Antirassismus und Privilegien: Rassismuskritische Subjektbildungen in der postmigrantischen Gesellschaft 9783839466964

Antirassistische und rassismuskritische Debatten in Zivilgesellschaft und Wissenschaft beschäftigen sich vermehrt mit Fr

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Antirassismus und Privilegien: Rassismuskritische Subjektbildungen in der postmigrantischen Gesellschaft
 9783839466964

Table of contents :
Inhalt
Einleitung
1 Die vorliegende Studie
Teil 1: Theorie
2 Rassismen
3 Antirassismus
4 Subjektivierung und Subjektbildung
5 Postmigrantische Gesellschaft
Teil 2: Empirie
6 Methode: Empirische Subjektivierungsforschung
7 Darstellung der empirischen Ergebnisse
Teil 3: Schlussfolgerungen
8 Privilegiert positionierter Antirassist*
9 Literatur

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Florian Ohnmacht Antirassismus und Privilegien

Postmigrantische Studien Band 15

Editorial Im postmigrantischen Diskurs, der nicht nur in den Sozialwissenschaften an Verbreitung gewinnt, kommt eine widerständige Praxis der Wissensproduktion zum Ausdruck – eine kritische und zugleich optimistische Geisteshaltung, die für postmigrantisches Denken von zentraler Bedeutung ist. Die Vorsilbe »post-« bezeichnet dabei nicht einfach einen chronologischen Zustand des Danach, sondern ein Überwinden von Denkmustern, das Neudenken des gesamten Feldes, in welches der Migrationsdiskurs eingebettet ist – mit anderen Worten: eine kontrapunktische Deutung gesellschaftlicher Verhältnisse. In der radikalen Abkehr von der gewohnten Trennung zwischen Migration und Sesshaftigkeit, Migrant und Nichtmigrant kündigt sich eine epistemologische Wende an. Das Postmigrantische fungiert somit als offenes Konzept für die Betrachtung sozialer Situationen von Mobilität und Diversität; es macht Brüche, Mehrdeutigkeit und marginalisierte Erinnerungen sichtbar, die nicht etwa am Rande der Gesellschaft anzusiedeln sind, sondern zentrale gesellschaftliche Verhältnisse zum Ausdruck bringen. Kreative Umdeutungen, Neuerfindungen oder theoretische Diskurse, die vermehrt unter diesem Begriff erscheinen – postmigrantische Kunst und Literatur, postmigrantisches Theater, postmigrantische Urbanität und Lebensentwürfe –, signalisieren eine neue, inspirierende Sicht der Dinge. Mit der Reihe »Postmigrantische Studien« wollen wir diese Idee und ihre wegweisende Relevanz für eine kritische Migrations- und Gesellschaftsforschung aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten und dazu einladen, sie weiterzudenken. Die Reihe wird herausgegeben von Marc Hill und Erol Yildiz. Den wissenschaftlichen Beirat bilden Müzeyyen Ege, Julia Reuter, Dirk Rupnow, Moritz Schramm, Sabine Strasser und Elisabeth Tuider.

Florian Ohnmacht (PhD), geb. 1986, ist Universitätsassistent am Institut für Erziehungswissenschaft (Schwerpunkt »Migration und Bildung«) der Universität Innsbruck. Der Soziologe und Erziehungswissenschaftler war Mitglied des Doktoratskollegs »Dynamiken von Ungleichheit und Differenz im Zeitalter der Globalisierung« der Universität Innsbruck und Teil der Tiroler Gesellschaft für rassismuskritische Arbeit (TIGRA).

Florian Ohnmacht

Antirassismus und Privilegien Rassismuskritische Subjektbildungen in der postmigrantischen Gesellschaft

Dissertation Gutachter: Univ.-Prof. Dr. Erol Yildiz Prof. Dr. Elisabeth Tuider assoz. Prof. Dr. Frank Welz Veröffentlicht mit freundlicher Unterstützung und Förderung durch nachfolgende Institutionen der Universität Innsbruck: Vizerektorat für Forschung, Fakultät für Bildungswissenschaften und Forschungsschwerpunkt »Kulturelle Begegnungen – Kulturelle Konflikte«, allesamt Universität Innsbruck.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-n b.de abrufbar.

© 2023 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar https://doi.org/10.14361/9783839466964 Print-ISBN 978-3-8376-6696-0 PDF-ISBN 978-3-8394-6696-4 Buchreihen-ISSN: 2703-125X Buchreihen-eISSN: 2703-1268 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download

»I haven’t the faintest notion what possible revolutionary role white heterosexual men could fulfill, since they are the very embodiment of reactionary-vested-interest-power.« Michelle Wallace

»Die Suche nach einer bewohnbaren Sprache in einem bewohnbaren Land.« Heinrich Böll

Inhalt

Einleitung ......................................................................................9 1 Die vorliegende Studie ..................................................................... 17 Problemstellung................................................................................ 17 Forschungsstand .............................................................................. 21 Anschlussfragen und Ziele..................................................................... 26 Aufbau der Arbeit ............................................................................. 28

Teil 1: Theorie 2 Rassismen................................................................................. 33 Rassismusforschung ......................................................................... 34 Perspektive und Definition .................................................................... 65 Zusammenfassung ............................................................................. 81 3 Antirassismus ............................................................................. 87 Begriffliche Grundlagen ....................................................................... 88 Geschichten des Antirassismus im deutschsprachigen Raum ................................... 89 Probleme und Debatten ....................................................................... 114 Zusammenfassung ...........................................................................122 4 Subjektivierung und Subjektbildung ......................................................125 Definition ....................................................................................126 Abgrenzungen ................................................................................128 Subjektivierungsforschung ................................................................... 131 Schlüsselautor*innen und Kernbegriffe ....................................................... 133 Zusammenfassung ...........................................................................142

5 Postmigrantische Gesellschaft............................................................145 Rassismen in der postmigrantischen Gesellschaft ..............................................152 Privilegierte Positionen in der postmigrantischen Gesellschaft ................................. 167 Zusammenfassung ............................................................................169

Teil 2: Empirie 6 Methode: Empirische Subjektivierungsforschung ........................................173 Methodologie .................................................................................173 Methodendiskussion........................................................................... 174 Sample ....................................................................................... 179 Biographisch-narratives Interview .............................................................180 Rekonstruktion narrativer Identität ............................................................ 181 7 Darstellung der empirischen Ergebnisse.................................................. 187 Fallrekonstruktionen .......................................................................... 187 Die Falldarstellungen ......................................................................... 275

Teil 3: Schlussfolgerungen 8 Privilegiert positionierter Antirassist*....................................................319 Rassismen als Techniken der Subjektivierung ..................................................321 Antirassismus als ambivalente Selbsttechnik ................................................. 327 Rassismuskritische Subjektbildung ........................................................... 332 Abschließende Worte ......................................................................... 344 9 Literatur.................................................................................. 347

Einleitung

Die Black-Lives-Matter-Bewegung hat die Empörung und den Schmerz über die Alltäglichkeit, die Allgegenwärtigkeit und die mörderische Konsequenz von anti-Schwarzem1 Rassismus in den USA in die ganze Welt getragen. Die antirassistische Bewegung gründete sich unter anderem anlässlich der Ermordung der Afroamerikaner*innen Trayvon Martin, Michael Brown, Eric Garner, Breonna Taylor, Atatiana Jefferson, Natasha McKenna und schließlich George Floyd, dessen Ermordung durch einen weißen2 Polizisten auf dem so erschütternden 9 Minuten und 29 Sekunden langen Video zu sehen ist (Hill et al. 2022). Black Lives Matter hat damit Debatten über die Normalität von Rassismen3 in vielen Gesellschaften der Welt angestoßen – so auch im deutschsprachigen Raum. Im Jahr der Ermordung von George Floyd, 2020, erschoss ein Täter in der deutschen Stadt Hanau4 neun Menschen aus rassistischen Motiven: Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel 1

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Die Selbstbezeichnung »Schwarz« wird in dieser Arbeit in jeder Verwendungsweise großgeschrieben. »Das großgeschriebene ›S‹ wird bewusst gesetzt, um eine sozio-politische Positionierung in einer mehrheitlich weiß dominierten Gesellschaftsordnung zu markieren, und gilt als Symbol einer emanzipatorischen Widerständigkeitspraxis.« (Diversity Arts Culture 2022) Die kursive Schreibweise von »weiß« soll auf den Konstruktcharakter der Kategorie aufmerksam machen und die antiessentialistische Deutung hervorheben. Die Kleinschreibung betont die Unterschiede zu Schwarz und People of Color, was auf die Widerstandspotenziale anspielt, und verleugnet somit nicht die grundsätzlichen Machtunterschiede (vgl. Eggers et al. 2009: 13). Die kursive Schreibweise bringt bewusst ein »Stolpern« des Leseflusses mit sich und ist eine Strategie, um die machtvolle, normalisierte und unsichtbar gemachte Position sichtbar zu machen: »Whiteness needs to be made strange« (Dyer 2017: 10). Wenn ich von Rassismen spreche, meine ich die Rassismen im deutschsprachigen Raum (Antisemitismus, Antiziganismus/Rassismus gegen Rom*nja und Sinti*zze, kolonialer und postkolonialer Rassismus, migrantisierender Rassismus/Migratismus, antislawischer Rassismus/Antislawismus). Wenn ich von kolonialem und postkolonialem Rassismus spreche, meine ich anti-Schwarzen, anti-Asiatischen, antiindigenen Rassismus. In Anlehnung an Kien Nghi Ha schreibe ich »Asiatisch« dort groß, wo es »sowohl rassenkonstruktivistische als auch identitätspolitische Dimensionen« (Ha 2022) aufweist. Die Initiative 19. Februar Hanau arbeitet an der Aufarbeitung von und der Erinnerung an die Ereignisse und fordert Gerechtigkeit für die Hinterbliebenen und Opfer sowie Konsequenzen aus den rassistischen Taten (vgl. Initiative 19. Februar Hanau 2022).

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Antirassismus und Privilegien

Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov. Ein Jahr zuvor versuchte ein antisemitischer Attentäter am Jom Kippur in die volle Synagoge in Halle einzudringen, um dort einen Massenmord zu verüben. Er scheiterte an der gesicherten Türe und tötete zwei Menschen im Umfeld der Synagoge. Die neonazistische Terrororganisation Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) verübte zwischen 2000 und 2007 43 Mordanschläge und tötete 9 Menschen aus rassistischen Gründen: Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kiliç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık und Halit Yozgat. In Österreich wurden in den Jahren 1999 und 2003 Marcus Omofuma und Cheibane Wague durch rassistische Polizeigewalt ermordet. Bakari J. und Mike Brennan überlebten polizeiliche Übergriffe nur mit schweren Verletzungen. Im Jahr 2005 verbrannte Oury Jalloh, der an Händen und Füßen gefesselt in einer Zelle im Polizeirevier Dessau lag, und starb an seinen Verletzungen. Seit 2005 kämpfen Hinterbliebene und Aktivist*innen für die Aufarbeitung seines Todes, bei dem sehr viel für einen rassistischen Mord spricht. (Vgl. Initiative Oury Jalloh 2022) Die erfundenen symbolischen Ordnungen der Rassismen begründen all die genannten erschütternden Morde in den USA und im deutschsprachigen Raum. Der rassistische (Massen)-Mord ist dabei die logische letzte Konsequenz einer seit der europäischen Moderne beginnenden hierarchischen Klassifizierung von Menschen in erfundene Großgruppen, die zur Legitimation, Aufrechterhaltung und Erweiterung europäischer, weißer, westlicher, christlicher, »einheimischer« Dominanz erzeugt wurden und werden. Rassismen sind jedoch nicht nur mörderisch, sondern ebenso banal (vgl. Terkessidis 2004), alltäglich und normalisiert. Rassismen sind Teil unserer Gesellschaften, Teil unseres Alltages, unserer Institutionen, unserer Strukturen, unseres Wissens, unserer Diskurse, unserer Handlungen, unserer Praktiken, unserer Fremd- und Selbstvorstellungen. Rassismen sind ein Teil von uns selbst. Die Geschichten der Rassismen sind stets mit antirassistischen Kämpfen verbunden, die ebenso seit vielen Jahrhunderten zum Teil mit beträchtlichem Risiko geführt werden. Ohne diese rassismuskritischen Kämpfe wären die genannten rassistischen Morde aus dem Archiv der dominanzgesellschaftlichen5 Geschichte gelöscht worden oder vielleicht gar nicht als solche benennbar und die Normalisierung von Rassismen mit seiner mörderischen Konsequenz würde unwidersprochen voranschreiten. Die Demonstrationen, die im Zuge der Proteste in Österreich stattgefunden haben, sind Teil dieser Bemühungen, auf Rassismen aufmerksam zu machen und ihr Ende zu fordern. Sie waren für österreichische Verhältnisse erstaunlich groß. In Wien demonstrierten 50 000 Menschen, in Graz 9 000 und in Innsbruck 4 000 Menschen gegen den strukturellen und alltäglichen Rassismus in Österreich. Die Demos kennzeichneten 5

In dieser Arbeit verwende ich den Begriff »Dominanzgesellschaft« (vgl. Rommelspacher 1995) anstatt des Begriffes »Mehrheitsgesellschaft«. Mit der Bezeichnung »dominanzgesellschaftlich« oder »dominanzgesellschaftlich positioniert« geht es darum, die privilegierte soziale Position als Teil des gesellschaftlichen Wir sichtbar zu machen. Diese Position muss nicht die Mehrheit repräsentieren – wie etwa das südafrikanische Apartheidssystem zeigte (vgl. Pelinka 2008). Vielmehr geht es um Dominanzverhältnisse, bei denen rassistische, sexistische, klassistische, nationalistische ethnozentristische Verhältnisse miteinander verwoben sind und unterschiedlich machtvolle soziale Positionen der Überordnung und Unterordnung erzeugen (vgl. Rommelspacher 1995).

Einleitung

sich durch ein sehr heterogenes Publikum und so trafen sich Menschen mit Rassismusund Diskriminierungserfahrungen und Menschen ohne negative Rassismuserfahrungen, um gemeinsam ihre Empörung über rassistische Verhältnisse und die Forderung nach Veränderungen kundzutun. Im Vergleich zu den großen antirassistischen Demonstrationen der 1990er Jahre, die sich vor allem gegen Jörg Haider und die FPÖ richteten, wurden diese Demonstrationen wie etwa in Wien primär von Schwarzen Österreicher*innen um Mireille Ngosso, Mugtaba Hamoudah und Imoan Kinshasa organisiert (vgl. Mosaik Blog 2022). Dieser Hinweis ist wichtig, da antirassistische Vereine und Initiativen in Österreich während der Mobilisierungsphase der 1990er Jahre bis zu den großen Demonstrationen der 1999er und 2000er Jahre, die auf den Tod von Marcus Omofuma folgten, häufig mehrheitlich weiß-dominanzgesellschaftlich geprägt waren und Stimmen von People of Color6 systematisch ausblendeten. Dieser dominanzgesellschaftliche Antirassismus wurde nicht nur dahingehend kritisiert, dass er paternalistisch, tokenistisch und moralisch statt politisch ausgerichtet war (vgl. Bratić 2010), sondern auch für die Nichtberücksichtigung der Geschichte antirassistischer Kämpfe im deutschsprachigen Raum und der Kontinuität alternativer antirassistischer Bewegungen. Mit der dominanzgesellschaftlichen Besetzung des Antirassismus im Zuge einer Kultur der Fremdvertretung wurde auch frühe selbstorganisierte antirassistische Geschichte, etwa aus Schwarzen österreichischen Perspektiven, österreichischjüdischen Perspektiven, aus der Perspektive von Migrant*innenvereinen und von österreichischen Minderheiten, unsichtbar gemacht und die damals bestehenden Initiativen eher verdrängt. Die Black-Lives-Matter-Proteste des Jahres 2020 machten einerseits auf die Normalität von anti-Schwarzem Rassismus aufmerksam und gleichzeitig auf die damit zusammenhängende systematische Privilegierung von Weißsein und weiß positionierten Menschen. Für Emilia Roig wurde im Zuge der Black-Lives-Matter-Proteste im deutschsprachigen Raum sowie in vielen weiteren Teilen der Welt »[z]um ersten Mal […] über das Privileg der Weißen in den Mainstream-Medien gesprochen« (Roig 2021: 331). Den Aktivist*innen der Black-Lives-Matter-Bewegung gelang es damit, eine Problemstellung zu benennen und in den Mainstream zu tragen, die innerhalb antirassistischer und universitärer Kreise schon länger intensiv und zum Teil konfliktvoll diskutiert wird. Mugtaba Hamoudah, einer der Black-Lives-Matter-Aktivisten aus Wien, benennt die damit zusammenhängende Problemstellung für die antirassistische Praxis: Viele Leute reflektieren nicht, dass wir alle Rassismen in uns tragen, weil wir in einer rassistischen Gesellschaft sozialisiert worden sind. Das heißt, dass auch in anti-rassistischen, linken Kreisen Rassismus reproduziert wird. Da braucht es mehr Reflexion und mehr Leute, die persönlich davon betroffen sind. Die Linke sollte nicht so tun, als würde 6

»People of Color« ist eine Selbstbezeichnung für Menschen mit Rassismuserfahrungen. Der Begriff kennzeichnet sich durch eine »solidaritätsstiftende Perspektive« (Ha 2013) und richtet sich an »alle Mitglieder rassifizierter und unterdrückter Communities« (ebd.). In jüngster Zeit hat sich auch der Begriff »BIPoC« (Black, Indigenous and People of Color) etabliert. Im deutschsprachigen Raum wird auch auf die Bezeichnung »Menschen mit (negativen) Rassismuserfahrungen« zurückgegriffen. Im Laufe dieser Arbeit werde ich auf alle diese Begriffe gleichermaßen zurückgreifen, da die Selbstbezeichnungen unterschiedlich angenommen werden

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Antirassismus und Privilegien

sie die Probleme dieser Menschen kennen, sondern sie für sich selbst sprechen lassen. (Mosaik Blog 2022) Diese Auseinandersetzung mit der privilegierten Position in der postmigrantischen Gesellschaft, die »Auseinandersetzung mit whiteness« (Bratić 2010: 101), steht im deutschsprachigen Raum erst am Anfang. Die negativen Auswirkungen dieser mangelnden Reflexion von rassistischen Machtverhältnissen innerhalb antirassistischer Zusammenhänge sind etwa anhand einer eindrücklichen Studie aus den USA besonders sichtbar, die auf den Zusammenhang zwischen Burnout von Aktivist*innen of Color aufgrund von Rassismuserfahrungen innerhalb ihrer antirassistischen Communities hingewiesen hat (vgl. Gorski 2018). Im Rahmen dieser Studie interessiere ich mich für Personen, die in antirassistischen Vereinen in Österreich engagiert sind, keine eigenen negativen Rassismuserfahrungen gemacht haben und die Auseinandersetzung mit eigenen Privilegien und Weißsein in der einen oder anderen Form führen. Ich tue dies, weil Antirassismus aus einer von Rassismen privilegierten Position, aus einer weißen Position, eine Reihe von Problemen mit sich bringt, die verstanden und bearbeitet werden müssen. Ich beforsche die Aktivisten* aber auch, um mögliche selbstund rassismuskritische Umgangsweisen in Erfahrung zu bringen, die privilegiert positionierte Antirassisten* erlernt, erprobt und angewandt haben. Dabei versuche ich, möglichst viel von den einzelnen Aktivisten* zu erfahren. Zum einen über ihre Tätigkeiten und ihre Positionen in den einzelnen Initiativen, aber darüber hinaus auch möglichst viel aus ihren spezifischen Biographien. Im Zuge dieser Studie habe ich deshalb zehn biographische Interviews mit antirassistischen7 Aktivisten* geführt, die sich als Personen ohne eigene negative Rassismuserfahrungen und als Männer*8 definieren. Die Interviews wurden in den Städten Wien, Graz und Innsbruck geführt. Mit diesem Fokus soll der Wirkungsweise von Rassismen auf jene nachgegangen werden, die im Zuge der symbolischen Ordnungen der intersektionalen Rassismen als menschliche Norm konstruiert und rassifiziert werden: weiße Männer9 . Gewissermaßen interessiere ich mich für Personen, die, mit Sabine Hark und 7

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Antirassistischer Aktivist* ist in dieser Arbeit eine Selbstbezeichnung. Die befragten Personen sind oder waren in unterschiedlichen Initiativen, Vereinen und Institutionen tätig, die sie selbst als rassismuskritisch oder antirassistisch bezeichnen. Das Gendersternchen soll hier darauf aufmerksam machen, dass es viele verschiedene Formen von Männlichkeit gibt. Die Definition als Mann ist von den Aktivisten selbst gewählt. Die Selbstdefinition als Cis-Mann war nicht Voraussetzung für eine Teilnahme. Fortlaufend werde ich von den Aktivisten in der männlichen Form und ohne Genderstern schreiben. Wenn diese ohnehin schon so mächtige, allgegenwärtige, universalisierte Position untersucht wird, muss dies aus einer kritischen Haltung heraus geschehen. Folgende Fallen galt es dabei für mich zu beachten: Die Forschung darf erstens nicht zu einer Rezentrierung des Weißseins beitragen. Diese Arbeit versteht sich als ein kleiner Beitrag zum Verständnis der Funktionsweisen von Rassismen und zur Erarbeitung von rassismuskritischen Alternativen. Im Zuge der Rassismusforschung sollte weiterhin die Perspektive der Rassismuserfahrung – und nicht jene der Privilegienerfahrung – im Mittelpunkt stehen. Die für die Analyse der Interviews relevanten Theorien, Studien und Erfahrungen stammen großteils von People of Color oder sind ohne deren Pionier*innenarbeit nicht denkbar. Zweitens muss vor einer neuerlichen Universalisierung weißer Theorie und Erfahrungen Abstand genommen werden und müssen diese Biographien als spezifische, historisch,

Einleitung

Paula-Irene Villa gesprochen, das Privileg besitzen, Teil der »unmarkierten Kategorie« (Hark & Villa 2018: 25) zu sein: »weiß, männlich, cis-geschlechtlich, heterosexuell, able bodied« (ebd.). Farid Hafez spricht in seinem Buch Das »andere« Österreich (2021) von der Dominanz von »männlich-weiß-heteronormativ-deutsch-katholischer Identitäten« (ebd.: 7) – diese privilegierte soziale Position möchte ich beforschen. Das primäre Erkenntnisinteresse dieser Studie besteht vor allem aus zwei zusammenhängenden Problemkomplexen: Wie werden die befragten Personen im Zuge ihrer Lebensgeschichte durch Rassismen geprägt und welche rassismuskritischen und antirassistischen Strategien entwickeln sie? Die wissenschaftliche Analyse von Biographien (Autobiographien oder biographische Erzählungen in Interviews) hat sich bei der Suche nach einem umfangreichen Verständnis der Wirkungsweisen von Rassismen auf Individuen als besonders erkenntnisfördernd erwiesen. Zugleich zeigen Biographien individuelle Umgangsweisen, Widerstände und Möglichkeiten zur Kritik der Verhältnisse auf – konzentrieren sich also auch auf die relative Handlungsmacht der biographischen Erzähler*innen. Im deutschsprachigen Raum haben sich deshalb Forschungen entwickelt, die sich mit »Rassismuserfahrungen« (vgl. Mecheril 1997, 2003, 2009; Terkessidis 2004; Melter 2006; Kilomba 2010 [2019]; Scharathow 2014; Velho 2016; Fereidooni 2016, Karabulut 2020) beschäftigen, und in der englischsprachigen Debatte wird vor allem von »Everyday Racism« (vgl. Essed 1990) gesprochen, wenn sich biographisch dem Phänomen Rassismus angenähert wird. Biographisch ausgerichtete Rassismusforschungen fragen einerseits danach, wie sich rassistische Strukturen und Diskurse in Praktiken und Subjektpositionen übersetzen und schlussendlich rassifizierte Subjekte hervorbringen, und andererseits, wie Subjekte selbst diese Strukturen, Diskurse, Praktiken und Subjektformen erzeugen, stabilisieren, brechen, umdeuten und bekämpfen. Diese Arbeit steht also auf der Grundlage von Biographien. Zunächst von meiner eigenen Biographie – besonders in Bezug auf mein antirassistisches Engagement und meine wissenschaftliche Tätigkeit als Rassismusforscher. Ich tue nämlich beides aus einer von Rassismen privilegierten Position. Das bedeutet, ich habe selbst keine negativen Erfahrungen mit Rassismen gemacht. Ich positioniere mich als weiß, als Mann, als Akademiker – also in mehrfacher Hinsicht, sich miteinander verschränkend, privilegiert. Das macht meine Position in antirassistischen Vereinen und in der Rassismusforschung zumindest fragwürdig. Was weißt du schon über Rassismen? Bist du nicht selbst zu sehr in Rassismen verstrickt? Diese gerechtfertigten Fragen haben meine eigene Biographie begleitet. Die fehlende Erfahrung über Rassismen, die unbewusste Prägung durch rassistisches Wissen führten auch dazu, dass ich nicht immer ein rassismuskritischer Wissenschaftler und antirassistischer Mitstreiter sein konnte, manchmal gar selbst verletzend wurde – gegen jede Intention.

sozial, kulturell situierte Erzählungen analysiert und gekennzeichnet werden. Drittens sollte sich auch vor einer Essentialisierung der privilegiert positionierten Personen in Acht genommen werden, was wiederum die rassistische Ordnung festschreiben könnte. Die heterogenen Biographien und ihre Eigenmächtigkeiten werden ernst genommen, ohne sie zu dämonisieren oder zu romantisieren.

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Antirassismus und Privilegien

Meine eigene soziale Position hat demnach einen Einfluss auf meinen Aktivismus und auf meine Forschung. Ich nehme daher eine wissenssoziologische Perspektive ein, die unter dem Ausdruck »situiertes Wissen« (Haraway 1988) von Donna Haraway firmiert. Emilia Roig hat Haraways Perspektive besonders pointiert zusammengefasst: Menschen können natürlich über Phänomene forschen, die sie nicht persönlich betreffen, aber es verlangt die Erkenntnis, dass ihre Nicht-Betroffenheit ihre Perspektive beeinflusst und zu Lücken führen kann. (Roig 2019: 128) In meinem Fall, und auf das Thema der Dissertation bezogen, bedeutet dies, dass die Tatsache, dass ich nicht negativ von Rassismen betroffen bin, einerseits meine Perspektive beeinflusst und andererseits zu Lücken in der Analyse von Rassismen führen kann. Gleichzeitig bin ich von Rassismen betroffen, indem ich gewisse systematische Privilegien erhalte. Diese soziologische Tatsache bedeutet wiederum, dass ich eine bestimmte Prägung erfahren sowie auch ein spezifisches Wissen innerhalb dieser Positionierung gewonnen habe. Die entstandenen Interviews sind durch die Positionierungen meiner Interviewpartner und von mir beeinflusst. Es wurde ein Raum des Sagbaren eröffnet, der in einer anderen Konstellation womöglich andere Ergebnisse liefern hätte können. Die angesprochene Lücke versuche ich ein wenig zu schließen, indem ich auf das Wissen der Rassismusforschung zurückgreife, das maßgeblich auf Erfahrungen mit Rassismen beruht, und indem ich eine Reihe von Kolleg*innen und Freund*innen um Feedback gebeten habe. In Bezug auf die Rassismusforschung hat sich dahingehend ein Konsens gebildet, dass das Jahrhunderte alte und laufend aktualisierte Wissen von BIPoCs, People of Color, Menschen mit Rassismus- und Diskriminierungserfahrungen grundlegend für unser Wissen über Rassismen ist. Das gilt auch und noch mehr für diese Arbeit. Gewissermaßen werden im Zuge dieser Studie Rassismuserfahrungen als Ausgangspunkt genommen und Rassismen in ihren intersektionalen Erscheinungsformen als gesellschaftliche Normalität betrachtet – und nicht als Ausnahmeerscheinung des gesellschaftlichen Randes oder Phänomen der Vergangenheit. Meine eigene Biographie wird in der Einleitung der Studie und im abschließenden Theorieteil transparent gemacht und mit den Ergebnissen verknüpft. Diese Vorgehensweise soll den Ort meines Sprechens sichtbar und damit auch kritisierbar machen. Im Theorieteil, im Methodenteil und in den empirischen Fallrekonstruktionen mache ich mich nicht explizit sichtbar. Die durchgehende Verwendung von Ich-Formulierungen soll aber klarstellen, dass hier keine neutrale Instanz spricht, sondern ich mit all meinen Limitationen, Prägungen und Fähigkeiten. Ich habe mich demnach für diese Forschungsarbeit an privilegiert positionierte Personen gewandt, die sich im Zuge von antirassistischen oder rassismuskritischen Vereinen aktivistisch engagieren. Ich tue dies nicht, um abermals die weiße Erfahrung in den Mittelpunkt zu stellen, sondern um reale Auswirkungen der intersektional gedachten Rassismen auf ganz spezifisch positionierte Menschen nachvollziehen zu können und vor allem deren individuellen Umgang damit offenzulegen. Es geht also um die Sozialisierung und Prägung durch Rassismen von Menschen in privilegierten sozialen Positionen – in der Arbeit bezeichne ich das etwas genauer als Subjektivierung durch Rassismen – und um die eigenmächtigen, widerständigen Haltungen dagegen – was ich als Subjektbildung mittels Antirassismus theoretisieren werde. Im Mittelpunkt steht die Frage,

Einleitung

was diese Subjektivierung für antirassistische Zusammenhänge bedeutet und wie eine rassismuskritische Subjektbildung gelingen kann. Die Perspektive der »Rassismuskritik« (vgl. Melter & Mecheril 2011) ist der normative Rahmen dieser Studie: Rassismuskritik geht davon aus, dass Rassismus ein Strukturierungsmerkmal unserer Gesellschaft ist, sodass sich kein Individuum und keine Institution als rassismusfrei bezeichnen kann. Es existieren keine rassismusfreien Räume, denn jede Person in der BRD ungeachtet ihrer sozialen Herkunft, ihrer Intelligenz und ihrer Intention, nicht rassistisch sein zu wollen, besitzt und (re-)produziert rassismusrelevantes Wissen (vgl. Scherschel 2006, Melter 2006). (Fereidooni 2019: 2) Rassismuskritik ist eine selbst- und gesellschaftskritische Haltung, […] die von der Überzeugung getragen wird, dass es sinnvoll ist, sich nicht ›dermaßen‹ von rassistischen Handlungs-, Erfahrungs- und Denkformen regieren zu lassen. (Scharathow et al. 2011: 10) Der rassismuskritischen Logik nach ist es nicht möglich, sich außerhalb von Rassismen zu verorten, komplett antirassistisch oder nichtrassistisch zu sein. Wir sind trotz unterschiedlicher Positionen alle Teil von rassistischen Strukturen, in rassistische Diskurse verstrickt, können Rassismen also nur von innen kritisieren. Diese Arbeit ist als Reflexionshilfe gedacht, soll zum Innehalten derer anregen, die von Rassismen privilegiert positioniert und antirassistisch aktiv sind. Es soll für alle Antworten liefern, warum das Verbündetsein entgegen dem eigenen Wollen oft nicht gelingt, was die eigene Lebensgeschichte damit zu tun hat und wie es doch gelingen könnte.

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1 Die vorliegende Studie

Problemstellung Im Jahre 2012 fand in Köln das No-Border-Camp statt – ein mehrtägiges Zusammenkommen von Aktivist*innen mit dem Interessenschwerpunkt Flucht. In der öffentlichen Erinnerung blieb vor allem eine dort1 und danach medial2 ausgetragene Debatte zu »Critical Whiteness«. Die mittlerweile aufgelöste antirassistische Gruppe Reclaim Society (RS) aus Berlin hatte Ideen und Konzepte aus den US-amerikanischen »Critical Whiteness Studies« angewandt und versucht, am Camp in eine rassismuskritische Praxis umzusetzen. So ging es etwa um Definitionsmacht, antirassistische Begrifflichkeiten und weiße Privilegien. Praktiziert wurde dies mit Sprechverboten, Rauswürfen aus dem Camp und auch radikalen Handlungsempfehlungen mancher Aktivist*innen, wie etwa der Forderung an weiße Dreadlocks-Träger*innen, sich diese abzuschneiden. Aus der Aufarbeitung der Vorfälle wurde schnell eine Grundsatzdebatte über Theorie und Praxis von Critical Whiteness. Die Diskussion wurde maßgeblich von Personen aus dem Umfeld zweier Initiativen mit unterschiedlichen Bewegungstraditionen geführt: Kanak Attak3 und Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD)4 . 1

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Die Berichte wurden vor allem in Blogs und Kommentaren veröffentlicht und sind vornehmlich von Kritiker*innen der dort gesetzten Handlungen in Bezug auf Critical Whiteness verfasst worden (vgl. Jakob 2012; Antifa Friedrichshain [afh] 2012; femko 2012; NoLager Bremen 2012). Die Debatte wurde in einer Sonderbeilage der Zeitschrift ak Analyse und Kritik. Zeitung für linke Debatte und Praxis im Herbst 2013 veröffentlicht. Eine weitere Debatte zu Critical Whiteness in antirassistischen Kontexten wurde in Migrazine (Ausgabe 2013/2) geführt. Kanak Attak über sich: »Kanak Attak ist ein selbstgewählter Zusammenschluß verschiedener Leute über die Grenzen zugeschriebener, quasi mit in die Wiege gelegter ›Identitäten‹ hinweg. Kanak Attak fragt nicht nach dem Paß oder nach der Herkunft, sondern wendet sich gegen die Frage nach dem Paß und der Herkunft. Unser kleinster gemeinsamer Nenner besteht darin, die Kanakisierung bestimmter Gruppen von Menschen durch rassistische Zuschreibungen mit allen ihren sozialen, rechtlichen und politischen Folgen anzugreifen. Kanak Attak ist anti-nationalistisch, anti-rassistisch und lehnt jegliche Form von Identitätspolitiken ab, wie sie sich etwa aus ethnologischen Zuschreibungen speisen.« (Kanak Attak 1998) Die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland über sich: »Die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland Bund e.V. ist ein gemeinnütziger, eingetragener Verein. Wir haben es uns zur Aufgabe

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Antirassismus und Privilegien

In dem Artikel Decolorise it! Die Rezeption von Critical Whiteness hat eine Richtung eingeschlagen, die die antirassistischen Politiken sabotiert (Karakayali et al. 2013) haben die Autor*innen aus dem Umfeld von Kanak Attak spezifische in Deutschland entwickelte Rezeptionen von Critical Whiteness kritisiert. Ihrer Ansicht nach reproduziert der Ansatz einerseits binäre rassistische Kategorien und erschwert andererseits die Kämpfe gegen Rassismus. Indem eine Gruppe von »Weißen« konstruiert wird, deren Mitglieder angeblich allesamt durch Institutionen und Diskurse privilegiert werden, und ihr eine zweite Gruppe gegenübergestellt wird, die sich als People of Color (PoC)5 bezeichnet und damit gemeinsame Diskriminierungserfahrungen verdeutlicht, findet eine Reproduktion der rassistischen Kategorien weiß vs. color statt. Die Autor*innen fragen: »Restabilisiert die Grenzziehung zwischen »of Color« und »weiß« damit nicht rassistische Klassifizierungen?« (ebd.: 6). Ihre Befürchtung ist, dass die zwei in kritischer Absicht konstruierten Gruppen schnell zu Essentialisierungskategorien verkommen können, die »Weiße« entmündigt und Antirassismus nur einer »Generalversammlung eines Mainstreams der Minderheiten« (ebd.: 7) vorbehält. Damit zusammenhängende Fragen nach der eigenen Position und weitere identitätspolitische Fragen kritisieren die Autor*innen als »fatale Gleichsetzung von Subjektivität und Politik in der Critical-Whiteness-Rezeption« (ebd.). Sie verwehren sich gegen eine Gleichsetzung von politischer Position und sozialer Position mitsamt spezifischen Marginalisierungserfahrungen und gegen einen vereinfachten Täter-Opfer-Dualismus. Im Fazit benennen die Autor*innen die Art und Weise, wie die Debatte zu Critical Whiteness in Deutschland geführt wird, als »unpolitisch, moralisierend und in höchstem Grade destruktiv« (ebd.: 8). Sie verwehren sich gegen die ihrer Ansicht nach damit einhergehenden Formen der Identitätspolitik und Ethnisierung und verweisen auf die antirassistischen Kämpfe der Migration von Menschen mit und ohne negative Rassismuserfahrungen im Zuge der letzten Jahrzehnte in Deutschland (Karakayali et al. 2013: 8). In einer Replik auf den Artikel von Karakayali und Kolleg*innen antworten Artur Dugalski, Carolina Lara und Malik Hamsa (2013), Mitglieder der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, unter dem Titel Farbenblindheit ist auch keine Lösung. Critical Whiteness ist ein sinnvolles Werkzeug zur Rassismuskritik. Sie verwehren sich gegen eine verkürzte Kritik an einem vermeintlich »neuesten Schrei linker Theoriezirkel« (ebd.: 9) und verweisen auf die lange emanzipatorische Tradition von Schwarzer Theoriebildung zu weißer Hegemonie. Sie stellen klar, dass die kollektive Erfahrung von Diskriminierung und Ausbeutung untrennbar und ursächlich mit der »historisch gewachsenen Privilegierung weißer Menschen« (ebd.) verbunden ist. Der aus diesem historischen Hintergrund entstandene Blickwinkel verweist drauf, dass Rassismus nicht nur Auswirkungen auf jene Menschen hat, die negative Rassismuserfahrungen machen, sondern auch auf jene prägend einwirkt, die von Rassismus nicht negativ betroffen sind. Auf die

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gemacht, die Interessen Schwarzer Menschen in Deutschland zu vertreten und für Gerechtigkeit in der Migrationsgesellschaft einzustehen.« (ISD-Bund e.V. 2022) Vassilis Tsianos kritisiert an dem Begriff »PoC« Folgendes: »Der Begriff ist exemplarisch für einen falschen Theorieimport. Ich als Mensch mit Diaspora-, Migrations- und Rassismushintergrund kann mich nicht darin wiederfinden.« (Vgl. Ippolito & Kalarickal 2013)

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Kritik, mit dieser Perspektive den rassistischen Schwarz/weiß-Dualismus zu wiederholen, antworten die Autor*innen mit dem Verweis darauf, dass diese Kategorien gerade nicht biologistisch oder essentialistisch gedacht werden, sondern auf Positionen im Kontext von Rassismus verweisen (ebd.). Mit der Warnung vor einer »Farbenblindheit« drücken sie mit Eske Wollrad (2005) ihre Bedenken aus, dass ein Nichtbenennen von weißen Privilegien und Machtausübungen gerade rassistische Machtverhältnisse verdeckt (Dugalski et al. 2013: 10). Sie plädieren für ein kritisches Aus- und Ansprechen von weiß-normierten Positionen, Diskursen und Praktiken. Denn, so die Autor*innen, nur über diesen Weg wird es möglich sein, das eigentliche Ziel antirassistischer Politik nicht aus den Augen zu verlieren, das darin liege, »letztlich die Kategorie ›race‹ ideologisch und praktisch ganz zum Verschwinden zu bringen« (ebd.). Zu dem Vorwurf, politische und soziale Position gleichzusetzen, antworten die Autor*innen indirekt. Sie verneinen die Befürchtung, dass Ansätze der Critical Whiteness in der antirassistischen Praxis dazu führen würden, dass Weiße in der politischen Arbeit mundtot gemacht würden. Aufgrund unterschiedlicher sozialer Positionen und Erfahrungen von Menschen ohne und mit negativen Rassismuserfahrungen plädieren sie allerdings für bestimmte Kräfteverhältnisse innerhalb der antirassistischen Arbeit. Dabei sollten möglichst »Form und Inhalte antirassistischer Arbeit […] zunächst von den Menschen formuliert werden, die negativ von Rassismus betroffen sind« (ebd.): »Die Rolle weißer AktivistInnen kann hier darin bestehen, als Verbündete die Kämpfe von MigrantInnen, Schwarzen, People of Color usw. zu unterstützen« (ebd.). Die Autor*innen verweisen auf die Problematik der polarisierenden Rezeption von Critical Whiteness als entweder autoritäres oder empowerndes Werkzeug und rufen die linke Tradition der Selbstkritik in Erinnerung, im Zuge deren das Konzept der Whiteness produktiv angewandt werden könnte (Dugalski et al. 2013: 10). Vassilis S. Tsianos und Serhat Karakayali haben in einem weiteren Artikel – Blackbox Critical Whiteness. Zur Kritik neuer Fallstricke des Antirassismus: Eine Intervention – versucht, auf die öffentlichen Reaktionen auf die Debatte einzugehen. Im Kern ihrer Argumentationen steht weiterhin die Kritik an dem »Fallstrick der Reifizierung« (Tsianos & Karakayali 2013), die sie einer bestimmten dominanten Lesart von Critical Whiteness vorwerfen. Reifizierung meint die »Bestätigung der historisch durch Gewaltverhältnisse entstandenen identitären Markierungen« (ebd.) durch die Verwendung von identitären Zuschreibungen entlang dieser rassistischen Marker. Die Autoren wiederholen damit ihre Kritik an Essentialisierungskategorien. Ihrer Ansicht nach wird »Rassismus als gesellschaftliches Verhältnis, das Konjunkturen und Kämpfen unterliegt […], so unsichtbar« (ebd.). Gegen Ende ihrer Ausführungen wiederholen Tsianos und Karakayali einen zentralen Punkt, der für diese Studie richtungsweisend ist und sich mit der Frage der sozialen Position und den daraus abgeleiteten politischen Positionierungen auseinandersetzt: Eine politische Position ist nicht die logische Folge spezifischer persönlicher Erfahrungen, sondern entwickelt sich durch die kritische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Verhältnissen. (Ebd.) Die eigene soziale Position sagt in der Lesart der Autoren an sich noch gar nichts aus über mögliche politische Positionierungen. Entscheidend ist vielmehr die eigene Subjektivie-

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rung und die darin stattfindenden Prozesse der (politischen) Subjektbildung. Diese Prozesse sind kontingent und heterogen, von vielen Dingen abhängig und eben nicht durch die eigene soziale Position determiniert. Serhat Karakayali vertieft in einem weiteren Artikel die mit Tsianos entwickelte Argumentation und bringt noch einen wichtigen Kritikpunkt am Ansatz der »Kritischen Weißseinsforschung« in die Debatte ein: Ihr theoretisches Instrumentarium könne zu wenig auf die Dynamiken und Konjunkturen von Rassismen eingehen, sondern arbeite mit zu starren Konzepten. Für Karakayali wäre der von Stuart Hall in die Rassismusforschung eingebrachte Begriff der »Artikulation« besonders geeignet, um zu untersuchen, wie normative Ordnungen, wie Rassismen tatsächlich praktisch umgesetzt werden, wo sie scheitern und umgedeutet werden: Was dieser Begriff nahelegt, ist, dass die Verbindung zwischen diskursiven oder symbolischen, materiellen und existenziellen Elementen des Sozialen alles andere als stabil ist […]. Diese im weitesten Sinne »poststrukturalistische« bzw. repräsentationskritische Einsicht in die kontingente Dimension im Verhältnis zwischen sozialen Verhältnissen und politischen Praktiken fehlt im Critical-Whiteness-Ansatz. (Karakayali 2015: 130f) Der Autor sieht die Verdienste des Ansatzes darin, an der »Sichtbarmachung der vielfältigen Dimensionen rassistischer Codierung« (ebd.: 131) zu arbeiten, und fragt sich kritisch, […] ob allerdings die Gesamtheit der in Europa entstandenen kulturellen Normen sich ausschließlich unter Gesichtspunkten einer phänotypisch orientierten rassistischen Codierung sinnvoll interpretieren lassen […]. (Ebd.) Nora Räthzel problematisiert in diesem Zusammenhang die Reduktion von Rassismen »auf den Gegensatz Schwarz-Weiß« (vgl. Räthzel 2012: 208). In eine ähnliche Kerbe schlagen Hito Steyerl und Mark Terkessidis in ihrer Kritik an Ansätzen des Kritischen Weißseins, denen sie vorwerfen, »teilweise konsequent an den komplizierten deutschen Verhältnissen vorbei [zu führen]« (Steyerl & Terkessidis 2021). Kritische Weißseinsforschung sei lediglich »Mittelstandsgymnastik« (ebd.), verhindere die Analyse von konkreten Rassismen im deutschsprachigen Raum und führe zu einer Verschiebung von Rassismen in das Ausland – auch um der eigenen (individuellen und kollektiven) Verantwortung zu entfliehen. Sie plädieren daher für eine stärkere Kontextualisierung anstatt eines Imports von Theorien aus anderen Kontexten: Anstatt die vielfältigen rassistischen Kontinuitäten in ihren Unterschieden und Überschneidungen zu untersuchen und damit auch die Echos zwischen historischen und gegenwärtigen Antisemitismen und Rassismen, verlässt man sich offenbar lieber auf simple Identifikationsmuster, die aus den USA übernommen werden. (Steyerl & Terkessidis 2021) Serhat Karakayali, Vassilis Tsianos, Hito Steyerl und Mark Terkessidis haben wichtige Probleme und theoretische Schwachstellen des Critical-Whiteness-Ansatzes benannt. Meiner Einschätzung nach befürchten die Autor*innen hinter dem Konzept des Kritischen Weißseins die Etablierung einer neuen »Metakategorie« innerhalb der Rassismus-

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forschung. Sie haben exemplarisch gezeigt, dass dies in einigen Werken tatsächlich der Fall ist und was das für problematische Konsequenzen für das Verständnis von Rassismen im deutschsprachigen Raum haben könnte. An dieser Deutung (explizit als Antwort auf Tsianos und Karakayali) wird allerdings kritisiert, dass die Autoren zu generalisierend und zu vereinfachend vorgegangen seien und damit indirekt einer weiteren Dethematisierung von Privilegien und Weißsein das Wort reden (accalmie 2012). Aus dieser Perspektive wird Kritische Weißseinsforschung als Versuch verstanden, die »Normativität von Weißsein« (Wollrad 2005) aufzuzeigen und gleichzeitig die damit zusammenhängende Normalität zu entnormalisieren (vgl. Hornscheidt 2013). Kien Nghi Ha plädiert in seinem Artikel Mittelweg. Zur Kritik am People of Color- und Critical Whiteness-Ansatz dafür, die absolute und grundsätzliche Kritik am People-of-Color- und Critical-Whiteness-Ansatz abzulehnen, gleichzeitig aber bestimmte Probleme innerhalb der Ansätze zu benennen und problematische Auslegungen zu kritisieren. Innerhalb der hart geführten Debatte wirbt er für einen »streitbaren Pluralismus« (Ha 2014). Der Mittelweg von Ha entspringt aus der Erkenntnis, dass »[s]owohl ein dogmatisch erstarrter Whiteness-Ansatz als auch die neoliberale Mainstreampolitik der Farbblindheit […] in die Irre [führen]« (ebd.). Die Debatte zeigt eindrücklich die zentralen Fragen der wissenschaftlichen Auseinandersetzung und antirassistischen Realität des Zusammenhangs von Rassismen und Privilegien auf und sensibilisiert für zwei zentrale Problemstellungen, die diese Studie begleiten: Essentialismus (vgl. Tsianos & Karakayali 2013) und Machtrelativismus (dazu kritisch vgl. Piesche 2009: 15; Wollrad 2011: 147). Im Zuge dieser Forschung besteht also einerseits die Gefahr Individuen unter Identitätskategorien zu essentialisieren, die erstens konstruiert sind und zweitens individuell je verschieden angenommen werden können. Andererseits bestünde aber auch eine Gefahr darin, real existierende Machtverhältnisse, die unter anderem durch unterschiedliche soziale Positionen gekennzeichnet sind, zu relativieren oder gar unsichtbar zu machen, wenn privilegierte weiße Positionierungen nicht benannt werden. Diese beiden Probleme gilt es für diese Studie stets zu berücksichtigen, um auf dem von Ha beschriebenen Mittelweg bleiben zu können.

Forschungsstand Die wissenschaftliche Debatte zu Antirassismus aus einer weißen, von Rassismen privilegierten Position besteht aus wenigen empirischen Studien, vielen theoretischen Artikeln, Arbeiten, die primär aus dem feministischen Forschungskontext stammen, einigen wenigen biographisch orientierten Arbeiten und allgemeineren Werken aus der rassismuskritischen Bildungsarbeit. Die Beschäftigung mit der durch Rassismus privilegierten Position oder Weißsein geht auf eine lange Tradition Schwarzen Wissens zurück. Ohne dieses Wissen, das in den Gesellschaften des Kolonialismus und der Sklaverei lebens- und überlebensnotwendig war und gleichzeitig marginalisiert wurde (vgl. hooks 1992: 165; Sow 2009: 274), wären die heutigen Critical Whiteness Studies nicht denkbar. Dieses »Schwarze Wissensarchiv« (Eggers 2009: 18) wurde durch US-amerikanische Pionier*innenarbeiten, beginnend mit Sojourner Truth (1851), W.E.B du Bois (1920a+b), bell hooks (1992), über Toni

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Morrison (1992) bis zu Beiträgen von weißen Wissenschaftler*innen wie Peggy McIntosh (1988), Ruth Frankenberg (1993) und Richard Dyer (2017 [1997]) in eine eigene Forschungstradition übersetzt und ausgebaut. Im deutschsprachigen Raum ist die Dissertation von Diana Bonnelamé (1983), die zu weißen deutschen Jugendlichen evangelischen Glaubens mit den Methoden der Völkerkunde geforscht hat (vgl. Piesche 2009: 14), als Pionier*innenarbeit zu nennen. In dem parallel zu ihrer Forschung entstandenen Film Wie andere N. auch werden weiße Institutionen, weiße Deutungsansprüche und weiße Irritationen, in Bezug auf die Benennung dieser rassifizierten Strukturen, sichtbar. Die Intervention von Kanak Attak, die 2002 im Kölner Stadtteil Köln-Lindenthal die »bio-deutschen« Bewohner*innen nach ihrem Leben im »Weißen Ghetto« befragt hat (vgl. Kanak Attak 2002), kann mit Fatima El-Tayeb (2009: 7) auch als Praxis der Kritischen Weißseinsforschung interpretiert werden. Birgit Rommelspacher hat mit ihrem Werk Dominanzkultur bereits 1995 einen theoretischen Bezugsrahmen erarbeitet, der viele Schnittpunkte mit den amerikanischen Critical Whiteness Studies aufweist. Helga Amesberger und Brigitte Halbmayr (2008) wiesen genau darauf hin, indem sie beide Perspektiven verknüpft und für den deutschsprachigen Raum adaptierbar gemacht haben. Das für die deutschsprachige Debatte zentrale Werk der Kritischen Weißseinsforschung ist aber der von Maureen Maisha Eggers, Grada Kilomba, Peggy Piesche und Susan Arndt (2009 [erstmals 2005]) herausgegebene Sammelband Mythen, Masken und Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland. Martina Tißbergers, Gabriele Dietzes, Daniela Hrzáns und Jana Husmann-Kasteins 2006 erschienener Sammelband Weiß – Weißsein – Whiteness: Kritische Studien zu Gender und Rassismus/Critical Studies on Gender and Racism sowie die Arbeiten von Ursula Wachendorfer (2000), Susan Arndt (2001), Henning Melber (1992), Katharina Walgenbach (2005) und Eske Wollrad (2005) waren weitere wichtige Impulsgeberinnen. In Österreich ist Araba Evelyn Johnston-Arthur (2004) mit ihrem Artikel Weiß-heit Vorreiterin. Die genannten Arbeiten erforschen »Weißsein als Bedeutung produzierende Wirklichkeitskonstruktionen mit realen, nicht selten gewaltvollen Realitäten« (Piesche 2009: 16) und damit auch den Zusammenhang von Rassismus und Privilegien. In den Forschungen ist immer die Frage nach der Dekonstruktion dieser weißen Strukturen, Praktiken, Diskurse und Positionen präsent. Antirassismus oder Rassismuskritik – staatlich-institutionell, aktivistisch-politisch, alltäglich-praktisch – erfährt so innerhalb der Forschung besondere Beachtung. Die Pionier*innenarbeit in diesem Bereich ist die Arbeit von Ruth Frankenberg (1993), die für ihre Studie White Women, Race Matters: The Social Construction of Whiteness biographische Interviews mit verschiedenen Frauen in den USA geführt hat, die sich als weiß positionieren und in unterschiedlichen Formen Bezüge zum Antirassismus aufweisen. Die Studie hat es als eine der ersten Arbeiten zu zeigen vermocht, wie maßgeblich das für die meisten ihrer Interviewten unsichtbare Weißsein die eigene Biographie und die antirassistische Praxis beeinflusst (vgl. Frankenberg 1993). Allgemein ist in den einschlägigen Forschungen zu weißem Antirassismus eine starke Fokussierung auf die weibliche Subjektposition zu verzeichnen (vgl. Frankenberg 1993, 1996; Ebner 2001; Dietze 2013; Mayer 2018); Reflexionsprozesse, die in Bezug auf die männlich-weiße Position noch nicht eingesetzt haben. Diesem Vorhaben widmet sich diese Studie. Eine der frühen deutschsprachigen Arbeiten zu dem, was ich im Zuge dieser Arbeit als Antirassismus aus einer privilegierten Position bezeichne, ist die Studie von Sabine

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Hess und Andreas Linder aus dem Jahr 1997: Antirassistische Identitäten in Bewegung. Die Arbeit interpretiert privilegierten Antirassismus als Form der Identitätsarbeit in einer von Rassismus geprägten Gesellschaft. Problematisch an der Studie ist die Selbstverständlichkeit, mit der weiße Deutsche in den Mittelpunkt gestellt werden (vgl. dazu die Kritik von Görg und Pühretmayer 2000: 247), sowie der in der Arbeit dazu konstruierte Gegenpol der Migrant*in – womit indirekt Deutschsein und Weißsein miteinander verknüpft und normalisiert wird. Aus dem selben Jahr stammt eine unveröffentlichte Studie von Joanie Mayer mit weißen antirassistischen Aktivistinnen in den USA. Sie verweist auf eine paradoxe Haltung von privilegierten Antirassistinnen, nämlich die Tendenz, die eigene Rolle als Täterin zu übertreiben sowie zu dämonisieren und eigene Marginalisierungserfahrungen, etwa in Bezug auf sexuelle Verortung, zu relativieren (Mayer 1997, zit.n. Wollrad 2011: 155f). Julia Verse (2012) verweist auf eine ebenfalls unveröffentlichte Studie von Ingmar Pech (2003), die antirassistische Praxen in Bezug auf Weißsein untersucht. Pech kommt zu dem Ergebnis, […] dass die eigene weiße Dominanzposition von antirassistisch engagierten Personen gar nicht wahrgenommen wird oder nur in widersprüchlicher Weise in politischen Praxen gegen Rassismus Berücksichtigung findet. (Verse 2012: 94) Anja Weiß hat 2001 mit ihrer Studie Rassismus wider Willen. Ein anderer Blick auf eine Struktur sozialer Ungleichheit darauf aufmerksam gemacht, dass Rassismus privilegierten Antirassist*innen stets als symbolisches Kapital zur Verfügung steht und dies auch innerhalb der Organisationen angewandt wird – selbst gegen den eigenen Willen. Weiß hat an anderer Stelle weißen Antirassismus in Bezug auf strukturelle Dominanz kritisch hinterfragt (vgl. Weiß 1998, 1999). Die für den österreichischen Kontext so wichtigen Arbeiten von Ljubomir Bratić (2002a+b, 2010), setzen sich unter anderem aus der Frageperspektive der Selbst- und Fremdvertretung kritisch mit Antirassismus auseinander. »Mehrheitsgesellschaftlichem« Antirassismus wird dabei eine selbstverliebte moralische Komponente (moralischer Antirassismus) vorgeworfen, er verhindere zudem politischen Antirassismus und rassismusfreiere Räume. (Vgl. Bratić 2002a) Eine wichtige Studie zu Antirassismus in Österreich ist die im Auftrag des Bundes erstellte Studie von Andreas Görg und Hans Pühretmayer mit dem Titel Strategische Potentiale gegen Rassismen aus dem Jahre 2000. Die Studie kritisiert eine »Stellvertreterpolitik«, die rassismuserfahrene Menschen entmündigt. Ein dominanzgesellschaftlich besetzter »moralischer Antirassismus« verschlinge einen Gutteil der Ressourcen für antirassistische Politik und mache gleichzeitig migrantischen und selbstorganisierten Antirassismus unsichtbar (vgl. Görg Pühretmayer 2000, 2002). Im Zuge des Weiterdenkens von antirassistischer Bildungsarbeit (Essed et al. 1991; Cohen 1994; Jäger 1994; Holzkamp 1994; Meier-Mesquita 1999; Stender et al. 2003) im Rahmen der Perspektive der »rassismuskritischen Bildungsarbeit« (vgl. Fereidooni & Hößl 2021; Melter 2021; Broden 2017; Melter & Mecheril 2011; Scharathow & Leiprecht 2011) entstanden in den letzten Jahren vermehrt Arbeiten, die sich mit den Fragen von unterschiedlichen sozialen Positionen in Bezug auf Rassismen, die sich durch »superiore und inferiore Disponiertheiten« (Mecheril 2004: 198, Herv. i. Orig) kennzeichnen, auseinandersetzen. Diese Werke beschäftigen sich mit Bildungskontexten (vgl. Broden & Mecheril 2011), der Sozialen Arbeit (Tißberger 2020), der Schule (Bönkost 2021), mit Bil-

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dungsmaterialien (Dieckmann 2011), Spendenplakaten (Kiesel & Della 2014) dem Museum (Greve 2019) und der Universität (Simon 2021; Ha 2016a) und haben gezeigt, dass Weißsein eine unsichtbare Norm in den beforschten Institutionen darstellt – also von einer »Normativität von Weißsein« (Wollrad 2005) gesprochen werden kann. Diese Normativität ist weiß positionierten Menschen selten als solche bewusst, da sie unausgesprochen normalisiert ist. Meine Forschung richtet sich auch vor diesem Hintergrund an privilegiert positionierte Antirassisten. Ich gehe davon aus, dass sie dieses soziologische und auch selbstreflexive Wissen bereits haben, und möchte wissen, wie sie damit umgehen, welche Konsequenzen sie ziehen, wie sie sich positionieren. Forschungen, die sich mit Antirassismus aus einer von Rassismen privilegierten sozialen Position biographieanalytisch auseinandersetzen, fehlen im deutschsprachigen Raum. Gerade in der Biographieforschung können jedoch die zentralen Fragen der Perspektiven »Dominanzkultur« und »Kritische Weißseinsforschung« beantwortet werden, ohne dabei essentialistisch zu argumentieren oder unterschiedliche Machtpositionen unbenannt zu belassen: Wie prägt Weißsein, Männlichkeit, die Zuschreibung als »einheimisch« und »europäisch« darauf angerufene Individuen und deren Lebenswege? Welche Rolle spielt diese superiore Prägung in der Selbst- und Fremdwahrnehmung? Was haben Rassismen damit zu tun? Wie können Rassismen aus dieser Position bekämpft werden? Welchen Einfluss hat diese Prägung auf die soziale und politische Positionierung? Welche Auswege, Umwege, Umdeutungen sind möglich? Empirische Studien dieser thematischen und methodischen Ausrichtung finden sich vor allem im US-amerikanischen Raum der letzten Jahre. Vorbild gebende Werke sind das in großen Teilen auf Erfahrungen in Workshops zu Rassismus und Weißsein beruhende Werk von Robin DiAngelo (2018) White Fragility. Why It’s so Hard for White People to Talk About Racism, die Arbeiten von Chris Crass (2016) Towards the »Other America«. Anti-Racist Resources for White People Taking Action for Black Lives Matter, die Studie von Becky Thompson A Promise and a Way of Life. White Antiracist Activism (2001), Alastair Bonnetts (1996) Anti-Racism and the Critique of ›White‹ Identities, das auf der Grundlage von Interviews mit Afroamerikaner*innen entstandene Buch von Mark Rosenkranz White Male Privilege (2018) und das von Cooper Thompson et al. (2003) veröffentlichte Buch White Men Challenging Racism: 35 Personal Stories. Gleichzeitig haben die Ergebnisse gezeigt, dass diese doch vor allem vor dem US-amerikanischen Hintergrund interpretiert werden müssen, was nicht bedeutet, dass sie nicht in einigen Punkten auch für den deutschsprachigen Raum aussagekräftig sein können. Eine theoretische Grundlage für die vorliegende Forschung hat Eske Wollrad mit ihrem Artikel Getilgtes Wissen, überschriebene Spuren. Weiße Subjektivierungen und antirassistische Bildungsarbeit (2011) gelegt. Sie beschreibt ihr Programm wie folgt: Weiße Subjektivierungen bezeichnen folglich widersprüchliche Prozesse der Aneignung rassistischen Wissens, die nie vollständig und abgeschlossen sind. Die Problematisierung Weißer Subjektivierungen ist notwendig, soll aber weder Schuldgefühle noch Anklage kultivieren, sondern ist vielmehr ein Ausdruck von Professionalität und Intellektualität. […] Weiße Selbstkritik ist selbstbezüglich, aber nicht selbstzentriert; sie reflektiert eigene Denk- und Verhaltensweisen als in Dominanzverhältnisse eingewobene, ohne von diesen vollständig bestimmt zu sein. (Wollrad 2011: 142f)

1 Die vorliegende Studie

In dieser Definition sind bereits zentrale Punkte benannt, die auch für meine Studie forschungsleitend sind: die zentrale Kategorie des rassistischen Wissens, die im späteren Verlauf dieser Arbeit zur Sprache kommt, die Offenheit für die Widersprüchlichkeit von Subjektivierungsprozessen, der Verzicht auf moralisierende oder anklagende Perspektiven und der rassismuskritische Standpunkt einer nichtdeterministischen Verwobenheit in rassistische Verhältnisse. Im weiteren Verlauf ihrer Argumentationen präzisiert Wollrad ihre Vorstellung von »weißer Subjektivierung«, indem sie Sabine Broeck zitiert. Hier wird einerseits ersichtlich, dass die Transparentmachung der im Rassismus dominanten Vorstellung von Weißsein wichtig ist, andererseits sind in der Argumentation von Wollrad und Broeck auch die Fallen einer essentialistischen Perspektive augenscheinlich: Weiße Subjektivierungen gründen in der Herstellung von Weißen als einer Gruppe, die als ›normal‹ und homogen sowie als sich außerhalb von Rassifizierungsdynamiken befindend repräsentiert wird. Im Verlauf ihrer Konstitution kann dabei auf ein Reservoir an Weißseinsfacetten zurückgegriffen werden, welches die Amerikanistin Sabine Broeck folgendermaßen beschreibt: »ein innerer Zwang, das Ungeformte formen zu wollen, sich der Umgebung aufzuzwingen; eine Unfähigkeit, Dinge so zu lassen, wie sie sind […]; Ichbezogenheit; Naivität in Bezug auf Privilegien; eine verzweifelte, immer schon zum Scheitern verurteilte Besessenheit in Bezug auf gesellschaftliche und private Kontrolle; eine bestimmte Art grenzüberschreitender Neugier; die Selbstermächtigung, die Welt durch wertende Beobachtung zu erkennen (zu besitzen) […]; die Weigerung, Zeugnis über das eigene Schmarotzertum abzulegen; ein Bestehen auf ethischen Werten, die vielleicht philosophisch zu befürworten sind, aber eines historischen Gedächtnisses entbehren […]; ein Geburtsrecht auf Korrektheit; […] die Annahme des westlichen weißen Individuums als Agens der Geschichte im Hegelschen Sinn; die Erkenntnis, dass man am Universellen und nicht am Partikularen teilhat; ein Gefühl der persönlichen und historischen Unschuld; das Privileg, geben zu können.« (Broeck 2002, 91f.) (Wollrad 2011: 144) An dieser Stelle möchte ich eine für diese Studie zentrale Abgrenzung vornehmen. Es geht mir nicht darum, eine identitär gedachte Position der oder des Weißen zu untersuchen, oder darum, eine Sozialisation innerhalb einer Gruppe der Weißen mit bestimmten Eigenschaften nachzuzeichnen. Hier wird der Kritikpunkt an einer Essentialisierung von Weißen und einer Metakategorie Weißsein klar ersichtlich. Entscheidend ist hier die Verwendung eines alternativen theoretischen Instrumentariums, wie das etwa Birgit Rommelspacher in Dominanzkultur (1995) gelungen ist, indem sie einen machtkritischen, nichtessentialistischen Kulturbegriff entwickelt, auf den in dieser Studie noch mehrmals zurückgegriffen wird. Es geht also nicht um die Beforschung einer Identitätsposition, sondern um die Beforschung einer Machtposition. Andere Arbeiten, wie der so wichtige Meilenstein der Kritischen Weißseinsforschung von Maureen Eggers et al., Masken, Mythen und Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland (2009), und das in Österreich entstandene Werk von Helga Amesberger und Brigitte Halbmayr (2008), Das Privileg der Unsichtbarkeit. Rassismus unter dem Blickwinkel von Weißsein und Dominanzkultur, entwickeln die Theorie auf hohem Niveau weiter und machen sie für den deutschsprachigen Kontext anschlussfähig.

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Allerdings sind viele dieser wichtigen Arbeiten nicht im Rahmen größerer empirischer Studien entstanden und noch seltener auf der Grundlage von biographisch ausgerichteten Forschungsprojekten. Schließlich scheint es bei der Analyse der wenigen biographischen Studien ein Problem mit der zugrunde liegenden Methodologie zu geben. Einerseits überhöhen handlungstheoretisch-dekonstruktivistisch ausgerichtete Studien die Handlungsfähigkeit der privilegierten Aktivist*innen und verhandeln Weißsein wie eine Mitgliedschaft,6 etwa die These des »Race Traitor« von Noel Ignatiev (1996), während andererseits strukturalistisch-essentialisierend ausgerichtete Arbeiten, wie eine der Pionier*innenarbeiten von Ruth Frankenberg (1993) oder Ideen zu »toxic whiteness« (vgl. Kim im Interview mit Majumdar 2016), die Unterwerfung und Kompliz*innenschaft von Akteur*innen mit Weißsein überbetonen7 und Weißsein eher naturalisieren und essentialisieren. Es fehlt hier an einer Methodologie, die non-dualistisch (vgl. Mitterer 2011) sowohl Unterwerfung wie auch Umdeutung methodisch fassen und theoretisch deuten kann und die volle Breite der verfügbaren Rassismustheorien – und nicht nur die Arbeiten der Critical Whiteness Studies – als analytische Grundlage verwendet.

Anschlussfragen und Ziele Im Anschluss an und in Abgrenzung zur gegenwärtigen Forschungslandschaft geht es in dieser empirischen, durch die deutsch- und englischsprachige Rassismusforschung informierten Studie um die machtvolle, superiore Position innerhalb einer konkreten Gesellschaft (Österreich) in Bezug auf unterschiedliche Rassismen, die in diesem Kontext wirkungsmächtig sind. Es geht um die Subjektivierungsprozesse in diese machtvolle Position unter den Bedingungen verschiedener hegemonialer Diskurse, die diese Machtverhältnisse verleugnet und verschleiert. Es geht um Subjektivierung durch Rassismen von privilegiert positionierten Menschen, die sich gleichzeitig gegen diese Rassismen aktivistisch engagieren. Im konkreten Kontext der postmigrantischen, postkolonialen und postnationalsozialistischen Gesellschaft Österreichs ist Weißsein ein wichtiger Bestandteil. Genauso wichtig ist aber die zugeschriebene Teilnahme innerhalb der Konstrukte »Einheimischsein«, »Christlichsein«, »Österreichischsein«, »Europäischsein«. Im Zuge der Rassismen und damit zusammenhängender Imaginationen eines gesellschaftlichen Wir werden diese privilegierten Zuschreibungen freilich häufig zusammengedacht, je nach rassistischer Artikulation aber auch nur einzelne Zuschreibungen verwendet. Die dominante Position innerhalb von Rassismen ist relational. Sie kann wechseln und Menschen können in dem einen Kontext rassistisch marginalisiert positioniert und in dem anderen rassistisch privilegiert positioniert sein. Genauso können Menschen in Bezug auf alle Rassismen privilegiert positioniert sein – dies trifft auf meine Interviewpartner und mich selbst zu. Die Konstante innerhalb dieser rassistischen Dynamiken und Konjunkturen ist unter anderem, dass es etwas 6 7

Katharina Röggla (2012: 76ff) kritisiert in diesem Zusammenhang sowohl die Ansätze des »Race Traitor« wie auch mit Einschränkungen jene der »Whiteliness« von Marylin Frye (1992). Vgl. hierzu etwa die Kritik von Ina Kerner (2013: 281) an Frankenbergs Arbeit.

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bedeutet, privilegiert positioniert zu sein, und dass es notwendig ist, ein Verhältnis zur eigenen privilegierten Position zu finden, falls eine politische Positionierung als Antirassist auch wirklich rassismuskritisch sein soll. Eine weitere Vorannahme, die sich bestätigt hat, ist, dass Biographien stets voneinander abweichen – zum Teil nur marginal, was tatsächlich durch Subjektivierung, soziale Prägung und gesellschaftliche Prozesse zu erklären ist, und zum Teil sehr stark trotz sehr ähnlicher sozialer Positionen. Denn stets bilden und formen sich die von der Gesellschaft normierten, positionierten und disziplinierten Subjekte selbst aus. Genau diese rassismuskritischen Subjektbildungsprozesse privilegiert positionierter Antirassisten stehen im Mittelpunkt dieser Forschung. Dazu habe ich biographisch-narrative Interviews mit zehn Personen in Österreich geführt, die sich selbst als privilegierte antirassistische Aktivisten bezeichnen. Als Methode zur Datengewinnung greife ich auf das biographisch-narrative Interview nach Gabriele Rosenthal (vgl. 1995) zurück und die Daten werden mit der von Gabriele Lucius-Hoene und Arnulf Deppermann (2004) entwickelten Auswertungsmethode zur Rekonstruktion narrativer Identität analysiert. Um den bereits angesprochenen Mittelweg zwischen den Gefahren der Essentialisierung und der Machtrelativierung beschreiten zu können, habe ich mich für ein Forschungsdesign entschieden, das sowohl die gesellschaftliche – verstanden vor allem als diskursive Ebene – wie auch die subjektiv-praktische Ebene analysierbar macht und Theorie und Empirie überzeugend verknüpft. Die in den letzten Jahren im deutschsprachigen Raum erarbeitete »empirische Subjektivierungsforschung« (vgl. Bosančić et al. 2019; Geimer et al. 2019a+b; Traue et al. 2017) kann diese Versprechen einlösen. Der Ansatz kennzeichnet sich durch die Bearbeitung des Spannungsfeldes zwischen der diskurstheoretischen »Dezentrierung des Subjekts« und der auf »Eigensinn ausgerichteten Biographieforschung« (Truschkat 2018: 127). Es wird also sowohl die Diskursals auch die Subjektebene beleuchtet. In dieser Studie wird die Ebene des Diskurses theoretisch erarbeitet – indem ich auf historisch-soziologische Arbeiten zurückgreife, die Rassismen als diskursive symbolische Ordnungen fassen. Die Ebene des Subjektes analysiere ich empirisch mittels der genannten Methoden. Dabei sollen einerseits die Wirkmächtigkeit, Widersprüchlichkeit und Kontingenzen von rassistischen Diskursen und Dispositiven Berücksichtigung finden wie andererseits auch die eigensinnigen und eigenlogischen (rassismuskritischen), widerständigen und kritischen Umgangsformen Einzelner mit den Diskursen der symbolischen Ordnung und den ihnen zugeschriebenen Subjektpositionen. Paul Mecheril und Karin Scherschel (2011) haben auf die subjektivierenden8 Wirkungen von Rassismen hingewiesen und damit die Subjektivierungsforschung und Rassismusforschung produktiv in einen Dialog gesetzt: Die Ordnung des Rassismus kann als Kontext der Subjektivierung verstanden werden, also als strukturierter und strukturierender Raum, in dem aus Individuen »Subjekte« werden, deren Handlungsfähigkeit und Selbstverständnis vermittels der Erfahrungen, die sie in dem rassistischen Raum machen, an die Struktur des Kontextes gebunden bleiben, diese aufnehmen, bestätigen, aber auch transformieren und modifizieren. (Mecheril & Scherschel 2011: 54)

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Siehe dazu auch Broden & Mecheril 2011 und Mecheril 2014a.

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Antirassismus und Privilegien

Rassismen können im Rahmen dieser Methodologie als machtvolle, normative, symbolische Ordnungen betrachtet werden, die sich den Subjekten vor allem über rassistisches Wissen vermitteln. Rassismen sind demnach »Subjektordnungen«, die bestimmte hierarchisch in Bezug zueinander stehende »Subjektformen« beinhalten (vgl. Reckwitz 2008: 10). Diese Ordnung wird durch gesellschaftliche Diskurse/Wissen vermittelt, manifestiert sich in Strukturen und Institutionen, informiert unsere Handlungen und Praktiken und hat schließlich Einfluss auf unsere Selbst- und Fremdwahrnehmungen. Dieser Komplex bringt es mit sich, dass wir als Individuen innerhalb dieser diskursiv vermittelten normativen Ordnung unterschiedliche soziale Positionen zugeschrieben bekommen und uns zu diesen Zuschreibungen verhalten müssen. Sowohl die soziale als auch die politische Position (hier sind Positionen in Bezug auf Rassismen gemeint: Antirassist*in, Mitglieder einer rassistischen Vereinigung etc.) sind gesellschaftlich-diskursiv erzeugte Subjektpositionen. Sie sind Teil des gesellschaftlich-diskursiven normativen Rahmens, vor deren Hintergrund Menschen sich verorten müssen. Diese Prozesse des Subjektwerdens in Bezug auf rassistische Subjektordnungen können als unterwerfende wie auch brüchige Prozesse der Subjektivierung analysiert werden. Die biographischen Erfahrungen, die am Weg von der privilegierten sozialen Position zur rassismuskritischen politischen Positionierung gemacht werden, sind dann als Prozesse der Subjektbildung verständlich. Mithilfe der dargelegten Theorie-Empirie-Methodik der empirischen Subjektivierungsforschung können die genannten Forschungsinteressen zu den folgenden drei Forschungsfragen verdichtet werden: a) Welche Formen des rassistischen Wissens, welche rassistischen Diskurse wirken sich subjektivierend auf die interviewten Aktivisten aus? b) Auf welche antirassistischen Selbsttechniken greifen die interviewten Aktivisten zurück; wie werden aktuelle Debatten verhandelt und was bedeutet das für ihre Subjektbildung? c) In welchem Verhältnis stehen soziale Position und soziale und politische Positionierung?

Die Subjektivierung von privilegiert positionierten Antirassisten passiert vor dem Hintergrund normativer Ordnungen und geschieht als selbst ausgeführter kontingenter Prozess. Sowohl in Bezug auf die soziale wie auch auf die politische Position interessieren die tatsächlichen Positionierungen, die in der biographischen Erzählung des Forschungsinterviews stattfinden, und wie diese zusammenhängen. Die Zusammenhänge der sozialen und der politischen Positionierung eröffnen Einblicke in die rassismuskritischen Subjektbildungsprozesse der Probanden.

Aufbau der Arbeit Die Arbeit gliedert sich in drei Teile. Der erste Teil enthält vier theoretische Kapitel, der zweite Teil umfasst die empirische Komponente der Forschung und der dritte Teil besteht aus der in der Forschung neu gewonnenen Theorie.

1 Die vorliegende Studie

Im ersten Teil wird im Kapitel »Rassismen« zunächst in die Rassismusforschung eingeführt, wobei die deutschsprachige und englischsprachige Tradition überblickend und vergleichend eine Darstellung erfährt. Es findet sich hier auch eine Aufarbeitung der geteilten Perspektiven beider Forschungstraditionen. Nach dieser kleinen Wissenschaftsgeschichte werden die Perspektiven der Rassismusforschung vorgestellt und im Anschluss Theorien der historisch-soziologischen Tradition eingehend besprochen. Darauf aufbauend wird dann eine Theorie von Rassismen als »symbolische Ordnungen« gewonnen. In diesem Kapitel, wie in den anderen theoretischen Kapiteln, findet sich immer auch die Besprechung der relevanten Literatur. Im Kapitel »Antirassismus« wird zunächst eine historische Aufarbeitung der gesellschaftlichen, kollektiven und individuellen Praktiken des Widerstandes gegen Rassismen im deutschsprachigen Raum vorgenommen. Darauf folgen begriffliche Grundlagen davon, wie Antirassismus definiert werden kann. In Bezug dazu stehen auch immer wissenschaftliche und aktivistische Debatten, die in einem weiteren Punkt Beachtung finden. Im letzten Punkt, »Rassismuskritik und politischer Antirassismus«, wird eine mögliche Konzeption des Antirassismus vorgeschlagen, auf deren Grundlage dann die empirischen Daten interpretierbar sind. Das dritte Kapitel des ersten Teiles nennt sich »Subjektivierung und Subjektbildung«. Hier werden Theorien des Subjektes besprochen, die das Verhältnis zwischen rassistischen und rassismuskritischen Praktiken, Diskursen und Strukturen und den darin lebenden Menschen soziologisch erkennbar machen sollen. Dafür muss zunächst in die Theorie der Subjektivierung eingeführt und diese dann zwecks Klarheit von verwandten Konzepten wie Sozialisation, Rolle und Identität abgegrenzt werden. Aufbauend auf den Konzepten der empirischen Subjektivierungsforschung werden dann die zentralen Begriffe vorgestellt. Gleiches gilt für das verwandte Konzept der Subjektbildung, das verstärkt den Fokus auf das Subjekt und die relative Handlungsmacht legt. Das Kapitel ist der dritte theoretische Baustein, auf dessen Grundlage die Interviewdaten gedeutet werden. Der vierte theoretische Teil ist das Kapitel »Postmigrantische Gesellschaft«. Während die Kapitel »Rassismen« und »Antirassismus« helfen sollen, rassistische und rassismuskritische Strukturen, Diskurse und Praktiken erkenn- und theoretisierbar zu machen, und die Subjektivierungstheorie dabei hilft, das Verhältnis von Subjektwerdung und gesellschaftlichen Diskursen zu begreifen, sollen im vierten Theoriepuzzle die konkreten in der postmigrantischen, postkolonialen und postnationalsozialistischen Gesellschaft Österreichs wirkmächtigen Rassismen aufgearbeitet werden. Im zweiten Teil der Arbeit soll dann schließlich die Empirie sprechen. Zunächst werden erkenntnistheoretisch-methodologische Fragen angeschnitten, um dann in die Methodendiskussion einsteigen zu können. Die Methodik der »empirischen Subjektivierungsforschung« (vgl. Traue et al. 2017) als »diskursorientierte Biographieforschung« (Truschkat 2018) und ihre Bestandteile Diskurs und Biographie werden vorgestellt und diskutiert. Nach der Darlegung des Samples komme ich auf die Datengewinnungsmethode des biographisch-narrativen Interviews (Rosenthal 1995) und auf die Datenauswertungsstrategie der Rekonstruktion narrativer Identität (Lucius-Hoene & Deppermann 2002) zu sprechen. Im weiteren Verlauf werden die angewandten CodeGruppen und Codes dargelegt und diskutiert. Die Auswertungen werden schluss-

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Antirassismus und Privilegien

endlich in vier detaillierten Fallrekonstruktionen, die ich nach dem größtmöglichen (codeabhängigem) Kontrast zueinander ausgewählt habe, und sechs Falldarstellungen wiedergegeben. Der dritte und letzte Teil der Arbeit dient zur Sammlung der Ergebnisse und zur Generierung einer neuen Theorie zum Antirassismus aus einer privilegierten sozialen Position. Diese neue Theorie liegt auf bisherigen Theorien, Debatten und Forschungen sowie eigenen Theoretisierungen und Ergebnissen dieses Forschungsprojektes auf. Einerseits soll die Forschungslandschaft mit diesem kleinen Beitrag erweitert werden und andererseits hoffe ich, dass diese Arbeit ein Baustein zu einer rassismuskritischen aktivistischen Praxis sein kann.

Teil 1: Theorie

2 Rassismen »Es gibt keinen Rassismus als allgemeines Merkmal menschlicher Gesellschaften, nur historisch-spezifische Rassismen.« Stuart Hall

In diesem Kapitel wird zunächst in die Geschichte der Rassismusforschung eingeführt. Ich blicke dabei sowohl auf die deutschsprachige als auch auf die englischsprachige Rassismusforschung. Beide Forschungstraditionen sind gleichermaßen von großer Relevanz für diese Studie. Der Vergleich von Trends und Perspektiven beider Richtungen liefert bereits eine kleine Erklärung dafür, warum die Frage nach Rassismen und Privilegien im deutschsprachigen Raum (im Vergleich zum englischsprachigen Raum) verspätet und äußerst kontroversiell diskutiert wird. Gleichzeitig bietet der Vergleich auch die Möglichkeit, auf mehrere Theorie- und Begriffsinstrumentarien zurückzugreifen, ohne sich dabei für entweder die eine oder die andere Tradition entscheiden zu müssen. Beide Traditionen zu verbinden, erscheint also in mehrfacher Hinsicht gewinnbringend. Entgegen der bereits in der Einleitung besprochenen Kritik, dass es sich bei Ansätzen wie der Kritischen Weißseinsforschung, der Postkolonialen Theorie oder der Critical Race Theory lediglich um travel theories aus gänzlich verschiedenen Kontexten handelt, wird in diesem Kapitel gezeigt, dass dies nicht mehr der Wahrheit entspricht. Zwar haben sich die deutschsprachige und englischsprachige Rassismusforschung bis in die 1990er Jahre sehr unterschiedlich entwickelt, fanden aber in den letzten drei Jahrzehnten zusammen. Zweitens dient das gesamte Kapitel, neben der Aufarbeitung des Forschungsstandes, zur ersten theoretischen Grundsteinlegung. Hier findet sich die für diese Arbeit und die empirische Analyse verwendete Rassismustheorie, in der Rassismen als machtvolle diskursive symbolische Ordnungen verstanden werden. Dieses Kapitel bearbeitet demnach die Ebene des Diskurses. Gleichzeitig finden sich hier bereits Überlegungen zur Deutung von Subjektivierungsprozessen innerhalb dieser symbolischen Ordnungen, die mit dem Konzept der »Rassismuserfahrungen« theoretisiert werden.

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Teil 1: Theorie

Rassismusforschung Um die deutschsprachige Debatte zu Rassismen und Privilegien besser verstehen zu können, muss zunächst in die Spezifika und die Geschichte1 der hiesigen Rassismusforschung eingeführt werden. Es gilt, sowohl bedeutende Unterschiede wie auch Gemeinsamkeiten zu der englischsprachigen Debatte herauszuarbeiten. Die frühe deutschsprachige Rassismusforschung hat eine Sprache entwickelt, die nur schwer an englischsprachige Debatten zu Weißsein und Privilegien anschließen kann. Zentrale Begrifflichkeiten wie race – so umstritten sie auch sein mögen – fehlten lange Zeit beinahe völlig und bis heute erscheinen Forschungsprojekte über »Ausländerfeindlichkeit« und »Fremdenfeindlichkeit« (vgl. Decker & Brähler 2018), ohne die Perspektiven kritisch zu hinterfragen oder hinter sich zu lassen. So kennzeichnen sich manche Debatten über Rassismen und Privilegien auch durch diese Übersetzungsprobleme. Allerdings haben beide Forschungstraditionen seit Mitte der 1990er Jahre immer enger zusammengefunden, sodass mittlerweile von geteilten Perspektiven gesprochen werden kann. In der folgenden kleinen Wissenschaftsgeschichte liegt eine Antwort auf die Frage, warum Rassismen und Privilegien in der hiesigen Debatte auf die bereits angesprochene polarisierende Weise diskutiert wurden und werden.

Rassismusforschung im deutschsprachigen Raum: Die Anfänge Der Beginn der deutschsprachigen Rassismusforschung wird allgemein mit den Werken von Friedrich Hertz und Magnus Hirschfeld datiert (Miles 1991: 59f; Terkessidis 2004: 71f). Hertz beschäftigte sich bereits in seinem 1904 erschienenen Werk Moderne Rassentheorien und anlässlich seiner Veröffentlichung Rasse und Kultur: Eine Kritische Untersuchung der Rassentheorien (1915) mit Rassismus, ein Phänomen, das er »Rassenhaß« (Hertz 1904) nannte (vgl. Terkessidis 2004: 71). Magnus Hirschfeld war mit seinem 1933/34 verfassten und 1939 in Großbritannien veröffentlichten Buch Rassismus der erste, der eben jenen Begriff verwendet hat. Seine Arbeit hatte das Ziel, die innerhalb der wissenschaftlichen Community entwickelten Theorien über die Hierarchie von menschlichen »Rassen« als das zu entlarven, was sie sind, als Rassismus (vgl. Miles 1991: 58f). Die nationalsozialistische Machtergreifung führte zur Implementierung von Rassismen als Staatsdoktrin und zwang schließlich beide Pioniere der Rassismusforschung in die Flucht2 . Während der Zeit des Nationalsozialismus war keine deutschsprachige Rassismusforschung möglich. Vielmehr war die Zeit bis 1945 die Hochzeit des wissenschaftlichen wie staatlichen Rassismus mit seiner Manifestation in der Shoa und dem Porajmos. Auch

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Historische Aufarbeitungen zur deutschsprachigen Rassismusforschung finden sich etwa bei Terkessidis 2004, Räthzel 2012, Bojadžijev 2015 und Bojadžijev et al. 2019. Der jüdische Österreicher Hertz emigrierte nach dem 1938 erfolgten nationalsozialistischen »Anschluss« Österreichs nach London. Magnus Hirschfeld verließ Deutschland 1932 und blieb bis zu seinem wenige Jahre darauf folgenden Tod in der Schweiz und in Frankreich. Hirschfeld wurde in Deutschland aus antisemitischen und schwulenfeindlichen Gründen sowie aufgrund seiner wissenschaftlichen Positionen zu »Rassenhygiene« und Sexualität verhetzt und körperlich attackiert (vgl. Herzer 2001).

2 Rassismen

in der Zeit nach dem Nationalsozialismus wurde keine explizite Rassismusforschung betrieben. Astrid Messerschmidt analysiert diese Verweigerung als Teil einer »entlastenden und sich selbst als Opfer repräsentierenden Geschichtserzählung« (Messerschmidt 2011a: 60). Rassismen wurden als Teil einer abgeschlossenen Geschichte begriffen. Die Debatte zum »Schlussstrich« (vgl. Ahlheim & Heger 2003) und der österreichische »Opfermythos« (vgl. Uhl 2001) sind Teil dieser problematischen und verdrängten Aufarbeitung in der »postnationalsozialistischen Gesellschaft« (vgl. Messerschmidt 2008). Auf ihre Spezifika wird in einem späteren Teil dieser Arbeit eingegangen. Hier sei nur so viel gesagt, dass der Common Sense im deutschsprachigen Raum nach 1945 jener war, dass Rassismen als Phänomen der Vergangenheit zu betrachten seien (vgl. Müller 1997) und woanders passieren. Demnach wurden Rassismusanalysen bis in die 1980er Jahre vornehmlich auf die nationalsozialistische Vergangenheit und nicht auf die postnationalsozialistische Gegenwart angewandt. Manuela Bojadžijev, Katherine Braun, Benjamin Opratko und Manuel Liebig sprechen in ihrem Artikel Rassismusforschung in Deutschland. Prekäre Geschichte, strukturelle Probleme, neue Herausforderungen (2019) von einer dreifachen »Verschiebung«: Die zeitliche Verschiebung behauptet Rassismen als Probleme der Vergangenheit, die soziale Verschiebung von Rassismen kennzeichnet Rassismen als Phänomene des rechtsextremen Gesellschaftsrandes, und die räumliche Verschiebung verortet Rassismen in ehemals kolonisierten Ländern oder ehemaligen Kolonialmächten, ohne dabei, wie im Fall von Deutschland, die eigene Kolonialgeschichte aufzuarbeiten oder, wie im Fall von Österreich und der Schweiz, die Verstrickungen in die koloniale und postkoloniale Ordnung angemessen anzuerkennen (Bojadžijev et al. 2019: 62). Eine wichtige Ausnahme war hier Theodor Adorno mit seinem Werk Schuld und Abwehr (1975), der sich mit den unabgeschlossenen Nachwirkungen des Nationalsozialismus und einem neuen Kulturrassismus in Deutschland auseinandersetzte. Mehrheitlich aber wurden damals gegenwärtige Rassismen zunächst mit dem problematischen Konzept der »Ausländerfeindlichkeit«3 und dann mit dem Begriff der »Fremdenfeindlichkeit«4 beschrieben. Mark Terkessidis5 hat in seinem für die hiesige Rassismusforschung so zentralen Werk Die Banalität des Rassismus: Migranten zweiter Generation entwickeln eine neue Perspektive (2004) wichtige Werke der »Ausländer«- und »Fremdenfeindlichkeitsforschung« eingehend besprochen. Er kritisiert darin nicht nur die oben angesprochene Tabuisierung der Rassismusanalyse, sondern dekonstruiert dazu den Begriff der »Ausländerfeindlichkeit« und die damit einhergehende »scharfe juristisch-institutionelle Trennung zwischen deutschen Staatsangehörigen und inländischen ›Ausländern‹ – eine Trennung, in die […] der Rassismus bereits eingelassen ist.« (Terkessidis 2004: 14) Der Begriff »Ausländer« sei »keine objektive Tatsache bzw. keine in der

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Wichtige Werke zu »Ausländerfeindlichkeit« sind in der Reihenfolge ihrer Erscheinung Meinhardt 1982, Tsiakalos 1983, Hoffmann & Even 1984, Meinhardt 1984, Geiger 1985 und Auernheimer 1988. Zentrale Arbeiten sind Jansen et al. 1993, Institut für Sozialforschung 1994, Müller et al. 1995, Althoff 1998, Ganter & Esser 1999, Ahlheim & Heger 1999, Dollase et al. 1999, Dünkel & Geng 1999, Altvater et al. 2000 und Stolz 2000. Dies kritisierten vor Terkessidis 2004 unter anderen bereits Kalpaka & Räthzel 1986, Jäger 1995, Butterwegge 1996 und Singer 1997.

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Teil 1: Theorie

Welt einfach vorhandene Gruppe«, sondern wird erst durch »institutionelle und andere Mechanismen produziert.« (Ebd.: 19) Demnach sind die in diesem Zusammenhang entstandenen Forschungen mit Vorsicht zu genießen, da sie mit der oft unausgesprochenen Grundannahme »Einheimisch vs. Ausländisch« einen der zentralen Diskurse der Rassismen (Wir vs. Die Anderen) reproduzieren und praktizieren (Othering). Eine weitere Problematik des Konzeptes der »Ausländerfeindlichkeit« haben Paul Mecheril und Thomas Teo (1994) beschrieben und damit den zentralen Unterschied des Konzeptes der »Ausländerfeindlichkeit« zur Perspektive der Rassismusforschung aufgezeigt: Kritisch wird gegen den Ausdruck eingewandt […], dass nicht jede Person, die formell »Nicht-Inländer« ist, potenziell der »Ausländerfeindlichkeit« ausgesetzt ist. Auf der anderen Seite sind Personen, die formell Deutsche und im Besitz der Staatsbürgerschaft sind und in Deutschland ihren Lebensmittelpunkt haben, mit Anfeindungen konfrontiert (vgl. Mecheril & Teo 1994). (Mecheril & Scherschel 2011: 40) Diese Anfeindungen können dann, sofern sie auf der Grundlage von Rassifizierungsprozessen stattfinden, nur mit dem Verweis auf Rassismen erklärt werden. Fatima El-Tayeb bringt das Problem auf den Punkt, wenn sie schreibt: Rassismus trifft und traf auch rassifizierte Deutsche – eben weil er mitten in der deutschen Gesellschaft zuhause ist und nicht von »Fremden« in sie hineingetragen wurde – Rassismus braucht keine Fremden, um zu existieren, er produziert sie. (Tayeb 2016: 14) Mit dem Konzept der Fremdenfeindlichkeit geht auch immer ein zumeist unausgesprochenes Bild des »Einheimischen« in einer als »homogen« vorgestellten Gesellschaft einher, dem die Figur des »Fremden« gegenübergestellt wird. Terkessidis weist darauf hin, dass Forschungen zu »Fremdenfeindlichkeit« genauso wie Arbeiten zu »Äusländerfeindlichkeit« von einem unmarkierten Standpunkt, nämlich aus der »Perspektive eines einheimischen ›Wir‹« (Terkessidis 2004: 70), verfasst werden. Daraus ergibt sich ein Forschungsdesign, dass erstens auf Othering beruht und zweitens aus der Perspektive und für Personen ausgerichtet ist, die unausgesprochen als Teil des »Wir« verstanden werden. Dieses bewusste oder unbewusste Übersehen von Menschen, Geschichten, Erfahrungen und Bewegungen hat schwerwiegende Folgen nicht nur für die Forschungslandschaft, sondern auch die gesamte Gesellschaft. Paul Mecheril schreibt dazu: Die Nicht-Thematisierungen von Rassismuserfahrungen aber ist bloß ein Ausblenden, bloß ein Nicht-Zurkenntnisnehmen, in der eine bestehende Ordnung bestätigt wird. (Mecheril 2015: 151) Neben der Kritik an dieser Form des rassistisch begründeten methodologischen Nationalismus wurde auch der Begriff »Feindlichkeit« hinterfragt. Feindlichkeit bezieht sich auf Handlungen und Einstellungen von Personen und tendiert dazu, institutionelle und diskursive Strukturen zu übersehen (vgl. dazu etwa Keskinkılıç 2019). In der Forschung zu Xenophobie wird auch teilweise von einem »anthropogenen Verhaltensmuster« ausgegangen (vgl. Verse 2012: 33), was einer Naturalisierung und Ahistorisierung von Xenophobie gleichkommt (vgl. ebd.). Dazu übersieht der Begriff, dass Rassismus auch »in Form von Freundlichkeit daherkommt« (Räthzel: 2012: 195).

2 Rassismen

Der 1990 vom Hamburger Institut für Migrations- und Rassismusforschung6 organisierte internationale Kongress Rassismus und Migration in Europa gilt als die erste breit angelegte wissenschaftliche Beschäftigung mit gegenwärtigen Rassismen im deutschsprachigen Raum. Die Konferenz und der 1992 erschienene gleichnamige Sammelband waren gar die »Initialzündung für die Rassismusdiskussion in Deutschland« (Bojadžijev et al. 2019: 63). In den 1990er Jahren entstand dann ein regelrechter Boom der Rassismusforschung. Ab diesem Zeitpunkt kann davon gesprochen werden, »dass sich die Rassismusforschung in Deutschland etabliert hat.« (Räthzel 2012: 198) Im deutschsprachigen Raum gilt das von Annita Kalpaka und Nora Räthzel 1986 herausgegebene Buch Die Schwierigkeit, nicht rassistisch zu sein als erstes Referenzwerk, in dem der Zusammenhang von Migrationsdiskursen und Rassismus sowie auch der Alltagsrassismus in der gesellschaftlichen Mitte diskutiert und analysiert wird. Mit der Sichtbarmachung des alltäglichen Rassismus haben sich in dieser Zeit auch Margret und Siegfried Jäger in »Aus der Mitte der Gesellschaft.« Zu den Ursachen von Rechtsextremismus und Rassismus in Europa (1991) eingehend beschäftigt. Diesen Alltagsrassismus und seine Funktionsweise hat Philomena Essed in ihrem Beitrag Multikulturalismus und kultureller Rassismus in den Niederlanden im Sammelband Rassismus und Migration in Europa (1992) angesprochen und damit in den deutschsprachigen Raum getragen. In dem Sammelband schreibt weiters Colette Guillaumin Zur Bedeutung des Begriffs »Rasse« über einen Tabubegriff der deutschsprachigen Rassismusforschung, mit dem sich dann Mark Terkessidis mit seiner Arbeit Psychologie des Rassismus (1998) eingehender beschäftigt. Hier wurde eine theoretische Grundlage gelegt, um Rassifizierungsprozesse analysieren zu können. Die erste eigenständige gesellschaftstheoretische Rahmung von Rassismus im deutschsprachigen Raum der Gegenwart sollte der Psychologin und Sozialwissenschaftlerin Birgit Rommelspacher in Dominanzkultur (1995) gelingen. Rommelspacher sieht Rassismen als Teil von (kulturellen) Dominanzverhältnissen und erarbeitet bereits ein intersektionelles Verständnis von Rassismen. Pionierinnen für dieses damals neue Rassismusverständnis waren auch Katharina Oguntoye, May Opitz und Dagmar Schultz mit ihrer Arbeit Farbe bekennen. Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte (1986), die sich mit der Lebensgeschichte von Schwarzen deutschen Frauen auseinandersetzt. Besonders May Ayim (damals noch May Opitz) war als Gründungsmitglied der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland eine der wichtigen Impulsgeberinnen für die hiesige Rassismusforschung und die aktivistische Selbstorganisation. Die afroamerikanische Aktivistin Audre Lorde, die sich von 1986 bis 1992 regelmäßig in Berlin aufhielt, war eine zentrale Initiatorin der Schwarzen Selbstorganisation im deutschsprachigen Raum (vgl. Schultz 2009: 523) und repräsentiert damit auch den Beginn einer starken Annäherung US-amerikanischer und deutschsprachiger Rassismusforschung. Dieser spezifische zeitliche Kontext war dadurch gekennzeichnet, dass »gesellschaftspolitische Impulse mit einer punktuellen wissenschaftlichen Internationalisierung zusammengetroffen sind« (Bojadžijev et al. 2019: 63, Herv. i. Orig.). Die 1980er Jahre waren der entscheidende Zeitpunkt, zu dem Selbstorganisationen von Migrant*innen, feministische Bewegungen und Wissenschaftler*innen, die Theorien aus der britischen Rassismusforschung in die deutschsprachige Debatte einbrachten, zusammenfanden 6

Gegründet 1989 von Nora Räthzel, Werner Kopp und Annita Kalpaka.

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Teil 1: Theorie

(ebd.). Dieser Verweis erscheint mir ein ganz zentraler Punkt zu sein, um den Beginn der Rassismusforschung im deutschsprachigen Raum zu verstehen. Im anschließenden Theoriekapitel »Antirassismus« werden die zivilgesellschaftlichen Impulse eingehender besprochen. Tatsächlich ist das Zusammenspiel aus der Öffnung der deutschsprachigen Rassismusforschung für Konzepte aus der englischsprachigen und auch französischen Landschaft (vgl. Guillaumin 1992; Balibar 1990; Balibar & Wallerstein 1990; Memmi 1992; Taguieff 1985; Essed 1992; Hall 1989a), den internen Kämpfen und (Selbst-)Kritiken der deutschsprachigen Forschungslandschaft, die in einer breiten Ablehnung der alten, problematischen Konzepte der »Ausländerfeindlichkeit« und Fremdenfeindlichkeit« mündeten, sowie von wichtigen antirassistischen Impulsen aus zivilgesellschaftlichen Vereinen (etwa der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland [ISD] und später Kanak Attak) ausschlaggebend für die Reformulierung einer deutschsprachigen Rassismusforschung ab den 1990er Jahren. Aufgrund der vielen gemeinsamen Themen und Perspektiven wird die deutschsprachige und englischsprachige Rassismusforschung ab diesem historischen Zeitpunkt gemeinsam besprochen. Zuvor soll aber ein kurzer historischer Rückblick auf die englischsprachige Rassismusforschung den unterschiedlichen Werdegang aufzeigen.

Rassismusforschung im englischsprachigen Raum: Die Anfänge Die Rassismusforschung im englischsprachigen Raum ist ein heterogenes und von vielen Debatten durchzogenes wissenschaftliches und aktivistisches Feld. Ein zentrales Momentum, welches die englischsprachigen Forschungslandschaften (und Gesellschaften) von den deutschsprachigen tatsächlich unterscheidet, ist die Theoretisierung und Verwendung des Begriffes »race« in der Forschung wie auch im Lebensalltag. Dem soll im Zuge des folgenden Literaturüberblicks verstärkt nachgegangen werden. Der Pionier der englischsprachigen Rassismusforschung ist der afroamerikanische Wissenschaftler W.E.B du Bois, der bereits 1903 darauf hingewiesen hat, dass seiner Ansicht nach das Problem des 20. Jahrhunderts die »colour line« darstelle (vgl. Solomos & Back 2000: 3). Der Begriff »Rassismus« wurde, gleich wie im deutschsprachigen Raum, erstmals mit der Arbeit von Magnus Hirschfeld, dessen Werk Rassismus 1938 in der englischen Übersetzung in Großbritannien erschienen ist, aufgegriffen (vgl. Miles 1991: 59). Zuvor sprachen sich bereits Julian Huxley und Alfred Haddon (1935) im Zuge ihrer Arbeit We Europeans: A Survey of »Racial« Problems gegen den pseudowissenschaftlichen Rassismus aus. Sie grenzten sich bereits klar vom Begriff der »Rasse« als wissenschaftliche Kategorie ab und dekonstruierten den Rassismus im nationalsozialistischen Deutschland als Mythos (vgl. ebd.). Robert Miles hat darauf hingewiesen, dass Huxley und Haddon zwar auf die Kategorie »Rasse« verzichteten, allerdings unter der Bezeichnung »Ethnie« etwas Ähnliches verstanden (vgl. ebd.). Im US-amerikanischen Raum war die weiße Anthropologin Ruth Benedict um 1940 die erste Forscher*in, die Rassismus »in den nationalen Wortschatz« (Kendi 2017: 369) einbrachte. Im vorigen Kapitel wurde bereits darauf hingewiesen, dass die wissenschaftliche Diskussion sehr stark um das Konzept der »Rasse« kreiste. Dabei teilten viele Wissenschaftler*innen die Position, dass Rassismus nicht biologisch-naturgegeben-logisch sei, sondern als »Mythos«, »moderner Aberglau-

2 Rassismen

be«, »Dogma« oder »Ideologie« betrachtet werden muss, auf deren Grundlage über Menschen geherrscht wird (vgl. Miles 1991: 60ff.). Trotzdem war der »Assimilationismus«7 (Kendi 2017: 379) die hegemoniale Perspektive auf Rassismus in dieser Zeit und somit wurden Menschen zwar nicht mehr biologistisch, dafür aber nach kulturalistischen oder sozialen Kriterien hierarchisch gegliedert. Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Zeit der Institutionalisierung von Rassismen in den nationalsozialistischen und faschistischen Regimen nahm sich vor allem die UNESCO des Themas an und stellte wissenschaftliche Kommissionen zusammen. Die Ergebnisse führten zu einer eindeutigen Ablehnung des Begriffes der »Rasse« (Miles 1991: 64). Die Anschlussfragen in der Rassismusforschung lauteten demnach, ob überhaupt von Rassismus gesprochen werden sollte, wenn doch »Rasse« keine wissenschaftliche Kategorie, sondern eine rassistische Erfindung selbst darstelle, die gegen das Selbstverständnis der englischsprachigen westlichen Demokratien gerichtet war. Hier liegt sicher eine Parallele zum Selbstverständnis der postnationalsozialistischen Gesellschaften und ihrem »Rassismus-Tabu« (vgl. Müller 1997: 361). Während sich die deutschsprachige Rassismusforschung auf dieser Grundlage praktisch auflöste und sich zur besprochenen »Ausländer-« und »Fremdenfeindlichkeitsforschung« entwickelte, ging die englischsprachige Forschung einen anderen Weg. Hier wurde zunächst unter dem Label »race relations« (vgl. Park 1964; Banton 1967; Rex 1970) die Menschheitsgeschichte als Abfolge von isoliert lebenden »Kulturen« über den Kontakt durch Handel und Eroberung bis zum Zusammenfinden in pluralistischen Gesellschaften betrachtet (vgl. Solomos & Back 2000: 4). In dieser Phase wurde Kultur als Platzhalter für den wissenschaftlich nicht mehr haltbaren Begriff »Rasse«. So bleiben die ersten Arbeiten zu »race relations« noch in einem Kulturalismus gefangen. Gleichzeitig blickten sie aber bereits auf die gesellschaftlichen Auswirkungen von Rassismen und ihrer Konstrukte von races auf die sozialen Beziehungen der immer heterogener werdenden Gesellschaften des Westens. Ein wichtiger Einwand gegen den inhärenten Kulturalismus lieferte John Rex (1970) in Race Relations in Sociological Theory, indem er auf die Funktion und nicht den Inhalt des Konzepts race aufmerksam machte (vgl. Miles 1991: 68). Daraufhin hat sich der wichtige Begriff »racialization« (vgl. Banton 1977; Omi & Winant 1986) etabliert. Ein Begriff, der im deutschsprachigen Raum erst von Mark Terkessidis mit »Rassifizierung« (1998) in den Diskurs eingebracht wurde. Zwar existieren keine »Rassen« im biologischen Sinne – races sind die Produkte von Rassismus –, race wird jedoch fortlaufend konstruiert und funktioniert als »fließender Bedeutungsträger«, als »floating signifier« (Hall 1997: 2) und zentraler Code der Rassismen. Colette Guillaumin

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Der US-amerikanische Historiker Ibram X. Kendi (2017) sieht drei Typen von historisch dominanten wissenschaftlichen und politischen Positionen zu Rassismus in den USA. Er stellt »Segregationisten«, »Assimilationisten« und »Antirassisten« gegenüber. Während Segregationisten tatsächlich an biologische »Rassen«, die hierarchisch zueinander stehen, mit Weißen an deren Spitze, glauben und die Notwendigkeit der Segregation betonen, verabschieden sich Assimilationisten vom biologischen Rassismus. Sie wenden sich aber dem kulturellen Rassismus zu und behaupten etwa, »ethnisch« oder »kulturell« bedingte Unterschiede können und sollen durch »Assimilation«, »Anpassung« und »Integration« überwunden werden (vgl. Kendi 2017). Antirassismus wäre hier die konsequente Ablehnung jeder Konstruktion von hierarchisierten Menschengruppen.

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Teil 1: Theorie

bringt diese Ambivalenz in ihrer berühmten Formulierung auf den Punkt: »Race does not exist. But it kills people.« (Guillaumin 1995: 107) Damit wurde bereits eine neue Richtung vorgegeben: Anstatt unter der Prämisse von »race relations« eine kulturalisierte Konzeption von »Rasse« fortzuschreiben, wurden nunmehr »Critical Race Theories« entwickelt. Mit »Critical Race Theory« ist eine Perspektive gemeint, die einerseits race als soziales Konstrukt fasst, das gleichzeitig aber im Denken, Handeln und in den Strukturen wirkungsmächtig und inhärent ist. Susan Arndt bezeichnet diesen Weg »von ›Rasse‹ als biologistischem Konzept [und] hin zu Rasse als sozialer Position und kritischer Analyse- und Wissenskategorie« (Arndt 2019a: 186) in Anlehnung an Shankar Raman (1995) als »racial turn« (Arndt 2019a: 186). Race ist also einerseits eine historisch-spezifische Erfindung zur Herstellung oder Legitimation von Rassismus und dient vor allem zur Erhaltung der weißen Vorherrschaft (»White Supremacy«) (vgl. Delgado & Stefancic 2012). Andererseits ist race entscheidend für die Selbstund Fremddeutung von Individuen, für den Zugang zu Bildung, Arbeit, Lebenschancen und juristischer Gerechtigkeit, wie auch für bestimmte Praktiken des antirassistischen Widerstands. Critical Race Theory stellt sich hier gegen einen »Color Blindness«8 -Ansatz, der race aus moralischen Gründen ablehnt und damit auch gesellschaftlich für nicht signifikant erklärt. Dabei werden reale Ungleichheiten, Verletzungen und Privilegierungen, die Effekte von race und damit zusammenhängende rassistische Diskurse, Strukturen und Praktiken sind, übersehen. Die Ursprünge der Critical Race Theory liegen sowohl in den Bürgerrechtsbewegungen als auch bei Wissenschaftler*innen aus den juristischen Wissenschaften. Eine wichtige Impulsgeberin war Kimberlé Crenshaw9 . Critical Race Studies wurden vor allem im US-amerikanischen Raum erarbeitet. In etwa zur selben Zeit, den späten 1980er und frühen 1990er Jahren, wurde in Großbritannien eine weitere wichtige Debatte zu race geführt. Hier diskutierten vor allem Robert Miles und Stuart Hall über den Zusammenhang von race, Staat und Kapitalismus. Während Miles (1991) unter race vornehmlich ein politisches Konstrukt verstanden hatte, um machtvolle, globale Arbeitsteilung zu erreichen und zu erhalten (vgl. Solomos & Back 2000: 8), wiesen Hall und seine Kolleg*innen aus dem Centre for Contemporary Cultural Studies (CCCS) auf die kulturelle Dimension des Konzeptes hin. Race wird nicht nur staatlich, ökonomisch hergestellt, sondern auch sozial-kulturell erzeugt und reproduziert. Genauso wie rassistische Stereotype kulturell vermittelt und tradiert werden, entstehen auch neue, emanzipative, solidarische Erzählungen von race, wie dies etwa in den Schwarzen Widerstandsbewegungen unter den Schlagworten »Black is Beautiful« und »Black Power« geschehen ist (vgl. Hall et al. 1978: 355ff). Besonders Paul Gilroy10 (1990) 8 9 10

Für eine Einführung siehe zum Beispiel Ansell 2008. Eines ihrer ersten Veröffentlichungen dazu ist Crenshaw 1988. Eine Einführung findet sich bei Crenshaw et al. 1995. »He [Paul Gilroy] suggests that political identities that are spoken through race can be characterised as social movements that are relatively autonomous from class relations.« (Solomos & Back 2000: 9) Gilroy weist damit auf die identitätspolitischen Kämpfe von Schwarzen Menschen und People of Color hin und lehnt den ökonomischen Reduktionismus von Rassismustheorien aus einer marxistischen oder neomarxistischen Richtung ab. Gilroy warnt aber gleichzeitig in seinem im Jahre 2000 erschienenen Buch Against Race vor der Gefährlichkeit des Denkens und Handelns auf der Grundlage von race und entwickelt eine utopische, kosmopolitische Vision einer Welt ohne

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wehrte sich gegen die von Miles angewandte Ableitung von race als Unterkategorie von class. In den 1990er Jahren wurde dann auch die These des »Neuen Rassismus« (Barker 1981), »Neo-Rassismus« (Balibar 1990), »Kulturellen Rassismus« (Taguieff 1990) oder »Rassismus ohne Rassen« (Hall 1989a) verstärkt diskutiert. Die Autoren haben herausgearbeitet, dass in Zeiten der zunehmenden moralischen, wissenschaftlichen und politischen Kritik und Diskreditierung des Konzeptes von menschlichen »Rassen« das Konzept Kultur den Platz im neuen Rassismus eingenommen hat. Menschen werden dabei als Mitglieder von bestimmten Kulturen oder »Kulturkreisen« wahrgenommen und angerufen. Der Begriff wird dabei mit bestimmten Eigenschaften, Erscheinungsformen, Traditionen und Regeln aufgeladen sowie hierarchisiert und somit essentialistisch gedacht. Auf der Grundlage der rassistischen Logik von der Hierarchie menschlicher Gesellschaften werden bestimmte »Kulturen« höher und andere niedriger gewertet. Angehörige der »Dominanzkultur« – also des kulturrassistisch gedachten »Wir« – behalten dabei meist ihre Individualität. Kultur wird hier offener und positiver gedacht, während die kulturrassistisch markierten »Anderen« als von einer zugeschriebenen »Herkunftskultur« negativ geprägt, determiniert und unterworfen konstruiert werden. Ausschlaggebend für diesen neuen Rassismus ist, dass biologische »Rassenkonzepte« eher unbewusst und nicht unbedingt explizit eine Rolle spielen. Damit hat sich diese Spielart des Rassismus in Gesellschaften, die offiziell Rassismen ablehnen, breitmachen können. Die frühen 1990er Jahre sind der historische Zeitraum, in dem es zu signifikanten thematischen, theoretischen und zum Teil auch persönlichen Überschneidungen und Verbindungen der beiden Forschungstraditionen gekommen ist, was bis heute anhält. Deshalb wird in den folgenden Ausführungen von geteilten Perspektiven gesprochen.

Rassismusforschung: Geteilte Perspektiven Postkoloniale Theorien/Postcolonial Studies Die postkolonialen Theorien oder Postcolonial Studies11 , hier als eine Perspektive bestehend aus unterschiedlichen Debatten definiert (vgl. Castro Varela & Dhawan 2009: 10), beschäftigen sich mit den Fort- und Nachwirkungen kolonialer Verhältnisse. Mit Franziska Heinze kennzeichnet sich die Postkoloniale Theorie durch vier grundsätzliche Anliegen: Erstens analysiert sie Selbst- und Fremdrepräsentationen und befragt diese, zweitens, auf ihre Funktionen in Bezug auf Machtverhältnisse. Drittens fasst sie »Kolonisierung als gewaltsamen Prozess der Subjektkonstitution« (Heinze 2015) und versucht, viertens, Handlungsmacht von marginalisiert positionierten Menschen sichtbar

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race. »Black and white are bonded together by the mechanisms of ›race‹ that estrange them from each other and amputate their common humanity.« (Gilroy 2001: 15) Die kanonischen Werke der Postcolonial Studies sind von Gayatri C. Spivak (1988), Homi K. Bhabha (1994) und Edward Said (1978). Daneben haben Chandra Mohanty (1988), Stuart Hall (1994) und Frantz Fanon (1952) wichtige Impulse geliefert. Im deutschsprachigen Raum sind die Arbeiten von María do Mar Castro Varela und Nikita Dhawan (2016, 2015), Nikita Dhawan (2014, 2007), Ina Kerner (2013) Encarnación Gutiérrez Rodríguez und Hito Steyerl (2018 [2003]), Kien Nghi Ha (et al. 2016, 2010, 2004) sowie Grada Kilomba (2010, 2009) von zentraler Bedeutung.

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zu machen und zu stärken (vgl. ebd.). Gesellschaftstheoretisch betrachten die Autor*innen dabei die nachkoloniale Ordnung unter feministischen, antirassistischen und kapitalismuskritischen Blickwinkeln und konstatieren ein Weiterwirken von kolonialen Verhältnissen. Chandra Mohanty etwa hat in Under Western Eyes: Feminist Scholarship and Colonial Discourses (1988) gezeigt, dass eine »diskursive Kolonisation« im Zuge der »production of the ›Third World Woman‹ as a singular monolithic subject in some recent (western) feminist texts« (Mohanty 1988: 196) stattfindet. Mohanty wiederholt damit die Kritik an dem weißen, mittelständischen Universalismus der damaligen feministischen Bewegungen12 sowie wissenschaftlichen Analysen in den USA und deren alleinigen Fokus auf patriarchale Machtverhältnisse und zeigt, dass dahinter die rassistische Subjektvorstellung der »emanzipierten«, weißen, »westlichen Frau« wirkt. Without the overdetermined discourse that creates the third world, there would be no (singular and privileged) first world. Without the ›third-world woman‹, the particular self-representation of western women mentioned above would be problematical. (Mohanty 1988: 215) Frauen aus dem globalen Süden wurden als Opfer von männlicher Gewalt und kolonialen Prozessen, als abhängig von sozialen, schulischen und ökonomischen Institutionen, als Untergeordnete in familialen Systemen und religiösen Praktiken und Strukturen konstruiert (vgl. Mohanty 1988). Damit wurden Milliarden unterschiedlicher Frauen aus diversen Regionen der Welt homogenisiert. Diese Prozesse des Othering stellen dabei zugleich das moderne, freie, unabhängige, westliche Subjekt Frau her und reproduzieren damit die globale Subjektordnung. Die Subjektposition der westlichen Frau wird als sprechend, helfend und befreiend konstruiert – also als machtvoll. Die Subjektposition der Frau des globalen Südens, die als »Dritte-Welt-Frau« bezeichnet wird, ist dabei ein machtloses Opfer moderner sowie traditioneller Verhältnisse. Sie kann also weder für sich sprechen oder eigenständig handeln noch politisch agieren. Die Viktimisierung der »anderen Frau« ist eine koloniale Strategie, die in der postkolonialen Ordnung weitergeführt wird. Sie kann als eine intentional wie auch nicht intentional verwendete Machttechnik verstanden werden: Die Festschreibung der anderen Frau als Opfer ermöglicht es einerseits der hegemonialen Frau, sich als emanzipiert und modern zu beschreiben. Andererseits werden parallel zur unkritischen Viktimisierung der anderen Frau Interventionen legitimiert, die gegen jene humanistischen Werte verstoßen, die Europa angeblich erst zu Europa machen. Der scheinbar emanzipatorische Diskurs eröffnet einen anti-aufklärerischen Raum, in dem Aufklärung schlicht das ist, was Europa hat, während die Anderen dieser immer nur hinterherhinken können. (Castro Varela & Dhawan 2016: 15)

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Das Combahee River Collective konnte in seinem berühmten und so wichtigen Manifest unter anderem zeigen, dass die spezifischen Marginalisierungs- und Widerstandserfahrungen von Schwarzen lesbischen Frauen im Mainstream-Feminismus gar nicht sichtbar waren (vgl. The Combahee River Collective 1977).

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Gayatri C. Spivak hat gleichzeitig auf die realen Sprech- und Handlungsunmöglichkeiten von Frauen in bestimmten marginalisierten Subjektpositionen – vor allem die Position der subalternen Frau des globalen Südens –, die sie in Anschluss an Antonio Gramsci (2001: 2288) als subaltern bezeichnet, hingewiesen (Spivak 1988) und das Konzept der menschlichen Vernunft (Spivak 2014) als eurozentrisches Machtinstrument entlarvt. Wenn Spivak, im Anschluss an Arbeiten der Subaltern Studies Group (SSG), die Frage stellt: »Can the subaltern speak?«, beantwortet sie diese gleich mit einem doppelten Nein: Zum einen können die von Spivak beschriebenen »subalternen Frauen« des globalen Südens nicht sprechen, weil die Repräsentationssysteme »traditionelles Patriarchat« und »westlicher Imperialismus« die Sprecher(!)positionen einnehmen und für die spezifischen Subjekte sprechen, und zum anderen werden sie trotz ihres Sprechens nicht gehört, da auch das Zuhören hegemonial strukturiert ist: Zwischen patriarchalischer Subjektbildung und imperialistischer Objektkonstitution ist es der Ort des freien Willen bzw. der Handlungsmacht des geschlechtlich als weiblich definierten Subjekts, der erfolgreich ausgelöscht wird. (Spivak 2014: 236) Spivaks Analyse gilt sowohl der kolonialen Vergangenheit wie auch der postkolonialen Gegenwart. Sie übt eine klare Kritik an der Nord-Süd-Teilung der globalisierten Gegenwart, hinter der sie einen neuen Imperialismus ausmacht. Dieser Imperialismus funktioniert mittels der Dynamik aus globaler Entwicklungspolitik (legitimiert durch rassistisches und feministisch-bevormundendes Entwicklungsnarrativ) und postkolonialnationalistischer Bewegungen (vgl. Spivak 2014: 368). Spivak zeigt die Funktionsweise des intersektional wirkenden Rassismus auf die Konstruktion (Othering) und das ZumSchweigen-Bringen der subalternen Frau des sogenannten globalen Südens. Diese rassistische Subjektposition dient neoimperialen und postkolonial-nationalistischen Bewegungen als Machtfaktor. Spivak macht auf die Unmöglichkeit des Sprechens jener subalternen Frauen des globalen Südens aufmerksam, die von jedem Diskurs ausgeschlossen werden, und appelliert damit gleichzeitig dafür, »die Handlungsfähigkeit des lokalen Widerstands anzuerkennen« (Spivak 2014: 401). Diese Prozesse des Othering und seine Funktion für globale Machtverhältnisse hat ein weiterer wichtiger Wissenschaftler der Postkolonialen Theorie, Edward Said, in seinem Referenzwerk Orientalismus (1978) systematisch erforscht. Said zeigte im Zuge seiner »kolonialen Diskursanalyse« (vgl. Castro Varela & Dhawan 2015: 94), wie […] der koloniale Diskurs die kolonisierten Subjekte und Kolonisatoren gleichermaßen hervorgebracht hat und wie der Orient durch selbsternannte Orientexperten, die Vorgaben, den Orient zu kennen, hergestellt und anschließend essentialisiert wurde. […] Das vermeintliche Wissen über den Orient diene, so Said, nicht nur der direkten Machtausübung, sondern auch der Legitimierung von Gewalt. (Ebd.: 95) Mit Edward Said (1978) kann die grundlegende Funktion von Othering für weiße westliche Subjektivierung und Subjektbildung – also die grundlegende Funktion des »Anderen« und des »VerAnderns« (Othering) – erkannt und verstanden werden. Othering ist bereits in Hegels Herr-Knecht-Dialektik in der Phänomenologie des Geistes (1807) zum ersten Mal aufgetaucht. Grundsätzlich geht es um die Bedeutung der Konstruktion des »Anderen« für die Wahrnehmung und Bildung des Selbst. Die »Andere«, der »Andere« oder die

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»Anderen« werden dabei konstruiert und zugleich als negativ und minderwertig verworfen. Sie dienen sowohl als Selbsterhebungs- als auch als Projektionsfläche von Wünschen und Ängsten. Simone de Beauvoir (1949) hat Hegels Konzept aufgegriffen und gezeigt, wie Frauen als die »Anderen« des Mannes positioniert und zu Objekten mit bestimmten Eigenschaften gemacht werden. Edward Said hat dann in seinem Werk Orientalismus (1978) die konstitutive Funktion der Konstruktion des »Orients« für die Vorstellung der Menschen im »Okzident« gezeigt. Die westliche Identität als »modern«, »säkular«, »aufgeklärt«, »fortschrittlich« wird mittels der orientalistischen Konstruktion der »Anderen«, die angeblich all jene Eigenschaften nicht aufweisen, erzeugt und abgesichert. Die Said’sche These der epistemischen Gewalt des Westens und seiner Fremdkonstruktions- und Selbstkonstitutionsprozesse wurde vertieft, indem etwa Valentin Y. Mudimbe (1988) mit The Invention of Africa und Walter Mignolo mit The Idea of Latin America (2005) weitere Wissen-Macht-Verschränkungen und deren Effekte auf die nach-koloniale globale Ordnung nachgewiesen haben. Homi Bhabha zeigt im Anschluss an Frantz Fanon (1952) die Widersprüchlichkeiten und Brüche von kolonial erzeugten Subjektpositionen auf und hebt deren hybride Umdeutungen und Transformationen hervor (Bhabha 2011: 125ff). Mit dem Begriff »Mimikry« beschreibt Bhabha die performative Aneignung bestimmter Identitätsvorstellungen oder Subjektformen. Bhabha interessiert sich vor allem für die ironische Aneignung von westlichen Normvorstellungen seitens kolonialisierter Subjekte. Mimikry kann zwar für Kolonisierte zu einem Trauma führen, birgt aber auch das Potenzial zu Umdeutungen, weil jede Wiederholung leichte Veränderungen impliziert. Dies bringt das Konzept von hegemonialen Subjektpositionen und ihren vermeintlichen Eindeutigkeiten zum Wackeln. Das Konzept der Mimikry ermöglicht, die Performanz spezifischer Subjektpositionen auch als ironische Nachahmung zu lesen, was potenziell Widerständiges enthält. (Vgl. ebd.). Fanon hatte zuvor die psychischen Auswirkungen von kolonial-rassistischer Ordnung auf Kolonisierte und Kolonisator*innen aufgezeigt und analysiert, wie weiße rassistische Vorherrschaft Schwarze Subjekte der Kolonialgesellschaft positioniert. In seinen Werken Schwarze Haut, weiße Masken (1952) und Die Verdammten dieser Erde (1961) analysiert er den Einfluss des Kolonialismus auf die kolonisierten Gesellschaften und ihre Individuen. Der Kolonialismus und explizit der Kolonialrassismus habe nicht nur die hiesigen Gesellschaftsformen zerstört und bestimmte Formen des Tribalismus genährt, sondern auch die Individuen und ihre Psychen angegriffen. So sei nach Fanon in Schwarze Haut, weiße Masken Schwarze Identität der Karibik determiniert von der »weißen Welt«. Die »weiße Welt« meint das euro- und ethnozentrische koloniale Weltbild, mitsamt einer eigenen Ontologie, Rationalität, Universalität (vgl. Bhabha 2011: 354) sowie spezifischen rassifizierten Subjektpositionen. Dem Schwarzen Individuum wird innerhalb dieser symbolischen Subjektordnung ein spezieller Platz zugeschrieben, der es sozial marginalisiert und psychisch pathologisiert (vgl. Kerner 2013a: 118). Mit Stuart Hall (1994) ist es möglich, diese eurozentristische, normative Weltordnung in ihrem historischen Zusammenhang zum europäischen Kolonialismus zu sehen und zu erkennen, wie diese Jahrhunderte andauernden Diskurse Subjektformen, Subjektkulturen und Subjektordnungen erzeugt haben, die sich zwar stetig wandeln, aber in der gegenwärtigen globalisierten postkolonialen Konfiguration weiterwirken.

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Dieser Diskurs von ›der Westen und der Rest‹ beeinflusste das aufklärerische Denken stark. In seinem Vorstellungsrahmen entstand die Sozialphilosophie der Aufklärung. Deren Denker glaubten, dass es nur einen Weg zur Zivilisation und zur sozialen Entwicklung gebe und dass alle Gesellschaften auf der selben Skala als früh oder spät, tiefer- oder höherstehend eingeordnet werden können. (Ebd.: 172, Herv. i. Orig.) Der Diskurs vom »Westen und dem Rest« bringt eine eigene kolonialrassistische Subjektordnung hervor, die durch zwei binäre Subjektformen gekennzeichnet ist. Die eine Position ist jene des sprechenden, handelnden, vernunftbegabten, zivilisierten westlichen Individuums (mit der idealisierten Vorstellung des weißen, christlichen, adeligen und später bürgerlichen Mannes), während die zweite Position jene des kolonisierten »Anderen« als Teil eines Kollektivs darstellt. Diese behauptete Hierarchie diente nicht nur zur Legitimation für die brutale Unterwerfung ganzer Kontinente durch weiße Kolonisatoren, sondern auch zur hierarchischen Klassifikation der gesamten Welt. In diesem binären Klassifikationssystem existieren eine Reihe von intersektionell-spezifischen Subjektpositionen, die die symbolische Ordnung stützen. So ist die Rolle der weißen Frau in den Kolonien sowohl jene, die weiße, völkische Familie zu ermöglichen und in dem häuslichen Bereich zu arbeiten. Gleichzeitig repräsentiert die weiße Frau im Kolonialismus auch Tugendhaftigkeit: Sie sollten in die Kolonien einwandern und sogenannte ›Mischehen‹ verhindern. Frauen sollten demnach das Weiße Kollektiv biologisch, kulturell und sozial reproduzieren. Sie trugen damit maßgeblich zur Weißen Selbstaffirmation in den Kolonien bei. Entsprechend der Zuordnung der männlichen Kolonisten zur Natur, wurden Weiße Frauen symbolisch der Kultur zugeordnet. Hier lässt sich eine Umkehrung der geschlechtsspezifischen Zuweisungen in der Dichotomie Natur versus Kultur konstatieren […]. (Walgenbach 2006: 1713) Im Zentrum des Diskurses stand aber stets der weiße Mann, als dessen Bürde es behauptet wurde, die Welt zu kolonialisieren – was als zivilisatorische Mission Darstellung fand. The vast, fissured architecture of imperialism was gendered throughout by the fact that it was white men who made and enforced laws and policies in their own interests. (McClintock 1995: 6) Stuart Hall hat herausgearbeitet, dass auch die Subjektvorstellung des »Anderen« mehrere zum Teil ambivalente Spaltungen erfahren hat. Die Stereotype des »edlen« und »unedlen Wilden« sind wichtige Beispiele für die Funktionsweise von Rassismen als »Spiel süßer und bitterer Worte« (Kilomba 2009). Im Stereotyp des »edlen Wilden« bündeln sich europäische Träume und Phantasien von einem freieren, naturverbundenen, sexuell offeneren Leben. Im Stereotyp des »unedlen Wilden« werden all die hasserfüllten Vorurteile der rassistischen Entmenschlichung vereint (vgl. Hall 1994: 170ff). Das Zusammenspiel aus Romantisierung und Anziehung sowie Dämonisierung und Gewaltfantasien macht den Kolonialrassismus für die Kolonisator*innen begehrenswert. Die Vorstellung vom »edlen Wilden« war auch notwendig, um die lokale Bevölkerung in Verwaltungsaufgaben und Ähnliches einzubinden und dies gleichzeitig vor dem Hintergrund rassistischer Diskurse rechtfertigen zu können.

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Hito Steyerl und Encarnación Gutiérrez Rodríguez haben in ihrem Sammelband Spricht die Subalterne Deutsch? Migration und postkoloniale Kritik (2003) erstmals Autor*innen vereint, die postkoloniale Perspektiven auf den deutschsprachigen Raum eröffnen. Kien Nghi Ha, einer der dort vertretenen Autoren, spricht davon, dass postkoloniale Ansätze in Deutschland vor allem von jungen Wissenschaftler*innen13 aufgegriffen worden sind, »die aus […] Schwarzen, feministischen und migrantischen Perspektiven nach lokalen Übertragungsmöglichkeiten suchen« (Ha 2019: 184). Marìa do Mar Castro Varela und Nikita Dhawan sind zwei der wichtigsten Autor*innen, die die Notwendigkeit und Relevanz von postkolonialer Theoriebildung im hiesigen Raum illustriert haben. Ihre Beschreibung von Postkolonialer Theorie als offenem, antidisziplinärem Feld (vgl. Castro Varela & Dhawan 2010: 303) bietet Anschlussmöglichkeiten für postkolonial informierte Wissenschaft im deutschsprachigen Raum: Wollten wir eine konstruktive Beschreibung wagen, so könnte Postkoloniale Theorie als eine Perspektive beschrieben werden, die sich auf der einen Seite dem Verlauf der Rekonstruktion des europäischen Imperialismus und Kolonialismus verschrieben hat und auf der anderen Seite die Kämpfe gegen diese spezifische Herrschaftsformation dokumentiert und analysiert, ohne dabei eine kohärente theoretische Intervention vorzugeben. (Ebd.: 304) Für die Autor*innen ist klar, dass Postkoloniale Theorie auch im deutschsprachigen Raum relevant ist, da überall globale Interdependenzen und koloniale Verflechtungen existieren (vgl. Castro Varela & Dhawan 2010: 309). Das gilt sowohl für die ehemalige Kolonialnation Deutschland wie auch für Österreich und die Schweiz, wo häufig die »direkte und indirekte Beteiligung dieser Länder in Sklavenhandel und kolonialen Handel« (Dhawan 2017) vergessen wird. Postkoloniale Theorie hilft dabei, egal in welchem Kontext sie angewendet wird, Nachwirkungen des Kolonialismus sichtbar zu machen, die mit einer Vielzahl an Problemen einhergehen: Zu diesen Problemen zählen Armut, Autoritarismus und mangelnde Rechtsstaatlichkeit in ehemaligen Kolonien. Dazu zählen jedoch auch eurozentrische und rassistische Denkweisen, die sich in Kunst, Literatur und weiteren Bereichen der Kultur, in den Wissenschaften und in den Medien niederschlagen – und sich in den unterschiedlichsten Bereichen von Politik und Gesellschaft finden. (Kerner 2013a: 9) Diese konkreten gegenwärtigen Verstrickungen im deutschsprachigen Raum werden im Kapitel »Postmigrantische Gesellschaft« weiter konkretisiert. Eine mit der Postkolonialen Theorie eng verbundene Perspektive ist jene der Kritischen Weißseinsforschung.

Kritische Weißseinsforschung/Critical Whiteness Studies und Dominanzkultur Anfang der 1990er Jahre hat die afroamerikanische Literaturwissenschaftlerin und Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison mit ihrem bahnbrechenden Werk Playing in the Dark: Whiteness and the Literary Imagination (1992) eine neue Tradition der Rassismusana-

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Ha nennt hier als Pionier*innenwerke Encarnación Gutiérrez Rodríguez (1999), Kien Nghi Ha (1999), Fatima El-Tayeb (2001), Hito Steyerl und Encarnación Gutiérrez Rodríguez (2003).

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lyse begründet, die bestimmte Aspekte von Postkolonialer Theorie vertieft. Sie schlägt vor, […] die Auswirkung von Ideen rassistischer Hierarchie, rassischer Ausgrenzung und rassischer Verletzbarkeit und Verfügbarkeit auf Nichtschwarze zu untersuchen, die diese Ideen vertreten haben oder ihnen widerstanden, sie erkundeten oder sie veränderten. (Morrison 1995: 125) Damit wird dem von W.E.B DuBois (1920a+b), Frantz Fanon (1952), James Baldwin (1955), Toni Morrison (1992) und bell hooks (1981, 1992) initiierten Blickwechsel nachgegangen, der auf der Grundlage von Jahrhunderte andauernden Kämpfen von Schwarzen und People of Color gegen Kolonialismus, Imperialismus, westliche Dominanz und der damit zusammenhängenden Dekonstruktionen von Weißsein formuliert wurde (vgl. Eggers 2009). Morrison forderte einen Perspektivenwechsel innerhalb der Rassismusforschung ein, der von den »Objekten« des Rassismus (vor allem als Kolonialrassismus verstanden) zu den »Subjekten« führen soll und damit jene Menschen, Institutionen, Diskurse und Praktiken beforscht, die als weiß erzeugt und positioniert werden. Die Critical Whiteness Studies beschäftigen sich eben mit der Universalisierung von als weiß positionierten Menschen sowie von mehrheitlich weiß erzeugten und reproduzierten Institutionen, Machtpositionen, Wissensgebieten und Kulturtechniken. Dabei beforschen sie meist europäische und nordamerikanische Gesellschaften, die sich offiziell gegen Rassismen aussprechen, zeitgleich aber tief von historisch gewachsenen rassistischen Strukturen, Diskursen, Praktiken und Subjektvorstellungen geprägt sind. Morrisons Idee hatte die Geburt einer eigenen Forschungsperspektive14 innerhalb der Rassismusforschung zur Folge. US-amerikanische Arbeiten von Ruth Frankenberg (1993), Peggy McIntosh (1988), Noel Ignatiev (1996) und Werke aus dem deutschsprachigen Raum15 von Maureen Maisha Eggers et al. (2009), Helga Amesberger und Brigitte Halbmayr (2008) sowie Diana Bonnelamé (1983) widmen sich der Konstruktion und Aufrechterhaltung des in allen besprochenen Rassismen als Zentrum, als Norm, als »Wir« stehenden Weißseins. Weißsein bezieht sich dabei auf weiß dominierte Strukturen, weiß geprägte und idealisierende Diskurse, daraus resultierende weiße Praktiken und Weiße idealisierende Subjektpositionen. Kritisch ist die Forschung deshalb, weil sie die unsichtbar gemachte Normalität des Weißseins und ihre normierten Subjekte, die »unmarkierten Markierer« (Frankenberg 1997b: 1), sichtbar machen möchte und gleichzeitig den Konstruktcharakter von Weißsein betont. Die Kritische Weißseinsforschung identifiziert Weißsein als Konstrukt des Rassismus, erfasst es als soziale Position und macht es als kritische Analysekategorie der postkolonialen bzw. kulturwissenschaftlichen Forschung fruchtbar, die Rassismus in gesellschaftlichen Prozessen und Strukturen in seiner Kompliziertheit, Vielschichtigkeit und 14

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Weitere wichtige Pionier*innenwerke sind Allen 1994, Roediger 1991, Dyer 1997. Die ersten wichtigen Sammelbände sind Delgado & Stefancic 1997, Frankenberg 1997a, Roediger 1999, Fine et al. 2004 und Yancy 2004. Weitere wichtige erste Arbeiten sind von van den Broek 1988, Wachendorfer 2000, Wollrad 2005, Walgenbach 2005, Tißberger et al. 2006 und Dietrich 2007.

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ihren Interdependenzen verstehen hilft. Dabei wird von einer Negierung rassistischer Konstruktionen ausgegangen und deutlich gemacht, dass Weißsein nicht von Natur aus sichtbar ist, sondern einer hergestellten und interpretierten Sichtbarmachung unterliegt. Weißsein beschreibt keine ›Hautfarbe‹ und ist daher auch nicht als biologistischer oder somatisierender Begriff zu verstehen, der an Pigmentierungen oder Komplexion gebunden ist, sondern dekonstruiert im Gegenteil die ideologische Konstruktion von ›Hautfarben‹ und das Theorem der vermeintlichen Evidenz der Sichtbarkeit menschlicher ›Rassen‹. Im Prozess dieser Dekonstruktion wird Weißsein als Symbol verortet, das an Gewordensein gebunden ist und am ehesten über den Begriff der Position zu erfassen ist. (Arndt 2009a: 343) Die weiße US-amerikanische kritische Weißseinsforscherin Ruth Frankenberg beschreibt drei Dimensionen von »whiteness«: Weißsein ist eine Position des strukturellen Vorteils, ein Ort des Sprechens über sich selbst und andere und ein Aggregat an kulturellen Praktiken (vgl. Frankenberg 1997: 1ff). Weißsein als strukturelle Dimension16 von westlichen Gesellschaften bedeutet mit Robin DiAngelo (2018): »Whites control all major institutions of society and set the policies and practices that others must live by« (DiAngelo 2018: 27). Das Konstrukt des Weißseins ist historisch gesehen auch so dominant geworden, weil es eine gewisse Unklarheit, relative Offenheit und Instabilität beinhaltet. Weißsein funktioniert über Koalitionen, bietet Privilegien und das Versprechen zur Teilnahme: Because whiteness carries such rewards and privileges, the sense of a border that might be crossed and a hierarchy that might be climbed has produced a dynamic that has enthralled people who have any chance of participating in it. (Dyer 2017: 20) Weißsein als Ort des Sprechens entspricht Stuart Halls Begriff des »weißen Auges« (Hall 1989b: 159), dem unbenannten, sich neutral und objektiv gebenden Standpunkt, der aber tatsächlich weiß, kolonial, häufig männlich, eurozentristisch und bürgerlich gerahmt ist. Weiße soziale und kulturelle Praktiken entstehen auf der Grundlage struktureller sowie diskursiver Rahmungen, innerhalb derer Weißsein eine normative Funktion beinhalten. »Das »weiße Auge« befindet sich stets außerhalb des Rahmens – aber es sieht und ordnet alles, was darin ist.« (Hall 1989b: 159) Im globalen Maßstab muss nach wie vor von einer »Normativität von Weißsein« (Wollrad 2005) in vielen Bereichen des Lebens gesprochen werden. Entscheidend ist allerdings, dass diese Praktiken, wie etwa Hollywood-Erzählungen, ethnographische Forschungsreisen, die Auswahl von Wohnviertel und Schulen u.v.m., als objektive Praktiken verstanden werden, und nicht als machtgebunden, sozial, kulturell, gesellschaftlich situiert.

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Robin DiAngelo listet Statistiken auf, die zeigen, dass weiß positionierte Menschen in Bezug auf ökonomischen Besitz sowie das Besetzen von Top-Positionen in Politik, Wirtschaft, Medien, Bildung und Sport extrem überrepräsentiert sind (meist weit über 90 Prozent) (vgl. DiAngelo 2018: 31). Für den deutschsprachigen Raum existieren keine vergleichbaren »Gleichstellungsdaten«. Ein Projekt, das die strukturelle Dominanz von weiß positionierten Menschen zeigt, ist die Studie Vielfalt entscheidet. Diversity in Leadership (2018) der Organisation Citizens For Europe, die ermittelt hat, dass in der Berliner Verwaltung – einer sehr diversen Stadt – 97 Prozent der Führungskräfte weiß positionierte Personen ohne Rassismuserfahrungen sind (vgl. Der Tagesspiegel 2018).

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Auch die Wirkungsweise von »whiteness« auf weiß positionierte Menschen ist aufgrund zweier Faktoren häufig unsichtbar: Einerseits wird Weißsein als Norm des Menschseins konstruiert und damit als die universelle, »normale« Position. Gegenwart und Geschichte werden als universelle Menschheitsgeschichte erzählt, in ihrem Kern handelt es sich in diesen hegemonialen Diskursen um eine »weiße Mythologie« (Young 2004). Andererseits sind in der postkolonialen Gegenwart offen rassistische Konzeptionen von Weißsein aufgrund der Erfolge von antirassistischen, antikolonialistischen und dekolonialen Kämpfen und ihrer staatlichen und kulturellen Implementierung nicht mehr im großen Maßstab möglich. Whiteness als Signifikant des kulturellen Symbolischen des Rassismus artikuliert sich daher selten in offen rassistischen Formen, sondern vielmehr in den Codes des Aufklärerischen, Paternalistischen, Emanzipativen und in Entwicklungsnarrativen. (Tißberger 2020: 100) Weißsein ist die meist unausgesprochene Norm in rassistisch strukturierten Gesellschaften. Weiß positionierte Menschen werden entlang dieser Norm sozialisiert, lernen es zwar, Abweichungen von dieser erfundenen Norm zu erkennen und zu sanktionieren – lernen also, das rassistische »Andere« zu lesen. Die darin artikulierten »Wir-Idealisierungen« bleiben allerdings häufig unausgesprochen. Von Rassismen privilegiert positionierte Menschen lernen damit schon in der Kindheit die Anwendung der für sie unsichtbar gemachten Rassismen als »normalen« Teil ihrer Selbstidentifikation und von Fremdidentifikationen kennen. Sie werden bereits früh unbewusst »rassistisch konditioniert« (van den Broeck 1988: 76). In diesen weiß genormten Gesellschaften entstehen subjektgebundene Privilegien. Mit dem Begriff »White Privilege« wird diese an rassistische Subjektvorstellungen geknüpfte privilegierte soziale Position von als weiß adressierten und gelesenen Menschen analysiert. Die weiße Aktivistin und Wissenschaftlerin Peggy McIntosh hat 1988 in ihrem kanonischen Artikel White Privilege: Unpacking the Invisible Knapsack unverdiente weiße Privilegien aufgelistet, die von den privilegiert positionierten Personen wie ein Rucksack mit sich getragen, aber meist nicht wahrgenommen werden – da sie Teil ihrer rassifizierten Normalität sind. McIntosh zählt auf der Grundlage ihrer Erfahrungen und ihres Wissens über rassistische Gesellschaften fünfzig große und kleine Privilegien von weiß positionierten Personen auf: Von der Frage der Repräsentation von Menschen ihrer race in allen Lebensbereichen über die Möglichkeit, sich das Wohnviertel auszusuchen, bis zu Chancen auf Arbeit und Lebensperspektiven der eigenen Kinder, einem Leben ohne Rassismus und den Schranken, Gefahren und Verletzungen, die damit einhergehen (vgl. McIntosh 1988), streift ihre Auflistung alle relevanten Sphären des Lebens. »White Privilege« ist dort am wirkungsmächtigsten, wo es sich der eigenen Wahrnehmung entzieht: White privilege functions best when it appears not to be functioning at all […]. The flashy obviousness of white supremacy will be its down fall in a »civilized« world that prides itself on its democratic tolerance and inclusiveness. (Sullivan 2006: 187) Weiße Privilegien sind natürlich genauso in ihren Relationen zu weiteren Machtverhältnissen zu betrachten. Mark Rosenkranz (2018) etwa hat gezeigt, wie »white male privile-

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ge« gleichzeitig allgegenwärtig, das Leben massiv beeinflussend wie auch unsichtbar für viele weiß-männlich* positionierte Personen ist. Am Konzept der »White Privilege« wird kritisiert, dass der Ansatz Rassismen zu sehr individualisiert und auf Privilegien reduziert. Dabei werde die gesellschaftliche Rahmung vernachlässigt, die »white privileges« systemisch herstellt und absichert (vgl. Leonardo 2004). Die systemische Komponente, also die Gesamtheit aus der mächtigen, strukturell, diskursiv und praktisch abgesicherten weißen Position, aus weißen Privilegien und aus der Normativität dieser unbenannten Dominanzverhältnisse, wird in der Forschung als »White Supremacy« bezeichnet. Wenn bell hooks vom »white supremacist capitalist patriarchy« (1997) spricht, dann meint sie damit einerseits, dass im Zentrum der Rassismen die Ausweitung und Erhaltung von »White Supremacy« steht, und andererseits, dass Rassismen nie isoliert, sondern immer in Verbindung zu anderen Machtstrukturen, wie Kapitalismus und Patriarchat17 , also intersektionell, zu betrachten sind. Bell hooks definiert »White Supremacy« innerhalb intersektioneller Machtverhältnisse und in Bezug auf die eigene Biographie wie folgt: I began to use the phrase in my work »white supremacist capitalist patriarchy« because I wanted to have some language that would actually remind us continually of the interlocking systems of domination that define our reality and not to just have one thing be like, you know, gender is the important issue, race is the important issue, but for me the use of that particular jargonistic phrase was a way, a sort of short cut way of saying all of these things actually are functioning simultaneously at all times in our lives and that if I really want to understand what’s happening to me, right now at this moment in my life, as a black female of a certain age group, I won’t be able to understand it if I’m only looking through the lens of race. I won’t be able to understand it if I’m only looking through the lens of gender. I won’t be able to understand it if I’m only looking at how white people see me. To me an important break through, I felt, in my work and that of others was the call to use the term white supremacy, over racism because racism in and of itself did not really allow for a discourse of colonization and decolonization, the recognition of the internalized racism within people of color and it was always in a sense keeping things at the level at which whiteness and white people remained at the center of the discussion. In my classroom I might say to students that you know that when we use the term white supremacy it doesn’t just evoke white people, it evokes a political world that we can all frame ourselves in relationship to. And I think that I was able to do that because I grew up, again, in racial apartheid, where there was a color caste system. So that obviously I knew that through my own experiential reality, you know, that it wasn’t just what white people do to black people that was wounding and damaging to our lives, I knew that when we went over to my grandmother’s house, who looked white, who lived in a white neighborhood, and she called my sister, Blackie, because she was dark and her hair was nappy and my sister would sit in a corner and cry or

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Mit Emilia Roig kann das Patriarchat pointiert definiert werden: »Die Herrschaft der Männer ist ein System, das auf der Annahme der Überlegenheit der Männer über Frauen beruht.« (Roig 2021: 47)

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not want to go over there. I knew that there is some system here that is hurting this little girl, that is not directly, the direct hit from the white person. And white supremacy was that term that allowed one to acknowledge our collusion with the forces of racism and imperialism. (hooks 1997: 7) Mit dem Begriff »White Supremacy« (vgl. Fredrickson 1982) wird der globalen Vormachtstellung von weiß positionierten Menschen nachgegangen und werden weiß hergestellte Strukturen und Diskurse untersucht. Das Konzept des »Racial Contract« von Charles W. Mills (1997a) zeigt auf, wie das vorkoloniale, fragmentierte Europa der unterschiedlichen Gruppen mitsamt interner Protorassismen und Rassismen (Diskriminierung der irischen Bevölkerung, Diskriminierung von Osteuropäer*innen, Antisemitismus, Antiziganismus) anhand der Konstruktion des Weißseins in den Kolonien die Grundlage für europäische globale Dominanz gelegt hat (vgl. Mills 1997a). Weiße Vorherrschaft ist die postkoloniale Weiterführung von kolonialrassistisch begründeten Dominanzverhältnissen, die alle Teile der Welt beeinflusst. Weiße Vorherrschaft ist in diesem Sinne nicht nur eine Meinung und Ideologie, sondern ein gesellschaftliches System, in das wir alle eingebettet sind. Sie prägt heutzutage alle Gesellschaften der Welt, auch solche, in denen keine oder nur wenige weiße Menschen leben. (Roig 2019: 96, Herv. i. Orig.) Konzepte wie »White Identity« (vgl. Roediger 1991) »Weiße Subjektivierung« (Wollrad 2011), »White Ignorance« (vgl. Mills 1997b), »White Innocence« (Wekker 2016) oder »White Fragility« (vgl. DiAngelo 2011 & 2018) beschäftigen sich mit den Auswirkungen der rassistisch weiß normierten Welt auf weiß positionierte Menschen. Weiße Subjektivierung – in anderen Arbeiten wird auch von »white racial socialisation« (vgl. Bartoli et al. 2016) gesprochen – bedeutet, dass weiß positionierte Menschen genauso Teil von rassistischen Vergesellschaftungsprozessen und damit einhergehenden Rassenkonstruktionen und Rassifizierungen sind wie Menschen, die Rassismus negativ erfahren. Die Nichtbenennung, Verdrängung und Dethematisierung dieser rassistischen Vergesellschaftung geht häufig mit einer angelernten Ignoranz der eigenen privilegierten Position in Bezug auf Rassismen einher, die sich wiederum häufig in einer »Fragilität«, einer Zerbrechlichkeit artikuliert, wenn weiß positionierte Menschen zur rassismuskritischen Reflexion aufgerufen werden (vgl. DiAngelo 2018). Sprechen und Nachdenken über Rassismen löst so ein nachweisbares »Unbehagen« aus, das häufig zu einer Verschließung von weiß positionierten Menschen bezüglich des Themas Rassismen führt (vgl. Matias & DiAngelo 2013). Dieses Unbehagen ist idealtypisch für von Rassismen privilegiert positionierte Menschen, sodass Grada Kilomba in Anlehnung an Paul Gilroy von fünf Phasen der Bewusstwerdung des eigenen Weißseins spricht: Verleugnung, Schuld, Scham, Anerkennung, Wiedergutmachung (Kilomba 2019: 20). Nach Kilomba sollte das Unbehagen nicht die Antwort auf die moralische Frage (bin ich rassistisch?) sein, sondern die Antwort auf eine psychologische Frage (wie kann ich meine eigenen Rassismen demontieren?) (vgl. Kilomba 2019: 22). Das Unbehagen ist also Teil eines rassismuskritischen Prozesses, der mit der Anerkennung der eigenen Involviertheit in Rassismen beginnt. Gerade in dieser privilegierten Involviertheit liegt allerdings ein zentrales Problem:

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Privilegiert zu sein heißt unter anderem, manche Probleme zu unterschätzen oder nie als solche wahrzunehmen, weil die Person nie damit konfrontiert wurde. (Roig 2021: 88) In rassistisch strukturierten Gesellschaften existieren eine Reihe von hegemonialen Diskursen, die zur Legitimation von Rassismen beitragen, ohne offen rassistisch zu sein. Drei dieser Diskurse werden innerhalb der Critical Whiteness Studies häufig diskutiert: »Color Blindness«, »Reverse Racism« und »Distanzierung/Dethematisierung« von Rassismen. Alle drei Diskurse spielen auch im deutschsprachigen Raum eine signifikante Rolle. »Color Blindness« (vgl. Carr 1997) ist ein Begriff, der aus dem Kontext der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung stammt und ursprünglich dabei helfen sollte, gegen offen rassistische Diskriminierung einzustehen. Hinter dem Konzept steht das Ideal einer Gesellschaft, in der Hautfarben irrelevant sind. Heute dient der Begriff allerdings häufig der Unsichtbarmachung der gesellschaftlichen wie persönlichen Effekte von Rassismen (vgl. Fish 1993), der Entlastung von weiß positionierten Menschen vor Schuld und Verantwortung (Wekker 2016), der Darstellung der eigenen Progressivität (DiAngelo 2021) oder Legitimation der eigenen Privilegien: A fundamental transformation of how young whites define and understand themselves racially is taking place. The white students I interviewed believe that the American class system is fair an equitable: Anyone who delays gratification, works hard, and follows the rules will succeed regardless of color. (Gallagher 1997: 10) »Color Blindness« ist eine moralisch begründete Ausblendung rassistischer Verhältnisse und besitzt deshalb oft gegen jede Intention einen Rassismen reproduzierenden Charakter: Hautfarbe nicht zu sehen ist keine Hilfe bei der Dekonstruktion rassistischer Strukturen oder der materiellen Verbesserung der Bedingungen, denen People of Colour täglich ausgesetzt sind. Um ungerechte, rassistische Strukturen auszulösen, müssen wir Hautfarbe sehen. Wir müssen sehen, wer von seiner Hautfarbe profitiert, wer von hautfarbenspezifischen negativen Stereotypen unverhältnismäßig stark betroffen ist, und wem aufgrund der Hautfarbe, der Klasse oder des Geschlechtes Macht und Privilegien – verdientermaßen oder nicht – zugestanden werden. Hautfarbe zu sehen ist eine Voraussetzung, um das System zu verändern. (Eddo-Lodge 2019: 95) Robin DiAngelo sieht vor allem zwei Ideologien hinter dieser neuen Form der impliziten Legitimation von rassistischen Verhältnissen wirken: Individualismus und Meritokratie (vgl. DiAngelo 2018: 8). Beide Denksysteme delegieren die Verantwortung für die eigene soziale Position und den persönlichen Erfolg ganz an das Individuum und ihre oder seine Leistungen. Damit wird die rassistische, sexistische, klassistische, heteronormative, ableistische Strukturierung der Gesellschaft negiert und weiß-privilegiert positionierte Personen bleiben an den zentralen Machtpunkten der Gesellschaft sitzen. Der Diskurs des »Reverse Racism« (vgl. Cashmore 2004) ist eine weitere dominante Umgangsform mit der eigenen weißen, privilegierten Position. »Reverse Racism« ist die häufig geäußerte Kritik an Gleichstellungspolitiken wie »Affirmative Action« und an

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Identitätspolitiken von marginalisierten Gruppen. Die »Bevorzugung« von gesellschaftlich benachteiligten Menschen durch Quoten und Ähnliches und das Sichtbarmachen dieser Benachteiligungen durch politisch-aktivistische Gruppen, was häufig mit dem Benennen von Weißsein als wichtigen Ungleichheitsfaktor einhergeht, wird als umgekehrter Rassismus gegen Weiße dargestellt – obwohl die rassistischen Machtverhältnisse aufrecht bleiben. »Reverse Racism« beinhaltet die Vorstellung, dass Rassismus gegen weiß positionierte Menschen möglich ist. Verstehen wir allerdings Rassismus (hier vor allem Kolonialrassismus und postkolonialen Rassismus) als gesellschaftliches Machtverhältnis, das aus historischen Gründen über Jahrhunderte und im globalen Maßstab Weißsein idealisiert und damit als weiß gelesene Menschen privilegiert, ist es tatsächlich unmöglich, dass weiß positionierte Menschen negativ von kolonialem und postkolonialem Rassismus betroffen sein können. Das bedeutet allerdings nicht, dass sie nicht diskriminiert oder auf andere Weise verletzt werden können aufgrund von »rassischem« Denken: Wenn also jemand glaubt, Schwarze seien von Natur aus Weißen überlegen, dann ist das zwar theoretisch ein rassistischer Gedanke – aber praktisch ein recht wirkungsloser. Dafür gibt es keine Echokammer, dieser Gedanke wird sich nicht in der Welt widerspiegeln. (Hasters 2020: 15) Die dritte hegemoniale Legitimationsstrategie von rassistischen Machtverhältnissen kann als »Distanzierungsmuster« (Messerschmidt 2011b) oder »distancing behaviours« (vgl. Elder & Irons 2007) benannt werden. Andernorts wurde dasselbe Problem als »Verleugnung« diskutiert (vgl. van Dijk 1992). Astrid Messerschmidt spricht mit dem Fokus auf Deutschland (was in großen Teilen auf den deutschsprachigen Raum übertragen werden kann) von vier typischen Distanzierungsmustern in Bezug auf Rassismen: »Skandalisierung«, »Verlagerung in den Rechtsextremismus«, »Kulturalisierung« und »Verschiebung in die Vergangenheit«. Diese Muster haben die Funktion, ein »unbeschädigtes Bild von sich selbst zu etablieren« (Messerschmidt 2011b: 41f). Ihre Diagnose gilt sowohl für die »postnationalsozialistische Gesellschaft« als Ganzes wie auch für die individuelle Ebene. Mit den Distanzierungsmustern spricht sich die Gesellschaft von Rassismen frei und verdeckt gleichzeitig die Ausübung neuer kultureller Rassismen: Die beiden Muster der Skandalisierung und der Verlagerung in den Rechtsextremismus lassen Rassismus als etwas erscheinen, das nicht zum ›Eigentlichen‹ der Gesellschaft gehört, und repräsentieren Rassismus als Ausnahme- und Randphänomen. Die Muster Kulturalisierung und Verschiebung in die Vergangenheit schützen das Selbstbild derer, die Rassismus ausüben, indem sie mit der ›anderen‹ Kultur eine plausible Begründung bereit stellen und die Abgrenzung der gegenwärtigen Gesellschaft von einer rassistischen Geschichte betonen. Es kommt zu mehrschichtigen Distanzierungen – gegenüber jenen, die nicht dazu gehören sollen und deren Diskriminierung deshalb auch nicht anerkannt wird, und gegenüber der eigenen Geschichte mit Rassismus und Antisemitismus, die als überwunden gilt. (Messerschmidt 2011b: 41) Jim Elder und Bruce Irons (2007) haben typische »distancing behaviours« von weiß positionierten Personen in Bezug auf die Beschäftigung mit Rassismen herausgerabietet. Eines dieser Verhaltensmuster ist es, das »Definitionsspiel« zu spielen. Die Suche nach

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klaren, umfassenden Definitionen verhindert eine konkrete Beschäftigung mit Rassismen und den eigenen Involviertheiten. Das zweite Muster ist die zwanghafte Suche nach People of Color, um die eigenen rassismuskritischen Prozesse anzuschieben, bei gleichzeitigem Ausbleiben einer rassismuskritischen Dekonstruktion des eigenen weißen Umfeldes. Drittens beschreiben Elder und Irons eine Tendenz zur Relativierung von Rassismen, indem sie häufig als »nicht das einzige Problem« bezeichnet werden. Die Autoren haben viertens und fünftens die Tendenz beobachtet, sich in kurzer Zeit selbst als Expert*innen zu Rassismen zu erklären und dann das Problem eigenständig »lösen« zu wollen. Weitere Distanzierungsverhalten können sein, zwanghaft »den Rassisten/die Rassistin« auszumachen, anstatt das Problem systemisch und auch bei sich selbst zu suchen. Schließlich haben Elder und Irons beobachtet, dass häufig der Beginn des eigenen antirassistischen Engagements aufgeschoben wird (»ich tue es, nachdem …«), Rassismen vor allem in anderen Kontexten und nicht dem eigenen gesehen und kritisiert werden, sowie eine Tendenz, sich nur auf die antirassistischen Erfolge zu konzentrieren und dabei rassistische Kontinuitäten zu übersehen. (Vgl. Elder & Irons 2007) Diese hegemonialen Diskursstrategien führen zur Aufrechterhaltung von rassistischen Machtverhältnissen und machen gleichzeitig Privilegien unsichtbar. Forschungen haben gezeigt, dass »Weißsein« dann thematisiert wird, wenn der Verlust von Privilegien droht (vgl. Taturn 1992; Gallagher 1997). So führt der Verlust des Arbeitsplatzes, das Sinken des Einkommensniveaus und der Bildungschancen oft zu Diskussionen um das Weißsein – das dann als Machtfaktor relativiert wird. Für den deutschsprachigen Raum ist der 2005 von Maureen Maisha Eggers, Grada Kilomba, Peggy Piesche und Susan Arndt herausgegebene Sammelband Kritische Weißseinsforschung in Deutschland. Mythen, Masken, Subjekte [2009] ein Meilenstein. Der Sammelband hat sich zum Ziel gesetzt, einen Dialog von Schwarzen Autor*innen, Autor*innen mit migrantischem Hintergrund und kritischen weißen Perspektiven zum Thema Weißsein in Gang zu setzen. Die Artikel des Sammelbandes ermöglichen erst Forschungen wie die vorliegende Dissertation, indem sie auf die Möglichkeiten, Begrenztheiten, Fallen und Probleme der Perspektive der Kritischen Weißseinsforschung hinweisen. Maureen Maisha Eggers betont erstens die Tatsache, dass Kritische Weißseinsforschung auf einer spezifischen Wissensgrundlage steht, die anerkannt werden muss: »[e]in spezifisches Schwarzes Wissen von kolonialisierten Schwarzen Subjekten, von Schwarzen Sklavinnen und Sklaven« (Eggers 2009: 18). Sie formuliert gleichzeitig das Ziel des Sammelbandes: Unsere Perspektive als Herausgebende beruht ohnehin keinesfalls auf einem dichotomen Verständnis von Schwarz und weiß, sondern unser Ziel besteht vielmehr darin, Weißsein in seiner historischen Dynamik und Komplexität als Analysekategorie in Deutschland fruchtbar machen. Unser Ziel ist es, die hegemoniale Funktion rassifizierender Markierungspraxen in Zusammenhang mit der Normalisierung von Weißsein reflektorisch zu erfassen. (Eggers 2009: 20) Peggy Piesche weist dabei auf die Gefahren der Kritischen Weißseinsforschung hin, nämlich die Rezentrierung der weißen Position und die Normalisierung sowie neuerliche Unsichtbarmachung weißer Hegemonie durch »lediglich eine kritische Verpackung« (Piesche 2009: 16).

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Iman Attia kritisiert in diesem Zusammenhang den Fokus auf die weiße Gesellschaft im Zuge von Critical Whiteness Studies, wenn sie in einem Interview sagt: Die Fokussierung auf das weiße christliche mittelständische Subjekt hat schon immer viel Raum eingenommen und tritt als Tendenz im Rahmen der Kritischen Weißseinsforschung erneut zutage. Einerseits wurden durch die dazu gehörigen Akzentsetzungen und Analysen wichtige Diskussionen angestoßen. Andererseits stehen wieder Weiße im Zentrum, die sich – im Hinblick auf ihre Befindlichkeiten, welche Erfahrungen sie nicht machen dürfen, was ihnen ›verwehrt‹ wird, wenn die ›Anderen‹ nicht als Teil des ›Eigenen‹ zu definieren sind, wie ›vielfältig‹ das eigene Leben sein könnte, wenn die ›Anderen‹ als Teil dessen akzeptiert würden – im schlimmsten Fall selbst als ›Opfer von Rassismus‹ konstruieren. (Attia 2019: 34, Anm. i. Orig.) Susan Arndt macht in einem historischen Rückblick »Weißsein als die verkannte Strukturkategorie Europa und Deutschlands« (Arndt 2009b: 24) aus und plädiert dafür, Weißsein als »master signifier« anzuerkennen und als analytische Kategorie anzuwenden (ebd.). In weiteren Artikeln wird insbesondere der deutsche/deutschsprachige Kontext mit seiner Verwobenheit in rassistische und koloniale Strukturen, Diskurse, Praktiken und Subjektvorstellungen konfrontiert. Sowohl auf der Ebene der deutschsprachigen Philosophie (vgl. Piesche 2009; Farr 2009), der Vergangenheit und Gegenwart des deutschen Kolonialismus (Ha 2009a; Dietrich 2007; Walgenbach 2005), gegenwärtiger gesellschaftlicher Institutionen, wie Theater (Cherrat 2009; Liepsch & Warner 2018), Gericht (vgl. Solanke 2009), Universität (Schwarzbach-Apithy 2009), sowie auf der Ebene von postkolonialen Wirtschaftsverbindungen (Castro Varela & Dhawan 2009) zeigt sich die Funktion von Weißsein für die rassistische Konstituierung von Gesellschaften im deutschsprachigen Raum. Peggy Piesche (2009) weist in ihrem Artikel Das Ding mit dem Subjekt, oder: Wem gehört die kritische Weißseinsforschung auf die Pionierarbeit von Diana Bonnelamé hin. Bonnelamé hat bereits 1983 mit ihrer Dissertation, die sich gestützt auf wissenschaftlichen Methoden und Begriffen der Völkerkunde mit Initiationsverfahren weißer deutscher Jugendlicher auseinandersetzt, eine frühe Arbeit zum Thema Kritische Weißseinsforschung erarbeitet. Sie war dabei mit allerlei Widerständen gegen ihre Arbeit konfrontiert, die daraus resultierten, dass die weißen Professoren und Nachwuchswissenschaftler*innen selbst nicht mit dem rassifizierenden, paternalistischen, exotisierenden Blick, mit dem sie sonst die »Anderen« betrachten, beobachtet werden wollten. Piesche weist in diesem Zusammenhang auf den Dokumentarfilm Wie andere N. auch (1983) hin, der hinter die Entstehungsbedingungen der Dissertation blickt und die Kämpfe um den Erhalt der weißen Deutungsmacht aufzeigt. Im deutschsprachigen Raum existiert mit dem theoretischen Konzept der »Dominanzkultur« von Birgit Rommelspacher (1995) ein rassismustheoretisches Modell, das an Fragen der Kritischen Weißseinsforschung sehr anschlussfähig ist. Rommelspacher schreibt zur Position der »Mehrheitsangehörigen« in den deutschsprachigen Gesellschaften: Über Rassismus wird zentral der Zugang zu ökonomischem, sozialem, kulturellem und symbolischem Kapital in der Gesellschaft geregelt. Das geschieht vor allem durch ein

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Zugehörigkeitsmanagement, das die Einen als zugehörig und die Anderen als Außenstehende ausweist. Dabei sichern sich die Mehrheitsangehörigen das Privileg, in der Norm zu leben und ihre Normalität als verbindlich für die Anderen zu definieren. Sie leben in einer Welt, die für sie gemacht ist und in der sie sich repräsentiert fühlen. Sie haben einen leichteren Zugang zum Arbeitsmarkt und Bildungssystem, zu sozialen Beziehungen und zu persönlichem wie gesellschaftlichem Ansehen. Allerdings wird dies alles von ihnen meist nicht als Privileg empfunden, da es in der Selbstverständlichkeit der Normalität verborgen ist, und es scheint sehr viel leichter zu sein, die Diskriminierung der Anderen wahrzunehmen als eigene Privilegierungen zu erkennen. Das ist einer der Gründe, warum der Thematisierung von Rassismus so viel Widerstand entgegengesetzt wird. (Rommelspacher 2011: 32) Helga Amesberger und Brigitte Halbmayr haben sich in ihrer theoretischen Arbeit Das Privileg der Unsichtbarkeit. Rassismus unter dem Blickwinkel von Weißsein und Dominanzkultur (2008) mit den Vereinbarkeiten und Unvereinbarkeiten von Kritischer Weißseinsforschung im deutschsprachigen Kontext auseinandergesetzt und das Konzept der Dominanzkultur in einen Dialog damit gesetzt. Sie kritisieren den zentralen Fokus auf Weißsein und bemängeln, dass damit anders gelagerte Rassismen nur schwer begriffen werden können: Ähnlich wie die CWS in den USA etwas ratlos im Umgang mit Hispanics, Asian Americans, Native Americans etc. sind, fällt es auch den Weißseins-Diskursen in Deutschland und Österreich schwer, MigrantInnen, Flüchtlinge, anerkannte Minderheiten wie etwa die Roma in Österreich innerhalb dieses Diskurses zu verorten. Sind dann die TürkInnen, KurdInnen, SerbInnen, KroatInnen, Roma und Sinti mit den Schwarzen zu den Nicht-Weißen Österreichs zu zählen? Welche Bezeichnungen gäbe es für sie, soll nicht die normsetzende Gruppe im Namen (Nicht-Weiße) die Differenz bekunden? (Amesberger & Halbmayr 2008: 142–143) Dieser gewichtige Einwand ist für diese Studie forschungsleitend. In der weiteren Folge wird sich zeigen, dass Weißsein eine wichtige Kategorie in allen besprochenen Rassismen darstellt, jedoch nicht den Status einer »Master-Kategorie« erhält. Die soziale Position weiß ist zentral für die im Zuge der Rassismen artikulierten idealisierten »WirPositionen«, aber sie ist nicht das alleinige Zentrum. Genauso wichtig ist die konstruierte Zugehörigkeit des »Einheimischseins«, des »Westlichseins«, des »Europäischseins«, des »Christlichseins«. Ich habe versucht, dieses Dilemma bereits im Zuge der Bezeichnung meiner Interviewpartner zu lösen. Wenn ich schreibe, dass ich mit Personen gesprochen habe, die sich als Aktivisten ohne eigene Rassismuserfahrung oder als weiße Männer definieren, dann will ich mit Menschen sprechen, die sich als Teil der sogenannten »Mehrheitsgesellschaft« oder »Dominanzgesellschaft« definiert sehen. Gleichzeitig möchte ich aber nicht unsichtbar machen, dass die Zuschreibung weiß ein gewichtiger Faktor der Selbstvorstellung dieser österreichischen Dominanzgesellschaft darstellt, dies aber nicht immer sein muss. Es geht mit Max Czollek um »die grundlegende Reflexion des Verhältnisses zwischen deutscher [hier österreichischer, Anm. F. O.] Dominanzkultur und ihren Minderheiten« (Czollek 2020: 45).

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Helga Amesberger und Brigitte Halbmayr haben dieses Dilemma zu lösen versucht, indem sie die Critical Whiteness Studies und die Konzeption der »Dominanzkultur« von Birgit Rommelspacher (1995) in einen produktiven Dialog gesetzt haben. Unter Dominanzkultur versteht Rommelspacher, […] daß unsere ganze Lebensweise, unsere Selbstinterpretation sowie die Bilder, die wir vom Anderen entwerfen, in Kategorien der Über- und Unterordnung gefaßt sind. Wobei Kultur hier in einem umfassenden Sinn verstanden wird, und zwar als das Ensemble gesellschaftlicher Praxen und gemeinsam geteilter Bedeutungen, in denen die aktuelle Verfaßtheit der Gesellschaft, insbesondere ihre ökonomischen und politischen Strukturen, und ihre Geschichte zum Ausdruck kommen. Sie bestimmt das Verhalten, die Einstellungen und Gefühle aller, die in einer Gesellschaft leben, und vermittelt zwischen den gesellschaftlichen und individuellen Strukturen. Diese Kultur ist in westlichen Gesellschaften vor allem durch die verschiedenen Traditionen von Herrschaft geprägt, die zugleich auch sehr unterschiedliche Dimensionen umfassen. […] Dominanzkultur [ist] als ein Geflecht verschiedener Machtdimensionen zu begreifen, die in Wechselwirkung zueinander stehen. (Rommelspacher 1995: 22f) Die Probleme der Metakategorie weiß mitsamt ihrer Nähe zum »Chromatismus«18 können laut Amesberger und Halbmayr mit dem Konzept der Dominanzkultur gemildert werden: Das Konzept der Dominanzkultur umfasst wie whiteness ein Ensemble von Normen, gesellschaftlichen Praktiken, sozialen Partikularitäten und politischen wie ökonomischen Strukturen (Rommelspacher 1995), nimmt aber Abstand von der alleinigen Bezugnahme auf (in erster Linie) phänotypische Merkmale in der Definition der Dominanten. (Amesberger & Halbmayr 2008: 6, Herv. i. Orig.) Die Kritik am »Chromatismus« scheint mir der zentrale und schwerwiegendste Kritikpunkt an Critical Whiteness zu sein. Um die Rassismen in der postmigrantischen Gesellschaft allumfänglich verstehen zu können und gleichzeitig nicht Kategorien der Rassismen unkritisch wiederzugeben, ist es nötig, Rassismen auch abseits von »Color Lines« wahrzunehmen und zu erkennen. Tsianos und Karakayali schreiben in Bezug auf die eingeschränkten Möglichkeiten zur Selbstpositionierung innerhalb der Sprache der Kritischen Weißseinsforschung: Eine solche politische Haltung ist auch problematisch gegenüber den oft sehr komplizierten und ambivalenten Biografien derer, die nicht eindeutig als »of Color« oder als »Weiß« zugeordnet werden können oder wollen. Denn wer und auf welche Weise durch Rassismus marginalisiert und wer privilegiert wird, ist angesichts einer Vielzahl rassistischer Diskurse und Ausschlüsse, die oft quer (aber nicht unabhängig) zu Fragen

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Gayatri C. Spivak kritisiert mit dem Konzept des »Chromatismus«, dass mit der Referenz auf Hautfarben (z.B. in »Person of Color«) wiederum neue Homogenisierungskategorien entstehen können, deren Zentrum das transparente Weiß bleibt: »Die Nomenklatura basiert hier auf der impliziten Akzeptanz von ›weiß‹ als ›transparent‹ oder ›nicht-farbig‹ und ist somit eine Reaktion auf die Selbst-Repräsentationen der Weißen.« (Spivak 2014: 172)

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von Staatsangehörigkeit oder Hautfarbe liegen, nicht leicht zu entscheiden. (Tsianos & Karakayali 2014) An dieser Stelle muss wieder an die zwei dieser Studie zugrunde liegenden Problemstellungen und den daraus abgeleiteten Mittelweg erinnert werden. Mit der bisher von den postkolonialen Studien und der Kritischen Weißseinsforschung informierten Perspektive wird einer machtrelativistischen Anschauung entgegengetreten. Es hat sich gezeigt, wie mächtig die »Normativität des Weißseins« (Wollrad 2005) in der postkolonialen Gegenwart nach wie vor ist und welche kollektive wie individuelle Privilegien damit einhergehen. Dazu haben wir gesehen, dass eine Reihe von hegemonialen Relativierungsdiskursen existieren, die ein Benennen und Bekämpfen von rassistischen Machtverhältnissen und damit zusammenhängenden weißen Privilegien erschweren. Gleichzeitig wurde bereits ersichtlich – und das wird später noch eingehend vertieft –, dass eine ausschließliche Fokussierung auf Weißsein und die damit zusammenhängende soziale Position nicht nur bestimmte Rassismen im deutschsprachigen Raum übersieht und die Gefahr einer Re-Zentrierung des Weißseins beinhaltet, sondern auch Essentialisierungskategorien reproduziert und stabilisiert, die sich oft gegen jede Intention doch auf Hautfarben bezieht. Gegen die Etablierung einer Metakategorie »Weißsein« spricht auch die von bell hooks als »white supremacist capitalist patriarchy« angesprochene soziologische Tatsache der Verschränkung von Machtverhältnissen. Ohne eine intersektionelle Perspektive kann kein Verständnis davon gewonnen werden, wie weiße Männer ohne Rassismuserfahrungen, die großteils einen bildungsbürgerlichen Hintergrund aufweisen, enabled positioniert sind, Rassismus erfahren und sich dagegen positionieren.

Intersektionalität/intersectionality Intersektionalität19 ist eine kritische Praxis20 , eine wissenschaftliche Forschungsperspektive, ein Paradigma21 , das »Macht-, Herrschafts- und Normierungsverhältnisse, die soziale Strukturen, Praktiken und Identitäten reproduzieren« (Walgenbach 2012: 1), als Gegenstand bearbeitet und dabei versucht, »die Verwobenheit und das Zusammenwirken sozialer Ungleichheitslagen analytisch ins Blickfeld zu bekommen« (Soiland 2012: 1). Trotz Unterschiede zwischen den Autor*innen und deren Arbeiten sind sich alle einig, dass Intersektionalitätsansätze ihre Ursprünge in sozialen Bewegungen und in ihrem politischen Kampf um rechtliche, politische, ökonomische wie auch kulturelle Gleichstellung haben (Collins 2015; Winker & Degele 2012; Chebout 2011; Walgenbach 2007; Knapp 2005; Lutz et al. 2013; Lorey 2011).

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Die zentralen Arbeiten im US-amerikanischen Raum stammen von bell hooks (1981), Patricia Hill Collins (1990) und Kimberlé Crenshaw (1989, 1991), in Deutschland sind die Arbeiten von Katharina Walgenbach (2012), Helma Lutz et al. (2013) sowie Gudrun-Axeli Knapp und Angelika Wetterer (2003) von großer Bedeutung. Zur Geschichte und Gegenwart von Intersektionalität als »kritische Praxis« siehe Collins 2015. Zur Debatte, ob Intersektionalität ein Forschungsfeld oder ein Paradigma sei, siehe Bührmann 2009 und Walgenbach 2012.

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Den früheren theoretischen Konzepten lag zumeist ein additives Verständnis von Ungleichheitsdimensionen zugrunde. Intersektionalitätsansätze entwickelten diese Überlegungen weiter und akzentuieren die kontextspezifische Wechselwirkung von Ungleichheitskategorien. Der Begriff »Intersectionality« wurde erstmals von der feministischen und rassismustheoretischen Rechtswissenschaftlerin Kimberlé Crenshaw (1989) verwendet. In Auseinandersetzung mit den US-amerikanischen Antidiskriminierungsgesetzen arbeitete sie heraus, dass Schwarze Frauen von ihnen nicht erfasst werden, da sie entweder nur vor Sexismus oder nur vor Rassismus schützten. Ihre metaphorische Conclusio war, dass Rassismus und Sexismus, wie an einer Straßenkreuzung, an manchen Stellen zusammentreffen und spezifische Formen von Diskriminierung hervorbringen (vgl. Crenshaw 1989): Nehmen wir als Beispiel eine Straßenkreuzung, an der der Verkehr aus allen vier Richtungen kommt. Wie dieser Verkehr kann auch Diskriminierung in mehreren Richtungen verlaufen. Wenn es an einer Kreuzung zu einem Unfall kommt, kann dieser von Verkehr aus jeder Richtung verursacht worden sein – manchmal gar von Verkehr aus allen Richtungen gleichzeitig. Ähnliches gilt für eine Schwarze Frau, die an einer ›Kreuzung‹ verletzt wird; die Ursache könnte sowohl sexistische als auch rassistische Diskriminierung sein. Wenn Gerichte entscheiden, Schutz gegen intersektionelle Diskriminierung von dem Nachweis abhängig zu machen, dass Schwarze Frauen als separate Gruppe anerkannt werden, handeln sie wie ein Arzt an einem Unfallort, der ein Opfer nur dann behandelt, wenn die Verletzung von der Krankenversicherung offiziell anerkannt wird. (Crenshaw 2013: 40f) Intersektionalität kann demnach als spezifisches Zusammenwirken mehrerer Ungleichheitsstrukturen, -diskurse, -praktiken verstanden werden. Die auf dieser Grundlage entstehenden Subjektpositionen sind genauso spezifisch zu betrachten. Sie bedeuten unterschiedliche Formen und Weisen der Deprivilegierung und Privilegierung. Frauen und Männer erleben Rassismus anders, z.B. werden muslimische Frauen mit Kopftuch anders behandelt als gläubige muslimische Männer auf dem Arbeitsmarkt, und Schwarze Männer und andere Männer of Color werden polizeilicher Gewalt in höherem Maße als Frauen of Color und als weiße Männer ausgesetzt. Roma Communities werden nicht nur aufgrund der Ethnizität, sondern auch – und gleichzeitig – aufgrund der sozialen Klasse im Schulsystem, auf dem Wohnungsmarkt, im Gesundheitssystem und auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert. (Roig 2018: 45) Diese komplexe Sichtweise auf gesellschaftliche Machtstrukturen und individuelle Eingebundenheiten entstand aus mittlerweile kanonischen Arbeiten des US-amerikanischen Schwarzen Feminismus. Im für die Intersektionalitätsforschung so wichtigen Text The Combahee River Collective Statement (1977) analysierten die Aktivistinnen und Autorinnen auf der Grundlage ihrer eigenen Lebens- und Aktivismuserfahrungen, wie sie durch unterschiedliche, aber zusammenwirkende gesellschaftliche Machtverhältnisse unterdrückt und verwundet werden:

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We believe that sexual politics under patriarchy is as pervasive in Black women’s lives as are the politics of class and race. We also often find it difficult to separate race from class from sex oppression because in our lives they are most often experienced simultaneously. We know that there is such a thing as racial-sexual oppression which is neither solely racial nor solely sexual, e. g., the history of rape of Black women by white men as a weapon of political repression. (Combahee River Collective 1977) Das Manifest kritisierte damit nicht nur die feministische Konstruktion einer universellen Metakategorie Frau, die tatsächlich aber unausgesprochen als weiß, bürgerlich, heterosexuell und Cis-Frau gedacht und normiert wurde. Dazu formulierte das Kollektiv konkrete Möglichkeiten und auch die Notwendigkeit von neuen, spezifischeren Identitätspolitiken: »The only people who care enough about us to work consistently for our liberation are us« (Combahee River Collective 1977). Das Combahee River Statement gilt als einer der Schlüsseltexte für eine gesellschaftsanalytische und kritische Perspektive, die heute unter dem Namen »Intersektionalität« bekannt ist. Bell hooks (2014 [1981]) zeigt in ihrem kanonischen Werk Aint I a Woman? Black Women and Feminism unter anderem anhand der Politiken zum amerikanischen Wahlrecht für Schwarze die unausgesprochene Hierarchie der sowohl rassistisch wie auch sexistisch begründeten Subjektordnung am Ende des 19. Jahrhunderts: »the word men in fact refers only to white men, the word Negroes refers only to black men, and the word women refers only to white women.« (hooks 2014: 22) Das bedeutet, dass die sozialen Positionen etwa von weißen Männern, Schwarzen Männern, Schwarzen Frauen und weißen Frauen durch spezifische Privilegierungen und Deprivilegierungen gekennzeichnet sind, die sich aus dem Gemenge von rassistischen, sexistischen, klassenspezifischen, ableistischen, heteronormativen Diskursen, Strukturen, Praktiken und Subjektvorstellungen der jeweiligen Zeit zusammensetzen. Hooks zeigt die spezifische Vulnerabilität von Schwarzen Frauen während der Zeit der Sklaverei – Schwangerschaft und Geburt in der »middle passage«, Vergewaltigung durch weiße Männer, die Verrichtung sowohl von »männlicher« Arbeit auf dem Feld als auch »weiblicher« Arbeit in der häuslichen Sphäre, Unterordnung innerhalb der Partnerschaft, falls diese vom »Master« erlaubt wurde (vgl. ebd.: 30–75) –, die auch nach der Sklaverei in Strukturen, Praktiken, Diskursen und Subjektvorstellungen weiterlebt: »it led to a devaluation of black womanhood that permeated the psyches of all Americans and shaped the social status of all black women once slavery ended« (hooks 2014: 77). Schwarze Weiblichkeit, weiße Männlichkeit und weitere intersektionelle Subjektpositionen wirken auch in den Gesellschaften nach der Versklavung von Schwarzen Menschen durch weiße Menschen in den gegenwärtigen Gesellschaften nach. Patricia Hill Collins betrachtet in ihrem 2015 erschienenen Artikel Intersecionality’s Definitional Dilemmas Vergangenheit, Gegenwart und eine mögliche Zukunft von Intersektionalität und resümiert damit das bereits Gesagte. Sie definiert Intersektionalität als Wissensprojekt (»knowledge project«) (Collins 2015: 3) mit drei zum Teil voneinander unabhängigen Bereichen: I examine three interdependent sets of concerns that characterize intersectionality as a broad-based knowledge project: (a) intersectionality as a field of study, e.g., its history, themes, boundaries, debates, and direction; (b) intersectionality as an analytical

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strategy, e.g., how intersectional frameworks provide new angles of vision on social institutions, practices, social problems, and other social phenomena associated with social inequality; and (c) intersectionality as critical praxis, e.g., how social actors use intersectionality for social justice projects. (Ebd.) Als theoretischer Bezugsrahmen dieser Studie wird Intersektionalität vor allem als analytische Strategie begriffen, um die intersektionell operierenden Diskurse, Strukturen, Praktiken und Subjektformen der Rassismen erkennen und verstehen zu können. In Bezug auf die soziale Position als weißer Mann im Antirassismus ist eine intersektionelle Perspektive folgenreich. Sie hilft dabei, von dem Denken in »Master-Kategorien« (egal ob race, gender oder class) Abstand zu nehmen. Weder ist Weißsein noch Männlichsein noch Akademischsein noch Einheimischsein die zentrale Machtkomponente. Die spezifische Position, die sich aus dem Überkreuzen verschiedener wirksamer Machtdimensionen in der Position des weißen, akademisierten, heterosexuellen, enthinderten, als einheimisch markierten antirassistischen Mannes* zusammensetzt, gilt es zu betrachten. Das hilft dabei, den zwei zentralen Problemen in Bezug auf Rassismus und Privilegien, die ja als Klammer diese Arbeit rahmen, Essentialismus und Machtrelativismus, gerecht zu werden. In einer intersektionellen Perspektive werden die befragten Personen weder als Männer* noch als »Weiße« essentialisiert, aber auch nicht von ihrer spezifischen mehrfachprivilegierten sozialen Position losgesprochen: Wie Crass (2013: 255) aufzeigt, sind Weiße keine homogene Gruppe, deren Mitglieder alle dieselben Zugänge zu Ressourcen und institutioneller Macht haben. Weiße Frauen teilen andere Erfahrungen als weiße Männer. Weiße lesbische Frauen machen andere Erfahrungen als heterosexuelle weiße Frauen oder schwule weiße Männer. Weiße Männer mit Behinderung oder weiße Frauen mit oder ohne Behinderung usw. Intersektional ausgerichtete rassismuskritische Arbeit, so Crass, berücksichtige diese Unterschiede und beziehe sie mit ein, ohne dabei Rassismus als Gegenstand der Kritik aus den Augen zu verlieren. (Bönkost 2019: 99) Es wurde bereits an früheren Stellen geschrieben, dass es für das Verständnis und die Analyse von Rassismen notwendig ist, die Perspektive der Erfahrung mit Rassismen in den Mittelpunkt zu stellen. Nur so kann auf die Dynamiken und Konjunkturen von Rassismen eingegangen werden und gleichzeitig eine rassismustheoretische Sprache gefunden werden, die Rassismen nicht selbst reproduziert.

Alltagsrassismus/Everyday Racism Die Perspektive des Alltagsrassismus22 beleuchtet die häufig subtilen, alltäglichen rassistischen Artikulationen. Dabei stehen primär die Fragen im Zentrum, welche gesellschaftliche Funktion diese Alltagsrassismen aufweisen und wie diese als Rassismuser22

Wichtige Studien zum Alltagsrassismus sind jene von Philomena Essed (1990, 1991), Rudolf Leiprecht (2001), Mark Terkessidis (2004), Noah Sow (2009), Astride Velho (2016) und Grada Kilomba (2019); aktuelle Arbeiten kommen unter anderen von Reni Eddo-Lodge (2019), Mohamed Amjahid (2017), Alice Hasters (2019), Ferda Ataman (2019), David Mayonga (2019) und Heidrun Friese et al. (2019). Zu Rassismuserfahrungen haben Paul Mecheril (1997, 2003, 2009/2015), Claus Melter (2006) und Astride Velho (2016) wichtige Beiträge geliefert.

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fahrungen auf Individuen wirken und von ihnen verarbeitet werden. Der analytische Fokus auf Alltagsrassismus kann dabei helfen, durch jenes Spannungsfeld aus öffentlicher Tabuisierung und Dämonisierung von Rassismen bei gleichzeitiger Wirkmächtigkeit rassistischer Diskurse, Strukturen, Praktiken und Subjektivierungen durchzublicken und die Normalität von Rassismen zu erkennen. Margarete Jäger (2011) hat dieses Spannungsfeld besonders klar beschrieben: Das Verhältnis von Normalität und Rassismus lässt sich in Deutschland als ein paradoxes beschreiben. Rassismus wird einerseits von der Mehrheitsgesellschaft als eine Einstellung angesehen, die den universellen Werten dieser Gesellschaft diametral widerspricht und insofern als nicht-normal gewertet wird. Andererseits zeigen die Ergebnisse der Rassismusforschung, dass Rassismus ein fester Bestandteil dieser Gesellschaft ist und insofern – bedauerlicherweise – als normal angesehen werden muss. (Jäger 2011: 27) Rassismus in all seinen Formen wird einerseits tagtäglich auf der Straße, in der Arbeit, bei der Wohnungssuche, in der Begegnung mit der Polizei, im Konsumieren von Medien und in anderen Zusammenhängen erlebt (vgl. ZARA 2021) und andererseits von der Dominanzgesellschaft nicht als solcher erkannt oder verharmlost. Die Befragung von Menschen nach ihren Rassismuserfahrungen soll den alltäglichen und gesamtgesellschaftlichen Rassismus sichtbar machen und als »Ausdruck eines kollektiven Wissens« (Lavorano 2016: 72) dekonstruieren sowie zugleich rassismuskritische Umgangsweisen offenlegen. Dieses rassistische Alltagsbewusstsein funktioniert, das haben Forschungen gezeigt, sowohl explizit wie auch implizit, intentional wie auch nichtintentional (vgl. Hall 1989b). Philomena Essed (1990) hat den Begriff »Everyday Racism« in die wissenschaftliche Diskussion eingeführt und vor allem mit ihren Arbeiten Everyday Racim. Reports from Women of two Cultures (1990) und Understanding Everyday Racism: An Interdisciplinary Theory (1991) vorgemacht, wie Rassismuserfahrungen und die Kämpfe dagegen Ausgangspunkte für das Verständnis der Funktionsweise von Rassismus sein sollten. Essed konnte in ihrem zwischen den USA und den Niederlanden vergleichenden Werk nachweisen, dass trotz offizieller Ablehnung von Rassismus und damit zusammenhängender Haltungen des »Color Blindness«, Rassismen vor allem in Routinepraktiken des Alltags (Essed 1991) vollzogen werden. Diese Praktiken müssen nicht intentional sein und funktionieren neben den offensichtlichen, expliziten Formen auch implizit mittels Codes. Zentral dabei ist, dass sie, Intention hin oder her, rassistische Effekte auslösen. Damit einher geht ein Perspektivwechsel, weg von der Betrachtung von Rassismen und den dahinter stehenden Absichten hin zu einer Betrachtung von Rassismen im Hinblick auf die ausgelösten Effekte. Racism is easily recognized in its extreme forms (e.g., white youth beating up and killing dark-skinned people), or in its overt forms (e.g., throwing bananas at black players on European soccer fields). Everyday racism can be more coded (a white teacher saying to an African-American student: »How come you write so well?«); ingrained in institutional practice (appointing friends of friends for a position, as a result of which the workplace remains white); and not consciously intended (when lunch tables

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in a canteen or cafeteria are informally racially segregated and the white manager »naturally« joins the table with the white workers where only they will benefit from casually shared, relevant information and networking). Everyday racism is a process of smaller and bigger day to day violations of the civil rights of ethnic minorities — and of their humanity and their dignity. Sometimes the meaning of the event remains contestable: Is it or is it not racial discrimination? It may take circumstantial evidence or inference from other experiences to understand the possible racial connotations. The outcome of an event is often more telling than the reported motive. (Essed 2007: 447) Grada Kilomba hat diese Uneindeutigkeit der Rassismen gar als konstitutives Merkmal ausgemacht, wenn sie schreibt: »Die Schwierigkeit, Rassismus zu identifizieren, ist nicht nur funktional für Rassismus, sondern ein Teil des Rassismus selbst« (Kilomba 2009). Kilomba hat in ihrer Arbeit Plantation Memories: Episodes of Everyday Racism (2010) auf alltägliche rassistische Praktiken und Bezeichnungen gegenüber Schwarzen Menschen in einer weißen Dominanzgesellschaft hingewiesen und die psychologischtraumatischen Effekte des Alltagsrassismus sowie die postkolonialen Bedingungen geschildert. Rudolf Leiprecht betont in seiner Arbeit Alltagsrassismus: Eine Untersuchung bei Jugendlichen in Deutschland und den Niederlanden (2001), dass im Zuge des Alltagsrassismus »alltägliche und banale, aber folgenreiche Konstruktionen von ›Wir‹ versus ›Sie‹« (Leiprecht 2001: 2) vollzogen werden. Es handelt sich bei diesen alltäglichen und oft verharmlosten rassistischen Mikro-Aggressionen also um Bestandteile der größeren systemischen Komponente der Rassismen. Mark Terkessidis hat in seiner Studie Die Banalität des Rassismus: Migranten zweiter Generation entwickeln eine neue Perspektive (2004) das »Inventar rassistischer Situationen« beschrieben und dabei auf vier Akte – »Entfremdung«, »Verweisung«, »Entantwortung«, »Entgleichung« –, hinter denen ein Prozess wirkt, den Terkessidis mit Luce Irigaray als »Spekularisation« bezeichnet, aufmerksam gemacht (Terkessidis 2004: 172). Die Akte sind typisch für alltagsrassistische Anrufungen. Mit Entfremdung wird das »Fremdmachen« von etwa Deutschen oder Österreicher*innen aufgrund von rassistischen oder an Rassismen anklingenden Kriterien beschrieben, während die Verweisung konkrete Anrufungs- und Adressierungspraktiken in Bezug auf diese Othering-Prozesse mitsamt bestimmter als »normal« vorgestellter Örtlichkeiten beinhaltet (z.B. Afrika, Asien, Israel, Türkei). Entantwortung und Entgleichung meinen die in der Zuschreibung rassistischer Klischees und Bilder liegende Essentialisierung von Individuen in zuvor konstruierten und abgewerteten Gruppen. Spekularisation beschreibt den Effekt dieser Akte für die weiße, »einheimische«, dominanzgesellschaftliche Wir-Gruppe: In der negativen Abwertung liegt gleichzeitig und meist unbenannt die positive Aufwertung: traditionell vs. modern, unzivilisiert vs. zivilisiert, Naturnähe vs. Kulturnähe usw. (Vgl. ebd.: 172ff) Noah Sow hat in ihrem Werk Deutschland Schwarz Weiß. Der alltägliche Rassismus (2009) – auch aus der Perspektive von eigenen Rassismuserfahrungen als Schwarze Deutsche – auf die rassistische Normalität aufmerksam gemacht und gleichzeitig die weiße Mehrheitsgesellschaft zur schmerzhaften, aber notwendigen rassismuskritischen Selbstreflexion aufgerufen. Sow thematisiert die paradoxe Konstellation aus der Alltäglichkeit

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von Rassismen und der schwerwiegenden Geschichte Deutschlands (was auch für Österreich gesagt werden kann) in Bezug auf Rassismen (vor allem Nationalsozialismus und Kolonialismus) bei gleichzeitiger Ausblendung beider Ebenen. Die Zeit des Nationalsozialismus gilt als abgeschlossen und aufgearbeitet, die Zeit des Kolonialismus als nicht relevant im Vergleich zu anderen europäischen Staaten. Die Perspektive der Erfahrung wird systematisch ausgeblendet. Astride Velho erforschte die Wirkungsweisen von Rassismuserfahrungen in ihrer Arbeit Alltagsrassismus erfahren. Prozesse der Subjektbildung – Potenziale der Transformation (2016), sowie vor ihr Leiprecht (2001) bei Jugendlichen oder Melter (2006) in der Jugendhilfe. Viele Forschungen zu dieser Perspektive sind im schulischen Kontext angesiedelt und fragen qualitativ nach Diskriminierungs- und Rassismuserfahrungen (vgl. Karabulut 2020; Fereidooni 2016; Rose 2012). Paul Mecheril hat in seinen Arbeiten (1997, 2003, 2004, 2009/2015) zu Rassismuserfahrungen wichtige Begriffspräzisierungen und gesellschaftlich dominante Umgangsformen mit diesen Erfahrungen beschrieben. Mecheril unterscheidet vier Dimensionen von Rassismuserfahrungen: Ausprägungsart, Vermittlungskontext, Vermittlungsweise und Erfahrungsmodus. Die Ausprägungsart kann von sehr subtil bis massiv ausfallen und dies in individuellen bis institutionellen Vermittlungskontexten stattfinden. Die rassistischen Vermittlungsweisen können medial, kommunikativ oder imaginativ sein und Rassismuserfahrungen selbst können wiederum vielfältig gemacht werden: Rassismus kann sich auf die Person selbst, auf nahestehende Personen, auf als Stellvertreter der Person wahrgenommene Personen und auf die Gruppe, der die Person – vermeintlich oder ihrem Selbstverständnis nach – zugehört, beziehen. (Mecheril 2015: 159) Die Stärke an Mecherils Kategorisierung ist – und das gilt allgemein für die Perspektive der Rassismuserfahrung –, dass Wissen über Rassismen dort gewonnen wird, wo Menschen Rassismus erfahren. Damit ist einerseits gewährleistet, dass der Dynamik und Wandelbarkeit der Rassismen gerecht werden kann. Andererseits werden die Kategorien des Rassismus (z.B. weiß, schwarz) nicht mit der Notwendigkeit zu spezifischen Erfahrungen gleichgesetzt (und damit festgeschrieben), sondern die Erfahrungen mit vielfältigen rassistischen Kategorisierungen, die Effekte und Umgangsweisen – ob sie mit rassistischen Theorien übereinstimmen oder nicht – in den Mittelpunkt gestellt. Das bedeutet etwa im Falle von Rassismuserfahrungen, dass etwa Personen mit Migrationsgeschichte, die aber im Sinne von rassistischen Theorien oder aufgrund der Selbstpositionierung als Weiße nicht rassistisch diskreditierbar sind, sehr wohl Erfahrungen mit (neuen) rassistischen und/oder migratistischen Anrufungen machen können, wie auch Erfahrungen von Angehörigen rassistisch diskriminierter Menschen oder Stellvertreter*innenerfahrungen23 thematisierbar werden. Eine weitere wichtige Unterscheidung bezüglich Rassismuserfahrungen bezieht sich auf primäre Erfahrungen, also direkt gemachte Erfahrungen, und sekundäre Rassismuserfahrungen, also dem Absprechen oder 23

Freilich muss darauf hingewiesen werden, dass Stellvertreter*innenerfahrungen meist nur temporär sind und die privilegierte soziale Position erhalten bleibt, indem sich die Person in anderen Situationen als Teil des rassistischen Wir zu erkennen geben kann.

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Dethematisieren von eigenen Rassismuserfahrungen durch andere (vgl. Çiçek et al. 2014: 311f). Neben den Erfahrungsdimensionen mit Rassismen hat Mecheril auch typische weiße oder dominanzgesellschaftliche Umgangsformen mit Rassismuserfahrungen (im sozialpädagogischen Kontext) erarbeitet, die meist folgende Vorwürfe beinhalten: Übertreibung, Überempfindlichkeit und Rechtfertigung. Rassismuserfahrungen werden von privilegiert positionierten Personen häufig als Übertreibung abgetan, ohne dass diese dabei die eigene rassifizierte Position und die rassistische Gesellschaftsformation bedenken (oder als Problem erleben). Menschen, die dennoch Rassismen erfahren, werden ferner als empfindlich bezeichnet, was wiederum Rassismen verharmlost und diesen als Problem der rassistisch Adressierten (und nicht der Gesamtgesellschaft) verhandelt. Schließlich werden als Rassismen benannte Diskurse und Praktiken gerechtfertigt, indem den als rassistisch Diskreditierten Verhaltensfehler unterstellt werden. (Vgl. Mecheril 2015: 153) Die Kategorisierungen von Mecheril machen klar, dass »Everyday Racism« gleichzeitig als »Everywhere Racism« bezeichnet werden muss und dass alle Menschen in unterschiedlicher Weise (in Form von Ausschlüssen, Verletzungen und Deprivilegierungen sowie in Form von Idealisierung und Privilegierung) Erfahrungen mit Rassismus machen. Alltagsrassismus beforschen bedeutet also erstens, die subjektive Perspektive (Erfahrungen, Handlungen, Praktiken) in den Blick zu nehmen. Zweitens muss dies stets vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Diskurse und Strukturen geschehen, die Inklusionen und Exklusionen verhandeln. Diese Strukturen, Diskurse Praktiken und Subjektvorstellungen sind wandelbar und dynamisch, haben aber auch Bestandteile, die seit Jahrhunderten existieren. Drittens sollten Alltagsrassismen als eingelernte Akte des Wertens, Entfremdens und Ausschließens verstanden werden – also als Machtmittel, mit dessen Hilfe sich die Dominanzgesellschaft herstellt. Viertens muss Alltagsrassismus mit seinen psychologischen Effekten auf die Subjekte beachtet werden. Alltagsrassismus zu untersuchen, bedeutet allerdings auch, die rassismuskritischen Widerstandspraktiken, die erfolgreichen Umdeutungen, die alternativen konvivialen Denk- und Handlungsmöglichkeiten zu betrachten und sichtbar zu machen.

Perspektive und Definition Die vorliegende Studie ist grundlegend von den vier geteilten Perspektiven der Rassismusforschung geprägt. Aus den dargestellten theoretischen Bausteinen wird in den folgenden Ausführungen eine Theorie über Rassismen als symbolische Ordnungen erarbeitet. Diese historisch-soziologische Perspektive, die die Ebene des Diskurses analysiert, kennzeichnet sich durch einen spezifischen Fokus, der nun skizzenhaft dargestellt wird.

Wissenschaftliche Perspektive Der Einteilung von Paul Mecheril und Karin Scherschel folgend, kann zwischen zwei »grundlegenden Zugangsweisen« (Mecheril & Scherschel 2011) von Erklärungsansätzen

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oder Perspektiven zu Rassismen unterschieden werden: erstens jene, die sich auf individuelle Prozesse oder Gruppenprozesse konzentrieren, und zweitens Forschungen, die Rassismen als gesellschaftliche, systemimmanente Phänomene der Moderne24 betrachten (Mecheril & Scherschel 2011: 43ff). Die Ansätze der ersten Gruppe unterteilen die Autor*innen in psychologische, sozialpsychologische und sozialisationstheoretische Blickwinkel. Rassismen werden primär als Einstellungs- und Wahrnehmungsphänomene untersucht. Die ursächliche Erklärung für Rassismen liegt dann meist im Individuum, in seinen oder ihren psychischen Prozessen, der individuellen psychosozialen Situation vor dem Hintergrund der Eingebundenheit in bestimmte Gruppen. Die Hauptthese dieser Forschungen lautet demnach, dass die Feindseligkeit gegen sogenannte »Fremde« das Resultat der Wirkung tieferliegender Persönlichkeitsstrukturen darstelle (ebd.: 45f). Als berühmte Beispiele hierfür gelten Theodor W. Adornos Studien zum »autoritären Charakter« (Adorno 1950) oder die in der Psychologie und Politikwissenschaft verbreitete »Sündenbocktheorie« (vgl. Allport 1968 & 1971), die im »Fremdenhass« eine Projektion der eigenen (häufig klassen- oder schichtbedingten) Ängste und Wünsche sieht (vgl. Ottomeyer 1997). Rassismen sind dann, auf der Grundlage der vier zentralen Thesen der Vorurteilsforschung, erstens ein Resultat von Lernprozessen in der eigenen Sozialisation (Sozialisationsthese), zweitens in innerpsychischen Vorgängen verwurzelt (psychodynamische These), drittens kognitiven Prozessen der Stereotypenbildung geschuldet (kognitive These) und viertens in Gruppenkonflikten begründet (Konfliktthese) (vgl. Lin 1999: 31ff). Bezeichnen wir den kurz besprochenen Ansatz knapp als sozialpsychologische Rassismustheorien, so könnte der zweite Ansatz als historisch-soziologische Rassismustheorien benannt werden. Mit dieser Unterscheidung wird lose Johannes Zerger gefolgt, der zwischen sozialpsychologischen und ideologietheoretischen Erklärungsansätzen unterscheidet (vgl. Zerger 1997: 6). Das Label »ideologietheoretisch« erscheint problematisch, da die Bezeichnung suggeriert, Rassismen wären vornehmlich Ideologien. In dieser Arbeit werden Rassismen als symbolische Ordnungen, bestehend aus historisch-spezifischen rassistischen Strukturen, Diskursen, Praktiken und Subjektpositionen/Subjektformen, verstanden. Vor diesem Hintergrund erscheint die Bezeichnung »historisch-soziologisch« passender. Während demnach auf der Ebene der wissenschaftlichen Forschungsperspektive ein soziologisch-historischer Blickwinkel eingenommen wird, findet sich eine Differenzebene darunter ein theoretischer Referenzrahmen, der aus Ansätzen zweier unterschiedlicher Traditionen besteht: Zum einen werden ideologie- oder diskurstheoretische Ansätze zu Rassismen besprochen und als Theoriegerüst angeeignet und zum anderen finden intrapersonal-subjektive und subjektivierungstheoretische Ansätze Beachtung. Das bedeutet gleichzeitig, dass etwa strukturell-materialistische, institutionelle und interaktive oder interaktionistische Ansätze25 eher vernachlässigt werden.

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Zygmunt Bauman hat eindrucksvoll erläutert, dass Rassismen als Bestandteile der Moderne betrachtet werden müssen und eben keinen Rückfall darstellen (Bauman 2003). Die Unterscheidung der Ansätze ist an die Kategorisierung von Paul Mecheril und Claus Melter (2011: 15) angelehnt.

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Der Fokus auf diskurstheoretische und subjektivierungstheoretische Rassismustheorien erklärt sich aus der dieser Arbeit zugrunde liegenden Methode der empirischen Subjektivierungsforschung.

Definition Symbolische Ordnungen In dieser Arbeit werden Rassismen als diskursiv hergestellte und vermittelte symbolische Ordnungen26 verstanden, die Praktiken anleiten und Gesellschaften strukturieren, wie auch die symbolischen Ordnungen aus Praktiken und Strukturen hervorgehen und diese legitimieren. Mit dem Konzept der symbolischen Ordnung schließe ich an die soziologischen Lesarten (vgl. Bozay 2016) des von Jacques Lacan (1953) eingeführten Begriffes an. Symbolische Ordnung meint hier die Ebene der Sprache und Diskurse, die das in einer Gesellschaft Sag- und Machbare zur Verfügung stellen und begrenzen. Rassismus kann als »Interpretationsangebot zum Verstehen sozialer Vorgänge« (Scherschel 2006: 12) verstanden werden. Rassismus kann allgemein definiert werden als ein »Klassifikationssystem, das auf »rassischen« Charakteristika beruht« (Hall 1989a: 913). Bei diesen Charakteristika handelt es sich um Erfindungen, denn Menschen können nicht in »Rassen« klassifiziert werden: es gibt keine menschlichen »Rassen«. Die erfundene symbolische Ordnung wird im Zuge von rassistischen Diskursen und Praktiken als »natürliche Ordnung« (Geulen 2018: 25) behauptet. Vor diesem symbolischen Hintergrund erkennen und erzeugen sich Individuen selbst als und gegenseitig zu bestimmten Subjekten. Rassismen können demnach auch als Subjektordnungen, mit spezifischen und hierarchisierten Subjektformen, bezeichnet werden. Für die Subjekte bedeutet dies, dass sie in rassistischen Gesellschaften bestimmte Subjektpositionen zugeschrieben bekommen, auf die sie angerufen werden und auf die sie reagieren müssen. Paul Mecheril definiert beide Ebenen und ihr Zusammenwirken besonders pointiert, wenn er schreibt: Rassismus ist eine symbolische Ordnung, die auf das Miteinander der Menschen regelnd einwirkt. Er ist ein Ausdruck, der einen komplexen Zusammenhang sehr unterschiedlicher Phänomene der bewussten und unbewussten, individuellen und institutionalisierten, gewalttätigen und symbolischen Erzeugung und Privilegierung des Eigenen und Erzeugung und Deprivilegierung des Anderen beschreibt. […] Die Ordnung des Rassismus kann in diesem Sinne als Kontext der Subjektivierung verstanden werden, also als strukturierter und strukturierender Raum, in dem aus Individuen »Subjekte« werden, deren Handlungsfähigkeit und Selbstverständnis mittels der Erfahrungen, die sie in dem rassistischen Raum machen, an die Struktur des Kontextes gebun-

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Während sich verwandte Konzepte wie jenes von Anja Weiß (2001) – »Rassismus als symbolisch vermittelte Dimension sozialer Ungleichheit« – und Karin Scherschel (2006) – »Rassismus als flexible symbolische Ressource« – auf das rassistische »symbolische Kapital« (Bourdieu 2015) konzentrieren und damit die Reproduktion rassistisch bedingter sozialer Ungleichheiten erforschen können, geht es in dieser Studie um Rassismen als spezifische symbolisch vermittelte Subjektordnungen, die rassistisch begründete Subjektwerdungsprozesse erklären sollen.

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den bleiben, diese aufnehmen, bestätigen, aber auch transformieren und modifizieren. (Mecheril 2004: 193–198) Die symbolischen Ordnungen der Rassismen, und das unterscheidet sie von verwandten Ordnungen wie etwa Nationalismus oder Sexismus, verwenden dabei als wichtigsten Code das Konzept der »Rasse« (und nicht etwa jenen des Geschlechtes oder der Nation/des Volkes). Die Idee von menschlichen »Rassen« ist die zentrale Erfindung der verschiedenen Rassismen und wurde als wissenschaftliche Kategorie klar widerlegt27 . Es existieren keine menschlichen »Rassen«, aber es gibt das Denken in »Rassen«. Dieses Denken erzeugt und stabilisiert die symbolischen Ordnungen der Rassismen. Rassismen erzeugen »unüberschreitbare symbolische Grenzen zwischen rassistisch konstruierten und rassialisierten Kategorien« (Solomos 2002: 158) und sind dabei stets ein »gesellschaftliches Verhältnis« (Rommelspacher 2011: 30).

Rassismen als gesellschaftliche Machtverhältnisse Rassismen sind gesellschaftliche Machtverhältnisse, die sich uns als symbolische Ordnungen vermitteln, aber über die rein symbolische Dimension hinauswirken. Die verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen dieser Ordnungen bezeichne ich als Diskurse, Strukturen, Praktiken und Subjektvorstellungen. Unter rassistischen Diskursen verstehe ich mit Michel Foucault Räume des Sag- und Machbaren (Foucault 1971). Die Diskurse vermitteln sich den Subjekten vor allem über »rassistisches Wissen« (vgl. Terkessidis 1998; Goldberg 1993), das bereits als Kind gelernt und internalisiert wird (vgl. Eggers 2005: 44; Machold 2015). Rassistisches Wissen meint hier auch den gemeinsamen rassistischen Wissensvorrat einer Gesellschaft, der einerseits dafür verantwortlich ist, Rassismen zu legitimieren und andererseits »rassifizierte Machtdifferenz« erst zu erzeugen (Eggers 2005: 57). Rassistisches Wissen findet sich in Vorurteilen, Mythen und Stereotypen, in wissenschaftlichen Werken, in medialen Diskursen, in Kinder- und Schulbüchern und vielem mehr. Rassistisches Wissen wird intentional wie nichtintentional gelernt und weitergegeben, besteht aus explizit wie implizit rassistischen Inhalten. Entscheidend ist, dass rassistisches Wissen eine fundamentale Funktion in der Stabilisierung und Reproduktion der symbolischen Ordnungen der Rassismen aufweist, weshalb es stets von der in rassistischen Verhältnissen hegemonialen Gruppe bestimmt wird: In den Inhalten des rassistischen Wissens wird daher das konkrete Verhältnis zwischen dem Eigenen und dem Anderen mit Hilfe des Wertekanons der dominanten Gruppe definiert. Sowohl dieses Verhältnis als auch der Wertekanon sind historisch variabel. So kommt es zu beständigen kollektiven Neudefinitionen. (Terkessidis 1998: 60) Rassistisches Wissen hat eine ganz zentrale Auswirkung auf die individuelle Selbst- und Fremdwahrnehmung. Mittels rassistischem Wissen lernen wir unsere soziale Position und unsere Wertigkeit innerhalb eines Verhältnisses der Über- und Unterordnung kennen.

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Siehe Miles 1991: 94; Zerger 1997: 9; Banton 1998; Back/Solomos 2002: 168; Cavalli-Sforza 2000; Cooper et al. 2003.

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Rassistisches Wissen erklärt den einzelnen auf »einleuchtende« Weise die Differenz zwischen »uns« und »ihnen« in Übereinstimmung mit der institutionellen Praxis. Indem die Individuen dieses Wissen verwenden, desartikulieren sie die Rolle der »Interessengemeinschaft« in der Herstellung dieser Differenz und legitimieren die Position der Gruppe, der sie sich zugehörig fühlen. (Terkessidis 1998: 253) Rassistisches Wissen, rassistische Diskurse informieren und bilden auch gesellschaftliche Strukturen, sodass auch von rassistischen Strukturen gesprochen werden muss. Unter rassistischen Strukturen verstehe ich etwa Formen des »institutionellen Rassismus«, wie er sich in Institutionen, zum Beispiel in der Schule, zeigt (vgl. Gomolla & Radtke 2002), aber auch Formen des »strukturellen Rassismus« (vgl. Kelly 2021a), also Rassismen als Teil der gesellschaftlichen Strukturen und darüber hinaus von globalen Machtverhältnissen. Unter rassistischen Praktiken, die einerseits von rassistischem Wissen informiert und auch innerhalb einer rassistischen Struktur normalisiert werden, verstehe ich kollektiv gelernte und normalisierte rassistische Handlungen. Hier wären etwa die alltagsrassistischen Praktiken des »Herkunftsdialogs« (vgl. Kumitz 2012) oder des »Wurzeldiskurses« (vgl. Termeer 2016) zu nennen, die mit der berühmten Frage des »Wo kommst du eigentlich her?« einhergehen. Staatliche Praktiken des »racial profiling« (vgl. Wa Baile et al. 2019), rassistische Mikro-Aggressionen (vgl. Hasters 2019), kulturelle Traditionen wie das »Sternsingen«, rassistische Bekleidungstraditionen im Fasching, die niederländische Tradition des »Zwarte Piet« sind einige Beispiele von vielen rassistischen Praktiken. Unter rassistischen Subjektformen verstehe ich einerseits klassische rassistische stereotype Subjektvorstellungen (vgl. Hall 1994: 167), aber auch jede andere Form der Imagination von Menschen nach rassistischen Kriterien, die nicht als Stereotyp gleich einem »Holzschnitt« (ebd.) erkennbar ist, wie etwa die in gegenwärtigen Rassismen häufig unbenannte und häufig implizit idealisierte weiße Subjektposition. Innerhalb dieser Subjektebene haben Rassismen dann auch innerpsychische Auswirkungen, führen zu Aushandlungs- und Identifizierungsprozessen. In diesen Prozessen passiert eine Internalisierung von Rassismen einerseits als nach außen gerichtete »Wahrnehmungsfilter« (Auma 2018: 2), aber andererseits entstehen auch nach innen gerichtete Formen der Selbstwahrnehmung und des Selbstwertes. Diese in der Kindheit beginnenden Internalisierungsprozesse beschreibt Karim Fereidooni (2019) als Gewalterfahrungen: Rassismus hat mir von klein auf beigebracht, dass ich weniger wert bin als weiß-deutsche Menschen, während weiß-deutsch gelesene Kinder gelernt haben, dass sie mehr wert sind als Menschen, die so aussehen wie ich. Sowohl POC und Schwarzen Kindern als auch weißen Kindern wurde demnach im Laufe ihrer Sozialisation Gewalt angetan. Während POC und Schwarzen Kindern beigebracht wurde, sich als minder-wertig zu betrachten, haben weiße Kinder im Laufe ihrer Sozialisation gelernt, dass sie anderen Menschen überlegen sind. Somit haben POC, Schwarze und weiße Kinder Fantasmen über sich selbst und über andere Gesellschaftsmitglieder gelernt und internalisiert. (Fereidooni 2019: 9)

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Rassismen haben großen Einfluss auf die Selbst- und Fremdwahrnehmung, können zu den beschriebenen internalisierten Minderwertigkeitsgefühlen wie auch zu internalisierten Überlegenheitsgefühlen führen. Rassismen sind Teil unseres »Wissens- und Gefühls-Reservoir[s]« (Hark & Villa 2018: 48) und haben negative Auswirkungen auf die (psychische) Gesundheit von Menschen, die sie erfahren (vgl. Yeboah 2017). Rassismen führen zu höheren Quoten bei Traumata etwa von Schwarzen im Gegensatz zu weißen Menschen (Roig 2021: 278) und können sich auch negativ auf Personen auswirken, die in Bezug auf Rassismen privilegiert positioniert sind (vgl. Bönkost 2019; Wollrad 2011). Entsprechend der binären, dualistischen Logik der Rassismen »bilden sich in den symbolischen Ordnungen der Rassismen superiore und inferiore Disponiertheiten heraus« (Mecheril 2004: 198, Herv. i. Orig.). Sie entsprechen der Grundintention der Rassismen, nämlich Menschen hierarchisch in sogenannte »Rassen« zu gliedern. Hinter dieser Erfindung von »Rassen« steckte in Wahrheit das Ziel, die gewaltvolle europäische Expansion und die erzeugten Ungleichheiten außerhalb Europas (Landraub, Kolonisierung, Versklavung) und innerhalb Europas (Ausschluss, Ungleichbehandlung, Pogrome) zu legitimieren »Die Geschichte des Rassenbegriffs zeigt, dass er aus Anstrengungen zur Legitimation sozialer Ungleichheit erwuchs.« (Hund 2007: 10, Herv. i. Orig.) Das Konzept der »Rasse« war und ist ein Mittel, um Dominanz und Macht eines sich als »weiß«, »europäisch« usw. verstehenden »Wir« über als »Andere« pauschalisierte, klassifizierte und konstruierte Menschen zu rechtfertigen, zu erhalten und zu erzeugen. Die Idee der »Rassen« ist das Kernstück eines jeden Rassismus, ob biologistisch oder kulturalistisch begründet, explizit oder implizit artikuliert.

Die Idee der »Rassen« Rassismus konstruiert Rassen, sodass körperliche, kulturelle oder religiöse Aspekte als genuine Gruppenmerkmale erscheinen, die für alle Gruppenmitglieder zentral bedeutsam seien und einen grundsätzlichen Unterschied zur ›eigenen‹ Gruppe markierten. Die Konstruktion von ›Rassen‹ hat zum Ziel und/oder als Effekt, dass eine eigene Gruppenidentität durch Abgrenzung von Anderen geschaffen wird und dass Aggressionen, Ausschlüsse und Privilegien damit legitimiert werden. (Attia & Keskinkılıç 2017: 118) Rassismen haben auch deshalb eine Jahrhunderte lange Bestandsgeschichte, weil das zentrale Konzept der Rassismen »Rasse« einerseits über viele Jahrhunderte von Politik über Kultur bis zur Wissenschaft normalisiert wurde und andererseits sich dabei als besonders wandelbar und anpassungsfähig erwiesen hat. Stuart Hall bezeichnet »Rasse« deshalb als »floating signifier« (Hall 1997), als fließenden Bedeutungsträger. Mit dem Begriff »Rasse«28 , der aus dem Spanischen stammt, wurde zu Beginn des 15. Jahrhunderts noch zwischen Adel mit der Selbstbezeichnung »buena rraça« (gute »Rasse«) und Bäuer*innen mit der Fremdbezeichnung »vil rraça« (niederträchtige »Rasse«) unterschieden und gewertet (vgl. Hund 2007: 10).

28

Der Begriff wurde aus der Pferdezucht übernommen und auf den Menschen übertragen (vgl. Geulen 2018: 24).

2 Rassismen

Im Zuge der europäischen Expansion ab 1492, mit der die Geschichte der modernen Rassismen beginnt,29 veränderte sich auch das Konzept der »Rasse«. War zu Beginn noch die Religionszugehörigkeit das zentrale Distinktionsmerkmal, so wandelte sich mit dem Erstarken von Wissenschaft und Aufklärung abermals die Bedeutung und »Rasse« wurde biologisch-genetisch zur Unterscheidung von zu Großgruppen zusammengefassten Menschen umfunktioniert (vgl. Attia & Keskinkılıç 2017: 119). Zum ersten Mal geschah dies in Europa selbst, bevor die Idee dann in alle Teile der Welt getragen und durchgesetzt wurde. »Moriscos« und »Conversos« waren die ersten beiden Gruppen, die im Zuge der spanischen Inquisition von sich als »christlich« verstehenden Spanier*innen als untergeordnete menschliche »Rassen« erfunden wurden. Hintergrund dieser Erfindung war die Frage, wer denn als christlich definiert werden kann. Zum Christentum konvertierte Musliminnen und Muslime (»Moriscos«) und zum Christentum konvertierte Jüdinnen und Juden (»Conversos«) sowie ihre Nachfahren sollten nicht mehr Teil des Christentums (und damit Teil der Dominanzgesellschaft) sein dürfen. Für diesen Zweck wurde eine Differenz, die ja mit der Konvertierung eigentlich nicht mehr existieren sollte, in den Körper eingeschrieben: In der spanischen Gesellschaft des 16. Jahrhunderts mussten Menschen fortan, um gesellschaftlich anerkannt, erfolgreich und vor Verfolgung geschützt zu sein, die »Reinheit des Blutes« (Torres & Sebastián 2006) nachweisen. Das bedeutet, sie mussten darlegen können, dass sie keine muslimischen oder jüdischen Vorfahren haben. Diese biologistische Definition von »Rasse« mit der mächtigen Metapher des Blutes ist und war grundlegend für moderne Rassismen in allen Teilen der Welt und zeigte sich in seiner unmenschlichsten Form im »Arier-Nachweis« des nationalsozialistischen Regimes. Im Gegensatz zur religiös motivierten Diskriminierung wie etwa dem Antijudaismus, der vor der Moderne in den europäischen Gesellschaften Alltag war, wurden die negativen und positiven Zuschreibungen an und in den Körper eingeschrieben. Die Metapher des Blutes, die Marker der Haut, der Haare und der Knochen(formen) waren hier sehr wichtig – sodass kein Entkommen aus der rassistischen Klassifikation mehr möglich wurde. »Rasse« war zu Beginn ihrer Erfindung eine stabile Kategorie, die Vorstellungen von unterschiedlichen »natürlichen« Menschengruppen mit der erfundenen Gruppe der Weißen als »Krönung der Menschheit« umfasste und damit die europäisch dominierte Weltordnung und ihre konkreten Ausbeutungsverhältnisse legitimierten und den eigenen Machtanspruch absicherten. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts änderte sich das Konzept der »Rasse« einschneidend. Aus einer stabilen, als naturgegeben vorgestellten Kategorie wurde durch die Integration der Vererbungs- und Evolutionslehre ein dynamisches und veränderbares Konzept, innerhalb dessen die neuen Fragen des »Kampfes« und der »Züchtigung« im Mittelpunkt standen (vgl. Geulen 2007: 69f).

29

Auch wenn es in der europäischen Antike und in der Zeit des Mittelalters in Europa Formen der kollektiven Ausgrenzung gegeben hat (vgl. Hund 2007; Geulen 2007), so kann erst mit Beginn der kolonialen Expansion Europas und seiner inneren Nationalstaatsbildungsprozesse von Rassismen gesprochen werden (vgl. Arndt 2017: 34ff).

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Teil 1: Theorie

Die Zukunft der eigenen »Rasse« war nicht mehr von Natur aus gesichert, sondern musste durch die gleichen Mechanismen, wie sie evolutionstheoretisch in der Natur am Werk waren, praktisch garantiert werden. (Geulen 2018: 28) Diese Sichtweise legitimierte koloniale Gewalt und Genozide, erzeugte Ängste vor antikolonialen Bewegungen, öffnete Türen für eugenisches Denken und ermöglichte die nationalsozialistische »Rassenlehre« und Vernichtungspolitik. Der »Rassenbegriff« wurde in Europa immer sowohl nach außen (Eroberung, Kolonisierung, Ausbeutung, Sklavenhandel) wie auch nach innen angewandt. Rassismen waren wichtige Faktoren bei den Nationalstaatsbildungen in Europa, die aus vielsprachlichen, religiös heterogenen und ethnisch diversen Bevölkerungen nationale »Völker« imaginierten (vgl. Anderson 1983). Die verschiedensten antirassistischen Kämpfe auf diversen Ebenen (vor allem die Bewegungen des Absolutionismus, die Aufarbeitung der Shoa und des Porajmos, die Bürgerrechtsbewegung in den USA und antikoloniale sowie antirassistische Kämpfe überall auf der Welt) führten schließlich ab den 1960er Jahren zu einer zunehmenden wissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen Kritik an Rassismen und Konzepten der »Rasse«. Während dadurch der biologistisch begründete klassische Rassismus – bei gleichzeitigem Weiterwirken – zunehmend öffentliche Ächtung erfährt, haben sich die breitenwirksamen rassistischen Diskurse zunehmend in Richtung eines »differenzialistischen Rassismus« (Taguieff 1985) gewandelt. Diese Form des »Neorassismus« (Barker 1981), »Kulturrassismus« (Adorno 1975) oder auch »Rassismus ohne Rassen« (Hall 1989a; Balibar 1990) ersetzt den biologisch gedachten Begriff der »Rasse« mit einem kulturell aufgeladenen Spiegelbild (vgl. Ohnmacht & Yıldız 2021). Das biologistische Konzept von »Rasse«, auch wenn es natürlich fortlebt und fortwirkt, ist nicht mehr die hegemoniale Perspektive in den gegenwärtigen Rassismen. Rassismen werden häufig über rassistische Codes artikuliert, bei der »Kultur« einen der bedeutendsten Codes30 darstellt. Mit diesen neuen Rassismen gehen auch neue Äußerungs- und Darstellungsformen von Rassismen einher, die nicht mehr offen auf »Rasse« und rassistisches Denken Bezug nehmen müssen, um trotzdem rassistische Effekte zu erzielen. Stuart Hall veranschaulicht das in seinem Konzept des »impliziten Rassismus« (Hall 1989b): Mit implizitem Rassismus meine ich jene scheinbar naturalisierte Repräsentation von Ereignissen im Zusammenhang mit ›Rasse‹ – ob in Form von ›Tatsachen‹ oder ›Fiktion‹ –, in die rassistische Prämissen und Behauptungen als ein Satz unhinterfragter Vorannahmen eingehen. Diese ermöglichen die Formulierung rassistischer Aussagen, ohne dass die rassistischen Behauptungen, die ihnen zugrunde liegen, je ins Bewusstsein drängen. (Hall 1989b: 156, Herv. i. Orig.) Das Denken in »Rassen« entstand »nicht bloß um der lieben Ordnung willen« (YilmazGünay 2017: 127), sondern als Legitimation für Landraub, Unterdrückung, Ausbeutung und Massenmord in Amerika, Asien und Afrika und um innereuropäische Ausschlüsse

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Christian Geulen nennt mit »Gesellschaften«, »Völkern«, »Identitäten«, »Lebensformen und Lebensarten« weitere Codes, die in bestimmten Diskurszusammenhängen rassistisch aufgeladen sein können (vgl. Geulen 2018: 31).

2 Rassismen

anzutreiben und zu rechtfertigen. Die Idee von »Rassen« hat sich im Zuge von Wissenschaft und Aufklärung zu der zentralen Kategorie von Rassismen etabliert und beinhaltet in ihrem Zentrum die einfache Formel: die Erfindung, Normierung und Idealisierung eines übergeordneten »Wir« mitsamt einem absoluten Machtanspruch, der legitimiert und/oder durchgesetzt werden soll. Im Zentrum dieses rassistischen Wir steht »Weißsein«, »Christlichsein«, »Zivilisiertsein« »Europäischsein«, »Einheimischsein«, »Sesshaftsein«. Je nach Form der Rassismen verschieben sich die Marker dieses Wir. Um das imaginierte Wir herstellen zu können, musste und muss stets das Bild des »Anderen« entworfen werden.

Rassifizierung und Othering Die symbolischen Ordnungen der Rassismen beinhalten relativ stabile Bestandteile, sind aber auch dynamisch, werden kontinuierlich bekämpft sowie delegitimiert und verändern sich auch deshalb laufend. Rassismen können nur weiterbestehen, indem sie sich selbst aufrechterhalten und wiederherstellen. Jede Form des Rassismus ist demnach eine fortlaufende soziale Praxis (Hall 1989a) des Rassifizierens: Rassismus ist eine soziale Praxis, bei der körperliche Merkmale zur Klassifizierung bestimmter Bevölkerungsgruppen benutzt werden, etwa wenn man die Bevölkerung nicht in Arme und Reiche, sondern z.B. in Weiße und Schwarze einteilt. (Hall 1989a: 913) Der Begriff »racialization« (Banton 1977; Omi & Winant 1986; Miles 1991; Guillaumin 1995; Garner 2010) oder »Rassifizierung«31 (Terkessidis 1998) wurde zuerst von Frantz Fanon (1961) eingeführt, um auf die rassismusbedingten Schwierigkeiten von Intellektuellen im nachkolonialen Afrika hinzuweisen (vgl. Miles 1991: 99). »Rassifizierung« oder »Rassialisierung« umfasst sowohl die gesellschaftlich-diskursive Ebene der Konstruktion von »Rassen« wie auch die subjektiven Prozesse des Lesens und Anrufens von Menschen (Selbst- und Fremdwahrnehmung) nach »rassifizierten« Kriterien sowie der Internalisierung dieser Subjektvorstellungen: Mit Rassifizierung meine ich jenen Prozess, der an anderer Stelle als »Rassenkonstruktion« (racialisation) bezeichnet wird. Ich möchte diesen ganz allgemein als Prozess fassen, in dem einerseits eine Gruppe von Menschen mittels bestimmter Merkmale als natürliche Gruppe festgelegt und gleichzeitig die Natur dieser Gruppe im Verhältnis zur eigenen Gruppe formuliert wird. […] Zum einen bezieht sich der Ausdruck Merkmal keineswegs nur auf biologische Kennzeichen, was die Reduktion auf den Begriff »Rasse« im klassischen Sinne vermeidet. Colette Guillaumin hat gezeigt, dass die zur Diskriminierung zwischen Gruppen verwendete Vorstellung von »Rasse« ein ganzes »Bündel von Konnotationen, ein Cluster unbeständiger Bedeutungen« umfasst. […] In dieses Bündel können Elemente äußerst heterogener Art einfließen: a) morpho-physiologische Kennzeichen (diese können sichtbar oder unsichtbar sein, sie gelten als natürlich/evident und als geeignet, Gruppen zu unterscheiden); b) soziologische Kenn-

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Der deutsche Ausdruck »Rassialisierung« (vgl. Arndt 2019b: 38) bezieht sich ebenfalls auf das englischsprachige Konzept »racialization«.

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Teil 1: Theorie

zeichen (Sprachen, Wirtschaftssysteme, Gewohnheiten, Ernährung, Kleidung, Musik etc.); c) symbolische und geistige Kennzeichen (politische Praktiken, Einstellungen, Lebensauffassungen, kulturelle und religiöse Verhaltensweisen etc.) sowie d) imaginäre Kennzeichen (etwa phantasmatische Vorstellungen von okkulter Macht etc.). (Terkessidis 2004: 98) Rassifizierungsprozesse finden also einerseits auf der Grundlage von »klassischem«, biologistischem Wissen über »Rasse« statt, beinhalten andererseits aber auch verschiedene weitere Kennzeichen wie Sprachen, kulturelle Praktiken und vieles mehr. Diese »offene Formulierung«, wie Terkessidis schreibt, erscheint mir auch als den Dynamiken der Rassismen angemessen, die in der Genealogie des »Rassenbegriffs« sichtbar wurden. Bei Michael Omi und Howard Winant ist »Rassifizierung« weniger die Konstruktion von »Rassen« als vielmehr das Lesen menschlicher Körper nach erlernten rassistischen Kriterien, das zur Legitimation von Ungleichheitsverhältnissen dient: The concept of race as a marker of difference has permeated all forms of social relations. It is a template for the processes of marginalization that continue to shape social structures as well as collective and individual psyches. (Omi & Winant 2014 [1986]: 107) Prozesse der Rassifizierung, beruhen sie auf tatsächlichen oder eingebildeten physischen Attributen, auf soziologischen Kennzeichen, symbolischen oder geistigen sowie auf imaginären Kennzeichen, haben dabei stets die eine inhärente Logik, die unter dem Begriff des »Othering« (vgl. Said 1978) subsumiert werden kann: die Herstellung und Erhöhung des eigenen »Wir« mittels Konstruktion, Abwertung und Verwerfung von als »Andere« konstruierten Menschen und Gruppen von Menschen. Diese Unterscheidung und Identifikation der »Anderen« führt komplementär zu einer Selbstbezeichnung: die abwertende »Erkennung« der Anderen fuhrt zur Selbst »Erkennung«. Die rassistische Ordnung, die die Fremden und Anderen unterscheidet, legt zugleich das Nicht-Fremde und Eigene fest. (Mecheril 2004: 187) Rassismen funktionieren demnach immer mit binären Spaltungen, sodass die »WirGruppe« ohne die Gruppe der »Anderen« gar nicht weiß, wer sie ist. Stuart Hall hat diese Tatsache auf eine berühmte Formel gebracht: »Die Engländer sind nicht deshalb rassistisch, weil sie die Schwarzen hassen, sondern weil sie ohne die Schwarzen nicht wissen, wer sie sind.« (Hall 1999: 93) Diese imaginierte kollektive Identität der »Wir-Gruppe« innerhalb der binären Struktur ist es, die dann für privilegierte Subjektivierungsprozesse, wie ich sie in dieser Studie untersuche, ausschlaggebend ist. Der rassistische Diskurs hat eine eigentümliche Struktur. Er bündelt die den jeweiligen Gruppen zugeschriebenen Charakteristika in zwei binär entgegengesetzte Gruppen. Die ausgeschlossene Gruppe verkörpert das Gegenteil der Tugenden, die die Identitätsgemeinschaft auszeichnet. Das heißt also, weil wir rational sind, müssen sie irrational sein, weil wir kultiviert sind, müssen sie primitiv sein, […] wir denken, sie tanzen usw. Jede Eigenschaft ist das umgekehrte Spiegelbild der anderen. Dieses System der Spaltung der Welt in ihre binären Gegensätze ist das fundamentale Charakteristikum des Rassismus, wo immer man ihn findet. […] Dieser Prozess […] hat die Funktion, Identität zu produzieren und Identifikationen abzusichern. (Hall 1989a: 919)

2 Rassismen

Die »Dämonisierung der Anderen« (vgl. Castro Varela & Mecheril 2016), das »Spektakel des Anderen« (Hall 2004) geht dabei stets Hand in Hand mit der Glorifizierung des »Eigenen« – beides sind Ergebnisse von rassistischen Konstruktionsprozessen, die hierarchisch unterschiedlich positionierte Subjekte hervorbringen: In this context, Othering is defined as a process in which, through discursive practices, different subjects are formed, hegemonic subjects – that is, subjects in powerful social positions as well as those subjugated to these powerful conditions. (Velho & ThomasOlalde 2011: 27) In der Geschichte und Gegenwart der modernen Rassismen sind global gesehen weiß, christlich, europäisch konstruierte Menschen im Zentrum des imaginierten Wir, während Schwarze Menschen, Asiat*innen, Indigene, People of Color, Jüdinnen und Juden, Musliminnen und Muslime, Roma und Sinti, Migrantinnen und Migranten als »Andere« rassistisch markiert werden. Diese symbolische Weltordnung resultiert wie bereits besprochen vor allem aus der kolonialen Expansion Europas32 ab dem Jahre 1492 und der Erfindung des Rassismus, der ein wichtiger Teil der nachfolgenden Machtkonstellationen bis in die Gegenwart der postkolonialen Welt wurde, genauso wie aus der Geschichte des Antisemitismus, des Antiziganismus/des Rassismus gegen Roma und Sinti, des antimuslimischen Rassismus und der antimigrantischen Diskurse und Politiken. Die Perspektive der historisch-soziologischen Rassismusforschung kann zeigen, dass Rassismus eben nicht eine allgemeine soziale Praxis darstellt, sondern dass spezifische diskursive Praktiken, die in Bezug zu Machtverhältnissen stehen, historischspezifische Rassismen hervorbringen, die wiederum eine symbolische Ordnung bilden: Der Rassismus ist weder natürlich noch universal oder in anderer Weise metahistorisch, sondern ein Produkt menschlicher Kultur, eine Hervorbringung menschlichen Denkens, eine Form menschlichen Handelns und somit ein durch und durch historisches Phänomen. Das bedeutet vor allem: der Rassismus ist wandelbar und er hat sich im Laufe der Geschichte in der Tat immer wieder verändert. (Geulen 2007: 7f) Ein entscheidendes Kennzeichen für Rassismen ist, dass die »Wir-Gruppe« auch im Besitz der Definitionsmacht (vgl. Amesberger & Halbmayr 2008: 1) ist und diese Macht strukturell, diskursiv und praktisch durchsetzen kann.

Rassifizierende Macht Die besprochenen Rassifizierungen, Otherings und Ausgrenzungen funktionieren nur auf der Grundlage von rassifizierender Deutungsmacht. Auf diesen Umstand hat Mark Terkessidis mit der Formulierung »differenzierende Macht« (Terkessidis 1998: 79) hingewiesen. Um tatsächlich als Gesellschaft, Gruppe oder Individuum von Rassismen profitieren zu können, braucht es die (ökonomische, politische und symbolische) Macht, die

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Diese gewissermaßen eurozentristische Perspektive soll nicht außereuropäische Rassismen für unmöglich erklären, sondern den Tragweiten der europäischen Erfindung des modernen Rassismus für die gesamte Welt der Gegenwart und der letzten 500 Jahre Rechnung tragen (vgl. dazu auch Geulen 2018: 24).

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Rassismen auch tatsächlich durchzusetzen. Erst dann kann von Rassismen als Machtverhältnissen gesprochen werden. Teil von rassistischen Verhältnissen ist es, diese künstliche Machtförmigkeit unsichtbar zu machen und eine »Natürlichkeit« der Ordnung zu behaupten. Dabei kann das rassifizierende Machtzentrum den eigenen Machtanspruch und die damit zusammenhängende behauptete »Überlegenheit« klar aussprechen, wie das etwa im Kolonialismus, im Nationalsozialismus und im Apartheidsregime in Südafrika getan wurde – um einige wichtige Beispiele zu nennen. In den gegenwärtigen Gesellschaften findet sich eine systematische Tendenz zur Verleugnung oder Ausblendung rassistischer Verhältnisse. Mit den hegemonialen Diskursen zu »Color Blindness«, »Reverse Racism« und »Dethematisierungsstrategien« haben wir bereits drei Aspekte davon kennengelernt. Verleugnung und Ausblendung müssen vor diesem Hintergrund als Machtformen innerhalb gegenwärtiger Rassismen analysiert werden. Rassismen sind demnach symbolische Ordnungen, die bestimmte Wir-Idealisierungen in ihren Zentren aufweisen, aber gegenwärtig häufig nicht durch eine klar benennbare Herrschaftsstruktur33 erkennbar sind: Zwar ist Rassismus als Apparat insbesondere dadurch charakterisiert, dass es sich nicht um Herrschaft im traditionellen Sinne mit einem lokalisierbaren Zentrum handelt, dennoch muss eine Gruppe über die Mittel verfügen, eine andere Gruppe sichtbar zu machen, zu unterdrücken etc. Das Moment der differenzierenden Macht mag im Falle des Kolonialismus weit mehr auf der Hand liegen als in jenem der Einwanderungsgesellschaft, aber dennoch kann auch im zweiten Fall das Moment der Gewalt sehr schnell offen zutage treten – man denke nur an die Macht, eine Ausweisung zu verfügen und eine Abschiebung zu exekutieren. (Terkessidis 2004: 100) Rassismus hat als gesellschaftlich verankertes Machtsystem bedeutende Auswirkungen auf jedes Individuum. Je nach zugeschriebener sozialer Position prägen Rassismen die Mitglieder einer Gesellschaft signifikant unterschiedlich.

Rassistische Subjektivierung Wir versuchen den Diskurs des Rassismus rational zu analysieren, während er seine Macht und Dynamik gerade aufgrund der mythischen und psychischen Energien gewinnt, die in die Kultur investiert werden. Er ist Teil unserer Selbstdefinition, unserer Definition, zu welcher Gemeinschaft wir gehören und welches die Zukunft und das Schicksal unserer Kultur sein wird. (Hall 1989a: 921) Rassismen haben als gesellschaftliche Machtverhältnisse großen Einfluss auf ihre einzelnen Mitglieder. Rassismen nehmen »mittels Wissen und Erfahrung auf Prozesse der Konstitution und Transformation von Selbst- und Weltverhältnissen positiv oder negativ Einfluss« (Broden & Mecheril 2011: 7). Die symbolischen Ordnungen der Rassismen,

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In Bezug auf die offen rassistisch strukturierten Regimen des deutschen Nationalsozialismus, der südafrikanischen Apartheid, den kolonisierten und versklavten Gesellschaften muss freilich schon von rassistischer Herrschaft gesprochen werden.

2 Rassismen

mitsamt Strukturen, Diskursen, Praktiken und Subjektvorstellungen, unterwerfen sich Individuen zu rassifizierten Subjekten, wie auch Individuen sich demgemäß selbstständig34 dazu formen. Rassismen sind dabei für »inferiore« und »superiore« Disponiertheiten (vgl. Mecheril & Scherschel 2011: 54) verantwortlich, prägen also maßgeblich Identifizierungs- und Subjektivierungsprozesse. Dieser Prozess, die Welt in Begriffen »rassisch« definierter Gegensätze zu konstruieren, hat die Funktion, Identität zu produzieren und Identifikationen abzusichern. Er ist Bestandteil der Gewinnung von Konsensus und der Konsolidierung einer sozialen Gruppe in Entgegensetzung zu einer anderen, ihr untergeordneten Gruppe. Allgemein ist dies als die Konstruktion »des Anderen« bekannt. Sie teilt die Welt in jene, die dazugehören, und jene, die nicht dazugehören. (Hall 1989a: 919) Rassistische Subjektivierung hat dabei Effekte auf die Psyche (vgl. Fanon 1952; Kilomba 2019), den schulischen Werdegang (vgl. Scharathow 2014), die eigene Lebensführung und Selbstverortung (Attia 1994). Im Falle von superior Positionierten, also Menschen, die keine eigenen negativen Rassismuserfahrungen machen, weil sie als weiß adressiert werden, muss eher von unbewussten Effekten der Subjektivierung gesprochen werden. Weiß positionierte Menschen betonen häufig, dass »rassische« oder »ethnische« Zugehörigkeiten für sie keine Rolle spielen (Phoenix 1998). Diese Tatsache ist das Resultat von ausbleibenden Adressierungsprozessen, da diese Personen als Teil der weißen Norm adressiert und inkludiert werden. Weiße Subjektivierungen gründen in der Herstellung von Weißen als einer Gruppe, die als ›normal‹ und homogen sowie als außerhalb von Rassifizierungsdynamiken befindend repräsentiert wird. (Wollrad 2011: 144) Die angesprochene Form der Subjektivierung durch Rassismen steht im Zentrum dieser Arbeit und wird in weiterer Folge vertieft. Was überhaupt als Rassismus bezeichnet werden kann und soll und was nicht, ist Gegenstand von zum Teil kontroversen und wichtigen Debatten, die sich zwischen den Polen »enge« vs. »weite« Definition abspielt.

Enge vs. weite Definition In der Rassismusforschung kann zwischen engen und weiten Definitionen unterschieden werden. Enge Definitionen von Rassismus bezeichnen als Rassismus Ideologien, die auf biologische »Rassentheorien« verweisen. Robert Miles tut dies etwa, um sich von verwandten, aber in seinen Augen unterschiedlichen Phänomenen wie Ethnozentrismus, Xenophobie und Nationalismus abzugrenzen, und warnt vor einer »Überdehnung der Begriffe« (Miles 1991: 57ff). Noch radikaler formuliert das Loïc J. D. Wacquant, wenn er über die Notwendigkeit schreibt, »sich ein für allemal von der aufwieglerischen und äu-

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Zur doppelten Unterwerfung in Subjektivierungsprozessen siehe das Kapitel »Subjektivierung und Subjektbildung« in dieser Arbeit.

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ßerst dehnbaren Kategorie des ›Rassismus‹« zu verabschieden,35 »außer in der Form eines beschreibenden Begriffs, der sich auf empirisch analysierbare Lehren und Ansichten über ›Rasse‹ bezieht« (Wacquant 2001: 62). Die besprochenen Ansätze zum »differenzialistischen Rassismus« (Taguieff 1985) können als Vertreter*innen einer eher weiten Definition von Rassismus gelesen werden. Sie verweisen darauf, dass der neue Rassismus gerade über die vermeintliche Ablehnung36 von Rassismus und über eine Postulierung der »Gleichwertigkeit der Kulturen« daherkomme und diese Konstruktion von Kulturen wiederum rassistisch wirksame Hierarchien und Ausschlüsse beinhalte (vgl. Kerner 2009: 136ff). Sie gehen mit Stuart Hall davon aus, dass es mehrere historisch-spezifische Rassismen gibt (vgl. Hall 1994b: 127). Im Zuge dieser Arbeit schließe ich mich einer Forschungstradition an, die sich an einer erweiterten Vorstellung von Rassismus orientiert. Ich tue dies auf zwei Ebenen: einmal auf einer kategorischen und einmal auf einer inhaltlichen Ebene. Kategorisch spreche ich von Rassismen anstatt von Rassismus, um auf alle Rassismen, die in den postmigrantischen Gesellschaften im deutschsprachigen Raum virulent sind, eingehen zu können. Diese Vorgehensweise verhindert auch ein »Subsumieren« von Rassismen unter dem Begriff »Rassismus«, was etwa bedeutende Unterschiede zum Beispiel zwischen Rassismus und Antisemitismus nivellieren könnte. Mit der Überkategorie »Rassismen« sollen Gemeinsamkeiten und Unterschiede der einzelnen Formen sichtbar gemacht werden, ohne sie zu hierarchisieren oder gleichzusetzen. Zweitens orientiere ich mich an einer inhaltlich weiten Definition von Rassismen, indem ich eine klare Grenzziehung vermeide. Ich sehe verschiedene Rassismen als wirkmächtig an, die sich auf biologische, kulturelle oder auch andere Faktoren wie Migrations- oder Fluchterfahrungen stützen können. Die Grenzen zu verwandten Diskriminierungssystemen und -Artikulationen wie »Nationalismus«, »Ethnozentrismus«, »Ethnisierung« und »Kulturalisierung« sind fließend, aber natürlich auch durch Unterschiede geprägt. Meine Definition von Rassismen ist historisch-soziologisch informiert und durch eine nichtbeliebige Offenheit für Dynamiken und Konjunkturen geprägt.

Allgemein vs. konkret Eine weitere wichtige Trennlinie, die es im Zuge einer Definition von Rassismus zu beachten gilt, liegt in der Frage, ob Rassismen als allgemeine Merkmale menschlicher Gesellschaften verstanden werden oder aber als historisch-spezifische Formen der Vergesellschaftung. Albert Memmi hat in seinem 1992 in deutscher Sprache erschienenen Werk Rassismus eine bis heute wichtige allgemeine Definition von Rassismus geliefert. Seine Popularität erstaunt, bietet die kurze Definition doch jede Menge Raum für Missverständnisse. Albert Memmi definiert Rassismus sehr allgemein, wenn er schreibt:

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Mit seinem Konzept der »Analyse rassischer Herrschaft« (Wacquant 2001: 62) ist Wacquant aber meiner Ansicht nach näher an dem analytischen Konzept der »Rassifizierung« dran, als er sich das selbst in dem polemischen Artikel eingesteht. In Bezug auf antimuslimischen Rassismus bezeichnet Benjamin Opratko diesen versteckten Rassismus als »Rassismus im Namen der Emanzipation« (Opratko 2019: 17).

2 Rassismen

Der Rassismus ist die verallgemeinerte und verabsolutierte Wertung tatsächlicher oder fiktiver Unterschiede zum Nutzen des Anklägers und zum Schaden seines Opfers, mit der seine Privilegien oder seine Aggressionen gerechtfertigt werden sollen. (Memmi 1992: 164) Rudolf Leiprecht (2005) kritisiert Memmis Definition anhand von vier klaren Punkten: Memmis Definition ist problematisch, weil sie zu sehr auf biologische Unterschiede fokussiert und neue kulturelle Formen des Rassismus übersieht, weil sie in Täter*innen und Opfer*innen dichotomisiert und weil sie Rassismen personalisiert und damit die gesellschaftliche und strukturelle Dimension kleinredet (vgl. Leiprecht 2005: 13ff). Der vierte und wichtigste Kritikpunkt scheint mir darin zu liegen, dass Leiprecht eine mangelnde Trennschärfe bei Memmis Definition beklagt. Es scheint so, als könne die Rolle des »Anklägers« und der »Opfer« auf vielfältige Weise besetzt werden. Hier liegt aber genau der Kern des Problems: Rassismen sind historisch-spezifische Machtverhältnisse, die »verallgemeinerte und verabsolutierte Wertung[en] tatsächlicher oder fiktiver Unterschiede zum Nutzen des Anklägers und zum Schaden seines Opfers, mit der seine Privilegien oder seine Aggressionen gerechtfertigt werden sollen«, beinhalten, aber immer als spezifische Relationen mit zum Teil großen Unterschieden zu betrachten sind. Rassismen sind mit Juliane Karakayali »relationale gesellschaftliche Verhältnisse« (Karakayali 2012: 99). Eine sehr aktuelle Definition von Rassismus, die es schafft, vom Konkreten ins Allgemeine zu schlussfolgern – und nicht umgekehrt –, ist Iman Attia und Ozan Z. Keskinkılıç in ihrem Aufsatz Rassismus und Rassismuserfahrung (2017) gelungen: Rassismus konstruiert Rassen, sodass körperliche, kulturelle oder religiöse Aspekte als genuine Gruppenmerkmale erscheinen, die für alle Gruppenmitglieder zentral bedeutsam seien und einen grundsätzlichen Unterschied zur ›eigenen‹ Gruppe markierten. Die Konstruktion von ›Rassen‹ hat zum Ziel und/oder als Effekt, dass eine eigene Gruppenidentität durch Abgrenzung von Anderen geschaffen wird und dass Aggressionen, Ausschlüsse und Privilegien damit legitimiert werden. Das bedeutet: ›Rassen‹ sind ein Produkt des Rassismus und nicht umgekehrt. In anderen Worten: Es gab und gibt keine ›Rassen‹, Rassismus erzeugt sie. Erst im Zuge der Rassifizierung (dem Prozess der Rassenkonstruktion) werden vermeintliche oder tatsächliche Unterschiede zwischen Menschen zu rassistischen Differenzen gemacht. Historisch ist der ›Rassen’diskurs eng mit der Vertreibung von Jüd_innen und Muslim_innen aus Europa sowie der Versklavung und Kolonisierung der indigenen Bevölkerungen Amerikas, Afrikas und Asiens verknüpft. (Attia & Keskinkılıç 2017: 118) Rassismen werden hier als symbolische Ordnungen verstanden, die auf Rassifizierungsprozessen beruhen, die auf der Logik von Othering funktionieren. Die »Wir-Gruppe« konstituiert sich, indem sie »Andere« erzeugt und abwertet. Dies geschieht zur Gewinnung, Aufrechterhaltung und Erweiterung der eigenen Dominanz. Stuart Hall sieht gerade hier das ideologische Moment des Rassismus wirken, wenn er schreibt: Rassistische Ideologien entstehen also immer dann, wenn die Produktion von Bedeutungen mit Machtstrategien verknüpft sind und diese dazu dienen, bestimmte Grup-

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pen vom Zugang zu kulturellen und symbolischen Ressourcen auszuschließen. (Hall 1989a: 913) Passiert ist all dies in konkreten historischen Kontexten, vor allem im Zuge der europäischen Expansion ab 1492, sowohl nach außen wie auch nach innen. Dieser historisch-soziologischen Perspektive folgend, ist es wichtig zu resümieren, dass »faktisch praktizierte Ungleichbehandlung der theoretischen Rassenordnung ihre konkrete Form vor[gab] – und nicht umgekehrt« (Geulen 2018: 27). Also zuerst war die Ungleichbehandlung und dann kam deren rassistische Legitimation. Diese historisch-spezifischen Formen des Rassismus haben sich dann als symbolische Ordnung quasi verselbstständigt und wirken bis in die Gegenwart weiter.

Formen des Rassismus In den bisherigen Ausführungen dieses Kapitels habe ich versucht, eine Definition von Rassismen zu erarbeiten, die erstens auf der Grundlage der zentralen geteilten Perspektiven der deutsch- und englischsprachigen Rassismusforschung beruht und zweitens einen historisch-soziologischen Blickwinkel aufweist, der die Funktionsweise von Rassismen sowohl auf der diskursiv-symbolischen Ebene wie auch auf der Ebene der Subjekte analysiert. Im Zuge meines weiten Verständnisses von Rassismus gehe ich mit Stuart Hall davon aus, dass Rassismen spezifisch untersucht werden müssen. Halls Ausführungen dazu sind forschungsleitend für diese Studie. Er schreibt: Ich habe bislang über den allgemeinen Begriff des Rassismus gesprochen, über Rassismus im allgemeinen. Aber wo immer wir Rassismus vorfinden, entdecken wir, daß er historisch spezifisch ist, je nach der bestimmten Epoche, nach der bestimmten Kultur, nach der bestimmten Gesellschaftsform, in der er vorkommt. Diese jeweiligen spezifischen Unterschiede muß man analysieren. Wenn wir über konkrete gesellschaftliche Realität sprechen, sollten wir also nicht von Rassismus, sondern von Rassismen sprechen. (Hall 1989a: 917) Den gesellschaftlichen Kontext, in dem meine Untersuchung zu Rassismen und Antirassismus stattfindet, bezeichne ich zu einem späteren Zeitpunkt als »postmigrantische Gesellschaft«. Innerhalb dieser Gesellschaft sehe ich verschiedene Rassismen wirken. Als Formen des Rassismus begreife ich Antisemitismus, Antiziganismus/Rassismus gegen Rom*nja und Sinti*zze, antimuslimischen Rassismus, migrantisierenden Rassismus/Migratismus, antislawischen Rassismus/Antislawismus sowie kolonialen/postkolonialen Rassismus (anti-Schwarzer Rassismus, anti-Asiatischer Rassismus, antiindigener Rassismus). Die dargestellten Rassismen werden vor allem in Bezug auf den deutschsprachigen Raum beschrieben. Es gibt Unterschiede innerhalb Europas sowie in Bezug auf andere Regionen der Welt. Da Rassismus eine eurozentristische Praxis darstellt, die in alle Teile der Welt globalisiert wurde, treffen alle besprochenen Formen auch auf den Raum meiner Untersuchung, die postmigrantische Gesellschaft Österreichs, zu. Die angesprochenen Rassismen werden mit Fokus auf den deutschsprachigen und speziell den österreichischen Kontext im Kapitel »Rassismus in der postmigrantischen Gesellschaft« vertieft und empirisch gesättigt wiedergegeben.

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Zusammenfassung Rassistisches Wissen und die Vermittlung der symbolischen Ordnung In der Tradition der historisch-soziologischen Rassismusforschung – der Perspektive auf Rassismen, der ich in dieser Arbeit folge – sind Rassismen gesamtgesellschaftliche Phänomene mit meist Jahrhunderte andauernden Geschichten. Rassismen als historische und gesamtgesellschaftliche Phänomene zu betrachten, bedeutet, dass sie mehr sind als individuelle Vorurteile (als die sie sich in unterschiedlicher Weise auch in Individuen niederschlagen), aber auch weniger als eine anthropologische, quasi natürliche Konstante. Rassismen sind – in der Tradition der diskurstheoretischen Rassismustheorien – historisch-spezifische Systeme der symbolischen Ordnung, die sich aus verschiedenen direkt oder indirekt verbundenen Wissensformen bilden, die wiederum Praktiken anleiten, Strukturen begründen und Subjektivierungsprozesse auslösen, wie sie auch von diesen ihre Formungen erlangen. Der zentrale Code der rassistischen Ordnung ist jener der »Rasse«. Menschen werden mit dem Verweis auf »Rasse«, die biologisch, geographisch, religiös und kulturell gedeutet werden kann, in unterschiedliche Gruppen kategorisiert. In rassistischen Diskursen wird »Rasse« als natürliche menschliche Differenzkategorie behauptet. »Rasse« ist dabei stets ein Konstrukt und erscheint als »floating signifier« (Hall 1997), verändert also immer wieder Form und Inhalt, ohne dabei die Funktion zu verlieren. Neben dieser Dynamik weist das Konzept »Rasse« aber auch eine gewisse Kontinuität und Stabilität auf. In Anbetracht der Jahrhunderte andauernden Geschichte von Antisemitismus, antimuslimischem Rassismus, Antiziganismus/Rassismus gegen Rom*nja und Sinti*zze, antislawischen Ressentiments und kolonialem sowie postkolonialem Rassismus zeigt sich eine historische Kontinuität von rassistischen Diskursen, Praktiken, Strukturen und Subjektvorstellungen bis in die Gegenwart. Diese Rassismen haben auch neue Formen wie den migrantisierenden Rassismus informiert. In allen Formen von Rassismen findet sich dabei eine Gleichzeitigkeit von historisch-stabilen sowie dynamischen Elementen. Die Diskurse zum »differenzialistischen Rassismus« haben gezeigt, dass Rassismus auch ohne Verweis auf »Rassen« im biologischen Sinne auskommen kann. Das anzuerkennen, ist einerseits wichtig, weil ansonsten den Dynamiken von Rassismen nicht entsprochen werden kann, und andererseits, weil die Kategorien der Rassismen nicht Ausgangspunkt der Analyse von Rassismen sein dürfen. Vielmehr gilt es Prozesse der »Rassifizierung« (in welcher Form auch immer) auszumachen, zu analysieren und zu kritisieren. Rassifizierung ist die zentrale Funktionsweise von Rassismen, also die bedeutendste Praxis innerhalb der Systeme der symbolischen Ordnung. Auf der Grundlage von Wissensformen (Religion, Wissenschaft, Kultur, Alltagsdiskurse, Staat) kategorisiert, hierarchisiert, essentialisiert, normalisiert die dominanzgesellschaftliche Gruppe sich selbst und andere, indem sie Menschen zu spezifischen Gruppen subsumiert. Dabei werden bestimmte körperliche, kulturelle, religiöse, gesellschaftliche, geographische Differenzen betont und/oder erfunden, während andere Differenzen nicht herangezogen oder missachtet werden. In der Folge wird einerseits existierende Differenz verkannt. In einem nächsten Schritt des Prozesses der Rassifizierung folgt die Abwertung dieser verkannten Differenzen. Den rassifizierten Subjekten werden dabei bestimmte feste ahis-

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torische, »natürliche« Eigenschaften zugesprochen. Diese Naturalisierung von »Rasse« ist immer Teil von Hierarchisierungen, in der die dominante Gruppe die eigene behauptete »Rasse« als höherwertig bezeichnet als andere. Dem liegen Prozesse des Othering zugrunde. Dabei wird mittels der Konstruktion und Abwertung von sogenannten »Anderen« ein idealisiertes und normalisiertes »Wir« erzeugt und überhöht. Auf dieser Grundlage legitimiert dann die privilegierte Gruppe Unterdrückung, Exklusion und Mord. Im Zentrum dieses rassistischen »Wir« standen und stehen »Weißsein«, »Christlichsein«, »Zivilisiertsein« »Europäischsein«, »Einheimischsein«, »Sesshaftsein« und weitere Kategorien, die je nach Kontext unterschiedlich betont und besetzt werden. Je nach spezifischen Rassismen stehen dann auch weitere Attribute im Zentrum der Wir-Gruppe, die auch sehr exklusiv ausgerichtet sein können – wie beispielsweise die Konstruktion der »Arier« im Nationalsozialismus oder jene der »Whites« im Apartheidsregime Südafrikas. In der globalen Geschichte und Gegenwart der Rassismen sind unter anderem als weiß, christlich, europäisch und »einheimisch« konstruierte Menschen die Privilegierten dieser Gesellschaftsstrukturen, wobei die symbolischen Ordnungen der Rassismen unterschiedlichste Hierarchien kennen, die alle rassistisch sein können. In den Rassismen privilegiert positionierte Personen – was meistens mit weiß positioniert zusammenfällt, aber nicht damit ident ist – können dabei aufgrund der Konstruktionen der symbolischen Ordnungen keinen37 Rassismus erfahren, und rassistisch diskreditierbar positionierte Menschen profitieren immer nur partiell von dem Anwenden bestimmter Rassismen. Rassismus funktioniert demnach immer auf der Grundlage von »differenzierender Macht«. Wenn Rassifizierungs-, Otherings- und Ausgrenzungsformen nicht strukturell, diskursiv und praktisch abgesichert sind, funktionieren sie zwar als Diskriminierungen »im Kleinen«, aber nicht als symbolische Ordnung. Rassismen gibt es nur in Verbindung zu Macht und Deutungsmacht. Rassismus kennt viele Ausprägungen, wobei vor allem Antisemitismus, Antiziganismus/Rassismus gegen Rom*nja und Sinti*zze, antimuslimischer Rassismus, antiSchwarzer Rassismus, anti-Asiatischer Rassismus, antiindigener Rassismus zu den unumstritten wirkungsmächtigsten zählen. Im deutschsprachigen Raum wird mit dem migrantisierenden Rassismus oder Migratismus eine weitere Form des Neorassismus beschrieben, andernorts wird auch diskutiert, ob »antislawischer Rassismus« (vgl. Hund 2018) ebenfalls als eigene historisch-spezifische Form des Rassismus bezeichnet werden sollte. Rassismen dürfen nie isoliert von anderen Strukturen verstanden und analysiert werden. Rassismen wirken stets mit weiteren Ungleichheitssystemen wie Kapitalismus, Kolonialismus/Postkolonialismus, Patriarchat, Heteronormativität und Ableismus zusammen. Das gilt sowohl auf der diskursiv-strukturellen Ebene wie auch auf der

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Robin DiAngelo betont wie etwa Mark Terkessidis, dass Rassismen immer eine differenzierende Macht benötigen, um als gesellschaftliches Machtverhältnis wirksam sein zu können: »People of color may also hold prejudices and discriminate against white people, but they lack the social and institutional power that transforms their prejudice and discrimination into racism; the impact on whites is temporary and contextual.« (DiAngelo 2018: 22)

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praktischen und subjektiven Ebene. Theorien, die sich dieser Komplexität von Rassismen annehmen und grundlegend diese Studie informieren, sind postkoloniale Theorien, Arbeiten der Kritischen Weißseinsforschung und Dominanzkultur, kritische Ansätze und Studien zu Intersektionalität sowie Werke zu Alltagsrassismus und Rassismuserfahrungen. Rassismen waren und sind Legitimationslegenden für kapitalistische und koloniale/postkoloniale Ordnungen. Patriarchale Strukturen und Subjektvorstellungen sind immer rassifiziert und geclassed. Rassifizierte Subjektpositionen sind immer spezifisch und mehrdimensional zu beobachten. Weiße Frauen und weiße Männer hatten im Kolonialismus gänzlich verschiedene Rollen, waren aber durch ihr zugeschriebenes Weißseins beide höher gewertet als Frauen und Männer of Color, die wiederum wieder verschieden positioniert wurden. Der Fokus auf Alltagsrassismus ermöglicht es, auch die impliziten Formen täglicher rassistischer Praktiken und Dynamiken von Rassismen zu erkennen. Die Perspektive der Rassismuserfahrung einzunehmen, ist unerlässlich, um die Funktionsweise von Rassismen und die subjektiven Auswirkungen zu verstehen. Rassismen wirken auf der Ebene des Subjektes vor allem in Form von früh internalisiertem rassistischem Wissen ein. Das rassistische Wissen ist die Grundlage für die stattfindende »hierarchische Identifizierung« (Messerschmidt 2008: 44) und damit zusammenhängende unterschiedliche soziale Positionierungen mitsamt spezifischen Privilegien und Deprivilegierungen. Das rassistische Wissen vermittelt über die Subjekte die symbolische Ordnung und (re-)produziert damit die Rassismen und die damit zusammenhängenden Strukturen, Diskurse, Praktiken und Subjektvorstellungen.

Rassismuserfahrungen als Denkwerkzeuge Die Aufarbeitung der deutschsprachigen und englischsprachigen Rassismusforschung sowie die Besprechung der gemeinsamen Themen, Theorien und Debatten in den letzten dreißig Jahren geschah vor allem vor dem Hintergrund, dass lange Zeit fundamentale Unterschiede in dem Verständnis der Funktionsweise von Rassismen auf Subjekte, wie diese bezeichnet werden können und sich selbst bezeichnen, bestanden. Die deutschsprachige Forschung hat dafür lange Zeit keine Sprache gefunden. »Ausländer« und »Fremde« sind klar rassistisch und nationalistisch konnotierte Begrifflichkeiten und spielen deshalb zu Recht nicht mehr die zentrale Rolle vergangener Tage. Die im Gegensatz dazu ungenannten »Einheimischen« und ihre Position in Rassismen kamen in der Diskussion erst gar nicht vor. Der Begriff »Rasse« ist vor dem Hintergrund des historischen Faktums einer postnationalsozialistischen Gesellschaft undenkbar und deshalb zu Recht keine Begriffsalternative. Die Öffnung der Forschungslandschaft ab den 1980er Jahren hat die hiesige Forschungslandschaft radikal transformiert, sodass neue Perspektiven und Begrifflichkeiten entstanden sind. Die gegenwärtige deutschsprachige Rassismusforschung kennzeichnet sich meiner Ansicht nach dadurch, dass sie sich erstens das Rassismuskonzept wieder angeeignet hat, zweitens wichtige Impulse der englisch- und französischsprachigen Debatten aufgenommen und eingearbeitet hat und sich drittens zivilgesellschaftlichen Bewegungen geöffnet hat. Die englischsprachige Akademie hat mit race und racialication ein Begriffspaar entwickelt, das – kritisch verwendet – rassistische Vergesellschaftungs- und Subjektivie-

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rungsprozesse erkennbar und beschreibbar macht. Mark Terkessidis hat erfolgreich vorgemacht, wie »Rassifizierung« beschrieben und analysiert werden kann, ohne mit dem Begriff »Rasse« zu arbeiten. Er hat damit einen erfolgreichen »Theorieimport« gemeistert. Bezüglich der Bezeichnung race hat die deutschsprachige Rassismusforschung einen anderen Zugang erarbeitet, der bedeutende Vorteile aufweist. Die Konzeption der Rassismuserfahrung macht es möglich, das rassistische Paradoxon, dass es keine »Rassen« gibt, aber das Konzept gleichzeitig Menschen tötet, zu denken, ohne auf das Konzept race zurückgreifen zu müssen. Ich spreche also nicht von »Rassen« oder races, sondern von Erfahrungen mit Rassismen, die zu unterschiedlichen sozialen Positioniertheiten führen und damit Subjektivierungen unterminieren. Auf dieser Grundlage würde ich dafür plädieren, von Menschen mit negativen Rassismuserfahrungen, von Menschen ohne negative Rassismuserfahrungen, von Menschen, die durch Rassismen privilegiert positioniert und Menschen, die durch Rassismen diskreditierbar positioniert sind, zu sprechen. Gleichermaßen wird von People of Color und von weiß positionierten Menschen gesprochen, da es sich hierbei erstens um eine emanzipative Selbstpositionierung (People of Color oder auch BIPoC) handelt und diese gleichzeitig die fundamentale Rolle von Weißsein und weißer Vorherrschaft in allen Rassismen sichtbar macht. Da in einer rassistischen Gesellschaft auch weiße, als »einheimisch« positionierte Personen Erfahrungen mit Rassismus machen (vor allem im Sinne von Privilegierungserfahrungen, aber auch negativ, nämlich dort, wo Weißsein nicht den zentralen Faktor darstellt, wie zum Beispiel im Antisemitismus, antimuslimischen Rassismus oder antislawischen Rassismus), hat sich die Bezeichnung »negative Rassismuserfahrung« für die direkt und selbst gemachte rassistische Erfahrung als passgenau erwiesen. Eine weitere Möglichkeit zur rassismuskritischen Bezeichnung der sozialen Positionen innerhalb der symbolischen Ordnungen der Rassismen ist es, von rassistisch diskreditierbaren Menschen und rassistisch nicht diskreditierbaren Menschen zu sprechen. Diese Positionen sind von der symbolischen Ordnung abhängig und bezeichnen die privilegierten und deprivilegierten sozialen Positionen. Sie sind relational und damit von den jeweiligen Rassismen abhängig. Menschen können in der einen Relation diskreditierbar und in der anderen nicht diskreditierbar sein, aber freilich auch in mehreren Kontexten diskreditierbar oder nicht diskreditierbar sein. Diese privilegierte Position kann auch immer als die weiße Position bezeichnet werden, allerdings erscheint dies nicht für jeden Kontext stimmig. In dem eindrucksvollen Artikel Blicke schreibt Hengameh Yaghoobifarah über die Relationalität von sozialen Positionen in Rassismen: Die Grenze des Weißseins verläuft immer parallel zu den Machtstrukturen in einer jeweiligen Gesellschaft. Die Zuordnung hängt häufig von Geografien ab und vom geschichtlichen Kontext. In Deutschland bin ich nicht weiß. Im Iran schon. Dort werde ich nicht aufgrund einer vermeintlichen ethnischen Zugehörigkeit diskriminiert, denn da gehöre ich zur Mehrheitsgesellschaft. (Yaghoobifarah 2021: 69) In Anbetracht des bisher Gesagten ist dieser Beobachtung nur zuzustimmen. Einzig von der Gleichsetzung von Weißsein und Privilegiertsein würde ich Abstand nehmen. Die weiße Position ist in jeder Form des Rassismus ein wichtiger bis konstitutiver Teil der privilegierten Position, allerdings spielt Weißsein an sich nicht in jeder Form die gleich zentrale Rolle. Ich würde hier davon sprechen, dass die Grenze des Privilegiertseins par-

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allel zu Machtstrukturen verläuft und Weißsein eine zentrale Rolle innerhalb des Privilegiertseins spielt, aber nicht deckungsgleich damit ist. Das ist keine Relativierung von Weißsein, sondern eine Strategie, um auch neue rassistische Artikulationen, die sich vom Schwarz-Weiß-Schema des biologistischen Rassismus absetzen, beschreibbar zu machen. Die Perspektive der Rassismuserfahrung einzunehmen, bedeutet erstens, die subtilen, alltäglichen, mittels Codes artikulierten Rassismen (neben den expliziten und offensichtlichen) überhaupt erkennen zu können. Es bedeutet zweitens, Menschen, die Rassismus erfahren, ihre Erzählung, ihre Empfindung, ihr Wissen in den Mittelpunkt zu stellen und nicht, wie in der Vergangenheit der deutschsprachigen Rassismusforschung häufig geschehen, die ungenannte »einheimische« Perspektive und die Täterin oder den Täter als Referenzpunkte zu setzen. Drittens können nur aus der Perspektive der Rassismuserfahrung gesellschaftliche Privilegien überhaupt erkannt werden. Diese Privilegien als Resultat der symbolischen Ordnungen der Rassismen sind ausschlaggebend dafür, dass Menschen überhaupt Rassismuserfahrungen machen müssen. Viertens sind Rassismuserfahrungen sowohl dort zu suchen, wo Menschen negative Erfahrungen mit Rassismus gemacht haben, als auch dort, wo sie durch Rassismen privilegiert werden und damit in anderer Weise Erfahrungen mit Rassismus machen. Dieses Erfahrungswissen innerhalb der symbolischen Ordnungen der Rassismen steht im Mittelpunkt dieser Studie. Ich werte dieses Wissen mit bell hooks als wichtigen Teil einer jeden antirassistischen und rassismuskritischen Subjektbildung: »knowledge rooted in experience shapes what we value and as a consequence how we know what we know as well as how we use what we know.« (hooks 2010: 185) Dabei ist eine besondere Problemlage grundlegend, die bereits diskutiert wurde. Gerade in Bezug auf die privilegierte Position innerhalb von Rassismen muss von einer Unsichtbarkeit der eigenen weißen und/oder privilegierten Position gesprochen werden. Gerade das Ausbleiben des Wissens über eigene Rassismuserfahrungen, hier meist Privilegierungserfahrungen, ist eine zentrale Problemstellung der privilegierten sozialen Position. Die Frage, ob eine politische Positionierung als Antirassist oder rassismuskritischer Aktivist hier einen Einfluss auf das Wissen über und die Wahrnehmung der eigenen sozialen Position und der damit zusammenhängenden sozialen wie politischen Positionierungen hat, ist eine der zentralen Fragen dieser Studie. Im folgenden Kapitel soll zunächst geklärt werden, was denn unter Antirassismus verstanden werden kann. Die angesprochenen theoretischen Fragen der sozialen und politischen Position wie der damit zusammenhängenden Positionierungen werden im darauffolgenden Teil eingehender betrachtet.

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3 Antirassismus »In a racist society it is not enough to be nonracist, we must be anti-racist.« Angela Davis

In dieser Studie stehen Menschen im wissenschaftlichen Mittelpunkt, die sich selbst als weiß und/oder von Rassismus privilegiert positionieren und antirassistisch und rassismuskritisch aktiv sind. Im vorangegangenen Kapitel wurde bereits einiges über die von Rassismen privilegierte soziale Position, den Zusammenhang zu den symbolischen Ordnungen der Rassismen, die subjektivierenden Effekte sowie die Möglichkeiten, dies aus der Perspektive von Rassismus- wie Privilegierungserfahrungen erforschen zu können, theoretisch aufbereitet. In diesem Kapitel widme ich mich der Theoretisierung von möglichen politischen Positionen (vor dem Hintergrund der historisch-spezifischen symbolischen Ordnungen der Rassismen) im Zuge von antirassistischen oder rassismuskritischen Geschichten, Debatten und Problemen. Dieses Kapitel ist weniger umfangreich als das vorhergehende, da es mir nicht um eine umfassende theoretische Besprechung des Antirassismus geht, sondern darum, eine Arbeitsdefinition zu entwickeln, die mit den Debatten und Problemen des Themenbereichs vor dem historischen Hintergrund antirassistischer Kämpfe informiert ist. Dies soll politische Positionen des Antirassismus aufzeigen, was wiederum dabei hilft, die in den Interviews angesprochenen antirassistischen Verortungen und Praktiken zu kontextualisieren und zu theoretisieren. Im nächsten Schritt erörtere ich eine kleine und eine große Definition von Antirassismus. Sie dienen einer ersten Gegenstandsbestimmung. Die Minimaldefinition soll die Auswahl meiner Probanden begründen und ein breites Grundverständnis von Antirassismus vorstellen. Die Maximaldefinition wird dann skizzenhaft zeigen, was Antirassismus historisch konkret bedeutet und wie Antirassismus in der Wissenschaft debattiert und problematisiert wird. Damit möchte ich gleichermaßen Theorie und Praxis des Antirassismus verbinden: »Insofern ist der Widerstand in der Theorie auf die Kommunikation in der Praxis angewiesen.« (Bojadžijev 2002a: 272) Es soll neben der Aufarbeitung der Debatten und Theorien explizit gezeigt werden, welche konkreten politischen Positionen von Aktivist*innen in historischen antirassistischen Praktiken erzeugt wurden, wie diese in Bezug zu Rassismen stehen und welche Machtverhältnisse in diesen Räumen gewirkt haben und fortwirken. Aus dieser Erör-

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terung verdichte ich im abschließenden Unterkapitel »Rassismuskritik und politischer Antirassismus« die gewonnenen Erkenntnisse zur zweiten theoretischen Grundlage für die empirische Studie.

Begriffliche Grundlagen Die Minimaldefinition von Antirassismus entnehme ich dem Werk von Alastair Bonnett. Sie umreißt einerseits tatsächlich das Verständnis vieler antirassistischer oder rassismuskritischer Initiativen und zeigt andererseits bereits zentrale Probleme auf: A minimal definition of anti-racism is that it refers to those forms of thought and/or practice that seeks to confront, eradicate and/or ameliorate racism. Anti-racism implies the ability to identify a phenomenon – racism – and to do something about It. Of course, different forms of anti-racism often operate with different definitions of what racism is. (Bonnett 2000: 4) Antirassismus kann also erstens definiert werden als Diskurse und Praktiken, die Rassismen kritisieren, bekämpfen und beseitigen wollen – Antirassismus ist deshalb zuerst eine Gegen-Position (sowohl auf der Diskurs- als auch auf der Subjektebene) und potenziell ein gegenhegemonialer1 Diskurs. Zweitens beinhaltet Antirassismus auch stets analytische, deskriptive und normative Ebenen: Wann ist etwas warum rassistisch und wie kann dagegen vorgegangen werden? Die beiden sehr groben Bestandteile des Antirassismus beinhalten bereits eine Menge an möglichen Problemen, die sich für Initiativen meist anhand folgender Themenfelder artikulieren: Wie wollen wir antirassistisch sein? Wer soll antirassistisch sein? Was ist Rassismus und was nicht? Wo kämpfen wir gegen Rassismen? Was bedeutet es eigentlich, antirassistisch zu sein? Für diese Studie ist die Minimaldefinition von Antirassismus dort ausreichend, wo es um die Selbstbezeichnung meiner Interviewpartner geht. Tatsächlich definieren sich alle zehn Interviewten grob als Antirassisten, indem sie im Zuge ihrer Vereinstätigkeit eine Gegen-Position zu Rassismus einnehmen, Rassismen gleichzeitig analysieren und kritisieren. Die Anwendung der Minimaldefinition im Zuge der Auswahl meiner Probanden hat den Vorteil, dass ich eine relative Heterogenität meines Samples erwarten kann. Tatsächlich sind die zehn Aktivisten in fünf unterschiedlichen Initiativen aktiv. Im Geiste dieser Minimaldefinition habe ich sowohl Gruppierungen als antirassistische Vereine akzeptiert, die im Vereinsregister stehen, als auch unabhängig davon aktive Kollektive. Es sind dezidiert antirassistische Vereine vertreten und solche, die Antirassismus als einen wichtigen Teil ihrer Arbeit betrachten. Ich weiche allerdings dort von der Minimaldefinition ab, wo es um die historischen und theoretischen Formen des Antirassismus geht. Hier interessiere ich mich für den größten gemeinsamen Nenner und definiere Antirassismus maximal als Ensemble aus

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Im Falle von staatlicher Antirassismuspolitik kann mit Catherine Lloyd davon gesprochen werden, dass diese Form des Antirassismus durchaus Teil der kulturellen Hegemonie, der Dominanzkultur sein kann und damit indirekt zum Weiterbestehen rassistischer Verhältnisse beiträgt (vgl. Lloyd 1998: 4).

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historischen Diskursen, Praktiken, Debatten und Akteur*innen, die sich aktiv und konkret zu verschiedenen Zeiten gegen verschiedene Formen des Rassismus gestellt haben. Diese Maximaldefinition des Antirassismus, die wiederum durch die Beleuchtung von Geschichten des Antirassismus im deutschsprachigen Raum beschränkt ist, wird in den nächsten Unterpunkten erarbeitet.

Geschichten des Antirassismus im deutschsprachigen Raum Im Zuge dieser kurzen Historisierung des Antirassismus im deutschsprachigen Raum werde ich verschiedene antirassistische Geschichten erzählen, die zu unterschiedlichen Zeiten und in Bezug auf unterschiedliche Rassismen stattgefunden haben. Diese Geschichten sind, so behaupte ich, zentral für das Verständnis von Antirassismus (in Österreich) – weil sie in ihren Ideen, Praktiken, Diskursen, Problemen, in ihrer persönlichen Vorbildwirkung mögliche politische Positionen und antirassistische Praktiken anbieten, auf die Aktivist*innen im hiesigen Raum der postmigrantischen Gesellschaft zurückgreifen (können). Gleichzeitig sind viele dieser Geschichten dadurch geprägt, dass sie zum Teil nur randständige Positionen im dominanzgesellschaftlichen Archiv einnehmen (vgl. Bojadžijev 2002a: 271; Hoeder 2020) und unsichtbar gemacht werden. Ciani-Sophia Hoeder bringt das Problem in Bezug auf die Tradition des Antirassismus aus einer Schwarzen deutschen Perspektive auf den Punkt, wenn sie schreibt: »Nur weiße Menschen können deutsch sein. Somit wird Schwarze Geschichte bis heute nicht als deutsche Geschichte wahrgenommen« (Hoeder 2020). Die erzählten Geschichten des Antirassismus sollen auf diese langen Kämpfe von Schwarzen Menschen, People of Color, Jüdinnen und Juden und Migrant*innen gegen Rassismus aufmerksam machen, dominanzgesellschaftliche sowie alliierte Positionierungen sichtbar machen und damit in einer historischen Maximaldefinition darlegen, was unter Antirassismus empirisch verstanden werden kann. Die folgenden Kategorien wie »migrantischer Antirassismus«, »studentisch-linker Antirassismus«, »NGO-Antirassismus« und »selbstorganisierter und bündnisorientierter Antirassismus« sind keine Identitätskategorien. Der linke Aktivismus war immer schon in Teilen migrantisch, in Selbstorganisationen arbeiten in Bereichen auch weißdominanzgesellschaftlich positionierte Personen mit, genauso wie diese Organisationen in Teilen migrantisch und in anderen nichtmigrantisch sind. Es werden immer wieder Bewegungen und Akteur*innen vorkommen, die mehrfach verortet werden können. In allen Organisationen haben sich Menschen mit Migrations- und Rassismuserfahrungen wie auch Menschen ohne Migrationsgeschichte und ohne negative Rassismuserfahrungen beteiligt. Alle beschriebenen Organisationen sind durch innere Heterogenität geprägt. Es geht mir hierbei darum, auf Machtverhältnisse aufmerksam zu machen: darauf, wer das Sagen hat, wer die zentralen Positionen besetzt, Richtungsentscheidungen trifft, Inhalte und Praktiken vorgibt und in der ersten Reihe steht. Die Kategorien sind deshalb primär an Selbstbezeichnungen angelehnt und zeigen damit auch Verschiebungen von antirassistischen Perspektiven – etwa von einer dezitiert studentisch-linken Perspektive zu so bezeichneten migrantischen Perspektiven über NGO-Antirassismus zu einer bewusst gewählten Bezeichnung als Selbstorganisation.

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In der folgenden Darstellung werde ich mich auf den deutschsprachigen Raum und hier vor allem auf Österreich und Deutschland konzentrieren. Der Fokus erklärt sich aus dem Untersuchungsfeld Österreich, aus der Tatsache, dass der Diskurs in Deutschland Österreich sehr stark prägt – im Vergleich etwa zu der Schweiz und Liechtenstein –, und aus dem Umstand, dass einige Probanden in beiden Kontexten mehrheimisch sind. Es handelt sich dabei um eine Auswahl, die gemäß der Forschungsarbeit und in Anbetracht des zur Verfügung stehenden Rahmens getroffen wurde. Die Darstellung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern soll auf die lange Tradition des Antirassismus, die unterschiedlichen Formen der Organisierung und ihrer Mitglieder, auf verschiedene Strategien in Bezug auf die unterschiedlichen Rassismen differenter Zeiten aufmerksam machen. Gleichzeitig werden die Impulse von außen, etwa der afro-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, dort sichtbar gemacht, wo sie Signifikanz aufweisen. Im Folgenden wird also keine vollständige Geschichte des Antirassismus im deutschsprachigen Raum erzählt, sondern es werden wichtige Meilensteine in Form von Geschichtssplittern (vgl. Ha et al. 2016) aufgezeigt.

Die ersten antirassistischen Kämpfe Die Geschichten des Antirassismus gehen mit den Geschichten der Rassismen einher2 und so muss davon ausgegangen werden, dass bereits die frühesten protorassistischen Ordnungen, wie etwa der Antijudaismus oder die ersten Formen des Antiziganismus, aktiv bekämpft wurden. Eine der frühen antirassistischen Aktivistinnen, deren Kämpfe in das Archiv der österreichischen Geschichtsschreibung eingeschrieben wurde,3 war die Schwarze Österreicherin Josefine Soliman. Sie war die Tochter von Angelo Soliman, der aus dem heutigen Nigeria verschleppt und an den österreichischen Königshof verkauft wurde, und der weißen Fürstentochter Magdalena Christiani. Angelo Soliman war unter anderem Freimaurer und Prinzenerzieher und wurde als »Kaiserlicher M***« vorgeführt. Araba Evelyn Johnston-Arthur schreibt über die soziale Position und Rolle von versklavten Afrikaner*innen wie Angelo Soliman an europäischen Königshöfen wie folgt: Unsere Vorfahr/-innen wurden als ›Luxusware‹ gehandelt, großzügig ›verschenkt‹, im Kindesalter auf den Status von ›Spielzeugen‹ reduziert, als Spielkamerad/-innen für die Kinder der Wiener Adeligen herangezogen und als ›kleine Diener und Dienerinnen‹ zum Servieren eingesetzt. Sie wurden getauft und ihrer Namen beraubt, erhielten christliche Namen und mussten sich bei Hof in exotisierender Dienstkleidung uni-

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Stuart Hall hat darauf hingewiesen, dass Antirassismus sich nicht automatisch als Gegenreaktionen aus rassistischen Verhältnissen speist. Genauso wie es kein Automatismus ist, dass jemand aufgrund negativer Erfahrungen mit Rassismen unbedingt Antirassist*in wird. Antirassismus gibt es nur »soweit er politisch hergestellt wird« (Hall 1989a: 915). Manuela Bojadžijev und Vassilis Tsianos warnen davor, antirassistische Kämpfe lediglich als Reaktion oder Reflex auf Rassismen zu betrachten: »Die Kämpfe von Migrantinnen und Migranten wären dann nicht allein als Reaktion auf die verschiedenen staatlichen und gesellschaftlichen rassistischen Praxen zu lesen, sie entwickeln vielmehr eine davon unabhängige Dynamik.« (Bojadžijev & Tsianos 1999) Hier ist vor allem die 2005 in Wien gegründete Recherchegruppe zu Schwarzer österreichischer Geschichte eine wichtige Akteurin (vgl. Unterweger 2016).

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formieren. Schwarze Bedienstete galten im Zuge der aristokratischen Hofhaltungen Wiens als repräsentativ und stellten keine Ausnahme dar. (Johnston-Arthur 2016: 425) Als Soliman 1796 starb, wurde seine Haut präpariert, er wurde im Kaiserlichen Naturalienkabinett als »Wilder« ausgestellt und es wurde eine Totenmaske von seinem Gesicht hergestellt. Die rassistische Schändung des Leichnams von Soliman führte seine Tochter Josefine zu einer der ersten aufgezeichneten antirassistischen Aktionen: »Sie hat nach seinem Tod, als er ausgestopft und ausgestellt worden ist, einen Beschwerdebrief geschrieben für ein würdiges Begräbnis.« (Der Standard 2006; vgl. dazu auch Johnston-Arthur 2009) Das Jahr 1848 war ein weiterer Meilenstein in der Geschichte des Antirassismus im deutschsprachigen Raum, da hier die Kämpfe gegen den Antisemitismus im Raum des heutigen Österreich besonders große Öffentlichkeit erreichten, auch weil sie im Zuge der Revolution von 1848 artikuliert wurden (vgl. Bratić 2002b: 122). Österreichische Jüdinnen und Juden waren auf allen Ebenen der Revolution beteiligt und arbeiteten an Petitionen um Gleichberechtigung mit. (Vgl. ebd.: 123) Ljubomir Bratić sieht in diesen antirassistischen Aktivist*innen die Pionier*innen des Antirassismus in Österreich: Die langen Kämpfe der JüdInnen um Gleichheit in Österreich-Ungarn hatten sicherlich auch einen Einfluss auf die späteren antirassistischen Kämpfe in Österreich. (Ebd.) Im heutigen Raum Deutschland begannen die ersten organisierten antisemitismuskritischen Kämpfe mit der Gründung zweier wichtiger Vereine ab den 1890er Jahren: dem Verein zur Abwehr des Antisemitismus und dem Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (vgl. Stender 2017). Der Verein zur Abwehr des Antisemitismus wurde aus dem liberalen Bürgertum von christlichen und jüdischen Deutschen gegründet und bestand aus bis zu 20 000 Mitgliedern. Der Verein publizierte sowohl über antisemitische Vorfälle als auch generell in Richtung antisemitismuskritischer Bildungsarbeit. (Vgl. Leicht 2015) In Österreich wurde wenige Zeit später ein gleichnamiger Verein gegründet. Dieser muss aus heutiger Sicht als ein Beispiel für die Probleme eines paternalistischen und dominanzgesellschaftlich geprägten Vereins angesehen werden. Es waren nur sehr wenige Jüdinnen und Juden im Verein selbst vertreten und keine davon in führenden Positionen. Die Gründe dafür waren einerseits im Antisemitismus innerhalb des Vereines zu suchen und andererseits in einer unterwürfigen Reaktion auf den mächtigen Antisemitismus der Zeit, indem jüdische Mitglieder im Verein quasi versteckt wurden. (Vgl. Kornberg 1995: 155) Der Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens war ein Selbstvertretungsverein nach dem Prinzip der Selbsthilfe, der sich der rechtlichen Gleichstellung von Jüdinnen und Juden in Deutschland verschrieben hat, gegen den damals sehr dominanten Antisemitismus kämpfte, eine deutschnationale Gesinnung vertrat und bis zu 60 000 Mitglieder vorweisen konnte. (Vgl. Barkai 2002) In Österreich war die Österreichisch-Israelitische Union eine politische Organisation zur Vertretung der jüdischen Interessen in Österreich, die auch zur Bekämpfung des erstarkenden Antisemitismus gegründet

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wurde (vgl. Wistrich 1999: 257ff). In diese Zeit fällt auch die Gründung des antisemitismuskritischen Zionistenkongresses um Theodor Herzl. Der antirassistische Widerstand der Schwarzen deutschen Bewegung hat während des Kolonialismus einen ersten Höhepunkt erreicht (vgl. Kelly 2021b). Die ersten in größerer Zahl stattfindenden Einreisen von Afrikaner*innen in den deutschsprachigen Raum4 passierten nach der Errichtung der deutschen Kolonien ab 1884 (vgl. Oguntoye 2004). Deutschland hatte in den Kolonien einen großen Bedarf an einheimischen Arbeitskräften und holte so viele »junge Afrikanerinnen und Afrikaner zum Zweck der Ausbildung nach Deutschland« (ebd.). Viele von ihnen blieben zeit ihres Lebens in Deutschland und gründeten hier Familien. Katharina Oguntoye hat herausgearbeitet, dass viele Afrikaner*innen in den letzten Jahren des deutschen Kolonialismus antirassistisch und antikolonial tätig waren: In zahlreichen Petitionen und Eingaben […] wendeten sie sich an den deutschen Reichstag und versuchten mit Hilfe deutscher Unterstützer die deutsche Öffentlichkeit über die Zustände in den Kolonien zu informieren. Zu den zahlreichen politischen Aktivitäten der Afrikaner gehörte die Gründung einer zweisprachigen Zeitschrift, die in Deutsch und Duala erscheinen sollte und den Titel ›Elolombe ya Kamerun‹ (Sonne von Kamerun) trug. (Oguntoye 2004) Im Jahre 1918, also zeitlich um das Ende der deutschen Kolonien, gründeten Victor Bell und Josef Bilé den Afrikanischen Hilfsverein, der eine Anlaufstelle für Afrikaner*innen in der Weimarer Republik sein sollte. »Obwohl es sich um eine explizit unpolitische Organisation handelte, war sie dennoch eine Grundlage für den späteren Schwarzen Aktivismus.« (Koepsell & Aitken 2022) Im Jahre 1919, also nachdem Deutschland seine Kolonien abtreten musste und viele Schwarze Deutsche aus den ehemaligen Kolonien nach Deutschland kamen (vgl. Oguntoye 2004), erarbeitete Martin Dibobe, der 1896 im Rahmen der Kolonialausstellung von Kamerun nach Berlin migriert war, mit der Dibobe-Petition eines der ersten antirassistischen Dokumente, das sich gegen rassistische Zustände in Deutschland selbst richtete. Ciani-Sophia Hoeder zitiert aus seinem aktuell klingenden Dokument: Wir verlangen, da wir Deutsche sind, eine Gleichstellung mit denselben, denn im öffentlichen Verkehr werden wir stets als Ausländer bezeichnet. Dieses muß von der jetzigen Regierung durch öffentliche Bekanntmachung beseitigt werden. (Hoeder 2020) Dibobes Enkelsohn ist der mittlerweile verstorbene Journalist und Schauspieler Theodor Wonja Michael. Er hat in seiner Autobiographie die über viele Generationen andauern-

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Das Black Central European Studies Network (BCESN) hat es sich zur Aufgabe gemacht, Schwarze Geschichte in Mitteleuropa zu erforschen und sichtbar zu machen. Das Netzwerk spricht davon, dass seit mindestens 1 000 Jahren Schwarze Menschen Teil der mitteleuropäischen Gesellschaften sind (vgl. Black Central Europe). Noah Sow gibt historische Arbeiten wieder, die davon sprechen, dass die Geschichte von Afro-Europäern mindestens 2 000 Jahre zurückreicht, weil im Römischen Reich wie auch im frühen Christentum Afrikaner hohe Positionen innehatten (vgl. Sow 2009: 100f).

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de Präsenz5 Schwarzer Menschen in Deutschland aufgezeigt und zugleich von seinen Rassismuserfahrungen während der Zeit des Nationalsozialismus und in der postnationalsozialistischen Gesellschaft Deutschlands berichtet (vgl. Michael 2013). Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts gewannen auch abolutionistische Bewegungen an Einfluss. Sie waren weiß-dominanzgesellschaftlich geprägt, religiös ausgerichtet und teilten sich etwa in Deutschland in den Evangelischen Afrikaverein und den Afrikaverein deutscher Katholiken. Beide Vereine wurden in den 1880er Jahren gegründet. Sie kämpften zwar gegen die Sklaverei, waren aber im Zuge ihrer Missionierungen in Afrika ein wichtiger Teil des deutschen Kolonialismus und klar rassistisch ausgerichtet. (Vgl. von Abendroth 2008) Um Gleichberechtigung bemühten sich auch tschechische und slowakische Migrant*Innen im deutschnational dominierten »Vielvölkerstaat« Österreich, die Anfang des 20. Jahrhunderts fast 25 Prozent der Wiener Bevölkerung ausmachten. Viele dafür gegründete Vereine und auch Medien führten die Kämpfe um Minderheitenrechte (vgl. Bratić 2002b: 123). In Bezug auf antirassistische Kämpfe gegen anti-Asiatischen Rassismus macht Kien Nghi Ha darauf aufmerksam, dass urkundlich seit 1820 Chines*innen in Deutschland leben. Die soziale Position der eingewanderten Chines*innen war von Beginn an durch ein koloniales Verhältnis geprägt. So wurden die ersten in Berlin lebenden Chines*innen im Stile der rassistischen Tradition der Völkerschau öffentlich »zur Schau gestellt« (Ha 2016b: 171). Chinesische Student*innen waren in den 1920er Jahren in Berlin Teil von antirassistischen Aktionen, etwa gegen den Kolonialfilm Die Herrin der Welt (vgl. ebd.: 173). Die Gründung der sogenannten Liga zur Verteidigung der N****rasse in Deutschland im Jahre 1929 war ein zentraler Moment des Antirassismus und Antikolonialismus im deutschsprachigen Raum. Die Organisation war internationalistisch ausgerichtet und wollte »zwischen afrikanischen, afrodeutschen und Schwarzen Aktivisten aus den Amerikas« (al-Samarai 2016: 400) Verbindungen herstellen. Joseph Ekwe Bilé kann mit Robbie Aitken als einer »der schärfsten Kritiker des deutschen Imperialismus und Rassismus« der damaligen Zeit bezeichnet werden (Aitken 2020). Eine weitere wichtige Episode des frühen Antirassismus im heutigen Raum Deutschland ist der 1930 vom Soziologen und Publizisten George Padmore aus Trinidad organisierte Kongress für Schwarze Arbeiter in Hamburg. Im Kongress wurden »universelle Arbeiterrechte, die volle Unabhängigkeit aller Kolonien und das Selbstbestimmungsrecht aller Nationen« (Florvil 2020) eingefordert. Padmore, der sich auch in Wien eine längere Zeit aufhielt, war Herausgeber der antirassistischen und antikapitalistischen Zeitschrift The Negro Worker (vgl. al-Samarai 2016: 400) und wurde gleich nach der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 abgeschoben (vgl. ebd.). Neben diesen Pionier*innen der Antirassismusarbeit, zu denen auch trotz präkerer Bedingungen viele Frauen zählten, wurde auch innerhalb der Parteienlandschaft Europas über die Rechtmäßigkeit von Kolonialismus, Rassismus und weiterer Unterdrückungssystemen debattiert. Einige dieser Debatten können als frühe dominanzgesell5

Katharina Oguntoye (2020a) hat mit ihrem Buch Schwarze Wurzeln: Afro-deutsche Familiengeschichten von 1884 bis 1950 einen weiteren grundlegenden Beitrag zur Aufarbeitung von afrodeutscher Geschichte geliefert.

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schaftlich geprägte antirassistische Interventionen gelesen werden. Hier haben sich vor allem kommunistische und sozialistische Bewegungen hervorgetan. So wurde etwa 1929 auf dem Berliner Alexanderplatz eine antinationalistische und antikoloniale Demonstration abgehalten (Aitken 2020). Bilé trat dort als Redner auf. Die Kommunistische Internationale (Komintern) und ihre österreichische und deutsche Vertretung spielten seit ihrer Gründung 1919 in Moskau eine wichtige Rolle in antikolonialen und antirassistischen Kämpfen. Die Kommunistische Internationale gab sich selbst das Ziel vor, »gegen jegliche Unterdrückung der Kolonialvölker« einstehen zu wollen (vgl. Swagler 2019). Auch die sozialdemokratischen Bewegungen in Deutschland und Österreich besetzten offiziell antisemitismuskritische Positionen, wenngleich in einer ähnlichen Tradition wie die liberale Antwort auf Antisemitismus (vgl. Verein zur Abwehr des Antisemitismus), die durch eine gewisse Normalität von antisemitischen Positionen gekennzeichnet war (vgl. Fischer 2007). Anton Pelinka hat für den Kontext Österreich herausgearbeitet, dass die frühe Sozialdemokratie Antisemitismus als »unter Umständen nützlich« ansah (Pelinka 1992: 544). Die antisemitische Legende vom jüdisch gesteuerten Kapitalismus sollte beim gesellschaftlichen Umsturz helfen. Dieser interne Antisemitismus hatte Auswirkungen auf jüdisch-österreichische Sozialdemokrat*innen: Die relativ große Zahl führender Sozialdemokraten jüdischer Herkunft wurde als mögliche Bedrohung für die Partei gesehen – sie sollte nur ja den Eindruck vermeiden, eine ›Judenschutztruppe‹ zu sein. (Ebd.) In der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft ab 1933 in Deutschland und 1938 in Österreich wurden alle Parteien, Initiativen und Organisationen, die sich antirassistischen Ideen gewidmet hatten, verboten, ihre Mitglieder abgeschoben, vertrieben, in Konzentrationslager oder Gefängnisse gesperrt und ermordet. Der häufig von extremen Gefahren begleitete antifaschistische Widerstand gegen das NS-Regime war nicht in jedem Falle antirassistisch motiviert, so gab es katholische, kommunistische, monarchistische, konservative, sozialdemokratische Gruppen, die partiell antirassistisch ausgerichtet waren (vgl. Benz & Pehle 1994). Der jüdische Widerstand im Nationalsozialismus, wie etwa der »Pionier Kreis« (Chug Chaluzi), arbeitete unter größter Lebensgefahr an Fluchtwegen ins Ausland (vgl. Kroh 1988). In der Liste der Gerechten unter den Völkern finden sich die Namen jener Österreicher*innen und Deutschen, die Jüdinnen und Juden vor der Verfolgung und Vernichtung durch das Nationalsozialistische Regime halfen (vgl. Fraenkel und Borut 2005). Sie alle haben unter den widrigsten Umständen Antirassismus am Leben erhalten.

Migrantischer Antirassismus Die ersten, auch antirassistisch ausgerichteten Vereine der Zweiten Republik in Österreich entstanden in der Tradition der Migrant*innenvereine aus der Zeit der Monarchie und der Ersten Republik. Sie wurden bereits zu Beginn der 1960er Jahre gegründet und hatten vornehmlich die Form von Sport- und Kulturvereinen – häufig entlang der nationalen und/oder ethnischen Selbstverortung ihrer Mitglieder. (Vgl. Bratić 2002b: 128f) Wenn Teile dieser Organisationen als antirassistische Vereine bezeichnet werden, ge-

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schieht dies im Geiste einer Perspektive der »Kämpfe der Migration« (vgl. Bojadžijev 2012). Freilich ist die Heterogenität der Vereine riesig, und nationalistisch und rassistisch ausgerichtete Gruppierungen existierten und existieren genauso. Ljubomir Bratić unterscheidet in »Defensiv-Organisationen«, die sich eher nach innen gerichteten Anliegen wie Sprache und Kultur widmen, und »partizipationsorientierte Formen von Selbstorganisationen«, die sich einem Zuwachs an sozialer und politischer Teilhabe verschrieben haben (vgl. Bratić 2010: 74). Ich konzentriere mich hier auf den zweiten Typus. Im Fokus dieser Perspektive steht die Sichtbarmachung der langen Tradition der selbstorganisierten, kreativen und machtvollen Kämpfe gegen die prekäre und zum Teil durch Rassismen und Nationalismen hergestellte marginalisierte Position als Migrant*in. Die juristische Kategorisierung und Objektivierung durch das Ausländergesetz bestimmt die soziale Position von Migrantinnen und Migranten und damit auch die Bedingungen ihres Widerstands bis heute mit. (Bojadžijev & Tsianos 1999) Menschen, die sich in migrantische Selbstorganisationen eingebracht haben, taten dies zumeist aus einer prekären rechtlichen und sozialen Position heraus. Ihr Widerstand war und ist mit großen Risiken verbunden und oft grundlegend für eigene Lebens- und Überlebenschancen. Diese aktivistische Tradition und ihre Kämpfe haben, auch wenn nicht immer dezidiert antirassisch ausgerichtet, wichtige antirassistische Impulse ausgelöst: Die von MigrantInnen in hohem Maße getragenen Betriebsstreiks in den sechziger, siebziger und achtziger Jahren sind Beispiele dafür, dass es sich um andere Formen sozialer Kämpfe handeln kann, die allerdings den Widerstand gegen den Rassismus implizieren, der sich etwa in »Arbeitskämpfen« artikuliert. (Bojadžijev 2002b: 19f) Im Juli 1972 demonstrierten etwa hauptsächliche türkische Arbeiter*innen in Frankfurt a.M. unter dem Motto »Wir sind keine Sklaven« (vgl. Bojadžijev 2012: 130). Sie kämpften gegen ihren teilweise prekären Status und für die rechtliche Gleichstellung mit ihren deutschen Kolleg*innen. Das gleiche Anliegen kennzeichnete den relativ berühmt gewordenen, damals medial abschätzig als »Türkenstreik« bezeichneten großen Streik in den Ford-Werken Köln-Niehl 1973. An dem Streik waren über 10 000 Menschen beteiligt und es schlossen sich auch deutsche Kolleg*innen an (vgl. Bojadžijev 2002a: 274 und der sehenswerte Film des WDR Diese spontane Arbeitsniederlegung war nicht geplant). In einer beispiellosen Kampagne gelang es der Unternehmensführung mit medialer Unterstützung, die Streikenden als »fremde Kräfte« und den Streik als »Türken-Terror« zu verunglimpfen. Damit wurden Teile der Streikenden ethnisiert und rassifiziert, ihre Anliegen delegitimiert und viele verbündete deutsche Arbeiter*innen abgeworben. Die Werksleitung reagierte mit Massenkündigungen, ohne dass der Betriebsrat in irgendeiner Weise eingriff. (Vgl. Bojadžijev 2012: 274f) Der Kritik an Diskriminierung und Rassismus von Migrant*innen im Bereich der Arbeitswelt hat sich in den 1970er Jahren in Deutschland zum Beispiel auch das Spanische Zentrum verschrieben. Die Organisation sah sich als Interessensvertretung von »ausländischen Arbeitern« (Bojadžijev 2012.: 276). Außerdem haben sich Organisationen gegründet, die auch in anderen Bereichen Diskriminierungen gegen Migrant*innen an-

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prangerten, etwa in Bezug auf die Wohnsituation oder soziale Leistungen wie das Kindergeld. Die selbstorganisierten Kämpfe der Migrantinnen und Migranten gegen die rassistischen Arbeits- und Lebensverhältnisse in Deutschland verknüpfen rechtliche, politische und ökonomische Aspekte von Unterdrückung und Ausbeutung. Sie öffneten die enge Perspektive der Betriebskämpfe für die Lebensverhältnisse der Migration unter rassistischen Bedingungen, wobei unter anderem die Einbeziehung der Wohnsituation, von Sprache und Kultur auch die Bedeutung des Alltags für den Widerstand reflektierte. (Bojadžijev 2002a: 277) Im Zuge der Kämpfe der Migration wurde auch in verschiedener Weise auf die intersektionale Vulnerabilität spezifischer Gruppen aufmerksam gemacht. So haben etwa Jugendliche mit Migrationsgeschichte auf ihre prekäre Situation in Bezug auf die Aufenthaltsgenehmigung – mit der wiederum Arbeits- und Wohnmöglichkeiten verbunden waren – hingewiesen und diese bekämpft (vgl. Bojadžijev 2012: 142). Ein weiteres Beispiel ist die Koreanische Frauengruppe, die sich 1976 anlässlich des Internationalen Jahres der Frau gegründet hatte und sich gegen einen prekären Aufenthaltsstatus, die gesellschaftliche Rolle als Arbeitsware und für ein Bleiberecht aussprach (vgl. ebd.). Diese frühen antirassistischen Kämpfe wurden erst in den letzten zwei Jahrzehnten angemessen reflektiert (Bratić 2002a; Bojadžijev 2002a+b, 2012). Sie waren bis dahin im Sinne einer dominanzgesellschaftlichen Geschichtsschreibung systematisch übersehen worden – ein Übersehen, das in engem Zusammenhang zur symbolischen Ordnung des Rassismus zu betrachten ist. Die Selbstorganisation ist eine der möglichen und von MigrantInnen verwirklichte Strategie, die eigene Macht zu vergrößern. Das Ziel jeder Selbstorganisation der Individuen ist die Vergrößerung ihrer politischen Handlungspotenziale. Insofern können wir die Selbstorganisation der MigrantInnen als deren politischer Bestandteil im Rahmen der sozialen Kämpfe im jeweiligen Nationalstaat begreifen. (Bratić 2010: 72) Migrantische Selbstorganisationen sind wichtige politische Akteurinnen und haben soziale wie politische Implikationen auf mehreren Ebenen: »stärkende Erhaltung des Selbst der Subjekte, Autonomie des Kollektivs und Überschreitung des normativ Vorgegebenen« (Krondorfer 2006: 5). Ljubomir Bratić hat auf eine wichtige Ambivalenz der migrantischen Selbstorganisationen des beschriebenen staatlich subventionierten frühen Typs in Bezug auf Antirassismus aufmerksam gemacht: Wenn sie dauerhafte Organisationsstrukturen aufbauen wollen, geht das nur in Koalition mit den Machtzentren der Aufnahmegesellschaft […]. Diese Koalitionen entstehen nur aufgrund der Tatsache, dass die Interessen der den Rassismus unterstützenden Machtzentren nicht hinterfragt werden. Da das Interesse aller machtrelevanten Parteien und Interessensvertretungen in Österreich die Erhaltung der nationalstaatlichen Hegemonie über die MigrantInnen ist, werden seitens dieser Organisationen nur

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solche Verträge eingegangen, die den herrschenden Systemrassismus nicht in Frage stellen, sondern den ethnisch strukturierten, migrantischen Selbstorganisationen einen Spielraum innerhalb des moralischen Antirassismus und der Identitätspolitik erlauben. (Bratić 2002b: 131) Ab den 1980er Jahren entstanden mit den Beratungsstellen für Migrantinnen und Migranten neue Vereinsstrukturen, die vor allem die Vermittlung in den Arbeitsmarkt anboten und meist staatlich subventioniert wurden. Beispiele dafür wären etwa das Beratungszentrum für Migranten und Migrantinnen (früher Verein zur Betreuung von AusländerInnen) in Wien und das Zentrum für MigrantInnen in Tirol (ZEMIT, früher Ausländerberatung). Manuela Bojadžijev und Vassilis Tsianos kritisierten diese Konstellation aus weißdominanzgesellschaftlich geprägten Vereinen als eine Mischung aus »Stellvertreterpolitik und selektiver ›Integration von Minderheitenaktivistinnen alias Vorzeige-Kanaken« (Bojadžijev & Tsianos 1999). Hier hat sich ein Machtverhältnis manifestiert, das auch in anderen aktivistischen Bereichen zu beobachten war und ist. Andreas Görg schreibt für den österreichischen Kontext sehr ähnliches: Allein der Legitimationsdruck, nicht stellvertretend für Diskriminierte zu sprechen, und der Innovationsdruck, d.h. die Notwendigkeit zur Erschließung neuer Themen, führt die etablierten NGOs zunächst dazu, einzelne Personen aus den politischen Initiativen und Selbstorganisationen der diskriminierten Gruppen an- bzw. abzuwerben, um sich solchermaßen Legitimität und Kompetenz einzuverleiben. Zumeist inkludiert diese Aneignung keinerlei gezielte Weitergabe von subventionsrelevantem Wissen, da die Abgeworbenen nicht in die Management-Positionen, sondern in die Positionen von BildnerInnen und BeraterInnen gestellt werden. Solchermaßen werden die Selbstorganisationen geschwächt. (Görg 2006: 51) Die Problemstellungen des hegemonialen NGO-Antirassismus werden zu einem späteren Zeitpunkt vertieft. Zunächst soll in die Traditionslinie des studentisch-linken Antirassismus eingeführt werden.

Studentisch-linker Antirassismus Der studentisch-linke Antirassismus organisierte sich primär über parteinahe studentische Vertretungsorganisationen, über studentische Selbstorganisationen und über autonome Gruppen, die sich vorwiegend aus Studierenden zusammengesetzt haben. Die meisten antirassistischen Aktionen aus dem linken politischen Spektrum in der BRD gingen vom Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) oder vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) aus. Sie haben im Anschluss an die Tradition der Kolonialismus- und Antisemitismuskritik der kommunistischen Bewegungen Anfang des 20. Jahrhunderts – vor allem der Kommunistischen Internationale – bereits in den 1950er Jahren auf die nationalsozialistischen und damit rassistischen Kontinuitäten der BRD hingewiesen. Als eine der ersten öffentlichen antirassistischen Aktionen im Nachkriegsdeutschland organisierte der SDS Demonstrationen in Westberlin und Hamburg gegen

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die Rehabilitierung des antisemitischen Jud Süß-Regisseurs Veit Harlan. (Vgl. Seibert 2008: 16) In der Zweiten Republik in Österreich hat sich besonders der SPÖ-Student*innenverband VSStÖ (Verband Sozialistischer Student_innen in Österreich) als Pionier des linken Antirassismus hervorgetan. Dessen Mitglieder bekämpften zunächst vor allem die Rehabilitierung von Nazis an Hochschulen. Die berühmteste Aktion war das Öffentlichmachen von Aussagen des antisemitischen Wiener Professors Taras Borodajkewycz. An der antisemitismuskritischen Aktion waren die zwei späteren hochrangigen SPÖ-Politiker Ferdinand Lacina und Heinz Fischer maßgeblich beteiligt. Anlässlich der großen Demonstrationen gegen Borodajkewycz und der politischen wie universitären Billigung seiner Person wurde der Widerstandskämpfer und ehemalige KZ-Häftling Ernst Kirchweger von einem rechten Burschenschafter erschlagen. Die antisemitismuskritischen Kämpfe führten schließlich zu einer Zwangspensionierung von Borodajkewycz, allerdings bei vollen Bezügen. (Vgl. Kropiunigg 2015) Die 1961 in Wien gegründete Pan-African Students Union in Austria (PASUA) kann als eine Pionierorganisation des links-studentischen Antirassismus in Österreich bezeichnet werden und war zugleich »eine der ersten Schwarzen Selbstorganisationen in Österreich« (Hacker 2022). Sie setzten sich für ein Wahlrecht ausländischer Studierender in der Österreichischen Höchschüler*innenschaft (ÖH) ein und thematisierten Rassismus öffentlich (ebd.). Die großen Demonstrationen gegen die Gründung der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD), die von Überlebenden der Shoa, Mitgliedern von linken Bewegungen und Studierenden angetrieben wurden, sind weitere linke Momente der antirassistischen Mobilisierungen der frühen 1960er Jahre in Deutschland (vgl. Seibert 2008: 17). Ab den 1960er Jahren solidarisierte sich der SDS mit antikolonialen Bewegungen weltweit. Einer der Impulsgeber dieser Zeit war Frantz Fanon, dessen Werk Die Verdammten dieser Erde in SDS-Kreisen diskutiert wurde (Seibert 2008: 22). Es waren vor allem Student*innenvereinigungen wie die Afrikanische Studenten-Union, der Afrikanische Studentenbund oder der Latein-Amerikanische Studentenbund, die sich unter anderem mit Antirassismus und Dekolonisierung auseinandersetzten. Dazu gab es Arbeitskreise, die sich mit Lateinamerika befassten, wie etwa der Arbeitskreis Neokolonialismus und Dritte Welt. (Vgl. Seibert 2008: 23) Wie schon in den 1920er Jahren anlässlich des Films Die Herrin der Welt und in den 1950er Jahren bei der drohenden Wiederaufführung des Filmes Jud-Süß, so wurde auch in den 1960er Jahren anlässlich des rassistischen Filmes Africa Addio demonstriert und über den rassistischen Inhalt informiert. Vermutlich angeschoben von afrikanischen Student*innen um den Afrikanischen Studentenbund wurde gemeinsam mit dem SDS und den Falken gegen die Vorführung des Filmes demonstriert. Die Aktivist*innen wiesen mit Flugzetteln vor und in den Kinos auf die rassistischen Inhalte und die »kolonialistische Ideologie« des Filmes hin. In Westberlin störte eine Gruppe von Aktivist*innen die Vorführung des Filmes und wurde schließlich von der Polizei gewaltsam vertrieben sowie später angeklagt. Im Zuge der öffentlichen Debatte solidarisierte sich etwa auch die Deutsch-Israelische Studiengruppe der FU Berlin. (Vgl. Seibert 2008: 37ff)

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Eine weitere antirassistische Aktion unter maßgeblicher Initiative des SDS waren die Proteste und schließlich der Sturz der Wissmann-Statue in Hamburg. Die Statue wurde anlässlich des Todes von Hermann von Wissmann, einem der Wegbereiter des deutschen Kolonialismus, 1909 in Hamburg aufgestellt. Ab 1961 wurde die Statue seitens des SDS kritisiert: Einerseits verherrliche sie den deutschen Kolonialismus und andererseits sei sie eine »Provokation« für Kommiliton*innen aus den betroffenen Ländern (vgl. Seibert 2008: 51f). 1967 und 1968 wurde die Statue in größeren Aktionen vom Sockel gestürzt. Nach dem zweiten Sturz wurde sie nicht mehr aufgestellt und ist heute musealisiert (vgl. Schütt 2019). Bereits seit den frühen 1960er Jahren gab es in Deutschland vereinzelt Solidaritätskundgebungen mit der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den USA. Ein Beispiel dafür ist das Jahr 1963, als es anlässlich des »Marschs auf Washington«6 zu einem Schweigemarsch zum US-Konsulat in Frankfurt von »100 amerikanischen, afrikanischen und deutschen Student/innen« (Seibert 2008: 100) kam. 1969 wurde das Solidaritätskomitee für die Black Panther Party gegründet. Unter dem Motto »Internationalismus und Antiimperialismus« ging es weniger konkret um die Anliegen der afroamerikanischen Bevölkerung in den USA als vielmehr um die Schwächung der USA durch die Eröffnung einer »zweiten Front im Kernland des Imperialismus« (Seibert 2008: 106). Auch anlässlich des Prozesses gegen Angela Davis formierten sich Solidaritätsdemonstrationen. Niels Seibert hat herausgearbeitet, dass die Solidaritätsbewegung für Angela Davis im Unterschied zum Solidaritätskomitee für die Black Panthers »eher liberal-bürgerrechtlich« ausgerichtet war (Seibert 2008: 119). Im Angela-Davis-Solidaritätskomitee versammelten sich Wissenschaftler*innen, Schriftsteller*innen, Schauspieler*innen und verschiedenste zivilgesellschaftliche Organisationen. Das Komitee war stärker feministisch sowie antirassistisch ausgerichtet – im Gegensatz etwa zum zum Black Panthers Komitee, dass eine stärker marxistische und antiimperialistische Ausrichtung vertrat (vgl. ebd.). Zur selben Zeit gab es innerhalb der in der BRD stationierten US-amerikanischen Soldat*innen (GIs) größere antirassistische Aktionen, die von afroamerikanischen Soldat*innen getragen wurden. Sie richteten sich gegen den Rassismus in den USA und im Militär sowie ihre Rolle in einem als imperialistisch wahrgenommenen Krieg in Vietnam. Der vom SDS organisierte Internationale Vietnamkongress 1968 war ein zentraler Moment der antiimperialistischen Bewegung im deutschsprachigen Raum und kann ebenfalls als Bestandteil antirassistischer Kämpfe gelesen werden. Ab den 1970er Jahren beteiligten sich besonders die Gewerkschaften in Teilen an den Streiks und Demonstrationen gegen schlechte Arbeits- und Wohnbedingungen von Zugewanderten und gegen die sogenannten »Ausländergesetze«. Viele dieser Aktionen wurden im Geiste eines Internationalismus artikuliert und so wurde eine Solidarität mit »ausländischen Genossen« verkündet und nicht die rassistischen Ausschlüsse im Innen thematisiert (vgl. Seibert 2008: 151). 6

Der »Marsch auf Washington« war eine der wichtigsten Momente der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Die Veranstaltung richtete sich gegen den strukturellen Rassismus und Martin Luther King Jr. hielt dort seine berühmte Rede: »I Have a Dream«.

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In Österreich taten sich der Kommunistische Bund Österreichs (KBÖ), die Marxistisch-Leninistische Studentenorganisation (MLS) und die Gruppe Revolutionäre Marxisten (GRM) als maßgebliche Akteur*innen des antirassistisch ausgerichteten Anti-Imperialismus hervor. Beide Gruppen wurden in den 1970er Jahren aus dem Umfeld linker Studierendenvertretungen gegründet. Der KBÖ organisierte sogenannte »Solidaritätsveranstaltungen« für Äthiopien, Afghanistan, Chile, Angola, Zaire und Zimbabwe (Svoboda 1998: 105). Die Marxistisch-Leninistische Studentenorganisation organisierte das »Simbabwe-Solidaritätsfest«, das Gelder für die Revolution in Simbabwe mobilisieren sollte, mit folgenden Worten: »Unterstützen wir das Volk von Zimbabwe beim entscheidenden Schlag gegen Rassismus, Kolonialismus und Imperialismus« (ebd.: 110). Der antiimperialistische Antirassismus der radikalen studentischen Linken der 1970er und auch 1980er Jahre war – vor allem nach dem Beginn der ersten Intifada 1987 (vgl. Edthofer 2017: 412) – häufig antisemitisch unterminiert und behauptete Israel neben den USA als »Aggressoren« (vgl. Svoboda 1998: 105). Julia Edthofer hat das antisemitische »Kolonialframing« und die Funktion des Narratives von Israel als »neo/koloniales Symbol« als gewichtigen und konstanten Teil der autonomen Linken in Österreich analysiert (Edthofer 2017). Martin Kloke hat für Deutschland herausgearbeitet, dass die BRD-Linke vor 1967 als pro-israelisch bezeichnet werden konnte und im Anschluss an den Sechs-Tage-Krieg 1967 eher pro-palästinensisch (vgl. Kloke 1994). Damit einher geht auch ein Wechsel in Bezug auf antirassistische Kämpfe, weg von antisemitismuskritischen Kämpfen hin zu Kämpfen, die antimuslimische und antiarabische Rassismen attackierten. Im Zuge dessen haben sich viele antirassistische Aktivist*innen der Linken für die PLO und ähnliche Bewegungen engagiert und dabei maßgeblich auf »sekundären Antisemitismus«7 zurückgegriffen (vgl. Edthofer 2017). Die 1980er Jahre markieren das Ende des internationalistischen, antikapitalistischen, antiimperialistischen Antirassismus der deutschen Linken. Mit den antirassistischen Kämpfen gegen die »Antiausländergesetze«, den »Einwanderungsstopps«, den massenhaften Abschiebungen wurden zunehmend Gruppen gegründet, die sich für das Recht auf Asyl, für Bleiberecht, für rechtliche Gleichstellung eingesetzt haben. Damit begannen neue Formen der antirassistischen Kämpfe, die unter anderem von den damals neu gegründeten NGOs bestritten wurden und werden.

NGO-Antirassismus Sabine Hess und Andreas Lindner unterscheiden in ihrer Studie Antirassistische Identitäten in Bewegung zwischen drei Strömungen des Antirassismus in Deutschland: humanistisch-liberal, linksradikal und feministisch (1997: 12). Die von ihnen als humanistischliberal bezeichnete Strömung werde ich hier als hegemonial und moralisch ausgerichteten NGO-Antirassismus bezeichnen: hegemonial, weil er weiß-dominanzgesellschaftlich geprägt war und häufig noch ist und weil die Vereine zum Teil staatlich unterstützt 7

Der »sekundäre Antisemitismus« arbeitet mit einer Opfer-Täter-Umkehr und dient häufig der Selbstentlastung von der NS-Vergangenheit und individueller wie kollektiver Verstrickungen. (Vgl. Bergmann 2010)

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wurden; und moralisch, weil er, in Anlehnung an die Kritiken von Bratić, Görg und Pühretmayer, die politische Komponente und politische Transformationen zugunsten einer normativ-moralischen Artikulation häufig vernachlässigt. Ab den 1970er Jahren wurden in Österreich erste dominanzgesellschaftlich artikulierte antirassistische Kampagnen veröffentlicht, die als Teil dieses hegemonialen, bürgerlich liberalen und moralischen Antirassismus beschrieben werden können. Eine der ersten antirassistischen Kampagnen einer solchen NGO in Österreich war das 1973 erschienene und heute legendäre Plakat I haaß Kolaric, du haaßt Kolaric, warum sogns’zu dir Tschusch? von der Agentur Lintas im Auftrag der Aktion Mitmensch der österreichischen Werbewirtschaft (vgl. Hemetek 2000). Die Kampagne ist im Geiste des Diskurses über das Wiener Telefonbuch zu betrachten, das auf die multisprachliche und migrantische Geschichte Wiens anspielt, was sich anhand der Nachnahmen zeigen solle. Mit der diskriminierenden und rassistischen Bezeichnung »Tschusch« wurden vor allem Arbeiter*innen mit Migrationsgeschichte aus dem ehemaligen Jugoslawien und der Türkei angerufen. Das Plakat versucht in einer für den moralischen Antirassismus typischen konstruktivistischen und universalistischen Herangehensweise, Differenzzuschreibungen zu hinterfragen und Gemeinsamkeiten zur unausgesprochenen Norm der »Mehrheitsgesellschaft« herzustellen. Sie ist deshalb typisch, weil die als Herr Kolaric dargestellte Person nicht selbst spricht und betont freundlich und harmlos dargestellt ist. Das Plakat ist einerseits ein Meilenstein, weil es als die erste öffentliche, breitenwirksame antirassistische Intervention aus einer dominanzgesellschaftlichen Initiative der Zweiten Republik gilt, gleichzeitig wurde hier andererseits die Subjektposition des hilfsbedürftigen Migranten reproduziert, die in vielen Diskursen bis heute fortwirkt: Tendenziell kommen rassistisch Diskriminierte in den Diskursen des moralischen Antirassismus nur in der Rolle von beschützenswerten und hilfsbedürftigen Opfern bzw. Objekten vor. Daraus resultiert eine paternalistische Entmündigung, die den rassistisch Diskriminierten die eigene politische Handlungsfähigkeit abspricht und ihr politisches Handeln verschweigt. (Pühretmayer 2002: 295) Für Deutschland nennen Hess und Lindner als Beispiel für eine Organisation dieser Strömung Vereine wie den 1986 gegründeten PRO ASYL. Hess und Lindner haben herausgearbeitet, dass zum Zeitpunkt ihrer Recherche (Mitte der 1990er Jahre) innerhalb der Organisation eine gewisse Skepsis gegenüber der Selbstpositionierung als antirassistisch vorherrschte, die vielen als »zu radikal« erschien (Hess & Lindner 1997: 14). Humanistisch-liberale Organisationen dieser Zeit zeigten auch eine gewisse Sorge davor, den Begriff »Rassismus« zu verwenden. Das kann einerseits historisch erklärt werden, als logisches Resultat des Rassismus-Tabus (vgl. Müller 1997: 361) im deutschsprachigen Raum, andererseits scheint sich hier aber auch ein typischer Charakterzug des hegemonialen und moralischen Antirassismus abzuzeichnen. In Österreich kann etwa die 1992 gegründete Organisation SOS Mitmensch als eine Form des hegemonialen und moralischen Antirassismus bezeichnet werden. SOS Mitmensch hatte sich 1993 anlässlich des nationalistischen und rassistischen Volksbegehrens der FPÖ »Österreich zuerst« und in Anlehnung an das französische Pendant SOS Racisme geründet. Die Organisation wurde von Künstler*innen wie André Heller und

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Willi Resetarits, Politikern wie Peter Pilz und religiösen Vertretern wie dem damaligen Caritas-Direktor Helmut Schüller gegründet (vgl. Akinyosoye 2017: 9). SOS Mitmensch hat sich gegen eine Selbstbezeichnung »SOS Rassismus« entschieden, weil sie das Wort »Rassismus« als »zu scharf« (Bachinger 2012: 11) empfand. Im Rückblick wird diese Entscheidung auch als Ausdruck eines Kompromisses der vielen an der Plattform beteiligten Akteur*innen gesehen. Sie muss allerdings auch vor dem bereits ausführlich beschriebenen Hintergrund des Rassismus-Tabus im deutschsprachigen Raum und der erst im Anfang befindlichen Rassismusforschung betrachtet werden. Rassismen als strukturelle Probleme der Gesellschaft zu benennen, würde auch bedeuten, diese Gesellschaft grundlegend politisch zu kritisieren. Dafür fehlte aber sowohl Pro Asyl wie auch SOS Mitmensch die Bereitschaft sowie die nötige politische Mehrheit. Die 1991 gegründete Initiative Minderheiten ist ein auch antirassistisch ausgerichteter Verein, der partiell unter die Kategorie NGO-Antirassismus subsumiert werden kann. Die Initiative Minderheiten vertritt allerdings stärker die politischen Positionierung als Vernetzungsorganisation für »minoritäre Allianzen« (Kogoj 2006: 47) und ist deshalb auch als Teil von selbstorganisiertem Antirassismus zu verstehen. In einem Rückblick positioniert sich die Initiative wie folgt: Gegründet von ›MehrheitsösterreicherInnen‹ gemeinsam mit AktivistInnen aus dem Volksgruppen-, MigrantInnen-, Lesben-, Schwulen- und Behindertenbereich verfolgte die Initiative Minderheiten von Anfang an die Strategie, minoritäre Allianzen zu schaffen. Die Initiative Minderheiten hatte nie den Anspruch, Vertretungsorganisation einer Minderheit zu sein und für diese zu sprechen, sondern als Plattform und Vernetzungsorganisation zu agieren. (Ebd.) Die Initiative Minderheiten sieht Antirassismus als einen Teil ihres Kampfes um eine gleichberechtigte und gleichwertige Gesellschaft an. Sie versteht sich auch als Plattform für Menschen, die aufgrund von »Merkmalen wie ethnischer, sozialer oder religiöser Zugehörigkeit, sexueller Orientierung oder Behinderung« gesellschaftlich benachteiligt werden (vgl. ebd.). Im Zuge der 1990er Jahre wurden weitere antirassistisch ausgerichtete dominanzgesellschaftlich geprägte Organisationen gegründet. Unter anderen ist in dieser Zeit eine neue Form von antirassistischen Organisationen entstanden, die bis heute einen dominanten Charakter aufweisen. Mit dem »Antirassismustelefon« der Ausländerberatung (heute ZEMIT) (vgl. IMZ 2020) in Tirol oder der »Antirassismus Hotline« des Vereines Helping Hands – Verein für integrative und antirassistische Projekte wurde begonnen, Rassismus zu dokumentieren und Menschen rechtlich zu beraten sowie emotional zu unterstützen. Auch in Deutschland wurden ab Anfang der 1990er Jahre AntirassismusTelefone eingeführt (vgl. Verband der Initiativgruppen in der Ausländerarbeit 1994). Damit geschah auch ein Perspektivenwechsel: weg von der Orientierung an rassistischen Täter*innen (vor allem im Rechtsextremismus und Rechtspopulismus) und der Arbeit dagegen hin zu einer Orientierung an Menschen, die Rassismus erfahren und zu damit zusammenhängendem Empowerment. Diesem maßgeblich von Selbstvertretungsorganisationen angestoßenen und zunehmend in der Rassismusforschung (vgl. Essed 1991; Mecheril 1997) aufgenommenen Paradigmenwandel haben auch hegemoniale Organisationen Rechnung getragen. Diese ersten Beratungsstellen zu Rassismus haben es aber

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geschafft, Rassismus beim Namen zu nennen und die Alltäglichkeit von Rassismen zu dokumentieren. In dieser Tradition verortet sich auch der in Österreich wohl mächtigste antirassistische Verein ZARA (Zivilcourage & Anti-Rassismus-Arbeit). Gegründet wurde er 1999 mit dem Ziel, eine »Anlaufstelle für Zeug*innen und direkt Betroffene von Rassismus« zu sein (ZARA 2022). ZARA ist eine Melde- und Beratungsstelle und für die jährlichen Rassismus-Reporte verantwortlich, die maßgeblich dabei helfen, Rassismen als alle Bereiche der österreichischen Gesellschaft durchziehende Machtverhältnisse sichtbar zu machen. Dazu leistet ZARA antirassistische Bildungsarbeit. Die rückblickende Selbstpositionierung des Vereines zur eigenen Gründung lautet wie folgt: Eine knappe Handvoll Jungakademiker*innen, die eigentlich ursprünglich alle ganz etwas anderes machen wollten, haben es nicht ertragen, dass es in Österreich so gar keine direkte Beratungsstelle gegen Rassismus geben sollte und kurzerhand – ohne Mittel und Struktur – aus der puren Erkenntnis der Notwendigkeit heraus, den Verein ZARA ins Leben gerufen. (ZARA 2022) Die knappe Selbstbeschreibung kann aus heutiger Sicht dahingehend kritisiert werden, dass sie antirassistische Bewegungsgeschichte nicht reflektiert und den Eindruck erweckt, als habe sie Antirassismus in Österreich quasi erfunden. Die Jahrtausendwende ist der Zeitpunkt der Gründung mehrerer antirassistischer Dachverbände in Deutschland und Österreich. 1997 gründete sich Kein Mensch ist illegal als – bis 2004 bestehende – Vernetzung vor allem autonomer antirassistischer Gruppen, aber auch kirchlicher und gewerkschaftlicher Initiativen (vgl. Cross the Border 1999). Die beschriebenen Vereine kennzeichnen sich nicht nur durch eine weiß-dominanzgesellschaftliche Führung, sondern auch meist durch eine staatliche Subventionierung und eine breite Spendenbasis (vgl. Pühretmayer 2002: 305). Die damit zusammenhängende große Abhängigkeit von Fördergeldern und den subventionsgebenden Instanzen macht diese Art der NGOs mitunter zu hegemonialen Vereinen (vgl. Görg 2006: 48). Mit diesen Machtverhältnissen, die sich in vielen Bereichen bis heute zeigen, gehen große Hürden für kleinere Selbstorganisationen einher: Bei den großen Förderungsprogrammen haben die politischen Initiativen und Selbstorganisationen der diskriminierten Gruppen allein keine Chance, an die Gelder heranzukommen. Zu hoch sind die selbst zu finanzierenden Anlaufkosten. (Ebd.: 51) 2012 gründete sich anlässlich des zwanzigjährigen Gedenkens an die Pogrome von Rostock-Lichtenhagen, die in einem späteren Teil dieses Kapitels noch eingehender besprochen werden, mit der Initiative »20 Jahre nach den Pogromen. Das Problem heisst Rassismus« ein antirassistisches Bündnis, das eine dominanzgesellschaftliche Gedenkpolitik artikulierte, die als ein weiteres Beispiel unter vielen für die Problematik von Stellvertretungspolitik und weiß-dominanzgesellschaftlichem Antirassismus bezeichnet werden kann. Kien Nghi Ha hat in einem Artikel auf diese »dominante Form des Weißen Gedenkens« (Ha 2012), die immer wieder »rassistische Diskurse und Praktiken produziert« (ebd.), hingewiesen. Sowohl seitens der Politik mit dem damaligen, aus Rostock stammenden Bundespräsidenten Joachim Gauck, die ansonsten eher durch Abwesenheit auffiel, als auch seitens der Medien wurde eine Praxis der Entnennung

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sichtbar (vgl. ebd.). Erstens wurde es tunlichst vermieden, von Rassismus zu sprechen, und eher von einer anthropologisch begründeten Fremdenfeindlichkeit geredet. Damit wurden zweitens rassistisch stigmatisierende Begriffe und Konzepte weiterverwendet, indem zwischen dem unbenannt weiß markierten Deutschsein und dem Fremdsein unterschieden wurde. Drittens wurde damit auch nicht benannt, wer von den rassistischen Pogromen betroffen war, nämlich vietnamesische Vertragsarbeiter*innen und geflüchtete Roma, womit auch die Tatsache entnannt wurde, dass viele der Überlebenden des Pogroms in der Zeit danach entschädigungslos abgeschoben wurden (vgl. ebd.). Viertens war die Gedenkveranstaltung weiß-dominanzgesellschaftlich geprägt und es fand keine oder nur eine sehr verspätete Einbindung von Opfern oder Mitgliedern von Selbstvertretungsorganisationen statt – geschweige denn geschah dies auf gleichberechtigte Weise: So wurden keine Organisationen von People of Color, Flüchtlinge und Muslim_innen in dieses Bündnis einbezogen, so dass ihre Perspektiven und Positionen sich nicht in diesem alternativen Erinnerungsraum wiederfanden und sie die Arbeit dieses Bündnisses nicht mitbestimmen konnten. Der Versuch, Persons of Color individuell etwa als Gäste für Redebeiträge einzuladen, ist keine Alternative zur gleichberechtigten Zusammenarbeit und ist nicht frei von instrumentalisierenden Elementen. (Ha 2012) Lee Hielscher hat die Lebensmittelpunkte und Orte der Ermordung der Opfer des NSUTerrors aufgesucht und sich mit der Erinnerungspolitik befasst. Er kommt zu einem ähnlichen Schluss wie Ha: Offizielles und würdevolles Gedenken findet kaum statt, die meisten Gedenkstätten werden von politischen oder Angehörigen-Initiativen hart erkämpft oder selbst aufgestellt. Die Gedenkstätten werden häufig Ziel rassistischer Angriffe, sind oft nicht durch Denkmalpflege begleitet. Das Beispiel zur Straßenumbenennung in Hamburg anlässlich des Gedenkens an Süleyman Taşköprü, der am 27. Juni 2001 in der Hamburger Schützenstraße in seinem Lebensmittelladen ermordet wurde, ist das letzte hier angeführte Beispiel für die Probleme des dominanzgesellschaftlichen Antirassismus: Das städtische Denkmal für Taşköprü war bereits drei Jahre nach der Enthüllung aufgrund fehlender Denkmalpflege nicht mehr lesbar. Die nach ihm benannte Straße wurde weder von den Angehörigen gefordert, noch ist diese Straße die Schützenstraße oder eine an sie angrenzende Straße. Lee Hielscher bezeichnet die Gedenkstraße, die zunächst mit einem falschen »s« geschrieben wurde, als ein »öffentliches Gedenken ohne Öffentlichkeit« (Hielscher 2016). Er folgert weiter, indem er schreibt: Das »Bekenntnis zum NSU« ist eine Leerformel, denn obwohl Hamburg und Umgebung zu dieser Zeit eines der Zentren neonazistischer Bewegung ist, wird bis heute ein Untersuchungsausschuss abgelehnt. Die Schwester Süleyman Taşköprüs kommentierte dies mit den Worten: »Die Schützenstraße kommt mir heute eher wie ein Denkmal für Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe vor, als für meinen Bruder.« (Ebd.) Aus dieser Problemstellung heraus ist die Position von selbstorganisierten und bündnisorientierten Initiativen zu betrachten. Ich bezeichne sie als selbstorganisiert, weil die Machtverhältnisse in den Vereinen so strukturiert sind, dass Menschen in der ersten Reihe für bestimmte antirassistische Anliegen selbst sprechen und bündnisorien-

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tiert, weil die Organisationsstrukturen eben nicht nach Identitätskategorien ausgerichtet sind, sondern durch Diversität und Koalitionen gekennzeichnet sind.

Selbstorganisierter und bündnisorientierter Antirassismus Eine der ersten antirassistisch ausgerichteten Organisationen in Österreich, die eher einen selbstorganisierten und selbstbestimmten Ansatz und eine nichthegemoniale Ausrichtung vertraten, war das 1963 gegründete Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes (DÖW). Es war eine der ersten wichtigen Organisationen des Antirassismus und vor allem des antisemitismus- und antiziganismuskritischen Widerstandes in Österreich. Das DÖW wurde von »ehemaligen Widerstandskämpfern und Widerstandkämpferinnen und Verfolgten sowie von einigen engagierten Wissenschaftlern gegründet« (DÖW 2022) und setzt sich im Vorstand aus den politischen Opferverbänden, Vertreter*innen der Israelitischen Kultusgemeinde, der Katholischen Kirche und der Wissenschaft zusammen (vgl. ebd.). Der Verein engagierte sich vor allem gegen die personellen wie ideellen nationalsozialistischen Kontinuitäten in Österreich ein und setzte dem Narrativ des »Opfermythos« die Geschichte von Täter*innenschaft und Widerstand entgegen. Der österreichische Widerstand gegen den Nationalsozialismus, die Perspektive der Verfolgten und die Erinnerung an die Opfer sollten fortan im Mittelpunkt stehen. Dazu wird auch die rechtsextreme und neonazistische Szene beobachtet und analysiert. Im Jahr 1972 demonstrierten Vertreter*innen der Kärntner Slowen*innen für Minderheitenrechte in Österreich. Ausschlaggebend dafür waren die Konflikte um die von Bruno Kreisky veranlasste Aufstellung zweisprachiger Ortstafeln in Südkärnten. Mit dem Slogan »Gestern Juden heute Slowenen« machten die Aktivist*innen auf die marginalisierte Position der sprachlichen Minderheit in Österreich aufmerksam – in der Tradition des sekundären Antisemitismus wohlgemerkt. Die Kämpfe der Vereine der österreichischen Minderheiten, hier auch Burgenland-Kroat*innen BurgenlandRom*nja, Ungar*innen, Tschech*innen, Slowak*innen, führten schließlich zur Anerkennung als autochthone Minderheit im Volksgruppengesetz von 1976. Die Anerkennung von Roma und Sinti als Volksgruppe in Österreich wurde zunächst verwehrt und erst 1993 erteilt (vgl. Obid 2010). Zur gleichen Zeit bildeten sich in der BRD um die Brüder Oskar und Vinzenz Rose Selbstvertretungsorganisationen, die es sich zum Ziel gesetzt hatten, die NS-Verbrechen gegen Sinti und Roma aufzuarbeiten und gegen die rassistischen und antiziganistischen Kontinuitäten in der BRD zu kämpfen. Sie gründeten den Verein Interessengemeinschaft rassisch Verfolgter nicht-jüdischen Glaubens, den Verband Deutscher Sinti und das Zentral-Komitee der Cinti. Den Kämpfen in der BRD gingen die Gründung des Internationalen Romani-Kongresses 1971 und die Ausrufung der offiziellen Selbstbezeichnung »Roma« voraus. Im Jahr 1973 wurde der Sinto Anton Lehmann in Heidelberg von der Polizei erschossen. Daraufhin organisierte der Verband Deutscher Sinti die erste öffentliche Demonstration gegen die fortlaufende Diskriminierung von Sinti und Roma. (Vgl. Gress 2022) Anfang der 1980er Jahre gelang den Aktivist*innen ein großer Durchbruch. Zunächst wurde 1982 aus neun Verbänden der Zentralrat Deutscher Sin-

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ti und Roma gegründet und »wenige Wochen später erkannte Bundeskanzler Helmut Schmidt den NS-Völkermord an Sinti und Roma erstmals offiziell an« (Gress 2022). In den 1980er Jahren entstanden in der BRD Selbstvertretungsorganisationen, die nachträglich als intersektionale Bewegungen bezeichnet werden können. Sie organisierten Demonstrationen, verfassten antirassistische Texte und veranstalteten Kongresse. Peggy Piesche nennt hier etwa Organisationen um die Demonstrationen gegen den Lummer Erlass – eine Resolution des damaligen Innenministers, die zu massenhaften Abschiebungen von Jugendlichen mit Migrationsgeschichte führte –, den Türkischen Frauenverein, den Ausländisch-deutschen Frauenkongress (1984) sowie etwa den Schabbeskreis – eine jüdisch-deutsch-lesbische Gruppe (1984). (Vgl. Piesche 2019: 52ff) Die Jahre 1985 und 1986 waren grundlegend für die Selbstvertretung von Schwarzen Menschen in Deutschland. Mit der Veröffentlichung des Werkes Farbe bekennen. AfroDeutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte (1986)– herausgegeben von May Ayim, Katharina Oguntoye und Dagmar Schultz – gelang es erstmals, ein »Verständnis afro-deutscher Lebensrealitäten« (Oguntoye 2020b) zu vermitteln. Zur gleichen Zeit (1985) gründete sich die Initiative Schwarze Deutsche – später und bis heute Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD). Beide Ereignisse hängten personell wie ideell direkt zusammen: Der Gründung der ISD ging das Buch »Farbe bekennen« voraus, das als erste Publikation Schwarzer Menschen der Gegenwart gilt und den Grundstein für die jüngere Schwarze Bewegung legte. (Wiedenroth-Coulibaly & Haruna Oelker 2022) Die ISD versteht sich als »Teil der Schwarzen Community mit all seinen NGOs, Initiativen, Verbänden und Projekten« (ebd.) und sieht zentrale Schwerpunkte ihrer Arbeit in den Themen »Alltagsrassismus, rassistische Gewalt und Polizeigewalt« (ebd.). Die ISD ist und war ein gewichtiger Teil antirassistischer und rassismuskritischer Arbeit, von der Einführung der Selbstbezeichnungen »Schwarz« und »Afrodeutsch« über rassismuskritische Bildungsarbeit, Veranstaltungen im Rahmen des Black History Month und Initiativen zu Straßenumbenennungen bis hin zur Organisation von Black-Lives-MatterDemonstrationen in Deutschland (vgl. ebd.). Eine wichtige Initiatorin der Schwarzen Deutschen Bewegung war die afroamerikanische Aktivistin und Schriftstellerin Audre Lorde, die sich ab Mitte der 1980er Jahre einige Jahre in Berlin aufhielt. Sie inspirierte maßgeblich den Aktivismus Schwarzer Frauen in Deutschland, der mit der Initiative Adefra ein wichtiges Forum fand (vgl. Generation Adefra 2022). Fatima El-Tayeb kritisiert den Umstand, dass die Pionier*innenarbeit von Adefra und ISD für Antirassismus in Deutschland systematisch übersehen wird, da sie »außerhalb des weißen universitären Kontexts entstand« (El-Tayeb 2016: 13). Ein Teil dieser antirassistischen Kämpfe in den 1990er Jahren wurde auch innerhalb der sich erst firmierenden deutschsprachigen Rapszene8 geführt. Besonders die Gruppe Advanced Chemistry hat mit Songs wie Fremd im eigenen Land (1992) und Operation Artikel 3

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Mit den Kollektiven Brothers Keepers um Torch, Samy Deluxe und Afrob sowie den Sisters Keepers um Nadja Benaissa von den No Angels und Meli von Skills en Masse wurde diese Tradition Anfang der 2000er Jahre fortgeführt. Anlass für die antirassistische Bewegung war die Ermordung von Alberto Adriano aus rassistischen Gründen von Neonazis in Dessau im Jahre 2000.

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(1994) auf anti-Schwarzen Rassismus und migrantisierende Rassismen hingewiesen (vgl. Yakpo 2004). Erst Ende der 1980er Jahre gründeten sich in Österreich erste Roma-Selbstorganisationen nach deutschem Vorbild. Ausschlaggebend für die Gründung waren ein Lokalverbot für Oberwarter Roma und die Bemühungen für die Anerkennung als Volksgruppe wie auch für Entschädigungszahlungen als NS-Überlebende (vgl. Romano Centro 2016). Erika Thurner hat aufgezeigt, dass die Bemühungen der den Nationalsozialismus überlebenden österreichischen Rom*nja auf Anerkennung in den ersten Nachkriegsjahren brutal abgeschmettert wurden: [D]eren Versuche, Unterstützung oder sogar Rechte einzufordern (Wohnrecht in den früheren Heimatgemeinden, Entschädigungen für KZ-Haft, Opferrenten) blieben erfolglos. Stattdessen sahen sich NS-Überlebende mit Ignoranz, Ausgrenzung oder sogar Verfolgungsandrohungen konfrontiert. (Thurner 2022) Die österreichische Romni Ceija Stojka hat Jahrzehnte später mit ihrem Roman Wir leben im Verborgenen (1988) ein erstes zentrales Werk zur gesellschaftlichen Sichtbarkeit von Roma und Sinti in Österreich veröffentlicht. Ein Jahr später kam es zur Gründung der ersten österreichischen Selbstorganisation: Roma und Sinti – Verein zur Förderung von Z********. Erika Thurner hat herausgearbeitet, dass die frühen Vereine aus BurgenlandRom*nja, aber auch aus Nicht-Rom*nja bestanden, was sich dann schnell in eine Struktur wandelte, in der »nahezu alle Aufgaben und Funktionen von Rom_nja« (Thurner 2022) ausgeführt wurden. Anfang der 1990er Jahre wurden weitere Vereine gegründet, wie etwa das Romano Centro (1991), das seit 2013 Berichte zu Antiziganismus veröffentlicht. Die Bemühungen der Vereine führten schließlich 1993 zur Anerkennung der österreichischen Roma als autochthone Volksgruppe (vgl. ebd.). 1991 wurde in Frankfurt a.M. die Gruppe FeMigra – Feministische Migrantinnen gegründet. FeMigra etablierte als erste Gruppe die politische Selbstbezeichnung »Migrantin«, die bewusst eine selbstbestimmte Opposition zum rassistischen Konzept des »Ausländers« besetzte. Die selbstorganisierte, feministisch-antirassistische Gruppe spielte eine wichtige Rolle nach den rassistischen Angriffen in Hoyerswerda (1991), dem rassistischen Pogrom in Rostock-Lichtenhagen (1992) sowie den rassistischen Anschlägen in Mölln (1992) und Solingen (1993), bei denen die 14-jährigen Mädchen Yeliz Arslan und Ayşe Yilmaz, ihre 51-jährige Großmutter, Bahide Arslan, Gürsün Ince, Hatice Genç, Gülüstan Öztürk, Hülya Genç und Saime Genç ihr Leben verloren (vgl. Gutiérrez Rodríguez 2019). FeMigra hat etwa an der Universität Frankfurt mehrere Vollversammlungen zu den rassistischen Angriffen organisiert und »an der Idee eines von migrantischen Menschen getragenes Notruf-Netzwerkes« (ebd.) gearbeitet. Die bereits 1988 in Berlin-Kreuzberg gegründete antifaschistische Gruppe Antifaşist Gençlik (Antifaschistische Jugend) ist die erste antirassistische Gruppe, die sich als antifaschistische migrantische Selbstorganisation bezeichnete (vgl. ak wantok 2020). Die Gruppe bekämpfte vor allem die Naziszene in Berlin und versuchte zugleich an der Politisierung von jungen Menschen in ihrem Kiez zu arbeiten (vgl. Engeschall & Pieper 2005: 208). Der rassistische Mord an dem Berliner Ufuk Sahin durch Nazis am 17. Mai 1989, der zu großen antirassistischen Demonstrationen mit fast 10 000 Menschen führte (vgl. ebd.), und die Pogrome und rassistischen Anschläge in Hoyerswerda, Rostock-Lichten-

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hagen und Mölln »bescherte[n] der Antifaşist Gençlik eine enorme Popularität und einen regen Zulauf« (ebd., Herv. i. Orig.). Die Gruppe berief sich auf das Recht auf Selbstverteidigung und schaffte es tatsächlich, die Präsenz der organisierten Neonazis in Berlin zurückzudrängen (vgl. ebd.). Ercan Yaşaroğlu, ein ehemaliges Mitglied der Gruppe, spricht im Rückblick über die Haltung der Gruppe mit folgenden Worten: Unser Grundsatz war, körperliche Gewalt nur zur Selbstverteidigung anzuwenden. Unsere Arbeit bestand aber nicht nur in der Abwehr rechter Attacken. Wir wollten viel mehr. Vom Taxifahrer über den Imam bis zu den Angestellten wollten wir alle einbinden. Wir wollten uns nicht mehr als »Ausländer« bezeichnen lassen. Wir wollten keine Opfer mehr sein, kein Anhängsel der Gesellschaft, über das man herrschen kann. Wir wollten nicht nur Pflichten gegenüber dem Staat haben, sondern auch Rechte in Anspruch nehmen. Wir wollten diskutieren, publizieren und auf die Straße gehen. (Yaşaroğlu 2018) Antifaşist Gençlik wurde, nachdem ein rechtsextremer Teilnehmer bei einer Stürmung eines Nazi-Treffs ums Leben kam, durch polizeiliche Ermittlungen und Kriminalisierungen sowie innere Konflikte 1994 aufgelöst (ebd.). Im Jahr 1994 entstand in Linz der für Antirassismus in Österreich grundlegende Verein maiz, der enge inhaltliche Verbindungen zu FeMigra aufweist. Maiz ist eine »Selbstorganisation von Migrantinnen für Migrantinnen«, die sich zum Ziel gesetzt hat, […] die Lebens- und Arbeitssituation von Migrantinnen in Österreich zu verbessern und ihre politische und kulturelle Partizipation zu fördern sowie eine Veränderung der bestehenden, ungerechten gesellschaftlichen Verhältnisse zu bewirken. Wir handeln für die rechtliche und soziale Besserstellung von allen Migrantinnen und greifen aktiv in die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um Migration und (Anti-)Rassismus ein. (maiz 2022) Maiz kritisiert jede Form der Stellvertretungspolitik und hat mit der positiven und empowernden Selbstbezeichnung der »Migrantin« eine in Österreich neue politische Position artikuliert. Rubia Salgado und Luzenir Caixeta, die mit Tania Araujo maiz gegründet haben, definieren diese Position wie folgt: Es geht um die Bestimmung der eigenen politischen Identität als Migrantin als Gegenentwurf, als Bezeichnung eines oppositionellen Standorts. (Salgado & Caixeta 2002: 187, Herv. i. Orig.) Der Verein hat sich vor dem Hintergrund der strukturellen Ungleichheit von Migrant*innen in Österreich und aus dem Bedürfnis heraus, dagegen aktiv zu werden, gegründet. Rubia Salgado beschreibt in einem Rückblick die damalige politische Landschaft als stark männlich-weiß-dominanzgesellschaftlich geprägt – was ihrer Ansicht nach in großen Teilen noch heute gilt (vgl. Pratter 2014). Vor diesem Hintergrund kann maiz als ein Ort verstanden werden, der »sich außerhalb der Logik des ›Für die Anderen Sprechens‹, außerhalb dieser paternalistischen Haltung« (ebd.) befindet. Ein intersektional gedachter Antirassismus ist essentieller Teil der Haltung und Bildungsarbeit von maiz. Der Verein bildet gleichermaßen Allianzen, wie er auch bemüht darum ist, seine Autonomie zu erhalten (vgl. maiz 2022).

3 Antirassismus

Dieses neue migrantische Selbstbewusstsein zeigte sich auch in der antirassistischen Plakatserie Auseinandersetzung mit Wien (vgl. Patograf 2018), die der GrafikDesigner Patricio Handl ins Leben rief. Die zwei Plakate zeigen einen klaren Kontrast zu den bereits besprochenen paternalisierenden Plakaten I haaß Kolaric und Antirassismustelefon. Einerseits sollen sie auf die Normalität von Wien als Stadt der Migration hinweisen und andererseits die als selbstbewusst und stark gezeigte Position von Migrant*innen in den Mittelpunkt stellen. Im Jahre 1994 wurde mit The Voice die erste Selbstorganisation von geflüchteten Menschen Deutschlands gegründet. Sie sollte weitere selbstorganisierte Initiativen in Deutschland wie etwa Die Karawane inspirieren. In der Nacht vom 4. auf den 5. Februar 1995 kam es in Oberwart zu einem in Österreich in der Zweiten Republik beispiellosen rassistischen Anschlag. Der österreichische Rechtsextremist Franz Fuchs hatte eine Tafel mit der Aufschrift »Roma zurück nach Indien« in Oberwart aufgestellt, die unsichtbar mit einem Sprengsatz verbunden war. Die Entfernung der Tafel löste den Sprengsatz aus und kostete Erwin Horvath, Karl Horvath, Peter Sarközi und Josef Simon das Leben (vgl. Benedik & Kugler 2022). Auf das rassistische Attentat folgten öffentliche Solidaritätsbekundungen und zum Teil erstmalige Bekenntnisse zur historischen und strukturellen Komponente des Antiziganismus in Österreich unter anderem vom damaligen Bundeskanzler Franz Vranitzky (vgl. Schneller & Klinger 2015). Im Jahre 1996 wurde in Österreich Pamoja – Bewegung der jungen afrikanischen Diaspora gegründet. Der Selbstvertretungsverein hat es sich zur Aufgabe gemacht, sich für »die Rechte Schwarzer Menschen in Österreich« (Unterweger 2016: 214) einzusetzen. Pamoja ist seit dem Bestehen eine zentrale Akteurin des Antirassismus in Österreich. Im Jahre 1998 hat Pamoja in Kooperation mit der Anti-Rassismus-Hotline die Broschüre Know Your Rights erstellt, die sich an alle »von Rassismus betroffenen Menschen« richtete und über die eigenen Rechte aufklärte (ebd.: 225). Aus dem Verein entstand die bereits erwähnte Recherchegruppe Schwarze Österreichische Geschichte, die sich mit der von der weiß-hegemonial dominierten Geschichtsschreibung ausgeklammerten Schwarzen Geschichte in Österreich beschäftigt (vgl. dazu Bratić et al. 2006; Unterweger 2016). Die österreichische Rassismusforscherin und Pamoja-Mitbegründerin Araba Evelyn Johnston-Arthur beschreibt die Gründungsmotive von Pamoja wie folgt: »Pamoja« bedeutet auf Swahili »zusammen« und ist der Gedanke, der die politische Bewegung der jungen afrikanischen Diaspora in Österreich trägt. Die Gründung der gleichnahmigen diasporischen Organisation 1996 in Wien legte einen der Grundsteine für den Prozess der politischen Selbstorganisierung, Selbstdefinition und Hier-Verortung Schwarzer Menschen, für den Ausbruch aus der Isolation voneinander, für eine gegenseitige Solidarisierung, aus der heraus sich ein stärkendes, widerständiges WirBewusstsein entwickeln konnte. (Johnston-Arthur 2016: 431) Im Jahre 1998 gründete sich in Deutschland mit Kanak Attak ein antirassistischer Zusammenschluss, der auf einer offenen Form der Selbstorganisierung fußte (Menschen mit und ohne Migrations- und Rassismuserfahrungen) und dabei eine antiessentialistische Vorstellung von Antirassismus propagierte, der versuchte

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»[…] die Kanakisierung bestimmter Gruppen von Menschen durch rassistische Zuschreibungen mit allen ihren sozialen, rechtlichen und politischen Folgen anzugreifen.« (Kanak Attak 2022) Kanak Attak kritisierte sowohl den entmündigenden dominanzgesellschaftlichen Antirassismus wie auch die »klassische Selbstvertretung« (Terkessidis 2006: 11) von Migrant*innen, die sie als überwiegend in »ethnischen Gruppen« (ebd.) organisiert und als Problem von »Identitätspolitiken« betrachtete. Kanak Attak etablierte die antirassistische Praxis der Resignifizierung von rassistischen Bezeichnungspraktiken, indem sie die rassistische Fremdbezeichnung »Kanak« als empowernde Selbstbezeichnung und Widerstandsstrategie (vgl. Ha 2009b) umdeutete. Unter dem Motto »no integración« und »Ende der Dialogkultur« sowie mit ihrer Plattform Kanak TV kritisierte Kanak Attak die Funktionsweise des Integrationsdispositivs und die Position von Migrant*innen und migrantisierten Menschen (vgl. Terkessidis 2006: 11f). Die theoretischen Beiträge von einigen Gründungsmitgliedern zur »Autonomie der Migration« (vgl. Bojadžijev & Karakayali 2006) und über die »Kämpfe der Migration« (Bojadžijev 2012) haben die hiesige Migrations- und Rassismusforschung geprägt. Das Jahr 1999 markiert einen zentralen Wendepunkt für antirassistische Kämpfe in Österreich. Am 1. Mai 1999 wurde der seit einigen Jahren in Österreich lebende Nigerianer Marcus Omofuma in einem Abschiebeflugzeug von österreichischen Polizisten bei der Fixierung ermordet. Sein Tod und Ereignisse vor seinem Tod hatten eine neue antirassistische Mobilisierung zur Folge, die grundlegend von Schwarzen Communities in Österreich getragen wurde (vgl. Spanbauer 2022,2020). Die erste Reaktion auf Omofumas Tod waren spontane Demonstrationen noch am Abend des 1. Mai. Wenige Tage später wurde dann die Plattform für eine Welt ohne Rassismus gegründet. Die Plattform setzte sich in der Anfangszeit aus »linken Gruppen über Initiativen aus dem Menschenrechtsbereich bis zu Gruppen aus der Wiener African Community« (GEMMI 2005: 13) zusammen. Zwei größere Demonstrationen wurden organisiert, bei denen unter anderem der Rücktritt des damaligen Innenministers Karl Schlögl und ein Ende der Schubhaftpraxis gefordert wurde. Im Gedenken an Omofuma wurde in einer privaten Initiative der Marcus-OmofumaStein9 in Wien aufgestellt. 9

Der Marcus-Omofuma-Stein wurde zum Gedenken an Omofuma von der weißen Bildhauerin Ulrike Truger nach einer Idee der weißen Menschenrechtsaktivistin Ingrid Popper aufgestellt. Im Rückblick wird die magelhafte Zusammenarbeit mit den selbstorganisierten Schwarzen Communities kritisiert. Während einer der Organisator*innen der Nigerianischen Community in Wien Charles Ofoedu in die Arbeit eingebunden wurde, erfuhr etwa Araba Evelyn Johnston-Arthur von Pamoja erst im Nachhinein von der Eröffnung: »Zum Denkmal muss ich sagen, dass es rein strukturell nicht so eine gute Brücke zu den Strukturen der Community selbst gegeben hat.« (AK Marcus Omofuma Stein 2009: 43) Finanziell gab es von staatlicher Seite keine Unterstützung und so musste Truger das Geld selbst auftreiben. Der Stein, aus afrikanischem Granit, wurde illegal vor der Wiener Oper aufgestellt. »Das Aufstellen bei der Oper, das hat mit der Illegalität zu tun gehabt, um die es auch geht: diese doppelte Illegalität. Denn eigentlich war es ja auch illegal, dass Omofuma abgeschoben wurde, während das Verfahren lief.« (AK Marcus Omofuma Stein 2009: 14) Der Stein musste dann von diesem Standort entfernt werden und wurde schließlich vor dem Museumsquartier in Wien aufgestellt. Seit dem 11. November 2003 befindet sich der Stein an diesem Platz. Von da an

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Die Jahrtausendwende brachte die Gründung des European Network Against Racism Austria (ENARA). In der Selbstbeschreibung des Netzwerkes, das sich zunächst als Austrian Network Against Racism (ANAR) und später als ENARA formierte, werden Kämpfe zwischen dominanzgesellschaftlichem und selbstorganisiertem Antirassismus sichtbar: Die Idee, ein Austrian Network Against Racism ANAR zu gründen, wurde spätestens ab 1998 mittels roundtables verfolgt, die auch seitens des Europäischen Netzwerks ENAR unterstützt wurden. Der erste Anlauf zur formellen Gründung des österreichischen Netzwerks im Frühjahr 1999 in Salzburg scheiterte jedoch aufgrund unterschiedlicher Auffassungen der Proponent_innen zur Ausrichtung des Netzwerks. Insbesondere die neuen offensiv orientierten Migrant_innenorganisationen opponierten gegen die Vormachtstellung der mehrheitsdominierten antirassistischen Organisationen. Im Mai 2000 klappte die Gründung von ANAR in Innsbruck als Netzwerk ohne eigene Rechtspersönlichkeit; dies wohl auch vor dem Hintergrund der Protestbewegung gegen die im Februar angelobte rechts-rechtsextreme Regierung, die eine Welle der Politisierung der Gesellschaft mit sich brachte und auch den Positionen der offensiven Migrant_innenorganisationen zu mehr Verbreitung verhalf. (ENARA 2022) In der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2003 starb der mauretanische Physik-Student Seibane Wague im Stadtpark in Wien. Im Zuge einer polizeilichen Amtshandlung wurde er an Händen und Füßen gefesselt auf den Bauch gelegt, wobei mindestens sechs Personen – sowohl Polizisten wie auch Sanitäter – auf ihm knieten. Die Amtshandlung brachte schließlich seinen Tod. Nur durch ein Video eines Anrainers, der einen Teil der Ereignisse filmte, wurden Untersuchungen eingeleitet. Das Video zeigt eine lang andauernde Misshandlung von Seibane Wague. Nur wenige Jahre nach Marcus Omofuma starb wieder ein Schwarzer Mann durch rassistische Polizeigewalt in Österreich. Die an der Tat beteiligten Polizisten und Sanitäter wurden sehr milde bis gar nicht bestraft (für eine Chronologie der Polizeigewalt gegen Afrikaner in Österreich siehe Inou 2010). Besonders nach der Veröffentlichung des Videos durch die Wochenzeitung Falter wurden Gedenkveranstaltungen und Demonstrationen veranstaltet, die sich gegen rassistische Polizeigewalt und justizielle Verharmlosung derselben richteten (vgl. no-racism.net 2021). Die Wiener Band Tres Monos veröffentlichte 2006 das Lied Seibane im Gedenken an Wague. Der Erlös aus dem Verkauf der CD wurde an ZARA gespendet. In dem Song heißt es am Schluss: »Wir vergessen nie.« (Tres Monos 2006) Auch die Initiative Oury Jalloh hat sich unter dem Motto »Break The Silence« der Aufarbeitung rassistischer Polizeigewalt verschrieben. Sie wurde anlässlich des Todes des in Deutschland lebenden Sierra-Leoners Oury Jalloh gegründet. Jalloh verbrannte – an eine Matratze gefesselt – in einer Polizeizelle in Dessau (vgl. Initiative Oury Jalloh 2020). Anfang der 2000er Jahre gelang es Kulturschaffenden mit mehreren politischen Kunstaktionen antirassistische Anliegen im öffentlichen Raum prominent zu platzieren. Im Jahre 2004 wurde die Ausstellung Interventionen gegen Rassismen(vgl. Yun 2004) und ein Jahr später die Plakatkampagne Arbeiten gegen Rassismen (vgl. Moser 2011: 151)

wurde der Stein unzählige Male rassistisch beschmiert – darüber hinaus auch die erklärende Tafel, die über den Stein informieren soll (vgl. AK Marcus Omofuma Stein 2009).

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ins Leben gerufen. Die Plakate wurden in Zusammenarbeit von Kulturschaffenden mit antirassistischen Aktivist*innen erarbeitet. Im Jahre 2004 wurde mit dem Migrationsrat Berlin e.V. (damals Migrationsrat Berlin-Brandenburg) eine Dachorganisation von heute über siebzig Migrant*innen-Selbstorganisationen gegründet (vgl. Migrationsrat Berlin 2022). Die Dachverbände waren immer schon Teil der Logik von Selbstvertretungsorganisationen und ihrer Politik von solidarischer Bündnisarbeit. Im Jahr 2008 rief der rassismuskritische Wiener Verein Black Austria eine T-Shirtund Plakat-Kampagne mit bekannten österreichischen Personen ins Leben, die auf rassistische Vorurteile anspielte. So ließ sich etwa Roland Düringer mit einem T-Shirt ablichten, auf dem »Scheinehemann« aufgedruckt war. Neben dem Schauspieler stand geschrieben: »Ich kann das Vorurteil ausziehen. Schwarze Menschen können’s nicht.« (Der Standard 2008) Die Kampagne arbeitete nicht nur an der Dekonstruktion von rassistischen Klischees von Schwarzen Menschen, sondern auch an der Bewusstmachung von weißen Privilegien. Black Austria musste 2009 aus finanziellen Gründen seine Arbeit einstellen (vgl. Der Standard 2009). Im November des Jahres 2013 formierten sich unter dem Motto »Refugees Speak Up!« geflüchtete Menschen in Österreich und starteten mit den Refugee Protest Camps Vienna. Die Aktivist*innen protestierten gegen ihre Lebensbedingungen in Österreich – wobei die Asylgesetzgebung einen gewichtigen Teil ausmachte –, indem sie einen Marsch vom Geflüchteten-Lager Traiskirchen nach Wien organisierten und durchführten. Die Proteste wurden von den Geflüchteten organisiert, sie bestanden neben dem Marsch – eine antirassistische Tradition in unterschiedlichen Kontexten – aus der Errichtung eines Protestcamps in Wien, der Besetzung der Votivkirche, Hungerstreiks und dem Erarbeiten von Forderungen für gesellschaftliche Transformationen und mehr Rechte für Geflüchtete. Die Protestbewegung führte zu neuen Formen der Aneignung von Raum für (antirassistische Proteste) (vgl. Ataç, 2016) und ihre Forderungen richteten sich primär auf die Beseitigung von struktureller Diskriminierung gegenüber geflüchteten Menschen (vgl. Refugee Camp Vienna 2022). Die Bewegung wurde von geflüchteten Menschen ins Leben gerufen und zog auch viele Unterstützer*innen ohne Fluchtgeschichte an. Die Aushandlungsprozesse, die dort stattfanden, beschreibt Monika Mokre mit den Worten »Solidarität als Übersetzung«: »[d]er Übersetzung von Solidarität zwischen Menschen mit höchst prekärem Status und Menschen mit gesichertem Aufenthalt.« (Mokre 2015: Klappentext) Das seit 2014 in Deutschland bestehende Aktionsbündnis NSU-Komplex ist ein Zusammenschluss aus verschiedenen Initiativen, die zum Teil seit den ersten NSU-Morden ab dem Jahr 2000 die rassistischen Morde anklagen und den damit verknüpften Komplex einer rassistischen Gesellschaft sichtbar machen und bekämpfen. Die Initiative positioniert sich als ein Tribunal, das den Staat und seine rassistischen Verstrickungen zur Anklage bringt. Mit der Bezeichnung »Komplex« soll auf die gesamtgesellschaftliche Artikulation von Rassismus verwiesen werden: Der NSU-Komplex wird dabei gedacht als ein Kristallisationspunkt strukturellen Rassismus. Das Tribunal wird damit ein Ort der gesellschaftlichen Anklage von Rassismus.

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Die Berichte der Betroffenen und Angehörigen stehen im Mittelpunkt. Ihre Geschichte gilt es zu hören und zu verstehen. (NSU-Tribunal 2022) Am 19. Februar 2020 erschoss ein rechtsextremer Terrorist in der deutschen Stadt Hanau neun Menschen aus rassistischen Motiven: Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtović, Kaloyan Velkov, Mercedes Kierpacz, Said Nesar Hashemi, Sedat Gürbüz und Vili Viorel Păun. Nach den Anschlägen gründeten die »Angehörigen, Familien und Freund*innen der Opfer und Verletzten« (Initiative 19. Februar 2020a) die Initiative 19. Februar. Die Initiative organisierte Demonstrationen, setzte sich für rechtliche und soziale Unterstützung der Angehörigen ein und artikuliert Forderungen zu politischen Transformationen. Sie fordert eine angemessene und Opfer-zentrierte Erinnerung mitsamt finanzieller und psychosozialer Unterstützung, eine vollständige Aufklärung der Tatnacht sowie eine »Entnazifizierung des Bundestags, der Behörden und Institutionen und die Entwaffnung aller Rassisten in diesem Land.« (Initiative 19. Februar 2020b) Der Sommer des Jahres 2020 steht für eine der bedeutendsten antirassistischen Mobilisierungen der Geschichte Österreichs. In den Landeshauptstädten des ganzen Landes haben insgesamt circa 100 000 Menschen gegen Rassismus demonstriert. Die Demonstrationen wurden unter anderem organisiert von Black Lives Matter Vienna um Naomi Saphira Weiser, Mugtaba Hamoudah, dem Black Movement Austria und der Wiener Politikerin Mireille Ngosso. Farid Hafez hat an den Protesten in Wien teilgenommen und sie wissenschaftlich aufgearbeitet. Er kommt zu dem Schluss, dass sie sowohl Ausdruck einer Empörung über anti-Schwarzen Rassismus in den USA darstellten und Solidarität ausdrücken wollten – in dieser Rolle sah er vor allem weiße Österreicher*innen –, als auch, vor allem von Schwarzen österreichischen Aktivist*innen, dafür genützt wurden, um strukturellen Rassismus und rassistische Polizeigewalt in Österreich zu benennen und anzuklagen (vgl. Hafez 2022). Die Black-Lives-Matter-Bewegung in Österreich hat es wie noch keine andere antirassistische Bewegung vor ihr geschafft, Machtverhältnisse und Privilegien zu thematisieren, und damit die von Rassismen privilegiert positionierten Menschen in Österreich direkt angesprochen. Vanessa Spanbauer spricht in einem Rückblick davon: Als ich in Wien Plakate gesehen habe, auf denen die »White Supremacy« angegriffen wird, da habe ich gewusst: Jetzt ist das Thema endlich auch bei uns angekommen. (Inou et al. 2021) Die Initiative Black Voices um Noomi Anyanwu schloss mit dem »Black Voices-Volksbegehren« an die Black-Lives-Matter-Bewegungen an und forderte im Rahmen dieses Volksbegehrens zu einem »nationalen Aktionsplan gegen Rassismus« auf (Theißl 2020). In diesem Kapitel wurde an mehreren Stellen gezeigt, dass die Verbindung von politischen Inhalten und künstlerischen Darstellungsformen eine wichtige Artikulationsform des Antirassismus im deutschsprachigen Raum bildet. Als abschließenden Geschichtssplitter des hiesigen Antirassismus möchte ich auf den Dokumentarfilm Zusammen haben wir eine Chance von Nadiye Ünsal, Zerrin Güneş und Tijana Vukmirović aus dem Jahr 2018 verweisen. Der Film porträtiert die Kämpfe von rassismusbetroffenen Menschen in Deutschland und arbeitet wichtige Bewegungsgeschichten von

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selbstorganisierten antirassistischen Initiativen auf. Die Aktivist*innen Sanchita Basu, Garip Bali, Jasmin Eding, Ria Cheatom, Llanquiray Painemal, Bruno Watara, Ibrahim Arslan und Mouctar Bah betätigten sich in bereits besprochenen Initiativen wie Adefra, ISD und der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh sowie weiteren, ebenso wichtigen Bewegungen, wie Allmende – Haus alternativer Migrationspolitik, der Plataforma der MigrantInnen und Flüchtlinge und dem Bündnis gegen Rassismus in Berlin, die nicht eingehend thematisiert wurden. Im Film erzählt Llanquiray Painemal über ihre Erfahrungen in unterschiedlichen Organisationskontexten und resümiert damit die zentralen Positionen des selbstorganisierten und bündnisorientierten Antirassismus: Wir haben uns selber organisiert…aber wir haben natürlich auch solidarische Menschen gebraucht…aber das war ein Verhältnis von gleich…wir haben von Anfang an gesagt, wir wollen eine Gruppe sein für alle offen, aber hier bestimmen wir. (Ünsal et al. 2020)

Probleme und Debatten Im vorangegangenen Punkt haben wir gesehen, dass die Geschichte des Antirassismus im deutschsprachigen Raum weit zurückreicht. Wir haben auch gesehen, dass es sich dabei um Bewegungs-Geschichten handelt, die selbst von rassistischen Machtverhältnissen durchzogen sind. Ferner ist die Historisierung des Antirassismus ein Resultat von gesellschaftlichen Archiven und damit ebenso von Ein- und Ausschlüssen begleitet. Aufbauend auf Arbeiten, die sich der Rekonstruktion möglichst vieler Geschichten des Antirassismus verschrieben haben, wurde gezeigt, dass Antirassismus primär von Menschen mit Rassismuserfahrungen artikuliert und getragen wurde und es unterschiedliche Traditionen des weiß-dominanzgesellschaftlich geprägten Antirassismus gab und gibt. In der wissenschaftlichen Literatur zu Antirassismus, die wie die hiesige Rassismusforschung erst in den 1990er Jahren beginnt, wurde zunächst primär die weiß-dominanzgesellschaftliche Tradition gesehen und reflektiert. Die Diskussion zu den »Fallstricken« und der »Dialektik« des Antirassismus wurde von Jost Müller (1992), Wolfgang Fritz Haug (1992), Jan Philipp Reemtsma (1992), Wolfgang Heitmeyer (1992) und Wolfgang Kowalsky (1992) geführt. Jost Müller kritisiert in seinem Artikel den multikulturalistischen Antirassismus, den er als »gewöhnlichen Antirassismus« bezeichnet, dahingehend, dass er ihm vorwirft, die »Differenz zwischen der ›eigenen‹ und den ›fremden‹ Kulturen immer wieder neu« (Müller 1992: 40) herauszustellen und zu zementieren, ohne die Dominanzverhältnisse und den Konstruktionscharakter von Kultur-Containern zu adressieren oder gar aufzubrechen. Wolfgang Fritz Haug macht in seiner »Polemik« (Verse 2012: 55) Zur Dialektik des Antirassismus (1992) im Antirassismus seiner Zeit einen unpolitischen Moralismus aus. Er schreibt etwa: Bloße »Vorurteils«-Ablehnung ist noch lange keine Politik – bzw. sie ist unfreiwillige Politik, die nämlich hinterrücks von fremder Politik ereilt wird und der Rechten durch ihr Agieren Kraft zuführt. (Haug 1992: 425)

3 Antirassismus

Im weiteren Verlauf spricht er von »plebejischen Rassismen« (ebd.: 426), also Rassismen der ökonomisch »Abgehängten«, und phantasiert davon, dass sie lediglich versuchen würden, »im Pogrom« (ebd.) auf ihr »Abgehängtwerden so zu reagieren« (ebd.). Haug betreibt hier eine Form der Täter-Opfer-Umkehr – ein Jahr nach den Anschlägen in Hoyerswerda und im Jahr der Anschläge von Rostock-Lichtenhagen und Mölln –, die einen sprachlos zurücklässt. Auch bei Wolfgang Kowalsky (1992) und in seinem Artikel Moralisierender Anti-Rassismus finden sich erstaunliche Thesen. Kowalsky sieht im Antirassismus seiner Zeit eine bevormundende Haltung gegenüber der Gesellschaft und er interpretiert »Wahlenthaltung, Rechtsextremismus und Gewalttätigkeit« (Kowalsky 1992: 700) auch als Antwort auf bestimmte Formen des öffentlichen Antirassismus. Jan Philipp Reemtsma (1992) spricht von der »Falle des Antirassismus«, wenn er Antirassismus generell vorwirft, auf die Erfindungen (Rassismen) seiner Gegner (Rassist*innen) hineinzufallen, indem er sich primär darauf bezieht. Seine Argumentation basiert auf der einfachen Logik, dass Antirassismus immer auf Rassismus angewiesen ist. Ähnlich argumentiert Wolfgang Heitmeyer (1992) im Rahmen seiner Kritik im Artikel Die Gefahren eines schwärmerischen Antirassismus. Er kritisiert eine inflationäre Verwendung der Analysekategorie »Rassismus«, die er in »moralischer Selbstberuhigung und Selbststeigerung« (Heitmeyer 1992: 677) von Antirassist*innen begründet sieht und die seiner Einschätzung nach eine »Abnahme der Chancen zur Kommunikation« (ebd.) mitbringe und Täter*innen eine erwünschte Resonanz ermögliche (vgl. Weiß 2013: 123). Diese erste Debatte um Antirassismus im deutschsprachigen Raum hatte gleich mehrere Problembereiche und kann aus heutiger Sicht als mittlerweile beinahe bedeutungslos bezeichnet werden. Anja Weiß (2013) hat bereits herausgearbeitet, dass die Debatte ziemlich einstimmig einen Antirassismus kritisierte, den die weißen Autoren (!) vor allem theoretisch entwarfen, ohne dabei von »praktischen Dilemmata des Antirassismus« (Weiß 2013: 123) zu sprechen. Die Artikel bestehen dann allesamt aus umfangreichen theoretischen Argumentationsketten zu Rassismus mit einem kurzen Schlussteil, der bestimmte Formen des Antirassismus entwirft, nur um sie dann sogleich zu verwerfen. Es fehlt vollkommen an einer historischen und empirischen Grundlegung ihrer Thesen. Welche Akteur*Innen oder Initiativen mit ihrer Kritik gemeint sind, wie es um ihre Einschätzung zu migrantischem Antirassismus steht, der ja auch gerade in Arbeitskämpfen und nicht in moralischem Antirassismus geführt wurde, erfahren wir nicht. Neben diesem Ignorieren und Ausklammern von realen Bewegungsgeschichten, die Anfang der 1990er Jahre eine große Dynamik entwickelten, haben diese frühen Debatten zu Antirassismus stets die weiß-dominanzgesellschaftliche Perspektive zentriert und eher rassistische Täter*innen als Menschen, die Rassismus erfahren, im Zentrum ihres Interesses und auch ihrer Sorgen positioniert. Zeitgleich wurde vor allem in den Bildungs- und Erziehungswissenschaften über antirassistische und interkulturelle Pädagogik diskutiert. Diese Diskussion wurde stark von Arbeiten aus dem US-amerikanischen Raum beeinflusst. Dimitra Kongidou und Georgios Tsiakolos (1992) entwickelten etwa praktische Modelle antirassistischer Arbeit. Philip Cohen (1994) beschäftigte sich in Verbotene Spiele. Theorie und Praxis antirassistischer Erziehung mit den Problemen der konkreten antirassistischen Pädagogik, die er entlang einer Studie in einer Schule entwickelt hatte. Siegfried Jägers Sammelband Anti-rassisti-

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sche Praxen. Konzepte – Erfahrungen – Forschung (1994) versammelt die Themen der antirassistischen Pädagogik seiner Zeit vor allem vor dem Hintergrund der rassistischen Pogrome. Der antirassistischen Pädagogik kann eine »Pädagogisierung« (vgl. Radtke 1995) des Rassismus vorgeworfen werden. Rassismus wurde dabei häufig als Problem von zu erziehenden »Modernisierungsverlierer*innen« verstanden, womit oft eine klassistische Abwertung einherging. Ende der 1990er Jahre wurde, stark beeinflusst von zivilgesellschaftlichen Akteur*innen, die sich sowohl wissenschaftlich als auch aktivistisch verorteten, über den selbstorganisierten und selbstbestimmten Antirassismus, seine Notwendigkeiten und seine Schwierigkeiten diskutiert. Das Kollektiv Kanak Attak um Manuela Bojadžijev, Serhat Karakayali, Vassilos Tsianos und Mark Terkessidis veränderten mit ihrem Manifest (1998) die antirassistische Debatte. Sie wiesen auf die lange Tradition antirassistischer Kämpfe von Migrant*innen hin und forderten einen radikalen Bruch mit rassistischen Dualismen von »Wir« und »Die«, die in Diskursen zu Migration exerziert werden. Gleichzeitig traten sie für radikalen Pluralismus ein und wollten sich in keine zugeschriebene »kanakische« Rolle einfügen (vgl. Kanak Attak 1998). Einige Jahre vor der Institutionalisierung der Kritischen Weißseinsforschung im deutschsprachigen Raum veröffentlichten die maiz-Aktivist*innen Luzenir Caixeta und Rubia Salgado ihre Idee zur widerständigen und empowernden politischen Selbstpositionierung der Migrantin* und kritisierten umfangreich die Praxis der politischen Fremdvertretung (vgl. Caixeta & Salgado 2000). In dieser Zeit blickten Sabine Hess und Andreas Lindner (1997) in ihrer Studie Antirassistische Identitäten in Bewegung erstmals kritisch auf weiß-dominanzgesellschaftlichen Antirassismus. Manuela Bojadžijev erarbeitete erstmals eine umfassende historische Rekonstruktion von antirassistischen Kämpfen von Migrant*innen und konnte so eine wichtige Lücke in der Bewegungsgeschichte schließen (vgl. Bojadžijev 2002 & 2008). Ljubomir Bratić hat diese Aufarbeitung für den österreichischen Kontext angestoßen (vgl. Bratić 2002a, 2010). Die Debatte legte den Grundstein zur Sichtbarmachung und Kritik an Machtverhältnissen innerhalb linker, feministischer, antirassistischer Bewegungen im deutschsprachigen Raum. In der Benennung von zwei grundlegenden Organisationsformen, der »Selbstorganisierung« (Bojadžijev & Tsianos 1999) oder »Selbstorganisation von MigrantInnen (SOM)« (Achaleke et al. 2006) und der Fremdvertretung oder, noch spezifischer benannt: »überwiegend Weisse[n] Betreuungs-NGOs« (Bratić 2010: 98), gelang es einerseits, die Machtverhältnisse sichtbar und benennbar zu machen, und andererseits, die lange Tradition der Selbstorganisation in das geschichtliche Archiv und das Bewusstsein größerer Teile der Gesellschaft einzuschreiben. Die »Selbstorganisierung« versuchte Anfang der neunziger Jahre sich gegen die alltäglichen Formen des Rassismus zur Wehr zu setzen. Mit dem praktizierten Recht auf Selbstverteidigung wurde jede Form der Entmündigung seitens des linken deutschen Antirassismus und der zivilgesellschaftlichen Komplizenschaft kanakischer Lobbyisten aufgekündigt, die versucht hatten, über die »richtigen« und »angemessenen« Formen des Widerstands paternalistisch zu belehren. (Bojadžijev & Tsianos 1999) Neben der Kritik an den Machtverhältnissen zwischen weiß-dominanzgesellschaftlichen NGOs und SOMs wurde auch Kritik an Formen der Zusammenarbeit geübt. Beatrice

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Achaleke von der Schwarzen Frauen Community Wien beschreibt das Verhältnis wie folgt: Oft kommt es zu Kooperationen zwischen Selbstorganisationen und ›etablierten‹ NGOs. Diese Kooperationen folgen in der Regel einem bestimmten Muster: SOMs werden nur selten bei der Entstehung von Projektideen eingebunden. Meistens werden sie erst in der Durchführung und noch öfter als Teilnehmerinnen eingeladen. So bleiben sie Objekte und werden keinesfalls Subjekte, was die Zusammenarbeit betrifft. (Achaleke 2006: 39) Rubia Salgado von maiz spricht in diesem Zusammenhang davon, dass Partizipation abhängig vom Kontext betrachtet werden muss und auch zur Reproduktion von Machtverhältnissen beitragen kann (vgl. Pratter 2014). Es geht nicht um bloße Partizipation, sondern um die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen, zentrale Richtungsentscheidungen zu treffen. Salgado spricht diese Rollenzuschreibung als »Token« an einem Beispiel an: Im Sinne von: Okay, ihr dürft im Gremium XY mitmachen. Und dann sind wir dort in einer minorisierten Position und können nichts verändern oder bewirken, legitimieren aber den Ruf dieses Gremiums als nicht-rassistisch, weil sie ja eine Migrantin drinnen haben. (Pratter 2014) Diese paradoxerweise in antirassistischen Zusammenhängen hervorgebrachten rassistischen Subjektpositionen (aktive weiße, »einheimische« Helfer*innen, passive migrantische Betroffene oder Betroffene of Color) sind in medialen und aktivistischen Diskursen zu antirassistischem Protest häufig anzutreffen (vgl. dazu kritisch Pühretmayer 2002: 295). Selbstorganisation bedeutet für Belinda Kazeem von der Schwarze Frauen Community: »Das heißt, man wird zum Subjekt, da ist es nicht mehr so, dass jemand anderer über einen redet.« (Kazeem 2006: 7) Im Anschluss an die Debatte zu Selbstvertretung und Fremdvertretung wurde eine weitere Trennlinie des Antirassismus hervorgehoben, die bis heute kaum etwas von ihrer Wirkmächtigkeit eingebüßt hat: moralischer vs. politischer Antirassismus (vgl. Johnston-Arthur & Görg 2000; Bratić 2002a, 2010; Leela 2013). Als Beispiele für moralischen Antirassismus werden etwa die zivilgesellschaftlichen Reaktionen auf die rassistischen Kampagnen der FPÖ (z.B. »Österreich zuerst«-Volksbegehren 1992) oder auf rassistische Listen wie »Nein zur Ausländerflut« (1982) (vgl. Leela 2013) genannt. Diesen breiten antirassistischen Momenten und ihren Akteur*innen in Österreich, wie etwa dem »Lichtermeer«, werden dabei bedeutende Vorwürfe gemacht. Ljubomir Bratić und Andreas Görg haben in dem Begriff »moralischer Antirassismus« die Kritikpunkte gebündelt. Sie werfen aus einer normativen Position des »politischen Antirassismus« dem »moralischen Antirassismus« vor, viktimisierend und paternalistisch, individualisierend und psychologisierend zu sein und zugleich zu wenig an tiefgreifenden Gesellschaftstransformationen zu arbeiten (vgl. Bratić & Görg 2021). Das Ideal des politischen Antirassismus entwirft Ljubomir Bratić dann eben einerseits an der Anerkennung von Rassismen als Machtverhältnisse, der Reflexion von Positionierungen innerhalb dieser Verhältnisse und andererseits dem Ziel, diese Verhältnisse zu transformieren.

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Eine Gruppe ist dann im politischen Sinne antirassistisch, wenn sie die Herrschaftsverhältnisse, die den gesellschaftlichen Platz der MigrantInnen bestimmen, thematisiert und gleichzeitig versucht, diese zu verändern oder zumindest neu zu ordnen. (Bratić 2010: 20f) Mit der Kritik an der paternalistischen Fremdvertretung und den häufig lediglich moralischen und nicht politischen Artikulationen in antirassistischen Zusammenhängen ging ab der Mitte der 2000er Jahre auch eine Debatte einher, die die »Normativität von Weißsein« (Wollrad 2005) in Bezug auf Antirassismus kritisch reflektierte. Die Diskussion zur Problematik von Weißsein und Antirassismus wurde in Österreich bereits 2004 vom Büro für ungewöhnliche Maßnahmen (Araba Evelyn Johnston-Arthur, Ljubomir Bratić, Andreas Görg) angestoßen. Sie haben fünf Rassismen in der »weißen Position« (Bratić 2010: 100) angesprochen, die Antirassismus und Bündnisbildung mit Personen mit Rassismuserfahrungen erschweren. Erstens sehen die Autor*innen in der »Nichtauseinandersetzung mit Rassismus bei gleichzeitiger (auch unbewusster) Inanspruchnahme rassistischer Privilegien« (ebd.: 104) eine Reproduktion rassistischer Verhältnisse gegeben. Zweitens wird in der Tradition der Kritik an Praktiken der Fremdvertretung bemängelt, dass Kooperationen mit rassistisch Diskriminierten erst dann eingegangen werden, »wenn die Grundentscheidungen schon getroffen sind, nicht von Anbeginn eines Vorhabens oder Projektes an« (ebd.: 105). Die dritte Form des Rassismus in der weißen Position im Antirassismus sehen die Autor*innen in der spezifischen Konstellation gewerkschaftlicher Politik in Österreich verortet: Aufbauend auf der sozialdemokratisch-gewerkschaftlich traditionellen Verwechslung von Anti-Rechtsradikalismus mit Antirassismus hat der moralische Antirassismus auch ein gutes Stück die (sic!) Dominanz des Weißen Antirassismus beigetragen und weißes antirassistisches Handeln unter faktischem Ausschluss der rassistisch Diskriminierten befördert und legitimiert. (Bratić 2010: 105f) Viertens orientieren sich Kooperationsentscheidungen häufig an Kriterien wie kurzfristiger Effektivität und Effizienz. Die Autor*innen merken an, dass rassistisch diskriminierte Menschen hier häufig Nachteile beim Zugang zu medial und politisch relevanten Positionen haben (vgl. ebd.: 106). Neben dem bereits aus rassistischen, sexistischen, klassistischen Gründen erschwerten Zugang zu relevanten Machtpositionen von Menschen mit Rassismuserfahrungen ist eine weitere mit der sozialen Position zusammenhänge Frage für Machtverhältnisse im Antirassismus ausschlaggebend: welche zeitlichen und finanziellen Ressourcen jemand aufbringen kann. Dazu schreiben Johnston-Arthur, Bratić und Görg: Als fünfte wesentliche Ursache versteckt sich hinter der Weißen Dominanz im Antirassismus hierzulande auch das strukturelle Moment, dass Weiße Männer und (bereits wesentlich eingeschränkter) Frauen leichter Ressourcen für politische Arbeit mobilisieren können. (Bratić 2010: 106) In Deutschland war das von Anja Weiß 2001 erstmals erschienene und in dieser Arbeit bereits angesprochene Werk Rassismus wider Willen. Ein anderer Blick auf eine Struktur sozialer Ungleichheit zentral, um die zuvor angesprochene weiße Position im Antirassismus so-

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ziologisch verstehen zu können. Weiß hat in ihrer empirischen Studie nachweisen können, dass Rassismus eine häufig unbewusste Alltagspraxis darstellt und fest in den von der sozialen Position abhängigen Habitus, also in unser praktisches Bewusstsein und unsere Körperlichkeit eingeschrieben ist: Ich vertrete die Ansicht, dass Rassismus auch nicht-intentional reproduziert werden kann, und ich betrachte rassistische Praktiken nicht als Anwendung von inhaltlich rassistischen Ideologien oder Vorurteilen, sondern suche das Rassistische in den Strukturen, Routinen und Diskursen, die alltägliches Handeln rahmen und ermöglichen. Wenn antirassistisch Engagierte Rassismen reproduzieren, vermute ich, dass sie in einer komplexen und widersprüchlichen Situation derzeit nicht »besser« handeln können, und versuche daher, diese Situation und ihre Widersprüche zu verstehen. (Weiß 2013: 17) Angestoßen von den wichtigen Grundsatzwerken zu kritischem Weißsein im deutschsprachigen Raum (vgl. Eggers et al. 2009; Tißberger et al. 2006; Walgenbach 2005; Wollrad 2005; Amesberger & Halbmayr 2008), dauerte es ein paar Jahre der Wirkzeit, bis die im deutschsprachigen Kontext relativ neue Frage des Weißseins im Antirassismus breiter diskutiert werden sollte. Die Vorfälle des No Border Camps 2012 und die nachfolgende Diskussion wurde bereits eingehend besprochen. Zwei weitere Debatten zu Kritischer Weißseinsforschung und Antirassismus haben in der Zeitschrift Phase 2. Zeitschrift gegen die Realität und der Zeitschrift Antirassistische Zeitschrift (ZAG) stattgefunden. Hier werden die Parallelen und Anwendungsmöglichkeiten der im US-amerikanischen Raum entwickelten Critical Whiteness Studies für die Forschung zu Antirassismus sowie für die antirassistische Praxis ebenso diskutiert wie die Unterschiede und Probleme der Perspektive. Mit Verspätung und in abgeschwächter Form, doch in einer zunächst ähnlichen Konstellation, wurde Critical Whiteness in den letzten 20 Jahren auch in Deutschland populär. Auch hier begannen diskriminierte Gruppen, sich zunehmend selbst zu organisieren, und auch hier hatte die antirassistische Bewegung nach den turbulenten frühen Neunzigern zwar nicht an Aufgabenfeldern, aber mindestens an Öffentlichkeit und Dynamik eingebüßt. Zugleich wuchs innerhalb der Antira-Szene das Bewusstsein, dass man sich den »Unterdrückten dieser Erde« oft hauptsächlich um des eigenen Gewissens Willen angenommen hatte, ohne die eigenen Projektionen zu hinterfragen. (Phase 2 Leipzig 2015) Die vor allem in Phase 2 vorgetragenen Standpunkte entsprechen der zum Teil zu Recht erbrachten Kritik der konstruktivistisch geprägten Denktradition, die vor allem die Essentialisierung der Kategorie »Weiß« bemängelt und dies häufig mit einer allgemeinen Kritik am »cultural turn« verbindet. Sowohl »Weißsein« als auch sein Gegenpol, das »Schwarzsein«, werden unter der Hand zu quasi natürlichen Eigenschaften, denen das Subjekt nicht entkommen kann und die seinen gesellschaftlichen Ort restlos determinieren. Insofern verstellen Identitätspolitik und die populäre Rede von Rasse als »gesellschaftlicher Konstruktion« mehr als sie erklären […]. (ebd.)

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Die Kritik an der angeblichen Festschreibung von antirassistischen Akteur*innen auf ihr Weißsein wird kombiniert mit einer allgemeinen Kritik an der Vernachlässigung der materialistischen Perspektive. Die Kritik geht dabei teilweise so weit, dass der Vorwurf geäußert wird, die gesellschaftlichen Machtverhältnisse drehten sich innerhalb der antirassistischen Vereine so weit um, dass »schuldbeladene privilegierte Weiße auf der einen und mit nahezu unantastbarer Autorität ausgestattete People of Color auf der anderen Seite« (ebd.) vorgestellt werden. Dies führe weder zu Erfahrungsaustausch noch zu echter gesellschaftlicher Veränderung. Demgegenüber wird etwa innerhalb den Debatten in der Zeitschrift für antirassistische Arbeit (ZAG) angeführt, dass es eben nicht darum gehe, Weißsein festzuschreiben, sondern es endlich zu benennen und zu zeigen, dass es historische und strukturelle Ursachen und subjektive oder subjektivierende Effekte aufweist: Es ist wichtig in Erinnerung zu behalten, dass Weißsein keine Anschuldigung ist. Es ist die Verortung des Selbst innerhalb eines politischen und geschichtlichen Kontexts und sollte nicht deshalb zu irgendeiner Art von Schuldgefühl oder Bedauern führen. Die Verarbeitung des eigenen Weißseins sollte deshalb mit etwas Abstand passieren. Kritik anzunehmen, wenn man mit seinen eigenen rassistischen Gedanken und Taten konfrontiert wird, bedeutet nicht, ein Verbrechen einzuräumen, sondern gerade den Versuch, eins zu vermeiden. Dieses Verständnis seiner eigenen Positionierung sollte als Ausgangspunkt jeder Diskussion genommen werden, ob wissenschaftlich oder nicht. (Zeidani 2012: 15) Mohamed Amjahid (2021) hat an diese fruchtbare Tradition der Machtkritik innerhalb antirassistischer Zusammenhänge angeschlossen und eine Anleitung zu antirassistischem Denken für weiße Menschen veröffentlicht. Amjahid formuliert darin fünfzig konkrete Empfehlungen an weiße und/oder mehrfach privilegierte Personen, um antirassistisches Denken zu erlernen: eigene Privilegien benennen, sich selbst bezüglich Rassismus fortbilden, auf rassistische Sprache verzichten, den eigenen Deutungsanspruch zurückstellen, mehr zuhören und von der eigenen Macht abgeben sowie Zivilcourage zeigen sind nur einige der Empfehlungen von Amjahid (2021: 176ff). Im Rahmen der Debatten zur entwicklungspolitischen Bildungsarbeit fanden weitere für Antirassismus und Rassismuskritik wichtige Debatten statt. Der Film White Charity (Philipp & Kiesel 2011) kann als ein zentraler Impulsgeber für die rassismuskritische Revision von entwicklungspolitischer Bildungsarbeit, der strukturellen Zusammensetzung ihrer Kampagnen, ihres Selbstverständnisses und der Involviertheiten in rassistische globale Machtverhältnisse gelten. Die Perspektive der Kritischen Weißseinsforschung innerhalb antirassistischer Zusammenhänge irritiert auf zweifache Weise: Sie irritiert erstens, weil sie tiefgehende und schmerzhafte Reflexionen der eigenen privilegierten sozialen Position verlangt; eine Reflexion, die Menschen mit Rassismuserfahrungen qua Anrufungen immer schon machen mussten. Zweitens irritiert der Ansatz aber auch, weil er wie alle anderen Denksysteme ebenso in das Autoritäre, das Deterministische kippen kann und natürlich vor Machtmissbrauch nicht gefeit ist. Die von Kritischer Weißseinsforschung und Postkolonialer Theorie angestoßenen oder begleiteten Debatten führten zu Grundsatzüberlegungen betreffend der Rolle von entwicklungspolitischer Bildungsarbeit in Bezug auf All-

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tagsrassismen, globale Ungleichheiten und rassistische Machtverhältnisse innerhalb der Organisationen (vgl. glokal 2012 e.V.; Berliner Entwicklungspolitischer Ratschlag 2013; Krämer 2013; Ziai 2013; Graf 2013; Kiesel 2013; Ebasa e.V. 2014). Anfang der 2010er Jahre wurde dann eine weitere wichtige Debatte zu Antirassismus begonnen, die bis heute eine zentrale Referenztheorien für antirassistische Zusammenhänge darstellt. Claus Melter, Paul Mecheril und andere (2011) haben mit dem Konzept der Rassismuskritik (vgl. Ogette 2019; Fereidooni & El 2017; Scharathow et al. 2011) und der daraus resultierenden rassismuskritischen Bildungsarbeit (vgl. Fereidooni & Hößl 2021; Hafeneger et al. 2019; Melter 2015) eine Alternative zu antirassistischen und interkulturellen Pädagogiken entwickelt, die auf der Höhe der gegenwärtigen Rassismusforschung angesiedelt ist. Rassismuskritik betont dabei die Verstrickungen des Selbst in rassistisch geprägte Gesellschaften, wonach eine Anti-Position wie im klassischen Antirassismus nicht mehr möglich ist. Rassismuskritik ist dabei einerseits eine spezifische Gesellschaftsanalyse und andererseits eine Form der Bildungspraxis innerhalb dieser Gesellschaft. Rassismuskritik als Gesellschaftsanalyse bedeutet: Rassismuskritik geht davon aus, dass Rassismus ein Strukturierungsmerkmal unserer Gesellschaft ist, sodass sich kein Individuum und keine Institution als rassismusfrei bezeichnen kann. Es existieren keine rassismusfreien Räume, denn jede Person in der BRD [in Österreich, Anm. F. O.], ungeachtet ihrer sozialen Herkunft, ihrer Intelligenz und ihrer Intention, nicht rassistisch sein zu wollen, besitzt und (re-)produziert rassismusrelevantes Wissen (vgl. Scherschel 2006, Melter 2006). (Fereidooni 2019: 2) Rassismus wird als gesamtgesellschaftliches Verhältnis verstanden, das alle Räume und Individuen der Gesellschaft in unterschiedlichem Maß und auf unterschiedliche Weise – im Zuge von Verletzlichkeiten und Privilegien – betrifft. Rassismuskritische Bildungsarbeit – in antirassistischen oder klassischen Bildungskontexten – ist demnach mit der Aufgabe verbunden, diese Machtverhältnisse zu benennen, Positionen und Erfahrungen darin sichtbar und reflektierbar zu machen und in kleinen Schritten zum Abbau von Rassismen beizutragen: Rassismuskritik kann in diesem allgemeinen Sinne als kreative, notwendig reflexive, offene, beständig zu entwickelnde, gleichwohl entschiedene Praxis verstanden werden, die von der Überzeugung getragen wird, dass es sinnvoll ist, nicht in dieser Weise und nicht in diesem Maß auf rassistische Handlungs-, Erfahrungs- und Denkformen zurückzugreifen. Rassismuskritik beinhaltet macht- und selbstreflexive Betrachtungsperspektiven auf Handlungen, Institutionen, Diskurse und Strukturen. Gesellschaftliche Verhältnisse können zwar nicht durch singuläre Praxen verändert werden. Gleichwohl kann das Bestreben, nicht in diesem Maße und in dieser Weise auf das Ensemble rassistischer Deutungs- und Handlungsschemata angewiesen zu sein, lokale Veränderungsprozesse einleiten und einen Beitrag dazu leisten, Rassismus abzuschwächen, thematisierbar zu machen und gesellschaftliche Kräfteverhältnisse zu verschieben. (Linnemann et al. 2013) Am Antirassismus werden drei Probleme kritisiert: Reduktionismus, Moralismus und Essentialisierung (vgl. Mecheril 2004: 200; Castro Varela 1997: 247). Reduktionismus meint hier eine zu vereinfachte Vorstellung von Rassismus (z.B. Rassismus lediglich als

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Schwarz-Weiß-Gegensatz), die im Zuge von antirassistischer Bildungsarbeit vertreten wird und primär das Ziel verfolgt, mit »einfachen Problem- und Lösungsperspektiven« (Mecheril 2004: 203) etwas verändern zu wollen. Im Zuge des Moralismus werden stark totalisierende Auffassungen von Rassismus entwickelt und weitere Differenzsysteme wie Geschlecht und sexuelle Orientierung übersehen (vgl. ebd.). Dichotome TäterOpfer-Diskurse werden hier auch als moralistisch kritisiert (Mecheril & Scherschel 2011: 50ff). Aus dem Grundverständnis von Rassismus und der Eingebundenheit der Subjekte in rassistische Ordnungen entwickelte Mecheril sechs Grundzüge der rassismuskritischen Pädagogik: erstens die Notwendigkeit zu »mehr Verteilungsgerechtigkeit«; zweitens das Vorhaben zu »[a]ntirassistischer Performanz«; drittens die »Vermittlung von Wissen über Rassismus«; viertens die »Thematisierung von Zugehörigkeitserfahrungen«; fünftens die ständige »Reflexion rassistischer Zuschreibungsmuster«; und sechstens die »Dekonstruktion binärer Schemata«. (Vgl. Mecheril 2004: 206ff) Die wissenschaftliche Aufarbeitung von postmigrantischen Vereinen, Gruppen, Initiativen und Zusammenschlüssen steht erst am Beginn. In diesen Initiativen können neue Formen des Antirassismus beobachtet werden. Naika Foroutan (2016a) sowie Katarina Stjepandić und Serhat Karakayali haben begonnen, von »neuen Allianzen« zu sprechen (2018) und damit die Diskussion über postmigrantischen Antirassismus oder postmigrantische Rassismuskritik eröffnet.

Zusammenfassung Rassismuskritik und politischer Antirassismus In diesem Kapitel habe ich versucht, Antirassismus in einer Minimal- und in einer Maximaldefinition zu entwerfen. In einer Minimaldefinition meine ich mit Antirassismus Ideen und Praktiken, die sich gegen Rassismen richten, und zwar mit dem Ziel, Rassismen abzuschwächen und/oder zu beenden. Diese Minimaldefinition sollte eine Offenheit gegenüber den vielen unterschiedlichen Initiativen und Akteur*innen bewahren, die sich im deutschsprachigen Raum gegen Rassismen engagiert hatten und haben. Diese Offenheit war grundlegend für die Auswahl meiner Probanden und sie ist es auch bei der Beurteilung der hiesigen antirassistischen Bewegungsgeschichte. In einer Maximaldefinition bezeichne ich Antirassismus als Ensemble aus historischen Diskursen, Praktiken, Debatten und Akteur*innen, die sich aktiv und konkret zu verschiedenen Zeiten gegen verschiedene Formen des Rassismus gestellt haben. Ich wollte dabei die lange Tradition antirassistischer Kämpfe aufzeigen und wichtige Wegmarkierungen darlegen. Mir ging es nicht um eine detailreiche, sondern um eine umfangreiche Darstellung. Ich habe demnach Geschichtssplitter des Antirassismus im deutschsprachigen Raum aufgezeigt, die antirassistische Landschaften sichtbar machen sollten. Diese Landschaften sind sehr vielfältig und zeichnen sich durch unterschiedliche Traditionen aus. Sie sind selbst von rassistischen Machtverhältnissen durchzogen und deren historische Rekonstruktion durch weiß-dominanzgesellschaftlich geprägte Archivierung beschnitten. Es handelt sich um eine Landschaft mit Zentren und Rändern. Antirassismus im deutschsprachigen Raum ist klar von Menschen mit Migrations- und

3 Antirassismus

Rassismuserfahrungen geprägt. Ihre Ideen, Interessen und Strategien waren grundlegend für antirassistische Bewegungsgeschichte. Gleichzeitig gab und gibt es eine gewichtige antirassistische Tradition aus links-studentischen Zusammenhängen (von Menschen mit und ohne Rassismuserfahrungen) und einen Antirassismus, der aus der sogenannten »Mehrheitsgesellschaft« artikuliert wurde und wird und mit dominanzgesellschaftlichen Verhältnissen sehr stark verstrickt ist und war. In der öffentlichen Wahrnehmung spielten lange Zeit primär der diversere links-studentische und der dominanzgesellschaftliche Antirassismus eine hervorgehobene Rolle, so als wären diese Formen die antirassistischen Hauptartikulationen. Erst in den letzten zwei Jahrzehnten wurde die weit zurückreichende Tradition des selbstorganisierten und selbstbestimmten Antirassismus sichtbar gemacht, der von Jüdinnen und Juden, Schwarzen Menschen, asiatischen Menschen, indigenen Menschen, Rom*nja und Sinti*zze, Muslim*innen, Migrant*innen und migrantisierten Menschen aus und in Österreich und Deutschland artikuliert und getragen wurde. Dabei wurden stets Formen der Bündnispolitik eingegangen, die ein zentrales Machtmittel des selbstbestimmten und solidarischen Antirassismus darstellen. Diese Bündnispolitiken waren dabei ambivalent. Sie ermöglichten oft eine größere Reichweite und Zugang zu mehr Ressourcen, brachten aber auch die Nachteile von paternalistischen Strukturen und moralischen Formen des Antirassismus mit sich. Vor diesem historischen Hintergrund kann es keine weiß-dominanzgesellschaftlich geprägte Gruppe mehr geben, die sich selbst als antirassistisch definiert. Antirassismus muss am Wissen und an den Bedürfnissen jener ausgerichtet sein, die Rassismen erleben, mit dem Ziel, rassistische Verhältnisse gemeinsam und in solidarischen Praktiken abzubauen. Die wissenschaftlichen Debatten waren zu Beginn von einer »Kritik am Antirassismus avant la lettre« (Pühretmayer 2002: 291) geprägt, also von einer Kritik an etwas, das weder empirisch auffindbar war, noch in der Kritik über Oberflächlichkeiten hinausging. So wurde der Antirassismus – der unausgesprochen als weiß-dominanzgesellschaftlicher Antirassismus markiert war – mit einem defizitären Blick als moralisierendes Phänomen ohne politischen Tiefgang beschrieben, bei gleichzeitiger Ausklammerung der migrantischen und selbstorganisierten Traditionen. Diese Traditionen sichtbar zu machen und Menschen mit Rassismuserfahrungen in den Mittelpunkt antirassistischer Bemühungen zu stellen, wurde, nach einer Phase der Pädagogisierung des Antirassismus, in zivilgesellschaftlichen und wissenschaftlichen Interventionen als notwendiger Konsens im Antirassismus erkämpft. Damit einher ging auch die Warnung vor einem alles bestimmenden, moralischen, nichtpolitischen, nichttransformativen weißdominanzgesellschaftlich geprägten Antirassismus, dem vorgeworfen wurde, Menschen mit Rassismus- und Migrationserfahrungen, wenn überhaupt, dann lediglich als »Tokens« in die antirassistische Arbeit einzubinden und keine Auswirkungen auf strukturelle Rassismen aufweisen zu können. Demgegenüber sollte ein selbstbestimmter, solidarischer, politischer Antirassismus entwickelt werden. Die Debatten zu kritischem Weißsein haben die Machtverhältnisse, die zuvor primär in den Kategorien Selbstvertretung vs. Fremdvertretung diskutiert wurden, um die Analyseebene der Normativität von Weißsein erweitert. Neuerlich ging es um die Frage, wer aus welcher Position Antirassismus artikulieren sollte und wer besser in die zweite Reihe wechselt.

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Teil 1: Theorie

Die neue Perspektive der Rassismuskritik zeigt, dass wir alle Teil rassistischer Verhältnisse sind, gleichzeitig aber aufgrund unserer unterschiedlichen sozialen Positionen differente Erfahrungen machen. Wir sind unterschiedlich anfällig für Verletzbarkeiten, besitzen in unterschiedlichem Maße Privilegien. Wir sind aufgerufen, unsere Positionen zu reflektieren und diese in Bezug auf Antirassismus zu berücksichtigen, etwa indem weiß-dominanzgesellschaftlich positionierte Menschen Macht und Deutungshoheit abgeben. Gleichzeitig zeigt die Betonung von Antirassismus als politische Kritik, dass Antirassismus zwar tief durch die soziale Position geprägt ist, daraus jedoch nicht automatisch eine politische Position abgeleitet werden kann. Postmigrantischer Antirassismus reflektiert unterschiedliche Positionierungen und weist zugleich darüber hinaus. Die subjektivierungstheoretische Lesart von sozialer Position, sozialer Positionierung, politischer Position und politischer Positionierung wird im folgenden Kapitel vertieft.

4 Subjektivierung und Subjektbildung »Es gibt im Leben Augenblicke, da die Frage, ob man anders denken kann, als man denkt, und auch anders wahrnehmen kann als man sieht, zum Weiterschauen und Weiterdenken unentbehrlich ist.« Michel Foucault

Die Subjektivierungsforschung ist ein sehr heterogenes und sehr junges1 Forschungsfeld und geht vor allem auf die Arbeiten von Louis Althusser, Michel Foucault und Judith Butler zurück. In diesem Kapitel soll gezeigt werden, warum diese theoretische Perspektive bei empirischen Studien zu privilegierten antirassistischen Akteur*innen besonders fruchtbar ist. Dafür werden zunächst die in der hiesigen Forschungslandschaft herrschenden und häufig unbenannten soziologischen Grundprämissen in zwei widerstreitende Perspektiven zerlegt, um dann die Subjektivierung als dritte Position anzubieten. Daraufhin wird in die Geschichte des Konzeptes eingeführt, eine Definition vorgestellt sowie zentrale Abgrenzungen vorgenommen. In einem nächsten Schritt wird der Forschungsstand skizziert, ehe dann die zentralen Konzepte von Subjektivierung und Subjektbildung sowie ihr Verhältnis zueinander besprochen werden. Abschließend sollen die Kernbegriffe aus dieser vielfältigen, aber doch konsistenten Denktradition herausgearbeitet und dargelegt werden. In der bisherigen Erarbeitung der theoretischen Grundlagen dieser Studie wurde bereits mehrfach auf zwei konsequenzenreiche Problemstellungen hingewiesen, die ich zu Beginn dieser Arbeit als Essentialismus und Machtrelativismus bezeichnet habe (siehe Kapitel 1). Mit Essentialismus sind Deutungen und Theoriekonzepte gemeint, die soziale Positionen, wie etwa jene des weißen Mannes, aufgrund einer so gedeuteten Übermacht von Diskursen, Strukturen und Machtverhältnissen quasi festschreiben. Forschungen aus dieser heterogenen und in sich zum Teil widersprüchlichen Tradition – die nur zu dem Zweck der theoretischen Abgrenzung in der Kategorie »strukturalistisch-essentialisierend« zusammengefasst werden – theoretisieren die Auswirkungen der rassistischen, sexistischen, heteronormativen Vergesellschaftung und wie diese

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Das Konzept der Subjektivierung gewann in der Soziologie erst in den späten 1990er Jahren an Bedeutung (vgl. Traue et al. 2017).

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Teil 1: Theorie

ihre hervorgebrachten Individuen formt und positioniert. Individuen werden dann als Träger*innen dieser gesellschaftlichen Eigenschaften gesehen. Damit geht auch häufig eine Form der Essentialisierung der Akteur*innen in ihren sozialen Positionen einher. In seiner Extremform wird das Subjekt dabei essentialisiert, entgeschichtlicht und festgeschrieben. Dieser Theorieschluss ist auch aus dem Fokus auf eben jene tatsächlich herrschenden, wirkungsvollen und unterwerfenden Diskurse, Strukturen und Machtverhältnisse zu erklären. Demgegenüber betonen alternative theoretische Ansätze die Wirkungsmächtigkeit von Akteur*innen mitsamt ihren Handlungen, Interaktionen und Praktiken. Diese seien angeblich sowohl auf die Diskurse, Strukturen und Machtverhältnisse selbst wirksam und hätten dazu noch auf die individuelle soziale Positionierung und das Selbstverhältnis maßgeblichen Einfluss. Diese ebenfalls heterogenen und in sich widerstreitenden Ansätze werden hier unter der Bezeichnung »handlungstheoretisch-konstruktivistisch« zusammengefasst. Sie theoretisieren, wie sich in Interaktions- und Handlungsprozessen sowie sozialen Praktiken Machtverhältnisse bilden, umgestalten und auch auflösen. Sie pochen auf die Möglichkeit der individuellen und kollektiven Selbsterkenntnis über die Irrationalität spezifischer Machtverhältnisse und argumentieren häufig vernunfttheoretisch, wie etwa durch veränderte Kommunikationsprozesse neue soziale Ordnungen, Diskurse, Strukturen und Machtverhältnisse entstehen (können). Die häufig sozial-konstruktivistisch ausgerichteten Ansätze schreiben Individuen prinzipielle Reflexions- und Handlungsfähigkeiten zu. Das Subjekt wird autonom gedacht, seine Interaktions-, Handlungs- und praxisbezogenen Möglichkeiten werden hervorgehoben. Diese theoretische Sichtweise beinhaltet die Gefahren einer Romantisierung von Handlungsfreiheit und -möglichkeit und tendiert in ihren extremen Formen zu Machtrelativismus. Auch hier ist eine mögliche Erklärung für diesen theoretischen Schluss in der Perspektive selbst zu finden. Sie beobachtet und theoretisiert tatsächliche Individuen, ihre Handlungen, Praktiken und Interaktionsnetze und erkennen Unterschiede zu dominanten Diskursen, Strukturen und Machtverhältnissen. Entgegen eines strukturalistisch-essentialisierenden Ansatzes, der Individuen auf ihre soziale Position in Diskursen, Strukturen und Machtverhältnissen festschreibt und damit ahistorische Subjekte behauptet, und entgegen einer handlungstheoretisch-konstruktivistischen Schule, die Akteur*innen, ihre Handlungen, Interaktionen, Praktiken und Identitäten freischreibt und damit Subjekte entsoziologisiert, kommt die Subjektivierungstheorie ins Spiel.

Definition Die großen Fragen nach dem Subjekt und der Subjektivierung sind nicht neu, sondern wurden mindestens seit der antiken Philosophie gestellt. Während Subjekt in der Antike neben anderen Bedeutungen alles Seiende als Träger*in von Handlungen und Eigenschaften meinte, vollzog bekanntlich die Subjektphilosophie im Rahmen der Neuzeit eine paradigmatische Wende (vgl. Kible 1998). Das Subjekt war fortan das sich und die Welt

4 Subjektivierung und Subjektbildung

erkennende und bedingungslos autonom handelnde und universalisierte2 menschliche Ich. Der Poststrukturalismus hat, aufbauend auf den Werken von Karl Marx, Sigmund Freud, Friedrich Nietzsche, Martin Heidegger, Ludwig Wittgenstein, John Dewey und anderen, eine »Dezentrierung« der modernen Philosophie des Subjektes vorgenommen (vgl. Hall 1994c: 180; Reckwitz 2010: 13). Das Subjekt wird ›dezentriert‹, indem es seinen Ort als Null- und Fixpunkt des philosophischen und humanwissenschaftlichen Vokabulars verliert, es erweist sich selber in seiner Form als abhängig von gesellschaftlich-kulturellen Strukturen, die ihm nicht äußerlich sind und in deren Rahmen es seine Gestalt jeweils wechselt […]. (Reckwitz 2010: 13) Das Subjekt ist fortan also keine ahistorische, universalistische Konstante, sondern immer im Werden. Individuen sind zeit ihres Lebens mit bestimmten idealtypischen Subjektformen konfrontiert und subjektivieren sich im Rahmen dieser Normalitätsvorstellungen selbst. Dieser wechselseitige Prozess aus soziokultureller oder gesellschaftlicher Produktion von bestimmten Subjektpositionen (z.B. weißer Mann) und der Subjektbildung (z.B. durch Antirassismus) von Individuen innerhalb dieser Normalitätsregime mitsamt den Möglichkeiten des Widerstands und der Kreativität steht im Zentrum dieser Subjektivierungsforschungen. Subjektivierung bezeichnet also das Subjektwerden von Individuen und beschäftigt sich dabei einerseits mit den historischen Bedingungen, die einzelne Körper zu anerkannten und zu Handlungen fähigen Subjekten machen (Wiede 2014), und andererseits damit, wie diese Körper kontingent, eigenlogisch und produktiv (Villa 2010) im Zuge individueller Subjektbildung (Mecheril 2014a) oder Selbstbildung (Saar 2013) auf diese Bedingungen reagieren. Subjektivierung wird, das lässt sich wohl generalisieren, verstanden als Subjektwerdung (bzw. -gewordensein) entlang zu präferierender, also bevorzugender Normen eines Subjekt-Seins. (Geimer 2017: 2) Mit historischen Bedingungen sind Diskurse und Wissensregime, Institutionen, Gesetze, Artefakte und Praktiken gemeint, die bestimmte Vorstellungen, Formen und Hierarchisierungen des Menschseins produzieren. Diese heterogenen und stets machtvollen normativen Ordnungen sind die für individuelle Körper zur Verfügung stehenden Grundlagen, um ein Bewusstsein – also eine Idee von und ein Verhältnis zu sich selbst 2

Das souveräne Subjekt der Aufklärung war in der Lage, durch Vernunft, Wissen und eigenes Handeln die materielle Welt zu verstehen, zu bearbeiten und zu beschreiben sowie sich selbst zu erkennen. Dieses Subjekt wurde zentriert gedacht, also mit einem festen Wesenskern, der eine bestimmte Form von Bewusstsein und Handlungsfähigkeit sowie eine Begabung zur Vernunft miteingeschlossen hat. Dieser Kern wurde als stabile Eigenschaft eines jeden Individuums angenommen, also als Essenz der Menschheit. Allerdings muss hier gleich ergänzt werden, dass in Wechselwirkung zu politischen und ökonomischen Entwicklungen wie etwa Versklavung und Kolonialismus eine beträchtliche Gruppe von Menschen aus diesem Kreis des souveränen Subjektes ausgeschlossen wurde. Nicht-Europäer*innen, Frauen, Angehörigen ärmerer Schichten und anderen Gruppen wurde die Begabung zur Vernunft abgesprochen oder unterstellt, ihre Menschlichkeit müsste ihnen erst »anerzogen« werden (vgl. Hall 1994c: 181ff).

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sowie zu Formen des Denkens, Handelns und Begehrens – zu gewinnen. Es geht also um die Selbstwerdung unter sozialen und kulturellen Bedingungen, die Identitäten, Handlungen und Widerstand zwar strukturieren, aber nicht vorbestimmen. Das Subjekt ist nie einfach da, sondern wird in historisch-spezifischen Prozessen fortlaufend erzeugt. Diese Produktion von Subjekten, Subjektformen und Subjektordnungen steht im Mittelpunkt der Subjektivierungsforschung. Gegenstand der Analyse sind damit Subjektformen – der asketische Unternehmer, die Femme Fatale, der irrationale und exotische Orientale, der bürgerliche Leser und spätmoderne Internet-User, der »Hofmann«, der sozialistische Arbeiter und der Stoiker –, Subjektkulturen – jene Praktiken und Diskurse, in denen sich diese Subjektformen bilden – und ganze Subjektordnungen, d.h. komplexe Konstellationen von typisierten Personen, etwa die Geschlechterordnung, die Relation zwischen unterschiedlichen ethnischen Identitäten oder zwischen Klassen- und Milieusubjekten. (Reckwitz 2012: 10, Herv. i. Orig.) Die Subjektivierungsforschung betont die Macht normativer Ordnungen sowie die individuell-einzigartigen (Selbst-)Unterwerfungen von Körpern unter diese Ordnungen gleichermaßen, ohne den Dualismus von Handlung und Struktur fort zu tradieren. Die zusammenhängende Frage der Subjektivierungsforschung lautet stets: »Wie werden Menschen zu Subjekten gemacht, und wie machen sie sich selbst zu Subjekten?« (Wiede 2014: 1)

Abgrenzungen Bisherige Forschungen zu Antirassismus aus einer weißen Position arbeiteten häufig ausgesprochen oder unausgesprochen mit Konzepten wie Identität, Sozialisation und Rolle. Anhand der Abgrenzung zu diesen Ansätzen wird die Spezifik des Konzeptes der Subjektivierung noch deutlicher. Damit soll der unterschiedliche Blickwinkel noch klarer aufgezeigt und bereits der zusätzliche mögliche Erkenntnisgewinn angedeutet werden. Im Vergleich zu dem Begriff des Subjektes hat das Konzept der Identität eine weitaus kürzere Geschichte. Die zentralen Arbeiten zu Identität entstanden ab den 1940er Jahren in den Disziplinen Psychologie und Soziologie, die entwicklungspsychologische und sozialisationstheoretische Konzepte erarbeitet haben (vgl. Reckwitz 2013: 76). Die Arbeiten zu Identität versuchen »Antworten auf dieses Problem der »Passung« zwischen autonomen Individuen und gesellschaftlichen Erwartungen zu formulieren« (ebd.). Die für die Identitätssoziologie zentralen Konzepte der Sozialisation, der Identität, der Rollen sowie des Selbst von George Herbert Mead und seinen Nachfolger*innen im Symbolischen Interaktionismus sollen kurz skizziert und dann von der poststrukturalistischen3 Subjektivierungsperspektive unterschieden werden. 3

Unter der Bezeichnung »Poststrukturalismus« können »im Laufe der 1960er Jahre in Frankreich, seit den 1980er Jahren auch im englischsprachigen Raum entwickelte Theoriekonzepte zusammengefasst werden, die sprachtheoretische Grundannahmen des Strukturalismus aufnehmen

4 Subjektivierung und Subjektbildung

Für Mead ist die Entwicklung von Identität ein sozialer Prozess. Zentrale Voraussetzungen dafür sind der menschliche Geist und seine Fähigkeiten, sich mittels Sprache selbst als Objekt betrachten zu können (vgl. Müller 2009: 33). Identität ist also nicht gegeben, sondern entwickelt sich im Zuge von Interaktionen mit signifikanten Anderen. Mead hat ein berühmt gewordenes und bis heute angewendetes Modell entwickelt, das die Konstitution des Selbst und der Ich-Identität als Prozess zwischen drei Komponenten versteht: Me, Self und I. Me bezeichnet die soziale Identität als ein Ensemble aus »internalisierte[n] Vorstellung[en] davon, wie ich durch die Augen der anderen gesehen werde und welche Erwartungen an mich gerichtet werden« (Müller 2009: 34). Mit I bezeichnet Mead die triebhafte, spontane und unbewusste Komponente der Ich-Identität, die sich selbst weder ganz versteht noch kontrolliert, aber Kreativität sowie Willensfreiheit ermöglicht. Das Self entwickelt sich aus den Kämpfen, Widersprüchlichkeiten und Verbindungen des Me und des I. (Ebd.) Im Gegensatz zu Theorien der Subjektivierung, die sich von einem festen Kern des Subjektes verabschiedet haben, beinhaltet Meads Subjekt trotz der Historisierung und Soziologisierung von menschlichen Identitäten einen relativ stabilen Ich-Kern. Während das Me das Subjekt historisiert und soziologisiert, verweist das I auf einen universellen Wesenskern, der durch biologische Triebe, ein psychisches Unbewusstes und intrinsische Kreativität gekennzeichnet ist. Aus der Perspektive der Subjektivierung könnte Meads Modell so abgewandelt werden, dass es lediglich ein Me und ein Self gibt. Me wäre dann die Vielzahl an diskursiv erzeugten Subjektpositionen oder Subjektformen, auf die ein Self mittels (Selbst-)Unterwerfung oder »Identifikation« (Hall 1994d) reagiert. Da stets eine Vielzahl von Subjektpositionen eingenommen und nicht eingenommen werden können und da jede subjektkulturelle Ausführung nur ein performatives Zitat (vgl. Butler 1997) ist, beinhaltet das Self bereits ein Maß an Handlungsfähigkeit und Kreativität, ohne dafür ein abstraktes I zu benötigen. Der Symbolische Interaktionismus um den Mead-Schüler Herbert Blumer, der auch maßgeblich von Anselm Strauss und Ervin Goffman entwickelt wurde, beschäftigte sich dann weiter mit Meads Grundannahmen. Mead betonte die Wichtigkeit von Rollen und Rollenübernahme für die Identitätsproduktion und -entwicklung. Ervin Goffman schloss an Meads Überlegungen an und betrachtete die Welt als große Bühne, auf der wir alle Theater spielen (Goffman 1959). Von Mead übernahm Goffman auch die Dreiteilung der Identität und nannte die Komponenten soziale, persönliche und Ich-Identität (vgl. Goffmann 1963). Goffman analysierte menschliche Interaktionen in Bezug auf die Übernahme und Verweigerung von gesellschaftlichen Rollen. Menschen erschaffen ihre soziale Welt mittels Interaktionen, bei denen sie von signifikanten Anderen abhängig sind, diese beobachten und von diesen selbst beobachtet werden. Das bedeutet auch, dass jede Form der Identität nur in der Interaktion mit anderen entstehen kann. Identität muss also gegenüber anderen präsentiert werden, um Chancen auf Anerkennung zu erhalten. Das Konzept der sozialen Identität umfasst die kollektiven Normen bezüglich verschiedener Zugehörigkeitsformen (Alter, Geschlecht, Schicht, Ethnizität, Sexualität usw.), die sich und sich zugleich kritisch von spezifischen Ausprägungen dieses Strukturalismus absetzen.« (Moebius & Reckwitz 2013: 10)

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in Rollenbildern, Rollenmöglichkeiten und Rollenerwartungen ausdrücken (vgl. Müller 2009: 36). Unter persönlicher Identität versteht Goffman dann die Einzigartigkeit eines Individuums, die sich aus der spezifischen Kombination von individuellen Merkmalen und Eigenschaften zusammensetzt. In der Welt der andauernden symbolischen Interaktionen sind wir gezwungen, viele – zum Teil widersprüchliche – Rollen einnehmen zu müssen. Individuen sind dann Darsteller*innen von etablierten sozialen Rollen, zu denen es bereits Fassaden gibt (vgl. Goffman 1956). Die Ich-Identität entsteht folgend aus der Balance aus Rollenübernahme und Rollendistanz. Im Zuge der Dreiteilung der Identität rettet der Symbolische Interaktionismus einen autonomen Wesenskern4 des Subjektes. Poststrukturalistische Subjektivierungstheorien verzichten auf dieses Zentrum und verweisen darauf, dass auch die verschiedenen Weisen des inneren Verhältnisses zu sich selbst bestimmten historisch- und kulturellnormativen Vorgaben entsprechen, ohne dass sie dann aber auch genauso umgesetzt werden können. Die interaktionistischen Theorien von Mead bis Goffman betrachten in ihrer handlungstheoretischen Tradition symbolische Interaktionen als Urheberinnen von Identitäten entlang der Konstruktion, Annahme und Verweigerung von Rollen. Im Unterschied dazu konzentriert sich die poststrukturalistische Subjektivierungsforschung auf die Wirkung von normativen Ordnungen (Diskurse und Wissenssysteme, Institutionen, Gesetze, Praktiken, Artefakte), die innerhalb wie auch außerhalb von Interaktionen erzeugt werden, und wie Einzelne diese verarbeiten. Während Rollen angenommen oder verweigert werden können und in Abhängigkeit von Situationen und Settings (Bühnen) stehen, sind Subjektpositionen oder Subjektformen auch außerhalb konkreter Interaktionssituationen wirkungsmächtig. Sie hängen in erster Linie von diskursiv vermittelten Wissensregimen ab und nicht nur von Interaktionen. Die zentralen Abgrenzungen zur Sozialisationsforschung und, wie sich später auch zeigen wird, zur Biographieforschung liegen laut Saša Bosančić, Lisa Pfahl und Boris Traue in vier Punkten, die das bisher Gesagte zusammenfassen und um Dimensionen erweitern, die nachfolgend besprochen werden. Die Subjektivierungsforschung schließt an die Sozialisations- und die Biographieforschung an und liefert ein machtanalytisches Korrektiv, das gleichzeitig über beide Ansätze hinausführt: Im Hinblick und in Abgrenzung zur Sozialisations- resp. zur Biografieforschung besteht dieses Korrektiv aus vier Elementen, einer a) machttheoretischen Perspektive, b) wissenskritischen Wendung, c) gesellschaftstheoretischen Wendung und d) Wende zum Körper und zur Performativität. (Bosančić et al. 2019: 140)

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Stuart Hall (1994c) hat drei Formen der Subjektvorstellung unterschieden: das autonome Subjekt, das soziologische Subjekt und das postmoderne Subjekt. Während das soziologische Subjekt, zu dessen Theoretiker*innen Mead und Goffman zu zählen sind, im Gegenzug zum autonomen Subjekt bereits gesellschaftlich eingebettet und historisiert ist, beinhaltet es immer noch einen universellen Kern. Die postmoderne Subjekttheorie, der die Subjektivierungstheorie zuzuordnen ist, radikalisiert die Subjektvorstellung, indem sie eine vollständige Dezentrierung vornimmt (vgl. ebd.: 181ff). Peter Zima (2010) ist ebenfalls den Theorien des Subjektes und der Identität zwischen Moderne und Postmoderne gefolgt.

4 Subjektivierung und Subjektbildung

Unter einer machttheoretischen Perspektive verstehen die Autor*innen, dass es sich bei menschlichen Gesellschaften um »historisch variable symbolische und materielle Formationen« (ebd.) handelt, die auch konkret untersucht werden müssen, ohne dafür normative und kontextspezifische Vorannahmen wie etwa »Modernisierungstheorien« heranzuziehen (vgl. ebd.). Subjektivierungsforschungen fußen auf einer wissenskritischen Wendung, was bedeutet, dass sie wissenschaftliche Praxis – also auch das eigene Schaffen – als Teil von Machtverhältnissen und der Hervorbringung von Subjekten verstehen. Wissenskritisch zu arbeiten, bedeutet, die »Spezifik von Wissensbeständen zu berücksichtigen« (ebd.) und genauso »die Bindungen derer, die ein Wissen pflegen oder propagieren, an dieses Wissen zu problematisieren« (ebd.). Unter gesellschaftstheoretischer Wendung ist zu verstehen, dass das Verhältnis zwischen gesellschaftlichen Komplexen und den zur Eingliederung in diese Verhältnisse aufgeforderten Subjekten fokussiert wird (vgl. ebd.: 141). Schließlich umfasst die Perspektive der Subjektivierungsforschung und hier besonders jene der empirischen Subjektivierungsforschung einen Blickwechsel hin zum Körper und zur Performativität dieser Körper: Neben die sprachlichen Äußerungen treten in der Subjektivierungsforschung auch visuelle, technische und akustische Symbolformen in den Fokus des Forschungsinteresses (vgl. Traue und Schünzel 2014). (Bosančić et al. 2019: 141) Unter dem Begriff »Subjektivierung« wird sowohl die Ebene der Diskurse, der Strukturen und Machtverhältnisse als auch die Praktiken der individuellen Subjektbildung betrachtet, ohne a priori die eine oder die andere Perspektive zu bevorzugen oder sie isoliert voneinander zu betrachten. Trotz der relativ kurzen Geschichte dieser theoretischen Perspektive haben sich bereits mehrere fruchtbare Forschungsprogramme entwickelt.

Subjektivierungsforschung Die Subjektivierungsforschung gewinnt innerhalb geistes- und sozialwissenschaftlicher Räume zunehmend an Bedeutung. Einerseits wurden theoretisch-methodische Programme entwickelt, die sich eher für Subjektivierungsstrukturen interessieren, wie die Diskurs- (vgl. Keller et al. 2012) und Dispositivanalyse (vgl. Bührmann & Schneider 2012) sowie die Gouvernementalitätsforschung (Bröckling et al. 2000). Andererseits existieren fruchtbare Methodologien, die eher an den Subjektivierungsprozessen von Körpern interessiert sind, wie die Soziologie der Praxis (vgl. Schäfer et al. 2015), die Ethnographie sowie die Biographieforschung (vgl. Lutz et al. 2018). Aus der Kritik an einerseits zu diskursdeterministischen Forschungsprojekten (vgl. Geimer et al. 2019a: 2f), die Subjektbildungsprozesse und die Alltagspraxis vernachlässigen, und andererseits biographischen Forschungen, die von einem modernen universellen Biographie-Subjekt und nicht dessen gesellschaftlicher Produktion ausgehen (vgl. Traue et al. 2017: 2), haben sich anschlussfähige Programme entwickelt. In den letzten Jahren wurden theoretisch gesättigte Methodiken entwickelt, die den Techniken der Subjektivierung (Gelhard et al. 2013), den Selbst-Bildungen (Alkemeyer et al. 2013) und den Zusammenhängen von Subjekt und Subjektivierung (Geimer et al. 2019b) nachspüren oder dem Subjekt folgen (Following the Subject von Bosančić et al. 2022).

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Mit der Programmatik der empirischen Subjektivierungsforschung (vgl. Bosančić et al. 2022, 2019; Traue et al. 2017) steht eine ausgereifte Methodologie zur Verfügung, die für diese Studie grundlegend ist. In der Arbeit von Norbert Ricken, Rita Casale und Christiane Thompson (2019) finden sich explizit erziehungswissenschaftliche Perspektiven auf Subjektivierung. Die theoretisch-methodischen Überlegungen zu Biographieforschung im Diskurs (Völter et al. 2009) und Biographie und Diskurs (Spies & Tuider 2017a) ermöglichen es, Diskursforschung und Biographieforschung zu kombinieren. Im Rahmen der deutschsprachigen Subjektivierungsforschung sind in den letzten Jahren wichtige Sammelbände entstanden, die auf die individuellen, gesellschaftlichen und historischen Facetten von Subjektivierungsprozessen eingehen. Historischdiskursanalytische Subjektivierungsforschungen beschäftigen sich mit den Bereichen Psychiatrie (Ralser 2010), Beratung (Maasen 2011), Körper (Villa 2008), Behinderung (Pfahl 2011), Sport (Eiben 2015), Sexualität und Geschlecht (Trumann 2002), Ästhetik (Elberfeld & Otto 2008), Kolonialismus (Hamann 2015) und Staat (Joyce 2004), dezidiert zu Foucaults Forschungsmethodik (Keller 2011) und zur Historizität von Subjektivierungsprozessen und -formen (Benhabib 1995). Weitere sozialwissenschaftliche Arbeiten zu Subjektivierung beschäftigen sich mit der Psyche (Butler 2001), der Religion (Bublitz 2010), dem Staat (Lessenich 2008), der Arbeit (Boltanski & Chiapello 2003) und mit Obdachlosigkeit (Girola 2013). Arbeiten, die den Zusammenhang von Rassismen und Subjektivierung untersuchen, kommen aus verschiedenen Disziplinen und Perspektiven. Die kritische Migrationsforschung interessiert sich vor allem für die Subjektbildung innerhalb spezifischer (rassistischer) Bedingungen von Migrationsgesellschaften (Mecheril 2014a) oder postmigrantischen Gesellschaften (Foroutan 2019), häufig in Bezug auf Kultur- und Bildungseinrichtungen. Die Forschungen um Paul Mecheril (2014a) legen dabei einen besonderen Schwerpunkt auf die Subjektbildung innerhalb der spezifischen Bedingungen von Migrationsgesellschaften. Das Werk Rassismus bildet (2011) von Anne Broden und Paul Mecheril ist hier maßgeblich. Einzelne weitere Beiträge entwickeln eine subjektivierungstheoretische Rassismusforschung, die erst am Beginn steht, fortlaufend voran (vgl. Arslan 2016; Bergold-Caldwell 2020; Bergold-Caldwell & Georg 2018). Für diese Studie sind zwei Schwerpunktsetzungen zentral, die mittels der Anwendung von in der Subjektivierungsforschung entwickelten Arbeitsbegriffen operationalisiert werden. Gemäß den Forschungsfragen dieser Studie interessiere ich mich erstens für die Subjektivierungsprozesse entlang von Subjektnormen und Subjektvorstellungen, die in Bezug auf die Subjektordnungen von intersektional verstandenen Rassismen artikuliert werden (Rassismen als symbolische Ordnungen). Mit diesem Fokus folge ich den Maximen der empirischen Subjektivierungsforschung, wie sie etwa von Saša Bosančić, Lisa Pfahl und Boris Traue skizziert wurden: Der Begriff der Subjektivierung, wie wir ihn verstehen, beschreibt dabei immer Normen des Subjektseins einerseits und den Prozess der Subjektwerdung andererseits, sowie die Dynamik, die sich aus dem Verhältnis beider ergibt. Die dominanten Subjektivierungsanforderungen und Entitäten, die als Subjekte angerufen werden, sind dabei historisch variabel und treffen auf ungleich verteilte Subjektdarstellungskompetenzen sowie Deutungs- und Handlungsmuster. Da die Normen des Subjektseins

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der Subjekte bedürfen, um überhaupt Bestand zu haben, ist es unerlässlich, sich der Konstruktion dieser Normen durch die Subjekte zuzuwenden, also den Aneignungsweisen, den Transgressionen, und dem Scheitern der Subjekte, diesen normativen und technischen Anforderungen zu genügen. (Bosančić et al. 2019: 148) Diesem soziologischen Forschungsinteresse steht ein bildungswissenschaftliches Forschungsinteresse zur Seite. Gemäß den Forschungsfragen dieser Studie interessiere ich mich zweitens für die Subjektbildungsprozesse entlang von Subjektnormen, Subjektvorstellungen und Traditionen des antirassistischen und rassismuskritischen Aktivismus innerhalb des deutschsprachigen Raumes. Die Zusammenhänge zwischen Subjektivierung und Bildung werden dabei mit Britta Hoffarth (2016), die sich in ihrem Artikel Migrationsforschung als Subjektivierungsforschung auf Anne Broden und Paul Mecheril (2011) bezieht, als nichtidentisch, nichtdeterministisch, sondern ineinandergreifend verstanden: Subjektivierung und Bildung beschreiben nicht dasselbe, sondern stellen zwei analytische Zugänge zu Prozessen der Subjektwerdung dar. Unter migrationsgesellschaftlichen Bedingungen wird nun ein subjektivierungstheoretisch informierter Bildungsbegriff relevant, der Bildung als ambivalent verfassten Aneignungsprozess begreift (vgl. Broden/Mecheril 2010: 11), welcher sowohl auf die Behauptung einer Vorgängigkeit des Subjekts als auch seiner Determination durch die strukturellen Bedingungen verzichtet. Es wird davon ausgegangen, dass es eine Möglichkeit gibt, sich zu den erfahrenen Anrufungen in ein Verhältnis zu setzen. Eine Migrationsforschung, die sich umgekehrt formuliert als bildungstheoretisch informierte Subjektivierungsforschung versteht und damit strukturelle wie individuelle Logiken des Othering fokussiert, sieht sich der Herausforderung ausgesetzt, Subjekte zu anderen Subjekten zu machen, um ihre Positionen aus der Veranderung zu lösen. (Hoffarth 2016: 82) Subjektbildungsprozesse werden als ambivalente Aneignungsprozesse von Wissen über Gesellschaft, Individuen, das Selbst und Andere verstanden. Sie sind strukturell gerahmt, von Erfahrungen abhängig, werden aber eigenständig angeeignet, angewendet, umgedeutet und verworfen. Um diese Forschungsinteressen subjektivierungstheoretisch greifen zu können, benötigt es eine kurze Darstellung der zentralen Ideen der wichtigsten Pionier*innen der Subjektivierungsforschung und eine Darstellung der Begriffe und Konzepte, die im Rahmen dieser Studie angeeignet werden und neben den anderen theoretischen Teilen dieser Arbeit als Analyseinstrumente eingesetzt werden.

Schlüsselautor*innen und Kernbegriffe Schlüsselautor*innen: Louis Althusser, Michel Foucault, Judith Butler Martin Saar bezeichnet Louis Althussers Überlegungen zum Subjekt, die er vor allem in Ideologie und ideologische Staatsapparate (1977) niedergeschrieben hat, als »Urszene oder erste Artikulation der späteren poststrukturalistischen Subjektivierungstheorien« (Saar

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2013: 18). Laut Saar hat Althusser drei zentrale Thesen über das Subjekt hervorgebracht, die grundlegend für das poststrukturalistische Theorieprogramm waren und sind. Erstens: »das Subjekt ist gemacht« (ebd.: 19). Das bedeutet, dass das Subjekt Resultat von sozialen Erzeugungspraktiken innerhalb von Machtfeldern ist. Zweitens ist das Subjekt eben dieser Macht unterworfen. Es ist Produkt seiner historischen und kulturellen Welt und gewinnt seine Individualität ebenso nur mit Techniken, die es außerhalb von sich selbst gelernt hat. Diese Welt, in der sich das Individuum zu einem Subjekt macht und es dazu gemacht wird, ist voller Hierarchien, Rollen und Verantwortlichkeiten, also von Machtfeldern durchzogen (ebd.). Drittens: »Das Subjekt wird ›frei‹ gemacht« (ebd.: 20). Das Paradoxe nämlich ist, dass es der Ideologie gelingt, Subjekte zu erzeugen, die davon überzeugt sind, dass sie frei sind, da sie sich ja selbstständig den Subjektformen unterwerfen. Das bedeutet auch, dass Subjektivierung nicht nur durch Zwang entsteht, sondern tatsächlich Formen der relativen Freiheit beinhaltet (ebd.). Michel Foucault baute in seinen Arbeiten stark auf Althussers Subjektivierungstheorie auf. Für Foucault ist Subjektivierung ein Akt der machtvollen Unterwerfung, die aber ähnlich wie bei Althusser durch Formen der Selbsterkenntnis und Technologien des Selbst beeinflusst werden kann. Das Wort Subjekt hat zwei Bedeutungen: Es bezeichnet das Subjekt, das der Herrschaft eines anderen unterworfen ist und in seiner Abhängigkeit steht; und es bezeichnet das Subjekt, das durch Bewusstsein und Selbsterkenntnis an seine eigene Identität gebunden ist. (Foucault 2013: 245) Foucault erklärte die Frage nach dem Subjekt und wie es durch Macht hervorgebracht wird gar zu dem eigentlichen Ziel seiner Forschungen, wenn er schreibt: Es ging mir nicht darum, Machtphänomene zu analysieren oder die Grundlagen für solch eine Analyse zu schaffen. Vielmehr habe ich mich um eine Geschichte der verschiedenen Formen der Subjektivierung des Menschen in unserer Kultur bemüht. Und zu diesem Zweck habe ich Objektivierungsformen untersucht, die den Menschen zum Subjekt machen. (Foucault 2013: 240) Foucault hat in seinen Schriften Historisierungen von Subjektivationsprozessen vorgenommen und auf die Bedeutung von historisch-spezifischen Wissensordnungen als Machtfelder auf die Subjektivierung hingewiesen. Judith Butler stützt sich in ihren Arbeiten auf Althusser und Foucault, indem sie Subjektivierung als diskursive Konstituierung des Subjektes betrachtet, das aber mit Selbsttechniken wie Resignifizierung relativ handlungsmächtig ist. Der Fokus ihres Werkes lag zunächst vor allem auf Subjektdiskursen in Bezug auf Geschlechteridentitäten (Butler 1990, 1993), während spätere Arbeiten (Butler 1997, 2001) eher »das Projekt einer Reformulierung der philosophischen wie kulturwissenschaftlichen Perspektive auf das Subjekt insgesamt« (Reckwitz 2010: 81) sind. Mit Anleihen aus der Psychoanalyse, der Sprechakttheorie und der Dekonstruktion interessiert sich Butler erstens für die Ebene der Diskurse, zweitens die der Körper sowie Performanzen und Sprechakte, inklusive innerpsychischer Vorgänge wie das Begehren, und drittens die Ebene der kollektiven wie persönlichen Widerstände und Destabilisierungen von Identitäten.

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Butler fragt sich stets, welche Eigenschaften Subjekten zugeschrieben werden und wie die Universalisierung, Naturalisierung und Brechung dieser Anrufungen funktionieren: Sie begnügt sich nicht damit, festzustellen, dass das Subjekt diskursiv konstituiert ist, sondern lenkt den Blick mikrologisch auf die performative kontinuierliche Selbstarbeit und Selbstpräsentation des Subjekts ›at work‹. (Reckwitz 2010: 82) Butler weist darauf hin, dass das Subjektsein diskursiv-kulturell (selbst-)reguliert und körperlich dargestellt (»to perform«) wird und interessiert sich damit für die diskursive Erzeugung von Subjektpositionen oder -formen wie auch die Praktiken der Subjektbildungsprozesse.

Die Kernbegriffe Zur Analyse der Subjektivierungs- und Subjektbildungsprozesse meiner Probanden und in Anbetracht der Fragestellungen werden bestimmte theoretische Konzepte der Subjektivierungsforschung herangezogen. Diese Konzepte sollen in den folgenden Ausführungen erläutert werden.

Diskurs, Dispositiv und Subjektordnung Die österreichische Gesellschaft und ihre Rassismen analysiere ich primär mit Blick auf machtvolle Diskurse, Dispositive und Subjektordnungen. In Bezug auf Rassismen sind Diskurse (und deren Praktiken), die sich den Subjekten mittels rassistischem Wissen vermitteln, grundlegend für die Strukturierung unserer Gesellschaft, für Subjektvorstellungen und damit zusammenhängende Subjektordnungen. Rassismen artikulieren sich dabei auch im Rahmen von Dispositiven – wie es bereits in Bezug auf das »Integrationsdispositiv« dargelegt wurde. Im Zuge dieser Studie spreche ich von Diskurs und nicht von Ideologie, um eben jene Verbindung aus Wissen und Macht, die die symbolischen Ordnungen der Rassismen ausmacht, besser kennzeichnen zu können. Rassismen sind natürlich auch Ideologien (vor allem von rechten Akteur*innen, Bewegungen und Parteien), aber primär Teil unserer gesellschaftlichen Strukturen, Diskurse, Praktiken und Subjektvorstellungen, gehen also über eine ideologische Dimension hinaus. Dies kann meines Erachtens mit dem Konzept des Diskurses besser begriffen werden. Auch Michel Foucault hat im Gegensatz zu Althusser auf den Ideologiebegriff verzichtet und sieht vielmehr komplexe und vielfältige Kräfteverhältnisse, im Rahmen von Diskursen hinter Subjektivierungsprozessen wirken. Die diskursive Praxis, wie Foucault (1972) sie nennt, besteht zum einen aus der sprachlichen Komponente der Wissensproduktion (Wissenschaft, Religion, Alltagswissen u.v.m.) und zum anderen aus materiellen Komponenten wie etwa bestimmten Institutionen oder Manifestationen. Diskurse beinhalten aber ebenso bestimmte Praxen, denn Diskurse begrenzen das Sagbare, Machbare und Denkbare. Ich setze voraus, daß in jeder Gesellschaft die Produktion des Diskurses zugleich kontrolliert, selektiert, organisiert und kanalisiert wird – und zwar durch gewisse Prozedu-

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ren, deren Aufgabe es ist, die Kräfte und die Gefahren des Diskurses zu bändigen, sein unberechenbar Ereignishaftes zu bannen, seine schwere und bedrohliche Materialität zu umgehen. (Foucault 2012: 10f) Diskurse und Macht stehen bei Foucault also in einem wechselseitigen Verhältnis. Macht produziert Diskurse, und Diskurse legitimieren und erschaffen Machtverhältnisse. Foucault hat mit dem Begriff »Dispositiv« ein umfassenderes Konzept entwickelt, um den Zusammenhängen von Macht, Wissen und Subjekten nachzuspüren. Michel Foucault bezeichnet ein Dispositiv als […] heterogenes Ensemble, das Diskurse, Institutionen, architekturale Einrichtungen, reglementierende Entscheidungen, Gesetze, administrative Maßnahmen, wissenschaftliche Aussagen, philosophische, moralische oder philanthropische Lehrsätze, kurz: Gesagtes ebenso wohl wie Ungesagtes umfasst. Soweit die Elemente des Dispositivs. Das Dispositiv selbst ist das Netz, das zwischen diesen Elementen geknüpft werden kann. (Foucault 2000: 119f) Von Dispositiven zu sprechen, hat gegenüber dem Konzept des Diskurses den Vorteil, dass auch auf »materiale Artefakte« (Reckwitz 2010: 29) und stärker auf die Auswirkungen auf den Körper fokussiert werden kann (vgl. ebd.: 30), als dies etwa zum Beispiel bei klassischen Diskursanalysen getan wird. Das Konzept des Dispositivs beinhaltet bei enger Definition nach Foucault auch Nachteile. Foucault sieht ein zentrales Kennzeichen für ein Dispositiv im Folgenden: »Das Dispositiv hat […] eine dominante strategische Funktion.« (Foucault, zit.n. Link 2008: 239) Diese Definition ist etwa in Bezug auf das bereits erwähnte und später vertiefte »Integrationsdispositiv« anwendbar, da es ohne Zweifel eine strategische Funktion innerhalb der Migrationsgesellschaft besitzt. In Bezug auf die Rassismen in der postmigrantischen Gesellschaft Österreichs muss allerdings davon gesprochen werden, dass sie häufig gerade deshalb wirkmächtig sind, weil sie keine klar erkennbare und institutionalisierte Funktion besitzen, aber trotzdem gesamtgesellschaftlich machtvolle symbolische Ordnungen darstellen. In diesem Sinne schließe ich an das Konzept der »Subjektordnungen« an, wie es etwa Andreas Reckwitz (2012, 2010) entwickelt hat. Als Subjektordnung fasse ich »komplexe Konstellationen von typisierten Personen« (Reckwitz 2010: 19), wie sie die symbolischen Ordnungen der Rassismen hervorgebracht haben. Die Subjektordnungen der Rassismen funktionieren genau über die Unsichtbarmachung ihrer Machtgebundenheit und Beliebigkeit: Die moderne Kultur arbeitet mit einer historischen Kette von Universalisierungen, in denen jeweils eine bestimmte Humanstruktur als die eigentlich natürliche, alternativlose präsentiert und instituiert wird, und die modernen Kulturkonflikte sind solche des Anfechtens und Neuaufrichtens dieser Universalisierungen. (Reckwitz 2012: 26) Subjektordnungen – wie etwa rassistische, sexistische, klassistische Subjektordnungen – sind durch die »Machtform der Kategorisierung« geprägt: Diese Machtform gilt dem unmittelbaren Alltagsleben, das die Individuen in Kategorien einteilt, ihnen ihre Individualität zuweist, sie an ihre Identität bindet und ihnen das Gesetz einer Wahrheit auferlegt, die sie in sich selbst und die anderen an ihnen zu

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erkennen haben. Diese Machtform verwandelt die Individuen in Subjekte. (Foucault 2007: 86) Subjektordnungen sind Ergebnisse von machtvollen Diskursen und Dispositiven, sie werden gleichzeitig umkämpft und bekämpft und sind instabile Ordnungen mit Hybriditäten und Uneindeutigkeiten (vgl. Reckwitz 2012: 73). Mit Laclau weisen diskursive Formationen stets Kontingenzen (Laclau 1988) auf. In diskursiven Formationen herrscht eine Gleichzeitigkeit der Selektion und des Ausschlusses von Elementen innerhalb einer diskursiven Formation (vgl. ebd.). Diese Instabilität ist Konsequenz einer Struktur, die davon abhängig ist, dass sie mittels Anrufungen und Identifizierungen (re-)produziert wird.

Anrufung und Identifizierung Die Subjektivierungstheorie von Louis Althusser hat zwei zentrale Begriffe hervorgebracht, die bis heute bestimmend für das Forschungsparadigma geblieben sind: Er theoretisiert das Subjekt als Produkt aus Anrufung und Identifizierung. Zeit unseres Lebens sind wir mit Akten der Anrufung konfrontiert. Die Geburt eines Kindes wird sogleich mit »Es ist ein Mädchen« oder »Es ist ein Junge« begleitet (vgl. Butler 1990). Kinder im Kindergartenalter lernen bereits, gesellschaftliche Stellung und den Wert menschlichen Lebens an Hautfarben abzulesen (vgl. Eggers 2005). In diesen Momenten beginnt nach Althusser die gesellschaftliche Hervorbringung von Subjekten. Anrufungen sind aber wirkungslos, wenn sie nicht als gegenseitige Identifizierungen erfolgen. Menschen werden also in bestimmte Subjektpositionen hineingerufen und identifizieren sich gegenseitig und individuell mit diesen Positionen. Der Motor hinter diesen Subjektivierungsprozessen ist bei Althusser Ideologie, die besonders im Rahmen von sogenannten Staatsapparaten (religiöse, schulische, kulturelle, justizielle Einrichtungen) produziert werden und auf Individuen einwirken. Im Anschluss an die diskurstheoretischen Überlegungen fokussiere ich in dieser Studie auf die Wirkungsweise von rassistischem Wissen auf Anrufungen und Identifizierungen. Indem Althusser auf die Identifizierung innerhalb von Subjektivierungsprozessen anspielt, ermöglicht er es, Widerstand, Umdeutungen und Nichtidentifizierungen zu denken – spielt damit also auf die Möglichkeiten zur Subjektbildung an. Die Begrifflichkeiten »Identifizierung« oder »Identifikation« (Althusser 1977; Hall 1994a) meinen die scheinbar freiwilligen gegenseitigen Anerkennungen der zugeschriebenen sozialen Positionen mitsamt der individuellen Übernahme dieser Anrufungen.

Subjektposition, soziale Position, politische Position und Positionierungen Subjektpositionen sind mit Reiner Keller »konstituierte Subjektvorstellungen und Identitätsschablonen für seine möglichen Adressaten« (Keller 2005: 230). Subjektpositionen sind auf der Grundlage von Subjektordnungen und der idealisierten und dämonisierten Subjektformen entstanden, aber nicht deckungsgleich damit. Subjektpositionen sind in Strukturen gegossene Subjektformen, die Praktiken ermöglichen und verunmöglichen, mit Privilegien und Verletzlichkeiten in Bezug stehen. Ist die Subjektform etwa des weißen, bürgerlichen, europäischen, heterosexuellen Mannes eine idealisierte Vorstellung mit bestimmten aufgewerteten und normalisierten Eigenschaften, die gesellschaftlich

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und individuell wirksam ist, so bedeutet weiß, männlich, dominanzgesellschaftlich, akademisch, heterosexuell positioniert zu sein, mit einer großen Wahrscheinlichkeit bestimmte Erfahrungen zu machen (z.B. gesellschaftlicher Erfolg, Aufwertung des Selbst, Diskriminierungsfreiheit) und bestimmte Erfahrungen nicht zu machen (z.B. rassistische, sexistische, klassistische, heteronormative Diskriminierung). Die Subjektposition oder soziale Position ist also abhängig von Subjektordnungen, von Anrufungs-, Identifizierungs- und Anerkennungsprozessen. Für Judith Butler ist dabei zentral, dass die Strukturen von Subjektordnungen und damit zusammenhängenden hierarchischen Subjektpositionen nach dem Prinzip der »iterativen Struktur« (vgl. Butler 2015: 95) aufgebaut sind. Sie funktionieren also nur so lange, wie sie auch in alltäglichen und institutionellen Praxen wiederholt werden. Butler betont, dass Individuum und Subjekt nicht ident sind: Die Genealogie des Subjekts als kritischer Kategorie verweist […] darauf, dass das Subjekt nicht mit dem Individuum gleichzusetzen, sondern vielmehr als sprachliche Kategorie aufzufassen ist, als Platzhalter, als in Formierung begriffene Struktur. Individuen besetzen die Stelle, den Ort des Subjekts (als welcher »Ort« das Subjekt zugleich entsteht), und verständlich werden sie nur, soweit sie gleichsam zunächst in der Sprache eingeführt werden. (Butler 2001: 15) Individuen werden demnach in gesellschaftlichen Prozessen erst zu Subjekten. Die damit entstehenden Subjekthierarchien, wie sie etwa in Rassismen, Sexismen und in kapitalistischen Systemen existieren, führen nicht nur zu unterschiedlichen sozialen Positionen mitsamt Privilegien und Verletzlichkeiten. Vielmehr sind auch die Sprechmöglichkeiten im Rahmen einer Hierarchie der Aufmerksamkeit strukturiert. Wir erinnern uns hier an Spivak, die davon spricht, dass sowohl das Sprechen als auch das Zuhören hegemonial strukturiert sind. Aus dieser soziologischen Tatsache heraus wurde der Begriff der Sprecher*innenposition entwickelt. Sprecher*innenpositionen sind mit »Rollensets verknüpfte, institutionell-diskursive strukturierte Orte für legitime Aussagenproduktion innerhalb eines Diskurses« (Keller 2005: 230). Sprecher*innenpositionen und soziale Positionen sind aneinandergeknüpft, da Sprecher*innenpositionen nicht allen in gleichem Maße zugänglich sind. Intersektional strukturierte Rassismen spielen eine große Rolle bei der Frage, wer an welchen Orten zu wem sprechen darf. Soziale Position und Sprecher*innenposition sind beides Kategorien von Subjektordnungen und befassen sich noch nicht mit den Aneignungen, Übernahmen und Brüchen dieser Positionen. Hier kommen die Konzepte der sozialen und politischen Positionierung ins Spiel. Unter sozialer Positionierung verstehe ich etwas anderes als unter sozialer Position. Hier liegt meines Erachtens einer der zentralen Vorteile der Perspektive der Subjektivierungsforschung. Soziale Positionen sind quasi unsere gesellschaftliche Identität, aber soziale Positionierung beschreibt, was wir daraus machen, wie wir uns identifizieren und tatsächlich positionieren. Es ist zwar nicht möglich, eigene Privilegien oder Verletzbarkeiten durch Formen der sozialen Positionierung zum Verschwinden zu bringen, aber es ist mit Foucault möglich, ein Bewusstsein über die eigene soziale Position zu gewinnen und daraus Praktiken abzuleiten, und mit Butler ist es sogar alltäglich, dass die

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Reproduktion der sozialen Position nur einen wiederholenden Charakter aufweist und somit häufig scheitert, wie auch Resignifizierungsprozesse einen wichtigen Teil unserer sozialen Positionierungen ausmachen. Paula-Irene Villa und Sabine Hark definieren Positionierung allgemein wie folgt: Positionierung -- ein ebenso dynamischer wie komplexer Prozess -- verstehen wir vielmehr als die Anerkennung dessen, dass soziale Positionen etwas mit uns machen -und zwar jenseits unserer Verfügung --, wir aber zu diesen Positionen auch eine Haltung einnehmen können, wir in der Lage sind, etwas mit ihnen zu machen. Womöglich gar nicht anders können, als etwas aus ihnen zu machen. (Hark & Villa 2018: 26) Diese Haltung zu unseren Positionen, dieses etwas mit unseren Positionen machen, ist der mögliche Startpunkt von politischen Positionierungen. Politische Positionierung bedeutet hier nicht nur, eine Haltung zu gesellschaftlichen Ordnungen und unseren sozialen Positionen darin einzunehmen, sondern auch konkrete Forderungen für Transformationen dieser normativen Ordnungen zu stellen und neue politische Positionierungen praktisch auszuprobieren. Politische Position wiederum meint, die in Bezug auf normative Ordnungen zur Verfügung stehenden diskursiv vermittelten Weisen politisch zu denken, zu sprechen und zu handeln. In Bezug auf Rassismen wurden verschiedene politische Positionen entwickelt, die bereits als Formen des Antirassismus oder der Rassismuskritik näher erläutert wurden. Offen oder implizit rassistische Positionen wären weitere mögliche politische Positionen. Politische Positionen umfassen sowohl Forderungen nach der Erhaltung wie auch der Neuordnung eines Feldes. Sie sind die den Individuen zur Verfügung stehenden Schablonen für die individuell und kollektiv vollzogenen politischen Positionierungen vor dem Hintergrund von machtvollen Hierarchien sozialer Positionen. Politische Positionierungen beeinflussen Subjektivierungsprozesse, wie Subjektivierungsprozesse politische Positionierungen beeinflussen. Politische Positionierungen sind imstande, etwas Neues hervorzubringen, innerhalb der Machtverhältnisse und Mechanismen der alten Welt: Die politische Subjektivierung erzeugt eine Vielheit, die nicht in der polizeilichen Verfassung der Gemeinschaft gegeben war, eine Vielheit, deren Zählung der polizeilichen Logik widerspricht. (Rancière 2018: 47) Die Subjektivierungsforschung versucht immer sowohl die normative Ordnung und die ausgelösten Subjektivierungsprozesse als auch die Subjektivierungsprozesse selbst, ihre (politische) Kritik an dieser Ordnung, ihre Widersprüche und Umdeutungen gleichermaßen zu betrachten: Das, was als mögliche, beschimpfte, erwünschte, geforderte, zu verhindernde Subjektposition auf der Oberfläche der Diskurse erscheint, entspricht selten dem, was die so Adressierten aus dieser Adressierung machen. […] [Es] ist davon auszugehen, dass die diskursiv angesprochenen darauf nach Maßgabe eigener Auslegungen, Erfahrungen, Relevanzen und Freiheitsgrade des Handelns (re)agieren. Das kann sich im gesamten Spektrum möglicher Reaktionsformen entfalten: als bemühte Einnahme der gewünschten Subjektposition, als ihre Subversion, als Fehlinterpretation, als Adaption

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in Teilen, als Umdeutung, als Ignorieren, als hochreflexive Auseinandersetzung oder naiver Vollzug usw. (Keller 2012: 102) Um diese intentionalen wie nichtintentionalen Widerstände, Umdeutungen, Subversionen erkennen und analysieren zu können, hat Judith Butler ein ausgereiftes Begriffsinstrumentarium entwickelt.

Performativität und Resignifizierung Der Begriff der »Performativität« als Performanz/Inszenierung ist in Butlers Werken von zentraler Bedeutung und beschäftigt sich eben mit der individuellen Subjektbildung. Das Subjekt ist zwar kulturell-diskursiv erzeugt, aber gleichzeitig seine eigene Inszenierung. Denn all die normativen Subjektzuschreibungen in Form von Wissen, Praktiken, Begehren und Selbsttechniken müssen von den Körpern selbst ausgeführt werden und können dabei nie ganz an das Original heranreichen. Sie sind lediglich Zitate und beinhalten somit Potenziale zu Brechungen und Veränderungen. So interessiert sich Butler für die Mechanismen kultureller Destabilisierung und alltäglicher Subversion von Subjektidentitäten. Butler bezieht sich dabei auf Derridas (1967) Konzept der Zitation. Die Kette von scheinbar konventionellen Zeichenverwendungen hat die Struktur einer Wiederholung ohne Fundament, die immer das Potenzial der Neukontextualisierung und Verschiebung enthält, das Potenzial eines Neuen im Alten. (Reckwitz 2010: 90) Im Akt der Wiederholung liegt das Potenzial der Verschiebung. Butlers Begriff der »Resignifizierung« als Wiedereinschreibung in den dominanten Diskurs ist hier zentral und ermöglicht, mehr noch als bei Foucault, widerständige Praktiken zu erklären und erkennen. Dass der Akt der Subjektivierung in dieser Perspektive kein glattes, restfreies Funktionieren, sondern immer auch ein überschüssiges, transformatives Geschehen ist, ist die Voraussetzung für Widerständigkeit, Nicht-Funktionieren oder, mit einem Ausdruck Foucaults, »Gegen-Verhalten«. (Saar 2013: 25) Der Begriff »Performativität« von Judith Butler soll auf die Körperlichkeit von Subjektivierung oder Subjektivation anspielen. Performativität ist die »ständig wiederholende und zitierende Praxis, durch die der Diskurs die Wirkung erzeugt, die er benennt« (Butler 1995: 22). Subjektivierung funktioniert also, indem wir als spezifische Subjekte Normen performativ zitieren. Übertragen auf diese Forschung interessiert mich also die Art und Weise der Performanz, Inszenierung und Aufführung von rassifizierten Normvorstellungen sowie deren Brüche. Laut Judith Butler wirken die permanenten Anrufungen in Diskursen normalisierend, da sich Subjekte im Alltag meist unhinterfragt auf Subjektpositionen beziehen und sich diese durch die permanente Wiederholung reproduzieren und verfestigen. Zugleich enthalten diese Anrufungen aber immer auch die Möglichkeit der Umdeutung (Resignifizierung), da Butler Praxis nicht als vollständig determiniert begreift. Umdeutung verortet sie dabei im konkreten Handlungsvollzug, daher im Moment, in dem das Subjekt sich auf die Anrufung bezieht. Auf verletzende Begrifflichkeiten, seien sie sexistisch, rassistisch oder klassistisch, kann daher auf eine spezifische Art und Weise Bezug genom-

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men werden, indem sie ironisch überzeichnet bzw. gebrochen und damit in einen alternativen Bedeutungskontext gestellt werden. Die Strategie der Resignifizierung hat tatsächlich einige historische Siege davongetragen. Heute wird beispielsweise der eigentlich pejorative Begriff »schwul« nur schwer als Beleidigung zum Einsatz gebracht werden können, denn die Schwule Bewegung hat diesen als positive Selbstbezeichnung neu inszeniert und ihm damit eine neue Bedeutung zugewiesen. Bei anderen Begriffen ist dies nur sehr holprig gelungen. Insbesondere für rassistische Wörter scheint die Strategie schwierig. Hier war es notwendig neue Wortschöpfungen durchzusetzen – etwa People of Color. Das selbstbewusste Sichabsetzen von der imaginierten weißen Nation ist ein wichtiger Eingriff nicht nur in die Grammatik sprachlicher Gewalt, sondern auch in die nationale Imaginationswelt. (Castro Varela 2019: 5) Die Resignifizierung von Zeichen lässt sich dergestalt verstehen als imitierende und theatralisierende Darstellung von Normalitätsvorstellungen. Wie Butler in ihrem Werk Körper von Gewicht (1995) verdeutlicht, ist nicht gemeint, dass damit souveräne Subjekte auf verfestigte Vorstellungen frei Bezug nehmen können oder dass diese Umdeutungen per se subversiv sind. Solche Aneignungspraktiken reproduzieren vielmehr Normen und Zwänge. Indem das Subjekt auf diese Normen Bezug nimmt, wird es zugleich aber auch handlungsfähig und kann von innen, also von den Diskursen selbst heraus, verändernd auf sie einwirken. Es wird daher danach gefragt, welche Rolle resignifizierende Praktiken für Subjektivierungsprozesse spielen.

Technologien der Macht und Technologien des Selbst Michel Foucault unterscheidet in seinem Werk zwei Ebenen der Macht in Bezug auf die Produktion von Subjekten: erstens die disziplinierenden Technologien der Macht und zweitens die am Subjekt ansetzenden Technologien des Selbst (vgl. Geimer et al. 2019a: 4). Foucault verwehrte sich stets gegen eine allgemeine Theorie der Macht (Foucault 2013 [1982]: 240), vielmehr ging es ihm darum, die verschiedenen Formen der Macht in unseren Gesellschaften, ihre subjektivierenden Weisen und Kämpfe dagegen zu beschreiben. Macht ist hier dezentral organisiert und in Form von verschiedenen Kräfteverhältnissen und Machttechniken organisiert. Foucault beschreibt hier etwa die Machttechniken der »Disziplinarmacht« (1975a) und der »Gouvernementalität« (1978), die Macht des »Sexualitätsdispositiv« (1976), der »Klinik« (vgl. 1963) und des »Gefängnisses« (1975b). Im Anschluss an Foucault können Rassismen in der postmigrantischen Gesellschaft als Machttechnologien verstanden werden, die nicht zentral gesteuert oder im Zuge eines rassistisch verfassten Staates zu einer rassistischen Herrschaft gerieren (wie beispielweise in den Regimen der Apartheid oder des Nationalsozialismus). Vielmehr bedeuten Rassismen als Machttechnologien, dass sie Teil des Funktionierens unserer Gesellschaft sind und als Techniken der Macht gebraucht werden (können). Subjektivierung ereignet sich für Foucault in der Moderne als eine Form der Regierung in drei Formen der Objektivierung […]: »Wissensformen, Machttechnologien und Selbstformierungsprozessen« (Lemke 2006: 269). (Hoffarth 2016: 76)

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Rassismen sind als Machttechnologien auf die Verankerung als symbolische Ordnung angewiesen, um den Machtcharakter aufweisen zu können. Es wurde bereits auf die Funktion von Wissensformen für die symbolischen Ordnungen verwiesen. Im Rahmen seines Spätwerkes hat Foucault dann auf Technologien des Selbst als Selbstverstehen und Selbstpraktiken hingewiesen, die alternative Subjektpositionen zumindest theoretisch möglich machen. (Foucault 1984a, 1984b) Foucault bezieht sich in seiner Argumentation auf die griechisch-römische Philosophie der Antike und die christliche Spiritualität des spätrömischen Reiches. Er argumentiert, dass neben dem berühmten und noch heute wichtigen Satz »Erkenne dich selbst« die Aussage »Sorge um sich selbst« höhergestellt war (vgl. Foucault 1984b). Selbstlosigkeit sei Teil der christlichen Moraltradition und damit eines der zentralen Dispositive moderner Macht. Mit der Verknüpfung des »Erkenne dich selbst« mit der »Sorge um sich selbst« fügt Foucault seinem Macht-Wissen-Zusammenhang eine dritte Achse – Ethik – ein (Kneer 2012: 279). Foucaults Frage »Wie haben wir uns als moralische Subjekte unserer Handlungen konstituiert?« (Foucault, zit.n. ebd.) leitet dabei die Forschung an. Als Technologien des Selbst oder Selbsttechniken können die »Gesamtheit von elementaren Kulturtechniken, mit deren Hilfe das Subjekt auf sich einwirkt und eine gewisse Souveränität über sich erlangt« (Balke 2014: 289) verstanden werden. Antirassismus und Rassismuskritik wird vor diesem theoretischen Hintergrund als Selbsttechnik interpretiert. Die Fragen lauten hier: Auf welche antirassistischen und rassismuskritischen Strategien, Ideen, Praktiken, Positionierungen greifen die Probanden zurück, welche entwickeln sie? Inwiefern stehen diese in Bezug zu Rassismen und wo werden rassismuskritische Alternativen entwickelt?

Zusammenfassung Unterwerfung und relative Handlungsmacht Die Subjektivierungstheorie bringt einen theoretischen Baukasten mit, der es erlaubt, den anfänglich beschriebenen Mittelweg zwischen Essentialisierung und Machtrelativismus zu gehen. Es ist mit diesem theoretischen Blick möglich, Subjektivierung als Unterwerfung zu denken und damit Auswirkungen von Rassismen auf die Subjektwerdung von privilegiert positionierten Antirassisten nachzuverfolgen. Der Fokus auf konkrete Praktiken der Subjektbildung erlaubt es aber auch im Detail zu betrachten, wo auf alternative Diskurse und Positionierungen zurückgegriffen wird und wo Subjektivierungsprozesse reflektiert und verlernt werden. Diese Perspektive ergänzt die bereits gewonnene Vorstellung von Rassismen als symbolische Ordnungen und von Antirassismus als eine mögliche politische Position, die sich der Bekämpfung, der Dekonstruktion, dem Abbau dieser Ordnung verschrieben hat. Die symbolischen Ordnungen der Rassismen bilden jeweils Subjekthierarchien oder Subjektordnungen heraus, innerhalb derer bestimmte Subjektformen marginalisiert und andere privilegiert werden. Vor diesem Hintergrund ist die Subjektwerdung der Antirassisten zu betrachten. Mittels biographischer Erzählungen soll dann ein Fenster zu Subjektivierungs- und Subjektbildungsprozessen geöffnet werden.

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Auf der Grundlage eines subjektivierungstheoretisch informierten Bildungsbegriffes (vgl. Hoffarth 2016: 82) wird den Subjektbildungsprozessen nachgegangen. Die subjektivierungstheoretischen Werkzeuge helfen dabei, nachzuspüren, welche rassistischen Diskurse, welches rassistische Wissen für die privilegierten Aktivisten relevant ist und wie sie sich dazu positionieren. Der Fokus auf Bildungsmomente soll auch aufzeigen, auf welche unterschiedlichen und zum Teil ambivalenten Formen der rassismuskritischen Subjektbildung die Aktivisten zurückgreifen und was das für ihre sozialen wie politischen Positionierungen bedeutet. Es wird sich zeigen, dass die befragten Antirassisten sowohl auf unterwerfende Technologien der Macht als auch auf Technologien des Selbst, die mit relativer Handlungsmacht einhergehen, zurückgreifen. Die Differenzierung von sozialer Position und Subjektposition von sozialer Positionierung sowie der Fokus auf den Zusammenhang von sozialer wie politischer Positionierung werden es ermöglichen, sowohl Unterwerfung als auch relative Handlungsmacht der privilegiert positionierten Antirassisten erkennbar und beschreibbar zu machen. Michel Foucault war es stets ein Anliegen, eine »Geschichte der Gegenwart« (vgl. Foucault 1976) zu schreiben. Die Gegenwart in Österreich verstehe ich unter den Vorzeichen einer postmigrantischen Gesellschaft.

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5 Postmigrantische Gesellschaft »Da gibt es noch einen, so ’n Typ in ’ner braunen Krawatte, sitzt zu Hause, wählt die Reps und sagt auch immer ›Scheiss Kanacke‹. Seine Kinder reden klar den gleichen Mist, in der Schule rennen sie rum und stressen jeden, der nicht Deutscher ist. Wussten nicht, von was sie reden, ich hielt die Faust dagegen. Es half kein Diskutieren, Mann, ich wollt’ auch nicht mehr reden.« Afrob: Spektakulär Pt 1

Das Konzept der postmigrantischen Gesellschaft1 , die (Selbst-)Bezeichnung als postmigrantisch2 und der Blick ausgehend von der »postmigrantischen Generation« (Yıldız 2010) sind neue Formen einer gegenhegemonialen Wissensproduktion (vgl. Ohnmacht & Yıldız 2021), die erst in den letzten Jahren explizit für die Analyse von Rassismen herangezogen wurden (vgl. Foroutan 2020; Espahangizi et al.2016a; El-Tayeb 2016; Ohnmacht & Yıldız 2021). Die postmigrantische Perspektive ist eine kontrapunktische Lesart der Gesellschaft und ihres Verhältnisses zum Thema Migration. Gesellschaft postmigrantisch zu betrachten, bedeutet, gerade die marginalisierten, nicht erzählten oder systematisch ausgeblendeten Geschichten und Biographien in den Mittelpunkt zu stellen. Mit dieser Betrachtung geht bewusst eine Praxis des »kontrapunktischen« Lesens, des Gegenlesens (vgl. Said 1994) einher. Die drei zentralen Ideen des Postmigrantischen als Perspektive sind erstens eine neue, alternative, nichthegemoniale Erzählung der Geschichten der Migration. Zweitens steht das postmigrantische Denken für ein Ende der Sonderdisziplin Migrationsforschung und für eine kritische Gesellschaftsanalyse aus dem Blickwinkel der Migration. Drittens nimmt die postmigrantische Perspektive jene Subjekte in den Mittelpunkt 1

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Aktuelle Arbeiten zum oder mit dem Konzept der »postmigrantischen Gesellschaft« sind Tsianos & Karakayali 2014; El-Tayeb 2016; Espahangizi 2016, 2018; Foroutan 2015, 2016, 2019; Foroutan et al. 2018. Die wichtigsten Werke zur postmigrantischen Generation sind Langhoff 2011; Yıldız 2013; Spielhaus 2014; Bojadžijev & Römhild 2014; Hill & Yıldız 2015, 2018.

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ihres Interesses, die von dominanzgesellschaftlichen Diskursen stets als die »Anderen« konstruiert werden: die Nachfolgegenerationen der Eingewanderten, die ihre eigenen Biographien erzählen und sich somit selbst entwerfen (vgl. Ohnmacht & Yıldız 2021: 150). Im Zuge dieser Dissertation bedeutet der Blickwechsel, sowohl die Anerkennung der Geschichten des Antirassismus als maßgeblich von Menschen mit Rassismuserfahrungen geprägt zu lesen als auch diese in den Mittelpunkt zu stellen und davon ausgehend zu denken. Der postmigrantische Blick legt den Blickwinkel auf das Ausgeschlossene, Marginalisierte, Nichterzählte und macht damit neben den Ausschlussprozessen auch die Konstruktion des rassistischen »Wir«, dessen Profiteur*innen und ihre Privilegien sichtbar. Von einer postmigrantischen Gesellschaft zu sprechen, meint, von einer für die Gesellschaft konstitutiven Gleichzeitigkeit auszugehen: Was wir heute als Österreich verstehen, ist und war schon immer ein Ort (oder es waren Orte), an dem Migration nicht nur historisch normal, sondern auch für die Struktur der Gesellschaft (Ökonomie, Kultur, Wissenschaft) von großer Signifikanz war und ist. Der Begriff postmigrantisch versucht nicht, die Tatsache der Migration zu historisieren, sondern beschreibt eine Gesellschaft, die durch die Erfahrung der Migration strukturiert ist, was auch für alle aktuellen Formen der Einwanderung (wie Flucht, temporäre Migration) politisch, rechtlich und sozial bedeutsam ist. (Tsianos & Karakayali 2014) Eine Gesellschaft als postmigrantisch zu bezeichnen, bedeutet ähnlich wie die Konzeption der Gesellschaft als »Migrationsgesellschaft« (vgl. Mecheril 2012), die Gesellschaft als grundlegend durch Migration strukturiert zu begreifen. Die österreichische Gesellschaft war und ist eine Gesellschaft der Vielheit (Yıldız & Meixner 2021), die durch unterschiedliche Mobilitäts- und Migrationsbezüge, multisprachliche, multireligiöse, multiethnische Verbindungen geprägt war und ist. Gleichzeitig blicken wir in Österreich wie auch weltweit auf Jahrhunderte andauernde Traditionen der religiösen Ausschlüsse, Nationalismen und Rassismen zurück. Österreich ist also genauso durch die Produktion und Reproduktion einer Dominanzgesellschaft geprägt, die sich je nach Diskurs als katholisch, weiß, deutschsprachig, »einheimisch« behauptet und damit einem Teil der Bevölkerung Privilegien sichert sowie große Teile der Bevölkerung zu »Anderen« erklärt – mit folgenreichen Konsequenzen von alltäglichen Benachteiligungen bis zu Mord und Massenvernichtung. Postmigrantische Gesellschaften sind also nicht nur durch Migrationsprozesse geprägt und entstanden, sondern genauso durch hegemoniale Diskurse über Zugehörigkeit und Migration. Riem Spielhaus spricht in diesem Zusammenhang davon, dass eine postmigrantische Gesellschaft wie jene in Österreich auch dadurch gekennzeichnet ist, dass sie eine »Obsession« (Spielhaus 2014) bezüglich des Themas aufweist. Diese Besessenheit geht so weit, dass sie mit Kijan Espahangizi als ein »zentrale[r] Modus der Vergesellschaftung« (Espahangizi 2018: 49) bezeichnet werden kann. In nationalstaatlich verfassten Gesellschaften ist die Regulation von Migration von konstitutiver Bedeutung. Wer wie lange in welcher Funktion zum nationalstaatlich verfassten »Wir« dazugehört und wer nicht, ist von zentraler Bedeutung. Der Ausdruck »Migrationsregime« (vgl. einführend Pott et al. 2018) umfasst all die Institutionen, Strukturen, Gesetze, Diskurse und Subjektvorstellungen, die Staaten zur Thematik Migration

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entwerfen. Migrationsregime bestehen neben den strukturellen Komponenten wie Gesetzen, Maßnahmen, Grenzarbeiter*innen auch aus bedeutenden diskursiven Elementen. Die bedeutenden diskursiven Elemente der deutschsprachigen Migrationsregime sind »Herkunftsdialoge« (vgl. Kumitz 2012) sowie »Wurzeldiskurse« (vgl. Termeer 2016), und eine der zentralen Praxen ist die Staatsbürger*innenschaftspraxis. Diese Diskurse und Praktiken, die eine nationalistisch und häufig rassistisch legitimierte Ordnung erzeugen und wiederholen, sind wichtige Elemente von Diskriminierung und Rassismus in der postmigrantischen Gesellschaft. Die rassistische Bezeichnung »Passdeutsche« ist der Inbegriff eines völkisch verstandenen Zugehörigkeitsdiskurses (vgl. Sanyal 2021: 103), in dessen Rahmen Rassismen, Nationalismen und Ethnisierungen eine große Rolle spielen. Rassismen in der postmigrantischen Gesellschaft haben die Funktion, mittels der Machttechnik des Othering und des Fremdmachens entlang rassistischer Kriterien die Herstellung eines exklusiven »Wir« mitsamt dem Erhalt der damit zusammenhängen Privilegien zu ermöglichen. Rassismus ist ein gesellschaftliches Verhältnis der Fremdmachung, das Menschen in hierarchische Beziehungen zueinander setzt. Dieses Verhältnis wird immer wieder durch die Aktualisierung eines rassistischen Wissens neu begründet, das durch staatliche Regulationen und Praktiken und in den Institutionen aller gesellschaftlichen Funktionssysteme koproduziert und realisiert wird. (Espahangizi et al. 2016b) Postmigrantische Gesellschaften sind aber genauso dadurch gekennzeichnet, dass sie zumindest in Teilen auch politisch anerkennen, eine solche Gesellschaft zu sein (vgl. Foroutan 2016b). Mit dieser Anerkennung gehen auch Bemühungen einher, soziale Ungleichheiten abzubauen und soziale Teilhabe zu stärken. Diese Transformationen sind vor allem aus antirassistischen Kämpfen und »durch die Kämpfe um ein Recht auf Einbürgerung« (Tsianos & Karakayali 2014) hervorgegangen. Die erkämpften Rechte sind fragil und noch lange nicht abgeschlossen, wie etwa die Kämpfe für das Wahlrecht für alle zeigen. Ob diese politische Anerkennung in Österreich genauso stattgefunden hat wie etwa in den USA, in Kanada oder – zu einem geringeren Grad – in Deutschland seit der Jahrtausendwende, ist sehr fraglich. Mit Kijan Espahangizi, der sich dieselbe Frage in Bezug auf die Schweiz gestellt hat (vgl. Espahangizi 2018: 36), geht es mir hier eher darum, auf die Gleichzeitigkeit einer Gesellschaft der Vielheit, die Wirkmächtigkeit von obsessiven Migrationsdiskursen mitsamt den inhärenten Rassismen und die Selbstdarstellung als menschenrechtsorientierte, liberale und zum Teil antirassistische Gesellschaft aufmerksam zu machen. Dieses Dreieck aus einer realen Gesellschaft der Vielheit, der Normalität von Rassismen und eines Selbstverständnisses als postrassistische Gesellschaft resultiert in »Spannungsräume[n] […], in denen rassistische Ein- und Ausschlüsse neu formiert werden« (Espahangizi et al. 2016b: 17). Diese Spannung zeigt sich anhand von zwei aktuellen Diskursen, die sowohl Konjunkturen als auch Kontinuitäten von Rassismen illustrieren: einmal anhand der in Deutschland so bezeichneten »Willkommenskultur«, die sich auch Österreich als kurzzeitige Selbstbezeichnung angeheftet hatte, und einmal anhand der Diskurse über »die Silvesternacht in Köln«. Willkommenskultur und Köln sind zwei exemplarische Artiku-

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lationen der Funktionsweisen von Rassismen in der postmigrantischen Gesellschaft. Hier zeigte sich auf der gesellschaftlichen Ebene, dass mit dem Anstieg der Asylanträge nach dem Sommer der Migration 2015 und der gesellschaftlichen Selbstbeschreibung einer »Willkommenskultur« gleichzeitig auch rassistische Anschläge auf Geflüchtete und deren Unterkünfte angestiegen sind (vgl. Tuider 2021: 209). Neben diesen expliziten rassistischen Artikulationen gibt es allerdings auch implizite Rassismen zu beobachten, die sich in die Praktiken einer »Willkommenskultur« eingeschrieben haben. Entgegen der eigenen Intention und Selbstidealisierung reproduziert die deutschsprachige Gesellschaft als »helfende Gesellschaft« koloniale Muster: In die Willkommenskultur eingelagert sind […] Rassismen und ein heteronormatives othering. Diese sind Bestandteil postkolonialer Macht- und Herrschaftsverhältnisse in der Postmigrationsgesellschaft. Die Analyse derselben braucht also eine post- und dekoloniale Perspektive, um die in die Postmigrationsgesellschaft eingelagerten Rassismen und die antirassistischen Kämpfe, um die Kontrolle und Regulationsversuche von Migration als auch Versuche ihres Unterlaufens in den Blick zu bekommen. (Tuider 2021: 209) Die »Willkommenskultur« ist in dieser Deutung ein Diskurs, der einerseits entlastend wirkt, weil sich die Gesellschaft als »helfend« inszeniert; andererseits verdeckt diese Selbstidealisierung den rassistischen Konsens, der sogar in eben dem Diskurs der »Willkommenskultur« wirkmächtig ist. Besonders dominant sind hier rassistische Dualismen wie »der Westen vs. der Rest«, »Moderne vs. Tradition«, »entwickelt vs. unterentwickelt«, »emanzipiert vs. nicht emanzipiert«, »individuell vs. Gruppe« (vgl. Tetje & Tuider 2019: 8ff). Der Diskurs der »Willkommenskultur« muss auch vor dem Hintergrund der Inszenierung einer sich als homogen, weiß, christlich, europäisch-zivilisiert verstehenden »Einheitskultur« gelesen werden. Diese tatsächlich immer schon diverse Gesellschaft wird als homogen imaginiert und reagiert auf die »Fremden«. Diese Inszenierung beinhaltet Ausschlüsse auf zwei Ebenen: Einerseits wird nicht-weiße, jüdische, muslimische, migrantische Existenz in Deutschland und Österreich systematisch übersehen und damit aus dem »Wir« ausgeschlossen, andererseits wird eine fundamentale Differenz aus dem homogenisierten »Eigenen« und dem essentialisierten »Anderen« erzeugt, die mit der positiven Konnotation »Willkommenskultur« normalisiert wird: Was sich hinter ihr verbirgt, die zwanghafte ewige Wiederholung der ersten Begegnung mit dem Fremden, ist ein Prozess, den ich als »Rassismusamnesie« bezeichnet habe, die anhaltende Dialektik von rassistischer moralischer Panik und der Verdrängung der historischen Präsenz rassifizierter Bevölkerungen […]. (El-Tayeb 2016: 15) Rassismus zeigt sich hier im Sinne einer wiederkehrenden und stets mobilisierbaren »moral panic« (Hall et al. 1978). Rassismen werden als Machttechnik politisch instrumentalisiert. Genau dies ist im Zuge der Diskurse zur »Silvesternacht in Köln« (vgl. dazu kritisch Castro Varela & Dhawan 2016; Hark & Villa 2018; Messerschmidt 2016) geschehen, ein Komplex, der nur mit dem Codewort »Köln« für viele bereits umschrieben ist. In der Silvesternacht in Köln 2015 kam es zu einer großen Anzahl an sexuellen Übergriffen gegen Frauen*. In der medialen Aufarbeitung wurde die vermeintliche Herkunft der Täter

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in den Mittelpunkt des Interesses gestellt und es wurden im »Namen der Emanzipation« (Opratko 2019) neue Rassismen artikuliert: Die Adressierung als Andere produziert zugleich ein hegemoniales, weißes, national eindeutiges Subjekt, welches sich von einem unterworfenen, anderen Nicht-Subjekt abspaltet […]. Moderne Subjektivität konstituiert sich so in ambivalenter Weise, sie verweist auf die Universalität von Menschenrecht, Freiheit und Würde einerseits, unterscheidet jedoch andererseits zwischen jenen, die ein Recht darauf haben, und den anderen […]. (Hoffarth 2016: 77) Der hegemoniale Diskurs über die »Silvesternacht in Köln« ist ein Beispiel für neue Rassismen in der postmigrantischen Gesellschaft. In der Fokussierung auf eine intersektional rassifizierte Gruppe von Menschen (muslimisierte Männer, denen ein Flucht- oder Migrationshintergrund aus dem nördlichen Afrika zugeschrieben wird) entlastet sich die Gesellschaft selbst, indem sie sich zu einem Opfer stilisiert. Tatsächliche Probleme der sexualisierten Gewalt und der Geschlechterungleichheit werden an zuvor konstruierte Gruppen abgeschoben. Spannenderweise geht es in den Debatten um die Sylvesternacht jedoch weniger um die tatsächliche sexualisierte Gewalt: eher wird die Herkunft der Täter thematisiert. Und so geht es in den Debatten kaum um Formen und Strategien des Opferschutzes, sondern um die Verschärfung des Asylrechts und um die Forderung nach einer leichterten Abschiebung von jungen muslimischen Geflüchteten. Sexismus wird zu einem Problem männlicher muslimischer Subjekte, und das, obwohl bekannt ist, dass Sexismus in europäischen Städten ubiquitär ist. Die Fokussierung auf die vermeintlich arabische Herkunft der Täter in den Berichterstattungen vernachlässigt darüber hinaus, dass nach wie vor die meisten sexuellen Übergriffe von Verwandten und (Ex-)Partnern ausgehen und dass Women of Color in Europa nicht nur jeden Tag sexualisierte Übergriffe erleben, sondern dass rassistische Praxen geradezu zu ihrem Alltag gehören. (Castro Varela & Dhawan 2016: 23) Europa inszeniert sich in den Diskursen der »Willkommenskultur« und der »Kölner Silvesternacht« als »Hort der Menschenrechte« und als Helfer*in. Diese Rechte seien von dem konstruierten »Fremden« gefährdet. Das Narrativ verdeckt nicht nur Rassismen, Sexismen und globale Ungleichheiten, sondern es entlastet Europa von der eigenen Verantwortung für eine ungleiche Welt und von der Einsicht, dass Europa, der Kolonialismus und die postkoloniale Konstellation für diese Ungleichheit maßgeblich mitverantwortlich sind. Diese Selbstdarstellung beinhaltet koloniale Spuren: Ähnlich der Selbstdarstellung der Kolonialherren, die behaupteten, dass sie die unterdrückte kolonisierte Frau retten müssten, ist es Teil der dominanten Selbstrepräsentation Europas, sich als die rettende Instanz der ›hilfsbedürftigen Fluchtmigrantin‹ zu verstehen. (Castro Varela & Dhawan 2016: 21) Daraus leiten sich dann auch hegemoniale Subjektpositionen ab, die Heike Niedrig und Louis Henri Seukwa als »Dreiecksstruktur« bestehend aus »Täter*in-Opfer-Retter*in« beschreiben:

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Die Abwehr der »falschen Flüchtlinge« (Täter) stabilisiert das imaginierte Zentrum durch Ausgrenzung der Nicht-Dazugehörigen; als »Retter« der »echten Flüchtlinge« (Opfer) wird das Bild von »Europa« als Hort der Menschenrechte und der politischen wie moralischen Überlegenheit aufrechterhalten, was allerdings die Ausblendung (post-)kolonialer Täterschaft und Verantwortlichkeit voraussetzt. (Niedrig & Seukwa 2010: 181) Rassismen in der postmigrantischen Gesellschaft werden häufig über die Diskurse zu Migration und Flucht artikuliert, sind allerdings nicht vollumfänglich zu verstehen, wenn neben dem Komplex der Migration nicht auch der Kolonialismus und sein Fortund Nachwirken sowie der Nationalsozialismus und die postnationalsozialistische Konstitution der Gesellschaft eingehend betrachtet werden. Postmigrantische, postkoloniale und postnationalsozialistische Analysen gemeinsam und aufeinander bezogen zu verwenden, hat zwei schwerwiegende Probleme: Einmal gibt es ein Begriffsproblem. Während sich »kolonial« und »nationalsozialistisch« auf zwei unermesslich schreckliche Epochen beziehen, ist »migrantisch« eine positive Selbstbezeichnung. Auf dieses Begriffsproblem hat bereits Paul Mecheril (2014b) hingewiesen. »Postmigrantisch« müsste hier eigentlich »postmigrantisierend« heißen, um eine Analogie zu »postkolonial« und »postnationalsozialistisch« herstellen zu können. Das zweite Problem betrifft die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Kolonialismus und Nationalsozialismus. Von einer postkolonialen und postnationalsozialistischen Gegenwart zu sprechen, bedeutet, die Nachwirkungen beider Systeme gleichzeitig zu betrachten. Damit wird nicht der Singularität der Shoah widersprochen oder die Maafa relativiert. Mit der Bezeichnung »postkolonial« ist ein Nach- und Weiterwirken von kolonialen Verhältnissen gemeint. Es geht nicht darum, ein »Danach« zu behaupten, sondern den Fortwirkungen und Kontinuitäten nachzuspüren. Im deutschsprachigen Raum wird die Aufarbeitung des Kolonialismus und seiner Kontinuitäten auch damit verhindert, dass auf die weniger bedeutende Rolle Deutschlands im Kolonialismus oder die gescheiterten Versuche Österreichs, eine Kolonialmacht zu sein, verwiesen wird. Beide Diskurse verkennen oder verdecken die Tatsachen einer konstitutiven Bedeutung des Kolonialismus für beide Staaten, ob direkt über Kolonien oder indirekt über die Verflechtung in den kolonialen Handel und den Sklavenhandel (vgl. Dhawan 2017). Kolonialismus ist in Deutschland – sobald er als kritische Analysekategorie und nicht wie gewohnt als ideologischer Gewaltapparat gebraucht wird – ein unnahbarer, geradezu un-heimlicher Begriff. […] Wie die Rassismuskritik löst die Erinnerung an koloniale Unterdrückungen bei Weißen das Bedürfnis nach augenblicklicher Distanzierung aus. […] Die Weigerung der deutschen Dominanzgesellschaft, sich mit den kolonialen Grundlagen ihrer eigenen Kulturgeschichte und politischen Identität auseinander zu setzen [sic!], hat weitreichende Folgen. (Ha 2009a: 105) Von einer postnationalsozialistischen Gesellschaft zu sprechen, meint ebenso, den Fokus auf die Nach- und Weiterwirkungen der Zeit des Nationalsozialismus auf die darauffolgenden Demokratien bis heute zu legen.

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Es zeigt die Nachwirkungen des unabgeschlossenen Diskurses über das an, was der Nationalsozialismus war und wie er gegenwärtige Welt- und Menschenbilder weiterhin prägt. (Messerschmidt 2008: 60) Der Nationalsozialismus lebt also einerseits in Form von rassistischem, antisemitischem, nationalsozialistischem »Wissen« weiter. Andererseits ist die Umgangsweise mit der nationalsozialistischen Geschichte und die Art und Weise, daran zu erinnern, von zentraler Bedeutung für die Gesellschaften im deutschsprachigen Raum. Neben rassistischen, antisemitischen und neonazistischen Diskursen, die explizit an die Geschichte anschließen, existieren relevante Diskurse, die von der Vergangenheit entlasten sollen (vgl. Opfer-Mythos in Österreich), mit der Aufarbeitung brechen wollen (vgl. Schlussstrichthese in Deutschland), in revisionistischer Manier die Opfer- und Täter*innenrollen umdrehen (vgl. sekundärer Antisemitismus) oder auch durch Verschiebungen den gegenwärtigen Antisemitismus verschleiern wollen (vgl. Schmidinger 2008). Dazu gilt es im deutschsprachigen Raum ein weiteres Spezifikum zu berücksichtigen, das Teil der Funktionsweisen von Rassismen in der postmigrantischen Gesellschaft geworden ist: das Rassismus-Tabu (vgl. Müller 1997: 361). Erstens hat die Rassismusforschung im deutschsprachigen Raum erst in den 1990er Jahren so richtig begonnen, wodurch im internationalen Vergleich weniger Studien und Theorien zur Verfügung stehen. Damit zusammenhängend wurde zweitens Rassismus in gesellschaftlichen wie auch einigen wissenschaftlichen Diskursen mehrfach verschoben: an den rechten Rand, in das Ausland, als Problem der Vergangenheit. Drittens ist gerade die Erinnerungspolitik in den Gesellschaften des deutschsprachigen Raumes auch ein Ort der Selbstdarstellung und -idealisierung – ein »Gedächtnistheater« (Bodemann 1996) geworden, was in Kontrast zur gesellschaftlichen Selbstreflexion einer Gesellschaft, in der Rassismen gegenwärtig alltäglich sind, steht. Viertens fehlen im deutschsprachigen Raum Gleichstellungsdaten, die einerseits Rassismen und damit zusammenhängende soziale Ungleichheiten sichtbarer machen und andererseits Gleichstellungspolitiken erleichtern könnten (vgl. Citizens For Europe 2018). Trotz mächtiger Leugnungsdiskurse sind Rassismen Teil gesellschaftlicher Normalität und der Funktionsweise unserer Gesellschaft. Rassismen sind Elemente der Sichtweisen der gesellschaftlichen Mitte (vgl. Autoritarismus-Studie von Decker 2018; MitteStudie von Zick 2021). Rassismen im deutschsprachigen Raum können als Zusammenspiel von historisch alten Elementen von kolonialem Rassismus (anti-Schwarzer Rassismus, anti-Asiatischer Rassismus, antiindigener Rassismus), Antisemitismus, Antiziganismus, antislawischem Rassismus, antimuslimischem Rassismus und neuen daran anschließenden Formen rund um Kultur, Religion, Migration, Integration und Asyl (vgl. Foroutan 2020) bezeichnet werden. Sie kennzeichnen sich auch durch chaotische Artikulationen, also das Anwenden von Teilen bestimmter Rassismen bei gleichzeitigem Ausspielen verschiedener Antirassismen. Das zeigt sich besonders an einer antimuslimisch rassistischen Antisemitismuskritik, die Antisemitismus an Musliminnen und Muslimen verschiebt, und bei der Praktik der antisemitischen Relativierung der NS-Zeit mit Shoah-Vergleichen, die rassismuskritisch argumentiert werden. Als wichtiger Teil der Funktionsweise

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gegenwärtiger Rassismen müssen bestimmte Rechtfertigungs- und Verleugnungsdiskurse bezeichnet werden. Die hegemonialen Diskurse der Farbenblindheit, des umgekehrten Rassismus, der Distanzierungs- und Dethematisierungsstrategien wurden bereits an anderer Stelle vertieft. Wie auch bereits an anderer Stelle dieser Arbeit erwähnt, artikulieren sich die neuen Rassismen häufig implizit statt explizit und vermeiden meist offene Bezugspunkte zu biologistisch-rassistischen Ideen von »Rasse« zugunsten angesprochener kulturalistisch-rassistischer Konzepte wie eben Kultur, Zivilisation, Religion oder sogar Emanzipation und Gleichheit. Rassistische Strategien in der Ära der postmigrantischen Gesellschaft operieren wesentlich fluider als jene des traditionellen Rassismus, der sich auf solche naturalisierenden Kategorien wie »Rasse« berief und über die offene und strukturelle Gewalt der Segregation und der Exklusion operierte. […] Die Rassismen der Gegenwart schwanken zwischen biologistischen und kulturalistischen Markierungen der Über- und Unterlegenheit. Sie lassen sich auch in Ideologien der Gleichheit und der Emanzipation wiederfinden. (Tsianos & Karakayali 2014)

Rassismen in der postmigrantischen Gesellschaft Der gesellschaftliche Kontext dieser Untersuchung ist Österreich. Die antirassistischen Aktivisten meiner Untersuchung leben zum Zeitpunkt des Interviews in Wien, Graz und Innsbruck. Die bisherigen Ausführungen in diesem Kapitel haben gezeigt, dass Österreich – und bis zu einem gewissen Maß ist diese Studie sicher für den deutschsprachigen Raum repräsentativ – eine spezifische Konstellation in Bezug auf Rassismen aufweist, die ich als postmigrantisch, postkolonial und postnationalsozialistisch begreife. Die in dieser Gesellschaft virulenten Rassismen sind Antisemitismus, Antiziganismus/ Rassismus gegen Roma und Sinti, antimuslimischer Rassismus, kolonialer und postkolonialer Rassismus (anti-Schwarzer Rassismus, anti-Asiatischer Rassismus, antiindigener Rassismus), migrantisierender Rassismus/Migratismus und antislawischer Rassismus/Antislawismus. In der folgenden Darstellung skizziere ich Gegenwart und Geschichte der Rassismen und arbeite dominante Diskurse und Subjektvorstellungen heraus, die strukturierend und subjektivierend auf die österreichische Gesellschaft eingewirkt haben und einwirken. Abschließend werde ich die privilegierte Position in den Rassismen der postmigrantischen Gesellschaft herausarbeiten.

Antisemitismus Im Antisemitismusbericht 2019 der Israelitischen Kultusgemeinde Wien wurden für das Jahr 2019 550 antisemitische Vorfälle registriert. Dabei handelte es sich um physische Angriffe (6), Bedrohungen (18), Fälle von Sachbeschädigungen (78), Fälle von Massenzuschriften (209) und Fälle von verletzendem Verhalten (239). Die ideologischen Hintergründe wurden dabei zu knapp 50 Prozent aus dem rechten Spektrum, zu 5 Prozent aus dem linken und zu 5 Prozent aus einer religiös-muslimischen Motivation heraus verübt.

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Das bedeutet, dass der gegenwärtige Antisemitismus vor allem von rechts, aber auch aus der gesellschaftlichen Mitte3 kommt. Denn 40 Prozent der Vorfälle konnten nicht eindeutig ideologisch zugeordnet werden. Gegenwärtig zeigt sich Antisemitismus in allen Bereichen der österreichischen Gesellschaft. Antisemitische Vorfälle in Österreich finden vor allem dann statt, wenn Menschen aufgrund ihrer Kleidung als Jüdinnen und Juden erkennbar sind, außerdem im Kontext von Holocaust-Leugnung und antisemitisch motivierter »Israel-Kritik« (vgl. Israelitische Kultusgemeinde Wien 2020). Der Antisemitismusforscher Werner Bergmann unterscheidet drei Formen der Feindschaft gegen Jüdinnen und Juden, die aus historisch unterschiedlichen Zeiten im gegenwärtigen Antisemitismus weiterwirken: religiöse Judenfeindschaft, ökonomisch begründete Judenfeindschaft und rassistisch begründete Judenfeindschaft. Die religiöse Judenfeindschaft, der Antijudaismus (vgl. Nirenberg 2015), war ein wichtiger Machtfaktor des Christentums und bestand vor allem aus der Legende vom »Christusmord«, dem »Hostienfrevel« und der »Ritualmordlegende«. Die Zeit der Pest brachte den antisemitischen Mythos der »Brunnenvergiftung« hinzu (vgl. Bergmann 2016). Die ökonomisch begründete Judenfeindschaft steht in engem Zusammenhang mit der antisemitischen Struktur der Gesellschaft seit dem Mittelalter. Jüdinnen und Juden wurden von Zunftberufen sowie vom Staatsdienst ausgeschlossen und durften keinen Grund besitzen. Damit blieb vor allem der Finanz- und Handelssektor übrig. Die »Drahtzieher-Legende«, die besagt, dass Jüdinnen und Juden »mit ihrem Geld weltweit das Geschehen« (Bergmann 2006) bestimmen, ist mit der rassistischen Gesellschaftsstruktur in Verbindung zu setzen. Die rassistisch motivierte Judenfeindschaft beginnt zur gleichen Zeit wie der moderne antimuslimische Rassismus, und beide wiederum sind Rassismen, die den nachfolgenden kolonialen Rassismus mitgeformt haben. Mit der spanischen Inquisition und der späteren Vertreibung und Ermordung von »Conversos« (zum Christentum konvertierte Jüdinnen und Juden) und »Moriscos« (zum Christentum konvertierte Musliminnen und Muslime) beginnt die moderne Form des Antisemitismus: Nach 800-jährigem Zusammenleben von jüdischen, muslimischen und christlichen Gemeinschaften unter arabisch-amazighisch-muslimischer Herrschaft auf der Iberischen Halbinsel beendete die spanisch-katholische Herrschaft die gesellschaftliche Pluralität. Sie zwang zunächst die muslimische und jüdische Bevölkerung zu konvertieren und sich kulturell zu assimilieren. Später wurden die (zwangs-)konvertierten ›Conversos‹ (ehemalige Jüd_innen) und ›Moriscos‹ (ehemalige Muslim_innen) vertrieben und deportiert. Krone und Kirche meinten, nationale Einheit nur über religiöskulturelle Reinheit erreichen zu können […]. Die derart in den Mittelpunkt gestellte Differenz zwischen Bevölkerungsgruppen, die Jahrhunderte lang miteinander gelebt hatten, wurde zwar als religiöse mit kultureller Bedeutung bezeichnet, aber als natürliche behandelt. Anwärter für angesehene Berufe und Positionen mussten etwa nachweisen, dass ihr Blut ›rein‹ ist. Das bedeutet, sie durften über keinerlei jüdische oder muslimische Vorfahr_innen verfügen. (Attia & Keskinkılıç 2017: 119)

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Für Deutschland haben das die Studien von Zick (2021), Heitmeyer (et al. 2016) und Brähler (et al. 2016) nachgewiesen.

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Mit der Blut-Metapher wurden Jüdinnen und Juden sowie Musliminnen und Muslime von den katholischen Machthabern zu biologisch unterscheidbaren Gruppen konstruiert (Kategorisierung und Essentialisierung). Ihnen wurden negative, von Natur gegebene und vererbte Eigenschaften zugeschrieben (Naturalisierung), auf deren Grundlage sich dann ein überhöhtes, katholisches, nationales »Wir« bilden konnte (Polarisierung und Hierarchisierung). In diesen historischen Abläufen, die mit dem Datum 1492, um die Eroberung Granadas im Rahmen der Inquisition und der Landung von Columbus im heutigen Amerika, eng verbunden sind, wurden »grundlegende Bezüge zur Rassifizierung von Jüd_innen, Muslim_innen, Menschen afrikanischer, asiatischer und amerikanischer Herkunft sowie Sinte_zza und Rom_nja« (ebd.) gelegt. Hier zeigen sich Gemeinsamkeiten der unterschiedlichen Rassismen. Hinsichtlich der geschichtlichen Ausprägungen und Begründungen unterscheiden sich Rassismus und Antisemitismus, sind aber zugleich beide Ausdruck von kulturellen Identitätsvergewisserungen und nationalistischen Herrschaftsbestrebungen. Die Positionen des hierarchisch definierten Anderen werden unterschiedlich besetzt, dienen aber jeweils einem überlegenen Selbstbild und der Ausdehnung eigener Macht. (Messerschmidt 2008: 46) Astrid Messerschmidt macht auch auf die Unterschiede zwischen kolonialem Rassismus und Antisemitismus aufmerksam. Ihrer Lesart zufolge diente Antisemitismus auch einer gesellschaftlichen Selbstentlastung, indem sich die Gesellschaft neben ihrer Rolle als koloniale Täterin auch als Opfer inszenieren kann: Im Unterschied zum kolonialen Anderen ist der antisemitisch markierte Andere nicht nur minderwertig, sondern mit Macht ausgestattet. Und deshalb gefährlich. Antisemitismus bietet Gelegenheit, sich selbst als Opfer zu sehen und sich vorzustellen, beherrscht und ausgebeutet zu werden. (Messerschmidt 2008: 50) Eine wichtige Besonderheit des Antisemitismus ist, dass im Gegensatz zu anderen Rassismen, in deren Rahmen Vorstellungen der Minderwertigkeit (neben den exotisierenden Elementen) im Zentrum stehen, Ideen einer besonderen Mächtigkeit von Jüdinnen und Juden rassistisch tradiert wurden und werden. Im Antisemitismus waren Minderwertigkeits- und Übermachtsphantasien stets Teil derselben Medaille. Das mit Überlegenheitsphantasien angereicherte Bedrohungsszenario der »jüdischen Weltverschwörung« diente dabei zur Rechtfertigung von besonders grausamen antisemitischen Vorgängen wie Pogromen und Zwangskonvertierungen und schließlich der Shoa, in der 6 Millionen Jüdinnen und Juden ermordet wurden. All die genannten Elemente des Antisemitismus finden im Völkermord des nationalsozialistischen Deutschlands seine »totale Gestalt« (Giere 1996: 9). Im Nationalsozialismus wurde die Rassenideologie zum zentralen politischen Programm. Die nationalsozialistische Lehre von »Herrenmenschen« und »Untermenschen« ist eine logische Weiterführung des modernen, biologistischen Rassismus. Das Ziel war die Herstellung einer »rassische[n] Neuordnung Europas unter »arischer« Vorherrschaft«. (Rose 1999: 26) Romani Rose zitiert in diesem Zusammenhang die Zeitschrift des Deutschen Ärztebundes von 1938 mit den Worten:

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Ratten, Wanzen und Flöhe sind Naturerscheinungen, ebenso wie die Juden und Zigeuner … Alles Leben ist Kampf. Wir müssen deshalb alle Schädlinge biologisch allmählich ausmerzen, und das heißt heute, die Lebensbedingungen durch Sicherheitsverwahrung und Sterilisationsgesetze so grundlegend ändern, dass alle diese Feinde unseres Volkes langsam, aber sicher zur Ausmerze gelangen. (Deutscher Ärztebund, zit.n. Rose 1999: 27) Der Antisemitismus hat eine lange Geschichte, aber es wäre falsch, gefährlich und antisemitisch, von einem »ewigen Antisemitismus« zu sprechen. Vielmehr ist Antisemitismus ein teils stabiles teils dynamisches gesellschaftliches Machtmittel, das Einfluss auf Struktur, Diskurse, Praktiken und Subjektvorstellungen hat.

Antimuslimischer Rassismus In dem Antimuslimischer Rassismus Report 2019 wurden für das Jahr 2019 1051 Fälle verzeichnet. Die rassistischen Vorfälle lassen sich in Hass/Hetze (72,41 %), Beleidigung (11,23 %), Sachbeschädigung (7,42 %), Ungleichbehandlung (4,09 %), physische Übergriffe (1,81 %) und weitere Vorfälle gliedern. Während der absolute Großteil (89,2 %) der im Internet stattgefundenen Handlungen sich gegen als muslimische Männer wahrgenommene Personen richtete, so waren im öffentlichen Bereich mehrheitlich (64,37 %) als muslimische Frauen gelesene Personen von rassistischen Übergriffen betroffen (vgl. Dokustelle für Islamfeindlichkeit und antimuslimischer Rassismus 2020). Der antimuslimische Rassismus wird gegenwärtig als Teil eines europäischen Orientalismus (vgl. Attia 2009) und als aktuell sehr wirkungsmächtige Form des »Neorassismus« (Barker 1981) diskutiert, der mit der rassistischen Technik der »Kulturalisierung« (vgl. Shooman 2014; Tezcan 2011) operiert. Im antimuslimischen Rassismus wird »kulturalisiert, dämonisiert, barbarisiert« (Müller-Uri 2014: 110). Forschungen zu Alltagsrassismus (vgl. Attia 1994) haben zwei signifikante und dominante Subjektformen des antimuslimischen Rassismus beschrieben: die »unterdrückte Muslimin mit Kopftuch« und den »gewalttätige[n] und starke[n] muslimische[n] Mann« (vgl. Attia 2011: 158). Sie zeigen die Erscheinungsform des antimuslimischen Rassismus als intersektionellen Rassismus und seine Funktionsweise als »Rassismus im Namen der Emanzipation« (Opratko 2019). Im Zuge dieser »Muslimisierung« (Amir-Moazami 2016) wird in rassistischer Manier ein »Anderes« zum »einheimischen Wir« hergestellt: Muslimischsein bedeutet dann das Gegenteil von Deutschsein, dies bezieht sich selbst auf Personen mit deutscher Staatsbürgerschaft, deutschen Sprachkenntnissen oder solche, die sich selbst als deutsch identifizieren. (Keskinkılıç 2019) Beim antimuslimischen Rassismus handelt es sich um ein sehr altes Phänomen, das allerdings erst in den letzten drei Jahrzehnten zu einer hegemonialen Artikulation geworden ist: Kaum dass sich etwa die Panik um die türkische Minderheit gelegt hatte und eine zögerliche Debatte darum begann, ob diese Gruppe nun tatsächlich eine deutsche Minderheit sei, setzte die Panik um die Muslime ein – eine Gruppe, deren Fremdheit nun noch einmal völlig neu entdeckt werden konnte, auch wenn man sie als »Gastarbei-

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ter« und dann als »Türken« eigentlich schon mehrmals voller Panik entdeckt hatte. (ElTayeb 2016: 9) Der antimuslimische Rassismus diente historisch gesehen zur Machterhaltung der christlichen Hegemonie in Europa (z.B. Vertreibung von »Conversos« und »Mariscos« aus Spanien), wurde als Mobilisierung gegen das Osmanische Reich tradiert und hat in der Zeit nach dem Kalten Krieg im Zuge der Etablierung neuer westlicher Feindbilder Hochkonjunktur (vgl. Attia 2009). Gegenwärtig findet sich antimuslimischer Rassismus in Kopftuchverboten (strukturell), Stereotypen zu patriarchalen Männern* und unterdrückten Frauen* (Subjektformen), direkten rassistischen Praktiken (z.B. rassistische Übergriffe in der Öffentlichkeit, Nachteile bei der Arbeits- und Wohnungssuche) und Diskursen (z.B. Konstruktion »des Islams« als rückständig). Der Begriff »antimuslimischer Rassismus« löste weitgehend die Bezeichnung »Islamophobie« ab (vgl. Keskinkılıç 2019). Dies passierte in einer ähnlichen Abgrenzungsbewegung, wie sie in der Rassismusforschung zu dem Begriff »Fremdenfeindlichkeit« vorgenommen wurde, dem ja vorgeworfen wird, den Fokus auf die Täter*innen und deren Vorurteile zu legen, anstatt Personen mit Rassismuserfahrungen und Strukturen sowie Diskurse in den Blick zu nehmen (vgl. Shooman 2011). Ähnlich wie im Antisemitismus, in dessen Zuge bestimmte Formen der »Israelkritik«4 antisemitisch instrumentalisiert werden, sind im antimuslimischen Rassismus Formen der »Islamkritik«5 Orte der rassistischen Artikulation: Vergleichsweise artikulieren sich Narrative eines antimuslimischen Rassismus in einer sogenannten ›Islamkritik‹. Ausgangspunkt bildet die Zuschreibung kollektiver Merkmale, die zum Wesen des Islams und der vermeintlichen Religionsangehörigen erklärt werden. Die Homogenisierung dient dazu, einerseits Differenz zu ›uns‹ zu behaupten, andererseits den Ausschluss muslimisch markierter Menschen aus der Gesellschaft zu begründen. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn Menschen aufgrund ihres Aussehens, Namens oder ihrer (vermeintlichen) Herkunft als Muslim_innen kategorisiert werden und ihnen daraufhin Illoyalität oder eine fehlende Integrationsbereitschaft unterstellt wird. Verschwörungstheorien einer ›Islamisierung‹ Deutschlands oder der Vorwurf einer ›Unterwanderung‹ und ›Überfremdung‹ der Gesellschaft konstruieren dementsprechend ›den Muslim‹ zum Gegenbild ›des Deutschen‹, verweigern ›den anderen‹ Teilhabe und verteidigen ›eigene‹ Privilegien. In diesem Sinne werden Spielarten des Antisemitismus und Rassismus mit Verweis auf die demokratische Meinungsfreiheit als gesellschaftliches Recht eingefordert, und zwar unter Missachtung der Rechte Anderer. (Attia & Keskinkılıç 2017: 124f)

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Kritik am Staat Israel ist freilich genauso legitim wie etwa Kritik am Staat Österreich. Bestimmte Formen der Kritik an Israel werden allerdings antisemitisch artikuliert und unter dem Deckmantel der »Israelkritik« legitimiert. »Israelkritik« ist etwa dann antisemitisch, wenn sie den Staat Israel dämonisiert, delegitimiert und mittels eines Doppelstandards (Israel wird viel strenger beäugt als andere Staaten) behandelt (vgl. Unabhängiger Expertenkreis Antisemitismus 2018: 27). Auch hier gilt, dass nichtrassistische Kritik an religiösen Ideen, Gemeinschaften und Institutionen legitim und notwendig ist.

5 Postmigrantische Gesellschaft

Der gegenwärtige antimuslimische Rassismus hat auch deshalb eine so große Breitenwirksamkeit und Normalisierung erreicht, weil er viele hegemoniale Diskurse verbindet, in denen sich dann unterschiedliche Ressentiments treffen, und diese auf die eine böse Figur der »muslimischen Jungmänner« (Hark & Villa 2018: 84) als Täter und die Figur der Muslima mit Kopfbedeckung als Opfer fokussieren: Ein Bild, das im gegenwärtigen antimuslimischen Rassismus ohnehin eine zentrale Rolle spielt, zeichnet sich dieser doch vor allem durch eine fast bis zur Ununterscheidbarkeit geronnene Verschmelzung von Islam, Terrorgefahr und fundamentalistischen Kulturalisierungen aus, die über Unterschiede in den Geschlechterregimen begründet werden. (Ebd.) Antimuslimischer Rassismus im deutschsprachigen Raum ist daher eine Form des kulturellen Rassismus mit langer Tradition und neuen Artikulationen, die häufig über pseudofeministische Rhetorik und vermeintliche Religionskritik breitenwirksam legitimiert wird.

Antiziganismus/Rassismus gegen Rom*nja und Sinti*zze6 Im Antiziganismus Report 2015–2017 von »Romano Centro« zeigt sich die Alltäglichkeit, Normalität, Brutalität und Spezifik von Antiziganismus/Rassismus gegen Rom*nja und Sinti*zze. Antiziganisimus findet gegenwärtig in allen Lebensbereichen statt: Medien, Politik, beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen, im Internet, in Bezug auf die Polizei, im öffentlichen Raum, in der Arbeitswelt, im Zuge von Bildung und in anderen Bereichen. In der Forschung zu Rassismus gegen Rom*nja und Sinti*zze wird mit dem Begriff »Antiziganismus«7 versucht, Parallelen zum Antisemitismus offenzulegen (vgl. Wippermann 1997) und der Jahrhunderte andauernden »Erfindung« (vgl. Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma 2015; Bogdal 2011) antiziganistischer Subjekte, Diskurse, Praktiken und Strukturen nachzugehen. Neben diesen wichtigen historischen Arbeiten wird vor allem der Zusammenhang von rassistischer Diskriminierung und sozialer Ungleichheit von Rom*nja und Sinti*zze im deutschsprachigen Raum (vgl. Scherr 2013; Zentralrat Deutscher Sinti und Roma 2012; End et al. 2009) erforscht. Antiziganismus ist ein historisch hergestellter, stabiler Komplex eines gesellschaftlich etablierten Rassismus gegenüber sozialen Gruppen, die mit dem Stigma »Zigeuner« oder anderen verwandten Bezeichnungen belegt werden. Er umfasst 1. eine homogenisierende und essentialisierende Wahrnehmung und Darstellung dieser Gruppen, [das bedeutet, dass alle so bezeichneten Personen als einander gleich und in ihrer Wesensart als unveränderbar angesehen werden] 2. die Zuschreibung spezifischer Eigenschaf6 7

Für diese Studie werden sowohl die Begriffe »Antiziganismus« und »Rassismus gegen Rom*nja und Sinti*zze« verwendet, weil beide Begriffe von Selbstorganisationen verwendet werden. Der Begriff »Antiziganismus« ist problematisch, da er mit der Bezeichnung »zigan« eine rassistische Begrifflichkeit beinhaltet (vgl. Bartel 2008). Auch beim Antisemitismus ist die Kategorie der Semitin, des Semiten eine rassistische Erfindung. »Antiziganismus« will gerade die historische Parallele zum Antisemitismus sichtbar machen.

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ten an diese [beispielsweise Kriminalität, Nicht-Arbeiten-Wollen oder Unehrlichkeit] und 3. vor diesem Hintergrund entstehende diskriminierende soziale Strukturen und gewalttätige Praxen, die herabsetzend und ausschließend wirken und strukturelle Ungleichheit reproduzieren. (Romano Centro – Verein für Roma 2017: 5, Anm. i. Orig.) Auch beim Rassismus gegen Rom*nja und Sinti*zze oder Antiziganismus verbinden sich über Jahrhunderte andauernde historische Diskurse über den »Anderen«, die zunächst christlich-religiös motiviert waren, dann unter Zuhilfenahme von »Rassentheorien« biologistisch und in der Gegenwart eher kulturalistisch gedeutet werden, mit gesellschaftlichen Machtstrukturen, die schließlich eine menschliche Hierarchie mitsamt Diskriminierungs-, Ausschluss- und Tötungspraktiken hervorgebracht haben. Das Konstrukt des Z-Wortes8 diente seit jeher auch als Projektionsfläche der eigenen unerfüllten Wünsche und unterdrückten Begierden. Der Sehnsucht nach einem von Zwängen befreiten, weniger herrschaftlich organisierten, ungebundenen, weniger entfremdeten, freien Leben standen die realen Lebensverhältnisse der Mehrheit in feudalen und postfeudalen Systemen gegenüber (vgl. Wigger 1996: 54). In diesem Zusammenhang sind auch die vermeintlich »positiven«, exotisierenden antiziganistischen Stereotype zu lesen. In den Zuschreibungen von Freiheit, Ungezwungenheit, Natürlichkeit, Musikalität und Sexualität definiert sich das staatliche, europäische, weiße, christliche, »rationale« Selbst. Die Dichotomie aus Kultur (»Wir«) und Natur (»Andere«) wird dabei mit abwertenden und vermeintlich positiven Attributen gleich doppelt hergestellt. Die Aufspaltung des rassifizierten »Anderen« in »edle und unedle Wilde« (vgl. Hall 1994a: 170ff) – wie sie im kolonialen und postkolonialen Rassismus eine große Rolle spielte und spielt – ist ein wichtiger Aspekt von Rassismen und dient dem gleichen Zweck: dem Festschreiben von rassistischen Subjektpositionen und Subjektordnungen. Antiziganistische Diskurse bringen europäische Rom*nja und Sinti*zze des 15. Jahrhunderts einerseits mit negativ konnotierten Themen in Verbindung, etwa mit Pest, Angst vor dem osmanischen Reich, Kriminalität, Heidentum, sie waren aber auch von Beginn an mit romantisierenden Elementen wie Sexualität, Freiheit, Musikalität, Naturnähe in Verbindung. Diese vor allem von Stadtchronisten geprägten Diskurse wurden strukturell und praktisch abgesichert (Berufsverbote und Niederlassungsverbote in den Stadtgesellschaften) und manifestierten sich immer wieder in rassistischen Pogromen und Vertreibungen. Im Laufe des Porajmos – oder auch Porrajmos, was »verschlingen« im Romanes bedeutet –wurden6 Millionen Jüdinnen und Juden und mehr als eine halbe Million Rom*nja und Sinti*zze grausamstermordet (vgl. Haupt 2006: 118; Barany 2002: 108). In der diskriminierenden Fremdbezeichnung des Z-Wortes bündeln sich die rassistischen Subjektvorstellungen der Vergangenheit bis zur Gegenwart. Nach wie vor werden europäische Rom*nja und Sinti*zze in allen Lebensbereichen benachteiligt, wobei rassistische, klassistische und Sicherheitsdiskurse, vor allem zum Thema Betteln, aktuell eine besonders prägnante Beziehung eingehen (Romano Centro – Verein für Roma 8

Das Z-Wort wird nicht ausgeschrieben, um einer rassistischen Reproduktion zu entgehen. Der Begriff »Z« kommt aus historischen Gründen nicht infrage. Sie wurde im nationalsozialistischen Regime als Kategorie in »Rassegutachten« verwendet (vgl. Severin 2019: 66). Im Falle einer rassismuskritischen Verwendung des Begriffes wird vom »Z-Wort« gesprochen.

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2017: 6ff). Für Jan Severin bestehen antiziganistische Konstruktionen aus einer Reihe von rassistischen Zuschreibungen. Dazu gehören »Nichtsesshaftigkeit«, »Unfähigkeit/ Unwillen zu geregelter (Lohn-)Arbeit«, die »Ausbeutung der Mehrheitsgesellschaft«, eine ausgeprägte »kulturelle Differenz« und ein »Agieren als Kollektiv« (vgl. Severin 2019: 96f). Isidora Randjelović nennt fünf typische Kennzeichen des Rassismus gegen Rom*nja und Sinti*zze, die für die Geschichte des Antiziganismus kennzeichnend sind und zum Teil bis heute weiterleben. Erstens werden Romn*ja als »Gegenbild der bürgerlichen tugendhaften Frau« (Randjelović 2021: 10) dargestellt. Ihnen wird eine Position als »Mannsweib« (vgl. ebd.) zugeschrieben sowie unterstellt, eine schlechte Mutter zu sein oder gar Kinder zu rauben. Das zweite Kennzeichen ist die rassistische Unterstellung einer Primitivität und Minderwertigkeit, womit Rom*nja und Sinti*zze zu Objekten der Erziehung und polizeilicher Interventionen erklärt werden. Im Antiziganismus findet drittens auch häufig eine »Ethnisierung von sozialen Problemen« (vgl. ebd.) statt, die in einem Dreieck aus Polizei, Sozialer Arbeit und Wissenschaft artikuliert wird. Viertens ist die Geschichte des Antiziganismus durch erzwungene Mobilität gekennzeichnet, die dann wiederum als »typische« Eigenschaft von Rom*nja und Sinti*zze behauptet wird. Neben diesen Repräsentationen werden auch Bilder aus Armensiedlungen als typisch erklärt und rassistisch gedeutet. Fünftens spricht Isidora Randjelović von einer systematischen Ausblendung der Perspektive, Erfahrungen, des Wissens von Rom*nja und Sinti*zze in vielen relevanten Gesellschaftsbereichen. (Vgl. ebd. 11)

Kolonialer und postkolonialer Rassismus9 Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) hat in ihrem Report zu Rassismus in Österreich mehrere Missstände festgestellt, die in Verbindung zu postkolonialem Rassismus stehen. In Österreich wird etwa ethnic oder racial profiling besonders häufig beobachtet. Gleichzeitig liegt die Melderate von rassistischen Vorfällen und Hatecrime weit unter dem EU-Durchschnitt. Diese Tatsache hängt auch damit zusammen, dass die Vertrauenswerte gegenüber Strafverfolgungsbehörden von Menschen mit Rassismuserfahrungen sehr niedrig sind (vgl. Hafez 2020). Der Rassismusreport von ZARA für das Jahr 2020 hat ermittelt, dass von 3 039 gemeldeten Fällen circa ein Viertel explizit mit dem Verweis auf Hautfarbe begründet wurde. In der Arbeitswelt und beim Zugang zu Dienstleistungen und Gütern sind ein Drittel der gemeldeten Fälle Rassismen, die sich »explizit aufgrund der Hautfarbe gegen Schwarze Menschen und People of Colour richte[n]« (ZARA 2021: 14). Diese Gegenwart des postkolonialen Rassismus ist in einer Jahrhunderte alten Tradition verhaftet, die soziale Ungleichheit produzieren, legitimieren und reproduzieren

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Die Bezeichnung »kolonialer« und »postkolonialer Rassismus« umfasst anti-Schwarze, anti-Asiatische, antiindigene und alle Rassismen gegen People of Color mit kolonialem oder postkolonialem Bezug. Keineswegs sollen hier die unterschiedlichen Rassismen pauschalisiert oder relativiert werden. Es soll darum gehen, der Funktion von Rassismus für die koloniale Expansion Europas nachzugehen, deren Nachwirkungen wir heute mehr spüren, als öffentliche Diskurse dies zu reflektieren imstande sind.

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sollte und soll. Es haben sich mit dem anti-Schwarzen Rassismus, dem anti-Asiatischen Rassismus, dem antiindigenen Rassismus unterschiedliche Rassismen mit zentralen Gemeinsamkeiten gebildet. Mit der Hierarchisierung der Menschheit in zumeist vier Großgruppen sollte der Machtanspruch der sich als weiß konstruierten und idealisierten Europäer (und Europäerinnen in einem geringeren Machtausmaß) gerechtfertigt werden. Indem die Menschheit in unterschiedlich wertbehaftete Gruppen eingeteilt und die außereuropäische Welt durch eine mehrere Jahrhunderte andauernde Kolonialisierung diesem Regime unterworfen wurde, konnten sich Weiße selbst an die Spitze der ›Rassenpyramide‹ setzen. Wer die moderne Unterdrückungsgeschichte des Rassismus einer postkolonialen Revision unterzieht, kommt nicht umhin festzustellen, dass die Menschen des kolonialisierten Trikonts einschließlich der Indigenen in Australien und Ozeanien durch massive Eingriffe und soziale Disziplinierungen auch immer untereinander hierarchisiert und voneinander isoliert wurden. Dazu wurden unter anderem Körpertechniken, Raumpolitik, Ehegesetze, ökonomische Arbeitsteilungen sowie diskursive (Ver-)Ordnungen einschließlich kultureller Fremddarstellungen in Schrift und Bild eingesetzt, deren Effekte bis heute nachwirken. Durch das Prinzip des divide et empera sollten Solidarisierungsprozesse über die künstlich geschaffenen ›Rassengrenzen‹ hinweg verhindert werden. Um anti-koloniale Revolten zu erschweren und das rassistische Ausbeutungssystem aufrechtzuerhalten. (Ha 2016c: 31, Herv. i. Orig.) Der Kolonialrassismus ist einerseits historisch und andererseits nach den gegenwärtigen »postkolonialen« Kontinuitäten zu betrachten. Es geht um die Funktion von rassistischen Diskursen, Praktiken, Strukturen und Subjektvorstellungen für die koloniale Expansion Europas, wie auch um die Wirkung der kolonialen Expansion auf den Rassismus und die historischen wie gegenwärtigen Gesellschaften, die damit in Verbindung stehen. Der koloniale Rassismus war ein zentrales Element der globalen Dominanz Europas: Anfang des 20. Jahrhunderts regierte Europa über ca. 85 % des globalen Territoriums in Form von Kolonien, Protektoraten und Dependancen. Die koloniale Expansion war ein exorbitanter und gewalttätiger Prozess, der durch Ausbeutung, Versklavung und Diebstahl charakterisiert war. (Castro Varela & Dhawan 2009: 9) Das Jahr 1492 ist bereits mehrmals als das zentrale Datum für den Beginn10 des modernen Rassismus bezeichnet worden. Der koloniale und postkoloniale Rassismus steht in enger Verflechtung mit dem europäischen Kolonialismus. Stuart Hall hat in seinem kanonischen Artikel Der Westen und der Rest: Diskurs und Macht (1994a) die Funktion von Rassismus als ideologischer Diskurs zur Herstellung und Festigung der europäisch dominierten (symbolischen und materiellen) Weltordnung beschrieben. Er beschreibt vier

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Wulf Hund weist zu Recht darauf hin, dass etwa Christoph Kolumbus vor seiner Amerikareise schon Zuckerhändler war und es auf Madeira bereits Zuckerrohrplantagen gab, auf denen afrikanische Sklaven ausgebeutet wurden (vgl. Hund 2018: 93). Allerdings sind die koloniale Expansion und die damit eng zusammenhängende Erfindung des modernen Rassismus tatsächlich erst ab 1492 zu einer weltumspannenden und alle gesellschaftlichen Bereiche und Diskurse bestimmenden Struktur geworden.

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Diskursstränge: klassisches Wissen, religiöse und biblische Quellen, Sagen und Erzählungen sowie europäische Reiseberichte, die »den kulturellen Rahmen bereitstellten, in dem die Völker, Orte und Dinge der Neuen Welt gesehen, beschrieben und repräsentiert wurden« (Hall 1994a: 156). Stuart Hall zeigte damit, dass bereits die ersten Begegnungen von Europäern (es waren primär Männer) und den Bewohner*innen Amerikas durch ein System aus verschiedenen Diskursen symbolisch vorstrukturiert waren. Diese Diskurse beinhalteten Wünsche, Idealisierungen und Phantasien genauso wie Ängste, Dämonisierungen und Hass. Sie hatten bereits zu Beginn zwei für den kolonialen Rassismus zentrale Komponenten inne: Erstens erfolgte, durch die diskursiven Vorannahmen bestärkt und von ökonomischen Interessen geleitet, eine »Ver-Kennung der Differenz« (Hall 1994a: 162): Die Europäer waren von Anfang an schockiert von dem, was sie als die Abwesenheit von Regierung und ziviler Gesellschaft – der Grundlage aller ›Zivilisation‹ – bei den Völkern der Neuen Welt interpretierten. Tatsächlich hatten diese Völker verschiedene sehr differenzierte und hochentwickelte Sozialstrukturen. […] Die Pueblo in Zentralamerika waren Dorfbewohner. Andere waren Jäger und Sammler in den Ebenen und Wäldern. Die Arawaks auf den karibischen Inseln hatten einen relativ einfachen Gesellschaftstyp, der auf Subsistenzwirtschaft durch Ackerbau und Fischerei basierte. Weiter nördlich, in Carolina, lebten Irokesen als wilde nomadische Jäger. Die Hochkultur der Mayas mit ihren blendend weißen Städten beruhte auf einer entwickelten Landwirtschaft; sie war stabil, schriftkundig und bestand aus einem Staatenbund mit einer komplexen Regierungshierarchie. Die großen und komplex strukturierten Zivilisationen der Azteken (Mexiko) und der Inkas (Peru) basierten auf dem Maisanbau und hatten eine reich entwickelte Kunst, Kultur und Religion, eine differenzierte Sozialstruktur und ein zentralisiertes Verwaltungssystem; im Ingenieurwesen waren beide zu außergewöhnlichen Leistungen fähig: Ihre Tempel überragten alles, was es in Europa gab, und die Königsstraße der Inkas verlief über mehr als 2000 Meilen durch bergiges Gelände – weiter als die größte Entfernung des Römischen Imperiums von York bis Jerusalem […]. (Ebd.) Diese komplexen Gesellschaften waren »funktionierende Gesellschaften. Nur sie waren nicht europäisch« (ebd., Herv. i. Orig.). Zweitens folgten auf diese systematische Ver-Kennung von Differenz »Rituale der Herabwürdigung« (ebd.: 164). Aus den pauschalisierten Differenzen – der für sie im Vergleich fremden Kulturen – schlossen die machtvollen Europäer (dominant waren die Männer), dass jene Gesellschaften, die keine europäische Kultur besaßen, gleich gar keine aufweisen würden. Damit wurde der für den kolonialen und postkolonialen Rassismus so zentrale Natur-vs.-Kultur-Dualismus begründet, der das europäische »Wir« gegenüber dem außereuropäischen »Anderen« überhöht. Auf der Ebene der Subjekte erfüllt die »Zivilisierte-vs.-Wilde-Dichotomie« dieselbe Funktion. Unter der Bezeichnung »Maafa« (vgl. Ani 1994; Ogette 2019: 33), die in Swahili »Katastrophe, schreckliche Begebenheit und große Tragödie« (Ogette 2019: 33) umfasst, wird Kolonialismus, Sklaverei, Rassismus und Imperialismus sowie der Widerstand dagegen bezeichnet (vgl. ebd.). Tatsächlich bildete sich diese globale, von Europa domi-

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nierte Wirtschaft, indem Kolonialismus, Sklaverei, Rassismus und Imperialismus eine Verbindung eingingen: Es funktionierte so: Von Europa aus fuhren die mit Feuerwaffen, Stahl- und Bronzebarren, grobem Tuch, Glasperlen und Manufakturen beladenen Schiffe an die westafrikanische Küste, wo die Ladung gegen Menschen, die zu diesen Zwecken eingefangen und gewaltvoll verschleppt wurden, ›eingetauscht‹ [sic]. Die so versklavten Menschen wurden auf ›Sklavenmärkten‹ von lokalen Händlern gekauft. Anschließend steuerten die Schiffe die Karibik an, wo vom Erlös der versklavten Menschen landwirtschaftliche Erzeugnisse wie grober Zucker, Rum und Melasse sowie Baumwolle (die durch die Zwangsarbeit von versklavten Menschen produziert wurden) erworben wurden. Schließlich segelten die Schiffe, vor allem mit Zucker, aber auch mit anderen erworbenen Produkten beladen, in ihre Heimathäfen zurück, um die Ladung auf dem europäischen Markt gewinnbringend zu verkaufen. (Ogette 2019: 34) Der Kolonialismus und die postkoloniale Konstellation dauern Jahrhunderte an. Im Zentrum davon fand und findet sich eine Ordnung, in der der als weiß, christlich, »zivilisiert« verstandene Westen und sein als Ideal konstruiertes (männliches, heterosexuelles, bürgerliches) Subjekt große Teile der Welt sowie der Menschheit in Sklaverei und Ausbeutung zwangen und dabei Massenmord begingen. Der Kolonialrassismus lebte dabei immer von der Anziehungskraft zweier Pole: Dämonisierung und Exotisierung. Die goldene Welt als ein irdisches Paradies; das einfache, unschuldige Leben; der Mangel an entwickelter sozialer Organisation und ziviler Gesellschaft; Menschen die im reinen Naturzustand leben; die freie und offene Sexualität, die Nacktheit, die Schönheit der Frauen. In diesen Vorstellungen und Metaphern der Neuen Welt als einem irdischen Paradies, einem goldenen Zeitalter oder als Utopia können wir sehen, wie die machtvolle europäische Phantasie konstruiert wird. (Hall 1994a: 160) Die von den Kolonialherren so bezeichnete »Neue Welt« war so eine (sexuelle) Phantasie, die aber ökonomisch, kulturell, körperlich ausgebeutet wurde. Der Rassismus erfüllte hier also zwei Funktionen: In seiner negativen Form sollte jede Art der Unterdrückung, Vergewaltigung, Ausbeutung, des Massenmordes gerechtfertigt werden, und in seiner »exotisierenden«, »positiven« Variante sollten genug Menschen (Europäer*innen und lokale Eliten) angezogen werden, die symbolische Ordnung mitzutragen und von ihr zu profitieren. Zwei dominante, binäre Subjektformen gingen mit dem Kolonialrassismus einher, die bis heute in aktualisierter Form weiterleben. Auf der einen Seite existiert die Figur des/der Kolonisierten als »Quintessenz des Bösen« (Fanon 2015: 34), dem und der je nach Interessenslage entweder Vernichtung oder »Zivilisierung« droht. Diese rassifizierte Figur ist die oder der »Andere« in der symbolischen Ordnung des Kolonialrassismus, die zur Legitimation von Landraub, Unterdrückung, Ausbeutung, Versklavung und Mord dient. Die Erfindung des »Anderen« geht dabei einher mit der Erfindung der zweiten dominanten Subjektposition, dem als überlegen behaupteten weißen Mann. Die »Bürde des weißen Mannes« ist der zentrale Ausdruck. Er verschleiert die brutale Ausbeutungskonstellation und deutet die Machtverhältnisse des Kolonialismus als Zivilisierungsmission.

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In seiner gegenwärtigen Konstellation zeigt sich der koloniale Rassismus als postkolonialer Rassismus, als ein Nach- und Weiterwirken von rassistischen Strukturen, Diskursen, Praktiken und Subjektvorstellungen. Das über Jahrhunderte erzeugte, weitergegebene und aktualisierte rassistische Wissen, das in der »Rassenlehre« von Immanuel Kant seine primitivste und langlebigste Form annahm, hat nach wie vor zwei schwerwiegende gesellschaftliche Effekte: die Erzeugung und Stabilisierung der symbolischen Ordnung des Rassismus und die – vor allem für Menschen, die Rassismus erfahren – schmerzhafte Subjektivierung in rassistische Subjektformen. Schwarze Menschen und People of Color sind damit jedoch tagtäglich konfrontiert. Wir müssen nicht nur auf einer individuellen Ebene, sondern auch auf einer historischen und kollektiven Ebene mit den Traumata des Kolonialismus umgehen, da Alltagsrassismus eine Reinitiierung kolonialer Szenen ist, die uns Diskurse der Unterlegenheit und Entfremdung wiederaufzwingt. (Kilomba 2009, Herv. i. Orig.) Die Subjektform des weißen Menschen lebt einerseits in explizit rassistischen Vorstellungen von »White Supremacy«, andererseits aber auch in der unausgesprochenen Normativität von Weißsein (siehe dazu das Kapitel zu Kritischer Weißseinsforschung und Dominanzkultur) weiter. In neuen Diskursen und Praktiken zu »Entwicklungshilfe« (vgl. Berliner Entwicklungspolitischer Ratschlag 2013), Debatten zum Thema Flucht (vgl. Tuider 2021) und Migration (vgl. Castro Varela & Dhawan 2016) sowie in Reise- und Auslandsberichten (glokal e.V. 2013; Backes et al. 2002) tauchen viele der kolonialrassistischen Bilder in alter oder auch neuer Gestalt wieder auf. Mit dem Konzept des »White Saviourism« (vgl. Cole 2016) werden Sichtweisen und Praktiken der sogenannten Entwicklungshilfe als Neokolonialisierung dekonstruiert (vgl. Ziai 2017). In diesen Diskursen werden BIPoCs als passive, auf Hilfe angewiesene, zu »entwickelnde« Menschen konstruiert. Michael Hall und Hazel Tucker weisen auf die Zusammenhänge zwischen Tourismus im globalen Süden und Postkolonialismus hin (vgl. Hall & Tucker 2004). Mit diesen Othering-Prozessen wird wiederum ein dominantes, handelndes, helfendes weißes Subjekt erzeugt, das seinen eurozentristischen Machtanspruch damit rechtfertigt. Gayatri C. Spivak sieht in dem »Entwicklungshilfe-Diskurs« (Spivak 2014) einen neuen Imperialismus, der als Dynamik aus globaler Entwicklungspolitik, die durch ein rassistisches und feministischbevormundendes Entwicklungsnarrativ legitimiert wird, und postkolonial-nationalistischen Bewegungen im globalen Süden besteht (vgl. ebd.: 368). Junge, bürgerliche, häufig weiße Menschen aus dem globalen Norden werden in diese symbolische Ordnung mittels des Initiationsrituals des postkolonialen »Volunteerism« (vgl. Hall & Tucker 2004) in ihre dominante Subjektposition eingefügt.

Migrantisierender Rassismus und Migratismus In Zeiten des differentialistischen Rassismus, in denen Rassismen keine »Rassenkonzepte« mehr benötigen, um trotzdem auf der gleichen Logik basierend Ein- und Ausschlüsse zu produzieren, ist es durchaus plausibel, von einem migrantisierenden Rassismus zu sprechen. Diese Mischung aus Nationalismus, Kulturalismus und Rassismus hat in Ös-

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terreich einen besonders breiten Konsens gefunden, wie Ljubomir Bratić in Bezug auf die beiden österreichischen Parteien SPÖ und FPÖ feststellt: Die Politik gegen Migrantinnen und Migranten und für den »Primat der Inländer« ist bis heute ein zentraler Bestandteil der ideologischen Verbundenheit zwischen den Nationalen auf der einen Seite und den, wenn überhaupt, Sozialen auf der anderen Seite geblieben. (Bratić 2006) Die rassistischen Diskurse, Praktiken und Strukturen betreffend Migration haben unterschiedliche Privilegien und Verletzlichkeiten sowie verschiedene Lebenschancen der angerufenen Subjekte zur Konsequenz. Begriffe wie jener der »Migrationsanderen« (Mecheril & Messerschmidt 2007), dem die Bezeichnung »Sesshafteigene« als rassistisches »Wir-Zentrum« gegenübergestellt werden könnte, beschäftigt sich mit diesen VerAnderungsprozessen aufgrund der Zuschreibung eines »Migrationshintergrundes« (dazu kritisch Ohnmacht & Yıldız 2021). Migrantisierender Rassismus bewegt sich stets an der Grenze zwischen »Ethnisierung« (Bukow & Llaryora 1988), »Rassifizierung« und »Kulturalisierung« und kennzeichnet sich durch einen hohen Grad an Flexibilität. Ethnizität kann nun nur deshalb in einer Weise zum Einsatz gebracht werden, die für Menschen mit Migrationshintergrund nachteilig und für Menschen ohne Migrationshintergrund von Vorteil ist, weil wir in einer Dominanzgesellschaft leben, in der die Differenz zwischen (Migrations-)Anderen und Nicht-Anderen als Über- und Unterordnung der »kulturellen Identitäten« produziert, hingenommen und etwa mithilfe des Kulturbegriffs legitimiert wird. (Mecheril 2004: 190) Mark Terkessidis hat in seiner wichtigen Studie Die Banalität des Rassismus. Migranten zweiter Generation entwickeln eine neue Perspektive (2004) aufgezeigt, dass in der durch Rassifizierungsprozesse unterstützten künstlichen Trennung zwischen den zwei konstruierten Kategorien »Ausländer« und »Einheimischer« eine zentrale rassistisch aufgeladene gesellschaftliche Trennlinie liegt: Migranten wurden immer nur als »Problem« oder als bedrohliches, weil fremdes Kollektiv auf dem deutschen Territorium sichtbar. Zudem sorgten die Idiome der Staatsbürgerschaft, die auf Abstammung rekurrierten, dafür, dass viele Einheimische sich und die »Ausländer« scharf voneinander abgrenzten: Die »Ausländer« schienen buchstäblich eine andere »Blutsgruppe« zu sein. (Terkessidis 2004: 103) Dieser weiten Konzeption von Rassismus stehen einige Autor*innen kritisch gegenüber. Sie fügen an, dass eine ausschließliche Konzeption von Rassismus als Diskriminierungsform gegen als Migrant*innen konstruierte Personen die Wirkungsweise spezifischer Rassismen übersehen könnte sowie die unterschiedlichen Positionen und Privilegierungen11 von Menschen mit Migrationsgeschichte nivelliert werden. Sie plädieren dafür,

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Minna-Kristiina Ruokonen-Engler (2012) hat in ihrer Studie ›Unsichtbare‹ Migration? Transnationale Positionierungen finnischer Migrantinnen rekonstruiert, wie strukturelle Diskriminierung als rechtliche »Ausländerin« und relative Privilegierung als »finnische« Migrant*in zusammenspielen und damit ganz spezifische Erfahrungen des Ausschlusses und des Einschlusses erzeugen.

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Rassismus enger zu definieren, was meist die oben genannten Rassismen umfasst. Aloysxa Tudor (2013, 2015) beschäftigt sich mit der Abgrenzung zwischen Rassismus und dem, was als »Migratismus« bezeichnet wird. Eine wichtige These für die hier erarbeitete Konzeptualisierung des Verhältnisses von Rassismus zu Migration ist, dass Rassismus sich nicht in Migrationsfragen erschöpft, sondern ein über (Zuschreibungen von) Migration hinausreichendes und ihnen zugrunde liegendes gesellschaftskonstituierendes Denkmodell ist, das intelligible Europäisierung als privilegierte Rassifizierung konstruiert. (Zuschreibungen zu und von) Migration ist bzw. sind in aktuellen europäisierten Zusammenhängen also immer mit (post)kolonialen Ordnungsmustern verbunden, jedoch ist nicht jede Zuschreibung von Migration deshalb und damit rassistisch. (Tudor 2013: 45) Diese Abgrenzung ist wichtig, da Rassismen in deutschsprachigen Gesellschaften zwar häufig entlang von Diskursen zu Migration artikuliert werden, allerdings nicht deckungsgleich damit zu betrachten sind. Migratismus kann also rassistisch sein, wenn es sich auf zuvor besprochene Rassismen bezieht, muss es allerdings nicht. Gleichzeitig sind nicht rassistische Formen des Migratismus ernst zu nehmende diskursiv, strukturell, praktisch hergestellte Macht- und Diskriminierungsverhältnisse mit subjektivierenden Effekten. Sie schließen zum Teil an Rassismen an oder verstärken und normalisieren rassistische Diskurse, Strukturen, Praktiken und Subjektvorstellungen. Zentral für dieses Diskriminierungsregime ist eine normative Spaltung von Migration und Mobilität. Das Konzept der Migration ist ein rassifiziertes, nationalistisches, gegendertes, klassistisches, ethnisierendes und kulturalisierendes Konstrukt, das einen ordnenden Effekt auf europäische Nationalstaaten und die Europäische Union beinhaltet. Dagegen ist Mobilität die positiv gedeutete, den Regeln der globalen Wirtschaft und des europäischen Binnenmarktes und damit einhergehenden Machtverhältnissen/ Mobilitätsmöglichkeiten entsprechende Konzeption menschlicher Bewegung. Migratisierung, die nicht rassistisch artikuliert wird, findet sich nach Tudor vor allem in Bezug auf eine Ost- und Südeuropäisierung (vgl. Tudor 2013: 52), nicht aber wenn es um Nordund Mitteleuropa geht. Zweifelsfrei gibt es in der postmigrantischen Gesellschaft eine »Hierarchie der Migrant_innen« (vgl. Grjasnowa 2021: 131). In der postmigrantischen Gesellschaft existiert eine konstitutive Spaltung zwischen der Subjektvorstellung des/der »Einheimischen« und des/der »Migrant*in«. Diese Spaltung kann nicht ohne Verweise auf rassistische Diskurse, Praktiken und Strukturen verstanden werden. Diese Spaltung – ob als migrantisierender Rassismus oder als Migratismus bezeichnet – hat sich in die Struktur Österreichs und der Gesellschaften im deutschsprachigen Raum eingeschrieben.

Antislawismus und antislawischer Rassismus Antislawismus oder antislawischer Rassismus kann als eine der weiteren Formen des Kulturrassismus beschrieben werden. Wie beim migrantisierenden Rassismus oder Migratismus stellt sich hier die Frage, ob eine Definition als Rassismus zu weit geht oder aber eine Definition etwa als Nationalismus oder Ethnisierung die historische Dimension und strukturelle Komponente unterschätzt. Beim Antislawismus oder antis-

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lawischen Rassismus handelt es sich um mehr als Nationalismus, weil das Verhältnis von (Nord-)Mitteleuropa und (Süd-)Osteuropa von Jahrhunderte andauernder Dominanz und damit einhergehender symbolischer Hierarchie geprägt war (vgl. Terkessidis 2019: 153ff). Gleichzeitig werden Menschen aus Osteuropa zumeist als weiß gelesen und sind damit Teil einer globalen Subjekthierarchie. Der Migrationsforscher Jannis Panagiotidis sieht darin allerdings keinen Widerspruch zu möglichen Rassismuserfahrungen. In einem Interview erklärt er: Es gibt Rassismus gegen Menschen, die weiß gelesen werden: Osteuropäer, Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion, postsowjetische Migranten oder Postost-Menschen, wie man sie neuerdings nennt. […] Rassismus kann sich auch an Sprache oder Akzent aufhängen und auf Kultur oder Religion beziehen, deswegen reicht es nicht, nur in Schwarz und Weiß einzuteilen. Was auch oft vergessen wird: Antisemitismus. Jüdische Menschen werden in manchen antirassistischen Diskursen als weiß gelesen. Mal werden sie in den Rassismusdiskurs einbezogen, mal nicht. Wenn man dann pauschal sagt, es gibt keinen Rassismus gegen Weiße, wird es paradox. (Weigandt 2021) Autor*innen wie Wulf Hund (2018), Birgit Rommelspacher (2011) und Naika Foroutan (2020) fassen antislawischen Rassismus als eine Form der Rassismen im deutschsprachigen Raum. Ljubomir Bratić (2003: 38) spricht von »Slawismus« und sieht ihn als Teil rassistischer Verhältnisse in Österreich an. Hund und Terkessidis heben die Kolonisierung polnischer Gebiete, damit zusammenhängende hierarchisierende Legitimierungsdiskurse und eine Kontinuität antipolnischer Ressentiments bis in die Gegenwart hervor (vgl. Terkessidis 2019: 153ff; Hund 2018: 82). In Österreich gilt es, die historische Dimension des Habsburger »Vielvölkerstaates« und seiner inneren Dominanzverhältnisse zu beachten. Besonders die österreichischen Minderheiten der Kärntner Slowen*innen und Burgenlandkroat*innen waren und sind mit antislawischen Ressentiments konfrontiert (vgl. Brunner 2021). Erica Zingher hat über die spezifische Position von jüdischen »Kontingenzflüchtlingen« aus Russland geforscht und gezeigt, wie antirussische, antisemitische und weitere Instrumentalisierungen als sogenannte »Wiedergutmachungsjuden« (Zingher 2020) zusammenfinden (vgl. ebd.). Eine aktuelle Studie der Arbeiterkammer Wien hat aufgezeigt, dass »Migranten/-innen aus dem ehemaligen Jugoslawien« ungleiche Behandlung in den Bereichen Arbeit, Wohnen, medizinische Dienstleistungen und Ausbildung erfahren und sich diese zumeist (83 %) auf ihre tatsächliche oder zugeschriebene Herkunft bzw. Migrationsgeschichte bezieht. (Vgl. Schönherr et al. 2019: 2) Mehrere Fälle der Gewalt gegen postsowjetische Migrant*innen (vgl. Zingher 2021) zeigen die Gewaltförmigkeit des Dominanzverhältnisses auf. Wie beim migrantisierenden Rassismus und Migratismus kann der antislawische Rassismus oder Antislawismus als Grenzbereich zwischen Rassismus, Nationalismus und Ethnisierung betrachtet werden. Naika Foroutan sieht alle Elemente zusammenwirken, wenn sie schreibt, dass […] der antislawische Rassismus, der in Verbindung mit Expansions- und Tötungspolitiken der Nationalsozialist*innen eine koloniale Struktur aufweist, in Teilen, aber auch mit Bezug auf die Abwehr bestimmter Nationalitäten geäußert wird. (Foroutan 2020)

5 Postmigrantische Gesellschaft

Gerade diese chaotische Artikulation, das Spiel mit verschiedenen Elementen der Diskriminierung vor dem historischen Hintergrund als Wissenserbe und materielle Struktur machen Rassismen der postmigrantischen Gesellschaft aus.

Privilegierte Positionen in der postmigrantischen Gesellschaft Die Rassismen in der postmigrantischen Gesellschaft »kulturalisieren, migrantisieren und rassifizieren« (vgl. El-Tayeb 2016: 13) und damit verhandeln sie, wer nach welchen Kriterien als Teil des gesellschaftlichen »Wir« adressiert und angerufen wird. Mit der Anerkennung als Teil dieses Wir steht eine Reihe von Privilegien – also unverdienten Vorteilen – in direktem Bezug. Diese Privilegien sind grundlegend für Lebenschancen und Diskriminierungsfreiheiten. Die Konstrukte des »Weißseins« und »Einheimischseins« sind zwei zentrale Codes der privilegierten sozialen Position in Bezug auf Rassismen in der postmigrantischen Gesellschaft. »Weißsein« und »Einheimischsein« in der postmigrantischen Gesellschaft sind wie jede andere Vorstellung von race stets ein »fließender Bedeutungsträger« (Hall 1997: 2). Wer Teil der Vorstellung von »Weißsein« und »Einheimischsein« ist oder nicht, ist abhängig von gegenwärtigen Machtverhältnissen (politisch, diskursiv, ökonomisch, kulturell). Wer in Österreich nicht Teil des Konstruktes des Weißseins ist, kann es in anderen Kontexten sehr wohl sein, und umgekehrt. Die Grenze des Weißseins verläuft immer parallel zu den Machtstrukturen in einer jeweiligen Gesellschaft. Die Zuordnung hängt häufig von Geografien ab und vom geschichtlichen Kontext. In Deutschland bin ich nicht weiß. Im Iran schon. Dort werde ich nicht aufgrund einer vermeintlichen ethnischen Zugehörigkeit diskriminiert, denn da gehöre ich zur Mehrheitsgesellschaft. (Yaghoobifarah 2021: 70) In dieser Lesart, die an die Tradition der Kritischen Weißseinsforschung, die bereits eingehend besprochen wurde, anschließt, ist die weiße Position gleichgesetzt mit der privilegierten Position. Weißsein beschreibt hier also tatsächlich keine Kategorie der Hautfarbe, sondern bezieht sich eben auf die privilegierte soziale Position. Eine ausschließliche Bezugnahme auf Weißsein ist allerdings vor dem Hintergrund der besprochenen Rassismen reduktionistisch. Weißsein als Metakategorie kann keine Rassismen erklären, die sich primär auf kulturrassistische oder religiös-rassistische Artikulationen stützen. Zwar wäre es möglich, Weißsein in diesen Fällen völlig ohne Bezug auf Hautfarbenkonstruktionen zu verstehen, es fragt sich aber, ob es dafür nicht präzisere Bezeichnungen gäbe. In Bezug auf die Rassismen, die primär über Kultur, Religion, Migration rassifizieren – und nicht primär über biologische Konzepte wie race und color –, können Menschen auch als weiß gelesen werden, so positioniert sein und sich selbst so positionieren und trotzdem Rassismuserfahrungen machen. Die Vorstellung des »Einheimischseins« in Österreich oder des »Österreichischseins« etwa beinhaltet die Normativität des Weißseins, dazu aber weitere Idealisierungen, wie »Christlichsein«, »Deutsch-Erstsprachigsein«. Dazu werden bestimmte Migrationsbezüge eingeschlossen (z.B. Südtirol, Südtschechien usw.) und andere ausgeschlossen (z.B. ehemaliges Jugoslawien, Türkei). Vassilis Tsianos warnt vor der Metakategorie »Weißsein« und macht gleichzeitig klar, dass

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Teil 1: Theorie

Weißsein eine zentrale Kategorie des (kolonialen und postkolonialen) Rassismus darstellt: Black and White sind wichtige Bestandteile des rassistischen Wissens. Das Problem ist die Übersetzung. In Deutschland ist Weiß immer auch deutsch. Wenn man das Deutsche aus der Konzeption Weißsein wegnimmt, dann haben wir ein rassismuskritisches Analyseangebot, das die Zentralität der Migrationsprozesse in Deutschland und die Post-Holocaust-Geschichte wegtheoretisiert. (Ippolito & Kalarickal 2013) Deshalb wird in dieser Arbeit von einem Schwarz-Weiß-Dualismus abgesehen. Stattdessen werden die unterschiedlichen Rassismen betrachtet und es wird auch auf die dem Rassismus ähnlichen Fremdheitskonstruktionen wie Migratismus oder Antislawismus eingegangen. Zugleich wird Weißsein und analog dazu »Einheimischsein« als »mächtige Strukturkategorie Europas« (Arndt 2009b) ernst genommen. In den bisherigen Ausarbeitungen wurde bereits gezeigt, dass entgegen der These eines »Theorieimports« die Anwendung von Konzepten und Ideen aus den USA, aber auch aus Großbritannien und Frankreich für die Rassismusforschung im deutschsprachigen Raum fruchtbar und auch notwendig gewesen ist, um aus der Tabuisierung von Rassismen heraustreten zu können. Gleichzeitig wurden in Aushandlungsprozessen mit diesen Impulsen von außen neue Blickweisen entwickelt, die es ermöglichen, die verschiedenen Rassismen im deutschsprachigen Raum, ihre Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu analysieren: Im Gegensatz zu den USA war und ist in Europa, und hier insbesondere in der deutschsprachigen Debatte, der Diskurs über die Fremden vorherrschend. Das Konstrukt des Fremden nimmt vielfältige Formen an und ist ebenso historisch, sozial, lokal und kulturell kontingent […]. Neben phänotypischen und Abstammungskriterien sind es soziale Kriterien, anhand derer die Fremden konstruiert werden. Fremdsein ist vor allem ein Beziehungsverhältnis, und dadurch prinzipiell variabel, wohingegen die Einteilung in »Rassen« durch »Hautfarbe« oder »Blut« unabänderlich ist. Eine historisch-strukturelle Analyse der die europäische Geschichte prägenden Rassismusformen des Antijudaismus bzw. Antisemitismus, des Orientalismus bzw. Antiislamismus, des Antiziganismus sowie Rassismus gegen Schwarze zeigt, dass sich Zuordnungen zu »Rassen« und Definitionen von Fremdheitsverhältnissen überlagern […], was auch in aktuellen rassistischen Ausprägungen noch erkennbar ist. (Amesberger & Halbmayr 2008: 5) Rassismen idealisieren und dämonisieren Menschen auf der Grundlage von tatsächlichen oder erfundenen körperlichen Merkmalen, kulturellen und religiösen Kategorisierungen sowie auf der Grundlage von Migrantisierungen. Die privilegierte soziale Position entsteht auf diesem Fundament und in Bezug auf diese Attribute. Ich bezeichne diese relationale Position als weiß-dominanzgesellschaftliche Position. Weißsein ist eine zentrale Kategorie, aber gleichzeitig ist es entscheidend, auch als Teil der Dominanzgesellschaft angesehen zu werden. Menschen können demnach als weiß gelesen werden, aber nicht als Teil der Dominanzgesellschaft anerkannt werden – oder aber als nicht-weiß und partiell dominanzgesellschaftlich zugehörig (z.B. in Bezug auf Religionszugehörigkeit). Das bedeutet einen partiellen Ausschluss mit Konsequenzen für die eigene Positionierung. Gleichzeitig sind Menschen, die weiß-dominanzgesellschaftlich positioniert sind,

5 Postmigrantische Gesellschaft

spezifisch gleich in mehrfacher Hinsicht – in Bezug auf mehrere Rassismen – privilegiert positioniert.

Zusammenfassung Rassismen und Konvivialität in der Gesellschaft der Vielheit Rassismen sind wichtige Machtfaktoren innerhalb des Spannungsraumes von postmigrantischen Gesellschaften. Diese Spannung aus zunehmender Anerkennung der historischen Normalität von Migration sowie gesellschaftlicher Vielheit bei gleichzeitiger rassistischer Obsession und Instrumentalisierung von Migration wird durch das Paradoxon des Rassismus im deutschsprachigen Raum verstärkt. Rassismen sind nämlich erstens real wirkende gesellschaftliche Verhältnisse, bestehend aus Diskursen, Strukturen, Praktiken und Subjektivierungen. Sie erzeugen und stabilisieren gesellschaftliche Macht- und Repräsentationsverhältnisse. Menschen, die der weißen Dominanzgesellschaft angehörig betrachtet werden, sind in Staat, Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur überrepräsentiert. Mittels Rassismen werden »Andere« konstruiert und gesellschaftlich marginalisiert. Gleichzeitig ist Rassismus aber ein großes gesellschaftliches Tabu, das sich in deutschsprachigen Gesellschaften durch die besprochene dreifache Verschiebung – zeitlich, räumlich und sozial – kennzeichnet (vgl. Bojadžijev et al. 2019). Dazu werden Rassismen dämonisiert, weil sie nicht mit dem liberalen Selbstverständnis vereinbar sind. Im Diskurs der »Farbenblindheit« und des »Postrassismus« werden Rassismen als nicht mehr relevant erklärt, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Soziale Ungleichheit wird individualisiert und rassistische Markierungen werden unsichtbar gemacht. Einzig der schonungslose und erkenntnisoffene Blick auf Diskriminierungsverhältnisse und Praktiken des Widerstandes gleichermaßen kann die postmigrantische Gesellschaft und ihre historische Vielheit tatsächlich lebbar und sichtbar machen. Das gilt besonders für das Nachwirken kolonialer und nationalsozialistischer Geschichte. Die österreichische Gesellschaft kann nicht verstanden werden, wenn sie neben einer postmigrantischen Deutung nicht auch unter postkolonialen und postnationalsozialistischen Blickwinkeln betrachtet wird. Hier zeigen sich koloniale wie nationalsozialistische Kontinuitäten sowie gesellschaftsimmunisierende Verdrängungsdiskurse sehr deutlich. Die postmigrantische Perspektive auf Diskriminierung und Rassismen bedeutet, die Erfahrungen mit Rassismen sowie die antirassistischen Kämpfe (alltäglich oder in organisierter Form) in den Mittelpunkt zu stellen und von dort aus zu denken. Die von mir untersuchten Antirassisten haben aufgrund der symbolischen Ordnungen der Rassismen Zugang zu privilegierten sozialen Positionen mitsamt spezifischen Erfahrungen. Diese Erfahrung postmigrantisch zu deuten, zeigt dann etwa auf, wo die privilegiert positionierten Aktivisten sich mit dem Konsens der Rassismen arrangieren und wo sie dem widersprechen und widerstehen. Die postmigrantische Perspektive kann, neben der Möglichkeit zur Analyse der gegenwärtigen Rassismen, die als Antisemitismus, Antiziganismus/Rassismus gegen Sinti*zze und Roma*nja, antimuslimischer Rassismus, kolonialer und postkolonialer

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Teil 1: Theorie

Rassismus (anti-Schwarzer Rassismus, anti-Asiatischer Rassismus, antiindigener Rassismus), migrantisierender Rassismus/Migratismus und antislawischer Rassismus/ Antislawismus eingehend besprochen wurden, auch dabei helfen, die Momente des solidarischen, gemeinschaftlichen und nichtrassistischen Handelns, trotz der eigenen Positioniertet und Involviertheit, zu sehen. Mit dem Begriff der »Konvivialität«12 (vgl. Gilroy 2004; Römhild 2018; Ohnmacht & Yıldız 2021) steht ein analytisches Werkzeug zur Verfügung, um gleichzeitig Rassismen und die Widerstände dagegen denken zu können: Anerkennung von Konvivialität heißt nicht Abwesenheit von Rassismus. Der Begriff lenkt die Aufmerksamkeit auf ein alternatives Verständnis von Kultur, das sich vor allem dafür interessiert, was die Leute in ihrem Alltag tun, statt sie immer nur auf ihre kulturelle Herkunft zu reduzieren. (Back & Sinha 2016: 527f) Teil der Dynamik und der Spannung der postmigrantischen Gesellschaft sind eben auch die Momente der Kritik an den symbolischen Ordnungen der Rassismen, die jene Strukturen, Diskurse, Praktiken und Subjektvorstellungen zwar nicht überwinden, aber dekonstruieren und destabilisieren können. Sowohl Rassismen als auch Antirassismen sind somit grundlegende Artikulationen in postmigrantischen Gesellschaften. Beiden gleichermaßen nachzugehen, ist grundlegend für den nun folgenden empirischen Teil dieser Studie.

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Ivan Illich und Serge Latouche verstehen unter Konvivialität gemeinschaftliches Handeln und Denken (vgl. Illich 2014).

Teil 2: Empirie

6 Methode: Empirische Subjektivierungsforschung

Vor dem Hintergrund der bisherigen theoretischen Ausführungen geht es im zweiten Teil dieser Arbeit um die systematische Darstellung meiner empirischen Forschung, die dieser Studie zugrunde liegt. Zunächst werde ich die methodologischen Grundlagen meines Forschungsprojektes darlegen. In einem zweiten Schritt führe ich eine Methodendiskussion, innerhalb derer in die Methodik der empirischen Subjektvierungsforschung (Bosančić et al. 2019) und ihre Grundannahmen eingewiesen wird. Drittens werde ich die Methode des biographisch-narrativen Interviews (Rosenthal 1995) vorstellen. Die von mir durchgeführten Interviews wurden nach dem Vorbild dieser Interviewtechnik realisiert. Viertens beschreibe ich in meinen darauffolgenden Ausführungen die Auswertungsmethodik »Rekonstruktion narrativer Identität« (Lucius Hoene & Deppermann 2002, 2004), die meine eigene Vorgehensweise bei der Auswertung der Forschungsdaten angeleitet hat. Fünftens finden sich im empirischen Teil dieser Arbeit die Fallrekonstruktionen. Sie teilen sich in vier ausführliche Fallrekonstruktionen und sechs kürzere Falldarstellungen auf.

Methodologie Diese Studie fußt auf drei Grundannahmen, die meine Methodologie kennzeichnen: Konstruktion, Ko-Konstruktion und Interpretation. Die biographischen Erzählungen der Aktivisten fasse ich als Konstruktionen. Es geht nicht darum, ob sie einer empirisch überprüfbaren Wirklichkeit entsprechen – also genau so tatsächlich passiert sind –, sondern darum, was die Befragten wie erzählen, auf welche Diskurse und Wissensformen sie zurückgreifen und wie sie sich selbst innerhalb dieser Erzählungen definieren und positionieren. Ich interessiere mich dafür, wie die Befragten ihre Biographie in Bezug zu gesellschaftlichen Diskursen, Strukturen, Praktiken und Subjektvorstellungen konstruieren. Denn biographische Erzählungen sind »Konstruktionen im sozialen Raum, d.h. sie vollziehen sich immer in Abhängigkeit von vergangenen und aktuellen sozialen Einflüssen« (Spies 2019: 98). Gleichzeitig ist es wichtig zu bedenken und auch zu reflektieren, dass der Forschungsprozess an sich, ich als Person, meine soziale wie politische Position, meine

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Teil 2: Empirie

Fragestellungen sowie meine Forschungsinteressen und meine Auswertungen einen gewichtigen Teil dieser Interviewkonstruktionen ausmachen. Bettina Dausien spricht in diesem Zusammenhang vom Prozess der »Ko-Konstruktion« (Dausien 2004: 321). Den Forschungsprozess als Hergang der »Ko-Konstruktion« zu verstehen, bedeutet auch, anzuerkennen, dass meine Analysen eine mögliche Lesart darstellen und durch die zugrunde liegende theoretische und methodische Konstellation in der vorliegenden Form ermöglicht werden. Diese Grundannahme eines Charakters der »Ko-Konstruktion« war für mich der Anlass, meine Daten in Interpretationsgruppen zu tragen, und gleichzeitig ausschlaggebend dafür, in meinen Rekonstruktionen stets auf mehrere Lesarten einer Sequenzanalyse hinzuweisen. Gleichzeitig bleiben sie abhängig von dem theoretisch-methodischen Rahmen, meinen Analysen und meiner Position sowie meinen spezifischen Erfahrungen als weiß-dominanzgesellschaftlich, männlich, heterosexuell, europäisch, akademisch positionierter Mensch – also meinem »situierten Wissen« (Haraway 1995). Gemäß dem Anliegen der »interpretativen Sozialforschung« (vgl. Rosenthal 2015) interessiere ich mich sowohl für die Sinn- wie auch die Wissensbestände der befragten Personen, wie diese mit gesellschaftlichen Diskursen in Verbindung stehen, und versuche, diese mittels Falldarstellungen zu rekonstruieren. Meine Studie ist nicht statistisch repräsentativ, sondern zeigt Muster, Zusammenhänge sowie subjektive Umgangsweisen mit diesen Strukturen auf. Grundlegend für meine Interpretationen sind der bereits dargelegte theoretische Bezugsrahmen sowie die Interpretationsmethode »Rekonstruktion narrativer Identität« (Lucius Hoene & Deppermann 2002, 2004), die noch eingehend vorgestellt wird.

Methodendiskussion Im theoretischen Teil dieser Arbeit wurden bereits die zentralen Prämissen der Subjektivierungsforschung dargelegt und die Arbeitsbegriffe für diese Studie erläutert. Empirische Subjektivierungsforschungen interessieren sich für die Dynamik des Verhältnisses von gesellschaftlichen Normen des Subjektseins und die Prozesse der Subjektwerdung (vgl. Bosančić et al. 2019: 148). Nun gilt es zu klären, wie es methodisch möglich ist, sowohl die Ebene des Diskurses und des Subjektes als auch das Verhältnis der beiden zueinander zu analysieren. Ich greife dafür einerseits auf Methodiken zurück, die im Zuge von Diskursforschungen entstanden sind, andererseits auf Vorgehensweisen, die aus der Biographieforschung entwickelt wurden, und schließlich auf Arbeiten, die beide Bereiche verknüpfen. Im Anschluss werde ich die drei genannten Traditionen skizzieren.

Diskurs In Anlehnung an Michel Foucault, dessen Konzept des Diskurses bereits im Kapitel »Subjektivierung und Subjektbildung« eingehend besprochen wurde, kann das Konzept des Diskurses folgendermaßen zusammengefasst werden:

6 Methode: Empirische Subjektivierungsforschung

Diskurse legen Sprachen und Denkweisen fest, die zu einer bestimmten Zeit zur Verfügung stehen. Diskurse bestimmen, wie man über etwas redet und wie nicht über etwas geredet wird bzw. werden darf/kann. Diskurse sind Filter des Sagbaren und damit auch der Denk- und Handlungsweisen. (Pühretmayer & Puller 2011) Diskurse ordnen makrostrukturell unsere Gesellschaften. Sie sind am besten als MachtWissen-Beziehungen (vgl. Foucault 2017) zu verstehen und begründen unsere Praktiken, wie auch unsere Diskurse durch Praktiken begründet werden, weshalb Foucault von »diskursiver Praxis« (Foucault 1972) spricht. Auf der Grundlage dieser normativen Ordnungen, die sich aus verschiedenen, sich zum Teil überlappenden Diskursen oder auch Dispositiven herausbilden, denken und handeln wir, erkennen uns wechselseitig als bestimmte Subjekte und finden auch Verhältnisse zu uns selbst. Diskurse sind durch vier Dimensionen gekennzeichnet: Gegenstände, Subjektpositionen (Äußerungsmodalitäten), Begriffe und Strategien (vgl. Parr 2014: 234). In Bezug auf Rassismen bedeutet dies, dass Rassismus seinen Gegenstand »Rasse« erst hervorbringt. In Bezug auf diesen Gegenstand stehen dann auch die rassifizierten Subjektpositionen sowie rassistische Begriffe und Strategien. Diskurstheoretische Arbeiten widmen sich der Analyse dieser Diskurse, befragen, wie sie gesellschaftliche Strukturen beeinflussen, Teil unseres Alltags- und Gesellschaftswissens werden und welche Subjektformen erzeugt und Subjekthierarchien von ihnen begründet werden. Während uns Diskurse positionieren und mit bestimmten möglichen und unmöglichen Praktiken versorgen, sind es immer noch wir als Menschen, als Individuen, die diese Subjektpositionen annehmen und die Praktiken auch umsetzen müssen. Diese subjektiven und biographischen Handlungsmöglichkeiten, die in den frühen Arbeiten von Foucault noch vernachlässigt scheinen und in seinem Spätwerk1 mehr Platz erhalten, können mithilfe der Biographieforschung ermittelt werden.

Biographie Die Biographieforschung2 macht sowohl die »Institutionalisierung« als auch die »Individualisierung« des Lebenslaufes (Strübing 2013: 154) sichtbar und kann somit Auskunft über »gesellschaftliche Regeln, Diskurse und soziale Bedingungen« (Dausien et al. 2009: 7) wie auch »Muster der individuellen Strukturierung und Verarbeitung von Erlebnissen« (ebd.) geben. Sie wurde maßgeblich von der Chicago School geprägt und ist dann später als Teil der qualitativen Wende und als Erbin von sozialen Bewegungen weiterentwickelt worden (Lutz et al. 2018: 2). Während die frühe Biographieforschung in der Tradition der Chicago School hauptsächlich zur Datengenerierung verwendet wurde, gewann Biographie als soziologische Kategorie (Strübing 2013: 155) erst in ihrer Weiterentwicklung durch Fritz Schütze, Gabriele Rosenthal und anderen an Kontur. Im Zuge der Biographieforschung soll die Perspektive von Handelnden kennengelernt, deren Genese nachvollzogen und vor dem Hintergrund des »Gesamtzusammenhang[es] seines gegenwärtigen Lebens« (Rosenthal 2015: 193, Herv. i. Orig.) interpretiert und rekonstruiert werden.

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Für Einführung und Überblick dazu siehe Gehring 2014 und Veyne 1991. Für einen sehr umfassenden und aktuellen Überblick siehe Lutz et al. 2018.

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Teil 2: Empirie

Im Unterschied zur quantitativ vorgehenden Lebenslaufforschung3 , die sich mit Biographie als Anreihung tatsächlicher Lebensereignisse befasst, konzentriert sich die Biographieforschung »auf das Verstehen und Erklären einzelner Biographien und verwendet daher interpretative Verfahren« (ebd.: 198). Während die Frage der Lebenslaufforschung vereinfacht als: »was ist biographisch vorgefallen und warum?« resümiert werden kann, fragt die Biographieforschung: »wie erzählen oder deuten Biograph*innen ihre Biographie?«. Der Erfinder der Biographieforschung Fritz Schütze wollte noch beiden Fragestellungen gerecht werden. Ich für meinen Teil möchte erklären, daß mich die biographischen Deutungsmuster und Interpretationen des Biographieträgers nur im Zusammenhang seiner rekonstruierten Lebensgeschichte interessieren und nicht jenseits dieser. Zwar ist es richtig, daß eben diese Lebensgeschichte von den Deutungsmustern und Interpretationen des Biographieträgers entscheidend geprägt ist – aber eben diesen Zusammenhang gilt es aufzudecken. Und hierzu ist die grundsätzliche heuristische Ausgangsfrage von Nutzen: »Was hat sich in soziologisch interessierenden Lebensgeschichten faktisch ereignet?« Die Fragestellung »Wie deutet der Biographieträger seine Lebensgeschichte?« ist meines Erachtens erst dann zufriedenstellend zu klären, wenn der Forscher die interpretierenden theoretischen Anstrengungen des Biographieträgers in den Zusammenhang faktischer Prozeßabläufe seines Lebens einbetten kann. (Schütze 1983: 284) Die Problemstellung erlebte vs. erzählte Biographie (vgl. Rosenthal 1995) erscheint aber in der aktuellen Diskussion überwunden zu sein. Vielmehr geht es in der gegenwärtigen Biographieforschung darum, Biographie als soziales Konstrukt zu verstehen, das in einem symbolisch und interaktiv (Mikro-Ebene) sowie soziokulturell und diskursiv (Makro-Ebene) strukturierten Raum stattfindet (vgl. Spies & Tuider 2017a; Dausien et al. 2009). In dieser zeitgenössischen Perspektive auf Biographie liegen die offensichtlichen Anschlusspunkte an die Diskursforschung.

Diskurstheoretisch fundierte Biographieforschung Bedeutsam für das Gelingen der Synthese ist ein »Subjektverständnis, das wechselseitig an den jeweils anderen Forschungszugang herangetragen wird« (Spies & Tuider 2017b: 2). Tina Spies und Elisabeth Tuider argumentieren, dass aus den Schwachpunkten und blinden Flecken von Diskurs- und Biographieforschung gelernt werden sollte und die jeweils andere Disziplin als Korrektiv und Erweiterung einspringen kann. Der Biographieforschung wird dabei vorgeworfen, sie gehe von einem mit sich selbst identischen, autonomen Subjekt aus, setze also als Methode ein Subjekt voraus bzw. produziere ein Subjekt, das (diskurs)theoretisch längst dekonstruiert ist […] Umgekehrt moniert die Biographieforschung einen fehlenden Handlungs- und Akteursbegriff in der Diskursforschung, der dazu führt, dass zwar (zunehmend) über

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Wichtige Texte der Lebenslaufforschungen finden sich bei Heinz et al. 2009 und Grundlegendes bei Backes 2014.

6 Methode: Empirische Subjektivierungsforschung

Subjektivierungsweisen gesprochen wird, aber so etwas wie biographischer Eigensinn, Handlungsfähigkeit und Handlungsmacht oder auch Agency diskurstheoretisch und -analytisch nicht zu fassen sind […]. (Spies & Tuider 2017b: 2) Die Kritik an einem »autonomen Subjekt« der Biographieforschung aus diskurstheoretischer Sicht zeigt sich vor allem in dem Vorwurf, den Foucault im Rahmen seiner Kritik an den Humanwissenschaften formuliert hat. Selbstbeschreibungen und biographische Berichte sind nicht Ausdruck eines freien Selbst, sondern vielmehr kulturell geformte Disziplinartechniken, die zu einer subjektivierenden Unterwerfung führen (vgl. Schäfer & Völter 2009: 162). Die Biograph*innen machen sich im Zuge der Biographiearbeit also zu bestimmten Fällen, je nach Thema entsprechend der diskursiven Praktiken. Damit konstruieren sie sich also erst als jene Subjekte, von denen sie glauben, dass sie sie bereits sind. Mit dem Verweis auf die soziale Konstruiertheit von Biographien und dem Interesse an eben jenen Konstruktionsprozessen hat die zeitgenössische Biographieforschung – wie bereits erwähnt – dieser Kritik Sorge getragen. An der Diskursforschung wird bemängelt, dass die »Übersetzung normativer Ordnungen in die Alltagspraxis« (Geimer et al. 2019a: 4) unterbeleuchtet bleibt, womit die Gefahr einer Festschreibung von handelnden Akteur*innen durch den Diskurs besteht. Die Frage der »Aushandlung und Aneignung« (ebd.: 2) erscheint in den wichtigen diskurstheoretischen Arbeiten von Bröckling (2007) über Keller et al. (2012) bis Reckwitz (2012) unterbelichtet zu bleiben. Die empirische Subjektivierungsforschung (vgl. Bosančić et al. 2019; Geimer et al. 2019b; Traue et al. 2017) hat auf diese Leerstelle hingewiesen und begonnen, sie zu befüllen. Sie widmet sich zunehmend den Subjekten und ihren gemachten »Erfahrungen des Diskurses« (vgl. Pfahl & Traue 2012). Trotz oder gerade wegen der Probleme, die sich sowohl aus der Diskurs- wie auch der Biographieforschung ergeben, liegt eine Fusion nahe: Es wird davon ausgegangen, dass Biographien und Diskurse auf das engste miteinander verwoben sind, und Diskurse sowohl die erzählte als auch die erlebte Lebensgeschichte sowie die Art und Weise der Erzählung einer Biographie und die Erinnerung an Ereignisse beeinflussen, wenn nicht gar strukturieren […]. (Spies & Tuider 2017b: 1) Diese Studie kann demnach als eine »diskurstheoretisch fundierte Biographieforschung« (Truschkat 2018) verstanden werden. Eine Methodik, die im Zuge der empirischen Subjektivierungsforschung häufig Anwendung findet. Der Ansatz kennzeichnet sich durch die Bearbeitung des Spannungsfeldes zwischen der diskurstheoretischen »Dezentrierung des Subjekts« und der auf Eigensinn ausgerichteten Biographieforschung (Truschkat 2018: 127). Die Frage, die sich einer empirisch ausgerichteten Subjektivierungsforschung stellt, ist vor diesem Hintergrund, wie Akteur_innen auf unterschiedliche Ordnungen eines idealen Subjekt-Seins (auch jenseits ökonomischer Appellstrukturen und Aktivierungsmuster) Bezug nehmen. (Geimer et al. 2019a: 3) Im Zuge von empirischen Subjektivierungsforschungen wird also sowohl die Diskursals auch die Subjektebene beleuchtet. Dabei sollen einerseits die Wirkmächtigkeit, Widersprüchlichkeit und Kontingenz von Diskursen und Dispositiven Berücksichtigung

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Teil 2: Empirie

finden wie andererseits auch die eigensinnigen und eigenlogischen Umgangsformen Einzelner mit den ihnen zugeschriebenen Subjektpositionen. Um Diskurs- und Subjektebene, Unterwerfung und Umdeutung gleichermaßen erforschen zu können, greifen diskurstheoretisch fundierte Biographieforschungen zumeist auf eine zweistufige Vorgehensweise zurück. Triangulative4 Ansätze arbeiten mit zwei getrennten Datenkorpora, während integrative Forschungsdesigns mit nur einem Datenkorpus arbeiten (Truschkat 2018: 133f). Das bedeutet im Falle von triangulativen Vorgehensweisen, dass etwa eine Diskursanalyse mit einer Biographieforschung kombiniert wird. Für dieses Projekt ist ein integrativer Ansatz geplant. Einschlägige Arbeiten5 nützen biographische Erzählungen, um aus ihnen Rückschlüsse auf diskursive Macht-Wissen-Strukturen zu ziehen und gleichzeitig Umgangsweisen damit offenzulegen. Im Zuge dieser Dissertation wurde die Ebene der Diskurse nicht diskursanalytisch, sondern theoretisch erarbeitet. Sie findet sich im vorhergehenden Theorieteil. Dass dies keinen Widerspruch zur Forderung nach »doppelter Empirie« (Bosančić et al. 2019) darstellt, liegt daran, dass ich im theoretischen Teil auf diskurstheoretische Arbeiten oder Studien und Theorien, die mit ihrem historischsoziologischen Fokus Diskurse analysieren und theoretisieren, zurückgreife. Gegen eine eigene Diskursanalyse in meiner Studie spricht, dass die unterschiedlichen symbolischen Ordnungen der Rassismen in Österreich zu groß und zu vielschichtig sind, um sie mittels einer Diskursanalyse, die ja meist sehr spezifisch vorgeht, angemessen fassen zu können. Zugleich sind diese Rassismen bereits umfassend und aus verschiedenen Perspektiven erforscht. Hier liegt es nahe, von diesem Erkenntnisreichtum zu profitieren. In dem empirischen Teil der Forschung stehen Subjektbildungsprozesse vor dem Hintergrund rassistischer Diskurse und Praktiken in Österreich, wie sie in postmigrantischen Gesellschaften typisch sind, im Fokus. Diese Prozesse sollen anhand der Analyse von biographisch-narrativen Interviews nachvollzogen werden. Subjektbildung meint hier vom Subjekt ausgeübte und durch das Subjekt hindurchführende Prozesse der Selbstwerdung. Hier wird also gefragt, wie sich die befragten Personen als Individuen in Bezug auf gesellschaftliche Diskurse tatsächlich verorten oder identifizieren. Die Methode der empirischen Subjektivierungsforschung ermöglicht es also, die von mir bereits skizzierten sozialen und politischen Positionierungsprozesse und ihre Zusammenhänge empirisch zu beforschen, ohne die diskursive Ebene zu vernachlässigen: Die innerhalb einer biographischen Erzählung eingenommenen Positionierungen verweisen auf Subjektpositionen innerhalb unterschiedlicher Diskurse und erlauben damit einen Rückschluss darauf, welche Diskurse derzeit oder aber in der Vergangenheit von Bedeutung sind bzw. waren. Es lässt sich so die Wirkmächtigkeit von Diskursen als empirische Frage bearbeiten, da z.B. untersucht werden kann, welche Subjektpositionen unhinterfragt eingenommen werden, welchen widersprochen wird und welchen Einfluss andere Diskurse -- und die damit einhergehende Subjektpositionen -- auf diese Möglichkeiten oder auch Einschränkungen ausüben […]. (Spies 2019: 102)

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Einschlägige Arbeiten mit triangulativen Ansätzen sind etwa Reh 2003, Freitag 2005, Pfahl 2011, Tuider 2007. Hier sind Karl 2006, Rothe 2011, Rose 2012, Spies 2010 zu nennen.

6 Methode: Empirische Subjektivierungsforschung

Die Prozesse der Positionierung können in folgende Selbstbefragungen aufgesplittet werden: Wie sehe ich mich selbst? Wie sehe ich Welt und Gesellschaft? Zu was oder zu welcher Gruppe fühle ich mich zugehörig? Wie fühle ich mich gesellschaftlich positioniert? Welche gesellschaftliche Position möchte/kann ich erreichen? Welche Handlungsmöglichkeiten sehe ich? Welches Verhältnis habe ich zu mir selbst? Wie arbeite ich an mir selbst? Auf diese Fragen antworten Subjekte mittels Praktiken der Identifizierung. Diese Praktiken sollen nun im narrativen Interview sichtbar werden. Einerseits werden diese Identifizierungen durch die Erhebungsmethode des »biographisch-narrativen Interviews« (vgl. Rosenthal 2015: 171; Schütze 1983) selbst ausgelöst und andererseits mittels der Datenauswertungsmethodik »Rekonstruktion narrativer Identität« (Lucius-Hoene & Deppermann 2002, 2004) theoretisierbar gemacht.

Sample Für das Forschungsprojekt wurden Interviews mit zehn Personen geführt. Die Interviews haben in den Städten Wien (zwei Interviews), Graz (vier Interviews) und Innsbruck (vier Interviews) stattgefunden. Die Auswahl der Befragten erfolgte auf Basis des Forschungsinteresses nach den Dynamiken von privilegierter (weiß/keine negativen Rassismuserfahrungen, männlich*) sozialer Position und der politischen Positionierung als Antirassist. Die vor dem wissenschaftlichen Hintergrund von mir konstruierte Gruppe, die es ja freilich als geschlossene Gruppe nicht gibt, fingierte als Angebot für eine Selbstbezeichnung. Die Annahme dieser Selbstbezeichnung war dann die Voraussetzung für eine Interviewteilnahme. Im Vorfeld hatte ich nämlich in den Interviewanfragen stets Folgendes formuliert: »Ich interessiere mich für die Lebensgeschichte von Personen, die sich selbst als weiße Männer* oder als Männer* ohne eigene negative Rassismuserfahrungen definieren und sich antirassistisch engagieren.« Die Personen, die ich dann als Interviewpartner vor mir hatte, definierten sich also selbst als Teil dieser von mir konstruierten »Gruppe«. Die Kontaktaufnahme erfolgte auf zwei Wegen: Zum einen wurden Personen aus meinem persönlichen Umfeld angesprochen, die antirassistisch aktiv sind. Bis auf vier Personen kannte ich die Aktivisten zuvor nicht persönlich. Die vier mir bekannten Personen sind nicht mit mir befreundet. Unsere wenigen Begegnungen fanden in aktivistischen oder beruflichen Kontexten statt. Der Kontakt wurde via mir übermittelter oder bereits bekannter E-Mail-Adressen hergestellt. Der andere Weg der Kontaktaufnahme führte über Anfragen bei rassismuskritischen oder antirassistischen Vereinen selbst. Auch hier wurde direkt nach Personen gefragt, die sich selbst wie oben erwähnt positionieren. Die befragten Personen können in zwei Altersgruppen differenziert werden: eine Gruppe von jungen Erwachsenen (fünf Personen) im Alter von 21 bis 33 Jahren und eine Gruppe von älteren Erwachsenen (fünf Personen) im Alter von 45 bis 56 Jahren. Die Alterszusammensetzung ist einerseits pragmatisch: Die Personen, die sich auf meinen Aufruf gemeldet haben, waren Menschen dieses Alters. Andererseits erscheinen beide Gruppen als besonders interessant, da ihr antirassistisches Engagement entweder noch recht neu für sie ist oder erfahrene Aktivist*innen bereits Konflikte hinter sich haben, die

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Teil 2: Empirie

hier deutlicher zutage treten können. Dazu weisen die Personen aufgrund des ähnlichen Alters gemeinsame soziohistorische Sozialisations- oder Subjektivierungserfahrungen auf.

Biographisch-narratives Interview Die Vorgehensweise des Interviews orientierte sich an dem »narrativen Interview«, wie es Schütze (1983) formuliert hat, und vor allem an dessen Weiterführung von Gabriele Rosenthal (1995) unter der Bezeichnung »biographisch-narrative Gesprächsführung«. Im Zuge der Interviews lehnte ich mich stark an die von Rosenthal vorgeschlagenen drei Phasen an. Die erste Phase wurde mit einer Erzählaufforderung eingeleitet, bei der eine von den Interviewten selbst gestaltete Haupterzählung und Selbstpräsentation (Rosenthal 2015: 170) ermöglicht werden sollte. Die Aufforderung, die ich in allen Interviews gestellt habe, lautete: »Ich bin ja an der Lebensgeschichte von weißen Männern* bzw. Männern* ohne persönliche Rassismuserfahrungen, die sich in antirassistischen oder rassismuskritischen Vereinen engagieren, interessiert. Ich möchte dich nun bitten, mir deine Lebensgeschichte zu erzählen, also nicht nur von deinem antirassistischen Engagement, sondern deine gesamte Lebensgeschichte. Ich werde dich dabei nicht unterbrechen und mache mir lediglich ein paar Notizen.« In der zweiten Phase, der des erzählgenerierenden Nachfragens (ebd.), habe ich zunächst die von mir angefertigten Notizen chronologisch angesprochen und die Probanden darum gebeten, mir mehr davon zu erzählen. Zum Beispiel: »Du hast vorhin erzählt, dass du in einem ›städtischen Randgebiet‹ aufgewachsen bist. Kannst du mir mehr davon erzählen?«. Bei der Anfertigung der Notizen wurde darauf geachtet, möglichst die von den Interviewten verwendeten Formulierungen aufzuschreiben und dann in der zweiten Phase wiederzugeben. Dies sollte verhindern, dass Begriffe, Deutungen, Themen von mir in das Interview eingebracht werden. Nach diesem internen Nachfragen folgte schließlich der zweite Teil der zweiten Phase: das externe Nachfragen. Hier wurden nur dann Fragen gestellt, wenn ich das Gefühl hatte, dass bestimmte Themen zu kurz gekommen sind. Zum Beispiel »Welche Position hast du in deiner Initiative inne?« Die Interviews wurden mittels eines elektronischen Diktiergerätes aufgenommen, mithilfe einer Software transkribiert und in Schriftdeutsch niedergeschrieben. Dialektwörter mit besonderer Aussage wurden im Original beibehalten, Sprechpausen, »Mhms« und ähnliche Laute wurden transkribiert und dann auf das Notwendigste reduziert. Besondere sprachliche Betonungen einzelner Wörter oder Sätze wurden nicht extra gekennzeichnet und gleichzeitiges Sprechen von Befragten und Interviewer wurde so wiedergegeben, als wäre es nacheinander erfolgt. Die Datenauswertung der transkribierten Interviews geschah mit der Hilfe einer einschlägigen Software und auf der Grundlage der folgenden Auswertungsmethode.

6 Methode: Empirische Subjektivierungsforschung

Rekonstruktion narrativer Identität Gabriele Lucius-Hoene und Arnulf Deppermann haben mit ihrem Werk Rekonstruktion narrativer Identität 6 (2004) eine Methode zur Auswertung von narrativen Interviews vorgelegt, die für dieses Forschungsprojekt besonders passgenau erscheint. Sie fassen narrative Identität als »eine im Prozess des Erzählens hergestellte Form der Selbstvergewisserung.« (Lucius-Hoene & Deppermann 2004: 10) Interviews werden demnach als sich im Interview vollziehende Identitätskonstruktionen gefasst. Das bedeutet allerdings nicht, dass vor dem Interview liegende biographische Geschehnisse und Reflexionen gar nicht berücksichtigt werden. Vielmehr verbinden sich die autobiographischen Darstellungen von Identität mit der performativen und interaktiven Herstellung von Identität (ebd.). Die Validität, der Ablauf und die genauen biographischen Daten spielen allerdings nur eine untergeordnete Rolle. Es wird nämlich vornehmlich gefragt, welche Funktion die biographische Selbstdarstellung im Dienste der aktuellen Identitätsherstellung einnimmt. Lucius-Hoene und Deppermann verstehen, ausgehend von dieser empirischen und textbezogenen Auffassung, »narrative Identität [also] als ein interaktiv und lebensgeschichtlich situiertes und motiviertes kommunikatives Produkt.« (Ebd.: 11) Ihre Methode fußt auf grundlegenden Annahmen, die der Hermeneutik, der Konversationsanalyse und der Erzähltheorie entnommen sind. Aus der Hermeneutik werden die Prämissen, dass die Interviews von den auswertenden Personen ausgelegt und gedeutet und damit rekonstruiert werden, angeeignet. Mit der Konversationsanalyse teilt die Methode der Rekonstruktion narrativer Identität das Bewusstsein darüber, dass Interviews Interaktionsprozesse sind, im Zuge deren »Menschen Gespräche organisieren und dabei Sinn und soziale Wirklichkeit herstellen« (Lucius-Hoene & Deppermann 2004: 96). Aus der Erzähltheorie entnehmen die Autor*innen Begriffe und Verfahren, die »speziell für die Rekonstruktion der Strukturen von Erzählungen wichtig sind« (ebd.). Lucius-Hoene und Deppermann haben vor dem Hintergrund dieser Annahmen sieben allgemeine Grundlagen entwickelt, die nun vorgestellt werden sollen und für mein Projekt als konstitutiver »Fahrplan« in der vorliegenden Form übernommen wurden.

Die Grundlagen Erstens ist der Ansatz auf Datenzentrierung ausgerichtet. Das bedeutet, dass einzig das empirische Datenmaterial – also die transkribierten Interviews – die Grundlage für die Analyse darstellt. Es wird also keine »›dahinter‹ liegende psychische Realität und keine ›objektive‹ biografische Gestalt« (Lucius-Hoene & Deppermann 2002: 97) angenommen und untersucht, sondern nur das vorliegende Interviewprotokoll mit all seinen Details. Datenzentriert zu arbeiten, verlangt dann also detailgetreue Analysen und verbietet es, eigene Vorannahmen in die vorhandenen Daten zu legen. Das Credo lautet deshalb nach

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In den folgenden Ausführungen wird sowohl aus der ersten Auflage (Lucius-Hoene & Deppermann 2002) wie auch aus der überarbeiteten und aktualisierten Ausgabe (Lucius-Hoene & Deppermann 2004) zitiert.

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Lucius-Hoene und Deppermann, die vorhandenen »Daten in ihrer Eigenstrukturiertheit zu rekonstruieren« (ebd.). Diese Rekonstruktionshaltung ist der zweite Aspekt der sieben Grundlagen. Hier wird die Notwendigkeit einer »suspensiven Haltung« (ebd.: 98) betont. Das bedeutet, dass Rekonstruktionen nur möglich sind, wenn stets viele verschiedene Interpretationsmöglichkeiten bedacht werden. Das Material wird also sequenziell analysiert und möglichst detailgetreu und mehrperspektivisch interpretiert. Als Grundhaltung empfehlen die Autor*innen deshalb, eine »Verfremdung des Selbstverständlichen« (ebd.) anzustreben. Teil der Rekonstruktionshaltung ist auch, den Text als Ausdruck der Wirklichkeit der Erzählerin, des Erzählers anzuerkennen und keine »wirkliche« Wirklichkeit dahinter zu vermuten. Womit drittens eine Sinnhaftigkeitsunterstellung verbunden ist. Hier wird generell unterstellt, dass der gesamte Interviewtext sinnhaft strukturiert ist. Aussagen, Sprechpausen, Laute werden demnach vor der Grundannahme betrachtet, dass sie »Lösung[en] für eine Aufgabe, ein Problem oder eine Zielsetzung« (Lucius-Hoene & Deppermann 2002: 99) sein können. Diese grundsätzliche Unterstellung der Sinnhaftigkeit des Interviewtextes folgt den Prinzipien der wohlwollenden Interpretation (ebd.). Der vierte Aspekt der von Lucius-Hoene und Deppermann entwickelten Grundhaltung ist mit dem Begriff »Mehrebenenbetrachtung« umrissen. Die im Interview stattfindende Sinnerzeugung wird auf drei Ebenen betrachtet. Zunächst wird die temporale Ebene betont. Narrative Identität ist durch »Ereignisse und Erfahrungen des Lebens« (ebd.: 56) und wie im Zuge der narrativen Erzählung daraus Sinn und Kohärenz hergestellt wird, begründet. Die programmatische Frage lautet hier: »Wie bin ich geworden durch das, was geschehen ist?« (ebd.: 61). Als zweite Ebene wird die soziale Dimension ins Spiel gebracht, die auf die im Interview stattfindende »interaktive Identitätskonstruktion durch Positionierung« (ebd.: 61) verweist. Hier wird auf die Konstruktion der eigenen Person mitsamt bestimmten Attributen, Merkmalen, Problemen, Kompetenzen und die Positionierung im sozialen Raum des Interviews geachtet. An dieser Stelle wird das für diese Arbeit so zentrale Konzept der »Positionierung« (vgl. Bamberg 2003) eingeflochten. Dabei steht nicht nur die Frage im Zentrum, wie sich die Befragten in Bezug auf den sozialen Raum des Interviews positionieren, sondern auch welche Positionierungsprozesse in Bezug zu »sozialen Positionen, zu Werthaltungen, Normen, Machtund Wissenssystemen« (Lucius-Hoene & Deppermann 2002: 62) vorgenommen werden. An dieser Stelle wird eine der Kernfragen der Forschung bearbeitet: Auf welche diskursiv erzeugten soziale Positionen greifen die Befragten zurück und in welchem Verhältnis zu rassistischen Normen und Wissenssystemen stehen diese? Als programmatisch sehen die Autor*innen folgende zweiAussagen: »Was bin ich für ein Mensch?« (ebd.: 61) und »So bin ich, so sollst du mich verstehen« (ebd.: 61f). Die dritte Ebene der Mehrebenenbetrachtung ist die »selbstbezügliche Dimension der ›narrativen Identität‹« (ebd.: 67). Das bedeutet, in der Analyse darauf zu achten, mit welchen Attributen, Selbstbeschreibungen und Identitätsmerkmalen die Befragten ein Selbst erzeugen. Besonders an dieser Stelle kann etwa darauf geachtet werden, wie etwa auf Weißsein, Männlichkeit, Bürgerlichkeit und ähnliche privilegierte Positionen Bezug genommen wird. Dazu sind die »autoepistemischen Prozesse« (Lucius-Hoene & Deppermann 2002: 70) von Interesse, um die selbstbezügliche Dimension verstehen zu können. Das

6 Methode: Empirische Subjektivierungsforschung

Interview selbst wird durch die autobiographische Stehgreiferzählung autoepistemische Prozesse, also Prozesse des Selbsterkennens und -vergewisserns, auslösen. Die Befragten entwickeln häufig im Zuge des Erzählens eine aktive Erinnerungsarbeit, die neue Erkenntnisse von sich selbst und häufig auch Widersprüche, Inkonsistenzen und Unsicherheiten mitbringt (ebd.: 71). Schließlich bedeutet Selbstbezüglichkeit, auf die Dynamik von »dargestellter und hergestellter Identität« (ebd.: 73, Herv. i. Orig.) zu achten. Befragte können sich also zum Beispiel in der biographischen Erzählung als passive Opfer bestimmter Verhältnisse darstellen und zugleich eine dominante Identität herstellen, die in einem interessanten Konflikt zu der Identitätserzählung steht (ebd.: 73f). Als fünften Aspekt einer Grundhaltung zu »narrativer Identität« nennen die Autor*innen Sequenzanalyse und Kontextualität. In der Sequenzanalyse wird »die sukzessive Bildung von Sinn im Laufe des Interviews genauso nachgezeichnet, wie sie Äußerung für Äußerung vor sich geht.« (Lucius-Hoene & Deppermann 2002: 100) Die Abfolge des Erzählten schafft den Kontext für die einzelnen Äußerungen, weshalb es hier gilt, besonders sorgfältig zu sein. Eine kontextuelle Sequenzanalyse bedeutet demnach einerseits, besonders detailgetreu Wort für Wort zu analysieren, und andererseits, jede Detailanalyse im Rahmen des größeren Erzählkontextes zu betrachten. Der sechste grundlegende Aspekt ist Zirkularität und Kohärenz. Die Autor*innen verweisen darauf, dass eine »Zirkularität zwischen Vorverständnis und Auswertungsergebnissen sowie zwischen dem Verständnis einzelner Teile des Interviews und der Fallstruktur« (ebd.: 101) vorliegt. Für Lucius-Hoene und Deppermann ist die Rekonstruktionsarbeit eine Vorgehensweise der »spiralförmigen Präzisierung« (ebd.). Die genauere Kenntnis einzelner Teile der Fälle beeinflusst unser Wissen über die Fallstruktur und das gewonnene Wissen wirkt sich auf die Einzelinterpretation aus. Das Erstellen einer Fallrekonstruktion ist also am besten als reflexive Spiralbewegung zu verstehen, mit dem Ziel, das »Teil-Ganzes-Verhältnis« (Lucius-Hoene & Deppermann 2002: 101) umfassend nachzuvollziehen. Als siebten Aspekt der Grundhaltung nennen die Autor*innen Explikativität und Argumentativität. Bezüglich Explikativität wird die Problemstellung genannt, dass sich die theoretische Interpretation von Daten in qualitativen Forschungsprojekten auf keinen fixen Operationalisierungs- und Zuordnungsregeln beruft – wie das bei quantitativen Projekten der Fall ist. Das bedeutet für die Interpretationen, dass sie »möglichst explizit und präzise zu formulieren sind« (ebd.: 103). Dazu muss die Darstellung in argumentativer Weise auf die Aspekte des Datenmaterials und den jeweiligen Kontext, die funktionalen und logischen Aspekte des Interaktionsverlaufes eingehen. Dabei sollten die eigenen Interpretationen und ihre Grundannahmen überprüft und alternative Deutungen gezeigt werden (ebd.).

Die Arbeitsschritte Auf der Basis der genannten Grundhaltungen haben die Autor*innen drei Schritte der Textanalyse vorgeschlagen. Die Schritte lauten erstens Grobstruktur des Interviewtextes, zweitens pragmatisch-rhetorische Feinarbeit und drittens Wechsel zwischen struktureller und Feinanalyse (Lucius-Hoene & Deppermann 2004: 3017ff).

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Teil 2: Empirie

Bei der grobstrukturellen Analyse werden die erzählanalytischen Beschreibungskategorien – also wie der Text aufgebaut ist – herausgearbeitet. Folgende Fragen sind dabei von besonderem Interesse: Wie zeigt sich Themenabfolge und -darbietung? In welche Erzählsegmente kann das Interview aufgeteilt werden? Wie gliedert es sich thematisch und sequenziell? Welche sequenzübergreifenden Phänomene können erkannt werden? (Ebd.) Ziel dieses ersten Schrittes ist es, die narrative Gliederung des Interviews zu rekonstruieren. Hier gilt es neben der lebenszeitlichen Gliederung weitere Unterteilungen zu beachten. So sind thematische und zeitliche Wechsel genauso interessant wie Veränderungen der Textsorte (Lucius-Hoene & Deppermann 2002: 318). Im Zuge der grobstrukturellen Analyse werden schließlich Interviewpassagen zur Feinanalyse ausgewählt. Die Autor*innen merken an, dass es sinnvoll sei, mit Ausschnitten aus einer frühen Phase des Interviews zu beginnen. Die Feinanalysen sind die Grundlagen zum Verständnis weiterer Interviewpassagen. Somit könne eine erst spät im Interview einsetzende Feinanalyse zu Missinterpretationen führen (Lucius-Hoene & Deppermann 2002: 318). Die für die Forschung ausgewählten Ausschnitte waren meist eine Seite, maximal zwei Seiten lang. Wichtig für die Auswahl der Ausschnitte ist es zu beachten, dass sie »thematisch, handlungslogisch und [sic!] erzählstrukturell abgeschlossen sind« (ebd.: 319, Herv. i. Orig.). Auch wenn die für die Sequenzanalyse ausgewählten Ausschnitte abgeschlossene Erzählungen sind, so gilt es trotzdem, das Vorher und Nachher des Erzählsegmentes in die Analyse miteinzubeziehen. Die Feinanalyse ist der zweite Arbeitsschritt im Zuge der Rekonstruktion narrativer Identität. Die leitende Fragestellung lautet dabei stets: »Wie wird in dieser Passage narrative Identität hergestellt?« (ebd.: 321). In der Feinanalyse wird der Text danach analysiert, was, was nicht, wie, wozu (Art und Weise und zu welchem Zeitpunkt des Interviews) in Bezug auf Identität ein Selbst dargestellt wird (ebd.). Besondere Aufmerksamkeit sollte dabei auf Deskription (Formulierungen, Andeutungen, Kategorisierungen), Inszenierung (Art und Weise der Selbstdarstellung), Argumentationen (Pro-und-Contra-Spiel, Argumente), Interaktion (Steuerung des Interviews) sowie Reaktion (auf Interviewer) (ebd.: 322) liegen. Im Zuge der Feinanalyse wird stets sequenzanalytisch vorgegangen. Das konkrete Vorgehen der Sequenzanalyse, wie es von Ulrich Oevermann als Teil der »Objektiven Hermeneutik« (Oevermann et al. 1979; Oevermann 2002; Reichertz 1986) entwickelt wurde, kennzeichnet sich einerseits durch eine Wort-für-Wortund Satz-für-Satz-Interpretation und andererseits durch die stete Berücksichtigung der strukturellen Aspekte des Textes (Lucius-Hoene & Deppermann 2002: 320). Diese Pendelbewegung zwischen struktureller und sequenzieller Vorgehensweise – auch als hermeneutischer Zirkel beschrieben – wird als der dritte Arbeitsschritt bezeichnet. Der zirkelhafte Dreischritt aus Grobanalyse, Feinanalyse und dem Wechsel zwischen struktureller und sequenzieller Vorgehensweise kann also als die Arbeitsweise während des gesamten Analyseprozesses zusammengefasst werden. Die Analysearbeit, die im Falle der Dissertation auch mit der Unterstützung von Interpretationsgruppen durchgeführt wurde, hat in der vorliegenden Methodik die Erarbeitung von Fallstrukturen zum Ziel.

6 Methode: Empirische Subjektivierungsforschung

Fallstrukturen Die Ergebnisse der Rekonstruktion der einzelnen Interviews werden schließlich als Fallstrukturen dargestellt. In dieser Arbeit werden vier Interviews als »Fälle« rekonstruiert und sechs Interviews als kürzere, pointiertere Falldarstellungen resümiert. Auch wenn die Darstellung der Fallstrukturen erst am Schluss der Analysearbeit durchgeführt wird, so ist die Erarbeitung einer ebensolchen Struktur von Beginn an ein wichtiger Teil des »spiralförmigen Prozesses« (Lucius-Hoene & Deppermann 2002: 327) der Rekonstruktion narrativer Identität. Die Auswahl von Analysepassagen wird auf der Grundlage des theoretischen Vorwissens und der forschungsleitenden Fragestellungen getroffen, womit schon eine spezifische Fallstruktur eingeleitet wird. Im Zuge der Analysen wird die zunächst offen formulierte Fragestellung immer spezifischer, was die Fallstruktur verändern kann. Dies kann dann wiederum zu neuen Perspektiven auf das Interviewmaterial führen und auch neue oder veränderte Fragestellungen ergeben. Am Ende dieses Prozesses werden dann fertige, kontextualisierte Sequenzanalysen und Memos vorliegen. Die Analysen sind in dieser Phase noch ungegliedert und folgen dem zeitlichen Ablauf des Interviews (ebd.). Zur finalen Darstellung von Fallstrukturen wurden die folgenden Schritte wiederholt durchlaufen: Erstens wurden die Sequenzanalysen auf die »wiederkehrenden Befunde, Kernkonzepte und abstrakteren Strukturmerkmale« (ebd.) untersucht. Zweitens wurde das Material stets auf die aktuellste, durch das Material geschärfte Fragestellung selegiert. Drittens wurden bei jedem Analysedurchgang die sich mehrfach als relevant ausgezeichneten Ausschnitte vertieft betrachtet. Am Ende dieses spiralförmigen Prozesses wird der Blick von den einzelnen Sequenzen auf das Ganze des Falles gelegt und nach »Bezügen zwischen unterschiedlichen Interviewpassagen« (ebd.: 328, Herv. i. Orig.) gefragt. An diesem Punkt wird die Struktur eines Falles, der aus den einzelnen Sequenzen besteht, dargestellt. Um von den analysierten Materialien dorthin zu gelangen, wurden die folgenden von Lucius-Hoene und Deppermann aufgestellten Dimensionen berücksichtigt: Welche »Handlungsfelder der Identitätsbildung« (ebd.) sind erkennbar? Was sind die zentralen »Problembereiche« (ebd.) des spezifischen Falles? Welche »Deutungsmuster« (ebd.) werden angewandt und was sind die »Handlungs- und Selbstdarstellungsstrategien« (ebd.) der Akteure?

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7 Darstellung der empirischen Ergebnisse

Fallrekonstruktionen Die dargestellten vier Fallrekonstruktionen wurden aus der Gesamtzahl von zehn Interviews nach maximalkontrastiven Kriterien ausgesucht. Das bedeutet, die Interviews sollten sich voneinander in den zur Analyse verwendeten Code-Kategorien, Themen, Diskursen, Positionierungen, Praktiken möglichst stark voneinander unterschieden. Dieses Vorgehen lehnt sich an die »Strategie des maximalen Vergleichs« (Schütze 1983: 287) an und verfolgt das Ziel, Unterschiede und Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten, die dann im abschließenden Theorieteil verallgemeinert werden. Die vier Interviews wurden dabei im Zuge einer ausführlichen Feinanalyse ausgewertet und detailliert rekonstruiert. Die weiteren sechs Interviews, die sich nicht durch auffällig große Kontraste von den vier Interviews der Fallrekonstruktionen unterscheiden, wurden im Zuge der Erstellung von fokussierten Kurzporträts verarbeitet. Diese Falldarstellungen wurden nach dem gleichen Muster codiert, jedoch in einer komprimierten Weise dargestellt.

Kategorien der Codes Alle Interviews wurden zuvor mit den Mitteln und Möglichkeiten der Rekonstruktion narrativer Identität bearbeitet. Die folgenden Kategorien halfen dabei, das Material zu codieren. Entlang dieser Kategorisierungen sollte es gelingen, mehrere relevante Ebenen einzufangen. Die Codes leiteten sich aus den zentralen Fragen dieser Studie ab: Welche Themen werden wie angesprochen und welche nicht? Auf welche rassistischen Diskurse/auf welches Wissen greifen die Aktivisten zurück? Wie positionieren sie sich dabei? Welche konkreten Praktiken leiten sie ab/was tun sie? Vier Kategorien von Codes waren ausschlaggebend für die Rekonstruktionsarbeit: Themen, Diskurse, Positionen und Praktiken. Thematische Codes sind etwa »Kindheit in Stadt X«, »Reise nach Y«, »Studium des Faches Z« oder »Politischer Aktivismus«. Die Themen wurden von den Interviewten selbst in das Interview eingebracht und sind als relevante Themen dann erkennbar, wenn sie sich entweder wiederholen oder von den Probanden als wichtig gekennzeich-

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Teil 2: Empirie

net werden. Die Interviewrekonstruktionen wie auch die Falldarstellungen orientieren sich in ihrer Struktur an den von den Interviewten eingebrachten Themen, das gilt auch für die Reihenfolge der Themen in den Rekonstruktionen. Neben der thematischen Codierung wurde darauf geachtet, auf welche Diskurse sich die Befragten in welcher Weise beziehen. Ein Beispiel für relevante Diskurse wäre der »Multikulturalismus-Diskurs« oder der »Entwicklungshilfe-Diskurs«, der »GenderDiskurs« oder auch der »Theorie-vs.-Praxis-Diskurs«. Mit der Suche nach Diskursen wird der Frage nachgegangen, inwiefern für die Befragten rassistisches Wissen eine Rolle spielt und, wenn ja, welche Formen es tun. Dazu wurde bei der Codierung darauf geachtet, wie sich die Menschen selbst positionieren, welche Subjektpositionen sie also besetzen. Sie können sich etwa als »Experten«, als »Macher«, als »weiße, männliche Retter«, als »Abenteurer« oder als »Schüler« positionieren. Die Frage nach der Positionierung ist eine ganz zentrale. So geht es etwa nicht nur darum, welche Themen und welche Diskurse sie einbringen, sondern ganz zentral darum, wie sie sich dazu positionieren. Schließlich wurden die Codes nach der Frage entwickelt, welche Praktiken – natürlich immer mit relevantem Bezug zum Forschungsthema – von den Aktivisten vollzogen, angeeignet und entwickelt werden. »Reisen« wäre genauso als relevante soziale Praxis zu analysieren wie »Tagebuchschreiben«, »auf Demonstrationen gehen«, »Theater spielen«, »Bücher lesen« oder »Fußball spielen«. Dieser Code geht primär der Frage nach, was die Aktivisten konkret tun, wenn sie sich als Antirassisten positionieren. Folgen etwa auf die Rezeption selbstkritischer Diskurse auch Handlungsänderungen und welche Konsequenzen haben diese Praktiken auf ihre Biographien und ihre soziale Positionierung?

Die Fallrekonstruktionen Die erste Fallrekonstruktion handelt von Ralf1 . Ralf ist einer der älteren Interviewpartner und auch ein sehr erfahrener Antirassist mit einer jahrzehntelangen aktivistischen Biographie. Die Fallrekonstruktion von Ralf wurde als erste ausgewählt, weil sie erstens einen guten Einblick in die Geschichte des Antirassismus in Österreich aus einer beteiligten Perspektive eröffnet, weil sie zweitens durch eine Reihe von benannten Widersprüchen geprägt ist, die vieles über die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten von Antirassismus aus einer privilegierten Position lehren, und weil drittens die biographische Erzählung von Ralf durch ein Transparentmachen der eigenen Position und die Versuche alternativer Positionierungen gekennzeichnet ist. Die auf Ralf folgenden Rekonstruktionen und Falldarstellungen weisen in diesen und weiteren relevanten Punkten zum Teil große Kontraste auf.

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Bei den gesamten Fallrekonstruktionen wurden die Namen geändert. Um eine Anonymität zu garantieren, wurden die genannten Orte, Berufe, Arbeitsstellen, Ausbildungen entweder verändert oder nicht genannt. Bei der Veränderung wurde darauf geachtet, dass eine Vergleichbarkeit der geänderten mit den tatsächlichen Orten, Berufen, Arbeitsstellen, Ausbildungen gewahrt bleibt.

7 Darstellung der empirischen Ergebnisse

Ralf: »Es ist einfach so« Biographische Skizze Ralf ist zu dem Zeitpunkt des Interviews fünfzig Jahre alt, arbeitet seit 15 Jahren in der Bildungsarbeit und ist seit dreißig Jahren im politisch-aktivistischen Kontext aktiv. Er hat viele Erfahrungenim Bereich antirassistische und rassismuskritische Bildungsarbeit gesammelt.Ralf studierte Soziologie und Geschlechterforschung und beteiligt sich seit dem Anfang der 1990er Jahre an Demonstrationen, Hilfsprojekten, Vereinen, Initiativen; er blieb schließlich auch beruflich im Bildungsbereich tätig. Die Interviewsituation Ich kenne Ralf von ein paar persönlichen Begegnungen und kontaktierte ihn über einen gemeinsamen Bekannten. Nach der ersten Kontaktaufnahme vergingen ein paar Monate, ehe dann Anfang 2020 das Interview stattfand. Aufgrund der Corona-Krise führte ich das Interview mittels Skype (mit Kamera) und zeichnete es mit dem Diktiergerät auf. Im Vergleich zu anderen Interviews fiel mir bei Ralf auf, dass er sehr gewählt und in einem klaren Schriftdeutsch sprach. Das Interview war durch eine wertschätzende Atmosphäre geprägt und hatte sich zum Schluss von einer professionellen in ein freundschaftliches, durch kurze Gespräche gekennzeichnetes Klima gewandelt. Studieren und politisieren Ralf beginnt seine biographische Erzählung mit dem Antritt seines Studiums der Soziologie mit Anfang zwanzig. Über seine Kindheit und Jugend sowie weitere private Details aus seinem Leben sollte ich sehr wenig erfahren. Er erzählt von seinem Studium sogleich in Verbindung mit seinen ersten »Politisierungsprozessen«, die Anfang der 1990er Jahre stattgefunden haben und bereits antirassistisch ausgerichtet waren: Ich habe mit ungefähr Anfang zwanzig Soziologie studiert und habe mich Anfang der 90er Jahre politisiert. Habe in so einem kurdischen Hilfsprojekt mitgearbeitet, und es war dann die Zeit, wo die FPÖ dann aufgekommen ist und wo (.), wo die FPÖ dieses berühmt berüchtigte Anti-Ausländer-Volksbegehren organisiert hat. Wo es dann zivilgesellschaftliche Reaktionen mit diesen Lichtermeeren gegeben hat. Ich war damals Student der Soziologie und hab mich an den Dingen beteiligt. (Ralf 15–20)2 Ralf durchlebt seine erste einschneidende Politisierung im Rahmen der großen antirassistischen Proteste der 1990er Jahre in Österreich. Diese Proteste und ihre Problematiken wurden bereits eingehend im Teil Antirassismus besprochen. An dieser Stelle muss 2

In den direkten Zitaten der Interviews werden Sprechpausen als Punkte in einer runden Klammer gekennzeichnet. Die Anzahl der Punkte bezieht sich auf die Länge der Sprechpausen. Kurze Pause: (.), längere Pause: (.), sehr lange Pause: (…). Die eckige Klammer mit drei Punkten bedeutet, dass im Zitat eine Stelle des Transkripts ausgelassen wurde. Am Ende des Zitates findet sich der Name des Interviewten und die Zeilenangabe. Bestimmte Angaben wurden aus Gründen der Anonymisierung mit einem * ersetzt. Besonders auffällige Gesten während des Interviews wurden in Klammer beschrieben – zb. (lacht). Unverständliche Interviewsegmente wurden wie folgt gekennzeichnet: (unv.). Die Nennung meiner Wortmeldungen während des Interviews wurde auf das Notwendigste reduziert und in eine eckige Klammer gesetzt – zb. [mhm].

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Teil 2: Empirie

wiederholt werden, dass die Proteste aus heutiger Sicht zwei zentrale Problemlagen aufwiesen, die Antirassismus in Österreich stark geprägt haben: Erstens wurde der Protest primär von Organisationen angetrieben, die mehrheitlich weiß-dominanzgesellschaftlich geführt waren, und zweitens richtete sich der dominanzgesellschaftliche Antirassismus der 1990er Jahre primär gegen einen Rassismus, der aus rechtspopulistischen und rechtsextremen Gruppierungen und Parteien (wie der FPÖ) artikuliert wurde. Diese Stellvertreter*innenpolitik und die Reduktion von Rassismus auf Rechtsextremismus markierten den Anfang von Ralfs politischer Positionierung als Antirassist. Seine politische Arbeit dieser Zeit bezeichnet Ralf in der Rückschau als eine »Arbeit gegen rechts«: Ja also es war damals. (.) Ja ich würde sagen, es war damals eine Arbeit gegen rechts. Sozusagen Antifa-Arbeit, antirassistisch zum Teil, wobei der Begriff jetzt nicht so prominent war von den 90er Jahren. Diese Arbeit, dieser Widerstand gegen rechts ist von verschiedenen Leuten auf der Uni getragen worden, aus dem klassischen linken, grünen, alternativen Spektrum. (Ralf 27–31) Ralf verortet seinen Aktivismus dieser Zeit vor allem als antifaschistisch und universitärstudentisch und macht damit den Ort und die soziale Zusammensetzung des Aktivismus sichtbar. Eine der größeren politischen Aktionen dieser Zeit, bei der Ralf eine aktive Rolle innehat, ist eine Demonstration gegen ein Treffen von Burschenschaften. Ralf hebt die Aktion als außergewöhnlich hervor, weil sie im Vergleich zu den Aktionen gegen die FPÖ in ein breites Bündnis mündet und weil das Burschenschaftertreffen nicht nur von der FPÖ, sondern auch von der ÖVP unterstützt wird: Ich persönlich habe dann (.) naja vielleicht und (.) punktuell eine Ausnahme war damals diese große Mobilisation gegen das (.), gegen diesen Burschenschaftlerkommers. […] Mit breiter politischer Unterstützung damals noch bis in die ÖVP hinein […], mit Ehren von der ÖVP. Gegen diese sind dann ein breites Bündnis […] entstanden. Mit Plakaten wo drauf stand: »Wir müssen es verhindern, das Nazi Treffen«. (Ralf 38–45) Mitte der 1990er Jahre kommt Ralf mit einer weiteren Traditionslinie des Antirassismus in Österreich in Berührung. Im Zuge der antirassistischen Proteste gegen das »Anti-Ausländer-Volksbegehren« der FPÖ entstehen Kontakte zu Akteur*innen aus dem Umfeld von Migrant*innenorganisationen. Ralf persönlich bringt dies auch in ein größeres politisches Netzwerk ein, das er schließlich auch für seine berufliche Karriere nützen wird. Er absolviert in weiterer Folge seinen Zivildienst in einer Bildungsorganisation im Umfeld dieses Netzwerkes, die später seine Arbeitgeberin werden würde, und kann seine aktivistische Arbeit dadurch noch einmal intensivieren und professionalisieren: »Es gab schon auch die Idee, mit dieser Zivildiensttätigkeit auch aktivistische, antifaschistische Arbeit zu leisten.« (Ralf 55–56) Ralf sieht nicht nur seine Zeit als Zivildiener, sondern generell seine Zeit als Student eng mit seiner politischen Arbeit verbunden. Er beendet Zivildienst und Studium und wird dann – nach einer Zeit im Ausland – wieder in der gleichen Bildungsorganisation als Mitarbeitereine Anstellung finden. Die enge Verflechtung von Studium und politischer Arbeit hat nicht nur seine politische Subjektbildung befördert, sondern auch eine berufliche Perspektive geschaffen, von der er Profiteur ist.

7 Darstellung der empirischen Ergebnisse

Die prägende Zeit von Ralfs Politisierung fällt in eine Phase, in der Österreich erstmals eine breite antirassistische Mobilisierung erfährt. Im Zuge der antirassistischen Diskurse der 1990er Jahre gelang es zum ersten Mal in der Zweiten Republik, das Rassismus-Tabu (vgl. Müller 1997: 361) etwas aufzuweichen. Bis dato wurde eher von »Ausländer-« oder »Fremdenfeindlichkeit« gesprochen oder wurden Rassismen als Probleme der Vergangenheit oder anderer Weltteile (mit offensichtlicherer kolonialer Geschichte) verschoben (vgl. Bojadžijev et al. 2019: 62). Dieser neue antirassistische Diskurs schaffte es, das Problem Rassismus beim Namen zu nennen und damit sichtbarer zu machen. Ralf wurde mit diesen Diskursen politisch sozialisiert und zeigt dadurch in dem Interview ein Wissen über und eine Sensibilität für Rassismen. Das zeigt sich vor allem im Kontrast zu weiteren befragten Antirassisten, die nicht in dieser Bewegung sozialisiert wurden. Die Kehrseiten dieser ersten großen antirassistischen Mobilisierung in Österreich waren allerdings, dass sie, wie bereits besprochen, strukturell eher weiß-dominanzgesellschaftlich geprägt waren und sich stark auf den Rassismus aus der politischen Rechten konzentrierte – womit auch der eigene Rassismus ausgeklammert wurde. In diesem Zusammenhang hatte das politische Umfeld von Ralf dieser Zeit durchaus paternalistische und wenig selbstreflexive Züge. Ralf positioniert sich in seiner Erzählung als Antirassist der ersten Stunde, er zeigt, dass er von Beginn an dabei war – nicht ohne Stolz, aber auch nicht ohne Selbstkritik. Er positioniert sich als Antirassist, der etwas in Österreich mit bewegen konnte, und auch als einer, der verstanden hat, dass sein damaliges Engagement einen klaren Ort des Sprechens (grüne, alternative Student*innen) und den Fokus auf eine Täter*innengruppe (Burschenschafter und FPÖler) kennzeichnete. Ralf begann, entgegen des damaligen Mainstreams, mit seinem Engagement im Umfeld von migrantischen Vereinen und wurde so in unterschiedlichen Bewegungstraditionen politisch sozialisiert – eine Tatsache, die er erst später im Interview vertiefen sollte. Ralf zeigt sich als eine politisierte Person, die zeit ihres Lebens, vom Studium über Zivildienst bis zur Tätigkeit als Bildungsarbeiter, einem politischen Anspruch verhaftet bleibt. Dass er persönlich in beruflicher Hinsicht von seiner Kombination aus Studium und Politik profitierte, wurde indirekt klar, er selbst lässt es an dieser Stelle allerdings nicht anklingen. Bildungsarbeit zum Thema Antirassismus: Zwischen Anspruch und Pragmatismus Ralf ist zu Beginn des Interviews unsicher, ob die Bildungsorganisation, in der er so lange schon aktiv ist, im Kern auch antirassistische Arbeit betreibt – also ob sie tatsächlich als antirassistisch oder rassismuskritisch ausgerichtet bezeichnet werden kann. Er sieht dann aber punktuell »Diversity-« und »Antidiskriminierungsarbeit« in der Organisation verankert. Er selbst ist ein wichtiger Akteur dieser Bildungsarbeit zu »Diversity«, »Antidiskriminierung« und »Antirassismus«. Ralf kommt in der langen Erzählsequenz über seine Bildungsarbeit an mehreren Stellen dezidiert auf die antirassistischen Projekte zu sprechen und erzählt von einem Spannungsfeld zwischen Anspruch und Pragmatismus, das diese Projekte stets umrahmt habe: Ich habe das auch ganz persönlich so erlebt, weil zum Beispiel vor, sag ich mal, circa zehn, elf, zwölf Jahren haben wir (.), wir haben ein größeres Projekt gehabt. Welches

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(.), müsste jetzt nachschauen, wie das geheißen. Ja da ist sogar, wenn da nicht sogar Antirassismus im Titel gewesen ist und so. Und da haben wir ein, zwei Leute als Praktikanten gehabt, die in der Projektarbeit (…). Ich war damals beim Projekt mit dabei, da für irgendwelche Teile zuständig. Und damals war schon diese Spannung spürbar, dass Leute von der Uni kommen mit gewissen theoretischen Ansprüchen und auf uns stoßen, die wir irgendeinen Projektplan mal geschrieben haben. Dort verpflichtet waren, am Projekt so und so zu setzen, mit irgendwelchen Steakholdern in höflicher Weise kooperieren haben müssen. Und es da ein Spannungsverhältnis zwischen Theorie und Praxis gegeben hat. Einer dieser Praktikanten ist später dann (.), hat auch in * gearbeitet, hat selber Projekte gemacht und ich habe mich damals persönlich sozusagen in der Position gesehen, dass ich diese PraktikantInnen, dass ich denen auch vermittelt habe, die kritischen Ansätze oder die sehr kritischen Ansätze für (.) Es klingt interessant, die kann man auch diskutieren und, wenn es geht, auch irgendwie einbringen. Aber wir haben sozusagen auch gewisse Verpflichtungen und müssen auch manchmal pragmatische Vorgehensweisen haben. (Ralf 98–113) Ralf führt weiter aus, dass sich sein Pragmatismus mit der Zeit entwickelt hat. Seine Erfahrung lehrt ihn, dass ein bestimmtes Wording je nach Antragsstelle notwendig ist und dass politische Entscheidungsträger*innen Einfluss auf die Vergabe haben können. Mit diesen ist ein gutes Auskommen wichtig. Diese Projektlogik ist ein wichtiges Strukturmerkmal seiner antirassistischen Arbeit. Einerseits ermöglichen es die Projekte, Antirassismus nicht nur ehrenamtlich, sondern entlohnterweise und in einer professionellen Struktur zu betreiben, andererseits entstehen die von Ralf beschriebenen Abhängigkeiten, die neben der prekären Position der Angestellten auch inhaltliche Konsequenzen haben können. In diesem Spannungsverhältnis hat Ralf zunächst die Rolle des Pragmatikers gespielt, war aber damit zunehmend nicht mehr zufrieden. Die Rückkehr an die Universität und die Auseinandersetzung mit Geschlechterforschung und rassismuskritischer Theorie sollte ihn nachhaltig beeinflussen: Spannend habe ich es gefunden, wo ich dann selber wieder auf der Uni war und es die ganze Zeit gelesen habe, komme ich zurück in meine Organisation, in meine NGO, und hab einen sehr geschärften Blick für viele Dinge. Für Sprache, für Benennungen, für die Art und Weise, wie halt in so einer Bildungseinrichtungvorgegangen wird und gearbeitet wird. Und war dann in der gleichen Situation als der Praktikant halt fünf, sechs, sieben Jahre vorher. (Ralf 118–122) Ralf nutzt ab dem Zeitpunkt des Zweitstudiums die relativ abgesicherte Position in seiner Organisation, um sich bezüglich der Projektanträge mehr zu trauen. Aus der Positionierung als Pragmatiker wird eher jene des zunehmend in Konflikt mit der Leitung stehenden Idealisten, was einer Umkehrung des Verhältnisses von Praktikant*in und Pragmatiker*in entspricht, das er zuvor beschrieben hat: Und so passiert es auch, also wir haben uns in den Projekten die letzten Jahre einfach selber die Freiheiten rausgenommen und haben geschrieben, wie uns das richtig vorgekommen ist oder so. Da regt sich niemand auf, aber es ist schon noch einmal ein Unterschied, ob man über gendersensible Sprache redet oder ob man so Dinge wie

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Critical Whiteness oder postkoloniale Theorie (.). Ja das ist, ja da gibt es dann natürlich auch schon Diskussionen. (Ralf 147–152) Ralf versucht aus seiner relativ abgesicherten Position heraus neue Inhalte in die Projekte zu tragen. Inhalte, die auch das Selbstverständnis seiner NGO und vielleicht auch der Antragsbehörden angreifen können und dies andeutungsweise auch tun. Ein wichtiger Faktor, der Ralf vom Pragmatiker zum Idealisten werden lässt, ist seine Bildungsauszeit und die Rückkehr an die Universität. Die Projektarbeit von Ralf ist durch eine Spannung gekennzeichnet, für deren Erzeugung und Aufrechterhaltung er selbst verantwortlich ist. Ralf könnte auf eine Reihe von Rechtfertigungsdiskursen zurückgreifen, die seine Position in der Projektarbeit einfacher, pragmatischer gestalten würden. Er baut aber, angefeuert von »kontrapunktischen« (Said 1994) Gegendiskursen, eine Spannung auf, hält sie aus und lässt sie seine Arbeit und schließlich seine Positionierung beeinflussen. Gender Studies und die eigene Positionierung Wie gesagt, ich habe in den 90er Jahren Soziologie studiert mit was es da gegeben hat. Und habe dann, […] habe dann ungefähr vor fünf Jahren mal den Gender Studies Master gemacht. Was für mich, ja was für mich schon spannend war, weil es einerseits einfach ein Update von meinem Grundstudium war, und andererseits mir die Möglichkeit gegeben hat, mich mit so aktueller politischer Theorie und dann auch mit postkolonialer Theorie und mit den ganzen Debatten über Positionierung und so weiter auseinanderzusetzen. Also (.) das ist natürlich deutlich anders gewesen, als man es Mitte der 90er Jahre diskutiert hat. (Ralf 69–76) Ralf deutet an dieser Stelle bereits an, was er zu einem späteren Zeitpunkt vertiefen sollte: den Unterschied zwischen den politischen, antirassistischen Debatten und Bewegungswirklichkeiten der 1990er Jahre und jener der 2010er Jahre. Ralf bezeichnet vor allem die Sensibilität für Sprache und Benennungspraktiken als wichtige Bildungserfahrung des Studiums. Die positiv gedeuteten Konsequenzen sieht er sowohl in Bezug auf seine Arbeit als auch für sich selbst, wie er im späteren Verlauf auf eine Nachfrage meinerseits ausführt: Ja, ich bin sehr froh, dass ich die Möglichkeit gehabt habe, noch einmal mit kritischen Positionen, postkoloniale Theorie, das auch selber, für mich selbst zu reflektieren. Wobei ich dann natürlich auch sage, der Hauptbenefit von diesem erneuten Studium, den habe ich selber gehabt. Und da indirekt, wie wir, wie wir, vielleicht in meine Tätigkeit eingeflossen. (Ralf 281–285) Auf meine darauffolgende Nachfrage, was denn die Reflexion seiner eigenen Position, die durch das Studium angestoßen wurde, denn mit ihm gemacht habe, antwortet er zunächst vor allem in Bezug auf seine Arbeit: Ich meine, dadurch, dass in * [seine Arbeitgeberin] und auch in der Uni * die Gruppen einfach nicht sehr heterogen sind, finde ich das ein bisschen schwierig. Also mir war auch schon vor der Uni, mir waren diese Methoden wie Anti-Bias-Ansatz und so, mir waren die erst aus der Workshopszene und so bekannt. Ich habe mich davor damit

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nicht intensiver damit eingelassen. Ich würde sagen, das ist eher ein Prozess, der in mir selber einmal stattgefunden hat und da mit Austausch mit Mitstudierenden und so (.). Ich meine, die Reflektion findet statt und für mich war es vor allem ein bisschen wie eine Auseinandersetzung zwischen noch einmal kritischer aktueller Theorie und der Praxis. Da kann ich das reflektieren. (Ralf 291–298) Ralf markiert sein homogenes Umfeld in der Stadt, in der er lebt, und an der Universität, die er besucht. Andere Interviewpartner beschreiben eine ähnliche Sozialstruktur um sich herum, die unausgesprochen wohl als »weiße Räume« (Wachendorfer 2009), als dominanzgesellschaftlich geprägte Räume, als bürgerliche Räume gedacht werden kann. Ralf reflektiert seine Sozialisation in privilegierten Kontexten, sein »situiertes Wissen« (Haraway 1995) und benennt es auch als Defizit. Defizit in Bezug auf fehlende Erfahrungen und fehlendes Wissen über Ungleichheiten in der Gesellschaft sowie deren individuelle Auswirkungen. Defizit, weil dieses homogene Umfeld prägend auf ihn einwirkt, sodass er beschließt, einen »Prozess« einleiten zu müssen. Ralf sieht also nicht nur in Bezug auf seine Arbeit, sondern auch ganz persönlich die Notwendigkeit zur Reflexion der eigenen Position und zu überlegten Positionierungen. Diese machtkritische Hinwendung auf seine eigene soziale Position kennzeichnet Ralf als den entscheidenden Moment, der ihn in einen intensiveren Austausch mit Theorie treten lassen hat, der über eine berufliche Beschäftigung mit Antidiskriminierungsansätzen hinausreicht. Gegen Ende des Interviews wird Ralf in Bezug auf die Beschäftigung mit seiner sozialen Position deutlich: Ich bin überzeugt, das ist so, das ist (.). Und auch mein eigenes Wirken in *[NGO] ist sozusagen von dieser Privilegierung und von dieser Positionierung absolut gekennzeichnet. Es ist einfach so. Und man kann sich, man kann es dann reflektieren und sich das auch bewusst machen, man kann es zum Teil auch thematisieren, aber es ist immer die Frage noch, wie geht man dann damit um. Also ja, ich meine, wenn man jetzt von der Möglichkeit absieht, sich völlig aus diesem Betätigungsfeld zurückzuziehen, was ja nichts ändert, weil dann bin ich halt in meiner (.), dann bin ich halt nicht professionell in diesem Feld tätig, sondern woanders und habe die gleiche Herausforderung. Aber es ist natürlich so. Und ja, und selbst man (.) ja es ist so. Auch die Versuche, die ich sicher hier und da unternommen habe und was man dann versucht, gewisse Leute zu unterstützen oder gewisse Dinge zu machen. Das ist ja subversiv, zum Teil subversiv für das Arbeiten, dass das überhaupt nicht ganz klar ist. Und man ist halt selten gefordert, da wirklich sozusagen (.), naja es ist halt schwierig, da wirklich den Test zu machen, wie weit würde man gehen. (Ralf 578–590) Für Ralf ist seine soziale Position ein soziologisches Faktum. Da ist ein starkes Unbehagen in seinen Erzählungen spürbar, das nicht durch ein »Ja, aber« gebrochen wird. Ralf nimmt dieses Unbehagen als Teil seiner sozialen Position an – er stellt sich dem Unbehagen. Auch verneint er den »Ausweg« eines Rückzuges, was in seinen Augen bedeuten würde, den rassismuskritischen Prozess zu beenden und sich der Situation nicht mehr aussetzen zu müssen. Gleichzeitig legitimiert er damit aber auch seine Position als Projektmitarbeiter im Bereich Antirassismus, die er ja im Großen und Ganzen nie fundamental infrage stellt. Ralf benennt konkrete Möglichkeiten, um Ungleichheiten, von

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denen er auch profitiert, zumindest in seinem Arbeitsumfeld abzubauen. Er spricht davon, sich für »gewisse Leute« einzusetzen, wobei hier nicht ganz klar wird, wen er damit meint. Ralf beendet die Erzählsequenz mit einem entscheidenden Satz und der Frage, wie es weitergehen soll und kann. In dieser Frage wird der schmale Grat sichtbar aus rhetorischem und tatsächlichem »Powersharing« (vgl. Nassir-Shahnian 2020). Tatsächliche Abgabe von Macht beinhaltet neben dem persönlichen Risiko auch das Risiko, Macht zu verlieren, von der dann weniger abgegeben werden kann. Eine rein rhetorische Positionierung, etwa über eine öffentliche Darstellung nach außen als »divers«, bei gleichzeitiger Beibehaltung der realen Arbeitsteilung beinhaltet die Gefahr, mittels »Lippenbekenntnissen« (vgl. Ahmed 2006) eine Diversität zu behaupten und zu glorifizieren, die bei genauerer Betrachtung nur die festgefahrenen »eurozentrischen und androzentrischen Strukturen« (vgl. Dhawan & Castro Varela 2016) der Institutionen verdecken. Gender Studies und Postkoloniale Theorie, die in der Erzählung von Ralf eine Wirkkraft auf seine soziale und politische Positionierung gehabt haben, sollen hier nicht als die »Wahrheit« gegenüber gesellschaftlichen Diskursen (»Unwahrheit«, »Ideologie«) dargestellt werden. Sie sind genauso gesellschaftliche Diskurse, die relativ mächtig sind, Ausschlüsse und Privilegierungen beinhalten und Gesellschaften prägen. Beide Wissensfelder (Gender Studies und Postkoloniale Theorie) interpretiere ich in Bezug auf Rassismen aber als »Gegendiskurse« (Foucault 1966), die eine nichthegemoniale Struktur aufweisen. Sie können zur Dekonstruktion von Rassismen beitragen, können die symbolischen Ordnungen der Rassismen, die eben diese hegemoniale Dimension aufweisen, sichtbar machen, dekonstruieren und destabilisieren. Sie stellen Analysen, Erfahrungen, Begriffe, Konzepte, alternative Praktiken und Positionierungen zur Verfügung, die Rassismen zwar (leider) nicht auflösen, aber sichtbarer und angreifbarer machen können. Indem sich Ralf diese antihegemonialen Gegendiskurse aneignet und daraus Positionierungen und Praktiken ableitet, gelingen ihm rassismuskritischere Handlungs- und Denkalternativen. Ralf beschreibt sich als von Machtverhältnissen positioniert: »Es ist einfach so«. Dank seines Wissens von nichthegemonialen Gegendiskursen und den Deutungen und Handlungsmöglichkeiten, die sie anbieten, gelingt es ihm präziser als anderen interviewten privilegierten Antirassisten, seine soziale Position zu benennen – was zunächst kein bisschen in Bezug auf diese Position ändert, da sie gesellschaftlich abgesichert ist und sich nur langsam wandeln kann. Er weiß um seine privilegierte soziale Position und nimmt dann diese Position einerseits an, indem er sich ihr bewusst wird, sie nicht verschleiert oder wegargumentiert, überlegt, wie er auf anders positionierte Menschen wirkt, und andererseits lehnt er Strukturen drumherum ab und arbeitet an einem Abbau. Diese Positionierung als sozial Positionierter ist die Grundlage für seine rassismuskritische Subjektbildung. Eine Reihe von Erfahrungen, die unter der Überschrift »Fremdvertretung und Selbstvertretung« subsumiert werden können, sollten für Ralfs rassismuskritische Subjektbildung wichtig sein. Fremdvertretung und Selbstvertretung Ralf thematisiert ein weiteres Spannungsverhältnis, das für seine Arbeit und sein antirassistisches Engagement kennzeichnend ist. In den 1990er Jahren wurde dies, wie be-

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reits dargelegt, als Frage der »Fremdvertretung und der Selbstvertretung« diskutiert. Heute wird vermehrt über Positionierung, Repräsentation und Machtverhältnisse innerhalb von Vereinen und Initiativen gesprochen. Ralf spricht diese Problematik klar an und kommt im Laufe des Interviews wiederholt darauf zurück: Ja, um jetzt mal ein bisschen kritischer zu werden (.), ich mein, ich war jetzt in 10 bis 15 Jahren in der Projektarbeit tätig. Was ich jetzt schon auch feststellen muss, ist eine ziemlich starke Hierarchie, die sich einfach so durchsetzt, dass da immer Stellvertreterpositionen eingenommen werden. Sprich, im Beratungsbereich, also da wird einfach die NGO wird finanziert oder Projekte werden finanziert. Finanzierungen schauen immer so aus im halbwegs professionellen Bereich, wenn wir jetzt über nicht irgendein Kleinprojekt mit 3000 Euro reden, dass da Personalkosten finanziert werden. Das heißt, dass 60, 70 Prozent von jeglichen Finanzierungen sind einfach Personalkosten. Da werde ich bezahlt als Projektmitarbeiter oder als Projektmanager, da werden meine Kollegen und Kolleginnen bezahlt als BeraterInnen und wir machen dann irgendetwas für die Zielgruppe oder mit der Zielgruppe. Und natürlich ist es so, dass viele von denen, die diese bezahlten Jobs dann haben, weiß sind, aus Österreich sind. (Ralf 182–193) Ralf sieht in der Arbeitsteilung innerhalb seiner Initiative eine Wiederholung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung, in der weiß-dominanzgesellschaftlich positionierte Menschen mit akademischen Abschlüssen hierarchisch höhergestellte Positionen besetzen. Die Bezeichnung »Arbeit mit der Zielgruppe« meint dann wohl das gleiche wie »Betroffenenarbeit«. Die zentralen Positionen sind dominanzgesellschaftlich besetzt, eine Art »Paternalismus« ist gesellschaftliche Normalität (vgl. Pühretmayer 2002: 295). Ljubomir Bratić, Araba Evelyn Johnston-Arthur und Andreas Görg sehen diese Praxis als ein typisches Problem des »weißen Antirassismus«: Kooperationen werden erst dann mit rassistisch diskriminierten eingegangen, wenn die Grundentscheidungen schon getroffen sind, nicht von Anbeginn eines Vorhabens oder Projektes an. (Bratić 2010: 105) Ralf erklärt sich die Vereinsstruktur teilweise historisch, weil die österreichische Staatsbürgerschaft auschlaggebend war für die Gründung von Vereinen und die Anmeldung von Demonstrationen – was zu bestimmten strukturellen Ausschlüssen geführt hat. Die anfänglichen Strukturen und Machtverhältnisse in den höchsten Positionen haben sich trotz der zunehmenden Diversifizierung der aktivistischen Vereine und der österreichischen Gesellschaft als Ganzes erhalten. Ralf ist frustriert darüber und befindet sich zum Zeitpunkt des Interviews unter anderem deshalb auch in einer Pause von seiner Projektarbeit: Meine Frustration war schon teilweise die, dass man einfach gesehen hat, man hat Projekte, die vielleicht einen sechsstelligen Budgetrahmen haben, 100.000 200.000 Euro, aber weil die halt so aufgesetzt sind vom Design, dass da mal zwei Leute zwei Jahre davon bezahlt werden, da kommt da schon mal, 60 Prozent des Geldes ist (.), läuft an die. Die werden davon dann auch bezahlt mit zum Teil Versicherungsabgaben und allem Drum und Dran. Und dann gibt es irgendwo ein paar Honorare oder Aufwandsentschä-

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digungen oder so, die aber meist im Bereich von 100, 200, 300 Euro sind, die kommen dann bei der Zielgruppe, bei Geflüchteten, bei migrantischen Vereinen, ein (.). Und mit denen wird dann halt mehr Projektgeber, oder wissenschaftliche Arbeit, oder was auch immer produziert. Und je mehr man halt für (.), ja je mehr man halt da kritisch sensibilisiert, desto mehr versteht man diese Kritik, dass das nichts anderes ist als eine relativ gradual abgestufte Hierarchie, die wirklich vom Ministerium runter geht bis auf die Gemeindeebene. Und da wird halt (.), werden halt Menschen regiert, verwaltet, sowas. Und da ist halt die Frage, wo der Rassismus anfängt und wo er aufhört und wie man das definiert. (Ralf 216–230) Ralf beschreibt in der Sequenz eine weitere Problemstellung der zuvor angesprochenen grundsätzlichen Situation in der antirassistischen Projektarbeit. Den neuen Möglichkeiten der Finanzierung auf der Habenseite stehen neue Probleme gegenüber, wie etwa die Reproduktion von Ungleichheit, wenn die neu geschaffenen Projektstellen abermals an privilegiert positionierte Aktivist*innen vergeben werden. Ralf sieht sich, neben seiner Kritik an dieser Reproduktion von ungleichen Verhältnissen, die er indirekt als rassistisch markiert, aber auch als Teil einer NGO, die im Laufe der Jahre in Teilen egalitärer geworden ist. Diese Entwicklung sieht Ralf – auf meine spätere Nachfrage hin – allerdings nicht als Erfolg seiner selbst oder seines Umfelds, sondern eher als Teil einer größeren Gesellschaftstransformation: Also ich würde mal sagen, das ist nicht der Verdienst der NGOs oder des Migrationsregimes, die da irgendwie erfolgreich integriert hätten. War eigentlich grundsätzlich je der Meinung, dass (.), also diese, wenn man überhaupt von Integration redet, diese Prozesse finden automatisch und selbstständig statt. Und auch entgegen irgendwelchen Steuerungsversuchen durch Ministerium, Verwaltungen, NGOs. Es verändert sich die Gesellschaft einfach und dann sind es halt (.), und auf einmal sind dann halt Menschen verfügbar, die trotz ihrer Migrations- und Rassismuserfahrung es geschafft haben, irgendwie unser Bildungssystem zu bewältigen. Und dann auf einmal über gewisse Qualifikationen verfügt haben, die davor immer Ausschlusskriterium waren. Und dann über die sprachlichen und die anderen Qualifikationen verfügt haben. Und dann natürlich zusätzlich noch die Erfahrungen in ihrer jeweiligen Community und Sprachkenntnisse mitbringen, und das sickert dann natürlich ein in diese Strukturen. Und der kritische Diskurs kommt dazu, und so gibt es dann langsam eine Veränderung. Aber die Veränderung passiert deswegen, weil sich die Gesellschaft in größeren Einheiten verändert und irgendwann kommt es natürlich dann auch in den NGOs oder auch irgendwo in der Verwaltung. (Ralf 489–503) Ralf benennt in der wiedergegebenen Sequenz wichtige Charakteristika der postmigrantischen Gesellschaft, wie etwa die in seinen Augen gescheiterten Versuche des »Migrationsregimes« (vgl. Pott et al. 2018), unter dem Konzept der Integration soziale Teilhabe zu ermöglichen. Gleichzeitig unterstreicht er aber auch die erkämpften Veränderungen innerhalb dieser Gesellschaft. Ralf sieht die Rassismen und die Ausschlüsse, die in seinem Beispiel Menschen mit Migrationsgeschichte erfahren, weiß aber gleichzeitig auch um deren Handlungsmöglich- und Wirkmächtigkeiten Bescheid.

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In seiner Erzählung davon verzichtet er auf die Deutungsmöglichkeiten der Viktimisierung und der Romantisierung. Allerdings wiederholt Ralf hier bis zu einem gewissen Grad die problematische Gleichsetzung von Rassismus und Migration (vgl. kritisch Tudor 2013). Die rassistische Struktur unserer Gesellschaft ist in dieser Deutung eine »Reaktion« auf Migration und den »Fremden«. Gesellschaft ist in diesem Verständnis von einer Zunahme von Diversität geprägt. Dass rassistische Ausschlüsse aber eine Jahrhunderte andauernde Tradition aufweisen und immer schon »Eigene« als »Fremde« markiert und ausgeschlossen haben, wurde in der Aufarbeitung von Antisemitismus, Antiziganismus/Rassismus gegen Sinti*zze und Rom*nja und antimuslimischem Rassismus sichtbar. Dass Menschen ohne direkte oder indirekte Migrationsgeschichte Rassismus erfahren und andere mit Migrationsgeschichte keinen erfahren, lässt sich nur ohne eine Gleichsetzung von Rassismus und Migration, die ohne Zweifel oft zusammenhängen, erklären. Der reduktionistische Ansatz von Ralf birgt das Risiko, bestimmte Rassismen zu übersehen und gleichzeitig Rassismen als Reaktionen auf Migrationsbewegungen zu naturalisieren – was den Dualismus »einheimisch«/»fremd« stabilisiert. Ralf bezieht sich in seinen Erzählungen zur Problematik der Selbst- und Fremdvertretung auf einige weitere damit zusammenhängende gesellschaftlich relevante Diskurse. Er kritisiert die hegemoniale Perspektive auf Migration, die als »Integrationsdispositiv« (Mecheril 2011) bezeichnet werden kann und auf der Grundlage von Nationalismen, Ethnisierungen und Rassismen operiert, als unwahr. Abermals bedient er sich hier kontrapunktischen Gegendiskursen, die unter dem Motto »Normalität der Migration« (vgl. Yıldız 2013) subsumiert werden können: Migration als humangeschichtliche Konstante, die von bestimmten Migrationsregimen aus Machtgründen skandalisiert und dämonisiert werden. Er legt den Fokus auf »Erfahrungen« mit Rassismus und dreht den gesellschaftlichen Diskurs zur Vielsprachigkeit auf den Kopf: Dort, wo das »Integrationsdispositiv« Mehrsprachigkeit als das Negativ von »deutscher« Einsprachigkeit konstruiert wird, bezieht er sich auf Gegendiskurse, die Vielsprachigkeit als ein Mehr an Kompetenz und nicht als Defizit deuten. Auf die gesellschaftliche Tabuisierung von Rassismuserfahrungen antwortet er, indem er sich abermals genau auf den Kontrapunkt konzentriert und diese Erfahrungen reflektiert und vielleicht auch sucht. In einer alternativen Lesart der Sequenz könnte gesagt werden, Ralf positioniert sich lediglich »politisch korrekt«, so wie er gelernt hat, dass er sich in seiner sozialen Position verhalten muss. Die Tatsache, dass er echte Risiken eingeht, indem er etwa zu seiner NGO konkurrierende Projekte unterstützt, Konflikte mit seinen Vorgesetzten riskiert und eine Pause seiner Arbeitstätigkeit vornimmt, lässt aber auf mehr als nur oberflächliche Bekenntnisrhetorik schließen. Auch die Geschichte seines vielseitigen Aktivismus macht den Vorwurf eines strategischen Karriereaktivismus wenig plausibel, wie der folgende Absatz zeigen soll. Migrantischer Aktivismus Ralf begann seine biographische Erzählung mit dem Verweis auf die ersten Politisierungsprozesse im Zusammenhang mit seinem Studium. Ich wollte im Zuge von Nachfragen aber wissen, ob dem nicht Erfahrungen, Erlebnisse und bestimmte Prozesse vor-

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ausgegangen waren. So fragte ich ihn nach Politisierungsprozessen vor seinem Studienbeginn. Ja, in der Schulzeit gewisses historisches und politisches Interesse, das vor allem über Lektüre gegangen ist. Auch so antikoloniale Geschichte gelesen, ob das jetzt Spivak oder was auch immer ist. Ja, das war so meine erste Politisierung. Und der zweite Punkt war schon, also meine ersten politisch aktiven Geschichten waren eben diese (.), der erste Golfkrieg, Saddam Hussein bombardiert Kurdengebiete 1992 und dort bin ich über einen Freund zusammen (unv.) aktivistischen Plattform gestoßen. Die war dann natürlich zum Teil eben (.), das hat natürlich Migranten, Migrantinnen, Leute aus der Türkei betroffen. Linke Türken, Kurden, bisschen PKK und über diese Plattform und über diese Kontexte habe ich halt Einblick damals bekommen in die türkisch-kurdische Szene […]. Die gespalten ist, auch in links bis extrem links und rechts. […] Jetzt war das von Anfang an in so einem migrantischen Kontext eingebunden. (Ralf 308–319) Während in seiner Schulzeit schon ein Interesse für globale Ungleichheiten und antikoloniale Geschichte erwachsen ist, so scheint seine Erfahrung im Umfeld einer kurdischen (Hilfs-)Organisation für seine aktivistische Subjektbildung tiefgehend gewirkt zu haben. Diese erste Begegnung mit Aktivismus aus einer migrantischen Perspektive, was gleichzeitig auch eine nicht dominanzgesellschaftliche Perspektive meint, sollte für seine weiteren aktivistischen Tätigkeiten als Maßstab erhalten bleiben. Prägend für seine aktivistische Vita ist wohl auch die Tatsache, dass Ralf stets auf der Suche nach alternativen Theorien zu zeitgenössisch-gängigen Erklärungen ist. In den 1990er Jahren kommt er im Rahmen seiner Diplomarbeit, die er in Indien schreibt, bereits mit Postkolonialer Theorie in Kontakt und beschäftigt sich, wie er angibt, entgegen dem Trend seines damaligen Umfeldes, mit den Theorien von Judith Butler und anderen. Als er bereits die Rolle eines etablierten Projektmanagers erreicht hat, geht er »zurück« an die Universität, um sich erneut von aktueller Theorie herausfordern zu lassen. Ralf merkt gegen Ende des Interviews – nach dem Motto: das wollte ich noch sagen – an, dass er trotz seines jahrzehntelangen Engagements als Aktivist in migrantischen Initiativen und der damit einhergehenden Überwindung von gesellschaftlichen Trennlinien deren Überwindung im privaten Bereich als nicht gelungen empfindet. Die sind schon (.), also ich bin manchmal (.), ich bin erstaunt und schon etwas verwundert, wie wenig Kontakt dann dort bei ganz vielen Leuten da ist, mit Leuten aus der Türkei und deren Community. Also es wird so gut wie nicht oder fast gar nicht, sage ich jetzt, österreichisch, türkisch, kurdisch geheiratet. Die Freundeskreise und die gemeinsamen Aktivitäten (.), man trifft sich entweder im beruflichen oder bei irgendwelchen Dingen, aber wenn es jetzt wirklich ums Private geht, ums Feiern und Ausgehen, ums Ski fahren, ums Berg gehen, kaum. Und das nach 20 bis 25 Jahren so festzustellen, finde ich schon ein bisschen krass. Und da gibt es so ein paar Ausnahmen, aber auch da würde ich sagen, diese Ausnahmen von den, sage ich jetzt, österreichischen Aktivisten, die sich ganz intensiv in irgendeine migrantische Community einlassen, es sind wirklich Ausnahmen, die die Regel bestätigen. Mir fallen da ganz konkret, also ich denke so zwei Personen ein, die im Abstand von zwanzig Jahren sich zum Beispiel sehr stark in die kurdische Linke rein gelassen haben. Das war eine Frau vor dreißig Jahren, die

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da wirklich tief eingestiegen ist und in die (.) und dann, dass man da wirklich Einblick kriegt in diese PKK-Strukturen und so, jemand anderer steht da, ist die Ausnahme. Und man muss dann natürlich auch sagen, so wie in diesen ganzen Forscher und beforschtes Objekt oder der Helfer und der (.) ich meine da laufen wirklich gegenseitige Instrumentalisierungen lang. Also es ist ja bei Gott nicht so gedacht, dass du als weißer Geschäftsführer von * wissen sollst, was in den vertraulichen Beratungsgesprächen an Communityaspekten auch verhandelt wird. Also das kommt dann auch noch dazu, und das finde ich schon, ist sehr witzig. (Ralf 663–682) Ralf zeigt sich irritiert darüber, dass er mit vielen Kolleg*innen seit langer Zeit gemeinsam arbeitet und im Arbeitskontext auch sehr freundschaftliche Beziehungen pflegt, im Privaten jedoch meist mit Menschen befreundet ist, die ähnlich wie er positioniert sind, wie er selbst sagt: Es ist einfach so, es sind einfach unterschiedliche Klassenpositionierungen, soziale Positionierungen, das sind doch keine großen Konflikte. Nur wenn ich feststelle, dass einfach nicht geheiratet wird über diese Community-Grenzen hinweg, dass ich bei den meisten von meinen Arbeitskollegen noch nie daheim war und umgekehrt. Ja, das fällt einfach auf, oder? Und andere Leute, die ähnlich positioniert sind wie ich, die ich drei Jahre kenne, mit denen fahre ich in den Urlaub. Mit meinen KollegInnen im * fahre ich auf Projektreise und hänge ein paar Tage Urlaub dran vielleicht. Und ich entscheide, ob wir das machen oder nicht. Es ist leider so. (Ralf 698–705) Ralf bezieht die Problematik zunächst auch auf sich und beklagt, dass er es trotz der beruflichen Nähe und wohl seiner Intentionen nicht geschafft hat, Beziehungen aufzubauen, die über gesellschaftliche Bruchlinien hinwegreichen. Diese Selbstkritik hat er bereits in einer vorangehenden Sequenz zur Thematik angedeutet: Also auch wenn man eben redet über Integration oder Nichtintegration, die Prozesse finden alle statt, aber wenn man sowas jetzt gegenüberstellt mit der Selbstdarstellung, die man vielleicht manchmal (.) oder den Anspruch, den man vorgibt, das ist ja lächerlich. (Ralf 691–694) Gleichzeitig wiederholt er in seinem Nachdenken über gesellschaftliche Integrationsprozesse aber implizit bestimmte gesellschaftliche Vorstellungen von »Parallelgesellschaften«, die einer empirischen Überprüfung nicht standhalten können und eher einem »Wir-Sie-Muster« entsprechen. In diesen defizitären Diskursen fehlt der Blick auf postmigrantische, konviviale Alltagswelten und -praktiken als eigentliche Lebensrealität von vielen (vgl. Back & Sinha 2016; Ohnmacht & Yıldız 2021). Ralfs Beispiele zu nicht stattfindenden grenzüberschreitenden und konvivialen Tätigkeiten wie Heiraten, Ausgehen, Skifahren und Berggehen sind ein Indiz für diesen defizitären Blick. Während Skifahren und Berggehen stark dominanzgesellschaftlich geprägt sind und Ausschlüsse beinhalten, werden auch gerade beim Ausgehen rassistische Trennlinien wiederholt, was viele Rassismuserfahrungen bezeugen (vgl. Gökkaya 2019); solche Trennlinien können etwa die Lokalauswahl je nach Positionierung einschränken. Heiraten, als eines der eher traditionelleren gesellschaftlichen Praktiken, kann auch nur bedingt als repräsentatives Beispiel überzeugen. Die Nennung gerade dieser Bereiche

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im Zuge eines defizitären Blickes kann wiederum intendiert oder unintendiert zur Folge haben, dass dem Diskurs der »Integrationsverweigerung« das Wort geredet wird, ohne dass sich die Gesellschaft selbstkritisch fragt, warum bestimmte Orte weniger divers sind als andere – oder der gesellschaftliche Fokus eben nicht auf den vielen existenten diversen, konvivialen Orten liegt. Rassismus von rechts und aus der Mitte Ralf thematisiert Rassismen auf mehreren Ebenen. Einmal auf der politischen Ebene, wo er Rassismen als Phänomene des Rechtspopulismus (FPÖ) und des Rechtsextremismus (Burschenschaften) markiert und auch aktivistisch bekämpft hat. Ralf sieht Rassismus allerdings auch in der Mitte der Gesellschaft wirken, nicht nur in konservativ-politischen Kreisen (ÖVP), sondern auch in anderen Bereichen wie Staat, Bildung, Arbeit, Alltag und nicht zuletzt auch in seiner eigenen Arbeitsstelle. Ralf zeigt sich als jemand, der über die Geschichte der Thematisierung von Rassismus im deutschsprachigen Raum Bescheid weiß. Er inszeniert sich als ein Aktivist, der an diesen Entwicklungen teilgenommen und die Veränderungen mitgetragen hat. Du, da gibt es das breite Spektrum, die, ich meine in den 90er Jahren hat man die Burschenschaftler und die FPÖ als Rassisten bezeichnet und antirassistische Arbeit war ziemlich deckungsgleich mit Engagement gegen rechts, gegen Rechtspopulismus. Das ist natürlich ganz was anderes als dann interkulturelle Öffnungen et cetera, das sind da Fragen von eigenen Positionen und diese subtilen rassistischen Strukturen, die in Organisationen eingeschrieben sind, die man im Projektdesign findet und die bis jetzt eigentlich die Regel sind. Da würden mir viele Beispiele einfallen. Und auch im Nachgang der Fluchtbewegung 2015 sind (.), ist ja viel an Projekten, an Organisationen entstanden. Und da fallen mir Beispiele ein, wo das (.), wo da einfach Strukturen geschaffen worden sind unter dem Vorwand, wir helfen irgendjemanden, genau diese eben rassistischen Muster wieder abgebildet haben. (Ralf 230–240) Als Beispiel für die zuletzt getätigte Aussage nennt Ralf ein Projekt, das sich an geflüchtete Menschen richtet. Dabei sollen Langzeitarbeitslose eine Coaching- oder Mentor*innenrolle für Geflüchtete übernehmen. Die problematische Grundstruktur, die Ralf in Beziehung zu rassistischen Mustern stellt, ist von den Geldgebenden bereits vorgegeben. Der Zwang, dieser Projektlogik trotz besseren, rassismuskritischen Wissens zu entsprechen, ist für Ralf ein zentrales Problem. Ralf thematisiert Rassismus besonders in Bezug auf den Sommer der Migration 2015 und darauf, wie er sich implizit im Zuge seiner Projektarbeit gezeigt hat. Hinsichtlich der in diesem Zeitraum entstandenen »Werte-Kurse« reagiert er rassismuskritisch sensibilisiert. Dabei zeigte sich wieder die oben angesprochene Spannung zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Einerseits problematisiert er die rassismusrelevante Haltung, die teilweise die »Wertekurse« unterminiert, und andererseits ist er in beruflicher Hinsicht auch Mitveranstalter solcher Kurse: Ja natürlich, jetzt eine Seite haben viele gesagt, allein das mit den Werten anzugreifen, ist schon Verrat an der Sache, auf der anderen Seite haben wir (.), also ich sage jetzt, ich und meine KollegInnen, also zumindest in dieses Projekt ganz massiv versucht, sehr

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kritische Inhalte einzubringen. Und das ist uns in mehreren Anläufen auch gelungen, selbst wenn es nach außen nur bedingt sichtbar ist. (Ralf 261–265) Gegen Ende des Interviews sprechen wir über Repräsentation und wie erst im Laufe der letzten Jahre Ralf und sein Verein mehr Wert darauf gelegt haben, dass etwa bei Veranstaltungen ein diverses Podium in Bezug auf Geschlecht, Migrationserfahrungen, Rassismuserfahrungen, Alter besetzt wird. Neben diesen offensichtlichen Ungleichheiten, die dann schon auffallen, wie er im folgenden Zitat klarstellt, sieht Ralf aber vor allem subtilere Formen von Rassismus in seiner Arbeit wirken: Ich meine, das fällt dann schon auf. Und dann wird da auf der (.), da wird das thematisiert, vielleicht ein bisschen scherzend und dann schaut man auf so was. Aber schwierig sind diese subtilen Prozesse. Die eigentlich gar niemand richtig ansprechen kann, wenn nicht derjenige, der da die Macht hat, selber zugibt, dass das der Spielraum ist. So wie ich sage: Ich kann KollegInnen oder wie auch immer oder Leute, jugendliche, migrantische aus der Zielgruppe, ich habe die Möglichkeit, die nach Brüssel mitzunehmen oder nicht. Und sowas. Und ich weiß, dass ich es entscheiden kann. Oder ich kann mich dafür einsetzen oder nicht oder so subtilere Geschichten. Oder in Bereichen, wo der Jugendliche oder so, der könnte jetzt nicht sagen: ich will das jetzt oder ich fordere das. Weil, wenn es um ein Podium geht oder um eine Publikation oder so, wo man das (.), wo das andere dann im Internet sehen oder lesen und sagen, du sollst da (.), ist da keine Frau dabei, warum ist das nur weiß oder so, ja. Es sind da viel subtilere Sachen. (Ralf 727–738) Einerseits zeigt Ralf eine Sensibilität für die Problematik der Repräsentation und deren Kämpfe und andererseits ist er darauf geschult, auch die »impliziten Rassismen« (Hall 1989b: 150), die auf der Grundlage von unhinterfragten Vorannahmen und Strukturen funktionieren, in den Blick zu nehmen. Ralf positioniert sich in der Erzählsequenz als rassismuskritisch sensibilisiert. Diese Sensibilisierung will er im Rahmen seiner Arbeit einbringen, auch gegen den Widerstand von Leitung und Kolleg*innen. Ralf sieht sich dabei selbst in der Verantwortung und positioniert sich somit auch als Ermöglicher, als Helfer, wenn er davon spricht, was er in Bezug auf seine »Zielgruppe« tun sollte oder könnte. Hier liegt ein Risiko versteckt, etwa wenn er in der »Helfer-Opfer«-Dynamik verbleibt und nicht auch dieses Verhältnis als rassistisch verstrickt hinterfragen würde. Erfahrungen mit Rassismus Gegen Ende des Interviews erzählt mir Ralf – relativ aus dem Kontext gerissen – von einer Erfahrung, die, wie er meint, vielleicht für mich in Bezug auf das Thema meiner Forschung und damit für das Interview interessant sein könnte. Ich meine vielleicht eine Anekdote, schnelle Geschichte, bevor wir aufhören in, jetzt ganz aktuell. Vielleicht interessiert dich das oder es passt so ein bisschen zum Thema. Weil du gesagt hast, dein Projekt Menschen ohne Rassismuserfahrung. Ich war jetzt in Bangladesch bis vor vier Wochen, als diese Corona-Geschichte auch langsam hochgekocht ist, und es hat sich so dargestellt, dass, in Österreich hat es schon Fälle gegeben, viele Fälle et cetera. In Bangladesch hat es nur homöopathisch Fälle gegeben, also 60

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Fälle in ganz Bangladesch und so, nächste Woche 74 Fälle. Von den 60 Fällen waren aber 20 Italiener, die als Reisegruppe nach Bangladesch gekommen sind. Und was ich da erfahren habe, dass es ganz schnell (.), hat sich da sozusagen eine (.), hat sich herausgestellt, die Ausländer sind an dem Corona schuld, die Ausländer haben das Corona zu uns gebracht. Und in dem Fall war es halt spannend, weil dieser Ausländer, dieses Stigmatisierte auch (.), war halt ich auch. Und innerhalb von vielleicht einer Woche oder noch nicht länger hat man auf einmal gehört, innerhalb der weißen touristischen Community, vernetzt wie man ist, hat man gehört, Hoppala in der Stadt kriegt man als Tourist, wird man nicht mehr bedient im Lokal, kann man kein Hotelzimmer mehr buchen. Wehe, man war Italiener, ganz schlecht. Und dann hab auch ich das persönlich erfahren, weil dann erlebt man das, dass die Leute mitten auf der Straße mit dem Finger auf einen zeigen und sagen »Corona, Corona« [I: Das ist passiert? Genau so?] Genau so passiert! Also in *, wo ich mich (.) wo ich seit drei Monaten war, wo ich gewohnt habe mit Wohnung und allem Drum und Dran. Und das dann eigentlich dazu führt, dass man relativ schnell, innerhalb von Tagen, auch diese Sachen einschätzen (.), gesagt hat: »Nein, das geht nicht, ich muss weg.« (Ralf 507–526) Ralf verarbeitet sein Diskriminierungserlebnis, indem er eine Brücke zu Rassismuserfahrungen schlägt. Tatsächlich kann eine gewisse Nähe nicht geleugnet werden. Die Zuschreibung als weiß, europäisch oder, noch stärker, italienisch hatte diskriminierende Anrufungen und strukturelle Einschränkungen (keine Gastronomie, kein Hotelzimmer) nach sich gezogen. In dieser durch die Pandemie bedingten Ausnahmesituation hatten die sonst in jeder Hinsicht privilegierten (finanziell, passbedingt, hegemoniebedingt) Tourist*innen tatsächliche Nachteile und damit zusammenhängende Diskriminierungserfahrungen gemacht. Ralf vermeidet aber die Deutung seines Erlebnisses als Rassismuserfahrung. Rassismus ist nicht in jeder Variante möglich, da es neben der strukturellen mindestens eine historische Dimension und eine »differenzierende Macht« (Terkessidis 2004: 98) benötigt, um von einem rassistischen Machtverhältnis sprechen zu können. Die oben beschriebene Situation, die ohne Frage eine Form der Diskriminierung darstellt, kann deshalb nicht als »umgekehrter Rassismus« oder »Rassismus gegen Weiße« bezeichnet werden. Vielmehr ist der Diskurs des »Reverse Racism« (vgl. Cashmore 2004) eine rassistische Strategie, die reale Machtverhältnisse unsichtbar macht, eine »Opfer-Täter*innen«-Umkehr betreibt und Rassismus generell verharmlost oder gar negiert. Ralf zeigt in einer Folgesequenz, dass er die geschilderte Diskriminierungserfahrung gerade nicht zur Relativierung von Rassismuserfahrungen nützt, sondern einerseits, um Diskriminierung besser nachfühlen zu können, und andererseits in Bezug auf eigene Privilegien: Da war das, also muss ich sagen, wirklich eine spannende Erfahrung, die man so auch in dem Planspiel und so, sehr schwer abbilden kann. [I: Ja, das war echt.] Und dann natürlich die Erfahrung, dass (.) der eigenen Privilegierung, in so ein Reisebüro zu gehen, die Kreditkarte zu zücken und da so (.) also halt einen Flug zu buchen. Der Flug findet dann zwar nicht statt und dann kommt der eigene Nationalstaat zur Rettung und schickt dann Flieger. Und sehen das man dann sozusagen, dann durch Kreditkarte, Pass und irgendeine Nationalität wird man dann (.), hat man einfach eine zweite

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Option. Und zwei Tage nachdem in Bangladesch diese totale Ausgangssperre verhängt worden ist, sind wir halt nach Österreich geflogen. Auch interessant zu sehen, dass es andere Länder gibt, die diese Option gar nicht bieten. Also weil auch nicht alle Länder des globalen Nordens oder so, die haben nicht alle ihre Leute da auch heimgeholt. (Ralf 537–547) Für Ralf ist die eigene Diskriminierungserfahrung nicht der Grund, um Rassismus zu relativieren, wie das eine verbreitete weiße Bewältigungsstrategie darstellt. Ganz im Gegenteil. Er ist sich der globalen Ordnung und der Privilegien, die er aufgrund seiner sozialen Position erhält, nach wie vor bewusst. Er positioniert sich als jemand, der sich ein umfassendes und tiefgreifendes Verständnis von Rassismen erarbeitet hat, sodass er Rassismus von der Form der Diskriminierung, die er ohne Zweifel erlebt hat, klar unterscheiden kann. Dadurch gelingt es ihm, eine Brücke zu bauen zu tatsächlichen Rassismuserfahrungen und zugleich die Reflexion eigener Privilegien nicht zu übersehen. Rassismuskritische Praktiken Im Zuge von Projekten kreiert und leitet Ralf mehrere antirassistische »Planspiele« an. Diese Workshops sind vor allem im schulischen Kontext angesiedelt und sollen Bewusstseinsbildung über die Funktionsweise von (rassistischen) Ausschlüssen für Schüler*innen versteh- und erlebbar machen: Das * war ein Planspiel, das sich an 14- bis 18-Jährige, also Jugendliche gerichtet hat und bis ungefähr drei bis vier Stunden, also recht sperrig, gedauert hat. Wo wir eben Trainer ausgebildet haben, wo damals die Idee war, also ungefähr 2007 oder so, dass man diese binäre Geschichte Inländer gegen Ausländer, Gut gegen Böse, dass man die aufbricht, indem man die Spielteilnehmer und Spielteilnehmerinnen in drei Gruppen teilt. Die mit unterschiedlichen Ressourcen auch ausstattet, und es war sogar so, dass der Spielleiter unausgesprochen, also nicht transparent, eine Gruppe benachteiligt hat. Und dann hat es danach eine Reflektion und eine Auflösung gegeben. Also das würde ich sagen, war in der Zeit ein Versuch, das Ganze etwas komplexer zu gestalten. Also wenn ich jetzt ganz vereinfacht sage, ich (.) in den 90er Jahren ist es Gut gegen Böse gewesen, Links gegen Rechts. Später, wie zum Beispiel bei diesem *[Name des Planspiels], war das schon angelegt, dass es da unterschiedliche Positionen gibt und dass es auch innerhalb von, sagen wir jetzt Migrantengruppen oder zwischen migrantischen Communitys, dass es da auch sowas wie Diskriminierung, Ungleichheit, Hierarchie gibt. Und jetzt würde ich sagen, also in der (.) 2010 bis 2020 mit dem entsprechenden theoretischen Rüstzeug, hat sich das halt noch einmal verfeinert. Wobei man es natürlich auch so weit verfeinern kann, dass es dann unter den Fingern zerreibt. (Ralf 443–459) Ralf hat einige dieser Planspiele konzipiert und später auch mit theaterspielerischen Elementen erweitert. Diese Spiele waren Teil der Projekte und hatten meist zum Ziel, Multiplikator*innen, die Teil des Projektes waren (Lehrer*innen, Jugendbetreuer*innen), rassismuskritisch zu sensibilisieren und zu bilden. Neben dem nach »außen« gerichteten Antirassismus übt sich Ralf auch an kleinen rassismuskritischen Praktiken, die eher sein Umfeld betreffen, aber nicht weniger wich-

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tig sind. Eine dieser Praktiken könnte als »Powersharing« (vgl. Nassir-Shahnian 2020) bezeichnet werden: Also auch bei uns im Verein ist es ja so, dass ja diese Kontrolle über die Institution, die wird ja sozusagen vom weißen Mann zum weißen Mann vererbt in der Regel. Und ich halte das für fast unmöglich zu unterbrechen. Da wo (.) und da jetzt als migrantische Frau oder, ganz schwierig. Da geht eigentlich nur der Weg, dass man sagt, man macht was Eigenes. Man gründet die eigene Organisation und die eigene NGO oder sowas. Wie das zum Beispiel die * mit * macht. Die hat (.) die ist gut qualifiziert, hat einen Haufen Erfahrung […]. Auch dreißig Jahre alt, und wird von irgendwelchen weißen Männern geführt, von alten Linken, die halt in der Nicaragua-Bewegung oder das sowas politisiert wurden sind und so. Und das finde ich zum Beispiel ganz spannend oder. Und da geht zum Beispiel mir ein bisschen die * mit ihren Geschichten, hab ich dann unterstützt, beraten und ein bisschen gecoacht. Ihr ein paar Anträge gelesen, ihr ein bisschen was geschrieben. Ausschließlich möglich für mich als Privatperson, die das von meiner Organisation ein bisschen fernhält. Weil in dem Moment, wo ich als *Mitarbeiter mit der Konkurrenz helfe, ein Stück vom Kuchen mit abzuschneiden, ist das nicht so gut (lacht). […] Und das habe ich spannend gefunden, wie jetzt zum Beispiel bei der * in dem Moment, wo dann die migrantischen Frauen oder so, wo sie wirklich in letzter Konsequenz sagen: Ich pfeif drauf, ich mach mein eigenes Ding. Erst dann werden sie akzeptiert. Aber sozusagen bei allem Gerede von Förderung und Mentoring, sonst wird es nie passieren. (Ralf 600–624) Ralf ist sich der rassistischen Strukturierung der Gesellschaft und seiner Institution bewusst. Er fragt sich, wie er einen Teil des »Kuchens«, der seiner privilegierten Position als Mann, Akademiker, als »einheimisch« Markierter geschuldet ist, abgeben kann. Wenn seine soziale Position fast automatisch mit mehr gesellschaftlicher Macht verbunden ist, wie kann diese Macht geteilt oder abgegeben werden? Im obigen Beispiel wird klar, dass es nicht ganz ohne persönliches Risiko möglich sein wird. Auch wenn das von ihm beschriebene Risiko sicher kein großes ist, so kommt seine Unterstützung für eine Freundin, die beschlossen hat, ihre eigene NGO zu gründen, potenziell in Konflikt mit seinem Arbeitgeber. Ralf sieht in der Vereinsgründung ihrerseits auch eine Möglichkeit, selbst in eine machtvollere Position zu kommen und damit die gläserne Decke ein wenig zu durchbrechen. Im Wissen darüber unterstützt Ralf seine Freundin dabei, muss dies allerdings geheim halten, weil er sozusagen der »Konkurrenz« hilft. Ralf verheimlicht aber nicht die Tatsache, dass sein Powersharing nicht ausschließlich altruistisch motiviert ist, sondern auch ein sinnstiftendes Element darstellt: Ich habe gemerkt, dass solche Dinge manchmal für mich wirklich notwendig sind und ein bisschen befreiend sind auf einer persönlichen Ebene. […] Muss man auch ein bisschen sehen bei mir sozusagen vor dem Hintergrund einer dreißig Jahre alten, behäbigen Platzhirsch-NGO. Ja das (.), da muss man schauen, selbst wenn du das (.) ja also das ist diese persönliche Ebene, wo ich gemerkt habe, Hoppala. Ich meine bei all meinen Dingen, die ich mache oder so, da kommt ja noch dazu, wenn du zehn Jahre lang EU-Projekt gemacht oder sowas. Vor allem wenn du dann noch vielleicht das Projekt leitest oder so, defacto nur noch vor dem Computer hinter einem Excel-Sheet sitzt. Es

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kommt einfach dazu. Dann weißt du, du kriegst jetzt da dein Geld dafür, dass du jetzt vor dem Computer hinter dem Excel-Sheet sitzt. Und dann kriegst du dann wirklich persönlich zum Teil ein bisschen die Sinnkrise. Und da ist es erfrischend, wieder auf die Uni zu gehen, es ist erfrischend irgend so einer kleinen Mini-NGO mit dem Idealismus und was weiß ich was da noch dabei ist, da rein zu schnuppern oder dort Leute irgendwie zu unterstützen, irgend sowas. (Ralf 646–659) Ralf beteiligt sich des Weiteren ganz klassisch an Demonstrationen und Veranstaltungen zum Thema Rassismus und arbeitet an seiner »rassismuskritischen Performanz« (Mecheril 2004: 206ff). Er kultiviert eine rassismuskritische Sprach- und Benennungspraxis und trägt dieses Denken – so wirkt es zumindest – in all seine Lebensbereiche. Ralf versucht seine Gesellschaft und seine Position darin, die »einfach so ist«, auch so zu sehen, wie sie ist, aber gleichzeitig ebenso, wie sie anders sein könnte und anders sein muss. Es wurde deutlich, dass Ralf einen langen Weg zurückgelegt hat, um sich auf die rekonstruierten Weisen sozial wie politisch positionieren zu können. Ralfs biographische Erzählung macht eine Reihe von unterschiedlichen Positionierungen sichtbar, die durch gegenhegemoniale Literatur, seine Rückkehr an die Uni, seinen Aktivismus in unterschiedlichen antirassistischen Kontexten informiert wurden. Trotz seiner umsichtigen macht- und selbstkritischen Positionierungen ist auch Ralf nicht davor gefeit, rassismusrelevante Diskurse zu reproduzieren. Im Kontrast zu Ralf steht Luca – der in der nun folgenden zweiten Fallrekonstruktion dargestellt wird. Er steht noch am Anfang seines rassismuskritischen Engagements und befasst sich auch erst seit kurzer Zeit mit antihegemonialen Gegendiskursen. In der Rekonstruktion der biographischen Erzählung von Luca wird stärker deutlich, wie (implizit) rassismusrelevante Diskurse und rassistisches Wissen subjektivierend einwirken – zum Teil gegen jede Intention.

Luca: »Geduld, es pflanzt sich gerade« Biographische Fallskizze Luca ist zu dem Zeitpunkt des Interviews – im September 2018 – 21 Jahre alt. Er wohnt seit genau einem Jahr in einer österreichischen Stadt, in die er für sein Studium der Erziehungswissenschaft gezogen ist. Luca lebt in einer Wohngemeinschaft mit vier Mitbewohner*innen und geht neben seinem Studium keiner beruflichen Tätigkeit nach. Er ist in verschiedenen Bereichen politisch engagiert und seit etwas weniger als einem Jahr Mitglied eines 2017 gegründeten Vereins mit dezidiert antirassistischer Ausrichtung. Luca ist in einer deutschen Großstadt geboren und aufgewachsen und hat dort auch sein Abitur gemacht. Sein familiäres Umfeld beschreibt Luca als zerstritten. Nach dem Schulabschluss arbeitet er kurzzeitig als Koch und absolviert dann ein Jahr als Freiwilliger in Bolivien. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland zieht Luca für sein Studium der Erziehungswissenschaft nach Österreich. Die Interviewsituation Der Kontakt mit Luca entstand über eine gemeinsame Bekannte. Ich kontaktierte ihn telefonisch und wir vereinbarten gemeinsam, das Interview in seiner Wohnung zu führen. Wir befanden uns im Wohnzimmer der großen Wohngemeinschaft. Ich habe mich

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ihm gegenüber als Dissertant vorgestellt, der selbst antirassistisch aktiv ist und ebenfalls keine eigenen negativen Rassismuserfahrungen gemacht hat, und mich als weiß positioniert. Lucas Positionierungen, vor allem jene als unsichere, wie er sagte, »naive« Person, könnte mit unserem Setting zu tun haben: Er hat gerade sein Studium und seinen Aktivismus begonnen und ich bin in beiden Feldern schon längere Zeit aktiv. Die Selbstpositionierung von mir könnte ähnliche Positionierungsprozesse seinerseits ausgelöst haben. Luca bot mir am Ende des Interviews, nach der Aufnahme, auch an, mir seine schriftlichen Reflexionen zum Freiwilligenjahr und zu einem Theaterworkshop zu schicken, was er auch getan hat. Die Texte habe ich aus methodischen Gründen nicht ausgewertet, aber die Tatsache, dass er sie mir zukommen ließ, kann vielleicht als Bedürfnis nach Bestätigung meinerseits gedeutet werden. Durchbruch in Bolivien Das erste große Thema seiner biographischen Erzählung ist gleich eines der zentralen Themen des Interviews. Die Themenstellung taucht immer wieder auf und steht mit vielen folgenden Erzählsträngen in Verbindung: der Freiwilligendienst in Bolivien. Die Zeit deutet er als »Durchbruch«, als Beginn eines neuen Ichs – sowohl persönlich als auch politisch. Persönlich, weil er laut seiner Erzählung eine Reihe von für ihn wichtigen Beziehungen eingeht und auch erstmals in seinem Leben größere Konflikte offen austrägt. Einer dieser Konflikte geht so weit, dass er aus seiner ersten Gastfamilie »rausgeschmissen« (Luca 202) wird. Luca inszeniert sich in seiner Erzählung über den »Durchbruch in Bolivien« als jemand, der sich auf verschiedene Weisen ausprobiert. Im Gegensatz dazu bezeichnet er an mehreren Stellen seiner Erzählung sich selbst vor seiner Reise als »passiv« (Luca 221, 686, 688, 1394). Zuhause sei er »in einem ganz anderen Modus drin irgendwie, da bin ich halt passiv.« (Luca 1394) Seiner Freiwilligenarbeit in Bolivien geht seine Erfahrung in der Arbeit mit Menschen mit Behinderungen voraus, weshalb er sich für eine Freiwilligenarbeit in diesem Bereich entscheidet. Im Zuge der Erzählung über seine Arbeit, in deren Rahmen er viel Verantwortung und Gestaltungsfreiheit erhält, wird, etwa bei einer Organisation eines Theaterstücks seiner Musikgruppe, eine größere politische Motivation seinerseits sichtbar: Also ich hab mir halt überlegt, äh, so ein bisschen das Thema Menschen mit Behinderung in der bolivianischen Gesellschaft irgendwie zu thematisieren. […] Äh, also das Bild war (.) und isses vielleicht immer noch, äh, in weiten Teilen der Gesellschaft, dass halt Menschen mit geistiger Behinderung Kinder sind, in, in erwachsenen Körpern. Aber ähm (.), ist ja eh klar, dass es nicht so ist. Sondern einfach, dass Intellekt halt, äh (klopft), mit einem Kind vergleichbar ist, aber halt nicht die Bedürfnisse. (Luca 987–1041) Luca erzählt seine Zeit als Freiwilliger häufig auf zwei Ebenen: einmal der Ebene der alltäglichen Arbeit, der Dinge, die er dort verrichtet, und der Menschen, mit denen er zusammentrifft. Die andere Ebene ist eine allgemeinere Deutungsebene. Wenn Luca über seine Zeit in Bolivien reflektiert, dann tut er dies häufig in allgemeinen Aussagen über das gesamte Land (meist unausgesprochen in Bezug auf Deutschland) oder die gesamte

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Welt (als Nord-Süd-Relation). Dieser Dualismus wird an einer Schlüsselstelle des Interviews, die im Nachfrageteil entstanden ist, besonders sichtbar: Also (klopfend), deshalb habe ich auch immer in Bolivien gemerkt (.), ah, das war immer (.), ähm, für mich nicht so verständlich, am Anfang, warum die Leute sich überhaupt nicht für Politik interessieren. Oder gar nicht politisch sind, oder. Ähm, und ich fand es schade, dass ich kaum politische Menschen kennengelernt habe. Aber es gibt einfach auch viel weniger politische Menschen in, in Bolivien. Weil, ähm, einfach ganz andere Dinge im Zentrum stehen. (.) Grundbedürfnisse stillen und irgendwie die Familie durchkriegen und, ähm (.), die Familie glücklich machen sozusagen und. Ähm (.), viel mehr so dieses Kollektivistische. (.) Hmm (…) und vielleicht verstehe ich ein bisschen, warum, warum Menschen, weil da passiert natürlich auch viel da, gibt es viel Korruption, es gibt (.) sozialistische Regierung, die halt überhaupt nicht sozialistisch (klopft) sind und, ähm, es gibt viel, es gibt da auch viel zu tun, sag ich mal. Aber es ist einfach, die Menschen sind einfach, haben dieses Privileg gar nicht, Widerstand leisten zu können oder sich damit zu befassen oder (.), und das habe ich auch erst so gecheckt (…), das habe ich in Bolivien noch nicht gecheckt, so wirklich, warum. Ich dachte halt, ja, Kulturunterschiede, aber das ist es, gibt ja genauso Aktivisten in (.), in den Ländern. Aber halt einfach, ich behaupte mal weniger, ich weiß es auch nicht, aber (.), ähm (.), es ist halt einfach nicht so dieses, ja dieses Privileg. (.) Und Pri-vi-leg das war auch so eine (lachend) meiner Haupterkenntnisse von, von dem Jahr so. (Luca 1738–1756) Lucas Erzählungen über die politischen Positionierungsprozesse während seiner Zeit in Bolivien gewinnen erst vor dem Hintergrund gewisser mit Rassismen verflochtener Diskurse größere Bedeutung. In Lucas Erzählungen werden rassistisch und sexistisch aufgeladene Diskurse wie das »Entwicklungsnarrativ« (Spivak 2014) oder der »Entwicklungshilfe-Diskurs« (vgl. Ziai 2017), der Diskurs vom »Westen und dem Rest« (Hall 1994a), der »Tradition-vs.-Moderne-Dualismus« – alles zentrale Aspekte des »weißen Auges« (Hall 1989b: 159) und des post/kolonialen Blickes – sichtbar. Luca sieht in seinen Beschreibungen eine »unterentwickelte«, »traditionelle« Gesellschaft. Die ausgeprägte Demonstrations- und Protestkultur in Bolivien übersieht er vollkommen und systematisch. Er stellt die heterogene und komplexe bolivianische Gesellschaft so dar, als wäre der Großteil der Bevölkerung in ihren traditionellen, unpolitischen, armen Verhältnissen gefangen. Die Erzählung von Bolivien ist zudem der einzige Ort des Interviews, an dem er Geschlechterungleichheiten thematisiert. Er wird im Laufe des Interviews Sexismus vor allem als »Machismo« bezeichnen und externalisiert im Zuge eines »Femonationalismus« (Farris 2011) zumindest in Teilen patriarchale Strukturen in den globalen Süden. Luca stellt in der Erzählung über Bolivien für den postkolonialen Rassismus relevante Dualismen her, bei denen allerdings nur das defizitäre Gegenüber und nicht das übergeordnete Wir artikuliert wird: unpolitisch (vs. politisch), Grundbedürfnisse (vs. politische Bedürfnisse), Kollektivismus (vs. Individualismus), Armut (vs. Privileg), Sexismus (vs. egalitäre Gesellschaft). Bolivien ist quasi zeitlich »noch nicht da«, wo sich Europa, Deutschland, der Westen – das Zentrum bleibt unbenannt – befindet. In der wiedergegebenen Sequenz finden sich aber auch einige Relativierungen und Unsicherheiten. Luca erzählt von seinen anfänglichen Schwierigkeiten, die Situation in Bolivien zu verstehen, und er relativiert im späteren Verlauf seine Deutung des politi-

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schen Aktivismus in Bolivien (»gibt ja genauso Aktivisten in, [.] in den Ländern«). Mit den zwei Formulierungen ganz am Schluss der Sequenz »ich behaupte mal« und »ich weiß auch nicht« zeigt er abermals Unsicherheiten bezüglich seiner vorgetragenen Gesellschaftsanalyse. In dem nachfolgenden letzten Satz der Sequenz deutet sich bereits an, was in späteren Erzählsträngen noch klarer wird. Die Sequenz über den »Durchbruch in Bolivien« hat eine ganz spezifische Funktion in seiner biographischen Erzählung und er wird immer wieder darauf zurückkommen. Am Schluss der Sequenz kommt Luca nämlich in aufschlussreicher Weise auf sein Konzept von Privilegien zu sprechen. In dieser und in weiteren Sequenzen wird deutlich, dass Luca Privilegien, die er in den seltensten Fällen definiert, als Verantwortung für politisches Handeln, vielleicht gar als Voraussetzung für politisches Handeln betrachtet. Er legitimiert damit eigene Privilegien und seinen politischen Machtanspruch. Erst wenn die »Grundbedürfnisse« gestillt sind, die »Familie versorgt« ist, kann überhaupt begonnen werden, politisch zu denken und zu handeln. Bis dorthin müssen das aber quasi die »Privilegierten« übernehmen. Diese folgenschwere Annahme wird sich in weiteren Sequenzen zeigen und ist eine wichtige Motivation für seinen Antirassismus. In Lucas Erzählung über seine Zeit in Bolivien nimmt er mehrere Positionierungen vor, die die Wirkungsweise von mit Rassismen verflochtenen Diskursen auf die Subjektwerdung klar aufzeigen. Luca positioniert sich als naiv und privilegiert, wenn er seine Freiwilligenzeit reflektiert. Er sieht sich sowohl in Bezug auf sein Alter als auch seine soziale Position als weißer Europäer im »globalen Süden« als privilegiert und mit einem gewissen Bias ausgestattet. Gleichzeitig zeigt er sich aber auch als jemand, der gerade in dieser Zeit in Bolivien alte Verhaltensmuster hinter sich lassen will, sich ausprobiert und neu erfindet: privat wie politisch. Den ersten großen Konflikt seines Lebens trägt Luca mit seiner ersten Gastfamilie aus. Er stellt sich in der Erzählung als ein erstmals autonomes, handlungsfähiges Subjekt dar. Luca entwirft sich im Zuge der Erzählung von seiner Zeit in Bolivien auch als ein gänzlich neues politisches Subjekt. In einer späteren Sequenz beschreibt Luca die Zeit in Bolivien als Initialzündung für sein politisches Engagement. Er tut dies allerdings mit dem Verweis auf die angeblich »unpolitische«, »korrupte« Situation in Bolivien, wo das »tägliche Überleben«, so könnte seine Aussage gedeutet werden, noch im Mittelpunkt steht. Über die Konstruktion und Verwerfung des »Anderen« konstituiert sich Luca als dieses politische Selbst. Die dahinterliegenden Subjektivierungsprozesse in ein weißes, westliches, männliches*, bürgerliches, weltgestaltendes Ich bleiben ihm nur begrenzt zugänglich. Zwar positioniert er sich mit Nachdruck als »privilegiert« und markiert diese Einsicht als Haupterkenntnis. Allerdings wurde bereits deutlich, dass Privilegien zu besitzen und privilegiert zu sein bei Luca Zwiespältiges bedeutet. Zunehmend entsteht der Eindruck, dass er sein Privileg als Aufgabe oder Bürde versteht, wie zu einem späteren Zeitpunkt noch vertiefend dargestellt wird. Das privilegierte Ich wird als aktiv, wissend und politisch hergestellt und die oder der Privilegierte hat die Aufgabe, für die als »unterprivilegiert« wahrgenommene Person zu sprechen und politisch zu handeln. Bolivien wird in dieser Positionierung als Bühne genützt. Diese Sichtweise wird durch die Vor- und Nachbereitungsseminare, die im Zuge seiner Tätigkeit als Freiwilliger stattgefunden haben, eher bestärkt als korrigiert. Luca erzählt von einer Reflexionsübung in der Nachbearbeitung des Seminars:

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Und da habe ich dann irgendwie meine, meine Träume und was ich machen will und es war so das erste Mal, wo ich irgendwie nach Bolivien so (.) visualisiert habe, was ich, was ich alles machen kann und will und. Was ich für Privilegien habe und, und, und so und, äh, dann eben der dritte Raum Realität. Was kann, was kann. Was kann da (.), was kann da wirklich passieren. (Luca 1789–1794) Wieder sind Privilegien für ihn etwas, das man »nützen« muss – und nicht etwa bekämpfen sollte. Die Übungen haben ihm seine Privilegien – im Hinblick auf Zukunftsmöglichkeiten – aufgezeigt, er versteht sie aber nicht als Reproduktionsfaktor eines ungleichen Gesellschaftssystems, sondern sieht in der Annahme dieser Privilegien die Möglichkeit zum Gesellschaftswandel. Lucas Erfahrungen müssen natürlich vor dem Hintergrund seiner Lebensphase betrachtet werden. Die Analysen und Deutungen von jungen Menschen, die direkt aus der Schule kommen und sich auf die erste große Reise aufmachen, sollten auch auf diese Lebenssituation bezogen analysiert werden. Sie sind aber meiner Ansicht nach trotzdem von größerer Bedeutung, weil sich in diesen Erzählungen eine »rassistische Konditionierung« (van de Broek 1989) zeigt, die bereits in der Kindheit erlernt wurde (vgl. Eggers 2005) und im weiteren Leben als »Wahrnehmungsfilter« (Auma 2018: 2) fungiert. Diese Konditionierung ist der Grund, warum der koloniale Blick in Lucas Erzählung so selbstverständlich ist. Die Tatsache, dass in Lucas Verein primär junge weiße Erwachsene mit ähnlichem sozialem Hintergrund engagiert sind und dass die Vor- und Nachbereitungsseminare seines Freiwilligen Sozialen Jahres diesen Blick nicht bearbeitet haben oder nicht bearbeiten konnten, lässt darauf schließen, dass der Blick auch innerhalb des antirassistischen Vereines eine Rolle spielen dürfte. Diese Vermutung wird sich im Zuge der weiteren Analysen erhärten. Umbruch in der österreichischen Studentenstadt Das zweite große Thema von Lucas biographischer Erzählung ist seine Zeit als Studierender in einer österreichischen Stadt. Dieser Erzählstrang kann unter dem Motto »Umbruch« beschrieben werden. Dieser Umbruch steht vor allem in starkem Kontrast zu seiner Kindheit und Jugend, zweier Zeitperioden, die er nur sehr kurz beschreibt und in denen er sich als sehr anderen Menschen in anderem »Modus« – »da bin ich halt passiv« (Luca 1394) – beschreibt: Und das ist dann auch zu Ende gegangen und das war dann nochmals ein Tief und dann bin ich eben nach * [österreichische Stadt] gekommen und dann war wieder am Anfang sehr schwierig, aber mittlerweile geht es mir echt super hier, ich habe echt tolle Menschen schon kennengelernt und ganz viel ausprobiert und, ähm (Schnalzen), dieses Gefühl hatte ich noch nicht, also im Ausland war schon so ein Umbruch, jetzt ist es irgendwie so, boa, jetzt kann ich mich verwirklichen, jetzt kann ich mich, kann ich mich ausleben, kann ich meine Zukunft planen, kann ich, kann auf das Weltgeschehen Einfluss nehmen. (Luca 242–249) Den Umbruch schildert Luca als Weiterführung einer Selbstwerdung, die in Bolivien begonnen hat. Interessanterweise finden »Durchbruch« und »Umbruch« jeweils im Ausland statt. Während Luca in seiner ersten Auslandserfahrung ein neues, handlungsfähi-

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ges »Ich« für sich entdeckt und gestaltet, steht seine Studienzeit unter dem Motto der weiteren Politisierung dieses neuen Ich: Also das war auch, also diese Politisierung hat irgendwie, ähm, schon so ein bisschen stattgefunden, als ich eben ins Ausland gegangen bin, aber so der, so das richtig, dass ich richtig aktiv war erst ab * [Stadt] so richtig, ähm, dass ich gemerkt hab, boa, ich kann ja als Einzelner was machen, mein Leben umstellen, ich kann, ähm, mich engagieren, ich kann also, das war, das war, hängt sicher auch damit zusammen, dass ich mich am Anfang hier sehr schwer getan habe, Anschluss zu finden. Bin einfach, hab mir ultra in den Arsch getreten und bin überall hin. Zu allen möglichen Veranstaltungen […] und das war total anstrengend und total energiezehrend und natürlich trotzdem das Gefühl hatte, boa ich bin so, ich bin alleine, ich kenne niemanden und alle unterhalten sich und alle sind, also ich hatte echt so ein bisschen depressive, depressive Wellen so die letzten, ne die ersten fünf Monate in * [Stadt] so. (Luca 249–266) Luca nimmt gleich zu Beginn seiner Studienzeit, an politischen Veranstaltungen, Demonstrationen sowie gesellschaftskritischen und künstlerischen Initiativen teil. Er probiert sich in vielfacher Weise als politischer Aktivist aus und verbindet sein Engagement auch stets mit künstlerischen Ausdrucksformen. Über sein Engagement bei einer Gruppe von Trommler*innen, die Demos musikalisch untermalen, sagt er: »Das finde ich halt, das ist, äh, begeistert mich, wenn man so die Bereiche verbinden kann, die, ähm, also Erziehungswissenschaft, Theater, Musik, äh, Widerstand.« (Luca 374–375) Die Erzählung von seiner Studienzeit in der österreichischen Stadt, die zum Zeitpunkt des Interviews ein Jahr andauert, wird nur an ganz wenigen Stellen in Bezug auf sein Studium der Erziehungswissenschaft erzählt und primär als Episode seiner Politisierung, seines vielfältigen politischen Aktivismus konstruiert. Luca positioniert sich im Rahmen der Erzählung von seiner Zeit als Studierender also vor allem als politisierter Aktivist. Dieser Positionierung räumt er mehr Raum ein als jener als Student, auf die er kaum zu sprechen kommt. Er zeigt sich hierbei sehr kritisch vor allem gegenüber seiner eigenen aktivistischen Szene. Das Bedürfnis nach gesellschaftlicher Versöhnung und einem politischen Dialog ist eine seiner zentralen Prämissen, die er auch in Bezug auf Rassismen anwendet. Hier findet eine weitere Positionierung statt, nämlich jene als »positiver und konstruktiver« Gesellschaftswandler. Luca positioniert sich als »Versöhner« und als »positiver Aktivist«. Die Negativfolien dazu sind polarisierende und konfrontierende Aktivist*innen, er sieht sich hier als jemand, der den Dialog herstellen will, als Kommunikator. Rassismus als Randerzählung Neben diesen beiden sehr dominanten Themen wirkt das Thema Rassismus wie eine Randerzählung. Rassismen werden im Zuge der biographischen Erzählung von Luca sehr selten thematisiert, und wenn Rassismen von ihm angesprochen werden, scheint es so, als würde er darüber sprechen, um Rassismen eher zu dethematisieren (vgl. »Dethematisierungsstrategien« von Karim Fereidooni 2016) oder sich davon zu distanzieren (vgl. »Distanzierungsmuster« von Astrid Messerschmidt 2011b). Erstmalig benennt Luca das Thema Rassismus im Zuge seiner Kritik an der Polarisierung während einer Demonstration zwischen dem »Schwarzen Block« und der Polizei.

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Die Polarisierung steht für ihn sinnbildlich für gesellschaftliche Gräben, die er überwinden möchte. In diesem Kontext erzählt er davon, dass er bezüglich Rassismen gerne den gesellschaftlichen Dialog intensivieren möchte und gerade mit jenen sprechen möchte, die rassistisch denken und handeln: Und das ist natürlich unglaublich schwer und man braucht Wissen und Fähigkeiten und Geduld und Toleranz, aber ich finde es total spannend, das Thema mit RassistInnen oder Menschen, die rassistisch, ich sag lieber immer Menschen, die rassistische Aussagen (klopfen) treffen. Weil ich glaube, viele Menschen sind nicht Rassisten, die als RassistInnen bezeichnet werden. Ich glaub, bei ganz vielen steckt einfach ein Bedürfnis dahinter, das nicht gestillt wird, und über Bedürfnisse reden und irgendwie, ähm, ja ein positives Gegen (klopft), eine Alternative geben. (Luca 403–413) Diese erste Thematisierung von Rassismus ist in vielerlei Hinsicht aussagekräftig und steht in Bezug zu ganz bestimmten Diskursen im deutschsprachigen Raum: Erstens fällt auf, dass Luca vor allem Personen im Kopf hat, die als Rassist*innen bezeichnet werden oder so bezeichnet werden können – also tendenziell die Perspektive der Täter*in, des Täters* fokussiert. Luca meint damit wohl unausgesprochen weiß-dominanzgesellschaftlich positionierte Menschen, adressiert sie als Norm und entlastet sie zugleich als Opfer ohne Alternativen (vgl. »Täter-Opfer-Umkehr«). Zweitens spielen Rassismuserfahrungen und Menschen, die Rassismus erfahren, für ihn scheinbar keine Rolle – sie werden ausgeblendet. Diese Ebene wird später unter dem paternalistischen Motto »Arbeit mit Betroffenen« im Zuge von pädagogischen und künstlerischen Praktiken eine Rolle spielen. Drittens fällt hier auf, dass Luca Rassismus primär als Vorurteil versteht und er dieses Vorurteil vor allem als Problem von Menschen mit wenig Alternativen, weniger Bildung, Wissen, Fähigkeiten und Geduld darstellt. Hier ist Luca sehr nahe an der These vom »Modernisierungsverlierer« (vgl. kritisch Radtke 1995), zudem wird Rassismus als Problem des Individuums trivialisiert und als Phänomen an den gesellschaftlichen Rand verschoben (vgl. dazu »soziale Verschiebung« von Bojadžijev et al. 2019). Viertens bringt Luca das Thema Rassismus lediglich ins Spiel, um es sogleich zu trivialisieren, zu verharmlosen. In dieser Lesart geht es nicht darum, Luca zu dämonisieren und damit genauso Rassismen zu individualisieren. Die von Luca angewandten Dethematisierungs- und Distanzierungsstrategien sind mächtige gesellschaftliche Diskurse, auf die Luca wie selbstverständlich zurückgreift – für die er aber Verantwortung trägt. In der weiteren biographischen Erzählung bringt Luca das Thema Rassismus nicht mehr selbst ein, sondern nur mehr auf Nachfragen meinerseits. Auf meine Nachfrage, wie er denn überhaupt biographisch mit Rassismus in Berührung gekommen sei, antwortet er: Mhh (.), das ist wirklich, äh, also, ich habe schon, ich habe mich davor, ich bin wirklich über die Gruppe konkret, also. Es war, es war schon diese Politisierung da und dieses Gefühl, dass ganz viel Ungerechtes passiert und schon Rassismus auch Teil, als Teil davon. Aber es war, ich habe mich da jetzt nicht so darauf fokussiert, bevor ich zu der Gruppe gegangen bin. Es war vorher, war es eher so, Ungerechtigkeit und Diskriminierung schon auch, aber eben dieses Spezielle (.), Rassismus. Bin ich eben erst über einen von der Gruppe, der, den habe ich, äh, kennengelernt über Ende Gelände. Und dann ha-

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ben wir uns mal getroffen und der hat irgendwie gesagt, ja, wir machen, wir machen so eine Gruppe, willst du mal kommen, und dann bin ich eben dahin gekommen. Und dadurch habe ich das erste Mal mich so aktiv mit Rassismus, äh, befasst. Also es ist wirklich, ähm (.), ja (.) genau (.). (Luca 2156–2167) Luca spricht hier offen an, was bereits in der Struktur der biographischen Erzählung sichtbar ist. Im Zentrum seines Interesses steht der politische Aktivismus mit dem Ideal der Besetzung des Hambacher Forsts. In die antirassistische Arbeit ist Luca eher zufällig gekommen, über eine Freundschaft, die im Zuge seines Engagements bei Ende Gelände entstanden ist. Antirassismus ist ein kleiner Teil seines Politisierungsprozesses – Antirassismus »nimmt« er sozusagen »mit«. Antirassismus ist ein Vehikel von vielen möglichen anderen, die er ja auch gleichzeitig für sich in Anspruch nimmt. Ganz am Ende des Interviews versucht Luca in einem längeren Nachdenkprozess zu ergründen, ob er nicht doch in irgendeiner Weise Erfahrungen mit Rassismus gemacht hat. Nachdem ich ihm von meinem kindlichen Politisierungsprozess in Bezug auf Rassismen in meiner Nachbarschaft erzählt habe, antwortete er: Das ist spannend, weil da, da habe ich, ah, gar nicht so eine Erinnerung in der Kindheit, weil ich hatte, ich hatte auch immer viele Freunde mit, äh, die nicht deutsch aussehen. Und, ähm (.), da erinnere ich jetzt gar nicht so an irgendwie Situationen, wo, wo, wo wir irgendwie (.) als Gruppe irgendwie schlechter beurteilt wurden. Oder (unv.) das ist. (.) Weiß ich nicht. (…) (.) Nö, kann ich nicht (klopft) (.). (Luca 2200–2205) Selbst nach mehrmaligem Nachfragen meinerseits kann oder will er sich an keinerlei rassistische Vorfälle erinnern. Ein Grund dafür liegt in unbewussten Subjektivierungsprozessen. Luca bemerkt seine rassistisch bedingte Privilegierung meist nicht und deutet die angebliche Abwesenheit von Rassismen in seiner Biographie nicht als Ausdruck der Erfahrungen in seiner sozialen Position, sondern als tatsächliche Abwesenheit von Rassismen. Luca schildert, dass er und sein Freundeskreis als Gruppe nicht schlechter behandelt wurden, und schließt damit aus, dass seine Freundinnen und Freunde auch andere Erfahrungen gemacht haben könnten. In der Erzählung nimmt er eine Grenzziehung vor zwischen Menschen, die »nicht deutsch aussehen«, und der von ihm unbenannten »Wir-Gruppe«, also den Menschen, die vermeintlich »deutsch aussehen«, als deren Teil er sich unausgesprochen wahrnimmt, die selbst tief in rassistische Diskurse und Subjektvorstellungen verstrickt ist (vgl. dazu Undeutsch von Fatima El-Tayeb 2016). Luca reproduziert damit implizit die Vorstellung von »Deutschsein« »als Mitgliedschaft in einem ethnisch verfassten Kollektiv« (Yilmaz-Günay 2017: 132), ohne dies so auszusprechen oder zu präzisieren. Eine weitere Interpretationsmöglichkeit von Lucas Aussage ergibt sich vor dem Hintergrund der spezifischen politischen Konstellation in Österreich. Der antirassistische Verein, in dem Luca sich engagiert, wurde im selben Zeitraum und unter dem Eindruck der Bildung der ÖVP-FPÖ-Regierung 2017 gegründet. Die FPÖ mit ihren impliziten und auch expliziten Rassismen war sogar eines der zentralen Motive für die Gründung des Vereines. Wenn Rassismen als ausschließliches Problem der extremen Rechten verhandelt wird, kann mitunter der Eindruck entstehen, dass sie primär in den Ländern besonders bedeutsam sind, wo diese Parteien den höchsten Machtanteil aufweisen. Es wä-

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re also möglich, dass obige Aussage auch in Bezug auf einen Vergleich zwischen (dem rassistischen) Österreich und (dem weniger rassistischen) Deutschland zu verstehen ist. Das würde eine weitere Dimension der Verschiebung des Rassismus zeigen (vgl. dazu »räumliche Verschiebung« von Bojadžijev et al. 2019: 62). Luca positioniert sich in Bezug auf Rassismen als Unbeteiligter, als jemand, der nichts damit zu tun hat. Einerseits tut er dies in Bezug auf seine von Rassismus privilegierte weiße Position und seine kurzen Zugeständnisse, dass er aufgrund seiner Positionierung Rassismus nicht selbst erfahren hat. Er zeigt sich andererseits aber auch als jemand, der Rassismen auch nicht als Zeuge, Beteiligter, enger Freund oder ähnliches erlebt hat. Wenn Rassismen im Rahmen seiner Erzählung eine Rolle spielen, dann positioniert er sich als Aufklärer, der die individuellen Gründe hinter rassistischen Aussagen verstehen will und Täter*innen Alternativen zu Rassismus aufzeigen will. Dabei hat er unausgesprochen weiß-dominanzgesellschaftlich positionierte Menschen als Adressat*innen im Kopf, die er gleichzeitig in einer Täter*innen-Opfer-Umkehr entlastet. People of Color, Menschen mit Migrations- und Rassismuserfahrungen werden hier zu keinem Zeitpunkt ernsthaft erwähnt, und wenn, dann in einer problematischen Bezeichnungspraxis. Das Ideal des Gesellschaftswandels Das von Luca in die Erzählung eingebrachte Thema des »Gesellschaftswandels« kann als das große Querschnittsthema des Interviews betrachtet werden. Vor dem Interview hatte ich noch vermutet, dass Rassismus und Antirassismus diese Rolle zukommen würde, aber das ist, wie wir bereits gesehen haben, ganz und gar nicht der Fall. Der große Gesellschaftswandel, mit Luca als einem der Akteure, der langsam in seine Rolle hineinwächst, ist das große Leitthema seiner Erzählung. Auf meine Nachfrage definiert Luca den Gesellschaftswandel wie folgt: Ähm (…) (…) (.) Gleichberechtigung. Einfach, ähm, ich finde es einen Schmarrn zu sagen, alle sind gleich, weil es ist einfach nicht so. Aber (.) Chancengleichheit. Also es (unv.), die, die, äh, die Frage, wie der Gesellschaftswandel kommen soll, finde ich noch viel komplizierter als. Das habe ich ja ein bisschen schon so an angedeutet. Eine Utopie wäre einfach, dass Menschen, ähm (klopft) (…), ihren, ihren persönlichen Fähigkeiten und, und, und (.) Präferenzen (.), ähm, ja, dass alle Menschen ihren persönlichen Fähigkeiten und, und Wünschen sozusagen, dass sie eine Chance bekommen, sagen wir mal, sie zu (.), äh, erfüllen (.), ähm, und sich (.) (unv.) einbringen können in der Gesellschaft mit, mit, mit Freude daran und mit nicht auf einem, nicht auf einem Zwang, nicht auf einer Zwangsebene, sondern auf einer gemeinschaftlichen Ebene. Auf einer (.) gemeinschaftlichen, aber nicht kollektivistischen Ebene. Sondern (.) auf das man, dass, äh, dass Mensch (lachend) auch, äh, (.) seine Freiräume hat, aber auch ja eben (.) gemeinsam, also so viel, so viel Arbeit, die wir, die, die nicht ich, sondern andere leisten. Man könnte so viel (.) menschliche Kapazität sparen. Und es halt irgendwie nutzen, damit die, die Menschen im Einzelnen irgendwie glücklich sind, aber auch in der Gemeinschaft zusammenwirken können, und eine Gemeinschaft, wo es natürlich es, ähm, ist. Völliger Schmarrn, dass es nie Konflikte gibt, aber eine, in einer Gemeinschaft, wo Konflikte existieren, aber auch ausgetragen werden und konstruktiv und

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nicht auf einer, auf einer unmenschlichen Ebene nicht, nicht, nicht in sich gegenseitig abschlachten, sondern sich ein gegenseitiges respektieren und (.) versuchen, die Perspektive des Anderen einzunehmen. Und, ähm, das kann ich, glaube, das ist möglich, einfach wenn man, wenn man die, die Energie, die menschliche Energie, Menschen können so viel machen. (Luca 1919–1952) Luca entwirft eine liberale Gesellschaft, in der individuelle Chancengleichheit vorherrscht und sich möglichst alle ihren Präferenzen gemäß einbringen können. Er wird an keiner der Stellen konkreter und es entsteht der Eindruck, Luca setzt voraus, dass es so etwas wie eine logische und vernünftige Vorstellung einer Gesellschaft mit Chancengleichheit gibt, die er nicht erklären muss. Es kommt sehr wohl an anderen Stellen durch, dass er sich selbst in einer Position sieht, in der er Chancen erhält, die anderen verwehrt bleiben. Diese Chancen fordert er dann für alle ein. Auch macht Luca deutlich, dass es ihm nicht um ein gedankliches Entwerfen dieser idealen Gesellschaft geht, sondern darum, auf verschiedene Weisen den Gesellschaftswandel voranzutreiben. Die Bewegung Ende Gelände fungiert als Idealvorstellung, wie der Gesellschaftswandel vorangetrieben werden kann. Im Laufe des Interviews bezieht er sich an mehreren Stellen darauf: Und Ende Gelände ist ein super gutes Beispiel (klopft). Das ist super gut organisiert. Also (schnalzt), fahr mit! Es ist wirklich, es ist wirklich ein Erlebnis, auch wenn du vielleicht. [I: Erzähl ein bisserl davon.] Wenn du gar nicht so im Klima-Change (.), oder Klimabewegung drin bist. Also es ist einfach ein Wahnsinnsgefühl, wenn du mit tausenden Menschen in dieser Grube bist und merkst, dass der Bagger stillsteht. Klar, die stellen den eh ab. An dem Tag. Weil sie wissen, dass dieser Widerstand da kommt. Aber trotzdem (klopft) einfach dieses (.), äh, es ist sicher eigentlich auch eine Bestärkung und, ähm, ich glaube da kommen wir zu dem Thema (.), warum sich, warum sich engagieren. (Luca 1719–1728) Im Zuge der Besetzungen des Hambacher Forsts erlebt Luca direkt die Auswirkungen des gemeinschaftlichen Protests. Die Aktivist*innen stoppen erfolgreich ein als negativ wahrgenommenes Ereignis und greifen so, wenn auch nur kurz und vielleicht nur symbolisch, in das Weltgeschehen ein. Wieder versucht Luca, so könnte es gedeutet werden, möglichst alle Mitglieder der Gesellschaft mit ins Boot zu holen, und wirbt für Verständnis, wenn er sagt: Ich glaube einfach, man müsste viel mehr über, ähm, Bedürfnisse reden, über so (…), ich meine letztendlich, ums mal krass zu sagen, der, der Nazi hat ja auch das Bedürfnis nach (.) Zuneigung und Bestätigung und, äh (.), er holt sich das halt auf einem anderen Wege wie ich, aber. Ähh, es ist also vielmehr so dieses (.), die ähnlichen Bedürfnisse, also Menschen sind einfach total verschieden, das ist eh klar, aber (.) irgendwie, ja ich weiß nicht, das ist sehr schwammig, habe ich das also immer, wenn ich darüber rede, da habe ich das Gefühl, okay, was habe ich jetzt eigentlich gesagt (unv.). Ja, ja, voll total und der Wandel ist, da, da bin ich einfach überzeugt, dass jeder und jede Einzelne (.), ähm, da einen Einfluss hat, auch wenn es natürlich, wie wichtig ist, aber dass auch die großen Mächte (.) was verändern an ihren, an ihren Handlungsweisen. (Luca 1962–1975)

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Die von Luca als einschließende Geste verstandene Position muss wieder in Bezug auf ihre exkludierenden Effekte analysiert werden. Abermals zeigt Luca eine Hinwendung und Orientierung an der Position des »Täters«, der »Täterin«. Das Werben um Verständnis für die Bedürfnisse des »Nazis« ist kein Zufall, sondern Ergebnis einer Aufarbeitungskultur in den postnationalsozialistischen Gesellschaften, die paradoxe Züge trägt. Wieder muss mindestens vermutet werden, dass hier eine unbewusste Identifizierung mit der dominanzgesellschaftlichen Täter*innenposition vorgenommen wird, die gleichzeitig zumindest teilweise entlastet wird. Abermals macht Luca klar, dass seine Aussagen nicht in allen Aspekten durchdacht (sondern »schwammig«) sind und er Teile davon nach dem Lesen des Interviews vielleicht revidieren würde (»was habe ich jetzt eigentlich gesagt«). In meiner Deutung sind das die Momente, in denen der Diskurs durch ihn spricht. Einer dieser Diskurse ist der des Hippie-inspirierten »friedlichen Gesellschaftswandels«, der möglichst konfrontationsfrei, im Zuge eines kollektiven Bewusstseinswandels, vor sich geht und der gesellschaftliche Widersprüche zu versöhnen verspricht: Und ich glaube, wenn jeder oder nicht jeder, aber wenn viele Menschen, oder wenn mehr Menschen, als es jetzt sind, irgendwie (.) den gesellschaftlichen Wandel leben und nicht nur Forderungen stellen und an Leute angreifen und beleidigen, dann, dann wird das was und. Es gibt so viele Wege, es gibt (unv.) künstlerisch, kommunikativ was auch immer. Alles Mögliche, also (…) ja. (Luca 1990–1995) Der Gesellschaftswandel – sein großes Ziel – ist vor allem eine langwierige Aufklärungsarbeit. Luca positioniert sich als Aufklärer, als Überzeuger und abermals als Versöhner, der dabei allerdings auch gefährdet ist, Machtverhältnisse und Gewaltverhältnisse zu relativieren. Theater als selbstreflexives Kommunikationsmittel Lucas Idealvorstellung von künstlerischen und kommunikativen Formen des Gesellschaftswandels bündelt sich in der Erzählung über seine Theatererfahrungen. Luca besucht Theaterworkshops, die dann wiederum Anstoß zur Gründung eigener Theatergruppen geben. Luca lernt in Kursen die Methodik des »Theaters der Unterdrückten« von Augusto Boal und bringt dann mit Kolleginnen und Kollegen Theaterstücke in dem Geiste auf öffentliche Plätze und Straßen seiner Studentenstadt. Ähm (.), und haben dann sogar eine Aktion gemacht an Weihnachten in der, in der * [Straße] (lachend). Das war echt cool. Also wir haben so, ich habe die Schilder noch, die kann ich dir zeigen. Da haben wir uns eben, es gab drei, drei Objekte sozusagen. (.) Also drei Personen, die da standen und so angezogen waren, und dann kam sozusagen, äh (.), Käufer, die halt einfach so unauffällig aus den Passanten rausgeströmt, und es gab einen Verkäufer oder eine Verkäuferin. Der dann sozusagen die Klamotten von diesen Menschen runter verkauft hat an diese Menschen. Irgendwann standen die dann nackt dar sozusagen. Also nicht komplett nackt, aber. Und dann haben wir noch die Menschen verkauft sozusagen. Und das war (unv.) total spannend. Es war eine total tolle Erfahrung (.) und es hat sich leider, wie so vieles (klopft), wenn so, wenn man so einen offenen, offene Gruppe macht, dann. Hat sich es (klopfend) halt wieder ver-

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loren, aber es war sehr spannend, das will ich unbedingt wieder aufnehmen da. (Luca 1805–1819) Die Theatergruppe bringt mit ihrem Stück eine Ausbeutungssituation in den öffentlichen Raum und will dadurch Nachdenk- und Kommunikationsprozesse auslösen. Diese Prozesse sind einerseits nach außen gerichtet und sollen Menschen zum Diskutieren anregen; sie sind aber andererseits auch nach innen gerichtet, im Sinne der Reflexion der eigenen sozialen Position. Wiederkehrend erzählt Luca von dem Potenzial des Theaters in Bezug auf Rollenverständnis und die Möglichkeit zur Rollenübernahme: Das, ähm (…), ja das ist so ein bisschen, was mich grad beschäftigt irgendwie (.), und ich glaube, Theater zum Beispiel ist auch ein total tolles Mittel dafür, weil man im Theater einfach jede Rolle einnehmen kann. Und man kann einfach auch mal zum Beispiel in die Rolle des, ähm. Des, äh, Benachteiligten (.), sei es jetzt Österreichers gehen, der rassistische Aussagen macht, oder eben Geflüchteten, der hierherkommt und diskriminiert wird (klopfend) also. Und das finde ich, das ist ein großes Potenzial im Theater irgendwie, dieses (.) Rollen übernehmen und damit spielen und. (Luca 524–536) Lucas Konzept der Rollenübernahme beinhaltet gleich mehrere Themenstellungen, die für ein Verständnis seiner sozialen Position und politischen Positionierung interessant erscheinen. Erstens, und das ist an mehreren Stellen des Interviews sichtbar, weiß Luca um Ungleichheiten in der Gesellschaft Bescheid, ebenso über die Tatsache, dass aus dieser Ungleichheit unterschiedliche Rollen oder Positionalitäten resultieren. Zweitens hält er es für gesellschaftlich wichtig, dass Wissen über das Leben innerhalb dieser Rolle in der Gesellschaft weitergegeben wird. Drittens ist dieses Wissen seiner Ansicht nach wichtig, um Rassismen verstehen und ursächlich bekämpfen zu können. Allerdings, und das zieht sich ebenso durch das Interview, sind abermals konkrete unhinterfragte Vorannahmen in seine Erzählungen eingewebt, die bestimmte Diskursmuster darstellen. Erstens deutet die Aussage, dass »einfach jede Rolle eingenommen werden kann«, in eine etwas zu simplifizierende Richtung, was gesellschaftliche Prägung anbelangt. Zweitens nimmt Luca in obigem Zitat eine Gleichstellung von Menschen, die rassistische Aussagen tätigen, und von Geflüchteten, die (rassistisch) diskriminiert werden, vor und verhandelt beide »Gruppen« unter dem Motto »benachteiligt«. Abermals verharmlost Luca Rassismus, wieder dreht sich sein Interesse um die (weiß-dominanzgesellschaftlich positionierten) »Rassist*innen«, die er entlastet. Dazu führt er abermals eine Trennung ein, die das Denken über Rassismen im deutschen Sprachraum lange dominierte. Rassismen sind ein Problem des extremen rechten Randes (und nicht auch der gesellschaftlichen Mitte), und von Rassismen »betroffene« Personen sind Geflüchtete aus anderen Teilen der Welt, die migrieren, und nicht auch Schwarze Österreicher*innen, Jüdinnen und Juden, Rom*nja und Sinti*zze, Musliminnen und Muslime, Menschen mit Migrationsbezügen, die seit zum Teil unzähligen Generationen in Österreich leben. Diese (vielleicht unbewusste) Orientierung an der weißen, dominanzgesellschaftlichen Norm und deren Erfahrungswelten wird aber auch immer wieder gebrochen. Luca macht Theatererfahrungen, die er als tiefgreifend beschreibt und die ihm Problemlagen von Menschen, die von bestimmten Ungleichheiten betroffen sind, näherbringen.

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Das war eben, die machen dann so Projekte mit Betroffenen und. Das war eben mit Leuten, die Mindestsicherung empfinden, äh, empfinden, empfangen. Und das war so spannend. Also das ist halt Forumtheater. Wo dann halt das Publik, Publikum eingreift (.) und ich weiß noch, ich war so berührt, weil einfach so krass ist, dass Leute dann Dinge spielen, die sie wirklich erleben. Und sie nicht nur Schauspieler, die es spielen. (.) Ich war so ergriffen, dass ich mich irgendwie gar nicht, ich konnte da nicht raus aus dieser Rolle. Also, das ist schon, es ist eine Wahnsinns-tolle Methode. Also, halt sozusagen eine negative Situation zu spielen und dann die Menschen aufzufordern, einzugreifen. (Luca 1857–1866) Für Luca scheinen die Theatererfahrungen eine Brückenfunktion zu besitzen, in deren Rahmen er soziale Ungleichheiten besser verstehen und in ein Verhältnis zu sich selbst setzen kann. Dieses Wissen über unterschiedliche gesellschaftliche Positionen oder Rollen und wie sie sich auf Einzelne und deren Lebenschancen auswirken, möchte Luca in den öffentlichen Diskurs einspeisen. Fraglich bleibt hier, inwiefern die von Luca bezeichneten »Betroffenen« aktive und selbstbestimmte Akteur*innen des Theaters sind oder vielmehr auch teilweise vorgeführt werden. Privilegien als Problem und als Chance Die Reflexion über Privilegien kann, neben dem »Gesellschaftswandel«, als das zweite Querschnittsthema der biographischen Erzählung von Luca betrachtet werden. Querschnittsthema bedeutet, dass es nicht als eigenständiges Thema abgehandelt wird, sondern an mehreren Stellen und in Bezug auf andere Themen artikuliert wird. Auch wenn das Thema nicht den Stellenwert aufweist wie jenes über den »Gesellschaftswandel«, zieht sich die Thematik der Privilegien doch vom Beginn der Erzählung bis zum Schluss durch. Das wird zu keinem geringen Teil der Eingangsfrage und der Themensetzung des Interviews geschuldet sein. Nichtsdestotrotz ist die Art und Weise der Abhandlung dieses Themas lehrreich, um Lucas Positionierungsprozesse verstehen zu können. Luca beginnt seine Reflexion über Privilegien bereits im zweiten Satz des Interviewtranskriptes, wenn er über sein Freiwilligenprogramm erzählt: Und das war eben ein so ein Programm * [Name des Programms], wenn dir das was sagt, das ist, äh, eben so, äh, von der deutschen Regierung wird das zu großen Teilen getragen, also echt ein unglaubliches Privileg wieder. (Luca 39–41) Er beschreibt die Struktur des Freiwilligenprogramms, das ihm eine Zeit im Ausland ermöglicht, das großzügig finanziert wird und ihm relativ problemlos offensteht, als Privileg. Bemerkenswert ist die Formulierung des »unglaubliche[n] Privileg[s] wieder« – da es sich um Lucas zweiten Satz des Interviews handelt. Zum einen deutet er mit dem Superlativ an, dass es sich um kein kleines Privileg handelt, und zum anderen könnte dieses »Wieder« meinen, dass er in vielerlei Hinsicht bereits Privilegien erfahren hat. Eine alternative Deutung der Formulierung »wieder« könnte aber auch auf das Interviewsetting verweisen und bedeuten, dass Luca sich im Vorfeld extra für dieses Interview mit der Frage nach Privilegien beschäftigt hat und darauf sprachlich verweist. Die Erzählung von seiner Zeit als Freiwilliger in Bolivien beinhaltet gleich mehrere Referenzen auf Privilegien. Er bezeichnet sich an unterschiedlichen Stellen selbst- und

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positionskritisch als naiv, als naiver weißer Junge, als Europäer. Luca bezieht sich in der folgenden Sequenz auch auf kritische Diskurse zu westlicher, postkolonialer Dominanz: Also mich hat es gestört, aber ich habe es nicht so offen irgendwie angesprochen und gleichzeitig war es mir halt auch unangenehm, als, als Weißer da her zu kommen und da rumzu-, rumzu-, als wüsste ich es besser so. Und (.), ähm, aber es hat mich schon sehr beschäftigt und (.), aber ich hätte also, ich hätte sicher meinen Freiraum gehabt, weil die Chefin hat, hat relativ viel von mir gehalten irgendwie und, ähm, ich hab halt auch alle Projekte, die ich vorgeschlagen habe, durfte ich auch machen. (Luca 1051–1058) Luca markiert an mehreren Stellen des Interviews seine privilegierte Position im globalen Maßstab und welchen Einfluss sie auf seine Freiwilligenarbeit und auch seine (bevorzugte) Behandlung dort haben könnte. Gleichzeitig kennzeichnet sich Lucas Erzählung durch eine völlig unterschiedliche Konzeption von Privilegien, die bereits in dem Abschnitt »Durchbruch in Bolivien« angesprochen wurde: Und (.) ich genieße es einfach, äh, sehr vielfältig zu leben und sehr vielfältigen (.), ich genieß meine Privilegien, ich genieße meine Privilegien, äh, so viele Möglichkeiten zu haben, so viel Freiheit zu haben (klopfend) und, ähm (…), genau (…). Und gleichzeitig kommt manchmal auch so dieses (.), äh, dieser Gedanke zu also jetzt zum Beispiel im Studium, wenn ich halt wieder irgendwie eine Prüfung verschieb und wieder es irgendwie (…) (klopfend), ja mich nicht ranhock oder so, und dann denke ich mir so, ah, du hast eigentlich so ein großes Privileg. Du hast, äh, du kannst studieren, du hast Eltern, die dich unterstützen, du hast, äh (.), ein tolles soziales Umfeld (.). Jetzt komm, nutz dieses (klopfend), nutz diese Chance und, und (.), und mach das und dann denk ich mir wieder (lachend), das ist nur so eine kleine, so was Kleines, was irgendwie immer so aufkommt, aber dann kommt wieder, übernimmt wieder was anderes, nämlich, dass halt einfach (.), äh, mein Bachelor (lachend) wartet nicht auf den Klimawandel. Kennst du den Sticker? [I: Nein, aber er ist gut.] B: (lacht) [I: (lacht)] Auf den Gesellschaftswandel. [Mhm.] Und auf den Weltuntergang (gespenstisch ausgesprochen). (Luca 545–573) Lucas zweite Deutung des Themas Privilegien ist keine selbst- und gesellschaftskritisch informierte Haltung. Vielmehr spricht er davon, dass er seine privilegierte Position, die er vor allem in Bezug auf Freiheiten, Studium und soziales Umfeld beschreibt, schätzen und nutzen möchte. In folgendem Zitat auf Nachfrage meinerseits gegen Ende des Interviews zeigen sich beide Deutungen von Privilegien in einer Erzählsituation: Ich glaube, da kommen wir zu dem Thema (.), warum sich, warum sich engagieren. Und warum, äh, auf der privilegierten Position. Äh (.), es ist völlig, es ist völlig, äh, es wär eine glatte Lüge, zu sagen, äh, ich mache das nur (leicht spielend), weil ich die Welt verbessern will. Das ist natürlich ein sehr, auch ein großer Teil (.) Selbstidentifikation und, äh, Bestärkung. Durch die Gruppe und Persönlichkeitsbildung und irgend, also es ist. (.) Sicherlich, ähm, aber das ist ein Teil und ein ganz großer anderer Teil ist einfach (.) die Wut und die Fassungslosigkeit (.), äh, über, über diese Ungerechtigkeit (klopft), über diese globale Ungerechtigkeit. Und gleichzeitig auch so dieses, so ein bisschen dieses schlechte Gewissen (.). Dieses Glück zu haben, in dieser Position zu sein und.

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Und, und den, der Wille, ähm (klopft) (schnalzt) (.), dieses Privileg zu nutzen. (Luca 1727–1738) Luca hat zwar ein schlechtes Gewissen wegen seiner Privilegien (vgl. dazu »white guilt« und seine psychosozialen Kosten von Spanierman & Heppner 2004), gleichzeitig ist er aber überzeugt, dass er sie nutzen muss: einerseits, weil er sie, wie er sich eingesteht, auch genießen möchte; andererseits, und das ist viel zentraler für seine politische Positionierung, glaubt er, dass er durch seine Privilegien die Verantwortung und auch die Aufgabe hat, den Gesellschaftswandel in der ersten Reihe voranzutreiben. Vor diesem Hintergrund könnten die nichtintendierten Effekte seiner Aussage, das »Privileg zu nutzen«, bedeuten, dass ihm die Aufgabe zufällt, für andere zu sprechen (Paternalismus), die das Privileg nicht haben, was damit auch zu einer Reproduktion der Ordnung und Aufrechterhaltung seiner privilegierten Stellung darin beiträgt. Der zufällige Antirassist/der rhetorische Antirassist In Anbetracht der Themensetzung des Interviews habe ich vor dem Interview erwartet, dass Luca von sich aus Antirassismus als eines der großen Themen seiner biographischen Erzählung wählen würde. Dem ist allerdings nicht so und er kommt erst am Ende des Interviews, durch meine Nachfragen, dezidiert darauf zu sprechen. Luca erzählte mir, dass er eher zufällig in seine antirassistische Initiative, in der er aber mittlerweile eines der aktiveren Mitglieder ist, kommt. Er berichtet von der Gründung des Vereines: Ja, es war eben so ein Seminar. Das haben wir jetzt auch wieder im, im, im Oktober. Von * [Institution] finanziertes Seminar. Die kann man da anfragen, organisieren. Und da haben die sich irgendwie gefunden und haben dann halt, das Thema war Antirassismus. Und dann haben die daraus diese, diese Gruppe gegründet. Und deswegen heißen die so. Und *[Name der Gruppe] finde ich eh witzig, aber wenn (unv.) dieses Anti (.), das taugt mir persönlich nicht, aber ich will mich da auch nicht so aufhängen (klopft) daran, weil mir ist es wichtiger, was wir machen, und nicht, wie wir heißen. (Luca 1444–1456) Der Anlass für die Gründung des Vereines war eine Universitätsveranstaltung zum Thema Antirassismus. Schon in der ersten Erwähnung seiner Initiative im Interview äußert er Kritik am Namen. Sein Kritikpunkt, den er an anderen Stellen des Interviews wiederholt, bezieht sich auf die Gegenposition, die mit der Vorsilbe »Anti« besetzt wird. Seine Kritik daran wird an einer anderen Stelle deutlich: Mir gefällt auch persönlich nicht der Name * [Name der Gruppe], also. Aber ich bin halt damals zu der Gruppe dazu gekommen. Und der der Name hat schon existiert. Ich finde, es wäre viel wichtiger, irgendwie zu betonen, was wir wollen, und nicht, was wir nicht wollen. (Luca 1438–1441) Auf meine Nachfrage nach einer alternativen Namensgebung und was denn seine Vorstellung davon wäre, was sie mit der Initiative wollen, zögert er zunächst, antwortet dann aber vielsagend. Luca würde eher eine Organisation unter dem Motto »Gemeinsam« befürworten, wobei es hier nicht um die Namensgebung, sondern um die Ausrichtung gehe:

7 Darstellung der empirischen Ergebnisse

So einen Raum zu schaffen, wo sich alle wohl fühlen. Das ist eine Utopie. Aber ähm (.), so einen Raum zu schaffen (.), mit verschiedenen Professionellen. Also (.) Erziehungswissenschaftern, Köchen (lacht). Äh, Musikern, Technikern, Wissenschaftler also, alles Mögliche so (klopft). Irgendwie so ein Netzwerk und dann auch irgendwie (.) (klopft), ja so. So eine (…), so eine (…) (klopft) offene Welt im Kleinen sozusagen. Das ist so ein bisschen (klopft) (…). (Luca 1465–1471) Luca lässt hier durchblicken, dass er sich in der gegenwärtigen Konstellation des Vereines nicht wohl fühlt. Seine Adressierung »alle« könnte darauf hindeuten, dass es in der derzeitigen Zusammensetzung noch nicht gelingt, einen Raum für alle zu schaffen. Wenn Luca dann weiter über sein Ideal einer offenen Welt im Kleinen erzählt, kommt er kritisch auf die derzeitige Zusammensetzung seiner Initiative zu sprechen: Also ich habe schon immer, seit ein paar Jahren diskutiere ich schon viel, aber (.) nicht auf so einer Ebene irgendwie, also nicht auf, äh, nicht zum Thema, zu einem Thema, ähm (.), das ich selbst nicht am eigenen Körper erfahre. Also es ist irgendwie, es ist so komisch mit einer Gruppe von weißen Privilegierten, also wir haben (.) zwei Menschen, die (.), ähm, People of Color sind sozusagen, aber der Rest. [Mhm, mhm, von ungefähr dreißig, oder?] Mhm, der Rest sind halt schon, würde ich jetzt mal so einschätzen, Menschen, die wahrscheinlich (…) (unv.), natürlich im Kontext, äh (schnalzt), Machismus wahrscheinlich schon die meisten Frauen. Aber ich sage jetzt mal auf der Ebene Rassismus haben wahrscheinlich die wenigsten so (.) negative Erfahrungen gemacht. (.) Ahm (…), ja das ist schon sehr komisch. (Luca 2008–2018) Auch wenn er keine direkte Beziehung zwischen dem Ideal und der Wirklichkeit seines Vereines herstellt, so beschäftigt ihn die Gruppenzusammensetzung nachhaltig. Er ist irritiert und findet die Zusammensetzung »komisch«. Luca positioniert sich hier als der »vorsichtige, unsichere Aktivist«, eine Positionierung, die unter anderem mit seinem Alter zu tun hat, wie er an anderen Stellen des Interviews ausführt. Gleichzeitig aber findet diese Positionierung auch vor dem Hintergrund seiner privilegierten Position statt. Er spricht diese Problemstellungen an mehreren Stellen direkt und indirekt als Problem an. Auffallend ist, dass er in der weiteren Erzählung über die Problemstellung einen Widerspruch herstellt zwischen der Zusammensetzung ihrer Initiative und der politischen Handlungsfähigkeit, die in Bezug auf eine rassismuskritische Positionierung sehr zweifelhaft ist: Ich glaube, das Wichtige ist einfach, dass man halt nicht irgendwie so (.), das dann wieder reproduziert, dieses, äh, white-black-ding, ähm. (.) Dass man nicht dann (.) sich wieder in eine erhöhte Position sozusagen schafft und dann urteilt über (einatmend) (.) People of Color. Ich weiß es nicht. Das ist, äh, ehrlich gesagt (…), es ist total spannend und es ist total wichtig, aber mein Fokus liegt eher irgendwie auf (.) praktischen, praktischem Wandel und irgendwie auf, wie schaffen wir es jetzt hier (…), ähh, die Gesellschaft irgendwie zu verändern. (Luca 2079–2085) Mit dieser recht klaren Aussage versucht Luca, die Unsicherheit abzustreifen, die er in der vorhergehenden Situation mit der Beschreibung »komisch« zum Ausdruck bringt – eine Unsicherheit, die aber trotzdem noch spürbar bleibt. Er inszeniert sich fortan als

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Macher, der Debatten zu Positionierung und Privilegien zwar »spannend« findet, sich davon aber nicht mehr bremsen oder aufhalten lassen möchte. Oder möchte er sich davon nur nicht mehr irritieren lassen? Diese Positionierung als jemand, der »Ja, aber« sagt (vgl. dazu »Ja-aber-Mentalität« von Sabine Klinger 2014: 323 in Bezug auf Dethematisierungen von Geschlecht), erklärt auch den großen Widerspruch in seiner Erzählung: den Widerspruch aus einer einerseits selbst- und machtkritischen Person, die sich explizit nicht in eine »überhöhte Position« bringen will, und andererseits einer Person, die genau das, etwa in der Erzählung über seine Zeit in Bolivien, aktiv tut. Luca legitimiert diese »Ja, aber«-Positionierung, indem er eine aktivistische Kollegin indirekt zitiert: Die Mehrheit der Gruppe, also eine war eben dabei in der Gruppe, die halt schon betroffen ist. (.) Und die hat, glaube ich, ich kanns mir nicht mehr, ich weiß nicht mehr genau, aber ich glaube, sie hat das Feedback gegeben, dass sie es ultra wichtig findet, dass halt auch Menschen, die nicht davon betroffen sind. Ah, sich da Gedanken machen und sich engagieren. (Luca 2074–2079) Luca bezieht sich erstmalig im Interview auf die rassismuserfahrene Position. Er tut es allerdings ausgerechnet dann, wenn es darum geht, sich die Erlaubnis für seine Art des antirassistischen Engagements zu holen. Er tut dies, obwohl er sich nicht mehr ganz sicher ist, was seine Kollegin genau gesagt hat. Zentral ist hier die Formulierung »ultra wichtig«, mit der die Unsicherheiten und Zweifel weggewischt werden. Luca weiß um die Probleme einer mehrheitlich weißen antirassistischen Initiative Bescheid: hegemoniales Sprechen und weiße Deutungsmacht, dominanzgesellschaftliche Strukturen, das Übersehen von Rassismuserfahrungen, die paternalistische Politik der Arbeit mit »Betroffenen«. Er deutet zumindest an, wegen einiger der Problemstellungen unsicher zu sein, hat aber keine »Zeit«, sich damit ernsthaft auseinanderzusetzen, oder aber er möchte dieses »komische« Gefühl nicht länger aushalten müssen. Für ihn zählt echter Wandel, und zwar sofort. Er verneint damit die Möglichkeit eines antirassistischen Vereines, der mehrheitlich oder zumindest in den wichtigsten Personen von Menschen mit Rassismuserfahrungen besetzt ist, und konstruiert ein Entwederoder-Szenario, indem entweder die antirassistische Arbeit von ihrer Initiative – unter Lucas gewichtiger Mithilfe – gemacht wird oder sie ausbleibt. Diese diskursive Strategie legitimiert seine Machtposition und besänftigt seine Selbstzweifel. Rassismuskritische Praktiken Luca versucht sich seit seinem antirassistischen Engagement an einer Reihe von rassismuskritischen Praktiken. Eine dieser Tätigkeiten, über die er bereits sehr früh im Interview erzählt, ist das Flyern, Stickern und Plakatieren: Das ist so ein, so ein, ähm, spannendes Gefühl, wenn du den, dann wenn du das da aufhängst und dann überlegst du dir, ähm, wer sieht das jetzt und wer fühlt sich vielleicht bestärkt oder wer denkt nach, okay, was ist des oder wer googelt sogar nach oder. Oder wer denkt einfach, ah, was soll die Schieße, reißt weg und also, das finde ich spannend, wie so (.), wie so implizite Einflussnahme passiert also. So (…) und ich glaube, das ist auch ein Potenzial einfach, ähm, nicht (.) nicht nur (.) (unv.), äh, die ganze Energie darin reinzustecken, Leute von deiner Meinung zu überzeugen, sondern eher irgendwie

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versuchen (.), implizit irgendwie (.), einfach Alternativen zeigen oder (.) direkt im Umgang zeigen (.). (Luca 595–606) Luca und seine aktivistischen Genoss*innen versuchen im öffentlichen Raum durch diverse Botschaften »implizite Einflussnahme« zu erreichen. Sie beabsichtigen mit ihren Praktiken in öffentliche Diskurse einzusteigen und diese aktiv mitzugestalten. Eine weitere rassismuskritische Praktik, die als eine der ersten größeren Aktionen der Initiative bezeichnet werden kann, ist die Abhaltung eines »antirassistischen Buffets«: Da haben wir das Essen eben gemacht und, ähm (klopft) (.), das war halt ultra Stress, weil wir halt (.), wir haben den ganzen Tag gekocht und waren halt davor noch dumpstern und, und einkaufen und Pipapo, und da waren halt dann, da hat sich dann wieder gezeigt, so, okay, wer will wirklich, äh (.), halt anpacken. Das waren halt so zehn Leute oder so. [I: Was war, was war die Idee dahinter?] Der Gedanke war, weil wir ja jetzt ein, weil wir jetzt ein Verein werden, dass wir halt so ein Startkapital haben. Und jetzt sind halt (…), wir haben das noch nicht so ganz aus, doch wir haben es, wir haben es diskutiert, dass wir das Geld jetzt irgendwie erst mal spenden an Leute, die es halt dringend brauchen und so. Ah, oder an Einrichtungen halt, zum Beispiel das * [linkes Veranstaltungszentrum] oder das * [Kulturinitiative] so, wo wir halt daran profi, profitiert haben und so. (Luca 1528–1539) Es scheint so, als würde sich mit dem antirassistischen Buffet Lucas Ideal eines offenen Raumes mit Netzwerkcharakter ein Stück weit erfüllen. Die Gruppe bereitet in einer gemeinschaftlichen Aktion das Essen zu und verkauft es. Die Initiative versucht im Zuge der Party, ihre Themen anzubringen, und mit den Einnahmen unterstützt sie Institutionen ihres Netzwerkes. Fraglich bleibt hier allerdings, ob Antirassismus tatsächlich in irgendeiner Form eine Rolle spielt oder ob es hier eher um das Knüpfen von Netzwerken und das Veranstalten einer Party geht. Eine weitere rassismuskritische Praktik, von der Luca erzählt, ist das »Theater machen«. Für Luca ist das Theater, wie bereits beschrieben, so etwas wie ein selbstreflexives Kommunikationsmittel. In Bezug auf das Theater scheint es so, als könnte er die von ihm konstruierten Widersprüche seiner antirassistischen Praxis (eigene Position und Zusammensetzung des Vereines vs. politische Handlungsfähigkeit) besser vereinen. Es entsteht sogar der Eindruck, als sähe er hier keinen Widerspruch mehr, sondern vielmehr zwei zentrale Aufgaben: Verständnis, Reflexion und Darstellung möglichst vieler gesellschaftlicher Rollen, was wiederum Kommunikations- und Nachdenkprozesse auslösen soll. Das ist super toll. Das ist eben einmal die Woche in der Früh, trifft man sich und macht zusammen Theater mit. Äh, von einem Frauen-Bildungs-Projekt. Das sind so, sind so geflüchtete Frauen. Und da haben wir zusammen mit denen, haben wir eben Improtheater gemacht. Das wird angeleitet von einer Theaterpädagogin und Psychologin (lacht). Und super toll, echt super, super, super schöne Erfahrung. Ja, ich, ich fand es eben mit den, die konnten noch sehr wenig Deutsch, die Frauen. (.) Ähm, fand ich es einfach so toll, dieses Barrierefreie. Durch Spielen versteht man sich und (zischen). Egal, es ist nicht, es ist nicht egal, es ist schon, ähm (.), Sprache ist schon sehr wich-

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tig und auch Sozialisation ist wichtig, aber trotzdem kommt man irgendwie auf eine Ebene, wenn man zusammen spielt. Und zusammen Rollen einnimmt. Und kann zusammen lachen und zusammen (…) (klopft) was auch immer fühlen und, und. Ähm. (Luca 1879–1898) Luca formuliert das Ziel, mit den geflüchteten Frauen des Improtheaters auf eine Ebene zu kommen, reflektiert aber gleichzeitig die unterschiedlichen Positionen. Er schätzt den Wert und das Wissen, das in unterschiedlichen Erfahrungen steckt, ist sehr vorsichtig in seinen Formulierungen. Gleichzeitig reproduziert Luca implizit die Normen des Integrationsdiskurses, wenn er auf ganz spezifische Weise auf die Wichtigkeit der Sprache und der Sozialisation anspielt. »Sozialisation« kann hier als ein Platzhalter für den Begriff »Kultur« gelesen werden. Eine weitere rassismuskritische Praktik, die eng mit Lucas allgemeinem politischen Engagement zu tun hat, kann als Privilegienkritik bezeichnet werden. Lucas Kritik an polarisierender Politik ist nicht nur mit seinen eher liberalen politischen Ansichten oder einer Abneigung Konflikten gegenüber zu erklären. Er stößt sich an politischer Kritik, die keine Selbstreflexivität besitzt und nur auf das politische Gegenüber »draufhaut«. Lucas politische Kritik versucht, einen Dialog herzustellen und die eigene Sprecherposition mitzudenken. An seinen Spruchplakaten im Rahmen einer Demonstration ist dies ersichtlich: Ähm (schnalzt), ich, ich habe gerade ein Buch, ein super Buch gelesen von Lessenich. Ähm, und das bringt es für mich so krass auf den, auf den Punkt, dieses Buch. Äh, neben uns die Sintflut. Externalisierungsgesellschaft. Ähm (.), »Stop externalization« habe ich halt geschrieben. Und »Act responsible. Solidarity now«, und dann habe ich noch so eine Frage gestellt. So eine Frage gehabt, ähm, »Who is bearing the consequence of your (klopft) (.) of your, wie hieß es nochmal (Finger schnippen), abandonce and, äh, life in abandonce«, und, äh, was habe ich noch geschrieben? Ah, »safety«. (Luca 1643–1652) An einer Stelle des Interviews präzisiert er seine Privilegienkritik, indem er gezielt Critical Whiteness als rassismuskritische Praxis anspricht. Luca bezeichnet die Zusammensetzung seiner Gruppe vor dem Hintergrund der Thesen der Werke zu Critical Whiteness als »komisch«. Er ist irritiert, vielleicht auch ein wenig beschämt. Ja, das haben wir diskutiert an diesem Themenwochenende. Ahm war, also es gab verschiedene Themen und ein Thema war, glaube ich, was war das nochmal? (.) Da war ich auch in dieser Gruppe, also wir haben verschiedene Gruppen gemacht, ähm. (.) Ah, wie war es nochmal, das Thema? (.) Es ging um (…) (.), wie heißt denn dieses Movement, das weißt du vielleicht? (.) Ahm (…), white [I: Critical Whiteness?] Critical Whiteness, genau. [Mhm, ja.] Genau das war das Thema. Und da sind wir auch darauf, sind wir auch draufgekommen (.), ähm, dass es schon irgendwie komisch ist, dass wir jetzt hier hocken und uns ein ganzes Wochenende (lachend) nehmen können. [Mhm, mhm.] Und hier (klopfend), äh, diskutieren können über Dinge, die uns eigentlich (klopfend) gar nicht betreffen. Die Mehrheit der Gruppe. (Luca 2064–2074)

7 Darstellung der empirischen Ergebnisse

In der letzten Zeile des obigen Zitates findet sich eine Schlüsselstelle des Interviews, die einige Widersprüche in seiner Erzählung aufklären kann. Luca ist tatsächlich der Ansicht, dass er und die anderen weiß positionierten Antirassist*innen von Rassismus nicht betroffen sind. Er meint damit nicht, dass sie keine negativen Erfahrungen mit Rassismus gemacht haben, sondern dass sie damit nichts zu tun haben – weil Rassismus in seiner Deutung zwischen rechtsextremen Rassist*innen und von Rassismus »Betroffenen« stattfindet. Das erklärt auch, warum er eine dermaßen zwiespältige Haltung zu Privilegien einnimmt. Er sieht nicht, dass seine privilegierte Position und seine konkreten Privilegien auf der Grundlage einer rassistischen, sexistischen, bürgerlichen, nationalistischen Strukturierung der Gesellschaft entstanden sind und eine unreflektierte Annahme dieser Position und der Privilegien diese Gesellschaft genauso reproduziert. Diese Positionierung erklärt dann auch, warum er auf Selbstirritationen zunächst vermeintlich einsichtig, dann aber abwehrend reagiert. Nachdem er Critical Whiteness und seine Nachdenkprozesse darüber angesprochen hat, beendet er das Thema mit einem Filmtipp für mich, eine Dokumentation über Daryl Davis: Äh, Dokumentation von, ähm, von dem Daryl, Daryl Davis. Das heißt so ein Musiker, so ein Schwarzer (klopft). Äh, das heißt, ah, ah, ah, ah (klopfend), was heißt nochmal Höflichkeit auf, auf? Courtesy. Mhhh (schnalzt) (.), Casual Courtesy oder irgendwie so. Auf jeden Fall geht es um einen schwarzen Musiker, der seit zwanzig Jahren mit, äh, KluKlu, Ku-Klu, Ku-Klux-Klan-Members, ah, sich trifft und zum Teil befreundet ist und, äh, diskutiert und, äh. Der kommt dann sozusagen in, in Konfrontation mit den BlackLives-Matter-AktivistInnen, so. Die halt jeden Tag auf der Straße stehen und mitkriegen, wie um, um sie herum Menschen sterben und so und. Die halt das überhaupt nicht annehmen können, dass ein Schwarzer mit einem Weißen sozusagen, mit einem weißen Rassisten (klopfend). Äh, ähm, den respektiert und den, den, den annimmt. Und das fand ich so spannend (.), weil das ist halt wieder so dieses, dieses Po-, dieses Positions-Ding. Also ich weiß nicht, ob ich, ob ich so denken könnte. Wie ich (.), denke, wenn ich, äh (.), eine andere Hautfarbe hätte. Oder wenn ich diskriminiert werden würde, dann. Weiß ich nicht, ob ich sagen könnte, ja, ich will einen positiven Wandel und ein, und ein, äh, miteinander kommunizieren, miteinander (unv.) respektieren. Wenn ich, äh, in meinem Umfeld erlebt habe, dass, dass, äh, Menschen wegen ihrer Hautfarbe (.) umgebracht oder was auch immer, diskriminiert oder was auch immer. Weiß ich nicht, äh, ob ich, ob ich eben so, so denken könnte, und das ist, glaube ich, das ist, glaube ich, das Schwierige an dem Ganzen. Aus was für einer Position man halt irgendwie den, den (klopft) Wandel fordert und. (.) Ja, das ist schwierig. (Luca 2091–2113) Dieses abschließende Zitat bündelt abermals die zentralen Facetten von Lucas rassismuskritischer Praxis. Er sieht die unterschiedlichen sozialen Positionen, die durch Rassismen entstehen, und wie sehr er durch seine eigene Position geprägt ist. Diese Reflexion bringt ihn so weit, sein politisches Hauptvorhaben – den positiven Gesellschaftswandel – als von seiner privilegierten Position bestimmt zu betrachten. Gleichzeitig ist aber nicht zu erkennen, dass er diese Prägung auch als Defizit erkennt. Er macht sich nicht auf die Suche nach unterschiedlichen Perspektiven und Wissen von Menschen, die anders positioniert sind als er, sondern er unterstellt indirekt, dass die »Betroffenen« aufgrund von Verletzungen und negativen Erfahrungen keine »neutrale« und »produktive«

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Perspektive einnehmen können. Er unterstellt hier ein Defizit. Unausgesprochen könnte das wiederum bedeuten, dass damit weiß positionierte Antirassist*innen von rassismusbedingten Vorannahmen oder Prägungen weniger betroffen sind. Ein weiteres Mal zeigen sich in obigem Zitat Lucas Wahrnehmung von Rassismen als Probleme der extremen Rechten und seine Vision einer rassismuskritischen Praxis als Aufklärung für weißdominanzgesellschaftlich positionierte Menschen. Lucas biographische Erzählungen müssen als Gleichzeitigkeit von rassistischer Subjektivierung und den Versuchen von antirassistischer Subjektbildung, die eng an diese Subjektivierungen gebunden bleibt, analysiert und beschrieben werden. Lucas Erzählungen von seinen Erfahrungen in Bolivien können unter dem Motto »Mit kolonialen Grüßen« (vgl. glokal e.V. 2013) resümiert werden. Wie bereits in rassismuskritischen und kolonialkritischen Analysen von Reiseberichten und Freiwilligenerfahrungen belegt (vgl. Backes et al. 2002; Kontzi 2011; Vacano 2010), besteht die Funktion dieser Berichte in der Herstellung eines überlegenen, weißen, europäischen, in diesem Fall männlichen und bürgerlichen Ichs. Hier zeigt sich, wie fließend der Übergang »vom kolonialen zum Entwicklungsdiskurs« (Ziai 2004) funktioniert. Was bleibt, ist ein Weltbild, nach dem Weiße und Westler_innen sich als das Maß aller Dinge sehen, sich an die Spitze und als Vorbild vermeintlicher Entwicklung setzen und andere Menschen, Gesellschaften und Lebensweisen als rückständig klassifizieren und darüber abwerten. Ebenso bleibt ein Denken bestehen, das nach zum Teil gleichen oder ähnlichen Prinzipien wie das koloniale Denken in Rassenkonzepten funktioniert, Menschen diskriminiert und fatale materielle und psychologische Auswirkungen nach sich zieht. (glokal e.V. 2013: 14) Luca bezeichnet seine Zeit in Bolivien als Durchbruch in ein neues (politisches) Ich. Dieser Durchbruch passiert auf der Grundlage von rassistisch relevanten VerAnderungsprozessen. Sein defizitärer, romantisierender, überlegener Blick ist kein ausschließlich individuelles Defizit, sondern vielmehr Teil eines »kolonialen Blicks«, der eben die Erzeugung dieser »idealen« und »normalen« (weiß, männlich, westlich, bürgerlich) Subjektform zum Ziel hat – von deren Erzeugung Luca profitiert. Diese spezifische Subjektivierung beeinflusst dann auch sein politisches Engagement in der österreichischen Stadt. Luca bringt sich dort als politischer Aktivist ein, er schließt sich Initiativen an, besucht Demos und beteiligt sich an politischen Aktionen. Luca positioniert sich dabei als »positiver« Aktivist, der über den gesellschaftlichen Dialog und nicht über Polarisierung seine politischen Forderungen durchsetzen will. Im Rahmen der Erzählung positioniert sich Luca als »neutraler« und »rationaler« Aktivist. Diese »neutrale« Position entwirft Luca dann auch im Zuge seiner Erzählungen zu Rassismus, die nur eine sehr randständige Rolle spielen und nur aufgrund meiner Nachfragen mehr als einen Absatz ausmachen. Luca dethematisiert Rassismus, verschiebt ihn von sich selbst und auch von Deutschland (im Gegensatz zu Österreich) weg. In seinem Fokus steht nicht die Erfahrung mit Rassismen und Menschen, die Rassismen erleben, sondern die »Extremist*innen«, die von der Gesellschaft zu Rassist*innen gemacht werden. Diese unbenannt weiß-dominanzgesellschaftlich markierten, formal weniger gebildeten »Modernisierungsverlierer« will er aufklären und mit positiven Gesellschaftsvisionen bekehren.

7 Darstellung der empirischen Ergebnisse

Die Zwiespältigkeit seiner Konzeption von Privilegien und der damit zusammenhängenden Positionierungen ist sehr vielsagend für Lucas Subjektbildungsprozesse. Luca sieht sich zwar durch seine privilegierte soziale Position geprägt, gleichzeitig liegt für ihn in seinen Privilegien auch die Chance auf gesellschaftlichen Wandel. Privilegien sind in dieser Deutung eine Verantwortung und Bürde: ein Mehr an Wissen und Möglichkeiten und gleichzeitig auch die Verantwortung, für weniger Privilegierte zu sprechen. Luca sieht nicht, dass eben seine Position für diese Deutung verantwortlich ist und er sich damit einer Legitimationslegende bedient, die koloniale Spuren aufweist und die rassistische Gesellschaftsordnung reproduziert. Lucas zufällige Begegnung mit dem Antirassismus ist genauso ein Ausdruck seiner sozialen Positionen und politischen Positionierungen und steht in einem Zwiespalt: Er zeigt sich als engagierter und offener Teilnehmer seiner Initiative, der zentrale Probleme benennt. Er zeigt sich unsicher wegen seiner Positionierung und der Machtverhältnisse innerhalb seines Vereines. Um aber »Handlungsfähigkeit« bewahren zu können, inszeniert er das Problem als »Entweder-oder-Konflikt«: machen oder reden. Luca bezieht sich hier, was sonst eigentlich nicht vorkommt, auf eine Kolleg*in, die sich als PoC definiert, und lässt sich, indem er sie indirekt zitiert, von ihr entlasten. Er macht es sich angenehm, wo es sich zuvor unangenehm angefühlt hat. Im Gegensatz zur rassismuskritischen Praxis von Sascha, dessen biographische Erzählung nachfolgend rekonstruiert wird, sind Lucas antirassistische Praktiken nicht an den konkreten rassistischen Problemlagen interessiert und orientieren sich nicht an den Bedürfnissen von Menschen, die Rassismus erfahren. Antirassismus ist für Luca ein Vehikel, um seine Idee des Gesellschaftswandels voranzutreiben und seine Vision des »offenen Raumes« leben zu können. In manchen Momenten wird Luca allerdings herausgefordert und entwickelt Unsicherheiten. Diese Unsicherheiten stehen in Bezug zu seiner eigenen Position, der Zusammensetzung seiner Initiative, den politischen Forderungen und sie entstehen durch rassismuskritische Lektüre, kritische Gespräche mit Kolleg*innen, das gemeinsame Theaterspielen, in dessen Rahmen er versucht, in andere Rollen zu schlüpfen und andere Erfahrungen ernst zu nehmen und anzunehmen. In dieser Unsicherheit liegt Lucas Stärke, jedes Zögern kann ihm helfen, seine rassistische Prägung, die keine individuelle, sondern eine kollektive ist, besser zu verstehen und dann eine rassismuskritischere Praxis abzuleiten. Geduld, es pflanzt sich. Ähnlich wie in der Erzählung von Luca sind auch in Saschas biographischer Narration Freundschaften impulsgebende Faktoren für das eigene politische Engagement und damit zusammenhängende Politisierungsprozesse. Während bei Luca Freundschaften die Türen zu politischer Arbeit öffnen, sind bei Sascha Freundschaften vor allem ausschlaggebend für die Art und Weise seiner sozialen wie politischen Positionierungen.

Sascha: »What do we owe our friends? We owe them everything« Biographische Skizze Sascha ist zum Zeitpunkt des Interviews dreißig Jahre alt, arbeitet halb im journalistischen Bereich und halb in einem Dienstleistungssektor. Sascha hat unter anderem Politikwissenschaft studiert und sich in mehreren politischen Initiativen eingebracht. Sein

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politischer Aktivismus reicht dabei von Umweltschutz über Geschichtspolitik bis zu Anti-Abschiebe- und Refugee3 -Protesten. Antirassismus ist ein wichtiger Teil seines Engagements, aber nicht der einzige. Die Interviewsituation Ich kannte Sascha bis zur Kontaktaufnahme nicht persönlich und kontaktierte ihn per E-Mail. Von einem Bekannten habe ich erfahren, dass er in das Profil meiner Forschung passen könnte, und so schrieb ich ihn an. Sascha fand sich in der Positionsbeschreibung wieder und willigte einem Interview ein. Wir führten das Interview coronabedingt per Skype (mit Video). Das Interview wurde schnell sehr amikal und war von einer, wir mir schien, gegenseitigen Sympathie geprägt. Interesse für »politisches Zeug« Sascha beginnt seine biographische Erzählung mit dem Nachspüren, wie er denn eigentlich zum Antirassismus gekommen ist. Zwar habe er bereits relativ früh Interesse für »politisches Zeug« (Sascha 7) gehabt, wie er sagt, doch sich wie andere in Jugendabteilungen von politischen Parteien oder Vereinen zu organisieren, wäre nichts für ihn gewesen. Seine Skepsis gegenüber traditioneller, parteiengebundener Arbeit zeigt er an mehreren Stellen des Interviews und es ist ein wichtiges Kennzeichen seiner politischen Tätigkeit. Sascha macht seine erste Erfahrung mit politischem Aktivismus im Zuge einer Besetzung für eine Umweltbewegung. Auch wenn es sich hierbei um seine erste größere politische Aktion handelt, ist er bereits vollumfänglich dabei. Er übernachtet im Protestcamp und radelt frühmorgens in die Schule. Ein weiterer Ort seines politischen Engagements ist die soziale Bewegung »Critical Mass«. Er bezeichnet sich als begeisterten Radfahrer und partizipiert an den »Rückeroberungen« der Straßen. Sascha ist Teil der Studierendenproteste der Uni-brennt-Bewegung und beteiligt sich an Refugee-Protesten sowie an Anti-Abschiebe-Aktionen. Sascha positioniert sich als individualistischer Aktivist, der unabhängig von Organisationen und Parteien agiert, sich aber, wenn er sich für eine Sache entscheidet, vollumfänglich dafür einbringt. Er stellt Ressourcen wie Zeit und Wohnraum zur Verfügung und ist auch jemand, der die »lästige« Hintergrundarbeit erledigt – wie Behördengänge und Übernachtungen bei Besetzungen und ähnliches. Sascha zeigt sich auch als jemand, der nicht nur aus idealistischen, sondern auch aus konvivialen Gründen heraus – also weil er es für bestimmte Menschen tut – politisch aktiv ist. Er entwirft sich als neugierige, eine Spannung suchende Person und als einen Aktivisten, der sich von Freund*innen für bestimmte Anliegen begeistern und sensibilisieren lässt. Der Wert von Freundschaft Für Sascha geht sein Interesse für »politisches Zeug« Hand in Hand mit Freundschaften. Im Rahmen seiner biographischen Erzählung platziert er Freundschaft gewissermaßen im Mittelpunkt. Freundschaft ist oft Startpunkt und ein Ziel von politischer Arbeit und

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»Refugee« ist die Selbstbezeichnung der Akteur*innen der selbstorganisierten Proteste. Im Kontext der Proteste werde ich deshalb diese Bezeichnung verwenden.

7 Darstellung der empirischen Ergebnisse

sein Mittel, um trotz der eigenen privilegierten Position eine rassismus- und sexismuskritische Positionierung überhaupt andenken zu können: Weil ich generell glaube, und das hat auch mit dem Thema zu tun, dass man, dass halt Freunde, was ganz, ganz Wichtiges sind für Politisierungsprozesse und dass wir, dass wir ja nicht allein auf dieser Welt leben, sondern, dass es, ich habe den unterschiedlichen Punkt, habe ich es in meinem Leben immer wieder gemerkt. Nicht nur, was irgendwie die Frage betrifft, was Antirassismus ist oder was antirassistische Kämpfe bedeuten, wenn sie, wenn diese Kämpfe geführt werden, aus ganz unterschiedlichen Positionen, sondern eine ähnliche Frage stellen. (.) Was tut man so als Typ mit dem Feminismus? [Mhm.] Und war für mich auch schon ein wichtiger Punkt, dass ich halt einfach da ganz viel gelernt habe von Freundinnen, von Genossinnen, von WG-Kolleginnen und, und. (.) Das Gleiche war das mit meinem Antirassismus. (Sascha 17–25) Sascha denkt Politisierungsprozesse nicht ohne seine Freundschaften und so könnte geschlussfolgert werden, dass Freundschaft politische Dimensionen besitzt. Ohne Freundschaften wären seine politischen Bildungsprozesse nicht möglich gewesen. Diese Freundschaften, das wird schnell klar und er spricht es offen an, sind ein wichtiger Faktor, der es ihm ermöglicht, aus seiner Position heraus antirassistisch und feministisch aktiv sein zu können. Aber auch im Zuge anders gelagerter Proteste und Tätigkeiten sind Freundschaften entscheidend für sein Denken und Handeln: Und auch das Eintreten in so einen, so eine aktive Auseinandersetzung mit politischen Fragestellungen, politischem Aktivismus war auch damals, wie ich so circa 18 war, was eben auch schon ein Freund von mir, der Daniel, wo wir dann angefangen haben * [Ort der Besetzung], so mit zu besetzen. [Mhm.] Also es hat, war ziemlich kontingent, hätte irgendwas anderes genauso gut sein können. (Sascha 28–32) Sascha verschweigt im Zuge der Erzählungen zum Einfluss von Freundschaften auf seinen Aktivismus nicht, dass damit auch eine gewisse Beliebigkeit, positiv ausgedrückt eine Offenheit, einhergeht. Sein Protest ist nicht immer ursprünglich inhaltlich, erfahrungsbasiert motiviert, sondern meist über Freundschaften vermittelt. Als prägend für seine rassismuskritische Subjektbildung beschreibt Sascha eine weitere Freundschaft, die auch kurzeitig eine Liebesbeziehung ist: Ähm, dann, das war sehr, eine sehr intensive Zusammenarbeit, wo ich dann auch in die Beziehung gekommen bin mit einer Kollegin von dort und wir waren dann drei Jahre zusammen und die ist auch jetzt immer noch so meine engste Freundin und die ist halt selber of Color und ist in den USA aufgewachsen. Also sie ist Jüdin und sie ist schwarz oder nach Kontext oder brown oder so. [Mhm.] Und […] ja, ich mein, wenn ich die nicht kennengelernt hätte, dann wäre mein Zugang zu Rassismus und Antirassismus ein völlig anderer, ähm. (Sascha 180–186) Die angesprochene enge Freundschaft entsteht im Zuge eines aktivistischen Kontextes. Sascha setzt sich hier erstmals breiter mit Rassismen auseinander und tut dies sogleich im engen Austausch mit seiner Freundin. Sascha führt auch an, dass der Altersunterschied – seine Freundin ist knapp zehn Jahre älter als er –ebensoeinen wichtigen Faktor für Lernprozesse seinerseits darstellt. Die Freundschaft war Liebesbeziehung und Ar-

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beitsbeziehung und ist ein sehr wichtiger Teil seiner biographischen Erzählung. Er bezeichnet die Freundschaft gar als auschlaggebend für seinen Zugang zu Rassismus und Antirassismus, ohne genau zu beschreiben, wie er anders hätte sein können. Die Beziehung – und das wird auch in anderen Sequenzen deutlich – prägt eine wichtige Komponente seiner rassismuskritischen Arbeit: er nennt es »die Solidarität von Ungleichen auf Augenhöhe«: Und ja, und daher dieses Interesse, dieses theoretische Interesse dann auch. Und wie geht es, Solidarität unter Ungleichen auf Augenhöhe? Also das ist alles andere als dann ein gleichberechtigtes Verhältnis. Aber wie kann man diese teilweise radikalen Ungleichheiten, ich sage mal, das auf eine Augenhöhe gleichstellen? (Sascha 760–763) Sascha weiß um die unterschiedlichen Positionen in der Gesellschaft und den Umstand, dass er relativ privilegiert positioniert ist. Gleichzeitig liegt seine Motivation für antirassistische Politiken in dem Wunsch, die gesellschaftlich hergestellten Ungleichheiten dahinter zu bekämpfen. Er fragt sich, wie es innerhalb von Beziehungen gelingen kann, sowohl die Wirkungsweise von sozialen Ungleichheiten zu berücksichtigen als auch eine Alternative dazu zu leben. Aber irgendwann ist mir aufgefallen, dass für mich zumindest diese Beziehung auch dadurch geprägt wird, dass wir auch eigentlich nicht darüber gesprochen haben über diesen Unterschied. Und, und dass, dass diese, diese Form der Verbindung auch darauf beruht hat, nicht immer und immer wieder zu wiederholen, was uns voneinander trennt, sondern vielleicht, um es zuzuspitzen, auch teilweise auch dass, dass wir das halt vergessen haben. (…) Und dann teilweise kocht es halt wieder auf. Aber wir verhandeln das natürlich immer wieder. Und wir verhandeln das natürlich auch sehr offen darüber, dass, dass wir beide auch auf eine unterschiedliche Art und Weise immer wieder aufeinander angewiesen sind und voneinander ja, also im Prinzip freundlich zu sagen, voneinander lernen. (Sascha 1015–1024) Sascha beschreibt in der wiedergegebenen Sequenz eine Beziehung, in der über Aushandlungs- und Lernprozesse eine Form der »Konvivialität« (vgl. Illich 2014) entsteht, die eine Grundlage für die von ihm beschriebene »Solidarität von Ungleichen auf Augenhöhe« bildet. Konviviale Momente, solidarische Beziehungen und Orte der Vielheit bieten Lernerfahrungen darüber, was uns trotz der machtvollen Systeme der sozialen Ungleichheit, in die wir eingewebt sind, verbindet (vgl. Gilroy 2004). In diesen Freundschaften, Beziehungen, Assoziationen werden neue Formen des Miteinanders erprobt – es entstehen kleine Brüche der symbolischen Ordnungen der Rassismen. Gleichzeitig macht Sascha deutlich, dass es hierbei nicht um eine »Überwindung« von Rassismen gehen kann. In der Formulierung »teilweise kocht es halt wieder auf« drückt Sascha aus, ohne es mit Beispielen auszuführen, dass Rassismen sehr wohl immer wieder eine Rolle auch innerhalb ihrer Beziehung und Freundschaft spielen, und zugleich auch, dass sie in anderen Momenten zwar in ihrer Beziehung vergessen werden, sie aber freilich weiter in gesellschaftlichen Ordnungen eingeschrieben bleiben. Während Sascha die besprochene anfängliche Liebes- und nun Freundschaftsbeziehung als maßgeblich für seine antirassistische Arbeit und seine soziale Positionierung in dem Feld bezeichnet, ist sie nicht die erste Beziehung, die ihn für Antirassismus moti-

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viert und sensibilisiert. Der Freund, mit dem Sascha noch zu Schulzeiten in der Umweltbewegung engagiert ist, wird wegen der griechischen Migrationsgeschichte seiner Familie mit Herkunftsdialogen und ethnisierenden Zuschreibungen konfrontiert. Sascha ist Zeuge und indirekt betroffen und sieht erstmals den Unterschied zu sich selbst, als damit nicht konfrontierte Person. Diese Erfahrungen bezeichnet er als eine der ersten Situationen seines Lebens, in denen er bewusst mit Formen des Rassismus konfrontiert ist. Im Zuge seines internationalen Zweitstudiums, auf das später eingegangen wird, sind weitere für seine eigene rassismuskritische Haltung und seinen Aktivismus prägende Freundschaften entstanden: Und war, war dann das Studieren mit, mit Leuten, die ja aus sogenannten Drittstaaten kommen. Und so dann sicher ganz klar, irgendwie so einzelne Beziehungen mit Leuten, die halt Rassismus selber am eigenen Leib erfahren. Das war sicher das Wesentlichste, würde ich sagen. (Sascha 609–612) Freundschaften vermitteln Sascha die Erfahrung des Rassismus, ohne dass er Rassismus am eigenen Leib erfährt. Rassismen kommen so Sascha aber näher, es betrifft ihn, weil es enge Freunde betrifft. Es betrifft ihn, weil er als Zeuge dabei ist, weil ihm wichtige Freund*innen davon erzählen. Dann habe ich noch einen anderen Freund gehabt, mit dem ich immer noch so halb in Kontakt bin, der lebt jetzt über zehn Jahre jetzt hier als, hat iranische Papiere. Der lebt hier als Zeitungsverkäufer schon ganz lange. Hat den Mund verletzt gehabt. Und dann bin ich wieder ins Spital gegangen zum Beispiel, weil ja dann sein Deutsch noch nicht so gut war. Und da hat man einen Unterschied gemacht, ob du (…) Deutsch kannst oder so etwas kannst. (Sascha 730–735) Wenn Sascha diese indirekten Rassismuserfahrungen macht – wenn also Rassismen »nahestehende Personen« (Mecheril 2015: 159) betreffen –, macht er auch gleichzeitig Privilegierungserfahrungen. Indirekte Rassismuserfahrungen können eine Brückenfunktion zu diesen Privilegierungserfahrungen darstellen, weil Sascha in der Marginalisierung seines Freundes einen Unterschied zu seiner eigenen Position und zu eigenen Erfahrungen ausmacht. Saschas Erzählungen zur Relevanz von Freundschaften für seine politischen und antirassistischen Praktiken wie Positionierungen müssen ebenso in Bezug auf rassismusrelevante Diskurse betrachtet werden. Die Positionierung als »Friend of People of Color« (vgl. Thompson 2003) könnte ein Ausdruck einer Haltung sein, die Audrey Thompson als Versuch, ein »guter Weißer« (»good whites«) zu sein, beschrieben hat (vgl. ebd.). Sie meint damit eine Haltung, die auf das unangenehme Eingeständnis der eigenen privilegierten Position und der Verstrickung in rassistische Verhältnisse reagiert, indem gezielt Beziehungen aufgebaut und ausgebeutet werden, die abermals die eigene Position entlasten sollen. Die Aneignung von Erfahrungen, Wissen, Zitaten (etwa im wissenschaftlichen Betrieb) führe dann einerseits zur Selbstentlastung, indem ein progressives Selbst behauptet wird, und andererseits abermals zu eigenem Profit, indem diese Positionierung dann zu beruflichem, persönlichem Erfolg kapitalisiert werden. Hier wird also abermals eine »Re-Zentrierung des Weißseins« vorgenommen, mit welcher allerdings

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vorgegeben wird, Erfahrungen und Stimmen von People of Color in den Mittelpunkt zu stellen. Sascha positioniert sich in seiner biographischen Erzählung wohl auch als »guter Weißer«. Entscheidend ist, dass er für sich beschließt, aus den Freundschaften Konsequenzen zu ziehen. Konsequenzen, von denen er mal profitiert und mal nicht profitiert. Er geht mühsame Behördenwege, er schreibt über bestimmte Dinge nicht alleine, spricht über Rassismen nur in einer bestimmten Konstellation, die verschiedene Erfahrungen berücksichtigt. Sascha sucht nicht »Friends of Color«, sondern findet Freund*innen, mit denen er sich nach einer gewissen Zeit auch über Rassismen austauscht. Der Schlüssel dabei ist, dass es sich um »authentische Beziehungen« (vgl. Bee 2013) handelt. Diese Freundschaften sensibilisieren ihn, er lernt von ihnen. Seine rassismustheoretische und -kritische Haltung ist grundlegend von ihnen gezeichnet. Er hat die schmerzhafte Erfahrung gemacht, dass gesellschaftliche Ungleichheiten auch Freundschaften durchziehen, aber auch, dass sie in Momenten vergessen werden (können). Arbeiterfamilie Sascha erzählt an einigen Stellen des Interviews von seinem Vater, der zwar keine politische Arbeit im engen Sinne macht oder gemacht hat, auf Saschas politische Haltung aber großen Einfluss hat: Mein Vater hätte sich jetzt nie als Aktivist oder so bezeichnet und war auch im Vergleich zu anderen Eltern, die ich da mitbekommen habe, auf die ich dann auch so ein bissel eifersüchtiger war, war er nie so wirklich so Vollblut-Aktivist, sondern als Lehrer gerade in der Bildungsarbeit probiert, politische Bildungsprozesse anzustoßen, würde ich sagen, ja (.) eher mit migrantischen Jugendlichen in der Berufsschule zu tun gehabt. Da war das schon irgendwie ein Thema und ist selber aus einer Arbeiterfamilie da gekommen und in die Schule, hat da dann zum Arbeiten angefangen so, und wenn es um so die Frage von Klasse geht, halt, ne? Das ist die nächste Frage, mit der ich mich auch immer wieder auseinandersetz. [.] Aber ich merke schon, dass das, so diese Arbeitergeschichte, da schon immer so eine Rolle spielt, auch. Und es hat schon auch damit auch Einfluss, vielleicht so eine billige Ausrede, aber ich glaube, dass das auch ein Grund dafür ist, warum ich so lange diese ganze Wissenschaftskarriere vor mir hergeschoben habe, weil ich mir das irgendwie auch nicht zugetraut hätte, so ganz [mhm]. Ich habe mir gedacht, ich auf der Uni, nein, das kann ich mir nicht vorstellen, das schaffe ich nicht. [Ja.] Und einerseits und andererseits das irgendwie rationalistischer oder rationalisierter als so eine anarchistische Abneigung der Uni gegenüber. Also auch nach wie vor die ich noch habe, ja? Und die ganze Karrierekacke auch aus, aus Überzeugung abgelegt, äh, abgelehnt habe. [Ja.] Und jetzt habe ich über die letzten Jahre mir trotzdem gedacht, naja, irgendwie so dahin, mehr halt dann in super prekären Jobs. So langfristig, glaub ich, macht mir das dann auch wieder keinen Spaß. (Sascha 37–55) Auch wenn Saschas Eltern nicht mehr als Arbeiter*innen positioniert sind, so wirken die Erfahrungen von Saschas Vater auch noch auf die biographische Erzählung seines Sohnes ein. Die Klassengeschichte der eigenen Familie ist für Sascha ein Ort des Lernens. Einerseits über die Macht des Klassendenkens, sodass er selbst noch fühlt, mit zu we-

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nig Selbstvertrauen für eine Universitätskarriere ausgestattet zu sein – eine Aussage, die er mit einem Fragezeichen versieht. Andererseits lässt Sascha diese soziale Reflexivität aber nicht nur eigene und familienbedingte Deprivilegierungen, sondern auch eigene Privilegierungen besser erkennen: Ähm, mein Papa war ja irgendwie so Working-Class-Hintergrund, aber gleichzeitig hat er auch immer wieder uns eingebläut, und der Überzeugung bin ich schon, bin ich halt einfach in einer wahnsinnig privilegierten Position, ja? [Mhm.] Und irgendwie, also ich habe auch irgendwie recht Glück mit meinen Eltern, dass sie recht entspannt sind und viel von den Sachen, die ich gemacht habe, unterstützt haben. Äh, mir da auch nicht im Weg gestanden sind. Und irgendwie habe ich halt immer so ein Bedürfnis gehabt, möglichst, möglichst viele andere Dinge mitzukriegen [mhm]. (Sascha 81–87) Sascha nützt die eigene Familiengeschichte, um einerseits Wissen über klassenbedingte Deprivilegierungen zu gewinnen und nachzuspüren, was das mit ihm selbst und seiner Selbstwahrnehmung zu tun hat, und andererseits, um eine Brücke zu schlagen und andere Ungleichheiten besser zu verstehen. Saschas Lernprozesse der Reflexion von klassenbedingten Ungleichheiten zeigen sich hier in einem rassismuskritischen Sinne produktiv, da sie auch zur Einsicht über eigene Privilegien führen und somit Privilegierungserfahrungen ermöglichen. Der Verweis auf die eigenen Marginalisierungserfahrungen kann entweder Brückenfunktionen erfüllen oder aber als Rechtfertigungsdiskurs für die eigenen relativen Privilegien instrumentalisiert werden. So könnte Sascha sich selbst als Nichtprivilegierter darstellen, was zwar in Relation zu Menschen aus stärker bildungsbürgerlichen Schichten stimmt, nicht aber in Bezug auf rassistische und sexistische Vergesellschaftung. Reisen und das Verhältnis zwischen Antirassismus und Neugier Sascha kommt recht früh im Interview auf seine Interpretation von Reisen als Bildungserfahrungen zu sprechen. Dabei zeigt er sich als jemand, der die Kritik an Reisen und Reisereflexionen vor dem Hintergrund post/kolonialer und rassistischer Diskurse kennt und gleichzeitig für sich einen rassismuskritischen Wert im Reisen an sich und in seinen Reisen im Konkreten ausmacht: Und ich glaube schon, dass, und das unterscheidet mich vielleicht von anderen Antirassismus-TheoretikerInnen, ich bin ja schon der Überzeugung, dass Antirassismus schon auch viel mit Neugier zu tun hat, ja? Weil, es gibt da so eine starke Kritik am Reisen. Und dann Europäer und so [ja]. Ich glaube, es wird zu schnell dann teilweise von postkolonialen TheoretikerInnen in eine, in eine Box gesteckt mit einer Exotisierung oder so (.). Natürlich aus gutem Grund, weil, weil diese ganze Reiseliteratur natürlich auch viel exotisiert hat, ne? Die europäische Reiseliteratur, die eine eurozentrische natürlich ganz oft war [ja]. Aber, also wenn ich jetzt über das Verhältnis zwischen, zwischen Neugier und Antirassismus nachdenke, und das ist natürlich eine delikate Angelegenheit [mhm], dann glaube ich, dass der Antirassismus oder mein Interesse und auch meine Involvierung in antirassistische Praxis schon ganz, ganz viel damit zu tun hat, dass ich eigentlich immer neugierig war, auf andere Lebensrealitäten, ja? (Sascha 71–81)

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Sascha markiert sein Nachdenken über Antirassismus und Neugier als delikat. Seine Neugier auf »andere Lebensrealitäten« könnte auf einem Wissen über soziale Ungleichheiten beruhen und darüber, wie sich diese auf Menschen auswirken und wie sie damit umgehen, oder aber begründet sein in der angelernten Vorstellung von »Anderen«, die auf der Grundlage von rassistischem und ethnisierendem Wissen gewonnen wird. Zweiteres scheint der Grund dafür zu sein, dass er das Nachdenken über Antirassismus und Neugier als delikat bezeichnet. Der offensichtlich problematische Zusammenhang zwischen Rassismen und Neugier liegt auch in der alltagsrassistischen Problematik des »Herkunftsdialoges«, des »Wurzeldiskurses«, der alltäglichen Frage des »Wo kommst du eigentlich her?«. Auch wenn aus den bisherigen Erzählungen von Sascha der Eindruck entsteht, seine Neugier ist eher aus einem »sozialwissenschaftlichen Wissen« begründet, so können beide Wissensformen nicht absolut voneinander getrennt werden. Saschas Reisen sind für ihn auch Anlässe, über die eigene »Lebensrealität« nachzudenken, wie er anhand einer Reise nach Ghana erläutert. Die folgende Sequenz ist auf meine Nachfrage zur Bedeutung seiner eigenen Reisen entstanden: [E]igentlich in einem Land zu sein, wo du jetzt mal als Weißer aber ganz eindeutig in der Minderheit bist. Und in einem Land zu sein, wo ganz klar ist, dass du dorthin halt 1000-mal einfacher reisen kannst als die da rüber. [Ja.] Das war schon nochmal so eine krasse Erfahrung, die auch dazu geführt hat, dass ich mit Leuten, die einem irgendeinen Blödsinn andrehen wollten, sehr schlecht habe ablehnen können und mir ziemlich viel Scheiße unterjubeln habe lassen, dass ich gesagt habe: »Ja okay, nein, das mag ich irgendwie, dann doch nicht.« So viel schlechtes Gewissen habe ich auch nicht, dass ich mir Scheiße andrehen lasse, weil ich da ein bisschen unangenehm war. Aber nun ja (lacht), das war okay. Ja. (Sascha 637–646) Sascha hat auf der besagten Reise die Erfahrung gemacht, in einer Minderheitenposition und gleichzeitig im globalen Maßstab privilegiert positioniert zu sein. Eine Form des Umganges mit seiner Position, die er in der Sequenz anspricht, ist jene des schlechten Gewissens (vgl. »white guilt« im globalen Kontext Kimball 2013), aus der heraus er zum »Geber« wird. Eine Position, die fast schon typisch ist für junge, weiße, privilegierte Tourist*innen in den Ländern des globalen Südens, die sich nicht nur als »Helfer_innen oder Expert_innen, sondern auch als kleine Polizist_innen oder sogar als Menschenrechtsbeobachter_innen verstehen« (glokal e.V. 2013: 28). Diese Positionierung wurde bereits bei Luca deutlich und sie wird bei Sascha, wenn schon nicht aktiv hergestellt, so zumindest nicht dekonstruiert. Auffallend in der Sequenz von Sascha ist der im Vergleich zum gesamten restlichen Interview unterschwellig aggressive Tonfall, der sich in der wiederholten Verwendung des Ausdruckes »Scheiße« zeigt. Im restlichen Interview verwendet er den Begriff nur bei wenigen drastischen Situationen, wie etwa wenn es um Abschiebungen geht. Es bleibt am Ende der Sequenz fraglich, ob er die Positionierung des Gebers verlässt, weil es aus der Erkenntnis erwächst, dass er es aus den für ihn falschen Motiven macht – also weil er nicht »gibt«, weil ihm die Produkte gefallen, sondern weil er an sein schlechtes Gewissen erinnert wird –, oder ob er keine Produkte kaufen möchte, weil sie ihn an seine soziale Position im globalen Maßstab erinnern, was ein schlechtes Gewissen auslösen kann.

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Sascha integriert seine Erfahrung aber auch anderwärtig und nimmt aus der besagten Reise eine zentrale Erkenntnis mit, die wichtig werden sollte in Bezug auf seinen Aktivismus im Kontext von Refugee- und Anti-Abschiebe-Protesten: Es geht einfach nicht, dass die einen jetzt nirgendwo, die einen praktisch überall hinreisen können und ganz viele andere Leute, die einfach auch genauso aus ihrem Körper von ihrer Mutter irgendwann mal rausgekommen sind, dass die das einfach nicht können. Es gibt da keine Rechtsgrundlage, außer dass sie woanders als aus dem Körper der Mutter rausgeflutscht sind. Und das ist furchtbar, furchtbar arbiträr, furchtbar arbiträr. Und insofern vollkommen ungerecht. (Sascha 650–655) Sascha blickt auf seine Erfahrungen, als Weißer, als Europäer, als Wohlhabender, als Privilegierter erkannt zu werden, nicht in der Tradition einer hegemonialen Umkehrbewegung mittels eines »Reverse Racism«. Ganz im Gegenteil liest er seine Erfahrung in der Minderheitenposition vor dem Hintergrund einer postkolonial-kapitalistisch-rassistisch geprägten Weltgesellschaft, die ihm mehr ermöglicht als anderen, und das nur aufgrund seiner sozialen Position und Staatsbürgerschaft. Er sieht sich in der Position des Reisenden und nicht des Entdeckers, Helfers oder Weltverbesserers. Indem er sich als Reisender positioniert, und mit seinem Wissen über die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten von globaler Mobilität, erkennt er seine privilegierte Position und schließt daran seine politische Forderung an: Mobilität für alle. Sascha positioniert sich in dieser Hinsicht als soziologisch neugierig, wobei das natürlich nicht bedeutet, dass diese Positionierung automatisch rassismuskritisch ist. Sein Wissen über die Probleme von Neugier in Bezug auf Reisen, wie Exotisierung und Othering, lassen ihn seine Neugier nicht ohne Selbstskepsis ausleben. Im Interesse für »andere Lebensrealitäten« liegt das Potenzial, Ungleichheiten zu erkennen und zu verstehen und damit auch die eigene Position besser zu verstehen. Gleichzeitig existieren viele wirkmächtige Diskurse, die eine koloniale und voyeuristische Deutung von Reisen anbieten. Studium und das Interesse für andere Lebensrealitäten Sascha absolviert ein innerstädtisches Gymnasium, das nicht in dem Stadtrandviertel seiner Kindheit liegt. Die Schule beschreibt Sascha als divers und er deutet die Schulerfahrung und die Zeit in dem städtischen Umfeld als entscheidenden Faktor für sein Interesse an der Gesellschaft und »anderen Lebensrealitäten«. Zu seinem Studium ist er dann abermals über einen Freund gekommen. Er belegt zwei unterschiedliche Studienrichtungen, einmal künstlerisch und einmal sozialwissenschaftlich, und kommt im Zuge des Studiums fortlaufend mit politischer Arbeit in Kontakt. Im Nachfrageteil des Interviews wollte ich von Sascha wissen, wie er den Einfluss seines von ihm so bezeichneten diversen städtischen Umfeldes auf seine antirassistische Subjektbildung einschätzt. Er meint dazu, dass sein englischsprachiges Zweitstudium in dieser Hinsicht prägender gewesen sei: Ja. Weil, wirklich viele Leute da nicht Deutsch geredet haben, weil, die Umgangssprache Englisch war und die noch als, also so, also so Studis aus der ganzen Welt waren

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jetzt auch überhaupt nicht alle reich gewesen sind, aber was natürlich eine andere Form der Migration ist als, als Gastarbeiter-Migration. (Sascha 549–553) Die Internationalität seines Studienganges bringt ihn laut eigener Aussage mit der Kritik am Eurozentrismus vertieft in Berührung. Der kollegiale Austausch ermöglicht die von ihm als Zielvorstellung ausgerufene »Augenhöhe unter Ungleichen«. Sascha sieht hier einen entscheidenden Unterschied zu dem, wie er sagt, »weiß« dominierten Umfeld seines Stadtrandviertels. Er deutet im Zuge der Erzählung über seine schulische und universitäre Zeit an, dass erst die Erfahrung eines Umfeldes der Vielfalt ihm vor Augen geführt habe, dass er, mit »Kanak Attak« ironisch gesprochen, in einem »weißen Ghetto« (vgl. Kanak Attak 2002) aufgewachsen ist. In Bezug auf seine allgemeine politische Sozialisation hebt Sascha besonders die »Uni-brennt-Proteste« 2009 als zentralen Lernmoment hervor. Die Proteste sind für ihn auch deshalb wichtig, weil er das Gefühl bekommt, dass in Österreich politisch ja doch etwas weitergehe. Die große Dimension der Proteste und die Strahlkraft in viele weitere Länder prägt ihn positiv und gibt seinem Aktivismus einen Sinn. Seine Mitarbeit bei einer Arbeitsgruppe ist im Hinblick auf seine rassismuskritische Positionierung wichtig, weil er hier auch erstmalig antirassistische Praxis betreibt: Bei den Uni-Protesten, habe ich an so unterschiedlichen AGs mitgearbeitet und eine, die ganz wichtig war, war die * [Name der AG]. Ähm, wo wir zu Straßennamen gearbeitet haben und es der Anspruch eigentlich war, uns mit der Manifestation von hegemonialer Geschichtsschreibung auseinandergesetzt haben. Also einfach ausgedrückt, Denkmäler und Straßennamen. Und da wollten wir sie inhaltlich einerseits anschauen, wie mit Kolonialismus umgegangen wird, und andererseits mit Faschismus umgegangen wird. Es hat sich dann durch, dass halt mehr faschistische Geschichte in Österreich sichtbar ist, würde ich sagen, ist es, hat es sich fast ausschließlich um die Frage von Faschismus und Antisemitismus gedreht. Recht wenig über Kolonialismus, was ich schade fand, aber es gibt Schlimmeres. (Sascha 171–180) Saschas Studienzeit ist von Beginn an eng mit politischer, antirassistischer Tätigkeit verbunden. Er zeigt sich als jemand, der tief gräbt und mehr tut, als auf Demonstrationen dabei zu sein. Er widmet sich auch der historischen Aufarbeitung, die den ersten Baustein seiner rassismuskritischen Tätigkeiten darstellt. Es zeigt sich aber auch, dass Sascha sich jederzeit auf die Perspektive des »Nichtbetroffenen« zurückziehen kann. Dabei kann er scheinbar schmerzlos und ohne erkennbaren Grund Geschichte relativieren, wie in seiner Aussage zur Aufarbeitung des Kolonialismus durchklingt: »recht wenig über Kolonialismus, was ich schade fand, aber es gibt Schlimmeres«. In solchen Relativierungen – auch wenn nicht als Relativierung intendiert – liegen die Fallen des Antirassismus aus einer privilegierten Position. Saschas »Interesse für andere Lebensrealitäten« bedient sich zum Teil einer Sprache und Deutung, die wie so viele andere Sprachpraktiken nicht frei von rassistischen, ethnisierenden, kulturalisierenden Mustern ist. Ein Beispiel dafür ist seine Verwendung von migrantisierenden Diskursen: Das war schon ein Gymnasium, aber ich habe, man kann schon sagen, es waren jetzt nicht nur weiße Kids oder so. War schon sicher die Mehrheit, aber es war, glaube ich,

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schon migrantischer die Klasse, als wenn ich in * [Wohnort] ins Gymnasium gegangen wäre, und ich bin im Nachhinein doch sehr froh drüber, dass ich da nicht in einem zu behüteten Umfeld war. Und war auch irgendwie viel am * [öffentlicher Platz] unterwegs, na? Wo es dann irgendwie teilweise so, ja so halbstarke junge migrantische Jugendliche ein bissl abgehangen sind, na? Mir ist nie was passiert. Von anderen Leuten habe ich dann schon gehört, dass sie irgendwie troubles gehabt haben. Weil es halt Trottel unter diesen Wanna-be-Gangsters sicher auch gegeben hat [ja]. Ja, und irgendwie habe ich das auch, nur wenn ich vielleicht wirklich eine aufs Maul gekriegt hätte. (.) I don’t know, vielleicht hätte ich mich ein wenig anders entwickelt. (Sascha 89–98) In dieser Sequenz des Interviews zeigt sich, dass auch Sascha einige Grundannahmen transportiert, die in rassistische und/oder migrantisierende Diskurse verstrickt sind. Nicht nur wird in dieser Sequenz das hegemoniale Bild eines kriminellen männlich-migrantischen Milieus reproduziert, sondern gewissermaßen rassistische oder migrantisierende Anschauungen und Positionen als Reaktion auf ein ebensolches angeblich existentes Milieu normalisiert. Sascha positioniert sich als jemand, der ein tiefgehendes »Interesse für andere Lebensrealitäten« hat und aus diesen Differenzen Lernerfahrungen über die Gesellschaft und seine Rolle darin mitnehmen will. Die Suche nach diesen Lernerfahrungen lässt ihn tief in der Geschichte graben und macht aus ihm einen sehr engagierten, weitgehenden Antirassisten. Gleichzeitig stellt er im Suchen und Interpretieren der Differenzen jene auch aktiv her, indem er in Teilen auf hegemoniale migrantisierende Deutungsmuster zurückgreift. Refugee- und Anti-Abschiebe-Proteste Sascha ist Teil zweier größerer Protestbewegungen, die antirassistischer Arbeit in Österreich neue Impulse gegeben haben. Er bringt sich in die Refugee-Bewegung4 ein und ist Teil von Anti-Abschiebe-Protesten. Sascha zeigt im Zuge seines politischen Engagements Ausdauer und Risikobereitschaft. Er investiert viel Zeit in seine Tätigkeiten, kommt mit der Polizei in Konflikt und stellt in diesen Phasen seine berufliche und studentische Karriere etwas in den Hintergrund. Ja, und da haben wir halt dann (.) blockiert. (.) Ja und wie ich das mitbekommen habe, dass es das halt gibt, habe ich mir gedacht, das macht schon Sinn, da mitzumachen, und habe es halt irgendwie, so gut ich es geschafft habe. Ich bin in der Nacht aufgestanden und habe halt ein paar von diesen Blockaden. (.) Weiß ich nicht, über einen Zeitraum von ein paar Jahren, war ich dann halt bei so Anti-Abschiebe-Protesten [mhm]. (Sascha 138–142) Von den Aktionen nimmt Sascha in letzter Zeit Abstand, auch weil sie, wie er meint, in den seltensten Fällen erfolgreich sind – also auch tatsächlich eine Abschiebung verhindern können. Positiv in Erinnerung bleiben ihm die geglückten Aktionen, die laut seiner

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Die Bewegung begann mit einer Kundgebung von somalischen Geflüchteten vor dem Parlament in Wien 2012 und dem Refugee-Marsch von Traiskirchen nach Wien im November 2013 (vgl. Mokre 2015).

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Erzählung nur dann funktionieren, wenn genug Leute mobilisiert werden können, was dann wiederum auch mediale Aufmerksamkeit bringt. Im Nachfrageteil des Interviews interessierte ich mich für seine Rolle im Zuge der Refugee-Proteste. Ich wollte wissen, welche Aufgaben er übernommen hat, welche Positionierung er dabei wählte: Also schon von dieser Zeit nehme ich ganz stark die Einsicht mit, dass so antirassistische Arbeit, wenn sie wirklich mit Leuten zu tun hat, die von Illegalisierung betroffen sind, dass sie ganz viel in so einer Arbeit liegt, die recht uninteressant, also recht unaufregend ist. Also zum Beispiel sich um die Papiere und Aufenthaltstitel von einzelnen Leuten kümmern [ja]. Das hat geheißen, ich mache mit Leuten Behördenwege oder noch viel früher oder sozusagen noch weniger explizit politisch, aber meiner Meinung nach überhaupt nicht weniger politisch, so. Die Leute brauchen einen Pennplatz und bleiben dann ein paar Tage und dann lernt man sich kennen und so. (…) Und dann Übersetzungsarbeit in den, in den Treffen [mhm]. So ein bisschen was, was alle gemacht haben, ja? (Sascha 326–334) Sascha bringt sich in die Protestbewegung ein und übernimmt ganz pragmatisch die Unterstützungsarbeiten, die anfallen, stellt seine Wohnung zur Verfügung und bietet seine Freundschaft an. Die Refugee-Proteste in Österreich waren laut Monika Mokre besonders dadurch gekennzeichnet, dass eine »Überlagerung von politischen, freundschaftlichen und Liebesbeziehungen« (Mokre 2015: 9f) stattgefunden hat, »die eine der spezifischen Qualitäten der Bewegung darstellte«. (Ebd.) Die Proteste von Geflüchteten sind in hohem Maße von rassistisch aufgeladenen öffentlichen Diskursen begleitet. Ein Motiv, das häufig tradiert wird, ist jenes der Geflüchteten als Spielball von als »einheimisch« verstandenen und als »Gutmenschen« diffamierten Aktivist*innen und gleich der als »Asylindustrie« verunglimpften Vereine und Initiativen. In diesem Diskurs wird ein Bild von unpolitischen, passiven Geflüchteten und von paternalistischen, ideologisch motivierten Helfer*innen (vgl. Mokre 2015: 14) hervorgebracht. Gleichzeitig ist die Problematik des Paternalismus, der Fremdvertretung, wenn es um institutionelle (Sozial-)Arbeit mit Refugees geht, ein grundlegendes Problem antirassistischer Kämpfe im Bereich Flucht. Geflüchtete werden hier als handlungsunfähige Opfer konstruiert und ihnen werden im Zuge einer »Täter-Opfer-Retter«Formation (Niedrig & Seukwa 2010) passive Rollen zugeteilt. Im Zuge der Proteste positioniert sich Sascha als ein pragmatischer Verbündeter, der dort unterstützt, wo er gebraucht wird, und weder in die erste Reihe will oder muss, noch eine eigene Agenda verfolgt. Gleichzeitig fragt er sich selbstkritisch, ob seine Motivation vielleicht aus einer Suche nach Dankbarkeit, einer Anerkennung als »Helfer« resultiert: Und was ist Gastfreundschaft und Solidarität? Wo, wo gibt es eine Grenze zu ziehen? Wie ist das mit der Dankbarkeit? (…) Dankbarkeit zu, zu verlangen, braucht es doch irgendwie eine Form von Anerkennung, dass man da was tut? Wo wird es denn moralistisch? (Sascha 746–749) Sascha beschreibt in der Sequenz ein in seiner Erzählung wiederkehrendes Spannungsfeld zwischen Ungleichheit und Solidarität, zu dem sich nun die Frage nach Dankbarkeit gesellt. Wie verhält es sich mit dem eigenen Wunsch nach Dankbarkeit für die politische

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Arbeit vor dem Hintergrund von eurozentristischen, selbstentlastenden und selbstidealisierenden Helfer*innendiskursen? Gibt es nicht so etwas wie einen universellen Wert der Gastfreundschaft, auf den sich gemeinsam berufen werden kann? Für die Refugee-Proteste in Österreich beschreibt Monika Mokre ein diskursives Spannungsfeld, das auch in Saschas Erzählungen sichtbar wird. Die Spannung entsteht einerseits aus der Normalität des »christlichen Konzeptes von Solidarität mit Schwächeren« (Mokre 2015: 133), der häufig damit einhergehenden Viktimisierung von Geflüchteten, der eurozentrischen Selbststilisierung in der Position des Helfenden und andererseits der »Vorstellung gleichberechtigten solidarischen Handelns« (ebd.). Sascha befindet sich in stetiger Aushandlung mit diesem konkreten gesellschaftlichen Dilemma. Die antirassistischen Kämpfe der Refugee-Bewegung sind durch eine Problemkonstellation geprägt, die auch die frühen Kämpfe des migrantischen Antirassismus beeinflussten: das Staatsbürgerschaftsrecht. Die Refugee-Proteste in Österreich waren getragen von Geflüchteten, aber aufgrund der rechtlichen Konstruktion mussten sie von Personen mit österreichischen Papieren angemeldet werden: Gab es (…) bei den, bei dem Thema ist ja dann einmal aber, dass, wenn es jetzt um wirkliche Demonstrationen geht, dass ja Demonstrationen nur Menschen anmelden können, die österreichische Staatsbürger sind oder Staatsbürgerinnen sind. Also das ist ja die Absurdität an dieser Situation dann, oder? Das ist das hier die die Dekonstruktion sozusagen, rechtlich vorgegeben ist, wer in der ersten Reihe steht und dann die Frage ist, wie, wie man das dann informell löst. (Sascha 801–806) Mit dem Staatsbürgerschaftsrecht kommt eine strukturelle Dimension hinzu, die Geflüchtete, die ihre Anliegen auf die Straßen bringen wollen, oder Menschen, die in Österreich geboren wurden und aufgewachsen sind, aber keine österreichische Staatsbürgerschaft haben, von praktisch allen relevanten politischen Mitsprachemöglichkeiten ausschließt. So müssen Demonstrationen und andere Protestformate von Personen mit österreichischem Pass angemeldet werden. Sascha spricht zwar davon, dass diese Machtverhältnisse »informell« umgedreht werden können, trotzdem unterminieren die strukturellen Vorgaben bestimmte Formen des selbstorganisierten Antirassismus und schreiben Formen der Fremdvertretung vor. Sascha positioniert sich hier als ein Aktivist, der versucht, eine produktive Rolle als »Supporter« oder als Verbündeter einzunehmen, ohne zu unterschlagen, dass er auch durch die Anerkennung für seine Arbeit angetrieben wird. Die Rolle als Unterstützer scheint für ihn auch deshalb folgerichtig zu sein, weil die Proteste durch aktive Kämpfe der Protagonist*innen bereits als Politiken der Selbstvertretung mit Verbündeten beginnen. Die Dekonstruktion der »Absurdität« des rechtlichen Zwanges zur Fremdvertretung führt zu selbst- und machtkritischen Positionierungspraktiken. Die Erfahrung der Illegalisierung und des Rassismus Saschas Engagement im Zuge von Refugee- und Anti-Abschiebe-Protesten führt zu einer Reihe von Erfahrungen, die auf seine Subjektbildung und Positionierung als Antirassist prägend einwirken. Dabei stehen abermals Freund*innen und deren Erfahrungen im Mittelpunkt:

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Was es bedeutet, illegalisiert zu sein, was es bedeutet, von der Abschiebung bedroht zu sein. Was es bedeutet, auf die scheiß Aufenthaltsgenehmigung zu warten. Wie dich das halt einfach kaputt macht, ja? Und was es für ein Terror, für ein psychischer Terror war. Und da hat mich dieses Thema schon nochmal mehr beschäftigt. (Sascha 168–171) Wenn Sascha von seinen Freund*innen erzählt, die sich in Asylverfahren befinden, kommt eine bemerkenswerte Emotionalität zum Vorschein – eine Betroffenheit, ohne selbst direkt betroffen zu sein: Und es ist auch vollkommen klar (.), dass, dass, es Leute da reinzieht, weil es einen, wenn man Dinge mitbekommt, die einfach nicht wurscht sind, sondern, ne? [Ja.] Da geht es schon um alles und es ist leicht dahingesagt, man soll sich nicht ausbrennen und so! Finde ich schon auch immer wieder schwierig, weil ich mich dann schon immer wieder frage. (…) Es ist schon irgendwie krass halt, na, es mir aussuchen zu können. [Ja.] Es sich mir aussuchen zu können, ob ich mich jetzt mit der Abschiebung von den Freunden, Genossinnen oder auch vollkommen unbekannten Leuten nach Afghanistan auseinandersetze oder wie ich sage, na, ich habe halt keinen Bedarf, ja? [Ja.] Aber so ist es halt, ne? Kann ich jetzt auch nicht, kann ich jetzt auch nicht ändern und, glaube, man muss in Ausverhandlung damit bleiben [mhm]. Jetzt unendlich schlecht zu fühlen, glaube ich (…), macht halt keinen Sinn, glaube ich [mhm]. (Sascha 359–368) Sascha zeigt aus seiner Position den Schmerz und auch die Gefahren auf, die damit einhergehen, sich ganz auf die Proteste einzulassen, und macht gleichzeitig transparent, wie fundamental unterschiedlich es ist, dies aus seiner abgesicherten Position heraus zu tun. Sascha macht in der obigen Sequenz besonders eindrücklich klar, um was es geht, wenn er sich mit den eigenen Privilegien befasst: Er kann es sich aussuchen, ob er sich in die Proteste einbringt oder nicht, wie intensiv er das tut und ob er es belässt. Für ihn hängt nicht sein Leben, oder Lebenschancen daran. Für ihn persönlich, seine psychische und physische Unversehrtheit, ist es auch nicht von zentraler Bedeutung, ob mit den Protesten etwa auch rassistische Diskurse in der Gesellschaft bekämpft werden. Er kann sich dafür oder dagegen entscheiden und wenn er sich dagegen entscheidet, kann er auf eine Reihe von legitimierenden Diskursen zurückgreifen. Rassismuskritik aus einer privilegierten Position bedeutet demnach, sich immer wieder aktiv gegen Rassismen einzusetzen, auch wenn dies mit Schwierigkeiten verbunden ist. Jede Form der Passivität beinhaltet die Gefahr einer stillschweigenden Einverständniserklärung für die Gegenwart rassistischer Diskurse, Strukturen, Praktiken und Subjektvorstellungen: Silence is violence. Für Sascha haben die Refugee-Proteste zwar keine rechtlich-strukturellen Veränderungen erkämpfen können, es haben sich jedoch neue »soziale Netzwerke« (Sascha 389) gebildet, innerhalb derer er ein neues Miteinander ausmacht: Okay, die Refugee-Proteste haben jetzt zwar keine, keine, ähm (.), leider keine wirklichen Veränderungen im gesetzlichen Sinne erwirken können, aber sie haben soziale Netzwerke erfunden, die andere Formen der Selbstverständlichkeit, andere Formen des wie wir die Welt verstehen [mhm]. Also wir, meine ich in dem Sinne halt, Leute, die keine Illegalisierungserfahrungen haben, Leute, die keine Rassismuserfahrungen haben, ähm. Und das finde ich politisch schon, ist alles andere als selbstverständlich

7 Darstellung der empirischen Ergebnisse

[mhm], und das betrifft jetzt die, die, die weißen Männer, wenn man so mag. Die anderen Leute, die andere Seite und so dieser Schaß von nur zwei Gruppen in diesem Protest zu reden, aber das Erste wäre, es wäre mal naheliegend, dass man zwischen diesen beiden Gruppen unterscheidet, die, die um ihre Papiere kämpfen mussten, und die, die halt überhaupt noch nie Probleme hatten mit ihren Papieren [ja]. Ahm, die, die um Papiere kämpfen mussten haben halt so Zugang zu WGs bekommen, haben irgendwie (unv.) in der Stadt bekommen, sind so zu Jobs gekommen. Sind auch so zu Papieren gekommen. Ist auch alles andere als nebensächlich [mhm]. Aber es lief halt unter dem Radar der Sichtbarkeit ab, ne? [Mhm.] (…) Genau und diese Aufmerksamkeit für so unsichtbare Errungenschaften und für die, auch für die Wichtigkeit, das Soziale auch als das Politische auch zu begreifen und wie auch, oder anders vielleicht ausgedrückt, auch seine Aufmerksamkeit für Mikro-Politik, die sich jetzt nicht gleich in Gesetzen niederschlagen müssen. Und wenn sie das nicht tun, dann ist alles verloren. [Ja.] (Sascha 389–404) Unter dem Stichwort »Mikro-Politik« fasst Sascha jene Prozesse zusammen, in deren Rahmen im Kampf gegen eine hegemoniale und teilende symbolische Ordnung neue Orte und Praktiken der rassismuskritischen und konvivialen Solidarität entstehen, die eher informellen Charakter besitzen. Sascha macht im Rahmen dieser Kämpfe die Erfahrung, dass er durch strukturelle Arrangements wie Staatsbürgerschaft fundamental unterschiedlich positioniert ist, und trifft aus diesem Wissen heraus die Entscheidung, Ressourcen abzugeben. Das bedeutet dann nicht, dass er in der Folge in irgendeiner Art und Weise anders positioniert wäre – in diesem Zusammenhang sind seine Privilegien vor allem mit seiner Staatsangehörigkeit verbunden. Es bedeutet aber, dass er die Konsequenzen aus seiner relativ privilegierten Positionierung zieht und versucht, etwas von seinem Machtüberschuss abzugeben. Dieses in der Fallrekonstruktion von Ralf eingehend beschriebene »Powersharing« (vgl. Nassir-Shahnian 2020) hat laut Saschas Erzählung dann tatsächlich auch positive Konsequenzen für einige Geflüchtete, die dadurch zu Wohnraum, Arbeit und Papieren kommen. Ein zentrales Moment hinter seinen Positionierungen ist die Betonung des »Sozialen«. Seine Aussage »Das Soziale ist politisch«, eine Analogie zu dem berühmten Spruch der feministischen Bewegung »Das Private ist politisch«, kann dahingehend gedeutet werden, dass die zentrale Motivation hinter seinem politischen Aktivismus, aber auch sein Wissen über gesellschaftliche Problemlagen im Sozialen gewonnen wird: in Freundschaften, Begegnungen, im sozialen Austausch. Sascha positioniert sich hier mit Jonathan Osler (2022) und seiner Arbeit Opportunities for White People in the Fight for Racial Justice als »Komplize«. Er investiert Zeit, Geld, stellt Ressourcen zur Verfügung und riskiert persönliche, rechtliche und polizeiliche Konsequenzen. Er übernimmt die Aufgaben, die anfallen, und nimmt die Position in der zweiten Reihe ein. Er tut dies einerseits, weil er tiefgehend empört ist über die Brutalität des Asylregimes, welches auch persönliche Freunde betrifft, und gleichzeitig aus dem Wissen über seine privilegierte Position und seine damit einhergehende relative Sicherheit.

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Antirassismus: »Darf ich es überhaupt machen?« Von allen befragten Aktivisten hinterfragt Sascha am grundsätzlichsten sein antirassistisches Engagement in Bezug auf seine soziale Position, wie er in mehreren Erzählsträngen aufzeigt. Er tut dies vor dem Hintergrund von einschlägiger Literatur, aber auch anhand von eigenen Erfahrungen, wie am Beispiel seiner Position innerhalb einer Gruppe von Künstler*innen deutlich wird: Da war ich auch in dem, dem Kollektiv, in dem Kollektiv des Kunstevents war ich auch der einzige weiße Typ so [mhm], und da war so, Critical Whiteness ist da gerade so gekommen, wo ich mich sehr viel damit auseinandergesetzt habe, tatsächlich auch so zu einer großen Lähmung irgendwie dann geführt hat, erstmals [ja]. Wo ich gemerkt habe so, Fuck, das stimmt ja eigentlich. Krass (.), nur weiße Typen schreiben die ganze Zeit, halt. Und was heißt das für mich, wenn ich mich zu Wort melde zu Rassismus, habe ich hier irgendwas zu sagen und ist das nicht Wiederholung dieser Gewalt, dieser epistemologischen so [ja]. (Sascha 200–207) Sascha erzählt von einer Privilegierungserfahrung im doppelten Sinne: Er ist erstmals in seinem Leben die einzig weiß positionierte Person in einem Kollektiv, das sich explizit mit Rassismus auseinandersetzt, und beschäftigt sich zugleich erstmalig mit Critical Whiteness. Diese Privilegierungserfahrung im doppelten Sinne beschreibt Sascha mit eindrücklichen Worten. Seine neue Einsicht habe zu einer »großen Lähmung« geführt. Sascha zeigt sich hier mehr als irritiert – er wirkt erschüttert. Er sinniert über Konsequenzen, die er aus seiner privilegierten Position ziehen solle, die über leise Selbstreflexion hinausgehen. Bin ich hier überhaupt richtig? Darf ich das überhaupt machen? Ähm (.), und diese Fragen beschäftigen mich natürlich immer noch. Aber ich habe so mehr Entspanntheit, damit umzugehen. (.) Und ich bin mir in manchen von diesen Fragen, habe ich Antworten, andere noch nicht. Aber zur Frage »Darf ich es überhaupt machen?« bin ich halt, habe ich halt jetzt die Entscheidung getroffen, ich darf das schon machen halt. [Mhm.] Aber was das ist, kommt halt immer darauf an, ja? [Ja.] (Sascha 207–211) Saschas Entscheidung, ein aktiver Antirassist zu bleiben und nicht, je nach Perspektive, den Platz frei zu machen oder sich zurückzuziehen, ist erarbeitet und begründet. Einmal begründet durch die Struktur der Rassismen selbst und einmal durch ein ehrliches Selbsteingeständnis. Sascha sieht die eigene Verantwortung als Teil der weißen Dominanzgesellschaft, die von Rassismen profitiert, darin, Rassismen abzubauen, Macht abzugeben und ein Teil der Lösung und nicht Teil des Problems zu sein: Ich, also so […] der Rassismus, lasst sich erstens nicht nur von Leuten bekämpfen, die davon betroffen sind, und zweitens, wie kommen die dazu, dass sie damit alleine gelassen werden [mhm]? Das gleiche lässt sich natürlich auf Feminismus umlegen, auf Antisemitismus, na, so? Was man auch in der Geschichtspolitik immer wieder sagt, Antisemitismus sollte nicht das Problem von Juden und Jüdinnen sein. Sondern, es wäre halt schon sinnvoll, wenn die anderen Leute, die nicht direkt betroffen sind, sagen he! That’s our struggle, so. Also mir das zu sagen, bringt mir manchmal so ein bisschen eine Sicherheit, zu sagen, es macht schon Sinn. (Sascha 211–217)

7 Darstellung der empirischen Ergebnisse

Sascha sieht als Konsequenz seiner durch Rassismen privilegierten sozialen Position eine Verantwortung, Rassismen gemeinsam mit davon Betroffenen aktiv zu bekämpfen. Er markiert ebenso, dass diese Sichtweise auch eine Rechtfertigung für sein Engagement darstellt. Sie gibt ihm Sicherheit, weiterzumachen. Entscheidend für seine Praktiken als »privilegierter Antirassist« ist allerdings die Art und Weise seiner Positionierung. Der letzte Satz in dem vorletzten Zitat oben ist dabei von größter Bedeutung: »Aber was das ist, kommt halt immer darauf an.« An einem Beispiel erläutert er, was er damit meint: Sascha kritisiert öffentlich einen rassistischen Vorfall und auf seine Intervention hin wird eine Diskussionsveranstaltung organisiert, die später in gekürzter Form im Internet veröffentlicht wird. Sascha schildert die Situation der Kontaktaufnahme seitens der Internetplattform, seine Reaktion auf die Anfrage und die weiteren Entwicklungen: Und ich habe gesagt: »Von mir aus gerne, aber ich würde gerne wissen, wer anders noch befragt wird.« Und das war halt so ein weißer Germanistik-Professor. Und dann habe ich ihnen gesagt: »Du kannst mich schon befragen, aber nur zu der Bedingung, dass du auch Leute befragst, die Rassismus selber erfahren. Das ist eine Form des Wissens, die kann ich euch nicht liefern, aber die müsst ihr dabeihaben.« »Ja, wir sind total dankbar. Stimmt, ja. Und dies.« Und da habe ich gesagt: »Ich kenne eh genug Leute« und habe überall rumtelefoniert und die halt eingeladen. Und das Filmteam war wirklich nett und die Journalistin, die das Interview gemacht hat. Und wir haben alle, glaube ich, echt gescheite Sachen gesagt. Und ich war sehr froh drüber, und auch cool. Und dann, bevor die Sendung online ging, schreibt mir die Journalistin. He, sie entschuldigt sich wirklich mehrmals und das ist ihr wahnsinnig unangenehm, aber ihr Chef hat einfach die beiden of-Color-Aktivistinnen rausgeschnitten. [Was?] Ja, nur ich und der Germanistik-Professor, der gesagt hat, das ist ja eigentlich gar kein Rassismus, ist alles so kompliziert. Das war schlecht. Ja. Und ich habe, na, das habe ich gemerkt, dass ich das unterschreiben lassen muss, das nächste Mal. Und ich habe gesagt: »Die Bedingungen, dass ich das sage, ist, dass die anderen, die das erfahren, dass die auch vorkommen.« Dann fühle ich mich auch wohl, dass ich was dazu sage, aber sonst nicht. (Sascha 1109–1130) Sascha hat in der angesprochenen Episode die Erfahrung gemacht, dass selbst ein Wissen über die Normalität rassistischer Repräsentationsverhältnisse und damit einhergehender Ausschlüsse sowie das Ansprechen dieser Umstände nicht garantieren, dass es nicht trotzdem zu einer Reproduktion ebendieser Verhältnisse kommt. Diese Privilegierungserfahrung hat seine bereits vor diesem Erlebnis erarbeitete Positionierung als Verbündeter, der aufgrund seiner sozialen Position nicht alleine über Rassismus spricht, nur gestärkt. Nicht nur wird er es weiter ansprechen, sondern sich zukünftig auch eine schriftliche Bestätigung als Garantie abholen. Sascha verschweigt aber nicht, dass sein Engagement auch eine egoistische Motivation beinhaltet: Dann gibt’s doch einfach so ein egoistisches Interesse daran. Das ist einfach das, was mich interessiert. Ich kann mich natürlich auch mit griechischer Philosophie auseinandersetzen. Oder ich könnte sagen, he, weiße Typen sollen jetzt einfach die Klappe halten und sollen in Reproduktionsarbeit gehen. Das politisch Konsequenteste habe

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ich mir schon einmal gedacht. Aber ich denke halt gerne nach, ich schreibe halt gerne und ich hoffe, dass ich da auch, und ich habe schon ein bisschen das Gefühl, dass ich da auch, also politisch auch was dazu beitragen kann. Na ja, aber diese ganzen Fragen sind doch alles andere als abgeschlossen. Solche, im Vergleich zu damals habe ich schon ein bisschen mehr Gelassenheit und diese Gelassenheit hat ganz zentral sicher wieder zu tun mit einzelnen Leuten, wie eben die Freundinnen von mir […]. (Sascha 217–226) Saschas Aushandlungsprozesse über die Möglichkeit und Notwendigkeit von Antirassismus in Bezug auf seine Positionierung bringen zwei weitere, noch nicht angesprochene Punkte in die Diskussion ein: einmal die in Bezug auf die patriarchal-rassistisch strukturierte Gesellschaft und seine Position als weißer Mann* mögliche Positionierung, in die Reproduktionsarbeit zu gehen. Hier würde er einen Machtverzicht auf weiß-männlich dominierte Tätigkeiten und Positionierungen im wissenschaftlichen, journalistischen, politischen Bereich vornehmen und dafür in einen Arbeitssektor wechseln, der in Bezug auf unbezahlte Arbeit vornehmlich weiblich (vgl. Hausfrauisierung von BennholdtThomsen et al. 1988) und in Bezug auf bezahlte Reproduktionsarbeit migrantisch-weiblich geprägt ist (vgl. Lutz 2008). Der zweite von Sascha eingebrachte neue Diskussionspunkt ist die eigene Motivation zu antirassistischer Arbeit, die auch aus einer Freude an der Tätigkeit des Nachdenkens und Schreibens entspringt. Abermals liegen hier Chancen und Schwierigkeiten. Nachhaltiges und andauerndes rassismuskritisches Engagement ist schwer ohne Freude an der Sache vorstellbar. Gleichzeitig ist die Gefahr der Instrumentalisierung des Antirassismus für die eigene Karriere und den eigenen Zeitvertreib nicht zu unterschätzen. Im Unterschied zu Luca, bei dem Antirassismus tatsächlich eher als ein Vehikel für andere Interessen fungiert, hat Sascha auf der Grundlage von Erfahrungen eine für ihn und seine soziale Position stimmige Positionierung gefunden. Der wiederum entscheidende Faktor für seine antirassistische Positionierung sind bestimmte Freundschaften: »What do you owe our friends? We owe them everything.« Also, also dass ich so nicht über die Sachen sprechen könnte und, und so halbwegs sprechen kann und das ist andererseits natürlich, als weißer Typ aufzutreten und über Rassismus sprechen, das ist mir auch einfach unangenehm. Also das war jetzt, vor kurzem war so eine Veranstaltung. Und dann hätte ich, bin ich eingeladen worden, eh, genau über diese Fragen einen Vortrag zu geben. […] Und da habe ich auch den Text geschrieben mit einer anderen Genossin, die, die eine andere Perspektive auf Rassismus hat, weil sie es auch am eigenen Leib erlebt hat. Und, und da habe ich auch gemerkt, wir könnten es schon machen, aber es macht mir schon wirklich Bauchweh (.). Und ich gebe dir dann halt viel, also das verschiebt sich halt auch die ganze Zeit. Wahrscheinlich vor ein paar Jahren hätte ich noch gesagt: »Ich kann allein einfach nichts zu Rassismus sagen. Immer so ein bisschen, na, ich glaube, wenn ich auch das, was ich sage und wie ich Sachen sage und das genau überlege, dann kann ich schon auch Sachen zu Rassismus sagen. In dem Fall, wenn es drum geht, letzten Endes auch so, dichotomistisches Denken in, in einer antirassistischen Linken offen zu legen und das auch eigentlich zu kritisieren, da habe ich als weißer Typ halt echt meine Issues, dass alleine zu machen, weil ich wirklich Schiss habe, dass ich einen in die Goschen kriege. Und (lacht).« (Sascha 1030–1047)

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Sascha spricht an mehreren Stellen des Interviews davon, dass es ihm unangenehm ist, zu bestimmten Themen, wie zum Beispiel Rassismus oder Sexismus, in bestimmten Konstellationen zu sprechen. Er macht deutlich, dass dies auf der Grundlage seiner sozialen Position beruht. In diesen Momenten hadert er spürbar und macht die zuvor von ihm angesprochene Spannung zwischen »Kann ich es überhaupt machen?« und »Ich kann es sehr wohl machen« sichtbar. Er findet dabei auf der Grundlage von wichtigen Freundschaften einen kollaborativen Weg, mit dieser fortlaufenden Spannung umzugehen. Antirassismus ist für Sascha eine kollaborative Praxis und kein Einzelkämpfertum (vgl. Wollrad 2011: 152). Auf der Grundlage der Lernerfahrungen aus dieser kollaborativen Praxis findet Sascha rassismuskritische Positionierungen, die gesellschaftliche Ungleichheiten und seine Position darin berücksichtigen. If antiracism goes wrong Sascha hat einerseits Erfahrungen gesammelt, wie Antirassismus als Best Practice funktionieren kann. Gelernt hat er andererseits aber auch aus Worst-Practice-Beispielen, wie sein Praktikum bei einer Antirassismus-Organisation in Rotterdam zeigt. Sascha hat hier Erfahrungen mit weißer Ignoranz, »Color Blindness« und weiteren Abwehrstrategien gemacht, die ihn rassismuskritisch weiter sensibilisiert haben. Ohne Lern-, Verlern- und Selbstbildungsprozesse im Vorfeld hätte diese Erfahrung auch rassistisch prägend sein können. Sascha erzählt aus seiner Praktikumszeit, die ein Jahr angedauert hat, Folgendes: Es waren alles, bis auf eine intern, waren es alles weiße Holländerinnen und Holländer, die einen vollkommen unreflektierten Umgang zum Beispiel mit kolonialer, holländischer Kolonialgeschichte gehabt haben (…). Ich weiß nicht, ob du das weißt, es gibt einmal im Jahr in Holland, gibt es das Fest, dieser Zwarte Piet, wo die halt einfach ihre scheiß koloniale Tradition zelebrieren [Wahnsinn, ja]. Und viele Leute einfach nach wie vor der Meinung sind, das hat nichts mit Rassismus zu tun. Und die Leute, die so als N Punkt sich deppat verkleiden. So Lippen aufschminken, Wuschel und Ohrringe. Leute, die sagen, nein, das ist keine Karikatur von schwarzen Menschen, sondern der ist halt durch den Rauchfang geflogen und deswegen sind sie schwarz. Also so wirklich stumpfsinnige Sachen und wo ich mir denke, okay, das gibt es, sowas gibt es. Es gibt so Leute, die interessieren sich einen Scheißdreck dafür und wachsen halt in Verhältnissen auf, wo so etwas nicht reflektiert wird [ja]. Ahm, und by the way, politisches Ziel muss es sein, das zu verändern halt, ne? Ahm (.), aber was mich schon wirklich überrascht hat, war, dass die Leute, die seit den 90ern in einer Organisation arbeiten, sich selbst zur Aufgabe gemacht, den Rassismus zu bekämpfen. Dass die sowas von wirklich null Auseinandersetzungen damit gehabt haben. Ja, das ist halt kompliziert, aber nein, das ist nicht problematisch, so, ja? [Wow.] (Sascha 254–268) Saschas Erfahrung der Reproduktion von Rassismus ausgerechnet in der antirassistischen Organisation, in der er als Praktikant über Rassismus lernen und sich dagegen engagieren will, sind prägend. In der wiedergegebenen Sequenz wird auch sichtbar, dass ich im Vergleich zum restlichen Interview meine Zurückgezogenheit aufgebe und meine erstaunte Empörung kundtue. Laut seiner Erzählung ist er zeitweise die einzige Person, die den rassistischen Konsens der NGO kritisiert hat. Sascha erzählt von mehreren Si-

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tuationen, in denen Alltagsrassismus und weiße Ignoranz (vgl. Mills 1997b) erstaunlich offen gelebt wurden: Aber was sie sehr wohl wollten, waren immer Organisationen, Organisation, Organisation, Organisationen sammeln so. (…) Sie hatten zwar so Human-Rights-Gruppen und so in dem, in der Database aber zum Beispiel null was zu postkoloniale Initiativen, zur Straßenumbenennung. Dann habe ich ihnen das geschickt und ich kann mich erinnern, einer von den lustigen Momenten, hat es ein paar gegeben, aber einer war, wo meine Chefin zu mir gekommen ist und gesagt hat, was haben diese postkolonialen Initiativen bitte mit unserer Arbeit zu tun. Was hat Straßenumbenennung von Kolonialherren mit antirassistischer Arbeit zu tun, sowas. Und es ist halt so lustig, ja, ich meine, wie unterschiedlich die Diskussionen sind. Da war ich halt der volle, die volle Nervensäge, weil ich halt irgendwie gesagt habe. (.) Genau, dann gab es auch, in dem Büro gab es auch so Kaffeehäferl mit stereotypisierenden Darstellungen von schwarzen Menschen aus China. (unv.) Und sie war so, na sicher, wir dürfen das und so. Ich lege ihnen dann halt einen Zettel hin, wo ich so ein paar Zeilen geschrieben habe, was das ist halt, ja? Ich habe gesagt, dass schwarze Menschen als Diener oder Sklaven darzustellen perpetuiert (unv.). Schwarze Menschen als Diener oder Sklaven darzustellen, perpetuiert koloniale Repräsentationsformen und wiederholt die psychische Gewalt und. Sie hat dann so gesagt, na wirklich? Wie meinst du das? Blablabla. Naja, da habe ich gemerkt, na so was will ich auch nicht unbedingt. (Sascha 273–291) Sascha wird mit einer erstaunlichen Ignoranz für Rassismus ausgerechnet dort konfrontiert, wo doch eigentlich Wissen und Expertise darüber vorhanden sein sollten. Die damit einhergehende Verdoppelung des rassistischen Konsenses, die Spiegelung des Alltagsrassismus innerhalb einer Organisation, die sich der Überwindung von rassistischen Verhältnissen verschrieben hat, muss als sehr wirkungsmächtig eingeschätzt werden. Im obigen Beispiel wird auch schnell klar, dass es eben nicht nur um unterschiedliche Diskussionen geht – wie Sascha kurz vermutend in den Raum stellt. Eine unterschiedliche Diskussion von oder Perspektive zu Rassismus wäre es etwa, wenn die Chefin der Initiative gesagt hätte, dass sie aus inhaltlichen, strategischen oder weiteren Gründen nicht mit Initiativen zur Straßenumbenennung kooperieren will. Zu sagen, dass die damit zusammenhängende koloniale Geschichte und die rassismuskritischen Praktiken nichts mit ihrer (antirassistischen) Arbeit zu tun haben, ist weiße Ignoranz und ein Teil des Rassismus selbst (vgl. Kilomba 2009). Mit den Aufführungen des »Zwarte Piet«5 wird eine alltägliche rassistische Praxis angesprochen, die ähnlich wie Praktiken des »Black Facing«, des Sternsingens, Formen der rassistischen Repräsentationen in Kino, Theater, Kultur sowie rassistische Produktbezeichnungen auf eine lange Tradition zurückblicken. Sie sind trotz zunehmenden antirassistischen Gegenwinds, trotz klarer wissenschaftlicher Evidenzen der rassistischen Implikationen und trotz persönlicher Bekenntnisse zu den Problematiken solcher verletzender Fremdbezeichnungen Teil eines rassistischen Konsenses geblieben. Sie werden 5

Die antirassistische Organisation Stop Blackface setzte sich aktiv für ein Ende dieser in engem Bezug zur rassistischen Praxis des Black Facing stehenden holländischen Tradition ein (vgl. Stop Blackface 2022).

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trivialisiert, verharmlost, aggressiv abgewehrt oder gar als nichtrassistisch dethematisiert. Die weiße Dominanzgesellschaft beansprucht damit die Deutungshoheit darüber, was rassistisch ist und was nicht. Diese Reaktionen sind, und Sascha positioniert sich aktiv dagegen, im Zentrum von dem, was unter »White Privilege«6 verstanden werden muss. Saschas Positionierungen in Bezug auf Antirassismus sind das Resultat vieler prägender Erfahrungen. Die theoretische Beschäftigung mit Fragen des Weißseins und die konkreten Erfahrungen als weiß positionierter Antirassist in antirassistischen Zusammenhängen, die von PoCs geprägt werden, lassen ihn eine Positionierung als zurückhaltender, selbstreflexiver Antirassist erlernen. Er entwickelt und erlernt ein Gefühl für eine mögliche Positionierung, die ihm in Bezug auf rassistisch-sexistische Machtverhältnisse und seine soziale Position angemessen erscheint. Er hat gelernt, wie er selbst gegen jede Intention Teil einer Reproduktion rassistischer Repräsentationsverhältnisse sein kann, und positioniert sich in der Konsequenz als noch vorsichtigerer, umsichtigerer und kritischerer Antirassist. Dort, wo er auf weiße Ignoranz, die alltägliche Normalisierung und Reproduktion von Rassismus in weiß dominierten Räumen (vgl. Wachendorfer 2009) trifft, tritt er aus der vorsichtigen und zurückhaltenden Positionierung heraus und wird zum lästigen Spaßverderber (vgl. feministkilljoys von Sara Ahmed 2022), zum Mahner, zum Konsensbrecher. Skepsis gegenüber Reinheitsansprüchen Saschas Befähigung, die angesprochenen Spannungen auszuhalten, im Aushandlungsprozess mit sich selbst über die eigene soziale Position in Bezug auf Antirassismus zu bleiben, ist mit seiner Skepsis gegenüber Reinheit verbunden – mit seinem Blick auf Uneindeutigkeiten, Diversität und Hybridität des sozialen Lebens. In Bezug auf den Sommer der Migration und die sogenannte »Willkommenskultur« sagt er: Es war jetzt nicht Willkommens-Weltmeister, Österreich, was man auch sagen muss. Aber es war, auf dem Terrain des Sozialen, haben sich da Anfänge von Politisierungsprozessen, glaube ich, ereignet, die es gilt fortzusetzen. In dem Sinne natürlich dreckig, dass sie nicht rein sind von politischer Radikalität, sondern es waren Leute, die waren wahrscheinlich teilweise homophob und haben irgendwie, waren mit der Katholischen Kirche verbandelt. Ja jetzt auch nicht mein, mein Ding, ja? Und geschenkt,

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Dazu schreibt Mitchell Esajas (2014) auf der Online-Plattform von Stop Blackface: »Ever since Black people have been in the Netherlands, there has been protest against the racist element of the national tradition Sinterklaas. Protesters and accusations of racism, however, are met with aggression and denial as the Dutch tend to associate racism with overt racism such as Jim Crow in the US, Apartheid in South Africa and Nazism. Racism is something the Dutch don’t do, as it opposes the national image and culture of ›innocence‹, tolerance and liberalism. The majority of White people and mass media continue to dismiss protesters against the blackface tradition as being ›oversensitive‹, ›whining‹ and ›trapped in the past‹. In many cases the protesters are confronted with aggressive counter reactions, ignored or ridiculed. Denying the existence of race and racism reflects the ›politics of colour blindness‹ and dismisses people of colour’s feelings and perspective while claiming the authority to decide whether Black Pete is racist or not. It reflects the unequal balance of power embedded in the structure of Dutch society and White privilege.«

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das [ja]. Aber sozusagen, ihr seids alle oasch, finde ich, muss man diese, diese möglichen Anfänge mit größtmöglicher Geduld, und die Geduld habe ich natürlich mehr als eine Person, die ihr ganzes Leben lang rassistisch deppat angemacht wird [ja]. Man muss halt mit möglichst viel Geduld und tagtäglich unterschiedlicher Lust halt auch, ne? [Mhm.] Man ist halt nicht immer in der gleichen Stimmung, muss man die probieren fortzusetzen halt und, und ja. (Sascha 423–432) Sascha argumentiert in mehreren Sequenzen gegen eine aktivistische Strenge und für einen – wie er es später nennt – »Vertrauensvorschuss« sowie für eine Kultur der Fehlerfreundlichkeit. Er fasst neue soziale Bewegungen und Politisierungsprozesse als heterogene und pluralistische Phänomene und plädiert vor allem am Anfang eines solchen Prozesses dafür, die Pluralität zuzulassen. Gleichzeitig markiert er auch hier seine Sprecherposition und macht transparent, dass diese vermeintlich »neutrale« Position stark mit seiner privilegierten sozialen Position verbunden ist. Für ihn, der sehr wahrscheinlich von keinem der möglichen Ausschlüsse betroffen ist, ist es ein Leichtes, darüber hinwegzusehen. In einer weiteren Sequenz leitet er diese Position aber auch aus einer seiner Ansicht nach notwendigen linken Selbstreflexion ab: Das war auch einmal so ein Punkt für mich, der mich dazu gebracht hat, darüber nachzudenken, wie ein breiter Antirassismus stattfinden kann, breite, breitere Politisierungsprozesse stattfinden können auch, und was das auch theoretisch heißt auch [mhm]. Wie das auch zusammenhängt, vielleicht mit einer Vorsicht gegenüber einer allzu schnellen, skeptischen Haltung, die sich halt als Kritik verkauft, ne? [Ja.] Oder, um es positiv zu formulieren, wie es auch, auch mit, mit einem Vertrauensvorschuss, mit einem Vertrauensvorschuss, der auch, wenn es um Begriffe des Politischen geht, recht wenig Stellenwert hat. Was wir selbst, was wir halt als kritische Linke oder als AntirassistInnen, FeministInnen, was wir halt natürlich gelernt haben, und es ist auch wichtig, dass wir es gelernt haben, ist zu kritisieren und zu schauen, wo, wo wer welche Fehler macht. Es ist auch wichtig. Aber ich glaube, was manchmal so ein bisschen verloren geht, ist die Aufmerksamkeit dafür, dass politisches Nachdenken ganz viel andere Sachen auch bedeutet als Fehler zu suchen, sondern mehr mit Möglichkeiten zu suchen [mhm]. (…) Und die Gefahr ist natürlich bei diesen Möglichkeiten suchen, dass wir dann Gewalt vergessen [mhm]. Da kann man das ausprobieren, dann kann man auch das ausprobieren und nicht so negativ und so, na? Es gibt Gründe, warum Leute negativ sind. (Sascha 433–446) Saschas Argumentation ist durchaus brisant, weil, wie er selbst darstellt, die Gefahr besteht, dass eine Kultur der Fehlerfreundlichkeit und des Vertrauensvorschusses Formen der Gewalt relativieren und einen rassistischen Konsens bestätigen können. Indem er seine Sichtweise in Bezug auf seine privilegierte Positionierung relativiert, redet er einer machtkritischen und diskriminierungssensiblen Fehlerfreundlichkeit das Wort. Saschas Skepsis gegenüber Reinheitsansprüchen gilt auch für jene Theorien, auf die er sich häufig selbst bezieht: Na das Erste, was ich gelesen habe, war die Frankfurter Schule so. [Pessimistisch.] Sehr pessimistisch. Und die koloniale, dekoloniale Theorie und Critical Whiteness ist es ja fast undenkbar, dass weiße Leute gegen Rassismus aktiv sein können. (unv.) Die Leute,

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die von Rassismus nicht direkt betroffen sind, die sind gleichzeitig die Täter auch. Halt ziemlich stumpfsinnige These. Jetzt auch nirgends explizit so gelesen habe, aber implizit ist es halt sehr präsent, habe ich das Gefühl [ja]. Und da geht es mehr um Fluchtmöglichkeiten, ja? (…) Und wie kann man Dinge erfinden. (Sascha 381–387) Diese Skepsis vor Reinheitsansprüchen lässt ihn einerseits kritisch für blinde Flecken innerhalb bestimmter Theoriebereiche sein, wie etwa durch seinen Einsatz für eine antisemitismuskritische Position innerhalb der Diskussion7 zu Walter Mignolos Werken. Andererseits zeigt sich Saschas Argumentation auch anschlussfähig an einseitige Diskurse, die etwa den Critical Whiteness Studies pauschal unterstellen, eine antirassistische Handlungsunfähigkeit für weiß positionierte Menschen zu favorisieren. Sascha bewegt sich hier in einem Spannungsfeld, das grundlegendend für diese Studie ist: Die Theoretisierung des Zusammenhanges zwischen Rassismen und Privilegien birgt stets ihrerseits die Gefahren der Essentialisierung von Menschen in ihre soziale Positionen und andererseits der Relativierung von Machtverhältnissen. Sascha positioniert sich als selbstkritischer Aktivist mit Fehlerfreundlichkeit, der sich an einer aktivistischen und theoretischen Offenheit versucht, die er gleichzeitig aber immer in Bezug auf seine Positionierung kritisch befragt. Er positioniert sich als Skeptiker gegenüber essentialistischen, geschlossenen Deutungen. Rassismuskritische Praktiken Vor dem beschriebenen Spannungsfeld sind auch Saschas rassismuskritischen Praktiken zu betrachten. Sein Anliegen einer »Solidarität von Ungleichen auf Augenhöhe« ist ein folgenreiches rassismuskritisches Vorhaben. Er markiert damit die Notwendigkeit, gesellschaftliche Ungleichheiten, die in unterschiedliche soziale Positionen, Verwundbarkeiten und Privilegien und schließlich verschiedene Erfahrungen von Menschen münden, ernst zu nehmen. Gleichzeitig möchte er dazu anregen, im Wissen und in der Berücksichtigung dieser Differenz zu versuchen, ein respektvolles, wertschätzendes Miteinander zu erarbeiten. Diese Praxis von Sascha zieht sich durch seine biographische Erzählung und ist grundlegend für seinen Antirassismus, seine Freundschaften und seine theoretischen wie politischen Anschauungen. Sie können, besonders im Vergleich zum eher rhetorischen Antirassismus von Luca, als »embodied practice« (vgl. Tangenberg & Kemp 2002) – als inkorporierte Praxis – bezeichnet werden. Erlernt hat Sascha diese Haltung besonders im Zuge von »authentischen Beziehungen« zu ihm sehr nahestehenden Menschen unterschiedlicher Positionierung. Sascha hat gelernt, über welche Themen er wie sprechen kann und möchte – aus seiner in Bezug auf rassistisch-sexistische Gesellschaftsstrukturen privilegierten Position. Gleichzeitig und auch als Folge daraus erlernt Sascha den Wert von Bündnissen: Sie erlauben ihm, aus seiner Position heraus antirassistisch aktiv zu sein, ohne sich dabei in die erste Reihe zu setzen, oder nicht anstelle von Menschen mit Rassismuserfahrungen über Rassismus zu sprechen. Wenn er es tut, so tut er es im Zuge eines Bündnisses, sodass es einerseits den Sprecher*innenverhältnissen gerecht wird und andererseits gewahrt bleibt, dass die

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Siehe dazu die Diskussion zwischen Edi Freudmann (Freudmann 2012) und Jens Petz-Kastner (Petz-Kastner 2012).

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Erfahrung des Rassismus im Mittelpunkt steht. Diese Bündnisse sind nicht aus strategischen Gründen entstanden. Vielmehr sind aus bereits vorhandenen Freundschaften Bündnisse entstanden und daraus hat sich dann Saschas rassismuskritische Strategie entwickelt. Im Mittelpunkt dieser Bündnispraxis stand und steht das wohl wichtigste »Rezept«, um diese Bündnisse auch tatsächlich auf Augenhöhe lebbar zu machen: Liebe. »Liebespraxis in Bündnisarbeit ist der Menschwerdung und Menschlichkeit aller verpflichtet.« (Apraku 2019: 58) Diese auf Liebe beruhenden Bündnispraxen und Freundschaften haben dann auch dazu geführt, dass Sascha aus einer Lähmung, die er in Bezug auf etwa seine theoretische Beschäftigung mit Critical Whiteness anfänglich spürt, herauskommt, ohne dabei deren Analysen zu verwerfen. Sascha hat die gegenhegemonialen Theorien dafür genützt, um sich, seine Biographie, seine Positionierung in Bezug auf seine rassismuskritische Praxis eingehend zu betrachten. Er hat die Zweifel ausgehalten und sie als Teil seiner neuen rassismuskritischen Normalität angenommen. »Aber so ist es halt, ne? Kann ich jetzt auch nicht, kann ich jetzt auch nicht ändern und, glaube, man muss in Ausverhandlung damit bleiben.« (Sascha 366–367) Eine weitere rassismuskritische Praxis, die Sascha bereits seit einiger Zeit verfolgt, ist jene der Erinnerungs- und Geschichtspolitik (vgl. Troebst 2015). Die Aufarbeitung der österreichischen Geschichte in Bezug auf den Nationalsozialismus und Kolonialismus zeigt Kontinuitäten und Nachwirkungen, sodass Österreich als postnationalsozialistische und postkoloniale Gesellschaft bezeichnet werden muss. Diese in Teilen nicht aufgearbeitete Geschichte – die »Archive des Schweigens« (Le Goff 1992) – sowie die rassistischen Kontinuitäten werden in dieser Praxis transparent gemacht und eine öffentliche Aufarbeitung wird eingefordert. Die neuerlichen Ausschlüsse, die diese Formen der Gedächtnispolitik abermals hervorbringen können, sind dabei aus rassismuskritischer Sicht besonders zu berücksichtigen. Saschas kollaborative, zurückgenommene, selbstreflexive Positionierung in rassismuskritischen Settings mit Genoss*innen unterschiedlicher Positionierung interagiert mit einer konfrontativen Positionierung einer »Nervensäge« in vornehmlich weißen, dominanzgesellschaftlichen Räumen. Am Beispiel seiner Tätigkeit in dem weißen antirassistischen Verein in den Niederlanden zeigte sich, dass eine konfrontative Haltung dort notwendig ist, wo sich gesellschaftlich normalisierte Diskurse, Praktiken, Strukturen und Subjektvorstellungen besonders hartnäckig eingeschrieben haben. Schließlich zeigt sich an der Erzählung von Sascha, dass rassismuskritische Praxis aus einer privilegierten Position auch häufig meint, das Unspektakuläre und Notwendige zu tun: Zeit, Geld, Wohnraum und Kontakte zur Verfügung zu stellen, seinen Körper als Teil einer Blockade einzubringen, Teil einer Masse von Demonstrierenden zu sein, Behördengänge mit Refugees zu erledigen. Auch machen seine Erfahrungen deutlich, dass es unter Umständen nicht reicht, sich auf mündliche Zusagen zu verlassen, wenn es etwa in öffentlichen Veranstaltungen zum Thema Rassismus um angemessene Repräsentationsverhältnisse geht (vgl. dazu Rassismus und Repräsentationspolitik in der postmigrantischen Gesellschaft von Tsianos & Karakayali 2014). Die Normalität der Rassismen in Bezug auf die »Repräsentationsregime« (vgl. Hall 2004) ist so durchschlagend, dass Sascha sich deshalb im Vorfeld von Veranstaltungen dahingehend schriftlich absichern

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möchte, um nicht Teil einer »Weißwaschung« (vgl. Young 2004) zu werden, wie im von ihm genannten eindrücklichen Beispiel der Diskussionsveranstaltung ersichtlich. Auch in der biographischen Erzählung von Johannes und der folgenden Rekonstruktion stehen Beziehungen und Freundschaften häufig im Mittelpunkt. Johannes ist der gleichen Generation wie Ralf zuzurechnen und hat ebenfalls eine Jahrzehnte andauernde Erfahrung mit antirassistischer Arbeit. Im Unterschied zu Sascha zeigt sich in der Erzählung von Johannes, dass Erfahrungen, Selbstarbeit, Sensibilisierungsarbeit in Bezug auf bestimmte Formen der sozialen Ungleichheit und konkrete Formen des Rassismus nicht bedeuten, dass er gegen andere Rassismen sensibilisiert oder immun wäre – ganz im Gegenteil. Die biographische Rekonstruktion von Johannes zeigt auch, dass ein Mehr an Wissen über Rassismen nicht automatisch das Problembewusstsein darüber schärfen muss, sondern auch ein Mehr an rassistischem Wissen liefern kann, was im Interview auch zur Anwendung kommen sollte.

Johannes: »[I]ch war Außenseiter […], weil ich mit schwarzen Kindern zusammen war – und den kann man halt leichter vom Rad treten« Biographische Skizze Johannes ist zum Zeitpunkt des Interviews – im Sommer 2019 – 52 Jahre alt. Er ist seit seiner Jugend politisch und aktivistisch engagiert. Er ist derzeit zwar nicht in einem ausgewiesenen antirassistischen oder rassismuskritischen Kontext aktiv, war dies jedoch über einen langen Zeitraum seiner Vergangenheit und bezeichnet sich nach wie vor als Antirassist. Seine Tätigkeitsfelder weisen seiner Ansicht nach in vielen Bereichen eine antirassistische Grundhaltung auf. Johannes wurde im Ausland als Kind österreichischer Eltern geboren und wuchs bis zu seinem zehnten Lebensjahr in Südafrika auf. Vor der Zeit in Südafrika lebte die Familie kurz in den USA und in Kanada. Zur Einschulung in das Gymnasium zog Johannes mit seiner Familie nach Österreich. Er schloss ein geisteswissenschaftliches Studium ab, arbeitet seit vielen Jahren im journalistischen Bereich und bezeichnet sich selbst als relativ wohlhabend. Die Interviewsituation Die Möglichkeit zum Interview kam über eine gemeinsame Bekannte zustande. Das Interview fand in einem belebten Lokal statt. Zwar war im Vorfeld kein Zeitrahmen vereinbart, mit knapp unter vier Stunden dauerte das Interview jedoch signifikant länger, als von mir und wohl auch Johannes geplant. Es ist damit auch im Vergleich zu den restlichen Interviews, die meist ungefähr zwei Stunden dauerten, mit Abstand das umfangreichste. Die Kommunikation im Vorfeld wie auch das Interview selbst fanden in einer eher distanzierten Atmosphäre statt. Ich hatte über den Zeitraum der Vereinbarung des Interviews wie auch des Interviews selbst das Gefühl, dass Johannes mir zumindest mit einer gewissen Skepsis begegnet. Ich empfand mich selbst in einer etwas untergeordneten Rolle, was aber auch an mir selbst gelegen haben kann, fühlte ich mich doch recht eingeschüchtert. Im Vergleich zu den anderen Interviews entstand auch keine Atmosphäre des amikalen Austausches. Das Interview war gekennzeichnet durch Johannes‘ sehr detaillierte Erzählungen über sein Lebens und eine eher passive Rolle meinerseits.

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Auf meine Nachfragen ging Johannes meist nur sehr kurz ein, manchmal gar nicht. Gewissermaßen war dieses Interview durch umgekehrte Vorzeichen im Vergleich zum Interview mit Luca gekennzeichnet. Hatte ich im Interview mit Luca die gefühlte Rolle als Experte, an der sich Luca immer wieder orientierte, so war es hier Johannes, der diese Rolle einnahm, und ich positionierte mich in einer eher untergeordneten Rolle. Kindheit in Südafrika Johannes beginnt das Interview mit der Erzählung über seine Kindheit »als Kind österreichischer Eltern« (Johannes 6) vom fünften bis zum neunten Lebensjahr in Südafrika. Johannes lebt mit seiner Familie in einem Wohnviertel für »Weiße« und besucht eine Schule für »Weiße«. Sein Umfeld beschreibt er in der heutigen Rückschau als »eigentlich durch und durch rassistisch« (Johannes 35). Aufgrund von Freundschaften seines Vaters, die hauptsächlich über seine Arbeit entstehen, waren ab seinem »fünften Lebensjahr […] Schwarze quasi ein großer Teil meines sozialen Umfelds« (Johannes 25–26). Diese Überschreitung von rassistischen Grenzziehungen im Südafrika der Apartheid wird zunehmend zu einem Problem für Johannes‘ Familie und für ihn selbst. Er erzählt von Drohungen aus ihrem weißen Umfeld und davon, dass er selbst als Kind Opfer von Einschüchterungen wird: Ich meine, ich bin nicht vom Rad getreten worden, weil ich mit schwarzen Kindern zusammen bin, äh (.), sondern, äh, ich war Außenseiter [mhm], weil ich mit schwarzen Kindern zusammen war und den kann man halt leichter vom Rad treten. (Johannes 48–51) Johannes berichtet von Gewalterfahrungen in seiner Kindheit. Er relativiert allerdings seine Erfahrungen, indem er mir erzählt, dass diese direkte Gewalt gegen ihn nicht alltäglich ist. Alltäglich ist allerdings die Gewalt gegen Freunde seiner Familie, die nicht weiß sind: »Die Norm war eher (.), war eher anders, also so Sachen, wenn meine Eltern Freunde eingeladen haben, ja? Dann sind manchmal die Autos beschädigt worden von denen.« (Johannes 52–54) Johannes erzählt von weiteren Erinnerungen aus seiner Kindheit: Und äh (.), irgendwann einmal, so nachdem meine Eltern halt ein Fest gemacht haben, und da haben sie halt ihre Freunde eingeladen und Freundinnen und die sind halt (.) zu dreiviertel Nichtweiße gewesen, ja? Und zu 50 Prozent Schwarze [mhm], ja? Äh, und dann durften die Kinder nicht, äh, die Nachbarskinder nicht zu mir kommen, nicht? […] Und mit einer Mutter, mit der Nachbarsmutter habe ich dann gefragt, warum darf die Helen nicht zu mir kommen [ja], und sie sagt, und sie beginnt tatsächlich, mit mir zu argumentieren, ja? Und (.) also sehr klassisch, dass die ja Krankheiten haben und ihre Kinder sollen, äh, sollen nicht dieser Gefahr ausgesetzt werden, und ich habe dann noch die Frage gestellt, ja warum (.), warum ich dann nicht daran erkranke, ja? Und (.) sie hat dann tatsächlich die Fassung verloren, ja? Und mich halt rausgeworfen und gesagt, ich solle das mit meinen Eltern klären, nicht? (Johannes 61–78) Johannes erfährt bereits als kleines Kind, wie brutal rassistische Grenzziehungen auf eine ganze Generation von Kindern einwirken: die mit Johannes befreundeten Schwarzen Kinder, denen Krankheiten zugeschrieben werden und die durch Drohungen aus dem

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weißen Viertel vertrieben werden sollen, und die weißen Kinder des Viertels, denen früh rassistisches Wissen beigebracht wird und denen verboten wird, Johannes zu besuchen. Schließlich Johannes, der aus einem kindlichen Ungerechtigkeitsgefühl heraus gegenüber Erwachsenen argumentiert, von ihnen verwiesen wird, wie er auch von Kindern drangsaliert wird, weil er gegen den rassistisch-weißen »racial contract« (vgl. Mills 1997a) verstößt. Er sieht sich selbst in der Position eines Außenseiters, weil er in den Augen der weißen Umgebung einen »Verrat am Weißsein« (vgl. Ignatiev 1996) begeht, der sanktioniert wird. Johannes vollzieht in der Erzählsequenz einen Grenzgang, der typisch für sein biographisches Interview sein sollte. Einerseits macht er auf eigene Diskriminierungserfahrungen aufmerksam, die allerdings auch an der Grenze zur Aneignung von Rassismuserfahrungen beschrieben werden müssen. Andererseits macht er in den Sequenzen, in denen er eigene Diskriminierungserfahrungen beschreibt, seine insgesamt privilegierte Position sichtbar – allerdings nicht vollumfänglich; etwa indem er die oben beschriebene Gewalterfahrung nicht als repräsentativ für seine Zeit in Südafrika beschreibt: »Äh, aber das, das war so, auch das war jetzt, ein, ein, also das ist auch nur ein, zweimal passiert, so vergleichbare Sachen, ja?« (Johannes 78–79). Die Rückkehr nach Österreich wird dann aber auch auf der Grundlage dieser rassismusbedingten Schwierigkeiten erzählt: Aber die Tatsache, dass (.) sie eigentlich ganz gerne dortgeblieben wären, also weil die Freunde gut waren und so (.), aber das zunehmend nicht möglich war, ja? [Mhm.] In einer weißen Wohnumgebung zu wohnen (…), äh, und in einer, an einer schwarzen Bildungseinrichtung zu arbeiten, ja? Das war ein wesentlicher Teil, warum sie nach Österreich zurückgegangen sind. (Johannes 83–87) Diese rassismusbedingte Migration ist natürlich genauso durch eine sehr privilegierte Position gekennzeichnet, was Johannes auch in Teilen sichtbar macht. Zwar ist die Familie von Johannes und er selbst auf gewisse Weise von Problemen betroffen, allerdings besitzen sie die rassismusbedingten Privilegien, in einer wohlhabenden Gegend zu wohnen, einer angesehenen Tätigkeit nachgehen zu können, eine gut ausgestattete Schule besuchen zu dürfen – alles Privilegien, die direkt mit »weißer Vorherrschaft« in Südafrika zu tun haben. Schließlich besitzen sie das von Johannes nicht ausgesprochene Privileg, sich aus der rassistischen Gesamtsituation, die auch für die Familie in Teilen zum Problem wird, jederzeit befreien zu können, was sie mit ihrem Umzug nach Österreich schließlich auch tun. Antirassistischer Haushalt Johannes bezeichnet sein Elternhaus als einen »antirassistischen Haushalt« (Johannes 104). Die ersten vier Jahre seines Lebens verbringt die Familie in einer Kleinstadt in der Nähe von Chicago. Im Rückblick erzählt er aus dieser Zeit, dass die Situation in Bezug auf Rassismus zwar nicht so direkt auf sein Umfeld und seine Familie einwirkt, er jedoch bereits früh – vor allem durch Gespräche beim »Nachtmahl« – mit Rassismus in Berührung kommt. Er erzählt von einer Begebenheit in Chicago am Ende der 1960er Jahre, die seine Familie bis heute beschäftigt:

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Also ich kann mich zum Beispiel erinnern, an eine Situation, wie eine Arbeitskollegin, das war dann noch im Norden, eine Arbeitskollegin meines Vaters ein Kind bekommen hat, ja? Und meine Eltern irgendwie halt Chicago abgerannt sind, um eine schwarze Puppe zu bekommen, die sie dann in einer der ziemlich teuersten Möglichkeiten gefunden haben, weil es einfach keine schwarzen Puppen gegeben hat. Das ist Teil eins der Geschichte und Teil zwei der Geschichte war, die Frau, die, äh, die das Kind bekommen hat, hat sich eigentlich nicht gefreut über die Puppe, ja? Also das hat sie meinem Vater doch irgendwie gezeigt und das ist bei uns zuhause natürlich massiv besprochen worden irgendwie. Dass sie das offensichtlich irgendwie als Übergriff empfunden hat, ja? Dass er, und da ist (.), also das war natürlich nicht absichtlich, ja? Aber das hat meine Eltern schon bewegt, ja? [Mhm.] Also die wollten ihr eigentlich eine Freude machen, ja? Und (.) fragen kann man natürlich auch nicht so, he, warum stört dich das. Eigentlich, ja? Also da ist relativ viel darüber geredet, was eigentlich falsch an dem war. (Johannes 108–123) Johannes erzählt in der Sequenz nicht, ob sich die damalige Arbeitskollegin seines Vaters als Schwarz definiert. Aus der Geschichte ist herauszulesen, dass dies wohl der Fall ist. Die Begebenheit beschäftigt die Familie und Johannes bis heute, wohl auch, weil sie damals zwar am Esstisch innerhalb der Familie darüber reflektieren, allerdings nicht mit der Arbeitskollegin selbst sprechen: Und (.) wobei ich noch dazu sagen muss, meine Eltern sind zu keinem endgültigen Ergebnis gekommen, ja? Also wir reden heute noch manchmal über diese Situation, ja? Mein Vater erzählt sie hin und wieder und das schwankt zwischen dem (.) reduziert werden auf schwarz, äh, auf der einen Seite, und auf der anderen Seite, äh, die (.), dass (.), was tatsächlich so war, ah (.), dass, dass sozusagen das Schönheitsideal ja weiß war, ja? [Mhm.] Aber sozusagen, sie haben sich nie getraut, zu fragen, was eigentlich das Problem war, ja? (Johannes 133–139) Johannes inszeniert seine Familie als antirassistischen Haushalt, der dadurch gekennzeichnet sei, dass einerseits ein Problembewusstsein über Rassismen existiert und andererseits versucht wird, dieses Bewusstsein auch handlungsleitend werden zu lassen. An dem von Johannes genannten biographischen Beispiel wird abermals das Problem des antirassistischen Einzelkämpfer*innentums (vgl. Wollrad 2011: 152) sichtbar, wenn Antirassismus nicht selbstreflexiv und an den Bedürfnissen von rassismuserfahrenen Menschen ausgerichtet ist. An dem von Johannes geschilderten Beispiel zeigt sich auch, wie Scham und Furcht vor einer Konfrontation mit eigenem rassismusrelevanten Verhalten oder mit Handlungen, die in Rassismen verstrickt sind, (nichtintentionale) rassistische Effekte zunächst auslösen können und dann verhindern, sie als solche aufzuklären und Wiedergutmachung zu betreiben. Johannes‘ Vater hat sich in seiner Zeit in Südafrika im Rahmen einer Organisation engagiert, die sich dem Ziel des Abbaus von Rassismus verschreibt. Er ist in dieser Zeit also selbst aktivistisch tätig, wobei Johannes hier nicht mehr sicher ist, ob der Vater auch tatsächlich aktiv involviert ist. Ein ehrenamtliches Engagement seines Vaters ist ihm gut in Erinnerung geblieben, nämlich dass er benachteiligten Kindern Nachhilfe gibt. Im Rückblick sieht Johannes das antirassistische Engagement seiner Eltern durchaus mit

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einem kritischen Auge. Es sensibilisiert ihn zwar früh für die gesellschaftliche Problematik von Rassismen, ist jedoch auch sehr stark Ausdruck eines bestimmten privilegierten Milieus. Das Engagement richtet sich nicht gegen die eigenen Privilegien und den strukturellen Rassismus und war mit den Worten von Johannes »eh das Übliche, was gut ausgebildete und gutverdienende etablierte Weiße machen« (Johannes 375–376). Im Haushalt von Johannes‘ Familie wird viel gelesen. Es gibt eine große Bibliothek und es wird auch von Johannes erwartet, dass er sich ihrer bedient. Im späten Teil des Interviews spricht er davon, dass afroamerikanische Literatur bereits früh in seinem Leben einen wichtigen Teil seines Lesestoffes ausmacht. Die Reflexion seiner eigenen kindlichen Lebenswelt, die von Rassismus geprägt ist, seine eigenen Positionierungen darin, meint er, durch diese Literatur besser greifen zu können. Dazu liest er sie, weil sie ihm gefällt und weil alle in seinem Umfeld sie lesen. Die Konfrontation mit dem eigenen Rassismus Das antirassistische Elternhaus und die zum Teil rassismuskritisch angeleitete Erziehung können nicht verhindern, dass Johannes bereits als junges Kind einen rassistischen »Wahrnehmungsfilter« (Auma 2018: 2) erlernt. Er erzählt vom ersten Arbeitstag seines Vaters in Südafrika: Ah, jedenfalls sind wir dann nach Südafrika gezogen und dann kam der erste Arbeitstag meines Vaters, ja? [Mhm.] Und, äh, und der wird abgeholt am ersten Arbeitstag von einem Arbeitskollegen, ja? Und ich gehe, und es läutet an der Türe, es war auch gleichzeitig mein erster Kindergartentag, im Süden, ja? Und (hustet) (.), und ich gehe, und es läutet an der Türe und alle sind hektisch und ich gehe halt zur Türe und mache auf (.). Steht da ein (…), ein, ein Riese, ja? Und (.) ich schau nur so, also man muss sagen, der ist wirklich, also der war sicher knapp unter 2 Meter, ja? [Ja.] Also, ah, und (.) ich schau nur so, ja? Drehe mich am Absatz um und renne in das Haus rein und schrei auf Deutsch (.): »Mama, Mama, bei der Türe ist ein (.) N-Wort«, ja? [Ja.] Nicht wissend, dass es das Wort auf Englisch auch gibt. Das ist, ich habe nicht einmal [ja]. Also ich hatte überhaupt keinen Bezug zu dieser Geschichte. Das war für mich, ich habe zwar irgendwie gewusst, es gibt das und das und da gibt es Probleme und so weiter, ja? Und diese Probleme sind deppat. Alles das habe ich gewusst, aber. Also so nah bin ich einem Schwarzen wahrscheinlich noch nie gekommen gewesen, ja? Da war ich eben fünf Jahre alt, ja? (Johannes 172–187) Johannes schildert das Erlebnis in einer erstaunlichen Detailtreue. Er erzählt Teile der Sequenz ausschließlich als Ich-Erzähler und scheint sich sehr genau an die Situation zu erinnern. Auch dieser Vorfall wird in der Familie für längere Zeit diskutiert, was die detailgetreue Erinnerung auch erklären kann. Aus dieser Sequenz wird sichtbar, dass Johannes die ersten fünf Jahre seines Lebens in einem komplett weißen Umfeld verbracht hat, was er so im Interview bisher nicht explizit anspricht, und dass er gleichzeitig entgegen der Intention der Eltern bereits Rassismus internalisiert hat. An dieser Stelle drängt sich die Frage auf, wie antirassistisch sein Elternhaus tatschlich sein hat können, wenn er erst mit fünf Jahren das erste Mal einen nicht-weißen Menschen sieht. Der besagte Arbeitskollege wird später der beste Freund des Vaters. Johannes erzählt hier über die erste Konfrontation mit dem eigenen Rassismus. Die Eltern geben ihm da-

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mals zu verstehen, dass die Bezeichnung, die er benützt, nicht verwendet werden soll. Aus dem Zitat wird auch ersichtlich, dass er bereits eine vage Vorstellung von »diesen Problemen« hat, womit er wohl Rassismus meint, ohne es klar zu benennen. Johannes erinnert sich an einen Widerspruch, den er laut seiner Erzählung damals stark spürt. Da ist eine gewisse Normalität des Begriffes um ihn herum – etwa auch in Kinderliteratur, die vermeintlich antirassistisch ausgerichtet ist, aber rassistische Begrifflichkeiten verwendet. Gleichzeitig erinnert er sich an die klare Kritik seiner Eltern an seiner Verwendung des Begriffes: Und mir ist irgendwie zu verstehen gegeben worden, dass man das nicht sagen darf. Und das habe ich aber nicht verstanden, weil (.) das ist ja sozusagen immer gesagt worden und ich habe auch auf dieses Buch verwiesen, ja? Und das ist meinen Eltern sehr, sehr schwergefallen, irgendwie, zu erklären, warum das so ist, ja? [Mhm.] Also warum das quasi in dem Buch geht, ja? (Johannes 192–197) Johannes deutet diesen Widerspruch auch dahingehend, dass er seine frühe Kindheit in einem »linkskatholischen Haushalt« (Johannes 205) so erlebt hat, dass es in der Welt Gewissheiten und eine klare Vorstellung vom Guten gibt. Diese Widersprüche von gut gemeint und trotzdem rassistisch sind für ihn nicht integrierbar. Den kindlichen Katholizismus und sein Bild von der Eindeutigkeit der Welt erzählt Johannes anhand weiterer Erinnerungen: Also ich war jahrelang 100-prozentig überzeugt davon, dass, ah, wir als Familie ganz klar zur IRA halten und zu Israel, ja? Und bin völlig erstaunt gewesen, dass meine Eltern das nicht so gesehen haben, ja? Ich meine, ist doch völlig klar, Israel ist das Volk Gottes, ja? Und die IRA das sind die Katholiken, ja? [Ja.] Also sozusagen in so einer Welt bin ich quasi aufgewachsen. Und es war nicht, für mich schwer zu verstehen, ja? Warum, wenn man, man das N-Wort nicht verwendet, ja? Warum die deppaten Deutschsprachigen das nicht wissen. (Johannes 212–219) Eine weitere Möglichkeit – neben der linkskatholischen Prägung –, die Irritation von Johannes zu deuten, ist die bereits viel beschriebene Tatsache, dass Rassismus gerade über das Verbinden von inneren logischen Widersprüchen so mehrheitsfähig ist: das Spiel von süßen und bitteren Worten (vgl. Kilomba 2009), die Imagination des »edlen« und des »unedlen« Wilden (Hall 1994a: 170), die Gleichzeitigkeit von Dämonisierung und Romantisierung. Diese Ambivalenzen, die sowohl zum Hassen als auch zum Romantisieren verleiten, sind von Erwachsenen bereits als Normalität internalisiert. Für ein kleines Kind, wie es Johannes damals war, bieten sie keine klaren Deutungs- und Handlungsmöglichkeiten. Wie kann eine Person gleichzeitig gut und böse sein? In der Erzählung über dieses frühkindliche Ereignis spricht er aus der Perspektive eines Kindes, so als würde er nach wie vor nachvollziehen können, warum er damals so empfindet. Im Vergleich zu den meisten anderen interviewten Aktivisten erzählt Johannes von vielen unterschiedlichen Vorkommnissen mit Rassismen, bei denen er zum Teil gänzlich differente Positionen – vom Täter bis zum Betroffenen – einnimmt. Am Beispiel einer Unterschriftenliste an seiner Schule des Jahres 1979 illustriert Johannes diese Ambivalenz besonders eindrücklich:

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[W]ie soll ich sagen, also ich war, es muss 79, und da war ich dann schon relativ lange in Österreich und da war ich schon im Gymnasium. Hat es eine Unterschriftenliste gegeben, ahm, damit Mord in Deutschland lebenslang also, dass die Verjährungsfrist aufgehoben wird in Deutschland bei Mord, ja? Und es hat einen jüdischen Schulkollegen, der war nicht in meiner Klasse, hat aber Unterschriften gesammelt ja? Und irgendwann sagt der mir, also ich hatte das unterschrieben, und irgendwann sagt der mir, in der ganzen Schule haben ihm nur drei oder vier Schüler unterschrieben ja? Und das habe ich schlichtweg nicht gepackt, [mhm] ja? (Johannes 378–386) Die Debatte wird damals vor dem Hintergrund der Konstellation geführt, dass es auf Mord eine Verjährungsfrist gibt, womit viele Verbrechen während der Zeit des Nationalsozialismus verjährt wären. In Deutschland findet sich schließlich eine politische Mehrheit für die Abschaffung der Verjährung, was auch ein starkes Signal für eine konsequentere Verfolgung von NS-Verbrecher*innen aussendet (vgl. bpb: Bundeszentrale für politische Bildung 2019). Vor diesem Hintergrund ist die Empörung von Johannes zu verstehen. Die Normalität einer Nichtaufarbeitung der nationalsozialistischen Geschichte und der gesellschaftlichen Involviertheit war und ist implizit antisemitisch und antiziganistisch. Diesen für die postnationalsozialistische Gesellschaft Österreichs mindestens bis zur Causa Waldheim völlig normalisierten Antisemitismus nennt Johannes ein »antisemitisches« Arrangement: [D]ieses Ereignis, das übrigens auch seine Fortsetzung hatte, weil irgendwann habe ich mich mit dem gestritten und hab ihm dann gesagt, dass es ein Fehler war, dass ich das unterschrieben hatte, und so weiter. Also irgendwann bin ich dann schon mal draufgekommen, dass man mit antisemitischen, ah, wie soll ich sagen, mit dem Arrangement des Antisemitismus weiterkommt. [Mhm.] Das tut mir im Nachhinein sehr leid, aber das war so. (Johannes 388–393) Die Sequenz ist ganz entscheidend für das Verständnis der rassismuskritischen Subjektbildung von Johannes vor dem Hintergrund seiner durch Rassismen miterzeugten sozialen Position. Johannes hat durch verschiedene Faktoren, zu denen wir bis dato Erfahrungen mit Rassismus, eigene Marginalisierungserfahrungen und das antirassistische Elternhaus zählen können, bereits früh eine rassismuskritische Haltung entwickelt. Dies bedeutet allerdings nicht, dass er nicht genauso auf rassistisches Wissen (nichtintentional als Kind) oder auf rassistische Praktiken (als Machtmittel im Rahmen eines Streites mit einem Schulkollegen) zurückgreifen kann – was er auch in verschiedenen Situationen tut. Er macht klar sichtbar, dass er in solchen Situationen »weiterkommt«, wenn er den rassistischen Konsens bestätigt. Gleichzeitig konfrontiert er sich in der biographischen Erzählung mit den eigenen Rassismen der Vergangenheit und sieht sie heute als Unrecht. Der Umzug nach Österreich Johannes kennt Österreich bis zu seinem Umzug dorthin nur von zwei Besuchen und er empfindet die erste Zeit dort als Eintritt in eine »komplett neue Welt« (Johannes 262). Eine Welt, die er in vielerlei Hinsicht auch als rückschrittlich empfindet etwa was die »Unterscheidung zwischen Buben und Mädchen« (Johannes 245–246) angeht.

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Johannes will nicht nach Österreich ziehen und sagt, dass er damals »dagegen« (Johannes 227) gewesen sei. Österreich empfindet er damals als ein »Trottelland« (Johannes 231). Im Rückblick sieht Johannes das Österreich der 1970er Jahre nach wie vor als ein solches. Johannes erzählt davon, dass er gleich zu Beginn seiner Zeit in Österreich Erfahrungen von Ausgrenzung macht – vor allem in seiner Schule: Ich meine, die, ich bin in die Schule gekommen, ja? Und (.) mit, mit, mit einer Geschwindigkeit (.) zu einer Art Außenseiter geworden, und zwar gar nicht so sehr von den Kindern, sondern von der Lehrerin gemacht worden, ja? Ah, ich hatte lange Haare, ich habe gezuzelt, weil ich den Übergang von th auf s sehr schwer gehabt habe, ja? [Ja.] Und das Katastrophale war, dass bei mir in der gleichen Klasse ein Mädchen war, das gerade aus Frankreich gekommen ist, ja? Und die ist genauso behandelt worden wie ich, ja? [Mhm.] Was dazu geführt hat, dass wir beide dann auch auf demselben Tisch gesessen sind. Also wir waren faktisch, ja? Ausgegrenzt, ja? Und zwar gar nicht primär von den anderen Kindern [mhm], sondern wirklich (.). Also die Lehrerin hat jedenfalls nichts zu einer aktiven Inklusion von uns gemacht, ja? Sondern eigentlich Widersprüche ganz stark, äh (.), ganz stark verschärft. (Johannes 232–244) Johannes beschreibt seine Anfangszeit in Österreich so, als habe er persönlich sehr zu kämpfen gehabt. Einerseits, weil er sich selbst in der neuen Welt zurechtfinden muss, und andererseits, weil er, wie er es beschreibt, als »Außenseiter« stigmatisiert wird. Er erzählt von seinen Problemen bezüglich der Sprache, dass er etwa viele Wörter nicht kennt, sie lernen muss, diesen Umstand aber versteckt, weil er nicht als jemand dastehen will, der die Sprache nicht beherrscht. Johannes erzählt auch von Erfahrungen mit Diskriminierung aufgrund seiner Herkunft aus dem Ausland außerhalb der Schule. Johannes erzählt von einem Vorfall im Rahmen eines Besuches bei einer befreundeten Familie: [I]rgendwann hat er einmal einen aggressiven Auszucker bekommen und mich so gegen die Wand geworfen und so Sachen, ja? Und irgendwie weiß ich nicht mehr genau, wie es war, und dann sagt er zu mir den Satz: ihr habts gegen uns Krieg geführt. [Okay.] Und ich sage, wieso, das waren doch die Deutschen, ja? [Mhm.] Und er hat gesagt, das ist dasselbe, ja? (…) Ich habe bis zu diesem Zeitpunkt nicht einmal gewusst, ja? Also ich habe gewusst, dass es einen, einen Krieg gegeben hat, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich das Wort »Zweiter Weltkrieg« schon gekannt habe. (Johannes 297–303) Die Ablehnung, die Johannes in der beschriebenen Situation erfährt, scheint daran gelegen zu haben, dass er als »Amerikaner« gelesen wurde. Sie zeigt, dass Johannes aufgrund seiner Migrationsbiographie Ausgrenzungserfahrungen macht. Erfahrungen, von denen er im Zuge seiner biographischen Erzählung an mehreren Stellen berichtet. In Bezug auf die Normalität des Rassismus im Österreich der 1970er Jahre erinnert sich Johannes an einen Vorfall, den er heute als antisemitisch deutetet und der ihn auch damals beschäftigt und irritiert: Also es gab dieses, oder ich bin mit einer (.), mit einer Klassen-, ja gut, das hat aber damit nichts zu tun, das hat mit mir nichts zu tun, aber ich bin mit einer Klassenkollegin, die eine bisschen eine dunklere Haut hatte und Locken hatte, ja? [Ja.] Viele Locken, im

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Bus gefahren und irgendwie, glaube ich, sind wir nicht schnell genug aufgestanden, ah, wie irgendwelche alten Männer, Kriegsversehrte offensichtlich, gekommen sind, ja? Und der beschimpft dann dieses Mädchen als du Mensch, ja? (Johannes 307–313) Johannes erzählt in der darauffolgenden Sequenz, wie er als Kind nicht versteht, worum es in der antisemitischen Situation im Bus geht. Erfahrungen solcher Art kann er aber mit seiner Familie besprechen. Er erzählte davon und seine Eltern versuchen ihm zu erklären, was es damit auf sich hat. Im Rückblick wird ihm eine antisemitismuskritische Perspektive beigebracht, die er auf folgende Weise beschreibt: Aber in jeder Hinsicht, dass jemand einfach aufgrund seines Seins, ja? Schlecht sein könnte [mhm]. Also, dass jemand annimmt, dass jemand anderer schlecht ist, weil, ah (.), weil er möglicherweise Jude oder Jüdin, sie war keine Jüdin, ja? Das ist, aber auch egal, ja? Ich habe mich da echt nicht zurechtgefunden, ja? Das war und ich habe dauernd solche Sachen gehabt, ja? (Johannes 319–323) Johannes benennt hier viele wichtige Facetten der Rassismen und wie er sich als Kind damit auseinandersetzt: die rassistische Klassifikation, die Überhöhung und Herabwertung, die Essentialisierung, die Praxis der Rassifizierung, ob auf biologischen, biographischen, religiösen Merkmalen beruhend oder nicht. Seine persönliche Erfahrung zeigt auch, dass es entscheidend ist, in welchem Kontext ein Kind Rassismus lernt. Rassistisches Wissen schafft »signifikante Differenzlinien« (Mätschke 2017: 250), die wiederum als Marker für gesellschaftliche Normalität fungieren. Der implizite Antisemitismus in Österreich, der sich stark in einem sekundären Antisemitismus äußert und mit der eigenen Schuldabwehr einhergeht (vgl. dazu »Schuldabwehr-Antisemitismus« von Samuel Salzborn 2020), ist für Johannes, der die Normalität und Funktionsweise vor allem von anti-Schwarzem Rassismus in den USA und in Südafrika gelernt hat, völlig unverständlich. Johannes verbringt einen beträchtlichen Teil seiner frühen Kindheit in den USA, Südafrika und kurz in Kanada. In Österreich wird er deshalb und weil er neben Deutsch auch Englisch spricht häufig als »Amerikaner« gelesen und ist mit einem, wie er meint, recht ausgeprägten »Antiamerikanismus« (Johannes 348) konfrontiert: Mir ist in Österreich sehr schnell klar gemacht worden, wenn du hier leben willst und erfolgreich irgendwie sozial integriert sein willst, musst du die USA scheiße finden, ja? Also das auf jeden Fall und in der Folge letztlich auch du musst Israel scheiße finden, ja? Und witzigerweise die USA scheiße finden ist mir mit der Zeit leichter gefallen als Israel scheiße finden [ja], ja? (Johannes 359–364) Johannes schlägt eine direkte Brücke vom »Antiamerikanismus« in Österreich zum »Antiisraelismus« der damaligen Zeit. In der Schilderung seiner Zeit in der »radikalen Linken« werden hier noch weitere Problemstellungen des Antisemitismus von links sichtbar, an den er anfänglich Zugeständnisse macht, von dem er sich aber schließlich im Zuge einer antisemitismuskritischen Perspektive abgrenzen wird. In einer kurzen Sequenz am Schluss des Interviews reflektiert Johannes noch einmal im Zuge von drastischen Vergleichen seine ersten Jahre in Österreich. Er bezeichnet die ersten Jahre als »Migrationserlebnis«, als Migrationserfahrungen und versucht eine

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Brücke zu jüdischen Fluchterfahrungen zu schlagen. Dem Zitat geht eine Erzählsequenz voraus, in der er davon berichtet, dass er sich eine Zeitlang intensiv mit Migrationsforschung und Migrationsbiographien auseinandergesetzt hat und Parallelen zu seiner eigenen Geschichte ausmachen kann: In dem Zusammenhang habe ich auch mich sehr viel beschäftigt mit: Was passiert mit jüdischen Migrantinnen, und dann bin ich halt noch einmal drauf gekommen, dass ich quasi alles das, was quasi Holocaust-Flüchtlingen, egal, politische Flüchtlinge, das alles, was bei denen in der Psychologie konstruiert wird, das habe ich alles auch, halt wesentlich weniger ausgeprägt, aber so bin ich draufgekommen, dass sozusagen mein Migrationserlebnis, das ja nur für mich erzwungen war, des war ja gewünscht. Meine Großeltern hat es ja gefreut, dass ich, alles das, was da in der Literatur vorkommt, dass ich das selber so empfinde. (Johannes 1253–1261) Der Vergleich von Johannes wandelt an einem schmalen Grat zwischen Aneignung jüdischer Fluchtgeschichte und dem Versuch, seine eigene Positionierung als Kind und Jugendlicher in Österreich vor dem Hintergrund von migrantisierenden, nationalistischen, antiamerikanistischen Diskursen einzuordnen. Zwar relativiert er den Vergleich mit dem Hinweis, dass seine Erfahrungen »wesentlich weniger ausgeprägt« seien, aber für einen Antirassisten, der sich mit Migrations- und Fluchtforschung auseinandersetzt, erstaunt der Vergleich. In dieser Sequenz wirkt es nicht so, als würde er in der Analogie versuchen, eine Empathiebrücke herzustellen, die zu einem besseren Verständnis von Menschen mit Flucht- und Migrationsgeschichte in Österreich führen kann. Hier ist die Aneignung und damit Relativierung von Fluchterfahrungen von »Holocaust-Flüchtlingen« besonders sichtbar. In diesen Momenten positioniert sich Johannes als von Rassismus betroffene Person und verhindert so einerseits ein Verständnis seiner tatsächlichen Diskriminierungserfahrungen, die durch seine spezifische soziale Position als in den USA geborener, in Südafrika aufgewachsener katholisch und weiß positionierter Jugendlicher mit österreichischen Eltern gekennzeichnet sind. Andererseits ist in diesen Momenten der Grenzüberschreitung seine relativ privilegierte Position gänzlich unsichtbar. Trotz der von ihm geschilderten Marginalisierungserfahrungen sieht sich Johannes als Teil eines privilegierten »bürgerlichen Umfelds« (Johannes 401), das er als sehr homogen beschreibt: Ah, aber quasi, ich war irgendwie betroffen oder dieses französische Mädchen, ah, das mit mir in die Klasse gegangen ist, war davon betroffen, aber ansonsten hatte ich praktisch keinen Kontakt zu Leuten, die unmittelbar anders davon betroffen sind, wobei Rassismus habe ich ziemlich viel erlebt ja? (Johannes 397–401) Johannes markiert sein Umfeld als bürgerlich, zwischen den Zeilen kann auch gelesen werden, dass es wohl weiß, ohne Migrationsgeschichte, akademisch dominiert sein muss. Johannes bezeichnet sich also sehr wohl auch als Teil der Dominanzgesellschaft und nicht nur marginalisiert positioniert. Gleichzeitig scheint er seine Erfahrungen, die ich bis dato als Marginalisierungserfahrungen beschrieben habe, tatsächlich als Rassismuserfahrungen zu verstehen. In einer weiteren Stelle kurz vor dem obigen Zitat meint er, dass er Rassismus vor allem aus eigenen Erfahrungen kennt und sich sonst

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auf einer »akademischen Ebene« (Johannes 396–397) damit auseinandersetzt. Aufgrund der doch mehreren bereits erzählten Erfahrungen, bei denen er Rassismus als Zeuge, als Beteiligter, als antirassistischer Verbündeter erlebt, erstaunt dies. Auch vor dem Hintergrund einer akademischen Auseinandersetzung wirkt seine Positionierung als Person mit Rassismuserfahrungen irritierend. Abermals wirkt es in dieser Sequenz so, als würde er seine eigenen Marginalisierungserfahrungen nicht als Grundlage zum Verständnis von Rassismen in Österreich nützen, sondern sie überzeichnen. Die Sequenz kann allerdings auch vor dem Hintergrund der Schilderung seines bürgerlichen Umfeldes in Österreich gedeutet werden. Er beschreibt sein Umfeld als weiß-dominanzgesellschaftlich, bürgerlich. Dieser Umstand gilt mit einigen Unterschieden dann auch für seine Zeit in den USA, Kanada und Südafrika. Die soziale Position dort kann als »white foreigner« beschrieben werden. In allen drei Kontexten ist Johannes Teil der Elite, auch wenn seine Position durch eine privilegierte Randstellung geprägt ist. Er bezeichnet sich als an den Grenzen der jeweiligen Dominanzgesellschaft positioniert: in den USA, Kanada und Südafrika stehe er am Rande des Weißseins und in Österreich am Rande des »Einheimischseins«. Aus seinen Erzählungen ist allerdings sichtbar, dass er neben den individuellen Marginalisierungserfahrungen aufgrund dieser Randstellung – die er über vereinzelte individuelle Diskriminierungserfahrungen herleitet – in allen drei Kontexten in jeder Hinsicht systematische Privilegien erhält. Während Johannes also trotz der beschriebenen Diskriminierungserfahrungen in allen drei Kontexten nicht rassistisch diskreditierbar ist, positioniert er sich als Person mit Rassismuserfahrungen. Relativ am Ende der Haupterzählung kommt Johannes darauf zu sprechen, dass er Österreich im Vergleich zu den USA, wo er nach wie vor regelmäßig hinreist, als rassistischer empfindet. Ähnliches gilt seiner Ansicht nach für Südafrika. Er begründet seine Vermutung mit nachfolgendem Beispiel: Also die Frage: »Wer lädt eigentlich Türkinnen und Türken der zweiten Generation zu sich nach Hause ein?« Das ist selbst in meiner gegenwärtigen weiteren Blase nicht häufig. Man hat mit denen zu tun, aber dass man mit denen so gut befreundet ist, dass man mit denen nicht am Abend weggeht, sondern die bei einem zu Hause einlädt oder vielleicht sogar gemeinsam mit denen auf Urlaub fährt, das ist selbst hier selten. (Johannes 1013–1019) In der wiedergegebenen Sequenz spricht Johannes eine Trennung in der Gesellschaft an, die er für sein Umfeld wohl als typisch ansieht. Wir erinnern uns an dieser Stelle, dass Ralf eine beinahe idente Situation erzählt. Wie schon Ralf macht Johannes bei dem Thema nicht transparent, worin er die Gründe hierfür sieht oder auch, was sein eigenes Umfeld und bestimmte Ausschlüsse mit dieser Trennung zu tun haben könnten. Auffällig ist an dieser Stelle aber eine gewisse »Wir-Die«-Argumentation, die entlang der Grenze wir Österreicher und Österreicherinnen, die Türkinnen und Türken verläuft. Das ist besonders erstaunlich, da Johannes ja selbst die sogenannte »zweite Generation« anspricht, also in Österreich geborene Menschen. Er will hier zwar auf eine Trennung hinweisen, die er andeutungsweise, aber dem Kontext nach zu schließen auch als Resultat einer rassistisch bedingten Vergesellschaftung fasst, er tut dies jedoch in einer Sprache, die rassistisch problematische Diskurse reproduziert und damit auch Trennungen aufrechterhält.

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Indem er davon spricht, dass die von ihm beschriebenen Beziehungen »selbst hier selten« sind, beschreibt er sein Umfeld implizit als offen, divers, vielleicht antirassistisch. Mit dieser Rhetorik entlastet er sein unbenanntes weiß-dominanzgesellschaftliches Umfeld von einer Mitverantwortung für die von ihm ausgemachte Trennung, ohne gesellschaftliche Ursachen für die Trennung anzusprechen. Abermals bringt er gleich im Anschluss an die wiedergegebene Sequenz eigene Erfahrungen ins Spiel. Die Sequenz soll illustrieren, wie normal Rassismen in Österreich sind und wie Rassismus auf ihn selbst als Kind eingewirkt hat: Und im Nachhinein glaube ich ehrlich gesagt, dass es so ist, dass der Bund; also den Rassismus, den ich als Kind erlebt habe, der hat mich wirklich verletzt, wirklich geprägt, also ich könnte noch viele Beispiele erzählen, gekränkt auch, der hat mein Verhalten beeinflusst. (Johannes 1025–1028) Johannes springt wiederholend von Erzählungen der allgemeinen gesellschaftlichen Konstellation in Bezug auf Rassismen in die Kontexte seiner Kindheit und Jugend zu eigenen Marginalisierungserfahrungen. Auffällig dabei ist, dass er es mehrfach dann tut, wenn es um seine gesellschaftliche Rolle in Bezug auf Rassismen – also um seine privilegierte soziale Position – geht: im Beispiel seiner Kindheit in Südafrika, seiner Freundin in Österreich, die antisemitische Stellvertreterinnenerfahrungen macht, oder in der Sequenz von Rassismus gegen als Türk*innen gelesene Österreicher*innen. Er stellt in diesen Erzählungen keinen Bezug zu seiner relativ privilegierten sozialen Position her, sondern nützt die Erzählung über die allgemeine Problematik von Rassismen und positioniert sich als jemand, der ebenfalls Erfahrungen mit Rassismus macht. Johannes spricht die eigene relativ privilegierte soziale Position dort klar an, wo es um sein »bildungsbürgerliches Haus« (266) geht. Dieses Thema erzählt er getrennt von der verwandten Sequenz des »antirassistischen Haushaltes«. Eine sehr bildungsbürgerliche Familie Das ist ein sehr bildungsbürgerliches Haus, äh, Familie, ja? [Ja.] Es war bei uns nicht üblich zu fragen. Es ist irgendwie davon ausgegangen worden, dass das eh alle wissen, ja? Ich weiß auch nicht warum, ja? Wenn man dann gefragt wird und wenn die Frage aufgeworfen worden ist, dann ist das eigentlich immer sehr gut erklärt und gut, also da ist man zuerst zum Idioten erklärt worden und dann ist es aber sehr gut erklärt worden, ja? [Ja.] Und, und sehr, ist auch viel darüber geredet worden und so, aber, das heißt, ich habe bestimmte Fragen gar nicht gestellt, ja? (Johannes 266–273)

Johannes beschreibt seine Familie als »sehr bildungsbürgerlich«. Das bedeutet für ihn, dass eine gewisse universitäre Laufbahn erwartet und auch unterstützt wird, dass er in bildungsbürgerlichen und künstlerischen Kreisen aufwächst und auch, dass seine Familie in einem relativ großen Wohlstand lebt. Die finanziellen Verhältnisse deutet er allerdings nur an, wenn er etwa über den Kauf von Häusern spricht oder sich selbst als sehr gutverdienend beschreibt. Neben der Klassenposition seiner Familie erzählt Johannes auch über die politischen Positionierungen seiner erweiterten Familie. Er bezeichnet sie als:

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[…] klassisch österreichische Familie, eine sehr fundamentalistische religiöse Seite und eine ursprünglich großdeutsch-bürgerliche Seite, die sich österreich-typisch aufgeteilt hat in Nazis und Kommunisten, also von Nazis zu Kommunisten. (Johannes 640–643) Johannes erzählt im weiteren Verlauf einerseits über die Rolle seiner Familie im Nationalsozialismus, andererseits aber auch über die Kontinuität von nationalsozialistischem Denken und Antisemitismus innerhalb seiner Familie. Johannes illustriert dies an einem Beispiel mit einer näheren Verwandten: [I]ch war zehn Jahre alt, es wird 1975 gewesen sein, es waren Nationalratswahlen, sie bringt mich mit dem Auto nach Hause und sie beginnt so zu erzählen, dass jetzt Wahlen sind und sie weiß nicht, wen sie wählen soll und so weiter, weil den »Saujuden«, den wählt sie nicht. Und ich habe das Wort zum ersten Mal in meinem Leben gehört. Warum die mir das erzählt hat, das ist mir ein Rätsel. Das ist doch keine Kind-adäquate Unterhaltung. (Johannes 647–652) Johannes erzählt davon, wie er zum ersten Mal mit dem antisemitischen Ausspruch, der auf den damaligen Bundeskanzler Bruno Kreisky bezogen ist, konfrontiert wird. Die bisher von ihm erzählten Erfahrungen in Bezug auf Antisemitismus geben einen kleinen Einblick in die subjektivierenden Effekte des Antisemitismus auf dominanzgesellschaftlich positionierte Personen wie Johannes. Es wird ein Komplex sichtbar, aus bereits Kindern beigebrachter rassistischer Bezeichnungspraxis, aus alltäglichen Beschimpfungen, wie beim Beispiel in der Straßenbahn, aus Verharmlosung und Dethematisierung postnationalsozialistischer Kontinuitäten, ersichtlich in seinem Gymnasium, aus der Etablierung antisemitischer Positionen in politischen Bewegungen, wie wir weiter unten sehen werden. Johannes erzählt auch von seinem Großvater aus der »großdeutsch-bürgerlichen« Seite, den er als »katholischen Fundamentalisten« bezeichnet. Seinen Großvater beschreibt er als jemanden, der eine Reihe von ambivalenten Zügen in sich trägt, was ihn bis heute beschäftigt: Und ich weiß nicht, der war zutiefst antisemitisch. Aber er hat sozusagen den Juden, die er gekannt hatte, geholfen. Weil dieses Regime, natürlich sind die Juden nicht im Himmel, die sind nicht schlechte Menschen, die sind halt gottlos. Aber so gottlos wie dieses Regime kann nichts sein. Okay, gleichzeitig ist er dann Blockwart geworden. Solche Sachen. (Johannes 672–676) Das Sprechen über die eigene Familie ist der Moment, wo er familiale Verstrickungen in den Nationalsozialismus, in das »Arrangement des Antisemitismus« sichtbar macht und gleichzeitig die eigene rassistisch-, religiös-, klassen- und geschlechtsbedingte privilegierte soziale Position reflektiert. Hier ist keine Spur der Aneignung von Unterdrückungserfahrungen sichtbar. Die Zeit in der radikalen Linken Johannes wird als junger Erwachsener Teil von linken Bewegungen und später dann der »radikalen Linken« (Johannes 408), wie er sie bezeichnet. Er thematisiert in Bezug auf diese Zeit primär bestimmte Ausschlussbewegungen, die zum Teil mit seiner eigenen

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Biographie, aber auch mit seiner antisemitismuskritischen Haltung, etwa beim Thema Israel zu tun hat. Er erzählt in einer Sequenz beispielsweise davon, dass eine sich anbahnende Beziehung mit einer aktivistischen Freundin von ihrer Seite beendet wird, weil sie die politischen Differenzen als zu groß erachtet: […] und ich sag dann irgendwann so: naja ich finde viele Staaten scheiße, aber dass es ein Israel oder ein Armenien geben muss, dass leuchtet mir schon ein. Also großes Entsetzen und das Ergebnis war, sie kann sich nicht vorstellen, mit jemanden eine Beziehung zu haben, der die PLO-Front nicht unterstützt. [wow] Hat mich nicht wirklich sehr schwer, ich habe es selbst damals irgendwie sehr witzig gefunden, aber das hat eben eine Stimmung wiedergegeben und da hat eigentlich niemand, also zu dem Zeitpunkt hat niemand was dagegen gesagt. (Johannes 414–420) Zeitgleich mit der Intensivierung seines politischen Engagements beschäftigt sich Johannes immer intensiver mit Rap-Musik und bringt es in die Erzählung zu seiner Zeit in der radikalen Linken ein – abermals um bestimmte Ausschlussbewegungen seines damaligen politischen Umfeldes aufzuzeigen: Und dann kam Rap und Rap war für mich, insbesondere Public Enemy, das war für mich zum großen Teil, oder Sister Soldier, das sind meine Wurzeln. Ich bin zwar weiß und es ist lächerlich herumzurennen und zu sagen: »Das sind meine Wurzeln«, aber für mich kann ich sagen: »Das sind emotional meine Wurzeln« und na wann wird denn das gewesen sein? 87/88/89 ge? Also ich habe schon Grandmaster Flash super gefunden, aber Grandmaster Flash war irgendwie noch, wie soll ich sagen, sehr mobilisierend. Der hat diese Fragen irgendwie, schon witzig, aber ich habe schon erkannt, dass der nicht mit mir redet, das habe ich gewusst, aber ich habe sozusagen die Dimension und die Leistung, die der erbringt, habe ich nicht erfasst und sie hat mich nicht so bewegt, obwohl ich es wirklich geil gefunden habe. (Johannes 432–442) Johannes bringt mit seiner Liebe zu Rap ein völlig neues Thema in die Erzählung ein. Er bezeichnet Rap als sehr signifikant für die eigene Biographie – als seine »Wurzeln«. Er markiert an dieser Stelle des Interviews ebenfalls erstmals seine Positionierung als weiß, setzt sie in Bezug zu der Geschichte des Raps, die eng mit der Geschichte von Afroamerikaner*innen in den USA verbunden ist. Mit dem Verweis »ich bin zwar weiß und es ist lächerlich zu sagen: ›Das sind meine Wurzeln‹« versucht er, diese Differenz anzusprechen. Mit der Formulierung »emotionale Wurzeln« zeigt er an, wie tiefgreifend er durch Rap geprägt und auch berührt wird. In Bezug auf seine politische Subjektivierung hat Rap auch einen paradoxen Einfluss, der in Wechselwirkung zu antisemitismuskritischen Lernprozessen in Österreich steht und mit Auseinandersetzungen in der »radikalen Linken« einhergeht: [D]ass ich quasi diesen Punkt mit dem Antiamerikanismus machen konnte und das, verdank ich nur dem Rap, das ist wieder skurril, weil ein Teil der Rapkultur zutiefst antisemitisch war, hat auch dazu geführt, dass ich erkannt habe, mit meiner eigenen Geschichte irgendwie besonders wo, wie die RAF aufgelöst worden ist, die Wurzeln von denen sind letztlich auch Wurzeln, auf die ich mich bezogen habe. Die haben zwischen 70 und 73 Anschläge auf Synagogen gemacht und ich habe das einfach ignoriert. Ich

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habe so getan, als ob das nichts mit dem zu tun gehabt hätte, was nachher gekommen ist. (Johannes 1132–1139) Johannes spricht im widergegebenen Zitat eine Reihe von Verstrickungen mit Antisemitismus an, mit denen er sich auseinandersetzt. Einmal den Antisemitismus von Teilen der so wichtigen politischen Rap-Gruppe Public Enemy, der zu einem Ausscheiden und später Wiedereinsteigen des Mitglieds Professor Griff führt (Jacob 1998). Er erkennt in der Verwendung der Machtstrategie des Antisemitismus im US-amerikanischen Rap Parallelen zum eigenen politischen Milieu, das Antisemitismus für politische oder persönliche Zwecke gebraucht. Johannes hat es trotz oder vielleicht genau wegen seiner »emotionalen« Involviertheit in die von ihm geliebte Rap-Musik geschafft, deren Widersprüchlichkeiten zu sehen und zu benennen. Diese Perspektive nimmt er dann in seine politisch-aktivistische Arbeit hinein. Interessant erscheint hier auch, dass seine Positionierung als gleichzeitig Insider wie Outsider sowohl im US- wie auch im Österreich-Kontext ihm bestimmte neue Einblicke ermöglicht. Sowohl der normalisierte Antisemitismus im postnationalsozialistischen Österreich als auch der normalisierte Antisemitismus im US-Rap wie in der »radikalen« Linken werden ihm zugänglich über seine Positionierung als Outsider, der dann Teil davon wird. Er sieht sich selbst als Weißer im Rap, als »Ausländer« in Österreich, als »Amerikaner« in der Linken positioniert. Es wurde bereits sichtbar, dass Johannes sich immer dann als »Außenseiter« entwirft, wenn er Verantwortung für seine Involvierung in rassistische Machtstrukturen und seine relativ privilegierte Position annehmen könnte. In der obigen Sequenz macht er sichtbar, dass er sehr wohl selbst Teil von antisemitischen Strukturen in der Linken gewesen ist. Innerhalb der linken Szene wird seine Hinwendung zu Rap-Musik auch kritisiert, aber aus einer anderen Perspektive. In dieser Kritik macht Johannes eine gewisse Einseitigkeit aus, die er aus rassismuskritischer Perspektive als zumindest nicht unproblematisch markiert: Also der Vorwurf kommt, die sind ja irgendwie voll sexistisch, und du findest quasi immer ein Vorwurf, das irgendwie abzulehnen, aber es ist immerhin darüber diskutiert worden. Und dieser Sexismus-Vorwurf gegen eine bestimmte Gruppe kann ja dann auch wieder rassistisch motiviert sein. [Ja, genau.] Beziehungsweise, man weiß es halt nicht. Aber bei Blechreiz hat es die Leute nicht so gestört. Das war eine rein-deutsche Ska-Partie. Das waren Antifas, da konntest aufs Konzert gehen usw. und musstest nicht irgendwie Stellung nehmen, weil die machen keine sexistischen Texte und die sind nicht rassistisch und die machen Ska und Ska ist cool. (Johannes 479–487) Der Doppelstandard, mit dem vor allem Schwarze und migrantische Rapper in Bezug auf Sexismus leben müssen, erstaunt vor dem gesellschaftlichen Kontext der Normalität der Vermarktung von Sexismus in sämtlichen Musik-Genres. Die Wiener Rapperin Ebow sieht rassismusrelevante Gründe für diese Externalisierung von Sexismus: »Dort, wo viele marginalisierte Gruppen eine Stimme haben, wird nochmals stärker drauf geschaut.« (Kapeller 2020) Der gleiche Kritikpunkt kann freilich auch bezüglich Antisemitismus getätigt werden und genauso könnte die Frage gestellt werden, warum Johannes

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das Problem in Bezug auf Sexismus als weniger gravierend einschätzt als beim Thema Antisemitismus. Rassistischer Stimmungswandel Johannes beschreibt im Zuge mehrerer Sequenzen seiner Haupterzählung, wie ihm eine weitere Dimension des Rassismus in Österreich bewusst wird, die sich anlässlich von Fluchtbewegungen artikuliert und meist durch ein Umschwenken von anfänglicher Solidarität zu rassistischer Konjunktur geprägt ist: Trotzdem fällt mir noch was ein, wo mir Rassismus zum ersten Mal von anderer Seite bewusst geworden ist. Und das war der Militär-Putsch in Polen. Da habe ich zum ersten Mal in meinem Leben diesen unglaublichen Stimmungswandel erlebt zwischen: Alle unterstützen irgendwie die Solidarnosc bis zu diesen und die ersten Geschichten, da ich ja im Umfeld der Katholischen Kirche doch irgendwie aktiv war, die ersten Erfahrungen: »Wir nehmen gerne Leute aus Polen. Eine junge Blonde wäre mir sehr recht.« Also diese Erzählung ist jetzt mir gekommen bis hin zu dem vollkommenen Stimmungswandel, den plötzlich die Polen und ein halbes Jahr später, ich würde sagen, das war ein halbes Jahr nach der Fluchtwelle, plötzlich also wirklich die Untermenschen waren. (Johannes 493–502) Johannes erzählt diese Episode aus der Perspektive seines damaligen Engagements in seiner katholischen Gemeinde. Die Gemeinde hat sich für eine Unterstützung von geflüchteten Menschen aus Polen eingesetzt. Johannes hat in dieser Zeit persönliche Kontakte zu Geflüchteten und unterstützt etwa bei der Wohnungs- und Arbeitssuche. Dieser persönlichen Ebene stehen mediale und öffentliche Diskurse gegenüber, die zunehmend rassistische Deutungen normalisieren: Und gleichzeitig kriegst du in der Kronenzeitung oder in der Zeitung oder im Alltag einfach mit, wie arg die Polen eigentlich sind, was die alles stehlen, und innerhalb weniger Monate, das war irgendwie extremst überraschend, weil, wie soll ich sagen, dass die Schwarzen alle schlecht sind, das habe ich ja gewusst, aber die sind ja quasi von Geburt an schlecht und von Beginn an meiner Wahrnehmung [du hast es nur so gehört, oder?]. Also da habe ich ja schon Wahrheiten vorgesetzt bekommen, und da habe ich dann erlebt, dass sich die gesellschaftliche Stimmung so massiv verändern kann und dass du als Mitglied einer privilegierten Gruppe auch irrsinnig Schwierigkeiten hast, darauf zu reagieren, weil was machst in der Situation? (Johannes 515–524) Johannes spricht im Vergleich zu den bisherigen Erzählungen in einer veränderten Tonalität und in neuer Härte über Rassismen und wie er sie bis dato erlebt hat. Er reproduziert eine Reihe von rassistischen Diskursen und macht es zunehmend schwerer erkenntlich, wo er vermeintlich kritisch gegen gesellschaftliche Diskurse Stellung nimmt und wo er selbst rassistisch wird. Eine mögliche Lesart ist, dass Johannes darauf aufmerksam machen will, dass der Rassismus, den er in den USA bereits früh erlernt, sich in Bezug auf die geflüchteten Menschen aus Polen erst formiert – und er Zeuge dieses rassistischen Stimmungswandels ist. Johannes‘ eigene frühkindliche Internalisierung von anti-Schwarzem Rassismus muss wohl nach der Widergabe der obigen Sequenz als tiefgreifender eingeschätzt werden, als dies bisher den Eindruck gemacht hat. In dieser

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Lesart macht Johannes den Unterschied sichtbar aus etablierten Rassismen, die bereits strukturell verankert sind, wie anti-Schwarzem Rassismus in den USA, und Formen, die gerade erst etabliert werden – wobei natürlich im Falle des antipolnischen Rassismus auf rassistische Diskurse zurückgegriffen werden kann, die als »antislawischer Rassismus« Tradition in Europa haben (vgl. Hund 2018: 82ff). Eine zweite Lesart der Sequenz wird erst vor dem Hintergrund der gesamten Fallrekonstruktion nachvollziehbar. Es kann hier vorweggenommen werden, dass Johannes im Laufe des Interviews zunehmend aggressiver in der Sprache und der Sache wird, sodass davon gesprochen werden kann, dass er eine Reihe von rassistischen Bildern selbst wiedergibt. In Bezug auf die von ihm beschriebene rassistische Konjunktur spricht er seine damals gespürte Ratlosigkeit über antirassistische und solidarische Möglichkeiten aus seiner Positionierung als »Mitglied einer privilegierten Gruppe« erstaunlich klar an: Also am Abend weggehen tust du nicht, weil, die haben kein Geld, einladen kannst genau einmal, bevor es entwertend wird. Jobs suchen, das ist genau Putzleutetätigkeit. Also du kommst aus dieser scheiß Situation nicht raus. Also ich wusste nicht, wie man rauskommt. Und der nächste Punkt war dann, also genau umgekehrt, also Männer migrieren seltener, aber weiter und Frauen migrieren wesentlich häufiger. Also es waren damals recht viele Polinnen in Österreich dann. In meiner Wahrnehmung waren praktisch alles nur Frauen. Ich habe nur sehr wenig Männer wahrgenommen und das hat die Situation auch noch; also es ist dann schon immer dann mitgeschwungen: »Warum hängst du dauernd mit dieser Polin herum? Was willst du von der oder was will die von dir?« Also es war eine sehr schräge Situation. Es hat viele Mechanismen gegeben, die einen ernsthaften, einen offenen, ein wirklich gleichberechtigtes Aufeinanderzugehen völlig verunmöglicht haben. (Johannes 524–536) Johannes spricht das Dilemma an, das auch Sascha stark beschäftigt: wie denn überhaupt auf individueller Ebene solidarisches Handeln möglich ist, wenn die Gesellschaft von rassistischen, nationalistischen, klassenspezifischen und gegenderten Grenzen durchzogen ist, die Konvivialitäten erschweren. Johannes zeigt sich hier auch als jemand, der sich ein Wissen über Migrationsbewegungen aneignet und trotzdem ratlos ist bei der Frage, wie er die Neuankommenden unterstützen könnte, ohne paternalistisch zu sein. Er lässt dabei offen, ob es ihm doch auf eine Art und Weise gelungen ist. Johannes erzählt gleich im Anschluss an die besprochene Sequenz eine zusätzliche Episode, die zeitlich früher stattfindet und als ein weiteres historisches Beispiel für einen rassistischen Stimmungswandel in Österreich bezeichnet werden kann. Es handelt sich um die Teilnahme des österreichischen Neonazis Norbert Burger bei der Bundespräsidentenwahl 1980. Johannes erinnert sich auch an die Beschwichtigungen seines damaligen Klassenvorstandes kurz vor der Wahl: »Mit dem braucht man sich nicht auseinandersetzen, das kann sein, dass der am Sonntag weniger Stimmen bekommt, als er braucht, um kandidieren zu können.« Und dann kamen diese 3,6 Prozent und das war halt ein unfassbarer Schock, also dass 3,6 Prozent wirklich einen deklarierten Nazi wählen [ja] und dann ist das alles ein bisschen mehr Thema geworden. (Johannes 547–551)

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Die Empörung von Johannes ist sowohl auf die Tatsache gerichtet, dass der Neonazi Burger zur Bundespräsidentenwahl überhaupt antritt und eine beträchtliche Anzahl an Stimmen erhält, als auch auf die Beschwichtigungen und Verharmlosungen seines Klassenvorstandes. In Kombination mit seiner Erzählung über die Unterschriftenliste zur Verjährungsdebatte macht seine Schule den Eindruck eines Ortes der Verleugnung und Dethematisierung nationalsozialistischer Kontinuitäten. Johannes erzählt in diesem Zusammenhang auch von einer Begegnung mit dem Neonazi Gottfried Küssel, von dem er als Jugendlicher in der Öffentlichkeit angesprochen wird – gewissermaßen Geschichten, die auch für die Normalität in der postnationalsozialistischen Gesellschaft Österreichs der 1970er und 80er Jahre stehen. Johannes erzählt seinen zeitgeschichtlichen Exkurs zu den Kontinuitäten und Konjunkturen des Rassismus in Österreich an mehreren Stellen in Bezug auf die Öffnung des »Eiserenen Vorhanges« und wie seine Familie – in der privilegierten Position – damit in Berührung kommt: Also du konntest den Zeitablauf genau bemessen, wann wer gerade böse ist. Also die Grenze ist geöffnet worden und die Tschechen waren absolut das Letzte. Warum die Tschechen, also im nördlichen Niederösterreich – zufällig haben sich meine Eltern damals im nördlichen Niederösterreich ein Haus gekauft und das hergerichtet. Und ich bin quasi mitten in diese Grenzöffnung hineingekommen, quasi dadurch, weil ich sie eben dort besucht habe und so weiter, und also da gab es Leute da in der Umgebung, wo die gewohnt haben, das ist also östliches Waldviertel gewesen, aber auch so entlang der Thaya, und da hat es diesen Fall gegeben: Wir müssen uns Gewehre kaufen oder wir müssen die Gewehre rausholen, weil die Tschechen, die stehlen alles. Die Tschechen waren unmittelbar und sofort verhasst bei der Grenzöffnung. Die hatten noch gar nicht die Möglichkeit, etwas zu stehlen. Also das war ein so unübersehbarer jahrzehntelanger schlummernder Hass (…), der in der Region verwurzelt war natürlich. Den kenne ich zum Beispiel überhaupt nicht, je weiter weg von dort zumindest. (Johannes 737–751) Johannes beschreibt ein fast reflexartiges Reagieren in Österreich auf Grenzöffnungen und Migrationsbewegungen, das durch eine wiederkehrende »moral panic« (Hall et al. 1978) und »cultural anxiety« (Grillo 2003) gekennzeichnet ist – bei der lediglich die angegriffene Gruppe »wechselt«. Wir haben es bereits in der Biographie von Johannes selbst gesehen, dass es auf der individuellen Ebene ganz entscheidend ist, wo Rassismen erlernt werden. Wenn dann die kollektiven rassistischen Bilderwelten im Zuge einer rassistischen Konjunktur wieder aktiviert werden, so ist es entscheidend, was davon schon früh internalisiert wird. Johannes scheint auch deshalb weniger anfällig für die von ihm beschriebenen Nationalismen oder antislawischen Rassismen zu sein, weil er sie schlichtweg nicht gelernt hat. Wir haben auch gesehen, dass ein Problem dieser individualistischen Lesart von Rassismen ist, dass die strukturelle Verankerung übersehen oder ignoriert wird. So kann sich Johannes als Person mit Rassismuserfahrungen bezeichnen und ignoriert und übersieht seine privilegierte soziale Position in Bezug auf alle von ihm angesprochene Rassismen. Die relative Resilienz von Johannes zu antislawischen Rassismen liegt auch in seinem Wissen über die Beliebigkeit von Grenzziehungen, die Normalität von Mehrsprachigkeit

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und die häufigen Migrationsbezüge Österreichs in diese Region begründet. Selbiges gilt auch für seine eigene Familiengeschichte: Trotzdem hat es keinen Hass auf die Böhmen gegeben, auch wissend, dass letztlich die halbe Familie böhmisch ist, weil die ja dort gewohnt haben und jahrelang geheiratet haben […]. (Johannes 769–771) Diese vermeintlich grenzübergreifende Perspektive beinhaltet aber gleichzeitig auch gewisse Essentialismen, die etwa sichtbar werden, wenn er über Menschen in Tschechien, der Slowakei und in Slowenien spricht: Keine Ahnung, das ist ganz komisch. Wenn ich nach Brno oder nach Prag fahre, zugegebener Weise auch nach Bratislava, letztlich muss ich auch ehrlich sagen, nach Ljubljana, ich steig da aus dem Zug aus und sehe dort lauter ÖsterreicherInnen. Ich versteh sie zwar nicht, aber die bewegen sich sehr ähnlich wie ich, die ziehen sich zwar oft anders an, aber ich erkenne die Gesichter wieder, ich kenn die Bewegung. (Johannes 870–875) Es stellt sich die Frage, wer aus der heterogenen Bevölkerung der drei Länder aussieht wie Österreicher*innen und wer aufgrund welcher tatsächlicher oder zugeschriebener Attribute aus dem Raster fällt. Johannes macht diese Kriterien nicht sichtbar, es kann aber darauf geschlossen werden, dass er damit weiß-christlich-einheimisch gelesene Personen meint. Johannes problematisiert seine Perspektive im Anschluss selbst, bleibt dabei aber vage: »Also das ist schon eine Form von Chauvinismus wahrscheinlich.« Was er hier zu zeigen versucht, ist, dass die von ihm kritisierten antislawischen Ressentiments auch vor dem Hintergrund absurd sind, dass etwa die Bevölkerungen von Österreich, Tschechien, Slowakei und Slowenien sich seit Jahrhunderten vermischt haben: »Entweder ist die eine von uns oder wir einer von ihnen.« Gleichzeitig ist die Perspektive wiederum durch bestimmte Ausschlüsse geprägt, weil die österreichische Bevölkerung genauso durch viele weitere Migrationsbezüge geprägt ist. Johannes erzählt themenabschließend auch von dem rassistischen Bombenanschlag in Oberwart auf österreichische Roma. Er zeigt sich schockiert und interpretiert den Anschlag als Teil einer Zunahme von Antiziganismus in Österreich. Seiner Einschätzung nach wird der Rassismus gegen Rom*nja und Sinti*zze heute häufig als »Ablehnung gegenüber den Rumänen« (Johannes 987–988) artikuliert: [D]ann natürlich, also die Roma, kann man das so sagen, ich habe oft überlegt irgendwie. Wäre der Anschlag von Oberwart nicht passiert, vielleicht wäre der RomaHass nicht so groß und ich erwisch mich bei solchen Überlegungen, die natürlich völlig absurd sind, aber sozusagen, nichts generalisiert quasi der Österreicher, wobei er ist schlimmer als in meiner Erwartung, aber hat eine Verpflichtung, was zu tun. (Johannes 947–952) Johannes inszeniert sich abermals als eine Person mit historischem Wissen – etwa über den rassistischen Bombenanschlag in Oberwart – und markiert die historische Verpflichtung Österreichs in Bezug auf historische Aufarbeitung und Wiedergutmachung. Gleichzeitig sind die Aussagen Johannes voller zum Teil undurchsichtiger Anspielungen. Hat der Anschlag von Oberwart in seiner Deutung den Rassismus gegen Rom*nja und Sinti*zze befeuert oder meint er doch etwas anderes?

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Antirassismus in Österreich Johannes zeichnet im Zuge seiner biographischen Narration ein detailliertes Bild österreichischer Zeitgeschichte nach. Er selbst ist stets Teil des Geschehens, wenn nicht als interessierter Beobachter, so als Jungscharleiter, politischer Aktivist und kritischer Zeitgenosse. Aus dieser Perspektive blickt er aus heutiger Zeit zurück und reflektiert auch über die ersten medienwirksamen antirassistischen Aktionen in Österreich. Er erzählt vom berühmten Plakat I haaß Kolaric, du haaßt Kolaric, warum sogns’ zu dir Tschusch?: Der Rassismusdiskurs ist entweder gelaufen über das »I haaß Kolaric, du haaßt Kolaric«-Plakat, das aber auch völlig abgehoben war. Also natürlich freu mich heute, wenn ich es sehe, aber es hatte nichts mit der Lebensrealität zu tun. Und auch wie es zustande gekommen ist; hat sich jemand im ÖGB gedacht: »Scheiße, wir müssen irgendwas machen, weil wir haben halt die Tschuschen bei uns.« Das war ein Gewerkschaftsplakat. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es zumindest mit Geldern von der Gewerkschaft gemacht wurde und möglichweise sogar vom Bauholz, weiß ich nicht, weil dort sind die quasi halt als Erster aufgeschlagen. (Johannes 607–614) Die Kampagne spielt auf den vorherrschenden migrantisierenden Rassismus gegen Menschen mit jugoslawischer und türkischer Migrationsgeschichte an, die unter dem rassistischen Wort »Tschusch« subsumiert werden, und macht zugleich auf die Normalität von Migrationsbezügen der österreichischen – speziell der Wiener Gesellschaft – aufmerksam. Abermals positioniert sich Johannes als jemand, der über rassistische Vergesellschaftung Bescheid weiß und gleichzeitig in vermeintlich ironischer Weise deren rassistische Bilder selbst reproduziert. Johannes spricht über eine Reihe von Personen der österreichischen Nachkriegsgeschichte. Eine dieser Personen ist der ehemalige Bundeskanzler Franz Vranitzky, zu dem er zwar grundsätzlich eine ambivalente Haltung entwickelt hat, den er aber in punkto Antirassismus und Aufarbeitung der nationalsozialistischen Zeit positiv erwähnt. Was er Vranitzky in Bezug auf eine rassismuskritische Haltung hoch anrechnet, ist dessen eindeutige Absage an die »Opfer-These«, die damit zusammenhängende Übernahme der Verantwortung für die Verbrechen im Nationalsozialismus und seine Kritik an gegenwärtigen Formen des Rassismus in Österreich, wie etwa dem rassistisch motivierten Bombenanschlag in Oberwart: Mit seiner Reaktion auf Oberwart, mit seiner Reaktion auf den Jugoslawienkrieg, dann mit seiner Reaktion auf Oberwart, und dann mit seiner Stellungnahme auf den Nationalsozialismus, also sozusagen auf der Ebene der gesellschaftlichen Transformation, was beidseitig ist, weil er auch quasi neoliberale Normen geschaffen hat, aber auf diese Geschichte (.), das ist (.), ich habe nie wieder über den Vranitzky geschumpfen. Er hat einfach etwas zusammengebracht, was der Kreisky nicht konnte, zum Teil, weil er es selber nicht so gesehen hat. (Johannes 957–965) In Abgrenzung zu Altkanzler Bruno Kreisky positioniert sich Johannes als jemand, der klar und deutlich mit postnationalsozialistischen Kontinuitäten brechen will. In einem sehr späten Teil des Interviews erzählt Johannes von einer für ihn sehr wichtigen Freundschaft, die er als einen Hauptgrund für diese konsequente Haltung ausmacht. In etwa

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zu der Zeit, als er in Antifa-Kreisen engagiert ist und sich an der israelkritischen bis antisemitischen Ausrichtung vieler Aktivist*innen zu stören beginnt, ist er in einer engeren Freundschaft mit einem jüdischen Engländer, der zu diesem Zeitpunkt in Österreich lebt. Er gibt ein Gespräch mit seinem Freund wieder, das er heute für seine antisemitismuskritische Haltung als maßgeblich ausmacht. In der Sequenz bezieht sich Johannes auch auf ein Ereignis mit seinem Freund, dem bei einer Pro-Palästina-Demo eine IsraelFahne vom Ordnerpersonal abgenommen wird. Er schildert in der Sequenz auch, wie er damals über Israel denkt: Irgendwie ist das schon scheiße, was Israel macht, andererseits, ich habe den gerne gehabt und ihm ist objektiv Unrecht über ihn ergangen. Daher will ich auch nicht, dass er darauf kommt, dass ich Israel ja eigentlich scheiße finde. So, er sagt dann zu mir, irgendwann einmal in einem der Gespräche, in dem Gespräch ist es um Frauen gegangen und Saufen, also regelmäßig haben wir uns getroffen und irgendwann einmal sagt er zu mir: »Weißt du, warum mir Israel so wichtig ist?« Ich sag dann: »Zu dem Thema werde ich jetzt nichts sagen.« Und er sagt darauf: »Für mich ist Israel total wichtig, weil solange es Israel gibt, kann ich hier leben.« Ich habe diesen Satz zuerst überhaupt nicht verstanden [Wahnsinn ja], das ist mir immer wieder über mich gekommen, weil ich den mochte, was will er mir damit sagen? (Johannes 1076–1085) Johannes versteht diesen Satz dann im Laufe der Zeit und revidiert seine Position in Bezug auf Israel in Teilen. Er zeigt mit der obigen Sequenz, dass die Aussage seines Freundes, dessen Namen er im Interview nicht genannt hat, in einem völlig zwanglosen Kontext entsteht. Erst als er im Nachhinein des Gespräches die Bedeutung der Aussage seines Freundes erkennt, kann er die bisher eingenommene, vermeintlich neutrale Position (»zu dem Thema werde ich jetzt nichts sagen«) hinter sich lassen. Sich selbst sieht er fortwährend in einer gewissen machtlosen Verantwortung, die er in drastischen Worten schildert: [U]nd dann versteh ich aus diesem Satz heraus, was er mir sagen wollte, und dass ich ihn nie, nie, diese Klarheit und diese Sicherheit geben kann, die er braucht, damit er diesen Satz nicht mehr sagen kann. Ich kann gar nichts dazu tun. Ich meine, selbst würde ich Tag und Nacht bewaffnet vor seiner Haustür stehen, wäre sicher lächerlich einerseits [ja], aber selbst die Tatsache, dass ich das müsst, ist ja schon Ausdruck desselben. (Johannes 1100–1105) Einerseits positioniert sich Johannes als ein Freund, der zunehmend versteht – ohne es selbst zu erfahren –, was es bedeutet, von Antisemitismus betroffen und gefährdet zu sein. In der Erzählung wird eine gewisse Ohnmacht sichtbar bei der Frage, wie der Normalität des Antisemitismus entgegnet werden kann. Andererseits zeigt sich abermals eine Tendenz von Johannes zur Positionierung als Opfer – in diesem Fall als der verunmöglichte Retter, der in Anbetracht der Schwere des Problems handlungsunfähig wird. Durch diese fatalistische Positionierung bringt sich Johannes wiederum selbst in den Mittelpunkt antisemitismuskritischer Kämpfe und verdeckt gleichzeitig seine vielen konkreten antisemitismuskritischen Praktiken.

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Das Arrangement des antimuslimischen Rassismus Am Ende des Interviews kommt Johannes auf seine im Laufe seines Lebens gewonnene agnostische Positionierung zu sprechen, die er mit der folgenden Formel zusammenfasst: »vielleicht gibt es einen Gott, aber ihm ist das ziemlich alles Wurst oder es gibt keinen Gott dann ist es auch Wurst, also ist es Wurst« (Johannes 1586–1587). Er übt Kritik an dem Macht- und Deutungsanspruch von Religionen und vollzieht dann eine erstaunliche Drehung hin zu einem offenen antimuslimischen Rassismus. Die von Johannes detailreich geschilderten Erfahrungen als Täter, Opfer, Beobachter von Rassismen und Diskriminierung, seine teilweise solidarische, antirassistische Praxis, sein Wissen über Rassismen in Österreich kann scheinbar nicht verhindern, dass er mit offenem Visier und vollem Bewusstsein selbst abermals in ein rassistisches Arrangement, in Anlehnung an eine von ihm gewählte Bezeichnung, hineinläuft und sich darin einrichtet. Auf seine allgemeine Religionskritik im Schlussteil der biographischen Erzählung folgt eine Erzählsequenz über das, was er als »den Islam« (Johannes 1589) bezeichnet. Er beginnt mit der indirekten Thematisierung der seiner Einschätzung nach vorliegenden Unmöglichkeiten und Notwendigkeiten von sogenannter »Islamkritik«:8 Und (.) solange ich nicht sagen kann, dass der Islam eigentlich eine jüdische Sekte ist, ja? Solange ich das nicht laut sagen, aufschreiben kann, ja? Ohne Gefahr zu laufen, irgendwie erschossen zu werden, oder bedroht zu werden, ja? Und solange ich nicht das machen kann, was im 9. und im 10. Jahrhundert selbstverständlich war, nämlich, dass man auch im islamischen Kulturkreis Bilder von Mohammed gemacht hat, oder vom Hadsch gemacht hat. Solange ich das nicht machen kann, ohne dass, dass ich Gefahr laufe, bedroht zu werden, solange, verdammt nochmal, haben wir ein Problem. (Johannes 1639–1646) Johannes spricht die seiner Einschätzung nach großen Probleme an, öffentliche Kritik an der Religion des Islam üben zu können, ohne körperlich bedroht zu werden. Er fügt dieser Aussage keine weitere Erklärung hinzu, sondern geht davon aus, dass ich wüsste, was damit gemeint ist, und dass es sich hierbei um eine empirische Wahrheit handelt. Vielleicht spielt er an dieser Stelle auf die Anschläge von islamistischen Terroristen auf die Redaktionsräume der Zeitung Charlie Hebdo an. Dass es ihm aber nicht um ein Plädoyer für die freie Kritik an Religionsgemeinschaften geht, ein Ansinnen, dem ich auch zustimmen würde, zeigt sich in den direkt darauffolgenden Zeilen: Und ich möchte laut, ich möchte laut sagen können, ja, dass alle Nazis, Nazis sind, ja? [Mhm.] Und dass alle Leute, die ein Kopftuch, äh, die also (.) einen (.) Hijab tragen, ja? (…) (.) Dass das islamische Fundamentalisten sind, ja? Freiwillig oder unfreiwillig, ja? Und (klopft auf den Tisch) dass es da was zu tun gibt. Und das ist ein Symbol gegen Menschenrechte und (…) (.). (Johannes 1647–1651) Im zweiten Teil der Sequenz ändert Johannes spürbar die Tonalität, die Sprache wird aggressiver, er setzt erstmalig körperliche Gesten ein, indem er auf den Tisch klopft, und er 8

Wie der Begriff »Israelkritik« ist auch der Begriff »Islamkritik« durch rassistische Diskurse unterminiert, weshalb ich beide Begriffe in Anführungszeichen setze.

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verwendet mit dem Nazi-Vergleich ein im deutschsprachigen Raum sehr ausdrucksstarkes rhetorisches Mittel. Der Vergleich von Nazis mit islamischen Fundamentalisten ist hier nicht das Thema, obwohl dieser Vergleich auch problematisiert werden kann. Das Thema aus einer rassismuskritischen Perspektive ist, dass er »alle Leute, die ein Kopftuch tragen« – wobei er nicht alle Leute meint, sondern Menschen, die sich selbst als Musliminnen bezeichnen oder so gelesen werden und ein Kopftuch tragen –, als »islamische Fundamentalisten« bezeichnet und damit indirekt auf eine Stufe mit Nazis stellt. Er wiederholt damit das antimuslimisch rassistische Klischee, das allen Musliminnen und Muslimen eine radikale Glaubensauslegung unterstellt. Mit dem Verweis auf die Freiwilligkeit und Unfreiwilligkeit des Tragens eines Kopftuches spielt er auf ein weiteres Versatzstück des gegenwärtigen antimuslimischen Rassismus an: die unterdrückte kopftuchtragende Muslima (vgl. Attia 2017). Indem er sich auf die Menschenrechte beruht, tut er genau das, was Benjamin Opratko als einen »Rassismus im Namen der Emanzipation« (vgl. Opratko 2019) bezeichnet. Diese Form des »Femonationalismus« (Farris 2011) entstammt der Tradition des Kolonialrassismus und des Orientalismus, wo ein angeblicher Feminismus missbraucht wurde und wird, »um Invasionen zu rechtfertigen« (Ahmed zit.n. Hark & Villa 2018: 150) und mittels der »Deutungshoheit über Frauen […] die eigene Überlegenheit« (ebd.) zu untermauern. Johannes positioniert sich in dieser Sequenz genau in der machtvollen Rolle, die Gayatri C. Spivak mit dem Ausspruch »White men saving brown women from brown men« (Spivak 1988) geprägt hat. Wir haben bis dato gesehen, dass Johannes niemand ist, der unüberlegte Aussagen trifft. Er ist jemand, der sich lange Zeit in der »Wissensarbeit« (Johannes 1117) aufgehalten hat und der weiß, dass seine Ausführungen kritisiert werden können. Er spricht in der direkt darauffolgenden Sequenz dezidiert an, dass diese Aussagen auch als Rassismus bezeichnet werden könnten: [U]nd ich (.), ich kann mit dem Vorwurf des Rassismus in dem Zusammenhang nichts anfangen, ja? [Mhm.] Also ich kann, da gibt es diese, diese Rassismusdefinition von Memmi und da gebe ich zu, wahrscheinlich passt die rein, ja? Und ich stelle mich normalerweise auch darauf, auf diese Basis, ja? [Ja.] Jede Konstruktion des Anderen, äh (.), sozusagen birgt quasi den Rassismus [mhm, ja]. Aber verdammt nochmal, diese Konstruktion mache nicht ich, ja? Und diese Konstruktion macht das, das Mädchen im Gymnasium, im, im zehnten Bezirk, das in der Pause angemacht wird, warum, die 13oder 14-jährige Tschetschenin, die angemacht wird, warum sie kein Kopftuch trägt von den Schulkollegen, ja? Im Pausenhof. (Johannes 1651–1660) Johannes zeigt sich als jemand, der einschlägige Rassismustheorien kennt. Er beruft sich auf die sehr allgemeine Definition von Albert Memmi, die im Theorieteil dieser Arbeit angesprochen wurde. Er sieht selbst, dass seine Ausführungen den Charakter einer essentialisierenden Konstruktion von dämonisierten »Anderen« aufweisen. Dann folgt ein folgenschweres »Aber«, das er quasi empirisch belegen will, indem er zwei fiktive Biographien von als muslimisch bezeichneten Mädchen heranzieht. Was er hier zwischen den Zeilen sagt, ist, dass die essentialistische Konstruktion von menschlichen Gruppen, die dann abgewertet werden, schlecht, weil rassistisch ist. Gleichzeitig sagt er uns aber auch, dass die »Gruppe« der Musliminnen und Muslime, die er selbst aktiv konstruiert, tatsächlich problematisch ist, weil qua Religion und Kultur nicht mit den Menschenrech-

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ten im Einklang. Diese klassische Rhetorik des Kulturrassismus bleibt ihm unzugänglich, oder aber er nimmt sie in Kauf. Johannes positioniert sich hier als jemand, der »die Migrantin retten« (Castro Varela & Dhawan 2016) will, und besetzt mit dieser Form der Viktimisierung genau die für ihn vorgesehene politische Position im Arrangement des antimuslimischen Rassismus: als »white saviour« (Cole 2016). Johannes spricht hier natürlich gleichzeitig auch reale Problemstellungen an. Wenn Kinder am Schulhof von anderen zu etwas gedrängt werden, ist das natürlich ein Problem. Johannes bezieht sich hier aber nicht auf differenzierte Betrachtungen, die sich mit religiösem Fundamentalismus im Kindes- und Jugendalter auseinandersetzen, sondern er pauschalisiert die von ihm angesprochene fiktive Situation als Problem »des Islams«. Am Schluss der Sequenz holt Johannes noch einmal aus und versucht abermals, diesen Punkt klar zu machen. Er sieht das zentrale Problem in dem, was er essentialisierend als »den Islam« bezeichnet: Es fordert sozusagen Muslime heraus, diese Auseinandersetzung zu führen, aber es ist, glaube ich, lächerlich zu sagen, der Islam ist (unv.). What the fuck, die Entwicklung des Christentums ist nicht durch das Christentum entstanden, ja? [Mhm.] Sondern das ist abgekämpft worden, mit vielen, vielen Toten, und die Leute, die sozusagen die Nichtmuslime und insbesondere die auf einer säkulares demokratisches Denken erzogen werden (unv.). Weil dann würden meine Probleme vielleicht auch gelöst werden. [Mhm.] (.) Also ich muss schon zugeben, jetzt wird es schon wirklich unangenehm ja, aber ich kann mit Rassismus hier wenig anfangen, ja, und ich habe zwar absolut viel Verständnis für die Theorie, die dahinter ist (.). (Johannes 1663–1672) Mit der Entwicklungsrhetorik und dem Unterstellen einer unterschiedlichen zeitlichen Entwicklungsphase von »Christentum« und »Islam« übernimmt Johannes ein weiteres klassisches Versatzstück des »Orientalismus« (Said 1978). Er legitimiert damit seine rassistische Argumentation. In kurzen Momenten zögert er, wie weit er gehen möchte (»jetzt wird es schon wirklich unangenehm«), wehrt dann abermals bereits im Vorfeld mögliche Rassismusvorwürfe ab. Rassismuskritische Praxen Die biographische Erzählung von Johannes ist durch eine größtmögliche Ambivalenz gekennzeichnet, die eine Einordnung seiner rassismuskritischen Praktiken erschwert. Er inszeniert sich als erfahrener Antirassist, mit viel Lebenserfahrung in unterschiedlichen Teilen der Welt, viel Wissen und Bildung sowie mit linksradikaler und antirassistischer Praxiserfahrung. Johannes ist Teil unterschiedlicher rassistischer Ordnungen und dort zwar privilegiert, aber doch auch partiell randständig positioniert. Er inszeniert sich im Vergleich zu den anderen Interviewpartnern als derjenige, der am meisten historisches Wissen über Rassismen angehäuft hat, und ist zugleich auch der Antirassist, der selbst am meisten rassistisches Wissen reproduziert – sowohl implizit wie auch explizit. Er positioniert sich als jemand, der in Sequenzen die eigene privilegierte gesellschaftliche Position benennt, eigene Unsicherheiten damit offenbart, rassismuskritische Literatur an Freund*innen verschenkt. Gleichzeitig aber zeigt er sich als jemand, der aus seiner spezifischen sozialen Position, die in Teilen sehr privilegiert und in anderen Bereichen deprivilegiert ist, in einer Aneignungsbewegung Rassismuserfahrungen ableitet. Diese so-

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ziale Positionierung verunmöglicht ihm eine macht- und selbstkritische Perspektive auf seine soziale Position. Johannes fasst Rassismus/Rassismen nicht als gesellschaftliche/s Machtverhältnis/e, sondern als individuelles Vorurteil – von dem er dann tatsächlich betroffen ist. Die höchst ambivalenten bis rassistischen politischen Positionierungen, die er im Laufe des Interviews einnimmt, haben auch mit dieser sozialen Positionierung zu tun. Die Rekonstruktion des Interviews hat auch gezeigt, dass eine Mehr an Wissen über Rassismen keinesfalls automatisch bedeutet, dass die wissende Person dieses Wissen für die Betrachtung der Gesellschaft, die eigene Selbstreflexion und mögliche antirassistische Positionierungen benützt. Es kann wie bei Johannes genauso gut dazu führen, dass ein Mehr an rassistischer Sprache und Ausdrucksmöglichkeit zur Verfügung steht, das wiederum die eigene, nur partiell sichtbar gemachte privilegierte soziale Position absichert.

Die Falldarstellungen Die nachfolgenden Falldarstellungen wurden ebenfalls mit den Werkzeugen der »Rekonstruktion narrativer Identität« (Lucius-Hoene & Deppermann 2002, 2004) analysiert. Die Darstellung der Rekonstruktionen wird in einer komprimierten Weise vorgenommen. Die Falldarstellungen von Manuel, Valentin, Martin, Cornelius, Kai und Stefan erhärten viele der in den vier Fallrekonstruktionen gewonnenen Erkenntnisse – wie sie auch Abweichungen und idiosynkratische Umgangsweisen offenbaren. Die Darstellungen wurden so verfasst, dass den neuen Themen, Diskursen, Positionierungen und rassismuskritischen Praktiken der meiste Raum gegeben wurde – ohne die biographischen Eigenheiten zu vernachlässigen.

Manuel: »[M]it Faschismustheorien kenne ich mich besser aus als mit Rassismustheorien« Manuel ist zum Zeitpunkt des Interviews 21 Jahre alt und ist seit circa einem Jahr Teil der antirassistischen Initiative, der auch Luca, Cornelius und Kai angehören. Er wurde in einer größeren Stadt in Österreich geboren und ist für sein Studium der Geschichte umgezogen. Manuel lebt dort in einer Wohngemeinschaft mit dezidiert politischem Anspruch. Manuel beschreibt seine Kindheit als »sehr behütet« (Manuel 12). Er habe »tolle Eltern« (Manuel 12) und zuhause sei »viel politisiert worden« (Manuel 13). Seine Eltern haben Theologie studiert und arbeiten im sozialarbeiterischen Kontext. Manuel bezeichnet die politische Haltung seiner Eltern mehrmals als sehr folgenreich für seine politische Sozialisation und hebt vor allem deren Engagement in der Friedensbewegung hervor. Manuel hat ein katholisches Privatgymnasium für Buben besucht. Dies geschieht auf eigenen Wunsch, entgegen der Einstellung seiner Eltern, die beide mittlerweile ein sehr distanziertes Verhältnis zur Katholischen Kirche haben. Die Eltern beschreibt Manuel als »mittlerweile […] eigentlich sehr wohlhabend« (Manuel 318–319). Die Zeit in der katholischen Schule beschreibt er als eine positive und prägende Erfahrung, weil er neben wichtigen Freundschaften hier seine Liebe zur Musik entdeckt und von einem wichtigen Vertrauenslehrer gefördert wird.

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Nach der Schule verbringt Manuel eine längere Zeit in Slowenien und will dort eigentlich studieren, was aber aufgrund von »bürokratischen Schwierigkeiten« nicht funktioniert. In Ljubljana lernt Manuel Slowenisch, besucht Lehrveranstaltungen zu südosteuropäischer Geschichte und ist in »KünstlerInnenkreisen« (Manuel 127) unterwegs. Manuels Brüder verbringen auch jeweils mit 18 ein Jahr im Ausland. Sie absolvieren Auslandszivildienste in Europa und in Mittelamerika. Die Nähe zu Slowenien sieht Manuel auch darin begründet, dass sein Großvater väterlicherseits Teil der deutschsprachigen Minderheit im damaligen Jugoslawien war, in Zagreb für die Nazis arbeitete und dann nach Österreich floh. Seine Mutter, also die Urgroßmutter von Manuel, wurde in einem Massengrab verscharrt, das Manuel mit seinem Vater gesucht und besucht hat: »Das Grab, weil, die liegt in irgendeinem Massengrab, in so einem, einem Lager.« (Manuel 360–361) Manuel fährt mit seinem Vater dorthin und stellt eine Erinnerungstafel auf: »Und weil, das halt niemand gewusst hat.« (Manuel 363–364) Manuel arbeitet die Familiengeschichte auf und beschäftigt sich auch kritisch mit seinem Großvater, der nach dem Zweiten Weltkrieg Teil einer neofaschistischen Gruppierung ist. Manuel durchlebt als Kind eine schwere Erkrankung, die laut seiner Erzählung dazu führt, dass er eine lange Zeit in Isolation zu Hause verbringen muss. Laut seiner Erzählung bringt dies mit sich, dass er lange hauptsächlich mit Erwachsenen (seinen Eltern) Umgang hat, in dieser Zeit sehr viel liest und sich so einen »Wissensvorsprung« (Manuel 31) gegenüber gleichaltrigen Kindern aneignet. Er bezeichnet sich als leidenschaftlicher Leser von historischen Büchern und Romanen von Harry Potter bis Karl May. Für die eigene politische Subjektivierung macht Manuel neben seinen Eltern auch seine zwei älteren Brüder verantwortlich. Beide sind in ihrer Jugend in der kritischen Schüler*innenschaft engagiert und später im Zuge von links-autonomen Kulturzentren tätig. Seinen ältesten Bruder bezeichnet Manuel als Teil einer »anarchistischen Szene« (Manuel 59). In der Erzählung positioniert sich Manuel selbst als Teil einer »linksradikale[n] Schiene« (Manuel 63), zu der auch der mittlere Bruder zählt. Manuels Eltern sieht er als Unterstützer*innen ihrer Kinder, die inhaltlich das Meiste mittragen, ohne es selbst in alle Aspekte der eigenen Lebenspraxis zu übersetzen: Und die haben auch ein bisschen diesen, diesen radikaleren Schwenk auch ein bisschen mitgemacht, weil sie (unv.) eigentlich beides, weil sie das klassische bürgerliche Leben führen, ermöglichen sie uns trotzdem quasi unser politisches Engagement. (Manuel 73–76) Im Unterschied zu seinen Brüdern sieht er sich als noch nicht so tief in seinem politischen Aktivismus verhaftet, was er mit einem »Abstumpfen« (Manuel 206) seiner Brüder gleichsetzt: »man härtet halt so ab mit dem politischen Engagement« (Manuel 204–205). Manuel hat ähnlich wie Luca und Sascha ein sehr breites politisches Interesse und, ohne das klar auszusprechen, auch einen größeren Gesellschaftswandel als Hauptziel seines Engagements. Das wird etwa dort deutlich, wo er seitens der Aktivist*innen mehr Bewusstsein für Probleme außerhalb ihres direkten aktivistischen Kontextes einfordert: »Was mich auch nochmal irritiert hat, dass man zum Beispiel sagt, ja wir sind voll antifaschistisch und antirassistisch, aber wir tun nicht Mülltrennen und.« (Manuel 132–134) Manuel vertritt einen sehr ganzheitlichen Ansatz, der kein Thema privilegiert und stets die gesamte Gesellschaft im Visier seiner Kritik hat. Wenn es für ihn ein Hauptthema

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gibt, dann ist es am ehesten Antifaschismus (Manuel 132, 148, 1156, 1307). Während des Interviews zeigt mir Manuel eine Broschüre, die kürzlich im Zuge einer Veranstaltung, die er organisiert, präsentiert worden ist. Es handelt sich um ein Werk, das sich mit rechtsextremen Symbolen im öffentlichen Raum auseinandersetzt. Ein wichtiges Anliegen seiner politischen Arbeit ist es, alternative, politische, autonome Räume zu schaffen und zu erhalten, in denen diskutiert, sich ausgetauscht und gefeiert wird. Die Schaffung von selbstorganisierten Kulturräumen ist Manuel ein zentrales Anliegen. Ähnlich wie bei Luca, Cornelius und Kai ist auch Manuel eher zufällig und über freundschaftliche Kontakte zur antirassistischen Initiative gekommen. Er gesteht sich auch ein, dass er sich selbst gar nicht primär als »Antirassist« versteht, wenn er sagt: Und ich würde mein Engagement auch nicht nur als antirassistisch bezeichnen. Sondern eigentlich sogar mehr antifaschistisch. Äh, auch, weil ich mich da einfach besser auskenne. (Manuel 146–148) In diesen Aussagen steckt auch eine gewisse Skepsis gegenüber antirassistischer Arbeit, die er teilweise transparent macht. Er lässt durchklingen, dass er etwa rassismuskritische Sprachsensibilität zwar wichtig findet, aber er sich gerne auf andere Aufgaben konzentrieren möchte: Also das war auch für mich ein Lernprozess, so. Das ist, also das Political Correctness oder so, finde ich voll wichtig, aber das hat man so ein bisschen halt eine Toleranz entwickelt. [Mhm.] Weil das auch einfach nicht so das leichte Thema ist, zum Diskutieren, zum Anfang. (Manuel 78–90) Manuel zeigt Verständnis für neue diskriminierungskritische, geschlechtergerechte und rassismuskritische Sprachpraktiken, lässt aber auch Skepsis erkennen. Wie schon bei Lucas ersichtlich, taucht auch bei Manuel in diesem Zusammenhang ein konstruierter Widerspruch aus Handlungsfähigkeit und selbst- und machtkritischen Sprachpraxen auf, der aber nicht weiter argumentiert wird. Vielmehr liegt ein genereller Vorwurf im Raum, der sich vielleicht als Kritik an sogenannter »Identitätspolitik« bezeichnen lässt: Ähm (.), aber ich finde, oft ist es nicht der richtige Zeitpunkt und ich glaube, dass sich die globale Linke da viel kaputt gemacht hat. Mit dem Versteifen auf das Thema. Wobei ich das Thema, wie gesagt, nicht runtermachen will. (Manuel 780–782) Manuels Skepsis ist einerseits bedingt durch seinen theoretischen Standpunkt, andererseits scheint auch eine gewisse Abwehrhaltung dahinter zu liegen. In folgender Sequenz zeigt sich, dass Manuel, ähnlich wie Luca, diskriminierungssensible und rassismuskritische Sprachpraktiken, antirassistische Praxis und gar rassistische Gewalt gegeneinander ausspielt: Es ist quasi nicht die dringendste Priorität, ist es auch nicht für mich [mhm]. Also mir ist lieber, die Leute sagen (.), das ist ja behindert, als sie machen rassistische Angriffe. Also, äh, sehr plakatives Beispiel natürlich. (Manuel 788–791) Eine Interpretationsmöglichkeit ist es, diese politische Positionierung auf dominante Diskurse zurückzuführen, die mit Begriffen wie »Sprachpolizei« und »Genderwahn« einer weiteren Normalisierung von Rassismus und Sexismus das Wort reden und für sich

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dabei beanspruchen, »Meinungsfreiheit« zu verteidigen (vgl. dazu kritisch Degele 2020). Das würde auch erklären, warum hier auf den konstruierten Widerspruch aus »antirassistischer Performanz« (Mecheril 2004: 209) und rassismuskritischer Praxis zurückgegriffen wird. Durch die gesamte Lebenserzählung Manuels zieht sich die eigene Überzeugung einer gewissen intellektuellen Überlegenheit seiner Familie über große Teile der restlichen Gesellschaft. Dieses Überlegenheitsgefühl zeigt sich in Aussagen wie: »Und mein ältester Bruder hat immer das Problem gehabt, dass er immer viel gescheiter war als alle anderen« (Manuel 253–254). Sie zeigt sich auch darin, dass er im Rückblick seine Schulzeit davon geprägt sieht, dass er sich »am leichtesten immer getan« (Manuel 597–598) hat. Manuel erzählt seine musikalischen Tätigkeiten auch im Hinblick auf bestimmte Distinktionen. So ist sein Musiklehrer in der Schule, der eine Art Mentor von Manuel wird, ein »Genie« (Manuel 495). Manuels Band besteht aus »avantgardistischen Künstlern« (Manuel 817) und die Musik, die sie spielten, war »extrem anspruchsvoll« (Manuel 819). Das Studium habe er sich anspruchsvoller vorgestellt und er tue sich dort leicht. Hinter diesem Denken steht eine erlernte und familiär weitergegebene Haltung der Überlegenheit, die stark bürgerlich konnotiert zu sein scheint und zu einem dominanzgesellschaftlichen (Rommelspacher 1995) Habitus gerieren kann. Diese Dominanzhaltung zeigt sich in vielen weiteren Sequenzen seiner Narration. Manuels Reiseerfahrungen werden zwar erst im Nachfrageteil erstmalig eingeführt, sind aber für die eigene politische Sozialisation von großer Bedeutung. Als besonders eindrücklich beschreibt Manuel die Reise nach Kambodscha, die er mit seinen Eltern unternimmt. In Kambodscha besucht die Familie unter anderem die Killing Fields – Manuel ist zu dieser Zeit 13 Jahre alt. Er beschreibt die Erfahrung dort als prägend, »auch wenn, wenn, wenn, ich kann mich ehrlich gesagt nicht erinnern, wie sie uns das erklärt haben.« (Manuel 347–349) Manuel hat, angeleitet von seinen Eltern, mehrere Erinnerungsorte und Gedenkstätten, unter anderem Mauthausen in Österreich und Yad Vashem in Israel, besucht. Das Thema Rassismus bringt Manuel sehr spät in die biographische Erzählung und dann erst im Nachfrageteil ein. Auch auf der Grundlage seiner biographischen Nähe und seines Wissens über Slowenien beschäftigt ihn laut seinen Aussagen der »antislawische Rassismus« (Manuel 387). Im Zuge seiner Sprachkurse macht er die Erfahrung, dass BKS »nicht als Kultursprachen« (Manuel 387–288) angesehen werden. Gelernt hat Manuel diese »Sprachhierarchie« (Dirim 2010), die ja auch mit einer kulturellen Hierarchie korrespondiert, unter anderem über das Feedback von Freund*innen in Slowenien oder über familiäre Verbindungen nach Südosteuropa. Er erzählt, dass viele ihn gefragt haben: »Was, du bist aus Österreich? [Mhm.] Und kommst zu uns? (klopfend) Und lernst unsere Sprache?« (Manuel 394–395). Diese kulturelle Hierarchie erfährt Manuel vor allem in den Momenten, wo ihm Freund*innen seine eigene Position als Teil dieser innereuropäischen Elite indirekt zu verstehen geben. In dieser Erzählsequenz benennt Manuel erstmalig in seiner Erzählung die eigene soziale Position als privilegiert. Im Laufe des Interviews wird klar, dass sich Manuel recht intensiv mit Antisemitismus auseinandersetzt. Er ist Teil einer Veranstaltung, die sich über mehrere Tage mit jüdischer Geschichte in Österreich und in Ungarn beschäftigt. Im Rahmen der Veranstaltung besucht er Vorträge, besichtigt Synagogen und fährt auf eine Exkursion in das

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ehemalige Konzentrationslager Mauthausen. Manuel beschreibt ein bedrückendes Gefühl, das bei dem Besuch der Gedenkstätte in ihm aufsteigt. Der Besuch in Mauthausen ist für ihn besonders durch die Anwesenheit mehrerer Nachkommen von Opfern und Überlebenden des Nationalsozialismus sehr eindrücklich. Manuel positioniert sich in seiner biographischen Erzählung als linker, antifaschistischer und ganzheitlicher Aktivist, der einen größeren Gesellschaftswandel als Ziel verfolgt. Er grenzt sich sowohl gegen eine »Party-Antifa« (Manuel 1196) ab als auch gegen einen Aktivismus, der »nur« antirassistisch und nicht gleich auch antifaschistisch ist. Manuel zeigt seinen Standpunkt dazu klar auf: [Es] ist […] halt irgendwie so, dass Rassismus Teil vom Faschismus ist. Wobei natürlich nicht nur [mhm], natürlich nicht nur. Aber von meinem Faschismusverständnis ist das halt irgendwie so und deswegen sehe ich dann halt Faschismus irgendwie als ein größeres und Rassismus, Antirassismus ist halt Teil davon. (Manuel 1298–1302) Manuel ist dabei transparent und kennzeichnet seine Theorietradition in folgenden Worten: »mit Faschismustheorien kenne ich mich besser aus als mit Rassismustheorien« (Manuel 1307–1308). Sein Wunsch nach einer stärkeren antifaschistischen Ausrichtung seines Vereines begründet Manuel auch mit der personellen Zusammensetzung, die er erstmalig im Nachfrageteil anspricht: »Aber (.), ich meine (.) und ich meine, für antirassistische Aktionen würde halt viel besser passen zum Beispiel, wir sind halt eine hauptsächlich (.) weiße Gruppe.« (Manuel 1324–1326) Manuel sieht hier zunächst vor allem »eine schlechte Optik« (Manuel 1328) und kann das Problem darin in einer ersten Reaktion nicht erkennen: »Weil, ich finde es nicht schlimm oder so, das ist halt so.« (Manuel 1328–1329) Gleichzeitig aber markiert Manuel hier erstmalig seine soziale Position in Bezug auf Rassismen – und nicht nur in Bezug auf Sprachhierarchien. Manuel macht sichtbar, dass es schwierig ist, […] über Rassismus zu sprechen. Also über Rassismuserfahrungen [mhm], wir können dann irgendwie nur von der aktiven Seite darüber sprechen und so. (Manuel 1331–1333) Er zeigt in dieser Sequenz eine Ambivalenz auf, indem er einerseits die weiß-dominanzgesellschaftliche Hegemonie in der Initiative normalisiert, andererseits diese aber auch anspricht und damit sichtbar macht. Aus einer rassismuskritischen Perspektive ist nun entscheidend, wie er sich diesem Dilemma gegenüber positioniert. Mit Manuels nachfolgendem Handlungsvorschlag endet die Sequenz: Und deswegen finde ich es auch einfach, fände ich den Namen, eine Namensänderung irgendwie besser [mhm]. Aber das ist halt auch einfach mein Zugang dazu. (Manuel 1333–1335) Manuel löst die Spannungssituation, die aus der Frage entsteht, wie Antirassismus »ohne ›passende‹ Identität?« (Weiß 1999) überhaupt funktionieren soll, und die damit zusammenhängende Frage, was die Rolle als weißer Aktivist sein könnte, indem er seiner Initiative einfach einen neuen Namen geben möchte. Hier zeigen sich Parallelen zu der von Sascha beschriebenen antirassistischen NGO in Holland: Anstatt einen rassismuskritischen Transformationsprozess einzuleiten, soll einfach der Name geändert werden.

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Manuels Umgangsweise ist nicht nur problematisch, da so eine Chance auf eine rassismuskritische Neuaufstellung der Initiative verpasst wird, sondern auch, weil dabei weitere Normalisierungen stattfinden, die aus einer rassismuskritischen Perspektive thematisiert werden müssen. Einmal die unausgesprochene Annahme, dass es weniger problematisch oder gar normal sei, dass antifaschistische Arbeit von einer mehrheitlich weißen Gruppe übernommen wird. Damit wird antifaschistische Geschichte von BIPoCs, Menschen mit Migrations- und Rassismuserfahrungen unsichtbar gemacht. Wir erinnern uns an dieser Stelle an die Erzählungen von Ercan Yaşaroğlu von der migrantischantifaschistischen Gruppe Antifaşist Gençlik, der migrantisierende und rassistische Ausschlüsse von Mitgliedern seiner Gruppe in der Antifa-Szene beklagte (siehe Kapitel »Antirassismus« in dieser Arbeit). Antirassistische Arbeit hingegen bleibt in Manuels Lesart Menschen vorbehalten, die davon direkt betroffen sind. Diese Haltung hat eine weitere unausgesprochene Konsequenz: Das unmarkierte gesellschaftliche »Wir« kümmert sich um die »großen« Probleme der Gesellschaft, während »Sie« sich um »ihre« Probleme mit Rassismus selbst kümmern können. Manuel nimmt aber in anderen Sequenzen des Interviews wieder Abstand von seinen Plänen, aus der antirassistischen Initiative eine antifaschistische zu machen. Wenn er gegen Ende des Interviews darüber reflektiert, wie er zukünftig antirassistische Arbeit gestalten will, sagt er: »Aber was ich gerne irgendwie mehr hätte, ist eigentlich entweder irgendwie konkretere Arbeit mit Betroffenen.« (Manuel 1409–1411) In eben diesem Wording argumentieren auch Luca, Cornelius und Kai, wenn sie Perspektiven für ihre Initiative entwerfen. Die Äußerungen stehen dabei meist in Bezug auf eine vorher erfolgte Reflexion der weißen Vereinszusammensetzung. Die jungen Antirassisten nehmen dabei teilweise eine selbstkritische Haltung ein, möchten die Rassismuserfahrung mehr in den Mittelpunkt stellen und markieren auch, dass diese Perspektive in ihrem Verein zu kurz kommt. Sie verbleiben aber in ihrer Konzeption in einem Betreuer*innen-Klient*innen-Verhältnis und lassen die vereinsinternen Machtverhältnisse unangetastet. Im Unterschied zu seinen Kollegen ist es bei Manuel allerdings nicht der Fall, dass die Position der von Rassismus Betroffenen mit der Position des Geflüchteten gleichgesetzt wird. Manuels Wissen über Antisemitismus und antislawischen Rassismus lässt ihn von dieser problematischen Gleichung Abstand nehmen. Gegen Ende des Interviews thematisiert der selbstsichere Manuel eine große Unsicherheit in Bezug auf Antirassismus: nämlich die Bezeichnungspraxis. Er benennt die eigene Unsicherheit etwa über den Begriff »People of Color«. Er unterstellt der Selbstbezeichnungsform einen gewissen »Doppel-Standard« (Manuel 1467), weil er eine vermeintliche Nähe zur rassistischen Bezeichnung »farbige Person« (Manuel 1468) ausmacht. Die Verwendung des Begriffs »PoC« falle ihm daher schwer. Auf meine Nachfrage, ob sie innerhalb der Initiative darüber reflektieren, zeigt sich Manuel schon gefestigter. Er meint, sie hätten sich gemeinsam auf den Begriff geeinigt, sowohl deshalb, weil sie finden, er sei der beste Begriff, als auch deshalb, weil eine aktivistische Kollegin of Color den Begriff bevorzugt. Auch wenn er es nicht benennt, wechselt Manuel in dieser Sequenz von einer allgemeinen, erfahrungsunabhängigen Betrachtungsweise von Bezeichnungen hin zu einer erfahrungsbasierten, selbstbestimmten Bezeichnungspraxis. Diese Deutungshoheit abzugeben, fällt ihm sichtlich schwer, doch er versucht sich daran.

7 Darstellung der empirischen Ergebnisse

Die vereinsinterne Reflexion über Privilegien findet laut Manuel ebenso statt. Im Ringen darüber, welche Rolle die Initiative als mehrheitlich weiße antirassistische Gruppe einnehmen kann, zeigen sich abermals zentrale Widersprüche des Antirassismus aus einer privilegierten Position. Manuel erzählt, der Verein sehe sich in der Rolle, »solidarisch« (Manuel 1509) zu sein. Die anderen Mitglieder und er »sprechen für Leute, die selber keine Stimme haben« (Manuel 1509–1510). Diese Praxis des »Paternalismus« und der »Viktimisierung« rechtfertigen sie auch mit den eigenen relativen Privilegien: [W]eil wir zum Beispiel keine Angst vor Repression haben müssen [ja]. Also wir müssen, wenn wir Leute anquatschen auf der Straße, müssen wir nicht Angst haben. (Manuel 1510–1512) Wie schon Luca nützt auch Manuel die Reflexion der eigenen Privilegien zur Rechtfertigung der individuellen Machtposition innerhalb der antirassistischen Arbeit. Bei Manuel zeigt sich allerdings auch eine erhöhte Sensibilität für die Gefahren des Antirassismus aus einer vulnerablen Position. Am Ende der Sequenz stimmt Manuel dann allerdings wieder in den Chor der »Stellvertreterpolitik« (vgl. Görg & Pühretmayer 2000) ein, wenn er sagt: »wir nutzen unsere Privilegien aus [mhm], um für Leute einzutreten, die keine Privilegien haben.« (Manuel 1514–1515) Manuel greift hier abermals auf einen konstruierten Widerspruch zurück: erhöhte Vulnerabilität verunmögliche antirassistische Praxis. Diese paternalistische Deutung übersieht nicht nur die grundlegende antirassistische Arbeit von Menschen mit Migrations- und Rassismuserfahrungen, von People of Color mitsamt einem größeren Risiko als deren weiße Verbündete, sondern verschweigt auch die Möglichkeit, dieses Problem als Teil einer gemeinsamen antirassistischen Praxis zu berücksichtigen. Etwa wenn bestimmte Aufgaben, die für Aktivist*innen of Color gefährlich sein könnten, von weiß positionierten Kolleg*innen übernommen werden. Ganz am Ende des Interviews kommt Manuel auf meine Nachfrage hin auf seine Rolle im Verein zu sprechen. Er bezeichnet sich selbst als »Theorie-Fuzzy« (Manuel 1621) und als der »radikale Flügel« (Manuel 1625). In der gleichen Sequenz spricht er besonders deutlich den Umstand an, dass er nicht nur zufällig zu der Gruppe zugestoßen ist, sondern woanders gelandet wäre, wenn es denn eine Alternative für ihn geben würde: Ich glaube eigentlich, eh wie gesagt, dass ich eigentlich gar nicht zum Thema Rassismus so direkt gekommen wäre, ich wäre, glaube ich, nicht zu einer Antira-Gruppe gegangen [mhm], wenn es halt was anderes gegeben hätte quasi. (Manuel 1648–1652) Die Erzählung Manuels beinhaltet, wie auch jene von Luca und Cornelius, eine große und laute Stille. Das, was nicht erzählt wird, sind die allgegenwärtigen und normalisierten Rassismen, die Manuel nicht sieht, nicht spürt, obwohl er davon ständig profitiert. Durchbrochen wird diese leichte, unbeschwerte Stille nur in wenigen Momenten, etwa dann, wenn er über den Besuch von Gedenkstätten spricht – Besuche, die ihn tief treffen und Ausgangspunkte für rassismuskritische Beschäftigungen werden. Am Ende des Interviews, in den letzten Sätzen, fällt ihm noch eine weitere Erfahrung mit Rassismus ein. In der Wohnung seiner Eltern hat einige Jahre Mahmoud, ein geflüchteter Jugendlicher, gewohnt. Als er mit Mahmoud einige Male im Nachtleben unterwegs ist, lernt er die rassistische Türpolitik einiger Lokale kennen und ist darüber empört. Zum ersten Mal in seinem Leben habe er hier »wirklich so bewusst Rassismus erlebt« (Manuel 1713–1714).

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Die nachfolgende biographische Erzählung von Valentin unterscheidet sich auf mehreren Ebenen von der eben besprochenen. Valentin ist zwar mehr als zwanzig Jahre älter als Manuel, hat aber von allen Befragten die wenigste Erfahrung in antirassistischer Arbeit. Valentin hat über eine Freundin zu einer antirassistischen Initiative gefunden und unterstützt diese im Hintergrund, ohne eine besonders aktive Rolle einzunehmen. In starkem Kontrast zu Manuel zeigt sich Valentin auch als jemand, der generell keine große Leidenschaft für politische Arbeit hegt. Ähnlich wie bei Luca und Johannes zeigt sich bei Valentin an mehreren Stellen rassismusrelevantes Denken und Handeln.

Valentin: »Ähm, ich habe gemerkt, bei mir damals eine ganz eine eigene Haltung, die habe ich noch nie so reflektiert« Valentin ist zum Zeitpunkt des Interviews 42 Jahre alt. Seine Eltern sind in zwei unterschiedlichen Städten Österreichs aufgewachsen und haben dann ihre Familie in einer dritten österreichischen Stadt gegründet. Valentin wächst dort mit seinem Bruder auf. Als junge Erwachsene ziehen beide Brüder in jeweils eine Geburtsstadt der Eltern. Valentin arbeitet seit vielen Jahren in leitenden Positionen im Sozialbereich. Zum Antirassismus hat er über eine Freundin gefunden. Zum Zeitpunkt des Interviews ist er Vereinsmitglied und unterstützt den Verein durch kleine finanzielle Beiträge, logistische Unterstützung und als Teilnehmer von Veranstaltungen. Valentin ist in diesem Sinne nicht selbst aktivistisch tätig, sondern unterstützt eher im Hintergrund. Vor dem Interview hat mich Valentin explizit darauf hingewiesen, dass er kein Experte sei und ich andere fragen sollte, wenn ich Expert*innen suche. Im Sinne meines Forschungsdesigns interessiert mich gerade die Heterogenität meiner Probanden und ihrer Vereine, Initiativen, Kollektive, weshalb ich das Interview mit ihm führen wollte. Das Interview fand in seinen Büroräumlichkeiten statt und war von einer angenehmen Atmosphäre gekennzeichnet. Valentin hat sich für das Interview viel Zeit genommen. Valentin beginnt seine narrative Erzählung mit seinem Elternhaus. Seine Eltern seien »sehr, sehr christlich motiviert« (Valentin 402–403) und christlich-sozial geprägt. Valentin beschreibt seine Familie als Teil eines Bürgertums, in das sie sich aus handwerklich geprägten Familien »hochgearbeitet« (Valentin 34) haben. Die Biographie seiner Eltern aus zwei unterschiedlichen Bundesländern beschreibt Valentin als sehr einflussreich für die Familienkonstellation und sein Aufwachsen. Er benützt dabei mit dem Wort »Kultur« eine Metapher, die im Zuge seiner Erzählung die zentrale gesellschaftsanalytische Perspektive bleiben sollte: »das heißt, per se schon einmal unterschiedliche Kulturen, äh, eben im Mikrokosmos im, im Haus oder in der, im Familiensystem« (Valentin 9–10). Der häufige Verweis auf Kultur kann auch vor dem Hintergrund verstanden werden, dass Valentin Antirassismus sehr stark mit dem Konzept der »Multikulturalität« (Valentin 29) verbindet. So beginnt er im Zuge seiner Eingangserzählung gleich zu Beginn des Interviews einen Reflexionsprozess über seine biographischen Berührungspunkte mit »Multikulturalität« (ebd.): Wenn ich so an meine ersten Jugend- und Kindheitsjahre zurückdenke, fallen mir eigentlich wenig Kontakte mit jetzt, ähm, Menschen ein, die jetzt wirklich anders kulturell geprägt oder aufgewachsen sind. (Valentin 23–26)

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Im Nachfrageteil bestätigt Valentin diese Aussage nochmal: »In meiner Volksschulklasse war kein Kind irgendwie, das nicht irgendwie einen, wie sagt man, deutschsprachigen Vornamen gehabt hat.« (Valentin 383–385) Sein Umfeld in einem ländlich geprägten Vorort seiner Geburtsstadt beschreibt Valentin damit indirekt als weiß-dominanzgesellschaftlich geprägt. In der Sequenz wird auch ein Ringen um Bezeichnungen sichtbar, das sich durch große Teile des Interviews zieht. Ein wichtiges Thema der biographischen Erzählung von Johannes sind seine Reisen. Er interpretiert sie als »einschneidende Erlebnis[se], was mich einfach in diese, in diese Multikulturalität irgendwie gebracht hat« (Valentin 28–29). Seine erste große Reise findet auf Anraten seiner Mutter statt: »meine Mutter hat mich mit 18 Jahren nach Bangladesch geschickt« (Valentin 29–30). Valentins Mutter engagiert sich damals für ein christliches »Frauenprojekt« (Valentin 34) und will ihrem Sohn einen Einblick in das Projekt und dortige Lebensrealitäten ermöglichen. Die Zeit in Bangladesch beschreibt er mit ausdrucksstarten Bildern: »authentische, äh, Konfrontation mit, ähm, Todes, getöteten Personen am Straßenrand aufgrund von Verkehrsunfällen und Kinderarbeit« (Valentin 39–41). Er selbst sei in dieser Zeit in einer »massiven Überforderung […] mit der Kultur« (Valentin 38) gewesen. Im Nachfrageteil erzählt Valentin mehr über die eigene Motivation der Reise und relativiert das »Geschickt-Worden-Sein«; er sei auch aus »Neugierde« (Valentin 54) nach Bangladesch gereist. Das damalige Projekt ist ein Frauenhaus, welches von Valentins Familie und der Kirchengemeinde finanziert wird und an ein Kloster angedockt ist. In einem Erzählstrang reflektiert Valentin seine Position als Mann, der ein Frauenhaus besucht, als deplatziert. Gleichzeitig relativiert er die Situation mit dem Verweis auf kulturelle Differenz und seine Position als Europäer: »Das war jetzt auch nicht schlimm, weil ich eh so ein Fremdkörper war, äh. Obwohl ich auch nicht weiß, was das mit den Frauen gemacht hat.« (Valentin 440–442) Wenn er seine Reise reflektiert, in der er Bangladesch für sich »entdeckt« (Valentin 456), vertieft sich der Eindruck einer kulturalisierenden Brille, die in Sequenzen zur kolonialen Brille geriert. Reisen stehen für ihn für »Kennenlernen von sowas Neue[m] und Entdecken« (Valentin 485–486). Im Zuge seiner Reiseerzählungen wiederholt Valentin einen bekannten Diskurs von »Ursprünglichkeit« (vgl. van Baajien 2010), vom touristisch veränderten und vom ursprünglichen Land. Ziel innerhalb des Diskurses ist es, weg von touristischen Pfaden und zu »ursprünglichen« Orten, Menschen, »Kulturen« zu gelangen. Mit dieser Erzählung entwirft sich ein Subjekt, das das sogenannte »Ursprüngliche« romantisiert und gleichzeitig Komplexität und Errungenschaften im globalen Süden übersieht. Das innerhalb dieser Diskurse hervorgebrachte »Primitive« fungiert als Gegenbild des idealisierten »fortschrittlichen« Eigenen und ist gleichzeitig ein Sehnsuchtsort. »Diese Instrumentalisierung des Südes zum Zwecke individueller Selbsterkenntnis ist nicht zufällig, sondern ein System.« (van Baajen 2010: 62) Für Valentin ist aus seiner ersten Reiseerfahrung in Bangladesch ein für ihn wichtiger Satz geblieben, den er laut eigener Aussage häufig wiederholt, nämlich »dass es mehr Menschen auf der Welt gibt, die, äh, quasi mit den Händen essen als mit Messer und Gabel. Das war sozusagen mein Erkenntnisgewinn jetzt« (Valentin 43–45). Diese Erkenntnis ist für ihn deshalb so wichtig, weil er laut seiner Aussage im Rahmen der Reise erstmalig realisiert, dass

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[…] ich da in Europa bürgerlich sozialisiert bin, oder christlich-sozial sozialisiert bin, ähm, eine, eine Weltanschauung von vielen ist oder sein kann. Oder, dass es viele, viele Entwürfe gibt, um das Leben zu denken. (Valentin 47–49) Valentin nimmt das Umfeld seiner Kindheit und Jugend bis zu seiner ersten großen Reiseerfahrung als »normal«, vielleicht sogar »universell« wahr und merkt mit einem Mal, quasi in einem Schockerlebnis, dass er in einem sehr partikularen, privilegierten Umfeld aufgewachsen ist. Typisch für Valentins Erzählung ist, dass er die von ihm ausgemachten globalen Differenzen vornehmlich über das Konzept der Kultur deutet, und nicht primär über Perspektiven wie globale Machtverhältnisse, Wirtschaftsbeziehungen, historische Zusammenhänge, postkoloniale Verbindungen. Wenn er also von unterschiedlichen Weltanschauungen spricht, so bezieht er diese Differenzen vor allem auf Lebensentwürfe »gesellschaftskultureller Natur« (Valentin 51). Valentin leitet daraus eine gewisse Neugierde ab, die auch weitere Reisen begründen. Das zeigt sich in Formulierungen wie, Reisen ermögliche ein »Kennenlernen von, von verschiedenem, von vielen unterschiedlichen Kulturen« (Valentin 105–106). Mit Anfang zwanzig macht sich Valentin mit einem Freund auf eine Weltreise durch Russland, Zentralasien und Südostasien auf. Im Rückblich beschreibt er einige prägende »Aha-Momente« (Valentin 95). Valentin habe etwa seine Vorurteile gegenüber Russland abbauen können, indem er dort sehr viele schöne Begegnungen macht. In dieser Erzählsequenz sieht er nicht nur fundamentale Differenzen zwischen »Kulturen«, sondern auch Parallelen, wie etwa zwischen Österreich und Russland. In dieser Weltreise sieht Valentin einen »Nährboden für eine rassismuskritische oder antirassistische (.) Grundhaltung« (Valentin 107–108), wie er auch das Reisen generell als Möglichkeit der rassismuskritischen »Präventivsozialisierung« (Valentin 107) interpretiert. Wir haben bisher gesehen, dass Valentin viele Erfahrungen seiner Lebensgeschichte mit einer »kulturalisierenden« Brille deutet; besonders dann, wenn es um Reisen geht. Es scheint dann so, als wären Individuen in einem »kulturellen Container« (vgl. dazu kritisch Welsch 1999) gefangen, der jeweils durch nationale Grenzziehungen abgeschlossen ist. Begegnungen deutet er dann in der Folge als »Kulturkontakte« und er erzählt weniger über Menschen, die er trifft, und ihre Persönlichkeiten, sondern eher über vermeintliche kulturelle Eigenschaften, die er aus dem Handeln von Einzelnen ableitet. Valentin nimmt aber auch bewusst Abstand von universalistischen Deutungen und zeigt eine grundsätzliche Differenzorientierung, die auch einen eher anerkennenden Grundcharakter aufweist. Gleichzeitig ist auch in der Erzählung von Valentin, wie bei Luca und später bei Cornelius, eine gewisse Tendenz zur Positionierung als europäischer Reiseethnologe auf kolonialen Pfaden ersichtlich. Seine Verwendung des Kulturbegriffs auch innerhalb Österreichs, etwa mit dem Verweis auf seine Eltern, bricht ein wenig mit dieser kolonialen Tradition der VerAnderung. In einem weiteren thematischen Schwerpunkt erzählt Valentin davon, dass er die für ihn vorgesehene klassische bürgerliche Bildungsbiographie bricht, indem er eine handwerkliche Lehre absolviert. In der Erzählung von seiner Lehrzeit wird deutlich, dass Valentin zwar abermals auf das Konzept der Kultur als zentrales soziologisches Werkzeug zurückgreift, er dies aber durchaus auf komplexe Art und Weise tut. Die Arbeitsstätte und das Arbeitsumfeld in einer ländlichen Region beschreibt er als »ein neues kulturel-

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les Feld, das sich für mich aufgetan hat« (Valentin 73–74). Als besonders eindrücklich beschreibt Valentin seine Position in der Firma als jemand, der zwar älter als die anderen Lehrlinge ist und auch mehr »kognitives Wissen« (Valentin 78) mitbringe, aber in der »Hierarchie der Unterste« (Valentin 79) sei. Vor und nach seiner Lehrzeit und parallel zu seinen Reisen durchläuft Valentin Ausbildungen im Sozialbereich, die er neben den praktischen Aspekten als prägend empfindet, weil sie ihm die »Vielfalt des Menschen und die subjektiven Wahrheiten und Wirklichkeiten« (Valentin 60–61) vermitteln. Im Zuge dieser Ausbildungen ist der »Rassismusaspekt« (Valentin 62) laut seiner Aussage überhaupt kein Thema. Interessanterweise bringt Valentin das, was er als »Rassismusaspekt« bezeichnet, in Bezug zu einem sogenannten »Kulturaspekt« (Valentin 62), indem er beides synonym verwendet. Die ersten Auseinandersetzungen mit dem, was Valentin »Kulturaspekt« nennt, beginnen dann für ihn tatsächlich erst mit seiner Arbeit in der Einrichtung, die er im späteren Verlauf der Erzählung thematisiert: Also es war schon diese zehn Jahre, was, die ich dort gearbeitet habe, war permanente Heraus- oder Auseinandersetzung mit diesem Thema, ahm. Was sind kulturelle Unterschiede und was nicht. [Mhm.] Wo haben, haben Menschen, die zu uns kommen Schubladen, wo haben wir Schubladen. (Valentin 593–597) Valentin leitet bereits mit Mitte zwanzig eine soziale Einrichtung, die vor allem von Jugendlichen mit Migrations- und Fluchtgeschichte besucht wird. Die Aufgabe der Einrichtung bezeichnet Valentin als »Heimat geben« (Valentin 117). Die Einrichtung kennzeichnet sich für ihn dadurch, dass sie eine »sehr bunte Palette an Nationalitäten« (Valentin 114–115) aufweist. In Bezug auf seine Arbeit in der genannten Einrichtung bringt Valentin zum ersten Mal das Thema Rassismus konkret in die Narration ein. Er erzählt von einem »schwarzafrikanischen Jugendlichen« (Valentin 133), der eine Rassismuserfahrung mit ihm teilen will. Der Jugendliche erzählt davon, dass er sein Fahrrad in den Bus mitnehmen will, was allerdings vom Busfahrer abgelehnt wird, woraufhin der Busfahrer dem Jugendlichen die Mitfahrt verbietet. Valentin erzählt, dass, nachdem der Jugendliche seine Erfahrung geteilt hat, sein sogenanntes »Gerechtigkeitsbarometer« (Valentin 137) gestiegen sei und er sich sofort mit dem Busunternehmen in Verbindung gesetzt habe. Die Situation klärt sich für Valentin dann vermeintlich auf, weil es sich bei dem Bus um einen Bus gehandelt hat, der grundsätzlich keine Fahrräder mitnimmt. Diese Geschichte beschreibt Valentin als Aha-Moment: Also im Sinne von sehr, sehr sensibel hinschauen und auch zu verstehen, einfach in welchen, äh, Biographien diese Menschen kommen und, und wenn sie in anderen Kontexten diese Erfahrungen haben, dann übernehmen sie dieses, diese Interpretation auch für andere Kontexte und so. (Valentin 144–148) Aus einer rassismuskritischen Perspektive ist diese Erzählsequenz gleich in mehrfacher Hinsicht aussagekräftig. Einmal ist es auffällig, dass die erste Thematisierung von Rassismus eine Situation darstellt, die in den Augen von Valentin keine rassistische Situation gewesen sei, was einer Relativierung von Rassismuserfahrungen gleichkommt und damit einem gängigen »Distanzierungsmuster« (Messerschmidt 2011b) entspricht. Wir

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wissen aus seiner Erzählung nicht, ob der Jugendliche dieser Interpretation der Situation zustimmt oder ob er sich vielleicht auch auf andere Weisen in der Situation rassistisch diskriminiert fühlt, und nicht nur in Bezug auf die Fahrradmitnahme. Weiters ist auffällig, dass Valentin dem Jugendlichen eine erfahrungsbedingte Einschränkung seiner Einschätzung zu rassistischen Situationen zuspricht, die unter dem Vorwurf einer »Übersensibilität« und der Praxis der »Glaubwürdigkeitsinfragestellung« (vgl. Mecheril 2015: 154) ein häufig angewandtes diskursives Muster darstellt. Die rassistisch problematische Bezeichnung »schwarzafrikanisch« und die kulturalisierende Aussage »Palette an Kulturen« erstaunen vor dem Hintergrund seiner Arbeitsposition und aufgrund meiner Vermutung, dass es sich hierbei nicht um eine Selbstbezeichnung von Schwarzen Jugendlichen, die die Einrichtung besuchen, handelt. Valentin lernt von den Jugendlichen aber auch spezifisches Wissen über die Normalität von Rassismen, das er markiert und anspricht. Besonders erwähnt er hierbei, dass er darüber empört ist, wie häufig Schwarze Jugendliche, die seine Einrichtung besuchen, in alltäglichen Situationen von der Polizei kontrolliert werden (vgl. racial profiling) und wie es den Jugendlichen seiner Einschätzung nach dabei geht. Im Zuge seiner Erzählung über die Einrichtung, in der er viele Jahre arbeitet, thematisiert Valentin auch eigene Verstrickungen in Rassismen und Diskriminierung. Es scheint so, als würde er dies in dem Moment des Interviews erstmalig reflektieren: »Ähm, ich habe gemerkt, bei mir damals eine ganz eine eigene Haltung, die habe ich noch nie so reflektiert.« (Valentin 171–172) Am Ende des Interviews spricht Valentin diesen Umstand direkt an und sagt: »[J]etzt im Nachhinein finde ich das die, die interessanteste Erkenntnis.« (Valentin 740) Er berichtet von seiner früheren Haltung und Vorgehensweise, was Bewerbungen und Anstellungen betrifft. Valentin erzählt: [W]enn Bewerbungsgespräche gekommen sind, haben sich bei uns sehr viele Menschen mit Migrationshintergrund oder Fluchterfahrungen oder, äh, einer anderen Hautfarbe oder so, äh, beworben. Und ich habe die tendenziell immer abgelehnt. (Valentin 172–175) Valentin stellt klar, dass er dies heute nicht mehr so sähe, und reflektiert dann die Gründe für seine Haltung. Abermals bringt er die Analyseperspektive »Kultur« prominent in seine Erzählung ein. Valentin legitimiert seine rassistische Einstellungspolitik der Vergangenheit damit, dass er das Team so zusammensetzen will, »um auch zu erklären, wie unsere, wie die Kultur da ist und so« (Valentin 178–179). Da die Zusammensetzung der Jugendlichen ohnehin schon »bunt« (Valentin 176) gewesen sei, brauche es ein »*[Bundesland]-Team« (Valentin 178). Valentin übernimmt hier eine Reihe von rassistisch relevanten Diskursen und lässt dieses Wissen auch handlungsleitend werden, indem er tatsächlich die Einrichtung rassistisch strukturiert. Er wiederholt die dominanzgesellschaftliche Grenzziehung zwischen einem unausgesprochen weißen »einheimischen« Wir und den »Anderen«, die durch ihre direkte oder indirekte Migrationsgeschichte, ihre Fluchterfahrungen, die vermeintliche oder tatsächliche Religionszugehörigkeit, phänotypische Merkmale nicht als Teil dieses Wir gedacht werden. Valentin benennt explizit, dass dies ebenso für Österreicher*innen of Color gelte, und tut dies mit rassistischem Wording:

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Also so, äh (.), ja und was macht das dann, wenn jetzt dann, wenn jetzt da zum Beispiel jemand mit einer, äh, ähm, schwarzen Hautfarbe wäre oder, oder als eine, ein, ein Farbiger. (Valentin 182–184) Im Nachfrageteil vertieft Valentin seine Vorstellung von diesem exklusiven, »einheimischen« Wir weiter, ohne dass ihm die Tragweite dieser Konzeption völlig bewusst zu sein scheint. Valentin erzählt, dass ihm eine »Vielfalt im Team« (Valentin 779) wichtig ist: »Mann, Frau, jung, alt [mhm], welche Professionen so« (Valentin 779–780). Allerdings gilt diese Vielfalt nicht im Hinblick auf religiöse Zugehörigkeit, Mehrsprachigkeit, Migrationsbezüge, Fluchtgeschichte und generell auf nicht-weiße Positionierungen. Wenn ich jetzt zurückdenke, ich glaube, es hat niemanden gegeben in diesen zehn Jahren, den man angestellt haben, ähm, der, der jetzt erst entweder bewusste Migrationserfahrung gehabt oder [mhm] aus einem, aus einem anderen Kulturkreis kommt, jetzt außer deutsche Studierende oder so. (Valentin 782–786) Valentin sieht das im Rückblick kritisch und würde es heute anders machen. Was er aber nicht anspricht, ist, dass die Grundlage für sein damaliges Denken eine spezifische Vorstellung eines einheimischen »Wir« voraussetzt, das als weiß, katholisch, bundesländisch, ohne Migrationsbezüge und Fluchterfahrungen gedacht wird. Dieses Wir ist deckungsgleich mit einem weiß-dominanzgesellschaftlichen Wir und damit auch seiner sozialen Position. Valentin kritisiert im Rückblick zwar sein rassistisches Handeln, »jetzt im Nachhinein finde ich es (.) hochabsurd, oder? [Mhm.] Und, und, und auch sehr irritierend« (Valentin 797–798), aber nicht die Wissensgrundlage seines Handelns: das unmarkierte Wir (unsere Kultur) und das rassistisch markierte Andere (die anderen Kulturen). Dies zeigt sich auch in der Art und Weise, wie er über seinen Nachfolger spricht, den er aufgrund der Migrationsgeschichte seiner Eltern als geeignet sieht, um »einfach dort diese Kultur [der Jugendlichen in der Einrichtung, Anm. F. O.] besser einordnen« zu können (Valentin 832–833). Valentin bleibt der kulturalistischen Blicktradition verhaftet, deutet sie jetzt vermeintlich positiv, wo er sie früher negativ gedeutet hat. Dieser »neue« Blick muss allerdings als die andere Seite der gleichen Medaille (Dämonisierung und Romantisierung) des Othering bezeichnet werden und vollzieht ebenso dieselbe Grenze: zwischen »Wir« und »den Anderen«. Das Ausbleiben dieser Dekonstruktion kann dann auch erklären, warum Valentin in der Haupterzählung seine Einstellungspolitik auch vor dem Hintergrund der Jugendlichen noch selbst rechtfertigt. Valentin erzählt, dass er sich damals die Frage stellt, wie die Jugendlichen auf ein diverseres Team reagieren würden. Er berichtet von Jugendlichen aus Afghanistan und wie diese eine lesbische Mitarbeiterin nicht akzeptiert haben. Valentin leitet daraus die Befürchtung ab, dass dies auch etwa Schwarzen Betreuer*innen passieren könnte. Er vollzieht hier eine erstaunliche Drehung weg von den eigenen Rassismen hin zu einem Generalverdacht an die Jugendlichen selbst, wobei eine Form der Externalisierung von Homophobie (»Homonationalismus«) und Rassismus stattfindet, die eigene Rassismen legitimiert oder zumindest überdeckt. Schließlich zeigt sich in der Sequenz, dass Valentins Kultur-Konzept Anschlussfähigkeiten zum kulturellen Rassismus aufweist. Valentin ist hier sehr mutig und erzählt aus eigener Motivation unge-

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schminkt über eigene Verstrickungen in Rassismen, die er in Teilen reflektiert und kritisiert. An dieser Stelle wird ersichtlich, dass eine rassismuskritische Selbstreflexion ein An- und Aussprechen der eigenen Rassismen in einem geschützten Rahmen (sodass niemand rassistisch verletzt werden kann) voraussetzt. Diesen Prozess hier darzustellen, soll nicht Valentin als »den Rassisten« entlarven, sondern seine Verstrickungen aufzeigen, aus denen er sich dann auch herauswinden kann, wie er es in Teilen der Erzählsequenz auch tut. Valentin bringt im Zuge der Haupterzählung seinen ersten Kontakt zu Antirassismus und Rassismuskritik selbst ein. In der vielzitierten ehemaligen Arbeitsstätte hat eine Arbeitskollegin den Vorschlag eingebracht, gemeinsam an einer Schulung durch einen antirassistischen Verein teilzunehmen. Valentin sieht rückblickend, dass die Mitarbeitenden und er bis dorthin wenig Wissen über Rassismen mitbringen und das Thema in der Einrichtung und im Team nur selten ansprechen und reflektieren: »wir haben da wirklich sehr naiv begonnen, haben überhaupt keinen Tau gehabt von diesen Themen« (Valentin 196–198). Auf meine Nachfrage erzählt Valentin dann, dass die Problemstellung vor allem mit den Jugendlichen und ihren Erfahrungen außerhalb der Einrichtung als Thema hineingetragen wird. Wenn Valentin über Rassismen reflektiert, zeigt er sich als jemand, der die grundsätzlichen gesellschaftlichen Mechanismen im Blick hat. Für ihn haben Rassismus und auch Ableismus »mit dem Thema Normalität zu tun [mhm] oder ich glaube, im rassismuskritischen Bereich heißt es dann die, die Mehrheitsgesellschaft oder so« (Valentin 235–237). Er sieht hinter Rassismen Formen der Normalisierung von bestimmten Teilen der Gesellschaft und quasi eine Denormalisierung von anderen Teilen wirken. Gleichzeitig zeigt sich Valentin als nicht immun gegen rassistisches Wissen – er lässt es sogar handlungsleitend werden. Zum Schluss der Interviews befragte ich ihn dann konkret, was er mir über die antirassistische Initiative erzählen möchte, die er unterstützt. Die Erzählsequenz erinnert sehr stark an die Erzählungen von Luca, Cornelius, Kai und Manuel über den vermeintlichen Konflikt aus Vereinszusammensetzung und Handlungsfähigkeit. Bei Valentin erhält die Erzählung eine zusätzliche Komponente, die aus einer rassismuskritischen Perspektive wichtig erscheint. Wo Luca und seine Kollegen die weiße Dominanz in der Initiative zwar problematisieren, aber dann zwecks Notwendigkeit zu handeln wegwischen, sieht Valentin in der Mehrzahl von BIPoCs in seinem Verein einen Grund für fehlende Handlungsmöglichkeiten: So, also irgendwie (.), dass man, dass man sehr gut im Blick haben muss, wie weit, äh, wirklich betroffene Menschen in diesem Rahmen alleine da gut wirksam werden. (Valentin 950–952) Hier würde eine selbstkritische Reflexion der eigenen privilegierten Position innerhalb rassistischer Strukturen erkenntnisfördernd wirken. Aus dieser Reflexion könnte geschlussfolgert werden, dass bestimmte Herausforderungen innerhalb des Vereines genau damit zusammenhängen, dass die Erfahrungen in der privilegierten Position bestimmte Probleme mitbringen, die dann oft im Zuge von Konflikten bearbeitet werden müssen. Dadurch, dass diese Kritik hier allerdings ausbleibt, kann Valentin an den Diskurs des »victim blaming« anschließen und sieht in der rassismuserfahrenen

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Position eine Tendenz zur Übernahme von »Opferrollen« (Valentin 945) und die Politik der »Schuldzuschreibungen« (Valentin 945) dominieren. Am Schluss des Interviews macht Valent transparent, welcher Diskurse er sich in dieser Frage bedient. Er sieht in der aktuellen rassismuskritischen Diskussion Parallelen zum, wie er sagt, »genderemanzipatorischen Bereich« (Valentin 974). Wie zuvor bei Manuel ersichtlich, bezieht sich auch Valentin auf antifeministische und Rassismus-relativierende Diskurse, die vermeintlich Political Correctness oder neuerdings Wokeness kritisieren. Valentin resümiert sein abschließendes Nachdenken mit den Sätzen: »Man muss auch irgendwie die Kirche im Dorf lassen« (Valentin 977) und solle sich von einer »100-prozentigen politischen Korrektheit« (Valentin 915) verabschieden. An dem Beispiel wird abermals ersichtlich, dass die Reproduktion derlei Diskurse erstens verhindert, dass die eigene soziale Position und Verstrickungen in Rassismen reflektiert werden, und zweitens mit sich bringt, dass Rassismen, Sexismen und weitere Ungleichheitsverhältnisse sowie ihre gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen relativiert werden. Die nachfolgende Falldarstellung von Martin zeigt signifikante Unterschiede zur biographischen Erzählung von Valentin. Martin bezieht sich in seinem Nachdenken über seine Biographie und Antirassismus auf gänzlich unterschiedliche Perspektiven und widmet, wie schon Manuel, Johannes und später Stefan, einen wichtigen Teil seiner biographischen Erzählung der Aufarbeitung der familiären Nazi-Vergangenheit – ein Punkt, den etwa Valentin mit keinem Wort erwähnt. Martin zeigt sich in seinem Auftreten als weitaus weniger selbstsicher als etwa Valentin, Manuel und Johannes, ist dabei in seinen Reflexionen und Analysen weitaus präziser, vorsichtiger und selbstkritischer.

Martin: »Also es reicht nicht, wenn du mit 15 einmal sagst, ich bin jetzt antirassistisch, und dann bin ich das für immer« Martin ist Anfang dreißig, arbeitet im Bildungsbereich und engagiert sich ehrenamtlich in einem Kulturverein, der sich nicht dezidiert als antirassistischer oder rassismuskritischer Verein versteht, der aber im Hinblick auf die Grundhaltung und viele absolvierte Projekte durchaus als »antirassistisch« bezeichnet werden kann. In diesem Bezug steht auch die Selbstpositionierung Martins als zwar antirassistisch, aber nicht antirassistisch aktivistisch. Martin ist der einzige der interviewten Antirassisten, der in seiner Jugend nicht das Gymnasium besucht. Nach dem Abschluss einer Hauptschule ergreift er einen Lehrberuf im Bereich Gastronomie, arbeitet einige Jahre im Gastgewerbe, macht dann die Matura nach und beginnt im zweiten Bildungsweg ein sozialwissenschaftliches Studium. Zum Zeitpunkt des Interviews steht er kurz vor der Beendigung desselben. Martin erzählt mir davon, dass er sich im Vorfeld ein wenig auf das Interview vorbereitet hat, indem er einen Reflexionsprozess darüber beginnt, warum er sich selbst eigentlich als antirassistisch beschreiben würde. Er beginnt seine biographische Erzählung mit der Wiedergabe dieser Reflexion. Martin sieht die »Kritik an Macht-Strukturen« (Martin 12) als gemeinsamen Nenner in seiner politischen Sozialisation. Er spricht kurz seine katholische Prägung an – er war unter anderem selbst Ministrant – und stellt die Frage in den Raum, ob diese handlungsleitend für seine antirassistische Haltung sei, betont dann aber die Relevanz seiner politischen Sozialisation. Martin sieht sich selbst »als jemand, der sich immer schon, seit ich eben politisch denke, als links definiert hat« (Martin 15–16). Martin erzählt, er habe im Vorfeld auch darüber nachgedacht, was »denn

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so die ersten Erfahrungen mit Rassismus gewesen« (Martin 17) seien, die er erlebt hat. Er spricht damit das Thema Rassismus so früh wie sonst kein anderer der Befragten an. Martin sieht sich selbst von Rassismus nicht betroffen, sagt, dass er »selber nie, sag ich mal, Gegenstand von Rassismus geworden« (Martin 18–19) sei. Im Rückblick der narrativen Erzählung spricht er bereits früh von einer gewissen Normalität des Rassismus in seinem privaten Umfeld. Im Rückblick sieht Martin Rassismus vor allem in drei Arenen wirken. Einmal als Teil seiner frühkindlichen Bildung: »Rassismus hat halt insofern immer eine Rolle gespielt, als, ähm (.), natürlich gab es die, die zehn kleinen N*, Kinderlieder etc.« (Martin 22–23). Zweitens erlebt Martin Rassismen in Bezug auf seine Familie – hier vor allem durch seinen Großvater. Dieser arbeitete im Zuge des Jugoslawienkrieges für die Kirche und organisierte Hilfsgütertransporte nach Bosnien. Martin bleibt hier vor allem in Erinnerung, dass sein Großvater dabei eine grundlegende Unterscheidung vornimmt, die Martin heute als (rassistische) Abwertung bezeichnen würde und die ihn als Kind irritiert. In den Erzählungen zu seiner Hilfsarbeitstätigkeit beginnt sein Großvater, »wie er halt gesagt hat, ›Ausländer‹ zu unterteilen in diejenigen, die moralisch gute Menschen sind, denen man helfen muss, und die anderen« (Martin 26–27). In einer späteren Sequenz des Interviews bezeichnet Martin seinen Großvater als den »ersten politischen Sparringspartner« (Martin 157), an anderer Stelle als »Nazi-Opa« (Martin 1051). Zwar sei sein Großvater zu jung, um aktiv Teil des Nationalsozialismus gewesen sein zu können, allerdings sei die Mischung aus rassistischer Haltung und »ruppiger, unguter Typ« (Martin 173) der Grund für die Benennung. Im Nachfrageteil präzisiert Martin dann seinen Vorwurf des Nazi-Opas, wenn er sagt, dass »von dem auch die ›Unter dem Hitler war nicht alles schlecht‹-Phrasen gekommen sind« (Martin 1051–1052). Die Figur seines Großvaters beschäftigt Martin auch aufgrund seiner Widersprüche: »Also er war wirklich engagiert und gleichzeitig ein totaler Trottel.« (Martin 180–181) In einer späteren Sequenz vertieft Martin sein Nachdenken über diese Widersprüche und glaubt, eine Antwort darauf gefunden zu haben: Und dann zu sehen, dass er alles, was fremd ist, abwertet, gleichzeitig aber hilft, das ist eine Spannung, die bekomme ich bis heute nicht in den Kopf. Ich glaube aber auch, dass gezielt Katholiken geholfen wurde. Das dürfte schon auch irgendwie missionarisch gewesen sein, nehme ich an. (Martin 183–185) Die dritte Arena, innerhalb derer Martin Rassismus erlebt, ist seine Schulzeit. Die Schulzeit ist eines der zentralen Themen seiner Erzählung. Und auch in der Schule hatten wir wenige Kinder mit migrantischem Hintergrund in den Klassen, aber doch ein paar und da ist mir halt bewusst geworden, dass die halt immer die Abweichung von dem, was wir sind, sind, und wir sind halt normal. (Martin 28–31) Martin spricht davon, dass damals in der Schule vor allem bestimmte Differenzmerkmale benannt werden und andere nicht:

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Die italienische Mutter ist ja nie rausgestrichen worden, aber wenn dann jemand türkische Eltern gehabt hat, dann ist es auch immer vor der Klasse betont worden, also vor allem auch von unserem Direktor. (Martin 32–34) Nicht nur werden bestimmte Differenzen markiert und andere nicht, die jungen Menschen werden sogleich als Repräsentant*innen einer differenten Gruppe mitsamt bestimmten meist negativ konnotierten Eigenschaften konstruiert. Ich erinnere mich eben an einen Mitschüler, der war damals schon vier oder fünf Jahre älter als wir und der hat von den Sprachkenntnissen her mit uns unterrichtet werden müssen damals, und der hat ein Mädchen getreten [mhm] und das war dann kurz das Gespräch in der Klassengemeinschaft und da hat der Direktor gesagt: Ja, da wo er herkommt, i weiß bis heute eigentlich nicht ganz genau woher, da ist das halt normal. In dem Kulturkreis kann man halt nichts machen. (Martin 35–40) Martin erzählt in den Anfangssequenzen seiner Narration von mehreren rassistischen Vorfällen, die er als Zeuge erlebt. Die detailreichen und auch empathischen Erzählungen stehen in krassem Kontrast zu den Erlebnissen praktisch aller anderen befragten Antirassisten. Dies kann sowohl an Martins rassismuskritischer Sensibilität und seinem Erinnerungsvermögen als auch daran liegen, dass Martin als einziger eine Hauptschule besucht. Die krasse Unterrepräsentation von Kindern mit sogenanntem »Migrationshintergrund« in Gymnasien ist vielfach belegt (vgl. ÖIF-Österreichischer Integrationsfonds 2018). Martin thematisiert in der ersten Sequenz sowohl Rassismen als auch die eigene Positionierung in Bezug darauf: Damals ist es halt, ja, wie gesagt, wenn man nicht selber Eltern mit Migrationshintergrund hat oder selber migriert ist oder aus irgendeinem anderen Grund, man kann ja durchaus österreichischer Jude sein und rassistisch betroffen sein, [mhm] dann ist einem das nicht ganz so bewusst und halt auch wie man selber in der Konfrontation als das Normale konstruiert wird, oder? (Martin 46–50) Diese bereits an sehr früher Stelle vorgenommene Selbstpositionierung wirkt auf den ersten Blick schlicht. Bei genauerem Hinsehen und in Relation zu Reflexionsprozessen vieler anderer Antirassisten dieser Studie ist sie vielschichtig und folgenreich. Ohne das Wort »Privileg« zu verwenden oder auf einschlägige Theorien zu verweisen, ohne sich für seine Position zu schämen, gelingt es Martin, seine soziale Positionierung in Bezug auf Rassismen offenzulegen. Er hinterfragt nicht nur seine aktuelle soziale Position in der Gesellschaft, sondern seine ganze Biographie. Er fragt sich, welchen Einfluss es hatte und hat, als Teil der »Dominanzgesellschaft« (Rommelspacher 1995) angerufen und gelesen zu werden. In Kontrast zu Überlegungen von anderen Antirassisten wie etwa Luca und Valentin verzichtet er sowohl auf Viktimisierung wie auch auf Romantisierung, wenn es um die Situation von Menschen mit Rassismuserfahrungen geht. Er konzentriert sich auf die Auswirkungen auf seine privilegierte Position und setzt diese in Relation zu marginalisierten Positionen. Im Hinblick auf die ersten Erfahrungen mit Rassismen stellt Martin klar, dass er die Erlebnisse eher im Rückblick als Rassismus bezeichnet und er sich nicht sicher sei, wie

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er das früher wahrgenommen hat. Spätere Erfahrungen in Bezug auf Rassismus sieht Martin vor allem in seinen Arbeitsstationen in der Gastronomie, wo er eine Mischung aus Geringschätzung und Arbeitsausbeutung gegenüber Mitarbeiter*innen, die laut Martin als »die Ausländer« (Martin 51–52) bezeichnet werden, erlebt. Martins Familienverhältnisse sind ein weiteres Hauptthema seiner Biographie. Martin erzählt, dass seine Eltern aus einer ländlich geprägten Umgebung und aus »sehr einfachen Verhältnissen« (Martin 20) kämen, was vor allem für seinen Vater gelte. Besonders einprägsam aus seiner Kindheit ist ihm hier in Erinnerung, wie ein Teil seiner Familie in den 1990er Jahren dem »FPÖ-Haider-Fieber« (Martin 163) erliegt. Im Rückblick sieht sich Martin dabei als Kind, das sich mit limitierten Mitteln dagegen wehrt: »und ich hab damit gekämpft am Küchentisch, obwohl ich relativ jung und ohne Argumente war, aber vom Gefühl her war das falsch für mich« (Martin 164–166). Martin sieht als weiteren Effekt seiner Herkunft aus »einfachen Verhältnissen« die Problematik, dass etwa seine Eltern meist nicht das nötige Selbstvertrauen haben, sich genug für ihn einzusetzen. Das ist etwa im Zuge seiner Marginalisierungserfahrungen in der Volksschule der Fall. Für die Gegenwart beschreibt er das Gefühl, dass seine Eltern damals einfach nicht wussten, wie sie reagieren sollten. Er sieht das Problem gewissermaßen als Klassenproblem, wenn er sagt: Dass einfach gewisse Milieus, gewisse Schichten, wie auch immer man das sehen will, einfach das Selbstverständnis nicht haben, dass man der anderen Lehrerin einfach richtig hinzusteigen kann. Also das war so ein wenig ein Machtlosigkeitsgefühl. (Martin 211–213) Martin erzählt, dass er dieselbe Erfahrung noch einmal im Zuge seines Lehrberufes macht, in dessen Rahmen er einen »cholerischen, trinkenden Chef« (Martin 225) über sich hat und auch außerhalb des Rechtsrahmens arbeiten muss, was Überstunden und freie Tage betrifft. Er spürt abermals das Gefühl eines gewissen Ausgeliefertseins: Aber da ist mir nochmal ganz intensiv bewusst geworden, wie man einfach aus einem Zufall, also quasi aus einem Zufall, in einer Situation landen kann, in der man sich selber nicht helfen kann und wo man auch wirklich eine Machtlosigkeit spürt. (Martin 215–217) Martin inszeniert sich als jemand, der aus diesen Erfahrungen nicht nur gelernt hat, was es bedeuten kann, in einer Position der relativen Machtlosigkeit zu sein, sondern auch als jemand, der mithilfe dieser Erfahrungen seine jetzige soziale Position machtkritisch reflektieren kann: Und jetzt habe ich natürlich, ich meine, ich bin da halt auch klassisch Bildungsaufsteiger in meiner Familie, oder, und ich weiß halt, dass ich jetzt in einer Position bin, [mhm] wo sich das ausgeschlichen hat irgendwann und ich in gewissen Zusammenhängen aber in einer extrem privilegierten und auch machtvollen Position hocke, oder [mhm], und da vielleicht auch diese Ungerechtigkeiten zumindest ein bisschen ausmerzen kann. (Martin 231–235)

7 Darstellung der empirischen Ergebnisse

Er erklärt sich im Rückblick sein »Sensorium« (Martin 57) für Machtfragen und »soziale Unterschiede« (Martin 58) auch ein wenig aus seiner Position als »Mobbingopfer« (Martin 59): Ich war als junger Bub eher der Bücherwurm und nicht besonders sportlich, sondern ein bisschen übergewichtig und so, und dann ist das fast schon ein bisschen Naturgesetz, dass man dann das Opfer ist. (Martin 59–61) Martin erzählt auch davon, dass er in seiner Schulzeit von seiner Volksschullehrerin systematisch schlechter behandelt und »halt immer zum Gespött gemacht« (Martin 200) worden ist. Aus dieser Erfahrung, so Martin, habe er im Rückblick einerseits ein Ungerechtigkeitsempfinden erlernt: »Das ist halt eine Sache, da kann man sich als Kind nicht wehren, oder? [Ja.] Aber man hat dieses Ungerechtigkeitsempfinden.« (Martin 200–202) Andererseits beschreibt Martin diese Erfahrungen auch als wichtige Lernmomente. Einen dieser Bildungsmomente beschreibt Martin wie folgt: [D]ass Leute aufgrund von irgendwelchen Merkmalen, irgendwelche, ich weiß nicht, irgendwelche wesentlichen Charaktermerkmale zugeschrieben bekommen, die eigentlich gar nicht wirklich mit ihnen zu tun haben und, dass das dann halt unfair ist. (Martin 63–66) Martin erzählt in diesem Zusammenhang auch von einer Freundschaft, die vor dem Hintergrund entsteht, dass er eine Person unterstützen will, die jene negativen Zuschreibungen erfährt: Ich habe mich da als Kind immer schon schnell mit den Personen, die selber Opfer, Mobbingopfer etc. waren, solidarisiert. Und (…) also vor allem, das waren dann meistens Personen, die haben es dann noch dicker abbekommen als ich. Also wir haben da zum Beispiel einen Burschen in der Klasse gehabt, dessen Eltern waren beide aus der Türkei, und der hat es halt sofort total dick abbekommen natürlich. (Martin 67–71) Martin erzählt die Situation im Rückblick so, dass er sich auch ausgehend von eigenen Marginalisierungserfahrungen mit seinem Mitschüler solidarisiert. Martin positioniert sich als »Mediator« (Martin 74), als jemand, der also in Bezug auf Rassismen als Teil des »Wir« gesehen wird, aber aufgrund seiner Diskriminierungserfahrungen ein Gerechtigkeitsbewusstsein entwickelt und dieses als Antrieb für zivilcouragiertes Handeln und die eigene Bildungspraxis interpretiert. Martin sieht hier auch seine Klassenposition wirken, wenn er über seinen Antrieb spricht: Das ist auch, glaube ich, ein Vorteil, den so nicht bildungsbürgerliche Kinder oft haben, ist halt eine bisschen eine Bildungsbeflissenheit und so einen gewissen Arbeitsethos, den man entwickelt. Und weil die Sachen einfach nicht so natürlich gegeben sind, sage ich jetzt mal, muss immer dran arbeiten. Bleibt man auch dran öfter, oder? (Martin 280–283) Martin bricht in einem relativ frühen Moment des Interviews den ersten Erzählfluss ab und fragt ironisch, was den eigentlich die Frage gewesen sei. Ich wiederhole die Eingangsfrage und er beginnt einen zweiten Erzählstrang über einen wichtigen Teil seines Lebens, der für ihn in Bezug auf das für ihn so zentrale Thema »Gerechtigkeit« maß-

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geblich sei und das er als »Kulturfrage« bezeichnet: Hiphop/Jazz/Punk. Die frühe Sozialisation als Teil der Hiphop-Kultur bringt für Martin mit, dass »da für mich halt so in kultureller Hinsicht der Umgang mit so marginalisierten Positionen immer schon ein wenig natürlicher« (Martin 87–88) gewesen ist. Im Nachfrageteil präzisiert Martin das, was für ihn die »Hiphop-Kultur« (Martin 555) mit der Punk-Musik, die er seit seiner frühen Kindheit ebenso liebt, gemeinsam hat und ausmacht: Musik, die mit einfachen Mitteln zu machen ist, ohne dass man musikalische Ausbildung braucht und, ähm, so eben ein Selbstermächtigungsinstrument für gewisse Gruppen, und das hat mich halt. (Martin 558–560) Martins Lesart von Hiphop wie auch Punk entspricht einer politischen Tradition, die jene Musikrichtungen als Ausdruck von spezifischen, oft marginalisierten Lebensverhältnissen betrachtet. Martin benennt dahingehend seinen Musikkonsum auch als Bildungsmöglichkeit. Er meint, hier Eindrücke über das Leben in sozial marginalisierten Positionen gewinnen zu können. Als einen weiteren prägenden Moment seiner politischen Sozialisation beschreibt Martin die Vorkommnisse der G8-Demonstrationen in Genua, die er im Rahmen einer kleinen Demonstration in Österreich miterlebt. Martin ist dort Zeuge, wie ein Demonstrant durch »willkürliche Polizeigewalt« (Martin 101) verprügelt und verhaftet wird: »Das war für mich echt schockierend.« (Martin 102) Martin erzählt von einem Projekt, in dem er einige Zeit mitarbeitet. Das Projekt richtet sich an geflüchtete Männer und weist eine gewisse Nähe zu den sogenannten »Werte-Kursen« auf. Interessanterweise lehnt Martin diese Bezeichnung im Nachfrageteil ab und argumentiert damit, dass er keinerlei inhaltliche Vorgaben hatte. Die von Martin bearbeiteten Themen zeigen dann aber doch eine gewisse Nähe zu sogenannten »Werte-Kursen«. Er beschreibt die Thematiken wie folgt: »das politische System von Österreich, was macht man, wenn daheim ein Notfall passiert, aber eben auch so Themen wie Frau in Österreich« (Martin 112–114). Im Nachfrageteil erzählt Martin mehr von dem Projekt. Er ist damals in der Position, das frisch finanzierte Projekt erst hochziehen zu müssen, und rekrutiert dementsprechend die Männer dafür. Seine Anfragen in diversen Kulturvereinen und bei Religionsvertretungen laufen anfänglich sehr erfolglos. Das Projekt startet schließlich doch noch, weil laut Martin der Großteil der anwesenden Männer das Projekt als Deutschkurs uminterpretiert und deshalb kommt. Auffällig scheint hier, dass sich dieses Projekt, das sich öffentlich an geflüchtete Männer richtet, laut Martin unausgesprochen muslimische Männer adressiert. Die adressierten Personen und die besprochenen Themen machen dann die Voreingenommenheit ersichtlich, die an antimuslimisch rassistische Diskurse anschließt. Martin beschreibt die Erfahrungen dort als prägend, auch weil er erlebt, wie die Kompetenz der Teilnehmer außerhalb des Kurses nicht anerkannt oder entwertet wird. Im Anschluss an die Erzählung vom »Wertecoach« bringt Martin erstmalig seine Vorstellung von Antirassismus in die biographische Erzählung ein. »So Antirassismus ist für mich politisch ein ganz natürlicher Verbündeter.« (Martin 117) Martin sieht Antirassismus als konstitutiven Teil seines politischen Denkens, macht dabei aber auch klar, dass Antirassismus nicht das Zentrum seines Engagements darstellt, sondern ein »natürli-

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cher Verbündeter« sei. Antirassismus hat aber trotzdem einen nicht zu kleinen Einfluss auf seine politische Arbeit und Positionierung. Martin vollzieht in Bezug auf Rassismen eine klare Positionierung, die er über gesellschaftliche Ungleichheiten und seine soziale Position innerhalb dieser ableitet. Diese politische Positionierung ist bezeichnend für seinen Antirassismus. Sie ist durch Erfahrungen bezüglich seiner sozialen Position informiert, entsteht aber auch aus anderen Gründen: Ich sehe mich, wenn ich ganz banal eine gesellschaftliche Konfliktlinie ziehen will, [ja] weiß ich ganz genau, dass ich auf der Seite von der vom Rassismus Betroffenen stehe so grundsätzlich. Auch wenn von Rassismus Betroffene durchaus selber rassistisch sein können (lacht), wie ich sehr oft erlebt habe. (Martin 118–121) Martin positioniert sich in Bezug auf Rassismen ausdrücklich parteiisch und bekennt sich zu einer Solidarität mit rassismuserfahrenen Menschen. Der Verweis auf die Täter*innenposition von Menschen mit Rassismuserfahrungen irritiert an dieser Stelle. Eine Lesart dieser Sequenz ist, sie als Versuch zu deuten, in nicht zu dichotome Täter*inOpfer-Schemata zu verfallen. Diese Deutung wirkt vor dem Hintergrund der nachfolgenden Sequenz plausibel: Aber ich glaube auch nicht, dass irgendjemand, ähm, also, weil wir gerade darüber gesprochen haben in so privilegierten Positionen, wir sind ja natürlich auch enorm betroffen vom Rassismus, weil wir ja dadurch privilegiert werden. Also wir haben ja, wir haben ja gewonnen (lacht) quasi, wenn man das so sehen will. (Martin 121–124) Martin nimmt hier eine zentrale Deutung vor, die in den Erzählungen vieler anderer Antirassisten dieser Studie nicht passiert. Wenn etwa Luca, Cornelius, Kai und Valentin die Teilung in Menschen, die von Rassismus betroffen sind, und jene, die es nicht sind, vornehmen, nehmen sie auch tatsächlich bis zu einem gewissen Grad an, diese Personen hätten mit Rassismen nichts zu tun. Martin benennt klar, dass jene Personen durch alltägliche und normalisierte Privilegierungen von Rassismen betroffen sind. In Anbetracht seiner Positionierung leitet Martin eine Aufgabe ab: »Und ich glaube, ich engagiere mich halt eher deshalb, weil ich die (.), die Position der Österreicherinnen und Österreicher verändern möchte.« (Martin 124–125) Martins politische Positionierung als Antirassist ist bezüglich seiner sozialen Position und der symbolischen Ordnung der Rassismen vielschichtig: Einmal vollzieht Martin eine klar politische Positionierung als Verbündeter (vgl. Allyship) von Menschen mit Rassismuserfahrungen. Er nimmt damit die Erfahrung des Rassismus in das Zentrum seines Antirassismus. Gleichzeitig markiert er seine eigene soziale Position in Bezug auf Rassismen als privilegiert, übernimmt Verantwortung dafür und leitet für sich den Auftrag ab, hier vor allem weiß-dominanzgesellschaftlich positionierten Österreicher*innen den rassismuskritischen Spiegel vorzuhalten. Gleichzeitig zeigt sich Martin als jemand, der selbst in rassistische Diskurse verstrickt ist. Seine Rolle als Wertecoach muss vor dem Hintergrund der postkolonialen Diskurse zur »Willkommenskultur« (vgl. Tuider 2020) gelesen werden. Der Verweis auf den Rassismus von Betroffenen, den Martin auch dahingehend getroffen haben könnte, um nicht Menschen mit Rassismuserfahrungen pauschal als »widerständige Subjekte« zu romantisieren (vgl. Ohnmacht & Yıldız 2021), ir-

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ritiert zumindest durch seine Eindeutigkeit (»wie ich sehr oft erlebt habe«). Die Grenze zu einer Opfer-Täter*innen-Umkehr erscheint hier fließend zu sein. Auch bleibt unklar, wen Martin mit »Österreicherinnen und Österreicher« meint. Er könnte voraussetzen, dass ich weiß, dass er damit »mehrheitsgesellschaftlich« positionierte Menschen meint, oder aber genau diese Position damit als österreichisch normalisieren. Abermals sei hier der Hinweis angebracht, dass es nicht darum geht, den »Rassisten« in Martin zu entlarven, sondern mögliche rassistische Verstrickungen transparenter zu machen. Dass diese Praxis im Sinne von Martin ist, sagt er selbst, wenn er über seinen Anspruch bei antirassistisch ausgerichteten Projekten im Rahmen seiner Kulturarbeit spricht: Aber zumindest diesen Personen mal einen Spiegel vorzuhalten, so wies mir grad selber geht – schau einmal, wo du eigentlich vom Rassismus profitierst, wo du selber immer innerhalb rassistischer Denkmuster agierst, obwohl du eigentlich glaubst, du machst es nicht. (Martin 129–131) Martin positioniert sich als jemand, der seine Widersprüche als Teil seiner Biographie versteht und der seinen Antirassismus als im Werden interpretiert: Also es reicht nicht, wenn du mit 15 einmal sagst, ich bin jetzt antirassistisch und dann bin ich das für immer, das ist eigentlich eine Sache, an der man arbeiten muss, und man hat eine enorme Frustrations- und Fehlertoleranz gebraucht, also im Umgang mit sich selber. [Mhm, ja.] Deshalb ist das therapeutische Gespräch gerade (beide lachen) irrsinnig gut. (Martin 132–135) Am Schluss des Interviews frage ich Martin noch etwas konkreter nach den Möglichkeiten von rassismuskritischer Praxis in seiner Positionierung, woraufhin Martin einerseits auf die Relevanz von Literatur verweist und andererseits darauf, dass er neue Handlungsroutinen ausprobiere. Als Beispiel für die Veränderung von Handlungsroutinen erzählt Martin von seinem Kulturverein, der im Anschluss an Kritiken an einer Veranstaltung die Organisation der Veranstaltung umstrukturiert und jene Kritiker*innen in die Organisationsstruktur einbindet. Martin macht sichtbar, dass dies nicht ohne Krisen innerhalb des Teams abläuft und trotzdem noch eine Gefahr besteht, nämlich, »dass man solche Routinen […] nur dazu verwendet, um sich quasi gegen Kritik zu immunisieren« (Martin 1133–1134). Zum Schluss des Interviews spricht Martin noch einen Punkt an, der auch bei Sascha unter dem Motto »Fehlerfreundlichkeit« auftaucht: [A]ber ich merke halt schon – und da hat es auch im Team schon Krisen gegeben –, es ist jetzt oft für mich ganz auf einer menschlichen Basis oft schwierig, wenn ich sehe, dass Menschen, ähm, sich ehrenamtlich sich unglaublich organisieren [mhm], einen kleinen semantischen Fehler machen und einfach einen Theorieberg abbekommen. (Martin 1134–1137) Martin erzählt in diesem Zusammenhang von Erlebnissen innerhalb des Vereines, der Universität und auch der Familie und von der Frage, wie auf das Verwenden von rassistisch problematischen Begrifflichkeiten reagiert werden sollte. Martin streitet dabei nicht das Problem von rassistischen Bezeichnungen ab und stellt sich auch klar gegen

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die Verwendungspraxis. Er plädiert aber für einen Weg des Miteinander-Sprechens im Spannungsfeld von Fehlertoleranz und diskriminierungssensibler Sprachkritik. Dass diese Position, die in kurzen Sequenzen auch mit dem in dieser Studie oft auftauchenden Dualismus von »Handlungsfähigkeit und Idealismus« angereichert ist, von seiner privilegierten Position nicht zu trennen ist, macht er sichtbar, wenn er sagt: »Ich denke mir halt auch oft, dass dir Kritik halt aus einer extremen Betroffenheit heraus passiert, die ich halt überhaupt nicht nachvollziehen kann.« (Martin 1166–1167) Er befindet sich hier auf einem schmalen Grat zwischen der Reflexion der eigenen Position und der »kühlen« Betrachtung des Themas und der Zuschreibung der »Überempfindlichkeit« (vgl. Mecheril 2015: 153), die dem Repertoire der Abwehr von Rassismuserfahrungen entnommen ist. Martin ist aber einer jener Aktivisten, die das eigene standpunktabhängige »situative Wissen« (Haraway 1995) mit am tiefgreifendsten betrachten: Ja ich meine, das ist natürlich schwierig, weil ich ja nie, ich habe ja nie einen neutralen Standpunkt, von dem ich auf meine eigene Position schaue. Ich bin da nun mal sehr darauf angewiesen, dass immer wieder einmal neue Literatur erscheint, mit der ich mich auseinandersetzen kann. (Martin 1127–1129) Martin kultiviert eine Form der Selbstkritik, die einerseits auf der Grundlage seiner Erfahrungen und seines Wissens beruht, andererseits aber auch von dem Bewusstsein lebt, dass er Fehler macht und seine Positionierung wie auch mächtige Diskurse durch ihn sprechen: Und das macht das Ganze auch so schwierig, weil mir ja natürlich so im ganz normalen Alltagshandeln klar ist, dass ich Fehler mache, aber natürlich ich nicht weiß welche. Da ist halt so ein enormes Frustrationspotenzial. (Martin 1221–1223) Diese Frustration, dieses Unbehagen nimmt Martin an, weil er es als Teil seiner privilegierten Position versteht. Es nicht anzunehmen, würde auch bedeuten, sich dem Problem nicht zu stellen. Am Ende des Interviews schließt Martin mit folgenden Worten: Mir ist erst jetzt einmal so richtig bewusst geworden, dass ich Rassismuserfahrungen machen kann als weißer Mann im Kindesalter, weil ich davon privilegiert werde […], und eben wir weißen Männer müssen da auf jeden Fall noch auch ordentlich, ähm, also wir haben Kritik als Gruppe verdient nach wie vor, und ja, und halt auch sich versuchen selber kritisch zu hinterfragen. (Martin 1172–1177) Die nachfolgend rekonstruierte biographische Erzählung von Cornelius weist starke Kontraste zu Martins Biographie und wiederum viele Parallelen zu Luca und Valentin auf – besonders was Positionierungsprozesse in Bezug auf Reisen in den globalen Süden anbelangt. In der Rekonstruktion von Cornelius wird ersichtlich, dass er – ähnlich wie Valentin – viele Erfahrungen mit einer kulturalistischen Brille filtert. Cornelius teilt mit Luca, Manuel und Cornelius, seinen Kollegen aus der gleichen antirassistischen Initiative, die Selbsteinschätzung als tragendes Mitglied der Initiative und ist ebenso erst seit kurzer Zeit antirassistisch engagiert.

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Cornelius: »[W]ar sauangenehm, die Mentalität hat mir sehr getaugt« Cornelius ist zum Zeitpunkt des Interviews 24 Jahre alt und lebt seit vier Jahren in einer österreichischen Stadt. Er kommt für sein Studium der Erziehungswissenschaft, welchem er sich hauptberuflich widmet, von Deutschland nach Österreich. Zudem ist er in mehreren politischen Initiativen und auch musikalisch aktiv. Cornelius bezeichnet sich zwar als nicht gläubig, ist aber seit vielen Jahren im Zuge einer katholischen Jugendbewegung, zunächst als Partizipant, dann als Betreuer, aktiv. Cornelius ist Teil derselben Antirassismus-Initiative wie Luca, Manuel und Cornelius und demnach auch im Zuge des Studiums zu dem Verein gekommen. Cornelius beschreibt seine Kindheit und Jugend als »ganz also klassisch« (Cornelius 14–15). Er wächst mit seinen Eltern und seiner zwei Jahre älteren Schwester im »kleinen Randgebiet« (Cornelius 16) einer größeren Stadt in Deutschland auf und geht in selbigem Randgebiet auch in die Grundschule. Cornelius beschreibt das Umfeld als »behütet« (Cornelius 186), in der Nähe der Natur, wenige Einwohner*innen, viele eher ältere Menschen und – wie er im selben Atemzug sagt – »wenig bis fast gar keine Ausländer« (Cornelius 186). Was diese erzeugte soziale Homogenität dann bedeuten kann, erlebt er in Bezug auf die Erfahrungen der zweiten Frau seines Vaters, die von Kuba nach Deutschland migriert. Sie ist laut Cornelius seit ihrem Zuzug in das Stadtrandgebiet ein großes Thema in der Nachbarschaft. Er distanziert sich von diesem als konservativ und exklusiv wahrgenommenen Ort und orientiert sich eher Richtung Stadt, »wo es mehr pulsiert, wo mehr Leute unterwegs sind« (Cornelius 223–224). Cornelius definiert sich selbst als Teil einer »leicht gehobenen Mittelschicht« (Cornelius 556–557) und sieht sich als »sehr privilegiert« (Cornelius 551). Er reflektiert seine Studierenden-»Bubble« (Cornelius 529) in Österreich als Teil dieses privilegierten Milieus. Ein wichtiges Thema in der Narration von Cornelius sind seine bereits erlebten Reisen. Er reist in die USA, nach Kuba, nach Chile, in die Mongolei, und kurz vor dem Interview verbringt er eine längere Zeit in Indien. In der Mongolei und in Indien helfen Cornelius und sein Vater ehrenamtlich bei der Reparatur und Fertigstellung von Klostergebäuden. Sein Vater ist seit 15 Jahren Buddhist und auch aus religiösen Gründen in Indien und der Mongolei engagiert. Cornelius‘ Stiefmutter ist wie erwähnt gebürtige Kubanerin und in diesem Zusammenhang reist er regelmäßig nach Kuba, und verbringt viel Zeit in Alt-Havanna. Cornelius beschreibt seine Reisen als […] sauangenehm, die Mentalität hat mir sehr getaugt (.), aber gesehen auch wie, wie ärmlich Leute leben jetzt auch also in der, in der Mongolei, wo wir waren. […] Also keine, keine Dusche, kein fließendes Wasser zu haben, ähm (.), jetzt in, in Indien auch in dem Kloster, wie kalt es da war, aber unter welchen Umständen und unter welchen Bedingungen Menschen leben einfach [mhm], äh, und wie gesegnet wir sind. So das, das habe ich da ein bisschen mitgenommen. Es ist immer nur temporär, dass man, sagen wir mal, den eigenen Wohlstand mehr, weil mehr wertschätzt. Das verfliegt irgendwann wieder, aber jede, jede einzelne Erfahrung, die man da macht, äh, zeigt es einem nochmal auf. Ja, also es zum Beispiel, ich habe jetzt in, ähm, Indien eine Tochter eines Arztes kennengelernt. Der, der Arzt hat, ist tibetischer Arzt und, ähm (unv.), wohnt jetzt in Delhi (.) und sie hat gesagt, wie war das, your, your necessy is our luxury. Quasi das

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hat, das hat sich sehr eingeprägt, dieser Spruch. Also was für uns einfach ganz normal ist, ist für die Leute dort krasser Luxus. (Cornelius 109–123) Cornelius erzählt seine Reisen in einem dualistischen Muster. Er beschreibt, wie er Menschen kennenlernt, tolle und für ihn wichtige Begegnungen macht, wie ihm die »Mentalität« der Menschen gefällt. Der zweite Teil der Erzählperspektive ist der Blick auf Armut und soziale Ungleichheit, die er teils mit drastischen Worten schildert. Ein wenig wird in seinen Erzählungen sichtbar, dass auch er dem Komplex aus »Modernisierungstheorien« (vgl. kritisch Radtke 1995), »Entwicklungshilfediskursen« (Ziai 2004) und dem Diskurs »des Westens und des Rests« (Hall 1994a) das Wort redet. Die Mischung aus Romantisierung, Viktimisierung sowie einem defizitorientierten Blick ist typisch für rassismusrelevante Diskurse in diesem Kontext (vgl. von Macano 2010). Viele Erzählsequenzen bestehen demnach aus romantisierenden Deutungen wie: »mich interessiert bei, bei Reisen auch voll, wie leben andere Leute« (Cornelius 953–954). Und gleichzeitig wird diese Beobachtung häufig in abwertender Sprache artikuliert: »da habe ich so das Leben von, von Kubanern mitbekommen, das ja auch sehr rückständig ist einfach« (Cornelius 933–934). Wie schon bei Luca ist auch bei Cornelius eine gesellschaftskritische Absicht hinter seiner Erzählung sichtbar. Cornelius will Armut und globale Ungerechtigkeit thematisieren. Er tut dies aber in einer wertenden und verandernden (Othering) Denkbewegung. So ist eine zentrale Erkenntnis für Cornelius, dass Menschen in der »westeuropäischen Gesellschaft« (Cornelius 127) Zeit und Möglichkeiten für »Selbstverwirklichung« (Cornelius 129) haben und Menschen im globalen Süden nicht mal »ihre physiologischen Grundbedürfnisse« (Cornelius 130) stillen können. Die Erzählung ist deshalb problematisch, weil sie die eigenen Privilegien, die er auch anspricht, nicht als Teil einer Weltgesellschaft der Ungleichheiten (vgl. Greve 2010) versteht, sondern als glücklichen Zufall, als »gesegnet« (Cornelius 115) sein deutet. Im Unterschied zu Luca positioniert sich Cornelius nicht primär als Helfer im globalen Maßstab, sondern eher als Beobachter. Cornelius blickt aber nicht nur in dieser einseitigen Perspektive auf die Welt. Dort, wo er längere Zeit verbringen kann und engeren Kontakt aufbaut, wie in Kuba oder in einem der Klöster in Indien, gelingen ihm auch selbstkritischere Reflexionen. Er sieht etwa einen im Vergleich zu Deutschland anerkennenderen Umgang mit sexueller Identität auf Kuba. Er genießt die »friedliche« (Cornelius 1120) Ruhe in dem Kloster, in dem er seine Gedanken fokussieren und zur Ruhe kommen kann, und findet neue, bereichernde Freundschaften. Hinter jeder dieser Sequenzen schlummert allerdings der Eurozentrismus, der sich in Aussagen wie »Also das läuft da alles noch ein bisschen anders« (Cornelius 1202–1203) bündelt – die eine generelle Rückständigkeit behaupten – und immer wieder zum Vorschein kommt. Cornelius bringt das Thema Rassismus bereits recht früh selbst in seine biographische Erzählung ein und artikuliert es in Bezug auf seine Eltern. Sie nehmen ihn bereits als Kind auf verschiedene Demonstrationen und politische Events mit. Er erzählt von einem Rockkonzert gegen Rassismus, das er mit seinen Eltern besucht, als er zehn Jahre alt ist. Die Eltern beschreibt Cornelius als politisch links, sie sind in den 1980er Jahren in

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Nicaragua-Initiativen9 aktiv und machen linke Parteiarbeit. Die gemeinsame Teilnahme an den Demonstrationen als Kind beschreibt Cornelius als besonders eindrucksvoll. Ohne dass er rückblickend glaubt, thematisch alles verstanden zu haben, begeisterte ihn damals vor allem der »Zusammenhalt« auf den Demonstrationen. In der weiteren Erzählung über Rassismen konzentriert er sich besonders auf seinen derzeitigen Lebensmittelpunkt Österreich. Cornelius sieht den gegenwärtigen Rassismus vor allem als Phänomen der ländlichen Gegenden und als Problem von mangelnder oder schlechter Bildung. Diesem Rassismus der konservativen Mehrheit stellt er sich und sein Umfeld gegenüber: [U]nd ich komme da echt immer aus (.), ja ich kenne das einfach nicht, das so. So abwertend über sowas, diese Angst vor dem Fremden. Das habe ich nie so mitgekriegt. Also auch zu Schulzeiten irgendwie, Rassismus oder sowas war nie ein Ding. So vielleicht eine Art schwarzer Humor [mhm], aber das war eher so ein bisschen Spaß, spaßeshalber. Würde ich in dem Ausmaß heute auch nicht mehr machen. So da hat mich die Gruppe auch ein bisschen sensibilisiert in der Hinsicht. (Cornelius 729–736) Wie schon bei Luca ersichtlich, ist eines der zentralen Motive hinter dem Antirassismus von Cornelius eine Empörung über die Normalität des Rassismus seitens der FPÖ. Diese rassismustheoretisch gerechtfertigte Kritik beinhaltet allerdings abermals das Problem der bereits angesprochenen »Verschiebungen« (Bojadžijev et al. 2019) von Rassismen. Einmal wirkt es so, als verschiebe Cornelius Rassismen von sich selbst weg. Interessanterweise deutet er in der Sequenz an, dass er selbst so etwas wie rassistische Witze in Schulzeiten reproduziert – in einer Mischung aus Relativierung und Läuterung (durch seine antirassistische Gruppe). Zweitens verschiebt er Rassismen auch aus seinem relativ privilegierten Milieu seines kleinen Stadtrandgebietes sowie aus Deutschland in die ländlichen Gebiete Österreichs und als Problem des konservativen Gesellschafsteiles, auch vor dem Hintergrund der ÖVP-FPÖ-Regierung, die zum Zeitpunkt des Interviews an der Macht ist. Sein Nachdenken über Rassismen offenbart eine Konzeption von Rassismus als angstvolle Abneigung dem »Fremden« (Cornelius 731) gegenüber. Diese im Einklang mit bestimmten gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Definitionen von Rassismus stehende Deutung reduziert Rassismen als Probleme einer als homogenen Gesellschaft verstandenen Einheit, die von (geflüchteten, migrierten) »Fremden« herausgefordert wird. Diese Sichtweise blendet einerseits die empirische Tatsache der »historischen Präsenz rassifizierter Bevölkerungen« (El-Tayeb 2016: 15) aus und verstellt andererseits den Blick auf die reale gesellschaftliche Diversität einer Gesellschaft der »Vielheit« (Yıldız & Meixner 2021). Diese dominanzgesellschaftlich angelernte Umgangsweise kann als »Rassismusamnesie« (El-Tayeb 2016: 15) bezeichnet werden. Dieses Nichtthematisieren von Rassismen ist mitunter dort am problematischsten, wo Cornelius Rassismen tatsächlich nicht als Teil seiner eigenen Biographie erkennen will. Auf meine Nachfrage, ob er wirklich keine Erfahrungen in Bezug auf Rassismus in seiner Kindheit gemacht habe, verneint er und sagt: 9

Nicaragua-Initiativen waren weltweite Solidaritätsbewegungen, die die »Sandinistische Revolution« in den 1980er Jahren in Nicaragua unterstützt haben.

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Weil, weil defacto keine Minderheiten da waren. Es wurde niemand diskriminiert, weil, weil es niemanden zu diskriminieren gab quasi. (Cornelius 745–746) Seine Kindheit in einem relativ wohlhabenden Vorort, der scheinbar nur aus »Weißen« oder »Einheimischen« besteht – er spricht das nicht aus, was typisch für die normalisierte weiß-dominanzgesellschaftliche Position ist –, bringt er nicht in Bezug zu rassistischen Strukturen. Diese Sequenz steht etwas im Widerspruch zu früheren Aussagen zu seinem Umfeld, wo er andeutet, dass die zweite Frau seines Vaters aufgrund ihrer Migrationsgeschichte aus Kuba im Viertel besondere Beachtung findet. Scheinbar deutet er dies nicht vor dem Hintergrund rassistischer Diskurse. Weiters fällt auf, dass Cornelius die Tatsache, dass er Menschen als »Minderheiten« erkennen kann – also ein existentes Verhältnis von Mehrheit und Minderheit existiert –, nicht in Bezug zu rassistischen Strukturen, Diskursen und Subjektpositionen setzt. Cornelius’Aufwachsen innerhalb der weißen Norm – der »Normativität des Weißseins« (Wollrad 2005) – beinhaltet nicht nur die Normalisierung der rassistischen Strukturierung der (globalen) Gesellschaft und damit zusammenhängender rassistischer Diskurse, Praktiken wie Subjektvorstellung, sondern eben auch die Ausblendung ebendieser. Diese Form der weißen Ignoranz (vgl. Mills 1997b) bündelt sich in folgendem Zitat auf erstaunliche Weise: [A]lso ja, bis, bis heute, ich habe, erlebe Rassismus ein bisschen hier in, in Österreich, als Deutscher […], ob das jetzt genau Rassismus ist, weiß ich net, ähm, aber als Piefke. (Cornelius 1272–1274) Weiße Ignoranz bezieht sich hier auf ein Spezifikum, das typisch ist für die privilegiert soziale Position innerhalb rassistisch strukturierter Gesellschaften. Sie können als Erfahrung ohne Erfahrung beschrieben werden. Cornelius macht im Zuge seines Lebens als spezifisch privilegiert positionierte Person vielerlei Privilegierungserfahrungen in Bezug auf Rassismen, ist jedoch nur in wenigen Momenten dazu imstande, diese auch als solche zu begreifen. Dies muss vor allem auf die Aneignung der bereits mehrfach besprochenen hegemonialen Diskurse (z.B. »Color Blindness«, »Reverse Racism«, Dethematisierungsstrategien – siehe Kapitel 2) zur Legitimation von Rassismen zurückgeführt werden. Im Laufe des Interviews relativiert Cornelius die Aussage zu vermeintlichen eigenen Rassismuserfahrungen als Deutscher in Österreich und macht deutlich, dass er zwar Diskriminierungserfahrungen, aber keine Rassismuserfahrungen mache. Cornelius versucht neben dem Thema Rassismus auch Antirassismus sehr früh in die biographische Erzählung einzubringen. In einer Erzählsequenz bringt er Antirassismus in einen direkten Bezug zur Kategorie »Ausländer« (Cornelius 142), wenn er sagt: [U]m auf Ausländer oder Antirassismus zu kommen: Ich hatte schon in meiner Grundschulklasse (.), ich weiß gar nicht genau, wie es im Kindergarten war, da kann ich mich gar nimmer so gut daran erinnern [mhm], aber vor allem ab der Grundschule sehr viele verschiedene Nationen in der Klasse gehabt. Von, ähm, Vietnamesen (.), ähm, einer kam aus Afghanistan (.), dann auch Osteuropa, das war bei mir immer, es war immer ganz normal irgendwie. So für mich, ähm, verschiedene Ethnien in einer Klasse zu ha-

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ben, dann auch auf dem Gymnasium später, ähm, Türken in der Klasse gehabt. (Cornelius 142–149) Cornelius markiert eine vermeintliche »Normalität« von Diversität in seinem schulischen Umfeld, das in starkem Kontrast zur Beschreibung seines Wohnviertels steht. Er tut dies aber in einer ethnisierenden Sprachpraktik. Seine Aufzählung erinnert nicht zufällig an eine »Tafel der Kulturen«, wie sie bei vielen Festen unter dem Motto »Multikulturalität« und »Interkulturalität« zu finden ist (vgl. dazu kritisch Langenohl et al. 2015 und das Konzept der »Transkulturalität«). Die Vorstellung von getrennten »Kulturen«, die dann vor allem über angebliche oder tatsächliche Traditionen sowie typische Speisen voneinander separiert werden, hat zur Konsequenz, dass Cornelius früh lernt, das vermeintlich »Andere« sowie die »Anderen« zu erkennen, ohne aber vollumfänglich zu bemerken, dass dabei auch ein exkludierendes »deutsches Wir« erzeugt wird, das eben im Inneren dadurch nicht divers und vielfältig konstituiert ist. Dass er tatsächlich Bezug auf jene kulturrelativistischen Diskurse nimmt, zeigt eine kurze Erzählsequenz, in der er »Kultur«, Schule und Essen verbindet. Diversität in seiner Schule erkennt er über »einfach so ein paar verschiedene Traditionen, man merkt’s halt auch eigentlich immer vor allem am Essen, finde ich« (Cornelius 176–177). Die Kolleg*innen in der Klasse fasst er dann nicht als Mitschüler*innen, Freundinnen und Freunde, als Individuen mit Stärken und Schwächen, sondern als »Nationen« (Cornelius 145). Er tut dies zumindest sprachlich und diese Sprachpraxis kann meiner Ansicht nach auch dazu führen, dass er seine Mitschüler*innen in gewisser Weise auch als Repräsentant*innen dieser »Nationen« subsumiert. Wir wissen dabei weder, ob die Schüler*innen aus seiner Klasse in den genannten Ländern geboren wurden oder nicht, noch wie sie sich selbst zugehörig fühlen. Diese von Cornelius hervorgebrachten Ethnisierungen oder Kulturalisierungen der Gesellschaft sind ein gewichtiger Teil der gegenwärtigen Neo-Rassismen. Cornelius relativiert seine Kulturalisierungspraxis etwas, indem er anfügt, dass Differenzen in Bezug auf Essenstraditionen nicht darüber Auskunft geben, »dass die vom Charakter anders sind« (Cornelius 178–179). Eine Trennung, die auf der Grundlage von Kultur erzeugt wird, bleibt – zwar positiv konnotiert – so dennoch erhalten. Durch die Erzählung von Cornelius, die unter der Überschrift »Vielfalt und Antirassismus« stehen könnte, zieht sich eine Zweischneidigkeit, die als ein zentrales Problem des Multikulturalismus bezeichnet werden kann. In der vermeintlich positiven Wahrnehmung von kultureller Vielfalt wird Kultur homogenisiert, Menschen werden darin essentialisiert und Trennungen vollzogen. Gleichzeitig sind in diesen Konzepten, die in abgeschwächter Form in dem Konzept der »Interkultur« fortgeführt werden, Kulturen und ihre Repräsentant*innen meist die »Anderen«. Kultur ist hier tatsächlich mitunter in der Tradition des »kulturellen Rassismus« (Barker 1981) eine implizite Fortsetzung des Konzeptes der »Rasse«. Die Erzählung von Cornelius ist voll von solchen Kulturalisierungen: »der Mann der besten Freundin meiner Mutter ist Marokkaner. Das heißt, da habe ich auch so von der Kultur viel, viel mitbekommen« (Cornelius 975–976). Das vielfältige Umfeld, das Cornelius beschreibt, könnte tatsächlich dabei helfen, ihn zu einem Antirassisten zu machen – wie er es ja in dieser Erzählsequenz andeutet. In diesem Zusammenhang könnten rassismuskritische Subjektbildungsprozesse stattfinden, die

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sich auf der Grundlage seiner Beobachtung und seines Kennenlernens unterschiedlicher Erfahrungen innerhalb der Gesellschaft von für ihn signifikanten Anderen vollziehen. Da er aber in der Deutung dieses diversen Umfeldes zumeist auf hegemoniale Diskurse zurückgreift, passiert das Gegenteil davon und er bleibt einer Kulturalisierung und Romantisierung des »Anderen« verhaftet – unter dem Motto »[W]ar sauangenehm, die Mentalität hat mir sehr getaugt« (Cornelius 109). Er positioniert sich hier als jemand, der sich über seine »interkulturellen Kontakte« definiert, und nicht als jemand, der von seinen unterschiedlich positionierten Bekannten und Freund*innen und Freunden lernen möchte. Was Cornelius konkret im Zuge seiner antirassistischen Initiative tut, kam erst ganz zum Schluss auf meine Nachfragen zur Sprache. Seine Rolle in dem Verein beschreibt er wie folgt: [W]eniger als derjenige, der sich gerne mit den Theorien auseinandersetzt, ähm, sondern eher der, der ausführende Part, der was macht. Also quasi organisieren, ähm, ja auch viel mit den, mit den Händen dann, dann arbeiten. (Cornelius 1560–1563) Wie auch Luca und Manuel sieht sich Cornelius als Macher innerhalb ihrer Initiative. Die Sequenz vor dem Zitat leitet Cornelius damit ein, dass er mit Theorie vor allem Critical Whiteness meint, mit der seine Kollegen und er sich in zeitlicher Nähe zum Interview auseinandersetzen. Abermals taucht in diesem Zusammenhang der konstruierte Widerspruch aus (selbst- und machtkritischer) Theorie und antirassistischer Handlungsmöglichkeit auf, die nicht zufällig im losen Zusammenhang zu Critical Whiteness steht. Sowohl Luca und Manuel wie auch Cornelius stimmen in den Chor des »Ja, aber« ein. Sie positionieren sich gleichermaßen als Antirassisten, die zwar über die Problematik einer weiß-dominierten antirassistischen Initiative reflektieren, sich zugleich aber alle in einer machtvollen, leitenden, unverzichtbaren Position sehen. Cornelius positioniert sich als […] der ausführende Part, der auch Sachen, ähm, managt, organisiert und quasi, wie das jetzt war, Sachen aufteile, ähm, also Aufgaben verteile oder auf andere Köpfe verteile und aber trotzdem dafür verantwortlich bin, dass das Endprodukt steht. (Cornelius 1566–1569 Kai, der Teil der gleichen antirassistischen Initiative wie Luca, Manuel und Cornelius ist, sollte ebenfalls in diesen Chor einstimmen. Ähnlich wie bei Sascha nimmt auch in der Erzählung von Kai der lange Sommer der Migration 2015 einen wichtigen Platz ein.

Kai: »Da war ich jetzt nicht der Erste, der gesagt hat, oh, lass das unbedingt machen« Kai ist zum Zeitpunkt des Interviews 22 Jahre alt. Er wächst in einer »dörflichen« (Kai 8) Stadt in Ostdeutschland auf, absolviert dort das Abitur und kommt dann nach Österreich, um Erziehungswissenschaft zu studieren. Kai durchläuft ein Freiwilliges Soziales Jahr, in dem er einen Sommer lang in einem Dorf für Geflüchtete in Griechenland arbeitet. Er ist Mitglied der gleichen antirassistischen Initiative wie Luca, Manuel und Cornelius. Kai zeigt sich während des Interviews als etwas unsicher und reserviert, was einige defensive Antworten mit erklären könnte.

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Kai beschreibt seine Kindheit und Jugend im Rückblick als »relativ abgeschottet« (Kai 31) und meint, dass er dadurch damals »von vielen politischen Ereignissen, die passiert sind« (Kai 33), ferngehalten wurde. In diesem Zusammenhang entwirft er sich als politisch nicht interessierten Jugendlichen, der damals eher zu »populistischen« (Kai 34) Meinungen tendierte. Kai beschreibt die eigene Kindheit als »relativ verträumt« (Kai 57). Seine Schule bezeichnet Kai als »eine vollkommen weiße Schule« (Kai 75–76) mit »ganz wenig, äh, PoCs« (Kai 78). Aus diesem Grund meint er auch, dass das Thema Rassismus und Antirassismus für ihn nicht »so nahbar war« (Kai 83). In seiner damaligen Schulklasse sind keine Kinder mit Migrations- und Rassismuserfahrungen. Im Nachfrageteil des Interviews beschreibt Kai das Aufwachsen im ländlichen Ostdeutschland etwas genauer und betont Gefühle der »Abgehängtheit« (Kai 548) und »von extremer Angst« (Kai 552). Dies setzt er auch in Bezug zu einer von ihm ausgemachten Alltäglichkeit von »diskriminierendem Gedankengut« (Kai 550) und bezeichnet dies als prägend für die Gegend. Sich selbst beschreibt er rückblickend als »behütet« (Kai 567) und als kognitiv langsamer als gleichaltrige Kinder. Nach der Schule absolviert Kai ein Freiwilliges Soziales Jahr. Die Arbeitstätigkeit fällt genau in die Zeit des langen Sommers der Migration 2015 – eine Periode, die er mehrmals im Interview anspricht. Die Erzählung über die Zeit beginnt Kai abermals mit einer selbstkritischen Hinführung. Er habe sich, im Rückblick betrachtet, auf »Stammtischgespräche eingelassen« (Kai 111) sowie seine vermeintlich »unfundierte Meinung irgendwie kundgegeben« (Kai 111–112). Das Jahr 2015 – und besonders der lange Sommer der Migration – hinterlässt einen großen Eindruck bei Kai und er bezeichnet das Jahr und das Folgejahr als die »prekären Jahre« (Kai 181). Prekär, weil sie laut seiner Erzählung einen großen Verwaltungsaufwand bringen – was Kai über seine Mutter erfährt, die in dem Bereich arbeitet. Kai bezeichnet die Jahre ebenso als prekär wegen der, wie er es auf Nachfrage bezeichnet, »großen Einwanderung« Kai (1569). Im Zuge von Kais Erzählungen über den langen Sommer der Migration sind zwei dominante Erzählstränge sichtbar. Einmal erzählt er die Periode aus der Perspektive Deutschlands mitsamt bestimmter hegemonialer Diskursfragmente. Kai zeigt sich im Zuge dieser Erzählung als jemand, der in die alarmistische Narration des »Notfalls« (vgl. Hess et al. 2017: 12) einstimmt. Diese Rhetorik der Katastrophe, des Notfalls sieht in der Fluchtbewegung eine gesamtgesellschaftliche Krise. Die Diskurse sind dann zum Teil durch defizitäre, rassistische und bedrohliche Aussagen über Geflüchtete geprägt. Kai macht transparent, dass er immer wieder Diskursfragmente daraus übernimmt. Der zweite Erzählstrang betrachtet das historische Ereignis 2015 aus der Perspektive von Geflüchteten. Seine Erfahrungen im Rahmen einer Freiwilligenarbeit in einem Lager für Geflüchtete in Griechenland thematisiert er zu einem späteren Zeitpunkt. Nach dem Abschluss des Freiwilligen Sozialen Jahres im Jahr 2015 zieht Kai in eine österreichische Stadt, um sein Studium aufzunehmen. Sein studentisches Umfeld beschreibt Kai als »links« (Kai 139) und sich selbst ab diesem Zeitpunkt als Mensch mit »Prinzipien« (Kai 152), der sich von seinem politischen Umfeld mitreißen lässt. Im Zuge seiner bisherigen Studienzeit besucht er verschiedenste Demonstrationen und wird dadurch auch, wie er sagt, für Themen sensibilisiert, die er in der Vergangenheit »nicht für so, äh, wichtig […] erachtet habe« (Kai 162–163).

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Kai macht 2017 seine erste größere Reiseerfahrung: Er reist mit einem Freund nach Tansania. Die Reise erzählt er vor allem in Bezug auf vermeintliche kulturelle Aspekte. Kai meint, dass er in Tansania eine »völlig andere Kultur kennengelernt« (Kai 233) habe. Wie schon bei Luca, Valentin und Cornelius ersichtlich, deutet auch Kai seine Reiseerfahrungen in den globalen Süden mit einem kulturalisierenden und weißen Blick (Dyer 1997). Diesen Blick verwendet er etwa in Bezug auf Österreich nicht. Auch bei Kai steht die Suche nach einer romantisierten und zugleich primitivisierten Ursprünglichkeit im Mittelpunkt: [A]lso es ist, ist ein sehr untouristisches Land. Das heißt, man hat eigentlich, eigentlich noch sehr gute Einblicke (.), wie ich es finde, so in wirklich dann die, die täglichen Abläufe der Menschen. (Kai 238–241) Die Artikulation dieses Interesses für »andere Kulturen« (Kai 244), bei der ein starker Reduktionismus und eine Kulturalisierung der heterogenen Gesellschaft Tansanias stattfindet, lässt Kai trotz seines Ansinnens, »dem Ganzen offen gegenüberzustehen« (Kai 246), eher das erkennen, was das Diskursregime nahelegt. Gerade hier vollzieht sich die Subjektivierung in den europäischen, weißen, eurozentristischen Hobby-Ethnologen besonders irritationsfrei. Diese Subjektivierungsprozesse bleiben ihm dadurch unzugänglich, auch weil diese Positionierung allerorts normalisiert ist. Die etwa bei Valentin und Luca daraus entsprungenen Erkenntnisse sind, dass die Menschen im globalen Süden völlig unterschiedliche Kulturen aufweisen und dass der europäische Reisende seine globalen Privilegien anerkennen und mehr zu schätzen wissen solle. Bei näherem Nachfragen wird allerdings auch klar, dass Kai über seinen mitreisenden Freund, der fließend Swahili spricht, tatsächlich in viele Gespräche involviert ist, die über eine oberflächliche und neokoloniale Beziehung hinausgehen. Wenn Kai dann allerdings über den »Kontrast« (Kai 2122) zwischen Sansibar und Tansania reflektiert, fällt er wieder in den Dualismus von Tradition und Moderne, der die angeblichen traditionellen Lebensweisen romantisiert und primitivisiert und gleichzeitig globale Ungleichheiten kulturalisiert. Dabei wird stets der Westen als Ort des Fortschritts idealisiert. Kai entwickelt in seiner Studienzeit nicht nur vermehrt ein Interesse an Politik, sondern fängt auch an, sich immer intensiver und unmittelbarer politisch zu engagieren. Er arbeitet einen Sommer lang in einem »Geflüchtetendorf« (Kai 275). Kai erklärt sich seine Motivation für diese Tätigkeit vor dem Hintergrund einer gewissen Unzufriedenheit, was die Teilnahme an Demonstrationen anbelangt, und des Gefühls, direkter engagiert sein zu wollen und »mit Leuten, mit Betroffenen zusammenarbeiten« (Kai 255) zu können. Er ist dort Teil einer NGO, die geflüchteten Kindern eine Art Sommerschule anbietet und sich dabei selbst vor allem als »safe space« (Kai 306) versteht. Besonders eindrücklich beschreibt er die Fluchtgeschichten der Kinder. Kai kennt die Kritik am »Volunteerism« (vgl. Hall & Tucker 2004) und dem damit zusammenhängenden »White Saviourism« (vgl. Cole 2016) und bringt das Thema in die Erzählung selbst ein, wenn er über seine Rolle in der Einrichtung reflektiert: »vor allem als weißer privilegierter Student dann da einfach mal irgendwo hinzureisen so [mhm]. Äh, das wurde auch irgendwie gut besprochen.« (Kai 334–337) In Anbetracht dieses ihm

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vermittelten Wissens zeigt er sich als differenzierter Betrachter der Thematik Flucht und seiner Positionierung. Kais Hang zur Selbstkritik zeigt sich auch in der Thematisierung seiner Teilnahme an dem besagten Seminar zu Rassismus und Antirassismus, aus dem dann der antirassistische Verein von Luca, Manuel, Cornelius und Kai hervorgeht: Ah, war ich jetzt nicht der Erste, der gesagt hat (spielend), oh, lass das unbedingt machen [Mhm.] Total viel Lust drauf, sondern ich habe mich da auch so ein bisschen mitziehen lassen. (Kai 379–380) Kai gesteht sich weiters zu, dass er damals nur durch Zusprechen von Freund*innen überhaupt zu dem besagten Kurs geht. Die Themen Rassismus und Antirassismus hätten ihn an sich nicht genug angesprochen. Wie bei Sascha ersichtlich, spielen auch für Kai – in geringerem Ausmaß, aber doch – seine Freundschaften entscheidende Rollen, was das politisches Engagement betrifft. Zur Teilnahme an der Antirassismusveranstaltung, aus der dann der Verein resultiert, sagt er am Schluss des Interviews auf meine Nachfrage: »und auch ich glaube, wenn ich ganz ehrlich bin, habe ich es auch gemacht, einfach weil es Freunde von mir machen so« (Kai 2322–2323). Bei Kai wird ähnlich wie bei Sascha deutlich, dass es hierbei nicht ausschließlich um ein Trittbrettfahren geht, sondern dass diese Freundschaften für bestimmte Themen sensibilisieren und vermittelnd auf das eigene politische Engagement einwirken. Kai spricht in der Rückschau davon, dass die schwarz-blaue Regierungsbildung in Österreich den damaligen Nachdenkprozess über eine Vereinsgründung beschleunigt. Er bezeichnet seine eigene Rolle im Verein als »komischerweise eine relativ aktive. Also ich habe, würde schon sagen, dass ich, äh, mich da sehr für eingesetzt habe.« (Kai 477–480) Kai ist angesichts seiner doch eher zufälligen Begegnung mit Antirassismus merkbar erstaunt darüber, dass er im Verein dann doch eine relativ tragende Rolle einnimmt. Es wurde bereits bei Luca gezeigt, dass diese Rolle des »zufälligen Antirassisten« mit Machtanspruch nicht ganz so zufällig ist, wie es scheint, und dass die Einnahme von leitenden, zentralen Rollen eher einer Normalisierung der dominanzgesellschaftlichen sozialen Position und den damit zusammenhängenden Erwartungen an sich selbst entsprechen kann. Bei Kai scheint allerdings auch ein Pragmatismus damit zusammenzuhängen, denn er kann und möchte auch die notwendige Zeit dafür aufwenden: Zeit frei zu, frei zu schaffen, äh, und frei zu schaufeln, ähm, damit das da irgendwie auch funktioniert und [mhm], also ja, es ist halt natürlich (unv.) organisatorischer Aufwand viele Sachen so und, äh, manche Leute haben da, wie gesagt, nicht so viel Lust darauf. (Kai 482–486) Im Nachfrageteil bringt Kai das Thema Rassismus dann noch einmal konkreter zur Sprache. Anfänglich meinte er ja, dass das Thema für ihn nicht so nahbar sei, da er in einer sehr weißen Umgebung aufgewachsen sei. Wie bei Cornelius ist auch Kai nicht zugänglich, dass jede Form von gesellschaftlicher Homogenität erzeugt wird und nicht einfach natürlich da ist. Diese Erzeugung geht dabei stets mit Ausschlussprozessen einher. Kai spiegelt dabei das Selbstbild einer Gesellschaft, die ihre historische Vielheit nicht oder nur zögerlich anerkennt.

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Diese Normalität wird für Kai erst herausgefordert, als er zum ersten Mal mit seiner Schulklasse in Berlin ist. Er spricht im Rückblick davon, dass er damals eine »verwirrende Erfahrung« (Kai 811) macht. Er erinnert sich, wie er sich während des Ausfluges denkt, dass da »ganz viele Leute, die, äh, keine weiße Haut haben« (Kai 804), leben. Im Rückblick markiert er diesen Satz als »rassistische[n] Gedanke[n]« (Kai 801–802). An dieser Erzählsequenz ist besonders auffällig, dass Kai in seiner Kindheit und Jugend keine kritische, selbstreflexive Thematisierung von Rassismen erlernt und somit mögliche Bezeichnungspraktiken, eigene rassistische Prägungen und die Strukturierung seines Umfeldes nicht dahingehend reflektiert. Gleichzeitig scheint sich das für Kai aber seit seinem antirassistischen Engagement zu wandeln. Er scheint hier einen Prozess einzuleiten und konfrontiert sich zunehmend mit diesen rassistischen und sexistischen Internalisierungen: [E]s war mir auch durch gewisse Sachen nicht bewusst also, das, was man bei sich selber hat, also ob es jetzt Sexismen sind [mhm] oder Rassismen, Rassismen, die das auch, glaube ich einfach auch, einfach eine Sache, die man wissen muss. (Kai 821–826) In dieser neu erlernten rassismuskritischen Art, zurückzublicken, fallen ihm dann weitere Erfahrungen mit Rassismus ein: Ich weiß noch so, so auf dem Dorf, da ist es halt irgendwie witzig und auch auf, in, in, in so dann auch später mit neun, zehn, ähm (.), so rassistische Witze zu machen. (Kai 575–577) Diese Form des rassistischen Konsenses, diese Normalität des Rassismus, die sich mit diesen rassistischen Witzen herstellt, zeigt sich nicht nur in der Tat, sondern auch im Ausbleiben von kritischen Interventionen: Minderheiten mit pauschalisierenden Definitionen zu diskriminieren so da und, aber das sind, also es gab jetzt niemand, also nicht, dass ich mich krass erinnern könnte, dass der da mal gesagt hat, hier, so denk da mal drüber nach. (Kai 579–582) Kai reflektiert diese Normalität der Rassismen und seine Verstrickungen darin konsequenter als etwa Cornelius, der rassistische Witze eher relativiert. Kai führt weiter aus, dass er zu diesem Zeitpunkt kein Gefühl für die Reichweite solcher Witze hat, und zeigt auch an, dass er nicht das Gefühl hat, dass Rassismen angemessen schulisch thematisiert und bearbeitet werden. Kai kommt an dieser Stelle der biographischen Erzählung wieder auf seine behütete Kindheit zu sprechen und glaubt, dass sein politisches Desinteresse damals, seine kindliche und jugendliche Ignoranz etwa gegenüber Rassismus, auch damit zu tun hat. Seitens seines Umfeldes sei nichts getan worden, »wo mir irgendwie vielleicht soziale Missstände aufgezeigt wurden« (Kai 632–633). Am Ende des Interviews markiert Kai die zentralen Ereignisse seiner rassismuskritischen Lernprozesse. Einmal sei dies der lange Sommer der Migration 2015 und die damit zusammenhängenden rassistischen Diskurse sowie seine rassismuskritische Auseinandersetzung damit. Zweitens benennt er den Freund, der ihn für die Veranstaltung und das Thema Antirassismus sensibilisiert, sowie die schwarz-blaue Regierungsbildung in Österreich, die schließlich die Vereinsgründung anregt.

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Auch Kai zeigt in seinem Verständnis von Rassismen einen starken Fokus auf rechte Täter*innen und Geflüchtete als »Opfer« von Rassismus. Das Nichterkennen der rassistischen Strukturierung der Gesellschaft, das Ausblenden der Funktionsweise von Rassismen als Teilung im Inneren – das, was Advanced Chemistry als »[f]remd im eigenen Land« (Advanced Chemistry 1992) bezeichnet –, ist folgenreich für seine soziale und politische Positionierung. Wenn Rassismus etwas ist, das vor allem Geflüchtete betrifft, dann sieht Kai eine klare »Zielgruppe«, wenn es um Arbeit mit »Betroffenen« geht, wie er das bezeichnet. Kai übersieht gleichzeitig, dass Rassismus auch Schwarze Menschen, People of Color, Jüdinnen und Juden, Musliminnen und Muslime, Romnija und Rom, Sintiza und Sinti in Österreich trifft, die zum Teil seit Generation Teil Österreichs sind und keine Flucht- oder Migrationserfahrungen haben. Die verkürzte Sicht auf Rassismen und die Allgegenwart von paternalistischen Diskursen über Geflüchtete lassen die Gruppe dann auch nicht über die eigene Zusammensetzung so konsequent nachdenken, dass die weiße Dominanz innerhalb des Vereines angemessen problematisiert werden würde. Kai markiert diese Struktur auf meine Nachfrage hin als »stark weiß-lastig« (Kai 2921). Aus dieser Problemlage leitet er die Notwendigkeit weiterer Reflexionen ab: »dann kommt es natürlich darauf an, dass man es für sich auch irgendwie selbst reflektiert« (Kai 2957–2958). Kai befindet sich zum Zeitpunkt des Interviews laut seinen Erzählungen in einem sehr intensiven Reflexionsprozess über eigene Verstrickungen in Rassismen. Dabei sieht er die Problemstellung gleich auf mehreren Ebenen: Sachen, wo ich rassistisch bin, aber es nicht merke, ähm, beziehungsweise das gar nicht rassistisch meine [mhm], und dann halt auch Sachen, wo ich rassistisch bin, aber also meine Denkweise quasi umgeschult werden sollte. Wo mich halt tatsächlich meine eigenen Stereotype da lenken. (Kai 1450–1463) Diese schonungslose Selbstkritik artikuliert Kai meiner Deutung nach immer mit einem Gefühl der Minderwertigkeit. Immer wieder bezeichnet er seine dörfliche Herkunft aus Ostdeutschland als rückständig, seine Erziehung und Bildung als nicht gut genug. Kai nimmt diese marginalisierte Position bis zu einem gewissen Grad an, nützt sie für sich aber zu einer rassismuskritischen Selbstreflexion, wie es seine Mitstreiter Luca, Manuel und Cornelius nicht machen. Er nimmt die Kritik an seinem Umfeld auf, eine Kritik, die in manchen Teilen wohl plausibel, in anderen auch eine Verschiebung von Rassismen aus den Zentren Deutschlands in die Peripherie und genauer in den Osten Deutschlands darstellt, und nützt sie rassismuskritisch produktiv. Rassismuskritische Selbstreflexion beginnt immer am wirksamsten in Momenten der Schwäche und des Selbstzweifels. Kai nützt hier eigene Unsicherheiten, die auch durch eigene Marginalisierungen (»das Stereotyp über den unaufgeklärten, äh (.), Ostdeutschen« [Kai 1630]) entstehen, um sich selbst produktiv anzuzweifeln. Kai kommt im Laufe der biographischen Erzählung, vor allem im Nachfrageteil, auf immer mehr Momente zu sprechen, in denen die bisher skizzierte Normalität von rassistischen Diskursen und Strukturen auch ganz alltäglich aufgebrochen werden. Er reflektiert über den Fußballverein seiner Jugend, der weitaus diverser ist als sein restliches Umfeld, und wie über das gemeinsame Spiel ein »Zusammenhalt« (Kai 878) entsteht. Kai hebt die seiner Einschätzung nach positive Vorbildwirkung der deutschen Fußballna-

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tionalmannschaft und deren Normalität der Vielheit bei gleichzeitiger antirassistischer Haltung nach außen hervor. Kai positioniert sich als jemand, der sich selbst von einem passiven, politisch uninteressierten und manchmal zu populistischen Sichtweisen tendierenden jungen Menschen zu einem engagierten Aktivisten bildet. Sein Weg von seiner sozialen Position, die neben seinen Privilegien auch stark von Abschottung, politischem Desinteresse und Marginalisierungserfahrungen geprägt ist, zu einer selbstkritischen politischen Positionierung zeigt, dass Faktoren wie Freundschaften, Lebenserfahrungen außerhalb der beschützten Sphäre der Familie und des engen Umfeldes, rassismuskritisches Wissen und eine tiefgehende Selbstkritik neue Positionierungen ermöglichen. Kai findet zwar zufällig zum Antirassismus und zeigt auch, dass es genauso passieren hätte können, dass er ganz woanders landet. Seine Erfahrungen bringen ihn aber dazu, sich mit seiner neuen politischen Positionierung zu identifizieren und sich dahingehend auch sozial neu zu positionieren: »mittlerweile (.), äh, sehe ich das auch irgendwie schon irgendwie so einen Bestandteil von mir [mhm], äh, meinem Selbst« (Kai 2557–2560). Seine politische Positionierung sieht er dahingehend motiviert, »Verantwortung zu übernehmen (.), ähm, andere Leute mit zu motivieren, zu engagieren« (Kai 2556–2557). Seine Rolle im Verein sieht Kai ähnlich wie Luca und Cornelius darin, »treibende Kraft zu sein [mhm] und, äh, neue Ideen einzubringen« (Kai 2577–2579). Hier liegen mögliche Fallen des Antirassismus aus einer privilegierten Position und es sind Fragen damit verbunden, die er ignoriert: Warum will ich diese Machtposition besetzen und was macht sie mit mir? Ob er sich diese Frage stellt und wie er darauf antwortet, ist entscheidend für seinen weiteren Weg der rassismuskritischen Subjektbildung. Im Unterschied zu Kai kann Stefan – wie auch Ralf, Johannes und Valentin – zu einer älteren Generation von Antirassisten gezählt werden. Stefans Erzählung bietet einen spannenden Kontrast besonders zu jenen Interviewpartnern, die sich selbst als theorieaffin positionieren. Im Unterschied etwa zu Sascha, Johannes und Manuel positioniert sich Stefan als ein Aktivist, der gerne in den öffentlichen Raum interveniert, sich auch als Kulturarbeiter versteht und nicht unbedingt tief in theoretische Debatten zu Rassismus und Antirassismus eintauchen will. Gleichwohl wird in der Rekonstruktion von Stefans Erzählung sichtbar, dass er sich sehr wohl mit den Debatten beschäftigt.

Stefan: »Also, das kann man niemandem erzählen, oder?« Stefan ist fünfzig Jahre alt und arbeitet seit vielen Jahren im Kulturbereich. Er absolvierte ein geisteswissenschaftliches Studium, das ihn vor allem entlang der zwei Problemstellungen »globale Ungerechtigkeit« und »Verteilungsfrage« (Stefan 56–57) antreibt. Im Unterschied zu anderen Probanden erzählt er sehr wenig von seinem Studium. Stefan ist Teil des gleichen Vereines wie Martin, positioniert sich selbst als antirassistisch, stellt aber auch die Positionierung des Vereines als antirassistischen Verein infrage. Tatsächlich handelt es sich nicht dezidiert um einen antirassistischen Verein, die Grundhaltung, die durchgeführten Projekte und Veranstaltungen lassen aber durchaus eine antirassistische Ausrichtung erkennen. Für die Interviews mit Stefan und Martin gilt, dass sie gerade deshalb stattgefunden haben, um eine möglichst große Heterogenität der Vereine, Initiativen und Antirassisten zu erhalten. Stefan ist in mehreren kleinen Gemeinden in

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der Nähe einer österreichischen Großstadt aufgewachsen und lebt auch heute noch in einer dieser Gemeinden. Stefan beginnt die biographische Erzählung mit der Schilderung seines Nachdenkprozesses im Vorfeld des Interviews. Er habe darüber nachgedacht, wo er denn einen »Anfangspunkt« (Stefan 7) seiner antirassistischen Grundhaltung ausmachen würde. Stefan macht gleich zu Beginn den Freundeskreis seiner Jugendzeit für seine politische Subjektivierung als maßgeblich aus: Es hat sehr viel irgendwie mit der Sozialisation zu tun und einfach mit einem gewissen Glück, dass ich als Jugendlicher mit 15, 16 in eine Freundschaftsgruppe gekommen bin, die einfach sehr politisch gewesen sind. (Stefan 8–10) Stefan sieht den Freundeskreis, der in Teilen bis heute besteht, als »ganz klares linkes Umfeld« (Stefan 12–13), das ihn »sicher politisiert« (Stefan 13) habe. Stefan arbeitet seit seiner Jugend bei einem Kulturprojekt seines Dorfes, das von Menschen getragen wird, die er auch als »ganz klar links« (Stefan 16) verortet. Aus diesem Umfeld entstehen dann seine ersten politisch-aktivistischen Aktionen. Stefan erzählt hier einerseits von Demonstrationen, die er gemeinsam mit seinem Freundeskreis regelmäßig besucht, und andererseits von aktivistischen Aktionen des Kulturvereines, wie etwa einer kritischen Intervention einer Veranstaltung des damaligen FPÖ-Obmanns Jörg Haider, die der Verein durch eine Protestaktion stört. Die ersten Aktionen resümiert Stefan mit den zwei Worten »Einmischen und Aufstehen« (Stefan 26), die er als stellvertretend für die damalige Haltung und politische Positionierung bezeichnet: »Also, ich glaube, dass das irgendwie sehr viel damit zu tun hat, dass ich geworden bin, wie ich geworden bin so.« (Stefan 28–29) In den damaligen Projekten geht es nicht nur um politische Themen. Das Ziel seines Vereines ist es auch, mehr kulturelle Bewegungen in die Gemeinde zu tragen. Die Kulturinitiative lädt etwa Künstler*innen aus unterschiedlichen Ländern ein, die eine Zeitlang als Gäste im Ort verweilen. Sie bekommen die Möglichkeit, zu schreiben, künstlerisch aktiv zu sein, und bringen auch neue Perspektiven auf den Ort selbst mit: Da ist es uns irgendwie darum gegangen, so ein bisschen den Blick von außen aufs Dorf zu richten und dann vielleicht einmal einen Blick darauf zu werfen, der nochmal ein bisschen unverstellter ist so. (Stefan 294–296) Die Aktion war angelehnt an Programme wie »Artists in Residence«. Somit ging es auch darum, den Künstler*innen die Möglichkeit zum Aufenthalt zu bieten: »Und gepaart mit dem, das klingt dann so herablassend, aber so eine Chance zu bieten. Das ist immer so eine Gratwanderung, was geht da und was geht nicht.« (Stefan 296–298) Die Gruppe um Stefan ist dann auch verantwortlich für weitere Aktionen im Dorf, etwa eine auch ironisch gemeinte begehbare Installation, die Exklusionen im Arbeitsleben erfahrbar machen soll: Anhand von gespielten Bewerbungsgesprächen, bei denen die Teilnehmenden verschiedene Hindernisse erfahren müssen, sollen gesellschaftliche Ausschlussmechanismen sichtbar gemacht werden. Stefans Kulturarbeit ist dabei stringent durch einen politischen Anspruch geprägt. Er arbeitet seit seiner Jugend in mehreren Initiativen und Vereinen – sowohl auf ehrenamtlicher Basis als auch in Form von bezahlter Lohnarbeit. Auch wenn er sich nicht dezi-

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diert als antirassistischer Aktivist positioniert, so meint er, dass seine »Kulturarbeit eine immer so implizite antirassistische Haltung« (Stefan 102–103) kennzeichnet. Im Nachfrageteil verweist Stefan auch darauf, dass die antirassistische Grundhaltung keine rein rhetorische darstelle, sondern dass diese Haltung auch einen Einfluss auf die Vereinszusammensetzung hat: Ja, weil es halt einfach in den Statuten einfach drinsteht und das immer Thema gewesen ist, also, wie schaut man, dass man jetzt Leute in den Vorstand bekommt mit anderen Herkünften oder so, beziehungsweise, dass halt dieser Vorstand möglichst nicht weiß besetzt ist, also, sei es im Sinne von aus verschiedenen Kulturfeldern, also mit verschiedenen Herkünften oder so. (Stefan 502–506) In der Struktur und Zusammensetzung des Vereines von Stefan und Martin zeigt sich ein fundamentaler Unterschied zu der antirassistischen Initiative von Luca, Manuel, Cornelius und Kai. Für Stefan ist es eine Selbstverständlichkeit – auch in seiner Kenntnis der Problematik der »Stellvertretungspolitik« (vgl. Görg & Pühretmayer 2000) in der österreichischen NGO-Szene –, dass Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen, die unterschiedlich positioniert sind, Teil der zentralen Entscheidungsinstanz des Vereines, also des Vorstandes, sind. Diese politische Positionierung des Vereines ist strukturell in den Statuten verankert und dadurch vor konstruierten Grundsatzdebatten (Vereinszusammensetzung vs. Handlungsmöglichkeit), wie wir sie bei Luca und Manuel, aber auch bei Valentin gesehen haben, abgesichert. Neben der eigenen Kulturarbeit ist die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus eines der großen Themen in Stefans Erzählung. Die Thematisierung des Nationalsozialismus ist einer der Bereiche, die von den Probanden sehr unterschiedlich verhandelt werden. Stefan setzt sich eingehend und auf mehreren Ebenen mit dem Nationalsozialismus auseinander, wie er gleich zu Beginn seiner biographischen Erzählung berichtet: erstens im Rahmen des Studiums und eigener Literaturstudien, zweitens biographisch, was die eigene Familiengeschichte betrifft, und drittens lokalgeschichtlich, indem er selbst einen Beitrag zur Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit und ihrer postnationalsozialistischen Kontinuitäten leistet. In Bezug auf die eigene Familiengeschichte und den Nationalsozialismus gewinnt Stefan einige für ihn schmerzhafte Erkenntnisse, die ihn laut seiner Erzählung mehrmals zum Umdenken bringen: Ich dachte, mein Opa hat also sicher nie etwas damit am Hut gehabt und so weiter und so fort, und bis ich einfach darauf gekommen bin, also, der war bei der Bahn da in Posen stationiert, also, wo die ganzen Waggone durchgegangen sind nach Auschwitz und so weiter. Also, das kann man niemandem erzählen, oder? (Stefan 92–95) Stefan scheint an diesem Punkt seines Lebens die Scheu, über die eigene nationalsozialistische Familiengeschichte zu sprechen, überwunden zu haben und macht auch auf gewisse postnationalsozialistische Kontinuitäten in seiner Familie aufmerksam: Und dann nachher von meiner Oma dann so in Nebensätzen einfach so, klar, wahrscheinlich katholischer Antisemitismus, aber doch klarer Antisemitismus, irgendwie dahergekommen ist. (Stefan 95–97)

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Stefan spielt in seiner Studienzeit auch mit dem Gedanken, eine Diplomarbeit über das Thema Familientrauma und Nationalsozialismus zu schreiben, wovon er aber Abstand nimmt. Im Rückblick meint er darüber: Also von dem her, also, wäre da genug irgendwie zu finden gewesen, aber wahrscheinlich deswegen dann zu belastend, das wäre mir zu nah gegangen. (Stefan 97–99) Dieser Rückzug bedeutet aber nicht, dass Stefan nicht weiter aktiv versucht, die eigene Familiengeschichte in Bezug auf den Nationalsozialismus aufzuarbeiten. Er erzählt mir, dass er eines Tages durch Zufall an eine Möglichkeit zur Akteneinsicht kommt. Er findet dabei heraus, dass sein Urgroßvater ein Nazi der ersten Stunde war. In der familienintern erzählten Familiengeschichte wird ein bestimmter Zeitraum in den 1930er Jahren so erzählt, dass sein Urgroßvater da für einige Jahre verschwunden sei. Stefans Hoffnungen, dass er in dieser Zeit in Spanien auf Seiten der Republik kämpfte, zerschlagen sich. Vielmehr vermutet Stefan mittlerweile, dass sein Urgroßvater wohl als früher Nationalsozialist im Untergrund war. Der dritte Bereich der Thematisierung des nationalsozialistischen Erbes findet wiederum im Zuge seiner Kulturarbeit statt. Er und seine Kolleg*innen führen Zeitzeug*inneninterviews in ihrem Ort und veranstalten eine kleine Ausstellung. Diese öffentliche Auseinandersetzung ist mit einigen Schwierigkeiten verbunden und es wird zu einem Zeitpunkt aktiv versucht, sie zu verhindern. Stefan sieht sein Engagement in diesem Bereich als notwendige Aufarbeitung, die seiner Ansicht nach zu wenig passiert oder, wenn sie passiert, in einfachen Schuldzuweisungen auf einige wenige Personen geschieht. Im Nachfrageteil positioniert sich Stefan auch aus dem Wissen über die familialen und gesellschaftlichen Verstrickungen klar gegen den Nationalsozialismus, gegen Nationalismus und postnationalsozialistische Kontinuitäten. Das bedeutet auch eine Form des emotionalen Bruches mit seinem »sehr nationalistische[n] Eltern- beziehungsweise eigentlich Großelternhaus meines Vaters eben mit dem Uropa, der Blutordensträger ist« (Stefan 574–575). Stefan bringt am Anfang der Eingangserzählung seine erste Begegnung mit klassischem Antirassismus in die Narration ein. Es handelte sich dabei um eine zweitägige Workshop-Reihe zum Thema Antirassismus, die er im Zuge einer seiner Kulturinitiativen besucht. Stefan gibt an, dass er sich an kaum etwas erinnern könne. Auch im Nachfrageteil erzählt Stefan nicht mehr dazu. Da es sich um eine viele Jahre zurückliegende Veranstaltung handelt, muss dieser Umstand nicht verwundern. Stefans Erzählung dazu erinnert an die Erfahrungen von Valentin. Antirassismus hat hier einen starken Workshop-Charakter. Im Unterschied zu Luca, Cornelius, Kai und Manuel, die das WorkshopFormat als Impuls zur Vereinsgründung nützten, hinterlässt die Erfahrung für Stefan und Valentin scheinbar keinen bleibenden Eindruck. Ein weiteres wichtiges Thema der biographischen Erzählung von Stefan sind seine Reisen. Er beginnt dieses Thema mit einer längeren Erzählsequenz zu seiner ersten großen Reise mit Mitte zwanzig nach Indien. Diese Reise beschreibt er im Rückblick als sehr prägend. Zwei zusammenhängende Erfahrungen bleiben ihm besonders in Erinnerung: »Also, einerseits so ein Gespür zu kriegen für andere Kulturen, wenn man es einmal so nennen will, andererseits aber diese Verortung von uns selbst« (Stefan 118–120). Als zweite prägende Erfahrung beschreibt Stefan auch den Eindruck, den er damals von jenen

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Tourist*innen hatte, die auf Identitäts- und »Sinnsuche« (Stefan 121) durch Indien reisen, und positioniert sich selbst als Gegenpol zur Figur des Suchenden: »Und ich habe mir immer gedacht, also, für mich ist das schon extrem klar, wo ich herkomme, also, das ist einfach, also, das steht nicht im Zweifel, so.« (Stefan 123–124) Für Stefan ist eine der zentralen Erkenntnisse seiner ersten großen Reise ein gewonnenes Bewusstsein für die eigene partikulare Sozialisation in Österreich, genauer in seinem Wohnort: Aber letztendlich ist das mein Kulturkreis und da kenne ich mich aus, im Gegensatz zu, was weiß ich, meinem indischen Banknachbarn im Zug oder so. (Stefan 127–128) Auf meine Nachfrage bezüglich seiner Reiseerzählung und vor allem seines Gefühls der eigenen Verortung möchte Stefan nicht missverstanden werden und versucht sich an einer anderen Formulierung: [U]nd vielleicht trifft es das: wo ich mich auskenne, wo ich einschätzen kann, wo ich mein Gegenüber einschätzen kann, wie es tickt, wo ich eine gemeinsame Sprache finden, auch, wenn ich in Haltungen nicht d’accord gehe, aber ich kann es einschätzen. (Stefan 528–530) Stefan erachtet im Zuge seiner biographischen Narration die Praxis des »Ambivalenzen aushalten[s]« (Stefan 131) als wichtiges Ergebnis von verschiedenen Lernprozessen: Ambivalenzen bezüglich seiner von ihm geliebten Großmutter und ihres Alltagsantisemitismus und bezüglich seiner Reiseerfahrungen: [W]enn ich anderen Menschen gegenübertrete oder mit anderen Menschen in Kontakt komme, die von woanders her kommen oder so, die andere Voraussetzungen haben. Und ich glaube, das ist so, also, ich glaube, da geht es ja viel darum, das auszuhalten. (Stefan 145–148) Stefans Erzählungen zu seinen Reiseerfahrungen beinhalten eine unausgesprochene Irritation über das »Andere« bei gleichzeitiger Selbstverständlichkeit des »Eigenen«. Die Ambivalenz in Bezug darauf deute ich dahingehend, dass er einerseits Schwierigkeiten hat, dieses »Andere« einzuordnen, vor allem mit einer »positiven«, nicht abwertenden Sprache einzuordnen. Andererseits zeigt er das Bemühen einer Anerkennung von Differenz: Also, im Sinne von okay, du bist, wer du bist, und das passt schon so, aber du musst das jetzt nicht unbedingt alles kapieren, so. Wir begegnen uns irgendwie auf Augenhöhe oder so. (Stefan 149–150) Stefan spricht nicht aus, was er genau meint; wenn wir uns aber die Sequenz über den »indischen Banknachbarn im Zug« in Erinnerung rufen, entsteht der Eindruck, als interpretiere Stefan seine Reisen auch vor dem Hintergrund einer fundamentalen Differenz zwischen den von ihm so bezeichneten »Kulturkreisen«. Die damit zusammenhängende Reflexion des »Eigenen« zeigt einerseits das Bemühen, das partikulare soziale Feld, in dem er aufgewachsen ist, nicht zu universalisieren, gleichzeitig beinhaltet sie aber ebenso gewisse Homogenisierungen eines »Wir«. Warum sollte ich mich aus Stefans Sicht nicht einem indischen Mann aus der Mittelschicht mit akademischem Hintergrund, der

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in der Kulturarbeit tätig ist und in einem ländlichen Gebiet wohnt, näher fühlen als etwa einer österreichischen Staatsbürgerin, die im Aktienhandel an der Wiener Börse tätig ist und einen adeligen Stammbaum vorweist? Stefan spricht dann aber im Nachfrageteil an mehreren Stellen davon, dass er das »Eigene«, diese spezifische Sozialisation, sein Gefühl der Zugehörigkeit, vor allem in Bezug auf seinen Freundeskries sieht und nicht auf kulturelle Spezifika oder Ähnliches. Trotzdem bleibt der Eindruck eines bestimmten angelernten Differenzdenkens zurück, das von dem Bild einer behaupteten fundamentalen Differenz sogenannter »Kulturkreise« geprägt ist. Interessant ist hier eine – bereits bei Valentin beobachtete – Gleichzeitigkeit aus einer kulturalisierenden Brille, mit der Reiseerfahrungen gedeutet werden, und der Selbsteinschätzung, dass die Erfahrungen der Reise zu einer offeneren Haltung führen. Laut Stefan trägt vor allem seine erste Reise, aber auch die darauffolgenden, zur Veränderung dieser Haltung bei: »eine offene Grundhaltung, das hat sich, glaube ich, sehr in dieser Reise oder ist durch diese Reise geprägt worden« (Stefan 155–156). Stefan unternimmt mehrere ausgedehnte Reisen im südostasiatischen Raum. Eine dieser Reisen veröffentlicht er auch in Form eines Blogs, in den er viel Zeit für Recherche, Reflexion und Interviews investiert. Stefan zeigt in der Erzählung über seine Reisen eine Widersprüchlichkeit auf, die bei allen anderen interviewten Antirassisten in der einen oder anderen Weise ebenfalls sichtbar ist. Einerseits spricht Stefan davon, dass ihm das Reisen eine »offene Grundhaltung« vermittelt. Er positioniert sich hier als Kosmopolit, andererseits sind gerade die Reiseerfahrungen jene Teile der biographischen Narration, wo am meisten kulturalisiert sowie ethnisiert wird. Im Unterschied zu Luca und Cornelius sind bei Stefan damit zusammenhängende Selbstüberhöhungen nicht so deutlich sichtbar. Gerade in diesen Subjektivierungsprozessen vermute ich, dass implizite Rassismen eine sehr starke Wirkung aufweisen. In der Positionierung als selbstreflexiver, offener Kosmopolit – bei gleichzeitiger Beibehaltung einer kulturalisierenden und defizitären Brille – liegt der Grund für die Anfälligkeit für bestimmte neo- und postkolonial-rassistische »Entwicklungsnarrative« (Ziai 2004). Walter Mignolo weist darauf hin, dass im »kosmopolitischen Projekt« immer schon beide Seiten der Moderne gleichzeitig wirkten: »planetary conviviality« und »coloniality« (vgl. Mignolo 2000). In Stefans Erzählungen und den Reiseerzählungen der weiteren Antirassisten fällt die Verbindung von Kosmopolitismus und Eurozentrismus besonders auf. Eine Verbindung, die Mignolo von 1492 über Kant bis in die Gegenwart der postkolonialen Globalität und ihrer »ideologies of development and modernization« (Mignolo 2000: 725) sieht und die vielerorts normalisiert zu sein scheint. Im Nachfrageteil erzählt Stefan in einer längeren Sequenz etwas mehr darüber, warum er seine Reisen in den globalen Süden so eindrücklich empfindet. Es wird auch deutlich, dass die Reisen ihn erstmalig mit absoluter und sichtbarer »Armut« (Stefan 705) konfrontieren. Er erzählt von zwei bleibenden Erfahrungen: einmal von schwer gezeichneten Kindern und einmal von einer bettelnden Person, die nach einer Ablehnung seinerseits in Tränen ausbricht. Diese Erfahrungen beschreibt er fast wie kleine Traumata und sie können neben dem angelernten kolonialen Blick auch erklären, warum sein Bild von Indien auf die beschriebenen defizitären Weisen fokussiert bleibt. Das Zusammen-

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spiel aus angelerntem kolonialen, ethnologischen Blickregime, aus dem über das Reisen vermittelten unmittelbaren Schock über reale Armut und aus der eigenen Involviertheit in das System der globalen Ungleichheit als privilegiertes Subjekt kann dann gerade paternalistische, viktimisierende und defizitäre Anschauungen begründen. Am Ende der Haupterzählung kommt Stefan dann darauf zu sprechen, wie er denn schließlich zu dem aktuellen Job bei der Kulturinitiative gekommen sei, der ja schließlich auch den Grund für das Interview darstellt. In der aktuellen Tätigkeit liegt für Stefan die Möglichkeit, sowohl seine kulturellen als auch seine politischen Ansprüche umzusetzen. Der Verein sei […] Kulturinitiative einerseits und andererseits eben quasi diese klare politische Sache, und wenn man es jetzt groß formulieren will, irgendwie ein Projekt, das die Welt verbessern möchte. (Stefan 206–208) Stefan erzählt, dass er durch Umwege und verschiedene Jobs sowie durch Beziehungen dann erst vor einigen Jahren in der aktuellen Tätigkeit landet. Dass er darauf gewissermaßen lange warten muss, sich der Idealismus aber schließlich doch bezahlt macht, erzählt er mit einer Genugtuung. Gleichzeitig macht er darauf aufmerksam, dass die Tatsache, dass er »eher nicht so Zukunftsangst hatte« (Stefan 200), auch damit zusammenhängt, dass er etwa in Bezug auf Wohnraum abgesichert ist und keine Miete und keinen Kredit zahlen muss. An dieser Stelle thematisiert Stefan erstmals eigene Privilegien und bestärkt diese im Nachfrageteil nochmal explizit: »Und das sieht man halt dann quasi schon einmal, dieses Privilegiertsein noch« (Stefan 852–853). Stefans Haupterzählung kennzeichnet sich durch mehrere miteinander verbundene Themenbereiche: die politischen Freundschaften seiner Jugend, die prägenden Reisen, seine Kulturarbeit und die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Geschichte und deren gegenwärtigen Kontinuitäten. Stefans Haupterzählung ist aber auch durch eine laute Stille gekennzeichnet. Wie auch andere Probanden (Luca, Kai, Cornelius, Valentin) thematisiert Stefan keinerlei eigene Erfahrungen in Bezug auf Rassismus. Weder erzählt er von Erlebnissen als Zeuge noch von solchen als Täter noch etwa über medialisierte Vorfälle oder Ähnliches. Gleichzeitig argumentiert Stefan aber auch nicht mit Distanzierungsmustern, wie das etwa bei Valentin und Luca recht klar der Fall ist. Rassismen spielen in der biographischen Erzählung von Stefan kaum eine Rolle. Er zeigt sich in Bezug auf den Antisemitismus seiner Großmutter durchaus als sensibel für die Normalität von Alltagsrassismen. Dass er aber im Zuge seiner Haupterzählung immer wieder versucht, auf das Thema Antirassismus zu sprechen zu kommen, nicht aber auf das Thema Rassismus, das erstaunt. Dies kann einerseits über die vor allem im deutschsprachigen Raum beschriebene Schwierigkeit, über Rassismus zu sprechen, erklärt werden. Dazu kann gefragt werden, ob die Abwesenheit von Rassismus im Rahmen von Stefans Erzählung auch auf das Vorhandensein einer »Empathielücke« (Roig 2021: 289) hinweist, die auf die privilegierte Positionierung zurückgeführt werden kann. Hier könnte Stefan eine Brücke schlagen zu seiner Positionierung als Nachfahre von nationalsozialistischen Täter*innen. Diese Brücke schlägt er dann ganz am Schluss, indem er von einer Reise mit seiner Partnerin nach Rom erzählt. Sie waren auf der Suche nach einem alternativen Viertel und hatten den Vermieter danach gefragt:

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Teil 2: Empirie

Und dann sind wir da in so ein Migranten-, Migrantinnenviertel am Weg zur Gentrifizierung, war voll spannend, gleichzeitig ja ein bisschen, ich weiß nicht, unheimlich, weil wir halt nachher da irgendwie in Straßen gelandet sind, die unbeleuchtet waren und wo man dann nachher mit seinen eigenen rassistischen Vorstellungen wieder konfrontiert ist, weil halt da hauptsächlich Schwarze herumlaufen. (Stefan 811–816) In diesen Momenten sucht Stefan nicht nach Rechtfertigungen, sondern reflektiert sein eigenes Denken rassismuskritisch. Seine bereits zitierte Aussage »Also, das kann man niemandem erzählen, oder?« könnte hier vorbildgebend sein – etwa auch für eine Revision seiner Reiseerfahrungen. Die Aussage kann so gelesen werden, dass etwa aus Scham heraus diese Geschichten der eigenen oder familialen Verstrickungen in den Nationalsozialismus, den Kolonialismus, in Rassismen nicht erzählt wird. Stefan erzählt sie aber eben schon. Er berichtet, dass seine Familiengeschichte mit dem Nationalsozialismus verbunden ist, er bohrt nach, positioniert sich dagegen, hilft mit, die regionale Geschichte aufzuarbeiten. Aus Scham wird antirassistischer Aktivismus.

Teil 3: Schlussfolgerungen

8 Privilegiert positionierter Antirassist*

Die theoriegeleitete Analyse und Rekonstruktion der zehn Interviews mit privilegiert positionierten Antirassisten in Österreich hat bestimmte Muster offenbart, die im nun folgenden abschließenden Theorieteil dargelegt werden. Aus den gesamten Interviews lassen sich drei zentrale Thesen ableiten: Erstens hat sich in den theoriegestützten Rekonstruktionen gezeigt, dass Rassismen subjektivieren. Rassismen subjektivieren einerseits durch rassistisches Wissen, das die befragten Aktivisten seit früher Kindheit bis in die Gegenwart bewusst wie unbewusst erlernen. Rassismen subjektivieren andererseits auch im Zuge ganz spezifischer und positionsabhängiger Erfahrungen, die wiederum nur teilweise reflektiert werden. Die Reproduktion von rassistischem Wissen zeigt sich besonders in Bezug auf die Themen Reisen und globale Ungleichheit, Kultur und Multikulturalität und in der Form von konkreten Rassismen, die sie anwenden. Die spezifischen und positionsbedingten Erfahrungen sind wiederum auf drei Ebenen wirkungsmächtig: Die befragten Antirassisten haben keine eigenen negativen Rassismuserfahrungen gemacht, wobei ein Mangel an Wissen und Empathiefähigkeit auszumachen ist. Privilegierungserfahrungen werden selten als solche erkannt und reflektiert, eben weil ihre privilegierte soziale Position und damit zusammenhängende individuelle wie strukturelle Privilegien Teil einer unsichtbaren Normalität geworden sind. Schließlich zeigt sich auch, dass die privilegiert positionierten Antirassisten Formen der angelernten Ignoranz für Rassismuserfahrungen verinnerlicht haben. Das sind kulturell hegemonial gewordene Umgangsformen der »Dethematisierung« (Fereidooni 2016), der »Verschiebung« (Bojadžijev et al. 2019) und der »Distanzierung« (Messerschmidt 2011b) von Rassismen. Zweitens haben die Rekonstruktionen gezeigt, dass Antirassismus als Selbsttechnik ambivalent ist. Antirassismus als Selbsttechnik bedeutet auf der Grundlage subjektivierungstheoretischer Überlegungen, welche rassismuskritischen und antirassistischen Ideen, Praktiken und Positionierungen die Antirassisten an- und vornehmen, um ein neues rassismuskritisches Verhältnis zu sich selbst und der Welt um sie herum zu gewinnen. Dabei hat sich gezeigt, dass von den Antirassisten dafür gewählte Ideen, Praktiken und Positionierungen ambivalent sind. Praktiken wie Reisen und Theater sind ebenso in Rassismen verstrickt wie bestimmte Traditionslinien des Antirassismus, auf die sie sich berufen. Gleichzeitig konnten die Rekonstruktionen sichtbar machen, dass die privilegierten

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Teil 3: Schlussfolgerungen

Antirassisten auf eine Reihe von unterschiedlichen Praktiken der Aneignung von Erfahrungen zurückgegriffen haben. Das bezieht sich einerseits auf die Aneignung von Rassismus- und Diskriminierungserfahrungen und andererseits auf die Aneignung von Erfahrungen und Theorien von People of Color und Menschen mit Migrations- und Rassismuserfahrungen zum eigenen Vorteil und/oder zur eigenen Entlastung. Drittens hat sich in den rekonstruierten Erzählungen gezeigt, dass rassismuskritische Subjektbildung in Bezug auf privilegierte soziale Positionen durch Prozesse des Voran-/Scheiterns auf der Grundlage von Re-Positionierungen gekennzeichnet ist. Die Aktivisten scheitern in ihrer rassismuskritischen Praxis – im Rahmen ihrer Subjektbildung als Antirassist –, weil die Techniken der Macht wie des Selbst von rassistischem Wissen durchzogen sind. Dieses Scheitern kann allerdings unter bestimmten Umständen als produktiv bezeichnet werden. Voraussetzung dafür ist, dass die Erfahrungen des Scheiterns auch selbst gemacht werden. Im Anschluss an Foucault (2002), der von der Produktivität von Macht spricht, kann dann von einem Voran-Scheitern gesprochen werden. Dafür verwenden die Aktivisten alle Selbsttechniken, die sie in die Finger bekommen, und eignen sich auch gegenhegemoniales Wissen und Perspektiven abseits der hegemonialen westlichen Wissensproduktion an. Diese Praktiken führen im problematischen Fall zu Formen der Aneignung, im besten Fall zu Formen der Anerkennung von Erfahrungen und zu einer Re-Positionierung1 . Die privilegierte soziale Position wird dabei bewusst, aufgrund von Privilegierungserfahrungen und indirekten Rassismuserfahrungen, selbstkritisch besetzt. Aus diesem Wissen heraus entwickeln die Aktivisten mögliche Praktiken, die eine solidarische, machtbalanciertere rassismuskritische (Bündnis-)Arbeit ermöglicht. Die Darstellung dieser Muster wird auch zeigen, dass die Subjektivierungsprozesse innerhalb der symbolischen Ordnungen der Rassismen und ihrer Subjekthierarchien und bezugnehmend auf mögliche antirassistische politische Positionen bei allen Gemeinsamkeiten jeweils von den Subjekten selbst vorgenommen werden. Weder ist also das Alter oder die quantitative Erfahrung der Aktivisten ausschlaggebend für die subjektive rassismuskritische Subjektbildung, noch kann davon gesprochen werden, dass mehr Bildung und Wissen vor allem in Bezug auf Rassismen automatisch zu rassismen- und machtsensibleren Positionierungen führen. Ganz im Gegenteil kann mehr (theoretisches) Wissen über Rassismen auch dazu führen, dass mehr Möglichkeiten bestehen, Rassismen als Techniken der Macht (zum eigenen Vorteil) zu gebrauchen. Die Unterschiede etwa in der Lebenswelt der Antirassisten, zum Beispiel zwischen Stadt und Land, können, aber müssen sich nicht signifikant auf die rassismuskritische Subjektbildung auswirken. So zeigt etwa der weitgereiste und urbanste Aktivist (Johannes) die offensten Formen des Rassismus, während ein Aktivist, der sich stark im Dörflichen verortet (Stefan), etwa Pionierarbeit in Bezug auf nationalsozialistische Aufarbeitung leistet – und dabei den Widerstand in seinem Ort in Kauf nimmt. Zentral für die rassismuskritische Subjektbildung, deren Probleme und deren Möglichkeiten ist erstens die Form und Intensität der rassistischen Prägung und zweitens die Qualität der Erfahrungen, die in Bezug auf Rassismen einerseits selbst gemacht werden

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Auf diese Interpretationsweise wurde ich von María Teresa Herrera Vivar hingewiesen.

8 Privilegiert positionierter Antirassist*

und andererseits von signifikanten Anderen angeeignet oder anerkannt werden. Entscheidend sind also die Erfahrungen, die in den symbolischen Räumen der Rassismen gemacht werden, die Diskurse, auf welche die Antirassisten zurückgreifen, und wie sie sich auf der Grundlage dieser Erfahrungen und Diskurse positionieren. Hier entscheidet sich die Art der rassistischen Subjektivierung und wie sich die Aktivisten selbst zu Antirassisten bilden. Rassismuskritische Subjektbildung ist von unterschiedlichen Diskursen und Wissensformen in einer »Dominanzgesellschaft« (Rommelspacher 1995) durchzogen, innerhalb derer unterschiedliche Rassismen als symbolische Ordnungen intersektional wirkmächtig sind. Deshalb geht es hier nicht ausschließlich um »weiße Sozialisation« (Wollrad 2011), sondern um rassistische Subjektivierung von spezifisch privilegiert positionierten Antirassisten. Diese Subjektivierung ist entscheidend davon geprägt, dass die Aktivisten in Bezug auf die verschiedenen Rassismen in der postmigrantischen Gesellschaft Österreichs als Teil des weiß-dominanzgesellschaftlichen »Wir« gelesen, angerufen und anerkannt werden. Diese Subjektivierung wird reflektiert und nicht reflektiert, bekämpft und übernommen, resignifiziert und reproduziert.

Rassismen als Techniken der Subjektivierung Rassismen als Subjektivierungstechniken zu verstehen, bedeutet, anzuerkennen, dass sie maßgeblich dafür sind, wie Menschen entlang bestimmter »Normen des SubjektSeins« (Geimer 2017: 2) zu bestimmten Subjekten gemacht werden und sich selbst zu bestimmten Subjekten machen. Normative Ordnungen, die sowohl Diskurs- und Wissensordnungen als auch materielle Gesellschaftsstrukturen umfassen, sind die Grundlage für Subjektivierungsprozesse, auf die das Subjekt mit dem Zeitpunkt der Geburt zunächst wenig Einfluss hat: Die hierarchisierende symbolische Ordnung in Form von Rassismus wird außerhalb des individuellen Entscheidungsraums reproduziert und das einzelne Individuum kann den strukturellen Effekten dieser Ordnung nicht entgehen. Daher haben rassistische Bilder in den Köpfen und Gefühlen nichts mit Vorurteilen oder Ignoranz einzelner Personen zu tun. Vielmehr ist es gerade das durch die symbolische Ordnung reproduzierte allgemeine Wissens- oder Bilderreservoir, das alle Menschen in der Gesellschaft unbewusst für rassistische Bilder oder Wahrnehmungen anfällig macht. (Arslan 2016: 25) Rassistisches Wissen (vgl. Terkessidis 1998; Goldberg 1993), sowohl in seiner expliziten wie auch in seiner impliziten Form, ist die Grundlage der symbolischen Ordnungen der Rassismen. Die symbolischen Ordnungen, ihre Diskurse, Strukturen, Praktiken und hierarchischen Subjektvorstellungen vermitteln sich den Subjekten mittels rassistischem Wissen. In diesem Wissen zeigen sich gesellschaftliche Vorstellungen von dem »Eigenen« und dem »Anderen«, von dem hierarchisierten »Wir« und dem »Sie«. Rassistisches Wissen wird bereits in der Kindheit erlernt und ist ausschlaggebend für die Selbst- und Fremdwahrnehmung, Gefühle der Überlegenheit und Unterlegenheit und in weiterer Folge in gesellschaftlichen Prozessen der »rassistischen Klassifikation«

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(Hall 1989a) für Vulnerabilitäten und Privilegien. Auf innersubjektiver Ebene dienen Rassismen auch als »Wahrnehmungsfilter« (Auma 2018: 2). In den Erzählungen der befragten Aktivisten hat sich gezeigt, dass auch die Antirassisten rassistisches Wissen »wider Willen« (Weiß 2013) erlernt haben. Dieses Wissen wird zum Teil reflektiert und verlernt, andernorts ist es aber grundlegend für soziale wie politische Positionierungsprozesse. In der Studie hat sich gezeigt, dass die subjektivierungsrelevanten Formen des rassistischen Wissens vor allem mit Bezügen auf Diskurse über Reisen und globale Ungleichheit, Kultur und Multikulturalität und in der Form von spezifischen Rassismen artikuliert wurden.

Rassistisches Wissen Das Thema Reisen und globale Ungleichheit wurde von allen befragten Antirassisten zumeist recht prominent in die biographische Erzählung eingebracht. Die Rekonstruktionen zeigten zwei dominante Stränge auf: Einmal wurden die Reiseerfahrungen als Teil der eigenen Verortung in Bezug auf die soziale Position im globalen Maßstab gedeutet. Sie geben dabei Aufschlüsse über die sozialen Positionierungen der Aktivisten. In einem zweiten Deutungsstrang wurden die Reiseerfahrungen dezidiert als antirassistische Praxis verstanden, womit auch politische Positionierungsprozesse sichtbar wurden. Zweiteres wird im Punkt »Antirassismus als ambivalente Selbsttechnik« verhandelt. Die eigenen Reisen wurden von den Aktivisten mit Neugier (Sascha, Valentin), Interesse für andere »Kulturen« (Kai, Valentin) und Interesse an anderen »Lebensrealitäten« (Sascha, Cornelius) begründet. Die befragten Aktivisten wurden aber auch etwa seitens der Eltern zur ersten großen Reise nach der Matura oder dem Abitur inspiriert (Luca) oder gar »geschickt« (Valentin). In den Reiseerzählungen wurden unterschiedliche soziale Positionierungsprozesse sichtbar, die erstaunliche, aber auch aufschlussreiche Widersprüche enthielten. Die Aktivisten positionierten sich im Zuge der Erzählung ihrer Reiseerfahrungen etwa als erstmalig autonome und handlungsfähige Subjekte (Luca), als Personen mit fortan offenerer »Grundhaltung« (Stefan) und als Menschen, die realisiert haben, wie partikular und nichtuniversell ihr eigenes Umfeld (Region, Land, Europa) im globalen Maßstab eigentlich ist (Valentin, Cornelius, Stefan). Gleichzeitig und entgegen eigener Intentionen bezogen sie sich dabei auf rassismusrelevante Diskurse, die subjektivierende Effekte aufwiesen. In den Rekonstruktionen wurde sichtbar, dass Diskurse zur Entwicklung (»Entwicklungsnarrativ«, vgl. Spivak 2014; »Entwicklungshilfe-Diskurs«, vgl. Ziai 2017), Diskurse vom »Westen und dem Rest« (Hall 1994a) sowie Diskurse zur Modernisierung (»Modernisierungstheorien«, vgl. kritisch Radtke 1995) herangezogen wurden (Luca, Valentin, Cornelius, Kai, Stefan). Mit zumeist impliziter Bezugnahme auf diese Diskurse erzeugen die befragten Antirassisten einen folgenschweren Dualismus aus einem rückständigen, traditionellen, unpolitischen, unterentwickelten, hilfsbedürftigen Teil der Welt und dem fortschrittlichen, politisch handlungsfähigen, helfenden Zentrum. Diese eurozentristische Deutung steht in einer postkolonialen Tradition des »Othering« (Said 1978) und ist geprägt durch einen »weißen Blick« (Dyer 1997):

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Der weiße Blick ist somit eine Art Kameralinse, die vermeintliche Realitäten auf eine sehr voreingenommene Art ablichtet. Er richtet sich immer im Abgleich mit der eigenen Identität auf die »anderen«, die »Fremden« – ob in ethnologischen Texten, orientalistischen Reisebüchern, dem Blog während des FSJ in Ghana oder dem Urlaub in Indien. So wird der weiße Blick zum Fernglas auf die Welt. (Yaghoobifarah 2021: 75) Die Beschreibungen sind demnach geprägt von Selbstüberhöhungen bei gleichzeitiger Viktimisierung wie auch Romantisierung von Menschen im globalen Süden. Es wurde bereits in den Rekonstruktionen illustriert und es wird im nachfolgenden Punkt »Antirassismus als ambivalente Selbsttechnik« vertieft, welche Konsequenzen diese soziale Positionierung auf politische Positionierungsprozesse hat. Es hat sich in den Rekonstruktionen der Interviews aber auch gezeigt, dass, etwa im Falle von Ralf – der ebenfalls viele monatelange Reisen in unterschiedliche Regionen der Erde unternommen hat –, diese Form der Subjektivierungsprozesse in ein superiores Subjekt nicht sichtbar ist. Auch Sascha nimmt im Zuge seiner biographischen Erzählung im Wissen um die Problematik bewusst Abstand von derlei Diskursen. In der sehr ausführlichen biographischen Erzählung von Johannes spielen Reiseerfahrungen etwa gar keine Rolle. Die Themen Kultur und Multikulturalität bilden den zweiten Themenkomplex, der interviewübergreifend eine auffällige Häufung der Reproduktion von rassismusrelevanten Diskursen mitsamt rassistischen Positionierungen sichtbar macht. Kultur oder Multikulturalität als Kategorie wird dabei einerseits, wie bereits gezeigt, in Bezug auf Reiseerfahrungen angewandt. Die zweite Thematisierungslinie der Kategorien Kultur und Multikulturalität erfolgt mit Bezug auf die österreichische Gesellschaft. Christa Markom hat bereits in einer Studie über Rassismus in Österreich die Diskurse zu »Kultur und Multikulturalität« als sehr rassismusrelevant analysiert (vgl. Markom 2014). Mit der Kategorie Kultur und Kulturkreise wird eine Trennung innerhalb der Gesellschaft vorgenommen, die typisch ist für die Rassismen in der postmigrantischen Gesellschaft. Die interviewten Antirassisten verwenden den Kulturbegriff, wenn es um geflüchtete Menschen geht (Luca, Martin), und vor dem Hintergrund von migrantisierenden Deutungen (Ralf, Sascha, Manuel, Valentin, Cornelius, Johannes). Die Aktivisten erzeugen in den Erzählungen eine Differenz zwischen einem meist unbestimmten »einheimischen« Wir, dem die Erzähler selbst angehören, und einem diffus über Nation, Kultur, Ethnie »Kulturkreis« definierten Anderen – sie konstruieren das, was Paul Mecheril als das Andere des »natio-ethno-kulturellen Wir« (Mecheril 2010: 14) versteht: Die Imagination des natio-ethno-kulturellen »Wir« ist häufig damit verknüpft, dass Differenz nach außen projiziert wird. Das Andere des natio-ethno-kulturellen »Wir«, das »Nicht-Wir«, zeichnet sich in der Fantasie, die dieses »Wir« ermöglicht, dadurch aus, dass es nicht hierher, an diesen Ort gehört und deshalb hier vermeintlich legitimerweise über weniger Rechte verfügt. (Ebd.) In den Erzählungen zu Kultur und Multikulturalität positionieren sich die Aktivisten allerdings in den meisten Fällen als »offen« (Stefan) gegenüber sogenannten »anderen Kulturen« (Kai) oder als grundsätzlich interessiert an sogenannter »Multikulturalität« (Valentin). Gerade im Zuge dieser Positionierung bleiben den Aktivisten die Othering-

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Prozesse unsichtbar oder sie nehmen sie billigend in Kauf. Das Problem dieses schwärmerischen, multikulturalistischen Antirassismus liegt, wie bereits theoretisch erörtert, darin, dass sowohl das kulturalisierende Container-Denken von »unserer Kultur« und »ihrer Kultur« damit nicht aufgebrochen wird und gleichzeitig der Blick auf Dominanzverhältnisse häufig ausbleibt (vgl. Müller 1992: 40). Neben diesen zwei Themenschwerpunkten, die eine Reihe von kulturalisierenden, »ethnisierenden« (Bukow & Llaryora 1988) und rassistischen Diskursen und Positionierungen mit sich brachten, wurden in den biographischen Erzählungen auch explizite Rassismen reproduziert. Die biographischen Erzählungen von Johannes und Valentin sind in dieser Hinsicht besonders hervorzuheben. Einige befragte Aktivisten haben über explizite Rassismen, die sie bei sich selbst im Rückblick ausmachten, nur Andeutungen vorgenommen (Martin, Kai, Cornelius). Anders bei Johannes. Er war nicht nur jener Antirassist, der vergangene Verstrickungen in rassistische Strukturen und Denkweisen am konsequentesten angesprochen hat, sondern auch der, der in der Erzählung explizit rassistische Diskurse wiedergegeben hat und sich auch rassistisch positionierte. Dabei zeigte er sich in Bezug auf anti-Schwarzen Rassismus, den er als Kind in den USA und in Südafrika gelernt hat, als jemand, der die Funktionsweise dieses Rassismus versteht und seine kindliche Perspektive problematisiert. Gleiches gilt für seine macht- und selbstkritische Reflexion des Antisemitismus in Österreich. Er bezeichnete die Normalisierung des Antisemitismus in den 1970er und 1980er Jahren in Österreich als »antisemitisches Arrangement« (Johannes), machte sichtbar, wo er teilnahm und davon profitierte, welche Erfahrungen und Freundschaften ihn zum Umdenken bewegten und wie er seine antisemitismuskritische Perspektive auch in seinem linken politischen Umfeld verteidigte. Johannes‘ Sprechen wurde dann mit Fortdauer des Interviews ruppiger und die Grenze der Thematisierung von Rassismen und der rassistischen Thematisierung verschwamm zunehmend. Gegen Ende des Interviews wurde Johannes dann explizit rassistisch. Lange Erzählsequenzen widmeten sich der vermeintlichen Frage der Legitimität von »Islamkritik«, während ganz klassische Diskursmuster des antimuslimischen Rassismus (vgl. Attia 2017) mit den Dualismen der Dämonisierung und Viktimisierung reproduziert wurden. Johannes positionierte sich hier als der Aufklärer, der »die Migrantin retten« (Castro Varela & Dhawan 2016) will, und gleichzeitig als jemand, der nicht rassistisch ist, sondern die Freiheit der Religionskritik verteidige. In der Erzählung von Valentin fand ein Reflexionsprozess statt, den er als erstmalig bezeichnete. In der Erzählsequenz über seine damalige Einstellungspraxis als Leiter einer Einrichtung, in der viele Jugendliche der postmigrantischen Generation verkehrten, offenbarte sich eine klar rassistische Einstellungspolitik, die über den Zeitraum von zehn Jahren – also seine gesamte Tätigkeitszeit – handlungsleitend war. Zwar reflektierte Valentin diese vergangene Praxis als unrecht, die von ihm vorgenommene dominanzgesellschaftliche Grenzziehung zwischen dem unausgesprochen weißen, christlichen, »einheimischen« Wir und den »Anderen« blieb im Zuge seiner Erzählung aber aufrecht. Rassismen subjektivieren im Falle von rassistischem Wissen unmittelbar. Die Subjekte übernehmen die rassistischen Diskurse, verorten sich innerhalb der für sie vorgesehenen privilegierten Subjektposition und leiten daraus soziale wie politische Positionierungen ab.

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In Bezug auf Rassismen muss allerdings berücksichtigt werden, dass auch und gerade eine Nichtauseinandersetzung mit Rassismen und der eigenen privilegierten Position die bestehende Ordnung aufrechterhält und als Teil einer weiß-dominanzgesellschaftlichen Subjektivierung verstanden werden muss: »Die Nichtauseinandersetzung mit Rassismus bei gleichzeitiger (auch unbewusster) Inanspruchnahme rassistischer Privilegien ist rassistisch.« (Bratić 2010: 104) Vor diesem Hintergrund ist die zweite rassismusrelevante Subjektivierungsinstanz zu betrachten. Rassismen subjektivieren die befragten Aktivisten nämlich auch über ihre spezifischen und positionsabhängigen Erfahrungen.

Erfahrungen mit Rassismen Es wurde ersichtlich, dass in Bezug auf rassistisches Wissen alle Aktivisten in unterschiedlicher Art und Weise auf rassistische oder rassismusrelevante Diskurse zurückgegriffen haben. Es hat sich gezeigt, dass Rassismen implizit wie explizit, nichtintentional wie intentional artikuliert wurden und zu rassistischen Positionierungen und Praktiken führten. Gleichzeitig haben wir gesehen, dass es nicht automatisch bedeutet, dass die Aktivisten dieses Wissen handlungsleitend werden haben lassen, und auch, dass die Antirassisten Prozesse der Selbstkritik und des Umdenkens eingeleitet haben. In Bezug auf Erfahrungen mit Rassismen zeigten sich große Unterschiede zwischen den biographischen Erzählern. Es gab jene Aktivisten, die Rassismen kaum thematisierten (Luca, Manuel, Valentin, Cornelius, Stefan), und wenn, dann eher dethematisierten (Luca, Valentin). Im Gegensatz dazu zeigten sich Ralf, Sascha, Johannes, Martin und zu einem geringeren Anteil Kai als Antirassisten mit einem profunden Wissen über Geschichte und Gegenwart von Rassismen und gleichzeitig als Aktivisten, die über eine Reihe von Erfahrungen mit Rassismen berichten konnten. Die scheinbar paradoxe Nichtthematisierung von Rassismen in den Interviews von Personen, die sich selbst als Antirassisten bezeichnen, kann vor dem Hintergrund von drei Faktoren erklärt werden: Einmal scheint es ganz banal an einem Wissensdefizit zu liegen. Wenn die Antirassisten von Lernprozessen über Rassismen sprechen, dann tun sie es in den seltensten Fällen mit dem Verweis auf ihre Schule oder weitere frühe Bildungsinstitutionen, sondern eher über Freundschaften (Sascha, Johannes, Martin), das Studium (Luca, Ralf, Sascha, Manuel, Kai) oder die politisch-aktivistischen Tätigkeiten (alle). Dieses Wissensdefizit in Bezug auf Rassismen hat sicher auch mit einer problematischen Aufarbeitungs- und Bildungskultur in der postmigrantischen, postkolonialen und postnationalsozialistischen Gesellschaft zu tun. Der zweite Faktor, der die auffällige Nichtthematisierung von Rassismen in den biographischen Erzählungen der befragten Antirassisten erklären kann, hat mit ihrer spezifischen, privilegierten sozialen Position zu tun. Die befragten Antirassisten werden allesamt als Teil des »Wir« der weißen Dominanzgesellschaft gelesen. Sie sind Teil der rassistischen Normen der postmigrantischen Gesellschaft und für einige Antirassisten verbleibt diese Norm eine unsichtbare Realität. Die befragten Antirassisten übersehen so, dass ihr weiß-dominanzgesellschaftliches Umfeld nicht »natürlich« ist, die »weißen Räume« um sie »weiß gehalten« werden (vgl. Wachendorfer 2009) und damit Ausdruck von strukturellem Rassismus sind.

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Teil dieser dominanzgesellschaftlichen Prägung ist also einerseits ein Mangel an Privilegierungserfahrungen, denn die Momente der Privilegierung werden selten also solche erkannt. Was etwa Luca, Manuel, Cornelius und Kai als Abwesenheit von Rassismen in ihrem Leben deuten und mit einer Abwesenheit von rassistisch diskreditierbaren Menschen in ihrem Umfeld begründen, ist eigentlich Ausdruck ihrer in Bezug auf Rassismen privilegierten sozialen Position: »›Rasse‹ nicht als weiße Angelegenheit zu betrachten, ist Teil der Privilegien, die mit dem Weißsein einhergehen.« (Ann Russo zit.n. Kerner 2013b: 278) Gleichzeitig haben wir im Punkt »Rassistisches Wissen« sowie, noch detaillierter, in einigen Fallrekonstruktionen (Luca, Johannes, Manuel, Valentin, Cornelius) gesehen, dass mit der Teilhabe an dieser spezifisch privilegierten Position (weiß, »einheimisch« gelesen, männlich, christlich, akademisch, ablebodied, heteronormativ) auch ein Wissen über die eigene Superiorität einhergeht, das zu dominanten Positionierungen führt. Der dritte Faktor ist eng mit den beiden zuvor genannten Faktoren verbunden. Für die Nichtthematisierung von Rassismen in den biographischen Erzählungen der Hälfte meiner Interviewpartner sind nicht nur Wissensdefizite und fehlende Privilegierungserfahrungen ausschlaggebend, sondern auch eine angelernte Ignoranz für Rassismuserfahrungen. Auf die gesellschaftlich mächtigen diskursiven Strategien der »Dethematisierung« (Fereidooni 2016), der »Verschiebung« (Bojadžijev et al. 2019) und der »Distanzierung« (Messerschmidt 2011b) von Rassismen wurde bereits mehrfach hingewiesen und es konnten dahingehende Positionierungen in den Interviews rekonstruiert werden (Luca, Valentin, Cornelius, Kai). Die Kombination eines Mangels an Erfahrung und an Wissen über Rassismen und die eigene privilegierte Position darin, der gleichzeitig angelernte Glaube, mehr als andere zu wissen, sowie die Normalität von Legitimations- und Abwehrdiskursen sind der Kern einer weiß-dominanzgesellschaftlichen Prägung. Ansätze davon wurden in den Rekonstruktionen sichtbar. Es hat sich aber auch gezeigt, dass dies nicht für alle befragten Antirassisten im gleichen Umfang gilt. Ralf, Sascha, Johannes, Martin und zu einem geringeren Anteil Kai erzählten von vielen Erfahrungen mit Rassismen. Einige Aktivisten fanden Wege der macht- und selbstkritischen Reflexion, die Privilegierungserfahrungen ermöglichte und sie zu vorsichtigen und umsichtigen Positionierungen brachte. Um diese Wege der antirassistischen Selbsttechniken und rassismuskritischen Subjektbildung soll es in den folgenden zwei Unterpunkten gehen. Es wurde in den bisherigen Ausführungen gezeigt, dass »Rassismen, so könnte dies in knappster Form auf den Punkt gebracht werden, subjektivieren« (Mecheril & Melter 2011: 17). Die symbolischen Ordnungen der Rassismen führen jedoch nicht zu einer unwidersprochenen Unterwerfung der Individuen – sie werden fortlaufend herausgefordert, bekämpft, abgebaut und verändert. Mit Emre Arslan bedeutet rassistische Subjektivierung nicht stille Unterwerfung: Diese Behauptung bedeutet jedoch nicht, dass die Individuen passive Träger der Strukturen sind, wie der Strukturalismus oder andere Formen des Objektivismus es annehmen. Die Individuen können unterschiedliche und sogar gegensätzliche Haltungen gegenüber rassistischen Strukturen entwickeln. (Arslan 2016: 25)

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Dieser antirassistischen Haltung und ihrer Funktionsweise als Selbsttechnik mitsamt ihren Ambivalenzen soll in den folgenden Ausführungen nachgegangen werden.

Antirassismus als ambivalente Selbsttechnik Antirassismus als Selbsttechnik zu verstehen, bedeutet, den Blick auf das Subjekt zu richten und zu fragen, welchen Einfluss antirassistische Diskurse, Praktiken, Subjektvorstellungen auf die sozialen wie politischen Positionierungen der befragten Aktivisten haben. Es hat sich in den Rekonstruktionen gezeigt, dass einige der von den Antirassisten angewandten Selbsttechniken als ambivalent zu betrachten sind. Dies gilt besonders für die Selbsttechniken des Reisens, der Auseinandersetzung mit antirassistischer und privilegienkritischer Lektüre und mit dem Anschließen an antirassistische Traditionslinien.

Ambivalente Selbsttechniken Die grundsätzliche Ambivalenz der antirassistischen Selbsttechniken ist, dass […] antirassistische Praxen immer auch an rassistische Logiken anschließen und deshalb daraufhin geprüft werden sollten und gut daran tun, sich selbst daraufhin zu betrachten. (Mecheril 2004: 180) Diese rassistischen Logiken wurden etwa in Bezug auf Reisen bereits angesprochen, müssen aber vor dem Hintergrund der Deutung des Reisens als Teil einer antirassistischen Subjektbildung neu bewertet werden. Wir haben bereits gesehen, dass in der Erzählung der Aktivisten häufig Neugierde als Motivationsgrund für die eigenen Reisen ausgemacht wurde und dass sie sich in der Folge ihrer Reisen als offenere und ihre partikulare Lebenswelt stärker reflektierende Menschen positionierten. Wir haben auch gesehen, dass die Reisen häufig in einem kulturalisierenden und postkolonialen Blick gedeutet wurden. In diesem Zusammenhang ist es erstaunlich, dass Reisen von fast allen befragten Antirassisten (außer Martin und Johannes) als wichtiger Teil ihrer antirassistischen Haltung und Praktiken verstanden wurden. Valentin deutete Reisen als Form der antirassistischen »Präventivsozialisierung« (Valentin) und Sascha gab an, dass er in seiner Neugier auf andere Lebensrealitäten, die er unter anderem mit Reisen befriedigt, einen direkten Zusammenhang zu seiner antirassistischen Praxis ausmacht. Die Ambivalenz von Reisen als antirassistischer Selbsttechnik zeigt sich sehr stark an der Positionierung Lucas als »white saviour« (vgl. Cole 2016) in Bezug auf seine Erfahrungen in Bolivien. Auf der Grundlage von viktimisierenden Diskursen über den globalen Süden leitet er eine Aufgabe zu Handeln und Sprechen für Menschen im globalen Süden ab, die er als unpolitisch und passiv konstruiert. Luca entwickelt auf der Basis dieser Erfahrungen eine paternalistische antirassistische Positionierung. Auch bei Cornelius führen die Reiseerfahrungen eher zu einer Bestätigung des eigenen eurozentristisch überhöhten Selbstbildes.

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Differenzierter gestaltet sich dies bei Valentin, Stefan und Sascha. In der Erzählung von Valentin war der Versuch erkennbar, eigene »Denkschubladen« (Valentin) zu hinterfragen und über Reisen die eigene partikulare Sozialisation besser zu verstehen. Ähnliches gilt für die Erzählung von Stefan. Wir haben im obigen Punkt gesehen, dass beide trotz alledem einer kulturalisierenden Brille treu geblieben sind. Anders bei Sascha, der die postkoloniale Kritik am Reisen kennt, sich klar von der Positionierung als weißer Hobby-Ethnologe im globalen Süden abgrenzt und trotzdem den Wert des Reisens und des Kennenlernens von anderen Lebensrealitäten hochhält. Als zweite häufig angewandte antirassistische Selbsttechnik mit Ambivalenzen kann die Auseinandersetzung mit antirassistischer und privilegienkritischer Lektüre bezeichnet werden. Alle befragten Antirassisten erzählen davon, wie sie sich mit den eigenen Privilegien beschäftigen. Luca, Manuel, Cornelius und Kai haben sich im Rahmen ihrer Initiative explizit mit den privilegienkritischen Texten der Kritischen Weißseinsforschung auseinandergesetzt. Auch Ralf, Sascha und Johannes beziehen sich explizit auf antirassistische Lektüre und leiten soziale wie politische Positionierungen daraus ab. Die »Postkoloniale Theorie« (Ralf, Sascha) und der »Schwarze Feminismus« (Johannes) sind zwei weitere rassismus- und privilegienkritische Perspektiven, auf die sich die Aktivisten berufen. Die Beschäftigung mit den Texten führt zu völlig unterschiedlichen sozialen wie politischen Positionierungen, die abermals die Ambivalenz antirassistischer Selbsttechniken in einer rassistischen Gesellschaft aufzeigen. Bei Luca, Manuel, Cornelius, Valentin und Kai führte die Beschäftigung mit den hegemoniekritischen Diskursen zu einer »Ja-aber-Mentalität«. Zwar beteuerten sie, dass sie sich aufgrund ihrer sozialen Position als privilegiert betrachten, es wurde aber nicht erkennbar, welche Konsequenzen diese Erkenntnis hat. Ganz im Gegenteil wurde etwa von allen fünf Antirassisten das Thema dort vertiefend behandelt, wo es um die Zusammensetzung des antirassistischen Vereines geht. Die Aktivisten bedienten sich einer Argumentationslinie, die einen Widerspruch aus (rassismuskritischer und machtsensibler) Vereinszusammensetzung und Handlungsfähigkeit herstellte. Während Luca, Manuel, Cornelius und Kai mit dieser Argumentation die eigene weiß-dominierte Vereinsstruktur legitimierten, benützte der von den vier Aktivisten völlig unabhängige Valentin die gleiche Argumentationslinie für seine Kritik an den Problemen seines antirassistischen Vereines mit mehrheitlich rassismuserfahrenen Menschen im Vorstand. Diese Aneignung von privilegienkritischen Diskursen zum eigenen Vorteil kann zu einer Reproduktion von Rassismen führen. Sie hat mit Sara Ahmed eine selbst- und gesellschaftsimmunisierende, »nichtperformative« (Ahmed 2006) Funktion. Die biographischen Erzählungen haben aber auch völlig unterschiedliche Umgangsweisen mit antirassistischen und privilegienkritischen Perspektiven offenbart. Ralf, Sascha, Martin und Stefan haben aus der eingehenden Beschäftigung mit der eigenen sozialen Position und damit zusammenhängenden Privilegien neue rassismuskritische Positionierungen abgeleitet. Sie werden im abschließenden Unterpunkt »Rassismuskritische Subjektbildung« eingehend besprochen. Die dritte ausgemachte Ambivalenz betrifft die Anknüpfung an antirassistische Traditionslinien. Ralf, Sascha und Johannes sind jene Antirassisten, die sich im Zuge ihrer biographischen Erzählung dezidiert mit antirassistischen Traditionen auseinandersetz-

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ten und sich dahingehend positionierten. Ralf reflektierte seine Anfänge in einer studentisch-linken Initiative, die sich vornehmlich gegen Rassismus von rechts engagiert, und sein Engagement in migrantischen Vereinen. Er positionierte sich klar gegen paternalistische Traditionen und musste sich gleichzeitig eingestehen, dass eine bestimmte Form der Fremdvertretung Teil seiner antirassistischen Bildungsarbeit ist. Sascha knüpfte an die Tradition der antirassistischen Proteste der selbstorganisierten Refugee-Bewegung an und positionierte sich als »Supporter«. Diese Positionierung als Unterstützer, als Alliierter sollte er auch in anderen antirassistischen Kontexten einnehmen. Johannes positionierte sich in einer Tradition der Antisemitismuskritik innerhalb linker Kontexte. Stefan und Martin sehen ihren Verein in der Tradition des selbstorganisierten Antirassismus in Österreich. In den Erzählungen von Luca, Manuel, Cornelius und Kai, die zum Teil Gründungsmitglieder ihres antirassistischen Vereines sind, fehlt eine Verortungspraxis. Hier entsteht der Eindruck, dass die Aktivisten sich wenig bis gar nicht mit der Geschichte des Antirassismus in Österreich und gegenwärtigen Bewegungen auseinandergesetzt haben. So wiederholen sie mit ihrer Vereinsstruktur die antirassistische Traditionslinie des dominanzgesellschaftlichen NGO-Antirassismus. Die Unkenntnis der Traditionen des Antirassismus blendet ebenso aus, dass Antirassismus im deutschsprachigen Raum maßgeblich von Menschen mit Migrations- und Rassismuserfahrungen vorangetrieben worden ist. Eine Kenntnis dieser Traditionslinie und der Kritik an dem paternalistischen dominanzgesellschaftlichen Antirassismus hätte dann dazu führen können, dass die Gruppe gegenüber ihrem Ansatz der »Arbeit mit Betroffenen« (Luca, Martin, Kai) selbstkritischer eingestellt wäre. Auch in der Kritik von Valentin an antirassistischen Akteur*innen mit Rassismuserfahrungen zeigt sich der Anschluss an eine Traditionslinie der paternalistischen Fremdvertretung. In den biographischen Erzählungen finden sich auch Spuren einer weiteren antirassistischen Traditionslinie: das Einzelkämpfer*innentum (vgl. Wollrad 2011). Antirassistische Privilegienkritik ist für Einzelkämpfer*innen nur schwer denkbar. Hierfür braucht es ein kritisches und diverses Umfeld. Eske Wollrad (2011) hat die Praxis des Einzelkämpfer*innentums als typisches Selbstverständnis von weiß positionierten Personen beschrieben und benennt die damit zusammenhängenden Illusionen: Erstens: Ich kann Rassismus verlernen. Zweitens: Ich kann das allein. Drittens: Ich bin die bessere Weiße, deshalb kann ich ignoranten Weißen etwas beibringen. (Wollrad 2011: 151) Die privilegiert positionierten Antirassisten sind in ihrer antirassistischen Praxis darauf angewiesen, von Erfahrungen zu lernen, die sie selbst nicht machen. Dieses Lernen von Erfahrungen ist ebenfalls ambivalent. Im folgenden Unterpunkt wird die Problematik der »Aneignung von Erfahrungen« diskutiert, während im nachfolgenden Punkt »Rassismuskritische Subjektbildung« alternative Positionierungen aufgezeigt werden.

Aneignung von Erfahrungen Die Problemstellung der Aneignung von Erfahrungen gliedert sich in drei Bereiche: In den Interviewrekonstruktionen wurde erstens sichtbar, dass einige der befragten Akti-

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visten sich ihre antirassistischen Grundsätze nur sehr oberflächlich aneignen. Zweitens zeigten die Interviews, dass diese Aneignungsprozesse sehr eigennützig motiviert sein können. Drittens offenbarte sich in drei Interviews (Ralf, Johannes, Cornelius) das Problem der Aneignung von Rassismuserfahrungen. Die oberflächliche Aneignung der Subjektposition des Antirassisten wurde besonders in den Interviews mit den vier jungen Aktivisten sichtbar. Luca, Manuel, Cornelius und Kai machten in den Interviews keinen Hehl daraus, dass sie zufällig und über Freundschaften im Uni-Milieu zum Verein gekommen sind. Eine oberflächliche Aneignung bedeutet nicht, dass sie ihren Aktivismus nicht ernst nehmen. Alle vier Antirassisten investieren viel Zeit in ihre Arbeit, sprechen dies mehrfach an und fordern es auch von den anderen Vereinsmitgliedern. Oberflächlich ist die Aneignung deshalb, weil alle vier Aktivisten in den Interviews nicht erkennen lassen, dass sie die Problemstellung Rassismen tatsächlich in irgendeiner Form bewegt, beschäftigt, ärgert oder auch nur interessiert. Bei der Rekonstruktion der Erzählungen entstand vielmehr der Eindruck, dass ihr Engagement sich völlig zufällig ergeben hat und auch etwas ganz anderes sein hätte können. Dazu ist vor allem bei zwei Aktivisten (Luca und Manuel) der Anschein entstanden, dass sie den Verein gern in Richtung Kulturplattform (Luca) und antifaschistische Gruppe (Manuel) verändern wollen. Die oberflächliche Aneignung zeigt sich dann auch in der Diskussion von Theorien, der Vereinsstruktur, ihrer Aktionen und der Kenntnis ihres aktivistischen Umfeldes. Die meisten Themen wurden nur andiskutiert und wenn es an Problemstellungen wie etwa eigene Privilegien, Kritik an ihrem Verein und Veränderungen innerhalb des Vereines ging, wurde dies meist mit der Argumentation, sofort handeln zu wollen, weggewischt. Diese oberflächliche Aneignung zeigte sich dann auch auf der emotionalen Ebene der Aktivisten. Einige der Antirassisten (Luca, Cornelius, Kai, Stefan) konnten keinerlei Erlebnisse erzählen, mit deren Hilfe sie versuchten, den Schmerz, den Formen von Rassismus bei Menschen und innerhalb der Gesellschaft verursachen, auch nur annähernd nachzuempfinden, um dies dann vielleicht als einen Ausgangspunkt des eigenen antirassistischen Handelns zu nehmen. So sind dann auch die besprochenen privilegienkritischen Reflexionen eher ein »theoretisches« Problem und nicht etwas, das die Aktivisten in ihrem Selbstbild erschüttert. Ohne diese Ebene des ansatzweisen Spürens der Schmerzen, die Rassismen hinterlassen, und ohne das Zulassen der unangenehmen Erfahrungen der Einsicht, selbst ein Teil des Problems zu sein und zeit seines Lebens von Rassismen profitiert zu haben, besteht die Gefahr einer Positionierung als lediglich rhetorischer Antirassist (Luca). Dass dies abermals nicht bei allen interviewten Personen gleichermaßen der Fall war und hier auch andere Wege beschritten wurden, werde ich später im Punkt »Anerkennung von Erfahrungen« darlegen. Im Zusammenhang zu den besprochenen eher zufälligen Aktivisten mit der problematischen Positionierung als »rhetorischer Antirassist« steht die Frage der subjektiven Motivation für ihren Einsatz. Die Aneignung der antirassistischen Subjektposition muss auch vor dem Hintergrund von Eigeninteressen betrachtet werden. Anja Weiß (1998) hat eine Reihe von Eigeninteressen von privilegiert positionierten Antirassisten beschrieben, die auch im Falle der von mir interviewten Personen eine Rolle spielen. »Politische Eigeninteressen« (ebd.: 277) stehen bei Luca und Manuel im Vordergrund. Bei beiden ist scheinbar das Vorhaben eines großen Gesellschaftswandels wichtiger als konkrete anti-

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rassistische Arbeit. Antirassismus kann hier als Vehikel für andere politische Interessen angeeignet werden. Das nimmt Ressourcen, Aufmerksamkeit, den aktivistischen Platz jenen weg, die tatsächlich an antirassistischer oder rassismuskritischer Arbeit interessiert sind. Das zweite weitverbreitete Eigeninteresse nach Anja Weiß ist das »pragmatische Eigeninteresse« (ebd.). Besonders bei den jungen Aktivisten entstand im Zuge der Rekonstruktionen der Eindruck, als wäre ihre antirassistische Arbeit ein Teil ihrer Studienzeit – eine Möglichkeit, politische Praxiserfahrungen zu sammeln. Das Eigeninteresse der privilegiert positionierten Antirassisten muss auch vor einem größeren Hintergrund betrachtet werden – nämlich ihrer privilegierten sozialen Position in Bezug auf Rassismen. Als weiß-dominanzgesellschaftliche Person Antirassist zu werden, kann auch bedeuten, besser als andere Privilegierte sein zu wollen und sich damit von Rassismen freizusprechen. Die Subjektposition ist dann jene der »good whites« (Thompson 2003). Die antirassistische Subjektbildung kreist dann ständig um das Vorhaben, eine gute weiße Antirassist*in zu sein. Hierbei kommt es zu einer Rezentrierung des Weißseins und das eigentliche Anliegen, Rassismen zu bekämpfen und davon betroffene Menschen zu unterstützen, wird vernachlässigt. Im Falle der Diskussionen der Gruppe der jungen Antirassisten über Kritische Weißseinsforschung wirkt es ein wenig so, als ginge es hier vornehmlich um Selbstentlastung. Audrey Thompson kritisiert diesen Fokus auf die Entwicklung weißer Identität im Antirassismus: Although they call upon whites to challenge racism and privilege, their central preoccupation is with white identity development: antiracism is organized around white students’ personal growth. (Thompson 2003: 15) Thompson weist in ihrem Artikel auch darauf hin, dass eine Strategie dieser Inszenierung als »good white« darin besteht, Freundschaften zu People of Color dahingehend auszubeuten, dass sie eben auch davon angetrieben sind, die Bestätigung über ihre Positionierung als »friend of people of color« (ebd.) zu erhalten. In den Rekonstruktionen der Erzählungen konnten Spuren dieser Positionierung sichtbar gemacht werden. Einmal bei der Sequenz von Luca über eine aktivistische Mistreiterin of Color, die er ausschließlich dort zitierte, wo es um die Legitimierung der weiß dominierten Gruppe ging. Auch bei den Beschreibungen von Cornelius tauchten Sequenzen einer Inszenierung als guter Privilegierter auf, indem er auf kulturalisierende Weise sein diverses Umfeld darstellte und das zugleich als ausschlaggebend für seine »Offenheit« erklärte. Die in einigen Erzählungen vorgenommenen klassistischen Verschiebungen von Rassismen in einen Bereich außerhalb des eigenen bürgerlichen Milieus (Luca, Cornelius, Kai), etwa in das ländliche Österreich oder nach Ostdeutschland, können auch vor diesem Hintergrund der Inszenierung eines besseren – weil gebildeten – Weißen gelesen werden. Es wird sich im kommenden Punkt abermals zeigen, dass andere Aktivisten hier völlig differente Wege eingeschlagen haben. Freundschaften sind hier nicht Mittel zum Zweck oder Wege zur Inszenierung eines besseren Weißen, sondern Impulsgeber*innen und zentrale Instanzen, was die eigenen sozialen wie politischen Positionierungen betrifft. Die dritte aus den Erzählungen rekonstruierte Form der Aneignung von Erfahrungen betrifft schließlich die Rassismuserfahrung selbst. In der Erzählung von Johannes

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war dies besonders klar ersichtlich. Die biographische Narration von Johannes ist äußerst komplex, da er im Zuge seines Lebens sehr unterschiedliche soziale Positionen annimmt. In den USA und Südafrika ist er am Rande des Weißseins, weil er selbst von ausländischen Eltern abstammt und weil sich seine Familie gegen den rassistischen Status quo positioniert – obwohl sie großteils davon profitiert. Die eigene Rassismuserfahrung macht Johannes aber in Österreich aus, wenn er als »Ausländer« stigmatisiert wird. In den Sequenzen macht Johannes auf reale Diskriminierungserlebnisse aufmerksam. In Anbetracht der Tatsache aber, dass er über viele Rassismuserfahrungen von Freunden spricht und deren unterschiedliche Dimension kennt (wie etwa in der Erzählung über seinen jüdischen Freund aus Großbritannien), scheint es so, als würde er sich Rassismuserfahrungen auch partiell aneignen. Besonders augenscheinlich war dies am Beispiel des Vergleiches seiner Migrationserfahrung mit Flucht- und Vertreibungserfahrungen. In Anbetracht der zum Teil rassistischen Positionierungen von Johannes in dem Interview ist die Vermutung der Aneignung von Rassismuserfahrungen zur eigenen Immunisierung nicht unbegründet. Cornelius hat seine Position als deutscher Student in Österreich und bestimmte Diskriminierungserfahrungen zunächst als Rassismuserfahrung bezeichnet, wie auch Ralf eine Erfahrung auf einer Reise zunächst in Bezug auf Rassismus erzählte. Während Cornelius seine Einschätzung im Interview korrigierte und nun von einer Diskriminierungserfahrung – anstatt von einer Rassismuserfahrung – sprach, diskutierte Ralf seine Diskriminierungserfahrung in Bezug auf seine privilegierte Position. Die dargestellten Formen der Aneignung von Antirassismus und Rassismuserfahrung zur eigenen Überhöhung und Entlastung führen zu einer »Nicht-Performativität« (vgl. Ahmed 2006) von Antirassismus und nicht zu einer »embodied practice« (vgl. Tangenberg & Kemp 2002). Der Antirassismus verbleibt lediglich auf der Oberfläche, lebt von einer bestimmten Terminologie und Rhetorik, ist dabei aber nicht auf der Grundlage von Erfahrungen, Wissen und Reflexionen begründet – sondern eine nach außen inszenierte Aneignung ebendieser. Diese Form des nichtperformativen Antirassismus und der nichtverkörperten rassismuskritischen Subjektbildung rüttelt weder an eigenen Privilegien noch an Machtstrukturen – sie führt eher zu einer Immunisierung »through the self-representation of being anti-racist« (Dhawan & Castro Varela 2016: 21). Mit María do Mar Castro Varela und Nikita Dhawan kann diese Form des Antirassismus gar zu einer Stabilisierung der Machtverhältnisse beitragen: »its very success lies in not doing what it claims« (Dhawan & Castro Varela 2016: 21).

Rassismuskritische Subjektbildung Wir haben in den bisherigen Ausführungen gesehen, dass Rassismen als Techniken der Subjektivierung verstanden werden können. Die symbolischen Ordnungen der Rassismen vermitteln sich den Individuen über rassistisches Wissen und führen zu einer frühen rassistischen Sozialisation. Die Subjekte innerhalb rassistischer Ordnungen unterwerfen sich aber nicht einfach passiv, sondern entwickeln auch gegensätzliche, kritische Haltungen. Wir haben auch gesehen, dass diese Positionierungen nicht in einem rassismus- und machtfreien Raum stattfinden und deshalb voller Ambivalenzen sind. Mit Em-

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re Arslan liegt genau in diesem Wissen über die positionsspezifische Eingebundenheit in rassistische Verhältnisse der Schlüssel zu Widerstand und relativer Handlungsfreiheit: Anders als in der subjektivistischen Annahme konstituiert, handelt es sich dabei jedoch nicht um eine Handlungsmöglichkeit vorurteilsfreier und urteilsfähiger Individuen. Denn nur durch einen selbstreflexiven Umgang mit den eigenen durch die eigene Sozialisation und durch die gesellschaftlichen Strukturen hervorgebrachten Zwänge und Möglichkeiten erkennen die Individuen Spielräume, um die Verhältnisse in den jeweiligen Sozialräumen effektiver neu zu gestalten. (Arslan 2016: 25) Diesen rassismuskritischen – also macht- und selbstreflexiven – Positionierungen der befragten Antirassisten soll im nun abschließenden Teil dieser Studie in vier Punkten nachgegangen werden. Die Eingebundenheit in rassistische Machtverhältnisse mitsamt rassistischem Wissen und spezifischer Privilegien führt dazu, dass die Antirassisten in ihrer antirassistischen Praxis immer wieder scheitern. Dieses Scheitern wird als Teil eines rassismuskritischen Prozesses betrachtet und unter bestimmten Voraussetzungen als produktives Voran-Scheitern beschrieben. Die Positionierungsprozesse von einigen der Aktivisten werden als Re-Positionierungen beschrieben, als Wieder- und gleichzeitige Neubesetzung der eigenen privilegierten sozialen Position, die dann zu einer machtund selbstreflexiven, solidarischen politischen Positionierung führen kann. Für diese Positionierungen ist eine anerkennende Haltung gegenüber Erfahrungen – und keine aneignende Haltung – notwendig. Die Aktivisten vollziehen hier einen Blickwechsel auf Rassismuserfahrungen und sind so mehr in der Lage, eigene Privilegierungserfahrungen zu erkennen. Schließlich hat sich gezeigt, dass rassismuskritische Subjektbildung in alltäglichen Situationen und Momenten entsteht und nicht unbedingt formale und theoretische Bildung voraussetzt. Diese konvivialen Bildungsmomente in Mikro-Öffentlichkeiten des Alltags sollten einen größeren Stellenwert innerhalb rassismuskritischer Reflexion einnehmen.

Scheitern als Teil des Prozesses: Voran-Scheitern Scheitern als Teil der rassismuskritischen Subjektbildung von privilegiert positionierten Antirassist*innen anzuerkennen, ist problematisch. Jedes Scheitern birgt die Gefahr von Verletzungen, der Verhinderung oder gar Gefährdung antirassistischer Praxis und des Bestands ganzer rassismuskritischer Initiativen. Dieses Scheitern als Teil des Prozesses anzuerkennen, birgt die Gefahr, rassismusrelevantes Verhalten zu legitimieren. In diesem Sinne unterscheide ich zwischen Scheitern und produktivem Scheitern. Produktives Scheitern kennzeichnet sich durch seine selbstreflexive Dimension. Selbstreflexiv nicht nur im Nachhall des Scheiterns im Sinne einer Aufarbeitung, Anerkennung der Verantwortung und Entschuldigung, sondern auch antizipativ. In der Erzählung von Martin etwa nimmt dieses produktive Scheitern einen wichtigen Raum ein. An dieser Stelle soll noch einmal der Satz von Martin wiederholt werden, in dem er sich mit den Gefahren des Fehlermachens und des Scheiterns beschäftigt:

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Und das macht das Ganze auch so schwierig, weil mir ja natürlich so im ganz normalen Alltagshandeln klar ist, dass ich Fehler mache, aber natürlich ich nicht weiß welche. Da ist halt so ein enormes Frustrationspotenzial. (Martin 1221–1223) Martin weiß nicht nur, dass er aufgrund seiner Sozialisation, der Erfahrungen aus seiner privilegierten Position Fehler machen wird – etwa was die Reproduktion von Rassismen betrifft –, sondern auch, dass er dies nicht immer bemerken wird. Diese vorauseilende Vorsicht bringt ihn nicht nur zu vorsichtigeren und umsichtigeren Positionierungen, sondern lässt ihn auch eine lernende Grundhaltung einnehmen. Saschas Erzählung über seine Teilnahme an einer Diskussionsveranstaltung zum Thema Rassismus, in der gegen die Vereinbarung zwei Aktivist*innen of Color herausgeschnitten wurden, sodass nur die zwei teilnehmenden weißen Männer zu sehen waren, kann als ein weiteres Beispiel dieses Scheiterns beschrieben werden. Sascha hatte seine Teilnahme an die Voraussetzung geknüpft, dass rassismuserfahrene Menschen an der Diskussion teilnehmen – dieses Versprechen wurde gebrochen. Sascha zog seine Lehre daraus, indem er in Zukunft noch vorsichtiger sein und derlei Abmachungen schriftlich absichern will. Produktiv ist dieses Scheitern, weil die Erfahrung so grundlegend war, dass er bei der Zu- oder Absage künftiger Beteiligungen eine schriftliche Zusicherung für die Besetzung der Teilnehmenden einfordert. Dass die Reflexion des Scheiterns nicht automatisch einen produktiven Charakter entfalten muss, hat sich in der Erzählung von Johannes gezeigt. Zwar übernimmt er die Verantwortung für sein früheres Mitmachen im von ihm so bezeichneten »Arrangement des Antisemitismus« (Johannes) und reflektiert dies genauso wie seine rassistischen Vorstellungen aus seiner Kindheit als Unrecht. Diese Reflexion und Verantwortungsübernahme führt allerdings nicht automatisch zu einer reflexiven und rassismuskritischen Haltung in Bezug auf antimuslimischen Rassismus – ganz im Gegenteil. Das Scheitern der befragten Antirassisten kann auch auf einer anderen Ebene beobachtet werden. Die dominante gesellschaftliche Position (weiß-dominanzgesellschaftlich, männlich, bürgerlich, heterosexuell, able bodied, heteronormativ) der Aktivisten beinhaltet neben den vielfachen Privilegien auch bestimmte Kosten: Kosten der Dominanz. Rassismuskritik und die Kritik an anderen Ungleichheitsverhältnissen sind also auch im Interesse jener, die davon profitieren: Wir alle können davon profitieren. Zum einen, weil Unterdrückung ganze Teile unserer Menschlichkeit hemmt, zum anderen, weil unser Selbstwertgefühl von der Unterdrückung anderer abhängt. Die soziale Hierarchie lässt uns auf die Über- oder Unterlegenheit anderer angewiesen sein, um uns wertvoll oder wertlos zu fühlen. Wie wäre es, wenn wir uns kollektiv davon befreien würden, und jeder Mensch den eigenen Wert erkennen würde, ohne sich auf den Vergleich mit anderen verlassen zu müssen? (Roig 2021: 22) Auf der Ebene des Selbstwertes und der Selbstwahrnehmung profitieren Menschen davon, wenn sie die eigene Wertigkeit auch ohne Othering erkennen und sich nicht über Abwertungen definieren. Ibrahim X. Kendi weist darauf hin, dass von einer Gesellschaft mit mehr Chancengleichheit der Großteil der Bevölkerung profitieren würde:

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Aber es stimmt auch, dass in einer Gesellschaft mit gleichen Chancen, in der nicht das oberste Prozent der Bevölkerung das gesamte Vermögen hortet und die Macht hat, auch die große Mehrheit der Weißen profitieren würde, sogar deutlich mehr als in einer rassistischen Gesellschaft. Es ist kein Zufall, dass zur Zeit der Sklaverei auch der Großteil der weißen Bevölkerung in den Südstaaten arm war. (Kendi 2017: 539) Es gibt plausible Gründe, die für ein »weißes Selbstinteresse am Abbau von Rassismus« (Bönkost 2019: 77) sprechen. Bönkost folgend, ist eine Reflexion der eigenen Motivation essentiell, um »Verstrickung und Fallstricke sichtbar und bearbeitbar« (ebd.: 86) zu machen und gleichzeitig auch die Motivation für rassismuskritische Anliegen als Teil des eigenen Interesses wahrzunehmen. Rassismus verletzt unsere ganze Gesellschaft, und bei genauem Hinsehen sind in jedem rassistischen System alle Menschen auf unterschiedliche Art betroffen. Weiße Menschen verlieren ihre Würde, wenn sie Rassismus ausüben oder geschehen lassen. (Sow 2008: 272) Die Gefahren dieser Perspektive bestehen in einer Selbst-Viktimisierung, die unter der Bezeichnung »white tears« (vgl. Liebow & Glazer 2018) als Teil einer »weißen Fragilität« (DiAngelo 2018) diskutiert wird. Gleichermaßen ist aber die Rhetorik der Nichtbetroffenheit von Rassismen ein problematischer Mythos. Beides führt zu Abwehrstrategien und zur Verkennung der eigenen privilegierten Position und rassistischen Verstrickungen: Die Markierung der Nichtbetroffenheit legt sich um sie wie ein Schutzmantel, an dem alle rassistischen Äußerungen und Verhaltensweisen abprallen. (Wollrad 2011: 153) Scheitern ist also sowohl Teil der antirassistischen und rassismuskritischen Praxis wie auch Teil der Privilegien in rassistischen Gesellschaften. Die vergangenen Momente und zukünftigen Möglichkeiten des Scheiterns zu reflektieren und zu berücksichtigen, ist notwendig, um aus diesem Scheitern Lernmomente generieren zu können. Unter diesen Voraussetzungen kann Scheitern als produktives Voran-Scheitern bezeichnet werden. Weil aber jedes Scheitern Verletzungen auslöst und Rassismuskritik erschwert, sollten alle Bemühungen in eine größtmögliche Reduktion des Scheiterns gesteckt werden – im Sinne des rassismuskritischen Duktus von »Fehlerfreundlichkeit vs. Verletzungssensibilität« (vgl. Tilch 2020: 168). Rassismusrelevantes Scheitern zu reflektieren und zu reduzieren, bedeutet auch ein Stück weit die Rückgewinnung der eigenen Menschlichkeit. Mit Spivak sollten Privilegien als Verlust gesehen werden: »unlearning one’s privilege as one’s loss« (Spivak 1996: 4). Es wurde bereits mehrfach gezeigt, dass die rassismuskritischen Subjektbildungsprozesse, innerhalb derer Scheitern eine Rolle spielt, nicht alleine denkbar und möglich sind. Die privilegiert positionierten Aktivisten sind darauf angewiesen, von Erfahrungen zu lernen, Wissen zu generieren und in Bündnissen zu arbeiten.

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Anerkennung von Erfahrungen: Blickwechsel auf Rassismuserfahrungen und Privilegierungserfahrungen Im Gegensatz zur besprochenen Problemstellung der Aneignung von Antirassismus und Rassismuserfahrungen zum eigenen Vorteil wie zur oberflächlichen Selbstimmunisierung bedeutet Anerkennung von Erfahrungen etwas grundsätzlich anderes. Die Rekonstruktionen haben gezeigt, dass Formen der Anerkennung von Erfahrungen in Bezug auf Rassismen auf zwei zusammenhängenden Ebenen stattgefunden haben: Die befragten Antirassisten haben begonnen, die unsichtbare Normalität der Privilegien aufzubrechen und ihre privilegierte soziale Position zu reflektieren, weil sie Rassismuserfahrungen in den Mittelpunkt ihrer antirassistischen Reflexion und Praxis gestellt haben. Ausgehend von Erfahrungen mit Rassismen konnten die Aktivisten über eigene vergangene und gegenwärtige Privilegierungserfahrungen reflektieren. Bei Ralf zeigte sich, dass gegenhegemoniale Diskurse – er nannte hier Gender Studies und Postkoloniale Theorie – grundlegend für das Verständnis seiner sozialen Position innerhalb antirassistischer Zusammenhänge geworden sind. Die Ideen selbst und das Sprechen darüber im Kreise von Studierenden führten für ihn zu einer Anerkennung seiner spezifischen sozialen Position. Diese Positionsreflexivität hatte auch eine konsequente Infragestellung seiner Arbeitsorganisation und seiner Position darin zu Folge. Anerkennend und nicht aneignend ist diese Positionierungspraxis, weil Ralf sich mit diesen Diskursen weder legitimiert noch immunisiert und sie auch nicht rein rhetorisch bleiben. Seine Erzählungen sind gekennzeichnet durch ein selbstkritisches Ringen um die Legitimität seiner Position im Verein. Gleichzeitig übt er Kritik an der Leitung und versucht, durch subversive Praktiken einen Teil seiner Macht abzugeben. Die beschriebene Praxis des »Powersharing« (vgl. Nassir-Shahnian 2020), also das Vermitteln von Ressourcen und Wissen an eine Freundin, die er unterstützen möchte, die aber auch Konkurrentin um Projektgelder ist, kann als tatsächlicher Versuch der Machtabgabe bezeichnet werden. Sascha, Martin und Ralf verwenden familiale und eigene Marginalisierungserfahrungen nicht in der aneignenden, sondern in einer anerkennenden Weise. Für sie besitzen eigene Diskriminierungserfahrungen eine Brückenfunktion – nicht um die Parallele zu Rassismuserfahrungen herzustellen und die Erfahrungen gleichzusetzen. Sascha und Martin stellen einen Bezug her zwischen der klassenbedingt marginalisierten Stellung der Familie (Sascha) und von sich selbst (Martin) und ihrer im Hinblick auf rassistische Machtverhältnisse klar privilegierten Position. Die relativ marginalisierte Position in der einen Dimension sozialer Ungleichheit lässt sie ihre relativ privilegierte Position in einer anderen erkennen. Die von Ralf erzählte Diskriminierungserfahrung im Urlaub, als er als weißer Europäer wegen der beginnenden Corona-Pandemie im Ausland Diskriminierung erfährt, reflektierte er in Bezug auf seine globalen Privilegien und nicht, um diese zu relativieren. Die Anerkennung der eigenen Privilegien ermöglicht radikale Solidarität, auch von Menschen, die in einer Hinsicht privilegiert sind, und in einer anderen benachteiligt. (Roig 2021: 349)

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Dieser Fokus auf eigene Privilegierungserfahrungen ist wiederum nur dadurch möglich, dass Wissen über Rassismen und Wissen über Rassismuserfahrungen erworben wird. Privilegien sind relativ und entstehen nur über Ausschlüsse und Marginalisierungen. Wir haben gesehen, dass die privilegierte Position von Subjektivierungen und dem spezifischen privilegierten Standpunkt geprägt ist. Die Möglichkeit zur Reflexion der eigenen Privilegien setzt also die Anerkennung dieses eigenen situierten Standpunktes, des eigenen »situierten Wissens« (Haraway 1995) voraus. Rassismuserfahrungen anzuerkennen und nicht nur anzueignen, heißt auch zu akzeptieren, dass ich aus einer privilegierten Situation zunächst die Aufgabe habe, zuzuhören und von Erfahrungen und von Wissen zu lernen, das ich nicht habe. Unter dem Konzept des »migrantisch situierten Wissens« wird dieser Blickwechsel auf Rassismuserfahrungen besonders klar illustriert: Migrantisch situiertes Wissen bedeutet, dass diejenigen, die von Rassismus betroffen sind – vom gerade angekommenen Flüchtling bis zu Migrant_innen der x-ten Generation – aufgrund ihrer Lebensrealität Bescheid wissen, was Rassismus bedeutet, in welchen Formen er auftritt, welche Mechanismen in ihm wirken, welche Institutionen davon durchsetzt sind und vor allem, wie man auf einer alltäglichen Ebene den unterschiedlichen Rassismen begegnet werden kann [sic!], wie sie unterlaufen werden können und welche antirassistischen Taktiken des Überlebens entwickelt werden müssen. Migrant_innen sind damit nicht nur Zeugen eines Unrechts, über das sich Teile der Mehrheitsgesellschaft empören können, sondern vielmehr Expert_innen, deren Praktiken und Analysen handlungsleitend sein müssten für antirassistische Politiken. Nur werden dieses Wissen, diese Analysen und Kämpfe zumeist marginalisiert. Selbst wenn es um Rassismus(-erfahrungen) geht, wollen Nicht-Migrant_innen die Deutungshoheit behalten. (NSU-Tribunal 2022) Bei Sascha leitet sich aus dieser Haltung seine antirassistische Praxis ab. Er hat entschieden, über Rassismus nicht alleine zu schreiben, sondern nur mit einer rassismuserfahrenen Person. Das gleiche gilt – wie bereits dargelegt – für seine Teilnahme bei öffentlichen Veranstaltungen zum Thema Rassismen. Er markiert weiters an wichtigen Stellen seiner Erzählung, dass sein Wissen über Rassismen, seine Sensibilisierung für das Thema grundlegend durch Freundschaften geprägt sind, in deren Rahmen er auch über die Erfahrungen mit Rassismen gelernt hat. Diese Formen der indirekten Rassismuserfahrungen (vgl. Mecheril 2015: 159) beschreiben auch Johannes und Martin sehr eindrücklich. Martin lernt über die Rassismuserfahrungen von Mitschüler*innen vermittelt nicht nur von den Mechanismen und Funktionsweisen der Rassismen, sondern auch über seine privilegierte Position darin, die er kritisch als »normal« (Martin) bezeichnet. Für Johannes ist die Erzählung seines Freundes über die Rolle Israels in Bezug auf die ständige Gefahr des Antisemitismus grundlegend für seine antisemitismuskritischen Positionierungen. Für Sascha bedeutete die Zentrierung seines Antirassismus auf Rassismuserfahrungen auch ein Stück weit die Befreiung aus der von ihm beschriebenen Lähmung, die nach eingängiger Reflexion seiner Position als weißer Aktivist in antirassistischen Zusammenhängen entstanden ist. An dieser Stelle soll noch einmal ein Zitat von Sascha wiederholt werden:

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Wahrscheinlich vor ein paar Jahren hätte ich noch gesagt: »Ich kann allein einfach nichts zu Rassismus sagen«. Immer so ein bisschen, na, ich glaube, wenn ich auch das, was ich sage und wie ich Sachen sage und das genau überlege, dann kann ich schon auch Sachen zu Rassismus sagen. (Sascha 1039–1042) Sascha leitet aus der Frage, was und wie er über Rassismen spricht, auch die Notwendigkeit von Bündnissen ab, die er im Zuge seiner rassismuskritischen Praxis eingeht. Die Reflexionen des eigenen Scheiterns und der Blickwechsel auf Rassismuserfahrungen sind die Grundlage für rassismuskritischere Positionierungen. Diese Positionierungen sind immer noch an die privilegierte soziale Position gebunden, sind durch diese aber weder determiniert noch bei allen Aktivisten ident. Diese macht- und selbstreflexiven sozialen Positionierungen, die zu solidarischen politischen Positionierungen führen, sollen nun als Re-Positionierungen theoretisiert werden.

Re-Positionierungen: Macht- und selbstreflexive, solidarische Positionierungen Die von einigen Aktivisten vorgenommenen sozialen Re-Positionierungen sind auf der Grundlage von zwei macht- und selbstkritischen Praktiken entstanden: einmal durch eine grundsätzliche Revision des eigenen Lebens und einmal durch ein bewusstes Verlernen (Spivak 1996) des eigenen Wissens und gesellschaftlicher Wahrheiten. Revision des eigenen Lebens bedeutet im Gegensatz zur Positionierung als rhetorischer Antirassist, die Fragen der eigenen rassismusbedingten Privilegien nicht als Debatte zu betrachten, die ein Problem für antirassistische Handlungsfähigkeit darstellt. Es bedeutet zunächst überhaupt nicht an antirassistische Praxis zu denken, sondern grundsätzlich das eigene Leben, die Bildungsbiographie, Freundschaften und Begegnungen, die Familiengeschichte, die eigenen sozialen Positionen vor dem Hintergrund der Erkenntnis neu zu befragen, dass Rassismen mit hoher Wahrscheinlichkeit in allen Bereichen relevant gewesen sind. In dieser Revision geht es nicht um einen schamvollen, schuldhaften oder ängstlichen Blick zurück, sondern um die Übernahme von Verantwortung für die eigene Involviertheit und die Suche nach einem realistischeren Blick auf die Gesellschaft und die eigene Position darin. In der Leugnung zu verbleiben, würde die Gefühle der Scham, der Schuld und der Angst eher vermehren; eine macht- und selbstkritische Revision kann dazu beitragen, sie abzubauen – wenn sie mit Bemühungen um »Wiedergutmachung« (Kilomba 2019: 20) verbunden sind. Diese Form des »reflexive antiracism« (Kowal et al. 2013) zeigte sich stark in den Erzählungen von Johannes, Martin und in Bezug auf die Aufarbeitung des Nationalsozialismus auch in der Erzählung von Stefan. Bei Stefan zeigten sich die von Grada Kilomba in Anlehnung an Paul Gilroy beschriebenen Phasen Verleugnung, Schuld, Scham, Anerkennung, Wiedergutmachung besonders klar. Die Aussage von Stefan »Also, das kann man niemandem erzählen, oder?« kann als Startpunkt seiner kritischen Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen (Familien-)Geschichte und postnationalsozialistischen Gegenwart gelesen werden. Getan hat Stefan nämlich genau das Gegenteil: Er erzählte davon, wie seine Familie im Nationalsozialismus eingebunden war, wie sich ein Alltagsantisemitismus in seiner Familie erhalten hat und wie er in seinem Ort – entgegen verschiedener Hürden – nationalsozialistische Geschichte aufgearbeitet hat. Johannes

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hat in Teilen seine Positionen in den USA, in Südafrika und in Österreich dahingehend befragt, wie er schon als Kind gleichzeitig privilegiert wie auch marginalisiert positioniert wurde. Er hinterfragte seine eigenen Rassismen, übernahm dafür die Verantwortung und erzählte auch von Momenten des Umdenkens und des Verlernens. In Bezug auf antimuslimischen Rassismus steht Johannes wohl noch am Anfang des Weges – wenn er überhaupt gewillt ist, diesen Weg zu gehen. Martin unternahm im Zuge seiner biographischen Erzählung einen revisionistischen Blick auf seine frühkindliche Bildung, die eigene Familie sowie seine Schulzeit und seine Arbeitserfahrungen. In all diesen Bereichen machte er eine gewisse Normalität von Rassismen aus. Er sprach auch davon, wie er als junger Mensch zwar ein Problembewusstsein darüber entwickelt hatte, sich aber gegenüber der Deutungsmacht von Erwachsenen machtlos fühlte. Dieses Gerechtigkeitsgefühl, verschiedene Bildungsprozesse und Freundschaften führten schließlich zu erarbeiteten Formen des Widersprechens und des Widerstands. Martin hat selbst Marginalisierungserfahrungen gemacht und nützt diese, um Marginalsierungen zu erkennen und nachzuempfinden und gleichzeitig die eigene privilegierte Position zu verstehen, aber auch für solidarisches Handeln. Es wird hier noch einmal ein Zitat von Martin wiedergegeben: Ich habe mich da als Kind immer schon schnell mit den Personen, die selber Opfer, Mobbingopfer etc. waren, solidarisiert. Und (…) also vor allem, das waren dann meistens Personen, die haben es dann noch dicker abbekommen als ich. Also wir haben da zum Beispiel einen Burschen in der Klasse gehabt, dessen Eltern waren beide aus der Türkei und der hat es halt sofort total dick abbekommen natürlich. (Martin 67–71) Martin entwickelte bereits früh eine solidarische Positionierung, die aus der Vermengung von eigenen Marginalisierungserfahrungen und dem Spüren der eigenen Privilegien entstand. Die Vertiefung dieser frühen Erfahrungen mit weiteren rassismuskritischen Subjektbildungsprozessen sollte aus Martin einen solidarischen sowie machtund selbstreflexiven Antirassisten machen. Grundlegend für diese Positionierung sind Selbsttechniken, die Gayatri C. Spivak als »Unlearning« (Spivak 1996) bezeichnet. Verlernen ist mit Spivak zugleich notwendig wie auch unmöglich. Lern- und Bildungsprozesse sind in Machtverhältnisse eingebunden und formen Subjekte. Gleichzeitig eröffnen Bildungsprozesse eine gewisse Handlungsmacht, die auch dafür genützt werden kann, »gegen die eigene Subjektwerdung zu rebellieren« (Castro-Varela 2017). Verlernen kann verstanden werden als die Anerkennung der eigenen sozialen Position und damit einhergehender Marginalisierungen und Privilegien. Es bedeutet, die eigene soziale Position als spezifisch situiert zu betrachten, als geformt durch Macht- und Bildungsprozesse, als davon unterminiert und damit limitiert in ihrer Perspektive. Dieses macht- und selbstkritische Wissen ist der Ausgangspunkt, um die eigene Subjektwerdung zu hinterfragen, die Position im Machtgefüge zu befragen und das eigene Wissensreservoir kritisch zu prüfen. Im Prozess des Verlernens werden auch gesellschaftliche Wahrheiten als Teil von machtvollen Diskursen dekonstruiert und damit historisiert, soziologisiert und kritisierbar gemacht. Es geht nicht darum, sich der Privilegien, die wir qua Geburt haben oder uns etwa per Klassenmobilität erarbeitet haben, zu schämen – viel eher sollten wir Privilegien als

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Verlust erleben. Verlernen bedeutet in diesem Zusammenhang, sich uns als historisch gewordene Subjekte vorzustellen, die Teil gesellschaftlicher Verhältnisse sind und in diesen distinkte Positionen einnehmen. Subjekte entstehen in sozialen Prozessen der Adressierung, aber auch Marginalisierung, und jede Position geht mit einer spezifischen, immer auch eingeschränkten Handlungsmacht einher […]. (Castro Varela 2017) Wenn Sascha etwa darüber reflektiert, wie er auf seinen Reisen in die Rolle des paternalistischen Gebers fällt, erlebt er seine Privilegien als Verlust. Er spricht klar aus, dass ihm seine Privilegien Reisefreiheit ermöglichen, dass er Teil einer globalen Elite ist. Genau diese Positionierung verwehrt ihm die Begegnungen auf Augenhöhe, die er stets sucht, und ist für globale Ungleichheiten verantwortlich, die er spürt. Auch bei Ralf ist eine Frustration darüber sichtbar, dass seine Privilegien Freundschaften erschweren, Machtverhältnisse reproduzieren. Die beschriebenen Revisionen und die selbst- und machtkritischen Prozesse des Verlernens sind die Grundlage für Re-Positionierungen. Die eigene relativ privilegierte Position wird in einer selbst- und machtkritischen Weise neu besetzt. Sie wird also nicht zum eigenen Vorteil genützt, aber auch nicht dethematisiert. Sie wird beständig hinterfragt, in bestimmten Bereichen solidarisch genützt und in anderen abgetragen. Gleichzeitig verbleibt sie nicht das Zentrum der Aufmerksamkeit. Diese von einigen Aktivisten vorgenommenen sozialen Re-Positionierungen haben zwei folgenreiche Konsequenzen für die antirassistische Praxis und die damit zusammenhängenden politischen Positionierungen: Die privilegierten Antirassisten sind stets auf der Suche nach Verbündeten und positionieren sich selbst als Verbündete oder als »Allys«. Gleichzeitig ist ihr Bemühen auch darauf gerichtet, durch »Verrat am Weißsein« (Ignatiev 1996), durch ein Hintergehen der »Dominanzkultur« (Rommelspacher 1995) die Subjekthierarchie zu sabotieren und zu dekonstruieren. Bei Sascha ist klar sichtbar, dass er seine antirassistische wie auch feministische Praxis eng an »Genossinnen« (Sascha), wie er sagt, bindet. Sein politisches Engagement ist nur in Bündnissen denkbar und er hinterfragt vor dem Hintergrund seiner privilegierten Position stets seine mögliche Rolle. In seinem Engagement für geflüchtete Menschen zeigt er sich als jemand, der Wohnraum und Kontakte zur Verfügung stellt, Behördengänge unternimmt, an Blockaden teilnimmt. Er tut dies in dem Wissen über seine privilegierte Position als jemand mit Papieren, der gleichzeitig keine rassistischen Repressionen zu befürchten hat. Er nützt seine privilegierte Position und wird zum »Komplizen« (vgl. Osler 2022). Der Verein von Martin und Stefan und die Initiative von Valentin sind bereits als Struktur der solidarischen Bündnisarbeit mit einem Schwerpunkt auf Selbstvertretung gegründet worden. Martin und Stefan verstehen sich als Verbündete im Kampf gegen Rassismen. Für sie ist auch klar, dass es notwendig ist, gerade als weiß-dominanzgesellschaftlich positionierte Person antirassistisch aktiv zu sein. Sascha drückte dies mit folgenden Worten aus: Ich, also so […] der Rassismus lässt sich erstens nicht nur von Leuten bekämpfen, die davon betroffen sind, und zweitens, wie kommen die dazu, dass sie damit alleine gelassen werden [mhm]? Das gleiche lässt sich natürlich auf Feminismus umlegen, auf Antisemitismus, na, so? Was man auch in der Geschichtspolitik immer wieder sagt, Antisemitismus sollte nicht das Problem von Juden und Jüdinnen sein. Sondern, es wäre

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halt schon sinnvoll, wenn die anderen Leute, die nicht direkt betroffen sind, sagen: He! Thats our Struggle, so. Also mir das zu sagen, bringt mir manchmal so ein bisschen eine Sicherheit, zu sagen, es macht schon Sinn. (Sascha 211–217) In einer späteren Sequenz bringt Sascha seine daraus folgende politische Positionierung auf den Punkt, wenn er sagt: Aber zur Frage, darf ich es überhaupt machen? Bin ich halt, habe ich halt jetzt die Entscheidung getroffen, ich darf das schon machen halt. [Mhm.] Aber was das ist, kommt halt immer darauf an, ja? [Ja.] (Sascha 209–211) Die Formulierung »Was das ist, kommt darauf an« ist der Schlüsselsatz. Re-Positionierung bedeutet, sich kontinuierlich zu fragen: Was kann ich aus meiner Perspektive mit wem wo beitragen und wo sollte ich vielleicht nicht sprechen? Re-Positionierung bedeutet aber auch immer gleichzeitig, eine dekonstruktive Haltung einzunehmen. Verlernen und Verrat am Weißsein bedeutet bei Sascha etwa, das eigene Reiseverhalten und sein Begehren auf den Reisen rassismuskritisch zu hinterfragen und etwa »White Saviourism« (Cole 2016) als Ausdruck einer spezifischen privilegierten Position innerhalb konkreter Machtverhältnisse in der globalisierten Welt zu hinterfragen. Das bedeutet nicht, dass er auf das Reisen komplett verzichtet, sondern dass er seine Rolle, seine Motivation, seine Bilder kritisch hinterfragt. Dieses Hinterfragen der kolonialen Brille, des »weißen Auges« (Hall 1989b: 159), die Dezentrierung des »white gaze« (Dyer 1997), die »Dekolonisierung der Erkenntnis« (Mignolo 2012) sind Teil dieses Prozesses. Für die befragten Antirassisten war hier einerseits gegenhegemoniales und eurozentrismuskritisches Wissen und andererseits der Versuch der Kultivierung einer »epistemic diversality« (Mignolo 2000: 743) ausschlaggebend. Die eigene eurozentristische Perspektive wird »provinzialisiert« (Chakrabarty 2010) und als eine von vielen Perspektiven verstanden. Gleichzeitig wird sie beständig auf ihre Verwobenheit in globale Machtverhältnisse hinterfragt. Wir haben gesehen, dass dieser Blickwechsel ebenso voller Ambivalenzen ist und die Falle der machtrelativistischen Kulturalisierung und des Kulturrelativismus dabei omnipräsent ist. In einer subjektiven Perspektive geht es dabei auch um eine Provinzialisierung des dominanten Selbst. Wir haben gesehen, dass die meisten befragten Antirassisten aus einer sehr privilegierten Position sprechen. Es konnte auch eine gewisse Normalität der eigenen Dominanz beobachtet werden. Es erscheint als wichtig, nicht in der Reflexion der eigenen Position verhaftet zu bleiben, sondern auch gleichzeitig den Versuch zu unternehmen, die eigene Desintegration aus der weißen Dominanzkultur (vgl. Czollek 2020) voranzutreiben. Ralf arbeitete etwa zum Teil auch gegen eigene Interessen, um eine Freundin zu unterstützen. Indem er dies tut, gibt er nicht nur Macht ab, sondern er destabilisiert auch gewisse Machtlogiken. Und indem Sascha bereits im Vorhinein abzusichern versucht, dass er an keinen weißen Räumen (vgl. Wollrad 2005) zum Thema Rassismus mehr teilnehmen wird, sabotiert er zumindest in Teilen den unausgesprochenen Konsens der Normalität von weißen Räumen. Dieser Verrat am Weißsein geht mit Risiken einher, wie wir das an der Erzählung von Johannes sehen konnten. Sascha bricht mit dem rassisti-

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schen Konsens des Vereines, in dem er eigentlich antirassistische Arbeit als Praktikant erlernen will, und macht sich so zum Außenseiter innerhalb der Initiative. Die »Entsolidarisierung mit dem Eigenen« (Marchart 2011: 359) bei gleichzeitiger selbst- und machtkritischer Reflexion als Teil dieses »Wir« ist der Kern möglicher Re-Positionierungen im Zuge rassismuskritischer Subjektbildungsprozesse. Die Rekonstruktionen haben gezeigt, dass diese Subjektbildungsprozesse auf verschiedenen Ebenen stattfinden. Abschließend wird eine wenig beachtete Ebene theoretisiert, nämlich jene der alltäglichen Konvivialität.

Konviviale Bildungsmomente: Rassismuskritische Subjektbildung als alltägliche Bildungspraxis Die Rekonstruktionen und Falldarstellungen konnten ein zusammenhängendes Phänomen aufzeigen, das als grundlegend für rassismuskritische Subjektbildungsprozesse der befragten Antirassisten bezeichnet werden kann: Erstens erlebten die Aktivisten eine Reihe von Bildungsmomenten fernab von klassischen Bildungsinstitutionen, die einen hohen Stellenwert für die Personen gehabt haben. Zweitens hat sich in den Interviews gezeigt, dass Freundschaft, Zuneigung, Empathie und Liebe zentral für solidarischen, macht- und selbstkritischen Antirassismus sind. Johannes und Martin beschrieben ihre Liebe zur Rap-Musik einerseits als Fenster zu anderen Lebenswelten – etwa zu Erfahrungen aus einer afroamerikanischen Perspektive in den USA. Gleichzeitig symbolisiert die Hiphop-Szene für sie aber auch den Versuch, eine gemeinsame antirassistische Kultur zu erzeugen, und bietet eine mögliche Positionierung als Teil dieser Kultur an. Sowohl Johannes als auch Martin machen in Bezug auf Rap die Erfahrung, dass sie sich stark zugehörig fühlen, und sie erkennen auch gleichzeitig an, dass sie in einer anderen sozialen Position sind wie viele der von ihnen geschätzten Interpreten. Rap ist hier einerseits eine Quelle des Wissens über Rassismen, eine kulturelle Szene, die zumeist antirassistisch ausgerichtet ist und die ihnen offensteht, sowie andererseits ein Bildungsort über eigene Privilegien. Für Luca ist das Theater, vor allem die Formen des Impro-Theaters nach dem Vorbild des »Theaters der Unterdrückten« von Augusto Boal (1974), ein wichtiger Ort der politischen Praxis einerseits und eigener Lernprozesse andererseits. In den Schilderungen zu seiner Erfahrung, etwa im Rahmen des Theaters mit geflüchteten Frauen, erzählte er von Bildungsprozessen, die über das gemeinsame Spielen entstanden sind. Wo er über die Einnahme von gesellschaftlichen Rollen im Rahmen von öffentlichen Theater-Interventionen spricht, macht es den Eindruck, als spüre Luca hier mehr, was es bedeutet, eine privilegierte Position einzunehmen. Stefan versuchte mit einer begehbaren Theaterinstallation Hürden und Ausschlüsse am Arbeitsmarkt auch für jene nachvollziehbar zu machen, die in dieser Hinsicht privilegiert sind. Viele der Aktivisten problematisierten homogenisierte Lebensorte – also etwa Wohnviertel oder Dörfer, die primär weiß-dominanzgesellschaftlich bewohnt werden. Ihr Fokus auf diversere Orte ist einerseits einem manchmal schwärmerischen und multikulturalistischen Blick geschuldet, der eher kulturalisierend ausgerichtet ist, andererseits aber auch der Erkenntnis der Normalität von Diversität innerhalb jeder Gesellschaft. Cornelius und Kai schätzen die zunehmende Diversität in späteren Le-

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bensphasen im Vergleich zu den Orten ihrer Kindheit und Sascha macht die Diversität in seiner Schule als wichtigen Lernmoment aus – im hypothetischen Vergleich zu einer homogenisierten Schule in seinem Viertel am Stadtrand. Was die Antirassisten in diesen diversen Orten gewinnen, sind Freundschaften, von denen sie in Bezug auf Rassismen sensibilisiert werden und lernen. Sascha macht Freundschaften und besonders eine Beziehung, die für einige Zeit auch eine Liebesbeziehung ist, als grundlegend für seinen Antirassismus aus. Freundschaften sensibilisieren ihn überhaupt erst für den Bereich und begleiten ihn auch kontinuierlich. Bei Luca, Valentin, Cornelius und Kai sind Freundschaften der Startpunkt ihres Antirassismus und der Grund für ihr konkretes Engagement. Freundschaften sind Möglichkeiten, um ein neues Miteinander auszuprobieren. Sascha beschrieb mehrere Freundschaften, innerhalb denen ein gewisser Machtunterschied besteht. Etwa seine Beziehung zu seiner Freundin of Color sowie Freundschaften zu geflüchteten Menschen und zu Kommiliton*innen aus dem globalen Süden. Er beschreibt das gemeinsame Bemühen, ein neues Miteinander zu finden bei gleichzeitiger Berücksichtigung von unterschiedlichen sozialen Positionen und damit zusammenhängenden Machthierarchien. Johannes beschrieb die Erfahrung mit seinem Freund in Bezug auf Antisemitismus als grundlegende Lernerfahrung für seine antisemitismuskritische Positionierung. Diese von Sascha als »Solidarität von Ungleichen auf Augenhöhe« (Sascha) bezeichnete konviviale Beziehungspraxis verkennt nicht die Tatsache, dass unsere Gesellschaft auf den »Ruinen des Rassismus« (Back & Sinha 2016) erbaut ist. Zugleich wird in diesen Freundschaften ein neues konviviales Miteinander erprobt. Diese Freundschaften können nicht überwinden, was Emilia Roig als »Empathielücke« (Roig 2021: 289) bezeichnet: Nicht-weiße Menschen lernen, sich in weiße Menschen hineinzuversetzen, genauso wie Trans-Menschen in Cis-Menschen, queere in heterosexuelle Menschen. Das Einfühlungsvermögen von marginalisierten und minorisierten Gruppen wird durch die positive Überrepräsentation der unsichtbaren Norm – weiß, männlich, hetero, cis- und nicht behindert – sehr früh gefördert. Umgekehrt ist es nicht der Fall. Uns fehlt das Einfühlungsvermögen für diejenigen, die als minderwertig konstruiert wurden. (Roig 2021: 145) Freundschaften können aber grundlegend dafür sein, dass diese Empathielücke Stück für Stück in kleinen alltäglichen konvivialen »Mikro-Prozessen« (Sascha) abgebaut wird. Diese Momente und Orte der Konvivialität führen zu kurzen Brüchen mit der hegemonialen Ordnung. Sie unsichtbar zu belassen, stabilisiert Rassismen und wäre Teil derselben Ordnung. Sie aufzuzeigen und zu privilegieren, ist eine Möglichkeit konkreter antirassistischer Praxis. Konviviale rassismuskritische Praxis bedeutet einen positionsreflexiven und solidarischen Antirassismus, der stets auf der Suche nach Bündnissen und politischen Freundschaften ist, der die »lange Tradition geteilter Erfahrungen eines gemeinsamen Lebens unter Bedingungen von Ungleichheit, Differenz und Ausgrenzung« (Römhild 2018: 64) als Grundlage ihrer eigenen Überwindung versteht.

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Teil 3: Schlussfolgerungen

Abschließende Worte Die Black-Lives-Matter-Demonstrationen des Jahres 2020 haben weltweit auf die Normalität, Alltäglichkeit und mörderische Brutalität von anti-Schwarzem Rassismus aufmerksam gemacht. Die Bewegung hat eine breite und tiefgehende antirassistische Auseinandersetzung in der postmigrantischen Gesellschaft Österreichs ausgelöst. Die Black-Lives-Matter-Bewegung hat es auch geschafft, die Frage in den Mainstream des gesamten deutschsprachigen Raumes zu tragen, was die weiße Dominanzgesellschaft strukturell wie individuell tun muss, um Rassismen vollumfänglich bekämpfen und abbauen zu können. Rassismen sind Teil unserer gesellschaftlichen Strukturen, Diskurse, Praktiken, Subjektvorstellungen und schließlich Teil von uns selbst. Diesen Reflexionsprozess muss die Gesellschaft als Ganzes, müssen all ihre Individuen durchlaufen – und vor allem jene in Machtpositionen. Aus einer persönlichen wie wissenschaftlichen Motivation heraus widmete ich mich der Frage, wie Rassismen jene prägen, die als Teil der weißen Dominanzgesellschaft gelesen und adressiert werden und damit spezifische weitreichende Privilegien erhalten. Ich interessierte mich für Subjektivierungseffekte, für Widerstände dagegen und für mögliche Formen der rassismuskritischen Subjektbildung. Ich hoffe, diese Studie konnte einen wissenschaftlichen Beitrag dazu leisten. An dieser Stelle ist es mir wichtig, abermals klarzustellen, dass die Beschäftigung mit der privilegierten Position in Bezug auf Rassismen zwar notwendig ist, weil sie einen Teil der Funktionsweisen der Rassismen offenbart und erklärt, aber gleichzeitig die Perspektive der Rassismuserfahrung in der Rassismusforschung weiterhin im Mittelpunkt stehen sollte. Ich würde diese Studie demnach gerne als einen kleinen Beitrag zur Rassismusforschung betrachten. Persönlich wurde ich zu dieser Studie neben einem allgemeinen Forschungsinteresse auch motiviert durch eigene Fehler und durch eigenes Scheitern. An dieser Stelle möchte ich mich für die Aufmerksamkeit, die Kritik, die Lehren jener Mitstreiter*innen, Freund*innen, Kolleg*innen bedanken, die Teil meiner rassismuskritischen Subjektbildung waren und sind. Zugleich möchte ich mich für mein Scheitern und damit zusammenhängende Verletzungen und Irritationen entschuldigen. Ich erkannte mich in vielen Positionierungen der Befragten wieder und konnte von ihnen viel lernen. Ich hoffe, das war auch für Leser*innen dieser Arbeit der Fall. Heinrich Böll hat vor dem Hintergrund der Zeit nach dem Nationalsozialismus von einer »bewohnbaren Sprache in einem bewohnbaren Land« geträumt. Theodor Adorno schrieb: »Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch.« Astrid Messerschmidt spricht vor dem Hintergrund einer Gesellschaft, die durch ihre postnationalsozialistische und postkoloniale Kontinuität geprägt ist, davon, dass »kein richtiges Sprechen im Falschen« möglich ist. Dieses Falsche ist unsere durch Rassismen strukturierte und zerrissene Gesellschaft, in der jedes Wort, jeder Satz, jeder Gedanke, jede Interpretation, jede Praxis, jede Positionierung in das Falsche verstrickt ist. Zwar können wir aus diesem Falschen nicht entkommen, aber wir können es verstehen sowie unsere Rolle darin ernst nehmen. Ich denke, wir können und sollten auch versuchen, dieses Falsche etwas weniger falsch zu machen oder, mit Spivak gesprochen: »to righting wrongs« (Spivak 2004).

8 Privilegiert positionierter Antirassist*

Diese rassismuskritische Transformation der Gesellschaft und von uns selbst setzt ein schonungsloses Aussprechen und Benennen der Rassismen in unserer Gesellschaft und in uns selbst voraus. In seiner Anleitung How to Be an Antiracist schreibt Ibram X. Kendi: »We know how to be racist. We know how to pretend to be not racist. Now let’s know now how to be antiracist.« (Kendi 2019: 11)

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Handbuch Transdisziplinäre Didaktik 2021, 472 S., kart., 7 Farbabbildungen 39,00 € (DE), 978-3-8376-5565-0 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-5565-4 ISBN 978-3-7328-5565-0

Andreas Germershausen, Wilfried Kruse

Ausbildung statt Ausgrenzung Wie interkulturelle Öffnung und Diversity-Orientierung in Berlins Öffentlichem Dienst und in Landesbetrieben gelingen können 2021, 222 S., kart., 8 Farbabbildungen 25,00 € (DE), 978-3-8376-5567-4 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-5567-8

Andreas de Bruin

Mindfulness and Meditation at University 10 Years of the Munich Model 2021, 216 p., pb. 25,00 € (DE), 978-3-8376-5696-1 E-Book: available as free open access publication PDF: ISBN 978-3-8394-5696-5

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Pädagogik Andreas de Bruin

Achtsamkeit und Meditation im Hochschulkontext 10 Jahre Münchner Modell 2021, 216 S., kart., durchgängig vierfarbig 20,00 € (DE), 978-3-8376-5638-1 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-5638-5

Holger Angenent, Jörg Petri, Tatiana Zimenkova (Hg.)

Hochschulen in der Pandemie Impulse für eine nachhaltige Entwicklung von Studium und Lehre Mai 2022, 448 S., kart., 52 SW-Abbildungen 45,00 € (DE), 978-3-8376-5984-9 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-5984-3

Ivana Pilic, Anne Wiederhold-Daryanavard (eds.)

Art Practices in the Migration Society Transcultural Strategies in Action at Brunnenpassage in Vienna 2021, 244 p., pb. 29,00 € (DE), 978-3-8376-5620-6 E-Book: PDF: 25,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5620-0

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