Antike und Avantgarde: Skulptur am Jakobsweg Im 11. Jahrhundert: Jaca - León - Santiago [Illustrated] 3050056959, 9783050056951

Angesichts des alle Konventionen sprengenden Antikengehaltes der Skulptur der drei Pilgerwegskirchen in Jaca, Léon und S

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Antike und Avantgarde: Skulptur am Jakobsweg Im 11. Jahrhundert: Jaca - León - Santiago [Illustrated]
 3050056959, 9783050056951

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Antike und Avantgarde

BAND IV

ACTUS et I MAGO Berliner Schriften für Bildaktforschung und Verkörperungsphilosophie Herausgegeben von Horst Bredekamp Schriftleitung: Marion Lauschke

Stefan Trinks

Antike und Avantgarde Skulptur am Jakobsweg im 11. Jahrhundert: Jaca – León – Santiago

Akademie Verlag

Einbandgestaltung unter Verwendung von Francesco Colonna, „Hypnerotomachia Poliphili“, 1499 (Vorderseite) und San Pedro de Jaca, Kapitell mit Schlangenträgerin (Rückseite)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Akademie Verlag GmbH, Berlin 2012 Ein Wissenschaftsverlag der Oldenbourg Gruppe www.akademie-verlag.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Reihengestaltung und Satz: Petra Florath, Berlin Druck und Bindung: DZA Druckerei zu Altenburg GmbH, Altenburg Dieses Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. ISBN 978-3-05-005695-1

In ha ltsverzeic h n is

Einführung – Die spanische Vorgeschichte

I. Sehen – Sc h la ngen A B C

A B C

A B C

A B C

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Jaca – Die Schlange als Verkörperung der Sehtheorie León – Schlangenrituale der Antike Santiago – Die Schlange als Waffe und Schrecken

37 82 110

II. Ponder ieren – Vest ibu lä re Nac k t heit

123

Frómista und Jaca – Nackte Ambivalenzen León – Die Entkleidung der Himmelskörper Santiago – Heroen, Athleten, gefallene Engel

124 156 165

III. Ta sten – Tüc her

181

Jaca – Schleier, Fesseln und Verstrickungen León – Der Stoff, aus dem der Himmel ist Santiago – Zwischen Himmelstuch und Pilgerlumpen

182 209 221

IV. Hören – D ionysisc hes

231

Jaca – Tanz den Dionysos León – Artisten und Joculatores Santiago – Versucherinnen und Mänaden

232 246 252

A B C

A B C

A B C

V. Gesc h mac k – St i l u nd Rel iqu ien

269

Von Silos nach Jaca – Stil-Kopfgeburten León und Toulouse – Dicke Backen Santiago und Toulouse – Antikensehnsucht und Reliquienglauben

270 281 290

V I. Me t a mor phosen – For mwa ndel a ls Me t ho de

313

Jaca – Formanalogien: Ein Kopf ist eine Kugel ist eine Knospe León – Formspiele: Ein Ruder ist ein Tuch ist ein Schiff Santiago – Formsintflut: Eine Ranke ist ein Schiff ist eine Woge

313 324 332

VII. D ie u nbä nd ige A nt i ke – Da s Wüten der St iere

345

Jaca – Apotropaion und Mithraskult León – Opfertier und Totenkult Santiago – Portalwächter und belebter Stein

345 359 367

Literaturverzeichnis Register Dank Bildnachweise

373 403 407 408

E I N F Ü H RU N G – D I E S PA N I S C H E VO R G E S C H I C H T E

Im August 2010 haben sich 54.785 Pilger in der Oficina de Agocida al Peregrino, dem Fremdenbüro von Santiago de Compostela, eingeschrieben. Dies ist die höchste Zahl, die jemals am Ziel des Jakobswegs für einen einzelnen Monat erhoben worden ist. Setzt man die für das elfte Jahrhundert überlieferten Zah­ len von einigen zehntausend Pilgern jedoch in Relation zu der damaligen Ge­ samtbevölkerung des dünnbesiedelten Europas,1 verblassen die derzeitigen Re­ korde schnell. Ununterbrochen wälzen sich die Pilgerströme in den äußersten Nordwesten des Kontinents, nachdem das Heilige Land mit Jerusalem durch die arabische Eroberung unzugänglich wurde, die naheliegende Wallfahrt nach Rom dagegen durch den anschwellenden Investiturstreit mit seinen dubiosen Gegenpäpsten deutlich an Strahlkraft verloren hatte. Mit den Pilgern werden zugleich erkleckliche Mengen an Geld in die in permanenten Finanznöten ste­ ckenden jungen Königreiche Nordspaniens gepumpt, die – obwohl alle unterein­ ander versippt – um diese Mittel konkurrieren, um in der beginnenden Recon­ quista aufwendige Feldzüge gegen die Araber finanzieren zu können.2 Jede Station am Pilgerweg wetteifert daher mit Santiago um die fesselnderen Attrak­ tionen, damit die Aufenthaltsdauer der Wallfahrer wie auch die Spendengelder höher ausfallen. Zu dem entscheidenden Medium einer überwältigenden Faszina­

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Die Schätzung von einigen zehntausend Wallfahrern jährlich vermag die überra­ gende Bedeutung dieser Pilgerstraße zu verdeutlichen, nachdem der Weg nach Je­ rusalem durch die Araber im elften Jahrhundert versperrt war, vgl. Klaus Herbers: Der Jakobskult des 12. Jahrhunderts und der „Liber Sancti Jacobi“, Wiesbaden 1984, S. 15ff. Für die politischen Motive zur nachdrücklichen Förderung des Jakobskultes durch die jungen Monarchien entlang des Sternenwegs vgl. Klaus Herbers: Politik und Heiligenverehrung auf der Iberischen Halbinsel. Die Entwicklung des ‚politischen Jakobus‘, in: Politik und Heiligenverehrung im Spätmittelalter (Vorträge und For­ schungen/Konstanzer Arbeitskreis für Mittelalterliche Geschichte 42), hg. v. Jür­ gen Petersohn, Sigmaringen 1994, S. 177–275.

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EINFÜHRUNG – DIE SPANISCHE VORGESCHICHTE

tion wird in Spanien eine Kunstgattung, die in anderen Teilen Europas im elf­ ten Jahrhundert noch kaum existiert – monumentale Skulptur von antiker Wucht. Der unverhohlene Rückgriff auf die Kunst des Altertums kann deswe­ gen zur Avantgarde im elften Jahrhundert werden, weil sich die neu konstitu­ ierten nordspanischen Königreiche gegen die seit dem Jahr 711 einen Großteil der iberischen Halbinsel kontrollierenden Araber als einzig rechtmäßige Erben der Antike inszenieren. Indem die Westgotenkönige als Bindeglieder in die Zeit des Imperium Romanum als Goldenes Zeitalter der Provinz Iberia genutzt werden, wird die in allen anderen europäischen Ländern noch unter schwerem Idolatrieverdacht stehende antike Skulptur als avanciertester Beweis für die unausgesetzte Kontinuität der spanischen Potentaten als legitime Nachfolger der drei aus Spanien stammenden römischen Imperatoren geltend gemacht. Spanien im elften Jahrhundert sah sich – so die These – als Teil der Antike. Mit der Pyrenäenstadt Jaca, León auf halbem Weg und Santiago de Compostela als Ziel werden anfangs die Monumentgruppen derjenigen Statio­ nen vorgestellt, deren Bildhauer sich im Rahmen des Pilgerwegs am stärksten mit der Antike und hier vor allem mit einem antiken Sarkophag en detail aus­ einandersetzen. Mit San Martín de Frómista wird der entscheidende spanische Startpunkt dieser erstaunlichen Reise in die Antike beleuchtet. Als weiterer Punkt wird der Sarkophag selbst vorgestellt, der als Bildleitsystem den Weg zurück und zugleich vorwärts in die Antike wies. Exemplarisch wird anschlie­ ßend am Fall des Löwenreitermotivs in Frómista sowie an der ersten vollplas­ tischen Skulptur des elften Jahrhunderts im Mekka der Bildpilger, Santiago, gezeigt, dass nur über den permanenten, oft anarchischen Ausnahmezustand entlang der Pilgerstraße mit ihrer direkten Ausrichtung in die antike Ära des Apostels Jakobus das zustande kommen konnte, was heute – meist ohne klares Bewußtsein für die Ableitung des Wortes aus der römischen Kunst – Romanik genannt wird.3 Bereits der erste Bestimmungsort am Pilgerweg, die Kathedrale San Pe­ dro der aragonesischen Hauptstadt Jaca (Bild 1), bot dem Besucher mit Skulp­ turen halbnackter Tanzender, mänadisch umhergereichter Schlangen sowie schwingender Tücher viel eher das Bild eines veritablen Tempels des Altertums als das einer Kirche. Der Bau der Kathedrale muß ab dem Jahr 1076 unmittelbar nach Verlegung des Bischofs­ und Königssitzes aus dem arabisch eroberten Huesca nach Jaca aufgrund der faktischen Notwendigkeit einer Bischofskirche 3

Einen konzisen Überblick gibt Bruno Klein: Die Erfindung der „Romanik“ im 19. Jahrhundert. Die Antikisierung der mittelalterlichen Kunst, in: Antike als Kon­ zept. Lesarten in Kunst, Literatur und Politik, hg. v. Gernot Kamecke/Bruno Klein/Jürgen Müller, Berlin 2009, S. 27–34, hier v. a. S. 32.

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EINFÜHRUNG – DIE SPANISCHE VORGESCHICHTE

Bild 1

Jaca, San Pedro: Gesamtansicht von Südosten.

für die Hauptstadt begonnen worden sein; innerhalb einer knappen Generation unter der Regentschaft von König Sancho Ramírez I. (1063–1094) war die Kirche in großen Teilen vollendet. Der zuerst fertiggestellte Teil war wahrscheinlich die im Westen vorgelagerte monumentale Vorhalle (Bild 11).4 Die Mauern der Vorhalle sind bereits so dimensioniert, dass sie ohne statische Probleme den massiven, westwerkartigen Turm tragen konnten, der demnach schon in der ersten Bauphase ab 1076 in den heutigen Dimensionen mitgeplant worden sein muß.5 Mit gutem Grund kann darüber hinaus vermutet werden, dass dieses 4

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Dieser Gedanke findet sich bereits bei Susan Caldwell, vgl. Susan H. Caldwell: Penance, Baptism, Apocalypse. The Easter Context of Jaca Cathedral’s West Tym­ panum, in: Art History 3,1 (1980), S. 25– 40, hier S. 35. Die Vorhalle ist derart ge­ räumig, dass David L. Simon darin den Austragungsort des sich über vierzig Tage von Aschermittwoch bis Gründonnerstag erstreckenden komplexen römischen Bußritus sah. Vgl. David L. Simon: A Moses Capital at Jaca, in: Imagines et promo­ tores en el arte medieval. Homenaje a Joaquin Yarza Luces, hg. v. Maria Luisa Melero­Moneo, Barcelona 2001, S. 209–219, hier S. 217, sowie David L. Simon: El tímpano de la catedral de Jaca, in: Actas del XV Congreso de Historia de la Corona de Aragón 3. Jaca en la Corona de Aragón (Siglos XII–XVIII), Zaragoza 1994, S. 404–419, v. a. S. 404–406. Es gibt daher keinen Grund für eine Spätdatierung des Westturms von Jaca, wie sie David L. Simon mit „la segunda década del siglo XII“ vorgeschlagen hat, vgl. David L. Simon: La Catedral de Jaca, in: Románico. Revista de arte de amigos del románi­ co 10 (2010), S. 47–54, hier S. 47. Dagegen spricht bereits die immense Bedeutung der Glockentürme als einzigen Zeitgebern im Mittelalter, erst recht aber die sym­ bolische Bedeutung der Türme mit ihren Glocken gegen die glocken­ und meist

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EINFÜHRUNG – DIE SPANISCHE VORGESCHICHTE

repräsentative Vestibül mit antikischen Blendarkaden König Sancho Ramírez’ während des Baus der Kathedrale als Gerichtsaula diente; eine ausgeprägte Pa­ lastanlage als möglicher Ort der Rechtssprechung in Jaca fehlt wohl auch des­ halb, weil zunächst aller Nachdruck auf die rasche Fertigstellung der neuen, multifunktionalen Bischofskirche innerhalb von nur knapp dreißig Jahren gelegt wurde. Dass Huesca als aragonesische Hauptstadt und Bischofssitz im Jahr 1076 an die Araber fällt, überspielt König Sancho Ramírez, indem er beide Funk­ tionen auf das nördlicher gelegene Jaca transferiert. Mit dem umgehenden Bau­ beginn einer monumentalen Kathedrale erstickt er jeden Gedanken an einen weiteren Bodenverlust im Keim. Die kurzerhand zur neuen Kapitale erkorene Pyrenäenstadt Jaca wird als Bischofssitz parallel durch die Änderung des Titels „Bischof von Aragón“ in „Bischof von Jaca“ nominell aufgewertet.6 Ebenso be­ nennt er das erstrangige Ansiedlungsinstrument „Fuero“ ausdrücklich mit dem Stadtnamen „Fuero de Jaca“,7 gründet eine neue Münzprägestätte, die den ein­ geprägten lateinischen Namen IACA in Umlauf bringt und legt verbindliche Maße und Gewichte im Namen der Stadt fest.8 Das ambitionierte Kirchenbau­ programm wird aus den immer kräftiger sprudelnden Pyrenäenpaßzöllen, den

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turmlosen muslimischen Moscheen. Leider weisen die Schallöffnungen des Glok­ kenturms von San Pedro de Jaca anders als die parallel errichtete Kirchenstiftung Santa Cruz de la Serós der Schwester des Stifters von Jaca mit ihrem symbolträch­ tig sich aufstaffelnden Turm keine Kapitellskulptur auf, die eine Datierung kurz vor 1100 unterstützen könnte. Vgl. Janice Mann: Romanesque Architecture and its Sculptural Decoration in Christian Spain 1000–1120. Exploring Frontiers and Defining Identities, Toronto u. a. 2009, S. 116. Der Fuero sichert den Zuwanderern umfassende politische und wirtschaftliche Autonomie zu und stellt als Einmaligkeit in der Geschichte des Mittelalters alle Einwohner Jacas rechtlich gleich, das heißt, er nimmt keine soziale Trennung mehr zwischen miles (Ritter), rusticus (Bauer) sowie burguenses (Stadtbürger) und francos (generalisierend für nicht­spanische Zuwanderer) vor, was ein goldrausch­ artiges Anschwellen des Siedlerstroms aus fast allen europäischen Ländern zur Folge hat; vgl. Lynn H. Nelson: The Foundation of Jaca (1076). Urban Growth in Early Aragon, in: Speculum 53 (1978), S. 688–708, hier v. a. S. 694ff. Zur Aufhe­ bung sozialer Schranken vgl. Maria Isabel Falcon Perez: Trayectoria medieval de Jaca en el seno de la corona de Aragón, in: XV Congreso de Historia de la corona de Aragón, Actas Tomo III, Zaragoza 1994, S. 18–76, v. a. S. 20. Dort auch der Verweis, dass durch den wirtschaftlichen Aufschwung die Stadt Jaca als florierendes Han­ delszentrum derart viele Zuwanderer anlockt, dass bei einer Volkszählung im Jahr 1137 nur noch 15 Prozent der Einwohner aragonesischer Abstammung sind. Wei­ tere Marksteine der Fuero­Forschung bilden José­Maria Ramos y Loscertales: Fuero de Jaca, Barcelona 1927; Martin Molho: El Fuero de Jaca, Zaragoza 1964; Frances Terpak: Pilgrimage or Migration? A Case Study of Artistic Movement in the Early Romanesque, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 51 (1988), S. 414–427 (mit guter Literaturübersicht). Vgl. Mann: Romanesque Architecture (a. a. O.), S. 116.

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EINFÜHRUNG – DIE SPANISCHE VORGESCHICHTE

Pilgergeldern und den Tributen der Parias finanziert.9 Nicht zuletzt wird das im Vergleich zu anderen spanischen Königreichen unumschränkte Regieren Sancho Ramírez’ durch das Instrument des Gottesgnadentums legitimiert, auf­ grund dessen der König ab dem Jahr 1076 Urkunden mit DEI GRATIA REX signiert.10 Dadurch konnte jede erfolgreiche Aktion sowie jeder errichtete Kir­ chen­ und Festungsbau als Bestätigung durch den Willen Gottes gewertet wer­ den.11 Die Baugeschichte von San Pedro de Jaca ist innerhalb der drei unter­ suchten Kirchen bei weitem am homogensten.12 Indem gleich mehrere Kapitelle 9 10 11

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Ebd., S. 118. Vgl. Philippe Sénac (Hg.): Frontières et espaces pyrénéens au Moyen Age, Perpig­ nan 1992, S. 294. In den drei Jahrzehnten seiner Regierungszeit läßt König Sancho Ramírez nicht weniger als acht monumentale Kirchen errichten, was Janice Mann kaum überzo­ gen als „Bauboom“ bezeichnet. In allen Fällen unterscheiden sich die Stiftungen bereits im Äußeren architektonisch­stilistisch deutlich von den teils nur wenige Jahre zuvor erbauten Kirchen im hilfsweise oft so genannten lombardischen Stil, wie das Beispiel der sich in dem Ort Santa Cruz de la Serós in nur wenigen Metern Abstand gegenüberstehenden, gleichermaßen aus dem elften Jahrhundert stam­ menden Kirchen San Caprasio „im alten Stil“ und Santa Cruz de la Serós in den neuen „Jaqueser“ Formen zeigt. Die Zeugnisse dieser Bauoffensive sind durchgän­ gig aus sorgfältig bearbeiteten Hausteinen, eingewölbt, zeigen bis auf San Pedro de Siresa eine Fülle figürlicher Skulptur und sind bautechnische Meisterleistungen, wie insbesondere die Doppelkirche der Burg von Loarre mit ihren enorm hoch aufragenden Wänden ohne auskragende Strebepfeiler beweist. Die acht Kirchen­ stiftungen des Königs sind: 1076ff. San Pedro de Jaca 1071–95 San Pedro de Loarre 1070er Jahre San Pedro de Siresa, als Reformklosterkirche ohne figürliche Kapitelle 1076ff. Santa María de Ujue 1095 Vollendung von Santa Cruz de la Serós durch die Schwester von König San­ cho Ramírez 1080er Jahre Errichtung der Festung Montearagón mit Burgkirche 1071 An Ostern die erste lateinische Messe im Königreich Aragón in den drei neu errichteten Apsiden von San Juan de la Peña. 1060er–1072 Santa Maria de Iguácel nahe Jaca durch Graf Sancho, den Taufpaten und Erzieher von König Sancho Ramírez errichtet. Vgl. Mann: Romanesque Archi­ tecture (a. a. O.), S. 115ff. Moralejo Álvarez hat die enorme Bedeutung Jacas als Einfallstor nicht nur für den Pilgerweg, sondern auch für die wichtigste Handelstraße am Fuße des Somport­ Pyrenäenpasses betont. Für eine geraffte Zusammenfassung der außergewöhnli­ chen historischen Stellung Jacas für den gesamten Pilgerweg vgl. beispielsweise Serafín Moralejo Álvarez: On the Road. The Camino de Santiago, in: Ausst.­Kat.: The Art of Medieval Spain A.D. 500–1200, Metropolitan Museum of Art New York, hg. v. Metropolitan Museum, New York 1993, S. 175–183, hier S. 181. Mit Nachdruck gegen die wiederholt vor allem von französischen Forschern vorgetra­ genen Spätdatierungen vgl. Horst Bredekamp: Romanische Skulptur als Experi­ mentierfeld, in: Spanische Kunstgeschichte. Eine Einführung, Bd. 1: Von der Spät­ antike bis zur frühen Neuzeit, hg. v. Sylvaine Hänsel/Henrik Karge, Berlin 1992,

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EINFÜHRUNG – DIE SPANISCHE VORGESCHICHTE

im Inneren der Kirche als non-finito versetzt wurden, erweist sich, dass die Werkstatt des sogenannten Jaca­Meisters bis etwa 1100 einen Teil der Kapitelle in Jaca auf Halde gearbeitet hat, weil sie danach durch Bildhauer mit einem anderen Stil abgelöst wurde. Die Kapitelle des Jaca­Meisters mit figürlicher Darstellung, die etwa ein Drittel der Gesamtzahl der Kathedrale ausmachen, werden in den Themen­Kapiteln vollständig behandelt. Seine Abwanderung und die der Mehrzahl seiner Mitarbeiter fällt vermutlich mit der Rückverlegung der Hauptstadtfunktion nach Huesca ab 1096 zusammen, nach der San Pedro de Jaca in großer Eile fertiggestellt, die teils nicht in allen Details ausgearbeiteten Kapitelle versetzt und Langhaus und Seitenschiffe nach Ausweis der Pfeiler­ struktur nur mit einer flachen Holzdecke eingedeckt wurden.13 Im Norden an die Kirche angrenzend (Bild 1a), wurde ab 1100 ein weitläufiger Kreuzgang für die neue Funktion als Augustinerkollegiatskirche errichtet,14 der im 17. Jahr­ hundert vermauert worden ist (Bild 1b).15 Rings um das Äußere der Kathedrale

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S. 101–112, hier S. 111, Anm. 17. Ebenso ist nicht zu vernachlässigen, dass der Auf­ traggeber der Kathedrale, König Sancho Ramírez, seinen Bruder García als Bischof der mächtigen Diözese einsetzte und damit auf allen Ebenen seinen Einfluß auf die Gestaltung der Kathedrale und ihre skulpturale Ausstattung durchzusetzen ver­ mochte. Für diese Investitur und die nachträglich bei Papst Alexander II. bei einer Romreise König Sancho Ramírez’ 1068 nach Rom eingeholte Billigung vgl. María Isabel Falcon Perez: Trayectoria medieval (a. a. O.), S. 19f. Für die Annahme einer hölzernen Flachdecke aufgrund der erst im 16. Jh. eingezo­ genen Gewölbeschuhe und ­rippen vgl. María del Carmen Lacarra Ducay: Catedral y Museo Diocesano de Jaca, Zaragoza 1993, S. 18. „Statui igitur prout sancti Romani pontifices decrevere et beatus Augustinus cete­ rique sancti patres instituere ad honores Dei et sancti Pedro apostolorum principis in Iaccensi acclesia [sic!] congregare clericos iuxta apostolicam traditionem com[m] unem vitam ducentes et nullius proprii participatione fruentes nichilque suum credentes sed omnia in com[m]uni habentes secundum regulam sancti patris nostri Augustini solo victu et tegumento gaudentes“; diese Gründungsurkunde des Augustinerkanonikerstiftes zitiert nach Antonio Durán Gudiol: La iglesia de Aragón durante los reinados de Sancho Ramírez y Pedro I (1062?–1104), Rom 1962, S. 175. Vgl. auch Francisco de Asís García García: La portada occidental de la cate­ dral de Jaca y la cuestión de las imágenes, in: Anales de historia del arte Extra 3 (2010), S. 69–89, hier S. 81. Dulce Ocón Alonso setzt den Baubeginn des Kreuzgangs erst auf das Jahr 1105, als sich das Verhältnis zwischen Bischof Esteban von Huesca­Jaca und König Alfonso I. El Batallador wieder normalisiert hatte, vgl. Dulce Ocón Alonso: Katalogeintrag „Capital of the Church of Santiago de Jaca“, in: Ausst.­Kat.: Compostela and Europe. The Story of Diego Gelmírez, hg. v. Manuel Castiñeiras, Museo de la Catedral de Santiago de Compostela, Mailand 2010, S. 300–301, hier S. 300. Die bei den Ein­ griffen des 17. Jahrhunderts aus dem Kreuzgang entfernten Kapitelle finden sich heute über Jaca verstreut zum Teil in die ebenfalls aus dem elften Jahrhundert stammende Santiago­Kirche verbracht, zum Teil in Treppenhäusern und Kellern von Wohnhäusern verbaut. Vgl. David L. Simon: The Doña Sancha Sarcophagus and Romanesque Sculpture in Aragon, London, Diss. (masch.), Courtauld Institute of Art 1977, S. 67ff.

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EINFÜHRUNG – DIE SPANISCHE VORGESCHICHTE

Bild 1a

Jaca, San Pedro: Grundriss.

Bild 1b

Jaca, San Pedro: Gesamtansicht von Norden.

San Pedro zieht sich zudem ein Ring von Konsolfiguren (Bild 1), die das Gesims als steinernes Kompendium unterschiedlichster Kreaturen wimmelnd besie­ deln. Die Lizenz zu dieser fast lebensgroßen zweiten Schöpfung gibt den Bild­ hauern das Gebot der Abwehr des Bösen durch ein ebenso potentes Seines­ gleichen, aber auch das von den Auftraggebern gewollte, wo nicht geförderte Überbieten der übrigen konkurrierenden Stifter durch noch größere Antiken­ nähe. Die zweite Basis dieser Arbeit, das auf dem antiken Grundriss des römi­ schen Garnisonsstandortes Legio VII Gemina errichtete León, ist im elften Jahr­ hundert nicht nur Hauptstadt des gleichnamigen Königreichs; es bildet innerhalb des christlichen Nordspaniens zugleich das unumstrittene Zentrum für Elfen­ beinschnitzereien, Goldschmiedearbeiten sowie Kleinplastiken. Deutlich zu gering ist bisher jedoch der Beitrag Leóns zur Durchsetzung monumentaler

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Bild 2

EINFÜHRUNG – DIE SPANISCHE VORGESCHICHTE

León, San Isidoro: Gesamtansicht von Süden.

Skulptur eingeschätzt worden, was insbesondere daran liegt, dass ein Großteil der mächtigen Pilgerwegsbasilika San Isidoro (Bild 2) meist fälschlich spät in das zwölfte Jahrhundert datiert wurde.16 Die in Rede stehende Puerta del Cordero, das Lammportal am Südlanghaus, zeigt auf wiederverwendeten antiken Mar­ morplatten zwölf antikische Zodiacus­Reliefs (Bild 2a), die zu beiden Seiten des Tympanonbogens und knapp unterhalb einer im 16. Jahrhundert aufgesetzten Renaissance­Attika angebracht sind. Hartnäckig hält sich die durch historische Quellen nicht zu belegende Behauptung, dass die Sternkreiszeichenreliefs nicht von der Portalanlage stammen, sondern von der ehemaligen Hauptapsis der Kirche, die im 15. Jahrhundert durch einen Hochchor in spätgotischen For­ men ersetzt wurde.17 Weder können aber die zwölf Reliefs als annähernd qua­ dratische Metopenplatten die zu rekonstruierende Breite der Hauptapsis gefüllt haben, noch ergibt ein Sternkreiszeichenzyklus an einer Apsis ikonographisch Sinn;18 wie der Vergleich mit dem berühmten Zodiacus der Klosterkirche von 16

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Für eine Revision dieser spätdatierten Baugeschichte des Panteón und San Isidoros vgl. hingegen Frank Seehausen: Wege zum Heil. Betrachterlenkung durch Archi­ tektur, Skulptur und Ausmalung im Panteón de los Reyes in León, in: kunsttexte 4 (2009), S. 1–37, hier S. 4ff. und John Williams: San Isidoro Exposed. The Vicissitu­ des of Research in Romanesque Art, in: Journal of Medieval Iberian Studies 3,1 (2011), S. 93–116. Für die Translozierungsthese der Reliefs, vgl. Marcel Durliat: La sculpture romane de la route de Saint­Jacques. De Conques à Compostelle, Mont­de­Marsan 1990, S. 380. Dazu Simona Cohen: The Romanesque Zodiaque. Its Symbolic Function on the Church Facade, in: Arte medievale 2/4 (1990), S. 43–54.

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EINFÜHRUNG – DIE SPANISCHE VORGESCHICHTE

Bild 2a

León, San Isidoro, Puerta del Cordero: Gesamtansicht.

Bild 2b

León, San Isidoro: Grundriss.

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EINFÜHRUNG – DIE SPANISCHE VORGESCHICHTE

Brauweiler erweist, der ebenfalls dem elften Jahrhundert entstammt, ist der an­ gebrachte Platz der an den Jahreslauf gekoppelten Sternkreiszeichen als Symbole der Zeit der Portalbereich. Es wird ebenfalls zu zeigen sein, dass die Leoneser Marmorreliefs schon aufgrund ihrer durchgängigen Antikenrezeption, die ihren Höhepunkt bis um das Jahr 1100 hat, in die 1080er Jahre datiert werden kön­ nen. Die im Westen vorgelagerte königliche Grablege des sogenannten Panteón de los Reyes (Bild 2b), in dem auch die für León bedeutendsten Stifter König Fernando I. und Königin Sancha begraben wurden, ist bis 1063 fertiggestellt und bildet mit ihrer aus dieser Zeit stammenden vollständigen Ausmalung eines der herausragendsten Beispiele von Raumkunst in antiker Tradition. Die Kapitelle des Panteón, die stilistisch eine Mischform aus südspanisch­arabischen, sogenannten mozarabischen, sowie frühen „romanischen“ Elementen auszeich­ net, werden zum Teil als Vorläufer der den Schwerpunkt der Arbeit ausma­ chenden antikischen Kapitelle einbezogen. Unter der auf König Fernando I. fol­ genden Infantin Urraca (1033–1101) wird etwa von 1072 bis 1101 der heutige Erweiterungsbau ausgeführt, der den Vorgängerbau der ersten Fernandokirche bis in die 1120er Jahre ersetzte.19 An dessen Südseite bildet das Cordero­Portal (Bild 2a) den Haupteingang von San Isidoro mit dem Sternkreiszeichenzyklus aus der Zeit um 1080. Santiago de Compostela (Bild 3), die neben Alt­Sankt Peter in Rom, dem Dom zu Speyer sowie Cluny III größte Kirche im elften Jahrhundert, wurde von 1075 bis 1128 im Typus der Pilgerkirche mit weitläufigem Chorumgang und Radialkapellen errichtet.20 Untersucht werden erstmals als geschlossene Monumentgruppe die sechs erhaltenen Marmorsäulen des ehemaligen Nord­

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Zu Urraca maßgeblich ist Therese Martin: Queen as King. Politics and Architectu­ ral Propaganda in Twelfth­century Spain, Leiden u. a. 2006, sowie Gerardo Boto Varela: Las dueñas de la memoria. San Isidoro de León y sus Infantas, in: Romá­ nico. Revista de arte de amigos del románico 10 (2010), S. 75–82, hier S. 77ff. Eine für das zwölfte Jahrhundert ungewöhnlich ausführliche Quelle bildet der von einem französischen Autor namens Aimeric (Aimery Picaud), verfaßte Pilgerfüh­ rer, beigebunden im sogenannten Codex Calixtinus wohl um das Jahr 1134, dessen älteste Fassung heute in der Kathedralbibliothek von Santiago aufbewahrt wird. Die seitenlange Pilgerführer­Beschreibung aller Baudetails der Kathedrale bis hin zur Färbung des verwendeten Steinmaterials endet mit einer Datierung: „Die Kir­ che wurde begonnen im Jahr der Ära 1116 [= 1078]. Vom Jahr des Baubeginns […] bis zu dem Jahr, in dem der letzte Stein gelegt wurde, [vergingen] 44 Jahre.“ Vgl. Klaus Herbers: Der Jakobsweg. Mit einem mittelalterlichen Pilgerführer unter­ wegs nach Santiago de Compostela, Tübingen 61998, S. 181. Für alle Quellen zur Bau­ und Ausstattungsgeschichte der Kathedrale äußerst nützlich ist Jens Rüffer: Die Kathedrale von Santiago de Compostela (1075–1211). Eine Quellenstudie (Rombach­Wissenschaften Reihe Quellen zur Kunst 31), Freiburg i. Br. u. a. 2010.

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EINFÜHRUNG – DIE SPANISCHE VORGESCHICHTE

Bild 3 Santiago de Compostela, Zeichnung des für den Umbau verantwort­ lichen Kanonikers José de Vega y Verdugo, 17. Jh.: Romanische Westfassade vor der barocken Überformung.

portals (Bild 3a) aus der Zeit um 1100.21 Alle sechs Säulen zeigen mit Nackten innerhalb eines Rankenornamentes durchgängig Zitate eines antiken Sarko­ phages.22 Das einstige Hauptportal der Kathedrale am Nordquerhaus, nach den

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Auch der aktuellste Katalog zur Kathedrale von Santiago de Compostela behandelt die sechs Säulen mit ihren zahllosen Details nicht als Gesamtkomplex. Weil als conditio sine qua non für die Santiago­Säulen im Ausstellungskatalog das Vorbild zweier Säulen­Kopien des elften Jahrhunderts nach den berühmten Salomonischen Säulen der römischen Peterskirche angesehen wird, werden diese nach der Rom­ reise des mächtigen Bischofs und Auftraggebers der Säulen, Diego Gelmírez, in das Jahr 1101 datiert. In dem gegen eine Isolation Spaniens gerichteten Ansatz, die Formsprache der Kathedrale von Santiago in ein breites europäisches Geflecht ein­ zubinden, reicht die Aufzählung möglicher Formvorbilder bis hin zu apulischen Beispielen und wirkt damit etwas überdehnt. Vgl. Manuel Castiñeiras González: Didacus Gelmirius, Patron of the Arts. Compostela’s Long Journey: from the Peri­ phery to the Center of Romanesque Art, in: Ausst.­Kat. Compostela and Europe: The Story of Diego Gelmírez, Museo de la Catedral de Santiago de Compostela, Mailand 2010, S. 32–97. Eine etwas spätere Datierung lieferte 1993 noch der Ausst.­ Kat.: The Art of Medieval Spain, A.D. 500–1200, Metropolitan Museum of Art New York, hg. v. Metropolitan Museum, New York 1993, S. 212: „1105–10“. Vgl. Serafín Moralejo Álvarez: Saint­Jacques de Compostelle. Les portails retrou­ vés de la Cathédrale romane, in: Les dossiers de l’Archéologie 20 (1977), S. 87–103, hier v. a. S. 97.

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Bild 3a

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Santiago de Compostela, Kathedrale, Marmorsäulen I–VI: Gesamtansicht.

aus Richtung Frankreich kommenden Pilgern Porta Francigena genannt, ist vermutlich bereits im Zuge der Errichtung der Chorumgangskapellen (Bild 3b), deren Grundstein im Jahr 1075 gelegt wurde, als Pilgerschleuse vorrangig be­ gonnen worden.23 Den absoluten terminus ante quem für die Vollendung der Säulen bildet das Jahr 1117, als das Portal im Sturm der über Bischof Gelmírez aufgebrachten Bürger zerstört wurde. Einzigartig genau unterrichtet der Pil­ gerführer Liber Sancti Jacobi, das fünfte und letzte Buch des Codex Calixtinus, der um 1134 kompiliert wurde über die Portale der Santiago­Kathedrale. Zwei Kapitel dieses frühen Reiseführers beschreiben die Kirche sowie ihre Skulp­ turen.24 Die Säulen konkurrieren in ihrem kostbaren Material und einer für das 23

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Vgl. Henrik Karge: Die Kathedrale von Santiago de Compostela. Neue Forschun­ gen zur Baugeschichte der romanischen Jakobskirche, in: Hispaniens Norden im 11. Jahrhundert. Christliche Kunst im Umbruch, hg. v. Achim Arbeiter/Christiane Kothe/Bettina Marten, Petersberg 2009, S. 183–199, hier S. 194, sowie für die frü­ hen Skulpturen unter Bischof Diego Peláez vgl. Victoriano Nodar Fernández: Los inicios de la Catedral Románica de Santiago. El ambicioso programa iconográfico de Diego Peláez, Santiago de Compostela 2004. Vgl. Bruno Klein: Die geleitete Wallfahrt. Konstruktion und Wirklichkeit im Pil­ gerführer nach Santiago, in: Kunst in Spanien im Blick des Fremden. Reiseerfah­ rungen vom Mittelalter bis in die Gegenwart (Ars Iberica 2), hg. v. Gisela Noehles­ Doerk, Frankfurt a. M. 1996, S. 33–48.

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elfte Jahrhundert zuvor ungekannten Präzision der Säulenwirtelung mit tief eingeschnittenen Kehlen und Fasen mit der Qualität antiker Skulptur.25 Die Klosterkirche San Martín de Frómista (Bild 4) wurde ab dem Jahr 1066 wahrscheinlich gleichzeitig von Osten und Westen begonnen und als am­ bitionierte Stiftung, deren Auftraggeberin Doña Mayor die Fertigstellung noch

Bild 3b

Santiago de Compostela, Kathedrale: Grundriss.

erleben wollte, bereits nach einer knappen Generation Baudauer um 1090 vollen­ det. Sie bietet nach einer durchgreifenden Restaurierung um 1900 mit der da­ mals vollzogenen Beseitigung verunklärender Anbauten das Idealbild einer Kirche des elften Jahrhunderts.26 In seiner Anlage original ist der Ring von 25

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Enge stilistische Bezüge zu einem antiken Sarkophag sowie dessen Rezeption in Frómista, Jaca, León und Toulouse im elften Jahrhundert waren für Moralejo Ál­ varez das Argument, die Säulen im Gegensatz zur angelsächsischen Forschung früh zu datieren. Vgl. Moralejo Álvarez: Katalogeintrag (a. a. O.), S. 214. Anders als der von Therese Martin für den von Frómista aus abstrahlenden Künstler vorge­ schlagene Hilfsname „Orestie­Meister“ nennt Manuel Castiñeiras González den Bildhauer der Marmorsäulen des ehemaligen Nordportals den „Meister der ge­ wundenen Säulen“ („Maestro de las Columnas Entorchados“), obwohl bereits ein flüchtiger Blick die Säulen als ein Werk mehrerer unterschiedlicher Künstler er­ weist. Vgl. Manuel Castiñeiras González: La catedral de Santiago de Compostela (1075–1122). Obra maestra del románico europeo, in: Siete maravillas del románico español, hg. v. Pedro Luis Huerta, Aguilar de Campoo 2009, S. 227–289, hier S. 255. Die erhaltenen Restaurierungsberichte und Rechnungen sind als Faksimiles abge­ druckt in Jesús Herrero Marcos/Carlos Arroyo Puertas: Arquitectura y simbolismo de San Martín de Frómista (El Románico en Castilla­León y Cantabria), Palencia 1995, S. 55–92. Eine Abwägung der Eingriffe findet sich in José Luis Senra Gabriel y Galan: La realidad material de la iglesia de San Martín de Frómista en el siglo XII: de 1066 a 1904, in: San Martín de Frómista, ¿paradigma o historicismo? Actas de las Jornadas celebradas en Frómista los días 17 y 18 de septiembre de 2004, hg. v.

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Bild 4

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Frómista, San Martín: Gesamtansicht.

Bild 4a

Frómista, San Martín: Grundriss.

Bild 4b

Frómista, San Martín: Detailansicht von Süden.

etwa vierhundert Konsolfiguren, die wie an der Kathedrale von Jaca die ge­ samte Kirche umstellen. Zwei wie Campanile nur leicht an die Westwandecken andockende Rundtürme (Bild 4a) fassen die drei Schiffe ohne ausladendes Querhaus ein. Über der Vierung erhebt sich ein gestrecktes Oktogonalgeschoß. José Manuel Rodríguez Montañés, Valladolid 2005, S. 37–68, hier v. a. S. 22–24. Hingegen kritisch gegen die Überrestaurierung Heidrun Wessel: Neuere Erkennt­ nisse über die Kirche San Martín in Frómista und ihre Restaurierungen im 19. Jahrhundert, in: Mitteilungen der Carl Justi Vereinigung e.V. 14 (2002), S. 37–67.

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Bild 5 Frómista, San Martín, Chorbogenkapitell (Kopie): Schlangenkampf. Bild 5a Frómista, San Martín, linke Kapitellschmalseite (Kopie): Schlangen­ halter hinter Tuch. Bild 5b Palencia, Museo Arqueológico Provincial, Original des Kapitells aus San Martín, rechte Kapitellschmalseite: Schlangenhalter hinter Tuch.

Charakteristisch für Spanien wird – von Frómista ausgehend – die annähernd gleich große Höhe aller Schiffe, so dass im Innern die Atmosphäre einer Hal­ lenkirche entsteht,27 sich in der Außenansicht aber in der Zusammenschau mit den ebenfalls von Konsolfiguren bekrönten Portalgesimsen (Bild 4b) der Ein­ 27

Vgl. Claudia Rückert: Georg Weise y la „Hallenkirche“ española, in: Anales de historia del arte Extra 1 (2009), S. 339–346, hier v. a. S. 344ff.

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Bild 5c

Frómista, San Martín: Kapitell während Restaurierung.

druck von bis zu drei dicht übereinanderliegenden, undurchdringlich wirken­ den Schichten von Figuren einstellt. Auf dem südlichen Chorbogenkapitell von San Martín (Bild 5) tobt ein Kampf zweier nackter Menschen gegen zwei durch Flammenhaar negativ be­ legte Menschen, die jene von den Kapitellseiten aus mit Schlangen bedrohen.28 Die ausgestreckten Beine der beiden Schlangenkämpfer überkreuzen sich in der auffällig bildhaften Form eines X und werden dadurch optisch noch enger verbunden. Während die zentrale Figur auf die ihr von rechts entgegengehaltene Schlange weist und mit dem Schwert ausholt, wendet sich die linke mit der Hand vor dem Gesicht von der Schlange ab, die ihr von einer Figur hinter dem Tuch der linken Schmalseite aus gegen den Kopf geführt wird (Bild 5a). Indem der spanische Forscher Serafín Moralejo Álvarez 1973 erkannte, dass ein stadt­ römischer Sarkophag mit der Darstellung der Orestie von 160/170 nach Chri­ stus (Bild 6) die direkte Vorlage für dieses Kapitell abgegeben hat, gelang ihm

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Das Original des bei der Restaurierungskampagne von 1894 bis 1904 durch eine Kopie ersetzten Kapitells (Bild 5c) wird heute im Museo Arqueológico Provincial in Palencia aufbewahrt. Die Vorderseite des Originals wurde offenbar bei den Bau­ und Versetzungsarbeiten in San Martín de Frómista beschädigt. Vgl. Bredekamp: Romanische Skulptur (a. a. O.), S. 105.

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ein grundstürzender Wandel in der Forschung zur Antikenrezeption des Mit­ telalters.29 Zum ersten Mal für das Mittelalter konnte damit die Rezeption eines gesamten Sarkophagfrieses auf einem Kapitell nachgewiesen werden, auf dem sich sechs der dreizehn Sarkophagfrontfiguren wiederfinden.30 In der Mitte dieses Reliefs steht der nackte Orestes mit Schwert, breit­ beinig und als einziger unüberschnitten freigestellt. Zu seinen Füßen liegen die getötete Mutter Klytaimnestra und sein Stiefvater, der Thronräuber Aigisthos, die er, unterstützt von seinem Gefährten Pylades links von ihm, als Rache für

Bild 6 Madrid, Museo Arqueológico Nacional, 160/170 n. Chr.: Orestessarkophag.

seinen ermordeten Vater mit dem Schwert getötet hat, wovor sich seine Amme, die Magd Nodriza, links mit einer dramatischen Geste des Entsetzens abwen­ det. Aufgrund des Mordes an seiner Mutter Klytaimnestra, die dem Sohn zu­ vor noch flehend ihre Brüste als Verweis auf ihre Mutterschaft entblößt hatte, verfolgen Orestes von rechts zwei Furien hinter einem aufgespannten Vor­ hangtuch als Rachegöttinnen mit Schlangen.31 Rechts am Rand des Sarkophages steigt Orestes in kontinuierender Erzählung über eine schlafende Erinnye, um im Apollo­Tempel zu Delphi den Schutz des Gottes vor den Rachegöttinnen zu erbitten. Am linken Sarkophagrand sind drei ebenfalls schlafende Erinnyen übereinander angeordnet und verschärfen in der optischen Umklammerung

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Serafín Moralejo Álvarez: Sobre la formación del estilo escultórico de Frómista y Jaca, in: Actas del XXIII Congreso Internacional de Historia del Arte (Granada 1973), Bd. I, Granada 1976, S. 427–434, hier S. 428f. Sarkophag mit Darstellung der Orestie, Madrid, Museo Arqueológico Nacional, Inv. 2839, weißer Marmor, Länge 2,02 m, Höhe 58 cm, Tiefe 65 cm. Carl Robert hat in der Beschreibung dieses Orestessarkophages im Corpus der an­ tiken Sarkophagreliefs betont, dass der Parapetasma genannte Vorhang im Hinter­ grund antiker Sarkophage in der römischen Kunst oft als Andeutung irdischer Hüllen fungiert, aus denen sich die Seele lösen muß; vgl. Carl Robert: Die Antiken Sarkophag­Reliefs II. Mythologische Cyklen, Berlin 1890, S. 168ff.

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Orests’ von allen Seiten dessen ohne göttlichen Beistand ausweglose Lage zu­ sätzlich. Dass der Bildhauer in Frómista die sich entsetzt abkehrende Magd No­ driza des Orestessarkophages als auf den Schwertkämpfer und gegen das Böse bezogen auffasst (Bild 5), zeigt sich in der vollständigen Nacktheit: Das ehema­ lige Gewand der Magd wird von ihm bewusst durch unschuldige Nacktheit ersetzt, die sich nicht heimtückisch hinter Tüchern zu verbergen braucht, so dass die Frau an den Protagonisten des Kapitells angeglichen ist.32 Durch die Schlan­ gen und ihre Nacktheit konnten beide im Kontext einer Kirche metaphorisch als Stammelternpaar Adam und Eva angesehen werden, das, anders als in der gewohnten Sündenfall­Ikonographie, hier noch gegen die Ursünde in Form der Schlange aktiv ankämpft und so ikonographisch die Intentionen einer Pilger­ wegskirche zu unterstützen vermag, da beide Paradiesesexilanten im Mittel­ alter stets als erste Pilger angesehen wurden.33 Dass dieser symbolische Kampf 32

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Francisco Prado­Vilar hingegen beschreibt beide Protagonisten als männlich, in­ dem er bei der Figur mit Abwehrgeste die deutlich artikulierte Vagina, die er als „slit“ bezeichnet, als Klitterung des Kapitell­Kopisten um 1900 ansieht. Vgl. Pra­ do­Vilar: Tragedy’s Forgotten Beauty. The Medieval Return of Orestes, in: Life, Death and Representation. Some New Work on Roman Sarcophagi (Millennium­ Studien 29), hg. v. Ja´s Elsner/Janet Huskinson, Berlin, S. 83–118, hier S. 100, Anm. 33. Prado­Vilar hat eine Identifizierung des Breitbeinigen als Kain vorgeschlagen, der den sich mit der Abwehrgeste abwendenden Abel mit dem Schwert tötet, worauf­ hin ihn Rachegöttinnen mit Schlangen in den Händen verfolgen und eine Personi­ fikation der Terra unter seinen Beinen durch das vergossene Blut lebendig würde. Als mittelalterliche Deutung des Sarkophags vermutet er ebenfalls den biblischen Brudermord, vgl. Francisco Prado­Vilar: Saevum facinus. Estilo, genealogía y sa­ crificio en el arte románico español, in: Goya 324 (2008), S. 172–199, hier v. a. S. 181f. Abgesehen davon, dass sich keine Darstellung des Brudermordes mit Zeu­ gen finden lässt, die hinter Tüchern verborgen sind, und die antike Vorstellung der Rachenahme durch Furien in der christlichen Ikonographie des elften Jahrhun­ derts unbekannt war, ist die Bluttat auf dem Kapitell noch nicht geschehen und die vorgeblichen Furien dürften noch nicht auf den Plan gerufen sein. Bei einer Simul­ tandarstellung würde auch der getötete Abel gezeigt werden wie auf dem berühm­ ten Kapitell in Autun. Zudem gibt es in ganz Spanien nur eine einzige skulpturale Darstellung des Mordes von Kain an Abel, die dieser mit einem Messer (oder einer Sichel als seinem Ernteinstrument, das er zur Hand hat) verübt. Prado­Vilar ver­ weist bei dieser Fehlanzeige auf Pamela A. Patton, die zwei spanische und zwei französische Beispiele anführt, die sie zusammen mit der vermutlich in Katalonien um die Mitte des 14. Jahrhunderts entstandenen Sarajevo Haggadah von byzanti­ nischen Handschriften beeinflusst sieht. Die spanischen Darstellungen sind ein Kapitell aus dem aragonesischen Kloster Santa Maria de Alquézar sowie Folio 12v der um 1175 entstandenen „Burgos­Bibel“. Die Sonderform der Tötung mit einer Klinge am Hals erklärt sich bei dem Kapitell indes sehr viel plausibler als ikonogra­ phisch­typologische Angleichung an das Opfer Isaaks und damit als protomarty­ rische Präfiguration Christi, zumal Abel von Kain jeweils an seinem Schopf ge­ packt wird, wie auch Abraham auf zahlreichen Darstellungen seinen Sohn bei der Opferung fixiert, so beispielsweise auf einem Kapitell des Südportals in Jaca oder

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gegen die Schlange in eine narrative Kette von Kapitellen mit Sündenfall­ Metaphorik eingereiht ist, zeigt sich schon darin, dass San Martín de Frómista als ikonographischer Sonderfall gleich zwei Kapitelle mit den Stammeltern neben dem Paradiesesbaum aufzuweisen hat.34 Bereits 1520 erlebte der Künstler Alonso Berruguete inmitten des Klos­ terkreuzgangs von Santa Maria de Husillos im Königreich Palencia angesichts dieses Sarkophages (Bild 6) ein Damaskuserlebnis. Als antiquarisch bewan­ derter Künstler muß er zugeben, dass er auch auf all seinen Reisen durch Italien nichts Eindrucksvolleres gesehen habe.35 Der Orestessarkophag wurde aber bereits im zehnten Jahrhundert als Grablege des adeligen Stifters von Santa Maria de Husillos, Don Fernando Ansúrez, wiederverwendet, war mithin das gesamte Mittelalter hindurch oberirdisch zu sehen. Weil am mutmaßlichen Aufstellungsort des Sarkophages im Kreuzgang des Klosters Santa Maria de Husillos im Jahr 1088 ein Konzil abgehalten wurde, bei dem alle maßgeblichen kirchlichen und weltlichen Entscheidungsträger Nordspaniens vor Ort waren, ist gesichert, dass diejenigen, die in den folgenden Jahren die Kirchen mit Zitaten des Orestessarkophages stifteten, diesen mit eigenen Augen gesehen haben können.36 Für die Bildhauer des elften Jahrhunderts wurde dieser Sarkophag

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dem Tympanon des Corderoportals in León. Wie Patton selbst einräumt, macht diese christliche Typologie einen Rückgriff auf die hebräische oder byzantinische Tradition im Grunde unnötig, vgl. Pamela A. Patton: Cain’s Blade and the Question of Midrashic Influence, in: Church, State, Vellum, and Stone. Essays on Medieval Spain in Honor of John Williams, hg. v. Therese Martin/Julie A. Harris, Leiden und Boston 2005, S. 413–441, hier S. 424. Darüber hinaus stößt Kain im Fall der Burgos­Bibel Abel das Messer in die Rippen, so dass er ihm eine stark blutende Seitenwunde zufügt, ähnlich wie die Lanzenspitze des Longinus bei der Kreuzi­ gung die Seite Christi öffnet. Vgl. Stefan Trinks: Der außergewöhnliche Adam. Ikonographische Sonderfälle aus dem adamitischen Leben am spanischen Pilgerweg, in: Grenzen überwindend. Festschrift für Adam Labuda zum 60. Geburtstag, hg. v. Katja Bernhard/Piotr Pie­ trowski, Teil II, Berlin 2006, S. 1–27, hier v. a. S. 18ff. Die Quellen zu Berruguetes euphorisiertem Urteil sowie die Geschichte des Sarko­ phages in Walter Trillmich u. a. (Hg.): Hispania antiqua. Denkmäler der Römer­ zeit, Mainz 1993, S. 404. Vgl. Trillmich: Hispania antiqua (a. a. O.), S. 404–405: Über Fernando Ansúrez, Graf von Monzón, der sich dieses antike Mirabilium zur Grablege auserkoren hat­ te, ist historisch wenig Belastbares bekannt. Prado­Vilar betont jedoch, dass sich noch weitere führende Personen des Königreichs León wie auch Graf Fernán Gon­ zález von Kastilien als Rivale von Fernando Ansúrez im zehnten Jahrhundert in antiken Sarkophagen als „status­symbols” bestatten ließen, vgl. Prado­Vilar: Tragedy’s Forgotten Beauty (a. a. O.), S. 83–84, v. a. Anm. 2. Für den klösterlichen Kontext der Grablege vgl. José Alfonso Moure Romanillo u. a. (Hg.): Historia del arte de Castilla y León I, Prehistoria, Edad antigua y Arte prerrománico, Valladolid 1994, v. a. S. 71. Die maßgeblichen Stifter Nordspaniens werden 1088 entweder be­ reits mit Entourage das Husillos­Konzil besucht haben oder kurz danach „ihre“

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aufgrund seiner überragenden Qualität selbst zu einem Pilgerziel und zu einer unerschöpflichen Inspirationsquelle, wie die Rezeptionsgeschichte zeigt. Den antiken Orestes­Mythos hat das elfte Jahrhundert aller Wahrschein­ lichkeit nach nicht gekannt. Von Aischylos’ Orestie oder von Sophokles’ Elektra gab es nach dem derzeitigen Kenntnisstand in nordspanischen Klosterbiblio­ theken keine Abschriften.37 Trotz des von ihm begangenen Muttermordes galt Orestes dem Altertum als ein exemplum virtutis und wurde zum Bildgegen­ stand kostspieliger Sarkophage gewählt.38 Dass er von dem antiken Bildhauer sympathetisch aufgefasst wurde, war für deren Nachfolger im elften Jahrhun­

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Bildhauer zu dem im Kreuzgang aufgestellten Orestessarkophag gesandt haben. Selbst die Römische Kurie nahm teil an diesem Konzil, auf dem unter anderem auch über das Schicksal des abgesetzten Bischofs von Santiago, Diego Peláez, dis­ kutiert wurde. Vgl. Ludwig Vones: Die „Historia Compostellana“ und die Kirchen­ politik des nordwestspanischen Raumes 1070–1130. Ein Beitrag zur Geschichte der Beziehungen zwischen Spanien und dem Papsttum zu Beginn des 12. Jahrhunderts (Kölner historische Abhandlungen 29), Köln 1980, S. 126. Therese Martin hat die These aufgestellt, dass die Orestie in Spanien bekannt ge­ wesen sei, leider ohne eine konkrete Text­Überlieferung wie beispielsweise die Orestis tragoedia des Dracontius von Karthago von Ende des 5. Jahrhunderts n. Chr. nachzuweisen, vgl. Therese Martin: Escultura románica para un público laico. El „Maestro de las Orestiada“ de Frómista y sus contemporáneos, in: San Martín de Frómista, ¿paradigma o historicismo? Actas de las Jornadas celebradas en Frómista los días 17 y 18 de septiembre de 2004, hg. v. José Manuel Rodríguez Montañés, Valladolid 2005, S. 71–83, hier S. 77. Währenddessen betonte Lutz Walther: „Im westlichen Mittelalter taucht die Figur des Orest hauptsächlich in mythologischen Handbüchern auf, in Byzanz gehört der Orestes des Euripides zum Schullektüre­ kanon.“ Vgl. Lutz Walther (Hg.): Antike Mythen und ihre Rezeption. Ein Lexikon, Leipzig 2004, S. 174, leider ohne Nachweise möglicher Rezeptionswege. Obwohl Isidor von Sevilla als der für Spanien wesentliche Vermittler antiken Wissens in das Mittelalter Orestes zweifach nennt, konnte aus diesen Stellen ohne weitere Kennt­ nisse unmöglich die Ikonographie des Sarkophages erschlossen werden. Die topono­ mastisch­geographischen Erläuterungen finden sich in Isidors zwanzigbändigem Hauptwerk, den Etymologiae (im Folgenden abgekürzt als: Etym.), in Buch XIV und XV: „Epirus a Pyrrho Achillis filio cognominata cuius pars Chaonia, quae an­ tea Molosia dicta est, a Moloso filio Pyrrhi quem de Andromachi habuit. Sed post­ quam occisus est Pyrrhus Orestis insidiis.“ (Etym. XIV,4,9), sowie „Corinthum in Achaia condidit Corinthus Orestis filius“ (Etym. XV,1,45), zitiert nach der unver­ ändert maßgeblichen Edition von Wallace M. Lindsay, vgl. Isidori Hispalensis Epis­ copi Etymologiarum sive originum libri XX, hg. v. Wallace M. Lindsay, Oxford 1911. Inzwischen liegen die zwanzigbändigen Etymologiae auf Deutsch vor, die, sofern nicht anders vermerkt, verwendet werden: Die Enzyklopädie des Isidor von Sevilla, übers. und mit Anm. versehen v. Lenelotte Möller, Wiesbaden 2008. Eine englische Übersetzung mit einem unabdingbar notwendigen, der deutschen Über­ setzung aber fehlenden Stichwortregister bieten: The Etymologies of Isidore of Seville, hg. v. Stephen A. Barney u. a., Cambridge 2006. Vgl. dazu Paul Zanker/Björn Christian Ewald: Mit Mythen leben. Die Bilderwelt der römischen Sarkophage, München 2004, S. 360.

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dert deutlich zu spüren. Wer auch immer in dieser Zeit als Betrachter vor die­ sem antiken Mirabilium stand, war darauf angewiesen, das Geschehen auf dem Sarkophag aus eigener Sicht und mit dem Bildwissen seiner Zeit zu deuten.39 Weil das Relief im Zentrum einen nackten Menschen im Kampf gegen eine Schlange zeigt, die ihm die Furien entgegenhalten, konnte hier in einer Interpretatio Christiana ein Adam alter,40 ein neuer Stammvater, assoziiert werden, der sich für den Moment gegen die Bedrohung durch die Versucher­Schlange zu behaupten schien oder zumindest aktiven Widerstand leistete.41 Ein weiteres Kapitell kann diesem „Meister der Orestie“ sicher zuge­ schrieben werden: Auf den heute noch erhaltenen, im Museo Arqueológico Provincial von Palencia aufbewahrten beiden Hälften des vermutlich bei der Restaurierung um 1900 in der Mitte gebrochenen, inzwischen im Museum wieder vervollständigten Kapitells (Bild 7a und 7b) sind zwei auf Raubkatzen reitende Männer mit wehenden Umhängen zu sehen, die auf den Kapitell­

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Die erschwerte, oft assoziative Identifizierung der numerisch kleinen, deshalb wis­ senschaftlich spät bearbeiteten Gruppe stadtrömischer Sarkophage mit Orestes­ Darstellungen sollte eine lange Dauer haben: Noch Winckelmann hatte 1767 die zentrale Szene eines Orestessarkophages in der Galleria dei Candelabri fälschli­ cherweise als Mord an Agamemnon und Kassandra gedeutet (Johann Joachim Winckelmann: Monumenti Antichi Inediti, Rom 1767, S. 193ff.). Erst im Jahr 1786 gelang es dem Historiker und Archäologen Arnold Heeren anhand des Orestessar­ kophages des Museo Pio Clementino, das Sujet richtig als Aischylos’ Oresteia zu deuten (Arnold Heeren: Commentatio in Opus caelatum antiquum Musei Pii Cle­ mentini, Rom 1786). Diese Deutung nahm Goethe für seine Iphigenie umgehend auf und sorgte damit für die rasche Verbreitung der korrekten Neuidentifizierung. Zur Rezeptionsgeschichte des Orestessarkophages aus der sogenannten Tomba del­ la Medusa in Rom und der Orestie insgesamt, vgl. Ruth Bielfeldt: Orest im Medu­ sengrab. Ein Versuch zum Betrachter, in: Mitteilungen des Deutschen Archäologi­ schen Instituts – Römische Abteilung 110 (2003), S. 123ff. Die bei Paulus formulierte Typologie von Altem und Neuem Adam nach 1 Kor 15,22 ist gerade im elften Jahrhundert häufig in Handschriften zu finden, vgl. beispiels­ weise Albert Dietl: Künstlerinschriften als Quelle für Status und Selbstverständ­ nis von Bildhauern, in: Studien zur Geschichte der Europäischen Skulptur im 12./13. Jh., 2 Bde., hg. v. Herbert Beck/Kerstin Hengevoss­Dürkop, Frankfurt a. M. 1994, S. 175–191, hier S. 185. Bei Donat de Chapeaurouge findet sich zudem die Betonung der Analogie, dass der sündenlos reine Christus wie Adam vor dem Sün­ denfall prinzipiell nackt dargestellt werden durfte, vgl. Donat de Chapeaurouge: Einführung in die Geschichte der christlichen Symbole, Darmstadt 1991, S. 103. Auch die umfassendste archäologische Publikation zu den Orestessarkophagen be­ tont bei Erwähnung der außergewöhnlich nachhaltigen Rezeption des Husillos­ Sarkophages im elften Jahrhundert, dass Orestes sich mit dem Schwertstreich deutlich gegen die Schlange und damit auch gegen die Erinnyen wendet, vgl. Ruth Bielfeldt: Orestes auf römischen Sarkophagen. Der Außenseiter wird Leitbild, Mün­ chen 2005, S. 85.

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Bild 7a Palencia, Museo Arqueológico Provincial, linke Kapitellschmal­ seite: Katzenreiter.

schmalseiten von je einem Begleiter flankiert werden.42 Weiter noch als die Vo­ luten ragen der Kopf des Katzenreiters sowie derjenige der Raubkatze aus der linken Kapitellhälfte (Bild 7a), während ein auf der Schmalseite stehender Mann 42

Moralejo Álvarez, der die Asymmetrien und subtilen Variationen der scheinbar an der zentralen Löwenmaske gespiegelten Reiter betont, will die linke Raubkatze aufgrund ihrer Mähne als Löwen identifizieren, die mähnenlose rechte als Löwin. Vgl. Serafín Moralejo Álvarez: „Two Capitals“, in: Ausst.­Kat.: The he Art of Medie­ val Spain (a. a. O.), S. 210–211.

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Bild 7b Palencia, Museo Arqueológico Provincial, rechte Kapitell­ schmalseite: Katzenreiter.

mit den leicht gespreizten Fingern seiner übergroßen Hand die Flanke des Tieres zu befühlen scheint. Die einzelnen Körperpartien der Raubtiere setzen sich bereits durch ihre prallen Volumina voneinander ab; der von enormer Spannung erfüllte Leib drückt sich geradezu aus dem Kapitell heraus. Um nichts weniger geschmeidig als die Raubkatze schnürt auf der rechten Schmal­ seite (Bild 7b) ein Halbnackter, der nur mit einer über die Schulter geworfenen Chlamys bekleidet ist, aus dem Kapitellgrund nach vorne. In einem verwe­ genen Bewegungsmotiv scheint er tatsächlich eine Art Moonwalk zu vollfüh­

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ren. Wie ein übergroßes Füllhorn hält er einen Zipfel seines Mantels in Hän­ den, der sich auf Höhe seiner Brust nahtlos in eine fleischige Ranke verwandelt, um sich rechts von seinem Kopf in eine lilienförmige Blüte sowie in Lanzett­ blätter aufzugabeln. Die Ranke wächst zugleich nach oben, so dass der Ein­ druck entstehen kann, als wachse die Vegetation wie ein Geschlecht dicht am Körper nach oben. Das Kapitell vereint wie kaum ein anderes wesentliche Merkmale der antiken Kunst, wie sie die Arbeit in sieben Kapiteln zu entfalten versucht: Ob­ wohl keine Schlangen wie auf dem Orestessarkophag zu sehen sind, trägt der Nackte doch erinnyengleich eine Ranken­Schlange in den Händen, die er dem Reiter entgegenhält. Die Nacktheit ist keine Nacktheit um ihrer selbst willen, sondern legt die antreibenden Kräfte offen. Körper, die bis in die letzte Faser angespannt sind, schnellen wie Federn durch die Kapitellräume und loten deren Tiefe aus. Die Anatomien mit abgesetzten Kniescheiben, Schienbeingraten oder feingliedrigen Fingern selbst noch mit Fingernägeln sind in einer Präzi­ sion gegeben, die erst wieder in der Renaissance zu finden ist. Wohl nirgends ist das bewegte Tuchwerk derart stark semantisiert wie in der Skulptur am spanischen Jakobsweg. Weil die Dialektik von Enthüllen und Verhüllen wie auch die zahllosen Abstufungen von verstrickenden Stoffen bis zu Heilstü­ chern in Tuchmetaphern am anschaulichsten wurde, bindet sie als roter Faden die Santiago­Wallfahrtsstationen im Pilgergewand zusammen. Obwohl die Mäntel der Raubkatzenreiter als Pathosformel wild bewegt hochschlagen, kle­ ben sie zugleich auch klatschnaß an ihren Leibern, als wollten sie diese verhül­ len. Derartige beunruhigend­irritierende Tuchmotive vermögen die innigen Katzenreiter als zwielichtige Gesellen mit dämonischen Kräften zu charakteri­ sieren. Darüber hinaus verwandelt sich das Manteltuch um den Hals des Halb­ nackten auf der rechten Kapitellschmalseite in eine vegetabile Form. Es erscheint dennoch nahezu unmöglich, alle Metamorphosen der Szenerie aufzuzählen, weil das Kapitell als ganzes eine permanente Formmutation unterläuft. Nicht eine einzige Form wirkt statisch oder stabil; alles ist im Schwange, weil außer den Helices und Voluten kein einziges stützendes Element des korinthischen Kapitells übernommen wurde. Die Köpfe der Reiter verschmelzen mit ihren Reittieren, das Manteltuch des Halbnackten wird zu einer Ranke, die Reittiere sind aus mehreren Raubkatzen wie Löwen, Panthern oder Großkatzen gemischt, die sich aber noch stets weiter verändern, wie die überlängten Vorderbeine an­ deuten; noch die Voluten verwandeln sich von Akanthus in Farn beziehungs­ weise zitieren sich selbst in Form kleiner wellenförmigen Voluten, die wiederum ihre Entsprechung im wogenden Voluten­Haar des Reiters an der rechten Kapi­ tellecke haben. Das Kapitell, obwohl aus festem Kalkstein, wirkt insgesamt be­ ständig im Wandel. Der Stil des Orestessarkophages – obgleich nicht direkt zitiert – prägt mit seinen stringenten Leiblichkeiten sowie den kunstvoll in

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Bild 8 Santiago de Compostela, Kathedrale, Nördliche Chorradial­ kapelle: Katzenreiterin.

mehreren Schichten verwobenen Körpern wie eine „Stilreliquie“ die Form­ sprache des Kapitells. Wie der Orestes am Apolloheiligtum von Delphi auf dem Husillos­Sarkophag schwingt der Rankenträger behende in den Raum; wie die drei schlafenden Furien auf der linken Seite der Sarkophagfront übereinander geschichtet ineinander überzugehen scheinen, so verschmelzen Reiter und berit­ tene Raubkatze amazonenhaft. Ein neoantikes „Gesamtkunstwerk“ schließlich ist in der Vitalität dieses nach allen Seiten drängenden Kapitellbündels erreicht, das durch den ungebremsten Bewegungsdrang seiner Protagonisten besticht, die wie auf einer Bühne beunruhigend unstet die Plätze zu tauschen scheinen. Ihren Höhepunkt hat diese Wiederaufführung der Antike in den über­ lebensgroßen nackten Katzenreiterinnen und Sphingen in Santiago, die auf den der Heiligen Fides und Johannes geweihten nordöstlichen Radialkapellen der Kathedrale auf Sockeln mit in die Sockelkehle eingemeißelten Kugeln thro­ nen (Bild 8). Heute hinter einer hohen Ummauerung des 18. Jahrhunderts nur vom steinernen Dach des Nordquerhauses aus zu sehen, waren sie für die im elften Jahrhundert durch das Nordportal einströmenden Pilger die erste Skulp­ tur der Kathedrale überhaupt, die zudem schon von weitem zu sehen war.

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EINFÜHRUNG – DIE SPANISCHE VORGESCHICHTE

Obwohl in zahlreichen spanischen Pilgerwegskirchen Löwenreiterinnen zu finden sind, blieb das Privileg einer monumental vollplastischen Ausführung des Motivs offenkundig dem Ziel des Sternenwegs vorbehalten. Allerdings wird in Santiago nicht nur der Maßstab vergrößert, sondern auch die über viele Etappen der Pilgerwegskirchen eingeschärften Motive werden zugespitzt: Trotz der starken Verwitterung ist noch zu erkennen, dass die Schienbeingrate ur­ sprünglich messerscharf zugelaufen sein müssen sowie die Knie sich in geome­ trisch abgezirkelter Form wie Teile einer Rüstung abzeichnen. Die Frau wirkt in ihrer Nacktheit wie gerüstet. Die hintere Flanke der Raubkatze ist wie eine Keule monströs angeschwollen, ihren Kopf wendet die Bestie anscheinend in einem innigen Blickkontakt der Reiterin zu, wie die noch zu erkennenden, in­ sektenhaft großen Augen zeigen. Der weit nach vorn gelegte Oberkörper der Reiterin offenbart die bewegte Spannung; das Umklammern des Katzenhalses läßt die Haptik des Griffs in die Mähne geradezu spüren. Das offene hüftlange Haar legt sich wie ein gewelltes Tuch über den Rücken der ansonsten nackten Frau. Die Bestienreiterinnen von Santiago stürmen auf ihren Raubkatzen als dämonisierte Gefährtinnen der Göttin Venus nackt und verführerisch mit lan­ gem Haar auf die Pilger zu.43 Wer diesem Anblick nicht erlag, wurde gerade­ wegs in die Mauern der Kathedrale getrieben, die Schutz vor dem medusen­ haften Bild versprachen. Zwar gibt es in Frómista nur zwei Kapitelle mit direkter Rezeption des Orestesarkophages; nahezu alle Konsolen aber sind mehr noch als im Moti­ vischen in ihrer gespannten Leibesfülle, den kantigen Gesichtern sowie den die Körper umspielenden Tüchern durch den verinnerlichten Stil des Sarkophages beeinflußt, wie die Konsole eines gekrümmt auf einem Knotenstock gestützen Mannes von San Martín zeigt (Bild 9). Ein wiederholtes Analysieren von Ein­ zelmotiven jeweils aufgeteilt auf die drei Stationen Jaca, León und Santiago scheint redundant. Da aber offensichtlich mit dem Sarkophag in Husillos alle drei Bildhauerwerkstätten aus derselben Quelle schöpfen, können – gerade weil es sich erkennbar um unterschiedliche Künstlerindividuen handelt – allgemei­ ne Formprozesse konturiert werden. Diese bisher nur der sogenannten Renais­ sance des zwölften Jahrhunderts zugestandene Körperlichkeit ist in Nordspa­ nien über die auch und gerade in der Westgotenzeit nie ausgesetzte Antike und 43

Zu langen Haaren als sexuellem Symbol, vgl. Anthony Weir/James Jerman: Ima­ ges of Lust. Sexual Carvings on Medieval Churches, London u. a. 1999, S. 73, und Edmund R. Leach: Magical Hair, in: The Journal of the Royal Anthropological Ins­ titute of Great Britain and Ireland 88,2 (1958), S. 147–164, hier v. a. S. 153ff. Eine erste umfassende Theorie der Haartracht bereitet Julia Saviello in ihrer Disserta­ tion vor, die sich in den Grundzügen zusammengefaßt findet in Julia Saviello: Haar­Kunst als Linienspiel im 15. und 16. Jahrhundert, in: Linea II, hg. v. Marzia Faietti/Gerhard Wolf, Florenz 2012, S. 53–73.

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EINFÜHRUNG – DIE SPANISCHE VORGESCHICHTE

Bild 9 Frómista, San Martín, Konsole: Hockender.

Bild 9a Jaca, San Pedro, Konsole: Hockende.

hier insbesondere über den Orestessarkophag aus dem Kloster Husillos vermit­ telt. Aus der Bildhauergruppe in Frómista, die offenbar – wie die Arbeit zu zeigen versucht – zum größeren Teil nach San Isidoro in León gewandert ist, um dort das Tympanon und die Zodiacus­Metopen des Cordero­Portals zu schaf­ fen, hat sich ein Künstler gelöst, der in der Kathedrale von Jaca seine Hauptwerke hinterläßt. Er schart neue Werkstattmitglieder unter anderem aus der mächtigen Pilgerwegsbasilika Saint­Sernin in Toulouse um sich, weshalb Skulpturen die­ ser Kirche ebenfalls in die Betrachtung mit einbezogen werden. Zugleich über­ nimmt der führende Bildhauer von San Pedro de Jaca, für den der von der For­ schung verliehene Notname „Jaca­Meister“ beibehalten werden soll,44 alle 44

Für die Diskussion der Zuschreibung von Kapitellen in Jaca an den „Jaca­Meister“ vgl. Durliat: La sculpture romane (a. a. O.), S. 219. Serafín Moralejo Álvarez hat als erster gesehen, dass dieser Bildhauer zuerst in Frómista und danach in Jaca tätig war, vgl. Moralejo Álvarez: Sobre la formación (a. a. O.), S. 433.

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EINFÜHRUNG – DIE SPANISCHE VORGESCHICHTE

Gestaltwerte aus Frómista, nicht ohne sie charakteristisch zu variieren.45 Das ungestüm Dämonische, das die Skulpturen in Frómista als Umformungen des antiken Orestessarkophages auszeichnete, stilisiert der „Meister von Jaca“ zu einer „klassizistischeren“ Form, ohne dabei die in Frómista erprobten Span­ nungsbögen zu vernachlässigen. Exemplarisch zeigt dies eine Konsolfigur aus Jaca, die offensichtlich eine Frómista­Erfindung rezipiert. Es handelt sich um die Skulptur einer vornübergebeugt hockenden Frau mit Kopftuch, die sich heute am Übergang zur Nordseite des im 18. Jahrhundert vergrößerten Haupt­ chores von San Pedro de Jaca befindet (Bild 9a). Der überproportioniert wir­ kende Kopf der Frau unter dem gesäumten und gestreiften Kopftuch ist nach links gewendet. Ihre Arme überkreuzt sie in einem unentschiedenen Motiv zwischen Hocken und Stehen mit eingeknickten Beinen vor den berockten Knien. Bezeichnend scheint, wie in diesem In­sich­Verspannen der Figur die Physis mit dem rundlichen Kopf, dem wie aufgeschwemmt wirkenden rechten Arm sowie dem stämmigen Oberkörper mit den breiten Schultern insgesamt herausgearbeitet ist. Dass diese Antikennähe im Rahmen einer sakralen Stiftung durch König Sancho Ramírez überhaupt möglich war, ist erklärungsbedürftig. Ein denkbarer Grund scheint die Bruchstelle des arabischen Interregnums zu sein, die aus spa­ nischer Sicht eine Überbrückung in die hispano­römischen Antike erforderte. Es gehört zu den großen und wohl nie vollständig zu lösenden Fragen, durch welche veränderten historischen, sozial­ und mentalitätsgeschichtlichen Fak­ toren und Parameter ein neuer Stil oder zumindest ein Klima entstehen kann, das eine derart fundamental von allem Vorangegangenen unterschiedene For­ mensprache aufweist. Ein wesentlicher Grund für diese künstlerische Freiheit am Pilgerweg dürfte das elfte Jahrhundert als Interimszeit zwischen einer noch offenen Verfaßtheit und sich erst langsam gestaltender Verdichtung gewesen sein.46 Diese Bruchstelle war eine Fundstelle für die Künstler, und sie wurde ausgeschöpft. Auf der einen Seite dieses klaffenden Bruches stehen die sich erst allmählich festigenden und selbstbewußter werdenden christlichen Königreiche

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Aufgrund schwerwiegender stilistischer Unterschiede, die nicht allein aus dem zeitlichen Vorausgehen Frómistas erklärlich scheinen, wird hier von zwei prägen­ den Bildhauerpersönlichkeiten ausgegangen. Moralejo Álvarez hingegen sah in beiden Bildhauer ein und dieselbe Person, vgl. Moralejo Álvarez: Sobre la forma­ ción (a. a. O.), S. 433f. Verwendet und für die spanischen Verhältnisse des elften Jahrhunderts abgewan­ delt sei hier die treffende Dichotomie von Peter Moraw, vgl. Peter Moraw: Von offener Verfassung zu gestalteter Verdichtung. Das Reich im späten Mittelalter 1250 bis 1490, Frankfurt a. M. 1989.

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EINFÜHRUNG – DIE SPANISCHE VORGESCHICHTE

in Spaniens Norden,47 welche die nachdrückliche Nacktheit der über den ge­ samten Weg nach Santiago de Compostela verteilten Zitate des Sarkophages als unmißverständliche Legitimierungsstrategie ihrer Anciennität gegenüber den Arabern einsetzen konnten.48 Indem die drei Monumentgruppen in ihrem permanenten Motiv­Aus­ tausch gleichsam filmisch gegengeschnitten werden, zeigt sich, dass alle drei Meister und ihre Werkstätten innerhalb von nur wenigen Jahren parallel an ihren Großaufträgen arbeiteten. Da erstaunlicherweise bis heute keine direkte Nachfolge dieser Werke nachgewiesen werden konnte, beschränkt sich der zeit­

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Für das Beispiel León vgl. Patrick Henriet: Un exemple de religiosité politique. Saint Isidore et les rois de Léon (XIe–XIIIe siècles), in: Fonctions sociales et politi­ ques du culte des saints dans les sociétés de rite grec et latin au Moyen Âge et à lépoque moderne, hg. v. Marek Derwitsch/Michel Dmitriev, Wrocław 1999, S. 77–95, v. a. S. 80, der darin den von Friedrich Prinz geprägten Begriff der „Politischen Religiosität“ übernimmt und auf das junge Königreich León überträgt. Diese spanische Strategie der Herrschaftslegitimation durch Antikennähe war kei­ neswegs neu: Kaiser Karl der Große handhabte sie versiert in seiner Renovatio Imperii Romani, die neben einer sinnlichen Begeisterung für die Antike nicht zu­ letzt auch einen gewollten reichseinigenden Effekt hatte, und ließ sich als letztes und überdauerndes Zeugnis seiner Antikenbegeisterung in einem antiken Proser­ pina­Sarkophag mit zahlreichen halbnackten Figuren bestatten. Für die Karolin­ gische Renovatio in allen Bereichen der politischen Repräsentation, der Wissen­ schaften und der Künste vgl. die Beiträge in: Ausst.­Kat.: 799 – Kunst und Kultur der Karolingerzeit. Karl der Große und Papst Leo III. in Paderborn, Paderborn 1999, hg. v. Christoph Stiegemann, Mainz 1999, darin insbesondere Arne Effen­ berger: Die Wiederverwendung römischer, spätantiker und byzantinischer Kunst­ werke in der Karolingerzeit, S. 662–680, v. a. S. 656ff. zum Proserpina­Sarkophag. Für eine darüber hinausgehende Deutung des Sujets des Raubs der Proserpina als Allegorie auf die durch Karl wiederhergestellte Blüte und Continuitas des Reichs, vgl. Christian Beutler: Statua. Die Entstehung der nachantiken Statue und der europäische Individualismus, München 1982, S. 72ff. Dass Karl der Große als Exemplum virtutis im Spanien des elften Jahrhunderts überaus präsent und für die christlichen Könige vorbildhaft war, erweist eine Vielzahl von legendenhaft ausge­ schmückten Erzählungen zu Karls Leben und Herrschaft: Die bekannteste darun­ ter ist sicher die des Rasenden Rolands, der als Karls treuer Vasall und Verwandter unweit von Jaca am Paß von Roncesvalles mit seinen Truppen von einer arabischen Übermacht aufgerieben wird, bevor Karl zu Hilfe eilen kann. Rolands vorgebliches Grab zeigten die Kleriker in Saint­Roman de Blaye den Pilgern, sein Olifant wurde wie eine Reliquie in Bordeaux präsentiert, vgl. Klaus Herbers: Jakobsweg. Ge­ schichte und Kultur einer Pilgerfahrt, München 2006, S. 55–60. Auch die soge­ nannte Ottonische Renaissance, die bis zum Tod des letzten Ottonen Heinrich II. im Jahr 1024 in allen Bereichen der Kunst virulent war, hat ein über Jahrzehnte nachhallendes Echo in Spanien gefunden. Vgl. mit der notwendigen historisch­ kritischen Distanz gelesen, Hans Jantzen: Ottonische Kunst, Neuausg., erweitert und kommentiert durch ein Nachwort von Wolfgang Schenkluhn, Berlin 1990, v. a. S. 119ff., mit dem Beispiel der bronzenen Bernwardinischen „Triumphsäule“ nach römischem Vorbild in Hildesheim.

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liche Rahmen dieses Höhepunktes neoantiker Skulptur auf die Dauer etwa einer Generation. Mit der erstmals in der Gesamtheit ihrer osmotischen Austausch­ prozesse untersuchten skulpturalen Rezeption des Orestessarkophages, die wie eine Supernova für kurze Zeit den spanischen Himmel erleuchtete, ist damit zugleich ein indirektes Datierungsgerüst für die drei bedeutenden spanischen Kirchen Jaca, León und Santiago de Compostela gegeben. Dieses Gerüst soll zumindest durch Verstrebungen zu den Seiten innerhalb der drei Kirchen und ihrem Umfeld partiell verstärkt werden. Umso stärker fallen die Blindstellen eines solch notwendigerweise Stückwerk bleibenden Vorgehens auf. Ein detail­ liertes Einfügen der beschriebenen Kapitelle in den jeweils konkreten Ab­ schnitt der komplexen Baugeschichten wäre für diese zusätzlich erhellend, für die Skulptur in ihrem Eigenwert hingegen eher verwirrend. Die vorliegende Arbeit argumentiert dabei durchgängig im Sinne einer Geschichte des Bildes aus der Perspektive der Künstler heraus. Die vorgestell­ ten Bildhauer hatten mit den auf spanischem Boden überreich vorhandenen Antiken außergewöhnlich attraktive Bilder vor Augen, die zum Wettstreit ge­ radezu herausforderten. Wenn als textliche Quelle für das von Künstlerseite si­ cher gewünschte, wahrscheinlich herbeigesehnte Hintergrundwissen über die Antike die Etymologiae Isidors von Sevilla als „Grundbuch des Mittelalters“, wie Ernst Robert Curtius sie ehrte,49 in extenso zitiert werden, so nur aus einem einzigen Grund: weil diese letzte und größte Enzyklopädie der Antike mit ihren bildhaften, multisensualen Beschreibungen nicht allein zu den Schrift­, sondern im gleichen Maße zu den Bildquellen sui generis zu rechnen ist.50 So stellen die Etymologiae eine Art spätantiker Vorläufer von Aby Warburgs Mnemosyne­Atlas dar. Es handelt sich schon deswegen um eine assoziative Enzyklopädie, weil Isidor lautmalerisch von einem Klangbild zum nächsten ge­ langt, um sein synästhetisches Panorama der Antike zu zeichnen.51 Es geht dabei nicht um ein ebenso bemühtes wie ermüdendes Belegen aller Antikenre­

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Vgl. Ernst Robert Curtius: Europäische Literatur im Lateinischen Mittelalter, Tü­ bingen/Basel 1948, S. 33, um an späterer Stelle jeglichen Zweifel an einer mögli­ chen Irrelevanz Isidors aufgrund seiner Unwissenschaftlichkeit scharf zu verwer­ fen: „Vor allem muss man die Etymologiae so lesen wie der mittelalterliche Leser es tat: als Buch aus einem Guss und von verbindlicher Autorität“ (S. 450f.). Aus genau diesem Grund ist Fritz Saxls Irritation über das Ausbleiben von Illustra­ tionen in den meisten der über 1000 noch erhaltenen Abschriften wie so oft bei dem vielleicht unterschätztesten Warburg­Erben keine naive Gretchenfrage, son­ dern absoluter Erkenntnisgewinn. Vgl. Fritz Saxl: Illustrated Mediaeval Encyclo­ paedias. 1. The Classical Heritage, in: Lectures I, London 1957, S. 228–241, hier S. 239. Insofern nimmt es nicht Wunder, dass Isidor von Sevilla für Jorge Luís Borges als dem letzten großen Enzyklopädisten des 20. Jahrhunderts die entscheidende Reve­ renz darstellt. Vgl. Jorge Luís Borges: Die Bibliothek von Babel, Berlin 1987.

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zeptionen durch Textstellen. Für die Künstler im Nordspanien des elften Jahr­ hunderts aber kann alles, was Isidor an Antiken, beispielsweise in Gestalt der von der christlichen Bildkritik geschmähten Götterbilder nennt, deshalb als Stimulanz und Inspirationsquelle angesehen werden, weil sein Werk im Ge­ gensatz zur Bibel gelesen wurde. Die Bibel als Heilige Schrift wurde auf den Altären präsentiert und verehrt, nicht aber im modernen Sinn gelesen; die Etymologiae dagegen waren in nahezu jeder Kloster­ und Kathedralbibliothek vorhanden und wurden häufig als Autorität konsultiert,52 wie schon an den im Vergleich zu Bibeln des elften Jahrhunderts wesentlich stärkeren Benutzungs­ spuren deutlich zu erkennen ist. Bisher wurde Antikenrezeption meist als relativ statische Ableitung verbindlicher antiker Modelle betrieben.53 Wo es, wie bei Erwin Panofsky, an­ ders gehalten wurde, mußten Disjunktionsmodelle eingeführt werden, um die formale Umkehrung durch inhaltliche Umdeutungen zu erklären.54 Am wei­ testen ging zweifelsohne Salvatore Settis. Bereits im Titel seines wegweisenden Aufsatzes „Von auctoritas zu vetustas“ ist die Revolution hin zu einer Vereh­ rung der Antike begrifflich gefaßt. Gerade den epochalen Orestessarkophag des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts aus einem spanischen Klosterkreuzgang, der mit seinen wenigen Quadratmetern Marmorrelief eine „Kleinkademie Nordspaniens“55 bildet, billigt Settis lediglich den Status eines unverändert repro­ duzierten Modells zu: „Das antike Modell kann aufgenommen und als solches wieder angeboten werden, nur weil es überliefert ist, ohne jegliche inhaltliche

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Zur Frage der autoritativen Kraft enzyklopädischer Schriften, vgl. Christel Meier (Hg.): Die Enzyklopädie im Wandel vom Hochmittelalter bis zur Frühen Neuzeit. Akten des Kolloquiums des Projekts D im Sonderforschungsbereich 231 (29. 11.– 1. 12. 1996), München 2002. Dort finden sich auch die islamischen Handschriften Spaniens mit Übersetzungen antiker Werke behandelt, die aber zumindest in Nord­ spanien – diametral entgegen der bisherigen Lehrmeinung – keinen überragenden Einfluss entfalten konnten, weil in Isidors zwanzig Bänden der Etymologiae bereits alle wesentlichen Inhalte der Antike von Algebra bis Zoroaster, den gesamten an­ tiken Götterhimmel eingeschlossen, enthalten waren. Als unverzichtbare Etappen der mittelalterlichen Antikenrezeption seien lediglich genannt Anton Springer: Über die Quellen der Kunstdarstellungen im Mittelalter, Leipzig 1879; Heinz Ladendorf: Antikenstudium und Antikenkopie. Vorarbeiten zu einer Darstellung ihrer Bedeutung in der mittelalterlichen und neueren Zeit (Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Philo­ logisch­Historische Klasse 46,2), in: Abhandlung der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Bd. 46,2, Berlin 1953; Nikolaus Himmelmann: Ideale Nacktheit, Opladen 1985. Vgl. Erwin Panofsky: Die Renaissancen der europäischen Kunst, Frankfurt a. M. 1984, S. 90 und 115. Vgl. Bredekamp: Spanien als Pilgerland (a. a. O.), S. 72.

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Interpretation.“56 Gegeben ist im Fall des elften Jahrhunderts in Nordspanien, dass nicht nur homöopathisch Antike zitiert wird, um durch diese geringe Do­ sierung niemanden zu verschrecken oder den Haß von Ikonoklasten zu erre­ gen. Vielmehr ziehen sich auf dem antikegesättigten spanischen Boden ganze Königreiche an einem mächtigen Tau zurück in die Antike, um die Schmach von Cordoba mit der arabischen Invasion des Jahres 711 zumindest ideologisch um einige Jahrhunderte zurückdrehen zu können. In ihrer Außendarstellung gaben sich diese Regenten als Vollender des römischen Imperiums in der Tra­ dition der Westgotenkönige. Für diese Ausnahmesituation soll der Begriff „sinnliche Antike“ ge­ prägt werden. Den fünf ersten Kapiteln sind kurze Widmungen an die fünf Sinne vorangestellt. Das Riechen, das mit Ausnahme der Darstellung des Laza­ rus, vor dessen Verwesungsgestank sich die Umstehenden die Nase zuhalten,57 in der Skulptur relativ selten dargestellt wird, ist dabei durch den in den letzten Jahren immer stärker untersuchten Vestibulärsinn ersetzt. Dieser gewährlei­ stet die instinktive Orientierung und Ordnung aller Körperglieder im Raum, was ihn für Bildhauer zu einem essentiellen Sinn macht. Die innere Hierarchie mit dem Gesichtssinn an der Spitze vollzieht dabei diejenige des elften Jahr­ hunderts nach, in dem das Auge der Herr, das Ohr nur ein Knecht war.58 Ohne dass die Motive mit dieser Zuordnung zu sehr auf nur je einen Sinn enggeführt wären, wird eines deutlich: Die Antike wurde im elften Jahrhundert als Sin­ nenraum empfunden, bewundert und vor allem deswegen nachgeahmt. Ent­ lang dieser künstlerischen Inbesitznahme der Antike, die von Künstlerseite aus mit allen Sinnen erfolgte, um alle fünf Sinne bei den Adressaten zu aktivieren, war dies nur durch ein unentbehrliches Momentum möglich: absolute künstle­ rische Freiheit. Dieser überstrapazierte, bisweilen bis zur Karikatur zerdehnte, von Kritikern als anachronistisch geschmähte Begriff ist in der konkreten hi­ storischen Gemengelage des elften Jahrhunderts in Nordspanien vollgültig am Platz. Eine derartige Aktivierung der vollzähligen Sinne war davor zuletzt in der Antike üblich. Was gewöhnlich als penetrante Überforderung des Gehirns gewertet würde, war im Rahmen des die Sinne ohnehin permanent aufs Äußer­ ste fordernden Pilgerweges das eigentliche Erfolgsgeheimnis für den Siegeszug

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Vgl. Salvatore Settis: Von auctoritas zu vetustas. Die antike Kunst in mittelalter­ licher Sicht, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 51 (1988), S. 157–179, hier S. 164. Zum multisensorischen Potenzial der Künste allgemein vgl. Barbara Lange: Duf­ ten, stinken, beißen. Geruchssinn und bildende Kunst, in: Mit allen Sinnen. Sehen, Hören, Schmecken, Riechen und Fühlen in der Kunst, hg. v. Andrea Gottdang/ Regina Wohlfarth, Leipzig 2010. S. 105–121. Vgl. Donat de Chapeaurouge: „Das Auge ist ein Herr, das Ohr ein Knecht.“ Der Weg von der mittelalterlichen zur abstrakten Malerei, Wiesbaden 1983, S. 3ff.

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Bild 10

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Jaca, San Pedro: Ansicht der Westvorhalle von Außen.

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monumentaler Skulptur. Die Kathedrale von Jaca mit ihrem gigantischen, wie aufgestelzt wirkenden Triumphbogen des Westvorbaus (Bild 10) bot das Ein­ fallstor in die spanische Antike des elften Jahrhunderts.59

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Nicht überholt sind die Beobachtungen Rudolf Schultzes zur Transformation rö­ mischer Triumphbögen und Tore in mittelalterliche Portalanlagen, vgl. Rudolf Schultze: Das römische Stadttor in der kirchlichen Baukunst des Mittelalters, in: Bonner Jahrbücher für Kunst 124 (1916), S. 17–52, hier v. a. S. 50, sowie Baldwin Smith: Architectural Symbolism of Imperial Rome and the Middle Ages, Prince­ ton 1956.

I. SEHEN – SCHL A NGEN

Sehen ist Glauben. Nichts scheint in seiner modischen Zurichtung auf eine bildergeflutete Welt unzutreffender für das elfte Jahrhundert zu sein als diese sloganhafte Feier des Sehens.1 Jahrhunderte lang wurde von Theologen stets das Christuswort von der zu preisenden Seligkeit jener, die nicht sehen und dennoch glauben, gegen eine abhängige Verknüpfung der Vermittlung von Inhalten durch eingängige Bilder sowie deren visuellen Überschuss in Stellung gebracht. Für einen antiken Sarkophag mit mythologischer Jenseitsallegorie würde gelten können, dass das Sehen des zu Sehenden bereits alles ist, ein „Glauben“ daran bei der absoluten Vagheit der antiken Jenseitsvorstellung nicht nötig erscheint. Oft ist in der Kunstgeschichte die sprunghaft-verworrene Bruchlinie zwischen Antike und Mittelalter genau am vorgeblichen Primat des geistigen Gehalts einer Darstellung gegenüber seiner Bildlichkeit demarkiert worden.2 Der formvollendete Nachdruck wie auch das „Kunstwollen“, mit dem in Nordspanien Bilder von einem heidnischen Sarkophag in gut sichtbare Kapi-

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Aus der Fülle der Publikationen zu diesem Komplex seien insbesondere die Arbeitsergebnisse der Forschungsgruppe „Kulturgeschichte und Theologie des Bildes im Christentum“ unter anderem zum göttlichen, tastenden, verhängten, gehaltenen oder inszenierten Blick herausgehoben; vgl. David Ganz/Thomas Lentes (Hg.): Sehen und Sakralität in der Vormoderne (KultBild. Visualität und Religion in der Vormoderne 4), Berlin 2011. Zur Bilderflut des Mittelalters vgl. Christof L. Diedrichs: Desire For Viewing. „A Deluge of Images“ in the Middle Ages, in: Genre and Ritual. The Cultural Heritage of Medieval Rituals (Transfiguration), hg. von Eyolf Østrem u. a., Copenhagen 2005, S. 87–117. Zu den unterschiedenen Bedingungen mittelalterlicher Wahrnehmung vgl. beispielsweise Cynthia Hahn: Visio Dei. Changes in Medieval Visuality, in: Visuality Before and Beyond the Renaissance. Seeing As Others Saw (Cambridge Studies in New Art History and Criticism), hg. von Robert S. Nelson, Cambridge u. a. 2000, S. 169–196, und Michael Camille: Before the Gaze. The Internal Senses and Late Medieval Practices of Seeing, in: ebd., S. 197–223. Vgl. Bernhard Schweitzer: Die spätantiken Grundlagen der mittelalterlichen Kunst (Leipziger Universitätsreden 16), Leipzig 1949, v. a. S. 22ff.

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.I SEHEN – SCHLANGEN

Bild 11 Jaca, San Pedro: Ansicht der Westvorhalle von Innen.

tellbilder christlicher Kirchen verpflanzt wurden, erweist nicht nur, dass den Bildern dieses antiken Sarkophags Bedeutung zugemessen wurde, sondern auch, dass diese Bilder als Bilder gesehen werden sollten. „Ut videant et ut videantur“, „auf dass sie sehen und gesehen werden.“ So beschreibt der Theologe Radulphus Niger im zwölften Jahrhundert spöttelnd den inneren Antrieb der Bildbegierigen des Pilgerwegs.3 Zumindest für die untersuchten Fälle trifft nicht zu, dass der Bildwert einer Glaubensaussage untergeordnet wäre, weil die von dem Sarkophag adaptierten Vorbilder in einer offenen Ikonographie noch ohne zu versprachlichenden Gehalt waren. Sie eigneten sich nicht als unzweideutige Glaubensverstärker. Besonders drastisch 3

Vgl. Ludwig Schmugge: „Pilgerfahrt macht frei“ – Eine These zur Bedeutung des mittelalterlichen Pilgerwesens, in: Römische Quartalschrift 74 (1979), 1–2, S. 16– 31, hier S. 29, sowie Ludwig Schmugge: Mobilität und Freiheit im Mittelalter, in: Die abendländische Freiheit vom 10. zum 14. Jahrhundert: Der Wirkungszusammenhang von Idee und Wirklichkeit im europäischen Vergleich (Vorträge und Forschungen/Konstanzer Arbeitskreis für Mittelalterliche Geschichte 39), hg. v. Johannes Fried, Sigmaringen 1991, S. 307–324.

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JACA – DIE SCHLANGE ALS VERKÖRPERUNG DER SEHTHEORIE

Bild 12 Jaca, San Pedro, Westportaltympanon: Allegorisches Weltgericht mit Chrismon. Bild 12a Jaca, San Pedro, Westportaltympanon, Chrismon: Schlangen-S.

zeigt sich dies am Beispiel der Schlange, die als wiederkehrendes Zeichen in den unterschiedlichsten Kontexten erscheint, ohne dass sie jeweils klar zu semantisieren wäre, wie es exemplarisch in dem christlichen Tempel San Pedro de Jaca zu sehen ist (Bild 11).

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Jac a – D ie Sc h la nge a ls Verkör p er u ng der Seht he or ie

In der ehemaligen aragonesischen Hauptstadt Jaca, die den Auftakt des spanischen Teils des Pilgerweges bildet, formulieren auf dem Tympanon der Kirche San Pedro (Bild 12) ein zentrales Chrismon sowie symbolische Wesen zusammen mit vier Inschriften allegorisch das Weltgericht. Zwei Löwen flankieren auf der monolithischen, oben gerade abschließenden Tympanonplatte heral-

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.I SEHEN – SCHLANGEN

disch das apokalyptische Chrismon, das in ein Rad eingeschrieben ist. Der rechte Löwe schreitet über einen Basilisken, der mit seinem langen verknoteten Schlangenschwanz aus den Ranken im rechten Zwickel des Tympanons hervorschnellt. Als Vernichter des inschriftlich beschriebenen „Reichs des Todes“ drückt er mit grimmigem Blick und gefletschten Zähnen seine rechte Pranke auf einen Bären4 vor ihm, der, im Begriff, zermalmt zu werden, seinen Kopf zu Boden beugt. Der Rachen des Löwen links des Chrismon hingegen ist geschlossen; seine Pranke liegt in einer eleganten bogenförmigen Bewegung vorsichtig auf dem Unterschenkel eines Mannes, welcher der Länge nach auf den Knien unter ihm kauert (Bild 13). Dieser hält mit beiden Händen eine Schlange, die sich nach oben windet. Mit Basilisk, Bär und Schlange werden hier drei der am stärksten dämonisierten Tiere von den deutlich größeren Löwen niedergehalten. Diese sind in ihrer majestätischen Statik im Gegensatz zu den bewegt am Boden kriechenden und flatternden Wesen eng an das Chrismon angelehnt. Die einzigartige, dennoch in ihrem Gehalt für die mittelalterliche Sehtheorie kaum diskutierte Inschrift auf dem Chrismonrad beginnt mit den Worten: HAC IN SCVLPTVRA, LECTOR, SI C[OG]NOSCERE CVRA; was so viel bedeutet wie: „Dies [siehst Du] in der Skulptur, Leser, wenn Du es mit Sorgfalt verstehst [es zu sehen].“5 Mit LECTOR kann nur der „Leser“ der Bilder gemeint sein, denn das Substantiv, auf das sich alles bezieht, sind mit der SCVLPTVRA zweifelsohne die Steinbildwerke.6 Damit wird dem Besucher noch vor dem 4

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Der Grund für die ungewöhnliche Substitution der üblichen Aspis-Viper durch einen Bären könnte darin liegen, dass es dem Künstler des Tympanons um die unmittelbarere Vertrautheit der Betrachter mit dem Schreckenspotenzial der in der pyrenäischen Bergwelt Aragóns häufigen Bären angelegen war. Auch in der kurz nach San Pedro de Jaca um 1120–30 entstandenen Beatus-Apokalypsehandschrift von Saint-Sever (Paris, Bibliothèque Nationale, Ms. lat. 8878, fol. 52v) findet sich beispielsweise ein Bär anstelle der Aspis-Viper als eine der vier Bestien der Apokalypse, und auf einem Fensterkapitell der zeitgleich mit Jaca entstandenen Burgkirche von Loarre wird ein Bär an der Leine geführt, vgl. Anke Hervol: Der transpyrenäische Austausch in der romanischen Bauplastik von 1060 bis um 1120. Eine Form- und Motivanalyse ausgewählter Kapitellplastik aus Saint-Gaudens, Saint-Sernin de Toulouse, der Gascogne und aus den spanischen Königreichen Kastilien-León, Navarra und Aragón, Weimar 2012, S. 224. Vgl. Dulce Ocón Alonso: El tímpano de Jaca. Nuevas perspectivas, in: Patrimonio artístico de Galicia y otros estudios, hg. v. Ángela Franco Mata, Santiago de Compostela 2004, S. 217–227, hier S. 224, sowie Caldwell: Penance (a. a. O.), S. 35. Dabei spielt der Bildhauer bewusst oder unbewusst mit der synästhetischen Erscheinung des Chrismon als konstantinischem Siegeszeichen in den Wolken, bei der die Stimme Gottes Kaiser Konstantin mit den Worten In hoc signo vinces ebenso zum Sieg aufforderte, wie in Jaca zum richtigen Erkennen der Bilder und Zeichen. Die Schrift auf dem Chrismonrad hat sich als Menetekel gleichsam selbst geschrieben. Sie wird damit als quasi göttliche Erscheinung legitimiert, wie dies Klaus Schreiner auch für andere eigenhändige „göttliche“ Aufzeichnungen und deren Verwendung in heilsgeschichtlichen Kontexten zeigen konnte. Vgl. Klaus Schreiner: „Göttliche

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JACA – DIE SCHLANGE ALS VERKÖRPERUNG DER SEHTHEORIE

Bild 13 Bild 13a Eva.

Jaca, San Pedro, Westportaltympanon: Büßender mit Schlange. Autun, Musée Rolin, ehemals Nordportaltympanon von Saint-Lazare:

Betreten der Kathedrale mit dem Vokativ eingeschärft, dass er mit größtmöglichster Sorgfalt genau betrachten solle, um zu begreifen. Inschriften überziehen nahezu den gesamten bildfreien Platz des Tympanons (Bild 12). Sie sind in leoninischen Hexametern von nahezu antiker Qualität verfaßt, was allein schon ein Hinweis auf die spätantike Grammatikund Metriklehre Isidors von Sevilla gewesen wäre. Dennoch wurde von der spanischen Forschung erst spät der Schlüssel zur Entzifferung einer entscheidenden Stelle der Chrismon-Inschrift in den Isidorianischen Schriften gefunden.7 Es handelt sich aber darüber hinaus bei allen Inschriften um fast wört-

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Schreib-Kunst“. Eigenhändige Aufzeichnungen Gottes, Jesu und Mariä; Schriftlichkeit in heilsgeschichtlichen Kontexten, in: Frühmittelalterliche Studien 36 (2003), S. 95–132. 1993 schlug Juan Francisco Esteban Lorente vor, die bis dahin rätselhafte Umschreibung DVPLEX für einen Buchstaben in der auf die Trinität verweisenden

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liche Zitate und Paraphrasen Isidors insbesondere aus den Etymologiae, von denen einige bisher nicht genutzt wurden, um das Tympanon-Programm weiter zu entschlüsseln. Über dem Kopf des linken Löwen steht zu lesen: PARCERE STERNENTI LEO SCIT XRISTVSQVE PETENTI, das heißt: „Der Löwe weiß den, der sich vor ihm niederwirft, zu verschonen wie Christus den Bittenden“ – eine Paraphrase Isidors, der, indem er seinerseits wiederum Plinius mit der Naturalis Historia XIX, 48ff. zitiert, schreibt: „Patet enim eorum misericordia exemplis assiduis. Prostratis enim parcunt […]“,8 also, dass der Löwe dem Menschen gegenüber in wiederholten Beispielen Milde gewährt habe und den, der sich vor ihm niederwirft, schone. Dieses Zeichen herrscherlicher Gnade macht den Löwen allegorisch zu einem Typus des richtenden Christus, der gegen den bußfertigen Prostraten Gnade walten lässt – und zwar offenkundig deshalb, weil dieser die Schlange als Zeichen der Sünde unterdrückt.9 Sein Gewand, das ihn erst als Büßer ausweist, ist aus schwerem Leinenstoff und ohne jede Zier; mit den durchgehenden Falten wirkt es wie eine gerippte Schlangenhaut und wird damit selbst schlangengleich.10 Auffällig betont sind die sich ebenfalls schlangenartig nach oben windenden mächtigen Löwenschweife. Isidor bezeichnet sie als sichere Indikatoren

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Chrismon-Umschrift mit Isidor als das X des Chrismon aufzulösen. In Etym I,4,14 heißt es: „X littera usque ad Augusti tempus nondum apud latinos erat [et digne hoc tempore, quo christi nomen innotuit, quod per eam, quae crucis signum figurat, scriptitatur], sed pro ea C et S scribebant, unde et duplex vocatur […]“ – „Den Buchstaben X gab es bis auf die Zeit des Augustus bei den Lateinern nicht. [Und es ist wahrhaft würdig, dass in der Zeit, als Christi Name bekannt wurde, derjenige Buchstabe, der das Kreuz symbolisiert, erstmals geschrieben wurde.] Für diesen [nämlich X] schrieben sie [die Römer; ST] zuvor C und S, weshalb er auch doppelt [duplex im Originaltext; ST] genannt wird, weil er für C und S gesetzt wird, weshalb auch aus diesen Buchstaben sein [= Christi; ST] Name zusammengesetzt wurde.“ Vgl. Juan Francisco Esteban Lorente: Las inscripciones del tímpano de la Catedral de Jaca, in: Artigrama 10 (1993), S. 143–161, hier S. 158. Darauf baute Calvin B. Kendall mit seiner Interpretation auf, der zugleich den Bären, der auf dem Tympanon den Part des unterworfenen Aspis aus Psalm 91,13 übernimmt, als isidorianischen Leontophonos nach Plinius’ Naturalis Historia identifizieren will. Dieses in seiner Gestalt nicht festgelegte Mischwesen ist dem Löwen derart verhasst, das er es mit der Gewalt seiner Pranken zu zerreißen oder zu töten trachtet. Plinius, NH 8, 57, 136 (Loeb Classical Library) bzw. Etym. XII,2,34; vgl. Calvin B. Kendall: The Verse Inscription of the Tympanum of Jaca and the PAX Anagram, in: Mediaevalia 19 (1996), S. 405–434, hier S. 408ff. Etym. XII,2,6. Vgl. Kendall: Verse Inscription (a. a. O.), S. 408. In Etym. VI,19,79 ist exakt der auf dem Tympanon dargestellte römische Bußritus des sich Niederwerfens „in Sack und Asche“ beschrieben: „Itaque exomologesis prosternendi atque humilificandi hominis disciplina est, habitu atque victu, sacco et cinere, illa quae peccant, corpus sordibus obscurare […]“

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für die Stimmung des Löwen: „Animos eorum frons et cauda indicat“,11 das heißt: „Ihre Stimmung zeigen die Schnauze und der Schwanz an“, eine herrschende Auffassung der Antike, die ursprünglich auf den Schwanz tödlicher Giftschlangen wie der Kobra angewendet wurde. Kennzeichnend für eine antike Lehrmeinung scheint daran, dass aus einer Schule des Sehens, dem genauen Beobachten, eine empirische Schlussfolgerung abgeleitet wird. Jede noch so geringe Regung des Löwenschweifs muss genau verfolgt werden, um eine etwaig aufkommende aggressive Stimmung oder Gefahren sofort ablesen zu können. Über dem Kopf des rechten Löwen ist zu lesen: IMPERIVM MORTIS CONCVLCANS EST LEO FORTIS, also etwa: „Der starke Löwe bricht die Herrschaft des Todes.“ Von der Christusgleichheit des Löwen und seiner Macht, das Reich des Bösen zu besiegen, geht Isidor aus, wenn er dessen Stärke an mehreren Stellen betont und ihn mit folgenden Worten würdigt: „Leo autem graece, latine rex interpretatur, eo quod princeps sit omnium bestiarum“, also: „Der Löwe wird sowohl im Griechischen als auch im Lateinischen als König bezeichnet, weil er der Anführer der wilden Tiere ist.“ Aufgrund dieser monarchengleichen Stellung verkörpern die Löwen des Tympanons in Verbindung mit dem Chrismon in einer weiteren Sinnschicht eine politisch-imperiale Idee.12 Dulce Ocón Alonso hat den bewussten Bezug auf das von Löwen flankierte frühchristlich-konstantinische Chrismon mit dem damit verknüpften In hoc signo vinces zu einer Renovatio paleocristiana des aragonesischen Königs im Zuge der Durchsetzung der Gregorianischen Reform zugespitzt.13 Mehr noch: Mit der scharfen Kontrastierung des PARCERE STERNENTI, dem Schonen des sich Unterwerfenden auf der einen Seite und dem unnachgiebigen Niederringen des Bösen auf der anderen,14 scheint direkt auf das römische Herrschaftsmotto Parcere subiectis et debellare superbos, also die Unterworfenen zu schonen, aber die Hochmütigen zu unterwerfen, angespielt zu werden. Wie bei dem von Isidor mehrfach zitierten Anchises,15 dem Aeneas diese Maxime

11 12 13 14 15

Etym. XII,2,4. Ein möglicher politischer Gehalt betont vor allem bei Ruth Bartal: The Survival of Early Christian Symbols in 12th Century Spain, in: Principe de Viana 48 (1987), S. 299–315, hier S. 311f. Vgl. Ocón Alonso: El tímpano (a. a. O.), S. 224. Die Gleichsetzung des inschriftlich genannten „Reich des Todes“ als Herrschaft des Bösen hat ihre Absicherung in der Dichotomie aus dem positiv besetzten „leo fortis“ versus das „imperium mortis“. So übernimmt Isidor in seiner 615 n. Chr. geschriebenen Chronica maiora von Plinius beispielsweise die „schnurgerade“ linea temporum aus der römischen Frühzeit in seine Epoche; vgl. Arno Borst: Das Buch der Naturgeschichte. Plinius und seine Leser im Zeitalter des Pergaments (Abhandlungen der Heidelberger Akad. der Wiss., Phil.-Hist. Klasse, Jg. 1994, Abh. 2), Heidelberg 1995, S. 91.

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gerechter Herrschaft einschärfte, könnte auf dem Tympanon in der göttlichen Gerechtigkeit zugleich das Ideal weltlicher Herrschaft gespiegelt sein.16 Entlang der gesamten unteren Leiste des Bogenfeldes ziehen sich folgende Worte: VIVERE SI QVERIS QVI MORTIS LEGE TENERIS/HVC S[V] PLICANDO VENI RENVENS FOMENTA VENENI/COR VICIIS MVNDA PEREAS NE MORTE SECVNDA. Also etwa: „Wenn Du, der Du im Gesetz des Todes gefangen bist, zu leben wünschst, komm’ herbei, um Dich niederzuwerfen; weise zurück, was das Gift nährt, reinige dein Herz von Lastern, damit Du nicht den Zweiten Tod erleidest.“ In diesen leoninischen Hexametern steckt die explizite Aufforderung, sich demütig auf den Boden zu werfen, sich innerlich zu reinigen, also Buße zu tun und insbesondere „FOMENTA VENENI“, „Nährmittel des Giftes“, von sich zu weisen. Damit ist eines der Schlüsselwörter des Schlangen-Kapitels im zwölften Buch der Etymologiae Isidors bestimmt, der nicht weniger als sechzehn Mal die lateinische Bezeichnung venena für die Gifte der Schlangen nennt und plastisch ihre fatalen Wirkungen beschreibt.17 Die ausgefeilten leoninischen Hexameter des Tympanons in Jaca scheinen zumindest klanglich von der vielzitierten, weil plastischen Schilderung der todbringenden Gefahren des Schlangengiftes aus dem vierten Kapitel in Buch XII der Etymologiae inspiriert: „Quorum tot venena quot genera, tot pernicies […] tantus mortium numerus“,18 also etwa: „Schlangen? So viele Gifte wie Arten, so viele Tötungen wie Todesarten, so viele Qualen wie Farben sind ihnen zu eigen. Und eine ebenso hohe Anzahl von Toden wie an Bestimmungen.“ Die Gefährlichkeit des ultratoxischen Basilisken auf der rechten Seite des Tympanons wird von Isidor etymologisch hervorgehoben, wenn er die lateinische 16

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Dazu zuletzt: Dirk Jäckel: Der Herrscher als Löwe. Ursprung und Gebrauch eines politischen Symbols im Früh- und Hochmittelalter (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 60), Köln u. a. 2006. Seit alters her verkörpert der Löwe weltliche Gewalt in Wappen, an Thronen und auf Schilden. Dass mit dem Leo fortis, dem mächtigen Löwen, der kraftvoll die Agenten des Bösen zermalmt, nicht nur Christus gemeint sein konnte, sondern auch reale Herrscher, zeigt sich indirekt in der Herrschaftspropaganda Kaiser Heinrichs IV. Dieser wird von einem seiner Getreuen, Bischof Benzo von Alba, parallel zu Jaca in einer im dritten Viertel des elften Jahrhunderts verfassten Schrift, die angeblich der Unterweisung des Kaisers dienen soll, mit den Worten gerühmt: Tantus es, o cesar quantus est orbis cis mare vel citra tu leo fortis presso namque tua calce dracone Heinrich wird damit nicht nur mit dem Christus-Titel „starker Löwe“ angerufen; er zermalmt auch getreu Psalm 90/91 den Drachen wie Christus selbst. Vgl. C. Stephen Jaeger: Die Entstehung der höfischen Kultur. Vom höfischen Bischof zum höfischen Ritter (Philologische Studien und Quellen 167), Berlin 2001, S. 177. Vgl. John Henderson: The Medieval World of Isidore of Seville. Truth From Words, Cambridge 2007, S. 150. Etym. XII,4,33–39.

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Bezeichnung Regulus von dessen unangefochtenem Königsstatus unter den Schlangen ableitet, weil sein Gestank und insbesondere sein Blick allein bereits tödlich wirkt: „Basiliscus graece, latine interpretatur regulus, eo quod rex serpentium sit.“19 Im Zentrum des Bogenfeldes prangt überzeitlich die durch das Alpha und Omega ausgewiesene apokalyptische Dreifaltigkeit. Etwa vier Jahrzehnte später ab 1130 setzt eine Vielzahl von Tympana mit Darstellung des richtenden Pantokrator Christus in Gestalt des Gottessohnes mit dem Buch der Apokalypse in der Hand sowie begleitet von der Taube des Heiligen Geistes ein. Im Tympanon von Jaca bilden der strafende und der verschonende Christus-Löwe die Allegorie eines Weltgerichts. Auf beiden Seiten ist sie integral mit dem Bild der Schlange verknüpft. Der Büßer selbst wirkt mit der auf Knie und Armen aufgestützten Haltung wie ein bekleideter Zwilling der Eva von Autun (Bild 13a).20 Die auf dem Boden kriechende Eva des ehemaligen Nordportal-Tympanons von Saint-Lazare de Autun wird der Höhepunkt dieses Bildes eines proskynetischen oder eher prodraconetischen „Zur-Schlange-Werdens“ des vom Sündenfall affizierten Menschen, das seinen Ausgangspunkt in Jaca hat. Eva schlängelt sich auf der Tympanonplatte durch ein lianenhaft verschlungenes Dickicht.21 Vom Bösen in Gestalt einer noch erhaltenen, von rechts kommenden Kralle im Gebüsch erfasst, mit dem sie über den Apfel in Kontakt kommt, wird ihr ganzer Körper zur am Boden kriechenden Schlange.22 Da die dem Lazarus geweihte Kirche von Autun am burgundischen Teil des Santiagoweges lag, dem wahrscheinlich wirksamsten Umschlagplatz für den Wissens- und Bildaustausch in Europa, kann das unmittelbar eingängige Bild des zur Schlange werdenden Menschen auf dem Tympanon von Jaca durchaus das Bild der schlangenhaften Eva auf dem Tympanon von Autun vorgeprägt haben. Der Jaqueser Prostrat kriecht im Staub, und sein eng am Körper anliegendes Büßergewand mit den langen durchlaufenden Falten verleiht ihm etwas Schlangenartiges. Dass er seine Alltagskleidung abgelegt und gegen ein Bußgewand getauscht hat, macht ihn den Schlangen nur noch ähnlicher, die Christus in der einschlägigen Bibelstelle angesichts der Befähigung, aus ihrer alten Haut 19 20

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Etym. XII,4,6. Otto Karl Werckmeister hat für Autun die aufgestützte Haltung der Eva mit dem Bußritus am Aschermittwoch verknüpft: „[…] they were made to prostrate themselves again, this time not laying down flat but on knees and elbows.“ Vgl. Otto Karl Werckmeister: The Lintel Fragment Representing Eve From Saint-Lazare, Autun, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 35 (1972), S. 1–30, hier S. 18. Vgl. Kenneth Clark: The Nude. A Study of Ideal Art, London 1958, S. 305: „Her body is still an unfortunate accident of her human condition, and instead of being presented as the summit of visual experience, it is made to go on all fours with ornamental leaves and fabulous animals.“ Vgl. Werckmeister: Lintel Fragment (a. a. O.), S. 18f.

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zu schlüpfen und sich dadurch stets zu erneuern, expressis verbis als „klug“ bezeichnet.23 Entscheidend ist aber, dass die Schlange von dem Prostraten zeichenhaft wie eine Insignie der Bußfertigkeit gehalten und verwendet wird, wie sie zuvor von der Erinnye auf dem Orestessarkophag als Zeichen des Schreckens getragen wurde (Bild 14). Dass die Schlange keinesfalls eine marginale Rolle in der Hand des Büßers unter dem Löwen spielt, erweist sich im Umkehrschluss. Ohne das unmittelbar eingängige Tympanonbild des sich schlangenhaft windenden Sünders mit der Schlange bliebe die komplexe Formulierung eines Bußportals nur durch die beigefügten Inschriften verständlich. Ohne die Schlange wären die Bildmacht wie auch die Aussage des Tympanons zunichte gemacht, denn die verschonende Geste des Löwen als Stellvertreter Christi wäre ohne Zuhilfenahme der Inschrift quasi als Manual kaum eindeutig zu entschlüsseln. In der bis Jaca vertrauten Bedeutungsebene würde es eine Triumphgeste über einen Unterlegenen anzeigen, dem im nächsten Moment zudem drohte, durch den Löwen verschlungen zu werden. Die niedergehaltene Schlange ist die weiße Fahne des Büßers am Boden, die ihn als verschonungswürdig kennzeichnet. Das Gute bedarf in Jaca integral des Bösen. Damit wird deutlich auf die zentrale Formel Augustins in dessen Hauptwerk De civitate dei, dem Gottesstaat, zurückgegriffen: das Böse ist nicht nur sinnvoll, sondern notwendig, weil die göttliche Ordnung um so stärker ist, je mehr Entgegengesetztes sie in sich schließt.24 In den Schriften Isidors von Sevilla wird diese komplexe Reflexion weitergegeben. In Jaca wurde sie offenkundig zur theoretischen Grundlage der über die gesamte Kirche verteilten Schlangen-Bilder. Mittels der ambivalenten Schlange wird der fortwährende Kampf zwischen Versuchung und Suche nach Erlösung auf eine geistvolle Bildformel gebracht, die der Komplexität der Materie allein angemessen ist. Der Ausgang ist aber keinesfalls positiv entschieden; vielmehr scheint sich die Schlange wieder den Händen des Prostraten zu entwinden. Mehr noch: Wie bei den auch dem Mittelalter vertrauten Darstellungen des Mithrasstieropfers kommt die Schlange dem Unterleib des Christuslöwen gefährlich nahe (Bild 13). Aus der Boden-Inschrift, über der Büßer und Schlange kauern und die vor den FOMENTA VENENI, den „Nährmitteln des Giftes“ warnt, lässt sich indirekt erschließen, dass es sich wie bei dem Basilisken der Gegenseite um eine giftige Schlange handelt, denn alle Sprachbilder der Inschriften beziehen sich auf die Verbildlichungen, denen sie räumlich zugeordnet sind. Dadurch wird die Macht der Schlange in ihrem Bedrohungspotential noch gesteigert. 23 24

Mt 10,16: „Seid klug wie die Schlangen […]“ Zu dieser Frage sowie zu Augustins Diskussion über „Erbübel“ oder „Erbschuld“, vgl. beispielsweise Augustinus Aurelius, Opera. De libero arbitrio – Der freie Wille. Bd. 9: B, Frühe philosophische Schriften, hg. v. Johannes Brachtendorf, Paderborn und München 2006, S. 28ff.

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Bild 14 Madrid, Museo Arqueológico Nacional, Orestessarkophag: Erinnyen.

Die am Bild der Schlange festgemachte Zeichenlehre nach Isidor geht aber weit über einen bloßen Aufgriff antiker Naturgeschichte hinaus. Vielmehr bildet sie eine vollständige Sehtheorie aus, die mit Isidor auf das allegorische Bild der Ehernen Schlange zurückgreift. Kaum zufällig hat Isidor in seiner fast manischen Beschäftigung mit Schlangen als erster nach dem Kirchenvater Ambrosius von Mailand theologisch das alttestamentliche Bild der Ehernen Schlange, die Moses auf Geheiß Gottes zur Heilung der von Giftschlangen gebissenen Israeliten an einem Holzstamm aufrichten soll, mit Christus am Kreuz gleichgesetzt: „Was aber ist die Eherne Schlange? Christus selbst […], der an das Kreuz gehängt ist.“25 Allein der Anblick der Schlange lässt rasch gesunden. Die nachdrückliche Aufforderung, das Heilszeichen der emporgehaltenen Schlange anzublicken, zieht sich durch nahezu alle folgenden Beschreibungen der Ehernen Schlange und betont damit immer wieder die semiotische Doppeldeutigkeit des ursprünglich dämonisierten Tieres wie auch seiner Spiegelung im absoluten Schreckensbild des am Kreuz getöteten Christus.26 Die 25 26

Isidor von Sevilla, Quaestiones in Vetero Testamento, cap. 36, Sp. 355. In diesen Worten ist zugleich eine Sehtheorie der Abschreckung durch gesehenen Schrecken grundgelegt, eine Art positiver Inversion der antik-apotropäischen Dämonenlehre, die von den Schlangenhaltern Jacas in direkter Linie zur „TERREAT TERROR“-, „Dass der Schrecken schrecken möge“-Inschrift des Westportal-Tympanons von Autun sowie zu dem berühmten Titulus Abt Sugers für das sogenannte Anagogische Fenster von Saint-Denis (vgl. Arwed Arnulf: Versus ad picturas.

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einschlägige Bibelstelle lautet: „Der Herr antwortete Mose: Mach dir eine Schlange und häng sie an einer Fahnenstange auf! Jeder, der gebissen wird, wird am Leben bleiben, wenn er sie ansieht. Mose machte also eine Schlange aus Kupfer und hängte sie an einer Fahnenstange auf. Wenn nun jemand von einer Schlange gebissen wurde und zu der Kupferschlange aufblickte, blieb er am Leben.“27 In der ostentativen Präsentation der Schlange scheint die Erinnerung an Darstellungen der Ehernen Schlange mitzuschwingen. Moses heilt die Israeliten durch den Anblick der Schlange auf einem Holzstamm von den giftigen, als Gottesstrafe für den Götzendienst am Goldenen Kalb gesandten Schlangenbissen. Für diese weitere Sinnschicht der Schlangenhalter Jacas, die bei einer Deutung dieses Kapitells als Daniel in der Löwengrube undenkbar, aber mit dem Prostraten des Tympanons bereits eingeführt wäre, spräche das furchtlose Zeigen der Schlange sowie die explizite Warnung der Tympanon-Inschrift vor den FOMENTA VENENI, denjenigen auf die Menschen lauernden Gefährdungen, die dem Gift stets neue Nahrung geben. Darstellungen der Ehernen Schlange finden sich insbesondere im elften Jahrhundert zahlreich. Im ersten Viertel des elften Jahrhunderts lässt Bischof Arnolfo II. von Mailand inmitten des Kirchenraumes der Kirche Sant’Ambrogio in Mailand eine weit überlebensgroße bronzene Schlange auf einer Säule aufpflanzen (Bild 15). Sie dient als typologische Ent- und Heilsversprechung des Gekreuzigten am Kreuzesstamm. Diese Gleichsetzung der Ehernen Schlange mit Christus wurde, nachdem sie von dem Kirchenvater Ambrosius von Mailand formuliert worden war, von Isidor von Sevilla wenig später explizit positiv gedeutet. Der Theologe Jonas von Orléans nutzt zu Beginn des neunten Jahrhunderts in der Zeit des noch nachhallenden Bilderstreits diese Typologie sogar zur gesuchten Rechtfertigung kostbarer goldener und silberner Kruzifixe.28 In seiner Schrift De cultu imaginum stellt er so eine Erinnerung an die Passion Christi her: „Ob memoriam passionis dominicae imaginem crucifixi in auro argentove exprimimus.“29

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Studien zur Titulusdichtung als Quellengattung der Kunstgeschichte von der Antike bis zum Hochmittelalter, München/Berlin 1997, S. 292) führt: „Item in eadem, ubi moyses exaltat serpentem aeneam sicut serpentes serpens necat aeneus omnes, sic exaltatus hostes necat in cruce christus“, also etwa: „Eins wie das Andere, wie Moses die eherne Schlange erhob, [und] so, wie die eherne Schlange alle [anderen] Schlangen tötet, so tötet der am Kreuz aufgerichtete Christus die Feinde.“ Num 21,8–9: „Et locutus est Dominus ad eum: Fac serpentem ignitum et pone eum pro signo: qui percussus aspexerit eum, vivet. Fecit ergo Moyses serpentem aeneum et posuit eum pro signo; quem cum percussi aspicerent, sanabantur.“ Vgl. Beate Fricke: Ecce Fides. Die Statue von Conques, Götzendienst und Bildkultur im Westen, München 2007, S. 141f.. „Womit wir die Erinnerung an die Passion des Herrn im Bild des Gekreuzigten in Gold und Silber ausdrücken.“ Vgl. PL 106, 340.

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Bild 15

Mailand, Sant’Ambrogio: Eherne Schlange.

Materialfragen spielten in den Debatten des Bilderstreites eine zentrale Rolle. Als Legitimation einer kostbaren Legierung wie Bronze war eine zugebilligte apotropäische Wirkung hilfreich. Bronze als Substanz der Ehernen Schlange war das bevorzugte apotropäische Material, weil der im geheimgehaltenen Gussverfahren gleichsam alchemistisch erzeugten Legierung seit alters her reinigende und heilende Fähigkeiten zugeschrieben wurden.30 Im Jahr 1025 legitimiert die Synode von Arras durch explizite Nennung der Ehernen Schlange als Präfiguration Christi die typologische Gleichsetzung. Über diesen Umweg war das stärkste Argument für eine Wiedergeburt nachantiker Großskulptur, wie beispielsweise monumentale Darstellungen des Gekreuzigten, erreicht. Der überwiegende Teil der Kreuze, Tauf- und Weihwasserbecken sowie alle Glocken des Mittelalters waren aus Bronze. Kaum beachtet wurde bisher die Bedeutung der Farbe der schimmernden Bronze als entscheidendes Auswahlkriterium für die Eherne Schlange. Je nach Mischungsverhältnis, Tageszeit und Patinierung kann sich das Farbspektrum der Legierung gravierend von humilen gedeckten Erdtönen zu einem sonnenglänzenden Goldton verändern. Der Bronze und ihrem irisierendem Metallglanz widmet Isidor von Sevilla zudem ein ganzes Kapitel im sechzehnten Buch der Etymologiae, „Von Steinen und Metallen“, das mit dem entscheidenden Satz beginnt: „Aes ab

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Vgl. Norberto Gramaccini: Zur Ikonologie der Bronze im Mittelalter, in: StädelJahrbuch N.F. 11/1987 (1988), S. 147–170 und Ittai Weinryb: Under Western Eyes. Bronze and Sculpture at San Zeno in Verona, Ph. D. Johns Hopkins University 2010.

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Bild 16 Toulouse, Saint-Sernin, Heilig Kreuz-Kapelle: Goldkreuz. Bild 16a Essen, Münsterschatz, Goldmadonna: Emailleaugen.

splendore aeris vocatum, sicut aurum et argentum.“31 Das gewählte Material entspricht somit einer zentralen Eigenschaft des dargestellten Tieres: Abhängig vom Lichteinfall wird die Schlange durch ihre Musterung und Färbung oft geradezu chamäleonhaft unsichtbar, wodurch ihre Identifizierung eine stete Herausforderung bleibt. Das erste erhaltene monumentale Werk, das den Kruzifixus als eherngoldschimmernde Schlange in Menschengestalt zeigt, ist das über drei Meter hohe, vollständig mit Goldblech überzogene Kreuz in Saint-Sernin de Toulouse (Bild 16).32 Graf Raymond IV. von Toulouse stiftete es noch im elften Jahrhundert für seine gigantische, dem Heiligen Saturninus geweihte Pilgerkirche in die

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Etym. XVI,20,1: „Die Bronze ist nach dem Schillern der Luft benannt, so wie Gold und Silber“ [eigene Übersetzung]. Beate Fricke bezeichnet es zurecht als das älteste Kruzifix Frankreichs, allerdings identifiziert sie es als „Silberkreuz“, vgl. Fricke: Ecce Fides (a. a. O.), S. 144, Anm. 383.

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Bild 16b Santiago de Compostela, Schatzkammer: Goldkruzifix des Ordoño II. von León.

Heilig Kreuz-Kapelle.33 Der Korpus des Gekreuzigten im Viernageltypus, der nicht tot durchhängt, liegt auf dem über und über mit getriebenen Kreuzen, Sternen, Romben und Ovalen ornamentierten Goldgrund auf, der zudem von einem äußeren Band aus großen Edelsteinen und teils der Antike entstammenden Gemmen gerahmt wird. Auch das schürzenartige Lendentuch mit einem übergroßen, in seiner Betonung apotropäisch wirkenden Knoten in der Mitte wird von geometrischen Mustern überzogen. Das schier Unfassliche indes ist der starrende Blick aus den emaillierten Augen des zum Betrachter geneigten

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Die genauen Maße sowie ein Überblick über die Restaurierungsgeschichte des Kreuzes in Ausst.-Kat.: El románico y el Mediterráneo. Cataluña, Toulouse y Pisa 1120–1180, Museu Nacional d‘Art de Catalunya Barcelona, hg. v. Manuel Castiñeiras González/Jordi Camps, Barcelona 2008, S. 410–411. Paradox erscheint, dass der Goldkruzifix im Ausstellungskatalog in das zwölfte Jahrhundert spätdatiert wird, obwohl dort ausdrücklich die Toulousaner Tradition berichtet wird, dass Graf Raymond IV. von Toulouse dem Aufruf Papst Urbans II. zum Ersten Kreuzzug im Jahr 1096 in Saint-Sernin folgte und das Kreuz im selben Jahr aus dem Heiligen Land mitgebracht habe.

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Hauptes Christi. Die blaue Augen mit schwarzen Pupillen, die fast identisch mit den Emailleaugen der Essener Goldmadonna von um 1000 sind (Bild 16a),34 leuchten in einer gewaltigen Lebenskraft aus dem weißen Grund heraus, wodurch sich ein scharfer Kontrast zu dem immateriell-unwirklich schimmernden Goldleib des Gekreuzigten ergibt.35 Die aktivierte Lebendigkeit des Blicks wird noch dadurch betont, dass das Haupt von sehr bewegten Haarsträhnen eingefasst wird, die sich im Fall der ungewöhnlich langen, breitsträhnigen Barthaare einerseits wie Schlangen um den Hals legen, andererseits als Haupthaar über die rechte Schulter Christi weiter Richtung Oberarm zu schlängeln scheinen. Der Eindruck eines schlangenartigen Eigenlebens der Haare entsteht insbesondere dadurch, dass die wulstigen Strähnen nicht der Schwerkraft folgend nach unten fallen, sondern winkelig abbiegen, um sich dann anscheinend durch innere Kontraktion vorwärtsbewegend über die Schulter zu winden. Dem Betrachter des elften Jahrhunderts muss es ein enormes Widerstandspotential abgefordert haben, diesem gorgonenhaften Schlangenhaupt, seinem stechenden Blick sowie dem Gleißen der Gesamterscheinung standzuhalten.36 Wie eine trotzige Manifestation dem gerade erst überwundenen Bilderstreit mit seiner grundsätzlichen Kritik an derartigen Bildern gegenüber wirkt das weit überlebensgroße Format.37 Damit war ein fulminanter Auftakt

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Vgl. Frank Fehrenbach: Die goldene Madonna im Essener Münster. Der Körper der Königin, Ostfildern 1996, S. 28. Zur Materialität dieser emailleglänzenden Blicke zuletzt Markus Späth: Die Blicke der Heiligen – Heiligkeit des Blicks? Zur Darstellung der Augen von hochmittelalterlichen Kopfreliquiaren, in: Sehen und Sakralität in der Vormoderne (KultBild. Visualität und Religion in der Vormoderne 4), hg. von David Ganz und Thomas Lentes, Berlin 2011, S. 220–239. Die Ornamentik sowie die historische Einbettung in den Gesamtkontext SaintSernins bei Daniel und Quitterie Cazes: Saint-Sernin de Toulouse. De Saturnin au chef-d‘oeuvre de l‘art roman, Graulhet 2008, S. 88. Zu diesem ständigen Umspringen von heilendem und bannendem Blick vgl. Dagobert Frey: Dämonie des Blickes (Abhandlungen der Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Klasse/Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz 1953,6), Mainz u. a. 1953. Gudrun Schleusener-Eichholz hat in zwei materialreichen Bänden die mittelalterlichen Schriftquellen zusammengetragen, die den bösen, auch wölfischen Blick dem heilenden Blick Christi beispielsweise in seinen Emanationen als Strauß oder Vogel Caladrius entgegenstellen; vgl. Gudrun Schleusener-Eichholz: Das Auge im Mittelalter (Münstersche Mittelalter-Schriften 35/I und II), 2 Bde., München 1985, Bd. 1, S. 263ff. Das 980 zu datierende Gero-Kreuz im Kölner Dom als ältestes erhaltenes Monumentalkruzifix, das ursprünglich wahrscheinlich ebenfalls mit einem gleisenden Goldmantel eingekleidet war, entzog sich ikonoklastischen Angriffen vermutlich durch eine unantastbare Reliquie des Kreuzes Christi, die auf seiner Rückseite eingelassen war, sowie durch die frühe Legende eines direkten göttlichen Eingreifens zu seinem Schutz. Vgl. Bruno Klein: Das Gerokreuz. Revolution und Grenzen figürlicher Mimesis im 10. Jahrhundert, in: Nobilis arte manus. Festschrift zum

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am französischen Höhepunkt des Jakobswegs in Toulouse gesetzt, bevor der Pilger über Jaca, León, Frómista und viele konkurrierende, sich gegenseitig aufsteigernde Stationen in der Kathedrale von Santiago de Compostela durch den Anblick eines weiteren, obgleich wesentlich kleinformatigeren, dennoch monumental wirkenden Goldkruzifixus aus dem Jahr 1063 (Bild 16b) Heil empfangen konnte. Dieses heute in der Schatzkammer der Kathedrale aufbewahrte Goldkreuz zeigt den Korpus des Gekreuzigten in einer klaren Tektonik mit streng parallel geführten Beinen. Die Besonderheit aber liegt in den überlengten, schlangenartig ausschwingenden Armen, sowie dem seitenverkehrten S des Kreuzestitulus, der den ohnehin zischelnden Namen IH[ESU]S NAZARENUS zusätzlich mit einem gegenläufigen, tanzenden Schlangenschwung versieht. In Jaca hingegen steht Christus am Kreuz zentral im Tympanon in Form des Chrismon vor Augen, denn für den überwundenen Kreuzestod steht unzweifelhaft das konstantinische Siegeskreuz, in das in Jaca zusätzlich die griechischen Buchstaben des Namens Christi eingehakt sind, wie ferner die Inschrift auf dem Chrismonrad erläutert.38 Bis heute umstritten blieb aber das große S, das sich auffällig bewegt in der unteren Hälfte des Chrismon auf der Ebene zwischen dem vertikalen Kreuzbalken und seiner Hinterlegung mit dem Ionischen Cyma schlängelt (Bild 12). Häufig wurde dieses S als das DVPLEX der Chrismoninschrift identifiziert, das in seinem Doppelschwung den Heiligen Geist symbolisiere.39 Der Bildhauer des Tympanons von Jaca hat, vielleicht im Verbund mit den theologischen Beratern des Königs, eine Invention in Chrismondarstellungen eingetragen, die in Folge vor allem in Spanien zahllose Male aufgegriffen wurde: Das S vervollständigt als lateinischer Buchstabe bei diesem Tympanon den ansonsten durch das X und das P griechisch repräsentierten Namen Christi und bildet über die lesbare Buchstabenform hinaus ein sprechendes, weil nur leicht stilisiertes Symbol für die Schlange, lateinisch serpens. Es ist kein Zufall, dass die Schlange in nahezu allen Sprachen mit dem Zischlaut S beginnt. Sie kann durch das S repräsentiert werden, darüber hinaus durch diese Form vollgültig substituiert werden. Den perfekten Schwung der S-Linie feiern in der Renaissance Künstler wie Dürer und Lomazzo, weil er nach allen Seiten hin schön sei, ohne ein statisches oder hierarchisches Oben

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70. Geburtstag von Antje Middeldorf-Kosegarten, hg. v. Bruno Klein/Harald Wolter-von dem Knesebeck, Dresden u. a. 2002, S. 43–60. Vgl. Esteban Lorente: Las inscripciones (a. a. O.), S. 158, sowie Caldwell: Penance (a. a. O.), S. 28ff. So z. B. Dulce Ocón Alonso: Problemática del crismón trinitario, in: Archivo español del arte 76 (1983), S. 242–263, S. 224.

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und Unten auszubilden.40 Diese Theorie des S als Schönheitslinie stammt allerdings bereits aus der Antike und wird von Isidor von Sevilla in das Mittelalter überliefert.41 Entscheidend war dabei, dass die antike Gleichsetzung von perfekter Schönheit mit Göttlichkeit in Gestalt des Buchstaben S stellvertretend für das Göttliche stehen konnte. Das S des Tympanon von Jaca vermag damit zugleich die mit dem Inschrift-Wort DVPLEX verstärkte Doppelnatur Christi als Eherne Schlange und Gekreuzigter am Kreuzesstamm zu verkörpern.42 Zusammen mit der ohnehin schon zeichenhaften Schlange in der Hand des Büßers wurde mit dem Schlangen-S in Jaca ein apotropäisches Heilszeichen hoch aufgerichtet, das angesehen werden musste, sollte es die erwünschte Wirkung zeigen.43 Obwohl die direkte Symbiose aus gefahr- und todbringender Sündenschlange und Christus für 40

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Für eine kurze Geschichte der „Line of Beauty“ von der Frühneuzeit bis heute vgl. Horst Bredekamp: Denkende Hände. Überlegungen zur Bildkunst der Naturwissenschaften, in: Räume der Zeichnung (Dokumentation des Symposiums „Räume der Zeichnung“, 13.–15. Oktober 2005, Berlin, Akademie der Künste und Kupferstichkabinett), hg. v. Angela Lammert/Carolin Meister u. a., Nürnberg 2007, S. 12– 24, hier v. a. S. 22. Gleich zu Beginn der zwanzig Bände in Etym. I,3,1 begründet Isidor eine Semiotik der Lettern. Er lässt keinen Zweifel daran, dass alles Verstehen nur über die Augen gehen kann: „[…] Die Buchstaben sind aber die Symbole der Dinge, die Zeichen der Wörter, die alle Kraft besitzen, durch die uns die Worte der Abwesenden ohne Stimme mitgeteilt werden. Sie führen die Worte nämlich durch die Augen, nicht durch die Ohren ein.“ Es folgt die gestaltete Herausbildung der einzelnen Buchstaben wie beispielsweise das „Pythagoräische Y“ (Etym. I,3,7): „Den Buchstaben Y (Ypsilon) hat der Samier Pythagoras als Symbol des menschlichen Lebens zuerst geformt. […] Die Verzweigung aber, die übrig bleibt, beginnt mit dem Heranwachsen: dessen rechte Seite ist beschwerlich, wendet sich aber zum guten Leben (vita beata), die linke Seite aber ist bequemer, führt jedoch zum Fall und zum Untergang.“ Diese buchstäbliche Verkörperung Christi in der Form des S findet sich in Etym. I,4,14: „Sed pro ea c et s scribebant, unde et duplex vocatur […]“ – „Für diesen [nämlich X] schrieben sie [die Römer; ST] zuvor C und S, weshalb er auch doppelt [duplex; ST] genannt wird, weil er für C und S gesetzt wird, weshalb auch aus diesen Buchstaben sein [= nämlich Christi! ST] Name zusammengesetzt wurde.“ Die mit der Apotropäik verbundenen Fragen sind nicht zuletzt aufgrund des verständlichen Fehlens mittelalterlich-theologischer Abhandlungen darüber umstritten und meist nicht zu belegen. Aus den zahllosen Einzelbeiträgen seien mit Bezug auf Schlangen als Schadens- und Heils-Tiersymbol lediglich genannt: Herbert L. Kessler: Evil Eye(ing). Romanesque Art As a Shield of Faith, in: Romanesque Art and Thought in the Twelfth Century. Essays in Honor of Walter Cahn, hg. v. Colum Hourihane, Princeton, NJ 2008, S. 107–135; Irenäus Eibl-Eibesfeldt: Im Banne der Angst. Zur Natur- und Kunstgeschichte menschlicher Abwehrsymbolik, München u. a. 1992; Karen Randolph Joines: Serpent Symbolism in the Old Testament. A Linguistic, Archaeological, and Literary Study, Haddonfield, NJ 1974 sowie Henry Ansgar Kelly: The Metamorphoses of the Eden Serpent During the Middle Ages and Renaissance, in: Viator 2 (1971), S. 301–327.

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Bild 17 Vich (Barcelona), Kathedralarchiv, Liber Paralipomenon, No. 60, 1066: Kreuzabnahme mit Sirene. Bild 18 St. Gallen, Stiftsbibliothek, Sakramentar, Cod. 342, fol. 281, 10. Jh.: Kreuz 11. Jh.

säkulare Augen fast blasphemisch wirken kann, findet sie sich auf zahlreichen Darstellungen insbesondere der Elfenbeinbuchdeckel und der Buchmalerei. Dort windet sich die Schlange am Fuß des Kreuzstammes, bleibt aber in ihrer inferioren Position erkennbar die überwundene Schlange der Versuchung, wie es das Beispiel der von Arthur Kingsley Porter in die Diskussion gebrachten Handschrift aus Iguácel (Bild 17), die in dem an das Ende des Codex gesetzten Kolophon fest auf das Jahr 1066 datiert ist, im unmittelbaren Stifter-Umfeld von Jaca zeigt.44 Unter Joseph von Arimathia, der Christus von dem lebenden 44

Vich (Barcelona), Kathedralarchiv, No. 60, Liber Paralipomenon mit Kommentar, 1066. Vgl. Arthur Kingsley Porter: Iguácel and More Romanesque Art of Aragón, in: The Burlington Magazine 52 (1928), S. 115–126, hier S. 122.

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Kreuz mit Aststrünken abnimmt und dem von unten herbeieilenden Nikodemus, der Christus seine extrem überdehnten Armen entgegenstreckt, windet sich in einer Achse mit dem Kreuzesstamm eine sirenenhafte Gestalt mit enorm langem Schwanz und Haar sowie spitzen Brüsten am Boden. Mit ihrer Rechten fasst sie in ihr bestrickend langes Haar und führt es nach außen, mit der Linken hält sie den langen Schwanz, der sich hinter ihrem Körper in die entgegengesetzte Richtung windet und nicht mehr wie ein Fischschwanz geschuppt in einer Flosse ausläuft, sondern schlangenartig geringelt ist. Wenn es sich bei der Zeichnung in dem Liber Paralipomenon aus Iguácel nicht um eine beliebige Zusammenstellung zweier Vorlagen wie in einem Musterbuch handelt – was bei der aufgeladenen Sakralität einer Kreuzabnahme-Darstellung kaum vorstellbar ist –, wäre hier um 1066 das bisher in der Forschung nicht benannte erste Beispiel einer anthropomorphen Versucherschlange zu sehen, auf die verführerische Qualitäten einer Sirene übertragen werden.45 Von über oder auf dem Christuskreuz angebrachten Ehernen Schlangen haben sich aus dem elften und zwölften Jahrhundert offenbar nur drei Exemplare erhalten. Auf einer nachträglich neben einer kreuzförmigen Te igiturInitiale eingebrachten Zeichnung in einem Sankt Gallener Sakramentar des zehnten Jahrhunderts (Bild 18) wächst ein vitalisierter Arbor Vitae mit angehefteter Eherner Schlange aus einem Kreuz mit dem angenagelten Christus heraus. Der Lebensbaum nutzt das Kruzifix damit paradoxerweise als Kreuzesfuß und Sockel.46 Nicht nur ist das Kreuz der Schlange als Lebensbaum ungleich vitaler als das mit seiner Profilleiste an eine Metallarbeit erinnernde Kreuz Christi; die Schlange starrt auch im Gegensatz zu dem entschlafenen Christus mit weit geöffneten Augen den Betrachter an und scheint diesen mit ihrem zur Seite zuckenden Schwanz geradezu magisch anlocken zu wollen. 45

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Bei Paul Michel sind die mittelalterlichen Quellen aufgeführt, die Sirenen entweder euhemeristisch auf die Verführungskraft von Huren zurückführen oder die entsprechende Odysseus-Stelle mit der Fesslung am Mastbaum und den verplombten Ohren seiner Gefährten wiedergeben, wie im Fall einer Predigt von Honorius Augustodunensis, der den christusgleich am Kreuzesstamm den Verführungen der Sirenen widersagenden dux Ulysses als leuchtendes Beispiel für Christen vor Augen stellt. Vgl. Paul Michel: Tiere als Symbol und Ornament. Möglichkeiten und Grenzen der ikonografischen Deutung, gezeigt am Beispiel des Zürcher Großmünsterkreuzgangs, Wiesbaden 1979, S. 67–70. St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. 342, fol. 281, Sakramentar, 10. Jahrhundert, mit nachträglich eingefügter Kreuzeszeichnung des 11. Jahrhunderts. Die Literatur zu diesem in der Buchmalerei einzigartigen Bildzeugnis ist überraschend spärlich, vgl. Ursula Graepler-Diehl: Eine Zeichnung des elften Jahrhunderts im Codex Sangallensis 342, in: Studien zur Buchmalerei und Goldschmiedekunst des Mittelalters. Festschrift für Karl Hermann Usener, hg. v. Frieda Dettweiler/Herbert Köllner/Peter Anselm Riedl, Marburg 1967, S. 167–180, und Fricke: Ecce Fides (a. a. O.), S. 143.

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Ambrosius hatte im fünften Jahrhundert zuerst die Analogie zwischen dem Bild der Ehernen Schlange und Christus am Kreuz thematisiert. Dafür stand dem theologisch sattelfesten Kirchenvater eine unanfechtbare Typologie zu Gebote, hatte doch Christus selbst auf die Parallele zwischen der Aufrichtung des Heilsbildes und seiner eigenen am Kreuz verwiesen (Joh 3,14-15). Daher verwundert es wenig, dass in der ihm im elften Jahrhundert geweihten Basilika in Mailand die erste dreidimensionale Darstellung von Schlange und Kreuz zu finden ist (Bild 15). Auf einer hoch im Seitenschiff emporragenden Marmorsäule erhebt sich über einem steinernen Kapitell eine bronzene Schlange, die im Profil in ihrer Körpermitte einen perfekten Ring bildet, während der Kopf mit der heute teils abgebrochenen Zunge und der Schwanz, der wie bei einer Klapperschlange geformt ist, henkelartig abstehen. Ihr Pendant hat die Schlangensäule in einer gleich hohen Marmorsäule, auf die ein Metallkreuz in byzantinischer Form aufgepflanzt war. Die stilistischen Details wie die eingebohrten Augen und die dachschindelartige Schuppung des Leibs reichen aufgrund fehlender Vergleichsbeispiele nicht aus, um zu bestimmen, ob es sich um einen spätantiken oder mittelalterlichen Guss handelt. Sicherer hingegen ist das Kapitell als Sockel der Schlange zu datieren, das mit seinem teigigen Akanthuslaub, den ornamental gesetzten Bohrungen sowie dem gorgohaften rundlichen Kopf anstelle einer Abakusblüte in das elfte Jahrhundert einzuordnen ist. Dies deckt sich mit dem Bericht der Mailänder Chronik, dass Kreuz und Schlange als Geschenk des Kaisers Basileus II. von Konstantinopel im Jahr 1001 Bischof Arnolfo II. von Mailand, dem Gesandten Kaiser Ottos, verehrt wurden.47 Die Aufstellung auf einer hohen Säule über einem Kapitell mit starrendem Haupt auf der Abakusplatte wurde sicher erst vor Ort in Mailand gefertigt. Mit dieser Inszenierung aber griff man in Mailand in allen Details auf die Gestaltung eines Götzenbildes auf einer Säule zurück, wie es in zahllosen mittelalterlichen Handschriften als verachtungswürdig und zerstörenswert gezeigt wird, da die Eherne Schlange ebenfalls ansichtige Verehrung und Anbetung verlangte, um wirksam zu werden. Beate Fricke hat minutiös nachvollzogen, wie entscheidend diese Typologie aus Eherner Schlange und Christusleib am Kreuz, wie sie auch in Alt-Sankt Peter in Rom als Wandmalerei zu sehen war und sich damit zur Nachahmung empfahl,48 für die Genese monumentaler Kruzifixe und damit der dreidimensionalen Skulptur generell war.49 In den Akten der Synode von 47 48

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Vgl. Marilisa Di Giovanni: Il serpente di bronzo della Basilica di S. Ambrogio, in: Arte lombarda 11/1 (1966), S. 3–5, hier S. 4. Zu der Stelle „Item serpenti in eremo a Moyse exaltato filium hominis in cruce exaltatum comparavit“ bei Beda Venerabilis und der Beschreibung eines Teils des ikonographischen Programmes von Alt-St Peter, vgl. Graepler-Diehl: Zeichnung des elften Jahrhunderts (a. a. O.), S. 168. Vgl. Fricke: Ecce Fides (a. a. O.), S. 136–151.

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Arras im Jahr 1025 wird die Gleichsetzung Isidors sogar wörtlich aufgenommen und damit der Weg für die Darstellung monumentaler Kreuzskulpturen geebnet. Gleichwohl verblüfft, dass auf dem Tympanon von Jaca mit den beiden Löwen, dem Bestiarium sowie dem lebensgroßen Büßer die gesamte figürliche Reliefskulptur monumental ist, Christus selbst aber nur in der abstrakten Form des Chrismon erscheint. Während die vielschichtigen, in den Inschriften entfalteten Konnotationen des Chrismon ohne Lesefähigkeit verschlossen bleiben, ist das sich um die Radspeiche windende Schlangen-S, zu dem wegen der großen Höhe des Tympanon aufgesehen werden muss wie zu einer ehernen Schlange am Stamm, das lebendigste Element der Darstellung.

Bild 19

Santa Cruz de la Serós: Nordost-Ansicht.

Die Komposition des Jaqueser Tympanons hat eine beträchtliche Rezeptionsgeschichte. Dass das Zeichenhafte des Schlangenhaltens von Jaca wie auch die S-Form als göttlich perfekte Schönheitslinie verstanden wurden, zeigt beispielsweise das Westportaltympanon von Santa Cruz de la Serós (Bild 19 und 19a)50 sowie das Südportaltympanon der unweit von Jaca gelegenen Kirche von Uncastillo (Bild 20), das fälschlicherweise sogar einer Jaqueser Werkstatt zuge50

Die Rezeption kann zugleich als zusätzliches indirektes Datierungsmerkmal dienen, da sämtliche „Kopien“ Schwundstufen des Jaqueser Tympanons sind, die Kirchenstiftung Santa Cruz de la Serós aber fest auf den terminus ante quem 1095 datiert ist.

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Bild 19a

Santa Cruz de la Serós, Westportal-Tympanon: Chrismon.

Bild 20

Uncastillo, Santa Maria, Südportal-Tympanon: Chrismon.

Bild 20a

León, San Isidoro, Westwand, Türfeld: Chrismon.

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schrieben wurde.51 Weil der Bildhauer das S des Chrismon in Santa Cruz de la Serós an die horizontale Radspeiche gehängt hat (Bild 19a), statt wie in Jaca an die vertikale (Bild 12a), offenbart sich, dass es nicht primär um die Lesbarkeit des Buchstabens als beispielsweise spiritus angelegen war. Auch Alpha und Omega sind vertauscht angebracht. Damit kann angenommen werden, dass der Künstler illiterat war, auf den Buchstaben S aber gerade wegen seiner makellosen Form, die selbst bei einer falschen Anbringung perfekt bleibt, nicht verzichten wollte. Da das frühe Tympanon von Santa Cruz de la Serós monolithisch aus einem einzigen, mächtigen Block gehauen wurde, hat der Bildhauer aller Wahrscheinlichkeit nach den perfekten Kreis des Chrismon sowie die eingehängten Großbuchstaben mit Schablonen auf der Blockoberfläche angezeichnet. Die vorbildhaft antike Form der Lettern hat er offensichtlich von dem Jaqueser Tympanon übernommen, wobei er aus Versehen das gleichwohl formvollendete S der falschen Stelle zugeordnet hat. Indem dieser Buchstabe selbst durch falsche Zuordnung nicht korrumpiert ist, kann dieses Missverständnis indirekt als Beweis für seine göttliche Perfektion dienen. In dem Chrismon im Türsturzfeld des Westwandportals vom Langhaus zur Königsgrablege des Panteón de los Reyes im Innern von San Isidoro de León hingegen (Bild 20a) ist das S mit seinem dynamischen Schwung um den vertikalen Stamm extrem lebendig. Es verkörpert zudem den mittleren und den letzten Buchstaben des halb griechisch, halb lateinisch geschriebenen Wortes für Christus, XPISTOS, nachdem das Chi-X durch die Diagonalen des Chrismon gebildet wird, das Rho-P oben aus der vertikalen Strebe herauswächst, die zugleich das I bildet; das T wird von der horizontalen und der unteren Hälfte der vertikalen Strebe dargestellt, das O fasst als umrundender Kreis die Darstellung ein. Das Chrismon der ab 1080 vermutlich von Westen begonnenen Pilgerkirche von San Isidoro wäre damit neben San Pedro de Jaca das älteste Beispiel der Skulptur mit einem eingehängten S als Inkarnation der Ehernen Schlange Christus. Die ausschlaggebende Idee für das Präsentieren einer Schlange in Jaca könnte ein einige Jahre früher entstandenes Kapitell in San Martín de Frómista gegeben haben. Auf dem rechten Fensterkapitell der Hauptapsis kniet auf der dem Fenster zugewandten Seite ein nackter Mann mit eng aneinander gepressten Oberschenkeln und vorgebeugtem Oberkörper (Bild 21b) zwischen zwei heraldisch an den Kapitellecken stehenden Adlern. Seine beiden Arme sind dabei so aufgespannt, dass der rechte Arm hinter den Körper an den rechten Flügel 51

Vgl. David L. Simon: L’art roman, source de l’art roman, in: Les Cahiers de SaintMichel de Cuxa 11 (1980), S. 249–268, hier S. 265, und Beatrix Müller: Santa Maria la Real, Sangüesa (Navarra). Die Bauplastik Santa Marias und die Skulptur Navarras und Aragóns im 12. Jahrhundert; Rezeptor, Katalysator, Innovator?, Diss. (masch.), Humboldt-Universität Berlin 1997, S. 153.

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des Adlers links von ihm greift, während seine linke Hand auf dem rechten Flügel des Adlers vor ihm aufruht (Bild 21). Auf der Stirnseite des Kapitells hält ein Mann in ärmelloser Tunika (Bild 21a), der ab der Hüfte aus dem Kapitellhalsring herausragt, eine Schlange mit der Rechten beinahe am Schwanzende, während die derbe Hand seines angewinkelten linken Arms sie direkt unterhalb der Kopfverdickung packt. Seinen Kopf hat er stark in den Nacken gelegt, so dass sein Blick nach oben Richtung Fenstergewände geht. Unverkennbar ist hier der Schlangenhalter der linken Schmalseite des Chorbogenkapitells (Bild 5a) aus dem Inneren der Kirche aufgegriffen, mit dem Unterschied, dass der Nackte aus dem Kircheninnenkapitell den Schwanz der Schlange nicht hoch über das aufgespannte Tuch halten muss sowie stehend eher von oben nach unten blickt, nicht umgekehrt als Halbfigur nach oben aufzusehen braucht. Eine Interpretatio christiana des anscheinend furchtlosen Schlangenkämpfers auf eben diesem Chorbogenkapitell (Bild 5) als eines „Adam Alter“,52 eines gleichsam neu geborenen Stammvaters,53 der sich gegen die Bedrohung durch die Versucherschlange zu behaupten schien oder ihr zumindest aktiven Widerstand entgegenbrachte, lag angesichts des provozierenden Entgegenhaltens der Schlangen nahe.54 Als Hoffnung auf Gottes Beistand gegen äußerste Bedrängnis konnte bei diesem allegorischen Kapitell mit den Zeichen Schwert und Schlange stets auch an den Kernsatz bei Jesaja in dem dort beschriebenen „Gericht über die Feinde“ am Ende der Tage gedacht werden, das den Leviathan, der mit dem Schwert zu bekämpfen sei, als Erzübel gleich zweifach in seiner Eigenschaft als Schlange betont: „An jenem Tag bestraft der Herr mit seinem harten, großen, starken Schwert den Leviatan, die schnelle Schlange, den Leviatan, die gewundene Schlange.“55 Dass selbst Christus für Künstler zum Ziel eines Schlangenangriffs werden konnte, zeigt ein Blatt des für seine martialischen Angriffsszenen notorischen Stuttgarter Psalters: Auf Folio 107r ist dort Christus in einer runden

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Das Paulinische Gleichnis des Alten und Neuen Adam nach 1 Kor 15,22 war über Paradiesesallegorien vor allem in Handschriften des elften Jahrhunderts sehr präsent, vgl. Dietl: Künstlerinschriften als Quelle (a. a. O.), S. 175–191, hier S. 185. Diese Grundfeste aller typologischen Geflechte findet sich im Paulusbrief an die Römer, in dem Paulus betont, dass der Tod durch Adam in die Welt gebracht worden ist, Christus hingegen als neuer Adam dem Tod den Stachel bricht: „[Adam] ist ein Bild dessen, der kommen sollte.“ (Röm 5,14). Vgl. Sigrid Esche-Braunfels: Adam und Eva – Sündenfall und Erlösung, Düsseldorf 1957, S. 8. Auch die jüngste Publikation seitens der Archäologie zu den Orestessarkophagen betont, dass Orestes sich mit dem Schwertstreich klar gegen die Schlange und damit auch die Erinnye wendet, vgl. Bielfeldt: Orestes auf römischen Sarkophagen (a. a. O.), S. 85. Jes 27,1. Für den Hinweis auf diese Stelle mit dem expliziten Schwertkampf gegen die Schlange ist Wolfgang Wischmeyer herzlich zu danken.

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Bild 21 Frómista, San Martín, Kapitell: Schlangenhalter mit Adlern.

Mandorla Ziel eines moskitohaften Schwarms von Schlangen (Bild 21c), die von den Seiten wie die im Psalm genannten Pfeile auf ihn zuschießen.56 Wie der Orestes-Alter Adam des Sarkophages und des Kapitells in Frómista muss sich hier selbst der Gottessohn satanischer Schlangen erwehren. Das Schlangenszepter des Tympanons von Jaca hatte als Insignie den reuigen Prostraten ausgezeichnet (Bild 13). Die Schlange ist damit nicht eindeutig negativ konnotiert, sondern ambivalent in ihrem Gebrauch und Bedeutungsspektrum wegen der Assoziation mit der Ehernen Schlange als Heilszeichen. Dass es gerechtfertigt ist, bei der nach dem Vorbild des Husillos-Sarkophages gehaltenen Schlange von einer Insignie zu sprechen, erweist die entsprechende Stelle aus dem Buch Numeri: „Fecit ergo Moyses serpentem aeneum et posuit eum pro signo“, „Moses fertigte eine Eherne Schlange und stellte diese als Zeichen auf.“57 In der Vulgata wird damit zur Betonung des Substituts explizit der Begriff „Zeichen“ gebraucht. Das Schlangenhalten in seiner ambivalenten Dichotomie zwischen Zeichenhaftigkeit als Eherne Schlange und Vitalisierung als unverändert gefahrbringende Versucherin wandert im Folgenden auf die Kapitelle und wird zu einem wiederkehrenden Emblem der Kathedrale. 56

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Stuttgarter Psalter, Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Bibl. Fol. 23, fol. 107r. Der für seine auf die Spätantike zurückgreifenden Bilder berühmte karolingische Psalter ist im ersten Drittel des neunten Jahrhunderts in der Abtei SaintGermain-des-Prés entstanden. Für eine eingehende Interpretation der Szene, vgl. Kessler: Evil-Eye(ing) (a. a. O.), S. 120. Num 21,8.

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Bild 21a

Frómista, San Martín, Kapitell, linke Seite.

Bild 21b

Frómista, San Martín, Kapitell, rechte Seite.

Bild 21c Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Stuttgarter Psalter, Bibl. Fol. 23, fol. 107r: Christus und Schlangen.

In der Mitte des inneren rechten Gewändekapitells am Westportal hält ein in eine antike Chlamys Gekleideter mit beiden Händen eine Schlange (Bild 22). Vor dieser weichen auf beiden Seiten zwei Männer mit Gesten des Entsetzens und durchgebogenen Körpern zurück, die dem abwehrenden Entsetzensgestus der Magd Nodriza auf dem Orestessarkophag entlehnt sind (Bild 6). Der Rechte

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Bild 22 Jaca, San Pedro, Westportal, rechtes inneres Gewändekapitell: Schlangenhalter.

versucht zugleich, mit seiner rechten Hand die Schlange zu ergreifen. Nachdem auf dem rechts folgenden äußeren Gewändekapitell Daniel und Habakuk sowie Daniel in der Löwengrube gezeigt sind,58 konnte Moralejo Álvarez eine Identifizierung dieser Darstellung als Daniel beim Zerstören der babylonischen Drachen-Schlange nach Daniel 14,22ff. wahrscheinlich machen.59 Zur Strafe 58 59

Vgl. David L. Simon: Daniel and Habakkuk in Aragón, in: The Journal of the British Archeological Society 38 (1975), S. 50–54, hier S. 51ff. Vgl. Serafín Moralejo Álvarez: Aportaciones a la interpretación del programma iconografico de la catedral de Jaca, in: Homenaje a Don Jose Maria Lacarra de Miguel en su Jubilación del Profesorado I, Zaragoza 1977, S. 173–198, hier S. 188f. Draco bedeutet im griechischen Ursprung sowohl Drache als auch Schlange, so dass der in der Bibel als draco bezeichnete Gott Baal beiderlei Gestalt sowie eine Mischform haben konnte.

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Bild 23 Jaca, San Pedro, Südapsis. Bild 24

Jaca, San Pedro, Südapsismetope: Schlangenträger.

Bild 25

Jaca, San Pedro, Südapsismetope: Schlangenabwehrer.

für die frevelhafte Zerstörung des Schlangen-Idols wäre der Prophet von den Babyloniern in dieser antikisch-friesartigen Schilderung über zwei Kapitelle hinweg in die Löwengrube geworfen worden. Unverkennbar ist hier die Geste des entsetzten Zurückweichens vom Orestessarkophag übernommen und, wie auf dem Husillos-Kapitell in Frómista (Bild 5), zusammengeführt mit dem Entgegenhalten einer Schlange. Dieses entsetzte Zurückweichen begegnet erneut auf drei Metopenplatten der Südapsis der Kathedrale. An der vollständig im originalen Zustand des elften Jahrhunderts erhaltenen Südapsis (Bild 23) gewinnt bereits die Architektur selbst skulpturale Wirkung durch ihre antikische Gliederung mit dreiviertelrund vorgelagerten Säulen, breiten gliedernden Röllchenfriesen sowie durch

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die kräftig ausgebildete eingestellte Archivolte der Fensterlaibung. Auf der vierten Metope rechts der die Südapsis unterteilenden Säule ist ein laufender Nackter mit nach beiden Seiten aufflatterndem Mantel und nach hinten abstehendem Haar zu erkennen (Bild 24); in der ausgestreckten Rechten hält er eine sich windende Schlange zwischen den Beinen. Moralejo Álvarez wies auf Darstellungen des Sternbildes Serpentarius aus dem elften Jahrhundert als mögliche Vorlage hin.60 Eher handelt es sich aber aufgrund der abstehenden Haare erneut um die Erinnye des Orestessarkophages aus Husillos, die ihr Geschlecht gewandelt hat und furchtlos die Schlange vor sich her trägt.61 Um ihre dämonische Kraft zu verdeutlichen, lässt der Bildhauer die Schlange sich lasziv durch die Beine des Laufenden schlängeln. Obwohl die einleitende erste Metope von links relativ stark verwittert ist (Bild 25), lassen sich zwei entscheidende Details noch zweifelsfrei erkennen: In der linken Reliefhälfte steht ein augenscheinlich Unbekleideter mit vor die Brust genommenen Händen als Abwehrgestus; er wirft sich vor Entsetzen derart extrem in den Rücken, dass er zu kippen droht. Der Anlass des Entsetzens offenbart sich in der rechten oberen Ecke. Von dort hält ihm ein Arm aus einem flach gearbeiteten Rankengewirr eine sich windende Schlange entgegen. Wie in einer Handschrift mit gerahmten Einzelbildern einer fortlaufenden Erzählung blitzen hier mit Entsetzensgeste und Schlangen-Halten zwei entscheidende Momente des Orestessarkophages Bild für Bild erneut auf. Damit zeigt sich, wie ernst die Bildhauer Jacas die Motivwelt des antiken Sarkophages nahmen. Ein ähnliches Geschehen lässt sich auf der dritten Metope links des die Apsis unterteilenden Kapitells erschließen (Bild 26). Obwohl im unteren Teil extrem abgewittert, sind die beiden abhängigen Motive schemenhaft auszumachen. Ein Haupt im Profil ist derart weit in die linke obere Ecke gesetzt, dass es das abgefaste Rahmenprofil der Reliefplatte überschneidet. Der Profilkopf mit einem darunter vermutlich wie bei der benachbarten Metope ebenfalls schräg nach hinten geneigten Körper wendet sich von einem Knäuel in der rechten oberen Ecke ab. Angesichts der sich einringelnden Form scheint die Identifikation als Schlange wahrscheinlich, die diesmal offensichtlich nicht gehalten wird. Selbst im eingerollten Zustand erzwingt ihre bloße Präsenz ein gepeinigtes Abwenden, weil ihr Anblick unerträglich scheint. Das Band der Metopen wird von Konsolen mit Tieren unterteilt. Links der teilenden Säule wird auf einem Kragstein ein raubkatzenartiges Wesen von einer Schlange stranguliert. Die Schlange legt sich in mehreren, nahezu voll60 61

Vgl. ebd., S. 196. Damit hätten die wenigen Beispiele, die Anthony Weir und James Jerman an männlichen Serpentarius-Schlangenläufern für das zwölfte Jahrhundert versammeln neben dem Husillos-Kapitell in Frómista einen Vorläufer in Jaca im elften Jahrhundert. Vgl. Weir/Jerman: Images of Lust (a. a. O.), S. 74f.

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Bild 26 Jaca, San Pedro, Südapsismetope: Schlangenabwehrer. Bild 27 Jaca, San Pedro, Südapsiskonsole: Raubkatze mit Schlange.

plastisch ausgearbeiteten Windungen um Leib und Hals der Raubkatze (Bild 27), so dass ein im Kontext der Konsolfigur negativ konnotiertes Raubtier von einem ebenfalls dämonisierten, augenscheinlich mächtigeren angegriffen wird. Die Darstellung könnte wie schon die Tiere des Westportal-Tympanons, die sämtlich auf den Metopen der Südapsis wiederkehren (Bild 28a–d), von den Beschreibungen Isidors von Sevilla angeregt sein. Äußerst plastisch beschreibt er Schlangen, die sich im freien Fall vom Baum auf ihre Opfer stürzen62 oder Tiere und Menschen durch Erdrosselung töten.63 Der augenfällig antikennahe Bildhauer in Jaca beschritt demnach nicht nur die isidorianische Brücke in die Antike, wie am Tympanon und der Südapsis zu sehen; ihm stand auch ein formgeschichtlicher Tunnel in die Antike über den bis ins kleinste Detail studierten Husillos-Sarkophag offen. Dessen we62 63

Etym. XII,4,29. Etym. XII,4,14.

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Bild 28a Löwe.

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Jaca, San Pedro, Südapsismetope:

Bild 28b Jaca, San Pedro, Südapsismetope: Löwe.

Bild 28c Jaca, San Pedro, Südapsismetope: Basilisk.

Bild 28d Jaca, San Pedro, Südapsismetope: Bär.

sentliches Element der Darstellung war für ihn offensichtlich der verzweifelte, zugleich selbstbewusste Kampf der zentralen Figur gegen die ihm fast ins Gesicht entgegengehaltene Schlange. Als eine Vorformulierung äußerer wie auch innerer Kämpfe stand dem Bildhauer mit der zeichenhaft in die Luft gehaltenen Schlange ein entscheidendes Symbol zur Verfügung. Damit hatte der Meister von Jaca eine Bildformel gefunden, die sein Markenzeichen werden sollte und sich durch wiederholte Zitate seiner Werkstatt und späterer Nachahmer wie ein roter Faden entlang des Pilgerwegs zieht. Der Schlangenhalter bildet zugleich das Scharnier zwischen Westvorhalle (Bild 11) und Innerem der Kathedrale. Dort erscheint auf dem Arkadenkapitell des südlichen Seitenschiffs, unmittelbar neben dem Westportal erneut ein Schlangenhalter (Bild 29) ähnlich

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dem des Daniel-Kapitells. Flankiert wird er von zwei Männern, mit denen er sich in angeregtem Gespräch zu befinden scheint und mit denen er über untergehakte Arme auch körperlich verbunden ist. Ein Nackter auf der linken Schmalseite (Bild 29a) sowie eine in ein orientalisch anmutendes, stoffreiches Gewand gehüllte Frau auf der rechten (Bild 29b), bilden den äußeren Rahmen des Geschehens. Zugleich führen sie dionysisch wirkende Raubkatzen mit zum Bersten prallen Körpern und sich in der Kapitellmitte schlangenartig verknotenden Schwänzen an der Leine.64 Die Raubkatzen strecken zudem ihre Hinterteile in Richtung des Schlangenhalters nach oben, während sie mit gefletschten Zähnen je einen kugeligen Raubkatzenkopf über sich aggressiv anfauchen. Diese direkte Konfrontation von ‚Gut’ und ‚Böse’ personifiziert das Grundthema der Kathedrale und bildet den Auftakt einer ganzen Reihe von Schlangenhaltern, bis hin zu zwei heute stark verwitterten Metopenreliefs an der Südapsis. Triumphierend und furchtlos ohne Zurückweichen wird die Schlange präsentiert. Weder ein von Engeln begleiteter Daniel in der Löwengrube, noch ein Moses mit der Ehernen Schlange in Händen vor dem Volk Israel überzeugen hier als Deutung.65 Auch das den zagenden Jüngern mutmachende Wort Christi vom schadlosen Halten von Schlangen („Wenn sie Schlangen anfassen, wird es ihnen nicht schaden“)66 verfängt angesichts der Übermacht der die vorgeblichen drei Apostel eng umringenden Bestien sowie der nackten wie verführerisch gewandeten Bestienhalter nicht. Das stärkste Argument für eine positive Identifizierung scheinen die drei Ringe zu sein, die hinter dem Kopf des Schlangenhalters der Kapitellmitte in die ansonsten glatte Abakusbosse eingetieft sind. In ihrer haloartigen Erscheinung wirken sie wie ein Nimbus, der die mittlere Figur als Heiligen ausweist. Vergleicht man die eingetieften Ringe auf der Abakusbosse hingegen mit ähnlich gestalteten Kapitellen des Panteón von León (Bild 29d) oder der Kathedrale von Jaca, zeigt sich, dass es sich dabei um eine an beiden Orten übliche Ornamentierung dieses Kapitellstegs handelt.

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Das Dionysische betont bei Moralejo Álvarez: Sobre la formación (a. a. O.), S. 427f.; Moralejo Álvarez: Sculpture romane (a. a. O.), S. 88f.; Moralejo Álvarez: Pour l’interprètation iconographique du Portail de l’Agneau à Saint-Isidore de León. Les signes du zodiaque, in: Les Cahiers de Saint-Michel de Cuxa 8 (1977), S. 137–173, hier: S. 175ff., sowie Stefan Trinks: ›Hac in sculptura, lector, si gnoscere cura‹. Bemerkungen zur Antikenrezeption der Skulptur in Jaca, in: PEGASUS. Berliner Beiträge zum Nachleben der Antike 1 (1999), S. 35–52, hier S. 49f. Indem Daniel seit der Spätantike als eine der gängigsten Präfigurationen Christi fungiert, wird ein Christus-Daniel mit Schlange, Panthern und einem Nackten nur noch unwahrscheinlicher. Zur theologischen Typologisierung aufgrund Daniels Abstieg in die Unterwelt der Löwengrube, vgl. Gertrud Wacker: Ikonographische Untersuchungen zur Darstellung Daniels in der Löwengrube, Diss. (masch.), Universität Marburg 1954, S. 88. Mk 16,18.

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Bild 29

Jaca, San Pedro, Kapitell: Schlangenhalter.

Vielmehr scheint sich hier das Böse des Schlangen-Zeichens bemächtigt, es gleichsam zurückerobert zu haben. Deutlich versetzt und abgeschirmt hinter einem Cordon sanitaire aus zähnefletschenden Raubkatzen, der von dem Nackten der linken Schmalseite und der sündig Verhüllten der rechten Schmalseite aufgebaut wird, trägt der in Bewegung gezeigte Mann inmitten des Kapitells die Schlange davon. Während der Daniel des Westportalkapitells (Bild 22) der Idolatrie im Sündenbabel ein vorübergehendes Ende bereitet hatte, indem er den Schlangengott vom Altar riss und kurz vor dem Zerschmettern auf den Altarstufen noch siegreich als Trophäe präsentierte, könnte hier die gegnerische Seite zurückgeschlagen haben. Mit diesem geballten Aufgebot an Bestien, Nackten und Verschleierten demonstriert das Böse eindrucksvoll, dass die Schlange in ihren Händen unverändert ein absolut machtvolles Instrument geblieben ist, das daher von dem Anführer im Zentrum auch wie eine Waffe in der Hand vor dem Körper getragen wird. Für Moralejo Álvarez ähnelt die auf der rechten Schmalseite des Kapitells stehende und einen Löwen an der Leine haltende Frau mit ausladendem Schleiertuch über dem Kopf der von ihrem apokalyptischen Reittier abgestiegenen Meretrix Babylonia, der Hure Babylon, wie sie sich in dem um 1130 geschaffenen Beatus-Codex von Saint-Sever zeigt.67 67

Beatus von Saint-Sever, Paris, Bibliothèque Nationale, Ms. lat. 8878, fol. 52v. Vgl. Serafín Moralejo Álvarez: San Martín de Frómista, en los orígenes de la escultura románica europea, in: Jornadas sobre el Rómanico en la Provincia de Palencia 5–10

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JACA – DIE SCHLANGE ALS VERKÖRPERUNG DER SEHTHEORIE

Bild 29a Jaca, San Pedro, linke Kapitellschmalseite: Nackter.

Bild 29b Jaca, San Pedro, rechte Kapitellschmalseite: Bekleidete.

Bild 29c Jaca, San Pedro, rechte Kapitellschmalseite: Pylades-Motiv.

Bild 29d León, San Isidoro, Panteón de los Reyes, Kapitell: Mann zwischen zwei Raubkatzen.

Diese führt zwar auf dem Kapitell, anders als in der Handschrift von SaintSever, nicht den Becher der Sünde mit sich. In ihrer „orientalisch“-babylonischen Tuchfülle sind die beiden Figuren jedoch eng verwandt, so dass sich der de Agosto de 1985, Palencia 1985, S. 28–37, hier S. 35 sowie Abb. 3 und 4. Dieser prachtvoll illuminierte Apokalypse-Kommentar schließt auf französischer Seite die lange Reihe der mozarabischen Beatus-Codices durch seinen stark antikisch geprägten Stil ab.

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.I SEHEN – SCHLANGEN

Illuminator des späten Beatus von diesen äußerst plastischen Vorformulierungen der inkarnierten Sünde am Pilgerweg inspirieren lassen konnte. Zur Atmosphäre Sündenbabels fügt sich, dass der Jüngling, der auf der linken Kapitellschmalseite eine der Raubkatzen an der Leine führt (Bild 29a), sich anscheinend schamlos in seiner Nacktheit geriert, wobei sein drahtig verfilztes Haar in langen Strähnen wie von einer inneren Spannung erfüllt an der Seite widernatürlich weit von seinem Kopf absteht. Die Raubkatzen kümmern sich nicht im mindesten um den vorgeblichen Daniel, sondern sind sich, ihrer dämonischen Natur gemäß untereinander spinnefeind und fauchen sich entsprechend angriffslustig an.68 Zudem schlängeln sich die armdicken Leinen, an denen die Raubkatzen geführt werden, zusammen mit deren Schweifen und der Schlange selbst über die Kapitellseiten in der Weise, wie in mittelalterlichen Handschriften die Stadt Babel nahezu immer von einer Art Schlangen-Rahmen umzingelt wird. Auf einer der vier skulptierten Seiten eines Kreuzgangkapitells (heute in der Santiago-Kirche von Jaca aufbewahrt), das kurz nach 1100 entstanden und durch die Frisuren und aufgeblähten Backen stilistisch eng mit León verknüpft ist, wachsen zwei in Togen gewandete Figuren ab Unterschenkelhöhe aus dem Kapitellring (Bild 30). Eine Frau mit einer Togaschlinge voller Kugeln, die fast zwangsläufig das Bild der ephesischen Diana evoziert, hält eine Schlange in Brusthöhe vor ihren Körper. Der links von ihr Stehende hingegen hält einen Uroboros, das antike Schlangensymbol der Unendlichkeit, das sich selbst in den Schwanz beißt und damit einen perfekten Ring bildet, auf Höhe seines Geschlechtes. In der Tradition von Erwin Panofsky und Fritz Saxl wollte David L. Simon in den Darstellungen des Kapitells antikische Verkörperungen von Planeten sehen.69 Laut Moralejo Álvarez handelt es sich dabei um Zitate eines römischen Jahreszeitensarkophages,70 wobei der Schlangenring für die ewige Wiederkehr der Jahreszeiten stehen könnte. Neben der in Jaca über die vielen Schlangendarstellungen erworbenen Symbolkompetenz scheint aber auch der dritte Weg einer zunehmenden Autonomisierung des Schlangenmotivs von festen inhaltlichen Bindungen denkbar: Auf dem Kapitell werden die Schlangen nicht mehr nur selbstbewusst und ohne Scheu, sondern auch fast beiläufig präsentiert und damit zum kunstvollen Beiwerk.

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Diese heillose Zerstrittenheit als Grundlage der mittelalterlichen Apotropäik fußt direkt auf das entscheidende Christuswort in Lk 11,18: „Wenn also der Satan mit sich selbst im Streit liegt […].“ Vgl. Sonia C. Simon: Katalogeintrag „Capital“, in: Ausst.-Kat.: Kat.: The Art of Medieval Spain, A.D. 500–1200, Metropolitan Museum of Art New York, hg. v. Metropolitan Museum New York, New York 1993, S. 207–209, hier S. 208. Moralejo Álvarez: Sculpture romane (a. a. O.), S. 88.

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JACA – DIE SCHLANGE ALS VERKÖRPERUNG DER SEHTHEORIE

Bild 30 Jaca, Santiago-Kirche, Kapitell des ehem. Kathedralkreuzgang: Schlangenhalter. Bild 30b Jaca, Santiago-Kirche, Kapitell des ehem. Kathedralkreuzgang: Erzengel Michael.

Bild 30a Jaca, Santiago-Kirche, Kapitell des ehem. Kathedralkreuzgang: Moses. Bild 30c Jaca, Santiago-Kirche, Kapitell des ehem. Kathedralkreuzgang: Eva.

Auf der anschließenden Kapitellseite (Bild 30a) steht ein Mann mit zwei steinern wirkenden Platten mit halbrundem Abschluss in der Hand. Unter der Rippenkappe sind inmitten der dicksträhnigen Haare zwei Hörner auszumachen, die stärker nach oben ragen. Mit den zwei übereinandergelegten Tafeln mit halbkreisförmigen Auszug am oberen Ende wird die Identifikation als gehörnter Moses mit den Gesetzestafeln fast zur Gewissheit. Damit wäre – einzigartig auf einem Kapitell – die symbolische Koppelung zwischen furchtlos präsentierten, gleichsam Ehernen Schlangen und Moses gezeigt. Zusätzliche Bestätigung erfährt dies durch die beiden letzten Kapitellseiten. Dort ist zum einen ein Engel mit Lilie und drohend erhobenem Schwert (Bild 30b) zu sehen, zum anderen eine Gestalt mit Tuch über dem Kopf (Bild 30c), die sich hinter einem riesigen Blatt bis auf den Kopf fast vollständig verbirgt. Indem sich die Frau mit einem Blatt bedeckt, während sie im narrativen Kontext von dem Engel

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Bild 31

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Jaca, San Pedro, Kreuzgangskapitell: Schlangenträgerin.

verfolgt wird, liegt die Gleichsetzung mit der sich schamvoll verbergenden Eva nahe, der die Vertreibung aus dem Paradies unmittelbar bevorsteht.71 Bei einem weiteren Kreuzgangkapitell desselben Bildhauers scheint dem Betrachter die antike Göttin Hygieia mit ihrem Attribut der Schlange gegenüberzutreten: Eine Frau mit offenem Haar (Bild 31) trägt eine geschuppte Schlange wie eine Stola als modisches Accessoire über ihre Schultern gelegt. Elegant hält sie deren Schwanzende mit spitzen Fingern. Die ihr Gegenüberstehende, mit der sie sich angeregt unterhält, zeigt auf die Schlange. Ein derart selbstverständlicher Umgang mit Schlangen wurde in der Antike in Heiligtümern des Heilgottes Serapis-Asklepios und seiner Tochter Hygieia praktiziert, wo Kranke eine Nacht in einem Raum des Tempels voller Schlangen schliefen oder Schlangen um die Schultern gelegt bekamen. Diese Schlangenangst-Kur nach dem antiken Heilprinzip des Similia similibus curantur, „Ähnliches mit Ähn71

Zu dem inszenierten Dauer-Wechselspiel von Verbergen und Zeigen in der mittelalterlichen Kunst mit Thema Sünde und Fall vgl. Peter Seiler: Schönheit und Scham, sinnliches Temperament und moralische Temperantia. Überlegungen zu einigen Antikenadaptionen in der spätmittelalterlichen Bildhauerei Italiens, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 70,4 (2007), S. 473–512, hier v. a. S. 502.

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JACA – DIE SCHLANGE ALS VERKÖRPERUNG DER SEHTHEORIE

Bild 32 Liverpool, Liverpool Museum, ElfenbeinDiptychon, um 400: Serapis und Hygieia.

lichem kurieren“,72 wird in Folge zur Grundlage der Apotropäik.73 Auf dem Kapitell in Jaca scheint dieser Serapis-Schlangenkult seine Wiederaufführung zu feiern. Die Bildübertragung von Serapis und Hygieia in das elfte Jahrhundert ist sowohl durch mehrere erhaltene lebensgroße Marmorstatuen in Spanien als auch in Form von leicht zu transferierenden, aufgrund ihrer Kostbarkeit durchgängig bewahrter Elfenbein-Diptychen (Bild 32) mit Darstellungen der beiden 72

73

In dem erstaunlich kundigen Überblick über die antike Medizin in Buch IV der Etymologiae findet sich in Etym. IV,9,5ff. nicht nur eine ausführliche Grundlegung der Antidot- und homöopathischen Similia-Methode: „Jede Art der Heilung setzt aber entweder ein Gegenmittel oder etwas Gleichartiges ein [wie das, was die Krankheit ausgelöst hat].“ Wäre Isidors ungeheuerliche Stelle in Etym. IV,9,8 ernst genommen worden, hätte die Impfung gegen schwere Krankheiten durch eine abgestumpfte Variante des Erregers womöglich lange vor Robert Koch entwickelt werden können: „[…] Tiriaca (θηριακος – tierisch) ist ein Gegengift der Schlangen, durch welches Gifte beseitigt werden, so dass die Pest durch die Pest aufgelöst wird.“ Basal zu jedweder Form des Apotropäischen ist Ruth Melinkoff: Averting Demons. The Protecting Power of Medieval Visual Motifs and Themes, Los Angeles 2004.

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antiken Götter möglich.74 Zugleich erinnert die locker um den Hals drapierte Schlange an eines der eindrücklichsten Bilder des antiken Alltagslebens bei Plinius: An heißen Sommertagen hätten sich die Römerinnen kühlende, weil kaltblütige Schlangen als Stola um ihre Schultern gelegt. Isidor erwähnt in seinem Kapitel über Schmuck und Frisuren der Frauen ein Accessoire namens Serpentum, das vielleicht in Erinnerung an den Plinischen Erzählsplitter die Form einer Schlange aufweist: „Hoc etiam et serpentum dicitur, quia constat ex amphorulis quibusdam aureis, gemmisque variis in modum facturae serpentis.“75 – „Dieses [Schmuckstück monile: „Halsring“, ST] wird auch serpentum (schlangenartig) genannt, weil es aus kleinen goldenen Gefäßen besteht und aus verschiedenen Edelsteinen in der Art einer Schlange.“ Zusätzlich wachsen die mutmaßlichen Römerinnen aus einem Kapitellring heraus, der wie eine Schlange geschuppt ist und damit den Eindruck nährt, das ganze Kapitell könnte auf einem in sich verbissenen und damit potentiell endlosen SchlangenringUroboros aufruhen. Die Bildhauer in Jaca, denen die Schriften Isidors, wie exemplarisch an den Tympanon-Inschriften zu sehen war, sehr nahe gewesen sein müssen, fasziniert genau dieses ständige Umspringen von ursprünglich negativ Besetztem in sein Gegenteil: Die unbefangene Eleganz und fehlende Dämonisierung der beiden Frauen auf dem Kreuzgangkapitell legt eine freie Umsetzung dieses plinisch-isidorianischen Echos der antiken Zivilisation zumindest nahe, was die Kathedrale von Jaca bis heute zu einem gleichsam antikischen Schlangen-Heiligtum innerhalb des christlichen Mittelalters macht. Ein weiteres Mal scheint die antike Heilgöttin Hygieia in Jaca zu sehen sein, diesmal als verkappte Gegenspielerin zu Maria. Die Maria der Verkündigungszene (Bild 109) an dem vierten südlichen Seitenschiffpfeiler wird von zwei Blattnischen flankiert. In der Kapitellecke steht ein Dämon mit gefletschten Dolchzähnen, der eine phallusartige Schlange vor dem Leib hält. In einer Nische links hockt unter dem Blatt verborgen und lauernd eine „Eva-Luxuria“ mit einer Schlange über den Schultern (Bild 33),76 die als versteckt kauernde Kontrahentin der Mutter Gottes negativ konnotiert ist, zumal sie von der Schlange in den linken Arm gebissen wird.77 Ihren Ursprung hat die Luxuria allerdings 74 75 76 77

Liverpool, Liverpool Museum, Diptychon mit Serapis und Hygieia, um 400. Vgl. Wolfgang Fritz Volbach: Elfenbeinarbeiten der Spätantike und des frühen Mittelalters, Mainz 1952, Nr. 57. Etym. XIX,30,12. Zu den Negativkonnotationen der Luxuria ausführlich: Weir/Jerman: Images of Lust (a. a. O.), S. 72ff. Für die spanischen Beispiele vgl. Jesús Herrero Marcos: La lujuría en la iconografía románica, Palencia 2011. Moralejo Álvarez zufolge ist Verdopplung des Verkündigungsengels, die sich auch auf dem Verkündigungskapitell der Porte Miègeville in Saint-Sernin de Toulouse findet, auf apokryphe Quellen zurückzuführen, vgl. Serafín Moralejo Álvarez: Aportaciones (a. a. O.), S. 196. Vermutlich ist diese absolute Symmetrie vom Künstler

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Bild 33

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JACA – DIE SCHLANGE ALS VERKÖRPERUNG DER SEHTHEORIE

Jaca, San Pedro, Kapitell: Schlangenträgerin neben Verkündigung.

in dem zunächst positiv besetzten Bild der Heilgöttin Hygieia, die ihr Symboltier furchtlos über den ganzen Körper schlängeln lässt. Auf einer der im 18. Jahrhundert versetzten Hauptapsiskonsolen ist ein eingeducktes affenartiges Wesen zu erkennen (Bild 34a), das in der Linken einen stockartigen, gewellten Gegenstand quer über den Leib bis an das linke Ohr hält, während es mit seiner Rechten das andere Ohr bedeckt. Der Mund ist kreisrund wie zum Schrei geöffnet. Der markante Knotenstock der Konsolfigur aus Frómista (Bild 9) scheint hier Form und Funktion gewechselt zu haben.78 Aus einem unbelebten Stück Holz ist auf der Konsole in Jaca eine sich windende Schlange geworden, die sich anders als der Stock von unten nach oben verbreitert, bis direkt zum Ohr des affenähnlichen Wesens ringelt und in dieses zu flüstern oder hineinzukriechen versucht.

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aber bewusst dem kauernden und geduckten, oft chaotischen Bösen im Sinne einer göttlichen Harmonie und perfekten Ordnung kontrastierend gegenübergestellt. Bredekamp: Romanische Skulptur (a. a. O.), S. 104.

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.I SEHEN – SCHLANGEN

Wenn das Affenwesen, lateinisch Simius, hier wie so häufig für die Sünde steht, weil es den Sündenfall simuliert und persifliert,79 nimmt die Konsole eine Bildtradition auf, die bereits bei Isidor grundgelegt wird. Er beschreibt im zwölften Buch der Etymologiae eindringlich die Aspis-Schlange, die mit dem Schwanz ihr Ohr verschließt und damit dem Teufel gleich taub und verstockt für das Wort Gottes bleibt.80 In der Zeit, in der König Sancho Ramírez als Zeichen seiner Romtreue den römischen Ritus in Aragón einführt und häretische Strömungen unnachgiebig verfolgt, kann die Konsole, die das Hören und NichtHören-Wollen thematisiert, auch gegen Häretiker gerichtet sein, die ein bevorzugtes Ziel der Polemiken Isidors waren.81 Zusätzlich scheint sich die Schlange der Konsole mit ihren Einflüsterungen in den nicht zugehaltenen Gehörgang des Verführten hineinzuwinden (Bild 34b).82 Dieses besonders einprägsame Bild für die unwiderstehlichen Überredungskünste des Diabolus wird auch im populären, in Spanien weitverbreiteten Ordo representacionis ade, dem sogenannten „Adams-Spiel“, besonders plastisch und ausführlich beschrieben. Das älteste erhaltene anglo-normannische Exemplar dieses „Geistlichen Schauspiels“ aus der Mitte des zwölften Jahrhunderts lässt sich wohl auf ältere Fassungen des elften Jahrhunderts zurückführen. In den Regieanweisungen, den Didascalia, heißt es dort: „Tunc serpens artificiose compositus ascendit iuxta stipitem arboris vetite, cui Eva 79

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Der Affe als figura diaboli bei: Horst W. Janson: Apes and Apes Lore in the Middle Ages and the Renaissance, London 1952, S. 115, Friedrich Kobler: Das Pisaner Affenkapitell in Berlin-Glienicke, in: Munuscula discipulorum. Kunsthistorische Studien Hans Kauffmann zum 70. Geburtstag 1966, hg. v. Tillmann Buddensieg/Matthias Winner, Berlin 1968, S. 157–164 sowie Michel: Tiere als Symbol (a. a. O.), S. 120f. „Illa, cum exire noluerit, unam aurem in terram premit, alteram cauda obturat et operit […]“ („Wenn sie nicht herauskommen will [aus ihrer Höhle; ST], drückt sie ein Ohr auf die Erde und verdeckt und verschließt das andere mit ihrem Schwanz […]“; Etym. XII,4,12. In Möllers Übersetzung, S. 464, fehlt die Nummer von Absatz 12). In einer Montecassiner Abschrift des elften Jahrhunderts nach dem karolingischen Abt Hrabanus Maurus, die sich eng an Isidors Schriften anlehnt, werden durch die Geste der auf das Ohr gelegten Hand verstockte jüdische „Häretiker“ disqualifiziert, die dem Text zufolge das Wort Gottes nicht hören wollen, vgl. Saxl: Illustrated Encyclopaedias (a. a. O.), S. 236. In dem aus dem neunten Jahrhundert stammenden Chludov-Psalter (Cod. 129, Historisches Museum Moskau) ist, ähnlich der Konsole, auf fol. 56r ein Mann mit Hörrohr und Aspisotter abgebildet, vgl. Kathleen Corrigan: Visual Polemics in the Ninth-Century Byzantine Psalters, Cambridge 1992, S. 227, fig. 3. Bei Remigius von Auxerre (gest. 908) wird die Aspis-Natter explizit gleichgesetzt mit Häretikern, die das Gift falschen Glaubens in die Ohren der Verführten träufeln (Migne, PL 131, Sp. 630), vgl. Klaus Schreiner: Vom geschichtlichen Ereignis zum historischen Exemplum. Eine denkwürdige Begegnung zwischen Kaiser Friedrich Barbarossa und Papst Alexander III. in Venedig 1177 und ihre Folgen in Geschichtsschreibung, Literatur und Kunst, in: Mittelalter-Rezeption, hg. v. Peter Wapnewski, Stuttgart 1986, S. 173, Anm. 7.

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JACA – DIE SCHLANGE ALS VERKÖRPERUNG DER SEHTHEORIE

Bild 34a

Jaca, San Pedro, Hauptapsiskonsole: Affe mit Schlange.

Bild 34b

Jaca, San Pedro, Hauptapsiskonsole, Seitenansicht: Affe mit Schlange.

proprius adhibebit aurem, quasi ipsius ascultans consilium“; etwa: „Sodann kriecht eine listige Schlange den Stamm des Baumes der verbotenen Frucht empor, der Eva ihr Ohr näher zuneigt, gleichsam um ihren Rat zu hören.“83 Damit wird eine zweifach schlangenhafte Bewegung aufeinander zu beschrieben, denn Eva neigt sich mit ihrem Körper der formvollendet verführenden Schlange zu, während diese ihr entgegenkriecht, wie es auch die Konsolskulptur zeigt. Im Romanik-Saal des New Yorker Metropolitan Museum fristet ein weit über Kopfhöhe zwischen zwei Vitrinen eingeengtes Kapitell, das nichts weniger als eine Sensation darstellt (Bild 35), ein Schattendasein. Der lapidare Verweis auf dem Exponatschild „Jaquese Style“ ist nur allzu berechtigt, scheint das Kapitell doch sowohl dem Stil als auch der Motivik nach aus dem im Barock vermauerten Kreuzgang der Kathedrale zu stammen. Der nackte, abgemagert 83

Das offenbar von episch breiten Sündenfalls-Bildzyklen gespeiste Adams-Spiel zitiert nach: Robert L. A. Clark: Eve and Her Audience in the Anglo-Norman Adam, in: Crossing Boundaries. Issues of Cultural and Individual Identity in the Middle Ages and the Renaissance, hg. v. Sally McKee, Turnhout 2003, S. 31.

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Bild 35 New York, Metropolitan Museum of Art, Kapitell: Löwenreiter mit Schlange.

wirkende Reiter, dessen Rippenbögen sich deutlich abzeichnen, greift mit beiden Händen in die Mähne der Raubkatze, um sie als Zügel zu benutzen. Sein Kopf ist vollständig nach hinten gedreht, so dass sein Oberkörper mit der Halslinie und dem klar abgesetzten Haaransatz einen durchlaufenden Bogen beschreiben. Auf Kopfhöhe scheint ihn eine Schlange anzustarren, die sich hinter der Flanke des rechts anschließenden Löwen aus einem Spalt zwischen Kapitellgrund und Tierleib nach oben windet. Mit den Augen, die durch tiefe Bohrungen hypnotisch wirken, scheint der Nackte sich in einer Art Zwiesprache mit dem sich aufrichtenden Reptil zu befinden. Der Schlangenleib mit seiner markanten Fischgrätriefelung ist den nahezu identisch gekerbten Strähnen der Haarkalotte des Nackten sehr ähnlich. Der Katzenreiter zeigt nicht nur keinerlei Furcht; sein gesamter Oberkörper nimmt darüber hinaus die Schlangenlinie des Reptils auf, wodurch der Nackte selbst schlangenhaft wirkt. Erneut kennzeichnet die Schlange einen Menschen von augenscheinlich ebenbürtiger phobischer Gewalt als Dämonisierten. Hingegen bleibt die Schlange auf einem besonders prächtigen ornamental-vegetabilen Kapitell der dem Westportal nächsten Säule der nördlichen Langhausseite (Bild 36) zunächst verborgen. Betont fleischiger Akanthus scheint dort geradezu stofflich wirkende Baldachine auszubilden (Bild 37). Überraschend

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JACA – DIE SCHLANGE ALS VERKÖRPERUNG DER SEHTHEORIE

hat der aragonesische Arzt Antonio García Omedes, der zugleich passionierter Photograph ist, Ende des Jahres 2009 bei einer extremen Vergrößerung einer Aufnahme dieses Kapitells (Bild 37a) eine bis dahin unpublizierte, unter einem Kapitellblatt hervorkriechende Schlange entdeckt (Bild 37b), die sich als Neuzugang zu den ohnehin zahlreichen Schlangen in Jaca gesellt.84 Die Schlange ist deshalb nahezu unsichtbar, weil der Bildhauer sie derart subtil an die schleifenförmigen Helices des Kapitelldickichts angeglichen hat, dass sie kaum von den vegetabilen Formen zu unterscheiden ist. Obwohl der Künstler die Schlange quer über das Akanthusblatt nach oben ringeln lässt, fällt sie mit Wissen um ihre Existenz nur anhand ihres verdickten Kopfes und der Riefelung ihres Körpers auf. Die eingängig-bildhafte Botschaft dieser Kapitell-Mimikry der Schlange könnte sein, dass es für die potentiell durch ihr Gift bedrohten Menschen eine beständige Herausforderung bleibt, die Schlange zu sehen und zu erkennen. Isidor von Sevilla setzt daher die latente Bedrohung formelhaft mit ihren ca84

Antonio García Omedes hat in diesem durch das Muster der Erzählung unwillkürlich an die zufällige Entdeckung eines vermeintlichen Mordopfers im Gebüsch in Michelangelo Antonionis Film „Blow up“ erinnernde Spurensuche nicht nur eine Sündenfallschlange im Dickicht aufgespürt, sondern auch die in das Kapitell eingemeißelte Signatur eines Künstlers namens BERNARD[US]. Diese aufsehenerregenden Funde sind in sehr guten Aufnahmen dokumentiert in: Antonio García Omedes: ¿“Bernard”: Un nombre para la historia de la escultura en la Catedral de Jaca?, in: Románico. Revista de arte de amigos del románico 10 (2010), S. 55–58. Damit gewinnen zugleich die in Nordspanien im elften Jahrhundert tätigen Künstler mit dem nicht sonderlich spanischen Namen Bernhard immer stärker an Gewicht, nachdem Serafín Moralejo Álvarez als Doyen der spanischen RomanikForschung bereits im Jahr 1973 eine Engelskonsole im Stil des vor allem in Toulouse tätigen BERNARDUS GELDUINUS in Jaca nachweisen konnte (vgl. Serafín Moralejo Álvarez: Une sculpture du style de Bernard Gilduin à Jaca, in: Bulletin Monumental 131/I (1973), S. 7–16, v. a. S. 7–9), der Bau der Kathedrale von Santiago de Compostela maßgeblich von dem in der Historia Compostellana als mirabilis magister gerühmten BERNARDUS SENEX vorangetrieben wurde (vgl. die vollständige Stelle in Karge: Die Kathedrale von Santiago de Compostela (a. a. O.), S. 198, Anm. 7) und auf einem besonders selbstbewussten Südquerhauskapitell in Conques ein Engel ein Spruchband mit der stolzen Bildhauernennung BERNARD[US] ME FECIT in die Himmelszone trägt (vgl. Dietl: Künstlerinschriften als Quelle (a. a. O.), S. 184); das Atelier des Bernardus aus Conques ist wiederum auch in Santiago tätig. Da es sich bei Gelduinus in Toulouse und Jaca möglicherweise um einen aus dem Rheinland zugezogenen Künstler namens Geldvin/Goldwein handelt, zeigt sich die ganze Absurdität des noch stets nachwirkenden biedermeierlichen Verdikts mittelalterlicher Immobilität und Ortsgebundenheit. Vgl. dagegen Albert Dietl: Epigraphik und räumliche Mobilität. Das Beispiel italienischer Künstler des Hochmittelalters und ihrer Signaturen, in: Geschichte „in die Hand genommen“. Die Geschichtlichen Hilfswissenschaften zwischen historischer Grundlagenforschung und methodischen Herausforderungen, hg. v. Georg Vogeler, München 2005, S. 153–180.

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.I SEHEN – SCHLANGEN

Bild 36 Jaca, San Pedro, Innenansicht: Blick von Nordwesten in Langhaus.

mouflierenden Färbungen gleich: „Schlangen? So viele Gifte wie Arten, so viele Tötungen wie Unterarten, so viele Qualen (dolores) wie Farben (colores) sind ihnen zu eigen.“85 Mit der anscheinend retardierenden Wiederholung der Vielzahl von Arten und Unterarten der Schlange betont Isidor eben ihren sich ständig entziehenden, metamorphotischen Charakter. Bei den sandfarbenen Ophites85

Der stärkeren Eindringlichkeit halber ist die Sentenz im lateinischen Original offensichtlich bewusst als Reim aufgebaut: „Quorum tot venena quot genera, tot pernicies quot species, tot dolores quot colores habentur.“ (Etym. XII,4,30). Zu den gleichsam prädarwinistischen Ansätzen eines „Origin of species“ bei Isidor vgl. auch Henderson: Medieval World (a. a. O.), S. 150.

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JACA – DIE SCHLANGE ALS VERKÖRPERUNG DER SEHTHEORIE

Bild 37 Jaca, San Pedro, Kapitell: Vegetabile Baldachine. Bild 37a Jaca, San Pedro, Kapitell: Schlange unter vegetabilem Baldachin. Bild 37b Jaca, San Pedro, Kapitell, Detail: Schlange unter vegetabilem Baldachin.

Schlangen fasziniert ihn offensichtlich deren vollständige visuelle Verschmelzung mit dem Untergrund, wenn er den antiken Dichter Lucan zitiert: „Wie die mit feinen Flecken gezierte thebanische Schlange in gleicher Farbe mit dem verbrannten und ununterscheidbaren Sand.“86 Bei dem von Isidor ebenfalls zu den Schlangen gezählten Stellio-Molch beschreibt er die Tupfen als wie Sterne (stellae) auf den Rücken „gemalt“, wobei wiederum Ovid seine bevorzugte ästhetische Autorität ist:87„angepasst an die Farbe hat er seinen Namen, mit ver86 87

Etym. XII,4,30. Met. 5,461.

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.I SEHEN – SCHLANGEN

Bild 38

León, San Isidoro, Isidorschrein: Gesamtansicht.

schiedenartigen Tropfen am Körper besternt (stellatus).“88 Am eindrücklichsten aber wird die Kunst der Mimikry bei einer bunt gemusterten und irisierend schillernden Schlange geschildert, die damit ihre Opfer gleichsam hypnotisch zu bannen vermag: „Scytale wird eine Schlange genannt, weil sie durch eine solche Verschiedenartigkeit des Rückens glänzt, dass sie dank dieser Zeichnungen die Anblickenden [in deren Bewegung] verzögert.“89 Um die sich immer neu dem Zugriff entwindenden Valenzen des Reptils zu erfassen, konnte daher die Schlussfolgerung aus den Beschreibungen des antiken Schlangenkundlers für den Leser nur genaues und wachsames Hinsehen bedeuten. Damit war die Schlange in den Kirchen des von Isidors Schriften so basal geprägten Nordspanien das adäquate Medium einer überaus komplexen Sehtheorie, die sich ohne Schwarz-Weiß-Malerei in einem antiken Spektrum unzähliger Zwischentöne und Farbnuancen auffächerte.

B

L e ón – Sc h la ngen r it ua le der A nt i ke

Die beiden Augustiner-Kollegiatskirchen San Pedro de Jaca und San Isidoro de León sind in ihrer beider Rezeption der Schlangenikonographie des Orestessarkophages sowie der Schriften Isidors motivisch und inhaltlich eng zusammengeschlossen. In beiden Kirchen wurde Isidor als gleichsam antiker und damit umso anregenderer Autor gelesen, verehrt, und seine Ideen wurden visualisiert.

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Etym. XII,4,38. Ebd., 4,19.

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LEÓN – SCHLANGENRITUALE DER ANTIKE

Bild 38a

León, San Isidoro, Isidorschrein: Anklage der Stammeltern.

Bild 38b

León, San Isidoro, Isidorschrein: König Fernando I.

Auf dem bis 1063 fertiggestellten Schrein mit den Leonesischen Staatsreliquien des Heiligen Isidor (Bild 38) ringelt sich die Schlange ebenso um den in drei Aaronstab-Blüten endenden Baum, wie sich Adam und Eva mit schlangenhaften Gesten der Schuldzuweisung aus der Verantwortung zu winden suchen (Bild 38a).90 König Fernando I. von León (Bild 38b) zeichnet hingegen die ungleich bestimmtere Geste aus, mit der er auf den Sündenfall als Ursprung allen Übels in der Welt hinweist.91 Als Treibarbeit ragt er nahezu vollplastisch in den Raum.92 In gleicher Größe wie Gottvater mitten in den göttlichen Heils90

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Die umfangreichste Würdigung des Isidorschreins bei Horst Bredekamp/Frank Seehausen: Das Reliquiar als Staatskunst – Das Reliquiar Isidors von Sevilla und der Beginn der Hofkunst in León, in: Reliquiare im Mittelalter. Kunst, Kult, Kontext (Hamburger Forschungen zur Kunstgeschichte 5), hg. v. Bruno Reudenbach/ Gia Toussaint, Berlin 2005, S. 137–164. John Williams als vielleicht bester Kenner der Kirche San Isidoro de León identifiziert die Figur anders als einige spanische Forscher sicher zurecht mit Fernando I.; vgl. John W. Williams: León, The Iconography of a Capital, in: Cultures of Power. Lordships, Status and Processes in 12th Century Europe, hg. v. Thomas N. Bisson, Philadelphia 1995, S. 231–258, hier: S. 237. Aufgrund der sich weit vom Reliefgrund lösenden Körper auf dem Leóneser Reliquiar wurde in der Forschung wiederholt der naheliegende stilistische Vergleich mit ottonischer Goldschmiedekunst und hier insbesondere den Hildesheimer Bronzetüren gezogen: David M. Robb: The Capitals of the Panteón de los Reyes, San Isidoro de León, in: The Art Bulletin 27 (1945), S. 165–174, hier S. 171f.; Serafín Moralejo Álvarez: „Ars Sacra“ et sculpture romane monumentale: Le trésor et le chantier de Compostelle, in: Les Cahiers de Saint-Michel de Cuxa 11 (1980), S. 180–244, hier S. 199; Danièle Perriere: Die spanische Kleinkunst des 11. Jahrhunderts. Zur Klärung ihrer stilistischen Zusammenhänge im Hinblick auf die Frage ihrer Beziehungen zur Monumentalskulptur, in: Aachener Kunstblätter 52 (1984), S. 29–150, hier S. 87ff.; John W. Williams: Tours and the Medieval Art of

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plan hineingestellt, vermag er das Böse nicht nur identifizieren und aufzeigen: Für den den Schrein umschreitenden Betrachter ist es möglich, Fernando I. als Anfang und Endpunkt der Erzählung deutlich auszumachen, der dem Bösen in Gestalt des Sündenfalls begegnen und es in der Gegenwart bekämpfen kann.93 Die prominente Stellung des Königs auf dem Schrein überrascht umso mehr, als offenbar völlig auf eine Darstellung Isidors verzichtet wurde.94 Eine unverwechselbare Heiligenikonographie für Isidor, dessen Reliquien im Jahr 1063 aus dem arabisch besetzten Sevilla nach León transloziert worden waren, wurde weder in den Fresken des bis 1063 vollendeten Panteón, wo selbst Lokalheilige wie Marcialis beim Abendmahl erscheinen,95 noch in der Kapitellskulptur San Isidoros erfunden. Als Bischof ohne Martyrium und als Schriftgelehrter ohne jegliches Attribut war er von den zahllosen anderen heiligen Bischöfen nicht zu unterscheiden, wie seine nur durch eine Namensbeischrift identifizierbare Skulptur an der Puerta del Cordero zeigt (Bild 39). Die Lösung war, sich auf das spezifische Kapital seiner im Mittelalter sehr weit verbreiteten Schriften zu besinnen.96 Nicht nur ist Isidor einer der nachdrücklichsten Frager nach dem unde malum, der zweifelnden Frage nach dem Ursprung des Bösen in einer von Gott perfekt geschaffenen Welt, der in seinen Schriften Augustinus konsequent weiterdenkt, und damit zu dessen wichtigstem Exegeten und zum würdigen Patroziniumsheiligen des Leoneser Augustinerchorherrenstifts wird.97 Im zwölften Buch seines zwanzigbändigen enzyklopädischen Haupt-

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Spain, in: Florilegium in Honorem Carl Nordenfalk Octogenarii Contextum, Stockholm 1987, S. 197–208, hier S. 205. Horst Bredekamp: Spanien als Pilgerland der Formen, in: Der Jakobsweg und Santiago de Compostela in den Hansestädten und im Ostseeraum, hg. v. Javier Gómez-Montero (Topographica. Studien und Texte zu kulturellen Räumen in Europa 1), Kiel 2011, S. 61–74, hier S. 63–66. Janet Kempf bereitet derzeit an der Humboldt-Universität zu Berlin eine Dissertation über den Künstleraustausch zwischen dem ottonischen Reich und Nordspanien vor. Das Folgende wurde erstmal behandelt in Stefan Trinks: Schlangenikonographie zwischen León und Jaca – eine Zeichenlehre des Bösen nach Isidor von Sevilla, in: Hispaniens Norden im 11. Jahrhundert. Christliche Kunst im Umbruch, hg. von Achim Arbeiter/Bettina Marten/Christiane Kothe, Petersberg 2009, S. 220–234. Über das keinesfalls durch die partiellen Zerstörungen des Schreins bedingte Fehlen einer Heiligenikonographie Isidors zeigte sich bereits de Palol verwundert; vgl. Pedro de Palol/Max Hirmer: Spanien. Kunst des frühen Mittelalters vom Westgotenreich bis zum Ende der Romanik, München 1991, S. 66. Vgl. John Williams: Marcialis Pincerna and the Provincial in Spanish Medieval Art, in: Hortus imaginum. Essays in Western Art (University of Kansas Publications, Humanistic Studies 45), hg. v. Robert Enggass/Marilyn Stokstad, Lawrence 1974, S. 29–36 sowie Antonio Viñayo González: San Isidoro von Leon, das Königspantheon. Die Romanik erwacht: Architektur, Skulptur, Malerei, León 1995, S. 42. Zur ganz Europa flächendeckend erfassenden Verbreitung Isidors vgl. Charles Henry Beeson: Isidor-Studien (Quellen u. Untersuchungen zur lateinischen Philologie des Mittelalters 4,2), München 1913, v. a. S. 135f. Vgl. Curtius: Europäische Literatur (a. a. O.), S. 447f.

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Bild 39 León, San Isidoro, linke Portalseite der Puerta del Cordero: Isidor von Sevilla als Bischof auf Stierkonsole.

werks, der Etymologiae, stellt er auch die Schlange als mit Abstand wichtigstes aller von Gott geschaffenen Lebewesen heraus: Über viele Seiten hinweg beschreibt Isidor die unterschiedlichsten Schlangen mit zahlreichen Verweisen auf Plinius’ Naturalis Historia, während er dem Löwen als ‚König der Tiere’ und üblicherweise bedeutendstem Tier lediglich ein kurzes Kapitel einräumt. Eine Ausgabe der Etymologiae als ‚Grundbuch‘ des Mittelalters, lässt sich in der Kollegiatsbibliothek in León für das elfte Jahrhundert nachweisen.98 Die Schlan98

Vgl. Julio Pérez Llamazares: Catálogo de los incunables y libros antiguos de la Real Colegiata de San Isidoro de León, Madrid 1943, S. 18, der die Zerstörung sämtlicher isidorianischen Schriften in León wie auch der beiden heute fehlenden Reliefs des Isidorschreins mit der Benennung der Tiere und der Erschaffung Evas auf das Wüten der französischen Armee im Jahr 1808 zurückführt. Siehe auch Fernando Galván Freile: El „Liber canticorum et horarum“ de Sancha (B.G.U.S., MS. 2668). Entre la tradición prerrománica y la modernidad, in: Hispaniens Norden im 11. Jahr-

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ge, die in weit über hundert unterschiedlichen Bezeichnungen und Erscheinungsformen in den Etymologiae vorkommt, hat demnach für den noch um die antike Schlangenverehrung wissenden Bischof mehr Kraft und Wortmagie als jedes andere Tier.99 Plastisch beschreibt Isidor beispielsweise Schlangen, die sich im freien Fall vom Baum auf ihre Opfer stürzen,100 die durch ihre Tarnung unsichtbar sind,101 Menschen im Schlaf töten102 oder ihnen das Blut aussaugen.103 Im Panteón und in San Isidoro finden sich Schlangen-Kapitelle in überraschend großer Zahl. Offenkundig entspringen sie einer Leoneser Doppelstrategie: Zum einen erzeugten diese Kapitelle eine vielschichtige ‚Intellektuelle Ikonographie’ Isidors, die der Komplexität und Bedeutung seiner Schriften als geistiges Fundament des neu zu etablierenden Königreiches León angemessen war.104 Zum anderen konnten sich in dieser aufwendigen Kirchenstiftung König Fernando und seine Nachfahren als aktive Kämpfer gegen die durch die Schlangen verkörperten inneren wie auch äußeren Feinde präsentieren.105 Wie ideologisch

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hundert. Christliche Kunst im Umbruch, hg. v. Achim Arbeiter/Christiane Kothe/ Bettina Marten, Petersberg 2009, S. 248–256, hier S. 149, über den „Liber canticorum et orarum“, das Stundenbuch von Königin Sancha und König Fernando I. aus dem Jahr 1059 mit einer Ausgabe der Etymologiae, die auffällige SchlangenInitialen aufweist. Zu Schlangen in spanischen Handschriften des Mittelalters grundlegend: Etelvina Fernández González: Sobre la serpiente. Aproximación a un tema iconográfico universal, in: Ástura 4 (1985), S. 43–53. Isidor wird damit zu einem direkten spätantiken Vorläufer Aby Warburgs. Beide scheinen in der Grundannahme wesensgleich, dass durch die fast manischen bildlichen Evokationen von Schlangen eine bildliche Distanz geschaffen wird, welche die Todesangst zu bewältigen hilft. Nahezu wortgleich mit Isidor, doch ohne ihn zu nennen, pointiert Warburg im Kreuzlinger „Schlangenritual“-Vortrag 1923: „Die Schlange ist eben ein internationales Antwortsymbol auf die Frage: Woher kommt elementare Zerstörung, Tod und Leid in der Welt? […] Wo ratloses Menschenleid nach Erlösung sucht, ist die Schlange als erklärende bildhafte Ursache in der Nähe zu finden.“ Aby M. Warburg: Schlangenritual. Eine Reisebericht. Mit einem Nachwort von Ulrich Raulff, Berlin 1995, S. 55. Etym. XII,4,29. Ebd., 4,18. Ebd., 4,14. Ebd., 4,15. Ein ikonographisches Gesamtprogramm für León im Sinne eines sakralen Königtums in Anknüpfung an westgotische Tradition hat zwar bereits Beverly Ann Orr unter Verweis insbesondere auf Augustinus’ De civitate Dei und Gregors des Großen Moralia in Iob zu belegen versucht, allerdings mit einem zu starren DeutungsKorsett, einer Spätdatierung San Isidoros in das zwölfte Jahrhundert und ohne Berücksichtigung der Etymologiae; vgl. Beverly Ann Orr: The Sculptural Program of the Royal Collegiate Church of San Isidoro in León, Diss. (masch), Ohio State University, Columbus 1988, Ann Arbor 1988, S. 18f. Hierzu gehört beispielsweise die bewusste politische Entscheidung König Fernandos I. für León als Begräbnisort nach der Levante-Schlacht; vgl. Charles J. Bishko: The Liturgical Context of Fernando I’s Last Days According to the So-called ‚Historia Silense’, in: Hispania sacra 17 (1964), S. 47–59, hier S. 47f.

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wichtig Isidor bereits im elften Jahrhundert gleichberechtigt mit dem ‚Maurentöter’ Jakobus im Kampf gegen die Araber wurde, hat Klaus Herbers herausgearbeitet.106 Patrick Henriet hat zuletzt minutiös nachgezeichnet, dass König Fernando I. und Königin Sancha mit der feierlichen Translation der Gebeine Isidors aus dem im arabischen Süden liegenden Sevilla, mit zahlreichen Handschriften- und Liturgica-Stiftungen ex nihilo eine nahezu beispiellose „politische Religiosität“ inszenierten, die insbesondere im zwölften Jahrhundert mit breiter ausgeschmückten Hagiographien und dem imperialen Anspruch auf Gesamtspanien unter expliziter Berufung auf Isidor fortgesetzt wurde.107 Die Bildhauer Leóns schränkten eine allzu simple politische Indienstnahme des Heiligen jedoch durch die so nachdrücklich an seinen Schriften orientierte schillernde ‚Intellektuelle Ikonographie’ San Isidoros wieder ein. Damit begründeten sie die außergewöhnliche Stellung der Kirche in der Skulptur des Mittelalters. Von dem Isidorschrein wie aus der Büchse der Pandora gekrochen, besetzen die Schlangen neuralgische Punkte des Panteón de los Reyes in León. Kaum zufällig flankiert ein Kapitell den Durchgangsbogen zwischen der Königstribüne des westwerkartigen Panteón-Obergeschosses und der alten asturischen Königskirche,108 das zwei gigantische, sich in der Mitte ihrer Körper volutenartig einschneckende und mit ihrer Schwanzspitze auf dem Kapitellring balancierende Schlangen mit spitzen Ohren zeigt (Bild 40).109 Mit deutlich artikulierten Reißzähnen beißen sie in den Kopf eines auf der Kapitellecke stehenden Mannes in Tunika und Beinkleidern, der beide Arme im Orantengestus mit geöffneten Handflächen erhoben hat. Die auf dem glatten Kalathos aufgelegten Riesenschlangen, hinter deren Rücken ein Rest Akanthus aus dem Kapitellinneren herauswächst, bilden anstelle der Voluten den Kapitellkörper und tragen mit ihren an der Ecke zusammenstoßenden Häuptern den Kämpfer: 106

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Nach Ausbreitung einer Fülle von Material gipfelt Herbers in der Folgerung: „Isidor nahm somit für die Herrschaft Ferdinands I. eine dem hl. Jakobus gleichwertige, wenn nicht bedeutendere Rolle ein, vielleicht war er sogar ein ernsthafter Konkurrent.“ Vgl. Herbers: Politik und Heiligenverehrung (a. a. O.), S. 208. Vgl. Henriet: Un exemple (a. a. O.), v. a. S. 80ff., der darin den von Friedrich Prinz geprägten Begriff der ‚politischen Religiosität’ übernimmt und auf das junge Königreich León überträgt. Für die Etappen der Baugeschichte vgl. Seehausen: Wege zum Heil (a. a. O.), mit Zusammenfassung der Literatur. Seit George Gaillard 1938 hält sich die Bezeichnung der Bestien als Drachen. Obwohl ‚Draco’ im Griechischen Drache wie auch Schlange bedeuten kann und die meist geflügelten und mit Gliedern versehenen Drachen von Isidor zu den Schlangen gerechnet werden, betont Isidor in Etym. XII,4,4 ausdrücklich, dass die Kraft des Drachen gerade nicht in seinen Raubzähnen, sondern im Schwanz liegt und er mit dessen Schlägen weit mehr schadet als durch einen Biss. Vgl. Georges Gaillard: Les débuts de la sculpture romane espagnole. León – Jaca – Compostelle, Paris 1938, S. 34f.

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Bild 40 León, San Isidoro, Panteón de los Reyes, Emporenkapitell: Mann mit Schlangen.

wie in einem Schraubstock ist der Gebissene ausweglos eingeklemmt. Ein ‚Herr der Tiere’ ist der Mann, über dessen Kopf die reißzahnbewehrten Schlünde bereits weit aufgesperrt sind, keinesfalls. Isidor beschreibt so die Riesenschlange Seps, die einen ganzen Menschen zu verschlingen und ihn bei lebendigem Leibe in ihrem Maul zu verdauen vermag: „Die Seps ist eine zersetzende AspisSchlange, die, während sie den Menschen beißt, ihn sofort aufzehrt, so dass er im Maul der Schlange verflüssigt wird.“110 Eine nahezu identisch gestaltete Riesenschlange mit aufgelegter Fischgrätriefelung der Schlangenhaut und einer Bohrung in der Mitte der Schlangen-Volute ist auf den mutilierten Resten eines Kapitells der Emporenseite zu erkennen. Als tägliche und unübersehbare Mahnung stand dem auf der Tribüne sitzenden König die Aufforderung zum steten Kampf gegen das durch die Riesenschlangen verkörperte Böse vor Augen.

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Etym. XII,4,17: „Seps tabificus aspis, qui dum momorderit hominem, statim eum consumit, ita ut liquefiat totus in ore serpentis.“

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Bild 41 León, San Isidoro, Panteón de los Reyes, Westwandkapitell: Luxuria.

Das Kapitell an der Rückwand der westlichen Panteón-Vorhalle (Bild 41)111 zeigt eine in einem unausweichlichen Netz aus Schlangenkörpern gefesselte Luxuria. Von oben haben sich zwei Schlangen in ihren Kopf verbissen, die sie wegzureißen versucht.112 Zwei weitere Reptilien hängen an den Brüsten und fesseln ihren Körper durch einen überkreuzenden Knoten zwischen den Beinen. Auf dem an der Westseite des zweiten Pfeilers der nördlichen Vorhalle befindlichen Kapitell halten zwei an den Ecken frei auf dem glatten Kalathos Stehende je eine Schlange zeichenhaft in die Kapitellmitte (Bild 42), während

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Kapitell Nr. 25 im Grundriss von Viñayo González: San Isidoro von Leon (a. a. O.), S. 12. Die Kopfform der Schlangen gleicht im Übrigen bis in die Details dem bisher nicht identifizierten Wesen auf dem berühmten Kapitell der Panteón-Südwand mit einem Kampf zweier Männer mit Kapuzen gegen ein Einhorn und eben das beschuppte Tier. Es handelt sich im Vergleich mit dem Luxuria-Kapitell offensichtlich um eine robbengestaltige Art der Schlange.

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Bild 42 Bild 42a

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León, San Isidoro, Kreuzgangskapitell: Schlangenhalter. León, San Isidoro, linke Schmalseite des Kreuzgangskapitells: Detail.

sie zu den Schmalseiten hin wohl Weihrauchfässer schwenken (Bild 42a).113 Die starr aufragenden Schlangen beißen die durch die sakralen Weihrauchgefäße positiv konnotierten Männer nicht. Sie werden von diesen als eine Art Trophäe überwundener Ursünde in einem als quasi-paradiesisch zu denkenden Kontext präsentiert. Möglicherweise spielt die Lage des Kapitells im Kreuzgang auf die Bedeutung der Ambulatorien als irdisch-paradiesesgleiche Refugien vor dem Bösen an. Dieses Kapitell dürfte den Chorherren als Vorbild und Verheißung vor Augen gestanden haben.114 Bereits im Panteón wird mit dieser sich über mehrere Kapitelle ziehenden Schlangenikonographie eine inhaltlich bestimmte Motiv-Gruppe grundgelegt, die sich, darin den anderen Gruppen vergleichbar,115 über alle Bauphasen und Herrscherwechsel hinweg in San Isidoro fortsetzt. Im Unterschied zu den anderen Kapitellgruppen in León, die sich nur in Details und Stilistik unterscheiden, durchlaufen die Schlangendarstellungen ihrem Gegenstand entsprechend ständige und grundlegende Formwandlungen. Nicht nur Kapitelle, auch die zwölf marmornen SternkreiszeichenReliefs des elften Jahrhunderts über der sogenannten Puerta del Cordero des

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Nr. 29 im Grundriss des Panteón nach Viñayo González: San Isidoro von Leon, S. 12. Honorius von Autun vergleicht im elften Jahrhundert in seiner Schrift De gemma animae explizit den Kreuzgang mit dem Paradies. Die Stelle abgedruckt beispielsweise bei Joaquín Yarza Luaces (Hg.): Claustros Románicos Hispanos, León 2003, S. 1. Zu den erstaunlich homogenen Kapitellmotivgruppen San Isidoros vgl. Franziska Müller-Reissmann: Die Kapitellskulptur von San Isidoro in León, in: Hispaniens Norden im 11. Jahrhundert. Christliche Kunst im Umbruch, hg. v. Achim Arbeiter/ Christiane Kothe/Bettina Marten, Petersberg 2009, S. 212–219, hier S. 213ff.

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südlichen Seitenschiffs San Isidoros sind von Schlangen übersät (Bild 39).116 Kaum Beachtung fand bislang der vermeintliche Schlauch (Bild 43) auf den Schultern des antik-heroischen Aquarius, der sich anstelle der zu erwartenden Amphore wie eine überdimensionierte Wasserschlange, die an ihrem monströsen Gewicht leidet, durchbiegt. Aus zwei kopfartigen Verdickungen mit Mäulern und Augen speit sie verschluckte, unverdaute Fische in kräftigen Schwallen von Wasser aus. Sie erinnern deutlich an Isidors Beschreibung der Schlange Amphisbaena mit je einem Kopf an beiden Enden: „Amphisbaena dicta, eo quod duo capita habeat, unum in loco suo, alterum in cauda […]“117 Aber auch die weiteren Zodiacusdarstellungen scheinen von Isidorianischen Text-Vorbildern beeinflusst zu sein.118 Der rechts folgende Steinbock (Bild 44) steht mit seinen Hufen auf einem überlangen geschuppten Schlangenschwanz, der direkt aus seiner Rückenlinie entwächst und ihn auf ganzer Länge umrundet. Es scheint sich um eine freie Umsetzung von Isidors Beschreibung des Capricornus zu handeln, der den Steinbock als in einem mächtigen Schwanz „wie ein Fisch“ enden lässt,119 wobei er selbst Fische und Aale teils den Wasserschlangen zuschlägt.120 Die Form der gänzlich unantikischen und künstlich zusammengesetzt wirkenden Darstellung legt nahe, dass dieses Sternzeichen nach einer Textvorlage konstruiert wurde und nicht Vorlagen astronomischer Handschriften in antiker Tradition folgt.121 Fritz Saxl zeigte sich über fehlende Illustrationen in den Etymologiae trotz vieler erhaltener Ausgaben verwundert.122 Gerade durch die meist gänzliche Bildlosigkeit der Etymologiae-Handschriften aber setzen die plastischen Beschreibungen Isidors beim Lesen und Hören die stärksten Bilder frei. Sie werden zu Katalysatoren der Bild-Phantasie. 116 117 118

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Die Metopen unterschiedlichen Formats wurden im 16. Jahrhundert für eine Renaissance-Attika in zum Teil falscher Reihenfolge versetzt, vgl. Marcel Durliat: Romanisches Spanien, Würzburg 1995, S. 118. Etym. XII,4,20. Obwohl Moralejo Álvarez in seinem Artikel den Einfluss der Etymologiae Isidors auf die Sternkreiszeichen des Zodiacus an mehreren Stellen betont, entgeht ihm doch mit der fehlenden Beschreibung der Fülle an Schlangen auf den Reliefs das wesentliche Argument für eine schlüssige Interpretation, vgl. Serafín Moralejo Álvarez: Pour l’interprètation (a. a. O.), S. 137ff. Etym. III,71,31. Die Irritation über die Eingemeindung derart vieler Arten von Tieren unter die Schlangen, unter anderem auch der Tausendfüßler und einige Arten von Eidechsen durch Isidor bei John Henderson: Medieval World (a. a. O.), S. 150. Obwohl und gerade weil in der Astrologie antiker Abkunft häufig Schlangen erscheinen, z. B. in den Dekanen und Paranatellonta, bei Phanes sowie in Form des Schlangen-Caduceus von Merkur; vgl. Matilde Battistini: Astrology, Magic, and Alchemy in Art (A Guide to Imagery), Los Angeles 2004, S. 25, 29 und 75. Saxl: Illustrated Encyclopaedias (a. a. O.), S. 239.

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Bild 43 León, San Isidoro, Puerta del Cordero, Zodiacusmetope: Aquarius. Bild 44 León, San Isidoro, Puerta del Cordero, Zodiacusmetope: Capricorn.

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Bild 45 León, San Isidoro, Puerta del Cordero, Zodiacusmetope: Sagittarius.

Der ohnehin negativ konnotierte Bock des Zodiacus wird zusätzlich von einer Frau geritten, die ihren Oberkörper durchbiegt und den Kopf zurückwendet, während sie sich mit ausgestrecktem Arm am rechten Horn festhält. Ihr Mantel flattert als bewegtes Beiwerk nach beiden Seiten hoch, so dass ihr Körper entblößt wird. Die Dramatik ist zusätzlich gesteigert durch die Allusion auf die dämonisierten Tierreiter, welche die Skulptur des Pilgerwegs bevölkern und in den vollplastischen Löwenreiterinnen auf den Chorapsidendächern Santiagos gipfeln. Längs über den Leib des sich anschließenden Schützenkentauren (Bild 45) aus gestrecktem, den Rahmen überspringenden Galopp zum Schuss zurückgewendet wie der Ismael am Tympanon des Cordero-Portals (Bild 120a),123 spannt sich eine mächtige Schlange, die rechts hinter seinem Kopf wieder auftaucht.124 Zwei weitere Schlangen überkreuzen sich zwischen seinen Vorder123 124

Zu den negativen Konnotationen Ismaels vgl. John Williams: Generationes Abrahae. Reconquest Iconography in Leon, in: Gesta 16/2 (1977), S. 3–14, hier v. a. S. 7ff. Der Schützenkentaur mit Schlangen steht in der großformatigen Skulptur singulär. Die offenbar einzige nachantike Skulptur, in der auf – allerdings miniaturhaften – Elfenbeinleisten ebenfalls Kentauren von Schlangen umwunden werden und gegen diese kämpfen, scheint die Kathedra Petri des Vatikan zu sein. Zu diesem mutmaßlichen hölzernen Petersthron mit karolingischen Herkulesdarstellungen und seinen sehr antikischen, besiedelten Akanthusranken als Elfenbeinverkleidung aus der Metzer Elfenbeinwerkstatt Karls des Kahlen vgl. Florentine Mütherich: Der Elfenbeinschmuck des Thrones, in: La cattedra lignea di S. Pietro in Vaticano. Quattro studi di M. Maccarrone (Memorie/Pontificia Accademia Romana di Archeologia 10,1971), Appendice III, Rom 1971, S. 253–273, hier v. a. S. 260 sowie Tafel XIV,1 und XV,2.

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läufen und scheinen ihn zu Fall bringen zu wollen. Ein wahres Gespinst aus Schlangen windet sich über den Körper des Kentaurenschützen, der mit seinen in schlangenartigen Wülsten fallenden Haaren selbst wie ein Gorgoneion anmutet. Dass die Leser des elften Jahrhunderts sich ein plastisches Bild des schlangenumflorten Hauptes der Gorgo machen konnten, verdankt sich der Stelle im achten Buch der Etymologiae, das von der christlichen Religion und Götterglauben der Antike handelt: „Auf deren [der Göttin Minerva, ST] Brust ist daher ein Gorgonenhaupt gemalt, weil dort alle Klugheit ist, welche andere verwirrt und als unerfahren und aus Stein bestehend erweist. Dieses sehen wir auch auf den alten Statuen der Kaiser in der Mitte des Brustpanzers, wegen der durch sie symbolisierten Weisheit und Tugend.“125 Faszinierend erscheint wiederum, dass Isidor die schreckeneinflößende Gorgo als Symbol der Klugheit und Tugend positiv definiert. Zugleich gibt der spätantike Bischof dem Leser mit seiner präzisen Bildinterpretation eine Anleitung zum Verständnis römischer Kaiserstatuen an die Hand (und damit vielleicht auch eine indirekte Aufforderung zur Schonung vor ikonoklastischen Übergriffen). Die Kaiserstatuen waren mit ihren aus den Brustharnischen wie Kopfgeburten herauswachsenden Gorgonenhäuptern, wie es beispielsweise auch der sogenannte „Augustus von Primaporta“ als bekannteste Panzerstatue dieses Typs zeigt,126 aufgrund dieses Irritationsmomentes in mittelalterlichen Bilderstürmen ein bevorzugtes Angriffsziel. Ungleich berühmter müsste in der Forschung zur mittelalterlichen Antikenrezeption allerdings Isidors Bemerkung zu den Gorgonen in Buch XI zu den Monstra und Mischwesen sein: „Die Gorgonen aber waren Dirnen mit Haaren aus Schlangen, die diejenigen, die sie anblickten in Steine verwandelten, welche ein Auge hatten, das sie abwechselnd benutzten. Es waren aber drei Schwestern von einmaliger Schönheit, gleichsam eines Auges, welche die, die sie betrachteten, so starr machten, dass sie glaubten, sich in Steine zu verwandeln.“127 Obwohl er sie als Dirnen diskreditiert, hebt er doch ihre einmalige Schönheit hervor, die jeden erstarren lässt, der sie ansieht. Damit liegt hier die Fortsetzung der Platonischen Sehtheorie eben nicht mit anderen – christlichen – Mitteln, sondern grundsätzlich unverändert vor. Rechts auf den bewegten Schützen folgt hingegen der zu keiner Regung mehr fähige Scorpio (Bild 46). Paralysiert wird er durch eine sich in Serpentinen um seinen geschuppten Panzer windende Schlange, die sich in seinen Hals verbissen hat. Der Stachel des Skorpions wie der Schlangenschwanz überschneiden ineinander verwunden den rahmenden Ring. Dass der an gleich sieben Stellen 125 126 127

Etym. VIII,11,73. Die in der Villa seiner Gattin Livia bei Primaporta nördlich von Rom gefundene Statue des Augustus aus Marmor ist mit ihrer Höhe von 2,04 Metern überlebensgroß und befindet sich heute in den Vatikanischen Museen in Rom. Etym. XI,3,29.

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Bild 46 León, San Isidoro, Puerta del Cordero, Zodiacusmetope: Scorpio.

aufgeführte Skorpion von Isidor trotz seiner Gliedmaßen zu den Schlangen gezählt und mit seinem Giftstachel als sehr gefährlich beschrieben wird, schützt ihn offenkundig nicht davor, von seinesgleichen bekämpft zu werden. Während die sechs Wintersternzeichen links über dem Portal sich einer wahren

Bild 47

León, San Isidoro, Puerta del Cordero, Zodiacusmetope: Leo.

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Invasion von Schlangen erwehren müssen, kämpft von den rechts anschließenden Sommerzeichen scheinbar nur der Löwe gegen Schlangen (Bild 47). Er steht mit seinen vorderen Pranken auf einer leicht schräg stehenden Sockelplatte. Zwischen seinen Hinterläufen windet sich der armdicke Schweif selbst schlangengleich. Mit einer Rückwendung seines Hauptes reißt er an einer Schlange in seinem Maul, die sich quer über seinen Leib spannt und die er mit der hinteren Pranke auf dem Boden fixiert. Durch den heftigen Ruck scheint das gesamte Gefüge inklusive des Standsockels ins Schwanken gekommen zu sein. Eine zweite Schlange windet sich bereits in gefahrvoller Nähe zu seinem Kopf unter einem Stein in der rechten oberen Ecke der Reliefplatte. In der gegenüberliegenden Ecke findet sich überraschenderweise eine Kröte, die anders als Leo nicht zu den Sternzeichen zählt. Isoliert und in Verbindung mit einer Löwen-Darstellung kann diese hier kaum als Begleitung des Lasters Luxuria verstanden werden. Die Lösung für diese ungewöhnliche Kombination bietet wiederum Isidor. Er berichtet von einer gefährlichen Schlange, welche die Gestalt einer Kröte hat und deshalb nach dem griechischen Wort ‚Batrachos’ für Frosch ‚Botrax’ genannt würde: „Botrax dicta quod ranae habet faciem, nam graeci ranam βάτραχον vocant.“128 Diese Isidorstelle wurde vielleicht auch deshalb wörtlich umgesetzt, weil den Künstler die List der beschriebenen Schlange gereizt hat, sich heimtückisch als ihr potentielles Fressopfer auszugeben. In jedem Fall kämpft der im Profil in voller Breite gegebene Löwe als Wappentier der gleichnamigen Stadt wie auch des Königreiches León nicht gegen Frösche, sondern gegen ernstzunehmende Gegner wie schon der Tympanon-Löwe von Jaca gegen den aus der Ecke schnellenden Basilisken. Der Sockel unter seinen 128

Etym. XII,4,36. Dieselbe Kombination von Schlange und Kröte findet sich auch auf dem sogenannten ‚Tapiz de la Creación’, einem vermutlich von Ende des elften Jahrhunderts stammenden Bildteppich mit der Darstellung des Siebentagewerkes sowie des Jahreskreises mit den Monaten (heute im Kathedralmuseum von Gerona): Die Verkörperung des Monats März hält eine Schlange und einen Frosch in ihren Händen. Manuel Antonio Castiñeiras González konnte in seinem exzellenten Artikel über den prägenden Einfluss der Etymologiae auf Kalenderdarstellungen im Mittelalter nicht nur nachweisen, dass die Personifikationen der Monate in den Panteónfresken Leóns von Isidors Beschreibungen inspiriert sind; er fand auch für die außergewöhnliche Kombination von Schlange und Frosch auf dem aus dem elften Jahrhundert stammenden ‚Tapiz de la Creación’, einem Teppich mit GenesisDarstellungen, eine Quelle, welche die fortdauernde Autorität der isidorianischen Schlangen-Klassifikation belegt: „MARTIVS EDVCIT SERPENTES, ALITE[R?] GAVDET“, übersetzt etwa: „Der März treibt die Schlangen heraus, ein anderer freut sich“ – auf dem Teppich trägt die Verkörperung des März Schlange und Frosch gleichermaßen als ‚Schlangen’ herbei, was einen rechts daneben stehenden Storch erfreut; vgl. Manuel Castiñeiras González: Las fuentes antiguas en el menologio medieval hispano. La pervivencia literaria e iconográfica de las Etimologías de Isidoro y del Calendario de Filócalo, in: Boletín del Museo Arqueológico Nacional 7 (1994), S. 77–100, hier S. 90.

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Bild 48 León, San Isidoro, Puerta del Cordero, Zodiacusmetope: Cancer.

Vordepranken dient seiner Auszeichnung. Da sich diese nobilitierenden SockelPlatten auch auf dem Tympanon unter dem Zodiakus finden, um dort den Stammvater Abraham, den eingreifenden Engel und Sarah gegenüber dem sockellosen Ismael und seiner Mutter Hagar hervorzuheben,129 zeigt einmal mehr, dass die Metopen und das von derselben Bildhauerwerkstatt stammende Tympanon konzeptuell zusammen für die Bildwand des Südportals gefertigt wurden. Die Behauptung einer nachträglichen Versetzung der Metopen von einer der Apsiden an die Puerta del Cordero lässt die auffälligen stilistischen und motivischen Verbindungen zwischen Metopen und Tympanon völlig außer Acht, die mit den Konsolfiguren der Apsiden nicht gegeben sind. Auf das Sternzeichen Leo folgt Cancer für den Monat Juli (Bild 48). Der zitronenförmige sich auf der Platte wölbende Krebs besitzt auf jeder Körperseite drei geweihähnliche Schaufeln, die sich weiter in drei krallenartige Glieder verzweigen. Obwohl auch im León des elften Jahrhunderts bekannt gewesen 129

Diese Aufsockelungen hat Horst Bredekamp darüber hinaus mit der Plinthe verglichen, auf der Ferdinand I. an dem Reliquiar des Heiligen Isidor steht, wodurch der König, verewigt, zu seinem eigenen Denkmal wird. Derartige Tendenzen zur Nobilitierung finden sich bereits auf den bernwardinischen Bronzetüren in Hildesheim, womit diese Reflexionen als Ausweis einer Wallfahrt und „Migration der Formen“ angesehen werden könnten. Vgl. Bredekamp: Spanien als Pilgerland (a. a. O.), S. 66f.

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sein dürfte, dass der Krebs als Schalentier von einem glatten Panzer bedeckt wird, ist seine Oberfläche vollständig mit Schlangenschuppen übersät. Sein Leib läuft am unteren Ende in einer stachelartigen Spitze aus, die den darunter anschließenden kleineren Teil der Reliefplatte überschneidet, der optisch nur durch eine eingetiefte Linie abgegrenzt ist. Ein Fisch, der unterhalb des Krebses im Profil nach links schwimmt, charakterisiert den Cancer zusätzlich als reinen Meeresbewohner. Damit zählt der Krebs wie Aale, Lurche und Wasserschlangen Isidor zufolge zur Familie der Schlangen. Als erstes Resumée lässt sich daher folgern: Während die anthropomorphen Sternzeichen nicht befallen sind und der in León als königliches Wappentier130 besonders positiv konnotierte Löwe erfolgreich gegen die Schlange kämpft, müssen sich Steinbock, Skorpion und Schützenkentaur gegen eine wahre Schlangenflut wehren. Alle drei werden von Isidor, der nahezu das gesamte Wissen des Physiologus in den Etymologiae vereint, zu den Mischwesen gezählt.131 Der Bildhauer unterscheidet in Anlehnung an Isidor innerhalb des antiken Zodiacus zwischen den gefährlichen Mischwesen, die von den hier negativ konnotierten Schlangen angegriffen werden, und den positiven Zeichen, denen kein derartiger Angriff droht. Die Schlange kann aber auch, wie es beim Steinbock (Bild 44) der Fall zu sein scheint, in Körper hineinkriechen und diese zu fremdgesteuerten Werkzeugen des Bösen werden lassen, indem sie beispielsweise anstelle der Wirbelsäule die Körperhaltung und -bewegungen bestimmt. Dies erinnert an die auf dem Boden kriechende Eva des Nordportal-Tympanon von Autun (Bild 13a), die – vom Bösen erfasst, mit dem sie über den Apfel Kontakt hat – selbst mit ihrem ganzen Körper zur am Boden kriechenden Schlange wird.132 Ebenso versuchten bereits auf dem Isidorschrein die sündhaft gewordenen Stammeltern sich schlangengleich herauszuwinden. Diese von allen Kirchenvätern und Theologen im Mittelalter besonders gefürchteten, weil unberechenbaren Metamorphosen von einer Körperform in eine andere oder sogar in unentwirrbare Ran-

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Auf fol. 62v der Handschrift Tumbo A aus Santiago de Compostela wird der in einem oberen Register reitende König Alfonso IX. von León parallelisiert mit einem angreifenden Löwen im unteren Register. Vgl. Serafín Moralejo Álvarez: La iconografía regia en el Reino de León (1157–1230), in: Patrimonio artístico de Galicia y otros estudios. Homenaje al Prof. Dr. Serafín Moralejo Álvarez, hg. v. Ángela Franco Mata, Santiago de Compostela 2004, S. 161–172, hier S. 165, Abb. 1. So bemängelt Isidor beispielsweise bei den Kentauren in Etym. XII,1,44 mit dem kritischen Unterton, mit dem er das Wort permixta gebraucht, die widernatürliche Mischung menschlichen und tierischen Wesens: „Unde et in centauris equorum et hominum natura permixta est.“ Vgl. Werckmeister: Lintel Fragment (a. a. O.), S. 18f.

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kengeflechte waren am eindrücklichsten durch die Schlange zu verbildlichen.133 Wie diese sich durch Häutung stets verwandelt und verjüngt, durch farbliche Mimikry unsichtbar wird sowie durch das fehlende starre Knochengerüst jede nur denkbare Form annehmen kann, konnte sie als das Symbol der Metamorphose und Wandlungsfähigkeit schlechthin dienen.134 Isidors sich über Seiten hinziehende Enumeration der unterschiedlichsten Phänotypen und Arten der Schlange endet mit niemand geringerem als Ovid. Wie bereits am Schluss des Kapitels De transformatis über die mannigfachen Verwandlungen135 zitiert Isidor wörtlich aus Ovids Metamorphosen. Mit explizitem Verweis auf die pythagoräische Herkunft dieses Volksglaubens nennt Isidor das Rückenmark Verstorbener in der schlangenförmig gebogenen Wirbelsäule den Ursprung und die Nährsubstanz aller Schlangen, die sich durch ihre Häutungen zudem ständig verwandelten: „Pythagoras dicit de medulla hominis mortui, quae in spina est, serpentem creari, quod etiam Ovidius in Metamorphoseorum libris commemorat dicens: Sunt qui cum clauso putrefacta est spina sepulchro mutari credunt humanas angue medullas.“136 Etwa: „Pythagoras sagt vom Mark eines toten Menschen, welches im Rückgrat ist, würden Schlangen geschaffen, was auch Ovid in den Metamorphosen mitteilt, indem er sagt (15, 398): Es gibt einige, die glauben, dass, wenn das Rückgrat im geschlossenen Grab verfault ist, das Mark des Menschen in eine Schlange verwandelt wird.“137 Die Metopen am Hauptportal San Isidoros dienten dazu, die Pilger bereits beim Eintreten in die Kirche auf das Schlangenmotiv zu konditionieren. Eine ähnliche Konzentration von Schlangen am Haupteingang findet sich beispielsweise an den Hildesheimer Bronzetüren, an denen der durch die Schlange verursachte Sündenfall und seine Konsequenzen deutlich gezeigt werden, oder auf den 133 134

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Zu der theologisch begründeten Furcht vor Metamorphosen umfassend Caroline Walker Bynum, Metamorphosis and Identity, New York 2005, S. 48ff. Diese Merkmale sowie eine von Isidor immer wieder verwundert beschriebene, für das Auge nicht nachvollziehbare Fortbewegungsweise aus sich selbst heraus verschaffen der Schlange laut Warburg die höchste „phobische Potenz“ aller Lebewesen, vgl. Warburg: Schlangenritual (a. a. O.), S. 55. Etym. XI,3,4. Etym. XII,4,48. Diese Ovid-Stelle ist zugleich der bisher nicht erkannte Ursprung der hinter dem Rücken in unsichtbarer innerer Metamorphose natternzersetzten Wirbelsäule des Fürst Welt gotischer Portale und wird nach einer weiteren Häutung zur Grundlage des durchwurmten „Ersten Körpers“ des Königs hochmittelalterlicher Transi-Gräber.

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Bild 49 León, San Isidoro, Langhaus-Südseite, Fensterkapitell: Laokoonschlange.

ebenfalls aus dem elften Jahrhundert stammenden Augsburger Bronzetüren, an denen als schlangenreichstem Portal des Mittelalters nicht weniger als fünf Schlangen über die Türflügel kriechen, was in dieser Massierung ihre Funktion als apotropäische Türwächter deutlich werden lässt.138 Wie ein schützender Gürtel legen sich auch in San Isidoro de León um die Portale und Fenster als besonders gefährdete Stellen für das Eindringen von Dämonen Kapitelle mit Schlangen als Apotropaia, die ihresgleichen in endund ausweglose Schlangengespinste und in Kämpfe verwickeln sollten. Eine endlos scheinende Schlange (Bild 49) im rechten, stark verwitterten Gewändekapitell des Fensters östlich des Cordero-Portals fesselt in planund qualvollen Windungen drei Menschen und legt kunstvolle Knoten über die Körper ihrer Opfer. Deren Muskeln sind bis zum äußersten gespannt, die psychische Spannung dieses Aufbäumens im Todeskampf ist greifbar. Die sich an der Ecke mit einem Arm am Kapitellring festklammernde menschliche Gestalt blickt dem Betrachter entgegen, während ihn die muskulös gespannten Schlangenranken ins Kapitellinnere zu ziehen scheinen und ihm ein Schlangenkopf direkt in die Brust beißt. Schon Jurgis Baltrusaitis leitete den Ursprung der zu höchster Raffinesse getriebenen romanischen Rankenkapitelle von solchen

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Vgl. Adolph Goldschmidt: Die deutschen Bronzetüren des Frühen Mittelalters, Marburg/L. 1926, S. 34f.

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mit Schlangenknäueln ab.139 Fast unweigerlich weckt die Darstellung dreier von Schlangen umwundener Körper aber auch Assoziationen an die Laokoongruppe. Als die antike Skulpturengruppe am 14. Januar des Jahres 1506 entdeckt wurde, wussten die meisten an der Antike interessierten Künstler auch ohne diese vollkommene Kristallisation schon von der dramatischen Erdrosselung durch Schlangen über Vergils Aeneis, die in plastischen Bildern auch immer umgesetzt wurde.140 Will man in León nicht von einer direkten Buchmalereivorlage mit Laokoonmotivik ausgehen,141 wäre bei der Vielzahl von Vergil-Zitaten Isidors über Troja, Aeneas und Anchises sowie erdrosselnde Schlangen ein visueller Überschuss,142 der den Text durch das suggestive Bild von Schlangenknäueln noch zu steigern vermag, nicht abwegig. Bisher selten als Inspiration in Betracht gezogen, bieten hingegen auch etliche der erhaltenen und dem Mittelalter durchaus bekannten Mithras-Großreliefs freie Interpretationen des verzweifelten Ringens mit den Schlangen. So zeigt auf einem marmornen Mithrasaltar des zweiten Jahrhunderts nach Christus aus Rom das Relieffeld (Bild 50), das den linken oberen Abschluss eines narrativen Rahmens um das zentrale Geschehen der rituellen Tötung des Mithras-Stiers bildet, den Priester Laokoon groß in der Mitte (Bild 50a).143 Die kleiner gegebenen Söhne, die direkt vor den Vater gerückt sind, nehmen das charakteristische Kniemotiv des stiertötenden Mithras auf. Sie zeigen darüber hinaus noch expressivere Befreiungsgesten als es bei der Vatikanischen Gruppe der Fall ist. Diese ungemeine Freiheit der

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Vgl. Jurgis Baltrusaitis: Das phantastische Mittelalter. Antike und exotische Elemente der Kunst der Gotik, Berlin 1985, S. 137. Zum spätantik-mittelalterlichen Überleben der Laokoon-Gruppe in Text und Bild vgl. Richard Brilliant: My Laocoön. Alternative Claims in the Interpretation of Artworks, Berkeley/Los Angeles 2000, S. 13f., und den Ausst.-Kat.: Laocoonte. Alle origini dei Musei Vaticani. Quinto Centenario dei Musei Vaticani, 1506–2006, Musei Vaticani Rom, hg. v. Francesco Buranelli/Arnold Nesselrath, Rom 2006, v. a. S. 67ff. Eine solche Laokoondarstellung hat Adolph Goldschmidt in einer Vergilhandschrift des 14. Jahrhunderts (Cod. Vat. Lat 2761) untersucht; vgl. Adolph Goldschmidt: Das Nachleben der antiken Formen im Mittelalter, in: Vorträge der Bibliothek Warburg 1921–22, S. 40–50, hier S. 42. Der Etymologie-Forscher Anders Piltz hat diesen Phantasieüberschuss, der durch Isidors plastische Beschreibungen nahezu automatisch erzeugt wird, folgendermaßen charakterisiert: „Hand in Hand mit dem etymologischen Interesse ging die Vorstellung, dass eine notwendige Verbindung zwischen den Bezeichnungen und dem Wesen der Dinge existiere. Die Lektüre des Isidorus regte natürlich in allerhöchstem Grade die Phantasie an und mußte bei einem Leser, dem keine andere Wissensquelle zur Verfügung stand, eine starke intellektuelle Neugier hinsichtlich der dunklen Zusammenhänge zwischen Wirklichkeit und Sprache ausgelöst haben.“ Vgl. Anders Piltz: Die gelehrte Welt des Mittelalters, Köln und Wien 1982, S. 19. Mithrasrelief mit Dedikation des Apronianus an Mithras, Museo Nazionale Romano – Museo delle Terme, 2. Jahrhundert n. Chr. Vgl. Reinhold Merkelbach: Mithras. Ein persisch-römischer Mysterienkult, Weinheim 1994, S. 322.

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Bild 50 Rom, Museo Nazionale Romano – Museo delle Terme, 2. Jh. n. Chr.: Mithrasopfer. Bild 50a Rom, Museo Nazionale Romano – Museo delle Terme, 2. Jh. n. Chr.: Laokoon.

Mithras-Laokoonszene, die keine Rücksicht auf eine klassisch ausgewogene Komposition nehmen musste, die vielmehr mit dem sich eventuell befreienden Laokoon-Sohn auf der linken Seite vielleicht sogar einen imaginativen Hoffnungshorizont eröffnet,144 ist erst wieder auf einem Kapitell im Kircheninne144

Derartige künstlerische Uminterpretationen der existenzialistischen Marmorgruppe zu einem offeneren Ausgang hat Lynn Catterson im Hinblick auf Michelangelo untersucht, vgl. Lynn Catterson: Michelangelo’s Laocoön, in: Artibus et Historiae 52,26 (2005), S. 29–56.

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Bild 50b León, San Isidoro, Nördliches Langhaus, Kapitellstirnseite: Vögel in Ranken. Bild 50c León, San Isidoro, Nördliches Langhaus, linke Kapitellschmalseite: Rankenkampf. Bild 50d León, San Isidoro, Nördliches Langhaus, rechte Kapitellschmalseite: Rankenkampf.

ren von San Isidoro erreicht. Am vierten Langhauspfeiler von Westen gewahrt man auf der Stirnseite zuerst nur zwei in schlangenartigen Ranken verfangene Vögel (Bild 50b). Beim Umrunden des Kapitells zeigt sich auf der rechten Schmalseite ein nackter Jüngling (Bild 50d), der sich aus den mit einem aggressiven Eigenleben versehenen Ranken zu befreien sucht. Sein linkes, auf dem Halsring aufstehendes Bein wird knapp unterhalb des Knies von einer stämmigen Ranke in das Kapitellinnere gezogen, so dass sich die Kniescheibe des

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solchermaßen nach hinten verbogenen Beins extrem zergliedert in Form eines Kreises herausdrückt. Der Nackte zieht sein rechtes Bein stark an den Körper, um es aus einer Schlinge aus zwei Ranken herauszuwinden. Die Muskeln der beiden angewinkelten Arme sind in dem Versuch, die von oben auf ihn herabdrückenden Ranken wegzustemmen, stark angespannt. Der Kopf mit gequältem Gesichtsausdruck ist wie bei einem athletischen Anspannen der Muskeln stark nach hinten genommen, so dass sich die Halspartie mit der Schlagader herausdrückt. Auch auf der linken Schmalseite ist ein Schlangenrankenringer zu sehen (Bild 50c), der hingegen mit seiner konzertierten Befreiungsaktion einen Schritt weiter ist. Sein rechtes Bein versucht mit Anstrengung sich von einer unter seinem Fuß züngelnden Ranke abzustoßen, zugleich die fleischigen Ranken über seinem linken Oberschenkel abzustreifen; seine rechte ausgestreckte Hand drückt eine sich in Blüten auffächernde Ranke über seinem Kopf weg, während die andere Hand bereits wie triumphierend über die wohl erfolgreiche Befreiung oben an die ebenfalls aktivierte Kapitellvolute rührt. Vor allem aber sind die schmerzhaft verzerrten Züge sowie der zum stummen Schrei geöffnete Mund der antiken Laokoongruppen einer entspannten Mimik gewichen. Damit setzt sich der Bildhauer des Leoneser Kapitells gleich zweifach souverän über die in ihrer anscheinenden Unübertrefflichkeit für Künstler oft entmutigende Antike hinweg. Er aktiviert nicht nur die Schlangenranken, sondern ermächtigt auch den in und mit ihnen Ringenden, wodurch er ihn aus einem anspruchslosen Deutungskorsett befreit. Darüber hinaus gibt er hier bereits im elften Jahrhundert den Gesichtszügen persönlichen Ausdruck, der beredt genug ist, um einer sehr frühen Psychologisierung der genau beobachteten physiognomischen Details zu entsprechen.145 Den vielfältigen Ausdrucksnuancen des Schmerzes in der Laokoongruppe sind seit Johann Joachim Winckelmann und Gotthold Ephraim Lessing Hunderte von Abhandlungen gewidmet worden, ebenso der Monumentalisierung von Emotion seit der Entdeckung der Gruppe im Jahr 1506. Dass der Bildhauer des elften Jahrhunderts die Keckheit besitzt, den ihm entweder literarisch oder bildlich vertrauten Stoff kreativ in Besitz zu nehmen, gar mit einem vielleicht positivem Ausgang zu versehen, zeigt einmal mehr die ungekannte Freiheit dieser Ausnahmesituation. Auf dem Arkadenkapitell am dritten Pfeiler des südlichen Seitenschiffs liegt je eine Schlange friedlich über den Oberschenkeln zweier an den Kapitellecken kauernder Nackter (Bild 51), kriecht unter dem anderen hindurch und wird wie ein Szepter des Bösen je zur Kapitellschmalseite hin zeichenhaft nach oben gehalten. Dort züngelt ihr Kopf gegen ein Monster mit ausladenden Vogelkrallen, das sich mit beiden Armen zu wehren versucht. Die zutraulichen, kei145

Dazu beispielsweise die ausführliche Bibliographie in Ausst.-Kat.: Laocoonte (a. a. O.).

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nesfalls strangulierenden Schlangen markieren die Nackten als Agenten des Bösen. Aufgrund der glatten, schuppenlosen Haut der Tiere wollte Beverly Ann Orr in ihnen große Würmer erkennen, die bei Isidor jedoch auch zu den Schlangen zählen.146 Vielmehr handelt es sich bei der stilistisch zu den jüngsten Kapitellen gehörenden Darstellung um eine Tendenz zur Glättung und Prallheit der Oberflächen als um eine Differenzierung zwischen Würmern und Schlangen. In der Kapitellmitte steigert ein Armbrustspanner (Bild 139) zwischen den beiden Kauernden die unheildrohende Atmosphäre zusätzlich, da Bolzen und Pfeile in jedem Fall todbringend waren und den Betrachter an die Darstellung des Ismael mit seinem auf das Gotteslamm zielenden Pfeil und Bogen im Tympanon des eben durchschrittenen Corderoportals erinnern konnten (Bild 120a). Zudem wurden im Mittelalter Pfeile häufig mit den nicht weniger tödlichen Giftschlangen gleichgesetzt – expressis verbis wie auch visuell beispielsweise im Stuttgarter Psalter auf Folio 107r (Bild 21d) –, was direkt in die spätmittelalterliche Ikonographie der Pest- und Syphilispfeile mündet.147 Ähnlich gelassen nimmt das Kriechen einer Schlange um ihren Arm (Bild 51a) eine Frau auf der dem Fenster zugewandten Seite des linken inneren Fensterkapitells der Nordapsis von San Isidoro. Das rechte Handgelenk, das die Schlange scheinbar genüsslich langsam umwindet, bleibt von Stoff unbedeckt, weil der Ärmelsaum durch die Geste des Aufstützens des Kopfes auf den vertikal gehaltenen Arm nach unten gerutscht ist. Diese, seit der Antike mit der Melancholia verbundene Geste des Kopfaufstützens wie auch eine Besonderheit des Gewandes zeigen Francisco Prado-Vilar zufolge an, dass die Figur aus einer abgewandelten Erinnye des Orestessarkophages gebildet ist.148 Es handelt sich um diejenige aus der Gruppe der drei schlafenden Erinnyen des linken 146 147

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Orr: Sculptural Program (a. a. O.), S. 145. Ein einziges Mal zieht Orr im Fall des Armbrustspanners eine Stelle der Etymologiae heran. Nach Etym. VII,11,80 könnte hier Amor-Cupido dargestellt sein, der bei Isidor als pfeilbewehrter „daemon fornicationis“, als Dämon der Unzucht, in jugendlicher Gestalt wegen seiner leichtsinnigen Dummheit und Irrationalität verdammt wird; vgl. Orr: Sculptural Program (a. a. O.), S. 214. In den Nackten des Kapitells müssten dann aufgrund der Schlangen allgemein Verführte wie Adam und Eva gesehen werden, eine antik-mittelalterliche Verknüpfung zwischen Amor und Sünde, die in Isidors moralischer Verdammung des Gottes Amor-Cupido zumindest angelegt ist. Auf einem stark verwitterten Außenkapitell der Südapsis winden sich ebenfalls Schlangen über und unter die Oberschenkel nackter Frauen, allerdings ohne einen Armbrustspanner. Die Rezeption der Geste der kauernden Furie hat bereits Prado-Vilar erkannt. Ihm entging aber durch die Vernachlässigung der Schlange am Handgelenk der Kapitellfigur wie auch der lagernden Erinnye in Delphi eine mögliche Intention des Zitats, über die er keine Worte verliert. Vgl. Francisco Prado-Vilar: Lacrimae rerum. San Isidoro de León y la memoria del padre, in: Goya 328 (2009), S. 195–221, hier S. 201.

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Bild 51

León, San Isidoro, Südliches Langhaus, Kapitell: Nackte und Schlange.

Bild 51a

León, San Isidoro, Nordapsis-Inneres, Kapitell: Erinnye mit Schlange.

Sarkophagendes, die mit ihrem Gesicht in der Fülle des gerafften Tuches geradezu versinkt (Bild 6). Dieses Vergraben des Gesichtes konnte ohne Kenntnis der Orestie durchaus als melancholischer Trauergestus aufgefasst worden sein. Sowohl auf dem Sarkophag als auch auf dem Kapitell quillt dabei jeweils ein kleiner, doch markanter Gewandüberschuss in Form eines Halbkreises über die zur Faust geballten Hand. Die Schlange als Attribut indes fehlt der kauernden Erinnye. Diese und der rechtwinklig vor den Körper genommene Arm der Kapitellfigur sowie der in das verlorene Profil gedrehte, gleichzeitig leicht gesenkte Kopf hingegen entstammen der am rechten Sarkophagende lagernden Erinnye, die beim Lauern auf Orestes am Dreifuß des Apollo-Heiligtums in Delphi eingeschlafen ist. Ein wesentliches Indiz für die These eines Konglomerats beider Erinnyen ist ein Sarkophagzitat, das ein bezeichnendes Licht auf die stupende Genauigkeit der Beobachtung im elften Jahrhundert wirft: Durch sein geradezu faustisches Erforschen des Sarkophages hat der Bildhauer entdeckt, dass eine weitere Schlange sich um den ausgestreckten linken Arm der lagernden Furie windet, die selbst für heutige Beschreiber der Sarkophags in den tief eingeschnittenen Falten des Furiengewandes meist unsichtbar blieb. Die fast überdeutliche Rautung der Schlange auf dem Kapitell mag demnach ebenso eine stolze Kennzeichnung und Markierung der Trouvaille sein wie der kantig aufstehende Schopf der Frau über ihren auffällig schlangenhaften Haarsträhnen, der prima vista wie ein unbearbeiterter Teil der Abakus wirkt: Beides findet sich nahezu identisch bei der lagernden Erinnye wieder, so dass es sich als zweiter, einflussreicher Teil der Neuschöpfung des Bildhauers zu erkennen gibt.

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Bild 51b León, San Isidoro, Südliches Langhaus, Kapitell: Nackte mit Schlangen.

Drei Schwestern scheint die Erinnye auf einem Kapitell im Außenbereich an der Südapsis gefunden zu haben (Bild 51b). Obwohl das Kapitell durch Witterungseinflüsse stark abgesandet ist und die Köpfe der drei auf fleischigen Blättern Hockenden heute fehlen, sind doch bei der an der linken Kapitellecke sitzenden Nackten noch zwei Schlangen zu erkennen, die über die rechte Schulter und über den linken Oberschenkel kriechen. Da die Figur hockt und keinerlei Anstalten zeigt, sich der Schlange zu entledigen, scheint hier erneut die Tradition der schlangenbeschwörenden Luxuria aufgegriffen zu sein. Eine derartige Massierung von drei hockenden Luxuria-Darstellungen mit kriechenden Schlangen in monumentaler Kapitellgröße findet sich jedoch am gesamten Pilgerweg kein zweites Mal. Eine der turbulentesten Darstellungen der gesamten Pilgerwegsskulptur hingegen findet sich am rechten Gewändekapitell des dem Kreuzgang zugewandten Nordportals von San Isidoro (Bild 52).149 Hier erkennt man einen Nackten vornüber gebeugt im Profil150, der den Hals eines aus dem Kapitellinneren heraustretenden Löwen berührt. Die eingeduckte Haltung und die

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Für eine Datierung und Rekonstruktion des zerstörten Nordportal-Tympanon vgl. Therese Martin: Una reconstrucción hipotética de la portada norte de la Real Colegiata de San Isidoro, León, in: Archivo español de arte 81/324 (2008), S. 357–378, hier v. a. S. 358f. Im Kern handelt es sich auch bei dieser kauernden Figur um den Diener des Orestessarkophages, vgl. Prado-Vilar: Lacrimae rerum (a. a. O.), S. 10.

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Bild 52

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León, San Isidoro, Nordportal, linke Kapitellseite: Schlangenhalter.

Bild 52a León, San Isidoro, Nordportal, Kapitellstirnseite: Schlangenhalter.

Gestaltung der Augen ähneln dem dämonischen Löwenreiter aus Frómista.151 Hinter und von ihm teils überschnitten steht eine nackte Frau mit ausgestelltem rechten Bein und abgeknicktem linken (Bild 52a). Sie hält mit beiden Händen wie die Erinnye des Husillos-Sarkophages eine Schlange, die sich entlang des gesamten Körpers des Kauernden windet und unter dem Eckzapfen mit ihrem Kopf auf einen zweiten Schlangenkopf trifft. Diese Schlange dringt aus dem weit aufgerissenen Maul eines Raubtierkopfes unterhalb der Volute der linken Kapitellseite (Bild 52). Eine dritte Schlange mit auffallend tauartiger Oberflächenstruktur ist bereits weiter aus dem Schlund hervorgekrochen und wird mit beiden Händen von einem Mann in Toga als Schlinge um den Hals des Löwen gelegt, um diesen zu würgen. Der Schlangenwürger kommt als Dreiviertelfigur aus dem Halsring hervor, während ein weiterer Raubtierkopf noch über seiner rechten Schulter aus dem Kapitellinneren dringt. Das komplexe Verweben aller Figuren mit- und untereinander macht dieses Kapitell zu einer dramatischen Quintessenz der Pilgerwegskulptur. Besonders augenfällig wird dies im Überkreuzen der Beine des nackten Kauernden und des Schlangenhalters 151

Es handelt sich um das Scheidbogenkapitell des dritten südlichen Pfeilers; Beschreibung und Abbildung bei Horst Bredekamp: Wallfahrt als Versuchung – San Martin de Frómista, in: Kunstgeschichte – aber wie?, hg. v. Clemens Fruh u. a., Berlin 1989, S. 221–258, hier S. 243f.

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LEÓN – SCHLANGENRITUALE DER ANTIKE

Bild 53 León, San Isidoro, linkes Chorsüdwandnischenkapitell: Adler mit Uroboros.

in Form des Frómista-X (Bild 5) sowie im brachialen Nach-unten-Reißen der aus dem Raubtiermaul dringenden Schlange als Fesselstrick, wobei selbst der schlangenspeiende Höllenschlund durch die Vehemenz des Rucks zur Seite gerissen wird. Zugleich greift der Bildhauer aber auch auf Motive des Kapitells des Panteón-Obergeschosses zurück (Bild 40), weil beide Schlangenköpfe wie eine Krone des Bösen gleichsam rituell über den Kopf des gewürgten Löwen gehalten werden wie im Panteón-Kapitell über dem Haupt des Verschlungenen. Im Innern der Kirche sind als Relikt des in spätgotischer Form erweiterten Chores zwei aus dem elften Jahrhundert stammende Nischen auf der Chornord- und Südseite umbaut. Die erhaltenen vier Chornischen-Kapitelle zeigen überwiegend Mischwesen der Antike wie Sphingen,152 Harpyien153 und Chimären,154 die alle plastisch von Isidor beschrieben werden. Als Apotropaia sollten die dämonisierten Mischwesen den besonders schutzbedürftigen Bereich um den Altar sichern, da die Dämonen sich selbst untereinander feindselig sind und sich gleichsam in internen Kämpfen neutralisieren.155 Das linke Kapitell der südlichen Chornische (Bild 53) zeigt einen Raubvogel mit ausge152 153 154 155

Etym. XII,2,32. Etym. XII,7,27ff. Etym. XI,3,36. Vgl. Bredekamp: Wallfahrt als Versuchung (a. a. O.), S. 223f.

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breiteten Schwingen und um den Halsring gekrallten, übergroßen scharfen Fängen. Um seinen Hals bildet eine Schlange einen perfekten Ring, indem sie sich selbst in den Leib beißt und damit das antike Symbol der Unendlichkeit, den Uroboros zitiert.156 Isidor beschreibt zudem, dass sich die Amphisbaena kreisförmig kontrahiert, um sich fortzubewegen.157 Der nach unten hängende Schwanz wird zugleich durch den linken Fang des Raubvogels am Kapitellring fixiert, wodurch eines der häufig in der Pilgerwegsskulptur zu beobachtenden Überkreuzungsmotive dämonisierter Wesen entsteht. Die metallene Statik des Schlangenring-Uroboros steht in scharfem Gegensatz zum bewegten Schwanz der Schlange und bildet eine Art Amulett des Bösen um deren Hals. Ähnlich wie bei den Sternkreiszeichen verschonen hier Schlangen diese dämonisierten Tiere und Mischwesen nicht, sondern bekämpfen sich untereinander in heillosem und – wie der Schlangenring-Uroboros anzeigt – potentiell endlosem Zwist. Mit diesem gleichsam antiken Schillern zwischen einem apotropäischem Einsatz der Schlange als phobischem Zeichen und Schlangenritualen mit Schlangenträgern wie dem Aquarius oder den Dämonisierten, die Reptilien über ihre Körper kriechen lassen, wurde Isidor als spätantiker Autorität auf dem Gebiet der Schlangen in seiner Patroziniumskirche von Künstlerseite ein angemessenes Denkmal geschaffen.

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Sa nt iago – D ie Sc h la nge a ls Wa f fe u nd Sc h rec ken

Die Blicklenkung läuft bei allen sechs Säulen des ehemaligen Nordportals (Bild 3a) ungewöhnlicherweise nicht von unten nach oben, sondern in die umgekehrte Richtung, was durch die Ausrichtung nahezu aller Figuren nach rechts sowie der Abfolge und Verzahnung der Schilderung gesteuert wird. Damit wird deutlich, dass sich die Säulen mit ihrem eindrücklichen Bildprogramm nicht in einem moralisch-didaktischen Sinn aus niederen Gefilden abgehoben in himmlische Sphären schrauben.158 Vielmehr wird bei einer einzurechnenden ursprünglichen Aufsockelung der Säulen im Nordportalzusammenhang der Rundfries knapp unter Augenhöhe des Betrachters geendet haben, so dass der Pilger diese 156

157 158

Kronos-Saturn als antike Gottheit der Zeit, der die Jahre als seine Kinder verschlingt und sich so in endlosem Kreislauf erneuert, wird von Isidor in gleich vier Absätzen besonders ausführlich beschrieben, vgl. Etym. VIII,11,30–33. Für die genaue Ableitung der Quellen vgl. Katherine N. MacFarlane: Isidore of Seville on the Pagan Gods (Origines 7.11), in: Transactions of the American Philosophical Society 70/3 (1980), S. 3–40, hier S. 17f. „[…] currens ex utroque capite, tractu corporis circulato“ (Etym. XII,4,20). Es wird dabei überraschenderweise auf jegliche sich aufstaffelnde Hierarchie von unten nach oben verzichtet, vgl. Martin Warnke: Bau und Überbau. Soziologie der mittelalterlichen Architektur nach den Schriftquellen, Frankfurt a. M. 1979.

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SANTIAGO – DIE SCHLANGE ALS WAFFE UND SCHRECKEN

antikische Welt mit ihrer plastischen Bildsprache direkt vor Augen hatte. Vielen Pilgerberichten zufolge wurde der feierliche Einzug in die Kathedrale häufig in der Blauen Stunde oder bei Einbruch der Dunkelheit vollzogen, um das festliche Gepräge noch zu steigern. Angesichts der sechs sich windenden Steinsäulen von Santiago konnte sich bei dem mittelalterlichen Betrachter damit im Schein von Fackeln leicht der Eindruck überdimensionierter, zu unheimlichen Leben erwachter Schlangen einstellen. Der Ursprung dieser antikischen Columnae serpentinatae liegt offenkundig in den Schlangensäulen der Antike, von denen die aus dem Hippodrom von Konstantinopel stammende (Bild 54), wie aus bronzenen Strängen gedrehte und in ehedem drei Schlangenköpfen endende nur die monumentalste unter den erhaltenen Schlangensäulen ist.159 Im Altertum als Apotropaia aufgestellt, sollten sie nicht nur Übel in Form realer Schlangenplagen von der Stadt abwenden, sondern in ihrer Doppelfunktion in den Tempeln des Heilgottes Serapis und seiner Gehilfin Hygieia sowie beispielsweise an Vergnügungsstätten wie dem Hippodrom Glück spenden. Dass es für eine Wiederaufnahme dieser bildhaften Columnae serpentinatae nicht unbedingt eines direkten Referenzobjektes auf spanischem Boden bedurfte, war der bildhaften Beschreibung der antiken Triumphsäulen im Kapitel mit der Ableitung des Begriffs monumenta von memoria in den Etymologiae Isidors zu verdanken: „[…] Daher kam es, dass über den Leichnamen entweder Pyramiden entstanden oder riesige Säulen aufgerichtet wurden.“160

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Für die über vier Meter hohe oströmische Schlangensäule aus Bronze, also dem Material, dem in der Antike die stärkste apotropäische Wirkkraft zugeschrieben wurde, vgl. Finbarr Barry Flood: Image Against Nature. Spolia as Apotropaia in Byzantium and the d a¯ r al-Isl a¯ m, in: The Medieval History Journal 9,1 (2006), S. 143–166; Sarah Guberti Bassett: Antiquities in the Hippodrome of Constantinople, in: Dumbarton Oaks Papers 45 (1991), S. 87–96, sowie Thomas F. Madden: The Serpent Column of Delphi in Constantinople. Placement, Purposes, and Mutilations, in: Byzantine and Modern Greek Studies 16 (1992), S. 111–145. Etym. XV,11,4. Des weiteren Etym. XV,11,1–3: „Monumenta wurden daher zur Erinnerung und Ermahnung des Geistes so genannt. Der tumulus (Grabhügel) wird gleichsam wie tumens tellus (schwellende Erde) benannt. Sarcophagus (wörtl.: Fleischfresser) ist ein griechisches Wort, weil darin die Körper aufgenommen werden; σαρξ heißt nämlich griechisch Fleisch, φαγειν essen. 3. Mausoleen sind Begräbnisstätten bzw. Denkmäler von Königen, benannt nach König Mausolus von Ägypten. Denn als dieser verstorben war, ließ seine Ehefrau eine Grabstätte von wunderbarer Größe und Schönheit erbauen, so dass bis heute alle wertvollen Denkmäler nach seinem Namen als Mausoleen bezeichnet werden.“ Von Isidors Beschreibung der Pyramiden wie auch der gigantischen gewundenen Triumphsäulen Roms, von ihm „Cochlea“ genannt, leiten sich darüber hinaus Ulrich Ernst zufolge auch viele der pyramidalen und geometrisierten Figurengedichte des Mittelalters ab. Vgl. Ulrich Ernst: Intermedialität im europäischen Kulturzusammenhang. Beiträge zur

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.I SEHEN – SCHLANGEN

Bild 54 Istanbul, Hippodrom von Konstantinopel: Schlangensäule. Bild 55 Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule VI: Gesamtansicht.

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SANTIAGO – DIE SCHLANGE ALS WAFFE UND SCHRECKEN

Ohne allzu große Phantasieanstrengung konnte nach Isidors Beschreibungen der gewundenen Triumphsäulen in Rom von einem Bildhauer eine sich in Schlangenwindungen emporschraubende Säule imaginiert werden. Auch heute noch erzeugen die im Museum aus dem ursprünglichen Portalkontext isolierten Marmorsäulen (Bild 3a) den Eindruck verlebendigter Bewegung. Selbst der antikengesättigte Johann Joachim Winckelmann bewunderte angesichts der subtil konturierten Entasis zweier aus Granit gefertigter Monumentalsäulen in Rom ihre „zierliche Verfertigung“.161 Um wieviel mehr muss bei den Marmorsäulen die scheinbar aus dem Inneren des Steines dringende peristaltische Bewegung innerhalb eines notwendigerweise klarer geometrisch strukturierten architektonischen Portalrahmens den mittelalterlichen Besucher beunruhigt haben (Bild 55). Diese Verunsicherung durch die nicht nachvollziehbare Fortbewegung der Schlange ohne Arme und Beine, also wie die Marmorsäulen ohne weitere Verzweigungen, zieht sich durch das gesamte Altertum.162 Einen ersten Höhepunkt vor Aby Warburg findet das Befremden über die kryptische Bewegungsweise wiederum bei Isidor von Sevilla: „Coluber (Schlange, Natter) wird deswegen so genannt, […] weil sie in schlüpfrigen (lubricus) Bahnen mit kurvigen Bögen gleitet. […] 3. Serpens (Schlange) aber hat den Namen erhalten, weil sie sich in verborgenen Annäherungen heranschlängelt (serpere), [und] nicht offen durch Schritte, sondern in kleinen Stemmbewegungen ihrer Schuppen kriecht.“163 Dass diese Säulen tatsächlich belebt sind, erweist der genauere Blick, bei dem sich in jeder Windung ein wimmelnder Mikrokosmos aus Pflanzenwelt und sie besiedelnder Figuren offenbart. Auf der sechsten Säule ist zudem zwei Mal der planvolle Einsatz der Schlange als Waffe formuliert. Eine Gestalt, die mit ihren breit gerillten Haarsträhnen, die sich eigenmotorisch wie aus einem Nest kriechende Schlangen nach oben winden, stark an die Erinnyen des Orestessarkophages erinnert, reitet mit angewinkelten Beinen auf einem bocks-

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Theorie und Geschichte der visuellen Lyrik (Allgemeine Literaturwissenschaft – Wuppertaler Schriften 4), Berlin 2002, S. 148–150. Die feinsinnige Beobachtung Winckelmanns kommentiert bei Carl Justi: Winckelmann und seine Zeitgenossen, Bd. 3, Leipzig 31923, S. 206. Ein Aufsatz eines Sammelbandes zu Warburgs Schlangenritual-Buch, der von einer kurzen Bemerkung über die erstaunliche „Geschwindigkeit ohne Füße u[nd] Hände“ in dessen schlangenhautbezogenem Zettelkasten angeregt wurde, widmet sich inzwischen ausführlich den Serpentinen der enigmatischen reptilischen Bewegung. Vgl. Spyros Papapetros: „ohne Füße und Hände“. Historiographische Bemerkungen über die unorganische Bewegung der Schlangen von Phylo von Byblos bis Aby Warburg, in: Schlangenritual. Der Transfer der Wissensformen vom Tsu’ti’kive der Hopi bis zu Aby Warburgs Kreuzlinger Vortrag, hg. v. Cora Bender/Thomas Hensel/Erhard Schüttpelz, Berlin 2007, S. 217–266, hier v. a. S. 221ff. Etym. XII,4,2–3.

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.I SEHEN – SCHLANGEN

Bild 56 Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule VI: Bockreiterin mit Schlange.

artigen Tier (Bild 56). Das rasante Tempo des Ritts äußert sich sowohl in den abstehenden Schlangenhaaren und dem über ihre massige Schulter und fleischigen Oberarm in weitem Schwung nach hinten ziehenden Mantel, als auch in der Jockeyhaltung ihres stark nach vorne gebeugten Oberkörpers und dem gestreckten Galopp des Bocks mit eng an den Leib angelegten Vorder- und Hinterläufen. Mit beiden Händen hält sie eine sich windende Schlange wie eine Waffe gepackt, mit der sie auf einen vor ihr am Boden knieenden Ritter im Kettenhemd zustößt. Dass diese furchteinflößende Erinnye über die Schlangenhaare und die Schlangenwaffe in ihrer Hand hinaus dämonisch wirkt, liegt nicht zuletzt an dem Wesen, das sie direkt hinter ihrer Schulter ebenfalls pfeilschnell zu begleiten scheint. Mit seinem Raubtierkopf im Nacken der Furie schnellt es mit gespreizten Pranken nach vorne; aus zwei deutlich abgesetzten Wülsten auf dem Kopf wachsen ihm gebogene und gerillte Hörner, der Leib endet in Flügeln beziehungsweise schneckt sich in einer schlangenartigen Volute ein, die im äußersten Zwickel der Säulenwindung endet. Da das Maul des dämonischen Mischwesens nicht geöffnet ist, scheint es die Erinnye trotz des unmittelbaren Kontaktes mit ihrer Schulter nicht zu beißen. Dennoch befeinden sich Dämonen im Glauben des Mittelalters permanent gegenseitig, so dass die den Ritter mit der Schlange bedrohende Furie selbst im nächsten Moment von dem Dämon in ihrem Nacken angegangen werden könnte. Warum der

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SANTIAGO – DIE SCHLANGE ALS WAFFE UND SCHRECKEN

Ritter am Boden kauert (Bild 57), erschließt sich im Umschreiten der Säule: In einem chaotischen Durcheinander von Leibern liegt sein Reittier im Zentrum der Szene auf dem Rücken. Durch den Sturz kopfüber ist der Steigbügel auf die Flanke des Pferdes geklappt. Aus der rechten oberen Ecke der Säulenwindung schießt ein Raubvogel mit ausgebreiteten Schwingen herab (Bild 57a), der seinen scharfen Schnabel augenscheinlich mit voller Wucht in den rechten Vorderlauf des gestürzten Pferdes rammt, während sein kammartig gegebener linker Fang den rechten Hinterlauf des Pferdes umkrallt. Fast spiegelbildlich hackt ein Vogel mit auffällig prallem Brustgefieder in die vordere Flanke des Reittieres. Ein dritter, aus der rechten unteren Ecke dringender Vogel beißt mit widernatürlich um die Achse nach oben verdrehtem Kopf in den Schweif des Rosses. Alle drei dämonischen Vögel sowie das Pferd sind von tangartigen Ranken eingewoben, die sich im Fall des Raubvogels rechts oben sogar über die Flügel legen. Unter dem mit dem Bauch nach oben liegenden Pferd befindet sich kein fester Boden, auf dem es aufruht, sondern eine sich aufgabelnde Ranke. Diese wird durch das Gewicht des Pferdes jedoch nicht gestaucht. Das gestürzte Ross scheint vor dem an nur wenigen Stellen zu sehenden Reliefgrund zu schweben. Die Lösung für dieses Rätsel bietet ein Raubkatzenkopf, der nach rechts gekippt körperlos unter dem Pferdeschweif zu treiben scheint (Bild 57b). Weil die Leiber aller anderen Tiere trotz zahlreicher Überschneidungen vollständig zu sehen sind, ist es wahrscheinlich, dass der Rest des Körpers unterhalb des Raubkatzenkopfes unter die Wasseroberfläche getaucht ist. Es muss sich bei der Szenerie daher um eine sintflutartige Überschwemmung handeln, in der das Pferd tot mit dem Bauch und die Raubkatze mit dem Kopf inklusive leerer toter Augen nach oben treiben, während aasfressende Vögel sich bereits über den Pferdekörper hermachen (Bild 57c), wobei sie sich in Tang verheddern. Der auf festem Boden knieende Ritter betrachtet das traurige Schauspiel offensichtlich von einem Ufer aus. Damit wird augenfällig, dass der Bildhauer zwar übereinstimmend mit Erwin Panofskys „Disjunktionsprinzip“ dem nackten Schwertkämpfer des Orestessarkophages eine zeitgenössische Rüstung des elften Jahrhunderts angelegt hat, dass er aber zugleich den Gehalt der zentralen Sarkophagszene genau erfasst hat. Ein Heros wird hier wie dort von einer dämonischen Macht mit Schlangenhaaren und Schlangenwaffe bedroht, wobei die Schlange als Symbol der Ursünde darüber hinaus als Verursacherin der Sintflut auf der Säule angesehen werden kann, respektive für den Sündenfall verantwortlich zeichnet, gegen den der adamitische Nackte des Sarkophages verzweifelt anzukämpfen scheint. Wie in Jaca und León gesehen, schmiegt sich die bedrohende Schlange in immer neue narrative Kontexte ein. Weil die Schlange reine, im Grunde abstrakte Form ist, vermag sie als Inbegriff der Wandlungsfähigkeit jeden denkbaren Inhalt – positiv wie negativ – zu adaptieren und zu verkörpern. Wie ein

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.I SEHEN – SCHLANGEN

Bild 57 Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule VI: Schlangenhalterin und Ritter.

Bild 57a Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule VI, Detail: Sintflut.

Bild 57b Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule VI, Detail: Sintflut.

Bild 57c Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule VI, Detail: Sintflut.

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SANTIAGO – DIE SCHLANGE ALS WAFFE UND SCHRECKEN

Bild 58 Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule VI, Detail: Sirene mit Schlange. Bild 58a Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule VI, Detail: Adler und Schlange.

Fetisch oder Zauberstab gehalten, kann sie selbst den Urheber von Katastrophen wie der Sintflut glaubwürdig verkörpern. Die vorgeschlagene Deutung der sechsten Säule als Darstellung einer gleichsam über die Säulenwindungen nach unten rauschenden Sintflut erhält eine Ebene tiefer weitere Nahrung: Dort ist ein Meerweibchen mit geschupptem Fischschwanz (Bild 58) in die Säulenwindung eingeschrieben. Der Körper der Sirene beschreibt annähernd die Form eines sehr plastischen Schlangenring-Uroboros, indem sie ihren Schwanz mit den Armen eng an den Oberkörper heranzieht. Das in sich verdrillte, drahtig wirkende Haar steht wiederum wie ein Gorgoneion-Schlangenhaupt wild in alle Richtungen ab. Die Sirenen, denen als Mischwesen aus Mensch und Fisch bereits bei Isidor dämonische Kräfte zugeschrieben werden, sind aber auch hier vor Angriffen von Ihresgleichen nicht gefeit. Unvermittelt aus dem obskuren Nichts des Säulenanfangs tretend, beugt sich ein schlangenartig gekrümmter Dämon mit weit ausladenden Büffelhörnern, monströsen Henkelohren, wulstigen Lippen, fürchtenswert muskulösen Ober- und Unterschenkeln sowie spinnrigen scharfen Raubvogelkrallen nach vorne zu der Sirene. Als Ausweis seiner

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.I SEHEN – SCHLANGEN

Bild 58b München, Bayerische Staatsbibliothek, Valerianus-Evangeliar, 7. Jh., Cod. lat. 6224, fol. 82v: Adler und Schlange.

Dämonie ist auch er in Ranken verfangen, die quer über seinen Leib sowie den Oberschenkel ziehen, wobei er sich angesichts der Riefelung seines Rückens selbst in eine Ranke zu verwandeln scheint. Mit der rechten Hand umgreift er gerade noch das Schwanzende einer schier endlosen Schlange, die über die rechte Schulter des Meerweibchens und unter dessen Achsel kriecht, mit ihrem breiten Leib auf der Flanke und dem Rücken der Sirene eine Schlaufe bildet, unter deren rechten Ellenbogen über den Fischschwanz zieht, um vor dem hochgezogenen Sirenenschwanz mit aufgestelltem Kopf wieder aufzutauchen. Aus ihrem weit gespreizten Maul speit sie als einzige der zahlreichen Schlangen am Pilgerweg eine Ranke nach oben. Eine Säulenwindung darunter schießt ein

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SANTIAGO – DIE SCHLANGE ALS WAFFE UND SCHRECKEN

Bild 59 Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule V, Detail: Mann mit Uroboros.

Adler aus dem Zwickel auf eine Schlange nieder und packt sie mit dem Schnabel (Bild 58a). Bereits in einer der frühesten illuminierten Handschriften überhaupt, dem Valerianus-Evangeliar des frühen siebten Jahrhunderts (Bild 58b),164 krallt sich ein Raubvogel in eine Riesenschlange, die sich am Boden windet. Mit dem Vogel, der die Schlange schlägt, ist hier zudem eine bis in die frühesten künstlerischen Äußerungen auf Höhlenmalereien nachzuweisende Symbolik aufgerufen, die Rudolf Wittkower minutiös nachgezeichnet hat.165 Phanae und Paranotellae, die in der Vorstellung der Antike die Sternzeichen mit perfekten Schlangenlinien untereinander verbanden, damit diese in einen typisch antiken, gesamtnarrativen „rhapsodistischen“ Kontext einge-

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Das aufgrund seines außergewöhnlichen Künstlerbildnisses in einer Crux gemmata nach dem Schreiber benannte Valerianus-Evangeliar von kurz nach dem Jahr 600 (auch als Korbinian-Evangeliar bekannt, Oberitalien(?), München, Bayerische Staatsbibliothek, Cod. lat. 6224, fol. 82v) zeigt auch eine der frühesten Darstellungen des Adlers als Christussymbol, der die mächtige Schlange der Ursünde angeht. Vgl. Rudolf Wittkower: Allegorie und der Wandel der Symbole in Antike und Renaissance, Köln 1984, S. 73. Zu dem Zweikampf zwischen Adler und Schlange in der romanischen Kunst Spaniens ebd., S. 66f.

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Bild 60

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Berlin, Staatsbibliothek, Sakramentar, Ms. theol. lat. 192: Allegorie des Jahres.

woben waren, können als eine Art Satzzeichen der Sternenkunde gelten. Ein Schlangenring-Halter der fünften Säule (Bild 59) nimmt diese astronomische Zeitmetapher auf. In der untersten Zone der Säule ist er mit orestisch gespreizten Beinen in ein dichtes Rankengeflecht eingesponnen. Hinter seinem Kopf läuft ein schräg aufgestellter Flügel parallel entlang des die Säulenkehlung rahmenden Wulstes. Mit der Linken hat er einen Vogel gepackt und drückt ihn fest

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SANTIAGO – DIE SCHLANGE ALS WAFFE UND SCHRECKEN

an seine Brust. Der Vogel wiederum krallt sich mit seinen Fängen in die breitlappige Ranke, die wie eine Stoffsschärpe über die blanke Brust des Mannes zieht. Mit seiner Rechten hält er einen Schlangenring-Uroboros mit Blüte im Kreis, dessen Rillen-Musterung von keinem Schlangenhaupt unterbrochen durchzulaufen scheint, was das Perpetuierungsmotiv der Zeit noch verstärken würde. Das Echo des Schlangenrings mit Riefen auf dem ehemaligen Kreuzgangkapitell der Kathedrale von Jaca (Bild 30), das heute in der Santiago-Kirche gezeigt wird, hallt nach Santiago herüber. Am Beispiel des berühmten Kalenderblattes des zehnten Jahrhunderts aus einem nur fragmentarisch erhaltenen Sakramentar in der Handschriftenabteilung der Berliner Staatsbibliothek (Bild 60)166 lässt sich die Bedeutung der Schlangen als in diesem Fall narrative Zeichen klar erkennen: Wie in Benvenuto Cellinis disegno eines Emblems für die Florentiner Akademie von 1564 die Uroboros-Schlange aufgeknäuelt zu einem merkantilen „&“ erscheint,167 das partiell additiv werden kann, ohne seine potentielle Unendlichkeitsfähigkeit zu verlieren, nehmen sie hier als Ranke, Schlinge oder kalligraphisches Zeichen jede denkbare Form an. Von den anthropomorphen Verkörperungen der vier Jahreszeiten wie Schläuche gehalten und weitergeleitet, verknüpfen sie die zu beiden Seiten in Arkaden eingestellten Monatsdarstellungen untereinander. Erst ganz am Ende der Verschlingungen offenbart sich angesichts der von der im Zentrum des Blattes mit dem Uroboros in der Rechten thronenden Personifikation des Jahres, ANNUS, in der Linken gehaltenen Kopfverdickung mit gespaltener Zunge ihre Schlangennatur.

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Einzelblatt aus einem Sakramentar, Berlin, Staatsbibliothek, Ms. theol. lat. 192, Titelblatt eines Kalenders mit Allegorien des Jahres. Vgl. Ausst.-Kat.: Vor dem Jahr 1000. Abendländische Buchkunst zur Zeit der Kaiserin Theophanu, SchnütgenMuseum Köln, hg. v. Anton von Euw, Köln 1991, Abb. 67. Vgl. Bredekamp: Denkende Hände (a. a. O.), S. 22.

II. PONDERIEREN – V E S T I B U L Ä R E N AC K T H E I T

Obwohl dem Menschen angeboren und überlebenswichtig, ist der Vestibuläre Sinn erst seit knapp 150 Jahren als wissenschaftlich belegt unter die Sinne aufgenommen. Der Begriff leitet sich von dem lateinischen Wort vestibulum für (Vor-)Raum ab. Gemeint ist damit jene multisensuale Erweiterung des Gleichgewichts- und Schwerkraftsinns, der jedem Körperteil bis in die Spitzen unablässig seine Stellung im Raum und sein Verhältnis zu diesem mitteilt. Ohne den Vestibulärsinn würde der menschliche Körper mit seiner durch den aufrechten Gang bedingten ungünstigen Kegelform permanent straucheln.1 Mit diesem Sinn erst vermag der Mensch im Grunde unmögliche motorische Leistungen wie Hochsprung über die eigene Körperhöhe hinaus oder akrobatische Mehrfachüberschläge mit anschließend punktgenauer Landung zu vollbringen. Zwar hat der Vestibuläre Sinn, der blitzschnelle Verarbeitung riesiger Mengen an Information erfordert, sein Zentrum überwiegend im Gehirn; er entsteht aber aus einem Zusammenspiel mehrerer Sinne wie dem Gleichgewichtsorgan im Ohr oder den zahllosen Sensoren an den Fingerspitzen, die noch kleinste Luftzüge oder Temperaturveränderungen im Raum registrieren und melden. Seit langem wird vermutet, dass die Existenz eines solchen Vestibulärsinns bereits den Ärzten der Antike bewusst war, ohne dass dies in den fragmentarisch überlieferten medizinischen Handschriften des Hippokrates oder Galens nachzuweisen war. Ein überraschend deutlicher Beleg findet sich bei Isidor von Sevilla. Schon in seinem Einführungssatz zum Tastsinn im elften Buch der Etymologiae betont er die multisensuale Verteilung des Sinnes auf alle Glieder: „Der Tastsinn (tactus) [heißt so], weil er überall einwirkt (pertractare) und berührt (tangere) und die Kraft des Sinnes durch alle Glieder verteilt.“ Dann aber folgt der ungeheuerliche Satz: „Es gibt aber zwei Arten des Tastsinnes: denn entweder kommt er von außen, weil [uns etwas] trifft, oder er entsteht im Innern 1

Jan Stahle (Hg.): The Vestibular System. Fundamental and Clinical Observations (Acta oto-lyryngologica 406), Stockholm 1984.

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II. PONDERIEREN – VESTIBULÄRE NACKTHEIT

des Körpers selbst.“ 2 Ein Orientierungssinn, der räumliche Abstände abschätzt, dem Gehirn pfeilschnell meldet sowie motorische Reaktionen vorwegnimmt, agiert parallel und unabhängig von externen taktilen Reizen aus dem Inneren des Körpers heraus. Für die raumgreifende Kunstgattung Skulptur ist daher ein hochentwickelter Vestibulärer Sinn mit Abstand die wichtigste Voraussetzung.3 Der Bildhauer muss sich intrinsisch in seine Figur hineinfühlen können, sie in ihren körperlichen Entfaltungen und Grenzen bis in die kapillaren Verzweigungen spüren. Bis heute wird Michelangelos maßgebliche Metapher von der figura, die aus dem Marmorblock herauszuschälen sei, völlig falsch verstanden. Es geht nicht darum, ein bereits im Geiste vorhandenes festgefügtes Bild wie aus einem Bastelbogen auszuschneiden, indem lediglich noch das störende Material zu beseitigen ist. Der Weg zur Skulptur verläuft gerade nicht von außen nach innen, sondern von innen nach außen, weil die Körperkonturen der Figur mittels des Vestibulären Sinns aus ihrem Inneren heraus wahrgenommen werden müssen. Ein außergewöhnlich feinnerviger Skulpteur wie Michelangelo, der in die Figur geradezu hineinzuschlüpfen vermag, spürt auch noch die kleinsten Regungen des keinesfalls fertig auskristallisierten Körpers im Block. Dieses hochentwickelte vestibuläre Gespür für das Ausloten der Grenzen von Skulptur im Raum ist ein entscheidender Grund für die Lebendigkeit von Michelangelos Prigioni. Diese räkeln sich stets von Neuem aus dem Jahrhunderte langen Schlaf im Stein, der sie durch das Non-finito wie eine Decke umgibt. Dabei müssen die Figuren fast notwendigerweise nackt sein, damit die Schlüssigkeit der integral aufeinander bezogenen Körperteile wie bei einer Gliederpuppe nachvollzogen werden kann.

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Fróm ist a u nd Jac a – Nac k te A mbivalen zen

Die überwiegend nackten Protagonisten des Orestessarkophags (Bild 6) vollführen jedenfalls jede nur denkbare Drehung im Raum. Das vestibuläre Raumgefühl der ihn rezipierenden Bildhauer konnte sich daher an diesem Schulungsobjekt geradezu ideal ausbilden. Beim tastend vorsichtigen Übersteigen der schlafenden Erinnye am rechten Sarkophagrand etwa (Bild 61) balanciert Orestes traumhaft sicher wie ein Equilibrist mit dem Standbein in dem schmalen Raum zwischen ihrem rechten angewinkelten Arm und einer kleinen Einbuchtung ihrer Hüfte. Seinen noch hinter dem Körper der Furie verharrenden 2 3

Etym. XI,1,23. Dazu jüngst ausführlich seitens der Klassischen Archäologie Wolfgang von Wangenheim: Ponderation. Über das Verhältnis von Skulptur und Schwerkraft, Berlin 2010.

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FRÓMISTA UND JACA – NACKTE AMBIVALENZEN

Bild 61 Madrid, Museo Arqueológico Nacional, Orestessarkophag, Detail: Orestes in Delphi.

linken Fuß zieht er behutsam wie aus einer Schlinge heraus, während der ins Profil gedrehte Rechte mit dem grotesk überlängten großen Zeh sich – schlangenhaft durchgebogen – vorzutasten scheint. Obwohl die Erinnye am Boden in sich zusammengesunken schläft, zieht ihre rechte Hand das Gewand an der Hüfte leicht zurück, wodurch sich eine Tunikaschlinge für den haltsuchenden Fuß Orests öffnet. Sein rechter Arm mit der heute fehlenden Hand sowie sein Oberkörper sind stark nach vorne geneigt; die athletische Bauchmuskulatur staucht sich dadurch dynamisch. Dabei geht der linke, gerade ausgestreckte Arm ausgleichend nach hinten. Das über den Arm geworfene Manteltuch

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II. PONDERIEREN – VESTIBULÄRE NACKTHEIT

Bild 62 Madrid, Museo Arqueológico Nacional, Orestessarkophag, Detail: Orestes.

Orests scheint gerade noch ausreichend Gegengewicht zu geben, um die Balance zu halten. Dennoch wirkt das gesamte Motiv wie ein leichtfüßiges Tänzeln auf einem Drahtseil. Fast gewinnt der Betrachter den Eindruck, der antike Bildhauer habe das ausgefallene Motiv des nächtlichen Überschreitens einer Schlafenden auch deshalb gewählt, um in einer Art Schaustück seinen hochentwickelten Sinn für Körper und Raum in kompliziertesten Überschneidungen zu demonstrieren. Neben dem völlig freigestellten, nur an seinem linken Unterschenkel leicht überschnittenen Orestes in Delphi ist auch das erneute Erscheinen des

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FRÓMISTA UND JACA – NACKTE AMBIVALENZEN

Heroen im Zentrum des Sarkophags durch seine fast vollständige Nacktheit und sein raumgreifend freies Stehen betont. Orestes steht gerade nicht im klassischen Kontrapost (Bild 62). Indem die Knie eine subtil wippende Bewegung anzeigen, federt sein breitbeiniger Stand den extremen Schwung des soeben gegen seine Mutter Klytaimnestra vollzogenen Schwertstreichs ab. Den rechten Schwertarm hält er dabei nicht statisch erhoben, sondern führt ihn horizontal den Oberkörper querend über die linke Schulter in einem weiten Bogen nach hinten. Ausponderierend zieht der Kopf des Heroen hingegen in die entgegengesetzte Richtung. Sein ganzer Körper ist damit aufs Äußerste dynamisiert, um im nächsten Moment wie eine gespannte Feder die gespeicherte Energie erneut in einem gewaltigen Streich freizusetzen. Unter einem die Körperteile und Konturen verschleiernden Manteltuch ließe sich erheblich schlechter erkennen, an welchen Stellen die eingesetzten Kräfte durch die Figur laufen und über die ausgestellten Beine in den Boden abgeleitet werden. Die totale Nacktheit könnte neben der Heroisierung der schwertstreichenden Zentralfigur als offensichtlich furchtloser Kämpfer gegen die Schlangen noch aus einem immanenten künstlerischen Impuls heraus in die Skulptur Jacas, Leóns und Santiagos übernommen worden sein: Die enormen Körperspannungen und kraftvollen Torsionen nach dem Vorbild des Orestessarkophages werden zur wesentlichen Aussage einiger Kapitelle dieser Kirchen. An den Ecken eines Kapitells der südlichen Seitenschiffswand von Jaca am Übergang zur baulich nicht ausgeschiedenen Vierung ringen zwei nackte Männer aus Leibeskräften mit Ranken und Bestien (Bild 63). Die nur mit einer über der Schulter gefibelten Chlamys Bekleideten stemmen sich mit ihren Füßen breitbeinig in den Kapitellring. Auf Höhe ihres Geschlechts läuft quer über den Unterleib eine fleischige Ranke, die sich zur Mitte der Kapitellstirnseite in zwei Lanzettblätter aufgabelt, während das dritte sich weiter verzweigt und die gesamte Kapitellmitte mit einem dichten Geflecht überzieht. Die symmetrischen Ranken werden jeweils von einer Raubkatze unter den Eckvoluten (Bild 63a und 63b) ausgespien. Auch über die Körper der Tiere auf den Schmalseiten des Kapitells knoten sich Ranken. Die Raubkatzen schlagen ihre rechten Pranken mit langen, scharfen Krallen in die Brust der beiden stehenden Nackten und graben sich tief in das Fleisch hinein. Die beiden Männer sind mit dem Oberkörper ebenfalls in ein Geflecht aus Ranken verstrickt. Mit ihren Richtung Kapitellmitte ausgestreckten Armen halten sie je einen Vogel am Schwanzgefieder. Die überlängten Hälse scheinen sich nach oben zu recken und nahtlos in einer Ranke fortzusetzen. Zudem werden sie von den ausladenden Schwanzfedern zweier weiterer Vögel überschnitten, die sich pyramidal in den Ranken auftürmen und ihre Köpfe unter den angeschnittenen Abakus nach außen drücken. Es sind die vor Anstrengung flach aufeinandergepreßten Lippen, besonders aber die auf das Äußerste angespannte Muskulatur der Waden, der Oberschenkel und Oberarme, die anzeigen, dass

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Bild 63

II. PONDERIEREN – VESTIBULÄRE NACKTHEIT

Jaca, San Pedro, Kapitell: Männer in Ranken.

sich die Männer nicht in das Schicksal einer Gefangenschaft in Ranken gefügt haben, sondern dagegen ankämpfen. Neben dem breitbeinig-nackten Stehen enthüllt eine weitere Gemeinsamkeit die Abkunft der beiden Männer vom Husillos-Sarkophag: Wie dort das Unheil in Gestalt der Schlange Orestes bedrohlich nahe kommt, dieser sich dennoch mit jeder Sehne seines athletischen Körpers dagegen auflehnt und kämpft (Bild 62), wehren sich auch die beiden umrankten Männer vehement gegen die sie fesselnden Schlinggewächse. Die Lianen binden die beiden Männer an den Kapitellkanten in schlingernden Windungen laokoonhaft ein.4 Durch den gleichsam schlangenhaften Würgegriff der Ranken wurden diese meist als ein für den Menschen in seiner nackten Verwundbarkeit gefahrbringendes Gespinst gesehen. Dass derartig eigenmotorische Ranken mit Schlangen gleichgesetzt werden konnten, beweist ein Kapitell im Chor der motivisch wie politisch aufs Engste mit der Kathedrale von Jaca verküpften Kirche Santa Maria de Iguácel.5 4 5

Zur Ableitung scheinbar lebender Kapitellrankengeflechte aus Schlangenknäueln vgl. Baltrusaitis: Das phantastische Mittelalter (a. a. O.), S. 137. Grundlegend zu Iguácel ist Fernando Galtier Martí (Hg.): Non meis meritis. Guía y estudio crítico de la ermita de Santa María de Iguácel, Zaragoza 1999.

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FRÓMISTA UND JACA – NACKTE AMBIVALENZEN

Bild 63a Jaca, San Pedro, Kapitell, linke Schmalseite: Mann in Ranken. Bild 63b Jaca, San Pedro, Kapitell, rechte Schmalseite: Mann in Ranken.

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II. PONDERIEREN – VESTIBULÄRE NACKTHEIT

Bild 64

Iguácel, Santa Maria, Chorkapitell: Zwei Männer in Schlangenranken.

Bild 64 a Iguácel, Santa Maria, rechte Kapitellschmalseite: Männer in Schlangenranken.

In der nur etwa sieben Kilometer von Jaca entfernt am Fuß der Pyrenäen gelegenen Saalkirche, die Graf Sancho als Erzieher und zeitweiliger Kanzler des Königs Sancho Ramírez von Aragón der Inschrift zufolge im Jahr 1072 gestiftet hat, kämpfen ebenfalls zwei Nackte gegen Ranken (Bild 64 und 64a). An ihren Enden gehen die flachen Ranken mit breiten Rillen jedoch in Schlangen über – auf Höhe der Ohren der Rankenkämpfer entwächst der Ranke dabei jeweils ein Schlangenkopf (Bild 65), der gegen die Nackten züngelt. Derartige Schlangenranken wie in Iguácel und Jaca konnten damit zu den „unrechten Netzen“ der Dämonen gezählt werden, vor denen beispielsweise der Pilgerführer des Codex Calixtinus, eine Art Baedeker des Jakobswegs von etwa 1134, nachdrücklich warnt.6 Das dichte Rankengeflecht konnte ebenso als Metapher für die Verstrickungen des Lebens dienen. Es erinnert damit an Augustinus’ „silva daemonum“ oder an Pseudo-Hrabanus Maurus’ Beschreibung der Welt als unwegsamer Wald.7 Eine etwaige dämonisierend-moralisierende Aussage über die eingespannten Nackten als Sünder dringt jedoch bei dem Kapitell nicht wirklich durch. Zu offensichtlich ist die Freude des Bildhauers an den in vielen Schichten über- und hintereinander angelegten Kontrasten der fleischigen Ranken mit den 6

7

Vgl. Bredekamp: Wallfahrt als Versuchung (a. a. O.), S. 225. Herbers zufolge könnten diese Verstrickungen „auch eine sexuelle Komponente“ beinhalten, vgl. Herbers: Der Jakobsweg (a. a. O.), S. 73. Für den berühmten Pilgerführer als Cicerone, vgl. Serafín Moralejo Álvarez: The Codex Calixtinus as an Art-Historical Source, in: The Codex Calixtinus and the Shrine of St. James, hg. v. John Williams/Alison Stones, Tübingen 1992, S. 207–223. Vgl. Bredekamp: Wallfahrt als Versuchung (a. a. O.), S. 226.

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FRÓMISTA UND JACA – NACKTE AMBIVALENZEN

Bild 65 Iguácel, Santa Maria, linke Kapitellschmalseite: Verwandlung Ranke in Schlange.

darin eingewobenen nackten Körpern, eine Art Wetteifern zwischen Rankenund Muskelsträngen um die größte Spannkraft und Biegsamkeit.8 Indem der Bildhauer die Körper der zwei nackten Rankenringer um die Kapitellecke zieht, beschreiben insbesondere ihre Oberkörper in sich einen subtilen Bogen. Atlanten gleich sind die beiden Athleten hier anstelle eines vertikalen Tragens in ein horizontales Dehnen verspannt. Seine bis heute anhaltende Fesselungskraft9 hat das Kapitell sicher nicht zuletzt deshalb bewahrt, weil die Anspannung aller Körperglieder im Raum auch hier aus einer inneren Logik des Vestibulären Sinns heraus stringent entwickelt ist. Die dreidimensionalen Vorzüge eines mehrschichtig angelegten Kapitells mit Ranken in á jourTechnik, in die wie auf einer Streckbank gedehnte Arme und Beine eingespannt 8

9

Richard Hamann hat bei den Kapitellen mit menschlichen Körpern in Ranken formanalytisch zurecht betont, dass „sich der Rhythmus der aufkletternden Zweige und Schlingen durch die sich windenden nackten Körper nur noch verstärkt“. Vgl. Richard Hamann: Kunst und Askese, Worms 1987, S. 184. Vgl. beispielsweise die geradezu euphorisierte Beschreibung des Kapitells mit „la fierté de l’attitude“, „la sincérité de nu“ etc. bei Durliat: La sculpture romane (a. a. O.), S. 233f.

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II. PONDERIEREN – VESTIBULÄRE NACKTHEIT

Bild 66 Frómista, San Martín, Westgiebel.

sind, werden hier vom Bildhauer auf das Äußerste ausgereizt. Ohne das herausfordernde und nachzuahmende vestibuläre Vorbild der nackten Sarkophag-Körperlichkeiten wären derartige Spannungsbögen im elften Jahrhundert nicht denkbar gewesen. Die Enthüllung nackter Wahrheiten in Fülle beginnt im nordspanischen San Martin de Frómista, der 1066 von Doña Ma yor gestifteten Klosterkirche am spanischen Jakobsweg. Am Scheitel des Nordquerhausgiebels lässt ein Nackter auf einem restaurierten Konsolstein (Bild 67) dem Betrachter unverhohlen sein überdimensioniertes Geschlecht inklusive Scrotum entgegenbaumeln. Eine steinerne Konsol-Frau zwei Konsolen rechts von ihm (Bild 68) präsentiert, der männlichen Figur in nichts nachstehend, mit angezogenen Beinen ihre Vulva. Auf einer weiteren figürlichen Konsole der Westportal-Verdachung (Bild 66) wirft sich eine unbekleidete Akrobatin (Bild 69) mit drahtig nach hinten reliefiertem Haar in den Rücken und betont damit die Rundungen ihres Körpers, während an der Hauptapsis der Kirche ein Entkleideter (Bild 70) vermutlich aufgrund seiner Sündhaftigkeit, die attributiv durch die Nacktheit angezeigt wird, von einer Raubkatzenbestie mit dolchartigen Zähnen verschlungen wird. Dies sind nur vier Beispiele aus knapp vierhundert Konsolfiguren an der Kirche San Martin de Frómista, die in praller, vom Orestessarkophag angeregter Körperlichkeit anstößig Nacktes, nach christlicher Lehre damit Sündiges und Dämonisiertes, zur Schau stellen.

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Bild 67 zeiger.

Frómista, San Martín: Phallus-

Bild 68 Frómista, San Martín: Vulvazeigerin.

Bild 69

Frómista, San Martín: Akrobatin.

Bild 70 Frómista, San Martín: Verschlingungsszene.

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II. PONDERIEREN – VESTIBULÄRE NACKTHEIT

Auf dem Pilgerweg nach Santiago de Compostela scheint sich in Bezug auf Nacktheit für den undifferenzierten Blick die einfache Formel, nackt gleich obszön und dämonisch – bekleidet gleich sittsam und christlich, zu bestätigen: Entblößte Bösewichte jeder Art, in ihrer ganzen Sündhaftigkeit enthüllt zum Zwecke der steten Mahnung für die Zehntausenden Pilger jährlich,10 stehen züchtig verhüllten Heiligen und Tugendhaften scheinbar diametral gegenüber. Doch bereits bei der brückeschlagenden Nacktakrobatin (Bild 69) kommen selbst dem heutigen Betrachter erhebliche Zweifel, ob hier nicht die Feier makelloser Schönheit durch den Künstler bei einem mit Bildern unterversorgten Pilger des elften Jahrhunderts den gegenteiligen Effekt einer vorgeschriebenen Mahnung gehabt haben wird. Ein dichotomisches Schwarz-Weiß ohne Differenzierungen trifft daher überraschenderweise gerade in der Pilgerwegsskulptur meist nicht zu. Am südlichen Chorbogenkapitell (Bild 5), dem liturgisch herausgehobensten Ort der Kirche, sind weitere Nackte bewegt in Szene gesetzt. Unter dem Schwertkämpfer der Stirnseite liegt eine Frau am Boden und bugsiert eine Schlange in gefahrvolle Nähe seines ungeschützten Geschlechtes. Zusammen mit der Frau zu seiner Rechten bildet der Schlangenkämpfer mittig ein Paar, das gegen diese Bedrohung von außen eng zusammengerückt ist, bildlich durch die in Form eines X überkreuzten Beine verdeutlicht. Der Mann versucht, sich die Schlangen mit Schwertstreichen vom Leib zu halten, während die Frau mit beiden Händen eine sprechende Abwehrgeste in deren Richtung zeigt und ihren Kopf abwendet. Im Zentrum des Kapitells steht damit ein Held nach dem Vorbild Orests breitbeinig und als einziger freigestellt in „heroischer Nacktheit“.11 Die zentrale Figur des Orestes auf dem Sarkophag (Bild 62) wurde von dem Bildhauer nahezu unverändert und insbesondere mit ihrer gänzlichen Nacktheit übernommen, denn da durch das Fehlen der Sündenfallfrucht auf dem 10

11

Zur nicht hoch genug einzuschätzenden Bedeutung des spanischen Pilgerwegs als Massenphänomen für mittelalterliche Mobilität, gesamteuropäischen Künstler– und Ideenaustausch sowie für politische Umwälzungen des elften Jahrhunderts sind die zahlreichen Forschungen von Klaus Herbers von besonderem Wert, beispielsweise Klaus Herbers: Der Jakobskult des 12. Jahrhunderts und der „Liber Sancti Jacobi“, Wiesbaden 1984, 15ff., sowie Klaus Herbers: Geschichte Spaniens im Mittelalter. Vom Westgotenreich bis zum Ende des 15. Jahrhunderts, Stuttgart 2006. Das grundsätzliche Wallfahrt-Paradoxon besteht darin, dass die Pilger mit immer raffinierteren und drastischeren Schilderungen des Bösen statt des Guten in einer internen Konkurrenz der Pilgerwegskirchen um die reicheren Gaben affiziert wurden. Der Effekt davon war, dass am Pilgerweg früher als in der übrigen europäischen Skulptur noch aus der Zeit des Bilderstreits nachhallende Bedenken gegen monumentale und lebensnahe Plastik überwunden wurden, vgl. Bredekamp: Wallfahrt als Versuchung (a. a. O.), S. 223ff. Für das Konzept der heroischen Nacktheit in der Antike vgl. Nikolaus Himmelmann: Ideale Nacktheit, Opladen 1985, v. a. S. 46.

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Relief für mittelalterliche Augen gleichsam eine prälapsale Situation geschildert ist, muss dieser Adam-Orestes seine Nacktheit noch nicht hinter Feigenblättern verbergen. Deutlich zu erkennen ist auch die Motivübernahme im Fall der Frau, denn Klytaimnestras Magd Nodriza beklagt den Mord an ihrer Herrin mit beredter Geste, die anzeigt, dass sie den Anblick der vom eigenen Sohn getöteten Mutter nicht länger ertragen kann. Der Bildhauer des elften Jahrhunderts in Frómista bezieht die Magd im gemeinsamen Erwehren gegen Schlangen also direkt auf den schwertstreichenden Nackten und entkleidet sie im Gegensatz zum Sarkophag konsequenterweise ebenfalls. Selbst aber bei diesem hohes Konfliktpotential bergenden weiblichen Körper hat der Bildhauer in Frómista das antike Proportionsideal eingehalten, dass der Abstand zwischen den Brustwarzen so groß wie der zum Bauchnabel sein solle. Von diesem wiederum liegt regelgemäß dieselbe Distanz bis zur Teilung der Beine. Dieser Abstand entspricht mit einer Kopflänge jenem Maß, das in Statuen der griechischen Klassik insgesamt acht Mal in der Gesamtlänge des Körpers enthalten ist.12 Die antiken Vorstellungen von perfekter Symmetrie, von Gewicht und Gegengewicht, von Ausgewogenheit und messbaren Beziehungen aller Körperteile zueinander sind durch den Bildhauer nicht zufällig durch gedankenloses Kopieren übernommen worden, da er die Eva-Nodriza ohne direkte Vorlage nackt imaginieren musste und dies, in produktiver Konkurrenz mit dem antiken Sarkophag, auch vermochte. Der Marmorfries des Husillos-Sarkophages wurde damit für die Bildhauer des Pilgerwegs im elften Jahrhundert zu einem „Ideen- und Formgeber“13 der Nacktheit in Nordspanien. Ähnlich einer renaissancehaften Schulung an Abgüssen nackter klassischer Antiken führte die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Sarkophag zu immer neuen Zitaten der dort prominenten Nackten.14 Bleibt das Kapitell mit dieser weitestgehenden Rezeption des Sarko12 13 14

Zur Nacktheit in der Kunst und der verbindlichen Orientierung an der Antike unverändert wichtig ist Clark: The Nude (a. a. O.), hier v. a. S. 76ff. Vgl. Bredekamp: Romanische Skulptur (a. a. O.), S. 107. Dass die Präsentation des Sarkophags im Kreuzgang eines Klosters und das ungehemmte Zitieren dieses Stückes „nackte Antike“ keineswegs selbstverständlich war, erweist schon ein Blick in die wechselhafte Rezeptionsgeschichte „nackter Tatsachen“. Auf Phasen relativer Aufgeschlossenheit folgten immer wieder solche der Prüderie. Weil selbst die nur teilweise Entblößung von Aigisths Genital auf dem ebenfalls berühmten Orestessarkophag der Galleria dei Candelabri in Rom dem 19. Jahrhundert unerträglich erschien, wurde Aigisths Gewandsaum aufwendig durch eine Marmoranstückung verlängert, um sein Geschlecht züchtig zu verhüllen, vgl. Bielfeldt: Orestes auf römischen Sarkophagen (a. a. O.), S. 88. Zu der für die Haltung der jeweiligen Zeit gegenüber Nacktheit hochaufschlußreichen Geschichte philisterhafter Verhüllungen vgl. Ausst. Kat.: Das Feige(n)blatt. Milleniumausstellung Glyptothek München, hg. v. Peter Prange/Raimund Wünsche, München 2000.

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Bild 71 Jaca, San Pedro, Südportal, rechtes Gewändekapitell: Abraham und Engel.

phages in San Martín de Frómista aber singulär, so ziehen sich nackte Zitate des antiken Bildwerks in San Pedro de Jaca wie ein roter Faden durch die dortige Kapitellskulptur. Bereits beim Betreten der Kathedrale durch das Südportal drückt sich dem Pilger ein nacktes Geschlecht geradezu in das Auge. Auf dem rechten Gewändekapitell des Portals greift ein Engel dem breitbeinig stehenden Abraham ins Schwert (Bild 71), um auf Gottes Geheiß die Opferung Isaaks in letzter Sekunde zu verhindern, während rechts von Isaak bereits der Widder von seiner Mutter Sarah als Opferersatz auf einem Altar (Bild 72) bereitgehalten wird.15 Obwohl Abrahams mächtiger Oberkörper (Bild 71), wie an den ringförmigen Falten um den Halsausschnitt zu erkennen ist, von einem hauchdünnen Gewand bedeckt ist, wirkt er durch das extrem muskulöse linke Bein und den wie ansatzlos unter dem Tuch herausragenden, unbedeckten linken Arm nackt. 15

Zur großen Bedeutung des bereits während des Isaak-Opfers „präexistenten“ Widders in der spanischen Kunst und zu einer Diskussion von Meyer Schapiros Thesen zur Darstellung des Widders auf dem Lammportal in San Isidoro in León, vgl. Rainer Stichel: Zur Ikonographie der Opferung Isaaks in der romanischen Kunst Spaniens und in der byzantinischen Welt, in: España entre el Mediterráneo y el Atlántico. Actas del XXIII Congreso Internacional de Historia del Arte, Granada 1973, S. 528–535, hier S. 528ff.

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Bild 72 Jaca, San Pedro, Südportal, rechtes Gewändekapitell: Sarah mit Opferwidder.

Seine psychische Angespanntheit äußert sich in dem geschwollen wirkenden Oberarm, der weit mit dem Schwert ausholt. Der Bildhauer von Jaca hat den breitbeinigen, schwertstreichenden Orestes der Husillos-Sarkophagstirnseite in den Abraham des Kapitells verwandelt. An der Kapitellecke jedoch steht der völlig nackte Isaak (Bild 73). Indem Abraham mit Wucht Isaaks Kopf an den Haaren nach hinten reißt, hebt Isaaks linker Fuß von dem Kapitellring ab und scheint kaum mehr Bodenkontakt zu haben. Isaaks Körper wird dabei nach hinten gebogen, womit sein Geschlecht zusätzlich herausgehoben ist. Die Fesselstricke, mit denen seine Arme hinter dem Rücken gebunden sind, legen sich in auffälliger Überkreuzung über den Oberkörper. Durch diese Abschnürungen tritt die Brustmuskulatur umso stärker hervor. Isaaks Nacktheit indes ist im Vergleich zu einer antiken Skulptur mit ihrer Konvention fast, aber nie völlig nackt gezeigter Götter und Heroen, noch gesteigert. Die in der Antike stets gewahrte Balance zwischen Ent- und Verhüllen, wenn auch oft nur mit rudimentären Gewändern im Sinne attributiver Pathosformeln als Ausweis ihrer Göttlichkeit, ist hier offensichtlich aufgehoben.16 Der skandalträchtige, weil im Grunde ebenso priapisch wie die Frómista16

Vermutlich hatte Sauerländer auch diesen dialektischen Gewandgebrauch der Antike zwischen Nacktheit und Verhüllung im Sinn, als er für die psychisch auf das

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Bild 73

Jaca, San Pedro, Südportal, rechtes Gewändekapitell: Isaak.

Konsole gezeigte Isaak von Jaca ist ohne ikonographische Parallele in der christlichen Kunst des Mittelalters. Es zwingt sich daher bei dieser unbekümmerten Nacktheit geradezu der Gedanke an ein antikes Vorbild auf. Hierfür kommt jedoch nicht der kämpfende und nackte Orestes in Betracht, da dessen breitbeiniges Standmotiv, der durch den Schwertstreich stark bewegte Oberkörper und der geneigte Kopf wenig mit der Figur des Isaak gemein haben.17 Als neue These soll hier vorgestellt werden, dass vielmehr der ebenfalls nackte Orestes der von der Forschung bisher kaum beachteten rechten Sarkophag-Schmalseite die Vorlage abgegeben hat. Diese war bei dem mutmaßlichen Aufstellungsort vor einer Wand im Kreuzgang des Klosters Santa Maria de

17

Äußerste aufgeladene Atmosphäre des Isaak-Opfers in Jaca die „dionysische […] Seite der Antike“ für den Bildhauer namhaft machte. Vgl. Willibald Sauerländer: Romanische Monumentalskulptur in Frankreich und Spanien: Teil II. Spanien, in: Kunsthistorische Arbeitsblätter 3.3.1 (2003), S. 5–14, hier S. 9. Moralejo Álvarez beispielsweise als bester Kenner der Jaqueser Skulptur ging von einer Rezeption des kämpfenden Orestes der Sarkophag-Vorderseite aus, vgl. Moralejo Álvarez: Sobre la formación (a. a. O.), S. 429.

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Bild 74 Madrid, Museo Arqueológico Nacional, rechte Sarkophagschmalseite: Verhaftung.

Husillos ebenfalls immer sichtbar.18 Dort wird der hinter dem Rücken mit seinem eigenen, zu Stricken gedrillten Gewand gefesselte Orestes (Bild 74) mit dem Kameraden Pylades vor ihm von einem an den charakteristischen Beinkleidern und der Phrygermütze als Taurer identifizierbaren Bärtigen mit Schwert abgeführt. Der Bildhauer in Jaca hat den Orestes der Sarkophagschmalseite auf dem Kapitell seitenverkehrt gegeben und das Motiv der rückseitigen Armfesselung entlehnt, wodurch die muskulöse Gespanntheit und konvexe Durchbiegung des nackten Körpers in den Raum stark betont wird. Vor allem aber ist hier die Idealfigur des antiken Heros in ihrem kontrapostischen Standmotiv,19 mit ihrer 18

19

Selbst bei genauester Untersuchung des Husillos-Sarkophages in seinem heutigen Zustand im Madrider Museo Arqueológico Nacional finden sich an den Seitenwangen keine Spuren einer mittelalterlichen Vermauerung in der Wand oder andere Mutilierungen durch eine eventuelle Einpassung. Die korrekt erhöhte Standbeinschulter des Isaak erweist zugleich, dass der klassische Kontrapost im elften Jahrhundert nicht verloren war, was bisher kaum Beachtung fand. Vgl. beispielsweise Andreas Bühler: Kontrapost und Kanon. Studien zur Entwicklung der Skulptur in Antike und Renaissance, München/Berlin 2002, v. a.

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charakteristischen Anatomie und selbst dem unbeugsam-stolz wirkenden Blick verblüffend genau kopiert. Bei Orestes wie auch bei Isaak ist die Torsion des weit ausgestellten und überlängten Spielbeins mit dem frontal gegebenen Spann des Fußes auffällig, der auf dem Sarkophag bis an den Rand des schmalen Bodenstegs reicht, bei Isaak den Kapitellring überschneidet. Eine weitere Besonderheit ist, dass Orestes’ Fuß von dem des vorangehenden Pylades optisch derart stark überschnitten wird, als ob dieser zuvor auf ihm gestanden hätte. Isaaks Fuß wiederum steht auf dem Abrahams und überkreuzt diesen. In beiden Fällen scheint kaum räumliche Enge der Grund für dieses bildhauerisch äußerst schwierig zu fertigende Motiv des Aufeinander-Fußens gewesen zu sein.20 Über dem Standbein knickt Isaaks Oberkörper stark ab, da dieser durch Abrahams energischen Zug an seinen Haaren nach hinten gerissen wird, aber die Schulter über dem Standbein ist dennoch höher als diejenige über dem Spielbein. Gleichwohl wirkt diese kugelig heraustretende rechte Schulter merkwürdig unanatomisch und künstlich nach oben gezogen. Vergleicht man sie aber erneut mit dem gefangengenommenen Orestes der Sarkophagschmalseite (Bild 74), wird der Grund augenfällig. Wie der Wächter dort Orestes mit der rechten Hand unter die Achsel greift, um ihn abzuführen und damit zugleich dessen linke Schulter nach oben drückt, so geht der rechte Arm Isaaks wie von der unsichtbaren Wächterhand gezogen, ebenfalls nach oben. Den Bildhauer von Jaca muss diese raffinierte Durchbiegung des nackten Orestes derart fasziniert haben, dass er bei aller sonstigen Genauigkeit der Proportionen dieses widersprüchliche Moment zugunsten der Zitiertreue bewusst in Kauf nahm. Anatomisch ebenso exakt übernommen sind die Ferse und die in ihrer Wadenmuskulatur differenzierten Unterschenkel, die deutlich herausgearbeiteten Kniescheiben sowie das Geschlecht, zu dem zwei durch tiefe Inzisionen gekennzeichnete Genitalfalten hinleiten. Auch der kugelig abgesetzte Bauch mit dem trichterförmig eingetieften Nabel ist zitiert. Das eigentliche Faszinosum stellt indes das atmosphärische Einfangen der Mimik des gefangenen Orestes dar. Anders als der vorausschreitende Pylades, der sich mit gesenktem Haupt und gebrochenem Blick in sein Schicksal zu

20

S. 125ff., mit nur wenigen Beispielen von Übernahmen kontrapostischer Antiken im Mittelalter, gestützt auf Richard Hamann-Mac Leans materialreiche Arbeit zur Antikenrezeption im Mittelalter. Vgl. Richard Hamann-Mac Lean: Antikenstudium in der Kunst des Mittelalters, in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaften 15 (1949/50), S. 157–250. Dieses Fuß-über-Fuß Motiv erscheint derart häufig auf den Kapitellen San Pedro de Jacas wie auch auf dem Orestes-Adam-Kapitell in San Martín de Frómista, dass man von einer gezielten symbolischen Aussage, im Falle von Isaaks Fuß auf dem seines Vaters vielleicht von einer Art Sukzessionsmodell ausgehen darf. Vgl. dazu den Artikel „Fuß-Treten“ von Emil Goldmann in: Hanns Bächtold-Stäubli (Hg.): Handbuch des deutschen Aberglaubens, Berlin 1987, Bd. 3, S. 243.

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Bild 75 Jaca, San Pedro, Westportal, rechtes inneres Gewändekapitell: Gefangennahme.

fügen scheint, hat Orestes den Kopf unbeugsam leicht erhoben und den Blick aus dem Relief heraus gerichtet, wobei sich ein markantes Profil sowie eine kräftig hervortretende Halsmuskulatur abzeichnet. Genau dieses Zusammenspiel aus entschlossen gerecktem Kinn, dem durch die tiefen Nasolabialfalten gerahmten, gefasst wirkenden Zug um den Mund sowie dem fast trotzig den Betrachter fixierenden Blick ist auch vom Bildhauer des Isaak eingefangen, wobei selbst die Halsschlagader entsprechend ausgearbeitet wurde. Dass die Schmalseite des Orestessarkophages nicht vermauert war und die Bildhauer nicht weniger als die Stirnseite faszinierte, belegt ein weiteres Zitat des gefesselten Orestes in Jaca. Auf der Stirnseite des inneren rechten Gewändekapitells am Westportal hält vermutlich der Prophet Daniel den Schlangengott Baal zum Entsetzen der Babylonier triumphierend in die Höhe (Bild 22), während auf der rechten Schmalseite (Bild 75), David L. Simon zufolge, als Konsequenz dieser Entehrung Baals die Rebellion der Babylonier gegen ihren Herrscher zu sehen sei, der diesen Frevel zugelassen hatte. Ein Mann in Tunika unter der Eckvolute ergreift mit seinem linken Arm einen ihm Gegenüberstehenden und hält diesem mit seiner Rechten ein Schwert gegen den Hals.21 Obwohl die 21

Vgl. Simon: Daniel and Habakkuk (a. a. O.), S. 51ff.

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Oberfläche des Kapitells stark abgewittert ist, ist zweifelsfrei zu erkennen, dass der Festgenommene rechts als Rückenfigur gegeben ist, weil die Zehen seines linken Fußes unter dem rechten Fuß des Schwertträgers ins Profil nach links gewendet sind. Wie bei dem gefesselten Orestes der Sarkophagschmalseite drückt sich das Gesäß plastisch heraus, was auf dem Kapitell zusätzlich durch einen konturierenden Gewandschwung betont wird, der den unteren Teil der linken Hinternbacke enthüllt. Ähnlich wie bei Orestes scheinen die Arme des festgenommenen Königs der Babylonier nach Ausweis der verwitterten Reste der Faltenschwünge mit seinem eigenem verdrillten Gewand auf dem Rücken gebunden zu sein. Die Figur des gefesselten Rückenhalbaktes mit der schwellenden Hinternpartie beim Husillos-Sarkophag ist dabei ebenso kunstvoll vestibulär tordiert, wie der Körper des Mannes mit Schwert in Jaca organisch den Schwung der Volute aufnimmt, was durch die wie bei dem Abraham des Isaaksopfer quer über seine Tunika ziehende Schärpe noch verstärkt wird. Der Bildhauer von Jaca rückt die Köpfe der beiden Eckfiguren über dem mächtigen, geschuppten Eckzapfen derart eng zusammen, dass beide sich gleichsam per Augenkontakt über den Fortgang der Kapitellnarration zu verständigen scheinen. Dies erreicht er, indem er die Iris jeweils im Augenwinkel bohrt, womit der Blick dem Gegenüber zugewandt wirkt. Voll innerer Spannung biegt und formt er die Figuren scheinbar nach Belieben, so dass alleine die Sprache der Körper auf dieser Kapitellbühne alles Wesentliche mitzuteilen vermag. Ebenso frappierend ist die räumliche Vorstellungskraft des Bildhauers, mit deren Hilfe der gefesselte Orestes, um seine Achse geschwenkt, in den an der Kapitellecke frontal stehenden Isaak verwandelt wird (Bild 73). Dass derartige, allein in der Imagination vorgenommene Körperdrehungen im Raum die Bildhauer des elften Jahrhunderts anstachelten, bekundet die Sarkophagfigur des Aigisthos, der in Frómista um 180 Grad gedreht als unter dem Orestes-Adam kauernder Schlangenhalter (Bild 5) eingesetzt wurde.22 Neben dieser Drehung bietet der um die Kapitellecke biegende Körper Isaaks eine geradezu antikische Mehransichtigkeit, da der auf das Portal zuschreitende Betrachter den Körper Isaaks zuerst in einer Art verlorenem Profil sieht, um ihn im Fortschreiten en face und zuletzt, kurz vor dem Eintreten in die Kathedrale, in einem Dreiviertelprofil wahrzunehmen. Wenn der Orestes des Sarkophags tatsächlich als „Neuer Adam“ und damit als christusgleicher Kämpfer verstanden wurde, könnte der jugendliche Gefesselte der Sarkophagschmalseite als Isaak sowie der ihn haltende Bärtige als Abraham mit dem Opferschwert aufgefasst worden sein. Die zweifache Dar22

Vgl. Serafín Moralejo Álvarez: La sculpture romane de la cathédrale de Jaca. État des questions, in: Les Cahiers de Saint-Michel de Cuxa 10 (1979), S. 79–106, hier S. 86.

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stellung des vermeintlichen Isaak durch die hintereinander gezeigten Pylades und Orestes bildet wie die dreifache Wiederholung des Orestes auf der Stirnseite des Sarkophages für das Auge des elften Jahrhunderts, das an kontinuierende Erzählungen und Personendopplungen gewöhnt war, keinen Widerspruch, zumal der vordere Isaak-Pylades bereits auf die Vorderseite umzubiegen scheint.23 Eine Kombination aus Adamsszenen und Isaakopfer ist ein häufiges Motiv frühchristlicher Sarkophage. Vor allem aber spricht die direkte Übernahme des Fesselungsmotives für ein mögliches Verständnis der Szene als Isaakopfer. Seine in Genesis 22,9 geschilderte Fesselung betonen die auffällig über Isaaks nackter Brust gekreuzten Stricke,24 die den Opfercharakter unterstreichen, zugleich aber die Nacktheit noch hervorheben. Durch die vollständige Entblößung Isaaks wird bildtheologisch seine Schutzlosigkeit und seine Ausgeliefertheit thematisiert und extrem herausgestellt.25 Aufgrund der hinter dem Rücken unsichtbar aufgebundenen, damit als wirksame Präventionsmöglichkeit fehlenden Arme wirkt Isaaks Körper auf den ersten Blick zusätzlich fragmentiert und versehrt. Bewusst scheint der Jaca-Meister auf das in einer Schlinge über die rechte Schulter Orests fallende Tuch verzichtet zu haben, das auf dem Sarkophag als Fessel dient. Die völlige Nacktheit Isaaks wird hier zugleich im Sinne der durch christusgleiche Opferbereitschaft wiedergewonnenen, paradiesischen Unschuld und Tugend präsentiert und als „Nackte Wahrheit“ allen Verschleierungen des Bösen hinter dämonischen Tüchern am Pilgerweg diametral gegenübergestellt.26 Obwohl der Isaak des Südportals in Jaca als erste 23 24

25 26

Zu unmittelbar benachbarten Simultandarstellungen von Akteuren, vgl. beispielsweise Karl Clausberg: Der Erfurter Codex Aureus in Pommersfelden (Ms 249/2869). Biblische Historie im politischen Gewand?, Wiesbaden 1986, S. 40. Die bildtheologisch eminente Bedeutung der Fesselung Isaaks hat Renate Steiger hervorgehoben, vgl. Renate Steiger: „Mit Jsaac kamst du gebunden …“ Die Isaak– Christus-Typologie in der lutherischen Passionsbetrachtung der Barockzeit – eine auslegungsgeschichtliche Studie, in: Die Opferung Isaaks in den Konfessionen und Medien der Frühen Neuzeit (Arbeiten zur Kirchengeschichte 101), hg. v. Johann Anselm Steiger/Ulrich Heinen, Berlin/New York 2006, S. 545–639, hier S. 555ff. Zu allen ikonographischen Fragen hinsichtlich des Isaakopfers sowie zu weiterführender Literatur vgl. den derzeit umfänglichsten Artikel Ulrich Heinen: Der Schrei Isaaks im „Land des Sehens“. Perspektive als Predigt – Exegese als Medienimpuls. Abrahams Opfer bei Brunelleschi und Ghiberti (1401/1402), in: Die Opferung Isaaks in den Konfessionen und Medien der Frühen Neuzeit (Arbeiten zur Kirchengeschichte 101), hg. v. Johann Anselm Steiger/Ulrich Heinen, Berlin/New York 2006, S. 23–152. Vgl. dazu beispielsweise Hartmut Böhme: Enthüllen und Verhüllen des Körpers in Bibel, Mythos und Kunst (mit besonderer Rücksicht auf Albrecht Dürers „Selbstbildnis als Akt“), in: Paragrana 6,1 (1997), S. 218–247, hier v. a. S. 224ff. Dieses Konzept der „Nackten Wahrheit“ im Mittelalter findet sich wiederum bereits bei Isidor von Sevilla. Er begründet, dass Philosophen und Satiriker nackt gemalt würden, weil sie die Laster enthüllten: „unde et nudi pinguntur, eo quod

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Bild 76 Jaca, San Pedro, Westportal, linkes äußeres Gewändekapitell: Übergabeszene.

Aktdarstellung der nachantiken Skulptur gelten kann und sogar ostentativ sein Geschlecht präsentiert, ist er gerade nicht unbekleidet, sondern wie der Stammvater Adam vor dem Sündenfall vollständig in ein zwar unsichtbares, aber ihn schützendes, göttliches Gewand der Gnade gehüllt.27 Mit der starken Bewegtheit des gedehnten Körpers, mit der idealisierten Schönheit des Gesichtstypus, dem kontrapostischen Stehen und der Vielansichtigkeit in nahezu rund-

27

per eos vitia singula denudentur“ (Etym. VIII,7,7). Auf Isidor als Übermittler dieser Lizenz zur Nacktheit für Freigeister wies bereits Nikolaus Himmelmann hin, vgl. Himmelmann: Ideale Nacktheit (a. a. O.), S. 46. Es bedurfte somit vermutlich keiner allzu gesuchten theologischen Interpretation, den Isaak von Jaca als typologische Präfiguration des nackten geopferten Christus am Kreuz, ebenfalls schutzlos bloß, als Enthüller unbegreiflicher göttlicher Ratschlüsse zu rechtfertigen. Für die theologischen Grundlagen und zur Bildtradition dieser transparenten Gnadengewänder aus Licht, vgl. Massimo Bernabò: Searching for Lost Sources of the Illustration of the Septuagint, in: Byzantine East, Latin West. Art-Historical Studies in Honor of Kurt Weitzmann, hg. v. Christopher Moss/Doula Mouriki, Princeton 1995, S. 329–337, hier S. 332. Zugleich greift in doppelter Hinsicht Anne Hollanders Diktum „nudity is a form of dress“, vgl. Anne Hollander: Seeing Through Clothes, Berkeley/Los Angeles/London 1993, S. 86ff.

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Bild 77 Jaca, San Pedro, Westportal, linkes äußeres Gewändekapitell: Übergabeszene.

plastischer Wirkung sind zentrale Merkmale antiker Skulptur in der Figur des Isaak über die Rezeption des Orestessarkophags verwirklicht und gesteigert. Auf der Stirnseite des linken äußeren Gewändekapitells am Westportal (Bild 76) sind zwei Männer einander derart nahe zugewandt, dass das angehobene innere Bein des links stehenden Mannes dasjenige des rechten völlig überschneidet und unsichtbar werden lässt. Beide scheinen im Kapitellinneren auf nur einem Bein zu stehen. Mit einiger physischer Kraftanstrengung stemmt der linke Mann einen schwer wirkenden, queroblongen Gegenstand hoch, den sein Gegenüber mit offenen Händen aufnimmt. Die körperliche Anspannung überträgt sich in den über beider Rücken aufflatternden Mänteln. Obwohl beide jeweils mit einem Manteltuch bekleidet sind, das in bewegten Schwüngen über ihre Leiber fließt, wird ihre generelle Nacktheit durch dieses Tuch noch betont. Insbesondere bei dem linken Mann, der stemmt, wird das ausgestellte rechte Bein mit dem frontal auf dem Kapitellhalsring stehenden Spann des Fußes und seinem völlig unbedeckten Oberschenkel durch einen rechts ausbuchtenden Gewandbausch gerahmt, der erst wieder in Höhe des Knöchels an den Körper zurückgebunden wird. Ebenso ist sein angehobenes linkes Bein mit der sich stark herauswölbenden Wadenmuskulatur unterhalb des Oberschenkels völlig

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entblößt. Dieses nackte, muskulöse Bein schwebt mit der vom Boden gelösten Ferse nahezu frei vor dem Kapitellgrund. Das Motiv des athletischen Stemmens, mit dem der Bildhauer die vestibuläre Muskelanspannung in jeder Faser der Körpers spürbar macht, ist so auffällig inszeniert, dass die antike Quelle der Anregung nicht lange gesucht werden muss: Auf der linken Schmalseite des nie vermauerten Orestessarkophags in Husillos stehen sich eine Frau, der Tragödie zufolge eine der Erinnyen, und die Göttin Athena beim Scherbengericht über Orestes an einem Tisch gegenüber (Bild 78). Die stämmigen Unterarme der Frau sind auffallend angewinkelt, bedingt dadurch, dass sie ursprünglich wohl einen Rotulus entrollte, der heute nur noch als ausgebrochenes Fragment in Form eines Stabes in ihrer linken Hand vorhanden ist. Vor allem aber ist ihr linkes Bein deutlich ausgestellt, um den ursprünglich gehaltenen Gegenstand – von unten unterstützend – nach oben zu drücken. Das dünne Gewand spannt sich dabei insbesondere über dem ausgestellten Oberschenkel derart straff, dass er wie nackt wirkt. Den Bildhauer des Kapitells in Jaca hat offensichtlich das Motiv des kraftvoll in den Raum gestemmten Beines sowie die Haltung der muskulösen Arme so fasziniert, dass er sie in auffällige Einzelmotive zergliedert hat.

Bild 78 Madrid, Museo Arqueológico Nacional, linke Sarkophagschmalseite: Scherbengericht. .

Diese Begeisterung für Motive äußerster körperlicher Anspannung zeigt sich erneut im Inneren der Kathedrale auf einem von der Ostseite des nordwestlichen Vierungspfeilers zum Hauptaltar gerichteten Kapitell (Bild 79). Auf seiner

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Bild 79

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Jaca, San Pedro, Kapitell: Imago clipeata.

Bild 79a

Jaca, San Pedro, linke Kapitellschmalseite: Disputierende.

Bild 79b

Jaca, San Pedro, rechte Kapitellschmalseite: Disputierende.

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II. PONDERIEREN – VESTIBULÄRE NACKTHEIT

Stirnseite halten zwei Männer unter breiten, sie vollständig überlappenden Blättern das Brustbild eines Mannes in einem Clipeus. Ihre unter teigig fließendem Gewand verborgenen Arme scheinen auf den über einem schmalen Vorsprung aufgestellten Beinen zu lasten und den relativ breiten, steinschweren Ring des Clipeus in die Höhe zu stemmen. Äußerst komplex sind die Arme unter den Gewandschlingen überkreuzt: Der rechte Halter beispielsweise stützt den Clipeus mit seinem linken Arm von schräg unten. Sein rechter Arm ist angewinkelt und zeigt in Richtung eines auf der Schmalseite stehenden Mannes (Bild 79b), der seinerseits in der Rechten einen buchförmigen Gegenstand hält und mit der Linken eine offene Geste vollführt. Die Gewänder fallen in wellenartigen Falten, die Köpfe der beiden Träger eng aneinander gerückt, wäh-

Bild 80

Huesca, San Pedro, Capilla Vieja: Sarkophag von König Ramíro II. „El Monje“.

rend ihre Gesichter angestrengte Mienen aufweisen. Wie auf dem Westportalkapitell mit der Übergabeszene (Bild 77) das Bein auffällig angewinkelt und hochgestellt ist, um das anscheinend schwere Buch weiterzugeben, sind auch auf der linken Schmalseite die Beine aufgestellt (Bild 79a), um den Clipeus hochzustemmen. Die Unterschenkel der beiden Männer sind in ihrer Anatomie und Muskulatur sehr genau differenziert. Sie bilden in ihrer angespannten, parallel geführten Sehnigkeit gleichsam die Mittelachse der Stirnseite sowie ein Postament für den Clipeus. Die Gewandfalten und Haarkalotten sind nur grob angelegt, die zum Pfeiler gewandten Schmalseiten blieben teils unvollendet. Die geöffnete Hand der rechten Schmalseitenfigur (Bild 79b) ist nur in ihrer Grobstruktur mit abgespreiztem Daumen, aber ohne weitere Differenzierung der Finger angelegt. Das Kapitell wurde offenbar als Non-finito versetzt. Augenfällig ist hier das zentrale Motiv eines antiken Imago clipeataSarkophags in die Kapitellzone des Vierungsbereiches einer christlichen Kathedrale gerückt. Neben dem Husillos-Sarkophag kann damit in Jaca die Kenntnis eines weiteren antiken Sarkophages vorausgesetzt werden. Es handelt sich dabei höchstwahrscheinlich um den Sarkophag mit Imago clipeata-Darstellung

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FRÓMISTA UND JACA – NACKTE AMBIVALENZEN

Bild 80a Huesca, San Pedro, Capilla Vieja, Sarkophagdetail: Genius.

aus dem nahen San Pedro el Viejo in Huesca (Bild 80).28 Bereits bevor sich im Jahr 1147 Ramíro II. „El Monje“ in der alten Kapelle von San Pedro el Viejo darin bestatten ließ,29 war der Sarkophag vermutlich schon oberirdisch in Huesca zu sehen gewesen, da er nicht die geringsten Spuren einer Lagerung unter der Erde aufweist. Er zeigt eine von zwei Genien gehaltene Imago clipeata, darunter die zwischen einem Früchtekorb lagernden Götter Okeanos und Terra sowie an den beiden Seiten stehend zwei nackte Genien. Der Genius am rechten Rand des Sarkophages mit Kithara in der Linken und dem übergroßen Plektron in der rechten Hand (Bild 80a), weist dasselbe auffällige Standmotiv wie die Kapitellfigur aus Jaca auf. Das rechte Bein ist schräg nach hinten gesetzt, das linke indes angewinkelt und leicht nach oben gedrückt. Mit diesem 28

29

Darauf wies Durliat bereits 1978 hin (Marcel Durliat: Les origines de la sculpture romane à Jaca, in: Comptes rendus de Séances de l’Académie des Inscriptions et Belles-Lettres pendant l’année 1978, S. 363–399, hier S. 394), was von Moralejo Álvarez aber bestritten wurde, der ohne stichhaltige Gründe anzweifelt, dass der Sarkophag schon im elften Jahrhundert oberirdisch zu sehen war, vgl. Moralejo Álvarez: La sculpture romane (a. a. O.), S. 87. König Ramíro II. wurde aufgrund seiner frühzeitigen Verbannung in ein Kloster „El Monje“ (Der Mönch) genannt.

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II. PONDERIEREN – VESTIBULÄRE NACKTHEIT

Ausfallschritt scheint er dynamisch aus dem Rahmen des Sarkophagreliefs zu drängen. Zugleich ist zu erkennen, dass der Kapitell-Clipeus in Jaca wenig antikisch umgesetzt wurde: Zwar ähnelt der Gerahmte des Ramíro-Sarkophags aus Huesca demjenigen des Kapitells. Er wird indes nicht von geflügelten Genien gehalten, die scheinbar schwerelos gen Himmel schweben, sondern von miteinander diskutierenden Männern, die sich wenig um den Getragenen zu kümmern scheinen, schwer lastend ihre Beine in den Boden stemmen und permanente Mutationen ihres morphologischen Vorbildes rechts auf dem Sarkophag darstellen. Der Clipeus, ursprünglich als immaterieller Rahmen um das Bild der Seele des Verstorbenen gedacht, ist zu einem schweren Steinring geworden, der unter größten Mühen bis auf Schulterhöhe gestemmt wurde. Von einer Himmelfahrt der Seele scheint diese Darstellung denkbar weit entfernt. Bemerkenswert ist vor allem aber die Tatsache, dass der Verstorbene des Sarkophags auf dem Kapitell seinen Clipeus selbst halten muss, was an der Doppelung der rechts um den Ring greifenden Hände deutlich zu erkennen ist. Nur eine der beiden Hände kann vom rechten Clipeus-Halter stammen, da dieser mit seiner zweiten Hand zur Schmalseite weist. Der hier Verewigte hat den als dinglichen Rahmen aufgefaßten Clipeus mitzuhalten, gleichsam mitzuarbeiten bei seiner Himmelfahrt – vorausgesetzt, die antike Darstellung wurde überhaupt als eine solche verstanden. In der kraftvollen Erdung des Clipeus-Tragemotivs und der tätigen Mitarbeit des Clipeatus könnte eine gänzlich mittelalterliche Transformation dieses antiken Motivs gesehen werden, wenn nicht die meisten antiken Imago Clipeata-Sarkophage selbst schon diese Profanisierung thematisieren und im Kern beinhalten würden. Das Beispiel des Huesca-Sarkophages lässt dies deutlich werden: Die beiden Putten sind nicht als ätherische Himmelswesen sondern als physisch Tragende aufgefasst, deren Körperlandschaft vollständig aus an- und abschwellenden Muskelpartien modelliert ist. Seit der Zuspitzung in der im Jahr 1969 veröffentlichten Habilitation des Archäologen Rudolf Winkes, dass die imago clipeata ihrem Wesen nach ein „bewegliches und tragbares Bildnis“30 sei, ist in der archäologischen Forschung der alte Streit neu entbrannt, ob a priori von einer Apotheose der Seele des jeweiligen Clipeatus ausgegangen werden darf oder vorsichtiger nur an eine ehrende Überhöhung seines Bildes zu denken sei, das durch das Tragen seines alltäglichen Kontexts enthoben wird.31 30 31

Vgl. Rudolf Winkes: Clipeata imago. Studien zu einer römischen Bildnisform, Bonn 1969, S. 91. Die wichtigsten Positionen der Diskussion sind Hans Jucker: Das Bildnis im Blätterkelch, Freiburg 1961, S. 140ff.; Hugo Brandenburg: Meerwesensarkophage und Clipeusmotiv, in: Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts 82 (1967), S. 225, der sich am Beispiel von imago clipeata-Darstellungen auf Meerwesensarko-

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FRÓMISTA UND JACA – NACKTE AMBIVALENZEN

Bild 81 Jaca, San Pedro, Kapitell, Südapsis: Nackter.

Der Husillos-Sarkophag war aufgrund seiner kaum zu übertreffenden Qualität die unangefochtene antike Autorität für die Bildhauer des elften Jahrhunderts. Er wurde deshalb als legitimiertes Musterbuch für das gesamte Nordspanien, von Santiago im äußersten Westen bis Jaca im äußersten Osten, bis in kleinste Details des Faltenwurfs oder der Muskelpartien zitiert. Eine Art selektive Antikenrezeption liegt dagegen bei dem Sarkophag aus Huesca vor, der wegen seiner geringeren Qualität zum einen regional begrenzt ausschließlich in Jaca zitiert wurde, zum anderen nur mit wenigen offenbar aufgrund ihrer Originalität und Novität für den Bildhauer entlehnten Motiven: dem Clipeus, der in der spanischen Skulptur erstaunlich selten erscheint, sowie der Stemmhaltung des Kitharöden, die den vestibulären Motivschatz Jacas erweitert. Eines der beiden heute die Altarmensa in der südlichen Apsis tragenden Kapitelle zeigt die wahrscheinlich ungeheuerlichste Darstellung eines nackten Körpers zwischen Antike und Michelangelo (Bild 81). An den vier Ecken hocken phagen gegen die Sicht der christlichen Archäologie, vor allem von Friedrich Gerke: Die christlichen Sarkophage der vorkonstantinischen Zeit, Berlin 1940, S. 29f., stellt. Umfassend Henning Wrede: Consecratio in Formam Deorum, Mainz 1981.

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II. PONDERIEREN – VESTIBULÄRE NACKTHEIT

eine weibliche und drei männliche Nackte, die Männer teils jugendlich bartlos, teils alt und bärtig. Auf den Köpfen lasten die Helices und die ausladende Abakusplatte. Die Beine der vier Eckfiguren enden in scharfen Raubtierpranken, mit denen sie sich in den Kapitellring graben, wodurch sie als Dämonisierte gekennzeichnet werden. Zwischen einem weiblichen Dämon mit langen, über die Schultern fallenden Haarsträhnen und einem Mann mit auffällig geschuppten Locken schraubt sich aus dem Kapitellinneren ein nackter Jüngling nach oben bis an den Rand der Abakusplatte. Seine deutlich eingeschnittene Wirbelsäule biegt sich in einem vollendeten S-Schwung.32 Der linke Arm bleibt eng am Körper angelegt und endet auf Höhe des im Kontrapost leicht nach oben gezogenen linken Gesäßes. Der Zeigefinger des rechten, angewinkelten Armes ist in Kinnhöhe an die Wange gelegt und scheint eine rhetorische Geste gen Himmel zu richten.33 Die Haare wehen bei diesem Aufwärtsdrang in Strähnen wie durch entgegenströmenden Wind bewegt nach hinten ab. Die hintereinandergelegten Beine verschmelzen optisch zu einem schmalen Bein, so dass sich der Körper wie eine Blüte nach oben auffächert. Die Füße stecken in Ranken, der Rest des Körpers bleibt, anders als bei den hockenden Dämonen, frei von Vegetabilem, dessen Rest er in seinem Flug von der Schulter zu wehen scheint. Während er dem verstrickenden Chaos des Rankengeflechts entkommt, strebte er am ursprünglichen Anbringungsort im Kreuzgang vermutlich einem klar geordneten Ornament auf dem Kapitellkämpfer zu. Der bedacht eingesetzte Wechsel von graphisch klaren Flächen und schwellend plastischen Partien sowie eine bisher ungekannte Dynamisierung der Form in der Bewegtheit und Mehransichtigkeit der Körper machen dieses Kapitell zu einem Höhepunkt der Skulptur um 1100. Wenn es eines Beweises bedurfte, dass sich die Skulptur des Pilgerweges nicht als bloßes Bauornament in die Architektur einfügt, liefert ihn dieses Kapitell. Seine auskragende Form wird allein aus plastischen Leibern gebildet, die dieses Grundgerüst im selben Moment aber aufsprengen, um nach allen Seiten hin die Grenzen des Kapitells zu überspielen. Die Oberkörper der Dämonen beugen sich weit nach außen vor und 32

33

Mit dieser vorrangigen Präsentation als Rückenfigur wird der Blick des Betrachters aufgrund der Ungewöhnlichkeit gegenüber der üblichen Frontalansicht geradezu mit nach oben gezerrt. Vgl. beispielsweise Friedrich Weltzien: Der Rücken als Ansichtsseite. Zur „Ganzheit“ des geteilten Körpers, in: Körperteile. Eine kulturelle Anatomie, hg. v. Claudia Benthien/Christoph Wulf, Reinbek bei Hamburg 2001, S. 439–460. Diese wichtige Geste bleibt bei Prado-Vilar, der die Figur als direkte Übernahme einer antiken Satyrgestalt von Gemmen oder Steinreliefs ansieht, unerwähnt; vgl. Francisco Prado-Vilar: Del maestro de Orestes-Caín al maestro del sátiro. Una conferencia sobre la belleza de la tragedia y la memoria del futuro, in: Los maestros del Románico en el Camino de Santiago, Aguilar de Campoo 2010, S. 9–46, hier S. 35ff.

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FRÓMISTA UND JACA – NACKTE AMBIVALENZEN

Bild 82

Rom, St. Peter, Andreasaltar: linke Columna vitinea.

kommen dem Betrachter dadurch gefahrvoll nahe. Die Ranken schlingern in einem asymmetrischen Chaos über den gesamten Kapitellkorpus. Der sich aufschwingende Nackte durchstößt die Kapitellplatte nach oben, wodurch er buchstäblich zum Himmelsstürmer wird. Vielleicht zum ersten Mal seit der Antike befreit sich die Skulptur in einem Akt der Selbstentfesselung von jeglicher Konvention und Aussagepflicht. Zugleich bringt sie mit dem Motiv des Entfliehens aus der Zone der Dämonen sowie dem souveränen Überwinden der Bildgrenzen ein bis dato ungekanntes Zeit- und Bewegungsmoment in die Skulptur. Ähnlich den anspruchsvollsten Werken der Antike, die das Sichtbare wie das Unsichtbare fassen, dabei höchste physische Präsenz des beinahe atmenden Steins bei gleichzeitiger feinster psychischer Nuancierung vereinen, greifen die Bildhauer in Jaca diese Quintessenzen der Antike auf und bringen sie aus dem Stand auf einen Kulminationspunkt. Indem sich die Bildhauer der Kathedrale allein mit der Antike messen, sich deren Gestaltwerte anverwandeln und

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II. PONDERIEREN – VESTIBULÄRE NACKTHEIT

noch zu steigern vermögen, steht in diesem christlichen Tempel eine Art Antike mit anderen Mitteln vor Augen. Das scheinbare ex nihilo der Skulptur des elften Jahrhunderts am Pilgerweg und insbesondere in Jaca erweist sich damit in seinem übertreffenden Einholen als ein ex voto der Antike. Weniger das Böse als Stil mit seiner „wie aufgepumpt wirkenden Fleischlichkeit“34 als vielmehr die Antikenrezeption wird hier zum treibenden Movens der Wiedergeburt einer plastischen Skulptur im elften Jahrhundert. Emblematisch formuliert das einstige Kreuzgangkapitell, aufbauend auf allen gefundenen antikischen Lösungen der Jaqueser Kapitellskulptur und diese bündelnd, in Form des Raumgrenzen auslotenden und überschreitenden Himmelsstürmers diesen skulpturalen Aufbruch, vorwärts in die Antike. Derart freie, körperliche Motive in einem kirchlichen Kontext finden sich sonst nur auf der außergewöhnlichsten Ansammlung nackter Körper aus der Antike, den monumentalen Peterskirchen-Marmorsäulen mit Weinlaub, das von Nackten besiedelt ist (Bild 82).35 Seit der Spätantike stehen diese dionysischen Säulen, die der Legende nach aus dem Templum Salomonis in Jerusalem stammen sollen, im Zentrum gewagt-zweideutiger Bildproduktion, der von Kaiser Konstantin ab etwa 320 nach Christus errichteten Kirche Alt-Sankt Peter in Rom. Im Neubau von Sankt Peter wurden sie in einen explizit eucharistischen Zusammenhang als Altarsäulen eingefügt, als welche sie bis in den Barock in unzähligen Altären Europas wie auch der Neuen Welt zitiert wurden. Obwohl durch den Jahrhunderte andauernden Missbrauch als Lieferant von Berührungsreliquien stark entstellt, indem sie mit Graffiti überzogen (Bild 82a) und alle ursprünglich hinterschnittenen Partien der Säulenzier von Rompilgern ausgebrochen als Souvenir entwendet wurden, ist der entscheidende, auf den Säulengrund aufgelegte Rumpf der entsprechenden Figur noch klar zu erkennen. In der Mitte der linken Säule des Andreasaltares (Bild 82) grazil auf den Zehenspitzen tänzelnd, streckten sich der nackte Putto rechts (Bild 82b) wie auch seine bacchischen Begleiter ursprünglich nach Weinranken. Dabei 34 35

Diese pralle Leiblichkeit hat sich als das entscheidende Movens in Frómista herausgeschält, vgl. Bredekamp: Wallfahrt als Versuchung (a. a. O.), S. 246. Die wichtigsten Arbeiten zu den monumentalen weinumrankten Schlangensäulen in Alt-St. Peter sind John B. Ward Perkins: The Shrine of St. Peter and its Twelve Spiral Colums, in: Journal of Roman Studies 42 (1952), S. 21–33, Stefania Tuzi: Le colonne e il tempio di Salomone. La storia, la leggenda, la fortuna, Rom 2002, und Barbara Nobiloni: Le colonne vitinee della basilica di San Pietro a Roma, in: Xenia antiqua 6,1997 (1998), S. 81–142. Zur Ikonologie derartiger „politischer“ Spolien vgl. Lex Bosman: The Power of Tradition. Spolia in the Architecture of St. Peter’s in the Vatican, Hilversum 2004, und ders.: Spolien aus Roms Vergangenheit als Beitrag zu römischer oder romanischer Architektur, in: Romanik in Europa. Kommunikation, Tradition, Rezeption, hg. v. Leonhard Helten/Wolfgang Schenkluhn (More romano 1), Leipzig 2009, S. 37–51.

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FRÓMISTA UND JACA – NACKTE AMBIVALENZEN

Bild 82a

Rom, St. Peter, Andreasaltar, linke Columna vitinea: Kapitell mit Graffiti.

Bild 82b

Rom, St. Peter, Andreasaltar, linke Columna vitinea: Rückenansicht Putto.

löst sich sein linkes, heute abgebrochenes Bein vollständig vom Grund, so dass sich durch diesen rückseitigen Kontrapost die Hinternpartie stark herauswölbt. Während der ausgreifende rechte Arm merkwürdig flach auf dem Säulenreliefgrund aufliegt, verdeutlicht die stark nach oben geschobene linke Schulter das kontrapostische Strecken nach den Trauben. Damit biegt sich der ganze Körper von der Schulterpartie bis in die Zehenspitzen in einem raffinierten S-Schwung. Beim Umschreiten der Säule zeigt sich zudem das ob der Mühen angestrengt wirkende Gesicht in starker Verkürzung. Über den Rücken des Putto zieht der Rest einer stämmigen Weinranke, die auf Höhe des Schulterblattes sowie in der Einbuchtung der Hinternbacken abbricht. Mit dem eleganten S-Schwung des gesamten Körpers, den sich deutlich abzeichnenden Pobacken sowie dem erhalten gebliebenen Rest der Ranke, die wie ein in Richtung Hintern greifender Arm wirkt, sind von dem Bildhauer in Jaca zentrale Elemente der Salomonischen Säule aus Sankt Peter aufgegriffen worden, nicht ohne sie in signifikanter Weise zu verändern. Selbst wenn es sich aber in Jaca um eine Motivübernahme von den Romsäulen handeln sollte, hat der Kreuzgang-Bildhauer, der sich als wahrscheinlich spätes Werkstattmitglied am Meister von Jaca geschult hat, den antiken Putto entscheidend umgeformt. Durch Längung des Körpers hat er ihn erwachsener werden lassen. Keck greift sich der nackte Jüngling des Kapitells mit einer unübersehbaren, weil mit dem sich prall herauswölbenden und gegeneinander verschobenen Gluteus maximus deutlich inszenierten Geste an den Hintern und steckt etwas hinein (Bild 81). Die Bewegung ist von ihrer ursprünglichen Funktion befreit, denn der Zweck des Sich-Streckens nach den Trauben ist auf dem Kapitell weggefallen. Vielmehr ist die Figur des Kreuzgang-Meisters mit der

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II. PONDERIEREN – VESTIBULÄRE NACKTHEIT

formvollendeten Gebärde des gebogenen, an den Mundwinkel gelegten Zeigefingers ganz auf sich selbst bezogen. Sie übertanzt in ihrem Höhendrang spielerisch den Rahmen, indem Kopf und angeknickter Arm bis zum Ellenbogen die Abakusplatte überschneiden. Da es mit großer Sicherheit auf dem ursprünglichen Kämpfer des Kapitells ebensowenig wie bei den übrigen erhaltenen Kreuzgangkapitellen eine narrative Fortsetzung gab, reckt der Himmelsstürmende den Kopf nach oben, ohne etwas Bestimmtes schauen zu müssen. Was er sieht, bestimmt er selbst. Figur wie Betrachter sind frei in ihrer Imagination.

B

L e ón – D ie E nt k leidu ng der H i m melskör p er

Betritt man die ab 1072 errichtete Pilgerwegskirche San Isidoro de León über das sogenannte Lammportal (Bild 2a),36 die Puerta del Cordero des südlichen Seitenschiffs, sieht man sich auf zwölf marmornen Sternkreiszeichen-Reliefs des elften Jahrhunderts einer wahren Zeitmaschine in die antike Welt des Zodiacus gegenüber.37 Insbesondere der Wassermann (Bild 43) zitiert offenkundig, von Serafín Moralejo Álvarez erstmals beschrieben, den breitbeinig stehenden Orestes des Husillos-Sarkophages (Bild 62).38 Die Beine sind derart weit auseinandergespreizt, dass sein Geschlecht ostentativ präsentiert wird; die kräftige Oberschenkel- und Wadenmuskulatur sind betont. Vor allem aber ist die markante Drehung des Orestes mit dem quer über den Oberkörper zum Ausholen gezogenen, rechten Schwertarm bei gegenläufiger Wendung des Kopfes einschließlich des sich auffächernden Restes Mantelstoff über seinem Arm direkt zitiert. Trotz der starken Verwitterung der vergangenen 900 Jahre unter freiem Himmel ist zu erkennen, dass der Aquarius anstelle einer tönernen Amphore eine wie ein Wasserschlauch gefüllte Schlange mit zwei kopfartigen Verdickungen sowie Maul und Augen auf seinen Schultern trägt, die sich links über seiner Schulter zudem bedrohlich aufbäumt. Der Wassermann hat seinen Kopf nach links gewendet, während sein rechter Arm orestisch quer über den Körper in 36

37

38

Zur Datierung des Portals und der Kirche gegen wiederholt vorgebrachte Spätdatierungen vgl. beispielsweise Susan H. Caldwell: Urraca of Zamora and San Isidoro in León. Fulfillment of a Legacy, in: Woman’s Art Journal 7 (1986), S. 19–25, hier S. 21. Diese Metopen unterschiedlichen Formats wurden im 16. Jahrhundert für eine Renaissance-Attika in zum Teil falscher Reihenfolge versetzt; vgl. Durliat: Romanisches Spanien (a. a. O.), S. 118. Bei der Versetzung wurde eine Aufteilung in Wintersternzeichen links über dem Portal und Sommersternzeichen rechts davon eingeführt. Ob die zwölf Marmorreliefs ursprünglich Metopenplatten der durch eine spätgotische Choranlage ersetzten Hauptapsis der Kirche waren, wie oft behauptet wurde, ist wegen der enormen Breite des Chores bei nur zwölf Reliefs sehr unwahrscheinlich. Vgl. Moralejo Álvarez: Pour l’interprètation (a. a. O.), hier S. 146.

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LEÓN – DIE ENTKLEIDUNG DER HIMMELSKÖRPER

die entgegengesetzte Richtung zieht, um mit der Hand der monströsen Wasserschlange den Hals abzudrücken, der an dieser Stelle deutlich verengt ist. Die zum Bersten angefüllte Schlange speit in einem sturzbachartigen Wasserschwall unverdaute Fische aus. Aufgrund der Absonderlichkeit gleich zweier wasserspeiender Schlangenköpfe konnte als textliche Grundlage Isidors von Sevilla Beschreibung der Schlange Amphisbaena mit je einem Kopf an beiden Enden benannt werden.39 Es liegt nahe, in diesen Kämpfen mit Schlangen auf den Reliefs, insbesondere im Ringen des Aquarius mit der Riesenschlange, das Streiten mit inneren und äußeren Feinden zu assoziieren. Wie wichtig bereits im elften Jahrhundert Isidor für die nordspanischen Könige gleichberechtigt neben Jakobus dem ‚Maurentöter’ als Säulenheiliger des auch ideologischen Kampfes gegen die Araber wurde, hat Klaus Herbers hervorgehoben.40 Michael Borgolte hat jüngst noch einmal die enorme Bedeutung des von Isidor gegen die Auflösungserscheinungen seiner eigenen Zeit formulierten Anspruchs einer „Totius Hispaniae Monarchia“ für die neu begründenden Königreiche in der Reconquista betont.41 Indem aber mit der Schlange, die auch bei Isidor von Sevilla doppelsinnig ist, das ambivalenteste Symbol der Antike überhaupt aufgerufen wird, taucht der Betrachter des Zodiacus geradewegs in die Antike ab. Damit ist eine Welt der Ambivalenzen eröffnet, in der auch die Nacktheit nie eindeutig besetzt ist. So kann der Aquarius ostentativ an einer Kirche mit seinem Geschlecht gezeigt werden. Durch den Akt des Stemmens und gleichzeitigen Bändigens der Wasserschlange wird die athletische Leistung des in der Darstellungstradition gewöhnlich nicht über seine Physis definierten Sternzeichens Wassermann stark betont.42 Wie der antike Halbgott Herkules seine heroischen Aufgaben vollbringt, leistet auch der Wassermann eine übermenschliche Tat, die ihm seinen theologisch äußerst prekären Platz am Firmament trotz seiner unverstellten Nacktheit zu gewähren scheint.43

39 40

41 42 43

Etym. XII,4,20. Vgl. Trinks: Schlangenikonographie (a. a. O.), S. 224. Nach Ausbreitung einer Fülle von Material gipfelt Herbers in der Folgerung: „Isidor nahm somit für die Herrschaft Ferdinands I. eine dem hl. Jakobus gleichwertige, wenn nicht bedeutendere Rolle ein, vielleicht war er sogar ein ernsthafter Konkurrent.“ Vgl. Herbers: Politik und Heiligenverehrung (a. a. O.), S. 177–275, hier S. 208. Vgl. Michael Borgolte: Europa entdeckt seine Vielfalt. 1050–1250 (Handbuch der Geschichte Europas 3), Stuttgart 2002, S. 148. Zur Geschichte der Sternkreiszeichen und der Astrologie im Mittelalter profund Dieter Blume: Regenten des Himmels. Astrologische Bilder in Mittelalter und Renaissance (Studien aus dem Warburg-Haus 3), Berlin 2000, v. a. S. 39. Zur Herkules-Transformation in Spanien vgl. beispielsweise José Manuel Rodríguez Montañés: Prefiguras cristólogicas en el arte románico, in: El mensaje simbólico del imaginario románico, Aguilar de Campoo 2007, S. 45–77, hier v. a. S. 63.

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II. PONDERIEREN – VESTIBULÄRE NACKTHEIT

Serafín Moralejo Álvarez hat nicht nur den breitbeinig stehenden Orestes als Stammvater für den Aquarius des Zodiacus von León identifiziert. Er konnte mit dem Heiligen Zeno von Verona als einem der bedeutendsten Theologen des vierten Jahrhunderts darüber hinaus eine christliche Quelle benennen,44 die mit großer Wahrscheinlichkeit die Legitimation für einen derart antikischen Sternkreiszeichenzyklus am Portal einer Kirche abgab. Es handelt sich um den im Mittelalter weitverbreiteten spätantiken Kommentar Sancti Zenonis Episcopi Veronensis Tractatus XLIII Ad Neophytos post baptisma, eine Streitschrift des Heiligen Zeno gegen die neophytischen Wiedertäufer,45 die in Kapitell VI De duodecim signos die zwölf Geburtssternzeichen des Zodiacus metaphorisch als Taufallegorie ins Christliche wendet. Damit war der in der Theologie aufgrund seines mythologischen Götterhimmels immer stark umstrittene astrologische Zodiacus nicht nur für die Buchmalerei, sondern auch für die Skulptur an Portalen legitimiert. Der Zodiacus von León ist Ende des elften Jahrhunderts der erste monumentale Sternkreiszeichenfries, der ab 1100 von denjenigen der Kathedrale von Santiago und der Klosterkirche Brauweiler dicht gefolgt wird.46 Entscheidend ist aber, dass Zeno in dem liturgisch häufig verwendeten Tauftraktat explizit Christus als Noster Aquarius, „unseren Wassermann“ bezeichnet,47 so dass Orestes, der wohl schon auf dem Kapitell in Frómista als Schlangenkämpfer allegorisch mit einem streitbaren Alter Adam verbunden war, in León nun endgültig als Christus assoziiert werden konnte, der eine riesenhafte Schlange – wie Atlas das Himmelsgewölbe – trägt und überwindet. Weil Zeno als einem Zeitgenossen der konstantinischen Epoche zudem die spätantike Gleichsetzung Christi mit Sol-Apollo als Lichtgott wohlvertraut war, der als Gottheit am Firmament oft nackt dargestellt wurde, konnte der Gottessohn ebenfalls heroisch nackt in den Sternenhimmel gehoben werden.

44 45 46

47

Vgl. Moralejo Álvarez: La iconografía regia (a. a. O.), S. 118ff. Der vollständige Traktat Zenos findet sich im Appendix abgedruckt bei Moralejo Álvarez: La iconografía regia (a. a. O.), S. 129. Für den Zodiacus aus Brauweiler in antikisierenden Muldennischen vgl. Rudolf Wesenberg: Das ottonische Muldennischenrelief und die provinzialrömische Skulptur, in: Der Mensch und die Künste. Festschrift für Heinrich Lützeler zum 60. Geburtstage, hg. v. Günter Bandmann/Peter Bloch u. a., Düsseldorf 1962, S. 363– 365. Die zentrale Stelle lautet: „Varias atque innumerabilis nocendi artes habet: sed has omnes salutari profluens amne non magnopere noster Aquarius delere consuevit: quem necessario uno sequuntur duo Pisces in signo, id est duo ex Judaeis et Gentibus populi, baptismatis aqua viventes, in unum populum Christi uno signo signati“ (PL XI, col. 492–496); zitiert nach Moralejo Álvarez: La iconografía regia (a. a. O.), S. 129.

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LEÓN – DIE ENTKLEIDUNG DER HIMMELSKÖRPER

Bild 83

Toulouse, Saint-Sernin, Westempore, Doppelkapitell: Nackter.

Es bleibt erstaunlich, dass in der spanischen Skulptur des elften Jahrhunderts für Nacktheiten mit dem Husillos-Sarkophag anstelle einer Vielzahl von antiken Vorlagen primär ein einziger Sarkophag als Vorbild genommen worden ist, der dabei bis in die kleinsten Details rezipiert wurde.48 Weil sich aber die Bildhauer des Pilgerwegs an dieser Höchstleistung der antiken Marmorbildnerei maßen, emanzipierte sich ihre Skulptur im Lauf von nur einer Generation in diesem Wettstreit mit der Antike derart, dass sie schließlich aus sich selbst heraus pseudo-antikische Werke zu generieren vermochte. Diese benötigten kein direktes antikes Vorbild mehr, wie das Beispiel von Saint-Sernin de Toulouse zeigen soll, das mit León vergleichbare heroische Nacktheit zeigt. Das Aquarius-Relief hatte zusammen mit dem Schlangenkampf-Kapitell in Frómista und dem Isaak-Kapitell in Jaca innerhalb der spanischen Skulptur des elften Jahrhunderts bisher in der Darstellung völliger Nacktheit den Rang der Einmaligkeit inne. Entlang des Jakobswegs zieht sich aber bei genauem Hinsehen ein Band der Nacktheit, denn auch in Saint-Sernin de Toulouse, neben Cluny, Speyer und Santiago dem gewaltigsten Kirchenneubau des elften 48

Dass es auf spanischem Boden antike Skulpturen geradezu im Überfluss gab, hat Serafín Moralejo Álvarez gezeigt: Serafín Moralejo Álvarez: La reutilización e influencia de los sarcófagos antiguos en la España medieval, in: Marburger Winckelmann-Programm 1983, Marburg 1984, S. 187–203.

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II. PONDERIEREN – VESTIBULÄRE NACKTHEIT

Bild 83a

Toulouse, Saint-Sernin, Westempore, Doppelkapitell: Nackte.

Jahrhunderts und fast spiegelbildlich mit Jaca über die Pyrenäen hinweg verbunden, findet sich ein solches Kapitell, das in die 1090er Jahre zu datieren ist. An seinem Platz, der Westempore des Südquerhauses vom Kirchenbodenniveau aus nahezu unsichtbar, präsentiert es vollständige Nacktheit mit prononciertem Geschlechtsteil (Bild 83). Es gehört zu den vermutlich nie ganz aufzulösenden Rätseln der Kunstgeschichte, warum dieses Emporenkapitell bis heute nicht als ein Kronzeuge für die staunenswerte Antikennähe der Pilgerwegsskulptur des elften Jahrhunderts herangezogen wurde.49 Das gekoppelte Kapi-

49

Die einzigen Ausnahmen stellen Marcel Durliat und Richard Hamann dar. Obwohl Durliat als vielleicht bestem Kenner der toulousanischen Skulptur das Kapitell bekannt ist, erwähnt er es in seinem Opus magnum zur Pilgerwegsskulptur mit lediglich drei Sätzen und bildet es dort unbegreiflicherweise nicht ab, vgl. Durliat: La sculpture romane (a. a. O.), S. 113. Hamann zeigt das erstaunliche Kapitell ebenfalls nur in dem letzten Kapitel seines postum erschienenen Werkes „Kunst und Askese“ im Kontext der Chronologie der Skulptur und nicht, wie zu erwarten gewesen wäre, als Kronzeuge der Entwicklung der mittelalterlichen Nacktheitsdarstellungen in seinem Kapitel VII. „Das Nackte“ und kommentiert es lakonisch, als ob der Adler den Nackten schützend unter seine Fittiche nehmen würde und als ob sich nicht eine Raubkatze in dessen Arm verbissen hätte: „Aber nimmt man einige Kapitelle des Chores hinzu, wie das Kapitell mit dem nackten Jüngling unter den Flügeln eines Adlers, so zeigt sich deutlich, wie auch hier neben der streng archaischen Richtung eine antikisierende einhergeht.“ Vgl. Richard Hamann: Kunst

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LEÓN – DIE ENTKLEIDUNG DER HIMMELSKÖRPER

Bild 84a

Jaca, San Pedro, Hauptapsis, Konsole: Engel.

Bild 84b Engel.

Toulouse, Saint-Sernin, Marmoraltar des Gelduinus, 1096 geweiht:

tell stammt nicht von der Hand des Jaca-Meisters, sondern von einem Bildhauer der jüngeren Gelduinus-Werkstatt, der zumindest zeitweise in Jaca gearbeitet zu haben scheint, wie der spanische Forscher Moralejo Álvarez anhand einer Engels-Konsole der Hauptapsis in Jaca im Gelduinus-Stil nachweisen konnte (Bild 84a).50 Diese hat ihre Parallele auf der Vorderseite des Gelduinus-Altars in Saint-Sernin mit vier horizontal schwebenden Engeln (Bild 84b), die eine Büste Christi in einem Clipeus tragen beziehungsweise dieses zentrale Geschehen mit Kreuzen in den Händen rahmen. Nicht nur sind die Engel dieser Konsole in Jaca und auf dem Marmoraltar in Toulouse eng verwandt in ihrer Körperhaltung, die sich prägnant unter den hautengen Gewändern abzeichnet, sowie ihren Faltenmotiven und Haaren. Das bisher unergründlich gebliebene, stark verwit-

50

und Askese. Bild und Bedeutung in der romanischen Plastik in Frankreich, Worms 1987, S. 412. Vgl. Moralejo Álvarez: Une sculpture (a. a. O.), S. 60.

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II. PONDERIEREN – VESTIBULÄRE NACKTHEIT

Bild 84c Toulouse, Saint-Sernin, Marmoraltar des Gelduinus, 1096 geweiht: Engel mit Pelte.

terte Objekt, das der Jaqueser Engel mit beiden Händen hält und gleichsam vor sich her schiebt (Bild 84a), kann anhand eines Vergleichs mit dem Engel am linken Rand des Toulousaner Altars identifiziert werden (Bild 84c). Es handelt sich um den aus der Antike stammenden Schild der Amazonen, die sogenannte Pelte, die hier stark gestaucht wiedergegeben ist. Diese auffällig geschwungene Schildform könnte von einem Amazonen-Sarkophag oder einem Sarkophag mit Heroen-Darstellungen entlehnt sein. Neben das ohnehin rein antike Motiv des Clipeus tritt hier zusätzlich eine heroische Aufrüstung der in ihrer Physis betonten Engel, die ihre Kreuzesstäbe wie Lanzen tragen und sich mit Amazonenschilden wappnen. Keineswegs verbindet sich damit jedoch, dass die Konsole mit dem Engel in Jaca nach dem einen Clipeus tragenden Engel vom GelduinusAltar in Toulouse datiert, wie Moralejo Álvarez aus einer dortigen Unterbrechung am Bau, während der ein Teil der Werkstatt in das nahe Jaca jenseits der Pyrenäen umgesiedelt sei, folgerte.51 Vielmehr kann bereits das Westportalkapitell mit der Übergabe-Darstellung aus den 1080er Jahren (Bild 76) aufgrund auffälliger stilistischer Parallelen wie den Buckellöckchen, die ansonsten in Jaca nicht vorkommen, sowie der Gestaltung der Wadenmuskulatur dieser Werkstatt zugeschrieben werden, so dass sich die Wanderbewegung von Jaca nach Toulouse umkehren würde. Als weiterer Vergleich kann das Toulousaner Emporen-Doppelkapitell der in Toulouse und Jaca gleichermaßen arbeitenden jüngeren Gelduinus-Werkstatt dem Isaakkapitell des Jaqueser Südportals (Bild 73) zur Seite gestellt werden, da sich beide im tertium comparationis heroischer Nacktheit und scheinbar stoischen Erduldens äußerer Bedrängungen ähneln.

51

Vgl. Moralejo Álvarez: La iconografía regia (a. a. O.), S. 58.

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B

LEÓN – DIE ENTKLEIDUNG DER HIMMELSKÖRPER

Der Vergleich vermag die wechselseitige Befruchtung und Aufsteigerung von Spanien und Frankreich, von Jaca und Toulouse zu unterstreichen.52 Steht man im südlichen Querhausarm der Kathedrale Saint-Sernin de Toulouse, sind auf der Stirnseite des Kapitells nur zwei Adler zu erkennen (Bild 83), deren Köpfe mit hakenförmigen Schnäbeln sich unter den Helices selbst wie Voluten einschnecken. Ihr Gefieder ist ringsum mit einem Wulst abgesetzt und wie durch Dachschindeln geschuppt, ein Charakteristikum der Gelduinus-Werkstatt. Die kräftigen Schwingen des Adlers indes verbergen zum Teil einen am äußersten Rand der Kapitellsüdseite stehenden Nackten mit unverhülltem Geschlecht, dessen Zehen sich auffällig in den Kapitellring krallen. Der Nackte ist ausschließlich vom Emporengang aus der Richtung sichtbar, in die er mit großen, kreisrunden Augen und aufeinandergepreßten Lippenblickt. Die scheinbar unbewegte Miene und die auf dem Flügel des Adlers locker aufliegende Hand verwundert umso mehr, als nicht nur ein weiterer, ihn an Größe deutlich überragender Adler an der Kapitellecke seinen Kopf ihm zuwendet und dabei mit dem spitzen Schnabel dem Gesicht des Nackten gefährlich nahe kommt. In den ausgestreckten rechten Arm des Mannes hat sich zudem eine Raubkatze mit aller Kraft verbissen. Ihre flammenartig in alle Richtungen fallenden Fellzotteln und weit aufgerissenen Augen künden von der Wucht des Angriffs. Das Bild wiederholt sich auf der Nordseite des Kapitells (Bild 83a) mit dem Unterschied, dass die durch lange Haare und stärker betonte Brust als weiblich Gekennzeichnete nicht die Hand auf dem Adlerflügel ruhen hat, sondern damit ihre Scham bedeckt. Obwohl das Raubtier ihren Arm bereits bis zum Schulteransatz verschlungen hat, ist der Mund auch hier nicht zum Schrei geöffnet und die Augen fixieren starr den Betrachter. In einer Kirche lässt ein nacktes Paar, bei dem sich zumindest der weibliche Part schamhaft bedeckt, an Adam und Eva denken. Seit dem Sündenfall standen die Geschöpfe der Welt, die Adam zuvor noch in Gottes Auftrag benannt hatte, wie auch die Natur selbst den Stammeltern feindselig gegenüber und drohten sie jederzeit zu verschlingen.53 Dies wird in dem gerade im elften und zwölften Jahrhundert vielgelesenen apokryphen „Leben Adams und Evas“ plastisch geschildert: Als Adams Sohn Seth zusammen mit seiner Mutter Eva für seinen kranken Vater aus dem Paradies heilendes Öl holt, fällt ihn ein wildes Tier an und verbeißt sich in ihm. Eva klagt weinend das Tier an, worauf sie die entwaffnende Erwiderung erhält: 52

53

Die Tatsache, dass das Kapitell aus der selben Gelduinus-Werkstatt wie die EngelsKonsolfigur stammt, diente Moralejo Álvarez als Indiz für seine später von ihm präsentierte Datierungs-These, dass San Pedro de Jaca etwa zeitgleich mit dem Südquerhaus von Saint-Sernin de Toulouse entstanden sein muss, vgl. Moralejo Álvarez: La sculpture romane (a. a. O.), S. 82. Vgl. dazu Kurt Flasch: Eva und Adam. Wandlungen eines Mythos, München 2004, S. 11ff.

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II. PONDERIEREN – VESTIBULÄRE NACKTHEIT

„Eva, nicht gegen uns [richte sich] deine Anmaßung und dein Weinen, sondern gegen dich [selbst]; ist doch die Herrschaft der Tiere erst durch dich entstanden.“54 Das vielschichtige, unter völligem Verzicht auf Akanthus oder Voluten allein aus Tier- und Menschenleibern aufgebaute Doppelkapitell schlägt den Betrachter insbesondere deswegen in seinen Bann, weil es das bisher fehlende Glied in einer Kapitell-Kette der Ursünde bildet.55 Von Frómista über Jaca bis Toulouse wird dem Pilger das selbstbewusste Ertragen äußerer Bedrohung an nacktem Leib und Leben durch Schlangen vorgeführt sowie die unergründlichen Ratschlüsse Gottes wie bei Isaak oder die nach dem Sündenfall insgesamt feindlich gewordene Umwelt gezeigt.56 In stets neuen Inventionen wird in der Skulptur der Pilgerstraße durchgespielt, was die Kirche aussparte, worauf aber der Blick der Pilger auf der Suche nach Erlösung gerichtet war: die existenzielle Neuorientierung der sündig gewordenen ersten Menschen in einer Interimszeit ohne Gott. Das Fehlen vorgeprägter Bilder für dieses Interim fordert die Künstler der Pilgerstraße heraus und spornt sie zu Höchstleistungen der Bild-Erfindung an. Es treibt sie auf der Suche nach allgemein formulierten und verständlichen Urbildern zu den Quellen und damit fast notwendigerweise zur Antike zurück. Gerade weil die Gabe der Erkenntnis durch die verbotene Frucht unauflöslich an die Wahrnehmung von Nacktheit gekoppelt ist, musste aus Sicht der Kirche jede nicht eindeutig negativ konnotierte Darstellung von Nacktheit in einem sakralen Kontext unter Verdikt stehen. Unter diesen Voraussetzungen kann die Freiheit, die sich die Bildhauer in Jaca, Frómista und Saint-Sernin mit vieldeutiger Nacktheit aus künstlerischem Antrieb erringen, kaum hoch genug eingeschätzt werden. Durch die gesehenen Ertüchtigungen und Aufrüstungen dieser athletischen Heiligen kommt es am Pilgerweg des elften Jahrhundert zu einer fast überzeichneten Betonung ihrer potentiellen Verteidigungsbereitschaft. Dies wird begleitet von einer auch literarischen Athletisierung in den Heiligenviten dieser Zeit. In Toulouse wurde der Heilige Saturninus in den Viten Passio A und B sukzessive von einem ursprünglichen Lokalheiligen zu einer Art 13. Apostel und Gefährten Christi stilisiert und dazu von seiner eigentlichen Lebenszeit im dritten Jahrhundert nach Christus gewaltsam in Christi Lebenszeit umda54 55 56

Vgl. Emil Kautzsch: Die Apokryphen und Pseudoepigraphien des Alten Testaments, Tübingen 1900, Bd. 2, S. 517. Für eine erweiterte Fassung dieser antikischen Adamiten im elften Jahrhundert vgl. Trinks: Der außergewöhnliche Adam (a. a. O.), S. 2ff. Der Pilgerführer des Liber Sancti Jacobi setzt in seiner Beschreibung den wegen seiner Sünden von seinem Wohnort aus auf Wallfahrt fortgeschickten Pilger mit dem aus dem Paradies vertriebenen und in die Welt verbannten Adam gleich, vgl. Herbers: Der Jakobsweg (a. a. O.), S. 80.

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SANTIAGO – HEROEN, ATHLETEN, GEFALLENE ENGEL

tiert. Diese interessengeleitete Geschichtsklitterung geht einher mit einer zunehmenden Akkumulation von Wundertaten durch die ihm zugeschriebene enorme Körperkraft: Bei der wundersamen Brotvermehrung bewältigt der athletische Saturninus die Verteilung der Brote in einem geradezu herkulischen Alleingang.57 Diese nackten, jugendlich schönen, unerschrockenen und kämpferischen Heroen laufen der Bergpredigt-Lehre des passiven Erduldens diametral zuwider. Sie können als Identifikationsangebote und Projektionen gesehen werden, die sich, Richard Hamann zufolge, vor allem aus der Ritterkultur und Minneidee des hohen Mittelalters speisen. Sie entsprechen in der Epoche der beginnenden Kreuzzüge der Idee der Ecclesia militans.58 Dies spiegelt sich in einer auffälligen Häufung des ikonographischen Kämpfer- und BezwingerThemas in der spanischen Skulptur, wie Samson gegen die Philister oder den Löwen, David gegen Goliath, der Ritterheilige Georg gegen den Drachen oder Jakobus als Streiter gegen die Mauren. Die künstlerische Lösung war die Transformation der theologischen Formel „der Kämpfer um der Lehre willen“ in die antikische Form heroischer Nacktheit am Pilgerweg.

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Sant iago – Hero en, At h le ten, gefal lene E ngel

Die vielleicht markanteste Gestalt in den Ranken der sechs Säulen wird bis heute nahezu ausschließlich als Beleg für eine einfache Rezeption des HusillosSarkophags abgebildet (Bild 85). Sie nimmt, in der unteren Windung der ersten Säule dynamisch querliegend in fleischige Ranken eingewoben, offensichtlich das Motiv des breitbeinigen Stehens von Orestes auf. Jedoch hat der Bildhauer 57

58

In der zweiten Vita des Heiligen Saturninus, der sogenannten Passio B (Paris, Bibliothèque Nationale, lat. 17002), die im Kloster Moissac in der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts abgefasst wurde, wird Saturninus bereits als ein Jünger Jesu bezeichnet, der bei allen wichtigen Wundern Christi beteiligt war. Zudem treibt er der Tochter des römischen Statthalters Antonius Dämonen aus und heilt Quiriace, die Frau des Senators von Toulouse, woraufhin sich die Hälfte der Stadt zum Christentum bekehrt. Mit der Passio C (Paris, Bibliothèque Nationale, lat. 5343), die der Erzbischof der spanischen Diözese Auch um 900 für die unter seiner Jurisdiktion stehenden Kirchen in Navarra in Auftrag gab, wird Saturninus erstmals in die „apostolische“ Zeit versetzt. Hier findet sich auf Folio 138v die Schilderung der Brotverteilung: „Sed unus qui deferabat cibos hic erat Athleta Saturninus erat.“ Vgl. Anke Krüger: Südfranzösische Lokalheilige zwischen Kirche, Dynastie und Stadt vom 5. bis zum 16. Jahrhundert, Stuttgart 2002, S. 363. Auch der neben Sankt Isidor in León stark verehrte Heilige Pelagius wird in Quellen wiederholt als „athleta“ bezeichnet. Am Marmoraltar des Gelduinus hat Papst Urban II. im Jahr 1096 zum ersten Kreuzzug aufgerufen, vgl. Thomas Lyman: La table d’autel de Bernard Gilduin et son ambiance originelle, in: Les Cahiers de Saint-Michel de Cuxa 13 (1982), S. 53–73, hier S. 54.

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II. PONDERIEREN – VESTIBULÄRE NACKTHEIT

Bild 85 Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule I: Nackter Breitbeiniger. Bild 86 Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule I, Nackter: Kniescheibe.

das antik-heroische Standmotiv subtil variiert: Eine extrem kräftige Ranke, die sich bereits über den rechten Oberschenkel des Nackten gelegt hat, kriecht nun noch unter den linken. Ein zweiter Pflanzenstrang schiebt sich hinter der Kniekehle des rechten Beins vor das Schienbein des linken Unterschenkels. Dadurch drückt die kraftstrotzende Schlingpflanze wie ein gewaltiger Hebel die Beine des Mannes auseinander, was dieser durch ein Abstreifen der Ranke, allerdings ohne sichtbaren Erfolg, zu verhindern versucht. Durch den Klammergriff des Gewächses wird die Kniescheibe derart stark herausgedrückt, dass die Gelenkknochen unter der Haut ringförmig hervortreten und durch die extreme Anspannung beinahe zu bersten scheinen (Bild 86). Der Rankenringer befindet sich laokoongleich mitten in einem Kampf mit der wie eine Würgeschlange über ihn kriechenden Schlingpflanze.59 Der Ausgang ist völlig offen. Durch die

59

Die Formanalogie zwischen Ranken und Schlangen hat bereits Jurgis Baltrusaitis herausgearbeitet, der einen großen Teil der romanischen Rankenkapitelle von Schlangenknäueln abgeleitet sah. Vgl. Baltrusaitis: Antike (a. a. O.), S. 137. Darüber hinaus quellenreich ist Isidor Scheftelowitz: Das Schlingen- und Netzmotiv in Glauben und Brauch der Völker (Religionsgeschichtliche Vorarbeiten 12,2), hg. v. Richard Wünsch/Ludwig Deubner, Gießen 1912.

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SANTIAGO – HEROEN, ATHLETEN, GEFALLENE ENGEL

bildhauerisch einfühlende vestibuläre Anatomie-Wiedergabe des Nackten,60 der ähnlich dem antiken Langzeitgequälten Ixion auf seinem Rad im Hades in Ranken eingespannt ist, kann der Betrachter durch das Motiv des Streckens einen fast physischen Schmerz empfinden. Die Physis des Ringens mit der dem Anschein nach unerträglichen Bürde dringt aus jeder Pore, das Quälerische ist deutlich zu spüren. Was Winckelmann an der Laokoongruppe in Abgrenzung zu einem in seinen Augen überrhetorisierten, dekadent-vulgären Barock voll hohler Gesten pries, war gerade die absolute Ausgewogenheit zwischen veräußerlichter körperlicher Anstrengung und innerer Größe, sowie die strenge Konsequenz der Komposition: „Er erhebet kein schreckliches Geschrey.“61 Gegen eine Winckelmannsche Sicht auf diesen physischen Höhepunkt der romanischen Skulptur spricht allein die unausweichliche Compassio, die den Augenzeugen in eine Art spiegelneuronale Geiselhaft zwingt. Eine weitere Ranke läuft auf Höhe des Ellbogens des rechten Armes steil über seinen Oberkörper nach oben und fällt über der linken Schulter nach hinten. Über der Brust hat der Bildhauer die Ranke wesentlich flacher reliefiert, so dass sie optisch wie eine Schärpe aus Stoff wirkt, noch dadurch verstärkt, dass ein aktives Aufbäumen oder ein Hebeleffekt der Ranke zwischen Arm und Oberkörper hier ausbleibt. Obwohl der athletische Körper gleich über mehrere Rankenschlingen in das dschungelartige Dickicht eingeflochten ist, zeigen seine ein Rankenende packende linke Faust sowie der entschlossene Blick unter hoch60

61

In einem wägenden Überblick der Skulptur des elften Jahrhunderts hat Cornelius Claussen diese anatomische und leibliche Präsenz der Marmorsäulen Santiagos als erstaunlich hervorgehoben: „Sie zeigen Muskeln nicht als graphisches Kürzel, sondern in einer geradezu provozierenden plastischen Kraft.“ Vgl. Peter Cornelius Claussen: Römische Skulptur aus der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts, in: Patrimonio artístico de Galicia y otros estudios. Homenaje al Prof. Dr. Serafín Moralejo Álvarez, hg. v. Ángela Franco Mata, Santiago de Compostela 2004, Bd. 3, S. 71–80, hier S. 79, Anm. 49. Die eminent wichtige Stelle in Johann Joachim Winckelmann: Gedanken über die Nachahmung der Griechischen Werke in der Malerey und Bildhauerkunst, 2., verm. Aufl., Dresden 1756, S. 22: „Der Schmerz, welcher sich in allen Muskeln und Sehnen des Körpers entdecket, und den man ganz allein, ohne das Gesicht und andere Theile zu betrachten, an dem schmerzlich eingezogenen Unterleibe beynahe selbst zu empfinden glaubet; dieser Schmerz, sage ich, äussert sich dennoch mit keiner Wuth in dem Gesichte und in der ganzen Stellung. Er erhebet kein schreckliches Geschrey, wie Virgil in seinem Laocoon singet: Die Oeffnung des Mundes gestattet es nicht; es ist vielmehr ein ängstliches und beklemmtes Seufzen, wie es Sadolet beschreibet. Der Schmerz des Körpers und die Grösse der Seele sind durch den ganzen Bau der Figur mit gleicher Stärke ausgetheilet, und gleichsam abgewogen. Laocoon leidet, aber er leidet wie des Sophocles Philoctetes: sein Elend geht uns bis an die Seele; aber wir wünschten, wie dieser grosse Mann, das Elend ertragen zu können.“

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II. PONDERIEREN – VESTIBULÄRE NACKTHEIT

Bild 87 Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule I, Nackter: Blick. Bild 88 Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule I: Rankenspeiender Löwe.

gerissenen Augenbrauen (Bild 87), dass er die Hoffnung auf Überwindung der strangulierenden Vegetation noch keinesfalls aufgegeben hat. Wie bei den Überraschungsmomenten der Nebenseiten des Rankenkapitells in Jaca (Bild 63b) erschließt sich die Gestalt des heroischen Kämpfers in seiner Gesamtheit erst beim linksgewandten Umschreiten der Säule. Flügel zeichnen ihn als Engel aus, was durch seine geschlechtslose Nacktheit zur Gewißheit wird. Ebenso deutlich wird er allerdings als gefallener Engel charakterisiert, denn die negativ konnotierten Schlingpflanzen traktieren meist nur ihresgleichen, hätten zumindest über Gesandte Gottes keine Macht. Dass es sich bei dem vegetabilen Geflecht nicht etwa um eine paradiesisch-üppige Flora handelt, sondern um einen Silva Daemonum, wie er eindrücklich von dem karolingerzeitlichen Theologen Hrabanus Maurus beschrieben worden war,62 erschließt sich bei einem Blick auf die Wurzel dieses Dämonen-Urwaldes: Aus dem Maul eines Löwen mit ausgestellten dolchscharfen Krallen (Bild 88) quellen unausgesetzt weitere Ranken als Fangnetze des Satans. Der Bildhauer dieser Nordportalsäule spielt innerhalb der wie auf dem Husillos-Sarkophag kontinuierenden Erzählung des Ranken62

Vgl. Bredekamp: Wallfahrt als Versuchung (a. a. O.), S. 226.

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SANTIAGO – HEROEN, ATHLETEN, GEFALLENE ENGEL

Bild 89 Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule I: Hockender. Bild 89a

Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule I, Detail Hockender: Nase.

gewirrs völlig frei mit dem antiken Formvorrat und entwickelt ihn permanent weiter, indem Orestes hier als Flügeldämon in Schlangen-Ranken wiederkehrt. Sein heroisch-breitbeiniges Stehen wird ironischerweise von einer Pflanze erzwungen. Den Auftakt der ersten Säule an ihrem oberen Teil (Bild 89) bildet indes eine direkte Übernahme des Knechtes der Klytaimnestra, der sich auf dem Husillos-Sarkophag hinter einem Holzschemel vor dem Massaker wegduckt (Bild 6). Der auf der Säule Nackte kauert mit ähnlich strähnig nach vorne fallenden Haaren in den Ranken. Sein Kopf besitzt ein markantes Profil mit einer Nase (Bild 89a), die zwar heute abgeschlagen ist, offenbar aber bereits ursprünglich verkürzt zu sehen war. Sein Vorbild fand die ausgeprägte Physiognomie auf dem Sarkophag, denn die Nase des Knechtes ist dort gleichermaßen verkürzt ins Bildinnere gedreht. Der angewinkelte Arm hält keinen Schemel zur Abwehr wie beim Husillos-Sarkophag, sondern greift zupackend eine der Ranken wie einen Zügel. Selbst der bildparallel verdrehte Spann des rechten, in Aufsicht gezeigten Fußes sowie das auffällig gekurvte Schienbein des rechten Beines (Bild 90) sind offensichtlich aus Freude an diesen einprägsamen Besonderheiten getreu übernommen. Sein Pendant hat dieser Rankenzügelhalter aus Santiago

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II. PONDERIEREN – VESTIBULÄRE NACKTHEIT

Bild 90 Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule I: Hockender Rankenzieher.

auf dem gewaltigen, im Jahr 1096 geweihten Marmoraltar in Saint-Sernin de Toulouse (Bild 91), den der Bildhauer mit der stolzen Inschrift BERNARDUS GELDUINUS ME FECIT (Bild 91a) am Rand der Oberseite in lateinischer Kapitalis signiert hat.63 Dort lässt auf dem umlaufenden Bildfries (Bild 91b) der Patroziniumsheilige Saturninus die Stricke als Marterwerkzeuge, mit denen er angebunden an Stiere über die Stufen des Kapitols des antiken Tolosa zu Tode geschleift wurde, wie Zügel souverän aus den Händen gleiten.64 63

64

Der marmorne Tischaltar des Heiligen Saturninus in Saint-Sernin de Toulouse ist von dem für die Pilgerkirche maßgeblichen Bildhauer Bernardus Gilduinus am oberen Rand signiert und um 1096 zu datieren, weil Papst Urban II. den Altar in diesem Jahr weihte. Vgl. Gerke: Der Tischaltar (a. a. O.), S. 453–513. Bei der Größe des Altars mit seiner überbordenden Skulpturenausstattung muss wohl mindestens ein Jahr für die Fertigung veranschlagt werden, d. h. er wäre spätestens im Jahr 1095 begonnen worden. Diese Umwertung des Martermotivs ist ebenfalls auf der sicher außergewöhnlichsten Schilderung seines Martyriums auf dem Sarkophag des Heiligen Saturninus in Saint-Hilaire de Aude zu beobachten. Dort ist der muskulöse Stier in gestreck-

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SANTIAGO – HEROEN, ATHLETEN, GEFALLENE ENGEL

Bild 91 Toulouse, Saint-Sernin: Tischaltar des Bernardus Gelduinus von Westen. Bild 91a Toulouse, Saint-Sernin, Altarinschrift BERNARDUS GELDUINUS ME FECIT. Bild 91b

Toulouse, Saint-Sernin, Tischaltar: Saturninus in Ranken.

Während sich die bisherigen Adaptionen des Husillos-Knechtes in anfechtbarer Nacktheit präsentierten, fällt ein Hockender (Bild 92) gerade durch das akkurat zitierte antikische Gewand aus der Reihe: Die wie mit dem Plätteisen gezogenen, parallel sich voranschiebenden Fältelungen einer typischen Athleten-Tunika sind mit ihrer großen Plastizität evoziert. Dass die auf dem Rest der Säule unverhohlen zur Schau gestellte Nacktheiten nicht ungestraft tem Galopp im Profil zu sehen, während der Heilige ihn überlegen an der langen Leine hält, wodurch die Zügel allein durch ihre Länge etwas lianenhaftes gewinnen. für eine präzise Beschreibung und Einordnung des Sarkophags vgl. Sabine Komm: Heiligengrabmäler des 11. und 12. Jahrhunderts in Frankreich. Untersuchung zu Typologie und Grabverehrung (Manuskripte zur Kunstwissenschaft in der Wernerschen Verlagsgesellschaft 27), Worms 1990, v. a. S. 55–62.

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II. PONDERIEREN – VESTIBULÄRE NACKTHEIT

bleiben, zeigt sich an einem der nackten Kauernden (Bild 93), dessen Kopf mit dem Taenien-Stirnband griechischer Athleten sich in den einer Raubkatze verwandelt zu haben scheint. Diese beißt augenscheinlich in einem Akt der Selbstkannibalisierung in die eigene Schulter des menschlich verbliebenen Leibes. Ähnlich wie bei dem auf den ersten Blick isoliert wirkenden, rankenspeienden Raubkatzenkopf (Bild 88) könnte der Bildhauer allerdings auch einen aus der Tiefe der Säule hervorschießenden Raubtierkopf zeigen, der das Haupt des Athleten kurzerhand verschlungen hat. Wie schon in den zum Teil vollständig hinterschnittenen Ranken, würde mit dem isolierten Kopf deutlich, dass der Bildhauer ein extrem ausgeprägtes vestibuläres Gespür für die räumliche Schichtung seiner Marmorsteinsäule besitzt, das auch einen kompletten Tierleib visuell nachvollziehbar in den Tiefenkern der Säule zu versenken vermag. Nur wenige Rankenknoten weiter in den Säulenwirteln beugt ein anderer Nackter sein rechtes Knie in die Pflanzentriebe (Bild 94), stützt seinen linken Arm auf dem anderen Knie auf und wendet sich zu dem breitbeinig eingewobenen Nackten mit Flügeln (Bild 85) zurück. Zwar gleichen sich Gesicht und das korbartig geflochtene Haar der beiden, aber bei dem Knieenden fallen darüber hinaus lange Haarsträhnen über die freie Schulter. Mit der kauernden und sich einduckenden Haltung sowie dem aufgestützten Arm ist der ängstliche Knecht des Husillos-Sarkophages übernommen, der diesmal um die Körperachse gedreht wurde und auf der Säule nicht mit seiner Außenkontur wie auf dem Sarkophag, sondern entsprechend mit zum Betrachter geöffneter Körperinnenseite zu sehen ist (Bild 94). Sowohl der stark nach außen gedrehte und der Wölbung der Säule folgende Spann des Fußes als auch die bildparallel gezeigte Sohle sind unverkennbar Merkmale des antiken Sarkophages. Während aber die linke Hand, die auf der Santiago-Säule keinen Schemel halten muss, locker der Innenseite des linken Oberschenkels aufliegt, geht die rechte Hand in Richtung des von einer Ranke verdeckten Genitals. Da die Schenkel durch die kniende Körperhaltung weit auseinandergespreizt sind, haftet allein der Geste der das Geschlecht verdeckenden Hand etwas Laszives an. Wie der gegen die Ranken ankämpfende gefallene Engel scheint auch dieser ostentativ Nackte zur Strafe wie Tantalus auf ewig in Ranken verfangen zu sein, die allerdings nicht mehr zurückweichen. Eine Windung tiefer wiederum wird das körperlich auf das Äußerste angespannte Kauern des Sarkophages vollends frei adaptiert, wenn ein weiterer Nackter um einige Grade ins Dreiviertelprofil gedreht wird (Bild 95) und sich mit kraftvoll angespannter Unterschenkel-, Arm- und Gesäßmuskulatur erneut wie Saturninus auf dem Gelduinus-Altar in Toulouse (Bild 91b) mit eigener Kraft aus den Ranken herauszuziehen oder mit diesen wie mit Zügeln zu lenken scheint; dies vollführt ein fünfter Nackter als Rankenstrippenzieher souverän (Bild 96).

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SANTIAGO – HEROEN, ATHLETEN, GEFALLENE ENGEL

Bild 92 Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule I: Hockender in Tunika. Bild 94 Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule I: Athlet in Ausfallschritt.

Bild 93 Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule I: Hockender mit Katzenkopf. Bild 95 Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule I: Hockender.

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II. PONDERIEREN – VESTIBULÄRE NACKTHEIT

Bild 96 Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule I: Rankenzieher.

Auf der vierten Säule entwickeln sich entlang des zentralen Strangs aus dem Schaft einer enorm stämmigen Weinranke (Bild 97) wie aus einem Quelltopf dicht übereinandergelegte Ranken, Astknospen, riesenhafte Trauben, Blüten, Raubtiere sowie Menschen. Ihr oberes Ende ist wie bei den übrigen Säulen stark beschädigt. In dem Fragment lässt sich ein Rundschild mit zwei fein abgesetzten Kreis-Profillinien erkennen (Bild 98). Dessen Innenseite mit Greiflöchern ist nach außen gewendet. Über den Schild wuchert eine Ranke, die sich vierfach verzweigt. Wo sich das Dickicht der Ranke allmählich lichtet, gewahrt man rechts unter dem Rundschild einen Fuß, der mit der Sohle nach oben gedreht und gleichzeitig leicht verkürzt ist, während links unter dem Schild der Spann des verdrehten anderen Fußes zu sehen ist. Die extreme Verrenkung der Gliedmaßen lässt es nahezu als Gewissheit erscheinen, dass unter dem Schild ein Getöteter liegt. Nach diesem makabren Einstieg steht leicht breitbeinig ein Mann in Tunika (Bild 99); sein rechter Fuß scheint jeder Anatomie zu spotten, indem er nach oben verdreht ist. Er hält die massige Zentralranke wie der Aquarius der Metope von San Isidoro in León die schlauchförmige Wasserschlange. Darunter hält sich ein Nackter, von dem nur der rechte Fuß zu erkennen ist, mit der Rechten an dem Mittelstrang fest und greift mit seiner Linken eine kleinere Ranke. Darunter kauert ein Halbnackter mit Flügeln in den Ranken (Bild 100), erneut in der Art des Knechtes mit dem Schemel auf dem Sarkophag aus Husillos,

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SANTIAGO – HEROEN, ATHLETEN, GEFALLENE ENGEL

Bild 97 Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule IV: Weinranke.

Bild 98 Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule IV: Toter unter Rundschild.

Bild 99 Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule IV: Tunikaträger in Ranke.

Bild 100 Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule IV: Hockender in Ranken.

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II. PONDERIEREN – VESTIBULÄRE NACKTHEIT

Bild 101

Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule IV: Nackter in Ranken.

Bild 102

Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule IV: Nackter Kopfflügler.

nicht ohne dass auch seine Füße auffällig unanatomisch wie verknotet wirken. Mit den waghalsig verrenkten Gliedmaßen hebt sich der Bildhauer dieser Säule von den anderen Künstlern ab, indem er sie als eine Art künstlerisches Markenzeichen vorführt. Die anatomischen Verrenkungen vermögen aber auch die deformierende Gewalt der fesselnden Ranken anzuzeigen. Die erstaunlichste Erscheinung ist jedoch ein Mann, auf dessen Bauchdecke sich Speckwülste Richtung Oberkörper stauchen (Bild 101), der aber sowohl nach seinem pausbäckigen Gesicht als auch nach dem winzigen Genital zu urteilen, das unter einer Ranke zum Vorschein kommt, einen kindlichen Eindruck erweckt. Er wirkt, als hätte der Bildhauer hier einen der Putten der antiken Säulen von Sankt Peter künstlich altern lassen. Auch sein linker Fuß ist stark nach oben verdreht und zusätzlich zur Betonung auf ein übergroßes Weinblatt gesetzt. Noch stärker verbogen ist allerdings sein linker Flügel, der hoch aufgestellt gegen den oberen Rand der Säulenkerbung zu drücken scheint und sich dieser anschmiegt. Die Gesichter aller Säulenfiguren sind merkwürdig eingekerbt, die Haare kaiserzeitlich antikisch onduliert. Viele der dargestellten Männer sind Kopfflügler. Wie auf der vorhergehenden Säule setzen alle Flügel in Kopfhöhe an oder wachsen, anders als bei Engeln, direkt aus den Köpfen heraus (Bild 102).

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SANTIAGO – HEROEN, ATHLETEN, GEFALLENE ENGEL

Bild 103

Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule V: Mann mit Griffel.

Bild 104

Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule V: Tanzender.

Zudem spricht die verquälte Verrenkung der Gliedmaßen sowie der mutmaßlich Tote unter dem Rundschild am Auftakt der Säule gegen eine Deutung der Szenerie als Himmelszone sub gratia als in Aussicht gestellte Verheißung bei Wohlverhalten, wie es der offizielle Begleittext im Kathedralmuseum bis heute suggeriert. An der mutilierten Spitze der fünften Säule findet sich vielleicht ein verkapptes Künstlerselbstportrait: Ein Mann mit Flügeln scheint mit einer angespitzten Rohrfeder oder einem Modellierstab in der Rechten etwas in die Kehle der Säule einzutragen (Bild 103). Als eine der wenigen Säulenfiguren ist er in eine Toga mit betonter Halspartie gekleidet, wobei der Stoffüberschuss an seiner Seite in eleganten Schwüngen ausläuft. Darunter findet sich die am stärksten verdrehte Figur des gesamten Säulenprogramms. Die zur Seite geknickte Körperhaltung des Geflügelten (Bild 104) sowie sein rechter angewinkelter Arm, der einen überschüssigen Zipfel seines Gewandes weit nach unten zieht, wirken wie ein Echo des Orestes in Delphi. Die Muskeln und Rippen seines Oberkörpers sind fast surreal durch einzelne Wülste betont, während der Kopf mit Doppelkinn, geblähten Backen und aufgeworfenen Lippen auf dem ballonartig aufgepumpt wirkenden Hals zu wippen scheint. Die Körper dieses Bildhauers sind etwas flacher, dafür von einem ungekannt feinen Oberflächenmuster mit

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II. PONDERIEREN – VESTIBULÄRE NACKTHEIT

Bild 105 Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule V: Mann, Uroboros und Vogel.

Ritzungen und Höhen überzogen. Auf sie folgt ein dichtes Gespinst fleischiger Ranken, Blätter und Trauben sowie ein anscheinend nackter Mann mit Flügeln (Bild 105), der wie durch einer Ranke watend, mit dem Oberkörper leicht nach hinten kippt. In der nach unten hängenden Rechten hält er einen mit Kugeln gefüllten Ring; seine linke, quer unter einer Ranke durchschlüpfende Hand hat er nach dem Muster des antiken Ganswürgers um den Hals eines feisten Vogel gelegt. Die umgreifende linke Hand jedoch ist mindestens doppelt so groß wie die linke und steht – abgesondert durch die Ranke – dem Anschein nach in keiner körperlichen Verbindung zu dem Mann, so dass es wirkt, als komme eine Art pervertierter Hand Gottes von oben oder aus dem Tiefenraum der Säule, die nach dem Vogel greift. Die Vorliebe für subtile Oberflächenmuster als Merkmal des Bildhauers der fünften Säule offenbart sich wiederum in dem Haar des Vogelwürgers, das zu einem Fischgrätzopf geflochten, raffiniert in die kielbogige Spitze eines Diadems mündet. Vor allem aber ist den Oberschenkeln ein hauchfeiner Grat aufgelegt, der schräg nach oben ziehend und auf dem linken Schenkel überlappend, nichts anderes als einen schleierdünnen Stoff andeuten kann, der sich hauteng um die prallen Beine schmiegt. Trotz seines massigen Körpers mit den beladenen Armen watet er erstaunlich leichtfüßig durch die Ranken, die nach ihm zu schnappen scheinen. Solcherart schwerelose Motive von Körpern im Raum wurden dem elften Jahrhundert bisher nicht zugebilligt. Die Lösung für diese plötzliche Freisetzung

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SANTIAGO – HEROEN, ATHLETEN, GEFALLENE ENGEL

Bild 106 Madrid, Museo Arqueológico Nacional, Orestessarkophag: Schlafende Erinnyen.

des nackten Vestibulärsinns in alle Richtungen lag in der Inspiration durch den Orestessarkophag. Auf dem engem Raum des Sarkophagreliefs sind Körper in mehreren Ebenen derart spannungsreich verflochten, dass die Körperhaltung einer Figur die einer weiteren bedingt. Ein einziges Beispiel mag dies beleuchten: Die in der linken unteren Ecke mit dem Rücken zum Reliefrand schlafende Erinnye (Bild 106) ruht mit ihrem Kopf auf der Hand, die von der aufgestellten Streitaxt gestützt wird. Die Axt wiederum wölbt die Bodenscholle, auf der die Furie über ihr in einer dem kauernden Knecht der Klytaimnestra sehr ähnlichen Haltung schläft, leicht, aber sichtbar nach oben. Dadurch wird zugleich deren linkes Bein gerade so weit aufgesockelt, dass ihr Haupt in der richtigen Schlafhöhe auf dem Knie ruhen kann. Der Fuß der oberen Erinnye scheint dabei zur weiteren Höhengewinnung durchgebogen, der Spann ist – wie bei den Kauernden auf den Säulen mehrfach beobachtet – nach außen verdreht, während

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II. PONDERIEREN – VESTIBULÄRE NACKTHEIT

die Spitze des Fußes von dem kräftigen Haarschopf der unteren Schlafenden überschnitten wird, wodurch beide zusätzlich optisch verbunden werden. Mit derart delikaten Verstrickungsmotiven bot der Sarkophag das bestmögliche Vorbild für die Formgelegenheit des noch engeren Ineinander auf einem Rankenkapitell oder einer -säule.

I I I . TA S T E N – T Ü C H E R

Isidors Einführung in die Geschichte menschlicher Gewandung und deren Symbolgehalte überrascht. Er leitet den Namen des zweitältesten Kostüms nach dem perizomatum-Gürtel aus Feigenblättern sensuell vom Rascheln des Stoffes ab: „Tunika wird ein sehr altes Kleidungsstück genannt, weil es durch die Bewegung des Einhergehenden einen Ton (sonus) von sich gibt. Tonus ist nämlich sonus.“1 Bereits der Zeuxis-Mythos als Beginn der augentäuscherischen Malerei hatte mit dem trügerischen Stoff des Vorhangs eine vestimentäre Metapher benutzt. Erst recht erscheint das aufgespannte Vorhangmotiv in der polyvalenten Pilgerwegsikonographie in immer wieder neu gearteten Kontexten. Das sinnliche Begreifen von Stoff kann im Wortsinn das Begreifen seiner jeweiligen Bedeutung eröffnen: „Denn durch Tasten prüfen wir, was wir mit den anderen Sinnen nicht entscheiden können.“2 Durch die Art, wie und wieviel Tuch jeweils fällt und fältelt, ist zu erfassen, welche Konnotation dem Stoff gegeben werden sollte.3 Das Herantasten an diese von Fall zu Fall divergierenden Bedeutungsschichten scheint jedenfalls angesichts der komplexen spanischen Beispiele ausschließlich über die Analyse der Stofflichkeiten möglich. 1 2 3

Etym. XIX,22,6. Etym. XI,1,23. Unverändert fehlt eine Ikonologie der Stofflichkeit und der Kleidung für das frühe und hohe Mittelalter, wie Willibald Sauerländer bereits 1983 beklagte; vgl. Willibald Sauerländer: Kleider machen Leute. Vergessenes aus Viollet-le-Ducs „Dictionnaire du mobilier francais“, in: Arte medievale 1 (1983), S. 221–240, hier S. 221. Auch die jüngste Arbeit versucht dies erst gar nicht, vgl. Katrin Kania: Kleidung im Mittelalter. Materialien – Konstruktion – Nähtechnik; ein Handbuch, Köln/ Weimar/Wien 2010. Für Spanien als Konfliktzone der zwei Religionen Christentum und Islam ist beispielsweise bedeutsam, dass orientalische Textilien und Stoffe im christlichen Kontext nicht grundsätzlich negativ konnotiert sein müssen. Wie das Beispiel der um 1063 offenbar eigens für die Bettung der Reliquien Isidors von Sevilla geschaffenen und teuer bezahlten kostbaren Seide aus omayyadischer

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A

III. TASTEN – TÜCHER

Jac a – Sc h leier, Fessel n u nd Ver st r ic k u ngen

Nicht nur tauchen in der Kapitellskulptur Jacas nahezu alle nackten und bekleideten Figuren des Husillos-Sarkophages in mehr oder weniger abgewandelter Form wieder auf. Auch ein isoliertes Tuch-Motiv des Orestessarkophages wird durch beständige Wiederholung über mehrere Kapitelle hinweg zu einem einprägsamen Erkennungszeichen des Jaca-Meisters. Der völlig nackte OrestesGefährte Pylades duckt sich leicht hinter der Tuchbahn, die er lediglich mit seiner Linken aufspannt, während er in der Rechten sein Schwert hält (Bild 107). Auf der gegenüberliegenden Seite wird das Tuch grausigerweise nicht von einer lebendigen Hand, sondern vom Knie des unter den Schwertstreichen Orests sterbenden, kopfüber in qualvoller Verrenkung von seinem Thron stürzenden Ursupators Aigisthos aufgespannt. Die „ideale Nacktheit“4 des Heroen Orestes wird durch das wenige an Stoff über seinem Arm noch hervorgehoben,5 während andererseits Entblößungen Bekleideter als schwerwiegende und kaum wiedergutzumachende Entehrungen galten.6 Der links von Orestes stehende, zwillingshaft ähnliche Gefährte Pylades wurde vermutlich von einem mittelalterlichen Bildhauer aufgrund seiner Nacktheit und des Schwertes ebenfalls als simultan gezeigter zweiter Adam im Kampf gegen das Böse gedeutet,7 das ihm in Form des bärtigen, kraus-

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oder nordafrikanischer Produktion erweist, wurden orientalische Stoffe im christlichen Norden des Landes oft als hochgeschätzte Luxusgüter und Geschenke angesehen, denen überdies eine hieratische Stellung eignen konnte, wenn sie wie im Fall der Isidorschrein-Seide in religiöse Kontexte eingebunden waren; vgl. Ausst.-Kat.: The Art of Medieval Spain (a. a. O.), S. 238. Zu Stoffen in reliquiarischem Gebrauch vgl. Kristin Böse: Spürbar und unvergänglich. Zur Visualität, Ikonologie und Medialität von Textilien und textilen Reliquiaren im mittelalterlichen Reliquienkult, in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 33 (2006), S. 7–27. Für den ausfransenden Übergangsbereich vom Spätmittelalter zur frühen Neuzeit ist diese Ikonologie der Gewandung inzwischen eingelöst; vgl. Philipp Zitzlsperger: Dürers Pelz und das Recht im Bild. Kleiderkunde als Methode der Kunstgeschichte, Berlin 2008. Übernommen ist hier der Begriff, dem der Archäologe Nikolaus Himmelmann mehrere wichtige Abhandlungen gewidmet hat, vgl. Himmelmann: Ideale Nacktheit (a. a. O.), S. 44. Vgl. dagegen Luca Giuliani, der zuletzt das „menschlich–unzulängliche“ dieses Tuchmotives stärker betont hat: „Orest hat die mantelumhüllte Linke erhoben, wie um sich zu verteidigen, aber es liegt auf der Hand, dass ein Stück Stoff keinen wirksamen Schutz darstellen wird.“ Vgl. Luca Giuliani: Bild und Mythos. Geschichte der Bilderzählung in der griechischen Kunst, München 2003, S. 249. Zu dieser engen Verknüpfung von Raptus, Ehrverlust und stofflicher Taktilität Juliane Vogel: Galatea unter Druck. Skizzen zu einer Geschichte des räuberischen Griffs, in: Taktilität. Sinneserfahrung als Grenzerfahrung, hg. v. Jörg Huber, Zürich 2008, S. 95–102. Zu unmittelbar benachbarten Simultandarstellungen, vgl. beispielsweise Clausberg: Der Erfurter Codex Aureus (a. a. O.), S. 40.

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JACA – SCHLEIER, FESSELN UND VERSTRICKUNGEN

Bild 107 Madrid, Museo Arqueológico Nacional, Orestessarkophag: Pylades. Bild 108 Madrid, Museo Arqueológico Nacional, Orestessarkophag: Pylades mit AigisthosTuch.

haarigen und damit für mittelalterliche Augen vermutlich dämonisierten, zumindest aber gegen den jugendschönen Orestes abgewerteten Alten unterliegt. Das von Pylades mit geballter Faust kraftvoll von Aigisthos’ Körper gezogene Tuch (Bild 108), dessen Überschuss rechts in deutlicher Entfernung vom Körper aus seiner Hand in langen, über Orests Oberschenkel scharfgratig umknickenden Falten nach unten fällt, soll im Folgenden „Pylades-Motiv“ (Bild 108a) genannt werden. Es scheint in Jaca als Zeichen des Sieges über Sünde und Tod gedeutet

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III. TASTEN – TÜCHER

Bild 109

Jaca, San Pedro, Kapitell: Verkündigung.

worden zu sein, denn dieses Tuch kehrt auf insgesamt acht Kapitellen der Kathedrale in meist positiv konnotierten Zusammenhängen wieder. Jedesmal wird dabei dieser überschüssige und äußerst diffizil zu meißelnde, fein fältelnde Stoff derart bewusst gezeigt, dass seine zeichenhafte Repräsentationsabsicht kaum übersehen werden kann. Die Maria der Verkündigungszene (Bild 109) an dem vierten südlichen Seitenschiffpfeiler wird symmetrisch von zwei Engeln, deren hochgestellte Flügel sie baldachinartig überhöhen, sowie von zwei Blattnischen flankiert. In der Nische links hockt lauernd unter dem Blatt verborgen eine Eva-Luxuria mit einer Schlange über den Schultern.8 In der rechten Nische kauert ein Affe, der etwas apfelähnlich Rundes zum Mund führt und damit in einer Art Persiflage den Sündenfall nachäfft.9 Ungewöhnlich breitbeinig wie Orestes stehend,

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Moralejo Álvarez zufolge ist die Verdopplung des Verkündigungsengels, die sich auch auf dem Verkündigungskapitell der Porte Miègeville in Saint-Sernin de Toulouse findet, auf apokryphe Quellen zurückzuführen, vgl. Moralejo Álvarez: Aportaciones a la interpretación (a. a. O.), S. 196. Vermutlich ist diese absolute Symmetrie vom Künstler aber bewusst dem kauernden und geduckten, oft chaotischen Bösen im Sinne einer göttlichen Harmonie und perfekten Ordnung kontrastierend gegenübergestellt. Für den dämonisierten Affen als „ars simia naturae“, vgl. Janson: Apes (a. a. O.), S. 115, sowie Durliat: Romanisches Spanien (a. a. O.), S. 121.

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JACA – SCHLEIER, FESSELN UND VERSTRICKUNGEN

Bild 109a Jaca, San Pedro, Verkündigungskapitell, Detail Maria: Pylades-Motiv.

nimmt Maria mit einer römisch-kaiserzeitlichen Brandeisen-Frisur und einem stoffreich in drei Schichten aufgebauten Gewand unüberschnitten die gesamte Kapitellmitte ein, während die beiden Engel nahezu körperlos hinter den Blattnischen entrückt sind. In diesen Freiraum rechts von Maria bis zur Nische fällt überraschenderweise in weitem Schwung über ihre Hand ein Tuch (Bild 109a), das sich wie bei Pylades auf dem Orestessarkophag, deutlich abgerückt vom Körper, nach drei gegenläufig umknickenden Kurven fächerförmig nach unten aufweitet. Maria aber wendet die Hand, über deren Rücken das Tuch mit dem Pylades-Motiv fällt, in eleganter Pose in Richtung ihres Leibes zurück. Das freigestellte Tuch des Heils bettet so die entscheidende Geste der leiblichen Empfängnis stofflich ein, in welcher der durch Eva ausgelöste Sündenfall durch Maria als neuer Eva aufgehoben wird.10 Die auffällig parataktischen Röhrenfalten des Untergewandes Mariae unter einem anders gearteten Übergewand lassen sich dabei überraschenderweise bis ins Detail aus der Gewandung der Göttin Athena von der linken Schmalseite des Orestessarkophages ableiten (Bild 110). Dort bilden die Röhrenfalten eine Art plastischer Rippen aus, während das offensichtlich schwere 10

Nach wie vor nicht überholt zu dieser Typologie ist Ernst Guldan: Eva und Maria. Eine Antithese als Bildmotiv, Graz 1966.

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III. TASTEN – TÜCHER

Manteltuch ganze Partien ohne Faltenwurf aufweist, so dass beispielsweise auf der linken Seite der Göttin eine körperlange Falte glatt umlappt. Wo im Halsbereich das Tuch einbuchtet, kommt zusätzlich die darunter liegende AegisSchlangenhaut zum Vorschein. Damit sind bei Athena mindestens drei grundverschiedene Stofflichkeiten durch Faltenwurf und Haptik auf das genaueste differenziert: das wahrscheinlich aus schwerer Wolle gefertigte Manteltuch; das leicht sich stauchende Untergewand sowie die geschuppte Schlangenhaut auf dem Brustpanzer der Göttin. An diese Feinheiten einer vestimentären Differenzierung der Antike tastet sich der Meister von Jaca in fast jeder seiner Figuren heran. An dem Beispiel des Verkündigungskapitells ist darüber hinaus zu erkennen, dass der Bildhauer von dem Motiv des Pylades-Heilstuches zu der auffälligen Symmetrie einer Verkündigung mit zwei Engeln gelangt und nicht umgekehrt. Die Komposition der in der Kapitellmittelachse übergroß wie die Athena Minerva der linken Sarkophagschmalseite (Bild 110) gegebenen Maria ist formal präzise ausponderiert, da die aufgestellten Flügel der Engel ein Dach bilden, unter dessen Scheitelpunkt sie steht.11 Darüber hinaus befreit der Bildhauer Maria von der biblisch zugeschriebenen Passivität und Demut einer Magd. Selten ist bei Verkündigungen die Darstellung Mariae als aufrecht Stehende, noch seltener der auf dem Kapitell eingesetzte Größenmaßstab, da Maria nicht nur deutlich größer als die Engel ist, sondern ihnen auch mit dem breitbeinigen Orestes-Motiv in keiner Weise demütig, sondern selbstbewusst begegnet. Obwohl die Grußgeste Marias und die Orientierung des Körpers nur auf den ihr gegenüber stehenden Gabriel ausgerichtet scheint, interagiert sie doch mit beiden Engeln: indem sie mit ihrer Hand, über deren Rücken das Tuch fällt, in einer eleganten Geste in Richtung ihres Leibes als Sitz der Inkarnation weist, zeigt sie zugleich auf den Engel hinter ihr. Wieder wird das Tuch zum aktiven Gestaltungsmittel des Geschehens, ohne seinen Gehalt als Heilstuch zu verlieren, da Maria bei Ephraim dem Syrer als Hülle Christi bezeichnet wird.12

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Das Problem einer Ikonologie der Symmetrie und Asymmetrie in der mittelalterlichen Kunst ist noch nicht annähernd ausgeschöpft; wichtige Überlegungen finden sich bei: Karl Clausberg: Symmetrie als Syntax mittelalterlicher Bilderschriften. Kunsthistorische Übergangsformen eines „Über-Historischen“ Gestaltungs-Prinzips, in: Symmetrie in Kunst, Natur und Wissenschaft, hg. v. Bernd Krimmel, Bd. 1: Texte, Darmstadt 1986, S. 233–256, hier v. a. S. 242. Zur Gestik im spanischen Mittelalter nun Alicia Miguélez Cavero: Gesto y gestualidad en el arte románico de los reinos hispanos: lectura y valoración iconográfica, Madrid 2010, S. 121–133. Für gute Überblicke zu den Gewandmetaphern bei Ephraim dem Syrer siehe Aleksander Kowalski: Revestiti di gloria. Adamo ed Eva nel commento di S. Efrem a Gen 2:25, in: Cristianesimo nella storia 3 (1982), S. 41–60, sowie Sebastian P. Brock: Clothing Metaphors as a Means of Theological Expression in Syriac Tradition, in: Typus, Symbol, Allegorie bei den östlichen Vätern und ihren Parallelen im Mittelalter (Eichstätter Beiträge 4), hg. v. Margot Schmidt, Regensburg 1982, S. 11–38.

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JACA – SCHLEIER, FESSELN UND VERSTRICKUNGEN

Bild 110 Madrid, Museo Arqueológico Nacional, Orestessarkophag, linke Schmalseite: Erinnye und Athena beim Scherbengericht.

Das Grundproblem der Symmetrie, die Spannungsarmut der Statik, ist durch diesen gestischen Rück- und Einbezug vermieden. Der offenkundig furchtlose Schlangenhalter im Zentrum des ersten südlichen Scheidbogenkapitells nach Durchschreiten des Westportals der Kathedrale (Bild 29) wird eng von zwei Männern und zwei Raubkatzen flankiert. Die Deutung der Darstellung ist – wie gesehen – umstritten. In auffälligem Kontrast zu einem nackten Fackelhalter auf der linken Kapitellschmalseite steht auf der rechten Seite eine in große Mengen Tuch gehüllte Figur (Bild 29b).13 Die aufgrund ihres weit ausflatternden Kopftuches vermutlich weibliche Figur hält die Raubkatze der Stirnseite mit ihrer Rechten an der Mähne.14 Ihr Gewand zeigt 13 14

Vgl. Moralejo Álvarez: Aportaciones (a. a. O.), S. 88. Zum „dionysischen“ Charakter der Darstellung, vgl. Trinks: Hac in sculptura (a. a. O.), S. 49. Aufgrund der Raubkatze und der Gewandfülle wurde die Frau von Moralejo Álvarez mehrfach mit dem Apokalyptischen Weib des Beatus von Saint-Sever (Paris, Bibliothèque Nationale, ms. Lat. 8878, fol. 52v) verglichen. Weder reitet die Frau aber auf der Raubkatze wie im Beatus, noch wirkt diese sonderlich wild: Furchtlos hält die Verschleierte die Raubkatze offenbar an einer Leine. Die verführerische Formanalogie zwischen dem vorgeblich orientalischen Schleier der Skulptur in der Umzeichnung Moralejo Alvarez’ und dem Schleier des Beatus von Saint-Sever erweist sich bei genauem Vergleich vor dem Original als Konstrukt der Zeichnung.

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III. TASTEN – TÜCHER

das Pylades-Motiv erneut, nicht ohne es abzuwandeln und zu bereichern. Die Gewandbahnen fallen hier über die Schulter nach unten; dort verzweigen sie sich in einen leicht abstehenden Saumzipfel sowie eine ornamentale Blütenform (Bild 29c), die von der linken Hand der Frau von unten gestützt wird. In ihrer ungeheuren Stoffülle ist sie opulent betucht und bildet eine offenbar bewusst gesetzte Antithese zu dem nackten Löwenhalter auf der linken Schmalseite des Kapitells. Mit den Tuchfluten, völliger Nacktheit des Mannes auf der linken Schmalseite und dem Halten einer Schlange greift das Kapitell die zentralen Motive des Orestessarkophages auf und entzieht sich schon insofern gängiger christlicher Ikonographie. Das Rätsel der Frau in Tuchmassen lässt sich ebenfalls nur über das scheinbar marginale Tuch auflösen. Die Stoffmassen quellen der Frau buchstäblich aus der Hand. Derartige Mengen an Stoff, die zudem große Teile des Körpers und des Hauptes verbergen, erregen fast zwangsläufig den Verdacht des Kleiderluxus. Dieser Vorwurf findet sich besonders häufig gegen Araberinnen formuliert, denen potentielle Promiskuität und Betörung durch Schleiertänze und Gewandschlingen unterstellt wurden. Zusammen mit dem nackten Löwenführer der linken Schmalseite scheint hier das sündhafte Babylon in dem extremen Gegensatz eines unzüchtig nackt Umherlaufenden und der verführerischverhängnisvoll ihre Opfer in Stoffmassen verwickelnden Frau seine allegorische Formulierung gefunden zu haben. Auf dem linken Gewändekapitell des Südportals der Kathedrale versucht ein Engel die Eselin des widerspenstigen Propheten Bileam mit erhobenem Schwert zu stoppen (Bild 111). Nur mit Mühe gelingt es ihm, die Stoffmassen seines Gewandes zu bändigen. Er steht breitbeinig wie Orestes da. Über seine zeichenhaft große linke Hand fällt in zwei voluminösen Schüben und mehreren Kehren eine Stoffflut (Bild 111a), die bereits weit hinter dem Rücken des Engels beginnt, über seinen Oberarm in einem Bogen nach unten stürzt, um von seiner Linken wieder nach oben befördert zu werden. Als himmlischer Sendbote muss er zwar eingekleidet erscheinen, reißt aber für das PyladesMotiv so viel Stoff nach oben, dass dadurch sein linker Unterschenkel unschicklich entblößt wird. Mit diesem Detail legt der sogenannte Jaca-Meister auf subtile Weise Pylades als Vorbild für den Engel frei. Fast scheint es, als wolle er damit bewusst auf den Husillos-Sarkophag als Quelle seiner Kunst hinweisen. Die Stoffbahnen binden zudem die beiden Kapitellseiten visuell wieder zusammen, die aus Gründen der Narration getrennt bleiben müssen, um die UnsichtVgl. Serafín Moralejo Álvarez: The Tomb of Alfonso Ansúrez (†1093). Its Place and the Role of Sahagún in the Beginnings of Spanish Romanesque Sculpture, in: Santiago, Saint-Dénis, and Saint Peter. The Reception of the Roman Liturgy in LeónCastile in 1080, New York 1985, Fig. 3 und 4.

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JACA – SCHLEIER, FESSELN UND VERSTRICKUNGEN

Bild 111 Jaca, San Pedro: Engel und Bileams Eselin. Bild 111a Jaca, San Pedro, linkes Südportal-Gewändekapitell, Detail Engel: Pylades-Motiv. Bild 111b Jaca, San Pedro, linkes Südportal-Gewändekapitell: Bileam auf der Eselin.

barkeit des Engels, der die Eselin stoppt, für Bileam verständlich zu machen. Die Ausläufer des Engelsgewandes berühren hier ironischerweise nicht wie auf dem Sarkophag den Oberschenkel des Heroen Orestes, sondern den des Esels, wo sie umknicken. Darüber hinaus bewirkt die geschilderte Formvarianz in einem reziproken Prozess einschneidende Veränderungen der Erzählstruktur selbst. Bei dem

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III. TASTEN – TÜCHER

Bileam-Kapitell erweitert der Bildhauer die biblische Erzählung um die Invention des Pylades-Tuches und gestaltet sie damit auch für Illiterate nachvollziehbarer. Der Engel stoppt die Eselin nicht mit Waffengewalt, sondern hält ihr das Heilstuch wie ein Torrero im Stierkampf vor Augen, wodurch selbst bei völliger Unkenntnis der alttestamentlichen Stelle der Kern der Geschichte verständlich wird. Das Tuch vor Augen und damit ohne Sicht, stemmt die Eselin die Hufe in den Boden und bremst ab (Bild 111b). Der Reiter gerät über diese abrupte Stockung in Rage und holt mit der Gerte aus, um das Tier zum Weiterlaufen anzutreiben. Der Engel erhebt daraufhin warnend das Schwert als Signal, Einhalt zu gebieten, und wird im nächsten Moment Bileam zur Rede stellen. Das Schwert alleine würde von einem Illiteraten vermutlich als Drohgebärde gegenüber dem Esel verstanden werden. Mithilfe des auffälligen Tuchs hingegen wird die Geschichte anschaulich vom Bildhauer modifiziert, das Tuch selbst mit einer Eigenmotorik versehen und aktiviert. Die Kraft des Sarkophagtuches vermag noch dazu den sakrosankten Bibeltext umzuformen. Zudem materialisiert sich in einer zweiten Sinnschicht zugleich die Wirkmacht des Engels in dem Pylades-Tuch, das von dem Bildhauer als ein Erkennungszeichen über insgesamt sechs Kapitelle gespannt ist. Auf der Schmalseite des linken Gewändekapitells am Westportal (Bild 77) sind wie schon auf der Stirnseite mit der beobachteten Übergabeszene (Bild 76) zwei ebenfalls antikisch gekleidete und sich gegenüberstehende Männer zu sehen, deren Gewänder weniger in Pathosformeln abstehen, als vielmehr wellenartig über die Körper gelegt sind. Der linke hält in seinem rechten Arm einen stabartigen Gegenstand diagonal vor seinen Körper und scheint diesen der rechten Person, die er mit geöffneter linker Hand begrüßt, weiterreichen zu wollen. Dabei ergießt sich über seinem linken Arm das Pylades-Motiv mit dem überlappenden Faltenüberschuss. Dass es sich bei den Übergabeszenen um Momente großer Feierlichkeit handelt, zeigen die ernsten Mienen und die eng zusammengerückten Köpfe, die sich beinahe in der Mitte berühren und Auge in Auge gegenüberstehen. Das hochwirbelnde Gewand, das nicht vom Wind bewegt wird, da die Gewänder der anderen Figuren regungslos verharren, lässt als bewegtes Beiwerk die innere Anspannung der rechten Figur auf der Hauptseite augenfällig werden. Anders als bei frühchristlichen Sarkophagen ist hier nicht hieratische Statik betont, welche die Apostel zu einer einheitlichen Masse unter den die Körper verschleifenden Gewändern zusammenfassen würde. Die einzelnen Charaktere werden gerade durch die hochflatternden Tücher betont und individuell behandelt. Das Kapitell ist ebenso kunstvoll in der Verschleifung aller Körper und Gewänder wie rätselhaft in seiner Ikonographie. Bis heute existieren nur wenige Versuche einer Interpretation. Francisco Iñiguez Almech verlegte die Szene der Schmalseite mit Verweis auf muslimisch-eschatologische Texte als fried-

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JACA – SCHLEIER, FESSELN UND VERSTRICKUNGEN

fertige Diskussion zweier Schriftgelehrter in einen paradiesischen locus amoenus des Limbo.15 Weder aber gab er eine überzeugende Begründung, warum in einer Kathedrale muslimische Texte umgesetzt worden sein sollten, deren Entstehung der Verlegung der Hauptstadt aufgrund kriegerischer Auseinandersetzung mit den nahen muslimischen Truppen geschuldet ist, noch berücksichtigt diese Deutung die Übergabe eines rechteckigen Gegenstandes auf der anderen Seite. Marcel Durliat wollte in der queroblongen Form den „Stein der Gerechtigkeit, den Eckstein als Sinnbild Christi“ nach 1. Korinther 10,4 sehen, jedoch ohne dies zu begründen und unter Auslassung der Schmalseite, auf der ein länglicher, stab- oder rollenartiger Gegenstand gehalten wird.16 David L. Simon identifizierte zuletzt die Darstellung unter Anführung der unterschiedlichen alttestamentarischen Stellen und verschiedenster Buchmalerei-Vorbilder des zehnten und elften Jahrhunderts als die Übergabe der mosaischen Gesetzestafel, mit Moses’ Bruder Aaron als Gegenüber und einem stellvertretenden Israeliten in dem gebückt herantretenden der rechten Seite.17 Bestechend klingt die These, weil König Sancho Ramírez in einer Bulle des Jahres 1084 durch Papst Gregor VII. expressis verbis als „Neuer Moses“ bezeichnet wurde, der den römischen Ritus sowie das römische Recht in seinem Königreich Aragon eingeführt und sich durch die Fueros als mächtiger Gesetzesbringer erwiesen habe.18 Zudem wäre mit Moses’ das Programm alttestamentarischer Heroen als möglicher Verweis auf herrscherliche Tugenden des Monarchen an den Portalen der Kathedrale von Daniel und Isaak über Bileam bis Samson fortgesetzt.19 Drei Einwände sprechen indes gegen diese Interpretation. Das Hauptargument gegen seine Identifizierung liefert Simon mit der zitierten Stelle aus Exodus 34,29-33 selbst,20 wo die Furcht der Israeliten vor Annäherung an den vom Berg Sinai herabgestiegenen Moses beschrieben wird. Eine engere Verschmelzung als durch die überschnittenen Beine der Kapitell-Übergabeszene lässt sich nicht vorstellen; selbst der angebliche Israelit nähert sich dem vorgeblichen Moses derart eng von hinten, dass er vollständig unter dessen aufflatternden Mantel kauert (Bild 76). Zudem übergibt dieser nicht zwei Tafeln, wie die Pluralform der Stelle des Alten Testaments festlegt. Schließlich vernachlässigt auch Simon die Dopplung der Übergabe auf der Schmalseite, die dem Bildhauer offensichtlich derart wichtig war, dass er die Körper in ihrer plastischen und gestischen Präsenz stärker durchbildet als die vorgebliche Moses-Szene. 15 16 17 18 19 20

Francisco Iñiguez Almech: La escatología musulmana en los capiteles románicos, in: Principe de Viana 27 (1967), S. 265–275, hier S. 273. Vgl. Durliat: Romanisches Spanien (a. a. O.), S. 123. Ebd., S. 215. Ebd., S. 218. Ebd., S. 219. Ebd., S. 216.

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III. TASTEN – TÜCHER

Da auf beiden Kapitellseiten eindeutig Übergabeszenen zu erkennen sind, soll hier stattdessen die Darstellung als sogenannte Traditio legis, der symbolischen Übergabe des Gebote Christi in Form eines gewichtigen Codex an Petrus,21 dem ungewöhnlicherweise ansonsten nicht in Jaca dargestellten Patron der Kathedrale, identifiziert werden. Auf der Schmalseite wäre demzufolge die Traditio legis an Paulus dargestellt, dem als „Apostel Spaniens“ kaum weniger Bedeutung als Petrus zukommt. Eine vergleichbare Gesetzesübergabe an die Apostelfürsten Petrus und Paulus mit zwei sehr unterschiedlich gestalteten, ebenfalls wie Stoff fließenden Rotuli ist zum Beispiel auf dem spätantiken Sarkophag des Junius Bassus in Rom zu sehen (Bild 112).22 Diese oder ähnliche Darstellungen der Traditio legis könnte König Sancho Ramírez und seine Entourage, zu der nach mittelalterlichem Usus fast immer auch Künstler zählten, auf seiner Romreise im Jahr 1068 gesehen haben; der papsttreue und Rom mit erheblichen Summen unterstützende Regent wurde von Papst Alexander II. mit allen Würden empfangen und hat das Grab des Apostelfürsten in Alt-Sankt Peter sicher besucht.23 Das vielleicht abgründigste Zitat des Husillos-Sarkophages und insbesondere des Pylades-Motivs findet sich auf einem in die 1090er Jahre zu datierenden Kapitell der Kathedrale von Jaca am dritten südlichen Mittelschiffspfeiler, das den durch das Südportal eintretenden Besucher direkt konfrontiert. Auf der Stirnseite bewegt sich ein tanzendes und durch hauchdünne Schleier nur notdürftig verhülltes Paar zur Musik zweier seitlich postierter AulosSpieler (Bild 113). Der links Stehende rafft hier mit der Hand seines angewinkelten, zum Tanz in die Hüfte gestemmten linken Armes das über der Schulter gefibelte Pylades-Tuch.24 Es fällt diesmal jedoch nicht nach unten, sondern flattert 21

22 23 24

Für die unterschiedlichen Darstellungstraditionen der Traditio legis und die Genese dieser Ikonographie, vgl. Gerke: Die christlichen Sarkophage (a. a. O.) und Wilhelm Schuhmacher: Artikel „Traditio legis“, in: Lexikon der Christlichen Ikonographie, hg. v. Engelbert Kirschbaum, Rom/Freiburg/Basel/Wien 1994, Bd. 3, S. 347–351. Ob und wie der Sarkophag des 359 n. Chr. verstorbenen Stadtpräfekten Junius Bassus in Alt-Sankt Peter präsentiert wurde bleibt unsicher, vgl. Friedrich Gerke: Der Sarkophag des Iunius Bassus, Berlin 1936, S. 15. König Sancho Ramírez sucht Papst Alexander II. in Rom im Jahr 1068 relativ zu Beginn seiner langen Regierungszeit (1063–1094) bewusst als Zeichen seiner Romtreue auf, vgl. Werner Schäfke: Nordwestspanien, Köln 1987, S. 31. August Nitschke hat nachweisen können, dass die charakteristische Geste des Armin-die-Hüfte-Stemmens typisch für einen erst im elften Jahrhundert neu aufkommenden „intimeren“ Tanzstil ist, während davor die gemeinsamen Rundtänze größerer Gruppen absolut dominierten. Vgl. August Nitschke: Tänze im Hochmittelalter und in der Renaissance. Methodische Überlegungen zur Rekonstruktion von Tänzen, in: Gepeinigt, begehrt, vergessen. Symbolik und Sozialbezug des Körpers im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit, hg. v. Klaus Schreiner/Norbert Schnitzler, München 1992, S. 263–284, hier S. 272 und 274.

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JACA – SCHLEIER, FESSELN UND VERSTRICKUNGEN

Bild 112 Rom, Vatikanische Museen, Schatzkammer, Detail des Junius Bassus-Sarkophags: Traditio legis.

auf und spiegelt so als bewegtes Beiwerk die Dramatik des Moments. Die Tänzerin rechts versucht ihr Gegenüber ebenso in Richtung Kapitellschmalseite zu ziehen, in die auch ihr Arm ausgreift, wie ihr Partner mit einem Fingerzeig in die entgegengesetzte Richtung strebt. Auf den Schmalseiten aber, für beide noch unsichtbar, weil hinter der Kapitellecke verborgen, warten grinsend und mit gefletschten Zähnen zwei Dämonen: links ein katzenartiges Wesen (Bild 113a), das mit seiner Pfote Richtung Stirnseite ausgreift; rechts ein Dämon mit breitschädeligem Raubtierkopf (Bild 113b), der den Großteil der Stoffbahnen auf der Vorderseite aus seinen Klauen gehen lässt. Über den Rücken des rechten Flötenspielers weht eine Stoffbahn wie ein ausgespanntes Segel über den Unterkörper der Frau. Ein weiteres Tuch wellt sich vom Dämon ausgehend über den Kapitellring zur Mitte, wo es sich mit einer von links her entgegenkommenden Stoffbahn verbindet, die nach oben fliegt und sich auffächert. Die hier erkannte

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III. TASTEN – TÜCHER

Bild 113 Jaca, San Pedro, Kapitellstirnseite: Schleiertanz.

bukolische Badeszene25 erweist sich als ein von Dämonen verursachter und kontrollierter Schleiertanz. Wie ein Marionettenspieler hält der monströse Dämon rechts die Stoffbahnen in seinen Klauen, um die in den Schleiern verfangenen, selbstvergessenen Tänzer unaufhaltsam in seine Richtung zu ziehen. Vor einem Kapitell wie dieser bestrickenden Darstellung eines Schleiertanzes dringt eine christlich-moralisierende Sinnschicht schon deshalb kaum durch, weil der Betrachter buchstäblich in die Stoffe involviert wird, indem er permanent versucht, die kunstvoll verwobenen Schleierbahnen visuell zu verfolgen. Der mittelalterliche Betrachter dürfte angesichts der unübersehbaren Attraktion halbnackter Tänzer in hauchdünnen Schleiern kaum weniger gebannt gewesen sein, zumal eine mögliche drohende Konsequenz durch die Dämonen noch auf der Schmalseite verborgen blieb. Die unbändige Spiellust des Bildhauers zeigt sich in der Umwertung der bisher in durchgehend positiv konnotierten Zusammenhängen eingesetzten Husillos-Zitate. Selbst ein Heros – und der halbnackte Tänzer auf der Kapitell25

Vgl. Moralejo Álvarez: La sculpture romane (a. a. O.), S. 79–106, hier S. 88, sowie Durliat: La sculpture romane (a. a. O.), S. 235f., sahen in den abknickenden und gefältelten Stoffmassen Wasser, dagegen die richtige Deutung als Tücher bei Horst Bredekamp: Die nordspanische Hofskulptur und die Freiheit der Bildhauer, in: Studien zur Geschichte der Europäischen Skulptur im 12./13. Jh., 2 Bde., hg. v. Herbert Beck/Kerstin Hengevoss-Dürkop, Frankfurt a. M. 1994, Bd. 1, S. 263–274, hier S. 267.

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JACA – SCHLEIER, FESSELN UND VERSTRICKUNGEN

Bild 113a

Jaca, San Pedro, linke Kapitellschmalseite: Katzendämon mit Tuch.

Bild 113b

Jaca, San Pedro, rechte Kapitellschmalseite: Katzendämon mit Tuch.

stirnseite wird durch nichts negativ stigmatisiert – ist für ihn grundsätzlich nicht davor gefeit, durch die fatale Attraktion dieses dionysischen Schleiertanzes in dämonische Tücher der Versuchung eingehüllt und durch Kontrollverlust im Tanz ins Unheil gezogen zu werden.26 Unvermittelt kann positiv konnotiertes jederzeit in sein Gegenteil umschlagen, wie schon die Verkündigungszene, nur durch Blatt-Nischen abgetrennt, inmitten einer sündhaften Welt stattfand. Auch das auf dem Orestessarkophag von Pylades vor seinem Körper sichelförmig aufgespannte Tuch (Bild 107) wurde von den Bildhauern der Pilgerwegskirchen immer wieder kopiert. In Jaca wird auf einem nahezu unbekannten Fensterkapitell der südlichen Seitenschiffwand über einem Adler ein Vorhangtuch gelüftet, das auf beiden Kapitellseiten von Engeln aufgespannt wird (Bild 114). Ihre aufgestellten Flügel bilden über dem Vorhang einen zweiten Baldachin, wie schon auf dem Verkündigungs-Kapitell gesehen. Der durch eingedrungenes Regenwasser stark abgewitterte Engel rechts (Bild 114a) lässt noch einen nackten Oberkörper über dem von seiner ausgestreckten rechten Hand weit auseinandergezogenen Tuch erkennen. Die ungewöhnliche Nackt26

Zu dem enthemmten Kontrollverlust unter dem Einfluss von Musik und Tanz, vgl. Reinhold Hammerstein: Diabolus in Musica. Studien zur Ikonographie der Musik, Bern/München 1974, S. 47. Dort auch die entsprechenden Stellen der Kirchenväter, insbesondere Augustinus.

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III. TASTEN – TÜCHER

Bild 114 Jaca, San Pedro, Südliche Seitenschiffwand, Fensterkapitell: Adler-Revelatio. Bild 114a

Jaca, San Pedro, Südliche Seitenschiffwand, Fensterkapitell: Tuchspanner.

heit des Engels verweist direkt auf das Vorbild des Husillos-Sarkophages wie auch auf seine Transformation in Gestalt des Tuchspanners der linken Schmalseite des Husillos-Kapitells in Frómista. Der Überschuss fällt nach rechts und steht nahezu senkrecht ab, so dass erneut das Pylades-Motiv aufgegriffen wird, um den enthüllten Adler hervorzuheben. Sein glatter federloser und sich nach vorne wölbender Leib kontrastiert stark mit der Überfülle des Tuchs, das ihn zuvor verhüllte. Diese Präsentation und Enthüllung auf dem Sarkophag folgt dem antiken Muster einer imperialen Revelatio.27 Dass diese Inszenierungen der Enthüllung herausragender Personen, die in der feierlichen Präsentation des römischen Kaisers zu bestimmten Anlässen ihren Ursprung hat, überdauert haben, zeigt eindrucksvoll dieses Kapitell. Der unter dem Tuch präsentierte

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Vgl. Johann Konrad Eberlein: Apparitio regis – revelatio veritatis. Studien zur Darstellung des Vorhangs in der bildenden Kunst von der Spätantike bis zum Ende des Mittelalters, Wiesbaden 1982, S. 29: „Im Grund soll es die Vorhänge darstellen, mit deren Hilfe der Kaiser am Hof verborgen und enthüllt wird. In der Kunst, wo beide Funktionen nicht zugleich erscheinen können, erfuhr die Wiedergabe eine Fixierung, die aus einer a priori zum Scheitern verurteilten genauen Abbildung eine diese ersetzendes Symbol machte und damit die Schwäche gegenüber dem reicheren Vorhanginstrument der Wirklichkeit in gewissem Sinn ausglich.“ Und: „Zunächst handelt es sich um nichts anderes als um die Anwendung eines üblichen und bekannten Zeichens zum Ausdruck höchster Wertschätzung.“

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Bild 114b Rom, Bibliothek von San Paolo fuori le mura, Ms. 337, fol. 331v: Revelatio.

Adler kann im Verbund mit Engeln als Teil des Tetramorph das verehrte Symbolwesen des Evangelisten Johannes verkörpern, zumal auf dem gegenüberliegenden Fenstergewändekapitell analog ein Mann von zwei Engeln präsentiert wird. Dieser könnte demzufolge das Symbol des Evangelisten Matthäus versinnbildlichen, wie es beispielsweise in der Bibel von San Paolo fuori le mura in Rom (Bild 114b) aus den Jahren um 870 der Fall ist, wo über die Metaphorik der stofflichen Enthüllung veranschaulicht wird, dass die vier Evangelistensym-

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III. TASTEN – TÜCHER

bole den verborgenen Gehalt des Alten Testaments in Gestalt eines bärtigen Alten offenbaren.28 Enge Verwandtschaft zeigt das Kapitell zu dem aufgrund seiner ikonographischen wie auch stilistischen Nähe zur spanischen Skulptur sogenannten „Hispanischen Kapitell“ in Saint-Sernin de Toulouse.29 Auf dem Zwillingskapitell in der Mitte der Empore des südlichen Querschiffarms steht über spiralig eingerollten Ranken und einer Raubkatze zur Linken ein Mann mit nacktem Oberkörper und spannt zwischen den prallen, wie eingeschnürt wirkenden Voluten ein Tuch weit auf (Bild 115).30 Sein Kopf ist mit dem kantig sich vorschiebenden Kinn zur östlichen Kapitellseite gewendet, wo ein breitbeinig auf dem Kapitellring Stehender von der Empore in das Querschiff blickt. Über dem rechten angewinkelten Arm, dessen Hand in Richtung Kopf weist und einen nicht mehr identifizierbaren, weil verwitterten Gegenstand in Schalenform hält, stürzt die enorme Fülle eines Gewandbausches seiner Tunika diagonal nach unten. Über seinen linken Arm fällt das diesmal über die gesamte Körperlänge in langen Zugfalten nach unten gezogene Pylades-Motiv. Beide Tuch-Motive als auch stilistische Merkmale wie das kantige Kinn und die Gestaltung der Haare verweisen auf Verbindungen nach Spanien. Vermutlich über den Tuchhaltenden der linken Schmalseite des Orestes-Adam-Kapitells in Frómista von bald nach 1066 vermittelt, erweist sich sowohl das weit aufgespannte Tuch wie auch das überschüssige Tuch des Pylades-Motivs auf dem Husillos-Sarkophag als Motivgeber für eine ganze Gruppe auch über die Pyrenäen hinweg in engem 28

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Bibel, Rom, San Paolo fuori le mura, Ms. 337, fol. 331v: „Die Offenbarung des Verborgenen“. Für über Evangelisten aufgezogener Vorhangtücher, vgl. Eberlein: Apparitio regis (a. a. O.), S. 123ff. Im elften Jahrhundert kommt es zu einer starken Ausweitung des Vorhangmotives, so dass beispielsweise auf den Hildesheimer Bronzetüren um 1020 über Eva und Maria Tücher weit aufgespannt sind oder im Hildesheimer St. Albans–Psalter selbst bei der Heimsuchungsszene Vorhangtücher von zwei Dienerinnen über Maria und Elisabeth aufgezogen werden, vgl. Eberlein: Apparitio regis (a. a. O.), S. 146, und Otto Pächt/Cecil R. Dodwell/Francis Wormald: The St. Albans Psalter (Albani Psalter), London 1960, S. 20ff., sowie an gleich mehreren Stellen beschrieben in Jane Geddes: Der Albani-Psalter. Eine englische Prachthandschrift des 12. Jahrhunderts für Christina von Markyate, Regensburg 2005. Die Bezeichnung „Hispanisches Kapitell“ prägte Durliat 1977 in seinem Vergleich „Toulouse et Jaca“, vgl. Marcel Durliat: Toulouse et Jaca, in: Estudios Medievales I. Homenaje a Don José Maria Lacarra de Miguel en su jubilación del profesorado, Zaragoza 1977, S. 199–207, hier S. 203. Bereits 1967 und erneut 1969 betonte Lyman die ikonographische wie auch stilistische Sonderstellung dieses Kapitells, vgl. Thomas W. Lyman: Notes on the Porte Miègeville Capitals and the Construction of Saint-Sernin in Toulouse, in: The Art Bulletin 49,1 (1967), S. 28ff., und Thomas W. Lyman: The Pilgrimage Roads Revisited, in: Gesta 8 (1969), S. 31ff. Die Beschreibung der meist übersehenen Raubkatze findet sich erstmals bei Durliat: Toulouse et Jaca (a. a. O.), S. 203.

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Bild 115 Toulouse, Saint-Sernin, Kapitell: Tuchhalter.

Austausch stehender Bildhauer in Spanien und Toulouse. Wurde der Tuchspanner in Saint-Sernin bisher als reines Zitat des Husillos-Sarkophages ohne inhaltliche Begründung angesehen, wird im Vergleich mit dem Kapitell in Jaca ein Zusammenhang aller drei Kapitellseiten erkennbar. Der ostentativ nach vorne Gekehrte der östlichen Schmalseite unterstreicht, in einer Revelatio aus Tüchern hervortretend, mit auffälliger Geste seine Präsentation.31 In Toulouse wie in Jaca ist sowohl der Kontrast zwischen dem nackten Oberkörper der Tuchspanner und der Fülle der breiten Stoffbahnen betont als auch deutlich gemacht, dass die Enthüllung in einer Welt stattfindet, die durch verstrickende Ranken und gefährliche Raubkatzen als bedrohlich charakterisiert ist. Angesichts solcher eng an das antike Original des Orestessarkophages angelehnter Motivkopien stellt sich die Frage nach der diesem Sarkophagrelief offenkundig zugeschriebenen Aura.32 Neben einer legitimatorischen Notwendigkeit und einer grundsätzlichen Bereitschaft zur Antikenrezeption war der 31

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Hier wäre Lyman zu widersprechen, der die Figur der Schmalseite isoliert deutet. Die Haartracht erinnert ihn an „Hellenistic and Byzantine tiaras worn by women in Theodosian art“, weswegen er eine „priest-woman as Ecclesia“ zu erkennen meint, die mit dem Zeigegestus Synagoges Forderung nach Beschneidung zurückwiese. Vgl. Lyman: Notes (a. a. O.), S. 28. Es handelt sich im Folgenden um die leicht veränderte Version von Stefan Trinks: Skulpturen in Serie. Antike als Produktivkraft im Spanien des 11. Jahrhunderts,

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generelle Glaube an die Kraft der Kopie das gesamte Mittelalter hindurch eine der wesentlichen Voraussetzungen für die mehrmalige Nachahmung eines Sarkophages mit prinzipiell paganer Motivik. Selbst die Kopie der Kopie gilt im Mittelalter – insbesondere im Fall der hochverehrten Ikonen – als dem Original absolut ebenbürtig, wobei Kopie nie im modernen Sinn mit völlig identischer Übereinstimmung gleichzusetzen ist. Damit pflanzt sich der antike Kopienglaube lückenlos fort, denn bereits die römische Kunst hatte in ungeheurem Umfang getreue Repliken der griechischen Originale produziert.33 Ganze Legionen von Kopien der begehrten griechischen Originale eines Polyklet oder Praxiteles bevölkerten die Villen und Parks begüterter Römer. Auch der Kopie-Begriff des Mittelalters wie der der Antike definiert sich nicht etwa als ein Mangel an Originalität, sondern findet sich durchgehend positiv konnotiert als künstlerischer Leistungsnachweis durch imitierende Nähe zu einem geschätzten Original.34 Diese Wertschätzung überträgt sich ungeschmälert auf die vervielfältigten Motive. Dass in dem Wort Kopie heutzutage stets unterschwellig ein negativer Beiklang mitschwingt,35 ist Folge vor allem eines Aufsatzes: Walter Benjamins „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“.36 Es scheint daher interessant, diese für die Ideengeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts so folgenreiche Abhandlung mit dem Fallbeispiel des elften Jahrhunderts kritisch zu untersuchen. Der von ihm mit hoher rhetorischer Kunst propagierte Auraverlust37 jedweden reproduzierten Kunstwerks bedeutete eine Art intel-

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in: Konzepte von Produktivität im Wandel vom Mittelalter in die Frühe Neuzeit, hg. von Corinna Laude/Gilbert Heß, Berlin 2008, S. 181–205. Vgl. Miranda Marvin: Roman Sculptural Reproductions or Polykleitos. The Sequel, in: Sculpture and its Reproductions, hg. v. Anthony Hughes/Erich Ranfft, London 1997, S. 7–28. Vgl. Peter Springer: Modelle und Muster, Vorlage und Kopie, Serien, in: Ausst. Kat.: Ornamenta Ecclesiae, Bd. 1, hg. v. Anton Legner, Köln 1985, S. 301–314, hier S. 306ff., der diese Begriffe für die mittelalterliche Kunst definiert und voneinander abgrenzt, dabei aber bisweilen über das Ziel hinausschießt und die Innovatio der Künstler als antreibende Kraft zu stark einschränkt. Norberto Gramaccini hat dies zugespitzt formuliert: „Was edel und gut sei, könne unmöglich auf dem Prinzip der Wiederholung basieren, da dieses die Aura des Echten, des Zukunftsweisenden und mithin den progressiven Kern in der Kunst vernichten würde.“ Vgl. Norberto Gramaccini: Die Aura der Reproduzierbarkeit. Zum Aufkommen der Bronzestatuetten und des Kupferstichs im 15. Jahrhundert, in: Das Modell in der bildenden Kunst des Mittelalters und der frühen Neuzeit: Festschrift für Herbert Beck, hg. v. Städelschen Museums-Verein, betreut von Peter C. Bol, Petersberg 2006, S. 57–64, hier S. 57. Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, in: Walter Benjamin: Gesammelte Schriften, 7 Bde., Bd. 7/1, hg. v. Rolf Tiedemann/Hermann Schweppenhäuser, Frankfurt a. M. 1972–1989, S. 350–384. Ebd., S. 352ff.

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lektuellen Götzensturz. Der Aufsatz entsprang vermutlich Benjamins antiautoritärer Haltung gegenüber der von ihm zutiefst verachteten Verehrung auratisch aufgeladener Kult-Bilder wie auch einer tiefen Verunsicherung durch die unbegrenzten, damit aber auch unkontrollierbaren Möglichkeiten der photographischen und photomechanischen Vervielfältigung.38 Die im elften Jahrhundert wiederholt nachgebildeten antiken Muster des Sarkophagreliefs können jedoch zeigen, dass Benjamin von einer falschen Grundannahme ausgeht. Anhand seriell hergestellter, sich teils bis auf das Haar gleichender Madonnenstatuen um 1400 hat Horst Bredekamp gezeigt, dass ein wesentliches Phänomen des Ikonenglaubens, der vollständige Auraübertrag von Urbild zu Abbild, sich gleichermaßen auf die Skulptur anwenden lässt.39 Ohne dass diese noch Reliquien in sich bergen müssten, wurden sie gerade durch die getreue Vervielfältigung eines verehrten Gnadenbildes selbst reliquiarisch: „Das Bildwerk kommt zu dieser Zeit durch seine Austauschbarkeit mit reliquiarischem Stoff in den Genuß, die in ihm versammelte Heilskraft durch Vervielfältigung weitergeben zu können.“ 40 Zugleich betont Bredekamp, dass diese Haltung keineswegs auf die Zeit um 1400 begrenzt ist, sondern sich als „ikonische Tradition“41 und Konstante seit der Spätantike zeigt. Auf den römischen Orestessarkophag und seine romanischen Abkömmlinge trifft diese vervielfältigte Aura in gesteigertem Maße zu. Alle Orestes-Nachbilder verströmen diese Aura der Antike und werden durch den sarkophagähnlichen Aufbau mit je zwei Schmalseiten und einer Stirnseite zu in die Kapitellzone gerückten, pseudo-antiken Sarkophag-Kapitellen. Dieser ohne Zweifel als antik wahrgenommene Sarkophag wurde innerhalb der christlichen Bildsprache des elften Jahrhunderts deshalb derart häufig und wiedererkennbar kopiert, weil er offenkundig als etwas Herausragendes und Auratisches angesehen worden war. Der Orestessarkophag als einer der qualitätvollsten der gesamten römischen Kunst muss so stark mit einer Aura der attraktiven Antike aufgeladen gewesen sein, dass es für die Bildhauer des elften Jahrhunderts geradezu verpflichtend war, diesen in immer neuen Anläufen zu kopieren und die kopierten antikischen Muster in stets neue Kontexte einzupassen. Peter Springer hat dies im Jahr 1985 auf die These zugespitzt: „Zum Wesen der Kopie gehört auch, das 38

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Zu den zeitgeschichtlichen Implikationen, insbesondere die gegen stalinistische und totalitaristische Führerkulte gewendete Stoßrichtung des Kunstwerk-Aufsatzes, vgl. Horst Bredekamp: Der simulierte Benjamin. Mittelalterliche Bemerkungen zu seiner Aktualität, in: Frankfurter Schule und Kunstgeschichte, hg. v. Andreas Berndt/Peter Kaiser/Angela Rosenberg/Diana Trinkner, Berlin 1992, S. 117–140, hier S. 118ff. Ausst.-Kat.: Kunst um 1400 am Mittelrhein. Ein Teil der Wirklichkeit, hg. v. Herbert Beck/Wolfgang Beeh/Horst Bredekamp, Frankfurt a. M. 1975, S. 89ff. Vgl. Bredekamp: Romanische Skulptur (a. a. O.), S. 125. Ebd.

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sie stets auf ein Original zurückweist.“42 Jede der Kopien akkumuliert die Aura des Originals und damit in einem reziproken Prozess wiederum ihre eigene. Der Sarkophag wird in Nordspanien in diesem Jahrhundert der Antikensehnsucht zu einer Ikone, die pars pro toto für die als erstrebenswert empfundene Zeit vor der arabischen Invasion stehen konnte. Gerade durch diese machtpolitische Indienstnahme im Sinne einer Renovatio durch die christlichen Könige wurde das Original gestärkt, der Authentizitätsanspruch mit jeder Kopie gesteigert. Auch jede dieser zahlreichen Kopien des elften Jahrhunderts strahlt bis heute uneingeschränkt diese antike Aura aus. Was die massenhaft wiederholten Ikonen, die nach meist noch der Spätantike entstammenden Urbildern gefertigt wurden, beispielsweise für Italien sind, oder die dutzendweise reproduzierten steinernen Ikonenreliefs des Blachernitissa-Typus in Lebensgröße aus Konstantinopel, das ist der Orestessarkophag und die von ihm abgenommenen Skulptur-Ikonen für die Kunst Spaniens im elften Jahrhundert. Das böse Verdikt des „oft kopiert aber nie erreicht“ wird damit angesichts der erhaltenen spanischen Skulpturen zu einem „oft kopiert und auf andere Weise erreicht“. Der konkrete Weg der Bilder und Formen von dem vorbildgebenden Sarkophagrelief zu den Kapitellen über weite Distanzen bleibt im Einzelfall schwer bis unmöglich nachzuweisen. Moralejo Álvarez ging pragmatisch von einem leicht nachvollziehbaren Vermittlungsweg über Skizzenbücher aus,43 wobei sich auf spanischem Boden nichts dem prominenten Musterbuch Villard de Honnecourts44 Vergleichbares erhalten hat, das unverändert mit dem Wol42

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Vgl. Springer: Modelle und Muster (a. a. O.), S. 306. Ein ähnlicher Gedanke findet sich auch in Salvatore Settis’ Artikel über die mittelalterliche Rezeption antiker Formen und Muster, der endgültig mit dem Irrglauben aufräumte, dass die Antike im Mittelalter durchgängig negativ gesehen worden sei, vgl. Settis: Von auctoritas zu vetustas (a. a. O.), S. 163. Moralejo Álvarez: Sobre la formación (a. a. O.), S. 429, sowie Serafín Moralejo Álvarez: Modelo, Copia y originalidad, en el marco de las relaciones artísticas hispano– francesas (ss. XI–XIII), in: Actas del Vo Congreso Español de Historia del Arte, Barcelona, 29 de octubre al 3 de noviembre de 1984, Barcelona 1987, S. 89–112, hier v. a. S. 111f. Zur umfänglichen Literatur über dieses Musterbeispiel für Bild-Transfer im Mittelalter, vgl. Hans Hahnloser: Villard de Honnecourt. Kritische Gesamtausgabe des Bauhüttenbuches ms. fr 19093 der Pariser Nationalbibliothek, Wien 1935, sowie, mit Fokus auf kunsttechnologische Problematiken, Marie Thérèse Zenner (Hg.): Villards Legacy. Studies in Medieval Technology and Art in Memory of Jean Gimpel, Aldershot 2004. Für das elfte Jahrhundert näher zu untersuchen wären bildliche Umsetzungen antiker Kapitellskulptur nach Vitruv, wie sie beispielsweise in der berühmten illustrierten Vitruv–Handschrift in Schlettstadt überliefert sind, die vermutlich im zehnten Jahrhundert im Bodenseekloster St. Gallen entstand (heute: Schlettstadt, Bibliothèque Humaniste, Ms. 17) und die mit großer Wahrscheinlichkeit die Architektur und Bauskulptur der Zeit beeinflusst haben. Millard F. Hearn hingegen stellt seine Enttäuschung über das Fehlen früherer

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fenbütteler Musterbuch45 der einzige Kronzeuge für die Kunstgeschichte in großem Umfang bleibt.46 Horst Bredekamp bemüht mit demselben Recht die oft an das Gedächtniskünstlerische grenzende „eidetische“ Erinnerungsleistung der Künstler,47 die in einer Zeit ohne leicht verfügbare Aufschreibsysteme gezwungen waren, Gesehenes und Vorbildhaftes dauerhaft zu memorieren. Diese aus dem Bildgedächtnis abgerufenen Vorbilder könnten den erstaunlichen Variantenreichtum der Husillos-Zitate erklären helfen. Die dem antiken Sarkophagrelief entlehnten Grundmotive wie die selbstbewusst-breitbeinige heroische Nacktheit, das Halten von Schlangen oder eben die markanten Tuchmotive konnten in stets neue Zusammenhänge gesetzt, um Nuancen verändert und dadurch mit immer neuer Bedeutung aufgeladen werden.48 Zugleich blitzt in der spanisch-toulousanischen Kapitellskulptur des elften Jahrhunderts die überschwengliche Freude der Bildhauer auf, Stein wie Stoff zu formen und damit dem antiken Vorbild bis in kleinste Formdetails und Fältelungen wie dem Pylades-Motiv folgend gleichzukommen, wenn nicht ihn zu übertreffen. Durch diesen Wettstreit mit dem antiken Bildhauer des Orestessarkophages auf dem Feld der scheinbar schwerelosen Gewandbehandlung reizen der Jaca-Meister und seine Werkstatt bereits am Ende des elften Jahrhunderts, in dem erstmals seit der Antike in Spanien Skulptur wieder die Leitgattung war, ihr Medium auf das Äußerste aus. Diese Herausforderung durch die Antike führte zu einem ungeheuren Produktivitätsschub, der ohne diesen maßstabsetzenden Marmor-Stein des Anstoßes nicht oder nur mit erheblicher

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Musterbücher als dasjenige Villards heraus: „However, the existence of such sketchbooks has never been proven.“ Vgl. Millard Fillmore Hearn: Romanesque Sculpture. The Revival of Monumental Stone Sculpture in the Eleventh and Twelfth Centuries, Oxford 1981, S. 53, was zumindest für dasjenige des Ademar von Chabannes nicht zutrifft. Für eine Beschreibung des Wolfenbütteler Musterbuches (Cod. Guelf 61.2 Aug 8°) von etwa 1240 und eine Zusammenfassung der wichtigsten Literatur vgl. den Ausst.-Kat.: Glory of Byzantium – Art and Culture of the Middle Byzantine Era A.D. 843–1261, Metropolitan Museum of Art New York, hg. v. Helen C. Evans, New York 1997, S. 482. Dagegen Robert W. Scheller, der über Jahrzehnte mögliche Übertragungsstränge in Handschriften untersucht und die Sammlung von Belegen beträchtlich erweitert hat: Robert W. Scheller: Exemplum. Model-book Drawings and the Practice of Artistic Transmission in the Middle Ages (ca. 900– ca. 1470), Amsterdam 1995. Vgl. Bredekamp: Romanische Skulptur (a. a. O.), S. 101–112, hier S. 107. Diese Mutationen hat Martin Büchsel an einem ganz besonderen „Musterbuch“ des elften Jahrhunderts untersucht, vgl. Martin Büchsel: Ademar von Chabannes. Aus dem Nachlass eines Fälschers (Leiden, Universiteitsbibliotheek, Vossianus, lat. 8° 15, fol. 212r), in: Das Modell in der bildenden Kunst des Mittelalters und der frühen Neuzeit: Festschrift für Herbert Beck, hg. v. Städelschen Museums-Verein, betreut von Peter C. Bol, Petersberg 2006, S. 13–23.

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Verspätung zur Wiedergeburt derart plastischer, monumentaler Skulptur geführt hätte. Es bleibt jedoch rätselhaft, warum die Rezeption des Sarkophagreliefs bereits Ende des elften Jahrhunderts relativ abrupt endet. Eine naheliegende Erklärung läge im natürlichen Alterstod der beiden Bildhauer, der sogenannten Meister von Frómista und Jaca.49 Diese hatten den aus der Antike gespeisten Produktivitätsschub von 1066 bis etwa 1096 nahezu im Alleingang vorangetrieben. Ihre gut organisierten Werkstätten, die auch größere Aufträge wie die Kathedrale von Jaca oder die Kirche von Frómista in erstaunlich kurzer Zeit bewerkstelligten, haben die starke Orientierung an den antiken Mustern des Sarkophages augenscheinlich nicht fortgeführt.50 Dies war auch nicht mehr nötig. Die Antike als Vorbild war nicht nur nachgeahmt und assimiliert, sondern soweit internalisiert worden, dass in der Kunst ein antikisches Klima entstanden war, wodurch im zwölften Jahrhundert auf direkte Zitate der antiken Formen verzichtet werden konnte. Wie an zwei ausgewählten Beispielen der Tuchmotive des Husillos-Sarkophages gezeigt werden sollte, wurde diese kreative Inbesitznahme der Antike entlang der Pilgerstraße nach Santiago zur Produktivkraft der Wiedergeburt einer ungekannt plastischen, darin neorömischen Skulptur im elften Jahrhundert. Über einen Umweg lässt sich erschließen, dass das nur scheinbar marginale Detail des Pylades-Motivs in der auf Jaca folgenden romanischen Skulptur zu einem Bedeutungsträger wird, der bis in die Werke des Magister Matheus in Santiago de Compostela und die den Werken des Naumburger Meisters ähnlichen Kreuzgangsfiguren der Kathedrale von Burgos im zwölften Jahrhundert rezipiert wurde. Das Nordportaltympanon der Kathedrale San Pedro el Viejo in Huesca (Bild 116), die Jaca nach der Rückverlegung des Regierungssitzes nach Huesca im Jahr 1096 durch König Sancho Ramírez’ Sohn Pedro I. als Bischofskirche ablöste, ist in zwei Register geteilt. In das obere Bogensegment ist ein vielspeichiges Chrismon eingeschoben, das einen inneren Rand des Segments sowohl oben wie unten überschneidet. Es wird von zwei Engeln in Schrittstellung derart gehalten, dass die schwere Materialität des Steinrings allein durch die Haltemotive anschaulich wird, indem der links greifende Engel mit seinen

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Aufgrund schwerwiegender stilistischer Unterschiede, die nicht allein aus dem zeitlichen Vorausgehen Frómistas erklärlich scheinen, wird hier von zwei prägenden Bildhauerpersönlichkeiten ausgegangen. Moralejo Álvarez hingegen sah in beiden Bildhauer ein und dieselbe Person, vgl. Moralejo Álvarez: Sobre la formación (a. a. O.), S. 433ff. Eine weitere, durch Quellen jedoch nicht zu belegende Erklärung wäre, dass der Sarkophag der Öffentlichkeit möglicherweise aufgrund machtpolitischer Erwägungen des Königs von Palencia, innerhalb dessen Territorium er aufbewahrt wurde, der Öffentlichkeit und damit auch der Rezeption entzogen wurde.

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Bild 116 Bild 116a

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Huesca, San Pedro el Viejo, Tympanon: Chrismon und Anbetung der Könige. Jaca, Benediktinerinnenkirche: Sarkophag der Doña Sancha, um 1095.

ätherisch schlanken Fingern das Chrismon stärker unten hält, der rechte indessen einem Entgleiten des Rades oben rechts gegensteuert. Mit den wie Schmuckstücke aus glatt ausgeschnittenem Edelmetall über kleine, aber klar ausgebildete Gelenkstücke eingehängten, geschwungenen apokalyptischen Lettern Alpha und Omega, insbesondere jedoch mit dem sich schlangengleich um die mittlere Achse des „Rho“ windenden Duplex S sind offensichtlich Besonderheiten des Chrismon-Typus von Jaca aufgegriffen (Bild 12). Bei dem Stil der Figuren mit ihren aufgeblähten Backen handelt es sich augenscheinlich um die markante Werkstatt der auf halbem Wege zwischen Jaca und Huesca liegenden Klosterkirche Santa María in Santa Cruz de la Serós (Bild 19), die diese Stiftung der Schwester König Sancho Ramírez’, Doña Sancha, spätestens 1095 beendet hatte, da zu diesem Zeitpunkt bereits der ebenfalls aus dieser Werkstatt stammende Sarkophag im Chor dieser Kirche aufgestellt wurde (Bild 116a). Unmittelbar nach dem Hauptstadtumzug im Jahr 1096 hat diese eng mit dem arago-

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nesischen Königshaus verbundene und gut organisierte Werkstatt in Huesca demzufolge die drei Tympana von Kathedrale und Kreuzgang gestaltet, während die Kapitellskulpturen des Kreuzgangs von einer weiteren hochkarätigen höfischen Werkstatt aus dem Umfeld der Königsfamilie, nämlich derjenigen der aragonesischen Königsgrablege San Juan de la Peña, ausgeführt wurden. Alle drei Tympana von San Pedro de Huesca tragen das Chrismon des Jaqueser Typus als Erkennungszeichen des aragonesischen Königshauses. Das Nordportaltympanon in Huesca ist durch einen Querbalken unter dem RhoBogen, der für das „T“ von „Christos“ stehen kann, noch deutlicher als Jaca zur konstantinischen Urform des Chrismon erweitert. Zusätzlich wird es durch einen sechsstrahligen Stern mit blütenartiger Stempelverdickung in der Mitte einer leicht konkav einschwingenden Schale auf der Nabe des Rades bereichert (Bild 116). Dieser sechsstrahlige Stern erscheint verdoppelt und in versetzter Form übereinandergelegt erneut im unteren Register, das durch zum Inneren hin gerade abschließende Rankensäulen an beiden Enden zu einer querrechteckigen Fläche wird.51 In einer Anbetung der Könige steht der Stern vor der mit dem Christuskind auf dem Schoß thronenden Maria als Himmelskönigin mit einer besonderen Krone. Unverkennbar ist diese stofflich wirkende Krone Mariens mit dem darunter in zwei Reihen streng angeordneten plissierten Kopfund Kinntuch der Gestaltung der Königsschwester Doña Sancha auf ihrem Sarkophag eng verwandt.52 Ähnlich stark ist die Verwandtschaft zu einem Kapitell aus Jaca mit der Anbetung der Könige, das vermutlich aus dem ehemaligen Kreuzgang stammt und heute unter dem Seitenaltar der Kathedrale in der südlichen Apsis aufbewahrt wird.53 Auf dem Nordportaltympanon von Huesca sind zusätzlich und einzigartig in der Skulptur des Mittelalters beide Hände des Christusknaben von einer Kleinarchitektur hinterfangen, die seine Gestik überhöhen. Unter seiner Linken, die mit geöffneter Handfläche auf die vom König dargereichte Pyxis weist,

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Diese etwas gewaltsam anmutende Umformung der Tympanon-Bogenform zu einer queroblongen Bildfläche findet sich nur bei den sehr frühen figürlichen Tympana und ist ein weiteres Indiz dafür, das Huesca-Tympanon noch in das ausgehende elfte Jahrhundert zu datieren. Mit dem negativ konnotierten Rankendickicht, das mit mannigfachen Ornamentformen wie einem lesbischen Cyma und unterschiedlichen Blattformen wie eine vegetabile Bestiensäule angefüllt ist, nimmt es die sowohl das Jaqueser Kapitell mit dem dichten Rankengeflecht als auch die Grundatmosphäre des dortigen Verkündigungskapitells auf, wo sich unmittelbar neben der Verkündigung das Böse hinter Blättern verschanzt. Zu dem Sarkophag der Doña Sancha vgl. die profunde monographische Dissertation des Jaca-Kenners David L. Simon, die sich in wesentlichen Auszügen zusammengefaßt findet in: David L. Simon: Le sarcophage de Doña Sancha à Jaca, in: Les Cahiers de Saint-Michel de Cuxa 10 (1979), S. 107–125. Vgl. Lacarra Ducay: Catedral (a. a. O.), S. 32 sowie Abb. S. 33.

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JACA – SCHLEIER, FESSELN UND VERSTRICKUNGEN

Bild 116b Santo Domingo de Silos, Kreuzgang, Relief: Emmausgang.

spannen sich zwei Bögen einer brückenartigen Konstruktion hin zu dem König, während die segnende Rechte Christi auf einem bossenhaften Steinquader über der Königsgabe ruht. Dieser erste König aber trägt anders als die beiden folgenden keine Krone, sondern eine stofflich weich wirkende Mütze, die in breitlappige Kompartimente gegliedert ist und in Zungen endet sowie von einer Quaste bekrönt wird. Da die Mütze keine Biegung aufweist und die beiden anderen Könige sie nicht tragen, scheint es sich nicht um die den drei Magi häufig zugeordneten Phrygermützen zu handeln. Vielmehr ähnelt sie mit ihrer Untergliederung in Rippen dem charakteristischen Pilgerhut, wie er auf dem Emmaus-Relief von Silos (Bild 116b), an dem Isidor-Relief der Puerta del Cordero in León anstelle einer Mitra den Heiligen bekrönt (Bild 39) oder auf den

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III. TASTEN – TÜCHER

Santiago-Säulen in jeweils leicht unterschiedlicher, aber stets gerippter Form (Bild 147) zu sehen ist.54 Mit der auffälligen Betonung des ohnehin in der ikonographischen Hierarchie bedeutendsten „Erstgeber-Königs“ als Pilger, der das Christuskind und damit in der Exegese den wahren Glauben als erster auffindet, könnte hier der Anfang einer Ikonographie gegeben sein, der bis in Benozzo Gozzolis Kryptoportraits der Medici als Heilige Drei Könige an der Spitze eines Pilgerzuges in ihrer Kapelle und weit darüber hinaus wiederholt zu finden ist.55 Der aragonesische König Pedro I. inszenierte sich in allen überlieferten Quellen und Bildmedien als Nachfolger seines Vaters Sancho Ramírez insbesondere darin, dass er im Rahmen einer forcierten Reconquista die Befreiung des Pilgerwegs und Spaniens insgesamt gelobte. Dies äußert sich bereits in dem beherzten Verschieben der Grenzen durch die sofortige Rückverlegung der Hauptstadt in gerade erst zurückerobertes Territorium in nächster Nähe zum arabisch besetzten Feindesland. Der junge König wird hier bildlich durch den direkt neben seinem Kopf mit Pilgerhut strahlenden Doppelstern, der von dem in Jaca am Südportal zu sehenden Propheten Bileam angekündigt wurde,56 als verdienter Schutzherr des Sternenwegs nach Santiago geehrt. Darüber hinaus setzt er aber auch die formgeschichtliche Kontinuität König Sancho Ramírez’ fort. Das von spätantiken Sarkophagen vertraute Motiv der Darbringung der Opfergaben durch die Könige – cum manu velate, mit verhüllten Händen – wird in der Stiftung Pedros markant abgewandelt. Die opfernden Hände des Königs sind nicht etwa verhüllt, sondern werden unter der Pyxis von einem mantelgroßen Tuch hinterfangen, das nicht zu dem glatt auf seinem Rücken liegenden Mantel zu gehören scheint. Es hat sich gleichsam verselbstständigt. Das Tuch scheint in einem weiten Bogen hinter den Armen des Königs nach unten zu schießen, fächert sich in der Mitte in einer Art Tannenbaumform nach beiden Seiten in drei Faltenlagen auf, um in zwei weiteren Zick-Zack-Falten perspektivisch verkürzt nach hinten zu ziehen. Die motivische Ähnlichkeit, gerade auch in der absoluten Autonomie dieses zweckfreien Tuchzeichens zu dem Pylades-Motiv 54

55

56

Zu der vestimentären Sonderform des gerippten Santiago-Pilgerhutes vgl. Elizabeth Valdez del Alamo: Touch Me, See Me. The Emmaus and Thomas Reliefs in the Cloister of Silos, in: Spanish Medieval Art. Recent Studies (Medieval and Renaissance Texts and Studies 346), hg. v. Colum Hourihane, Tempe, AZ 2007, S. 35–64, hier S. 37. Eine Fülle von Beispielen an Kryptoportraits von Herrschern als Heilige Drei Könige bietet Friedrich B. Polleross: Das sakrale Identifikationsporträt. Ein höfischer Bildtypus vom 13. bis zum 20. Jh. (Manuskripte zur Kunstwissenschaft in der Wernerschen Verlagsgesellschaft 18,1), Worms 1988. Die janusköpfige Figur des Bileam als Prophet wie auch Häretiker bei Martin Büchsel: Die romanischen Portale im Geiste Clunys, in: Städel-Jahrbuch N.F. 11 (1987), S. 7–54, hier S. 24f.

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LEÓN – DER STOFF, AUS DEM DER HIMMEL IST

von Jaca ist groß. Dass der Bildhauer der Santa Cruz de la Serós-Werkstatt die Kapitelltücher des Jaca-Meisters wahrgenommen hat, kann bei der annähernden Gleichzeitigkeit des Arbeitens in der Kathedrale wie auch in der Klosterkirche bis 1094 als nahezu sicher gelten. Chronologisch das letzte Mal wird in Huesca im Rahmen der höfischen Kunst ein vom Jaca-Meister erfundenes Motiv durch einen anderen Bildhauer aufgenommen und wiederum in einen neuen Kontext gesetzt. Obwohl es damit inhaltlich als Signum mit dem aragonesischen Herrscherhaus eng verbunden bleibt, behält es seine ikonographische Wandelbarkeit bei.

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L eón – Der Stof f, aus dem der H i m mel ist

Bei den Zodiacusreliefs des Lammportals folgt nach dem Scorpio eine gut halb so breite Metope, auf der eine im Dreiviertelprofil sitzende Figur eine Waage in der ausgestreckten Rechten hält (Bild 117). Ihre linke Hand ist wie zu einem Grußgestus geöffnet vor den Oberkörper genommen und in dieselbe Richtung gewendet, in die der Kopf im strengen Profil blickt. Ihre Beine hingegen sind annähernd bildparallel nach außen gedreht, wobei das linke Bein, dessen Unterschenkel entblößt ist, angewinkelt ist, als sei sie im Begriff aufzustehen. Diese austarierte Balance aus Sitzen und sich Erheben findet seine Steigerung darin, dass der rechte Fuß der üblicherweise weiblichen Verkörperung der Libra tastend nach unten abgebogen ist, als würde er sich um den unter der Sohle befindlichen Stern schmiegen. Da aber weder dieser Fuß noch der angewinkelte festen Tritt haben, scheint die Gesamtkomposition trotz der Stofffülle und des Thronmotivs schwerelos als Gestirn zu schweben. Mit dem entblößten Knie und dem unentschiedenen Moment zwischen Thronen und dynamischen Aufstehen sind zugleich zentrale Elemente einer antiken GötterSitzstatue übernommen.57 In diesem Kippmotiv ähnelt die Libra der Erinnye am linken Rand des Orestessarkophages (Bild 118). Sie könnte, nur scheinbar schlafend in ihren Gewandbergen versunken, mit ihrem gebogenen Rücken wie eine gespannte Feder jeden Moment aufspringen. Bis zu den lebensnahen Personifikationen der Iustitia der italienischen Renaissance wird keine derart lebendige Verkörperung eines Abstraktums mit Waage mehr geschaffen. Obwohl die frontal über einem Suppedaneum als Schemel thronende Virgo (Bild 119) in beiden Händen wie eine Flora prächtige Blumensträuße 57

Für die Transformation dieses Motivs vgl. Tilmann Buddensieg: Egberts linkes Knie, in: Intuition und Kunstwissenschaft. Festschrift für Hanns Swarzenski zum 70. Geburtstag am 30. August 1973, hg. v. Peter Bloch/Tilmann Buddensieg u. a., Berlin 1973, S. 101–114, v. a. S. 103, sowie Peter Cornelius Claussen: Ein freies Knie. Zum Nachleben eines antiken Majestas-Motivs, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch 39 (1977), S. 11–28, hier S. 23.

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III. TASTEN – TÜCHER

Bild 117 León, San Isidoro, Puerta del Cordero, Zodiacusmetope: Libra.

Bild 118 Madrid, Museo Arqueológico Nacional, Orestessarkophag: Schlafende Erinnyen. Bild 119 León, San Isidoro, Puerta del Cordero, Zodiacusmetope: Virgo.

zum Ausweis ihrer Blüte und Jungfräulichkeit hält, ist sie zusätzlich noch in wahre Tuchfluten eingehüllt. Über ein Unterkleid, unter dem sich die beiden Unterschenkel deutlich abzeichnen, legt sich ein zweites Gewand, das zu beiden Seiten hin aufgeschlagen ist. Quer über den Oberkörper legt sich eine Schärpe aus schwerem Tuch mit acht Faltenwülsten, das hinter ihren nach außen gespreizten Armen mit den Sträußen auffächert. Den Kopf überzieht ein ebenfalls

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dickes Tuch, das weit über den Schultern absteht. In eine derartige Fülle schwerer Tücher gehüllt gleicht sie der gut betuchten Frau auf der rechten Schmalseite des Schlangenhalter-Kapitells in Jaca, die einen der Löwen an der Leine hält. Größte Ähnlichkeit weist sie aber vor allem zu der Sarah des CorderoTympanon darunter auf (Bild 120), die ebenfalls in auffälliger Stoffülle mit verhülltem Haupt wie eine Matrone vor dem Haus in der rechten Tympanonecke steht. Die Analogie geht bis in eine ähnliche Wendung des Kopfes nach rechts und in dieselbe Art des Sockels, der Virgo und Sarah jeweils in ihrer matronenhaften Statik zu Standbildern ihrer selbst werden lässt. Ikonographisch wird hier züchtig verhüllte „Jungfräulichkeit“ personifiziert und auf den Sockel gestellt. Auf beiden Seiten wird die Jungfrau zusätzlich von einer dichten Abfolge kleiner, als Kreise abstrahierter Sterne flankiert.

Bild 120 León, San Isidoro, Puerta del Cordero, Tympanon: Sarah vor Haus.

Sowohl die Sterne als auch die parallel in den symmetrisch ausgebreiteten Armen gehaltenen Sträuße könnten Übernahmen des antiken Sternbildes der Virgo aus den Phainomena des Gelehrten Aratos von Philoi aus dem dritten Jahrhundert vor Christus sein. Dort wurde das Bild der Flora als Göttin der Natur erstmals mit dem der Virgo verschmolzen. Jüngst konnte nachgewiesen werden,58 dass es sich bei der sogenannten Arateia als für das gesamte Mittelalter verbindlicher Sternkunde genau genommen nicht um eine Handschrift 58

Vgl. Ulrich Rehm: Die Götter und die Wörter. Klassische Mythologie in der bildenden Kunst des Mittelalters und die frühe Ikonologie, in: Mittelalterliche Weltdeutung in Text und Bild, hg. v. Susanne Ehrich/Julia Ricker, Weimar 2008, S. 23–45, hier S. 43.

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III. TASTEN – TÜCHER

Bild 120a

León, San Isidoro, Puerta del Cordero, Tympanon: Hagar und Ismael.

mit beigefügten Textillustrationen handelt, sondern im Gegenteil um einen Bildatlas, da zuerst die Illuminationen der Sternbilder existierten, denen noch etwas Text beigegeben wurde. Wie schon die Hagar auf der linken Seite des Cordero-Tympanons, die dort mit ihrem Sohn Ismael als Kontrahentin Sarahs in die Wüste geschickt wird (Bild 120a),59 zeigt auch die Libra den linken Unterschenkel entblößt (Bild 117). Der Kontrast zwischen den lasziven Entblößungen und den züchtigen Verhüllungen bei den jeweils als Konterpart arrangierten Figuren scheint kaum zufällig zu sein. Die Waage scheint ebenso zwischen den Extremen lasziv und züchtig, Thronen oder Aufspringen zu pendeln wie die Sarah des Tympanons nur mühsam die Contenance mit der Abschiedsgeste an den geopferten Sohn zu wahren scheint, während sich bei Hagar in der neuen Freiheit der Wüste ihre wahre Natur zügellos Bahn bricht. Dennoch verschmilzt der Bildhauer das Sternbild der personifizierten Waage mit einem weiteren ikonographischen Muster. Ihr linker Arm ist mit geöffneter Handfläche vor den Oberkörper genommen, so dass die Geste zwischen einem Gruß und dem Abwehrgestus der Nodriza des Husillos-Sarkophages in Richtung des benachbarten ultratoxischen 59

Vgl. Williams: Generationes Abrahae (a. a. O.), S. 7f. Unklar bleibt, warum der Bildhauer die sich mit der lasziven Schmähgeste des Gewandlüpfens empört von Abraham „verabschiedende“ Sarah und den pfeilschießenden Ismael auf der heraldisch höherstehenden Seite zur Rechten Abrahams und des darüber befindlichen Agnus Dei-Clipeus situiert hat.

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LEÓN – DER STOFF, AUS DEM DER HIMMEL IST

Bild 121 León, San Isidoro, Puerta del Cordero, Zodiacusmetope: Gemini.

Skorpion-Reptils changiert. Sowohl die bis zur Austauschbarkeit ähnlichen Stilmerkmale der beiden Personifikationen züchtig verhüllter „Jungfräulichkeit“ als auch die typologische Kontrastierung sprechen nicht nur für dieselbe Bildhauerwerkstatt von Zodiacus-Reliefs und Tympanon, sondern auch für einen planvollen wechselseitigen Bezug aufeinander am Cordero-Portal. Die zahlreichen Parallelen zwischen Sternkreiszeichen und Opferung Isaaks machen deutlich, dass die Reliefs des Portals trotz der scheinbaren Heterogenität des Patchworks unterschiedlichster Formate und Themen vergleichbar den anderen spanischen Portalfassaden der Zeit von Beginn an als Gesamtzusammenhang entstanden sind. Das Gemini-Relief zeigt knieaufwärts zwei stehende Männer (Bild 121), die sich wie an einer Mittelachse gespiegelt zwillingshaft in Kleidung und Körperhaltung gleichen. Mit nach hinten gekrempelten Ärmeln präsentieren sie ein buchförmiges, an seinem Rand mit einer eingetieften Linie versehenes Objekt in ihrer Mitte. Als auffallende Besonderheit geht der Schwung der jeweils auf der äußeren Schulter gefibelten Mäntel in der Mitte über dem Buch nahtlos durch, so dass beide nicht nur als untrennbar zusammengehörig charakterisiert werden, sondern auch mit dem ausschwingenden gemeinsamen Mantel der Zwillinge wiederum das emblematische Motiv des aufgespannten Orestessarkophagtuches zitiert wird. Indem das ostentativ vorgezeigte Buch von diesem Tuch hinterfangen, somit stark betont wird, scheint das ursprünglich negativ konnotierte Furien-Tuch hier erneut in seiner Bedeutung gewendet.

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III. TASTEN – TÜCHER

Bild 122 León, San Isidoro, rechtes Chorsüdwandnischenkapitell: Eckdämon mit Tuch.

Dass die ursprüngliche Dämonie des halbkreisförmig aufgespannten Tuches den Bildhauern in León bewusst war, zeigt das südöstliche der vier Chornischenkapitelle mit Monstra. Auf der Ecke des Kapitells krallt sich ein Dämon mit massigem Raubtierschädel fest in den glatten Halsring (Bild 122). Von seinen Schultern ausgehend, buchtet das Furien-Tuch wie in Frómista in weiten Schwüngen über den gesamten Körper; der Dämonenkörper selbst spannt damit ohne Gebrauch der Hände das Tuch auf, das diesen paradoxerweise fast vollständig verdeckt. Das Dämonenmaul mit den weit nach unten gezogenen Mundwinkeln, die wie das ebenfalls durchgebogene Kinn den halbrunden Schwung des Tuches zu spiegeln scheinen, rahmen wulstige Lippen. Der auffällig knollige Kopf mit den wulstigen Lippen ähnelt dem Dämon auf dem Schleiertanzkapitell in Jaca (Bild 113b), der die Tücher aus seinen Klauen gehen lässt. Diese morphologische Verwandtschaft der Dämonen wird auf der rechten Kapitellseite zur Gewissheit: Hinter dem Tuchdämon an der Ecke hockt dort ein weiterer Dämon mit weit aufgerissenem Maul, der zusätzlich geflügelt ist (Bild 122a). Durch das Profil des kugelrunden Raubtierkopfes mit den wulstigen Lippen sowie den entgleisten Gesichtszügen mit dem schiefen Grinsen gleicht er dem Jaqueser Dämon fast auf das Haar. Erneut offenbaren sich hier die engen stilistischen wie auch motivischen Verbindungen zwischen der Werkstatt in Jaca und León. Zur Rechten des Dämons in der Kapitellecke schließlich bäumt sich ein Widder mit struppigem Wollzotteln auf, der dem im Baum hängenden Tier des Isaakopfers auf dem Cordero-Tympanon frappierend ähnelt.

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LEÓN – DER STOFF, AUS DEM DER HIMMEL IST

Bild 122a León, San Isidoro, rechtes Chorsüdwandnischenkapitell: „Jaca“-Dämon.

Im Gegensatz zu diesem dämonisierten Tuch könnten die Falten, die sich über den Beinen der Gemini (Bild 121) unter dem Buch stauchen, andeuten, dass sie mit angehobenem Bein das schwer lastende Buch nach oben zu stemmen versuchen. Damit würden sie zu Zwillingsbrüdern des Duos auf dem äußeren Gewändekapitell am Westportal von Jaca (Bild 76), denn letzteres stemmt seinerseits ein Buch in der physisch angestrengten Pose des nackten Putto auf dem Huesca-Sarkophag hoch. Der Kopf der linken Figur ist von einem Nimbus hinterfangen. Obwohl der Kopf der rechten bis auf die Unterkieferpartie und die am Kopf eng anliegenden Haare fast vollständig abgewittert ist, ist hier keine auf dem Reliefgrund aufgelegte Nimbusscheibe auszumachen. Seit alters her wurden die Gemini mit dem Dioskurenpaar Castor und Pollux identifiziert. Isidor beschreibt ihr dioskurisches Wesen: „Castor aber und Pollux hoben sie nach deren Tod zu den bekanntesten Sternzeichen, welches sie Zwillinge nennen.“60 Der Nimbus wies bereits in der Antike den verewigten Heros aus, der als solcher auch in Zodiacus-Darstellungen nimbiert erschien. Der bei der rechten Figur offenkundig fehlende Halo könnte als Distinktionsmerkmal Sterblichkeit anzeigen. Entscheidend erscheint daher, ob in León gleichsam altertumskundlich präzise unterschieden wurde zwischen dem unsterblichen Pollux mit Nimbus und dem sterblichen unnimbierten Castor, der von seinem Bruder allabendlich besucht wird. 60

Etym. III,71,25.

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III. TASTEN – TÜCHER

An die in wahre Tuchmassen gehüllte Virgo schließt sich das Sternbild des Leo an (Bild 47), der mit aller Kraft des zurückgewendeten Kopfes an einer Schlange reißt, die er mit der rechten Hinterpranke am Boden fixiert. Im oberen rechten Eck lauert eine weitere Schlange unter einem Stein, während im gegenüberliegenden Reliefzwickel ein Frosch zappelnd das Weite vor dem mächtigen Löwen sucht. Um die zuckenden Bewegungen der Froschschenkel herum legen sich wulstige Ringe. Was auf den ersten Blick wie Wellen wirkt, die in konzentrischen Kreisen von dem sich heftig abstoßenden Frosch auszugehen scheinen, bezeichnet überraschenderweise wohl Tücher, in die der Frosch ebenso eingebettet ist wie der Löwe und die als Kreise in den Reliefgrund eingetieften Sterne. Dass es sich nicht um Wasser handelt, legt die Plazierung der mutmaßlichen Wellen direkt über dem Hinterteil des Löwen ebenso nahe, wie bei einem Eintauchen in Wasser zumindest partielle Überschneidungen des Frosches ähnlich dem Pisces- oder Aquarius-Relief (Bild 43) zu erwarten wären. Vor allem aber sind es die eingebetteten Sterne, die eine verführerische Gleichsetzung mit Wasser verbieten. Die Vorstellung, dass der die Sterne umgebende Äther flüssig sein könnte und deshalb Wellen ausbilden könnte, ist erst neuzeitlich. Auch Schallwellen sind als Metapher in der Zeit des elften Jahrhunderts auszuschließen, wohl aber wird das Himmelszelt als über der Erde aufgespanntes Tuch imaginiert, in das die Sterne und die Astralzeichen eingebettet sind.61 Ob hier die zahlreichen seit der Antike lückenlos überlieferten Personifikationen von Sol und Luna sowie Kosmos mit ihren Himmelstüchern

61

Am klarsten ist das Tuch der himmlischen Sphäre wohl auf der heute im Louvre aufbewahrten Elfenbeintafel einer Leóneser Werkstatt von um 1063 mit Majestas Domini über zwei Engeln zu erkennen, die am Rand umgeben wird von zwei weiteren Engeln sowie Petrus und Paulus und den vier Evangelistensymbolen in den Ecken. Christus thront dort in einer Doppelmandorla; deren unterer kreisförmiger Teil wird durch einen ornamentierten Kreuzstamm halbiert, von dessen Seiten aus das Himmelstuch aufgespannt ist. Vgl. John W. Williams: Katalogeintrag „Christ in Majesty with Saints Peter and Paul“, in: Ausst.-Kat.: The Art of Medieval Spain (a. a. O.), S. 246f. John Williams hat die gewellten, von einem blattartig gerahmten Loch ausgehenden Linien, auf denen die Engel unter Christus stehen, versuchsweise als Paradiesesflüsse angesprochen („From a medaillon between the angels issue the streams, presumably, of the rivers of paradise.“ Williams: Christ in Majesty (a. a. O.), S. 246). Weil aber bereits Adolph Goldschmidt den sich einrollenden Gegenstand in der Hand des Engels der rechten Randleiste ebenfalls als etwas verunklärtes Tuch identifizieren konnte und weil die Elfenbeintafel mit den verhüllten Händen der Engel sowie den selbst wie gedrillter Stoff wirkenden Pflanzenornamenten insgesamt vor Metaphern des Stofflichen überbordet, darf der Boden, auf dem die beiden Engel stehen, wohl viel eher als ein weiteres aufgespanntes Himmelstuch denn als Wasser angesehen werden.

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Bild 123 Bamberg, Diözesanmuseum: Sternenmantel Kaiser Heinrichs II., um 1020.

auf Elfenbeinreliefs,62 die Metaphorik der byzantinischen und ottonischen Kaisermäntel als kosmokratische Regierungserklärungen oder die schriftliche Überlieferung der Antike für das Wissen um die Metapher des Himmelszeltes sorgten,63 wird nicht mit letzter Sicherheit festzustellen sein. Im Vorstellungshorizont des elften Jahrhunderts ist jedoch Stoff ohne Zweifel das Material, aus dem der Himmel gewebt ist. Um das Jahr 1020 schenkt der apulische Fürst Ismahel Kaiser Heinrich II. einen wohl in Sizilien gefertigten nachtblauen Sternenmantel aus kostbarer Seide (Bild 123), dem mit Goldfäden das Abbild des gesamten Kosmos mit seinen Sternbildern eingestickt ist.64 In der Allegori62

63

64

Aus der unüberschaubaren Anzahl sei als markantes Beispiel lediglich das heute verlorene karolinigische Elfenbeinrelief aus dem ehemaligen Berliner KaiserFriedrich-Museum mit der Kreuzigung Christi und den in eine große Fülle Tuch gewandeten, ganzfigurigen Personifikationen von Sol und Luna herausgegriffen, die sich in Trauer hüllen. Vgl. Adolph Goldschmidt: Elfenbeinreliefs aus der Zeit Karls des Großen, in: Jahrbuch der Königlich Preussischen Kunstsammlungen 26 (1905), S. 47–67, hier S. 56. Vor allen natürlich der Sternenmantel von Kaiser Heinrich II. in Bamberg als symbolisch nachtblaues Himmelszelt mit goldgestickten Sternzeichen und Inschriften, vgl. Lawrence Nees: A Tainted Mantle. Hercules and the Classical Tradition at the Carolingian Court, Philadelphia 1991. Vgl. Renate Baumgärtel-Fleischmann: Die Kaisermäntel im Bamberger Domschatz, in: Bericht. Historischer Verein Bamberg für die Pflege der Geschichte des Ehemaligen Fürstbistums 133 (1997), S. 93–126, hier S. 95 sowie David Ganz/Marius Rimmele: Bildspezifische Sinnstiftung von Kleidung in der Vormoderne, in: Kleider machen Bilder. Vormoderne Strategien vestimentärer Bildsprache (Textile Studies 4), hg. von David Ganz/Marius Rimmele, Emsdetten/Berlin 2012, S. 7–31, S. 11, allerdings mit Betonung des Christus im Zentrum.

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III. TASTEN – TÜCHER

sierung des Kaisers als Weltenherrscher konnte kein stärkeres Bild aufgerufen werden. Gleichzeitig trägt Heinrich damit wie Herkules-Atlas bildlich das gesamte Firmament. Was neuzeitlichen Augen wie eine unfassbare Anmaßung von Gottähnlichkeit erscheint, entsprach indes kanonisierter Ikonographie. Der Kaiser herrscht über den Kosmos, zu dem das Himmelszelt gehört; Gott aber beweist seine Allmacht gerade darin, dass er weit darüber hinaus in den Sphären und in allen Dingen wirkt.

Bild 124

León, San Isidoro, linke Seite der Puerta del Cordero: Fiedlerin in Tuchringen.

Dass diese Metaphorik des Himmelstuches und Ätherstoffes auch in León verbindlich war, zeigt sich auf einer weiteren Reliefplatte des ZodiacusMeisters. Wahrscheinlich aufgrund des Rebec, einem Vorläufer der Violine, ist in der heutigen Anbringung der Portalreliefplatten eine Fiedlerin den fünf Musikanten um König David beigesellt (Bild 124). Sie steht langhaarig hüftabwärts in sieben wulstigen Ringen, die um ihren Körper herum zu schwingen scheinen. Die verlockende Assoziation aus Musik und diese verbildlichenden Schallwellen ausschließend, kommen bei der Musikantin wie schon beim Sternbild Löwe keine Wellen, sondern Stoffringe in Frage. Derartige Stoffringe sind kein Leoneser Einzelfall: Auf einer der Konsolen über dem Langhausportal der Basilika Saint-Sernin de Toulouse, der spätestens bis 1118 fertig gestellten sogenannten Porte Miègeville (Bild 125),65 ist eine Frau mit tief gebohrten Augen sowie wilden Schlangenhaaren zu sehen, die radial auszugreifen und sogar über den oberen Rand des Kragsteins zu krie65

Thomas Lyman betonte, dass das gesamte Westportal bis zum Tod von Raimond Gairard im Jahr 1118 fertiggestellt war, vgl. Thomas Lyman: Raimond Gairard and Romanesque Building Campaigns at Saint-Sernin in Toulouse, in: Journal of the Society of Architectural Historians 37 (1978), S. 71f.

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LEÓN – DER STOFF, AUS DEM DER HIMMEL IST

Bild 125

Toulouse, Saint-Sernin: Porte Miègeville.

chen scheinen (Bild 125a).66 Ihre rechte Hand greift unnatürlich verkrümmt über den Rand einer antikischen Togaschlinge, die sich bis knapp unter ihrem nackten Hals gestaut hat. Die als schielend gekennzeichnete Frau wird mit den großen Zähnen im halb geöffneten, schiefen Mund und den züngelnden

66

Vgl. Cazes: Saint-Sernin de Toulouse (a. a. O.), S. 227.

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III. TASTEN – TÜCHER

Bild 125a Toulouse, Saint-Sernin, Porte Miègeville-Konsole: Frau in Tuchringen.

Schlangenhaaren gleich mehrfach dämonisiert. Insbesondere die Mundpartie mit den wie entgleist wirkenden Zügen scheint direkt von der SchlangenträgerFurie des Orestessarkophages (Bild 14) übernommen: Dort sorgen die wulstige waagrechte Unterlippe, die unbestimmt in ihrer wie gelähmt herabhängenden, aufgedunsenen linken Wange endet sowie die asymmetrisch aufgeworfene Oberlippe zusammen mit den untot wirkenden, weil durch die Bohrungen nach oben verdrehten Augen und der deformierten, ausgebrochenen Nase für einen mehr als unheimlichen Gesamteindruck der Mimik. Obwohl die Konsole insbesondere im Bereich der Hände stark überarbeitet ist und in ihrer antikischen Psychologisierung wie eine überschießende Mittelalter-Phantasie des notorischen Über-Restaurators der Basilika, Eugène Viollet-le-Ducs, wirkt, konnte Quitterie Cazes nachweisen, dass die Konsole der Frau mit den breiten Stoffringen bereits vor der Restaurierung in dieser Form existierte.67 Die konzentrischen Stoffkreise des Obergewandes betonen nur umso stärker das Skandalon eines entblößten Dekolletes sowie dementsprechend das Fehlen eines Untergewandes. Hingegen kann in León aufgrund der Anbringung in unmittelbarer Nachbarschaft des Zodiacus auch positiv konnotiertes Himmelstuch gemeint sein, das die musizierende Frau umgibt, womit sie entweder die Perso-

67

Vgl. ebd., S. 227.

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SANTIAGO – ZWISCHEN HIMMELSTUCH UND PILGERLUMPEN

nifikation sphärischer Musik oder das Sternbild der Lyra verkörpern könnte, deren Instrument im Mittelalter in seiner Form nicht kanonisch festgelegt war. Mit den stehenden und irdisch schwer wirkenden Davidsmusikanten hat diese in Tuchwolken wie Sol und Luna Schwebende nichts gemein; vielmehr verbinden sie die subtile Kopfwendung zur Seite und nach unten sowie die strähnigen langen Haare und der entschlossene Blick mit hochgezogenen Augenbrauen über prallen Backen mit dem Schützenkentauren darüber. Insbesondere aber setzt der Zodiacus-Bildhauer hier auf kleinstem Raum ein Stück in Tüchern in Szene, das die Musikantin außergewöhnlich monumental erscheinen lässt. In einem ersten ungebremsten Schwall fließt eine wahre Stofflut parallelisierter Falten über ihren linken Arm und weit über die ohnehin schon breite Schulterkontur hinaus und stürzt nach unten, hinter den inneren Stoffwulst. Hauchdünn wirkt hingegen das Gewand über dem rechten Arm, der sich plastisch darunter abzeichnet und über dessen Ellbogenpartie sich feingratige Falten ebenso stauchen wie unterhalb der Achsel. Sicher nicht nur aufgrund der witterungsbedingten Detailverflachung des Reliefs scheinen die sich auffächernden Haarsträhnen über ihrer rechten Schulter nahezu nahtlos in die Stoffringe überzugehen und potentiell endlos um sie zu kreisen. Wie eine antike Imago Clipeata aus Stoff hebt hier das Himmelstuch die Gerahmte in die Sphäre des Göttlichen.

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Sa nt iago – Zw isc hen H i m melst uc h u nd P i lgerlu mp en

Die von Gott geschneiderte zweite Hülle für Adam und Eva war in Santiago aber nicht nur über die theologischen Zureichungen der Pilgerwegsikonographie hinreichend vorbereitet,68 sondern wurde auch konkret materiell abgelegt, indem die zerschlissenen Pilgergewänder ab 1188 nachweislich vor dem Pórtico de la Gloria, davor mutmaßlich vor dem Vorgängerportal des elften Jahrhunderts oder dem ursprünglichen Haupteingang an der Nordseite, der Porta Francigena, abgestreift wurden. Danach wurden die Pilger neu in reinweiße Gewänder eingekleidet. Die alten, auf der beschwerlichen Pilgerreise zerschlissenen Lumpenhüllen wurden in einem symbolträchtigen Akt in einer eigens dafür errichteten, mit mächtigen monolithischen Steinplatten eingefassten sowie von der lebensgroßen Skulptur eines Opferwidders bekrönten Feuerstelle (Bild 126) auf dem ebenfalls steinernen, damit begehbaren Dach der Kathedrale

68

Vgl. Leonie von Wilckens: Die Kleidung der Pilger, in: Wallfahrt kennt keine Grenzen, hg. v. Lenz Kriss-Rettenbeck/Gerda Müller, München/Zürich 1984, S. 174–180.

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III. TASTEN – TÜCHER

Bild 126 Santiago de Compostela, Kathedrale, Steinernes Dach: Ofen für Pilgergewänder.

verbrannt.69 Beim Betreten der Kathedrale durch die säulengerahmte Porta francigena begegnete dem Santiagopilger mit jedem Schritt eine sinnlich entfaltete Tuchmetaphorik. 69

Ob in Santiago die rituelle Verbrennung der alten Hüllen in einem Ofen wirklich im Beisein der Pilger auf dem steinernen Dach der Kathedrale zelebriert wurde, wird unter spanischen Forschern unverändert kontrovers diskutiert, weil unsicher bleibt, ob zum Zeitpunkt der Abfassung des Codex Calixtinus, dem Pilgerführer von etwa 1134, das Dach bereits mit steinernen Stufen versehen war. Dafür sprechen manche Details der Pilgerberichte bei Klaus Herbers/Robert Plötz: Nach Santiago zogen sie. Berichte von Pilgerfahrten ans „Ende der Welt“, München 1996, und die Beschreibung der rundum begehbaren, für die erste Übernachtung der Pilger nutzbaren sowie in die Liturgie mit allein drei Altären voll einbezogenen Emporen mit Dachzugang, vgl. Herbers: Der Jakobsweg (a. a. O.), S. 55 und 172. Auch stammt der Ofen selbst, der zwar versetzt wurde und heute an anderer Stelle auf dem Dach der Kathedrale steht, im Kern aus dem elften Jahrhundert.

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SANTIAGO – ZWISCHEN HIMMELSTUCH UND PILGERLUMPEN

Anstatt wie die Säulen einer antiken Revelatio in der großen Form tuchumwunden das ehemalige Nordportal zu enthüllen, schwingen die sechs Marmorsäulen selbst wie Fahnenstangen mit Tüchern sowie mit den zahlreichen Details ihrer Windungen ein stofflastiges Bildprogramm auf. Inbesondere der gesehene, vestibulär hochmotorische Schleiertänzer (Bild 104) stemmt den Arm fast trotzig in die Seite. Er wirkt wie der von seinem Konterpart getrennte Tänzer der rechten Seite des Jaqueser Schleiertanzkapitells (Bild 113). Seine rechte Hand geht zu dem Saum des Tuches, das er mit einem zupackenden Griff zugleich rafft. Parallel aber legt es die Nacktheit des Tänzers bloß, der sich ihrer allerdings keinesfalls zu schämen scheint, sich vielmehr wie ein noch alleinstehender Adam in seinem unschuldigen Zustand vor dem Sündenfall umso tiefer selbstvergessen in das himmlische Tuch tanzt. Dabei flattert das Tuch zur Seite psychomotorisch wie ein Treibsegel auf, so dass es als bewegtes Beiwerk die innere Aufgewühltheit zu spiegeln vermag. Aby Warburg zufolge dringen bei Pathosformeln innere Befindlichkeiten verbildlicht nach außen durch und enthüllen so subkutane Triebkräfte. Psychische Aktivität äußert sich in Gestalt physischer Bewegtheit. Ein Überschuss an Emotion strömt beispielsweise in Tuchform aus dem Körper, im Fall des Pylades-Motivs über die ausladende Hand vermittelt nach außen. Das Wesen der Pathosformel und des bewegten Beiwerks wurde von den Bildhauern des elften Jahrhunderts durch exakte Analyse der Formen aus dem zweiten Jahrhundert in Autopsie und deren logischer Ableitung erfasst. Werner Weisbach hat in seiner Untersuchung zur Ausdrucksgestaltung im Mittelalter bereits 1948 betont, dass die Pathosformel nicht einer Kopfgeburt der Wissenschaft entspringt, sondern von den Künstlern selbst immer schon als Ausdrucksform eingesetzt wurde und von dem auf diese Formen geeichten Warburg nur abgeschaut zu werden brauchte. Vierhundert Jahre vor Warburg hatte Leonardo da Vinci bereits alle wesentlichen Elemente der Pathosformel definiert: „Li movimenti devono essere annunziatori del moto dell’animo del motore.“70 Ein unausgesetzt verknotetes Band derartig aufgewühlter Choreographien bewegter Tücher oder von Heilskostümen findet sich auf zahlreichen Kapitellen entlang des Pilgerwegs wieder. So auch auf einem in die 1080er Jahre zu datierenden Kapitell (Bild 127),71 das in dem Wallfahrtssziel der Kathedrale von Santiago de Compostela den Übergang von Südquerhaus in den für Pilgerprozessionen so wichtigen Chorumgang markiert.72 Wie erschüttert und gelähmt 70 71 72

Zitiert nach Werner Weisbach: Ausdrucksgestaltung in mittelalterlicher Kunst, Einsiedeln/Zürich 1948, S. 5. Vgl. Durliat: Romanisches Spanien (a. a. O.), S. 150. Zur Frage der ambulanten Apostelnachfolge der Pilger vgl. beispielsweise Ilene H. Forsyth: The ‚Vita Apostolica’ and Romanesque Sculpture. Some Preliminary Observations, in: Gesta 25 (1986), S. 75–82, hier S. 75.

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III. TASTEN – TÜCHER

Bild 127

Santiago de Compostela, Kathedrale, Kapitell: Tuchhalter.

in ihrer vermeintlichen Heilsgewissheit stehen die auffälligerweise vollständig bekleideten Seligen dort auf den drei Kapitellseiten und halten die Tuchbahn geradezu lethargisch. Während sich der Stoff bei dem rechten Tuchhalter plastisch über dessen Beine legt und zwischen den Haltepunkten nach unten wie ein Vorhang in tiefen Schüsselfalten ausschwingt, bewegt sich im Gegensatz dazu das Tuch auf der linken Seite stärker aus sich heraus, was von dem sogenannten Fides-Meister, einem ebenfalls in Sainte-Foy de Conques am französischen Pilgerweg stilistisch nachweisbaren Bildhauer,73 mit durchlaufendschwingenden Faltenkurven angedeutet wird. Durch den auffälligen Unterschied zwischen der linken und der rechten Tuchbahn könnte eine Differenzierung in haptisches Heilstuch rechts und einem Wolkenband als nächste Stufe der Metaphorisierung des Himmelstuchs auf der linken Seite visualisiert sein,74 die an dieser für den Pilgerstrom markanten Stelle der Kathedrale am Übergang von 73 74

Vgl. Fricke: Ecce Fides (a. a. O.), Abb. 27: Fides vor Dacian. Ähnlich wie die berühmten Zwickelengel des Kreuzabnahmereliefs von Silos oder der Gelduinus-Engel einer Hauptapsiskonsole in Jaca in stofflich wirkende Wolkenfalten gebettet sind, vgl. Joaquín Yarza Luaces: Elementos formales del primer taller de Silos, in: El Romanico en Silos. IX Centenario de la Consegración de la

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Bild 128 Alfons.

SANTIAGO – ZWISCHEN HIMMELSTUCH UND PILGERLUMPEN

Santiago de Compostela, Kathedrale, Chorscheitelkapellenkapitell: König

Südquerhaus zu dem Prozessions-Chorumgang einen zeichenhaften Sinn hat: Auf der Stirnseite des Kapitells steht ein Mann vor der Tuchbahn mit erhobener rechter Hand und legt seinen linken Arm um die Schulter des neben ihm stehenden Tuchhalters.75 Durch den Schulterschluss mit dem zupackenden Tuchhalter und der weisenden Geste in Richtung des Wolkentuchbandes könnte den vorbeiziehenden Pilgern die Transformation des Tuches in das Himmelstuch als Belohnung der Pilgerfahrt bildlich in Aussicht gestellt worden sein. Wie sicher sich König Alfonso VI. El Batallador als einer der wichtigsten Stifter der von Beginn an mit Rom konkurrierenden Kathedrale von Santiago seines Seelenheils offensichtlich war, zeigt die Elevation seiner Seele auf einem

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iglesia y claustro, Silos 1990, S. 105–147, hier S. 111, und Moralejo Álvarez: La sculpture romane (a. a. O.), S. 12f. Manuel González Castiñeiras schlug eine Identifizierung der Szene als Vision der Hl. Fides mit dem Hl. Caprasius sowie Primus und Felicianus als den Märtyrern von Agen vor, in der Fides in aufwendige Tücher gehüllt vor Dacian erschiene; die Tücher, die klar erkennbar von den Männern gehalten werden, deutet er dabei jedoch als Wasser einer von Caprasius aus dem Fels geschlagenen wundertätigen Quelle, vgl. Castiñeiras: La catedral (a. a. O.), S. 247.

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III. TASTEN – TÜCHER

Bild 128a León, San Isidoro, Isidorschrein: Zwangseinkleidung.

Kapitell links des Eingangs der herausgehobenen Scheitelkapelle im Chorumgang (Bild 128), dem heiligsten Ort der Kathedrale gleich hinter dem Grab des Heiligen Jakobus.76 Wie ein Wickelkind eingehüllt und damit sicher wie in Abrahams Schoß sowie bekrönt wie die Seligen des Pórtico de la Gloria wird er, der inschriftlich auf dem quer über das Kapitell gespannten Schriftband als Stifter der Kathedrale benannt ist,77 von zwei Engeln direkt in den Himmel getragen. Da die Inschrift aber unmissverständlich von REGNANTE PRINCIPE […], „unter dem regierenden Herrscher […]“, spricht, lässt sich Alfonso wie sonst nur die alttestamentlichen Propheten Enoch und Eliah bereits zu Lebzeiten von Engeln in den Himmel befördern. Um keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit seines Tuns aufkommen zu lassen, behält er die weltliche Krone als Ausweis seiner irdischen Macht auf. Die entscheidende Rolle spielt auch hier das Tuch. Schon die Inschrift des Kapitells scheint nicht einfach auf ein Pergament geschrieben, sondern auf ein gespanntes Tuch gesetzt, das bei der gezeigten Himmelfahrt ebenfalls in einer himmlischen Sphäre zu verorten ist. 76 77

Vgl. Moralejo Álvarez: Codex Calixtinus (a. a. O.), S. 222. Die Inschrift auf dem Spruchband lautet: REGNANTE PRINCIPE ALDEFONSO CONSTRVCTVM OPVS, etwa: „Dies Werk ist unter dem regierenden Herrscher Alfons errichtet worden.“ Vgl. Trinks: Zieh’ den alten Adam aus (a. a. O.), S. 19.

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SANTIAGO – ZWISCHEN HIMMELSTUCH UND PILGERLUMPEN

Vor allem aber rafft König Alfonso den Tuchüberschuss seines Gewandes vor seiner Brust zu einer kreisförmigen Schlaufe. Die gesamte über die unterschiedlichsten Etappen entwickelte Ikonographie des Heilstuches am Pilgerweg wird in dieser einen, symbolträchtig vor dem Leib präsentierten Stoffschlaufe zusammengefasst: Anders als bei der Szene der Zwangseinkleidung auf dem Isidorschrein in León (Bild 128a), in der Adam verzweifelt versucht, einen Zipfel des ihm entzogenen göttlichen Gewandes zu erhaschen; anders auch als bei der Verkündigung in Jaca (Bild 109), wo die Psychoenergie der Inkarnation sich in dem Gewandüberschuss des Pylades-Motivs entlädt, ermächtigt sich König Alfonso in Santiago selbst, das himmlische Kleid noch zu Lebzeiten anzuziehen. Mit der auffälligen Schlaufe als hervorhebendes Zeichen weist er selbstbewusst den stofflichen Schlüssel für den Eingang ins Himmelreich vor. Er greift damit geschickt eine Ikonographie auf, die sein Vorgänger Fernando I. von León, dem er in vielem gleichzukommen versuchte, auf dem Schrein des Heiligen Isidor geprägt hatte. Dieser weist mit der Geste seiner linken Hand den Beginn der stofflich-metaphorischen Genesis von León. Zu dieser gleichsam göttlichen Entscheidungsbefugnis ermächtigt ihn visuell sein Gewand, das bis in den Edelsteinbesatz des Saumes dem Gewand Gottvaters auf dem Schrein angeglichen ist. Durch den permanenten künstlerischen Austausch von Bildinventionen am Pilgerweg wird auch hier ein im Jahr 1063 gesponnener Ideen-Faden aus León aufgenommen, um in Santiago in den 1080er Jahren zu einem stofflichen Schlüssel für die Himmelspforte aufgefaltet zu werden. Ein letztes Umschwingen des ursprünglich durchgängig negativ eingesetzten, von den Erinnyen und ihrer Nachkommenschaft zum Verbergen aufgespannten Husillostuches des Sarkophages, findet der Pilger am Ende seiner Reise an der Puerta de las Platerías, dem Südportal der Kathedrale von Santiago. Auf der marmornen Mittelsäule (Bild 129) spannt ein Reigen von Engeln als oberer Abschluss der Säule, das heißt bildhaft bereits in der Himmelszone, glatt nach unten fallende Tücher weit auf. Mit dieser außerbiblischen Invention zweckfrei vorgezeigter Tücher wird Ende des elften Jahrhunderts die Ikonographie der göttlichen Vera Ikon, des von Engeln oder der Heiligen Veronika aufgespannten und präsentierten Schweißtuches Christi grundgelegt. Weil aber die entfaltete Tuchmetaphorik des Pilgerwegs durchgängig ambivalent war, weisen auch die abstrakten, nicht mit einem sprechenden Vera Ikon versehenen Engelstücher in ihrem rein zeichenhaften Charakter zumindest mit dem aufgewühlten Faltengebirge der Oberfläche auf ihren Ursprung aus der Ikonographie des Bösen zurück. Dass dieser Umschwung von dem ursprünglich negativ behafteten Tuch des Todes auf ein Heilstuch nicht reibungslos vonstatten ging, erweist die Übernahme des Pylades-Tuches vom Orestessarkophag in einer Genesis-Szene der berühmten Bibel von Ripoll. Die Zweifel, ob das Fehlen jeglicher Rezeption des

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III. TASTEN – TÜCHER

Bild 129 Santiago de Compostela, Kathedrale, Puerta de las Platerías-Mittelsäule: Tuchhalter.

Sarkophages aus Husillos in Handschriften ausschließlich der Mediendifferenz zuzuschreiben wären, waren stets groß. Die in Frage kommende Szene der Zurechtweisung der Stammeltern durch Gott in der Ripoll-Bibel von etwa 1080 ist die einzige bekannte innerhalb der gesamten mittelalterlichen Sündenfall-Ikonographie, bei der noch vor der Bedeckung mit dem Feigenblatt oder der Zwangseinkleidung ein Tuch erscheint.78 Im dritten Register von oben (Bild 129a) steht Gottvater vor der Paradiesespforte links körpersprachlich ähnlich verschlossen wie in der entsprechenden Szene auf dem Isidorschrein in León. Ein seltenes Szepter im quer über den Oberkörper ziehenden linken Arm Gottvaters zeigt auf die nun verschlossene Tür zum Paradies; mit dem Zeigefinger der rechten Hand zielt er spitz auf Adam. Dieser versucht verzweifelt mit einem weiten Ausfallschritt seines linken Beines wieder in Gottes Nähe zu gelangen, in die auch sein sich weit vorbeugender Oberkörper zieht. Mit der Zeigegeste seiner rechten Hand, die parallel zu derjenigen Gottes über den Oberkörper geführt ist, verweist er die Schuld auf Eva. Sein linker abgewinkelter Arm deutet eine Geste des Abstoßens von Eva an, von deren Kontakt er sich eben zu lösen scheint. Diese aber steht, nahezu einzigartig in der Kunst, direkt auf der sich unter ihren Füßen windenden Schlange, so dass Versuchte und Versucherin zu einer 78

Bibel des Klosters Santa Maria de Ripoll, Klosterbibliothek, Ms lat 6, Ende 11. Jh.

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SANTIAGO – ZWISCHEN HIMMELSTUCH UND PILGERLUMPEN

Bild 129a Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Bibel aus Santa Maria de Ripoll, 11. Jh., Vat. lat. 5729, fol. 5v: Sündenfall.

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III. TASTEN – TÜCHER

Einheit verschmelzen. Dieser Anblick muss für einen oder mehrere Betrachter des die ganze Handschriftenseite visuell aufdringlich füllenden Sündenfallgeschehens derart unerträglich gewesen sein, dass der Kopf der Schlange in einem selektiven Ikonoklasmus ausradiert wurde. Eva aber hat die rechte Hand über dem eliminierten Kopf der Schlange zu einem Offenbarungseid geöffnet. In ihrer abgewinkelten linken Hand hingegen hält sie ein isoliertes Tuch, das in mehreren übereinander gelegten Schwüngen wie das Pylades-Tuch des Orestessarkophages nach unten fällt. Entweder hat sich Eva damit einen winzigen Teil des göttlichen Gewandes der Gnade als Erinnerung an paradiesische Zeiten gesichert, oder sie hält bereits das Kleid vor, das Gottvater ihnen als Schutz für den Weg ins irdische Leben überzog.79 Das Altrosa des Tuches jedenfalls ähnelt eher dem Untergewand Gottvaters in der folgenden Szene der Verstoßung aus dem Paradies, die nach der vollzogenen Einkleidung der Stammeltern anstelle des Erzengels von Gott selbst vorgenommen wird, als dem stigmatisierenden Grellgelb des Eva-Kostüms. Symbolisch aufs äußerste aufgeladen weist Eva hier einzigartigerweise das Pylades-Tuch vor, das der Heros auf dem Sarkophag als Siegeszeichen von dem überwundenen dämonisierten Bärtigen abgezogen hatte. Dass das zitierte Tuch auch in diesem Fall nicht eindeutig zuzuweisen ist, bekundet erneut die immense Bedeutung des Sarkophags für eine sich vielschichtig entfaltende Kunst im elften Jahrhundert.

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Die Einkleidung durch Gottvater findet sich in Gen 3,21: „Fecit quoque Dominus Deus Adam et uxori eius tunicas pelliceas, et induit eos“; „Gott, der Herr, machte Adam und seiner Frau Röcke aus Fellen und bekleidete sie damit.“

I V. H Ö R E N – D I O N Y S I S C H E S

Die geläufigen dionysischen Assoziationen sind gemeinhin Wein und Sex.1 Die sexuellen Ausschweifungen als Fanal übermäßigen Weingenusses waren indessen nur ein Teil der dionysischen Kultumzüge. Die tanzenden Bacchanten wurden dabei aufgereizt von Pauken, Tamburinen, Panflöten oder Aulos-Doppelflöten. Diese wichtigsten zum Einsatz kommenden Instrumente zeigen bereits an, dass das Getöse nicht orchestriert war, weil die besagten Tonwerkzeuge nicht oder nur bedingt regelbar sind; im Fall der Panflöte entstellen nach Meinung der Antike die stark aufgeblähten Backen das Gesicht des Spielers. Noch heute wird Wild, das sich ruhig im Unterholz versteckt, aufgescheucht, indem Jagdgehilfen mit derartigen Krachinstrumenten durch den Wald ziehen. Die immer lauter anschwellende, infernalische Kakophonie trieb die Bacchanten in diesem Zustand rasenden Aufgehetztseins in eine derartige Ekstase, dass es zu einem völligen Kontrollverlust kommen konnte. Dazu kam der Bocksgesang der Begleiter des Dionysos, der Satyrn, sowie das Geblöke des Gottes selbst. Von den Griechen und Römern wurde er deshalb Bakchos (latinisiert Bacchus), das heißt „Rufer“ oder „Schreier“ genannt, beziehungsweise mit seinem Ehrennamen Bromios, „Lärmer“ gerufen. Dionysisches, das war im kakophonischen Zusammenklang mit Wein, Tanz und Eros also vor allem Tumult und Getöse. Das Vermögen der Bildhauer am Pilgerweg, Akustisches in Skulptur umzusetzen, ist durchweg beträchtlich. Enthemmte Tänze zu Aulos-Blaserei; unchristlich durcheinander spielende, sehr irdische Tanzkapellen; nackte weinlesende, dabei beschwingt singende oder auf fauchenden Panthern reitende Eroten – das alles ist auf Skulpturen in Jaca, León und Santiago gleichsam zu

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Zu allen Ausformungen des Kultes vgl. den vorzüglichen Ausst.-Kat.: Dionysos. Verwandlung und Ekstase, Pergamonmuseum Berlin, hg. v. Renate Schlesier/ Agnes Schwarzmaier, Regensburg 2008, entlang der reichen Bestände der Berliner Antike-Museen, darin insbesondere Renate Schlesier: Dionysos als Ekstasegott, S. 29–41, hier S. 29ff.

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IV. HÖREN – DIONYSISCHES

hören. Die Bildhauer dieser Werke kommen damit einer dionysischen Heiterkeit und Ausgelassenheit näher als jede andere Epoche des Mittelalters.

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Jac a – Ta n z den D ionysos

Unter allen Skulpturen in Jaca ist das Schleiertanzkapitell (Bild 113) sicher die bekannteste. Dass auf dem Kapitell mehrfach eine heiter-bukolische Badeszene erkannt wurde,2 zeigt, dass vor dieser ausschweifenden Darstellung eines Tanzes in Tüchern den meisten Betrachtern bis heute antikische Metaphern des Dionysischen einfallen. Dem mittelalterlichen Betrachter dürfte es angesichts der unübersehbaren visuellen Attraktion halbnackter Tänzer in hauchdünnen Schleiern kaum anders gegangen sein, zumal eine mögliche drohende Konsequenz in Gestalt der dirigierenden Dämonen noch auf den Schmalseiten verborgen blieb. Dionysisches kommt auch darin zu tragen, dass die zwei an den Ecken hockenden Musikanten mit ihren schnarrenden Doppelflöten (Bild 113b) den Tanz aus Leibeskräften zu beschallen scheinen; deutlich zu erkennen ist, dass beide spitzohrig sind, das heißt, als Mischwesen zwischen Mensch und Satyr zum Gefolge des Dionysos zählen. Wie schon bei der interpretierenden Neufassung des Orestessarkophages als unbeirrtem Schlangenkampf in Frómista scheint auch in Jaca der Versuch unternommen, mit aller bukolischen Ausgelassenheit des halbnackten Paares in den verwehrten Garten Eden zurückzutanzen. Das heute als Kopie in die Westseite des Südportalportikus eingefügte Kapitell mit König David und seinen Musikanten (Bild 130)3 präsentiert – der alttestamentlichen Vorgabe anscheinend diametral widersprechend – ein durch und durch weltlich-dionysisches Spektakel. Auf der Stirnseite des ehemaligen Kreuzgangkapitells sitzt König David auf einem antikischen Faldistorium inmitten von elf Musikanten.4 Bereits die enorme Menge der elf Musikanten auf diesem Kapitell lässt erwarten, dass es sich hier nicht um harmonischen Wohlklang zur Ehre Gottes handelt, sondern um ein gedrängtes Chaos, das den Bildhauer vermutlich gerade aufgrund der komplexen Dichte gereizt hat. Laute Instrumente wie die tragbare Orgel auf der linken Schmalseite und die zahlreich vertretenen Hörner und Blasinstrumente auf der rechten Seite des Kapitells

2 3

4

Sowohl Moralejo Álvarez: La sculpture romane (a. a. O.), S. 88, als auch Durliat: La sculpture romane (a. a. O.), S. 235f., konstatierten dem Tanz eine dionysische Grundstimmung, allerdings in Wellen. Das Original, von dem aus konservatorischen Gründen eine getreue Steingussabformung für den Außenbereich des Portikus hergestellt wurde, wird heute im Diözesanmuseum von Jaca im Kreuzgang der Kathedrale gezeigt, vgl. Lacarra Ducay: Catedral (a. a. O.), S. 28f. Vgl. Sonia C. Simon: David et ses musiciennes: iconographie d’un chapiteau de Jaca, in: Les Cahiers de Saint-Michel de Cuxa 11 (1980), S. 239ff.

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JACA – TANZ DEN DIONYSOS

Bild 130 Jaca, San Pedro, Südportikuskapitell: David und seine Musikanten. Bild 130b Jaca, San Pedro, Südportikus, rechte Kapitellschmalseite: Davidsmusikanten.

Bild 130a Jaca, San Pedro, Südportikus, linke Kapitellschmalseite: Davidsmusikanten. Bild 130c Psalter, Glasgow, University Library, Ms Hunter 229, fol. 21: Davidsmusikanten.

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IV. HÖREN – DIONYSISCHES

scheinen eher geeignet, einen Höllenlärm hervorzubringen. Der Musikwissenschaftler Reinhold Hammerstein verweist sowohl die Rebec-Fiedel, die auf der linken Kapitellschmalseite gespielt wird, als Gauklerinstrument in den Bereich der Musik des Bösen, wie auch die zahlreichen einhändig geblasenen und grifflosen, dadurch nur ungeregelt disharmonisch zu spielenden Krummhörner.5 Für David als König und Propheten komme nach Hammersteins Zweiteilung der Musik nur harmonischer Klang in Frage, der durch exakte geregelte Tonlagen dem in der Liturgie verwendeten ähnelt.6 Harmonie scheint mit den zahlreichen ungeregelten Hörnern und verschiedenartigen Instrumenten des Kapitells schlechterdings zu erreichen sein. Am augenfälligsten aber unterstreicht die überbetonte Gestik und Mimik das kakophonische Chaos: Wie die schlafenden Erinnyen auf dem Husillos-Sarkophag sind die frenetischen Musikanten in bis zu drei Registern übereinandergestapelt. Ihre Oberkörper und Köpfe sind wie in einem Wettstreit durchgängig nach vorne in Richtung Kapitellstirnseite gereckt. Die fünf Musiker der rechten Schmalseite blasen aus Leibeskräften in ihre Krummhörner, Flöten und übrigen Blasinstrumente (Bild 130a), wie es die geblähten Backen, die um die Mundstücke der Instrumente wulstig geschürzten Lippen und die durchweg weit aufgerissenen Augen anzeigen. Die Bewegtheit wird durch die Pathosformel des hinter dem Rücken des Hornbläsers links oben aufflatternden Gewandes deutlich. Insbesondere aber wirkt der Körper des wesentlich größer gegebenen Musikers mit Harfe an der Kapitellecke, der mit seinem rechten Bein überkreuzt hinter der ausgestellten Pranke von König Davids Löwenthron klemmt und mit dem linken Fuß auf den Zehenspitzen steht, bis in die letzte Faser angespannt. Während er mit dem über die Schulter zurückgewandten Kopf Blickkontakt mit seinem König hat, greift er mit der rechten Hand in die Saiten der Dreiecksharfe, die er nicht hält, sondern in eine Schlinge seines Mantels auf Bauchhöhe eingesenkt hat. Die Anspannung scheint sich in Gestalt der über der Harfe nach oben weisenden, vielleicht die Musiker der Schmalseite dirigierenden Hand zu entladen, die doppelt so groß wie seine Spielhand ist. Wie schon bei der übergroßen, ebenfalls nach oben zeigenden Hand des OrestesAdam auf dem Husillos-Kapitell in Frómista (Bild 5), welche die vermutlich bereits im elften Jahrhundert fehlende weisende Hand des Orestes auf dem Sarkophag rekonstruierte und steigerte, scheint hier eine Geste im Sinne einer Pathosformel autonom geworden zu sein.7 Derart monumentale, dadurch visuell 5 6 7

Vgl. Hammerstein: Diabolus (a. a. O.), S. 60f. Vgl. Reinhold Hammerstein: Die Musik der Engel. Untersuchungen zur Musikanschauung im Mittelalter, Bern/München 1990, S. 39ff. Horst Wenzel hat wiederholt prägnant herausgearbeitet, wie sehr derartige Zeigegesten die Narration tragen, aber auch, wie Deixis und Räumlichkeit über die zeigende Figur miteinander verknüpft sind, wodurch Raum verdeutlicht werden kann.

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JACA – TANZ DEN DIONYSOS

als Zeichen isolierte Hände zählt als einer von wenigen Donat de Chapeaurouge, konträr zu den meisten Arbeiten über Gesten, nicht zu den mittelalterlichen „Überbetonungen“ oder missverstandenen Verformungen, sondern leitet diese direkt aus der Antike als „übernommene Symbole“ ab.8 Der bis in die wippenden Zehenspitzen elektrisierte Kapellmeister von Jaca könnte mit seiner Zeichen gebenden Hand von einem dionysischen Sarkophag wie demjenigen aus Saint-Medard (Bild 156) angeregt sein.9 Dort führt Dionysos mit seiner übergroßen, taktgebenden Hand am Thyrsosstab den Zug an, während Satyrn mit ebenfalls überproportionalen Händen sowie exaltierter Gestik die übrigen Bacchanten anfeuern. Gleich mehrere Artikel widmen sich nahezu ausschließlich den zu identifizierenden Instrumenten.10 Für die Musikwissenschaft zweifelsohne hilfreich, geht diese realienkundliche Identifizierungswut an der außergewöhnlichen Qualität dieses mit einem Dutzend Beteiligter figurenreichsten Kapitells des gesamten elften Jahrhunderts und seiner mutmaßlichen Bildargumentation vorbei. Marcel Durliat datierte das Kapitell in die letzte Schaffensperiode des Jaca-Meisters, die er spät gegen 1120 ansetzte. Durliat ging dabei von einer Wiederverwendung des Kapitells aus, ohne auf seinen ursprünglichen Ort einzugehen.11 Bereits für Arthur Kingsley Porter gehörte es zurecht in das späte elfte Jahrhundert.12 Isabel Lapeña Paul hat als erste Forscherin den Vorstoß gewagt, den musizierenden König mit dem Stifter der Kathedrale Sancho Ramírez I. zu identifizieren, wobei sie so weit ging, in der Darstellung ein Kryptoportrait zu vermuten.13 König David wäre als Symbol alttestamentlicher Herrschertugenden sowie als prophetischer Verkünder und kämpferischer Wegbereiter des Messias für den königlichen Kathedralstifter Sancho Ramírez I. als Bereiter der Reconquista in einem visuellen Regierungsprogramm ohne Zweifel das geeignete Identifikationsangebot.14 Dies war für Herrscher vor allem deshalb

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Vgl. z.B. Horst Wenzel: Der Schuß ins Auge. Zum Imaginationstheater mittelalterlicher Bilderhandschriften, in: Bild-Geschichte. Festschrift für Horst Bredekamp, hg. v. Philine Helas/Maren Polte/Claudia Rückert/Bettina Uppenkamp, Berlin 2007, S. 139–154, hier v. a. S. 146ff. Vgl. de Chapeauroge: Einführung (a. a. O.), S. 30. Dionysossarkophag aus Saint-Medard, Louvre, Inv.-Nr. MA1346. Am ausführlichsten dabei: Rosario Alvarez Martinez: Music Iconography of Romanesque Sculpture in the Light of Sculptors’ Work Procedures. The Jaca Cathedral, Las Platerias in Santiago de Compostela, and San Isidoro de Leon, in: Music in Art 27 (2002), S. 13–36. Vgl. Durliat: Romanisches Spanien (a. a. O.), S. 123. Vgl. Arthur Kingsley Porter: Romanische Plastik in Spanien, Bd. 1, Leipzig 1928, S. 76. Vgl. Ana Isabel Lapeña Paúl: Sancho Ramírez. Rey de Aragón (1064?–1094) y rey de Navarra (1076–1094), Somonte-Cenero 2004. Für die Analogie zwischen dem ebenso weisen wie machtbewussten König David und Herrschern, die in christlichen Kontexten permanent bemüht wurde, bildet

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IV. HÖREN – DIONYSISCHES

attraktiv, weil niemand Geringerer als der Kirchenvater Augustinus den Namen David etymologisch von manu fortis („mit starker Hand“) abgeleitet hatte. Diese Gleichsetzung wurde das gesamte Mittelalter hindurch immer wieder aufgegriffen.15 Lapeña Paul drang mit dieser These nicht durch. Wiederholt wurde einer Identifizierung des Königs mit David das wilde Chaos der übereinandergestapelten, wie entfesselt spielenden Musikanten einer gesetzten herrscherlichen Repräsentation entgegengehalten.16 Eine Lösung für diesen scheinbaren Widerspruch hat Bredekamp geliefert, als er in einem exaltierten Musiker ein Zitat des Orestessarkophages in Husillos erkannte.17 Es handelt sich um den links von David kauernden Tröte blasenden Musikanten (Bild 130a), der bis auf die Drehung um die eigene Achse dem schemelhaltenden Knecht auf dem Sarkophag (Bild 6) verblüffend treu nachgebildet ist. Damit wird zugleich deutlich, dass das scharfe Auge des JacaMeisters im Fall des Davidkapitells eine wesentliche Qualität des antiken Sarkophages, in dem sich der von der archäologischen Stilgeschichte so benannte „Antoninische Stilwechsel“ mit seiner verdichtenden Übereinanderstaffelung von Figuren bereits ankündigt, sicher erfasst hat. Klytaimnestras Knecht, der sich schutzsuchend hinter dem Schemel wegduckt, wird von dem Sarkophagmeister deshalb so eng an das Geschehen in eine Raumschicht mit seiner Herrin gebracht, um den raumgreifenden Furor des wild um sich schlagenden Orestes zu verdeutlichen. Das chaotische Gewirr menschlicher Körper auf antoninischen Schlachtensarkophagen beispielsweise ist in Jaca in eine gleichsam zuckende Rhythmik verwandelt worden, die alle Kapitellseiten bis unter die Plinthe anfüllt. Eine ähnlich verdichtete Körperlichkeit findet sich auf dem Kämpfer eines vegetabilen Rankenkapitells des westlichsten Nordwandfensters. Dort liegt ein Nackter, der die gesamte Kämpferbreite ausfüllt, kopfüber nach vorne (Bild 131a und 131b). Mit beiden Händen umgreift er ein Rohr, das tief ausge-

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unverändert das Standardwerk Hugo Steger: David rex et propheta. König David als vorbildliche Verkörperung des Herrschers und Dichters im Mittelalter, nach Bilddarstellungen des achten bis zwölften Jahrhunderts, Nürnberg 1961. Zur Entsprechung von David und Christus, belegt mit spanischen Beispielen Rodriguez Montañes: Prefiguras cristólogicas (a. a. O.), S. 65f. Vgl. Antje Middeldorf-Kosegarten/Max Seidel: Die Rankensäule der Sieneser Domfassade, in: Jahrbuch der Berliner Museen N.F. 11 (1969), S. 81–160, hier S. 128. Hugo Steger hat hierzu den rätselhaften Tanz vor einem gigantischen Götzenbild von Gauklern und Akrobaten, die einen König umgeben, in der um das Jahr 1000 entstandenen Bibel von Roda untersucht, vgl. Hugo Steger: Der unheilige Tanz der Salome, in: Mein ganzer Körper ist Gesicht. Groteske Darstellungen in der europäischen Kunst und Literatur des Mittelalters, hg. v. Katrin Kröll/Hugo Steger, Freiburg i. Br. 1994, S. 131– 269, hier v. a. S. 149. Vgl. Bredekamp: Romanische Skulptur (a. a. O.), S. 104.

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JACA – TANZ DEN DIONYSOS

Bild 131a Jaca, San Pedro, Nordwand, linkes Fensterkapitell, Kämpfer: Olifantenbläser. Bild 131b Jaca, San Pedro, Nordwand, linkes Fensterkapitell, Kämpfer: Olifant. Bild 131c Verona, Museo Maffeiano, Dionysossarkophag, Inv. Nr. 28588, rechte Schmalseite: Putto auf Panther.

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IV. HÖREN – DIONYSISCHES

höhlt ist. Biegt der Betrachter um die Ecke auf die dem Fenster zugewandte Seite des Kämpfers, offenbart sich die Röhre als riesiger Olifant, der die gesamte Kämpferbreite ausfüllt. Mit seiner unverhohlenen Nacktheit sowie dem überdimensionierten Horn, dessen gellende Laute der Betrachter geradezu zu hören vermeint, gehört der Olifantenbläser deutlich eher dem Zug des Dionysos als dem Gefolge eines Heiligen an. Indem er nackt mit aufgebockten Beinen in einer Art Vierfüßlerstand animalisch kauert, bildet er wie der proskynetische Büßer des Tympanons allein durch das Kippen des Körpers in die Horizontale ein verdächtiges Gegenbild zur Darstellungskonvention des nahezu immer aufrecht stehenden Heiligen. Mit großem Gespür für das enthemmte Verquere der Körper auf einem dionysischen Sarkophag hat der Jaqueser Bildhauer die emblematische Figur des blasenden Nackten hier quer über den gesamten Kämpfer drapiert. Die Anregung könnte von dem nackten Hornbläser am linken Rand des Huesca-Sarkophages (Bild 80) stammen, der – sich nach oben reckend – mit seinem Horn den oberen Sarkophagrand überschneidet und von den gespreizten Beinen des horizontalen Clipeus-Engels selbst überschnitten wird. Damit steht der antike Musikant ähnlich quer zu der Ausrichtung des Sarkophages wie der Bläser auf dem Kapitellkämpfer. Ein weiteres Motiv in Jaca ist im Grunde nur von dionysischen ThiasoiZügen abzuleiten: das Reiten von Jünglingen auf pantherartigen Raubkatzen. Nahezu jeder antike Dionysos-Sarkophag mit einem Festzug zeigt nackte Putti, die Panther als Reittiere nutzen. Als Beispiel sei die Schmalseite des Dionysossarkophages von Verona (Bild 131c) herausgegriffen, da der reitende Knabe hier zusätzlich eine Ranke mit Weinblättern in der erhobenen Linken als Gerte einsetzt, um sein Reittier wie der Bileam von Jaca (Bild 111b) anzutreiben.18 Zudem zerrt ein etwas älterer nackter Knabe mit ausgestelltem linken Bein und in den Boden gestemmtem rechten an einer Leine, um den Panther vorwärts zu bewegen. Wäre nicht der sehnige, bis in die letzte Muskelfaser angespannte Körper des Panthers mit dem halb geöffneten Maul und gefletschten dolchscharfen Zähnen, könnte in der betonten Harmlosigkeit der Szene fast vergessen werden, dass hier eine wilde, unbezähmbare Raubkatze den Reituntersatz abgibt. Genau dieser Effekt stellt sich bei dem Nackten der linken Schmalseite des Jaqueser Schlangenhalter-Kapitells ein (Bild 29a), der ohne Furcht um sein Geschlecht in Schnappweite des Panthers diesen an der Leine hält, während die Frau in Schleiern auf der rechten Kapitellschmalseite dem Tier gar die Mähne krault. Ein anderer mutmaßlicher Teilnehmer eines dionysischen Zuges (Bild 136a) erleuchtet von der rechten Kapitellschmalseite aus mit seiner Fackel das Geschehen auf 18

Dionysossarkophag, Verona, Museo Maffeiano, Inv.Nr. 28588, rechte Schmalseite. Vgl. Friedrich Matz (Bearb.): Die dionysischen Sarkophage (Corpus der Antiken Sarkophagreliefs 4), Berlin 1975, S. 98.

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Bild 132 Loarre, San Pedro, linkes Fensterkapitell am Nordportal: Putto auf Panther.

der Stirnseite (Bild 136). Dort beißen sich die voluminösen Tiere eines Pantherlöwenzuges jeweils in die Schwänze, während Vögel, die anstelle des Abakus aus einer Raubkatzenmaske quellen, ihnen mit ihren spitzen Schnäbeln in die Schultern hacken. Indem der Fackelhalter nackt ist, den Leuchter dabei in Höhe seines Geschlechtes hält, gewinnt die fast nahtlos aus der Hand des Nackten wachsende Fackel, darin ähnlich dem Träger der rechten Schmalseite des Katzenreiterkapitells aus Frómista (Bild 7b), etwas Phalloides. Wie auf dionysischen Sarkophagen ist seine Aufmerksamkeit durch den zur Vorderseite ins Profil gewendeten Kopf ganz auf die Illumination des geheimnisvollen Zuges der dionysisch-prallen Schleichkatzen gerichtet. Dass es noch nicht einmal des direkten Vorbildes eines Fackelhalters auf einem antiken Sarkophag bedurfte, ermöglichte Isidors genaue Beschreibung des Liebesgottes Cupido-Amor: „Cupido soll, so überliefern sie, wegen der Liebe (amor) so genannt worden sein. Er ist nämlich der Dämon der Unzucht. Dieser wird deswegen geflügelt dargestellt, weil nichts leichter als Liebende, nichts wechselhafter erfunden wird. Er wird als Knabe gemalt, weil die Liebe töricht (stultus) und unvernünftig (irrationalis) ist. Man malt ihn so, dass er einen Bogen und eine Fackel trägt. Einen Bogen, weil die Liebe das Herz verwundet, eine Fackel, weil sie entzündet.“19 Das einzig fehlende Adjektiv „nackt“ wird nahegelegt, wenn Cupido als daemon fornicationis, als „Dämon der Unzucht“ bezeichnet wird. Während in Jaca selbst nur nackte Pantherführer vorkommen, hat die eng mit Jaca verbundene Werkstatt der Burgkirche von Loarre augenscheinlich 19

Etym. VIII,11,80.

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IV. HÖREN – DIONYSISCHES

eine direkte Übernahme eines dionysischen Pantherreiters gewagt. Dort reiten auf dem linken Fensterkapitell am Nordportal (Bild 132) zwei Putten auf pantherartigen Raubkatzen. Vierhundert Jahre vor den Kleinbronzen der Renaissance, die dieses Motiv emblematisch als eine Art pars pro toto für das Einfangen der vollen Atmosphäre der Antike feiern, defiliert am Eingang einer der vom aragonesischen König Sancho Ramírez gestifteten Kirchen ein antiker Bacchantenzug mit nackten Putti auf Panthern vorüber. Trotz vielfältiger Bemühungen der Forschung ist bis heute für Spanien kein dionysischer Sarkophag nachzuweisen, der Künstlern des elften Jahrhunderts derart vertraut war wie der Orestessarkophag im Klosterkreuzgang von Husillos. Ein wesentliches Element des Dionysischen Kultes war aber auf eben diesem zu sehen: der bisher nicht berücksichtigte Priapos-Hermpilaster mit ehedem erigiertem Glied auf der rechten Sarkophaghälfte (Bild 133). Indem die Herme mit ihrem Kopf das äußere Widerlager des Furientuches bildet, ist sie in das Bedrohungsszenario des Helden Orestes integriert. Aufgepflanzt auf einem Rundsockel, verbreitert sich die glatt gearbeitete Fußzone des Hermpilasters leicht konisch nach oben. Die Herme dreht sich leicht in Richtung Mitte des Sarkophagreliefs, was ihren belebten Charakter unterstreicht. Eine wulstig ausbuchtende Genitalfalte in Form eines umgekehrten Bügels markiert den Übergang von der steinernen Fußzone in den fülligen Oberkörper des Nackten. Deutlich zu erkennen ist das herabhängende Scrotum, während das Genital heute größtenteils abgearbeitet ist. Der Oberkörper ist mit seinem kugelig hervortretenden Bauch sowie seiner deutlich akzentuierten Brust als wohlgenährt bis adipös charakterisiert. Sein Blick aus den tief gebohrten Augen mit den hochgezogenen Brauen, die das Gegenüber anscheinend kritisch mustern, wirkt umso verschlagener, als der gesamte Kopf theatralisch gesenkt und zurückgenommen ist. Sein strähniger Haaransatz zieht strahlenförmig nach hinten unter das Tuch über den Kopf, so dass vom Bildhauer eine Analogie zu den Flammenhaaren der Erinnyen angedeutet scheint. Eine gewisse Dämonie wird zusätzlich durch die halbseitige Verschattung des Gesichtes unter dem ihn wie ein Kopftuch überlappenden Vorhangtuch der Furien erzeugt. Dieses Tuch fiel ursprünglich wohl zu beiden Seiten der Herme in einer bewegten Wellenform über den Rand des Körpers, wobei die äußerst feingratigen Stege des Marmortuches heute ausgebrochen sind, wie an den kristallinen Abbruchkanten zu erkennen ist. Unklar ist, inwieweit mit diesem über dem Genital aufflatternden Tuch vom antiken Bildhauer ein raffiniert-verlebendigtes Spiel mit dem Entund Verhüllen des Geschlechts getrieben wurde. Während die Abbruchkanten des Tuches aufgrund des strahlend frisch wirkenden Weiß der Marmorkristalle unmöglich älter als frühneuzeitlich sein können, weist die Zone des heute fehlenden Glieds der Herme eine alte Patina auf, ist also wesentlich älter. Es kann nur gemutmaßt werden, ob es sich lediglich als stark hervorstehender Teil des

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JACA – TANZ DEN DIONYSOS

Bild 133 Madrid, Museo Arqueológico Nacional, Orestessarkophag: Priapos-Herme. Bild 134

Frómista, San Martín, Südostapsis-Konsole: Pantherreiter.

Sarkophags um eine klassische Sollbruchstelle handelt, oder ob das ehedem erigierte Genital in dem Kreuzgang von Santa Maria de Husillos als derart anstößig empfunden wurde, dass man es gezielt abgearbeitet hat. Mit diesem zur Hälfte aus einem steinernen Pfeiler herauswachsenden Nackten mit ostentativ gezeigtem Glied sowie dessen diabolischem Grinsen des halb unter Tüchern verborgenen Hauptes war indes ein Stein des Anstoßes in dem Kloster insofern gegeben, als das geheimnisvolle Wesen nur zur Hälfte menschlich war. Über eine genaue Lektüre Isidors hätte der damalige Betrachter sich möglicherweise diese halb steinerne, halb menschliche Erscheinung erklären können. Isidor beschreibt den Gott Priapos folgendermaßen: „Belphegor wird als simulacrum ignominiae (Götzenbild der Schande) übersetzt. Ein Götzenbild aber war Moab mit dem Beinamen Baal auf dem Berg Phegor, welchen die Lateiner Priapus nennen, den Gott der Gärten […] und wegen der Größe seines männlichen Glieds nahmen ihn die Griechen in die Reihe ihrer Götter auf und

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heiligten die Gottheit ihren Gärten, weshalb man auch sagt, dass er deren Gärten vorstehe wegen deren Fruchtbarkeit.“20 An einer erstaunlichen Stelle taucht der Fruchtbarkeitsgott erneut auf. Unter den menschlichen Krankheiten führt Isidor neben der Satiriasis den Priapismus auf, eine unter Umständen Tage andauernde, extrem schmerzhafte Dauerversteifung des Glieds: „Satiriasis (krankhafter Sexualtrieb) ist das ununterbrochene Liebesverlangen unter Ausdehnung der natürlichen [d. h. dazu notwendigen] Körperteile. Das Leiden ist nach Satyr benannt.“21 Mit dieser Schilderung eines pathologischen Kontrollverlustes über das Geschlecht war der satyrische Gott Priapus, der, von Bacchus und Venus im Vollrausch gezeugt, von Iuno mit verzerrten Zügen und einem riesigem Phallus gestraft worden war, vermutlich endgültig mit dem Nimbus des Anstößigen versehen.22 Mit dem Begriff „Götzenbild“ wie auch mit der Diskriminierung durch den Beinamen „Baal“ als übelstem aller babylonischen Götter, wird Priapus durch Isidor negativ stigmatisiert. Zugleich charakterisiert er ihn aber in seiner Funktion als „Gottheit ihrer Gärten“ für eine frühmittelalterliche Ackerbauerngesellschaft positiv. Der Umweg über Isidor war für den Künstler des elften Jahrhunderts bildend, jedoch formgeschichtlich nicht unbedingt notwendig. Mit bereits an den übrigen Sarkophagfiguren geschultem Auge hat der Bildhauer von Frómista auf einer dortigen Konsole seine eigene Interpretation des Erkannten als Künstler gegeben: Auf dieser Konsole der südöstlichen Apsis (Bild 134) ragt eine von einem Mann berittene glattleibige Raubkatze mit betont rundlichem Kopf aus dem Konsolschaft. Da der Mann in einer solchen Reitposition gleichsam auf dem extrem überlängten Hals der Bestie sitzen würde, stellt sich vielmehr der optische Eindruck eines penishaften Herauswachsens der Raubkatze unterhalb des Mannes ein. Weil das Tier keine Mähne hat, handelt es sich dabei eindeutig nicht um einen Löwen; das betont glatte, scheinbar glänzende Fell erinnert auch nicht an eine mähnenlose Löwin, sondern vielmehr an einen Panther eines dionysischen Zuges. Zusätzlich vielleicht angeregt durch den Priapuspilaster mit dem aus einem glatten steinernen Schaft herauswachsenden Glied 20 21 22

Etym. VIII,11,24f. Etym. IV,7,34. Am Rande sei hier auf die latente Gefahr von Verfälschungen durch eine seit Jahren insbesondere in der angelsächsischen Forschung grassierende political correctness hingewiesen. Stephen A. Barney als ansonsten untadeliger Übersetzer der Etymologiae versucht offenkundig bewusst eine sittliche Entschärfung des Priapismus, wenn er sich eigens zu der Anmerkung bemüßigt fühlt: „Satyriasis, treated in vii.34 above, is here probably a mistake for a word like ‚phthiriasis’“, wobei Phthiriasis ein Befall mit Filzläusen wäre, vgl. Barney u. a. (Hg.): The Etymologies (a. a. O.), S. 112, Anm. 6. Ohne Arroganz im Ton erscheint es doch wenig glaubhaft, dass ein westgotischer Gelehrter vor 1400 Jahren mehr über Krankheitsbilder gewusst haben soll als ein Professor einer amerikanischen Eliteuniversität im Jahr 2008.

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JACA – TANZ DEN DIONYSOS

(Bild 133), schwillt damit auf der Konsole das Geschlecht des Mannes in Gestalt eines Panthers monströs an. Durch die antikische Gewandung mit der auf der rechten Schulter gefibelten Chlamys, die sich auf dem Unterarm des Bestienreiters elegant in drei halben Röhrenfalten übereinanderlegt, sowie durch die anatomisch genaue Körperlichkeit der Waden und des kantigen Schädels mit den charakteristischen, durch einen Wulst gebildeten Lippen, offenbart sich die Konsole als Werk des Oresteskapitell-Meisters. Dieser hatte nicht nur die antike Figur des kopfüber stürzenden, um die Achse gedrehten Aigisth mit einer neuen Funktion als Schlangenhalter versehen, sondern denkt offenkundig auch hier die Priapus-Herme des Sarkophages weiter. Das sinnlich aufgeladene Händeln und Interagieren mit gefährlichen Tieren setzt sich in Jaca fort: Bei dem bereits gesehenen Kreuzgangkapitell des „Santiago-Bildhauers“ trägt die Frau mit offenem Haar (Bild 31) die Schlange wie ein überdimensioniertes Geschmeide über ihren Schultern. Das gewandte Halten des Schwanzendes der Schlange mit spitzen Fingern entbehrt nicht einer erotischen Aufladung. Die ihr gegenüberstehende Begleiterin, auf die sie in ihrer Körperhaltung eng bezogen ist, zeigt auf die Schlange. Ein derart selbstverständlicher Umgang mit Schlangen gehörte neben dem Serapis-Kult integral zu den Dionysos-Orgien, bei denen ekstatische Schlangentänze aufgeführt wurden. Auf den frühen Dionysischen Sarkophagen winden sich um die Arme der Mänaden häufig wie klobige Armreife Schlangen, die im weiteren Ritual aufgrund ihrer Assoziationsbreite als Substitute des männlichen Geschlechts eingesetzt wurden.23 Der vordere Teil der Furienschlange auf dem Orestessarkophag (Bild 135) wird zwar waffenartig wie ein Bogen recht grobschlächtig gehalten; ihr wesentlich schlankeres Schwanzende hingegen ringelt sich wie Geschmeide eng um den Oberarm der Trägerin. Aby Warburg hatte als erster das Schlangenritual der nordamerikanischen Hopi-Indianer in einem gewagten, aber wohlbegründeten Brückenschlag mit dem dionysischen Kult der Antike verbunden.24 Ebenso scheint hier im elften Jahrhundert inmitten einer Kirche die Wiederaufführung eines dionysischen Mysterienspiels stattzufinden. In luftigen Schleiern tanzen sich Bacchanten (Bild 113), aufgepeitscht 23

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Diese Schlangenarmreife waren in der römischen Kaiserzeit derart populär, dass sie als Modeschmuck in großen Mengen gefertigt wurden und in allen Teilen des Imperium Romanum verbreitet und bekannt waren. Vgl. Ausst.-Kat.: Luxus und Dekadenz. Römisches Leben am Golf von Neapel, hg. v. Rudolf Aßkamp u. a., Mainz am Rhein 2007, S. 144. Warburgs Bild des Dionysos-Kultes entspricht gewiss – so zumindest der implizite Vorwurf mancher Kritiker – einer nietzscheanisch gefärbten Post-fin de siècleFassung, könnte aber paradoxerweise gerade in seiner Maßlosigkeit ein weitaus anschaulicheres und genaueres Unsittengemälde des Orgien- und Mysterienkultes zeichnen als vorgeblich positivistisch-„neutrale“ Forschungen. Vgl. Warburg: Schlangenritual (a. a. O.), S. 42.

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IV. HÖREN – DIONYSISCHES

Bild 135 Madrid, Museo Arqueológico Nacional, Orestessarkophag: Erinnye mit Schlange.

von enthemmender Musik, bis zur Besinnungslosigkeit in Trance. Mänaden mit offenem Haar (Bild 31), die Schlangen auf und über dem ganzen Körper tragen, dabei aber nicht der Luxuria vergleichbar hässlich wie die Sünde sind, lenkten die Besucher des Kreuzganges von Jaca sicher noch weit mehr ab als die getupften Leoparden und gestreiften Monstren des Bernhard von Clairvaux. Nackte Fackelträger neben dem Kultprozessionszug der sich in den Schwanz beißenden Dionysos-Panther (Bild 136) erleuchten mit dem Schein flackernder Fackeln das unheimliche Geschehen, in dem mögliche Opfertiere aus einer Raubkatzenmaske ausgespieen werden, was sich auf dem Westwandkapitell mit dem Schlangenhalter im Zentrum (Bild 29) zu einer rituellen Zeremonie steigert. Als Höhepunkt des Ganzen inszeniert sich der König von Aragon selbst als neoantiker Orpheus-Dionysos (Bild 130), der im Auge des Taifun seiner ekstatisch aufspielenden Hofkapelle übergroß auf einem Faldistorium mit Pantherlöwen thront. Als Neuer David musste er im alttestamentlichen Verständnis nicht nur tanzen können, sondern als erklärter Förderer wie auch Fortsetzer der Antike insbesondere deren dionysisch-heitere Seite wieder aufleben lassen. Nach antik-platonischem Staatsverständnis war der Herrscher dann am mächtigsten, wenn er mit der rationalen und der emotionalen Intelligenz beide menschlichen Naturen in seiner Person dionysisch zu vereinen vermochte. Diese unerwartete Umkehrung mutmaßlich gesetzter moralischer Werte mit David als dionysischem Schutzherrn der Halbwelt und der Joculatores wird durch zahlreiche Darstellungen in Handschriften des elften Jahrhunderts bestätigt. Vielleicht die bekannteste, der kurz nach dem Jahr 1030 entstandene Werdener

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Bild 136 Bild 136a

JACA – TANZ DEN DIONYSOS

Jaca, San Pedro, Kapitell: Raubkatzenzug. Jaca, San Pedro, rechte Kapitellschmalseite: Fackelträger.

Psalter aus Essen-Werden,25 zeigt auf Folio 1v den thronenden König David mit detailgenau wiedergegebenem Adlerszepter und adlerbekröntem Reichsapfel, so dass diese Davidsdarstellung häufig als der deutsche Kaiser Heinrich III. identifiziert wurde.26 Unter seinem thronenden Staatskörper aber spielt David, begleitet von seinen Musikanten, mit seinem zweiten Körper auf einem Monochord, während ihm vier Joculatores beigesellt sind, von denen der Gaukler in der unteren linken Ecke jongliert. Da König David im Mittelalter als Autor des Hoheliedes galt – der in ihren Assoziationsräumen sicher freizügigsten Liebesdichtung der Bibel –, waren selbst derartige Verknüpfungen mit entfesselten Dionysiaka jederzeit möglich. Auf Folio 44v eines Psalter in Glasgow (Bild 130d) musizieren David und seine Musikanten in einem weiten Innenraum.27 Der übergroß thronende David greift mit hochgezogenen Augenbrauen in die Seiten seiner belebt wirkenden Harfe, deren äußerst filigraner Rahmen an der Spitze in einem stilisierten Tierkopf endet. Buchstäblich über seinem Kopf hämmern zwei Musikanten wie wild auf Glocken ein, die aufgereiht an einem Stab hängen. Insbesondere 25 26 27

Berlin, Staatsbibliothek, Ms. Theol. Lat. fol. 358, vgl. Ausst.-Kat.: Zimelien. Abendländische Handschriften des Mittelalters aus den Sammlungen der Stiftung Preussischer Kulturbesitz Berlin, hg. v. Tilo Brandis, Wiesbaden 1975, S 47. Vgl. Joachim Prochno: Das Schreiber und Dedikationsbild, Leipzig 1929, S. 80. Psalter, 12. Jh., Glasgow, University Library, Ms Hunter 229, fol. 21. Vgl. Hélène Setlak-Garrison: Reinterpreting the Capital of the Fourth Tone at St Lazare, Autun, in: Early Music 15,3 (1987), S. 365–376, hier S. 367.

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IV. HÖREN – DIONYSISCHES

der links wagemutig kaum noch mit der Fußspitze auf einer Leiter balancierende scheint in einem gewaltigen Ausfallschritt in Richtung der Zimbeln zu hechten. Der akrobatische Musikant wirkt mit seinem mänadisch zurückgebogenen Oberkörper wie einem dionysischen Thiasos-Festzug entsprungen. Völlig ungewöhnlich für einen Musikanten des Königsshofes bläst zudem der linke der beiden zu Füßen Davids Rücken an Rücken sitzenden Musizierenden den Aulos, die vor allem bei Bacchanalien eingesetzte, quäkende Doppelflöte. Da dieses antike Instrument nach derzeitigem Wissensstand im zwölften Jahrhundert nicht mehr gespielt wurde,28 hat sich der Künstler offenkundig von antiken Handschriften oder dionysischen Sarkophagen anregen lassen. Sowohl in der Skulptur als auch in der Malerei des elften und zwölften Jahrhunderts bot die Darstellung Davids mit seinen Musikanten den Künstlern die Gelegenheit, Dionysisches in seiner unbändigsten Form zu feiern.

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L e ón – A r t isten u nd Jo c u latores

Im Vergleich zu dem Jaqueser Kapitell mit König David und seinen exaltierten Musikanten ist die Darstellung desselben Themas auf insgesamt drei Reliefplatten (Bild 124), die heute links des Lammportal-Tympanons in León und damit über der Statue des Heiligen Isidor angebracht sind, auf den ersten Blick deutlich statischer aufgefasst. Auf der rechten Platte thront David frontal in der Mitte mit Krone, zu seiner Linken flankiert von einem Rebec-Spieler mit übergroßem kantigen Kopf, dessen Oberkörper eine leichte Drehung zu seinem Herrn zeigt, der den Kopf aber wegwendet. Zu seiner Rechten steht Davids Hofmusikant, der eine Dreiecksharfe schlägt, in einem kostbar mit Perlen gesäumtem Gewand zwar mit vom König abgewandtem Körper, aber ihm zugedrehtem Kopf. Am linken Reliefrand schließt sich eine Platte mit einem weiteren, etwas größer gegebenen Harfenspieler an, der ebenfalls in Davids Richtung blickt. Mit den leicht nach außen gespreizten Knien, zwischen denen der Gewandstoff nach unten buchtet, ist er sitzend gezeigt. Es folgt nach links ein ebenfalls im Sitzen spielender Rebec-Streicher. Am Rand der Platte aber steht ein Musikant im Profil nach links mit dynamisch durchgestreckten Beinen, die sich im Gegensatz zu allen anderen Musikanten auffällig plastisch unter dem hauchdünnen Gewand abzeichnen. Sein Oberkörper hingegen zieht in die andere Richtung und ist zusätzlich in sich verdreht, weil seine rechte Schulter aus dem Relief zu treiben scheint, während seine angewinkelten Arme ursprünglich ein heute verlorenes Blasinstrument hielten. Dieses überschnitt in jedem Fall massiv die Körpergrenze seines Nebenspielers. Mit der in sich verdrehten Körperhaltung und dem nach vorn gebeugten Hornblasen sind zwei wesentliche 28

Setlak-Garrison: Reinterpreting (a. a. O.), S. 367.

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LEÓN – ARTISTEN UND JOCULATORES

Bild 137 León, San Isidoro, rechte Seite der Puerta del Cordero: Fiedlerin in Tuchringen.

Merkmale des exaltierten David-Musikanten von Jaca zitiert. Als einziger stößt er in ein Horn, das sich als ungeregeltes Musikinstrument deutlich von den zurückhaltenden anderen abhebt (Bild 130b). Mit der prallen Körperlichkeit seiner Oberschenkel unter dem nahezu transparenten Schleiertuch, die einen lasziven Hüftschwung vollführen, steht er markant außerhalb der Ordnung der übrigen Hofmusiker, was durch seine Stellung am Rand noch verstärkt wird.29 Er vermag es, dionysischen Tumult in die augenblicklich geordnete Gruppe zu tragen, die sich schon im nächsten Moment in einen völlig außer Rand und Band geratenen Haufen wie in Jaca zu verwandeln droht. Erst recht wird dieser Ausnahmezustand vom Rande her auf der anderen Seite vom Bildhauer herausgestrichen: Dort tritt die Büste einer nach rechts gewandten lächelnden Rebec-Spielerin (Bild 137) mit verführerisch offenem Haar aus konzentrischen Tuchschwingen hervor. Ihre Büste und ihr Kopf mit dem langen, über die Schulter fallendem Haar sitzt hüftabwärts in vier wulstförmigen Ringen. Die verführerische Assoziation dieser Ringe als Musik ver29

Zu Marginalpositionierungen als Ausweis innerer Verworfenheit und Andersartigkeit, vgl. Peter K. Klein: Die Figurenkonsolen von San Martín in Frómista und die Tradition der „marginal images“, in: Hispaniens Norden im 11. Jahrhundert. Christliche Kunst im Umbruch, hg. v. Achim Arbeiter/Christiane Kothe/Bettina Marten, Petersberg 2009, S. 175–182, hier v. a. S. 179.

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IV. HÖREN – DIONYSISCHES

bildlichende Schallwellen muss als modernes Wunschdenken ausgeschlossen werden, weil die Physik des Schalls erst eine Entdeckung des 20. Jahrhunderts ist. Die Frau ist wie schon bei den Sternbildern des Portalzodiacus nicht in Wellen, sondern in Stoffringe eingebettet. Nichtsdestotrotz wird der sie in konzentrischen Kreisen umgebende Stoff offensichtlich durch ihr bewegtes Spiel in Schwingung gebracht. In der Mitte der Stirnseite des Emporenkapitells des nordwestlichen Vierungspfeilers steht eine nackte Frau mit langen Haaren (Bild 138), die ihre Hände vor der Brust in der Art eines Gebetsgestus gefaltet hat. Ihre Haare sind derart lang und dicksträhnig, dass sie wie Schlangenleiber aus dem Kopf der Frau zu wachsen scheinen, die sich zu den Seiten hin in alle Richtungen winden und ausbreiten. Das Haar wird optisch zusätzlich durch die sich darüber einschneckenden Voluten verlängert, die in Verbindung mit den längsgekerbten Pitones unter den Helices den Eindruck unbändigen Wucherns und Lockens verstärken. Auf der rechten und linken Schmalseite wird die Schlangenhaarfrau von zwei Löwen mit ebenfalls weit ausladenden Lockenmähnen flankiert (Bild 138b). Die Löwen schmiegen ihren erhobenen inneren Vorderlauf an die Oberschenkel der Frau. Ihre mächtigen, Richtung Hinterleib nach oben ziehenden Körper füllen die Kapitellschmalseiten in der Länge vollständig aus. Auf dem Rücken des Löwen der linken Schmalseite (Bild 138a) sitzt ein nackter Knabe, der den Schweif des Tieres, der heute kurz hinter seiner Rechten abgebrochen ist, mit beiden Händen hält. Indem er den Löwenschwanz mit der pinselartig verdickten Quaste liebkosend in den Armen zu wiegen scheint und sich mit dem gesamten Oberkörper und seinem Gesicht der Quaste zuneigt, die sich zusätzlich an ihrer Spitze bewegt, entbehrt das Geschehen nicht einer sexuellen Konnotation. Das rechte Bein des Jünglings geht zudem fast nahtlos in eine rein ornamental über den Leib des Löwen fortgesetzte Linie seines Hinterlaufs über, wodurch er mit dem Tier gleichsam verschmilzt. Wie bei der berühmten Antike des Barberinischen Fauns spreizt er dabei seine Beine derart lasziv auf dem Rücken des Löwen, dass er sein Geschlecht inklusive Hoden ostentativ vorzeigt. Zugleich finden hier die antiken, auf Raubkatzen reitenden Putten als bacchantische Anhänger des Dionysos ihr romanisches Echo, denn ein ähnliches Geschehen wiederholt sich auf der rechten Kapitellschmalseite, wo ein Nackter den schlangenartig durchhängenden Schweif des Löwen wie ein Fangseil in den Händen hält (Bild 138b). Fast wirkt es, als wolle er sich den Löwenschwanz als Stola um den Hals hängen. Durch den in diesem dionysischen Kontext offenkundig ironisch eingesetzten und damit pervertierten Betgestus entpuppt sich die Nackte als weibliches Pendant des Antichristen, der in allem Christus und die Christen imitiert. Dies lässt ihn zu einem schwer zu fassenden weil kaum zu identifizierenden

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LEÓN – ARTISTEN UND JOCULATORES

Bild 138

León, San Isidoro, Emporenkapitell: Nackte.

Bild 138a León, San Isidoro, linke Emporenkapitellschmalseite: Nackter auf Raubkatze. Bild 138b León, San Isidoro, rechte Emporenkapitellschmalseite: Nackter auf Raubkatze.

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IV. HÖREN – DIONYSISCHES

Bild 139 León, San Isidoro, Kapitell: Cupido mit Armbrust zwischen Schlangendämonen.

Gegner werden.30 In einer Kirche, die das adamitische Leben derart zelebriert wie San Isidoro auf dem Schrein des Heiligen, könnte hier konkret Lilith als erste Frau Adams mit all ihrem Schreckenspotential präsentiert sein: die schamlose Nacktheit, die sie zur Verführung Adams einzusetzen trachtete, um ihren Willen gegen denjenigen Gottes durchzusetzen; die Schlangen, die ihr häufig attributiv zugeordnet werden, selten aber mit derart medusenhafter Bannkraft inszeniert sind sowie ihre missratene Brut, die wie die nackten Begleiter des Dionysos auf Raubtieren reitend Unzüchtiges vollführt. Zwischen den an der Ecke des Arkadenkapitells am dritten Pfeiler des südlichen Seitenschiffs hockenden Nackten (Bild 139), über deren Oberschenkel Schlangen kriechen, spannt ein nackter Kleinwüchsiger mit kindlich weich wirkenden Gesichtszügen eine Armbrust. Bei einem nackten Knaben mit Pfeilen oder in diesem Falle Armbrustbolzen kommt der Gedanke schnell auf AmorCupido. Geschützt hinter einem Wall aus Dämonen mit Schlangen, die mit ihrem sinnlichen Kriechen über die Schenkel zugleich die Schlange der Versu30

Vgl. Isidors Versuch einer Charakterisierung des im Grunde ungreifbaren Antichristen: Etym. VIII,11,20: „Antichristus wird er genannt, weil er im Begriff ist, gegen (αντι) Christus zu gehen. […] (VIII,11,21) Er wird sich nämlich als Christus ausgeben, bis dieser [selbst] kommt; und er wird gegen ihn kämpfen.“

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LEÓN – ARTISTEN UND JOCULATORES

Bild 139a

León, San Isidoro, Kapitell: Nackte auf zwei Akrobaten hockend.

chung evozieren können, scheint er sich hier ungestört darauf vorzubereiten, den nächsten Kirchenbesucher von San Isidoro mit seinen Geschossen entflammen zu lassen. Als einen solchen leichtsinnigen Knaben, der mit seinen Pfeilen üble Liebeshändel und Verwirrungen verursacht, schildert Isidor den in dessen Auftrag quasi ununterbrochen tätigen Begleiter des Bacchus, Cupido: „Man malt ihn so, dass er einen Bogen und eine Fackel trägt. Einen Bogen, weil die Liebe das Herz verwundet, eine Fackel, weil sie entzündet.“31 Die Summe der dionysischen Motive bündelt ein Kapitell des nördlichen Seitenschiffs nahe der Vierung (Bild 139a): Als seien zwei Mänaden eines Dionysos-Sarkophages mit Thiasos in ihrer körperlichen Überdehnung nach hinten gefallen, berühren zwei Nackte der Kapitellstirnseite, angefeuert von zwei Rebec-Spielern auf den Schmalseiten, welche die Gesamtzahl dionysischer Musikanten in San Isidoro allein mit diesem Instrument auf acht erhöhen, mit den Armen ihre Fesseln. Die Extremspannung ihrer Körper hat ein Widerlager in ihren Händen, die jeweils um die rechte Seite des Unterschenkels greifen und den Körperbogen gleichsam einrasten lassen.32 Zwischen den mänadischen 31 32

Etym. VIII,11,80. Sabine Noack-Haley hat u. a. das Leoneser Joculatores-Kapitell als Kronzeugen für die wesentlichen Merkmale der romanischen Skulptur aufgerufen: „Hervorstechend

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IV. HÖREN – DIONYSISCHES

Nacktakrobaten hockt eine nackte Frau wie eine Spinne; ihre Arme, die aus kugeligen Schultergelenken gummihaft überdehnt nach vorne gehen, überschneiden ihre übergeschlagenen Beine; das Geschlecht zwischen den gespreizten Schenkeln ist notdürftig mit einem Blatt verdeckt.

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Sa nt iago – Ver suc her i n nen u nd Mä naden

Die sechs gedrehten Marmorsäulen von Santiago wirken mit ihren Nackten, die durch Weinranken tänzeln, wie in Schwingung gebrachte Dionysosfriese. Dass das Weinlaub der Santiagosäulen mit ihren kaum heiligenmäßigen Nackten weniger mit eucharistischen Anspielungen als vielmehr aufgrund des Weines mit Dionysischem in Verbindung gebracht werden konnte, war wiederum das Verdienst von Isidors ideengeschichtlichen Vorarbeiten. Über den Gott Bacchus weiß er zu berichten: „Man sagt nämlich, dass ihm Frauen zugeteilt wurden und zur Erregung der Lust auch Wein.“33 Einen Abschnitt später erklärt er didaktisch die Dopplung von Bacchus und Dionysos: „Derselbe heißt auch griechisch Dionysos vom Berg Nysa in Indien, wo er, wie man sagt, aufgezogen wurde.“34 Eine Fülle von Weintrauben weist die zweite Säule von links als dionysische Columna vitinea aus (Bild 140). Da die Ranken durchgehend teigiger und runder (Bild 140a) als auf den anderen Säulen gestaltet sind, müssen sie von einer anderen Bildhauerhand stammen. Ein Adler stößt herab und hackt in einen kopfüber im Rankendickicht aussichtslos verfangenen Widder (Bild 141a), während rechts daneben ein Raubvogel seinen Schnabel in die Schulter eines sich windenden Löwen rammt (Bild 141b), vergleichbar dem Kapitell mit den Rankenkämpfern in Jaca. Auffällig sind Bohrungen mit einem Drillbohrer nach antikem Muster an zahlreichen Stellen (Bild 141c). Applizierte, wie nach dem Vorbild antiker Thoreutik geschaffene Blüten in der Kehle des oberen Säulenteils (Bild 141d), die auf dem unteren Säulenteil fehlen, lassen deutlich werden, dass diese Säule in der heutigen Aufstellung im Kathedralmuseum falsch zusammengestellt ist. Der obere Säulenteil muss somit zu den im Aufstand gegen Bischof Gelmírez im Jahr 1117 zerstörten sechs weiteren Säulen gehören, die

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ist vor allem der Auf- oder Umbruch zu einer erneuerten Auffassung des Menschen und seiner extremen Bewegungs- und Ausdrucksmöglichkeiten sowie den verschiedenen an ihm darzustellenden Materialqualitäten – Haut, Haare, Bekleidung; man könnte damit ein Erkennungszeichen der beginnenden Romanik definieren.“ Vgl. Sabine Noack-Haley: Der Bezug auf das Römische im Mittelalter, in: Hispaniens Norden im 11. Jahrhundert. Christliche Kunst im Umbruch, hg. v. Achim Arbeiter/Christiane Kothe/Bettina Marten, Petersberg 2009, S. 23–39, hier S. 32. Etym. VIII,11,43. Etym. VIII,11,44.

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SANTIAGO – VERSUCHERINNEN UND MÄNADEN

Bild 140 Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule II: Gesamt.

Bild 140a Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule II: Reben.

Bild 141a Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule II: Adler und Widder.

Bild 141b Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule II: Adler und Löwe.

Bild 141c Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule II: Ranken mit Bohrungen.

Bild 141d Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule II: Kehle mit Blüten.

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IV. HÖREN – DIONYSISCHES

das zweite Portal der ehemaligen Puerta de la Azabachería eingerahmt hatten. Die oberste Zone der dritten Säule (Bild 142) ist heute ebenso zerstört wie bei allen anderen. Zu erkennen ist noch der Hinterleib eines Tieres mit Hufen, um dessen Vorderlauf sich eine Hand legt. Sie gehört einer Frau (Bild 142a), deren Kopf zwar stark abgewittert, deren intakter Oberkörper und rechter Oberschenkel aber in ein besonders dichtes Geflecht von Ranken eingewoben ist. Obwohl die Ranken sie an den Säulenkorpus fesseln müssten, löst sich ihr Kör-

Bild 142 Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule III: Gesamtansicht. Bild 142a Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule III: Nackte in Ranken.

per vom Grund, schlüpft mit dem Oberschenkel behende aus der Ranke und räkelt sich mit erstaunlicher Leichtigkeit nach außen, so dass ihre Haltung der nackten Knidischen Venus ähnelt, die mit einknickendem Oberkörper in fließender Bewegung verführerisch aus dem Bade steigt. In der zweiten Säulenwindung von oben vollführen mehrere aufeinanderfolgende Vögel (Bild 143), die

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SANTIAGO – VERSUCHERINNEN UND MÄNADEN

wie wild in ihre eigenen Krallen und in die sie kreisförmig umrundenden Ranken hacken, einen merkwürdigen, wie von Wein berauschten Tanz. Die besonders rätselhafte Erscheinung der Sirene mit Lanze auf der sechsten Säule (Bild 144), deren extrem drahtige Haare wie verballhornte und in alle Richtungen ragende Korallenhörner auf dem Kopf stehen, könnte sich als Begleiterin des Dionysos aus dem Gefolge eines Meeres-Thiasos entpuppen. Isidor beschreibt das Gehörnt-Sein geradezu als Attribut des Gottes und seiner Anhänger: „Weshalb auch seine Stirn von Weinlaub bekränzt ist. Er hat aber deswegen einen Rebenkranz und Hörner, weil Wein, wenn er mit Genuss und Maß getrunken wird, Fröhlichkeit bereitet. Wenn aber über das Maß hinaus [Wein getrunken wird], erregt er Streit, d. h. er verleiht gleichsam Hörner.“35

Bild 143 Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule III: Vögel in Ranken. Bild 144 Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule VI: Meerjungfrau.

Dass für Bischof Gelmírez, der in Santiago ein zweites Rom errichten wollte, eine übertreffende Neufassung der römischen Dionysos-Säulen ein entscheidendes Element seiner Gegenpolitik war, zeigen die bis ins kleinste Detail gehenden Zitate als klares Signal an Rom, dass man seinen Konkurrenten dort 35

Etym. VIII,11,44.

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IV. HÖREN – DIONYSISCHES

Bild 145

Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule IV: Weinblatt mit Traube.

Bild 145a

Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule IV: Putto in Weinranken.

genauestens kenne.36 Die breitlappigen Weinblätter der Sankt Peter-Säulen (Bild 146a) scheinen die Schöpfer der Marmorsäulen in Santiago hingegen nur vereinzelt zitiert zu haben. Eine scheinbar marginale Einzelheit aber muss einen der Bildhauer derart fasziniert haben, dass er sie nahezu unverändert übernommen hat: Ein Weinblatt partiell überschneidend, hängen pralle Trauben nach unten und wölben sich in den Raum, während eine Rebe, die sich kalligraphisch wie eine Volute abzeichnet, filigran auf das Blatt aufgelegt ist (Bild 146). Es scheint, als habe sich der Bildhauer der vierten Säule in Santiago für ein Detail auf dem oberen Säulenabschnitt mit der Figur des in Rebzweigen kauernden Putto (Bild 145a) von diesem auffällig stillebenhaften Arrangement inspirieren 36

Vgl. Middeldorf-Kosegarten/Seidel: Die Rankensäule (a. a. O.), S. 81–160, hier S. 128. Seit den Flavier-Kaisern gliederten in Rom ganze Kolonnaden marmorner Rankensäulen mit eingewobenen Putten die Fassaden öffentlicher Gebäude, wie Antje Middeldorf-Kosegarten und Max Seidel betont haben. Diese antiken Rankensäulen waren in Rom seit der Gestaltung der Marienkapelle von Alt-Sankt Peter zu Beginn des achten Jahrhunderts durch Papst Johannes VII. in unterschiedlichsten Ausformungen immer zu sehen, so dass sie zunehmend emblematisch mit Rom verknüpft waren.

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SANTIAGO – VERSUCHERINNEN UND MÄNADEN

Bild 146 Rom, St. Peter, Andreasaltar, linke Columna vitinea (unten): Weinblatt mit Volute. Bild 146a

Rom, St. Peter, Helenaaltar, linke Columna vitinea: Putten in Weinranke.

lassen. Dort liegt eine Weintraube inmitten eines Blattes wie auf einem Tablett aus Metall drapiert, so dass das Attribut des Dionysos als isolierte Form einem Wappenbild ähnlich betont wird. Eine weitere Adaption der Salomonischen Säulen legt in der stupenden Genauigkeit des Zitats über die Distanz von Tausenden von Kilometern zwischen Rom und Santiago hinweg nahe, dass sich der Bildhauer der SantiagoSäule ein Musterbuch angelegt hat. Damit wären die für Santiago gefertigten Antikenzeichnungen den von Martin Büchsel untersuchten Skizzen des Ademar de Chabannes aus dem elften Jahrhundert an die Seite zu stellen.37 Bei der möglicherweise übernommenen Figur handelt es sich um den rechten Putto der linken Säule des heutigen Helena-Altares aus Sankt Peter (Bild 146a), der durch seine hohe Lage etwas besser vor dem zerstörerischen Zugriff der Pilger geschützt blieb. Dieser schwingt sich, mit dem rechten Arm nur an eine Weinranke geklammert, mit einer Schaukelbewegung des rechten abgewinkelten Beines voller Elan in den Raum, während er mit dem linken Fuß auf dem stämmigen Rebenstrunk unter ihm balanciert. Nur eine schmale Naht an seiner rechten Körperseite verbindet ihn noch mit dem Säulengrund. Der Kopf hingegen 37

Vgl. Büchsel: Ademar von Chabannes (a. a. O.), S. 13–23, hier S. 13ff. Das Skizzenbuch Ademars, das dieser von 1010 bis 1028 im Kloster Saint-Cybard im Angôuleme mit unterschiedlichsten Zeichnungen gefüllt hat, besteht desweiteren aus einer Kompilation des Poetikon sowie Aesops Fabulae, vgl. Roland Recht (Hg.): The Grand Atelier. Pathways of Art in Europe (5th–18th Centuries), Brüssel 2007, S. 152.

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IV. HÖREN – DIONYSISCHES

Bild 147 Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule III: Traubenlese. Bild 148 Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule III: Mann mit Fruchtschlinge.

ist, völlig freiplastisch gearbeitet, derart weit zur Seite gekippt, als wolle er um die Biegung der Säule herum und an den prallen Trauben im Blattwerk vorbei seinen ebenfalls akrobatisch kletternden Gefährten erspähen und ihm im nächsten Moment etwas zurufen. Sein Pendant hat dieser bukolisch in den Ranken Schwingende in dem neben dem emblemhaften Weinblatt in Ranken schwingenden nackten Santiago-Putto auf der vierten Säule (Bild 145a). Auf der ebenfalls von einer bukolischen Grundstimmung durchzogenen dritten Säule pflückt ein Mann im Profil (Bild 147) mit Flügeln auf Höhe der am Pilgerweg notorischen Rippenkappe,38 von dem nur der Oberkörper aus einem Rankenrahmen herausschaut, dicke Trauben. Eine Kehre weiter unten 38

Elizabeth Valdez del Alamo hat diese auch auf dem Emmaus-Relief im Kreuzgang von Silos bei Christus selbst, in San Isidoro de León auf dem Großrelief am CorderoPortal bei Isidor sowie in Jaca auf dem heute in der Santiago-Kirche befindlichen Kapitell bei dem Blatthalter zu sehende Kopfbedeckung zuletzt als Mitra zu iden-

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Bild 149

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SANTIAGO – VERSUCHERINNEN UND MÄNADEN

Paris, Louvre, Dionysossarkophag aus Saint-Medard, Inv.-Nr. MA1346: Satyr.

Bild 150 Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule III: Mann mit Trauben.

trägt ein geflügelter Mann eine antikische Togaschlinge voller Früchte um den Hals (Bild 148) wie die rechts stehende Gestalt eines Paares auf einem enigmatischen Kapitell in Jaca, das heute in der dortigen Santiago-Kirche aufbewahrt wird (Bild 30). Bei der relativ dünnen Überlieferung des kleinasiatischen Motivs der Ephesischen Diana in Spanien dürfte es von einer antiken Satyrfigur mit Fruchtgehänge übernommen worden sein (Bild 149),39 was den dionysischen

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tifizieren versucht, was eine weitere entschiedene Sakralisierung dieser frühen Monumentalreliefs bedeuten würde. Vgl. Valdez del Alamo: Touch Me (a. a. O.), S. 35–64, hier S. 37. Die neohellenistischen Skulpturen der Satyrn mit Früchten im Pantherfell als Inbegriff dionysischer Freiheit in der Skulptur bevölkerten als Signum des Überflusses die römischen Gärten. In Pompeji haben sich allein vier vollrunde Fruchtschlingen-Satyrn erhalten; vgl. Ausst.-Kat.: Luxus und Dekadenz (a. a. O.), S. 10. Plinius beschreibt zudem in der Naturalis historia ihre wichtige Funktion als Satyrica signa gegen den bösen Blick; vgl. Ausst.-Kat.: Luxus und Dekadenz (a. a. O.), S. 95.

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IV. HÖREN – DIONYSISCHES

Bild 151 Rom, St. Peter, Helenaaltar, linke Columna vitinea: Putten bei Weinlese.

Gehalt der gesamten Szenerie noch verstärkt.40 Auf diese bacchantische Szene folgt ein Mann mit Flügeln und gerippter Kopfbedeckung (Bild 150), die hier aber aus geflochtenen Haaren gebildet zu sein scheint. Zwischen den Beinen hält er eine mächtige Traube, ähnlich wie in der Ikonographie der alttestamentarischen Moabiter die riesenhafte Traube von einem Querstab zwischen beiden herabhängt. Über seinem Oberkörper aber buchtet sein Mantel halbkreisförmig aus, wodurch das Textil dem auf dem Husillos-Kapitell von den Furien aufgespannten Tuch ähnelt. Insgesamt scheint auf der Säule eine ausgelassene Weinlese wie auf einem römischen Dionysossarkophag geschildert, denn die Geflügelten sind keine Engel, weil ihre Flügel an den Helmen angebracht sind und ihre auffälligen, teils aus gedrehtem Haar gebildeten Rippenkappen wenig engelsgleich wirken. Zwar hat diese gewirtelte Säule mit Weinlaub ihren vertrauten Vorläufer unverkennbar in den monumentalen und ebenfalls in sich gedrehten Columnae vitineae. Jedoch sind die antik-römischen Weinlaub-Säulen von geflügelten Putten (Bild 151) in ähnlich überproportioniertem Weinlaub bevölkert. Die riesenhaften Trauben, Weinblätter und Fruchtschlingen in Santiago hingegen, die nicht von Kleinwüchsigen gehalten werden, verkörpern eine derartigen Überfülle, dass sich der Eindruck eines dionysischen Gelages mit weinlaubbekränzten Bacchanten, Mänaden und gleich mehreren Verkörperungen der Abundantia 40

Der wichtigste Forscher zu den Säulen, Moralejo Álvarez, hingegen leitete die Früchte in einer von ihm erkannten „Chlamys“ von einem römischen Jahreszeitensarkophag ab. Vgl. Moralejo Álvarez: Column (a. a. O.), S. 214.

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Bild 151a Santiago de Compostela, Kathedrale, Kreuzganghof: Paradisus-Brunnenschale.

als Göttin des Überflusses aufdrängt. Diese Allusion auf solchermaßen paradiesisch-sorglose Zustände scheint in doppelter Hinsicht passend: Zum einen umfassen die Weinrankensäulen den an das Ziel seiner beschwerlichen Reise gelangten Pilger im Paradisus der Kathedrale an der Porta Francigena.41 Dort diente wie in dem augenscheinlich imitierten Vorbild des Paradisus-Vorhofes von Alt-Sankt Peter in Rom eine gigantische monolithische Brunnenschale aus Granit (Bild 151a) den Pilgern zur Labung.42 Zu dieser Erfrischung der Sinne 41

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Der Pilgerführer hebt in seinem Kapitell über „Das Paradies der Stadt“ die für das elfte Jahrhundert außergewöhnliche Pflasterung und Monumentalität der Platzanlage hervor: „Hinter dem Brunnen erstreckt sich, wie wir schon erwähnt haben, das Paradies, das mit Steinen gepflastert ist; dort werden den Pilgern kleine Schalen von Meerestieren als Abzeichen des hl. Jakobus verkauft […] Jenes Paradies aber ist in jede Richtung einen Steinwurf groß.“ Vgl. Herbers: Der Jakobsweg (a. a. O.), S. 164f. Die Brunnenschale ist bis auf die drei wasserspeienden Löwen des oberen Abschlusses unversehrt erhalten. Sie steht heute im Zentrum des Kathedralkreuzganges, vgl. Manuel Castiñeiras/Victoriano Nodar: Reconstruyendo la Porta Francigena de la Catedral de Santiago. Materiales multimedia para una exposición de arte románico, in: Románico. Revista de arte de amigos del románico 10 (2010), S. 83–97, hier S. 89. Dort auch der erhellende Vermerk des Brunnen-Stifters Bernardus, des mächtigen Schatzkämmerers von Bischof Diego Gelmírez, im Codex Calixtinus (ACS, CF 14, fol. 209r): „†Ego Bernard[us] beati Iacobi T[e]S[aurus]. Hanc aquam huc adduxi. Et presens hop[us] composui. Ad mee et animarum meor[um] parentum remedium, E[ra].M.C.L.X.III Idus Aprilis“; also etwa: „Ich, Bernard, Schatzmeister

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IV. HÖREN – DIONYSISCHES

über den Springbrunnen, der als ein Wunder der techné des elften Jahrhunderts gesehen wurde,43 kam die Verheißung auf paradiesische Freuden angesichts der ausgelassenen Weinlese auf den optisch geradezu schwingenden Säulen. Wie bereits König Sancho Ramírez in Jaca präsentiert sich Bischof Gelmírez von Santiago als Patron dieser dionysischen Welt. In einer Quelle bezeichnet er sich expressis verbis als „Arbeiter im Weinberg des Herrn“,44 der den „unkultivierten Weinberg“, als welchen er die Kathedrale von Santiago bei seiner Amtsübernahme vorgefunden habe, zu neuem Glanz führen würde. Zu den ältesten Kapitellen der Kathedrale von Santiago gehört das rechte Kapitell am Eingangsbogen der zweiten nordöstlichen Chorkapelle mit der Darstellung eines Nackten zwischen Raubkatzen (Bild 152).45 Bei aller Ungeschlachtheit des Stils zeigt es gleichfalls dionysische Motivik. Über den vier mähnenlosen Großkatzen, deren Köpfe an den beiden Kapitellecken zusammenstoßen und deren Schweife über den Hinterleib nach vorne unter dem Körper hindurch geführt werden, erhebt sich in der Mitte der Stirnseite ein riesenhafter Nackter mit einer kaum unterteilten, herabhängenden Speckbrust und kahlem Schädel. Mit seiner angewinkelten Rechten führt er ein Olifantenhorn zum Mund, während er mit der linken Hand in eine Ranke greift, die sich an der rechten Kapitellecke in üppigen Voluten auswächst. Mit der Nacktheit und Fettleibigkeit des Riesen meint man die mittelalterliche Variante des Bacchus-

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von Santiago, habe diese[s] Wasser[leitung] hierher geführt und habe das gegenwärtige Werk für das Heil meiner und meiner Eltern Seele konstruiert; an den dritten Iden des April (= 11.4.) im Jahr MCLX (= 1122).“ Bemerkenswert scheint, dass der Kämmerer, d. h. der einflussreiche Finanzminister des expandierenden „Kirchenstaates“ von Santiago de Compostela sich mit nahezu gleicher Diktion in der Tradition der römischen Kaiser inszeniert, zu deren vornehmsten Aufgaben die Errichtung von Aquädukten gehörte, um den enormen Wasserbedarf der Thermen wie auch der Bevölkerung zu befriedigen. Dazu kommt das auffällige Adjektiv „presens“ vor dem „hop[us]“, das die Brunnenanlage als absolut zeitgenössisches Werk der Wasserkunst auf dem letzten Stand der techné hervorhebt. Der Pilgerführer betont eigens, dass die unerklärliche Herkunft des Brunnenwassers aus den drei Löwenmäulern bewundert wurde, vgl. Shaver-Crandell/Gerson: The Pilgrim’s Guide (a. a. O.), S. 91. Vgl. Moralejo Álvarez: „Column Shaft Decorated With Putti Gathering Grapes“, in: Ausst.-Kat.: The Art of Medieval Spain, A.D. 500–1200, Metropolitan Museum of Art, hg. v. Metropolitan Museum of Art, New York 1993, S. 214. Moralejo Álvarez reiht den überaus ehrgeizigen Kirchenfürsten Gelmírez in eine Galerie von Bischöfen und Heiligen mit Gerald von Braga, dem Heiligen Peter von Burgo de Osma oder dem Heiligen Ramón von Roda de Isabena ein, die ihre ambitionierten Reformen ebenfalls mit Verweis auf das Weinbergsgleichnis der Bibel einleiteten. Den einstweiligen Schlußpunkt in dieser Reihe bildet Papst Benedikt XVI., der die Metapher vom „Arbeiter im Weinberg des Herrn“ ebenfalls bemühte. Die Radialkapellen wurden ab 1078 unter Bischof Diego Peláez (1070–1088) errichtet; vgl. Nodar Fernández: Los inicios (a. a. O.), S. 64.

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SANTIAGO – VERSUCHERINNEN UND MÄNADEN

Bild 152 Santiago de Compostela, Kathedrale, Chorumgangskapitell: Silen mit Olifant.

begleiters Silen vor sich zu haben, der mit seinem Horn für ohrenbetäubenden Lärm und mit der Ranke für den Nachschub an Wein sorgen wird. Bereits vor dem planvollen bildhauerischen Heraufbeschwören der Anciennität der Säulen von Sankt Peter als unübertreffliches Romzitat hat es daher in Santiago offensichtlich ein Gefühl für Dionysisches gegeben. Dies war, was plastische Gestaltwerte und Motive anlangt, am unkompliziertesten durch antike Elfenbeinrefliefs zu vermitteln. Diese kursierten grenzenlos innerhalb Europas als Geschenke, Beutekunst oder auch als hochgeschätzte Tauschobjekte gegen Reliquien. Aus der großen Fülle von Elfenbeinen mit dionysischer Motivik, die dem Mittelalter vertraut waren, sei deshalb nur das prominenteste herausgegriffen. Die vermutlich aus Byzanz stammende spätantike Elfenbeinfigur des Gottes Dionysos wurde im Auftrag von Kaiser Heinrich II. etwa in den 1010er Jahren neben vielen weiteren antiken Spolien in den unteren Teil des Gold-Ambo im Aachener Münster (Bild 153) als eines der Hauptwerke der ottonischen Kunst eingesetzt.46 Unweit des hochverehrten Grabes Karls des Großen, der sich in einem antiken Proserpinasarkophag bestatten ließ, sowie nahe dem Marmorthron Kaiser Ottos des Großen und dem gigantischen Fruchtbarkeitssymbol des bronzenen Pinienzapfens, stand somit jedem Teilnehmer 46

Für die Elfenbeintafel vgl. Herta Lepie/Ann Münchow: Elfenbeinkunst aus dem Aachener Domschatz, Petersberg 2006, S. 31. Zu den vielfältigen Austauschprozessen zwischen dem ottonischen Sacrum Imperium und dem noch bis weit in das zehnte Jahrhundert hinein stark karolingisch geprägten Norden Spaniens vgl. Perrier: Die spanische Kleinkunst (a. a. O.), S. 87ff.

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IV. HÖREN – DIONYSISCHES

Bild 153

Aachen, Münster, Goldambo Kaiser Heinrichs II.: Gesamtansicht.

an einer liturgischen Predigt in der Pfalzkapelle prominent der völlig nackte Gott des Rausches und der Ekstase (Bild 154) am Ambo der Kirche vor Augen. Dass es sich um den Gott des Weines handelt, offenbart dieser selbst auf dem Elfenbeinrelief, weil er eine wie Lianen wuchernde Weinrebe mit der über den Kopf genommenen Rechten attributiv nach oben drückt. Dadurch präsentiert der gestreckte, athletisch nackte Leib nicht nur seine körperlichen Vorzüge, sondern je eine in drei Blättern endende Weinranke schmückt, nach oben gezogen, wie eine kostbare Treibarbeit zusätzlich seine langen, spiralig gedrehten Zöpfe auf der nackten Brust. Von rechts springt auf Kopfhöhe des Gottes in einer weiteren kreisrunden Ranke freudig ein miniaturhafter Panther als eines seiner Symboltiere auf ihn zu. Im rechten oberen Eck bläst ein nackter Putto in Weinlaub aus Leibeskräften die Flöte in Richtung des Gottes. Indem Dionysos sein linkes Bein über das kontrapostisch stehende rechte schlägt, zeigt sich in der rechten unteren Ecke unüberschnitten eine hyänenhafte Bestie mit durch tief in das Elfenbein gekerbten Schnitten angedeutetem struppigem Fell sowie

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SANTIAGO – VERSUCHERINNEN UND MÄNADEN

Bild 154

Aachen, Münster, Goldambo: Dionysos-Elfenbein.

Bild 155

Santiago de Compostela, Kathedralmuseum: Frau mit Pinienzapfen.

Hinterläufen, die dämonisch in gewaltigen Pfoten enden. Der überlängte Hals der Bestie wird von einer Ranke überwuchert, während in ihren aufgesperrten Rachen ein breit gedrillter Strang aus dem nur leicht geöffneten Maul eines Löwenkopfes senkrecht über ihr fließt. Dadurch dass von dem mit gefletschten Zähnen diabolisch grinsenden Löwen nur das mächtige Haupt, auf das sich Dionysos mit seinem linken Unterarm stützt, zu sehen ist, wirkt diese Verknüpfung zwischen den beiden dämonischen Tieren umso unheimlicher. Vermutlich wurde hier bereits in der Spätantike ein immersprudelnder Bacchusbrunnen, an dem sich Menschen wie Tiere berauschten, in einer Art produktivem Missverständnis als enigmatischer Bestandteil der dionysischen Mysterien in einen „romanisch“ anmutenden Bestienkopf verwandelt. Eine ähnliche Mutation könnte auch der nackte, seinen Olifanten blasende Silen hinter pantherartigen Raubkatzen im Chorumgang von Santiago de Compostela (Bild 152) durchlaufen haben.

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IV. HÖREN – DIONYSISCHES

Bild 156 Paris, Louvre, Dionysossarkophag aus Saint-Medard, Inv.-Nr. MA1346: Dionysos.

Diese Feier des Dionysischen in Santiago kulminiert in einem lebensgroßen Relief (Bild 155) vom ehemaligen Nordportal, das heute im Kathedralmuseum aufbewahrt wird. Die Marmorplatte zeigt eine Frau mit offenen Haaren, die auf Höhe ihrer Brust zwei Pinienzapfen vor ihrem Oberkörper hält. Ihre dicksträhnigen Haare schlängeln sich dabei gleich denjenigen der Furien auf dem Orestessarkophag. Wie bei einem antiken Medusenhaupt vollführen die anscheinend autonom agierenden Schlangenhaare gleichsam lockende Bewegungen.47 Der kaum merklich geöffnete Mund scheint ebenfalls Lockendes zu raunen. Der Pinienzapfen als Ewigkeits- und Fruchtbarkeitssymbol spielte bei den dionysischen Prozessionen eine entscheidende Rolle, da der Thiasos von einem Stab mit Pinienzapfenknauf angeführt wurde, wie es beispielsweise der Zug auf dem heute in Paris aufbewahrten Dionysos-Sarkophag aus SaintMedard d’Eyrans zeigt (Bild 156).48 Weil der Pilgerführer des Codex Calixtinus 47

48

Zur Verbindung aus eigenmotorischen Haaren, dem auch nach der Enthauptung noch magisch aktiven Schlangenhaupt der Gorgo sowie der Aufnahme einer aggressiven Sexualität der Haare und ihrer Kastration in der alttestamentlichen Samson und Delilah-Geschichte, vgl. Weir/Jerman: Images of Lust (a. a. O.), S. 74. Zu den vielfältigen Assoziationen, die Darstellungen von Pinienzapfen im Mittelalter nahezu immer auf die monumentale Bronze-Pigna im einstigen Paradisus von Alt-Sankt Peter als Symbol der Ewigkeit, in der Konsequenz aber auch auf den dionysischen Fruchtbarkeitskult zurückbinden, vgl. den leider vorerst nur angekündigten Artikel von Nicole Hegener: Kugeln und Zapfen. Zwei Leitmotive der nordspanischen Kapitellplastik im Spannungsfeld zwischen Rom, León und Santiago de Compostela, in: Hispaniens Norden im 11. Jahrhundert. Christliche Kunst im Umbruch, hg. v. Achim Arbeiter/Christiane Kothe/Bettina Marten, Petersberg 2009, S. 160.

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SANTIAGO – VERSUCHERINNEN UND MÄNADEN

in der Beschreibung des Nordportals, nicht aber in derjenigen der Puerta de las Platerías, „imagines […] mulierum“, „Bilder […] von Frauen“ erwähnt,49 sie darin zugleich explizit als mulier anstatt als Heilige bezeichnet und weil es keine Heilige mit dem Attribut der Pigna gibt, zählte die Frau mit den beiden Pinienzapfen offenkundig integral zu dem dionysischen Gefolge, das den Paradisus-Hof des einstigen Nordportals bevölkerte.50

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Vgl. Moralejo Álvarez: „Two Capitals“ (a. a. O.), S. 211. Bereits Moralejo Álvarez konstatierte der Bildhauerwerkstatt eine „familiarity with classical works on the Dionysic theme“, leider ohne konkrete Beispiele zu geben. Vgl. ebd., S. 212.

Madrid, Museo Arqueológico Nacional, Inv. 2839, 2 Jh. n. Chr.: Orestessarkophag.

Jaca, San Pedro: Gesamtansicht von Norden. Jaca, San Pedro: Blick von Nordwesten in Langhaus.

Jaca, San Pedro, Südportal, rechtes Gewändekapitell: Isaaksopfer. Jaca, San Pedro, Südapsis-Kapitell: Nackter.

León, San Isidoro: Puerta del Cordero und Puerta del Perdon. Linke Portalseite der Puerta del Cordero: Isidor von Sevilla und Zodiacus.

Puerta del Cordero, Zodiacusmetope: Aquarius.

León, San Isidoro, inneres rechtes Gewändekapitell der Puerta del Cordero: Dämonen. León, San Isidoro, Nordquerhaus-Ostwandkapitell: Stierbukranium.

León, San Isidoro, Panteón de los Reyes: Zentrale Spoliensäulen. León, San Isidoro, Kirchenschatz: Kelch der Urraca.

León, San Isidoro, Isidorschrein: Zwangseinkleidung.

Rom, Bibliothek von San Paolo fuori le mura, Ms. 337, fol. 331v: Revelatio.

León, San Isidoro, Westwand, Türsturzfeld: Chrismon. Berlin, Staatsbibliothek, Sakramentar, Ms. theol. lat. 192: Allegorie des Jahres.

Santiago de Compostela, Kathedrale, Marmorsäulen I–III.

Säule VI: Verkrümmter in Ranken. Säule VI: Krieger in Schiff. Säule VI: Wandel Schiff in Tuch.

Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Bibel aus Santa Maria de Ripoll, 11. Jh., Vat. lat. 5729, fol. 5v: Sündenfall.

Santiago de Compostela, Kathedrale, linkes Platerías-Portal, Tympanon: Frau mit Schädel.

Santiago de Compostela, Schatzkammer: Goldkreuz. Toulouse, Saint-Sernin: Westportal.

Toulouse, Saint-Sernin, Heilig Kreuz-Kapelle: Goldkreuz.

München, Bayerische Staatsbibliothek, Valerianus-Evangeliar, 7. Jh., Cod. lat. 6224, fol. 82v: Adler und Schlange. Toulouse, Saint-Sernin, Südquerhausempore: Greifenkapitell.

Jaca, San Pedro, Kapitell: Schleiertanz.

V. G E S C H M AC K – S T I L U N D R E L I Q U I E N

Am oberen Ende der fünften Santiago-Säule (Bild 103) hält ein Mann, vielleicht der Künstler, einen spitz zulaufenden sowie innen hohlen Gegenstand wie eine Rohrfeder in der Hand. Stil kommt von stilus, dem Griffel, der aufzeichnet und gestaltet und der Isidor zufolge zum Beschreiben der Wachstafeln besser aus Bein als aus Eisen sein sollte.1 Diese Stelle konnte den über die Isidorianische Brücke in der Antike bewanderten Künstlern durchaus bekannt gewesen sein. Geschmack, gustus,2 das heißt einen hochentwickelten Sinn für Qualität, bewiesen die Künstler der drei Monumentkomplexe in der Auswahl der Antiken, die sie zum Ausgangspunkt ihrer Adaptionen machten. Weniger die von kirchlichen Autoritäten abgesegneten Sarkophage der christianisierten Spätantike, sondern die nicht entschärften, geschmacksverstärkten einer Art kaiserzeitlich-„spätrömischen Dekadenz“ reizten ihre Sinne auf das Äußerste.3 Mit der bewussten Entscheidung, „welche“ Antike aufgegriffen wird, ist Stil nicht vom Geschmack desjenigen Künstlers zu entkoppeln, der die Auswahl trifft. Damit wird „Geschmack“ hier aber nicht nur als sinnliche, sondern zudem auch als soziologische Kategorie aufgefasst, weil in Spanien als Grenzland der Kulturen zugleich „habituell“ durch den überlegten Einsatz antikischfigürlicher Skulptur die Differenz insbesondere zu den Arabern als Konkurrenz mit bis ins Extrem gesteigertem Geschmack betont wird.4 Der islamischen 1 2 3

4

Etym. VI, 9,1. Etym. II,16,1. Auf überraschende Weise hat sich dem Problem die norwegische Archäologin Bente Kiilerich genähert, indem sie in einer Art Auschlussverfahren von der Ästhetik des Hässlichen ausgeht. Vgl. Bente Kiilerich: What is Ugly? Art and Taste in Late Antiquity, in: Arte medievale N.S. 6,2 (2007), S. 9–20. Zum Begriff des Habituellen vgl. Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt a. M. 1993, z. B. S. 322: Die Unterschiede in den Konzepten von Selbstrepräsentation „im Sichtbaren und Unsichtbaren“.

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V. GESCHMACK – STIL UND RELIQUIEN

Bildkultur standen derartige Feiern der menschlichen Figur im dreidimensionalen Medium in diesem Umfang nicht offen. Dazu kommt, dass die eingesetzten antiken Spolien in einer Doppelfunktion als Reliquien der Antike stark aufgeladen wurden. Neben dem selbstverständlichen Primat des sehenden Glaubens5 und tastenden Berührens im Falle der Berührungsreliquien wurden Reliquien aus Bein, Holz oder Metall häufig sogar durch Ablecken geschmeckt.6 Der Architekturhistoriker und Stilforscher Stephan Hoppe konnte in seiner Habilitationsschrift anhand einer breit angelegten Argumentationskette überzeugend nachweisen, dass bereits das fünfzehnte Jahrhundert die „Romanik“, insbesondere das elfte und zwölfte Jahrhundert, für einen integralen Teil der Antike hielt.7 Mit dieser Konnotation wird sie selbst von gebildeten Humanisten wie Kardinal Albrecht von Brandenburg im sechzehnten Jahrhundert zitiert. Da der Kardinal die umfänglichste Reliquiensammlung seiner Zeit aufbaute, die mit ihrem baulichen, durch Spolien legitimierten Ambiente wie auch durch die antiken Reliquien selbst in die Christuszeit weisen sollten, kann er um so besser als Vergleich mit den ausufernden Kirchenschätzen des elften Jahrhunderts herangezogen werden.

A

Von Si los nac h Jac a – St i l-Kopfgebu r ten

Die Dingforschung, die sich unter anderem der Migration antiker und exotischer Objekte in Kirchen- und Klosterschätze und deren Provenienzen widmete,8 hat in den letzten Jahren derart reiche Kenntnis auch rein heidnischer „Reliquien“ zutage gefördert, dass die vermutete Vetustas antiken Kunstwerken 5 6 7

8

Vgl. Christof L. Diedrichs: Vom Glauben zum Sehen. Die Sichtbarkeit der Reliquie im Reliquiar. Ein Beitrag zur Geschichte des Sehens, Berlin 2001. Zu den zahlreichen Berichten über das Schmecken der „köstlichen“ Reliquien der Heiligen vgl. Anton Legner: Reliquien in Kunst und Kult. Zwischen Antike und Aufklärung, Darmstadt 1995, S. 281. Die Habilitationsschrift ist unveröffentlicht, eine Essenz bietet jedoch Stephan Hoppe: Romanik als Antike und die baulichen Folgen. Mutmaßungen zu einem in Vergessenheit geratenen Diskurs, in: Wege zur Renaissance. Beobachtungen zu den Anfängen neuzeitlicher Kunstauffassung im Rheinland und in den Nachbargebieten um 1500, hg. v. Norbert Nußbaum/Claudia Euskirchen u. a., Köln 2003, S. 89– 131, hier S. 103. Hoppe räumt freilich ein, dass bereits Kunsthistoriker der zweiten Generation wie Robert Vischer (Robert Vischer: Studien zur Kunstgeschichte, Stuttgart 1886, S. 608) selbstverständlich davon ausgingen, dass die Romanik in den folgenden Jahrhunderten als Teil der Antike aufgefasst wurde. Für eine aktuelle Übersicht vgl. Lucas Burkart: Schatz und Schatzbildung im Mittelalter. Reflexionen zu disziplinärem Interesse und interdisziplinärem Zugang, in: Le trésor au Moyen Age. Questions et perspectives de recherche, hg. v. Lucas Burkart/Philippe Cordez u. a., Neuchâtel 2005, S. 1–25, sowie im selben Tagungsband Pierre Alain Mariaux: Trésor et collection. Le sort des „curiosités naturelles“ dans les trésors d’église autour de 1200, S. 27–53.

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A VON SILOS NACH JACA – STIL-KOPFGEBURTEN

gegenüber inzwischen zur Gewissheit wurde.9 Exemplarisch zeigt dies ein einziger, im Schatz des Klosters Santo Domingo de Silos in der Provinz Burgos aufbewahrter römischer Bronzekopf aus dem zweiten Jahrhundert nach Christus (Bild 157a). Er hat, so die These, eine stilistische Revolution in der nordspanischen Skulptur des elften und zwölften Jahrhunderts ausgelöst. Der Kopf mit seiner ovalen Gesichtsform, den schwellenden Gesichtspartien mit eingetieften Augen, in die ursprünglich Glasfluss oder Halbedelsteine eingesetzt waren, sowie der aufwendigen Frisur mit einer Agraffe steht auf dem leicht auskragenden Hals. Die antike Trovaille wird bereits zu Lebzeiten des Heiligen Domingo aus dem zum Landbesitz des im Jahre 929 durch diesen gegründeten Kloster gehörenden Weiler Clunia Sulpicia in den Klosterschatz gelangt sein;10 in jedem Fall wurde er damals ebenfalls schon als Kopf ohne Körper präsentiert, weil die sockelartige Verbreiterung am unteren Halsende, auf der das Bronzehaupt ruht, antik ist.11 Die besonders luxuriöse Arbeit zählt zu den antiken Portraitplastiken ohne zugehörigen Statuenkörper. Ein scharfer Kontrast zwischen der ornamental-stilisierten, hart aus dem Metall getriebenen Haarpartie und den weich modellierten, ineinanderfließenden Gesichtspartien scheint gesucht. Durch seinen hautartig-seidigen Bronzeteint wirkt der Kopf zusätzlich verlebendigt. Mit dem stark gewellten, mittelgescheitelten Haar, das in einzelne Teilabschnitte rhythmisiert ist, mit dem scharf im Nacken umknickenden und auf dem Hinterkopf mit Haarnadeln lebendig aufgetürmten und reich gemusterten Scheitelzopf sowie dem geflochtenen Haar9 10 11

Salvatore Settis’ Artikel zur Antikenrezeption im Mittelalter kann damit um viele erstaunliche Beispiele bereichert werden, um desto gewisser in allen Beobachtungen bestätigt zu werden. Vgl. Settis: Von auctoritas zu vetustas (a. a. O.), S. 157ff. Für den Beleg aus der Klosterchronik von Silos, vgl. Mario Férotin: Histoire de l’abbaye de Silos, Paris 1897, S. 40, Anm. 3; ab 1073 hatte Silos dort ein Priorat. Als einer der für außerordentliche künstlerische Gestaltwerte sensibelsten Kunsthistoriker war bereits Meyer Schapiro auf diesen Bronzekopf aus Silos aufmerksam geworden, ohne allerdings die Spur der Quelle weiterzuverfolgen; vgl. Meyer Schapiro: Vom mozarabischen zum romanischen Stil in Silos, in: Romanische Kunst. Ausgewählte Schriften, Köln 1987, S. 64–187, Anm. 41: „Ein Zeugnis für das Fortbestehen heidnischer Traditionen im elften Jahrhundert in Silos ist der Bericht über einen antiken Venuskopf aus Bronze, der zu einem noch immer verehrten Götzenbild [das sogenannte ‚Ídolo de Carazo’ aus dem einstigen römischen Clunia Sulpicia, einer Villa und Siedlung, die um die Mitte des elften Jahrhunderts zu dem umfangreichen Besitz des Klosters Silos gehörte, ST] auf einem Berg in der Nachbarschaft gehört hatte; das Heiligtum wurde von dem Abt Domingo zerstört und der Bronzekopf unter einer Votivkrone aus Gold befestigt, die Domingo über dem Altar seiner eigenen Kirche anbrachte.“ Eine solch verehrende, körperlos über dem Altar schwebende Anbringung wäre einzigartig in der mittelalterlichen Antiken-Verwendung, da bei antiken Statuen eher das Entziehen des Bodenkontaktes und damit der Zugang zu animistischen Kräften wie im Fall der Aufhängung der Trierer Venus an Ketten üblich war.

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V. GESCHMACK – STIL UND RELIQUIEN

oder Lorbeerkranz mit kreisrunder Agraffe am Zenit zwischen beidem (Bild 157b) ist allein schon die Frisur eine Zone fein differenzierten Gestaltungswillens. Bei aller Stilisierung ist ein pygmalionhafter Drang des Künstlers zur Beseelung des Kopfes zu erkennen. Zahlreiche lebensnahe Details wie die modisch glatt ausgezupften Augenbrauen, die auf vergleichbaren Bronzebildnissen sonst eingraviert wurden,

Bild 157a

Santo Domingo de Silos, Klosterschatz: Bronzekopf im Dreiviertelprofil.

Bild 157b

Santo Domingo de Silos, Klosterschatz: Bronzekopf en face.

die flache Nase, die durch leicht geblähte Flügel (Bild 157c und 157d) anscheinend in diesem Moment Luft einzieht, sowie der trotz einer Beschädigung bereits ursprünglich asymmetrisch bewegt gestaltete Mund mit den betonten Labialfalten, der wie zu einer Einflüsterung leicht geöffnet ist, vitalisieren den Kopf enorm. Vor allem aber die ursprünglich eingesetzten Augen mit einer Iris aus Glasfluss oder Halbedelstein und sicherlich weiß gefassten Augäpfeln (Bild 157b) müssen den Eindruck der Belebtheit noch massiv unterstrichen haben. Wurde der Blick der antiken Idole von den theologischen Idol-Gegnern stets als außerordentlich gefährlich, weil mit der Macht des Bannens versehen,12 betont – hier war er in besonderem Maße gegeben. Dieser bannende Blick war 12

Zu den schädlichen Einflussnahmen der dämonischen Idole vgl. z. B. Himmelmann: Ideale Nacktheit (a. a. O.), S. 5.

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A VON SILOS NACH JACA – STIL-KOPFGEBURTEN

noch zusätzlich herausgehoben, indem der Künstler das untere Lid als plastischen Wulst gestaltete und das obere weit zu den Seiten auszog, so dass die Augen regelrecht gerahmt und fokussiert sind. Noch vor dem erst Ende des elften Jahrhunderts mit Augen aus Emaille versehenen Büsten-Rumpf der Fides von Conques (Bild 158) aus dem neunten Jahrhundert, die bisher als frühestes christliches Idol mit belebtem Blick galt (Bild 158a),13 begegnet hier ein an

Bild 157c Santo Domingo de Silos, Klosterschatz: Bronzekopf im Profil nach links. Bild 157d Santo Domingo de Silos, Klosterschatz: Bronzekopf im Profil nach rechts.

schier atmender Lebensnähe unübertreffliches Original-Idol der Antike.14 Vielleicht von diesem Archeiropoieton einer nicht von Menschenhand zu fertigenden Plastik überwältigt, das aus Sicht der Mönche von Silos nur ein göttlich geformtes Antlitz einer Heiligen sein konnte, hatten sie sich ein Danaergeschenk in ihre Klostermauern geholt. In seiner Funktion als Reliquiar barg es 13

14

Das Gesicht der Heiligen Fides selbst bildet dabei eine überformte römische Goldmaske, insofern ist das Asyl von Antiken in den Klosterschätzen von Sainte-Foy de Conques und Santo Domingo de Silos gut zu vergleichen. Vgl. Fricke: Ecce Fides (a. a. O.), S. 46. Zum bannenden Blick von Skulpturen, vgl. Peter Cornelius Claussen: Occhi e sguardi. L’animazione delle statue di Arnolfo, in: Arnolfo di Cambio e la sua epoca: costruire, scolpire, dipingere, decorare, hg. v. Vittorio Franchetti Pardo, Roma 2007, S. 127–136.

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Bild 158

Conques, Sainte-Foy, Klosterschatz: Sitzstatue der Hl. Fides.

Bild 158a Conques, Sainte-Foy, Klosterschatz, Sitzstatue der Hl. Fides, Detail: Augen.

zwar sicher die Knochen einer Heiligen, aber die Bannkraft auf jeden, der in ihr Sichtfeld geriet, war fatal. Ähnlich wie der ebenfalls in einem Kloster aufbewahrte Husillos-Sarkophag, wirkte der Bronzekopf als Stil-Ikone, die ihre künstlerischen Adepten geradezu zwang, sie nachzuahmen.15 Seit wann und wie genau die Bronzeplastik in Silos präsentiert wurde, wird wohl nie mit letzter Gewissheit zu belegen sein, weil nur indirekte

15

Dass Bronzeköpfe wie derjenige von Clunia Sulpicia bereits in der Antike aufgrund ihrer Kunstfertigkeit hochgeschätzt wurden, konnte die schwedische Archäologin Bente Kiillerich nachweisen, indem diese Bronzen in spätantiken Mosaiken wie demjenigen im spanischen Landsitz Prados de la Vega als Bild im Bild und gerahmt eingepasst wurden. Vgl. Bente Kiilerich: Ducks, Dolphins, and Portrait Medallions. Framing the Achilles Mosaic at Pedrosa de la Vega (Palencia), in: Imperial Art as Christian Art – Christian Art as Imperial Art. Expression and Meaning in Art and Architecture from Constantine to Justinian (Acta ad archaeologiam et artium historiam pertinentia N.S. 1=15,2001), Rom 2002, S. 245–267, hier S. 254.

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Schriftquellen des elften Jahrhunderts über den Fundort Clunia Sulpicia als altem Besitz des Klosters von Silos existieren. Ihre Ausstrahlung reicht aber gut nachvollziehbar, wie bei dem Orestessarkophag über den Pilgerweg als Blutkreislauf ausgeschüttet,16 schon im elften Jahrhundert von Toulouse bis Santiago, über Jaca nach León. Neben dem Sarkophag im Kloster Husillos hat damit kein anderes Kunstwerk den besonderen Stil der spanisch-südwestfranzösischen Romanik derart geprägt wie diese „Venus von Silos“. In Jaca gibt ein Kapitell der Südportalvorhalle mit Szenen aus der Vita des Heiligen Laurentius (Bild 159a–e) bis heute große Rätsel auf. Obwohl die Vorhalle der Kirche erst im 16. Jahrhundert angefügt wurde, das Kapitell daher nicht ursprünglich aus dem Südportalkontext stammt, kann es aufgrund der identischen Abmessungen den zahlreichen Kapitellen des im Barock vermauerten ehemaligen Kathedralkreuzganges zugeordnet werden. Als stilistischer Irrläufer in Jaca ist es zweifelsfrei einer Werkstatt der ebenfalls königlichen Kirchenstiftung Santa Cruz de la Serós zuzuschreiben.17 Ungeklärt blieb bis heute, warum hier scheinbar unvermittelt ohne jede hagiographische Begründung in der Jaqueser Kathedrale mit Petrus-Patrozinium ein derart kunstvolles und auf allen vier Seiten skulptiertes Kapitell mit narrativ stark ausgeweiteter Vita des Heiligen Laurentius auftaucht. Die Erzählung im Rundlauf schildert unter anderem das Verhör des Märtyrers durch Kaiser Valerian wie dasjenige Christi vor Pilatus (Bild 159b), spart aber auffälligerweise das sonst vorrangig dargestellte Martyrium des Heiligen auf dem Rost aus. Das gesamte Mittelalter hindurch war Sankt Laurentius einer der höchstverehrten Heiligen der Kirche. Die außergewöhnlichen Ehrerbietungen, die diesem Stellvertreter von Papst Sixtus II. als einem der frühen Pontifices zuteil wurden, zeigen sich allein in der Tatsache, dass die Laterankapelle Sancta Sanctorum mit den heiligsten Reliquien der Christenheit, wie beispielsweise dem ältesten erhaltenen Reliquiar überhaupt aus dem sechsten Jahrhundert mit Erde aus der Terra sancta,18 auf seinen Namen geweiht ist. Die Lösung des Laurentius-Rätsels von Jaca liegt im Wortsinn nahe: Anfang des dritten Jahrhunderts nach Christus wird Laurentius in der Nähe des römischen Iaca als

16

17 18

Obwohl das Kloster von Silos nicht direkt am Pilgerweg liegt, wurde der Umweg doch von vielen Kunst-Pilgern und Kennern nicht zuletzt wegen der überwältigenden Sammlung an Heilsschätzen wie den Ketten der vom Heiligen Domingo Befreiten, dem frühesten Beatus de Liebana-Codex oder der berühmten Bronze-Taube gerne in Kauf genommen. Vgl. David L. Simon: Le sarcophage (a. a. O.), S. 107–125. Bruno Reudenbach: Reliquien von Orten. Ein frühchristliches Reliquiar als Gedächtnisort, in: Reliquiare im Mittelalter (Hamburger Forschungen zur Kunstgeschichte 5), hg. v. Bruno Reudenbach/Gia Toussaint, Berlin 2005, S. 21–41, hier S. 26.

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V. GESCHMACK – STIL UND RELIQUIEN

Bild 159a Jaca, San Pedro, Südportikuskapitell: Vita des Hl. Laurentius.

Sohn der zum Christentum konvertierten Latifundienbesitzer Orentius und Patentia in einer Villa Rustica bei Huesca, dem antiken Osca, geboren. Schon als junger Mann folgt er dem ebenfalls aus Spanien stammenden Papst Sixtus II. nach Rom. Auf dem Höhepunkt der Christenverfolgung durch Kaiser Valerian im Jahr 258 übergibt der Papst seinem Diakon Laurentius den bedeutendsten Schatz, den die römische Untergrundkirche an Heiltum behütet und verehrt: den Abendmahlskelch aus blutrotem Achat in einer Fassung aus Gold, der als Verdinglichung und damit als Beweis für die Transsubstantiation Christi beim letzten Abendmahl von nicht zu überschätzender Bedeutung für die junge Kirche war. In letzter Minute, kurz bevor ihn die Häscher Kaiser Valerians aufgreifen (Bild 159b) und er den Martyrertod auf einem glühenden Rost erleidet, weil er dem Kaiser den Verbleib des von wohlhabenden Römerchristen gestifteten Kirchenschatzes nicht preisgibt, lässt Laurentius den Kelch von einem Boten nach Spanien in sein abgelegenes Heimatdorf am Südhang der Pyrenäen bringen und dort verstecken. Über 400 Jahre lang verliert sich die Spur des antiken Kelches, bis er im siebten Jahrhundert in die Bartholomäus-Kapelle des westgotischen Vorgängerbaues der Kathedrale San Pedro el Viejo von Huesca, der Hauptstadt des Königreiches Aragón, verbracht worden

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A VON SILOS NACH JACA – STIL-KOPFGEBURTEN

Bild 159b

Jaca, San Pedro, Südportikuskapitell: Vita des Hl. Laurentius.

sein soll.19 Dort wird die Christusreliquie, die in ihrem Status nur mit der Heiligen Lanze der Karolinger und der Kreuzesreliquie des byzantinischen Kaisers vergleichbar ist, vermutlich im Zuge der westgotischen Politik einer nahtlosen Kontinuität mit dem christlich-römischen Imperium öffentlich ausgestellt. Mit der Besetzung eines Großteils Spaniens und damit auch Aragóns ab dem Jahr 711 tritt der Kelch als von den Arabern intensiv gesuchtes Glaubenszeugnis der Christen eine drei Jahrhunderte andauernde Odyssee durch verschiedene aragonesische Klöster und Kirchen an, um im elften Jahrhundert über die Zwischenstation des Benediktinerklosters San Pedro de Siresa na ch Jaca zu gelangen. Offenbar gab es aber in dem Interregnum nach dem Tod des Königs Sancho Ramírez eine kurze Phase, in der die Schwester des Königs Doña Sancha den Kelch in die von ihr als Grablege gestiftete Klosterkirche Santa Cruz de la Serós (Bild 19) translozieren ließ, wo er mit den der Kirche ihren Namen gebenden Partikeln vom Kreuz Christi aufbewahrt wurde. Nur zwei Jahre später beim Tod Doña Sanchas im Jahr 1095 wurde der kostbare Kelch in das vermeintlich sichere, weil nahezu unzugängliche Felsenkloster San Juan de la 19

Vgl. Legner: Reliquien in Kunst und Kult (a. a. O.), S. 87.

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Bild 159c

Jaca, San Pedro, Südportikuskapitell: Vita des Hl. Laurentius.

Peña verbracht, wo er die Gräber der Könige von Aragón und Pamplona, die sich in ihrer Außendarstellung als Gralshüter inszenierten, auratisch aufzuladen vermochte.20 Noch heute steht in dem Felsenkloster eine Kopie der Achatschale (Bild 159f), deren Original bereits im späten Mittelalter in die Kathedrale von Valencia gebracht wurde. Wie in Silos wird in San Juan de la Peña eine antikes Kunstwerk verehrt; auf dem Laurentiuskapitell des elften Jahrhunderts in Jaca wird darüber hinaus in einer fesselnd über die vier Kapitellseiten verwobenen Narration die Herkunft des gefeierten Kelches geschildert. Als Stil-Bildner für diese Einbettung in die Zeit des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts wird dabei kaum zufällig der Bronzekopf von Silos mit seinen schwellenden Gesichtsformen verwendet. Weit größer als die beiden Schlangenträger (Bild 30) einer der vier Seiten des sogenannten Santiago-Kapitells in Jaca folgt nach rechts auf diese ein 20

Vgl. Ana Isabel Lapeña Paúl: Sancho Ramírez. Rey de Aragón (1064?–1094) y rey de Navarra (1076–1094), Somonte-Cenero 2004, S. 16ff. Noch heute steht in dem Felsenkloster eine Kopie der Achatschale, deren Original bereits im späten Mittelalter in die Kathedrale von Valencia gebracht wurde.

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Bild 159d

Jaca, San Pedro, Südportikuskapitell: Vita des Hl. Laurentius.

Bild 159e

Jaca, San Pedro, Südportikuskapitell: Vita des Hl. Laurentius.

Engel (Bild 160) mit einem Schwert in der Rechten und einer Lilie in der Linken. Die mächtigen Flügel folgen dem Schwung der Kapitellvoluten mit ihrem oberen, glatten Abschluss, von denen zwei Reihen breitlappiger, in der Mitte gekerbter Schuppen abgehängt sind, die nach unten in glatte Bahnen übergehen. Mit spitzen Fingern hält er in seiner Rechten mit gezierter Geste eine stilisierte Lilie. Ikonographisch ist das Schwert dem Erzengel Michael und die Verkündigungslilie dem Erzengel Gabriel zugeordnet. Eine Vermengung bei-

Bild 159f San Juan de la Peña, Hauptaltar, Kopie des antiken Abendmahlkelches.

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Bild 160 Jaca, Santiago-Kirche, Kapitell des ehem. Kathedralkreuzgang: Erzengel Michael.

der Attribute ist nicht bekannt. Daher muss es sich um den Cherubim handeln, der die für die nun Sterblichen verschlossene Paradiesespforte mit einem Flammenschwert bewacht. Die Lilie als Symbolpflanze der Reinheit scheint von dem Bildhauer als eigenständiger Verweis auf die wiederzugewinnende Unschuld hinzugefügt, die für eine Rückkehr in den Garten Eden vonnöten wäre. Sie wird vom Engel, darin offenkundig dem Ablauf einer intendierten Kapitellerzählung folgend, in Richtung der auf den beiden anschließenden Seiten zu sehenden Stammeltern gehalten, in die er auch blickt. Subtil ist hier wie schon auf dem Laurentiuskapitell eine Narration entfaltet, die alle vier Kapitellseiten miteinander verknüpft, denn die beiden Schlangenhalter als Antipoden zu Adam und Eva ragen insofern noch in die Sphäre des Engels, als der von der Frau mit dem ephesischen Fruchtgebinde gehaltene Schlangenschwanz sich um die Kapitellecke herumwindend erst auf der nächsten Seite auf dem Gewand des Engels endet. Mit der bewahrenden Auswahl des Bronzehauptes für den Klosterschatz von Silos ließe sich auch die Isolierung einzelner, außergewöhnlich sorgfältig gestalteter Köpfe in Jaca erklären. Außer einer potentiell unheimlichen Metamorphose von Kugelform in Kopf deutet in den Gesichtern der Köpfe selbst anscheinend nichts auf eine apotropäische Abschreckungsmaßnahme hin. Diese sind kostbar wie der Silos-Kopf in allen physiognomischen Details ausgestaltet. So ragt aus der Kämpferecke des linken Fensterkapitells im Innern der Südostapsis in Jaca ein kugeliger Kopf weit hervor (Bild 161).

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B

LEÓN UND TOULOUSE – DICKE BACKEN

Bild 161 Jaca, San Pedro, Kapitellkämpfer: „Silos“-Kopf.

Obwohl sich die Buckellöckchen markant von den ornamental den Bronzekopf gliedernden Zöpfen unterscheiden, zeigt der fast freiplastische Kopf dieselben hängenden Backen und eingetieften Augen wie das stilisierte Gesicht aus Silos. Hier wird als Apotropaion nicht mehr ein Gesicht mit entstellten Zügen oder anderen Indizien der Dämonennatur eingesetzt, sondern gerade die Verführungskraft eines antikischen Hauptes mit dem betonten bohrenden Blick genutzt. In einem raffinierten Doppelschlag wird die Antike zum einen gefeiert, wie auch zum anderen in ihrem ungeminderten Gefährdungspotenzial als formvollendete Verführung durch die Positionierung als Apotropaion ausgestellt.

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L e ón u nd Tou louse – D ic ke Bac ken

Außer der Rippenkappe Isidors (Bild 39) auf dem monumentalen Relief am Cordero-Portal scheint nichts darauf hinzudeuten, dass die Bildhauer in León den Bronzekopf in Silos kannten und zitiert hätten.21 Betrachtet man jedoch die Gesichter des Tympanons der Puerta del Perdón am Südquerhaus (Bild 162) eingehender, legen die charakteristischen Kugelbacken eine Adaption der eigenartigen Formen des bronzenen Mirabilium nahe. Die Werkstatt des sogenann21

John Williams hat die Rippenkappe auf dem Emmaus-Relief im Kreuzgang von Silos bei Christus selbst, in San Isidoro de León auf dem Großrelief am CorderoPortal bei Isidor sowie in Jaca auf dem heute in der Santiago-Kirche befindlichen Kapitell bei dem Mann hinter einem Blatt zu sehende Kopfbedeckung als Mitra bezeichnet, Williams, Silos (a. a. O.), S. 34.

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V. GESCHMACK – STIL UND RELIQUIEN

Bild 162

León, San Isidoro, Puerta del Perdón: Gesamtansicht.

ten Gnadenportals, der sich zudem Kapitelle im Inneren der Kirche zuschreiben lassen, wurde bisher fast durchgängig dem zwölften Jahrhundert zugeschlagen; sie gehört indes in das elfte Jahrhundert.22 Ungewöhnlich ist bereits die Umgewichtung der zentralen Szene, die rechts von den drei Frauen am Grabe sowie links von einer mühseligen Himmelfahrt Christi flankiert wird: nicht 22

Dass das Gnadenportal wie das wesentlich prominentere und stets auch intensiver untersuchte Lammportal ohne Zweifel in das elfte Jahrhundert zu datieren ist, hat eine Forschergruppe aus León auf einer Internationalen Konferenz zur Kathedrale Santiago de Compostela und ihren Außenbezügen im Jahr 2010 nachweisen können. Durch Nutzung der im Grundriss verorteten Abbildungen des HISPANIA ROMANICA DIGITALIS-Projektes des Berliner Goldschmidt-Zentrums war den Forschern die stilistische Übereinstimmung der Gesichter und Frisuren des Gnadenportals mit mehreren Kapitellen im Kircheninneren, die auch von Skeptikern einer Frühdatierung immer in das ausgehende elfte Jahrhundert datiert worden waren, bewusst geworden.

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LEÓN UND TOULOUSE – DICKE BACKEN

Bild 162a León, San Isidoro, Tympanon der Puerta del Perdón: Kreuzabnahme.

die Kreuzigung als Gnadenquell wird dort gezeigt, sondern die Kreuzabnahme. Vor allem aber wird Nikodemus (Bild 162a), der an dem rechten Kreuzesbalken mit beiden Händen eine riesige Zange umklammert, um den Nagel aus der Hand Christi zu ziehen, weit größer als der auf der linken Seite den Christusleib in Empfang nehmende Joseph von Arimathia, aber auch größer als Christus selbst gezeigt.23 Tastend sucht er am Kreuzesfuß Halt mit dem rechten Fuß, während er mit dem anderen fast freischwebend unter dem Kreuzesarm zu tänzeln scheint. Sein Kopf aber ist unter der Hand Christi fast horizontal in den Nacken gelegt, als fände er durch das versenkte Sehen in die Nagelwunde zum tieferen Glauben. Das hochovale Gesicht mit den hängend aufgeplusterten Wangen, dem geometrisch ausgegliederten Kinn sowie den 23

Nikodemus soll der Volto Santo-Legende von Lucca zufolge das erste Kreuzesbild geschnitzt haben. Dafür wurde er seit dem zehnten Jahrhundert als Schutzherr der Bildhauer verehrt wie Lukas Evangelista als Patron der Maler. Ob in der größenmaßstäblichen Heraushebung des handwerkenden Nikodemus die Bildhauerei als Identifikationsangebot insgesamt betont wird, muss offen bleiben, scheint aber denkbar. Zur Nikodemus-Legende vgl. Michele C. Ferrari u. a (Hg.): Il Volto Santo in Europa. Culto e immagini del Crocifisso nel Medioevo. Atti del convegno internazionale di Engelberg (13–16 settembre 2000), Lucca 2005.

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Bild 162b León, San Isidoro: Westturm auf dem Verlauf der römischen Stadtmauer.

ornamentalen Henkelohren gleicht dabei sehr dem Bronzekopf von Silos. Wie auf einigen Kreuzigungsdarstellungen der Goldschmiedekunst des elften Jahrhunderts antike Gemmenköpfe anstelle des Christushauptes eingesetzt sind, wirkt es bei der Kreuzabnahme, als sei dem bewegten Körper des Nikodemus der etwas zu große antike Bronzekopf aus Silos schräg aufmontiert. Aber auch das Phänomen, dass wie im Fall der antiken Bronze der gesamte Klosterschatz von Silos wie mit einer Zeitmaschine in die Antike als Christuszeit versetzt wurde, wiederholt sich in León. Ein das gesamte Mittelalter durchziehender Mechanismus ist dabei der Stupor, die bewundernde Fassungslosigkeit vor der Antike. Wann immer ein Monument die Vorstellungskraft der jeweiligen Generation übersteigt, wird es topisch der Antike zugeschlagen. Der sich durch die Landschaften zwischen dem Imperium Romanum

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LEÓN UND TOULOUSE – DICKE BACKEN

und Germanien schlängelnde Limes gilt das ganze Mittelalter hindurch abwechselnd als Teufelswerk, als antikes Weltwunder oder beides gleichermaßen. Das Florentiner Baptisterium mit seiner unfasslichen Kuppel sowie den Goldmosaikbildern im Innern wird bis zur antiquarischen Forschung des 15. Jahrhunderts als antikes Bauwerk angesehen. Ebenso wird der dem Panteón von León im Westen vorgelagerte Königspalast sowie der Turm von San Isidoro direkt auf die zyklopischen Quadermauern der Befestigung der römischen Militärbasis Legio gebaut (Bild 162b), um die nahtlose Kontinuität zwischen Antike und leonesischer Renovatio der imperialen Idee im elften Jahrhundert bereits nach außen hin offensichtlich werden zu lassen. Für stilgeschichtlich geschulte Augen ist der Isidorschrein (Bild 38) als Werk des elften Jahrhunderts zu erkennen. Solange aber die Quelle mit der Beschreibung der feierlichen Überführung der Gebeine Isidors von Sevilla nach León durch König Fernando I. am 21. Dezember des Jahres 1063 nicht ausgewertet war, die nahe legt, dass die Reliquien in den bereits vorhandenen Schrein gebettet wurden, ist das Reliquiar durchaus in das zwölfte Jahrhundert datiert worden. Die offensichtlichen ottonischen Stilbezüge beispielsweise wurden erst vor wenigen Jahren überhaupt konstatiert.24 Um wie viel mehr muss ein Pilger des elften Jahrhunderts staunend vor diesem Mirabilium aus Gold und Silber gestanden haben.25 Dass dieser Schrein nicht nur einen Heiligen der gefühlten Christuszeit Antike barg, sondern selbst wie so viele andere Sarkophage als Heiligenschreine der Antike zu entstammen schien, war angesichts der unbegreiflichen Kunstfertigkeit und überwältigenden Materialität leicht zu glauben. Einen ähnlich janusgesichtiges Kunstwerk zwischen Antike und Jetztzeit bildet der Kelch der Doña Urraca (Bild 163). Im Jahr 1063 stiftet die inschriftlich in Goldfiligran unter dem Kelch-Nodus genannte Urraca, die Tochter des Leoneser Königs Fernando I., diesen goldgefassten Achat-Kelch der neu errichteten Kirche San Isidoro. Der Kelch ist neben dem Bronzehaupt von Silos zugleich ein weiterer Beleg dafür, dass gerade im Bereich der liturgischen Kultgefäße die heidnische Antike zwar inkorporiert, aber niemals völlig entschärft werden konnte. Dass für die Cuppa des Kelchs eine antike Achatschale

24 25

Vgl. Bredekamp/Seehausen: Das Reliquiar (a. a. O.), S. 152. Sabine Noack-Haley zieht darüber hinaus eine instruktive, stilistische und formale Verbindungslinie in die Spätantike und die römische Antike: „Die Trennpfeiler mit eingestellten Säulchen gleichen in Form und Dekor westgotenzeitlichen architektonischen Marmorpilastern, wie sie insbesondere in Mérida zahlreich erhalten sind – vielleicht ein gezielter Hinweis auf die Lebenszeit Isidors, des westgotischen Kirchenvaters. Die Gesamtgestalt des Kastens […] erscheint dagegen vom römischen Typ des Säulensarkophags mit Dachdeckel abgeleitet zu sein.“ Vgl. NoackHaley: Der Bezug auf das Römische (a. a. O.), S. 36.

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Bild 163 León, San Isidoro, Kirchenschatz: Kelch der Urraca, 1063 gestiftet.

wiederverwendet wurde, überrascht bei der nur schwer zu erreichenden diaphanen Qualität der hauchdünnen Schalenwandung des braunrot schimmernden Achat nicht. Dass aber auf die in ihrer Kostbarkeit ohnehin kaum mehr zu steigernde Fassung aus Goldfiligran zusätzlich eine anscheinend antike Gemme mit einem knochenweißen Haupt appliziert wurde, ist mehr als ein surplus. Mit seinen schlangenartig sich einschneckenden Haarsträhnen wirkt der Kopf wie ein Medusenhaupt; die geschlitzten Augen und der weit ausgezogene Mund begegnen dem Betrachter scheinbar mit einem maliziösen Grinsen. Wie John Williams jedoch betonte, handelt es sich bei dem Haupt offenkundig um eine Antiken-Nachahmung des elften Jahrhunderts,26 die ein medusenhaftes Haupt zu evozieren sucht. Genau dieser in Beschlag nehmende Blick mit seinem verzerrten Grinsen war die Legitimation, den Abendmahlskelch mit einer heidnischen Pseudo-Antike zu versehen. Der prekäre Moment der Transsubstantiation von einem Zustand in den anderen während der Wandlung war der mittelalterlichen Dämonenlehre zufolge besonderen Gefahren durch eingreifende Dämonen ausgesetzt. Allzugroß war daher vermutlich die Verlockung, das uralte Mittel des Apotropaion einzusetzen, um den Wandlungskelch mithilfe des bannenden Blicks der talismanischen Gemme zu sichern. Obwohl der Glaube, das dem 26

Vgl. John W. Williams: Katalogeintrag „Chalice of Urraca“, in: Ausst.-Kat.: The Art of Medieval Spain, A.D. 500–1200 Metropolitan Museum of Art New York, hg. v. Metropolitan Museum New York, New York 1993, S. 254–255, hier S. 254.

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LEÓN UND TOULOUSE – DICKE BACKEN

Bösen Blick durch ein ebenso fesselndes Stieren zu entgegnen sei,27 sich auf das Christuswort von der Austreibung des Teufels mit dem Beelzebub berufen konnte,28 ist die die Stärke des Glaubens in Zweifel ziehende Lehre des Apotropäischen aus nachvollziehbaren Gründen nie schriftlich niedergelegt worden. Die dennoch durchgängig angewandte Sicherungsstrategie der Apotropaia ist daher nur in künstlerischen Beispielen zu greifen;29 sie ist damit zugleich für die Tausend Jahre des Mittelalters eine explizit künstlerische Strategie, um im Zusammenspiel mit der eigenen Kunst antike Werke zu integrieren, denen besondere Kräfte zugeschrieben wurden. Erwin Panofskys überkreuzendes Disjunktionsprinzip fordert noch ein, dass Antike notwendigerweise christianisiert werden muss, um sie im Mittelalter in einem kirchlichen Kontext zeigen zu können. In León existiert aber eine „gefährliche“, weil kaum verhüllte und christlich interpretierbare Antike, bei der wie im Falle des Kelchs eine christliche Auslegung der schieren Präsenz des Pagan-Antiken wenig entgegensetzen kann. Ein durchdringend starrendes Haupt auf einem liturgischen Kelch war abgesehen von der apotropäischen Zuschreibung schlicht nicht christlich zu interpretieren. Um antike Werke dennoch einsetzen zu können, musste den Künstlern eine unumschränkte Autorität zur Verfügung stehen. Die für das gesamte Mittelalter entscheidende und verbindliche, wenn auch in aktuellen Forschungen zur Antikenrezeption des Mittelalters nicht mehr in Betracht gezogene theologische Legitimation überhaupt für den Nießbrauch der Antike,30 lieferte der Kirchen27 28 29

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Zum Bösen Blick zuletzt umfassend Kessler: Evil Eye(ing) (a. a. O.). Lk 11,19-20. Erinnert sei lediglich an Kreuze, die anstelle des Christushauptes einen antiken Edelsteinkopf zeigen wie der Lapislazuli-Kopf der Livilla, der Schwester Kaiser Claudius’, auf dem Herimann-Kreuz (Köln, Diözesanmuseum) aus dem 11. Jh. oder an diejenigen Reliquiare, auf denen wie im Fall des Servatiusreliquiars im Quedlinburger Stiftsschatz offenbar als apotropäischer Schutz ein antiker Dionysoskopf aus Amethyst des 1. Jhs. n. Chr. aus der Seite herausragt, vgl. beispielsweise Christof L. Diedrichs: Glänzende Geschichte. Zum so genannten Reliquienkasten Heinrichs I. im Schatz der Stiftskirche zu Quedlinburg, in: Licht, Glanz, Blendung. Beiträge zu einer Kulturgeschichte des Leuchtenden (Publikationen zur Zeitschrift für Germanistik 18), hg. v. Christina Lechtermann/Haiko Wandhoff, u. Mitarb. v. Christof L. Diedrichs u. a, Bern u. a 2008, S. 121–150, hier v.a. S. 148. Janice Mann betont, der Urraca-Cameo gebe vor, „explicitly Roman“ zu sein, vgl. Mann: Romanesque Architecture (a. a. O.), S. 96. Die letzten Publikationen zur Indienstnahme der Antike bemühen sich kaum, den theologischen Grundlagen und Legitimationsstrategien der Antikenrezeption nachzuspüren, vgl. Veronika Wiegartz: Antike Bildwerke im Urteil mittelalterlicher Zeitgenossen, Weimar 2004; Friederike Wappenschmidt: Metamorphosen. Antike Götter im Wandel von Glauben und Kunst, Mainz 2004; sowie Lukas Clemens: Tempore Romanorum constructa. Zur Nutzung und Wahrnehmung antiker Überreste nördlich der Alpen während des Mittelalters, Stuttgart 2003.

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V. GESCHMACK – STIL UND RELIQUIEN

vater Augustinus.31 Dieser legt eine Stelle im zweiten Buch Mose 11,2 pro Antiken-Nutzung aus.32 Moses selbst befiehlt dort den Israeliten, dem Pharao vor ihrem Auszug aus Ägypten goldene und silberne Gefäße abzufordern, um damit das Hebopfer für Gott leisten zu können. Wie das auserwählte Volk ägyptisch-polytheistische Kunst zur Ehre Gottes nutzte, so Augustinus’ explizite Forderung, sollten auch die Christen sich unbedingt der geistigen und künstlerischen Schätze der Griechen und Römer bedienen.33 Für Augustinus, der biographisch in der kaum christianisierten nordafrikanischen Stadt Hippo selbst noch Teil der heidnischen Antike ist, existiert demnach geradezu eine Pflicht für Christen, die Hinterlassenschaften der paganen Antike zu benutzen, und zwar explizit auch ihre Kunst. Mit diesem historischen Kompromiss war den Theologen des Mittelalters eine durch die unumstrittene Autorität Augustinus’ kaum anfechtbare Legitimation für nahezu uneingeschränkten Antiken-Gebrauch an die Hand gegeben. Für Spanien hat Isidor von Sevilla als der bedeutendste Augustinus-Exeget diese Freisprechungs-Formel seines geistigen Lehrers nahezu unverändert übernommen.34 In Saint-Sernin de Toulouse begegnet eine nicht minder lebens- und antikennahe Schwester dieser „Venus von Silos“ an zentraler Stelle. Auf der dritten Konsole von rechts über dem Haupteingang der Basilika, dem 1076 begonnenen und spätestens 1117 vollendeten südlichen Langhausportal Porte Miègeville, fällt eine Büstenkonsole unmittelbar ins Auge.35 Eine Frau mit über den Kopf gezogenen Mantel (Bild 164) befühlt mit Daumen und Zeigefinger ihrer rechten Hand, die aus einer Art Togaschlinge in der Tiefe des Mantels

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Die in Vergessenheit geratene Argumentation bei Percy Ernst Schramm: Kaiser, Könige und Päpste. Gesammelte Aufsätze zur Geschichte des Mittelalters IV,1, Stuttgart 1970, S. 706ff. Ein Grund für ein „bewusstes Übergehen“ dieser erhellenden These zur Antikenlegitimierung insbesondere in der angelsächsischen Forschung könnte die tiefe politische Verstrickung Schramms in den Jahren der nationalsozialistischen Diktatur sein, wie Eliza Garrison in ihrer in Kürze erscheinenden Dissertation beleuchtet. Schramms aktive Rolle im NS jedenfalls hat in der Nachkriegszeit nachweislich zu dem baldigen Bruch mit den ins Exil getriebenen Gelehrten des Warburg Institute in London geführt. Im Rahmen der Jakobus-Wallfahrt wurde diese Stelle besonders häufig zitiert. Der Pilgerführer des Codex Calixtinus vergleicht beispielsweise den Auszug der Israeliten aus Ägypten explizit mit der Pilgerschaft nach Santiago: „Auch die Söhne Israels waren Pilger, als sie von Ägypten in das Land der Verheißung zogen, geprüft durch verschiedene Mühen und schlimme Kriege.“ Zitiert nach Herbers: Der Jakobsweg (a. a. O.), S. 82. Vgl. Schramm: Kaiser, Könige und Päpste (a. a. O.), S. 706. Etym. XII,6,43f. Zur Baugeschichte der Porte Miègeville vgl. Lyman: Raimond Gairard (a. a. O.), S. 71f.

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Bild 164 Toulouse, Saint-Sernin, Porte Miègeville-Konsole: Frau in Togaschlinge. Bild 164a Santo Domingo de Silos, Klosterschatz: Bronzekopf.

kommt, einen Schmuckanhänger an einem Band um ihren Hals.36 Sie greift mit der Linken um den Gewandsaum, wobei ihre rechte Brust neben der Hand kugelig hervortritt. Ihren Kopf hat sie leicht nach links gedreht, wie um den Hals für die bessere Sichtbarkeit des Juwels freizumachen. Ähnlich dem Bronzekopf aus Silos fließen auch hier die Gesichtspartien subtil ausmodelliert 36

An dem heute vermutlich etwas zu glatten Halsreif sowie den flachen, nur noch durch Ritzungen angedeuteten Mantelfalten über den abgewitterten Schultern der Frau erkennt man, dass die Restaurierung der witterungsgeschädigten Konsole unter Viollet-le-Duc sicherlich Modifizierungen im Äußeren verursacht hat. Die Grundformen scheinen allerdings nicht gravierend verändert, wie die nicht ergänzten Ausbrüche an der Nasenspitze oder an den Fingern ihrer linken Hand erweisen. Kat.: Saint-SerZur Restaurierung der Basilika und ihrer Skulpturen vgl. Ausst.-Kat.: nin de Toulouse. Trésors et métamorphases. 2 siècles de restaurations 1802–1989, Musée Saint-Raymond Toulouse und Hôtel de Sully Paris, hg. v. Yves Boiret, Toulouse 1989, sowie Odile Foucaud: La restauration de Saint-Sernin de Toulouse de 1860 á 1862. 29 nouveaux documents iconographiques, signés de Viollet-le-Duc et Esquié, in: Bulletin monumental 147 (1989), S. 333–344.

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ineinander. Die ebenfalls mittelgescheitelten Haare treten in auffällig breiten Strähnen unter dem Kopftuch hervor und legen sich betont plastisch über den Stoff. Insbesondere aber die tief ausgebohrten, ursprünglich wahrscheinlich farbig eingelegten Augen mit ihren aus aufgelegten Wülsten gebildeten Umrahmungen sowie der sinnlich geöffnete Mund können Übernahmen der Bronze von Silos (Bild 164a) sein. Diese wird noch in ihrer Physis und Lebendigkeit übertroffen, weil der Bildhauer den Silos-Kopf zu einer Büste verlängert, die er wie aus einem Fenster hervortreten und sie mit dem verführerischen Präsentieren des Halsgeschmeides eine Handlung vollführen lässt. Diese bildet die logische Fortsetzung der verspürten antiken Schmuckfreude der Bronze mit der aufwendigen Zierfrisur und dem sie bekrönenden Medaillon. Die Konsolfigur präsentiert aber nicht nur das Collier, sondern offeriert in ihrer stoffreichen Körperlichkeit auch sich selbst als Kostbarkeit. Sie ist insofern noch antiker als die Antike in Silos, weil sie die Körperbewegung des Zeigens und die Interaktion mit dem Betrachter durch das aus dem Bildrahmen-Treten vollführt, was sich bei dem Bronzekopf ausschließlich über den Blick mitteilen musste. Gleich bleibt aber bei beiden der Umschwung in das dämonisch-idolhafte einer Luxuria, die in dieser Form keine überzeugende visuelle Abschreckung vor Überfluss und verschwenderischer Prasssucht bieten konnte, sondern in ihrem zuviel an Körperlichkeit vielmehr die Verführung selbst inkarnierte.

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Von Sant iago nac h Sai nt-Ser n i n u nd z u r üc k – A nt i kenseh nsuc ht u nd Rel iqu ieng laub en

Heute im rechten oberen Gewände des östlichen Platerías-Portal von Santiago angebracht, reitet auf der Reliefplatte eine Frau auf einem Mischwesen (Bild 165), weshalb sich ein Vergleich mit den dämonischen, vollplastischen Katzenreiterinnen der Chorkapellen (Bild 8) aufdrängt.37 Das berittene Mischwesen des Reliefs besteht vor allem aus Elementen eines Hahns, dessen Kamm mächtig angeschwollen ist und in Schlangenköpfchen endet. Das Schwanzgefieder fächert nicht auf, sondern schneckt sich ebenfalls schlangenartig ein. Es scheint sich um eine erneute Mutation des Basilisken, des Königs der Schlangen in Hahnenform, zu handeln; dieser, der allein durch seinen Blick töten kann, wird durch die starre, dunkel intarsierte Pupille hervorgehoben. Die Frau sitzt nur scheinbar mit leicht gespreizten Beinen über dem Hals des im Profil stehenden Basilisken; tatsächlich schwebt sie im Dreiviertelprofil gegeben schräg über ihm, ohne seinen Leib mit den Beinen zu berühren. Mit den Fingerspitzen 37

Vgl. Durliat: La sculpture romane (a. a. O.), S. 349.

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greift sie tastend den Kopf des Mischwesens. Ihr Blick ist nach schräg oben gerichtet; das Manteltuch hinter ihrem Rücken steht wie von einem unsichtbaren Drahtgestell gehalten horizontal ab, wobei das Tuchende in einer wie gefroren starr wirkenden Omegafalte endet, wie sie als Ornament auf einem aufgelegten Grat ihres Oberarmes wiederkehrt. Ihr Halsausschnitt ist durch halbkreisförmige Stoffringe betont. Das Kopftuch, dessen Rippen in dicken kielbogigen Wülsten übereinander angeordnet sind, läuft nicht hinter dem Kopf zusammen, sondern steht ebenfalls der Schwerkraft hohnsprechend horizontal ab. Hinter dem Kopf der Frau schlängelt sich mit spitz zulaufendem Hundekopf sowie Schlappohren ein Mischwesen, das sein Maul links ihres Kopfes aufsperrt. Erneut hat die Rippenkappe von Silos ihre Gestalt gewandelt,

Bild 165 Santiago de Compostela, Kathedrale, rechtes Platerías-Portal: Frau auf Mischwesen. Bild 165a Santiago de Compostela, Kathedrale, rechtes Platerías-Portal: Frau mit Löwen.

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wobei sie auf dem Kopf der Santiago-Hahnenreiterin in Form der sich auflösenden Tuchbinden die stärkste Transformation erfährt. Für die Frau, die durch das schwebende Reiten auf einem Mischwesen, durch den hundsköpfigen Drachen als Begleiter sowie durch die sich auflösenden Bänder als hexenhafte Dämonin gekennzeichnet ist, wählt der Bildhauer mit großer Stilsicherheit den in seiner antiken Ambivalenz zwischen dämonisierter Venus und verehrter Maria schwebenden Silos-Kopf. Eine weitere, diesmal lebensgroße Frau mit einem Löwen im Schoß (Bild 165a) thront heute mit überkreuzten Beinen exakt über der Basiliskenreiterin. Dass Relief der Löwenhalterin, die sich fast vollplastisch von dem Reliefgrund löst, mit dem sie nur noch über die anscheinend klatschnass nach hinten ziehenden Tücher über ihrem Kopf verbunden scheint, ist stark auf Untersicht gearbeitet. Indem der Betrachter ihr fleischiges Kinn in ganzer Breite von unten sieht, wirkt es so plastisch wie eine isoliert aus dem Gesicht schwellende Kugel, ebenso wie die konturiert abgesetzten Wangen aufgedunsen nach Außen zu wachsen scheinen. In diese wie Hefeteig aufgegangenen Gesichtsteile sind kleine kugelige Augen wie Rosinen eingedrückt. Als Konterpart auf dem Oberkörper drückt sich auch die rechte Brust der Löwenhalterin deutlich durch den hauchdünnen Stoff, weil an dieser Stelle das schwerere Tuch des Übergewandes wie ein aufgezogener Vorhang sich unterhalb der Schulterfibel in zwei Teilen um die Brust schmiegt. Angesichts dieser überzüchtet wirkenden Fleischlichkeit, welche die geometrisierende Formenaufspaltung des Silos-Kopfes ins Extrem steigert,38 hat Moralejo Álvarez den richtigen Verdacht ausgesprochen. Derartige Gesichter müssten ihm zufolge neben den dämonischen Köpfen der Furien des Orestessarkophages noch von weiteren antiken Modellen mit fülligeren Gesichtern beeinflusst sein. Bedauerlicherweise hat der spanische Forscher diese Spur nicht mehr weiter verfolgen oder 38

Adolph Goldschmidt hat in seinem epochalen Vortrag „Die Bedeutung der Formenspaltung in der Kunstentwicklung“ (Später separat veröffentlicht als: Adolph Goldschmidt: Die Bedeutung der Formenspaltung in der Kunstentwicklung. A Paper Delivered at the Harvard Tercentenary Conference of Arts and Sciences, Cambridge/MA 1937) in der Preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin als Erster auf das Phänomen der spätantiken Übersteigerung von Formen beispielsweise in dem Lesbischen Cyma des Theoderichmausoleums in Ravenna aufmerksam gemacht. Der von ihm für diese Erscheinung geprägte Begriff der Formenspaltung könnte durch die Theorien zur Kernspaltung von Max Planck beeinflusst sein, der laut Goldschmidt in seinen Lebenserinnerungen nicht nur aufmerksamer Zuhörer des Vortrags war, sondern – als Akademiedirektor eng mit dem Kunsthistoriker befreundet – wiederholt mit ihm Albert Einsteins Theorien diskutierte. Vgl. Roosen-Runge-Mollwo (Hg.): Adolph Goldschmidt (a. a. O.), S. 308f. Die zentrale Idee von Goldschmidts Vortrag mag zugleich den Goldschmidt-Schüler Erwin Panofsky zu seiner Formel der Formaufspaltung im „Principle of disjunction“ angeregt haben.

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belegen können.39 Mit dem Bronzekopf von Silos stand in einem der wichtigsten Klöster Nordspaniens ein solches Modell zur Verfügung, das sanktifiziert durch die unumstrittene Autorität des Heiligen Domingo, in dessen Kirchenschatz es eingebettet war, zur Rezeption geradezu aufforderte. Dazu kommt die Büste eines jungen Mannes in leichtem Dreiviertelprofil (Bild 166a), die heute völlig isoliert in den Grund des linken PlateríasTympanons (Bild 166) eingesetzt ist. Der kastenförmige Halsausschnitt steht in auffälligem Kontrast zu den weich modellierten Gesichtszügen mit einem fleischigen Doppelkinn und abgeflachter, heute zudem teils mutilierter Nase, die er mit dem Bronzekopf aus Silos teilt. Auch seine Haare beginnen mit dem charakteristischen Kielbogen, der aber diesmal nicht über die Ohren nach unten, sondern wie ein Bügel nach hinten um den Kopf herum geführt wird. Von diesem Bügelwulst hängen teigig geschwungene Haarsträhnen herab, die in kleinen Voluten enden. Dieser elegante Schwung der Strähnen wird von dem wulstigen Außenknorpel des übergroßen Ohres aufgenommen, das wie eine applizierte Metalltreibarbeit wirkt. Diese stößt mit dem oberen Ende des C-Bogens wie eine Sonde in den Gehörgang, wobei sich eine Ohrfalte darüber staucht. Nach oben schließen abgeflachte, extrem breite Rippen den Kopf kappenartig ab. Nicht zuletzt durch ihre heraushebende Freistellung im Tympanon nach dem Jahr 1117 wirkt die Büste extrem antikisch, gleichsam wie ein männliches Pendant zu dem Kopf aus Silos. Große Ähnlichkeit zeigt der Gerüstete zu dem Erzengel auf dem Santiago-Kapitell in Jaca (Bild 160) nicht nur wegen der in Santiago vielleicht mutilierten Büstenform, sondern auch wegen der stark zu vermutenden gemeinsamen Prägung durch die allenthalben gerundete Körperlichkeit des Kopfes aus Silos. Wohl in Anbetracht seiner deutlichen Profilausrichtung nach rechts und angesichts des an das voyeuristische grenzenden Blickes hat Ole Naesgaard den Mann als Ehemann der ehebrecherischen Frau mit dem Totenschädel im Schoß identifiziert (Bild 166b), die auf der Reliefplatte am rechten Rand des westlichen Tympanons der Puerta de las Platerías thront.40 Die Platte ist augenscheinlich nicht für diese Stelle bestimmt gewesen, denn der rechte Rand des Reliefs ist abgearbeitet worden, um es der Krümmung des Bogenfeldes einzu39

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„Although the antecedents for these facial types apparently were figures on capitals in Frómista […] and Jaca […] their formulation in Compostela and Toulouse seems to have been enriched by knowledge of ancient models with fuller faces, particularly those from the Dionysic repertoire.“ Vgl. Moralejo Álvarez: Two Capitals (a. a. O.), S. 211. Sicher auch, weil Naesgaard um das Fehlen einer Skulptur des gehörnten Ehemannes für die Frau mit Schädel als Ehebrecherin wusste und verstärkt durch die Rüstung des Mannes, die ihn als Soldat häufig fern von zuhause sein lässt, lag für ihn die Identifizierung „présumée de son mari“ nahe; vgl. Ole Naesgaard: Saint-Jacques de Compostelle et les débuts de la grande sculpture vers 1100, Aarhus 1962, S. 75.

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passen. Die Frau sitzt auf einem Faldistorium, aus dessen Armlehnen Löwenköpfe wachsen. Über ihre linke Schulter schwingt ein Manteltuch hinter dem Arm nach vorne über den Schoß, das ihren ansonsten nackten Körper allerdings eher betont anstatt ihn zu verhüllen. Ihre rechte Brust und ihr linkes Bein bietet sie völlig entblößt dar, ihr rechter Arm ist auffällig fleischig. Die Füße hat sie schräg auf breite, sich überlappende Dachschindeln gestellt, wie sie in Santiago häufig als Suppedaneum dienen. Das Schienbein ist mit größter Sorgfalt gearbeitet, so dass Kniegelenke, Knöchel sowie Schienbeingrat deutlich artikuliert sind. Ihr langes Haar fällt offen in kaum zu bändigenden, übereinander liegenden und ineinander verwobenen Strähnen über die Schulter. Die Wangen des Gesichtes wirken aufgeplustert, die flache Nase ähnlich breit wie die des Siloskopfes (Bild 157a), von dem auch die aufgerissenen Augen entlehnt scheinen. Der Pilgerführer beschreibt die Frau wie folgt: „Es darf nicht in Vergessenheit geraten, dass eine Frau neben der Versuchung des Herrn steht; sie hält in ihren Händen das stinkende Haupt ihres Versuchers, das von ihrem eigenen Ehemann abgeschlagen wurde; zweimal am Tag küsst sie jenes Haupt, von ihrem Mann dazu gezwungen. Oh welch ungeheure und bewundernswerte Gerechtigkeit für die ehebrecherische Frau; man sollte sie allen erzählen!“41 Die lebensgroße Ehebrecherin nimmt mit der ausgeprägten Leiblichkeit zwischen Enthüllen und Verhüllen sowie den lockenden Haaren bereits körperlich Motive einer antiken Venus-Darstellung auf. Erst recht aber ist mit den Gesichtszügen des Siloskopfes, der dem Pilger von Toulouse und Jaca über León allenthalben in Gestalt verführerisch schöner Frauen am Pilgerweg begegnete, das Urbild einer Versucherin aufgerufen. In ihrer monumentalen Faszinationskraft hatte diese schöne Monstrosität jenseits der Pyrenäen ein nahezu gleich großes Spiegelbild im aquitanischen Saint-Sernin de Toulouse. Über einer Krypta mit dem Reliquienschrein des Märtyrers, der auf den Stufen des römischen Kapitols von Toulouse durch einen Stier zu Tode geschleift wurde, wird ab 1076 bis 1118 auf Portalhöhe mit Saint-Sernin eine der gewaltigsten Kirchen des Santiago-Weges nahezu ausschließlich mit Pilgermitteln errichtet. Extra muros wird der Sakralbau inmitten der ovalen, ehemaligen Zirkusarena des römischen Tolosa aufgeführt, wie heute noch aus der Luft gut zu erkennen ist (Bild 167). Die gesamte Kirche ist nach dem Vorbild antiker Großbauten aus römisch-flachen Ziegelsteinformaten mit Haustein-Orthgliederung gefügt, was – wie die vollständig aus Haustein errichtete Toulousaner Kathedrale Saint-Etienne erweist – nicht allein in einem topographischen Mangel an Stein begründet liegt. Vielmehr gibt die Pilgerbasilika Saint-Sernin damit bereits im Äußeren vor, ein antiker Monu-

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Vgl. Herbers: Der Jakobsweg (a. a. O.), S. 169.

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Bild 166 Santiago de Compostela, Kathedrale, linkes Platerías-Portal: Tympanon. Bild 166a Santiago de Compostela, Kathedrale, linkes Platerías-Portal, Tympanon: Büste. Bild 166b Santiago de Compostela, Kathedrale, linkes Platerías-Portal, Tympanon: Frau mit Schädel.

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V. GESCHMACK – STIL UND RELIQUIEN

Bild 167

Toulouse, Saint-Sernin: Luftaufnahme.

mentalbau zu sein, wie er von den zahllosen ziegelsteinernen römischen Gebäuden wohlvertraut war, deren Marmorinkrustationen meist verloren gegangen waren, die aber noch aufrecht standen. Zwei mächtige Portalanlagen in Form römischer Triumphbögen und Stadttore betonen bei der sogenannten Porte Miègeville auf der Südseite zudem die vorrangige Pilgerführung über den ehemaligen römischen Decumanus maximus aus der Stadt heraus zur Kirche Saint-Sernin. An der Porte des Comtes am südlichen Querhausarm lassen sich die Grafen von Toulouse in wiederverwendeten antiken Sarkophagen beisetzen, alles unter dem Schutz des Heiligen Saturninus. Ursprünglich über die gesamte Fläche des Westportals verteilt, befanden sich dort über-

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ANTIKENSEHNSUCHT UND RELIQUIENGLAUBEN

Bild 168 Toulouse, Saint-Sernin: Westportal.

lebensgroße Marmorreliefs mit Wundertaten des Heiligen, die heute im Augustinermuseum der Stadt bewahrt werden (Bild 168).42 Auf einem davon (Bild 169) mit einer Höhe von gut zwei Metern sind zwei Frauen zu sehen, die einen Löwen und einen Widder auf ihrem Schoß halten.43 Dieses nach der lateinischen Inschrift über der linken Figur meist SIGNVM LEONIS, SIGNVM ARIETIS, also „Sternzeichen des Löwen und 42 43

David W. Scott: A Restoration of the West Portal Relief Decoration of Saint-Sernin of Toulouse, in: The Art Bulletin 46,3 (1964), S. 271–282. Vgl. Cazes: Saint-Sernin de Toulouse (a. a. O.), S. 287.

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Bild 169 Toulouse, SaintSernin, Relief des ehem. Westportals: Signum Leonis et Arietis.

des Widders“ genannte Relief behauptet des weiteren inschriftlich, aus der Zeit des Julius Caesar – und damit bei der Unschärfe der damaligen Komputistik und des Bewusstseins für Zeit – aus der Ära Christi selbst zu stammen: HOC FVIT FACTUM [ES]T TEMPORE IULII C[A]ESARIS; „dies wurde zur Zeit Julius Caesars gefertigt“. Das Relief gibt vor, gute tausend Jahre älter zu sein als es eigentlich ist, womit es für sich und die gesamte Kirche SaintSernin die Altehrwürdigkeit und Ehrerbietung reklamiert, die es offenbar begründetermaßen dafür erwarten durfte.44 44

Die Legende um die zwei weiblichen Gestalten überliefert Nicolaus Bertrand, De Tolos. Gestis, fol. 56: „In Schriften des Heiligen Hieronymus findet man, dass zu Zeiten Julius Cäsars drei Zeichen in verschiedenen Teilen der Welt geschahen: das erste in Rom. Eine Fontäne von Öl sprang plötzlich auf und ergoß sich in den Tiber, wie man glaubt, ein Hinweis auf das heilige Sakrament der Taufe. Das zweite: zu Jerusalem war ein Regen von Blut und Wasser, der drei Tage dauerte, die Passion

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ANTIKENSEHNSUCHT UND RELIQUIENGLAUBEN

Dass diese bei einem Kirchenneubau einigermaßen dreiste Umdatierung dieser gefälschten Spolie dennoch bereitwillig geglaubt wurde, liegt nicht allein an der grundsätzlichen Glaubensbereitschaft der mirakelhungrigen Pilger, sondern vor allem am denkbar antikischen Stil mit den individualisierten Gesichtern, deren linkes vom kräftigen Biss des Löwen in den Arm schmerverzerrt ist. Es ist davon auszugehen, dass den Pilgern die Viten und Wundertaten der jeweiligen Heiligen am Weg nicht nur durch schriftliche Pilgerführer wie dem Codex Calixtinus von 1134 vermittelt wurden, der beispielsweise Saint-Sernin in Toulouse für Pilger bündig eine absolut „unerlässliche Etappe“ nennt.45 Die Alleinstellungsmerkmale des jeweiligen Heiligen dürften auch in speziellen Führungen für die Pilger angesichts der eindrücklichen, großformatigen Reliefs veranschaulicht worden sein. In den Umschreibungen der Viten Saint-Sernins ist exemplarisch nachzuverfolgen, wie Saturninus ohne Skrupel durch die umtriebigen Kleriker der Kirche – und vielleicht angetrieben durch die legitimationssüchtigen Grafen von Toulouse – von seiner realen Lebenszeit im dritten nachchristlichen Jahrhundert in die Zeit Christi rückdatiert und zu einer Art 13. Apostel stilisiert wurde. Bereits in der zweiten Vita Sancti Saturnini, der sogenannten Passio B aus der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts,46 wird Saturninus als ein Jünger bezeichnet, der bei allen wichtigen Wundern Christi dabei war, weil er diesem als Gefährte des Täufers Johannes seit Christi Taufe im Jordan folgte. Zudem treibt er der Tochter des römischen Statthalters Antonius’ Dämonen aus und heilt Quiriace, die Frau des Senators, was auf einem der monumentalen Westportalreliefs im Augustinermuseum zu sehen ist. Die um das Jahr 900 entstandene Passio C,47 die der Erzbischof der spanischen Diözese Auch für die unter seiner Jurisdiktion stehenden Kirchen in Navarra in Auftrag gibt, preist ihn als einen „wahrhaftigen“ Jünger Christi, und zwar einen der allerersten: „Der Herr wählte zwölf Jünger, die er Apostel nannte, und zweiundsiebzig andere, deren hervorstechender Saturninus war.“48

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des Kreuzes symbolisierend. Das dritte in der Stadt Toulouse: zwei Frauen hatten zwei Töchter, von denen eine einen Löwen, eine ein Lamm zur Welt brachte. Das bedeutet, das am Tage des Gerichts der Herr erscheinen wird wie ein furchtbarer Löwe gegen die Verdammten und wie ein friedliches Lamm gegen die Gerechten. Diese beiden Figuren sind in den Skulpturen neben dem Eingang von Saint-Sernin in Toulouse dargestellt.“ Zitiert nach Hamann: Kunst und Askese (a. a. O.), S. 83. Im 5. Buch des Codex Calixtinus: Vgl. Herbers/Plötz: Nach Santiago (a. a. O.), S. 35. Paris, Bibliothèque Nationale, lat. 17002, fol. 182v–185r, wahrscheinlich aus Moissac stammend. Vgl. Krüger: Südfranzösische Lokalheilige (a. a. O.), S. 275ff. Paris, Bibliothèque Nationale, lat. 5343, fol. 138r–139v. „Elegitque dominus duodecim discipulos quos vocavit apostolos ac septuaginta duos alios, quorum prior Saturninus fuit.“ Zitiert nach Krüger: Südfranzösische Lokalheilige (a. a. O.), S. 363.

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Er sei bereits bei der Brotvermehrung dabei gewesen: „Einer aber, der die Brote verteilte, war der athletische Saturninus.“ Ebenso wie er nach der Auferstehung Christi am See Genezareth anwesend war: „Auch an diesem Ort war der selige Saturninus einer der Zwölf. […] Ganz besonders hat der Herr den Heiligen Saturninus geliebt, weil er ihm als erster von den 70 nachgefolgt war.“49 Das Wichtigste aus Sicht der Pilger in Toulouse war allerdings, dass Saturninus beim Thomaszweifel von Christus selbst die Macht, Sünden zu vergeben, erteilt bekommen habe. Damit wird er als vollgültiger, christusgleicher Fürsprecher propagiert.50 Schließlich wird er von Petrus noch zur Mission nach Gallien und Spanien gesandt, bekehrt allein in Pamplona der Legende nach 40.000 Menschen, und erleidet nur 36 Jahre nach dem Tod Christi selbst die Passion. Durch diese „Christo-Conformitas“ wird die Lebensgeschichte des Heiligen, wie sie den Pilgern in Toulouse unterbreitet wurde, mit der Heilsgeschichte Christi synchronisiert. Mit diesen interessengeleiteten Geschichtsklitterungen geht ein massiver Reputationsgewinn einher. Von einem relativ unbekannten Lokalheiligen steigt Saturninus zum nobilitierten Apostel Galliens wie auch eines großen Teils Spaniens auf. Neben der Generierung eines pseudo-antikischen Gesamtkunstwerks in der Architektursprache Saint-Sernins, der Lebensnähe und Monumentalität der Reliefs, in antikem Material und im Stil kommt ein weiterer Faktor dazu, der bisher in der Literatur nahezu völlig außer Acht gelassen wurde: die Reliquien- und Schatzkunst. Sehr häufig werden die kostbaren Reliquiar-Hüllen um die Überreste der Heiligen mit antiken Gemmen und Kameen angereichert, deren Deutungsbreite sich in der Forschung von einer zweckorientierten Nutzung durch eine Interpretatio christiana, wie im Fall des Lotharkreuzes, der Basler Kopfgemme oder dem Ptolemäerkameo auf dem Kölner Dreikönigsschrein beispielsweise, bis zur ästhetischen Wertschätzung der unerreichten Kunstfertigkeit der Antiken spannt.51 In Saint-Sernin werden die Reliquien 49

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„Sed unus qui deferabat cibos hic erat athleta Saturninus. […] Hoc in loco beatus Saturninus unus de duobus fuit. […] In omnibus his fuit beatus Saturninus eo quod diligeret eum dominus valde eo quod prior ipse de septuaginta secutus esset eum.“ Paris, Bibliothèque Nationale, lat. 5343, fol. 138v; zitiert nach Krüger: Südfranzösische Lokalheilige (a. a. O.), S. 363. „Potestatem accepit peccata dimittere atque retinere sicut et alii.“ Zitiert nach Krüger: Südfranzösische Lokalheilige (a. a. O.), S. 363. Selbst Peter Paul Rubens, der einen Abguss der Gemme besaß und dessen Sohn Albert als Antiquar seine berühmt gewordene Dissertation über die Gemma Augustea verfasste, nahm die im unteren Register geschilderte Aufrichtung eines Tropaion-Waffenbaumes als direkte Vorlage für eines seiner bedeutendsten Bilder – der Antwerpener Kreuzaufrichtung mit ihrer auffälligen Komposition aus stürzenden Linien; vgl. Alberti Rubeni Dissertatio de Gemma Augustea (Monumenta artis Romanae 9), hg. v. Heinz Kähler, Berlin 1968. Daher kann man davon ausgehen, dass die Szenerie der Gemme von Betrachtern des elften und zwölften Jahr-

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ANTIKENSEHNSUCHT UND RELIQUIENGLAUBEN

Bild 170a Toulouse, Saint-Sernin, Chorumgang: Fenestellae zur Schatzkammer in der Krypta. Bild 170b

Toulouse, Saint-Sernin, Schatzkammer: Grundriss.

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Bild 170c

Toulouse, Saint-Sernin, Schatzkammer: Zentrale Spoliensäule.

eingebettet in ein Ambiente antiker Prachtentfaltung. Das gesamte Gewölbe der Reliquienkammer unter dem auf dem Chorumgang mit seinen Fenestellae aufgesockelten Hauptaltar (Bild 170a–c) ruht, darin dem auf zwei antiken Marmorsäulen sich stützenden Panteón in San Isidoro de León (Bild 170d) ähnlich, auf einem umgearbeiteten, antiken Spolienpfeiler. In diesem umfangreichen Kirchenschatz, direkt benachbart zu den Reliquien des Heiligen Saturninus und denjenigen von insgesamt sechs Aposteln, wurde in einem ehrfurchtgebietenden Rahmen eine der bedeutendsten kaiserlichen Kameen

hunderts nicht ungedeutet blieb. Vermutlich wurde das Tropaion schon damals als von römischen Legionären aufgerichtetes Kreuz gesehen, die daneben kauernden, gefesselten Barbaren als Schächer und der im Register darüber Thronende als auferstandener Christus mit der Seitenwunde am entblößten Oberkörper, flankiert von der Himmelskönigin Maria mit ungewöhnlicher Bekrönung, umgeben von Ritter-Heiligen in Rüstung oder dem Propheten Eliah, der vom feurigen Wagen absteigt.

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ANTIKENSEHNSUCHT UND RELIQUIENGLAUBEN

der Antike überhaupt präsentiert: die sogenannte Gemma Augustea (Bild 171) mit Kaiser Augustus im Zentrum, mit freiem Oberkörper thronend, mit dem vom Triumphwagen steigenden Feldherren Tiberius nach seinem Sieg über die Pannonier und Dalmater am 16. Januar des Jahres 27 vor Christus und dem ebenfalls als Feldherrn gezeigten Germanicus.52

Bild 170d León, San Isidoro, Panteón de los Reyes: Spoliensäulen.

Die Frage, warum im Zentrum einer Reliquiensammlung nachweislich spätestens seit 1246 bis 1533,53 wahrscheinlich aber bereits seit dem elften Jahrhundert, eine der drei bedeutendsten Gemmen der Antike ohne „funktio52 53

19 cm hoch, 23 cm breit, 1,4–3,5 cm tief, aus einem einzigen Onyx geschnitten. Heute bildet die Gemma Augustea eines der Hauptstücke des Kunsthistorischen Museums in Wien. Die erste gesicherte Nennung im „Inventaire de Saint-Sernin“, Nr. 29 vom 14. 9. 1246 lautet: „In sacrastania est quidam lapis preciosus qui vocatur cammaheu“; „in der Sakristei befindet sich ein bestimmter kostbarer Stein, der Cameo genannt wird.“ Aus dem Datum der Nennung gegen Ende der Eroberung und Plünderungsphase von Konstantinopel durch westliche, v. a. französische Kreuzfahrerheere von 1206–1264, schlossen viele Forscher kurzerhand, dass es sich wie bei den meisten außerordentlich kostbaren Reliquien in westlichen Kirchenschätzen auch hier um Beutekunst aus Byzanz handeln müsse. Der französische König Franz I. erzwingt die Herausgabe aus dem Kirchenschatz und verleibt die Gemma Augustea seinem Cabinet du Roi in Fontainebleau ein. Zuvor hatte im Jahr 1470 Papst Paul II. angeboten, als Gegenleistung für die Gemma Augustea eine komplette Brücke über die Garonne zu bauen.

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V. GESCHMACK – STIL UND RELIQUIEN

Bild 171 Ehemals Toulouse, Saint-Sernin, Schatzkammer: Gemma Augustea.

nale“ Einfügung in ein Reliquiar für sich als Kunstwerk um des Kunstwertes willen präsentiert wurde, hätte sich längst aufdrängen müssen. Eine verbreitete mittelalterliche Legende in Toulouse besagt, dass Kaiser Karl der Große selbst die Gemma auf der Brust getragen habe.54 Zuvor soll er persönlich den Stein von „unschätzbarem Wert“55 aus Jerusalem nach Toulouse gebracht und der dortigen Reliquiensammlung vermacht haben. Bis in Christi Zeit sei er in Jerusalem aufbewahrt worden, wo er während der Kreuzigung, als der Vorhang im Tempel zerriß und auch andere Steine zerbarsten, in zwei Teile zersprungen sei, wodurch selbst der offensichtliche Sprung in der Onyx-Scheibe in eine christologische Erklärung eingebettet wurde, was den Stein selbst zu einem direkten Passionszeugen werden ließ. Da sich die Gemma Augustea als Teil des kaiserlich-römischen Schatzes seit Konstantin historisch nur in Konstantinopel befunden haben kann, ist noch eine früherer Weg nach Toulouse möglich. 54

55

Derartige Karls-Topoi durchziehen das gesamte Mittelalter, weil Karl zu den hochverehrten Viri illustri zählte, den Neun Guten Helden zählte, von denen jeweils drei der Antike (Hektor, Alexander der Große, Caesar), dem Judentum (König David, Joshua, Judas Maccabäus) und dem Christentum (Karl der Große, König Arthur sowie der Kreuzfahrer Gottfried von Bouillon) zugeordnet wurden. Vgl. die Wertung im „Inventaire de Saint-Sernin“, Nr. 29 vom 14. 9. 1246: „[…] Lapis preciosus qui vocatur cammaheu.“

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ANTIKENSEHNSUCHT UND RELIQUIENGLAUBEN

Seit dem dritten Viertel des elften Jahrhunderts waren die Beziehungen zwischen Raymund von Saint-Gilles, dem mächtigen Herzog von Toulouse und dem byzantinischen Kaiser Alexis denkbar eng. Der Briefwechsel zwischen beiden ist – ein seltenener historischer Glücksfall – nahezu vollständig erhalten. Herzog Raymund leistete dem bedrängten komnenischen Kaiser von Byzanz bedeutende Waffenhilfe. Eine populäre Überlieferung der Zeit in Toulouse will daher wissen, dass Herzog Raymund die Gemma Augustea als Belohnung zusammen mit den Reliquien von nicht weniger als sechs Aposteln von Byzanz nach Toulouse transloziert habe, sie sich also bereits Ende des elften Jahrhunderts dort befunden haben könnte. In genau dieser Zeit wurde das gigantische Bauunterfangen der Basilika von Saint-Sernin durch Herzog Raymund unternommen, der sich am Grafenportal der Kirche, der Porte des Comtes am Südquerhaus, das heißt nahe ad sanctos bestatten ließ. Als erstes wurde die Krypta der Kirche vollendet. In ihr wurden die hochverehrten Apostelreliquien aufbewahrt und gezeigt, die wie ein Magnet immer weitere Pilgerscharen anzogen. Mit deren Geldern konnte die Kirche um den gebauten Reliquienschrein der Krypta herum in atemberaubend kurzer Zeit hochgemauert werden. Mit diesem offensichtlich nicht der eigenen Zeit entstammenden, weil mit deren Mitteln nicht herzustellendem Kunstwerk sowie den christuszeitlichen Apostelreliquien wird eine durchgängig antike Hintergrundfolie für den als christuszeitlichen Heiligen propagierten Saturnin geschaffen. Die Gemma Augustea wird in diesem Kontext nicht nur unverzichtbarer Bestandteil der Antikisierungs-Strategie für Saturninus innerhalb des Reliquienschatzes, sie wird selbst zur Reliquie, da sie aus der Ära Christi zu stammen schien. Vielleicht wurde in der Aufrichtung des Trophäenstamms durch römische Legionäre nach Art einer Interpretatio christiana die Aufrichtung des Kreuzesstammes gesehen. Sicher wurde das auratische Juwel gleichsam als autorisiertes Beweisstück für Saturnins Christusnähe eng an dessen Reliquien herangerückt, da Christus die antike Gemme potentiell berührt haben konnte. Die Gemma Augustea wurde zur Primär-Reliquie, damit von ihrem Status so bedeutend wie der Kelch des Letzten Abendmahls, der darüber hinaus das Blut Christi aus der Seitenwunde aufgefangen haben soll und dessen Besitz – wie gesehen – allein in Spanien mehrere Kirchen für sich reklamieren. Nicht weniger als acht Kapitelle in Saint-Sernin zeigen einen besonders auffälligen Greifen, der sein Vorbild offensichtlich in dem antiken Capricornus der Gemma Augustea als Geburtszeichen des Augustus (Bild 172) mit dem Fischschwanz hat, der sich vor seiner abschließenden Aufgabelung zusätzlich schlangenhaft in einer markanten Volute ringelt. Weil der Capricornus der Gemme vor einer strahlenden Sonne über den Himmel zog, konnte er trotz seines Steinbockanteils offenbar mit dem flugfähigen Greif assoziativ

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V. GESCHMACK – STIL UND RELIQUIEN

Bild 172 Ehemals Toulouse, Saint-Sernin, Schatzkammer, Gemma Augustea: Capricorn. Bild 172a Toulouse, Saint-Sernin, Porte des Comtes: Greifenkapitell.

verbunden werden. Die acht Greifenkapitelle der Kirche finden sich insbesondere im Chorumgangsbereich sowie der Süd- und Nordquerhausempore.56 Ein Emporenkapitell zeigt einen an der Ecke sitzenden Mann mit quadratischem Halsausschnitt (Bild 172b), über dessen Kopf zwei Drachengreife mit dolchscharfen Zähnen in den noch nicht aufgerissenen Mäulern wie Damoklesschwerter schweben.57 Obwohl er darin dem durch greifenartige Untiere Bedrohten auf einem Kapitell (Bild 172a) des ältesten Teils der Basilika, dem Südquerhausportal der Porte des Comtes, sowie den Männern auf einem Südquerhauskapitell (Bild 172c), gleicht, scheint er durch seine aberwitzig vergrößerten Hände, mit denen er die Greifen fest am mit Rauten ornamentierten Hals gepackt hält, noch Herr der Lage zu sein. Die Greifenschwänze enden wiederum in drei, sich in unterschiedliche Richtungen ausschneckenden Voluten, ähnlich der Schneckung des Gemma-Capricornus. Auf einem Doppelkapitell der Südquerhausempore (Bild 172d) halten zwei antithetisch gestellte Greifen der Stirnseite in ihren scharfen Fängen je einen abgerissenen Menschenkopf an der Ecke.58 Von einem weiteren Emporenkapitell des Nordquerhauses mit identischer Darstellung (Bild 172e) ist es beinahe nur dadurch zu unterscheiden, dass die Ornamentik des Kämpfers jeweils differiert.59 Die Invasion der Greifen in Toulouse kulminiert darin, dass selbst zwei Erzengel aus der Gelduinus-Werkstatt mit den charakteristischen, 56 57 58 59

Vgl. Cazes: Saint-Sernin de Toulouse (a. a. O.), S. 162ff. Vgl. Durliat: Les débuts (a. a. O.), Abb. 13. Vgl. Cazes: Saint-Sernin (a. a. O.), S. 157. Vgl. ebd., S. 156.

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ANTIKENSEHNSUCHT UND RELIQUIENGLAUBEN

Bild 172b

Toulouse, Saint-Sernin, Südquerhaus: Greifenkapitell.

Bild 172c Toulouse, Saint-Sernin, Südquerhaus: Greifenkapitell.

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V. GESCHMACK – STIL UND RELIQUIEN

Bild 172d Toulouse, Saint-Sernin, Südquerhausempore: Greifenkapitell. Bild 172e Toulouse, Saint-Sernin, Nordquerhausempore: Greifenkapitell.

von Schindeln bedeckten Flügeln in Saint-Sernin nicht wie üblich ihre Lanzen in die Schlünde von Lindwürmern rammen (Bild 172f), sondern gegen den Gemma-Capricornus kämpfen.60 Dessen Leib ist hier besonders aufwendig in drei unterschiedliche Oberflächenstrukturen gegliedert. Der obere Teil wird von rautenförmigen Schuppen bedeckt; in den sich einschneckenden Leib sind Riefelungen in Fischgrätform eingekerbt; in den aalig glatt wirkenden 60

Vgl. ebd., S. 137.

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ANTIKENSEHNSUCHT UND RELIQUIENGLAUBEN

Bild 172f Toulouse, Saint-Sernin, Langhausempore: Greifenkapitell. Bild 173a

Toulouse, Saint-Sernin, ehem. Empore: Greifenkapitell.

Bild 173b Loarre, San Pedro, Fenster der Unterkirche: Greifenkapitell.

Schwanz mit den drei kleinen Voluten am Ende schließlich sind zahlreiche kleine Löcher eingebohrt. Am Klarsten zeigte sich, dass diese Sonderform der Toulousaner Greifen, die auf einem Volutenschweif stehen, wohl durch den Capricornus der Gemme geprägt war, auf einem heute nicht mehr in situ erhaltenen Emporenkapitell (Bild 173a). Neben der charakteristischen Volute sind hier zusätzlich

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V. GESCHMACK – STIL UND RELIQUIEN

Bild 174 Loarre, San Pedro: Blick in den Chor.

die zotteligen Mähnenhaare des Capricornus (Bild 172) zitiert, die für ein Vogelwesen wie den Greif absolut ungewöhnlich ist. Dass auch dieses Motiv wie schon die Stilmerkmale des Siloskopfes oder die antikische GelduinusStilistik westlich und östlich der Pyrenäen entlang des Pilgerweges wandert, findet seinen Beleg überraschend in der nur wenige Kilometer von Jaca gelegenen Burgkirche von Loarre. In dem rechten der drei schießschartenschmalen Fenster der Unterkirche erscheint ein Zitat des mutilierten Greifenkapitells aus Toulouse. Den Hals des etwas massigeren Greifen (Bild 173b), der die Kapitellseite fast vollständig füllt und mit seinen Fängen eine Kugel an der Kapitellecke umgreift, bedecken ebenfalls sich einschneckende Fellzotteln. Dies bleibt nicht der einzige Motivaustausch zwischen Saint-Sernin de Toulouse und San Pedro de Loarre: Auf einem Arkadenkapitell in der Mitte des mächtigen Chors der Burgkirche (Bild 174) beißen Schlangendrachen mit Volutenschwanz und zusammengewachsenen Köpfen ähnlich wie auf dem Porte des Comtes-Kapitell (Bild 172b) in die Häupter zweier jeweils an den Kapitellecken stehender, bärtiger Männer (Bild 175), die sich mit erhobenen Händen

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ANTIKENSEHNSUCHT UND RELIQUIENGLAUBEN

Bild 175 Loarre, San Pedro, Chorarkadenkapitell: Mann mit Schlangen.

der von Eckfiguren über sie gehaltenen Untiere zu erwehren suchen. Die neben den zahlreichen Dämonien vielleicht unheimlichste Bildfindung in Toulouse ist ein von der Gelduinuswerkstatt gefertigter Vierungspfeiler-Kämpferfries aus geflügelten Engelsköpfen (Bild 176a), die mit den tief umrandeten Augen

Bild 176a Toulouse, Saint-Sernin, Vierungspfeiler: Engelskopffries. Bild 176b Loarre, San Pedro, Chorarkadenkämpfer: Engelskopffries.

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V. GESCHMACK – STIL UND RELIQUIEN

um nichts weniger dämonisch-brütend blicken als apotropäische Starrende.61 Sein Pendant findet der Engelsfries wiederum in Loarre. Dort sollen die grimmigen Blicke der Engel unter anderem auf dem Kämpfer eines Chorarkadenkapitells (Bild 176b) augenscheinlich Böses durch den bösen Blick abhalten. Zahlreiche weitere Übernahmen machen einen bisher in der Forschung nicht gesehenen Werkstattaustausch zwischen Toulouse und Loarre wahrscheinlich. Dabei werden, wie in der Antike, Motive und Stilistika von den oftmals über große Distanzen wandernden Künstlern wie Valuta mitgeführt. Konnte schon die mnemotechnisch wirkende Wiederholung des prägnanten antiken Capricorn-Zeichens der Gemma Augustea auf den Kapitellen in Saint-Sernin erstaunen, so überrascht erst recht, dass die Konsolfrau im Stil des Siloskopfes an der Porte Miègeville (Bild 164) mit dem versonnen wirkenden Blick der tief gebohrten Augen eine kreisrunde Gemme an einem Halsband zu befühlen scheint. Ihre linke Hand, die nur wenig über den Rand der tiefen Togaschlinge ihres antikischen Obergewandes greift, wird zum größten Teil von der über ihr liegenden rechten Hand überschnitten, die in einer vorsichtig tastend wirkenden Geste das kostbare Schmuckstück leicht nach vorne kippt. Damit könnte den Pilgermassen der größte Schatz der Basilika in Form der antiken Gemma Augustea von einer direkt der Antike entsprungenen Frau bereits am Hauptportal präsentiert worden sein. Besonders subtil scheint dabei vom Bildhauer eingefangen, dass sie das wertvolle Juwel nicht eitel prahlerisch vorzeigt, sondern scheinbar gedankenverloren zwischen den Fingern wendet, als reflektiere sie insgeheim über diesen wiederzugewinnenden Stilhöhepunkt der Antike.

61

Vgl. ebd., S. 131.

V I . M E TA M O R P H O S E N – F O R M WA N D E L A L S M E T H O D E

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Jac a – For ma na log ien: E i n Kopf ist ei ne Kugel ist ei ne K nosp e

Auf dem Doppelkapitell des Chorbogens in Jaca, in den auch der südöstliche Vierungspfeiler mündet, stehen sich in der Mitte zwei Vögel in Ranken antithe­ tisch gegenüber (Bild 177). An den beiden Ecken sind zwei Männer über Raub­ katzen gebeugt, denen sie mit muskulösen Armen und mächtigen Händen die Lefzen aufreißen (Bild 177a). Die Vögel krallen sich um eine im Profil gegebene Griffstange und stehen mit ihrem sorgfältig durch geometrisiertes Ornament gegliedertem Schwanzgefieder auf dem Kapitellring auf. Ihre Köpfe sind zu­ rückgeworfen, um mit den Schnäbeln in die Helices picken zu können. Unter den Helices schneckt sich annähernd spiegelgleich ein Ornament ein. Direkt unter den sich zu den Außenseiten des Kapitells rollenden Helices ragen die Köpfe der Löwendompteure noch über diese in den Raum hinaus. Die Gesichter der Tiere erscheinen mit den stärker gerundeten Augen, den in die Stirn fallen­ den, frisiert wirkenden Haarsträhnen und den beiden isoliert gezeigten, stump­ fen oberen Vorderzähnen vermenschlicht. Durch das Aufreißen der Lefzen blickt man nicht nur in die Tiefe des Schlundes, sondern die extrem überlängte Zun­ ge fällt löffelartig weit nach unten, während eine Ranke in das geöffnete Maul hineinzuwachsen scheint. Über den Helices schnecken auf beiden Teilen des Doppelkapitells die identisch großen Voluten aus und fassen die Abakusblüte ein, die hier von einem mit Dreiecken geschuppten Piton bekrönt wird. Richard Hamann hat am Beispiel der zahllosen antiken überlieferten Greifenfriese herausgearbeitet, dass die Antike das Mittelalter mit der Spiel­ freude an fließenden Übergängen von Tier­ in Pflanzenornament angesteckt hat, mithin eine klare Antikenrezeption vorliegt.1 Einen Wesensunterschied 1

Vgl. Richard Hamann: Altchristliches in der südfranzösischen Proto­Renaissance des 12. Jahrhunderts, in: Antike 10 (1934), S. 264–85, S. 274.

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VI. METAMORPHOSEN – FORMWANDEL ALS METHODE

Bild 177 Jaca, San Pedro, Chorbogen­Doppelkapitell: Metamorphosen. Bild 177a Jaca, San Pedro, Chorbogen­Doppelkapitell: Metamorphose.

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JACA – FORMANALOGIEN

sieht er im Grad der Dichte der Anordnung. Während die antiken ovidischen Metamorphosen scheinbar schwerelos „über die architektonische Fläche“ husch­ ten, bildeten sie in der romanischen Kunst „den schweren festen Block, und drängen sich, die Fläche füllend dicht zusammen“.2 In beiden Publikationen aus den 1930er Jahren hängt Hamann offensichtlich noch der „Gotiker“­Idee einer untergeordneten Einbindung der Skulptur in die Architektur an. Die Dichte der miteinander verschmolzenen Tiere und Ranken ist in Jaca nicht zuletzt in­ haltlich begründet. In ihrem anarchischen, die Kapitellkanten räumlich über­ spielenden Eigenleben ist sie allerdings keineswegs starr in die Architektur eingebunden. Als einziges Doppelkapitell von San Pedro akzentuiert es zu­ sammen mit seinem Pendant am nordöstlichen Vierungspfeiler den Chor als sakral herausgehobenen Ort innerhalb der Kirche. Durch die Ranken und Me­ tamorphosen hat das Doppelkapitell die Funktion eines Dämonen abwehrenden Apotropaions für diesen liturgischen Kernbereich, da sie sich selbst in den Ranken verfangen und verwandeln. Über diese Funktion hinaus aber bildet das Kapitell in seiner fließenden Verschmelzung der Bildelemente Mensch und Tier sowie Pflanze und Ornament im Raum und der ungeheuren Spiellust der nach beiden Seiten hin wie Gorgonaia starrenden Schreckgesichter, einen Höhepunkt der Jaqueser Skulptur. Dass der vexierbildhafte Effekt starrender Augen in der Form der gebogenen Vogelschnäbel und Leiber auf diesem Kapitell durchaus bewusst herbeigeführt worden sein kann, lassen bereits mehrere Kapitelle des Panteón in León erkennen: Mit der schon von Meyer Schapiro bewundernd konstatierten mozarabischen Passion für die Polyvalenz des Ornaments wurde hier wie auf griechischen Augenschalen, wo die Schalenhenkel oft als Ohren und die Grundform des Gefäßes als Kopf genutzt wurden (Bild 178), die Großform des Objekts oder Kapitells zusätzlich als Gesicht gestaltet, während die Kleinform scheinbar rein Ornamentales bietet. So zeigt ein noch stark mozarabisch ge­ prägtes Kapitell an der Westwand des Panteón von San Isidoro (Bild 179) nicht nur Wolfsköpfe an den Ecken, sondern auf der Stirnseite zugleich ein Vexierbild aus Ranken auf dem glatten Reliefgrund.3 Bei vergrößertem Abstand mutiert das Kapitell zu einem Gesicht mit furchteinflößenden Augen, indem die Ranke un­ gewöhnlicherweise nicht in den Kapitellhalsring läuft, sondern unten eine ovale, zudem in den Raum tretende Form wie ein weit aufgerissenes Maul mit auf­ geworfener Oberlippe bildet; indem die auffällig dünnen Voluten den Anschein hochgerissener Augenbrauen erwecken, vor allem aber, indem zwischen die

2 3

Vgl. Richard Hamann: Das Tier in der romanischen Plastik Frankreichs, in: Medie­ val Studies in Memory of A. Kingsley Porter I und II, Cambridge, MA 1939, S. 413–452, S. 415. Vgl. Viñayo Gonzalez: (a. a. O.), S. 27.

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VI. METAMORPHOSEN – FORMWANDEL ALS METHODE

Bild 178

Los Angeles, Getty Museum: Griechische Augenschale.

Bild 179

León, San Isidoro, Panteón­Kapitell: Vexierbild.

Augenbrauen und das Maul drei Lanzettblätter gesetzt sind, die sich wie be­ drohlich rollende Augen über mutmaßlichen Falten im Zwickel einschnecken. Ernst Gombrich hat dieser unbegrenzten Wandlungsfähigkeit des vege­ tabilorganischen Ornamentes der Antike ein Denkmal gesetzt.4 Er führte dabei Alois Riegls grundlegende Beobachtungen zur Eigengesetzlichkeit des Orna­ ments konsequent fort:5 „Die Etymologie der Motive (Akanthus) bietet noch viele interessante Forschungsprobleme besonders für den Beweis der kulturel­ len Zusammenhänge innerhalb der Alten Welt.“6 Mit der ungewöhnlichen Wahl von „Etymologie“ als entlehntem Begriff der Sprachwissenschaften für die Ur­ sprungserklärung der Ornamentmotive spielte Gombrich wohl kaum zufällig auf Isidor von Sevilla als einen der größten Wortkünstler zwischen Antike und Mittelalter an, der mit diesem Begriff quasi symbiotisch zu verbinden ist. In Jaca finden sich jedoch auch Metamorphosen von Menschen in Pflan­ zen. Über alle drei Seiten des nördlichen Kapitells des nordwestlichen Vierungs­ pfeilers (Bild 180) zieht sich im unteren Register ein Band aus elf Figuren, von denen jeweils nur der Oberkörper zu sehen ist. Sie stützen sich mit ihren Hän­ den teils auf den Kapitellhalsring als eine Art Brüstung, hinter der sie stehen. 4 5 6

Vgl. Ernst H. Gombrich: The Sense of Order. A Study in the Psychology of Decora­ tive Art, Ithaca, NY 1979. Vgl. Alois Riegl: Stilfragen. Grundlegungen zu einer Geschichte der Ornamentik, Berlin 21975. Vgl. Gombrich: The Sense of Order (a. a. O.), S. 201.

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JACA – FORMANALOGIEN

Auch einige der Gewänder fallen auf und über diesen inszenierten Brüs­ tungsrand, insbesondere auf der rechten Schmalseite des Kapitells (Bild 180b). Allen Gewändern zu eigen ist die Fibelung auf der Schulter und ein auffälliger Bruch auf Brusthöhe, der den Mantel fast rechtwinklig geometrisch umschla­ gen lässt und einfaltet. Die beiden Männer der linken Schmalseite (Bild 180a) sind in einen lebhaften Dialog vertieft, wie ihre ausladenden Rede­ und Zeige­ gesten verdeutlichen. Auf der rechten Schmalseite (Bild 180b) diskutiert eine Frau mit auffälligen, nach unten fallenden Haarschaukeln mit einem Mann. Aus den beiden Ecken des Kapitells starrt jeweils ein Kopf ohne Körper mit weit aufgerissenen Augen über die Schultern der anderen hinweg nach außen. Eine isolierte Hand als Rest des ansonsten unsichtbaren Körpers der linken Eckfigur, legt sich dabei beklemmend auf die Schulter des Nachbarn. Auf der Stirnseite wenden sich je Zwei, darunter erneut eine Frau mit ausgeprägten Haarschne­ cken, von beiden Seiten zu einem Mann in der Mitte, der starr und frontal nach vorne wie eine antike Herrscherbüste ausgerichtet ist. Über den Figuren befin­ den sich in einem zweiten Register von Eckvoluten gerahmte Pflanzen, die in ihrer Mitte kugelige Früchte in Kopfgröße ausgebildet haben, auf Lücke über je zwei der menschlichen Köpfe. In einem dritten Register sind auf der Frontseite des Kapitells fünf kugelige Früchte zu sehen, deren Stilisierung etwas weiter fortgeschritten ist als die der Pflanzen des zweiten Registers. Ihre Deckblätter überlappen die Kugeln in mehreren Schichten und laufen dornartig in der Mit­ te aus. In einem vierten Register schließlich wachsen hinter den Pflanzen des darunter liegenden Registers zwei Helices hervor, die sich über den an der Achse angeordneten Pflanzen eindrehen. Anstelle einer Abakusblüte wächst wieder die schon an den Kapitellen des Westportales zu beobachtende Schnecke nach außen, deren Spitze abgearbeitet ist. Auf den beiden Schmalseiten des Kapitells dringt statt der Kugeln ein ebenso kugeliger, halbplastischer Kopf aus einem eckigen Fensterrahmen des nicht weiter bearbeiteten Kapitellgrunds (Bild 180a), der starr geradeaus blickt und aus dem jeweils Helices entspringen. Es handelt sich also nur noch in der Grundstruktur um ein korinthisches Kapitell, dessen unterste Akanthus­Blatt­ reihe durch menschliche Figuren ersetzt wurde, während die zweite Blattreihe durch eine Vergrößerung, Vervielfältigung und Aneinanderreihung der Kaulis, des Fruchtstandes der korinthischen Ordnung, ausgetauscht wurde. Durch die starke Kugelform sowohl der Früchte als auch der Köpfe, sowie die organisch über das gesamte Kapitell hinweg fließenden und das Kollegium verbindenden Gewandfalten sind vegetabiles Ornament und Figuren kaum mehr voneinan­ der zu trennen. Die menschlichen Figuren scheinen vielmehr – wie auch die Pflanzen – aus dem Kapitell nach allen Richtungen herauszuwachsen. Wenig spricht für eine christliche Deutung als Apostel oder Propheten. Weder stimmt die Zahl der Versammelten, noch existieren derartige Kollegien

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VI. METAMORPHOSEN – FORMWANDEL ALS METHODE

mit weiblicher Beteiligung wie auf dem Kapitell in Jaca. Die zwei Register mit sich verändernden Kugelfrüchten, Köpfen und Pflanzen schließen eine pfingst­ liche Zusammenkunft mit von oben herabkommenden Feuerzungen des Heili­ gen Geistes nahezu aus. Iñiguez Almech deutet vermutlich das Versinken der Menschen in den Kapitellkörper als Strafe und „Eintauchen in das Feuer der Hölle“, was schlecht mit der wenig chaotisch wirkenden, gesittet diskutieren­ den Gestik sowie dem stark vegetabilen Anteil des Kapitells übereingeht.7 Es scheint sich vielmehr um die Darstellung einer schleichenden Meta­ morphose von Menschen in Pflanzen zu handeln. Francisco García Romo diente dieses Kapitell und ein verwandtes in Saint­Andoche de Saulieu in Frankreich, das ebenfalls ins elfte Jahrhundert datiert, als Kronzeuge, um seine Theorie der schrittweisen Ausbildung von Metamorphosen durch allmähliche „Deforma­ tion“ des Formenrepertoires vor allem des korinthischen Kapitells zu belegen.8 Die so gefundenen figurativen Transformationen entsprechen in Plazierung und Komposition immer noch dem antiken Gestaltungsschema. Daraus ent­ wickeln sich laut García Romo durch „narrativ­didaktische Lust“9 Umschmel­ zungen von Pflanzen in Tiere und Menschen, die oftmals mit christlichen Inhal­ ten angefüllt werden, in erster Linie, darin der Natur der Metamorphose entsprechend, der Lust der Bildhauer an demiurgischen Schöpfungen entsprin­ gen. Dies wird deutlich an den körperlosen Eckköpfen, die abgewandt von den lebhaft Gestikulierenden des unteren Registers in ihren stärker geometrisier­ ten Gesichtszügen wie eingefroren wirken. Bei ihnen scheint die stufenweise Transformation in fühllose Materie begonnen zu haben, die bei den beiden er­ starrten Köpfen der Schmalseiten inmitten des obersten Kugelregisters bereits weit fortgeschritten ist. Ein solches Metamorphosenkapitell entspringt dem ovidischen Geist der Antike, die fest davon überzeugt war, dass sich Dämonen jederzeit jedes Menschen bemächtigen und in ihn dringen können, um ihn in jede nur denk­ bare Form zu verwandeln. Die Metamorphosen des Ovid wie auch die ver­ menschlichte Tierwelt der Fabeln des Aesop gehören zum festen Bestandteil des mittelalterlichen Wissens und wurden in zahlreichen Klosterbibliotheken aufbewahrt, wie es Adolph Goldschmidt in der bis heute umfassendsten und besten Arbeit zur Rezeption dieser antiken Stoffe im Mittelalter herausarbeite­ te.10 Wie bei dem Phantasieüberschuss der antiken Beschreibungen Ovids spornt 7 8 9 10

Vgl. Iñiguez Almech: La escatología musulmana (a. a. O.), S. 270. Francisco García Romo: Metamórfosis en la escultura románica, in: Goya 43 (1961), S. 18f. Vgl. García Romo: Metamórfosis (a. a. O.), S. 21. So konnte Goldschmidt zum Beispiel nachweisen, dass der sogenannte karolingi­ sche „Avianus“ auf spätantike Vorlagen in Text und Bild zurückzuführen ist, vgl. Adolph Goldschmidt: An Early Manuscript of the Aesop Fables of Avianus and

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Bild 180

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JACA – FORMANALOGIEN

Jaca, San Pedro, Kapitell: Metamorphose Menschen in Kugeln.

Bild 180a Kugeln.

Jaca, San Pedro, linke Kapitellschmalseite: Metamorphose Menschen in

Bild 180b Kugeln.

Jaca, San Pedro, rechte Kapitellschmalseite: Metamorphose Menschen in

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VI. METAMORPHOSEN – FORMWANDEL ALS METHODE

auch hier die antikische Skulptur Jacas durch partielle Unsichtbarkeit der Kör­ per hinter der Kapitellring­Balustrade eine Art Assoziationsgebot an, diese fragmentierten Körper je eigen zu ergänzen sowie die Köpfe hinter und in den vegetabilen Kugeln zu erkennen. Auf dem gesehenen Kapitell mit der Revelatio eines Adlers unter Tüchern (Bild 114) sitzt über dem enthüllten Raubvogel an der Ecke des Kämpfers ein fast vollrund gearbeiteter Kopf mit Buckellöckchen. Dieser starrt mit tief ein­ geschnittenen Augen und zusammengepressten Lippen geradeaus. Der Kopf wächst nahtlos aus flachen Lanzettblättern heraus, die den Raum zwischen den liegenden C­Bögen der beiden Kämpferseiten vollständig ausfüllen.11 Sein feh­ lender Körper scheint sich bereits in diese Pflanzen verwandelt zu haben. Der entsetzte Blick aus weit aufgerissenen Augen wäre somit beredter Ausdruck der schleichenden körperlichen Metamorphose in Vegetabiles, nach der insbesondere über Isidor von Sevilla vermittelten Überzeugung der Zeit eine Bestrafung von Übeltätern.12 Damit prangte dialektisch genau über dem heilskündenden Ent­ hüllen des Tetramorph wie ein antikes Gorgoneion der Grund der Revelatio – die sündhafte und erlösungsbedürftige Welt. Mit diesem aus einem Stück ge­ hauenen und damit zusammen konzipierten Kämpferkapitell blitzt einmal mehr die quasi­antikische gedankliche Komplexität der Bildhauer Jacas auf. An der Außenseite der Südapsis wächst bei dem linken Fenstergewän­ dekapitell an der Ecke der Kopf einer Raubkatze aus einem dichten Geflecht von Ranken, das beide Kapitellseiten überzieht (Bild 181). Die Ranken laufen in

11

12

Related Manuscripts, Princeton 1947, v.a. S. 4ff. und S. 18ff. In den letzten Jahren ist in der kunsthistorischen Beschäftigung mit Ovids Metamorphosen geradezu eine Renaissance zu verzeichnen, was seinen Grund vermutlich in den aktuellen gentechnologischen Debatten und den damit einhergehenden Verschmelzungs­ phantasien hat. Während sich der Ursprung der antiken Vorstellungen von Mischwe­ sen aus Mensch und Tier wie Sirene sowie der Monstra gut in realen Missbildungen vorstellen lässt, fehlt es weiterhin an überzeugenden Erklärungen für die deutliche Faszination der römischen Antike, insbesondere Frauen in Pflanzen zu verwan­ deln. Ovid hat mit seinen populären Wandlungsphantasien der Daphne in Lorbeer, der Syrinx in Schilfrohr etc. nichts weniger als eine Art „Jugendstil der Antike“ herbeigeschrieben, der die integrale Verschmelzung der Frau mit der Natur in Kunst und Literatur propagierte und damit ein populistisches Erklärungsmodell für das männliche Unvermögen gab, das „Naturwesen“ Frau zu verstehen. Vielleicht ist auch aufgrund des Nachlebens dieser Einstellung der Frauenanteil von Metamor­ phosen in der Skulptur des elften Jahrhunderts derart hoch, wie beispielsweise auf dem Kapitell der sich in Kugeln verwandelnden Köpfe. Für die antiken Vorläufer dieser frühesten Blattmasken, vgl. beispielsweise Jucker: Das Bildnis (a. a. O.), S. 140f., sowie Max Wegner: Blattmasken, in: Adolph Gold­ schmidt zu seinem siebenzigsten Geburtstag am 15. Januar 1933, dargebracht von allen seinen Schülern, die in den Jahren 1922 bis 1933 bei ihm gehört und promo­ viert haben, Berlin 1935, S. 43–50. Etym. XI,4,2.

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JACA – FORMANALOGIEN

Bild 181 Jaca, San Pedro, linkes Südapsis­Fenster­ kapitell: Wandel Raubkatze in Ranken.

lanzettförmigen Blättern aus, die zum Teil lilienförmig angeordnet sind. Ihren Ursprung haben die Ranken nicht im Kapitellring, so dass sie aus dem Inneren des Kapitellkörpers zu dringen scheinen. Aus diesem Raum ragt mit kugelig hervorquellenden Augen der Raubtierkopf nach unten, der von einer besonders fleischigen Ranke überwuchert wird; aus seinem Maul mit entblößten dolch­ scharfen Zähnen wächst eine weitere Ranke. Der Körper der Raubkatze ist nicht mehr auszumachen und scheint sich bereits vollständig in Ranken verwandelt zu haben. Über diesem Kopf starrt an der Kante des Kämpfers ein weiterer, etwas spitzmäuligerer Raubtierkopf nach unten, der zwischen liegenden, ge­ füllten C­Bögen und lilienartig endenden Pflanzen eingepasst ist. Die Blätter gehen nahtlos über in den Kopf, so dass auch diese Metamorphose weit fort­ geschritten scheint. Auffällig ist die Flachheit der vegetabilen Ornamentik, aus welcher der nahezu vollplastische Kopf deutlich herausragt. Vielleicht hat der Bildhauer hier das Ornament des Kämpfers bewusst verflacht und wie verstei­ nert gegeben, um den Kopf als einzigen lebendigen und noch nicht metamor­ photisierten Körperteil herauszuarbeiten. Ein durch Lichtverhältnisse und Aufstellungsort nahezu unsichtbares Kapitell, das als Spolie die Altarmensa in der südlichen Apsis trägt und aufgrund seiner Allansichtigkeit, der übereinstimmenden Abakusmaße wie auch seiner Stilistik aus dem Kreuzgang der Kathedrale stammen muss, weist eine der er­ schreckendsten Metamorphosen der Kathedrale auf (Bild 182). An allen vier Ecken hocken Nackte, die zum Tragen der Helices und der schwer lastenden Abakusplatte verdammt scheinen. Mit ihren scharfen Raubtierpranken, die

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VI. METAMORPHOSEN – FORMWANDEL ALS METHODE

sich in den Kapitellring graben, sind sie als Dämonisierte stigmatisiert, die sich partiell in Raubtiere verwandelt haben.13 An einer Ecke kauert ein muskelbe­ packter junger Mann mit Haarkranz (Bild 182a), der durch zwei fleischige Ran­ ken über beiden Oberschenkeln in das Innere des Kapitellkörpers eingespannt ist,14 so dass er ohne eine Aussicht auf Entweichen wie ein Atlant die Kapitellast der Voluten auf seinem Kopf zu tragen hat. Mit beiden Händen befühlt er in einer laokoonhaften Mischung aus Verzweiflung und trotziger Auflehnung die sich über seinen Körper legenden Ranken. Die Wadenmuskulatur drückt sich scharf umrandet nach außen, sein Kopf mit den geblähten Backen und den her­ vortretenden Augen unter klar gegliedertem Haarkranz schiebt sich unter der Last nach vorne. Obwohl der Bildhauer mit den sich durchzeichnenden Schienbeinen und Muskelpartien, den deutlich differenzierten Haarsegmenten und den geo­ metrisch klar gegliederten Gesichtern Merkmale des Bildhauers des Kapitells mit den beiden Schlangen­Haltern aus der Jaqueser Santiago­Kirche aufgreift (Bild 30), handelt es sich erkennbar um eine andere Hand. Das Kapitell kann aufgrund seiner wie aufgepumpt wirkenden, geometrisiert­zergliederten Kör­ perteile und dem Charakteristikum der in die Kapitellzwischenräume einge­ schobenen Körper, aufgrund der teigigen Ranken, dem starken Hang zu Meta­ morphosen sowie seiner extremen Emotionalisierung in der Darstellung von Leiden stilistisch dem Meister des Westportals von Saint­Sernin in Toulouse zugeschrieben werden.15 Aus Schultern und Oberarmen aber schlagen wie züngelnde Flammen nicht etwa Fellzotteln aus der ansonsten glatten und haarlosen Haut, sondern Blattspitzen, die den Körper ohne Verbindung zu dem restlichen Rankengeflecht von innen nach außen durchwachsen und durchdrungen haben. War bei dem Kapitell mit den Männern in Ranken (Bild 63) das Rankengeflecht nur äußer­ lich den Leibern aufgelegt, haben sich die Körper des hockenden Verdammten inwendig und bereits vollständig in Pflanzen verwandelt. In einem letzten Me­ tamorphoseschritt durchstoßen die Pflanzentriebe die äußere Hülle des von innen ausgehöhlten Körpers. In einer selten eindringlichen Doppelmetamor­ phose verwandelt sich der durch die Pranken und Krallen entmenschte Dämo­ nisierte nicht nur in ein Raubtier, sondern gleichzeitig auch in eine Pflanze.

13 14 15

Isidor von Sevilla berichtet, die Dämonen „zeigen die Grausamkeit mit ihren Zäh­ nen und Krallen, mit denen sie gewalttätig sind“ (Etym. XI,12,2). Über diese Fesselungen Dämonisierter, vgl. Friedrich und Helga Möbius: Ecclesia ornata. Ornament am mittelalterlichen Kirchenbau, Berlin 1974, S. 83. Thomas Lyman betont, dass das gesamte Westportal bis zum Tod des Stifters Raimond Gairard im Jahr 1118 fertiggestellt war, vgl. Lyman: Raimond Gairard (a. a. O.), S. 71f.

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A

JACA – FORMANALOGIEN

Bild 182 Jaca, San Pedro, Südapsis­Kapitell unter Altar: Metamorphose Menschen in Ranken. Bild 182a Jaca, San Pedro, Südapsis­Kapitell unter Altar: Wandel Menschen in Ranken.

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VI. METAMORPHOSEN – FORMWANDEL ALS METHODE

Dieser feste Metamorphosen-Glaube des Mittelalters wurzelt im Besonderen im Erbe der heidnischen Antike, das von christlichen Autoren der Spätantike weitergegeben wird.16 Neben dem notorischen Dämonenlehrer Isidor von Sevilla17 ragt hier Justinus hervor, der Gegenspieler des Augustinus, der Dämonen als metamorphotisierende Kreuzungen aus gefallenen Engeln und Menschenfrauen definiert.18 Laut Justinus sind diese antiken daimones vor allem deswegen verdammenswert, weil sie sich in ihrer Hybris wie die römischen Götter selbst Namen gäben,19 eine unbändige Lust aufwiesen, wie die zahllosen Metamorphosen Jupiters zeigten,20 und weil sie sich „Schreckbilder“ und Idole errichteten oder errichten ließen.21 Derartige Legitimationsstrategien finden sich in Jaca am Beginn der romanischen Kunst zahlreich. Aufgrund der sich permanent wandelnden Natur der Metamorphose pendeln die Skulpturen in ihrer Erscheinung ebenfalls zwischen Ambivalenzen. Das Kapitell mit den metamorphotisierenden Köpfen konnte durch den formalen Rückgriff auf die Form antiker Büsten auch ein ehrwürdiges Apostelkollegium evozieren. Die beiden Chordoppelkapitelle in Jaca lassen sich durch ihre starke Rückbindung in das Ornament als rein antikes Muster auffassen. Schließlich erweisen sich mutmaßliche Fellzotteln eines Dämonisierten als sprießende Pflanzentriebe einer beginnenden Metamorphose in Ranken.

B

L e ón – For m spiele: E i n Rud er ist ei n Tuc h ist ei n Sc h i f f

Dass die Metamorphosen in Jaca keine Einzelfälle im elften Jahrhunderts blieben, zeigt der Vergleich mit den Zodiacus-Metopen der Puerta del Cordero von San Isidoro von León.22 Sie zitieren nahezu durchgängig Details des Orestessarkophages, insbesondere die Bedrohung durch die Schlangen.23 16 17 18

19 20 21 22 23

Vgl. Walker Bynum: Metamorphosis (a. a. O.), S. 48ff. Grundlegend zum Konzept der Metamorphose ist Leonard Barkan: The Gods Made Flesh. Metamorphosis and the Pursuit of Paganism, New Haven u. a. 1986, v. a. S. 94ff. Vor allem im 12. Buch über Monster und Prodigien (Etym. XII, 3ff.). Zu Isidor von Sevilla als Euhemeristen, vgl. Wappenschmidt: Metamorphosen (a. a. O.), S. 39ff. Dazu auch die Auslegung von 1 Moses 6,2-4 der Metamorphosen aus gefallenen Engeln mit Frauen, die dämonische „Tyrannen“ ergäben, vgl. Elaine Bagels: Adam, Eva und die Schlange. Die Geschichte der Sünde, Reinbek bei Hamburg 1994, S. 107ff. Just., 2. Apol. 5. Ebd., 6. Ebd., 7. Vgl. Prado-Vilar: Saevum facinus (a. a. O.), S. 178. Moralejo Álvarez: Pour l’interprètation (a. a. O.), S. 173ff. Vgl. Trinks: Schlangenikonographie (a. a. O.), S. 221ff.

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B

LEÓN – FORMSPIELE

Nachdem der Zyklus beim Aufsetzen einer Renaissance­Attika in leicht fehlerhafter Reihenfolge in die Portalwand neu eingemauert wurde, beginnt er heute mit der Reliefplatte der Fische, Pisces (Bild 183). Im Zentrum steht ein Mann in einem Schiff mit gerefften Segel und hält ein Steuerruder in der Rechten, während in der vordersten Reliefschicht die beiden Fische des Stern­ kreiszeichens überdimensioniert und scheinbar gleichmütig vor ihm vorbeizie­ hen, was ihn gleichsam emblematisch als Fischer erscheinen lässt. Zwar übernimmt der Künstler auch hier mit der Gestalt des zurückge­ neigten Fischers die Nodriza­Magd des Sarkophages, weil die heute handschuh­ artig rundgewitterte linke Hand zu einem Abwehrgestus erhoben und der Kopf in die Gegenrichtung abgewendet ist. Aber die absolute Freiheit der Meta­ morphose ist auf dieser Metope mit Abstand am stärksten. Die Nodriza als Fischerin ist diesmal nackt, wobei das Geschlecht durch den Quersteg des anker­ förmigen Steuerruders und durch den vorüberziehenden Riesenfisch geschickt verdeckt wird. Das Boot endet links in einer galionskopfartigen Verdickung, wirkt aber durch seine geschwungene Form und die dem Schiffssegel ähnlichen Linien zugleich wie das Tuch, hinter dem die Magd auf dem Sarkophag sich entsetzt abwendet. Indem aber die ursprüngliche Abwehrgeste der erhobenen Linken hier unmotiviert bliebe, kann das leichte Tuch des Segels auch mit einem durch diese Hand ausgeworfenen Fischernetz assoziiert werden. Die Wellen sind als materielle Ringe gegeben, in die das Ruderblatt wie in Teig hineinzuschnei­ den scheint, wodurch sie aber durch die gewundene Form gleichzeitig als Was­ serschlangen verstanden werden können. Ein Psalter des ausgehenden achten Jahrhunderts aus dem französischen Kloster Corbie (Bild 183a),24 heute aufbewahrt in der Bibliothèque municipale von Amiens, zeigt auf Folio 133r bei den Gesängen des Propheten Habakuk eine der bemerkenswertesten Initialen der mittelalterlichen Buchmalerei.25 Aus einem Knäuel von Gebilden und Lebewesen in der Grobform eines unzialen ∂

24

25

Amiens, Bibliothèque municipale, Cod. 18, hier v. a. die D­Initiale auf fol. 133r. Ulrich Kuder behandelt den Psalter aus Corbie ausführlich in seiner heute noch lesenswerten Dissertation, vgl. Ulrich Kuder: Die Initialen des Amienspsalters (Amiens, Bibliothèque municipale Ms. 18), München 1977, sowie mit aktualisier­ ten Beobachtungen zu dieser vielleicht wichtigsten Handschrift in bezug auf Me­ tamorphosen im Mittelalter Ulrich Kuder: Illuminierte Psalter von den Anfängen bis um 800, in: The Illuminated Psalter. Studies in the Content, Purpose and Place­ ment of its Images, hg. v. Frank Olaf Büttner, Turnhout 2004, S. 480–484, hier S. 480f., sowie Ausst.­Kat.: Pen and Parchment. Drawing in the Middle Ages, The Metro­ politan Museum of Art New York, hg. v. Melanie Holcomb, New Haven u. a. 2009, S. 36ff. Vgl. Jonathan J. G. Alexander: Initialen aus großen Handschriften, München 1978, S. 12, Abb. V, sowie Wolfgang Grape: Unerwartetes und Unterhaltsames in der Kunst des frühen und hohen Mittelalters, München u. a. 2008, S. 31–36.

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VI. METAMORPHOSEN – FORMWANDEL ALS METHODE

Bild 183

León, San Isidoro, Puerta del Cordero, Zodiacusmetope: Pisces.

springt am oberen Ende ein Pferd nach links. Sein Schweif geht fast nahtlos in eine Kreisform über, die sich in einen Streitwagen mit zwei Speichenrädern entwickelt. Der gestreckte Korb des Wagens ist beplankt wie ein Schiffsrumpf. In der Mitte wächst unvermittelt ein Schiffsmast mit Segel heraus, das viel­ leicht aufgrund eines aufkommenden Sturmes gerefft ist, womit das Segel zu­ gleich einer römischen Legions­Feldstandarte mit eingehängtem Tuch ähnelt, zumal es von einem Vogel bekrönt wird, der auf einem Schiffsmast als „Wet­ terhahn“26 eher deplaziert wirkt, bei einem antiken Labarum aber den Adler der römischen Legion symbolisiert. Der Bug des Schiffes verjüngt sich immer stärker und geht über zwei ringförmige Verdickungen in die Phrygermütze eines Wagenlenkers über. Dieser ist im dynamischen Profil gezeigt und stemmt sich mit beiden Beinen in den Wagenkorb. Seine hochgezogene Augenbraue, der verkniffene Mund und der vom Fahrtwind hochgerissene Mantel zeigen die Anspannung des Moments an. Zugleich hält er aber als Steuermann des Schiffes auch ein überlang aufragendes Ruder, das sich am oberen Ende in lilienartige Blätter verzweigt. Die Initiale steht vor einer der martialischsten Stellen des an Gewalttä­ tigkeiten nicht armen Alten Testaments: dem Anruf Gottes um Vernichtung der ikonodulen, grausamen und tyrannischen Chaldäer durch den Propheten 26

Vgl. Grape: Unerwartetes (a. a. O.), S. 31.

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LEÓN – FORMSPIELE

Bild 183a Amiens, Bibliothèque municipale, Corbie­Psalter, Cod. 18, fol. 133r: D­Initiale.

Habakuk, der wie ein Vorläufer der Vernichtungsphantasien der Apokalypse wirkt: „Numquid in fluminibus iratus es aut in fluminibus furor tuus vel in mari indignatio tua quia ascendes super equos tuos et quadrigae tuae salva­ tio.“27 In der Einheitsübersetzung der Bibel wird die Stelle wie folgt übertragen: „Herr, ist dein Zorn gegen die Flüsse entbrannt und dein Groll gegen das Meer, dass Du mit deinen Rossen heranstürmst und mit deinen siegreichen Wagen?“ Obwohl die zentralen Worte „Rosse“, „Streitwagen“ und selbst „Flüsse“ umge­ setzt sind, geht die Verbildlichung doch weit über eine reine Textillustration hinaus. Abstrakta, die im Grunde nicht darzustellen sind, wie der von Habakuk beklagte, ungerichtete göttliche Furor sind in Form der taifunartig wirbelnden Bewegung der Figural­Unziale sowie in dem aufflatternden Mantel des Wa­ genlenkers als endzeitlicher Aufruhr der Elemente unmittelbar anschaulich gemacht. Das Heranstürmen der Rosse ist durch den gestreckten Galopp des sich durchbiegenden Pferdes derart dynamisiert, dass der in Gedanken fortge­ setzte Sprung die gesamte Initiale im nächsten Moment auseinanderreißen wird und selbst der von Habakuk prophezeite Sieg ist in Gestalt des Segels, das zu einem römischen Labarum als konstantinisches Ur­Siegeszeichen changiert, und in dem Schiffsruder, das sich in der Hand des Lenkers zu einem riesen­ 27

Habakuk 3,8.

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VI. METAMORPHOSEN – FORMWANDEL ALS METHODE

haften Lilienszepter als Insignie des Weltenrichters auswächst, begreiflich ge­ macht. Weil die konstantinische Siegesstandarte in einer zweiten Sinnschicht auch für Christus steht, der den Tod besiegt,28 kann der Legionsadler zugleich die Taube des Heiligen Geistes symbolisieren und die gesamte Metamorphose das „Domine“ der Initiale als Inbegriff des göttlichen Schöpfungsfunkens ver­ bildlichen. Damit wäre hier auf dem Höhepunkt des Bilderstreites am Ende des achten Jahrhunderts und vor der Schlichtung des Streits durch Karl den Gro­ ßen eine ungewöhnlich subtile Repräsentation Gottes gegeben. Der Künstler dieser Initiale wird so selbst zum Alter Deus beziehungs­ weise zum Demiurgos: Zum einen befreit er die von ihm geschaffenen Abbil­ der von einem einhegenden Rahmen und setzt sie damit frei – nie wird bei einer Initiale sonst der imaginäre gläserne Kasten um die wie in eine Bestiensäule gepferchten Animationen ernsthaft durchbrochen oder gar weggelassen. Zum anderen erzeugen die Kreaturen des Corbie­Meisters in ihrer anarchischen Frei­ heit Text und Sinn der Heiligen Schrift sui generis und nicht umgekehrt. Mehr noch: Die Räder des Streitwagens überrollen rücksichtslos gleich zwei Text­ zeilen. Dieser Schöpfer eines bildlichen Makrokosmos erschafft aber auch Mischwesen, denn das Pferd mit dem gewundenen Schiffsschweif kann ebenso mit einem Seepferd assoziiert werden, und der Wagenlenker entsteht aus einem hölzernen, im Grunde unbelebten Schiff, dem aus der Seite ein vegetabil auf­ sprießendes Ruder­Szepter entspringt. Mischwesen aber sind theologisch durch­ gehend negativ konnotiert, seit der erste Bastard Luzifer als gefallener Engel und die Seinen sich mit Menschenfrauen vereinigten und ganze Horden von Mischwesen, die Dämonen, zeugten. Diesem schwerwiegenden Vorwurf war nur mit dem Verweis auf die zwingende Vorbildhaftigkeit eines Antikeverwei­ ses zu entgegnen.

28

Eusebius von Caesarea hatte das konstantinische Labarum in der Vita Constantini folgendermaßen beschrieben: „Der Längsschaft aber […] trug hoch oben unter dem Zeichen des Kreuzes ganz am Ende des beschriebenen Gewebes das goldene Brustbild des gottgeliebten Kaisers und ebenso das seiner Söhne.“ Zitiert nach Horst Bredekamp: Kunst als Medium sozialer Konflikte. Bilderkämpfe von der Spätantike bis zur Hussitenrevolution, Frankfurt a. M. 1975, S. 29. Das Kreuz als Siegeszeichen Christi wird mit dem Herrscherbild des siegreichen Kaisers von Gottes Gnaden verschmolzen. So zeigen viele Auferstehungsdarstellungen in ka­ talanischen Handschriften und Fresken Christus mit dem auf das Labarum ge­ stickten Chrismon; ebenso der Rossanus­Codex sowie das berühmte Apsis­Fresko der Kirche Sant Miguel d’Engolasters (Andorra) kurz nach dem Jahr 1100 im Museu Nacional d’Art de Catalunya in Barcelona, auf der ein hochgerüsteter Erz­ engel Michael ein realienkundlich korrektes, antikes Labarum hält oder die Wand­ malerei aus Sant Pere de Sorpe (Lérida) im selben Museum, auf der Petrus und Andreas in einem mit dem Labarum beflaggten Fischerboot fahren. Vgl. Joan Ainaud de Lasarte: Museo de Cataluña. Arte Romanico, Madrid 1980, S. 46ff.

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LEÓN – FORMSPIELE

Wie sich bereits realienkundlich an dem römischen Labarum, dem im Mittelalter nicht mehr gebräuchlichen Streitwagen mit dem naturnah wieder­ gegebenen Pferd sowie der phrygischen Mütze des Wagenlenkers deutlich zeigt, gelangt der Künstler dieser Initiale zu seiner Freiheit der Formspiellust über antike Vorbilder. Der Corbie­Psalter stellt damit eine Art Musterbuch der Metamorphosen im Mittelalter dar, das Bildhauern nicht nur den Mut zur Me­ tamorphose geben konnte, sondern in einem Paragone der Künste auch im Medium des Dreidimensionalen übertroffen sein wollte. Obwohl die Corbie­Initiale wie auch der in seinem sich anscheinend verwandelnden Boot nach hinten kippende Fischer der Pisces an der Puerta del Cordero emblematische Fassungen einer Bibelstelle respektive eines Sternzei­ chens darstellen, entbehren sie nicht eines gewissen komischen Elements. Mit derartigen grotesken, bisweilen scherzhaft wirkenden, immer aber erfindungs­ reich ihre Form verändernden Metamorphosen ist zugleich die offene Streit­ frage des Humorigen im Mittelalter berührt. Diese seit der Spätantike notori­ sche Polemik zwischen den Extrempolen des moralinsauren „Hat Christus je gelacht?“ und Horaz’ Risum teneatis, amici? („Könnt ihr das Lachen halten, Freunde?“) handelt der Semiotiker Paul Michel an den aus Künstlersicht not­ wendigen metamorphotischen „Grotesken“ ab.29 Obwohl der Begriff der Gro­ teske erst seit Raffaels Adaptionen der Domus Aurea­Fresken in Rom in Schrift­ quellen zu finden ist, war die berühmte Anfangssequenz der Ars poetica von Horaz, die geradezu eine Bestimmung der Groteske bietet, dem Mittelalter zu­ tiefst vertraut: „Würde ein Maler einem Menschenhaupt einen Pferdehals an­ fügen, wollte er noch buntes Gefieder drüberziehen und von allen möglichen Tieren die Glieder zusammenborgen, um in einem hässlich schwarzen Fisch enden zu lassen, was oben als eine hübsche Frau begann, Freunde, stellt euch vor, ihr wärt geladen, euch das anzuschauen: würdet ihr da das Lachen halten?“30 In scharfem Gegensatz zu den teils grotesk geschilderten Situationen stehen die zahlreichen Darstellungen furchteinflößender Mischwesen in León. Obwohl diese aus unterschiedlichsten Teilen zusammengefügt sind, bilden sie dem ersten Anschein nach einen formbeständigen Kompositkörper aus. Über­ raschenderweise setzt sich die Verwandlung nahezu aller Mischwesen in León unvermindert fort. Das linke Kapitell der Chornordwandnische zeigt auf beiden Seiten ein Mischwesen zwischen Harpyie und Sphinx (Bild 184) mit Raubkatzenkörper, Hufen an den Hinterläufen, Vogelkrallen vorne, Flügeln sowie menschlichem 29 30

Vgl. Michel: Tiere (a. a. O.), S. 96. Übersetzung d. Verf.; Horaz, ars poet. 1–5: „Humano capiti cervicem pictor equi­ nam/iungere si velit et varias inducere plumas / undique collatis membris, ut tur­ piter atrum/desinat in piscem mulier formosa superne, / spectatum admissi, risum teneatis, amici?“

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Bild 184 Bild 184a

VI. METAMORPHOSEN – FORMWANDEL ALS METHODE

León, San Isidoro, linkes Chornordwandnischenkapitell: Harpyien-Sphinx. León, San Isidoro, linkes Chornordwandnischenkapitell: Harpyien-Sphinx.

Kopf, der bei dem Mischwesen der rechten Seite mutiliert ist. Drei Strähnen des Haares, das wie aus Draht gedrillt wirkt, legen sich auf die Brust der Harpyien-Sphinx; drei weitere Strähnen, die unzweifelhaft aus dem Kopf wachsen, verwandeln sich hinter diesem in breite Tuchbahnen (Bild 184a), so dass die Kreaturen wie unter einem aufgespannten Vorhang zu stehen scheinen. Diese stofflichen Haarbahnen wickeln sich von unten auf die Voluten in den Zwickeln der Kapitellseiten wie auf Garnrollen auf, bevor sie – ein weiteres Mal verwandelt – als runde Helices hinter den Leibern der Sphingen in den Kapitellgrund zurückwachsen. Drei weitere Strähnen hängen nach rechts bogenförmig zwischen Spingenköpfen und einer tannenbaumartigen Struktur, die auf der Kapitellecke bis zum Halsring hinunterwächst und in die das Haar einzuwachsen scheint. Eine letzte Strähne auf dem Scheitel des Sphinxhauptes, das ohne Unterbrechung durch eine Profilleiste direkt in den Kämpfer ragt, schwingt nach oben; das Haar wächst sich direkt in eine Ranke aus, die sich aufgabelt. Das nach rechts verzweigte Ende schneckt sich ein, der andere Teil der Ranke rollt sich zu einem kämpferhohen Kreis ein, dessen Ende sich innen zu einem Blatt auffächert, das den Kreis ausfüllt. Das Sphingenhaar metamorphotisiert in garnartige Wollfäden, Ranken, Blätter sowie die ornamentale Struktur an der Kapitellecke. Je zwei der Rankenkreise indes schieben sich an der Ecke des Kämpfers ineinander, wodurch sie zusammenballen. Das sich bildende Knäuel durchbricht die plane Fläche der Kämpferseiten, um kugelförmig nach außen zu wachsen. Aber nicht nur die drahtigen Haarsträhnen der Mischwesen durch-

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LEÓN – FORMSPIELE

Bild 185 León, San Isidoro, rechtes Chornordwandnischenkapitell: Hockdämon. Bild 185a León, San Isidoro, rechtes Chornordwandnischenkapitell: Hockdämon.

laufen ständige Wandlungen; auch ihre gabelartig um den Halsring gespreiz­ ten Vogelkrallen vermögen von fern den optischen Eindruck eines stilisierten Ionischen Cyma zu erzeugen. Derartige Formspiele zwischen Ornament und dem Ursprung der Ornamente in der belebten Welt bleiben in San Isidoro kein Einzelfall. Dass diese Metamorphosen durchgängig von den sich wandelnden Tü­ chern sowie der Priaposherme des Orestessarkophages atmosphärisch oder direkt inspiriert sind, erweist sich an dem rechten Kapitell der Chornordwand­ nische. An dessen Kapitellecke kauert ein geflügelter Dämon mit riesigen Vogel­ krallen anstelle menschlicher Hände (Bild 185). Der Kopf mit kreisrund auf­ gerissenen Augen wird von Buckellöckchen bedeckt; er wirkt wie eingespannt unter dem Kämpfer sowie zwischen den teigig nach außen quillenden Voluten, die sich teilweise in die Locken drücken. Die Spitzen der Dämonenflügel über­ decken die Hälse zweier auf den Kapitellseiten stehender Vögel, deren Flügel parallel zu denen des Dämons stehen (Bild 185a). Ihre Köpfe biegen die Vögel nach hinten zu den Voluten. Die Linien, die den fülligen Leib des Dämons un­ tergliedern, wirken wie in das Fleisch eingeschnitten, wobei das ostentativ ge­ zeigte Geschlecht nicht frei zwischen den Beinen über den Kapitellhalsring hängt, sondern durch das Hochziehen zwischen die wulstigen Oberschenkel besonders betont wird. Mit dieser graphischen Zergliederung des Oberkörpers sowie der Rahmung des Geschlechts sind zwei entscheidende Merkmale der Priaposherme auf dem Orestessarkophag (Bild 133) aufgegriffen. Wie dort der

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VI. METAMORPHOSEN – FORMWANDEL ALS METHODE

fleischige Oberkörper nach unten hin sukzessive versteinert, bis er ab der optisch durch zwei tiefe Genitalfalten hervorgehobenen Übergangszone des Geschlech­ tes vollends zu einem steinernen Pilaster mutiert, petrifiziert auch der Dämon. Obwohl er mit den wie festgewachsen wirkenden Krallen wie auch mit den in die Kapitellecke unter die Voluten gedrückten Leib ohne innere Anspannung gleichsam zum statischen Tragen des Kämpfers verdammt scheint, geht von dem bohrenden Blick der weit aufgerissenen Augen unvermindert Gefahr aus. Ähnlich dem notorischen neogotischen Wasserspeierdämon von Notre­Dame du Paris, der mit seinem durch Charles Méryon emblematisch eingefangenen Blick den Luftraum von Paris im Bannstrahl hat, überwacht der Leoneser Dä­ mon den gesamten Chorraum von San Isidoro; ein gleichartiger Dämon würde durch diesen Blick apotropäisch auf lange Sicht gefangen gehalten. Im Falle des Cordero­Portals hingegen stellen die Metamorphosen für die Tierkreiszeichen akute Bedrohungen dar. In der links oben angebrachten Hälfte des Zodiacus folgt auf den Aquarius, der die sich aus dem Wasserschlauch herausbildende Wasserschlange würgt, der Capricorn­Steinbock (Bild 44). Er steht mit seinen Hufen auf einem überlangen geschuppten Schlangenschwanz, der direkt aus seiner Rückenlinie entwächst, ihn auf ganzer Länge umrundet, um in Richtung des Kopfes des Steinbocks verjüngt zu enden. Wie es auch beim Steinbock der Fall zu sein scheint, kriecht die Schlange nicht etwa in den Körper hinein, sondern ist in Form der Wirbelsäule bereits in diesem, denn der Bock wirkt durch keine Penetration irritiert. Im Steinbock werden Rückgrat und Schlange eins. Diese innere Verwandlung lässt den an sich arglosen Stein­ bock zu einem fremdgesteuerten Werkzeug des Bösen mutieren.

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Sa nt iago – For m si nt f lut: E i ne R a n ke ist ei n Sc h i f f ist ei ne Woge

Den vielleicht erstaunlichsten Formerzeuger und Formenschmelztiegel des ge­ samten Pilgerwegs bildet die sechste Säule des ehemaligen Nordportals von Santiago, die sich aufgrund ihrer Ansichtigkeit von nur zwei Seiten, der Stirn­ seite und der linken Nebenseite, ursprünglich in der rechten Ecke der rekonstru­ ierten Portalanlage befunden haben muss. Die Erzählung beginnt, wie bei den übrigen Säulen, auf der oberen Säulenwindung mit einem Nackten (Bild 186); dieser ist in eine solche Fülle von Ranken verheddert und derart zergliedert, dass sich sein Körper optisch kaum mehr zusammenfügen lässt. Sein Kopf mit langen, weit abstehenden medusenhaften Haarsträhnen, die selbst wie Ranken wirken, ist nach links gewandt. Der muskulöse Oberkörper steht frontal und die Arme gehen seitlich am Körper entlang nach unten. Die linke Hand greift in die Kniekehle des rechten Beines und zieht den riesenhaften, wie eine Schin­ kenkeule erscheinenden Oberschenkel eng an den Körper, während die Rechte

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SANTIAGO – FORMSINTFLUT

Bild 186 Santiago de Compostela, Kathedral­ museum, Säule VI: Verkrümmter in Ranken.

hinter diesem schildartigen Schenkel vorbei den Unterschenkel stark nach oben zieht, der dadurch anschaulich das Auflager für die massige Schenkelkeule bildet. Der Spann dieses Fußes ist zusätzlich bildparallel nach außen gedreht; bis zur Sohle wächst eine wie eine Hand geformte Ranke, die den Fuß zu er­ greifen scheint. Die Gliedmaßen wirken so verrenkt und verquält, die Gelenke wie ausgekugelt und die einzelnen Körperteile ohne jeglichen nachvollzieh­ baren anatomischen Zusammenhang, dass sie wie die fleischigen Ranken den Eindruck erwecken, aus dem Nichts zu kommen, nur um wieder dorthin zu entschwinden. Der gesamte Körper wird bei dem verzweifelten Versuch, sich aus den Ranken zu befreien sowie über diese niederen Gewächse hinwegzustei­ gen, selbst zu einer Schlingpflanze; in diesem Fall aber nicht durch innere oder äußere Verwandlung, sondern durch die vom Bildhauer gewählten, nahezu men­ schenunmöglichen Bewegungen. Der Verrenkte entmenscht sich bei dem Unter­ fangen, der Sünden­Ranke zu entfliehen, selbst zur Ranke. Die berühmte Handschrift der Psychomachie des Prudentius aus dem neunten Jahrhundert zeigt auf Folio 35r (Bild 201) eine vergleichbar zergliederte Gestalt.31 Ein Mann wird von einer athletischen Frau seitlich eines Brandaltares dermaßen mit Fesseln traktiert, dass seine Körperteile anatomisch nicht mehr zuzuordnen sind; die verknoteten Hände ragen zu beiden Seiten des Kopfes, der von der Frau mit dem Fuß niedergetreten wird, wie Flügel ab, während ein Bein im Spagat nach vorne abgespreizt ist, das andere nach hinten gedrückt wird. Den

31

Psychomachie des Prudentius, 9. Jh., Bern, Burgerbibliothek, Ms. 264, fol. 35r.

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VI. METAMORPHOSEN – FORMWANDEL ALS METHODE

beigegebenen Bezeichnungen zufolge fesselt Fides, die Verkörperung des Glau­ bens, als athletisches Mannweib die Personifikation der sündhaften Idolatrie mit langen struppigen Haaren. Makellose Athletik ist hier der lasterhaften Verrenkung wie in Santiago als Extremkontrast gegenübergestellt. In der zweiten Windung entwickelt sich aus einer der linken oberen Ecke entwachsenden Ranke ein geflügeltes Mischwesen (Bild 56), das mit ge­ spreizten Raubkatzenpranken, wild nach hinten wehender Mähne und weit aufgerissenen Augen auf die Schulter einer vor ihr knienden Gestalt zusteuert. Diese hält einen Mantel, der, ebenso wie die Mähne des Mischwesens, nach hinten weht (Bild 188). Ihr Furienhaar steht weit nach oben ab. Mit einer sich windenden Schlange in beiden Händen stürzt sie mit angewinkelten Beinen über ein kleines Tier, dessen Beine angelegt sind, auf einen Ritter im Ketten­ hemd zu. Der Krieger in voller Rüstung füllt ebenfalls mit angewinkelten Bei­ nen die gesamte Höhe der Säulenwindung und hat sein Schwert in der Rechten. Vor ihm fällt ein vielleicht von dem Ritter getöteter Vogel kopfüber nach unten. Ein weiterer Raubvogel stürzt von rechts aus der Höhe mit ausgebreiteten Schwingen auf ein bäuchlings nach oben liegendes Pferd herab (Bild 188a), ob­ wohl Ranken beide Flügel umfangen haben. Mit dem leblos nach unten abge­ knickten Kopf, den ebenfalls eingeknickten Läufen und dem auf die kugelig massige Hinterflanke über eine Schlaufe herabgefallenen Steigbügel scheint das Pferd bereits tot zu sein. Es leistet zumindest der Attacke des Raubvogels keinerlei Widerstand, der seinen spitzen Schnabel in den Unterkörper des Pfer­ des rammt und mit den kammartig parallelisierten Krallen seines linken Fangs in den Hinterlauf des Pferdes dringt. Ein dritter Vogel rechts von dem Hinter­ lauf des toten Pferdes beißt mit nach oben verdrehten Kopf in die Ranke über ihm. In dem Freiraum zwischen Pferd und diesem Vogel jedoch tritt der nach rechts gekippte Kopf einer Raubkatze isoliert und ohne dazugehörigen Körper nur relativ flach aus dem glatten Reliefgrund der Säule hervor (Bild 188b). Der Raubkatzenkopf mit medusenhaft starr aufgerissenen Augen wirkt, als treibe er im Wasser. Dass dieser Eindruck nicht täuscht, erweist sich in der nächsten Säulenwindung. Dort kauert in der Ecke ein offenbar dämonisches Mischwesen mit drei extrem langen und scharfen Krallen an den Füßen, riesigen Henkelohren und mit Gabeln auf dem Kopf, die wie gebogene Büffelhörner abstehen (Bild 187). Über seinen runden Buckel ziehen die gleichen parallel laufenden Kerben wie sie auch die Ranken aufweisen, die den Dämon einspinnen, so dass dieser als Kreatur der urwüchsigen und ungezügelten Natur aus dem vegetabilen Gespinst in der Ecke herauszuwachsen scheint. Mit seiner rechten Hand hält er den Schwanz einer Schlange, die sich über die rechte Schulter einer Sirene (Bild 187a) mit an den Körper gezogenem Fischschwanz und radial abstehendem, drahtig wirken­ dem Haar schlängelt, unter der Achsel in einer weiten Schlinge über deren

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SANTIAGO – FORMSINTFLUT

Bild 187 Sirene.

Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule VI: Dämon und

Bild 187a Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule VI: Sirene.

Rücken kriecht und wieder zurück, den Fischschwanz umwindend, mit ihrem geschuppten Kopf unter der Sirene hervorkriecht.32 Das aufgeklappte Maul der Schlange beißt in die Spitze eines Ritterschildes mit einem Mann dahinter. Der im Dreiviertelprofil mit leicht angewinkelten Beinen im Schutz seines aufgestellten Schildes hockende Mann (Bild 189) in einem über die Schulter fallenden Soldatenmantel und einer runden Kopfbedeckung, die mit einer Art sich auffächernder Lamellen bedeckt ist, richtet die Spitze eines Langdolches in seiner ausgestreckten Rechten auf die Hand einer zweiten Person, die an seinem linken Unterschenkel liegt. Die Gestalt, die mit ihrem turbanartig um den Kopf gelegten Tuch vielleicht als Frau zu identifizieren ist, kniet an der Seite des Bewaffneten, der sie mit dem linken Arm am Hals umfängt und ihren Kopf nach oben in Richtung seines Gesichtes zu drücken scheint 32

Francisco Prado-Vilar, der die gesamte Säule in einer poetischen Interpretation als „Heimkehr“ des Odysseus nach Santiago liest, deutet die Sirene und den hinter ihr stehenden gehörnten Dämon als Scylla, die Odysseus bedroht und aus deren Leib Monstren herauswüchsen. Vgl. Francisco Prado-Vilar: Nostos. Ulysses, Compostela and the Ineluctable Modality of the Visible, in: Ausst.-Kat.: Compostela and Europe. The Story of Diego Gelmírez. Museo de la Catedral de Santiago de Compostela, hg. v. Manuel Castiñeiras, Mailand 2010, S. 260–269, hier S. 265.

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VI. METAMORPHOSEN – FORMWANDEL ALS METHODE

Bild 188 Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule VI: Dämonin und Ritter. Bild 188a Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule VI: Sintflut. Bild 188b Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule VI: Sintflut.

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SANTIAGO – FORMSINTFLUT

Bild 189 Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule VI: Sirene und Ritter. Bild 189a

Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule VI: Ritter und Frau.

(Bild 189a). Führt man sich alle Details vor Augen, so steht einer Identifizie­ rung beider als Liebespaar vieles entgegen.33 Sie schaut mit verkniffenem Strichmund zu ihm hoch; das Deuten mit dem Dolch auf ihre Hand sowie ins­ besondere das Heranziehen ihres Kopfes wirkt keineswegs innig, sondern ge­ waltsam. Mit ihrem weit nach hinten angewinkelten Arm drückt sie sich eher von ihm weg, als dass ihre Hand entspannt auf dem Bein ruht. Auch das auf­ flatternde Tuch um ihren Hals scheint die gewaltige innere Anspannung nach außen zu übertragen. Es könnte sich nach diesem Befund um eine Raptus­ Szene handeln – die Ursache der meisten Metamorphosen in antiker Tradition –, weil die Götter häufig eine Vergewaltigung vereitelten, indem sie die Körper der Bedrängten verwandelten. Dass eine Metamorphose auch in dieser Szene unmittelbar bevorstehen könnte, deutet sich vielleicht in den Gabelranken vor

33

Diese Deutung bei Serafín Moralejo Álvarez: Artistas, patronos y público en el arte del Camino de Santiago, in: Compostellanum 30 (1985), S. 395–430, hier S. 418ff.

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VI. METAMORPHOSEN – FORMWANDEL ALS METHODE

dem Knie und hinter dem Kopf der Frau an,34 die sie wie Daphne auf der Flucht vor Apoll zu einem Baum werden lassen.35 Ein etwaiger erotischer Gehalt wird zudem darin wahrscheinlich, weil im unmittelbaren Anschluss an die ungewollte Umgarnung eine Me erjungfrau mit wie aus Draht gedrehtem Haar, sich unter einem hauchdünnen Gewand abzeichnenden Brüsten und dem markanten Orestessarkophag-Gestus einer übergroßen Hand (Bild 190) auf eine nach unten gerichtete Lanze weist, während sie sich voyeuristisch zu dem Paar umwendet. Obwohl auch diese Sirene mit Fischschwanz von allen Seiten von Ranken umgeben ist, winden sich diese nicht um ihre Gliedmaßen oder ihren Körper. Vielmehr haben die Ranken ein weiteres Mal ihre Ge stalt geändert und sind nun zu Schlingpflanzen im Wasser geworden, die leicht mit der Strömung nach oben treiben, aber nichts einschnüren. Eine einzige Spitze einer der Wasserpflanzen wird sanft auf den Oberarm des Meerweibchens gespült. Die Fackel der ersten Erinnye hinter dem Vorhangtuch des Sarkophages in der Art eines römischen Liktorenrutenbündels (Bild 14) zeigt an der Seite drei Stäbe, die am oberen Ende von einem Ring zusammengehalten werden. Darüber ist das Brennmaterial in Form von Kugeln zu sehen, aus denen Flammen schlagen. Völlig überraschend ist der Schwanz des Sirene (Bild 187a) ähnlich wie die Fackel gestaltet, indem die Fischschuppen, die eher wie lange Federn aussehen, von zwei Ringen am oberen Ende gebündelt werden. Zusätzlich biegt die Sirene den Schwanz mit ihren Händen derart stark nach oben, dass sie dessen gebündeltes Ende zusammen mit der Schlange davor dem Ritter auf Kopfhöhe ebenso entgegenhält, wie die Sarkophag-Furie den Kopf des Heros mit der lodernden Fackel des Furor bedroht. Der Bildhauer der Säule hat die antike Furie offenbar in eine Sirene verwandelt, um die Atmosphäre einer maritimen Szenerie entstehen zu lassen.36 Der hochgehaltene Schwanz der Sirene wird bei ihm perfiderweise zur Fackel der Erinnye, wodurch er eine subtile

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36

In seiner Deutung der Säule als Odyssee sieht Prado-Vilar die sich organisch in vier Ästen verzweigende Pflanze zwischen den beiden fälschlich als Schiffsmast, unter dem Odysseus einem Gefährten Wachs in die Ohren schmiere, damit er nicht dem Gesang der Sirenen anheimfalle, vgl. Prado-Vilar: Nostos (a. a. O.), S. 265f. Abgesehen davon, dass die Beiden nicht in einem Schiff sitzen, bleibt völlig unklar, weshalb der vorgebliche Odysseus den Gefährten derart rapiat zu sich ziehen und sein Schwert gegen ihn richten sollte. Da er Rechtshänder ist, wie die Schwerthand verrät, würde er zudem wohl kaum das Ohr des Gefährten „mit links“ versiegeln. Dass derartige Lesarten im elften und zwölften Jahrhundert denkbar sind, belegt Caroline Walker Bynum, die unter anderem auf die Geschichte des Ciparrus, der in einen Baum mit grauenhaften Blättern verwandelt wird, als allegorische Interpretation des schmerzhaften Alterungsprozesses durch Arnulf von Orleans verweist. Vgl. Walker Bynum: Metamorphosis (a. a. O.), S. 99. Für die quecksilbrigen Wandlungen der Sirenen vgl. Michel: Tiere (a. a. O.), S. 67ff.

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SANTIAGO – FORMSINTFLUT

Bild 190 Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule VI: Meerjung­ frau mit Lanze.

Bild 191 Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule VI: Adler und Schlange.

Referenz zum Sarkophag zieht, zugleich aber auch die eminente Gefährdung des Protagonisten durch permanent mutierende Dämonen anschaulich macht.37 In der untersten Spirale der Säule schießt ein Adler mit zum Sturzflug starr angelegten Flügeln aus einem Rankengewirr in der linken Ecke auf wild bewegte Wassermassen herab (Bild 191), aus denen er mit dem Schnabel den Schwanz einer Wasserschlange ergriffen hat. Die Schlange versucht durch heftiges Winden im Wasser abzutauchen. Der Bildhauer hat diese formale He­ rausforderung gelöst, indem er einen Teil des Schlangenleibs sowie den Kopf über der Wasseroberfläche zeigt und einen kleinen Abschnitt mit einem Wel­ lenband wie mit einer Tuchbahn verdeckt (Bild 192). Eine kaum gezügelte Lust am Formenspiel mit dem Marmor der Säule legt dieser Künstler an den Tag, wenn er die Ranken, aus denen der Adler herabstößt, in einem fließenden Übergang von einem Luft­ zu einem Wasserstrom werden lässt, der seinerseits wieder nahtlos zur hölzernen Bordwand eines Schiffes wird, in dem ein Krie­ ger mit Rippenhelm, Schwert und Schild sowie sein deutlich kleiner gegebenes 37

Die Gefahr lag vor allem darin begründet, dass sich in der Hand von Dämonen potentiell jedes Ding in eine Waffe verwandeln konnte. Vgl. Walker Bynum: Meta­ morphosis (a. a. O.), S. 106ff.

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VI. METAMORPHOSEN – FORMWANDEL ALS METHODE

Pferd stehen (Bild 193). Im Raum dazwischen ist selbst der Schiffsmast, zu er­ kennen an den im rechten Winkel aufeinanderstoßenden Mast­ und Querbalken sowie je einem Ring für das Aufziehen der Takelage, nicht vergessen. Die ver­ renkt wirkende, über die Bordwand einknickende Körperhaltung mit dem nach oben gerichteten Kopf stellt erneut eine Adaption des vorsichtig über die Erinnyen stakenden Orestes auf der rechten Seite des Husillos­Sarkophages dar (Bild 61), wie er auch schon die Vorlage für den Abraham von Jaca gebildet hatte (Bild 71). Dass der Bildhauer alle Windungen der Säule miteinander zu einer Großnarration verknüpft hat, erweist sich darin, dass der auf dem Boot stehende Krieger angstvoll nach oben blickt, von wo aus die Sirene mit dem Spieß nach unten wie mit einem Blitz in Richtung Schiff zu stechen droht (Bild 193). Nicht nur aber gehen die Planken des Schiffes unten fast fugenlos in die paral­ lel ziehenden, von Fischen besiedelten Wellen über (Bild 194). Auch legt sich eine Ranke über das Boot, wächst unter dem Kopf des Pferdes hindurch Rich­ tung Bug des Schiffes, lappt dort wie eine Gewandschlaufe aus dickem Stoff über und läuft nach einer Kehre in die Holzplanken der Schiffswandung ver­ wandelt zurück (Bild 195). Auf nur wenigen Zentimetern Fläche hat die Ranke, die alle sechs Säulen überzieht, aber diese letzte Säule geradezu durchdringt und konstituiert, gleich viermal radikal ihre Stofflichkeit verändert. Damit hat sie sowohl die Eigenschaft eines eigenaktiven Elements der Schilderung als auch die Plattform für die Akteure gebildet, die sie besiedeln. Die Initiale aus dem Kloster Corbie (Bild 183a) hatte die Metamorphose eines Pferdes in einen Streitwagen, dessen Verwandlung in ein Schiff sowie die finale Entfaltung zu einem Labarumssegel mit Lilienzepter aus antiken Elemen­ ten entwickelt. Die Treibsegel und Schiffe von Jaca, León und Santiago greifen Elemente des Husillos­Sarkophages nicht nur direkt auf. Auf dem Orestessar­ kophag verknüpfen die ineinander übergehenden Tuchvorhänge, Menschen­ knäuel oder der Hermpilaster (Bild 133) – der sich von einer glatten steinernen Stele in einen menschlichen Oberkörper verwandelt, dabei von dem Stoff eines Parapetasma­Vorhanges zum Teil derart überdeckt wird, dass er optisch mit diesem verschmilzt – die räumlich und zeitlich geschiedenen Etappen der Ores­ tie elegant miteinander. Genau diese potentiell unausschöpflichen narrativen Verknüpfungen werden von den Bildhauern der drei Stationen bis zum Äußers­ ten ausgereizt. Moralejo Álvarez hat vorgeschlagen, das vorgebliche Liebespaar dieser verrätselten Säule mit Tristan und Isolde zu identifizieren. Diese Deutung wurde weithin akzeptiert, so dass hier die erste bildliche Umsetzung des einfluss­ reichsten Ritter­Epos des gesamten Mittelalters geboten wäre.38 Allerdings 38

Vgl. Moralejo Álvarez: Artistas, S. 421, sowie für den „caractère épique“ Durliat: La sculpture romane (a. a. O.), S. 344.

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SANTIAGO – FORMSINTFLUT

Bild 192

Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule VI: Schlange in Wasser.

Bild 193

Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule VI: Krieger in Schiff.

Bild 194 Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule VI: Wandel Schiff in Ranken. Bild 195

Santiago de Compostela, Kathedralmuseum, Säule VI: Wandel Schiff in Tuch.

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VI. METAMORPHOSEN – FORMWANDEL ALS METHODE

erscheint dies aus mehreren Gründen unwahrscheinlich: Die Säulen müssen in jedem Fall vor 1117 entstanden sein, als das Nordportal von den Einwohnern Santiagos partiell zerstört wurde, die deshalb so aufgebracht waren, weil Bischof Gelmírez ständig Baufron­ und Finanzlast der Kathedrale erhöht hatte, wobei auch die im Pilgerführer erwähnten Säulen teilweise mutiliert wurden. Da die heiße Phase des Rezeptionsfiebers des Husillos­Sarkophages nur eine knappe Generation bis etwa 1090 andauerte, bevor der antikische Stil so weit zum Selbst­ läufer geworden war, dass es keines direkten Zitierens mehr bedurfte, kann diese Säule im Vergleich mit den übrigen rezipierenden Skulpturen kurz vor 1100 datiert werden. Damit entstehen sie zu einem Zeitpunkt, zu dem selbst die früheste Fassung des Tristan­Stoffes, der um 1210 von Gottfried von Straßburg erstmals schriftlich niedergelegt wird, noch nicht in Ansätzen nachzuweisen ist.39 Vielmehr könnte hier im Gegenteil die Inspiration des Tristan­Textes aus der höfisch­antikischen Bildkultur der spanischen Orestes­Rezeption mit einem gegen mannigfaltige Gefahren sein Schwert schwingenden Recken, der heroisch auf dem Sarkophagfries mehrere plastisch geschilderte Abenteuer zu bestehen hat, als These formuliert werden. Dass die Identifizierung der Darstellung auf der Säule mit Tristan und Isolde nicht zutrifft, erweist sich in der Beschrän­ kung der Argumentation ausschließlich auf die Zweisamkeit eines vermeint­ lich ritterlichen Galans und dessen Minnefrau (Bild 189a). Dass der Ritter das Schwert auf sie gerichtet hat und die beiden in einer aquatischen Welt umgeben sind von Sirenen und anderen Meereswesen, die selbst bei den zwei Irland­ Reisen Tristans zu Isolde nicht zur Legende gehören, wurde in den bisherigen Deutungen nicht beachtet. Nur wenn die unbegrenzte Freiheit der Metamorphose aus der Rezep­ tion insbesondere des antiken Sarkophages ernst genommen wird, lässt sich die mutmaßliche Intention des Bildhauers der Säule erschließen. Zu sehen ist ein Kampf aller gegen alle in Fluten, denn gleich an mehreren Stellen metamor­ photisieren Tücher in Wellen, die wiederum von Sirenen und Meerwesen mit Fischschwänzen bevölkert werden und mit bäuchlings nach oben treibenden toten Pferden angefüllt sind. Es handelt sich bei den Darstellungen offensicht­ lich um die Wassermassen der Sintflut als Strafe für Verworfenheit, die in den Kanälen der Säulenwindungen abwärts rauschen. Auf vergleichbaren Sintflut­ darstellungen in den Beatus­Codices der selben Zeit treiben tote Tiere mit ihren entblößten Genitalien sowie die vom Erdboden getilgten Sünder mit noch im Tod lasziv gelüpften Gewändern und stark betonten Gesäßen, um ihre Sünd­ haftigkeit auszuweisen (Bild 196). 350 Jahre später wird Paolo Uccello in seinem 39

Zu den Umständen der Entstehung des Tristan­Stoffes umfassend der Tagungs­ band von: Christoph Huber (Hg.): Der „Tristan“ Gottfrieds von Straßburg (Sym­ posion Santiago de Compostela, 5. bis 8. April 2000), Tübingen 2002.

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SANTIAGO – FORMSINTFLUT

Bild 196 Paris, Bibliothèque Nationale, Beatus von Saint­Sever, fol. 52v, 12. Jh.: Sintflut.

Sintflutfresko von Santa Maria Novella in Florenz diesen surrealen Kampf je­ der gegen jeden in aller Schärfe wieder aufgreifen. Auf dem Lünettenfresko im sogenannten Chiostro Verde, dem Grünen Kreuzgang, sind ebenfalls Ritter hoch zu Roß zu sehen, deren Pferden das Wasser bereits bis an die Flanken steht, die aber dennoch leere Turniere gegeneinander ausfechten.40 Auf der Santiago­Säule halten die Schwestern der Orestessarkophag­ Erinnyen den Betroffenen der Sintflut zusätzlich Schlangen als Sündmale höh­ nisch vor. Mit dem prominent gezeigten untergehenden Ritter wird deutlich, dass kein Stand, auch nicht der vorgeblich ritterlichste, von der apokalyptischen Tabula Rasa der Sintflut ausgenommen ist. Mit der letzten der sechs Säulen – 40

Vgl. Franco und Stefano Borsi: Paolo Uccello. Florenz zwischen Gotik und Renais­ sance, Stuttgart und Zürich 1993, S. 183.

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VI. METAMORPHOSEN – FORMWANDEL ALS METHODE

und nicht wie bisher angenommen mit den Miniaturen der ersten Ritterroma­ ne – beginnt damit in Santiago die Ikonographie von Ritter, Tod und Teufel, in welcher der Ritter durch allerlei Verführungen immer tiefer in eine Abwärts­ spirale der Schuld gerät, die durch die Erzählrichtung der Säule von links oben nach rechts unten verbildlicht wird. Immerhin einem Krieger mit Schild und Pferd aber ohne Kettenhemd gelingt die Flucht zu Schiff. Ob der Bildhauer bei dem Schiff allerdings an die rettende Arche Noah und damit im übertragenen Sinn an das Sicherheit versprechende Schiff der Kirche dachte, bleibt angesichts der dämonischen Ranke, aus der das Boot als vegetabil­organisches Gebilde er­ wächst, wie auch bei dem unsicheren Standmotiv des skeptisch voll gerüsteten Kriegers zumindest zweifelhaft. In jedem Fall aber kommt der Bildhauer dieser Säule über die Antike zu seiner Freiheit im Spiel mit den Formen; nicht indem er Vorbilder imitiert, sondern indem er das Wesen der Antike in der grenzenlosen Freiheit der Meta­ morphose erkennt, die wie die Natura als nie versiegende Quelle der Kreativi­ tät aus sich selbst heraus unaufhörlich neue Formen schöpft und diese ge­ braucht. Insbesondere hat er hier den Kern der Ovidischen Metamorphosen, den Furor der Götter, die willkürlich alles und jeden in alles und jedes ver­ wandeln können, aufgegriffen und auf den Gott des Alten Testamentes über­ tragen. Theologisch war er darin unangreifbar, emanierte dieser Gott doch – darin Zeus vergleichbar – vor Moses wahlweise als Feuersäule, brennender Dornbusch oder Sturmwind, verwandelte Lots Frau in eine Salzsäule oder ge­ staltete einen Gegenpart von Adam aus dessen Rippenknochen, nachdem er diesen selbst aus Lehm geformt hatte.41 Die gesamte göttliche Schöpfung ist per definitionem in der Genesis animiert, und daher ließ sich das metamorphoti­ sche Formenspiel der Antike gedanklich problemlos anschließen.42 Zweifelsohne wurde den Pilgermassen am Nordportal von Santiago mit der Säule die zentrale Botschaft der alttestamentlichen Sintflut als typologi­ schem Vorläufer des Weltgerichts, das in der Folge zum bevorzugten Thema der Tympana wird, vor Augen gestellt: Nur der Eintritt in die Arca Nova des Heiligen Jakobus verhieß Rettung vor den verheerenden Wassermassen. 400 Jahre vor dem epochalen Sintflut­Fresko Michelangelos in der Sixtinischen Kapelle mit derselben Aussage, dass nämlich Papst Julius II. als „Neuer Noah“ das Schiff der Kirche in sicheres Fahrwasser würde führen können, wird unter Berufung auf die Autorität eines antiken Sarkophages in Santiago ein Heils­ versprechen gegeben, das sonst nur Rom bieten konnte. 41 42

Diese Argumentation findet sich bereits bei dem Theologen Gerald von Wales (ca. 1146–1223), vgl. Walker Bynum: Metamorphosis (a. a. O.), S. 17. Es handelt sich daher gerade nicht um einen Aufgriff der germanischen oder kelti­ schen Tradition der Kennings, poetischer Wortsubstitutionsspiele, wie Wolfgang Grape hypostasierte, vgl. Grape: Unerwartetes (a. a. O.), S. 36ff.

V II. DIE U N BÄ N DIGE A N T I K E – DA S W Ü T E N D E R S T I E R E

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Jac a – Ap ot ropa ion u nd M it h ra sk u lt

An der Südseite der im 18. Jahrhundert verlängerten Hauptapsis von Jaca ragt auffällig ein voluminöser Stierkopf unter einer Röllchenkonsole hervor (Bild 197). Der Kopf wächst aus einem Rumpf, der aus einem Dutzend annähernd gleich breiter Ringe besteht. Vor allem bei Zuchtstieren und Mastochsen bedecken häufig erstaunlich gleichmäßig geformte Speckfalten die gesamte Halspartie. Bereits in der römischen Kaiserzeit wurden in Spanien besonders wilde Stiere für die blutigen Kämpfe in der Zirkusarena gezüchtet. Dass es sich um einen Zuchtstier handeln könnte, deutet ein Strick über dem Maul des Stieres an, mit dem offensichtlich versucht wurde, das Tier zu zügeln. Möglicherweise sind mit den Ringen am Hals angezüchtete Speckwülste in stilisierter Form gestaltet.1 Die Wülste stauchen sich derart regelmäßig, dass der Eindruck entstehen kann, als schiebe sich der massige Schädel peristaltisch aus einer Art faltiger Kokonhaut heraus. Anders als die Konsolen mit Raubkatzen in Jaca, die wiederholt Verschlingungsszenen auf mehreren Kragsteinen hintereinander in filmisch anmutenden Sequenzen zeigen, steht der Stierkopf in seinem frontalen Starren in keinem narrativen Kontext mit benachbarten Konsolfiguren. Dies lässt umso mehr an eine apotropäische Absicht denken. Dass die Konsole, die sich vor der baulichen Streckung des Chors im 18. Jahrhundert entweder bereits an der Haupt- oder an der Nordapsis befand, heute in großer Höhe angebracht ist, ist kein Argument gegen die Wirksamkeit als Gegenbild des Bösen: „Mithin brauchen die Menschen jene Abbildungen der unholden Gewalten gar nicht zu sehen,

1

Die regelmäßige Form der in der Stierbullenzucht erwünschten Speckfalten sowie die Geschichte der Stierkämpfe findet sich detailliert erläutert in dem Standardwerk von José María de Cossio: Los Toros. Tratado técnico e histórico, Madrid 1943.

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VII. DIE UNBÄNDIGE ANTIKE – DAS WÜTEN DER STIERE

Bild 197

Jaca, San Pedro, Hauptapsiskonsole: Stierkopf.

diese wirken ohne ein Zutun von ihrer Seite im Verborgenen, auch in Dämmerung und Dunkelheit zu deren Seelenheil.“2 Vielleicht ist auch diese Konsole wie viele andere in Jaca von den knapp 400 figürlichen Kragsteinen San Martíns de Frómista inspiriert worden. Dort zeigt sich etwa eine Dekade vor San Pedro de Jaca als nördlicher Abschluss und Flankenschutz der Nordapsis ein mächtiges Stierhaupt mit stark eingebogenen Hörnern, die sich in der Mitte fast berühren (Bild 198a). Die aufgerissenen Augen sind mandelförmig eingetieft, die Nüstern langgezogene tiefe Schlitze; das Maul ist von einem Wulst umrandet, während die kleinen stilisierten Ohren wie metallische Blätter in der Mitte gekerbt sind. An der Südapsis von San Martín ist trotz der teilweisen Abwitterung der Maulpartie angesichts der Hörner erneut eine Stierkonsole zu erkennen (Bild 198b). Der massige Bullenkopf sitzt auf einem Röllchenfries an der Unterseite der Konsole. Der untere Teil des Maules ist wulstig umrandet, die Mundwinkel nach hinten zu einem dämonischen Grinsen verzerrt; die Ohren wie auch die Hörner ziehen wesentlich lebendiger nach oben. Die riesigen Augen sind ebenfalls durch einen Wulst umrandet, vor allem aber in der Art des Frómista-Meisters 2

Vgl. Georg Tröscher: Die Bildwerke am Ostchor des Wormser Doms, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 21 (1958), S. 123–163, hier S. 144.

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JACA – APOTROPAION UND MITHRASKULT

Bild 198a

Frómista, San Martín, Nordapsiskonsole: Stierkopf.

Bild 198b

Frómista, San Martín, Südapsiskonsole: Stierkopf.

mit einem als Pupille stehengebliebenen zylindrischen Stift gefüllt, so dass die Vertiefungen bei einer ursprünglich anzunehmenden farblichen Fassung noch starrender gewirkt haben müssen. Auch dieser Stierkopf scheint wie derjenige der Nordapsiskonsole in seiner abschreckenden Grobschlächtigkeit, dem starrenden Blick sowie dem diabolischen Grinsen mit apotropäischer Absicht eingesetzt zu sein. Zwar könnte das einmalige Auftreten einer Stierkonsole in Jaca als relativ beliebige Enummeration einer Vielzahl von auf den Konsolen dargestellten Tieren marginalisiert werden. Indem aber mit dem grobschlächtigen Stierschädel mit dolchspitzen Hörnern und wulstigem Nacken eine rohe Naturgewalt aufgerufen war, konnte das Bild auch den rabiatesten Dämonen in Tiergestalt entgegnen.3 Obwohl der Stier in Spanien seit alters her für seine überbordende 3

Beispielsweise wird der Minotaurus als Mischwesen mit Menschenleib und Stierkopf im Mittelalter häufig als besonders brutaler Dämon angesehen. Bereits Isidor hatte ihn in Etymologiae XI,2,38 als Bestie bezeichnet: „Ferner soll Minotaurus seinen Namen aus taurus (Stier) und Mensch erhalten haben, von welcher Bestie man in der Sage berichtet, dass sie in ein Labyrinth eingeschlossen gewesen sei. Von dieser [sagt] Ovid (Ars Amatoria 2,24): Semibovem virum, semivirumque bovem (einen Halbstier-Mann und einen Halbmann-Stier).“

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VII. DIE UNBÄNDIGE ANTIKE – DAS WÜTEN DER STIERE

Fruchtbarkeit und damit für seine schöpferische Potenz verehrt wurde,4 steht bei der grimmigen Erscheinung mit den wild aufgerissenen Augen in Jaca offenbar die Kehrseite seiner Natur mit roher, unbeherrschter, destruktiver Gewalt im Vordergrund.5 Dies wird, wie es auch bei vielen weiteren Motiven der Fall ist, in der Jaca spiegelbildlich auf der anderen Seite der Pyrenäen gegenüberliegenden französischen Kirche Sainte-Marie de Oloron auf die Spitze getrieben: Ein Stier mit gebleckter Zunge (Bild 199), der mit seinen weit aufgerissenen Augen dämonisch wirkt, ragt aus dem Zwickel der zwei das Tympanon der Kirche unterteilenden Bögen; die Spitzen seiner gespreizten Hörner scheinen ironischerweise das darüber angebrachte Chrismon, das wie in Jaca mit einem eingehängten S zum Zeichen der Trinität erweitert ist, wie eine Apisscheibe zu stützen.6 Nirgendwo existiert eine größere Fülle an plastischen Stierbildern der Antike und des Mittelalters als in Spanien; nirgendwo scheint das Amalgam aus den mindestens vier in Frage kommenden Quellen derart verdichtet wie hier. Bis in das dritte Jahrtausend vor Christus ist der einheimische iberische Stierkult nachzuweisen; ebenfalls vorchristlich sind die aus vielen griechischen Handelskolonien in Südspanien bekannten kretisch beeinflussten und hellenistischen Stieropferdarstellungen. Seit der römischen Eroberung Hispaniens kam der persische Mithraskult hinzu, der sich schließlich mit der alttestamentlichen Tradition des Goldenen Kalbes vermengt. Daher erscheint für die Entstehung von monumentalen figürlichen Stierskulpturen im elften Jahrhundert insbesondere die Verschmelzung von apotropäischen Praktiken der Antike mit 4

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Fritz Saxl hat seinem Buch über Mithras und insbesondere den Mithrasstier ein Relief vom Sockel des Grabmals von Kardinal Jacobo von Portugal (gest. 1459) in San Miniato al Monte in Florenz vorangestellt. Es zeigt den nackten Mithras, der seinen Dolch in einen Stier rammt. Gertrud Bing hatte den Stier als Inkarnation der Libido gedeutet, die durch die „tugendhafte Verachtung“ des Kirchenfürsten, der sich auf dem Relief als Mithras in heroischer Nacktheit zeigt, abgetötet wird. An der Stirnseite des Grabmals findet sich zudem zweifach das Einhorn als mittelalterliches Symbol der Keuschheit. Vespasiano da Bisticci als Zeitgenosse des vorgeblich keuschen Kardinals hat dies in die scheinbar staunend-ungläubigen Worte gefaßt: „Er sprach nie mit einer Frau, ging auch nicht hin, wo er eine hätte antreffen können.“ Vgl. Fritz Saxl: Mithras. Typengeschichtliche Untersuchungen, Berlin 1931, S. 110. Das Reverenzwerk einer in ihrer extremen Ausprägung zwischen Vergötterung und Tötung pendelnden, spezifisch spanischen Tauromachie und Taurophilie ist unverändert der seit dem Jahr 1943 immer wieder aufgelegte „El Cossío“, der für Schriftsteller wie Ernest Hemingway und Historiker gleichermaßen verbindlich war und ist. Vgl. de Cossio: Los Toros (a. a. O.). Zur Geschichte des Ochsen im Mittelalter vgl. John H. Moore: The Ox in the Middle Ages, in: Agricultural History 35,2 (1961), S. 90–93. Vgl. Peter Scott Brown: Portal, Sculpture, and Audience of the Romanesque Cathedral Sainte-Marie d’Oloron, Diss. (masch.), Yale University 2004, S. 326, fig. 61.

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JACA – APOTROPAION UND MITHRASKULT

Bild 199 Oloron, Ste.-Marie, Westportaltympanon: Stierkopf unter Chrismon.

dem biblischen Idol des Goldenen Kalbes entscheidend. Theologisch zumindest oberflächlich legitimiert, konnte dadurch der Vergötzung der äußerst plastischen Konsolfiguren mit ihresgleichen vorgebeugt werden. Neben der Ehernen Schlange stand deshalb, vermittelt über das Alte und Neue Testament, mit dem Stier ein weiteres Symboltier gleichsam stellvertretend für die Ambiguität antiker Idolatrie. In Gestalt des Goldenen Kalbes findet sich der Stier ägyptischer und vorderasiatischer Fruchtbarkeitskulte wie beispielsweise der des Mithras und des Apis in zahllosen Bildern des Mittelalters der anikonischen Verkörperung des mosaischen Gottes im Dekalog kontrastiv gegenübergestellt.7 Völlig überraschend zeigt sich bei einer Nachlese der einschlägigen Stelle der Vulgata mit der Verehrung des Goldenen Idols, dass dort eindeutig von vitulus, das heißt „Kalb“, die Rede ist. Die Künstler aber haben das in der Bibel genannte harmlose Vitulus-Kalb des Textes durch die Jahrhunderte hindurch fast ausnahmslos durch einen ehrfurchteinflößenden Stier ersetzt, oft sogar in Visualisierungen dieser Schlüsselstelle der Bildverehrung angesichts des Stiergott-Idols grundsätzlich über die Grenzen und Möglichkeiten 7

Zu den harten Auseinandersetzungen zwischen Christentum und Mithraskult vgl. beispielsweise Sabino Perea Yébenes: Un trasfondo mithraico en los conflictos religiosos en Alejandría en tiempos del emperador Juliano según la “Vida de Atanasio” en la “Biblioteca” de Focio, in: Studia historica. Historia antigua 24 (2006), S. 83–107.

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VII. DIE UNBÄNDIGE ANTIKE – DAS WÜTEN DER STIERE

Bild 200 Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Stuttgarter Psalter, Bibl. fol. 23, fol. 121r: Anbetung des goldenen Stierkalbs.

der Verbildlichung reflektiert. Dies zeigt sich ungewöhnlich deutlich an den entsprechenden Darstellungen des Stuttgarter Psalters aus dem ersten Drittel des neunten Jahrhunderts.8 Dort hält auf der linken Seite des Bildfeldes (Bild 200) der inschriftlich bezeichnete und durch den Berg Horeb, von dem er herabsteigt, noch leicht aufgesockelte Moses die Gesetzestafeln in die Höhe, ohne dass das Volk Israel davon Notiz nähme. Stellvertretend für das Volk stehen auf der anderen Seite eines durch Bodenwellen als Geländeeinschnitt angedeuteten Tales zwei Israeliten und opfern mit verhüllten Händen dem Goldenen Kalb. Dieses steht auf einem fast doppelt so hohen Sockel und ist durch die genau beobachteten, sich stauenden Speckwülste des Stiernackens sowie die mächtigen Hörner eindeutig als Stier gegeben. Dass hier wirklich an das Idolatrum einer Stiergottheit gedacht ist, zeigt die majestätische Körperhaltung mit den weit auseinandergezogenen, wie zum Sprung bereiten Läufen, die wie bei antiken Beispielen lebensgroßer Marmor- oder Bronzelöwen der Sphäre der imperialen Herrschaftssymbolik angehören, wie sie beispielsweise der Braunschweiger

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Sogenannter Stuttgarter Psalter, Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Bibl. fol. 23, fol. 121r: Psalm 106,19.

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JACA – APOTROPAION UND MITHRASKULT

Löwe mit der imposant gespreizten Körperpositur aufgreift.9 Der wedelnde Schwanz und der kritische Blick in Richtung der Opfernden werden vom Künstler offensichtlich als Medien der Beseelung dieser Goldskulptur durch dämonische Kräfte eingesetzt.10 Abweichend vom Wortlaut des Psalm 106, der über der Szene zu lesen ist: ET FECERUNT VITULUM IN MONTE HOREB ET ADORAVERUNT SCULPTILEM („und sie schufen ein Kalb am Berg Horeb und verehrten diese Skulptur“), ist in die eingetiefte Sockelzone folgende Inschrift graviert: HIC VITULUS QUEM FECERUNT IUDEI EX AURO PURO ET ADORAVERUNT CUM PRODE („Hier ist das Stierkalb [zu sehen], das die Juden aus purem Gold gemacht und mit Fleiß verehrt haben“). Damit nimmt der Künstler in der Vertiefung des Inschriftenfeldes, die perspektivisch durch Diagonalen in der Ecke angezeigt ist, nicht nur direkt ein antikes Statuen-Piedestal mit Dedikationsinschrift auf. Die körperliche Aufrüstung verrät die Transformation des Stierkalbs in ein augenscheinlich mächtigeres Stieridol. Er stellt dem von Moses gebrachten Dekalog auch ein plastisches Götterbild und eine scheinbar rühmende Beschreibung dieser Plastik „aus purem Gold“ gegenüber, indem er vielleicht aus bildmagischer Furcht oder zum Eigenschutz vor Idolatrie-Beschuldigungen den erweiterten Psalmtext zum Schutz auf den Sockel des Idols setzt. Einzigartig in der Buchmalerei aber ist die Szene, die sich im Tal zwischen Moses und seiner goldschimmernden Konkurrenz abspielt. Dort sind in einer Rückblende, aber simultan mit den übrigen Szenen, die Künstler des Goldenen Stierkalbs gezeigt, wie sie das gesammelte Gold der Israeliten einschmelzen und dessen Einzelteile auf dem Ambos schmieden. Dem Buchilluminator war die Entstehung des Idols augenscheinlich derart wichtig, dass er nicht nur 9

10

Vgl. Albert Gier: Ein mehrdeutiges Tier. Der Löwe im französischen Mittelalter, in: Der Braunschweiger Burglöwe. Bericht über ein wissenschaftliches Symposion in Braunschweig vom 12.10. bis 15.10.1983 (Schriftenreihe der Kommission für Niedersächsische Bau- und Kunstgeschichte bei der Braunschweigischen Wissenschaftlichen Gesellschaft 2), hg. v. Martin Gosebruch, Göttingen 1985, S. 189–200, hier v. a. S. 193ff. Der Horror vor dem Idolblick, der alles und alle in einem Raum zu erfassen vermag, findet sein Echo in Bernhard von Angers anfänglicher Idolatriekritik an einem Standbild des Heiligen Geraldus: „[…] so schien es auch mir Törrichtem nichtsdestoweniger in allzu hohem Maße eine verkehrte und dem christlichen Gesetz entgegengesetzte Sache, als ich zum ersten Male die auf dem Altar aufgestellte Statue des hl. Geraldus erblickte, durch reinstes Gold und kostbarste Steine ausgezeichnet und so betont auf die Ähnlichkeit mit der Menschengestalt hin gebildet, dass den meisten Landleuten scheint, sie sähe, wenn sie hinschauten, sie mit durchdringendem Blicke an und sie sei mit erwidernden Augen zuweilen den Bitten der Beter milder gewogen.“ Aus Bernhards von Angers 1007–1020 verfasstem Liber Miraculorum Sancte Fidis nach der Ausgabe von Auguste Bouillet, Paris 1897, S. 46ff.; zitiert nach: Wilhelm Messerer: Romanische Plastik in Frankreich, Köln 1964, S. 145.

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VII. DIE UNBÄNDIGE ANTIKE – DAS WÜTEN DER STIERE

Bild 201 Bern, Burgerbibliothek, Ms. 264, fol. 35r: Fides gegen CVLTVRA DEORVM.

den künstlerischen Prozess ausführlich zeigt, sondern mit seiner äußerst naturnahen Verlebendigung des Stieridols, dessen Plastizität durch Licht- und Schattenspiele auf dem Körper bis in den Stiernacken hinein besticht, fast schon einen Paragone zwischen Plastik und sie an Lebensnähe noch übertreffender Malerei anzettelt. Dass diese assoziative Verbindung von Stier mit antikem Opfertier und Götzendienst zugleich dem gesamten Mittelalter vertraut war, zeigt sich exemplarisch in der weitverbreiteten Buchmalerei zur Psychomacchia des Prudentius.11 Die älteste erhaltene Psychomachie-Handschrift aus dem neunten Jahrhundert in der Berner Burgerbibliothek (Ms. 264) zeigt auf Folio 35r (Bild 201) 11

Vgl. Adolf Katzenellenbogen: Allegories of the Virtues and Vices in Mediaeval Art. From Early Christian Times to the 13th Century (Studies of the Warburg Institute 10), London 1939, S. 2f.

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JACA – APOTROPAION UND MITHRASKULT

Fides, die Verkörperung des Glaubens, als athletisches Mannweib mit langem glatten Haar und Brüsten, wie sie einen Bärtigen mit langen struppigen Haaren fesselt, der in der Schriftzeile über dem Bild als VETERVM CVLTVRA DEORVM, als Kult der Alten Götter, bezeichnet wird.12 Im direkten Anschluss an diese Verkörperung des Götzenkultes steht ein aufgesockelter Brandaltar, dessen Seiten mit halbtransparenten Schleiertüchern behangen sind. Links hinter dem Altar lugt vorsichtig ein Stierkopf mit grauem Fell hervor, dessen Maul zwar stark berieben ist, der seinen Kopf aber ebenso unzweifelhaft in Richtung der Fesselungsszene wendet wie ein nacktes, auf Schild und Lanze gestütztes Idol auf einer blauen Marmorsäule am rechten Rand der Buchseite, der mit überkreuzten Beinen in Schrittstellung, der Geste seines nach oben weisenden, leicht eingebogenen Zeigefingers und der Verlebendigung durch sein hautfarbenes Inkarnat typische Merkmale eines Idols in mittelalterlicher Auffassung zeigt. Durch die anekdotische Schilderung des Stieres, der sich ängstlich vor der herkulischen Glaubenskämpferin hinter dem Brandaltar versteckt, während der Götze scheinbar mit einem Schritt über den Säulenrand fliehen will, werden aber die antiken Götzen in Form des Stieres und des nackten Abgotts nur auf den ersten Blick als machtlose Jammergestalten ins Lächerliche gezogen. Stier- wie auch Götzenbild wirken derart lebendig aus Fleisch und Blut, dass sich darin bildhaft die alte Furcht zu manifestieren scheint, die Dämonen seien in der Lage, in jede beliebige Hülle zu schlüpfen, um von innen desto fataler ihr schädliches Unwesen ausüben zu können. Dass der Künstler eine veritable antike Ringkämpferin als Fides in die Arena schickt, zeichnet den Gegner darüber hinaus als ernstzunehmend aus. Wohl nirgendwo finden sich diese zweischneidigen Vitalisierungen in Gestalt von Stierköpfen so zahlreich wie in Spanien, das bereits in der iberischen Kunst einen Stierkult mit monumentalen skulpturalen Darstellungen ausgeprägt hatte, wie es beispielsweise die berühmte Prozessionsstraße mit den Jahrtausende alten, immer oberirdisch sichtbaren Stierskulpturen von Guisando bei El Tiemblo in der Provinz Avila zeigt (Bild 202).13 Zahllos sind in Spanien die Stierkonsolen an den Seiten der Portale wie auch unter den monumentalen Heiligenstatuen, die anfangs selbst unter Idolatrieverdacht standen.14 Irritieren-

12 13 14

Für eine ausführliche Diskussion der Fides-Darstellung vgl. Fricke: Ecce Fides (a. a. O.), S. 97f. und Abb. V. Für die monumentalen granitenen Stierskulpturen von Guisando, vgl. Trillmich, Hispania antiqua (a. a. O.), Tafel 25. Maßgeblich zu diesen apotropäischen Amalgamen aus antik-paganer und christlicher Symbolik mit absolutem Schwerpunkt an spanischen Portalen ist: Ruth Bartal: The Coexistence of Christian and Pagan Apotropaic Signs in Spanish Romanesque Sculpture, in: Kalathos. Studies in Honour of Asher Ovadiah, hg. von Sonia Mucznik u.a., in: Assaph B 10/11 (2005/06), S. 507–528, hier v.a. S. 513f.

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VII. DIE UNBÄNDIGE ANTIKE – DAS WÜTEN DER STIERE

Bild 202 Guisando (Avila): Prozessionsstraße mit Stierskulpturen.

derweise findet sich aber am Pilgerweg auch eine prägnante Stier-Ikonographie, ohne einen solchen überhaupt zu zeigen. Es handelt sich um die blutige Tötung des Mithrasstieres durch den ursprünglich persischen Gott, dessen Kult insbesondere bei römischen Soldaten weit verbreitet war und über die Legionen aus dem Osten nach Spanien kam. Das für Krieger offensichtlich hochattraktive Mithras-Motiv des siegreichen Aufsetzens des Fußes auf einen Gegner (Bild 50) war keine Neuerfindung, sondern lässt sich direkt aus Nike-Darstellungen sowie der Ikonographie des die Keryneische Hirschkuh bezwingenden Herkules ableiten.15 Diese charakteristische Haltung des bei der rituellen Schlachtung in den Stiernacken gesetzten Beines und einer dynamischen Rückwendung des Mithras wird in Spanien häufig auf einen christlichen Heros übertragen, nämlich Samson, der dem Löwen das Genick bricht.16 Dies fand seine 15 16

Vgl. Saxl, Mithras (a. a. O.), S. 8. Die unterschiedlichen Typen der Mithräischen Stiertötung und ihre spätere Rezeption im christlichen Synkretismus finden sich aus bildwissenschaftlicher Sicht gültig aufgearbeitet bei Saxl. Wissenschaftsgeschichtlich erhellend könnte sein, ob Saxl die Anregung für dieses klassisch Warburgianische Werk eines typologischen Bild-Atlas ähnlich wie Isidor von Sevilla seinerseits aus der Kunst erhielt: Im Jahr 1912 hatte der Architekt Ludwig Hoffmann die von Wilhelm von Humboldt 1810 gegründete Berliner Universität um zwei nördliche Gebäudeflügel zu dem sprechenden Grundriss eines Humboldt-„H“ erweitert. In dem schlossartigen südlichen Treppenhaus des neuen Westflügels ließ er aus der umfänglichen Abguss-

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JACA – APOTROPAION UND MITHRASKULT

Begründung darin, dass Christus selbst überraschenderweise auf einigen Sarkophagen der Spätantike im Typus des Orpheus-Mithras mit dem Fuß auf ein Opfertier gesetzt und angewinkeltem Knie erscheint.17 Dass Herkules im Mittelalter häufig als verkleideter Samson wiederkehrt, hatte Kenneth Clark bereits im Jahr 1956 in seinem prägenden Werk „The Nude“ festgestellt, zugleich allerdings beklagt, dass dies nahezu ohne Gefühl für den nackten Körper unter der Überkleidung vonstatten gegangen sei.18 Während Clark zum Beleg seiner These nur französische Beispiele aus dem zwölften Jahrhundert anführt, zeigen spanische Skulpturen des elften Jahrhunderts hingegen eine ungeahnt souveräne Körperbeherrschung.19 Das Bileam-Kapitell des linken Südportalgewändes von Jaca zeigt auf seiner heute vermauerten Wand-Seite einen vorgebeugt stehenden Mann (Bild 203), der sein angewinkeltes linkes Bein mit der gesamten Masse seines Körpers in den Rücken eines Löwen stemmt (Bild 203a),20 um diesem mit beiden Händen in den Lefzen des Tieres durch einen jähen Ruck das Genick zu brechen. Obwohl es sich im positiv konnotierten Kontext mit dem Christus-Propheten Bileam und aufgrund der Tötung eines Löwen sicher um den alttestament-

17 18 19

20

sammlung des Archäologischen Instituts u. a. Gipsabgüsse der wichtigen MithrasAltäre aus Osterburken und Nida-Heddernheim sowie mithräische Kautopaten anbringen, wobei er in einer Superposition die Reliefs des Mithraskultes und deren Fackelträger-Skulpturen ihrer Bestimmung entsprechend in das dunkle Erdgeschoss widmete und das Relief mit der Apotheose des Kaisers Antoninus Pius in das lichtdurchflutete oberste Geschoss. Saxl, der als Student bei Heinrich Wölfflin sicher häufig über diese mithräische Treppenhaus-Bühne aus dem Dunkel ins Licht ging, hat sich sein bleibendes Mithras-Werk über Semester hinweg gleichsam erlaufen. Vgl. ebd., S. 81 und Abb. 177: Christus-Orpheus auf einem spätantiken Sarkophag, Rom, Museo Lateranense. Vgl. Clark: The Nude (a. a. O.), S. 179. José Luis Senra hat ein Kapitell der Burgkirche Loarre mit einem Löwenringer als Herkules gedeutet und in einen weiten Horizont der Herkules-Rezeption in Spanien gestellt; vgl. José Luis Senra Gabriel y Galán, ¿Hércules versus Cristo? Una posible simbiosis iconográfica en el románico hispano, in: Quintana 1 (2002), S. 275– 283, hier S. 280. Weil sich König Sancho Ramírez als treuer päpstlicher Vasall expressis verbis auch „Streiter des Heiligen Petrus“ („fidelis servus, miles Sancti Petri“, vgl. Senra: ¿Hércules versus Cristo? (a. a. O.), S. 279) nennt und in seiner Königsmacht herkulisch inszeniert, könnte das Heroenprogramm des Südportals seiner Kathedrale mit Abraham-Isaak sowie Bileam und Samson-Mithras allegorisch darauf anspielen. Moralejo Álvarez ist es zu verdanken, die verborgene Kapitellseite – vermutlich angeregt durch Thomas Lymans vorausgegangener Entdeckung und Veröffentlichung der eingemauerten dritten Seite des Sündenfallkapitells der Porte Miègeville von Saint-Sernin de Toulouse – durch eine Abformung und darauf folgende Umzeichnung sichtbar gemacht zu haben. Wie der weitere Verlauf von Samsons linkem Bein fußaufwärts ist, kann weder die Umzeichnung (Bild 203a) noch die schräg in den schmalen Spalt zwischen Kapitell und Wand geschossene Photographie (Bild 203) vollständig zeigen.

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VII. DIE UNBÄNDIGE ANTIKE – DAS WÜTEN DER STIERE

Bild 203 Löwen. Bild 203a

Jaca, San Pedro, Südportikuskapitell, eingebaute Seite: Samson tötet den Umzeichnung von Abb. 203 nach Moralejo Álvarez 1979, fig. 9.

lichen Heroen Samson handelt,21 bleibt doch die antike Vorbildfigur des Mithras unter der biblischen Überkleidung durch die von Samson-Darstellungen stark abweichende Körperhaltung deutlich sichtbar. Diese charakteristisch mithräische Pose des Bezwingens findet sich ebenfalls auf einem der monumentalen Kreuzgangreliefs in Santo Domingo de Silos (Bild 204). Dort blieb auf dem Großrelief der Grablegung Christi immer unerklärlich, warum die beiden äußeren Wächter des Grabes Christi im Sockelbereich der Szene bereits bei der Grablegung wie tot zu den Seiten hin sinken, obwohl dies erst bei der Auferstehung Christi aus dem Grab geschieht; diese selbst ist nicht dargestellt, sondern durch die Szene der drei Frauen am Grabe mit dem Engel im oberen Teil des Reliefs substituiert. Dabei zeigen die anscheinend widerstandslos nach außen gedrückten Legionäre im Kettenhemd extrem lebendige Beinmotive, die wie ein Derwisch-Tanz die Großform einer Art Schale für die übrigen, in der Mitte wie ohnmächtig nach hinten fallenden Soldaten bilden. Mit dem über die Samson-Amalgamierung verselbstständigten 21

Zur Typologie Samson-Christus in Spanien zuletzt: Rodríguez Montañés: Prefiguras cristólogicas (a. a. O.), S. 63ff. Wichtig dort der Hinweis auf die etymologische Aufladung des Namens Samson als „die Gewalt Gottes“, wodurch die brachiale Gewalt des heroischen Löwentöters bereits namentlich zum Ausdruck kommt.

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JACA – APOTROPAION UND MITHRASKULT

Bild 204 Santo Domingo de Silos, Kreuzgangsrelief: Grablegung mit Mithras-Legionären.

Motiv des aufgesetzten Beines des martialischen Mithras wird verständlich, warum selbst ohne Samson-Kontext in diesem pathetisch durch flatternde Gewänder aufgeladenen Moment der Grablegung die römischen Legionäre die Körperhaltung des römischen Soldatengottes Mithras einnehmen können. Das Mithras-Motiv wird zusätzlich aus dem für Silos typischen Hang zu gleichsam choreographischen, weil möglicherweise von den populären Geistlichen Schauspielen und Osterspielen inspirierten Symmetrisierungen heraus gespiegelt.22 22

Vgl. Ilene H. Forsyth: Magi and Majesty. A Study of Romanesque Sculpture and Liturgical Drama, in: The Art Bulletin 50 (1968), S. 215–222, hier v. a. S. 220ff.,

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Bild 205 Moissac, Kapitell: Samson-Mithras und der Löwe.

Seine neben dem Kreuzgangkapitell von Monreale auf Sizilien – für Erwin Panofsky ein Kronzeuge für die Renaissancen des Mittelalters – 23 sicher deutlichste Ausprägung findet Mithras auf einem Kapitell des auf um 1100 zu datierenden Kreuzgangs des südwestfranzösischen Moissac (Bild 205), der in zahlreichen Details denjenigen von Silos zitiert.24 Hier setzt Samson mit voller Gewalt dem Löwen, dessen Kopf er mit der rechten Hand im geöffneten Rachen nach hinten reißt, seinen linken Fuß in den Nacken, während sein rechtes Bein parallel zu dem ausgestellten Hinterlauf des Tieres geht.25 Wie bei dem antiken

23 24 25

sowie Stefan Trinks: „Zieh’ den Alten Adam aus!“ Anfänge und Grenzfälle einer Vestimentären Symbolik im Jahrhundert des Investiturstreits, in: Kleidung im Bild. Zur Ikonologie dargestellter Gewandung, hg. v. Philipp Zitzlsperger, Emsdetten/Berlin 2010, S. 11–32, hier v. a. S. 27. Vgl. Panofsky: Die Renaissancen (a. a. O.), S. 100–103. Vgl. Thorsten Droste: Die Skulpturen von Moissac. Gestalt und Funktion romanischer Bauplastik, München 1996, S. 226. Wilhelm Messerer hat in seiner Studie zu den permanenten Forminventionen der Romanik sprachlich fesselnd die extreme Körperhaltung des Samson dieses Kapitells mit dem Isaias von Souillac verglichen, der seiner prophetischen Ekstase wie vielleicht keine zweite Figur des Mittelalters körperliche Form gibt, und spricht von „Einstemmen“ des Samson als „Gestalt der Gewalt“ sowie einer Komposition von Bezwinger und durchgebogenem Löwenkorpus als „Pfeilschütze und Bogen“. Messerer erwägt aber nicht, dass Samson hier die Mithras-Pose übernommen hat, die bei dem Propheten Isaias sicher keine Rolle spielt. Vgl. Wilhelm Messerer: Romanische Plastik in Frankreich, Köln 1964, S. 30f.

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LEÓN – OPFERTIER UND TOTENKULT

Mithras-Motiv überschneiden sich damit dynamisch die zwei gegenläufigen Bewegungen des Zurückreißens und Nach-vorne-Tretens mit den zwei Reliefschichten des dadurch überkreuzten Körpers, wodurch dieser in alle Richtungen ausgespannt wirkt. Selbst der als bewegtes Beiwerk meist hinter Mithras aufflatternde Gewandzipfel fehlt bei dem Samson von Moissac nicht, dessen aus dem Kapitell heraus gewendetes Gesicht mit der griechischen Nase, den scharf eingeschnittenen Augen über hohen Wangenknochen, den Henkelohren und dem ornamental wie ein Tuch vorgehängten Bart mit stilisiert lächelndem Mund auffällig starke Züge archaischer Plastik zeigt.

B

L e ón – O pfer t ier u nd Toten k u lt

Seitlich der Puerta del Cordero von San Isidoro de León (Bild 39) steht Isidor als Schutzherr der Basilika ebenso über einem Stierkopf mit mächtigen, horizontal weit ausladenden Hörnern (Bild 206a) wie der Märtyrer-Heilige Pelagius auf der rechten Portalseite (Bild 206b). Der kräftige Stierschädel trägt scheinbar mühelos die schwere quadratische Plinthe, auf der das Standbild des Heiligen Isidor aufragt, weil seine Stirn von der auf ihm lastenden Platte nicht etwa flachgedrückt wird, sondern sich ihre sanft geschwungene Kontur bewahrt. Die direkt unter den Hörnern ansetzenden Ohren sind nicht bildparallel zum Betrachter gegeben, sondern leicht nach vorne und unten gerichtet, so dass es wirkt, als lausche der Stier aktiv in Richtung der Herantretenden. Dieser lebendige Eindruck wird noch dadurch verstärkt, dass sich über den kugelig starrenden Augäpfeln in den tief eingebohrten Augenhöhlen drei unterschiedlich dicke Wülste stauchen, als ziehe der Stier in diesem Moment die Augenbrauen hoch oder runzele die Stirn. Bei genauem Hinsehen erweist sich darüber hinaus, dass der Kopf insgesamt leicht geneigt ist, die Gesichtshälften wie bei einem menschlichen Gesicht als asymmetrisch charakterisiert sind und das rechte Auge des Stiers um einiges höher gezogen ist als das linke. Mit einem über die Mitte vertikal nach unten laufenden subtilen Buckel auf seiner Stirn, den schnaubend geweiteten Nüstern sowie dem fast unmerklich geöffneten Maul hat der Bildhauer dem Stier damit nicht nur pygmalionhaft Leben eingehaucht. Er verleiht ihm auch geradezu individuelle Züge. Mit den hochgezogenen rechten Augenfalten, die dem Gegenüber erkennendes Registrieren signalisieren, sowie dem wachen Blick scheinen sogar Ansätze mimischer Affekte in dieses Stierportrait eingeschrieben zu sein. Es wurde vermutet, dass hier symbolisch auf die Ikonographie von Psalm 91,1326 verwiesen sein könnte, weil in dem Nacken des Stieres ein miniaturhafter Löwe lagert, über den es in eben diesem Psalm heißt, dass er mit den 26

„Super aspidem et basiliscem ambulabis, leonem et draconem conculcabis.“

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VII. DIE UNBÄNDIGE ANTIKE – DAS WÜTEN DER STIERE

Bild 206a León, San Isidoro, linke Seite der Puerta del Cordero: Stierkonsole unter Isidor.

anderen Verkörperungen des Bösen zermalmt werden wird.27 Wie Christus auf das Haupt von Aspisschlange, Basilisk, Löwe und Drache tritt – wobei Löwe und Drache wie auf dem Tympanon in Jaca durch andere Bestien ersetzt werden können – so stehen in León, Toulouse und Santiago der Heilige Isidor und der Heilige Pelagius in nachvollziehender Sukzession Christi auf den wilden Tieren, was einem Unterwerfungsgestus gleichzukommen scheint.28

Bild 206b León, San Isidoro, rechte Seite der Puerta del Cordero: Stierkonsole unter Pelagius. 27 28

Dass bei den auf Tieren stehenden Heiligen spanischer und französischer Portale oft auf Psalm 91,13 angespielt wird, hat vor allem Ruth Bartal herausgearbeitet. Vgl. Bartal: The Coexistence (a. a. O.), S. 514f. Obwohl Bartal einen Moment lang zu erwägen scheint, ob die Tiere mit den jeweiligen Legenden der Heiligen in Verbindung stehen könnten, wie im Fall des Martyriums des Heiligen Saturninus in Toulouse der Stier, verwirft sie den Gedanken zurecht wieder, weil der Heilige in Saint-Sernin gerade nicht auf einer Stierkonsole steht. Vgl. ebd., S. 514.

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LEÓN – OPFERTIER UND TOTENKULT

Bild 207 León, San Isidoro, inneres rechtes Gewändekapitell der Puerta del Cordero: Stier.

Dass damit nicht der zahnlose Stier des Evangelisten Lukas gemeint war, sondern eine durch ihr unberechenbares Wüten sowie ihre schier übernatürliche Kraft in den Grenzbereich der Dämonisierten gehörende Kreatur, zeigt sich nur wenige Meter entfernt auf dem rechten inneren Gewändekapitell der Puerta del Cordero (Bild 207). Hier hockt ein fettleibiger geflügelter Dämon, der sich mit Vogelkrallen in den Kapitellhalsring krallt, mit starrendem Blick an der Kapitellecke. Seine langsträhnigen Haare hängen wie Vorhangschnüre über Schultern und Flügel; die kantigen Schwingen breitet er zu den Kapitellseiten gleichsam schützend über einen gehörnten breitschädligen Teufel mit langen Haaren und Vogelkrallen zu seiner Linken sowie einen Stier mit mächtigen Hörnern und abknickenden Hufen zu seiner Rechten aus. Bereits die Analogie zu dem ebenfalls gehörnten Dämon auf der anderen Kapitellseite, erst recht aber die schnaubende Aggression, mit der der Stierdämon seine Hörner aus dem Kapitell zu stoßen scheint, reihen den Stier unter die Abgesandten der Hölle ein. Die Stiere unter Isidor und Pelagius (Bild 206a und 206b) wirken mit den weit aufgerissenen Augen, den drohend geblähten Nüstern sowie im Vergleich mit der miniaturisierten, anscheinend verängstigt auf ihm kauernden Raubkatze zudem keinesfalls schicksalsergeben oder bereit zur Unterwerfung. Vielmehr scheint wie schon in Jaca ein Mithrasstier, der den Bildersturm des

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VII. DIE UNBÄNDIGE ANTIKE – DAS WÜTEN DER STIERE

Bild 208 Ostia, Museo Ostiense, Marmorgruppe, 2. Jh. n. Chr.: MithrasStieropfer.

Frühchristentums überlebt hatte, absichtsvoll zitiert worden sein. Womöglich handelte es sich bei dem Vorbild um eine vollplastische Gruppe, denn zum einen ist bei den erhaltenen antiken Gruppen unter den Tieren, die den Mithrasstier anfallen, häufiger ein Löwe wie auf der Konsole von León zu sehen. Zum anderen sind insbesondere die eng an den Körper angewinkelten und extrem stark nach oben gebogenen Vorderhufe des Stiers charakteristisch für vollrunde Mithrasgruppen. Eine außergewöhnlich gut erhaltene Marmorgruppe aus Ostia beispielsweise (Bild 208) zeigt in der frontalen Ansicht ähnlich gestauchte Speckwülste an den rückwärts umgebogenen Vorderläufen wie sie bei dem Leoneser Stier in der Beuge angedeutet sind.29 Der Mithraskult war, wie bereits angedeutet, in den römischen Legionen so stark verwurzelt, dass miltärisch geprägte Städte zu Brutstätten der Mithras-Ikonographie werden konnten. Dies gilt in Spanien in besonderem Maße für zwei Städte: Zum einen für Emerita Augusta, dem als Altersruhesitz für die emeritierten Veteranen des Augustus gegründeten heutigen Mérida, 29

Mithras-Gruppe aus Ostia, Museo Ostiense, Marmor. Vgl. Guido Calza: Scavi di Ostia, Rom 1962, Nr. 30.

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LEÓN – OPFERTIER UND TOTENKULT

Bild 209 Taurus.

León, San Isidoro, Puerta del Cordero, Zodiacusmetope:

zum anderen für León, dessen abgeschliffener antiker Name LegioVII Gemina bereits seine ursprüngliche Bestimmung als Garnisonsstadt der siebten römischen Doppellegion und damit bedeutenden Militärstützpunkt verrät. Dazu kam, dass gleich mehrere römische Imperatoren wie Commodus, Septimius Severus oder Caracalla den Kult förderten.30 Unter den aus Spanien stammenden Kaisern Trajan und Hadrian blühte der Kult in deren Heimatland auf, zahlreiche neue Mithräen wurden errichtet. Dass sich in Spanien gleichwohl weniger Mithras-Darstellungen als in den übrigen Teilen des Römischen Imperiums, insbesondere in Italien selbst, erhalten haben, nimmt nicht Wunder: Viele Kirchenschriftsteller berichten selbstgefällig und weitschweifig von großangelegten und systematischen Zerstörungsaktionen gegen den Mithräismus und seine Kultbilder im vierten Jahrhundert.31 Aus keiner Religion aber hatte das Christentum synkretistisch mehr Elemente assimiliert; keine Religion war der seit Kaiser Konstantin approbierten und seit Theodosius zur Staatsreligion gekürten näher, so dass nicht nur pragmatisch der letzte ernstzunehmende Konkurrent ausgeschaltet werden musste, sondern vor allem die Erinnerung an die opportunistischen Übernahmen schnellstmöglich vergessen gemacht werden sollte. Es scheint daher fast konsequent, dass in Spanien mit seiner Fülle an Stierkultdarstellungen die ikonoklastische damnatio memoriae gegen den Mithraskult besonders gründlich betrieben wurde. 30 31

Vgl. Merkelbach: Mithras (a. a. O.), S. 175. Vgl. Manfred Clauss: Mithras. Kult und Mysterien, München 1990, S. 178.

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VII. DIE UNBÄNDIGE ANTIKE – DAS WÜTEN DER STIERE

Bild 210 León, San Isidoro, NordquerhausOstwandkapitell: Stierbukranium.

Für eine direkt aus dem antiken Fundus der Legionsstadt Legio überkommene Mithras-Darstellung spricht ferner die dritte außergewöhnliche Erscheinung eines Stieres an der antikischen Bilderschauwand des Cordero-Portals. Anders als bei dem Zodiacus-Bild des Widders, der mit dem gesamten Körper im Profil gezeigt ist, ragt auf der Reliefplatte des Taurus (Bild 209) wiederum nur der massige Kopf des Stieres heraus. Er versinnbildlicht durch seinen schnell entflammten Furor in der Temperamenten- und Zodiacuslehre nicht nur seit alters her das Element des Feuers, sondern starrt darüber hinaus apotropäisch mit weit aufgerissenen Augen aus der Wand. Rechts und links des Kopfes knien zwei Männer mit antikem ChlamysSoldatenmantel. Ihre stark angewinkelten Beine – bei dem linken in Form eines rechten Winkels, bei dem rechten in einem leicht spitzen – zeigen nach innen, die Köpfe sind nach außen gedreht. Sie umfassen die unnatürlich angewinkelten Vorderläufe des Stieres und biegen diese nach oben. Indem sie zusätzlich mit ihrem Körpergewicht auf die Läufe des Stiers zu drücken scheinen, nehmen die Männer dabei zu Seiten des Stiers exakt die sich sonst auf den Rücken aufstemmende Körperhaltung des Mithras ein. Wie schon bei den beiden befremdenden Mithras-Soldaten auf dem Grablegungsrelief in Silos war das Mithras-Motiv mit seinem großen Wiedererkennungswert den Bildhauern offensichtlich derart in Fleisch und Blut übergegangen, dass es selbst in einen völlig anders gearteten Kontext wie einem Sternzeichenbild einfließen konnte. Das dynamische Motiv ist offensichtlich so vertraut, dass der Künstler es nach Belieben um eine innere Achse drehen kann: Während der Stierhalter auf der linken Seite in einem klaren Profil gegeben ist, das durch die wie Pfeile schräg nach oben in Richtung Schulterfibel und scharf geschnittener Nase ziehenden

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LEÓN – OPFERTIER UND TOTENKULT

Bild 210a León, San Isidoro, NordquerhausOstwandkapitell: Stierbukranium.

Chlamys-Falten schwungvoll unterstrichen wird, dreht sich der rechte mit seiner muskulösen linken Schulter sowie seinem Kopf wesentlich stärker nach vorne in den Raum hinein. Mit dem spitz angewinkelten Bein, dessen Fuß zudem noch nach hinten unten abgeknickt ist, besitzt er die Federkraft und tänzerische Spannung eines Athleten. Zusätzlich präsentiert er seinen breitschädligen Kopf mit dem kantigen Kinn und den ungeschlachten Gesichtszügen unter der Kopfbinde in einem dynamischen Dreiviertelprofil. Wenn auch der Stierkopf des Sternbildes Taurus in diesem Fall zu stark verwittert ist, um sichere Aussagen treffen zu können, lassen sich zumindest im Gesicht des rechten Stierhalters wiederum unverkennbare Anzeichen einer subtilen Visualisierung von herkulischer Kraft wie auch Derbheit im Kräftemessen mit der Naturgewalt des Stiers ausmachen. Nach dem konstatierten Negativbefund nicht einer einzigen erhaltenen antiken Mithrasdarstellung in León im Gedächtnis erscheint es umso bizarrer, dass der offiziell durch die massiven ikonoklastischen Interventionen der Kirche nahezu ausgelöschte antike Stierkult von Künstlern im elften Jahrhundert wie durch einen Zeittunnel hindurch scheinbar aus dem Nichts in vollen Zügen reanimiert wird. Exemplarisch zeigt sich dies im Inneren von San Isidoro de León auf der Ostwand des nördlichen Seitenschiffs. Dort findet sich auf dem linken Fensterkapitell in unmittelbarer Nachbarschaft des Sanktuarium-Chorbereichs eine der rätselhaftesten Darstellungen des gesamten Pilgerwegs. Ohne erkennbaren narrativen Zusammenhang, mit Blick auf den Hauptaltar, ragen aus den beiden Seiten des Kapitells zwei knochige Schädel eines Stiers mit insektenhaft aufgerissenen Augen hervor (Bild 210). Durch das unter den Stierhäuptern drapierte, stofflich wirkende Ornamentgebinde sind sie als antik-pagane

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VII. DIE UNBÄNDIGE ANTIKE – DAS WÜTEN DER STIERE

Bild 211

Mérida, Fries, 1. Jh. n. Chr.: Stierbukranien.

Bukranien, als Stieropferschädel ausgewiesen.32 Bereits Fritz Saxl hatte die häufig bei Mithrasstier-Darstellungen zu findenden Binden um den Stierkopf als Kennzeichnung des Opfertieres identifiziert.33 Wie auf dem Bukranienfries eines heidnischen Sarkophages nimmt diese einzigartige Darstellung ohne jeden Hinweis auf eine christliche Deutung als Lukasstier-Evangelistensymbol zudem jeweils die gesamte Kapitellseite ein (Bild 210a).34 Dass der Schädel in einer Dichotomie aus Toten- und Fruchtbarkeitskult den wichtigsten Platz einnimmt, ist Kennzeichen antiker Bukraniensarkophage und -friese, wie es exemplarisch derjenige von Mérida zeigt (Bild 211).35 Ein Zitat eines heute nicht mehr bekannten antiken Sarkophags mit Stier-Bukranien amalgamiert auf dem Kapitell offenkundig mit dem als Gegenbild eingesetzten Idolum des Goldenen Stierkalbs der Bibel. Es ist aber nicht der Leib eines Goldenen Kalbs auf einem Sockel als legitimierender Meta-Ebene auf dem Kapitell zu sehen, sondern ausschließlich ein äußerst lebendig wirkender Stierschädel als freimütiges Signum einer augenscheinlich unausgesetzten Antike. Wie aber war diese theologisch angreifbare Reduktion des Stierbildes

32 33 34

35

Vgl. Bartal: The Coexistence (a. a. O.), S. 511. Vgl. Saxl: Mithras (a. a. O.), S. 13. Bei den starrenden Widderköpfen in den Ecken des Cordero-Portaldurchgangs ließe sich Ruth Bartal zufolge zumindest noch ein loser narrativer Konnex vermuten, weil auf dem Tympanon des Portals der Widder als Opfertier erneut erscheint. Vgl. Bartal: The Coexistence, S. 510. Für den Bukranienfries von Mérida mit seinen sehr plastischen Fruchtgirlanden und Stoffbändern über zwei Stierschädeln vgl. Trillmich: Hispania Antiqua (a. a. O.), Tafel 61a.

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SANTIAGO – PORTALWÄCHTER UND BELEBTER STEIN

auf den Kopf mit den bannenden Augen als klassisches Apotropaion zu legitimieren? Überraschend findet sich ein wichtiger Hinweis auf den antiken ApisStierkult wiederum in den Schriften des Patroziniumsheiligen und intellektuellem Stichwortgeber der Basilika: „Apis war bei den Ägyptern ein Stier, der dem Serapis geweiht und nach diesem benannt war, welchen die Ägypter wie eine Gottheit verehrten, weil er offensichtliche Zeichen hinsichtlich der Zukunft gab“, um kurz darauf mit der provokanten These zu schließen: „Ein Bild seines Kopfes machten sich die Juden in der Wüste.“36 Isidor behauptet hier – darin fundamental von sämtlichen übrigen kirchlichen Autoritäten abweichend – nichts Geringeres, als dass es sich bei dem Idol der Juden beim Exodus nicht um ein eigenständig erfundenes Ganzkörper-Kultbild,37 sondern um eine direkte Kopie des ägyptischen Apis-Stier in Form seines Hauptes gehandelt hätte.38 Erneut erweist sich, dass sowohl die Auftraggeber als auch die Künstler eine adäquate antikische Hintergrundsfolie und Atmosphäre schaffen wollten, die Isidor als Gewährsmann der Antike par excellence angemessen wäre. Dabei schrecken sie – unter der immer gegebenen Berufungsmöglichkeit auf Isidor – nicht davor zurück, im Eingangsbereich wie im Herzen der Kirche rein heidnischeGötzenbilderwieApis-Bukranienals„GoldeneKälber“sowiedenMithrasstier zu reanimieren.

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„Sed et super singula apostolorum capita quorundam bo[v]um ex liminaribus exiliencium capita sculpuntur.”39 Herbers übersetzt: „Über den einzelnen Häuptern der Apostel sind aus den Pfeilern hervorspringende Stierköpfe gemeißelt.“ Die bisher kaum beachtete Beschreibung des ehemaligen Nordportals von Santiago de Compostela im Pilgerführer von etwa 1134 birgt zwei entscheidende Schlüsse zum Verständnis der romanischen Portalskulptur als Schwellenphänomen.40 Der Rumpf, aus dem die Stierhäupter wachsen, ist mit „aus den Pfei36 37

38

39 40

Etym. VIII,11,86. Erinnert sei lediglich an das bekannte Kapitell aus Saint-Lazare in Autun mit Goldenem Kalb, das von Moses vom Kopf an mit einer Brechstange zwischen den Stierhörnern zertrümmert wird, wohl um zuerst den bannenden Blick zu brechen; vgl. Setlak-Garrison: Reinterpreting (a. a. O.), S. 370. Jan Assmann, der vielleicht beste Kenner der Ableitungen des jüdischen Monotheimus aus der ägyptischen Theologie, zieht die einzigartige Isidor-Stelle für seine Argumentation nicht heran. Vgl. Jan Assmann: Moses der Ägypter. Entzifferung einer Gedächtnisspur, Darmstadt 1998. Vitr. 6,3,4. Vgl. Calvin B. Kendall: The Allegory of the Church. Romanesque Portals and Their Verse Inscriptions, Toronto 1998, S. 5ff. nach Arnold van Genneps rites de passage.

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VII. DIE UNBÄNDIGE ANTIKE – DAS WÜTEN DER STIERE

Bild 212 Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Stuttgarter Psalter, Bibl. fol. 23, fol. 26v: „Viele Hunde umlagern mich“.

lern“ in der deutschen Übersetzung des Pilgerführers an dieser Stelle nicht sonderlich präzise.41 Vielmehr bedeutet ex liminaribus nach Vitruv, dass etwas „ab Höhe der Portalschwelle“ aufwächst, um den Türbalken zu tragen. Zusammen mit dem energetischen Begriff exilium, „hervorspringend“, schwingt somit der antike Gedanke einer ars vitalis mit, die durch die steinernen ApostelPfeilerkörper wie durch Saftbahnen eines Baumes strömend sich zu Tierköpfen auswächst. Hinzu kommt, dass die in Verbindung mit den im Pilgerführer einen Satz zuvor wie lebendige Wesen beschriebenen steinernen Wächterlöwen – „zwei große wilde Löwen stehen außen an den Wänden; sie betrachten ständig

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Für die ansonsten vorzügliche deutsche Übersetzung des Pilgerführers, vgl. Herbers: Der Jakobsweg (a. a. O.), S. 166.

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Bild 212a Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Stuttgarter Psalter, Bibl. fol. 23, fol. 26r: „Feiste Stiere bedrängen mich“

die Türen, als wollten sie diese bewachen, einer auf der rechten und einer auf der linken“ – 42 auch den „hervorspringende(n)“ Stierköpfen eine aktive Abwehrfunktion zugeschrieben wird.43

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„Duo vero leones magni et feroces forinsecus in parietibus habentur, qui valuas quasi observantes semper respiciunt, unus ad dexteram et alius ad levam.“ Für eine Besprechung der Stelle vgl. Bartal: The Coexistence (a. a. O.), S. 509, die das Ausschweigen der Pilgerführer-Verfassers Aimery Picaud über die Bedeutung der Portallöwen bedauert, sowie Annie Shaver-Crandell/Paula Gerson: The Pilgrim’s Guide to Santiago de Compostela. A Gazetteer, London 1995, S. 90. Thomas Lyman hat diese unauflösliche Verknüpfung zwischen apotropäischem, heraldisch-emblematischem sowie funeralem Gehalt als Totenwächter am Beispiel der Portaltierköpfe der Porte de Comtes in Saint-Sernin de Toulouse betont, die zugleich als Grablege der Grafen von Toulouse diente. Vgl. Thomas Lyman: The Sculpture Programme of the Porte des Comtes Master at Saint-Sernin in Toulouse, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 34 (1971), S. 12–39, hier S. 22.

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VII. DIE UNBÄNDIGE ANTIKE – DAS WÜTEN DER STIERE

Wie schon bei dem Konsolstier in Jaca und den Stierkonsolen in León wird daher auch hier im liminalen Portalzusammenhang nach dem antiken Prinzip des similia similibus curantur Gleiches mit Gleichem bekämpft, das heißt, dem drohenden bösen Blick eines Dämons wird mit dem ebenso stechenden Blick einer dreidimensional beseelten Skulptur entgegnet. Dass der Stier als abschreckendes Untier den in Spanien meist als Portalwächterkonsolen eingesetzten dämonischen Raubkatzen mindestens ebenbürtig war, beweist allein die Tatsache, dass er in Psalm 22,13 als Widerstreiter und Bedränger Christi angesprochen wird: „Tauri pingues obsederunt me“ („Feiste Stiere bedrängen mich“). Bekannt ist der Psalm vor allem wegen des Verses 22,17 „Circumdederunt me canes multi“ (Bild 212), das heißt: „Viele Hunde umlagern mich“, weswegen bei zahlreichen Kreuzigungen Hunde um den Kreuzesstamm streichen.44 Weitaus weniger bekannt ist die diesem vorausgehende Sentenz in Psalm 22,13, was in Psalm 22,21 als Bedrohung durch die Hörner der Bullen wiederholt wird: „Circumdederunt me vituli multi“ („Viele Stiere umgeben mich“). Christus selbst wird auf Folio 26r im Stuttgarter Psalter von massigen Stieren bedrängt (Bild 212a), und so hat er die Hände im Orantengestus erhoben, um Beistand gegen die dämonischen Stierbullen zu erflehen. Auch im berühmten Albani-Psalter von Hildesheim wird ein Mann, den Adolph Goldschmidt mit Christus identifizierte, von Kälbern und Stieren umringt, ohne zu resignieren.45 Die Untersuchung der Stierbilder zeigte, dass Antike in voller körperlicher Präsenz entstehen kann, ohne auch nur eine einzige bestimmte Skulptur zitieren zu müssen, weil im Formenbecken der iberischen Halbinsel aus dem Gemenge der Minos- und Apis-, Mithras- und Bukranien-Stiere neue Körper erwachsen. Für diese besondere Form der künstlerischen Anverwandlung soll der Begriff der synästhestischen Antikenrezeption geprägt werden. Ein Sinn wird gereizt, ein anderer kommt zum Klingen; das Bild eines Stieres lässt unwillkürlich eine dionysisch-mithräische Welt erstehen. Damit erweisen sich alle Versuche, einen angeblich noch ottonisch-„vorromanischen“ von einem schon „romanischen“ Stil zu scheiden, als künstlich. In der Synästhesie der Antike liegt die eigentliche Triebkraft der Kunst des elften Jahrhunderts in Spanien.

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Vgl. James Marrow: Circumdederunt me canes multi. Christ’s Tormentors in Northern European Art of the Late Middle Ages and Early Renaissance, in: The Art Bulletin 59,2 (1977), S. 167–181. Die Identifikation in Goldschmidts bis heute maßgeblicher Habilitationsschrift erhält darin Bestätigung, dass dieser furchtlos eine Art Passion Erduldende in den Illuminationen der Psalmen noch mehrfach erscheint. Vgl. Adolph Goldschmidt: Der Albanipsalter in Hildesheim und seine Beziehung zur symbolischen Kirchensculptur des XII. Jahrhunderts, Berlin 1895. Goldschmidts Beobachtungen finden ihre Aktualisierung durch Geddes: Albani-Psalter (a. a. O.), S. 8.

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Paradigmatisch ausgehend von den fünf Sinnen wurde die Rezeption des Orestessarkophages in Spanien untersucht, weil sich die Faszination der Bildhauer des elften Jahrhunderts ohne jedes Wissen über den Orestesmythos nur aus einer synästhetischen Wahrnehmung des Sarkophages erschließen ließ. Der Orestessarkophag bildet damit den entscheidenden Imaginationsraum der Antike für diese Zeit. Weil die Ikonographie des Sarkophages offen blieb, basierten die Kapitelle und Reliefs, die ihn zitierten, auf keinerlei Konventionen. Die Psychologie seiner Protagonisten untereinander mussten und konnten die Künstler deshalb umso feinfühliger erfassen. Die Inhalte ihrer Werke vermitteln sich durchgängig über eine alle Sinne in Beschlag nehmende Gestaltung und kommen gerade darin dem Orestessarkophag gleich. Diese Unmittelbarkeit der sinnlichen Ansprache erzeugt eine gleichsam antike Atmosphäre. Diese half, das Interim zwischen untergegangener Antike und elftem Jahrhundert zu überbrücken und die behauptete Anciennität der nordspanischen Dynastien augenfällig zu machen. Indem die Bildhauer der drei untersuchten Kirchen mit dem Sarkophag in einen künstlerischen Wettstreit traten, entstanden keine oberflächlichen Kopien, sondern gleichrangige, eigenständige Werke. Durch die Wandlung des Ausgangsstoffes übertreffen nicht wenige Kapitelle ihre antiken Vorbilder noch an Intensität.

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Reg ister

Per s one n Abundantia 260 Adam Alter 60, 158 Aesop 257, 318 Aigisthos 17, 142, 182, 183 Aischylos 20, 21 Alexander II., Papst 6, 192 Alexander III., Papst 76 Alexander der Große 304 Alfons VI. („El Batallador“), König von León 6, 225–227 Alfons IX., König von León 98 Alter Deus 328 Amor 105, 239, 250 Anchises 41 Annus 121 Antoninus Pius, römischer Kaiser 355 Apis 349, 367, 370 Arnulf/Arnolfo, Bischof von Mailand 46, 56 Arnulf von Orleans 338 Arthur, König von Britannien 304 Athena 146, 185, 186 Augustinus, Aurelius 6, 44, 84, 86,130, 194, 236, 288, 324 Augustus, römischer Kaiser 40, 94, 303, 305, 362 Baal 62, 141, 241, 242 Bacchus 231, 242, 251, 252, 262, 265 Beatus de Liebana 38, 68, 69, 70, 187, 342 Bernardus Gelduinus (s. auch: Gelduinus) 79, 170 Bernhard von Clairvaux 244

Bernardus von Jaca 79 Bernardus Senex, Magister von Santiago de Compostela 79 Bernardus, Kämmerer von Santiago de Compostela 261 Bernardus von Conques 79 Berruguete, Alonso 19 Bileam 188–191, 208, 238, 355 Caesar 298, 304 Calixtus II., Papst 10, 12, 130, 222, 261, 266, 288, 299 Caprasius 225 Castor (s. auch Pollux) 215 Cellini, Benvenuto 121 Claudius, römischer Kaiser 287 Cupido 105, 239, 250, 251 Daniel 46, 62, 66–68, 70, 141, 191 Dacian, römischer Präfekt 225 David, König von Israel 165, 218, 221, 232, 234–236, 244–247, 304 Demiurgos 328 Diego Gelmírez, Bischof von Santiago 6, 11, 12, 252, 255, 261, 262, 335, 342 Diego Peláez, Bischof von Santiago 12, 20, 262 Dionysos 231, 232, 235, 238, 243, 244, 250, 251, 252, 255, 257, 260, 263–266, 287 Domingo, Abt von Silos 271, 273, 275, 293, 356 Doña Mayor (s. auch: Mayor) 13, 132

404

REGISTER

Doña Sancha, Gräfin von Aragón (s. auch: Sancha) 6, 205, 206, 277 Enoch, Prophet 226 Erinnye (s. auch: Furie) 44, 59, 64, 105–108, 114, 124, 125, 179, 209, 338 Eusebius von Caearea 328 Felicianus 225 Ferdinand/Fernando I., König von León 10, 83, 84, 86, 87, 97, 227, 285 Fernando Ansúrez 19 Fides von Conques 25, 224, 225, 273, 334, 353 Fides-Meister 224 Franz I., König von Frankreich 303 Friedrich Barbarossa, deutscher Kaiser 76 Furie (s. auch: Erinnye) 105, 106, 114, 124, 179, 220, 338 Gairard, Raimond 218, 322 García, Bischof von Jaca 6 Gelduinus, Bernardus 79, 161, 162, 163, 165, 170, 172, 224, 306, 310, 311 Gelmírez, Bischof von Santiago de Compostela 6, 11, 12, 252, 255, 261, 262, 335, 342 Genius 149, 150 Gorgo (s. auch: Medusa) 50, 55, 94, 117, 266, 315, 312 Gottfried von Bouillon 304 Gottfried von Straßburg 342 Habakuk 62, 325, 327 Heinrich II., deutscher Kaiser 29, 217, 218, 263 Heinrich III., deutscher Kaiser 245 Heinrich IV., deutscher Kaiser 42 Hektor 304 Horaz 329 Hrabanus Maurus 76, 168 Hygieia 72, 73, 75, 111 Isidor von Sevilla 20, 30, 31, 39, 40–42, 44–47, 52, 56, 65, 73, 74, 76, 79, 80–88, 91, 94–99, 101, 105, 109–111, 113, 117, 123, 143, 144, 157, 165, 181, 182, 207, 215, 227, 228, 239, 241, 242, 246, 250–252, 255, 258, 269, 281, 285, 288, 316, 320, 322, 324, 347, 354, 359, 360, 361, 367 Isolde 340, 342

Iuno 242 Jaca-Meister (s. auch: Meister von Jaca) 143, 188, 203, 209, Jacobo von Portugal, Kardinal 348 Jakobus/Santiago de Compostela, Apostel 2, 87, 157, 165, 226, 261, 288, 344 Johannes, Evangelist 25, 197 Johannes VII., Papst 256 Joseph von Arimathia 53, 283 Junius Bassus 192 Karl der Große, deutscher Kaiser 29, 304 Kautopat 355 Klytaimnestra 17, 127, 135, 169, 179, 236 Konstantin, römischer Kaiser 38, 41, 51, 154, 158, 202, 206, 304, 327, 328, 363 Laokoon 101, 102, 104, 128, 166, 167, 322 Laurentius 275, 276, 280 Lazarus 32, 43 Livia, römische Kaiserin 94 Livilla, Schwester von Kaiser Claudius 287 Lukas 283, 361, 366 Mänade 243, 244, 251, 260 Maestro de las Columnas Entorchados 13 Medusa 21, 26, 250, 266, 286, 332, 334 Meister von Jaca 28, 66, 186, Meister von Frómista 204 Matheus, Magister von Santiago de Compostela 204 Mayor, Doña (s. auch: Doña Mayor) 13, 132 Méryon, Charles 332 Michelangelo 102, 124, 151, 344 Mithras 44, 101, 102, 348, 349, 354, 355–359, 361–367, 370 Moses 45, 46, 60, 67, 71, 191, 288, 344, 350, 351, 367 Michael, Erzengel 280 Naumburger Meister 204 Nikodemus 54, 283, 284 Noah 344 Nodriza 17, 18, 61, 135, 212, 325 Okeanos 149 Orestes 17–21, 24–28, 30, 31, 44, 59–61, 63, 64, 82, 105–107, 113, 115, 124, 126–128, 132, 134, 135, 137–143, 145, 146, 156, 158, 165, 169, 179, 182–186, 188, 189, 195, 198, 199,

405

REGISTER

201, 202, 203, 209, 213, 220, 227, 230, 232, 234, 236, 240, 243, 266, 275, 292, 324, 331, 338, 340, 342, 343, 371 Ovid 81, 99, 315, 318, 320, 344, 347 Paul II., Papst 303 Paulus, Apostel 21, 59, 192, 216 Pedro I., König von Aragón 204, 208 Pelagius, Märtyrer 165, 359, 360, 361 Petrus, Apostel 192, 216, 275, 300, 328, 355 Plinius d. J. 40, 41, 259 Pollux 215 Priapos 240, 241, 331 Primus 225 Pseudo-Hrabanus Maurus 130 Pylades 17, 139, 140, 143, 182, 183, 185, 186, 188, 190, 192, 195, 196, 198, 203, 204, 208, 223, 227, 230 Ramíro II. „El Monje”, König von Aragon 149 Raymond IV., Graf von Toulouse 48, 49 Samson 165, 191, 266, 354–359 Sancha, Doña (s. auch: Doña Sancha) 6, 205, 206, 277 Sancha, Königin von León 10, 86, 87 Sancho, Graf und Stifter von Santa María de Igúacel 5, 130 Sancho Ramírez I., König von Aragón 3, 5, 28, 76, 130, 191, 192, 208, 235, 240, 262, 277, 355 Saturninus 48, 164, 165, 170, 172, 296, 299, 300, 302, 305, 360 Satyr 152, 231, 232, 235, 242, 259 Serapis 72–74, 111, 243, 367 Serpentarius 64 Sixtus II., Papst 275, 276 Terra 149 Theodosius, römischer Kaiser 363 Tristan 340, 342 Uccello, Paolo 342 Urraca, Königin von León 10, 285, 287 Valerian, römischer Kaiser 275, 276 Valerianus, Scriptor 119 Venus 26, 242, 271, 275, 288, 292, 294 Vergil 101 Viollet-le-Duc, Eugène 220, 289

Winckelmann, Johann Joachim 21, 104, 113, 167

O r te Agen 225 Amiens, Bibliothèque municipale 325 Auch 165, 299 Augsburg 100 Autun, Saint-Lazare 18, 43, 45, 98, 367 Avila 353 Barcelona 328 Berlin, Humboldt-Universität 354 Berlin, Staatsbibliothek 121 Bern, Burgerbibliothek 333, 352 Brauweiler 10, 158 Burgos 18, 19, 204, 271, Bordeaux 29 Conques, Sainte-Foy 79, 224, 273 Corbie 325, 328, 329, 340 Cordoba 32 Emerita Augusta (s. auch: Mérida) 362 Essen, Münster 50 Essen-Werden 245 Florenz, Santa Maria Novella 343 Glasgow, University Library 245 Guisando 353 Hildesheim 29, 83, 97, 99, 198, 370 Horeb 350, 351 Huesca (s. auch: Osca) 2, 4, 6, 149, 150, 151, 204–206, 209, 215, 238, 276 Huesca, San Pedro El Viejo 149, 276 Husillos 151, 156, 159, 165, 168, 169, 171, 172, 174, 182, 188, 192, 194, 196, 198, 199, 203, 204, 212, 227, 228, 234, 236, 240, 260, 274, 275, 340, 342 Husillos, Santa Maria 19, 138, 241 Iaca 4, 275 Iguácel, Santa Maria (s. auch: Santa Maria de Iguácel) 5, 128

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REGISTER

Jaca, Benediktinerinnenkirche San Salvador y San Ginés 205 Jaca, Santiago-Kirche 6, 70, 121, 258, 259, 281, 322 Köln 50, 287, 300 Konstantinopel 111, 209, 303, 304 Legio VII Gemina 7, 285, 363, 364 Liverpool, Liverpool Museum 74 Loarre, San Pedro (s. auch: San Pedro de Loarre) 5, 38, 239, 310, 312, 355 Madrid, Museo Arqueológico Nacional 17, 139 Mailand, Sant’Ambrogio 46 Mérida (s. auch: Emerita Augusta) 285, 366 Moissac 165, 299, 358, 359 Montearagon 5 Moskau, Historisches Museum 76 München, Bayerische Staatsbibliothek 119 New York, Metropolitan Museum 77 Nida-Heddernheim 355 Oloron, Sainte-Marie 348 Osca (s. auch: Huesca) 276 Osterburken 355 Ostia, Museo Ostiense 362 Palencia 204 Palencia, Museo Arqueológico Provincial 16, 19, 21 Pamplona 278, 300 Paris, Bibliothèque Nationale 38, 68, 165, 187, 299, 300 Paris, Notre-Dame 322 Paris, Saint-Denis 45 Paris, Saint-Germain-des-Prés 60

Rom, Alt-Sankt Peter 10, 55, 154, 192, 256, 261, 266 Rom, Museo delle Terme 110 Rom, San Paolo fuori le mura 197, 198 Rom, Vatikanische Museen 94 Roncesvalles 29 Ripoll, Santa María 228 Saint-Medard d’Eyrans 235, 266 Saint-Roman de Blaye 29 Saint-Sever 38, 68, 69, 187 San Juan de la Peña 5, 206, 278 San Pedro de Siresa 5, 277 Sankt Gallen, Stiftsbibliothek 54 Sant Miguel d’Engolasters 328 Santa Cruz de la Serós 4, 5, 56, 58, 205, 209, 275, 277 Santa Maria de Iguácel 5, 53, 54, 128, 130 Santa María de Ujue 5 Santiago de Compostela, Porta Francigena 12, 221, 222, 261 Santiago de Compostela, Puerta de las Platerías 227, 267, 290, 293 Schlettstadt, Bibliothèque Humaniste 202 Sevilla 84, 285 Silos, Santo Domingo 271, 273, 356 Somport-Pass 5 Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek 59, 60, 105, 350, 370 Toulouse, Augustinermuseum 297, 299 Trier 271 Uncastillo, Santa Maria 56 Verona, Museo Maffeiano 238 Vich, Kathedralarchiv 53 Wien, Kunsthistorisches Museum 303

Dank

Ich danke Anna Ahrens, Andreas Baudisch, Rainer Burkard, Hanna Fiegenbaum, Hedda Finke, Helia und Elmar Hüsam, Kristian Jarmuschek, Wolfgang Leist und Angelika Berger, Claudia Rückert, Laura Schopp, Frank Seehausen, Kathleen Waak, Marc Wittfoot und Philipp Zitzlsperger. Besonderer Dank gilt Horst Bredekamp, Petra Florath, Marco Strobel, Marko Stiering und meiner Frau. Ohne die Letztgenannten wäre diese Arbeit tatsächlich nicht entstanden.

Bi ld nachweise

Bild 1, 2, 2a, 3a, 4, 4b, 5, 5a, 5b, 5c, 6, 8, 9, 9a, 10, 11, 12, 12a, 13, 14, 16a, 16b, 19a, 20, 21, 21a, 21b, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28a, 28b, 28c, 28d, 29, 29a, 29b, 29c, 29d, 30, 30a, 30b, 30c, 31, 31a, 33, 34a, 34b, 35, 36, 37, 37a, 37b, 38, 38a, 38b, 39, 40, 41, 42, 42a, 43, 44, 45, 46, 47, 48, 49, 50b, 50c, 50d, 51, 51a, 51b, 52, 52a, 53, 54, 55, 56, 57, 57a, 57b, 57c, 58, 58a, 59, 59a, 61, 62, 63, 63a, 63b, 64, 64a, 65, 66, 67, 68, 69, 70, 71, 71a, 72, 73, 74, 75, 76, 77, 78, 79, 79a, 79b, 80, 80a, 81, 83, 84a, 84b, 84c, 85, 86, 87, 88, 89, 89a, 90, 91, 91a, 91b, 92, 93, 94, 95, 96, 97, 98, 99, 100, 101, 102, 103, 104, 105, 106, 107, 108, 108a, 109, 109a, 110, 111, 111a, 111b, 112, 113, 113a, 113b, 114, 114a, 115, 116, 116a, 116b, 117, 118, 119, 120, 120a, 121, 122, 122a, 123, 124, 126, 127, 128, 128a, 129, 130, 130a, 130b, 131a, 131b, 132, 133, 134, 135, 136, 136a, 137, 138, 138a, 138b, 139, 139a, 140, 140a, 141a, 141b, 141c, 141d, 142, 142a, 143, 144, 145, 145a, 147, 148, 150, 151a, 152, 153, 154, 157a–d, 159a–f, 160, 161, 162, 162a, 162b, 163, 163a, 164a, 164a, 165, 165a, 166, 166a, 166b, 170d, 173b, 174, 175, 176b, 177, 177a, 179, 180, 180a, 180b, 181, 182, 182a, 183, 184, 184a, 185, 185a, 186, 187, 187a, 188, 188a, 188b, 188c, 189, 189a, 190, 191, 192, 193, 194, 195, 197, 198a, 198b, 199, 203, 204, 205, 206a, 206b, 207, 209, 210, 210a: Goldschmidt-Zentrum der Humboldt-Universität zu Berlin (Anna Heinze, Vera Kern, Claudia Rückert, Friederike Steinhoff, Stefan Trinks, Kathleen Waak) Bild: 1a, 2b, 3b, 4a: Frank Seehausen, Berlin. Bild 1b: Robert Maxwell, Philadelphia. Bild 3: Consellería de Cultura de la Xunta de Galicia. Bild 7a, 7b: Palencia, Museo Archeólogico Provincial. Bild 13a, 155, 173a: Horst Bredekamp, Berlin. Bild 16, 125, 125a, 164, 167, 168, 169, 170a, 170b, 170c, 171, 172, 172a–f, 173a, 176a: Daniel und Quitterie Cazes: Saint-Sernin de Toulouse. De Saturnin au chef-d’oeuvre de l’art roman, Graulhet 2008. Bild 17: Arthur Kingsley Porter: Iguácel and More Romanesque Art of Aragón, in: The Burlington Magazine 52 (1928), S. 126, Plate VI.C. Bild 15, 18, 158, 158a, 200, 201: Beate Fricke: Ecce Fides. Die Statue von Conques, Götzendienst und Bildkultur im Westen, München 2007. Bild 19: Ángel Canellas-Lopez/Ángel San Vicente: Aragon Roman, La-Pierre-qui-vire 1971, S. 219. Bild 21c: Herbert L. Kessler: Evil Eye(ing). Romanesque Art as a Shield of Faith, in: Romanesque Art and Thought in the Twelfth Century. Essays in Honor of Walter Cahn, hg. von Colum Hourihane, Princeton NJ 2008, S. 120, fig. 16. Bild 32: Wolfgang Fritz Volbach: Elfenbeinarbeiten der Spät-

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BILDNACHWEISE

antike und des frühen Mittelalters, Mainz 1952, Nr. 57. Bild 50, 50a: Reinhold Merkelbach: Mithras. Ein persisch-römischer Mysterienkult, Weinheim 1994, S. 322 f., Abb. 73. Bild 58b: Bayerische Staatsbibliothek München. Bild 60: Ausst.-Kat.: Vor dem Jahr 1000. Abendländische Buchkunst zur Zeit der Kaiserin Theophanu (Köln, Schnütgen-Museum in der Cäcilienkirche, 12. April–16. Juni 1991), hg. von Anton von Euw, Köln 1991, Abb. 67. Bild 82, 82a, 82b, 146, 146a, 151: Stefania Tuzi: Le colonne e il tempio di Salomone. La storia, la leggenda, la fortuna, Rom 2002. Bild 114b: Johann Konrad Eberlein: Apparitio regis – revelatio veritatis. Studien zur Darstellung des Vorhangs in der bildenden Kunst von der Spätantike bis zum Ende des Mittelalters, Wiesbaden 1982, S. 123. Bild 129a: Ausst.-Kat.: Biblioteca Apostolica Vaticana. Liturgie und Andacht im Mittelalter, Katalog zur Ausstellung 9. Oktober 1992 bis 10. Januar 1993 im Erzbischöflichen Diözesanmuseum Köln, hg. von Joachim M. Plotzek, Stuttgart/Zürich 1992, S. 193. Bild 130c: Hélène Setlak-Garrison: Reinterpreting the Capital of the Fourth Tone at St Lazare, Autun, in: Early Music 15,3 (1987), S. 367, Abb. 5. Bild 131c, 149, 156 : Friedrich Matz (Bearb.): Die dionysischen Sarkophage (Corpus der Antiken Sarkophagreliefs 4), Berlin 1975, S. 98 und Nr. 222, Taf. 234. Bild 171, 172: Albertus Rubens: Dissertatio de Gemma Augustea (Monumenta artis Romanae 9), hg. v. Heinz Kähler, Berlin 1968, S. Tafel 5 und 12, I. Bild 178: Nicole Hegener, Berlin. Bild 183a: Wolfgang Grape: Unerwartetes und Unterhaltsames in der Kunst des frühen und hohen Mittelalters, München u. a. 2008, S. 31. Bild 196 : John Williams: The Illustrated Beatus. A Corrpus of the Illustrations of the Commentary on the Apocalypse, Bd. 5: The Twelfth and Thirteenth Centuries, London 2003. Bild 202, 211: Walter Trillmich u. a. (Hg.): Hispania antiqua. Denkmäler der Römerzeit, Mainz 1993, Tafel 25 und 61a. Bild 203: Serafín Moralejo Álvarez: La sculpture romane de la cathédrale de Jaca. État des questions, in: Les Cahiers de Saint-Michel de Cuxa 10 (1979), fig. 9. Bild 208: Guido Calza: Scavi di Ostia, Rom 1962, Nr. 30. Bild 212, 212a: James H. Marrow: Circumdederunt me canes multi. Passion Iconography in Northern European Art of the Late Middle Ages and Early Renaissance, Kortrijk 1979.

ACTUS et I MAGO Berliner Schriften für Bildaktforschung und Verkörperungsphilosophie Herausgegeben von Horst Bredekamp und Jürgen Trabant

Bilder sind keine Abbilder, sondern erzeugen im Bildakt, was sie darstellen. Sie verfügen über eine handlungsstiftende Kraft und wirken selbst lebendig. Bildkompetenz lässt sich keineswegs ausschließlich aus der traditionell überbewerteten Visualität des Menschen ableiten: Menschen reagieren auch deshalb auf Bilder, weil ihr unbewusstes neurologisches Körperschema, das aus der Integration taktiler, propriozeptiver, vestibulärer, visueller und akustischer Informationen entsteht, durch Bildschemata affiziert wird. Diese neuere Erkenntnis der Kognitionswissenschaften entspricht älteren Vorgaben der Verkörperungsphilosophie, die eine genuine Tradition im europäischen Sprachraum hat. In den Studien der Reihe „Actus et Imago“ wird eine Bild- und Verkörperungstheorie entwickelt, die in der Lage ist, Bildproduktion, Bildverstehen und Bildakte zu erklären. Im Ausgang vom belebten Leib leisten sie einen Beitrag zum Verständnis des menschlichen Reflexionsvermögens, das sich in ikonischen wie sprachlichen Formen und Interaktionen verkörpert.

In der Reihe sind bereits erschienen: BAND 1

Sehen und Handeln hrsg. von Horst Bredekamp und John M. Krois ISBN 978-3-05-005090-4

BAND II

John Michael Krois. Bildkörper und Körperschema hrsg. von Horst Bredekamp und Marion Lauschke ISBN 978-3-05-005208-3

BAND III

Thomas Gilbhard Vicos Denkbild. Studien zur „Dipintura“ der „Scienza Nuova“ und der Lehre vom Ingenium ISBN 978-3-05-005209-0

BAND V

Das bildnerische Denken: Charles S. Peirce hrsg. von Franz Engel, Moritz Queisner und Tullio Viola ISBN 978-3-05-005696-8

BAND VI

Verkörperungen hrsg. von André L. Blum, John M. Krois und Hans-Jörg Rheinberger ISBN 978-3-05-005699-9

B A N D V I I Das haptische Bild. Körperhafte Bilderfahrung in der Neuzeit hrsg. von Markus Rath, Jörg Trempler und Iris Wenderholm ISBN 978-3-05-006011-8

B A N D V I I I John Bender, Michael Merrinan Kultur des Diagramms ISBN 978-3-05-005765-1 BAND IX

Bodies in Action and Symbolic Forms. Zwei Seiten der Verkörperungstheorie hrsg. von Horst Bredekamp, Marion Lauschke und Alex Arteaga ISBN 978-3-05-006140-5