. (4) Eine Kur nach Absatz 1 steht im Sinne des § 1 Abs. 1 einer Arbeitsunfähigkeit gleich. Im übrigen finden die §§ 1, 2, 6 bis 8 entsprechende Anwendung. (5) Ein weiterer Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts während der Dauer einer Kur besteht nicht.

380 §10 Wirtschaftliche Sicherung für den Krankheitsfall im Bereich der Heimarbeit (1) In Heimarbeit Beschäftigte (§ 1 Absatz 1 des Heimarbeitsgesetzes vom 14. März 1951, Bundesgesetzblatt I, S. 191) und ihnen nach § 1 Abs. 2 Buchstaben a bis c des Heimarbeitsgesetzes Gleichgestellte haben gegen ihren Auftraggeber oder, falls sie von einem Zwischenmeister beschäftigt werden, gegen diesen Anspruch auf Zahlung eines Zuschlags zum Arbeitsentgelt. Der Zuschlag beträgt 1.

2.

für Heimarbeiter, für Hausgewerbetreibende ohne fremde Hilfskräfte und die nach § 1 Abs. 2 Buchstabe a des Heimarbeitsgesetzes Gleichgestellten 3,4 vom Hundert, für Hausgewerbetreibende mit nicht mehr als zwei fremden Hilfskräften und die nach § 1 Abs. 2 Buchstaben b und c des Heimarbeitsgesetzes Gleichgestellten 4,8 vom Hundert

des Arbeitsentgelts vor Abzug der Steuern, des Beitrags zur Bundesanstalt für Arbeit und der Sozialversicherungsbeiträge ohne Unkostenzuschlag und ohne die für den Lohnausfall an gesetzlichen Feiertagen, den Urlaub und den Arbeitsausfall infolge Krankheit zu leistenden Zahlungen. Der Zuschlag für die unter Nummer 2 aufgeführten Personen dient zugleich zur Sicherung der Ansprüche der von ihnen Beschäftigten. (2) Zwischenmeister, die den in Heimarbeit Beschäftigten nach § 1 Abs. 2 Buchstabe d des Heimarbeitsgesetzes gleichgestellt sind, haben gegen ihren Auftraggeber Anspruch auf Vergütung der von ihnen nach Absatz 1 nachweislich zu zahlenden Zuschläge. (3) Die nach den Abs. 1 und 2 in Betracht kommenden Zuschläge sind gesondert in den Entgeltbeleg einzutragen. (4) Für Heimarbeiter (§ 1 Absatz 1 Buchstabe a des Heimarbeitsgesetzes) kann durch Tarifvertrag bestimmt werden, daß sie statt der in Abs. 1 Satz 2 Nummer 1 bezeichneten Leistungen die den Arbeitnehmern im Falle ihrer Arbeitsunfähigkeit nach diesem Gesetz zustehenden Leistungen erhalten. Bei der Bemessung des Anspruchs auf Arbeitsentgelt bleibt der Unkostenzuschlag außer Betracht. (5) Auf die in den Abs. 1 und 2 vorgesehenen Zuschläge sind die §§ 23 bis 25, 27 und 28, auf die in Absatz 1 dem Zwischenmeister gegenüber vorgesehenen Zuschläge außerdem § 21 Abs. 2 des Heimarbeitsgesetzes entsprechend anzuwenden. Auf die Ansprüche der fremden Hilfskräfte der in Abs. 1 unter Nummer 2 genannten Personen auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ist § 26 des Heimarbeitsgesetzes entsprechend anzuwenden.

381 §11

Pflege von Dritten

Lebt ein Arbeitnehmer mit einem pflegebedürftigen Verwandten in einem Haushalt zusammen, so steht ihm für maximal 10 Tage pro Kalendeijahr je pflegebedürftiger Person gegenüber dem Arbeitgeber ein Freistellungsanspruch zu. Für 5 der 10 Tage steht ihm ein Lohnfortzahlungsanspruch zu, wenn die erkrankte Person ein Kind ist, das das 10. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Beide Ansprüche bestehen nur dann, wenn eine Betreuung nach ärztlichem Zeugnis erforderlich ist und keine Person vorhanden ist, die anstelle des Arbeitnehmers den Pflegebedürftigen für diese Zeit betreuen kann, oder wenn bei Kindern unter 10 Jahren keine im Haushalt selbst lebende Person die Pflege des Kindes übernehmen kann. Der Anspruch auf Freistellung und der Anspruch auf Lohnfortzahlung besteht innerhalb einer Familie nur insgesamt. §12 Unabdingbarkeit

Abgesehen von § 3 kann von den Vorschriften dieses Abschnitts nicht zuungunsten der Arbeitnehmer und der nach § 10 berechtigten Personen abgewichen werden. Zweiter Abschnitt. Ausgleich der

Arbeitgeberaufwendungen

§13 Erstattungsanspruch

(1) Die Ortskrankenkassen, die Innungskrankenkassen, die Bundesknappschaft und die See-Krankenkassen erstatten den Arbeitgebern, die in der Regel ausschließlich der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten nicht mehr als zwanzig Arbeitnehmer beschäftigen, achtzig von hundert 1.

2. 3. 4.

des an Arbeitnehmer fortgezahlten Arbeitsentgelts gem. §§ 1 Abs. 1 - 3 , 9 Abs. 1, 2 und der nach § 12 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b des Berufsbildungsgesetzes an Auszubildende fortgezahlten Vergütung, des vom Arbeitgeber nach § 14 Abs. 1 des Mutterschutzgesetzes gezahlten Zuschusses zum Mutterschaftsgeld, des vom Arbeitgeber nach § 11 des Mutterschutzgesetzes bei Beschäftigungsverboten gezahlten Arbeitsentgelts, der auf die Arbeitsentgelte und Vergütungen nach den Nummern 1 und 3 entfallenden von den Arbeitgebern zu tragenden Beiträge zur Bundesanstalt für Arbeit und Arbeitgeberanteile an Beiträgen zur gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung.

Am Ausgleich der Arbeitgeberaufwendungen nehmen auch die Arbeitgeber teil, die nur Auszubildende beschäftigen.

382 (2) Die Krankenkasse hat jeweils zum Beginn eines Kalendeijahres festzustellen, welche Arbeitgeber für die Dauer dieses Kalendeijahres an dem Ausgleich der Arbeitgeberaufwendungen teilnehmen. Ein Arbeitgeber beschäftigt in der Regel nicht mehr als zwanzig Arbeitnehmer, wenn er in dem letzten Kalendeijahr, das demjenigen, für das die Feststellung nach Satz 1 zu treffen ist, vorausgegangen ist, für einen Zeitraum von mindestens acht Kalendermonaten nicht mehr als zwanzig Arbeitnehmer beschäftigt hat. Hat ein Betrieb nicht während des ganzen nach Satz 2 maßgebenden Kalenderjahres bestanden, so nimmt der Arbeitgeber am Ausgleich der Arbeitgeberaufwendungen teil, wenn er während des Zeitraumes des Bestehens des Betriebes in der überwiegenden Zahl der Kalendermonate nicht mehr als zwanzig Arbeitnehmer beschäftigt hat. Wird ein Betrieb im Laufe des Kalendeijahres errichtet, für das die Feststellung nach Satz 1 getroffen ist, so nimmt der Arbeitgeber am Ausgleich der Arbeitgeberaufwendungen teil, wenn nach der Art des Betriebes anzunehmen ist, daß die Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer während der überwiegenden Kalendermonate dieses Kalendeijahres zwanzig nicht überschreiten wird. Bei der Errechnung der Gesamtzahl der beschäftigten Arbeitnehmer bleiben Arbeitnehmer in einem Arbeitsverhältnis, in dem die regelmäßige Arbeitszeit wöchentlich zehn Stunden oder monatlich fünfundvierzig Stunden nicht übersteigt, sowie Schwerbehinderte im Sinne des Schwerbehindertengesetzes außer Ansatz. Arbeitnehmer, die wöchentlich regelmäßig nicht mehr als zwanzig Stunden zu leisten haben, weiden mit 0,5 und diejenigen, die nicht mehr als dreißig Stunden zu leisten haben, mit 0,75 angesetzt. (3) Die zu gewährenden Beträge werden dem Arbeitgeber von der Krankenkasse ausgezahlt, bei denen die Arbeitnehmer, die Auszubildenden oder die nach § 11 oder § 14 Abs. 1 des Mutterschutzgesetzes anspruchsberechtigten Frauen versichert sind oder versichert wären, wenn sie versicherungspflichtig wären oder wenn sie nicht nach § 183 Abs. 1 Satz 1 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches die Mitgliedschaft bei einer Ersatzkasse gewählt hätten. (4) Die Erstattung ist zu gewähren, sobald der Arbeitgeber Arbeitsentgelt nach § 1 Abs. 1 - 3 oder § 9 Abs. 1, 2 an den Arbeitnehmer, Vergütung nach § 12 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b des Berufsbildungsgesetzes an den Auszubildenden, Arbeitsentgelt nach § 11 des Mutterschutzgesetzes oder Zuschuß zum Mutterschaftsgeld nach § 14 Abs. 1 des Mutterschutzgesetzes an die Frau gezahlt hat. (5) Der Arbeitgeber hat der nach Absatz 3 zuständigen Krankenkasse die für die Durchführung des Ausgleichs erforderlichen Angaben zu machen.

383 §14 Versagung und Rückforderung der Erstattung (1) Die Erstattung kann im Einzelfall versagt werden, solange der Arbeitgeber die nach § 13 Abs. 5 erforderlichen Angaben nicht oder nicht vollständig macht. (2) Die Krankenkasse hat Erstattungsbeträge vom Arbeitgeber insbesondere zurückzufordern, soweit der Arbeitgeber 1. 2.

schuldhaft falsche oder unvollständige Angaben gemacht hat oder Erstattungsbeträge gefordert hat, obwohl er wußte oder wissen mußte, daß ein Anspruch nach § 1 oder 9 dieses Gesetzes, § 12 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b des Berufsbildungsgesetzes, § 11 oder § 14 Abs. 1 des Mutterschutzgesetzes, nicht besteht.

Der Arbeitgeber kann sich nicht darauf berufen, daß er durch die zu Unrecht gezahlten Beträge nicht mehr bereichert sei. Von der Rückforderung kann abgesehen werden, wenn der zu Unrecht gezahlte Betrag gering ist und der entstehende Verwaltungsaufwand unverhältnismäßig groß sein würde. §15

Abtretung Ist auf den Arbeitgeber ein Anspruch auf Schadensersatz nach § 6 übergegangen, so ist die Krankenkasse zur Erstattung nur verpflichtet, wenn der Arbeitgeber den auf ihn übergegangenen Anspruch bis zur anteiligen Höhe des Erstattungsbetrages an die Krankenkasse abtritt. §16

Verjährung und Aufrechnung (1) Der Erstattungsanspruch verjährt in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem er entstanden ist. (2) Gegen Erstattungsansprüche dürfen nur aufgerechnet werden Ansprüche auf 1.

2. 3. 4. 5. 6.

Zahlung geschuldeter Umlagebeträge sowie der Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und solcher Beiträge, die die Krankenkasse für andere Träger der Sozialversicherung und die Bundesanstalt für Arbeit einzuziehen hat, Rückzahlung von Vorschüssen, Rückzahlung von zu Unrecht gezahlten Erstattungsbeträgen, Erstattung von Verfahrenskosten, Zahlung von Ordnungsstrafen oder Zwangsgeld, Herausgabe einer von einem Dritten an den Berechtigten bewirkten Leistung, die der Krankenkasse gegenüber wirksam ist.

384 §17 Aufbringung der Mittel

(1) Die Mittel zur Durchführung des Ausgleichs der Arbeitgeberaufwendungen werden durch eine Umlage von den am Ausgleich beteiligten Arbeitgebern aufgebracht. (2) In den Fällen des § 13 Abs. 1 Nr. 1 - 3 sind die Umlagebeträge in Vomhundertsätzen des Entgelts (Umlagesatz) festzusetzen, nach dem die Beiträge zu den gesetzlichen Rentenversicherungen für die im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer und Auszubildenden bemessen werden oder bei Versicherungspflicht in den gesetzlichen Rentenversicherungen zu bemessen wären. Für die Zeit des Bezugs von Kurzarbeitergeld oder Schlechtwettergeld bemessen sich die Umlagebeträge nach dem tatsächlich erzielten Arbeitsentgelt bis zur Beitragsbemessungsgrenze in den gesetzlichen Rentenversicherungen. Von Entgelten der unter § 1 Abs. 4 Nr. 1 fallenden Arbeitnehmer sind Umlagebeträge nicht zu erheben. §18 Verwaltung der Mittel

Die Krankenkasse verwaltet die Mittel für den Ausgleich der Arbeitgeberaufwendungen als Sondervermögen. Die Mittel dürfen nur für die gesetzlich vorgeschriebenen oder zugelassenen Zwecke verwendet werden. §20 Satzung

(1) Die Satzung der Krankenkasse muß bestimmen über 1. 2. 3. 4.

Höhe der Umlagesätze, Bildung von Betriebsmitteln, Aufstellung des Haushaltes, Prüfung und Abnahme des Rechnungsabschlusses.

(2) Die Satzung kann 1. 2. 3. 4.

die Höhe der Erstattung nach § 13 Abs. 1 beschränken, die Zahlung von Vorschüssen vorsehen, die Festsetzung der Umlagebeträge nach dem für die Berechnung der Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung geltenden Grundlohn zulassen die in § 13 Abs. 1 genannte Zahl von zwanzig Arbeitnehmern bis auf dreißig heraufsetzen.

(3) Die Betriebsmittel dürfen den Betrag der voraussichtlichen Ausgaben für drei Monate nicht übersteigen. (4) In Angelegenheiten dieses Abschnitts wirken in den Organen der Selbstverwaltung nur die Vertreter der Arbeitgeber mit.

385 §21 Anwendung sozialversicherungsrechtlicher Vorschriften Die für die gesetzliche Krankenversicherung geltenden Vorschriften finden entsprechende Anwendung, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt. §22

Ausnahmevorschriften Die Vorschriften dieses Abschnitts sind nicht anzuwenden auf 1.

den Bund, die Länder, die Gemeinden und Gemeindeverbände sowie sonstige Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts sowie die Vereinigungen, Einrichtungen und Unternehmungen, die hinsichtlich der für die Arbeitnehmer des Bundes, der Länder oder der Gemeinden geltenden Tarifverträge tarifgebunden sind, und die Verbände von Gemeinden, Gemeindeverbänden und kommunalen Unternehmen einschließlich deren Spitzenverbände,

2.

Hausgewerbetreibende (§ 1 Abs. 1 Buchstabe b des Heimarbeitsgesetzes) sowie die in § 1 Abs. 2 Buchstabe b und c des Heimarbeitsgesetzes bezeichneten Personen, wenn sie hinsichtlich der Entgeltregelung gleichgestellt sind, die Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege (Arbeiterwohlfahrt-Hauptausschuß, Central -Ausschuß für die Innere Mission und Hilfswerk der Evangelischen Kirche in Deutschland, Deutscher Caritasverband, Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband, Deutsches Rotes Kreuz und Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland) einschließlich ihrer Untergliederungen, Einrichtungen und Anstalten, die nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 des Gesetzes über die Krankenversicherung der Landwirte versicherten mitarbeitenden Familienangehörigen eines landwirtschaftlichen Unternehmens,

3.

4.

5.

Dienststellen und diesen gleichgestellte Einrichtungen der in der Bundesrepublik stationierten ausländischen Truppen und der dort aufgrund des Nordatlantikpaktes errichteten internationalen militärischen Hauptquartiere. §23

Freiwilliges Ausgleichverfahren (1) Für Betriebe eines Wirtschaftszweiges können Arbeitgeber Einrichtungen zum Ausgleich der Arbeitgeberaufwendung errichten, an denen auch Arbeitgeber teilnehmen, die die Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 und 2 nicht erfüllen. Die Errichtung und die Regelung des Ausgleichverfahrens bedürfen der Genehmigung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. (2) Auf Arbeitgeber, deren Aufwendungen durch eine Einrichtung nach Absatz 1 ausgeglichen werden, finden die Vorschriften dieses Abschnittes keine Anwendung. (3) Köiperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen im Sinne des § 1 Abs. 1 Körperschaftsteuergesetzes, die als Einrichtung der

386 in Absatz 1 bezeichneten Art durch den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung genehmigt sind, sind von der Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer und Vermögenssteuer befreit.

7. Kapitel: Das Recht der Wettbewerbsverbote Im folgenden begegnet uns wieder das Problem, daß sich in der gesetzlichen Regelung nicht Arbeiter und Angestellte gegenüberstehen, sondern mehrere Gruppen von Angestellten den übrigen Angestellten und den Arbeitern. Des weiteren zeigt sich auch wieder, daß bei unterschiedlicher gesetzlicher Regelung die Gerichte im Wege der Auslegung ein einheitliches Ergebnis geschaffen haben. Der Problemkreis betrifft Wettbewerbsverbote, also Verbote gegenüber Arbeitnehmern, ihrem Arbeitgeber in dessen Geschäftszweig Konkurrenz zu machen. Dabei ist zu unterscheiden zwischen gesetzlichen und vertraglichen Wettbewerbsverboten sowie zwischen Wettbewerbsverboten während der Laufzeit des Arbeitsvertrages und nach Beendigung des Arbeitsvertrages. Ein Wettbewerbsverbot während der Laufzeit des Vertrages besteht bereits kraft Gesetzes, während Wettbewerbsverbote nach Beendigung des Vertrages nur aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung bestehen können, die bestimmte gesetzlich umschriebene Voraussetzungen erfüllen muß. A.

Geschichtliche Entwicklung

Bei der Betrachtung der Geschichte der Wettbewerbsverbote ist zu trennen zwischen den Verboten, die während der Beschäftigung eines Handlungsgehilfen bei einem Prinzipal gelten, und denen, die für den nachvertraglichen Zeitraum vereinbart werden. I.

Wettbewerbsverbote während des Bestehens des Arbeitsverhältnisses

Erstmalig wurde im ADHGB von 1861 in Art. 59 eine sog. "Conkurrenzclausel" für die Zeit der Beschäftigung bei einem Prinzipal festgelegt. Vorher fanden sich ähnliche Regelungen lediglich in einzelnen Landesgesetzen. Die Regelung des ADHGB wurde im ADHGB des Norddeutschen Bundes vom 5.6.18691 übernommen. Art. 59 ADHGB lautete:

1 BGBl, des Norddeutschen Bundes, S. 404 ff.

388 Art. 59 Ein Handlungsgehülfe darf ohne Einwilligung des Prinzipals weder für eigene Rechnung noch für Rechnung eines Dritten Handelsgeschäfte machen. In dieser Beziehung kommen die für den Prokuristen und für den Handlungsbevollmächtigten geltenden Bestimmungen (Art. 56) zur Anwendung. Art. 56 ADHGB lautete: Art. 56 (1) Ein Prokurist oder ein zum Betriebe eines ganzen Handelsgewerbes bestellter Handlungsbevollmächtigter darf ohne Einwilligung des Prinzipals weder für eigene Rechnung, noch für Rechnung eines Dritten Handelsgeschäfte machen. (2) Eine Einwilligung des Prinzipals ist schon dann anzunehmen, wenn ihm bei Ertheilung der Prokura oder der Vollmacht bekannt war, daß der Prokurist oder Handlungsbevollmächtigte für eigene oder fremde Rechnung Handelsgeschäfte betreibe, und er die Aufgebung dieses Betriebes nicht bedungen hat. (3) Übertritt der Prokurist oder Handlungsbevollmächtigte diese Vorschrift, so kann der Prinzipal Ersatz des verursachten Schadens fordern. Auch muß sich der Prokurist oder Handlungsbevollmächtigte auf Verlangen des Prinzipals gefallen lassen, daß die für seine Rechnung gemachten Geschäfte als für Rechnung des Prinzipals geschlossen angesehen werden. Diese Konkurrenzklausel kodifizierte einen allgemeinen Grundsatz und durchlief alle Beratungen beanstandungsfrei. 2 In den Vorentwürfen und Beratungen zum Handelsgesetzbuch wurde die Konkurrenzklausel des ADHGB übernommen. § 53 des Entwurfs eines Handelsgesetzbuchs für das deutsche Reich von 18953 lautete: §53 (1) Der Handlungsgehülfe darf ohne Einwilligung des Prinzipals weder gewerbsmäßig noch gelegentlich Handel treiben. (2) Verletzt der Handlungsgehülfe diese Verpflichtung, so kann der Prinzipal nach seiner Wahl Schadensersatz fordern oder verlangen, daß der 2 Protokolle zum Entwurf eines ADHGB Bd. 2, S. 964. 3 Abgedruckt bei SchubertlSchmiedellKrampe, Quellen zum Handelsgesetzbuch von 1897, Bd. l , S . 2 1 7 f f „ 233.

389 Handlungsgehülfe die für eigene Rechnung gemachten Geschäfte als für Rechnung des Prinzipals eingegangen gelten lasse und die aus Geschäften für fremde Rechnung bezogene Vergütung herausgebe oder seinen Anspruch auf die Vergütung abtrete. (3) Die Ansprüche veijähren in sechs Monaten von dem Zeitpunkt an, in welchem der Prinzipal Kenntniß von dem Abschluße des Geschäfts erhalten hat. Erweitert wurde die Konkurrenzklausel insofern, als nun nach § 53 Abs. 1 auch das Treiben von "gelegentlichem" Handel verboten war. Dafür konnte der Prinzipal nach § 53 Abs. 1 aber nicht mehr Schadensersatzund Erfüllungsansprüche geltend machen, sondern nur noch wahlweise einen der beiden Ansprüche erheben. Diese Beschränkung sollte als der Billigkeit entsprechend in das neue Handelsgesetzbuch eingefügt werden." Im Entwurf eines Handelsgesetzbuchs von 1896 wurde die Regelung des § 53 übernommen und auf zwei verschiedene Paragraphen (§§ 55, 56) verteilt. Wieder hinzugefügt wurde die im ADHGB von 1869 enthaltene Klausel über die Einwilligung des Prinzipals.5 Dieser Entwurf fand sich auch in allen weiteren Vorlagen zum Bundesrat, die den Beratungen zugrundelagen6. Aus den Beratungen ging dann die heute noch gültige Fassung des gesetzlichen Wettbewerbsverbotes hervor, die in den §§ 60, 61 HGB geregelt ist. II.

Nachvertragliche Wettbewerbsverbote

Ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot war im ADHGB noch nicht vorgesehen. Eine erste Regelung fand sich in den §§ 74, 75 HGB. Nachvertragliche Wettbewerbsverbote entsprachen bereits vorher der gängigen Praxis. So wurde in der Denkschrift zum Entwurf eines Handelsgesetzbuchs und Einführungsgesetzes beklagt, daß mit diesen Konkurrenzverboten, die durch hohe Konventionalstrafen gesichert waren, bedeutender Mißbrauch getrieben und den Handlungsgehülfen viel4 Begründung zu dem Entwurf eines Handelsgesetzbuchs für das Deutsche Reich von 1895, S. 53, abgedruckt bei Schubert/ Schmiedel/Krampe, Quellen zum Handelsgesetzbuch von 1897, Bd. 2,1. Halbband, S. 53. 5 Entwurf eines Handelsgesetzbuchs mit Ausschluß des Seehandelsrechts von 1896, S. 15, abgedruckt bei Schubert/Schmiedel/ Krampe, Quellen zum Handelsgesetzbuch von 1897, Bd. 1, S. 361. 6 Abgedruckt bei Schubert/Schmiedel/Krampe, Quellen zum Handelsgesetzbuch von 1897, Bd. 1, S. 471 ff.

390 fach das fernere Fortkommen weit über das Maß des berechtigten Interesses des Prinzipals hinaus erschwert werde.7 §§ 74 und 75 HGB hatten folgenden Wortlaut: §74 (1) Eine Vereinbarung zwischen dem Prinzipal und dem Handlungsgehilfen, durch welche dieser für die Zeit nach der Beendigung des Dienstverhältnisses in seiner gewerblichen Thätigkeit beschränkt wird, ist für den Handlungsgehülfen nur insoweit verbindlich, als die Beschränkung nach Zeit, Ort und Gegenstand nicht die Grenzen überschreitet, durch welche eine unbillige Erschwerung des Fortkommens des Handlungsgehülfen ausgeschlossen wird. (2) Die Beschränkung kann nicht auf einen Zeitraum von mehr als drei Jahren von Beendigung des Dienstverhältnisses an erstreckt werden. (3) Die Vereinbarung ist nichtig, wenn der Handlungsgehülfe zur Zeit des Abschlusses minderjährig ist. §75 (1) Giebt der Prinzipal durch vertragswidriges Verhalten dem Handlungsgehülfen Grund, das Dienstverhältnis gemäß den Vorschriften der §§ 70, 71 aufzulösen, so kann er aus einer Vereinbarung der im § 74 bezeichneten Art Ansprüche nicht geltend machen. Das Gleiche gilt, wenn der Prinzipal das Dienstverhältnis kündigt, es sei denn, daß für die Kündigung ein erheblicher Anlaß vorliegt, den er nicht verschuldet hat, oder daß während der Dauer der Beschränkung dem Handlungsgehülfen das zuletzt von ihm bezogene Gehalt fortgezahlt wird. (2) Hat der Handlungsgehülfe für den Fall, daß er die in der Vereinbarung übernommene Verpflichtung nicht erfüllt, eine Strafe versprochen, so kann der Prinzipal nur die verwirkte Strafe verlangen; der Anspruch auf Erfüllung oder auf Ersatz eines weiteren Schadens ist ausgeschlossen. Die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Herabsetzung einer unverhältnismäßig hohen Vertragsstrafe bleiben unberührt. (3) Vereinbarungen, welche diesen Vorschriften zuwiderlaufen, sind nichtig. Die Gerichte sahen sich nicht in der Lage, ohne gesetzliche Grundlage die Mißstände zu bekämpfen. Das Reichsgericht vertrat den Standpunkt, daß die Konkurrenzklausel nur dann als unverbindlich zu betrachten sei, 7 Denkschrift zum Entwurf eines Handelsgesetzbuchs, S. 241, abgedruckt bei Schubert/Schmiedel/Krampe, Quellen zum Handelsgesetzbuch von 1897, Bd. 2, 2. Halbband, S. 1001.

391 wenn sie sich als eine gegen die "Sittlichkeit und öffentliche Ordnung verstoßende Beseitigung der Freiheit wirtschaftlicher Selbstbetätigung" darstelle. 8 Die grundsätzliche Notwendigkeit, ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot zu vereinbaren, wurde jedoch nicht bezweifelt, weil das Gesetz ansonsten den Gewerbetreibenden die Möglichkeit vollständig entzöge, auf dem bezeichneten Wege ihre oft durch langjährige Bemühungen erlangte geschäftliche Stellung gegen unbefugte Eingriffe zu schützen.9 Die Zahlung einer Entschädigung für die Dauer des Wettbewerbsverbots wurde nur für die Fälle des § 75 Abs. 1 HGB als erforderlich angesehen. Der Gesetzgeber sah sich nicht in der Lage, weiteren Anträgen, die im Gesetzgebungsverfahren gestellt wurden, nachzugeben, wonach die in § 74 Abs. 1 HGB gewählte Formulierung "unbillige Erschwerung" durch konkretere Angaben ersetzt werden sollte.10 Die §§ 74 und 75 wurden 1914 neu gefaßt. Gleichzeitig wurden §§ 74a, 74b, 74c, 75a und 75b eingefügt. 11 Nach Inkrafttreten des Grundgesetzes wurden die Wettbewerbsverbote erneut diskutiert. Das Bundesarbeitsgericht entschied, daß sie nicht gegen das Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG verstoßen, sofern sie sich in einem bestimmten Rahmen halten.12 Einige Vorschriften sind jedoch vom Bundesarbeitsgericht für verfassungswidrig erklärt worden. Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht war nicht erforderlich, da es sich um vorkonstitutionelles Recht handelte. Zunächst wurde § 75 Abs. 3 HGB vom Bundesarbeitsgericht für verfassungswidrig erklärt.13 Weiterhin wurden die Be8 Zitiert nach der Denkschrift zum Entwurf eines Handelsgesetzbuchs und Einfiihrungsgesetzes, S.241, abgedruckt bei SchubertlSchmiedellKrampe, Quellen zum Handelsgesetzbuch von 1897, Bd. 2,2. Halbband, S. 1001. 9 Denkschrift zum Entwurf eines Handelsgesetzbuchs und Einführungsgesetzes, S. 241, abgedruckt bei Schubert! Schmiedell Krampe, Quellen zum Handelsgesetzbuch von 1897, Bd. 2,2. Halbband, S. 1001. 10 Vgl. Kommissionsbericht über den Entwurf des HGB, Reichstags-Drucksache, 9. Legislaturperiode, IV. Session 1895/97, S. 564, abgedruckt bei Schubert/ Schmiedel/Krampe, Quellen zum Handelsgesetzbuch von 1897, Bd. 2, 2. Halbband, S. 1286 ff. sowie die Berichte von Heller über die Sitzungen der XVIII. Kommission, abgedruckt bei Schubert/Schmiedel/Krampe, Quellen zum Handelsgesetzbuch von 1897, Bd. 2,2. Halbband, S. 1398 f. 11 Gesetz vom 10.6.1915, RGBl. 11914, S. 209. 12 BAG, AP Nr. 20 zu Art. 12 GG. 13 BAG, AP Nr. 6 zu §75 HGB.

392 Stimmungen über die Verdienstgrenze in § 74 a Abs. 2 Satz 1 HGB und in § 75 b Satz 2 HGB für verfassungswidrig erklärt14 sowie schließlich die in § 75 b Satz 1 HGB.'S Im Jahre 1974 wurde § 75 e HGB vom Gesetzgeber aufgehoben16 und der Entschädigungsanspruch in §§ 59 Abs. 1 Nr. 3 b, 61 Abs. 1 Nr. 1 b KO neu geregelt. B.

Die unterschiedlichen gesetzlichen Regelungen

I.

Wettbewerbsverbote während des Bestehens des Arbeitsverhältnisses

Eine gesetzliche Regelung für ein Wettbewerbsverbot während des Bestands des Arbeitsverhältnisses für alle Arbeitnehmer existiert nicht. Die einzigen gesetzlichen Bestimmungen sind die §§ 60, 61 HGB. Sie gelten nur für einen Teil der Angestellten, nämlich die Handlungsgehilfen nach § 59 HGB, also Arbeitnehmer, die in einem Handelsgewerbe zur Leistung kaufmännischer Dienste angestellt sind. Das bedeutet aber nicht, daß andere Arbeitnehmer als Handlungsgehilfen darin frei wären, ihren Arbeitgebern Konkurrenz zu machen. Eine dem § 60 HGB entsprechende Unterlassungspflicht wird vielmehr auch für alle anderen Arbeitnehmer angenommen, insoweit aber aus der "arbeitsrechtlichen Treuepflicht" abgeleitet.17 Rechtsprechung und Literatur haben allerdings methodische Probleme bei der dogmatischen Herleitung des Ergebnisses. Wenn ohnehin alle Arbeitnehmer in gleicher Weise einem Wettbewerbsverbot unterliegen, bietet es sich an, zu dessen Konkretisierung §§ 60, 61 HGB analog heranzuziehen; denn aus der arbeitsrechtlichen Treuepflicht lassen sich kaum Einzelheiten ableiten. In der Literatur wurde jedoch eine analoge Anwendung der §§ 60, 61 HGB auf andere Arbeitnehmer ausdrücklich abgelehnt.18 Auch das Bundesarbeitsgericht hat die Möglichkeit einer analogen Anwendung der §§ 60, 61 HGB verneint.19 Im Ergebnis hat es aber dem gesetzlich normierten Wettbewerbsverbot einen entspre14 15 16 17 18 19

BAG, AP Nr. 10 und Nr. 14 zu § 75 b HGB. BAG, AP Nr. 15 zu § 75 b HGB. Gesetz vom 17.1.1974, BGBl. 1 1974, S. 1481. BAG, AP Nr. 8 zu § 611 BGB Treuepflicht; Zöllner, Arbeitsrecht, S. 143. //«ect/Nipperdey, Arbeitsrecht, § 381,2. BAG, AP Nr. 7 zu § 611 BGB Treuepflicht; ebenso ArbG Göttingen, DB 1974, S. 632.

393 chenden allgemeinen Rechtsgedanken entnommen, der wiederum seine Grundlage in der Treuepflicht des Arbeitnehmers haben sollte.20 II.

Wettbewerbsverbote nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses

Für die Zeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses finden sich gesetzliche Regelungen über Wettbewerbsverbote für kaufmännische Angestellte in den §§ 74 ff. HGB, für technische Angestellte in § 133 f GewO und für die zu ihrer Ausbildung beschäftigten Arbeitnehmer in § 5 BBiG.

Für die übrigen Angestellten und für alle Arbeiter besteht keine gesetzliche Regelung über ein vertragliches Wettbewerbsverbot nach Beendigung des Arbeitsvertrages. Bei dieser Sachlage fragt es sich, inwieweit die bestehenden gesetzlichen Regelungen Unterschiede aufweisen und inwieweit im Wege der Auslegung trotz unterschiedlicher Gesetzeslage einheitliche Ergebnisse für alle Arbeitnehmer möglich sind. 1. Das Wettbewerbsverbot für kaufmännische Angestellte Die §§ 74 - 75 d HGB enthalten im wesentlichen die folgenden Problemkreise: Form der Wettbeweibsabrede Verhältnismäßigkeitsprinzip bei der Wettbewerbsabrede Vereinbarung der Karenzentschädigung, Berechnung der Karenzentschädigung Abwicklung des Wettbewerbsverbots.

Ein erster Schutz für den kaufmännischen Angestellten wird dadurch erreicht, daß die Wettbewerbsabrede der Schriftform bedarf und daß dem Arbeitnehmer eine Urkunde ausgehändigt weiden muß, § 74 Abs. 1 HGB. Gesetzgebungstechnisch ist die Regelung insofern verbesserungsbedürftig, als der notwendige Inhalt der Urkunde nicht im Gesetz aufgezählt wird. So gehört zum wesentlichen Vertragsinhalt auch die Vereinbarung einer Karenzentschädigung und deren Höhe. Inhaltlich ist der Arbeitnehmer insoweit geschützt, als die Beschränkung seiner Tätigkeit nur entsprechend dem Verhältnismäßigkeitsprinzip erfolgen darf und ihm als Gegenleistung eine Karenzentschädigung zusteht. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip ist in § 74 a Abs. 1 HGB normiert. Auf der einen Seite darf das Wettbewerbsverbot nur vereinbart werden, wenn und soweit es dem Schutz eines berechtigten geschäftlichen Interesses des Arbeitgebers dient, § 74 a Abs. 1 Satz 1 HGB. Auf 20 BAG a.a.O.

394 seiten des Arbeitnehmers darf andererseits das Wettbewerbsverbot keine nach Ort, Zeit oder Gegenstand unbillige Einschränkung des Fortkommens des Arbeitnehmers enthalten, wobei in zeitlicher Hinsicht eine Zweijahresgrenze gilt, § 74 a Abs. 1 Satz 2 HGB. Das Wettbewerbsverbot ist im übrigen unwirksam, wenn sich der Arbeitgeber nicht zugleich zur Zahlung einer Karenzentschädigung verpflichtet. Diese muß mindestens die Hälfte der zuletzt bezogenen vertragsgemäßen Vergütung betragen, § 74 Abs. 2 HGB. Nach § 75 b HGB braucht allerdings in zwei Fällen keine Karenzentschädigung vereinbart zu werden, bei außerhalb Europas beschäftigten Arbeitnehmern, § 75 b Satz 1 HGB, und bei "Hochbesoldeten", § 75 b Satz 2 HGB. Allerdings hat das Bundesarbeitsgericht § 75 b Satz 1 HGB als mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar und daher nichtig erklärt. 21 Auch die Regelung für Hochbesoldete ist inzwischen nicht mehr anwendbar. Zur Legaldefinition des Hochbesoldeten nennt das Gesetz einen festen Betrag von 8.000 DM, der später nicht an steigende Einkommen angepaßt wurde. Das Bundesarbeitsgericht hat zunächst im Jahre 1969 § 75 b Satz 2 HGB jedenfalls mit der dort genannten Verdienstgrenze für verfassungswidrig erklärt 22 und im Jahre 1975 auch eine verfassungskonforme Auslegung dieser Vorschrift abgelehnt. 23 Damit kann auch § 75 b HGB heute insgesamt außer Betracht bleiben. Bei der Abwicklung des Wettbewerbsverbots können sich Veränderungen entweder durch einen Verzicht auf das Wettbewerbsverbot oder durch eine Kündigung des Arbeitsvertrages ergeben. So kann der Arbeitgeber vor Beendigung des Arbeitsvertrages schriftlich auf das Wettbewerbsverbot verzichten-, tut er dies länger als ein Jahr vor Ablauf des Arbeitsverhältnisses, braucht er keine Karenzentschädigung zu zahlen, § 75 a HGB. Kündigt der Angestellte das Arbeitsverhältnis wegen vertragswidrigen Verhaltens des Arbeitgebers, so hat er ein Wahlrecht: Er kann erklären, daß er sich nicht an das Wettbewerbsverbot halten will, oder er kann es bei dem Wettbewerbsverbot belassen, § 75 Abs. 1 HGB. Kündigt der Arbeitgeber, so sind mehrere Fallgestaltungen zu unterscheiden. Grundsätzlich wird gem. § 7 5 Abs. 2 Satz 1 1. Halbsatz HGB das Wettbewerbsverbot bei der arbeitgeberseitigen Kündigung unwirksam, und zwar nach dem Wortlaut "in gleicher Weise", d.h. wie nach § 75 Abs. 1 HGB. Das bedeutet, daß der Angestellte ein Wahlrecht hat, 21 BAGE 34, S. 220 = BAG, AP Nr. 15 zu § 74 b HGB. 22 BAGE 22, S. 215 = BAG, AP Nr. 10 zu § 75 b HGB. 23 BAGE 27, S. 284 = BAG, AP Nr. 14 zu § 75 b HGB.

395 ob das Verbot Bestand haben soll oder nicht.24 Dieses Wahlrecht kann der Arbeitgeber dadurch beseitigen, daß er sich gem. § 75 Abs. 2 Satz 1 letzter Halbsatz HGB dazu bereit erklärt, dem Angestellten für die Dauer der Karenzzeit die vollen, von ihm zuletzt bezogenen Leistungen weiter zu gewähren. Auch wenn der Arbeitgeber nach § 75 Abs. 2 Satz 1 HGB wegen eines erheblichen Anlasses in der Person des Gehilfen kündigt, entfällt das Wahlrecht des Angestellten.25 Die Wettbewerbsabrede bleibt beiderseits wirksam.26 Erfolgt die Kündigung des Arbeitgebers wegen vertragswidrigen Verhaltens des Gehilfen, so sieht §75 Abs. 3 HGB vor, daß zwar das Wettbewerbsverbot gilt, aber die Entschädigung entfällt. Diese Vorschrift hat das Bundesarbeitsgericht für verfassungswidrig erklärt27, weil der Handlungsgehilfe gegenüber dem Prinzipal, dem Gleiches zur Last fällt, unangemessen benachteiligt werde. Die daraus enstandene Lücke sei durch eine analoge Anwendung von § 75 Abs. 1 HGB zu schließen. Der Arbeitgeber könne wählen, ob er am Wettbewerbsverbot festhalten will - bei Zahlung der Karenzentschädigung -, oder ob er sich von der Abrede lossagen will, womit das Konkurrenzverbot unwirksam wird.28 2.

Das Wettbewerbsverbot für technische Angestellte und für Auszubildende Während die Zulässigkeit eines vertraglichen Wettbewerbsverbots bei kaufmännischen Angestellten gem. § 74 Abs. 2 HGB grundsätzlich von der Zahlung einer angemessenen Entschädigung abhängt, sieht § 133 f GewO für den technischen Angestellten keine Karenzentschädigung vor. Das Wettbewerbsverbot darf nur nicht zu einer "unbilligen Erschwerung" des Fortkommens beim Arbeitnehmer führen. Nach § 5 BBiG sind mit Auszubildenden abgeschlossene Wettbewerbsabreden nichtig.

3. Das Wettbewerbsverbot für die übrigen Arbeitnehmer Für alle anderen Arbeitnehmer fehlt es an einer gesetzlichen Regelung des vertraglichen Wettbewerbsverbots, vgl. § 83 HGB. Die Zulässigkeit derartiger Regelungen richtet sich deshalb nach den allgemeinen Vorschriften über Verträge. 24 25 26 27 28

Baumbach/Duden/Hopt, § 75 HGB, Anm. 2 A. Heymann/Honsell, § 75 HGB, Rdnr. 16. BaumbachlDudenIHopt, § 75 HGB, Anm. 2 A. BAG, AP Nr. 6 zu § 75 HGB. BaumbachlDudenIHopt, § 75 HGB, Anm. 1 B.

396 4. Das Recht der neuen Bundesländer In den neuen Bundesländern gelten nunmehr ebenfalls die §§ 59 ff. HGB, einschließlich der §§ 60, 61 und der §§ 74 ff. HGB betr. Wettbewerbsverbote.29 Nicht übernommen wurden die §§ 75 Abs. 3, 75b Satz 2 und 82a HGB sowie § 133 f GewO.30 § 75b Abs. 3 HGB wurde vom Bundesarbeitsgericht für verfassungswidrig erklärt, ebenso § 74b Satz 2 HGB. § 82a HGB ist wegen §§ 19, 5 Abs. 1 BBiG gegenstandslos. Da § 133 f GewO durch die Rechtsprechung an die §§ 74 ff. HGB angeglichen worden ist, konnte die Vorschrift ersatzlos entfallen. III.

Die Gleichstellung durch die Rechtsprechung

Nachdem die Rechtsprechung jahrelang eine entsprechende Anwendung der §§ 74 ff. HGB auf die nichtkaufmännischen Angestellten abgelehnt hatte, hat das Bundesarbeitsgericht seit 1965 seine Rechtsprechung geändert. Zunächst wandte das Bundesarbeitsgericht die Rechtsgedanken der §§ 74 ff. HGB im Rahmen des § 133f GewO auch auf die technischen Angestellten an31 und machte darüber hinaus die Zulässigkeit von vertraglichen Wettbewerbsverboten bei sonstigen Arbeitnehmern von den für die §§ 74 ff. HGB und § 133 f GewO geltenden Wertmaßstäben für die guten Sitten abhängig32. Seit 1969 schließlich wendet das Bundesarbeitsgericht generell die §§ 74 ff. HGB über die Gruppe der nichtkaufmännischen Angestellten hinaus auf sämtliche Arbeitnehmer an33. Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts ist die analoge Anwendung der §§ 74 ff. HGB, soweit nicht bestimmte Schutzvorschriften, wie die Zahlung einer Karenzentschädigung, betroffen sind, tarifdispositiv, da der Tarifvertrag eine materielle Richtigkeitsgewähr biete.34 Die Gleichstellung der unterschiedlichen Gruppen von Arbeitnehmern beim nachvertraglichen Wettbewerbsverbot bietet ein inhaltliches und ein methodisches Problem. In inhaltlicher Hinsicht geht es darum, welchen Schutz man Arbeitnehmern gegenüber Beschränkungen ihrer Be29 Ani. I Kap. III Sachgebiet D Abschn. III Nr. 1, Kap. VII Sachgebiet A Abschn. III Nr. 2, BGBl. II 1990, S. 959,1020. 30 S. dazu Wank, RdA 1991, S. 1,6. 31 BAG, AP Nr. 18 zu §74 HGB. 32 BAG, AP Nr. 21 zu § 611 BGB Konkurrenzklausel; BAG, AP Nr. 22 zu § 74 HGB. 33 BAG, AP Nr. 24 zu § 611 BGB Konkurrenzklausel; BAG, AP Nr. 28 zu 74 HGB; s. dazu Weisemann/Schrader, DB Beil. Nr. 4/1980, S. 7. 34 BAG, AP Nr. 54 zu § 611 BGB Gratifikation; BAG, AP Nr. 28 zu § 74 HGB; s. auch Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, § 581,6.

397 rufstätigkeit gewähren will. Angesichts der bestehenden Regelung in den §§ 74 ff. HGB, die auf kaufmännische Angestellte beschränkt ist, ergibt sich des weiteren das methodische Problem, ob nicht deren Charakter als Spezialregelung eine Übernahme auf andere Arbeitnehmer verbietet Das Bundesarbeitsgericht hat lange Zeit selbst dieses Bedenken gehabt. Auch Teile des Schrifttums haben Bedenken gegen die Analogie.35 Eine Rechtsfortbildung praeter legem36 sei hier nicht möglich. Aber auch die Voraussetzungen für eine Rechtsfortbildung extra legem37 lägen nicht vor. Es reiche nämlich ein arbeitsrechtlicher Minimalschutz, und dem sei bereits durch die Anwendung der §§ 138 BGB, 133 f GewO genüge getan. Überwiegend wurde jedoch der Wandel der Rechtsprechung in der Literatur begrüßt.38 - Die methodischen Bedenken sind unbegründet. Auch wenn es die §§ 74 ff. HGB nicht gäbe, müßten entsprechende Rechtssätze auf der Grundlage von Art. 12 GG und § 138 BGB entwickelt werden. Unverhältnismäßige Beschränkungen der beruflichen Tätigkeit müßten in ähnlicher Weise richterrechtlich kontrolliert werden wie nach der gesetzlichen Regelung. Wenn aber ohnehin eine Konkretisierung des §138 BGB erforderlich ist, kann sie auch in Analogie zu den §§ 74 ff. HGB erfolgen. Es ist nicht dargetan, daß der Arbeitnehmerschutz nach den §§ 74 ff. HGB überzogen wäre. Ob man nun die Auslegung der §§ 138 BGB, 133 f GewO, wie das Bundesarbeitsgericht, an den Wertungsmaßstäben der §§ 74 ff. HGB orientiert oder die §§ 74 ff. HGB analog anwendet, macht wenig Unterschied. Da, wie gezeigt, eine übereinstimmende Lösung für alle Arbeitnehmer möglich ist, enthält die geltende Regelung insoweit keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Es bleibt aber unbefriedigend, daß der Gesetzeswortlaut mit seiner Aufteilung auf zwei Spezialvorschriften und eine Generalklausel das geltende Recht nicht erkennen läßt. IV.

Rechtsvergleichung

Obwohl es im Bereich der Wettbewerbsverbote an einer übereinstimmenden und klaren Linie in den verschiedenen Rechtsordnungen fehlt, 35 36 37 38

Hanau/Adomeit, Arbeitsrecht, S. 196; Lieb, DB 1973, S. 69 ff. Dazu Lorenz, Methodenlehre, S. 370 ff. Dazu Lorenz, Methodenlehre, S. 413 ff. Hofmann, Anm. zu BAG AP Nr. 23 zu § 133 f GewO; Kuchenhoff, Anm. zu BAG AP Nr. 25, 26 zu § 611 BGB Konkurrenzklausel; Wiedemann, Anm.zu BAG AP Nr. 24 zu § 611 BGB Konkurrenzklausel.

398 lassen sich doch gewisse Gemeinsamkeiten finden. So sind Wettbewerbsverbote auch in anderen Ländern, wenn auch regelmäßig in engen Grenzen, zulässig. Soweit gesetzliche Wettbewerbsverbote nicht existieren 39 , läßt die jeweilige Rechtsordnung vertraglich vereinbarte Wettbewerbsverbote zu. Unterschieden wird hinsichtlich der Zulässigkeitsvoraussetzungen von Wettbewerbsverboten danach, ob es sich um eine Wettbewerbssituation während oder nach Ablauf des Arbeitsverhältnisses handelt. Während des Arbeitsverhältnisses bestehende Wettbewerbsverbote sind eher zulässig als solche nach Ablauf des Arbeitsverhältnisses. Vertragliche Wettbewerbsverbote müssen häufig, insbesondere nach Ablauf des Arbeitsverhältnisses, ausdrücklich schriftlich fixiert werden 40 . Daneben unterliegen sie zeitlichen, sachlichen und räumlichen Beschränkungen 41 und sind oft von einer Ausgleichszahlung abhängig 42 . Hinsichtlich ihrer zeitlichen und sachlichen Grenzen sind die einzelnen Regelungen uneinheitlich43. Das geht so weit, daß z.B.in den Vereinigten Staaten für hoch qualifizierte Arbeitnehmer, anders als für geringer qualifizierte Arbeitnehmer, Wettbewerbsverbote nicht durchsetzbar sind,44 während in Italien und Spanien besonders lang andauernde Wettbewerbsverbote für diese Personengruppen vereinbart werden dürfen. Die Tendenz in der Rechtsprechung geht dahin, Wettbewerbsverbote restriktiv zu handhaben. Dies geschieht teilweise dadurch, daß dem Richter ein sogenanntes Moderationsrecht zuerkannt wird, 45 d.h. er darf unzulässige Wettbewerbsverbote auf das noch zulässige Maß beschränken. In Belgien ist das System der Wettbewerbsverbote weitaus ausführlicher gesetzlich geregelt als in anderen Ländern. Zulässigkeitsvoraussetzun39 S. zum Vereinigten Königreich Kronke, Regulierungen, S. 186. 40 S. zu Belgien Kronke, Regulierungen, S. 47; zu Dänemark S. 56; zu Italien S. 92; zu den Niederlanden S. 123; zum Vereinigten Königreich S. 186. 41 S. zu Belgien Kronke, Regulierungen, S. 47; zu Frankreich S. 68; zu Italien S. 92. 42 S. zu Frankreich Kronke, Regulierungen, S.68f.; zu Italien S.92; zu Spanien S. 163 f. 43 Während des Arbeitsverhältnisses besteht beispielsweise in Dänemark (s. Kronke, Regulierungen, S. 56), Italien (Kronke, Regulierungen, S. 92) ein Konkurrenzverbot; nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses: 1 Jahr bei Angestellten mit Vertrauensstellung - Dänemark, 5 Jahre bei leitenden Angestellten, 2 Jahre für andere Arbeitnehmer - Italien; 2 Jahre für technische Angestellte, 6 Monate für andere Arbeitnehmer - Spanien. Unterhalb einer gewissen Einkommensgrenze sind Wettbewerbsverbote in Belgien generell unzulässig. 44 S. zu den Vereinigten Staaten Kronke, Regulierungen, S. 175 f. 45 S. zu Frankreich Kronke, Regulierungen, S. 68 f.; zu den Niederlanden S. 123.

399 gen für Wettbewerbsverbote finden sich in den Art. 65, 86, 104 Arbeitsvertragsgesetz. Wettbewerbsverbote in Belgien müssen schrift-lich verein-bart und tarifvertrag-lich sanktioniert sein. Unterhalb gewisser Einkommensgrenzen sind Wettbewerbsverbote generell unzulässig. Soweit ihre Zulässigkeit ansonsten bejaht wird, sind sie sachlich und zeitlich eng begrenzt. In Dänemark besteht während des Arbeitsverhältnisses ein Wettbewerbsverbot und ein Verbot zur Weitergabe von Geschäftsgeheimnissen. Nach Ablauf des Arbeitsverhältnisses ist der Arbeitnehmer bis zur Dauer von 3 Jahren verpflichtet, rechtmäßig erworbene Geschäftsgeheimnisse nicht zu verwenden. Die Wirksamkeit hierüber hinausgehender Vereinbarungen richtet sich nach § 38 Vertragsgesetz (Aftalelov). Für Angestellte besteht ein Wettbewerbsverbot im Grundsatz für die Dauer eines Jahres, wenn eine Vertrauensstellung ausgeübt wurde. Weitergehende Vereinbarungen sind schriftlich zu fixieren und nur dann wirksam, wenn sie mit einer Gegenleistung verbunden sind. In Frankreich sind Wettbewerbsverbote häufig Gegenstand tarifvertraglicher Vereinbarungen. Nach der französischen Rechtsprechung sind Wettbewerbsverbote nur im Zusammenhang mit einer Gegenleistung räumlich, sachlich und persönlich begrenzt zulässig. Ein allgemeines, in Art. 2105 Cod.civ. geregeltes Konkurrenzverbot während des Bestehens des Arbeitsverhältnisses findet sich in Italien. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist ein Konkurrenzverbot aber auch hier an strenge Voraussetzungen geknüpft. So ist ein Konkurrenzverbot nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses nur bei besonderer schriftlicher Vereinbarung unter finanziellem Ausgleich (Art. 2125 I Cod.civ.) und zeitlich begrenzt zulässig. Für leitende Angestellte beträgt die zeitliche Höchstgrenze 5 Jahre, für die restlichen Arbeitnehmer dagegen nur 2 Jahre (Art. 2125 II Cod.civ). Art. 1637 x Burgerlijk Wetboek (BW) enthält Zulässigkeitsvoraussetzungen für das Konkurrenzverbot in den Niederlanden nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Neben dem Schriftformerfordernis und der Zahlung eines Ausgleiches regelt Art. 1637 x BW die richterliche Prüfungskompetenz. Das Schweizer Recht regelt in Art 340 OR ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot. Besonders gelagert ist die Rechtslage hinsichtlich des Konkurrenzverbotes in Spanien. In Spanien wird zwar gem. Art. 21 Estatuto de los Trabajadores, wie in anderen Ländern auch, zwischen dem Konkurrenzverbot während und nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses un-

400 terschieden, der Arbeitnehmer hat aber ein grundsätzlich zeitlich ungebundenes Rücktrittsrecht mit einer Rücktrittsfrist von 30 Tagen bezüglich der Vereinbarung der ausschließlichen Arbeitsleistung. Erklärt der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber gegenüber den Rücktritt schriftlich, so erlöschen nach Ablauf der 30-Tage-Frist das vertragliche Konkurrenzverbot des Arbeitnehmers sowie alle übrigen Rechte und Pflichten, insbesondere auch die an das Konkurrenzverbot gekoppelte Entschädigungspflicht des Arbeitgebers. Für den Zeitraum nach Ablauf des Arbeitsverhältnisses ist in Spanien ein Konkurrenzverbot unter Zugrundelegung eines angemessenen finanziellen Ausgleichs bis zur Höchstdauer von 2 Jahren für technische Angestellte und für alle übrigen Arbeitnehmer bis zu 6 Monaten zulässig, wenn der Arbeitgeber ein "effektives Industrie- oder Handelsinteresse" an der Vereinbarung hat. Im Vereinigten Königreich existieren keine gesetzlichen Wettbewerbsverbote. Hier erkennt die Rechtsprechung, allerdings unter sehr engen Voraussetzungen, für den Zeitraum nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses schriftlich fixierte Wettbewerbsverbote an. V.

Bisherige Neuregelungsvorschläge

1.

Der Vorschlag

Fischers

a) Darstellung Im Jahre 1971 hat Fischer einen Vorschlag zur Neuregelung des vertraglichen Wettbewerbsverbots gemacht.46 Dieser Vorschlag gibt im wesentlichen die Vorstellung der Union der leitenden Angestellten wieder. Er ist demgemäß nur auf deren Situation zugeschnitten und behandelt nur Angestellte. Ein einheitliches Recht der Wettbewerbsverbote für alle Arbeitnehmer wird darin nicht angestrebt. Der Vorschlag enthält Ausführungen zu den Grenzen des Wettbewerbsverbots, zur Entschädigung, zum Unwirksamwerden des Verbots, zum Verzicht auf das Wettbewerbsverbot sowie zu den hier nicht interessierenden Fragen der vorvertraglichen Vereinbarung eines Wettbewerbsverbots und der Wettbewerbsbeschränkung von pensionierten Angestellten. Das Wettbewerbsverbot soll sachlich nach den Arbeitsgebieten des Angestellten umschrieben werden, räumlich begrenzt und zeiüich befristet sein. Die Höchstdauer des Wettbewerbsverbots soll zwei Jahre betragen. Die sachliche Begrenzung soll nur solche Gebiete umfassen, auf denen 46 Fischer, DB 1971, S. 1255.

401 der Angestellte konkurrenzerhebliche Kenntnisse erworben hat. Zugunsten des Arbeitgebers soll vereinbart werden können, daß der Angestellte sich schriftlich verpflichtet, keine konkurrenzerheblichen Kenntnisse in irgendeiner Form weiterzugeben und bei einem Verstoß eventuell in Anspruch genommen werden kann. Die räumliche Begrenzung als Voraussetzung für die Verbindlichkeit eines Wettbewerbsverbots muß eng an der Erfoiderlichkeit der örtlichen Ausdehnung ausgerichtet werden. Das Wettbewerbsverbot ist insoweit unverbindlich, als es nicht dem Schutz eines berechtigten und geschäftlichen Interesses des Arbeitgebers dient oder unter Berücksichtigung der gewährten Entschädigung durch seine räumliche, zeitliche oder sachliche Ausdehnung eine unbillige Erschwerung des Fortkommens des Angestellten darstellt. Insoweit entspricht die Forderung dem bereits geltenden § 74 a Abs. 1 HGB. Dem Angestellten soll das Recht eingeräumt werden, bezüglich der räumlichen und sachlichen Ausdehnung des Wettbewerbsverbots eine schriftliche Begründung des Arbeitgebers zu verlangen, soweit nicht dessen berechtigtes geschäftliches Interesse offensichtlich ist. Die Entschädigung während der Karenzzeit soll 100% der letzten Bezüge des Angestellten betragen. Hierbei sollen die letzten vertragsmäßigen laufenden Bezüge des Angestellten unter Hinzurechnung der sonstigen nicht laufenden Zuwendungen, wie Gratifikationen, Jahresabschlußzahlungen und ähnliches - auch wenn sie nur freiwillig gewährt werden - mit berücksichtigt werden. Nur dadurch sei gewährleistet, daß insbesondere die Aufrechterhaltung des erreichten Lebensstandaids gewährleistet ist. Erzielt der Angestellte anderweitigen Verdienst oder unterläßt er es vorwerfbar, anderweitigen Verdienst zu erwerben, so soll sich die Entschädigung auf ein Drittel vermindern. Erreichen das neue Gehalt und das eine Drittel der Entschädigung nicht 100% des vorherigen Gehaltes, so ist der Differenzbetrag vom früheren Arbeitgeber hinzuzuzahlen. Der Grundgedanke dieser Regelung ist, daß der frühere Arbeitgeber auf jeden Fall eine Gegenleistung für das Wettbewerbsverbot zu erbringen hat. Damit soll erreicht werden, daß die Wettbewerbsverbote auf die wirklich unerläßlichen Fälle beschränkt werden. Die reine "Ein-Drittel-Regelung" soll sich auf solche Fälle beschränken, in denen der Angestellte aus freiem Entschluß selbst das Arbeitsverhältnis beendigt oder der Arbeitgeber die Kündigung ausspricht aus Gründen, die in der Person oder in dem Verhalten des Angestellten liegen.47 47 Zu Einzelheiten der Berechnungsregelung vgl. Fischer, DB 1971, S. 1255,1257.

402 Das Wettbewerbsverbot soll unwirksam werden, wenn der Angestellte das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund wegen vertragswidrigen Verhaltens des Arbeitgebers kündigt. Das Gleiche gilt bei der arbeitgeberseitigen Kündigung, die nicht durch in der Person des Angestellten liegende Gründe bedingt ist. In diesen Fällen sollen sich die Parteien vom Wettbewerbsverbot lösen können, wenn sie dies innerhalb bestimmter Fristen anzeigen.48 Ein Verzicht auf das Wettbewerbsverbot soll über die in § 75a HGB gegebenen Voraussetzungen hinaus möglich sein. Bereits kurz nach der Kündigung49 soll der Arbeitgeber sich zum Verzicht äußern. Nach der jetzt geltenden Regelung bleibe der Angestellte bis zum letzten Tag darüber im unklaren, ob er sich an das Wettbewerbsverbot halten muß oder nicht. Es bestehe aber bereits vorher die Notwendigkeit, über die weitere berufliche Zukunft - ob mit oder ohne Wettbewerbsverbot - zu disponieren. Diese Regelung liege im beiderseitigen Interesse. b) Stellungnahme Die von Fischer vorgeschlagene Regelung bezieht sich in erster Linie auf leitende Angestellte. Sie geht daher nicht in genügendem Maße auf die Wettbewerbsverbote mit ein, die bezüglich aller Arbeitnehmer vereinbart werden können. Die von Fischer vorgeschlagenen Grenzen der Wettbewerbsverbote stimmen mit den hier gemachten Vorschlägen überein. Sie sind weitgehend unstreitig. Die von Fischer verlangte schriftliche Begründung ist geeignet, den Arbeitnehmerschutz zu verbessern. Nach Fischer soll die Entschädigung in der Regel 100% der bisherigen Bezüge betragen. Damit würde jedoch für den Arbeitnehmer der Anreiz entfallen, während der Spexrzeit eine berufliche Tätigkeit aufzunehmen. Daher ist der Vorschlag insoweit abzulehnen. Bezüglich des Unwirksamwerdens des Verbots besteht zwischen dem Vorschlag von Fischer und der hier vertretenen Ansicht weitgehende Übereinstimmung. Fischer verlangt aber darüberhinaus, daß das Wettbewerbsverbot unwirksam wird, wenn der Arbeitgeber die Kündigung ausspricht und sie nicht durch in der Person oder in dem Verhalten des Angestellten liegende Gründe bedingt ist. Die Ausweitung der Unwirksamkeitstatbestände würde zu sehr zu Lasten des Arbeitgebers gehen. Der Arbeitnehmer ist während dieser Zeit durch die Karenzentschädigung sowie durch Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz (§ 128a AFG) abgesichert. 48 Zu Einzelheiten vgl. Fischer, DB 1971, S. 1255,1257. 49 Zu den Einzelheiten s. Fischer, DB 1971, S. 1255,1257.

403 Den Vorschlägen über den Verzicht auf das Wettbewerbsverbot ist nicht zuzustimmen. Auch nach § 75a Abs. 1 HGB ist der Arbeitgeber an die Wettbewerbsabrede gebunden, allerdings nur für ein Jahr statt für zwei Jahre, wie nach § 74a Abs. 1 Satz 3 HGB. 2.

Der Vorschlag des

Bundesarbeitsministeriums

a) Darstellung Das Bundesarbeitsministerium hat im Jahre 1971 einen Gesetzentwurf vorgelegt.50 Er hatte folgenden Inhalt: Wettbewerbsabrede §a

(Abs. 1) Eine Vereinbarung, die den Arbeitnehmer für die Zeit nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses in seiner beruflichen Tätigkeit beschränkt (Wettbewerbsabrede), ist nur gültig, wenn sie 1. 2. 3. 4.

schriftlich abgefaßt und eine Ausfertigung dem Arbeitnehmer ausgehändigt ist, Angaben Uber den räumlichen Geltungsbereich der Wettbewerbsabrede sowie die Art und den Umfang der beschränkten Tätigkeit enthält, dem Schutz von Betriebs- oder Geschäfts-geheimnissen dient, an deren Wahrung der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse hat, eine Entschädigungspflicht des Arbeitgebers für die Dauer der Wettbewerbsabrede vorsieht.

(Abs. 2) Die Wettbewerbsabrede wird nach Ablauf der in ihr bestimmten Zeit, spätestens jedoch nach Ablauf von zwei Jahren nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses, unwirksam. (Abs. 3) Die Wettbewerbsabrede gilt nur für Tätigkeiten, die zweifelsfrei von ihr erfaßt werden. (Abs. 4) Eine Vereinbarung über die NichtVerwendung von Geschäftsoder Betriebsgeheimnissen gilt als Wettbewerbsabrede, wenn sie eine Betätigung des Arbeitnehmers in seiner bisherigen Fachrichtung (Alternative: wenn sie dem Arbeitnehmer eine Betätigung unter Verwendung seiner erworbenen beruflichen Kenntnisse und Erfahrungen) unmöglich macht oder stark erschwert. (Abs. 5) Hat sich der Arbeitnehmer für den Fall einer Verletzung in der Wettbewerbsabrede zur Zahlung einer Vertragsstrafe verpflichtet, so kann der Arbeitgeber Ansprüche nur nach Maßgabe des § 340 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches geltend machen. Der Anspruch auf Ersatz eines weiteren Schadens ist ausgeschlossen. § 343 des Bürgerlichen Gesetzbuches bleibt unberührt. 50 Bundesarbeitsministerium,

RdA 1971, S. 355,356 f.

404 (Abs. 6) Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist der Arbeitnehmer verpflichtet, dem Arbeitgeber auf Verlangen über seine berufliche Tätigkeit während der Dauer der Wettbewerbsabrede Auskunft zu erteilen, soweit sie für den Inhalt der Wettbewerbsabrede von Bedeutung ist. §b (Abs. 1) Die Entschädigung (§ a Abs. 1 Nr. 4) muß für jeden Monat der Wettbewerbsabrede mindestens ein Zwölftel des Arbeitsentgelts betragen, das der Arbeitnehmer in den letzten 12 Monaten vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus diesem bezogen hat. Erhöht sich das der Entschädigung zugrundeliegende Arbeitsentgelt allgemein und nicht nur vorübergehend, so erhöht sich im gleichen Verhältnis auch die Entschädigung. Die Entschädigung ist monatlich zu zahlen. (Abs. 2) Der Arbeitnehmer muß sich auf die Entschädigung anrechnen lassen, was er während des Zeitraums, für den die Entschädigung gezahlt wird, durch anderweitige Verwertung seiner Arbeitskraft erwirbt, soweit dieser Betrag zusammen mit der Entschädigung diese um mehr als die Hälfte übersteigen würde. (Abs. 3) Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, dem Arbeitgeber auf Verlangen über die Höhe des Arbeitsentgelts Auskunft zu erteilen. (Abs. 4) Die Entschädigung gehört zu den Dienstbezügen i.S. des § 16 Nr. 1 der Konkursordnung (Anm.: Gemeint ist § 61 Nr. 1 KO). §c Von den Vorschriften der §§ a und b kann durch Tarifvertrag abgewichen werden. Im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrags kann zwischen nichtgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern die Anwendung der tarifvertraglichen Regelung über die Wettbewerbsabrede vereinbart werden. §x Eine im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes bestehende Vereinbarung, die den Arbeitnehmer für die Zeit nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses in seiner beruflichen Tätigkeit beschränkt, bleibt unberührt, sofern das Arbeitsverhältnis bei Inkrafttreten dieses Gesetzes oder innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten danach beendet ist oder die Vereinbarung diesem Gesetz nicht widerspricht. Im übrigen bleiben Vereinbarungen mit der Maßgabe bestehen, daß die Bedingungen der §§ a und b als vereinbart gelten und jede Partei verlangen kann, daß die mit ihr getroffene Vereinbarung durch den Vertrag an das neue Recht angepaßt wird; wird die neue Fassung nicht innerhalb von 18 Monaten

405 nach Inkrafttreten dieses Gesetzes dem Arbeitnehmer ausgehändigt, so tritt die Vereinbarung außer Kraft. b) Stellungnahme Auch der Entwurf des Bundesarbeitsministeriums betrifft nur das nachvertragliche Wettbewerbsverbot. Er regelt Grenzen des Verbots und die vom Arbeitgeber zu zahlende Entschädigung. In § c enthält er eine Tarifoffnungsklausel sowie in § x eine Übergangsregelung. Der Entwurf entspricht hinsichtlich des Inhalts und der Grenzen der Wettbewerbsabrede weitgehend dem hier vorgelegten. Es fehlt eine Vorschrift darüber, was gilt, wenn die Wettbewerbsabrede unwirksam ist, der Arbeitnehmer sich aber dennoch an sie hält. Die Entschädigung soll mindestens ein Zwölftel des Arbeitsentgelts betragen, das der Arbeitnehmer in den letzten zwölf Monaten vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus diesem bezogen hat. Auch damit wird verkannt, daß insoweit ein Anreiz für den Arbeitnehmer fehlt, während der Zeit des Wettbewerbsverbots tätig zu werden. Es fehlt eine Vorschrift für den Fall, in dem der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grunde gekündigt hat. Die in § c vorgesehene Tariföffnungsklausel ist vor dem Hintergrund des Entwurfs verständlich. Sie enthält für Arbeitnehmer eine großzügige Lösung, was sich z.B. hinsichtlich der Höhe der Entschädigung niederschlägt. In diesen Bereichen sind die Tarifvertragsparteien gefordert. Will man, wie hier vorgeschlagen, eine mittlere Lösung, so ist eine Tariföffnungsklausel nicht unbedingt erforderlich. 3.

Der Entwurf der

Arbeitsgesetzbuchkommission

a) Darstellung Im Entwurf der Arbeitsgesetzbuchkommission war das Problem in § 80a KE sowie in den §§ 80c - 80e KE geregelt.51 Die Regelung hatte folgenden Wortlaut: § 80a Nebentätigkeit

(1) Der Arbeitnehmer hat eine andere berufliche Tätigkeit, mit der er nicht im Wettbewerb zu der auf den Betrieb bezogenen unternehmerischen Tätigkeit des Arbeitgebers steht, zu unterlassen, wenn und soweit er durch eine Ausübung dieser Tätigkeit die Belange des Betriebs beeinträchtigt. (2) Der Arbeitnehmer darf eine andere berufliche Tätigkeit, mit der er im Wettbewerb zu der auf den Betrieb bezogenen unternehmerischen Tätig51 Arbeitsgesetzbuchkommission, Entwurf eines Arbeitsvertragsgesetzes, S. 95 ff.

406 keit des Arbeitgebers steht, nur mit Einwilligung des Arbeitgebers ausüben. Die Einwilligung gilt als erteilt, wenn der Arbeitgeber nicht innerhalb von zwei Wochen nach Zugang des Antrags widerspricht. Der Arbeitgeber kann die Einwilligung auch befristet oder unter dem Vorbehalt des Widerrufs erteilen. § 80c Vereinbarung einer Wettbewerbsabrede (1) Arbeitgeber und Arbeitnehmer können eine Vereinbarung treffen, durch die der Arbeitnehmer nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses in seiner beruflichen Tätigkeit beschränkt wird (Wettbewerbsabrede). (2) Eine Wettbewerbsabrede ist nur rechtswirksam, wenn und soweit sie 1. 2. 3. 4. 5.

der Wahrung eines berechtigten unternehmerischen oder beruflichen Interesses des Arbeitgebers, insbesondere dem Schuz von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen, dient, ihren räumlichen Geltungsbereich, ihre Geltungsdauer sowie die Art und den Umfang der beschränkten Tätigkeit in einer für den Arbeitnehmer klar erkennbaren Weise bestimmt, eine Entschädigungspflicht des Arbeitgebers nach Maßgabe des § 80 d für die Dauer der Beschränkung des Arbeitnehmers in seiner beruflichen Tätigkeit vorsieht, auf längstens zwei Jahre nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses befristet ist, in einer gesonderten Urkunde niedergelegt und eine Ausfertigung dem Arbeitnehmer ausgehändigt ist

Entspricht eine Wettbewerbsabrede nicht oder nicht mehr den in Satz 1 Nr. 1 bis 5 genannten Voraussetzungen, so kann sich der Arbeitgeber nicht auf die Rechtsunwirksamkeit berufen, wenn sich der Arbeitnehmer an die Wettbewerbsabrede hält. (2 a) 1. Die Parteien können vereinbaren, daß der Arbeitgeber die Abrede während der Dauer des Arbeitsverhältnisses kündigen kann. Die Kündigungsfrist beträgt zwei Jahre; sie ist jedoch nicht länger als das Arbeitsverhältnis selbst und auch nicht länger als die vereinbarte Dauer des Wettbewerbsverbots. Endet das Arbeitsverhältnis während des Laufs der Kündigungsfrist gem. Satz 2, so hat der Arbeitnehmer von diesem Zeitpunkt an bis zum Ablauf der Kündigungsfrist Anspruch auf die Entschädigung nach Maßgabe des § 80 d; beruht die Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf einer ordentlichen Kündigung des Arbeitgebers oder einer außerordentlichen Kündigung des Arbeitnehmers wegen schuldhaft vertragswidrigen Verhaltens des Arbeitgebers, dann behält der Arbeitnehmer den Anspruch auf die Entschädigung, auch ohne sich des Wettbewerbs zu enthalten.

407 2. Endet das Arbeitsverhältnis aufgrund einer Kündigung des Arbeitnehmers wegen schuldhaften vertragswidrigen Verhaltens des Arbeitgebers, so kann der Arbeitnehmer die Wettbewerbsabrede fristlos kündigen. Die Kündigung bedarf der Schriftform. Sie muß unverzüglich erfolgen. (3) Rechtsunwirksam ist eine Vereinbarung 1. 2. 3. 4.

über eine in Abs. 2 nicht vorgesehene Bedingung für die Wirkung der Wettbewerbsabrede; an die Stelle einer küizeren Kündigungsfrist tritt die in Abs. 2a vorgesehene Frist; nach der die Wirkung der Wettbewerbsabrede von einer späteren Erklärung des Arbeitgebers abhängen soll, in der sich der Arbeitnehmer verpflichtet, zu einem späteren Zeitpunkt eine Wettbewerbsabrede einzugehen, über die Beweislast.

§ 80 d Entschädigung für eine Wettbewerbsabrede (1) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, dem Arbeitnehmer für die Einhaltung der Wettbewerbsabrede monatlich eine Entschädigung zu zahlen. Die Entschädigung muß für jeden Monat der Geltung der Wettbewerbsabrede mindestens ein Zwölftel des Arbeitsentgelts betragen, das dem Arbeitnehmer für die letzten zwölf Monate vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus diesem zugestanden hat. Erhöht sich das für die Berechnung der Entschädigung maßgebliche Arbeitsentgelt allgemein und nicht nur vorübergehend, so erhöht sich im gleichen Verhältnis auch die Entschädigung. (2) Erzielt der Arbeitnehmer während der Einhaltung des Wettbewerbsverbots ein anderweitiges Einkommen, so vermindert sich die Entschädigung um die Summe, die nach Hinzurechnung des anderweitigen Einkommens 110% des sich gem. Abs. 1 ergebenden Betrages überschreiten würde; sie beträgt jedoch mindestens ein Drittel des sich gem. Abs. 1 ergebenden Betrages. Macht die Einhaltung der Wettbewerbsabrede für den Arbeitnehmer eine Verlegung des Wohnsitzes erforderlich, so tritt an die Stelle des Betrages von 110% der Betrag von 125%. Hat der Arbeitnehmer es böswillig unterlassen, eine zumutbare Erwerbstätigkeit in seinem Beruf anzunehmen, so erhält er als Entschädigung ein Drittel des sich gem. Abs. 1 ergebenden Betrages. Weiterhin waren Übergangsvorschriften vorgesehen. Schließlich enthielt § 80e die Normierung einer Auskunftspflicht.

408 § 80e Auskunftspflicht Auf Verlangen des Arbeitgebers ist der Arbeitnehmer verpflichtet, über seine weitere berufliche Tätigkeit dem Arbeitgeber Auskunft zu erteilen, soweit dies für die Einhaltung eines Nebentätigkeitsverbots (§ 80a) oder einer Wettbewerbsabrede (§ 80 c) von Bedeutung ist. Auf Verlangen des Arbeitgebers hat der Arbeitnehmer auch Auskunft über die Höhe seines anderweitigen Arbeitseinkommens zu erteilen, soweit dies für die Berechnung der Entschädigung für die Einhaltung der Wettbewerbsabrede (§ 80 d Abs. 2) von Bedeutung ist.

b)

Stellungnahme

Auf den Vorschlag der Arbeitsgesetzbuchkommission wird im Rahmen des eigenen Vorschlags eingegangen. VI.

Eigener Vorschlag

Gesetzestechnisch sollte der Zusammenhang zwischen dem Wettbewerbsverbot bei Bestehen des Arbeitsvertrages und nach Beendigung des Vertrages deutlich werden. Die Aufspaltung in § 80a KE einerseits, unter der irreführenden Überschrift Nebentätigkeit, und in §§ 80c - 80e KE ist ebenso unbefriedigend wie in §§ 60,61 HGB und §§ 74 ff. HGB.

1.

Wettbewerbsverbot während des Arbeitsverhältnisses

Die Formulierung der verbotenen Tätigkeit in § 60 Abs. 1 HGB ist redundant, § 80a Abs. 2 KE formuliert knapper. - § 60 Abs. 1 HGB verbietet eine Konkurrenztätigkeit "in dem Handelszweig" des Arbeitgebers, während § 80a Abs. 1 KE das Verbot nur bezieht auf die "auf den Betrieb bezogene unternehmerische Tätigkeit des Arbeitgebers". Bei einer breitgefächerten Tätigkeit des Unternehmers besteht die Gefahr, daß sehr viele Beschäftigungen für den Arbeitnehmer verschlossen sind. Doch leuchtet die Regelung des § 60 HGB mehr ein: Wenn der Gesetzgeber allenthalben das Arbeitsverhältnis nicht auf das Austauschverhältnis beschränkt, sondern dem Arbeitgeber eine umfassende Fürsorgepflicht auferlegt, muß dem auf der anderen Seite auch eine entsprechend weite Treuepflicht des Arbeitnehmers gegenüberstehen. In der Sache zutreffend binden § 60 HGB und § 80a KE die Ausübung der Konkurrenztätigkeit an die Einwilligung des Arbeitgebers. Er ist nach beiden Vorschriften nicht in seinem Ermessen beschränkt. Folgerichtig sieht § 80a Abs. 1 Satz 3 KE auch die Möglichkeiten einer be-

409 fristeten Einwilligung oder einer Einwilligung unter Widerrufsvorbehalt vor. Eine fingierte Einwilligung enthält § 60 Abs. 2 HGB für den Fall der Kenntnis des Arbeitgebers von der Wettbewerbstätigkeit bei der Einstellung; die Vorschrift ist entbehrlich, da sich das Ergebnis auch durch Auslegung (konkludente Einwilligung) ergibt § 80a Abs. 2 Satz 2 KE enthält eine fingierte Einwilligung für das Schweigen des Arbeitgebers auf den Antrag des Arbeitnehmers, eine Konkurrenztätigkeit auszuüben. Die Vorschrift ist sachgerecht, da sie für klare Verhältnisse sorgt. Nicht geglückt ist es, wie in § 80a KE geschehen, Fragen der Erhaltung der Arbeitskraft (§ 80a Abs. 1 KE) und Fragen des Wettbewerbsverbots (§ 80a Abs. 2 KE) in einer Vorschrift zu regeln. Unverständlich ist, daß der Kommissionsentwurf für die Verletzung des Wettbewerbs Verbots keine Sanktion vorsieht. Insofern muß auf § 61 HGB zurückgegriffen werden. Sachgerecht ist die alternative Sanktion auf Schadensersatz oder auf Herausgabe des Erlangten, wobei eine andere Formulierung als in § 61 HGB angebracht ist. Die Veijährungsfrist des § 61 Abs. 2 von drei Monaten sollte in eine Ausschlußfrist umgewandelt weiden; der Anspruch sollte schriftlich geltend gemacht werden müssen. Die Vorschrift sollte daher lauten: §1

Wettbewerbsverbot während des Arbeitsverhältnisses (1) Der Arbeitnehmer darf eine andere berufliche Tätigkeit, mit der er im Wettbewerb zu der unternehmerischen Tätigkeit des Arbeitgebers steht, nur mit Einwilligung des Arbeitgebers ausüben. Die Einwilligung gilt als erteilt, wenn der Arbeitgeber nicht innerhalb eines Monats nach Zugang des Antrags widerspricht. Die Einwilligung kann befristet oder unter dem Vorbehalt des Widerrufs erteilt werden. (2) Verletzt der Arbeitnehmer das Wettbewerbsverbot, so kann der Arbeitgeber Schadensersatz fordern; er kann stattdessen verlangen, daß der Arbeitnehmer die für eigene Rechnung gemachten Geschäfte als für Rechnung des Arbeitgebers eingegangen gelten läßt und die aus Geschäften für fremde Rechnung bezogene Vergütung herausgibt oder seinen Anspruch auf die Vergütung abtritt. Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn er nicht innerhalb von drei Monaten nach Bekanntwerden dem Arbeitnehmer gegenüber schriftlich geltend gemacht wird. Die Vorschriften über die Veijährung bleiben unberührt.

410 2. Nachvertragliches Wettbewerbsverbot Sowohl der Aufbau der §§ 74, 74a HGB als auch der des § 80c Abs. 2 KE sind nicht optimal. Es empfiehlt sich, formelle und materielle Voraussetzungen zu trennen und beides in einer Vorschrift zusammenzufassen. § 80c Abs. 2 Satz 2 KE nimmt zutreffend ein Ergebnis der Rechtsprechung auf.52 Empfehlenswert ist auch der Vorschlag Fischers zur Begründungspflicht des Arbeitgebers. § 75b HGB ist in seinen beiden Varianten vom Bundesarbeitsgericht für nichtig erklärt worden. Es besteht kein Bedarf für eine verfassungsgemäße Alternative. Die Vorschrift sollte, wie auch im Kommissionsentwurf, ersatzlos entfallen. § 74a Abs. 2, 3 HGB sind verzichtbar. Die Höhe der Entschädigung regeln §§ 74b, 74c HGB, b Abs. 1 des Entwurfs des Arbeitsministeriums und § 80d KE. Während nach geltendem Recht die Entschädigung mindestens die Hälfte des zuletzt bezogenen Entgelts betragen muß, § 74 Abs. 2 HGB, - und in der Praxis auch nicht wesentlich darüber liegt -, sehen § 80d Abs. 1 Satz 2 KE, § b Abs. 1 des Entwurfs des Bundesarbeitsministeriums sowie der Vorschlag Fischers eine volle Entschädigungspflicht vor. Angesichts der Tatsache, daß die Hochbesoldetenregelung entfallen ist, wird in der Praxis seit längerem ohnehin nur sparsam von einer Wettbewerbsabrede Gebrauch gemacht. Die Halbierung des Einkommens - der Arbeitnehmer braucht nicht zu arbeiten - kann und soll den Arbeitnehmer veranlassen, sich nach einer neuen Tätigkeit umzusehen; der Anreiz würde bei der Kommissionsfassung völlig entfallen. Auf der anderen Seite kann eine Senkung des Lebensstandards auf die Hälfte für den Arbeitnehmer, der etwa aus Gründen des Arbeitsmarkts keine neue Stelle findet, sehr hart sein. Deshalb wird hier als Kompromiß eine Entschädigung in Höhe von 75% vorgeschlagen. Eine Auskunftspflicht - bisher nur in § 74c Abs. 2 HGB vorgesehen, aber nicht in § 60 HGB - wird in § 80e KE zutreffend für beide Arten von Wettbewerbsverboten normiert. Die gesetzliche Regelung der Wettbewerbsverbote ist in ihrer Systematik kaum nachvollziehbar, insbesondere in §§ 75, 75a HGB. Bei einer Neuregelung müßten mehrere Fallgruppen klar unterschieden werden. Zum einen geht es um die Kündigung der Wettbewerbsabrede durch den Arbeitgeber und um die Kündigung des Arbeitsvertrages durch Arbeitgeber oder Arbeitnehmer. Der Ausdruck "Verzicht" macht nicht klar, daß 52 BAG, AP Nr. 3 zu § 74 a HGB; Heymann///onie//, § 74a HGB, Rdnr. 21.

411 es um eine Teilkündigung des Vertrages geht, die auch gegen Interessen des Arbeitnehmers verstoßen kann, der sich auf den Bezug einer Karenzentschädigung eingestellt hat. So erklärt sich auch die Jahresfrist des § 75a HGB: Der Arbeitgeber soll während des Bestehens des Arbeitsverhältnisses den Arbeitnehmer, der sich auf Wettbewerbsverbot und Entschädigung eingerichtet hat, nicht kurzfristig einseitig um die Aussicht auf Entschädigung bringen können. Der Vorschlag, die Frist auf zwei Jahre auszudehnen, ist überzogen. Die zutreffende Rechtsprechung zum bedingten Wettbewerbsverbot sollte kodifiziert werden. 53 Die Fälle der Kündigung des Arbeitsvertrages durch den Arbeitgeber und durch den Arbeitnehmer müssen klar unterschieden werden. Dabei ist weiter zu differenzieren zwischen Kündigungen wegen vertragswidrigen Verhaltens des anderen Teils und Kündigungen aus anderen Gründen. Dabei ist der Rechtsprechung zu § 75 Abs. 3 HGB 54 zu folgen. Die Anrechnungsvorschriften des geltenden Rechts (74c HGB) sind im wesentlichen beizubehalten. Warum der Arbeitgeber, wie nach den Reformvorschlägen, in jedem Fall ein Drittel Karenzentschädigung zahlen soll, auch wenn der Arbeitnehmer beim neuen Arbeitgeber ein höheres Einkommen bezieht als bisher, ist nicht einzusehen. Nach alledem könnte die Neuregelung wie folgt aussehen: §2 Nachvertragliches Wettbewerbsverbot (1) Arbeitgeber und Arbeitnehmer können eine Vereinbarung treffen, durch die der Arbeitnehmer nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses in seiner beruflichen Tätigkeit beschränkt wird (Wettbewerbsverbot). (2) Ein Wettbewerbsverbot ist nur wirksam, 1. 2. 3. 4.

wenn es der Wahrung berechtigter geschäftlicher Interessen des Arbeitgebers dient, wenn und soweit es im Hinblick auf seinen räumlichen und zeitlichen Geltungsbereich und im Hinblick auf Art und Umfang gerechtfertigt ist, wenn es auf längstens zwei Jahre nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses befristet ist und wenn es eine Entschädigungspflicht des Arbeitgebers nach Maßgabe des § 3 für die Dauer der Wettbewerbsabrede vorsieht.

(3) Das Wettbewerbsverbot ist ferner nur wirksam, wenn es in einer gesonderten Urkunde niedergelegt ist, die seinen räumlichen und zeitlichen 53 Einschließlich BAG, JZ 1991, S. 880 m. Anm. Wertheimer, s. zum bedingten Wettbewerbsverbot auch Grunsky, Festschrift für das BAG, S. 153 ff. 54 BAG, AP Nr. 6 zu §75 HGB.

412 Geltungsbereich, Art und Umfang der beschränkten Tätigkeit sowie die Höhe der Karenzentschädigung nennt und wenn dem Arbeitnehmer eine Ausfertigung der Urkunde ausgehändigt worden ist. (4) Der Arbeitnehmer hat das Recht, bezüglich der räumlichen und sachlichen Ausdehnung des Wettbewerbsverbots eine schriftliche Begründung des Arbeitgebers zu verlangen, soweit nicht dessen berechtigtes geschäftliches Interesse offensichtlich ist. (5) Hält sich der Arbeitnehmer an das Wettbewerbsverbot, kann sich der Arbeitgeber auf dessen Unwirksamkeit nicht berufen. § 3 Entschädigung (1) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, dem Arbeitnehmer für die Einhaltung des Wettbewerbsverbots monatlich eine Entschädigung zu zahlen. Sie muß mindestens 75 vom Hundert des Entgelts betragen, das dem Arbeitnehmer aus seinem Arbeitsverhältnis in den letzten zwölf Monaten vor dessen Beendigung durchschnittlich zugestanden hat. (2) Auf die Entschädigung ist das vom Arbeitnehmer während der Dauer des Wettbewerbsverbots erzielte oder wegen schuldhaften Unterlassens nicht erzielte anderweitige monadiche Einkommen anzurechnen. Übersteigen das anderweitige monatliche Einkommen und der Entschädigungsbetrag nach Absatz 1 das durchschnittliche monatliche Entgelt während der letzten zwölf Monate um mehr als ein Zehntel, ist die darüber hinausgehende Entschädigung entsprechend zu kürzen. §4 Kündigung des Wettbewerbsverbots und bedingtes Wettbewerbsverbot (1) Der Arbeitgeber kann vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch schriftliche Erklärung das Wettbewerbsverbot mit der Wirkung kündigen, daß er mit dem Ablauf eines Jahres seit der Erklärung von der Verpflichtung zur Zahlung der Entschädigung frei wild. (2) Eine Vertragsbestimmung, in der sich der Arbeitgeber vorbehält, dem Arbeitnehmer beim Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis ein Wettbewerbsverbot aufzuerlegen, ist für den Arbeitnehmer unverbindlich. Der Arbeitnehmer hat die Wahl, ob er sich auf die Unverbindlichkeit beruft oder gegen Entschädigung das Wettbewerbsverbot einhalten will. Der Arbeitnehmer muß sich in diesem Fall zu Beginn der Karenzzeit für das Wettbewerbsverbot entscheiden. Der Arbeitgeber kann den Arbeitnehmer innerhalb von zwei Wochen zur Vornahme der Wahl auffordern; nach Ablauf der Frist geht das Wahlrecht auf den Arbeitgeber über.

413 §5 Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber

(1) Kündigt der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis wegen eines vertragswidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers, so hat der Arbeitgeber ein Wahlrecht, ob er den Arbeitnehmer am Wettbewerbsverbot gegen Zahlung der Entschädigung festhält oder nicht. (2) In anderen Fällen der Kündigung durch den Arbeitgeber hat der Arbeitnehmer ein Wahlrecht, ob er gegen die Entschädigung das Wetttbewerbsverbot einhält oder nicht. Das Wahlrecht entfällt, wenn sich der Arbeitgeber bei der Kündigung bereit erklärt, dem Arbeitnehmer während der Dauer des Wettbewerbsverbots die vollen zuletzt bezogenen vertragsmäßigen Leistungen zu gewähren. §6 Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer

(1) Kündigt der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis wegen eines vertragswidrigen Verhaltens des Arbeitgebers, so wird das Wettbewerbsverbot unwirksam, wenn der Arbeitnehmer vor Ablauf eines Monats nach der Kündigung schriftlich erklärt, daß er sich an das Wettbewerbsverbot nicht halten will. (2) In anderen Fällen der Kündigung ist der Arbeitnehmer an das Wettbewerbsverbot gebunden. §7 Auskunftspflicht

Auf Verlangen des Arbeitgebers ist der Arbeitnehmer verpflichtet, über seine anderweitige berufliche Tätigkeit dem Arbeitgeber Auskunft zu erteilen, soweit dies für die Einhaltung des Wettbewerbsverbots nach §§ 1 und 2 von Bedeutung ist. Auf Verlangen des Arbeitgebers hat der Arbeitnehmer auch Auskunft über die Höhe seines anderweitigen Arbeitseinkommens zu erteilen, soweit das für Ansprüche nach § 1 Abs. 2 oder für die Berechnung der Entschädigung nach § 3 von Bedeutung ist. Die Regelung der §§ 75c, 75d HGB sollte inhaltlich beibehalten und auf alle Arbeitnehmer ausgedehnt werden. Eine Tariföffnungsklausel wäre möglich.

8. Kapitel: Arbeitsschutzrecht Im Arbeitsschutzrecht werden Arbeiter und Angestellte im allgemeinen gleich behandelt. Dies gilt uneingeschränkt für den technischen Arbeitsschutz; im sozialen Arbeitsschutz findet sich für die hier zu behandelnde Problematik eine Ausnahme. Gemäß § 19 Arbeitszeitordnung dürfen Arbeiterinnen nicht in der Nachtzeit von 20.00 - 6.00 Uhr und an den Tagen vor Sonn- und Feiertagen nicht nach 17.00 Uhr beschäftigt werden. Ausnahmen vom sogenannten Frühschluß vor Sonn- und Feiertagen enthält § 17 Abs. 3 AZO. Diese Ausnahmen gelten gem. § 19 Abs. 3 AZO auch für die Nachtarbeit. Das Nachtarbeitsverbot des geltenden Rechts ist allerdings inzwischen sowohl vom Europäischen Gerichtshof wegen Verstoßes gegen Europarecht als auch vom Bundesverfassungsgericht wegen Verstoßes gegen Verfassungsrecht für unwirksam erklärt worden. Der Europäische Gerichtshof hat die Frage zwar nur für das französische Recht entschieden;1 doch sind seine Aussagen auf das vergleichbare deutsche Recht übertragbar. 2 Der Europäische Gerichtshof stützt sich auf die Richtlinie 76/207/EWG, die ihrerseits auf Art. 119 EWGV zurückgeht. Eine Ungleichbehandlung von Mann und Frau hinsichtlich der Arbeitsbedingungen ist nach Art. 2 Abs. 3 der genannten Richtlinie nur zulässig zum Schutz von Frauen. Die dafür geltend gemachten Gründe (größere Gefahr von Überfällen auf Frauen bei Nacht, Vernachlässigung familiärer Pflichten) erkannte der Europäische Gerichtshof nicht an. Nach nationalem Recht unzulässig ist somit eine Ungleichbehandlung von Mann und Frau bei der Nachtarbeit. Gegen ein Nachtarbeitsverbot, das Männer und Frauen betrifft, bestehen demgegenüber EG-rechtlich keine Bedenken. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 28.1.1992 3 das Nachtarbeitsverbot wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 sowie wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 3 GG für verfassungswidrig erklärt. Dabei unterscheidet das Bundesverfassungsgericht den Aspekt Männer/Frauen im Hinblick auf Art. 3 Abs. 3 GG und den Aspekt Arbeiterinnen/weibliche Angestellte im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG. Die für das Nachtarbeitsverbot angeführten Argumente, nämlich 1 EuGH, EuZW 1991, S. 666. 2 BVerfG, DB 1992, S. 377; die Aussage findet sich unter B I, insoweit nicht abgedruckt. 3 BVerfG, DB 1992, S. 377.

415 konstitutionell größere Belastung für Frauen, zusätzliche Belastung von Frauen mit Hausarbeit und Kinderbetreuung sowie größere Gefahr für Frauen auf dem nächtlichen Weg von und zur Arbeitsstelle,

hielt das Bundesverfassungsgericht nicht für überzeugend. Ein Rechtfertigungsgrund ergebe sich auch nicht aus Art. 3 Abs. 2 GG, da Frauen bei der Stellensuche benachteiligt seien und gehindert würden, über ihre Arbeitszeit frei zu disponieren.

Im Verhältnis von Arbeiterinnen zu weiblichen Angestellten sah das Bundesverfassungsgericht einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die beiden möglichen Argumente zugunsten des Nachtarbeitsverbots für Arbeiterinnen, nämlich geringere Belastung von weiblichen Angestellten und zahlenmäßig stärkere Belastung mit Nachtarbeit bei Arbeiterinnen,

rechtfertigten keine Ungleichbehandlung. Auch im folgenden ist das Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen im Hinblick auf die Gleichbehandlung unter zwei Gesichtspunkten zu untersuchen, weil als Vergleichsgruppen zum einen die Arbeiterinnen und die weiblichen Angestellten einander gegenübergestellt werden können, zum anderen die männlichen Arbeiter und die weiblichen Arbeiter. Der erste Aspekt erfordert eine Untersuchung anhand des allgemeinen Gleichheitssatzes gem. Art. 3 Abs. 1 GG, der zweite eine Berücksichtigung des speziellen Gleichheitssatzes gem. Art. 3 Abs. 2 GG (nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts: gem. Art. 3 Abs. 3 GG) und eine Überprüfung anhand des EG-Rechts. A.

Geschichtliche Entwicklung des Nachtarbeitsverbots

Der Schutz des Arbeitnehmers vor vorzeitigem Verbrauch seiner Arbeitskraft und deren ruinöser Ausbeutung wurde bereits Anfang des 19. Jahrhunderts, jedenfalls für bestimmte besonders schutzwürdige Gruppen, als erforderlich angesehen. Die erste Maßnahme auf diesem Sektor war das preußische Regulativ von 1839,4 mit dem die Beschäftigung von Kindem unter neun Jahren verboten, die Arbeitszeit der Jugendlichen im Alter von neun bis zwölf Jahren auf zehn Stunden beschränkt, regelmäßige Pausen und Sonntagsruhe eingeführt und jegliche Nachtarbeit untersagt wurden. Später traten Schutzgesetze hinzu, die speziell für Frauen galten. Mit dem Gesetz betreffend die Abänderung der Gewerbeordnung von 18785 wurde u.a. § 139a GewO eingeführt. Durch Beschluß des Bundesrates konnte für gewisse Fabrikationszweige die 4 Gesetzes-Sammlung für die preußischen Staaten, 1839, S. 156. 5 RGBl. 1878, S. 199.

416 Nachtarbeit von Arbeiterinnen untersagt werden. In der Novelle zur Gewerbeordnung von 1891 wurde für Arbeiterinnen die Nachtarbeit generell untersagt und eine Höchstgrenze der Arbeitszeit von zehn Stunden, an Tagen vor Sonn- und Feiertagen von acht Stunden, vorgeschrieben. 6 Im Jahre 1912 wurde das Nachtarbeitsverbot durch das "Internationale Übereinkommen über das Verbot der Nachtarbeit der gewerblichen Arbeiterinnen" von 1906 abgesichert.7 Der Begriff Arbeiterin wurde gewählt, weil zur Zeit der Abfassung des Übereinkommens der Angestelltenbegriff noch nicht als klarer Gegenbegriff zum Begriff des Arbeiters verwandt wurde. Zwar tauchte der Begriff "Angestellte" bereits im "Reichsgesetz betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung" vom 22.6.1989 8 und im Gewerbegerichtsgesetz von 1890 auf, 9 der gesetzliche Inhalt wurde aber erst 1911 mit dem VFA 10 fixiert. Man kann davon ausgehen, daß vom Abkommen und der Gewerbeordnung Angestellte nicht ausgenommen sein sollten.11 Der französische Text des Übereinkommens 12 benutzt das Wort "femmes". Deshalb könnte in Erwägung gezogen werden, ob Arbeiterin i.S. des Übereinkommens (und damit auch i.S. der Gewerbeordnung) nicht synonym für Arbeitnehmerin stand. 13 Dieses Nachtarbeitsverbot galt gem. Art. 1 des Abkommens nur für Betriebe, in denen mehr als zehn Arbeiter oder Arbeiterinnen beschäftigt waren. Die 1934 erlassene Arbeitszeitordnung 14 hob die Beschränkungen des Nachtarbeitsverbots auf größere Betriebe und Betriebe gewisser Art auf. Die heute geltende, sprachlich antiquierte Fassung stammt aus dem Jahre 1938.15 Die Ausdehnung des Nachtarbeitsverbots auf weibliche Angestellte sollte weiteren Feststellungen unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Erfordernisse vorbehalten bleiben. 16 Bis heute wurden jedoch weder entsprechende Untersuchungen durchgeführt noch wurde eine entsprechende Regelung für weibliche Angestellte geschaffen. Da-

6 Denecke/Neumann, Arbeitszeitordnung, Einleitung, Rdnr. 2. 7 RGBl. 1911 II, S. 10; zur Beschränkung auf Arbeiterinnen vgl. Gaul, BB 1987, S. 1663. 8 RGBl. 1889, S. 97 ff. 9 Rückert, in: Ruland, Handbuch der Rentenversicherung, S. 3 Fußn. 7. 10 RGBl. 1911, S. 989. 11 Vgl. dazu Gaul, BB 1987, S. 1662,1663. 12 RGBl. 1911 II, S. 10 ff. 13 Vgl. dazu Gaul, BB 1987, S. 1662,1663; Loddenkemper, ZRP 1983, S. 299 f. 14 RGBl. 19341, S. 803. 15 RGBl. 19381, S. 447. 16 RArbBl. III, S. 125; Zmarzlik, BB 1980, S. 1803.

417 mit steht zumindest seit 1938 fest, daß der Gesetzgeber nur ein Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen geschaffen hat. Nach dem Kriege erklärte das Bundesverfassungsgericht § 19 AZO als mit dem speziellen Gleichheitssatz gem. Art. 3 Abs. 2 GG für vereinbar, da die konstitutionellen Unterschiede zwischen Mann und Frau einen weitergehenden Schutz der Arbeiterinnen rechtfertigten.17 1948 erließ die ILO ein Übereinkommen (Nr. 89) über die Nachtarbeit von Frauen18. Dieses Übereinkommen wurde von der Bundesrepublik nicht ratifiziert.19 Eine weitere Bestimmung auf internationaler Ebene enthält die Europäische Sozialcharta in Art. 8 Abs. 4 a. Danach verpflichten sich die Vertragsparteien, um die wirksame Ausübung des Rechtes der Arbeitnehmerinnen auf Schutz zu gewährleisten, die Nachtarbeit von Arbeitnehmerinnen in gewerblichen Betrieben zu regeln. Materielle Voraussetzungen, wie diese Regelung auszusehen hat, enthält die Sozialcharta nicht. In den neuen Bundesländern gilt das Nachtarbeitsverbot für Frauen von vornherein nicht. Ca. 160.000 Arbeiterinnen sind dort entweder ständig oder teilweise in Nachtarbeit beschäftigt.20 B.

Verfassungsmäßigkeit des § 19 AZO

I.

Das Nachtarbeitsverbot

Die Ungleichbehandlung von Arbeiterinnen und weiblichen Angestellten Arbeiterinnen und weibliche Angestellte werden durch die Regelung in § 19 AZO ungleich behandelt. Die Ungleichbehandlung kann konkret in Einzelfällen auftreten oder in genereller Weise vorliegen. Konkret könnte eine Benachteiligung deshalb vorliegen, weil weibliche Angestellte, die nachts arbeiten dürfen, Einstellungsvorteile gegenüber Arbeiterinnen besitzen. Dies ist jedoch nicht der Fall, da Arbeiterinnen und weibliche Angestellte nicht um die gleichen Arbeitsplätze konkurrieren. Auch wenn sich eine weibliche Angestellte um einen Arbeitsplatz bewirbt, der normalerweise mit einer Arbeiterin besetzt wird, gilt nichts 1.

17 BVerfGE 5, S. 9,12. 18 Vorausgegangen waren das Bemer Übereinkommen von 1906, dem das Deutsche Reich beilrat, und das Übereinkommen (Nr. 4) der ILO über die Nachtarbeit von Frauen von 1919; s. Kern, ZfA 1991, S. 323,343 f. 19 Däubler/Kittner/Lörcher, Internationale Arbeits- und Sozialordnung, S. 167. 20 Kölner Stadtanzeiger vom 8.8.1991, S. 2.

418 anderes. Die Arbeiterinnen- und Angestellteneigenschaft wird tätigkeitsbezogen festgestellt. Nicht der Rentenversicherungsträger stellt die Gruppenzugehörigkeit fest, sie richtet sich vielmehr nach der Tätigkeit, und an diese knüpft die versicherungsrechtliche Einordnung an. Es könnte aber eine generelle Ungleichbehandlung darin liegen, daß Arbeiterinnen nicht während der Nacht zu arbeiten brauchen. Eine Ungleichbehandlung wäre jedoch dann nicht gegeben, wenn es ohnehin keine weiblichen Angestellten gäbe, die nachts arbeiten müßten. 21 Es gibt jedoch auch weibliche Angestellte, die nachts arbeiten, z.B. Krankenschwestern und im Krankenhaus angestellte Ärztinnen. Fraglich ist, ob wegen dieser möglicherweise vereinzelten Fälle bereits eine Ungleichbehandlung vorliegt. Würde man z.B. das Nachtarbeitsverbot auf alle weiblichen Arbeitnehmer ausdehnen, so müßte für den Krankenpflegebereich ohnehin eine Ausnahmevorschrift geschaffen werden, die i.S. des Gleichheitssatzes auf einem sachlichen Grund beruht. Aus der Existenz dieser Gruppe von weiblichen Angestellten kann daher keine unzulässige Ungleichbehandlung folgen. Zudem hat der Gesetzgeber in § 17 Abs. 3 AZO, auf den § 19 Abs. 3 AZO verweist, Ausnahmen vom Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen für Bereiche geschaffen, in denen traditionell weibliche Arbeitskräfte tätig sind. Dazu zählt z.B. auch der Krankenpflegebereich. Gleichheitsverstöße in diesen Bereichen sind also dadurch ausgeschlossen, daß für Arbeiterinnen und weibliche Angestellte dieselbe Regelung gilt. Es muß also zunächst erst einmal eine Gruppe weiblicher Angestellter gefunden werden, die auch nachts arbeitet. Nach dem Mikrozensus leisten 700.000 Frauen Nachtarbeit, 410.000 ständig oder regelmäßig. 6,5% aller Arbeiterinnen leisten Nachtarbeit (191.000) und 7,6% aller weiblichen Angestellten (478.000).22 Aus den vorhandenen Zahlen ist nicht ersichtlich, wieviele weibliche Angestellte in Bereichen Nachtarbeit leisten, die auch für Arbeiterinnen zulässig sind, wie Krankenpflege oder Beherbergungsgewerbe. Weibliche Angestellte, die Nachtarbeit verrichten, könnten z. B. diejenigen sein, die in Industriebetrieben Meister- und Aufsichtsfunktionen wahrnehmen. Die Zahl dieser Positionen, die von Frauen bekleidet werden, ist wohl als gering einzustufen. Gleichwohl liegt hier, unabhängig von der Zahl der Betroffenen, eine Ungleichbehandlung vor. Auch ist zu erwarten, daß der Frauenanteil in diesen Positionen langsam, aber stetig ansteigen wird. Allein die Tatsache, daß die21 In diese Richtung geht die Argumentation von Denecke/Neumann, § 19 AZO, Rdnr. 1; s. zu diesem Punkt auch BVerfG, DB 1992, S. 377, 378 (unter II 3). 22 Zitiert nach Kölner Stadtanzeiger vom 8.8.1991, S. 1.

419 ses Gleichheitsproblem bisher zahlenmäßig noch nicht ins Gewicht fällt, vermag einen Gleichheitsverstoß nicht zu rechtfertigen. Daher müßte ein sachlicher Grund vorliegen, der nach Art und Gewicht geeignet ist, die Ungleichbehandlung zu rechtfertigen. Dieser könnte darin zu sehen sein, daß körperliche Arbeit eine höhere Belastung bedeutet als geistige. Dies würde zunächst voraussetzen, daß die Trennlinie zwischen Arbeitern und Angestellten überhaupt nach der Art der Tätigkeit verläuft, d.h. sich danach richtet, ob geistige oder körperliche Arbeit verrichtet wird. Diese, zweifelhafte, Unterscheidung soll im folgenden zugrundegelegt werden. Arbeitsphysiologische Untersuchungen haben ergeben, daß Leistungseinbußen, die durch Nachtarbeit hervorgerufen werden, besonders bei Arbeiten auftreten, bei denen viel überlegt und koordiniert werden muß.23 Bei einfachen Verrichtungen, inbes. bei monotonen oder automatischen Arbeiten, ist die Leistungsfähigkeit weniger beeinträchtigt.24 Daraus folgt, daß geistige Arbeit normalerweise anstrengender ist. Die Konsequenz daraus könnte allenfalls ein Nachtarbeitsverbot für weibliche Angestellte sein. Selbst wenn man also davon ausgeht, daß Arbeiterinnen vorwiegend körperliche und weibliche Angestellte vorwiegend geistige Arbeit verrichten, ist eine Ungleichbehandlung von Arbeiterinnen nicht gerechtfertigt. Nach alledem verlangt Art. 3 Abs. 1 GG eine Gleichstellung von Arbeiterinnen und weiblichen Angestellten.25 2.

Die Ungleichbehandlung von Arbeiterinnen und männlichen Arbeitnehmern (Arbeitern und Angestellten) Im Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen könnte auch eine Ungleichbehandlung gegenüber männlichen Arbeitnehmern liegen. Dabei soll zunächst dahinstehen, ob das Nachtarbeitsverbot eine Benachteiligung gegenüber Frauen darstellt, weil sie gegenüber Männern Einstellungsnachteile für bestimmte Arbeitsplätze haben, oder ob diese Schutzregelung zugunsten der Frauen Männer benachteiligt.26 Eine Ungleichbehandlung liegt jedenfalls vor. Diese müßte, um vor Art. 3 Abs. 2 GG Bestand zu haben, sachlich gerechtfertigt sein. Dabei ist als Maßstab nicht 23 Loddenkemper, ZRP 1983, S. 299,300. 24 Loddenkemper, ZRP 1983, S. 299,300 m.w.N. 25 Ebenso BVerfG, DB 1992, S. 377, 378 (unter C II); vor dem Urteil Loddenkemper, ZRP 1983, S. 299; Gaul, BB 1987, S. 1662; Pfarr/Bertelsmann, Diskriminierung im Erwerbsleben, S. 154. 26 Vgl. zu dieser Diskussion Pfarr/Bertelsmann, Diskriminierung im Erwerbsleben, S. 149 ff. m.w.N.

420 der allgemeine Gleicheitssatz, sondern das spezielle Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 2 GG (nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts: Art. 3 Abs. 3 GG) heranzuziehen, das strengere Voraussetzungen an eine mögliche Rechtfertigung stellt.27 Bei der Überprüfung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der unterschiedlichen Behandlung von Männern und Frauen im Bereich der Arbeitszeitordnung sind zunächst mögliche Rechtfertigungsgründe zu untersuchen. Ein Rechtfertigungsgrund für die Ungleichbehandlung könnte sein, daß Frauen den Belastungen der Nachtarbeit stärker ausgesetzt sind, so daß von daher der Schutz des § 19 AZO erforderlich ist. Das Bundesverfassungsgericht hatte im Jahre 195628 § 19 AZO für verfassungsmäßig erklärt und diese Entscheidung mit den konstitutionsbedingten Unterschieden zwischen Männern und Frauen begründet. In seiner Entscheidung vom 28.1.1992 stellt das Bundesverfassungsgericht fest, daß sich für konstitutionsbedingte Unterschiede in der arbeitsmedizinischen Forschung keine gesicherten Anhaltspunkte ergeben hätten. 29 Diese Frage kann aber möglicherweise dahinstehen, wenn ein anderer Rechtfertigungsgrund greift. Zu denken ist hierbei daran, daß Frauen häufig einer Doppelbelastung, bestehend aus Haushalt und Beruf, ausgesetzt sind. Diese ohnehin schon starke Belastung würde durch zusätzliche Nachtarbeit noch verstärkt. Diese Erwägung wird aber in der Literatur mit dem Argument abgelehnt, daß die herkömmliche Rollenverteilung von Mann und Frau gerade eine unmittelbare Diskriminierung nicht rechtfertige. 30 Dieses Argument hat jedoch zwei Seiten. Zwar kann es dazu dienen, Vorschriften anzufechten, die möglicherweise die herkömmliche Rollenverteilung festschreiben; es geht aber an der empirisch festzustellenden Rollenverteilung und damit an der Wirklichkeit teilweise vorbei. Mit diesem programmatischen Ansatz wäre den Frauen nicht geholfen, die tatsächlich dieser extremen Belastung ausgesetzt sind. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht zutr. festgestellt, daß der richtige Weg darin bestehen muß, entsprechende Belastungen bei Hausarbeit und Kinderbetreuung abzubauen und nicht in einem Nachtarbeitsverbot bestehen kann. 31

27 28 29 30

Vgl. dazu Sachs, Diskriminiemngsverbote, passim. BVerfGE 4, S. 9 , 1 2 . BVerfG, DB 1992, S. 377 unter C 1 2 a. Jarass/Pieroth, Art. 3 GG, Rdnr. 46; v. Münch/GuMf, Art 3 GG, Rdnr. 83; Pfarr/Bertelsmann, Diskriminierung im Erwerbsleben, S. 154. 31 BVerfG, DB 1992, S. 377, unter C 1 2 b.

421 Auch das Argument schließlich, Frauen seien nachts auf dem Weg zur Arbeit stärker gefährdet, kann, wie Europäischer Gerichtshof und Bundesverfassungsgericht übereinstimmend festgestellt haben, das Nachtarbeitsverbot nicht rechtfertigen.32 II.

Der Frühschluß vor Sonn- und Feiertagen

Der Frühschluß vor Sonn- und Feiertagen ist ursprünglich in § 19 Abs. 1 AZO normiert worden, um Arbeiterinnen vor Sonn- und Feiertagen die Möglichkeit zu geben, Einkäufe zu erledigen und den Haushalt in Ordnung zu bringen.33 Auch in dieser Vorschrift liegt eine Ungleichbehandlung, und zwar gegenüber weiblichen Angestellten auf der einen Seite, da beide weiblichen Arbeitnehmergruppen jedenfalls in gleicher Weise häusliche Pflichten wahrzunehmen haben, aber auch gegenüber Männern auf der anderen Seite, die ihre Einkäufe vor einem Sonn- oder Feiertag erledigen müssen. Für diese Ungleichbehandlung ist ebenfalls keine Rechtfertigung ersichtlich, so daß ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 2 GG vorliegt. C.

Bisherige Vorschläge zur Neuregelung des Nachtarbeitsverbots

In der Vergangenheit lagen mehrere Entwürfe eines Arbeitszeitgesetzes vor, in denen auch das Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen behandelt wurde. Im Rahmen der Diskussion um ein Arbeitszeitgesetz legte sowohl die Bundesregierung einen Entwurf vor34 als auch die SPD-Fraktion35 und die Fraktion der Grünen.36 In diesen Entwürfen war das Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen enthalten. Diese Möglichkeit der Regelung der Nachtarbeit ist jedoch, wie oben dargelegt, verfassungswidrig. Die Entwürfe sind auch angesichts der neuen Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften obsolet. In den Koalitionsvereinbarungen zwischen CDU/CSU und FDP wurde 1987 festgelegt, daß das Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen aufgeho32 EuGH, EuZW 1991, S. 666,667; BVerfG, DB 1992, S. 377, unter C 1 2 c. 33 Denecke/Neumann, § 19 AZO, Rdnr. 6; Farthmann, AR-Blattei "Arbeitszeit" XI C IV 1. 34 BT-Drucks. 11/360; vgl. dazu Zmarzlik, NZA Beil. 3/1987, S. 15. 35 BT-Drucks. 11/1617. 36 BT-Drucks. 11/1188; zu früheren Entwürfen vgl. Denecke/Neumann, Arbeitszeitordnung, Vorwort zur 10. Aufl.

422 ben werden sollte. Die Bundesregierung legte einen entsprechenden Gesetzentwurf vor, der vom DGB kritisiert wurde. 37 Nunmehr hat die Bundesregierung angekündigt, daß das Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen spätestens 1993 aufgehoben wird.38 Grundlage für das vorgesehene Gesetz ist eine derzeit beratene Richtlinie der EG 39 , mit der rechtzeitig zum Binnenmarkt auch Aspekte der Arbeitszeit einheitlich in der Gemeinschaft geregelt werden sollen. Die Dauer der Nachtarbeit soll im Schnitt von zwei Wochen acht Stunden täglich nicht übersteigen. Weiterhin sollen die Arbeitnehmer einen Rechtsanspruch auf regelmäßige medizinische Untersuchung eingeräumt bekommen. Kann ein Arbeitnehmer gesundheitliche Beeinträchtigungen durch die Nachtarbeit nachweisen, soll er einen Anspruch auf einen Tagesarbeitsplatz erhalten, sofern dies mit betrieblichen Belangen vereinbar ist. Die Nachtarbeit soll auf durchschnittlich 8 Stunden täglich festgelegt werden. Im Einzelfall können es mehr oder weniger Stunden sein. Innerhalb eines Ausgleichszeitraums von 14 Tagen dürfen aber höchstens 96 Stunden gearbeitet werden. D.

Eigener Vorschlag

Bei einem Neuregelungsvorschlag ist von den Vorgaben des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften und des Bundesverfassungsgerichts auszugehen. Männer und Frauen müssen gleich behandelt werden. Ein generelles Nachtarbeitsverbot für Arbeitnehmer ist praktisch und politisch nicht durchsetzbar. Deshalb muß im Grundsatz von einer generellen Erlaubnis der Nachtarbeit für alle Arbeitnehmer ausgegangen werden. Rechtspolitisch mag es zwar wünschenswert sein, zumindest die bestehenden Nachtarbeitsverbote aufrechtzuerhalten, 40 solange damit aber ein Verfassungsverstoß verbunden ist, ist dieser Wunsch nicht realisierbar. Im Vordergrund einer Neuregelung muß dabei der Schutz der Arbeitnehmer vor den schädlichen Folgen der Nachtarbeit stehen. Wie im Regierungsentwurf vorgesehen, ist dazu erforderlich, daß schädliche Folgen durch medizinische Untersuchungen festgestellt werden. Sinnvoll 37 Stellungnahme des DGB in AiB 1988, S. 3. 38 Kölner Stadtanzeiger vom 8.8.1991, S. 1; FAZ vom 8.8.1991, S. 12. 39 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung, ABl. 1990, Nr. C 254/05 = BR-Drucks. 133/91, S. 24. 4 0 Vgl. dazu DGB, AiB 1988, S. 3 ff.; Pfarr/Bertelsmann, Diskriminierung im Erwerbsleben, S. 149 ff., 153 ff; s. auch Gamillscheg, Grundrechte, S. 84.

423 wäre es aber, dem Arbeitnehmer nicht nur einen Rechtsanspruch auf Untersuchung einzuräumen, sondern diese Untersuchung in regelmäßigen Abständen durchzuführen. Solche periodischen Untersuchungen sind auch in anderen Arbeitsschutzgesetzen die Regel, z.B. im Chemikaliengesetz und in der Gefahrstoffverordnung sowie in einigen Unfallverhütungsvorschriften, wie z.B. der VBG 100. Ungeachtet der regelmäßigen Kontrollen muß es dem Arbeitnehmer möglich sein, jederzeit eine medizinische Untersuchung zu verlangen. Auch dieses ist bereits in den anderen Arbeitsschutzgesetzen vorgesehen. Empfehlenswert wäre weiterhin, die Arbeitszeit während der Nacht auf weniger als acht Stunden festzusetzen und häufigere Pausen zuzulassen. Erforderliche Änderungen der betrieblichen Organisation wären dabei hinzunehmen. Auch sollte Arbeitnehmern, die in Schichtarbeit oder ständiger Nachtarbeit eingesetzt sind, ein zusätzlicher Urlaubsanspruch sowie nach einer Nachtarbeitsperiode eine Anzahl freier Arbeitstage zustehen. Ferner ist ein erhöhter Freizeitausgleich, insbesondere durch lange Wochenenden, vorzusehen, weil dies mehr Erholungswert bietet als einzelne frei Tage. Grundsätzlich sollte versucht werden, Nachtarbeit einzuschränken. Auf jeden Fall müßten betriebliche Erfordernisse für die Nachtarbeit vom Arbeitgeber nachgewiesen werden. Dieser Nachweis könnte generell oder unter Umständen in begründeten Einzelfällen gegenüber der Gewerbeaufsicht oder den Berufsgenossenschaften erbracht werden. 41 Einer Aufhebung des Nachtarbeitsverbots könnte aber das Internationale Übereinkommen über das Verbot der Nachtarbeit der gewerblichen Arbeiterinnen von 1906 entgegenstehen. 42 Würde eine Aufhebung gegen dieses Abkommen verstoßen, müßte die Bundesregierung vom Kündigungsrecht nach Art. 11 des Übereinkommens 43 Gebrauch machen. 44 Auch die Frühschlußregelung muß aufgehoben werden.

41 Zu weiteren Vorschlägen s. Pfarr/Bertelsmann, Diskriminierung im Erwerbsleben, S. 156. 42 RGBl. II, 1911, S. 10. 43 RGBl. II, 1911, S. 15. 44 Zu dieser Problematik und zum Verhältnis des Abkommens zu den grundgesetzlichen Wertungen Gaul, BB 1987, S. 1662 f.; s. femer Chris Docksey, The Principle of Equality between Women and Men as a Fundamental Right under Community Law, Industrial Law Journal 1991, S. 258,273 f.

424

3. Abschnitt: Kollektives Arbeitsrecht In der bisherigen Untersuchung ging es um Fragen des Individualarbeitsrechts (Kündigung, Entgeltfortzahlung, Wettbewerbsverbot und Nachtarbeitsverbot). Hier ließ sich in der Gesetzgebung der letzten Jahrzehnte eine Tendenz feststellen, Arbeiter und Angestellte rechtlich gleichzustellen. Die vorliegende Untersuchung verstärkt in ihren Vorschlägen zur Neuregelung eben diese Tendenz. Gerade wenn es sich um eine von Art. 3 Abs. 1 GG gebotene Angleichung handelt, könnte man meinen, daß sie die gesamte Rechtsordnung in einheitlicher Weise durchzieht. Tatsächlich ist das jedoch nicht der Fall. Im kollektiven Arbeitsrecht wurde bisher stets an der Unterscheidung zwischen den beiden Gruppen festgehalten; ja die Gruppendifferenzierung ist durch die neuere Gesetzgebung im Betriebsverfassungsrecht sogar noch verstärkt worden. In der Rechtsprechung wurde dieses Phänomen bislang überhaupt nicht angesprochen, in der Literatur wurde bisher nur vereinzelt die Gegenläufigkeit in der Entwicklung des Individualarbeitsrechts und des kollektiven Arbeitsrechts festgestellt, die Frage der Verfassungswidrigkeit aber nur aufgeworfen. 45 Wenn es danach hier auch allgemein an einem Bewußtsein für eine Problematik zu Art. 3 GG fehlt, kann das nicht bedeuten, daß diese Frage auch in der vorliegenden Untersuchung vernachlässigt werden könnte. Wie die Entwicklung des Arbeitsrechts zu Art. 3 Abs. 1 GG immer wieder gezeigt hat, werden unzulässige Ungleichbehandlungen vielfach erst allmählich erkannt. Innerhalb des im folgenden untersuchten kollektiven Arbeitsrechts müssen zwei Aspekte unterschieden werden. Zum einen geht es um solche kollektivrechtlichen Normen, die die Organisation der Arbeitnehmerschaft betreffen. Hier stellt sich die Frage, ob allein schon die unterschiedliche Organisation der beiden Arbeitnehmergruppen, ohne materiellrechtliche Benachteiligung, zu einer Verfassungswidrigkeit führen kann. Zum anderen geht es um kollektivrechtliche Normen, die materiellrechtliche Fragen für Arbeiter und Angestellte unterschiedlich regeln. Insofern ist zu untersuchen, auf welche Rechtsquellen Art. 3 Abs. 1 GG oder eine andere Ausprägung des Gleichheitssatzes anzuwenden sind sowie ob nicht je nach Rechtsquelle das Differenzierungskriterium im

45 Däubler, Arbeitsrecht, Bd. 2, S. 732; ohne Stellungnahme Blanke, AuR 1991, S. 1, 4; Verfassungswidrigkeit verneint mangels Benachteiligung Hanau, Festschrift der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, S. 183,184.

425 Hinblick auf die Arbeitnehmergruppe unterschiedlich gewählt werden kann. Bei alledem sollte aber immer das Prinzip der "Einheit der Rechtsordnung"46 im Auge behalten werden: Kann es sich eine Rechtsordnung leisten, den klaren Gedanken der Angleichung des Rechts der Arbeiter und der Angestellten je nach Regelungsmaterie zu verwässern?

46 Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung; Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, S. 41,381 ff.

9. Kapitel: Mitbestimmungsrecht A.

Die Problematik

Der Schutz des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber durch das Arbeitsrecht läßt sich auf zwei verschiedene Arten verwirklichen, zum einen durch das Aufstellen materiellrechtlicher Schutznormen (z.B. Kündigungsschutzgesetz), zum anderen durch die Einrichtung von bestimmten Verfahren und Verfahrensgarantien. 1 Im materiellen Recht hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, daß Arbeiter und Angestellte grundsätzlich gleich schutzbedürftig sind, so daß Schutzgesetze sich an beide Gruppen richten müssen und, wo dies nicht der Fall ist, eine Angleichung zu erfolgen hat.2 Das Institut der Mitbestimmung im Arbeitsrecht soll, wie in allen anderen Bereichen der Mitbestimmung auch, die Beteiligung der von Entscheidungen innerhalb einer Organisation Betroffenen am Entscheidungsprozeß sichern.3 Geht es im Arbeitsrecht um die Mitbestimmung der Arbeitnehmerschaft an Sachentscheidungen, die bislang der Arbeitgeber oder der Untemehmensträger allein gefaßt hatten, so scheint die Front Arbeitgeber und Anteilseigner hier, Arbeitnehmerschaft dort nahezuliegen. Damit sich die Arbeitnehmerschaft in dieser Auseinandersetzung nicht verzettelt, könnte man sich vorstellen, daß sie dem Arbeitgeber möglichst homogen entgegentritt. Im Bereich der Mitbestimmung sind jedoch immer zwei Prinzipien zu beachten, zum einen das Arbeitnehmerschutzprinzip mit der Gegenüberstellung Arbeitgeber/Arbeitnehmer, zum anderen aber das Repräsentationsprinzip. Die Arbeitnehmerschaft als ganze soll in angemessener Weise in den Vertretungsorganen repräsentiert werden. Die Arbeitnehmerschaft setzt sich aber ihrerseits aus mehreren Gruppen zusammen, die zwar in der Zielrichtung gegenüber dem Arbeitgeber vereint sind, untereinander aber auch unterschiedliche Interessen verfolgen können. Derartige Gruppen sind u.a. Arbeiter/Angestellte, Männer/Frauen, Jugendliche/Erwachsene, Inländer/Ausländer, Arbeitnehmer bis zu einem bestimmten Alter/ältere Arbeitnehmer, gesunde Arbeit-nehmer/Schwer1 S. im einzelnen Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, S. 58 f. 2 Vgl. BVerfG, NJW 1991, S. 2246. 3 S. zu den Grundgedanken des Mitbestimmungsrechts Wiedemann, Gesellschaftsrecht Bd. I, S. 592 ff.

427 behinderte. Darüberhinaus können sich Gruppeninteressen z.B. je nach hierarchischer Ebene, Produktionsstandort oder Tätigkeitsbereich ergeben. Das Mitbestimmungsrecht steht vor der Aufgabe, die beiden Prinzipien Arbeitnehmerschutzprinzip und Repräsentationsprinzip sachgerecht miteinander zu verbinden. Sowohl im Betriebsverfassungsrecht als auch im Recht der Unternehmensmitbestimmung wurde anstelle der beiden Möglichkeiten "einheitliche Arbeitnehmerschaft" und "Berücksichtigung der Gruppeninteressen innerhalb der Arbeitnehmerschaft" ein Mittelweg gewählt: Im Kern wird innerhalb der Arbeitnehmerschaft nur zwischen Arbeitern und Angestellten (hinzu kommen, was für die vorliegende Untersuchung außer Betracht bleibt, die leitenden Angestellten) unterschieden. Im Betriebsverfassungsrecht haben daneben Jugendliche und Schwerbehinderte eigene Vertretungen mit abgeschwächten Rechten. Die Unterscheidung zwischen den Gruppen der Arbeiter und der Angestellten im Mitbestimmungsrecht gibt Veranlassung zu einer verfassungsrechtlichen Überprüfung. Sie soll vor dem Hintergrund der geschichtlichen Entwicklung erfolgen. B.

Die historische Entwicklung des Betriebsverfassungsrechts

Die Mitbestimmung im Betrieb und die Mitbestimmung im Unternehmen beruhen auf den gleichen historischen Wurzeln und Überlegungen. Zunächst entwickelte sich die betriebliche Mitbestimmung, so daß hier die gemeinsamen Grundlagen dieser beiden Institute anhand des Betriebsverfassungsrechts dargestellt werden. Der Gedanke der betrieblichen Arbeitnehmervertretung geht auf den Anfang des 19. Jahrhunderts zurück. Er ließ sich zum einen auf den Rätegedanken zurückführen, den der französische Anarchist Proudhon entwickelt hatte; Robert von Mohl und Johannes Aloys Pertaler griffen diese Anregungen auf.4 Bereits 1849 lag der Frankfurter Nationalversammlung ein Gesetzesantrag vor, nach dem in der Gewerbeordnung die Errichtung von Fabrikausschüssen vorgesehen werden sollte; sie sollten sich aus dem Inhaber der Fabrik und von Arbeitnehmern gewählten Mitgliedern zusammensetzen. Mit dem Scheitern der Frankfurter Nationalversammlung ging auch dieser Gesetzesentwurf unter. Ab 1850 fanden sich Arbeiterausschüsse auf freiwilliger Grundlage.5 Sie wurden in der Novelle 4 Hromadka, Die Betriebsverfassung, S.25; verfassungsrecht, S. 10 f. 5 Hromadka, Die Betriebsverfassung, S. 25.

v. Hoyningen-Huene,

Betriebs-

428 zur Gewerbeordnung von 1891 gesetzlich anerkannt, allerdings nahezu ohne praktische Konsequenzen. Die erste obligatorische Errichtung von Betriebsvertretungen sah das preußische allgemeine Berggesetz vor, in dem durch die Novelle von 1905 zwingend vorgeschrieben wurde, daß in Betrieben mit mehr als 100 Arbeitern Arbeiterausschüsse zu bilden sind. 1915 waren in 10% aller deutschen Betriebe mit mehr als 20 Arbeitnehmern Arbeiterausschüsse gebildet.6 Um den besonderen Produktionserfordernissen im Rahmen der Kriegswirtschaft Rechnung zu tragen, wurde am 5.12.1916 das Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst erlassen.7 In § 11 des Hilfsdienstgesetzes war vorgeschrieben, daß in kriegs- und versorgungswichtigen Betrieben mit mehr als 50 Arbeitern oder Angestellten Arbeiter- und Angestelltenausschüsse errichtet werden müssen. Diese Ausschüsse hatten nur geringe Kompetenzen und sollten in erster Linie das Einvernehmen zwischen Arbeitgeber und Belegschaft fördern.8 Im Hilfsdienstgesetz wurde auf die Aufspaltung der Arbeitnehmerschaft in die Gruppen der Arbeiter und Angestellten bezug genommen. Vorbild dafür war die im Jahre 1911 endgültig vorgenommene Trennung der Arbeitnehmergruppen im Sozialversicherungsrecht in Angestellte und Arbeiter. Zur Unterscheidung der Arbeiter und Angestellten wurde auf den sozialversicherungsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff rekurriert. Die Regelungen des Hilfsdienstgesetzes, die nur für gewerbliche Hilfsdienstbetriebe galten, wurden durch die Verordnung über Tarifverträge, Arbeiter- und Angestelltenausschüsse und Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten (TVVO) am 23. Dezember 1918 auf sämtliche Betriebe ausgedehnt, in denen mehr als 20 Arbeitnehmer beschäftigt waren. Der Gedanke der Mitbestimmung im Arbeitsrecht wurde 1919 in die Weimarer Reichsverfassung aufgenommen. Nach Art. 165 WRV sollten Arbeiter und Angestellte zur Wahrnehmung ihrer sozialen und wirtschaftlichen Interessen gesetzliche Vertretungen in Betriebsarbeiterräten erhalten. Gemäß dieser programmatischen Vorgabe wurde am 4.2.1920 durch das Betriebsrätegesetz eine umfassende Kodifikation der betrieblichen Mitbestimmung verwirklicht. In diesem Gesetz wurde die schon mit dem Angestelltenversicherungsgesetz vom 20.12.1911 für das Sozialversicherungsrecht vollzogene Aufteilung in Arbeiter und Angestellte auch für das Arbeitsrecht übernommen. § 6 BRG sah vor, daß in allen 6 Hromadka, Die Betriebsverfassung, S. 26. 7 RGBl. 11916, S. 1335. 8 Vgl. dazu HueckINipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, Bd. II/2, § 7 1 1 4 .

429 Betrieben, deren Betriebsräte sowohl aus Arbeitern als auch aus Angestellten bestanden, Arbeiterräte und Angestelltenräte zu errichten waren. § 12 BRG verwies zu diesem Zweck auf die Definition des Angestellten im Angestelltenversicherungsgesetz. 1922 wurde in das Betriebsrätegesetz die Regelung eingefügt, daß Betriebsratsmitglieder in den Aufsichtsrat entsandt werden konnten. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde die Mitbestimmung durch das Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 20.1.1934 weitgehend beseitigt.9 Im Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit (AOG) wurde auch im Betrieb das sog. Führerprinzip eingeführt, nach dem der Betriebsführer den Betrieb und seine Arbeitnehmer (genannt "Gefolgschaft") in eigenständiger Verantwortung führte.10 Nach dem Zweiten Weltkrieg schuf das Kontrollratsgesetz Nr. 22 erneut die Grundlage für die Wahl von Betriebsräten. Danach wurde zur Wahrnehmung der beruflichen, wirtschaftlichen und sozialen Interessen der Arbeiter und Angestellten die Errichtung und Tätigkeit von Betriebsräten in ganz Deutschland gestattet; dieses Kontrollratsgesetz enthielt nur Rahmenregelungen. In den Folgejahren entwickelten sich daher in den einzelnen deutschen Ländern eigene Betriebsverfassungsgesetze. Aufgrund der dadurch eingetretenen Rechtszersplitterung wurde der Erlaß eines einheitlichen Bundesgesetzes zur Betriebsverfassung erforderlich; die Ermächtigungsgrundlage dafür fand sich in Art. 74 Nr. 12 GG. Nach harten Auseinandersetzungen, die sich auf die Neuordnung der deutschen Wirtschaft überhaupt bezogen, wurde am 11.10.1952 ein einheitliches Betriebsverfassungsgesetz erlassen. Während die Gewerkschaften weitgehende Mitbestimmungsbefugnisse in wirtschaftlichen Angelegenheiten forderten, hielt die Konzeption des Betriebsverfassungsgesetzes 1952 am freien Unternehmertum als Voraussetzung für eine freiheitliche Wirtschaftsordnung fest. Das neue Betriebsverfassungsgesetz knüpfte an die Grundkonzeption des Betriebsrätegesetzes von 1920 an, enthielt aber weitgehende Neuerungen. Anstelle der Gruppenräte sah das Betriebsverfassungsgesetz 1952 nur noch einen einheitlichen Betriebsrat vor. Die Gruppen innerhalb der Belegschaft wurden jedoch dadurch anerkannt, daß der einheitliche Betriebsrat grundsätzlich getrennt durch die Gruppe der Arbeiter und Angestellten gewählt wurde, indem jede Gruppe gem. § 13 Abs. 2 BetrVG 1952 je ihren Vertreter wählte. Die Unterscheidung der einzelnen Ar-

9 RGBl. 1 1934, S. 45. 10 Vgl. dazu Rüthers, AuR 1970, S. 97 ff.

430 beitnehmergruppen wirkte sich auch in anderen Vorschriften des Gesetzes aus, insbesondere bei der Zusammensetzung des Betriebsrats gem. § 10 BetrVG 1952, des Gesamtbetriebsrats gem. § 47, des Betriebsausschusses gem. § 28, bei der Wahl des Vorsitzenden und des stellvertretenden Vorsitzenden des Betriebsrats gem. § 27 und beim Aussetzungsantrag einer Gruppe gem. § 34 BetrVG 1952. Mitte der 60er Jahre setzte sich die Auffassung durch, daß das Betriebsverfassungsgesetz von 1952 nicht mehr den veränderten wirtschaftlichen, technischen und sozialen Verhältnissen entspreche. 11 Eine Neuregelung wurde daher gesucht. Seit Mitte der 60er Jahre legten verschiedene Gruppen ihre Gesetzesentwürfe vor. Auch in der Diskussion um das neue Betriebsverfassungsgesetz kam es wieder zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Interessengruppen und Standpunkten. 12 Das Gesetz wurde am 18.1.1972 verkündet 13 und trat am Tag danach in Kraft. Ein Schwerpunkt der Neuregelung lag im Ausbau der Mitwirkung und Mitbestimmung des Betriebsrats.14 Die Aufspaltung der Belegschaft in Arbeiter und Angestellte wurde vom Gesetzgeber übernommen. Im Gegensatz zu der sonstigen Tendenz im Arbeitsrecht zur Vereinheitlichung der unterschiedlichen Regelungen, z.B. bei den Kündigungsfristen im Jahre 1969, wurde hier das Gruppenprinzip gegenüber dem Betriebsverfassungsgesetz 1952 sogar noch verstärkt. So trat die Bedeutung des Gruppenprinzips bei der Wahl des Vorsitzenden des Betriebsrats und seines Stellvertreters gem. § 26 BetrVG 1972 im Vergleich zu § 27 BetrVG 1952 stärker hervor. Auch bei der Bildung des Betriebsausschusses und der weiteren Ausschüsse des Betriebsrats wurde der Minderheitenschutz erweitert. Nach den §§ 27 Abs. 2, 28 Abs. 2 BetrVG 1972 findet bei der Errichtung des Betriebsausschusses und der weiteren Ausschüsse des Betriebsrats eine getrennte Wahl der Gruppenvertreter statt, wenn bei Gruppenwahl des Betriebsrats jeder Gruppe mehr als 1/10 der Mitglieder des Betriebsrats, mindestens jedoch 5 Mitglieder angehören oder bei gemeinsamer Wahl des Betriebsrats jeder Gruppe im Betriebsrat mehr als 1/3 der Mitglieder angehört. Eine Verstärkung des Gruppenschutzes findet sich ferner bei der Regelung der Geschäftsführung des Betriebsrats, da nach § 31 BetrVG 1972 bereits die Mehrheit einer Gruppe im Betriebsrat die Hinzuziehung eines Gewerk11 12 13 14

v. Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, S. 12. Vgl. dazu D'ictzlRichardi, Betriebsverfassungsgesetz, Vor § 1, Rdnr. 13. BGBl. I 1972, S. 13. Vgl. Gäbet, BIStSozArbR 1972, S. 1 ff., 23 ff., 45 ff.; Richardi, JA 1972, S. 137 ff.

431 schaftsbeauftragten beantragen kann. Weiterhin ist die Minderheitengruppe bei der Freistellung der Betriebsratsmitglieder von ihrer beruflichen Tätigkeit stärker zu berücksichtigen. Nach der ursprünglichen Fassung des § 38 Abs. 2 Satz 2 BetrVG 1972 waren bei der Freistellung die Gruppen der Angestellten und Arbeiter angemessen zu berücksichtigen. Fand sich beim Erlaß des BetrVG 1972, entgegen der allgemeinen Tendenz im Arbeitsrecht, eine Verstärkung des Gruppenprinzips und damit eine Zementierung der Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten, so wurde dieses Prinzip mit dem am 1.1.1989 in Kraft getretenen Gesetz zur Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes, über Sprecherausschüsse der leitenden Angestellten und zur Sicherung der Montanmitbestimmung noch weiter verfestigt. 15 Ziel dieses Gesetzes soll es sein, den betrieblichen Minderheiten und kleineren Gewerkschaften den Zugang zur Betriebsratswahl zu erleichtern, den betrieblichen Minderheiten mehr Möglichkeiten zur aktiven Mitwirkung bei der Betriebsratsarbeit einzuräumen sowie das Selbstbestimmungsrecht der Gruppen der Arbeiter und Angestellten zu erweitern. 16 Der Gedanke einer möglichst weitgehenden Selbstbestimmung der Gruppen und damit eine Verstärkung des Gruppenprinzips hat sich in den novellierten Fassungen der einzelnen Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes niedergeschlagen, so z.B. in den Vorschriften über die Wahl des Betriebsratsvorsitzenden nach § 26 BetrVG, über die Bildung des Betriebsausschusses und der weiteren Ausschüsse gem. §§ 27, 28 BetrVG und über die Freistellungen nach § 38 BetrVG. So sind zunächst die Quoren für ein eigenes Vorschlagsrecht einer Gruppe gesenkt worden. Hatten nach § 26 Abs. 2 Satz 1 BetrVG 1972 die Gruppen ein eigenes Vorschlagsrecht, wenn jeder Gruppe im Betriebsrat "mehr als ein Drittel" der Betriebsratsmitglieder angehörte, so genügt es nach der Neufassung für ein eigenes Vorschlagsrecht, wenn jede Gruppe "mindestens ein Drittel" der Mitglieder des Betriebsrats aufweist. Wird der Betriebsrat in Gruppenwahl gewählt, so wählten nach bisherigem Recht die Gruppen ihre Vertreter in die Ausschüsse dann selbst, wenn jeder Gruppe mehr als ein Zehntel der Betriebsratsmitglieder, mindestens jedoch fünf Mitglieder angehörten. Diese Mindestzahl von fünf Mitgliedern ist nun auf drei Mitglieder gesenkt worden, § 27 Abs. 2 Satz 3, 1. Halbsatz, § 28 Abs. 2 Satz 1 BetrVG. Ist der Betriebsrat hingegen in gemeinsamer Wahl gewählt worden, so benötigte jede Gruppe im Betriebsrat bisher "mehr als ein Drittel"

15 BGBl. 1 1989, S. 2312. 16 BT-Drucks. X/2503, S. 22 - 24.

432 der Mitglieder, um ihre Ausschußmitglieder selbst wählen zu können. Nach der Novellierung genügt es jedoch, wenn jede Gruppe "mindestens ein Drittel" der Mitglieder aufweist, § 27 Abs. 2 Satz 3, 2. Halbsatz, § 28 Abs. 2 Satz 1 BetrVG. Bei der Auswahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder waren nach dem bis 1989 geltenden Recht die Gruppen lediglich angemessen zu berücksichtigen, es konnte also eine flexible Regelung vereinbart werden. Künftig sind die Gruppen jedoch entsprechend dem Verhältnis ihrer Vertretung im Betriebsrat zu berücksichtigen; § 38 Abs. 2 Satz 3 BetrVG enthält damit eine starre Verhältnisregel. Eine Stärkung des Gruppenprinzips und des Selbstbestimmungsrechts der Gruppen ist nunmehr auch im Gesamtbetriebsrat und Konzernbetriebsrat bei der Besetzung der Ausschüsse vorgesehen, §51 Abs. 1, Abs. 2 Sätze 1, 5 bis 8 BetrVG, § 59 Abs. 1 BetrVG. Durch die Einführung der Verhältniswahl bei der Besetzung der Ausschüsse durch den Betriebsrat oder durch seine Gruppen ist es zu einer Verstärkung des Gruppenprinzips gekommen, was in § 27 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 4, § 28 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 BetrVG sowie in den Verringerungen der Unterschriftenquoren für Wahlvorschläge der Arbeitnehmer des Betriebs zur Betriebsratswahl nach § 14 Abs. 6 und Abs. 1 BetrVG zum Ausdruck kommt.17 C.

Die historische Entwicklung im Recht der Unternehmensmitbestimmung

Auch bei der Unternehmensmitbestimmung geht es um die Vertretung der Interessen der Arbeitnehmerschaft, hier jedoch nicht gegenüber dem einzelnen Arbeitgeber, sondern gegenüber den Anteilseignern. Hier ist es ebenfalls möglich, die Arbeitnehmerschaft als einen einheitlichen Gegenspieler aufzufassen oder sie in ihrer heterogenen Zusammensetzung zu berücksichtigen. Auch in diesem Bereich hat von Anfang an eine Aufspaltung in die Gruppen der Arbeiter und der Angestellten stattgefunden. Wie oben ausgeführt, haben betriebliche Mitbestimmung und Mitbestimmung im Unternehmen die gleichen historischen Wurzeln.18 Ansätze einer Unternehmensmitbestimmung traten erstmals in der Weimarer Zeit auf. Nach Art. 165 Abs. 1 WRV waren Arbeiter und Angestellte dazu 17 Vgl. zu weiteren Einzelheiten zur Verstärkung des Minderheitenschutzes Wlotzke, DB 1989, S. 111 ff. 18 Vgl. zur Entwicklung Teuteberg, Geschichte der industriellen Mitbestimmung in Deutschland.

433 berufen, gleichberechtigt in Gemeinschaft mit den Unternehmern an der Regelung der Lohn- und Arbeitsbedingungen sowie an der gesamten wirtschaftlichen Entwicklung der produktiven Kräfte mitzuwirken. Dieser Mitbestimmungsgedanke blieb jedoch im Gegensatz zu dem der betrieblichen Mitbestimmung zunächst nur ein Programmsatz. Der einzige Niederschlag fand sich im Betriebsrätegesetz, also im systematischen Zusammenhang mit den Regelungen über die Betriebsverfassung. In § 70 BRG, der 1922 eingeführt wurde, 19 fand sich das Recht der Betriebsräte, ein Betriebsratsmitglied oder, bei einem mehr als dreiköpfigen Aufsichtsrat, zwei Betriebsratsmitglieder in den Aufsichtsrat zu entsenden. Auch hier galt das Gruppenprinzip. Nach § 6 des Gesetzes konnte, sofern zwei Mitglieder in den Aufsichtsrat zu wählen waren, die Minderheitsgruppe der Arbeitnehmer, wenn ihr wenigstens zwei Mitglieder des Betriebsrates angehörten, mit Stimmenmehrheit oder Stimmengleichheit die Entsendung eines Vertreters ihrer Gruppe beschließen. Die eigentliche Entwicklung der unternehmerischen Mitbestimmung setzte allerdings erst nach dem Zweiten Weltkrieg ein. Zunächst gelang es den Gewerkschaften, von den Besatzungsmächten, insbesondere der britischen Besatzungsmacht, das Zugeständnis zu erreichen, daß in den entflochtenen Unternehmen der Eisen- und Stahlindustrie die Aufsichtsräte paritätisch mit Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretem sowie einem Vertreter der Treuhandverwaltung besetzt wurden. 20 Nach Gründung der Bundesrepublik wurde zunächst am 10.4.1951 das "Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie (Montanmitbestimmungsgesetz) verabschiedet. 21 Dieses Gesetz entstand vor dem Hintergrund von unmittelbar bevorstehenden Arbeitskampfmaßnahmen der Gewerkschaften, die sich die durch Zugeständnisse der Besatzungsmächte erworbenen Rechtspositionen erhalten wollten. Das Montanmitbestimmungsgesetz gilt gem. § 1 für Unternehmen in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft, einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung und einer bergrechtlichen Gewerkschaft mit mehr als 1.000 Arbeitnehmern. Der Aufsichtsrat besteht gem. § 4 Montanmitbestimmungsgesetz aus 11 Mitgliedern und kann je nach Umfang des Nennkapitals kraft Satzung oder Gesellschaftsvertrag gem. § 9 Montanmitbestimmungsgesetz auf 15 oder 21 Mitglieder erweitert wer19 RGBl. 1 1922, S. 209. 20 Potthoffi Zur Geschichte der Montanmitbestimmung; S. 623. 21 BGBl. I 1951, S. 347.

WlotzkelWißmann, DB

1981,

434 den. Kennzeichnend für die Montanmitbestimmung ist die paritätische Besetzung des Aufsichtsrats mit Vertretern der Arbeitnehmerseite und Vertretern der Anteilseigner sowie einem zusätzlichen neutralen Mann gem. §§ 4,8 Montanmitbestimmungsgesetz. Bei der Bestellung der fünf Arbeitnehmervertreter ist das Gruppenprinzip zu berücksichtigen. Zwei der Arbeitnehmervertreter sind von den Betriebsräten vorzuschlagen, wovon einer ein Arbeiter und der andere ein Angestellter sein muß. Sie werden in einem nach § 6 Abs. 1 Montanmitbestimmungsgesetz vorgegebenen Wahlverfahren getrennt gewählt. 22 Die Gewerkschaften versuchten in der Folgezeit, die Montanmitbestimmung auf andere Großunternehmen zu übertragen. Dazu wurden erhebliche Anstrengungen unternommen und Arbeitskampfmaßnahmen durchgeführt, allerdings ohne Erfolg. 23 Für die übrigen Bereiche wurde aber eine Mitbestimmungsregelung in das Betriebsverfassungsgesetz 1952 aufgenommen. Danach waren die Arbeitnehmer grundsätzlich zu einem Drittel an den Sitzen im Aufsichtsrat zu beteiligen. Diese sog. Drittelparität gilt für alle Aktiengesellschaften, Gesellschaften mit beschränkter Haftung und bergrechtlichen Gewerkschaften, Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit und Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, die mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigen. Das Gruppenprinzip wurde in § 76 Abs. 2 Satz 2 BetrVG 1952 beibehalten. Sind zwei oder mehr Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat zu wählen, so müssen sich unter ihnen mindestens zwei Arbeitnehmer aus den Betrieben des Unternehmens befinden, wenigstens einer davon muß ein Arbeiter und ein Angestellter sein.24 Im folgenden wurde zur Regelung der Mitbestimmung in Konzernen das Montanmitbestimmungsergänzungsgesetz vom 7.8.1956 erlassen. 25 Davon wurden die Fälle erfaßt, in denen Konzernobergesellschaften aufgrund eines Organschaftsverhältnisses ein Unternehmen beherrschten, in dem die Arbeitnehmer nach den Vorschriften des Montanmitbestimmungsgesetzes ein Mitbestimmungsrecht haben. Auch wenn sie selbst nicht unter das Montanmitbestimmungsgesetz fallen, gilt ebenfalls die Mitbestimmungsregelung des Montanmitbestimmungsgesetzes. 26 Die Aufteilung der Arbeitnehmerschaft in Arbeiter und Angestellte fand vor 22 Vgl. zu diesem komplizierten Verfahren Wißmann, DB 1989, S. 426. 23 Vgl. zu diesen Protestaktionen OLG Düsseldorf, RdA 1953, S. 393; zur arbeitskampfrechtlichen Bewertung vgl. Wank, Politik und Arbeitsrecht, S. 12 ff. 24 Vgl. zu weiteren Einzelheiten Dietz/Richardi, BetrVG, 5. Aufl. 1973, Anhang. 25 BGBl. 1 1956, S. 347. 26 Zu Einzelheiten s. Boldl, Mitbestimmungsergänzungsgesetz, 1957.

435 allem in § 6 Abs. 1 MitbestErgG ihren Ausdruck. § 5 Abs. 1 MitbestErgG forderte, daß unter den Arbeitnehmervertretern von vier konzernangehörigen Arbeitnehmern drei zur Gruppe der Arbeiter und einer zur Gruppe der Angestellten gehören mußte. Schon bald nach Erlaß des Montanmitbestimmungsergänzungsgesetzes und des Betriebsverfassungsgesetzes 1952 war man sich darüber einig, daß eine umfassende Reform der unternehmerischen Mitbestimmung erforderlich sei, wobei die Reformziele unterschiedlich waren. Nach langen politischen Auseinandersetzungen wurde das bis dahin bestehende Mitbestimmungssystem durch das Mitbestimmungsgesetz vom 4.5.1976 (MitbestG 1976)27 modifiziert. Nach § 1 Abs. 1 gilt es für alle Unternehmen in der Rechtsform der Aktiengesellschaft, der Kommanditgesellschaft auf Aktien, Gesellschaft mit beschränkter Haftung, Erwerbsund Wirtschaftsgenossenschaft oder der bergrechtlichen Gewerkschaft, sofern sie in der Regel mehr als 2.000 Arbeitnehmer beschäftigen. Das Gesetz enthält einen Vorbehalt zugunsten des Montanmitbestimmungsgesetzes und des Mitbestimmungsergänzungsgesetzes. Der Aufsichtsrat ist gem. § 7 Abs. 1 MitbestG paritätisch besetzt. 28 Die Vertreter der Arbeitnehmer werden zum Teil von der Gewerkschaft vorgeschlagen, zum Teil sind es Arbeitnehmer aus dem Unternehmen. Das Gruppenprinzip wurde gegenüber den früheren Mitbestimmungsgesetzen verschärft. Die Gruppen sind im Aufsichtsrat entsprechend ihrem zahlenmäßigen Verhältnis vertreten, wobei Arbeiter, Angestellte und leitende Angestellte gem. § 13 Abs. 2 MitbestG Anspruch auf mindestens einen Sitz haben. Das Vorschlagsrecht für die jeweiligen gruppenzugehörigen Aufsichtsratsmitglieder steht nicht den Betriebsräten, sondern gem. § 15 Abs. 4 MitbestG den verschiedenen Arbeitnehmergruppen zu. Diese Wahlvorschläge bilden die Basis für die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder. Möglich ist die gemeinsame Wahl, aber auch die Gruppen wähl. Die vorläufig letzten Maßnahmen des Gesetzgebers auf dem Gebiet der Unternehmensmitbestimmung führten zur Konsolidierung und in einigen Bereichen zur Ausweitung der bestehenden Mitbestimmungsregelungen. Art. 3 des am 1.1.1989 in Kraft getretenen Gesetzes zur Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes, über Sprecherausschüsse der leitenden Angestellten und zur Sicherung der Montanmitbestimmung brachte die Fortentwicklung und Sicherung zum Ausdruck. Neben einer Herab27 BGBl. I 1976, S. 1153. 28 Zu den Unterschieden zwischen der Montan-Milbestimmung und dem Mitbestimmungsgesetz 1976 vgl. Lieb, Arbeitsrecht, § 9 14.

436 setzung der Anwendungsvoraussetzungen des Mitbestimmungsergänzungsgesetzes enthielt das Änderungsgesetz neue Vorschriften über die Zusammensetzung der Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat sowie über Wahl und Abberufung der Arbeitnehmervertreter. Der Anteil der belegschaftsangehörigen Aufsichtsratsmitglieder wurde erhöht. Nunmehr richtet sich das Verhältnis zwischen Arbeitern und Angestellten nicht mehr nach einem bestimmten Zahlenverhältnis, sondern nach dem zahlenmäßigen Verhältnis der Gruppen in der Konzernbelegschaft gem. § 10 Abs. 2 MitbestErgG n.F. Die Wahl der Arbeitnehmervertreter ist dem Wahlverfahren nach dem Mitbestimmungsgesetz 1976 nachgebildet worden, so daß nunmehr die Wahlberechtigten entscheiden, ob sie die Aufsichtsratsmitglieder unmittelbar oder mittelbar durch Delegierte wählen, § 7 MitbestErgG n.F. Grundsätzlich ist auch hier eine getrennte Wahl vorgesehen, aber anders als nach bisherigem Recht können die Delegierten der Arbeiter und der Angestellten in getrennten Vorabstimmungen jeweils mit Mehrheit die gemeinsame Wahl beschließen.29 Auch im Unternehmensmitbestimmungsrecht fand sich seit jeher die Unterteilung zwischen Arbeitern und Angestellten. Ziel der Neuregelungen war es jeweils, die Gliederung in Arbeiter und Angestellte auch im Aufsichtsrat widerzuspiegeln. Dieses Ziel kommt in Regelungen, die das Wahlverfahren, das Verhältnis der Sitze zueinander und die Wahl von Vorstand und Stellvertreter betreffen, zum Ausdruck. Ein Unterschied zum Betriebsverfassungsrecht findet sich bei der Unternehmensmitbestimmung insofern, als nach dem Mitbestimmungsergänzungsgesetz die Arbeitnehmerschaft bei der Wahl auf eine Differenzierung verzichten kann. Dies ist aber eine reine Verfahrensvorschrift, die an der zwingenden Vorgabe, daß das Verhältnis der Zusammensetzung des Aufsichtsrats der Belegschaft entsprechen muß, nichts geändert hat. D.

Die Verfassungsmäßigkeit der Regelung

I.

Die gegenwärtige Regelung

Bei der folgenden Untersuchung zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten im Mitbestimmungsrecht wird zunächst vom Betriebsverfassungsrecht ausgegangen.

29 Einzelheiten bei Wißmann, DB 1989, S. 426 ff.

437 Die maßgeblichen Vergleichsgruppen sind auch hier die der Arbeiter und die der Angestellten. Im Hinblick auf einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG ergibt sich hier eine Besonderheit, die eine Vorbemerkung erfordert. In Art. 3 Abs. 1 GG lassen sich allgemein drei Intensitätsstufen für eine Verfassungswidrigkeit unterscheiden: Ungleichbehandlung mit Benachteiligung Ungleichbehandlung ohne Benachteiligung Unterscheidung, aber Gleichbehandlung.

Die erste Intensitätsstufe bildet den Regelfall der verfassungsrechtlichen Diskussion. Die vorangegangenen Untersuchungen, insbes. zum Kündigungsschutz und zur Lohnfortzahlung, betrafen Fälle, in denen meistens Arbeiter gegenüber Angestellten ungleich behandelt und im Rahmen dieser Ungleichbehandlung auch benachteiligt wurden. Die zweite Intensitätsstufe, die Ungleichbehandlung ohne Benachteiligung, findet sich im Recht der Rentenversicherung. Auf die entsprechende Problematik wird unten eingegangen (s. unten 3. Teil). Vorliegend geht es um die schwächste Form eines möglichen Verfassungsverstoßes. Während die zweite Stufe in Rechtsprechung und Schrifttum ohnehin nur am Rande beachtet wird, ist die dritte Stufe im Verfassungsrecht bisher nicht angesprochen worden. Im Mitbestimmungsrecht fehlt es an einer Ungleichbehandlung zwischen Arbeitern und Angestellten. Beide Gruppen werden gleichbehandelt, indem der jeweiligen Minderheitsgruppe ein Mindestvertretungsrecht eingeräumt wird. Fehlt es so an einer direkten Diskriminierung, so liegen auch keine Anhaltspunkte für eine mittelbare Diskriminierung vor. Ein Verfassungsverstoß könnte sich aber daraus ergeben, daß das Mitbestimmungsrecht überhaupt eine Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten vorsieht. Man könnte vorbringen: Wenn der Gesetzgeber verpflichtet ist, im materiellen Recht die Rechtsstellung der beiden Gruppen anzugleichen, dann ist es ihm untersagt, mittelbar die bestehende Diskriminierung dadurch zu unterstützen, daß er eine Gruppenrepräsentation in der Weise aufrechterhält, daß er im Mitbestimmungsrecht an der Unterscheidung festhält. Wie sollen die Parteien des Arbeitslebens ein geändertes Bewußtsein im Hinblick auf eine einheitliche Arbeitnehmerschaft entwickeln, wenn doch der Gesetzgeber selbst an der Vorstellung festhält, Arbeiter und Angestellte seien so unterschiedliche Gruppen, daß sie zwingend unterschiedlich repräsentiert werden müssen? 30 Als flankierende Maßnahme, um auch das Rechts30 Zur Verpflichtung des Gesetzgebers, die vorgefundene Wirklichkeit zu verändern, s. BVerfG, NJW 1991, S. 1602.

438 bewußtsein der Beteiligten zu verändern, könnte es von Verfassungs wegen geboten sein, daß der Gesetzgeber jede Form der Unterscheidung zwischen den beiden Arbeitnehmergruppen beseitigt. Entgegenhalten läßt sich, wie unten zum Rentenversicherungsrecht auszuführen, zum einen, daß ein unterschiedliches Gruppenbewußtsein derzeit tatsächlich noch besteht, und zum anderen, daß der Gesetzgeber dem im Rahmen des Repräsentationsprinzips Rechnung tragen muß. Zur Verwirklichung des Repräsentationsprinzips gehört es nämlich auch, daß sich die Betroffenen angemessen repräsentiert fühlen. Der Gesetzgeber könnte daher berechtigt oder verpflichtet sein, ihnen eine gruppenbezogene Repräsentation zur Verfügung zu stellen. Offen bleibt dann aber, ob er die Gruppenaufteilung zwingend vorschreiben darf oder ob er nicht zur Erleichterung eines Bewußtseinswandels die Möglichkeit zur einheitlichen Repräsentation anbieten muß. Des weiteren läßt sich wie folgt argumentieren: Werden Arbeiter gegenüber Angestellten bislang diskriminiert, so muß es zulässig sein, wenn der Gesetzgeber der diskriminierten Gruppe zur Unterstützung der materiellrechtlichen Gleichstellung organisationsrechtlich einen Minderheitenschutz einräumt. Insoweit geht es eben nicht um das Verhältnis Arbeitgeber/Arbeitnehmer, sondern um den gebotenen Schutz der einen Gruppe von Arbeitnehmern gegenüber einer anderen Gruppe. Die beiden genannten Erwägungen können jedenfalls für das geltende Recht die Unterscheidung im Rahmen der Mitbestimmung rechtfertigen. II.

Überlegungen für eine Neuregelung

Verstößt die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten im Betriebsverfassungsgesetz nicht gegen das Grundgesetz, so ist dennoch in einem zweiten Schritt zu fragen, ob die Unterscheidung angesichts der gegenläufigen Tendenz in allen anderen Bereichen des Arbeits- und des Sozialrechts noch zeitgemäß ist. Zu prüfen ist also, ob nicht zukünftig eine einheitliche Arbeitnehmerrepräsentation ohne die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten geschaffen werden sollte. Soweit es um den Minderheitenschutz zur Unterstützung des Wandels im materiellen Recht geht, kann dieses Argument allenfalls noch für eine Übergangszeit anerkannt werden. Ist die Angleichung im materiellen Recht durchgeführt, gibt es insoweit wohl auch nichts mehr organisationsrechtlich abzusichern. Dagegen könnte das Repräsentationsprinzip eine fortdauernde Unterscheidung nicht nur zulassen, sondern auch gebieten. Zum Gleichheits-

439 satz gehört auch, daß wesentlich Ungleiches nicht gleich behandelt werden darf. Stellt man nur auf das vorhandene Bewußtsein ab, so fragt sich, ob der Gesetzgeber nicht auch die Aufgabe hat, bewußtseinsverändemd zu wirken. Würde die Unterscheidung zwischen den beiden Arbeitnehmergruppen im Mitbestimmungsrecht abgeschafft, könnte das in Kürze bewirken, daß auch ein noch vorhandenes Gruppenbewußtsein verschwindet. Anders läge der Fall aber, wenn für Arbeiter und Angestellte objektiv gesehen unterschiedliche Arbeitsbedingungen gelten, so daß von daher eine unterschiedliche Repräsentation notwendig ist. Fraglich ist aber, ob Interessengegensätze innerhalb der Belegschaft wirklich zwischen den Gruppen der Arbeiter und der Angestellten auftreten oder ob die Trennlinien nicht z.B. zwischen den Interessen der Belegschaft in Produktion und Verwaltung oder zwischen einzelnen Abteilungen bestehen. Konflikte treten im Betrieb weniger im Zusammenhang mit sozialen Leistungen auf, deren Verteilung durch den Gleichheitssatz gesteuert wird, sondern eher in Fragen der Arbeitsorganisation, z.B. bei der Aufstellung von Urlaubsgrundsätzen, Arbeitszeitregelungen u.ä. Diese Regelungen wirken aber eher bereichs- und nicht gruppenspezifisch. Sicher trifft dabei zu, daß in der Verwaltung eher Angestellte und in der Produktion eher Arbeiter beschäftigt sind, wenn auch hier keine scharfe Trennung mehr vorliegt.31 Diese Regelungen werden aber dann nicht statusabhängig gesetzt, sondern bereichsabhängig. Zwei Beispiele mögen dies verdeutlichen. Soll für die Verwaltung eines Industrieunternehmens eine (neue) Arbeitszeitregelung mit dem Arbeitgeber vereinbart werden, so wird bei den in der Verwaltung Beschäftigten nicht zwischen Arbeitern und Angestellten unterschieden. Es hat wenig Sinn, wenn der Bürobote eine andere Arbeitszeit hat als die Verwaltungsangestellten. Ebenso muß in der Produktion die Arbeitszeit der Arbeiter mit derjenigen der aufsichtsführenden Angestellten abgestimmt sein. Diese Beispiele zeigen, daß weniger der Status als vielmehr die konkrete Einbindung in den Betrieb zur Bildung von Interessengruppen führt. Dabei soll der Status als soziologische Größe nicht verkannt werden, er kann aber allein nicht ausschlaggebend sein. Eine notwendige, verfassungsrechtlich gebotene Verknüpfung kann damit nicht verbunden werden. 31 BVerfG, NJW 1991, S. 2246,2248.

440 In anderen Rechtsbereichen wird eine Vereinheitlichung der Arbeitnehmergruppen angestrebt. Diese Entwicklung findet sich im Gesetzesrecht, in den Tarifverträgen, wo gemeinsame Tarifverträge für Arbeiter und Angestellte geschlossen werden und auch auf der betrieblichen Ebene bei Betrieben, die die Unterscheidung aufgehoben haben und nur noch von Mitarbeitern reden. Diese gegenläufigen Tendenzen sprechen gegen die Notwendigkeit einer Unterscheidung. Schließlich ist fraglich, warum der Gesetzgeber das Gruppenprinzip hinsichtlich der Arbeiter und Angestellten einführt, dagegen andere Gruppen, wie Frauen, Ausländer, Teilzeitbeschäftigte oder ältere Arbeitnehmer oder Jugendliche nicht als eine betriebsverfassungsrechtliche Gruppe mit eigener Repräsentation ansieht. Wohl finden sich Vorschriften, die die Berücksichtigung der Interessen der genannten Arbeitnehmergruppen fordern, diese Vorschriften sind jedoch nur Sollvorschriften; so z.B. § 15 BetrVG, wonach möglichst auch Vertreter der verschiedenen Beschäftigungsarten der im Betrieb tätigen Arbeitnehmer berücksichtigt werden sollen und nach Absatz 2 die Geschlechter entsprechend ihrem zahlenmäßigen Verhältnis vertreten sein sollen. Nach § 80 Abs. 1 BetrVG ist der Betriebsrat gehalten, die Eingliederung Schwerbehinderter und sonstiger besonders schutzbedürftiger Personen, die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer im Betrieb und die Eingliederung ausländischer Arbeitnehmer zu fördern. § 75 BetrVG legt dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat die Pflicht auf, darüber zu wachen, daß insbesondere jede unterschiedliche Behandlung von Personen wegen ihrer Abstammung, Religion, Nationalität, Herkunft, politischer oder gewerkschaftlicher Betätigung oder Einstellung oder wegen ihres Geschlechts zu unterbleiben hat. Die übrigen möglichen Gruppierungen werden zwar erkannt und geschützt, jedoch nur in Form von Sollvorschriften. Insbesondere ist keine spezielle Repräsentation gefordert (von den besonderen Regelungen für Jugendliche und für Schwerbehinderte abgesehen). Gegen eine Notwendigkeit der Unterscheidung sprechen auch Ansätze in anderen Arbeitnehmervertretungsgesetzen. Ein Beispiel ist hier die Regelung des § 29 Abs. 1 Satz 2 des nordrhein-westfälischen Personalvertretungsgesetzes, nach der die Wahl des Vorsitzenden und seiner beiden Stellvertreter durch den gesamten Personalrat zu erfolgen hat.32 Nach § 34 Abs. 2 Satz 1 NW PVG sind Angelegenheiten, die lediglich die Angehörigen einer Gruppe betreffen, nach gemeinsamer Beratung 32 Vgl. dazu Schenke, JZ 1991, S. 591.

441 vom gesamten Personalrat zu beschließen, sofem die Mehrheit der Vertreter der betreffenden Gruppe nicht widerspricht. Zwar werden verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Gleichstellung der Beamten mit den andern Arbeitnehmern erhoben 33 . In der personalvertretungsrechtlichen Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten dagegen wird angesichts der im Arbeitsrecht bestehenden weitreichenden Gleichstellung kein Verfassungsverstoß gesehen. Aus diesen Einwänden und daraus, daß sonst kein Gesichtspunkt ersichtlich ist, der gegen eine einheitliche Behandlung von Arbeitern und Angestellten spricht, kann man zumindest entnehmen, daß verfassungsrechtlich eine Differenzierung im Betriebsverfassungsrecht zwischen den Arbeitnehmergruppen nicht geboten ist. Die Pflicht zur Gleichbehandlung aller Arbeitnehmergruppen durch den Betriebsrat ist bereits durch § 75 BetrVG und Art. 3 GG gegeben. Die Verschärfung des Gruppenprinzips in der Novelle des Betriebsverfassungsgesetzes trägt daher weder einer notwendigen Differenzierung innerhalb der Arbeitnehmerschaft Rechnung, noch ist der einseitige Schutz bestimmter Arbeitnehmergruppen, der Arbeiter und Angestellten, im Verhältnis zu den Interessen anderer Gruppen vorrangig. Erscheint schon die Trennung nicht sinnvoll, so entbehrt die Verschärfung des Gruppenprinzips jeglicher Grundlage. Fraglich ist, welche Regelung dem Gesetzgeber zu empfehlen ist. Es bieten sich drei Regelungsebenen an: das Gesetz, der Tarifvertrag oder die Betriebsvereinbarung. Ein verfassungsrechtliches Gebot zur unterschiedlichen Behandlung von Arbeitern und Angestellten besteht nicht. Deshalb stünde es dem Gesetzgeber frei, das Gruppenprinzip im privaten Arbeitsrecht abzuschaffen oder zu einer flexiblereren Lösung, wie sie vor der Novelle von 1989 bestand, zurückzukehren. Möglich wäre allerdings auch, die Regelung den Betriebsparteien zu überlassen. Wünschen diese eine Abschaffung der einzelnen Arbeitnehmergruppen im Betriebsverfassungsrecht, so kann ihnen diese Möglichkeit eingeräumt werden. Diese Lösung hat den Vorteil, daß den Verhältnissen des einzelnen Betriebes Rechnung getragen werden kann. Es mag Betriebe geben, in denen die Unterscheidung völlig hinfällig geworden ist, in denen es zur Betriebspolitik gehört, die Arbeitnehmer auch in der Benennung und in der betriebsverfassungsrechtlichen Stellung

33 Hävers, PersV 1987, S. 306 f.; Krüger, PersV 1990, S. 247; Schenke, JZ 1991, S. 592.

442 gleichzubehandeln, es mag aber auch Betriebe geben, in denen die Unterschiede noch traditionell bestehen und eine getrennte Behandlung gewünscht wird. Bei dieser Möglichkeit darf selbstverständlich der Mehrheit nicht die Möglichkeit eingeräumt werden, bei der Abschaffung des Gruppenprinzips die Minderheit zu überstimmen. Vielmehr kann es nur dann zur Neuregelung kommen, wenn die Minderheit einer Abschaffung des Gruppenprinzips zustimmt. Die dritte Möglichkeit besteht darin, den Tarifvertragsparteien die Kompetenz einzuräumen, das Gruppenprinzip abzuschaffen. Darin liegt kein unzulässiger Eingriff der Tarifparteien in den Bereich der Betriebsparteien.

10. Kapitel: Die Bindung an den Gleichheitssatz bei den einzelnen Rechtsquellen A.

Tarifverträge

I.

Rechtstatsachen

In Tarifverträgen wird vielfach weiterhin für Arbeiter und Angestellte eine unterschiedliche Regelung getroffen. Das kann auf mehreren Wegen geschehen: Steht auf Arbeitnehmerseite eine Angestelltengewerkschaft, so schließt sie Tarifverträge ab, die von vornherein nur für den von ihr repräsentierten Personenkreis, also für Angestellte, gelten. In der Praxis ist allerdings die deutsche Angestelltengewerkschaft (DAG) die einzige Angestelltengewerkschaft. 1 Sie schließt regelmäßig Tarifverträge gemeinsam mit anderen Gewerkschaften ab, teilweise allerdings auch eigene. 2 In aller Regel werden Tarifverträge zwar von Gewerkschaften geschlosssen, die sowohl Arbeiter als auch Angestellte vertreten, aber jeweils getrennt als Tarifverträge für Angestellte und als Tarifverträge für Arbeiter. Die Tarifverträge haben daher von vornherein einen unterschiedlichen Geltungsbereich. 3

II.

Die Bindung der Tarifverträge an den Gleichheitssatz

Wie in Rechtsprechung4 und Literatur5 allgemein anerkannt ist, sind auch die Tarifvertragsparteien an Art. 3 Abs. 1 GG gebunden. Das bedeutet, 1 In Frankreich gibt es mit der CFDT eine reine Arbeitergewerkschaft. 2 Zu einem Tarifvertrag über Zeitaibeit s. BodelBroselVoswinkel, Soziale Welt 1991, S. 20, 27; allgemein zu mehrgliedrigen Tarifverträgen Wiedemann/Stumpf, § 1 TVG, Rdnr. 75. 3 Zu abweichenden Entwicklungen Menke, in: Hromadka, Gleichstellung, S. 91 ff.; Molitor, RdA 1989, S. 240, 241; für die bei VW beschäftigten Arbeiter und Angestellten gilt seit dem 1.11.1991 ein gemeinsamer Entgelttarifvertrag, Kölner Stadt-Anzeiger Nr. 258 vom 6.11.1991, S. 6. 4 BVerfGE 55, S. 21; BAG, AP Nr. 4, 7, 16, 87 und 136 zu Art. 3 GG; BAG, AP Nr. 1 zu § 1 Tarifverträge Druckindustrie, unter II 3; s. zuletzt BAG, NZA 1991, S. 595, 597. 5 S. u.a. Blomeyer, ZfA 1990, S. 1, 20 ff.; Canaris, JuS 1989, S. 161, 164; Gamillscheg, Grundrechte, S. 103 ff.; Lerche, Festschrift für Steindorff, S. 897 ff.; Loritz, ZfA 1990, S. 133, 140 ff.; Wiedemann/Stumpf, TVG, Einl., Rdnr. 57 ff., 62 ff.; Zöllner, Arbeitsrecht, S. 9; zur rechtsdogmatischen Begründung s. Lerche, Festschrift für Steindorff, S. 897, 905 ff.; F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 117 ff.; Wiedemann/Stumpf, TVG, Einl., Rdnr. 57 ff., 62 ff.

444 daß auch sie eine gbUngleichbehandlung zwischen Arbeitern und Angestellten nur dann vornehmen dürfen, wenn dafür ein sachlicher Grund vorliegt.6 Man könnte zweifeln, ob Art. 3 Abs. 1 GG in den oben genannten Fällen überhaupt zum Zuge kommt. Zur Tarifautonomie könnte auch die Möglichkeit gehören, sich nach eigenen Vorstellungen zu organisieren und den Geltungsbereich von Tarifverträgen abzustecken.7 Von daher würde es einen unzulässigen Eingriff in die Tarifautonomie bedeuten, wenn der Gesetzgeber die Tariffähigkeit von vornherein nur den Gewerkschaften verleihen wollte, die sowohl Angestellte als auch Arbeiter vertreten. Dann besteht aber auch weiterhin die Möglichkeit, daß eine reine Angestelltengewerkschaft Sonderregelungen nur für ihre Mitglieder, also für Angestellte, schafft. Zweifelhaft ist, ob insoweit der Gleichheitssatz überhaupt eingreifen kann. Würde man die Angestelltengewerkschaft nämlich verpflichten, nur solche Tarifverträge abzuschließen, die ihrem Inhalt nach auch für Arbeiter gelten, so hätte sie ihre Daseinsberechtigung verfehlt. Andererseits würden dann die Arbeitgeberverbände als Normsetzer unterschiedliche Tarifverträge für Arbeiter und Angestellte schließen.8 Soweit die Differenzierung gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, könnte sich der Arbeitgeberverband nicht darauf berufen, daß er unterschiedlichen Gewerkschaften gegenüberstehe. Aber auch wenn es um die Tarifverträge deijenigen Gewerkschaften geht, zu deren Mitgliedern sowohl Arbeiter als auch Angestellte zählen, ist die Problematik ähnlich. Umfaßt der Geltungsbereich des Tarifvertrages von vornherein nur Angestellte, könnte das bedeuten, daß der Schutzbereich des Art. 3 Abs. 1 GG gar nicht berührt ist. Damit stellt sich die Frage, ob Tarifverträge durch die eigene Bestimmung ihres Geltungsbereichs einer Überprüfung nach Art. 3 Abs. 1 GG entzogen sind in der Weise, daß nur Gleichheitsverstöße innerhalb des Geltungsbereichs überprüft werden dürfen. Eine ähnliche Problematik stellt sich im Tarifrecht im Hinblick auf jenigen Tarifverträge, deren Geltungsbereich von vornherein nur beitsverhältnisse mit einer bestimmten Stundenzahl erfaßt. So galt spielweise der BAT von vornherein gem. § 3 Buchst, q nur für

dieArbeiAn-

6 Zum größeren Spielraum von Tarifverträgen gegenüber der Gesetzgebung BAGE 54, S. 308. 7 S. Berger-Delhey, Anm. zu EuGH, EzA Art. 119 EWGV Nr. 1, S. 12 m.w.N.; Hagemeier/Kempen/Zachert/Zilius, § 4 TVG, Rdnr. 14. 8 S. im öffentlichen Dienst z.B. einerseits den Bundesangestelltentarifvertrag (BAT), andererseits den Manteltarifvertrag für Arbeiter (MTV-Arb).

445 gestellte, "deren arbeitsvertraglich vereinbarte durchschnittliche regelmäßige Arbeitszeit weniger als die Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit eines entsprechenden vollbeschäftigten Angestellten beträgt". TeilzeitAngestellte mit geringerer Stundenzahl wurden nicht von diesem Tarifvertrag erfaßt. Das hatte folgende praktische Konsequenzen: Wurde eine Angestellte auf einer Dreiviertel-Stelle im Schuldienst beschäftigt, so erhielt sie Dreiviertel des Gehalts einer Angestellten mit einer vollen Stelle. Hatte eine Angestellte dagegen nur eine Viertel-Stelle, so erhielt sie nicht etwa ein Viertel des vollen Gehalts, sondern sie wurde nach Stundenlohn bezahlt. Im Ergebnis erhielt sie erheblich weniger als ein Viertel des vollen Gehalts. Die Tarifvertragsparteien hatten sich zur Rechtfertigung der bestehenden Regelung darauf berufen, sie könnten den Geltungsbereich ihrer Tarifverträge selbst bestimmen. Das Bundesarbeitsgericht hat diesen Einwand im Ergebnis nicht akzeptiert. Allerdings hat es nicht, wie vorliegend, die Ausnahmeregelung im Tarifvertrag an Art. 3 Abs. 1 GG gemessen. Vielmehr hat es argumentiert, insoweit liege eine tarifvertragliche Nichtregelung vor. Eine Nichtregelung sei aber keine abweichende Regelung i.S. des Beschäftigungsförderungsgesetzes. Vielmehr ergebe sich die Vergütungshöhe aus dem Arbeitsvertrag sowie aus § 612 Abs. 2 BGB, der keine Differenzierung gegenüber Teilzeitbeschäftigten vorsehe. 9 § 3 Buchst, q BAT lautet mit Wirkung vom 1.1.1988 aufgrund des § 1 des 59. Änderungstarifvertrages vom 12.11.1987: "(Dieser Tarifvertrag gilt nicht für) Angestellte, deren arbeitsvertraglich vereinbarte durchschnittliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit weniger als 18 Stunden beträgt; gilt für den entsprechenden vollbeschäftigten Angestellten eine von § 15 Abs. 1 abweichende regelmäßige Arbeitszeit, ist der entsprechende Anteil dieser Arbeitszeit maßgebend". Das Bundesarbeitsgericht hat seine Rechtsprechung zur Ausgrenzung von Teilzeitbeschäftigten in einem Beschluß von 1989 weiterentwikkelt. 10 Danach ist es unerheblich, mit welchen rechtstechnischen Mitteln der Gleichheitsverstoß bewirkt wird, ob durch eine Einschränkung des persönlichen Geltungsbereichs des Tarifvertrages oder durch eine Ausnahmeregelung im Tarifvertrag. 11 Überträgt man den Gedanken, daß die Abgrenzung des Geltungsbereichs durch den Tarifvertrag nicht verfassungswidrig sein darf, auf die Unter9 BAG, Urt vom 25.1.1989, BB 1989, S. 1271. 10 BAG, AP Nr. 6 zu § 2 BeschFG 1985 m. Anm. Schiiren/Kirsten. 11 S. auch zur Altersversorgung BAG AR-Blattei (D) Teilzeitarbeit Entscheidungen 24.

446 Scheidung zwischen Arbeitern und Angestellten, so ergibt sich, daß Tarifverträge, auch in Bezug auf den Geltungsbereich, nur insoweit zwischen Arbeitern und Angestellten unterscheiden dürfen, als dafür ein sachlicher Grund vorliegt. Die Konsequenz der Nichtigkeit entsprechender Tarifverträge gibt Anlaß, die Frage grundsätzlicher zu überdenken, als das in der bisherigen Argumentation geschehen ist. Es geht um das allgemeine Problem, wer im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG die Vergleichsgruppe bestimmen darf. Angesprochen wird das Problem bislang nur unter dem Gesichtspunkt der "Systemgerechtigkeit". 12 Gesteht man einem Normsetzer zu, die Vergleichsgruppe selbst festzulegen, kann er dem Verdacht der Diskriminierung leicht entgehen. An einem drastischen Beispiel gezeigt: Wer definieren darf, "Sklaven sind keine Menschen", dem ist auch kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz vorzuwerfen, wenn er Sklaven schlechter behandelt als andere Bürger.13 Entscheidend ist, ob man eine gerichtliche Nachprüfung nur insoweit vornimmt, als es um Gleichheitsverstöße innerhalb des vom Normsetzer selbst gewählten Bezugssystems geht, oder ob man auch die Wahl des Bezugssystems, des Normrahmens, des Geltungsbereichs, mit kontrolliert. Sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch die überwiegende Meinung in der Literatur neigen dazu, dem Normgeber die Wahl des Bezugssystems zu überlassen. 14 Damit klammern sie einen wesentlichen Teil des Anwendungsbereichs des Gleichheitssatzes aus. Auch begehen sie den Fehler, "Selbstdefinitionen" zu ermöglichen. Über den Geltungsbereich einer Norm darf nicht der Normunterworfene oder der Normsetzer selbst entscheiden, sondern darüber müssen letzten Endes die Gerichte befinden. Das schließt nicht aus, dem Normgeber - sei es der Gesetzgeber, seien es die Tarifparteien - einen weiten Ermessensspielraum bei der Bildung der Bezugsgruppe zuzugestehen. Nicht zulässig ist es aber unter der Geltung des Art. 1 Abs. 3 GG, einen Normgeber von der Wahl des sachgerechten Bezugspunktes zu dispensieren.

12 S. die Nachw. oben 2. Kap. B III 3. 13 Diese Art der Diskriminierung durch Definition findet sich bereits bei Aristoteles in Bezug auf Sklaven ("servi a natura"), bei dem spanischen Kronjuristen und Las Casas-Gegner Juan Gênés de Sepülveda ("Indios sind homunculi, in denen kaum eine Spur von Menschsein ist"), ferner bei Hiüer in Bezug auf Juden sowie noch vor einigen Jahren in dem Ausspruch eines bekannten deutschen Politikers im Hinblick auf Randalierer. 14 S. dazu die Nachw. oben 2. Kap. B III 3.

447 Für den Geltungsbereich von Tarifverträgen ergibt sich daraus: Tarifverträge dürfen unterschiedliche Regelungen für unterschiedliche Gruppen von Arbeitnehmern schaffen. So darf es einen Entgelttarifvertrag für Vollzeitbeschäftigte und einen Entgelttarifvertrag für Teilzeitbeschäftigte geben; aber die Differenzierungen nach beiden Gruppen müssen sachgerecht sein.15 Das Gleiche gilt für unterschiedliche Tarifverträge für Arbeiter und Angestellte. In neuerer Zeit gibt es einige Tarifverträge, die gleiche Regelungen für Arbeiter und Angestellte enthalten. So macht beispielsweise der ab April 1991 geltende Entgelttarifvertrag für die Beschäftigten in der chemischen Industrie keinen Unterschied mehr zwischen Arbeitern und Angestellten.16

Man könnte einwenden, daß - abgesehen von der Ungleichbehandlung von Frauen und von Teilzeitbeschäftigten - auch sonst weitgehend Differenzierungen in Tarifverträgen, insbesondere zum Geltungsbereich, anerkannt sind. So gibt es unterschiedliche Tarifverträge je nach Branche und Gewerkschaft, je nach Art der Arbeit und je nach Qualifikation. Der Gleichheitssatz gebietet aber auch nicht, daß es einen Einheitstarifvertrag für alle Arbeitnehmer gibt. Die Unterscheidung nach Branchen, Berufen, Qualifikation und Region enthält jeweils ein sachliches Kriterium. Soweit für Arbeiter und Angestellte Sachgründe für Unterscheidungen bestehen, sind unterschiedliche Regelungen auch weiterhin zulässig. Ist das nicht der Fall, müssen die Unterschiede beseitigt werden. III.

Konsequenzen für den Gesetzgeber

Gegenstand der vorliegenden Untersuchung sind nur die Konsequenzen, die sich aus dem Gleichheitssatz im Hinblick auf Arbeiter und Angestellte für den Gesetzgeber ergeben. Man könnte der Meinung sein, die vorstehenden Überlegungen beträfen nur die Gültigkeit von Tarifverträgen, und deren Beurteilung obliege den Gerichten. Von daher ergäbe sich kein Regelungsbedarf für den Gesetzgeber. Auf der anderen Seite ist der Staat aber insgesamt verpflichtet, dafür zu sorgen, daß die Grundrechte in allen Lebensbereichen verwirklicht werden, Art. 1 Abs. 3 GG. Mit der Delegation der Tarifautonomie auf die Tarifparteien ist er seiner Verpflichtung nicht enthoben. Er hat vielmehr

15 S. auch Hanau, Festschrift der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, S. 183, 184 f.; zu der vergleichbaren Problematik im englischen Recht Lester/Rose, Industrial Law Jounal 20 (1991), S. 163,164. 16 FAZ Nr. 295 v. 19.12.1990, S. 15; s. ferner Information RdA 1990, S. 44; Menke, in: Hromadka, Gleichstellung, S. 91 ff.; Molitor, RdA 1989, S. 240,241.

448 ein Tarifvertragssystem bereitzustellen17 und darauf zu achten, daß auch inhaltlich Tarifverträge mit dem Grundgesetz in Einklang stehen. Insoweit sind mehrere Ansätze zu unterscheiden. 1. Allgemeinverbindlicherklärungen Soweit der Staat Tarifverträge durch Allgemeinverbindlicherklärung auch für nicht Tarifgebundene in Geltung setzen will, muß er zunächst überprüfen, ob der Tarifvertrag nicht gegen höherrangiges Recht verstößt.18 Außenseiterklauseln 2. Der Gesetzgeber geht im weiten Maße dazu über, Außenseiterklauseln (= Tariföffnungsklauseln, gesetzliche Zulassungsklauseln) zu schaffen, wie § 622 Abs. 3 BGB, § 13 Abs. 1 Satz 2 BUrlG, § 2 Abs. 3 Satz 2 LFZG, § 17 Abs. 3 BetrAVG, § 101 Abs. 2 Satz 3 ArbGG. In der Praxis gelten Tarifverträge nicht nur für die beiderseits Tarifgebundenen gem. §§ 3 Abs. 1, 2 Abs. 1 TVG, sondern kraft Bezugnahme auch für NichtTarifgebundene, sogenannte Außenseiter.19 Regelmäßig nimmt der Einzelarbeitsvertrag auf den einschlägigen Tarifvertrag Bezug. Dieser kann aber sowohl Regelungen enthalten, die vom Gesetz zugunsten, als auch solche, die vom Gesetz zu Lasten der Arbeitnehmer abweichen. Es wäre dann ungerecht, nur zu Lasten der Tarifgebundenen eine Benachteiligung gegenüber dem ansonsten zwingenden Gesetz zuzulassen. Der Schutzzweck (zwingendes Arbeitsrecht) und der Gedanke der Gleichbehandlung kollidieren, mit dem Ergebnis, daß auch der Außenseiter in diesen Punkten gleich zu behandeln ist20, d.h. daß auch die nachteilige Regelung im Tarifvertrag für ihn gilt. Eine Gleichbehandlung wird dadurch erreicht, daß durch die Bezugnahme jeweils nur ein gesamter Regelungskomplex übernommen werden kann.21 Soweit in dieser Weise die gesetzliche Erstreckung von ungünstigem Tarifrecht auf Außenseiter ausgedehnt wird, ist der Gesetzgeber selbst zur Beachtung des Gleichheitssatzes verpflichtet. Würde etwa durch Tarifverträge eine ungerechtfertigte Benachteiligung von Arbeitern ange-

17 BVerfGE 58, S. 233,248; s. auch BVerfG, NJW 1991, S. 2549,2550. 18 Wiedemann/Stumpf, § 5 TVG, Rdnr. 19; zu eng Hagemeier u.a., § 5 TVG, Rdnr. 10. 19 Hagemeier u.a., § 3 TVG, Rdnr. 45 ff.; Wiedemann/Stumpf, § 3 TVG, Rdnr. 84 ff.; s. zuletzt BAG, Urt. vom 20.3.1991 - 4 AZR 455/90 -. 20 Vgl. Hagemeier u.a., § 3 TVG, Rdnr. 47. 21 Hagemeier u.a., § 3 TVG, Rdnr. 67; Wiedemann/Stumpf, § 3 TVG, Rdnr. 109.

449 ordnet, so dürfte diese Regelung nicht auch noch auf Außenseiter ausgedehnt werden. Da aber gegen Außenseiterklauseln keine grundsätzlichen Bedenken bestehen, ist der Gesetzgeber nur in Fällen eines verbreiteten Mißbrauchs zum Eingreifen verpflichtet.

3.

Dispensierung vom Gleichheitssatz

Durch § 6 Abs. 1 BeschFG hatte der Gesetzgeber den Tarifparteien die Möglichkeit eingeräumt, von allen Vorschriften des Gesetzes auch zuungunsten der Arbeitnehmer abzuweichen. Zu diesen Vorschriften gehörte auch § 2 Abs. 1 BeschFG, der die Gleichbehandlung von Vollzeitund Teilzeitbeschäftigten anordnet. Bei wörtlicher Auslegung hätte das bedeutet, daß durch Tarifvertrag Teilzeitbeschäftigte auch dann benachteiligt werden dürften, wenn dafür keine "sachlichen Gründe" vorliegen. Das Bundesarbeitsgericht 22 hat, mit Unterstützung des Schrifttums, diese Auslegung abgelehnt. Vielmehr sind auch die Tarifparteien an Art. 3 Abs. 1 GG gebunden, so daß § 2 Abs. 1 BeschFG auch für Tarifverträge gilt 23 Ein gravierender Unterschied zwischen dem Gesetzgeber und den Tarifparteien ergibt sich allerdings aus folgendem: Eine gesetzliche Regelung muß abstrahieren. Ihr Adressat ist der Arbeitnehmer, nicht beispielsweise der nordrhein-westfalische Arbeiter in der Stahlindustrie. Auf dieser hohen Abstraktionsstufe können sachlich gerechtfertigte Unterscheidungen kaum getroffen werden. Tarifverträge haben demgegenüber gerade die Aufgabe, eine Regelung zu schaffen, die den Besonderheiten einer Arbeitnehmergruppe gerecht wird. Von daher kann es ohne weiteres sein, daß in einem Bereich, in dem dem Gesetzgeber eine Differenzierung angesichts der generellen Regelung versagt ist, den Tarifparteien durchaus Spielraum für eine Differenzierung offensteht. 24

4.

Generelle inhaltliche Vorgaben für die Tarifparteien

Der Gesetzgeber könnte seiner Verpflichtung, für die Beachtung des Art. 3 Abs. 1 GG auch durch die Tarifparteien zu sorgen, in der Weise nach22 BAG, NZA 1990, S. 37; s. auch Hanau, NZA 1984, S. 345, 346; ders., Festschrift der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, S. 183, 188; Hanau/Preis, ZfA 1985, S. 177, 179; v. Hoyningen-Huene, NJW 1985, S. 1801, 1803; Schüren, RdA 1985, S. 22,25. 23 Für Tarifverträge in der Begründung abweichend, aber im Ergebnis übereinstimmend Kraft/Raab, Anm. zu BAG, EzA Nr. 3 zu § 2 BeschFG. 24 So auch BVerfG, NJW 1990, S. 2246,2248 (unter C 1 6 ) .

450 kommen, daß er den Tarifparteien inhaltliche Vorgaben für die Ausübung der Tarifautonomie macht. Darin läge kein Eingriff in die Tarifautonomie, sondern nur die Umsetzung des ohnehin geltenden Rechts mit der Konsequenz, daß diese Vorgabe kraft Gesetzes und nicht nur aufgrund gerichtlicher Überprüfung im Einzelfall gewährleistet wäre. Die Regelung könnte etwa so aussehen, daß in § 1 TVG bestimmt wird, daß Tarifverträge Gruppen von Arbeitnehmern, insbesondere Männer und Frauen, Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigte, Arbeiter und Angestellte, nur dann unterschiedlich behandeln dürfen, wenn dafür zwingende Gründe (so betr. Männer/Frauen) oder sachliche Gründe (betr. alle anderen Gruppen) vorliegen. 5. Tariföffnungsklauseln und Gleichbehandlungsvorbehalt Der Gesetzgeber könnte auch das bisherige Verfahren beibehalten, die einzelnen Bereiche des Arbeitsrechts selbst zu regeln, aber den Tarifparteien durch Tariföffnungsklauseln zu dem jeweiligen Sachgebiet Abweichungen, auch zu Lasten der Arbeitnehmer, zu gestatten. So verfährt beispielsweise § 622 Abs. 3 Satz 1 BGB. Der Vorteil dieser Regelungen besteht darin, daß konkret angegeben werden kann, von welchen gesetzlichen Vorschriften der Tarifvertrag im einzelnen abweichen darf. Andererseits wird dabei der Gleichbehandlungsgedanke nicht berücksichtigt. Im Hinblick auf die hier untersuchten Bereiche, wie Kündigung, Lohnfortzahlung und Wettbewerb, bedeutet das, daß das Gesetz einerseits den Unterschied zwischen Arbeitern und Angestellten beseitigen, andererseits aber den Tarifparteien abweichende Regelungen erlauben würde, ohne dabei Vorgaben im Hinblick auf den Gleichheitssatz zu machen. Gerade wenn also beispielsweise im gesetzlichen Kündigungsrecht der Unterschied zwischen Arbeitern und Angestellten beseitigt würde, träte nur eine Verlagerung des Problems dadurch ein, daß nunmehr Tarifverträge an der Differenzierung festhalten. Als Minimum einer Vorgabe könnte der Gesetzgeber insoweit verpflichtet sein, die Tariföffnungsklausel mit einem Gleichbehandlungsvorbehalt zu versehen. 6. Gleichbehandlungsvorbehalt mit Differenzierung Auch wenn der Gesetzgeber Tariföffnungsklauseln mit einem Gleichbehandlungsvorbehalt versehen würde, bliebe offen, nach welchen Maßstäben unterschiedliche Regelungen für Arbeiter und Angestellte zulässig wären. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 30.5.1990 dem Gesetzgeber Maßstäbe mit auf den Weg gegeben. Wie

451 oben dargelegt,25 wären Differenzierungen in einer gesetzlichen Regelung des Kündigungsrechts zwar rechtlich möglich, praktisch aber nicht durchführbar. Tarifverträge könnten aber diese Kriterien aufgreifen. Insofern könnte es sich empfehlen, in eine Gleichbehandlungsklausel Vorgaben aufzunehmen. Eine Regelung könnte etwa lauten: "Von den Bestimmungen dieser Vorschrift kann in Tarifverträgen abgewichen werden, wenn sachliche Gründe eine Ungleichbehandlung rechtfertigen, wie die längere Arbeitslosigkeit einer Gruppe von Arbeitnehmern, die Verteuerung von Kündigungen und Sozialplänen im Verhältnis zu einer bestimmten Arbeitnehmergruppe sowie Erfordernisse personalwirtschaftlicher Flexibilität." Andererseits kann der Gesetzgeber auch, wie bisher, die Frage ungeregelt lassen. Da Tarifverträge ohnehin Art. 3 Abs. 1 GG unterliegen, ist es dann Sache der Gerichte, jeden einzelnen Tarifvertrag darauf zu überprüfen, ob für diesen Tarifvertrag sachliche Gründe für eine Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten bestehen. Zu § 622 BGB haben die Arbeitsgerichte derartige sachliche Gründe für eine Reihe von Tarifverträgen bejaht. 26 Im Hinblick auf den Beurteilungsmaßstab können die Gerichte die Vorgaben aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 30.5.1990 zugrundelegen. 27 In diesem Zusammenhang muß jeweils geklärt werden, ob die tarifvertragliche Regelung eigenständigen Charakter hat oder ob sie nur auf die gesetzliche Regelung verweist. 28 Ist letzteres der Fall, ist die tarifliche Regelung entsprechend der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nichtig, ohne daß es einer weiteren Überprüfung bedarf. 29 Allerdings will das Bundesarbeitsgericht die dadurch im Tarifvertrag entstehende Lücke im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung schließen.30

25 S. o. 5. Kap. E III 1. 26 S. z.B. ArbG Passau, BB 1991, S. 1490; ArbG Marburg, BB 1991, S. 839; ArbG Dortmund, EzA § 622 BGB n.F. Nr. 30. 27 BVerfG, NJW 1990, S. 2246 ff. 28 BAG, Urt. vom 21.3.1991, DB 1991, S. 1879 = AP Nr. 29 zu § 622 BGB = NZA 1991, S. 797, 801, 803 = BB 1991, S. 1935,1937; Bengelsdorf, NZA 1991, S. 121, 124 ff.; Buchner, NZA 1991, S. 41, 48; Kern, NZA 1991, S. 56, 57; Koch, NZA 1991, S. 50,51. 29 S.z.B. ArbG Köln, BB 1991, S. 697; zur Entscheidung durch Teilurteil ArbG Herne,BB 1991, S. 416 sowie die Nachw. bei Boemke,JuS 1991, S. 813,815. 30 BAG, AP Nr. 29 zu § 622 BGB; ebenso ArbG Reutlingen, BB 1990, S. 2264, 2265; Kraushaar, BB 1990, S. 1764, 1767; dagegen Boemke, JuS 1991, S. 813,

452 Dabei darf nicht übersehen werden, daß sich das Bundesverfassungsgericht nur zum sachlichen Grund im Hinblick auf Kündigungsfristen geäußert hat. Eine allgemeine Konkretisierung des Gleichheitssatzes müßte also für alle tariflich regelbaren Bereiche gelten; insofern könnte es erforderlich sein, auch andere sachliche Gründe aufzuzählen. Angesichts der weiten Auslegung, die Art. 9 Abs. 3 GG im Hinblick auf die Tarifautonomie erfährt,31 ist der Gesetzgeber nach den Grundsätzen über Gesetzgebungspflichten32 nicht verpflichtet, sondern nur berechtigt, eine Konkretisierung vorzunehmen. B.

Betriebsvereinbarungen

I.

Rechtstatsachen

Ebenso wie in Tarifverträgen finden sich auch in Betriebsvereinbarungen vielfach unterschiedliche Regelungen für Arbeiter und Angestellte. II.

Die Bindung der Betriebsvereinbarungen an den Gleichheitssatz

Die allgemeine Frage, ob und inwieweit Betriebsvereinbarungen an die Beachtung der Grundrechte gebunden sind, wird im Schrifttum nicht klar beantwortet. Während für Tarifverträge jedenfalls das Ergebnis feststeht, wenn auch die rechtsdogmatische Begründung divergiert, so ist bei Betriebsvereinbarungen noch nicht einmal das Ergebnis klar. Im Hinblick auf die hier allein interessierende Frage, inwieweit die Betriebsparteien an den Gleichheitssatz, insbesondere bezüglich der Gleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten, gebunden sind, werden unterschiedliche Ansichten vertreten. Teilweise werden Betriebsvereinbarungen als "privatheteronome Rechtsgeschäfte" angesehen, die nicht unmittelbar an die Grundrechte gebunden seien. Inhaltliche Grenzen ergeben sich dann aus §§ 134,138 BGB sowie aus §§ 2 Abs. 1, 75 BetrVG.33 Nach anderer Ansicht gilt im Hinblick auf

816; allgemein zu den Folgen von Gleichheitsverstößen in Tarifverträgen Sachs, RdA 1989, S. 25. 31 S. zuletzt BVerfG, NJW 1991, S. 2549 f. 32 Wank, RdA 1989, S. 263,264 f. m.w.N. 33 Kreutz, Grenzen der Betriebsautonomie, S. 107, 248; vgl. auch v. HoyningenHuene, Betriebsverfassungsrecht, § 11 III 5, S. 190, § 4 IV 5 b, S. 63.

453 den Gleichheitssatz § 75 BetrVG, 34 wobei teilweise auf die unterschiedliche Reichweite gegenüber dem allgemeinen Gleichheitssatz eingegangen wird. 35 Richardi geht, über § 75 Abs. 1 BetrVG hinaus, vom Prinzip der Gleichbehandlung als einem "wesentlichen Grundsatz des individuellen Arbeitsrechts" aus. 36 Kreutz verweist auf den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) und auf den davon zu unterscheidenden individualarbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz 37 und sieht die absoluten Differenzierungsverbote in § 75 Abs. 1 BetrVG als "Ausprägungen beider Grundsätze". 38 Das Bundesarbeitsgericht wendet § 75 Abs. 1 BetrVG an, indem es den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz als "wichtigsten Unterfall der Behandlung nach Recht und Billigkeit" ansieht.39 Die Frage, auf welcher Rechtsgrundlage die Geltung des Gleichheitssatzes für Betriebsvereinbarungen beruht, kann wegen des unterschiedlichen Geltungsbereichs und der unterschiedlichen Wirkungen von Art. 3 Abs. 1 GG, des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes sowie des § 75 Abs. 1 BetrVG nicht offenbleiben. Die Bindung der Betriebsparteien könnte sich abschließend aus dem einfachen Recht ergeben. Insofern könnte § 75 Abs. 1 BetrVG eine Konkretisierung des Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG darstellen, die einen Rückgriff auf Art. 3 Abs. 1 überflüssig macht. Voraussetzung wäre, daß § 75 Abs. 1 BetrVG entweder in genereller Form den Gleichheitssatz wiederholt oder daß er eine vollständige Konkretisierung enthält. Beides ist jedoch nicht der Fall. Als generelle Aussage enthält § 75 Abs. 1 BetrVG nur eine allgemeine Bindung an "die Grundsätze von Recht und Billigkeit" und nicht speziell an den Gleichheitssatz. Der Gleichheitssatz hingegen wird für konkrete Kriterien, wie Abstammung usw. normiert. Eine Differenzierung etwa zwischen Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten oder zwischen Arbeitern und Angestellten jedoch fehlt. Angesichts der Enumeration in § 75 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist auch eine Rechtsanalogie oder eine Gesetzesanalogie im Hinblick auf die Beachtung des Gleichheitssatzes im allgemeinen nicht möglich.

34 FittinglAuffarthlKaiserlHeither, § 75 BetrVG, Rdnr. 18, 18c; Hess/Schlochauerl Glaubiii, § 75 BetrVG, Rdnr. 13. 35 Zöllner, Arbeitsrecht, § 44 VII 3, S. 413; s. jedoch auch aaO, § 17 VI, S. 184; ferner BVerfG, AP Nr. 5 a zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung. 36 DistzJRichardi, § 75 BetrVG, Rdnr. 6. 37 S. dazu Gamillscheg, Grundrechte, S. 52 f. 38 GK-Kreutz, § 75 BetrVG, Rdnr. 31. 39 BAG, Urt. v. 15.1.1991 - 1 AZR 80/90 -, unveröffentlicht.

454 Soweit § 75 Abs. 1 BetrVG eine Regelung enthält, kann und muß darauf zurückgegriffen werden. Für die hier zu untersuchende Frage einer Gleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten gibt § 75 BetrVG dagegen nichts her. Insoweit könnte aber unmittelbar Art. 3 Abs. 1 GG gelten. Es muß also geklärt werden, ob Betriebsvereinbarungen unmittelbar an Art. 3 Abs. 1 GG gebunden sind. Hierzu kann man zum Teil auf die Argumente zurückgreifen, die für die Grundrechtsbindung von Tarifverträgen genannt werden. Der entscheidende Gesichtspunkt folgt aus Art. 1 Abs. 3 GG. Der Staat ist in seinen drei Teilgewalten zur Beachtung der Grundrechte verpflichtet. Von dieser Verpflichtung wird er nicht dadurch frei, daß er Rechtsetzungsmacht auf andere Kräfte delegiert. Wenn er den Tarifparteien oder Betriebsparteien Regelungsmacht einräumt, muß er dafür sorgen, daß auch sie diese Macht nur i.S. der Grundrechtsbindung ausüben. III.

Konsequenzen für den Gesetzgeber

Das geltende einfache Recht enthält keine Bestimmung, die die Betriebsparteien zur Beachtung des Gleichheitssatzes im Hinblick auf Arbeiter und Angestellte verpflichtet. Das bedeutet, daß nur fallweise eine Kontrolle durch die Gerichte anhand von Art. 3 Abs. 1 GG erfolgen kann. Es wäre möglich, generell durch Gesetz für Betriebsvereinbarungen eine Pflicht zur Gleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten vorzusehen. Systematisch richtiger Standort wäre § 77, nicht § 75 BetrVG. Die Vorschrift könnte lauten: "Unterschiedliche Vorschriften für Arbeiter und Angestellte sind nur aus sachlichen Gründen zulässig." In der Literatur wird darauf hingewiesen, daß es für unterschiedliche Regelungen im Hinblick auf Arbeiter und Angestellte in Betriebsvereinbarungen eine Reihe von Sachgründen gebe, wie besondere Belastung der Angestellten, besondere Bedeutung für den Betrieb, Arbeitsmarktgesichtspunkte, geringere Fehlzeiten, geringere Fluktuation, unterschiedliche Berechnungsgrundlagen für die Gratifikation sowie höhere Gratifikationen als Ausgleich für die Unmöglichkeit, im Leistungslohn zu arbeiten.40

Falls der Gesetzgeber den Gleichheitssatz im Betriebsverfassungsgesetz normieren will, stellt sich die Frage, ob er dabei nicht die weiteren Vor40 Slege/Weinspach, § 75 BetrVG, Rdnr. 7a.

455 gaben des Bundesverfassungsgerichts aufgreifen sollte. Das ist jedoch hier nicht möglich, weil sich die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts nur auf die Kündigungsfrist beziehen. Der Gesetzgeber müßte also (auch) andere sachliche Gründe als die vom Bundesverfassungsgericht genannten anführen, bezogen auf die Regelungsgegenstände von Betriebsvereinbarungen. Zweifelhaft ist allerdings, ob dem Gesetzgeber aus systematischen Gründen zu dem oben aufgezeigten Vorgehen geraten werden kann. § 75 Abs. 1 BetrVG ist rechtstechnisch und rechtssystematisch mit seiner Beziehung auf die Grundsätze von Recht und Billigkeit und auf das Enumerationsprinzip mißglückt. Richtigerweise sollte vorab die allgemeine Aussage stehen, daß Betriebsvereinbarungen an die Grundrechte und an einfache Gesetze gebunden sind; darin wäre dann auch die Bindung an den Gleichheitssatz enthalten. Im Anschluß daran könnten einzelne Differenzierungskriterien genannt werden. Solange der Gesetzgeber keine Regelung trifft, sind Betriebsvereinbarungen von den Gerichten darauf zu überprüfen, ob sie im Hinblick auf eine Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten mit dem Gleichheitssatz in Einklang stehen, wobei auf Art. 3 Abs. 1 GG zurückzugreifen ist. C.

Betriebliche Einheitsregelungen

I.

Rechtstatsachen

In dem Zwischenbereich zwischen Kollektivvereinbarungen und Einzelarbeitsverträgen sind betriebliche Einheitsregelungen (auch: Gesamtzusagen, allgemeine Arbeitsbedingungen) angesiedelt. 41 Mit den Kollektivvereinbarungen teilen sie den Charakter von abstrakt-generellen Regelungen; sie sind für eine Vielzahl von Arbeitsverträgen gedacht. Anders als Kollektivvereinbarungen kommen sie aber nicht im Wege des Verhandeins zwischen dem Arbeitgeber (oder dem Arbeitgeberverband) und Verhandlungspartnern der Arbeitnehmerseite (Gewerkschaft, Betriebsrat) zustande. Zwar werden sie - je nach rechtsdogmatischer Erklärung - entweder durch Kundgabe 42 oder durch konkludente Zustimmung 43 Bestandteil des einzelnen Arbeitsvertrages. Es fehlt aber an einem "Ver41 S. die Hinweise auf Sammlungen bei Zöllner, RdA 1989, S. 153,155, Fußn. 17. 42 Hilger, Das betriebliche Ruhegeld, S. 51 ff. 43 BAG AP Nr. 24, 85, 110, 162 zu § 242 BGB Ruhegehalt; Zöllner, RdA 1989, S. 153,154.

456 handeln" mit der Arbeitnehmerseite. Von daher sind betriebliche Einheitsregelungen ihrer Rechtsnatur nach allgemeine Geschäftsbedingungen von Arbeitgebern.44 Allerdings ist eine unmittelbare Inhaltskontrolle nach dem AGB-Gesetz wegen der ausdrücklichen Regelung in § 23 AGBG nicht möglich. Wie ein konkreter Vergleich der einzelnen Regelungen des Gesetzes zeigt, ist auch eine analoge Anwendung durch das AGBG nicht abzuleiten.45 Im neueren Schrifttum besteht jedoch Einigkeit darüber, daß eine Inhaltskontrolle von allgemeinen Arbeitsbedingungen stattfinden muß.46 II.

Die Bindung von allgemeinen Arbeitsbedingungen an den Gleichheitssatz

Ob auch allgemeine Arbeitsbedingungen der Bindung an den Gleichheitssatz unterliegen, ist zweifelhaft. Vergleicht man sie wegen ihrer kollektiven Ausrichtung mit Kollektivvereinbarungen, müßten sie in gleicher Weise an den Gleichheitssatz gebunden sein. Da es sich aber, wie bei allgemeinen Geschäftsbedingungen, nur um "angemaßte Normsetzung" handelt, wären von daher nur die allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätze anwendbar.47 Insoweit würde zwar nicht Art. 3 Abs. 1 GG, wohl aber der "arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz"48 gelten.49 Ohne daß auf Einzelheiten einzugehen ist, läßt sich jedenfalls feststellen, daß der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz nach seinen Anforderungen nicht hinter denen des Art. 3 Abs. 1 GG zurückbleibt.50 Im Ergebnis gelten daher inhaltlich zumindest dieselben Maßstäbe wie für Kollektivvereinbarungen.

44 Söllner, Arbeitsrecht, S. 198. 45 Zöllner, RAA 1989, S. 153,157. 46 HanaulAdomeil, Arbeitsrecht, S. 32; Lieb, Arbeitsrecht, S. 55 ff.; Söllner, Arbeitsrecht, S. 198; Zöllner, RdA 1989, S. 153,156 ff. 47 Zöllner, RdA 1989, S. 153,158. 48 Dazu Zöllner, Arbeitsrecht, § 17 m.w.N. 49 In den oben genannten Entscheidungen zur Weihnachtsgratifikation (oben 2. Kap. C I, II) hat das Bundesarbeitsgericht den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz zugrundegelegt, ebenso das LAG Hamm zur betrieblichen Altersversorgung (oben 2. Kap. CIV). 50 Zöllner, Arbeitsrecht, § 17IV.

457

III.

Konsequenzen für den Gesetzgeber

Das Recht der allgemeinen Arbeitsbedingungen ist bisher nicht gesetzlich geregelt. Trotz der Bereichsausnahme in § 23 AGBG besteht Einigkeit darüber, daß im Arbeitsrecht die Inhaltskontrolle durch die Rechtsprechung erhalten bleiben soll.51 Es ist aber zweifelhaft, ob sich der Gesetzgeber nicht doch insoweit in starkem Maße seinen Verpflichtungen entzogen hat. Allerdings ist es unrealistisch, eine Spezialregelung für Unterscheidungen zwischen Arbeitern und Angestellten zu verlangen oder zu erwarten. Es könnte nur darum gehen, daß der Gesetzgeber im Rahmen einer Regelung des Rechts der allgemeinen Arbeitsbedingungen allgemein normiert, daß sie dem Gleichbehandlungsgrundsatz unterliegen. Zusätzlich könnten bestimmte besondere Gleichbehandlungsgebote aufgeführt werden, darunter das Gebot, Arbeiter und Angestellte in betrieblichen Einheitsregelungen nur aus sachlichem Grund ungleich zu behandeln. Soweit keine besondere gesetzliche Regelung vorliegt, haben die Arbeitsgerichte Einheitsregelungen anhand des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes zu überprüfen. D.

Regelgeleitetes Verhalten

I.

Grundsätze

Die Bindung an den Gleichheitssatz tritt nicht nur dann ein, wenn der Arbeitgeber ausdrücklich eine Quasi-Rechtsnorm aufstellt, wie das durch betriebliche Einheitsregelungen geschieht, sondern auch bei sonstigen Maßnahmen des Arbeitgebers, wie Einstellung, Beförderung, Entlassung, Gewährung und Veränderung bei Sozialleistungen. Für die Bindung an den Gleichheitssatz kann nicht entscheidend sein, ob der Arbeitgeber ausdrücklich eine Norm aufstellt; sondern es genügt, daß er tatsächlich nach einer Norm verfährt oder verfahren müßte. Vom Gleichheitssatz erfaßt werden daher alle Maßnahmen, denen eine generelle Regelungsentscheidung zugrundeliegt, auch wenn sie scheinbar individuell erfolgen.

51 Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, Rdnr. 39 ff.

§ 23 AGBG, Rdnr. 4, 4a; WolflHornILindacher,

§ 23

458 II.

Einzelfragen

1. Einstellungen Ob allerdings der Gleichheitssatz schon bei der Auswahl unter mehreren Bewerbungen für einen Arbeitsplatz gilt, ist zweifelhaft. Im Schrifttum wird das ganz überwiegend abgelehnt.52 Ein Ausdruck dieser Rechtsansicht ist § 611 a Abs. 1 Satz 1 BGB. Dort wird der Ausdruck "Maßnahme" dahingehend erläutert, daß er sich auch auf die "Begründung des Arbeitsverhältnisses" bezieht. Folgt man der h.M., so braucht der Arbeitgeber bei der Einstellung im Hinblick auf Arbeiter und Angestellte den Gleichheitssatz nicht zu beachten (von § 611 a BGB abgesehen). Er kann also eine freie Stelle mit Arbeitern statt mit Angestellten besetzen, ohne daß dafür ein sachlicher Grund erforderlich ist. 2. Beförderungen Ist das Arbeitsverhältnis einmal begründet, so ist der Arbeitgeber zur Beachtung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes verpflichtet. Das gilt auch im Hinblick auf Beförderungen, sofern ein Regelcharakter der Maßnahme ersichtlich ist. In einem Kleinbetrieb, in dem jeder Arbeitnehmer eine individuelle Stellung hat, gilt er nicht; in einem Großbetrieb dagegen müssen für die Beförderung von Arbeitern und Angestellten gleiche Maßstäbe gelten. 3. Sozialleistungen und Weisungen Im Hinblick auf Sozialleistungen ist der Arbeitgeber zur Beachtung des Gleichheitssatzes nur dann verpflichtet, wenn seinem Verhalten eine "Regel" zugrundeliegt, nicht dagegen, wenn er die Leistung an individuellen Kriterien ausrichtet.53 Der genannte Grundsatz gilt auch im Hinblick auf Weisungen.

52 //«ecd/Nipperdey, Arbeitsrecht, Bd. 1, S.431; Nikisch, Arbeitsrecht Bd. I, S. 506; Götz Hueck, Der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung im Privatrecht, S. 234 f.; a.A. Gamillscheg, Arbeitsrecht Bd. I, Fall 33, S. 67; eingehend ders., Grundrechte, S. 63 ff. 53 S. zur Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten bei Sozialleistungen BAG, AP Nr. 66 - 68 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; BAG, Urteile v. 25.4.1991 - 6 AZR 183/90 und 6 AZR 532/89; zur Gruppenbildung betr. Mitarbeiter in leitender Position BAG, NZA 1990, S. 973; Hilger, RdA 1975, S. 34; Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, § 78 II 6.

459 4. Kündigungen Ob der Gleichbehandlungsgrundsatz auch auf Kündigungen anzuwenden ist, ist streitig.54 Die vielfach gegebene Begründung, Kündigungen seien stets individuell, ist nicht haltbar, insbesondere wenn die Kündigungen an den gleichen Sachverhalt anknüpfen. Auch der Weg des Bundesarbeitsgerichts, die Gleichbehandlung bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen, verschiebt nur das Problem. Grundsätzlich gilt vielmehr auch bei Kündigungen der Gleichbehandlungsgrundsatz. 55 III.

Konsequenzen für den Gesetzgeber

Wie zu den allgemeinen Arbeitsbedingungen gilt auch hier, daß eine Spezialregelung im Hinblick auf die Differenzierung zwischen Arbeitern und Angestellten nicht realistisch erscheint. E.

Individualarbeitsverträge

Der Reservatbereich innerhalb des Arbeitsrechts, in dem der Gleichheitssatz nach allgemeiner Ansicht nicht gilt, 56 ist der der Individualarbeitsverträge sowie der Beförderungen, der Vergabe von Sozialleistungen, der Weisungen und Kündigungen, soweit kein kollektiver Sachverhalt und kein regelgeleitetes Verhalten zugrundeliegt. Nur in diesem Bereich ist der Arbeitgeber danach berechtigt, Unterschiede zwischen Arbeitern und Angestellten zu machen, ohne an einen sachlichen Grund gebunden zu sein. Jedenfalls ergibt sich für den Gesetzgeber kein Regelungsbedarf. F.

Zusammenfassung zum 10. Kapitel

Nach bisherigem allgemeinen Verständnis besteht in dem hier behandelten Bereich kein Regelungsbedarf für den Gesetzgeber. Eine Kontrolle von Ungleichbehandlungen zwischen Arbeitern und Angestellten ergibt sich aufgrund von Art. 3 Abs. 1 GG oder aufgrund des arbeits54 Dagegen BAG, AP Nr. 3 zu § 2 KSchG 1969; BAG, AP Nr. 41 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG, AP Nr. 27 zu § 66 BetrVG; Böhm, DB 1977, S. 2448; Bötticher, RdA 1953, S. 161,168; Galperin, RdA 1953, S. 169,172. 55 Büchner, RdA 1970, S. 225, 227 f.; Gumpen, BB 1959, S. 707, 711; Kempff, DB 1977, S. 1413 f.; Wank, Anm. zu BAG AP Nr. 2 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl. 56 Zöllner, Arbeitsrecht, § 17 II.

460 rechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes, aber nicht aufgrund einfacher Gesetze. Nach der hier vertretenen Ansicht erstreckt sich die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Wahrung des Gleichheitssatzes aus Art 3 Abs. 1 GG gem. Art. 1 Abs. 3 GG auch auf Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen und betriebliche Einheitsbedingungen sowie sonstiges regelgeleitetes Verhalten des Arbeitgebers. Um den bis heute nicht allgemein anerkannten Grundsatz der Gleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten auch für diese Bereiche deutlich zu machen, könnte der Gesetzgeber denselben Weg gehen wie bei der Gleichbehandlung von Frauen und von Teilzeitbeschäftigten. Er könnte das Gleichbehandlungsgebot ausdrücklich für Arbeiter und Angestellte in einer allgemeinen Vorschrift normieren und es auf alle Maßnahmen im Arbeitsverhältnis erstrecken, so daß es kraft einfachen Rechts auch für Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen und Maßnahmen des einzelnen Arbeitgebers gelten würde; oder er könnte in den Einzelgesetzen (TVG, BetrVG, Gesetz über allgemeine Arbeitsbedingungen, BGB) jeweils die Geltung des Gleichheitssatzes im allgemeinen und insbesondere im Hinblick auf Arbeiter und Angestellte normieren. Vorzuziehen wäre die Lösung, daß der Gesetzgeber den Grundsatz der Gleichbehandlung im Arbeitsrecht normiert; dabei müßte der Grundsatz der Gleichberechtigung besonders geregelt weiden. In diesem Zusammenhang könnte der Gleichheitssatz für bestimmte Gruppen von Arbeitnehmern besonders hervorgehoben werden. Die Vorschrift könnte, in Anlehnung an Art. 2 Abs. 3 des Kommissionsentwurfs von 1977, wie folgt lauten: Gleichbehandlung im Arbeitsverhältnis (1) Bei der Gestaltung des Inhalts von Arbeitsverhältnissen dürfen einzelne Arbeitnehmer oder Arbeitnehmergruppen nicht ohne sachlichen Grund benachteiligt werden. (2) Das gilt insbesondere im Verhältnis von Teilzeitbeschäftigten zu Vollzeitbeschäftigten, befristet Beschäftigten zu unbefristet Beschäftigten und von Arbeitern zu Angestellten.

3. Teil: Sozialversicherungsrecht Eine Aufteilung der Arbeitnehmerschaft in die Gruppen der Arbeiter und der Angestellten findet sich auch im Sozialrecht, und zwar hier speziell im Sozialversicherungsrecht (also nicht im Recht der Sozialversorgung, der Sozialhilfe und der sonstigen sozialen Ausgleichsleistungen).1 Auch im Sozialversicherungsrecht wurde im Laufe der Jahre die Rechtsstellung der Arbeiter und der Angestellten einander angeglichen. Heute finden wir eine Anknüpfung an die Gruppenzugehörigkeit noch im Bereich der Rentenversicherung und der Krankenversicherung sowie im Arbeitsförderungsrecht. Ebenso wie im Mitbestimmungsrecht,2 in dem die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten sich nicht im materiellen Recht, sondern nur im Organisationsrecht auswirkt, beschränken sich heute die sozialversicherungsrechtlichen Unterschiede zwischen Arbeitern und Angestellten im wesentlichen auf das Organisationsrecht (s. jedoch auch unten zur Auslegung der Vorschriften für die Berufsunfähigkeit). So ist in der Krankenversicherung die Gruppenzugehörigkeit entscheidend für die Aufnahme in eine der sogenannten sekundären Krankenkassen, der Ersatzkassen. In der Rentenversicherung entscheidet die Gruppenzugehörigkeit darüber, welcher Sozialversicherungsträger - die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte , BfA, oder eine der achtzehn (bezogen auf die alten Bundesländer) Landesversicherungsanstalten, LVA - zuständig ist.

1 S. zur Systematik Bley, Sozialrecht, S. 7 ff. 2 S. oben 9. Kap.

11. Kapitel: Die Geschichte der Sozialversicherung und der Sozialfürsorge Auch bei der Sozialversicherung soll der geschichtliche Rückblick dazu dienen, das Verständnis für die heutige Rechtslage zu erhöhen. Wie bereits im Abschnitt über die Lohnfortzahlung dargelegt, liegen dem heutigen Erscheinungsbild mehrere Gedanken zugrunde. Anders als bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle, bei der sich in Deutschland die arbeitsrechtliche Lösung durchgesetzt hat, so daß der Lebensbereich "Krankheit im Arbeitsverhältnis" teils dem Arbeitsrecht, teils dem Sozialversicherungsrecht angehört, hat es in der Altersversorgung von vornherein die sozialversicherungsrechtliche Lösung (mit einer freiwilligen arbeitsrechtlichen Ergänzung) gegeben; dabei ist es geblieben. Für die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten war im übrigen, wie bei der Lohnfortzahlung, der Gedanke der Privilegierung einer einzelnen Gruppe durch die Arbeitgeber maßgeblich. Bei der folgenden Darstellung sollen diese unterschiedliche Behandlung der beiden Gruppen, die politische und soziologische Begründung für diese Differenzierung, sowie die Auswirkung im Hinblick auf die Entwicklung des heutigen Sozialversicherungssystems im Vordergrund stehen. A.

Antike

Bereits in der Antike gab es eine soziale Absicherung als staatlichen Anspruch in Form der Armenfürsorge. Dem lagen soziale und politische Motive zugrunde. Konnte der Familienverband die soziale Sicherung nicht mehr gewährleisten, griff der Staat oder griffen reiche Bürger nicht zuletzt deshalb ein, um den sozialen Frieden und die bestehende Ordnung zu sichern. So entstand bereits in Griechenland im 5. Jahrhundert v. Chr. ein System der Armenfürsorge, als sich die griechische Bevölkerung nach den Perserkriegen auf den Handel verlegte und sich ein städtisches Proletariat entwickelte. In Rom konnte der freie Bauer, der die Hauptlast der Kriege zu tragen hatte, als Folge des Feudalsystems sein Land nicht mehr selbst bebauen und sank zum vom Grundherrn ausgebeuteten Pächter herab. Übrig gebliebene freie Bauern konnten der wachsenden Konkurrenz durch billige Getreideeinfuhren aus den Provinzen sowie durch die Lieferungen der italischen Grundherren, die mit Hilfe von Sklaven ihr Land ko-

463 stengünstig bebauen konnten, nicht mehr standhalten. Dieses städtische Proletariat erhielt kostenlose Getreidelieferungen 1 , (seit Kaiser Aurelian, 270 - 275) Brot, Wein und Öl geliefert, um die entstehende Not zu lindern, aber auch um die breiten Massen ruhig zu halten. Nachdem sich im römischen Reich das Christentum auszubreiten begann und im Jahre 382 Staatsreligion geworden war, übernahm mehr und mehr die Gemeinde oder die Kirche, dem Gebot der tätigen Nächstenliebe folgend, die Armenfürsorge, soweit sie nicht von der Familie, der Sippe oder dem Dienstheim getragen werden konnte. 2 B.

Mittelalter und Neuzeit

Im Mittelalter wurde die Krankenpflege und Armenfürsorge zum Teil von Orden und Klöstern übernommen; zum Teil wurden spezielle Krankenpflegeorden gegründet. Der Versicherungsgedanke trat zurück, die Hilfe entsprach dem Gebot der Nächstenliebe. Diese Fürsorge war aber unzureichend; vor allem in den Zeiten, in denen das Elend sprunghaft anstieg, wie z.B. im 30jährigen Krieg, kam der größte Teil der organisierten sozialen Sicherung zum Erliegen. Einige Berufskreise schufen deshalb zunächst weniger förmliche Zusammenschlüsse, die wieder auf dem Versicherungsgedanken beruhten und die als Vorläufer der Sozialversicherung angesehen werden können. Die Knappschaftskasse der Bergleute, die zunächst ein Zusammenschluß von Selbständigen und später von Angestellten war, übernahm die Kosten für Krankheit, Lohnfortzahlung und Berufsunfähigkeit. 3 Anfänge dieser Zusammenschlüsse finden sich bereits im 11. Jahrhundert. Dieses System entwickelte sich bis zum 14. Jahrhundert fort. Etwa zeitgleich, im 12. Jahrhundert, schufen die Zünfte die sog. Zunftbüchsen, in die jeder Meister Beiträge zu leisten hatte und die der sozialen Absicherung der Mitglieder, d.h. der Meister und Gesellen, dienten. Später gründeten die Gesellen eigene Versicherungsgemeinschaften, die sog. Gesellenbruderschaften. Diese Vereinigungen bildeten zusammen mit der Kirche für lange Zeit neben der staatlichen Armenfürsorge einiger Gemeinden und der sozialen Absicherung, die auf Dienst- und Gefolgschaftsverhältnissen beruhten, die Grundlage der sozialen Sicherung. Der moderne Staat nahm sich dieses Problems relativ spät an.

1 Wannagal, Sozialversicherungsrecht, S. 42. 2 Wannagat, Sozialversicherungsrecht, S. 43 ff. 3 Peters, Geschichte, S. 20 ff.; Wannagat, Sozialversicherungsrecht, S. 45.

464 Wegweisend war hier vor allem die preußische Gesetzgebung. Andere Länder folgten mit eigenen Regelungen oder übernahmen die preußischen Vorgaben. Die weitere Darstellung kann sich daher im wesentlichen auf die Entwicklung in Preußen stützen.4 Der politische und faktische Einfluß des mächtigsten deutschen Staates wirkte auch in den Fragen der sozialen Sicherheit auf andere Länder ein. Der Staat sah aber zunächst seine Aufgabe nicht im Aufbau einer Versicherung, sondern in einer Armenfürsorge. Regelungen dazu waren bereits im Allgemeinen Landrecht von 1794 enthalten. Es erkannte die Armenfürsorge als staatliche Aufgabe an; Ansprüche des einzelnen waren aber damit nicht verknüpft.5 In den §§ 9 und 10 des 2. Teils, Titel 19 ALR, erkannte der Gesetzgeber die Zunft- und Knappschaftskassen an und sah für eine subsidiäre Unterstützung die städtischen Armenkassen der Gemeinden vor. Damit wurden aber zunächst keine staatlichen Vorsorgeeinrichtungen geschaffen, sondern die Fürsorge wurde den Gemeinden überlassen. Eine Erweiterung brachte insoweit das Unterstützungswohnsitzgesetz von 1842, das die Gewährung von Leistungen infolge der nunmehr einsetzenden Freizügigkeit nicht mehr an das Heimatprinzip, sondern an das Wohnsitzprinzip knüpfte. Die große Masse der Bevölkerung, insbesondere die Arbeitnehmer und hier die sich entwickelnde Klasse der Fabrikarbeiter, wurde aber von den bestehenden Kassen nicht erfaßt.6 Anfänge einer Sozialgesetzgebung, die auf dem Versicherungsgedanken beruhte, fanden sich in der preußischen Gewerbeordnung von 1845. In ihr wurde den Gemeinden die Möglichkeit eröffnet, auch Kassen für Fabrikarbeiter zu errichten, wobei nach Ortsstatut auch Gesellen zu Zwangsmitgliedern erklärt werden konnten. In erster Linie war Erwerbsunfähigkeit durch Krankheit abgesichert. Von dieser Möglichkeit, die unter Umständen zu einer Ausweitung des Versichertenkreises hätte führen können, wurde jedoch nur wenig Gebrauch gemacht. Durch die Verordnung von 1849 wurde erstmals gesetzlich die Pflicht des Arbeitgebers zur anteiligen Beitragszahlung statuiert, und zwar in Höhe von einem Drittel.7 Die preußische Regelung wurde für die übrigen Länder

4 Peters, Geschichte, S. 29. 5 Zu den staatlichen Maßnahmen in anderen Ländern des deutschen Reichs vgl. Peters, Geschichte, S. 40 ff. 6 Peters, Geschichte, S. 31; Wannagat, Sozialversicherungsrecht, S. 49. 7 Wannagat, Sozialversicherungsrecht, S. 49.

465 zum Vorbild. Sie übernahmen entweder dieselben Regelungen oder schufen, durch die preußische Gesetzgebung angeregt, eigene Regelungen.8 Im Jahre 1850 gab es folgende Kassenarten, auf die die Gesetzgebung aufbauen konnte, die z.T. nach Berufsgruppen und/oder örtlichen Anknüpfungspunkten gebildet waren: Gesellenkassen, Bruderläden, örtliche Kassen für Gewerbebetriebe, Kassen für Handwerker und Fabrikarbeiter, Fabrikkassen, und zwar entweder Fabrikkassen für einen ganzen Industriezweig oder für sämtliche Fabriken einer Gemeinde. Da aber von der Möglichkeit der Kassenbildung nur wenig Gebrauch gemacht wurde, wurde 1854 der Kassenzwang eingeführt. Dies bedeutete, daß die Gemeinden verpflichtet waren, durch Ortsstatut Kassen einzuführen. Jeder Arbeitnehmer wurde einer Kasse zugeordnet. Es bestand jedoch kein Versicherungszwang. Die Arbeiter waren nicht verpflichtet, sich in den für sie zuständigen Kassen zu versichern.9 Die Folge war, daß von ca. 8 Millionen Arbeitern in den bestehenden 10.000 Hilfskassen aller Art nur rund 2 Millionen Personen versichert waren. Es bestand also immer noch keine Organisation, die alle oder wenigstens die Mehrheit der Arbeitnehmer gegen die Risiken der Erwerbsunfähigkeit versicherte. Anders war die Situation im knappschaftlichen Bereich. Durch das Gesetz betreffend die Vereinigung der Berg-, Hütten- und Salinenarbeiter in Knappschaften von 1854 wurden Kassen- und Versicherungszwang für Arbeiter eingeführt. Freiwillig konnten sich dort die in Knappschaftsbetrieben tätigen Werk- und Verwaltungsbeamten versichern.10 Für die Gruppe der Dienstboten galt die seit 1810 bestehende preußische Gewerbeordnung, die bestimmte Sicherungsleistungen der Dienstherren vorsah.11 Die übrigen Arbeitnehmer, z.B. die in der Land- und Forstwirtschaft Tätigen, sowie die Angestellten waren nicht versichert. Die Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes beließ es bei diesem Zustand. In § 133 hieß es: "Bis zum Erlaß eines Bundesgesetzes bleiben die landesrechtlichen Regelungen in Kraft".

8 Wegen dieser Vorbildfunktion und der faktischen Überlegenheit des preußischen Staates unter den deutschen Staaten war Preußen ein Motor dieser Entwicklung. Die Darstellung kann sich deshalb im wesentlichen auf die preußischen Verhältnisse beschränken, da die Entwicklungen in anderen Ländern ähnlich waren. 9 Peters, Geschichte, S. 36. 10 Zu weiteren Berufsversicherungen vgl. Rücken, in: Ruland, Handbuch der gesetzlichen Rentenversicherung, S. 37 ff. 11 Peters, Geschichte, S. 38; zu den Gesindeordnungen anderer Länder vgl. Peters, Geschichte, S. 40 ff.

466 Die seit Beginn des 19. Jahrhunderts fortschreitende Industrialisierung und die starke Zunahme der Bevölkerung schufen Probleme, deren Lösung unaufschiebbar wurde. Viele Menschen, die infolge des Bevölkerungswachstums auf dem Lande keine ausreichende Existenzgrundlage mehr fanden, wanderten in die Städte ab. Das einzige wirtschaftliche Potential, das sie zu ihrer Existenzsicherung einsetzen konnten, war ihre Arbeitskraft. Selbst die vollständige Ausnutzung dieser Ressource führte dazu, daß nur ein Arbeitseinkommen erzielt werden konnte, das selten das Existenzminimum erreichte. War die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit, Unfall oder Alter eingeschränkt, war die Lage aussichtslos. Dies führte dazu, daß die Notwendigkeit einer echten sozialen Absicherung immer größer wurde. Einen ersten Versuch stellte das 1871 erlassene Reichshaftpflichtgesetz dar. Seine Ausgestaltung, die z.T. noch zivilrechtliche Haftungsvoraussetzungen enthielt, erwies sich jedoch als unzureichend, um das wirtschaftliche und soziale Elend der Massen im Fall von Erwerbsunfähigkeit durch Alter, Krankheit oder Arbeitslosigkeit zu vermindern. Der Ruf nach einer Absicherung wurde immer lauter und von Wissenschaftlern, Wirtschaftsfiihrern, Theologen, Politikern und den sich bildenden und erstarkenden Gewerkschaften erhoben.12 Dem Erfordernis der Absicherung durch eine Sozialversicherung verschloß sich letztendlich auch nicht die Staatsführung des Kaiserreiches, die zum einen dem Elend entgegensteuern wollte, aber auch in dem sich entwickelnden Proletariat staatsgefährdende Momente und sozialen Zündstoff erblickte. Bismarcks Beurteilung der Arbeiterfrage kam in zwei Maßnahmen des Reichs zum Ausdruck, zum einen im sog. Sozialistengesetz, zum anderen in Maßnahmen, die das Elend der Bevölkerung abbauen sollten. Der Grundstein für die Sozialversicherung wurde am 17.11.1881 durch die sog. kaiserliche Botschaft von Wilhelm dem Zweiten gelegt.13 In dieser Rede, die Bismarck redigiert hatte, hieß es, im Anschluß an eine Rede vom Februar desselben Jahres, daß der Kaiser die Heilung der sozialen Schäden nicht ausschließlich im Wege der Repression sozialdemokratischer Ausschreitungen, sondern gleichmäßig auf dem Wege der positiven Förderung der Arbeiter suchen werde. Ziele sollten sein die Sicherung des inneren Friedens und die Gewährung größerer Sicherheit und Ergiebigkeit des Beistandes für Hilfsbedürftige. Gefordert wurde eine Sicherung gegen Erwerbsunfähigkeit durch Betriebsunfälle, Krankheit und Alter. 12 Peters, Geschichte, S. 49. 13 Thronrede, in: Verhandlungen des deutschen Reichstags, 5. Legislaturperiode, I. Session 1881/82, Bd. 1, S. 1 abgedruckt bei Peters, Geschichte, S. 49 f.

467 Als erste Maßnahme wurde 1883 dann das "Gesetz die Krankenversicherung betreffend" verabschiedet. Als Leistungen wurden u.a. gewährt die freie ärztliche Behandlung und Gewährung von Arzneimitteln bis zu 13 Wochen, bei Erwerbsunfähigkeit wurde ein Krankengeld bezahlt. Die Beiträge brachte zu zwei Dritteln der Arbeitnehmer, zu einem Drittel der Arbeitgeber auf. Die Kassen wurden auf der Grundlage bestehender Systeme aufgebaut. Die örtlichen Hilfskassen für Arbeiter wurden zu Ortskrankenkassen, die Fabrikkrankenkassen zu Betriebskrankenkassen; die Innungskrankenkassen und Knappschaftskassen blieben erhalten. Jeder Arbeitnehmer bis zu einer Jahresarbeitsverdienstgrenze von 2.000 Mark war gegen Krankheit versichert. Bei Angestellten, die über einen höheren Verdienst verfügten, wurde die Notwendigkeit einer staatlichen Versicherung nicht gesehen. Die Krankenversicherung war als Arbeiterversicherung konzipiert. Zunächst waren auch Teile der Angestellten, die weniger als 2.000 Mark verdienten, nicht versichert. Handlungsgehilfen wurden erst 1903 in die Krankenversicherung aufgenommen. 14 Das Unfallversicherungsgesetz trat am 1.10.1885 in Kraft 15 . Auch dieses Gesetz enthielt eine Versicherungsfreigrenze von 2.000 Mark Jahresverdienst. Am 1.1.1891 trat als letztes Sozialversicherungsgesetz das Rentenversicherungsgesetz in Kraft, das Versicherungsschutz bei Erwerbsunfähigkeit wegen Invalidität und Alter vorsah. Versicherungspflichtig waren alle Arbeiter und Angestellten bis zu einem Jahresarbeitsverdienst von 2.000 Mark. Leistungen waren im wesentlichen die Invalidenrente und, ab dem 70. Lebensjahr, Altersrente.16 Mit dem Invalidenversicherungsgesetz17, das am 1.1.1900 in Kraft trat, wurde die Rentenversicherung auf der Grundlage des IAVG revidiert. Die Versicherungspflicht wurde auf Werkmeister, Techniker, Lehrer, Erzieher und Schiffsführer ausgedehnt, soweit sie weniger als 2.000 Mark verdienten. Diesem Personenkreis wurde auch eine freiwillige Versiche-

14 Behrends/Brunkhorst, SGb. 1987, S. 232. 15 Vgl. dazu Peters, Geschichte, S. 60 ff.; Tennstedt, Geschichte, in: v. Maydell/Ruland, Sozialrechtshandbuch, S. 70; Wannagat, Sozialversicherungsrecht, S. 66. 16 Zu Einzelheiten vgl. Rückert, in: Ruland, Handbuch der gesetzlichen Rentenversicherung, S. 2; Köhler, ebenda, S. 52 ff. 17 RGBl. 1899, S. 463.

468 rungsmöglichkeit eingeräumt, wenn eine Jahresarbeitsverdienstgrenze von 3.000 Mark nicht überschritten wurde.18 Am 19.7.1911 wurden die drei Versicherungszweige in der Reichsversicherungsordnung19 zusammengefaßt. Ebenfalls 1911 verabschiedete der Reichstag das Versicherungsgesetz für Angestellte.'20 Die Leistungsvoraussetzungen nach diesem Gesetz entsprachen denen der Arbeiter, die Leistungen waren jedoch günstiger. So wurde Altersrente bereits ab dem 65. Lebensjahr gewährt, und die Hinterbliebenenversicherung war besser ausgestaltet. Die Witwenrenten waren höher, und Waisenrenten wurden bis zum 18. Lebensjahr gewährt, während in der Arbeiterrentenversicherung diese Zahlungen nur bis zum 15. Lebensjahr des Kindes erbracht wurden. Für Angestellte, deren Jahresarbeitsverdienst unter 2.000 Mark betrug, bestand eine zweifache Zuständigkeit der Versicherungsträger. Sie konnten in der Invaliden- und Altersversicherung der Arbeiter mitversichert sein, aber auch in der Angestelltenversicherung. Die Versicherungspflichtgrenze betrug 5.000 M. Mit einer besonderen rentenversicherungsrechtlichen Regelung für Angestellte trug der Reichstag dem Standesbewußtsein der Angestellten Rechnung. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts hatten Angestelltenverbände eine eigene Alterssicherung beantragt. Der Reichstag befaßte sich seit 1904 mit dieser Angelegenheit. Als Katalysator wirkte der Erlaß eines Angestelltenversicherungsgesetzes im Jahre 1908 in Österreich21. Als Grund für eine eigenständige Regelung der Angestellten wurde angeführt, daß zum einem die körperliche Arbeit der Arbeiter dem menschlichen Körper besser entspreche und die geistige Arbeit der Angestellten zum schnelleren Verschleiß führe; deshalb sei eine niedrigere Altersgrenze erforderlich. Für die günstigere Regelung der Hinterbliebenenversicherung wurde angeführt, daß die Ehefrauen der Angestellten in der Regel im Gegensatz zu den Ehefrauen der Arbeiter nicht berufstätig seien und keinen Beruf erlernt hätten, so daß sie im Falle der Erwerbsunfähigkeit des Mannes für ihren eigenen Unterhalt nicht aufkommen konnten. Die Forderung nach Zahlung einer Waisenrente bis zum 18. Lebensjahr entstand aus dem Gedanken, daß die Kinder der Angestellten eine längere Ausbildung genössen als die Kinder der

18 Zu Einzelheiten Köhler, versicherung, S. 61 ff. 19 RGBl. 1911, S. 509. 20 RGBl. 1911, S. 989. 21 Peters, Geschichte, S. 92.

in: Ruland,

Handbuch

der gesetzlichen

Renten-

469 Arbeiter22. Der Reichstag und die Unternehmer kamen diesen Privilegierungstendenzen entgegen, weil sie hofften, dadurch die Angestellten dauerhaft von den Arbeitern trennen zu können und sie als staatserhaltende Mittelschicht zu etablieren. 1924 wurde das Angestelltenversicherungsgesetz neu gefaßt,23 den Angestellten wurden günstigere Leistungsvoraussetzungen gegenüber den Arbeitern eingeräumt. Die Doppelversicherung der Angestellten, die weniger als 2.000 RM im Jahr verdienten, wurde beseitigt. Sie wurden insgesamt der Angestelltenversicherung zugeschlagen. Ebenfalls im Jahre 1924 entstand die Arbeitslosenversicherung. Versicherte waren alle pflichtversicherten Arbeitnehmer. In der Folgezeit wurden bis 1945 der Kreis der Versicherten und die Leistungen weiter ausgedehnt.24 Während der nationalsozialistischen Diktatur wurden mehrere Reformvorhaben vorbereitet. Ziel war es, die Leistungsfähigkeit der Sozialversicherung zu steigern. Pläne zur Zusammenfassung der Versicherungszweige wurden fallengelassen, aber im Bereich der Rentenversicherung wurde eine einheitliche Regelung für Arbeiter, Angestellte und Knappschaftsangehörige angestrebt.25 Auch sollte die Selbstverwaltung der Sozialversicherung stark eingeschränkt werden. Nach dem Zusammenbruch von 1945 hoben die Alliierten einen Großteil der nationalsozialistischen Gesetze wieder auf. An deren Stelle traten punktuelle Regelungen in den einzelnen Zonen, die vom jeweiligen Recht der Besatzungsmacht geprägt waren. Die Sozialversicherung blieb aber weitgehend unberührt.26 Es gab zwar den Entwurf eines einheitlichen Kontrollratsgesetzes, der eine Einheitsversicherung für alle Arbeitnehmer vorsah; dieser Entwurf wurde aber nicht verwirklicht. Es blieb bei den in den einzelnen Zonen getroffenen Regelungen. Nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes sah der Gesetzgeber sich vor der Aufgabe, die Sozialversicherung aufzubauen und die bestehende Rechtszersplitterung zu beseitigen. Um diese Ziele zu verwirklichen, griff er auf die alten, in der Weimarer Zeit geltenden Sozialversicherungsgesetze zurück.

22 Wannagat, Sozialversicherungsrecht, S. 79. 23 RGBl. 1 1924, S. 563. 24 Gitter, Sozialrecht, S. 18 - 20; zur Zeit des Nationalsozialismus vgl. Köhler, in: Ruland, Handbuch der gesetzlichen Rentenversicherung, S. 79 ff. 25 Peters, Geschichte, S. 109. 26 Köhler, in: Ruland, Handbuch der gesetzlichen Rentenversicherung, S. 83.

470 In der Krankenversicherung erfolgte eine schrittweise Angleichung der Positionen der Arbeiter an die der Angestellten, wo diese noch nicht verwirklicht war. Arbeiter waren jedoch unabhängig von der Einkommenshöhe versicherungspflichtig, während für Angestellte eine Versicherungspflichtgrenze galt. 1970 wurde diese Grenze angehoben und dynamisiert. Diese Ungleichbehandlung wurde durch das Gesundheitsreformgesetz von 1988 beseitigt, indem eine Pflichtgrenze für Arbeiter geschaffen wurde, die der der Angestellten entspricht. In der Rentenversicherung wurde die Gliederung in die Versicherungszweige für Arbeiter, Angestellte sowie Knappschaftsangehörige beibehalten. Die unterschiedlichen Leistungsvoraussetzungen und der Leistungsumfang wurden in der sog. großen Rentenreform von 1957 vereinheitlicht.27 Unterschiede fanden sich lediglich in der Rentenversicherung der Knappschaftsangehörigen, die aber durch die Besonderheiten im Bergbau begründet waren.28 Für die Angestellten in der Angestelltenversicherung fand sich aber weiterhin eine Versicherungspflichtgrenze.29 Diese fiel durch das Finanzänderungsgesetz von 1967 ersatzlos weg. Die weiteren Reformen, z.B. die von 1972, hatten keine Auswirkungen auf die hier behandelte Problematik. Die Unterschiede zwischen Arbeitern und Angestellten bestanden noch lange darin fort, daß für sie unterschiedliche, wenn auch wortgleiche gesetzliche Regelungen galten. Erst seit dem 1.1.1992 gilt für beide Gruppen einheitlich das Sozialgesetzbuch VI. Weiterhin sind aber für beide Gruppen unterschiedliche Versicherungsträger zuständig, für die Arbeiter die 18 Landesversicherungsanstalten (LVA), für die Angestellten die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) in Berlin. Im Hinblick auf die neuen Bundesländer ergibt sich in organisatorischer Hinsicht keine Abweichung vom früheren Recht, abgesehen davon, daß sich die Zahl der LVA erhöht. Eine Angleichung im materiellen Recht ist durch das Gesetz zur Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung (Renten-Überleitungsgesetz) erfolgt.30

27 Ansätze einer Angleichung gab es bereits 1949; s. Köhler, in: Ruland, Handbuch der gesetzlichen Rentenversicherung, S. 85; vgl. zur Rentenreform von 1957 Hockerts, aaO, S. 93 ff. 28 Peters, Geschichte, S. 195. 29 Wannagat, Sozialversicherungsrecht, S. 118. 30 S. dazu v. Einem, BB 1991, S. 200; Rahn, DtZ 1992, S. 1.

12. Kapitel: Das Recht der Rentenversicherung In der Rentenversicherung sind die materiell-rechtlichen Leistungsvoraussetzungen und die Leistungen für Arbeiter und Angestellte einander inzwischen angeglichen. Ab dem 1.1.1992 sind alle Rentenversicherungszweige in einem Gesetz, dem SGB VI, zusammengefaßt. Es wird weiterhin zwischen Arbeitern und Angestellten unterschieden, §§ 125, 128, 133 SGB VI. Die Definition der Angestellten ist aus dem AVG übernommen worden; die zu dieser Abgrenzung ergangene Rechtsprechung1 ist weiterhin verwendbar. Der einzig verbleibende Unterschied zwischen Arbeitern und Angestellten in der Rentenversicherung besteht darin, daß für jede Gruppe ein anderer Verwaltungsträger zuständig ist: für die Angestellten die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte in Berlin, für die Arbeiter eine der 18 Landesversicherungsanstalten. In dieser unterschiedlichen organisationsrechtlichen Zuordnung liegt eine Ungleichbehandlung. Fraglich ist, ob diese Ungleichbehandlung verfassungsrechtlich zulässig ist. Eine materiellrechtliche Ungleichbehandlung der beiden Arbeitnehmergruppen, die hier zu vergleichen sind, besteht nicht. Eine Benachteiligung, wie sie sonst in den meisten Fällen der Ungleichbehandlung vorliegt, ist aber nicht notwendig, damit eine verfassungsrechtlich unzulässige Differenzierung zu bejahen ist. A.

Die Ungleichbehandlung als Tatbestand

Nach der hier vertretenen Meinung ist eine bloße Ungleichbehandlung zunächst ausreichend für die Lokalisierung des Gleichheitsproblems2. Die Prüfung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer Differenzierung findet auf der "Rechtfertigungsebene" statt und nicht auf der das Gleichheitsproblem feststellenden "Tatbestandsebene". Das Vorhandensein oder das Gewicht einer Benachteiligung erhöht lediglich die Anforderungen, die an das Vorliegen eines rechtfertigenden sachlichen Grundes zu stellen sind. Auch das Bundesverfassungsgericht hat in den seltenen Entscheidungen, bei denen eine Ungleichbehandlung keine direkte Benachteiligung erkennen ließ, auf deren Feststellung verzichtet und ausgeführt, daß es allein auf die Ungleichbehandlung ankomme.3 1 Vgl. Kossow, BB Beil. Nr. 4/1966. 2 S. oben 2. Kap. E. 3 S. insbes. BVerfGE 18, S. 38,46.

472 Ein anderer Ansatzpunkt, eine verfassungsrechtliche Überprüfung einer Ungleichbehandlung durchzuführen, wenn keine offensichtliche Benachteiligung vorliegt, besteht darin, auf die individuelle Betroffenheit des einzelnen Angehörigen einer Vergleichsgruppe abzustellen und daraus eine Benachteiligung abzuleiten.4 So ist nach diesem Ansatz für den Arbeiter eine Benachteiligung dadurch gegeben, daß er sich nicht bei der Bundesversicherungsanstallt versichern kann. Eine Bevorzugung besteht hingegen darin, daß er sich im Gegensatz zu Angestellten bei einer Landesversicherungsanstalt anmelden kann. Eine Saldierung von Benachteilung und Bevorzugung scheidet hier aus. Jede Bevorzugung und Benachteiligung ist je für sich an Art. 3 GG zu messen. Dies ist jedoch dann nicht unbedingt erforderlich, wenn eine reine Saldierung von vornherein, wegen weiterer Umstände, ausscheidet. Nach diesem Ansatz wird eine Benachteiligung konstruiert, um so den Weg zu einer verfassungsrechtlichen Überprüfung zu öffnen. "Auch wenn sich die Belastungen für Angehörige beider Gruppen aus dem Ausschluß von allein der anderen Gruppen gewidmeten Einrichtungen ergeben, sind diese schon wegen der unterschiedlichen Betroffenheit der einzelnen ungeeignet, gegeneinander aufgerechnet zu werden.5" Dieser Aspekt kann aber nach der hier vertretenen Meinung erst auf der Rechtfertigungsebene zum Tragen kommen. Für den Einstieg in eine verfassungsrechtliche Überprüfung anhand des Gleichheitssatzes genügt die hier festgestellte Ungleichbehandlung. B.

Die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung

Die Rechtfertigung dieser Ungleichbehandlung ist nur dann gegeben, wenn ein zulässiges Differenzierungskriterium, ein Differenzierungsmittel und ein zulässiges Differenzierungsziel vorliegen und wenn zwischen Differenzierungskriterium und -ziel ein Legitimationszusammenhang vorliegt und der rechtfertigende sachliche Grund in einem angemessenen Verhältnis zur Ungleichbehandlung steht. Das Differenzierungskriterium besteht hier wiederum in den Unterschieden zwischen den Gruppen der Arbeiter und der Angestellten. Differenzierungsmittel ist die durch das Gesetz angeordnete unterschiedliche Zugehörigkeit zu einem Verwaltungsträger. Als Differenzierungsziel kommt hier nur in Betracht, daß der Gesetzgeber auf vorhandene Verwaltungsstrukturen rekurriert und eine Abänderung 4 Sachs, Diskriminierungsverbot, S. 289 ff. 5 Sachs, Diskriminierungsverbot, S. 300.

473 dieser vorgefundenen Strukturen auf erhebliche praktische und verwaltungstechnische Schwierigkeiten stößt. Nicht zulässig wäre es, die Regelungen, die Arbeiter und Angestellte unterschiedlichen Verwaltungsträgern zuordnen, als bloße Ordnungsvorschriften anzusehen, die von der Gleichwertigkeit und Gleichbehandlung der Arbeitnehmergruppen ausgehen. Sie können nicht als Zweckmäßigkeitsregeln technischer Art ohne Wertbetonung6 von vornherein einen Verstoß gegen Art. 3 GG ausschließen. Bei dieser Sichtweise würde nämlich die entscheidende Frage ausgeblendet. Zunächst müßte ein Legitimationszusammenhang zwischen Differenzierungskriterium und Differenzierungsmittel bestehen. Dadurch, daß der Gesetzgeber beide Arbeitnehmergruppen materiell gleichbehandelt, erkennt er selbst an, daß sozialversicherungsrechtlich keine Unterschiede mehr bestehen. Deshalb könnte bereits das Differenzierungskriterium fehlen und damit ein Verfassungsverstoß vorliegen. Zu bedenken ist aber, daß nur eine organisatorische Ungleichbehandlung vorliegt. Eine direkte Benachteiligung ist nicht erkennbar. Deshalb sind auch an das Differenzierungskriterium nur denkbar geringe Anforderungen zu stellen. Eine Verknüpfung zwischen der unterschiedlichen Zugehörigkeit zu einer bestimmten Arbeitnehmergruppe und der verwaltungstechnischen Trennung könnte sich daraus ergeben, daß der Gesetzgeber zwei getrennte, funktionierende Verwaltungsorganisationen vorgefunden hatte, deren Zuständigkeit an ein Merkmal anknüpft, das zwar materiell zu keinen Unterschieden (mehr) berechtigt, aber historisch gewachsen ist. Dem Gesetzgeber steht es grundsätzlich offen, soweit er die Organisationsgewalt hat, Verwaltungsträger zu gliedern.7 So ist z.B. eine regionale Gliederung zulässig. Anknüpfungspunkt ist dann die örtliche Zugehörigkeit, die eine Zuordnung zu einem Verwaltungsträger ermöglicht. Hier ist ein Legitimationszusammenhang gegeben zwischen dem Wohnsitz, z.B. in Hamburg, und der Zuordnung zu einem Verwaltungsträger Norddeutschland. Willkürlich und unzulässig ist es aber, Gruppen zu bilden, bei denen kein Zusammenhang zwischen Differenzierungskriterium und -mittel besteht. Dies wäre z.B. dann der Fall, wenn mit der unterschiedlichen Zuordnung eine Diskriminierung verbunden wäre. Liegt beispielsweise einer unterschiedlichen Behandlung eine Diskriminierungstendenz zugrunde, genügen reine Zweckmäßig-

6 Firsching, Anm. zu OLG Hamm, FamRZ 1956, S. 394. 7 Vgl. BVerfGE 44, S. 70.

474 keitsaspekte für die Aufstellung oder Beibehaltung einer Verwaltungsgliederung nicht. Diese Erwägungen führen aber bereits dazu, daß mit der unterschiedlichen Behandlung eine Benachteiligung oder Betroffenheit einer Gruppe vorliegt. Damit wird zum Erfordernis des sachlichen Grundes, der eine Ungleichbehandlung rechtfertigen soll, übergeleitet.8 Bejaht man hier einen bestehenden Legitimationszusammenhang, so ist bei materieller Gleichbehandlung auch der sachliche Grund gegeben, der die bloß formelle Ungleichbehandlung rechtfertigt. Aber auch bei materieller Gleichbehandlung kann sich zumindest mittelbar eine Benachteiligung oder Betroffenheit einer Gruppe ergeben. Unbestritten ist auch, daß zu einer Betroffenheit jede Beeinträchtigung eines wirtschaftlichen, rechtlichen oder ideellen Interesses genügt.9 Daß eine formellrechtliche Gleichbehandlung zu einer faktischen Diskriminierung führen kann, ist anerkannt. Auf diesem Gedanken beruht auch die Regelung des Art. 119 EWGV. Nicht zu folgen ist in diesem Zusammenhang der Ansicht, nach der manche Bevorzugungen oder Benachteiligungen wegen ihrer Geringfügigkeit von vorneherein von der Prüfung auszuklammern sind.10 Damit wird in methodisch unzulässiger Verkürzung bereits auf der Tatbestandsebene geprüft, ob die Ungleichbehandlung zulässig ist oder nicht. Durch dieses Vorgehen wird möglicherweise der Blick auf die verfassungsrechtlichen Wertungen zum Gleichheitsproblem verstellt. Eine Auseinandersetzung und Bewertung des Verhältnisses von Ungleichbehandlung und dem erforderlichen Gewicht des sachlichen Grundes, der zur Rechtfertigung erforderlich ist, wird dabei nicht vorgenommen.11 C.

Ungleichbehandlung durch Organisation

Die Problemstellung lautet daher zunächst, ob praktische Probleme und das Abstellen auf bereits vorhandene Organisationen eine ausschließlich im Organisationsrecht fußende Ungleichbehandlung rechtfertigen können. Da die Ungleichbehandlung relativ gering erscheint, genügt auch ein 8 S. zum sachlichen Grund betr. Handwerkerversicherung/Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten BVerfGE 34, S. 62, 66; betr. Pflichtversicherter/ freiwillig Versicherter BVerfGE 36, S. 102, 113; 36, S. 237, 242 f.; zu § 117 AFG BVerfG, NZA 1990, S. 917. 9 Sachs, Diskriminierungsverbot, S. 274; Maunz/Dürig/Herzog, Art. 3 Abs. 2 GG, Rdnr. 55; BayVGH, BayVBl. 1984, S. 2 7 0 , 2 7 1 ; BVerfGE 2 9 , 1 5 4 , 1 6 4 . 10 So VG Freiburg, Baden-Württembergische Verwaltungsblätter 1981, S. 229 f. 11 S. dazu Sachs, Diskriminierungsverbot, S. 274; BayVGH, BayVBl. 1984, S. 270, 271.

475 weniger gewichtiger Grund, um sie zu rechtfertigen. Eine bloß formale Ungleichbehandlung kann in der Regel durch praktische Zuordnungsschwierigkeiten gerechtfertigt werden. So kann z.B. ein Arbeiter, der zur LVA Rheinprovinz gehört, nicht mit Erfolg einen Gleichheitsverstoß geltend machen, der darin liegen soll, daß ein anderer Arbeiter bei einer anderen Landesversicherungsanstalt zu gleichen Bedingungen versichert ist. Es muß dem Gesetzgeber überlassen bleiben, seine Verwaltung nach sachlichen Gesichtspunkten zu organisieren. Eine Aufteilung nach regionalen Gesichtspunkten oder z.B. nach Buchstabengruppen, A - K und L - Z, ist zulässig, wenn dem Gesetzgeber dies zweckmäßig erscheint. I.

"Suspekte Unterscheidungen"

Problematisch ist diese Ungleichbehandlung aber dann, und sie bedarf daher einer besonderen Rechtfertigung, wenn mit ihr eine Diskriminierung oder eine anders geartete Betroffenheit einhergeht. Zur Betroffenheit genügt die Berührung jedes Individualinteresses, gleich ob rechtlicher, ideeller, sozialer, wirtschaftlicher oder emotionaler Art. 12 Zur Verdeutlichung dieser Problemstellung seinen zwei Beispiele aus der Rechtsprechung des Supreme Court der USA angeführt. Diese Beispiele gründen sich auf die Rechtsprechung in den USA, die zur faktischen und rechtlichen Rassentrennung in den 50er, 60er und 70er Jahren entwickelt wurde und die dann auf weitere Minderheitengruppen ausgedehnt wurde. Die Rechtsprechung des Supreme Court war zunächst von der "separatebut-equal"-Doktrin beherrscht. Diese Doktrin war anläßlich der Rassentrennung zwischen Schwarzen und Weißen bei formaler Rechtsgleichheit entwickelt worden. Die Schwarzen wurden mit dem Ausschluß von bestimmten Einrichtungen (die nur Weißen zugänglich waren) belastet und durch ausschließliche Zuweisungen zu anderen Einrichtungen gleicher Art begünstigt. 13 Es bestanden z.B. Schulen und Schwimmbäder, die nur von Weißen besucht werden durften, aber Schwarze hatten ihre eigenen Schulen und ihre eigenen Schwimmbäder. Diese Trennung hatte offensichtlich diskriminierenden Charakter. Der Supreme Court hielt zunächst die materiellrechtliche Gleichbehandlung für ausreichend und sah darin keinen Gleichheitsverstoß. Dies änderte sich, als das höchste Gericht der USA die sog. suspekten Unterscheidungen anerkannte, die er einem be12 Sachs, Diskriminierungsverbot, S. 274; Maunz/Dürig/Herzog, Art. 3 Abs. 2 GG, Rdnr. 55; BayVGH, BayVBl. 1984, S. 270,271; BVerfGE 29, S. 154, 164. 13 Sautier, Geschichte der USA, S. 469.

476 sonderen Prüfungsmaßstab unterwarf, der sog. strict scrutiny.14 Während die sog. equal-protection-clause für eine Ungleichbehandlung ursprünglich einen vernünftigen Grund ausreichen ließ (doctrine of reasonable Classification)15, die dem Gesetzgeber einen weiten Spielraum ließ, zog der Supreme Court in anderen Bereichen engere Grenzen. Diese wurden wiederum an Fällen der Rassentrennung entwickelt. Der Supreme Court knüpfte dabei an den Gedanken der sog. suspekten Unterscheidungen an, die nicht durch lediglich vernünftige Gründe zu rechtfertigen waren, sondern automatisch - da suspekt - ein zwingendes staatliches Interesse an einer gesetzlichen Differenzierung erforderten.16 Wichtige Interessen genügten nicht. Was eine suspekte Unterscheidung ist, steht nicht von vorneherein fest, sondern wird im Hinblick auf eine Ungleichbehandlung und eine (mittel- oder unmittelbare) Benachteiligung oder Diskriminierung entwickelt. Der Supreme Court legte z.B. fest, daß die Unterscheidung nach dem Geschlecht suspekt ist; dies kann er aber nur, wenn er Anhaltspunkte für eine Ungleichbehandlung oder eine Benachteiligung hat und wenn diese Benachteiligung diskriminierenden Charakter hat. Die Ermittlung einer suspekten Unterscheidung erfolgt also in einem hermeneutischen Zirkel. Das amerikanische Beispiel des "separate-but-equal" zeigt, daß auch bloße organisatorische Trennungen mit materiellrechtlicher Gleichbehandlung wegen ihres diskriminierenden Elements gegen den Gleichheitssatz verstoßen können. Überträgt man diesen Gedanken auf Art. 3 Abs. 1 GG, so muß man für die organisatorische Trennung der Beschäftigtengruppen in der Rentenversicherung auf den Gedanken der "suspekten Unterscheidung" abstellen. Ob die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten im Sozialversicherungsrecht eine "suspekte" Unterscheidung ist, kann erst beantwortet werden, wenn feststeht, ob damit diskriminierende Tendenzen verknüpft sind. Läßt sich eine solche Tendenz feststellen, genügen reine Zweckmäßigkeitsaspekte nicht mehr, um eine Ungleichbehandlung zu rechtfertigen. Im Ansatz ist also zu überprüfen, ob Arbeiter als Gruppe durch die vorliegende Gestaltung gegenüber Angestellten diskriminiert werden können: Ist dadurch, daß einem Arbeitnehmer das Prädikat "Arbeiter" zugesprochen wird, die betroffene Gruppe diskriminiert? Dazu ist zunächst 14 Kommers, in: Link, Gleichheitssatz, S. 40. 15 Kommers, in: Link, Gleichheitssatz, S. 35. 16 Kommers, in: Link, Gleichheitssatz, S. 40.

477

auf die soziologische und geschichtliche Entwicklung der Bezeichnung und Ausbildung der Gruppen Arbeiter und Angestellte einzugehen. II.

Die Entwicklung der Gruppe der Angestellten

Die Gruppe der Angestellten (ohne daß dieser Begriff benutzt wurde) bildete sich bereits im Mittelalter als Mittler zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer heraus. Im 19. Jahrhundert entstand eine Zwischenschicht, der besondere Aufgaben zugewiesen waren. Ihre Mitglieder genossen das besondere Vertrauen des "Prinzipals" und nahmen als technische Beamte, Betriebsbeamte u.ä. leitende und auch unternehmerische Aufgaben wahr.17 Die Terminologie war zunächst uneinheitlich. Oftmals wurden Angestellte als Privatbeamte bezeichnet, wodurch das besondere Ansehen, das Beamte im 19. Jahrhundert in der Bevölkerung genossen, auch auf die Angestelltentätigkeiten übertragen wurde. Das besondere Vertrauen und die Wichtigkeit der Aufgaben, die den Angestellten übertragen waren, führten dazu, daß die Unternehmer die Angestellten näher an sich zu binden suchten durch einen sicheren Arbeitsplatz, höheres Entgelt und bessere Sozialleistungen. Eine Folge dieser Bevorzugung war die Entwicklung von Standesbewußtsein, das sich auch in der Bildung eigener, zunächst berufsständischer, dann berufsübergreifender Angestelltenorganisationen ausdrückte.18 Durch die Tätigkeit dieser Organisationen, das Standesbewußtsein der Angestellten und durch die Unterstützung der Unternehmer sowie durch staatspolitische Erwägungen wurde auch der Staat zu privilegierenden Gesetzen veranlaßt, die zum Teil die faktische Bevorzugung gesetzlich festschrieben, so im ADHGB, BGB, in der Novelle zur Gewerbeordnung 1891, im AVG und im Angestelltenkündigungsschutzgesetz. Gleichwohl hat der Gesetzgeber diese Gruppe nicht geschaffen, sondern bestehende soziale Erscheinungen und Meinungsbilder gesetzlich fixiert (wobei nicht verkannt werden darf, daß die gesetzliche Fixierung wiederum prägend auf die Meinungsbildung der Gesellschaft wirkte).19 Die fortschreitende Bürokratisierung und Mechanisierung sowie die zunehmende Erstarkung des Dienstleistungssektors führten dazu, daß auch die Zahl der kleinen Angestellten stark anschwoll. Sie waren nicht mehr durch die oben genannten Merkmale, wie hohe Qualifikation und besonderes un17 Kocka, Geschichte, S. 43. 18 Kocka, Geschichte, S.43; König, Die Angestellten unterwegs, S. 174 ff.; s. auch Schönhoven, in: Borsdorf, Geschichte, S. 209,264. 19 Kocka, Geschichte, S. 46.

478 ternehmerisches Vertrauen, gekennzeichnet. Eine Zunahme ergab sich auch dadurch, daß für neu auftretende Tätigkeiten, z.B. des Busschaffners, Eingruppierungen gesucht wurden. Da die Zugehörigkeit zum Stand der Angestellten höheres Ansehen und bessere soziale Absicherung versprach, wurde die Zugehörigkeit zur Gruppe der Angestellten gesucht und auch durch die Angestelltenverbände unterstützt, da sich so ihre Basis verstärken konnte. Das Angestelltenversicherungsgesetz enthielt einen ersten Definitionsversuch der Angestelltentätigkeit. Da aber auch anhand dieses Gesetzes keine sichere Zuordnung gelang, erließ der Reichsarbeitsminister im Jahre 1924 die sogenannte Berufsgruppenverordnung. 20 Bürotätigkeit z.B. wurde der Angestelltentätigkeit zugerechnet, ohne Berücksichtigung der erforderlichen Qualifikation, Art der Tätigkeit und der übrigen Komponenten, die die Angestelltentätigkeit einst ausmachten. Wohl war es zu dieser Zeit noch so, daß Arbeiter vorwiegend körperlich schwere Arbeiten verrichteten, während Angestellte körperlich leichte und geistige Arbeit verrichteten. Aber auch das Bundesarbeitsgericht kapitulierte letztendlich vor einer sicheren Entscheidung und gebrauchte die Formulierung, daß sich die Einordnung nach den Tarifverträgen richten sollte und es letztendlich auf die Einschätzung der betroffenen Verkehrskreise sowie die Verkehrsanschauung ankomme. 21 Die ursprünglichen Kriterien, die zur Schaffung einer Schicht von Angestellten und deren gesetzlicher Fixierung führten, waren damit verwischt. III.

Die Entwicklung der Gruppe der Arbeiter

Die Entstehung der Gruppe der Arbeiter folgte aus anderen Gründen. Sie waren zum Teil Handwerker, die nicht die Möglichkeit hatten, sich selbständig zu machen, oder Gesellen, die nicht zu Meistern werden konnten. Andererseits wurden auch viele kleine Gewerbetreibende zu Arbeitern, da sie wegen der Konkurrenz bestehender Manufakturen ihre Selbständigkeit aufgeben mußten. 22 Ein weiterer Teil rekrutierte sich aus der ländlichen Bevölkerung, die aufgrund der Bevölkerungsexplosion keine Arbeit mehr im ländlichen Bereich finden konnte, da der Boden die steigende Personenzahl nicht mehr ernähren konnte. 23 Zunächst nahmen sie 20 RGBl. 1 1924, S. 274,410. 21 BAG AP Nr. 1, 2, 3, 5, 12 und 24 zu § 59 HGB; s. auch Schaub, ArbeitsrechtsHandbuch, § 13 m.w.N. 22 Kocka, Geschichte, S. 35. 23 Kocka, Arbeitsverhältnisse, S. 53 ff., 76 ff.

479 die Fabrikarbeit willig an, da sich die Möglichkeit zu Arbeit und Verdienst bot, die an herkömmlicher Stelle weggefallen war. Schwierigkeiten boten jedoch das bald auftretende Überangebot an Arbeitskräften und die zu geringen Löhne. Eine weitere, heute kaum mehr vorstellbare Erschwerung ergab sich aus den neuen Anforderungen der Arbeit in mechanisierten Betrieben. Zwar waren die Handwerker von ihren Fähigkeiten her eher unterfordert, die Arbeit in einer Großorganisation und nach dem von den Maschinen vorgegebenen Rhythmus führte aber zu erheblichen Anpassungsschwierigkeiten. Die Folge war eine nach heutigen Verhältnissen ungewöhnlich scharfe Form der Disziplinierung durch die Betriebe, 24 die durch paramilitärischen Drill und durch Strafen die Anpassung zu erreichen suchten. Die ursprünglich heterogene Masse der Fabrikarbeiter als Sammelbecken für alle Bevölkerungsteile, die anderweitig keine Arbeit finden konnten oder sich bessere Möglichkeiten in der Fabrik erhofften, wuchs durch die Gleichförmigkeit der Arbeits- und Lebensbedingungen, d.h. durch das gemeinsame unvorstellbare Elend zusammen. Eine rechtliche Gleichbehandlung dieser Gruppe fand sich nur in repressiven, diskriminierenden Gesetzen, wie dem preußischen Dreiklassenwahlrecht, dem Koalitionsverbot und den Sozialistengesetzen. Dieser Kampf mit den materiellen Lebensbedingungen und der rechtlichen Ungleichbehandlung prägte ein Arbeiterbewußtsein und -verhalten, das sich in politischer Einstellung, Konsumverhalten, Organisation und Selbstbewußtsein widerspiegelte. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg, in den 50er Jahren, änderte sich die Situation, als die rechtliche Gleichstellung schon weitgehend verwirklicht war, die staatsbürgerliche Gleichstellung sich fortsetzte und sich vor allem die soziale Lage entscheidend verbessert hatte. Gute Ausbildung und ständig steigender Lebensstandard führten zu einem allmählichen Zerbröckeln der Arbeiterfront und zur Herausbildung eines Individualbewußtseins. Das Gesellschaftsbild der Arbeiter blieb jedoch zunächst weiterhin traditionell dichotomisch in ein unten und oben eingeteilt. 25 Die Situation der Arbeiter erschien ihnen festgelegt, ein Entrinnen daraus wurde als sehr schwierig eingestuft. Angestellte wurden von den Arbeitern in der Mitte der Gesellschaft eingeordnet. Der Umstand, daß sich in den höchsten Berufsgruppen ausschließlich Angestellte befanden, strahlte auf niedrig qualifizierte Angestellte ab. 26

24 Kocka, Geschichte, S. 38; ders., Arbeitsverhältnisse, S. 365,409,427,482 ff. 25 Brater/KuderaiBolte, Arbeitnehmer, S. 119. 26 BoltelAschenbrenner/Kreckel/Schulz-Wild, Berufsstruktur, S. 92.

480 Die gesellschaftliche Situation paßte sich in der Weise an, daß sich ein Teil der Arbeiterschaft qualifizierte und sich eine Facharbeiterschaft entwickelte, während ein großer Teil der Angestellten niedrige Tätigkeiten ausübte und dieser Anteil der niedrig qualifizierten zunächst zunahm. IV.

Arbeiter und Angestellte als Gruppen

1.

Theorien zur Gruppenbildung der Angestellten

In der Soziologie entwickelten sich unterschiedliche Theorien, die zur Begründung und Umschreibung der Angestelltenschaft herangezogen wurden. Die sog. Delegierungstheorie stellte darauf ab, daß Angestellte unternehmerische Aufgaben wahrnehmen, die auf sie delegiert wurden.27 Marxistische Theorien stritten darüber, ob die Angestellten eine eigene Klasse bildeten oder eine künstliche Einrichtung darstellten, die durch Staat und Unternehmen durch Täuschung zu einem falschen Klassenbewußtsein geführt wurden und in Wirklichkeit Arbeiter waren.28 Die heute umstrittene Schichtentheorie ging von einer Dreiteilung der Gesellschaft aus, bei der die Arbeiter zur Unterschicht, die Angestellten zur Mittelschicht gehörten.29 Die neuere Funktionstheorie30 versucht die Angestellten als Gruppe zu begreifen, die in mehreren Schichten der Gesellschaft angesiedelt ist. Sie sind als soziologisches Phänomen, vor allem durch die Funktionen, die sie wahrnehmen, von den Arbeitern abgegrenzt. Die Besonderheit der Angestelltengruppe wird von allen Theorien gesehen, auch von der marxistischen. Wenn sie den Angestellten ein falsches Klassenbewußtsein unterstellt, erkennt sie damit indirekt eine besondere Gruppe an, die über eigene, wenn auch falsche Insignien und Vorstellungen verfügt. Am besten zur Abgrenzung geeignet erscheint die Funktionstheorie, die dem Umstand Rechnung trägt, daß es eine Gruppe mit der Bezeichnung "Angestellte" gibt, daß aber eine Schichtenzuordnung bei der Heterogenität, die durch die Einbeziehung von Verkäufern bis zu Managern entsteht, verfehlt ist. ledenfalls gehen alle Theorien vom Bestand des Phänomens Angestellte aus. Angestellte gelten als Typus, der das

27 28 29 30

Rohrbeck, Eigengeltung, S. 4. Dreyfuss, Beruf und Ideologie. Zur Schichtentheorie vgl. Hofbauer, Soziale Gliederung. Croner, Soziologie der Angestellten, S. 52,265 ff.

481

gesellschaftliche Bewußtsein mitbestimmt hat und auch in der Gesetzgebung seinen Niederschlag fand.31 2. Das Ansehen von Angestellten und Arbeitern Während der 50er und 60er Jahre fanden soziologische Untersuchungen statt, die sich mit einer Abgrenzung der Gruppen befaßten und der Frage, welches Ansehen jede Gruppe genoß. Es zeigte sich, daß Angestellte über ein wesentlich höheres soziales Ansehen verfügten. Umfragen mit der Frage, wer ein höheres Ansehen genösse, ein Angestellter mit 300 DM Lohn oder ein Gießereiarbeiter mit 500 DM, förderten als Ergebnis zutage, daß der Angestellte wesentlich höher angesehen war. Diese Einschätzung durchzog auch die 60er Jahre. Bemerkenswert ist, daß DDRFlüchtlinge, die mit derselben Frage konfrontiert wurden, das Ansehen des Gießereiarbeiters höher einschätzten. In der DDR war der Unterschied zwischen Arbeitern und Angestellten gesetzlich abgeschafft worden. Weitere Untersuchungen, die von der deutschen Angestelltengewerkschaft in Auftrag gegeben worden waren, zeigten, daß Angestellten weiterhin eine gehobene geistige Tätigkeit zugestanden wurde und ein höheres Prestige, das sich aus der Höherwertigkeit der Arbeit ableitete.32 Spätere Untersuchungen ergaben, daß das Merkmal der Angestelltentätigkeit nicht mehr mit der besonderen hohen Qualifikation begründet wurde; vielmehr wurden die Punkte saubere Arbeit, geistige Leistung, relative Sicherheit, Aufstiegsglaube, soziale Herkunft, Unternehmensnähe und Vertrauen sowie geringer Organisationsgrad hervorgehoben.33 Die Selbsteinschätzung der Angestellten war hoch, die Arbeit wurde als geistig und sauber bezeichnet. Zwar war es eine Illusion, daß Angestellte darauf bauten, daß sie das besondere Vertrauen des Unternehmers genössen und daß ihre Arbeit einen besonderen Sinn in sich trage, weil sie wertvoll und wichtig sei, aber der Glaube daran34 beeinflußte die eigene Wertsetzung. Arbeiter, deren Gruppenbewußtsein sich mehr und mehr verringerte, identifizierten sich nur noch als Gruppe, wenn es um die Abgrenzung gegenüber den Angestellten ging. Begründet wurde die unterschiedliche Abgrenzung, soweit rationale Gründe gefragt waren, mit der arbeits- und sozialrechtlichen Besserstellung der Angestellten.

31 32 33 34

Kocka, Geschichte, S. 33. DAG, Funktionale Rangordnung, S. 8. Linke, Stellung der Angestellten, S. 66. Linke, Stellung der Angestellten, S. 57.

482 In der Gesamtbevölkerung wurde ein besonderes Ansehen der Angestellten festgestellt. Begründet wurde es durch die historisch gewachsene und zum Teil noch bestehende Bevorzugung, durch die hohe Qualifikation einzelner Angestellter, deren Ansehen auch auf die mit unqualifizierten Tätigkeiten beschäftigten Angestellten abstrahlte. Die Angestellten werden also als eigene Gruppe wahrgenommen, als besonderer Stand mit höherem Prestige. 3. Abgrenzungsversuche Die ursprünglich aufgestellten Abgrenzungsversuche, die zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts noch nachvollziehbar waren - höhere Positionen, höhere Qualifikation - konnten aber trotz des Bewußtseins, daß es Arbeiter und Angestellte gibt, objektiv nicht mehr gelingen. Zur Abgrenzung wurde auf die Einteilung abgestellt, die zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts galt. Es wurde gefragt, ob die betreffende Person zu dieser Zeit zu den Arbeitern oder zu den Angestellten gezählt wurde. Der Dreher z.B., der heute per Knopfdruck computergesteuerte Drehmaschinen bedient, hat sicherlich geistig mehr zu leisten als körperlich. Seine manuelle Tätigkeit ist genauso ein Annex wie bei den Angestellten. Dennoch wird dieser vorwiegend geistig tätige Dreher unzweifelhaft als Arbeiter eingestuft, da - und das kann die einzige Erklärung sein - der Dreher zu früherer Zeit schwere körperliche Arbeit zu verrichten hatte. Auch daran zeigt sich, auch wenn es nicht ausdrücklich eingestanden wird, daß auf historische Vorläufer rekurriert wird. Die Unterscheidung wird also nicht nach der geistigen Tätigkeit, Qualifikation oder körperlichen Belastung beurteilt, sondern danach, woraus sie erwachsen ist. Deshalb ergeben sich auch besondere Eingruppierungsschwierigkeiten bei neu entstandenen, nicht in einer Tradition verwurzelten Tätigkeiten, bei denen von körperlich schwerer Arbeit nicht die Rede sein konnte. Die Einordnung eines Telefonisten (über Tage) als Angestellter im Gegensatz zur Einordnung eines Telefonisten unter Tage als Arbeiter rührt daher, daß der Bergbau insgesamt (vor allem wegen der vielen Tätigkeiten unter Tage und in nicht leitender Position) mehr der Arbeitertätigkeit zugeordnet wird. Auch wenn die sogenannte Kragenlinie von manchen als im Schwinden begriffen angesehen wird, in den Köpfen der Leute setzt sich die alte Einteilung fort. Die körperliche Arbeit und der Arbeiter, der damit identifiziert wird, haben ein geringeres Ansehen. Zur Kennzeichnung der Arbeiter, herkömmlich als Nichtangestellter definiert, wurde die körperliche Arbeit herangezogen. Erkannt wurde freilich, daß auch Arbeiter über hohe Qualifikation verfügen konnten und daß die Arbeiten keine

483 körperlichen Anstrengungen mehr verursachen mußten. Wer einen Fertigungsprozeß in einem Steuerhaus überwachte, wurde als Arbeiter angesehen, weil seine Tätigkeit vor der Mechanisierung und Automation einmal mit wirklich körperlicher Arbeit verbunden war. 4. Neuere Untersuchungen In den 70er und 80er Jahren wandte sich die soziologische Forschung nicht mehr dem Vergleich der Arbeitnehmergruppen zu, sondern untersuchte jede einzelne Gruppe für sich oder untersuchte einzelne Berufe. Bei Arbeitern wird mit der Verbesserung der sozialen Lage eine Auflösung des sogenannten Arbeiterbewußtseins festgestellt; der Arbeiter entwickelte ein Individualbewußtsein. 35 Dies zeigte sich auch daran, daß sich Arbeiter bei der Frage nach der Berufsbezeichnung in der Regel nicht pauschal als Arbeiter, sondern als Dreher, Schweißer, Kfz-Mechaniker oder Lagerist bezeichnen (wobei letzteres schon wieder eine etwas vornehmere Bezeichnung für Lagerarbeiter ist, die den Anhang "-Arbeiter" vermeidet). Bei einer differenzierten Betrachtungsweise wird die Arbeitstätigkeit in Berufsgruppenstufen aufgegliedert, in der die konkrete Tätigkeit nach gewissen Merkmalen gekennzeichnet ist, wie Verkäufer, beschäftigter Schneidermeister und ähnliches. In diesem Vergleich zeigt sich für viele Arbeiterberufe, nämlich für die qualifizierten, ein höheres Ansehen als für niedrig qualifizierte Angestellte. Der Schneidermeister steht also über der Verkäuferin. Der Grund dafür ist, daß hier die Tätigkeit der Verkäuferin konkret beurteilt wird und auch vom Befragten konkret beurteilt werden kann. Hier fehlt der Abglanz der hohen Angestellten. Daraus ist zu schließen, daß sich durchaus ein differenziertes Bild entwickeln kann. Unabhängig davon bleibt aber die Frage, ob die Großgruppe Angestellte, ohne daß die einzelnen Tätigkeiten aufgeschlüsselt werden, nicht weiterhin positiv beurteilt wird. Eine weitere differenzierte Betrachtung ist funktionsbezogen. Berufe werden in zehn bis fünfzehn Funktionsklassen eingeteilt, von der höchsten Managertätigkeit bis zum angelernten Arbeiter. 36 Hier zeigt sich, daß in den unteren Funktionsgruppen Arbeiter und Angestelltentätigkeiten auf gleicher Stufe stehen. Je höher jedoch die Stufe gewählt ist, desto geringer ist der Arbeiteranteil. In den letzten Stufen finden sich ausschließlich Angestellte. Dies liegt zum einen daran, daß hoch qualifizierte Tätigkeiten nur von Angestellten ausgeübt werden, 35 Brock, Soziale Welt 1988, S. 413,424 ff. 36 BoltelBrater/Kudera, Arbeitnehmer, S. 94.

484 zum anderen auch daran, daß Arbeiter, sobald sie ein bestimmtes Qualifikationsniveau überschreiten, zu Angestellten umgewandelt werden.37 Untersuchungen ergaben, daß ein großer Teil der gewerblichen Angestellten vorher als Facharbeiter beschäftigt waren und innerbetrieblich aufgestiegen sind. Daß Arbeiter gerne Angestellte werden, zeigt sich auch daran, daß nach (allerdings älteren Umfragen) ein größerer Teil der Arbeiter (40 %) lieber Angestellte wären, auch wenn sie zunächst weniger verdienen würden. Als Gründe wurden unter anderem die sauberere Arbeit und die größere Befriedigung in der Arbeit der Angestellten angegeben. Die differenzierten Modelle haben zwar das starke soziale Prestige der Angestellten unter einem anderen Blickwinkel betrachtet und die Beurteilung relativiert. Sobald aber diese differenzierte Betrachtungsweise verlassen wird, scheint das Ansehen der Angestellten weiterhin höher zu sein. Die zweite Richtung der neueren Untersuchungen wandte sich verstärkt den Angestellten und den in dieser Gruppe vorhandenen Differenzierungen zu.38 Auch diese Untersuchung geht vom Vorhandensein der soziologischen Gruppe der Angestellten aus. Die Untersuchung knüpft an die Tätigkeit, das Selbstverständnis, die Aufstiegschancen und die innerhalb der Gruppe zu erwartenden Auswirkungen der Rationalisierung und Automation an. Die Tätigkeit des Angestellten wird als offen angesehen, während der Arbeiter in einem relativ abgeschlossenen Tätigkeitsbereich eingesetzt wird, dessen Berufsbiographie weitgehend feststeht. Das weitere Ansteigen der Entlohnung und die Aufstiegsmöglichkeiten sind relativ konstant. Angestellten hingegen werden größere Möglichkeiten zugestanden. So kann sich eine Bürogehilfin innerhalb einer Abteilung zur Sekretärin oder Sachbearbeiterin hocharbeiten, indem ihr z.B. die Bearbeitung von Mahn- und Vollstreckungssachen zugewiesen wird und ihr sogar die Bearbeitung spezieller rechtlicher Fragen übertragen werden kann. Durch Weiterbildung kann der Angestellte Fähigkeiten erwerben, die über die bisher ausgeübte Tätigkeit hinausreichen und in anderen Abteilungen verwertbar sind. Der Arbeiter kann sich lediglich fachlich spezialisieren und in Nischen ausweichen; eine breitere Weiterbildung ist in der Regel nicht vorgesehen und bietet sich auch aus unternehmerischer Sicht nicht an. Findet eine über den eigentlichen Tätigkeitsbereich hin-

37 Weltz/Schmidt/Sass, Facharbeiter, S. 27 ff. 38 Baethge/Overbeck, Zukunft der Angestellten.

485 ausgehende Weiterbildung statt, wird der Arbeiter in der Regel zum Angestellten. Eine Entwicklung, die bei Angestellten festzustellen ist, ist, daß die Gruppe der tariflich und funktionell niedrig eingestuften Angestellten abnimmt und ein Zuwachs in den mittleren und hohen Bereichen erfolgt ist. Als Hauptgrund dafür wird die fortschreitende Automation angesehen, die einfache Tätigkeiten wegfallen läßt, von Routinearbeit entlastet und zu einer Konzentration auf schwierige Sachverhalte führt. Eine weitere Auswirkung der Automation ist die Leistungsverdichtung und das Wegfallen individueller Arbeitsweisen. Hatte früher beispielsweise jeder Sachbearbeiter die Möglichkeit, seine Vorgehensweise, seine Aktenführung und seine Korrespondenz selbst zu gestalten, ist durch die standardisierte Einführung genereller Systeme diese Möglichkeit beschränkt. Die Handgriffe werden standardisiert, die Arbeit wird einfacher, aber auch anspruchsloser, die Individualität wird unterdrückt.39 Für das Selbstverständnis der Angestellten aus dieser Entwicklung folgt zweierlei: Einerseits wird die Automation als Bedrückung empfunden, die den Sinngehalt der Arbeit verringert, andererseits wird durch die technische Ausstattung, z. B. elektronische Datenverarbeitung, der einzelne Arbeitsplatz subjektiv aufgewertet. Diese Untersuchungen, die sich allein auf die Angestellten konzentrieren, ergeben aber immer noch, daß die Angestellten eine eigene Gruppe in der Bevölkerung darstellen, die sich subjektiv von Arbeitern abhebt und auch von außenstehenden Gruppen anders beurteilt wird. D.

Ergebnis

Als Ergebnis dieser Entwicklungen und der genannten Untersuchungen zeigt sich, daß es die Gruppen der Arbeiter und Angestellten als soziale Erscheinung gibt. Sie grenzen sich durch ihr Selbstverständnis, die Art der Tätigkeit und durch die Beurteilung in der Gesamtgesellschaft voneinander ab. Wenn auch eine Definition bisher nicht zufriedenstellend gelungen ist und eine scharfe Abgrenzung nicht vorliegt, ändert das nichts daran, daß sie im Kernbereich voneinander unterschieden werden können. Angestellte genießen pauschal ein höheres Ansehen in der Gesellschaft. Gründe für dieses höhere Ansehen sind die historische Entwicklung und die frühere Bevorzugung der Angestellten sowie die Her39 Diese Erscheinung findet sich zum Teil auch bei Facharbeitern, deren handwerkliche Fähigkeiten, die in der Lehre ausgebildet wurden, beim Ersteinsatz im Beruf nicht mehr gefragt sind.

486 leitung der breiten Angestelltenschaft aus einer ursprünglich zwischen den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern angesiedelten Schicht. Fraglich ist, ob sich aus diesem Befund eine Diskriminierung ableiten läßt. Im heutigen Sprachgebrauch wird mit diskriminieren verdächtigen, herabsetzen und benachteiligen gemeint. Diskriminiert werden Minderheiten unabhängig davon, ob es sich um zahlenmäßige Minderheiten handelt oder um solche, die zwar die größere Zahl stellen, aber von der Macht ausgeschlossen sind. Eine solche negative Ausgrenzung der Arbeiter ergibt sich nicht. Allein der pauschal höhere Status von Angestellten belegt nicht das Vorliegen einer Diskriminierung. Das höhere Ansehen der Angestellten wurde zum Teil nur mit der rechtlichen Besserstellung und der rechtlichen Manifestation bestehender oder vermeindicher Unterschiede begründet. Die rechtliche Besserstellung der Angestellten ist beseitigt. Durch die noch vorhandenen Gruppenunterschiede entsteht für die Arbeiter kein Nachteil. Es findet sich hier ein Grenzbereich insofern, als eine Unterscheidung, die materiellrechtlich nicht gerechtfertigt ist, auf der organisatorischen Ebene beibehalten wird. Für diese Beibehaltung lassen sich noch Zweckmäßigkeitsargumente anführen. Hier das Verdikt der Verfassungswidrigkeit auszusprechen, erscheint als Akt der Wertung der Unterschiede im Verhältnis zur Ungleichbehandlung als zu hart. Ein Unterscheidungsverbot konnte nicht ermittelt werden. Der Gesetzgeber ist daher nicht gehalten, zwingende Gründe für die unterschiedliche Behandlung anzuführen. Die Ungleichbehandlung auf der Tatbestandsseite ist gerechtfertigt. Es sind keine materiellen, wirtschaftlichen, ideellen oder emotionalen Nachteile für die Arbeiter erkennbar, die zur Verfassungswidrigkeit führen. Der Gesetzgeber hat sich mit der Beibehaltung der verschiedenen Versicherungssysteme in dem ihm zustehenden Entscheidungspielraum gehalten. Gleichwohl ist an den Gesetzgeber der Appell zu richten, den Unterschied auch in der Altersversicherung insofern zu beseitigen, daß in der Organisation nicht mehr zwischen Arbeitern und Angestellten unterschieden wird. Das soziale Prestige, das Angestellte genießen, ist pauschal nicht gerechtfertigt und führt zu einer nicht erwünschten Beurteilung der Handarbeit, die sich auch darin auswirkt, daß lieber Büroberufe als handwerkliche Berufe ergriffen werden. Allgemein besteht die Tendenz, die Gruppenunterschiede einzuebnen. Dies ist in vielen Bereichen, wie z.B. dem Kündigungs- und dem Lohnfortzahlungsrecht, verfassungsrechtlich geboten. Aber auch in Bereichen, in denen kein zwingendes rechtliches Gebot die Angleichung fordert, werden die Un-

487 terschiede verwischt. Auch die Tarifvertragsparteien sowie einige Unternehmen gehen dazu über, die unterschiedlichen Bezeichnungen aufzuheben und individual- sowie kollektivrechtlich eine Gleichstellung herbeizuführen. Es ist dann, auch für die Betroffenen, schwer einzusehen, warum jemand arbeitsrechtlich als Arbeitnehmer eingestuft wird, während er sozialversicherungsrechtlich noch das Prädikat Arbeiter oder Angestellter trägt. Es ist problematisch, ob in einem Vereinheitlichungsprozeß Rückstände dieser Art bleiben sollen. Die Gruppenbildung erfolgt zwar einerseits unabhängig vom Gesetzgeber nach faktischen Gegebenheiten, andererseits ist aber nicht zu verkennen, daß auch der Gesetzgeber durch das Setzen von Daten auf derartige Prozesse Einfluß nehmen kann. Allerdings müßten bei einer Beseitigung der Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten in der Organisation erhebliche Einwände berücksichtigt werden. Die bestehenden Organisationen könnten darauf hinweisen, daß die vorhandene Organisationsstruktur verfassungsrechtlich gesichert sei. Dem ist entgegenzuhalten, daß das Grundgesetz die sozialversicherungsrechtliche Selbstverwaltung weder grundsätzlich noch in ihrer speziellen Ausformung garantiert.40 Ein weiterer Einwand könnte dahin gehen, daß die LVA bei den Ländern ressortieren und die BfA beim Bund. Falls aber das materielle Recht eine einheitliche Regelung gebietet, müßten derartige organisatorische Überlegungen zurückstehen. Offen bliebe dann aber, in welcher Weise eine einheitliche Rentenversicherung organisiert sein sollte.41 Ein weiterer Einwand könnte sein, daß sich Selbstverwaltung am besten im gegliederten System durchführen läßt, auf diese Weise sei auch eine Überschaubarkeit gewährleistet. - Das Argument erfordert jedoch nicht eine Untergliederung nach Arbeitern und Angestellten. Vielmehr könnte man dem auch durch eine regionale Gliederung Rechnung tragen. Im Gegenteil würde die Beseitigung der unterschiedlichen Organisationen

40 BVerfGE 11, S. 310,320; 21, S. 362; 36, S. 383; 39, S. 302, 314 f.; Hendler, in: v. Maydell/Ruland, Sozialversicherungshandbuch, S. 237 f., Rdnr. 42 ff.; Hufen, SDRV 34 (1991), S. 43 ff.; Reiter, Festschrift für Wolfgang Zeidler, S. 597, 612; Schmidt-Aßmann, Gedächtnisschrift für Wolfgang Martens, S. 249,261,263. 41 Nach einem Antrag Bayerns für eine Konferenz der Arbeits- und Sozialminister der Länder soll die BfA abgeschafft werden, und die Angestellten sollen ebenfalls bei den LVA versichert werden, Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 235 vom 10.10.1991, S. 17, Kölner Stadt-Anzeiger Nr. 236 vom 10.10.1991, S. 35.

488 für Arbeiter und Angestellte zu einer größeren Durchschaubarkeit des Systems und zu einer Verwaltungsvereinfachung führen. Schließlich ist der Einwand zu erwarten, das bisherige System habe sich bewährt. Wie jedoch das OLG Düsseldorf zur Fortgeltung der Mitbestimmung zutreffend entschieden hat,42 reicht die Bewährung der bisherigen Strukturen und das Interesse, am Status quo nichts zu ändern, für eine Rechtfertigung nach Art. 3 Abs. 1 GG nicht aus. Im Ergebnis ist festzuhalten, daß derzeit die organisatorische Trennung nach Arbeitern und Angestellten in der Altersversicherung nicht verfassungswidrig ist; sie könnte aber beim Wegfall der noch bestehenden Unterscheidungen verfassungswidrig werden. In jedem Fall sollte der Gesetzgeber den Angleichungsprozeß auch im organisatorischen Bereich absichern. E.

Berufsunfähigkeit

Bei der Prüfung der Frage, ob im geltenden Arbeits- und Sozialversicherungsrecht in einer gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßenden Weise zwischen Arbeitern und Angestellten unterschieden wird, darf nicht nur auf die gesetzlichen Regelungen gesehen werden. Eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung kann auch durch die Gerichte erfolgen, indem sie ein verfassungsgemäßes Gesetz verfassungswidrig auslegen.43 Der Gesetzgeber kann sich in diesem Fall auf den Standpunkt stellen, für diese Entwicklung sei die rechtsprechende Gewalt als eine der drei Teilgewalten in eigener Verantwortung zuständig. Er kann aber auch aktiv werden in der Weise, daß er eine mit der Verfassung übereinstimmende Regelung schafft, die dann auch von den Gerichten nur in dieser Weise ausgelegt werden kann. Das kann bedeuten, daß der Gesetzgeber eine bisher nicht geregelte Frage nunmehr regelt oder daß er eine auslegungsfähige Norm konkretisiert. Eine Ungleichbehandlung zwischen Arbeitern und Angestellten findet sich in der Rechtsprechung der Sozialgerichte in einem Fall, in dem eine inhaltlich gleiche Vorschrift für Arbeiter und für Angestellte gilt (§ 1246

42 OLG Düsseldorf, NJW 1991, S. 1136; a.A. Däubler, Anm. zu diesem Urteil, EWiR § 3 MitbestErgG 1/91, 605, der die historische Entwicklung über den Gleichheitssatz stellt. 43 S.Herzog, Das Bundesverfassungsgericht und die Anwendung einfachen Gesetzesrechts; Wank, JuS 1980, S. 545 ff.; zuletzt Rennen, NJW 1991, S. 12 ff.

489 Abs. 2 Satz 1 RVO, § 23 Abs. 2 Satz 1 AVG; s. jetzt § 43 SGB VI), bei der Auslegung aber jeweils andere Gundsätze zugrundegelegt werden. Für die Berufsunfähigkeit 44 als Versicherungsfall in der Rentenversicherung enthielten § 1246 Abs. 1 RVO und § 23 Abs. 2 Satz 1 AVG je eine übereinstimmende Legaldefinition im Hinblick auf die Beeinträchtigung der Erwerbsfahigkeit. In diesem Zusammenhang ist auf eine Vergleichsperson der Berufsgruppe des Versicherten abzustellen. 45 In einem zweiten Satz bezeichneten die beiden Bestimmungen die Voraussetzungen, nach denen sich richtet, ob der Versicherte - trotz seiner Gesundheitsbeeinträchtigung - noch zu einer Arbeit gezwungen ist. Gesetzgebungstechnisch korrekt müßten die Bestimmungen lauten: Berufsunfahig ist ein Versicherter, dessen Erwerbsfähigkeit im Hinblick auf einen Vergleichsberuf nach Satz 1 gemindert ist und der im Hinblick auf einen Verweisungsberuf nach Satz 2 nicht beschäftigt werden kann. 46

Während der Vergleichsberuf nach Satz 1 sich auf einen (körperlich und geistig gesunden) "Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten" bezieht, umfaßt der Verweisungsberuf nach Satz 2 "alle Tätigkeiten". Sie müssen dem Versicherten jedoch sowohl objektiv als auch subjektiv zumutbar sein, und zwar subjektiv zumutbar "unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung" "sowie seines bisherigen Berufs" "und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit".

Aus diesen drei Kriterien hat das Bundessozialgericht den Leitgedanken entwickelt, daß die neue Tätigkeit nicht zu einem wesentlichen sozialen Abstieg führen darf, insbesondere in den Augen der Umwelt kein wesentlich geringeres Ansehen genießen darf. 47 Entsprechend seiner Aufgabe als Revisionsgericht hat das Bundessozialgericht diesen Leitgedanken konkretisiert und formalisiert. Dabei hat es aber für Arbeiter und für Angestellte eine andere Beurteilung zugrundegelegt. 4 4 Bei der Erwerbsunfähigkeit mit ihrem Bezug auf den allgemeinen Arbeitsmarkt besteht das hier erörterte Problem nur am Rande; s. Bley, Sozialrecht, C III 3 c bb, S. 199 f. 45 Bley, Sozialrecht, C i n 3 b aa, S. 189; Gitter, Sozialrecht, § 17 II 1 a bb, S. 137; Schulin, Sozialrecht, Rdnr. 495 ff., S. 191 ff. 46 Eine klare Unterscheidung der beiden Denkschritte findet sich bei Schulin, Sozialrecht, Rdnr. 497, S. 192; Rdnr. 502, S. 194. 47 BSGE 9, S. 254,258.

490 I.

Das Stufenschema für Arbeiter

Um den sozialen Abstieg von Arbeitern zu umschreiben, ist das Bundessozialgericht ursprünglich von einem Dreistufenschema ausgegangen und hat zwischen anerkannten Lehrberufen, anerkannten Anlernberufen und ungelernten Tätigkeiten unterschieden.48 Dieses Schema wurde in der Folgezeit weiter aufgefächert, so daß man heute von einem Mehrstufenschema sprechen kann. Zusammen mit den Untergruppen ergibt sich: 1. Stufe: besonders hoch qualifizierter Facharbeiter oder Vorarbeiter mit Leitungsfunktion 2. Stufe: anerkannter Lehrberuf (Facharbeiter) 3. Stufe: anerkannter Anlernberuf Tätigkeiten im oberen Bereich der Gruppe sonstige Tätigkeiten 4. Stufe: normale ungelernte Tätigkeit 5. Stufe: einfachste ungelernte Tätigkeit.49

Unzumutbar ist nach der Rechtsprechung ein Abstieg um mehr als eine Stufe.50 Soweit es insoweit um die Frage geht, ob die Entwicklung eines derartigen Schemas zulässiges Richterrecht ist, hat das Bundesverfassungsgericht dies bejaht.51 Vom Bundesverfassungsgericht allerdings nicht angesprochen wurde die hier zu untersuchende Frage, ob dieses Richterrecht auch insoweit verfassungsgemäß ist, als es zwischen Arbeitern und Angestellten unterscheidet. Hierzu ist auf das entsprechende Schema für Angestellte einzugehen. II.

Das Stufenschema für Angestellte

Das Bundessozialgericht war lange Zeit der Meinung, weil bei Angestellten eine entsprechende stufenweise Gliederung fehle, lasse sich das von der Rechtsprechung für Arbeiter entwickelte Schema nicht auf An48 BSGE 9, S. 254. 49 S. die Darstellungen bei Bley, Sozialrecht, C III 3 b bb, S. 192 ff.; Gitter, Sozialrecht, § 18 II 1 a bb. S. 138 ff.; Kolb, Festschrift für Wannagat, S. 223 ff.; Ruland, in: v. Maydell/Ruland, Sozialrechtshandbuch, S.773 f., Rdnr. 114 ff.; Schulin, Sozialrecht, Rdnr. 507 ff., S. 196 ff. 50 BSGE 19, S. 57, 60; 62, S. 74, 76; ausschlaggebend ist die tarifliche Einstufung der Tätigkeit, nicht die Art und Länge der Ausbildung, BSG, Urt. v. 12.9.1991 5 RJ 34/90 -. 51 BVerfGE 59, S. 36.

491

gestellte übertragen.52 Später hat es dann allerdings auch für Angestellte ein Mehrstufenschema entwickelt:53 1. Stufe: besonders qualifizierte Ausbildungsberufe 2. Stufe: sonstige Ausbildungsberufe mit einer über zweijährigen Ausbildung 3. Stufe: Ausbildungsberufe mit einer bis zu zweijährigen Ausbildung 4. Stufe: Angestelltenberufe ohne Ausbildung54.

III.

Die Verfassungsmäßigkeit der Rechtsprechung

Wie der Vergleich der beiden Stufenmodelle nach dem gegenwärtigen Stand der Rechtsprechung zeigt, legt das Bundessozialgericht für Arbeiter und für Angestellte die gleichen Beurteilungsmaßstäbe zugrunde; die beiden Schemata sind in ihrer Struktur einander ähnlich.55 Wenn das Bundessozialgericht dennoch zwei unterschiedliche Schemata verwendet, so nicht, weil es selbst eine Ungleichbehandlung schafft, sondern weil es sich auf vorhandene Qualifikationsstufen bezieht. Der Gesetzgeber selbst hat die verschiedenen Qualifikationsstufen geschaffen, die Tarifparteien haben sie aufgegriffen, die Einstellungspraxis legt sie zugrunde. Von daher folgt das Bundessozialgericht einem sachlichen Differenzierungskriterium. Es intensiviert auch nicht unzulässigerweise bestehende Unterschiede, sondern berücksichtigt sie nur in dem sachlich gebotenen Umfang. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts verstößt somit nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Von daher besteht auch für den Gesetzgeber gegenüber dem Bundessozialgericht jedenfalls aus dem Gesichtspunkt des Art. 3 Abs. 1 GG kein Regelungsbedarf; ob es sich aus Gründen der Rechtssicherheit empfiehlt, die vom Bundessozialgericht entwickelten oder ähnliche Stufenschemata in das Gesetz aufzunehmen, kann im vorliegenden Zusammenhang dahinstehen.

52 BSGE 49, S. 54,56. 53 BSGE 55, S. 45,50; 57, S. 291,298; 59. S. 249,251. 54 S. dazu Bley, Sozialrecht, C III 3 b bb, S. 194; Ruland, in: v. Maydell/Ruland, Sozialrechtshandbuch, S. 733 f., Rdnr. 123 ff.; Schulin, Sozialrecht, Rdnr. 518, S. 200. 55 Vgl. Schulin, Sozialversicherung, Rdnr. 518, S. 200; s. jedoch auch Ruland, in: v. Maydell/Ruland, Sozialrechtshandbuch, S. 775, Rdnr. 128.

13. Kapitel: Unfall-, Arbeitslosen- und Krankenversicherungsrecht A.

Unfallversicherungsrecht

Im Bereich der Unfallversicherung wird keine Unterscheidung mehr zwischen Arbeitern und Angestellten getroffen. Vielmehr geht das Gesetz von einem einheitlichen Arbeitnehmerbegriff aus, vgl. § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO. Sowohl materiellrechtlich als auch auch organisations- und verfahrensrechtlich wird keine Unterscheidung vorgenommen, die an die Gruppenzugehörigkeit eines Arbeitnehmers zu den Arbeitern oder Angestellten anknüpft Verfassungsrechtliche Bedenken unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes bestehen daher in diesem Versicherungsbereich nicht. B.

Arbeitsförderungsrecht

Das Arbeitsförderungsrecht geht weitgehend von einem einheitlichen Arbeitnehmerbegriff aus, so z.B. in §§ 7, 63, 93 AFG oder vom Begriff des Arbeitsuchenden gem. § 20 Abs. 2 AFG. Hinsichtlich der Beitragspflicht wird in § 168 Abs. 1 AFG an die rentenversicherungsrechtlichen Begriffe der Arbeiter und Angestellten angeknüpft, ohne daß damit eine unterschiedliche Behandlung verbunden wäre. Aus den Darlegungen zur Rentenversicherung ergibt sich, daß damit kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG verbunden ist. § 112 Abs. 3 AFG betrifft eine indirekte Unterscheidung bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes als Berechnungsmodus, indem zum einen nach § 112 Abs. 3 Satz 1 AFG auf den Stundenlohn, d.h. auf den Arbeiter, abgestellt wird, nach § 112 Abs. 3 Satz 2 AFG demgegenüber auf den Monatslohn, d.h. auf den Angestellten. Diese Vorschrift ist jedoch nur technischer Natur und knüpft an vorgegebene Maßstäbe an. Sie selbst enthält daher für sich keine verfassungsrechtliche Problematik. In dem Bereich der Förderung der ganzjährigen Beschäftigung in der Bauwirtschaft hingegen, §§ 74 ff. AFG, findet sich eine direkte Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten. Wintergeld nach § 80 AFG und Schlechtwettergeld nach den §§ 83 ff. AFG wird nur Arbeitern gewährt. Insoweit findet sich also eine Ungleichbehandlung zwischen

493 Arbeitern und Angestellten. Diese Ungleichbehandlung ist anhand der entwickelten Kriterien, Differenzierungsmittel, -kriterium und -ziel, auf eine sachliche Rechtfertigung hin zu überprüfen. I.

Schlechtwettergeld

Schlechtwettergeld wird Arbeitern unter bestimmten Voraussetzungen bei witterungsbedingtem Arbeitsausfall von der Bundesanstalt für Arbeit gewährt. Fraglich ist, warum Angestellte von diesen Leistungen ausgeschlossen sind. Eine Überlegung ist, daß in erster Linie Arbeiter an witterungsabhängigen Arbeitsplätzen eingesetzt sind. Dies wird in der Mehrzahl der Fälle zutreffen, aber es ist nicht auszuschließen, daß auch Angestellte, z.B. Aufsichtspersonen, wie Poliere oder Schachtmeister, von derartigen Arbeitsausfällen betroffen sind. Für die Untersuchung der sachlichen Rechtfertigung in diesem Bereich ist das Gesamtgefüge der tarifrechtlichen und arbeitsförderungsrechtlichen Maßnahmen unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse in der Bauwirtschaft zu berücksichtigen. Dazu ist zunächst der Sinn und Zweck der Gewährung von Schlechtwettergeld zu ermitteln. Arbeits- und zivilrechtlich wäre der Arbeitgeber bei witterungsbedingtem Arbeitsausfall nach § 615 BGB zur Lohnfortzahlung verpflichtet, denn dieses Risiko hat der Arbeitgeber zu tragen.1 Dieser Lohnfortzahlungsanspruch ist aber für den Arbeiter in der Bauwirtschaft von nur geringem Nutzen, da gem. § 12 Abs. 1 Bundesrahmentarifvertrag (BRTV) das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung sehr kurzer Kündigungsfristen - sechs Werktage Grundkündigungsfrist - aufgelöst werden kann. Bei einer anhaltenden Schlechtwetterperiode könnte daher der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis ohne größere Schwierigkeiten beenden. Eine solche witterungsbedingte Kündigung hätte mehrere unerwünschte Effekte. Zum einen bestünde für Bauarbeiter eine relativ große Arbeitsplatzunsicherheit, und die Bundesanstalt für Arbeit sähe sich im Winter, in dem ihre Kapazitäten ohnehin schon durch die saisonal bedingte Arbeitslosigkeit aufs äußerste angespannt sind, einer weitergehenden Belastung durch gekündigte Arbeitnehmer der Bauwirtschaft ausgesetzt2. Aus diesen Gründen wird unter bestimmten Voraussetzungen Schlechtwettergeld gewährt, damit das Arbeitsverhältnis bestehen bleibt und die Bundesanstalt verwaltungsmäßig und finanziell entlastet wird3. Gleichzeitig 1 Hennig/Af¿¡W/Heuer/Henke, § 83 AFG, Rdnr. 5. 2 Hennig/ATüW/Heuer/Henke, vor § 83 AFG. 3 Schönefelder/K>anz/Wanka, vor § 83 AFG, Rdnr. 7.

494 können dadurch auch die Leistungsausgaben gesenkt werden. Anstelle des kontinuierlich zu gewährenden Arbeitslosengeldes oder der Arbeitslosenhilfe braucht die Bundesanstalt nur in den Fällen zu leisten, in denen tatsächlich ein Arbeitsausfall besteht. Dieser Ausfall muß sich nicht auf ganze Tage beziehen, sondern kann auch stundenweise abgerechnet werden 4 . Die persönlichen Voraussetzungen 5 für die Gewährung von Schlechtwettergeld sind gem. § 85 AFG u.a., daß der Arbeitsausfall auf einem witterungsabhängigen Arbeitsplatz eintritt und dem Arbeitnehmer für die Zeit des Ausfalls kein Anspruch auf Arbeitsentgelt zusteht. Allgemeine Voraussetzung ist gem. § 83 AFG, daß dem Arbeitnehmer in dieser Zeit nicht aus Witterungsgründen gekündigt werden kann. Diese, hier allein interessierenden Voraussetzungen, sind durch den BRTV erfüllt. Der dem Arbeiter nach § 615 BGB zustehende Lohnanspruch ist gem. § 4 Abs. 5 Nr. 1 BRTV tariflich ausgeschlossen. Die witterungsbedingte Kündigung eines Arbeiters ist gem. § 4 Abs. 5 Nr. 4 BRTV untersagt. So wird durch das Zusammenspiel der tariflichen Regelung und der Normen des Arbeitsförderungsrechts die Voraussetzung dafür geschaffen, daß der Arbeiter Schlechtwettergeld erhält und damit die oben beschriebenen negativen Folgen vermieden werden. Fraglich ist aber, ob es zulässig ist, Angestellte von dieser Regelung auszunehmen. Dazu ist zunächst die Situation der Angestellten in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht zu untersuchen. Der Angestellte in der Bauwirtschaft erhält bei witterungsbedingtem Arbeitsausfall seinen Lohnanspruch nach § 615 BGB; dieser Anspruch ist tarifvertraglich nicht ausgeschlossen. Die Kündigungsfristen des Angestellten richten sich nach den allgemeinen Vorschriften, das bedeutet nach § 622 Abs. 1 BGB und dem Angestelltenkündigungsschutzgesetz; denn nach § 1 Abs. 3 BRTV gilt dieser Tarifvertrag nur für Arbeitnehmer, die eine nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung über die Rentenversicherung der Arbeiter versicherungspflichtige Tätigkeit ausüben. Die Kündigungsfrist der Angestellten ist in der Bauwirtschaft also erheblich länger als die der Arbeiter. Eine witterungsbedingte Kündigung eines Angestellten erfolgt daher in der Regel nicht, da der Arbeitgeber ohnehin für die Zeit der langen Kündigungsfrist das Gehalt fortzahlen muß und der Arbeitskräftebedarf, soweit er witterungsabhängig ist, für diese Zeit nicht absehbar ist. Der Bestand des Arbeitsverhältnisses derjenigen Angestellten in der Bauwirtschaft, die 4 Zu diesen und weiteren Zwecken vgl. BSGE 33, S. 64,65. 5 Vgl. zu den einzelnen Voraussetzungen, die nach der hier zu untersuchenden Fragestellung nicht relevant sind, die Kommentierungen zu §§ 80,83 - 89 AFG.

495 witterungsabhängig eingesetzt werden, z.B. Poliere und Schachtmeister, ist daher bei weitem nicht so gefährdet wie der von Arbeitern, so daß aus Bestandsschutzgründen ein Eingreifen der Bundesanstalt für Arbeit nicht erforderlich ist. Auch der zweite Aspekt, die verwaltungsmäßige Entlastung, trifft auf Angestellte nicht zu, da nur der allergeringste Teil der witterungsabhängig, d.h. auf einer Baustelle Beschäftigten, Angestellte sind. Die Untersuchung hat also ergeben, daß die Differenzierungsziele des Gesetzgebers hinsichtlich der unterschiedlichen Behandlung von Arbeitern und Angestellten bei der Gewährung von Schlechtwettergeld zulässig sind. Zwischen Differenzierungsziel und Differenzierungskriterium besteht auch ein angemessenes Verhältnis, das sich aus der besonderen Situation in der Bauwirtschaft ergibt, die durch die Witterungsabhängigkeit und die tarifvertraglichen Regelungen, vor allem der Kündigungsfristen, gekennzeichnet ist. Die §§ 83 ff. AFG verstoßen daher nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. II.

Wintergeld

Gem. § 80 AFG wird Arbeitern, die in Betrieben des Baugewerbes, in denen die Voraussetzungen des § 83 AFG erfüllt sind, auf einem witterungsabhängigen Arbeitsplatz beschäftigt sind, für die in der Förderungszeit geleisteten Arbeitsstunden Wintergeld gewährt. Auch von den Leistungen des Wintergeldes sind die Angestellten also ausgeschlossen. Als mögliche Differenzierungsziele kommen hier zwei in Betracht. Zum einen soll Arbeitern, die unter schlechten Witterungsbedingungen arbeiten, ein Ersatz von vermuteten Mehraufwendungen pauschal abgegolten werden. Zu denken ist hier vor allem an Schutzvorrichtungen gegenüber Witterungseinflüssen, d.h. Winterschutzkleidung 6 . Zum anderen ist denkbar, daß durch die Gewährung von Wintergeld ein Anreiz geboten wird, trotz schlechter Witterungsbedingungen zu arbeiten und damit die Bundesanstalt für Arbeit von den Leistungen des Schlechtwettergelds zu entlasten 7 . Dies hätte zum einen einen monetären Effekt, der zu einer geringeren Belastung der Versichertengemeinschaft führt, und zum anderen den Effekt, daß auch im Winter Bauvorhaben vorangetrieben werden können. Das erste Differenzierungsziel, den Arbeitern pauschal mehr witterungsbedingte Mehraufwendungen zu ersetzen, betrifft Angestellte in der 6 Schönefelder/ÄVanz/Wanka, § 80 AFG, Rdnr. 3. 7 BT-Drucks. VI/3261, S. 3.

496 gleichen Weise. Es ist nicht einzusehen, daß Arbeiter einen Zuschuß erhalten, während Angestellte leer ausgehen. Diese Form von Ungleichbehandlung ist inzwischen von einigen Tarifvertragsparteien beseitigt worden. Auch angestellte Poliere erhalten von ihrem Arbeitgeber ein Wintergeld.8 Das zweite Differenzierungsziel, die Bundesanstalt von Leistungen zu entlasten, ist zulässig. Zwar dürfen wirtschaftliche Erwägungen nicht zu Lasten nur einer Gruppe gehen9, aber die Leistung von Schlechtwettergeld kommt auch nur den Arbeitern zugute. Die Bevorzugung der Arbeiter ist nur auf dem arbeitsförderungsrechtlichen Hintergrund zu verstehen. Nur sie erhalten, wie oben dargestellt, Schlechtwettergeld für Arbeitsausfall. Diese aus den oben ausgeführten Gründen erforderlichen Leistungen erreichen eine enorme Höhe.10 Die Regelungen zum Wintergeld korrespondieren mit den Regelungen zum Schlechtwettergeld. Die Möglichkeit, durch Arbeit während des Förderungszeitraums im Winter ein höheres Arbeitsentgelt zu erzielen, soll einen Anreiz zur Reduzierung der Ausfalltage bieten.11 Eng damit verzahnt ist die Regelung des § 85 Abs. 1 Nr. 2 AFG, die das Schlechtwettergeld betrifft. Damit soll sichergestellt werden, daß der mit der Einführung des Wintergeldes getroffene Abstand zwischen den bei Arbeit erzielbaren Einkünften und dem bei Arbeitsausfall zu gewährenden Schlechtwettergeld mit der tariflichen Vereinbarung eines Winterlohns für Ausfallzeiten nicht wieder unangemessen wegfällt12 und damit der Anreiz zur Arbeitsleistung wieder verringert wird. Die Gewährung des Wintergeldes soll daher die zu Recht zwischen Arbeitern und Angestellten differenzierende Regelung über das Schlechtwettergeld ergänzen. Die durch die Gewährung des Wintergeldes angestrebten Ziele sind zulässig und vor dem Hintergrund der enormen Belastung der Bundesanstalt für Arbeit, d.h. der Versichertengemeinschaft, auch sachlich angemessen. Insgesamt stellen daher die Regelungen zur Förderung der ganzjährigen Beschäftigung in der Bauwirtschaft ein ausgewogenes System dar, das nur zusammenhängend be-

8 Schönefelder/Aranz/Wanka, § 80 AFG, Rdnr. 7. 9 BVerfG, NJW 1991, S. 2246,2248. 10 Schönefelder/Xranz/Wanka, vor § 83 - 89 AFG, Rdnr. 5; Hennig/KuW/Heuer/ Henke, Vorbemerkung zu §§ 83 - 89 AFG: 1,6 Mid. DM 1978/79; 277 Mio. DM 1988/89. 11 BT-Drucks. VI/3261, S. 3. 12 BT-Drucks. VI/3261, S. 5.

497 urteilt werden kann.13 Auch die Differenzierung zwischen Arbeitern und Angestellten bei der Gewährung des Wintergeldes ist daher zulässig und sachlich begründet. Somit verstoßen auch diese Regelungen nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. C.

Krankenversicherungsrecht

In der Krankenversicherung sind die letzten materiellrechtlichen Unterschiede zwischen Arbeitern und Angestellten durch das Gesundheitsreformgesetz14 abgeschafft worden; insbesondere wurde auch für Arbeiter eine Versicherungspflichtgrenze gem. § 6 Nr. 1 SGB V eingeführt. Die Möglichkeiten einzelner Krankenkassen, speziell der Ersatzkassen, in gewissem Umfang in ihren Satzungen abweichende Regelungen, z.B. zum Leistungsspektrum, zu treffen, sind ebenfalls abgeschafft. Im Organisationsrecht wurde weiterhin die gegliederte, diversifizierte Kassenorganisation beibehalten. Es gibt weiterhin Allgemeine Ortskrankenkassen, Betriebskrankenkassen, landwirtschaftliche Krankenkassen, Innungskrankenkassen (sog. frühere RVO-Kassen, heute Primärkassen) und die Ersatzkassen für Arbeiter und Angestellten (sog. Sekundärkassen), die Bundesknappschaft und die Seekrankenkasse. In den Krankenkassen sind (Stand 1. Juli 1990) ca. 37,8 Millionen Mitglieder (davon 22,3 Millionen Pflichtmitglieder) versichert. Der größte Teil, ca. 16,1 Millionen (9,6 Millionen Pflichtmitglieder) sind in den Allgemeinen Ortskrankenkassen versichert. Die IKK haben ca. 2 Millionen (1,4 Millionen), die BKK 4,3 Millionen (2,4 Millionen), die Seekrankenkasse 48.000 (21.000), die Bundesknappschaft 950.000 (215.000), die Arbeiterersatzkassen ca. 640.000 (450.000), die Ersatzkassen für Angestellte 12,5 Millionen (7 Millionen) Mitglieder.15 In der gesetzlichen Krankenversicherung hat sich im Laufe der Zeit eine erhebliche Mitgliederverschiebung zugunsten der Ersatzkassen vollzogen. Der prozentuale Anteil dieser Kassen an den Versicherten in der GKV ist erheblich gestiegen. Der wichtigste Faktor für diese Entwicklung ist die Verschiebung im Verhältnis von Arbeiter- zu Angestelltenbeschäftigungen. Wegen des weit gezogenen Mitgliederkreises der Ersatzkassen für Ange13 Dies gilt auch, wenn man den relativ geringen Effekt beachtet, den diese Regelungen bisher erzielt haben. Die Kritik muß aber eher bei den Einzelheiten der Regelung ansetzen, als an den Grundüberlegungen, die diese Regelungen tragen. 14 BGBl. 1,1988, S. 2477. 15 Arbeits- und Sozialstatistik, 1990, S. 159.

498 stellte führte dies zu einer Mitgliederwanderung von RVO-Kassen zu den Ersatzkassen. Ein weiterer Faktor für eine Mitgliederverschiebung sind die früheren Privilegien der Ersatzkassen, die im allgemeinen Bewußtsein noch fortleben, jedoch durch die weitgehende Angleichung des Rechts der Ersatzkassen an das der RVO-Kassen keine Bedeutung mehr haben. 16 Insgesamt gibt es 15 Ersatzkassen, davon sind 8 Arbeiter- und 7 Angestelltenersatzkassen. Verfassungsrechtlich problematisch ist auch hier die unterschiedliche Zuordnung der Mitglieder der gesetzlichen Sozialversicherung. Der organisationsrechtliche Unterschied wird aber in der Krankenversicherung durch weitere Kriterien vertieft. So steht den Angestellten ein Wahlrecht zu (sofern sie nicht zwingend einer Spezialkrankenkasse, wie einer Betriebskrankenkasse oder der Seekrankenkasse, zugeordnet sind) zwischen der Allgemeinen Ortskrankenkasse und einer Ersatzkasse. Dieses Wahlrecht ist nicht nur ein formaler Vorteil, sondern auch eine materielle Begünstigung wegen der unterschiedlichen Beitragshöhe in den Krankenkassen. Angestellte können weitgehend die für sie günstigste Krankenkasse aussuchen. Die Beiträge der Krankenkassen differieren von ca. 10,6 bis ca. 14,7%17. Die Beitragsunterschiede sind wiederholt unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten geprüft worden. Eine Verfassungsbeschwerde ist beim Bundesverfassungsgericht anhängig. Maßstab für die verfassungsrechtliche Überprüfung war auch der Gleichheitssatz.18 Ausgangspunkt der Überprüfung war jedoch ein Vergleich der Kassen. Die ungleichen Beitragssätze sah das Bundessozialgericht als notwendige Folge eines gegliederten Aufbaus der Krankenversicherung an. 19 Die Gründe für die unterschiedlichen Beiträge lagen nach Ansicht des Bundessozialgerichts in den unterschiedlichen Grundlohnsummen, unterschiedlichen Risiken sowie den ungleichen Verwaltungskosten. 20 Dabei könnten sich mehrere ungünstige Faktoren häufen und zu einem ungünstigen Beitragsniveau führen. Die einzelnen Faktoren unterlägen allerdings einem ständigen Wandel und könnten für sich allein nicht er16 Kasseler KommeMar-Peters, § 168 SGB V, Rdnr. 6. 17 Dies sind Landesdurchschnittswerte, Arbeits- und Sozialstatistik 1990, S. 161; in Einzelfällen kann der Beitragsunterschied bis zu 10% betragen; vgl. Meydam, SGb. 1988, S. 135; Oldiges, in: Hromadka, Gleichstellung, S. 151; zur Entstehung der einzelnen Kosten und deren Beitrag zur Kostenentwicklung s. KopslJaschke, Jahrbuch für Sozialwissenschaft 1987, S. 85. 18 BSGE58.S. 134. 19 BSGE 58, S. 134, 144; zur geschichtlichen Entwicklung s. die gleiche Entscheidung, S. 137 ff. 20 Vgl. dazu Preiser/Weber, Arbeit und Sozialpolitik 1988, S. 39 ff.

499 mittelt werden.21 Letztendlich könnten unter Berücksichtigung der historischen Entwicklung, der vielfältigen Ursachen für Beitragssatzunterschiede und einer nicht einheitlich zu beurteilenden Ausgleichsbedürftigkeit der einzelnen Faktoren die Beitragsunterschiede nicht als unzumutbar angesehen werden22. In diesem Urteil und der dadurch ausgelösten Diskussion in der Literatur wurde in erster Linie auf den Wettbewerb der Krankenkassen abgestellt und nur indirekt auf den Standpunkt des betroffenen Versicherten. Je nach Sichtweise der einzelnen Autoren wurde eine Ausgleichsbedürftigkeit oder eine Wettbewerbsverzerrung bejaht oder verneint.23 Nicht im Blick der Untersuchung war die Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten. Arbeiter sind, wenn sie nicht einer Arbeiterersatzkasse, Innungskrankenkasse oder Betriebskrankenkasse angehören, regelmäßig in der AOK pflichtversichert. Angestellte hingegen können zwischen der AOK und einer Ersatzkasse wählen. Arbeiter können nur insofern zu einer Ersatzkasse wechseln, als sie einer speziellen Branche angehören, die eine Ersatzkasse hat24. Bei Angestellten hingegen besteht Wahlfreiheit. Im folgenden wird der Einfachheit halber von der Wahlfreiheit der Angestellten und fehlender Wahlmöglichkeit der Arbeiter gesprochen. Dies ist eine Vereinfachung, die der Realität nicht ganz entspricht. Auch Arbeiter können unter bestimmten Voraussetzungen wählen, und nicht jeder Angestellte kann zu jeder Ersatzkasse wechseln, da manche nur regional oder branchenspezifisch arbeiten, wie z.B. die Technikerkrankenkasse. Grundsätzlich hat aber jeder Angestellte die Möglichkeit, einer Ersatzkasse oder der AOK anzugehören, während die allermeisten Arbeiter nicht zu einer Ersatzkasse wechseln können. Außer Betracht bleiben für diese Untersuchung auch die weiteren Krankenkassen, bei denen keine Unterschiede bestehen. Sind die Beiträge in der AOK höher als in einer Ersatzkasse (was in vielen Fällen die Regel ist), so kann der Angestellte wechseln. Der Arbeiter kann dies nicht. So kann der Angestellte das für ihn günstigste Angebot auswählen und für den Fall, daß die Beiträge der Ersatzkasse die der AOK wieder übersteigen, wieder zurück zur AOK gehen. Dabei können spürbare Unterschiede auftreten, die bis zu 1.800 DM jährlich aus-

21 22 23 24

BSGE 58, S. 134,148. BSGE 58, S. 134,150. Brunkhorst, DOK 1987, S. 16 ff.; Rehkopf, Ersatzkasse (ErsK), 1982, S. 294. Vgl. Oldiges, in: Hromadka, Gleichstellung, S. 142.

500 machen können.25 Unter diesen Vorgaben hat die verfassungsrechtliche Prüfung zu erfolgen. Arbeiter und Angestellte werden ungleich behandelt durch die für Angestellte ungleich höhere Wahlfreiheit. Aus dieser Ungleichbehandlung erfolgt auch ein Nachteil, da Angestellte auf diese Weise zu geringeren Beitragslasten gelangen können. Diese Ungleichbehandlung ist wiederum nur zulässig, wenn ein zulässiges Differenzierungskriterium, ein Differenzierungsmittel und ein zulässiges Differenzierungsziel vorliegen und wenn zwischen Differenzierungskriterium und -ziel ein Legitimationszusammenhang vorliegt und der rechtfertigende sachliche Grund in einem angemessenen Verhältnis zur Ungleichbehandlung steht. Das Differenzierungskriterium ist die unterschiedliche Gruppenzugehörigkeit der Arbeitnehmer. Das Mittel ist hier die Wahlmöglichkeit für Angestellte. Als mögliche Differenzierungsziele kommen verschiedene Gesichtspunkte in Betracht, die historische Entwicklung, daß Krankenkassen eine homogene Risikogemeinschaft der Versicherten bilden, der Wettbewerb der Krankenkassen sowie fehlende Ausgleichsmöglichkeiten oder gar ausgleichsfeindliche Faktoren, die die Beitragssätze bedingen, die systembedingt und daher hinzunehmen sind. Bei der Prüfung des Legitimationszusammenhangs als erster Stufe fließen auch Gesichtspunkte mit ein, die die sachliche Rechtfertigung der Ungleichbehandlung betreffen. Als Rechtfertigungsmöglichkeiten hat das Bundessozialgericht einige Gründe genannt, ohne daß das Gericht zwischen dem Legitimationszusammenhang und der Rechtfertigungsebene klar unterschieden hat. Zunächst führt das Bundessozialgericht die historische Entwicklung des Krankenversicherungswesens an.26 Der Gesetzgeber hat auch hier auf dem vorgefundenen diversifizierten Modell aufgebaut. Insofern besteht eine Parallele zum Rentenversicherungsrecht. Hier geht es jedoch nicht nur um die Zuordnung zu einem bestimmten Versicherungsträger, die nach der Arbeitnehmereigenschaft Arbeiter oder Angestellte vorgenommen wird, sondern um die einer Gruppe eingeräumte Wahlmöglichkeit, also ein zusätzliches Kriterium und die damit zusammenhängenden Unterschiede. Es ist nicht ersichtlich, daß ein Legitimationszusammenhang zwischen der Art der Arbeitnehmereigenschaft und der nahezu exklusiven Wahlmöglichkeit für Angestellte bestehen soll. Die historische Entwicklung kann daher die bestehende Ungleichbehandlung nicht rechtfertigen.

25 Behrends/Brunkhorst, SGb. 1987, S. 233. 26 BSGE 58, S. 134.

501 Ein weiteres angeführtes Argument ist, daß jede Kasse eine Solidargemeinschaft bilde, die auf einer homogenen Versichertengruppe beruhe, die aufgrund gemeinsamer Interessenlage zu einem sozialrechtlichen Haftungsverband zusammengeschlossen sei. Bereits die Prämissen dieses Arguments sind sehr zweifelhaft. Es ist fraglich, ob bei den Versicherten einer Krankenkasse von einer homogenen Risikogemeinschaft die Rede sein kann.27 Die Mitgliederkreise sind ständig ausgeweitet worden, und auch die bestehende Wahlfreiheit einiger Mitglieder der "Risikogemeinschaft" konterkariert diese Idee. Nicht zu rechtfertigen ist aber vor allem, daß ein Teil der Versicherten die Solidargemeinschaft - sofern eine solche überhaupt besteht - verlassen darf und ein anderer Teil nicht. Von Homogenität und Haftungsverband kann dort nicht die Rede sein, wo die einen gehen können, um sich günstigere Bedingungen auszusuchen, die anderen aber bleiben müssen. Auch dieser Gedanke vermag daher nicht die bestehende Ungleichbehandlung zu rechtfertigen. Es fehlt bereits am Legitimationszusammenhang, da wiederum nicht einsichtig ist, daß Angestellte das Privileg erhalten, die Krankenkasse zu wechseln, wenn die Versichertengemeinschaft in Schwierigkeiten gerät. Weiterhin könnte man daran denken, daß auf die jetzt bestehende Weise der Organisation ein effektiver Wettbewerb der Kassen gefördert wird, der allen Versicherten bei Preis und Leistung zugutekommt. Nicht einsehbar ist aber wiederum, daß nur Angestellte die Wahlfreiheit haben und daher zum umworbenen Kreis der Versicherten gehören. Das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich festgestellt, daß Effekte, die die Unterscheidung hervorbringt, z.B. Kosteneinsparung oder Wettbewerb, nicht zu Lasten einer Gruppe gehen dürften.28 Weiterhin könnte sich ein Legitimationszusammenhang ergeben, weil, wie das Bundessozialgericht sagt, Unterschiede bereits im System angelegt sind (Risikostruktur, unterschiedliche ärztliche Honorare29) und die Faktoren, die die Beiträge beeinflußen, zeitlichem Wandel unterliegen und es Faktoren gibt, die ausgleichsfeindlich sind, wie z.B. unterschiedlich hohe Verwaltungskosten. Diese Argumentation ist jedoch nicht schlüssig. Den im System angelegten Unterschieden kann der Angestellte entkommen, der Arbeiter aber nicht. Sicherlich sollen Krankenkassen, die hohe Verwaltungskosten haben, nicht unterstützt werden und auf Kosten anderer Organisationen einen Ausgleich für ihre 27 Behrends/Brunkhorsl, SGb. 1987, S. 234. 28 BVerfG, NJW 1990, S. 2246,2248. 29 BSGE 58, S. 134,145 f.

502 schlechte Wirtschaftsführung erhalten. Es ist aber entgegen der Ansicht des Bundessozialgerichts möglich30, zwischen den Ausgaben für die medizinische Versorgung und den Verwaltungskosten zu trennen, und dem Aspekt der Ungleichbehandlung zwischen Arbeitern und Angestellten wird mit diesem Argument überhaupt nicht Rechnung getragen. Daraus ergibt sich, daß das bestehende System der Krankenversicherung mit der Wahlmöglichkeit für Angestellte verfassungsrechtlich nicht zu halten ist, da aus dieser Gestaltung der Organisation eine ungerechtfertigte Bevorzugung der Angestellten resultiert. Es könnte jedoch sein, daß die jetzt noch bestehenden Unterschiede zwischen den allgemeinen Ortskrankenkassen und den Ersatzkassen - vor allem in der Beitragshöhe - eine Übergangserscheinung sind, die sich mit der Zeit verwischt, so daß nach einer Übergangsperiode die unterschiedliche Zuordnung zu den Krankenkassen eine rein organisatorische Unterscheidung wie in der Rentenversicherung bildet und daß das Wahlrecht der Angestellten ebenfalls zu einer bloßen Formalie erstarrt Nach früherem Recht hatten die Ersatzkassen weitergehende Rechte als die sog. RVO-Kassen bezüglich der Gestaltung ihrer Satzungen, die auch Einfluß auf die Beitragshöhen und ihre Leistungen hatten.31 Diese Unterschiede sind jedoch abgeschafft, das Leistungsspektrum ist gesetzlich festgeschrieben. Ersatzkassen sind insoweit den anderen Krankenkassen gleichgestellt (Unterschiede bestehen allerdings noch insoweit, als nur die AOK am Ausgleichsverfahren teilnehmen). Deshalb könnte sich eine Angleichung der Beiträge einstellen. Dies ist jedoch nicht zu erwarten. Es existieren verschiedene Faktoren, die eine solche Entwicklung unwahrscheinlich machen. Dies zeigen schon die Beitragsunterschiede in den einzelnen Ortskrankenkassen, für die seit jeher das gleiche Recht galt. Die Beitragshöhe wird nämlich nicht nur vom materiellen Recht, sondern auch von Faktoren bestimmt, auf die das Recht keinen Einfluß nehmen kann32. Eine isolierte Betrachtung der einzelnen Faktoren verbietet sich, da die Beitragshöhe sich aus dem Zusammenspiel der einzelnen Kriterien ergibt. Dennoch sei als ein Beispiel die Grundlohnsumme herausgegriffen. Der Durchschnittsverdienst der Angestellten ist höher als der der Ar-

30 Vgl. dazu Meydam, SGb. 1988, S. 135, 137, der u.a. die Auswirkungen von regional hoher Arbeitslosigkeit auf die Risikostruktur von Krankenkassen analysiert; vgl. auch KopslJaschke, Jahrbuch für Sozialwissenschaft 1987, S. 85. 31 Nachw. bei Kasseler Kommentar-Perers, § 168 SGB V, Rdnr. 4. 32 Meydam, SGb. 1988, S. 135.

503 beiter.33 Um die gleichen Einnahmen zu erhalten, muß daher die Ortskrankenkasse, in der vorwiegend Arbeiter versichert sind, prozentual höhere Beiträge vom Einkommen ihrer Mitglieder einbehalten als dies eine Ersatzkasse muß, bei der die Grundlohnsumme der Mitglieder höher ist. Nach geltendem Recht kann daher die Ungleichbehandlung nicht beseitigt werden. Dies ist auch nicht möglich durch die Neugründung von Arbeiterersatzkassen, um so Arbeitern eine weitergehende Wahlmöglichkeit einzuräumen. Neue Ersatzkassen dürfen schon seit langem nicht mehr gegründet werden. Dies ergibt sich nach dem SGB V aus dem Gegenschluß zu §§ 147, 158 SGB V. Für Ersatzkassen fehlen Gründungs- und Errichtungsvorschriften, wie sie für Betriebskrankenkassen und Innungskrankenkassen vorhanden sind.34 Der Gesetzgeber muß jedoch die Ungleichbehandlung aufheben und im Rahmen einer Organisationsreform auch das Spannungsverhältnis zwischen Arbeitern und Angestellten berücksichtigen. Denkbar wäre ein kassenübergreifendes Finanzausgleichssystem, die Ausdehnung der Wahlfreiheit und eine Öffnung der Krankenkassen mit Kontrahierungszwang.35 Stützt sich der Gesetzgeber nur auf eine der genannten Möglichkeiten, so ist mit sozial unerwünschten Begleiterscheinungen, wie z.B. der Schließung von Krankenkassen, zu rechnen. Soll das gegenwärtige diversifizierte System beibehalten werden, wird eine Kombination der verschiedenen Möglichkeiten die wohl beste Lösung darstellen.36 Die schon lange erwartete Organisationsreform in der Krankenversicherung könnte durch die Forderung nach Gleichbehandlung der Arbeiter und Angestellten vorangetrieben werden. Abzuwarten bleibt auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den unterschiedlichen Beitragshöhen. Es ist möglich, daß auch das Bundesverfassungsgericht durch Setzung einer Frist die Entwicklung beschleunigt und in seinem Urteil Vorgaben macht, wie eine eventuelle Organisationsreform auszusehen hätte.

33 Arbeits- und Sozialstatistik, 1990, S. 89 ff.; Sozialpolitische Umschau Nr. 241/1991 v. 3.6.1991. 34 Kasseler Kommentar-feiers, § 168 SGB V, Rdnr. 5. 35 Nicolay/Knips, in: Sozialrechtshandbuch-Krankenversicherung, Rdnr. 91. 36 Hoffmann, Sozialer Fortschritt 1988, S. 11 ff.; Meydam, SGb. 1988, S. 135 ff.; Nicolay/Knips, in: Sozialrechtshandbuch-Krankenversicherung, Rdnr. 91; weitere Reformvorschläge aus der Sicht der AOK bei Oldiges, in: Hromadka, Gleichstellung, S. 152 ff, 156; Meydam, SGb. 1988, S. 135,138 f.

4. Teil: Die Definition des Arbeiters und des Angestellten 14. Kapitel: Die Definition des Arbeiters und des Angestellten Wie dargelegt, spielt die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten sowohl im Arbeitsrecht als auch im Sozialversicherungsrecht eine Rolle. Die Untersuchung hat ergeben, daß auch in der absehbaren Zukunft diese Unterscheidung nicht gänzlich beseitigt werden kann. Zwar kommt es, wenn die hier dargelegten Vorschläge verwirklicht werden, im Bereich des Kündigungsrechts, des Lohnfortzahlungsrechts und des Rechts der nachvertraglichen Wettbewerbsverbote zu einer materiellrechtlichen Gleichstellung beider Gruppen. Auch weiterhin hätten aber Tarifverträge die Möglichkeit, falls hierfür im Einzelfall sachliche Gründe bestehen, die Differenzierung zwischen beiden Gruppen aufrechtzuerhalten. Darüberhinaus würde auch im Recht der Mitbestimmung sowie im Organisationsrecht der Sozialversicherung die Differenzierung fortbestehen können. Das bedeutet, daß es auch weiterhin erforderlich ist, geeignete Abgrenzungskriterien zu entwickeln. A.

Die Abgrenzung im Sozialversicherungsrecht

I.

Rentenversicherung und Angestelltenversicherung

Soweit es im Verhältnis von Arbeitern zu Angestellten überhaupt Definitionen gibt, beziehen sie sich allein auf den Angestellten. Der Arbeiterbegriff ergibt sich daher als Restbegriff in der Weise, daß er alle Arbeitnehmer umfaßt, die nicht Angestellte sind.1 Daher ist im folgenden zunächst vom Angestelltenbegriff auszugehen. Eine "klassische" Definition des Angestellten i.S. eines Vorgehens nach der Methode genus proximum und differentia specifica2 - also z.B.: "Angestellter ist ein Arbeitnehmer, der überwiegend Kopfarbeit leistet" enthält das Sozialversicherungsrecht nicht. Vielmehr legt es eine 1 Schulin, Sozialrecht, Rdnr. 421. 2 S. Aristoteles, Zweite Analytik; aus neuerer Zeit Egon Schneider, Logik für Juristen, S. 22 ff., 34 ff.; Wank, Die juristische Begriffsbildung, S. 51 ff.

505 "aufzählende Definition"3 zugrunde. Dabei folgt das Gesetz zwei Gliederungsgesichtspunkten, dem einer aufzählenden Definition nach Berufsarten und dem einer aufzählenden Definition nach Berufen. 1. §3 Abs. 1 AVG, "insbesondere" § 3 AVG zählte in Absatz 1 auf, wer "insbesondere" zu den Angestellten gehörte, nämlich: "1. Angestellte in leitender Stellung, 2. technische Angestellte in Betrieb, Büro und Verwaltung, Werkmeister und andere Angestellte in einer ähnlich gehobenen oder ähnlichen Stellung, 3. Büroangestellte, soweit sie nicht ausschließlich mit Botengängen, Reinigung, Aufräumung und ähnlichen Arbeiten beschäftigt werden, einschließlich Werkstattschreiber, 4. Handlungsgehilfen und andere Angestellte für kaufmännische Dienste, auch wenn der Gegenstand des Unternehmens kein Handelsgewerbe ist, Gehilfen und Praktikanten in Apotheken."

Hier wird also nach der Art der Tätigkeit, ohne Zusammenhang mit einem bestimmten Beruf, differenziert, und zwar kommt es danach auf leitende, technische, büromäßige und kaufmännische Tätigkeit an ( § 1 Satz 1 SGB VI hat die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten beseitigt; sie besteht jedoch in §§ 127 ff. weiter). Im weiteren Verlauf legte § 3 Abs. 1 AVG eine Definition nach Berufen zugrunde; Angestellte waren danach (s. jetzt § 133 Abs. 2 SGB VI): "5. Bühnenmitglieder und Musiker ohne Rücksicht auf den künstlerischen Wert ihrer Leistungen, 6. Angestellte in Berufen der Erziehung, des Unterrichts, der Fürsorge, der Krankenund Wohlfahrtspflege, 7. Schiffsführer, Offiziere des Decks- und Maschinendienstes, Schiffsärzte, Funkoffiziere, Zahlmeister, Verwalter und Verwaltungsassistenten sowie die in einer ähnlich gehobenen und höheren Stellung befindlichen Mitglieder der Schiffsbesatzung von Binnenschiffen oder deutschen Seefahrzeugen, 8. Bordpersonal der Zivilluftfahrt."

Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften sind nach § 3 Abs. 1 a AVG ausdrücklich von der Angestellteneigenschaft ausgenommen (s. jetzt § 1 Satz 3 SGB VI). 2. Berufsgruppenverzeichnis Die "insbesondere"-Definition läßt bereits ihre Unvollständigkeit erkennen. Insoweit ermächtigte § 1 Abs. 3 AVG den Bundesminister für Arbeit, ein Berufsgruppenverzeichnis zu erlassen. Der Bundesminister für Arbeit hat von dieser Ermächtigung bisher keinen Gebrauch gemacht. 3 Wank, Die juristische Begriffsbildung, S. 53.

506 Vielmehr gilt weiterhin das Berufsgruppenverzeichnis vom 8.3.19244, geändert durch VO vom 4.2.und 15.7.19275. 3. Allgemeine Kriterien Soweit eine berufliche Tätigkeit nach diesen Bestimmungen nicht der Gruppe der Arbeiter oder der Angestellten zugerechnet werden kann, verbleibt nur der Rückgriff auf allgemeine Kriterien. a) Verkehrsanschauung Rechtsprechung und Literatur greifen insoweit vielfach auf die Verkehrsanschauung zurück.6 Das setzt voraus, daß es zu einem Rechtsbegriff jeweils überhaupt eine "Parallelwertung in der Laiensphäre" gibt. Das ist beispielsweise in bezug auf Büroheimarbeiter nicht der Fall, so daß sich die Rechtsprechung zu Unrecht auf die Verkehrsanschauung beruft.7 Im Hinblick auf die Gruppe der Arbeiter und der Angestellten gibt es dagegen eine Verkehrsanschauung8; jedoch ist auch sie wiederum in Zweifelsfällen rechtlich geprägt: Weil die Gerichte bestimmte Tätigkeiten zu den Angestelltentätigkeiten rechnen, deshalb richtet sich auch die Praxis auf diese Kategorisierung ein. Als Inhalt einer gesetzlichen Regelung ist der Bezug auf die Verkehrsanschauung nur dann geeignet, wenn es um originäres, nicht juristisch vorgeprägtes Bewußtsein geht, dem der Gesetzgeber Rechnung tragen will. Wenn aber die Aufgabe des Gesetzgebers eigentlich darin besteht, die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten aufzuheben oder jedenfalls ihre Aufhebung zu beschleunigen, empfiehlt sich kein Rückgriff auf ein überholtes Bewußtsein. b) Hand- und Kopfarbeit Üblicherweise wird im übrigen in der Weise abgegrenzt, daß die überwiegende Ausübung von geistiger Arbeit den Angestellten, die überwiegende Ausübung von körperlicher Arbeit den Arbeiter charak-

4 RGBl. I,S. 274 5 RGBl. I, S. 222; Weitergeltung nach BGBl. III 821 - 1 -1. 6 BAG, AP Nr. 3 und Nr. 5 zu § 59 HGB; Btey, Sozialrecht, C II 2 dd, S. 130; Schulin, Sozialrecht, Rdnr. 421. 7 KriL Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, S. 170,172. 8 S. oben 12. Kap. CIV.

507 terisiert.9 Ob dieses Kriterium den historischen Gegebenheiten oder einer soziologischen Einteilung entspricht, kann dahinstehen. Da es keinen Begriff "an sich" gibt, sondern stets nur teleologische Definitionen,10 ist entscheidend, ob die Definition für ihren jeweiligen Verwendungszweck geeignet ist. Da hier eine juristische Definition gesucht wird, kommt es also darauf an, ob die Abgrenzung für diejenigen Rechtsbereiche geeignet ist, in denen der Unterschied von Bedeutung ist. Da sich die "Ausgangsdefinition" im Recht der Renten- und der Angestelltenversicherung findet und alle anderen Definitionen darauf bezug nehmen, fragt sich, worin in der Rentenversicherung der Sinnzusammenhang zwischen der Zurechnung zu den Arbeitern oder Angestellten und der Rechtsfolge der Anwendung des Arbeiterrenten- oder des Angestelltenversicherungsrechts besteht. Wie dargelegt11, ist im materiellen Recht kein Unterschied mehr vorhanden. Es bleibt allein der organisatorische Unterschied, der letztlich nur historisch und soziologisch begründbar ist. Dann hat es aber auch keinen Sinn, die Unterscheidung anders als historisch oder soziologisch zu treffen. Es kann nur darum gehen, eine für das Rechtsleben überholte Unterscheidung auslaufen zu lassen. Der Fall liegt ähnlich wie beim Mitbestimmungsergänzungsgesetz:12 Unternehmen, die eigentlich längst den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit auf anderen Gebieten als im Bereich der Montanindustrie haben, bleiben aus politischen Gründen weiterhin Montanunternehmen i.S. des Montanmitbestimmungsgesetzes. Da es dafür keine anderen sachlichen Gründe gibt, kann allein darauf bezug genommmen werden, daß sie einmal Montanunternehmen waren.13 Der Begriff des Arbeiters ergibt sich als Restgröße dadurch, daß alle Arbeitnehmer, die nicht Angestellte sind, Arbeiter sind. Allerdings enthielt das Gesetzesrecht der Arbeiterrentenversicherung nicht einmal diese bescheidene Aussage. § 1227 Abs. 1 Nr. 1 RVO formulierte vielmehr falschlich: "In der Rentenversicherung der Arbeiter werden versichert 1.

alle Personen, die als Arbeitnehmer gegen Entgelt ...beschäftigt sind."

9 BAG, AP Nr. 3 zu § 59 HGB; Brackmann, Handbuch, S. 320 d f.; 304 i ff.; Bley, Sozialrecht, C II 2 dd, S. 130; Gitter, Sozialrecht, § 71, S. 61; Schulin, Sozialrecht, Rdnr.421. 10 Wank, Die juristische Begriffsbildung, S. 77 ff., 110. 11 S. oben 2. Teil. 12 BGBl. 1 1956, S. 707. 13 S. zur Problematik Friauf, Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes zur Sicherung der Montan-Mitbestimmung.

508 Es hätte formuliert werden müssen: "...werden versichert alle Personen, die als Arbeiter..."

oder, bei sonst gleichbleibendem Text,

"... soweit sie nicht Angestellte i.S. des AVG sind."

(Nunmehr geht § 1 SGB VI von einem einheitlichen Beschäftigungsbegriff aus; s. jedoch §§ 127 ff.). II.

Andere Zweige der Sozialversicherung

Das Recht der Krankenversicherung enthält nur eine "Gebrauchsdefinition"14 der Arbeiter und der Angestellten; d.h. diese Begriffe werden zwar im Gesetz verwandt, aber nicht definiert. Es besteht aber Einigkeit darüber, daß in der gesamten Sozialversicherung von einem einheitlichen Begriff des Arbeiters und des Angestellten auszugehen ist. Das ist angesichts der "Relativität der Rechtsbegriffe"15 keineswegs selbstverständlich.16 Für die Auslegung des SGB V ist die Frage allerdings insofern unerheblich, als das Krankenversicherungsrecht an diese Unterscheidung keine unterschiedlichen Rechtsfolgen knüpft. Die Unfallversicherung nimmt auf den allgemeinen Arbeitnehmerbegriff bezug, § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO, so daß es auf die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten nicht ankommt. Auch die Arbeitslosenversicherung bezieht sich in § 168 Abs. 1 Satz 1 AFG auf den allgemeinen Arbeitnehmerbegriff. B.

Die Abgrenzung im Arbeitsrecht

Wie dargelegt, stammt die Abgrenzung nach Arbeitern und Angestellten ursprünglich aus dem Arbeitsrecht, nämlich aus dem Recht der Kündigung und der Lohnfortzahlung. In das Sozialversicherungsrecht wurde sie 1911 übernommen. Ursprünglich gab es, wie erörtert, keinen einheitlichen Begriff "des Angestellten", und im Arbeitsschutzrecht, im Lohnfortzahlungsrecht und im Recht der Wettbewerbsverbote gibt es bis heute eine Unterscheidung nach mehreren Angestelltengruppen.17 14 Wank, Die juristische Begriffsbildung, S. 63 ff. 15 Müller-Erzbach, Interessenjurisprudenz, S. 72 ff.; Wank, Die juristische Begriffsbildung, S. 110 ff. 16 S. beispielsweise für den Arbeitnehmerbegriff Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, S. 37 ff. 17 Vgl. Wan*, RdA 1991, S. 1,6.

509 Soweit es allerdings im Arbeitsrecht auf den allgemeinen Begriff des Angestellten ankommt, wird dafür derselbe Begriff zugrundegelegt wie in der Sozialversicherung. Im Gesetzesrecht ist das geschehen in § 6 Abs. 1 und 2 BetrVG, der auf die Angestelltenversicherung und auf die Arbeiterrentenversicherung bezug nimmt. In den neuen Bundesländern galt § 6 BetrVG bis zum 31.12.1991 in einer geänderten Fassung, nach der Arbeiter und Angestellte im Betriebsverfassungsgesetz selbst und nicht durch Verweisung auf das Sozialversicherungsrecht definiert werden, i« In Rechtsprechung und Literatur wird darüberhinaus ganz allgemein im Arbeitsrecht auf die entsprechenden sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen bezug genommen.19 Insoweit kann daher die Rechtsprechung der Sozialgerichte auch für das Arbeitsrecht zugrundegelegt werden. Auch hier findet sich also das bemerkenswerte Phänomen, daß die Abgrenzung zwischen Arbeitern und Angestellten nicht nach dem Sinn und Zweck des jeweiligen Gesetzes vorgenommen wird, sondern daß ohne Rücksicht auf eine teleologische Begriffsbildung generell auf die Angestellteneigenschaft der Angestelltenversicherung verwiesen wird. Die Begriffe "Arbeiter" und "Angestellte" sind somit "Statusbegriffe"20; d.h. ein Arbeitnehmer wird ein für alle Mal, für alle Rechtsbereiche, einheitlich der einen oder der anderen Gruppe zugerechnet, ohne daß jeweils geprüft wird, ob dies dem Zweck des jeweiligen Gesetzes gerecht wird. C.

Die Abgrenzungsproblematik

Bei einer ganzen Reihe von beruflichen Tätigkeiten war die Rechtsprechung darauf angewiesen, die Abgrenzung zwischen Arbeitern und Angestellten nach allgemeinen Kriterien durchzuführen. Die Ergebnisse sind in einigen Fällen widersprüchlich,21 in anderen Fällen kann man sie nur mit Erstaunen zur Kenntnis nehmen (Ist ein Bundesligafußballspieler deshalb Angestellter,22 weil er auch "Kopfball" spielt oder weil er "mit

18 S. Erläuterungen, BT-Drucks. 11/7817, S. 138, zu Nr. 12. 19 HanaulAdomeit, Arbeitsrecht, E 7 b, S. 151; Söllner, Arbeitsrecht, §4, 1, S.25; Zöllner, Arbeitsrecht, § 5 II 3 ("Veikehrsauffassung"), S. 57 ff. 20 Wank, Die juristische Begriffsbildung, S. 47 ff.; ders., Arbeitnehmer und Selbständige, S. 37. 21 Briefzusteller als Arbeiter, Geldzusteller als Angestellter, BSGE 10, S. 163,166. 22 BSGE 16, S. 98,105.

510 Köpfchen" spielen muß?). So wurde beispielsweise ein Kraftfahrer als Arbeiter angesehen23, ein Masseur wurde als Angestellter qualifiziert.24 Manche Autoren halten angesichts dieser Ergebnisse eine sinnvolle Abgrenzung nicht (mehr) für möglich.25 Diese Konsequenz geht jedoch zu weit. Es gibt eine große Zahl von Tätigkeiten, die eindeutig dem Arbeiter- oder dem Angestelltenbereich zugerechnet werden können (einfache Fabrikarbeit/kaufmännische Tätigkeit). Allerdings kann die Tatsache, daß Grenzfälle nicht sinnvoll entschieden werden können, ein Indiz dafür sein, daß entweder die Unterscheidung insgesamt überholt ist oder daß das gewählte Abgrenzungskriterium ungeeignet ist.26 Andererseits ist die Aussage des Bundesverfassungsgerichts,27 gegen die Unterscheidung als solche sei verfassungsrechtlich nichts einzuwenden, da die Gerichte zur Klärung in der Lage seien, rechtlich bedenklich. Es geht nicht darum, daß die Gerichte einen Rechtsstreit irgendwie beenden können, sondern darum, ob sich i.S. des Art. 3 Abs. 1 GG die vom Gesetz und von den Gerichten zugrundegelegte Unterscheidung nach sachlichen Abgrenzungskriterien richtet. Das kann weder pauschal bejaht noch verneint werden, sondern muß anhand der konkret vorliegenden unterschiedlichen Regelungen untersucht werden. D.

Reformvorschlag

Wenn, wie dargelegt, die Abgrenzung zwischen Arbeitern und Angestellten noch weiterhin von Bedeutung ist, so fragt es sich, ob es bei der unbefriedigenden gesetzlichen Abgrenzung bleiben kann. Empfehlenswert ist es, zunächst überhaupt eine gesetzliche Definition zu schaffen. Die bisherige Regelung nach § 3 AVG und nach dem Berufsgruppenverzeichnis ist ungenügend, da sie auf einen allgemeinen Abgrenzungsgesichtspunkt verzichtet und längst überholt ist. Eine Neuregelung müßte im Hinblick auf die verbleibenden Unterschiede sachlich gerechtfertigt sein.

23 BSGE 16, S. 98,104; 24, S. 123,130. 24 BSGE 10, S. 82; krit. zu den Abgrenzungen Kolb, in: Hromadka, Gleichstellung, S. 121 ff.; Lipke, DB 1983, S. 111 ff. 25 Brill, DB 1981, S. 316; Kehrmann, AiB 1987, S. 55; Lipke, DB 1983, S. 111,116; Schelp, BB 1960, S. 1339 ff.; Trieschmann, Festschrift für Herschel, S. 421 ff.; Wlotzke, RdA 1963, S. 1,2 ff. 26 Letzteres ist der Fall beim Arbeitnehmerbegriff der h.M.; siehe Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, S. 34 ff. 27 BVerfGE 62, S. 256 ff.

511 Wie die vorliegende Untersuchung allerdings gezeigt hat, hat die Untergliederung in Arbeiter und Angestellte in den vorhandenen gesetzlichen Regelungen des Arbeits- und des Sozialversicherungsrechts keine sachliche Berechtigung mehr (in untergesetzlichen Vorschriften mag das anders sein). Wo ein Festhalten der Unterscheidung anerkannt wurde, geschah das nur, weil keine Benachteiligung oder Diskriminierung i.S. des Art. 3 Abs. 1 GG vorliegt und weil die Differenzierung historisch gewachsen ist. Deshalb könnte auch heute kein teleologisches Abgrenzungskriterium angegeben werden. Vielmehr muß an der herkömmlichen, unbefriedigenden Art der Abgrenzung festgehalten werden. Der Rechtssicherheit würde eine Legaldefinition in der Weise dienen, daß das Berufsgruppenverzeichnis aktualisiert wird. Im übrigen könnte nur ein allgemeines Kriterium genannt weiden, wie körperliche oder geistige Arbeit. Sinnvoll wäre es auch, für ungeregelte Fälle auf die vorhandenen Zuordnungen zurückzugreifen ("sowie den hier genannten ähnliche Berufe"). Des weiteren könnte auf das Herkommen bezug genommen werden ("nach der bisher in der Praxis üblichen Zuordnung"), wobei auf die Verbrämung fehlender Kriterien durch den Verweis auf die Verkehrsanschauung verzichtet weiden sollte.

5.Teil: Zusammenfassung 1. In zwei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts wurden Ungleichbehandlungen von Arbeitern und Angestellten bei den Kündigungsfristen für verfassungswidrig erklärt. Die Untersuchung geht der Frage nach, ob weitere Bestimmungen des Arbeits- und des Sozialversicherungsrechts gegen den Gleicheitssatz verstoßen und wie eventuelle Verstöße beseitigt werden können. 2. Der weiteren Untersuchung werden grundsätzliche Überlegungen zu Art. 3 Abs. 1 GG vorangestellt. Die Aussagen des Bundesverfassungsgerichts und der Literatur zum Gleichheitssatz werden ausgewertet, ein eigenes, differenziertes Prüfschema wird entwickelt, das dem Verhältnismäßigkeitsprinzip Rechnung trägt und nach Differenzierungsziel, Differenzierungsmittel und Differenzierungskriterium unterscheidet. 3. Aus dem Europarecht ergeben sich über den Gleichheitssatz hinaus keine konkreten Vorgaben. Das Recht der DDR hat gezeigt, daß die Unterscheidung nach Arbeitern und Angestellten verzichtbar ist. Rechtsvergleichend werden Rechtsordnungen mit dieser Differenzierung anderen gegenübergestellt, bei denen es diese Unterscheidung nicht gibt. 4. Das Schrifttum sieht ganz überwiegend die Unterscheidung nach Arbeitern und Angestellten als überholt an. 5. a) Der Schwerpunkt verbleibender gesetzlicher Unterscheidungen liegt im Arbeitsrecht. b) Dabei lassen sich unterschiedliche Tendenzen für Individualarbeitsrecht und kollektives Arbeitsrecht feststellen. c) Im Kündigungsrecht müßten die unterschiedlichen Kündigungsfristen und Kündigungstermine für Arbeiter und Angestellte vereinheitlicht werden. Die Grundkündigungsfrist sollte sechs Wochen betragen. Auf die gesetzliche Normierung von Kündigungsterminen sollte verzichtet werden. Die vorliegenden Kündigungsfristen sollten entsprechend der Dauer der Betriebszugehörigkeit bis zu einer Dauer von sechs Monaten nach fünfzehnjähriger Betriebszugehörigkeit gestaffelt werden. Beschäftigungszeiten, die vor der Vollendung des 25. Lebensjahres liegen, sollten nicht berücksichtigt werden. Tarifverträge sollten die Fristen verkürzen dürfen, die Grundkündigungsfrist allerdings nicht unter vier Wochen. d) Die soziale Absicherung der Arbeitnehmer im Krankheitsfall sollte eigentlich über eine sozialversicherungsrechtliche Lösung erfolgen. Da diese aber politisch schwer durchsetzbar erscheint, wurde in der Untersuchung die geltende arbeitsrechtliche Lösung zugrundegelegt.

514 Vorgeschlagen wird ein neues Lohnfortzahlungsgesetz, das für Arbeiter und Angestellte gilt. § 616 Abs. 1 BGB sollte auf Fälle außerhalb der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall beschränkt werden, aa) Der Lohnfortzahlungsanspruch sollte mit dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses entstehen und nicht erst mit dem Beginn der Beschäftigung. Er sollte jedoch an die aufschiebende Bedingung geknüpft sein, daß der Arbeitnehmer nach seiner Gesundung die Arbeit tatsächlich aufnimmt. bb) Der Lohnfortzahlungsanspruch bei Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit sollte auf höchstens sechs Wochen im Kalendeijahr beschränkt werden. cc) Der Fall der eingeschränkten Arbeitsunfähigkeit sollte in das Lohnfortzahlungsgesetz aufgenommen werden. dd) Der Lohnfortzahlungsanspruch sollte auf alle teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer erweitert werden. Dagegen sollten kurzfristig beschäftigte Arbeitnehmer weiterhin vom Lohnfortzahlungsanspruch ausgeschlossen bleiben. ee) Die Tariföffnungsklauseln der §§ 2 Abs. 3 LFZG, 616 Abs. 2 Satz 2 BGB sind zu übernehmen. ff) Das Gesetz sollte eine Anzeige- und eine Nachweispflicht im Falle der Arbeitsunfähigkeit wegen Erkrankung vorsehen. Bei Zweifeln des Arbeitgebers an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers sollte eine weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung verlangt werden können, die von einem anderen Arzt oder vom Medizinischen Dienst auszustellen ist. gg) Bei einer Schädigung des Arbeitnehmers durch einen Dritten sollte bereits im Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs gegen den Dritten ein gesetzlicher Forderungsübergang eintreten. hh) Der Lohnfortzahlungsanspruch wegen einer Kur sollte grundsätzlich von einer eingetretenen oder drohenden Arbeitsunfähigkeit abhängen sowie davon, daß die Kur erfolgversprechend und eine medizinische Behandlung des Arbeitnehmers gewährleistet ist. Darüberhinaus sollte die Möglichkeit zur Bewilligung durch einen Sozialleistungsträger bestehen, wenn dieser mindestens 90% der Kosten trägt. ii) Bezüglich Verordnung, Dauer und Antritt der Kur sollten Anzeigeund Nachweispflichten bestehen. jj) Bei Schonungszeiten sollte es keinen Lohnfortzahlungsanspruch geben. kk) Ein Lohnfortzahlungsanspruch sollte für höchstens fünf Tage im Jahr bestehen, und zwar nur für die Pflege erkrankter Kinder unter 10 Jahren.

515 Darüberhinaus könnte für die Pflege von Kindern oder von Familienangehörigen ein Freistellungsanspruch eingeführt werden. d) Das Recht der Wettbewerbsverbote ist für alle Arbeitnehmer einheitlich zu regeln. Für das Wettbewerbsverbot während des Arbeitsverhältnisses kann es im wesentlichen bei der in § 60 HGB für Handlungsgehilfen normierten Rechtslage bleiben. Die §§ 60, 61 HGB sind nur in Einzelheiten korrekturbedürftig. Auch das nachvertragliche Wettbewerbsverbot ist grundsätzlich an dem für Handlungsgehilfen geltenden Recht auszurichten. Eine Aufgabe der Neuregelung ist es, die kaum nachvollziehbare Systematik der §§ 74 ff. HGB neu zu ordnen. Dabei sollte auch die zutreffende Rechtsprechung zu den Wettbewerbsverboten kodifiziert werden. Eine nachvertragliche Wettbewerbsabrede sollte nur wirksam sein, wenn sie schriftlich vereinbart ist, im Hinblick auf ihren räumlichen und zeitlichen Geltungsbereich und im Hinblick auf Art und Umfang gerechtfertigt ist, wenn sie längstens auf zwei Jahre nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses befristet ist und wenn eine Entschädigungspflicht des Arbeitgebers für die Dauer der Wettbewerbsabrede vorgesehen ist. Die Höhe der Entschädigung sollte 75% der vorherigen Bezüge betragen. Auf Verlangen des Arbeitnehmers sollte das Wettbewerbsverbot im Hinblick auf räumliche und sachliche Ausdehnung vom Arbeitgeber schriftlich begründet werden. Im Hinblick auf die Kündigung der Wettbewerbsabrede sollte es bei einer § 75 a HGB entsprechenden Regelung verbleiben. Bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses ist zu unterscheiden zwischen einer Kündigung durch den Arbeitgeber und einer Kündigung durch den Arbeitnehmer. Kündigt der Arbeitgeber wegen eines vertragswidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers, so hat er ein Wahlrecht, ob das Wettbewerbsverbot gelten soll oder nicht. In anderen Fällen der Kündigung hat der Arbeitnehmer ein Wahlrecht. Der Arbeitgeber kann es abwehren, wenn er sich bereit erklärt, dem Arbeitnehmer während der Dauer des Wettbewerbsverbots die vollen zuletzt bezogenen Leistungen zu gewähren. Kündigt der Arbeitnehmer wegen vertragswidrigen Verhaltens des Arbeitgebers, so ist ihm ein Wahlrecht einzuräumen. In anderen Fällen der Kündigung ist der Arbeitnehmer an das Wettbewerbsverbot gebunden. e) Die Regelungen über die Nachtarbeit sind für alle Arbeitnehmer zu vereinheitlichen. Dabei ist verfassungsrechtlich sowohl eine Gleichstellung der weiblichen Angestellten mit den Arbeiterinnen geboten als auch eine Gleichstellung von Männem und Frauen. Allein praktikabel ist eine Aufhebung des Nachtarbeitsverbots für alle Arbeitnehmer. Bei einer

516 Neuregelung dieser Materie muß der Gesetzgeber die schädlichen Auswirkungen der Nachtarbeit auf alle Arbeitnehmer berücksichtigen und deshalb die Nachtarbeit auf das notwendige Maß begrenzen und Schutzmaßnahmen zugunsten der Arbeitnehmer vorsehen. f) Während im Individualarbeitsrecht die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten immer mehr zurückgeht, findet sich im kollektiven Arbeitsrecht eine gegenläufige Tendenz. g) Im Betriebsverfassungsrecht und im Recht der Unternehmensmitbestimmung wird weiterhin zwischen Arbeitern und Angestellten unterschieden. In einzelnen Punkten hat der Gesetzgeber hier die Unterschiede sogar noch vertieft. Beiden Arbeitnehmergruppen werden jedoch gleiche Rechte eingeräumt, so daß es an einer Ungleichbehandlung fehlt. Auch in diesem Bereich sollte jedoch die Unterscheidung zwischen den beiden Arbeitnehmergruppen aufgehoben werden. Zumindest sollte den Tarifvertrags- und den Betriebsparteien die Möglichkeit eingeräumt werden, auf die Unterscheidung zu verzichten. h) Auch Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen, allgemeine Arbeitsbedingungen sowie regelgeleitetes Verhalten des Arbeitgebers unterliegen nach geltendem Recht dem Gleichheitssatz, und zwar auch im Hinblick auf Arbeiter und Angestellte. Allerdings werden dafür die unterschiedlichsten Rechtsgrundlagen herangezogen. Eine einfachgesetzliche Regelung erscheint angebracht. Dafür bieten sich zwei Wege an. Zum einen könnte man in entsprechende Einzelgesetze (Tarifvertragsgesetz, Betriebsverfassungsgesetz, Gesetz über allgemeine Arbeitsbedingungen, Arbeits Vertragsgesetz) den allgemeinen Gleichheitssatz und einen speziellen Gleichheitssatz im Hinblick auf Arbeiter und Angestellte aufnehmen. Hier wird ein anderes Vorgehen vorgeschlagen. In das nach Art. 30 Einigungsvertrag zu schaffende Arbeitsvertragsgesetz ist ein allgemeiner Gleichheitssatz aufzunehmen, der um ein Regelbeispiel u.a. im Hinblick auf Arbeiter und Angestellte zu ergänzen ist. 6. Im Sozialversicherungsrecht spielt nach dem Gesundheitsreformgesetz und dem Rentenreformgesetz die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten nicht mehr eine so bedeutende Rolle, a) In der Rentenversicherung werden Arbeiter und Angestellte materiellrechtlich gleich behandelt. Lediglich im Organisationsrecht findet sich noch eine Unterscheidung. Sie ist zur Zeit noch nicht verfassungswidrig. Es empfiehlt sich jedoch, im Rahmen einer Vereinheitlichung auch die Unterschiede im Organisationsrecht abzuschaffen.

517 Soweit die Rechtsprechung bei der Prüfung einer Berufsunfähigkeit für Arbeiter und Angestellte unterschiedliche Mehrstufenschemata zugrundelegt, steht diese Rechtsprechung mit der Verfassung in Einklang. b) Im Krankenversicherungsrecht werden Arbeiter und Angestellte insofern ungleich behandelt, als Angestellten ein weitaus größeres Wahlrecht hinsichtlich des zuständigen Versicherungsträgers eingeräumt wird. Dadurch wird Angestellten der Vorteil eingeräumt, die Krankenkasse zu wählen, in der sie die geringsten Beiträge zu zahlen haben. Diese Ungleichbehandlung sollte im Rahmen einer Organisationsreform beseitigt werden. c) Im Arbeitsförderungsrecht werden Arbeiter gegenüber Angestellten bevorzugt. Nur Arbeitern wird Schlechtwettergeld und Wintergeld ausbezahlt. Diese Bevorzugung ist aber verfassungsrechtlich zulässig, da damit der besonderen Situation in der Bauwirtschaft Rechnung getragen wird. Insgesamt enthalten diese Regelungen ein ausgewogenes System aus rechtlichen, tarifvertraglichen und tatsächlichen Vorgaben. 7. Obwohl die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten im geltenden Recht und auch noch weiterhin eine Rolle spielt, fehlt es an einer Definition. Da sich die Unterscheidung heute nur noch soziologisch und historisch begründen läßt, kann auch nur an die historische Entwicklung angeknüpft werden. Es bietet sich eine Aktualisierung des Berufsgruppenverzeichnisses an. Im übrigen sollte eine allgemeine Definition geschaffen werden, die auf Ähnlichkeitsvergleiche und auf historische Zuordnungen bezug nimmt.

Sachregister Abdingbarkeit der Kündigungsfristen 77 ff. Alles-oder-Nichts-Prinzip 223 Allgemeinverbindlichkeitserklärung 448 Altersrisiko 123,128 Angemessenheitskontrolle 21,34 Angestelltengewerkschaft 443 Anzeige- und Nachweispflichten des Arbeitnehmers - Entgeltfortzahlung 272 ff., 514 - Kuren 327 ff., 514 - Neuregelungsvorschläge betr. Entgeltfortzahlung 284 ff. - Schonzeit 342,514 Arbeit - geistige/körperliche 8,14,95,192,226, 419,482,506 Arbeitnehmerbegriff - allgemein 58, 68 - im EG-Recht 47 Arbeitnehmerschutzprinzip 426 Arbeitsbedingungen 256 Arbeitsförderungsrecht 493 ff., 517 Arbeitslosigkeit 10,15 f., 95, 127 Arbeitsmarkt 82.102,106,127 Arbeitsschutz - sozialer 414 - technischer 414 Arbeitsschutzrecht 415 ff. Arbeitsunfähigkeit 147 ff., 215 ff., 514 - Begriff 215 ff. Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung 217,273, 298 ff. Arbeitsvertragsgesetz - Gesetzgebungsauftrag 2 AT-Angestellte 1 Aufsichtsrat 433 Ausbildungslänge 15 Ausgleichsverfahren bei der Entgeltfortzahlung 364 ff. Ausländeranteil 194,226 Auslandserkiankungen 272 ff. Außenseiterklauseln 261,271,448 Auszubildende 76, 369,393,395

Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung 159,260,498 ff. Belgien 62,84,161,398 - Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten im allgemeinen 62 - Entgeltfortzahlung 161 - Kündigungsfristen 84 Berufsgruppenverzeichnis 506 Berufsunfähigkeit 463,489 ff., 517 - Begriff 489 - Stufenschemata 490 ff. Beschäftigtenzahl - Arbeiter und Angestellte 11 - Betriebsgröße 131,145 Beschäftigungsverhältnis und Entgeltfortzahlung 174 ff., 185,196,200, 206 Beschäftigungszeit 5 ff., 76 Bestandsschutz des Arbeitsverhältnisses 106 betriebliche Altersversorgung 256, 293, 298 betriebliche Einheitsregelung 456 ff. Betriebsbindung 10, 247,251,439 Betriebsgröße 131, 145 Betriebsrat 428 ff. Betriebstreue als Differenzierungskriterium 193,226 Betriebsvereinbarung 1, 262,453 ff. Betriebsverfassungsrecht 122,428 ff., 516 Betriebszugehörigkeit 94,101,124,126,223 Bezugssystem 446 Dänemark 62, 85,162,398 - Arbeiter und Angestellte im allgemeinen 62 - Entgeltfortzahlung 162 - Kündigungsfristen 85 DDR-Recht 51 ff., 150 - Arbeiter und Angestellte im allgemeinen 52, 63 - Kinderpflege 358 - Kündigungsfristen 102 ff. Demokratieprinzip 42,430 EG-Recht 47 ff., 253, 256,414

520 Einigungsvertrag 2,53 ff., 151,173 Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall 139 ff. - Berechtigte 240 ff. - Neuregelungsvorschläge 202 ff., 211, 257 ff., 373 ff. - Zeitpunkt 174 Ermessen des Gesetzgebers 4,22, 31,40,222, 237,344 Existenzsicherung - Entgeltfortzahlung 212, 267 - Kündigung 7 extensionale Definition 68 f. Flexibilität 8,10,16,96,194,451 - Arbeitgeber 16 - Arbeitnehmer 8,124,194 Fluktuation der Arbeitnehmer 248 Forderungsubergang bei Schädigung eines Arbeitnehmers durch Dritte 293 ff. - Neuregelungsvorschläge 298 ff. Fortsetzungserkrankungen 229 ff., 288 - Begriff 229 - Neuregelungsvorschläge 238 ff. Frankreich 61, 83,164,399 - Arbeiter und Angestellte im allgemeinen 61 - Entgeltfortzahlung 164 - Kündigungsfristen 83 Freistellung 350 ff. - Früherkennung einer Krankheit 152 - Fürsorgepflicht 353 funktionale Äquivalenz des Arbeits- und Sozialrechts 312 gewerbliche Arbeitnehmer 57, 72,113,118, 145,216,261,268,346 Gleichheitssatz, verfassungsrechtlicher - Angemessenheitskontrolle 21,34 - Ermessen des Gesetzgebers 4,22, 31,40, 222,237, 344 - Generalisiemng 26 - gruppenspezifisches Unterscheidungsmerkmal 16,18, 40,188 f., 192,197 - Legitimationszusammenhang 14,16,121, 188,198, 227,473,501 - Praktikabilität 26, 34 - Systemgerechtigkeit 24, 35,445 - Tatsachenprüfung 23,40

- Typisierung 20, 26, 34, 123, 197, 243, 265 - Verhältnismäßigkeit 13,21, 37 ff., 189,260, 393 - Verteilungsgerechtigkeit 19 Griechenland - Entgeltfortzahlung 172 Großbritannien 64,86,170,400 - Arbeiter und Angestellte im allgemeinen 64 - Entgeltfortzahlung 170 - Kündigungsfristen 86 Grundkündigungsfrist 11,75 ff., 88,107 Grundrechtsbindung - Betriebsvereinbarungen 453,516 - Tarifparteien 445,516 Gruppen - Gruppenbewußtsein der Arbeitnehmer 438 f., 478 ff. - Gruppenbildung der Arbeiter und Angestellten 477 ff. - Gruppengröße (Entgeltfortzahlung) 190, 235 - Gruppeninteressen der Arbeiter und Angestellten 427,439 - Gruppenmentalität 15,193 - Gruppenprinzip bei der Mitbestimmung 430 ff. - Gruppenrepräsentation bei der Mitbestimmung 430 - Gruppenwahl 430,436 Irland - Kündigungsfristen 86 Italien 62, 85,165,398 - Arbeiter und Angestellte im allgemeinen 62 - Entgeltfortzahlung 165 - Kündigungsfristen 85 Karenzentschädigung 394 ff. kaufmännische Angestellte 55, 145, 216, 261, 268, 343, 393, 505 Kinderpflege 351 ff. - DDR-Recht 359 - Entgeltfortzahlung 350 ff., 514 - Neuregelungsvorschläge 357 ff, 361 ff. Kleinbetriebe 80,131,157,371 kollektives Arbeitsrecht 425 ff. Konkuirenzklausel 387, 389 ff.

521 konkurrierende Sozialleistungen - Anrechnung bei der Entgeltfortzahlung 177, 343 ff. Kostenrisiko 41,97,115,198, 239 Krankenstand der Arbeiter und Angestellten 197,227,249 Krankenversicherungsrecht 184 ff., 417, 498 ff. Kündigungsfristen der Arbeiter und Angestellten 11,75 f., 77 f., 107,118 ff.. 135 - Entscheidungen des BVerfC 5 ff., 12 ff. - Neuregelungsvorschläge 87 ff., 104 ff., 138 ff. Kündigungsschutzrecht 70 ff. - historische Entwicklung 72 ff. - Sinn 105 - Systematik 70 Kündigungstermine 11, 77 ff., 89,111 ff. Kur 220 ff., 307 ff. - Begriff 308 - Entgeltfortzahlung 311 - Neuregelungsvorschläge 319 ff Kurzzeitbeschäftigte 242, 252 Lebensalter 5,7,11,123 ff., 354,363 Legitimationszusammenhang s. Gleichheitssatz Leiharbeit 48, 256 leitende Angestellte 1.58,99.166,505 Lohnausfallprinzip 151,262 ff. Luxemburg - Entgeltfortzahlung 171 - Kündigungsfristen 86 Minderheitenschutz 3,430 mißglückter Arbeitsversuch 180,213 Mitbestimmungsrecht 427 ff. mittelbare Diskriminierung 253 ff., 319,437 Mutterschaftsgeld 241, 257 Nachtarbeitsverbot 416 ff., 515 - Neuregelungsvorschläge 422 ff. Niederlande 65,166,399 - Arbeiter und Angestellte im allgemeinen 65

- Entgeltfortzahlung 166 Österreich - Arbeiter und Angestellte im allgemeinen 58 - Kündigungsfristen 83 Ordnungsvorschrift, Rechtsnorm als bloße 473 Portugal - Arbeiter und Angestellte im allgemeinen 65 - Entgeltfortzahlung 167 Praktikabilität einer Regelung 26,34 Rechtsfortbildung 42, 149,155,337,397 Rechtsmißbrauch 32 - Krankheit 158,194 f., 199,203,207 f., 214 f., 260, 287 - Kur 306,330 Rechtsstaatsprinzip 8,18,33 Referenzperiodenprinzip 263, 267 regelgeleitetes Verhalten 458 f. Rentenversicherung 472 ff., 505, 516 - Ungleichbehandlung durch Organisation 475 ff. Repräsentationsprinzip 426,438 Schlechtwettergeld 493 Schonzeiten 218 ff., 307, 514 - Begriff 307 - Entgeltfortzahlung 331 ff. - Neuregelungsvorschläge 338 ff. Schutzbedürfnis der Arbeitnehmer 15,92,123, 193,199,237, 251 f. 270 Schutznorm 426 Schweiz 63,85,168,399 - Arbeiter und Angestellte im allgemeinen 63 - Entgeltfortzahlung 168 - Kündigungsfristen 85 Sonderabgabe 129,155 ff., 362 soziale Schutzbedürftigkeit s. Schutzbedürfnis Sozialplan 16 Sozialstaatsprinzip 33, 39, 158 Sozialversicherung - Geschichte 463 ff. - konkurrierende Leistungen 177, 312, 344

522 - Sozialversicherungsrecht 52,151,177,275, 462 ff., 505 ff. Spanien 65,169,398 - Arbeiter und Angestellte im allgemeinen 65 - Entgeltfortzahlung 169 Standesbewußtsein der Arbeitnehmergruppen 438 f., 479 ff. Stellenwechsel, Häufigkeit 9,16 Steuergleichheit - Entgeltfortzahlung 155 ff. Stichtagsregelung 231 Systemgerechtigkeit 24,35,445 Tarifautonomie 3, 266,444 Tarifdispositivitär der Kündigungsfristen 132 ff. Tariföffnungsklauseln 260 ff., 450,514 Tarifverträge 1, 106,444 f. - Geltungsbereich 444 f. technische Angestellte 56, 393 ff., 505 Teilzeitbeschäftigte 29,78,240 ff., 251,317, 367,445 Typisierung s. Gleichheilssatz Übergangsfristen 27.135 unbestimmter Rechtsbegriff 32,166 Unfallversicherungsrecht 493

Untemehmensmitbestimmung 433 ff., 516 unverschuldetes Unglttck - Entgeltfortzahlung 216,346 verfassungskonforme Auslegung 43, 150, 199, 227,236,250, 346 Verfassungsrecht 5 ff. Vergleichsgruppe 472 Verhältnismäßigkeitsprinzip s. Gleichheitssatz verlängerte Kündigungsfristen 77, 89 Versicherungsgedanke 463 Versicherungsverhältnis 183 f. Verteilungsgerechtigkeit 19 Wartefristregelung 231 Weihnachtsgratifikation 27 ff. Wettbewerbsverbote 56, 388 ff., 515 - nachvertragliche 388,394 ff. 410 ff. - Neuregelungsvorschläge 401 ff., 409 f. - Wettbewerbsverbote während des Arbeitsverhältnisses 388, 393,409 Willkürkonliolle 6,20,32 Wintergeld 495 Zeitarbeit 162, 240 ff., 256

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Neuauflage

Kuntze/Ertl/Herrmann/Eickmann

Grundbuchrecht Kommentar zu Grundbuchordnung und Grundbuchverfügung einschließlich Wohnungseigentumsgrundbuchverfügung von Dr. Joachim Kuntze, Vorsitzender Richter am OLG Hamm a.D., Rudolf Ertl, Notar a.D. in Kempten, unter Mitarbeit von Dr. Andreas Albrecht, Notarassessor in München, Dr. Hans Herrmann, Notar in Memmingen, Dieter Eickmann, Professor an der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege in Berlin 4., neubearbeitete Auflage

Sammlung Guttentag 20,5 x 14,5 cm. XXXII, 1392 Seiten. 1991. Gebunden. DM 288,-. ISBN 3 11 012407 6

Dieser mittlere Kommentar, der neben der Grundbuchverordnung auch die Grundbuchverfügung und die Wohnungseigentumsgrundbuchverfügung enthält, hat sich wegen seiner praxisnahen Darstellung einen festen Platz in Literatur und Praxis erobert, Die Neuauflage ist unter Einbeziehung der neueren Entwicklungen in Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur wiederum auf den neuesten Stand gebracht. Die Ausführungen zu den wichtigen oder umstrittenen Fragen sind erweitert und vertieft worden. Eine der Hauptaufgaben der vierten Auflage bestand darin, die durch den Einigungsvertrag entstandene Rechtslage in die Kommentierung einzuarbeiten und dem Benützer ein Buch an die Hand zu geben, das es ihm ermöglicht, sich mit dem für die Abwicklung von Grundstücksgeschäften und Grundbuchverfahren in den alten und neuen Bundesländern geltenden Recht vertraut zu machen und es in der Praxis anzuwenden. Aus Besprechungen: "... Die Darstellung ist erfrischend schnörkellos, prägnant, man findet • ob in der Einleitung oder in der Kommentierung - binnen kurzem das, was man

sucht. Die Literaturhinweise sind erfreulich kurz, sie beschränken sich auf neuere, speziell einschlägige Literatur .... Theoretische Streitfragen werden nur dort ausgetragen, wo es unbedingt notwendig ist, und dann auch immer unter dem Aspekt der Durchführbarkeit. ...a Notar Dr. Wolfgang Reimann, Roding In: Zeitschrift für das gesamte Familienrecht "... Der seit über zehn Jahren gut eingeführte Kommentar präsentiert sich als Musterwerk des Grundbuchrechts. Das gilt für die überaus ansprechende Aufmachung, den sinnvollen Aufbau und die belegreichen, leicht lesbaren Erläuterungen.... Die Erläuterungen bringen mit Beispielen, Hervorhebungen und zahllosen Belegen Leben in die gewiß spröde Materie und machen dem Leser das formelle Grundbuchrecht mit seinem notwendigen Formalismus auf bestmögliche Weise verständlich,..,' EMK In: Staatsameiger für das Land Baden- Württemberg Preisänderung vorbehalten

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Rudolf Brunner

Jugendgerichtsgesetz Kommentar

9., neubearbeitete und erweiterte Auflage Sammlung Guttentag Oktav. XX, 859 Seiten. 1991. Gebunden. DM 1 6 8 ISBN 3110123207 Die Eingriffe und Wirkungen durch das 1. Gesetz zur Änderung des Jugendgerichtsgesetzes (JGGÄndG) vom 30. 8. 1990 und das Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) vom 26. 6. 1990 sowie die Problematik deutsch-deutscher Jugendkriminairechtspflege prägen die Neuauflage. Die kommentierende Einarbeitung des 1. JGGÄndG hat zur bisher am tiefsten eingreifenden Erneuerung und Erweiterung des bewährten Standardwerks geführt. Die das JGG berührenden Vorschriften des KJHG waren zu überprüfen und einzuordnen. Gleiches traf für das Opferschutzgesetz vom 18.12.1986 zu, dessen Geltung auch für das Jugendgerichtsverfahren für jede einzelne Vorschrift überprüft werden mußte. Nicht nur die Änderungen des JGG, sondern auch Erkenntnisse der Rechtstatsachenforschung und die interdisziplinären Bemühungen von Wissenschaft und Praxis zur Ausweitung der ambulanten Maßnahmen haben zu einer Bestandsaufnahme der Diversion geführt und auch sonst auf die Kommentierung eingewirkt. Das hat auch Gelegenheit gegeben, neuen Entwicklungen intensiver nachzugehen, sichtbar werdende Entwicklungslinien zu berücksichtigen und Gegenmeinungen breiteren Raum zu geben, um eigenem Urteil ein brauchbares Fundament zu schaffen. Dies wird besonders deutlich bei den Ausführungen zu den Grundfragen der Erziehung im Jugendstrafrecht. Die Bedeutung, aber auch Problematik der Verteidigung spiegeln sich in der Neu kommentierung des § 68 wider. Das gilt auch für den Umgang mit HlV-tnfizierten, für die Straffälligenhilfe von außen und andere Fragen. Neben der Einfügung aktueller Problemfelder in die .Jugendkriminologischen Aspekte' (u. a. Mehrfachtäter. Fußballfans, Vandalismus) wurde der steigenden Bedeutung und der regen Diskussion halber dem Problem der jungen Ausländer breiter Raum ge-

geben. Um den Zugang zu erleichtern und einen Gesamtüberblick zu gewähren, wurden Kriminalität, die soziokulturellen Gegebenheiten und die verschiedenen Phasen justizieller Berührung zusammengefaßt und bei der Kommentierung hierauf verwiesen. Neben den Ausführungen zu den Schwierigkeiten eines deutsch-deutschen Kriminalitätsvergleichs wurde bei beiderseitigem Informationsdefizit eine Annäherung an die Probleme deutsch-deutscher Jugendgerichtsbarkeit versucht durch ein Augenblicksbild vom Juni 1990, das auch überholt von Interesse bleibt. Ihm folgen der Neubeginn mit dem Richter- und Staatsanwaltschaftsgesetz und schließlich die Geltung von Vorschriften des JGG im Gebiet der ehemaligen DDR nach Anlage I zum Einigungsvertrag vom 31.8.1990. Letztendlich waren vier Jahre Rechtsprechung und zahlreiche, oft widersprüchliche Literaturaufzuarbeiten. Damit ist der Kommentar im Wortsinn erneuert und kann seine guten Dienste leisten. Er vertritt weiterhin entschieden, aber mit Augenmaß und unter stetem Bezug auf umsetzbare Hilfen durch die Wissenschaft, die Anliegen und Impulse der Praxis. Aus einer Besprechung der Vorauflage: n . . . Insgesamt besticht diese Neuauflage - wie im übrigen auch schon die früheren Auflagen - durch übersichtliche, verständliche und dennoch umfassende Erörterung der zentralen Diskussionsfelder des Jugendstrafrechts, wobei gerade für den mit der Gesamtproblematik noch nicht vertrauten Praktiker die beiden einführenden Kapitel von besonderer Bedeutung sind. Dieses Werk ist für die Justizpraxis unentbehrlich." Richter am AG Jürgen Fehr In: Staatsanzeiger für das Land Hessen Pteisflndetung voi behalten