Antike Interpretationen zur aristotelischen Lehre vom Geist: Texte von Theophrast, Alexander von Aphrodisias, Themistios, Johannes Philoponos, Priskian (bzw. ›Simplikios‹) und Stephanos (›Philoponos‹). Zweisprachige Ausgabe 9783787329953, 9783787329946

Dieser Band vereinigt erstmals alle erhaltenen antiken Interpretationen zu der von Aristoteles in De anima III, v.a. in

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Antike Interpretationen zur aristotelischen Lehre vom Geist: Texte von Theophrast, Alexander von Aphrodisias, Themistios, Johannes Philoponos, Priskian (bzw. ›Simplikios‹) und Stephanos (›Philoponos‹). Zweisprachige Ausgabe
 9783787329953, 9783787329946

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Philosophische Bibliothek

Antike Interpretationen zur aristotelischen Lehre vom Geist Texte von Theophrast, Alexander von Aphrodisias, ­Themistios, Johannes Philoponos, Priskian (bzw. ›Simplikios‹) und Stephanos (›Philoponos‹) Griechisch/Lateinisch – Deutsch

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Antike Interpretationen zur aristotelischen Lehre vom Geist Texte von Theophrast, Alexander von Aphrodisias, Themistios, Johannes Philoponos, Priskian (bzw. ›Simplikios‹) und Stephanos (›Philoponos‹)

Griechisch/Lateinisch – Deutsch

Herausgegeben von Hubertus Busche und Matthias Perkams

FELI X M EI N ER V ER LAG H A M BU RG

PHILOSOPHISCHE BIBLIOTHEK BAND 694

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. ISBN 978-3-7873-2994-6 ISBN eBook: 978-3-7873-2995-3

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds der VG Wort. © Felix Meiner Verlag Hamburg 2018. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, ­soweit es nicht §§ 53 und 54 UrhG ausdrücklich gestatten. Satz: Type & Buch Kusel, Hamburg. Druck: Strauss, Mörlenbach. Bindung: Litges & Dopf, Heppenheim. Werkdruck­ papier: alterungs­ beständig nach ANSI-Norm resp. DIN-ISO 9706, hergestellt aus 100% chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany. www.meiner.de

INHALT

Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Von Hubertus Busche und Matthias Perkams

Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Von Matthias Perkams

1. Theophrast: Fragmente und Testimonien zu Aristoteles’ Geistlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 Eingeleitet, übersetzt und erläutert von Irmgard Männlein-Robert

2. Alexander von Aphrodisias: Über die Seele . . . . . . . . . . . . . . 115 Eingeleitet, übersetzt und erläutert von Hubertus Busche

3. Alexander von Aphrodisias: Über den Geist . . . . . . . . . . . . 189 Eingeleitet, übersetzt und erläutert von Joachim Söder

4. Themistios: Paraphrase zu De anima III 4–6 . . . . . . . . . . . . 237 Eingeleitet, übersetzt und erläutert von Frank-Joachim Simon

5. Johannes Philoponos: Kommentar zu De anima (Einleitung und III 4–7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 Ausgewählt, eingeleitet, übersetzt und erläutert von Michael Schramm

6. Priskian von Lydien: Metaphrase zu Theophrasts Physik . 489 Eingeleitet, übersetzt und erläutert von Jörn Müller

7. Priskian von Lydien (›Simplikios‹): Kommentar zu De anima III . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547 Ausgewählt, eingeleitet, übersetzt und erläutert von Matthias Perkams

6 Inhalt

8. Stephanos von Alexandria (›Philoponos‹): Kommentar zu De anima III 2; 4–6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 677 Ausgewählt, eingeleitet, übersetzt und erläutert von Christian Tornau

Geist bei Aristoteles – Eine systematische Skizze . . . . . . . . . 797 Von Hubertus Busche

Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 835

VORBEMERKUNG Von Hubertus Busche und Matthias Perkams

D  

er vorliegende Band vereinigt erstmals alle erhaltenen antiken Interpretationen zu Aristotelesʼ Lehre vom Geist (νοῦς), wie sie in De anima III, v. a. in Kapitel 4–5, skizziert ist, in deutscher Sprache. Gegenstand dieser Interpretationen ist Aristotelesʼ zwischen Erkenntnistheorie, Naturphilosophie und Metaphysik anzusiedelndes Lehrstück vom wirkenden und leidenden Geist (νοῦς ποιητικός/παθητικός bzw. intellectus agens/ patiens). Die betreffenden Kapitel gehören, auch aufgrund ihrer schweren Verständlichkeit, zu den meistkommentierten der Philosophiegeschichte, so dass sich die in diesem Band versammelten Texte leicht um zahlreiche Interpretationen in den verschiedenen Literatursprachen des Mittelalters vermehren ließen. Der vorliegende Band enthält, in der Reihenfolge ihrer Entstehung, die Deutungen von Theophrast (4. Jh. v. Chr.), Alexander von Aphrodisias (De anima und De intellectu [umstritten]; um 200), Themistios (4. Jh.), Johannes Philoponos, Priskian (Theo­­phrast-Metaphrase und De-anima-Kommentar [›Simplikios‹]; alle nach 500) und Stephanos von Alexandria (›Philo­po­ nos‹, nach 550). Teils wird die komplette Auslegung der Noetik des Aristoteles vorgelegt (bei Theophrast, Alexander von Aphro­d isias, Themistios und Priskians Theophrast-Metaphrase); teils wird, wenn die Erklärungen hierfür zu umfangreich sind (bei Philoponos, Priskian und Stephanos), eine Auswahl präsentiert, die ggf. auch besonders aufschlussreiche Stellen aus anderen Teilen der Kommentare berücksichtigt. Da die erhaltenen Kommentare sich nicht selten auf frühere Ausleger beziehen und deren Deutungen referieren, enthält der Band indirekt auch weitere wichtige Zeugnisse über Auslegungen von Aristotelesʼ Noetik, vor allem diejenigen des Xenokrates (bei Johannes Philoponos) und eines anonymen Kommentators des 2. Jahrhunderts (in Alexanders De intellectu).

8

Hubertus Busche und Matthias Perkams

Dem griechischen (bzw. lateinischen) Text wurde synoptisch eine deutsche Übersetzung gegenübergestellt; diese stammt, ebenso wie die zugehörige Einleitung und die Anmerkungen, vom jeweiligen Bearbeiter des Textes. Die Einleitungen zu den einzelnen Beiträgen informieren über Leben und Werk des entsprechenden antiken Interpreten, charakterisieren das Eigentümliche seiner Deutung der aristotelischen Geistlehre und skizzieren gegebenenfalls deren Wirkungsgeschichte; wo nötig, begründen sie auch die Auswahl der präsentierten Textabschnitte. Jede Einleitung schließt mit einer Spezialbiblio­ graphie, die, aus Gründen der Vollständigkeit, auch Titel einschließt, die nicht direkt zitiert werden. Die in den Anhängen befindlichen Anmerkungen geben weitere gedankliche, sachliche oder historische Erläuterungen zu einzelnen Textstellen. Die Einleitung zum Band, die Matthias Perkams verfasste, soll dem Leser helfen, die Einzelinterpretationen in ihren historischen und systematischen Kontext einzuordnen. Die abschließende systematische Skizze von Hubertus Busche führt, vor dem Hintergrund einer naturphilosophischen Erklärungsperspektive, die wichtigsten Typen der Deutung der Lehre vom wirkenden Geist auf und bezieht zu ihnen Position. Die Übertragung von Texten zu Aristoteles’ Geistlehre stellt den Übersetzer vor besondere Schwierigkeiten, weil die in den Texten verwendete, höchst ausgefeilte Terminologie zur Beschreibung verschiedener Aktivitätsformen des Geistes häufig keine exakten modernen Äquivalente besitzt. Der zu Beginn von allen Bearbeitern gefasste Plan, möglichst viele Termini in den unterschiedlichen Kommentaren einheitlich zu übersetzen, ließ sich vor diesem Hintergrund nicht voll durchhalten. Das betrifft auch einige zentrale Termini: Während alle Beiträger νοῦς einheitlich mit »Geist« übersetzen, wurde der ursprüngliche Plan, νοεῖν mit »denken« und die Worte νοοῦν, νοούμενον und νοητόν mit Ableitungen hiervon zu übersetzen, nicht durchgängig umgesetzt. Im Unterschied zu dieser Übersetzungsmöglichkeit, die ein leicht zu handhabendes Begriffsfeld ermöglicht und zugleich verdeutlicht, dass in den antiken

Vorbemerkung 9

Texten dasselbe Kernthema der Philosophie behandelt wird wie in der modernen Philosophie des Geistes, verwenden drei Bearbeiter die Übersetzung »gedanklich erfassen« bzw. vergleichbare Ableitungen, um näher an der antiken Grundbedeutung zu sein; νοεῖν steht nämlich für ein gelingendes Erkennen, während man sich nach der modernen Terminologie vieles irrtümlich »denken« kann, was gar nicht zutrifft. Ebenso übersetzen die meisten Beiträger οὐσία mit »Substanz«, während andere, aufgrund des platonischen Charakters bestimmter Texte, die Übersetzung »Sein« vorziehen. Weiteres ließe sich ergänzen. Die Herausgeber danken für die Unterstützung bei der formalen Angleichung der einzelnen Beiträge Herrn Dr. Jens Lemanski, für die mit Fleiß und Begeisterung vorgenommene redaktionelle Bearbeitung insbesondere Frau Lisa-Maria Knothe sowie Wenjia Xue und Maren Büttner. Hagen und Jena, im Januar 2018

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS Autorennamen werden in diesem Band ausgeschrieben. Die Werke einiger wichtiger philosophischer Autoren werden folgendermaßen abgekürzt: Alexander von Aphrodisias an. De anima an. mant. De anima libri mantissa fat. De fato quaest. Quaestiones Aristoteles an. De anima an. post. Analytica posteriora an. pr. Analytica priora cael. De caelo cat. Kategorien eth. Eud. Eudemische Ethik eth. Nic. Nikomachische Ethik gen. an. De generatione animalium gen. corr. De generatione et corruptione insomn. De insomniis int. Hermeneutik (De interpretatione) juv. De juventute et senectute mem. De memoria et reminiscentia metaph. Metaphysik meteor. Meteorologie mot. an. De motu animalium part. an. De partibus animalium phys. Physik

Abkürzungsverzeichnis 11

rhet. Rhetorik sens. De sensu et sensato somn. De somno et vigilia top. Topik Platon Crat. Kratylos Gorg. Gorgias nom. Nomoi/Die Gesetze Phaed. Phaidon Phaedr. Phaidros Phileb. Philebos Polit. Politikos resp. Politeia/Der Staat soph. Sophistes symp. Symposion Theaet. Theaitet Tim. Timaios Proklos decem dub. De decem dubitationibus elem. theol. Elementatio theologica in Eucl. In primum librum Euclidi elementorum commentarium prov. De providentia theol. Plat. Theologia Platonica Kommentare zu den Werken des Aristoteles und Platon werden abgekürzt, indem ein »in« vor die Werkabkürzung gestellt wird. Paraphrasen erhalten ein »paraphr.« nach der Werkabkürzung. Bei Diogenes Laertios und Plotin werden die Werktitel nicht eigens genannt. Alle anderen Werktitel werden ausgeschrieben.

12 Abkürzungsverzeichnis

Weitere Abkürzungen CAG CMG SVF

Commentaria in Aristotelem Graeca Corpus Medicorum Graecorum Stoicorum Veterum Fragmenta

EINLEITUNG Von Matthias Perkams

»Was Ihr den Geist der Zeiten heißt, das ist im Grund der Herren eigner Geist, in dem die Zeiten sich bespiegeln«.

M  

it diesen Worten1 weist Faust seinen Famulus Wagner – wohl eine Art wissenschaftlichen Assistenten – auf eine Tatsache hin, die dem vorliegenden Band durchaus zum Motto dienen kann: Das Studium des Geistes und seiner Ideen, das ein wesentliches Arbeitsgebiet der Philosophie darstellt, findet nicht im luftleeren Raum statt, sondern stets in Auseinandersetzung mit den Ideen anderer Philosophen. Auf diese Weise reflektiert die jahrhundertelange Arbeit zahlreicher antiker Denker am Begriff des Geistes (νοῦς) die grandios tiefsinnige, zugleich aber skizzenhaft knappe Vorlage, die Aristoteles mit einigen Kapiteln des dritten Buchs seiner Schrift »Über die Seele« (De anima; Περὶ ψυχῆς) vorgelegt hatte. Insofern stellen die in diesem Band versammelten antiken Texte nicht nur ein Stück Interpretationsgeschichte dar, sondern sie repräsentieren eine spannende und abwechslungsreiche Debatte über die inhaltlichen Probleme der Lehre vom menschlichen – und göttlichen – Geist, welche die ganze Antike hindurch im griechischsprachigen Raum geführt wurde. Die Tatsache, dass diese Debatte (unter anderem auch) in der Form von Texterklärungen wie Paraphrasen und Kommentaren geführt wurde, mag zunächst überraschen.2 Doch dürfte es zum Verständnis helfen, sich zu vergegenwärtigen, dass auch heute ein Studium der Philosophie zum großen Teil darin besteht,  Goethe, Faust I, Z. 575–577.  Einführend zur griechischen Kommentartradition ist v.a. Sorabji 1990, S. 1–30, sowie, stärker auf neuplatonische Kommentare fokussiert, Perkams 2006, S. 332–347. 1 2

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Matthias Perkams

dass man die Schriften früherer Philosophen – einzeln oder als Gruppe – liest und durchdringt, um zu einem tieferen Verständnis der philosophischen Probleme zu kommen. Dieselbe Lehr- und Lernmethode gab es auch schon in der Antike: Die philosophische Suche nach der Wahrheit schritt voran, indem man Texte las und ihnen Anhaltspunkte entnahm, mit denen schließlich immer wieder neue Probleme identifiziert und Lösungen für diese gefunden wurden. Wesentlich bestimmender als in der Neuzeit war in der Antike die Überzeugung, dass in bestimmten überkommenen Texten eine philosophische Wahrheit zu finden ist, die nur noch einer deutlicheren Darlegung bedarf. Wohl niemand hat das klarer formuliert als Plotin: »Platon wusste, dass aus dem Guten der Geist und aus dem Geist die Seele ist, und diese Überlegungen sind nicht neu und nicht erst jetzt, sondern schon in alter Zeit ausgesprochen worden, allerdings nicht ausdrücklich; die jetzt vorgetragenen Überlegungen (λόγοι) sind selbst nur Ausleger (ἐξηγηταί) der damaligen, und das Zeugnis, mit dem sie belegen, dass diese Lehrmeinungen alt sind, sind Platons eigene Schriften«.3

Das Prinzip, das hier der Platoniker Plotin für den »Begründer« der eigenen philosophischen Richtung anführt, hat auch in den übrigen philosophischen Schulen der Antike Gültigkeit: Ziel des Denkens ist jeweils die Ausarbeitung der im Prinzip richtigen Lehrmeinung des Schulgründers, dessen Zugang zur Wahrheit zugleich eine Garantie für die Richtigkeit des selbst gewählten Lebensweges in dieser Schule ist. Das Wort »ausarbeiten« (oder »entwerfen«4) zeigt freilich, dass eine solche Treue zur eigenen Schule und ihrem Gründer innovative philosophische Arbeit oder innerschulische Kontroversen – häufig angeregt durch Kritik von außerhalb der Schule – keineswegs  Plotin V 1, 8, 9–14. Übersetzung nach Tornau, 2001, S. 94, leicht geändert. Vgl. ebd. S. 14 f., S. 354. 4  So Tornau 2001, S. 14. 3

Einleitung 15

ausschloss. Vielmehr zeigen alle Schulen, wenn auch in verschiedenem Maße, eine inhaltliche Entwicklung, in der man durchaus einen philosophischen Fortschritt beobachten kann.5 Andererseits blieb die Treue zum Schulgründer ein wichtiges Kriterium für die Entscheidung innerschulischer Differenzen,6 und insofern wurde die genaue Interpretation seiner Texte niemals obsolet, sondern musste in jeder Generation vor dem Hintergrund der gerade aktuellen Fragen neu geleistet werden. Unter den verschiedenen »klassischen« Philosophen, die als Autoritäten gelesen wurden,7 kam Aristoteles eine besondere Rolle zu. Denn seine Texte wurden nicht nur in den Schulen gelesen, die sich ausdrücklich auf ihn beriefen, sondern stießen auch in anderen Traditionen auf großes Interesse, gerade bei platonisch inspirierten Autoren: Bereits der von akademischen Platonikern ausgebildete Römer Marcus Tullius Cicero (106– 43 v. Chr.) bekennt sich dazu, die Lehre vom menschlichen Glück im Anschluss an Aristoteles und seinen Nachfolger Theophrast darzustellen8 sowie die Lehre von der Seele als etwas Göttlichem von Aristoteles übernommen zu haben.9 Gut 100 Jahre später finden sich bei dem mittelplatonisch beeinflussten Juden Philon von Alexandrien (ca. 15/10 v. Chr–40 n. Chr.) Anspielungen auf Aristoteles, so die – sicherlich ältere – Idee, die platonischen Ideen in dem göttlichen Geist anzusiedeln, der aus Aristoteles’ Noetik bekannt ist.10 Auch der Mittelplatoniker Plutarch von Chaironeia (ca. 45–120 n. Chr.) zeigt sich zumin Vgl. Sorabji 1990, S. 5.  So arbeitete Jamblichs Plotin-Kritik wesentlich mit Verweisen auf platonische Texte. Siehe dazu Steel 1978, S. 38–48.  7  Zur Rolle philosophischer Autoritäten in der Antike vgl. z. B. Gigon 1971 (für die Zeit bis Cicero); Donini 1994, S. 5027–5100 (für das 1.–3. Jahrhundert) und Sorabji 1990 (für die Aristoteles-Kommentare).  8  Cicero, De finibus bonorum et malorum V 10 f.  9  Cicero, Tusculanae disputationes I 65 f. Zu diesen Ausführungen Ciceros vgl. unten S. 28–33. 10  Philon von Alexandrien, De opificio mundi § 20. 24 (Bd. I, S. 6 f. Cohn), wo der Ort des κόσμος νοητός als θεοῦ λόγος bezeichnet wird.  5

 6

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Matthias Perkams

dest mit einigen Werken des Stagiriten gut vertraut und nutzt z. B. seine Ethik zur Ausarbeitung einer Handlungstheorie.11 Besonders intensiv war die platonische Rezeption des Aristoteles schon früh auf dem Gebiet der Logik.12 Zu einem breiten Strom wird die Lektüre des Aristoteles aber erst in den neuplatonischen Schulen, nachdem Porphyrios von Tyros (ca. 233–301/ 305 n. Chr.) und Jamblich von Chalkis (ca. 240/245–320/325 n. Chr.) ihn gegenüber der relativ kritischen Beurteilung durch Plotin rehabilitiert hat. Von jetzt an wird – mehr oder weniger konsequent – angenommen, dass Aristoteles und Platon dieselben Positionen mit anderen Worten vertreten hätten, und der Nachweis dieser Harmonie im Detail wird zur primären Aufgabe der neuplatonischen Aristoteles-Erklärer.13 Damit ist der Boden bereitet für die wechselvolle Synthese aristotelischer und platonischer Theorieelemente, die das arabische und lateinische Mittelalter prägen sollte. Alle diese Erwägungen lassen einen Punkt besonders hervortreten: Antike Autoren, Aristoteliker bzw. Peripatetiker, interessierten sich für Aristoteles deswegen, weil er Ideen entwickelt hatte, die ihr eigenes Denken befruchten konnten. Dürfte dies schon für den hellenistischen Peripatos gegolten haben, dessen Seelenlehren eher wenig Berührungspunkte mit dem erhaltenen De anima aufweisen, so arbeitet auch Alexander von Aphrodisias, der berühmteste Aristoteliker der Kaiserzeit (Wende 2/3. Jh.), »an der Konstitution des Aristotelismus als eines autonomen und einheitlichen Lehrgebäudes«,14 verfolgt also eine Agenda, die über eine historisierende Interpretation bestimmter Texte hinausgeht. Das gilt in noch höherem Maße für die platonisch beeinflussten Ausleger, die nach Alexander die antike Debatte dominieren. Die hier versammelten Autoren  Vgl. Donini 1974, S. 63–125; Perkams 2013, S. 226–229.  Chiaradonna 2015. 13  Zur Rolle des Aristoteles im Neuplatonismus vgl. v.a. Perkams 2006, S. 333–338. Zur Harmonietheorie bis Porphyrios, Karamanolis 2006. 14  Fazzo 2002, S. 36. Im selben Sinne argumentieren Donini 1974; Rashed 2007. 11

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Einleitung 17

arbeiten also nicht primär als Philosophiehistoriker, sondern als Philosophen und suchen mit Hilfe der aristotelischen Texte philosophische Sachfragen richtig zu beantworten. Dazu werden die Texte vor dem Hintergrund der eigenen Ansichten und zeitgenössischen Herausforderungen gelesen und gedeutet. Die antiken Interpretationen der aristotelischen Geistlehre, die in diesem Band erstmals in deutscher Übersetzung versammelt werden, sind also durchweg philosophische Deutungen, deren Ziel darin besteht, die philosophische Wahrheit, die in den Texten enthalten ist, zu ermitteln und zu entfalten. Man darf also von diesen Auslegern nicht ohne weiteres – wie es vielfach getan wurde – »authentische« oder »richtige« Aristoteles-Interpretationen im Sinne moderner Philosophiehistorie erwarten. Ihre Leistung besteht – abgesehen von zahlreichen Bemerkungen zu Textdetails, die auch für die heutige Aristoteles-Deutung immer wieder nützlich sind – primär darin, sachliche Möglichkeiten aufzuzeigen, wie Aristoteles’ Lehre vom Geist, vor dem Hintergrund einer Gesamtinterpretation des Corpus Aristotelicum, ein systematischer Sinn abgewonnen werden kann. Für alle Autoren verbindlich ist insbesondere der heute keineswegs selbstverständliche – wenn auch wohl für eine philosophische Interpretation nach wie vor sinnvolle  – Grundsatz, Aristoteles’ mannigfaltige Aussagen vor dem Hintergrund eines in sich konsistenten, wahrheitsfähigen Gedankensystems zu deuten. Insofern spiegelt jede antike Interpretation der aristotelischen Geistlehre den aristotelischen Text, indem sie ihn systematisch – und damit durchaus auch tendenziös – weiterentwickelt. Der Leser dieses Bandes ist demnach eingeladen, an einem zentralen Fallbeispiel der Interpretationsgeschichte einen Streifzug durch die vielen Wandlungen der Philosophie bis zum Ende der Antike zu übernehmen; wie viel er dabei für eine historisch zuverlässige Aristoteles-Interpretation gewinnt, wird er selbst entscheiden müssen. Um diesen Streifzug etwas zu ordnen und zu erleichtern, wird zunächst auf den Text eingegangen, um dessen Interpretation es im Folgenden gehen wird: das

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Matthias Perkams

dritte Buch von Aristoteles’ De anima, und zwar insbesondere sein viertes und fünftes Kapitel – also der wohl schwierigste und über Jahrhunderte meistkommentierte Abschnitt der antiken Philosophie.15 Im Anschluss daran wird dann, um dem Leser einen historischen Rahmen zu liefern, die Geschichte der aristotelischen Philosophie in der Antike etwas ausführlicher skizziert, wobei auf den Platz der Geistlehre besonderes Augenmerk gelegt werden soll.

1. Probleme der Lehre vom Geist nach dem dritten Buch von Aristotelesʼ De anima a. Die Seele als Entelechie und der abtrennbare/abgetrennte Geist nach De anima III 4

Aristoteles behandelt den Geist (νοῦς) als den »Teil der Seele, mit dem sie erkennt und einsieht« (III 4, 429a10 f.)16 im Rahmen seiner Darstellung der verschiedenen Seelenvermögen: Nach einer einleitenden Definition der Seele sowie methodischen Bemerkungen in De anima II 1–4 geht er diese Seelenvermögen ab dem Ende von Kapitel II 4 reihenweise durch: Nähr- und Wachstumsvermögen (II 4), Sinneswahrnehmung (II 5–III 2), Vorstellungsvermögen (III 3), Denkvermögen/Geist (III 4–8), Fähigkeit zur Bewegung (III 9–11). Mit dem Geist als Denkvermögen beschäftigen sich insbesondere die Kapitel IV und V des  Höffe 21996, S. 145. Für eine aktuelle systematische Darstellung des Inhalts von De anima mit Bemerkungen zur Forschungssituation kann Hahmann 2016 empfohlen werden. Im Meiner Verlag ist in diesem Jahr auch eine neue Übersetzung von De anima durch Klaus Corcilius erschienen, welche die bisher im deutschen Raum maßgebliche Version von Theiler/Seidl ablöst. 16  Den Übersetzungen aus De anima wurde die Version von Theiler/ Seidl zugrunde gelegt, sie wurden aber bei Bedarf geändert. Die neue Übersetzung von Corcilius (s. vorhergehende Fn.) konnte noch nicht verwendet werden. 15

Einleitung 19

dritten Buches, die durch ausgesprochene Knappheit und recht große Dunkelheit auffallen. Das gilt besonders für Kapitel V, den Abschnitt über den aktiven Aspekt des Geistes. Die Schwierigkeit der Behandlung des Geistes innerhalb von Aristotelesʼ Theorie ergibt sich zunächst einmal daraus, dass dieser in der Beschreibung des Stagiriten einige Eigenschaften aufweist, die zur allgemeinen Beschreibung der Seele und ihrer Vermögen in Spannung stehen oder ihr sogar widersprechen. Das gilt insbesondere für die drei Kerneigenschaften, die Aristoteles dem Geist zuschreibt: dass er nämlich »frei von Erleiden« (ἀπαθής; 429a15–b23), »unvermischt« (ἀμιγής) mit anderen, körperlichen Dingen (429a18–25) sowie »abgetrennt« bzw. »abtrennbar« (χωριστός) von diesen sei (429b5–16). Sie implizieren offenbar, dass der Geist von der körperlichen Welt – und damit auch vom menschlichen Körper – getrennt ist bzw. sich zumindest im Erkenntnisprozess von ihr trennen kann. Zwei ausdrückliche Zitate (429a19–b24) weisen dabei darauf hin, dass Aristoteles hier bemüht ist, die Idee des Vorsokratikers Anaxagoras, den Geist als Prinzip der körperlichen Welt insgesamt gegenüberzustellen, in seine eigene Psychologie und Naturphilosophie einzuarbeiten.17 Damit dürfte er sich auch implizit gegen die Darstellung aus Platons Timaios 34a1–b6 wenden, die er noch im ersten Buch von De anima ausführlich referiert und kritisiert; da der Geist, der sich kreisförmig bewegt, ihr zufolge einer körperlichen Bewegung unterläge, würde er in Aristoteles’ Augen durch einen Körper beschwert (I 3, 406b26–407b11). Die Anlehnung an Anaxagoras’ Konzeption eines klar vom Körper trennbaren Geistes führt jedoch zu einer deutlichen Spannung zu Aristotelesʼ allgemeiner Seelendefinition aus De anima II 1, der zufolge die Seele »die erste Verwirklichung/ Ente­lechie eines natürlichen Körpers ist, der in Möglichkeit Leben hat« (II 1, 412a27 f.). Denn diese Definition soll Aristoteles’ Intention zufolge ein hylemorphistisches Verhältnis von Stoff und Form ausdrücken, bei dem das formgebende Element 17

 Einführend zu Anaxagoras z. B. Mansfeld 1986, S. 158–167.

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Matthias Perkams

– in diesem Fall also die Seele – das Gesamtlebewesen prägt.18 Ein wichtiger Vorzug einer solchen Definition von Seele ist, wie Aristoteles gerade in De anima hervorhebt, dass sich mit ihr die Einheit des beseelten Lebewesens bei all seiner Vielfalt erklären lässt: »Daher darf man auch nicht fragen, ob die Seele und der Körper eines sind […]; denn da ›eines‹ und ›Sein‹ in mehrfacher Bedeutung ausgesagt werden, ist die Verwirklichung/Entelechie beides in primärer Bedeutung« (II 1, 412b6–9).

Damit sind bereits die Grundelemente für die Schwierigkeit genannt, die Lehre vom Geist ab Kapitel III 4 in das Gesamtkonzept von De anima einzuordnen: Während aufs Ganze gesehen für Aristoteles Körper und Seele eines sein sollen, möchte er zugleich annehmen, dass der Geist mit dem Körper unvermischt ist und von ihm abgetrennt sein kann. Diese Schwierigkeit hat die Interpreten aller Zeiten vor große Schwierigkeiten gestellt. Allerdings muss man zugestehen, dass Aristoteles selbst recht offen auf sie hinweist und sie offenbar in Kauf nimmt: »Dass die Seele also nicht abtrennbar vom Körper ist, oder einige Teile von ihr, wenn sie von Natur aus teilbar ist, erweist sich deutlich. Denn von einigen ist die Verwirklichung die der Teile selbst. Bei einigen allerdings steht dem Abgetrenntsein nichts entgegen, weil sie von keinem Körper eine Verwirklichung sind. Ferner ist unklar, ob die Seele auf die Art Verwirklichung für den Körper ist wie der Schiffer für das Schiff« (II 1, 413a3–9).

Offenbar wollte Aristoteles, wie sich hier zeigt, weder seine naturwissenschaftlich angeregte Seelendefinition aufgeben noch auch auf die Vorteile ganz verzichten, die sich aus Anaxagorasʼ Theorie ergeben konnten, der Geist sei gerade dadurch einheitlich und zum Denken fähig, dass er von der Materie abgetrennt sei. Man muss daher annehmen, dass er selbst eine Lösung für möglich hielt. Neuere Versuche, diese Lösung auszuarbeiten, 18

 Einführend zum Hylemorphismus z. B. Höffe 21996, S. 178–182.

Einleitung 21

verstehen die allgemeine Definition der Seele als Entelechie vor allem als Rahmenbeschreibung der Funktionalität der verschiedenen Seelenvermögen und fassen auch den Geist als ein solches Vermögen auf, dessen Funktionieren freilich besondere Bedingungen erfordert.19 Die antike und mittelalterliche Auslegungstradition ist hingegen einen ganz anderen Weg gegangen: Sie geht von der Beobachtung aus, dass jeder Lesart, die den Geist rein von seiner Funktionalität im leib-seelischen Lebewesen her verstehen will, die Formulierungen, die Aristoteles selbst gebraucht, offensichtlich entgegenstehen. Daher ziehen sie es vor, im Einklang mit ihren eigenen philosophischen Interessen den Geist als eine bestimmte Art von Seele zu interpretieren, die ontologisch vom Körper unabhängig ist und eine herausgehobene Stellung im Kosmos einnimmt.

b. Die Erkenntnis des Geistes nach De anima III 4

Eine weitere Schwierigkeit besteht in Aristoteles’ Beschreibung des Denk- bzw. Erkenntnisvorgangs selbst, doch liegt diese weniger an Spannungen zu anderen Teilen von De anima als an der Unklarheit des Textes und der hier enthaltenen Theorie. Aristoteles versucht die Besonderheit des Denkprozesses durch einen Vergleich mit der Sinneswahrnehmung herauszuarbeiten, wobei er wiederum auf Ideen des Anaxagoras zurückgreift. Die Parallele zur Sinneswahrnehmung soll darin bestehen, dass sowohl Sinne als auch Geist Formen ohne Materie aufnehmen; allerdings ist die Sinneswahrnehmung auf bestimmte, den einzelnen Sinnen entsprechende Formen festgelegt, während der Geist grundsätzlich offen dafür ist, alle Formen aufzunehmen bzw. alles zu denken (νοεῖν: 429a18). Dies wird wiederum mit der Formel erklärt, dass der Geist alles werden kann, ohne irgendetwas zu sein; deswegen vergleicht Aristoteles ihn auch in seinem berühmten Bild mit einer noch nicht beschriebenen 19

 Vgl. z. B. Barnes 1979, S. 32–41.

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Matthias Perkams

Schreibtafel (429b29–30a2). Aus demselben Grund legt er ferner großen Wert darauf, dass der Geist mit nichts, insbesondere mit nichts Körperlichem, vermischt sein darf, weil dies die Klarheit der Erkenntnis des Geistes behindern würde (429a20–22). Diese Beschreibung der Tätigkeit des Geistes ist nur schwer zu verstehen. So hat William Charlton korrekterweise festgehalten, dass ein Ornithologe kein Vogel wird, wenn er einen beobachtet.20 Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, dass Aristoteles’ Beschreibung des Geistes stark an das Konzept der Materie erinnert, wie sie viele Aristoteliker seit Theophrast annahmen: Ihnen zufolge ist auch die Materie dadurch definiert, dass sie nichts ist, aber – durch Aufnahme einer Form (εἶδος) – alles werden kann. Ein Problem der Interpretation besteht daher in der genauen Unterscheidung des Geistes von der Materie. Es stellte sich den antiken und mittelalterlichen Auslegern in besonderer Schärfe, da in deren Philosophie häufig eine »erste«, von Formen ganz freie Materie eine Rolle spielte, von der es zweifelhaft ist, ob Aristoteles selbst sie bereits annahm.21 Ein Schritt zur Erklärung des Textes und zur Lösung dieses Problems bestand seit Alexander von Aphrodisias in der Annahme, dass Aristoteles hier nur von einer bestimmten Art von Geist spreche, die die Ausleger häufig »materieller Geist« (ὑλικòς νοῦς) nannten.22 Diese Art Geist konnte insbesondere als rein passives Pendant zum aktiven Geist verstanden werden und bildete so ein wichtiges Element einer vollständigen Noetik. c. Der aktive Geist nach De anima III 5

Noch mehr Schwierigkeiten als das bis jetzt besprochene Kapitel III 4 bietet das folgende Kapitel, das sich durch extreme Kürze auszeichnet. Hier führt Aristoteles in den Geist die  Charlton 1991, S. 16.  Tornau 2012, S. 353 f. 22  Siehe z. B. unten S. 154 f. bei Alexander von Aphrodisias. 20 21

Einleitung 23

Unterscheidung zwischen einem aktiven und einem passiven Prinzip ein, wovon das eine alles tun, das andere alles erleiden soll (430a10–15). Dieser aktive Geist wird dann mit dem Licht verglichen, das aus allen möglichen Farben tatsächlich sichtbare Farben macht (430a15–17); das erinnert an Platons Sonnengleichnis (resp. VI, 508a–509b), wo der Idee des Guten die Funktion zugeschrieben wird, alles Denkbare denkbar zu machen. Zum Abschluss des Kapitels werden einige besonders komplizierte Aussagen getroffen. Offensichtlich soll der aktive Geist in Verwirklichung (ἐνεργείᾳ) existieren und, zumindest nach der verbreitetsten Lesart, ewig sein, ohne dass deswegen eine Anamnesis im platonischen Sinne möglich sein soll: »Das Wissen in Möglichkeit ist im Einzelnen der Zeit nach früher, im Ganzen aber auch nicht der Zeit nach, aber es ist nicht so, dass es bald tätig, bald nicht tätig ist. Abgetrennt nur ist es genau das, was es ist, und dies allein ist unsterblich und ewig. Wir haben aber keine Erinnerung, weil dieses frei von Erleiden ist, der leidensfähige Geist (ὁ παθητικός νοῦς) hingegen vergänglich, und es ohne diesen nichts denkt« (430a20–25).

Der erste Satz scheint den aktiven, wirkenden Teil des Geistes aus dem Bereich der Zeit ganz herauszunehmen und seine Aktivität für ewig zu erklären – so dass sie, qua Aktivität, generell einen höheren Rang einnimmt als der zuvor behandelte, eher passive Geist. Diese Interpretationslinie wird allerdings dadurch erschwert, dass das »nicht« in »aber es ist nicht so« in einigen Textzeugen fehlt; nach dieser Lesart würde diese Ewigkeit nur eingeschränkt gelten und müsste zumindest mit einer Art Veränderlichkeit einhergehen. In jedem Fall lehnt der folgende Satz die Idee ab, dass wir uns an etwas aus dem ewigen Wissen des Geistes erinnern: Der Grund dafür scheint in der Vergänglichkeit des passiven, leidensfähigen Geistes zu bestehen, der aber anscheinend eine Voraussetzung für die Erinnerung ist. Es spricht einiges dafür, dass sich Aristoteles hier gegen die platonische Anamnesis-Lehre wendet.

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Abgesehen davon, dass dieser Zusammenhang nicht klar ausbuchstabiert wird, führt dieser Satz viele antike und mittelalterliche Interpreten dazu, den hier genannten »passiven Geist« mit dem Vorstellungsvermögen zu identifizieren, dem Aristoteles an anderer Stelle die Erinnerungsfähigkeit zuschreibt (mem. 1, 449b31–450b11). Folglich unterscheiden sie den passiven Geist (νοῦς παθητικός) aus III 5 nicht nur vom aktiven Geist, sondern auch von dem materiellen Geist bzw. möglichen Geist aus III 4. Auf diese Weise wird eine Kohärenz mit dem Kapitel III 4 hergestellt, wo ja von einem abtrennbaren, nicht leidensfähigen Geist die Rede ist, der folglich nicht im Sinne von III 5, 430a24 f. vergänglich sein kann. Das Ergebnis ist, dass mindestens drei Arten von Geist unterschieden werden (aktiver, passiver, materieller bzw. möglicher Geist), um Aristotelesʼ komplizierte Aussagen in diesen Kapiteln zu erläutern – was die Lektüre der Erklärungen für den Leser häufig recht mühsam macht.

d. Das Verhältnis des aktiven Geistes zum unbewegten Beweger

Das berühmteste Problem, das sich aus Kapitel III 5 ergibt, ist jedoch die genaue Identität des aktiven Geistes. Zwar erweckt Aristoteles’ Text den Eindruck, als spreche er die ganze Zeit über den menschlichen Geist. Doch können hieran spätestens dann Zweifel aufkommen, wenn er den aktiven Geist in III 5 als zweite Form des Geistes einführt und dessen Wirkung mit dem Licht vergleicht. Hier scheint es nahezuliegen, dass er ein überindividuelles, göttliches Erkenntnisprinzip im Auge hat. Dies hat viele Interpreten dazu geführt, den aktiven Geist als universal einzuschätzen und mit demjenigen Geist zu identifizieren, der von Aristoteles unzweifelhaft als universales Prinzip eingeführt wird: dem unbewegten Beweger aus dem XII. Buch der Metaphysik. Zwar sind die textlichen Bezüge zwischen De anima III 5 und diesem Buch letztlich überschaubar, doch gibt die zentrale, göttliche Rolle, die der Geist dort einnimmt, hinreichend Grund zur Spekulation über diese Frage.

Einleitung 25

Bereits die antiken Interpreten sind hierüber tief zerstritten: Die These, der Geist aus De anima III 5 sei göttlich, wird insbesondere von Alexander von Aphrodisias vertreten. Scharf kritisiert wird diese Position besonders von den neuplatonischen Auslegern, die seit Plutarch von Athen den aktiven Geist dezidiert als ein Vermögen innerhalb der Seele ansehen. Dabei tendiert Philoponos, vermutlich in der Nachfolge seines Lehrers Ammonios Hermeiou, eher dazu, ihn als eine Art universales Feld des Lernens zu sehen, während Priskian ihn für den höchsten Geist innerhalb der menschlichen Seele hält. Allerdings geht in der Antike noch niemand so weit wie Jahrhunderte später Averroes (1126–1198), der, ausgehend vor allem von Ideen des Themistios, auch den materiellen Geist für universal erklärt.23

e. Weitere Schwierigkeiten

Neben diesen großen Problemen, die von den beiden Kapiteln III 4 und 5 her zu stellen sind, haben die Ausleger von De anima auch einige weitere schwierige Fragen zu klären, die hier zumindest kurz erwähnt seien, weil sie den Anlass zu einigen der nachfolgend gedruckten interpretierenden Theorien liefern. Ein erstes Problemfeld ergibt sich dadurch, dass Aristoteles an anderen Stellen (v.a. an. III 9, 432b24–10, 43a18; eth. Nic. VI 2, 1139a26–36) recht klar zwischen theoretischem und praktischem Geist unterscheidet. Damit stellt sich die Frage, wie sich diese Unterscheidung zu der Darstellung des Geistes in De anima III 4 und 5 verhält. Gerade wenn man diesen Text als ein Plädoyer für eine deutliche Unterscheidung von Geist und sinnlicher Welt interpretiert, tritt die Frage auf, wie ein solcher Geist noch auf Handlungen bezogen, d. h. praktisch, sein kann. Meist wird der Text in der Antike rein auf den theoretischen Geist bezogen. 23

 Vgl. Wirmer 2007.

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Ein wichtiges Problem, das sich insbesondere auch in Anbetracht der gerade skizzierten Unterscheidungen verschiedener Arten von »Geist« stellt, ist die Einheit des Denkens. Diese Frage wird von Aristoteles selbst so nicht aufgeworfen, doch geht er bei der Behandlung der Wahrnehmung in Kapitel III 2, 426b12–427a16 auf die Einheit der verschiedenen Sinne ein. Diese Ausführungen lassen sich analog auf das Denken übertragen, wie einige in diesem Band versammelte Texte zeigen. Das Meinen (δόξα) ist für Aristoteles bekanntlich weit weniger zentral als für seinen Lehrer Platon. Einige interessante Äußerungen dazu finden sich jedoch dort, wo er das Vorstellungsvermögen (φαντασία) im Kapitel III 3 vom Meinen unterscheidet. In diesem Abschnitt (428a18–b9) erfährt der Leser beispielsweise, dass eine Meinung immer von Glauben (πίστις) begleitet wird – und erhält so einen Anlass, über die Reflexivität des Denkens nachzudenken, die einige Ausleger gerne genutzt haben. Ein weiterer wichtiger Punkt ist Aristotelesʼ vor allem in Kapitel III 7 und 8 geäußerte Ansicht, dass Denken niemals ohne Vorstellungen abläuft (431a16. b2; 432a8). Hieraus ergibt sich die Schwierigkeit, dies mit Aristoteles’ Aussagen zur Abtrennbarkeit des Geistes zu verbinden.

2. Die Geschichte des antiken Aristotelismus und der literarischen Formen der Aristoteles-Auslegung Die Erklärungen dieser Probleme durch die antiken Interpreten sind durch zwei eher allgemeine Faktoren stark beeinflusst: erstens von deren eigener philosophischer Position, die vor dem Hintergrund ihrer historisch-geistesgeschichtlichen Situation verstanden werden muss, und zweitens von der literarischen Form ihrer Auslegung.24  Die Geschichte der antiken Aristoteles-Interpretation bis Alexander von Aphrodisias wird umfassend dargestellt von Moraux 1971–2001; vgl. 24

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a. Theophrast und die ersten Jahrhunderte

Die Rezeption von Aristoteles’ Werk beginnt noch zu seinen Lebzeiten durch seine unmittelbaren Schüler. Das wichtigste Dokument hierfür ist, gerade was die Lehre vom Geist betrifft, das Werk des Theophrast (371–270 v. Chr.), Aristoteles’ Nachfolger als Leiter des Athener Peripatos. Neben der erhaltenen kritischen Auseinandersetzung mit einigen Themen der Metaphysik25 studiert er auch De anima intensiv, und zwar offenbar im Rahmen eines größeren, acht Bücher umfassenden Werkes mit dem Titel Physik, das uns aber leider nicht erhalten ist.26 Die erhaltenen Fragmente und Testimonien zu seiner Lehre vom Geist, die für diesen Band von Irmgard Männlein-Robert übersetzt wurden, soweit sie sich nicht in den (hier ebenfalls übersetzten) Texten von Themistios und Priskian von Lydien finden, deuten darauf hin, dass sich Theophrast problemorientiert über einzelne Punkte von Aristoteles’ Lehre Gedanken macht, wie sie in dessen noch heute erhaltenen Schriften zu finden ist. Dies scheint, ähnlich wie in Theophrasts erhaltener Metaphysik, in Form der Formulierung von Problemen bzw. Aporien zu geschehen, die dann einer Lösung zugeführt werden. Hierbei lassen sich mehrere Schwerpunkte feststellen: Ein erstes Problem resultiert daraus, dass Theophrast die Frage stellt, wie der von außen kommende Geist aus gen. an. II 3, 736b26 f. (νοῦς θύραθεν) mit dem Körper in Verbindung treten kann (Themistios, an. paraphr. 107, 31 f.); es wird in äußerst knapper Form mit den weiteren Problemen verbunden, was es bedeutet, dass der Geist reine Potentialität ist (Themistios, an. paraphr. 107, 33–35), und wie er sich dann noch von der Materie unterscheidet (Themistios, an. paraphr. 108, 5 f.). Die Antwort deutet offenbar an, dass eine dauernde, habituelle Beziehung besonders Bd. II, S. 406–425 zur Geschichte der Noetik. Für die neuplatonische Interpretation ist die beste Übersicht der Sammelband von Sorabji 1990. 25  Vgl. dazu die griechisch-deutsche Ausgabe Henrich 2000. 26  Vgl. dazu genauer die Einführung zu den Kapiteln 1, 4 und 6.

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des Geistes zum Körper von der Geburt an besteht, obwohl der Geist an sich »unentstanden« zu sein scheint, »wenn er wirklich unvergänglich ist« (Themistios, an. paraphr. 102, 26–29). Diese Hinweise zeigen, dass Theophrast Aristoteles’ Andeutungen in ihren sachlichen Konsequenzen ausleuchtet, ohne dass sich – zumal in Anbetracht des fragmentarischen Zustands unserer Informationen – die Möglichkeit böte, eine eigene einigermaßen geschlossene Theorie des Geistes zu rekonstruieren. Erkennbar ist jedoch, dass seine Aussagen geeignet waren, für folgende Interpretationen die Spannung zu unterstreichen, die sich zwischen der Annahme eines unvergänglichen, unkörperlichen Geistes und dessen Vereinigung mit dem Körper ergab. Insbesondere scheint er Themistios, mit dem er in der Folgezeit häufig zusammen genannt wird,27 in der Hinsicht beeinflusst zu haben, der verwirklichte und der mögliche Geist seien beide ewig und wesentlich außerhalb des Menschen angesiedelt.

b. Aristoteles’ Seelenlehre in hellenistischer Zeit: die Frage nach dem »fünften Element«

Nach Theophrast fehlen uns für gut drei Jahrhunderte jegliche Zeugnisse für eine Auseinandersetzung mit Aristoteles’ Lehre vom Geist oder der Seele, wie sie in De anima erkennbar ist. Allerdings gibt es einige Belege, die berichten, Aristoteles habe angenommen, die Seele bestehe aus einem »fünften Element«, aus dem auch die Sterne bestünden. Diese Quellen sind in erster Linie vier Passagen bei Cicero, eine aus den pseudo-klementinischen Rekognitionen sowie mindestens eine Passage bei dem Kirchenvater Hippolyt von Rom,28 der auf doxographisches Ma Vor allem von Averroes: Vgl. fr. 308A, 309B, 314A Fortenbaugh.  Cicero, Academica Posteriora I 26; Tusculanae disputationes I 22. 41. 65 f.; Ps.-Clemens, Recognitiones VIII 15; Hippolyt, Refutatio omnium haeresum I 20, 6 (und einige verwandte Passagen: Mansfeld 1992, 138 f.). Englische Übersetzung und Diskussion der vier wichtigsten Stellen bei Bos 2003, S. 269–276. 27

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terial zurückgreift.29 Alle Belege weisen trotz großer Ähnlichkeiten einige Unterschiede auf.30 Cicero referiert die Aristoteles zugeschriebene Position so, dass »auf der Erde keinerlei Ursprung der Seelen gefunden werden kann; denn es gibt in den Seelen nichts Vermischtes und Festes oder etwas, das aus Erde geboren oder erschaffen zu sein scheint, auch gewiss nichts Feuchtes oder Verwehbares oder Feuriges […] noch wird jemals etwas gefunden werden, woher dies zum Menschen kommen kann, außer von Gott. Es gibt also eine bestimmte einzigartige Natur und Kraft der Seele, die von diesen gewohnten und bekannten Naturen getrennt ist«.31 Diese anti-naturalistische Einschätzung der aus der fünften Substanz (neben den vier Elementen) bestehenden Seele entspricht in auffallender Weise einer ganzen Reihe von Passagen bei Philon von Alexandrien, welche antiken Philosophen, aber nicht ausdrücklich dem Aristoteles zugeschrieben werden. Philon spricht nicht nur von der »fünften Substanz« (πέμπτη οὐσία), sondern auch (häufiger) vom Äther oder vom Pneuma. Auch für ihn bedeutet aber das Bestehen des Geistes aus dieser Natur, dass der Geist »aus nichts im Werden Befindlichen, sondern von Gott her« kommt bzw. dass er durch göttliches Pneuma (θείῳ πνεύματι) das Denken besitzt.32 Nicht anders fasst es Hippolyt: »Die fünfte Substanz gemäß Aristoteles ist eine gewisse überkosmische Substanz«.33 Für alle diese Autoren ist  Mansfeld 1992, S. 138 f.  Überblick: Mansfeld 1992,S. 138 f. 31  Animorum nulla in terris origo inueniri potest; nihil enim est in animis mixtum atque concretum, nihil ne aut umidum quidem aut flabile aut igneum […] nec inuenietur umquam, unde ad hominem uenire possint nisi a deo. Singularis est igitur quaedam natura atque uis animi seiuncta ab his usitatis notisque naturis. Cicero, Tusculanae disputationes I 65 f. 32  Philon von Alexandrien, Quis rerum divinarum heres sit § 55–57 (Bd. III, S. 13 f. Wendland), ähnlich § 283 (Bd. III, S. 64 Wendland) und De plantatione, § 12–18 (Bd. II, S. 135–137 Wendland). 33  Ἡ πέμπτη κατὰ τὸν Ἀριστοτέλην οὐσία οἱονεὶ οὐσία τις ὑπερκόσμιος. Hippolyt, Refutatio omnium haeresum VII 19, 3. 29

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die Annahme, der Geist bestehe aus einem fünften Element, also wichtig, um innerhalb einer materialistischen Konzeption, wie sie die hellenistische Philosophie aufgrund stoischen und epikureischen Einflusses dominierte, keinen naturalistischen Prämissen verpflichtet zu sein. Das Pneuma mag daher zwar eine Art Stoff sein, doch wird seine prinzipielle Verschiedenheit von der sichtbaren, aus den vier Elementen bestehenden Natur betont, so dass u. a. die Ewigkeit der Seele bzw. des Geistes gewahrt werden kann. Diese Position ist nun aus mehreren Gründen kaum auf De anima beziehbar: Erstens waren Aristotelesʼ »esoterische«, d. h. für den internen Gebrauch bestimmte Schulschriften, unter ihnen auch De anima, bis ins 1. Jahrhundert v. Chr. nur begrenzt zugänglich und z. B. Cicero weitgehend unbekannt.34 Zweitens wird in De anima weder ein »fünftes Element« noch ein Äther oder Pneuma erwähnt, stattdessen aber betont, dass der Geist nicht mit irgendeinem Körper vermischt sein darf (an. III 4, 429a24 f., 429b4 f.) und dass sich nur ein Geist ohne Materie selbst erkennen kann (an. III 4, 430a2–5; vgl. 429b21 f.), was mit der Pneuma-Theorie inkompatibel ist. Gegen eine Zuweisung an Aristoteles spricht überhaupt, dass dieser selbst dann, wenn er vom Äther spricht, eine andere Terminologie verwendet als die späten Zeugnisse, indem er diesen »erstes« und nicht »fünftes« Element nennt.35 Drittens beziehen sich die Belege von Cicero und Philon weder auf die Seelendefinition von De anima noch treffen sie eine Unterscheidung von Seele und Geist, wie sie in De anima zentral ist. So gebraucht Cicero die Bezeichnungen mens und animus abwechselnd und offensichtlich synonym: Ausdrücklich schreibt er der mens zu, »zu denken, Vorsorge zu treffen, zu lernen, zu lehren, etwas zu erfinden, usw., sich zu erinnern, zu lieben, zu hassen, zu wünschen, zu fürchten, Angst zu ha Moraux 1971–2001, Bd. I, S. 1–16.  Mansfeld 1992, S. 138.

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ben, sich zu freuen«,36 sieht in ihr also sowohl Aktivitäten des praktischen Denkens wie solche der Emotionen verortet. Philon bezeichnet die menschliche Seele als ein »abgerissenes Stück« der fünften Substanz, aus der die denkfähige und himmlische Seelenart besteht.37 Insgesamt ist dieser Belegkomplex historisch schwer einzuordnen, da er nirgendwo einem konkreten aristotelischen Werk zugeschrieben, nicht selten aber mit anderen Autoren in Verbindung gebracht wird, meist mit den Stoikern, an einigen Stellen aber auch mit dem Peripatetiker Kritolaos.38 All dies hat zu einer äußerst kontroversen Diskussion in der Sekundärliteratur geführt.39 Wenn man die Position, der Geist bzw. die Seele bestehe aus einem fünften Element, tatsächlich auf Aristoteles zurückführen will, wird man an dessen »exoterische«, zur Veröffentlichung bestimmte Schriften, wie z. B. »Über die  Cicero, Tusculanae disputationes I 22: Aristoteles […] quintam quandam naturam censet esse, e qua sit mens; cogitare enim et prouidere et discere et docere et inuenire aliquid et tam multa alia, meminisse, amare, odisse, cupere, timere, angi laetari […] et sic ipsum animum appellat nouo nomine ἐνδελέχειαν quasi quandam continuatam motionem et perennem. Unterstrichen wird diese Identifizierung von Augustinus, De civitate dei XXII, 11, wo das fünfte Element als der Stoff der Seele (anima) nach Aristoteles bezeichnet wird. Augustinus, der De anima nicht kannte, dürfte hier eine Information aus Cicero oder anderen doxographischen Quellen vereinfachen. 37  Τὸ δὲ νοερὸν καὶ οὐράνιον τῆς ψυχῆς γένος […]. Πέμπτη γὰρ […] ἔστω τις οὐσία κυκλοφορητικὴ, τῶν τέτταρων κατὰ τὸ κρεῖττον διαφέρουσα, ἐξ ἧς οἵ τε ἀστέρες καὶ ὁ σύμπας οὐρανὸς ἔδοξε γεγενῆσθαι, ἧς κατ᾽ ἀκόλουθον θέτεον καὶ τὴν ἀνθρώπινην ψυχὴν ἀπόσπασμα. Quis rerum divinarum heres sit § 283 (Bd. III, S. 64 Wendland). – Bos 2003, behauptet aufgrund des Versuchs, De anima von diesen Belegen aus zu interpretieren, Aristoteles habe in diesem Werk gar keine hylemorphistische Seelenlehre vertreten, sondern der »natürliche organische Körper« aus an. II 1, 412b5 f. sei das sogenannte »fünfte Element«, mit dem die Seele ebenso wie der νοῦς verbunden sei, während die gesamte Seele vom sichtbaren Körper trennbar sei. 38  Tertullian, De anima V 1; Macrobius, In somnium Scipionis I 14. 20. 39  Einen guten Überblick bietet Berti 1997, S. 319–326. 36

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Philosophie«,40 denken müssen, die heute verloren sind, die aber in hellenistischer Zeit allgemein zirkulierten und das Bild von Aristoteles bestimmten. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang der Kontext von Platons Timaios, dessen Lehre, die in an. I 3 ausführlich diskutiert wird, den jungen Aristoteles noch stärker beeinflusst und zu einer feinstofflichen Interpretation des Geistes angeregt haben könnte, die er in an. III 5 offenbar aufgegeben hat. Auf die Darstellung bei Cicero und seinen Parallelen könnten im Übrigen auch weitere, z. B. stoische und epikureische Quellen gewirkt haben.41

c. Von Andronikos von Rhodos bis ins 2. Jahrhundert

Der Beginn einer intensiveren Lektüre von Aristoteles’ Schulschriften, zu denen auch De anima gehört, wird in der antiken Geschichtsschreibung mit dem Peripatetiker Andronikos von Rhodos verbunden, der diese Werke nach dem Zeugnis al-Fārābīs und Plutarchs von Chaironeia neu ordnete und veröffentlichte. Dabei erhielten die Werke des Aristoteles die Gestalt, die wir heute kennen.42 Erst im 1. Jahrhundert vor Christi Geburt scheint damit, 300 Jahre nach dem Tod des Aristoteles, sein Œuvre in seiner definitiven Form als Quelle weiterer philosophischer Aktivitäten bereitgestanden haben. Zu dieser Zeit muss es auch recht rasch zu einer Auseinandersetzung mit den Texten über den Geist gekommen sein, die wir aber nur an sehr spärlichen Nachrichten nachvollziehen können. Der erste Peripatetiker, der sich nach unseren Infor In den Fragmentsammlungen von Ross: De philosophia fr. 27 (unter Weglassung der Hippolyt-Stelle). Dagegen sind bei Gigon die Cicero-Stellen als nr. 994–996 als »Nachträge« nicht eindeutig einem Werk zugeordnet; der Hippolyt-Beleg fehlt. 41  Mansfeld 1992, S. 137–139. 42  Moraux 1971–2001, Bd.  I, S. 16–58. Vgl. die Analyse der verschiedenen antiken Titelverzeichnisse ebd. S. 59–67; zur Datierung und zum Zeugnis al-Fārābīs vgl. jetzt Perkams, im Druck. 40

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mationen mit diesem Text befasst, ist noch im 1. Jahrhundert v. Chr. Xenarch von Seleukeia. Der Nachricht zufolge, die Johannes Philoponos wohl dem verlorenen De-anima-Kommentar des Alexander von Aphrodisias entnahm, identifiziert er den aristotelischen Geist in Möglichkeit mit der ersten, ganz ungeformten Materie – wie Paul Moraux vermutet, mit dem Ziel, auf diese Weise Aristoteles’ Geistlehre ad absurdum zu führen.43 Wohl auch gegen solche Positionen betont, wie Averroes berichtet, bereits Xenarchs Zeitgenosse Nikolaus von Damaskus, dass der Geist nicht nur reine Disposition sei.44 In einer eigenen Schrift soll er auch die Identifizierung von Geist und Denkobjekten abgelehnt haben.45 Direkte antike Textzeugnisse zu dieser frühen Debatte finden sich nur bei nicht peripatetischen Autoren: Philon von Alexandrien kannte z. B. die Lehre aus De generatione animalium, der Geist komme von außen in den Körper, und scheint an mindestens einer Stelle gegen die Interpretation des Geistes als pneumatisch dessen Unkörperlichkeit zu vertreten.46 Das wohl etwas jüngere Handbuch der platonischen Philosophie (διδασκαλικὸς τῶν Πλάτωνος δογμάτων) des Alkinous47 zeigt noch deutlicher eine etablierte Schulterminologie sowie die Aufnahme aristotelischer Themen in einen platonischen Kontext: »Weil der Geist besser als die Seele ist, der Geist in Verwirklichung aber besser als der in Möglichkeit – da ersterer alles gleichzeitig und immer denkt –, schöner als dieser aber der, der seine Ursache ist, sowie alles, was auf höhere Weise als diese existiert,  Vgl. das Testimonium u. S. 428 f. sowie die Interpretation von Moraux 1971–2001, Bd. I, S. 207 f. 44  Vgl. unten Theophrast, Testimonium 4 (S. 76 f.). 45  Moraux 1971–2001, Bd. I, S. 485. 46  De somniis I, § 30 (Bd. III, S. 211 Wendland); De opificio mundi § 67 (Bd. I, S. 22 Cohn); Moraux 1971–2001, Bd. II, S. 408–410. 47  Die Datierung des Textes, der ins 1. wie ins 3. nachchristliche Jahrhundert gehören könnte, ist schwierig: Whittaker 1990, XII f. Viele Jahrzehnte lang – auch bei Moraux – wurde der Autor des Textes Albinos genannt; dazu Whittaker ebd. IX–XII. 43

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ist dieser gewiss der erste Gott, der die Ursache dafür bildet, dass der Geist des gesamten Himmels immer verwirklicht ist«.48

Hier lässt sich sowohl die an De anima III 4 angelehnte Unterscheidung eines Geistes in Möglichkeit von einem verwirklichten Geist erkennen, als auch ein Bezug zum unbewegten Beweger bzw. zum göttlichen Geist aus Metaphysik XII. Eine klare Bezugnahme auf De anima III 5 findet sich etwas später, wobei die Deutung vom Sonnengleichnis her bestimmt wird: »Das Verhältnis, das die Sonne zum Sehen und dem Gesehenen hat – wobei sie selbst kein Gesichtssinn ist, ihm aber einerseits das Sehen ermöglicht, dem Gesehenen andererseits das GesehenWerden –, hat auch der erste Geist zum Denken und den gedachten Objekten (τὰ νοούμενα) in der Seele. Denn er ist nicht dasselbe wie das Denken, ermöglicht aber diesem zu denken und den Objekten des Denkens das Gedacht-Werden, indem er die Wahrheit um diese erleuchtet (φωτίζον)«.49

Hier lässt sich sehr deutlich erkennen, dass der Autor den Vergleich von aktivem Geist und Licht, den Aristoteles in De anima III 5, 430a15–17 zieht, nutzt, um das platonische Sonnengleichnis komplett auf das Denken zu übertragen. Für die in diesem Band versammelten Texte ist besonders relevant, dass mit Alkinous ein mittelplatonisches Einführungswerk, das sicherlich größere Schriften im Wesentlichen nur zusammenfasst, bereits eine weitgehende Rezeption aristotelischer Textstellen in einen platonischen Systementwurf voraussetzt. Hierzu ist nicht nur ein beträchtliches Interesse platonischer Denker an aristotelischer Philosophie erforderlich, sondern auch eine gründliche interpretatorische Erschließung der aristotelischen Texte. Insofern gibt uns Alkinous allen Grund zu vermuten, dass eine solche Tradition bereits im 1./2. Jahrhundert nach Christus existiert, obwohl wir nur sehr we Alkinous, Didaskalikos 164, 18–23 Hermann.  Alkinous, Didaskalikos 165, 21–26 Hermann.

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nige direkte Spuren von ihr besitzen.50 Ihre Weiterwirkung im Platonismus des 2. Jahrhunderts belegen die erhaltenen Fragmente aus dem Werk des Attikos, der sich scharf gegen jede Vermischung von Aristotelismus und Platonismus wendet, namentlich auch in der Lehre vom Geist.51 Ein Zeugnis dafür, wie die aristotelische Noetik nach Mitte des 2. Jahrhunderts kommentiert und sachlich weiterentwickelt wird, liefert uns der Bericht über die Noetik eines Peripatetikers, vielleicht Alexander von Aphrodisias’ Lehrer Aristoteles von Mytilene, der zu Beginn von Alexanders »Über den Intellekt« (De intellectu) überliefert ist.52 Dieser Text zeigt zum einen, dass bereits vor De intellectu, also wohl ungefähr Mitte des 2. Jahrhunderts, die Bezeichnung »aktiver Geist« (νοῦς ποιη­ τικός) existiert, aber wohl als eine Umschreibung verstanden wird, wie die Hinzufügung des Pronomens »ein bestimmter« (νοῦς ποιητικός τις) andeutet. Zum anderen weist er auf das wohl noch wichtigere Faktum hin, dass dieser aktive Geist bereits recht verbreitet mit dem »Geist von draußen« (νοῦς θύραθεν) aus gen. an. II 3, 736b27 f. identifiziert wird.53 Interessant ist, dass der in De intellectu zitierte Autor der Meinung ist, man müsse »den Text im dritten Buch von De anima« der Meinung »anpassen (προσοικειοῦν)«, dass »der Geist in der Materie sei wie eine Substanz in ihrer Substanz und Aktivität, wobei er immer seine Aktivitäten hervorbringe«. Dem Wortlaut von De intellectu nach wendet also der dort erwähnte Autor eine von ihm selbst (κατ’ ἰδίαν ἐπίνοιαν) entwickelte materielle Theorie eines ewigen Geistes auf De anima an, wobei er  Moraux 1971–2001, Bd. II, S. 410 f.  Attikos, fr. 7, 14 (S. 64 f. des Places). 52  Die Identifizierung des in diesem Text genannten Aristoteles mit Aristoteles von Mytilene wird von Moraux 1971–2001, Bd. II, S. 399–401 sowie gegenwärtig vor allem von Accattino 2001, S. 9–15 (mit Nuancierungen) vertreten. Hingegen argumentieren Frederic M. Schroeder und Robert B. Todd in mehreren Beiträgen gegen diese Identifizierung, z. B. Schroeder/ Todd 2008, S. 672–680. Zu ihrer Position s. u. die Einleitung zu Kap. 3. 53  Moraux, Aristotelismus Bd. II, S. 412. 50 51

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auch unter stoischem Einfluss steht;54 man kann hier vermuten, dass die von Cicero und Philon referierte Deutung des Geistes auf diese Vermutung Wirkung zeigt. Zu erwähnen ist auch, dass sich in diesem Text bereits eine Lehre der Abstraktion findet, durch welche der aktive Geist die Objekte der Sinneswahrnehmung zu solchen des Denkens macht, indem er »die Sinnesobjekte in Verwirklichung durch seine Macht (δύναμει) von dem abtrennt und wegnimmt, in Verbindung womit sie Objekte der Sinneswahrnehmung sind, und sie an sich bestimmt (ὁρίσασθαι)«.55 Der Bericht in De intellectu bestätigt also, dass die wesentlichen Grundlinien, auf denen sich die Interpretation der aristotelischen Noetik in den folgenden Jahrhunderten bewegte, zur Zeit des Alexander von Aphrodisias bereits gezogen sind. Andererseits lässt er erkennen, dass zum genaueren Verständnis dieser Noetik im 2. Jahrhundert auch stoische Momente herangezogen werden. Nimmt man platonische Positionen wie die des Alkinous und des Attikos hinzu, so zeigt sich, dass ein Aristoteliker zu dieser Zeit eine beachtliche Aufgabe vor sich hat, wenn er in Abgrenzung von Stoikern wie Platonikern eine möglichst rein aristotelische systematische Position entwickeln will.

d. Alexander von Aphrodisias

Die bedeutendste aristotelische Antwort auf diese Herausforderungen bildet das Werk des Alexander von Aphrodisias. Das Wenige, was wir direkt über seine Person wissen, ist seine Herkunft aus einer philosophisch aktiven Familie in Aphrodisias in Karien sowie die Tatsache, dass er offensichtlich zu einem Zeitpunkt zwischen 198 und 209 diadochos, also offensichtlich Leiter, der aristotelischen Philosophenschule in Athen ist.56 We Alexander, De intellectu = an. mant. 112, 5–11. 113, 4–6. 12–14.  Alexander, De intellectu = an. mant. 110, 19 f. S. u. S. 223. 56  Diese Informationen ergeben sich aus einer Kombination von Alexander, fat. 164, 3–5. 14–16 mit der 2001 entdeckten Weiheinschrift einer 54 55

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sentlich eindrucksvoller ist das Korpus seiner Schriften, das neben kompletten Kommentaren zu den meisten Werken des Aristoteles auch eine Reihe Monographien zu einzelnen Themen oder auch kleinere Quaestionen umfasst. Alexanders Autorschaft steht dabei nicht in jedem Falle fest, zumal ein großer Teil der Werke verloren oder nur in arabischer Übersetzung erhalten ist.57 Literargeschichtlich liegt seine Bedeutung vor allem darin, dass er die Form des fortlaufenden Kommentars »in gewaltigem Umfang in der Philosophie« anwendet 58 und sie damit, auch für die folgenden Jahrhunderte, zur typischen Form der Erklärung von Aristoteles (und anderen Autoren) macht. Für die Frage nach dem Geist ist Alexander der vielleicht einflussreichste Autor der aristotelischen Tradition, hat er doch eigentlich alle künftigen Interpretationsrichtungen wesentlich mitgeprägt: Nicht nur im arabischen und im lateinischen Mittelalter, sondern auch bei den anschließenden Autoren der Spät­ antike ist sein Einfluss spürbar. Dabei haben die spätantiken Autoren auch noch Alexanders kompletten Kommentar zu De anima zur Verfügung, während alle späteren auf zwei kürzere, traktatartige Darstellungen angewiesen sind, die unter den Titeln De anima und De intellectu bekannt sind – ihre Passagen zur Lehre vom Geist werden in diesem Band von Hubertus Busche und Joachim Söder in deutscher Übersetzung präsentiert. Grundlegend für das Verständnis von Alexanders Noetik ist die klarer strukturierte und sorgfältiger ausgearbeitete Schrift De anima, zumal in ihrem Fall die Autorschaft Alexanders auch nicht bezweifelt wird.59 Sie verdient eine etwas ausführlichere Darstellung, da ohne sie die folgenden Entwicklungen, sowohl Statue, die Alexander für seinen Vater aufstellen ließ: Chaniotis 2004, S. 377–416, hier S. 388 f. 57  Werkübersichten finden sich vor allem bei Sharples 1987, S. 1176–1243, hier S. 1182–1199 und bei Goulet 1994, S. 125–139, zu ergänzen durch Fazzo 2003, S. 61–70. 58  D’Ancona Costa 2002, S. 211. 59  Moraux 1942, S. 137; Donini 1974, S. 26; Schroeder 1990, S. 19.

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bei Plotin und Themistios als auch bei den späteren Neuplatonikern, nicht zu verstehen sind. Sie entwickelt die Lehre vom Geist im Rahmen einer Gesamtdarstellung der Seelenlehre, die sich in Aufbau und Terminologie eng an Aristotelesʼ gleichnamige Schrift anlehnt. Ebenso wie diese betont Alexander die Verbindung der übrigen Seelenvermögen mit dem ihnen zugrunde liegenden Körper. Auch die dann dargelegten Grundzüge einer psychologischen Entwicklung des menschlichen Geistes stehen in keinerlei Widerspruch zu dieser Perspektive. Alexander zufolge verläuft diese Entwicklung über die »Stufen« des materiellen Geistes« (νοῦς ὑλικός), »einer Art Eignung« für das Denken (84, 24), des »Geistes im Sinne des Habitus« (ὁ καθ ἕξιν νοῦς) und des verwirklichten Geistes (νοῦς ἐνεργείᾳ bzw. κατ᾽ ἐνέργειαν. 86, 5), der nach einem Abstraktionsvorgang tatsächlich diejenigen Gedanken denkt, die im materiellen Geist angelegt waren und im habituellen Geist bereitliegen (84, 18–22; 86, 5 f.). Weit schwieriger ist es, wie die Forschung des 20. Jahrhunderts gezeigt hat, Alexanders naturphilosophische Erklärungsmethodik mit seiner Theorie des aktiven Geistes (νοῦς ποιητικός) in Einklang zu bringen, die im weiteren Verlauf von De anima auf der Grundlage von Aristotelesʼ Kapitel III 5 entwickelt wird. Der aktive Geist wird hier nicht nur als abgetrennt und unkörperlich dargestellt, sondern auch mit dem von außen (θύραθεν) kommenden Geist aus gen. an. II 3, 736b27 f. identifiziert, so dass diese Form von Geist als solche außerhalb des leib-seelischen Kompositums angesiedelt ist.60 Zusätzlich betont Alexander, dass dieser Geist, der ein reines Denkobjekt darstellt – sich also von den vorher genannten abstrahierten Gedanken wesentlich unterscheidet –, eine notwendige Ursache für jedes Denken bildet (89, 5–11). Hieraus wird namentlich von Paul Moraux, einem der bedeutendsten Spezialisten für die Erforschung Alexanders, geschlossen, »die Lehre vom νοῦς ποιητικός« sei »eine nutzlose Hinzufügung zu Alexan60

 Vgl. zum letzten Punkt Alexander, an. 90, 10–20.

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ders« naturphilosophischem »System«.61 Demgegenüber hat die neuere Forschung zu Recht herausgestellt, dass der aktive Geist bei Alexander die »transzendentale« Bedingung der Möglichkeit der eben geschilderten psychologischen Entwicklung des menschlichen Geistes darstelle. »Der wirkende Intellekt ist nicht nur nicht überflüssig, sondern in einer philosophischen Sichtweise, die eine Zweiteilung der Wirklichkeit in sinnlich wahrnehmbare und denkbare Welt für grundlegend hält, voll und ganz gerechtfertigt«.62 Demnach führt Alexander die bei Aristoteles angelegte Aufteilung der Wirklichkeit in rein noetische und körperlich realisierte Formen in ihrer ganzen Breite fort und entwickelt sie auf eine intern kohärente Weise. Wie Aristoteles selbst von Platon, so ist er dabei vom zeitgenössischen Mittelplatonismus beeinflusst, der ja seinerseits, wie das Beispiel des Alkinous zeigt, aristotelische Elemente aufgenommen hat. Alexanders Aristotelismus zeigt sich hierbei daran, dass er sorgfältig darauf achtet, nicht alle Implikationen der platonischen Ideenlehre in seine aristotelische Geisttheorie zu übernehmen. Gleichwohl zeigen die platonischen Elemente seiner Lehre vom Geist, dass die Vorstellung, man finde bei Alexander eine historisch korrekte, von den Diskussionen der eigenen Zeit nicht beeinflusste Interpretation des Aristoteles, naiv ist.63 Von großer Bedeutung für die folgende Entwicklung ist die in De anima recht breit ausgeführte Darstellung der Selbsterkenntnis des Geistes: Bevor der Geist denkt, sind das Denkende  Moraux 1942, S. 87.  Donini 1974, S. 41. 43 (Zitat). Gerade die erste der drei Studien »Alessandro di Afrodisia e il platonismo fra il II e III secolo« kann als zentraler Beitrag zum Verständnis von Alexanders Noetik empfohlen werden. Vgl. im selben Sinn Schroeder (wie Anm. 59), S. 19. 63  Donini 1974, S. 46–58. Vgl. dazu jetzt auch das Ergebnis der großen Untersuchung von M. Rashed, der Alexanders Interesse in der Rehabilitation des aristotelischen εἶδος (gegen die frühere aristotelische Tradition) verortet, was ihn in die Nähe des Platonismus bringe: Rashed 2007, S. 324–329. 61

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und das Gedachte nur Relate ohne eine wirkliche Verbindung miteinander; da beide jedoch im Akt des Denkens eines werden, erfolgt in diesem Moment auch die Selbsterkenntnis des Geistes, indem der Geist das wird, was er denkt (86, 23–29). An dieser Konzeption, die die Identität von Wissen und Gewusstem bei Aristoteles (430a20) klarer ausführt, ist auch bemerkenswert, dass die Selbsterkenntnis des Geistes als gleichsam akzidentelle Nebenwirkung der Tatsache auftritt, dass der Geist selbst beim Denken ein Denkobjekt wird (86, 19–23). Noch stärker als De anima beschäftigt sich De intellectu mit dem von außen kommenden Geist, der auch in dieser Schrift mit dem wirkenden Geist (νοῦς ποιητικός) aus De anima III 5 (110, 22–25) identifiziert wird. Allerdings wirkt auch »unser Geist«, indem er die Wahrnehmungsobjekte durch Abstraktion zu solchen des Denkens macht, doch wirkt hieran auch der nur wirkende Geist mit (111, 15–29). Der Text berührt am Ende einige weitere Punkte: So erwähnt er die Mitwirkung des Himmels beim Schöpfungshandeln des Geistes und verteidigt explizit die Unkörperlichkeit des außermenschlichen Geistes (113, 6–24). Insofern wird sich in De intellectu die traditionell mit dem Namen Alexanders verbundene Lehre von der Universalität des aktiven Geistes, der damit außerhalb der Einzelseele angesiedelt werden muss, besonders deutlich dargestellt. Allerdings ist nicht vollkommen klar, ob der Text überhaupt Alexander zugesprochen werden kann: Heute stufen einige Forscher diesen Text mit beachtlichen Argumenten sogar als nachplotinisch ein.64 Auch die Autoren, die für eine Autorschaft Alexanders eintreten, sind sich darüber uneinig, ob die Schrift älter oder jünger als De anima ist.65 Insofern liefert De intellectu, vielleicht gerade wegen ihres skizzenhaften Charakters, in den letzten Jahren Stoff für intensive Kontroversen. Der Leser dieses Bandes kann sich hierzu ein eigenes Urteil bilden.  Schroeder/Todd 2008.  Für genauere Literaturhinweise sei hier auf die Einleitung zur Übersetzung von De intellectu in diesem Band durch Joachim Söder verwiesen. 64 65

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e. Plotin

Die systematisch bedeutsamste antike Wiederaufnahme von Aristoteles’ Lehre vom Geist befindet sich jedoch weder bei einem Aristoteliker noch bei einem Kommentator. Es ist der Begründer des Neuplatonismus, Plotin (ca. 205–270 n. Chr.), der die Geistlehre weiterdenkt und ihren Status als Kernelement der Metaphysik weiter vertieft. Die aristotelisch-alexandrinischen Wurzeln dieser Theorie dürfen nicht übersehen werden. In den Worten von Philip Merlan ist Alexander von Aphrodisias’ »Interpretation von Aristoteles’ Lehre vom Geist der Boden, aus dem heraus ein Großteil von Plotins Geistlehre erwuchs«.66 Allerdings trennt Plotin den Geist noch deutlicher als Aristoteles und Alexander von den eigentlich seelischen Vermögen und versteht ihn als eine »Hypostase«, eine Grunddimension der Wirklichkeit, die zwischen den weiteren Hypostasen »Eines« und »Seele« vermittelt. Der Geist hat nicht nur, wie bei Alexander, im Wesentlichen ein Objekt (νοητόν), sondern er ist, wie schon bei Alkinous,67 der Ort sämtlicher Ideen, vermittels derer er die Seele und die weitere Wirklichkeit mitkonstituiert.68 Dabei ist es auch für Plotin der Akt des Denkens (ἡ νόησις), in dem Subjekt und Objekt, Denkendes und Gedachtes miteinander identisch werden. Alles wird zugleich eines sein, Geist, Akt des Denkens, das Objekt des Denkens. Wenn also der Akt des Denkens des Geistes das Objekt des Denkens ist, das Objekt des Denkens aber der Geist selbst, dann erkennt er sich folglich selbst« (V 3, 5, 43–45).69 Die aristotelische Identität des Geistes mit sich selbst bei der Selbsterkenntnis wird endgültig zu einer Dreierstruktur, bei der Denkakt, Denkendes  Merlan 1963, S. 39.  Alkinous, Didaskalikos 165, 16–26 Hermann, teilweise zitiert oben S. 34. 68  Armstrong 1960, S. 408 f. 69  Der für die Geistlehre besonders prägnante Traktat V 3 liegt in einer kommentierten deutschen Übersetzung von Werner Beierwaltes vor: Beierwaltes 1991. 66 67

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und Gedachtes im ewigen Akt untrennbar verbunden sind, aber doch relational unterscheidbar bleiben. Vermittelt über diese Erkenntnis seiner selbst erkennt der Geist sämtliche Ideen: »So sind also der Geist und das Gedachte und das Seiende und das erste Seiende eines und ganz gewiss ein erster Geist, der die seienden Ideen (τὰ ὄντα70) enthält, ja mehr noch derselbe ist wie die seienden Ideen« (V 3, 5, 26–28). Alexanders Weiterentwicklung von Aristoteles’ Theorie des Selbstdenkens wird somit bei Plotin zum entscheidenden Ansatzpunkt, der die Vielheit der Ideen mit der Einheit des Geistes vermittelt.71 Ein entscheidender Unterschied liegt allerdings darin, dass die Funktion einer transzendentalen Bedingung allen Denkens, die bei Alexander dem aktiven Intellekt zugeschrieben wurde, bei Plotin gar nicht mehr dem Intellekt zukommt. Trotzdem ist Alexanders Einfluss auch hier fühlbar: »Offensichtlich irrt sich Alexander in Plotins Augen, wenn er annimmt, die Quelle der Intelligibilität sei der nous; aber indem er diesen durch das Eine ersetzt, kann Plotin Alexanders Aristoteles-Interpretation für seine eigenen Zwecke nutzbar machen«.72 Für Plotin ist die Selbsterkenntnis des Geistes auch von Bedeutung, um einen Einwand gegen die Möglichkeit von Selbsterkenntnis zurückzuweisen, den der Skeptiker Sextos Empirikos vorgebracht hatte (V 3, 5, 1–3).73 Als Geist erkennt laut Plotin nicht ein Teil des Ich einen anderen Teil, sondern der gesamte Geist, der Akt ist, erkennt sich in seiner eigenen Aktualität voll und ganz. An dieser Selbstidentität des Geistes kann auch unsere Seele, als ein Abbild des transzendenten Geistes, Anteil haben. Denn auch für die Seele ist der Geist in ihr, der stets in  In der Terminologie des antiken Platonismus steht τὰ ὄντα häufig für die wahrhaft seienden Dinge, d. h. die Ideen bzw., für Plotin, die Objekte des Selbstdenkens des Geistes, d. h. τὰ νοητά. 71  Armstrong 1960, S. 412; Donini 1974, S. 23. Als zusammenfassender Überblick über Plotins Noetik kann vor allem Tornau 2001, S. 18–22, empfohlen werden. 72  Rist 1962, S. 103 f. 73  Vgl. dazu Sextos Empirikos, Adversus mathematicos VII 310–312. 70

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ihr bleibt,74 der Ort ihrer Selbsterkenntnis und ihrer wahren Erkenntnis der Denkobjekte (I 1, 8, 6–8), insofern sie nur dort ihr wahres, ganz immaterielles Selbst auffindet. Das ist freilich erst dann möglich, wenn sich die Seele auf den Weg zu sich bzw. zu ihrem wahren Selbst gemacht hat und bereits ein gutes Stück vorwärts gekommen ist (vgl. V 3, 6). Insofern bleibt bei Plotin das Verhältnis von Mensch und Geist ambivalent: Wenn er den Geist im Allgemeinen als höherrangig ansieht als die Seele, folgt er Alexanders Idee eines transzendenten aktiven Geistes; insofern dieser Geist aber wesenhaft mit der Einzelseele verbunden und in gewisser Weise in ihr ist, gehört er zum einzelnen Menschen (I 1, 8, 1–6; V 3, 3, 22–26). Daher dürfte Plotins Aristoteles-Rezeption mit entscheidend dafür gewesen sein, dass die späteren antiken Ausleger De anima III 4–5 wieder auf die menschliche Einzelseele beziehen.

f. Themistios

Der erste von ihnen, der hier zu nennen ist, ist Themistios (ca. 317–388), abgesehen vielleicht vom Autor des umstrittenen De intellectu der einzige nachplotinische Autor, den man als »überwiegend peripatetisch« bezeichnen kann;75 andere Forscher betonen freilich auch seine Offenheit gegenüber Einflüssen Plotins oder schreiben ihm »geistige Unabhängigkeit eines Aristokraten« zu.76 Sein exegetisches Œuvre zu Aristoteles ist jedenfalls beachtlich, hat er doch Paraphrasen zu einer ganzen Reihe aristotelischer Schriften verfasst.77 In der Erklärung von De anima III 4–6, die Frank-Joachim Simon für diesen Band übersetzt hat, entwickelt Themistios seine Theorie in dem begrifflichen Raster, das Alexander von Aphrodisias vorgegeben hatte: Er spricht vom möglichen und vom  Zu dieser wichtigen Sonderlehre Plotins siehe Tornau 2001, S. 38.  So die programmatische These von Blumenthal 1990, S. 123. 76  Schroeder/Todd 1990, S. 34; Schramm 2008, S. 181. 77  Vgl. die Einleitung von Frank-Joachim Simon zu Kap. 4 dieses Bandes. 74

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verwirklichten, vom aktiven und vom passiven Geist. Seine Theorie hierzu unterscheidet sich jedoch insofern deutlich von Alexander, als er sowohl den aktiven als auch den möglichen Geist für überindividuell hält, während beide durch den individuellen Geist, den Themistios »allgemein« oder »passiv« nennt, verbunden werden (105, 25–32). Das hat Themistios viel Kritik im Hinblick auf die historische Exaktheit seiner AristotelesAuslegung eingetragen; seine Position ist jedoch textimmanent begründet und kann als systematische Neudeutung einer peripatetischen Position unter Aufnahme von Ideen Plotins verstanden werden. Für einen Einfluss Plotins spricht jedenfalls die von Alexander abweichende Verlegung des aktiven Intellekts in die menschliche Seele (103, 2–6) und Themistios’ ausdrückliche Frage nach dem »Ich« bzw. dem »Wir« des Menschen (100, 16– 32), die in dieser Form erstmals von Plotin gestellt worden war. Auch Themistios’ Ansicht, der aktive Geist sei zugleich einer und mehrere, insofern er in verschiedenen Individuen residiert (103, 20–38), lässt sich kaum verstehen, wenn man nicht Plotins Theorie als Hintergrund heranzieht.78 Allerdings implizieren Themistios’ Ausführungen zu diesen Punkten häufig auch eine Kritik an bestimmten Positionen Plotins und Alexanders.79 Der aristotelische Charakter von Themistios’ Theorie wird auch dadurch deutlich, dass er den göttlichen Geist aus Metaphysik XII, den er anders als Alexander vom aktiven Intellekt unterscheidet (102, 36–103, 13), zum letzten Prinzip der Wirklichkeit erklärt und damit Plotins Theorie des Einen faktisch zurückweist.80 Insofern stellt Themistios ebenso wie Alexander ein Beispiel für eine peripatetische Position dar, die platonische Einflüsse positiv aufnimmt, ohne die Grundzüge aristotelischer Noetik aufzugeben. In diesem Sinne sind beide Autoren auch von Averroes und im lateinischen Mittelalter rezipiert worden.81  Schramm 2008, S. 200 f.  Schramm 2008, S. 183–188. 80  Zu Details Schramm 2008, S. 208–217. 81  Averroes, Commentarium magnum in an., S. 163–183 Wirmer (dazu 78 79

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g. Die neuplatonischen Kommentatoren

Themistios stellt, wie gesagt, zu seiner Zeit bereits eine Ausnahme dar: Nach Plotin entwickelt sich der Neuplatonismus rasch zur dominanten und allgegenwärtigen Ausrichtung all derjenigen, die im Rahmen eines zunehmend stärker christianisierten Römischen Reiches weiterhin der nicht christlichen Philosophie anhängen. Die Autoren, deren geistige Ausstrahlung diesen Wandel ermöglicht, Porphyrios von Tyros (233–301/ 305 n. Chr.) und Jamblich von Chalkis (240/245–320/325 n. Chr.), erheben es aber ausdrücklich zum Programm, das Werk des Aristoteles in diesen Platonismus und sein Lehrcurriculum zu integrieren. Das Ergebnis ist, dass die aristotelischen Schriften, unter ihnen auch De anima, von den Neuplatonikern intensiv studiert werden, wobei immer wieder das Ziel im Mittelpunkt steht, die inhaltliche Übereinstimmung, die »Harmonie« von Aristoteles mit Platon, zu erweisen. Die Intensität, mit der die verschiedenen neuplatonischen Autoren diesen Grundsatz verfolgen, ist allerdings recht unterschiedlich. Der erste Neuplatoniker, der nach unseren Informationen einen Kommentar zu De anima verfasst, ist Plutarch von Athen (gest. 432), der die neuplatonische Schule in Athen begründet. Er liest kurz vor seinem Tod mit seinem Schüler Proklos, der wenige Jahre später zum Leiter dieser Schule werden soll, Aristoteles’ De anima und Platons Phaidon,82 also zwei Schriften, die sich ausdrücklich mit der Seele beschäftigen. Über die Inhalte seiner Erklärung des dritten Buchs von De anima haben wir zahlreiche Informationen, die im Detail nicht immer übereinstimmen.83 Klar ist jedoch, dass Plutarch nicht nur die These vertritt, De anima III 4–5 handle ausschließlich über die menschliche Seele (also nicht über einen dämonischen oder göttlichen auch Perkams 2007, S. 18–21; Wirmer 2008, S. 352–356); Thomas von Aquin, De unitate intellectus S. 52–56 Klünker. 82  Marinos von Neapolis, Proclus sive de beatitudine § 12, 10–12 Saffrey/ Segonds. 83  Die Fragmente sind gesammelt bei Taormina 1989.

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Geist), sondern auch, es gebe in dieser nur eine Form von Geist, die zeitweise denke und zeitweise nicht. Diese Ansicht wendet sich sowohl gegen Alexanders Annahme, an dieser Stelle sei von einem überindividuellen aktiven Geist die Rede, als auch gegen Plotins Behauptung, es gebe in der menschlichen Seele ein unveränderliches geistiges Element.84 Diese Ansicht, deren Quelle in Jamblichs Kritik an Plotin zu suchen ist,85 wird von allen späteren neuplatonischen Interpreten aufgegriffen. Einen prägenden Einfluss auf die neuplatonische AristotelesRezeption hat aber vor allem der Proklos-Schüler Ammonios, Sohn des Hermias (ca. 435–517), der jahrzehntelang in Alexandrien vorwiegend die aristotelische Philosophie lehrt. Seine überwiegend mündlichen Aristoteles-Erklärungen liegen uns zumeist in der Form vor, in der seine Schüler Asklepios und Johannes Philoponos seine Vorlesungen herausgeben. Da jedoch insbesondere Philoponos die ihm vorliegenden Vorlesungsmitschriften durch vielerlei Einschübe, Auslassungen und Änderungen bearbeitet, ist der Anteil des Ammonios nicht immer leicht festzustellen. Hinsichtlich der Lehre vom Geist hilft uns Stephanos von Alexandrien weiter: Von ihm erfahren wir, dass Ammonios den menschlichen Geist bei der Geburt insofern für eine tabula rasa (vgl. an. 429b31–430a1) hält, als er sich in einer ganz unentfalteten Potentialität befindet und keine Ideen enthält.86 Diese Ansicht wird auch in Philoponos’ Kommentar positiv dargestellt, kurz darauf aber korrigiert; vermutlich wird hier eine Meinung des Ammonios von Philoponos im Sinne des Plutarch von Athen richtiggestellt.87 Die bei Philoponos zu findende Ansicht, der aktive Geist sei deswegen im Menschen zu finden, weil ein Mensch andere belehren, d. h. in ihnen Wissen hervorbringen könne, ist wohl auch auf Ammonios  Stephanos (›Philoponos‹), in an. 535, 1–19; vgl. Philoponos, in an. L 44, 25–45, 52; Merlan 1963, S. 48–52; Perkams 2008, S. 134 f. 85  Steel 1978, S. 38–51. 86  Stephanos (›Philoponos‹), in an. 519, 37–520, 12. 87  Philoponos, in an. 37, 81–39, 15; Perkams 2008, S. 125–128. 84

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zurückzuführen.88 Insofern scheint Ammonios eine originelle Noetik zu vertreten, die den aristotelischen Text ernst nimmt; wie dies mit der Lehre seines Lehrers Proklos verbunden wird, wissen wir leider nicht und haben daher guten Grund, den Verlust seiner Ausführungen besonders zu bedauern. Der Christ Johannes Philoponos (ca. 500–573), der wohl sein ganzes Leben in Alexandria verbringt, ist eine der großen Gestalten der spätantiken Philosophie: Seine Auseinandersetzung mit Aristoteles und Proklos auf dem Gebiet der Naturphilosophie versorgt das christliche und islamische Mittelalter mit antiaristotelischen Argumenten, die noch Galilei beeinflussen.89 Derartig grundlegende antiaristotelische Informationen bietet sein wohl recht früh entstandener De-anima-Kommentar nicht, aus dem Michael Schramm für diesen Band Auszüge übersetzt hat. Wo er offensichtlich von Ammonios abweicht, verlässt er das neuplatonische Paradigma im Ganzen nicht. Auf diese Weise präsentiert sich sein Kommentar als eine gut strukturierte und meist recht klare Auslegung, die sichtlich bemüht ist, die von Proklos ererbte Seelenkonzeption, die Philoponos in der Einleitung zu seinem Kommentar ausführlich vorstellt, mit dem aristotelischen Text in Einklang zu bringen.90 Demgegenüber präsentieren sich die Werke des gleichzeitig lebenden Priskian von Lydien (um 530) als intensives Bemühen, die neuplatonische Position Jamblichs möglichst weitgehend im aristotelischen Text zu finden. Priskian dürfte in der von Plutarch begründeten neuplatonischen Schule in Athen gearbeitet haben, die unter ihrem letzten Leiter Damaskios in den ersten Jahrzehnten des 6. Jahrhunderts eine letzte Blüte erlebt. Jedenfalls zieht er, wohl infolge des Verbots paganer Lehrtätigkeit durch Kaiser Justinian im Jahre 529, zusammen mit Damaskios, dem berühmten Aristoteles-Kommentator Simplikios (dem die Handschriften auch den De-anima-Kommentar zuwei Philoponos, in an. 48, 30–49, 48; Perkams 2008, S. 136–139.  Die wichtigsten Überblicksdarstellungen sind Wolff 1971; Sorabji 1987; Perkams im Druck b. 90  Perkams 2008, S. 144–149. 88 89

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sen) und vier weiteren Kollegen, an den Hof des Perserkönigs Chosroes. Auch nach der Rückkehr der Philosophen scheinen diese nicht mehr im Schulbetrieb aktiv gewesen zu sein.91 Priskian hat sich mindestens zweimal intensiv mit der aristotelischen Seelenlehre befasst: in einer ausführlich diskutierenden Paraphrase zu Theophrasts verlorener Schrift über die Seele und in einem Kommentar zu De anima, der auf diese Paraphrase als sein eigenes Werk zurückverweist (136, 29).92 Beide Schriften, aus denen Auszüge in diesem Band von Jörn Müller und Matthias Perkams präsentiert werden, lassen einen engen Anschluss an Jamblichs Seelenlehre erkennen, der zu Beginn des De-anima-Kommentars von vornherein programmatisch betont wird (1, 14–20). Damit entwickeln beide Werke eine eindeutig neuplatonisch geprägte Seelenlehre mit eigenem systematischen Gepräge: Zum einen weiß sich Priskian der Annahme Jamblichs und Plutarchs verpflichtet, dass der menschliche Geist als ganzer wandelbar ist; zum anderen greift er aber in diesem Horizont Plotins Theorie eines dauerhaften geistigen Elements in der Seele auf, aber so, daß auch dieses nicht unbeeinflusst bleibt von den Wandlungen der menschlichen Person.93 Insofern stellen Priskians Werke einen letzten Höhepunkt der dezidiert neuplatonischen Aristoteles-Exegese dar.

h. De-anima-Auslegung am Ende der Antike: Stephanos und der arabische Anonymus

Diese Feststellung bedeutet nicht, dass die antike De-animaAuslegung nach 530 aufhört. Vielmehr geht der philosophische Lehrbetrieb in Alexandria weiter, wo, im Anschluss an Ammonios, Aristoteles ein wichtiges Objekt der Kommentierung ist.  Zusammenfassende Darstellungen sind Hoffmann 1994, S. 559–564 und Hartmann 2002, S. 123–160. 92  Zur Autorschaftsfrage des De-anima-Kommentars vgl. die Einleitung zu Kapitel 7 dieses Bandes. 93  Steel 1978, S. 53–69; Perkams 2008, S. 383–390. 91

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Das deutlichste Zeugnis hierfür ist ein griechischer Kommentar zum dritten Buch von De anima, der zusammen mit den Büchern I und II von Philoponos’ Kommentar überliefert ist, nach dem Zeugnis zweier Handschriften aber auf Stephanos zurückgeht, der um 600 in Alexandrien Medizin und Philosophie lehrt und später nach Konstantinopel berufen wird. Christian Tornau hat Auszüge hieraus für diesen Band übersetzt. Vergleiche mit anderen Schriften des Stephanos scheinen diese Zuschreibung zu bestätigen.94 Stephanos’ Auslegung weist nach wie vor viele neuplatonische Elemente auf, geht jedoch in anderen Bereichen Wege, die hiervon unabhängig sind und sogar nominalistische Züge erkennen lassen.95 Hervorzuheben sind seine Lehre eines »Aufmerksamkeitsvermögens« (τὸ προσεκτικόν) unserer Seele, in dem die Erkenntnisse aller Vermögen zusammengeführt werden – hier folgt Stephanos den Neuplatonikern Proklos und Priskian sowie insbesondere Damaskios und Olympiodor (464, 30–465, 22) –,96 und seine differenzierten Ausführungen zum Vorstellungsvermögen (φαντασία), das insbesondere die Leistungsfähigkeit dieses Vermögens bei Tieren bemerkenswert hoch veranschlagt.97 Den Abschluss der uns bekannten antiken De-anima-Auslegung markiert eine Paraphrase, die vermutlich im 9. Jahrhundert ins Arabische (und von Rüdiger Arnzen vollständig ins Deutsche) übersetzt wurde, aber ihrerseits die De-anima-Auslegungen von Philoponos und Stephanos benutzt. Sie lässt sich wohl ins 7. oder 8. Jahrhundert, philosophiegeschichtlich weitgehend eine terra incognita, datieren und scheint am ehesten in Byzanz entstanden zu sein.98 Auch in ihr ist der neuplatonische Charakter der Exegese hoch virulent, doch lässt sich aufgrund der Bearbeitung, die die arabische Variante wohl erfahren hat,99  S. dazu die Einleitung zu Stephanos’ Text u. S. 680–682.  Perkams 2008, S. 277. 96  Perkams 2008, S. 402–416. 97  Perkams 2008, S. 251–257. 98  Arnzen 1998, S. 80–108. 99  Arnzen 1998, S. 114–130. 94 95

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nicht sicher sagen, wie stark auch das griechische Original diesen Stempel trug. In jedem Fall belegt sie, dass die Auseinandersetzung mit De anima im griechischen Sprachraum weitgehend ununterbrochen bis in frühbyzantinische Zeit reicht und dann in der arabischen Welt quasi nahtlos fortgesetzt wird.

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1. THEOPHRAST Fragmente und Testimonien zu Aristoteles’ Geistlehre Eingeleitet, übersetzt und erläutert von Irmgard Männlein-Robert

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heophrast ist in der Philosophiegeschichte vor allem als Schüler und Nachfolger des Aristoteles in der Athener peripatetischen Schule, weniger als eigenständiger Philosoph bekannt. Die Überlieferung seines ursprünglich außerordentlich umfangreichen Œuvres muss als schwierig und problematisch gelten. Insbesondere Theophrasts philosophische Auseinandersetzung mit der Geistlehre des Aristoteles wurde während der Kaiserzeit und Spätantike in philosophische Kommentare z. B. des Themistios und Priskian zu Aristoteles eingearbeitet und den Bedingungen der jeweiligen Kontexte angepasst. Diese Rezeption trug lange Zeit zu einer stark verengten Wahrnehmung Theophrasts als bloßem Exegeten und Kommentator der Schriften seines Lehrers Aristoteles bei. In der neueren Forschung wird Theophrast – nicht zuletzt aufgrund seiner νοῦς-Lehre – allmählich als eigenständiger Philosoph anerkannt, der, zwar basierend auf aristotelischen Vorgaben, durchaus eigene, von Aristoteles abweichende Auffassungen vertritt.1

1. Leben und Werk Theophrast wurde als Sohn des Melantas um 371 v. Chr. in Eresos auf Lesbos geboren. Neben dem Lesbier Alkippos und neben Platon prägte ihn vor allem sein Lehrer Aristoteles, den er nach Assos und Makedonien begleitete. Aristoteles soll ihm, der früher Tyrtamos geheißen habe, aufgrund seiner ›göttlichen Aus1

 Zur Diskussion darüber Kamp 2001, S. 104 f. u. ö.

56 Theophrast · Einleitung

drucksweise‹ den Namen ›Theophrastos‹ gegeben haben (so bei Diogenes Laertios V 38 und Strabon XIII 618). Nach über 20 Jahren gemeinsamen Philosophierens zusammen mit seinem Lehrer Aristoteles wurde Theophrast nach dessen Tod um 323/ 322 v. Chr.2 Schuloberhaupt des Peripatos und soll über 2000 Schüler angezogen haben; bei diesen handelte es sich wohl weniger um Schüler im engeren Sinne als vielmehr um Hörer seiner Vorlesungen. Berühmte Schüler Theophrasts waren z. B. Demetrios von Phaleron und Erasistratos. Eine gegen Theophrast angestrengte Asebie-Klage des Agnonides (ca. 319/ 315 v. Chr.) blieb ohne Erfolg. Theophrast starb um 287 v. Chr. in Athen und wurde unter großer Anteilnahme der Bevölkerung beigesetzt. Ein sehr umfangreiches Verzeichnis der Schriften und des Testaments von Theophrast ist bei Diogenes Laertios erhalten (V 42–50 und 51–57). Beeindruckend ist die anhand der überlieferten Titel (225 Titel allein im unvollständigen Verzeichnis bei Diogenes Laertios)3 immer noch erkennbare Breite an Gelehrsamkeit und philosophischen Interessen. Sie zeigt Theophrast als Universalgelehrten, der zahlreiche Schriften zu philosophischen Themen, wie z. B. Logik, Topik, Metaphysik und Psychologie (in diesem Kontext auch zum Intellekt), aber auch zu naturwissenschaftlichen Themen wie z. B. Meteorologie, Mineralogie, Tierkunde, Pflanzenkunde sowie einige Werke zu Ethik, Religion, Ökonomie, Rhetorik, Poetik, Musik und Philosophiegeschichte verfasste. Die meisten Werke des Theophrast, der auch als eleganter Redner berühmt war, sind zum größten Teil verloren; erhalten sind lediglich Fragmente und Testimonien.

2 3

 Kamp 2001, S. 77.  Dazu Kamp 2001, S. 89.



Fragmente und Testimonien zu Aristoteles’ Geistlehre

57

2. Zur Charakteristik des Theophrast’schen Denkens Oft wurde in der antiken und noch in der modernen Philosophiehistoriographie keine hinreichende Unterscheidung zwischen den Lehrmeinungen des Aristoteles und denen des Theophrast getroffen, so dass Theophrast lange als bloßer Epigone und Exeget des großen Aristoteles galt; dieses Vorurteil findet sich insbesondere bei Zeller.4 Dagegen wurde die Eigenständigkeit des Theophrast’schen Denkens erstmals bei Brandis und v. a. seit Regenbogens grundlegendem RE-Artikel betont.5 Nicht zuletzt Theophrasts Auseinandersetzung mit der Geistlehre des Aristoteles, obwohl mitunter durchaus kritisch, war lange vom Vorurteil der Unselbständigkeit getroffen. Zu ihr sind allein mittelbare Nachrichten erhalten, die als Zitate, Paraphrasen, Übersetzungen und Interpretationen, eingebettet in neue Kontexte, bei spätantiken und mittelalterlichen Kommentatoren von Aristoteles’ De anima überliefert wurden und deren ursprüngliche Quelle häufig unklar ist. Die wichtigsten spätantiken Autoren für eine Rekonstruktion von Theophrasts Noetik sind Aristoteleskommentatoren wie Themistios und Priskian, deren einschlägige Texte in den Kapiteln IV und VI abgedruckt werden.6 Die Bedeutung der dort versammelten Theophrast-Zitate und -Referate ist auch für das Verständnis der im Folgenden abgedruckten, meist späteren Belege fundamental: Der vor allem in Konstantinopel tätige Themistios (ca. 317–388 n. Chr.) arbeitete in seine Paraphrase zu Aristoteles’ De anima die Überlegungen Theophrasts ein (s. u., Kapitel IV, S. 258). Eine Abgrenzung seiner Erklärungen von denen des Theophrast ist nicht immer möglich, zumal im Mittelalter Theophrast und Themistios immer zusammen behandelt und nicht selten in den Handschriften auch miteinander verwechselt wurden. Dagegen erlaubt die Metaphrasis in Theophrastum des  Zeller 1879, S. 806 ff.; 848 ff.  Brandis 1835–1866, S. 250 ff.; Regenbogen 1940, S. 1546–1562. 6  Vgl. für Details die Anm. 1 zur Übersetzung der Testimonien zu Theophrast. 4 5

58 Theophrast · Einleitung

Neuplatonikers Priskian von Lydien, der wohl bis ca. 529 n. Chr. an der athenischen Akademie im Umfeld des Damaskios tätig war und dann nach Persien emigrierte, zumindest in gewissem Maße die Rekonstruktion der theophrastischen Auffassung zur Noetik des Aristoteles (s. u., Kapitel V, S. 501),7 auch wenn Priskians eigenes Werk als »neuplatonische Variationen über theophrastisch-aristotelische Themata«8 verstanden werden muss. Man geht im Allgemeinen9 davon aus, dass Theophrasts Darstellung Περὶ ψυχῆς mindestens zwei Bücher umfasst hat, die als Teil, genauer: als Buch 4 und 5 seiner insgesamt achtbändigen Physika zitiert werden (Themistios, an. paraphr. 108, 11 Heinze; unten S. 330 f.). Dem dort verhandelten aristotelischen Hauptthema der Bewegung und deren Ursachen fügt sich die Lehre von der Seele als besonderer Bewegungsträgerin ein. Erkennbar wird – sowohl in den bei Themistios als auch in den bei Priskian erhaltenen Theophrast-Zeugnissen – eine aporetische Behandlung der Probleme im Kommentarstil, die sich aus Aristoteles’ dualistischer Unterscheidung zwischen einer unsterblichen Geistseele und der körperlichen Seele als Trägerin von Sinneswahrnehmungen und Affekten ergeben. Dabei versteht Theophrast seine Aporien zu den Ansichten des Aristoteles aber offensichtlich nicht als Kritik und Skepsis, sondern als Mittel zur Klärung schwieriger Stellen bei Aristoteles, v. a. von De anima III 4 und 5. Jede Aporie, die Theophrast formuliert, beantwortet er auch, obwohl die Klärung des Problems nicht immer erkennbar ist. Er nimmt mit seinen Aporien als formulierten Problemstellungen die Leseschwierigkeiten anderer vorweg. Es geht allein um die Klärung schwieriger und obskurer Passagen, v. a. dort, wo es um den passiven und den tätigen Geist geht. Stets ist also eine didaktische Intention Theophrasts erkennbar.10 Dabei bemüht er sich, die oft knappen Bemerkungen des  Reiche Literaturangaben zu Themistios und Priskian bei Kamp 2001, S. 91–93, Anm. 2.  8  So Regenbogen 1940, S. 1398.  9  Zur Diskussion siehe Kamp 2001, S. 93 Anm. 3. 10  Dazu Devereux 1992, S. 32–43.  7



Fragmente und Testimonien zu Aristoteles’ Geistlehre

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Aristoteles (v. a. zu an. III 4 und III 5) abstrakt und objektiv zu erläutern und auch zu ergänzen, ohne freilich Hinweise auf eine direkte, persönliche Diskussion mit Aristoteles zu geben. Das ist insofern bemerkenswert, als sich sonst kein Peripatetiker des 4. und 3. Jh. v. Chr. mit Aristoteles’ Noetik aus De anima beschäftigt. Im Wesentlichen übernimmt Theophrast zwar die Auffassungen des Aristoteles (z. B. den χωριστὸς νοῦς), fügt aber eigene Problemstellungen hinzu, deren Lösung oder Klärung häufig offen bleibt. Vielfach bezieht Theophrast in seine Erklärungen Ansätze des Aristoteles ein, die dieser in De generatione animalium und De sensu formuliert hatte.11 Allerdings hat Theophrast auch Bedenken gegen einige Grundbestimmungen der aristotelischen Seelenlehre; so nimmt er z. B. auch für die obersten Seelenteile Seelenbewegung an (διάνοια).12 Was seine nur indirekt rekonstruierbare Nūs-Lehre betrifft, so nimmt Theophrast eine überzeitliche Geistseele der reinen Betrachtung an, die ohne Bewegung im räumlichen und ohne Erleiden im körperlichen Sinne ist. Ihr Denken wird nicht von der Außenwelt beeinflusst. Als Problem behandelt Theophrast den Fall, wenn die Geistseele in den Körper eingeht, und untersucht, in welchem Verhältnis sie zu den übrigen Seelenteilen oder -funktionen steht und wie sie ihr Wesen bewahrt. Irrtum und Vergessen lassen bei Theophrast Zweifel an der Unsterblichkeit und der Unzerstörbarkeit der Seele aufkommen – eine Annahme, die dann bei den späteren Peripatetikern nach Theophrast, wie etwa bei Dikaiarchos, ganz aufgegeben wurde. Immer wieder hinterfragt Theophrast kritisch, inwiefern sich der Intellekt von der Materie unterscheide; Aristoteles’ Darlegungen erscheinen ihm unklar. Nach Theophrasts Meinung nimmt der Intellekt universale Formen auf, die Materie hingegen nur individuelle (ähnlich erklärt er das Verhältnis zwischen aktivem und materiellem Intellekt, doch dies ist nur in späteren Bearbeitungen und oft arabischen Erweiterungen greifbar). 11

 Huby 1999, S. 6 f.  Regenbogen 1940, S. 1547.

12

60 Theophrast · Einleitung

3. Zur Rezeption der Theophrast’schen Seelenlehre Im Mittelalter war das Interesse an Theophrasts Geistlehre besonders groß. Herausragend ist ihre Rezeption durch den arabischen Aristoteles-Exegeten Ibn Rušd (Averroes; 1126–1198). Dieser beschäftigt sich v. a. in seinem Großen Kommentar zu De anima auch mit Theophrasts Geistlehre, für die er hauptsächlich Alexander und Themistios als Gewährsmänner benutzt. Averroes erarbeitet in Auseinandersetzung mit Theophrast eine differenzierte Auslegung des passiven und des aktiven Intel­ lekts.13 Auch im Westen war die Intellektlehre des Averroes folgenreich, nach der nicht nur der aktive Intellekt getrennt und einzig sei, sondern auch sein Gegenstück, der materielle Intellekt, keinen persönlichen Charakter habe. Nur über individuelle Vorstellungen sei er mit dem Einzelmenschen verbunden. Als charakteristisch für die arabische aristotelische Tradition ist über den potentiellen bzw. »materiellen« und den aktiven Intellekt hinaus die Annahme weiterer Formen des Intellekts, also eine entsprechende Differenzierung der geistigen Erkenntnisvermögen. So kennt Averroes im Gefolge al-Kindīs und alFārābīs neben dem aktiven und dem materiellen noch einen theoretischen und einen habituellen Intellekt, die alle durch die Verbindung der menschlichen Vorstellungen mit dem aktiven Intellekt im ewigen materiellen Intellekt entstehen, und den erworbenen Intellekt, der allein Kontakt mit dem aktiven Intellekt aufnehmen kann.14 Die Auslegung der Theophrast’schen Geistlehre durch Averroes wurde im Westen v. a. durch die lateinische Übersetzung des Michael Scotus († 1235) bekannt, der im Umkreis Kaiser Friedrichs II. als Gelehrter und Übersetzer wichtiger arabischer Werke vor allem für die Aristoteles-Rezeption eine er Ausführlicher dazu: Hasse 2001, S. 776. Vgl. jetzt insbesondere die von D. Wirmer übersetzten und erläuterten Texte: Averroes, 2008, S. 163 Anm. 13, sowie den einführenden Beitrag desselben Autors Wirmer 2013, S. 353–361. 14  Hasse 2001, S. 776. 13



Fragmente und Testimonien zu Aristoteles’ Geistlehre

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hebliche Rolle spielte. Seine Übersetzung diente als Grundlage der Aristoteles- und Theophrastrezeption bei Albertus Magnus wie Thomas von Aquin, die wiederum Radulphus Brito († 1320) maßgeblich beeinflusste. Dagegen basiert Dionysios der Kartäuser (Cartusianus) (1402–1471) nicht auf der arabisch geprägten, sondern auf der westlichen mittelalterlichen Tradition. Dabei ist nicht auszuschließen, dass diese Autoren Zugang zu heute verlorenem Material hatten, weswegen sie in die Fragmentsammlungen bei Fortenbaugh und auch unter die hier übersetzten Texte aufgenommen wurden.

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THEOPHRAST

Fragmente und Testimonien zu Aristoteles’ Geistlehre1 Lateinisch – Deutsch

1. 308A Averroes, Commentarium magnum in Aristotelis De anima III 4 429a 15–24, versio Michaelis Scoti (Corpus Commentarium Averrois in Aristotelem t. VI 1 p. 387–390, 2 Crawford) [387, 22] Deinde dixit: »non est in actu aliquod entium antequam

intelligat.« Idest, diffinitio igitur intellectus materialis est illud quod est in potentia omnes intentiones formarum materialium universalium, et non est in actu aliquod entium antequam intelligat ipsum. Et cum ista est diffinitio intellectus materialis, manifestum est quod differt apud ipsum a prima materia in hoc quod iste est in potentia omnes intentiones formarum [388] universalium materialium, prima autem materia est in potentia omnes iste forme sensibiles non cognoscens neque comprehendens. Et causa propter quam ista natura est distinguens et cognoscens, prima autem materia neque cognoscens neque distinguens, est quia prima materia recipit formas diversas, scilicet individuales et istas, ista autem recipit formas universales. Et ex hoc apparet quod ista natura non est aliquid hoc, neque corpus neque virtus in corpore; quoniam, si ita esset, tunc reciperet formas secundum quod sunt diversa et ista, et si ita esset, tunc forme existentes in ipsa essent intellecte in potentia, et sic non distingueret naturam formarum quod sunt forme, sicut est dispositio in formis individualibus, sive spiritualibus sive corporalibus. Et ideo necesse est, si ista natura que dicitur intellectus recipit formas, modo alio receptionis ab eo secundum quem iste materie recipiunt formas quarum conclusio a materia est terminatio prime materie in eis. Et ideo non est necesse ut

1. Zum Problem des materiellen Geistes (Averroes) (308A Fort.) 2 [387, 22] Und darauf sagte er (sc. Aristoteles): »Er [sc. der Geist]

ist der Tätigkeit nach überhaupt nichts von den seienden Dingen, bevor er nicht denkt.«3 Das heißt, die Definition des materiellen Geistes4 ist das, was dem Vermögen nach alle Denkobjekte5 sämtlicher materieller Formen ist, und er ist der Tätigkeit nach nichts von den seienden Dingen, bevor er selbst denkt. Und weil das die Definition des materiellen Intellektes ist, ist offensichtlich, dass er [sc. der Geist] sich bei ihm [sc. Aristoteles] von der ersten Materie darin unterscheidet, dass er dem Vermögen nach alle Denkobjekte der gesamten materiellen Formen [388] ist, die erste Materie aber dem Vermögen nach die sinnlich wahrnehmbaren Formen ist, sie aber nicht weiß und auch nicht erfasst. Und der Grund dafür ist diese unterscheidende und erkennende Natur, die erste Materie hingegen erkennt weder, noch unterscheidet sie, und weil die erste Materie verschiedene Formen aufnimmt – diese sind natürlich auch individuell –, nimmt sie also auch universelle Formen auf. Und daraus wird deutlich, dass diese Natur nicht dieses ›Etwas‹,6 und auch kein Körper und auch keine Fähigkeit im Körper ist. Weil nämlich, wenn es so wäre, er dann Formen aufnähme, insoweit als sie verschieden sind, und wenn es so wäre, dann würden die bestehenden Formen im Geist selbst der Möglichkeit nach sein, und so würde er nicht die Natur der Formen, darin dass sie Formen sind, unterscheiden, wie es die Anordnung ist in den individuellen Formen, sei es bei den geistigen oder bei den körperlichen. Und daher ist es notwendig, wenn diese Natur, die Geist genannt wird, Formen aufnimmt, und zwar auf andere Weise im Verhältnis zu der Art und Weise, auf welche diese Materien Formen aufnehmen, deren Umschließung von Materie die Begrenzung der ersten Materie in ihnen ist. Und daher

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sit de genere materiarum istarum in quibus forma est inclusa, neque ipsa prima materia. Quoniam, si ita esset, tunc receptio in eis esset eiusdem generis; diversitas enim nature recepti facit diversitatem nature recipientis. Hoc igitur movit Aristotelem ad imponendum hanc naturam que est alia a natura materie et a natura forme et a natura congregati. [389, 57] Et hoc idem induxit Theofrastum et Themistium et plures expositores ad opinandum quod intellectus materialis est substantia neque generabilis neque corruptibilis. Omne enim generabile et corruptibile est hoc; sed iam demonstratum est quod iste non est hoc, neque corpus neque forma in corpore. Et induxit eos ad opinandum, cum hoc, quod ista est sententia Aristotelis. … [389, 71] Sed cum post viderunt Aristotelem dicere quod necesse est, si intellectus in potentia est, ut etiam intellectus in actu sit, scilicet agens (et est illud quod extrahit illud quod est in potentia de potentia in actum), et ut intellectus sit extractus de potentia in actum (et est ille quem intellectus agens ponit in intellectum materialem secundum quod artificium ponit formas artificiales in materia artificis), et cum post hoc viderunt, opinati sunt quod iste tertius intellectus, quem ponit intellectus agens in intellectum recipientem materialem (et est intellectus speculativus), necesse est ut sit eternus; cum enim recipiens fuerit eternum et agens eternum, necesse est ut factum sit eternum necessario. Et quia opinati sunt hoc, contingit ut in rei veritate [390] non sit intellectus agens, neque factum, cum agens et factum non intelligantur nisi cum generatione in tempore. Aut dicatur quod dicere hoc agens et hoc factum non est nisi se-



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ist es nicht notwendig, dass er von der Art dieser Materien ist, in denen die Form eingeschlossen ist, noch, dass er die erste Materie selbst ist. Weil, wenn es so wäre, dann die Aufnahme in ihnen von derselben Art wäre. Denn ein Unterschied in der Natur eines aufgenommenen Dinges macht einen Unterschied in der Natur des Aufnehmenden. Das also bringt Aristoteles zu seinem Vorschlag dieser Natur [sc. des Geistes], die anders ist als die Natur der Materie und als die Natur der Form und anders ist als die Natur beider zusammen. [389, 57] Und eben genau das hat Theophrast und Themistios und andere Ausleger zu der Meinung veranlasst, dass der materielle Geist eine Substanz sei, die weder erzeugt noch zerstört werden könne. Denn so ist alles Erzeugbare und Zerstörbare. Aber es ist schon gezeigt worden, dass er [sc. der Geist] nicht so ist und dass er weder ein Körper noch eine Form im Körper ist. Und daher hat es diese veranlasst zu glauben, dass das die Meinung des Aristoteles sei … . [389, 71] Aber sowie sie gesehen haben, dass Aristoteles sagt, was nötig ist, wenn es den Geist in der Möglichkeit gibt, nämlich dass es dann auch einen Geist in Tätigkeit gibt, d. h. einen handelnden (und das ist jenes, was das, das in der Möglichkeit ist, aus dieser heraus und zur Tätigkeit hinzieht), und dass der Geist von der Möglichkeit heraus in die Tätigkeit gezogen wird (und das ist jener, den der treibende Geist zum materiellen Intellekt macht, und zwar genauso wie die Tätigkeit eines Künstlers künstliche Formen in die Materie drückt), sowie sie das also gesehen haben, haben sie gemutmaßt, dass dieser dritte Geist, den der tätige Geist zum materiellen aufnehmenden Geist stellt (es ist das der theoretische Geist), notwendig ewig sein muss. Wenn nämlich der Aufnehmende und der Tätige ewig ist, muss notwendig auch das, was er hervorbringt, ewig sein. Und weil sie das geglaubt haben, kam es, dass es in der Wahrheit der Sache [sc. de facto] [390] keinen tätigen und auch keinen gemachten Geist gibt, weil tätig und gemacht nur mit einer Zeugung in der Zeit (mit dem Geist) verstanden werden können. Oder es mag gesagt sein, dass die Benennung des einen als ›tätigen‹ und

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cundum similitudinem, et quod intellectus speculativus nichil aliud est nisi perfectio intellectus materialis per intellectum agentem, ita quod speculativus sit aliquod compositum ex intellectu materiali et intellectu qui est in actu; et hoc quod videtur, quod intellectus agens quandoque intelligit quando fuerit copulatus nobis, et quandoque non intelligit, accidit ei propter mixtionem, scilicet propter mixtionem eius cum intellectu materiali; et quod ex hoc modo tantum fuit coactus Aristoteles ad ponendum intellectum materialem, non quia intelligibilia speculativa sunt generata et facta. [390, 98] Et confirmaverunt hoc per hoc quod propalavit Aristoteles quod intellectus agens existit in anima nobis, cum videmur denudare formas a materiis primo, deinde intelligere eas. Et denudare eas nichil aliud est nisi facere eas intellectas in actu postquam erant in potentia, quemadmodum comprehendere eas nichil aliud est quam recipere eas. Et cum viderunt hanc actionem que est creare intellecta et generare ea esse reversam ad nostram voluntatem, et augmentabilem in nobis secundum augmentationem intellectus qui est in nobis, scilicet speculativi, et iam fuit declaratum quod intellectus qui creat et generat intelligibilia et intellecta est intelligentia agens, ideo dixerunt quod intellectus qui est in habitu est iste intellectus, sed accidit ei debilitas quandoque, et quandoque additio propter mixtionem. Hoc igitur movit Theofrastum [391] et Themistium et alios ad opinandum hoc de intellectu speculativo, et ad dicendum quod hec erat opinio Aristotelis.



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des anderen als ›gemachten‹ nur wegen der Ähnlichkeit erfolgt, und dass der theoretische Geist nichts anderes als die Vollendung des materiellen Geistes durch den tätigen Geist ist, so dass der theoretische Geist ein Zusammengesetztes aus materiellem Geist und dem Geist ist, der in Tätigkeit ist. Und das, was der Fall zu sein scheint, nämlich dass der tätige Geist einmal denkt, wenn er mit uns verbunden ist, und einmal nicht, das passiert ihm wegen der Mischung, natürlich wegen seiner Vermischung mit dem materiellen Geist. Und dass allein deshalb Aristoteles gezwungen gewesen sei, einen materiellen Geist anzunehmen, nicht (etwa) weil geistige theoretische Dinge erzeugt und gemacht sind. [390, 98] Und sie haben das durch das bestätigt, was Aristoteles7 geoffenbart hat, nämlich dass der tätige Geist in unserer Seele ist, wenn man sieht, dass wir die Formen von der Materie zuerst entkleiden und sie erst dann erfassen.8 Und sie entkleiden heißt nichts anderes als sie in Tätigkeit verstandenen zu machen, nachdem sie nur der Möglichkeit nach waren, gerade so wie diese verstehen nichts anderes heißt als sie aufzunehmen. Und so wie sie gesehen haben, dass diese Tätigkeit, die das Hervorbringen und Erzeugen von geistigen Gegenständen ist, nach unserem Willen umgekehrt wurde, und dass sie [sc. die Tätigkeit] in uns vermehrt werden kann entsprechend der Vermehrung des Geistes, der in uns ist – natürlich ist der theoretische Geist gemeint – und schon erklärt worden ist, dass der Geist, der verstehbare Dinge und geistige Gegenstände erzeugt und hervorbringt, der tätige Geist ist, haben sie deshalb gesagt, dass der Geist in Disposition dieser Geist ist, dass ihm aber gelegentlich einmal eine Schwäche zukommt, ein andermal eine Hinzufügung wegen der Mischung. Das also bringt Theophrast und Themistios und andere dazu, diese Meinung über den theoretischen Geist zu haben und zu sagen, dass dies die Meinung des Aristoteles sei.

74 Theophrast · Text

2. 308B Averroes, De connexione intellectus abstracti cum homine (Aristotelis Opera cum Averrois commentariis, Venetiae 1562–1574, t. IX f. 156F–G) [156 F] Expositores autem antiqui, ut Theophrastus et alii, intel-

lexerunt de hoc quod ipse nihil est ex entibus in actu, sed est substantia in potentia, scilicet quod est substantia intellectus cuius esse est in potentia, prout est in potentiis receptivis formarum materialium, scilicet quod possibilitas in eis est in substantia quae est in potentia proportionata speciei quam recipit. [156 G] Et videtur quidem quod secundum opinionem eorum intelligitur natura intellectus prout intelligitur natura materiae primae, scilicet ut dicatur quod iste intellectus est ille cuius proportio ad id quod intelligit est proportio materiae formae demonstratae talis ad formam, licet entitas huius materiae sit in potentia. Et cum posuerint entitatem huius substantiae in potentia tantum, non potuerunt quidem dicere quod sit generabilis et corruptibilis. Id enim quod est in potentia non generatur nec corrumpitur, ut declaratum est in Physicis de materia prima.

2a 308C Iacobus de Placentia, Lectura super III De anima (p. 150, 1–152, 17 Kuksewicz) [389, 57] Et dividitur haec pars in partes duas. In prima parte

ponit unam solutionem sive responsionem eorum, secundo secundam. ⟨ Secunda ⟩ ibi: »et confirmaverunt«. Primo dicit, quando quaeritur, quare intellectus quandoque intelligit, quandoque non, ex quo intellectus speculativus est aeternus et actus intelligendi dicitur acquisitus, quod causa est propter annexionem virtutis imaginativae et cogitativae, quia quan-



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2. Der materielle Geist als Substanz in Möglichkeit (Averroes) (308B Fort.) 9 [156 F] Alte Ausleger aber, wie Theophrast10 und andere, haben

darüber folgende Auffassung, dass er [sc. der materielle Geist] selbst nichts ist unter den seienden Dingen in Tätigkeit, sondern dass er eine Substanz in Möglichkeit ist, nämlich, dass er eine Substanz des Geistes ist, dessen Sein in Möglichkeit ist, so wie bei den Möglichkeiten, die zur Aufnahme materieller Formen imstande sind, natürlich weil in ihnen, in ihrer Substanz, die Möglichkeit ist, die in ihrer Möglichkeit proportional ist zur Form, die sie aufnimmt. [156 G] Und es scheint freilich, dass gemäß ihrer Meinung, die Natur des Geistes so verstanden wird wie die Natur der ersten Materie, nämlich, damit gesagt werden kann, dass dieser Geist der ist, dessen Proportion zu dem, was er versteht, die entsprechende Proportion der Materie der gezeigten Form zur Form ist, mag auch das Sein dieser Materie in Möglichkeit sein. Und weil sie das Sein dieser Substanz in die Möglichkeit allein verlegt haben, könnten sie natürlich nicht sagen, dass sie erzeugbar und zerstörbar ist. Was nämlich in Möglichkeit ist, wird nicht erzeugt und nicht zerstört, wie es in den Büchern über die Physik über die erste Materie gesagt worden ist.11

2a Die Untergliederung des Geistes im Allgemeinen (Jakob von Piacenza) (308C Fort.)12 [389, 57] Und dieser Teil ist in zwei Teile untergliedert. Im ers-

ten Teil formuliert er [sc. Averroes] eine Lösung oder Antwort auf diese [sc. Theophrast, Themistios etc.], im zweiten Teil eine zweite. Der zweite Teil beginnt an der Stelle: »und sie haben das bestätigt«. Zuerst sagt er, als gefragt wird, weshalb der Geist einmal denkt und einmal nicht, und weshalb der theoretische Geist ewig ist und die Tätigkeit des Denkens als ›erworben‹ bezeichnet wird, dass der Grund in der Verbindung mit der Vor-

76 Theophrast · Text

doque virtus imaginativa sibi deservit, quandoque non; et quando sibi deservit, tum intelligit, et quando non deservit, non intelligit.

3. 3 09A Averroes, Commentarium magnum in Aristotelis De anima III 4 429a21–4, versio Michaelis Scoti (CCAA t. VI 1 p. 399, 344–6 et 351–61 Crawford) [399, 344] Et cum omnia que possunt dici in natura intellectus

materialis videntur impossibilia, preter hoc quod dixit Aristoteles, cui etiam contingunt questiones non pauce: …. Tertia autem est questio Theofrasti, et est quod ponere quod iste intellectus nullam habet formam necessarium est, et ponere etiam ipsum esse aliquod ens necessarium est; et si non, non esset receptio neque preparatio. Preparatio enim et receptio est ex hoc quod non inveniuntur in subiecto. Et cum est aliquod ens, et non habet naturam forme, remanet ut habeat naturam prime materie, quod est valde inopinabile; prima enim materia neque est comprehensiva neque distinctiva. Et quomodo dicitur in aliquo cuius esse sit tale quod est abstractum?

4. 309B Averroes, Commentarium magnum in Aristotelis De anima III.4 429b29–430a2 (Corpus Commentarium ­Averrois in Aristotelem t. VI 1 p. 432, 123–34 Crawford) [432, 123] Et cum subiectum istius preparationis neque est forma

ymaginationis, neque mixtio ex elementis, ut Alexander intendit, neque possumus dicere quod aliqua preparatio denudetur a subiecto, recte videmus quod Theofrastus et Themistius et Nicolaus et alii antiquorum Peripateticorum magis retinent demonstrationem Aristotelis et magis conservant verba eius. Cum enim intuerentur sermones Aristotelis et eius verba, nullus potuit ferre ea super ipsam preparationem tantum, neque super



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stellungskraft und der Erkenntnisfähigkeit liegt, weil die Vorstellungskraft einmal sich selbst dient und einmal nicht. Und wenn sie sich selbst dient, dann denkt sie, und wenn sie sich nicht selbst dient, denkt sie nicht.

3. Materieller Geist und erste Materie (Averroes) (309A Fort.)13 [399, 344] Und weil alle Dinge, die über die Natur des materiel-

len Geistes gesagt werden können, unmöglich scheinen, außer dem, was Aristoteles gesagt hat, der auch nicht wenige Fragen formuliert […]. Die dritte Frage ist die des Theophrast,14 dass es notwendig ist anzunehmen, dass dieser Geist keine Form hat, und dass es notwendig ist anzunehmen, dass er auch selbst ein Seiendes ist. Und wenn nicht, gäbe es keine Aufnahmefähigkeit und keine Vorbereitung. Vorbereitung ist nämlich Aufnahmefähigkeit aus dem Grund, dass sie15 nicht im Substrat gefunden werden. Und so wie er ein Seiendes ist, und nicht die Natur der Form hat, bleibt (übrig), dass er die Natur der ersten Materie hat, was sehr unerwartet ist. Die erste Materie ist nämlich weder imstande zu erfassen noch zu unterscheiden. Und wie sagt man bei einem, dessen Sein so beschaffen ist, dass es abstrakt ist?

4. Theophrast als zuverlässiger Interpret (Averroes) (309B Fort.)16 [432, 123] Und da das Subjekt dieser Vorbereitung weder die Form

der Vorstellungskraft noch eine Mischung aus Elementen ist, wie Alexander behauptet, und wir nicht sagen können, dass eine Eignung vom Subjekt abgezogen wird, sehen wir richtig, dass Theophrast und Themistios und Nikolaus und andere der alten Peripatetiker sich mehr an die Darlegung des Aristoteles halten und seine Worte besser bewahren. Und weil sie die Diskussionen des Aristoteles und seine Worte im Auge behielten, konnte keiner die Behauptung ertragen, er sei allein eine Eignung und auch nicht, dass er eine der Eignung unterworfene

78 Theophrast · Text

rem subiectam preparationi si posuerimus ipsam esse virtutem in corpore, dicendo eam esse simplicem et abstractam et non passibilem et non mixtam corpori.

5. 309C Albertus Magnus, De anima III.2.3 (Opera omnia [Editio Coloniensis] t. VII 1 p. 181, 81–90 Stroick) [181, 81] Est autem adhuc dubium in his dictis, quia si separa-

tus esse dicatur intellectus possibilis sicut potentia ab actu, sicut praeparata tabula a picturis, tunc non videtur habere relationem et proportionem ad intelligibilia nisi sicut materia ad formas. Quorum autem una ratio et proportio est potentiae passivae et receptivae ad aliqua, ipsa sunt eadem. Et sic igitur videtur non esse differentia aliqua inter primam materiam et intellectum possibilem; et haec est obiectio Theophrasti contra positionem Aristotelis.

6. 309D Albertus Magnus, De causis et processu universitatis a prima causa I 1 (t. X p. 362b33–363a12 Borgnet) [362b33] Per se et non in alio existentium est genus unum; om-

nium autem quae sunt ab uno genere, fluxus est ab uno principio indivisibili; Deus igitur et νοῦς et materia ab una fluunt indivisibili substantia. Principium autem eorum quae non sunt in alio et in quibus omnia alia sunt non potest esse nisi id cui prima ratio convenit subiecti; [363a1] hoc autem primo convenit materiae; illi enim nihil substat, et substat omnibus aliis; principium ergo essentiale omnium eorum quae sunt in substantia est materia. Deus ergo, qui omnibus praebet vim subsistendi, per omnia diffusus videtur esse; unde νοῦ nota quae specie-



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Sache sei, wenn wir angenommen haben, dass er eine Fähigkeit (selbst) im Körper ist, und zwar indem sie17 sagen, dass diese einfach und abstrakt und nicht leidensfähig und nicht mit einem Körper vermischt ist.18

5. In Möglichkeit befindlicher Geist und erste Materie (Albertus Magnus) (309C Fort.)19 [181, 81] Es bleibt aber bis jetzt ein Aspekt in seinen Worten zwei-

felhaft: Wenn der mögliche Geist abgetrennt sein soll 20 wie die Möglichkeit von der Tätigkeit, wie eine geeignete Tafel von den Bildern, dann scheint er keine Beziehung und kein Verhältnis zu den geistigen Dingen zu haben, es sei denn so wie die Materie zu den Formen. Die Dinge aber, von denen es eine einzige Art und ein einziges Verhältnis des leidensfähigen und aufnahmefähigen Vermögen im Hinblick auf einige Dinge gibt, sind ein- und dieselben. Und so scheint es keinerlei Unterschiede zwischen der ersten Materie und dem möglichen Geist zu geben. Und das ist der Einwand des Theophrast gegen die Meinung des Aristoteles.

6. Ein Irrtum Theophrasts (Albertus Magnus) (309D Fort.) 21 [362b33] Es gibt eine einzige Gattung von Dingen, die durch sich

selbst und nicht in einem anderen existieren. Von allen aber, die von einer (einzigen) Gattung stammen, gibt es ein Fließen von einem unteilbaren Ursprung her. Gott also und Nūs und Materie fließen von einer einzigen unteilbaren Substanz her. Der Ursprung dieser Dinge, die nicht in einem anderen sind und in denen alle anderen sind, kann aber nur das sein, dem der primäre Begriffsgehalt von ›Subjekt‹ zukommt. [363a1] Primär kommt das aber der Materie zu. Nichts nämlich liegt ihr zugrunde und sie liegt allen anderen Dingen zugrunde. Sie ist also der wesentliche Urgrund all dieser Dinge, die in Substanz Materie sind. Gott nun, der allen die Möglichkeit des Daseins

80 Theophrast · Text

bus substat, praebens eis esse et subsistere in se, per materiam substantia est; species enim intelligibiles nihil habent esse nisi intellectio. Et haec ratio Theophrastum duxit in errorem, ut diceret eandem potentiam acceptionis et materiae et intellectus.

7. 310A Albertus Magnus, Summa theologiae II 13 (77) III 19 (t. XXXIII p. 81b13–16 Borgnet) [81b13] Et hac ratione utitur Averroes contra Theophrastum, qui

dixit quod intellectus non est locus, sed subiectum et quasi materia specierum intelligibilium.

8. 310B Albertus Magnus, De unitate intellectus III.2 (Opera omnia [Editio Coloniensis] t. XVII 1 p. 29, 3–21 Hufnagel) [29, 3] Ad id quod vigesimo septimo obicitur, non est difficile

respondere secundum praedicta. Si enim concedere velimus, quod receptio universalis in intellectu possibili est receptio universalis secundum esse universalis et rationem, dicemus, quod illa receptio est loci et speciei potius quam materiae et quod nihil prohibet intellectum esse universalem in ambitu potentiae localis et speciei et determinatum esse secundum esse subiecti; et si reciperetur universale in ipso receptione subiecti, tunc procederet obiectio, et iste fuit aliquando error Theophrasti et Themistii. Et si hoc esset verum, bene concedo quod multa sequerentur inconvenientia, quae partim in obiectione inducta sunt et quae adhuc possent induci, et maximum omnium inconvenientium est, quod secundum hoc pro certo intellectus



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gibt, scheint in allen Dingen verstreut zu sein. Von woher das Zeichen des Nūs, das in den Arten enthalten ist, indem er [sc. der Geist] ihnen das Sein und in sich selbst Existieren gewährt, durch Materie Substanz ist. Zum Denken gehörige Arten haben nämlich kein Sein außer Einsicht. Und dieses Argument hat Theophrast zu dem Fehler veranlasst, so dass er sagte, dass die Möglichkeit der Aufnahme sowohl der Materie als auch des Geistes dieselbe sei.

7. Ort oder Subjekt der Formen? (Albertus Magnus) (310A Fort.) 22 [81b13] Und dieses Argument benutzt Averroes gegen Theo-

phrast, der sagt, dass der Geist nicht ein Ort sei, sondern ein Subjekt und so etwas wie die Materie der zum Denken gehörigen Formen.23

8. Ein Fehler des Theophrast (Albertus Magnus) (310B Fort.) 24 [29, 3] Auf das, was im 27. Einwand (obiectio) gesagt worden ist,

ist nach dem, was vorher gesagt wurde, nicht schwer zu antworten. Wenn wir nämlich einräumen wollen, dass die Aufnahme einer Universalie im möglichen Geist die Aufnahme einer Universalie gemäß dem Sein und dem Begriff der Universalie ist, könnten wir sagen, dass jene eine Aufnahme des Ortes und der Form eher als der Materie ist und dass nichts verbietet, dass der Geist universal in der Umgebung der Möglichkeit von Raum und Form ist und dass er begrenzt ist entsprechend dem Sein des Subjektes. Und wenn in der Aufnahme des Subjektes das Universale [sc. in den Geist] aufgenommen würde, dann würde der Einwand bestätigt, und eben das ist dereinst der Fehler von Theophrast und Themistios gewesen. Doch wenn das wahr wäre, das räume ich leicht ein, würden daraus viele Unstimmigkeiten resultieren, die teils im Einwand (der obiectio) genannt worden sind und die immer noch angeführt werden

82 Theophrast · Text

secundum esse distingueretur et una forma recepta impediret receptionem oppositae vel alterius.

9. 313 Albertus Magnus, De anima III 2.3 (Opera omnia [Editio Coloniensis] t. VII 1 p. 180, 18–44 Stroick) [180, 18] accipiamus igitur dubia, quae sequuntur ex primo. Si

enim est immixtus et impassibilis et intransmutabilis, tunc videtur numquam fieri aliquid eorum quae sunt, sed esse hoc modo aeternus, quo intransmutabile est aeternum; ergo non fit aliquod intelligibile, et sic intellectus speculativus in eo non est factus. [180, 25] Amplius, in quo omnino nihil fit, illud non est potentia quae praecedat actum; talis autem est omnino intrans­ mutabilis intellectus possibilis; igitur omnino nihil fit nec erit factum aliquid in ipso; et sic intellectus speculativus omnino non est factus. [180, 30] Adhuc autem, agens intellectus magis est intrans­ mutabilis quam possibilis, et sic uterque intellectus, tam agens scilicet quam possibilis, sunt hoc modo aeterni, sicut sunt entia necessaria et intransmutabilia. Quandocumque autem agens est necessarium et non factum agens, sed semper agens, et passivum est necessarium et intransmutabile; tunc etiam factum ab agente in eo quod patitur, est semper et intransmutabile; ergo speculativus intellectus, qui fit ab agente intellectu in eo qui vocatur possibilis, semper est et numquam factus, ut videtur, tali factione quae sit terminus eius quod est fieri et quam praecedat potentia secundum generationem et tempus. Et istas dubitationes de hoc verbo eliciunt Theophrastus et Themistius.



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könnten. Und die größte aller Unstimmigkeiten ist die, dass demnach sicher der Geist nach seinem Sein differenziert würde und dass eine aufgenommene Form die Aufnahme einer entgegengesetzten oder anderen Form verhindern würde.

9. Probleme der Geistlehre (Albertus Magnus) (313 Fort.) 25 [180, 18] Wollen wir also die zweifelhaften Dinge aufnehmen,26

die aus dem ersten Punkt folgen. Wenn er [sc. der Geist] nämlich unvermischt und unfähig etwas zu erleiden und unveränderlich 27 ist, dann scheint er niemals etwas von den Dingen zu werden, die sind, sondern auf diese Weise ewig zu sein, auf die das Unveränderliche ewig ist. Also wird er nicht irgendetwas zum Geist Gehöriges, und so ist der theoretische Geist28 nicht in ihm entstanden. [180, 25] Ferner, in welchem überhaupt nichts gemacht wird, das ist nicht die Möglichkeit, die der Tätigkeit vorausgeht. Der unveränderliche mögliche Geist ist aber ganz und gar so beschaffen. Daher wird überhaupt nichts gemacht und wird auch nichts gemacht werden in ihm selbst. So ist der theoretische Geist in keiner Weise gemacht. [180, 30] Überdies ist der tätige Geist mehr unveränderlich als der mögliche, und so sind beide Arten von Geist, nämlich der tätige ebenso wie der mögliche, auf diese Weise ewig, wie es die notwendig und unveränderlich Seienden sind. Sobald aber das Tätige notwendig tätig und nicht tätig gemacht worden, sondern immer tätig ist, ist das Erleidende notwendig und unveränderlich. Dann ist also das, was vom Tätigen in dem, was erleidet, gemacht wird, immer und unveränderlich. Also ist folglich auch der theoretische Geist, der vom tätigen Geist in dem gemacht wird, der der mögliche [sc. Geist] genannt wird, immer und niemals, wie es scheint, auf diese Weise gemacht, die eine Grenze dessen ist, was gemacht wird, und der die Möglichkeit vorangeht gemäß Erzeugung und Zeit. Diese Zweifel an diesem Wort haben Theophrast und Themistios hervorgerufen.29

84 Theophrast · Text

10. 314A Albertus Magnus, De anima III 2.5 (Opera omnia [Editio Coloniensis] t. VII 1 p. 183, 46–74 et 183, 79–184, 47 et 184, 53–72 Stroick) [183, 46] Et est digressio declarans opinionem Theophrasti et

Themistii et improbationem eiusdem. Theophrastus autem et Themistius, viri in secta Peripateticorum praeclari, aliam secuti sunt viam dicentes in anima non esse nisi intellectum agentem et nullum intellectum possibilem in ratione possibilis, qui sit pars animae rationalis. Dicebant autem hoc per unam praecipue rationem, quae est ista, quod scilicet in omnibus in quibus est prima perfectio et secunda, ita se habent ad invicem, quod si prima est intransmutabilis et aeterna, quod secunda est intransmutabilis et aeterna. Prima autem perfectio hominis est intellectus et secunda est intelligere; et ideo si intellectus est immixtus et separatus et impassibilis et aeternus, intelligere erit similiter intransmutabile et aeternum. Constat autem, quod intellectus agens est aeternus hoc modo, quo dicimus aeternum esse intransmutabile, agente autem uno modo se habente erit id in quod agit, uno modo se habens, quia aliter agens esset otiosum; et sic id quod vocatur intellectus possibilis, erit aeternum et actum erit aeternum. Sic enim probatum est in octavo Physicorum, quod motore existente aeterno et moto, motus necessario est aeternus. [183, 71] Similiter autem isti viri videntur dicere quod actum ab agente est speculativus intellectus, et intelligere nihil aliud est quam denudare formas, et hoc est opus intellectus agentis. … [183, 79] In alio autem loco isti viri dicunt, quod intellectus materialis est pars animae, sed non perficitur nisi ab agente et non ab intelligibili; et ideo, cum tam agens quam possibilis sint intransmutabiles, factum per compositionem ex utroque



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10. Wiedergabe der Ansichten des Theophrast und des Themistios (Albertus Magnus) (314A Fort.) 30 [183, 46] Und jetzt folgt ein Exkurs über die Meinung des Theo-

phrast und die des Themistios und dessen Widerlegung. Theophrast und Themistios, berühmte Männer in der peripatetischen Schule, sind einem anderen Weg gefolgt,31 indem sie sagten, dass in der Seele nur der tätige Geist und kein möglicher Geist nach der Art des möglichen [sc. Geistes] sei, der Teil der vernünftigen Seele wäre. Und sie sagten das vor allem in einem Beweis: Dass nämlich in allen Dingen, in denen eine erste Vollendung und eine zweite ist, sie sich so zueinander verhalten, dass, wenn das erste unveränderlich und ewig ist, auch das zweite unveränderlich und ewig ist. Die erste Vollendung des Menschen aber ist der Geist und die zweite das Denken. Und daher wird, wenn der Geist unvermischt und getrennt und unfähig, zu erleiden und ewig ist, ganz genauso auch das Denken unveränderlich und ewig. Es steht aber fest, dass der tätige Geist auf diese Art ewig ist, auf welche wir sagen, dass das Unveränderliche ewig sei, und wenn der tätige [sc. Geist] sich auf die eine Weise verhält, wird er das sein, zu dem hin er tätig ist, und dabei verhält er sich auf eine (bestimmte) Art und Weise, weil er, wenn er anders handelte, untätig wäre. Und so wird das, was möglicher Geist genannt wird, ewig sein und die Tätigkeit wird ewig sein. So nämlich ist es im achten Buch der Physik bewiesen worden, dass, wenn es einen ewigen Beweger und ein Bewegtes gibt, dann auch die Bewegung notwendig ewig ist.32 [183, 71] Und genauso scheinen diese Männer zu behaupten, dass das vom Tätigen Getane der theoretische Geist ist, und dass Denken nichts anderes ist als Formen entkleiden, und das ist das Werk des tätigen Geistes. […] [183, 79] An einer anderen Stelle33 sagen diese Männer, dass der materielle Geist ein Teil der Seele sei, aber nur vom tätigen [sc. Geist] und nicht vom Denkobjekt vollendet werde. Und deshalb wird, da der tätige so wie der mögliche [sc. Geist] unveränderlich ist, das durch Kombination aus beiden Gemachte

86 Theophrast · Text

erit intransmutabile et aeternum. Propter quod negant etiam intellectum esse possibilem ut possibilem ante actum, licet concedant eum esse in anima, prout est subiectum luminis agentis. Si autem quaeratur ab ipsis de dictis Aristotelis, qualiter intelligantur quae dicit de natura possibilis intellectus, dicunt quod intelliguntur [184] de eo quod est subiectum agentis luminis; et illud lumen habitum ab ipso est speculativus intellectus. Cum autem dicitur, quod potentia est omnia intelligibilia et actu nullum, dicunt, quod hoc sic est, quia lumen eius aliquando est super intelligibilia, et tunc ipsa denudatio est actu intelligere, quod vocatur speculativus intellectus *** qui dicitur adeptus. Isti enim ponunt quadruplicem intellectum in anima, agentem scilicet, qui denudat formas, et possibilem, qui recipit lumen agentis, et tertium compositum ex utroque sicut diaphanum lucidum, quem vocant speculativum, et quartum, qui fit splendore luminis habiti super intelligibilia, quem vocant adeptum; et haec opinio multo rationabilior est quam Alexandri et aliorum Peripateticorum quorundam. [184, 16] Si autem quaeratur ab eisdem de hoc quod dicit Aristoteles intellectum sic se habere ad intelligibile, quemadmodum sensus ad sensibile se habet, et ita, cum sensus susceptivus sit specierum sensibilium, erit intellectus susceptivus specierum intelligibilium; et sic intelligere non est solum denudare, sed etiam intelligibilia recipere. [184, 22] Amplius, agens per se sine possibili potest denudare. Si ergo hoc sufficit ad intelligere, non oportet ponere intellectum aliquem possibilem vel speculativum, sed tantum agentem et adeptum.



Fragmente und Testimonien zu Aristoteles’ Geistlehre

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unveränderlich und ewig sein. Deswegen leugnen sie auch ab, dass der mögliche Geist als möglicher vor der Tätigkeit existiert, obgleich sie einräumen, dass dieser in der Seele ist, so wie er das Subjekt des Lichtes des tätigen Geistes ist. Wenn man sie aber nach den Worten des Aristoteles fragt, wie sie das verstehen, was er über die Natur des möglichen Geistes sagt, sagen sie, dass sie [sc. seine Worte] von dem her [184] verstanden werden, dass er [sc. der mögliche Geist] das Subjekt des Lichtes des tätigen Geistes ist. Und jenes von ihm erhaltene Licht sei der theoretische Geist. Wenn aber gesagt wird, dass er der Möglichkeit nach alle Denkobjekte, der Tätigkeit nach aber keines davon sei, sagen sie, dass das so ist, weil sein Licht sich manchmal über die Denkobjekte erstreckt, und dann das Enthüllen an sich das Denken in Tätigkeit ist, das theoretischer Geist genannt wird [***Textausfall nach P. Huby], welcher der ›erworbene‹ genannt wird. Diese nämlich setzen einen vierfachen Geist in der Seele an, den tätigen nämlich, der die Formen enthüllt, und den möglichen, der das Licht des tätigen aufnimmt, und einen dritten, aus beiden zusammengesetzten wie ein durchscheinendes Helles, den sie den theoretischen nennen, und den vierten, der durch den Glanz des Lichtes gemacht wird, das über die Denkobjekte gehalten wird, den sie den erworbenen nennen. Und diese Meinung ist viel vernünftiger als die von Alexander und einigen gewissen anderen von den Peripatetikern.34 [184, 16] Wenn man aber eben diese nach dem fragt, was Aristoteles sagt, nämlich dass der Geist sich zum Denkobjekt so verhält, wie der Sinn zum sinnlich Wahrnehmbaren, so wird, da der Sinn sinnlich wahrnehmbare Formen aufnehmen kann, auch der Geist denkbare Formen aufnehmen können. Und so ist das Denken nicht nur ein Enthüllen, sondern auch ein Aufnehmen von denkbaren Dingen. [184, 22] Ferner kann der tätige [sc. Geist] aus eigener Kraft ohne den möglichen [sc. Geist] enthüllen. Wenn also das zum Denken genügt, dann darf man nicht einen möglichen oder einen theoretischen Geist ansetzen, sondern nur einen tätigen und erworbenen.

88 Theophrast · Text [184, 27] Sed ad hoc illi respondent agentem absolutum nullum

esse in anima, quoniam intelligentia absolute agens non potest esse pars animae, sed lumen agentis in possibili vocari agentem. Et quando distinguitur intellectus in agentem et possibilem et speculativum, est talis divisio, sicut substantia dividitur in materiam et formam et compositum. Non enim fit hoc ideo, quod forma divisum esse habeat a composito vel etiam a materia, sed ut ostendatur componentia esse diversarum naturarum et a composito differre per modum simplicitatis eorum. [184, 38] Haec autem opinio ponit animam rationalem secundum nullam sui partem esse subiectum intelligibilium et non esse species intelligibiles in anima nisi sicut in agente eas, sicut colores actu existentes sunt in luce, quae est hypostasis eorum. Et esset simile, quod si a visu procederet lumen dans esse formale coloribus et hoc esset videre; sic volunt dicere, quod lumen agentis in possibili intellectu intellectualitatis formam dans intelligibilibus sit intelligere, et hoc sit esse intelligibilia in anima. [184, 53] […] Movit autem Theophrastum praecipue hoc, quod si esset possibilis in anima intellectus separatus et non hoc aliquid distinctum, quod ille a materia prima non differret, quoniam utrumque potentia est omnia et nihil actu, et ideo materia prima deberet cognoscere similiter formas sibi advenientes, sicut intellectus possibilis; quod omnino est absurdum. Non igitur taliter possibilis vocatus intellectus est in anima. [184, 62] Adhuc autem, taliter possibilis intellectus non fit intelligibilia sine transmutatione et tempore. Ergo iste intel-



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[184, 27] Doch darauf antworten jene, dass es in der Seele

keinen losgelösten tätigen Geist gebe, weil die in losgelöster Weise tätige Intelligenz kein Teil der Seele sein könne, sondern dass das Licht des tätigen Geistes auf den möglichen der tätige Geist genannt würde. Und wenn der Geist in einen tätigen, in einen möglichen und in einen theoretischen unterschieden wird, dann ist die Differenzierung so, wie eine Substanz in Materie, Form und Zusammengesetztes differenziert wird. Dies geschieht nicht aus dem Grund, dass die Form ein getrenntes Sein hat vom Zusammengesetzten oder gar vor der Materie, sondern damit gezeigt werden kann, dass die Bestandteile verschiedener Natur sind und sich vom Zusammengesetzten durch das Maß ihrer Einfachheit unterscheiden. [184, 38] Diese Meinung aber setzt fest, dass die vernunft­ begabte Seele in keinem Teil ihrer selbst ein Subjekt von Denk­ objekten ist und dass keine denkbaren Formen in der Seele sind, es sei denn, sie sind wie die im tätigen [sc. Geist], so wie Farben im Licht tatsächlich existieren, das die Hypostase von diesen ist. Und es wäre genauso, wenn vom Blick her Licht voranschritte, das den Farben ihr formales Sein gibt, und das dann Sehen wäre. So wollen sie sagen, dass das Licht des tätigen Geistes auf den möglichen Geist, das den Denkobjekten ihre Form der Geistzugehörigkeit gibt, Denken ist. Und so sind die Denkobjekte in der Seele. […] [184, 53] Den Theophrast aber bewegt vor allem das, dass, wenn der mögliche Geist in der Seele abgetrennt existierte und dieser nicht ein unterschiedenes Etwas wäre, jener sich von der ersten Materie nicht unterschiede, weil jedes von beiden der Möglichkeit nach alles und nicht in Tätigkeit wäre, und deshalb die erste Materie auf ähnliche Weise die auf sie zukommenden Formen erkennen müsste, wie der mögliche Geist – was völlig absurd ist. Folglich wird der mögliche Geist in der Seele nicht so bezeichnet. [184, 62] Überdies wird der auf solche Weise beschaffene mögliche Geist nicht ohne Veränderung und Zeit zu Denk­objekten

90 Theophrast · Text

lectus est passibilis et transmutabilis et sic permixtus corpori; non autem est passibilis et transmutabilis et mixtus intellectus in anima, sicut ex supra dictis est manifestum; ergo in anima non est taliter possibilis vocatus intellectus. Et omnino ista opinio dubitavit in quaestione illa qua quaeritur, qualiter contingit possibilem esse intellectum et recipere intelligibilia, quando supponitur esse impassibilis et intransmutabilis et immixtus.

11. 314B Albertus Magnus, De anima III 2.6 (Opera omnia [Editio Coloniensis] t. VII 1 p. 185, 18–30 Stroick) [185, 18] Et sic videntur in parte convenire cum Theophrasto et

Themistio et in parte cum illis dissimiliter dicere, quoniam in hoc conveniunt, quod dicunt intelligere animae nihil aliud esse quam formas esse denudatas in luce agentis, et quod non est aliqua animae rationalis pars, quae sit subiectum intelligibilium. Dissentiunt autem ab illis in eo quod Theophrastus et Themistius dicunt intellectum quidem possibilem esse animae rationalis partem, sed numquam esse in potentia, quia semper habet in se lumen agentis vel ipsum agentem, prout lumen est, sicut diaphanum illuminatum habet in se actum lucis.



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gemacht. Daher ist also dieser Geist fähig zu erleiden und ist veränderlich, und das ist so, wenn er mit dem Körper vermischt ist. Der Geist in der Seele ist aber nicht fähig zu erleiden, und ist nicht veränderlich und vermischt, wie es aus dem oben Gesagten klar hervorgeht. Also gibt es so in der Seele keinen auf diese Weise als möglichen bezeichneten Geist. Und im Ganzen tut sich diese Meinung mit jener Frage schwer, die gestellt worden ist, nämlich, wie es sein kann, dass der mögliche Geist existiert und Denkobjekte aufnehmen kann, wenn man annimmt, er sei nicht fähig zu erleiden, und er sei unveränderlich und unvermischt.

11. Theophrast und Themistios im Vergleich mit Ibn Bāğğa/ Avempace (Albertus Magnus) (314B Fort.) 35 [185, 18] Und so scheinen sie36 mit Theophrast und Themistios

teils übereinzustimmen und teils ganz anders als sie zu sprechen, weil sie in dem Punkt übereinstimmen, dass sie sagen, dass das Denken der Seele nichts anderes ist als die enthüllten Formen im Licht des tätigen Geistes, und darin übereinstimmen, dass es keinen Teil der vernunftbegabten Seele gibt, der Subjekt der Denkobjekte ist. Sie widersprechen ihnen jedoch in dem, was Theophrast und Themistios sagen, nämlich dass der mögliche Geist freilich ein Teil der vernunftbegabten Seele sei, aber niemals in Möglichkeit, weil er das Licht des tätigen Geistes oder den tätigen Geist immer in sich selbst habe; so wie das Licht existiert, so hat das durchscheinende Erleuchtete in sich selbst die Tätigkeit des Lichts.

92 Theophrast · Text

12. 314C Anonymus, Quaestiones in Aristotelis De anima III 15, cod. Oxon. Coll. Mert. 275 f.83rb (Phil. Med. t. 11 p.330, 28–33 van Steenberghen) [330, 28] Avempace posuit quod intellectus agens non est neces-

sarius propter obiectum intell‹igibile›, sed propter intellec‹tum›; et hoc similiter posuerunt et Themistius et Theophrastus. Dixerunt etiam quod species intelligibilis de se non recipitur in intellectu possibili, et quod intellectus agens est substantia separata, sicut est intelligentia in superioribus * * *

13. 314 D Ibn Sabʿīn, Ğawāb masāʾil malik ar-Rūm al-Imbaraṭūr Ṣāḥib Ṣiqillīya, al-Burhān ʿalā wuğūd an-nafs baʿda l-mawt wa-baqāʾihā (Beantwortung der Fragen des römischen Kaisers, des Herrn von Sizilien [Friedrichs II.]; Beweis für die Existenz und Fortdauer der Seele nach dem Tod; p. 82, 16–18 Yaltkaya)

‫مأــفﺇﻧﻬﺎ‬ ‫ﻳﻘﻮﻟﻮﻥ‬ ‫ةلمجلابوﻗﺪﻣﺎء ﺍﻟﻤﺸﺎﺋﻴﻦ‬ ‫ﺗﺎﻓﻮﺳﻄﻴﻮﺱ ﻭﺑﺎﻟﺠﻤﻠﺔ‬ ‫ﻓــﺄ َﻣﺎ‬ ‫نيئاشملا ءامدق‬ َ ‫سويطسوفات ا‬ َ ‫نولوقي‬ َ ‫لقعلا‬ ‫ﺍﻟﻌﻘﻞاهنإ‬ (‫ةوق ىا‬ ‫)ةلعفنملا‬ ‫َنإو‬ ‫ﻣﺮﻛﺐ‬ ‫ﺍﻟﺬﻯ ﻓﻴﻨﺎ‬ ‫ﻭﺇﻥ‬ ‫ﺍﻟﻤﻨﻔﻌﻠﺔ( ﺃﺯﺍ َﻳﺔ‬ ‫يازأﺍﻟﻌﻘﻞ‬ ‫ﻗﻮﺓ‬ َ ‫)ﺍﻯ ة‬ ‫لقعلا‬ ‫ﺎﻝىذلا‬ ‫انيف‬ ‫كرم‬ ‫نيذه نم ب‬ ‫نيلقعلا‬ َ ‫ﺑﺎﻟﻔﻌﻞ‬ ‫ﻭﺍﻟﻤﻨﻔﻌﻞ‬ ‫ﻭﻫﻮ ﺍﻟﻔ َﻌ‬ ‫ﺃﻋﻨﻰ ﺍﻟﺬﻯ‬ ‫ىنعأﺍﻟﻌﻘﻠﻴﻦ‬ ‫ىذلاﻫﺬﻳﻦ‬ ‫ﻣﻦ‬ ‫وهو لعفنملاو لاَعفلا وهو لعفلاب‬ ‫ﺍﻟﺬﻯىذلا‬ ‫ةوقلاب‬ ‫ﺑﺎﻟﻘﻮﺓ‬ ‫ﻭﻫﻮ‬ 14. 315 Albertus Magnus, De anima III 3,7 (Opera omnia [Editio Coloniensis] t. VII1 p. 217, 1–58 et 67–76 Stroick) [217, 1] Et est digressio declarans opinionem Themistii et Theo­

phrasti de solutione quaestionis inductae. [217, 4] Themistii autem et Theophrasti dictum ad hoc redit, quod intellectus agens est forma intellectus possibilis, ut supra diximus, et intelligere in nobis non est per receptionem intelligibilium, sed intelligere nihil aliud est quam denudare per



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12. Der wirkende Geist als abgetrennte Substanz (Anonymus) (314C Fort.) 37 [330, 28] Avempace38 hat angenommen, dass der tätige Geist not-

wendig ist nicht wegen des Denkobjektes, sondern wegen des Geistes selbst. Ähnlich haben das auch Themistios und Theophrast vertreten. Sie haben auch gesagt, dass die zum Denken gehörige Form nicht von sich selbst im möglichen Geist aufgenommen wird, und dass der tätige Geist eine abgetrennte Substanz ist, so wie die Denkfähigkeit in den höheren [sc. Bereichen].

13. Der menschliche Geist als zusammengesetzter (Ibn Sabʿīn) (314D Fort.) 39 Und was Theophrast und Themistios und überhaupt die antiken Peripatetiker anbelangt, so behaupten sie, dass sie (das heißt das passive Vermögen des Geistes) ewig ist und dass der Geist, der in uns ist, aus diesen zwei Geistformen zusammengesetzt ist, ich meine aus dem im Akt (das ist der aktive [Geist]) und dem passiven (das ist der [Geist] in Möglichkeit). (Übersetzung: Matthias Perkams)

14. Wie erkennt der Geist die einsehbaren Gegenstände? (Albertus Magnus) 40 [217, 1] Und jetzt folgt ein Exkurs, der die Meinung des Themis-

tios und des Theophrast über die Lösung der aufgeworfenen Frage darlegt. [217, 4] Die Darlegung des Themistios und des Theophrast geht darauf zurück, dass der tätige Geist die Form des möglichen Geistes ist, wie wir oben gesagt haben, und dass das Denken in uns nicht durch die Aufnahme der Denkobjekte stattfindet, sondern dass Denken nichts anderes ist als mittels

94 Theophrast · Text

intellectum intelligibilia, eo quod lux agentis est circa ipsa, et esse lucem agentis circa ea est intelligere ea. Hi autem qui dicunt possibilem intellectum esse separatum sicut et agentem, et incorruptibilem utrumque esse, dicunt quod nihil est inconveniens, quod incorruptibile fiat forma incorruptibilis. [217, 15] Et ideo reprehendendo Alexandrum dicunt, quod ipse dixit incompossibilia; dixit enim speculativum intellectum continue generari et corrumpi, qui etiam vocatur intellectus in habitu, et tamen istum informari ab intellectu agente incorruptibili, sicut in formatur materia ex sua forma. Sic enim esset corruptibile materia incorruptibilis, quod est inconveniens. Et si hoc modo intellectus agens uniretur nobis, indigeret intellectus agens re corruptibili ad suam actionem perficiendam, quae est intelligere; quae omnia stare non possunt, et ideo dictum Alexandri isti duo viri nullo modo sequi voluerunt. [217, 27] Dicunt etiam isti probationem Alexandri non valere, quoniam verum est, quod virtus perficitur confortatione et exercitio, quando est virtus generata; in complemento enim generati accipitur etiam complementum virtutum generatarum; sed non propter hoc pervenitur ad virtutem quae non est generati secundum quod est generatum. Cum igitur Alexander dicat intellectum possibilem esse generatum, et intellectum, qui est in habitu, similiter dicit esse generatum, et finis et complementum generati est generatum; tunc per haec duo non venitur ad continuationem et unionem intellectus agentis, qui non est generatus. Propter quod isti fuerunt primi, qui contempserunt sequi Alexandrum et dixerunt et possibilem esse non generatum et agentem et speculativum, qui fit ab utroque, sicut supe-



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des Geistes die Denkobjekte zu enthüllen, dadurch dass das Licht des tätigen Geistes um diese selbst herum ist. Und das ist gleichbedeutend damit, diese zu denken. Diejenigen aber, die sagen, dass der mögliche Geist abgetrennt sei wie auch der tätige, und dass beide unzerstörbar seien, behaupten, es sei nicht widersprüchlich, dass eine unzerstörbare Form etwas Unzerstörbares wird. [217, 15] Und daher tadeln sie Alexander und sagen, er selbst habe Dinge gesagt, die sich nicht miteinander vereinbaren ließen.41 Er hat nämlich behauptet, dass der theoretische Geist beständig erzeugt und zerstört wird, der Geist also, der auch Geist in Disposition genannt wird, und dass dieser dennoch vom unzerstörbaren tätigen Geist seine Form bekommt, genauso wie die Materie nach seiner Form gestaltet wird. So nämlich wäre die unzerstörbare Materie zerstörbar, was nicht sein kann. Und wenn der tätige Geist uns auf diese Weise zukäme, würde er eine zerstörbare Sache zur Vollendung seiner Tätigkeit brauchen, die Denken ist. All diese Behauptungen sind nicht haltbar und deshalb haben diese beiden Männer [sc. Theophrast und Themistios] Alexander auf keine Weise folgen wollen. [217, 27] Sie sagen auch, dass die Beweisführung Alexanders keinen Wert hat, weil wahr ist, dass Tüchtigkeit durch Kräftigung und Übung zur Vollendung gebracht wird, wenn es eine erzeugte Tüchtigkeit ist. In der Vervollständigung des Erzeugten wird auch die Vervollständigung der erzeugten Tüchtigkeit aufgenommen. Aber nicht aus diesem Grund gelangt man zur Tüchtigkeit, die nicht zum Erzeugten gehört insoweit es erzeugt ist. Wenn Alexander also sagt, dass der mögliche Geist erzeugt sei, und behauptet, dass der in Disposition befindliche Geist genauso erzeugt ist, dann sind sowohl das Ziel als auch die Vervollständigung des Erzeugten etwas Erzeugtes. Durch diese beiden Geiste kommt man dann aber nicht zur Verbindung und zur (Ver-)Einigung mit dem tätigen Geist, der nicht erzeugt ist. Daher sind diese die ersten gewesen, die es abgelehnt haben, Alexander zu folgen und gesagt haben, dass der mögliche Geist nichts Erzeugtes sei und ebenso wenig der tätige

96 Theophrast · Text

rius docuimus. Dicunt autem intellectum nostrum compositum ex possibili et agente esse coniunctum nobis, per intelligibilia ad phantasiam moventem relata, et sic compositum intellectum nobis coniunctum per se esse sufficientem ad intelligenda separata. [217, 48] Et huius unicam rationem assignant, quae a minori est adducta et est ratio topica et probabilis uno modo et non necessaria. Dicunt enim, quod minus videtur, quod intellectus compositus ex duobus separatis sit de intelligibili concipiente materiam quam intelligibili separato, quod est simile sibi; et est tamen de intelligibili coniuncto cum magnitudine; ergo multo magis est de intelligibili separato. Et haec ratio quam adducunt nullo modo concluderet, si dicerent intellectum possibilem non esse separatum, sicut dixit Alexander. … [217, 67] Cum autem ponunt intellectum esse virtutem separatam, tunc ratio eorum est probabilis, sed ipsi causam assignare non possunt, quare intellectus agens quandoque agit in nobis et quandoque non agit, cum secundum eos semper continuetur nobis. [217, 73] Adhuc autem, secundum istos non est in nobis aliquid recipiens intellecta, et sic ex intellectu et intellecta re non fit unum, quod est contra positiones sapientum.

15. 321 Averroes, Commentarium magnum in Aristotelis De anima III 5 430a20–5, versio Michaelis Scoti (Corpus Commentarium Averrois in Aristotelem t.VI 1 p. 443, 9–444, 11 et 444, 35– 445, 55 et 445, 61–446, 93 Crawford) [443, 9] Istud capitulum potest intelligi tribus modis, quorum

unus est secundum opinionem Alexandri, et secundus secundum opinionem [444] Theofrasti, et aliorum expositorum […].



Fragmente und Testimonien zu Aristoteles’ Geistlehre

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und der theoretische Geist, der aus beiden gemacht wird, wie wir es oben dargelegt haben. Sie sagen aber, dass unser Geist, zusammengesetzt aus dem möglichen und dem tätigen Geist, mit uns durch Denkobjekte verbunden ist, die bezogen sind auf die bewegende Vorstellungskraft und dass der so zusammengesetzte, mit uns verbundene Geist durch sich selbst genüge, um die abgetrennten Dinge zu verstehen. [217, 48] Und dem schreiben sie einen einzigen Grund zu, der vom Untersatz42 abgeleitet ist und ein topischer Grund ist und nur auf eine einzige Weise wahrscheinlich und nicht notwendig ist. [217, 48] Sie sagen nämlich, was es weniger so scheint, dass der aus zwei getrennten Geisten zusammengesetzte Geist von einem Denkobjekt her sei, das Materie aufnehme, als dass er von einem gesonderten Denkobjekt sei, das ihm gleich ist. Und er ist dennoch vom Denkobjekt her, das mit Größe verbunden ist. Also ist er umso mehr vom getrennten Denkobjekt her. Und dieser Grund, den sie anführen, wäre auch dann keineswegs schlüssig, wenn sie sagten, dass der mögliche Geist nicht getrennt sei, wie Alexander behauptet hat. […] [217, 67] Sobald sie aber annehmen, dass der Geist eine abgetrennte Tüchtigkeit sei, ist ihr Argument plausibel, aber sie selbst können keinen Grund angeben, weshalb der tätige Geist einmal in uns tätig ist und einmal nicht, obwohl er doch ihnen zufolge immer mit uns verbunden ist. [217, 73] Außerdem gibt es – diesen Leuten zufolge – in uns nichts, das Denkobjekte aufnimmt, und so wird aus dem Geist und dem Denkobjekt nicht eine einzige Sache gemacht, was wiederum den Darlegungen weiser Männer widerspricht.

15. Wirkender und leidender Geist (Ibn Rušd/Averroes) (321 Fort.) 43 [443, 9] Dieses Kapitel kann auf dreierlei Art und Weise verstan-

den werden, von denen eine nach der Meinung Alexanders ist, die zweite nach der Meinung des Theophrast, und dann gibt es noch die Meinung anderer Exegeten […]

98 Theophrast · Text [444, 35] Themistius autem intelligit per intellectum qui est

in potentia intellectum materialem abstractum, cuius esse demonstratum est, et intendit per intellectum [445] cuius fecit comparationem cum hoc intellectum agentem secundum quod continuatur cum intellectu qui est in potentia, et hoc quidem est intellectus speculativus apud ipsum. Et cum dixit: »Et non quandoque intelligit et quandoque non«, intelligit intellectum agentem secundum quod non tangit intellectum materialem. [445, 42] Et cum dixit: »Et cum fuerit abstractus, est quod est tantum, non mortalis«, intendit intellectum agentem secundum quod est forma intellectui materiali, et hoc est intellectus speculativus apud ipsum. [445, 46] Et erit illa questio circa intellectum agentem secundum quod tangit intellectum materialem (et est speculativus), scilicet cum dixit: »Et non rememoramur«. Dicit enim quod remotum est ut ista dubitatio ab Aristotele sit circa intellectum nisi secundum quod intellectus agens est forma nobis. Dicit enim quod ponenti intellectum agentem esse eternum et intellectum speculativum esse non eternum non contingit hec questio, scilicet quare non rememoramur post mortem quod intelligimus in vita […]. [445, 61] Impossibile enim est ut ista questio sit nisi circa cognitionem eternam existentem in nobis, aut per naturam, ut dicit Themistius, aut per intellectum adeptum in postremo. Quia igitur hec questio apud Themistium est circa intellectum speculativum, et initium sermonis Aristotelis est de intellectu agenti, ideo opinatus fuit quod intellectus speculativus est agens apud Aristotelem secundum quod tangit intellectum [446] materialem. Et testatur super omnia ista ex hoc quod dixit in primo tractatu de intellectu speculativo. Fecit enim illic eandem que-



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[444, 35] Themistios44 aber versteht unter dem Geist, der in

Möglichkeit ist, einen abgetrennten materiellen Geist, dessen Sein gezeigt worden ist, und er möchte unter dem Geist, [445] den er [sc. Aristoteles] mit diesem verglichen hat, den tätigen Geist verstehen, und zwar insofern als er mit dem in Möglichkeit befindlichen Geist verbunden ist, und das ist freilich der theoretische Geist bei ihm selbst. Und als er [sc. Aristoteles] gesagt hat: Und nicht denkt er einmal und einmal nicht,45 versteht er den tätigen Geist, insofern als er den materiellen Geist nicht berührt. [445, 42] Und als er gesagt hat: Und wenn er abgetrennt worden ist, und das ist es allein, was er ist, ist er nicht sterblich,46 will er den tätigen Geist auffassen gemäß dem, dass er die Form für den materiellen Geist ist, und das ist nun der theoretische Geist bei ihm selbst. [445, 46] Und jene Frage wird um den tätigen Geist gehen, und zwar dahingehend, dass er den materiellen Geist berührt (und es ist der theoretische Geist), und zwar eben dann, als er gesagt hat: Und wir erinnern uns nicht.47 Er sagt nämlich, dass es außer Frage steht, dass dieser von Aristoteles erhobene Zweifel um den Geist gehe, es sei denn dahingehend, dass der tätige Geist Form für uns ist. Denn er sagt, dass einem, der davon ausgeht, dass der tätige Geist ewig und der theoretische Geist nicht ewig ist, diese Fragestellung nicht glückt. Natürlich deshalb, weil wir uns nach dem Tod nicht mehr an das erinnern, was wir im Leben gedacht haben […] [445, 61] Diese Fragestellung kann es nämlich nur geben wegen der ewigen in uns existierenden Erkenntnis entweder durch die Natur, wie Themistios sagt, oder durch den zuletzt hinzuerworbenen Geist. Weil also diese Frage bei Themistios um den theoretischen Geist geht, und der Anfang der Darlegung des Aristoteles über den tätigen Geist geht, war er der Meinung, dass der theoretische Geist bei Aristoteles der tätige sei, und zwar dahingehend, dass er den materiellen Geist [446] berührt. Und darüber hinaus beweist er all diese Dinge mit dem, was er [sc. Aristoteles] in seiner ersten Abhandlung über

100 Theophrast · Text

stionem quam hic, et dissolvit eam per hanc eandem dissolutionem. Dixit enim in primo istius libri: »Intellectus autem videtur esse aliqua substantia existens in re, et non corrumpi. Quoniam, si corrumperetur, tunc magis esset hoc apud fatigationem senectutis.« Et postea dedit modum ex quo possibile est ut intellectus sit non corruptibilis et intelligere per ipsum erit corruptibile, et dixit: »Et formare per intellectum et considerare sunt diversa ita quod intus corrumpetur aliquod aliud; ipsum autem in se nullam habet corruptionem. Distinctio autem et amor non sunt esse illius, sed istius cuius est hoc, secundum quod est eius. Et ideo etiam, cum iste corrumpetur, non rememorabimur, neque diligemus.« [446, 81] Themistius igitur dicit quod sermo eius in illo tractatu in quo dixit: »Intellectus autem videtur esse substantia aliqua existens in re, et non corrumpi«, idem est cum illo in quo dixit hic: »Et cum fuerit abstractus, est quod est tantum, non mortalis, eternus.« Et quod dixit hic: »Et non rememoramur, quia iste est non passibilis, intellectus autem passibilis est corruptibilis, et sine hoc nichil intelligitur,« idem est cum eo quod illic dixit, scilicet: »Et formare per intellectum et considerare diversantur«, etc. Et dicit propter hoc quod intendebat hic per »intellectum passibilem« partem concupiscibilem anime; ista enim pars videtur habere aliquam rationem; auscultat enim ad illud quod respicit anima rationalis.



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den theoretischen Geist gesagt hat. Er hat nämlich dort dieselbe Frage aufgeworfen wie hier, und er hat sie mit derselben Lösung beantwortet. Er hat nämlich im ersten Buch dieses Werkes gesagt: Der Geist scheint eine tatsächlich existierende Substanz zu sein und nicht zerstört zu werden. Wenn er zerstört würde, dann wäre das mehr wie bei der Erschöpfung des Alters.48 Und danach hat er die Art und Weise gezeigt, mit welcher es möglich ist, dass der Geist nicht zerstörbar ist und das Denken bei ihm zerstörbar ist, und er hat gesagt: Gestalt geben durch den Geist und Denken sind dahingehend verschieden, dass irgendetwas drinnen zerstört wird. Er [sc. der Geist] aber hat in sich keine Zerstörung. Unterscheidung und Liebe sind nicht sein Sein, sondern das Sein von diesem, zu dem er gehört, insoweit es zu diesem gehört. Und deshalb werden wir uns nämlich, wenn dieser zerstört wird, nicht mehr erinnern und lieben.49 [446, 81] Themistios also sagt, dass seine [sc. des Aristoteles] Rede in jenem Traktat, in dem er gesagt hat: Der Geist scheint aber eine tatsächlich existierende Substanz zu sein und nicht zerstört zu werden,50 identisch ist mit dem Passus, in dem er das gesagt hat: Und wenn er abgetrennt worden ist, und das ist es allein, was er ist, ist er nicht sterblich, sondern ewig.51 Und was er hier gesagt hat: Und nicht erinnern wir uns, weil dieser Geist nicht leidensfähig ist, der leidensfähige Geist aber zerstörbar ist, und ohne ihn wird nichts gedacht,52 ist dasselbe wie das, was er dort gesagt hat, nämlich: Und Gestalt geben durch den Geist und Denken unterscheiden sich voneinander etc. Und er [sc. Theophrast] sagt, dass er [sc. Aristoteles] hier mit dem »leidensfähigen Geist« den begehrlichen Teil der Seele zeigen wollte. Dieser Teil scheint nämlich eine Art von Vernunft zu haben. Denn er hört auf das, worauf die vernünftige Seele hinblickt.

102 Theophrast · Text

16. 322A Albertus Magnus, De natura et origine animae II 16 (Opera omnia [Editio Coloniensis] t. XII p. 43, 7–18 et 40–56 Geyer) [43, 7] Theophrastus enim et omnes qui Aristotelis sequuntur

doctrinam, dicunt opus suum esse in conversione ad lumen intelligentiae et causae primae, ex quo fluunt ei formae intelligibiles lucidae et purae, in quibus continue speculatur bonitates intelligentiarum et causae primae. Est enim anima, ut dicunt, sub intelligentia, sicut natura est sub anima, et ideo sicut anima formas suas imprimit in naturam ita ut natura acta ab anima agat ad formam animae, ita intelligentia imprimit in animam sic, quod anima rationalis agit contemplando ad formam intelligentiae […] . [43, 40] Si […] dicat aliquis, quod non fit intellectus nisi per abstractionem, dicemus hoc verum esse, sed nos ponimus, quod potest fieri abstractio a re per intellectum sicut a phantasmate; [43, 44] Sed addimus, quod quamdiu intellectus est obumbratus corpore, indiget adiutorio sensus et imaginationis, eo quod intelligit cum continuo et tempore. [43, 47] Separatus autem et confortatus luce intellectorum, sicut diximus in antehabitis, per seipsum sufficit a rebus ipsis facere abstractionem. [43, 51] Et hunc modum intelligendi posuit Theophrastus, sed in hoc differt a nobis, quod ipse in anima non dixit esse nisi intellectum agentem, nos autem dicimus esse in anima et agentem et possibiliem, et formam abstractam per lucem agentis moveri ad possibilem sicut ad suum locum, in quo est ubique et semper.



Fragmente und Testimonien zu Aristoteles’ Geistlehre

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16. Der Geist und sein Verhältnis zum Licht (Albertus Magnus) (322A Fort.) 53 [43, 7] Theophrast nämlich und alle, die der Lehre des Aristote­

les folgen, sagen, dass das Werke des Geistes in der Hinwendung zum Licht der Intelligenz und der ersten Ursache bestehe, aus dem die denkbaren Formen klar und rein hervorfließen, in denen er beständig die Güter der Intelligenzen und der ersten Ursache betrachtet. Die Seele ist nämlich, wie sie sagen, unter der Intelligenz, wie die Natur unter der Seele ist, und wie daher die Seele ihre Formen in die Natur eindrückt, so dass die von der Seele (an-)getriebene Natur zur Form der Seele hintreibt, so drückt die Intelligenz in die Seele auf solche Weise ein, dass die vernunftbegabte Seele durch ihr Betrachten zur Form des Denkens (hin-)treibt. […]54 [43, 40] Wenn […] einer sagt, dass der Denkakt nur durch Absonderung geschieht, werden wir sagen, dass das wahr ist, aber wir legen zugrunde, dass die Absonderung von einer Sache durch den Geist wie von einem Vorstellungsgebilde geschehen kann. [43, 44] Aber wir fügen hinzu, dass, solange der Geist vom Körper umschattet ist, er der Hilfe der sinnlichen Wahrnehmung und der Vorstellungskraft bedarf, und zwar dadurch, dass er beständig und mit Zeit denkt. [43, 47] Wenn er aber abgetrennt und durch das Licht der Denk­objekte gestärkt ist, wie wir es in den Abschnitten vorher gesagt haben, reicht er durch sich selbst aus, die Abtrennung von den Dingen selbst zu machen. [43, 51] Und diese Art und Weise des Denkens (diese Auffassung) hat Theophrast vorgeschlagen, aber darin unterscheidet er sich von uns, dass er gesagt hat, dass es in der Seele nur den tätigen Geist gebe, wir aber sagen, dass es in der Seele sowohl den tätigen als auch den möglichen Geist gibt, und dass die abgetrennte Form durch das Licht des tätigen Geistes zum möglichen Geist hinbewegt wird wie zu ihrem eigenen Ort, in dem sie überall und immer ist.

104 Theophrast · Text

17. 322B Dionysius Cartusianus, Elementatio philosophica 45 (t. XXXIII p. 57aD et 59bB–C ed. anno 1896–1913) [57aD] Non est necesse hominem in omni actu intellectivo phantasma speculari… . [59bB] Hanc positionem Platonici sunt secuti,

itemque Peripatetici, qui dixerunt hominem in hoc statu separatas cognoscere posse substantias quoad quid, ut Avicenna, Algazel, Averroes, Alexander, [59bC] Avempote, Alphorabius, Abubather, Theophrastus, Themistius.

18. 323A Dionysius Cartusianus, De lumine Christianae theoriae I, 50 (t. XXXIII p. 292bB ed. anno 1896–1913) [292bB] Enimvero Alphorabius, Theophrastus, Avicenna et Al-

gazel animam dicunt formaliter et per speciem propriam intellectualem fore, et substantias separatas posse in hac vita contemplari. Sed quemadmodum dicunt eam a corpore separabilem et immortalem, sic prorsus ponere habuerunt finalem et plenam ipsius felicitatem in hac vita non esse statuendam, sed in ea potius in qua irreverberabiliter indefectibiliterque stabit ad illustrationem et contemplationem supermundanorum animorum conversa. Et hoc dicunt fuisse de mente Aristotelis.

19. 323B Dionysius Cartusianus, In Petri Lombardi Quattuor libros sententiarum I 1.3 (t.XIX p.116aA ed. anno 1896–1913) [116aA] Peripatetici communiter, Alphorabius, Alexander, Avem-

pote, Abubather, Theophrastus; Porphyrius quoque Plotinus, Avicebron, Apuleius Macrobiusque Platonici in intellectu beatitudinem hominum ac intelligentiarum ponunt.



Fragmente und Testimonien zu Aristoteles’ Geistlehre

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17. Geistiges Erkennen ohne Phantasma (Dionysius der Kartäuser) (322B Fort.) 55 [57aD] Es ist nicht notwendig, dass der Mensch bei jedem geistigen Akt ein Vorstellungsgebilde betrachtet […].56 [59bB] Dieser

Ansicht sind die Platoniker gefolgt, ebenso die Peripatetiker, die gesagt haben, dass der Mensch in diesem Zustand bis zu einem gewissen Punkt abgetrennte Substanzen erfassen kann, wie z. B. Avicenna, Algazel, Averroes, Alexander, [59bC] Avempote, Alphorabius, Abubacher, Theophrast57 und Themistios.

18. Prä- und postmortale Erkenntnis der abgetrennten Substanzen (Dionysius der Kartäuser) (323A Fort.) 58 [292bB] Es sagen nämlich Alphorabius, Theophrast, Avicenna

und Algazel, dass die Seele der Form nach und durch ihre eigentümliche Art geistig sein wird, und dass die abgetrennten Substanzen (bereits) in diesem Leben betrachtet werden können. Aber wie sie sagen, dass diese [sc. die Seele] vom Körper trennbar und unsterblich ist, so mussten sie sogleich annehmen, dass sie an der Grenze steht und voll von Glück ist, das nicht in diesem Leben zu verorten ist, sondern vielmehr in dem, in welchem sie unveränderlich und ohne Fehl stehen wird, hingewendet zur Erscheinung und Betrachtung der überweltlichen Seelen. Und sie sagen, das sei nach dem Sinn des Aristoteles.

19. Das Glück der vita contemplativa (Dionysius der Kartäuser) (323B Fort.) 59 [116aA] Die Peripatetiker alle zusammen, Alphorabius, Alexan-

der, Avempote, Abubacher, Theophrast, aber auch Porphyrius und Plotin, Avicebron, Apuleius, Macrobius und die Platoniker vertreten die Ansicht, dass im Geist das Glück der Menschen und der Denkobjekte liegt.

106 Theophrast · Text

20. 324 Ibn Rušd, Tafsīr Mā baʿda-ṭ-ṭabīʿa/Großer Kommentar zur Metaphysik XII, 3 1070a 25–27 (p. 1488, 7–9, 1489, 1–6 Bouyges)

‫ﻭﻫﺬﺍ ﺍﻟﻠﺬﻯ ﻗﺎﻟﻪ ﺍﻻﺳﻜﻨﺪﺭﻫﻮ ﺭﺃﻳﻪ ﻓﻰ ﺍﻟﻌﻘﻞ ﻭﻫﻮ ﺃ َﻧﻪ‬ ‫ﻟﻴﺲ ﻫﺎﻫﻮﻧﺎ ﻋﻘﻞ ﻳﺒﻘﻰ ﺇﻻ ﺍﻟﻌﻘﻞ ﺍﻟﻤﺘﺴﺐ ﺑﺄﺧﺮﺓ ﺍﻟﺬﻯ‬ ‫ﻳُﺴﻤﻰ ﺍﻟﻤﺴﺘﻔﺎﺩ ﻭﺃﻣﺎ ﺍﻟﻌﻘﻞ ﺍﻟﺬﻯ ﺑﺎﻟﻤﻠﻜﺔ ﻭﺍﻟﻌﻘﻞ ﺍﻟﻬﻴﻮﻻﻧﻰ‬ ... ‫ﻓﻜﻼﻫﻤﺎ ﻋﻨﺪﻩ ﻓﺎﺳﺪﺓ‬ ‫ﻭﻫﺬﺍ ﻟﻴﺲ ﻫﻮ ﻣﺬﻫﺐ ﺗﺎﻓﺮﺳﻄﺲ ﻭﻻ ﻣﻦ ﻗﺪﻣﺎء ﺍﻟﻤﺸﺎﺋﻴﻦ‬ ‫ﺍﻟﻤﻔﺴﺮﻳﻦ ﻛﺎﻧﻮﺍ ﻳﺮﻭﻥ‬ ‫ﻭﻻ ﻣﺬﻫﺐ ﺗﺎﻣﺴﻄﻴﻮﺱ ﺑﻞ ﺃﻛﺜﺮ‬ َ َ ‫ﺃﻥ ﺍﻟﻌﻘﻞ ﺍﻟﻬﻴﻮﻻﻧﻰ ﺑﺎﻕ‬ َ ‫ﻭﺃﻥ ﺍﻟﻌﻘﻞ ﺍﻟﻔ َﻌﺎﻝ ﺍﻟﻤﻔﺮﻕ ﻫﻮ‬ َ ‫ﺍﻟﻤﺮﻛﺐ ﻣﻦ ﺍﻟﻤﺎﺩﺓ‬ ‫ﻛﺎﻟﺼﻮﺭﺓ ﻓﻰ ﺍﻟﻌﻘﻞ ﺍﻟﻬﻴﻮﻻﻧﻰ ﺷﺒﻪ‬ ‫ﻭﺍﻟﺼﻮﺭﺓ ﻭﺃﻧﻪ ﺍﻟﺬﻯ ﻳﺨﻠﻖ ﺍﻟﻤﻌﻘﻮﻻﺕ ﻣﻦ ﺟﻬﺔ ﻭﻳﻘﺒﻠﻬﺎ ﻣﻦ‬ ‫ﺧﻬﺔ ﺃﻋﻨﻰ ﺃ َﻧﻪ ﻳﻔﻌﻠﻬﺎ ﻣﻦ ﺧﻬﺔ ﻣﺎ ﻫﻮ ﺻﻮﺭﺓ ﻭﻳﻘﺒﻠﻬﺎ ﻣﻦ‬ ‫ﺧﻬﺔ ﺍﻟﻌﻘﻞ ﺍﻟﻬﻴﻮﻻﻧﻰ ﻭﻧﺤﻦ ﻓﻘﺪ ﻓﺼﺤﻨﺎ ﻋﻦ ﺍﻟﻤﺬﻫﺒﻴﻦ ﻓﻰ‬ .‫ﻛﺘﺎﺏ ﺍﻟﻨﻔﺲ‬ 21. 325 Averroes, Commentarium magnum in Aristotelis De anima III 5 430a20–5 (Corpus Commentarium Averrois in Aristotelem t. VI 1 p. 452, 257–60 et 452, 265–453, 285 et 290–3 Crawford) [452, 257] Et debes scire quod nulla differentia est secundum

expositionem Themistii et antiquorum expositorum, et opinionem Platonis in hoc quod intellecta existentia in nobis sunt eterna, et quod addiscere est rememorari. […] [452, 265] Themistius autem dicit quod hoc, scilicet quod quandoque sunt copulata et quandoque non, accidit eis propter naturam recipientis. Opinatur enim quod intellectus agens non



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20. Der materielle Geist als Grundlage der Unsterblichkeit des Geistes (Ibn Rušd/Averroes) (324 Fort.) 60 Und das, was Alexander [von Aphrodisias] sagt, ist seine Meinung über den Geist. Diese besagt, dass es hier keinen Geist gibt, der fortbesteht [nach dem Tod], außer dem zuletzt erworbenen. Und dies ist der, der erworbener [Geist] genannt wird. Was aber den Geist betrifft, der habituell ist, und den materiellen Geist, so vergehen sie seiner Meinung nach. […] Aber dies ist nicht die Ansicht des Theophrast, und auch nicht die von anderen antiken Peripatetikern oder des Themistios. Vielmehr waren die meisten Ausleger der Meinung, dass der materielle Geist fortbesteht und dass der abgetrennte aktive Geist sich wie eine Form zum materiellen Geist verhält, so wie bei dem, was aus Materie und Form zusammengesetzt ist. Er soll [ihnen zufolge] derjenige sein, der die Denkobjekte in einer Weise erschafft und in einer Weise erwirbt, das heißt: Er bewirkt sie in der Weise, dass er Form ist, und er erwirbt sie in der Weise des materiellen Geistes. Wir selbst haben diese Meinungen im [Kommentar zum] Buch Über die Seele dargelegt. (Übersetzung: Matthias Perkams)

21. Ein Gegensatz zwischen Theophrast und Platon (Ibn Rušd/Averroes) (325 Fort.) 61 [452, 257] Und du solltest wissen, dass es keinen Unterschied zwi-

schen der Auffassung des Themistios62 und der alten Exegeten und der Meinung Platons in dem Punkt gibt, dass die in uns existierenden Denkobjekte ewig sind, und dass Lernen Wiedererinnern ist.63 […] [452, 265] Themistios aber sagt, dass sich das, nämlich, dass sie einmal miteinander verbunden sind und einmal nicht, ihnen wegen der Natur des Aufnehmenden ereignet. Er glaubt nämlich, dass der tätige Geist nicht als fest verbundener von Anfang an dauerhaft mit uns verbunden ist, es sei denn dahingehend,

108 Theophrast · Text

est innatus continuari nobiscum in primo nisi secundum quod tangit intellectum materialem. Et ideo accidit ei ex hoc modo diminutio ista, cum continuatio cum intentionibus ymaginationis est uno modo quasi receptio et alio modo quasi actio; et ideo intellecta sunt in eo in dispositione diversa a suo esse in intellectu agenti. Et fiducia [453] in intelligendo hanc opinionem est quod causa movens Aristotelem ad imponendum intellectum materialem esse non est quia est hic intellectum factum, sed causa in hoc est aut quia, cum fuerint inventa intellecta que sunt in nobis secundum dispositiones non convenientes intellectibus simplicibus, tunc fuit dictum quod iste intellectus qui est in nobis est compositus ex eo quod est in actu, scilicet intellectu agenti, et ex eo quod est in potentia; aut quia continuatio eius secundum hanc opinionem est similis generationi, et quasi assimilatur agenti et patienti, scilicet in sua continuatione cum intentionibus ymaginationis. Secundum igitur hanc opinionem agens et patiens et factum erunt idem, et est dictum ab istis tribus dispositionibus per diversitatem que accidit ei […]. [453, 290] Et secundum expositionem Themistii non indigetur in istis intellectis nisi ad ponendum intellectum materialem tantum, aut intellectum materialem et agentem secundum modum similitudinis; ubi enim non est vera generatio, non est agens.

22. 326A Thomas de Aquino, In Petri Lombardi secundum librum Sententiarum 17, 2, 1 (t. VI p. 534a3–34 ed. anno 1856) [534a3] Eorum autem qui ponunt unum intellectum possibilem

esse in omnibus duplex est opinio. Una est Themistii et The-



Fragmente und Testimonien zu Aristoteles’ Geistlehre

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dass er den materiellen Geist berührt. Und daher widerfährt dem tätigen Geist diese Verringerung (immer dann), wenn die Verbindung mit den Darstellungen der Vorstellungskraft einmal wie eine Aufnahme und ein andermal wie eine Tätigkeit ist. Und deshalb sind die Denkobjekte in diesem Geist in einem Zustand, der sich von ihrem Sein im tätigen Geist unterscheidet. Und dieser Meinung darf man Vertrauen [453] schenken, weil der Grund, der Aristoteles dazu gebracht hat, die Existenz eines materiellen Geistes anzunehmen, nicht der ist, dass das gemachte Denkobjekt hier ist, sondern der Grund liegt entweder darin dass, als man fand, dass die Denkobjekte, die in uns sind, in nicht mit den reinen Geisten zu vereinbarenden Zuständen sind, damals dann gesagt worden ist, dass dieser Geist, der in uns ist, zusammengesetzt ist aus dem, der in Tätigkeit ist, also dem tätigen Intellekt, und aus dem, der in Möglichkeit ist. Oder der Grund liegt darin, dass seine Verbindung, dieser Meinung zufolge, einer Erzeugung vergleichbar ist, und er gewissermaßen dem tätigen und dem erleidenden Geist angeglichen wird, d. h. also in seiner Verbindung mit den Darstellungen der Einbildungskraft. Dieser Meinung zufolge werden dann also der tätige, der erleidende und der gemachte Geist derselbe sein, und das sagt man aufgrund dieser drei Zuständlichkeiten wegen der Unterschiedlichkeit, die ihm widerfährt […]. [453, 290] Und nach der Darlegung des Themistios ist kein Mangel bei diesen Geisten, es sei denn, um einen materiellen Geist allein anzunehmen, oder den materiellen und tätigen Geist nach der Art eines Vergleiches. Wo nämlich eine wahre Zeugung ist, gibt es auch keinen tätigen Geist.

22. Eine von zwei Lesarten des einen, gemeinsamen Geistes (Thomas von Aquin) (326A Fort.) 64 [534a3] Die Meinung all derer aber, die annehmen, dass es ei-

nen einzigen möglichen Geist in allen Menschen gebe, ist eine zwiefache: Die eine ist die von Themistios und Theophrast, wie

110 Theophrast · Text

ophrasti, ut Commentator eis imponit in 3 De anima. Dicunt enim quod intellectus in habitu, qui est tertius, est unus in omnibus et aeternus, et est quasi compositus ex intellectu agente et possibili, ita quod intellectus agens est sicut forma eius, et per continuationem intellectus possibilis continuatur etiam in nobis intellectus agens; ita quod intellectus agens est de substantia intellectus speculativi, qui etiam dicitur intellectus in habitu per quem intelligimus. Et huiusmodi signum inducunt quia illa actio intellectus quae est in nostra potestate pertinet ad intellectum in habitu. Cum ergo abstrahere species a phantasmatibus sit in nostra potestate, oportet quod intellectus agens sit intellectus in habitu sicut forma eius. Et ad hanc positionem deducuntur qui ex demonstratione Aristotelis volunt habere quod intellectus possibilis sit unus in omnibus, quia non est hoc aliquid nec virtus in corpore; et per consequens quod sit aeternus. Et dicunt iterum, quod intellectus agens similiter sit aeternus et quod impossibile sit effectum esse generabilem et corruptibilem si agens et recipiens sit aeternum. Unde posuerunt quod species intellectae sunt aeternae; et ideo non contingit quod intellectus quandoque intelligat et quandoque non per hoc quod fiant novae species intelligibiles quae prius non fuerunt, sed ex coniunctione intellectus agentis cum possibili, secundum quod continuatur in nobis per impressionem suam.

23. 326B Thomas de Aquino, De unitate intellectus 265 (p. 89b10–18 Spiazzi) [89b10–18] Ergo patet quod Aristoteles et Theophrastus et The-

mistius et ipse Plato non habuerunt pro principio quod intellectus possibilis sit unus in omnibus. Patet etiam quod Averroes



Fragmente und Testimonien zu Aristoteles’ Geistlehre

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der Kommentator [sc. Averroes] sie ihnen im dritten Buch von ›Über die Seele‹ zuschreibt. Sie sagen nämlich, dass der Geist in Disposition, der der dritte ist, einer in allen und ewig ist, und dass er gewissermaßen zusammengesetzt ist aus dem tätigen und dem möglichen Geist, so dass der tätige Geist so etwas wie die Form dessen ist und durch die Verbindung mit dem möglichen Geist der tätige Geist auch mit uns verbunden ist. So ist also der tätige Geist von der Substanz des theoretischen Geistes, der auch der Geist in Disposition genannt wird, durch den wir denken. Und als Zeichen dieser Art geben sie an, dass jene Tätigkeit des Geistes, der in unserer Möglichkeit ist, sich auf den Geist in Disposition bezieht. Da es also in unserer Macht steht, die Formen von den Erscheinungen zu abstrahieren, muss der tätige Geist der Geist in Disposition sein, wie wenn er dessen Form wäre. Und zu dieser Annahme werden die veranlasst, die aus der Darlegung des Aristoteles haben wollen, dass der mögliche Geist einer in allen ist, weil er nicht dieses ›Etwas‹ oder eine Fähigkeit im Körper ist. Und daraus folgt, dass er auch ewig ist. Und sie sagen wiederum, dass der tätige Geist genauso ewig ist und dass es unmöglich ist, dass der bewirkte Geist erzeugbar und zerstörbar sei, wenn der tätige und der aufnehmende Geist ewig sind. Daher haben sie angenommen, dass die gedachten Formen ewig sind. Und daher geschieht es nicht, dass der Geist einmal denkt und einmal nicht, und zwar deswegen, weil neue denkbare Formen entstehen, die es vorher nicht gegeben hat, sondern aufgrund der Verbindung des tätigen mit dem möglichen Geist, gemäß dem er mit uns durch seinen eigenen Abdruck verbunden ist.

23. Der eine, gemeinsame Geist ist nicht der in Möglichkeit befindliche (Thomas von Aquin) (326B Fort.) 65 [89b10–18] Es ist also klar, dass Aristoteles und Theophrast und

Themistios und Platon selbst es nicht für ein Prinzip gehalten haben, dass der mögliche Geist ein einziger in allen Menschen

112 Theophrast · Text

perverse refert sententiam Themistii et Theophrasti de intellectu possibili et agente. Unde merito supra diximus eum philosophiae Peripateticae perversorem.

24. 3 27 Radulphus Brito, Quaestiones in Aristotelis librum III De anima 1 (p. 95, 162–7 Fauser) [95, 162] Opinio Themistii et etiam Theophrasti fuit quod esset

intellectus agens, qui est perfectio intellectus possibilis, et est tertius intellectus, qui dicitur intellectus adeptus. Sed de distinctione istius intellectus, quomodo est unus et quomodo est plures, dicunt quod intellectus illustrans est unus et intellectus illustrati sunt plures. Et quomodo ista verba intelligantur, postea apparebit.



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ist. Es ist auch klar, dass Averroes die Meinung des Themistios und des Theophrast über den möglichen und tätigen Geist gerade andersherum berichtet. Von daher haben wir oben ganz zu recht gesagt, dass dieser [sc. Averroes] ein Verdreher der peripatetischen Philosophie ist.

24. Ein allgemeines Referat (Radulphus Brito) (237 Fort.) 66 [95, 162] Die Meinung von Themistios und auch Theophrast ist

die gewesen, dass es den tätigen Geist gibt, der die Vollendung des möglichen Geistes ist, und den dritten Geist, der der hinzuerworbene Geist genannt wird. Aber hinsichtlich der Unterscheidung dieses Geistes, wie er nur einer und wie er zugleich mehrere sein kann, sagen sie, dass der erhellende Geist ein einziger ist und dass die erhellten Geiste mehrere sind. Und wie diese Worte verstanden werden müssen, wird später offensichtlich werden.

2. ALEX ANDER VON APHRODISIAS Über die Seele Eingeleitet, übersetzt und erläutert von Hubertus Busche

A  

lexander von Aphrodisias gilt als »der mit Abstand bedeutendste und einflussreichste unter den peripatetischen Kommentatoren und Verteidigern des Aristoteles«.1 Er bildet nicht nur den Auftakt in der Geschichte der großen antiken Kommentare zur aristotelischen Geistlehre, sondern ist auch die Autorität, mit der sich fast alle späteren Kommentatoren teils zustimmend, teils ablehnend auseinandersetzen. Alexander tritt als Verfasser von gleich drei Schriften zum Geist hervor.

1. Alexanders Schriften zum Geist Erstens ist Alexander mit Sicherheit der Verfasser einer umfangreichen Schrift Über die Seele (Περὶ ψυχῆς, De anima), die in den Handschriften oft als Erstes Buch über die Seele bezeichnet wird. Obwohl diese Schrift literarisch den Eindruck größerer Selbständigkeit erweckt, hält sie sich der Intention nach stark an die Seelenlehre des Aristoteles, die sie interpretieren will. Möglicherweise hat Alexander hier eine Art Kurzfassung seines heute verschollenen, aber von antiken Interpreten – insbesondere von Philoponos und Pseudo-Simplikios (Priskian) – recht häufig herangezogenen Kommentars zu Aristoteles’ De anima zusammengestellt.2 Da sich die Schrift durchgängig an  So Gigon in seiner Einführung zu Papadis 1991, S. 20.  Accattino/Donini (Hg.) 1996, S. VII–VIII; ähnlich schon Moraux 1942, S. 21. 1 2

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Alexander von Aphrodisias · Einleitung

den Aufbau der Vorlesung des Aristoteles über die Seele hält, liefert sie im dritten Teil eine Auslegung der aristotelischen Lehre vom Geist (νοῦς). Über die Seele zählt zu den anspruchsvollsten und von den späteren Exegeten am meisten konsultierten Interpretationen zu Aristoteles überhaupt. Zweitens ist Alexander (oder einer seiner Schüler) wahrscheinlich auch der Autor einer Abhandlung Über den Geist (Περὶ νοῦ, De intellectu). Sie findet sich in einer Sammlung diverser dem Alexander zugeschriebener Diskussionen, die in den Handschriften unter dem Titel Zweites Buch über die Seele läuft und seit der ersten kritischen Edition 1887 auch den Beinamen Mantissa (Zugabe) trägt; sie stellt ebenfalls eine kommentierende Interpretation der aristotelischen Geistlehre dar. Darüber hinaus hat Alexander, neben kürzeren Traktaten über Kontroverspunkte zur Seelenlehre,3 noch eine dritte Schrift über die Seele verfasst. Von dieser sind jedoch nur noch Fragmente erhalten, die nicht den Geist betreffen.4 Aufgrund seiner wahrscheinlich zweifachen Autorschaft erhaltener Schriften zum Geist ist Alexander, ähnlich wie Priskian (s. u. Kapitel 6 u. 7), in der vorliegenden Edition gleich zweimal vertreten. Dass hierbei der Text aus De anima als erster präsentiert wird, obwohl mutmaßlich gerade De intellectu die frühere Schrift darstellt, rechtfertigt sich dadurch, dass De anima sicherlich, De intellectu nur wahrscheinlich ein authentisches Werk Alexanders ist. Da die Lehren beider Schriften nämlich in einigen Punkten voneinander abweichen, hat man früher die Echtheit von De intellectu in Zweifel gezogen.5 Um Wiederholungen zu vermeiden, setzen die beiden Einleitungen in Alexanders zwei Schriften unterschiedliche Schwerpunkte: Die hier vorliegende Einleitung informiert zunächst  Sie sind zu finden in der Alexander-Ausgabe von Bruns 1892, S. 21 f., S. 46 f., S. 54 f., S. 59, S. 74–79, S. 81–86, S. 89–98. 4  Sie finden sich in der Ausgabe Bruns 1887, S. 101–106. Und sie handeln insbesondere vom Wesen der Seele als erster Entelechie eines organischen Körpers gemäß Aristoteles, an. II 1. 5  Vgl. die Einleitung zu Kap. 3 (S. 196–199). 3



Über die Seele

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über Alexanders Leben und Werk und gibt dann einen Überblick über den Kontext, die Terminologie und die Hauptthesen des Geistkapitels von Über die Seele. Dagegen erläutert Joachim Söders Einleitung in Über den Geist Status und Aufbau dieser Schrift, diskutiert die Echtheitsfrage und gibt nach einer Skizze ihrer Hauptgedanken einen Abriss zur Rezeptions- und Wirkungsgeschichte.

2. Leben und Werk Über Alexanders Leben wissen wir sehr wenig. Er wurde vermutlich zwischen 140 und 160 n. Chr. in Aphrodisias, einer Stadt im südwestlichen Teil Kleinasiens, im heutigen türkischen Karien, geboren. Seine Lehrer waren Peripatetiker der frühen Kaiserzeit. Begünstigt durch eine undeutliche Aussage Alexanders in 110, 4 (s. u. S. 220 f.) herrschte in der älteren Forschung die von Zeller geprägte Meinung vor, dass einer seiner Lehrer Aristokles von Messene gewesen sei, der stoisch und platonisch inspiriert war und eine zehn Bücher umfassende Geschichte der philosophischen Systeme verfasste. Die neuere Forschung seit Moraux nimmt dagegen an, dass es sich bei diesem Lehrer um den Peripatetiker Aristoteles von Mytilene handelt.6 Unzweifelhaft ist dagegen, dass Alexander zwei weitere Lehrer hatte: Herminos, der die zum Organon gehörenden Schriften des Aristoteles auslegte und einen vielzitierten Kommentar zu den Kategorien verfasste, und Sosigenes, den Peripatetiker, der die von Eudoxos von Knidos aufgestellte Theorie der konzentrischen Kugelschalen des Kosmos (die auch Aristoteles zugrunde legte) einer Kritik unterzog.7  Eine Zusammenfassung des Forschungsstreites gibt Anm. 25 in den Erläuterungen zu Text 3, S. 874–876. 7  »The other two teachers of Alexander may actually have been the philosophers whom ancient sources called Stoics; in both cases, Herminos/ Sosigenes ›the Stoic‹ have been distinguished from Herminos/Sosigenes ›the Peripatetic‹ only on the grounds that the two latter men were teachers 6

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Alexander von Aphrodisias · Einleitung

Über Alexanders mittlere Jahre wissen wir fast gar nichts. Die Fähigkeiten seines ebenso tief wie weit reichenden Geistes müssen die von 198 bis 209 gemeinsam regierenden Kaiser Severinius Severus und Caracalla, Vater und Sohn, so stark beeindruckt haben, dass sie Alexander im Jahre 198 auf einen Stiftungslehrstuhl in Athen beriefen, für den er sich in seiner Widmung zu De fato bedankt.8 Ein Vierteljahrhundert zuvor hatte Mark Aurel in Athen vier Lehrstühle eingerichtet, welche die vier klassischen Schulen der griechischen Philosophie repräsentieren sollten: Platonismus, Aristotelismus, Stoizismus und Epikureismus. Es ist also naheliegend, wenn auch nicht gesichert, dass Alexander die Professur für aristotelische Philosophie innehatte, mit der auch die Leitung der peripatetischen Schule im athenischen Lykeion verbunden war. Auch über die letzten Lebensjahre und den Tod des Alexander haben wir keine Nachrichten. Alexanders wissenschaftliches Werk zeugt von großer Vielseitigkeit und enormer Produktivität.9 Es lässt sich in zwei Gruppen einteilen, zum einen in die selbständigen Schriften, die allerdings auch nicht mehr zu leisten beanspruchen als Verteidigungen der aristotelischen Lehre, zum anderen in die direkten Kommentare zu aristotelischen Schriften. Von den selbständigen Schriften sind uns nur wenige erhalten: die oben erwähnte Schrift Über die Seele (Περὶ ψυχῆς), deren Kapitel III 4–5 im Anschluss übersetzt werden; ferner Über das Schicksal (Περὶ εἱμαρμένης), Über Mischung (Περὶ κράσεως καὶ αὐξήσεως) und die Problemata ethica. Darüber hinaus sind arabische Übersetzungen überliefert, die unter Alexanders Namen laufen und nur teilweise von erhaltenen griechischen Vorlagen stammen. of Alexander of Aphrodisias. But it is not improbable that Alexander of Aphrodisias studied with two Stoic teachers and that these two pairs of homonymous contemporaries are actually only two Stoic philosophers.« (Lynch 1972, S. 215.) 8  Alexander, fat. 164, 4–15 Bruns. 9  Die derzeit besten Überblicke über Alexanders Werk geben Sharples 1987 und Moraux 2001.



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Zu ihnen zählen etwa De principiis, deren Echtheit allerdings bezweifelt wird, De differentiis und Über die Vorsehung, aber auch Quaestiones naturales.10 Der Schwerpunkt von Alexanders Tätigkeit lag jedoch auf seinen umfassenden Kommentaren zu den logischen, naturwissenschaftlichen und metaphysischen Lehrschriften des Aristoteles. Auch von diesem umfangreichen Kommentarwerk ist das meiste verloren. Erhalten geblieben sind uns nur die Kommentare zu folgenden Schriften des Aristoteles: Analytica priora I; Topica; De sensu; Meteorologica sowie Metaphysica.11 Einhellig gelten als unecht die Erläuterungen zu De sophisticis elenchis. Zum Verschollenen gehören dagegen die bei späteren Interpreten häufig zitierten Auslegungen zu folgenden Schriften des Aristoteles: Categoriae;12 De interpretatione; Analytica priora II; Analytica posteriora; Physica; De caelo; De generatione et corruptione; ferner der eingangs erwähnte Kommentar zu De anima sowie Erklärungen zu einigen Texten der Parva naturalia. Die gelegentlich auftauchende Behauptung, dass Alexander zudem auch Kommentare zur Ethik, Rhetorik und Poetik verfasst habe, scheint ebenso wenig begründet, wie dass er außer Aristoteles auch andere Philosophen kommentiert habe.13 Durch die Kommentare des Alexander wurde die Interpretation des Corpus Aristotelicum auf ein ganz neues Niveau gehoben. Sie legten dessen einzelne Schriften mit großer philosophischer Problembewusstheit aus, zogen mit philologischer  Eine Auflistung aller dieser arabischen Alexandrinica gibt Dietrich 1964, S. 85–148, hier S. 93–100; vgl. jetzt auch Perkams 2013, S. 136 f. mit Angabe aktueller Referenzliteratur. 11  Vom Metaphysik-Kommentar sind allerdings als echt einzustufen nur die Bücher I–V; dagegen stammen die Bücher VI–XIV wohl von Michael von Ephesus, 12. Jh. n. Chr. 12  Allerdings scheint dieser Kommentar vor kurzem wiedergefunden worden zu sein; er ist vermutlich identisch mit jenem Kommentar, den man im April 2007 neu im berühmten Archimedes-Palimpsest entdeckt hat. 13  Diese Richtigstellung findet sich schon bei Zeller 1923, S. 820, Anm. zu S. 819, neuerdings bei Sharples 1987, S. 1186. 10

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Genauigkeit unterschiedliche Manuskripte heran, gaben an schwierigen Textstellen ausführliche Paraphrasen und verdeutlichten schließlich die aristotelische Lehrmeinung durch eine umsichtige Kontrastierung mit den Lehren anderer Schulen, insbesondere durch Abgrenzung gegen die platonischen und stoischen Autoritäten. Aufgrund dieser Verdienste um die Rekonstruktion der authentischen Lehre des Aristoteles erhielt Alexander bei späteren Exegeten den Ehrentitel »der Kommentator (ὁ ἐξηγητής)« – der allerdings später im lateinischen Mittelalter auf Averroes überging – und sogar den Ruhmestitel »der zweite Aristoteles«.14

3. Alexanders Interessen als Kommentator Fragt man, was das Charakteristische jener Art ausmacht, wie Alexander den Meister aus Stageira interpretiert, so muss man sich vor Augen halten, dass Alexander der letzte große jener Kommentatoren aus der genuinen Schule des Aristoteles ist, deren Reihe mit Andronikos von Rhodos begann. Er war »der letzte namhafte Lehrer aus der peripatetischen Schule, der uns bekannt ist«, welcher in seiner »ganzen Weltsicht der peripatetischen Lehre gefolgt« ist, bevor sich diese »seit der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts […] in die neuplatonische verloren zu haben« scheint.15 Mit dieser relativen Schlussposition verbindet sich ein Charakteristikum, das ihn sowohl von seinen aristotelischen Vorgängern als auch von den nachfolgenden Neuplatonikern unterscheidet. Während seine peripatetischen Vorgänger nämlich noch wenig Grund hatten, das genuin Aris Die Belegstellen finden sich bei Sharples 1987, S. 1179, Anm. 23. Allerdings wird der bei Syrian und David (Elias) zu findende Titel »Der zweite Aristoteles«, der seit Zeller 1923, S. 807 u. S. 818, Anm. 1, für Alexander reklamiert wurde, von Moraux 1967 vielmehr auf Aristoteles von Mytilene bezogen. 15  Zeller 1923, S. 830 f.; ähnlich Sharples 1987, S. 1179: »He is the last ancient commentator to write as an Aristotelian rather than a Platonist«. 14



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totelische gegen spätere Verfälschungen seiner Lehrmeinungen abzugrenzen, da ihre Deutungen noch nicht so stark durch das Prisma der hellenistischen Lehrtraditionen gebrochen schienen, waren die späteren neuplatonisch beeinflussten Kommentatoren umgekehrt darum bemüht, die Gemeinsamkeiten zwischen Platon und Aristoteles entweder zu betonen oder sogar zu konstruieren, weshalb sie weder Sinn noch Interesse für das spezifisch Aristotelische zeigten. Demgegenüber verfolgte Alexander, beunruhigt durch die synkretistischen Interpretationen und Vereinnahmungen der aristotelischen Lehre, hauptsächlich das Ziel, durch exakte Kommentierung der Schriften des Meisters dessen ursprüngliche Lehre gegen alle späteren Verfälschungen und Vermischungen mit unaristotelischen Strömungen in ihrer Reinheit wiederherzustellen und systematisch zu vereinheitlichen. »Alexander has a significant place in the history of philosophy because of his endeavor to restore the purity of Aristotle’s teachings.«16 Diesem Purismus entsprach das exegetische Prinzip der immanenten Interpretation, d. h. »Aristoteles durch Aristoteles zu erläutern« und durch nichts anderes.17 Ob Alexander freilich dieses selbstgesteckte Ziel, die authentische Lehre des Aristoteles von ihren interpretatorischen Verunreinigungen abzuscheiden und sie in ein kohärentes System zu verwandeln, wirklich gelungen ist, muss man stark bezweifeln. Es scheint vielmehr der Fall von tragischer Ironie vorzuliegen, dass ausgerechnet Alexanders um Konservativismus bemühte Deutung der aristotelischen Geistlehre derart viel Platonisches in Aristoteles hineinprojiziert, dass gerade mit ihr die historische Verdunklung der aristotelischen Geistlehre ihren Anfang nimmt. Doch es war immerhin Alexanders Wille zur Rekonstruktion des unverfälschten Systems, das seinen Kommentaren eine bis dahin unbekannte philologische und doxographische Exaktheit verlieh, wenn auch verbunden mit einer »tendance à l’orthodoxie«,  Fotinis 1980, S. 156.  Vgl. Moraux 1942, S. XVI.

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die zu einer »allure d’objectivité« führte, welche einzigartig abstach von der interpretatorischen Nonchalance so mancher Neuplatoniker und jüdischer wie christlicher Exegeten.18

4. Alexanders Schrift De anima und ihre Geistlehre »Die Größe und Beständigkeit seines Ruhmes verdankt Alexander zweifellos seiner Lehre von der Seele und von der Vernunft. Jahrhunderte lang, bei den Griechen, bei den Arabern, in der Scholastik des westlichen Mittelalters und sogar in der italienischen Renaissance, war sein Name mit besonderen Thesen über die menschliche Vernunft verbunden. Durch den starken Einfluss, den sie auf spätere Denker ausübten, sowie auch durch die leidenschaftliche Polemik, die sie oft hervorriefen, stellen diese seine Lehrmeinungen einen der interessantesten und geistesgeschichtlich wichtigsten Aspekte seiner Philosophie dar.«19 Das »berühmteste Kapitel von Alexanders Traktat De anima«, das vom Geist handelt, rief seit der Antike »ebensoviel Bestürzung wie Bewunderung« hervor und erweckte jedenfalls »immer Erstaunen«.20 Worin bestehen Alexanders einflussreiche und erstaunliche Thesen? Es empfiehlt sich, zur Orientierung einen allgemeinen systematischen Überblick über Alexanders Hauptthesen zum Geist zu geben, bevor in diesem und im nächsten Kapitel die beiden Texte, in denen Alexander seine Interpretation des Geistes darlegt, zweisprachig präsentiert und durch zahlreiche Anmerkungen erläutert werden. Zunächst zur Lehre in De anima. Im Vorwort zu De anima erklärt Alexander es zum Ziel seiner Schrift, dasjenige, was Aristoteles – der Philosoph, dessen  Moraux 1942, S. XVI.  Moraux 2001, S. 317. 20  »La plus célèbre section du traité De l’âme d’Alexandre est celle qui porte sur l’intellect. Depuis l’Antiquité, elle suscite tantôt la consternation, tantôt l’admiration, mais elle provoque toujours l’étonnement.« (Bergeron/Dufour 2008, S. 48) 18 19



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Ansichten überall zutreffender seien als die der anderen Denker – über die Seele geschrieben hat, »verständlich darzulegen, soweit dies möglich ist, und bei jedem seiner vortrefflich erörterten Gedanken geeignete Erklärungen an die Hand zu geben« (2, 4–9).21 Hierfür verzichtet er auf spezielle Erörterungen der »vielen Fragen und Probleme« hinsichtlich der einzelnen Seelenkräfte, weil dies nur Umfang und Komplexitätsgrad seiner Darlegung monströs machen und sein Ziel behindern würde, »die Natur der Seele verständlich darzulegen« (30, 20–26). Für dieses Ziel hält sich Alexander, abgesehen von einer größeren Ausnahme,22 an den Aufbau der aristotelischen Pragmatie über die Seele: Er legt zunächst allgemein die Natur, Definition und Teile der Seele dar (2–26), wobei er bereits das gedankliche Erfassen (νοεῖν) als die »ureigenste Leistung« der Seele bewertet (23, 2 f.). Im Anschluss klärt er der Reihe nach die »wichtigsten« (92, 12 f.) Vermögen und Leistungen auf der Stufenleiter der drei Seelen, von denen die je höheren Vermögen nicht ohne die unteren arbeiten können (30, 3 f.). Während die schon bei den Pflanzen tätige Nährseele am kürzesten behandelt wird (31, 7–38, 12), nimmt die Erörterung der den Tieren eigentümlichen Sinnenseele, zu der sowohl Wahrnehmung als auch Vorstellungskraft gehört, am meisten Platz ein (38, 13–80, 15). Im Vergleich hierzu wird die spezifisch menschliche Geistseele, die am Göttlichen partizipiert, (wie schon bei Aristoteles selbst) eher skizzenhaft behandelt, und diese Skizze (80, 16–91, 6) wird in unserem nachfolgenden Text präsentiert. Alexander beschließt seine Schrift mit einer Auslegung der These des Aristoteles, dass »die Seele in gewisser Weise alle Dinge ist« (91, 7–92, 11),  Die folgenden Ziffern in runden Klammern nennen stets Seite und Zeile(n) in der von Bruns herausgegebenen Standardedition. 22  Sie besteht darin, dass er die Erläuterungen zum Zusammenhang zwischen Begehren, Streben, Überlegung, Handeln und Ortsbewegung, die Aristoteles erst hinter seiner Skizze zur Geistlehre plaziert (an. III 9–12), umgekehrt dieser vorausschickt, indem er jene Problematik zwischen die Behandlung der Vorstellungskraft und des Geistes einschiebt (73, 12–80, 15). 21

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sowie mit einem selbständigen Versuch, die bei Aristoteles nur angedeutete »Ordnung der Seelenkräfte« (92, 15) und deren Lokalisierung in bestimmten Arealen des Leibes zu klären (92, 12–100, 17). Dass Alexander hierbei auch nach dem Sitz des von den Stoikern so genannten ἡγεμονικόν fragt, d. h. jenes leitenden psychischen Vermögens, das Denk- und Willenskraft vereinigt – eines Vermögens, das Aristoteles terminologisch noch nicht kennt, zeigt bereits, dass außeraristotelische Deutungsperspektiven mit in die Interpretation eingehen. Liest man Alexanders De anima ganz, so könnte man fast den Eindruck bekommen, dass die Lehre vom Geist in ihr ein Fremdkörper sei. Denn sowohl die ersten acht Zehntel, die von der Seele überhaupt und von ihren vegetativen und sensitiven Kräften handeln, als auch das letzte Zehntel zur Lokalisierung der Seelenvermögen argumentieren streng physikalisch (im aristotelischen Sinne), formulieren die Zusammenhänge klar und deutlich und bleiben mit wenigen Ausnahmen der Lehre des Meisters erstaunlich treu. Nur das neunte Zehntel über den Geist wirkt partiell derart dunkel und eigentümlich unaristotelisch, dass man fast einen anderen Verfasser vermuten möchte. In der Forschung hat man diese Spannung nicht selten auf die Schlagworte von »Naturalismus« oder sogar »Materialismus«23 einerseits, »Mystizismus« andererseits gebracht.24 In der Tat bricht diese Geistlehre völlig mit jenem naturphilosophischen Argumentationstyp, dessen sich sowohl die aristotelische Seelenschrift als auch Alexanders sonstige eigene Schriften zur Natur bedienen. Alexander beraubt vielmehr die Noetik des  Schon Zeller 1923, S. 830, sprach vom »Naturalismus des Philosophen [Alexander], welcher sich in seiner Erklärung des Seelenlebens dem stoischen Materialismus und in seiner ganzen Weltansicht dem Standpunkt Stratos [von Lampsakos] des Physikers annähert«. Ähnlich Moraux 1942, S. 10 u. S. 94: »Il [Alexander] laisse percer […] un matérialisme invétéré«. Freilich: »Il est surprenant de trouver dans l’oeuvre du matérialiste Alexandre une doctrine de l’immortalité fondée dur une sorte d’union mystique de l’homme à la Divinité«. Kritik erfuhr diese Zuschreibung eines materialistischen Standpunktes v. a. durch Thillet 1981. 24  So insbesondere Movia 1970, S. 66–77: »Alexander mysticus«. 23



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Aristoteles gerade ihrer naturphilosophischen Dimension und bringt sie stattdessen ausschließlich unter eine teils entwicklungspsychologische Perspektive, die ganz um an. III 4, 429b5–9 kreist, teils unter eine rein metaphysische Perspektive, die den zentralen Passus von an. III 5, 430a10–15 von allen natürlichen Größen isoliert. Aristoteles selbst hatte hier gerade um der natürlichen Erklärbarkeit willen zwei komplementäre Komponenten hypothetisch einführt. Um die Prozesse der intellektuellen Erkenntnis (νόησις) nach dem Muster der Prozesse der sinnlichen Erkenntnis (αἴσθησις) auf natürliche Faktoren (Strukturen und Bewegungen von Körpern) zurückführen zu können, hatte er postuliert, dass es einerseits einen Geist geben müsse, der bei den Denkprozessen »alles erzeugt« – Spätere nannten das den wirkenden Geist (νοῦς ποιητικός) –, sofern er als das formende, aktive Prinzip zur Erzeugung intellektueller Prozesse fungiert, und dass es andererseits einen von Aristoteles selbst so genannten leidenden Geist (παθητικὸς νοῦς) geben müsse, der das passive Prinzip abgibt und folglich die vom wirkenden Geist beim Denken erzeugten Formen ähnlich rezipiert, wie eine Wachstafel die Schriftzeichen eines Schreibinstrumentes aufnimmt. Dieses bei Aristoteles grundsätzlich klare, wenn auch in seinen konkreten Zusammenhängen nur angedeutete und deshalb kontrovers ausdeutbare Schema zweier komplementärer naturaler Kausalfaktoren bleibt bei Alexander außen vor. Er versteht nämlich erstens den wirkenden Geist gerade nicht als eine natürliche Größe; zweitens zieht er auch den leidenden Geist nicht als ein körperbezogenes Rezeptakulum zur Erklärung heran, wie es etwa die Thomisten später taten, indem sie – hier in Übereinstimmung mit neuplatonischen Kommentatoren wie Proklos und Philoponos – den leidenden Geist mit dem leiblichen Phantasievermögen (φανταστικόν) gleichsetzten.25 Weil hier folglich ein klarer Zusammenhang zwischen beiden Faktoren fehlt, verwundert es nicht, dass Alexanders Auffas Eine kurze Darstellung gibt Mager 1934, S. 263–274; Mager hält die Deutung allerdings für falsch. 25

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sung des Geistes von den späteren Kommentatoren nicht nur sehr unterschiedlich interpretiert und beurteilt wurde, sondern wohl auch allererst Probleme erzeugt hat, die ohne seine Theorie gar nicht aufgetreten wären. Alexander macht zum einen aus Aristoteles’ wirkendem Geist eine metaphysische Größe, indem er ihn zu einer reinen, separaten Form erklärt und direkt mit dem göttlichen Geist des ersten unbewegten Bewegenden von Metaphysik XII gleichsetzt. Diese unmittelbare Identifizierung des intellectus agens mit Gott ist denn auch ein unisono konstatiertes Hauptmerkmal der Alexander’schen Noetik.26 Sie wurde schon in der Spätantike, jedoch nur von wenigen, als eine Verfälschung des Aristoteles kritisiert.27 Zum anderen aber macht Alexander terminologisch auch um den leidenden Geist einen großen Bogen, als ob er glaubte, durch dessen Auslassung gewisse Probleme der Aristotelesexegese umgehen zu können; nur schwach lässt er durchscheinen, dass er diesen rezeptiven Geist mit dem von ihm so genannten materiellen oder zugrunde liegenden Geist gleichsetzt, den er jedoch gerade nicht als eine stoffliche Größe geltend macht.28  »For it was Alexander who clearly transformed the intellect into the divine intellect« (Fotinis 1980, S. 157). »Der charakteristische Aspekt der alexandrischen Noetik ist zweifellos die Identifizierung des [in an. III 5] erörterten ›aktuellen Intellekts‹ mit Gott«. Alexander neigt »dazu, sämtliche Erwähnungen von der Substanzialität des Nus, seiner Trennbarkeit, seiner göttlichen Natur und seiner Ewigkeit auf Gott selbst zu beziehen« (Moraux 2001, S. 350). Ähnlich Movia 1970, S. 71 f. 27  So insbesondere Plutarch von Athen († um 432), Scholarch der Platonischen Akademie, in seinem verschollenen, aber damals in hohem Ansehen stehenden Kommentar zu Aristoteles’ De anima: Indem Alexander die »vernunftbegabte Seele (λογικὴ ψυχή)« mit dem »göttlichen Geist (θεῖος νοῦς)« amalgamiere, verfälsche er Aristoteles’ psychologische Lehre zu einer metaphysischen (referiert bei Stephanos (›Philoponos‹), in an. 536, 2; 541, 20; 518, 19ff.); vgl. Beutler 1951, Sp. 964 f. 28  Dass der Ausdruck »παθητικὸς νοῦς« in Alexanders De anima nicht ein einziges Mal fällt, ist unbestreitbar; in welcher Hinsicht aber Alexanders »materieller Geist« sich der Sache nach auf den leidenden Geist des Aristoteles bezieht, ist umstritten. 26



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Dass durch eine solche entnatürlichende Deutung gerade die realen Kausalfaktoren in Aristoteles’ Geistlehre preisgegeben und durch neu eingeführte, abstrakte Prinzipien ersetzt werden, die naturphilosophische Argumentation des Meisters also gewissermaßen von den Füßen auf den Kopf gestellt wird, ist der erste Grund für die Schwierigkeiten, diese ganze Noetik zu verstehen. Will man einem so brillanten empirischen Naturforscher wie Alexander29 nicht unterstellen, dass er eine derartig immaterialisierte Lehre vom Geist überhaupt als eine erklärende Theorie habe verstehen wollen (als eine solche würde sie zweifellos obscurum per obscurius erklären), so muss man seine Noetik in De anima wohl eher für eine beschreibende Skizze von Zusammenhängen auffassen, die Alexander anderenorts eingehender erörtert hat oder erörtern wollte. Ein zweiter Grund für Verstehensprobleme, die der unvertraute Leser mit unserem Text haben dürfte, besteht in den tatsächlich »vielen Bezeichnungen«, die Alexander für verschiedene Arten des Geistes prägt und die zumindest bei erster Lektüre »oft verwirrend« sind.30 Der erste Eindruck, als hätte Alexanders Theorie einen besonders üppigen Bart wildwuchernder Prinzipien, der das Rasiermesser Ockhams umso nötiger hätte, verschwindet allerdings, wenn man die stringente Architektonik erkennt, die Alexanders filigraner Verwendung von rund 15 Termini für unterschiedliche Aspekte des Geistes zugrunde liegt. Nichtsdestoweniger bleibt unleugbar, dass Alexanders neue und üppige Terminologie das Konfusionspotential für die späteren Kommentatoren des Kommentators unglücklich vermehrt hat. Das nachfolgende Schema gibt eine systematische Gliederung aller Ausdrücke (mit den wichtigsten Belegstellen), die Alexander terminologisch zur Kennzeichnung unter Es scheint an dieser Stelle sinnvoll, hier etwa an das Verdienst des Naturforschers Alexander zu erinnern, beim Regenbogen jene durch die Lichtstrahlenablenkung erzeugte dunkle Region zwischen dem Hauptbogen und dem Nebenbogen entdeckt zu haben, die nach ihm als »Alexanders (dunkles) Band« bezeichnet wird. 30  Papadis 1991, S. 332. 29

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schiedlicher Faktoren des Geistes verwendet und von denen viele durch spätere Kommentatoren übernommen wurden. Das Schema zeigt, dass Alexanders Exegese insgesamt drei Gruppen von Vokabularen enthält, die im Gang seiner Darlegung auch nacheinander auftreten. Die anschließende Erläuterung dieser Grundbegriffe soll zunächst einen allgemeinen Überblick und Leitfaden der Orientierung an die Hand geben, während später die Anmerkungen zum Text Hilfe bei speziellen Fragen bieten. I. Ausübungsformen des Geistes

1. praktischer Geist

2. theoretischer Geist



(πρακτικὸς νοῦς) (81, 10 u. 20)

(θεωρητικὸς νοῦς)  (81, 12 u. 22)

a . meinender Geist (δοξαστικὸς νοῦς)   (81, 10)

b. sich beratender Geist (βουλευτικὸς νοῦς) (81, 10)

auch wissenschaftlicher Geist (ἐπιστημονικὸς νοῦς) (81, 12)

II. Entwicklungsstufen des Geistes

3. verwirklichter Geist



  (νοῦς κατ᾽ ἐνέργειαν) (86, 5)



2. habitueller Geist



  (καθ᾽ ἕξιν νοῦς) (86, 5)   (νοῦς ὡς ἕξις) (85, 11)  = erworbener Geist   (ἐπίκτητος νοῦς) (82, 1)



a. gemeiner Geist [b. vollendeter Geist]   (κοινὸς νοῦς) (82, 14)

1. in Möglichkeit befindlicher Geist   (δυνάμει νοῦς) (81, 23)   = materieller Geist (81, 24)    (ὑλικὸς νοῦς)   = natürlicher Geist (81, 26; 85, 10)    (φυσικὸς νοῦς)   = zugrunde liegender Geist (90, 14)    (ὑποκείμενος νοῦς)



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III. Kausale Prinzipien des Geistes 1. materieller Geist (88, 23)

2. wirkender Geist (88, 24)

  (νοῦς ὑλικός)

  (ποιητικὸς νοῦς)

= von Geburt an (81, 23 f.; 82, 20)

= von außen in uns eintretender Geist

  in uns (νοῦς ἡμῖν) (89, 19 f.)

  (νοῦς θύραθεν) (90, 19–21)

  befindlicher Geist

   (νοῦς ὁ ἔξωθεν ἐν ἡμῖν γινόμενος)  (91, 2)

I. Alexander beginnt bei seiner Interpretation des gedank­ lichen oder »logischen« Seelenvermögens, das den Menschen vom Tier abhebt, mit einer knappen Skizze der v. a. in der Nikomachischen Ethik analysierten zwei Arten, den Geist auszuüben.31 »Praktischer Geist« heißt das intellektuelle Vermögen eines Menschen bei einem Gebrauch, der sich auf veränderliche Dinge richtet, um diese durch Handeln oder Produzieren zu gestalten; da es von wandelbaren Dingen kein echtes Wissen geben kann, ist der Geist als praktischer entweder nur »meinend«, wenn er (mehr oder weniger gut begründete) Annahmen macht, oder »sich beratend«, wenn er Überlegungen zwecks Entscheidungsfindung anstellt. »Theoretisch« dagegen heißt der Geist, sofern er sich auf die nach Aristoteles’ Ontologie gegebenen unveränderlichen Formen der Dinge und ihrer Ordnung um des reinen Erkennens willen richtet. Da solches, das sich nicht anders verhalten kann, Gegenstand von Wissen ist, heißt er auch »wissender« oder »wissenschaftlicher Geist«. »Praktischer« und »theoretischer Geist« sind demnach nicht etwa zwei real verschiedene Sorten von Geist, sondern nur zwei unterschiedliche Formen intellektueller Tätigkeit, die ein und derselbe Geist eines Individuums ausüben kann. Und weil wiederholte gedankliche Tätigkeit zu kognitiver Entwicklung führt, entsprechen ihnen nach Aristoteles unterschiedliche »dianoetische Tugenden«, d. h. erworbene Fähigkeiten gedanklicher Vervollkommnung. Im Praktischen sind das v. a. techni Vgl. Aristoteles, eth. Nic. VI 2, 1139a3–1139b6; an. III 9, 432b26 ff.; III 10, 433a13 ff. 31

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sches Können und Klugheit, im Theoretischen insbesondereWissenschaft und Weisheit. II. Um solche gedanklichen Bestformen (Tugenden) in ihrer Entstehung denken zu können, beschreibt Alexander anschließend jene drei unterschiedlichen Entwicklungsaspekte eines individuellen Geistes, die Aristoteles in an. III 4, 429b5–9 am Beispiel des Erwerbs von Wissenschaft kurz umrissen hatte. Da es sich um drei Aspekte gedanklicher Höherentwicklung handelt, sind die drei Zustände im Schema von II.1–3 von unten nach oben angeordnet. Hierbei übernimmt Alexander zumindest die Wortbestandteile jener Termini, die unter II.1–3 jeweils an oberster Stelle genannt sind, von Aristoteles selbst, während er die darunter stehenden äquivalenten Termini neu prägt. II.1: Als »in Möglichkeit befindlichen Geist« bezeichnet Alexander jenes bei allen unversehrten Menschen angeborene (allenfalls dem Grad nach unterschiedlich gut ausgeprägte) Vermögen, gedanklich erschließbare Zusammenhänge zu erkennen und sich aufgrund wiederholter Einsichten einen Schatz gedanklicher Erkenntnisse und Fähigkeiten anzueignen. Weil dieser angeborene oder »natürliche Geist« der ursprünglich rohe, primitive, unentwickelte Naturzustand des Geistes ist, mit dem wir als Säuglinge alle beginnen, folglich nichts als die bloße Möglichkeit zum Erwerb eines verwirklichten Geistes ist, nennt Alexander ihn nicht nur den »in Möglichkeit befindlichen«, sondern auch den »materiellen Geist«. Er bildet gleichsam das Rohmaterial und die Grundlage (deshalb auch »zugrunde liegender Geist«), aus dem schließlich der verwirklichte Geist geformt wird. II.2: »Habituellen Geist« oder »Geist als Habitus« nennt Alexander dagegen den entwickelten Zustand angeeigneter intellektueller Kenntnisse und Fähigkeiten, der durch Unterricht, Studium und Übung erst allmählich »entsteht« und »erworben« wird und der bei Gelegenheit jederzeit abgerufen und aktiviert werden kann. Strenggenommen kann man den habituellen Geist nicht als eine zweite Entwicklungsstufe auffassen, denn der Habitus macht stets den erworbenen und



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verinnerlichten Schatz des Wissens und Könnens aus. Je nach Quantität und Qualität gedanklicher Tätigleit vollendet sich deshalb auch der Habitus mehr oder weniger, so dass er selbst Entwicklungsstufen durchläuft. Gleichwohl behandelt Alexander den habituellen Geist wie eine mittlere Vollendungsstufe. Das relative Recht hierzu besteht darin, dass auch der Habitus für sich genommen, d. h. gleichsam das ruhende Potential, noch als Möglichkeit und nicht als tätige Ausübung, d. h. nicht als Wirklichkeit des vollendeten Geistes, zu verstehen ist. Zugleich unterscheiden sich die verinnerlichten, zum Habitus gewordenen gedanklichen »Möglichkeiten« ähnlich himmelweit von der bloßen »Möglichkeit« ihres Erwerbenkönnens, wie sich z. B. die jederzeit ausübbaren Möglichkeiten eines virtuosen Pianisten, der untätig am Klavier sitzt, von der bloßen Möglichkeit eines Schülers unterscheidet, das Klavierspielen erlernen zu können. Wie schon Aristoteles die bereits angeeignete und abrufbare (habitualisierte) Möglichkeit auch ἐντελέχεια nennt, weil sie – im Unterschied zur bloßen δύναμις – ein »Innehaben (ἔχειν) von vollendet (ἐντελής) realisierten Potentialen« ist, so nennt auch Alexander den habituellen Geist die »Entelechie«, »Vollendung« oder (geformte) »Form« des in Möglichkeit befindlichen Geistes (81, 25 f.; 85, 11). Allerdings unterscheidet Alexander intern wiederum zwei unterschiedliche Entwicklungsniveaus. Bis zum »gemeinen Geist«, der sich gleichsam natürlich, aufgrund alltäglicher Erfahrung, bildet, bringen es die meisten Menschen; zur Vollendungsstufe bestimmter intellektueller Fähigkeiten dagegen, z. B. zur Wissenschaft, führt nur das Betreiben gedanklicher Kultur in Form von Übung und Studium. II.3: Die dritte und höchste Entwicklungsstufe schließlich nennt Alexander den »Geist gemäß der ἐνέργεια« (85, 20 – 86, 6). Dieser Terminus wäre weder mit »wirklicher Geist« noch mit »in Verwirklichung befindlicher Geist« angemessen übersetzt. Der Ausdruck steht nämlich nicht für das kausale Prinzip der tätigen Ausübung intellektueller Erkenntnis, das zugleich die notwendige Bedingung für die Habitualisierung von Geist ist.

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Er bezeichnet also gerade nicht den realisierenden Geist, für den Aristoteles den Terminus »wirkender Geist (ποιητικὸς νοῦς)« reserviert. Er bezeichnet vielmehr die Vollendungsstufe des reali­sierten, d. h. auf höchstem Niveau tätigen Geistes, der sich bereits der erworbenen Gedankenschätze des habituellen Geistes kunstreich bedient. Dieser ist nicht mehr der Geist im Prozess, sondern der Geist im vollendeten Resultat, gleichsam der Geist in ausgeübter Höchstkultur, der seine Möglichkeiten verwirklicht hat. III. Nach dieser entwicklungspsychologischen oder kultivierungstheoretischen Betrachtung dreier Stufen des Geistes  – die, wie gesagt, eigentlich eher bloße Momente der Höher­ entwicklung des Geistes sind – geht Alexander dazu über, auf der Grundlage von Aristoteles’ induktiver Stufenleiter des Erkennens von der Wahrnehmung zum Begriff (83, 2 ff.) die Unterschiede zwischen den sinnlichen und den gedanklichen Erkenntnisprozessen herauszuarbeiten. Anschließend beginnt er mit seiner oben erwähnten entnatürlichenden Interpretation der beiden von Aristoteles in De anima III 5 eingeführten kausalen Komponenten des Geistes: Während Alexander den »leidenden Geist (νοῦς παθητικός)« mit keiner Silbe erwähnt, bezieht er Aristoteles’ Schreibtafel-Analogie unvermittelt auf den entwicklungspsychologischen Naturzustand des »materiellen Geistes«, der dann konsequenterweise nicht etwa das Analogon der Wachstafel selbst bildet, sondern bloß für deren »Unbeschriebensein« stehen soll (84, 25 f.). Auf diese Weise kommt in Alexanders Deutung die aristotelische Hypothese eines stofflichen Substrats im menschlichen Körper, das die Formen des wirkenden, aktiven Geistes physisch rezipiert wie eine Schreibtafel die Schriftzeichen, gar nicht zum Tragen. Umgekehrt werden, weit vor der gedanklichen Einführung des »wirkenden Geistes (ποιητικὸς νοῦς)« (88, 24), auch die aktiven Prozesse beim gedanklichen Erkennen auf zweifache Weise aus jedem natürlichen Zusammenhang isoliert. Zum einen wird Aristoteles’ These, dass der Geist beim verwirklichten Erkennen mit den von ihm erfassten Formen identisch werde (nämlich wie



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Wachstafel und Schriftzeichen), so interpretiert, als wäre der Geist selbst nichts anderes als die von ihm gedanklich erfasste »materiefreie Form« (88, 2). Zum anderen wird Aristoteles’ Hypothese, dass der wirkende Geist »unbeeinflussbar«, weil »abgetrennt« vom menschlichen Leib und »unvermischt« mit allem anderen sein müsse, dahingehend uminterpretiert, dass er eine Form sei, die schlechthin von aller »Materie abgetrennt« ist (88, 15). Dass Alexander schließlich auch noch den wirkenden Geist, der ja für Aristoteles zunächst nur das erzeugende Prinzip bei den intellektuellen Erkenntnisprozessen ist, direkt mit dem göttlichen Geist von Metaphysik XII 7–9 gleichsetzt und diesen obendrein noch platonisch als Erstursache und Prinzip sowohl der Einsehbarkeit als auch des Seins aller übrigen Dinge auffasst (89, 5 u. 9 f.), markiert nur das höchste zahlreicher Probleme, vor das die Interpreten der Alexander’schen Noetik sich seit jeher gestellt wissen.32 Eine der weitreichendsten Unklarheiten dürfte sich daraus ergeben, dass der Terminus »materieller Geist« (als einziger der von Alexander unterschiedenen Geistesfaktoren) gleich an zwei systematisch unterschiedlichen Stellen auftaucht. Er gehört einerseits an den Anfang der Entwicklungsreihe, sofern er den rohen Naturzustand des Geistes, d. h. den Geist bloß »der Möglichkeit nach« bezeichnet (II.1). Andererseits gehört der »materielle Geist« unter die beiden kausalen Faktoren, sofern er das von Geburt an in uns befindliche Vermögen gedanklichen Erkennens ist (III.1). In dieser Doppeldeutigkeit des Ausdrucks zeigt sich eine fundamentale Asymmetrie, denn die korrespondierenden terminologischen Extreme erlauben es keineswegs, dass man sie der Sache nach identifiziert: Der »verwirklichte Geist (νοῦς κατ᾽ ἐνέργειαν)« bezeichnet zwar in der Tat den auf seiner Vollendungsstufe ausgeübten und insofern tätigen Geist (II.3). Dieser ist jedoch nicht ohne weiteres identisch mit  Bündige Überblicke über die hauptsächlichen Unklarheiten und Streitpunkte geben Sharples 1987, S. 1206–1211; Bergeron/Dufour 2008, S. 48–56. 32

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dem »wirkenden Geist (ποιητικὸς νοῦς)« (III.2), den Alexander als einen übernatürlichen, metaphysischen Kausalfaktor auffasst.33 Die unmittelbare Gleichsetzung beider Größen führt vielmehr zu weitreichenden Missverständnissen der Alexander’­schen Lehre. Dies zeigt sich deutlich an der Kontroverse der älteren und neueren Interpreten darüber, ob Alexanders wirkender Geist eine direkte oder nur eine indirekte Kausalität auf die natürlichen Formen des Geistes ausübe. Um zum Abschluss der Übersicht diesen sehr wichtigen Punkt zu klären, muss zunächst daran erinnert werden, dass Alexander den ποιητικὸς νοῦς nicht nur als den eigentlichen Gegenstand unseres Erkennens, sondern auch in einem vierfachen Sinne als Ursache versteht. Da Alexander ihn mit dem göttlichen Geist von Metaphysik XII gleichsetzt, gilt er ihm erstens als »die erste Ursache, die den Ursprung und das Prinzip des Seins aller übrigen Dinge bildet« (89, 9 f.). Zweitens sei der wirkende Geist »Ursache auch des gedanklichen Erfassens der übrigen Dinge« (89, 5) – eine Funktion, die er sich freilich nach Aristotelesʼ genuiner Lehre mit dem leidenden Geist teilen muss. Drittens versteht Alexander den wirkenden Geist auch als Ursache der Einsehbarkeit der Dinge, da er ja das »von Natur aus gedanklich Erfassbare« sei (89, 6 f.). Dass Alexander ihm viertens auch noch die besondere Aufgabe zuschreibt, »Ursache für den Habitus des materiellen Geistes« zu sein (88, 24), wirft nun die Grundsatzfrage auf, wie er die Kausalität zwischen seinem metaphysischen Prinzip des wirkenden Geistes und den natürlichen Vermögen des geistigen Erfassens aufgefasst wissen will. In Alexanders Text bleibt zwar die Ursächlichkeit aller vier Aspekte im Dunkeln, doch tangiert die Unklarheit der zweiten und vierten kausalen Funktion die Geistlehre selbst am meisten, während die beiden anderen Funktionen ohnehin eher Fragen der Metaphysik betreffen.

 Diese fehlerhafte Identifizierung begehen z. B. Bergeron/Dufour 2008, S. 50. 33



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Während ältere Interpreten davon ausgingen, dass der wirkende Geist nach Alexander direkt und notwendig auf den materiellen Geist wirken müsse, damit dieser irgendeine tatsächliche Denkleistung erbringen kann,34 hat Moraux hier die ebenso weitreichende wie einflussreiche Antithese einer bloß indirekten Kausalität verfochten, die der wirkende Geist sowohl auf den materiellen als auch auf den habituellen Geist ausübe. Der materielle Geist sei nämlich bei seinem Kerngeschäft, der »opération abstractive«, durchaus autark, und auch der Einfluss des wirkenden Geistes auf den habituellen Geist sei »très indirecte«, da er lediglich jene Formen hervorbringe, die der menschliche Geist aktiv erfasse.35 Zwar wurde Morauxs These der indirekten Kausalität – trotz ihrer Folgeprobleme36 – von zahlreichen Interpreten übernommen, darunter von Accattino, Donini, Movia und Sorabji; doch hat man gegen sie zu Recht eingewandt, dass der materielle Geist nach Alexander »pure Potentialität« sei und folglich keine hinreichende Kraft zur  Schon der Anonymus einer Baseler Quaestio aus dem frühen 14. Jh. bestimmt die opinio Alexandri hinsichtlich des intellectus agens folgendermaßen: »ex eius influentia in intellectum possibilem fit homo intelligens actu« (Grabmann 1936, S. 86 f.). Nach Elfes 1887, S. 17 gilt: »Neque vero potest intelligere [intellectus materialis] nisi efficientia intellectus agentis, qui est immaterialis, qui, cum intelligimus, extrinsecus accedit.« Nach Zeller 1923, S. 826, ist »dasjenige […], was die Entwicklung des potentiellen Verstandes bewirkt, was ihn zur Wirklichkeit bringt wie das Licht die Farben, der ποιητικὸς νοῦς«. Weitere Anhänger dieser traditionellen Deutung nennt Movia 1970, S. 36, Anm. 1. 35  Moraux 1942, S. 87 u. S. 93. 36  Mit seiner Deutung einer bloß indirekten Kausalität gerät Moraux nicht nur in die Verlegenheit, zwischen Alexanders De anima und De intellectu eine gravierende Standpunktdifferenz konstruieren zu müssen; denn er räumt ja ein, dass der ποιητικὸς νοῦς in De intellectu in der Tat als »unmittelbare Ursache« verstanden wird, ohne die keinerlei geistige Entwicklung in Gang kommen kann (Moraux 2001, S. 389). Vielmehr muss Moraux Alexanders Lehrstück deshalb auch als sinnlos erscheinen: »Non seulement la doctrine d’un ποιητικὸς νοῦς n’est pas réclamée par la noétique d’Alexandre, mais elle apparaît comme une addition inutile à son système« (Moraux 1942, S. 87). 34

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wirklichen Erkenntnistätigkeit besitze. Allerdings scheint es ebenso falsch, hieraus den Schluss zu ziehen, dass nur der habituelle Geist »fähig« sei, »von sich aus zu denken«.37 Sowohl Morauxs These als auch die letztgenannte Korrektur übersehen, dass die Textstellen, auf die sie sich glauben stützen zu können, keinerlei Beweiskraft für den Kontroverspunkt haben. Sie gehören nämlich allesamt bloß zur Betrachtung der drei Vollendungsstufen des Geistes und sind insofern bloß vorläufige Beschreibungen Alexanders, bei denen er sich in der Verlegenheit befindet, dem materiellen (qua in Möglichkeit befindlichen) und dem habituellen Geist unterschiedliche Niveaus von Erkenntnisleistungen zuordnen zu müssen, ohne schon den wirkenden Geist und seinen Beitrag zum Erkennen eingeführt zu haben. Demgegenüber beginnt Alexanders Reflexion auf die kausalen Zusammenhänge und folglich auf die Rolle des ποιητικὸς νοῦς im Erkenntnisprozess erst 88, 17 mit seinem Übergang zur Auslegung von De anima III 5. Dass Alexander aber gerade an dieser Stelle das wirkende Prinzip mit der lapidaren Begründung einführt, es müsse »auch einen wirkenden Geist geben«, da es nun einmal »einen materiellen Geist gibt« (88, 23 f.), spricht bereits massiv dafür, dass er sich in diesem Punkt der Vorgabe des Stagiriten anschließt, der zufolge es sich um zwei komplementäre Kausalfaktoren handelt, die beide (nach der Logik von Form und Material) notwendig zusammenspielen müssen, damit eine wirkliche Erkenntnisleistung stattfindet. Die Behauptung einer bloß indirekten Kausalität des wirkenden Geistes, die umgekehrt unserem materiellen Geist eine Autarkie für tatsächliche Erkenntnisleistungen zubilligt, ist außerdem auch logisch unvereinbar mit der von Alexander betonten Annahme, dass der materielle (qua in Möglichkeit befindliche) Geist für sich genommen »nichts erleiden« könne, »weil er ja nichts von den in Wirklichkeit seienden Dingen« sei (85, 4 f.).38 Auch dies  Bergeron/Dufour 2008, S. 52.  Diesen aus seiner Interpretation folgenden sich ergebenden inneren Widerspruch gesteht auch Moraux 1942, S. 75, ein: »La contradiction interne du système est flagrante: à cette faculté, qui ›n’a d‘autre essence que 37

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spricht dafür, dass dem ποιητικὸς νοῦς sehr wohl eine direkte Kausalität, d. h. eine notwendige, konstitutive Funktion für das gedankliche Erkennen zukommt. Doch selbst wenn man die von den Vertretern der indirekten Kausalität bemühten Textstellen einmal gründlich prüft, an denen Alexander vorläufig, ohne Rekurs auf die Kausalkomponenten, von Geistestätigkeiten zu sprechen in der Verlegenheit ist, so finden sich in ihnen keine echten Evidenzen für die Annahme, dass der materielle Geist von sich aus, d. h. ohne korrespondierende Tätigkeit des wirkenden Geistes, befähigt wäre, tatsächliche Erkenntnisleistungen, und seien sie auch noch so rudimentär, zu vollziehen: Was erstens den angeborenen »materiellen Geist« (qua in Möglichkeit befindlichen Geist) betrifft, so wird dieser ausdrücklich als bloße Fähigkeit und insofern als bloßes »Material« qualifiziert, Formen in theoretischer wie praktischer Hinsicht »aufzunehmen« (81, 24 f.). Jeder oberflächliche Leser des Aristoteles weiß aber, dass eine wirkliche Aufnahme von Formen über das bloße Aufnahmevermögen hinaus auch eine formgebene, prägende Kraft erfordert, die ihre Spuren in das Material eingraviert wie ein Griffel in eine Schreibtafel. Ähnlich muss es verstanden werden, wenn Alexander zweitens schreibt, dass der Geist, sofern er durch die Verinnerlichung vollzogener Erkenntnisse zu einer gewissen »Vollendung« gediehen ist und sich so zum »Habitus« oder »erworbenen Geist« kultiviert hat (82, 1 f.), die Fähigkeit besitze, »aus sich selbst heraus die Formen der gedanklich erfassbaren Gegenstände als solche«, d. h. abstrahiert von der Materie ihres Auftretens, »aufzunehmen«, damit aber auch »das Vermögen« erlangt habe, »sich selbst gedanklich zu erfassen« (86, 16–18 u. 20). An dieser Stelle sollen nur die lernbedingten Abstraktionsfähigkeiten des habituellen Geistes beschrieben werden, die es ihm erlauben, nicht jedes Mal wieder von vorn anfangen zu müssen. Dass der habituelle Geist hingegen diese Fähigkeiten d’être en puissance‹ […], on attribue des opérations, telles que l’abstraction et la connaissance«.

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auch aus eigener Kraft, d. h. ohne Mitwirkung des ποιητικὸς νοῦς, auszuüben vermag, wird hier keineswegs behauptet. Und gleiches gilt drittens auch für den »verwirklichten Geist«, von dem behauptet wird, dass er auf der Grundlage seines habitualisierten Wissens auf vollendete Weise »wirklich tätig geworden ist« (86, 4 f.), sobald er die reinen, immateriellen Formen, die ihrerseits gleichsam objektiver Geist sind, tatsächlich erfasst hat und »mit dem Gedachten identisch wird«, so dass die äußerliche Relation zwischen Denkendem und Gedachten verschwindet in einer Vereinigung mit dem göttlichen Geist (86, 23–29). Auch an dieser Stelle wird die Frage, kraft welcher Faktoren dieser vollendete Geist wirklich tätig sein kann, gar nicht behandelt. Somit scheint sich Morauxs These einer bloß indirekten Kausalität des wirkenden Geistes bei Alexander aus einer Verwechslung unterschiedlicher systematischer Ebenen zu erklären – einer Verwechslung, die freilich durch Alexanders undeutliche Sortierung der verschiedenen Geisttermini begünstigt wurde. Die Verwechslung besteht darin, dass man aus demjenigen, was für Alexander nur drei unterschiedliche Entwicklungsmomente (II.1–3) sind, die alle demselben individuellen Geist inhärieren, imaginäre Substrate macht, die für sich genommen unterschiedliche Leistungen sollen erbringen (oder nicht erbringen) können. Der mögliche, der habituelle und der verwirklichte Geist sind aber gar keine unterschiedlichen Vermögen, sondern nur unterschiedliche Entwicklungsniveaus ein und desselben Vermögens. Was die tatsächlichen Kausalitäten betrifft, so spricht umgekehrt alles dafür, dass für Alexander der wirkende Geist ein notwendiges Ingrediens bei aller wirklichen Geistestätigkeit ist, auch wenn die Art und Weise, wie der wirkende Geist auf den materiellen Geist (qua III.1) eine Wirkung ausübt, zweifach dunkel bleibt; denn Alexander macht zum einen aus dem aristotelischen ποιητικὸς νοῦς ein völlig immaterielles, metaphysisches Prinzip und raubt zum anderen auch dem aristotelischen νοῦς παθητικός seine Materialität, indem er aus seinem »materiellen Geist« alle Konnotationen



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eines Erleidens physischer Wirkungen tilgt. Nun setzt aber Alexander den »materiellen Geist« im Sinne des Kausalprinzips III.1 mit dem irdischen, von Geburt an (81, 23 f.; 82, 20) »in uns« befindlichen Geist gleich, der sterblich ist, da er beim Tod mit dem Körper zerstört wird (90, 14 f.); den »wirkenden Geist« dagegen identifiziert er mit dem göttlichen, ewigen, »von außen in uns eintretenden Geist« (90, 19–21), der actus purus, d. h. reine Wirklichkeit ohne Möglichkeit ist (89, 17). So wird man wohl am Ende folgern müssen, dass für alle wirklichen gedanklichen Tätigkeiten weder allein unser irdischer Geist noch allein der göttliche Geist aufkommt, sondern stets die Vereinigung beider Prinzipien.39 Die notwendige reale Vereinigung von wirkendem und materiellem Geist widerspricht nicht der exklusiven Mystik Alexanders, der zufolge eine gedankliche Vereinigung mit dem göttlichen Geist nur dort stattfindet, wo sich das Denken jenen reinen, immateriellen Formen zuwendet, die dem göttlichen Geist inhärent sind (86, 23 ff.).

 Aus der direkten Kausalität des ποιητικὸς νοῦς folgt also keineswegs, wie Bergeron/Dufour 2008, S. 53, glauben, »dass er [der wirkende Geist] es ist, der statt unserer denkt (que c’est lui [l’intellect agent] qui pense à notre plâce«. 39

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ALEX ANDER VON APHRODISIAS

Über die Seele1 Griechisch – Deutsch

[80, 16] Καὶ αὗται μὲν καὶ τοιαῦται αἱ τῆς ἀλόγου ψυχῆς

δυνάμεις, καὶ αἱ κατὰ ταύτας τε καὶ ἀπὸ τούτων ἐνέργειαι, αἳ πάντως μὲν καὶ ἐν τῇ λογικῇ περιέχονται τῷ τελειοτέραν μὲν εἶναι ταύτην, εἶναι δὲ τὴν τελειοτέραν κατὰ προσθήκην δυνάμεως ἢ δυνάμεων (ἡ γὰρ πρώτη δύναμις κατὰ προσθήκην τινὰ δυνάμεως τελειοτέρα γίνεται), ἔστιν δὲ παρὰ ταύτας τε καὶ ἐπὶ ταύταις δύναμίς τις ψυχῆς καὶ ἡ λογική, ὡς προείρηται, κριτική τις οὖσα καὶ αὕτη, ἣν ἄνθρωπος ἐξαίρετον ἔχων παρὰ τἆλλα ζῷα τιμιώτερόν τέ ἐστι ζῷον καὶ τελειότερον, καθ’ ἣν δύναμιν καὶ λογικὸς καλεῖται.

[80, 24] ἥτις ἐστὶ δύναμις ψυχῆς διττὴ καὶ αὐτὴ [81] τῷ διαφέροντα

εἶναι καὶ τὰ περὶ ἃ ἡ δύναμίς τε καὶ ἐνέργειά ἐστιν αὐτῆς. πρὸς γὰρ τὰ κατὰ τὴν φύσιν διαφέροντα καὶ τῶν τῆς ψυχῆς μορίων ἕτερον τῇ φύσει τὸ πρὸς ἑκάτερον πεφυκός, εἴπερ καθ’ ὁμοιότητά τινα καὶ οἰκειότητα ἡ γνῶσις αὐτοῖς γίνεται, ὥσπερ καὶ ἐπὶ τῶν αἰσθήσεων ἔχον ἐδείχθη. διαφέρει δὲ ἀλλήλων τὰ

Die verschiedenen Vermögen der Seele [80, 16] Dies und so beschaffen sind die Vermögen der nichtvernunftbegabten Seele sowie die Tätigkeiten, die ihnen entsprechen und von ihnen ausgehen.2 Sie sind ganz und gar in der vernunftbegabten Seele3 aufgehoben, da diese vollkommener ist. Vollkommener aber ist sie insofern, als eines oder mehrere Vermögen hinzukommen. (Denn ein erstes Vermögen wird vollkommener in dem Maße, wie es einen bestimmten Zuwachs an Vermögen erfährt.) Es existiert also neben und über jenen besprochenen Kräften ein Vermögen der Seele, und dies ist, wie zuvor angekündigt, die vernunftbegabte Seele. Sie ist ein Vermögen, das zum Urteilen befähigt, und der Mensch ist, da er dieses Vermögen vorzugsweise besitzt, im Vergleich zu den anderen ein würdigeres und auch vollkommeneres Lebewesen. Entsprechend diesem Vermögen wird er »vernunftbegabt« genannt.

Praktischer und theoretischer Geist [80, 24] Dieses Vermögen der Seele ist nun auch selbst zweifach,4 [81] sofern es unterschiedliche Arten von Gegenständen

gibt, auf die sich sein Vermögen und seine Tätigkeit beziehen. Denn indem sich die Gegenstände gemäß ihrer Natur unterscheiden, hat auch von den Teilen der Seele jeder von Natur aus eine andere Beschaffenheit, sofern er sich auf einen dieser Gegenstände bezieht, wenn doch gewissen Ähnlichkeiten und Verwandtschaften der Gegenstände auch eine entsprechende Erkenntnis entspringt, wie wir es bei den sinnlichen Wahrnehmungen schon nachgewiesen hatten.5 Was nun das vernunftbegabte Vermögen der Seele betrifft, so unterscheiden sich seine

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Alexander von Aphrodisias · Text

ὑποκείμενα τῇ λογικῇ δυνάμει τῷ τὰ μὲν πρακτικά τε εἶναι καὶ ἐν γενέσει καὶ ἐνδεχόμενα καὶ οὕτως καὶ μὴ οὕτως γίνεσθαι, τὰ δὲ ἀίδιά τε καὶ ἀναγκαῖα, καὶ τὰ μὲν αὐτῶν εἶναι δοξαστά, τὰ δὲ ἐπιστητά. διὸ καὶ τῶν τῆς λογικῆς ψυχῆς δυνάμεων ἡ μέν τίς ἐστι δοξαστική, ἡ δὲ ἐπιστημονική. καλεῖται δὲ ἑκατέρα νοῦς, ἀλλ’ ὁ μὲν πρακτικός τε καὶ δοξαστικὸς καὶ βουλευτικός, ὃς ἀρχὴ γίνεται πράξεως, ὅταν ἡ βούλησίς τε καὶ ὄρεξις συνοδεύσῃ τοῖς ὑπ’ αὐτοῦ κριθεῖσιν, ὁ δὲ ἐπιστημονικός τε καὶ θεωρητικός. τὰ μὲν γὰρ ζητοῦμεν πράξεως χάριν, τὰ δὲ γνώσεως.

[81, 13] γίνεται δὲ ὁ ἄνθρωπος οὐκ εὐθὺς ἔχων τήνδε τὴν ἕξιν,

ἀλλ’ ἔχων μὲν δύναμιν καὶ ἐπιτηδειότητα τοῦ δέξασθαι αὐτήν, ὕστερον μέντοι λαμβάνων αὐτήν. ὃ καὶ σημεῖον ἐναργέστατον τοῦ μὴ πρὸς τὸ εἶναι τήνδε τὴν δύναμιν συντελεῖν τοῖς ἔχουσιν αὐτήν, ἀλλὰ πρὸς τὸ εὖ εἶναι. ὅσα μὲν γὰρ πρὸς τὸ εἶναι συντελεῖ, ταῦτα ἀχώριστα τοῦ ἔχοντος, ὡς ἡ θρεπτικὴ δύναμις καὶ τῆς αἰσθητικῆς ἡ ἁπτική, ὅσα δὲ πρὸς τὸ εὖ εἶναι, ταῦτα τελειουμένοις προσγίνεται, ὅτε τοῦ κυρίως εὖ εἶναί ἐστιν ἐπιδεκτικά. ἐν γὰρ τῷ τελείῳ τὸ εὖ. ἐγγίνεται δὲ πρῶτος μὲν ὁ πρακτικός τε καὶ δοξαστικὸς νοῦς, ἐπειδὴ καὶ αἱ ἐνέργειαι περὶ ἃ οὗτός ἐστι χρησιμώτεραί τε ἡμῖν καὶ συνηθέστεραι, ὕστερον δὲ ὁ ἐπιστημονικός τε καὶ θεωρητικός.



Über die Seele

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Gegenstände darin, dass die einen zum Handeln gehören, insofern sie im Werden befindlich sind und es zulassen, entweder auf diese oder nicht auf diese Weise auszufallen, während die anderen ewig und notwendig sind. Jene sind Gegenstände des Meinens, diese des Wissens. Deshalb ist auch von den Vermögen der vernunftbegabten Seele das eine zum Meinen befähigt, das andere zum Wissen. Beidesmal wird das Vermögen »Geist« genannt,6 jedoch das eine Mal »praktischer«, »meinender« und »sich beratender Geist«, sofern er Prinzip des Handelns ist, sobald sich Wille und Streben seinem Urteil entsprechend verhalten, das andere Mal »wissenschaftlicher« oder »theoretischer Geist«.7 Wir untersuchen nämlich einiges um des Handelns willen, anderes aber um der Erkenntnis willen.

Angeborener und erworbener Geist [81, 13] Nun wird aber der Mensch so geboren, dass er die ver-

nunftbegabte Seele nicht sogleich als Habitus8 besitzt; vielmehr besitzt er lediglich das Vermögen und die Eignung, diesen Habitus aufzunehmen, und erst später erwirbt er ihn tatsächlich. Dies ist ein deutliches Zeichen dafür, dass das Vermögen [der vernunftbegabten Seele] nichts zu dem bloßen Sein, sondern etwas zu dem guten Sein derer beiträgt, die es innehaben.9 Soweit ein Vermögen nämlich zum bloßen Sein beiträgt, ist es von dem, der es besitzt, untrennbar, wie etwa das Ernährungsvermögen und das zum Wahrnehmen gehörende Tastvermögen. Soweit ein Vermögen dagegen zum guten Sein beiträgt, wird es denen zuteil, die zur Vervollkommnung heranwachsen, sobald sie fähig sind, das im eigentlichen Sinne gute Sein aufzunehmen. Denn das Auf-gute-Weise-Sein findet sich erst beim Vollendeten. Es entwickelt sich nun zu allererst der praktische und meinende Geist, denn auch die Tätigkeiten, die er ausübt, sind uns nützlicher und vertrauter. Später entwickelt sich dann der wissenschaftliche und theoretische Geist.10

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Alexander von Aphrodisias · Text

[81, 22] ὁ δὲ δυνάμει νοῦς, ὃν ἔχοντες γινόμεθα, διττὸς ὢν καὶ

αὐτός, ἑκάτερος ἑκατέρου δεκτικός, ὑλικὸς νοῦς καλεῖταί τε καὶ ἔστι (πᾶν γὰρ τὸ δεκτικόν τινος ὕλη ἐκείνου), ὁ δὲ διὰ διδασκαλίας τε καὶ ἐθῶν ἐγγινόμενος εἶδος ἐκείνου τε καὶ ἐντελέχεια. καὶ ὁ μὲν φυσικός τε καὶ ὑλικὸς ἐν πᾶσιν τοῖς μὴ πεπηρωμένοις, τὴν διαφορὰν ἔχων, καθόσον οἱ μέν εἰσιν εὐφυέστεροι τῶν ἀνθρώπων, οἱ δὲ ἀφυέστεροι (καθ’ ὃν καὶ λέγομεν πάντας ἀνθρώπους νοῦν ἔχειν).

[82, 1] ὁ δὲ ἐπίκτητός τε καὶ ὕστερον ἐγγινόμενος, καὶ εἶδος

καὶ ἕξις ὢν καὶ τελειότης τοῦ φυσικοῦ, οὐκέτ’ ἐν πᾶσιν, ἀλλ’ ἐν τοῖς ἀσκήσασίν τε καὶ μαθοῦσιν, ὃν τρόπον καὶ ἐπὶ τῶν ἐπιστημῶν ἔχει. καὶ γὰρ ἐκείνων πάντες μέν ἐσμεν φύσει δεκτικοί, οὐκέτι δὲ καὶ δεδέγμεθα πάντες αὐτάς, ὅτι μηκέτι τὸ δέξασθαι αὐτὰς φύσει. οὐ γὰρ ὥσπερ ἐπὶ τοῦ περιπατεῖν, οὕτως δὲ ἔχει καὶ ἐπὶ τῶν ἐπιστημῶν τε καὶ τοῦ κατ’ ἐνέργειαν νοῦ. ἐπὶ μὲν γὰρ τοῦ περιπατεῖν, ὥσπερ ἡ δύναμις ἡμῖν τοῦ περιπατεῖν ἐνυπάρχει φύσει, καὶ ἔχομεν αὐτὴν εὐθὺς γενόμενοι, οὕτως καὶ ἡ ἐνέργεια προϊοῦσίν τε καὶ τελειουμένοις προσγίνεται



Über die Seele

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Möglicher und verwirklichter Geist [81, 22] Nun ist aber auch der in Möglichkeit befindliche Geist,

den wir von Geburt an innehaben,11 selbst wieder ein zweifacher, indem auch er selbst jede von beiden Seiten aufnimmt, die die jeweils andere (die praktische oder die theoretische) aufnehmen kann.12 Daher wird er der materielle Geist genannt,13 und dies ist er auch, denn alles, was die Fähigkeit besitzt, etwas anderes aufzunehmen, ist Material im Hinblick auf jenes.14 Derjenige Geist hingegen, der sich durch Unterweisung bzw. Gewöhnung herausbildet, ist die Form und die Entelechie jenes materiellen Geistes.15 Und der natürliche und materielle Geist findet sich bei allen Menschen, die nicht durch einen Defekt beeinträchtigt sind, allerdings mit dem Unterschied, dass einige von Natur aus besser begabt sind, während andere weniger begabt bleiben. In diesem Sinne sagen wir, dass alle Menschen Geist haben.

Unterschiedliche Teilhabe der Menschen am Geist [82, 1] Dagegen findet sich der erworbene und später auftretende

Geist, der die Form, den Habitus und die Vollendung des natürlichen Geistes bildet, nicht mehr bei allen Menschen, sondern nur bei jenen, die sich der Übung bzw. des Studiums befleißigt haben; so verhält es sich auch beim Erwerb der Wissenschaften.16 Denn auch diese aufzunehmen sind wir alle von Natur aus fähig; aber nicht alle von uns haben sie tatsächlich auch erworben, denn der Erwerb dieser Wissenschaften ist keineswegs mehr ein natürlicher Prozess. Denn nicht in derselben Weise wie beim Spazierengehen verhält es sich bei den Wissenschaften und beim wirklich erworbenen Geist. Denn was das Gehen betrifft, so wohnt uns das Vermögen, gehen zu können, von Natur aus inne und ist uns sogleich angeboren; demnach bildet sich die Verwirklichung dieses Vermögens von Natur aus heraus, während wir reifen und vollkommener werden. Was aber

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Alexander von Aphrodisias · Text

φύσει, ἐπὶ δὲ τῆς ἐπιστήμης τε καὶ τοῦ νοῦ αἱ μὲν δυνάμεις φύσει, οὐκέτι δὲ αἱ ἕξεις τε καὶ ἐνέργειαι φύσει. διὸ τοῦτον τὸν νοῦν λέγομεν οὐ πάντας ἔχειν ἔτι, ἀλλὰ μόνου τοῦ σπουδαίου τὸ νοῦν ἔχειν κατηγοροῦμεν· ἢ καὶ τούτου μέχρι τινὸς πάντες οἱ μὴ πεπηρωμένοι μεταλαμβάνουσιν, ἐπὶ τὴν τοῦ καθόλου τε περίληψιν καὶ κατὰ σύνθεσιν γνῶσίν τινων ὑπ’ αὐτῆς τῆς φύσεως ὁδηγούμενοι· οὗτός ἐστι κυριώτερον ὁ κοινὸς νοῦς καλούμενος, ἡ δὲ ἐπὶ πλέον ἐξεργασία κατ’ αὐτὸν γίνεται τὸν εἰρημένον τρόπον.

[82, 16] ὁ μὲν οὖν πρακτικὸς νοῦς βουλευτικός ἐστι (τῷ γὰρ τὰ

πρακτὰ ἐνδέχεσθαι καὶ οὕτως καὶ μὴ οὕτως πραχθῆναι βουλῆς δεῖ πρὸς τὴν αἵρεσιν τοῦ βελτίονος), ὁ δὲ θεωρητικὸς τῶν ἀιδίων καὶ ὁμοίως ἐχόντων ἀεὶ γνωστικὸς ὢν ἐπιστημονικός ἐστιν, ἀλλ’ οὐ βουλευτικός. τὸν μὲν οὖν δυνάμει τε καὶ ὑλικὸν νοῦν καλούμενον ἑκάτερον ὡς εἶπον εὐθὺς ἔχομεν γινόμενοι, τοὺς δὲ κατ’ ἐνέργειάν τε ὄντας καὶ ἕξεις τούτων ὕστερον κτώμεθα διὰ τῆς [83] καθ’ ἡμέραν διδασκαλίας, ἧς γίνεται δεκτικὸς ἐκ τῆς ἐνεργείας, τὸν δὲ θεωρητικὸν ἐκ τῆς τῶν θεωρητῶν.



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die Wissenschaft und den Geist angeht, so bildet sich, obwohl dem Geist diese Vermögen von Natur aus angehören, doch ihr Habitus und ihre Verwirklichung nicht von Natur aus heraus. In diesem Sinne sagen wir deshalb, dass nicht alle Menschen diesen Geist haben, sondern sprechen den Besitz von Geist nur dem Vortrefflichen zu. Und doch haben alle Menschen, sofern sie keinen Defekt haben, in einem gewissen Grad am Geist teil, soweit sie zu einem Erfassen des Allgemeinen sowie zu einer aufgrund von Zusammensetzung erfolgenden Erkenntnis gewisser Dinge von der Natur selbst geführt werden. So gesehen wäre es genauer, diesen [nur mäßig entwickelten] Geist den gemeinen Geist zu nennen.17 Dagegen erfolgt seine bis zu einem höheren Grad ausgeführte Vollendung genau in der oben schon erklärten Weise.

Verwirklichung des Geistes durch Unterweisung und Tätigkeit [82, 16] Der praktische Geist ist überlegend. (Denn da die Hand-

lungen so oder auch anders ausgeführt werden können, ist ein Sich-Beraten nötig, um zur Entscheidung über den besten Weg zu gelangen). Der theoretische Geist hingegen, der die ewigen Dinge erkennt, die sich immer in gleicher Weise verhalten, ist wissenschaftlich, aber nicht überlegend.18 Der sogenannte in Möglichkeit befindliche und materielle Geist ist von Geburt an in uns gegenwärtig, wie schon erklärt wurde, wohingegen seine verwirklichten Vermögen und deren Habitus erst später durch [83] tägliche Unterweisung erworben werden. Die Fähigkeit, diese Unterweisung aufzunehmen, resultiert aus der Tätigkeit, das theoretische Vermögen aber erwarten wir aus der Tätigkeit theoretischer Beobachtungen.19

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Alexander von Aphrodisias · Text

[83, 2] γεννᾶται γὰρ ὁ ἄνθρωπος αἰσθήσεις ἔχων, καθ’ ἃς

ἐνεργῶν φαντασίας λαμβάνει. ὁρῶν οὖν ἑκάστοτε καὶ ἀκούων καὶ κατὰ τὰς ἄλλας αἰσθήσεις αἰσθανόμενος καὶ τυπούμενος ὑπ’ αὐτῶν πρῶτον μὲν ἐν τῇ τῶν τύπων τούτων τηρήσει μνημονεύειν ἐθίζεται, ἔπειτα δὲ ἔκ τε μνήμης καὶ τῆς συνεχοῦς κατὰ τὰς αἰσθήσεις ἐνεργείας περὶ τὰ αἰσθητὰ γίνεταί τις αὐτῷ ἀπὸ τοῦ ‘τόδε τε καὶ καθέκαστον’ ἐπὶ τὸ ‘τοιόνδε καὶ καθόλου’ μετάβασις δι’ ἐμπειρίας. τοῦδε γὰρ τοῦ λευκοῦ καὶ τοῦδε τῆς αἰσθήσεως ἀντιλαμβανομένης ἐκ τῶν τοιούτων ἀντιλήψεων ἔλαβεν τὸ εἶναι τὸ τοιόνδε χρῶμα λευκόν. ὁμοίως δὲ καὶ ἐπὶ τῶν ἄλλων αἰσθητῶν ἑκάστου. ἥτις περίληψίς τε καὶ διὰ τῆς τῶν καθ’ ἕκαστα αἰσθητῶν ὁμοιότητος τοῦ καθόλου λῆψις νόησίς ἐστιν. ἡ γὰρ τῶν ὁμοίων σύνθεσις ἔργον ἤδη νοῦ.

[83, 13] ὥσπερ δὲ ἡ αἴσθησις ἡ κατ’ ἐνέργειαν διὰ τῆς τῶν

εἰδῶν τῶν αἰσθητῶν λήψεως ἄνευ τῆς ὕλης γίνεται, οὕτως δὲ καὶ ἡ νόησις λῆψις τῶν εἰδῶν ἐστι χωρὶς ὕλης, ταύτῃ τῆς αἰσθητικῆς ἀντιλήψεως διαφέρουσα, ᾗ ἡ μὲν αἴσθησις, εἰ καὶ μὴ ὡς ὕλη τὰ αἰσθητὰ εἴδη λαμβάνει, ἀλλ’ οὕτως γε αὐτῶν ποιεῖται τὴν ἀντίληψιν ὡς ὄντων ἐν ὕλῃ (τὰ γὰρ κοινὰ αἰσθητὰ



Über die Seele

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Geist als Vermögen der Erfassung des begrifflich Allgemeinen [83, 2] Wenn ein Mensch geboren wird, hat er sinnliche Wahr-

nehmungen, und durch deren Verwirklichung erlangt er auch Vorstellungen. Demnach hat er jedesmal Wahrnehmungen des Sehens, des Hörens und der anderen Sinne, und diese hinterlassen in ihm ihre Eindrücke; und in dem Bemühen, diese Eindrücke zu bewahren, gewöhnt er sich daran, sie im Gedächtnis zu speichern. Sodann entwickelt sich aus dem Gedächtnis und aus der andauernden Tätigkeit des Wahrnehmens bezüglich der sinnlich wahrnehmbaren Dinge durch Erfahrung der Übergang vom Konkreten und Einzelnen zur arttypischen Beschaffenheit und zum allgemeinen Muster.20 Denn indem die sinnliche Wahrnehmung z. B. dieses Weiße hier und jenes Weiße erfasst, hat sie aufgrund der so gearteten Erfassungen auch das Sein der bestimmten Farbe Weiß erfasst. Entsprechend verhält es sich bei den anderen wahrnehmbaren Gegenständen, die jedem zugänglich sind. Nun ist aber dieses umgreifende Erfassen und dieses Ergreifen des Allgemeinen, das durch die Ähnlichkeit zwischen den einzelnen wahrnehmbaren Gegenständen erfolgt, ein gedankliches Erfassen; denn die Zusammenstellung ähnlicher Dinge zu einer Einheit ist bereits das Werk des Geistes.21

Sinnliches und geistiges Erfassen [83, 13] Wie aber die verwirklichte Wahrnehmung durch ein Er-

fassen der Formen der wahrnehmbaren Gegenstände ohne deren Materie stattfindet,22 so ist auch das gedankliche Erkennen ein Erfassen der Formen, abgetrennt von Materie.23 Sie unterscheidet sich jedoch von der sinnlichen Erfassung, denn auch wenn die Wahrnehmung die wahrnehmbaren Formen nicht als Materie aufnimmt, so bewirkt sie doch, dass die Formen als Dinge, die an der Materie sind, aufgefasst werden. (Es bezeugen nämlich die gemeinsam wahrnehmbaren Bestimmungen,

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Alexander von Aphrodisias · Text

συμπεπλεγμένα τῇ τῶν ἰδίων αἰσθητῶν ἀντιλήψει μαρτύρια τοῦ ὡς ἐνύλων αὐτῶν ὄντων τὴν αἴσθησιν ἀντιλαμβάνεσθαι· ἅμα γὰρ χρωμάτων ὄψις αἰσθανομένη σὺν αὐτῷ καὶ μεγέθους καὶ σχήματος καὶ κινήσεως ἢ ἠρεμίας αἴσθησιν λαμβάνει, ἃ μαρτύρια τοῦ περί τι ὑποκείμενον εἶναι τὸ χρῶμα), ὁ δὲ νοῦς οὔτε ὡς ὕλη τὰ εἴδη λαμβάνει, οὔτε ὡς ἐν ὕλῃ ὄντα καὶ μεθ’ ὕλης.

[83, 23] ἔστι δὲ τὸ μὲν ὡς ὕλην εἶδός τι λαμβάνειν τὸ [84] αὐτὸ

‹τῷ› ὕλην γίνεσθαι τῷ λαμβανομένῳ, ὃ ἐπὶ τῶν παθῶν τῶν οὐ κατὰ ψυχὴν γινομένων ἰδεῖν ἔστι. τὰ γὰρ ἁπλῶς πάσχοντα ὗλαι γίνονται τῶν παθῶν. τὸ γὰρ θερμαινόμενον θερμὸν γινόμενον αὐτὸ ὕλη τῷ πάθει γίνεται, ὃ οὔτε ἡ αἴσθησις οὔτε ὁ νοῦς ἔχουσιν. καὶ γὰρ εἰ διά τινων παθῶν σωματικῶν τὸ αἰσθάνεσθαι γίνεται, ἀλλ’ αὐτό γε τὸ αἰσθάνεσθαιοὐ πάσχειν ἐστίν, ἀλλὰ κρίνειν. οὔτε οὖν ὡς ὕλη γινόμενος ὁ νοῦς τῶν εἰδῶν οὕτως αὐτὰ λαμβάνει οὔτε ὡς μετὰ ὕλης ὄντα ὡς τὰ αἰσθανόμενα, ἀλλ’ αὐτὰ καθ’ αὑτὰ χωρίζων αὐτὰ ἀπὸ πάσης ὑλικῆς περιστάσεως μόνα λαμβάνων θεωρεῖ. οὐ γὰρ λευκὸν νοῶν ὡς μετὰ σχήματος ἢ μεγέθους ὄντος αὐτοῦ τὴν νόησιν ποιεῖται. αἴτιον δὲ τούτου τὸ μηδὲ τὴν ἀρχὴν ὀργάνῳ τινὶ σωματικῷ προσχρῆσθαι πρὸς τὴν λῆψιν τῶν νοουμένων, ἀλλ’ ἀρκεῖσθαι αὐτὸν αὐτῷ πρὸς τὸ γνῶναι τὸ νοούμενον· διὸ ἡ μὲν αἴσθησις, εἰ καὶ μὴ ἀλλοίωσις,



Über die Seele

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die mit dem Erfassen des eigentümlich Wahrnehmbaren verbunden sind, dass die Wahrnehmung diese Dinge als materiegebunden auffasst; denn das Sehen der Farbe erfasst zugleich mit dieser Wahrnehmung auch die Größe, die Gestalt und die Bewegung bzw. Ruhe; und dies gilt ihr als Zeugnis dafür, dass die Farbe an einem materiellen Substrat existiert).24 Der Geist dagegen nimmt weder die Formen als Materie auf, noch begreift er sie als Dinge, die an der Materie oder mit Materie verbunden sind.

Seelisch-geistige Rezeptivität ist kein körperliches Erleiden [83, 23] Dass etwas als Materie eine bestimmte Form empfängt, heißt soviel wie [84] dass es zum Material dessen wird, was

empfangen wird; derartiges kann man dort beobachten, wo etwas auf eine nicht seelische Weise erlitten wird.25 Die Dinge, die einfach nur ein Erleiden erfahren, werden zum Material der erlittenen Eindrücke. So wird nämlich ein Körper, der erwärmt wird, sowie er warm wird, zum Material für die Einwirkung. Doch weder die sinnliche Wahrnehmung noch der Geist verhalten sich in dieser Weise. Denn auch wenn das Wahrnehmen durch bestimmte körperliche Eindrücke zustande kommt, ist doch das Wahrnehmen selbst kein Erleiden,26 sondern ein Unterscheiden.27 Und weder erfasst der Geist die Formen auf diese Weise, indem er zur Materie wird, noch erfasst er sie, wie das sinnlich Wahrnehmbare, als mit der Materie verbunden; vielmehr betrachtet er seine Formen als solche, indem er sie von jedem materiellen Umstand abtrennt und allein erfasst.28 Denn das gedankliche Erfassen des Weißen erzeugt er nicht, indem er dieses als etwas erfasst, das mit Form oder Größe verbunden ist.29 Und hierfür ist die Ursache die, dass das Prinzip für das Erfassen der intelligiblen Formen keinerlei körperliches Werkzeug zu Hilfe nimmt, sondern beim Erkennen des Intelligiblen sich selbst genügt.30 Deshalb scheint die sinnliche Wahrnehmung, obwohl sie selbst keine Veränderung ist, doch aufgrund

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Alexander von Aphrodisias · Text

ἀλλὰ δι’ ἀλλοιώσεώς γέ τινος γίνεσθαι δοκεῖ, ὁ δὲ νοῦς οὐ τοῦτον τὸν τρόπον.

[84, 14] ἐπεὶ δὲ δεῖ τὸ ληψόμενον εἴδη τινὰ μηδὲν τούτων ἔχειν ἐν

τῇ οἰκείᾳ φύσει (παρεμφαινόμενον γὰρ τὸ οἰκεῖον εἶδος κωλύει τὴν τοῦ ἀλλοτρίου λῆψιν· οὕτως γοῦν ἔχοντα ἐδείχθη καὶ τὰ αἰσθητήρια), δεῖ καὶ τὸν ὑλικόν τε καὶ ὑποκείμενον νοῦν μηδὲν εἶναι τῶν νοεῖσθαι δυναμένων ὑπ’ αὐτοῦ. ἀλλὰ μὴν πάντα τὰ ὄντα ὑπὸ τοῦ νοῦ νοεῖται, εἴ γε τῶν ὄντων τὰ μέν ἐστι νοητά, τὰ δὲ αἰσθητά. ποιεῖ γὰρ ὁ νοῦς καὶ τὰ αἰσθητὰ αὑτῷ νοητὰ χωρίζων αὐτὰ τῆς ὕλης καὶ τί ποτέ ἐστιν αὐτοῖς τὸ εἶναι θεωρῶν. οὐδὲν ἄρα τῶν ὄντων ἐνεργείᾳ ἐστὶν ὁ ὑλικὸς νοῦς, ἀλλὰ πάντα δυνάμει. πρὸ γὰρ τοῦ νοεῖν οὐδὲν ὢν ἐνεργείᾳ, ὅταννοῇ τι, τὸ νοούμενον γίνεται, εἴ γε τὸ νοεῖν αὐτῷ ἐν τῷ τὸ εἶδος ἔχειν τὸ νοούμενον.

[84, 24] ἐπιτηδειότης τις ἄρα μόνον ἐστὶν ὁ ὑλικὸς νοῦς πρὸς

τὴν τῶν εἰδῶν ὑποδοχὴν ἐοικὼς πινακίδι ἀγράφῳ, μᾶλλον δὲ τῷ τῆς πινακίδος ἀγράφῳ, ἀλλ’ οὐ τῇ πινακίδι αὐτῇ. αὐτὸ



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einer Veränderung stattzufinden,31 wohingegen der Geist nicht auf diese Art und Weise operiert.

Der materielle Geist und seine intelligiblen Formen [84, 14] Weil notwendigermaßen dasjenige, was bestimmte For-

men empfängt, diese Formen nicht in seiner eigenen Natur enthalten kann32 (denn die eigentümliche Form, die nebenher mit erkannt wird, verhindert das Erfassen einer fremden Form; so jedenfalls verhalten sich, wie bereits gezeigt, die Sinnesorgane), so ist es erforderlich, dass der materielle und den Formen zugrunde liegende Geist nicht einer der möglichen Gegenstände des gedanklichen Erfassens durch ihn selbst ist. Und dennoch werden sämtliche Dinge vom Geist gedanklich erfasst, weil von den seienden Dingen die einen gedanklich erfassbar, die anderen sinnlich wahrnehmbar sind und der Geist auch die sinnlich wahrnehmbaren Dinge für sich selbst zu gedanklich erfassbaren macht, indem er sie von der Materie trennt und eine Betrachtung darüber anstellt, wie denn ihr Sein beschaffen sein mag.33 Demnach ist der materielle Geist nichts von den seienden Dingen in Wirklichkeit, sondern ist nur der Möglichkeit nach alles. Denn vor seinem gedanklichen Erfassen ist er nichts in Wirklichkeit Existierendes, aber sobald er etwas gedanklich erfasst, wird er zu demjenigen, was gedanklich erfasst wird; das gedankliche Erfassen besteht nämlich für ihn darin, die intelligible Form zu haben.34

Deutung des Vergleichs des materiellen Geistes mit einer ­unbeschriebenen Schreibtafel [84, 24] Nur eine Art Eignung ist demnach der materielle Geist

für die Aufnahme der Formen, ähnlich einem unbeschriebenen Schreibtäfelchen, oder noch ähnlicher dem Unbeschriebensein

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Alexander von Aphrodisias · Text

γὰρ τὸ γραμματεῖον ἤδη τι τῶν ὄντων ἐστίν. διὸ ἡ μὲν ψυχὴ καὶ τὸ ταύτην ἔχον εἴη μᾶλλον ‹ἂν› κατὰ τὸ γραμματεῖον, τὸ δὲ ἄγραφον ἐν αὐτῇ ὁ νοῦς ὁ ὑλικὸς λεγόμενος, ἢ ἐπι[85] τηδειότης ἡ πρὸς τὸ ἐγγραφῆναι. ὡς οὖν ἐπὶ τοῦ γραμματείου τὸ μὲν γραμματεῖον πάσχοι ‹ἂν› ἀντιγραφόμενον, ἐν ᾧ ἡ πρὸς τὸ γραφῆναι ἐπιτηδειότης, ἡ μέντοι ἐπιτηδειότης αὐτὴ οὐδὲν πάσχει εἰς ἐνέργειαν ἀγομένη (οὐδὲ γάρ ἐστί τι ὑποκείμενον), οὕτως οὐδ’ ἂν ὁ νοῦς πάσχοι τι, μηδέν γε ὢν τῶν ἐνεργείᾳ.

[85, 5] διὸ καὶ οὐκ ἀλόγως τινὲς ἀπὸ τῆς τοῦ νοῦ δυνάμεως κινούμενοι τόπον εἰδῶν τὴν ψυχὴν εἶπον εἶναι, ὃ τῷ κυριωτάτῳ τῆς ψυχῆς ὑπάρχει, τοῦτ’ ἐπὶ πᾶσαν αὐτὴν μεταφέροντες. τόπος δ’ ἂν εἴη τῶν εἰδῶν οὐ κατ’ ἐνέργειαν (οὐδὲν γὰρ κατὰ τὴν αὑτοῦ φύσιν τῶν εἰδῶν ἔχων ἐδείχθη), ἀλλ’ ὡς δυνάμενος αὐτὰ λαμβάνειν τόπος αὐτῶν ἂν εἴη δυνάμει κατὰ τοῦτο.

[85, 10] καὶ τοιοῦτος μὲν ὁ ὑλικὸς νοῦς, ὁ δὲ ὡς ἕξις λεγόμενος

εἶδός ἐστι [καὶ δύναμις] καὶ τελειότης τούτου, ἥτις ἕξις ἐν αὐτῷ γίνεται ἔκ τε τῆς τοῦ καθόλου περιλήψεως καὶ ἐκ τοῦ τὰ εἴδη χωρίζειν ἀπὸ τῆς ὕλης [δύνασθαι], ἃ τρόπον τινὰ ταὐτά ἐστιν



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dieses Täfelchens als Täfelchen selbst.35 Denn die Schreibtafel selbst gehört bereits zu den seienden Dingen. Daher kann die Seele und das Individuum, das diese innehat, mehr mit der Schreibtafel verglichen werden, das Nichtbeschriebensein der Tafel aber bzw. [85] ihre Eignung zum Beschriebenwerden mit dem materiellen Geist. Wie bei der Schreibtafel zwar die Tafel Eindrücke erleiden mag, wenn ihr etwas eingeschrieben wird, in ihr aber eine Eignung zum Beschriebenwerden ist, welche selbst nichts erleidet, indem sie zur Verwirklichung gebracht wird (denn sie ist ja nichts Zugrundeliegendes), so dürfte auch der Geist nichts erleiden, weil er ja nichts von den in Wirklichkeit seienden Dingen ist.

Der Geist als der eigentliche Ort der Formen [85, 5] Deshalb sind auch einige, die vom Vermögen des Geistes

aus dachten, nicht ohne Grund zu der Behauptung veranlaßt worden, die Seele sei der Ort der Formen. Was nur dem höchsten Vermögen der Seele zukommt, das übertrugen sie auf die gesamte Seele.36 Ein Ort der Formen wäre der Geist dann jedoch nicht der Wirklichkeit nach (denn er besitzt, wie erläutert, seiner eigenen Natur nach keine dieser Formen); insofern er aber fähig ist, diese Formen zu erfassen, wäre er der Möglichkeit nach ein Ort der Formen.

Höherentwicklung des Geistes durch Abstraktion der ­allgemeinen Form [85, 10] Von dieser Beschaffenheit ist also der materielle Geist.

Derjenige Geist hingegen, der Habitus genannt wurde, ist Form [und Vermögen] und Vollendung des materiellen Geistes.37 Ein bestimmter Habitus entsteht in ihm durch das Erfassen des Allgemeinen und durch die Abtrennung der Formen von der Materie; beide Tätigkeiten laufen auf dasselbe hinaus. Denn indem

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Alexander von Aphrodisias · Text

ἀλλήλοις. ὅ τε γὰρ τὸ εἶδός τινος χωρὶς τῆς ὕλης λαβὼν ἔχει τὸ κοινόν τε καὶ καθόλου (ὁ γὰρ τὸ εἶδος τοῦ ἀνθρώπου λαβὼν χωρὶς τῶν ὑλικῶν περιστάσεων ἔχει τὸν κοινὸν ἄνθρωπον· ἡ γὰρ τῶν καθ’ ἕκαστα ἀνθρώπων πρὸς ἀλλήλους διαφορὰ παρὰ τῆς ὕλης γίνεται, ἐπεὶ τά γε εἴδη αὐτῶν, καθ’ ἅ εἰσιν ἄνθρωποι, οὐδεμίαν ἔχει διαφοράν), ὅ τε τὸ κοινὸν τὸ ἐπὶ τοῖς καθ’ ἕκαστα συνιδὼν τὸ εἶδος πάλιν χωρὶς τῆς ὕλης λαμβάνει. τοῦτο γὰρ ἐν αὐτοῖς τὸ κοινόν τε καὶ ταὐτόν.

[85, 20] ἐγγίνεται δὲ ἡ τοιάδε ἕξις τῷ νῷ τὴν ἀρχὴν κατὰ

μετάβασιν ἀπὸ τῆς περὶ τὰ αἰσθητὰ συνεχοῦς ἐνεργείας ὥσπερ ὄψιν τινὰ ἀπ’ αὐτῶν λαμβάνοντος τοῦ καθόλου θεωρητικήν, ὃ κατ’ ἀρχὰς μὲν νόημα καὶ ἔννοια καλεῖται, πλεονάσαν δὲ καὶ ποικίλον καὶ πολύτροπον γινόμενον, ὡς δύνασθαι καὶ χωρὶς τῆς αἰσθητικῆς ὑποβάθρας ποιεῖν τοῦτο, νοῦς ἤδη. ὅταν γὰρ ἐν ἕξει γένηται διὰ τὰς συνεχεῖς ἐνεργείας τοιαύτῃ, ὡς δι’ αὐτοῦ λοιπὸν ἐνεργεῖν δύνασθαι, τότε ὁ ὡς ἕξις [86] καλούμενος νοῦς γίνεται, ἀνάλογον ὢν τῷ ἐπιστήμονι, ὃς τοῦ τε κατὰ δύναμιν ἐπιστήμονος λεγομένου καὶ τοῦ κατ’ ἐπιστήμην ἐνεργοῦντός ἐστι μεταξύ, ὅσον ἀπολείπεσθαι δοκεῖ τοῦ κατὰ τὴν ἐπιστήμην ἐνεργοῦντος, τοσοῦτον πλεονεκτῶν τὸν κατὰ δύναμιν ἐπιστή-



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der Geist die Form von etwas abgetrennt von dessen Materie erfasst,38 hat er das Gemeinsame und Allgemeine inne. (Denn indem er etwa die Form des Menschen getrennt von ihren materiellen Umständen erfasst, hat er den Menschen als allgemeinen inne; es kommt nämlich der Unterschied zwischen den einzelnen Menschen im Vergleich untereinander von der Materie her, da es keinen Unterschied zwischen ihren Formen gibt, denen zufolge sie Menschen sind 39). Wenn der Geist aber das Gemeinsame an den besonderen Gegenständen zugleich miterschaut, so nimmt er wiederum die Form getrennt von der Materie auf. Denn es ist die Form, die an diesen einzelnen Dingen das Gemeinsame und Identische darstellt.

Der Geist als Habitus [85, 20] Es wird aber der so geartete Habitus dem Geist zum

Ausgangspunkt, und zwar durch den Übergang von der andauernden Beschäftigung mit den wahrnehmbaren Gegenständen, so als ob [der Geist] von diesen eine Art von Sehen übernähme, welches das Allgemeine betrachten kann.40 Dieses Allgemeine wird im Hinblick auf die Prinzipien »Gedanke« oder »Begriff« genannt; sobald es aber reichlich vorhanden ist und sowohl vielfältig als auch vielgewandt wird, so dass es fähig ist, dies ohne die sinnliche Unterlage zu bewirken, heißt es bereits »Geist«.41 Wenn dieser nämlich vermittelst der andauernden Tätigkeiten in einen derartigen Zustand gelangt, dass er von jetzt an fähig ist, von sich selbst aus tätig zu werden, dann erst entsteht der als Habitus [86] bezeichnete Geist. Er gleicht dem Wissenschaftler, der sich im mittleren Entwicklungszustand befindet zwischen demjenigen, der bloß im Hinblick auf seine Möglichkeit Wissenschaftler genannt wird, und demjenigen, der in Sachen Wissenschaft wirklich tätig ist. Im gleichen Maße, wie er hinter dem, der die Wissenschaft wirklich ausübt, zurückbleibt, ist er doch dem bloß möglichen Wissenschaftler überlegen.42 Sobald der besagte Habitus zur Tätigkeit gelangt,43

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Alexander von Aphrodisias · Text

μονα. ἐνεργοῦσα δὲ ἥδε ἡ ἕξις ὁ κατ’ ἐνέργειαν γίνεται νοῦς. ὁ γὰρ κατὰ ἕξιν νοῦς ἀποκείμενά πώς ἐστιν ἀθρόα καὶ ἠρεμοῦντα τὰ νοήματα.

[86, 6] ὅτι δὲ οὐχ ὁμοίως ὁ νοῦς ὑπὸ τῶν νοητῶν πάσχει τῇ

αἰσθήσει, ἀλλ’ ἡ μὲν ὑπὸ τῶν αἰσθητῶν διατίθεταί πως ἅτε διὰ σωματικῆς ὑπηρεσίας αὐτῶν ἀντιλαμβανομένη, ὁ δὲ ἀπαθὴς ὑπ’ αὐτῶν μένει, δῆλον καὶ ἐκ τοῦ τὴν μὲν αἴσθησιν ἀπὸ τῆς περὶ τὰ σφόδρα αἰσθητὰ ἐνεργείας μὴ δύνασθαι τῶν ἧττον αἰσθητῶν ἀντιλαμβάνεσθαι ὡς ἔχουσάν τι πάθος ἔτι παράμονον ἀπ’ ἐκείνων ἐγγενόμενον, τὸν δὲ νοῦν ἀπὸ τῶν σφόδρα νοητῶν μηδὲν ἧττον, ἢ καὶ μᾶλλον νοεῖν τὰ ἔλαττον νοητά, ὡς ἂν ἐν τῷ προγεγυμνάσθαι περὶ αὐτὰ ἑτοιμότερον πρὸς τὰς οἰκείας ἐνεργείας γεγονότα.

[86, 14] καὶ ἐπεί ἐστιν ὁ κατ’ ἐνέργειαν νοῦς οὐδὲν ἄλλο ἢ τὸ

εἶδος τὸ νοούμενον, ὥσπερ καὶ ἐπὶ τῆς αἰσθήσεως ἐδείχθη, ὁ ἐν ἕξει νοῦς (οὗτος δέ ἐστιν ὁ νοεῖν ἐπ’ αὐτοῦ δυνάμενος καὶ τὰ τῶν νοητῶν εἴδη λαμβάνειν καθ’ αὑτά), οὗτος ἤδη δύναται καὶ



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wird er zum verwirklichten Geist. Denn der Geist im Sinne des Habitus ist in gewisser Weise identisch mit den aufbewahrten, versammelten und in Ruhe befindlichen Gedanken.

Sinnliche und geistige Rezeptivität [86, 6] Es ist offensichtlich, dass der Geist durch das gedanklich

Erfasste nicht in gleicher Weise eine Einwirkung erleidet, wie es bei der Wahrnehmung durch das sinnlich Erfasste geschieht.44 Vielmehr wird die Wahrnehmung von den wahrnehmbaren Gegenständen auf bestimmte Weise in einen Zustand versetzt, da sie dieses ja durch die Vermittlung körperlicher Organe wahrnimmt; der Geist hingegen kann von diesen nicht affiziert werden. Deutlich wird dies auch an dem Phänomen, dass zwar die Wahrnehmung nach einer Beschäftigung mit heftigen Wahrnehmungsobjekten nicht mehr in der Lage ist, weniger stark wirkende Gegenstände wahrzunehmen, da das ihr innewohnende Erleiden vonseiten der Wahrnehmungsobjekte noch andauert, dass hingegen der Geist bei starken gedanklichen Objekten nicht schlechter, sondern besser geringfügige Gehalte gedanklich zu erfassen vermag, da er aufgrund seiner vorausgehenden Übungen mit jenen starken Inhalten in größerem Maße dafür gerüstet ist, seine eigentümlichen Tätigkeiten hervorzubringen.45

Die gedankliche Selbsterfassung des verwirklichten Geistes [86, 14] Nun ist aber der verwirklichte Geist nichts anderes als

die während des gedanklichen Erfassens erfasste Form.46 Das Analogon bei der Wahrnehmung hatten wir schon früher erläutert.47 Der habituelle Geist – dies aber ist derjenige, der es vermag, aus sich selbst heraus zu denken und die Formen der gedanklich erfassbaren Gegenstände als solche aufzunehmen – hat zugleich bereits die Fähigkeit, sich selbst gedanklich zu er-

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Alexander von Aphrodisias · Text

αὑτὸν νοεῖν. ἐπεὶ γὰρ τὸ νοούμενον εἶδος αὐτός ἐστιν, εἴ γε νοῶν ὃ νοεῖ γίνεται, ὁ ἄρ’ ἕξιν ἔχων τοῦ τὰ εἴδη νοεῖν, οὗτος ἕξιν καὶ δύναμιν ἔχει τοῦ νοεῖν ἑαυτόν. ὃ γὰρ δύναται νοεῖν, τοῦτο αὐτὸ αὐτὸς νοῶν γίνεται, καὶ ἔστιν ὅταν νοῇ προηγουμένως μὲν καὶ καθ’ αὑτὸν νοῶν τὸ νοητὸν εἶδος, κατὰ συμβεβηκὸς δὲ ἑαυτὸν τῷ συμβεβηκέναι αὐτῷ, ὅταν νοῇ, γίνεσθαι ἐκεῖνο, ὃ νοεῖ.

[86, 23] πρὸ μὲν οὖν τοῦ κατ’ ἐνέργειαν τὸν νοῦν νοεῖν πρὸς

ἄλληλά ἐστι τὸ νοοῦν τε καὶ τὸ νοούμενον καὶ ἀντικείμενα ἀλλήλοις ὡς τὰ πρός τι, ὅταν δὲ ἐνεργῶσιν, ἓν γινόμενα παύεται τῆς ἀντιθέσεως. οὐδὲ γὰρ ἐφαρμόζειν αὐτοῖς οἷόν τέ ἐστι τὸν τοῦ πρός τι λόγον. διὸ ὁ κατ’ ἐνέργειαν νοῦς ὁ αὐτὸς γινόμενος τῷ νοητῷ εὐλόγως αὑτὸν λέγεται νοεῖν. ὁ μὲν οὖν νοῦς ὁ κατ’ ἐνέργειαν αὑτὸν νοεῖ. ὃ γὰρ νοεῖ, τοῦτο αὐτὸς γίνεται. τὰ γὰρ εἴδη χωρὶς ὕλης νοεῖ. οὐ γὰρ τόδε, ἀλλὰ [87] τὸ τῷδε εἶναι νοεῖ, ὡς προείρηται. οὐκέτι δὲ ὁμοίως ἡ κατ’ ἐνέργειαν αἴσθησις αὑτῆς αἰσθάνεσθαι λέγεται, καίτοι καὶ αὐτὴ τὰ εἴδη τῶν αἰσθητῶν λαμβάνουσα, ὅτι αἰσθάνεται μὲν ὧν αἰσθάνεται ὡς ὄντων ἐν



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fassen. Weil er selbst nämlich identisch mit der gedanklich erfassten Form ist, wenn er, indem er gedanklich erfasst, zu dem wird, was er gedanklich erfasst, so besitzt er folglich, weil er den Habitus besitzt, die Form gedanklich zu erfassen, somit auch den Habitus und das Vermögen, sich selbst gedanklich zu erfassen.48 Denn was er gedanklich zu erfassen vermag, das genau wird er selbst, indem er gedanklich erfasst, und er erfasst, sooft er gedanklich erfasst, in erster Linie und an sich die intelligible Form, je nach Konstellation aber sich selbst, da es ihm je nach Konstellation widerfährt, dann, wann er gedanklich erfasst, dasjenige zu werden, was er gedanklich erfasst.

Internalisierung der äußeren Relation zwischen Geist und gedanklich Erfasstem [86, 23] Nun stehen zwar, bevor der verwirklichte Geist gedank-

lich erfasst, das gedanklich Erfassende und das gedanklich Erfasste in einer äußerlichen Relation zueinander und stehen einander gegenüber als Teile eines Verhältnisses. Sobald sie aber verwirklicht werden, verschwindet ihr Entgegengesetztsein, indem sie einen einzigen Zusammenhang bilden. Sobald dies geschieht, ist nämlich der Begriff des Verhältnisses gar nicht mehr auf sie anwendbar. Deshalb wird der verwirklichte Geist, der mit dem gedanklich Erfassten identisch wird, zu Recht als derjenige bezeichnet, der sich selbst gedanklich erfasst. Demzufolge erfasst der verwirklichte Geist sich gedanklich selbst; denn was er gedanklich erfasst, zu dem wird er selbst. Die Formen erfasst er gedanklich nämlich abgetrennt von Materie, da er, wie wir zuvor schon sagten, nicht das hier und jetzt Gegebene erkennt, sondern [87] das wesentliche Sein, das diesem zukommt.49 In diesem Punkt kann man nicht mehr in analoger Weise behaupten, dass die in Verwirklichung befindliche Wahrnehmung sich selbst wahrnehme. Tatsächlich nimmt auch sie die Formen der wahrnehmbaren Dinge auf. Somit nimmt sie zwar dasjenige, was sie wahrnimmt, als et-

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Alexander von Aphrodisias · Text

ὕλῃ (τοῦδε γὰρ ἡ αἴσθησις), οὐ γίνεται δὲ αὐτὴ τῷ αἰσθητῷ ἡ αὐτή, ὅτι μὴ ὡς ὕλη τὸ εἶδος λαμβάνει.

[87, 5] καὶ γὰρ τὰ ἔνυλα εἴδη καὶ αἰσθητὰ ἄλλως μὲν ἡ αἴσθησις,

ἄλλως δὲ ὁ νοῦς κρίνει. ἔστι μὲν γὰρ ἐπὶ τῶν τοιούτων καὶ ὅλως ἐπὶ τῶν συνθέτων ἐξ ὕλης τε καὶ εἴδους ἄλλο τὸ τόδε τι, καὶ ἄλλο τὸ τῷδε εἶναι. οὐ γὰρ ταὐτόν ἐστι χαλκὸς καὶ τὸ εἶναι χαλκῷ· χαλκὸς μὲν γὰρ τὸ συναμφότερον, τὸ δὲ χαλκῷ εἶναι οὐ κατὰ τὸ συναμφότερον ἔτι, ἀλλὰ κατὰ τὸ εἶδός τε καὶ τὸν λόγον, ὃς ἐν τῇ ὑποκειμένῃ ὕλῃ γενόμενος ἐποίησεν χαλκὸν αὐτήν. οὔσης δὴ ἐν τοῖς αἰσθητοῖς ταύτης τῆς διαφορᾶς, ἡ μὲν αἴσθησις τοῦ συναμφοτέρου ἐστὶ κριτική (τοῦ γὰρ εἴδους ὡς ἐν ὕλῃ ὄντος τὴν ἀντίληψιν ποιεῖται· διὸ καὶ πᾶν τὸ αἰσθητὸν τόδε τί ἐστι καὶ καθ’ ἕκαστον, τὸ γὰρ συναμφότερον τοιοῦτον).

[87, 14] ὁ δὲ νοῦς τοῦ εἴδους καὶ τοῦ λόγου καθ’ ὅν ἐστι τόδε

τι θεωρητικός ἐστι. διὸ οὐ τοῦδε, ἀλλὰ τοιοῦδε, καὶ οὐ τοῦ



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was an der Materie Seiendes wahr (hierauf bezieht sich nämlich die Wahrnehmung); sie wird aber nicht etwa identisch mit dem Wahrgenommenen, da sie die Form nicht als Materie aufnimmt.

Sinnliche, materiegebundene Form und geistige, allgemeine Form [87, 5] Auch was nämlich die materiegebundenen und sinnli-

chen Formen betrifft, so urteilt die sinnliche Wahrnehmung auf andere Weise als der Geist. Ist doch bei allen derartigen Dingen und überhaupt bei allem, was aus Materie und Form zusammengesetzt ist, das hier und jetzt Gegebene etwas anderes als das wesentliche Sein, das diesem zukommt. So ist z. B. ein individuelles Stück Bronze nicht dasselbe wie das Bronzesein.50 »Bronze« bezeichnet beides zugleich, Materie und Form; »Bronzesein« dagegen wird nicht mehr im Hinblick auf beides zugleich ausgesagt, sondern nur noch im Hinblick auf die Form und den Begriff, welcher übrigens die Bronzestatue selbst hervorbringt, indem er an der ihr zugrunde liegenden Materie zum Dasein gelangt.51 Weil sich der Unterschied zwischen Materie und Form an den wahrnehmbaren Gegenständen findet, ist zwar die sinnliche Wahrnehmung ein Vermögen, welches das aus beidem Zusammengesetzte beurteilt. (Denn sie bewirkt das Erfassen der Form als eines an der Materie Seienden; deshalb ist auch alles sinnlich Wahrnehmbare ein hier und jetzt Gegebenes und Einzelnes, denn von dieser Art ist, was aus Materie und Form zusammengesetzt ist).

Was nur der Geist erfassen kann [87, 14] Der Geist hingegen ist fähig, die Form und den Begriff zu

betrachten, dem gemäß das hier und jetzt Gegebene existiert; deshalb betrachtet der Geist nicht dieses hier und jetzt Gege-

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Alexander von Aphrodisias · Text

καθέκαστα, ἀλλὰ τοῦ καθόλου. κατὰ γὰρ τὸν λόγον πάντα τὰ ὁμοειδῆ ἀλλήλοις εἰσὶν ὁμοειδῆ τὸν αὐτὸν ὄντα, οὗ ἐστιν ὁ νοῦς θεωρητικός· ἐφ’ ὧν μὲν οὖν ἄλλο ἐστὶ τὸ τόδε καὶ τὸ τῷδε εἶναι, ἐπὶ τούτων ἄλλη μὲν ἡ γνωστικὴ δύναμις τοῦδε [ἡ γὰρ αἴσθησις], ἄλλη δὲ ἡ τοῦ τῷδε εἶναι [ὁ γὰρ νοῦς], ἐφ’ ὧν δὲ ταὐτὸν τὸ τόδε καὶ τὸ τῷδε εἶναι [τοῦτο δέ ἐστιν ἐπὶ τῶν εἰδῶν τῶν χωρὶς ὕλης], τούτων νοῦς μόνος ἐστὶ θεωρητικός. οὐδὲν γὰρ τῶν τοιούτων αἰσθητὸν ἔτι. πᾶν γὰρ τὸ αἰσθητὸν ἔνυλόν τε καὶ σύνθετον.

[87, 24] Τὰ μὲν οὖν τῶν συνθέτων τὸ τί ἦν εἶναί τε καὶ τὰ τούτων

εἴδη ὁ νοῦς αὑτῷ νοητὰ ποιεῖ χωρίζων αὐτὰ τῶν σὺν οἷς αὐτοῖς τὸ εἶναι. εἰ δέ τινά ἐστιν εἴδη, ὡς τὰ καθ’ αὑτά, χωρὶς ὕλης τε καὶ ὑποκειμένου τινός, ταῦτα κυρίως ἐστὶ νοητά, ἐν τῇ οἰκείᾳ φύσει τὸ εἶναι τοιαῦτα ἔχοντα, ἀλλ’ οὐ παρὰ τῆς τοῦ νοοῦντος αὐτὰ βοηθείας λαμβάνοντα. τὰ δὲ τῇ αὑτῶν φύσει νοητὰ κατ’ ἐνέργειαν νοητά, δυνάμει γὰρ νοητὰ τὰ ἔνυλα. ἀλλὰ μὴν [88] τὸ κατ’ ἐνέργειαν νοητὸν ταὐτὸν τῷ κατ’ ἐνέργειαν νῷ, εἴ γε ταὐτὸν



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bene, sondern wie es beschaffen ist, und nicht das je Einzelne, sondern das Allgemeine.52 Denn hinsichtlich ihres Begriffs sind alle Einzeldinge, die miteinander gleichartig sind, insofern von der gleichen Art, als ihr Begriff derselbe ist, den der Geist betrachtet. Weil es demnach zweierlei ist, ob es sich um das hier und jetzt Gegebene handelt oder um das wesentliche Sein, das diesem zukommt, so entsprechen dem auch zwei unterschiedliche Erkenntnisvermögen: eines, das sich auf das hier und jetzt Gegebene bezieht (nämlich die Wahrnehmung), und ein anderes, das sich auf dessen Wesen bezieht (nämlich der Geist). Bei denjenigen Dingen aber, bei denen das hier und jetzt Gegebene und sein Wesen identisch sind (und dies ist der Fall bei denjenigen Formen, die von der Materie abgetrennt sind 53), ist es allein der Geist, der sie betrachtet. Denn diese Dinge entziehen sich der Wahrnehmung, da alles Wahrnehmbare an der Materie hängt und aus Form und Materie zusammengesetzt ist.

Die Einheit des verwirklichten Geistes mit den reinen Formen [87, 24] Demnach macht der Geist die Wesensbegriffe der zusammengesetzten Dinge und deren Formen für sich zu gedanklich erfassbaren Gegenständen, indem er sie von den materiellen Bedingungen abtrennt, mit denen ihr Sein verbunden ist. Wenn es sich dagegen um irgendwelche Formen handelt, die auch an sich von Materie und einem ihnen Zugrundeliegenden abgetrennt sind, so stellen diese Formen das im eigentlichen Sinne gedanklich Erfassbare dar, da sie ihre derartige Beschaffenheit in ihrer eigenen Natur haben und diese nicht erst mit Hilfe des gedanklichen Erfassungsvermögens erlangen. Diese Formen, die von ihrer eigenen Natur aus gedanklich erfassbar sind, bilden das in Wirklichkeit gedanklich Erfassbare; denn die an Materie gebundenden Formen bilden das nur der Möglichkeit nach gedanklich Erfassbare. Nun ist aber [88] das in Wirklichkeit gedanklich Erfassbare identisch mit dem verwirklichten Geist, wenn nämlich das gedanklich Erfasste mit dem

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Alexander von Aphrodisias · Text

τὸ νοούμενον τῷ νοοῦντι. τὸ ἄρα ἄυλον εἶδος νοῦς ὁ κυρίως τε καὶ κατ’ ἐνέργειαν.

[88, 3] καὶ ὁ νοῶν ἄρα τοῦτο νοῦν νοεῖ οὐ γινόμενον νοῦν ὅτε

νοεῖται, ὡς ἐπὶ τῶν ἐνύλων εἰδῶν ἔχει, ἀλλὰ ὄντα νοῦν καὶ χωρὶς τοῦ ὑπὸ τοῦ νοῦ νοεῖσθαι. εἰ δὴ ὁ νοῶν νοῦς ἐν τῷ νοεῖν ὃ νοεῖ γίνεται, καὶ ὁ ἐν ἡμῖν νοῦς, οὗτος δέ ἐστιν ὁ καθ’ ἕξιν, ὅταν ταῦτα τὰ εἴδη νοῇ, ὁ αὐτὸς ἐκείνοις τότε γίνεται· ὁποῖα γάρ ἐστι κατὰ τὴν οἰκείαν ὑπόστασιν καὶ χωρὶς τοῦ νοεῖσθαι (ἁπλᾶ γὰρ τοιαῦτα), καὶ ἐν τῷ νοοῦντι αὐτὰ γίνεται. ὥσθ’ ὁ ταῦτα νοῶν νοῦς ὁ αὐτὸς αὐτοῖς, ὅτε νοεῖ, γίνεται.

[88, 9] νοῦς δὴ ἐπὶ τούτων τό τε νοούμενον καὶ τὸ νοοῦν, καὶ

ἄμφω τότε ταὐτό. ὅταν δέ γε τῶν ἐνύλων τι εἰδῶν νοῇ καὶ τὸ τί ἦν εἶναι ἐνύλου τινὸς λαμβάνῃ, οὐκέθ’ ὁ αὐτὸς πάντῃ γίνεται τῷ νοουμένῳ πράγματι, ὅτι τὸ μὲν νοούμενον ὑπ’ αὐτοῦ ἐπὶ ὕλῃ



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gedanklich Erfassenden identisch ist.54 Folglich ist die materiefreie Form Geist im eigentlichen Sinne, nämlich verwirklichter Geist.55

Die Identität des Erfassenden und des Erfassten im Geist [88, 3] Und so wird demnach derjenige Geist, der diese materie-

freie Form gedanklich erfasst, auch den Geist gedanklich erfassen. Und diese Form wird nicht etwa bloß dann zum Geist, wenn sie gedanklich erfasst wird, wie es sich bei den materiegebundenen Formen verhält, sondern sie ist vielmehr Geist auch unabhängig davon, ob sie von einem Geist gedanklich erfasst wird. Weil ja der gedanklich erfassende Geist durch sein Erfassen zu demjenigen wird, was er gedanklich erfasst, so wird auch der Geist, den wir in uns haben (dies aber ist der habituelle Geist), immer wenn er die besagten materiefreien Formen gedanklich erfasst, identisch mit diesen.56 So wie nämlich die Formen ihrem eigentümlichen Wesen zufolge und unabhängig von ihrem gedanklichen Erfasstwerden beschaffen sind (nämlich einfach), so treten sie auch selbst im gedanklich erfassenden Wesen auf. Deshalb wird auch der sie gedanklich erfassende Geist erst mit ihnen identisch, sobald er sie gedanklich erfasst.

Unterschiedliche Einheit des Geistes mit materiegebundenen und mit reinen Formen [88, 9] Folglich ist der Geist beim gedanklichen Erfassen solcher

materiefreier Formen sowohl das gedanklich Erfasste als auch das gedanklich Erfassende, und beides ist dann dasselbe. Wenn er dagegen eine der materiegebundenen Formen gedanklich erfasst und den Wesensbegriff von etwas Materiegebundenem erkennt, dann wird er nicht mehr in jeder Hinsicht identisch mit der gedanklich erfassten Sache, weil zwar das von ihm Gedachte sein wesentliches Sein in einer bestimmten Materie hat,

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Alexander von Aphrodisias · Text

τινὶ τὸ εἶναι ἔχει, ὁ δ’ αὐτὸ ὡς κεχωρισμένον ὕλης λαμβάνει. διὸ τὸ τοιοῦτον εἶδος νοούμενον μὲν νοῦς ἐστι καὶ αὐτό, ἔξω δὲ τοῦ νοεῖσθαι γενόμενον οὐκέτι. ἔτι ὁ μὲν νοῦς χωρὶς ὕλης εἶδός τι, τὸ δὲ ἐν ὕλῃ τὸ εἶναι ἔχει.

[88, 17] Ἐπεὶ δὲ ἐν πᾶσιν τοῖς γινομένοις τε καὶ συνεστῶσιν κατὰ

φύσιν, ἐν οἷς ὕλη τίς ἐστιν, τὸ μέν τι ὕλη ἐστὶν ἐν ἐκείνῳ τῷ λαμβανομένῳ γένει (τοῦτο δέ ἐστιν, ὃ πάντα δυνάμει ἐστὶ τὰ ἐν ἐκείνῳ τῷ γένει), τὸ δέ τι ποιητικὸν τοῦ ἐν τῇ ὕλῃ γίνεσθαι ταῦτα ὧν ἐστι δεκτική (ὥσπερ καὶ ἐπὶ τῶν κατὰ τέχνην γινομένων ἔχον ὁρῶμεν· ἡ γὰρ τέχνη τοῦ τὸ εἶδος ἐν τῇ ὕλῃ γίνεσθαι τὴν αἰτίαν ἔχει), ἀναγκαῖον δοκεῖ καὶ ἐπὶ τοῦ νοῦ ταύτας εἶναι τὰς διαφοράς. καὶ ἐπεί ἐστιν ὑλικός τις νοῦς, εἶναί τινα δεῖ καὶ ποιητικὸν νοῦν, ὃς αἴτιος τῆς ἕξεως τῆς τοῦ ὑλικοῦ νοῦ γίνεται.

[88, 24] εἴη δ’ ἂν οὗτος τὸ κυρίως τε καὶ μάλιστα νοητὸν εἶδος,

τοιοῦτον δὲ τὸ χωρὶς ὕλης. ἐν πᾶσιν γὰρ τὸ μάλιστα καὶ κυρίως τι ὂν καὶ τοῖς ἄλλοις αἴτιον τοῦ εἶναι [89] τοιούτοις. τό τε γὰρ



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er selbst aber dieses Sein als getrennt von der Materie begreift. Deshalb ist zwar eine derartige materiegebundene Form, sofern sie gedanklich erfasst wird, auch selbst Geist; sie ist dies aber nicht mehr unabhängig vom Zustand ihres gedanklichen Erfasstwerdens. Darüber hinaus ist zwar der Geist eine Form, die von der Materie abgetrennt ist.57 Jene besagte Form dagegen hat ihr Sein nur an der Materie.

Zum Verhältnis von materiellem und wirkendem Geist [88, 17] Nun findet sich bei allen Dingen, die entstehen, die von

Natur aus zusammengesetzt sind und bei denen es eine Materie gibt, einerseits dasjenige, was bei jener vorfindlichen Gattung als Material dient (dies aber ist das, was alles zu dieser Gattung Gehörige seiner Möglichkeit nach ist), und andererseits dasjenige, was das Entstehen derjenigen Formen an der Materie hervorbringt, welche diese aufnehmen kann.58 (Ähnlich verhält es sich, wie wir beobachten können, übrigens auch bei denjenigen Dingen, die durch Kunst entstehen; denn auch die Kunst enthält die Ursache dafür, dass die Form im Material entsteht). Deshalb scheint es notwendig, dass sich diese Unterschiede auch beim Geist finden lassen; und da es einen materiellen Geist gibt, so muss es auch einen wirkenden Geist geben,59 der als Ursache für den Habitus des materiellen Geistes fungiert.60

Der wirkende Geist als erste Ursache [88, 24] Dieser [wirkende] Geist dürfte gewiss die im eigentli-

chen Sinne und im höchsten Maße gedanklich erfassbare Form sein;61 von dieser Art ist aber nur dasjenige, was abgetrennt von Materie ist.62 Bei allen Arten ist nämlich jeweils das im höchsten Maße und auf hervorragende Weise Seiende auch die Ursache für das Sein der anderen Dinge [89] von dieser Art. So ist denn z. B. dasjenige, was im höchsten Maße sichtbar ist (dies

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Alexander von Aphrodisias · Text

μάλιστα ὁρατόν, τοιοῦτον δὲ τὸ φῶς, καὶ τοῖς ἄλλοις τοῖς ὁρατοῖς αἴτιον τοῦ εἶναι ὁρατοῖς, ἀλλὰ καὶ τὸ μάλιστα καὶ πρώτως ἀγαθὸν καὶ τοῖς ἄλλοις ἀγαθοῖς αἴτιον τοῦ εἶναι τοιούτοις· τὰ γὰρ ἄλλα ἀγαθὰ τῇ πρὸς τοῦτο συντελείᾳ κρίνεται. καὶ τὸ μάλιστα δὴ καὶ τῇ αὑτοῦ φύσει νοητὸν εὐλόγως αἴτιον καὶ τῆς τῶν ἄλλων νοήσεως. τοιοῦτον δὲ ὂν εἴη ἂν ὁ ποιητικὸς νοῦς. εἰ γὰρ μὴ ἦν τι νοητὸν φύσει, οὐδ’ ἂν τῶν ἄλλων τι νοητὸν ἐγίνετο, ὡς προείρηται. ἐν γὰρ πᾶσιν ἐν οἷς τὸ μὲν κυρίως τί ἐστιν, τὸ δὲ δευτέρως, τὸ δευτέρως παρὰ τοῦ κυρίως τὸ εἶναι ἔχει. ἔτι, εἰ ὁ τοιοῦτος νοῦς τὸ πρῶτον αἴτιον, ὃ αἰτία καὶ ἀρχὴ τοῦ εἶναι πᾶσι τοῖς ἄλλοις, εἴη ἂν καὶ ταύτῃ ποιητικός, ᾗ αὐτὸς αἴτιος τοῦ εἶναι πᾶσι τοῖς νοουμένοις.

[89, 11] καὶ ἔστιν ὁ τοιοῦτος νοῦς χωριστός τε καὶ ἀπαθὴς καὶ

ἀμιγὴς ἄλλῳ, ἃ πάντα αὐτῷ διὰ τὸ χωρὶς ὕλης εἶναι ὑπάρχει. χωριστός τε γὰρ καὶ αὐτὸς καθ’ αὑτὸν ὢν διὰ τοῦτο. τῶν γὰρ ἐνύλων εἰδῶν οὐδὲν χωριστὸν ἢ λόγῳ μόνον τῷ φθορὰν αὐτῶν εἶναι τὸν ἀπὸ τῆς ὕλης χωρισμόν. ἀλλὰ καὶ ἀπαθής, ὅτι τὸ πάσχον ἐν πᾶσιν ἡ ὕλη καὶ τὸ ὑποκείμενον. ἀπαθὴς δὲ ὢν καὶ μὴ μεμιγμένος ὕλῃ τινὶ καὶ ἄφθαρτός ἐστιν, ἐνέργεια ὢν καὶ



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aber ist das Licht), zugleich die Ursache dafür, dass die anderen sichtbaren Dinge sichtbar sind.63 Aber auch das im höchsten Maße und erstrangige Gute ist zugleich die Ursache dafür, dass die anderen guten Dinge von dieser Art sind; denn die anderen guten Dinge werden nach dem Vollkommenheitsgrad beurteilt, den sie in Relation zu jenem höchsten Guten erreicht haben. Daher ist offensichtlich das im höchsten Maße und aufgrund seiner eigenen Natur gedanklich Erfassbare auch die Ursache für das gedankliche Erfassen der übrigen Dinge. Ein derartiges Seiendes dürfte folglich der wirkende Geist sein. Wenn es nämlich kein von Natur aus gedanklich Erfassbares gäbe, dann gäbe es, wie gesagt, auch für die anderen Dinge nichts gedanklich Erfassbares. Denn bei all denjenigen Arten, bei denen es etwas Erstrangiges und etwas von niederem Range gibt, da hat das Niederrangige sein Sosein von dem Erstrangigen. Wenn ferner der so beschaffene Geist die erste Ursache ist, die den Ursprung und das Prinzip des Seins aller übrigen Dinge bildet,64 dann ist dieser Geist gewiss auch insofern wirkend, als er selbst für alle anderen gedanklich erfassbaren Dinge die Ursache ihres Seins ist.65

Abgetrenntheit, Unbeeinflussbarkeit und Unvermischtheit des wirkenden Geistes [89, 11] Und dieser so beschaffene Geist ist abgetrennt, unbeein-

flussbar und unvermischt mit anderem.66 Alle diese Eigenschaften kommen ihm deshalb zu, weil er abgetrennt von der Materie ist.67 Abgetrennt nämlich und selbst für sich seiend ist er hierdurch. Denn bei den materiegebundenen Formen ist nichts abtrennbar außer allein dem Begriff nach, weil ihre Abtrennung von der Materie ihren Untergang bedeutete. Aber auch unbeeinflussbar [ist der Geist wegen seiner Abgetrenntheit], weil dasjenige, was bei allen Arten das Erleidende ausmacht, die Materie und das Zugrundeliegende ist. Wenn der Geist aber unbeeinflussbar und unvermischt mit einer Materie ist, dann ist er auch unvergänglich, indem er Wirklichkeit und Form abge-

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Alexander von Aphrodisias · Text

εἶδος χωρὶς δυνάμεώς τε καὶ ὕλης. τοιοῦτον δὲ ὂν δέδεικται ὑπ’ Ἀριστοτέλους τὸ πρῶτον αἴτιον, ὃ καὶ κυρίως ἐστὶ νοῦς. τὸ γὰρ ἄυλον εἶδος ὁ κυρίως νοῦς. διὸ καὶ τιμιώτερος οὗτος ὁ νοῦς τοῦ ἐν ἡμῖν τε καὶ ὑλικοῦ, ὅτι ἐν πᾶσιν τὸ ποιοῦν τοῦ πάσχοντος τιμιώτερον καὶ τὸ χωρὶς ὕλης τοῦ σὺν ὕλῃ.

[89, 21] ὃν ὁ νοῶν νοῦς, ὅταν αὐτὸν νοῇ, ἐκεῖνός πως γίνεται, εἴ

γε τὸ νοεῖν ἐν τῷ λαβεῖν τὸ εἶδος τὸ νοούμενον καὶ ὁμοιωθῆναι αὐτῷ, ἀναλόγως τῇ ἐπιστήμῃ, ἣ ὅταν ἐνεργῇ τὸ θεωρούμενον ὑπ’ [90] αὐτῆς ἑκάστοτέ ἐστιν αὐτή. ἡ γὰρ κατ’ ἐνέργειαν ἐπιστήμη τὸ θεωρούμενον. ἐπὶ μὲν οὖν τῶν ἐνύλων εἰδῶν, ὥσπερ εἶπον, ὅταν μὴ νοῆται τὰ τοιαῦτα εἴδη, οὐδέ ἐστιν αὐτῶν τι νοῦς, εἴ γε ἐν τῷ νοεῖσθαι αὐτοῖς ἡ τοῦ νοητοῖς εἶναι ὑπόστασις. τὰ γὰρ καθόλου καὶ κοινὰ τὴν μὲν ὕπαρξιν ἐν τοῖς καθέκαστά τε καὶ ἐνύλοις ἔχει. νοούμενα δὲ χωρὶς ὕλης κοινά τε καὶ καθόλου γίνεται, καὶ τότε ἐστὶ νοῦς ὅταν νοῆται. εἰ δὲ μὴ νοοῖτο, οὐδὲ ἔστιν ἔτι. ὥστε χωρισθέντα τοῦ νοοῦντος αὐτὰ νοῦ φθείρεται, εἴ γε ἐν τῷ νοεῖσθαι τὸ εἶναι αὐτοῖς. ὅμοια δὲ τούτοις καὶ τὰ ἐξ ἀφαιρέσεως, ὁποῖά ἐστι τὰ μαθηματικά. φθαρτὸς ἄρα ὁ τοιοῦτος νοῦς, τουτέστιν τὰ τοιαῦτα νοήματα.



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trennt von Möglichkeit und Materie ist.68 Dass aber ein solches Seiendes die erste Ursache ist, hat Aristoteles nachgewiesen. Dies ist auch Geist im eigentlichen Sinne, denn die materiefreie Form ist Geist im eigentlichen Sinne.69 Deshalb ist dieser Geist auch ehrwürdiger als der in uns sich befindende materielle Geist, denn bei allen Arten ist das Wirkende stets würdevoller als das Leidende und das von Materie Abgetrennte stets würdevoller als das mit Materie Vermischte.70

Die Sterblichkeit des materiellen Geistes [89, 21] Sooft der denkende Geist jenen höchsten Geist gedank-

lich erfasst, wird er in gewisser Weise zu diesem, weil das gedankliche Erkennen im Erfassen der gedanklich erkennbaren Form und in einer Angleichung an sie besteht.71 Dies geschieht analog zur Wissenschaft, die, sobald sie tätig ist, das von ihr Betrachtete [90] jedesmal selbst ist. Denn die wirklich ausgeübte Wissenschaft fällt zusammen mit dem Betrachteten.72 Nun gibt es, wie ich oben erklärt habe,73 bei den materiegebundenen Formen, wenn sie nicht gedanklich erkannt werden, keinen Geist, weil sie die Grundlage ihrer Zugehörigkeit zu den gedanklich erkennbaren Dingen darin haben, dass sie gedacht werden. Denn das Allgemeine und Gemeinsame hat seine Existenz nur im je Einzelnen und Materiellen; wenn die Formen aber gedanklich erkannt werden, abgetrennt von Materie, so werden sie zum Gemeinsamen und Allgemeinen, und sie sind Geist nur in dem Moment, in dem sie gedacht werden. Wenn sie dagegen nicht gedacht werden, existieren sie auch nicht mehr. Deshalb hören sie auf zu existieren, wenn sie von dem Geist, der sie gedanklich erfasst, getrennt werden, da sie ihr Sein nur in ihrem gedanklichen Erfasstwerden haben. Ähnlich diesen materiegebundenen Formen sind auch diejenigen Formen, die ihren Ursprung in einer Abstraktion haben, wie etwa die mathematischen Gegenstände. Sterblich ist demnach auch der derart abstrahierende Geist, das heißt die derartigen abstrakten Gedanken.

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Alexander von Aphrodisias · Text

[90, 11] ἐν οἷς δὲ τὸ νοούμενον κατὰ τὴν αὑτοῦ φύσιν ἐστὶ

τοιοῦτον, οἷον νοεῖται (ἔστι δὲ τοιοῦτον ὂν καὶ ἄφθαρτον), ἐν τούτοις καὶ χωρισθὲν τοῦ νοεῖσθαι ἄφθαρτον μένει, καὶ ὁ νοῦς ἄρα ὁ τοῦτο νοήσας ἄφθαρτός ἐστιν, οὐχ ὁ ὑποκείμενός τε καὶ ὑλικός (ἐκεῖνος μὲν γὰρ σὺν τῇ ψυχῇ, ἧς ἐστι δύναμις, φθειρομένῃ φθείρεται, ᾧ φθειρομένῳ συμφθείροιτο ἂν καὶ ἡ ἕξις τε καὶ ἡ δύναμις καὶ τελειότης αὐτοῦ), ἀλλ’ ὁ ἐνεργείᾳ τούτῳ, ὅτε ἐνόει αὐτό, ὁ αὐτὸς γινόμενος (τῷ γὰρ ὁμοιοῦσθαι τῶν νοουμένων ἑκάστῳ, ὅτε νοεῖται, ὁποῖον ἂν ᾖ τὸ νοούμενον, τοιοῦτος καὶ αὐτὸς ὅτε αὐτὸ νοεῖ γίνεται), καὶ ἔστιν οὗτος ὁ νοῦς ὁ θύραθέν τε ἐν ἡμῖν γινόμενος καὶ ἄφθαρτος.

[90, 20] θύραθεν μὲν γὰρ καὶ τὰ ἄλλα νοήματα, ἀλλ’ οὐ νοῦς

ὄντα, ἀλλ’ ἐν τῷ νοεῖσθαι γενόμενα νοῦς. οὗτος δὲ καὶ ὡς νοῦς θύραθεν. μόνον γὰρ τοῦτο τῶν νοουμένων νοῦς καθ’ αὑτό τε καὶ χωρὶς τοῦ νοεῖσθαι. ἄφθαρτος δέ, ὅτι ἡ φύσις αὐτοῦ τοιαύτη. ὁ οὖν νοούμενος ἄφθαρτος ἐν ἡμῖν νοῦς οὗτός ἐστιν, [ὅτι χωριστός τε ἐν ἡμῖν καὶ ἄφθαρτος νοῦς, ὃν καὶ θύραθεν Ἀριστοτέλης



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Die Unvergänglichkeit des wirkenden Geistes [90, 11] Bei denjenigen Formen hingegen, bei denen das gedank-

lich Erfassbare gemäß seiner eigenen Natur genauso beschaffen ist, wie es gedanklich erfasst wird (und ein derartiges Seiendes ist auch unvergänglich), bei denen bleibt das gedanklich Erfasste auch unabhängig vom gedanklichen Erfasstwerden unvergänglich, und folglich ist auch der Geist, der dieses erfasst, selbst unvergänglich. Und dies ist nicht etwa der zugrunde liegende und materielle Geist. (Dieser nämlich geht zusammen mit der Seele, dessen Vermögen er ja ist, zugrunde, und indem er zerstört wird, dürfte auch sein Habitus, sein Vermögen und seine Vollkommenheit mit zerstört werden).74 Unvergänglich ist vielmehr derjenige Geist, der jedesmal, wenn er es gedanklich erfasst, in Wirklichkeit mit jenem gedanklich Erfassten identisch wird.75 (Weil nämlich der Geist sich einem jeden der gedanklich erfassbaren Gehalte angleicht, sobald diese gedanklich erfasst werden, wird auch der Geist selbst so werden wie das, was er gedanklich erfasst, wenn er dieses erfasst). Und dies ist der von außen in uns hineingelangende und unvergängliche Geist.76

Der wirkende Geist als von außen hinzukommender Geist [90, 20] Denn von außen stammen zwar auch die anderen ge-

danklich erfassbaren Formen; sie sind aber nicht bereits als solche Geist, sondern werden zu Geist erst aufgrund ihres gedanklichen Erfasstwerdens. Der besagte Geist aber kommt bereits als Geist von außen herein. Denn von allen gedanklich erfassbaren Formen existiert allein der Geist an sich und unabhängig davon, ob er gedanklich erfasst wird. Unvergänglich aber ist er, weil seine Natur von solcher Art ist. Dies aber ist der gedanklich erfassbare unvergängliche Geist in uns, [denn der bei uns abgetrennte und unvergängliche Geist, den Aristoteles auch den von draußen stammenden Geist nennt, wird bei uns zu

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Alexander von Aphrodisias · Text

λέγει, νοῦς ὁ ἔξωθεν γινόμενος ἐν ἡμῖν,] ἀλλ’ οὐχ ἡ δύναμις τῆς ἐν ἡμῖν ψυχῆς, οὐδὲ ἡ ἕξις, καθ’ ἣν ἕξιν ὁ δυνάμει νοῦς τά τε ἄλλα καὶ τοῦτον νοεῖ. ἀλλ’ οὐδὲ τὸ νόημα ὡς νόημα ἄφθαρτον διὰ τὸ νοούμενον τότε. διὸ οἷς μέλει τοῦ ἔχειν τι θεῖον ἐν αὑτοῖς, τούτοις προνοητέον τοῦ δύνασθαι νοεῖν τι καὶ τοιοῦτον.



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einem von außen stammenden Geist], nicht jedoch das Vermögen der in uns befindlichen Seele; auch ist es nicht der Habitus, kraft dessen der in Möglichkeit befindliche Geist die anderen Formen sowie diesen Geist gedanklich erfasst. Und auch, dass der Gedanke qua Gedanke unvergänglich sei aufgrund des zuvor gedanklich erfassten Gegenstandes, trifft nicht zu. Deshalb müssen diejenigen, denen es am Herzen liegt, etwas Göttliches in sich haben, dafür Sorge tragen, dass sie fähig sind, etwas derart Göttliches auch gedanklich zu erfassen.

3. ALEX ANDER VON APHRODISIAS Über den Geist Eingeleitet, übersetzt und erläutert von Joachim Söder

1. Historische Einordnung Über die persönlichen Lebensumstände Alexanders aus der kleinasiatischen Stadt Aphrodisias wissen wir fast nichts. Das einzige ungefähr datierbare Dokument aus seinem Leben ist die Widmung seiner Schrift De fato, mit der er sich bei den Kaisern Septimius Severus und Caracalla für die Berufung auf einen athenischen Stiftungslehrstuhl bedankt.1 Die genannten Kaiser, Vater und Sohn, regierten gemeinsam von 198–209, so dass Alexanders Wirksamkeit für die Wende vom 2. zum 3. Jahrhundert feststeht. Ein Vierteljahrhundert zuvor hatte Kaiser Mark Aurel in der Stadt des Sokrates vier Lehrstühle eingerichtet, welche die vier klassischen Schulen der griechischen Philosophie repräsentieren sollten: Platonismus, Aristotelismus, Stoizismus und Epikureismus. Naheliegend, wenn auch nicht letztlich gesichert, ist, dass Alexander die Professur für aristotelische Philosophie innehatte; sein exegetisches Prinzip, das »Aristoteles allein durch Aristoteles«2 erklären will, ebenso wie sein gesamtes Philosophieren hat einen stark anti-platonischen und stoa-kritischen Zug. In seinen Kommentaren, die fast das vollständige Corpus Aristotelicum abdecken, ringt er akribisch um philologische Sauberkeit als die Grundlage, auf der sich erst der authentische philosophische Sinngehalt erschließen lässt. Dieses Bemühen um die Herausarbeitung des genuin Aristo­ telischen macht Alexander zu einem der wichtigsten peripa­1 2

 Alexander von Aphrodisias, fat., S. 164, 4–15.  Moraux 1942, S. XVI.

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Alexander von Aphrodisias · Einleitung

tetischen Philosophen der Spätantike und bringt ihm den Bei­ namen »der Kommentator« (ὁ ἐξηγητής)3 oder sogar »der zweite Aristoteles« (δεύτερος Ἀριστοτέλης)4 ein. Nach allem, was wir wissen, hat sich Alexander mindestens dreimal einschlägig zur aristotelischen Seelenlehre geäußert: (1) in einem Kommentar zu Aristoteles’ Schrift De anima; (2) in einer eigenen Schrift, welche ebenfalls den Titel »Über die Seele« (De anima) trägt; (3) in einem recht disparaten Werk, dem moderne Forscher die etwas merkwürdige formale Überschrift Mantissa gegeben haben. (1) Alexander scheint überhaupt der Erste gewesen zu sein, der es unternommen hat, den aristotelischen Text von De anima schriftlich auszulegen.5 Leider ist uns dieser Kommentar heute gänzlich verloren, es haben sich nur Bezeugungen bei späteren Autoren, nämlich Johannes Philoponos, Priskian von Lydien (›Simplikios‹) und Stephanos von Alexandrien (›Philoponos‹), erhalten. (2) Sein Inhalt ist aber in Alexanders eigenständige Schrift gleichen Namens eingegangen. Neuere Forschungen deuten Alexanders De anima sogar als Kurzfassung des ursprünglichen Kommentars.6 Dieser Text, in den Handschriften als »erstes Buch über die Seele« betitelt, wurde von Ivo Bruns 1887 erstmals kritisch ediert.7 (3) Bei Bruns8 finden wir auch einen Text, der in den Handschriften als »zweites Buch De anima« firmiert, dem der Editor  Z. B. Simplikios, in phys. 1170, 13; 1176, 32 Diels; Priskian (›Simplikios‹), in an. 52, 27–28 Hayduck; Olympiodor, in meteor. 263, 21 Stüve. 4  Elias, in cat. 128, 13 Busse; ähnlich Syrian, in metaph. 100, 6 Kroll: νεώ­τε­ρος Ἀριστοτέλης. 5  Moraux 1942, S. XVI. 6  Accattino/Donini 1996, S. VII–VIII, ähnlich schon Moraux 1942, S. 21. 7  Neuedition und italienische Übersetzung von Accattino/Donini 1996; englische Übersetzung von Fotinis 1980. 8  Bruns 1887, S. 101–186. Revidierter Text mit italienischer Übersetzung von Accattino 2005; englische Übersetzung von Sharples 2004a. Eine Neuedition des griechischen Textes hat Sharples 2008 vorgelegt. 3



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aber auf Grund der Vorarbeiten Jakob Freudenthals9 den Beinamen Mantissa (= Zugabe) gegeben hat. Diese Bezeichnung trägt dem Umstand Rechnung, dass es sich bei der Schrift nicht um eine Fortsetzung von De anima handelt, sondern um etwas Eigenes, um nicht zu sagen: Eigentümliches. Die sogenannte Mantissa ist eine Sammlung ganz unterschiedlicher, nur lose miteinander zusammenhängender Einzelstücke, die sich auf verschiedene Aspekte der Seelenlehre beziehen. Ein Großteil dieser Stücke bietet gar keinen ausgearbeiteten Text, sondern stellt lediglich, zum Teil in recht abgekürzter Form, Argumentationslisten zu einzelnen Themenbereichen der philosophischen Psychologie zusammen. Der polemische Charakter solcher Listen zeigt, dass sie offensichtlich dem internen Schulbetrieb entstammen und einen Argumentenfundus dokumentieren, der darauf abzielt, konkurrierende Lehrmeinungen zu widerlegen und die schuleigenen Auffassungen zu begründen. Neben den wohl nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Listen finden sich in der Mantissa aber auch einzelne richtig ausgearbeitete Traktate, deren zugrunde liegendes Material und Thematik auch in anderen Schriften Alexanders einen Widerhall finden. Einige dieser Stücke könnten Vorstufen zu späteren Abhandlungen sein, andere scheinen umgekehrt Überarbeitungen früherer Ausarbeitungen darzustellen.10 Im Ganzen ergibt sich also hinsichtlich des Inhalts und der Form der Mantissa ein sehr uneinheitliches Bild.

2. Aufbau und Inhalte von Περὶ νοῦ Der kurze Text, dem Spätere den Titel Über den Geist (Περὶ νοῦ bzw. De intellectu) gaben, ist das wirkungsgeschichtlich bedeutendste Stück der ganzen Mantissa-Sammlung. Entgegen dem ersten Eindruck handelt es sich hierbei nicht um einen ›naht Freudenthal 1884, S. 13, 27. Vgl. Bruns 1887, S. V.  Vgl. im Einzelnen Sharples 2004a, S. 1–2.

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los‹ durchkomponierten Traktat. Vielmehr wurde die Schrift, nach dem heutigen Stand der Forschung, aus drei ursprünglich selbständigen Arbeiten zusammengesetzt, vermutlich weil diese von ähnlicher Thematik waren.11 Während der Autor – trotz der noch ausstehenden Diskussion der Echtheitsfrage (siehe Abschnitt 3) im Folgenden Alexander genannt – im ersten Teiltraktat [A] von De intellectu seine eigene Lehre vorträgt, referiert er in [B] und [C] teilweise die Meinungen anderer. In [A] werden drei verschiedene Arten von Geist unterschieden und in ihrem Zusammenhang erläutert: der materielle Geist (νοῦς ὑλικός), der habituelle Geist (νοῦς ἐν ἕξει) und der wirkende Geist (νοῦς ποιητικός). Materieller und habitueller Geist stellen zwei Aspekte des menschlichen Denkvermögens dar, während der wirkende Geist eine außer- bzw. übermenschliche Instanz darstellt. Der als materiell bezeichnete Geist meint eine rezeptive Fähigkeit der menschlichen Seele, die als solche, d. h. durch Aufnahme beliebiger intelligibler Formen, in der Lage ist, »alles zu werden« (106, 26). Liegt hier der Fokus auf der Naturanlage, so beschreibt der Terminus ›habitueller Geist‹ den Aspekt der durch Betätigung und Übung zum Habitus verfestigten intellektuellen Disposition. Da Alexander in [A] den wirkenden Geist mit Aristoteles’ »Geist von außerhalb« (νοῦς θύραθεν: gen. an. II 3, 736b28) identifiziert, diesen aber als eine völlig materiefreie Form auffasst, die von dem für sich bestehenden und für sich denkfähigen menschlichen Geist real verschieden ist, hinterlässt er erstens der Nachwelt die Frage, ob der externe wirkende Geist für alle Menschen derselbe ist, so dass deren Verbindung mit ihm nach platonischem Muster als Teilhabe zu denken wäre. Zweitens gelangt er dadurch auf andere Weise zum selben Resultat wie Aristoteles: dass nämlich der wirkende Geist »unsterblich« sei (108, 30), während das geistige Vermögen des Menschen, sei es auf der Stufe des bloß materiellen Geistes oder der des habituellen Geistes, mit  Vgl. Accattino 2001; Sharples 2008, S. 2; Opsomer/Sharples 2000, S. 252–256. 11



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dem Tod zugrunde gehe. Obwohl schon Aristoteles selbst »die Unsterblichkeit auf den Intellekt beschränkte, die Seele aber für solidarisch mit dem Körper hielt und mit diesem untergehen ließ«, war es sein Exeget Alexander, dem man – »besonders in platonischen Kreisen« – diese (auch in De anima vertretene) Leugnung der individuellen Unsterblichkeit übelnahm.12 Der zweite Teiltraktat [B] weicht zwar hinsichtlich des in ihm vertretenen gedanklichen Standpunktes nicht auffällig von [A] ab, verfolgt aber ein anderes Darlegungsziel. Er dürfte etwas früher verfasst worden sein als [A],13 da Alexander im ersten Teil von [B] nicht seine direkt eigenen Thesen darlegt, sondern eine zu seiner Zeit bereits kursierende Auffassung über die Gründe referiert, die Aristoteles dazu bewogen haben sollen, einen »von außerhalb kommenden Geist« in seine Theorie einzuführen. Die Frage, wen Alexander im Eingangssatz mit der von ihm »gehörten« Autorität meint – ob mittelbar den Stagiriten, ob Aristoteles von Mytilene oder ob Aristokles von Messene –, wurde in der Forschung kontrovers diskutiert; zuletzt haben sich Opsomer/Sharples 2000 sowie Schroeder/Todd 2008, 674, wieder für Aristoteles von Stageira ausgesprochen (s.u. S. 874–876, Anm. 25). Alexanders kurzes Referat (110, 5–25) der Lehre dieser Person ist nicht sonderlich informativ und verfehlt auch sein erklärtes Beweisziel, die Gründe darzulegen, die Aristoteles dazu veranlassten, den »von außen kommenden Geist« in seine Psychologie einzuführen. Stattdessen wird nur die Notwendigkeit erläutert, dass es analog zur Sinneswahrnehmung auch beim gedanklichen Erfassen außer dem rezeptiven Element zusätzlich ein aktives, bewirkendes Element geben muss, das für die Aktualisierung der noetischen Fähigkeiten aufkommt. Eine Antwort wird demnach nur auf die Frage gegeben, weshalb Aristoteles überhaupt einen »wirkenden Geist« (νοῦς ποιητικός) einführt, nicht aber auf die Frage, weshalb und in welchem Sinne Aristoteles diesen wirkenden Geist als einen 12 13

 Moraux 1984, S. 416.  So auch Sharples 2004, S. 33, Anm. 72.

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»von außen in uns hineinkommenden Geist« (νοῦς θύραθεν) qualifiziert. Im zweiten Teil [B] nimmt Alexander diese Vorlage zum Anlass, eine kurze Skizze seiner eigenen Interpretation des νοῦς θύραθεν zu geben. Das »Von-außen-Kommen« dieses Geistes deutet Alexander dahingehend, dass er ein transzendentes, göttliches, unsterbliches Prinzip ist, welches als solches dem Menschen äußerlich bleibt. Dieser externe Geist ist zwar in gewisser Weise »die Ursache unseres Denkens«, aber nicht in dem Sinn, dass er unseren Geist, der von ihm real verschiedenen ist, allererst hervorbrächte. Vielmehr übt er bloß eine »mitwirkende Funktion« aus, indem er unseren schon existierenden Geist »vervollkommnet« und ihn dazu bringt, »seine eigentümlichen Kräfte zu entfalten«. Dies geschieht dadurch, dass wir ihn selbst zum Objekt gedanklichen Erfassens machen und dass uns hieraus mittelbar weitere Denkobjekte erwachsen. Der externe Geist ist nämlich das einzige Prinzip, das »seiner eigenen Natur nach gedanklich erfassbarer Gegenstand ist«, während alle übrigen Denkgegenstände erst mit seiner Hilfe durch Abstraktion gewonnen werden. Zutreffend charakterisiert Moraux den Typus der von Alexander in [B] vertretenen Noetik folgendermaßen: Sie »beruht offensichtlich weniger auf konkreten Erfahrungstatsachen und empirischen Beobachtungen über die Entwicklung des Denkvermögens des Menschen als auf abstrakten Grundsätzen und Vorstellungen, die folgerichtig miteinander kombiniert sind«.14 Teiltraktat [C] schließlich enthält ebenfalls das Referat einer zu Alexanders Zeit bereits kursierenden Auffassung der aristotelischen Noetik. Der unvermittelte Einsatz dieses Stückes lässt darauf schließen, dass sein Anfang, in dem wohl auch der anonyme Interpret genannt worden war, verloren gegangen ist.15 Was man über die Teiltraktate [B] und [C] gesagt hat, gilt für [C]  Moraux 1984, S. 415.  Moraux 1942, S. 149; Fotinis 1980, S. 149, Anm. 1; Schroeder/Todd 1990, S. 23, 30 f.; Opsomer/Sharples 2000, S. 252. 14

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ganz besonders: Dieses Stück »gehört zweifellos zu den ältesten und interessantesten Dokumenten, die wir über die Kommentierung der berühmten und jahrhundertelang leidenschaftlich diskutierten Kapitel De anima III 4–5 besitzen«.16 Die Interpretation jenes anonymen Lehrers nämlich, die Alexander zunächst ausführlich referiert und anschließend knapp zurückweist, gehört in die Tradition der naturalistischen Deutung der aristotelischen Geistlehre. Diese naturalistische Auslegung sucht gewisse schon im 2. Jahrhundert n. Chr. als notorisch geltende Schwierigkeiten im Gedanken eines »von außen eintretenden Geistes« dadurch aufzulösen, dass sie schon diesen wirkenden Geist als eine materiegebundene Substanz auffasst, die bei der Zeugung mit dem Sperma übertragen werden kann. Auf diese Weise lassen sich die aristotelischen Aussagen über einen Geist, der als »unvergängliche«, »bestimmte Substanz« »von außen« in den Leib »eintritt«, dort vom groben Körper »abgetrennt« und mit ihm »unvermischt« bleibt und sich nach dem Tod wieder vom Körper »abtrennt wie das Ewige vom Vergänglichen«,17 ganz wörtlich und realistisch verstehen. Entsprechend versteht der Anonymus das Verhältnis von wirkendem und leidendem Geist als eine Kausalität zwischen rein natürlichen Größen. Der von außen eintretende Geist sei als eine aktiv in der Materie wirkende Substanz aufzufassen; sobald der Körper eine feine, feuerartige Substanz ausbildet, bedient der Geist sich ihrer als Werkzeug, um »so etwas wie eine materiebezogene Tätigkeit« auszuüben (112, 30). Der leidende Geist wäre somit nichts anderes als diese feurige, vom Körper gebildete Substanz, die das Rezeptakulum der aktiven göttlichen Geistsubstanz bildet. »Fehlt eine dieser beiden Komponenten, ist es uns unmöglich zu denken« (112, 20 f.). Alexander unterzieht diese mit ihrem Rekurs auf die Feuersubstanz gewiss stoisch imprägnierte Interpretation nicht etwa einer näheren Kritik, sondern lehnt sie  Moraux 1984, S. 406.  Aristoteles, gen. an. II 3, 736b27 f.; II 6, 744b22; an. I 4, 408b18 f.; II 2, 413b26 f.; III 4, 429a24 f.; III 5, 430a17 f. 16 17

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explizit wegen dreier inakzeptabler Konsequenzen ab, implizit aber sicherlich auch wegen ihrer Basisthese der Materiegebundenheit des Geistes. Der Umstand, dass De intellectu in [B] ein Referat und in [C] obendrein sogar das Referat einer gegnerischen Position enthält, hatte für die spätere, insbesondere für die arabische Wirkungsgeschichte dieser Schrift die fatale Folge, »dass man in der Regel nicht zwischen der eigenen Noetik Alexanders und der von ihm referierten Theorie […] unterschied«. Und so wurden Alexander im Verlauf der Jahrhunderte von Anhängern wie Gegnern Thesen zugeschrieben, die er selbst gar nicht vertreten hatte.18

3. Zur Diskussion über die Echtheit von De intellectu Gewisse Widersprüche zwischen Alexanders De anima und De intellectu waren schon Ibn Rušd (Averroes) aufgefallen, ohne dass er freilich die Echtheit einer der beiden Schriften in Frage gestellt hätte.19 Ernste Bedenken dagegen, ob De intellectu wirklich von Alexander selbst stamme, wurden seit dem 19. Jahrhundert aufgeworfen und kontrovers diskutiert.20 Gründe für Zweifel an der Authentizität liefern nicht nur standpunktliche Divergenzen zur Geistlehre von De anima, sondern auch Abweichungen von deren Niveau und Darstellungsart sowie sprachliche Eigentümlichkeiten. Was die Standpunktunterschiede betrifft,21 so hatte Moraux argumentiert, dass die in De intellectu entfaltete Lehre  So Moraux 1984, S. 423 f., im Anschluss an Gilson 1981, S. 19, und mit einschlägigen Beispielen bei Ibn Rušd (Averroes). 19  Vgl. Ibn Rušd (Averroes), commentarium magnum in an. 483, 114–116 Crawford: »Quod autem dixit in quodam tractatu quem fecit de intellectu secundum opinionem Aristotelis videtur contradicere ei quod dixit in libro de anima.« 20  Einen Überblick über die frühen Thesen der Forschung gibt Moraux 1942, S. 25–28. 21  Vgl. Schroeder/Todd 1990, S. 6–11, und Accattino 2001. 18



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vom Geist »divergences doctrinales« von einer »diversité radicale« gegenüber De anima aufweise. Während in De anima der materielle Geist eine für sich erkenntnis- und abstraktionsfähige Kraft sei, werde ihm in De intellectu bloß ein »état embryonnaire« solcher Fähigkeiten zugewiesen. Ferner sei der habituelle Geist in De anima bloß eine »memoire intellectuelle« erworbener Eindrücke, während er in De intellectu der Zustand einer des Abstrahierens und des Aufnehmens intellektueller Formen fähigen Intelligenz sei. Außerdem werde in De intellectu der wirkende Geist als umfassendes Verwirklichungsprinzip vorgestellt: Erst er macht aus dem materiellen Geist einen habituellen; und auch nachdem das Denkvermögen bereits habitualisiert ist, bedarf der Mensch immer noch des von außerhalb kommenden νοῦς ποιητικός, um konkrete Denkleistungen zu realisieren. In De anima dagegen findet sich ein habitueller Geist, der es vermag, aus sich heraus zu denken. Ist der menschliche Geist erst einmal vom bloß materiellen in den habituellen Zustand übergegangen, so beschränke sich die Rolle des unabhängig vom Menschen existierenden wirkenden Geistes darauf, Prinzip der Intelligibilität alles Intelligiblen zu sein. Moraux zog aus diesen und anderen von ihm behaupten Diskrepanzen zunächst die Folgerung, dass De intellectu nicht von Alexander selbst stammen könne, wenngleich es seinen Geist atme.22 Eine entsprechende Forschungstendenz, das Werk der »Schule Alexanders« zuzuordnen,23 scheint jedoch insofern problematisch, als wir über die Existenz einer regulären Schule keine Gewissheit haben.24 Während Bazán die von Moraux herausgestellten Diskrepanzen zwar für zutreffend hielt, daraus jedoch den Schluss zog, dass De intellectu ein späteres Werk sein müsse, in dem gewisse  Moraux 1942, S. 132–142; die Behauptung gravierender Standpunktunterschiede findet sich auch noch in Moraux 2001, S. 389–392. 23  Vgl. Schroeder 1981, S. 217 Anm. 9: »The diverse writings contained in the De anima Mantissa may not be from Alexander’s hand, but may at least represent the thinking of his school«. 24  Vgl. Sharples 1990. 22

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Inkonsistenzen von De anima beseitigt seien,25 schließt sich die Mehrzahl der neueren Forschungen dagegen der umgekehrten Folgerung an, die erstmals von Donini vertreten wurde: De intellectu müsse vielmehr ein Frühwerk sein, weil die in De anima vertretene Lehre von den materiefreien Formen und transzendenten Objekten die fortgeschrittene und ausgereiftere Position erkennen lasse.26 Nachdem Moraux seine Unechtheitsthese widerrufen hatte und zunächst gute Gründe sowohl zugunsten von Bazáns Spätdatierung als auch zugunsten von Doninis Frühdatierung von De intellectu zu sehen glaubte,27 schloss er sich letztlich Doninis Hypothese an, dass wir es – mit »weitaus größerer Probabilität« als der Unechtheit – in De intellectu »mit einer Frühschrift des Exegeten zu tun haben«.28 Die Frühdatierung vermag nämlich erstens die späteren Unterschiede in De anima als Früchte seiner intensiven Kommentierungstätigkeit an Aristoteles’ De anima in Einzelfragen zu erklären und macht zweitens plausibel, weshalb Alexander in De intellectu noch viel stärker das Bedürfnis empfand, sich kritisch mit anderen Interpreten auseinanderzusetzen. Die heutige Forschung ist durch das Hin-und-Her der Hypothesen eher vorsichtig geworden, zumal Grund besteht, angesichts einiger Undeutlichkeiten in der Geistlehre von De anima auch mit der Behauptung von Abweichungen zu De intellectu zurückhaltend zu sein. Entweder hält man De intellectu heute für ein authentisches Werk Alexanders, was insbesondere Accattino aufgrund ausführlicher Analysen zu zeigen versucht. Fasst man es nämlich als eine frühe Auseinandersetzung Alexanders mit der aristotelischen Seelen- und Geistlehre auf,29 so lassen sich die Spannungen teils aus unterschiedlichen Akzentsetzungen, teils aus einer fortschreitenden Standpunktverge Bazán 1973.  Donini 1974, S. 59–62. 27  Moraux 1978, S. 269; Anm. 69; S. 304 f. 28  Moraux 2001, S. 392. 29  So Accattino 2001; Accattino 2005; Sharples 2004a, S. 2. 25

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wisserung ein und desselben Autors erklären. Oder aber man verzichtet zwar, wie neuerdings Sharples, auf eine definitive Zuschreibung von De intellectu, dreht aber die seit Moraux umgekehrte Beweislast zurück und sucht aufzuzeigen, dass weder die Unterschiede beider noetischer Schriften noch gewisse »subtle differences« zwischen anderen Schriften der Mantissa und De anima ausreichen, Alexander die Verfasserschaft für De intellectu abzuerkennen.30 Dies gilt nicht nur für die genannten doktrinalen Abweichungen beider Werke, sondern auch für gewisse Unterschiede in Niveau und Darstellungsart sowie bei den sprachlichen Eigentümlichkeiten zwischen De anima und einigen Texten der Mantissa allgemein.31 4. Zur Wirkungsgeschichte der Alexander’schen Noetik Schon die neuplatonisch orientierten Ausleger der aristotelischen Schriften sahen in Alexanders ›puristischem‹ Ansatz eine ernstzunehmende Gegenposition zu der von ihnen angestrebten Synthese von Platon und Aristoteles. So setzt sich, dem Zeugnis des Porphyrios zufolge, bereits Plotin mit Alexanders Kommentaren intensiv auseinander32 – etwa fünf Jahrzehnte nach ihrer Niederschrift. Bis zum Ausgang der Antike gewinnt Alexander solche Autorität, dass eine kritische Erörterung seiner Lehren fester Bestandteil der Aristoteles-Exegese wird, was seinen Niederschlag in den uns erhaltenen Kommentaren etwa  Vgl. Sharples 2004b, S. 58: »It has already been indicated that some sections [of the Mantissa] express views it is difficult to suppose Alexander ever held […] or that conflict with his views in other works […]. But neither of these rules out his authorship, since in the former case he may have recorded views he rejected and in the latter he may have changed his mind«. 31  Vgl. ebd. – Eine markante Ausnahme stellt die von Schroeder/Todd 2008, S. 663–680 vertretene These dar, das Werke zeige deutlich neuplatonische Einflüsse und sei daher »etwa zwei bis vier Jahrhunderte nach Alexander zu datieren« (S. 663). 32  Porphyrios, Vita Plotini 14, 10–16. 30

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Alexander von Aphrodisias · Einleitung

des Priskian, Johannes Philoponos oder Stephanos33 findet. Hierbei ist es immer wieder seine Deutung der aristotelischen Seelenlehre, die das Interesse auf sich zieht und bisweilen sehr heftige Gegenreaktionen hervorruft. Alexanders Auffassung, dass der wirkende Geist (νοῦς ποιητικός) separat existiert, und die damit verbundene These von der Sterblichkeit der menschlichen Seele fordern die neuplatonische Philosophie ebenso heraus wie die christlich-byzantinische, die christlich-lateinische, die jüdische und islamisch-arabische. Im 9. Jahrhundert übersetzt Ḥunain ibn Iṣḥāq De intellectu ins Arabische und macht damit die folgenreiche Unterscheidung der drei Intellekte im islamischen Kulturkreis bekannt.34 Die Schrift beeinflusst unter anderem die Nūs-Theorie des Ibn Rušd (Averroes), die wiederum im lateinischsprachigen Westeuropa bis in die Renaissance hinein ebenso heftige Gegner wie Befürworter findet. Seitdem Gerhard von Cremona († 1187) De intellectu aus dem Arabischen ins Lateinische übertragen hatte,35 steht Alexanders Text dem Abendland direkt zur Verfügung. In dem Bemühen, auf aristotelischer Grundlage eine neue, philosophischen, theologischen und naturwissenschaftlichen Ansprüchen gerecht werdende Anthropologie zu entwerfen, arbeitet sich Albertus Magnus an ihm ebenso ab wie die weniger um eine solch umfassende Synthese bemühten radikalen Aristoteliker des 13. Jahrhunderts, die in Alexander einem Geistesverwandten begegnen. Der Streit um die richtige Deutung des Aristoteles findet seine Fortsetzungen in der Renaissance-Philosophie des 16. Jahrhunderts, bei Pietro Pomponazzi, Alessandro Achillini, Agostino Nifo und anderen, wo Alexanders Seelenlehre zum Schibboleth wird: Je nachdem, wie ein Denker zur These von der Sterblichkeit der menschlichen Seele steht, wird er der ›alexandristischen‹, ›averroistischen‹ oder ›thomistischen‹ Richtung zugeordnet. In neuerer  Vgl. die jeweiligen Beiträge in diesem Band, Kapitel 5, 7 und 8..  Vgl. hierzu Movia 1970, S. 23 ff.; Geoffroy 2002; zu den Forschungskontroversen siehe Moraux 1984, S 424, Anm. 78. 35  Der lateinische Text findet sich bei Théry 1926, S. 74–82. 33

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Über den Geist

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Zeit wächst das Interesse an Alexander als einem methodisch reflektierten Ausleger des Aristoteles. »Heutige Forscher studieren seine Kommentare nicht nur aus historischen Gründen, sondern auch deshalb, weil seine Interpretationsvorschläge es verdienen, genauer betrachtet zu werden – selbst wenn eine uneingeschränkte Zustimmung zu ihnen selten sein mag.«36

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 Frede 2003.

Liter atur Quellen (a) Originaltext Alexander Aphrodisiensis: Praeter commentaria scripta minora I: De anima liber cum mantissa, I. Bruns. In: CAG Supplementum, Bd. II 1, Berlin 1887 [= Bruns 1887]. Accattino, P.: Alessandro di Afrodisia: De intellectu. Introduzione, testo greco rivisto, traduzione e commento a cura di P. Accattino, Turin 2001 [= Accattino 2001]. Sharples, R. W.: Alexander Aphrodisiensis: De anima libri Mantissa. A New Edition of the Greek Text with Introduction and Commentary by R. W. Sharples, Berlin/New York 2008 [= Sharples 2008]. (b) Übersetzungen Lateinisch Théry, G.: Autour du décret de 1210, II. Alexandre d’Aphrodise. Aperçu sur l’influence de sa noétique, Paris 1926, S. 74–82 [Übersetzung des Gerhard von Cremona aus dem 12. Jahrhundert]. Arabisch Finnegan, J.: »Texte arabe du Περὶ νοῦ d’Alexandre d’Aphrodise«. In: Mélanges de l’Université Saint-Joseph XXXIII/2, Beirut (Libanon) 1956, S. 159–202 [Übersetzung des Ḥunain ibn Iṣḥāq (Johannitius) aus dem 9. Jh.]. Englisch Fotinis, A. P.: The De anima of Alexander of Aphrodisias. A Translation and Commentary, Washington D.C. 1980. Schroeder, F. M./Todd, R. B.: Two Greek Aristotelian Commentators on the Intellect: The De intellectu Attributed to Alexander of Aphrodisias and Themistius’ Paraphrase of Aristotle De anima III 4–8. Introduction, Translation, Commentary and Notes, Toronto 1990, S. 46–58. Sharples, R. W.: Alexander of Aphrodisias: Supplement to On the Soul, London 2004 [= Sharples 2004a].



Alexander von Aphrodisias · Literatur

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Sekundärliteratur Accattino, P.: »Alessandro di Afrodisia e Aristotele di Mitilene«. In: Elenchos 6, 1985, S. 67–74. Accattino, P./Donini, P.: Alessandro di Afrodisia: L’Anima. Tradu­ zione, introduzione e commento, Rom/Bari 1996. Bazán, B. C.: »L’authenticité du De intellectu attribué à Alexandre

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ALEX ANDER VON APHRODISIAS

Über den Geist1 Griechisch – Deutsch

Περὶ νοῦ. [106, 19] Νοῦς ἐστι κατὰ Ἀριστοτέλη τριττός, ὁ μὲν γάρ τίς ἐστι

νοῦς ὑλικός. ὑλικὸν δὲ λέγω οὐ τῷ ὑποκείμενόν τινα εἶναι ὥσπερ τὴν ὕλην (ὕλην γὰρ λέγω ὑποκείμενόν τι δυνάμενον εἴδους τινὸς παρουσίᾳ τόδε τι γενέσθαι), ἀλλ’ ἐπεὶ τῇ ὕλῃ τὸ εἶναι ὕλῃ ἐν τῷ δύνασθαι πάντα, ἐν ᾧ τὸ δύνασθαι καὶ αὐτὸ τὸ δυνάμει, καθόσον ἐστὶ τοιοῦτον, ὑλικόν. καὶ δὴ καὶ νοῦς ὁ μήπω μὲν νοῶν, δυνάμενος δὲ τοιοῦτος γενέσθαι, ὑλικός, καὶ ἡ δύναμις ἡ τοιαύτη τῆς ψυχῆς ὁ ὑλικὸς νοῦς, οὐδὲν μὲν ἐνεργείᾳ τῶν ὄντων ὤν, δυνάμενος δὲ πάντα γίνεσθαι, εἴ γε πάντων τῶν ὄντων οἷόν τε νόησιν γενέσθαι.

[106, 27] τὸ γὰρ πάντων μέλλον ἀντιλήψεσθαι οὐδὲν αὐτῶν εἶ-

ναι δεῖ κατὰ τὴν οἰκείαν φύσιν ἐνεργείᾳ. παρεμφαινόμενον γὰρ τὸ οἰκεῖον εἶδος αὐτοῦ ἐν ταῖς τῶν ἐκτὸς ἀντιλήψεσιν ἔμελλεν ἐμπόδιον γίνεσθαι ταῖς ἐκείνων νοήσεσιν. οὔτε γὰρ αἱ αἰσθήσεις τούτων ἀντιλαμβάνονται, ἐν οἷς τὸ εἶναι αὐταῖς. διὰ τοῦτ’ οὖν ἡ μὲν ὄψις χρωμάτων οὖσα ἀντιληπτικὴ ἄχρουν τὸ ὄργανον ἔχει, ἐν ᾧ τέ ἐστι καὶ δι’ οὗ ἡ ἀντίληψις αὐτῇ. ἄχρουν γὰρ τὸ ὕδωρ οἰκείῳ [107] χρώματι. ἀλλὰ καὶ ἡ ὄσφρησις ἐξ ἀέρος (ἄοσμος δὲ οὗτος), ὀσμῶν δέ ἐστιν ἀντιληπτική· καὶ ἡ ἁφὴ δὲ τῶν μὲν ὁμοίως αὐτῇ θερμῶν ἢ ψυχρῶν ἢ σκληρῶν ἢ μαλακῶν οὐκ αἰ-

[A] Über die Beschaffenheit des Geistes [106, 19] Geist ist nach Aristoteles dreifach:2 Das eine ist mate-

rieller Geist.3 Mit ›materiell‹ meine ich aber nicht, dass er etwas Zugrundeliegendes wäre, wie die Materie. (Unter ›Materie‹ verstehe ich nämlich etwas Zugrundeliegendes, das durch die Anwesenheit einer bestimmten Form zu einem Diesda werden kann). Weil für die Materie das Materie-Sein darin besteht, alles sein zu können, nenne ich das Können und das Möglich-Sein selbst, eben als ein solches, materiell.4 In diesem Sinne also ist auch Geist, der noch nicht [aktuell] denkt, aber das Vermögen dazu hat, materiell; und das Seelenvermögen, das diese Beschaffenheit aufweist, ist der materielle Geist. Zwar zählt er nicht zu den in Wirklichkeit seienden Dingen; er besitzt aber das Vermögen, alles zu werden, wenn es denn so ist, dass alle seienden Dinge unter das Denken fallen.5 [106, 27] Denn was fähig ist, alle Dinge [gedanklich] aufzunehmen, darf seiner eigentümlichen Natur nach nichts davon in Wirklichkeit sein. Würde es nämlich auch noch seine eigentümliche Form zur Erscheinung bringen, so entstünde, wenn es die Formen von Dingen außerhalb seiner selbst aufnehmen wollte, ein Hindernis für die Denkakte. Schließlich nehmen auch die Sinne nicht die Gestalt derjenigen Medien auf, in denen sie sich befinden. Deshalb also besitzt der Sehsinn, der die Form der Farben aufnimmt, ein farbloses Organ, in dem er seinen Sitz hat und mittels dessen er die jeweilige Farbgestalt annimmt; denn fragt man nach der eigentümlichen Farbe, so muss das Wasser [im Augapfel] als farblos angesehen [107] werden. Doch auch für den Geruchssinn gilt das Gleiche: Mittels der Luft (die aber ist geruchlos) nimmt er die Gestalt der Gerüche an. Und der Tastsinn nimmt Gegenstände, die gleich warm wie er oder gleich kalt oder gleich hart oder gleich weich sind, nicht

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Alexander von Aphrodisias · Text

σθάνεται, τῶν δὲ παρηλλαγμένων ἐπὶ τὸ μᾶλλον ἢ ἧττον. τοῦτο δέ, ἐπεὶ ἦν ἀδύνατον σῶμα οὖσαν μὴ ταύτας ἔχειν τὰς ἐναντιώσεις. πᾶν γὰρ σῶμα φυσικόν τε καὶ γενητὸν ἁπτόν. ὡς οὖν ἐπὶ τῶν αἰσθήσεων ἀδύνατον τὴν ἔχουσάν τι τούτου οὗ ἔχει εἶναι ἀντιληπτικήν τε καὶ κριτικήν, οὕτως, ἐπεὶ καὶ ὁ νοῦς ἀντίληψίς τις καὶ κρίσις τῶν νοητῶν, οὐδὲ αὐτὸν οἷόν τε εἶναι τῶν κρινομένων ὑπ’ αὐτοῦ. πάντων δὲ τῶν ὄντων ἐστὶν ἀντιληπτικός, εἴ γε πάντα ἔστι νοεῖν. οὐδὲν ἄρα τῶν ὄντων ἐστὶν ἐνεργείᾳ, δυνάμει δὲ πάντα. τοῦτο γάρ ἐστιν αὐτῷ τὸ εἶναι νῷ.

[107, 11] αἱ μὲν γὰρ αἰσθήσεις γινόμεναι διὰ σωμάτων οὐκ εἰσὶν μὲν

ταῦτα ὧν ἀντιλαμβάνονται, ἄλλα δέ τινά ἐστιν ἐνεργείᾳ, ἔστι δὲ ἡ δύναμις σώματός τινος. διὸ καὶ τοῦ σώματός τι πάσχον­τος ἡ τῶν αἰσθητῶν ἀντίληψις. καὶ διὰ τοῦτο οὐ πάντων πᾶσα αἴσθησις ἀντιληπτική. ἔστι γάρ τις καὶ αὐτὴ ἤδη ἐνεργείᾳ. ὁ δὲ νοῦς οὔτε διὰ σώματος ἀντιλαμβανόμενος τῶν ὄντων, οὔτε σώματος δύναμις ὤν, οὐδὲ πάσχων, οὐδέ ἐστί τι τῶν ὄντων ὅλως ἐνεργείᾳ, οὐδέ ἐστι τόδε τι τὸ δυνάμενον, ἀλλ’ ἔστιν δύναμίς τις ἁπλῶς τῆς τοιᾶσδε ἐντελεχείας τε καὶ ψυχῆς εἰδῶν καὶ νοημάτων δεκτική. οὗτος μὲν οὖν ὁ νοῦς ὑλικὸς ὢν ἐν πᾶσίν ἐστι τοῖς τῆς τελείας ψυχῆς κεκοινωνηκόσιν, τουτέστιν ἀνθρώποις.



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wahr, sondern nur solche, die [hinsichtlich dieser Qualitäten] von ihm abweichen in Richtung eines Mehr oder eines Weniger [als er selbst ist]. Das aber kommt daher, dass ihm unmöglich diese Entgegensetzungen6 fehlen können, da er ja Körper ist; jeder natürliche gewordene Körper nämlich ist tastbar. Wie es also bei den Sinnen unmöglich ist, dass ein Sinn, dem selbst eine Bestimmtheit eigen ist, die Form dieser Bestimmtheit aufnimmt und über sie urteilt, so kann es auch beim Geist nicht sein, dass er selbst unter die Gegenstände fällt, die von ihm beurteilt werden – denn auch das Wesen des Geistes besteht darin, dass er in gewisser Weise die Form gedanklich einsehbarer Gegenstände aufnimmt und über sie urteilt. Der Geist nämlich kann die Form aller seienden Dinge aufnehmen, sofern er denn fähig ist alles gedanklich zu erfassen. Demnach ist er keines der seienden Dinge der Wirklichkeit nach, jedes aber dem Vermögen nach; darin nämlich besteht die Seinsweise des Geistigen. [107, 11] Die Sinneswahrnehmungen dagegen, die mittels körperlicher Organe zustande kommen, sind nicht identisch mit den Gegenständen, deren Form sie aufnehmen, sondern der Wirklichkeit nach etwas von ihnen Verschiedenes; Sinne sind ja [stets] das Vermögen irgendeines Körpers. Deshalb wird die Form der Wahrnehmungsgegenstände aufgenommen, indem der Körper etwas erleidet. Daher kann auch nicht jeder Sinn die Form aller [Wahrnehmungsgegenstände] aufnehmen, denn er selbst ist ja bereits etwas Bestimmtes der Wirklichkeit nach. Der Geist hingegen nimmt die Form der seienden Dinge weder mittels eines körperlichen Organs auf noch ist er Vermögen eines Körpers. Weder erleidet er noch gehört er zu den seienden Dingen, die ganz und gar wirklich sind, noch ist er ein potentielles Diesda. Vielmehr ist er so etwas wie ein Vermögen schlechthin, und zwar einer ganz bestimmten Vollendung, nämlich der Seele, und fähig zur Aufnahme von Formen und Gedanken. Dies also ist der materielle Geist, der in allen Wesen existiert, denen eine vollkommene Seele zuteil geworden ist7 – das heißt in den Menschen.8

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Alexander von Aphrodisias · Text

[107, 21] Ἄλλος δέ ἐστιν ὁ ἤδη νοῶν καὶ ἕξιν ἔχων τοῦ νοεῖν καὶ

δυνάμενος τὰ εἴδη τῶν νοητῶν κατὰ τὴν αὑτοῦ δύναμιν λαμβάνειν, ἀνάλογον ὢν τοῖς τὴν ἕξιν ἔχουσιν τῶν τεχνιτῶν καὶ δυναμένοις δι’ αὑτῶν ποιεῖν τὰ κατὰ τὴν τέχνην. ὁ γὰρ πρῶτος οὐ τούτοις ἦν ἐοικώς, ἀλλὰ μᾶλλον τοῖς δυναμένοις τὴν τέχνην ἀναλαβεῖν καὶ γενέσθαι τεχνίταις. καὶ ἔστιν οὗτος ὁ ὑλικὸς ἕξιν ἤδη καὶ τὸ νοεῖν τε καὶ ἐνεργεῖν προσειληφώς. ὁ τοιοῦτος νοῦς ἐν τοῖς τελειοτέροις ἐστὶν ἤδη καὶ νοοῦσιν. οὗτος μὲν οὖν ὁ δεύτερος νοῦς ἐστι.

[107, 29] Τρίτος δέ ἐστι νοῦς παρὰ τοὺς προειρημένους δύο ὁ ποιη-

τικός, δι’ ὃν ὁ ὑλικὸς ἐν ἕξει γίνεται, ἀνάλογον ὢν οὗτος ὁ ποιητικός, ὥς φησιν ὁ Ἀριστοτέλης, τῷ φωτί. ὡς γὰρ τὸ φῶς αἴτιον γίνεται τοῖς χρώμασιν τοῦ δυνάμει οὖσιν ὁρατοῖς ἐνεργείᾳ γίνεσθαι τοιούτοις, οὕτως καὶ οὗτος ὁ τρίτος νοῦς τὸν δυνάμει καὶ ὑλικὸν νοῦν ἐνεργείᾳ νοῦν ποιεῖ ἕξιν ἐμποιῶν αὐτῷ τὴν νοητικήν. ἔστι δὲ οὗτος τὸ τῇ αὑτοῦ φύσει νοητὸν καὶ ἐνεργείᾳ τοι[108]οῦτον· τοῦτο γὰρ ποιητικόν τε τοῦ νοεῖν καὶ εἰς ἐνέργειαν ἄγον τὸν ὑλικὸν νοῦν. νοῦς οὖν καὶ αὐτός· τὸ γὰρ ἄϋλον εἶδος, ὅπερ ἐστὶ μόνον τῇ αὑτοῦ φύσει νοητόν, νοῦς. τὰ μὲν γὰρ ἔνυλα εἴδη ὑπὸ τοῦ νοῦ νοητὰ γίνεται ὄντα δυνάμει νοητά. χωρίζων γὰρ αὐτὰ τῆς ὕλης ὁ νοῦς, μεθ’ ἧς ἐστιν αὐτοῖς τὸ εἶναι, ἐνεργείᾳ νοητὰ αὐτὸς αὐτὰ ποιεῖ, καὶ τότε ἕκαστον αὐτῶν, ὅταν νοῆται,



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[107, 21] Ein anderer Geist aber ist derjenige, der bereits beim

Denken einen Habitus9 des gedanklichen Erfassens besitzt und in der Lage ist, die Formen der gedanklich einsehbaren Gegenstände entsprechend seinem Vermögen zu erfassen. Er ist solchen Menschen vergleichbar, die den Habitus von Fachleuten besitzen und in der Lage sind, selbständig die ihrem Handwerk entsprechenden Dinge herzustellen.10 Der erstgenannte Geist hingegen hatte keine Ähnlichkeit mit diesen, sondern eher mit Leuten, die fähig sind, sich ein Handwerk anzueignen und dereinst Fachleute zu werden.11 Der Geist aber, von dem wir hier sprechen,12 fällt mit dem materiellen zusammen, nachdem dieser den Habitus für das Denken und die tätige Verwirklichung hinzuerworben hat. Diese Art von Geist ist bei denen anzutreffen, die bereits einen höheren Grad der Vervollkommnung erreicht haben und [eigenständig] denken. Dies also ist der zweite Geist.13 [107, 29] Ein dritter Geist aber neben den beiden vorgenannten ist der wirkende Geist, durch den der materielle zum habituellen Geist wird.14 Dieser wirkende Geist ist, wie Aristoteles sagt, dem Licht vergleichbar.15 Wie nämlich das Licht zur Ursache dafür wird, dass Farben, die dem Vermögen nach sichtbar sind, in Wirklichkeit Gegenstände des Sehens werden, so macht auch dieser dritte Geist den in Möglichkeit befindlichen, materiellen Geist zum wirklichen, indem er ihm einen Habitus einpflanzt: den Denkhabitus.16 Es ist aber dieser Geist das, was kraft seiner eigenen Natur gedanklich erfassbar ist, und als solches existiert er in Wirklichkeit. [108] Dies nämlich ist das, was das gedankliche Erfassen bewirkt und den materiellen Geist in die Verwirklichung führt. Auch dies ist also Geist, denn die immaterielle Form, die ja allein kraft ihrer eigenen Natur gedanklich erfassbar ist, ist Geist. Dagegen werden die materiegebundenen Formen, die [zunächst nur] potentielle Denkobjekte sind, erst durch den Geist zu [wirklichen] Denkobjekten.17 Denn indem der Geist sie von der Materie trennt, mit der zusammen sie das Sein haben, macht er sie zu wirklichen Objekten geistiger Erfassung, und dann wird jede einzelne dieser Formen in dem

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Alexander von Aphrodisias · Text

ἐνεργείᾳ τε νοητὸν καὶ νοῦς γίνεται οὐ πρότερον οὐδὲ τῇ αὑτῶν φύσει ὄντα τοιαῦτα. ὁ γὰρ κατ’ ἐνέργειαν νοῦς οὐδὲν ἄλλο ἢ τὸ νοούμενον εἶδός ἐστιν, ὥστε καὶ τούτων ἕκαστον τῶν οὐκ ὄντων ἁπλῶς νοητῶν νοῦς, ὅταν νοῆται, γίνεται. ὡς γὰρ ἡ κατ’ ἐνέργειαν ἐπιστήμη ταὐτὸν τῷ κατ’ ἐνέργειαν ἐπιστητῷ, καὶ ὡς ἡ κατ’ ἐνέργειαν αἴσθησις ἡ αὐτὴ τῷ κατ’ ἐνέργειαν αἰσθητῷ, καὶ τὸ κατ’ ἐνέργειαν αἰσθητὸν τῇ κατ’ ἐνέργειαν αἰσθήσει, οὕτως δὲ καὶ ὁ κατ’ ἐνέργειαν νοῦς ὁ αὐτός ἐστι τῷ κατ’ ἐνέργειαν νοητῷ καὶ τὸ κατ’ ἐνέργειαν νοητὸν τῷ κατ’ ἐνέργειαν νῷ. ὁ γὰρ νοῦς τὸ εἶδος τοῦ νοουμένου λαμβάνων καὶ χωρίζων αὐτὸ τῆς ὕλης κατ’ ἐνέργειαν ἐκεῖνό τε νοητὸν ποιεῖ καὶ νοῦς αὐτὸς κατ’ ἐνέργειαν γίνεται.

[108, 16] εἰ δή τι τῶν ὄντων ἐστὶν ἐνεργείᾳ νοητὸν τῇ αὑτοῦ φύσει

καὶ ἐξ αὑτοῦ τὸ εἶναι τοιοῦτον ἔχον τῷ ἄϋλον εἶναι, οὐ παρὰ τοῦ χωρίζοντος αὐτὸ τῆς ὕλης νοῦ, τὸ τοιοῦτον ἐνεργείᾳ νοῦς ἐστιν ἀεί. νοῦς γὰρ τὸ κατ’ ἐνέργειαν νοητόν. τοῦτο δὴ τὸ νοητόν τε τῇ αὑτοῦ φύσει καὶ κατ’ ἐνέργειαν νοῦς, αἴτιον γινόμενον τῷ ὑλικῷ νῷ τοῦ κατὰ τὴν πρὸς τὸ τοιοῦτο εἶδος ἀναφορὰν χωρίζειν τε καὶ μιμεῖσθαι καὶ νοεῖν καὶ τῶν ἐνύλων εἰδῶν ἕκαστον καὶ ποιεῖν νοητὸν αὐτό, θύραθέν ἐστι λεγόμενος νοῦς ὁ ποιητικός, οὐκ ὢν μόριον καὶ δύναμίς τις τῆς ἡμετέρας ψυχῆς, ἀλλ’ ἔξωθεν γινόμενος ἐν ἡμῖν, ὅταν αὐτὸν νοῶμεν, εἴ γε κατὰ μὲν τὴν τοῦ εἴδους λῆψιν τὸ νοεῖν γίνεται, τὸ δέ ἐστιν εἶδος ἄϋλον αὐτὸ οὐ μεθ’ ὕλης ὄν ποτε οὐδὲ χωριζόμενον αὐτῆς ἐπειδὰν νοῆται.



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Augenblick, da sie gedanklich erfasst wird, der Verwirklichung nach Denkobjekt und Geist, während sie vorher ihrer eigenen Natur nach nicht so beschaffen waren. Der wirkliche Geist nämlich ist nichts anderes als die gedachte Form; weshalb auch jede der Formen, die nicht schlechthin Denkobjekte sind, in dem Augenblick Geist wird, da sie gedacht wird. Denn wie die wirklich ausgeübte Wissenschaft identisch ist mit dem wirklich realisierten Wissbaren, wie die wirklich ausgeübte Wahrnehmung identisch ist mit dem wirklich realisierten Wahrnehmbaren und wie das wirklich realisierte Wahrnehmbare identisch ist mit der wirklich ausgeübten Wahrnehmung, so ist auch der wirkliche Geist identisch mit dem wirklichen Vollzug des gedanklich Erfassbaren und das wirklich realisierte gedanklich Erfassbare mit dem wirklichen Geist. Wenn nämlich der Geist die Form des gedanklichen Gegenstandes erfasst und sie von der Materie trennt, macht er diese zu einem wirklichen Gegenstand des Denkens und wird selbst wirklicher Geist. [108, 16] Falls aber ein Seiendes existiert, das kraft seiner eigenen Natur wirklicher Gegenstand des Denkens ist und, weil es immateriell ist, aus sich heraus diese Seinsweise besitzt – nicht erst durch den Geist, der es von der Materie trennt –, dann ist ein solches Seiendes ewig wirklicher Geist.18 Denn Geist ist, was wirklicher Gegenstand des Denkens ist. Was aber kraft seiner eigenen Natur Gegenstand des Denkens und wirklicher Geist ist, wird zur Ursache dafür, dass der materielle Geist unter Bezugnahme auf die so beschaffene [d. h. kraft eigener Natur wirkliche] Form jede einzelne materiegebundene Form trennt, abbildet und gedanklich erfasst und sie auf diese Weise selbst zu einem Gegenstand des Denkens macht. Der wirkende Geist ist identisch mit dem sogenannten »von außen kommenden Geist«.19 Er ist weder ein Teil noch ein Vermögen unserer eigenen Seele, sondern von außerhalb entsteht er in dem Augenblick in uns, da wir ihn denken – vorausgesetzt, dass das Denken durch das Erfassen der Form zustande kommt und dass die Form selbst immateriell ist, insofern sie weder irgendwie in Verbindung mit Materie steht noch von der Materie erst abzu-

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Alexander von Aphrodisias · Text

χωριστὸς δέ ἐστιν ἡμῶν τοιοῦτος ὢν εἰκότως, ἐπεὶ μὴ ἐν τῷ νοεῖσθαι αὐτῷ ὑφ’ ἡμῶν τὸ εἶναι νῷ γίνεται, ἀλλ’ ἔστιν τῇ αὑτοῦ φύσει τοιοῦτος, ἐνεργείᾳ νοῦς τε ὢν καὶ νοητός. τὸ δὲ τοιοῦτον εἶδος καὶ ἡ χωρὶς ὕλης οὐσία ἄφθαρτος. διὸ καὶ ποιητικὸς νοῦς, ὁ κατ’ ἐνέργειαν θύραθεν ὢν τὸ τοιοῦτον εἶδος, εἰκότως ἀθάνατος ὑπ’ Ἀριστοτέ[109]λους καλεῖται νοῦς. νοῦς μὲν γὰρ καὶ τῶν ἄλλων ἕκαστον τῶν νοουμένων εἰδῶν ὅταν νοῆται, ἀλλ’ οὐ θύραθεν οὐδ’ ἔξωθεν νοῦς ὤν, ἀλλ’ ὅτε νοεῖται γινόμενος. οὗτος δὲ νοῦς, ὢν καὶ πρὸ τοῦ νοεῖσθαι, εἰκότως ὅταν νοηθῇ, θύραθέν τέ ἐστι καὶ λέγεται.

[109, 4] νοεῖν δὲ αὑτὸν ὁ ἐν ἕξει νοῦς καὶ ἐνεργῶν δύναται· οὐ

καθὸ νοῦς ἐστιν, ἅμα γὰρ καὶ κατὰ ταὐτὸν αὐτῷ τὸ νοεῖν ἔσται καὶ νοεῖσθαι, ἀλλὰ καὶ ταύτῃ μέν, ᾗ ὁ κατ’ ἐνέργειαν νοῦς ὁ αὐτός ἐστι τοῖς κατ’ ἐνέργειαν νοουμένοις. ἐκεῖνα δὴ νοῶν αὑτὸν νοεῖ, εἴ γε ταῦτα ἃ νοεῖ ἐν τῷ νοεῖσθαι νοῦς γίνεται. εἰ γὰρ τὰ νοούμενά ἐστιν ὁ κατ’ ἐνέργειαν νοῦς, ταῦτα δὲ νοεῖ, αὑτὸν νοῶν γίνεται. νοῶν μὲν γὰρ ὁ αὐτὸς γίνεται τοῖς νοουμένοις, μὴ νοῶν δὲ ἄλλος ἐστὶν αὐτῶν. οὕτως δὲ καὶ ἡ αἴσθησις αὑτῆς αἰσθάνεσθαι λέγοιτ’ ἂν αἰσθανομένη τούτων, ἃ ἐνεργείᾳ αὐτῇ ταὐτὰ γίνεται. ὡς γὰρ ἔφαμεν, καὶ ἡ κατ’ ἐνέργειαν αἴσθησις τὸ αἰσθητόν ἐστι. καὶ γὰρ ἡ αἴσθησις καὶ ὁ νοῦς τῇ τῶν εἰδῶν λήψει χωρὶς ὕλης τῶν οἰκείων αὐτοῖς ἀντιλαμβάνονται.



Über den Geist

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trennen ist, während sie gedanklich erfasst wird. Dieser Geist aber existiert folgerichtig abgetrennt von uns, denn er wird nicht erst in dem Augenblick Geist, da er von uns gedacht wird, sondern kraft seiner eigenen Natur ist er, was er ist: zugleich wirklicher Geist und geistig erfassbarer Gegenstand. Eine solche Form und von der Materie abgetrennte Substanz ist aber unvergänglich. Deshalb wird der wirkende Geist, der wirklich ist, von außen kommt und als eine solche Form existiert, folgerichtig auch von Aristoteles unsterblicher [109] Geist genannt.20 Zwar ist auch jede andere gedanklich erfasste Form in dem Augenblick Geist, da sie gedacht wird, aber nicht »von außen kommender« und nicht »von außerhalb« existierender Geist, sondern Geist, der erst dann entsteht, wenn er gedacht wird. Der Geist aber, von dem wir hier sprechen, existiert auch, bevor er gedacht wird; und selbst in dem Augenblick, da er gedacht wird, ist er »von außen kommend« und wird folgerichtig so genannt.21 [109, 4] Sich selbst zu erkennen vermag auch der habituelle Geist, sofern er wirklich tätig und nicht bloßer Geist ist; denn [dann] würde ihm das Denken und das Gedachtwerden zugleich und in derselben Hinsicht zukommen. Vielmehr muss man es sich so vorstellen, dass der wirkliche Geist mit den wirklich gedachten Gegenständen identisch ist. Indem er diese gedanklich erfasst, erfasst er sich gedanklich selbst, wenn denn das, was er erfasst, im Akt des Erfasstwerdens zum Geist wird. Wenn nämlich die gedachten Gegenstände wirklicher Geist sind, denkt er diese und wird damit zum gedanklich sich selbst erfassenden Geist. Im Akt des Denkens wird er identisch mit den gedachten Gegenständen; wenn er dagegen gerade nicht denkt, ist er von ihnen verschieden. In diesem Sinne könnte freilich auch von der Sinneswahrnehmung gesagt werden, dass sie sich selbst wahrnimmt, wenn sie die Gegenstände wahrnimmt, die der Verwirklichung nach mit ihr identisch werden. Denn wie wir gesagt haben,22 ist die verwirklichte Wahrnehmung identisch mit dem Gegenstand der Wahrnehmung. Sowohl die Sinneswahrnehmung als auch der Geist nämlich nehmen beim Erfassen der Formen die Form ihrer eigentümlichen Gegenstände

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Alexander von Aphrodisias · Text

ἔτι δὲ λέγοιτ’ ἂν αὑτὸν νοεῖν ὁ νοῦς οὐχ ᾗ νοῦς ἐστιν, ἀλλ’ ᾗ καὶ αὐτὸς νοητός. ὡς γὰρ νοητοῦ ἀντιλήψεται, ὥσπερ καὶ τῶν ἄλλων ἑκάστου τῶν νοητῶν, οὐχ ὡς νοῦ. συμβέβηκε γὰρ τῷ νῷ εἶναι καὶ νοητῷ· ἐπεὶ γάρ ἐστι τῶν ὄντων τι καὶ αὐτός, καὶ οὐκ ἔστιν αἰσθητός, λείπεται νοητὸν αὐτὸν εἶναι. εἰ γὰρ ὡς νοῦς καὶ καθὸ νοῦς ἐστιν ἐνοεῖτο ὑφ’ αὑτοῦ, οὐδὲν ἂν ἄλλο, ὃ μὴ νοῦς ἦν, ἐνόει, ὥστε αὑτὸν ἂν ἐνόει μόνον. νοῶν δὲ τὰ νοητά, ἃ μή ἐστιν νοῦς πρὸ τοῦ νοεῖσθαι, καὶ αὑτὸν ὡς τοιοῦτον νοεῖ ὡς ἕν τι τῶν νοητῶν. γίνεται οὖν κατὰ συμβεβηκὸς αὑτὸν νοῶν ὁ νοῦς οὗτος ἀπὸ τοῦ ὑλικοῦ νοῦ προϊών.

[109, 23] καὶ ὁ πρῶτος δὲ νοῦς καὶ ἐνεργείᾳ νοῦς αὑτὸν νοεῖ πα-

ραπλησίως καὶ διὰ τὴν αὐτὴν αἰτίαν. ἀλλ’ ἐκεῖνος πλέον τι παρὰ τοῦτον ἔχει. οὐδὲν γὰρ ἄλλο ἢ αὑτὸν νοεῖ. τῷ μὲν γὰρ εἶναι νοητὸς νοεῖται πρὸς αὑτοῦ, καὶ τῷ ἐνεργείᾳ καὶ φύσει τῇ αὑτοῦ νοητὸς εἶναι ἀεὶ νοούμενος ἔσται, δηλονότι ὑπὸ τοῦ ‹ἀεὶ› ἐνεργείᾳ νοοῦντος. ἀεὶ δὲ ἐνεργείᾳ νοῶν ἐστι νοῦς αὐτὸς μόνος· ἀεὶ ἄρα αὑτὸν νοήσει. μόνον δέ, καθόσον ἐστὶν ἁπλοῦς. ὁ γὰρ ἁπλοῦς νοῦς ἁπλοῦν τι νοεῖ, οὐδὲν δὲ ἄλλο ἁπλοῦν ἐστι νοητὸν πλὴν αὐτός. ἀμιγὴς γὰρ οὗτος καὶ ἄϋλος καὶ οὐδὲν ἔχων ἐν αὑτῷ δυνάμει. αὑτὸν ἄρα μόνον νοήσει. καθὸ μὲν ἄρα νοῦς



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abgetrennt von Materie auf. Auch könnte man wohl sagen, der Geist erfasst sich gedanklich selbst, nicht insofern er Geist ist, sondern insofern er selbst auch Gegenstand gedanklichen Erfassens ist. Denn sofern er Gegenstand gedanklichen Erfassens ist, wird er wohl die Form aufnehmen (wie er es ja auch bei allen anderen gedanklichen Gegenständen jeweils tut), nicht aber sofern er Geist ist. Akzidentell nämlich kommt es dem Geist zu, auch so etwas wie gedanklicher Gegenstand zu sein. Denn da er selbst zu den seienden Dingen gehört, aber kein Gegenstand sinnlicher Wahrnehmung ist, bleibt nur übrig, dass er Gegenstand gedanklichen Erfassens ist. Falls er nämlich schon, sofern er Geist und bloßer Geist ist, sich selbst dächte, dann würde er nicht etwas anderes, was nicht Geist ist, denken, weshalb er einzig sich selbst denken würde. Da er aber gedankliche Gegenstände erfasst, welche, bevor sie erfasst werden, nicht Geist sind, so erfasst er auch sich selbst als ein solches, d. h. als einen gedanklichen Gegenstand unter anderen. Demnach geschieht es akzidentell, dass dieser Geist, wenn er aus dem materiellen Geist hervorgeht, sich selbst gedanklich erfasst. [109, 23] Beinahe genauso und aus demselben Grund erfasst sich auch der erste Geist, der auch wirklicher Geist ist, selbst.23 Aber er besitzt noch einen Vorzug vor jenem [menschlichen wirklichen], denn er denkt nichts anderes als sich selbst. Insofern er nämlich gedanklich erfassbar ist, wird er auch von sich selbst erfasst, und insofern er wirklich und von Natur aus sich selbst erfassender Denkgegenstand ist, wird er immerwährend als etwas gedanklich Erfasstes existieren, und zwar natürlich kraft jenes Prinzips, das [immerwährend]24 wirklich denkt. Er ist freilich der einzige Geist, der immerwährend wirklich denkt; folglich wird er immerwährend sich selbst denken. Da er aber einzig sich selbst denkt, ist er dementsprechend einfach. Ein einfacher Geist nämlich denkt etwas Einfaches; es gibt aber keinen anderen einfachen Denkgegenstand außer ihm selbst. Unvermischt nämlich ist er und immateriell, und er besitzt nichts in sich selbst bloß dem Vermögen nach; folglich wird er einzig sich selbst denken. Insofern er also Geist ist, wird er sich

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Alexander von Aphrodisias · Text

ἐστιν, αὑτὸν ὡς νοητὸν νοήσει, [110] καθὸ δὲ ἐνεργείᾳ καὶ νοῦς ἐστι καὶ νοητόν, αὑτὸν ἀεὶ νοήσει, καθὸ δὲ ἁπλοῦς μόνος, αὑτὸν μόνον νοήσει. αὐτός τε γὰρ μόνος ἁπλοῦς ὢν ἁπλοῦ τινος νοητικός ἐστιν καὶ μόνος ἁπλοῦς τῶν νοητῶν ἐστιν αὐτός.

[B] [110, 4] Ἤκουσα δὲ περὶ νοῦ τοῦ θύραθεν παρὰ † Ἀριστοτέλους,

ἃ διεσωσάμην. τὰ γὰρ κινήσαντα Ἀριστοτέλη εἰσαγαγεῖν τὸν θύραθεν νοῦν, ταῦτα ἐλέγετο εἶναι· ἥ τε ἀπὸ τῶν αἰσθητῶν ἀναλογία καὶ ἡ ἐπὶ τῶν γινομένων ἁπάντων. ὥσπερ γὰρ ἐπὶ πάντων τῶν γινομένων ἐστί τι τὸ πάσχον, ἔστι τι καὶ τὸ ποιοῦν καὶ τρίτον ἐκ τούτων τὸ γινόμενον (καὶ ἐπὶ τῶν αἰσθητῶν ὁμοίως· ἔστι γὰρ πάσχον τὸ αἰσθητήριον, ποιοῦν δὲ τὸ αἰσθητόν, γινόμενον δὲ ἡ ἀντίληψις ἡ διὰ τοῦ αἰσθητηρίου τοῦ αἰσθητοῦ), τὸν αὐτὸν τρόπον δὴ καὶ ἐπὶ τοῦ νοῦ ὑπελάμβανεν δεῖν εἶναί τινα ποιητικὸν νοῦν, ὅστις τὸν δυνάμει νοῦν καὶ ὑλικὸν εἰς ἐνέργειαν ἄγειν δυνήσεται (ἔστι δὲ ἐνέργεια τὸ αὑτῷ ποιεῖν νοητὰ πάντα τὰ ὄντα). ὥσπερ γάρ ἐστιν αἰσθητά, ἃ κατ’ ἐνέργειαν καὶ ἐνεργείᾳ τὴν αἴσθησιν ποιεῖ, οὕτω δεῖ εἶναί τινα καὶ τὰ τὸν νοῦν ποιοῦντα ἐνεργείᾳ ὄντα αὐτὰ νοητά.

[110, 15] οὐ γὰρ οἷόν τε ποιητικόν τι εἶναί τινος μὴ ὂν αὐτὸ ἐνερ-



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selbst als Denkobjekt denken; [110] insofern er aber wirklich sowohl Geist als auch Denkobjekt ist, wird er sich immerwährend denken; insofern er aber als einziger einfach ist, wird er einzig sich selbst denken. Denn nur er, der als einziger einfach ist, kann etwas Einfaches denken, und unter allen Denkobjekten ist einzig er selbst einfach.

[B] Die Fähigkeit der Wahrnehmung des aristotelischen Geistes [110, 4] Die von Aristoteles stammende Lehre vom Geist, der

»von außerhalb kommt«, habe ich gehört und getreulich bewahrt.25 Was Aristoteles zur Einführung des »von außerhalb kommenden Geistes« bewogen hat, soll, wie man sagt,26 Folgendes gewesen sein: die Analogie mit den sinnlich erfassbaren Gegenständen und mit allen Dingen, die dem Werden unterliegen. Denn bei allen Dingen, die dem Werden unterliegen, gibt es etwas, das leidet, etwas, das wirkt, und drittens etwas, das aus diesen beiden entsteht. (Dasselbe gilt auch für die sinnlich erfassbaren Gegenstände, denn was leidet, ist das Sinnesorgan, was wirkt, ist der sinnlich erfassbare Gegenstand, und was entsteht, ist die Erfassung des sinnlich wahrnehmbaren Gegenstandes mittels des Sinnesorgans). Dasselbe Verhältnis hat Aristoteles nun auch für den Geist angenommen: Es müsse so etwas wie einen wirkenden Geist geben, der in der Lage sei, den in Möglichkeit befindlichen, materiellen Geist in den Zustand der Verwirklichung zu überführen. (Zustand der Verwirklichung besagt hier, dass er selbständig alle Seienden zu gedanklich erfassbaren Gegenständen macht). Denn wie es sinnlich erfassbare Gegenstände gibt, welche als wirkliche bewirken, dass die Sinneswahrnehmung verwirklicht wird, so muss es auch Ursachen geben, welche bewirken, dass der Geist verwirklicht wird, während sie selbst gleichfalls wirkliche gedanklich erfassbare Gegenstände sind. [110, 15] Es kann nämlich nicht sein, dass etwas etwas anderes bewirkt, wenn es nicht selbst wirklich ist. Keiner aber der von

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Alexander von Aphrodisias · Text

γείᾳ. ἐνεργείᾳ δὲ νοητὸν τούτων τῶν νοουμένων ὑφ’ ἡμῶν οὐδέν ἐστιν. ὁ γὰρ νοῦς ὁ ἡμέτερος νοεῖ τὰ αἰσθητὰ δυνάμει ὄντα νοητά, καὶ ὑπὸ τοῦ νοῦ νοητὰ ταῦτα γίνεται. αὕτη γὰρ ἐνέργεια τοῦ νοῦ, τὰ ἐνεργείᾳ αἰσθητὰ τῇ αὑτοῦ δυνάμει χωρίσαι καὶ ἀφελεῖν τούτων, σὺν οἷς ὄντα ἐστὶν αἰσθητά, καὶ ὁρίσασθαι καθ’ αὑτά. εἰ δὴ αὕτη ἐστὶν ἡ τοῦ νοῦ τοῦ δυνάμει πρότερον ὄντος ἐνέργεια, δεῖ δὲ τὸ γινόμενον καὶ ἀγόμενον ἐκ τοῦ δυνάμει εἰς ἐνέργειαν ὑπό τινος γίνεσθαι ἐνεργείᾳ ὄντος, δεῖ τινα εἶναι καὶ νοῦν ποιητικὸν ἐνεργείᾳ ὄντα, ὃς ποιήσει τὸν τέως ὄντα δυνάμει ἐνεργεῖν δύνασθαι καὶ νοεῖν. τοιοῦτος δέ ἐστιν ὁ θύραθεν εἰσιών. ταῦτα μὲν τὰ κινήσαντα ἐκεῖνον.

[110, 25] ἔσται δή τι καὶ ἐνεργείᾳ νοητὸν τῇ αὑτοῦ φύσει τοιοῦτον

ὄν, ὥσπερ αὖ καὶ αἰσθητὸν οὐχ ὑπὸ τῆς αἰσθήσεως γινόμενον τοιοῦτον. τοῦτο δέ ἐστι νοῦς, φύσις τις καὶ οὐσία, οὐδενὶ ἄλλῳ γνωστὴ ἢ νῷ. οὐ γὰρ δὴ αἰσθητός γέ ἐστιν, οὐδὲ πάντα τὰ νοούμενα ὑπὸ τοῦ ἡμετέρου νοῦ νοητὰ γίνεται οὐκ ὄντα τῇ ἑαυτῶν φύσει νοητά, ἀλλ’ ἔστιν τι καὶ καθ’ αὑτὸ νοητὸν τῇ αὑτοῦ φύσει τοιοῦτον ὄν.

[110, 30] τοῦτο δὴ καὶ αὐτὸ ὁ δυνάμει νοῦς τελειούμενος καὶ αὐ-



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uns gedachten Gehalte ist ein wirklich existierender gedanklich erfassbarer Gegenstand; denn unser Geist erfasst zunächst sinnlich wahrnehmbare Gegenstände, die bloß der Möglichkeit nach gedanklich erfassbare Gegenstände sind, und nur kraft des Geistes werden sie zu Denkobjekten. Die tätige Wirklichkeit des Geistes besteht nämlich darin, kraft seines ihm eigenen Vermögens wirkliche Wahrnehmungsgegenstände zu trennen und herauszulösen aus den Bedingungen, unter denen sie als Wahrnehmungsgegenstände existieren, und sie in dem, was sie an sich sind, zu bestimmen. Wenn aber zum einen hierin die Wirklichkeit des Geistes besteht, der vor [seinem Tätigwerden nur] der Möglichkeit nach existiert, und wenn zum anderen etwas, das geworden und aus dem Zustand der Möglichkeit in den der Wirklichkeit überführt worden ist, nur durch etwas der Wirklichkeit nach Existierendes ins Dasein gelangt, dann muss auch der wirkende Geist (der bewirkt, dass der bis dahin nur dem Vermögen nach existierende Geist in die Lage versetzt wird, sich zu verwirklichen und zu denken) etwas sein, das wirklich existiert. Von solcher Art ist aber der Geist, der von außerhalb [in den Menschen] hineinkommt. Dies also sind die Beweggründe, die Aristoteles veranlasst haben [die Lehre vom Geist, der von außerhalb kommt, zu entwickeln].27 [110, 25] Es dürfte folglich etwas geben, das wirklich ein gedanklich erfassbarer Gegenstand ist, und zwar kraft seiner eigenen Natur, wie ja auch ein sinnlich erfassbarer Gegenstand nicht erst durch die Sinneswahrnehmung zu etwas sinnlich Erfassbarem wird. Ein solches [von Natur aus gedanklich Erfassbares] ist aber Geist, d. h. die Art von Natur und Wesen, die von nichts anderem als wiederum Geist erkannt wird. Denn weder ist Geist sinnlich wahrnehmbar noch werden alle Denkgegenstände erst dann gedanklich erfassbar, wenn sie von unserem Geist gedacht werden, ohne dass sie ihrer eigenen Natur nach erfassbar wären. Vielmehr existiert etwas, das an sich und kraft seiner eigenen Natur Gegenstand gedanklichen Erfassens ist. [110, 30] Dies ist es nun, was der in Möglichkeit befindliche Geist gedanklich erfasst, wenn er sich zu größerer Vollkom-

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Alexander von Aphrodisias · Text

ξόμενος νοεῖ. ὥσπερ γὰρ ἡ περιπατητικὴ δύναμις, ἣν ἔχει ὁ ἄνθρωπος εὐθὺς τῷ γενέσθαι, εἰς ἐνέργειαν ἄγεται προϊόντος τοῦ χρόνου τελειουμένου αὐτοῦ οὐ κατὰ πάθος τι, τὸν αὐτὸν τρόπον [111] καὶ ὁ νοῦς τελειωθεὶς τά τε φύσει νοητὰ νοεῖ καὶ τὰ αἰσθητὰ δὲ νοητὰ αὑτῷ ποιεῖ, ἅτε ὢν ποιητικός. οὐ γὰρ παθητικὸς ὁ νοῦς τῇ αὑτοῦ φύσει, ὡς ὑπὸ ἄλλου γίνεσθαι καὶ πάσχειν, καθάπερ ἡ αἴσθησις. ὑπεναντίως γὰρ ἔχει. ἡ μὲν γὰρ αἴσθησις κατὰ πάθος, παθητικὸν γάρ, καὶ ἡ ἀντίληψις αὐτῇ διὰ πάθους, ὁ δὲ νοῦς ποιητικόν. νοητικὸς γὰρ ὢν τῶν πλείστων ἅμα καὶ ποιητὴς ἵνα αὐτὰ νοήσῃ γίνεται,

[111, 6] πλὴν εἰ μὴ κατὰ τοῦτό τις καὶ τὸν νοῦν βούλοιτο παθη-

τικὸν λέγειν, καθὸ ληπτικός ἐστι τῶν εἰδῶν. πάσχειν γὰρ εἶναι δοκεῖ τὸ λαμβάνειν. καὶ τοῦτο μὲν κοινὸν πρὸς τὴν αἴσθησίν ἐστιν αὐτῷ, ἀλλ’ ἐπεὶ ἕκαστον αὐτῶν χαρακτηρίζεται καὶ ὁρίζεται οὐκ ἀπὸ τοῦ κοινοῦ τοῦ πρὸς ἄλλο τι, ἀλλ’ ἀπὸ τοῦ ἰδίου, καὶ τοῦτο ἂν τὸ πρὸς τὴν αἴσθησιν αὐτῷ κοινὸν ὑπὸ ἰδίου χαρακτηρίζοιτο, ὥστε εἰ κοινὸν μέν ἐστιν αὐτῷ πρὸς τὴν αἴσθησιν τὸ τῶν εἰδῶν εἶναι ληπτικῷ, εἰ καὶ μὴ ὁμοίως, ἴδιον δὲ τὸ ποιητικῷ



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menheit und Stärke entwickelt. In derselben Weise nämlich, wie das Gehvermögen, das der Mensch gleich von Anfang an besitzt,28 mit fortschreitender Zeit in den Zustand der Verwirklichung überführt wird, nicht als ob der Mensch es wie ein äußerliches Geschehen erleide, sondern indem er sich selbst immer mehr vervollkommnet, so [111] erfasst auch der Geist, wenn er sich nur erst vervollkommnet hat, die von Natur aus gedanklich einsehbaren Gegenstände, und die sinnlich wahrnehmbaren Gegenstände macht er selbständig zu gedanklich erfassbaren, weil er ja wirkend ist. Denn seiner eigenen Natur nach ist dieser Geist nicht, wie es die Sinneswahrnehmung ist, leidensfähig, so dass er erst durch Einwirkung von etwas anderem in diesen Zustand gebracht werden müsste. Sinneswahrnehmung und Geist verhalten sich hierin nämlich auf ganz entgegengesetzte Weise. Der Wahrnehmungsprozess erfolgt nach Maßgabe eines Erleidens, denn Sinneswahrnehmung ist von leidensfähiger Natur, und die Wahrnehmung, die sie hervorbringt, kommt durch Erleiden zustande. Der Geist hingegen ist von wirkender Natur; fähig, die meisten Objekte zu denken, wird er, um sie gedanklich zu erfassen, zugleich auch zu ihrem Urheber. [111, 6] Abweichend hiervon könnte jemand versucht sein, den Geist leidensfähig zu nennen, insofern er fähig ist, die Formen zu erfassen; ein Erleiden nämlich scheint der Vorgang des Erfassens zu sein. Zwar hat er dies mit der Sinneswahrnehmung gemeinsam, da aber Geist und Sinneswahrnehmung nicht von dem her charakterisiert und bestimmt werden, was beiden gemeinsam ist im Blick auf ein Drittes, sondern von dem her, was ihnen jeweils eigen ist, so sollte wohl auch das, was dem Geist mit der Sinneswahrnehmung gemeinsam ist, durch das jeweils Eigene charakterisiert werden. Wenn der Geist deshalb mit der Sinneswahrnehmung das gemeinsame Merkmal hat, Formen aufnehmen zu können – obschon nicht auf dieselbe Weise –, so ist ihm doch eigen, dass er diese Formen, die er erfasst, bewirkt. Folglich sollte er besser vom Bewirken her bestimmt werden; und somit dürfte das, was den Geist ausmacht,

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Alexander von Aphrodisias · Text

εἶναι τούτων τῶν εἰδῶν ἃ λαμβάνει, ἀπὸ τοῦ ποιεῖν ἂν μᾶλλον ὁρίζοιτο. ὥστε ποιητικὸν ἄν, οὐ παθητικὸν ὁ νοῦς εἴη. [111, 15] ἔτι καὶ πρότερον αὐτῷ τὸ ποιεῖν καὶ οὐσιῶδες. πρότερον γὰρ ποιεῖ τῇ ἀφαιρέσει νοητόν, εἶθ’ οὕτως λαμβάνει τούτων τι ὃ νοεῖ τε καὶ ὁρίζεται, ὅτι τόδε τί ἐστι. καὶ γὰρ εἰ ἅμα χωρίζεται καὶ λαμβάνει, ἀλλὰ τὸ χωρίζειν προεπινοεῖται· τοῦτο γάρ ἐστιν αὐτῷ τὸ ληπτικῷ εἶναι τοῦ εἴδους. ὥσπερ δὲ τὸ πῦρ ποιητικώτατον λέγομεν, ἐπειδήπερ πάσης ὕλης ἧς ἂν ἐπιλάβηται ταύτην ἀναλίσκει καὶ αὑτῷ τροφὴν παρέχει (καίτοι καθὸ τρέφεται πάσχει), τὸν αὐτὸν τρόπον καὶ τὸν νοῦν τὸν ἐν ἡμῖν ποιητικὸν ἡγητέον. τὰ γὰρ οὐκ ὄντα ἐνεργείᾳ νοητὰ αὐτὸς νοητὰ ποιεῖ. οὐδὲν γὰρ ἄλλο νοητόν ἐστιν ἢ ὁ νοῦς ὁ ὢν ἐνεργείᾳ καὶ καθ’ αὑτόν. καὶ τὰ ὑπὸ τοῦ νοοῦντος δὲ γινόμενα νοητὰ καὶ αἱ τούτου ἐνέργειαι νοῦς καὶ αὐτὰ ὅταν νοῆται. ὥστε μὴ ὄντος νοῦ, οὐδὲν ἂν εἴη νοητόν. οὔτε γὰρ ὁ φύσει (αὐτὸς γὰρ ἦν μόνος τοιοῦτος), οὔτε τὸ ὑπὸ τούτου γινόμενον. οὐκ ὢν γὰρ οὐδ’ ἂν ποιοῖ.

[111, 27] συνεργὸς δ’ ἂν γίνοιτο τῷ ἐν ἡμῖν ὁ φύσει τε νοῦς καὶ

θύραθεν, ὅτι οὐδ’ ἂν τὰ ἄλλα νοητὰ ἦν ὄντα δυνάμει μὴ ὄντος τινὸς τῇ ἰδίᾳ φύσει νοητοῦ. τοῦτο δὴ τῇ αὑτοῦ φύσει νοητὸν ὂν ἐν τῷ νοοῦντι γενόμενον διὰ τοῦ νοηθῆναι νοῦς τέ ἐστι γεγενη-



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wohl am ehesten das Wirkfähige sein, nicht das Leidensfähige. [111, 15] Außerdem ist dem Geist das Bewirken ursprünglicher und gehört zu seinem Wesen. Zuerst nämlich erzeugt er durch Abstraktion einen gedanklich erfassbaren Gegenstand, dann erst erfasst er davon etwas, das er denkt und als ein Diesda bestimmt. Denn auch wenn beim Geist das Abtrennen und das Erfassen faktisch zugleich erfolgen, so ist doch das Abtrennen logisch früher. Dies ist es nämlich, was ihn erst in die Lage versetzt, die Form zu erfassen. Denn wie wir das Feuer als das Element mit der größten Wirksamkeit bezeichnen, da es nun einmal jede Materie, deren es nur immer habhaft werden kann, verzehrt und zur eigenen Nahrung umwandelt (obgleich es, sofern es ernährt wird, etwas erleidet), so müssen wir gleichfalls den Geist in uns als wirksam erachten. Denn er macht dasjenige, was nicht als wirklicher Denkgegenstand existiert, zum Denkgegenstand. Nichts anderes nämlich ist Denkgegenstand als der Geist, der wirklich und an sich existiert.29 Denn auch die Dinge, die erst durch die Denktätigkeit des Geistes zum Denkgegenstand geworden sind, und diese seine Tätigkeiten sind selbst Geist in dem Moment, da sie gedacht werden. Deshalb würde es wohl auch nichts gedanklich Erfassbares geben, wenn es keinen Geist gäbe: weder etwas, das von Natur aus Denkgegenstand ist (einzig er selbst könnte ja ein solches sein), noch etwas, das erst durch den Geist zum Denkgegenstand wird; denn wenn der Geist nicht existierte, könnte er auch keinen Denkgegenstand bewirken. [111, 27] Der Geist, der von Natur aus existiert und von außen kommt, dürfte wohl für unseren Geist eine mitwirkende Funktion haben.30 Denn auch die anderen gedanklich erfassbaren Gegenstände, die nur der Möglichkeit nach existieren, wären nicht, wenn es nicht etwas gäbe, was seiner eigenen Natur nach gedanklich erfassbarer Gegenstand ist. Dies aber, was seiner eigenen Natur nach gedanklich erfassbarer Gegenstand ist, existiert, wenn es in demjenigen, der denkt, durch das Gedachtwerden zum Vorschein kommt, als Geist, der in dem Denkenden

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Alexander von Aphrodisias · Text

μένος ἐν τῷ νοοῦντι καὶ θύραθεν νοεῖται καὶ ἀθάνατος καὶ ἐντίθησιν τὴν ἕξιν τῷ ὑλικῷ ὥστε νοεῖν τὰ δυνάμει νοητά. ὡς γὰρ τὸ φῶς, ποιητικὸν ὂν τῆς κατ’ ἐνέργειαν ὄψεως, καὶ αὐτὸ ὁρᾶται καὶ τὰ σὺν αὐτῷ, καὶ δι’ αὐτοῦ τὸ χρῶμα, οὕτως δὲ καὶ ὁ θύραθεν νοῦς αἴτιος γίνεται τοῦ νοεῖν ἡμῖν, νοούμενος καὶ αὐτός, οὐ ποιῶν αὐτὸν νοῦν, ἀλλὰ τὸν ὄντα νοῦν τῇ αὑτοῦ φύσει τελειῶν καὶ ἄγων ἐπὶ τὰ οἰκεῖα. ἔστιν οὖν φύσει μὲν νοητὸν ὁ νοῦς, τὰ δὲ ἄλλα τὰ νοητὰ τέχνῃ [112] τούτου καὶ τούτου ποιήματα, ἃ ποιεῖ οὐ παθὼν καὶ γενόμενος ὑπό τινος ὁ δυνάμει (ἦν γὰρ νοῦς καὶ πρὸ τοῦ ἐνεργεῖν), ἀλλὰ αὐξηθεὶς καὶ τελειούμενος. τελειωθεὶς δὲ τά τε φύσει νοητὰ νοεῖ καὶ τὰ κατὰ τὴν οἰκείαν ἐνέργειαν καὶ τέχνην. ἴδιον γὰρ τοῦ νοῦ τὸ ποιητικόν, καὶ τὸ νοεῖν αὐτῷ ἐνεργεῖν ἐστιν οὐ πάσχειν.

[C] [112, 5] βουλόμενος δὲ τὸν νοῦν ἀθάνατον δεικνύναι καὶ φεύγειν

τὰς ἀπορίας ἃς ἐπιφέρουσιν τῷ θύραθεν νῷ ἀνάγκην ἔχοντι τόπον ἀλλάττειν, οὐ δυναμένῳ δέ, εἴ γέ ἐστιν ἀσώματος, οὔτε



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entstanden ist; zugleich wird es als »von außerhalb kommend« und als unsterblich 31 gedacht. Es flößt dem materiellen Geist den Habitus ein, sodass dieser die gedanklich erfassbaren Gegenstände zu denken vermag, die der Möglichkeit nach existieren. Denn wie das Licht,32 welches das wirkliche Sehen bewirkt, zugleich mit den Gegenständen, die von ihm beschienen werden, auch selbst gesehen wird, und kraft seiner die Farbe, so wird auch der Geist, der von außerhalb kommt, zur Ursache unseres Denkens, indem auch er selbst [von uns] gedacht wird. Er erzeugt nicht etwa den Geist selbst, sondern vervollkommnet kraft seiner eigenen Natur den bereits existierenden Geist und bringt ihn dazu, seine eigentümlichen Kräfte zu entfalten. Demnach ist der Geist etwas von Natur aus gedanklich Erfassbares, während alle übrigen gedanklich erfassbaren Gegenstände Werk 33 [112] dieses Geistes sind und seine Produkte. Der in Möglichkeit befindliche Geist bewirkt sie [mit],34 und zwar nicht dadurch, dass er etwas erleidet und dass er von etwas [Fremdem] in Dasein gebracht wird – Geist war er ja auch, bevor er anfing sich zu verwirklichen –, sondern dadurch, dass er sich zu seiner Stärke und Vollkommenheit entwickelt. Ist er einmal in den Zustand der Vervollkommnung gelangt, denkt er sowohl dasjenige, was von Natur aus gedanklich erfassbarer Gegenstand ist, als auch dasjenige, was durch sein eigentümliches Tätigsein und Werk gedanklich erfassbarer Gegenstand geworden ist. Eigenart des Geistes nämlich ist, dass er [Denkobjekte] bewirken kann, und im Denken erleidet er nicht etwa etwas, sondern verwirklicht sich.

[C] Diskurs über die Unsterblichkeit des Geistes [112, 5] Jemand 35 wollte die Unsterblichkeit des Geistes aufzei-

gen und zugleich die Schwierigkeiten vermeiden, die manche gegen [die Lehre vom] Geist, der von außerhalb kommt, ins Feld führen: [ein solcher Geist] müsse notwendigerweise seinen Ort wechseln, könne dies aber nicht, wenn er denn wirklich

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Alexander von Aphrodisias · Text

ἐν τόπῳ εἶναι οὔτε μεταβαίνειν καὶ ἄλλοτε ἐν ἄλλῳ γίνεσθαι, κατ’ ἰδίαν ἐπίνοιαν ἔλεγε τοιαῦτα περὶ τοῦ νοῦ ἐν παντὶ εἶναι τῷ θνητῷ λεγομένου σώματι. καὶ δὴ ἔφασκεν τὸν νοῦν καὶ ἐν τῇ ὕλῃ ὡς οὐσίαν ἐν οὐσίᾳ καὶ ἐνεργείᾳ εἶναι ἀεὶ ἐνεργοῦντα τὰς αὑτοῦ ἐνεργείας. ὅταν μὲν οὖν ἐκ τοῦ σώματος τοῦ κραθέντος πῦρ γένηται ἤ τι τοιοῦτον ἐκ τῆς μίξεως, ὡς καὶ ὄργανον δύνασθαι τῷ νῷ τούτῳ παρασχεῖν, ὅς ἐστιν ἐν τῷ μίγματι τούτῳ (διότι ἐστὶν ἐν παντὶ σώματι, σῶμα δὲ καὶ τοῦτο), τοῦτο τὸ ὄργανον δυνάμει νοῦς λέγεται ἐπιτήδειός τις δύναμις ἐπὶ τῇ τοιᾷδε κράσει τῶν σωμάτων γινομένη πρὸς τὸ δέξασθαι τὸν ἐνεργείᾳ νοῦν. ὅταν δὴ τούτου τοῦ ὀργάνου λάβηται, τότε καὶ ὡς δι’ ὀργάνου καὶ ὡς περὶ ὕλην καὶ ὡς δι’ ὕλης ἐνήργησεν, καὶ τότε λεγόμεθα νοεῖν ἡμεῖς. ὁ γὰρ ἡμέτερος νοῦς σύνθετός ἐστιν ἔκ τε τῆς δυνάμεως, ἥτις ὄργανόν ἐστι τοῦ θείου νοῦ, ὃν δυνάμει νοῦν ὁ Ἀριστοτέλης καλεῖ, καὶ τῆς ἐκείνου ἐνεργείας. ὧν θατέρου μὴ παρόντος ἀδύνατον ἡμᾶς νοεῖν. εὐθὺ μὲν γὰρ τῇ πρώτῃ καταβολῇ τοῦ σπέρματός ἐστιν ὁ ἐνεργείᾳ νοῦς διὰ πάντων γε κεχωρηκὼς καὶ ὢν ἐνεργείᾳ, ὡς καὶ ἐν ἄλλῳ τινὶ σώματι τῶν τυχόντων. ἐπειδὰν δὲ καὶ διὰ τῆς ἡμετέρας δυνάμεως ἐνεργήσῃ, τότε ἡμέτερος νοῦς οὗτος λέγεται καὶ ἡμεῖς νοοῦμεν,

[112, 25] ὥσπερ εἴ τις τεχνίτην ἐννοήσαι τοτὲ μὲν ἄνευ ὀργάνων

ἐνεργοῦντα κατὰ τὴν τέχνην, τοτὲ δὲ καὶ μετ’ ὀργάνων, ὅτε καὶ ἡ κατὰ τὴν τέχνην ἐνέργεια αὐτῷ περὶ τὴν ὕλην γίνεται. τὸν αὐτὸν τρόπον καὶ ὁ θεῖος νοῦς ἀεὶ μὲν ἐνεργεῖ (διὸ καὶ ἔστιν



Über den Geist

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unkörperlich ist, und sei also weder an einem Ort noch gehe er anderswo hin, und werde zu anderer Zeit anderswo zum Vorschein kommen.36 Entsprechend eigenem Nachdenken über den Geist, der sich angeblich in jedem sterblichen Körper befindet, kam er zu folgender These: Er behauptete, dass der Geist sich in der Materie befinde als eine Substanz in einer Substanz,37 und zwar der Wirklichkeit nach, und dass er immerfort die ihm eigenen Tätigkeiten ausübe. Wenn nun aus dem Körper, der [aus den vier Elementen] zusammengemischt ist, auf Grund des Mischungsverhältnisses Feuer hervortritt oder etwas dergleichen, dann soll es diesem Geist, der sich in dieser Mischung befindet, gewissermaßen als Organ dienen können (weil der Geist sich ja in jedem Körper befindet, und auch dieses [Feuer] ebenfalls ein Körper ist). Dieses Organ heißt »in Möglichkeit befindlicher Geist«; es ist eine Art Vermögen, hervorgegangen aus der so beschaffenen Mischung der Körper und geeignet, in sich den in Verwirklichung befindlichen Geist aufzunehmen. Sooft sich der Geist also dieses Organs bemächtigt, wirkt er mittelbar durch ein Instrument, und zwar wirkt er sozusagen auf Materie und durch Materie, und in diesem Falle sagen wir, dass wir denken. Denn unser Geist setzt sich zusammen aus demjenigen Vermögen, welches Organ des göttlichen Geistes ist und das38 Aristoteles den »in Möglichkeit befindlichen Geist« nennt, und aus der Tätigkeit dieses [göttlichen Geistes]. Fehlt eine dieser beiden Komponenten, ist es uns unmöglich zu denken. Denn sofort nach dem ersten Auswurf des Samens hat sich der wirklicher Geist über alles verteilt, eben weil er wirklich ist; das gleiche ist der Fall bei irgendeinem anderen Körper, auf den er zufällig trifft. Sobald er aber kraft unseres Vermögens wirkt, wird er als unser Geist bezeichnet und wir denken. [112, 25] So ähnlich mag man sich einen Handwerker vorstellen, der seine Kunst einmal ohne Werkzeuge ausübt, einmal mit Werkzeugen, nämlich dann, wenn sich seine handwerkliche Tätigkeit auf die Materie richtet.39 Auf dieselbe Weise wirkt auch der göttliche Geist zwar immerfort (weil er ja der Wirklichkeit nach existiert); vermittels eines Organs aber wirkt er

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Alexander von Aphrodisias · Text

ἐνεργείᾳ), καὶ δι’ ὀργάνου δέ, ὅταν ἐκ τῆς συγκρίσεως τῶν σωμάτων καὶ τῆς εὐκρασίας γένηται ὄργανον τοιοῦτον. ὑλικὴν γὰρ ἤδη τινὰ τότε ἐνέργειαν ἐνεργεῖ καὶ ἔστιν οὗτος ἡμέτερος νοῦς. καὶ ἐκκρίνεται δή, ὅνπερ τρόπον καὶ εἰσκρίνεται. οὐ γὰρ ἀλλαχοῦ ὢν μεταβαίνει, ἀλλὰ τῷ πανταχοῦ εἶναι μένει καὶ ἐν τῷ ἐκ τῆς ἐκκρίσεως δια[113]λυομένῳ σώματι φθειρομένου τοῦ ὀργανικοῦ, ὡς ὁ τεχνίτης ἀποβαλὼν τὰ ὄργανα ἐνεργεῖ μὲν καὶ τότε, οὐ μὴν ὑλικὴν καὶ ὀργανικὴν ἐνέργειαν.

[113, 2] ἔλεγεν δὴ ὅτι εἰ ὅλως ὑπολαμβάνειν χρὴ κατὰ Ἀριστοτέλη

θεῖον καὶ ἄφθαρτον εἶναι τὸν νοῦν, οὕτως ἡγεῖσθαι δεῖν, οὐκ ἄλλως. καὶ τὴν λέξιν δὲ τὴν ἐν τῷ τρίτῳ Περὶ ψυχῆς τούτοις προσοικειοῦν ἔλεγεν δεῖν καὶ τὴν ἕξιν καὶ τὸ φῶς ἐπὶ τοῦτον φέρειν τὸν πανταχοῦ ὄντα. οὗτος δὲ ὁ νοῦς ἤτοι μόνος αὐτὸς τὰ ἐνθάδε διοικεῖ πρὸς τὴν τῶν θείων ἀναφορὰν καὶ συγκρίνει τε καὶ διακρίνει, ὥστε αὐτὸς καὶ τοῦ δυνάμει νοῦ δημιουργός, ἢ μετὰ τῆς τῶν οὐρανίων εὐτάκτου κινήσεως. ὑπὸ γὰρ ταύτης γίνεται τὰ ἐνθάδε τῇ προσόδῳ καὶ ἀφόδῳ τοῦ ἡλίου μάλιστα ἢ ὑπ’ αὐτοῦ γινόμενα καὶ τοῦ ἐνθάδε νοῦ ἢ ὑπὸ τούτων μὲν καὶ τῆς τούτων κινήσεως ἡ φύσις γίνεται, αὐτὴ δὲ τὰ καθέκαστα μετὰ τοῦ νοῦ διοικεῖ.

[113, 12] ἀντιπίπτειν ἐδόκει μοι τούτοις τό τε τὸν νοῦν καὶ ἐν τοῖς

φαυλοτάτοις εἶναι θεῖον ὄντα, ὡς τοῖς ἀπὸ τῆς Στοᾶς ἔδοξεν,



Über den Geist

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dann, wenn durch die Zusammensetzung der Körper und ihre rechte Mischung ein solches Werkzeug entstanden ist.40 Dann nämlich übt er so etwas wie eine materiebezogene Tätigkeit aus und existiert als unser Geist. Auf dieselbe Weise, wie er sich uns beigesellt, sondert er sich auch wieder von uns ab. Denn er geht nicht von einem Ort zum andern, sondern weil er überall ist, bleibt er auch in dem Körper erhalten, der sich durch Dissoziation [der Elemente] [113] auflöst,41 obwohl ein solcher Körper dem Geist kein Instrument mehr zur Verfügung stellen kann. So ist ja der Handwerker auch dann noch tätig, wenn er die Werkzeuge beiseitegelegt hat, nur nicht in Form einer an Material und Werkzeuge gebundenen Tätigkeit. [113, 2] Schließlich behauptete er: Wenn man nun überhaupt mit Aristoteles annehmen muss, dass der Geist göttlich und unsterblich ist, dann muss man dies in der dargelegten Weise verstehen und nicht anders. Auch müsse, wie er weiter behauptete, die Passage im dritten Buch Über die Seele42 so interpretiert werden, dass sie mit den vorstehenden Ausführungen zusammenpasst, und der [dort genannte] »Habitus« ebenso wie das »Licht« müssten auf den Geist bezogen werden, der überall existiert. Dieser Geist durchwaltet alle hiesigen Dinge43 – entweder [1] er allein unter Bezugnahme auf den Umlauf der göttlichen Wesen,44 indem er die Dinge sowohl verbindet als auch trennt, sodass er selbst auch der Hervorbringer des in Möglichkeit befindlichen Geistes ist; oder [2] [er durchwaltet die hiesigen Dinge] in Verbindung mit der wohlgeordneten Bewegung der Himmelskörper. Denn unter dem Einfluss dieser Bewegung entsteht alles Hiesige, insbesondere durch die Annäherung und Entfernung der Sonne. In diesem Falle gilt, dass entweder [2a] alles unter dem Einfluss der Sonne und des hiesigen Geistes entsteht, oder dass [2b] unter dem Einfluss der Himmelskörper und ihrer Bewegung die Natur entsteht, welche dann zusammen mit dem Geist die einzelnen Wesen lenkt.45 [113, 12] Mir dagegen schienen folgende Konsequenzen gegen diese Ansichten zu sprechen:46 Erstens müsste der Geist, obwohl er doch göttlich ist, dann auch in den wertlosesten Dingen

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Alexander von Aphrodisias · Text

καὶ τὸ ὅλως εἶναι καὶ ἐν τοῖς ἐνταῦθα νοῦν καὶ προηγουμένην τινὰ πρόνοιαν (καὶ μὴν κατὰ τὴν ἐπὶ τὰ θεῖα ἀναφορὰν τὴν τῶν ἐνταῦθα γίνεσθαι πρόνοιαν), καὶ τὸ μὴ ἐφ’ ἡμῖν εἶναι τὸ νοεῖν μηδ’ εἶναι τοῦτο ἡμέτερον ἔργον, ἀλλ’ εὐθὺ γινομένοις ἡμῖν ἐνυπάρχειν φύσει τήν τε σύστασιν τοῦ δυνάμει καὶ ὀργανικοῦ καὶ τὴν διὰ τοῦ θύραθεν ἐνέργειαν.

[113, 18] ἢ οὐκ ἀλλάσσει τόπον τὸ τῷ νοεῖσθαι ἔν τινι γινόμενον. οὐδὲ γὰρ τὰ τῶν αἰσθητῶν εἴδη, ἐπειδὰν αὐτῶν αἰσθώμεθα, ἐν τοῖς αἰσθητηρίοις ὡς τόποις αὐτῶν γίνεται. χωριστὸς δὲ λέγεται ὁ θύραθεν νοῦς καὶ χωρίζεται ἡμῶν, οὐχ ὡς μετιών που καὶ ἀμείβων τόπον, ἀλλὰ χωριστὸς μὲν ὡς καθ’ αὑτόν τε ὢν καὶ μὴ σὺν ὕλῃ, χωριζόμενος δὲ ἡμῶν τῷ μὴ νοεῖσθαι, οὐ τῷ μετέρχεσθαι. οὕτως γὰρ ἐγίνετο καὶ ἐν ἡμῖν.



Über den Geist

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existieren, wie auch die Philosophen der Stoa glaubten.47 Zweitens würde überhaupt in den hiesigen Dingen ein Geist und somit eine Art lenkender Vorsehung existieren48 (und in der Tat träte hier infolge der Verbindung, welche die hiesigen Dinge mit den göttlichen Wesen haben, eine Vorsehung auf). Drittens stünde das Denken weder in unserer Macht noch wäre es unser persönliches Werk; vielmehr wäre sofort mit unserer Zeugung sowohl die Struktur des potentiellen und als Werkzeug dienenden Geistes als auch die Tätigkeit, die durch den von außerhalb kommenden Geist erfolgt, von Natur aus in uns vorhanden. [113, 18] Vielmehr verändert dasjenige, was auf Grund des Gedachtwerdens in einem [Menschen] entstanden ist, nicht seinen Ort. Nicht einmal bei den Formen des sinnlich Wahrnehmbaren verhält es sich so; sie entstehen nämlich nicht, sobald wir die Gegenstände wahrnehmen, in den Sinnesorganen als ihren Örtern. Der von außerhalb kommende Geist hingegen wird ja schon als »abgetrennt« bezeichnet und trennt sich auch [tatsächlich] von uns ab; freilich nicht so, als würde er irgendwohin eilen und den Ort wechseln. »Abgetrennt« meint hier vielmehr, dass er an sich existiert und nicht zusammen mit Materie. »Sich abtrennend von uns« besagt dagegen, dass er nicht [von uns] gedacht wird, nicht aber, dass er [von uns] weggeht. So nämlich ist er auch in uns entstanden.49

4. THEMISTIOS Paraphrase zu De anima III 4–6 Eingeleitet, übersetzt und erläutert von Frank-Joachim Simon

In memoriam Konrad Gaiser ΤΩΙ ΠΕΡΙ ΤΑ ΑΓΡΑΦΑ ΔΟΓΜΑΤΑ

ΑΚΑΜΑΤΩΣ ΦΙΛΟΠΟΝΗΣΑΝΤΙ

D  

ie Kommentare des Themistios zu Schriften des Aristoteles bilden ein wichtiges Verbindungsglied zwischen der peripatetischen Schule der ersten beiden nachchristlichen Jahrhunderte und den späteren, neuplatonisch oder christlich geprägten Exegeten des Aristoteles. Themistios’ Schulzugehörigkeit und eigener Standpunkt sind in der Forschung umstritten. Während einige ihn für einen »Neuplatoniker« halten,1 zumindest seine Theorie des Geistes vom Neuplatonismus (insbesondere Plotins) geprägt sehen,2 glauben andere, dass er »predominantly a Peripatetic«,3 ja »in some ways the last of the true Peripatetics« gewesen sei.4 Wieder andere sehen ihn beeinflusst vom späten Mittelplatonismus,5 und wieder andere sehen in ihm das Muster eines »weitherzigen Eklektizismus, der selbst den Epikur nicht schlechthin ablehnt«.6 Einen Hinweis auf seine persönliche  Geffcken 1929, S. 168.  So vor allem Mahoney 1973, insb. S. 428–431, und Mahoney 1982, insb. S. 264–266, Anm. 1, sowie Ballériaux 1989 und Ballériaux 1994; neuerdings auch Heather/Moncur 2001, S. 2 f. 3  Blumenthal 1990, S. 123. 4  Vanderspoel 1995, S. 227: »one of the most interesting representives of the late Peripatetic school«; Verbeke 1976, S. 307. 5  So Vanderspoel 1995, S. 21: »It is difficult to locate Themistius’ philosophy accurately, but his preoccupations, as well as the problems that he did not adress, make him more a late Middle Platonist than a Neoplatonist.« 6  Praechter 1957, S. 658. Zeller 1923, S. 799, spricht sogar von einem »oberflächlichen Eklekticismus«. 1 2

238 Themistios · Einleitung

Einstellung gibt Themistios, indem er einen Hörer des Jamblich lobt, der dem väterlich ererbten und alten Gesang der Akademie und des Lykeion treu geblieben sei und nicht »das neue Lied« – es könnte das Christentum gemeint sein – verehre.7

1. Leben und Werk Themistios’ Geburts- und Todesjahr stehen nicht zweifelsfrei fest. Das Geburtsjahr ist wahrscheinlich 317 n. Chr., das letzte gesicherte Lebensjahr 388 n. Chr.8 Er lebte also in der Epoche, in der der römische Staat den Wandel von der heidnischen zur christlichen Religion vollzog. Themistios stammt aus einer begüterten Familie in Paphlagonien, einer Landschaft, die der heutigen Schwarzmeerküste der Türkei entspricht. Die Philosophie war ihm gleichsam in die Wiege gelegt, da sein Vater Eugenios9 sich mit den philosophischen Klassikern befasste, sie auslegte und als Grundlage seiner Unterweisung verwendete. Die hierfür nötige Muße verdankten Themistios wie auch sein Vater einem Landgut, das ihre finanzielle Unabhängigkeit garantierte. Frucht dieser Muße ist ein umfangreiches Lebenswerk, aus dem vor allem die Paraphrasen zu Schriften des Aristoteles herausragen. Vermutlich dienten diese Paraphrasen als Grundlage der Lehrvorträge, die Themistios in Konstantinopel seit etwa 348 n. Chr. mit großem Erfolg hielt. Bedenkt man, dass Themistios seit seiner Ernennung zum Senator im Jahr  Themistios 1965, S. 90, 12–14.  Nach Vanderspoel 1995, S. 31; 215. Die folgenden biographischen Informationen stützen sich auf dieses Werk. 9  Ihm hat Themistios mit seinem Epitaphios (Themistii orationes, vol. II, Nr. 1) ein Denkmal gesetzt. Darin rückt er seinen Vater in die Nähe von Platon und Aristoteles; die Philosophie des Stagiriten kann sowohl »Vorweihe« als auch »Gipfel« und »Schutzzaun« zu den »bacchischen Weihen« Platons sein (ebd., S. 6, 16–19). In einer längeren Passage (S. 4, 16–5, 6) wird möglicherweise darauf angespielt, dass Eugenios Aristoteles’ Schriften ausgelegt hat. Vgl. auch Ballériaux 1996. 7 8

Paraphrase zu De anima, III 4–6



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355 n. Chr. durch politische Tätigkeiten in Anspruch genommen wurde, so ist anzunehmen, dass er diese Schriften im Zeitraum zwischen 348 und 355 n. Chr. ausgearbeitet hat. Im Unterschied zu seinem Vater begnügte sich Themistios nicht damit, philosophische Vorlesungen zu halten, sondern trat öffentlich als Redner auf. Er hatte dabei solchen Erfolg, dass sein Talent die Basis für seine politische Karriere wurde. Dies brachte ihm wiederum den Vorwurf ein, er sei kein Philosoph, sondern Rhetor oder Sophist. Mit diesen Vorwürfen setzt sich Themistios in mehreren Reden auseinander.10 Kaiser Konstantius II., der von 337 bis 361 n. Chr. regierte, ernannte Themistios im Jahre 355 n. Chr. zum Senator und 361 zum Prokonsul; in dieser Funktion hatte Themistios Verwaltungsaufgaben für die Hauptstadt des Römischen Reiches, Konstantinopel, zu übernehmen. Themistios behielt sein Ansehen auch unter den nachfolgenden Kaisern Julian (Regierungszeit 361–363) und Jovian (Regierungszeit 363–364), obwohl sie entgegengesetzte politische Ziele verfolgten: Julian strebte eine Renaissance der heidnischen Religion an, Jovian ging umgekehrt gegen die heidnischen Kulte vor. Mehrfach äußerte sich Themistios auch unter der Regierung des Kaisers Valens (Regierungszeit 364–378) offiziell zu wichtigen politischen Fragen, bevor er unter Theodosius I. (Regierungszeit 379–395) im Jahr 384 n. Chr. praefectus urbis (Präfekt von Konstantinopel) und princeps senatus (Haupt des Senates) wurde. Das Vertrauen des Theodosius ging so weit, dass er Themistios die Erziehung seines Sohnes Arkadios anvertraute. Nach wenigen Monaten legte Themistios sein Präfektenamt nieder, und dies ist auch das letzte gesicherte Datum seiner politischen Tätigkeit. Themistios gelang es im Jahrhundert der Konstantinischen Wende, das Studium der philosophischen Klassiker in Konstantinopel neu zu beleben und einen Ruf als Philosoph und Erzieher zu erwerben. Da er für religiöse Toleranz eintrat und 10

 Stegemann 1934, S. 1642.

240 Themistios · Einleitung

diese ausübte,11 konnte er, obwohl er der heidnischen Religion der griechisch-römischen Kulte treu blieb, zugleich hohe politische Aufgaben unter Kaisern wahrnehmen, die (Julian ausgenommen) christlich geprägt waren. Unter ihnen finden sich so gegensätzliche Vertreter des christlichen Glaubens wie der arianerfreundliche Konstantios und der orthodoxe Theodosios. Themistios’ erhaltenes literarisches Werk gliedert sich in Reden, die von den Herausgebern in politische und private unterteilt werden, in selbständige Schriften12 und in philosophische Paraphrasen. Seine Briefe sind nicht erhalten, ein Briefwechsel mit Libanios ist aber bezeugt.13 Die politischen Reden sind meist auf aktuelle politische Anlässe bezogen. Da sie zudem vor Kaisern und hohen Würdenträgern gehalten wurden, sind sie oft im Stil der damals üblichen Panegyrik gestaltet.14 Zugleich liefern sie uns heute wichtige historische Informationen über die Politik der Kaiser im 4. Jahrhundert. Das berühmteste Beispiel hierfür ist Themistios’ Rede anlässlich des Friedensschlusses mit den Westgoten unter Kaiser Valens (or. 10). Auch dokumentieren sie darüber hinaus Themistios’ am platonischen Ideal orientierte Staatsphilosophie.15 Zu den selbständigen Schriften des Themistios zählt auch eine Schrift Über die Seele, die aber abgesehen von einigen bei Stobaios überlieferten und in ihrer Echtheit bezweifelten Fragmenten leider verschollen ist.16 Gewiss hätten sich diese Schrift und die Paraphrase zu De anima gegenseitig erhellen können.  Siehe hierzu Daly 1971.  Unter anderem handelt es sich hierbei um eine Oratio de virtute in syrischer und um eine Epistula de re publica gerenda in arabischer Übersetzung. 13  Fatouros/Krischer 1980, Nr. 56–60. 14  Die politischen Reden liegen in einer deutschen Übersetzung vor: Leppin/Portmann 1998. 15  Platon, resp. 473d/e; 520a–d. Themistios bekennt sich or. 31 unter Hinweis auf Platon und Aristoteles zu einer politischen Tätigkeit (Schenkl et al. 1974, vol. II, S. 188, 10–23). 16  Schenkl et al. 1974, vol. III, S. 2–4. 11

12

Paraphrase zu De anima, III 4–6



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In diesen Werken und erst recht in seinen Paraphrasen bewegt sich Themistios in einem anderen literarischen Genre als in den Staatsreden. Frei von politischen Rücksichtnahmen stehen sie ganz im Dienst der philosophischen Lehre. In seinen berühmten Paraphrasen widmet sich Themistios der Auslegung aristotelischer Schriften. Ist es doch neben Platon Aristoteles, den er sich nach eigenen Worten »zum Lebens- und Weisheitsführer erwählt« hat.17 Die Paraphrasen zu den Analytica posteriora und zur Physik sind im griechischen Original erhalten, die zu De caelo und Metaphysik XII nur in hebräischer Übersetzung. Die Paraphrase zu De anima, die als das wichtigste und einflussreichste Werk des Themistios gilt und aus der unser weiter unten präsentierte Text stammt, ist auf Griechisch, in einer arabischen und in mehreren lateinischen Übersetzungen überliefert. Dagegen sind uns von der Paraphrase zu den Analytica priora nur hebräische Fragmente erhalten, während die unter diesem Titel überlieferten und Themistios zugeschriebenen griechischen Texte unecht sind. Ganz verschollen sind die Paraphrasen zu den Kategorien und zur Topik. Eine genauere Datierung einzelner Paraphrasen ist bisher nicht erfolgt. Themistios äußert im Jahre 358/9, dass seine von Jugend an geführten Aufzeichnungen ohne sein Wissen und Wollen in die Öffentlichkeit gelangt seien.18 Wenn diese Aufzeichnungen (syngrammata) mit den Paraphrasen zu identifizieren sind, ergibt sich aus dieser Äußerung ein terminus ante quem für ihre Abfassung.

2. Form und Intention der Paraphrasen Themistios hat seine Darlegungen zu Aristoteles selbst nicht als »Paraphrasen« bezeichnet. Dieser Ausdruck wird vielmehr erst in der Suda, einem berühmten Lexikon des 10./11. Jahrhunderts, verwendet. Auch Photios verwendet in seiner Aufzählung der 17

 Schenkl et al. 1974, vol. II, S. 190, 1–17.  Schenkl et al. 1974, vol. II S. 89, 21–90,9 .

18

242 Themistios · Einleitung

Werke des Themistios diesen Ausdruck nicht; er unterscheidet innerhalb der Schriften, die Aristoteles gewidmet sind, Hypomnemata von Metaphraseis.19 Diese Unterscheidung hat zu der Diskussion geführt, ob Themistios außer den – von Photios als Metaphrasen bezeichneten – Paraphrasen weitere kommentierende Werke zu Schriften des Aristoteles verfasst hat. Zu einer endgültigen Klärung ist es hier noch nicht gekommen.20 Die Paraphrasen des Themistios sind keine Kommentare im Sinne einer expliziten Diskussion und Festlegung der Bedeutung von Textstellen. Themistios verfolgt mit ihnen das Ziel, die Schriften des Aristoteles nachzuformulieren, schwierige Textabschnitte verständlich zu machen und klarere knapp zusammenzufassen. Themistios unterschied nämlich innerhalb der aristotelischen Lehrschriften zwischen einer exoterischen Gruppe einerseits, die er die »gemeinnützigen und für die Menge hergerichteten« nannte und die insofern »lichtvoll und durchsichtig klar« seien, und einer esoterischen Gruppe andererseits, die »geheimnisvoll (μυστικοί)« sei und »von der Art dessen, das die (hohen) Weihen enthält. Dies hat er so angelegt, damit die Uneingeweihten, auch wenn sie diese […] in Händen hielten, sie doch nicht besäßen […]. Deshalb sind diese Schriften, obschon sie doch ›vor unseren Füßen herumrollen‹ [Platon: Resp. IV, 432d], durch mehr Umwallungen geschirmt als die Königsburg zu Ekbatana«.21 Von diesen die Mysterien enthaltenden Schriften seien einige wiederum »kryptisch« aufgrund der für Aristoteles typischen Kürze der Darlegung (βραχυλογία). Deshalb erfordere die Erhellung solcher verknappt kondensier Bibliotheca codicum, Bd. I, S. 152 f. (Nr. 74) Henry. Photios unterscheidet vier Arten von Schriften des Themistios: politische Reden (λόγοι πολιτικοί, S. 152, 42), Hypomnemata (ὑπομνήματα, S. 153, 16), Metaphrasen (μεταφράσεις, S. 153, 16) und exegetische Studien (ἐξηγητικοὶ πόνοι). Nach Photios’ Angaben sind die Hypomnemata und die Metaphrasen den Schriften des Aristoteles gewidmet, die Exegesen den Werken Platons. 20  Dazu Steel 1973, Blumenthal 1979a. 21  Schenkl et al. 1974, vol. II, S. 131, 16–132, 14. Die Übersetzung folgt Colpi 1987, S. 96. 19

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ter Stellen eine längere und ausführlichere Behandlung. Umgekehrt kann sich Themistios damit begnügen, deutliche und sich von selbst verstehende Passagen bei Aristoteles in gestraffter Form wiederzugeben. In diesem Sinne verstand Themistios seine Paraphrasen durchaus als einen neuartigen Typ philosophischer Auslegung, der »nützliches Wissen« verfügbar macht.22 Weil er erklärende Auseinandersetzungen (ἐξηγήσεις) der Schriften des Aristoteles für sinnlos hielt, da von solchen schon zahlreiche existierten, habe er lieber die Gedanken des Aristoteles kurz und bündig zusammenfassen wollen, was ihm neu und hilfreich insbesondere für diejenigen zu sein scheine, die früher einmal Aristoteles gelesen haben, das Gelesene aber nicht mehr näher erinnern könnten.23 Themistios will mit seinen Paraphrasen nur die Worte des Aristoteles klären und erhebt mit ihnen keinen Anspruch auf etwas Eigenes. Die Paraphrasen seien aus Notizen seiner Jugendjahre hervorgegangen, in denen er nur für sich selbst die Gedanken des Aristoteles wie in einem sicheren Lagerhaus habe aufbewahren und vor dem Vergessen ret Vgl. die Einleitung zur Paraphrase der Analytica posteriora 1, 16–2, 4 Wallies. In an. post. 1, 9 und 1, 22–2, 4 äußert Themistios sich zu seiner Art der Darstellung: Er habe manche Punkte kürzer behandelt; deswegen solle man nicht zürnen, er habe mehr Wert auf das Verstehen der nützlichen Aussagen gelegt als auf die Fachtheorie, sofern sie für den Beweisgang keine Bedeutung habe. Themistios grenzt in in an. post. 1, 2–10 sein Vorhaben folgendermaßen von den Vorgängern ab: Auslegungen (Exegesen) der Bücher des Aristoteles zu verfassen nach so vielen und solchen (Vorgängern) schien nicht weit entfernt zu sein von nutzlosem Eifer; aber die Intentionen dessen, was in den Büchern geschrieben steht, mit Schnelligkeit vorzustellen und mit der Kürze des Philosophen nach Möglichkeit gleichen Schritt zu halten, schien etwas Neues und einen gewissen Nutzen zu gewähren. 23  Einleitung zur Paraphrase der Analytica posteriora, 1, 2–12 Wallies. Ebd., Z 10–12: Angenehm nämlich, so nahmen wir an, werde die Erinnerung durch die derartige Methode denen sein, die einmal die (Lehren) des Aristoteles gelernt haben, aber im Zusammenhang infolge der Länge der Hypomnemata (Aufzeichnungen/Kommentare) nicht das Andenken an sie auffrischen können. 22

244 Themistios · Einleitung

ten wollen.24 Diesem ursprünglich bescheidenen Zweck widerspricht nicht, dass Themistios später ein wichtiges didaktisches Potential in seinen Aufzeichnungen erkannte, das er für seine Lehrvorträge in Konstantinopel verwendete. Zu Anfang seiner Paraphrase zu De anima nennt Themistios vier allgemeine Ziele, die er hinsichtlich der Auslegung des Aristoteles mit dieser Schrift verfolgt. Um dem Text des Aristoteles in jedem Punkt folgen zu können, sei erstens ein »Enthüllen (ἐκκαλύπτειν)« des Wortsinnes erforderlich. Zweitens müsse ein systematisches »Zusammenstellen (συνίστασθαι)« der im Text zusammengehörigen Ideen erfolgen, also dasjenige, was man modern als Rekonstruieren bezeichnen könnte. Drittens geht es um ein »analysierendes Verstehen (ἐπίστασθαι)«, zu dem auch die Lösung von Schwierigkeiten der Textauslegung gehört. Ein vierter Schritt schließlich geht über die bloße sinngemäße Erschließung des Textes hinaus und besteht – auf die Gefahr, dass dies gegenüber Aristoteles »unverschämt formuliert« sei – im »vollendenden Ausarbeiten (ἐξεργάζεσθαι)« des im Text ausgedrückten Gedankens.25 Man darf annehmen, dass Themistios diese Ziele auch in den vorliegenden Passagen verfolgt. Hierbei hält er sich eng an den Aufbau der drei Bücher der aristotelischen Seelenschrift und an die Abfolge ihrer Gedanken, berücksichtigt aber auch das Werk seines Vorgängers, Alexander von Aphrodisias.  Schenkl et al. 1974, S. 89, 20–90, 5. Von diesen Aufzeichnungen heißt es: Von mir wurden als jungem Mann Aufzeichnungen angefertigt, in denen ich das Erbe niederlegte und wie einen Schatz gespeichert habe, das ich von meinen Vätern empfangen hatte. Diese Aufzeichnungen tragen nichts Eigenes vor weder von mir noch von einem anderen, sie bemühen sich vielmehr, den Nūs (Sinn) des Aristoteles aufzuhellen und aus den Worten hervorzuführen, in denen er jenen einschloss und einzäunte, um nicht ein leichtes Ziel der Erstürmung zu bieten für die völlig Uneingeweihten (ebd. 89, 21–27). Diese Aufzeichnungen sollten in der Art eines Nachschlagewerkes als Gedächtnisstütze für Themistios dienen (ebd. 90, 1–5). 25  Paraphrase zu De anima 1, 4 f. Heinze; bei der Deutung der vier exegetischen Ziele schließe ich mich teilweise den Vorschlägen von Todd 1996, 4 f., an. 24



Paraphrase zu De anima, III 4–6

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Hierbei hält sich Themistios so eng an das aristotelische Original, dass seine Paraphrase auf ein Quasi-Zitat hinausläuft. In den erläuternden Anmerkungen zu unserem nachfolgend präsentierten Text werden die Referenzstellen stets vorab genannt, in der Übersetzung sind solche Stellen durch Kursive hervorgehoben. Ziel hierbei war es nicht, sämtliche Referenzen zu präsentieren, sondern partiell einen Eindruck von der Fusion zwischen der aristotelischen Vorlage und dem Kommentar zu vermitteln.

3. Themistios’ Interpretation der aristotelischen Lehre vom Geist 3.1 Der Referenztext: Aristoteles, De anima III, 4–6

Den Referenztext für die hier präsentierten Kapitel der Paraphrase des Themistios bilden die Kapitel IV–VI des dritten Buches von De anima. Im vierten Kapitel wendet sich Aristoteles demjenigen Aspekt des Seelenlebens zu, dem das Erkennen und Nachdenken zugeordnet wird. Aristoteles bezeichnet diesen Aspekt der Seele als Nūs (Vernunft, Geist) und als Seelenteil. Er grenzt ihn von der Wahrnehmung ab, insofern er sich zwar wie diese aufnehmend zu einem Inhalt verhält, aber im Gegensatz zu ihr kein körperliches Organ besitzt und weder mit etwas Materiellem noch mit einem bestimmten Inhalt verbunden ist. Diesen Sachverhalt bringt Aristoteles auf die Formel, dass die Vernunft nichts von dem Seienden ist, bevor sie erkennt, potentiell aber jedes Seiende ist. Zu einer weiteren Differenzierung zwischen Vernunft und Wahrnehmung führt die Beobachtung, dass konkrete Objekte mit einem anderen Vermögen erkannt werden als das Wesen einer Klasse von Dingen, dass also beispielsweise konkretes Fleisch mit einem anderen Erkenntnisvermögen wahrgenommen wird als das Wesen des Fleisches. Aristoteles problematisiert diesen Erkenntnisstand sogleich wieder, indem er die Fragen aufwirft, wie bezüglich der Ver-

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nunft, auf die per definitionem keine Wirkung ausgeübt werden kann, gesagt werden kann, das Erkennen sei eine Art von (auf sie ausgeübter) Wirkung (ein Erleiden), und ob die Vernunft selbst erkennbar ist. Hierfür präsentiert Aristoteles folgende Lösung: Die Vernunft ist mit dem Erkenntnisinhalt potentiell identisch. In diesem Zusammenhang vergleicht Aristoteles die Vernunft mit einer unbeschriebenen Schreibtafel, die durch Beschreiben ihrer Bestimmung zugeführt wird. Die Bestimmung des vierten Kapitels, dass der Geist im Gegensatz zur Wahrnehmung nichts partiell Wirkliches ist, der Möglichkeit nach aber alles, führt Aristoteles in Verbindung mit dem allgemeinen Prinzip, dass es in der Natur für jede Gattung eine Materie und ein bewirkendes Prinzip gibt, zu der Aussage, dass dies auch für die Seele gelten muss und dass deshalb der Nūs ebenfalls diese Differenzierung aufweist. Aristoteles unterscheidet einerseits den Nūs, der zu allem wird, von dem Nūs, der alles bewirkt. Diesen vergleicht Aristoteles mit einer Hexis (erworbenen Haltung) und mit dem Licht, das aus den potentiellen Farben wirkliche macht. Wendet man diesen Vergleich auf die Differenzierung des Nūs an, so ergibt sich, dass der bewirkende Nūs den hyleartigen Nūs, der ohne inhaltliche Bestimmung ist, zu einem inhaltlich bestimmten Geist macht. Diesem bewirkenden Geist schreibt Aristoteles Abgetrenntheit (vom Körper), Unaffiziertheit und Unvermischtheit (mit der Materie) zu; seinem Wesen nach sei er Wirklichkeit. Dieser Differenzierung fügt Aristoteles weitere Bestimmungen in antithetischer Manier hinzu: Im Individuum hat zwar der hyleartige Geist zeitliche Priorität, die ontologische Priorität kommt aber dem bewirkenden Geist als Wirkprinzip zu; er »denkt nicht zu einem Zeitpunkt, zu einem anderen nicht«, also denkt er kontinuierlich bzw. das Denken ist sein Attribut, während es für den hyleartigen Geist akzidentell ist. Nur der bewirkende Geist ist unsterblich und ewig, der hyleartige also sterblich und vergänglich, anders ausgedrückt: Das Denken ist ewig, das individuelle Bewusstsein vergeht. Es gibt daher auch kein individuelles Erinnern (nach dem Tod), weil der



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bewirkende Geist von den individuellen, sinnlich vermittelten Wahrnehmungen des hyleartigen Geistes nicht berührt wird, weil andererseits der hyleartige Geist, der sie aufnehmen kann, vergänglich ist. Im sechsten Kapitel grenzt Aristoteles Erkenntnis von einfachen Sachverhalten von der Erkenntnis von komplexen Sachverhalten ab. Jener schreibt er Evidenz zu, Irrtum ist nicht möglich; diese kann wahr oder falsch sein. Ein komplexer Sachverhalt entsteht gemäß den von Aristoteles genannten Beispielen, wenn entweder ein Subjekt mit einem Prädikat verbunden oder eine Aussage zeitlich bestimmt wird, so dass ihre Gültigkeit z. B. auf die Vergangenheit oder auf die Zukunft eingeschränkt wird. Aristoteles dehnt diese Überlegungen auf das Problem des zeitlichen und räumlichen Kontinuums aus, wobei Strecke und Punkt Teilbarkeit und Unteilbarkeit veranschaulichen. Für den Geist ist dies insofern von Bedeutung, als es die Unterscheidung von diskursivem und nicht-diskursivem Denken begründet. Diskursives Denken erfasst eine Einheit, indem es sie zerlegt, z. B. in Subjekt und Prädikat oder eine Strecke in Teile; das Zerlegen geschieht in unterschiedlichen Teilen der Zeit, das Denken verzeitlicht sich also. Nicht-diskursives Denken erfasst das, was der Art nach unteilbar ist, also das Einfache ohne zeitlich unterschiedene Denkakte, somit ohne Verzeitlichung der Seele. Dem diskursiven Denken schreibt Aristoteles zwei weitere Arten des Erkennens zu, das Erkennen durch Privation (z. B. wenn der Punkt als Unteilbares erkannt wird) und durch Gegensatz (wenn z. B. das Schlechte als kontradiktorischer Gegensatz des Guten bestimmt wird). Dieses Erkennen kommt dem aktualisierten hyleartigen Geist zu, da etwas durch ein anderes vermittelt ist. Erkennen, das einen Inhalt nicht durch die Vermittlung eines anderen bestimmt, erkennt sich selbst, ist wirklich und abtrennbar, also bewirkender Geist. Sein Inhalt ist Erkenntnis des Wesens, sie ist nichtdiskursiv und hat nicht den Gegensatz von wahr und falsch an ihr, der Aussagen zukommt.

248 Themistios · Einleitung

3.2 Die Deutung des Referenztextes: Alexander von Aphrodisias, De anima

Der Peripatetiker Alexander von Aphrodisias hat der Seelenlehre des Aristoteles drei Schriften gewidmet, von denen die eine, ein Kommentar zu De anima, nicht mehr vollständig erhalten ist.26 Die beiden anderen Schriften sind unter dem Titel Alexandri de anima liber cum Mantissa bzw. Alexandri de anima und Alexandri de anima libri mantissa ediert worden.27 Ein Vergleich zwischen Themistios’ Paraphrase und Alexanders De anima zeigt so deutliche inhaltliche Übereinstimmungen, dass von einer Benutzung der Schrift Alexanders durch Themistios ausgegangen werden muss. So verfolgt Themistios in Kapitel IV die Fragestellung, ob der Geist, wenn er etwas erkennt und wenn eine Analogie zwischen ihm und der Wahrnehmung besteht, etwas erleidet. Genau diese Frage erörtert auch Alexander. Beide Autoren geben dieselbe Antwort: Wenn der Geist denkt (also überhaupt einen Inhalt erhält oder von einem Inhalt zu einem anderen übergeht), ist dies nicht als Erleiden zu bezeichnen, sondern als Übergang des Geistes zu dem in ihm angelegten Endzustand aufzufassen. Der Geist, der vom Nicht-Denken zum Denken übergeht, realisiert das Potential, das er schon besitzt. Beide veranschaulichen dieses Ergebnis in Anlehnung an Aristoteles durch den Vergleich des Geistes mit einer unbeschriebenen Schreibtafel. Wie Alexander berücksichtigt auch Themistios Platons Bemerkung von der Seele als dem Ort der Formen; wie Alexander entwirft Themistios einen dreistufigen Entwicklungsgang des potentiellen Geistes von einem Anfangsstadium in den unmündigen Kindern zum Erwerb einer dauernden Fähigkeit (ἕξις) zum Erwerb von Kenntnissen, die im Erwerb eines dauernden systematischen Wissenszusammenhangs durch den Wissenschaftler gipfelt (Alexander, an. 95, 9–16). Auch die Argumen Sammlung der Fragmente bei Moraux 1942, S. 203–221.  Bruns 1887, im Folgenden als Alexander, an. zitiert, bzw. Sharples 2008.

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tation bezüglich der stärkeren Unempfindlichkeit des Denkens gegenüber der Sinneswahrnehmung bei intensiven Denk- bzw. Wahrnehmungsimpulsen ist beiden gemeinsam (Alexander, an. 94, 34–95, 5). Untersucht man die Lehre vom aktiven Geist genauer, die Themistios vor allem in seinem Kommentar zum fünften Kapitel entfaltet, so zeigen sich auch hier Gemeinsamkeiten. Alexander entwickelt ebenfalls die Identität von Denken und Gedachtem und verknüpft diese mit der Selbsterkenntnis des Geistes (Alexander, an. 86, 20–22). Diese Identität kann der Geist akzidentell nachvollziehen, da er das Wesen und die reinen Formen erkennt; die Wahrnehmung kann dies nicht. Alexander unterscheidet solche Formen, die von einem materiellen Substrat abstrahiert werden müssen, von reinen Formen, die per se nicht an Materie gebunden sind (reine Noeta). Diese bezeichnet Alexander als die Noeta-in-Wirklichkeit (κατ’ ἐνεργείαν νοητά). Der Geist, der diese Noeta denkt, ist der eigentliche Geist (νοῦς ὁ κυρίως). Als aktiver Geist (νοῦς ποιητικός) aktiviert er den potentiellen Geist – von Alexander als ὑλικὸς νοῦς bezeichnet – und ist der Grund seiner Erkenntnisfähigkeit; als Grund hat er einen höheren Rang als der Nūs im Menschen (an. 89, 8–21). Die Immaterialität des aktiven Geistes unterstreicht Alexander durch die Trias der Attribute (von der Materie) getrennt, von Leiden nicht betroffen, unvermischt (mit Materie) und identifiziert ihn unter Bezugnahme auf eine andere Schrift des Aristoteles, die unter dem Titel De generatione animalium bekannt ist, mit dem dort erwähnten »von außerhalb« (θύραθεν) in den Menschen eintretenden Nūs,28 nach Aristoteles das einzige Göttliche, was am und im Menschen zu erkennen ist. Wenn der potentielle Geist das Denken beginnt und sich zu einer festen Haltung, gegebenenfalls zur Wissenschaft fortentwickelt, kann dies als Angleichung (ὁμοιωθῆναι)29 bezeichnet werden. Jedoch  Gen. an. II 736b27–29.  Alexander verwendet dieses Wort vermutlich in Bezugnahme auf Platon, Theaet. 176a. 28 29

250 Themistios · Einleitung

bleibt die Transzendenz des aktiven gegenüber dem potentiellen Geist immer gewahrt, denn dieser ist endlich. Mit der Seele erlischt auch er.

3.3 Themistios’ Noetik

3.3.1 Themistios’ Noetik im Anschluss an Alexander von Aphrodisias

Von der Geistlehre Alexanders unterscheidet sich die des Themistios vor allem dadurch, dass dieser dem potentiellen Geist die Attribute der Immaterialität und Unsterblichkeit zuerkennt. Zwar ist auch für Themistios der potentielle Geist eine rein passive Instanz, deren Rolle ausschließlich darin besteht, durch den aktiven Geist geformt zu werden; doch betont er dabei das Aufgehen des potentiellen Geistes im aktiven so sehr, dass er den Vergleich des aktiven Geistes mit dem Handwerker, des potentiellen mit der zu gestaltenden Materie dahingehend erläutert, dass der aktive Geist seinem Werk nicht äußerlich bleibt, sondern es vollkommen durchdringt. Folgt man vor allem dem Kapitel VI, so denkt sich Themistios den potentiellen Geist als Speicherort von isolierten Kategorien und Begriffen. Diese zu Sätzen, Urteilen und einem Wissenszusammenhang zu verbinden ist Sache des aktiven Geistes. So entsteht eine unauflösliche Einheit beider. Dennoch kann Themistios jeder dieser Arten des Geistes verschiedene Erkenntnisleistungen zuordnen. Der wirkende Geist ist reines Denken; alle Formen sind ihm auf einmal präsent. Negation und Privation sind ihm fremd, er denkt die Form im höchsten Sinn (111, 35– 112, 3). Er denkt ohne Unterbrechung (99, 37 f.). Dem möglichen Geist sind ebenfalls Formen präsent, aber nicht alle gleichzeitig. Vergegenwärtigt er sich eine oder mehrere von ihnen, so sind ihm die anderen nicht präsent, er hat so das Moment der Negation an sich. Er verfügt über die Kategorien (einfache, nicht analysierbare Grundbegriffe) (109, 5 f.), aus denen er Urteile bil-

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det (109, 7–11), die er mit einer zeitlichen Dimension versieht (109, 18–21). Er denkt in Gegensätzen (111, 32), z. B. wahr – falsch (109, 4). Er erkennt durch Privation (111, 18–24). Er bedarf der Übergänge von einer Form zur anderen und führt logische Operationen wie Abstraktion, Analyse und Synthese aus (99, 8–10). Hierdurch systematisiert er Daten, bis Wissenschaft entsteht. Dem »gemeinsamen Geist« schließlich schreibt Themistios ausdrücklich das diskursive Denken und vernunftfähige Affekte wie das Lieben und Hassen zu (105, 10–16).30 Das endliche Denken des Individuums, sofern es der sinnlichen Wahrnehmung verhaftet bleibt, ordnet Themistios daher nicht dem potentiellen Geist zu, sondern bezeichnet es als »gemeinsamen Geist« (νοῦς κοινός). Diesen Terminus gewinnt Themistios aus einer Passage aus dem ersten Buch von De anima (an. I 4, 408b25–29). Weil Themistios diesem individuellen Bewusstsein auch die Affekte wie das Lieben und das Hassen zuschreibt, identifiziert er es mit dem leidenden Geist (νοῦς παθητικός, an. III 5, 430a25). Es geht mit dem Leib zugrunde. Diese Konstruktion ermöglicht es Themistios, einen zweifachen Sachverhalt zu erklären: Das endliche Bewusstsein erinnert sich nicht an das reine Denken – also gibt es keine Anamnesis – und das reine Denken wird von den individuellen Erlebnissen nicht berührt und hat keine Erinnerung an sie – was der »gemeinsame Geist« während seiner Verbindung mit der aus aktivem und potentiellem Geist gebildeten Einheit erlebt hat, das fällt mit dem Tod dem Vergessen anheim. Auf diese Weise entsteht ein hierarchisches Schema der seelischen menschlichen Aktivitäten, das folgendermaßen veranschaulicht werden kann:

 Möglicherweise entsteht daher bei Themistios ein ähnliches Problem wie bei Plotins »nicht herabgestiegenem Seelenteil« und dem diskursiven Denken: Es wird zweimal gesetzt, in dem nicht herabgestiegenen Seelenteil und in der körperbezogenen Seele. Vgl. dazu Szlezak 1979, Kap. IV, bes. S. 182–186. 30

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A. Stufen des νοῦς 1. der wirkende (aktive) Geist

2. der mögliche Geist 3. der gemeinsame/leidensfähige Geist

B. Stufen der ψυχή 1. geistige Seele 2. vorstellende Seele 3. wahrnehmende Seele

3.3.2 Weiterführende Perspektiven in Themistios’ Noetik

In seiner Paraphrase schneidet Themistios auch Fragestellungen an, die über Alexanders De anima hinaus- und auf einen neuplatonischen Kontext hinweisen. Dies gilt sowohl für die Frage, ob der wirkende Geist einer ist oder ob es viele wirkende Geister gibt, als auch für die Frage nach dem Ich und dem Ichsein-Können, modern ausgedrückt, nach der Individualität und der Personalität des Menschen. Dass diese Fragen im kaiserzeitlichen Neuplatonismus Gegenstand philosophischer Reflexion waren, bezeugt Plotin: Der ersten Frage hat er die als Enneade VI 4 und 5 überlieferte Abhandlung gewidmet,31 der zweiten die als I 1 gezählte Enneade.32 Themistios’ Antwort in der ersten Frage fällt nicht unbedingt sehr klar aus. Er erwägt beide Möglichkeiten, um dann eine neue einzuführen: eine Pluralität von Geistern, die erleuchtet werden und erleuchten. Dies liefe auf eine Mehrzahl an Dämonen oder untergeordneten Göttern hinaus, Überlegungen, auf die sowohl das δαιμόνιον  Harder 1962, S. 2–73. Vgl. ebenfalls die einführenden Bemerkungen von Tornau 2001, S. 15–20. Detaillierte Erläuterungen hierzu in Tornau 1998. 32  Zu Plotins Theorie des »Wir« bzw. des »Selbst« vgl. z. B. seine Enneade I 1 »Über die Frage, was das Lebewesen und was der Mensch ist«. In: Harder 1960, S. 274–297 sowie Tornau 2001, S. 311–324. Vgl. dazu auch Tornaus Einleitung, S. 35–42 sowie Perkams 2010. 31

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des Sokrates33 als auch die Mehrzahl von Bewegern im Λ der Metaphysik des Aristoteles geführt haben könnten. Wenn Themistios seine Überlegungen auch an der bewussten Stelle nicht zu Ende führt, so muss doch gesagt werden, dass im weiteren Verlauf der Paraphrase der Gedanke an eine Mehrzahl von aktiven Geistern keine Rolle mehr spielt. Bezüglich der Personalität fällt Themistios’ Antwort klarer aus: Bei Menschen sind Sein und Wesen voneinander unterschieden, also auch Ich und Ich-Sein. Daher ist das Ich mit dem Geist zu identifizieren, der aus Potentialität und Aktivität zusammengesetzt ist, also mit dem vom aktiven Geist zur Vollendung geführten potentiellen Geist, folglich mit den drei Stadien dieser Entwicklung, die, beginnend von der Fähigkeit des Kindes über die ἕξις des selbständiger denkenden Menschen im Idealfall zu dem Wissen des Wissenden führt. Das Ich-Sein stammt dagegen allein aus dem wirkenden Geist.

3.3.3 Polemik in Themistios’ Noetik

In dem hier präsentierten Abschnitt seiner Paraphrase polemisiert Themistios mehrfach gegen seiner Auffassung nach falsche Deutungen von Aristoteles’ Nūs-Lehre. Im Einzelnen werden – außer einem falschen Verständnis des potentiellen Geistes – folgende Fehlinterpretationen oder fehlerhafte Fragestellungen bekämpft: (1) die Annahme, Aristoteles versuche zu erklären, warum sich der individuelle Geist nicht an die Aktivität des aktiven Geistes erinnere (102, 11 ff.), (2) die Annahme, Aristoteles habe den aktiven Geist mit dem ersten Gott identifiziert (102, 30 ff.), (3) die Annahme, Aristoteles habe den aktiven Geist mit den Voraussetzungen und den aus ihnen stammenden Wissensgehalten identifiziert, 33

 Hierzu Szlezák 1979, S. 187.

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(4) die Untersuchung, ob alle Seelen eine einzige sind (statt zu untersuchen, ob alle Geister ein einziger sind) (104, 14). Die Antwort, die Themistios zu (1) bietet, liegt in seiner Noetik: Das individuelle Bewusstsein ist an das diskursive Denken und die Affekte gebunden, es hat daher keine Kenntnis von dem reinen Denken des aktiven Geistes. Die Antwort zu (2) und (3) liegt darin, dass Aristoteles den Nūs explizit als (höchsten) Seelenteil bezeichnet, aber auch darin, dass Aristoteles, hätte er den Nūs mit dem ersten Gott identifiziert, nicht ohne sich selbst zu widersprechen hätte sagen können, dieser allein sei ewig, da er in der Metaphysik eine Mehrzahl von ewigen Wesen lehrt. Immerhin findet sich bei Themistios die Bemerkung, dass der Geist Gott am meisten gleiche (an. paraphr. 99, 15–17). Die Korrektur zu (4) betrifft zwar einen wesentlichen Punkt der Seelenlehre – sie ist eine Übertragung der an Platon geübten Kritik 34 auf den Urheber dieser Problemstellung –, davon abgesehen lobt Themistios diese Fragestellung aber, da er sie einer ausdrücklichen Untersuchung für wert erklärt. Nicht in allen diesen Fällen ist es möglich, die kritisierten Gegner zu ermitteln. In (2) ist wahrscheinlich Alexander von Aphrodisias gemeint,35 in (4) möglicherweise Plotin.

3.3.4 Themistios als Ausleger des Aristoteles

Folgt man dem Mittelplatoniker Attikos (2. Jh. n. Chr.), so stellt die Seelenlehre des Aristoteles einen Rückschritt hinter die Platons dar.36 Aristoteles habe die zentralen Leistungen der Seele verkannt, sie herabgesetzt, entwürdigt und fast zu einem Nichts  Dazu Themistios, an. paraphr. 106, 29 ff.; ähnlich 95, 5 ff.  Dazu Ballériaux 1994, S. 173 f. In der Paraphrase zu De anima I wird, wenn man einem Glossator Glauben schenken darf, Porphyrios attackiert (Ballériaux 1994, S. 183/184). 36  Vgl. zu Attikos die Bemerkungen in der Einleitung zu diesem Band o. S. 35. 34 35

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gemacht.37 Aber auch seine Nūs-Lehre sei unbefriedigend: Er weiche von Platon ab, reiße den Nūs von der Seele los, seine Lehre sei unklar und er verschaffe sich durch die Unklarheit seiner Ausdrucksweise Vorteile wie Tintenfische durch die Dunkelheit, verschleiere aber die Schwierigkeit der Sache.38 Gegenüber einer derartigen Abwertung des Aristoteles ist bei Themistios die Tendenz zu erkennen, die sachliche Einheit des platonisch-aristotelischen Philosophierens hervorzuheben. Denn er vertritt die These von einem grundlegenden Konsens zwischen Platon und Aristoteles (an. paraphr. 106, 29–107, 7). Korrigiert er hierbei schon Platons Seelenlehre (an. paraphr. 95, 5 ff.; 106, 29 ff.),39 so darf man erwarten, dass er mit Aristoteles ähnlich selbständig verfährt. In der Tat ist auch seine Interpretation, vom modernen Standpunkt aus gesehen, von Willkür nicht frei. Das gilt vor allem von seinem Bemühen, den potentiellen Geist in den Text des Aristoteles hineinzulesen und ihm die Attribute der Unvergänglichkeit und Immaterialität zuzuweisen. Denn Aristoteles unterscheidet in an. III 5 lediglich eine hyleartige von einer ursachenartigen Form des Geistes. Wenn die hyleartige Form des Geistes mit dem individuellen Bewusstsein zu identifizieren ist, dann können zwar die von Themistios aus an. I 4, 408b28–29 herangezogenen Aussagen durchaus als Paralleltext verstanden werden. Allein, bewiesen wird dadurch auch nur, dass Aristoteles lehrt, dass das Denken im eigentlichen Sinn dem Geist zuzuschreiben ist, das diskursive Denken sowie das Erleben von Gefühlen aber dem individuellen Bewusstsein und das unabhängig von der Frage, ob in an. I 4 die seelisch-leibliche Einheit, der Mensch, als τὸ κοινόν oder, wie Themistios formuliert, als κοινὸς νοῦς bezeichnet wird; denn sicher läge es im Bereich des Erlaubten, aus dem aristotelischen Neutrum τὸ κοινόν die Bezeichnung κοινὸς νοῦς abzuleiten und  Dörrie/Baltes 2002, S. 14 und S. 15 (Baustein 152.1).  Dörrie/Baltes 2002, S. 18 und S. 19. 39  Auch das Zitat aus dem Timaios (106, 14 ff.) weist in diese Richtung, soll es doch beweisen, dass Platon als Vertreter einer zweiteiligen und nicht dreiteiligen Seele mit Aristoteles übereinstimmt. 37

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damit den Nūs des Gemeinsamen, eben der seelisch-leiblichen Einheit Mensch, zu meinen. Jedoch versteht Themistios unter der hyleartigen Form des Geistes, mit dem Aristoteles das individuelle Bewusstsein meint, ausschließlich den potentiellen Geist. Dies hat zur Folge, dass Themistios immer dann, wenn Vergänglichkeit und Leidensfähigkeit von dem hyleartigen Geist ausgesagt werden, das Missverständnis abwehrt, als sei der potentielle Geist gemeint, ein Missverständnis, zu dem weder Aristoteles noch Alexander Anlass geben. Man mag sich hier die Frage stellen, was Themistios dazu bewogen hat, den potentiellen Geist einzuführen. Die Antwort kann einerseits in einem historischen Grund zu finden sein, etwa im Sinne einer umdeutenden Aufnahme Alexanders oder neuplatonischer Ansätze (Plotin, Porphyrios). Andererseits kann auch ein systematischer Grund vorliegen, wenn man bedenkt, was Themistios in seiner Auslegung zu an. III 6 über den Inhalt des potentiellen Geistes ausführt. Dieser Inhalt besteht in den Kategorien und, vorausgesetzt, Themistios meint hiermit die aristotelischen Kategorien wie z. B. Quantität, Ursache, Qualität, so ist sein Beharren auf der Ewigkeit und Immaterialität des potentiellen Geistes ebenso verständlich wie seine Ablehnung der Deutung des aktiven Geistes als Voraussetzungen oder Axiome der Wissenschaft. Allerdings wirft diese Antwort neue Fragen auf: Wie ist diese inhaltliche Beschreibung des potentiellen Geistes mit der Auffassung vereinbar, er sei wie eine noch unbeschriebene Wachstafel? Warum verlegt Themistios die Ausbildung von Wissen und Wissenschaft aus dem individuellen Bewusstsein in den potentiellen Geist? Besonders problematisch erscheint in diesem Zusammenhang der Versuch des Themistios, seiner Deutung des potentiellen Geistes eine exegetische Basis zu verleihen. Denn er bezieht die Aussagen des Aristoteles über den Unterschied zwischen Geist und Wahrnehmung an. III 4, 429a29–429b5 auf den potentiellen Geist, und zwar mit der Begründung, dass Aristoteles erst später, d. h. in Kapitel V, zwischen wirkendem und potentiellem

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Geist unterscheide (104, 29 ff.). Offensichtlich kann mit dieser Begründung ebenso ausgeschlossen werden, dass Aristoteles in Kapitel IV den potentiellen Geist behandelt. Darüber hinaus hinterlässt Themistios nicht den Eindruck eines konsequenten Systematikers. Das gilt von seiner Behandlung des Identitätsproblems ebenso wie von der des Pluralitätsproblems und dem Rückgriff auf entwicklungsgeschichtliche und hylemorphistische Gedanken in seiner Auslegung. Auch kommt es mehrfach zu Wiederholungen in der Gedankenführung. Entstanden ist so eine originelle Deutung, die geeignet ist, das Interesse an der aristotelischen Noetik auch in dieser späten Phase antiken Philosophierens zu dokumentieren. Darauf, dass seine Interpretation trotzdem aus neuplatonischer Sicht nicht ausreichend schien, deuten die andersartigen Wege der späteren neuplatonischen Exegeten der Spätantike hin, die Themistios nur wenig benutzen.40 Themistiosʼ Position erscheint insofern als ein Übergangsphänomen peripatetischer und neuplatonischer Interpretationsansätze, das als solches auch eher eine Langzeitwirkung ausübte, wie nun kurz zu zeigen ist.

4. Rezeption und Nachwirkung der Paraphrase des Themistios Sind die Paraphrasen des Themistios nebst ihrer Übersetzung durch Vettius Agorius Praetextatus41 in den Kontext des »Pagan Revival« des 4. Jahrhunderts einzuordnen,42 so scheint sich mit dem Ende dieser Bewegung auch in der griechisch-lateinischen Welt das Interesse an ihnen verloren zu haben.43 Ein wichtiger  Vgl. dazu die Einleitung zu diesem Band o. S. 45–50 sowie die folgenden Kapitel. 41  Zur Übersetzung vgl. Lohr 1978, S. V/VI; zu Vettius Agorius Praetextatus Kahlos 1995. 42  Bloch 1963. 43  Arabische und syrische Übersetzungen sind bei Lohr, S. VI aufgelistet, hebräische ebd., S. IX. Zeitlich gehen sie den lateinischen Übersetzungen des Mittelalters voraus. 40

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Grund hierfür dürfte in der Weiterentwicklung der neuplatonischen De-anima-Deutungen seit Plutarch von Athen zu suchen sein, die eine Alternative zu Themistios boten. Die fortdauernde Bedeutung seines Werkes wird allerdings dadurch betont, dass es nicht nur auf Griechisch weiter tradiert, sondern auch in die zwei wichtigsten Sprachen übersetzt wurde, die das antike Denken weiterführten: ins Lateinische und ins Arabische. Die nicht erhaltene arabische Bearbeitung, über die zudem in den Quellen widersprüchliche Nachrichten vorliegen,44 hat jedenfalls eine große Wirkung auf die De-anima-Rezeption im arabischen Raum gehabt. Das zeigt sich am augenfälligsten am Werk des Ibn Rušd (Averroes; 1126–1198), der Themistios ausführlich zitiert. Vor allem aber ist seine eigene Deutung mit ihrer berühmten These der Einheit nicht nur des aktiven, sondern auch des möglichen Geistes aller Menschen im Kern eine Ausarbeitung von Themistiosʼ Position, die dabei nur relativ wenig verändert wurde. Diese Position, die in der Einleitung zum Theophrast-Kapitel bereits ausführlicher dargelegt wurde,45 greift ebenfalls Themistiosʼ Idee eines »gemeinsamen Geistes« auf, der bei Averroes »theoretischer Geist« heißt. Da Averroes für die Lateiner der »Kommentator« des Aristoteles schlechthin war, regten seine Ausführungen auch ein neues ThemistiosInteresse im lateinischen Raum an, deren Zeugnis die nächste bekannte lateinische Übersetzung aus dem Jahr 1267 ist. Sie stammt von dem Dominikaner Wilhelm von Moerbeke, der sich auf die Paraphrasen zu De anima beschränkte. Ein Grund dafür dürfte darin zu suchen sein, dass Wilhelms Ordenskollege Thomas von Aquin eine verbesserte Textgrundlage für seine Auseinandersetzung mit den lateinischen Averroisten um die richtige Aristoteles-Auslegung gut gebrauchen konnte. Die Benutzung der neuen Übersetzung ist bereits in seiner vermutlich 1270 erschienenen Schrift De unitate intellectus contra Averroistas festzustellen. Die von ihm dort als Averroismus bekämpfte  Vgl. dazu Perkams 2013, S. 133.  S. o. S. 57–59. Dort finden sich auch weitere Literaturangaben.

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Auslegung des Aristoteles – sie stimmt nicht voll mit der erhaltenen Ausarbeitung dieser Position durch Siger von Brabant überein46 – setzt bei dem sogenannten passiven Intellekt an, der von der Seele streng unterschieden wird.47 Das Denken wird dem passiven Intellekt zugeschrieben, nicht der Seele und damit auch nicht dem individuellen Menschen.48 Eine Pluralität von Geistern wird bestritten; es ist ein identischer Geist, der in allen Menschen denkt.49 Dieser transzendenten Deutung der aristotelischen Nūs-Lehre setzt Thomas seine Formel entgegen, wonach der Geist eine Kraft der Seele ist, die Seele aber die Form des Leibes. Als Kraft der Seele gehört der Geist zum Körper und ist individuell; es besteht also eine Pluralität von Geistern. Da andererseits der Geist kein Organ zum Denken benötigt, ist er nicht körperlich.50 In diesem Zusammenhang stellt Thomas auch die Position des Themistios dar. Dazu zitiert er mehrere Absätze aus seinen Paraphrasen, um zu belegen, dass Themistios eine immanente Deutung der Nūs-Lehre des Aristoteles vertritt. Er deutet den passiven sowie auch den aktiven Intellekt als Teil der Seele und identifiziert den aktiven Intellekt mit der menschlichen Person oder wenigstens einem Teil von ihr.51 Nach Beendigung dieser Debatte wurde es zunächst still um die Paraphrasen des Themistios. Etwa zweihundert Jahre später erwachte das Interesse an den Paraphrasen erneut. Hermolaus Barbarus, ein Schüler des Theodor Gaza, übersetzte eine Sammlung von Aristoteles-Kommentaren in die lateinische Sprache, darunter auch die Paraphrase des Themistios zu De anima. Typisch für dieses Stadium der Themistios-Rezeption ist ein Zuwachs an Pseudo-Themistiana: Die Paraphrasen des Sophonias zu De memoria et remi Vgl. dazu Perkams 2007.  Thomas von Aquin, De unitate intellectus, § 190 und 193. 48  Ebd., § 217. 49  Ebd., § 236 und 240. 50  Ebd., § 215. 51  Ebd., § 207–209. 46 47

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niscentia (Über das Gedächtnis und die Erinnerung), zu De somno et vigilia (Über Schlafen und Wachen), zu De Insomniis (Über die Träume) und zu De divinatione per somnium (Über Traumdeutung) werden an die De-anima-Paraphrase des Themistios angehängt, um die Seelenlehre des Aristoteles zu komplettieren, und laufen schließlich unter dem Namen des Themistios.52 Die erste Edition dieser Schriftensammlung besorgte Hermo­ laus 1481 selbst. Die zweite Edition erschien 1499 postum, es wurden aber noch die Verbesserungen des Hermolaus eingearbeitet. Diese Edition liegt der Ausgabe von Lohr zugrunde.53 Hermolaus hat seinem Werk, das er Papst Sixtus IV. gewidmet hat, eine Einleitung vorangestellt, in der er erläutert, was ihn zu seiner Übersetzung veranlasst hat und wie er hierbei verfahren ist. Den Anlass bietet einerseits die von Papst Sixtus gewährte Förderung der Wissenschaften und Künste (litterae et artes), an der sich Hermolaus mit seiner Übersetzung beteiligen will, andererseits die schlechte Qualität der vorhandenen älteren und neueren Aristoteles-Bearbeitungen. Als Quelle seiner Inspiration und Vorbild nennt Hermolaus seinen Lehrer Theodor Gaza. Hermolaus’ Ziel ist nicht eine wörtliche Übersetzung (exprimere verbum e verbo), sondern den Stil des Themistios zu erreichen oder zu übertreffen und ein eigenständiges Werk in lateinischer Sprache zu erschaffen. In diese Richtung zielt auch die von Hermolaus vorgenommene Bewertung des Themistios und seine Deutung des Begriffes Paraphrase. Er verteidigt die Selbständigkeit des Themistios gegen den Vorwurf, nur eine Zusammenfassung der Kommentare des Alexander von Aphrodisias geliefert zu haben. Die Gattung der Paraphrase betrachtet Hermolaus als eine in der Rhetorik gebräuchliche Übungsform. Sie sei keine bloße Deutung (interpretatio), sondern beinhalte einen Wettkampf (certamen) und eine  Lohr 1987, S. VIII/IX bietet ein Inhaltsverzeichnis der Edition von 1481 mit Folioangaben. 53  Lohr 1987, S. IX. 52

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aemulatio unter Wahrung des Inhaltes (circa eosdem sensus), also den Versuch, denselben Inhalt besser auszudrücken. 1534 veröffentlichte Victor Trincavellus die editio princeps der Paraphrasen und Reden des Themistios im Druck bei Aldus Manutius. Obwohl nun das griechische Original vorlag, erschienen bis 1570 fünfzehn weitere Auflagen der Übersetzung des Hermolaus Barbarus. Aber auch seine Übersetzung befriedigte nicht alle Kritiker. 1559 veröffentlichte der Pomponazzi-Schüler Graf Ludovicus Nogarola von Verona eine neue Übersetzung der Deanima-Paraphrase, 1627 folgte ihm Federicus Bonaventura von Urbino.54

54

 Lohr 1987, S. IX.

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THEMISTIOS

Paraphrase zu De anima, III 4–61 Griechisch – Deutsch

1. [93, 32] 429a10-13: Περὶ δὲ τοῦ μορίου τοῦ τῆς ψυχῆς, ᾧ χρώμεθα εἰς

θεωρίαν καὶ πρᾶξιν, εἴτε χωριστοῦ ὄντος κατὰ τόπον, ὡς ᾤετο Πλάτων τὸν λόγον μὲν [94] ἐν τῇ κεφαλῇ καθιδρύων, τὸν θυμὸν δὲ ἐν τῇ καρδίᾳ, τὴν ἐπιθυμίαν δὲ ἐν τῷ ἥπατι, εἴτε τόπῳ μὲν οὐ διεστῶτος τῶν ἄλλων δυνάμεων τῆς ψυχῆς, λόγῳ δὲ μόνῳ χωριζομένου, σκεπτέον τίνα ἔχει διαφορὰν πρὸς τὰς προειρημένας δυνάμεις καὶ μάλιστα πρὸς τὴν φαντασίαν, καὶ πῶς ποτὲ γίνεται τὸ νοεῖν. [94, 5] 429a13-15: εἰ δὴ τὸ νοεῖν ἀνάλογόν ἐστι τῷ αἰσθάνεσθαι (δι’ ἀμφοῖν γὰρ κρίνει τε καὶ γνωρίζει καθάπερ καὶ πρότερον ἔφαμεν ἡ ψυχή), πάσχοι ἄν τι καὶ ὁ νοῦς ὑπὸ τῶν νοητῶν, ὥσπερ ὑπὸ τῶν αἰσθητῶν ἡ αἴσθησις, τὸ ›πάσχοι‹‘ δ’ ἂν καὶ ἐνταῦθα ἀκουστέον παραπλησίως·

2. [94, 8] κυριώτερον γὰρ εἰπεῖν, ὅτι μᾶλλον τελειοῖτο ἂν εἰς ἐνέρ-

γειαν ἐκ δυνάμεως προαγόμενος. ὅτι δὲ ἐκ δυνάμεως, δῆλον·διὰ γὰρ τοῦτο οὔτε αἰεὶ νοοῦμεν, ἀλλ’ οὐδὲ τὰ αὐτὰ αἰεί, ἀλλὰ ἄλλοτε ἄλλα· τοῦτο γὰρ σημεῖον τοῦ δυνάμει εἶναι τοῦτον τὸν νοῦν· οὐ γὰρ οἷόν τε μεταβαίνειν ἐξ ἄλλης εἰς ἄλλην ἐνέργειαν

1. Problemstellung: Impliziert Denken ein Erleiden? [93, 32] Bezüglich desjenigen Teils der Seele, dessen wir uns für

die geistige Betrachtung und die Praxis bedienen, mag er räumlich abgetrennt werden, wie Platon glaubte,2 indem er die Vernunft im Kopf ansiedelte, den Mut im Herzen, das Verlangen in der Leber, oder mag er nicht räumlich entfernt von den anderen Kräften der Seele, sondern nur dem Begriff nach abgegrenzt sein, muss man untersuchen, wie er sich von den vorher genannten Kräften unterscheidet (und insbesondere von der Vorstellungskraft) und wie denn das Denken zustande kommt.3 [94, 5] Wenn nun das Denken dem sinnlichen Wahrnehmen analog ist (denn durch beide Vermögen urteilt und erkennt, wie wir auch vorher gesagt haben,4 die Seele), dann erleidet vermutlich auch der Geist etwas von den gedanklich einsehbaren Gegenständen,5 so wie es von den sinnlich erfassbaren Gegenständen die sinnliche Wahrnehmung tut; und das Erleiden ist dann in demselben Sinne zu verstehen wie bei der sinnlichen Wahrnehmung.

2. Erste Lösung: Denken bedeutet für den Geist, die in ihm angelegten Möglichkeiten zu realisieren, ist also keine Form des Erleidens [94, 8] Zutreffender ist es allerdings zu sagen, dass der Geist

in höherem Grad 6 vervollkommnet werden dürfte, indem er aus seiner Möglichkeit zu seiner tätigen Wirklichkeit geführt wird.7 Dass der Geist aus seiner Möglichkeit heraus fortentwickelt wird, ist offensichtlich; denn deswegen denken wir auch nicht immer, aber auch nicht immer dasselbe, sondern zu einem anderen Zeitpunkt etwas anderes.8 Dies ist in der Tat ein Zei-

274 Themistios · Text

μὴ δυνάμεως ὑπομενούσης, ἣ τὰς διαφόρους ἐνεργείας ἀποδίδωσιν.

3. [94, 13] 429a15–18: δεῖ τοίνυν αὐτὸν ἀπαθῆ εἶναι τοῦ κυρίως λεγο-

μένου πάθους καὶ μὴ ἔχειν οἰκείαν μὲν μορφήν, δεκτικὸν δὲ εἶναι παντὸς εἴδους καὶ δυνάμει τοιοῦτον ἀλλὰ μὴ τοῦτο, καὶ ὁμοίως ἔχειν πρὸς τὰ νοητὰ ὥσπερ ἡ αἴσθησις πρὸς τὰ αἰσθητά, καὶ ὥσπερ ἐκείνη κατ’ ἐνέργειαν οὐδ’ ὁτιοῦν ἦν ὧν ᾐσθάνετο, οὕτω μηδὲ τὸν τοιοῦτον νοῦν κατ’ ἐνέργειαν εἶναί τι τῶν νοουμένων. ἀνάγκη ἄρα, ἐπειδὴ πάντα νοεῖ, πάντα εἶναι δυνάμει, τουτέστι μὴ ἔχειν εἶδος οἰκεῖον μηδὲ μορφήν.

[94, 20] 429a18–22: οὐ φαύλως ἄρα Ἀναξαγόρας ὠνειροπόλει τὸν

νοῦν ἀμιγῆ ποιῶν καὶ φύσεως διαφερούσης ἁπάντων τῶν ὑπ’ αὐτοῦ γινωσκομένων· οὕτω γὰρ ἂν ῥᾷστα γνωρίζοι μηδενὸς οἰκείου παρεμφαινομένου καὶ συνυπάρχοντος· κωλύσει γὰρ καὶ ἀντιφράξει τὸ ἐνυπάρχον εἶδος τὰ ἄλλα ὥσπερ ἀλλότρια. ἀναγκαῖον ἄρα τοῦ τοιούτου νοῦ μὴ εἶναι φύσιν οἰκείαν μηδεμίαν μηδὲ μορφὴν ἀλλ’ ἢ ταύτην, ὅτι δυνατὸς περιλαβεῖν τὰς ἀλλοτρίας φύσεις τε καὶ μορφάς, καὶ μηδὲν ἔχειν εἶδος ἀφωρισμένον, ἐπειδὴ καταλαμβάνειν ἅπαντα πέφυκεν.

[94, 27] 429a22–27: ὁ ἄρα καλούμενος τῆς ψυχῆς νοῦς (λέγω δὲ

νοῦν ᾧ διανοεῖται καὶ ὑπολαμβάνει ἡ ψυχή, οὐχ ὃν πολλάκις



Paraphrase zu De anima, III 4–6

275

chen dafür, dass dieser Geist in Möglichkeit existiert; denn es ist nicht möglich, von einer tätigen Wirklichkeit zur anderen überzugehen, wenn nicht ein Vermögen besteht, welches die verschiedenen Tätigkeiten hervorbringt.

3. Konsequenz: Der Geist ist nichts Wirkliches, kann aber alles Wirkliche werden [94, 13] Es muss also der Geist für das im eigentlichen Sinne so ge-

nannte Erleiden unempfänglich sein; auch darf er keine eigentümliche Gestalt haben, muss aber fähig sein, jede Form aufzunehmen; er muss der Möglichkeit nach eine solche Form werden können, ohne mit einer bestimmten identisch zu sein; und er muss sich in Bezug auf die denkbaren Gegenstände ähnlich verhalten wie die Wahrnehmung in Bezug auf die sinnlich erfassbaren Gegenstände.9 Und gleichwie jene (die Wahrnehmung) auch nicht in Wirklichkeit etwas von dem ist, das sie wahrnimmt, so kann auch der so beschaffene Geist nicht in Wirklichkeit einer der denkbaren Gegenstände sein. Weil er ja alles denkt, ist es folglich nötig,10 dass er alles der Möglichkeit nach ist, das heißt, dass er keine eigene Form und keine Gestalt hat. [94, 20] Nicht trug Anaxagoras also töricht Träumereien vor, wenn er den Geist unvermischt und von einer Natur sein ließ, die von allem, was von ihm erkannt wird, verschieden ist; denn so dürfte er am leichtesten erkennen, wenn ihm nichts Eigentümliches beiwohnt und innewohnt; denn eine ihm innewohnende Form würde die Formen der anderen Dinge wie Fremdkörper hindern und versperren.11 Notwendig kann ein derartiger Geist keine andere eigentümliche Natur und keine andere Gestalt haben als die, dass er fähig ist,12 die anderen Naturen und Gestalten aufzunehmen; und er kann keine bestimmte Form besitzen, weil er ja von Natur dazu geeignet ist, alle Formen zu erfassen. [94, 27] Also ist der sogenannte Geist der Seele (ich nenne aber Geist dasjenige, womit die Seele diskursiv denkt und vermutet,13

276 Themistios · Text

καταχρώμενοι φέρομεν διανοεῖται καὶ ὑπολαμβάνει ἡ ψυχή, οὐχ ὃν πολλάκις καταχρώμενοι φέρομεν καὶ ἐπὶ τῆς φαντασίας) οὐδέν ἐστιν ἐνεργείᾳ τῶν ὄντων πρίν τι νοεῖν. διὸ οὐδὲ μεμῖχθαι αὐτὸν εὔλογον τῷ σώματι· σώματος γὰρ πρὸς σῶμα μῖξίς ἐστιν. ἀνάγκη δὲ σῶμα ὑπάρχοντα ἐνεργείᾳ εἶναι καὶ μορφὴν ἔχειν οἰκείαν. ἀλλ’ οὐδὲ ὀργάνῳ ἂν χρῷτο τῷ σώματι, ὥσπερ ἡ αἴσθησις· καὶ γὰρ οὕτως ἀπολαύσεται τῆς τοῦ ὀργάνου ποιότητος, ἣ συνυπάρχουσα ἀεὶ ταῖς ἐνεργείαις αὐτοῦ τὰ ἄλλα εἴδη κωλύσει.

[94, 34] 429a29–b5: δῆλον δὲ μάλιστα ἐκ τῆς αἰσθητικῆς τοῦτο

δυνάμεως· αὕτη γὰρ σῶμα μὲν οὐκ ἔστιν, ἀλλ’ ἐπειδὴ χρῆται ὅλως ὀργάνοις σωματικοῖς, συναπολαύει τούτοις τοῦ πάθους. καὶ τοῦτο φανερὸν ἐπὶ τῶν αἰσθητηρίων· ἡνίκα γὰρ ἂν ὑπὸ τῶν σφόδρα αἰσθητῶν σφοδρότερον κινηθῇ τὰ αἰσθητήρια, οἷον ὑπὸ ψόφου μεγάλου ἡ ἀκοή, καὶ λαμπροῦ χρώματος ἡ ὄψις, ἢ βαρείας ὀσμῆς ἡ ὄσφρησις, οὐ δύναται ἔτι [95] τῶν ἐκλελυμένων αἰσθητῶν καὶ ἀμυδροτέρων ἀντιλαμβάνεσθαι ῥᾳδίως, ἀλλ’ ἐμμένει τὸ ἴχνος τῆς βιαιοτέρας πληγῆς ἐκκροῦον τὴν ἀμυδροτέραν καὶ ἀσθενεστέραν. ὁ μέντοι γε νοῦς ὅταν νοήσῃ σφόδρα νοητόν, οὐχ ἧττον νοεῖ τὰ ὑποδεέστερα, ἀλλὰ καὶ μᾶλλον. οὕτως ἄρα ἡ μὲν αἴσθησις οὐκ ἄνευ σώματος, ὁ δὲ χωριστὸς ἅπαντος σώματος,

[95, 5] 429a27–29: καὶ εὖ δὴ οἱ λέγοντες τὴν ψυχὴν τόπον εἶναι

εἰδῶν, εἰ καὶ τῷ ὀνόματι καταχρῶνται τοῦ τόπου· πλὴν ὅτι οὔτε ὅλη ἡ ψυχή, ἀλλὰ αἱ δύο μόναι δυνάμεις καθ’ ἥν τε νοοῦμεν



Paraphrase zu De anima, III 4–6

277

nicht jedoch dasjenige, was wir häufig in missbräuchlicher Übertragung auch mit der Vorstellungskraft verbinden14) in Wirklichkeit nichts von dem Seienden, bevor er etwas denkt.15 Deshalb ist es auch vernünftig anzunehmen, dass er nicht mit dem Körper vermischt ist.16 Denn Mischung gibt es nur als Verhältnis von Körper zu Körper. Ein Körper aber muss in Wirklichkeit vorliegen17 und eine eigentümliche Gestalt haben. Aber der Geist kann den Körper nicht einmal als Werkzeug gebrauchen, wie dies bei der Wahrnehmung geschieht. Denn auf diese Weise wird er selbst die Eigenschaft eines Werkzeugs annehmen, welche die anderen Formen hindern wird, da diese immer zusammen mit seinen Tätigkeiten bestehen wird. [94, 34] Dies aber ergibt sich ganz besonders deutlich aus der sinnlichen Wahrnehmung. Denn diese ist zwar kein Körper, doch weil sie gänzlich körperliche Werkzeuge verwendet, erfährt sie gemeinsam mit diesen das Erleiden. Und dies ist offenkundig bei den Sinnesorganen.18 Sooft die Sinnesorgane nämlich von den intensiven Wahrnehmungsgegenständen intensiver affiziert werden – wie zum Beispiel das Gehör von einem lauten Geräusch, der Gesichtssinn von einer leuchtenden Farbe oder der Geruchssinn von einem heftigen Geruch19 –, können sie nicht mehr [95] leicht diffuse und weniger intensive Gegenstände der Wahrnehmung aufnehmen. Stattdessen verbleibt die Spur des gewaltsameren Impulses und verdrängt den undeutlicheren und schwächeren Eindruck. Wenn dagegen der Geist einen intensiven Gedanken denkt, so denkt er die schwächeren Gedanken nicht etwa weniger, sondern sogar mehr. Auf diese Weise also erfolgt die sinnliche Wahrnehmung nicht ohne Körper, der Geist jedoch ist abgetrennt von jedem Körper. [95, 5] Und wohl gesprochen haben diejenigen, die behaupten, dass die Seele der Ort der Formen sei,20 wenn sie auch den Namen »Ort« missbräuchlich verwenden. Ganz abgesehen davon, dass sich diese Bestimmung nicht auf die ganze21 Seele, sondern nur auf jene beiden Vermögen bezieht, kraft deren wir denken und kraft deren wir wahrnehmen, ist »Ort« hier außerdem nicht im Sinne dessen, was umschließt,22 zu verstehen, sondern in dem

278 Themistios · Text

καθ’ ἥν τε αἰσθανόμεθα, οὔθ’ οὕτω τόπος ὡς περιέχειν, ἀλλ’ ὡς γίνεσθαί πως ἃ νοεῖ καὶ ὧν αἰσθάνεται.

4. [95, 9] 429b5–9: οὗτος τοίνυν ὁ δυνάμει νοῦς γίνεται μὲν καὶ ἐν

τοῖς νηπίοις· ὅταν δὲ ἀπὸ τῶν αἰσθητῶν καὶ τῶν ἀπὸ τούτων φαντασιῶν καὶ τῆς περὶ ταῦτα γυμνασίας τὸ καθόλου δύνηται θηρεύειν καὶ συνάγειν τὸ ὅμοιον ἐν τοῖς ἀνομοίοις καὶ τὸ ταὐτὸν ἐν τοῖς διαφόροις, τηνικαῦτα τελεώτερος γίνεται νοῦς ἀνάλογον ἔχων τῷ ἐπιστήμονι, ὅστις τὰ θεωρήματα τῆς ἐπιστήμης συνειληχὼς οἷός τε καθ’ ἑαυτὸν ἐνεργεῖν ἕκαστον αὐτῶν ἰδίᾳ προχειριζόμενος, καὶ οὔτε διδασκαλίας ἔξωθέν τινος οὔτε γυμνασίας δεόμενος. ἔστι μὲν οὖν καὶ τηνικαῦτα δυνάμει, οὐ μὴν ὁμοίως καὶ πρὶν μαθεῖν ἢ εὑρεῖν· ἐγγίνεται γὰρ οἷον ὄψις αὐτῷ πρότερον οὐκ ἐνοῦσα ὁρατικὴ τῶν ὁμοίων καὶ τῶν ἀνομοίων καὶ ταὐτοῦ καὶ ἑτέρου καὶ ἀκολούθου καὶ μαχομένου, καὶ αὐτὸς δὲ ἑαυτὸν τηνικαῦτα δύναται νοεῖν· οὐδὲν γὰρ ἄλλο ὁ νοῦς ἐστὶν ἢ τὰ νοήματα. γινόμενος οὖν ὁ αὐτὸς τοῖς νοουμένοις νοεῖ τηνικαῦτα καὶ ἑαυτόν.

[95, 21] ὅταν μὲν οὖν τὴν ἕξιν ἔχῃ μόνον, τὰ νοήματά ἐστιν ὥσπερ

ἀποκείμενα· ὅταν δὲ ἐνεργῇ, τότε σύνδρομος γίνεται τῷ νοουμένῳ καὶ εἰκότως ἑαυτὸν νοεῖ τηνικαῦτα· αὐτὸς γάρ ἐστιν ἃ νοεῖ. ὥσπερ γὰρ ἡ ἐπιστήμη τὰ ἐπιστητά ἐστι θεωρήματα (οὐδὲν γὰρ ἄλλο ἐστὶ γεωμετρία ἢ τὰ γεωμετρικὰ θεωρήματα), οὕτω καὶ ὁ



Paraphrase zu De anima, III 4–6

279

Sinne, dass die Seele irgendwie zu dem wird, was sie denkt und wahrnimmt.23

4. Die Entwicklung des potentiellen Geistes bis zum Denken seiner selbst [95, 9] Dieser potentielle Geist entsteht auch in den Unmündi-

gen. Wenn er aber fähig wird, von den Wahrnehmungsgegenständen und von den von diesen ausgehenden Vorstellungen und von der hierauf bezüglichen Übung her das Allgemeine zu erjagen24 und das Ähnliche an den unähnlichen Dingen sowie das Identische an den verschiedenen Dingen zusammenzufassen, dann wird er zu einem vollkommeneren Geist; er besitzt dann eine entsprechende Eigenschaft wie ein Wissender, der die Erkenntnisse seiner Wissenschaft erworben hat und nun imstande ist, für sich selbst tätig zu sein, indem er sich eine jede Erkenntnis von ihnen aus eigener Kraft verfügbar macht, und zwar so, dass er weder der Unterweisung von außen noch der Übung bedarf.25 Auch dann befindet sich der Geist in Potenz, jedoch in einer anderen als derjenigen, in der er sich befand, bevor er lernte und Entdeckungen machte. Denn es entsteht in ihm so etwas wie eine Sehfähigkeit, die zuvor nicht in ihm war; sie befähigt ihn, das Ähnliche und das Unähnliche, das Identische und das Andere sowie das Folgerichtige und das Widersprüchliche zu erblicken. Und nun kann der Geist auch sich selbst denken. Denn der Geist ist nichts anderes als die Gedanken.26 Wenn er nun dasselbe wird wie das, was gedacht wird, denkt er auch sich selbst. [95, 21] Solange er nun bloß den Habitus des Denkenkönnens besitzt, sind seine Gedanken wie aufbewahrt;27 sobald er dagegen in Tätigkeit ist, fällt er mit dem Gedachten zusammen und denkt sich dann selbst. Denn er selbst ist das, was er denkt. Wie nämlich die Wissenschaft identisch ist mit den eingesehenen Erkenntnissen (die Geometrie ist ja nichts anderes als die geometrischen Erkenntnisse), so ist auch der Geist identisch mit

280 Themistios · Text

νοῦς τὰ νοήματα, καὶ μέχρι μὲν ἂν ἡ ἕξις αὐτὴ ἠρεμῇ, ἠρεμεῖ καὶ τὰ θεωρήματα, κινηθεῖσα δὲ ἡ ἕξις καὶ ἐνεργοῦσα ἐνεργεῖ μὲν πάντως περὶ ἓν τῶν θεωρημάτων τῶν ἑαυτῆς, γίνεται δὲ ταὐτὸν ἐκείνῳ ὃ θεωρεῖ· ἡ γὰρ ἐπιστήμη τοῦ δύο ὀρθὰς ἔχειν τὸ τρίγωνον, τὸ θεώρημά ἐστι καὶ ὁ λόγος καθ’ ὃν δύο ὀρθὰς ἔχειν ἀποδείκνυται τὸ τρίγωνον. οὕτω τοίνυν καὶ ὁ νοῦς ὅταν μὲν ἠρεμῇ, τὴν ἕξιν λέγεται ἔχειν τῶν νοημάτων, ὅταν δὲ ἐνεργῇ περὶ ἓν τῶν νοημάτων, τότε ὁ αὐτός ἐστι τῷ νοουμένῳ, καὶ νοῶν ἐκεῖνο καὶ αὑτὸν νοεῖ.

5. [95, 32] τίς οὖν ἡ διαφορὰ τοῦ τοιοῦδε νοῦ καὶ τῆς δυνάμεως τῆς

αἰσθητικῆς φαντασίας μετὰ τὸ διαστήσασθαι τὴν ἑκάστου τῶν εἰρημένων φύσιν ῥητέον ἐφεξῆς.

[95, 35] 429b10-12: Ἐπειδὴ τοίνυν ἄλλο μέν ἐστιν ὕδωρ, ἄλλο δὲ

ὕδατι εἶναι· ὕδωρ μὲν γὰρ τὸ ἐξ εἴδους καὶ ὕλης, τὸ δὲ ὕδατι εἶναι τὸ εἶδός ἐστι τοῦ ὕδατος καὶ καθ’ ὅ ἐστιν ὕδωρ· ἕκαστον γὰρ οὐ κατὰ τὴν ὕλην, ἀλλὰ κατὰ τὴν μορφὴν [96] χαρακτηρίζεται· οὕτω δὲ καὶ ἐπὶ τῶν τεχνικῶν· ἄλλο γὰρ οἰκία καὶ οἰκίᾳ εἶναι, καὶ ἄλλο ἀνδριὰς καὶ ἀνδριάντι εἶναι, καὶ οἰκία μὲν τὸ σχῆμα σὺν τοῖς λίθοις καὶ τοῖς ξύλοις καὶ τῷ κεράμῳ, οἰκίᾳ δὲ εἶναι ἡ μορφὴ καὶ ἡ σύνθεσις ἡ τοιάδε. ὁμοίως δὲ καὶ ἀνδριὰς μὲν τὸ σχῆμα σὺν τῷ λίθῳ ἢ τῷ χαλκῷ, ἀνδριάντι δὲ εἶναι τὸ εἶδος τοῦ



Paraphrase zu De anima, III 4–6

281

seinen Gedanken; und solange der Habitus des Denkenkönnens ruht, ruhen auch die Erkenntnisse. Wird aber der des Denkenkönnens in Bewegung gesetzt und ist er in Tätigkeit, dann ist er gänzlich tätig in Bezug auf einen seiner Erkenntnisgegenstände und wird mit dem Gegenstand seiner Betrachtung identisch.28 Denn das Wissen, dass das Dreieck zwei rechte Winkel hat, ist der Erkenntnisgegenstand und so auch der Beweis, dem gemäß bewiesen wird, dass das Dreieck zwei rechte Winkel hat. Dementsprechend wird auch in der Tat vom Geist, solange er ruht, gesagt, er besitze den Habitus, denken zu können, wenn er dagegen bezüglich eines seiner Gedanken aktiv ist, dann ist er identisch mit dem Gedachten und denkt, indem er jenes denkt, auch sich selbst.

5. Ausführliche Erläuterung des Unterschieds zwischen Geist und Vorstellungskraft [95, 32] Welcher Unterschied zwischen einem solchen Geist und

der Fähigkeit zur sinnlichen Vorstellung besteht, ist anschließend darzulegen,29 nachdem die Natur einer jeden der hier genannten Erkenntniskräfte auseinandergesetzt worden ist. [95, 35] Nun sind in der Tat das Wasser und das Wasser–Sein zwei verschiedene Dinge.30 Denn Wasser besteht aus Form und Materie; das Wasser–Sein dagegen ist die Form des Wassers und dasjenige, dem entsprechend das Wasser existiert.31 Ein jedes Ding wird nämlich nicht nach seiner Materie, sondern nach seiner Form [96] typisiert. So ist es auch bei den technisch hergestellten Dingen. Denn auch ein Haus ist etwas anderes als das Haus–Sein, ein Standbild etwas anderes als das Standbild–Sein, und ein Haus besteht aus seiner Gestalt in Verbindung mit den Steinen, den Hölzern und der Tonerde, das Haus–Sein dagegen aus der Form und der entsprechenden Zusammensetzung. In ähnlicher Weise besteht auch ein Standbild aus seiner Gestalt in Verbindung mit dem Stein oder Erz, das Standbild–Sein dagegen aus der Form des Standbildes. Doch dies trifft nicht bei

282 Themistios · Text

ἀνδριάντος. ἀλλ’ οὐκ ἐπὶ πάντων ὁμοίως· ἐπ’ ἐνίων γὰρ ταὐτόν ἐστιν οἷον στιγμὴ καὶ στιγμῇ εἶναι, ἢ εἴ τι ἄυλον παντελῶς καὶ ἁπλοῦν, ἐφ’ ὧν ὁ λόγος τοῦ τί ἦν εἶναι καὶ τὸ εἶδος καθ’ ὅ ἐστι ταὐτόν ἐστιν ὅλῃ τῇ φύσει τοῦ πράγματος.

[96, 8] 429b12–16: οὕτω δὴ τούτων ἐχόντων ὅταν μὲν τὴν μορφὴν

κρίνωμεν ὡς συνειλημμένην τῇ ὕλῃ, οἷον τὸ ψυχρὸν καὶ ὑγρὸν σὺν τῇ ὕλῃ, τουτέστιν ὅταν κρίνωμεν ὅλον τὸ ὕδωρ· ὁ γὰρ λόγος τούτων καὶ ἡ σύνθεσις ἡ μετὰ τῆς ὕλης τὸ ὕδωρ ἦν· ὅταν οὖν κρίνωμεν τὸ ὕδωρ ὅλον ἢ τὴν σάρκα ὅλην, ἀποχρῶσα ἡμῖν ἐστὶν ἡ αἰσθητικὴ δύναμις, μᾶλλον δὲ καὶ ἡ σύζυγος αὐτῇ φαντασία· ὅταν δὲ ἐξετάζωμεν τί τὸ ὕδατι εἶναι καὶ τί τὸ σαρκὶ εἶναι, ἄλλο τι ἤδη τὸ κρῖνόν ἐστιν ἢ ἄλλως ἔχον.

[96, 15] μήποτε γὰρ ὥσπερ μίαν ἀνάγκη δύναμιν εἶναι τὴν κρίνου-

σαν, ὅτι τὸ γλυκὺ τοῦ ξανθοῦ διενήνοχεν, οὕτως αὖ πάλιν μίαν καὶ ταύτην εἶναι ἀνάγκη τὴν κρίνουσαν, ὅτι ἄλλο μὲν ὕδωρ, ἄλλο δὲ ὕδατι εἶναι, καὶ ταύτην ἀντιλαμβάνεσθαι μὲν ἀμφοτέρων, ἄλλως δὲ ἔχουσαν καὶ ἄλλως ὅταν τε τὴν ὕλην σὺν τῷ εἴδει παρασκοπῇ καὶ ὅταν τὸ εἶδος ἐκλαμβάνῃ χωρίς. πρὸς μὲν γὰρ τὸ ὕδωρ δεῖται τῆς φαντασίας ἀπαγγελλούσης, πρὸς δὲ τὸ ὕδατι εἶναι ἀπόχρη ἑαυτῇ.

[96, 21] 429b16–18: ὥσπερ οὖν τὴν αὐτὴν γραμμὴν ἐκτεινομένην

τε καὶ κλωμένην τὴν αὐτὴν μὲν εἶναι φαίης ἄν, ἄλλως δὲ ἔχειν



Paraphrase zu De anima, III 4–6

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allen Dingen in gleicher Weise zu; denn bei einigen Dingen fallen [Individuum und Wesen] zusammen, wie z. B. bei einem Punkt und dem Punkt-Sein oder wie bei den völlig unstofflichen und einfachen Dingen. Bei diesen ist der Begriff dessen, was sie ihrem Wesen nach sind, und die Form, der entsprechend sie sind, vollständig identisch mit der Natur der Sache selbst.32 [96, 8] Wenn sich dies so verhält, so ist immer, wenn wir die mit Materie verbundene Form beurteilen, wie z. B. das Kalte und das Nasse zusammen mit der Materie (das heißt aber, wenn wir Wasser im Ganzen beurteilen, denn das Verhältnis dieser beiden Qualitäten, des Kalten und des Nassen und deren Zusammensetzung mit der Materie ist es, was Wasser ausmacht), d. h. immer, wenn wir etwa Wasser oder Fleisch im Ganzen beurteilen, für uns die sinnliche Erkenntniskraft oder vielmehr ihre Begleiterin, die Vorstellungskraft, hinreichend. Wenn wir dagegen untersuchen, was das Wasser-Sein und was das Fleisch-Sein sind, so ist das unterscheidende Erkenntnisvermögen entweder ein anderes als das sinnliche oder aber dasselbe, das sich jedoch anders verhält. [96, 15] Allerdings ist es vielleicht, ähnlich wie es eine einzige Erkenntniskraft sein muss, welche urteilt, dass der süße Geschmack sich von der gelblichen Farbe unterscheidet,33 ebenso auch notwendig, dass es ein- und dieselbe Erkenntniskraft sein muss, welche urteilt, dass Wasser und Wasser-Sein zwei verschiedene Dinge sind, und diese Erkenntniskraft muss dann zwar von beidem etwas erfassen können, sich hierbei aber auf unterschiedliche Weise verhalten können, je nachdem, ob sie auf die Materie zusammen mit der Form blickt oder ob sie die Form getrennt herausgreift.34 Geht es um Wasser, bedarf sie bloß der Vorstellungskraft, die ihr von den Qualitäten des Wassers berichtet, geht es um das Wasser-Sein, genügt sie sich selbst.35 [96, 21] So wie man dieselbe Linie, auch wenn sie an einer Stelle sich geradeaus hinstreckte, an anderer Stelle dagegen gekrümmt verliefe, doch wohl dieselbe Linie nennen würde, die

284 Themistios · Text

καὶ ἄλλως, οὕτω δὲ καὶ τὸν νοῦν, ὅταν τε ὡς σύνθετον τὸ σῶμα καταλαμβάνῃ καὶ ὅταν τὸ εἶδος αὐτὸ μόνον καὶ τὴν μορφήν· συν­ εξομοιοῦται γὰρ τοῖς πράγμασιν ἃ θεωρεῖ, καὶ ποτὲ μὲν ὥσπερ σύνθετος γίνεται, ὁπόταν τὸ σύνθετον νοῇ, ποτὲ δὲ ὡς ἁπλοῦς, ὅταν τὸ εἶδος ἐκλαμβάνῃ μόνον, καὶ ποτὲ μὲν ἐοικὼς τῇ εὐθείᾳ γραμμῇ, ποτὲ δὲ τῇ κεκλασμένῃ. Πλάτων μὲν γὰρ κύκλοις ἀφομοιοῖ τὰς ἐνεργείας τοῦ νοῦ τῷ τε εὐτρόχῳ καὶ τῷ ὀρθῷ, Ἀριστοτέλης δὲ γραμμῇ ἐκτεινομένῃ τε καὶ κλωμένῃ· γίνεται γὰρ ἀνθ’ ἑνὸς ὥσπερ διπλοῦς τηνικαῦτα, ὅταν τὴν ὕλην συμπαρασκοπῇ τῇ μορφῇ.

[96, 30] 429b18–22: ἔστι δὲ καὶ ἐπὶ τῶν ἐξ ἀφαιρέσεως λεγομένων

τὰ μὲν ἐοικότα τῷ ὕδατι, τὰ δὲ ἐοικότα τῷ ὕδατι εἶναι·ἄλλο γὰρ καὶ ἐν τούτοις τὸ εὐθὺ καὶ τὸ εὐθεῖ εἶναι, καὶ τὸ μὲν εὐθὺ μετὰ τοῦ συνεχοῦς, ὥσπερ τὸ σιμόν (ὑπόκειται γὰρ τὸ συνεχὲς τῇ εὐθείᾳ), τὸ δὲ εὐθεῖ εἶναι ὁ λόγος ὁ τοῦ εὐθέος. ἐπὶ τούτων δὴ τῶν ἐξ ἀφαιρέσεως ἄμφω ὁ νοῦς ἔοικε κρίνειν, λέγω δὲ ἄμφω τό τε σύνθετον ἐκ τοῦ ὑποκειμένου καὶ τῆς μορφῆς καὶ αὐτὴν τὴν μορφήν, ἀλλ’ οὐχ ὁμοίως ἔχων καὶ τηνικαῦτα, ἀλλὰ καὶ ἐπὶ τούτων ποτὲ μὲν ὡς ἁπλοῦς, ποτὲ δὲ ὥσπερ σύνθετος γινόμενος.

[96, 38] καὶ γὰρ εἰ ἄλλη μὲν ὕλη τοῖς αἰσθητοῖς ὑπόκειται σώ-

μασιν, ἄλλη δὲ τοῖς ἐξ ἀφαιρέσεως λεγομένοις, ἀλλὰ καὶ ἐπὶ τούτων ὅμως ποτὲ μὲν ἁπλουστέρας εἴποιμεν ἂν τὰς τοῦ νοῦ θεωρίας, ποτὲ δὲ [97] μᾶλλον συνθέτους. τὰ μὲν οὖν σώματα



Paraphrase zu De anima, III 4–6

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sich bloß unterschiedlich verhält, so wird man entsprechend auch den Geist in beiden Fällen denselben nennen, sooft er nun den Körper als zusammengesetzt erfasst oder sooft er die Form selbst und die Gestalt erfasst. Denn er gleicht sich den Gegenständen an, die er betrachtet, und manchmal wird er gleichsam zusammengesetzt, wenn er das Zusammengesetzte denkt, manchmal gleichsam einfach, wenn er die Form allein erfasst. Und so gleicht er bald der geraden Linie, bald dagegen der gebogenen.36 Während Platon nämlich die Tätigkeiten des Geistes mit Kreisen vergleicht, und zwar mit dem glattlaufenden und mit dem geradeauslaufenden Kreis,37 vergleicht Aristoteles sie mit einer ausgestreckten und einer gekrümmten Linie; denn er wird, statt einer zu sein, gleichsam doppelt, wenn er die Materie zusammen mit der Gestalt betrachtet. [96, 30] Es gibt aber sogar bei den Dingen, die der Abstraktion entspringend genannt werden, einige, die dem Wasser entsprechen, andere dagegen, die dem Wasser-Sein entsprechen. Denn auch bei diesen Dingen unterscheidet sich das Geradlinige vom Geradlinig-Sein. Und zwar ist das Geradlinige, ebenso wie das Gekrümmte, mit dem mathematischen Kontinuum verbunden (denn das Kontinuum liegt dem Geradlinigen zugrunde), das Geradlinig-Sein dagegen mit dem Begriff des Geradlinigen. Demnach scheint auch bei diesen Dingen, die der Abstraktion entspringen, der Geist beides zu unterscheiden. Mit »beidem« meine ich aber zum einen das aus dem Zugrundeliegenden und der Gestalt Zusammengesetzte, zum anderen die Gestalt selbst. Doch selbst dann verhält er [der Geist] sich nicht in derselben Weise; vielmehr wird er auch bei diesen Dingen zu etwas, das manchmal wie etwas Einfaches, manchmal wie etwas Zusammengesetztes ist. [96, 38] Auch wenn nämlich den sinnlich wahrnehmbaren Körpern eine andere Materie zugrunde liegt als denjenigen Dingen, die man der Abstraktion entspringend nennt,38 werden wir gleichwohl auch bei diesen manchmal die Akte der geistigen Betrachtung als einfacher bezeichnen, manchmal [97] als zusammengesetzter. Wenn nun der Geist die Körper betrachtet,

286 Themistios · Text

ἐπισκοπῶν δεῖται τῆς δυνάμεως τῆς αἰσθητικῆς· οὐ γὰρ οἷόν τε αὐτῷ καθ’ αὑτὸν κρῖναι, τί ὕδωρ ἢ σάρξ, ἀφεμένῳ παντάπασι τῆς αἰσθήσεως· πρὸς δὲ τὸ τρίγωνον καὶ πρὸς τὸ εὐθὺ μᾶλλον ἑαυτῷ αὐτάρκης ὁ νοῦς, ὡς γὰρ τὰ πράγματα χωριστὰ τῆς ὕλης, οὕτω καὶ ἡ τοῦ νοῦ θεωρία. ὡς οὖν ταῦτα τῷ λόγῳ χωρίζεσθαι μόνῳ δύναται, καθ’ αὑτὰ δὲ οὐκ ἂν ὑποσταίη, οὕτω καὶ ὁ νοῦς χωρίζειν αὐτὰ τῷ λόγῳ μόνῳ ἐπιχειρεῖ.

6. [97, 8] 429b22-31: Ἀναξαγόρας δὲ πῇ μὲν ὀρθῶς ἔλεγε περὶ τοῦ

νοῦ, πῇ δὲ οὐκ ὀρθῶς· ἄμικτον μὲν γὰρ αὐτὸν πάσης ὕλης ποιῶν ὀρθῶς ὑπενόει, πῶς δὲ τοιοῦτος ὢν πάντα νοήσει, εἴπερ τὸ νοεῖν πάσχειν ἐστίν, οὐκ ὀρθῶς διδάσκειν ἡμᾶς παρεώρα· πάσχει γὰρ οὐδὲν ὃ μὴ κεκοινώνηκεν ὕλης, ἀλλὰ ταύτην δεῖ κοινὴν ὑποκεῖσθαι καὶ τῷ πάσχοντι καὶ τῷ ποιοῦντι. διόπερ οὐδὲ πάσχει τὸ τυχὸν ὑπὸ τοῦ τυχόντος, οἷον ὑπὸ ψόφου γραμμή, ἀλλ’ ὧν ἡ αὐτὴ καὶ κοινὴ ὕλη. ἀλλὰ τοῦτο Ἀναξαγόρας μὲν οὐ διέκρινεν, ἡμῖν δὲ αὖθις ὑπομνηστέον τῶν ἤδη πολλάκις διωρισμένων.

[97, 15] εἰ γὰρ τὸ πάσχειν μηδὲ ἐπὶ τῆς αἰσθήσεως λέγεται κυρίως,

πόσῳ δὴ μᾶλλον ἐπὶ τοῦ νοῦ; ἡ μέν γε αἴσθησις προσχρῆται γοῦν τοῖς σωματικοῖς καὶ ἔχοι ἄν τι κοινὸν ὑποκείμενον πρὸς



Paraphrase zu De anima, III 4–6

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benötigt er die Wahrnehmung. Denn es ist ihm nicht möglich, dass er für sich selbst beurteilt, was Wasser oder Fleisch ist, da er vollständig von der Wahrnehmung abgewendet ist. Für das Dreieckige und das Gerade genügt der Geist in höherem Grade sich selbst. Wie nämlich die Gegenstände vom Stoff abgetrennt sind, so auch die Betrachtung des Geistes. Wie nun diese Gegenstände nur dem Begriff nach abgetrennt werden können, für sich selbst jedoch wohl kaum existieren können, so strebt auch der Geist danach, sie allein dem Begriff nach zu trennen.

6. Das Denken des Geistes ist kein Erleiden, sondern ein Aktualisieren des eigenen Potentials. Insofern kann er mit einem unbeschriebenen Schreibtäfelchen verglichen werden [97, 8] Anaxagoras aber hat in einer Hinsicht richtig vom Geist

geredet, in anderer nicht richtig. Denn indem er ihn für unvermischt mit aller Materie erklärte,39 ahnte er das Richtige;40 wie dagegen, wenn er ein solcher Geist ist, alles denken wird, wenn Denken wirklich ein[e] [Form von] Erleiden ist41, hierüber uns zu belehren unterließ er zu Unrecht. Denn nichts erleidet etwas, was nicht an der Materie teilhat; vielmehr muss diese gemeinsam sowohl dem Erleidenden als auch dem Wirkenden zugrunde liegen,42 Deshalb empfängt etwas Beliebiges von einem Beliebigen auch keine Einwirkung, wie zum Beispiel eine Linie von einem Laut, sondern nur dasjenige, was dieselbe und gemeinschaftliche Materie hat.43 Dies unterschied Anaxagoras aber nicht, wir dagegen müssen uns wiederum der schon oft durchgegangenen (Aussagen) erinnern.44 [97, 15] Wenn nämlich der Ausdruck »Erleiden« nicht einmal in Bezug auf die Wahrnehmung im eigentlichen Sinn gebraucht wird, um wie viel mehr gilt das dann in Bezug auf den Geist? Denn die Wahrnehmung bedarf der körperlichen Gegenstände und hat vermutlich gemeinsam mit demjenigen, was die Wahrnehmung bewirkt (ich meine hier die Ge-

288 Themistios · Text

τὰ ποιοῦντα, λέγω δὲ τὰ αἰσθητά· σώματι γὰρ χρωμένη κινεῖται ὑπὸ σωμάτων· ὁ δὲ νοῦς, ὥσπερ εἴρηται, δυνάμει μὲν ἅπαντά ἐστι τὰ νοητά, ἐντελεχείᾳ δὲ οὐδὲν πρὶν ἂν νοῇ. πορρωτέρω τοίνυν τοῦ πάσχειν ἐστίν, ὅς γε οὐδὲ φύσεως τετύχηκεν ἀφωρισμένης,

[97, 21] 429b31–430a2: ἀλλ’ ὥσπερ ἐν γραμματείῳ μηδὲν ἔχοντι γε-

γραμμένον ἐντελεχείᾳ ὅταν γραφῇ τὰ γράμματα, τελείωσιν ἂν εἴποις τοῦ γραμματείου τὰ γεγραμμένα, οὐ πάθος, ἐπειδὴ πρὸς ἃ γέγονε ταῦτα ἀπείληφεν· οὕτω συμβαίνει καὶ ἐπὶ τοῦ νοῦ. οὐ γὰρ πάσχει ‹περὶ› τὰ νοητὰ ἐνεργῶν ἀλλὰ τελειοῦται, ὥστε κατὰ τοῦτο ἀμιγὴς καὶ ἁπλοῦς· ὅλως γὰρ ὁ δυνάμει νοῦς, ὥς φησιν Ἀριστοτέλης, οὐδέν ἐστιν ἐνεργείᾳ τῶν ὄντων, μηδὲν δὲ ὢν ἐνεργείᾳ οὐδ’ ἂν πάσχοι, οὐδ’ ἂν μιγνύοιτο· τοῦ γὰρ ὄντος τι ἐνεργείᾳ καὶ τὸ πάσχειν καὶ τὸ μίγνυσθαι. γίνεται δὲ ἐκ τοῦ δυνάμει νοῦς ἐνεργείᾳ, ἡνίκα ἂν αὐτῷ γένηται καὶ νοήματα, καὶ τότε ἅμα νοῦς τε καὶ νοητός. οὐ πάσχει τοίνυν ὑπὸ τῶν νοητῶν, ἀλλ’ αὐτὸς ἐκεῖνα γίνεται. καὶ ἔοικεν ἐν μόνῃ γίνεσθαι τῇ ψυχῇ τῇ ἀνθρωπίνῃ ὁ δυνάμει νοῦς· ταύτης γὰρ μόνης καὶ τὰ πάθη ἐπήκοα λόγου καὶ πρὸς λόγον εὐφυῶς ἔχει, τῶν δ’ ἄλλων ζώων οὐκέτι.



Paraphrase zu De anima, III 4–6

289

genstände der Wahrnehmung), etwas, das beidem zugrunde liegt. Indem sie sich nämlich eines Körpers bedient, wird sie von Körpern in Bewegung versetzt. Der Geist dagegen ist, wie oben erläutert wurde,45 nur der Möglichkeit nach alle denkbaren Gegenstände, in Wirklichkeit aber nichts, bevor er46 denkt.47 Demnach ist er noch weiter davon entfernt, Einwirkungen erleiden zu können, da er ja auch keiner bestimmten Natur teilhaftig ist.48 [97, 21] Vielmehr verhält es sich beim Geist wie bei einem Schreibtäfelchen, das nichts in Wirklichkeit Eingeschriebenes enthält.49 So wie man hier, wenn Buchstaben eingeschrieben werden, das Geschriebene vielleicht als Vollendung des Schreibtäfelchens bezeichnet, nicht als ein Erleiden [von Einwirkungen], weil es ja nur das empfangen hat, wozu es gemacht wurde, so trifft es auch auf den Geist zu.50 Denn wenn der Geist sich auf die denkbaren Gegenstände richtet, erleidet er keine Eindrücke, sondern wird vervollkommnet, so dass er demgemäß unvermischt und einfach ist. Überhaupt ist der mögliche Geist, wie Aristoteles sagt, in Wirklichkeit keines der existierenden Dinge.51 Wenn er aber nichts in Wirklichkeit ist, dann dürfte er wohl weder Einwirkungen erleiden noch sich mit etwas vermischen. Denn zu denjenigen Dingen, die in Wirklichkeit etwas Bestimmtes sind, gehört sowohl das Erleiden von Eindrücken als auch das Sichvermischen. Nun entsteht aber aus dem möglichen Geist52 der wirkliche Geist, sobald ihm die53 Gedanken entstehen, und dann ist er zugleich Geist und denkbar. Er erleidet nun gewiss keine Einwirkungen von Seiten der denkbaren Gegenstände, sondern wird selbst zu jenen.54 Auch scheint der mögliche Geist allein in der menschlichen Seele zu entstehen,55 denn allein bei dieser sind auch die Affekte der Vernunft unterworfen und eignen sich von Natur aus dafür, von der Vernunft gelenkt zu werden, während dies bei den übrigen Lebewesen nicht der Fall ist.56

290 Themistios · Text

7. [97, 34] 430a2–5, 6-9: ἀλλὰ πῶς ἅμα νοῦς τε καὶ νοητός; καὶ ἆρα

κατὰ ταὐτό, ἢ κατ’ ἄλλο μὲν γίνεται νοῦς, κατ’ ἄλλο δὲ νοητός; ἢ ἐπὶ μὲν τῶν ἄνευ ὕλης ταὐτόν ἐστι τὸ νοοῦν καὶ τὸ νοούμενον, ἡ γὰρ ἐπιστήμη ἡ θεωρητικὴ ταὐτὸν καὶ τὸ οὕτως ἐπιστητόν· ἐπὶ δὲ τῶν ἐνύλων εἰδῶν ἄλλο μὲν τὸ νοητὸν ἄλλο δὲ ὁ νοῦς. οὐδὲ γὰρ [98] ἦν φύσει ταῦτα [τὰ] νοητά, λέγω δὲ τὰ ἔνυλα εἴδη, ἀλλ’ ὁ νοῦς αὐτὰ νοητὰ ποιεῖ τῆς ὕλης ἀποτεμνόμενος, καὶ δυνάμει ἐστὶ νοητά, οὐκ ἐνεργείᾳ· ὅτι γὰρ ἐπιτηδείως ἔχει πρὸς τὸ νοεῖσθαι, οὐχ ὅτι ἡ φύσις αὐτῶν καθ’ αὑτὴν νοητή, ὥστε εἰκότως νοεῖται μὲν τὰ τοιαῦτα, νοεῖ δὲ οὔ.

[98, 4] 430a5 sq.: ὁ δὲ νοῦς οὗτος, ὁ δυνάμει λέγω, ὥσπερ δυνάμει

νοῦς, οὕτω καὶ δυνάμει νοητός· διόπερ οὐκ αἰεὶ νοεῖ καὶ νοῶν συνεχῶς κάμνει· ὕπεστι γὰρ αὐτῷ τὸ δυνάμει, ὥστε οὐδὲ ἀεὶ νοητός, ἀλλ’ ὅταν συλλέξηται τὰ νοήματα. εἰ δέ τις νοῦς παν­ τάπασιν ἄνευ τοῦ δυνάμει, οὗτος ἀεὶ καὶ νοῦς ἅμα καὶ νοητός, περὶ οὗ καὶ δὴ λέγομεν ἀρχὴν ἄλλην ποιησάμενοι.



Paraphrase zu De anima, III 4–6

291

7. Neue Problemstellung: Ist der potentielle Geist ein Gegenstand des Denkens? [97, 34] Doch inwiefern ist er zugleich Geist und denkbar? Und

wird er in derselben Hinsicht beides zugleich oder aber in der einen Hinsicht Geist, in der anderen denkbar? Oder ist bei den Formen, die ohne Materie sind, das Denkende und das Gedachte dasselbe, denn die theoretische Wissenschaft fällt zusammen mit dem auf diese Weise Wissbaren; ist dagegen bei den mit Materie verbundenen Formen das eine das Denkbare, das andere der Geist? Denn nicht [98] von Natur aus sind diese (ich meine die mit Materie verbundenen Formen) denkbare Gegenstände. Vielmehr macht der Geist diese denkbar, indem er sie von der Materie abstrahiert, und sie sind nur der Möglichkeit nach denkbar, nicht aber in Wirklichkeit. Der Grund hierfür ist nämlich, dass sie nur geeignet sind, gedanklich erkannt zu werden, nicht aber, dass ihre Natur als solche denkbar ist. Und somit können derartige Dinge logischerweise auch nur gedacht werden, nicht aber selbst denken.57 [98, 4] Dieser Geist aber, ich meine den möglichen, ist in derselben Weise, wie er der Möglichkeit nach Geist ist, auch der Möglichkeit nach denkbar. Deshalb denkt er nicht immer, sondern ermüdet, wenn er ununterbrochen denkt. Denn ihm liegt das In-Möglichkeit-Sein zugrunde, so dass er auch nicht immer denkbar ist, sondern nur sooft er die Gedanken versammelt. Wenn es aber auch einen Geist gibt, der völlig ohne das InMöglichkeit-Sein ist, dann ist dieser immer Geist und zugleich denkbar. Über ihn werden wir hiernach reden, nachdem wir einen neuen Anfang gemacht haben.58

292 Themistios · Text

Paraphrase zu Kapitel 5 ΘΕΜΙΣΤΙΟΥ ΠΕΡΙ ΨΥΧΗΣ ΛΟΓΟΣ ΕΚΤΟΣ

8. [98, 12] 430a10–14: Ἐπειδὴ τῶν ὑπὸ τῆς φύσεως γινομένων ἕκαστον

προλαμβάνουσαν ἔχει τὴν δύναμιν, ἑπομένην δὲ τὴν τελειότητα, καὶ οὐχ ἵσταται ἄχρι τῆς εὐφυίας καὶ τοῦ δυνάμει (μάτην γὰρ ἂν ἔχοι ταῦτα παρὰ τῆς φύσεως), δῆλον ὅτι καὶ ἡ ἀνθρωπίνη ψυχὴ οὐκ ἄχρι τοῦ τὸν δυνάμει νοῦν ἔχειν προελήλυθεν οὐδὲ ἄχρι τοῦ πεφυκέναι πρὸς τὸ νοεῖν ἐπιτηδείως, ἀλλὰ ἀκολουθεῖν ἀναγκαῖον τῇ εὐφυίᾳ τὸ τέλος, οὗ ἕνεκα οὕτως ὑπὸ τῆς φύσεως παρεσκευάσθη. δεῖ τοίνυν τὸν δυνάμει νοῦν τελειοῦσθαι, τελειοῦται δὲ οὐδὲν ὑφ’ αὑτοῦ, ἀλλ’ ὑφ’ ἑτέρου. ἀνάγκη ἄρα καὶ ἐν τῇ ψυχῇ ὑπάρχειν ταύτας τὰς διαφοράς, καὶ εἶναι τὸν μέν τινα δυνάμει νοῦν, τὸν δέ τινα ἐνεργείᾳ νοῦν τέλειόν τε καὶ μηκέτι δυνάμει καὶ τῷ πεφυκέναι, ἀλλὰ νοῦν ὄντα ἐνεργείᾳ, ὃς ἐκείνῳ συμπλακεὶς τῷ δυνάμει καὶ προαγαγὼν αὐτὸν εἰς ἐνέργειαν τὸν καθ’ ἕξιν νοῦν ἀπεργάζεται, ἐν ᾧ τὰ καθόλου νοήματα καὶ αἱ ἐπιστῆμαι.

[98, 24] 430a12 sq.: ὡς γὰρ τὴν οἰκίαν τὴν δυνάμει καὶ τὸν ἀνδρι-

άντα τὸν δυνάμει, τουτέστι τοὺς λίθους καὶ τὸν χαλκόν, οὐχ οἷόν τε ἀπολαβεῖν τὴν τῆς οἰκίας ἢ τὴν τοῦ ἀνδριάντος μορφήν, εἰ μὴ τέχνη ταῖς ὕλαις ταῖς ἐπιτηδείως πρὸς τοῦτο ἐχούσαις τὴν οἰκείαν ἐνδοῦσα δύναμιν καὶ τὸ τεχνικὸν εἶδος ἐνθεῖσα τὴν σύνθετον οἰκίαν ἀπεργάσαιτο καὶ τὸν ἀνδριάντα, οὕτω καὶ τὸν δυνάμει νοῦν ἀναγκαῖον ὑπ’ ἄλλου τινὸς νοῦ τελειοῦσθαι τελείου ὄντος ἤδη καὶ ἐνεργείᾳ οὐχὶ δυνάμει, ὃς ἀνάλογον ἔχων



Paraphrase zu De anima, III 4–6

293

Paraphrase zu Kapitel V Sechste Abhandlung des Themistios über die Seele 8. Die Ursache des potentiellen Geistes: der wirkliche Geist [98, 12] Weil 59 nun ein jegliches der Dinge, die von Natur aus

entstehen, zunächst das Vermögen innehat und später erst dessen Vervollkommnung60 erfährt und weil es nicht bei seiner Naturanlage und seinem Vermögen stehen bleibt (vergeblich hätte es diese Dinge dann doch wohl von der Natur bekommen), so ist klar, dass auch die menschliche Seele nicht nur bis dahin fortschreitet, den möglichen Geist innezuhaben und eine zum Denken befähigte Natur zu besitzen; vielmehr muss der guten Naturanlage auch jene Vervollkommnung folgen, um derentwillen sie von der Natur so ausgestattet wurde. Demnach muss der mögliche Geist vervollkommnet werden. Nun wird aber nichts aus sich selbst vervollkommnet, sondern von einem anderen. Folglich müssen notwendig auch in der Seele diese Unterschiede bestehen; und es muss einerseits einen möglichen Geist geben, andererseits einen in Wirklichkeit befindlichen,61 der vollendet ist und nicht mehr bloß möglich und von Natur aus entstanden; dieser muss vielmehr ein wirklich existierender Geist sein, der mit dem möglichen Geist verbunden ist und, indem er diesen in die wirkliche Tätigkeit geführt hat, den habituellen Geist hervorbringt, in welchem die allgemeinen Gedanken und wissenschaftlichen Erkenntnisse existieren.62 [98, 24] Ein potentielles Haus und ein potentielles Standbild, d. h. die Steine und das Erz, können die Gestalt des Hauses oder des Standbildes nicht empfangen, wenn nicht Handwerkskunst, die den hierfür geeigneten Baumaterialien die eigene Fähigkeit mitgeteilt und die künstlerische Form hineingelegt hat, das zusammengesetzte Haus und das Standbild vollendet. In ähnlicher Weise muss auch der mögliche Geist von einem gewissen anderen Geist vollendet werden, der bereits der Wirklichkeit nach, nicht bloß der Möglichkeit nach, vollendet ist63 und der –

294 Themistios · Text

τῇ τέχνῃ κινεῖ τὸν δυνάμει νοῦν, καὶ τὴν εὐφυίαν τὴν πρὸς τὸ νοεῖν τῆς ψυχῆς τελειοῖ καὶ ἕξιν κατασκευάζει. [98, 32] 430a17 sq.: καὶ ἔστιν οὗτος ὁ νοῦς χωριστός τε καὶ ἀπαθὴς

καὶ ἀμιγής. ὃν δὲ λέγομεν δυνάμει νοῦν, εἰ καὶ τὰ μάλιστα αὐτῷ τὰ αὐτὰ ἐπιφημίζομεν, ἀλλὰ μᾶλλόν γε ἔστι τῇ ψυχῇ συμφυής, λέγω δὲ οὐ πάσῃ ψυχῇ ἀλλὰ μόνον τῇ ἀνθρωπίνῃ.

9. [98, 35] 430a15 sq.: καὶ ὥσπερ τὸ φῶς τῇ δυνάμει ὄψει καὶ τοῖς δυ-

νάμει χρώμασιν ἐπιγινόμενον τὴν μὲν ἐνεργείᾳ ὄψιν ἐποίησεν, [99] τὰ δὲ ἐνεργείᾳ χρώματα, οὕτω καὶ ὁ νοῦς οὗτος ὁ ἐνεργείᾳ προαγαγὼν τὸν δυνάμει νοῦν οὐ μόνον αὐτὸν ἐνεργείᾳ νοῦν ἐποίησεν, ἀλλὰ καὶ τὰ δυνάμει νοητὰ ἐνεργείᾳ νοητὰ αὐτῷ κατ­ εσκεύασεν, ταῦτα δὴ τὰ ἔνυλα εἴδη καὶ τὰ ἐκ τῶν καθ’ ἕκαστον αἰσθητῶν συλλεγόμενα κοινὰ νοήματα, ἃ τέως μὲν οὐχ οἷός τέ ἐστι διακρῖναι, οὐδὲ ἐξ ἑτέρων εἰς ἕτερα μετιέναι, οὐδὲ συντιθέναι καὶ διαιρεῖν· ἀλλ’ ὥσπερ θησαυρὸς νοημάτων ἢ μᾶλλόν γε ὥσπερ ὕλη τοὺς παρὰ τῆς αἰσθήσεως καὶ τῆς φαντασίας τύπους τίθησιν διὰ τῆς μνήμης. ἐπελθόντος δὲ αὐτῷ τοῦ ποιητικοῦ νοῦ καὶ τὴν ὕλην ταύτην τῶν νοημάτων καταλαβόντος γενόμενος εἷς μετ’ ἐκείνου καὶ μεταβαίνειν οἷός τε γίνεται καὶ συντιθέναι καὶ διαιρεῖν καὶ περισκοπεῖν ἄλλα ἐξ ἄλλων.



Paraphrase zu De anima, III 4–6

295

analog zur Rolle der Handwerkskunst – den möglichen Geist in Bewegung versetzt und die für das Denken eingerichtete Naturanlage der Seele vervollkommnet und den Habitus herstellt. Und dieser Geist ist abgetrennt, nicht dem Erleiden unterworfen und unvermischt.64 Der Geist dagegen, den wir als den möglichen Geist bezeichnen, ist, auch wenn wir ihm in den meisten Hinsichten dieselben Eigenschaften zusprechen, doch in höherem Grade mit der Seele verbunden, ich meine nicht mit jeder Seele, sondern nur mit der menschlichen.

9. Der wirkliche Geist wirkt wie das Licht [98, 35] Und wie das Licht, das zu der potentiellen Sehfähigkeit

und zu den potentiellen Farben hinzukommt, die tatsächliche Sehkraft und die tatsächlichen Farben hervorbringt,65 [99] so bewirkt auch dieser in Wirklichkeit befindliche Geist, der den möglichen Geist vorwärts bringt,66 nicht nur diesen wirklich existierenden Geist,67 sondern macht ihm auch die potentiellen denkbaren Gegenstände zu tatsächlich erfassten Gegenständen;68 diese aber sind die mit Materie verbundenen Formen und die aus den jeweils einzelnen Wahrnehmungsgegenständen gesammelten gemeinsamen Gedanken. Diese zu unterscheiden war er bis zu diesem Zeitpunkt nicht fähig, auch nicht, von den einen zu den anderen überzugehen, und auch nicht, sie zusammenzusetzen und einzuteilen. Stattdessen deponiert er, wie eine Schatzkammer an Gedanken oder vielmehr wie Gedankenmaterial, die aus der Wahrnehmung und aus der Vorstellungskraft stammenden Formen vermittels des Gedächtnisses. Wenn nun an ihn der wirkende Geist69 herantritt und dieses Material an Gedanken ergreift, wird der mögliche Geist eines mit jenem und wird fähig, überzugehen und zusammenzusetzen, zu zergliedern und die einen Gedanken im Zusammenhang mit anderen zu betrachten.

296 Themistios · Text

10. [99, 11] 430a12 sq., 14 sq., 18 sq.: ὅνπερ οὖν ἡ τέχνη πρὸς τὴν ὕλην λό-

γον ἔχει, τοῦτον καὶ ὁ νοῦς ὁ ποιητικὸς πρὸς τὸν δυνάμει, καὶ οὕτως ὁ μὲν πάντα γίνεται, ὁ δὲ πάντα ποιεῖ. διὸ καὶ ἐφ’ ἡμῖν νοεῖν ὅταν βουλώμεθα· οὐ γὰρ ἔξωθεν ‹τοῦ δυνάμει ὁ ποιητκὸς προσγίγνεται ὥσπερ ἔξωθεν› τῆς ὕλης ἡ τέχνη, ὥσπερ χαλκευτικὴ τοῦ χαλκοῦ καὶ τεκτονικὴ τοῦ ξύλου, ἀλλ’ ἐνδύεται ὅλῳ τῷ δυνάμει νῷ ὁ ποιητικός, ὥσπερ ἂν εἰ ὁ τέκτων τοῖς ξύλοις καὶ ὁ χαλκοτύπος τῷ χαλκῷ μὴ ἔξωθεν ἐπεστάτει, δι’ ὅλου δὲ αὐτοῦ φοιτᾶν οἷός τε ἦν. οὕτω γὰρ καὶ ὁ κατ’ ἐνέργειαν νοῦς τῷ δυνάμει νῷ προσγενόμενος εἷς τε γίνεται μετ’ αὐτοῦ· ἓν γὰρ τὸ ἐξ ὕλης καὶ εἴδους· καὶ αὖ ἔχει τοὺς δύο λόγους τόν τε τῆς ὕλης καὶ τὸν τῆς δημιουργίας πῇ μὲν ἅπαντα γινόμενος, πῇ δὲ ἅπαντα ποιῶν· γίνεται γάρ πως αὐτὰ τὰ πράγματα ἐνεργῶν κατὰ τὴν νόησιν, καὶ φαίνεται αὐτοῦ τὸ μέν τι ὡς ὕλη, ὅπου τὸ πλῆθος τῶν νοημάτων, τὸ δὲ ὡς τεχνίτης· ἐπ’ αὐτῷ γὰρ ὅτε βούλεται νοήματα περιλαβεῖν καὶ μορφῶσαι· ποιητικὸς γὰρ αὐτὸς καὶ ἀρχηγὸς τῶν νοημάτων. διὸ καὶ θεῷ μάλιστα ἔοικε· καὶ γὰρ ὁ θεὸς πὼς μὲν αὐτὰ τὰ ὄντα ἐστί, πὼς δὲ ὁ τούτων χορηγός. τιμιώτερος δὲ ὁ νοῦς καθὸ δημιουργεῖ μᾶλλον ἢ καθὸ πάσχει·πανταχοῦ γὰρ ἡ ποιητικὴ ἀρχὴ τῆς ὕλης τιμιωτέρα,



Paraphrase zu De anima, III 4–6

297

10. Vergleich mit einem Künstler [99, 11] Dasselbe Verhältnis, das eine Kunst zu ihrem Mate-

rial hat, hat auch der wirkende Geist zum möglichen Geist,70 und auf diese Weise wird der eine alles, der andere wirkt alles. Deshalb steht es auch in unserer Macht, zu denken, sooft wir wollen. Denn nicht ‹von außerhalb des möglichen Geistes kommt der wirkende wie›71 von außerhalb der Materie die Kunst kommt – wie die Schmiedekunst bei dem Erz und die Baukunst bei dem Holz. Vielmehr dringt der wirkende Geist in den ganzen möglichen Geist ein, so als stünde der Baumeister den Hölzern und der Schmied dem Erz nicht von außen her gegenüber, sondern verbreitete sich ganz durch es hindurch.72 Auf diese Weise wird auch der wirklich tätige Geist, wenn er zu dem möglichen Geist hinzukommt, eines mit ihm; ein einziges Ding ist nämlich, was aus Materie und Form zusammengesetzt ist.73 Und in dieser Vereinigung schließt er beide Verhältnisse ein, das des Materials und das der handwerklichen Kunst, indem er in der einen Hinsicht alles wird, in der anderen alles bewirkt. Er wird nämlich in gewisser Weise zu den Gegenständen selbst, indem er nach Maßgabe des Denkens wirkt, und ein Aspekt von ihm erscheint als Material, wo die Menge der Gedanken ist, der andere als Handwerker, da es in seiner Gewalt liegt, zu denken und zu bilden, wann immer er will; denn er selbst ist wirkend und Urheber seiner Gedanken. Deshalb gleicht er auch am meisten Gott; denn auch der Gott ist in gewisser Hinsicht das Seiende selbst, in gewisser Hinsicht aber dessen Anführer.74 Von höherem Rang ist der Geist aber, insofern er schaffend ist, als insofern er leidend ist; überall nämlich ist das wirkende Prinzip von höherem Rang als das bloße Material.75

298 Themistios · Text

11. [99, 26] 430a19 sq.: καὶ γίνεται μέν, ὥσπερ ἔφην πολλάκις, ὁ αὐτὸς

νοῦς καὶ νοητός, ὥσπερ ἡ ἐπιστήμη ἡ κατ’ ἐνέργειαν αὐτό ἐστι τὸ ἐπιστητόν, οὐ μὴν κατὰ ταὐτόν, ἀλλ’ ᾗ μὲν συνείληφε τὸν δυνάμει νοῦν, νοητός· ᾗ δέ ἐστιν αὐτὸς κατ’ ἐνέργειαν, νοῦς. ἐν μὲν οὖν ἀνθρώπῳ πρότερος ὁ δυνάμει νοῦς τοῦ ἐνεργείᾳ, προτέρα γὰρ τῷ χρόνῳ πᾶσα εὐφυία τῆς ἐνεργείας· ἁπλῶς δὲ οὐ πρότερος, οὐδέποτε γὰρ πρότερον τὸ ἀτελὲς τοῦ τελείου, οὐδὲ δύναμις ἐνεργείας.

[99, 32] 430a17–23: ἡ δὲ οὐσία τοῦ ποιητικοῦ νοῦ ταὐτόν ἐστι τῇ

ἐνεργείᾳ, καὶ οὐκ ἐκ δυνάμεως πρόεισιν, ἀλλ’ ἡ αὐτοῦ φύσις ὁμογενὴς τῇ ἐνεργείᾳ, καὶ οὕτως ὁ νοῦς, ὅπερ ἤδη καὶ πρότερον εἴρηται, χωριστὸς καὶ ἀπαθὴς καὶ ἀμιγὴς ὄντως, οὐχ ὁτὲ μὲν νοῶν ὁτὲ δὲ οὐ νοῶν. τοῦτο μὲν γὰρ ὑπομένει, ὅταν ὑποβάληται τὸν δυνάμει, ὅταν δὲ αὐτὸς καθ’ ἑαυτὸν ᾖ, τοῦτ’ ἔστι μόνον ὅπερ ἐστίν. [99, 37] 430a17–23: ἔστι δὲ ἐνέργεια ἄπαυστος καὶ ἀκάματος καὶ ἀθάνατος καὶ ἀίδιος, νοῦς τε καὶ [100] νοητὸς ὁ αὐτὸς ἀκρι-

βῶς, οὐκέτι κατ’ ἄλλο καὶ ἄλλο, οὐδὲ δι’ ἄλλο ὥσπερ τὰ λοιπὰ ­νοητά, ὅσα ἂν ὁ νοῦς ὁ καθ’ ἕξιν νοητὰ ποιῇ χωρίζων τῆς ὕλης, ἀλλὰ δι’ αὑτὸν νοητὸς καὶ τῇ φύσει τῇ παρ’ ἑαυτοῦ καὶ τὸ νοεῖσθαι καὶ τὸ νοεῖν ἔχων.

[100, 4] ἐν μὲν οὖν τῷ δυνάμει νῷ διῃρημένα τὰ νοήματα, ἐν ᾧ καὶ

αἱ τέχναι καὶ αἱ ἐπιστῆμαι, ἐν δὲ τῷ κατ’ ἐνέργειαν, μᾶλλον δὲ ἐν τῇ ἐνεργείᾳ, εἴπερ ταὐτὸν ἐπ’ αὐτοῦ ἡ οὐσία τῇ ἐνεργείᾳ, ἄλ-



Paraphrase zu De anima, III 4–6

299

11. Der wirkliche Geist: Identität von Wesen und Wirklichkeit [99, 26] Und wie ich schon mehrfach betonte,76 ist derselbe [zu-

gleich] Geist und denkbar (wie ja auch die wirklich ausgeübte Wissenschaft identisch ist mit dem wissenschaftlich erfassten Gegenstand),77 nicht jedoch in derselben Hinsicht; vielmehr ist er, insofern er den möglichen Geist gedacht hat, denkbar, insofern er dagegen selbst im Modus der Wirklichkeit ist, ist er Geist.78 Im Menschen nun ist der mögliche Geist früher als der wirkliche,79 denn früher der Zeit nach ist jede Naturanlage als ihre Verwirklichung; nicht aber schlechterdings früher, denn niemals ist das Unvollendete früher als das Vollkommene und auch nicht die Möglichkeit früher als ihre Verwirklichung.80 [99, 32] Aber das Wesen des wirkenden Geistes ist dasselbe wie seine Wirklichkeit; und er geht nicht aus der Möglichkeit hervor, sondern seine Natur ist von derselben Art wie seine Wirklichkeit. Und auf diese Weise ist der Geist,81 was auch schon früher gesagt wurde, abgetrennt, nicht dem Erleiden unterworfen und wahrhaft unvermischt.82 Er denkt nicht das eine Mal, das andere Mal nicht.83 Diese Denktätigkeit bleibt nämlich bestehen, sooft er sich den möglichen Geist aneignet. Sooft er dagegen für sich selbst ist, ist er nur das, was er eben ist.84 [99, 37] Er ist aber unaufhörliche und unermüdliche und unsterbliche und ewige85 Tätigkeit; derselbe ist Geist und [100] denkbar in genauer Bedeutung des Wortes, nicht mehr bloß in der einen oder anderen Hinsicht, auch nicht durch etwas anderes, wie die übrigen Denkobjekte, wie sie der habituelle Geist als geistige Gegenstände hervorbringt, indem er sie von der Materie trennt; vielmehr ist er durch sich selbst denkbar und durch die Natur, die von ihm selbst stammt und sowohl das Gedachtwerden als auch das Denken beinhaltet. [100, 4] Im möglichen Geist, in dem sich auch die Künste und Wissenschaften befinden, sind die eingeteilten Gedanken enthalten, im wirklichen Geist dagegen (oder vielmehr in der wirklichen Tätigkeit, sofern denn bei ihm sein Wesen dasselbe ist wie seine Tätigkeit) sind sie vermutlich auf eine andere Weise

300 Themistios · Text

λον τρόπον ἂν εἴη δυσφραστότερον καὶ θειότερον οὐ μεταβάλλοντος ἐκ τοῦδε εἰς τόδε, οὐδὲ συντιθέντος, οὐδὲ διαιροῦντος, οὐδὲ διεξόδῳ προσχρωμένου πρὸς τὰς νοήσεις, ἀλλὰ πάντα ἔχοντος ἀθρόως τὰ εἴδη καὶ ἅπαντα ἅμα προβεβλημένου. οὕτω γὰρ μόνως ἂν εἴη, καθά φησιν Ἀριστοτέλης, ταὐτὸν ἥ τε οὐσία αὐτοῦ καὶ ἡ ἐνέργεια· εἰ γὰρ μεταβαίνοι καθάπερ οἱ ἐπιστήμονες, ἀνάγκη ὑπομένειν μὲν τὴν οὐσίαν, ἐξαλλάττεσθαι δὲ τὴν ἐνέργειαν, τοῦτο δ’ ἐστὶ διαφέρειν ἐπ’ αὐτοῦ τὴν οὐσίαν τῆς ἐνεργείας, ὃ διαρρήδην Ἀριστοτέλης οὐ συγχωρεῖ. ταύτῃ τοι καὶ ἐν τοῖς πρώτοις φησίν· τὸ δὲ διανοεῖσθαι καὶ φιλεῖν καὶ μισεῖν οὐκ ἔστιν ἐκείνου πάθη.

12. [100, 16] Ἡμεῖς οὖν ἢ ὁ δυνάμει νοῦς ἢ ὁ ἐνεργείᾳ. εἴπερ οὖν ἄλλο

ἐπὶ τῶν συγκειμένων ἁπάντων ἔκ τε τοῦ δυνάμει καὶ τοῦ ἐνεργείᾳ τὸ τόδε καὶ τὸ τῷδε ‹εἶναι›, ἄλλο ἂν εἴη καὶ τὸ ἐγὼ καὶ τὸ ἐμοὶ εἶναι, καὶ ἐγὼ μὲν ὁ συγκείμενος νοῦς ἐκ τοῦ δυνάμει καὶ τοῦ ἐνεργείᾳ, τὸ δὲ ἐμοὶ εἶναι ἐκ τοῦ ἐνεργείᾳ ἐστίν, ὥστε καὶ ἃ διανοοῦμαι καὶ ἃ συγγράφω, ταῦτα γράφει μὲν ὁ σύνθετος νοῦς ἐκ τοῦ δυνάμει καὶ τοῦ ἐνεργείᾳ, γράφει δὲ οὐχ ᾗ δυνάμει, ἀλλ’ ᾗ ἐνεργείᾳ· τὸ γὰρ ἐνεργεῖν ἐκεῖθεν αὐτῷ ἐποχετεύεται. εἰ δὲ οὐχ οἷός τε δέξασθαι ἀμερῶς, ἃ ἐκεῖνος δίδωσιν ἀμερῶς, οὐδὲν θαυμαστόν· οὐδὲ γὰρ ἐπὶ τῶν σωμάτων τὰς ποιότητας αἱ ὗλαι δέχονται ἀμερῶς, καίτοι κατὰ τὸν ἴδιον λόγον ἀμερεῖς οὔσας, ἀλλὰ τὴν λευκότητα ἀμέριστον οὖσαν δέχεται μεμερισ-



Paraphrase zu De anima, III 4–6

301

gegeben, auf eine schwieriger auszusprechende und göttlichere. Bei dieser verwandelt sich der Geist nicht von diesem zu jenem; er setzt hier weder zusammen noch unterscheidet er, auch bedarf er für die Denkakte keiner Analyse, sondern besitzt alle Formen auf einmal und bringt alle gleichzeitig hervor. Allein auf diese Weise dürften wohl, wie Aristoteles sagt, sein Wesen und seine Wirklichkeit dasselbe sein.86 Wenn er nämlich übergehen sollte,87 wie diejenigen, die Wissen innehaben, dann muss notwendig das Wesen bestehen bleiben, die Wirklichkeit sich aber ändern; dies bedeutet aber, dass sich bei ihm das Wesen von der Wirklichkeit unterscheidet, was Aristoteles ausdrücklich nicht zulässt. In diesem Sinne äußert er sich auch in den ersten Teilen seiner Schrift: »Das Nachdenken und Lieben und Hassen sind nicht seine [des Geistes] Affekte.«88

12. Mit welcher Art von Geist sind Ich und Ich-Sein identisch? [100, 16] Wir89 sind nun entweder der mögliche oder der wirkli-

che Geist. Wenn nun bei all dem, was aus dem Sein der Möglichkeit nach und dem der Wirklichkeit nach zusammengesetzt ist, das individuell bestimmte Sein und das Sein gemäß der Gattung unterschieden ist, dann müssen auch das individuelle Ich90 und das Ich-Sein unterschieden sein; und ich bin der aus dem möglichen und aus dem wirklichen zusammengesetzte Geist, das Ich-Sein stammt dagegen aus dem wirklichen Geist, so dass der aus dem möglichen Geist und aus dem wirklichen Geist zusammengesetzte Geist zwar das schreibt, was ich hier denke und schreibe; er schreibt aber nicht, insofern er im Modus der Möglichkeit, sondern insofern er im Modus der Wirklichkeit ist; denn die Wirklichkeit erwächst ihm von dorther.91 Wenn er aber nicht fähig ist, auf ungeteilte Weise aufzunehmen, was jener ungeteilt gibt, ist dies nicht verwunderlich. Denn auch bei den Körpern empfangen die Stoffe die Eigenschaften nicht auf ungeteilte Weise, obwohl diese dem eigenen Begriff nach ungeteilt sind; vielmehr empfängt die Materie die Qualität weißer

302 Themistios · Text

μένως ἡ ὕλη. ὥσπερ οὖν ἄλλο τὸ ζῶον καὶ ἄλλο τὸ ζώῳ εἶναι, καὶ τὸ ζώῳ εἶναι παρὰ τῆς ψυχῆς ἐστὶ τοῦ ζώου, οὕτω καὶ ἄλλο μὲν τὸ ἐγώ, ἄλλο δὲ τὸ ἐμοὶ εἶναι. τὸ οὖν ἐμοὶ εἶναι παρὰ τῆς ψυχῆς, καὶ ταύτης γε οὐ πάσης· οὐ γὰρ τῆς αἰσθητικῆς, ὕλη γὰρ ἦν τῆς φαντασίας· οὐδὲ αὖ τῆς φανταστικῆς, ὕλη γὰρ ἦν τοῦ δυνάμει νοῦ· οὐδὲ τοῦ δυνάμει νοῦ, ὕλη γὰρ ἦν τοῦ ποιητικοῦ. παρὰ μόνου τοίνυν τοῦ ποιητικοῦ τὸ ἐμοὶ εἶναι· μόνος γὰρ οὗτος εἶδος ἦν ἀκριβῶς, μᾶλλον δὲ οὗτος εἶδος εἰδῶν, τὰ δὲ ἄλλα καὶ ὑποκείμενα ἅμα καὶ εἴδη, καὶ προῄει δὴ [αὐτῶν] ἡ φύσις εἴδεσι μὲν πρὸς τὰ ἀτιμότερα αὐτοῖς χρωμένη, ὕλαις δὲ πρὸς τὰ ἐντιμότερα. ἔσχατον δὲ καὶ ἀκρότατον τῶν εἰδῶν ὁ ποιητικὸς οὗτος νοῦς, καὶ ἄχρι τούτου προελθοῦσα ἡ φύσις ἀπεπαύσατο ὡς μηδὲν ἔχουσα ἕτερον τιμιώτερον, ὅτῳ ἂν αὐτὸν ἐποίησεν ὑποκείμενον. ἡμεῖς οὖν [101] ὁ ποιητικὸς νοῦς, καὶ εἰκότως Ἀριστοτέλης ἀπορεῖ πρὸς ἑαυτόν, πῶς οὖν μετὰ τὸν θάνατον οὐ μνημονεύομεν ὧν ἂν ἐνταῦθα νοήσωμεν; καὶ ἡ λύσις ἀκόλουθος καὶ τοῖς ἀρτίως περὶ τοῦ νοῦ καὶ τοῖς πρότερον εἰρημένοις, ὅτι ὁ μὲν ποιητικὸς ἀπαθής, ὁ δὲ παθητικὸς νοῦς φθαρτός.

13. [101, 5] Τίνα μὲν οὖν λέγει τὸν παθητικὸν νοῦν καὶ φθαρτόν, προϊ-

όντες ἐπισκεψόμεθα καὶ ὅτι μὴ τὸν δυνάμει τοῦτον παραλαμβάνει, ἀλλ’ ἕτερόν τινα νοῦν, ὃν κοινὸν ὠνόμασεν ἐν τοῖς πρώτοις,



Paraphrase zu De anima, III 4–6

303

Farbe, die ungeteilt ist, auf geteilte Weise. Wie nun ein Lebewesen etwas anderes ist als das Lebewesen-Sein und wie das Lebewesen-Sein von der Seele des Lebewesens stammt, so ist auch das Ich etwas anderes als das Ich-Sein. Das Ich-Sein nun stammt von der Seele,92 und zwar nicht von dieser als ganzer; es stammt nämlich nicht von der wahrnehmenden Seele, denn sie ist ja die Materie der Vorstellungskraft, auch nicht von der vorstellenden, denn sie ist ja die Materie des möglichen Geistes; aber auch nicht vom möglichen Geist, denn er ist die Materie des wirkenden Geistes.93 Demnach stammt das Ich-Sein allein vom wirkenden Geist, denn nur dieser ist Form in der genauen Bedeutung des Wortes, mehr noch: Er ist eine Form von Formen.94 Die anderen sind sowohl Substrate als auch Formen zugleich; und die Natur schreitet voran, indem sie sich für niederrangige Dinge ihrer als Formen bedient, für höherrangige dagegen als Materien.95 Die äußerste und höchste unter den Formen aber ist dieser wirkende Geist, und nachdem die Natur bis zu ihm fortgeschritten war, hörte sie auf, da sie nichts anderes Ranghöheres besaß, welchem sie ihn zum Substrat hätte machen können. Wir sind also [101] der bewirkende Geist, und mit Recht stellt sich Aristoteles das Problem, warum wir uns nach dem Tode nicht der Dinge erinnern, die uns hier gedanklich bewegt haben.96 Und die Lösung folgt sowohl aus dem soeben über den Geist als auch aus dem früher Gesagten, dass nämlich zwar der wirkende Geist nicht dem Erleiden unterworfen, der leidende Geist aber vergänglich ist.97

13. Welche Art von Geist bezeichnet Aristoteles als ­leidensfähig und vergänglich? [101, 5] Wen er nun als den leidensfähigen und vergänglichen

Geist bezeichnet, werden wir im weiteren Fortgang untersuchen 98 und wir werden sehen, dass er mit diesem nicht den möglichen Geist meint, sondern einen anderen Geist, den er in den ersten Teilen seiner Schrift den gemeinsamen genannt

304 Themistios · Text

μεθ’ οὗ τὰ ἐνταῦθα νοεῖ, καὶ σὺν ᾧ περὶ τῶν ἐνταῦθα διανοεῖται, οὗ καὶ τὸ φιλεῖν φησὶ καὶ τὸ μισεῖν καὶ τὸ μεμνῆσθαι. νῦν δὲ τοῦτο ἡμῖν βεβαιότερον, ὅτι ἡμᾶς οἴεται τὸν ποιητικὸν εἶναι νοῦν, ὁπόταν καὶ ἀπορῇ καὶ ἐπιλύηται λέγων· οὐ μνημονεύομεν δὲ ὅτι τοῦτο μὲν ἀπαθές, ὁ δὲ παθητικὸς νοῦς φθαρτός. τοῦτο γὰρ ἀκόλουθον τὸ ἀπόρημα καὶ πρὸς ἅπαντας κοινὸν τοὺς ἀθάνατον τὸν νοῦν τιθεμένους, τί δήποτε οὐ μνημονεύομεν τῶν ἐν τῷ βίῳ μετὰ τὸν θάνατον οὐδὲ ἔχθρας ἀμειβόμεθα οὐδὲ φιλίας οὐδὲ φαινόμεθα τοῖς οἰκείοις ὧν μάλιστα ἑαλώκαμεν.

[101, 15] διὸ καὶ ἐν τοῖς πρώτοις αὐτὸ διορθώσεως καὶ νῦν ἀξιοῖ,

καὶ τὰς αὐτὰς αἰτίας ἀπολογίζεται τοῦ τὸν νοῦν ἡμῶν μὴ μεμνῆσθαι ἐν οἷς τε ἀρχόμενος εἶπε περὶ αὐτοῦ καὶ οἷς νῦν ἐπέξεισιν ἐμφανέστερον. σχεδὸν γὰρ ἄντικρυς καὶ τοῖς ῥήμασιν αὐτοῖς χρῆται ἐκεῖ μὲν εἰπών· τὸ δὲ διανοεῖσθαι καὶ φιλεῖν ἢ μισεῖν οὐκ ἔστιν ἐκείνου πάθημα ἀλλὰ τουδὶ τοῦ ἔχοντος ἐκεῖνο ᾗ ἐκεῖνο ἔχει. διὸ καὶ τούτου φθειρομένου οὔτε μνημονεύει οὔτε φιλεῖ· οὐ γὰρ ἐκείνου ἦν, ἀλλὰ τοῦ κοινοῦ ὃ ἀπόλωλεν, ὁ δὲ νοῦς ἴσως θειότερόν τι καὶ ἀπαθές ἐστιν. ἐνταῦθα δέ· ὅλως δὲ οὐδὲ ἐν χρόνῳ, ἀλλ’ οὐχ ὁτὲ μὲν νοεῖ ὁτὲ δὲ οὐ νοεῖ. χωρισθεὶς δέ ἐστι μόνον τοῦθ’ ὅπερ ἐστί, καὶ τοῦτο μόνον ἀθάνατον καὶ ἀίδιον, οὐ μνημονεύομεν δὲ ὅτι τοῦτο μὲν ἀπαθὲς ὁ δὲ παθητικὸς νοῦς φθαρτός, καὶ ἄνευ τούτου οὐδὲν νοεῖ.

[101, 27] τὸ μὲν γὰρ οὐδ’ ἐν χρόνῳ νοεῖ καὶ οὐχ ὁτὲ μὲν νοεῖ ὁτὲ

δὲ οὐ νοεῖ, ταὐτὸν ἄντικρυς τῷ ‘οὐ διανοεῖται, ἀλλ’ ἑτέρου τὸ



Paraphrase zu De anima, III 4–6

305

hat,99 mit dem zusammen er das Irdische denkt, mit dem er über die irdischen Dinge nachdenkt und dessen Angelegenheit auch, wie Aristoteles sagt, das Lieben, Hassen und Erinnern ist. Und so haben wir denn größere Sicherheit darüber erlangt,100 dass Aristoteles glaubt, wir seien der wirkende Geist, wenn er das Problem formuliert und löst mit den Worten: »Wir haben keine Erinnerung, weil zwar dieser wirkende Geist frei von Erleiden ist, der leidensfähige Geist aber vergänglich.«101 Die folgende Schwierigkeit ergibt sich nämlich für alle gemeinsam, die den Geist als unsterblich ansetzen: Wie kommt es dann, dass wir uns nach dem Tod nicht an die Ereignisse im Leben erinnern, dass wir weder Feindschaften noch Freundschaften erwidern und dass wir auch nicht den Verwandten erscheinen, an denen wir am meisten hängen?102 [101, 15] Deshalb hält Aristoteles sowohl in den ersten Teilen der Schrift als auch hier bei diesem Problem eine Richtigstellung für angemessen und führt sowohl dort, wo er zu Beginn davon sprach, als auch hier, wo er die Frage klarer durchgeht, dieselben Gründe zur Erklärung dafür an, dass unser Geist sich unserer nicht erinnert. Denn er bedient sich hier fast genau derselben Worte.103 Dort heißt es:104 »Das diskursive Denken und Lieben oder Hassen ist keine Affektion jenes wirkenden Geistes, sondern dieses menschlichen Wesens hier, das jenes besitzt, sofern es jenes besitzt. Wenn dieses zugrunde geht, hat er weder Erinnerung noch liebt er; denn es war nicht die Angelegenheit jenes wirkenden Geistes, sondern des gemeinsamen, welcher zugrunde ging; der Geist aber ist wohl etwas Göttlicheres und nicht leidensfähig.« Hier aber heißt es:105 »Im Ganzen aber auch nicht in106 der Zeit,107 aber auch nicht, dass er manchmal denkt und manchmal nicht. Aber abgetrennt ist er nur das, was er eben ist, und nur dieses ist unsterblich und ewig. Wir erinnern uns aber deshalb nicht, weil dieser [der wirkende Geist] zwar leidensfrei ist, der leidende Geist hingegen vergänglich ist und weil er [der wirkende Geist] ohne diesen nichts denkt.« [101, 27] Denn die folgenden drei Satzpaare bedeuten nahezu dasselbe: [1.] »Er [der wirkende Geist] denkt auch nicht in der

306 Themistios · Text

διανοεῖσθαι οὗ καὶ τὸ μὴ ἀεὶ νοεῖν ἀλλ’ ἐν χρόνῳ’· τὸ δὲ χωρισθεὶς δέ ἐστι μόνον τοῦθ’ ὅπερ ἐστὶ καὶ τοῦτο μόνον ἀθάνατον καὶ ἀίδιον, τῷ ὁ δὲ νοῦς ἴσως θειότερόν τι καὶ ἀπαθές ἐστι· τὸ δὲ, οὐ μνημονεύομεν δὲ ὅτι τοῦτο μὲν ἀπαθὲς ὁ δὲ παθητικὸς νοῦς φθαρτὸς καὶ ἄνευ τούτου οὐδὲν νοεῖ, τῷ διὸ καὶ τούτου φθειρομένου οὔτε μνημονεύει οὔτε φιλεῖ· οὐ γὰρ ἐκείνου ἦν ἀλλὰ τοῦ κοινοῦ ὃ ἀπόλωλεν. ὥστε παρηνέχθησαν ἅπαντες τῶν δοκούντων ἐγκαλεῖν τῷ φιλοσόφῳ, ὅσοι καὶ ἀπορεῖν αὐτὸν κακῶς διαλύειν ᾠήθησαν.

14. [102, 1] Διὰ τί ποτε οὖν οὐ μεμνήμεθα ὧν ὁ ποιητικὸς νοῦς ἐνεργεῖ

καθ’ ἑαυτὸν καὶ πρὶν εἰς τὴν σύστασιν συντελέσαι τὴν ἡμετέραν; φθειρομένου γάρ φησι τοῦ κοινοῦ οὐχ οἷός τέ ἐστιν ὁ ποιητικὸς οὔτε διανοεῖσθαι οὔτε μνημονεύειν· οὐ γὰρ ἐκείνου ἦν τὸ διανοεῖσθαι, ἀλλὰ τοῦ κοινοῦ ὃ ἀπόλωλεν, ὥστε καὶ ὅταν λέγῃ πάλιν οὐ μνημονεύομεν δὲ ὅτι τοῦτο μὲν ἀπαθὲς ὁ δὲ παθητικὸς νοῦς φθαρτός, ἡμᾶς μὲν ποιεῖ τὸν ποιητικὸν νοῦν, φθείρεσθαι δέ φησι τὸν κοινόν, καὶ διὰ τοῦτο μὴ δύνασθαι μνημονεύειν ἡμᾶς ἀθανάτους ὄντας, ὧν σὺν τῷ θνητῷ νῷ ἐνηργήσαμεν.



Paraphrase zu De anima, III 4–6

307

Zeit und denkt nicht das eine Mal, das andere Mal aber nicht« geradezu108 dasselbe wie »Er denkt nicht diskursiv; vielmehr ist das diskursive Denken die Angelegenheit eines anderen Geistes, dessen Sache es auch ist, nicht immer, sondern in der Zeit zu denken.« [2.] Der Satz »Aber abgetrennt nur ist er das, was er ist, und nur dieses ist unsterblich und ewig« ist gleichbedeutend mit »Der Geist aber ist wohl etwas Göttlicheres und nicht leidensfähig«.109 [3.] Der Satz aber »Wir erinnern uns aber deshalb nicht, weil dieser [der wirkende Geist] zwar leidensfrei ist, der leidende Geist hingegen vergänglich ist und weil er [der wirkende Geist] ohne diesen nichts denkt«110 bedeutet dasselbe wie »Wenn dieses zugrunde geht, hat er [der wirkende Geist] weder Erinnerung noch liebt er; denn dies war nicht die Angelegenheit jenes [wirkenden Geistes], sondern des gemeinsamen, welcher zugrunde ging«.111 Demnach wurden alle diejenigen vom rechten Weg abgebracht, die dem Philosophen einen Vorwurf machen zu können meinten, insofern sie glaubten, dass er auf eine schlechte Weise das Problem formuliere und löse.112

14. Das Problem der Erinnerung [102, 1] Warum also erinnern wir uns nicht an die Dinge, die der

wirkende Geist für sich selbst bewirkt, und zwar bevor er zu unserer Zusammensetzung mit dem möglichen Geist beiträgt?113 Behauptet Aristoteles doch, dass, wenn der gemeinsame Geist zugrunde geht, der wirkende Geist weder zu denken noch zu erinnern fähig ist: »Denn das diskursive Denken war nicht die Aufgabe jenes wirkenden Geistes, sondern des gemeinsamen, der zugrunde ging«.114 Wenn er also wiederholt »Wir erinnern uns aber deshalb nicht, weil dieser [der wirkende Geist] zwar leidensfrei, der leidende Geist hingegen vergänglich ist,« 115 so macht er uns damit zum wirkenden Geist. Umgekehrt behauptet er, dass der gemeinsame Geist untergehe und dass wir uns deswegen nicht an das erinnern könnten, was wir mit dem sterblichen Geist gewirkt haben, obwohl wir unsterblich

308 Themistios · Text

παραβάλλειν οὖν χρὴ τὰς ῥήσεις ἀμφοτέρας καὶ συμφώνους γε εὑρήσομεν ἀλλήλαις καὶ τὸ δοκοῦν ἀκριβῶς διδασκούσας τῷ φιλοσόφῳ, ἐπεὶ κἀκεῖνο τοῖς ἐνταῦθα σύμφωνον ἀκριβῶς· [102, 11] περὶ δὲ τοῦ θεωρητικοῦ νοῦ οὐδέν πω φανερόν, ἀλλ’

ἔοικε τῆς ψυχῆς ἕτερον γένος εἶναι τοῦτο, καθάπερ τὸ ἀίδιον τοῦ φθαρτοῦ. ἀκόλουθον γὰρ περὶ ὧν ἐν τοῖς πρώτοις ἠπόρησεν καὶ μετρίως ἐπελύσατο, ἐνταῦθα αὐτὸν ἐπιλύεσθαι ἀκριβέστερον· ἠπόρησε δὲ ἐν τοῖς πρώτοις οὐ, διὰ τί ποτε ὁ φθαρτὸς καὶ παθητικὸς νοῦς οὗτος οὐ μνημονεύει τῶν ἐνεργειῶν ἃς ὁ ἀπαθὴς ἐνεργεῖ καὶ ἀίδιος· οὐδὲ γὰρ ἦν ἄξιον ἀπορίας, κομιδῇ γὰρ ἀνοήτου τὸ διαπορεῖν πῶς ὁ φθειρόμενος τῶν τοῦ ἀφθάρτου ἐνεργειῶν οὐ μνημονεύει· τοὐναντίον δὲ ἄξιον ἀπορίας, διὰ τί ὁ μὴ πάσχων μηδὲ φθειρόμενος οὐ μέμνηται τῶν σὺν τῷ φθειρομένῳ ἐνεργειῶν. ἐπιλύεται δὲ ἐκεῖ μὲν εἰπών· διὸ καὶ τούτου φθειρομένου οὔτε μνημονεύει οὔτε φιλεῖ· οὐ γὰρ ἐκείνου ἦν ἀλλὰ τοῦ κοινοῦ ὃ ἀπόλωλεν, ἐνταῦθα δέ· οὐ μνημονεύομεν δὲ ὅτι τοῦτο μὲν ἀπαθές, ὁ δὲ παθητικὸς νοῦς φθαρτός, καὶ ἄνευ τούτου οὐδὲν νοεῖ οὐδὲ μνημονεύει.

[102, 24] οὕτω δὲ καὶ Θεόφραστος, ἐν οἷς ἐξετάζει τὰ Ἀριστοτέ-

λους περὶ τοῦ ποιητικοῦ νοῦ, ἀπορεῖ· ‘εἰ μὲν γὰρ ὡς ἕξις’ φησὶν ‘ἡ δύναμις, ἐκείνῳ εἰ μὲν σύμφυτος, αἰεὶ καὶ εὐθὺς ἐχρῆν· εἰ δ’ ὕστερον, μετὰ τίνος καὶ πῶς ἡ γένεσις; ἔοικε δ’ οὖν ὡς ἀγένητος



Paraphrase zu De anima, III 4–6

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sind.116 Man muss also die beiden Aussagen vergleichen, und wir werden finden, dass sie miteinander übereinstimmen und die Lehre des Philosophen genau wiedergeben, weil auch jenes mit dem Folgenden genau übereinstimmt: [102, 11] »Bezüglich des theoretischen Geistes117 ist wohl gar nichts klar, vielmehr scheint er eine andere Art von Seele zu sein«, von ihr unterschieden »wie das Ewige vom Vergänglichen«.118 Denn es ist folgerichtig, dass Aristoteles hier bezüglich des Problems, das er in den ersten Teilen der Schrift gestellt und nur mäßig gelöst hatte, eine genauere Lösung findet. In den ersten Teilen seiner Schrift hat er nicht die Frage aufgeworfen, warum dieser vergängliche und leidensfähige Geist sich nicht an die Tätigkeiten erinnert, welche der leidensfreie und ewige Geist ausübt. Dies war nämlich gar keiner Problematisierung wert, denn es zeugt völlig von Unverstand zu untersuchen, wie es kommt, dass der zugrunde gehende Geist sich nicht an die Tätigkeiten des unvergänglichen Geistes erinnern kann. Im Gegenteil ist es jedoch eine Untersuchung wert, warum der keine Wirkungen und keinen Untergang erleidende Geist sich nicht an die gemeinsam mit dem zugrunde gehenden Geist ausgeübten Tätigkeiten erinnert. Hierfür gibt er dort folgende Lösung: »Deshalb hat er [der wirkende Geist], wenn dieser zugrunde geht, weder Erinnerung noch liebt er; denn dies war nicht die Angelegenheit jenes [wirkenden Geistes], sondern des gemeinsamen, welcher zugrunde ging.119 Hier dagegen lautet seine Lösung: »Wir erinnern uns aber deshalb nicht, weil dieser [der wirkende Geist] zwar leidensfrei ist, der leidende Geist hingegen vergänglich ist und weil er [der wirkende Geist] ohne diesen nichts denkt und sich an nichts erinnert.«120 [102, 24] So wirft denn auch Theophrast dort, wo er die Äußerungen des Aristoteles über den wirkenden Geist untersucht, folgendes Problem auf: »Wenn nämlich sein Vermögen wie ein Habitus ist«,121 sagt er, dann müsste dieses, sofern es jenem wirkenden Geist122 mit angeboren ist, immer und sofort existie­ ren. Wenn dies Vermögen aber später hinzukommt,123 mit wem zusammen und auf welche Weise erfolgt die Entstehung?

310 Themistios · Text

εἴπερ ἄφθαρτος. ἐνυπάρχων δ’ οὖν διὰ τί οὐκ ἀεί; ἢ διὰ τί λήθη καὶ ἀπάτη; ἢ διὰ τὴν μῖξιν;

15. [102, 30] Ἐκ δὲ τῶν αὐτῶν ῥήσεων θαυμάσαι κἀκείνων ἄξιον, ὅσοι

τὸν ποιητικὸν τοῦτον νοῦν ἢ τὸν πρῶτον θεὸν ᾠήθησαν εἶναι κατὰ Ἀριστοτέλην, ἢ τὰς προτάσεις καὶ τὰς ἐξ αὐτῶν ἐπιστήμας αἳ ὕστερον ἡμῖν παραγίνονται. οἱ μὲν γὰρ τὰς προτάσεις ὑπολαμβάνοντες ἐκκεκώφηνται παντελῶς καὶ οὐδὲ ἐμβοῶντος ἀκούουσι τοῦ φιλοσόφου, ὅτι ὁ νοῦς οὗτος θεῖος καὶ ἀπαθὴς καὶ ταὐτὸν ἔχων τῇ οὐσίᾳ τὴν ἐνέργειαν καὶ οὗτος μόνος ἀθάνατος καὶ ἀίδιος καὶ χωριστός· οἱ δὲ τὸν πρῶτον θεὸν λέγεσθαι παρ’ αὐτοῦ τὸν ποιητικὸν νοῦν ὑπολαμβάνοντες, τί δήποτε ἐν αὐτῇ ταύτῃ τῇ ῥήσει [103] ταῦτα παρορῶσι·

[103, 1] προειπὼν γὰρ ἐν ἁπάσῃ τῇ φύσει τὸ μὲν ὕλην εἶναι, τὸ δὲ

ὃ τὴν ὕλην κινεῖ καὶ τελειοῖ, ἀνάγκη φησὶ καὶ ἐν ψυχῇ ὑπάρχειν ταύτας τὰς διαφοράς, καὶ εἶναί τινα τὸν μὲν τοιοῦτον νοῦν τῷ πάντα γίνεσθαι, τὸν δὲ τοιοῦτον τῷ πάντα ποιεῖν. ἐν τῇ ψυχῇ γὰρ εἶναί φησι τὸν τοιοῦτον νοῦν καὶ τῆς ψυχῆς τῆς ἀνθρωπίνης οἷόν τινα μοῖραν τὴν τιμιωτάτην. τοῦτο δὲ καὶ ἐξ ἐκείνης τῆς ῥήσεως δῆλον ἧς μικρῷ πρόσθεν ἐμνημονεύσαμεν, περὶ δὲ τοῦ θεωρητικοῦ νοῦ οὐδέν πω φανερόν, ἀλλ’ ἔοικε ψυχῆς γένος



Paraphrase zu De anima, III 4–6

311

Allerdings scheint er unentstanden zu sein, wenn er wirklich unvergänglich124 ist. Doch wenn er dem Körper innewohnt, warum ist er dann nicht fortwährend gedanklich tätig? Oder warum gibt es Vergessen und Täuschung? Etwa infolge der Mischung?«125

15. Der wirkende Geist ist weder mit dem ersten Gott noch mit den Voraussetzungen der Wissenschaften zu identifizieren [102, 30] Aufgrund derselben Zitate ist es auch angemessen, sich

über jene zu wundern, die glaubten, gemäß Aristoteles sei dieser wirkende Geist identisch entweder mit dem ersten Gott oder mit den Voraussetzungen und den aus diesen stammenden Wissensgehalten, die uns später zukommen. Diejenigen freilich, die annehmen, es handle sich um die Voraussetzungen,126 sind vollständig ertaubt und hören nicht einmal auf den Philosophen, wenn der mit lauter Stimme ruft, dass dieser Geist göttlich und ohne Erleiden von Einwirkungen127 sei, dass seine Tätigkeit identisch sei mit seinem Wesen128 und dass dieser allein unsterblich und ewig129 und abgetrennt130 sei. Diejenigen dagegen, die annehmen, dass der wirkende Geist von ihm als der erste Gott bezeichnet werde,131 [103] warum in aller Welt vernachlässigen sie das Folgende in genau diesem Zitat? [103, 1] Nachdem Aristoteles nämlich vorausgeschickt hat, dass in der ganzen Natur das eine das Material ist, das andere aber dasjenige, was das Material bewegt und zur Vollkommenheit bringt, behauptet er, dass notwendig auch in der Seele diese Unterschiede bestehen müssten und dass es somit einen Geist von der Art geben müsse, dass er alles wird, einen anderen aber von der Art, dass er alles macht.132 Aristoteles behauptet nämlich, dass dieser so beschaffene Geist sich in der Seele befinde und dass er von der menschlichen Seele sozusagen der ranghöchste Teil sei. Dies ergibt sich auch klar aus jenem Zitat, an das wir kurz zuvor erinnert haben: »Bezüglich des theoretischen Geistes ist noch nichts klar; vielmehr scheint er

312 Themistios · Text

ἕτερον εἶναι τοῦτο, καθάπερ τὸ ἀίδιον τοῦ φθαρτοῦ. ἐπεὶ καὶ ὅταν λέγῃ, τοῦτ’ ἐστὶ μόνον ἀθάνατον καὶ ἀίδιον, οὐκ ἂν λέγοι ἐπὶ τὸν πρῶτον θεὸν ἐπαναφέρων. οὐ γὰρ τοῦτον τίθεται μόνον ἀθάνατον καὶ ἀίδιον, ἀλλὰ καὶ σχεδὸν ἁπάσας τὰς κινητικὰς τῶν θείων σωμάτων δυνάμεις, ἃς καὶ ὑπ’ ἀριθμὸν ἄγειν ἐν τῇ συντάξει τῇ μετὰ τὰ Φυσικὰ προαιρεῖται· ἐπὶ μέντοι τῆς ψυχῆς τῆς ἀνθρωπίνης καὶ τῶν περὶ ταύτην δυνάμεων μόνην εἶναι αὐτὴν ἀθάνατον διοριζόμενος ὀρθῶς ἂν λέγοι καὶ τοῦτ’ ἔστι μόνον ἀθάνατον. ἐκ δὴ τῆς αὐτῆς ταύτης ῥήσεως καὶ τοῦτ’ ἔστι βεβαιώσασθαι, ὅτι ἢ ἡμῶν τι εἶναι οἴεται τὸν ποιητικὸν νοῦν ἢ ἡμᾶς· ἡμῶν μὲν γὰρ τοῦτο μόνον ἀθάνατον λέγων σύμφωνα ἂν ἑαυτῷ λέγοι, ἁπλῶς δὲ τοῦτο μόνον ἀθάνατον λέγων οὐκ ἂν ἑαυτῷ συμφωνοίη πολλὰ καὶ ἄλλα οἰομένῳ εἶναι ἀθάνατα.

16. [103, 20] Ἀλλὰ ταῦτα μὲν οὐχ οὕτω χαλεπὸν ἀπολύσασθαι,

ἐκεῖνο δὲ ἄξιον καὶ πάνυ πολλῆς ἐξετάσεως, ἆρα εἷς ὁ ποιητικὸς οὗτος νοῦς ἢ πολλοί; ἐκ μὲν γὰρ τοῦ φωτὸς ᾧ παραβέβληται, εἷς ἂν εἴη· ἓν γάρ που καὶ τὸ φῶς, μᾶλλον δὲ καὶ ὁ τοῦ φωτὸς χορηγός, ὑφ’ οὗ πᾶσαι αἱ τῶν ζώων ὄψεις προάγονται ἐκ δυνάμεως εἰς ἐνέργειαν. ὥσπερ οὖν οὐδὲν πρὸς ἑκάστην τῶν ὄψεων ἡ τοῦ κοινοῦ φωτὸς ἀφθαρσία, οὕτως οὐδὲν πρὸς ἕκαστον ἡμῶν ἡ τοῦ ποιητικοῦ νοῦ ἀιδιότης. εἰ δὲ πολλοὶ καὶ καθ’ ἕκαστον



Paraphrase zu De anima, III 4–6

313

eine andere Art von Seele zu sein«, und er ist von ihr unterschieden »wie das Ewige vom Vergänglichen«.133 Denn auch, wenn er sagt »dieses allein ist unsterblich und ewig«,134 sagt er dies wohl nicht, indem er es auf den ersten Gott bezieht. Er setzt nämlich nicht diesen allein als unsterblich und ewig an, sondern auch fast alle bewegenden Kräfte der göttlichen Körper, die er in der Zusammenstellung namens »Metaphysik« in numerischer Anordnung tätig sein lässt.135 Indem er im Falle der menschlichen Seele und ihrer diesbezüglichen Kräfte festsetzt, dass sie allein unsterblich sei, behauptet er wohl zu Recht »und dies allein ist unsterblich«.136 Aufgrund eben dieser Formulierung ist es auch möglich, dies sicher zu behaupten, dass er annimmt, der wirkende Geist sei etwas von uns bzw. wir selbst.137 Wenn Aristoteles also sagen will, dass, was uns betrifft, allein dieser Teil von uns unsterblich sei, dann wird er wohl mit seinen eigenen Ansichten übereinstimmen; falls er dagegen schlechterdings nur dies als unsterblich bezeichnen sollte, dann widerspricht er vermutlich sich selbst, da er auch viele andere Dinge für unsterblich hält.

16. Neue Fragestellung: Gibt es nur einen wirkenden Geist oder eine Vielheit wirkender Geister? [103, 20] Aber diese Probleme sind nicht so schwer aufzulösen,

jenes Problem aber ist einer auch durchaus ausführlichen Untersuchung wert, ob der wirkende Geist einer ist oder viele. Denn einerseits dürfte er wegen des Lichtes, mit dem er verglichen wird,138 wohl einer sein; eines ist nämlich in gewisser Weise auch das Licht, in größerem Maße aber der Spender des Lichtes, durch den alle Arten von Sehkräften der Lebewesen von der Möglichkeit zur Wirklichkeit geführt werden. Wie nun die Unvergänglichkeit des gemeinsamen Lichtes sich nicht auf eine jede Sehkraft erstreckt, so erstreckt sich auch auf einen jeden von uns nicht die Ewigkeit des wirkenden Geistes. Wenn es aber viele wirkende Geister gibt und für jeden möglichen

314 Themistios · Text

τῶν δυνάμει εἷς ποιητικός, πόθεν ἀλλήλων διοίσουσιν; ἐπὶ γὰρ τῶν αὐτῶν τῷ εἴδει κατὰ τὴν ὕλην ὁ μερισμός, ἀνάγκη δὲ τοὺς αὐτοὺς εἶναι τῷ εἴδει τοὺς ποιητικούς, εἴ γε ἅπαντες τὴν αὐτὴν ἔχουσιν οὐσίαν τῇ ἐνεργείᾳ καὶ τὰ αὐτὰ πάντες νοοῦσιν. εἰ γὰρ μὴ τὰ αὐτὰ ἀλλ’ ἕτερα, τίς ἔσται ἡ ἀποκλήρωσις; πόθεν δὲ καὶ ὁ δυνάμει νοῦς πάντα νοήσει, εἰ μὴ πρῶτος πάντα νοεῖ ὁ προάγων αὐτὸν εἰς ἐνέργειαν;

[103, 32] ἢ ὁ μὲν πρώτως ἐλλάμπων εἷς, οἱ δὲ ἐλλαμπόμενοι καὶ

ἐλλάμποντες πλείους ὥσπερ τὸ φῶς; ὁ μὲν γὰρ ἥλιος εἷς, τὸ δὲ φῶς εἴποις ἂν τρόπον τινὰ μερίζεσθαι εἰς τὰς ὄψεις. διὰ τοῦτο γὰρ οὐ τὸν ἥλιον παραβέβληκεν ἀλλὰ τὸ φῶς, Πλάτων δὲ τὸν ἥλιον· τῷ γὰρ ἀγαθῷ ἀνάλογον αὐτὸν ποιεῖ. εἰ δὲ εἰς ἕνα ποιητικὸν νοῦν ἅπαντες ἀναγόμεθα οἱ συγκείμενοι ἐκ τοῦ δυνάμει καὶ ἐνεργείᾳ, καὶ ἑκάστῳ ἡμῶν τὸ εἶναι παρὰ τοῦ ἑνὸς ἐκείνου ἐστίν, οὐ χρὴ θαυμάζειν. πόθεν γὰρ αἱ κοιναὶ ἔννοιαι; [104] πόθεν δὲ ἡ ἀδίδακτος καὶ ὁμοία τῶν πρώτων ὅρων σύνεσις καὶ τῶν πρώτων ἀξιωμάτων; μήποτε γὰρ οὐδὲ τὸ συνιέναι ἀλλήλων ὑπῆρχεν ἄν, εἰ μή τις ἦν εἷς νοῦς, οὗ πάντες ἐκοινωνοῦμεν, καὶ τὸ Πλάτωνος ἀληθές, ὡς εἰ μή τι ἦν τοῖς ἀνθρώποις ‹πάθος› τοῖς μὲν ἄλλο τι τοῖς δὲ ἄλλο τι ταὐτόν, ἀλλά τις ἡμῶν ἴδιόν τι ἔπασχε πάθος ἢ οἱ ἄλλοι, οὐκ ἂν ἦν ῥᾴδιον ἐνδείξασθαι τῷ ἑτέρῳ τὸ ἑαυτοῦ πάθημα. οὕτω δὲ καὶ ἐν ταῖς ἐπιστήμαις ὁ διδάσκων τῷ μανθάνον­τι τὰ αὐτὰ νοεῖ· οὐδὲ γὰρ ἂν ἦν τὸ διδάσκειν καὶ τὸ μανθάνειν,



Paraphrase zu De anima, III 4–6

315

Geist einen wirkenden, wieso werden sie sich voneinander unterscheiden? Denn bei den Exemplaren derselben Art erfolgt die Differenzierung aufgrund der Materie. Nun müssen aber die Exemplare des wirkenden Geistes von derselben Art sein, jedenfalls wenn alle der Wirklichkeit nach dasselbe Wesen haben und alle dasselbe denken. Falls sie nämlich nicht dasselbe, sondern Verschiedenes [denken], welches wird dann ihr Anteil sein?139 Woher wird aber auch der mögliche Geist alles denken, wenn nicht der Geist, der ihn zur Verwirklichung führt, als erster alles denkt?140 [103, 32] Oder ist derjenige Geist, der zuerst erleuchtet, ein einziger, diejenigen Geister aber, die erleuchtet werden und zugleich erleuchten, mehrere, ähnlich wie beim Licht?141 Denn die Sonne ist zwar eine, von dem Licht aber könnte man in gewisser Weise behaupten, dass es sich in die Sehprozesse unterteile. [104] Deswegen hat Aristoteles nicht die Sonne als Gleichnis benutzt, sondern das Licht,142 Platon dagegen die Sonne, da er diese zu einem Analogon des Guten macht.143 Wenn aber wir, die wir aus dem möglichen und dem wirklichen Geist zusammengesetzt sind, alle auf einen einzigen wirkenden Geist zurückgeführt werden und wenn das Sein eines jeden von uns von jenem einen stammt, so muss man sich nicht wundern. Denn woher stammen sonst die gemeinsamen Begriffe?144 Woher stammt das nicht durch Erlernen erworbene und bei allen gleiche Verständnis der ersten Definitionen und der ersten Axiome? Niemals gäbe es nämlich ein gegenseitiges Verstehen, wenn es nicht einen einzigen Geist gäbe, an dem wir alle teilhaben. Und zutreffend ist der Gedanke Platons, dass, »wenn die Menschen nicht demselben Eindruck145 ausgesetzt wären, mag er auch bei den einen so, bei den anderen dagegen anders ausfallen, sondern wenn irgendjemand von uns einen ganz eigentümlichen Eindruck verschieden von dem der anderen erhielte, es dann nicht leichtfiele, dem anderen den eigenen Zustand zu bezeichnen.«146 So denkt auch im Bereich der Wissenschaften der Lehrende dasselbe wie der Lernende; denn das Lehren und das Lernen wären wohl nicht möglich, wenn nicht der Gedanke

316 Themistios · Text

εἰ μὴ ταὐτὸ ἦν τὸ νόημα τοῦ διδάσκοντος καὶ τοῦ μανθάνοντος. εἰ δὲ ταὐτὸν ὥσπερ ἀνάγκη, δηλονότι καὶ ὁ αὐτὸς γίνεται νοῦς ὁ τοῦ διδάσκοντος τῷ τοῦ μανθάνοντος, εἴπερ ταὐτὸν ἐπὶ τοῦ νοῦ ἡ οὐσία τῇ ἐνεργείᾳ, καὶ διὰ τοῦτο ἴσως ἐπ’ ἀνθρώπων μόνων τὸ διδάσκειν καὶ τὸ μανθάνειν καὶ τὸ συνιέναι ὅλως ἀλλήλων, ἐπὶ δὲ τῶν ἄλλων ζώων οὐκέτι, διότι μηδὲ ἡ κατασκευὴ τῶν ἄλλων ψυχῶν τοιαύτη, ὥστε δέχεσθαι τὸν δυνάμει νοῦν καὶ ὑπὸ τοῦ ἐνεργείᾳ νοῦ τελειοῦσθαι. [104, 14] καὶ τὸ παρά τινων ζητούμενον καὶ νεωτέρων καὶ πρεσβυ-

τέρων, εἰ πᾶσαι αἱ ψυχαὶ μία, κάλλιον ἂν ἐζητεῖτο, εἰ πάντες οἱ νοῖ εἷς. ψυχὴ μὲν γὰρ ἴσως εἰ καὶ μία κατ’ αὐτούς ἐστι καὶ χωριστή, ἀλλ’ αἵ γε δυνάμεις αὐτῆς πολλαὶ καὶ φανερῶς ἀλλήλων διενηνόχασιν· ἄλλη γὰρ ἡ θρεπτικὴ τῆς αἰσθητικῆς, καὶ αὕτη τῆς ὀρεκτικῆς· ἐπὶ δὲ τοῦ νοῦ καὶ μάλιστα τοῦ θεωρητικοῦ τὸ ζήτημα καὶ ἀκόλουθον καὶ ἀναγκαῖον τοῖς γε παραδεχομένοις ἐπ’ αὐτοῦ τὴν οὐσίαν τὴν αὐτὴν εἶναι τῇ ἐνεργείᾳ. ἢ γὰρ οὐ τὰ αὐτὰ νοοῦσιν, ὅταν ὁ μὲν διδάσκῃ ὁ δὲ μανθάνῃ, ἢ εἴπερ τὰ αὐτὰ νοοῦσιν, ἡ αὐτὴ αὐτῶν ἐνέργεια, καὶ διὰ τοῦτο καὶ ἡ οὐσία.

17. [104, 25] ἀλλ’ εἰ τῆς τοῦ φωτὸς ἀφθαρσίας οὐ συναπολαύει ἡ

δύναμις ἡ αἰσθητική, οὐδὲ τῆς τοῦ νοῦ τοῦ ποιητικοῦ ὁ νοῦς ὁ δυνάμει· ἢ ἡ μὲν αἴσθησις εἰ καὶ ἀπαθεστέρα πολὺ τῶν ὀργάνων ἐστὶ καὶ πάσχουσιν αὐτοῖς οὐ συμπάσχει (εἰ γὰρ λάβοι,



Paraphrase zu De anima, III 4–6

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des Lehrenden und des Lernenden derselbe wäre. Wenn er aber, wie notwendig, derselbe ist, dann ist klar, dass beim Lehrenden derselbe Geist vorliegen muss wie beim Lernenden, wenn beim Geist wirklich das Wesen mit der Wirklichkeit identisch ist. Und vermutlich deswegen gibt es das Lehren und das Lernen und überhaupt das Einander-Verstehen allein bei den Menschen, nicht aber bei den anderen Lebewesen, deswegen, weil die Ausstattung der anderen Seelen nicht von der Art ist, dass sie den möglichen Geist empfangen und von dem wirklichen Geist vollendet werden können. [104, 14] Und so würde die von einigen Philosophen, jüngeren wie älteren, untersuchte Frage, ob alle Seelen eine einzige sind,147 besser in der Weise gestellt, ob alle Geister ein einziger sind. Denn auch wenn, ihnen zufolge, die Seele wohl eine einzige ist und abgetrennt, sind doch ihre Kräfte zahlreich und unterscheiden sich offensichtlich voneinander. Denn die ernährende Seele ist eine andere als die wahrnehmende, und diese eine andere als die begehrende. Beim Geist dagegen, und zwar insbesondere beim theoretischen, ist die Untersuchung der genannten Frage eine notwendige Konsequenz für diejenigen, die annehmen, dass bei ihm das Wesen dasselbe ist wie die Wirklichkeit. Entweder denken sie nicht dasselbe, wenn der eine lehrt, der andere lernt, oder, wenn sie wirklich dasselbe denken, dann ist ihre Wirklichkeit dieselbe und infolgedessen auch das Wesen.

17. Immaterialität des potentiellen Geistes im Verhältnis zum wirkenden Geist [104, 25] Wenn aber das Wahrnehmungsvermögen nicht die

Unvergänglichkeit des Lichtes mitgenießt,148 dann wird auch der mögliche Geist nicht die Unvergänglichkeit des wirkenden Geistes mitgenießen. Doch selbst wenn die Sinneswahrnehmung viel weniger von einem Erleiden betroffen ist als die Sinnesorgane und sie, wenn diese ihre Eindrücke erleiden, nicht

318 Themistios · Text

φησίν, ὄμμα ὁ πρεσβύτης τοιονδί, βλέποι ἂν ὥσπερ καὶ ὁ νέος), ἀλλ’ ὅμως οὐ παντάπασιν ἀπαθής, ἀλλὰ συναπολαύει πως τοῖς αἰσθητηρίοις τοῦ πάθους, ὁ δὲ νοῦς παντάπασιν ἀπαθὴς καὶ χωριστός. [104, 29] καὶ τοῦτο δῆλον ἐξ ὧν ἔμπροσθεν εἴρηκεν ἔτι περὶ τοῦ

δυνάμει νοῦ διαλεγόμενος καὶ οὔπω τοῦ ποιητικοῦ μνησθείς· ὅτι δὲ οὐχ ὁμοία, φησίν, ἡ ἀπάθεια τοῦ αἰσθητικοῦ καὶ νοητικοῦ, φανερὸν ἐπὶ τῶν αἰσθητηρίων καὶ τῆς αἰσθήσεως· ἡ μὲν γὰρ αἴσθησις οὐ δύναται αἰσθάνεσθαι ἐκ τοῦ σφόδρα αἰσθητοῦ οἷον ἐκ τοῦ ψόφου τοῦ μεγάλου [ἢ] τῶν μικρῶν ψόφων οὐδ’ ἐκ τῶν ἰσχυρῶν χρωμάτων καὶ ὀσμῶν [105] [οὐδ’ αὖ] τῶν ἀμυδροτέρων ὀσμῶν καὶ χρωμάτων, ὁ δὲ νοῦς ὅταν ‹τι› νοήσῃ σφόδρα νοητόν, οὐχ ἧττον νοεῖ τὰ ὑποδεέστερα, ἀλλὰ καὶ μᾶλλον· τὸ μὲν γὰρ αἰσθητικὸν οὐκ ἄνευ σώματος, ὁ δὲ χωριστός. ταῦτα γὰρ ἄντικρυς περὶ τοῦ δυνάμει νοῦ διορίζεται· ἡ μὲν γὰρ μετάβασις τούτου. καὶ ἀνωτέρω μικρόν· διὸ οὐδὲ μεμῖχθαι εὔλογον αὐτὸν τῷ σώματι, οὐδὲ ὄργανόν τι αὐτῷ εἶναι, ὥσπερ τῷ αἰσθητικῷ· καὶ ἔτι μικρὸν ἀνωτέρω· ἀπαθὲς ἄρα δεῖ εἶναι τὸ νοητικόν, δεκτικὸν δὲ τοῦ εἴδους. ὥστε τὴν μὲν αἴσθησιν δῆλός ἐστι δυσπαθεστέραν μὲν τῶν ὀργάνων τουτέστι τῶν αἰσθητηρίων νενομικώς, οὐ παντάπασι δὲ ἀπαθῆ οὐδὲ χωριστήν, τὸν νοῦν δὲ ἅτε μὴ χρώμενον ὀργάνῳ σωματικῷ πρὸς τὴν ἐνέργειαν καὶ ἄμικτον τῷ σώματι παντάπασι καὶ ἀπαθῆ καὶ χωριστόν.



Paraphrase zu De anima, III 4–6

319

mitbeeindruckt wird (wenn nämlich, sagt Aristoteles, der Greis ein entsprechendes149 Auge erhielte, dann könnte er vermutlich wie ein Jüngling sehen150), dann ist sie doch nicht völlig ohne Erleiden, sondern teilt das Erleiden irgendwie mit den Sinnesorganen. Der Geist dagegen ist vollständig ohne Erleiden und abgetrennt. [104, 29] Und dies ist aus dem, was Aristoteles zuvor behauptet hat, deutlich, als er den möglichen Geist untersuchte und den wirkenden Geist noch nicht erwähnt hatte: »Dass«, sagt er, »die Unmöglichkeit, Eindrücke erleiden zu können, beim Wahrnehmungsvermögen nicht von derselben Art ist wie beim Denkvermögen, wird deutlich bei den Sinnesorganen und der Wahrnehmung.151 Die Sinneswahrnehmung kann nämlich infolge eines starken Sinneseindrucks nicht richtig wahrnehmen wie z. B. infolge eines lauten Geräusches nicht die leisen Geräusche und infolge von starken Farben und Gerüchen [105] nicht die schwächeren Gerüche und Farben. Der Geist dagegen denkt, wenn er einen sehr anregenden Gedanken erfasst, die weniger anregenden Gedanken nicht weniger intensiv, sondern sogar intensiver. Das Wahrnehmungsvermögen ist nämlich nicht ohne Körper, der Geist dagegen ist abgetrennt.«152 Diese Bestimmungen schreibt er natürlich dem möglichen Geist zu.153 Denn in diesem Kapitel findet erst der Übergang von diesem zum wirkenden Geist statt.154 Und ein wenig weiter oben: »Deshalb ist es auch vernünftig anzunehmen, dass der Geist der Seele nicht mit dem Körper vermischt ist« und »dass er auch kein Werkzeug besitzt, so wie das Wahrnehmungsvermögen eines besitzt«.155 Und noch ein wenig vorher: »Demnach muss das Denkvermögen frei von Erleiden sein, aber empfänglich für die Form.«156 Hieraus ergibt sich klar, dass Aristoteles die Wahrnehmung zwar für weniger fähig hielt, Eindrücke zu erleiden, als ihre Werkzeuge, d. h. die Sinnesorgane, nicht aber für völlig leidensunfähig und auch nicht für abgetrennt, dass er dagegen den Geist, da dieser sich für seine Verwirklichung keines körperlichen Werkzeuges bedient, sowohl für völlig unvermischt mit dem Körper als auch für leidensunfähig und abgetrennt hielt.157

320 Themistios · Text

18. [105, 13] Ἀλλ’ εἰ τοιοῦτος ὁ δυνάμει, τίνα ἂν λοιπὸν λέγοι τὸν πα-

θητικὸν νοῦν καὶ φθαρτόν; τοῦτο γὰρ ἀνεθέμεθα ἐπισκέψασθαι. οὕτω δ’ ἂν ῥᾷστα ἐπισκεψαίμεθα, εἰ αὐτὸν παραλάβοιμεν κοινωνὸν Ἀριστοτέλην. φέρε οὖν ἴδωμεν αὖθις, ἃ λέγει διαπορῶν περὶ τοῦ νοῦ καὶ φροιμιαζόμενος ἐν τῷ πρώτῳ· τάχα γὰρ οἷον ἐκ πυρείων τριβομένων πολλάκις τῶν ῥήσεων τοῦ φιλοσόφου ἐκλάμψειεν ἂν ἡ διάνοια· τὸ δὲ διανοεῖσθαι καὶ φιλεῖν ἢ μισεῖν οὐκ ἐκείνου πάθη ἀλλὰ τουδὶ τοῦ ἔχοντος ἐκεῖνο ᾗ ἐκεῖνο ἔχει· διὸ καὶ τούτου φθειρομένου οὔτε μνημονεύει οὔτε φιλεῖ· οὐ γὰρ ἐκείνου ἦν, ἀλλὰ τοῦ κοινοῦ ὃ ἀπόλωλεν· ὥστε τὸν κοινὸν ἂν λέγοι τὸν παθητικὸν καὶ φθαρτόν.

19. [105, 22] ἀλλὰ μὴν περί γε τοῦ δυνάμει νοῦ διαρρήδην φησὶν

ἀπαθῆ δεῖν αὐτὸν εἶναι καὶ χωριστὸν καὶ δεκτικὸν τοῦ εἴδους καὶ δυνάμει τοιοῦτον, ἀλλὰ μὴ τοῦτο, καὶ μηδὲ μεμῖχθαι αὐτὸν τῷ σώματι, μηδὲ ὄργανον ἔχειν σωματικόν, μηδὲ ὁμοίαν τὴν ἀπάθειαν εἶναι τούτου τε καὶ τῆς αἰσθήσεως. εἰ οὖν μὴ μαχόμενα λέγει περὶ τούτου, ἄλλος ἂν εἴη κατ’ αὐτὸν ὁ κοινός, ἄλλος δ’ ὁ δυνάμει, καὶ ὁ μὲν κοινὸς [καὶ] φθαρτὸς καὶ παθητικὸς καὶ ἀχώριστος καὶ τῷ σώματι μεμιγμένος, ὁ δυνάμει δὲ ἀπαθὴς



Paraphrase zu De anima, III 4–6

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18. Welche Art von Geist ist leidensfähig? [105, 13] Doch wenn der mögliche Geist derart beschaffen ist,

welchen verbleibenden Geist könnte er [Aristoteles] als leidensfähigen und vergänglichen Geist bezeichnen?158 Dies allerdings ist es, was wir zu ergründen uns vorgenommen haben. So dürften wir es aber am leichtesten ergründen, wenn wir Aristoteles selbst als Teilnehmer hinzunehmen. Sehen wir also erneut, was er bei seiner Untersuchung über den Geist im ersten Buch darzulegen beginnt! Vielleicht leuchtet uns ja, wenn wir die Äußerungen des Philosophen wie Feuerhölzer häufig aneinander reiben, der Sinn seiner Worte hervor.159 »Das diskursive Denken und Lieben oder Hassen ist keine Affektion jenes wirkenden Geistes, sondern dieses menschlichen Wesens hier, das jenes besitzt, sofern es jenes besitzt. Wenn dieses zugrunde geht, hat er weder Erinnerung noch liebt er; denn es war nicht die Angelegenheit jenes wirkenden Geistes, sondern des gemeinsamen, welcher zugrunde ging.«160 Und somit dürfte er wohl den gemeinsamen Geist als den leidensfähigen und vergänglichen bezeichnet haben.

19. Potentieller, gemeinsamer und wirkender Geist [105, 22] Ferner behauptet er aber vom möglichen Geist aus-

drücklich, dass er leidensunfähig161 und abgetrennt162 sowie für die Form empfänglich und der Möglichkeit nach so beschaffen sein muss, aber nicht ein bestimmtes Dieses, ferner, dass er nicht mit dem Körper vermischt sei und auch kein körperliches Werkzeug besitze und dass die Leidensfreiheit dieses Geistes und der Wahrnehmung nicht ähnlich seien.163 Wenn Aristoteles nun nichts Widersprüchliches über diesen Geist sagt, dann sind ihm zufolge der gemeinsame Geist und der mögliche Geist vermutlich voneinander verschieden; und der gemeinsame Geist vergänglich, leidensfähig, untrennbar und mit dem Körper vermischt, der mögliche Geist leidensunfähig, unvermischt mit

322 Themistios · Text

καὶ ἄμικτος τῷ σώματι καὶ χωριστός (ταῦτα γὰρ περὶ αὐτοῦ ­διαρρήδην φησίν), οἷον πρόδρομος τοῦ ποιητικοῦ, ὥσπερ ἡ αὐγὴ τοῦ φωτός, ἢ ὥσπερ ἄνθος πρόδρομον τοῦ καρποῦ· οὐδὲ γὰρ ἐπὶ τῶν ἄλλων ἡ φύσις ἀφροιμίαστον τὸ τέλος εὐθὺς παραδίδωσιν, ἀλλὰ τὰ καταδεέστερα μὲν συγγενῆ δὲ τῶν τελειοτέρων προτρέχει. [105, 34] χωριστὸς μὲν οὖν καὶ αὐτὸς καὶ ἀμιγὴς καὶ ἀπαθής (ῥη-

τῶς γὰρ περὶ αὐτοῦ ταῦτά φησιν), οὐ μὴν ὁμοίως χωριστὸς τῷ ποιητικῷ· πάλιν γὰρ [106] ὅρα, τί λέγει περὶ τοῦ ποιητικοῦ παραβάλλων αὐτὸν τῷ δυνάμει· καὶ ἔστιν ὁ μὲν τοιοῦτος νοῦς τῷ πάντα γίνεσθαι, ὁ δὲ τῷ πάντα ποιεῖν ὡς ἕξις τις, οἷον τὸ φῶς· τρόπον γάρ τινα καὶ τὸ φῶς ποιεῖ τὰ δυνάμει χρώματα ἐνεργείᾳ· καὶ οὗτος ὁ νοῦς χωριστὸς καὶ ἀπαθὴς καὶ ἀμιγής, τῇ οὐσίᾳ ὢν ἐνέργεια· ἀεὶ γὰρ τιμιώτερον τὸ ποιοῦν τοῦ πάσχοντος καὶ ἡ ἀρχὴ τῆς ὕλης· ὥσπερ ἂν εἰ καὶ τὸν ἥλιον λέγοιμεν μᾶλλον χωριστὸν τῆς αὐγῆς.

[106, 7] ὥστε δῆλός ἐστι χωριστοὺς μὲν ἀμφοτέρους ὑπολαμβά-

νων, μᾶλλον δὲ χωριστὸν τὸν ποιητικὸν καὶ μᾶλλον ἀπαθῆ καὶ μᾶλλον ἀμιγῆ, καὶ χρόνῳ μὲν πρότερον ἐγγίνεσθαι ἡμῖν τὸν δυνάμει, φύσει δὲ εἶναι πρότερον καὶ τῇ τελειότητι τὸν ἐνεργείᾳ, μᾶλλον δὲ μηδὲ τῷ χρόνῳ τὸ πρότερον ἔχειν τὸν δυνάμει, ἀλλ’ ἐμοὶ μὲν ἢ σοὶ πρότερον παραγίνεσθαι, ἁπλῶς δὲ μὴ πρότερον εἶναι, ὥσπερ οὐδὲ τὸν πρόδρομον τοῦ βασιλέως οὐδὲ τὴν αὐγὴν τοῦ φωτὸς οὐδὲ τὸ ἄνθος τοῦ καρποῦ.



Paraphrase zu De anima, III 4–6

323

dem Körper und abgetrennt (denn dies sagt er über ihn ausdrücklich). Und der mögliche Geist wird sein wie ein Vorläufer des wirkenden Geistes, ähnlich wie der Sonnenstrahl ein Vorläufer des Tageslichts oder die Blüte ein Vorbote der Frucht ist. Denn auch bei den übrigen Dingen steuert die Natur das Ziel nicht ohne Einleitung an; sondern das zwar Minderwertige, doch mit dem Vollkommeneren Verwandte läuft voraus. [105, 34] Der mögliche Geist selbst ist also abgetrennt, unvermischt und leidensunfähig (wörtlich nämlich sagt Aristoteles dies über ihn). Er ist jedoch gewiss nicht in der gleichen Weise abgetrennt wie der wirkende Geist, denn man [106] sehe nur wiederum, was er über den wirkenden Geist sagt, wenn er ihn mit dem möglichen vergleicht.164 »Und es gibt auf der einen Seite einen Geist, der so geartet ist, dass er alles wird, auf der anderen Seite einen Geist, der so geartet ist, dass er alles bewirkt wie eine Fähigkeit, ähnlich dem Licht; denn in gewisser Weise bewirkt auch das Licht, dass die möglichen Farben zu wirklichen werden. Und dieser Geist ist abgetrennt, leidensfrei, unvermischt und ist seinem Wesen nach Wirklichkeit;165 denn immer ist das Bewirkende ranghöher als das Leidende und das Prinzip ehrwürdiger als die Materie«,166 so wie wir von der Sonne vermutlich behaupten dürfen, sie sei in höherem Maß abgetrennt als ihr Glanz. [106, 7] Deshalb ist klar, dass Aristoteles beide Arten von Geist für abgetrennt hält, dass er aber den wirkenden Geist für in höherem Maße abgetrennt, leidensfrei und unvermischt hält und dass er ferner meint, dass zwar der mögliche Geist der Zeit nach früher in uns entsteht, dass aber der wirkliche Geist der Natur nach und auch der Vollkommenheit nach früher ist, ja mehr noch, dass der mögliche Geist nicht einmal der Zeit nach die Priorität besitzt, sondern dass er in mir oder dir früher entsteht, nicht aber schlechthin früher, so wie ja auch weder der Vorbote eher als der König noch der Glanz vor dem Licht noch die Blüte vor der Frucht (entstehen).167

324 Themistios · Text

20. [106, 14] φθαρτὸν δὲ λέγει τὸν κοινόν, καθ’ ὃν ὁ ἄνθρωπος ὁ συγ­

κείμενος ἐκ ψυχῆς καὶ σώματος, ἐν ᾧ θυμοὶ καὶ ἐπιθυμίαι· ἃ καὶ Πλάτων φθαρτὰ ὑπολαμβάνει, ὡς δῆλον ἐκ τῶν λεγομένων ἐν τῷ Τιμαίῳ·‘οἱ δὲ λαβόντες ἀρχὴν ψυχῆς ἀθάνατον τὸ μετὰ τοῦτο θνητὸν σῶμα αὐτῇ περιετόρνευσαν ἄλλο τι εἶδος αὐτῇ ψυχῆς προσοικοδομοῦντες θνητὸν δεινὰ καὶ ἀναγκαῖα παθήματα ἔχον ἐν ἑαυτῷ, πρῶτον μὲν ἡδονὴν μέγιστον κακοῦ δέλεαρ, ἔπειτα λύπας ἀγαθῶν φυγάς, ἔτι αὖ θάρσος καὶ φόβον ἄφρονε ξυμβούλω, θυμὸν δὲ δυσπαραμύθητον, ἐλπίδα δὲ εὐπαράγωγον, αἰσ­θήσει δὲ ἀλόγῳ καὶ ἐπιχειρητῇ παντὸς ἔρωτι συγκερασάμενοι τὸ θνητὸν τῆς ψυχῆς γένος συνέθεσαν. καὶ διὰ ταῦτα πάντα σεβόμενοι μιαίνειν τὸ θεῖον, ὅ τι μὴ πᾶσα ἀνάγκη, χωρὶς ἐκείνου κατοικίζουσι τὸ θνητόν, ἰσθμὸν καὶ ὅρον τῆς κεφαλῆς καὶ τοῦ στήθους αὐχένα μεταξὺ θέντες, ἵνα εἴη χωρίς. ἐν δὴ τοῖς στήθεσι καὶ ἐν τῷ καλουμένῳ θώρακι τὸ τῆς ψυχῆς θνητὸν γένος ἐνέδουν.’ καὶ ἐπὶ πᾶσι τὰ περὶ ψυχῆς εἰρημένα συγκεφαλαιούμενος γράφει· ‘τὰ μὲν οὖν περὶ ψυχῆς ὅσον θνητὸν ἔχει καὶ ὅσον θεῖον.’

[106, 29] καὶ οἱ λόγοι δὲ οὓς ἠρώτησε περὶ ψυχῆς ἀθανασίας εἰς

τὸν νοῦν ἀνάγονται σχεδόν τι οἱ πλεῖστοι καὶ ἐμβριθέστατοι· ὅ τε ἐκ τῆς αὐτοκινησίας (ἐδείχθη γὰρ ὡς αὐτοκίνητος μόνος ὁ νοῦς, εἰ τὴν κίνησιν ἀντὶ τῆς ἐνεργείας [107] νοοίημεν), καὶ ὁ τὰς



Paraphrase zu De anima, III 4–6

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20. Geistesharmonie zwischen Platon und Aristoteles [106, 14] Vergänglich dagegen nennt Aristoteles nur den gemein-

samen Geist, dem gemäß der Mensch, der aus Seele und Körper zusammengesetzt ist, existiert und in dem sich die Regungen des Zorns und der Begierden befinden.168 Dass auch Platon diese Gefühle für vergänglich hält, geht klar aus dem hervor, was er im Timaios sagt:169 »Nachdem sie aber ein unsterbliches Prinzip der Seele übernommen hatten, drechselten sie danach einen sterblichen Körper um sie herum und bauten für sie noch eine andere Form von Seele daran, eine sterbliche, welche gewaltige und zwanghafte Leidenschaften in sich trug, erstens die Lust, den größten Köder des Bösen, zweitens Schmerzen, die zur Flucht vor dem Guten geneigt machen, außerdem Kühnheit und Furcht, zwei unkluge Ratgeber, und schließlich schwer zu beschwichtigenden Zorn und leicht zu täuschende Hoffnung. Und nachdem sie diese mit vernunftloser Wahrnehmung und mit dem zu jeder Unternehmung bereiten Eros zusammengemischt hatten, setzten sie die sterbliche Art von Seele zusammen. Und weil sie wegen aller dieser Dinge fürchteten, das göttliche Seelenprinzip zu beflecken, ohne dass es unbedingt notwendig ist, siedeln sie das sterbliche Seelenprinzip abgetrennt von jenem an, indem sie als Trennlinie und Grenze von Kopf und Brust den Hals dazwischensetzten, damit sie getrennt seien. Also versetzten sie die sterbliche Art von Seele in die Brust und in den sogenannten Thorax.« Und er fasst das Ganze über die Seele Gesagte zusammen, indem er schreibt:170 »Was nun die Seele angeht, wie viel Sterbliches sie besitzt und wie viel Göttliches.« [106, 29] Auch von den Beweisversuchen, die Platon zugunsten der Unsterblichkeit der Seele durch Fragen entwickelt hat, kann man so ziemlich die meisten und gewichtigsten auf den Geist beziehen: der Beweisversuch aus der Selbstbewegung (denn bewiesen wurde, dass allein der Geist die Fähigkeit hat, sich selbst zu bewegen, wenn wir hier von Bewegung anstelle von Tätigkeit [107] sprechen dürfen);171 der Beweisversuch, der auf

326 Themistios · Text

μαθήσεις ἀναμνήσεις εἶναι λαμβάνων, καὶ ὁ τὴν πρὸς τὸν θεὸν ὁμοιότητα· καὶ τῶν ἄλλων δὲ τοὺς ἀξιοπιστοτέρους δοκοῦντας οὐ χαλεπῶς ἄν τις τῷ νῷ προσβιβάσειεν, ὥσπερ γε καὶ τῶν ὑπ’ αὐτοῦ Ἀριστοτέλους ἐξειργασμένων ἐν τῷ Εὐδήμῳ, ἐξ ὧν δῆλον ὅτι καὶ Πλάτων τὸν νοῦν ἀθάνατον μόνον ὑπολαμβάνει, τῆς ψυχῆς τι καὶ αὐτὸν ὄντα, φθαρτὰ δὲ τὰ πάθη καὶ τὸν τούτοις ἐνόντα λόγον, ὃν Ἀριστοτέλης παθητικὸν νοῦν ὀνομάζει. οὐ γὰρ παντάπασιν ἄλογα τὰ πάθη τῆς ψυχῆς τῆς ἀνθρωπίνης, ἅ γε καὶ ὑπακούει τῷ λόγῳ καὶ παιδεύεται καὶ νουθετεῖται, ἀλλὰ τὰ μὲν τῶν ἀλόγων ἀσύνετα λόγου παντάπασιν, ἢ μόλις γέ τινα καὶ ἀμυδρῶς ἴχνος ἐμφαίνοντα λόγου, τὰ δὲ ἐν τῇ ἀνθρωπίνῃ ψυχῇ συμπέπλεκται λόγῳ· θάρσος γὰρ καὶ φόβος καὶ ἐλπὶς εὐθὺς ἐμφαίνει τὸ λογικῆς εἶναι ψυχῆς· εἰς γὰρ τὸν μέλλοντα ἀποτείνεται χρόνον. διόπερ οὐ γίνεται ἐν τοῖς ἀλόγοις ζώοις, ἀλλ’ ἡδονὴ μόνη καὶ λύπη ἐπὶ παροῦσι τοῖς ἡδέσιν ἢ λυπηροῖς, καὶ ταῦτα παντάπασιν ἀνεπαίσθητα λόγου καὶ νοῦ· ἐν ἀνθρώποις δὲ οὕτως ἄρα καὶ τὰ πάθη μέτοχα λόγου, ὥστε μετρηθέντα γίνονται ἀρεταί. τοῦτο δὲ σημεῖον τοῦ μὴ τὴν φύσιν αὐτῶν ἄλογον εἶναι, ἀλλὰ τὸ ἄμετρον, καὶ οὐ κακῶς οἱ ἀπὸ Ζήνωνος τὰ πάθη τῆς ἀνθρωπίνης ψυχῆς τοῦ λόγου διαστροφὰς εἶναι τιθέμενοι καὶ λόγου κρίσεις ἡμαρτημένας·

[107, 18] καὶ εἴη ἂν ταὐτὸν εἰπεῖν παθητικόν τε νοῦν καὶ πάθος

λογικόν, τουτέστι πάθος ψυχῆς ἀνθρωπίνης, ἃ διὰ τὴν εἰς σῶμα τοῦ νοῦ κατοίκισιν λόγου μέτοχα γίνεται καὶ ἐπήκοα· οὐδὲ γὰρ



Paraphrase zu De anima, III 4–6

327

der Annahme beruht, dass erworbene Kenntnisse Wiedererinnerungen sind;172 und der Beweisversuch, der auf der Annahme der Ähnlichkeit mit Gott beruht.173 Auch von den übrigen Argumenten dürfte man wohl die glaubwürdiger scheinenden ohne Schwierigkeiten dem Geist zuordnen können, wie auch ebenso die glaubwürdigeren von denen, die von Aristoteles selbst im Eudemos ausgearbeitet wurden.174 Hieraus ergibt sich klar, dass auch Platon allein den Geist als unsterblich ansetzt, wobei auch dieser ein Teil der Seele ist, dass er aber als vergänglich die Leidenschaften und die diesen innewohnende Vernunft ansetzt, welche Aristoteles den leidensfähigen Geist nennt.175 Denn die Leidenschaften der menschlichen Seele sind nicht völlig ohne Vernunft, da auch sie einem vernünftigen Prinzip gehorchen und sich erziehen und tadeln lassen.176 Während aber die Leidenschaften der vernunftlosen Lebewesen vollkommen unfähig sind, Vernunft anzunehmen oder allenfalls bei einigen Spezies auf trübe Weise die Spur eines vernünftigen Prinzips erkennen lassen, sind die Leidenschaften in der menschlichen Seele mit der Vernunft verbunden. Denn Mut, Furcht und Hoffnung lassen sofort erkennen, dass sie zu einer vernunftbegabten Seele gehören, da sie sich auf die zukünftige Zeit erstrecken.177 Deshalb entstehen sie nicht in den vernunftlosen Lebewesen, sondern nur Lust und Schmerz bei Gegenwart angenehmer oder schmerzlicher Empfindungen, und diese Lebewesen sind vollständig unempfänglich für Vernunft und Geist. Bei Menschen aber haben so auch die Leidenschaften Anteil an der Vernunft, so dass, wenn sie durch ein Maß reguliert werden, sie zu Tugenden werden. Dies ist ein Zeichen dafür, dass nicht ihre Natur unvernünftig ist, sondern ihr Mangel an Maß. Und nicht übel betrachteten die Schüler Zenons178 die Leidenschaften der menschlichen Seele als Verkehrungen der Vernunft und als fehlerhafte Entscheidungen der Vernunft.179 [107, 18] Und insofern darf man wohl behaupten, dass der leidensfähige Geist dasselbe ist wie die vernunftbezogene Leidenschaft, d. h. die Leidenschaft der menschlichen Seele, welche [sc. die Leidenschaft] aufgrund der Beheimatung des Geistes

328 Themistios · Text

ἄλλως οἷόν τε ἦν τὸν νοῦν ἐγκατοικίζεσθαιτῷ σώματι μὴ διὰ μέσων τῶν παθῶν συνδούμενον καὶ συναπτόμενον· μὴ καθαρῷ γὰρ καθαροῦ ἐφάπτεσθαι οὐ θεμιτόν, ᾗ φησὶν ὁ θεῖος Πλάτων. λαβόντες οὖν, φησί, τὴν ἀρχὴν τῆς ψυχῆς τὴν ἀθάνατον τὸ μετὰ τοῦτο θνητὸν σῶμα αὐτῇ περιετόρνευσαν. ἵνα δὲ τοῦτο δυνατὸν γένηται καὶ ἀρχὴ ἀθάνατος ἐγκατοικισθείη τῷ σώματι, ἄλλο, φησίν, εἶδος προσύφηναν αὐτῇ ψυχῆς θνητὸν καὶ ἐπίκηρον· ἀνάγκη γὰρ ἦν τὸν σύνδεσμον τοῦ ἀθανάτου πρὸς τὸ θνητὸν καὶ αὐτὸν θνητὸν εἶναι· φθειρομένου γὰρ τοῦ θνητοῦ συμφθείρεται ὁ πρὸς αὐτὸ δεσμὸς τοῦ ἀθανάτου.

21. [107, 30] Ἄμεινον δὲ καὶ τὰ Θεοφράστου παραθέσθαι περί τε τοῦ

δυνάμει νοῦ καὶ τοῦ ἐνεργείᾳ. περὶ μὲν οὖν τοῦ δυνάμει τάδε φησίν· ‘ὁ δὲ νοῦς πῶς ποτε ἔξωθεν ὢν καὶ ὥσπερ ἐπίθετος ὅμως συμφυής; καὶ τίς ἡ φύσις αὐτοῦ; τὸ μὲν γὰρ μηδὲν εἶναι κατ’ ἐνέργειαν, δυνάμει δὲ πάντα, καλῶς, ὥσπερ καὶ ἡ αἴσθησις. οὐ γὰρ οὕτως ληπτέον ὡς οὐδὲ αὐτός (ἐριστικὸν γάρ)· ἀλλ’ ὡς ὑποκειμένην τινὰ δύναμιν καθάπερ καὶ ἐπὶ τῶν ὑλικῶν. ἀλλὰ τὸ ἔξωθεν ἄρα οὐχ ὡς ἐπίθετον, ἀλλ’ ὡς ἐν τῇ πρώτῃ γενέσει συμπεριλαμβανό [108] μενον θετέον.



Paraphrase zu De anima, III 4–6

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im Körper an der Vernunft teilhat und für sie ansprechbar ist. Denn dass der Geist sich im Körper ansiedelt, ist auf keine andere Weise möglich als dadurch, dass er durch das Mittelglied der Leidenschaften verbunden und verknüpft wird; einem Unreinen ist es nämlich nicht erlaubt, einen Reinen zu berühren, wie der göttliche Platon schreibt.180 Und so sagt er denn:181 »Nachdem sie also ein unsterbliches Prinzip der Seele übernommen hatten, drechselten sie danach einen sterblichen Körper um sie herum. Damit dieser [der Körper] fähig wird und ein unsterbliches Prinzip dem Körper einwohne, verwoben sie, schreibt er, mit ihm [dem unsterblichen Prinzip] eine andere Art von Seele,182 eine sterbliche und der Zerstörung ausgesetzte.« Denn es bestand die Notwendigkeit, dass die Verknüpfung des Unsterblichen mit dem Sterblichen auch selbst sterblich sei; denn wenn das Sterbliche untergeht, geht auch das Band des Unsterblichen mit ihm zugrunde.

21. Das Zeugnis Theophrasts [107, 30] Es ist aber besser, auch die Worte des Theophrast anzu-

führen, und zwar sowohl die über den möglichen Geist als auch über den wirklichen Geist. Über den in Möglichkeit befindlichen Geist sagt er nun Folgendes:183 »Wie kann es sein, dass der Geist, der doch von außen kommt und so etwas wie ein Zusatz ist, dennoch fest verwurzelt ist?184 Und was ist seine Natur? Denn dass er der Wirklichkeit nach nichts sei, der Möglichkeit nach aber alles,185 ist trefflich ausgedrückt, wie es sich ja auch bei der sinnlichen Wahrnehmung verhält. Denn man darf die These nicht so verstehen, dass es vor allem wirklichen Denken nicht einmal den Geist selbst gibt; das wäre nämlich irreführend.186 Vielmehr muss man ihn auffassen als ein zugrunde liegendes Vermögen, ganz so, wie es auch bei den materiellen Dingen gegeben ist. Jenes ›Von-außen-Kommen‹ aber darf man nicht wie etwas Hinzugefügtes auffassen, sondern wie etwas, das bei der ursprünglichen Entstehung mit einbezogen [108] wurde.«

330 Themistios · Text [108, 1] πῶς δέ ποτε γίνεται τὰ νοητὰ καὶ τί τὸ πάσχειν ‹ὑπ’›

αὐτῶν; δεῖ γάρ, εἴπερ εἰς ἐνέργειαν ἥξει καθάπερ ἡ αἴσθησις. ἀσωμάτῳ δὲ ὑπ᾽ ἀσωμάτου τί τὸ πάθος ἢ ποία μεταβολή; καὶ πότερον ἀπ’ ἐκείνου ἡ ἀρχὴ ἢ ἀπ’ αὐτοῦ; τῷ μὲν γὰρ πάσχειν ἀπ’ ἐκείνου δόξειεν ἄν (οὐδὲν γὰρ ἀφ’ ἑαυτοῦ τῶν ἐν πάθει)· τῷ δὲ ἀρχὴν πάντων εἶναι καὶ ἐπ’ αὐτῷ τὸ νοεῖν καὶ μή, ὥσπερ ταῖς αἰσθήσεσιν, ἀπ’ αὐτοῦ. τάχα δ’ ἂν φανείη καὶ τοῦτο ἄτοπον, εἰ ὁ νοῦς ὕλης ἔχει φύσιν μηδὲν ὢν ἅπαντα δὲ δυνατός·

[108, 8] καὶ τὰ ἐφεξῆς μακρὸν ἂν εἴη παρατίθεσθαι καίτοι μὴ μα-

κρῶς εἰρημένα, ἀλλὰ λίαν συντόμως τε καὶ βραχέως τῇ γε λέξει· τοῖς γὰρ πράγμασι μεστά ἐστι πολλῶν μὲν ἀποριῶν, πολλῶν δὲ ἐπιστάσεων, πολλῶν δὲ λύσεων – ἔστι δὲ ἐν τῷ πέμπτῳ τῶν Φυσικῶν, δευτέρῳ δὲ τῶν Περὶ ψυχῆς –, ἐξ ὧν ἁπάντων δῆλόν ἐστιν, ὅτι καὶ περὶ τοῦ δυνάμει νοῦ σχεδὸν τὰ αὐτὰ διαποροῦσιν, εἴτε ἔξωθέν ἐστιν εἴτε συμφυής, καὶ διορίζειν πειρῶνται, πῶς μὲν ἔξωθεν πῶς δὲ συμφυής.

[108, 14] λέγουσι δὲ καὶ αὐτὸν ἀπαθῆ καὶ χωριστόν, ὥσπερ τὸν

ποιητικὸν καὶ τὸν ἐνεργείᾳ· ‘ἀπαθὴς γάρ’ φησιν ‘ὁ νοῦς, εἰ μὴ ἄρα ἄλλως παθητικός’, καὶ ὅτι τὸ παθητικὸν ἐπ’ αὐτοῦ οὐχ ὡς



Paraphrase zu De anima, III 4–6

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[108, 1] »Inwiefern aber wird nun der Geist zu den denkba-

ren Gegenständen? Und was bedeutet es, dass der Geist von ihnen affiziert wird? Denn dies ist ja nötig, wenn der Geist zu wirklicher Tätigkeit gelangen soll, und analog ist es ja bei der sinnlichen Wahrnehmung. Was aber kann es heißen, dass der Geist als etwas Unkörperliches etwas von etwas Unkörperlichem187 erleidet? Und welcher Art ist dann die Veränderung? Und liegt der Ursprung dieser Affektion beim denkbaren Gegenstand oder beim Geist selbst? Denn da die Affektion ein Erleiden ist, könnte es einerseits so scheinen, dass dieses Erleiden vom denkbaren Gegenstand herkommt (denn es gibt nichts, was von sich aus etwas erleidet); andererseits aber könnte es scheinen, dass der Geist selbst Ursprung aller Affektionen ist und dass das Denken in seiner Macht steht, nicht aber die Affektion ohne ihn erfolgt, wie es bei den sinnlichen Wahrnehmungen geschieht.188 Vielleicht dürfte aber auch diese zweite Deutung seltsam anmuten unter der Bedingung, dass der Geist die Natur der Materie hat, da er ja nichts ist und nur der Möglichkeit nach alles ist.« [108, 8] Aber das Folgende zu zitieren ist wohl zu umständlich, obwohl es nicht ausführlich dargelegt, sondern stilistisch allzu knapp und kurz ist. Sachlich gesehen steckt es voll vieler Aporien, vieler Untersuchungen, vieler Lösungen (es steht aber im fünften Buch der Physik beziehungsweise im zweiten Buch der Schrift Über die Seele). Aus ihnen wird, wenn man sie alle zusammennimmt, ersichtlich, dass sie [Aristoteles und Theophrast] auch hinsichtlich des möglichen Geistes fast dieselben Probleme behandeln, ob dieser nun von außen kommt oder angeboren ist. Und so versuchen sie denn klar abzugrenzen, inwiefern er einerseits von außen her kommt, andererseits aber angeboren ist. [108, 14] Sie behaupten aber, dass dieser selbst [der mögliche Geist] ebenfalls leidensfrei und abgetrennt sei wie der wirkende und in Wirklichkeit befindliche Geist. »Denn der Geist«, sagt er [Theophrast], »ist leidensfrei, es sei denn, er wäre in irgendeiner anderen Weise imstande, etwas zu erlei-

332 Themistios · Text

τὸ κινητὸν ληπτέον (ἀτελὴς γὰρ ἡ κίνησις), ἀλλ’ ὡς ἐνέργειαν. καὶ προϊών φησι τὰς μὲν αἰσθήσεις οὐκ ἄνευ σώματος, τὸν δὲ νοῦν χωριστόν.

[108, 18] ἁψάμενος δὲ καὶ τῶν περὶ τοῦ ποιητικοῦ νοῦ διωρισμέ-

νων Ἀριστοτέλει ‘ἐκεῖνο’ φησὶν‘ ἐπισκεπτέον, ὃ δή φαμεν ἐν πάσῃ φύσει τὸ μὲν ὡς ὕλην καὶ δυνάμει, τὸ δὲ αἴτιον καὶ ποιητικόν’, καὶ ὅτι ἀεὶ τιμιώτερον τὸ ποιοῦν τοῦ πάσχοντος, καὶ ἡ ἀρχὴ τῆς ὕλης. ταῦτα μὲν ἀποδέχεται, διαπορεῖ δέ· ‘τίνε οὖν αὗται αἱ δύο φύσεις; καὶ τί πάλιν τὸ ὑποκείμενον ἢ συνηρτημένον τῷ ποιητικῷ; μικτὸν γάρ πως ὁ νοῦς ἔκ τε τοῦ ποιητικοῦ καὶ τοῦ δυνάμει. εἰ μὲν οὖν σύμφυτος ὁ κινῶν, καὶ εὐθὺς ἐχρῆν καὶ ἀεί· εἰ δὲ ὕστερον, μετὰ τίνος καὶ πῶς ἡ γένεσις; ἔοικε δ’ οὖν ὡς ἀγένητος, εἴπερ καὶ ἄφθαρτος. ἐνυπάρχων δ’ οὖν διὰ τί οὐκ ἀεί; ἢ διὰ τί λήθη καὶ ἀπάτη καὶ ψεῦδος; ἢ διὰ τὴν μῖξιν·’ ἐξ ὧν ἁπάντων δῆλόν ἐστιν, ὅτι οὐ φαύλως ὑπονοοῦμεν ἄλλον μέν τινα παρ’ αὐτοῖς εἶναι τὸν παθητικὸν νοῦν καὶ φθαρτόν, ὃν καὶ κοινὸν ὀνομάζουσι καὶ ἀχώριστον τοῦ σώματος, καὶ διὰ τὴν πρὸς τοῦτον μῖξιν τὴν λήθην καὶ τὴν ἀπάτην γίνεσθαί φησιν ὁ Θεόφραστος· ἄλλον δὲ τὸν ὥσπερ συγκείμενον ἐκ τοῦ δυνάμει καὶ ἐνεργείᾳ, ὃν καὶ χωριστὸν τοῦ σώματος εἶναι τιθέασι καὶ



Paraphrase zu De anima, III 4–6

333

den«; und somit dürfe man seine Leidensfähigkeit nicht etwa so verstehen, dass er eine Bewegung erlitte (denn Bewegung ist unbegrenzt), sondern müsse die Leidensfähigkeit wie eine Verwirklichung auffassen. Und fortfahrend fügt er hinzu, dass zwar die sinnlichen Wahrnehmungen nicht ohne den Körper erfolgen können, dass aber der Geist [vom Körper] abgetrennt sei. [108, 18] Nachdem er auch das, was von Aristoteles bezüglich des wirkenden Geistes festgesetzt wird, berührt hat, sagt er [Theophrast]:189 »Jenes muss man untersuchen, was wir in jeder Natur einerseits als Materie und Möglichkeit bezeichnen, andererseits als Verursachendes und Bewirkendes; und dass immer ranghöher das Bewirkende ist als das Leidende und das Prinzip als die Materie.«190 Dies billigt er zwar, wirft aber die Frage auf: »Welches nun sind diese zwei Naturen? Und was wiederum ist das beiden Zugrundeliegende oder das mit dem wirkenden Geist Verbundene? Denn der Geist ist irgendwie vermischt aus dem wirkenden und aus dem möglichen Geist. Wenn nun der bewegende Geist191 angeboren ist, dann müsste er das sofort und immerzu sein; wenn er aber später hinzukommt,192 mit wem zusammen und auf welche Weise erfolgt dann seine Entstehung? Allerdings scheint er unentstanden zu sein,193 wenn er doch unvergänglich194 ist. Doch wenn er [dem Körper] innewohnt, warum ist er dann nicht fortwährend? Oder warum gibt es Vergessen, Täuschung und Lüge? Etwa infolge der Mischung?« Aus alledem ist insgesamt klar, dass wir nicht in übler Weise annehmen, dass neben diesen genannten Arten von Geist der leidensfähige und vergängliche Geist existiert, den sie [Aristoteles und Theophrast] sowohl den gemeinsamen als auch den vom Körper unabtrennbaren nennen, und dass infolge der Mischung mit diesem, wie Theophrast argumentiert, das Vergessen und die Täuschung entstehen, ein anderer [Geist] aber [existiert], gleichsam zusammengesetzt aus dem möglichen und dem wirklichen Geist, den sie als abtrennbar vom Körper, unvergänglich und unentstanden annehmen. Und in der einen Hinsicht sind diese beiden Arten von Geist zwei Naturen, in

334 Themistios · Text

ἄφθαρτον καὶ ἀγένητον, καὶ πὼς μὲν δύο φύσεις τούτους τοὺς νοῦς, πὼς δὲ μίαν· ἓν γὰρ τὸ ἐξ ὕλης καὶ εἴδους.

22. [108, 35] ἀλλ’ ὅπερ εἶπον, τὸ μὲν ἀποφαίνεσθαι περὶ τοῦ δοκοῦν-

τος τοῖς φιλοσόφοις ἰδίας καὶ σχολῆς ἐστὶ καὶ φροντίδος, ὅτι δὲ μάλιστα ἄν τις ἐξ ὧν συνηγά [109] γομεν ῥήσεων λάβοι τὴν περὶ τούτων γνῶσιν Ἀριστοτέλους καὶ Θεοφράστου, μᾶλλον δὲ ἴσως καὶ αὐτοῦ Πλάτωνος, τοῦτο γοῦν πρόχειρον ἴσως διισχυρίζεσθαι.

23. [109, 4] Οὗτος τοίνυν ὁ δυνάμει νοῦς ὅταν ἀπολάβῃ τὴν οἰκείαν

μορφὴν ἐλλάμψαντος αὐτῷ τοῦ ποιητικοῦ, πρῶτον μὲν νοεῖ τὰ ἁπλᾶ καὶ ἀδιαίρετα σημαινόμενα, ὅσα ἐν ταῖς κατηγορίαις διώρισται, ἐν οἷς οὔπω τὸ ἀληθὲς ἢ τὸ ψεῦδός ἐστι· προϊὼν δὲ καὶ συντίθησιν αὐτὰ πρὸς ἄλληλα, οἷον τὸ Σωκράτης καὶ τὸ βαδίζει, ἐν οἷς ἤδη τὸ ἀληθὲς καὶ τὸ ψεῦδος. συντίθησι δὲ οὐχ ὥσπερ σωρόν, ἀλλ’ ὥστε ἓν αὖθις τὰ πολλὰ ποιῆσαι καὶ περιαγαγεῖν εἰς μίαν νόησιν τὸ πλῆθος τῶν ἁπλῶν σημαινομένων·

[109, 10] τοιοῦτον γὰρ τὸ ὁ Σωκράτης φιλοσοφεῖ, καὶ ἔοικεν ἡ

σύνθεσις αὕτη τῶν ἐννοημάτων τῇ παρ’ Ἐμπεδοκλεῖ τῶν μελῶν, ἣν ἐκείνῳ συντίθησιν ἡ φιλία τὰ μέλη τῶν ζώων διεσπαρμένα, καὶ ὥσπερ ἐκείνῳ οὐ πᾶσα σύνθεσις τῶν μελῶν ποιεῖ τὸ ζῶον,



Paraphrase zu De anima, III 4–6

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der anderen Hinsicht eine; denn eines ist das aus Materie und Form Zusammengesetzte.

22. Fazit [108, 35] Doch wie ich schon sagte, ist es eine Aufgabe von eige-

ner Muße und Sorge, die Lehrmeinung der Philosophen deutlich zu machen. Dass hingegen jemand vorwiegend aus den Zitaten, die wir zusammengetragen haben, [109] die Erkenntnis von Aristoteles und Theophrast über diese Dinge erfassen dürfte, vielleicht sogar mehr auch von Platon selbst, dies zu behaupten wäre wohl leichtfertig.

Paraphrase zu Kapitel VI 23. Leistungen des potentiellen Geistes: Urteile 6. [109, 4] Fürwahr, immer wenn dieser potentielle Geist seine eigentümliche Form erhält, dann wenn ihn der aktive Geist erleuchtet,195 denkt er zuerst das, was einfach und ungeteilt bezeichnet wird, wie es in den Kategorien definiert ist, unter denen noch nicht Wahrheit oder Falschheit ist:196 Indem er fortschreitet, setzt er sie auch miteinander zusammen, wie zum Beispiel den (Namen) Sokrates und das (Verb) »schreitet«, wo es schon »wahr« und »falsch« gibt. Er setzt sie aber zusammen nicht wie eine ungeordnete Menge, sondern so, dass er die vielen wiederum zu einem macht und die Menge der einfachen Bezeichnungen (Einzelwörter) in einem Gedanken zusammenfügt.197 [109, 10] Von der Art [ist] nämlich die (Aussage) »Der Sokrates philosophiert«, und es gleicht diese Zusammensetzung der Gedanken der der Glieder bei Empedokles, zu der nach jenes Auffassung die Liebe die verstreuten Glieder der Lebewesen zusammensetzt.198 Und gleichwie für jenen [Empedokles] nicht

336 Themistios · Text

οὕτως οὐδ’ ἐνταῦθα πᾶσα σύνθεσις τὸ ἀληθές, ἀλλὰ τὶς μὲν τὸ ἀληθὲς ποιεῖ σύνθεσις, τὶς δὲ τὸ ψεῦδος, οἷον τὸ ἀσύμμετρον μὲν συντεθὲν τῇ διαμέτρῳ τὸ ἀληθές, τὸ σύμμετρον δὲ τὸ ψεῦδος.

[109, 15] καὶ ὥσπερ ἐκεῖ ἐξ ἁπλῶν τῶν μελῶν ἁπλοῦν γίνεται

αὖθις τὸ ζῶον, οὕτως ἐξ ἁπλῶν σημαινομένων ἁπλοῦς αὖθις γίνεται ὁ λόγος.

24. [109, 18] πολλοῖς δὲ προσνοεῖ καὶ τὸν χρόνον ὅταν ὡς περὶ γε-

νομένων ἢ ἐσομένων διανοῆται, καὶ τοῦτο ἴδιον ἤδη τοῦ νοῦ ἢ τῆς ὑπὲρ τὴν φαντασίαν δυνάμεως τὸ συναντιλαμβάνεσθαι καὶ χρόνου ἤτοι παρελθόντος ἢ μέλλοντος· ἡ γὰρ αἴσθησις καὶ ἡ φαντασία ἀναντίληπτοι παντάπασι χρόνου καὶ μάλιστα παρ­ εληλυθότος ἢ μέλλοντος· οὐδὲν γὰρ ἐγγίγνεται φάντασμα τῇ ψυχῇ οὐδὲ αἴσθησις τοῦ πεφιλοσοφηκότος ἢ δεδραμηκότος, ὥσπερ οὐδὲ εἰκών, ἀλλ’ ἕκαστον ὡς παρὸν ἄρτι κινεῖ τὴν αἴσθησιν ἢ τὴν φαντασίαν, τὸν χρόνον δὲ προσεννοῆσαι τοῦ νοῦ, καὶ ἔστι τὸ ἀληθὲς καὶ τὸ ψεῦδος καὶ περὶ τὸν χρόνον. τὸ μὲν γὰρ ‘ἦν Κροῖσος ὁ Λυδὸς’ ἀληθές, τὸ δὲ ‘ἔστι Κροῖσος ὁ Λυδὸς’ ψεῦδος.

25. [109, 27] πολλάκις μὲν οὖν συντίθησι τὸ ὑπάρχον τῷ πράγματι

ὡς ὑπάρχον, ὅταν λέγῃ ‘ἡ χιὼν λευκή ἐστι’, πολλάκις δὲ τὸ ὑπάρχον ὡς μὴ ὑπάρχον, ὅταν λέγῃ ‘ἡ χιὼν οὐκ ἔστι λευκή’·



Paraphrase zu De anima, III 4–6

337

jede Zusammensetzung der Glieder das Lebewesen bewirkt, so auch nicht dort jede Zusammensetzung die Wahrheit, sondern irgendeine Zusammensetzung bewirkt das Wahre, irgendeine (andere) das Falsche, wie zum Beispiel das Inkommensurable mit der Diagonalen zusammengesetzt das Wahre bewirkt, das Kommensurable aber das Falsche.199 [109, 15] Und gleichwie dort aus einfachen Gliedern wiederum ein einfaches Lebewesen wird, so entsteht aus einfachen Bezeichnungen wiederum ein einfacher Satz.200

24. Leistungen des potentiellen Geistes: Verzeitlichung [109, 18] Zu vielen [Sätzen] aber denkt er auch die Zeit hinzu,

immer dann, wenn er über entstandene [Dinge] oder zukünftige denkt, und dies ist schon eine Eigentümlichkeit des Geistes oder der über die Vorstellung herausgehenden Kraft, dass er auch die Zeit, sei es die vergangene oder die zukünftige, zu erlangen hilft. Denn die Wahrnehmung und die Vorstellung sind völlig unempfänglich für die Zeit, und zwar besonders für die vergangene oder die zukünftige. Denn kein Vorstellungsbild 201 gelangt in die Seele und auch nicht die Wahrnehmung eines [Menschen], der philosophiert hat oder gelaufen ist, gleichwie auch kein Bild, sondern ein jedes, gleichsam gerade anwesend, affiziert die Wahrnehmung oder die Vorstellung, die Zeit aber dazuzudenken [ist Sache] des Geistes, und »wahr« und »falsch« gibt es auch bezüglich der Zeit. Denn die [Aussage] »Es existierte Krösus, der Lyder« ist wahr, aber die [Aussage] »Es existiert Krösus, der Lyder« ist falsch.202

25. Trennt der potentielle Geist Wahrnehmungsinhalte? [109, 27] Oft nun setzt er das Attribut dem Gegenstand als

bestehend[e Eigenschaft] hinzu, sooft er sagt »Der Schnee ist weiß«, oft das Attribut als nicht bestehend[e Eigenschaft], sooft

338 Themistios · Text

συντίθησι γὰρ τηνικαῦτα τῷ τοιούτῳ τὸ τοιοῦτον μὴ ὑπάρχειν. εἰ δέ τις μὴ σύνθεσιν τὰ τοιαῦτα ἀλλὰ διαίρεσιν λέγοι, οὐδ’ οὗτος ἂν λέγοι κακῶς· διαιρέσει γὰρ ἔοικεν ἡ ἀπόφασις, συνθέσει δὲ ἡ κατάφασις. [109, 33] τάχα δὲ καὶ πάντα διαίρεσις· ἃ γὰρ ἡ φαντασία συγκε-

χυμένως παρὰ τῆς αἰσθήσεως ὑπεδέξατο, ὁ νοῦς διαιρεῖ· ἡ μὲν γὰρ ὡς ἓν φαντάζεται τὸν βαδίζοντα Σωκράτην, ὁ νοῦς δὲ διαιρεῖ χωρὶς μὲν τὸ Σωκράτης, χωρὶς δὲ τὸ βαδίζει, καὶ ἐξαγγέλλει χωρὶς τὰ μὴ χωρίς· χωρίσας μέντοι γε αὖθις ἓν ποιεῖ· εἷς γὰρ λόγος καὶ ἓν αὖθις νόημα τὸ Σωκράτης φιλο [110] σοφεῖ, καὶ τὸ ἀληθὲς καὶ τὸ ψεῦδος ὡς ἑνὸς λόγου. δύο τοίνυν ἴδια ταῦτα τοῦ νοῦ, τό τε πολλὰ δύνασθαι νοήματα εἰς ἓν συνάγειν ὥσπερ ἕν, καὶ τὸ προσεννοεῖν τὸν χρόνον, τούτων δὲ οὐδέτερον οὔτε τῆς φαντασίας οὔτε τῆς αἰσθήσεως ἔργον ἐστί.

26. [110, 5] Τὸ δὲ ἁπλοῦν καὶ ἀδιαίρετον λέγεται διχῶς· ἢ γὰρ ὅτι

μήτε δυνάμει μήτε ἐνεργείᾳ τοῦτό ἐστι διαιρετόν, ὥσπερ εἶχε τὰ ἄυλα εἴδη καὶ ἡ στιγμή, ἢ ὅτι δυνάμει μὲν διαιρετὸν ἐνεργείᾳ δὲ ἀδιαίρετον, ὥσπερ ἡ γραμμὴ καὶ πᾶν μέγεθος.

[110, 8] καὶ ὁ νοῦς τοίνυν καὶ ὁ χρόνος, ᾧ προσχρῆται εἰς τὴν

νόησιν, τοῖς πράγμασιν ὁμοίως καὶ διαιρετὸς καὶ ἀδιαίρετος· ἐπὶ μὲν τῶν ἀύλων εἰδῶν παντάπασιν ἀδιαίρετος ὅ τε χρόνος καὶ αὐτὸς ὁ νοῦς, ὅταν δὲ τὰ δυνάμει μὲν διαιρετὰ ἐνεργείᾳ δὲ



Paraphrase zu De anima, III 4–6

339

er sagt »Der Schnee ist nicht weiß«. Denn er setzt dann hinzu, dass einem Solchen ein Solches nicht zukommt.203 Wenn aber jemand dies nicht als Zusammensetzung, sondern als Dihärese (Trennung) bezeichnet, dann mag dieser wohl nicht Unrecht haben; die Apophasis (Verneinung) gleicht nämlich einer Trennung, der Zusammensetzung die Kataphasis (Bejahung). [109, 33] Vielleicht ist aber auch alles Trennung;204 was nämlich die Vorstellung ungeordnet von der Wahrnehmung empfing, das trennt der Geist; denn diese stellt als ein Eines den schreitenden Sokrates vor, der Geist aber trennt abgesondert einerseits den [Eigennamen] Sokrates, andererseits das »schreitet« und bezeichnet das Ungetrennte getrennt; nachdem er es getrennt hat, macht er es wiederum zu Einem;205 denn einer ist der Satz und ein Gedanke wiederum die (Aussage) »Sokrates [110] philosophiert«, und »wahr« und »falsch« [gelten] wie von einem Satz. Diese beiden [Leistungen] sind dem Geist eigentümlich, viele Gedanken zu einem zusammenfügen zu können, als seien sie eine Einheit und die Zeit hinzuzudenken; keines von diesen beiden ist ein Werk weder der Vorstellung noch der Wahrnehmung.

26. Das Unteilbare [110, 5] Von dem Einfachen und Unteilbaren wird auf zweierlei

Weise geredet:206 entweder nämlich, dass dies (etwas Bestimmtes) weder der Möglichkeit nach noch in Wirklichkeit teilbar ist, gleichwie sich die unstofflichen Formen und der Punkt verhalten,207 oder dass [etwas Bestimmtes] der Möglichkeit nach teilbar, der Wirklichkeit nach unteilbar [ist], wie die Linie und jede Größe. [110, 8] Und der Geist wahrlich und die Zeit, der er sich für den Denkakt zusätzlich bedient, [sind] in gleicher Weise wie die Gegenstände sowohl teilbar als auch unteilbar.208 Denn bei den immateriellen Formen ist die Zeit völlig unteilbar und auch der Geist selbst; sooft er aber denkt, was der Möglichkeit nach

340 Themistios · Text

ἀδιαίρετα νοῇ, νοεῖ καὶ αὐτὸς ὢν ἐνεργείᾳ ἀδιαίρετος καὶ ἐν χρόνῳ ἀδιαιρέτῳ· νοεῖ γὰρ ὡς ἓν τὸ μῆκος καὶ οὐκ ἐν τῷ ἡμίσει μὲν χρόνῳ τόδε, ἐν τῷ ἡμίσει δὲ τοδί· οὕτω γὰρ ἂν μήκη δύο καὶ οὐχὶ μῆκος νοοίη, διαιρῶν δὲ τὸ μῆκος εἰς μήκη διαιροίη ἂν καὶ τὸν χρόνον. [110, 15] τὸ δὲ μὴ κατὰ ποσὸν ἀδιαίρετον ἀλλὰ τῷ εἴδει οἷον τὸ ἄν-

θρωπος ἢ τὸ Σωκράτης (ἄμφω γὰρ ἀδιαίρετα τῷ εἴδει· οὔτε γὰρ τὸ τοῦ ἀνθρώπου νόημα διαιρετὸν τῷ εἴδει, ἀλλ’ εἴπερ ἄρα τοῖς καθ’ ἕκαστον, οὔτε δὴ μᾶλλον τὸ Σωκράτους), ταῦτα τοίνυν τὰ ἀδιαίρετα τῷ εἴδει καὶ ἐν χρόνῳ ἀδιαιρέτῳ νοεῖ καὶ νοήσει ἀδιαιρέτῳ· οὐ γὰρ τὸ μὲν ἥμισυ τοῦ Σωκράτους ἐν τῷ ἡμίσει, τὸ δὲ ἥμισυ αὖθις ἐν τῷ ἡμίσει, οὐδὲ παρατείνεται τῇ διεξόδῳ τῆς λέξεως δι’ ἧς προφερόμεθα τὸ ἄνθρωπος ἡ σύνθεσις τοῦ νοήματος·

[110, 22] καὶ γὰρ τοῦτο ἤδη τῶν τοῦ νοῦ θαυμάτων· ἀκούει μὲν γὰρ

ἐν χρόνῳ, νοεῖ δὲ οὐκ ἐν χρόνῳ, ἀλλ’ ἐν τῷ νῦν ὅπερ ἢ οὐδὲ ὅλως χρόνος ἐστὶν ἢ ἀμερὴς χρόνος. καὶ αὐτὸς δὲ ἀμερεῖ τῇ νοήσει νοεῖ, οὐ συμπαρατεινόμενος ὥσπερ ἔφην τῷ ὀνόματι οὐδὲ κατὰ μόριον τοῦ ὀνόματος καὶ καθ’ ἑκάστην συλλαβὴν προσλαμβάνων τι μόριον τοῦ νοήματος, ἀλλὰ τὸ μὲν ὄνομα διαιρετόν, ἀδιαίρετον δὲ τὸ νόημα. [110, 27] εἰ δὲ καὶ τὸ νόημα διαιρετὸν φιλονικοίη τις λέγειν, κατὰ

[τὸ] συμβεβηκὸς ἂν αὐτὸ λέγοι διαιρετόν, καὶ οὐχ ᾗ αὐτὸ διαιρετόν, ἀλλ’ ᾗ τοὔνομα καὶ ἡ φωνή, δι’ ἧς καὶ προφέρεται αὐτὸ καὶ νοεῖ, καὶ ᾗ ἀμερὲς ὂν μεριστῇ οὔσῃ τρόπον τινὰ δύσφραστον ἐναρμόζεται. [110, 31] πολλὰ δὲ κατὰ συμβεβηκὸς διαιρετὰ καὶ οὐχ ᾗ αὐτὰ διαι-

ρετά, ἀλλ’ ᾗ ἐκεῖνα δι’ ὧν γνωρίζεται, οὕτω γὰρ καὶ τὸ πέρας τοῦ



Paraphrase zu De anima, III 4–6

341

teilbar ist, der Wirklichkeit aber unteilbar, denkt er auch selbst, der in Wirklichkeit unteilbar ist und in unteilbarer Zeit; denn er denkt als ein Eines die Größe und nicht in der halben Zeit dieses [Quantum], in der [anderen] Hälfte das da [jenes Quantum]. So nämlich denkt er vermutlich zwei Größen und nicht (eine) Größe, falls er aber die Größe in Größen teilen sollte, teilt er vermutlich auch die Zeit. [110, 15] Das aber, was nicht nach der Größe unteilbar ist, sondern aufgrund seiner Art209 wie zum Beispiel der [Begriff] »Mensch« oder der [Eigenname] Sokrates (beide sind nämlich unteilbar aufgrund ihrer Art; weder ist der Begriff des Menschen teilbar der Art nach, sondern, wenn überhaupt, dann aufgrund der einzelnen [Individuen], noch in größerem Maß der [Eigenname] des Sokrates), diese wahrhaft der Art nach unteilbaren (Dinge) denkt er sowohl in unteilbarer Zeit als auch in unteilbarem Gedanken;210 denn nicht die Hälfte des [Eigennamens] Sokrates [denkt er] in der Hälfte [der Zeit], die [andere] Hälfte wiederum in der Hälfte [der Zeit], noch erstreckt sich die Zusammensetzung des Gedankens durch den Ablauf der Artikulation des Wortes, durch den wir »Mensch« aussprechen. [110, 22] Denn auch dies [gehört] schon [zu] den Wundern des Geistes; er hört nämlich in der Zeit, denkt aber nicht in der Zeit, sondern im Jetzt, was entweder überhaupt nicht Zeit ist oder unteilbare Zeit. Und er selbst denkt mit unteilbarem Gedanken, wobei er sich, wie ich sagte, nicht mit dem Namen ausdehnt, auch nicht je Teilchen des Namens und je einzelner Silbe irgendein Teilchen des Gedankens hinzunimmt, sondern der Name (ist) zwar teilbar, unteilbar aber der Gedanke. [110, 27] Wenn aber jemand den Ehrgeiz hat, auch den Gedanken teilbar zu nennen, nennt er ihn vielleicht akzidentell teilbar und nicht an sich teilbar, sondern insofern der Name und der Sprechakt, durch den er vorgebracht wird und denkt, [teilbar sind] und insofern er, unteilbar, dem teilbaren auf eine gewisse unaussprechliche Art angepasst wird. [110, 31] Viele (Dinge) aber sind akzidentell teilbar und nicht an sich selbst teilbar,211 sondern insofern jene [Dinge teilbar sind],

342 Themistios · Text

χρόνου, ἐν ᾧ νοεῖ, κατὰ συμβεβηκὸς διαιρετὸν εἴποιμεν ἂν ὅτι συμβέβηκε τῷ χρόνῳ οὗ ἐστὶ πέρας καὶ δι’ ἐκείνου γνωρίζεται· εἰ μὴ γὰρ τὸ ἐν πλάτει νῦν ἤνυεν ὁ ἐνιαυτὸς ὁ νῦν καὶ ὁ μὴν καὶ ἡ ἡμέρα καὶ ἡ ὥρα, οὐδ’ ἂν τὸ ἀμερὲς νῦν ἐνοήσαμεν. αἴτιον δὲ ὅτι ἐν πᾶσι τοῖς διαιρουμένοις ἔνεστί τι καὶ ἀδιαίρετον καὶ ἐν πᾶσι τοῖς συνθέτοις ἁπλοῦν, καὶ τοῦτο μὲν ἴσως οὐ χωριστὸν ἐκείνων οὐδὲ καθ’ ἑαυτὸ δυνάμενον ὑποστῆναι, ἔνεστι δ’ ὅμως· [111] οὔτε γὰρ τῆς σημαινούσης φωνῆς τὸ σημαινόμενόν ἐστι διαστῆσαι, ἀλλ’ οὐδὲ ἐξειπεῖν οἷόν τε ἄνευ φωνῆς, τάχα δὲ οὐ συνεῖναι παρ’ ἑαυτῷ μή τινι λέξει καὶ πρὸς αὑτὸν ἐναρμόσαντα· ἀλλ’ ὅμως τοῦτό ἐστιν ὃ μεριστὴν οὖσαν τὴν λέξιν ἀμερῆ ποιεῖ καὶ διαιρετὴν ἀδιαίρετον.

[111, 4] ὁμοίως δὲ καὶ ἐν τῷ χρόνῳ τὸ ἀδιαίρετον καὶ ἐν μήκει ἐστὶ

καὶ ἁπλῶς ἐν ἅπαντι τῷ συνεχεῖ, ὃ ποιεῖ καὶ τὸ μῆκος ἓν καὶ τὸν χρόνον ἕνα· τὸ γὰρ συνεχὲς καὶ τὸ ἕν· διὸ λέγομεν εἶναι τὸ στάδιον ἕν, καὶ τὴν ἡμέραν μίαν καὶ τὸν μῆνα ἕνα. τουτέστιν ὅ φημι εἶναι ἐν τῷ μήκει καὶ ἐν τῷ χρόνῳ καίτοι διαιρετοῖς οὖσιν ἀδιαίρετον καὶ συνθέτοις οὖσιν ἀσύνθετον· ἐπεὶ πάντα ἂν ἦν τὰ ποσὰ διωρισμένα καὶ πάντα πλῆθος, νῦν δὲ καὶ τὸ πλῆθος ὑπὸ τοῦ ἑνὸς περιλαμβάνεται, καὶ οὐ μόνον τὸ συνεχὲς ποσόν, ἀλλ’ ἤδη καὶ τὸ διωρισμένον· δυὰς γὰρ καὶ τριὰς καὶ δεκὰς πλῆθος ὑφ’ ἑνός ἐστι περιειλημμένον.

[111, 13] ὅταν δὲ λέγω τὴν στιγμὴν ἀδιαίρετον καὶ τὸ νῦν, ἕτερον

τρόπον χρὴ ταῦτα ἀκούειν ἀδιαίρετα καὶ ἀσύνθετα, καὶ ὥσπερ ἐστὶ φύσει καὶ καθ’ ἑαυτὸ τὸ ἀδιαίρετον· ταῦτα γὰρ τῇ στερή-



Paraphrase zu De anima, III 4–6

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durch die sie erkannt werden. So könnten wir nämlich vielleicht auch die Grenze der Zeit, in der er denkt, als akzidentell teilbar bezeichnen, weil sie mit der Zeit zusammentrifft, deren Grenze sie ist und durch jene erkannt wird; wenn nämlich nicht das jetzige Jahr und der Monat und der Tag und die Stunde das in einem weiteren Sinne [so genannte]212 Jetzt erschöpfte, dann hätten wir nicht das unteilbare Jetzt gedacht. Der Grund (dafür) ist, dass sowohl in allem, was teilbar ist, etwas Unteilbares als auch in allen zusammengesetzten [Dingen] [etwas] Einfaches [ist], und dies ist vielleicht nicht trennbar von jenen und auch nicht fähig, an sich zu bestehen, es ist aber gleichwohl darin; [111] denn weder ist es möglich, das Bezeichnete von dem bezeichnenden Sprechakt zu trennen, aber auch [ist es] nicht [möglich], es ohne Sprechakt auszusprechen, vielleicht aber [ist es] nicht [möglich], dass man bei sich selbst etwas versteht, wenn nicht vermittels irgendeiner sprachlichen Äußerung, die man an sich selbst angepasst hat; aber gleichwohl ist es dies, was die sprachliche Äußerung, die teilbar ist, unteilbar macht und die teilbare [sprachliche Äußerung] unteilbar.213 [111, 4] In gleicher Weise ist auch das Unteilbare in der Zeit und in der Größe und schlichtweg in allem Kontinuierlichem, was auch die Größe zu einer macht und die Zeit zu einer; denn das Kontinuierliche ist auch das eine; deshalb sagen wir auch, dass das Stadion214 eines ist und dass der Tag einer ist und der Monat einer. Das ist [es], von dem ich sage, es sei in der Größe und in der Zeit unteilbar, obwohl sie teilbar sind und unzusammengesetzt, obwohl (sie) zusammengesetzt sind.215 Denn alle Größen wären geteilt und alle [Größen] eine Menge, nun aber wird auch die Menge von der Einzahl umfasst, und nicht nur das Kontinuum ist eine Größe, sondern auch das Diskontinuierliche; denn die Zweiheit und auch Dreiheit und Zehnheit [sind] eine Menge, die von dem Einen umfasst wird. [111, 13] Sooft ich aber den Punkt als unteilbar bezeichne und das Jetzt, muss man dies auf eine andere Art als ungeteilt und unzusammengesetzt verstehen, sowohl wie es der Natur nach ist als auch gemäß dem Unteilbaren selbst; denn dies ist in-

344 Themistios · Text

σει τοῦ συνεχοῦς ἀδιαίρετα. οὕτω γοῦν αὐτὰ ὁ νοῦς καὶ νοεῖ καὶ ὁρίζεται·

27. [111, 18] ἔστι γὰρ καὶ τῷ νῷ καθάπερ καὶ τῇ αἰσθήσει τὰ μὲν κατ’

ἐπιβολὴν νοητὰ καὶ τῆς φύσεως αὐτῶν δραττόμενα, τὰ δὲ κατὰ στέρησιν καὶ ἀφαίρεσιν. ὥσπερ γὰρ καὶ τῇ αἰσθήσει τὸ μὲν λευκὸν καὶ τὸ φῶς κατ’ ἐπιβολήν, τὸ δὲ μέλαν καὶ τὸ σκότος κατὰ στέρησιν, καὶ τῇ ἀκοῇ ὁ μὲν ψόφος κατ’ ἐπιβολήν, ἡ σιωπὴ δὲ κατὰ στέρησιν, οὕτω καὶ τῷ νῷ τὸ μὲν ἀγαθὸν κατ’ ἐπιβολήν, τὸ δὲ κακὸν κατὰ στέρησιν,

[111, 24] καὶ τὸ Πλατωνικὸν τοῦτο ἂν εἴη περὶ τῆς ὕλης, ὅτι νόθῳ

λογισμῷ ληπτή· νόθος γὰρ ἀκριβῶς ἐνέργεια καὶ τοῦ νοῦ καὶ τῆς αἰσθήσεως ἡ μὴ κατ’ ἐπέρεισιν εἴδους ἀλλὰ κατὰ ἀναχώρησιν γινομένη. καθάπερ τοίνυν ἡ αἴσθησις, εἰ μὴ δύναμιν εἶχε καὶ πρὸς τὸ ἐνεργεῖν καὶ πρὸς τὸ μή, ἀλλὰ ἀεὶ ἐνήργει, οὐκ ἄν ποτε ᾐσθάνετο τοῦ σκότους, οὐδὲ ἡ ἀκοὴ τῆς σιωπῆς, οὕτως, εἰ μὴ καὶ νοῦς τις ἦν πρὸς ἀμφότερα πεφυκὼς καὶ πρὸς νόησιν καὶ πρὸς ἠρεμίαν, ἢ μᾶλλόν γε καὶ πρὸς νόησιν καὶ πρὸς ἄνοιαν, οὐκ ἂν ἐνόησε τὰ κακά, οὐδὲ τὸ ἄμορφον καὶ ἀνείδεον.

[111, 31] τοιοῦτος τοίνυν ἐστὶν ὁ δυνάμει· τρόπον γάρ τινα τοῖς

ἐναντίοις τὰ ἐναντία γνωρίζει, τῷ μὲν ἐνεργεῖν τὰ εἴδη, τῇ δυνάμει δὲ τὰ κατὰ στέρησιν· ἐναντία γάρ πως δύναμις καὶ ἐνέργεια.



Paraphrase zu De anima, III 4–6

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folge des Mangels an Kontinuum unteilbar. So nun denkt und begrenzt der Geist sie.216

27. Denkformen des potentiellen Geistes [111, 18] Denn auch für den Geist gleichwie für die Wahrneh-

mung gibt es das gemäß intuitiver Erkenntnis217 Denkbare und das, was an seiner Natur ergriffen wird,218 andererseits das [was] gemäß seinem Mangel (privatio)219 und Abstraktion [erkannt wird]. Gleichwie auch für die Wahrnehmung einerseits das Weiß und das Licht gemäß intuitiver Erkenntnis, das Schwarze220 und die Finsternis gemäß seinem Mangel (privatio) und für das Gehör der Klang gemäß intuitiver Erkenntnis, das Schweigen gemäß dem Mangel [erkennbar ist], so [ist] auch für den Geist das Gute gemäß intuitiver Erkenntnis, das Schlechte221 gemäß dem Mangel [erkennbar]. [111, 24] Und das Platon-Wort über die Materie zielt vermutlich auf diesen Sachverhalt, dass sie durch eine unechte Überlegung greifbar ist;222 unecht nämlich ist genau die Tätigkeit sowohl des Geistes als auch der Wahrnehmung, die nicht gemäß dem Eindruck 223 einer Form, sondern gemäß der Abwesenheit [der Form] entsteht.224 Gleichwie wahrlich die Wahrnehmung, wenn sie nicht die Möglichkeit sowohl zum Wirken als auch zum Nicht(wirken) hätte, sondern immer wirkte, dann nicht die Finsternis wahrnehmen würde und auch nicht das Gehör das Schweigen, so würde kein Geist, wenn es auch nicht einen gäbe, der für beides von Natur geeignet ist, sowohl zum Denken als auch zur Ruhe oder vielmehr sowohl zum Denken als auch zum Nichtdenken, das Schlechte denken, auch nicht das Ungestaltige und Formlose. [111, 31] Solcherart ist wahrhaftig der potentielle (Geist); in gewisser Weise erkennt er durch Gegensätze die Gegensätze, durch das Aktivsein die Formen, durch seine Potentialität das, [was] gemäß seinem Mangel [erkannt wird]. Gegenteile sind nämlich in gewissem Sinne Möglichkeit und Wirklichkeit.225

346 Themistios · Text

28. [111, 34] εἴ τις οὖν νοῦς μὴ κοινωνεῖ τοῦ δυνάμει, οὐδὲ τὰς στερή-

σεις νοεῖ· οὐδὲ ἄρα τὰ κακά. τοιοῦτος δὲ ὅ τε ἔξωθεν καὶ πολλῷ μᾶλλον [112] τὸ πρῶτον αἴτιον ὅσῳ καὶ μᾶλλον ἀπήλλακται τοῦ δυνάμει· διὰ τοῦτο γὰρ οὗτος καὶ τὸ μάλιστα ὂν καὶ τὸ μάλιστα εἶδος νοεῖ καὶ πορρωτάτω στερήσεως καὶ ἀμορφίας· τοιοῦτος δὲ αὐτός, ἑαυτὸν ἄρα νοεῖ, καὶ οὗτός ἐστιν οὗ τὴν οὐσίαν ἐνέργειαν λέγειν προσήκει καὶ ὃν ἀκριβῶς χωριστόν, οὐδὲ ἀκαρεὶ προσαρμοζόμενον τῷ δυνάμει.

[112, 5] οὐ διὰ τοῦτο δὲ ὁ τοιοῦτος νοῦς οὐ τιμιώτερος τοῦ νο-

οῦντος τὰ ἐναντία· τιμιώτερος γὰρ νοῦς οὐχ ὁ τὰ πλείω νοῶν ἀλλ’ ὁ τὰ ἀμείνω. οὐ διῄρηται δὲ ἐπ’ αὐτοῦ τὸ νοητὸν καὶ ὁ νοῦς, ὥσπερ ἐπὶ τοῦ δυνάμει, ἀλλ’ ἔστι καθὸ νοῦς νοητός, καὶ καθὸ νοητὸς αὖθις καὶ νοῦς, καὶ τὸ ἀληθὲς ἁπλῶς ἐπ’ αὐτοῦ, μᾶλλον δὲ αὐτὸς ἡ ἀλήθεια. οὐ γὰρ ἄλλο νοῶν ἀληθεύει ἀλλ’ ἑαυτόν, ὁ δὲ ἡμέτερος ἅτε σμικρὸν ἴνδαλμα ἐκείνου φέρων καὶ τὸ ἀληθὲς οὐχ ἁπλοῦν ἐπιδείκνυται, ἀλλ’ ὃ τῷ ψεύδει ἀντίκειται. ἀνάγκη γὰρ εἰ ἐν τῇ καταφάσει τὸ ἀληθές, ἐν τῇ ἀποφάσει γίνεσθαι τὸ ψεῦδος, ὥστε αἰεὶ συμπεφυρμένον ἔχει τῷ ἀληθεῖ τὸ ψεῦδος καὶ συμπαραθεωρούμενον. ὅταν μέντοι γε τῶν ἁπλῶν τι σημαινομένων ἐπισκοπῇ καὶ τὸ εἶδος αὐτοῦ θεωρῇ καὶ τὸν λόγον τοῦ τί ἦν εἶναι, ἥκιστα μὲν διαψεύδεται, οὐ μὴν ἀεὶ τυγχάνει τοῦ ὄντος, ἀλλ’ ὥσπερ ἡ ὄψις μόνον μὲν κρίνουσα τὸ λευκὸν ἐλάχιστα ἂν



Paraphrase zu De anima, III 4–6

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28. Wirkender und potentieller Geist – nicht-diskursives und diskursives Denken [111, 34] Wenn nun irgendein Geist nicht an der Potentialität An-

teil hat, dann denkt er auch nicht die Mängel; also auch nicht das Schlechte. Derart ist der von außen226 und um [so] viel mehr [112] die erste Ursache, um [wie] viel er auch weiter entfernt ist von dem potentiellen; deshalb nämlich denkt dieser sowohl das im höchsten Maße Seiende und die Form, die im höchsten Maße ist, und am weitesten (entfernt) von Mangel und Gestaltlosigkeit. So beschaffen ist er, sich selbst denkt er folglich, und dieser ist (es), dessen Wesen als Wirken zu bezeichnen sich schickt und den in exaktem Sinn trennbar [zu bezeichnen sich schickt], auch nicht im Geringsten übereinstimmend mit dem potentiellen.227 [112, 5] Nicht deswegen aber ist der derartige Geist [nicht]228 höherer Ehre würdig als der, der die Gegenteile denkt; höherer Ehre würdig ist nicht der Geist, der das Vielfältigere denkt, sondern der, der das Bessere [denkt]. Bei ihm sind das Gedachte und der Geist nicht getrennt, so wie bei dem potentiellen, sondern er ist, sofern Geist, denkbar und, sofern denkbar wiederum Geist, und das Wahre ist einfach229 an ihm, vielmehr aber ist er selbst die Wahrheit. Nicht nämlich ist er die Wahrheit, indem er etwas Anderes denkt, sondern sich selbst,230 der unsere aber, weil ein kleines Abbild von jenem tragend, zeigt auch das Wahre nicht als ein Einfaches, sondern [als das,] was dem Falschen entgegengesetzt ist. Notwendig ist nämlich, wenn in der bejahenden Aussage das Wahre [ist], [dass] dann in der verneinenden Aussage das Falsche [erzeugt] wird,231 so dass er immer das Falsche mit dem Wahren vermischt besitzt und zusammen betrachtet. Sooft er jedoch von den einfachen [Begriffen] einen, der bezeichnet wird, untersucht und seine Form betrachtet und seine Wesensbestimmung, geht er am wenigsten in die Irre. Aber nicht immer trifft er das Seiende, sondern gleichwie das Sehvermögen, wenn es allein das Weiße beurteilt, vermutlich am wenigsten einen Irrtum begeht, wenn es aber aussagt, dass

348 Themistios · Text

διαμαρτάνοι, Κλέωνα δὲ εἶναι τὸ λευκὸν ἀποφαινομένη πολλάκις διαμαρτάνει, οὕτω καὶ ὁ νοῦς, ἔστ’ ἂν μὲν ἵστηται ἐπ’ αὐτῆς τῆς ἐννοίας τοῦ τί ἦν εἶναι, οἷον τοῦ ἀγαθοῦ ἢ τοῦ καλοῦ, ὡς τὰ πολλὰ ἀναμάρτητος καὶ ἀψευδής· ὅταν δὲ ἀγαθὸν τοῦτο λέγῃ καὶ τοῦτο καλόν, ἀλλοτριονομεῖ πολλάκις καὶ ἐπαλλάττει τὰ τοιαῦτα τοῖς μὴ τοιούτοις, καὶ ἐνταῦθα ἤδη πολὺ τὸ ψεῦδος καὶ ἡ ἀπάτη. δεῖ οὖν ἵστασθαι ἐπὶ τῶν εἰδῶν καὶ μάλιστα ζητεῖν τὸ ἄνευ ὕλης· περὶ ταῦτα γὰρ τὸ ἴδιον ἔργον τοῦ νοῦ.



Paraphrase zu De anima, III 4–6

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Kleon das Weiße232 ist, vielfach einen Irrtum begeht, so [bleibt] auch der Geist, solange er bei dem Gedanken der Wesensbestimmung stehen bleibt, wie zum Beispiel des Guten oder des Schlechten, meist fehlerlos und ohne Falsch; wenn er aber dies [Bestimmtes] als gut und dies [Bestimmtes] als schlecht bezeichnet, ordnet er häufig falsch zu und vertauscht Qualitäten mit Qualitäten und von da schon [entspringt] viel Irrtum und Täuschung.233 Es gehört sich also, bei den Formen zu beharren und vor allem das zu suchen, [was] ohne Materie [ist]; in Bezug darauf [entfaltet sich] das eigene Werk des Geistes.

5. JOHANNES PHILOPONOS Kommentar zu De anima (Einleitung und III 4–7) Ausgewählt, eingeleitet, übersetzt und erläutert von Michael Schramm

1. Leben und Werk Johannes Philoponus lebte ca. 490–575 n. Chr. und wirkte von etwa 520 bis zur Mitte des 6. Jahrhunderts in Alexandria. Schon diese wenigen Angaben sind mehr aus einigen wenigen Indizien erschlossen als durch zuverlässige historische Informationen gesichert.1 Dass er von Geburt an Christ war, legt sein Name »Johannes« nahe.2 Sein Beiname »Philoponos« (der »Arbeitsliebende«) verweist entweder auf die Zugehörigkeit zu einer als »Philoponoi« bezeichneten christlichen Laienbewegung oder auf den Fleiß des Autors.3 Er selbst bezeichnete sich als »Johannes Grammatikos«,4 was vermutlich auf seine berufliche Position als Philologe an der (Hoch-)Schule von Alexandria hinweist. Ob er jemals ein anderes Amt innehatte, etwa als Phi Lediglich von zwei Werken des Philoponos lassen sich Angaben über ihr Entstehungsdatum machen: nämlich für den 517 entstandenen Kommentar zu Aristoteles’ Physik (Philoponos, in phys. 703, 16 f.) (Perkams 2009, S. 385–391 hält diese Angabe für das Datum der AmmoniosVorlesung, auf der der Kommentar beruht; Philoponos’ Bearbeitung dieser Vorlesung falle zwischen 529 und 534, so dass sich als Geburtsjahr um 500 ergäbe; vgl. jetzt auch Perkams, im Druck) und für die 529 entstandene Schrift »Über die Ewigkeit der Welt gegen Proklos«, De aeternitate mundi contra Proclum (579, 14 f. Rabe). Die restlichen Werke des Philoponos werden in einer relativen Chronologie zu diesen Daten geordnet (vgl. Sorabji 1987, S. 37–40 und Scholten 1997, S. 29). 2  Vgl. Évrard 1953, S. 299–357 (bes. S. 346–357), Saffrey 1954, S. 396–410. 3  Zur ersten These vgl. Wolff 1978, S. 107–113, zur zweiten Blumenthal 1996, S. 49. 4  Simplikios, in cael. 119, 7; in phys. 1326, 38. 1

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Johannes Philoponos · Einleitung

losoph oder vielleicht sogar als Leiter der Schule, ist ungewiss. Philoponos verfasste Aristoteles-Kommentare, die auf Nachschriften der Vorlesungen seines Lehrers Ammonios (ca. 440 – nach 517) beruhen, der selbst wiederum ein Schüler des Proklos war und bei dem viele andere bekannte Neuplatoniker wie Damaskios, Simplikios und Olympiodor d. J. in die Schule gegangen sind. Ammonios konzentrierte sich offenbar vornehmlich auf seine Vorlesungstätigkeit, die darin bestand, einen Platon- bzw. Aristoteles-Text Stück für Stück zunächst sachlich, dann sprachlich zu erklären,5 und überließ die Nachschrift und Herausgabe seiner in der Vorlesung entstandenen Kommentare seinen Schülern, die diese Kommentare teilweise mit eigenen Anmerkungen bereichert unter eigenem Namen veröffentlichen konnten.6 Von ihm selbst ist nur ein Kommentar zu Aristoteles’ De interpretatione erhalten, die meisten anderen Vorlesungsnachschriften sind von Philoponos ediert, so dass er von manchen sogar als der »offizielle Herausgeber« der Werke des Ammonios angesehen wurde.7 So sind von Philo­ponos – neben dem De-anima-Kommentar – die Kommentare zu Aristoteles’ Kategorien, der Ersten und Zweiten Analytik, der Physik, Über Werden und Vergehen und der Meteorologie erhalten; verloren sind die Kommentare zu den Sophistischen  Ammonios folgte hier der Praxis seines Lehrers Proklos (vgl. Festu­ gière 1963, S. 77–100). In der Tradition des Jamblich las er zunächst zwei bis drei Jahre Aristoteles, vor allem die Werke des »Organon«, dann dessen Werke zur Ethik, Physik, Mathematik und Theologie (Ammonios, in cat. 6, 16–20); im Anschluss daran folgte eine kanonische Reihe von zehn platonischen Dialogen mit dem Parmenides und dem Timaios zum Abschluss (vgl. Watts 2006, S. 226). 6  Beispielsweise von Asklepios von Tralles ein Kommentar zur Metaphysik und zu Nikomachos’ Einführung in die Arithmetik, der möglicherweise die Vorlage für Philoponos’ etwas ausführlicheren und im Vergleich besseren Kommentar zum selben Werk darstellte (vgl. Westerink 1964, S. 526–35). Andere Schülernachschriften, die den Namen des Ammonios tragen, sind zu den Kategorien, zur Ersten Analytik und zu Porphyrios’ Isagoge-Kommentar erhalten. 7  So von Saffrey 1954. 5

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Trugschlüssen, zur Topik und zu De Caelo. Hinzu kommen an philosophischen Werken ein Kommentar zur Arithmetik des Nikomachos von Gerasa, die ebenfalls auf Vorlesungen des Ammonios zurückgehen, sowie einige Abhandlungen zu mathematischen, astronomischen, medizinischen und grammatikalischen Fragen.8 Methodologisch folgte Philoponos in seinen Kommentaren dem Ammonios, der forderte, den kommentierten Text zuerst zu interpretieren, dann aber hinsichtlich seines Sachgehalts auch kritisch zu prüfen und in jedem Fall »die Wahrheit dem Aristoteles vorzuziehen«.9 Faktisch arbeitete Ammonios jedoch, ähnlich wie Proklos und die späteren Neuplatoniker, auf die Übereinstimmung von Platon und Aristoteles hin.10 Obwohl sich Ammonios vornehmlich für Logik und Naturphilosophie und weniger für Metaphysik interessierte, scheint seine Aristoteles-Interpretation durchaus mit dem metaphysisch stark ausdifferenzierten und hierarchisierten Athener Neuplatonismus des Proklos vereinbar zu sein, jedoch mit einer – vermutlich didaktisch motivierten – Tendenz zur Vereinfachung.11 Die wichtigsten Kennzeichen dieses Alexandriner Neuplatonismus sind die folgenden: Oberhalb des göttlichen Geistes steht das Prinzip des Einen oder Guten, wobei der göttliche Geist identisch ist mit dem aristotelischen Gott und dem platonischen Demiurgen und die platonischen Ideen als Schöpfungs- und Erkenntnisprinzipien enthält; der göttliche Geist wird sowohl als Wirk- wie auch als Finalursache der Welt aufgefasst, die notwendig aus ihm hervorgeht; die kleinteiligen Zwischenstufen des Proklos zwischen dem göttlichen Geist und der wahrnehmbaren Welt  Vgl. die Werkübersicht in Scholten 1997 (s. Anm. 1), S. 36–43. Eine kommentierte Edition der wichtigsten naturwissenschaftlichen Werke gibt Böhm 1967.  9  Ammonios, in cat. 8, 11–19. 10  Vgl. z. B. Ammonios, in int. 39, 11 f. 11  Vgl. Verrycken 1998, S. 541 f. im Anschluss an die Forschungen I. Hadots (v. a. Hadot 1978) zu der Vereinbarkeit des Athener und des Alexandriner Neuplatonismus.  8

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werden reduziert auf den Gegensatz von Schaffendem und Geschaffenem.12 Bereits in Philoponos’ vermutlich 517 entstandenem Kommentar zu Aristoteles’ Physik13 finden sich jedoch starke christlich motivierte Abweichungen von dieser Lehre.14 Besonders erhob Philoponos philosophische, keine theologischen Einwände gegen Aristoteles’ Kosmologie und Naturphilosophie, insbeson Vgl. Verrycken 1990a, S. 218–223, S. 226 und Verrycken 1990b, S. 236 f.  Zu den Schwierigkeiten der Datierung dieses Kommentars vgl. Perkams 2009, S. 385–391. Er nimmt an, dass Philoponos’ Bearbeitung von Ammonios’ Vorlesung zwischen 529 und 534 stattfand, also nach De aeternitate mundi contra Proclum und vor Simplikios’ Antwort auf Philoponos’ spätere Schrift Contra Aristotelem. 14  Über die Einschätzung dieses Befunds herrscht in der Forschung Uneinigkeit. Hier ist nicht der Raum, dieses Streitfrage zu diskutieren und zu entscheiden, doch sollen die maßgeblichen Positionen hierzu kurz skizziert werden: Verrycken 1990b, 1994 und 1998 argumentiert vehement für eine Unterscheidung eines »Philoponos 1« von einem »Philoponos 2«, wobei das Datum zur Unterscheidung die Schließung der platonischen Akademie zu Athen durch Kaiser Justinian im Jahr 529 sei – das Jahr, um das herum er De aeternitate mundi contra Proclum verfasste. Verrycken nimmt entsprechend unter den Kommentaren eine Zweiteilung vor in solche vor 529 ohne nachträgliche Korrekturen (die Kommentare zu cat., an. pr., gen. corr. und an.) und solche mit nachträglichen, christlich motivierten Überarbeitungen (die Kommentare zu an. post., phys. und meteor.). Als Grund für diesen scheinbaren Wandel nimmt Verrycken 1990b, S. 241 Opportunismus an, während Saffrey 1954, S. 408 f. vermutete, dass Philoponos’ die Strategie verfolgte, unter dem Druck der christlichen Behörden die Schließung der alexandrinischen Schule durch eine gewisse christliche Programmatik zu verhindern. Gegen Verrycken argumentiert Scholten 1996, 118–143 und 1997, 20 Anm. 41 für die Einheit von Philoponos’ Philosophie, indem er darauf hinweist, dass Verrycken zur Stützung seiner Hypothese weitreichende textgeschichtliche Zusatzhypothesen machen müsse und dass eine solche Totalrevision, wie Verrycken sie annimmt, nicht auf bloßen Opportunismus zurückzuführen sei. Perkams 2008, S. 33–36 erklärt die teilweisen Widersprüche im selben Text mit der prinzipiellen Arbeitsweise des Kommentators, bereits vorliegende Mitschriften aus Ammonios’ Vorlesungen nur zu bearbeiten und gegebenenfalls zu ergänzen und an den Stellen zu korrigieren, wo ihm eine Korrektur angebracht zu sein schien. 12

13

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dere gegen die Ewigkeit der Welt und die Existenz eines sogenannten fünften Elements, des Äthers, die er in polemischen Schriften wie Gegen Aristoteles bzw. Gegen Proklos entwickelte.15 Diese Kritik führte zu einer vehementen, auch persönlich diffamierenden Verteidigung der aristotelisch-neuplatonischen Weltewigkeitslehre durch den orthodoxen Neuplatoniker Simplikios, der zwar ebenfalls bei Ammonios in Alexandria studiert hatte, aber vermutlich zu einer anderen Zeit als Philoponos, da er diesem persönlich nie begegnet sein will. Die Nachwirkung von Philoponos’ Argumenten war beträchtlich; über die islamische Philosophie und Bonaventura16 reichte sie, wenn auch ohne unmittelbaren historischen Bezug, bis zu Kant, dessen kosmologische Antinomie in der Antinomienlehre der »Kritik der reinen Vernunft« den Positionen und Argumenten im Streit zwischen Philoponos und Simplikios über die Ewigkeit der Welt entspricht.17 Aus seiner Kritik an Aristoteles folgten auch einige naturphilosophische Innovationen, die teilweise erst in der neuzeitlichen Physik wiederaufgenommen wurden: Mit der Impetus-Theorie revidierte Philoponos die aristotelische Bewegungslehre, nach der die auf einen Gegenstand einwirkende Kraft durch ein Medium wie Luft sukzessive übertragen wird, indem er annahm, dass der bewegte Körper eine eigene innere Kraft hat, nach der ein einmal von außen gegebener Impetus selbständig weiterwirkt und ein Medium nur als Widerstand  Rabe 1899; Scholten 2009. Vgl. Gleede 2009. Der Traktat widerlegt 18 Argumente eines verlorenen Traktats des Proklos für die Ewigkeit der Welt. Der Traktat Gegen Aristoteles, der nur in Fragmenten erhalten ist, enthält in den ersten fünf Büchern Philoponos’ Kritik an Aristoteles’ Lehre vom fünften Element, im sechsten Buch seine Kritik an der ewigen Bewegung und in den letzten beiden Büchern Überlegungen zu einer christlichen Theorie der göttlichen Schöpfung (ins Englische übersetzt von Wildberg 1987). Bereits in seinem Kommentar zu Aristoteles’ Physik finden sich Argumente gegen die Ewigkeit der Welt. 16  Vgl. Sorabji 1987, S. 167. 17  Vgl. Wieland 1960, S. 306–316. 15

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wirkt.18 Außerdem revidierte er Aristoteles’ Begriff einer ersten, formlosen Materie,19 verwarf dessen Vorstellung vom Ort als der Grenze der Umgebung eines Körpers und rehabilitierte den von diesem verworfenen Begriff eines leeren, dreidimensional ausgedehnten Raumes.20 Schließlich trug er mit seiner Kritik am Äther, an der Kreisbewegung der Himmelskörper und am aristotelischen Unendlichkeitsbegriff zu einer Vereinheitlichung der Bewegungstheorie und der Abschaffung des für Aristoteles wichtigen Unterschieds zwischen supra- und sublunarer Welt bei.21 Als Theologe tat sich Philoponos in seinem letzten Lebensdrittel hervor, ausgelöst vermutlich von theologischen Streitigkeiten zur Christologie, die schließlich zum 2. Konzil von Konstantinopel im Jahre 553 führten. Schon in seinem im Stil seiner Aristoteles-Kommentare gehaltenen Kommentar zum biblischen Schöpfungsbericht mit dem Titel »Über die Erschaffung der Welt«,22 der vermutlich schon vor dem Konzil entstanden ist, zeigt sich ein Grundzug des Theologen Philoponos, dass er theologische Aussagen mit den Mitteln der Philosophie formuliert und die Harmonie von Glauben und Wissen sucht. So ist es ein Ziel dieses Kommentars, die Übereinstimmung des Bibeltextes mit dem ptolemäisch-sphärischen Weltbild der zeitgenössischen Naturphilosophie aufzuzeigen.23 In der Auseinandersetzung über die Christologie und die Trinitätslehre bediente er sich Denkmitteln der aristotelischen Logik wie etwa der Unterscheidung von erster und zweiter Substanz (Individuum und Spezies): In einem sieben Bücher umfassenden Werk mit dem Titel »Schiedsrichter« verteidigte er die monophysitische Position der Doppelnatur Christi mit der  Vgl. Wolff 1971; Wolff 1978; Sorabji 1988b, S. 227–248.  Vgl. De Haas 1997. 20  Vgl. die englische Übersetzung eines Corollarium de loco in Philoponos’ Physik-Kommentar von David Furley, in: Furley/Wildberg 1991. 21  Vgl. Sambursky 1965, S. 591–594 und Sorabji 1990, S. 181–198. 22  Philoponos 1897; deutsch von Scholten 1997. 23  Vgl. Scholten 1996, S. 12–56. 18 19

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Formel »eine zusammengesetzte Natur«, wonach in Christus die beiden Hypostasen des göttlichen Worts und des Menschen in einer einzigen Hypostase verbunden seien. Diese Position war bereits 451 bei einem Konzil in Chalkedon verworfen worden. Außerdem vertrat er die tritheistische Auffassung, dass die Trinität drei verschiedene Individuen einer gemeinsamen Spezies seien, ohne dass das Göttliche eine allgemeine Hypostase bilde, sondern nur eine generische Einheit darstelle.24 Diese Position wurde 575 und 680/81 beim 3. Konzil in Konstantinopel als Häresie verurteilt.25 In einem Werk zur Auferstehung legte Philoponos – wiederum in Übereinstimmung mit seiner (neuplatonischen) Psychologie26 – dar, dass der Mensch nicht mit seinem irdischen, sondern mit einem unvergänglichen Leib auferstehen wird.27

2. Der Kommentar zu De anima Philoponos’ De-anima-Kommentar, der allgemein als Frühwerk gilt28 und neben dem unter dem Namen des Simplikios überlieferten De-anima-Kommentar29 der längste uns erhaltene ist, steht ganz auf dem Boden des Alexandriner Neuplatonismus  Der »Schiedsrichter« ist nur in syrischer Übersetzung erhalten: Šanda 1930; und ins Englische übersetzt von Lang 2001. Seine tritheistische Position zur Trinität findet sich außerdem in seiner 567 erschienenen Schrift De trinitate, deren Fragmente herausgegeben sind von Roey 1980, S. 135–163 (De trinitate auf S. 148–152). Allgemein zu Philoponos’ Theologie vgl. Chadwick 1987, S. 41–56 und Verrycken 1998, S. 547–551. 25  Vgl. Martin 1962, S. 519–525. 26  Neben einem pneumatischen Leib, der nach dem Tod in einem Purgatorium gereinigt werden kann, gibt es einen himmlischen, ewigen Leib (vgl. Philoponos, in an. 17, 26–18, 33 und in. an. L 24, 60–65). 27  Einen hervorragenden Überblick über Philoponos’ heterodoxe Lehren gibt Grillmeier 1990. 28  Vgl. Gudemann/Kroll 1916, Sp. 1769 f., Évrard 1953, S. 349 (s. Anm. 2), Verrycken 1990, S. 256, Perkams 2008, S. 36 f., anders Sorabji 1990, S. 13. 29  In diesem Band wird er als Text des Priskian eingestuft. 24

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seines Lehrers Ammonios. So dürfte es sich im Wesentlichen um die Wiedergabe der Aristoteles-Interpretation seines Lehrers handeln, die er um einige eigene Beobachtungen und Überlegungen erweitert hat. So lautet auch der Titel dieses Kommentars: »Schulnotizen aus den Vorlesungen des Ammonios, Sohn des Hermeias, zu Aristoteles’ De anima von Johannes dem Alexandriner mit einigen eigenen Anmerkungen«.30 In seine Psychologie lässt Philoponos wider Erwarten keine christlichen Positionen einfließen, sondern bleibt stets auf dem Boden von Ammonios’ Geist- und Seelenlehre. Auch später, als er mit der Erschaffung der Welt die Erschaffung der Seele in der Zeit annehmen musste, hat er wohl an Ammonios’ Seelenlehre festgehalten.31 So vertritt er die unchristliche, aber neuplatonische Annahme der Präexistenz des rationalen Seelenteils32 genauso wie dessen Weiterleben nach dem Tod ohne irdischen Körper.33 Außerdem bedarf die Seele für ihn dazu offenbar nicht einer äußeren Erlösung durch die Gnade Gottes, sondern nimmt selbsttätig eine Reinigung im Hinblick auf das Gute vor.34 Schon diese Punkte zeigen, dass Philoponos’ eigene christlichen Überzeugungen keinen Einfluss auf seine Kommentierung hatten.35 Vielmehr steht hinter Philoponos in der Geist- und Seelenlehre nicht nur Ammonios, sondern vor allem Proklos.36 Philoponos übernimmt die Grundzüge von dessen metaphysischem System auch in der Geist- und Seelenlehre, lässt jedoch dessen komplizierte Triadensystematik und die Henadenlehre außen vor: Unterhalb des höchsten Prinzips, des neuplatonischen Einen bzw. Guten,37 kommt der göttliche Geist, der den Dingen  Hayduck 1897, S. 1.  Vgl. Pearson 1999, S. 296 f. 32  Vgl. Philoponos, in an. 5, 26–32. 33  Philoponos, in an. 12, 15 ff., vgl. Charlton 1991, 20 ff. 34  Philoponos, in an. 2, 12–14; 18, 16–24. 35  Vgl. Blumenthal 1982, S. 59–61. 36  Vgl. Blumenthal 1990, S. 309–311; Perkams 2008, S. 41–74. Zu den Grundzügen von Philoponos’ Metaphysik vgl. Verrycken 1990b. 37  Philoponos, in an. 119, 22–24; in phys. 187, 6–9. 30 31

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Sein und Wesen gibt,38 indem er in sich alle ihre Gehalte ewig und zugleich denkt, während unser Geist sie nur nacheinander denken kann.39 Unterhalb des Demiurgen steht an dritter Stelle die menschliche Geistseele, die vor ihrer Inkorporation und nach dem Tod mit einem immateriellen Astralkörper verbunden ist.40 Die Seelenvermögen werden dann gut neuplatonisch unterschieden in rationale und nicht-rationale Seelenvermögen, wobei beide wiederum in Lebens- und Strebevermögen sowie in Erkenntnisvermögen unterteilt werden.41 Philoponos leitet diese neuplatonischen Grundannahmen zur Psychologie jedoch nicht wie Proklos deduktiv-systematisch her, sondern versucht sie methodologisch eher »aristotelisch«, d. h. in Übereinstimmung mit beobachtbaren Naturprozessen oder phänomenologisch aus Alltagserfahrungen, zu bestätigen. Philoponos fügt weiter auch doktrinal aristotelische »Korrekturen« an der neuplatonischen Seelen- und Geistlehre an. So sind etwa für ihn die Objekte des Geistes nicht nur, wie für den Neuplatonismus üblich, die immateriellen Formen bzw. Gehalte der Dinge, sondern auch die Axiome, mit deren Hilfe Beweise gebildet werden.42 Auch den Geist interpretiert Philoponos lebensweltlicher und weniger metaphysisch als die Neuplatoniker und andere Aristoteles-Kommentatoren. Zwar übernimmt er die seit Alexander von Aphrodisias geläufige Dreiteilung des Geistes in einen in der Möglichkeit befindlichen Geist, einen Geist in Disposition und einen verwirklichten Geist.43 Er weist jedoch nicht wie Alexander den verwirklichten oder aktiven Geist (νοῦς ποιητικός) Gott und die beiden anderen Arten des Geistes dem Menschen zu, so dass nach Alexander nur dem göttlichen, nicht aber dem individuellen menschlichen Geist Ewigkeit und Unveränderlichkeit zukäme. Auch betrachtet er  Philoponos, in an. L 57, 53 f.  Philoponos, in an. 126, 26–28. 40  Philoponos, in an. 18, 26–31; in an. L 24, 60–65. 41  Philoponos, in an. 1, 6–9,2 42  Philoponos, in an. 3, 13–4, 4. 43  Philoponos, in an. L 3, 54–4, 69. 38 39

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sie nicht wie Plotin als Verhältnis eines immer denkenden, für uns zumeist unbewussten Geistes zu unseren Wesensanlagen. Vielmehr versteht er Wirklichkeit und Möglichkeit des Geistes als verschiedene Modalitäten des Vorkommens von Geist innerhalb der menschlichen Gemeinschaft; er verdeutlicht dies am Beispiel von Lehrer und Schüler, da hier der eine, dessen Geist bereits aktiv einen bestimmten Inhalt denkt, einem anderen, der bisher nur die Möglichkeit dazu hatte, zum tatsächlichen Wissen dieses Inhalts verhilft.44 Der menschliche Geist im Allgemeinen, nicht jedoch der individuelle Geist denkt also immer und in Wirklichkeit, weil immer irgendwelche Menschen denken. Hinsichtlich der Selbsterkenntnis des Geistes folgt Philoponos nicht dem Neuplatonismus, sondern Alexander, für den die Selbsterkenntnis nur ein akzidentelles Nebenprodukt der Objekterkenntnis ist, da der Geist in erster Linie das gedachte Objekt erkennt, mit dem es identisch wird;45 dabei kann sich nach Philoponos die Selbsterkenntnis mit stetig anwachsendem Objektwissen stetig vergrößern.46 Schließlich identifiziert er den leidensfähigen Geist (νοῦς παθητικός) wiederum wie Proklos mit der Vorstellung (φαντασία), weil der Geist von jeder Passivität und Vergänglichkeit ausgeschlossen und somit die radikale Trennung zwischen Geist und Körper betont werden soll.47

3. Rezeptionsgeschichte und Nachwirkung Umgekehrt proportional zu seiner Länge ist die relative Wirkungslosigkeit von Philoponos’ De-anima-Kommentar. Zwar hat der belgische Dominikanermönch Wilhelm von Moerbeke,  Philoponos, in an. L 48, 28–51, 29 und Perkams 2008, 136–139.  Vgl. Alexander von Aphrodisias, an. 86, 18–23. 46  Vgl. Philoponos, in an. L 21, 00–18 und Perkams 2008, S. 330 f. 47  Proklos, in Eucl. 51, 20–52, 8; in Tim. 1, 244,19–22; 3, 158, 5–11; Philo­ ponos, in an. 6, 1–5; 11, 5–11. Vgl. Blumenthal 1991, S. 197–205, Charlton 1991, S. 15 f. und Perkams 2008, S. 133 f. 44 45

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der für Thomas von Aquin viele andere Werke des Aristoteles ins Lateinische übersetzte, auch ein Stück aus De anima übersetzt (vollendet am 17. Dezember 1268 in Viterbo), nämlich den auch für die folgende Übersetzung zugrunde gelegten Text De anima III, 4–8; dies ist dann auch das einzige Werk des Philoponos, das im Mittelalter ins Lateinische übersetzt wurde und unter dem Titel De intellectu Verbreitung fand (in der Renaissance folgten zwei weitere Übersetzungen des De-anima-Kommentars, wobei das dritte Buch das dem Stephanos zugeschriebene ist).48 Aber rezipiert worden ist De intellectu offenbar nur sporadisch. Moerbekes Übersetzung steht im zeitlichen Zusammenhang mit Thomas’ Revision seines De-anima-Kommentars vor 1270, die bei den griechischen Aristoteles-Kommentatoren u. a. nach Argumenten im Kampf gegen eine averroistische Interpretation von Aristotelesʼ intellectus agens und gegen Averroes’ Monopsychismus suchte. Besonders Themistios und Philoponos erschienen für diesen Zweck geeignet, weil beide gegen Alexander argumentieren, der Averroes’ Position gedanklich nahesteht.49 Zwar hat Thomas Philoponos wohl gelesen,50 aber für sein konkretes Argumentationsziel, die Einheit des möglichen Intellekts, ist Philoponos unergiebig, da er diese Frage nicht thematisiert.51 Gennadius Scholarius, der Thomas’ De-animaKommentar ins Griechische übertragen hat, behauptet, dass dieser im Wesentlichen mit einem Kommentar des Philoponos identisch sei;52 allerdings gibt es keinen entsprechenden Text des Philoponos. Der einzige Autor, der Philoponos nachweislich  Das griechische Original zu dieser Übersetzung ist verloren, einzig in der Paraphrase des Byzantiners Sophonias zu Aristoteles’ De anima vom Ende des 13. bzw. Anfang des 14. Jahrhunderts sind Exzerpte aus dem originalen dritten Buch von Philoponos’ Kommentar enthalten (vgl. Perkams 2008, 118 f.). 49  De Corte 1934, S. XVI ff. u. Tatakis 1949, S. 50. 50  Tatakis 1949, S. 50. 51  MacLeod 1966, S. LXXI–LXXXII. 52  Fleschenberg 1932, S. 104–110. 48

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benutzt hat, ist Henricus Bate von Mechelen, ein Neuplatoniker aus dem 13. Jahrhundert, der in seiner weitgehend aus Zitaten kompilierten Enzyklopädie Speculum divinorum et quorundam naturalium bei der Darstellung der Geistlehre umfassend auf Zitate aus De intellectu zurückgriff; mehr als die Hälfte des Textes von De intellectu ist bei ihm überliefert.53 4. Text und Übersetzung Der als Philoponos’ griechischer Kommentar zu De anima über­lieferte Text besteht in Wirklichkeit aus zwei heterogenen Textstücken. Während die Bücher I und II keinen Zweifel an Philoponos’ Autorschaft lassen, scheint Buch III von einem anderen Autor zu stammen. Dieser »Pseudo-Philoponos« wird in diesem Band mit Stephanos von Alexandria identifiziert.54 Entsprechend wird dieser Kommentarteil zur aristotelischen Noetik in der vorliegenden Edition in Kap. 8 präsentiert und Stephanos zugeschrieben. Für die vorliegende Edition wurden aus Philoponos’ Kommentar zu De anima zwei Texte ausgewählt. Der erste, die Einleitung zum griechischen Kommentar, bringt vorab eine Übersicht über alle Seelenvermögen und gibt einige kurze Bestimmungen zum Leib-Seele-Verhältnis sowie zur Unsterblichkeit der Seele; er kann für sich als eine Einleitung in die neuplatonische Geist- und Seelenlehre gelesen werden. Der zweite Text enthält den von Moerbeke ins Lateinische übersetzten Kommentar zu De anima, III 4–8, bekannt auch als De intellectu;55 dieser Teil des Kommentars dokumentiert die  MacLeod 1966, S. LXXXII–LXXXIV.  Zur Autorenfrage vgl. Charlton 1991, S. 4–12. 55  Die editio princeps der lateinischen Übersetzung wurde 1934 von De Corte besorgt. Sie ist nicht nur sehr fehlerhaft, sondern stützt sich allein auf die beiden Handschriften Vaticanus Latinus 2438 und Casanatensis 957 (De Corte 1934, S. XVII). Die jüngere und zuverlässigere Ausgabe von Verbeke bezieht dagegen auch das Ms. 95–13 der Bibliotheca Catedral in 53

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Kommentar zu De anima (Einleitung und III 4–7)

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Ansichten des Philoponos zur Geistlehre des Aristoteles. Die Eigenart des lateinischen Textes ergibt sich aus der Übersetzungsmethode Moerbekes, der den griechischen Text Wort für Wort transkribiert hat. Daher ergibt sich ein Text, der zwar häufig nicht der lateinischen Grammatik entspricht und sogar Fehler enthält,56 aber gerade durch die wörtliche Retroversion das griechische Original hinter dem Lateinischen hervorscheinen lässt. Zudem warnt Moerbeke selbst seine Leser, dass das griechische Exemplar, aus dem er übersetzte, durch Wasserschaden an vielen Stellen zerstört und unleserlich war.

Toledo sowie jene indirekte Tradition mit ein, wie sie sich Ende des 13. Jh. bei Henri Bate de Malines, Speculum Divinorum et Quorundam Naturalium findet (vgl. Verbeke 1966, S. CVI ff.). Charltons englische Übersetzung (Charlton 1991) enthält wiederum gegenüber Verbeke größere und sorgfältig gekennzeichnete Emendationen. 56  Beispielsweise übersetzt Moerbeke Pronomen und Adjektive im grammatikalischen Genus des griechischen Bezugsworts, ohne Rücksicht auf das möglicherweise verschiedene Genus des lateinischen Bezugsworts. Oder Verben, die im Griechischen bei einem Subjekt im Neutrum Plural im Singular stehen, bleiben in Moerbekes Latein ebenfalls im Singular stehen. Zu den Problemen von Moerbekes Übersetzung vgl. Charlton 1991, S. 1–3. Verbesserungen des lateinischen Textes haben vorgeschlagen: Mansion 1947; Riet 1965, S. 5–4, und Bossier, in: Charlton 1991, S. 135–139.

Liter atur Quellen (a) Originaltext (der Einleitung) Philoponos: In Aristotelis De anima libros commentaria, ed. M. Hayduck. In: CAG, Bd. XV, Berlin 1897 [= Hayduck 1897]. (b) Übersetzungen (der Einleitung) Dudley, J.: Johannes Grammaticus Philoponus Alexandrinus: In Aristotelis De anima, Proemion, transl. J. Dudley. In: Bulletin de philosophie médiévale 16/17, 1974/75, S. 62–85. Eijk, Ph. J. van der: Philoponus: On Aristotle On the Soul 1.1–2, transl. Ph. J. van der Eijk, London 2005. (c) Übersetzungen (De intellectu bzw. lateinisch erhaltener Teil  des Kommentars zu De anima III) Lateinisch De Corte, M.: Jean Philopon: Le Commentaire sur le troisième livre du ›Traité de l’Ame‹ d’Aristote, Liège/Paris 1934. Verbeke, G.: Jean Philopon: Commentaire sur le De anima d’Aristote, traduction de Guillaume de Moerbeke. Corpus Latinum Commentariorum in Aristotelem Graecorum III, Louvain/Paris 1966. Englisch Charlton, W.: Philoponus: On Aristotle on the Intellect (De anima 3.4– 8), with the assistance of Fernand Bossier, London 1991 [= Charlton 1991]. (d) Weiteres Philoponos: De aeternitate mundi contra Proclum, ed. H. Rabe, Leipzig 1899 [= Rabe 1899]. Šanda, A. (Hg.): Opuscula monophysitica Ioannis Philoponi, Beryti Phoeniciorum, 1930.



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JOHANNES PHILOPONOS

Schulnotizen aus den Vorlesungen des Ammonios, Sohn des Hermeias, zu Aristoteles’ De anima von Johannes dem Alexandriner mit einigen eigenen Anmerkungen1 Griechisch/Lateinisch – Deutsch

Einleitung [1, 5] Μέλλοντας ἡμᾶς τῶν περὶ ψυχῆς ἀκροᾶσθαι λόγων ἀναγ­

καῖον εἰπεῖν πρότερον περὶ τῶν δυνάμεων τῆς ψυχῆς, ποσαχῶς τε διαιροῦνται καὶ ποίας ἑκάστη τῆς ὀνομασίας τετύχηκεν, εἶτα πόσαι τῶν ἀρχαιοτέρων περὶ αὐτῶν δόξαι γεγόνασιν, καὶ ἐπὶ τούτοις τὴν ἀληθῆ περὶ αὐτῶν δόξαν ἐκ διαιρέσεως ἀφ­ ορίσασθαι. πρῶτον μὲν αἱ ψυχικαὶ δυνάμεις τὴν εἰς δύο διαίρεσιν ἐπιδέχονται· αἱ μὲν γὰρ αὐτῶν εἰσι λογικαί, αἱ δὲ ἄλογοι. ἑκατέρα δὲ τούτων τῶν δυνάμεων διχῇ πάλιν διαιρεῖται· τῶν γὰρ λογικῶν δυνάμεων αἱ μέν εἰσιν ζωτικαὶ καὶ ὀρεκτικαί, αἱ δὲ γνωστικαί· ὁμοίως δὲ καὶ αἱ ἄλογοι. πάλιν δὲ αἱ λογικαί τε καὶ γνωστικαὶ τῆς ψυχῆς δυνάμεις διαιροῦνται τριχῇ· ἡ μὲν γάρ τίς ἐστι δόξα, ἡ δὲ διάνοια, ἡ δὲ νοῦς.

[1, 15] ἡ μὲν οὖν δόξα καταγίνεται περὶ τὸ καθόλου τὸ ἐν τοῖς

αἰσθητοῖς· τοῦτο γὰρ γινώσκει. οἶδε γὰρ ὅτι πᾶν λευκὸν διακριτικὸν ὄψεως, καὶ ὅτι πᾶς ἄνθρωπος δίπους. ἔτι γε μὴν καὶ τῶν διανοητῶν οἶδεν ἄνευ λόγου τὰ συμπεράσματα. οἶδε γὰρ ὅτι ἡ ψυχὴ ἀθάνατος, διὰ τί δὲ ἀθάνατος, οὐκέτι οἶδεν· διανοίας γὰρ τοῦτο ἔργον, δόξης δὲ τὸ ὅτι μόνον εἰδέναι. ὅθεν καὶ καλῶς

In an., p. 1, 1–19,33 Aus dem Prooemium zum Gesamtkommentar

Allgemeine Vorbemerkung [1, 7] Da wir hier die Darlegungen (sc. des Aristoteles) über die

Seele hören wollen, ist es nötig, zuvor über die Vermögen der Seele zu reden, in wievielfacher Weise sie eingeteilt sind und welchen Namen jedes Vermögen hat, dann was für Lehren ältere Autoren über diese vertreten, und unter diesen muss man die wahre Lehre über diese Vermögen mit Hilfe einer Einteilung bestimmen. Zuerst gestatten die seelischen Vermögen eine Zweiteilung in rationale und nicht-rationale Vermögen. Jedes von diesen Vermögen kann wiederum zweifach eingeteilt werden: Von den rationalen Vermögen sind die einen Lebens- und Strebevermögen, die anderen Erkenntnisvermögen, genauso auch die nicht-rationalen Vermögen. Die rationalen und Erkenntnisvermögen der Seele werden wiederum dreifach eingeteilt: erstens in die Meinung, zweitens das diskursive Denken und schließlich den Geist.

Einteilung der rationalen Seelenvermögen [1, 15] Die Meinung beschäftigt sich mit dem Allgemeinen an den

Wahrnehmungsgegenständen, denn das erkennt sie. So weiß sie etwa, dass jedes Weiß das die Sehkraft Trennende ist und dass jeder Mensch zweifüßig ist.2 Außerdem weiß sie über die diskursiven Denkgegenstände die Schlusssätze ohne ihre Begründung. So weiß sie, dass die Seele unsterblich ist; weshalb sie unsterblich ist, weiß sie aber weiter nicht. Denn das ist die Aufgabe des diskursiven Denkens, die Aufgabe der Meinung ist es aber nur, das Dass zu wissen.3 So definiert auch der Fremde

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Johannes Philoponos · Text

ὁρίζεται αὐτὴν ἐν τῷ Σοφιστῇ διαλόγῳ ὁ Ἐλεάτης ξένος διανοίας ἀποτελεύτησιν. τῆς γὰρ διανοίας συλλογισαμένης [2] ὅτι ἀθάνατος ἡ ψυχή, λαβοῦσα ἡ δόξα τὸ συμπέρασμα τοῦτο μόνον οἶδεν ὅτι ἀθάνατος. διανοίας γὰρ ἔργον τὸ οἱονεὶ ὁδόν τινα διανύειν μεταβαίνουσαν ἀπὸ προτάσεων ἐπὶ συμπεράσματα, ὅθεν ἔσχε καὶ τοὔνομα. οἷον πόθεν ὅτι ἡ ψυχὴ ἀθάνατος ζητεῖ ἡ διάνοια· εἶτα ἐκ τῶν σαφεστέρων ἀρξαμένη διαβαίνει ἐπὶ τὸ ζητούμενον λέγουσα ὅτι ἡ ψυχὴ αὐτοκίνητος, τὸ αὐτοκίνητον καὶ ἀεικίνητον, τοῦτο δὲ ἀθάνατον, ἡ ψυχὴ ἄρα ἀθάνατος.

[2, 7] τοῦ δὲ νοῦ ἔργον τὸ ἁπλαῖς ἐπιβολαῖς κρειττόνως ἢ κατὰ

ἀπόδειξιν ἐπιβάλλειν τοῖς πράγμασιν. ὥσπερ γὰρ ἡ αἴσθησις προσβάλλουσα τῷ λευκῷ ἢ τῷδε τῷ σχήματι κρειττόνως ἢ κατὰ ἀπόδειξιν τοῦτο γινώσκει (οὐ γὰρ δεῖται συλλογισμοῦ, ὅτι τόδε ἐστὶ λευκόν, ἀλλὰ ἁπλῇ ἐπιβολῇ τοῦτο γινώσκει), οὕτω καὶ ὁ νοῦς ἁπλῇ ἐπιβολῇ γινώσκει τὰ νοητὰ κρειττόνως ἢ κατὰ ἀπόδειξιν. αὕτη δὲ ἡ τοῦ νοῦ ἐνέργεια μόνοις παραγίνεται τοῖς εἰς ἄκρον καθάρσεως καὶ ἐπιστήμης ἀφιγμένοις, τοῖς διὰ τῶν καθαρτικῶν ἀρετῶν ἀφαντάστως καὶ δίχα αἰσθήσεως ἐνεργεῖν συνειθισμένοις. ἔστι γὰρ ὁ νοῦς οἷον ἕξις τῆς ψυχῆς τελειοτάτη. ὅθεν περὶ τούτου λέγων ὁ Πλωτῖνός φησιν ὅτι »ὅστις δὲ ἐνήργησεν, οὗτος οἶδεν ὃ λέγω, ἅτε δὴ τῆς τοιαύτης καταστάσεως μηδὲ λόγῳ ἑρμηνευθῆναι δυναμένης.« καταγίνεται οὖν ὁ μὲν νοῦς περὶ τὰ νοητά, ἅπερ ὁ Τίμαιος ὁριζόμενος ἔλεγεν εἶναι νοήσει μετὰ λόγου περιληπτά, ἡ δὲ διάνοια περὶ τὰ διανοητά, ἡ δὲ δόξα περὶ τὰ δοξαστά, ἅπερ καὶ αὐτὰ τὰ δοξαστὰ λέγων ὁ Τίμαιός φησιν εἶναι δόξῃ μετ’ αἰσθήσεως ἀλόγου δοξαστά.



Kommentar zu De anima (Einleitung und III 4–7)

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aus Elea im Dialog Sophistes die Meinung ganz richtig als »Ergebnis des diskursiven Denkens« (Soph. 264b1).4 Denn während das diskursive Denken deduktiv erschließt, [2] dass die Seele unsterblich ist, nimmt die Meinung nur diesen Schlusssatz an und weiß, dass die Seele unsterblich ist. Denn die Aufgabe des diskursiven Denkens ist es, gleichsam einen Weg vollständig zurückzulegen,5 indem es von den Vordersätzen auf die Schlusssätze übergeht, woher es auch seinen Namen hat. So fragt das diskursive Denken etwa danach, weshalb die Seele unsterblich ist; dann geht es, beginnend von gesicherteren Ausgangssätzen, auf das Gefragte aus und sagt, dass die Seele selbstbewegt, das Selbstbewegte auch immer bewegt sei, das Immer-Bewegte aber unsterblich und damit die Seele unsterblich sei.6 [2, 7] Die Aufgabe des Geistes ist es, durch einen einfachen Hinblick7 die Dinge besser als durch einen Beweis zu erfassen. Denn wie die Sinneswahrnehmung, die auf das Weiße oder diese Gestalt trifft, diese besser als durch einen Beweis erkennt – sie braucht ja keinen deduktiven Schluss dafür, dass dies da weiß ist, sondern erkennt es durch einen einfachen Blick –, so erkennt auch der Geist die Denkobjekte besser als durch einen Beweis, und zwar durch einen einfachen Hinblick. Diese Tätigkeit des Geistes kommt nur denen zu, die zur höchsten Höhe der Reinheit und des Wissens gekommen sind und die durch die reinigenden Tugenden8 gewohnt sind, ohne Vorstellungsvermögen und ohne sinnliche Wahrnehmung tätig zu sein. Denn der Geist ist gleichsam der am meisten vollendete Habitus der Seele. Daher sagt Plotin über ihn: »Wer immer (sc. geistig) tätig ist, der weiß, wovon ich spreche, weil ein solcher Zustand nur ohne Begründung verstanden werden kann.«9 Der Geist beschäftigt sich also mit dem Denkbaren, wovon der Timaios definitorisch sagte, dass es »durch das Denken mit Begründung zu erfassen« sei (Tim. 28a1), das diskursive Denken mit dem diskursiv Denkbaren und die Meinung mit den Gegenständen der Meinung, die auch der Timaios Gegenstände der Meinung nennt und von ihnen sagt, dass sie »durch mit vernunftloser Sinneswahrnehmung verbundener Meinung erfasst« würden (Tim. 28a2 f.).

376

Johannes Philoponos · Text

[2, 21] τούτων δὲ τῶν δυνάμεων πρώτην μὲν ἔχει τάξιν ὁ νοῦς,

ἐσχάτην δὲ ἡ δόξα, μέσην δὲ ἡ διάνοια, ἥτις καὶ μάλιστα οἰκεία ἐστὶ τῇ ψυχῇ τῇ ἡμετέρᾳ, ἐπειδὴ καὶ αὕτη τὴν μέσην ἐν τῷ παν­τὶ τάξιν ἔχει. καὶ διὰ ταύτης, λέγω δὴ τῆς διανοίας, ἀνάγεται ἡ ἡμετέρα ψυχὴ ἐπὶ τὴν τῶν νοητῶν θεωρίαν, ἥτις ἐστὶν ἡ τελειότης τῆς ψυχῆς. ἐπειδὴ γὰρ σύντροφός ἐστι καὶ σύμφυλος τοῖς αἰσθητοῖς ἡ ψυχὴ ἡ ἡμετέρα, ἀδυνατεῖ διὰ τὸν συνεθισμὸν τῶν αἰσθήσεων ἐπὶ τὴν θεωρίαν τῶν νοητῶν καὶ ἀύλων ἀνάγειν ἑαυτήν, ἀλλὰ νομίζει κἀκεῖνα σώματα εἶναι καὶ μεγέθη ἔχειν, καὶ ὅσα ἐπὶ τῶν αἰσθητῶν κἀκεῖ φαντάζεται.

[2, 30] ὃ καὶ ὁ Πλάτων ἐν τῷ Φαίδωνι λέγει ὅτι τοῦτό ἐστι τὸ χαλεπώτατον [3] τῶν ἐν ἡμῖν, ὅτι ὅταν καὶ σχολὴν ἀπὸ τῶν περιολ­

κῶν τοῦ σώματος μικρὸν ἀγάγωμεν καὶ θελήσωμεν τῇ θεωρίᾳ τῶν θείων σχολάσαι, παρεμπίπτουσα ἡ φαντασία θόρυβον ἡμῖν κινεῖ, ὑπονοεῖν διδοῦσα ὅτι σῶμά ἐστι τὸ θεῖον, καὶ μέγεθος ἔχει καὶ σχῆμα, καὶ οὐκ ἐᾷ ἡμᾶς ἀσωμάτως καὶ ἀσχηματίστως περὶ τοῦ θεοῦ ἐννοεῖν. διὰ τοῦτο δεῖ τὴν ψυχὴν ὁδεύουσαν ἐπὶ τὴν ἑαυτῆς τελειότητα πρῶτον ἐνεργῆσαι κατὰ διάνοιαν, ἥτις ἔχει περὶ τὰ μέσα τῶν πραγμάτων. τοιαῦτα δέ ἐστι τὰ διανοητά, οἷά ἐστιν ἥ τε ψυχὴ ἡ ἡμετέρα καὶ ἡ περὶ αὐτῆς θεωρία, ἔτι δὲ καὶ τὰ μαθηματικά, ἅτινα, τὰ μαθήματα λέγω, τὴν οὐσίαν ἄυλον ἔχει, εἰ καὶ μὴ τὴν ὕπαρξιν, ἵνα συνεθισθεῖσα ἐν τούτοις ἐνεργεῖν ἀύλως ὁδῷ προελθοῦσα καὶ ἐπὶ τὰ παντελῶς χωριστὰ τῆς ὕλης, λέγω τὰ θεῖα, χωρήσῃ. ὅθεν καὶ ὁ Πλωτῖνος ‘ἀγέσθωσαν



Kommentar zu De anima (Einleitung und III 4–7)

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[2, 21] Von diesen Vermögen hat den ersten Rang der Geist,

den letzten die Meinung, den mittleren das diskursive Denken, das ja auch besonders unserer Seele eigentümlich ist, da auch sie die Mittelstellung im All einnimmt. Und seinetwegen, ich meine: des diskursiven Denkens wegen, wird unsere Seele zur geistigen Betrachtung der Denkgegenstände hinangeführt, was ja die Vollendung der Seele ist. Denn da unsere Seele mit den Gegenständen der sinnlichen Wahrnehmung zugleich genährt und vom gleichen Stamm wie diese ist, ist es ihr durch die Gewöhnung an die Sinneswahrnehmungen unmöglich, sich selbst zur geistigen Betrachtung der materielosen Denkgegenstände hinanzuführen, sondern sie glaubt, dass auch jene (sc. die Denkgegenstände) Körper seien und Größen besäßen und was sie sich sonst so bei den Wahrnehmungsgegenständen hier noch vorstellt. [2, 30] Das sagt auch Platon im Phaidon, dass es von den Dingen hier bei uns am schwersten sei, [3] dass, sobald wir unsere Aufmerksamkeit ein wenig von den Verwirrungen des Körpers abziehen und bereit sind, uns der Betrachtung der göttlichen Dinge zu widmen, die miteintretende Vorstellungskraft uns in Verwirrung bringt und uns vermuten lässt, das Göttliche sei ein Körper und besäße Größe wie auch Gestalt, und uns somit nicht gestattet, das Göttliche unkörperlich und gestaltlos zu denken.10 Deshalb muss die Seele, die sich zu ihrer eigenen Vollkommenheit auf den Weg macht, als erstes in ihrem diskursiven Denken tätig werden, das mit den Dingen mittlerer Ebene zu tun hat. So sind die diskursiven Denkgegenstände beschaffen, die unsere Seele und die Betrachtung über diese Seele ausmachen, ferner dann die mathematischen Gegenstände, wobei ich Mathematik nenne, was eine materielose Wesens-, wenn auch keine materielose Existenzform hat, damit die Seele sich bei diesen daran gewöhnt, ohne Materie tätig zu sein und auf diesem Weg Fortschritte zu machen, und sich so auch den vollständig von der Materie abgetrennten, d. h. den göttlichen Gegenständen zuwenden kann. Daher sagt auch Plotin: ›Die jungen Leute sollen durch die Mathematik zur Ge-

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Johannes Philoponos · Text

οἱ νέοι, φησί, διὰ τῶν μαθημάτων πρὸς συνεθισμὸν τῆς ἀσωμάτου φύσεως’. [3, 13] εἰ δέ ποτε ἡ διάνοια συλλογίζεται καὶ περὶ τῶν νοητῶν, ἀλλ’ οὐ καθ’ αὑτήν, ἀλλὰ τῷ νῷ συμπλακεῖσα, ὥσπερ καὶ ἐπὶ τῶν αἰσθητῶν συλλογίζεται συμπλακεῖσα τῇ φαντασίᾳ. [3, 16] τούτου τοίνυν τοῦ νοῦ εἰ καὶ μὴ μετέχομεν οἱ πολλοί, ἀλλ’

οὖν ἴχνη τινὰ καὶ ἰνδάλματα διαβέβηκεν καὶ εἰς ἡμᾶς· ταῦτα δέ ἐστιν αἱ κοιναὶ ἔννοιαι, ἃς ἀναποδείκτως, μᾶλλον δὲ κρειττόνως ἢ κατὰ ἀπόδειξιν πάντες γινώσκομεν, οἷον ὅτι τὰ τῷ αὐτῷ ἴσα καὶ ἀλλήλοις ἴσα, ὅτι ἐὰν ἀπὸ ἴσων ἴσα ἀφαιρεθῇ, τὰ καταλειπόμενα ἴσα γίνεται, ὅτι ἐπὶ παντὸς ἢ ἡ κατάφασις ἢ ἡ ἀπόφασις, ὅτι πάντα τοῦ ἀγαθοῦ ἐφίεται, καὶ ὅσα τοιαῦτα. πρὸς γὰρ τὴν τούτων πίστιν κατασκευῆς οὐ δεόμεθα, ἀλλὰ κατὰ πρώτην ἐπιβολὴν κρεῖττον ἢ κατὰ ἀπόδειξιν ταῦτα γινώσκομεν.

[3, 23] αὗται οὖν, ὡς εἴπομεν, αἱ κοιναὶ ἔννοιαι αἱ διὰ πάντων

χωροῦσαι ἰνδάλματα τοῦ νοῦ ἐναργῶς εἰσιν. περὶ τούτου καὶ ἐν τοῖς Ἀποδεικτικοῖς ὁ Ἀριστοτέλης πρὸς τοὺς νομίζοντας μὴ εἶναι ἐπιστήμην ἔλεγεν, ὅτι οὐ μόνον ἐπιστήμην εἶναι λέγομεν, ἀλλὰ καὶ ἀρχὴν ἐπιστήμης, ᾗ τοὺς ὅρους γινώσκομεν, ὅρους λέγων ἤτοι τὰς κοινὰς ἐννοίας καὶ τοὺς ἐν τοῖς συλλογισμοῖς ὅρους (δεῖ γὰρ πάντα συλλογισμὸν ἀπὸ κοινῶν ἐννοιῶν ἔχειν τὴν ἀρχήν, αἵτινες, ὡς εἴπομεν, ἀπὸ τοῦ νοῦ καὶ πρὸς ἡμᾶς φοιτῶσιν· ἀναποδείκτως γὰρ ἴσμεν ὅτι τόδε τι ἄνθρωπός ἐστιν ἢ ψυχὴ ἤ τι τοιοῦτον), ἢ τὰ νοητὰ ὅρους φησὶ ὡς πέρατα τῶν ὄντων· ὅρος γάρ ἐστιν, ὥς φησιν ὁ γεωμέτρης, ὅ τινός ἐστι πέρας. ἀρχὴν οὖν ἐπιστήμης φησὶ τὸν νοῦν εἶναι· δι’ αὐτοῦ γὰρ ἔχομεν [4] τὰς κοινὰς ἐννοίας, ὅθεν ἡ διάνοια ὡς ἀπὸ ἀρχῶν τὰς



Kommentar zu De anima (Einleitung und III 4–7)

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wöhnung an die unkörperliche Natur herangeführt werden‹ (vgl. I 3, 3, 5–10). [3, 13] Wenn aber das diskursive Denken mal Schlüsse über das geistig Denkbare bildet, dann tut es das nicht an sich, sondern indem es mit dem Geist verbunden ist, wie es auch bei den Wahrnehmungsgegenständen Schlüsse zieht, indem es mit der Vorstellungskraft verbunden ist. [3, 16] Wenn auch die meisten Menschen nicht an diesem Geist teilhaben, so sind dennoch gewisse Spuren und Abbilder von ihm auch auf uns gekommen: Das sind die gemeinsamen Gedanken, die wir alle ohne Beweis, vielmehr besser als durch einen Beweis erkennen, z. B. »das demselben Gleiche ist auch einander gleich«, »wenn von gleich Großem Gleiches abgezogen wird, ist der jeweilige Rest gleich«, »zu allem gibt es entweder Affirmation oder Negation«, »alles strebt nach dem Guten« und was es dergleichen noch mehr gibt.11 Damit diese Sätze für uns glaubhaft sind, brauchen wir keine Begründung, sondern wir erkennen sie mit dem ersten Hinsehen besser als durch einen Beweis. [3, 23] Diese gemeinsamen Gedanken, die sich auf alle Gegenstände erstrecken, sind, wie gesagt, offenbar Abbilder des Geistes. Über ihn hat Aristoteles in den Schriften über den Beweis gegen diejenigen, die glauben, dass es kein Wissen gibt, gesagt: »Wir behaupten, dass es nicht nur Wissen, sondern auch ein Prinzip des Wissens gibt, durch das wir die Bestimmungen 12 erkennen« (an. post. I 3, 72b23–25). Dabei nennt er Bestimmungen entweder die gemeinsamen Gedanken und die Terme in den Syllogismen – jeder Syllogismus muss ja sein Prinzip in den gemeinsamen Gedanken haben, die, wie gesagt, vom Geist ausgehen und zu uns gelangen; so wissen wir ohne Beweis, dass dieser Gegenstand da ein Mensch, eine Seele oder etwas dergleichen ist. Oder er nennt Bestimmungen das Denkbare als Grenze des Seienden.13 Denn eine Bestimmung ist, wie der Geometer sagt, das, was die Grenze an etwas ist. Aristoteles sagt weiter, dass »das Prinzip des Wissens der Geist« ist (an. post. II 19, 100b15). Denn durch diesen haben wir [4] die gemeinsamen

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Johannes Philoponos · Text

ἐπιστημονικὰς ἀποδείξεις ποιεῖται· ἤγουν ὅρους λέγει τὰ νοητά· καὶ γὰρ αὐτὰ ἔσχατά ἐστι τῶν ὄντων. λέγομεν οὖν, φησίν, εἶναι τὸν νοῦν, ὃν ἀρχὴν ἐπιστήμης ἐκάλεσεν, ᾧτινι τὰ νοητὰ γινώσκομεν· ταῦτα γὰρ ὅροι ὡς πέρατα.

[4, 4] ἄξιον δὲ ζητῆσαι, ἐπειδὴ ἐλέγομεν τὴν δόξαν τὸ μὲν ὅτι

εἰδέναι, τὸ δὲ διότι ἀγνοεῖν, ἐλέγομεν δὲ καὶ τὸ καθόλου ἐν τοῖς αἰσθητοῖς εἰδέναι, ἔτι γε μὴν καὶ τῶν διανοητῶν τὰ συμπεράσματα, πόθεν τῇ δόξῃ ἡ γνῶσις τοῦ καθόλου ἐν τοῖς αἰσθητοῖς. τίνος γὰρ ἀποδείξαντος ὅτι πᾶς ἄνθρωπος δίπους λαβοῦσα τοῦτο τὸ συμπέρασμα ἔχει παρ’ ἑαυτῇ, ὥσπερ ἐπὶ τῶν διανοη­ τῶν τῆς διανοίας ἀποδειξάσης ὅτι ἡ ψυχὴ ἀθάνατος τὸ συμ­ πέρασμα λαβοῦσα ἡ δόξα κατέχει; οὔτε γὰρ ἡ διάνοια τοῦτο ἂπέδειξε, λέγω δὴ ὅτι πᾶς ἄνθρωπος δίπους ἢ πᾶς ἵππος χρε­ μετιστικὸς ἢ ὅσα τοιαῦτα· οὐ γὰρ δυνατὸν ἐκ τῶν μερικῶν τὸ καθόλου πιστώσασθαι. οὐ γὰρ ἐπειδὴ Ξανθὸς καὶ Βαλίος τετράπους καὶ οἱ ἐν τῷδε καὶ τῷδε τῷ τόπῳ ἵπποι, ἤδη δυνατὸν λέγειν ὅτι καὶ πάντες, οὐδ’ ὅτι ὁ δεῖνα καὶ ὁ δεῖνα ὁ Αἰθίοψ μέλας, ἤδη δῆλον ὅτι καὶ πᾶς Αἰθίοψ μέλας. ὅτι μὲν οὖν ἡ διάνοια τὸ αἰσθητὸν οὐκ ἀποδείκνυσι δῆλον· ὅτι δὲ οὔτε ἡ φαντασία οὔτε ἡ αἴσθησις, καὶ τοῦτο πρόδηλον, καὶ ὅταν περὶ αὐτῶν λέγωμεν, ἔτι πολλῷ μᾶλλον φανερὸν ἔσται· ἑκάστη γὰρ τούτων μερικόν τι γινώσκει.

[4, 19] πόθεν οὖν τῇ δόξῃ τὸ καθόλου τῶν αἰσθητῶν γινώσκειν;

λέγομεν οὖν ὅτι μάλιστα μέν πως δυνατὸν τὴν διάνοιαν καὶ τὸ



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Gedanken, von denen aus als seinen Prinzipien das diskursive Denken die wissenschaftlichen Beweise bildet. Oder er nennt Bestimmungen die Gegenstände des Denkens; denn sie sind die äußerste Begrenzung des Seienden. Wir fassen also zusammen, er behauptet, der Geist sei das, was er das Prinzip des Wissens nannte, durch das wir die Denkgegenstände erkennen. Denn diese sind Bestimmungen qua Grenzen. [4, 4] Nachdem wir als »Meinung« bestimmt haben, 1) das Dass zu wissen, das Warum aber nicht, 2) das Allgemeine an den Wahrnehmungsgegenständen zu wissen, 3) außerdem bei den diskursiven Denkobjekten die Schlusssätze, ist es der Untersuchung wert, woher die Meinung die Erkenntnis des Allgemeinen an den Wahrnehmungsgegenständen hat. Welches Vermögen ist es denn, das beweist, dass jeder Mensch zweifüßig ist, woraus die Meinung diesen Schlusssatz hernimmt und ihn bei sich behält, genauso wie sie beim diskursiv Denkbaren den Schlusssatz hernimmt und ihn innehat, nachdem das diskursive Denken bewiesen hat, dass die Seele unsterblich ist? Dass jeder Mensch zweifüßig oder jedes Pferd fähig ist zu wiehern oder dergleichen, kann nämlich nicht das diskursive Denken bewiesen haben, weil aus Partikularem unmöglich das Allgemeine glaubhaft gemacht werden kann. So es ist darum, wenn »Brauner« und »Gescheckter« vierfüßig und die Vierfüßer an diesem oder jenem Ort Pferde sind, nicht schon möglich zu sagen, dass alle Vierfüßer Pferde seien; genauso ist nicht daraus, dass dieser oder jener Äthiopier schwarz ist, schon klar, dass jeder Äthiopier schwarz ist. Dass das diskursive Denken nicht das sinnlich Wahrnehmbare beweist, ist offensichtlich; dass weder die Vorstellungskraft noch die Sinneswahrnehmung das sinnlich Wahrnehmbare beweisen, auch das ist ganz deutlich, und wenn wir über diese Vermögen sprechen, wird das noch viel deutlicher werden: Jede von ihnen erkennt nämlich nur etwas Partikuläres. [4, 19] Woher also erkennt die Meinung das Allgemeine der Sinnesgegenstände? Wir behaupten nun, dass es am meisten das diskursive Denken ist, das irgendwie dazu fähig ist, auch

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Johannes Philoponos · Text

ἐν τοῖς αἰσθητοῖς καθόλου συλλογίσασθαι, ὥσπερ ἐποίησεν ὁ Ἀριστοτέλης ἐπὶ τῶν ἄστρων, βουλόμενος δεῖξαι ὅτι σφαιρικά, πιστωσάμενος τοῦτο ἀπὸ ἑνὸς τῆς σελήνης· εἰ γὰρ ἐπὶ τῶν ὁμοουσίων ὃ ἐφ’ ἑνός, ἀνάγκη καὶ ἐπὶ πάντων εἶναι, ὁμοούσια δὲ πάντα τὰ ἄστρα, δέδεικται δὲ ὅτι ἡ σελήνη σφαιρική, δῆλον ὅτι καὶ τὰ ἄλλα σφαιρικὰ ἔσται. καὶ καπνόν τις ἑωρακὼς συλλογίζεται ὅτι καὶ πῦρ ὑπάρχει ἐν τῷ τόπῳ οὕτως· ἐν τῷ τόπῳ τούτῳ καπνός ἐστι· πᾶς καπνὸς ἐκ πυρός ἐστιν· ἐν τῷ τόπῳ ἄρα τούτῳ πῦρ ἐστιν. ἴσως μὲν οὖν, ὅπερ εἶπον, δυνατὸν καὶ περί τινων αἰσ­ θητῶν συλλογίζεσθαι τὸ καθόλου, εἰ καὶ μὴ ἐπὶ πάντων·

[4, 30] πλὴν λέγω ὅτι ἔχει ἡ λογικὴ ψυχὴ συνουσιωμένους τοὺς

λόγους τῶν πραγμάτων ἐν ἑαυτῇ, διὰ δὲ τὸ καταδεδυκέναι ἐν τῇ ὕλῃ οἷον ἐγκατεχώσθησαν, ὡς ὁ ἐν τῇ τέφρᾳ κρυπτόμενος σπινθήρ. ὥσπερ οὖν ὅταν [5] τις μικρὸν τὴν τέφραν διορύξῃ, ὁ σπινθὴρ εὐθὺς ἀναλάμπει, καὶ οὐχ ὁ διορύξας τὸν σπινθῆρα ἐποίησεν, ἀλλὰ μόνον τὰ ἐμποδίζοντα ἔπαυσεν, τοῦτον τὸν τρόπον καὶ ἡ δόξα ἐρεθιζομένη ὑπὸ τῆς αἰσθήσεως προβάλλει τοὺς λόγους τῶν ὄντων. οὕτω καὶ τοὺς διδασκάλους φασὶ μὴ τὴν γνῶσιν ἡμῖν ἐντιθέναι, ἀλλὰ τὴν οὖσαν ἐν ἡμῖν καὶ οἷον κρυπτομένην ἐκφαίνειν· ἐπεὶ εἰ μὴ ἦσαν ἐν ἡμῖν οἱ τῶν ὄντων λόγοι, διὰ τί συναισθόμεθα, ὅταν τις παρὰ τὴν τῶν πραγμάτων φύσιν διαλέγηται; οἷον δύο τινῶν περὶ ψυχῆς διαλεγομένων τοῦ μὲν καταψηφιζόμεθα καὶ ἐλέγχομεν αὐτὸν μὴ συμφώνως τῇ τῶν πραγμάτων φύσει διαλεγόμενον, τῷ δὲ συντιθέμεθα καὶ λέγομεν μᾶλλον ἀληθεύειν· πρὸς τί οὖν παραβάλλοντες τὰ παρ’ ἐκείνων



Kommentar zu De anima (Einleitung und III 4–7)

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das in den Sinnesgegenständen innewohnende Allgemeine deduktiv zu erschließen, ganz wie es Aristoteles bei den Gestirnen vorführte, wo er zeigen wollte, dass sie kugelförmig sind, indem er dies, von einem Gestirn, dem Mond, ausgehend, glaubhaft machte.14 Denn wenn bei wesensgleichen Gegenständen das, was bei einem vorliegt, notwendig auch bei allen vorliegt, alle Gestirne aber einander wesensgleich sind und gezeigt worden ist, dass der Mond kugelförmig ist, ist es offensichtlich, dass auch die anderen Gestirne kugelförmig sein werden. Und einer, der Rauch gesehen hat, schließt folgendermaßen darauf, dass an diesem Ort auch ein Feuer vorhanden ist: An diesem Ort gibt es Rauch; jeder Rauch stammt von einem Feuer, also ist an diesem Ort ein Feuer. Auf gleiche Weise ist es nun, wie gesagt, möglich, auch bei einigen Wahrnehmungsgegenständen das Allgemeine zu erschließen, wenn auch nicht bei allen. [4, 30] Außerdem behaupte ich, dass die rationale Seele die Begriffe der Dinge, die wesensmäßig mit ihr verbunden sind, in sich hat und diese durch das Versunkensein in der Materie gleichsam nur verschüttet sind, wie der in der Asche verborgene Funke. Und ganz so wie [5] der Funke, wann immer einer die Asche nur ein wenig auflockert, sogleich wieder auflodert und dabei nicht der, der die Asche lockert, den Funken geschaffen, sondern lediglich die Hindernisse beseitigt hat, auf diese Art und Weise bringt auch die Meinung, von der Sinneswahrnehmung angeregt, die Begriffe der Dinge hervor.15 Man sagt, dass so auch die Lehrer nicht die Erkenntnis in uns einpflanzen, sondern die, die bereits in uns und gleichsam verborgen ist, nur zum Vorschein bringen; denn wenn die Begriffe der Dinge nicht in uns wären, weshalb nehmen wir sie auch dann wahr, wenn einer wider die Natur der Dinge Erörterungen vorträgt? Wenn beispielsweise zwei über die Seele disputieren, verurteilen wir den einen und schmähen ihn, nicht in Übereinstimmung mit der Natur der Dinge zu sprechen, dem anderen hingegen stimmen wir zu und sagen, dass er eher die Wahrheit spricht. Im Hinblick worauf vergleichen wir ihre jeweiligen Reden und sagen, dass der eine die Wahrheit sagt,

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Johannes Philoponos · Text

λεγόμενα λέγομεν τὸν μὲν ἀληθεύειν, τὸν δὲ μή, εἰ μηδεὶς ἦν τῶν πραγμάτων παρ’ ἡμῖν λόγος; ἢ δῆλον ὅτι πρὸς τὰς παρ’ ἡμῖν κρυπτομένας περὶ αὐτῶν ἐννοίας ὑπὸ τῶν προσδιαλεγομένων ἐρεθιζομένας παραβάλλοντες ἢ ἀληθεύειν αὐτοὺς ἢ ψεύδεσθαι λέγομεν. οὕτως οὖν καὶ τὴν δόξαν λέγω τῆς αἰσθήσεως μαθούσης ὅτι ὁ δεῖνα καὶ ὁ δεῖνα δίπους, ἐρεθισθεῖσαν ὑπ’ αὐτῆς ἀναμνησθῆναι ὅτι καὶ πᾶν τὸ ὁμοφυὲς δίπουν. [5, 16] μᾶλλον δὲ προσφυέστερον εἰπεῖν καὶ ταῦτα κοινὰς ἐννοίας

καὶ τοῦ νοῦ ἀποσκιάσματα· πᾶν γὰρ ὅπερ ἴσμεν κρειττόνως ἢ κατὰ ἀπόδειξιν, ταῦτα κατὰ κοινὴν ἔννοιαν ἴσμεν. ἃ δὲ δείξεως δεῖται εἰς τὸ γνωσθῆναι ὑφ’ ἡμῶν, τούτων τὰ συμπεράσματα χωρὶς ἀποδείξεως ἔργον ἐστὶ τῆς δόξης εἰδέναι. οἷον οἶδεν ἄνευ λόγου ὅτι ἡ ψυχὴ ἀθάνατος, διότι ἡ τούτου γνῶσις μετὰ ἀποδείξεώς ἐστι, καὶ οὐ κρειττόνως ἢ κατὰ ἀπόδειξιν, ὥσπερ ἄνευ ἀποδείξεως ἴσμεν ὅτι πᾶς ἄνθρωπος γελαστικόν.

[5, 24] Αἱ μὲν οὖν τῶν λογικῶν γνωστικαὶ δυνάμεις διῃρημέναι·

πρακτικαὶ δ’ εἰσὶ βούλησις καὶ προαίρεσις. καὶ ἡ μὲν βούλησις μόνου ἐστὶ τοῦ ἀγαθοῦ, ἡ δὲ προαίρεσις ἐπαμφοτερίζει. καὶ ἡ μὲν βούλησις αὐτῆς καθ’ αὑτήν ἐστι τῆς λογικῆς ψυχῆς, ἡ δὲ προαίρεσις τῆς συμπεπλεγμένης τῇ ἀλογίᾳ. ὅτε γάρ ἐστιν ἔξω τῆς γενέσεως ἡ ψυχή, κατὰ βούλησιν μόνην ἐνεργεῖ· ἐν μόνῳ γάρ ἐστι τῷ ἀγαθῷ· ὅταν δὲ γένηται ἐν τῇ γενέσει, ἐπειδὴ συμ­ πλέκονται αὐτῇ αἱ ἄλογοι δυνάμεις δι’ ἃς ἐροῦμεν αἰτίας, τότε



Kommentar zu De anima (Einleitung und III 4–7)

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der andere nicht, wenn kein Begriff der Dinge in uns wäre? Genau genommen sprechen wir offenbar im Hinblick auf die bei uns verborgenen Gedanken über diese Dinge und aufgestachelt durch den Vergleich der beiden Disputanten davon, dass sie entweder wahr oder falsch reden. Ich behaupte also, dass ebenso auch die Meinung, angeregt durch die Sinneswahrnehmung, wenn diese wahrgenommen hat, dass dieser oder jener zweifüßig ist, sich erinnert, dass auch alles andere von gleicher Natur zweifüßig ist. [5, 17] Noch angemessener ist es zu sagen, dass auch diese Dinge gemeinsame Gedanken und Abschattungen des Geistes sind; denn alles, was wir besser als durch Beweis wissen, das wissen wir durch die gemeinsamen Gedanken. Von den Dingen, die des Beweises bedürfen, um von uns erkannt zu werden, die Schlusssätze getrennt von ihrem Beweis zu wissen, das ist die Aufgabe der Meinung. Zum Beispiel weiß sie ohne Begründung, dass die Seele unsterblich ist – weshalb sie unsterblich ist, davon gibt es Erkenntnis mit Hilfe eines Beweises –, und zwar weiß sie das nicht besser als durch Beweis, wie wir auch ohne Beweis wissen, dass jeder Mensch fähig ist zu lachen.

Einteilung der nicht-rationalen und der vegetativen Seelenvermögen [5, 24] Von den rationalen Vermögen sind nun die Erkenntnis-

vermögen so weit eingeteilt; die auf das Handeln bezogenen Vermögen sind das Wollen und die Wahl. Und zwar richtet sich das Wollen allein auf das Gute, die Wahl geht nach beiden Seiten. Auch gehört das Wollen an sich zur rationalen Seele und die Wahl zu der, die mit der nicht-rationalen Seele verbunden ist. Wenn die Seele außerhalb des Werdens steht, ist sie tätig allein im Sinne des Wollens; sie ist dann allein auf das Gute gerichtet. Wenn sie aber am Werden teilnimmt, d. h. wenn sich die nichtrationalen Vermögen mit ihr verbinden, durch die wir (verschiedene) Ursachen (sc. für unser Handeln) angeben können,

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Johannes Philoponos · Text

τῇ ἐπιπλοκῇ τῆς ἀλόγου ἴσχει τὴν προαίρεσιν, διότι ποτὲ μὲν πρὸς τῆς ἀλογίας, ποτὲ δὲ πρὸς τοῦ λόγου γίνεται, καὶ αἱρεῖται τόδε πρὸ τοῦδε. αὗται μὲν οὖν αἱ λογικαὶ τῆς ψυχῆς δυνάμεις. Τῶν δὲ ἀλόγων τῆς ψυχῆς δυνάμεων αἱ μέν εἰσι γνωστικαί, αἱ δὲ ζωτικαὶ καὶ ὀρεκτικαί· καὶ γνωστικαὶ μὲν φαντασία καὶ αἴσθησις. διαφέρουσι δὲ ἀλλήλων αὗται, ὅτι ἡ μὲν αἴσθησις πρὸς τὸ ἐκτὸς ἀποτείνεται, ἡ δὲ φαντασία ἔνδον ἔχει τὴν γνῶσιν. ἡ μὲν γὰρ αἴσθησις τὸ παρὸν μόνον καὶ οὗ ἀντιλαμβάνεται ἔξωθεν τοῦτο οἶδεν, ἡ δὲ φαντασία παρὰ τῆς αἰσθήσεως λαβοῦσα [6] τοὺς τύπους τῶν αἰσθητῶν ἐν ἑαυτῇ τούτους ἀναπλάττει·

[6, 1] ὅθεν καὶ παθητικὸν νοῦν αὐτὴν καλεῖ ὁ Ἀριστοτέλης, νοῦν

μὲν ὡς ἔνδον ἔχουσαν τὸ γνωστὸν καὶ ἁπλῇ προσβολῇ, ὥσπερ ἐκεῖνος, ἐπιβάλλουσαν καὶ οὐ διὰ κατασκευῆς, παθητικὸν δὲ διότι μετὰ τύπων καὶ οὐκ ἀσχηματίστως γινώσκει. ἐκλήθη δὲ φαντασία οἱονεὶ φαοστασία τις οὖσα· φαντασία γάρ ἐστιν ἡ τῶν φανθέντων στάσις· ἵστησι γὰρ ἐν ἑαυτῇ τὰ ἔξω φανέντα. ἑκατέρα δὲ αὐτῶν περὶ μερικὸν ἀποτείνεται· τόδε γὰρ τὸ λευκὸν οἶδεν, οὐ μὴν πᾶν λευκόν. διαφέρουσι δὲ τῷ τὴν μὲν τὸ ἔξω τὴν δὲ τὸ ἐντὸς εἰδέναι· καὶ ἡ μὲν φαντασία τῶν πέντε αἰσθήσεων δέχεται τοὺς τύπους, ἑκάστη δὲ τῶν αἰσθήσεων μόνον γινώσκει τὸ ἴδιον αἰσθητόν.

[6, 11] Τῶν δὲ ὀρεκτικῶν καὶ ζωτικῶν ἡ μέν ἐστι θυμός, ἡ δὲ ἐπι-

θυμία. ζητήσειε δ’ ἄν τις πῶς λέγομεν ἀντιδιαστέλλεσθαι τὴν ἐπιθυμίαν πρὸς τὸν θυμόν. τί γάρ; οὐχὶ καὶ ὁ θυμὸς ἐπιθυμεῖ τοῦ ἀντιλυπῆσαι τὸν προλυπήσαντα; τί δέ; οὐχὶ καὶ ὁ λόγος ἐπιθυ-



Kommentar zu De anima (Einleitung und III 4–7)

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hat die Seele durch diese Verbindung mit dem nicht-rationalen Vermögen die Wahl, deshalb wendet sie sich bald zur Unvernunft, bald zur Vernunft und wählt das eine statt des anderen. Das sind nun die rationalen Vermögen der Seele. Von den nichtrationalen Seelenvermögen sind die einen Erkenntnis-, die anderen Lebens- und Strebevermögen. Erkenntnisvermögen sind Vorstellungskraft und Sinneswahrnehmung. Sie unterscheiden sich voneinander dadurch, dass die Sinneswahrnehmung sich auf einen außerhalb von ihr liegenden Gegenstand erstreckt und die Vorstellung ihren Erkenntnisgegenstand in sich selbst trägt. Denn die Wahrnehmung weiß nur das gegenwärtig Vorliegende und das, was sie von außen erfasst, wohingegen die Vorstellung die Eindrücke der Wahrnehmungsgegenstände, die sie von der Wahrnehmung aufgenommen hat, [6] in sich selbst wiederherstellt. [6, 1] Daher nennt Aristoteles sie auch den leidensfähigen Geist, »Geist«, weil sie in sich drinnen den Erkenntnisgegenstand besitzt und wie jener diesen durch einen einfachen Hinblick und nicht durch eine argumentative Begründung erfasst, und »leidensfähig«, weil sie mittels Eindrücken und nicht ohne Formen erkennt. Die Vorstellung heißt im Griechischen phantasia, weil sie gleichsam eine phaostasia ist, d. h. die phantasia ist das Stillstehen der Erscheinungen,16 weil sie in sich selbst die äußeren Erscheinungen stillstehen lässt. Jede von diesen erstreckt sich auf eine Partikularität, denn sie kennt dieses Weiß, nicht jedes Weiß. Wahrnehmung und Vorstellung unterscheiden sich dadurch, dass jene das Äußere, diese das Innere weiß; und die Vorstellung nimmt die Eindrücke der fünf Wahrnehmungsarten auf, jede der Wahrnehmungsarten erkennt hingegen nur den ihr eigentümlichen Wahrnehmungsgegenstand. [6, 11] Von den Strebe- und Lebensvermögen ist das eine der Zorn, das andere die Begierde.17 Man könnte fragen, wie sich nach unserer Meinung die Begierde im Hinblick auf den Zorn unterscheidet. Warum unterscheiden sie sich überhaupt? Begehrt nicht auch der Zorn danach, demjenigen, der einem zuvor Schmerzen zugefügt hat, ebenfalls Schmerzen zuzufügen?

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Johannes Philoponos · Text

μεῖ τῶν μαθημάτων καὶ τῶν θεωρημάτων; λέγω οὖν πρὸς τοῦτο ὅτι ἔστιν ἡ ἐπιθυμία καὶ κοινότερον λεγομένη καὶ ἰδικώτερον· ὥσπερ γὰρ ἡ διάθεσις λέγεται καὶ κοινῶς καὶ ἐπὶ τῆς ἕξεως, λέγεται δὲ καὶ ἰδικῶς ἡ ἀντιδιαστελλομένη πρὸς τὴν ἕξιν, οὕτω καὶ ἡ ἐπιθυμία λέγεται καὶ κοινῶς ἐπὶ πασῶν τῶν δυνάμεων τῆς ψυχῆς, λέγεται δὲ καὶ ἰδικώτερον ἡ ἀντιδιαστελλομένη πρὸς τὸν θυμόν. ἐπειδὴ γὰρ ἔπεμψεν ἡμᾶς ἡ πρόνοια ἐνταῦθα κατακοσμήσοντας τὰ τῇδε, ἐπίστευσεν ἡμῖν τὸν κλῆρον τοῦτον ὃν βούλεται ἡμᾶς σώζειν· καὶ ἵνα τοῦτο ποιῶμεν, ἐπειδὴ πολλὰ τὰ λυμαινόμενα τὸν κλῆρον τοῦτον, ἔστι δὲ καὶ ῥευστὸς τὴν φύσιν καὶ φθαρτός, δέδωκεν ἡμῖν θυμὸν καὶ ἐπιθυμίαν, ἵνα τῷ μὲν τὰ λυμαινόμενα ἀποσοβῶμεν, τῇ δὲ τὸ ἀπορρέον ἀνυφαίνωμεν. αὗται μὲν οὖν αἱ τῆς ψυχῆς λογικαί τε καὶ ἄλογοι δυνάμεις.

[6, 26] Παρὰ δὲ ταύτας εἰσὶν αἱ φυτικαὶ καλούμεναι· αὗται δέ εἰσι

τρεῖς, θρεπτικὴ αὐξητικὴ γεννητική. φυτικαὶ δὲ καλοῦνται, διότι αὗται μόναι ἐν τοῖς φυτοῖς ὁρῶνται· καὶ γὰρ τρέφονται ἀρδευόμενα καὶ κοπριζόμενα καὶ αὔξεται καὶ γεννᾷ ὅμοιον ἑαυτοῖς· ἄμπελος γὰρ ἐξ ἀμπέλου καὶ ἐλαία ἐξ ἐλαίας.

[6, 31] Ὡς οὖν ἀνακεφαλαιωσάμενον εἰπεῖν, ἐσμὲν καὶ ἄνθρω-

ποι καὶ ζῷα καὶ ἔμψυχα· καὶ ὡς μὲν ἄνθρωποι τὰς λογικὰς ἃς ἀπηριθμήσαμεν δυνάμεις ἔχομεν, ὡς δὲ ζῷα τὰς ἀλόγους, ὡς δὲ ἔμψυχα τὰς φυτικάς. ἔμψυχα γὰρ λέγομεν καὶ τὰ φυτά· ἐμψύχων



Kommentar zu De anima (Einleitung und III 4–7)

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Warum? Begehrt nicht auch die Vernunft die Lehr- und Wissensgehalte? Ich behaupte nun hierzu, dass der Begriff »Begierde« sowohl in einem eher gemeinsamen als auch in einem eher eigentümlichen Sinne gebraucht wird. Denn wie auch der Zustand einerseits gemeinsam und bedeutungsgleich mit der Disposition, andererseits eigentümlich und im Unterschied zur Disposition ausgesagt wird,18 so wird auch die Begierde gemeinsam bei allen Vermögen der Seele wie auch eher eigentümlich im Unterschied zum Zorn ausgesagt. Da uns die Vorsehung19 gesandt hat, dass wir unser Leben hier ordentlich führen, hat sie uns dieses Los anvertraut, das wir bewahren sollen; und damit wir dies tun und weil es vieles gibt, was diesem Los Schaden zufügt, und weil es seiner Natur nach schwankend und vergänglich ist, hat uns die Vorsehung Zorn und Begierde mitgegeben, damit wir durch den Zorn die Beschädigungen abschütteln und durch die Begierde das Vergangene neu herbeiholen.20 Das sind also die rationalen und nicht-rationalen Vermögen der Seele. [6, 26] Daneben gibt es die sogenannten vegetativen oder pflanzlichen Vermögen. Diese sind drei: das Ernährungs-, Wachstums- und Zeugungsvermögen. »Pflanzlich« werden sie genannt, weil nur diese auch bei den Pflanzen beobachtet werden können. Auch sie ernähren sich von Wasser und Nährstoffen, wachsen und zeugen etwas, was ihnen ähnlich ist: Ein Rebstock stammt von einem Rebstock und ein Ölbaum von einem Ölbaum.

Das Verhältnis der höheren und der niedrigeren ­ Seelenvermögen und die Einheit der Seele [6, 31] Um es kurz zusammengefasst zu sagen: Wir sind Men-

schen, Lebewesen und beseelt. Und als Menschen haben wir die rationalen Fähigkeiten, die wir aufgezählt haben, als Lebewesen die nicht-rationalen und als beseelte Wesen die vegetativen. Denn beseelt nennen wir auch die Pflanzen. Zu den beseelten

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Johannes Philoponos · Text

γὰρ τὸ αὔξεσθαι καὶ τρέφεσθαι καὶ γεννᾶν ὅμοια ἑαυτοῖς. λέγον-­ ται γοῦν καὶ αὐτὰ ζῆν τε καὶ τεθνάναι· ἡ δὲ ζωὴ καὶ ὁ θάνατος παρουσίᾳ καὶ ἀπουσίᾳ τῆς ψυχῆς γίνεται. ὅσα μὲν οὖν ἔχουσι τὰς κρείττους ζωάς, ἐξ ἀνάγκης καὶ τὰς καταδεεστέρας, οὐκέτι δὲ καὶ ἔμπαλιν· οὐ γὰρ δυνατὸν ἔχειν τὰς λογικὰς δυνάμεις μὴ πρότερον ἐσχη [7] κότας τὰς καταδεεστέρας. ἀμέλει καὶ τῶν αἰσ-­ θήσεων οὐκ ἔστι μετασχεῖν τῆς κρείττονος τὸν μὴ μετασχόντα τῆς χείρονος· ὅσα γοῦν μετέχει ὄψεως, ταῦτα καὶ ἀκοῆς καὶ τῶν λοιπῶν, καὶ ὅσα ἀκοῆς, ταῦτα καὶ ὀσφρήσεως καὶ γεύσεως καὶ ἁφῆς μετέχοντα, οὐ πάντως δὲ καὶ ὄψεως, ὡς καὶ ὁ σπάλαξ· ἀμέλει εἰσί τινα μόνης ἁφῆς μετέχοντα, οἷον οἱ σπόγγοι. ὥστε οὐκ ἔστι μετασχεῖν τῆς κρείττονος τὸν μὴ τῆς ἐλάττονος μετασχόντα. τοῦτο δὲ οὐχ ὅτι δέονται τῶν χειρόνων αἱ κρείττους, ἵνα ὑποστῶσιν, ἀλλὰ τοὐναντίον τὸ σῶμα οὐ δύναται μετασχεῖν τῶν κρειττόνων μὴ πρότερον μεταλαβὸν τῶν καταδεεστέρων· οὐ δύναται γὰρ τὸ σῶμα μεταλαβεῖν τῆς ἀλόγου μὴ πρότερον μεταλαβὸν τῆς φυτικῆς, οὐδὲ τῆς λογικῆς μὴ τούτων ἀμφοτέρων μεταλαβόν.

[7, 11] ἐπειδὴ γὰρ ἔδει μηδὲν τῶν εἰδῶν φθείρεσθαι, ἵνα μὴ ἀτελὲς

ᾖ τὸ πᾶν (πλήρωμα γάρ ἐστι τῶν εἰδῶν ὁ κόσμος) ἀδύνατον δὲ ἦν τὰ ἐνταῦθα τὰ αὐτὰ μένειν τῷ ἀριθμῷ, γεννητά γε ὄντα καὶ φθαρτά, μετέσχε καὶ αὐτὰ τῆς ἀιδιότητος, ὡς ἠδύνατο, ἐπειδὴ καὶ πάντα ἐφίεται τῆς τοῦ πρώτου ἀιδιότητος ὡς οἰκείας ἀρχῆς καὶ μετέχει ταύτης ἕκαστον κατὰ τὰ ἑαυτοῦ μέτρα. διὰ τοῦτο οὖν καὶ τὰ ἐνταῦθα ὄντα κατ’ ἀριθμὸν ἀίδια μὴ δυνηθέντα εἶναι τῷ γεννᾶν ἕκαστον οἷον αὐτὸ μετέχει τῆς ἀιδιότητος· καὶ τοῦτό ἐστι τὸ σκοπιμώτατον ἔργον τῆς φύσεως, τὸ τῶν φυσικῶν ἕκαστον γεννῆσαι ἄλλο οἷον αὐτό. ἐπειδὴ τοίνυν δεόμεθα γεννήσεως, ἡ δὲ γεννητικὴ δύναμις ἐν ὡρισμένῳ γίνεται μεγέθει, διὰ τοῦτο δεόμεθα τῆς αὐξήσεως. ἐπειδὴ δὲ ἡ αὔξησις γίνεται διὰ



Kommentar zu De anima (Einleitung und III 4–7)

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Wesen gehört es aber, zu wachsen, sich zu nähren und ähnliche Wesen zu zeugen. Von ihnen sagt man auch, dass sie leben und tot sind. Leben und Tod entstehen durch die An- bzw. Abwesenheit der Seele. Was also die höherstufigen Lebewesen haben, haben notwendigerweise auch die niedrigeren Lebewesen, aber nicht umgekehrt. Denn es ist unmöglich, die rationalen Vermögen zu besitzen, ohne zuvor auch die niedrigeren Vermögen zu haben. [7] Ganz gewiss kann derjenige, der nicht an der niedrigeren Wahrnehmung teilhat, auch nicht an der höheren teilhaben; was also am Sehen teilhat, das hat auch am Hören und an den anderen Wahrnehmungen teil, und was am Gehör, das hat auch an Geruch, Geschmack und Tastsinn teil, nicht aber alles auch am Sehen, wie z. B. der Maulwurf. Es gibt tatsächlich auch welche, die nur den Tastsinn haben, z. B. die Schwämme. Daher kann der, der nicht am Niedrigeren teilhat, auch nicht am Höheren teilhaben. Das bedeutet zwar nicht, dass die höheren Vermögen die niedrigeren brauchen, um existieren zu können, aber im Gegenteil kann der Körper, der nicht zuvor das Niedrigere aufgenommen hat, nicht am Höheren teilhaben. Denn der Körper kann nicht am nicht-rationalen Vermögen teilhaben, wenn er nicht zuvor am vegetativen Vermögen teilgenommen hat, und nicht am rationalen Vermögen, wenn er nicht an den beiden vorangegangenen teilgenommen hat. [7, 11] Da keine der Formen zugrunde gehen darf, damit das All nicht unvollständig ist (der Kosmos ist nämlich die Fülle der Formen),21 ist es unmöglich, dass die Dinge hier der Zahl nach identisch bleiben, da sie entstanden und vergänglich sind. Aber auch sie haben an der Ewigkeit teil, soweit sie können, weil alles nach der Ewigkeit des Uranfangs als seinem eigentlichen Prinzip strebt und jedes Einzelne an dieser nach dem ihm zukommenden Maß teilhat. Daher haben auch die hiesigen Dinge, die nicht der Zahl nach ewig sein können, an der Ewigkeit teil, weil ein jedes gleichsam sich selbst fortzeugen kann. Und dies ist das absichtvollste Werk der Natur, dass jedes Naturding gleichsam ein anderes Selbst fortzeugt. Da wir nun die Zeugung brauchen, hat die Zeugungskraft ihr Werden

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Johannes Philoponos · Text

τροφῆς, δεόμεθα τῆς θρεπτικῆς δυνάμεως. διὰ ταῦτα μετέχομεν τῶν φυτικῶν δυνάμεων καὶ ἡμεῖς καὶ τὰ ἄλογα. ὥστε ὅταν μὲν ἐνεργῶμεν κατὰ ταύτας τὰς δυνάμεις, ὡς φυτὰ ἐνεργοῦμεν, ὅταν δὲ κατὰ θυμὸν καὶ ἐπιθυμίαν, ὡς ἄλογα ζῷα· μόνως δὲ ὡς ἄνθρωποι ἐνεργοῦμεν, ὅταν τῷ λόγῳ κεχρήμεθα. διὸ καὶ ὁ Πλωτῖνος πάνυ θείως εἶπεν ὡς ὅσοι ἐμμανῶς κατὰ τὰς θρεπτικὰς δυνάμεις ἐνεργοῦσιν, οὗτοι κινδυνεύουσιν ἀποδενδρωθῆναι. […]

[8, 16] »τρεῖς ψυχὰς ἔχομεν καὶ ὑπὸ τριῶν ψυχῶν διοικούμεθα«;

λέγω γὰρ ὅτι ὥσπερ ἑνωθεῖσα ἡ ψυχὴ τῷ σώματι τούτῳ δοκεῖ μὲν ἕν τι πρᾶγμα ποιεῖν, κατὰ ἀλήθειαν δὲ οὐχ ἕν τί ἐστιν, οὕτω καὶ τῇ τε ἀλόγῳ καὶ τῇ φυτικῇ συνημμένη μίαν μέν τινα συνέχειαν ποιεῖ διὰ τὴν συνάφειαν (ἐξῆπται γὰρ προσεχῶς τῆς μὲν λογικῆς ἡ ἄλογος, τῆς δὲ ἀλόγου ἡ φυτική), διὰ δὲ τὴν γινομένην ἐκ τῆς συναφείας ταύτης συμπάθειαν μίαν φαμέν, καὶ ὅτι ὡς ὀργάνοις κέχρηται ταῖς ἄλλαις δυνάμεσιν ἡ λογική. τούτων τῶν δυνάμεων, λέγω δὴ τῶν τε ἀλόγων καὶ τῶν φυτικῶν, αἱ μὲν μᾶλλον ἐγγίζουσι τῇ λογικῇ ψυχῇ, αἱ δὲ ἧττον· αἱ μὲν ἄλογοι μᾶλλον ἐγγίζουσι, διότι πεφύκασι κατακούειν λόγου· διὸ ἐπιπλήττοντες ταῖς ἐπιθυμίαις πραοτέρας αὐτὰς ποιοῦμεν· »στῆθος δὲ πλήξας κραδίην ἠνίπαπε μύθῳ«, καὶ πάλιν »τέτλαθι κραδίη, καὶ κύντερον ἄλλο ποτ’ ἔτλης«, »ἔθιζε σαυτὸν κρατεῖν ὀργῆς ἡδονῆς λύπης«, καὶ ὅσα τοιαῦτα. καὶ τί λέγω ἐν ἡμῖν; καὶ τῶν θηρίων πολλὰ ἡμερώτερα τῷ λόγῳ γίνεται. αἱ δὲ φυτικαὶ ἅτε μὴ κατακούουσαι λόγου πορρωτέρω εἰσὶ τῆς λογικῆς ψυχῆς· οὐ γὰρ ἔστιν ἐπι-



Kommentar zu De anima (Einleitung und III 4–7)

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in einer bestimmten räumlichen Größe, deshalb brauchen wir auch das Wachstum. Da aber das Wachstum sein Werden durch die Ernährung hat, brauchen wir das Ernährungsvermögen. Daher haben wir wie auch die nicht-rationalen Lebewesen an den vegetativen Vermögen teil. So sind wir, wenn wir gemäß diesen Vermögen tätig sind, wie Pflanzen tätig, wenn gemäß Zorn und Begierde, wie nicht-rationale Lebewesen. Einzig als Menschen sind wir tätig, wenn wir die Vernunft gebrauchen. Daher hat auch Plotin ganz trefflich gesagt, dass die, die ohne Verstand nur gemäß dem Ernährungsvermögen tätig sind, Gefahr laufen, zum Baum zu werden.22 […] [8, 16] Haben wir drei Seelen und werden wir von drei Seelen getrennt bewohnt? Ich sage, dass die Seele, genauso wie sie mit diesem Körper hier vereint ist und einen einheitlichen Gegenstand zu bilden scheint, aber in Wahrheit keine Einheit ist, auch mit dem nicht-rationalen und dem vegetativen Teil verbunden ist und einen einheitlichen Zusammenhang durch Verbindung23 bildet; denn der nicht-rationale Teil hängt unmittelbar am rationalen Vermögen, das vegetative am nicht-rationalen. Wegen der Wechselwirkung, die aus dieser Verbindung resultiert, sagen wir, dass der Zusammenhang einheitlich ist. Wir behaupten auch, dass das rationale Vermögen die beiden anderen als Instrument gebraucht. Von diesen Vermögen, ich meine die nicht-rationalen und die vegetativen, stehen jene näher zur rationalen Seele, diese weniger nah; die nicht-rationalen Vermögen sind näher, weil sie ihrer Natur nach der Vernunft gehorchen.24 Daher machen wir die Begierden, wenn wir sie tadeln, zahmer: »Da schlug er gegen seine Brust und schalt das Herz mit dem Worte« (Homer, Odyssee XX 17), dann: »Halte aus, Herz! Einst hast du noch Hündischeres ertragen« (Homer, Odyssee XX 18), »gewöhn dich daran, Zorn, Lust und Schmerz zu beherrschen«25 etc. Aber warum spreche ich nur über uns? Auch bei den Tieren werden viele durch vernünftiges Zureden zahmer. Die vegetativen Kräfte hingegen stehen ferner zur ratio­nalen Seele, weil sie nicht der Vernunft gehorchen; denn es ist nicht möglich, dem Ernährungsvermögen zu befehlen, sich bis

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Johannes Philoponos · Text

τάξαι τῇ θρεπτικῇ δυνάμει μέχρι ποσοῦ θρέψαι ἢ τῇ αὐξητικῇ αὐξῆσαι. ἀλλ’ οὐδὲ τῇ γεννητικῇ· διὸ καὶ ἀβουλήτως πολλάκις ὀνειρώττομεν· εἰ δὲ καὶ μετριωτέραν ποιοῦμεν τὴν γεννητικήν, δῆλον ὅτι οὐχ ἁπλῶς αὐτὴν τὴν δύναμιν, ἀλλὰ τὴν ἐπιθυμίαν καταστέλλομεν· ἡ γὰρ δύναμις οὐδὲν ἧττον μένει καὶ μὴ ἐνεργοῦσα. [9, 1] αὗται μὲν αἱ δυνάμεις τῆς ψυχῆς αἵ τε λογικαὶ καὶ αἱ ἄλογοι καὶ αἱ φυτικαί.

[9, 3] Καθόλου δὲ τὴν ψυχὴν οἱ μέν φασιν ἀσώματον εἶναι, οἱ

δὲ σῶμα· καὶ τῶν σῶμα οἱ μὲν ἁπλοῦν, οἱ δὲ σύνθετον· καὶ τῶν σύνθετον οἱ μὲν ἐκ συνημμένων σωμάτων, οἱ δὲ ἀσυνάπτων. […]

[9, 35] τῶν δὲ χωριστὴν εἰρηκότων οἱ μὲν πᾶσαν ψυχὴν χωρισ­

τὴν σώματος εἰρήκασι, καὶ τὴν λογικὴν καὶ τὴν ἄλογον καὶ τὴν φυτικήν, οἷος ἦν Νουμήνιος πλανηθεὶς ἀπό τινων ῥησειδίων Πλάτωνος εἰπόντος ἐν Φαίδρῳ »πᾶσα ψυχὴ ἀθάνατος«, σαφῶς ἐκεῖ περὶ τῆς ἀνθρωπίνης τὸν λόγον ποιουμένου· ὅτι γὰρ θνητὴν οἶδε τὴν τῶν [10] ἀλόγων σαφῶς δείξομεν αὐτὰς τὰς ῥήσεις αὐτοῦ παρατιθέμενοι· οἱ δὲ πᾶσαν ἀχώριστον καὶ διὰ τοῦτο θνητήν, ὧν ἐστιν Ἀλέξανδρος ὁ Ἀφροδισιεύς, ὃς καὶ τὸν Ἀριστοτέλην πειρᾶται εἰς τὴν ἑαυτοῦ δόξαν συγκατασπᾶν· οἱ δὲ τὴν μὲν λογικὴν χωριστήν, τὴν δὲ ἄλογον καὶ τὴν φυτικὴν ἀχώριστον. τούτων δὲ οἱ μὲν ἀμφοτέρας ἀχωρίστους τοῦ



Kommentar zu De anima (Einleitung und III 4–7)

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zu einem bestimmten Quantum zu nähren, oder dem Wachstumsvermögen, zu wachsen. Das ist aber auch beim Zeugungsvermögen nicht möglich. Daher haben wir oft auch ungewollt Träume. Wenn wir aber das Zeugungsvermögen mäßigen, ist offensichtlich, dass wir nicht schlechthin das Vermögen selbst, sondern nur die Begierde niederhalten. Denn das Vermögen bleibt um nichts weniger, auch wenn es gerade nicht verwirklicht ist. [9] [9, 1] Das sind also die Vermögen der Seele: die rationalen, die nicht-rationalen und die vegetativen.

Das Verhältnis von Leib und Seele und das Problem der Unsterblichkeit der Seele [9, 3] Allgemein behaupten die einen, die Seele sei unkörperlich,

andere, sie sei ein Körper. Und von denen, die sie für einen Körper halten, sagen die einen, er sei einfach, andere, er sei zusammengesetzt; und von denen, die ihn für zusammengesetzt halten, meinen die einen, zusammengesetzt aus selbst zusammengesetzten Körpern, andere, aus unzusammengesetzten Körpern. […] [9, 35] Von denen, die die Seele abgetrennt nennen, sagen die einen, die ganze Seele sei abgetrennt vom Körper, also sowohl die rationale als auch die nicht-rationale und die vegetative Seele, so etwa Numenios, der fälschlich von einigen wenigen Sätzen Platons ausging, der im Phaidros sagte: »Jede Seele ist unsterblich« (Phaedr. 245c5), wo Platon klar eine Ausführung über die menschliche Seele machte. Dass Platon weiß, [10] dass die Seele der nicht-rationalen Wesen sterblich ist, werden wir deutlich machen, indem wir seine Worte selbst heranziehen. Andere wiederum sagen, die Seele sei ganz unabgetrennt und daher sterblich, zu denen Alexander von Aphrodisias gehört, der auch versucht, Aristoteles zu seiner eigenen Lehre herabzuziehen. Andere sagen, dass die rationale Seele abgetrennt ist, die nicht-rationale und die vegetative aber nicht. Von denen

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Johannes Philoponos · Text

παχέος τούτου σώματος, οἱ δὲ τὴν μὲν φυτικὴν τούτου μόνην ἀχώριστον, τὴν δὲ ἄλογον τούτου μὲν χωριστήν, ἄλλου μέντοι τινὸς σώματος ἀχώριστον, λέγω δὴ τοῦ πνευματικοῦ· ἥπερ ἐστὶ καὶ ἀληθὴς δόξα, ὡς δείξομεν, ἣν καὶ Πλάτων καὶ Ἀριστοτέλης ἐπρέσβευσαν. […]

[12, 10] Ὅτι μὲν οὖν καὶ Πλάτωνι καὶ Ἀριστοτέλει δοκεῖ μήτε πᾶ-

σαν ψυχὴν χωριστὴν σώματος εἶναι μήτε πᾶσαν ἀχώριστον, ἀλλὰ τὴν μὲν λογικὴν χωριστήν, ἀχώριστον δὲ τὴν λοιπήν, δῆλον. ἀλλὰ γὰρ οὐ δεῖ ταῖς τῶν παλαιῶν ἀποφάνσεσιν ἀναπαύεσθαι, ἀλλὰ πάντων τῶν πραγμάτων τὰς ἀποδείξεις κομίσαι· πρὸς ὅλον γὰρ ἡμῶν τὸν βίον τείνει τὰ δόγματα ταῦτα. ἄλλως τε τί οἰκειότερον ἡμῖν τῆς ἡμῶν αὐτῶν γνώσεως; δείξομεν οὖν ἕκαστον τῶν εἰρημένων, ὅτι τε πᾶσα ψυχὴ ἀσώματος καὶ ὅτι μόνη ἡ λογικὴ χωριστὴ παντὸς σώματος καὶ διὰ τοῦτο ἀθάνατος, καὶ ὅτι ἡ μὲν ἄλογος τοῦ μὲν παχέος τούτου χωριστή, ἀχώριστος δὲ τοῦ πνεύματος, καὶ ἔτι εἰ ὅλως ἐστὶν αὐτὸ τοῦτο τὸ πνευματικὸν σῶμα, καὶ ὅτι ἐπιδιαμένει μετὰ τὴν ἔξοδον τὴν ἐκ τούτου τοῦ σώματος ἐπί τινα χρόνον, καὶ ὅτι ἡ φυτικὴ ἐν τῷ παχεῖ τούτῳ τῷ σώματι τὸ εἶναι ἔχει καὶ συμφθείρεται αὐτῷ. ὅτι μὲν οὖν πᾶσαι αἱ δόξαι αἱ λέγουσαι σῶμα εἶναι τὴν ψυχήν, εἴτε ἁπλοῦν εἴτε σύνθετον, ψευδεῖς εἰσιν, ἵνα μὴ κατὰ μίαν ἐλέγχωμεν, κοινὸν κατὰ πασῶν τὸν ἔλεγχον ἐπαγάγωμεν. ὅτι τοίνυν οὐδεμίαν ψυχὴν δυνατὸν σῶμα εἶναι, δῆλον ἐντεῦθεν.

[12, 25] πᾶν σῶμα κατὰ τὴν ἑαυτοῦ φύσιν σκεδαστόν ἐστι καὶ εἰς

ἄπειρα διαιρετόν· διὸ δεῖται τοῦ συνέχοντος. τοῦτο οὖν τὸ συν-



Kommentar zu De anima (Einleitung und III 4–7)

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sagen einige, dass diese beiden unabgetrennt von diesem massiven Körper hier sind, andere, dass nur die vegetative Seele unabgetrennt und die nicht-rationale Seele abgetrennt von diesem Körper ist, aber unabgetrennt von einem anderen Körper ist, ich meine den pneumatischen Körper.26 Das ist auch die wahre Lehre, wie wir zeigen werden, die sowohl Platon als auch Aristoteles hochgehalten haben. […] a) Das Verhältnis der rationalen Seele zum Körper [12, 10] Dass sowohl Platon als auch Aristoteles der Ansicht sind,

dass weder die ganze Seele vom Körper abgetrennt noch unabgetrennt sei, sondern die rationale Seele abgetrennt, die übrige unabgetrennt, ist also [sc. aus den zuvor aufgezählten Belegstellen] offenkundig. Wir dürfen aber die Thesen der Alten nicht auf sich beruhen lassen, sondern müssen die Beweise für all diese Dinge beibringen. Denn diese Lehrsätze erstrecken sich auf unser ganzes Leben. Was sonst ist für uns eigentümlicher als die Erkenntnis unserer selbst? Wir werden daher jeden der genannten Punkte beweisen, also dass die ganze Seele unkörperlich ist, dass nur die rationale Seele abgetrennt von jedem Körper und deshalb unsterblich ist und dass die nicht-rationale Seele abgetrennt von diesem massiven Körper hier, aber nicht abgetrennt vom Pneuma ist. Ferner wollen wir beweisen, ob dieser pneumatische Leib überhaupt existiert, dass dieser nach dem Austritt aus diesem Körper hier noch eine gewisse Zeit fortdauert und dass die vegetative Seele ihr Sein in diesem massiven Körper hat und zusammen mit ihm zugrunde geht. Dass also alle Lehrmeinungen falsch sind, die behaupten, dass die Seele ein Körper sei, gleichviel ob er einfach oder ob er zusammengesetzt sei, wollen wir in einer Widerlegung gemeinsam für alle ausführen, um nicht nur eine Position zu widerlegen. Dass keine einzige Seele ein Körper sein kann, wird von hier aus offenkundig sein. [12, 25] Jeder Körper kann seiner Natur nach zerstreut und ins Unendliche geteilt werden. Daher bedarf er etwas, das ihn

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Johannes Philoponos · Text

έχον ἐπειδὴ ἢ ψυχή ἐστιν ἢ ἑτέρα τις δύναμις, πότερον σῶμά ἐστιν ἢ ἀσώματον; εἰ μὲν οὖν σῶμά ἐστι, δεήσεται πάλιν καὶ αὐτὸ τοῦ συνέχοντος. πάλιν οὖν καὶ περὶ ἐκείνου ἐρησόμεθα, πότερον σῶμα ἢ ἀσώματον, καὶ τοῦτο ἐπ’ ἄπειρον. ἀνάγκη ἄρα τὴν συνεκτικὴν τῶν σωμάτων δύναμιν ἀσώματον εἶναι. ἔστιν δὲ ἐπὶ τῶν ἐμψύχων συνεκτικὴ τῶν σωμάτων ἡ ψυχή· ἡ ψυχὴ ἄρα πᾶσα ἀσώματός ἐστιν. ἐν δὲ τῷ βιβλίῳ τούτῳ ὁ Ἀριστοτέλης πολλαχῶς καὶ ἄλλως ἐλέγξας τὰς δόξας ταύτας καὶ τοῦτο προσ­τίθησι· τί λέγω, φησίν, ἐπὶ τῶν ἄλλων; ἡ ἐσχάτη τῶν γνωστικῶν τῆς ψυχῆς δυνάμεων ἡ αἴσθησις καὶ αὕτη ἀσώματος οὖσα γραμμικαῖς ἀνάγκαις δείκνυται. εἰ τοίνυν ἡ ἐσχάτη ἀσώματος, πολλῷ μᾶλλον αἱ κρείττους;

[12, 36] πῶς οὖν [13] τοῦτο δείκνυσιν; οὐδέν, φησίν, σῶμα ἐν τῷ

αὐτῷ χρόνῳ κατὰ τὸ αὐτὸ μόριον τῶν ἐναντίων ἐστὶν ἀντιληπ­ τικόν· ὁ γὰρ δάκτυλος οὐ δύναται κατὰ τὸν αὐτὸν χρόνον ὅλος καὶ λευκοῦ καὶ μέλανος μεταλαβεῖν, οὐδὲ θερμαίνεται ἅμα κατὰ ταὐτὸ καὶ ψύχεται. ἡ δὲ αἴσθησις ἅμα ἐν τῷ αὐτῷ χρόνῳ τῶν ἐναντίων ἀντιλαμβάνεται· ἐν γὰρ τῷ ἀναγινώσκειν ἅμα τοῦ λευκοῦ καὶ τοῦ μέλανος ἀντιλαμβάνεται· διὸ καὶ οἶδεν ὅτι τόδε ἐστὶ πρῶτον καὶ τόδε δεύτερον, τῷ διακρίνειν ἐκ τοῦ λευκοῦ τὸ μέλαν. πῶς οὖν ἀντιλαμβάνεται ἐν τῷ αὐτῷ χρόνῳ τῶν ἐναν­ τίων ἡ ὄψις; πότερον κατὰ τὸ αὐτὸ μόριον ἢ καθ’ ἕτερον μὲν τοῦ μέλανος, καθ’ ἕτερον δὲ τοῦ λευκοῦ; εἰ μὲν οὖν κατὰ τὸ αὐτό, δῆλον ὅτι ἀμερῶς αὐτῶν ἀντιλαμβάνεται καὶ ἔστιν ἀσώματος· εἰ δὲ καθ’ ἕτερον καὶ ἕτερον μόριον, ὅμοιον, φησίν, ὡς »εἰ τοῦ μὲν ἐγώ, τοῦ δὲ σὺ αἴσθοιο«, ὥσπερ, φησίν, εἰ λέγοις ὅτι ὃ ἐγὼ εἶδον ἕτερόν ἐστιν οὗ σὺ εἶδες· δεῖ γὰρ τὸ κρῖνον ἓν καὶ τὸ αὐτὸ εἶναι



Kommentar zu De anima (Einleitung und III 4–7)

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zusammenhält. Da dieses Zusammenhaltende entweder die Seele oder eine andere Kraft ist, ist sie da ein Körper oder etwas Unkörperliches? Wenn sie ein Körper ist, bräuchte wiederum auch sie etwas, das sie zusammenhält. Wir können also auch im Hinblick auf dieses Zusammenhaltende wieder die Frage stellen, ob es ein Körper oder etwas Unkörperliches ist, und das so fort bis ins Unendliche. Daraus folgt notwendigerweise, dass die Kraft, die die Körper zusammenhält, unkörperlich ist. Bei beseelten Wesen ist aber die Seele dasjenige, was die Körper zusammenhält. Also ist die ganze Seele unkörperlich.27 In diesem Buch hier hat Aristoteles an vielen weiteren Stellen diese Lehrmeinungen widerlegt und noch Folgendes hinzugesetzt: ›Was werde ich gegen die anderen Lehrmeinungen vorbringen? Ich will mit geometrischer Notwendigkeit beweisen, dass das letzte Erkenntnisvermögen der Seele die Wahrnehmung und dass diese unkörperlich ist. Wenn schon das niedrigste Erkenntnisvermögen unkörperlich ist, um wieviel mehr sind es dann die höheren?‹28 [12, 36] Wie [13] beweist er das?29 Er sagt, kein Körper ist fähig, in derselben Zeit im selben Teil Gegenteile aufzunehmen; der Finger kann nicht in derselben Zeit als Ganzer sowohl am Weißen als auch am Schwarzen teilnehmen, und er kann auch nicht zeitgleich in derselben Hinsicht warm und kalt werden. Die Wahrnehmung hingegen nimmt zugleich in derselben Zeit Gegenteile auf: Indem sie genau das Weiße und das Schwarze erkennt, nimmt sie beide zugleich auf. Daher weiß sie auch, dass das eine zuerst, das andere als Zweites kommt, indem sie das Schwarze vom Weißen unterscheidet. Wie nimmt nun das Sehvermögen zur selben Zeit Gegenteile auf? Beide im selben Teil oder das Schwarze im einen, das Weiße im anderen Teil? Wenn im selben Teil, dann nimmt es sie offensichtlich ungeteilt auf und ist unkörperlich. Wenn in dem einen bzw. anderen Teil, dann, sagt er, verhält es sich ähnlich wie »wenn ich das eine, du das andere wahrnähmst« (An. III 2, 426b19), wie wenn man sagt, sagt er, dass das, was ich gesehen habe, etwas anderes ist als das, was du gesehen hast. Das Beurteilende muss ein und das-

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Johannes Philoponos · Text

καὶ κατὰ τὸ αὐτὸ τῶν κρινομένων ἀντιλαμβάνεσθαι. σῶμα δὲ ἐν τῷ αὐτῷ χρόνῳ κατὰ τὸ αὐτὸ μόριον προσβάλλειν τοῖς ἐναν­ τίοις ἢ ἁπλῶς τοῖς ἑτέροις οὐ δύναται· ἡ δὲ αἴσθησις κατὰ τὸν αὐτὸν χρόνον προσβάλλει τῷ λευκῷ καὶ τῷ μέλανι· ἀμερῶς ἄρα προσβάλλει, καὶ διὰ τοῦτο οὖν ἀσώματος. εἰ γὰρ καθ’ ἕτερον καὶ ἕτερον μόριον τοῦ μέλανος καὶ τοῦ λευκοῦ ἀντελαμβάνετο, οὐκ ἂν ἠδυνήθη διακρῖναι τὸ λευκὸν ἀπὸ τοῦ μέλανος· οὐδεὶς γὰρ διακρίνει τὸ ὑπ’ αὐτοῦ ὁραθὲν τοῦ ὑπ’ ἄλλου ὁραθέντος. ὅτι δὲ καὶ ἡ φαντασία ἀσώματος καὶ ἀμερής, δῆλον ἐντεῦθεν· πόθεν γὰρ οἱ ἐπιγινόμενοι τύποι οὐκ ἠφάνισαν τοὺς προϋπάρχοντας; ὅπερ, εἴπερ ἦν σῶμα, συνέβη ἄν, ὥσπερ ἐπὶ κηροῦ· ἀφανίζουσι γὰρ οἱ ἐπιγινόμενοι τύποι τοὺς προϋπάρχοντας.

[13, 24] ἀλλὰ καὶ ἡ φυτικὴ ψυχή, ἥτις καὶ τῆς αἰσθήσεώς ἐστι

καταδεεστέρα, καὶ αὐτοὶ οἱ φυσικοὶ λόγοι δείκνυνται ἐναργῶς ἀμερεῖς ὄντες καὶ διὰ τοῦτο ἀσώματοι. ἐν γὰρ ἑκάστῳ μορίῳ τοῦ σπέρματος οἱ αὐτοὶ φυσικοὶ λόγοι ἀμερίστως εἰσίν, οἵπερ καὶ ἐν τῷ παντὶ σπέρματι, οἱ θρεπτικοί, οἱ αὐξητικοί, οἱ διαπλαστικοί· ὥσπερ γὰρ πᾶν τὸ καταβληθὲν σπέρμα εἰ κατασχεθείη ὑπὸ τῆς μήτρας, τέλειον τὸ ζῷον ἀποτελεῖ, οὕτως κἂν μὴ τὸ πᾶν ἀλλὰ μόριον, οὐδὲν ἧττον ποιήσει. εἰ τοίνυν οἱ φυσικοὶ τοῦ ζῴου λόγοι σῶμα ἦσαν, οὐκ ἠδύναντο ἐν τῷ αὐτῷ μορίῳ ἅμα καὶ οἱ τῆς κεφαλῆς καὶ οἱ τῶν ποδῶν καὶ πάντων τῶν μορίων εἶναι· νῦν δέ εἰσιν ὡς ἐν τῷδε τῷ μορίῳ πάντες, οὕτω καὶ ἐν ἄλλῳ πάντες· ἀμερίστως ἄρα ἐνυπάρχουσι πάντες ἐν ἑκάστῳ μορίῳ· ἀσώματοι ἄρα εἰσίν· τὸ γὰρ ἀμερὲς καὶ ἀσώματον.

[13, 35] ὥσπερ γοῦν καὶ ἐν τῷ ὅλῳ δένδρῳ ἐστὶν ἥ τε θρεπτικὴ καὶ



Kommentar zu De anima (Einleitung und III 4–7)

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selbe sein und das, was es beurteilt, im selben Teil erfassen. Ein Körper kann nicht in derselben Zeit im selben Teil zu Gegenteilen oder schlicht Verschiedenheiten gelangen; die Wahrnehmung gelangt aber in derselben Zeit zu Weiß und Schwarz; sie gelangt also ungeteilt zu ihnen und ist deshalb unkörperlich. Denn wenn sie das Schwarze in dem einem, das Weiße in einem anderen Teil aufnehmen würde, könnte sie nicht das Weiße vom Schwarzen unterscheiden; keiner unterscheidet nämlich das von ihm Gesehene von dem, was von einem andern gesehen worden ist. Dass auch das Vorstellungsvermögen unkörperlich und unteilbar ist, ist von hier aus klar; denn wieso haben die neu hinzukommenden Sinneseindrücke die zuvor vorhandenen nicht unsichtbar gemacht? Das wäre ja, wenn es ein Körper wäre, die Folge, wie beim Wachs; denn hier machen die hinzukommenden Eindrücke die zuvor vorhandenen unsichtbar. [13, 24] Aber auch die vegetative Seele, die geringer ist als die Wahrnehmung, und die natürlichen Gehalte zeigen deutlich, dass sie unteilbar und daher unkörperlich sind. In jedem Teil des Spermas sind dieselben natürlichen Gehalte auf unteilbare Weise, die auch im ganzen Sperma sind, nämlich die Gehalte, die zur Ernährung, zum Wachstum und zur Gestaltbildung befähigen. Denn wie das ganze ausgeworfene Sperma, wenn es von der Mutter empfangen wird, das Lebewesen vollständig hervorbringt, so wird es das um nichts weniger tun, auch wenn die Mutter nicht das ganze, sondern nur ein Teil des Spermas empfängt. Wenn nun die natürlichen Gehalte des Lebewesens Körper wären, könnten nicht im selben Teil gleichzeitig sowohl die Gehalte für das Hirn als auch die für die Füße und alle anderen Teile vorhanden sein. Nun sind aber die Gehalte, wie sie allesamt in jenem Teil sind, alle ebenso auch in einem anderen Teil. Also sind alle Gehalte auf ungeteilte Weise in jedem Teil vorhanden und sind damit unkörperlich, denn das Ungeteilte ist auch unkörperlich. [13, 35] Wie demnach im ganzen Baum die Vermögen zur Ernährung, zu Wachstum und zur Zeugung existieren, so exis-

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Johannes Philoponos · Text

αὐξητικὴ καὶ γεννητικὴ δύναμις, οὕτω καὶ ἐν τῷ κλάδῳ ἢ ἐν τῷ κλή [14] ματι καὶ ἐν αὐτῇ τῇ κεγχραμίδι. […] [14, 28] εἰ τοίνυν αἱ καταδεέστεραι τῶν ψυχικῶν δυνάμεων ἀσώματοι, πολλῷ μᾶλλον ἡ λογικὴ κρείττων οὖσα πολλῷ. ὅτι γὰρ καὶ αὕτη ἀσώματος, δέδεικται μὲν καὶ διὰ τῶν κοινῶν λόγων, λέγομεν δὲ καὶ ἰδίᾳ ἐπὶ αὐτῆς οὕτως· οὐδὲν τῶν σωμάτων αὐτὸ ἑαυτὸ γινώσκει οὐδὲ πρὸς ἑαυτὸ ἐπιστρέφεται· οὐ γὰρ οἶδεν ἑαυτὴν ἡ χεὶρ ἢ ἄλλο τι τῶν σωμάτων. ἀλλ’ οὐδ’ αἱ ἄλογοι δυνάμεις, καίτοι ἀσώματοι οὖσαι ἑαυτὰς ἴσασιν· οὐ γὰρ οἶδεν ἑαυτὴν ἡ ὄψις ἢ ἡ ἀκοὴ ἢ ἁπλῶς ἡ αἴσθησις οὐδὲ ζητεῖ ποίας ἐστὶ φύσεως, ἀλλ’ ὁ λόγος ἐστὶν ὁ περὶ αὐτῶν ζητῶν. ἡ μέντοι ψυχὴ ἡ λογικὴ αὐτὴ ἑαυτὴν γινώσκει· αὐτὴ γοῦν ἐστιν ἡ ζητοῦσα, αὐτὴ ἡ ζητουμένη, αὐτὴ ἡ εὑρίσκουσα, αὐτὴ ἡ εὑρισκομένη, ἡ γινώσκουσα καὶ γινωσκομένη· ἀσώματος ἄρα ἐναργῶς ἀποδέδεικται. ἔτι αἱ ἐν ὑποκειμένῳ τῷ [15] σώματι δυνάμεις συν­ ακμάζουσί τε τῷ σώματι καὶ συναμαυροῦνται· τοιαῦται γοῦν αἴσθησις θυμὸς ἐπιθυμία· ἡ δὲ λογικὴ ψυχὴ τὸ ἐναντίον μαραινομένου τοῦ σώματος αὐτὴ ἀκμάζει· οὐκ ἄρα ἐν ὑποκειμένῳ τῷ σώματί ἐστιν. ἔτι οὐδὲν τὸ ἑαυτοῦ σπουδάζει φθεῖραι ὑποκείμενον· πάντα γὰρ τοῦ εἶναι ἐφίεται· ἡ δὲ λογικὴ ψυχὴ καταφρονεῖ τοῦ σώματος, τοῖς τε δι’ ἀρετὴν πόνοις αὐτὸ δαμάζουσα καὶ τὸ σύνολον πολλάκις προϊεμένη· οὐκ ἄρα ἐν ὑποκειμένῳ σώματι τὸ εἶναι ἔχει. οὕτω μὲν οὖν οὐδεμία ψυχικὴ δύναμις σῶμα οὖσα δέδεικται.

[15, 9] Ἐπὶ τούτοις δεῖ δεῖξαι, ὅτι ἡ μὲν λογικὴ ψυχὴ ἐξῃρημένην

ἔχει τὴν οὐσίαν παντὸς σώματος, αἱ δὲ λοιπαὶ ἐν σώματι τὸ εἶναι ἔχουσι· καὶ ἡ μὲν ἐν τῷ πνεύματι ἡ ἄλογος, ἡ δὲ φυτικὴ



Kommentar zu De anima (Einleitung und III 4–7)

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tieren sie auch im Zweig oder im als Setzling abgeschnittenen Zweig [14] und im Fruchtkern selbst. […] [14, 28] Wenn nun die geringeren seelischen Vermögen unkörperlich sind, um wie viel mehr wird es auch die rationale Seele sein, die ja um so viel höher ist. Dass auch sie unkörperlich ist, ist zwar schon durch die für alle gemeinsam geltenden Begründungen gezeigt worden; wir bringen sie aber auch eigens für sie folgendermaßen vor: Kein Körper erkennt sich selbst als solchen oder wendet sich zu sich selbst zurück;30 denn die Hand oder irgendein anderer Körper erkennt sich nicht selbst. Aber auch die nicht-rationalen Vermögen erkennen sich nicht selbst, obwohl sie unkörperlich sind. Denn das Sehvermögen, das Gehör oder schlicht die Wahrnehmung erkennt sich nicht selbst und fragt auch nicht danach, von welcher Natur sie ist, sondern die Vernunft ist es, die über diese Dinge Untersuchungen anstellt. Die rationale Seele erkennt sich hingegen selbst als solche; sie ist die Suchende, sie ist die Gesuchte, sie ist die Findende, sie ist die Gefundene, sie ist die Erkennende und zugleich die Erkannte. Also ist klar bewiesen, dass sie unkörperlich ist. Außerdem blühen die Vermögen [15], die am Körper als Substrat vorliegen, zusammen mit dem Körper auf und werden zusammen mit ihm geschwächt. Von dieser Art sind Wahrnehmung, Zorn und Begierde. Die rationale Seele blüht als solche im Gegenteil dann auf, wenn der Körper zugrunde geht. Sie existiert also nicht am Körper als ihrem Substrat.31 Außerdem strebt nichts danach, das eigene Substrat zugrunde zu richten, denn alles verlangt nach dem Sein. Die rationale Seele verachtet aber den Körper, bezähmt ihn mit den durch Tugend verursachten Mühen und gibt oftmals das [sc. mit dem Körper zusammengesetzte] Gesamtwesen dahin; sie hat also ihr Sein nicht an einem zugrundeliegenden Körper. Somit ist also bewiesen, dass kein einziges seelisches Vermögen ein Körper ist. [15, 9] Darüber hinaus muss man zeigen, dass die rationale Seele das Wesen allen Körperlichen transzendiert hat und die übrigen Seelen ihr Sein im Körper haben. Und zwar hat die nicht-rationale Seele ihr Sein am Pneuma und die vegetative

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Johannes Philoponos · Text

ἐν τούτῳ. ἵνα οὖν ταῦτα δείξωμεν, προλάβωμεν τέως ἐκεῖνο. κανόνα τινὰ παραδίδωσιν ἡμῖν ὁ Ἀριστοτέλης ἐν τῷ προοιμίῳ τοῦ προκειμένου βιβλίου κοινῶς πᾶσι τοῖς φιλοσόφοις ἀρέσαντα, καὶ τοῖς θνητὴν εἶναι τὴν ψυχὴν ὑπολαβοῦσι καὶ τοῖς ἀθάνατον. ἔστιν δ’ ὁ κανὼν οὗτος· δεῖ, φησίν, ἐκ τῶν ἐνεργειῶν τὰς οὐσίας κρίνειν, ἐπειδὴ καὶ ἑκάστη οὐσία σύστοιχον ἔχει τὴν ἐνέργειαν. πᾶσα οὖν, φησίν, οὐσία μηδεμίαν ἔχουσα ἐνέργειαν χωριστὴν σώματος, ἐξ ἀνάγκης οὐδὲ τὴν οὐσίαν ἕξει χωριστὴν σώματος· εἰ γὰρ χωριστὴν ἔχουσα τὴν οὐσίαν μηδεμίαν ἐνέργειαν ἔχοι χωρὶς σώματος, ἐπειδὰν χωρισθῇ σώματος, οὐχ ἕξει περὶ τί ἐνεργήσει· ὥστε μάτην ἔσται.

[15, 20] οὐδὲν δὲ μάτην οὔτε ὁ θεὸς ποιεῖ οὔτε ἡ φύσις. οὐκ ἄρα

δυνατὸν τὴν χωριστὴν οὐσίαν μηδεμίαν ἔχειν ἐνέργειαν χωρὶς σώματος. [15, 22] πάλιν ἕτερος κανὼν οὗτος· πᾶσα οὐσία ἔχουσα ἐνέργειαν χωριστὴν σώματος ἐξ ἀνάγκης καὶ αὐτὴ χωριστὴ ἔσται σώματος· εἰ δὲ μὴ εἴη χωριστή, συμβήσεται τὸ αἰτιατὸν τοῦ αἰτίου κρεῖττον εἶναι καὶ τοῦ κρείττονος τὸ καταδεέστερον κρεῖττον, ὅπερ ἄτοπον·  δεῖ γὰρ ἀεὶ τὸ αἴτιον κρεῖττον εἶναι τοῦ αἰτιατοῦ καὶ τὸ τῇ φύσει πρότερον τοῦ μετ’ αὐτό· κρεῖττον δὲ τὸ τῇ φύσει πρότερον. πῶς οὖν τοῦτο οὕτως ἔχει; ἴσμεν ὅτι πᾶσα ἐνέργεια ἐκ δυνάμεως, πᾶσα δὲ δύναμις ἐξ οὐσίας· οὐκοῦν τρίτην τάξιν ἔχει ἀπὸ τῆς οὐσίας ἡ ἐνέργεια. εἰ τοίνυν ἡ μὲν οὐσία ἀχώριστος ᾖ σώματος, ἡ δὲ ἐνέργεια  χωριστή, κρεῖττον δὲ τοῦ ἀχωρίστου τὸ χωριστόν, κρείττων ἄρα ἡ ἐνέργεια τῆς οὐσίας, ταὐτὸν δὲ εἰπεῖν τὸ αἰτιατὸν τοῦ αἰτίου καὶ τοῦ φύσει προτέρου τὸ δεύτερον, μᾶλλον δὲ τρίτον, ὅπερ ἄτοπον. ἀδύνατον ἄρα



Kommentar zu De anima (Einleitung und III 4–7)

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Seele an diesem Leib hier. Um das zu beweisen, wollen wir einstweilen Folgendes vorwegnehmen. Aristoteles gibt uns in der Vorrede zu dem hier vorliegenden Buch eine allgemeine Regel an die Hand, die allen Philosophen genügt, sowohl denen, die annehmen, die Seele sei sterblich, als auch denen, die glauben, sie sei unsterblich. Die Regel ist folgende: Man muss aus den Tätigkeiten das Wesen beurteilen, sagt Aristoteles, weil jedes Wesen mit seiner Tätigkeit korreliert ist.32 Jedes Wesen, sagt er weiter, das keine von einem Körper abgetrennte Tätigkeit hat, wird notwendigerweise auch kein Wesen haben, das vom Körper abgetrennt ist. Wenn es ein abgetrenntes Wesen und keine vom Körper abgetrennte Tätigkeit hat, dann wird es, wenn man es vom Körper abtrennt, nichts haben, woraufhin es tätig sein kann, so dass diese Tätigkeit vergebens wäre. [15, 20] Weder Gott noch die Natur tun aber etwas vergeblich. Es ist also nicht möglich, dass das abgetrennte Wesen keine vom Körper getrennte Tätigkeit hat. [15, 22] Wieder eine andere Regel ist folgende: Jedes Wesen, das eine vom Körper abgetrennte Tätigkeit hat, wird notwendigerweise auch abgetrennt vom Körper sein; wenn es aber nicht abgetrennt wäre, wäre folglich das Verursachte höherrangig als das Ursächliche und das Niedrigere höher als das Höherrangige, was ja Unsinn wäre. Denn das Ursächliche muss immer höherrangig sein als das Verursachte und das von Natur aus Frühere höher als das nach ihm Kommende. [Höherrangig ist aber das von Natur aus Frühere.]33 Wie verhält sich das nun so? Wir wissen, dass jede Tätigkeit aus einem Vermögen und jedes Vermögen aus einem Wesen hervorgeht. Die Tätigkeit hat also vom Wesen ausgehend die dritte Stelle in der Reihe. Wenn nun das Wesen unabgetrennt vom Körper ist und die Tätigkeit abgetrennt, das Abgetrennte aber höherrangig als das Unabgetrennte ist, wäre also die Tätigkeit höherrangig als das Wesen, was dasselbe heißt wie zu sagen, dass das Verursachte höherrangig ist als das Ursächliche und das Zweite, vielmehr Dritte höherrangig als das von Natur aus Frühere. Das ist ja Unsinn. Also ist es unmöglich, dass die vom Körper abgetrennte Tä-

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Johannes Philoponos · Text

ἐνέργειαν χωριστὴν σώματος μὴ ἀπ’ οὐσίας προέρχεσθαι καὶ αὐτῆς χωριστῆς. οὗτοι μὲν οὖν οἱ Ἀριστοτελικοὶ κανόνες. [15, 35] χρησιμεύσει οὖν ἡμῖν ὁ μὲν [16] ὕστερος εἰς τὸν περὶ τῆς λογικῆς ψυχῆς λόγον, ὁ δὲ πρότερος εἰς τὸν περὶ τῶν λοιπῶν. εἴπωμεν οὖν τέως περὶ τῆς λογικῆς. εἰ μηδεμία ἀχώριστος σώματος οὐσία ἔχει χωριστὴν τὴν ἐνέργειαν, δείξομεν δὲ ἐπὶ τῆς ψυχῆς χωριστὴν ἐνέργειαν σώματος, πᾶσα ἀνάγκη καὶ αὐτὴν χωριστὴν εἶναι. ὅταν τοίνυν σκοπῇ περὶ τῶν νοητῶν ἡ ψυχὴ καὶ τὰς περὶ τοῦ θεοῦ ἐννοίας προχειρίζηται, δῆλον ὅτι χωριστὴν παντὸς σώματος ἔχει τὴν τοιαύτην ἐνέργειαν. ὁμοίως καὶ ὅταν ἑαυτὴν ζητῇ· οὐδαμοῦ γὰρ ἐν τούτοις οὔτε συνεργῷ χρῆται τῷ σώματι οὔτε αὐτὴ περὶ σῶμα ἐνεργεῖ, ὥστε πάντῃ κεχώρισται σώματος ἡ τοιαύτη ἐνέργεια, καὶ αὐτῆς δὲ τῆς φαντασίας. εἰ δὲ ἡ ἐνέργεια χωριστή, ἐξ ἀνάγκης καὶ ἡ οὐσία αὐτῆς χωριστὴ ἔσται· εἰ δὲ χωριστὴ ἡ οὐσία, κατὰ πᾶσαν ἀνάγκην καὶ ἀίδιος· τοῦτο γὰρ κοινῶς πάντες ὁμολογοῦσιν ὅτι πᾶσα χωριστὴ σωμάτων οὐσία καὶ ἀίδιός ἐστι. σκόπει γάρ, εἰ χωριστὴ οὖσα μὴ ἔστιν ἀίδιος, ἀλλὰ γενητὴ καὶ φθαρτή, πρὶν γενέσθαι ἢ ἠδύνατο γενέσθαι ἢ οὐκ ἠδύνατο. εἰ μὲν οὖν μὴ ἠδύνατο, οὐδ’ ἂν ἐγένετο· τὸ γὰρ ἀδύνατον οὐκ ἂν γένοιτο· εἰ δὲ ἠδύνατο, ὑλικὴ πάντως ἦν· τοῦτο γὰρ τὸ δύνασθαί ποτε εἶναι ἢ μὴ εἶναι τόδε τι τῆς ὕλης ἐστίν· εἰ δὲ ἄυλα τὰ χωριστὰ τῆς ὕλης, οὐκ ἔσονται ἐκ τοῦ δυνάμει εἰς τὸ ἐνεργείᾳ ἀλλ’ ἀεὶ ἐνεργείᾳ ἔσονται.

[16, 18] καὶ ἄλλως· πᾶν τὸ φθειρόμενον κατὰ δύο τρόπους φθεί-

ρεται, ἢ τὸν τῶν σωμάτων τῇ εἰς τὰ στοιχεῖα ἀναλύσει ἢ τὸν τῶν ἀσωμάτων ἀποσβεννυμένου τοῦ εἴδους τῇ ἀναρμοστίᾳ τοῦ



Kommentar zu De anima (Einleitung und III 4–7)

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tigkeit nicht von einem Wesen herkäme, das genauso wie sie abgetrennt ist. Das sind nun die aristotelischen Regeln. [15, 35] Uns wird nun [16] die zweite Regel für die Begründung hinsichtlich der rationalen Seele nützlich sein und die erste für die Begründung hinsichtlich der übrigen Seelenteile. Zunächst wollen wir über die rationale Seele sprechen. Wenn kein vom Körper unabgetrenntes Wesen eine abgetrennte Tätigkeit hat und wir für die Seele eine vom Körper abgetrennte Tätigkeit nachweisen können, besteht alle Notwendigkeit, dass auch sie abgetrennt ist. Sobald die Seele Betrachtungen hinsichtlich der Denkgegenstände anstellt und sich Gedanken über Gott macht, übt sie offensichtlich eine solche Tätigkeit aus, die abgetrennt von jedem Körper abläuft. Gleiches geschieht, wenn die Seele sich selbst erforscht. Denn auf keinen Fall wirkt an diesen Gedanken der Körper mit, noch ist die Seele im Hinblick auf den Körper tätig, so dass eine so beschaffene Tätigkeit in jeder Hinsicht abgetrennt vom Körper abläuft, aber auch abgetrennt vom Vorstellungsvermögen. Wenn aber die Tätigkeit abgetrennt ist, ist notwendig auch ihr Wesen abgetrennt. Und wenn das Wesen abgetrennt ist, ist sie nach aller Notwendigkeit auch ewig; denn darin stimmen alle gemeinschaftlich überein, dass jedes Wesen, das vom Körper abgetrennt ist, auch ewig ist. Denn sieh nur zu, ob es ein Wesen gibt, das, obwohl es abgetrennt ist, nicht ewig, sondern entstanden und vergänglich ist und das, bevor es entstand, nur entweder entstehen konnte oder nicht. Wenn es nicht hätte entstehen können, wäre es auch nicht entstanden, denn das Unmögliche kann nicht entstehen. Wenn es aber entstehen konnte, war es vollkommen materiell. Denn das ist die Eigenart der Materie, einmal ein bestimmter Gegenstand sein bzw. nicht sein zu können. Wenn das, was von der Materie abgetrennt ist, immateriell ist, wird es auch nicht von einem Vermögen zur Tätigkeit übergehen, sondern stets in Tätigkeit bleiben. [16, 18] Außerdem gilt: Alles Vergängliche vergeht auf zwei Weisen, entweder bei den Körpern durch die Auflösung in ihre Elemente oder bei den unkörperlichen Dingen, wenn ihre Form dahinschwindet durch fehlenden Einklang mit dem Substrat,

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Johannes Philoponos · Text

ὑποκειμένου ἐν ᾧ τὸ εἶναι ἔχει, ὥσπερ ἡ ἁρμονία χαλασθεισῶν τῶν χορδῶν. κατ’ οὐδέτερον οὖν τῶν τρόπων ἐνδέχεται φθαρῆναι τὴν λογικὴν ψυχήν, οὔτε τὸν τῶν σωμάτων τρόπον (ἀσώματος γάρ) οὔτε τὸν τῶν ἀσωμάτων μὲν ἐν ὑποκειμένῳ δὲ σώματι τὸ εἶναι ἐχόντων· δέδεικται γὰρ χωριστὴ οὖσα σώματος· ὥστε εἰ δέδεικται χωριστὴ σώματος, συναποδέδεικται ὅτι καὶ ἀίδιος. ταῦτα μὲν περὶ τῆς λογικῆς ψυχῆς.

[16, 26] εἴπωμεν δὲ ἐπὶ τούτοις καὶ περὶ τῶν λοιπῶν τῆς τε ἀλό-

γου καὶ τῆς φυτικῆς· ὅτι γὰρ αὗται ἀχώριστοί εἰσιν δῆλον ἐκ τοῦ εἰρημένου κανόνος. εἰ γὰρ δείξομεν ὅτι οὐδεμίαν ἔχουσιν ἐνέργειαν χωριστὴν σώματος, πᾶσα ἀνάγκη καὶ αὐτὰς ἀχωρίσ­ τους εἶναι. πᾶσαι τοίνυν αὐτῶν αἱ ἐνέργειαι ἐν σώματι καὶ περὶ σῶμά εἰσι· καὶ γὰρ ἡ θρεπτικὴ καὶ αὐξητικὴ καὶ γεννητικὴ καὶ ἐν σώματί εἰσι καὶ διὰ σώματος ἐνεργοῦσι καὶ περὶ σώματα. ἔτι μὴν καὶ ὁ θυμὸς καὶ ἡ ἐπιθυμία· κινεῖ γὰρ ὁ μὲν τὸ περικάρδιον αἷμα, ἡ δὲ τὸ ἧπαρ τοιῶσδε διατίθησιν. ἐν σώματι μὲν οὖν καὶ διὰ σώματος, ἀλλὰ καὶ περὶ σώματα· ἢ γὰρ βρωμάτων ἢ χρημάτων ἢ ἁπλῶς σωματικῶν πραγμάτων ὄρεξίς ἐστιν ἡ ἐπιθυμία, καὶ ὁ θυμὸς εἰς τὸ ἀντιλυπῆσαι τὸν εἴς τι τούτων βλάψαντα. [17] ὥστε εἰ αἱ ἐνέργειαι τούτων οὐκ ἄνευ σώματος, ἐξ ἀνάγκης καὶ αἱ οὐσίαι. […]

[17, 19] ἡ δὲ ἄλογος οὐκέτι ἐν τούτῳ ἔχει τὸ εἶναι· ἐπιδιαμένει γὰρ

καὶ μετὰ ἔξοδον τὴν ἐκ τούτου τῆς ψυχῆς, ὄχημα καὶ ὑποκείμενον ἔχουσα  τὸ πνευματικὸν σῶμα, ὃ καὶ αὐτό ἐστι μὲν ἐκ τῶν τεσσάρων, λέγεται δὲ ἐκ τοῦ πλεονάζοντος τοῦ ἀέρος, ὥσπερ



Kommentar zu De anima (Einleitung und III 4–7)

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an dem sie ihr Sein hat, wie wenn die Harmonie der Saiten nachlässt. Auf keine dieser beiden Arten kann die rationale Seele vergehen, weder auf die Weise der Körper, da sie unkörperlich ist, noch auf die Weise der unkörperlichen Dinge, die an einem Körper als Substrat ihr Sein haben. Wir haben nämlich gezeigt, dass sie abgetrennt ist. Wenn bewiesen ist, dass sie abgetrennt ist, ist damit zugleich auch bewiesen, dass sie ewig ist. So weit über die rationale Seele. b) Das Verhältnis der nicht-rationalen und der ­vegetativen Seele zum Körper; die nicht-rationale Seele und der ­pneumatische Körper [16, 26] Wir wollen nun weiter über die anderen Seelenteile spre-

chen, die nicht-rationale und die vegetative Seele. Dass sie unabgetrennt sind, ist aus der ersten genannten Regel klar. Wenn wir beweisen wollen, dass sie keine vom Körper abgetrennte Tätigkeit haben, besteht jede Notwendigkeit, dass sie auch unabgetrennt sind. Alle ihre Tätigkeiten spielen sich nun im Körper und im Hinblick auf den Körper ab. So sind das Ernährungs-, das Wachstums- und das Zeugungsvermögen im, durch und im Hinblick auf den Körper tätig. Das gilt auch für Zorn und Begierde: Der Zorn bewegt das Blut in der Herzgegend, die Begierde versetzt die Leber in einen bestimmten Zustand. Sie wirken also im und durch den Körper, aber auch im Hinblick auf den Körper. Denn die Begierde ist ein Streben nach Nahrung, Geld oder einfach körperlichen Dingen, und der Zorn ist ein Streben danach, demjenigen Schmerzen zu vergelten, der einem in einem dieser Dinge Schaden zugefügt hat. [17] Wenn ihre Tätigkeiten nicht ohne Körper vorkommen, dann notwendigerweise auch ihr Wesen nicht. […] [17, 19] Die nicht-rationale Seele hat ihr Sein nicht an diesem Körper. Sie dauert nach dem Austritt der Seele aus diesem Körper hier fort, hat aber als Seelenwagen und Substrat den pneumatischen Körper, der als solcher aus den vier Elementen, aber hauptsächlich, wie man sagt, aus Luft besteht, wie ja auch die-

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Johannes Philoponos · Text

καὶ τοῦτο γήινον λέγεται ἐκ τοῦ πλεονάζοντος. […] [17, 26] πόθεν οὖν ὅτι ἐστὶ τὸ πνεῦμα; [17, 26] ἡ ψυχὴ ἡ ἡμετέρα μετὰ τὴν ἐκ τοῦ σώματος τούτου ἔξοδον ὁμολογεῖται, μᾶλλον δὲ ἀποδείκνυται εἰς Ἅιδου ἀφικνεῖσ­ θαι, καὶ ποινὰς ἐκεῖσε τῶν οὐ καλῶς βεβιωμένων παρέχειν· οὐ γὰρ μόνον τοῦ εἶναι ἡμῶν φροντίζει ἡ πρόνοια, ἀλλὰ καὶ τοῦ εὖ εἶναι. διὸ οὐκ ἀμελεῖται ἡ ψυχὴ εἰς τὸ παρὰ φύσιν ἐξολισθήσασα, ἀλλὰ τυγχάνει τῆς προσηκούσης ἐπιμελείας, καὶ ἐπειδὴ τὸ ἁμαρτάνειν αὐτῇ διὰ γλυκυθυμίαν ἐγένετο, ἐξ ἀνάγκης καὶ τὸ καθαρθῆναι δι’ ἀλγύνσεως αὐτῇ γενήσεται· κἀνταῦθα γὰρ τὰ ἐναντία τῶν ἐναντίων ἰάματα. διὰ τοῦτο ἀλγύνεται ἡ καθαιρομένη ἐν τοῖς ὑπὸ γῆν δικαιωτη [18] ρίοις διὰ κολάσεως.

[18, 1] ἀλλ’ εἰ ἀσώματος ἡ ψυχή, ἀδύνατον αὐτὴν παθεῖν. πῶς

οὖν κολάζεται; ἀνάγκη οὖν πᾶσα σῶμά τι αὐτῆς ἐξῆφθαι, ὃ διακρινόμενον ἀμέτρως ἢ συγκρινόμενον ὑπὸ ψύξεως ἢ καύσεως ἀμέτρου ἀλγύνει τὴν ψυχὴν διὰ τὴν συμπάθειαν, ὥσπερ κἀν­ ταῦθα τοῦ σώματος τούτου πάσχοντος ἀλγύνεται ἡ ψυχὴ διὰ τὸν φυσικὸν δεσμὸν καὶ τὴν ἐκ τούτου  συμπάθειαν· ἐπεὶ αὐτὸ καθ’ αὑτὸ τὸ ἀσώματον ὑπ’ οὐδενὸς ἂν πάθοι. ποῖον οὖν σῶμά ἐστι τὸ ἐξημμένον αὐτῆς; οὐ δήπου τοῦτο· ἀνελύθη γὰρ εἰς τὰ ἐξ ὧν συνέστηκεν· ἀλλὰ τοῦτο τὸ πνευματικὸν ὃ λέγομεν. ἐν τούτῳ οὖν ἐστι πάντως διὰ τοῦτο ὡς ἐν ὑποκειμένῳ θυμὸς καὶ ἐπιθυμία, καὶ τούτου ἐστὶν ἀχώριστα. τῷ τοῦτο δῆλον; ὅτι ἀνάγ­κη μετὰ τὴν ἔξοδον τῆς ψυχῆς ἐκ τοῦ παχέος τούτου σώματος ἔτι εἶναι ἐν αὐτῇ θυμὸν καὶ ἐπιθυμίαν· εἰ γὰρ μὴ ἦσαν, ἀλλ’ ἅμα



Kommentar zu De anima (Einleitung und III 4–7)

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ser irdische Körper hauptsächlich irdische Elementen haben soll. […] [17, 26] Woher kommt das Pneuma? [17, 26] Unsere Seele tritt nach allgemeiner Übereinstimmung nach dem Tod aus diesem Körper hier aus, und es steht erwiesenermaßen vielmehr fest, dass sie in den Hades gelangt und dort Strafen für das erleidet, was sie in diesem Leben nicht recht getan hat. Die Vorsehung ist nämlich nicht nur darauf bedacht, dass wir leben, sondern auch, dass wir moralisch gut leben. Deshalb wird die Seele nicht vernachlässigt, die ins Widernatürliche abgeglitten ist, sondern sie erfährt die ihr zukommende Fürsorge. Und da sie Verfehlungen aus Schwäche des Gemüts beging, wird ihr notwendigerweise Reinigung durch Zufügung von Schmerzen zuteil. Denn hier sind die Gegenteile die Heilmittel für gegenteilige Leiden. Daher erleidet die zu reinigende Seele in den unterirdischen Strafstätten [18] durch Strafe Schmerzen.34 [18, 1] Aber wenn die Seele unkörperlich ist, kann sie unmöglich leiden. Wie kann sie also bestraft werden? Alle Notwendigkeit spricht dafür, dass mit der Seele auch dort ein Körper verbunden ist, der ihr, wenn er durch unmäßige Kälte- oder Hitzeeinwirkung unmäßig von ihr getrennt oder mit ihr verbunden ist, durch Wechselwirkung Schmerzen bereitet, wie ja auch die Seele hier, wenn dieser irdische Körper leidet, Schmerzen erfährt durch ihr natürliches Band und die daraus resultierende Wechselwirkung. Das Unkörperliche selbst kann an sich ja durch nichts etwas erleiden. Wie beschaffen ist nun der mit der Seele verbundene Körper? Sicher ist nicht dieser hier gemeint – er wurde ja in die Bestandteile aufgelöst, aus denen er zusammengesetzt war –, sondern der Leib, über den wir sprechen, ist der pneumatische Körper. An diesem existieren nun – und zwar ausschließlich durch ihn selbst – Zorn und Begierde als an ihrem Substrat, und sie sind von diesem unabtrennbar. Woran sieht man das? Daran, dass nach dem Austritt der Seele aus diesem massiven Körper immer noch Zorn und Begierde an ihr sind; wenn sie das nicht wären, sondern wenn die Seele gleichzeitig mit dem Austritt aus dem Körper

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Johannes Philoponos · Text

τῇ ἐξόδῳ τοῦ σώματος ἀπήλλακτο τῶν παθῶν τούτων, καθαρὰ ἂν ἦν πάντως καὶ τῆς γενέσεως ἀπηλλαγμένη· ἀπηλλαγμένη δὲ τῆς γενέσεως καὶ τῶν παθῶν ἀνῆκτο ἂν καὶ οὐκ ἂν ἐν τοῖς ὑπὸ γῆν δικαιωτηρίοις ἐγένετο. [18, 15] ὡς γὰρ εἴπομεν, κατιούσης αὐτῆς εἰς τὴν γένεσιν ἐδόθησαν ταῦτα τὰ πάθη διὰ τὰς εἰρημένας αἰτίας· [18, 16] ἀδύνατον δὲ αὐτὴν τῆς γενέσεως ἀπαλλαχθῆναι μὴ ἑαυ-

τὴν καθάρασαν. ἐπειδὴ γὰρ αὐτοκίνητός ἐστιν καὶ ἑκοῦσα τοῦ ἀγαθοῦ ἐξέπεσεν, δεῖ πάλιν, ἵνα ἀναχθῇ, αὐτὴν ἑαυτὴν καθᾶραι. τὰ ὑπὸ γῆν δὲ δικαιωτήρια οὐ δύνανται αὐτὴν ἀνάξαι, ἀλλὰ τοσοῦτον μόνον ἐπιστρέφουσιν αὐτὴν πρὸς  ἑαυτήν, ὥστε λοιπὸν καταγνοῦσαν ἑαυτῆς οἰκείᾳ ὁρμῇ καθαρθῆναι καὶ ἑκοῦσαν ἀποβαλεῖν οἷς ἑκοῦσα συνεδέθη τῇ συμπαθείᾳ. διό φασιν μετὰ τὰ ὑπὸ γῆν δικαιωτήρια πάλιν παραγίνεσθαι αὐτὴν ἐνθάδε ἐπὶ τοσοῦτον, ἕως ἑαυτὴν καθάρασα ἀναχθῇ τῆς γενέσεως ἀπαλλαγεῖσα· τότε τοίνυν καὶ τὸν θυμὸν καὶ τὴν ἐπιθυμίαν ἀποτίθεσ­ θαι μετὰ τούτου τοῦ ὀχήματος, τοῦ πνεύματος λέγω· εἶναι δέ τι καὶ μετὰ τοῦτο ἄλλο τι ἀιδίως αὐτῆς ἐξημμένον σῶμα οὐράνιον καὶ διὰ τοῦτο ἀίδιον, ὅ φασιν αὐγοειδὲς ἢ ἀστροειδές. τῶν γὰρ ἐγκοσμίων οὖσαν ἀνάγκη πάντως ἔχειν τινὰ κλῆρον ὃν διοικεῖ, μέρος ὄντα τοῦ κόσμου· καὶ εἰ ἀεικίνητός ἐστιν καὶ δεῖ αὐτὴν ἀεὶ ἐνεργεῖν, δεῖ ἔχειν ἀιδίως ἐξημμένον τι σῶμα ὃ ἀεὶ ζῳοποιήσει·  διὰ ταῦτα οὖν τὸ αὐγοειδές φασιν αὐτὴν ἀεὶ ἔχειν, ἀίδιον ὄν. διὰ τὰ εἰρημένα οὖν ἀνάγκη καὶ τὸ πνευματικὸν εἶναι σῶμα καὶ τούτου τὸν θυμὸν καὶ τὴν ἐπιθυμίαν ἀχώριστα εἶναι. […]

[19, 18] πόθεν ἐν τοῖς τάφοις τὰ σκιοειδῆ φαίνονται φάσματα; οὐ

γὰρ δή γε ἡ ψυχὴ ἢ ἐσχημάτισται ἢ ὅλως ἐστὶν ὁρατή. ἀλλά



Kommentar zu De anima (Einleitung und III 4–7)

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von diesen Leidenschaften befreit worden wäre, wäre sie ganz und gar rein und frei vom Werden. Frei vom Werden und von den Leidenschaften würde sie aber aufsteigen und nicht in die unterirdischen Strafstätten kommen. [18, 15] Wie gesagt, als sie ins Werden hinabgestiegen ist, sind ihr aus den genannten Gründen diese Leidenschaften beigegeben worden. [18, 16] Es ist aber unmöglich, dass sie vom Werden befreit würde, wenn sie sich nicht selbst reinigte. Denn da die Seele selbstbewegt ist und freiwillig vom Guten abgefallen ist, muss sie, um aufzusteigen, erst sich selbst wieder reinigen. Die unterirdischen Strafstätten können sie nicht hinaufbringen, sondern nur so weit zu sich selbst umwenden,35 dass sie nunmehr, indem sie sich selbst verachtet, durch eigenen Antrieb gereinigt wird und freiwillig die Wechselwirkung aufgibt, die sie freiwillig mit dem Körper eingegangen war. Daher sagt man, dass sie nach dem Aufenthalt in den unterirdischen Strafstätten wieder dahinkomme, dass sie, nachdem sie sich selbst gereinigt habe, frei vom Werden heraufgebracht werde. Dann lege sie auch den Zorn und die Begierde, die mit diesem Seelenwagen36 – ich meine das Pneuma – verbunden sind, von sich ab; es gebe aber irgendeinen, und zwar einen nach diesem (pneumatischen) Körper irgendwie anderen, himmlischen und daher ewigen Körper, der ewig mit der Seele verbunden sei und den man lichtoder gestirnförmig nennt. Da die Seele zu den innerkosmischen Dingen gehört, ist es notwendig, dass sie ganz und gar ein Los innehat, das sie pfleglich bewahrt und das ein Teil des Kosmos ist. Und wenn sie immerbewegt ist und immer tätig sein soll, muss sie einen Leib haben, der ewig mit ihr verbunden ist und den sie ewig belebt. Daher sagt man, weil sie ewig ist, dass sie immer den lichtförmigen Körper innehat. Aus dem Gesagten folgt also notwendig, dass der pneumatische Körper existiert und dass Zorn und Begierde von ihm unabtrennbar sind. […] [19, 18] Woher kommen die Schatten und Erscheinungen auf den Gräbern? Die Seele hat weder eine Gestalt noch ist sie sichtbar. Man sagt aber, dass die ungereinigten Seelen nach dem

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Johannes Philoponos · Text

φασι τὰς ἀκαθάρτους ψυχὰς μετὰ τὴν ἔξοδον τούτου τοῦ  σώματος πλανᾶσθαι ἐπί τινα χρόνον μετὰ τοῦ πνεύματος καὶ τοῦτο παραδεικνύναι περὶ τοὺς τάφους. διὸ φροντιστέον εὐζωίας· ὑπὸ τούτου γάρ φασιν τοῦ πνεύματος παχυνθέντος ἐκ μοχθηρᾶς διαίτης κατασπᾶσθαι περὶ τὰ πάθη τὴν ψυχήν. ἔχειν γάρ τι καὶ αὐτό φασι τῆς φυτικῆς ζωῆς· καὶ γὰρ τρέφεσθαι, τρέφεσθαι δὲ οὐχ οὕτως ὡς τοῦτο τὸ σῶμα, ἀλλὰ δι’ ἀτμῶν, οὐ διὰ μορίων ἀλλ’ ὅλον δι’ ὅλου φέρ’ εἰπεῖν, ὡς οἱ σπόγγοι δέχονται τοὺς ἀτμούς. διὰ τοῦτο φροντίζουσιν οἱ σπουδαῖοι τῆς λεπτοτέρας διαίτης καὶ ξηροτέρας, διὰ τὸ μὴ παχύνεσθαι τὸ πνεῦμα, ἀλλὰ λεπτύνεσθαι. πρὸς τοῦτο καὶ τοὺς καθαρμούς φασι παραλαμβάνειν· τοῦτο μὲν γὰρ τὸ σῶμα ὕδατι πλύνεται, ἐκεῖνο δὲ καθαρμοῖς τοῖς διὰ τῶν ἀτμῶν· διὰ γὰρ ἀτμῶν τινῶν μὲν τρέφεται, τινῶν δὲ καθαίρεται. οὐ διωργανῶσθαι δέ φασιν αὐτό, ἀλλ’ ὅλον δι’ ὅλου ἐνεργεῖν κατὰ τὰς αἰσθήσεις καὶ τῶν αἰσθητῶν ἀντιλαμβάνεσθαι.

III. Buch, Kapitel 4 429a10–13 De parte autem animae qua cognoscit anima et pru-

dentiat, sive seperata ente, sive inseparabili secundum magnitudinem sed secundum rationem, considerandum quam habet differentiam, et quomodo quandoque sit intelligere. [1, 5] Cum dixisset de vegetativa anima et sensitiva et phantastica, ut simpliciter autem dicatur de irrationali, transit ad doctrinam de rationali anima. Prius autem de existimatione facit sermonem, dico autem de opinativo et meditativo. Quod



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Austritt aus diesem Körper hier einige Zeit noch mit ihrem Pneuma umherstreifen und dabei dieses in der Nähe der Gräber zeigen. Daher soll man darauf Acht geben, moralisch gut zu leben. Man sagt nämlich, dass die Seele durch eine moralisch schlechte Lebensführung von diesem so beschwerten Pneuma zu den Leidenschaften herabgezogen werde. Dieses habe dann etwas vom vegetativen Leben an sich: Sie werde genährt, aber nicht so wie dieser Körper hier, sondern durch Dämpfe, und zwar nicht durch Teile davon, sondern sozusagen als Ganzes und im Ganzen, so wie die Schwämme die Dämpfe aufsaugen. Deshalb sind die moralisch Guten auf eine eher leichte und trockene Lebensweise bedacht, um nicht ihr Pneuma zu beschweren, sondern leicht zu machen.37 Dazu, sagt man, müsse man auch die Reinigungen vornehmen: Dieser Körper hier wird mit Wasser gewaschen, während jener Reinigung durch Dämpfe erfährt; durch einige Dämpfe wird er genährt, durch andere gereinigt. Er sei zwar nicht mit Organen ausgestattet, sagt man, aber er sei als Ganzes und im Ganzen als Wahrnehmung tätig und erfasse das Wahrnehmbare.

In an., p. 1, 1–6, 10 Aus dem Kommentar zum III. Buch, Kapitel IV Der Geist als Teil der Seele und die Dreiteilung des Geistes 429a10–13 Jetzt müssen wir den Teil der Seele untersuchen, mit

dem sie erkennt und überlegt,38 mag er nun abtrennbar sein oder nicht abtrennbar nach der Größe, sondern nur begrifflich, und zwar danach, welche besondere Eigenschaft er besitzt und wie einmal das Denken zustande kommt. [1, 5] Nachdem er über die vegetative, die sinnlich wahrnehmende und die vorstellende Seele, also, um es einfach auszudrücken, über die nicht-rationale Seele gesprochen hat, geht Aristoteles über zur Lehre über die rationale Seele. Aber zuvor macht er eine Untersuchung über das Urteil, ich meine den Teil, mit dem sie meint und nachsinnt. Dass die vorliegende Untersu-

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Johannes Philoponos · Text

enim non sit nunc sermo de speculativo intellectu et de vocato secundum habitum insinuat per hoc quod dicit qua cognoscit anima et prudentiat. Prudentiare enim circa agibilia fit, circa haec enim prudentia; speculativus autem intellectus non negotiatur circa agibilia. [2, 13] Tria autem quaedam proponit inquirere in his. Unum qui-

dem utrum separata est rationalis anima a corpore aut inseparabilis. Secundum autem in quo differt a sensu, quamvis et superius discreverit haec ab invicem cum diceret quod sensus quidem omnibus animalibus inest, intellectus autem neque hominibus omnibus. Sed ideo prius cum dixisset convenientiam ipsorum et sensus, ut ostenderet necessariam esse inquisitionem de differentia ipsorum, posterius aliam segregationem ipsorum realem dicit. Superius quidem enim, ut iam dixi, discrevit intellectum a sensu per hoc quod intellectus non videtur in omnibus sicut sensus. Nunc autem ab ipsa natura potentiarum harum faciens discretionem et in eodem animali consideratis ambabus, discernit ipsum et aliter in ipsis in quibus videtur communicare intellectus cum sensu, in his ipsis differentiam ipsorum et discretionem ostendit. Tertio autem post hoc inquirit quomodo fiat in nobis intelligere. Sicut autem iam prius diximus, de irrationabilibus quidem potentiis animae disputans, prius de obiectis disputavit quia evidentiora haec erant. Hic vero prius de intellectu disputavit et posterius de obiectis, hoc est de intelligibilibus; magis ignota enim et inevidentiora sunt intelligibilia quam intellectus. Propter quod rursum eadem intentione ab evidentioribus principium facit.

[2, 33] Intellectum hic autem dicit Aristoteles simpliciter omnem

rationalem substantiam, et hunc intellectum partem animae



Kommentar zu De anima (Einleitung und III 4–7)

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chung nicht über den betrachtenden Geist und den sogenannten Geist als Disposition geht, drängt sich durch die Phrase »mit dem sie erkennt und überlegt« auf. Denn ›Überlegen‹ bezieht sich auf Dinge, die getan werden können, darauf zielt ja die Überlegung; der betrachtende Geist beschäftigt sich aber nicht mit Dingen, die getan werden können. [2, 13] Drei Dinge nimmt sich Aristoteles hier zu untersuchen vor. Erstens ob die rationale Seele vom Körper abgetrennt oder unabtrennbar ist. Zweitens worin sie sich von der Sinneswahrnehmung unterscheidet, auch wenn er diese bereits weiter oben voneinander unterschieden hat, wenn er sagte, dass die Sinneswahrnehmung allen Tieren zukommt, der Geist aber nicht einmal allen Menschen.39 Aber da er zuvor40 von der Übereinstimmung der geistigen Vorgänge und der Sinneswahrnehmung gesprochen hat, um zu zeigen, dass eine Untersuchung über ihre Unterschiede notwendig sei, spricht er später von einer anderen, ihrer realen Trennung. Denn weiter oben, wie ich bereits sagte, hat er den Geist von der Sinneswahrnehmung dadurch unterschieden, dass der Geist nicht bei allen [Tieren] vorzukommen scheint wie die Sinneswahrnehmung. Nun aber, da er die Unterscheidung aus der Natur ihrer beider Vermögen heraus macht, unterscheidet er, indem er beide im selben Lebewesen betrachtet, den Geist und zeigt außerdem in den Hinsichten, in denen der Geist mit der Sinneswahrnehmung übereinzukommen scheint, ihre Differenz auf und trifft eine Unterscheidung. Drittens untersucht er danach, wie sich geistiges Denken in uns vollzieht. Wie wir schon früher gesagt haben,41 hat er, wenn er die nicht-rationalen Vermögen der Seele behandelt, zuerst ihre Gegenstände behandelt, da diese besser einsehbar waren. Hier aber behandelte er zuerst den Geist und dann dessen Gegenstände, d. h. das geistig Erfassbare; denn die geistig erfassbaren Gegenstände sind weniger bekannt und leichter einsehbar als der Geist. Deshalb macht er umgekehrt mit derselben Absicht den Anfang vom leichter Einsehbaren. [2, 33] ›Geist‹ nennt Aristoteles hier einfach jede rationale Substanz und behauptet, dass dieser Geist Teil der Seele sei,

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Johannes Philoponos · Text

ait, abutens nomine. Non enim est pars totius animae rationalis substantia: esset enim utique sic aut omnis anima immortalis aut omnis mortalis; pars enim toti est homousion. Utrumque autem inconveniens, et ipse etiam de hoc intellectu in prioribus dixit quod videtur alterum genus animae esse et hoc solum contingere separari quemadmodum perpetuum a corruptibili. Ita igitur dicit totius animae rationalem esse partem, sicut unum significatum aequivoce animae dictae de [3] irrationali et rationali ac si utique de aequivoce dicto sole. Dicimus enim solem et ipsum corpus et lumen factum in aere; consuevimus enim illuminatum locum solem appellare; sicut igitur si diceremus partem solis lumen, non hoc dicimus quia toti pars haec homousia sit (hoc quidem enim causa, scilicet corpus, hoc autem causatum), sed quia pars totius aequivocae vocis, ita et hic partem animae dicit intellectum. Dicemus enim utique quia et huius vocis »Aiax« aequivocae existentis pars utique erit qui Telamonius quasi unum significatum, non quod homousios sit iste reliquis Aiacibus; non enim idem cum Aiace Troiano secundum hoc ipsum significatum Aiacis, sicut utique si quis et entium omnium partem dicat angelicam substantiam et gubernatorem navis.

[3, 54] Triplicem autem intellectum ait esse Aristoteles, non es-

sentia sed habitudine, eum scilicet qui potentia, qualis est in omnibus; secundum autem eum qui secundum habitum, qualis est qui in scientibus quidem, non utentibus autem scientia, qualis est dormiens geometer, aut simpliciter qui non in promptu habet theoremata; tertium autem ait eum qui secundum actum in promptu habens [4] operationes, speculativo altero existente



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damit den Ausdruck [›Teil‹] missbrauchend. Denn die rationale Substanz ist kein Teil der ganzen Seele: Wenn es so wäre, wäre entweder jede Seele unsterblich oder sie wäre ganz sterblich; der Teil ist nämlich wesensgleich mit dem Ganzen. Keines von beiden ist angemessen, und Aristoteles selbst hat früher über diesen Geist gesagt, dass er »eine andere Gattung von Seele zu sein und als einzige abgetrennt existieren zu können scheint, so wie das Ewige vom Vergänglichen abgetrennt ist« (an. II 2, 413b25–27). Er sagt also, dass die rationale Seele ein Teil der ganzen Seele sei, da es einen einzigen Gegenstand bezeichnet, wenn man ›Seele‹ äquivok von [3] der nicht-rationalen und der rationalen Seele aussagt, so wie man auch äquivok von der Sonne spricht. Wir nennen ja ›Sonne‹ sowohl ihren Körper als auch ihr Licht, das sich in der Luft ausbreitet; wir nennen gewöhnlich auch einen beleuchteten Platz ›Sonne‹. Wenn wir Licht ›Teil der Sonne‹ nennen würden, täten wir das nicht, weil es ein Teil wesensgleich mit dem Ganzen wäre (das eine, der Körper, ist nämlich die Ursache, das andere das Verursachte), sondern weil es ein Teil des Ganzen äquivoken Ausdrucks ist, und in diesem Sinne nennt Aristoteles den Geist ›Teil der Seele‹. So könnten wir auch sagen, dass ein Teil des äquivok vorkommenden Ausdrucks ›Ajax‹ der Sohn des Telamon ist, weil er einen einzigen Gegenstand bezeichnet, nicht weil er wesensgleich mit den anderen Ajaxen wäre. Er ist ja nicht mit Ajax, dem Sohn des Oileus,42 identisch, nur weil er als ›Ajax‹ bezeichnet wird, sondern so wie wenn einer die Substanz der Engel Teil allen Seienden oder den Steuermann Teil des Schiffs nennt. [3, 5 4] Aristoteles sagt, dass der Geist dreigeteilt ist, nicht nach seinem Wesen, sondern nach der Art seiner Verfassung. Denn es gibt den in Möglichkeit befindlichen Geist, welcher schon in den Kindern43 vorhanden ist, zweitens den Geist als Disposition, welcher in denen vorhanden ist, die wissen, aber das Wissen nicht benutzen, wie etwa der schlafende Geometer oder schlicht der, der die Lehrsätze nicht sichtbar besitzt. Drittens, sagt er, gibt es den Geist in Verwirklichung, der seine [4] Tätigkeiten sichtbar besitzt. Daneben existiert ein von die-

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Johannes Philoponos · Text

ab his, in quo secundum nihil est quidem potentia, sed est sine potentia actus, ex quo scientiarum principia habet qui potentia, quem et proprie actu dicit esse (ratiocinativum enim et cum actu fiat, et sic potentia aliqualiter esse ait, quia non simul totum habet actum, sed transitivum a prioribus in secunda). Et hunc intellectum omnes immortalem faciunt. Dicunt itaque rationalem substantiam et Aristotelem consonum sibi ostendunt etiam in his quae hic dicuntur; econtra enim »separatam« esse hanc partem animae enuntiat et impassibilem et non mixtam ad corpus.

[4, 70] Alexander vero contrariari his quae hic dicuntur non po-

tens, mortalem autem putans esse etiam rationalem animam, et volens attrahere ad propriam opinionem etiam Aristotelem, dicit quod de conditore intellectu hic loquitur, et quod ait hunc esse et separatum et non mixtum et impassibilem, valde inconsiderate: primo quidem enim de illo ostendere vanum. Quis enim utique de illo dubitaret quod non sit separatus? Et in prioribus autem Aristoteles de ipso intellectu dixit quod intellectus videtur infieri et non corrumpi; maxime enim utique corrumperetur ab ea quae in senectute imbecillitate. Et quis utique suspicaretur quod de intellectu conditore diceret quod totaliter infiat in nobis aut ingenitus non corrumpitur? Quomodo [5] autem primo de illo diceret utique: si corrumperetur, maxime utique corrumperetur ab ea quae in senectute imbecillitate, tanquam utique dubitabili existente, quod incorruptibilis sit conditor intellectus? Quod autem intellectum actu quem separatum et non mixtum, non alium dicit quam eum qui in nobis potentia intellectum perfectum fieri actu intellectum, palam quidem et ex



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sen verschiedener, betrachtender Geist, an dem es in keiner Hinsicht Möglichkeit gibt, sondern der nur Verwirklichung ohne Möglichkeit ist. Aus diesem hat der in Möglichkeit befindliche Geist die Prinzipien der Wissenschaften, und von ihm sagt Aristoteles, dass er im eigentlichen Sinne in Verwirklichung sei. (Denn auch wenn er wirklich Schlüsse zieht, sei er, wie er sagt, noch auf gewisse Weise irgendwie in der Möglichkeit, da er seine Wirklichkeit nicht ganz auf einmal habe, sondern indem er von früheren Inhalten zu späteren übergehe.) Und diesen Geist lassen alle unsterblich sein. Deshalb nennen sie ihn ein rationales Wesen und zeigen, dass Aristoteles mit ihnen auch in dem übereinstimmt, was hier gesagt wird; denn er nennt diesen Seelenteil geradewegs »abgetrennt« und »leidenslos« und »nicht gemischt« mit dem Körper.44 [4, 70] Alexander ist zwar nicht in der Lage, dem, was hier gesagt wird, zu widersprechen. Aber weil er glaubt, dass auch die rationale Seele sterblich ist, und auch Aristoteles zu dieser eigentümlichen Ansicht herbeiziehen will, sagt er, dass dieser hier über den schöpferischen Geist spricht 45 und dass er meint, dass dieser abgetrennt, nicht gemischt und leidenslos sei, dies freilich sehr unüberlegt. Denn erstens ist es fruchtlos, über diesen Beweise anzustellen: Wer könnte daran zweifeln, dass er unabgetrennt ist? So hat Aristoteles an früherer Stelle über den Geist gesagt, dass er »hereinzutreten und nicht zugrunde zu gehen scheint; denn sonst würde er am ehesten zugrunde gehen infolge der Schwäche, die im Alter auftritt« (an. I 4, 408b18–20).46 Wer würde vermuten, dass er über den schöpferischen Geist sagt, dass er ganz in uns hereintritt und, wenn er so eingepflanzt ist, nicht zugrunde geht? Wie [5] könnte er über jenen sagen:47 Wenn er zugrunde ginge, »würde er am ehesten zugrunde gehen infolge der Schwäche, die im Alter auftritt«, wie wenn es zweifelhaft wäre, dass der schöpferische Geist unvergänglich ist? Dass er aber mit dem Geist der Verwirklichung nach, von dem er auch sagt,48 dass er abgetrennt und nicht gemischt sei, keinen anderen als den Geist meint, der in uns der Möglichkeit nach ist und, wenn er vollendet ist, Geist

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Johannes Philoponos · Text

ipsis verbis Aristotelicis. Palam autem et ex ipsa consequentia sensus; irrationabile enim est dicere quod qui potentia est intellectus in nobis, non sit ille qui per perfectionem ducitur in actum; non enim utique est aliquid semper in potentia, nunquam ductum in actum. Si autem ducitur in actum, hunc autem ait separatum esse, eum ergo qui in nobis dicit separatum esse. Suspicatus autem fuit Alexander actu intellectum conditorem dici ab Aristotele, ex eo quod dicit Philosophus ipsum omnia facere. Qualiter autem hoc dictum sit ab ipso, quando ibi fuerimus dicemus, ostendentes quod neque totaliter consonant quae ab ipso dicuntur conditori intellectui, et hoc: qualis autem pars, aut qualiter intellectus continebit, difficile est etiam fingere, de intellectu actu hoc dictum ostendens, non de intellectu divino Aristotelem dicentem.

[5, 99] Quidam autem alii conditorem quidem non aiunt nunc

dici ab Aristotele, sed quendam alium demissiorem quidem illo, meliorem autem eo qui in nobis, puta angelicum quendam. Veritas autem neque in hoc est, neque illud, sed quod nos diximus: eum qui in nobis perfectum dicitur et propriam operationem sortitum sive partem ipsum esse dicat nostrae animae, et verbis supervenientes ostendemus.

[5, 5] De parte autem animae qua cognoscit anima et prudentiat.

Per »cognoscit« cognitivas animae potentias significat, per »prudentiat« autem activas; in duo enim haec potentiae animae dividuntur, scilicet [6] in speculativum et activum. Pru-



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der Verwirklichung nach wird, ist klar aus Aristoteles’ eigenen Worten. Es ist aber auch klar aus der Gedankenfolge: Irrational ist es zu sagen, dass der Geist, der der Möglichkeit nach in uns ist, nicht jener ist, der durch Vollendung in die Verwirklichung überführt wird; denn nichts ist immer in der Möglichkeit und wird niemals in die Verwirklichung überführt. Wenn es jedoch in die Verwirklichung überführt wird – es ist jedoch der Geist in Verwirklichung, von dem er sagt, dass er abgetrennt ist –, dann ist es der Geist in uns, von dem er sagt, dass er abgetrennt ist. Alexander hatte aber vermutet, dass der Geist in Verwirklichung von Aristoteles ›schöpferisch‹ genannt werde, weil der Philosoph sagt, dass er »alles macht« (an. III 5, 430a12). In welcher Weise dies von ihm gesagt wird, werden wir darlegen, wenn wir an der entsprechenden Stelle sind,49 indem wir darlegen, dass das, was von ihm gesagt wird, im Ganzen nicht mit dem schöpferischen Geist übereinstimmt; und wenn das: »Welchen Teil der Geist zusammenhält und auf welche Weise, ist schwierig auch nur vorzustellen« (an. I 5, 411b18 f.), wenn dies über den Geist in Verwirklichung gesagt ist, ist das ein Indiz dafür, dass Aristoteles dies nicht über den göttlichen Geist sagt. [5, 99] Einige andere50 meinen, dass von Aristoteles nun zwar nicht der schöpferische Geist genannt wird, aber doch ein anderer, der niedriger als jener, aber höher als der in uns steht, zum Beispiel der Geist der Engel. Die Wahrheit liegt jedoch weder in dieser noch in jener Meinung, sondern was wir gesagt haben: Es wird der Geist in uns genannt, wenn er vollendet ist und seine eigentümliche Tätigkeit erlangt hat, wenn er sagt,51 dass er ein Teil unserer Seele ist, und wir werden das zeigen, wenn wir zu seinen Worten kommen. [5, 5] »Über den Teil der Seele, mit dem die Seele erkennt und überlegt« (an. III 4, 429a10). Mit »erkennt« bezeichnet er die Erkenntnisfähigkeiten der Seele, mit »überlegt« die auf das Handeln bezogenen Fähigkeiten; denn in diese beiden Teile werden die [sc. rationalen] Fähigkeiten der Seele geteilt, [6] in einen theoretisch betrachtenden und einen auf das praktische Handeln bezogenen Teil. Kluges Denken hat es mit [Gegenstän-

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Johannes Philoponos · Text

dentia autem circa practica vel agibilia: hoc enim consuevimus prudentiam vocare, circa contingentia aliter se habere bene se gerere. […]

429a27–29 Et bene utique dicentes animam esse locum specie-

rum, verumtamen neque tota sed intellectiva, neque actu sed potentia species. [14, 29] Acceptat secundum hoc Platonem et si quis alius animam

locum specierum dixit. Palam autem quia secundum metaphoram »locum« accipit, quia sicut locus in se ipso continet, ita anima species. Verumtamen dicit quod non omnis anima locus specierum, sed sola rationalis, et non actu est locus specierum antequam intelligat, sed potentia. Sciendum autem quod et Plato rationalem solam vocat locum specierum; non enim, ait, quae nullatenus sciens ens ad hanc proveniret figuram, humanam videlicet; quare non omnem animam scire ens ait, igitur neque species habere. Sciens autem ens sola rationalis est; igitur et haec sola utique erit locus specierum. Et ipse autem Plato ait potentia esse in rationali anima species non actu, sicut et Aristoteles; sed Plato quidem secundum secundario potentia, sicut sunt in dormiente geometra theoremata, et indigere ad promptum usum theorematum auferente hoc impedimentum; Aristoteles autem, secundum primo potentia, scilicet aptum na-



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den des Handelns bzw.]52 veränderlichen Gegenständen zu tun: denn das nennen wir gewöhnlich »Klugheit«, sich gut in Bezug auf die Dinge zu verhalten, die sich auch anders verhalten können. […]

In an., p. 14,29–40,43 Aus dem Kommentar zu an. III 4 Der Geist der Möglichkeit nach a) Die rationale Seele als »Ort der Formen« 429a27–29 Recht haben jene, die die Seele den Ort der Formen

nennen, außer dass dies sich nicht auf die ganze Seele bezieht, sondern nur auf die denkende, und sie hat die Formen nicht der Wirklichkeit, sondern nur der Möglichkeit nach. [14, 29] Nach dieser Stelle akzeptiert er die Ansicht Platons53 und wenn irgendein anderer sagt, dass die Seele der Ort der Formen ist. Es ist aber klar, dass er »Ort« metaphorisch gebraucht, weil die Seele genauso die Formen enthält, wie der Ort etwas in sich enthält. Dennoch sagt er, dass nicht jede Seele Ort der Formen ist, sondern nur die rationale und dass sie nicht der Wirklichkeit nach Ort der Formen ist, bevor sie diese denkt, sondern der Möglichkeit nach. Man muss aber wissen, dass auch Platon nur die rationale Seele ›Ort der Formen‹ nennt. Denn eine Seele, sagt er, die gar nichts Seiendes weiß, würde nicht in diese, also die menschliche Gestalt gelangen.54 Daher sagt er, dass nicht jede Seele Seiendes weiß, also auch keine Formen hat. Einzig die rationale Seele weiß indes Seiendes, also wird auch diese allein der Ort der Formen sein. Und auch Platon sagt, genau wie Aristoteles, dass die Formen in der rationalen Seele der Möglichkeit, nicht der Wirklichkeit nach sind. Aber Platon meint, sie seien es nach der zweiten Möglichkeit, so wie die Lehrsätze im schlafenden Geometer sind, und zum sicht­ baren Gebrauch der Lehrsätze brauche es nur etwas, das dieses Hindernis beseitige.55 Aristoteles hingegen meint, sie seien es nach der ersten Möglichkeit, das heißt, der Geist ist von Na-

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Johannes Philoponos · Text

tum suscipere, nondum autem habens habitum, accipit autem species, ut videtur, a sensibilibus. Videntes enim si forte album hoc et illud, recurrimus ad simpliciter album; similiter ex particularibus hominibus accipimus intellectum [15] simpliciter hominis, et in reliquis similiter. Redarguta est autem a Socrate in Phaedone talis opinio.

[15, 49] Dico itaque quod non ex sensibilibus scientes efficimur,

hoc est ideas rerum habemus; si enim ex sensibilibus intellectum specierum acciperemus, propter quid respueremus sensibiles species tanquam non sinceras, tale aliquid dicens: si intellectum circuli aut sphaerae aut pulchritudinis et reliquorum ex abstractione colligentes ex sensibilibus habemus, propter quid respuimus sensibilia tanquam non certa, et dicimus quia non est in artificialibus circulus certus? Ad hoc iudicantes, non videlicet ad aliam aliquam speciem meliorem hoc quod in nobis consimiliter, dicimus quod non est quae in materia pulchritudo sincera? Non enim est solum pulchra quia est in subiecto non pulchro sed in turpi, scilicet in materia. Et quidem si ex sensibilibus haberemus intellectum pulchritudinis, nunquam utique sensibile respueremus. Nunc autem ut ad alteram aliquam pulchritudinem diviniorem iudicantes, sic sensibilia respuimus. Venimus tamen ad reminiscentiam intellectualis pulchritudinis, manuducti a sensibilibus et veluti expergefacti.

[15, 65] Dixit autem Alexander quod Aristoteles potentia solum

intellectum dicit esse, actu autem nequaquam; adhuc autem et



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tur aus befähigt, sie aufzunehmen, hat sie aber noch nicht als Disposition, sondern nimmt die Formen, wie es scheint, von den wahrnehmbaren Gegenständen her. Denn wenn wir vielleicht dieses oder jenes Weiße sehen, rekurrieren wir auf das Weiße schlechthin; und ähnlich nehmen wir ausgehend von besonderen Menschen [15] die geistige Erkenntnis des Menschen schlechthin, und ähnlich auch in allen anderen Fällen. Diese Ansicht ist jedoch von Sokrates im Phaidon zurückgewiesen worden.56 [15, 49] Ich sage daher, dass wir nicht ausgehend von sinnlich wahrnehmbaren Gegenständen zu Wissenden werden, d. h. die Ideen der Dinge haben. Denn wenn wir vom sinnlich Wahrnehmbaren aus die geistige Erkenntnis der Formen erhalten würden, weshalb sollten wir wahrnehmbare Formen als nicht rein verwerfen, indem wir etwa Folgendes sagen: Wenn wir die geistige Erkenntnis des Kreises, der Kugel oder der Schönheit und anderer Dinge haben, weil wir sie aus dem sinnlich Wahrnehmbaren aufgrund von Abstraktion gewonnen haben, weshalb verwerfen wir das Wahrnehmbare als nicht exakt und sagen, dass es an nichts künstlich Hergestelltem einen exakten Kreis gibt? Urteilen wir mit Blick hierauf, das sinnlich Wahrnehmbare, und nicht auf eine andere Form, höher als das, was auf eine ihm ähnliche Weise in uns ist, und sagen, dass es keine reine Schönheit gibt, die in der Materie ist? Diese ist ja nicht ausschließlich schön, weil sie an einem nicht schönen, sondern hässlichen Subjekt ist, der Materie. Wenn wir indes die geistige Erkenntnis der Schönheit aus dem Wahrnehmbaren hätten, würden wir niemals das sinnlich Wahrnehmbare verachten. Tatsächlich ist es aber so, dass wir im selben Maße, wie wir mit Blick auf eine andere, göttlichere Schönheit urteilen, das sinnlich Wahrnehmbare verachten.57 Wir kommen aber trotzdem zur Wiedererinnerung der geistig erfassbaren Schönheit, an der Hand geführt und gleichsam erweckt von den sinnlich wahrnehmbaren Gegenständen. [15, 65] Alexander sagte jedoch, Aristoteles behaupte, der Geist sei nur der Möglichkeit, niemals der Wirklichkeit nach;

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Johannes Philoponos · Text

acceptante Aristotele, secundum Alexandrum, dicentes animam locum specierum, Xenarchum deceptum fuisse ab his et suspicatum fuisse quod primam materiam diceret Aristoteles intellectum, male existimantem. Nam si sit aliqua in his similitudo, scilicet in materia et intellectu, non tamen et eadem sunt: materia quidem enim, ait, non est locus [16] specierum quas recipit, sed ipsa alterata et transmutata fit actu quod erat potentia; omnis enim materia alicuius non extrinsecus aliquid recipiens fit hoc quod potentia erat, sed secundum eam quae in se ipsa transmutationem actu fit quod erat in potentia; subiectum enim quoddam materia; propter.quod et speciem suscipiens fit corpus; intellectus autem sic est locus specierum ita ut suscipiens ipsas non in subiici ipsis et quod ipse fiat illae species, sed ut nondum inscripta tabella litteras. Propter quod et materia quidem suscipiens quae potest, fit simul utrumque substantia; non talis autem qui actu intellectus.

[16, 82] Ex his autem forte et talibus existimabitur utique Aristo-

teles, ut mihi videtur, mortalem animam dicere. Quomodo enim possibile est secundum primo modo potentia esse in anima species, immortali ipsa existente, et mundo perpetuo existente? Si enim non sunt actu infinitae animae immortales existentes, sed finitae, omnino necesse praeexistere ante corpus et multa successive subinduere corpora. Si autem hoc, quomodo possibile est secundum hoc quod primo modo potentia esse in ipsis species quae ab aeterno intelligentiam ipsorum habent? Quare omnino necesse, si mundus aeternus, ut videtur Aristoteli, aut animam immortalem entem, non secundum primo modo dic­



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und weil – nach Alexander – Aristoteles diejenigen akzeptiere, die sagen, die Seele sei der Ort der Formen, sei Xenarchos durch diese irrtümlich zu der Vermutung verleitet worden, dass Aristoteles behaupte, der Geist sei erste Materie. Das ist eine irrtümliche Meinung, denn wenn es zwischen diesen beiden, zwischen Materie und Geist irgendeine Ähnlichkeit gäbe, wären sie trotzdem noch nicht dasselbe: Materie, sagt er, ist nicht der Ort [16] der Formen, die er aufnimmt, sondern sie wird selbst verändert und umgestaltet und wird so der Wirklichkeit nach das, was sie der Möglichkeit nach war; denn keine Materie von etwas wird das, was sie der Möglichkeit nach war, indem sie etwas von außen aufnimmt, sondern sie wird gemäß der an ihr sich vollziehenden Umgestaltung in Wirklichkeit das, was sie der Möglichkeit nach schon war. Materie ist nämlich eine Art von Subjekt, deshalb wird sie auch, wenn sie eine Form annimmt, ein Körper. Der Geist hingegen ist so der Ort der Formen, indem er sie aufnimmt, aber nicht, indem er für sie Subjekt wäre oder weil er selbst jene Formen wird, sondern so wie eine noch nicht beschriebene Tafel Buchstaben aufnimmt. Daher wird die Materie, wenn sie aufnimmt, was sie aufnehmen kann, zugleich eine Substanz aus beidem; so ist aber der Geist in Verwirklichung nicht beschaffen. [16, 82] Vielleicht aus diesen und ähnlichen Gründen, wie mir scheint, wird man der Meinung sein, Aristoteles halte die Seele für sterblich. Denn wie ist es möglich, dass die Formen nach der ersten Art der Möglichkeit nach in der Seele sind, wenn diese unsterblich existiert und wenn die Welt ewig existiert? Wenn nun nicht der Wirklichkeit nach unendlich viele unsterbliche Seelen existieren, sondern nur endlich viele, ist es ganz notwendig, dass sie vor den Körpern präexistieren und sukzessive in viele Körper eingehen. Wenn das aber so ist, wie ist es möglich, dass die Formen nach der ersten Art der Möglichkeit in den Seelen sind, die von Ewigkeit die geistige Erkenntnis von diesen (den Formen) haben? Daher ist es ganz notwendig, dass, wenn die Welt ewig ist, wie Aristoteles meint, entweder die Seele, wenn sie unsterblich ist, die Formen nicht gemäß der

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Johannes Philoponos · Text

tam potentiam habere species, sed secundum secundo modo, hoc est secundum habitum, ut Platoni videtur, aut, si secundum primam potentialitatem in anima sunt, necesse generabilem secundum tempus ipsam esse, et propter hoc etiam mortalem; omne enim generabile aiunt etiam corruptibile.

429b29–430a2 Aut pati quidem secundum commune aliquid, di-

visum est prius.

[36, 49] Hic est solutio prioris dubitationis, quia aequivocum est

»pati«, quod ad corruptionem ducit et quod ad perfectionem. Dictum est autem de his in praecedenti libro. Ens igitur potentia intellectus quae quidem intelligibilia et factus actu, patietur utique ab ipsis, non ut corruptus sed ut perfectus; impassibilis igitur secundum alterum passionis significatum. […] Aequivoca igitur passione ente, et impassibile videlicet aequivocum. Est igitur et impassibilis secundum alterum significatum passionis, quod quidem est et proprie passio, et non impassibilis secundum reliquum intellectus, nullum ens actu intelligibilium, sed potentia omnia.

[36, 70] Et assimilat ipsum tabulae nullum habenti scriptum; sicut igitur in [37] non scripta carta potentia sunt omnia quae

possunt in ipsa scribi, propter idoneitatem ipsius, actu autem scribendorum nullum est antequam scribatur, ita et intellectus, ait, nullum est intelligibilium actu, potentia autem omnia. Et sic­-



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ersten, sondern gemäß der zweiten Art der Möglichkeit hat, d. h. gemäß der Disposition, wie Platon meint; oder, wenn die Formen gemäß der ersten Potentialität in der Seele sind, dass diese in der Zeit entstanden und daher auch sterblich ist; denn alles Entstandene, sagt man, ist auch vergänglich. b) Der Tabula-rasa-Vergleich 429b29–430a2 Was nun das Leiden aufgrund von etwas Gemein-

samem betrifft, ist früher festgelegt worden, [dass der Geist der Möglichkeit nach irgendwie die denkbaren Dinge sei, aber der Wirklichkeit nach keines, bevor er es denkt. Er ist der Möglichkeit nach so wie eine Schreibtafel, auf welcher der Verwirklichung nach noch nichts geschrieben ist. Dasselbe gilt für den Geist.] [36, 49] Das ist die Lösung eines früheren Problems, da »Leiden« homonym ist: es meint das, was zur Zerstörung führt, und das, was zur Vollendung führt. Davon ist im vorangegangenen Buch die Rede gewesen.58 Der in der Möglichkeit seiende Geist, der die Denkgegenstände ist und der diese wirklich wird, leidet durch diese, nicht indem er zerstört, sondern indem er vollendet wird; in der anderen Bedeutung von »Leiden« ist er leidenslos. […] Da »Leiden« homonym ist, ist offenkundig auch »leidenslos« homonym. Leidenslos ist der Geist in der ersten Bedeutung von »Leiden«, was aber »Leiden« im eigentlichen Sinne heißt. Und er ist nicht leidenslos in der anderen Bedeutung, wonach er keiner der denkbaren Gegenstände der Wirklichkeit, sondern alles nur der Möglichkeit nach ist. [36, 70] Auch vergleicht Aristoteles den Geist mit einer Tafel, auf der keine Schrift steht: Wie auf [37] einem unbeschrifteten Blatt Papier alles der Möglichkeit nach geschrieben steht, was wegen seiner Eignung darauf geschrieben werden kann, der Verwirklichung nach aber nichts von dem zu Schreibenden, bevor es geschrieben wird, so, meint er, ist auch der Geist in Wirklichkeit nichts von den denkbaren Dingen, der Möglichkeit nach aber alles. Und wie die Schrift, wenn sie darauf

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Johannes Philoponos · Text

ut scripturale quando inscribitur fit actu scripturale, non corrupta priori specie cartae, ita et intellectus qui fit actu intelligibilia nihil transmutatur a propria natura. Si enim transmutans ex potentia in actum intellectus pateretur aliquid et verteretur a propria natura, esset utique locum habens dubitatio. Nunc autem non inscripto scripturali assimilatus, palam quod ipse impassibilis permanet. [37, 81] Attendere autem oportet in his quod animam rationalem Aristoteles [38] non inscripto scripturali assimilans secundum

primam potentialitatem (dico autem secundum idoneitatem) species intelligibilium imponit in anima et non, ut Plato, secundum habitum. Si autem hoc, non ergo praeviventem animam existimat sicut Plato, praeviva enim ens debebat utique secundum habitum habere rationes. Si autem non praeviva, principium ergo essendi accepit. Si autem incepit esse, necesse omnino secundum idem et finem habere; omne enim quod incipit secundum tempus, et finem habet secundum tempus. Quare non immortalis anima ex his ostenditur utique. Et aliter, si ex nunc dictis ostenditur omnis anima rationalis non ens praeviva, sed principium habet essendi, vult autem mundum Aristoteles aeternum esse, necesse est duorum alterum: aut immortales entes animas rationales, infinitas et esse et fieri, infinitum enim et praeteritum et futurum, aut si impossibile infinitum esse, mortales ipsas esse sicut et reliqua; et aut in penitus nullo modo ens cedere, siquidem est incorporea, aut in materiam resolvi, et sic non erit incorporea sed corpus.

[38, 99] Sed ad hoc est illud dicere quod oportet ad totam in-

tentionem Aristotelis et ad dicta ubique ab ipso de intellectu et nunc dicta [39] diligenter et sententiose intelligere. Si enim



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geschrieben wird, die wirkliche Schrift wird, ohne die frühere Gestalt des Papiers zu zerstören, so wird auch der Geist, der die Denkgegenstände wirklich wird, in seiner eigenen Natur nicht verändert. Wenn nämlich der Geist bei der Veränderung von der Möglichkeit zur Wirklichkeit etwas erleiden und von seiner eigenen Natur abgebracht würde, dann wäre das ein Problem. Da der Geist nun aber mit einer nicht aufgeschriebenen Schrift verglichen worden ist, bleibt er offenbar leidenslos. [37, 81] Man muss hierbei beachten, dass Aristoteles, wenn er die rationale Seele [38] mit einer nicht aufgeschriebenen Schrift vergleicht, die Formen der Denkgegenstände nach der ersten Art der Möglichkeit (ich meine damit die Eignung) in die Seele setzt und nicht wie Platon nach der Disposition.59 Wenn das so ist, glaubt er also nicht wie Platon, dass die Seele präexistiert, denn wenn sie präexistent wäre, müsste sie ihre Gehalte als Disposition haben. Wenn sie nicht präexistent ist, hat sie also in ihrem Sein einen Anfang genommen. Wenn sie aber anfängt zu sein, hat sie nach derselben Überlegung ganz notwendig auch ein Ende; denn alles, was in der Zeit anfängt, hat auch ein Ende in der Zeit. Daher ist aus diesen Annahmen bewiesen, dass die Seele nicht unsterblich ist. Andererseits, wenn aus dem jetzt Gesagten bewiesen ist, dass keine rationale Seele präexistent ist, sondern immer einen Anfang ihres Seins hat und wenn Aristoteles will, dass der Kosmos ewig ist, folgt notwendig eine der beiden Alternativen: Entweder sind die rationalen Seelen unsterblich, dann existieren und kommen unendlich viele von ihnen ins Sein, da Vergangenheit und Zukunft unendlich sind. Oder die Unendlichkeit ist unmöglich, dann sind sie sterblich wie auch die übrigen Dinge; dann verschwindet die Seele entweder in das völlige Nicht-Sein, wenn sie unkörperlich ist, oder sie löst sich in Materie auf, dann wird sie nicht unkörperlich, sondern ein Körper sein. [38, 99] Aber darauf ist zu erwidern, dass man auch das jetzt Gesagte sorgfältig und wohlüberlegt verstehen muss im Hinblick auf die gesamte Aussageabsicht [39] des Aristoteles und im Hinblick darauf, was er überall sonst über den Geist sagt.

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Johannes Philoponos · Text

per milia et saepe ostendimus, Aristotelica proponentes verba, quod separatam et immortalem esse velit rationalem animam Aristoteles, palam quia et si non inscripto scripturali ipsam assimilat hic, non secundum priorem potentialitatem habere ipsam species vult (ut dicitur sperma homo esse potentia). Sed quoniam in unoquoque potentiae significato latitudo aliqua consideratur (dicimus enim et primam materiam potentia hominem, tamen et elementa et sperma et omnia secimdum priorem potentialitatem quae secundum idoneitatem consideratur, sed non similiter, sed hoc quidem propinquius rei, hoc autem remotius), sic autem et penes secundam potentialitatem, quae est secundum habitum, consideratur latitudo. Etenim dormiens geometra sic dicitur esse potentia et vigilans, sed propinquior actui vigilans, et assimilatur dormiens aut ebrius geometra ei qui omnino non habet habitum propter opprimi a somno aut ebrietate.

[39, 16] Sic igitur quamvis dicat animam assimilari non inscripto

scripturali propter eam quae ex passionibus et cognitione oppressionem, videretur neque totaliter habere species. Hoc ait, et iam igitur scientem factum et ipsum adhuc potentia esse dicit; quando, enim ait, singular fit ut sciens, tunc dicitur qui secundum actum. [39, 21] Quod igitur perpetuum ipsum et immortalem velit, ma-

nifeste quidem et prius et saepe dixit, et mox nunc separatum ab omni materia pronuntiat. Et post pauca rursum plane immortalem ipsum dicit. Sufficiunt autem et prius dicta, ubi dixit: de intellectu autem et speculativa potentia nondum manifestum,



Kommentar zu De anima (Einleitung und III 4–7)

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Wenn wir mehr als tausendmal gezeigt haben, indem wir die Worte des Aristoteles angeführt haben, dass er die rationale Seele abgetrennt und unsterblich sein lassen will, will er offensichtlich, auch wenn er sie mit einer nicht aufgeschriebenen Schrift vergleicht, dass sie die Formen nicht nach der ersten Art der Möglichkeit hat (also in dem Sinn, in dem das Sperma der Möglichkeit nach ein Mensch ist). Aber da in jeder Bedeutung von Möglichkeit eine gewisse Spannbreite bemerkt werden kann – wir sagen ja, dass die erste Materie der Möglichkeit nach ein Mensch ist, aber auch die Elemente und das Sperma und alles andere in der ersten Art der Möglichkeit, was als Eignung betrachtet werden kann; sie sind aber nicht auf gleiche Weise der Möglichkeit nach, sondern das eine steht näher zur Sache, das andere ist weiter entfernt davon –, so kann man auch die Spannbreite bei der zweiten Art der Möglichkeit, d. h. der Disposition, beobachten. Denn man sagt, dass der schlafende Geometer der Möglichkeit nach genauso wie der wache ein Geometer ist, aber der wache ist näher zur Verwirklichung. Und der schlafende oder betrunkene Geometer ähnelt dem, der überhaupt keine Disposition hat, weil er von Schlaf oder Trunkenheit niedergedrückt wird. [39, 14] Wenn er also sagt, dass die Seele einer nicht aufgeschriebenen Schrift ähnelt, sagt er das deshalb, weil die Erkenntnis durch Leidenseinwirkungen unterdrückt wird und es damit aussähe, als ob die Seele überhaupt keine Formen besäße.60 Und auch von der Seele, die bereits wissend geworden ist, sagt er, dass sie noch der Möglichkeit nach wissend sei. Denn er sagt: »Wenn der Geist nun derart ein jedes geworden ist wie ein Wissender, dann wird er der Geist in Verwirklichung genannt.«61 [39, 21] Dass er also den Geist ewig und unsterblich sein lassen möchte, hat er offensichtlich früher wiederholt gesagt. Nun erklärt er, dass er abgetrennt von aller Materie sei. Wenig später sagt er wiederum klar, dass er unsterblich ist. Aber auch das früher Gesagte reicht schon, wo er sagt: »Über den Geist freilich und sein Vermögen zur Betrachtung gibt es noch keine Klarheit, sondern er scheint eine andere Gattung von Seele zu sein,

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Johannes Philoponos · Text

sed videtur animae genus alterum esse, et hoc solum contingit separari sicut perpetuum a corruptibili. Et consequenter autem ait quod sicut sol colores potentia [40] entes colores in nocte, facit actu colores, ita et qui secundum actum intellectus, scilicet qui doctrinativus et qui divinus, potentia intellectum facit actu intellectum. Ex ipso igitur exemplo palam est Philosophi intentio: sicut enim sol oriens non hypostasim coloribus exhibet, sed subsistentes et immanifestos entes facit evidentes, et neque colores facit (etenim nocte nihil minus erant colores), sed visibiles facit, sic videlicet et qui actu intellectus perficit eum qui potentia et ducit in actum, non imponens in ipso non entes species, sed immanifestas entes et occultas propter id quod a nativitate nubilum, elucidans: et hoc ait primam potentialitatem. Differt enim videlicet qui in nubilo ens geometra, aut qui occupatus, tamen habens in habitu, aut dormiens, a nihil horum habente. Non exercens autem habitum, hic quidem enim et habitum et actum occultatum habet et non est in ipso operari, hic autem quando vult operatur, a nullo impeditus. Assimilatur intellectus in generatione proveniens dormienti aut alienato. […]



Kommentar zu De anima (Einleitung und III 4–7)

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und diesem allein kommt es zu, abgetrennt zu sein, so wie das Ewige vom Vergänglichen abgetrennt ist« (an. II 2, 413b24–27). Und darauffolgend sagt er, dass auf die gleiche Weise, wie die Sonne die in der Nacht der Möglichkeit nach vorhandenen Farben [40] zu wirklichen Farben macht, auch der Geist in Verwirklichung, d. h. der Geist des Lehrers und der göttliche Geist, den in der Möglichkeit befindlichen Geist zu einem verwirklichten Geist macht. Von diesem Beispiel aus ist also die Aussageabsicht des Philosophen klar: Wie die aufgehende Sonne nicht die Existenz der Farben verursacht, sondern nur die Farben augenscheinlich macht, die bereits existieren, aber nicht sichtbar sind, wie sie also nicht die Farben hervorbringt (denn sie sind in der Nacht nicht weniger Farben), sondern sie nur sichtbar macht, so vollendet offenbar auch der Geist in Verwirklichung den in der Möglichkeit befindlichen Geist und bringt ihn zur Verwirklichung, nicht indem er in ihm nicht vorhandene Formen in ihn hineinlegt, sondern indem er nicht sichtbare und verborgene Formen – verborgen, weil sie durch die Geburt verdeckt sind – zum Vorschein bringt: Dies nennt er die erste Art der Möglichkeit. Denn offensichtlich unterscheiden sich der Geometer, der von Bewusstlosigkeit ergriffen ist,62 aber trotzdem der Disposition nach [sc. Wissen] besitzt, oder der schlafende Geometer von dem, der in keinem dieser Zustände ist, aber seine Disposition gerade nicht ausübt.63 Denn jener besitzt die Disposition und deren Verwirklichung nur verborgen und ist nicht fähig, in sich selbst tätig zu werden. Jener aber ist tätig, wann immer er es will, und wird dabei von nichts behindert. Der Geist, der in der Werdewelt hervortritt, gleicht einem Schlafenden oder einem, der nicht bei Bewusstsein ist. […]

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Johannes Philoponos · Text

CAPUT V 430a10–14 Quoniam autem sicut in omni natura est aliquid, hoc

quidem materia unicuique generi (hoc autem quod potest omnia illa), alterum autem quod causa et factivum, in faciendo omnia (quale ars ad materiam sustinuit), necesse et in anima esse has differentias.

[48, 28] […] Videtur igitur ex his quae dicuntur, quarta opinio

vera esse, quod eundem intellectum et potentia esse dicit et actu, ab eo qui potentia in eum qui actu transmutatum et ductum in actum ab alio intellectu et ipso ente in humana anima, scilicet in ea quae doctoris et ipso videlicet ex potentia aliquando in actum ducto. Scire enim oportet quomodo his consonant et quae ab ipso dicuntur. Sicut enim, ait, in unaquaque naturalium rerum est hoc quidem aliquid materiae obtinens rationem et omnia fiens, aliud autem faciens, ita et in anima. Si igitur potentia intellectus fit actu intellectus, oportet ipsum quidem materiae rationem habere, ducentem autem ipsum ad actum factivum ipsum esse. Si igitur in naturalibus factiva causa et ipsa prius ens potentia posterius actu facta est; quod enim potentia homo ab actu homine ducitur in actum; fuit autem et ipse prius potentia, et ab alio actu ente ductus fuit in actum. Similiter autem et in aliis: vitis enim vitem generat; suscipiens enim in se ipsa planta talem [49] materiam aliquam forte quae



Kommentar zu De anima (Einleitung und III 4–7)

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In an. L, p. 48, 28–63,23 Verbeke. Aus dem Kommentar zu an. III 5 Das Verhältnis zwischen dem Geist der Möglichkeit nach und dem Geist in Verwirklichung 430a10–14 Da nun das eine die Materie ist für jede Gattung, ganz

wie es ja in der gesamten Natur etwas von dieser Art gibt64 (sie ist es, was der Möglichkeit nach jenes Alles ist) und das andere die Ursache und das Bewirkende dadurch, dass es alles hervorbringt (wie sich etwa die Kunst zu ihrem Material verhält), so ist es notwendig, dass auch in der Seele diese Differenzen bestehen . [48, 28] […] Aus dem, was gesagt worden ist, erscheint es also klar, dass die vierte Ansicht wahr ist: Demnach sagt Aristoteles, dass derselbe Geist sowohl in Möglichkeit als auch in Verwirklichung ist, dass er von einem in der Möglichkeit befindlichen Geist in einen Geist in Verwirklichung verändert wird, dass er in die Verwirklichung geführt wird von einem anderen Geist, der ebenso in einer menschlichen Seele ist, etwa in der des Lehrers, und der ebenfalls einmal aus der Möglichkeit in die Wirklichkeit geführt worden ist. Wir müssen nun verstehen, wie das, was von ihm gesagt wird, damit übereinstimmt. Wie es in jedem einzelnen der Naturdinge, wie er sagt, etwas gibt, das die Funktion der Materie besitzt und alles wird, und etwas anderes, das alles macht, so gibt es das auch in der Seele. Wenn also der in der Möglichkeit befindliche Geist ein verwirklichter Geist wird, muss er die Funktion der Materie haben und das, was ihn zur Verwirklichung führt, muss das Bewirkende sein. Bei Naturdingen ist also die Wirkursache selbst früher in der Möglichkeit gewesen und später verwirklicht worden. Denn was der Möglichkeit nach ein Mensch ist, wird von einem Menschen, der schon in Verwirklichung ist, ebenfalls in die Verwirklichung geführt, und dieser war früher selbst der Möglichkeit nach und war von einem anderen, der schon in Verwirklichung ist, in die Verwirklichung geführt worden. Ähnlich verhält es sich auch in anderen Fällen: Ein Weinstock

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Johannes Philoponos · Text

erat potentia planta, facit ipsam actu plantam. Quare et qui actu intellectus qui perficit eum qui in nobis potentia intellectum et ducens ipsum in actum, et ipse potentia erat prius intellectus, et ab alio actu ente ductus fuit in actum. Et qui actu ergo intellectus, siquidem prius potentia erat, animae erat et ipse, et unius speciei cum potentia. Quando et potentia intellectum eun­dem esse dicit ei qui actu, tempore solum differentem (tempore enim qui sciens insciente prior, non substantia) […].

[50, 82] Sed sicut haec dicimus, probantes quia non alium ali-

quem dicit actu intellectum Aristoteles, sed nostrum, ita et qui ad haec contradicunt, alios textus nobis proponunt ex quibus et in suspicationem hanc adducti sunt, quod divinum et conditorem intellectum dicat Aristoteles. Quomodo enim utique, dicunt, si de nostro intellectu disputaret, diceret ipsum omnia facere, et semper intelligere, et substantia esse actum? Non enim noster intellectus neque substantia est actus, neque multo magis omnia facit, sed neque semper intelligit. Haec enim divino et conditori congruunt. Dicimus igitur nos quod et haec nostro intellectui congruunt, et de ipso dicta sunt. Sic enim ait actu intellectum omnia facere, sicut ait potentia intellectum omnia fieri. Sicut igitur potentia intellectum dicens omnia



Kommentar zu De anima (Einleitung und III 4–7)

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bringt einen Weinstock hervor; die Pflanze erhält in sich irgendeine [49] Materie, die so beschaffen ist, dass sie der Möglichkeit nach vielleicht eine Pflanze war, und macht diese zu einer Pflanze in Verwirklichung. Daher war auch der Geist in Verwirklichung, der den in Möglichkeit befindlichen Geist in uns vervollkommnet und ihn zur Verwirklichung führt, früher selbst ein in Möglichkeit befindlicher Geist und dann von einem anderen verwirklichten Geist zur Verwirklichung geführt worden. Und der Geist in Verwirklichung, auch wenn er früher ein in Möglichkeit befindlicher Geist war, gehörte also selbst ebenfalls zur Seele und war mit dem in Möglichkeit befindlichen Geist von einer einzigen Art. Daher sagt Aristoteles, dass der in Möglichkeit befindliche Geist derselbe ist wie der verwirklichte und sich einzig von ihm durch die Zeit unterscheidet, denn der Wissende ist der Zeit nach früher als der Unwissende, nicht seinem Wesen nach […].

Der Geist in Verwirklichung ist in uns [50, 82] Aber wie wir all das sagen, um zu zeigen, dass Aris-

toteles keinen anderen Geist den Geist in Verwirklichung nennt als unseren, so bringen die, die dieser These widersprechen,65 andere Texte bei, aus welchen sie die Vermutung ableiten, dass Aristoteles über den göttlichen, schöpferischen Geist spricht. Wie kann er, sagen sie, wenn er über unseren Geist spricht, sagen, dass er alles hervorbringt, dass er immer denkt und sein Wesen Verwirklichung ist? Unser Geist ist nicht seinem Wesen nach Verwirklichung, auch bringt er nicht alle Dinge hervor und denkt nicht immer. Diese Dinge kommen dem göttlichen, schöpferischen Geist zu. Wir behaupten aber, dass dies auch unserem Geist zukommt und von ihm gesagt ist. Aristoteles sagt, dass der Geist in Verwirklichung alles so hervorbringt, wie er sagt, dass der in Möglichkeit befindliche Geist alles wird. Wenn er sagt, dass der in Möglichkeit befindliche Geist alles wird, dann sagt er das nicht des-

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Johannes Philoponos · Text

fieri, non hoc [51] dicit quod et caelum fiat, et angeli et deus et reliqua, sed quod omnium species suscipit et intelligit omnia quaecumque natus est talis intellectus intelligere, ita et actu intellectum dicens omnia facere, non hoc dicit quod producit omnium substantiam, sed quod potentia intellectum facit omnium susceptivum fieri. [51, 99] Impossibile autem et sic dicere ipsum omnia facere ut et

Alexandro videtur le »omnia« non de omnibus intelligibilibus intelligentibus nobis; sunt enim quaedam et per se et propria natura intelligibilia quae quidem sunt etiam intellectus. Sed omnia facit: facit autem videlicet intelligibilia quaecumque propria natura non entia intelligibilia, materiales dico species. Si non ergo, potentia intelligibilia separat intelligentia a materia et actu facit intelligibilia. [51, 6] Haec autem dicimus non quod Aristoteles nesciret uni-

versalem et conditorem intellectum (novit enim quomodo est et ipse eminentem habens essentiam, et perficit ipse nostrum intellectum), sed ita iste perficit nostrum, ut et sol dicitur generare hominem secundum eminentem et incoordinatam causam. [51, 11] ‹…› semper intelligere, ubi ait sed non quandoque quidem

intelligit, quandoque autem non intelligit, neque hoc ‹…› Quid enim ait: idem autem est quae secundum actum scientia rei, quae autem secundum potentiam, tempore prior est in uno? In uno enim et eodem individuo, imperfectum praecedit perfectum tempore. Natura enim perfecta, [52] praecedunt imperfecta; prius enim natura producens eo quod producitur, et eo quod perficitur perfectum. Totaliter autem, ait, neque tempore, hoc est, in uno quidem praecedit imperfectum perfectum. Si autem ad omne quis



Kommentar zu De anima (Einleitung und III 4–7)

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halb [51], weil dieser der Himmel wird, die Engel, Gott oder die anderen Dinge, sondern weil er die Formen von allen Dingen aufnimmt und alles denkt, was ein solcher Geist seiner Natur nach zu denken vermag. Wenn er sagt, der Geist in Verwirklichung bringe alle Dinge hervor, sagt er das ebenso nicht deshalb, weil er das Wesen aller Dinge hervorbringt, sondern weil der in Möglichkeit befindliche Geist für alles aufnahmefähig wird. [51, 99] Man kann unmöglich sagen, dass der Geist alles auf die Weise hervorbringt, wie Alexander meint: mit »alles« denken wir nicht alle Denkgegenstände; denn es gibt einige Dinge, die an sich und ihrer eigenen Natur nach denkbar sind – Dinge, die sogar auch Geist sind. Er bringt alles hervor, d. h. er macht denkbar, was seiner eigenen Natur nach nicht denkbar ist, ich meine materiegebundene Formen. Das Denken trennt also Formen,66 die der Möglichkeit nach denkbar sind, von der Materie und macht sie in Wirklichkeit denkbar. [51, 6] Wir sagen das nicht, weil Aristoteles kein Wissen vom allgemeinen, schöpferischen Geist besessen hätte, denn er wusste, in welcher Weise dieser ein überragendes Wesen hat und wie er unseren Geist vervollkommnet. Aber er vervollkommnet unseren Geist so, wie von der Sonne gesagt wird, dass sie den Menschen erschafft: als Ursache höherer Ordnung, die nicht Teil seiner Ursachenreihe ist. ‹…› Was meint er mit: »Das Wissen der Verwirklichung nach ist dasselbe wie der Gegenstand, das (Wissen) der Möglichkeit nach ist aber der Zeit nach früher im einzelnen« (an. III 5, 430a19–21)? In ein und demselben Individuum geht das Unvollkommene dem Vollkommenen der Zeit nach voraus. Denn von Natur aus gehen die vollkommenen Dinge [52] den unvollkommenen voraus; das, was erzeugt, ist von Natur aus früher als das, was erzeugt wird, das Vollkommene früher als das, was vervollkommnet wird. »Im Ganzen aber«, sagt er, »ist es nicht einmal der Zeit nach früher« (431a2 f.), d. h., in einem Einzelwesen geht das Unvollkommene dem Vollkommenen voraus. Wenn man aber auf das All und den gesamten Kosmos blickt,

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Johannes Philoponos · Text

aspexerit et ad totum mundum, neque tempore quod potentia praecedit id quod actu; sunt enim in universo mundo semper et actu intellectus et potentia. Sicut enim non aliquando quidem solum erant potentia homines, posterius autem facti sunt actu, sic et intellectus semper sunt et potentia et actu. Quoniam igitur in universo, neque tempore quod potentia praecedit id quod actu, propter hoc non aliquando quidem intelligit, aliquando autem non intelligit sicut in uno, sed semper intelligit (sunt enim in universo semper actu intellectus). Quare non ad omne et ad susceptaculum animarum in universo dictum est: semper intelligit, non etiam quod unusquisque semper intelligit. […]

430a14 sq. Hoc quidem tale in omnia fieri, hoc autem in omnia

facere.

[56, 28] Est, ait, in anima quidem talis intellectus proportio-

nalis materiae in omnia fieri; hic autem proportionalis speciei et actui in omnia facere, quaecumque sit potentia.

[56, 31] Si autem aliquis dicat quod non necesse eum qui in nobis

potentia intellectum perfici ab eo qui in doctore actu intellectu (saepe enim et a nobis ipsis multa invenimus), dicendum quia et si a nobis ipsis inveniamus, tamen principia et habitum a doctore accipimus. Cum autem acceperit principium qui in nobis potentia intellectus, nullum inconveniens et se ipsum ad aliqua perficere; habens enim universales rationes eas quae a doctore ex illis et alias a se ipso producere potest. Etenim eorum quae in terra nascuntur, haec quidem indigent et continua cura ho-



Kommentar zu De anima (Einleitung und III 4–7)

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geht das, was in Möglichkeit ist, auch der Zeit nach dem, was in Wirklichkeit ist, nicht voraus; es gibt nämlich im gesamten Kosmos immer sowohl in Verwirklichung als auch in Möglichkeit befindlichen Geist. Wie es nicht zu einer bestimmten Zeit Menschen nur der Möglichkeit nach gab und diese später dann in Wirklichkeit entstanden sind, so existiert auch der Geist immer sowohl in Möglichkeit als auch in Verwirklichung. Da also im Universum das, was in der Möglichkeit ist, auch der Zeit nach dem, was in Wirklichkeit ist, nicht vorausgeht, deshalb gibt es nicht zu einer bestimmten Zeit Denken, zu einer anderen nicht, wie im Einzelwesen, sondern Denken gibt es immer, weil im Universum stets Geiste in Verwirklichung sind. Daher sind die Worte »er denkt immer« auf alles, und zwar auf den Hort der Seelen im Universum bezogen, nicht weil jeder einzelne immer denkt. […] 430a14 f. Der eine ist so beschaffen, dass er alles wird, der andere

aber so, dass er alles macht. [56, 28] In der Seele, sagt er, gibt es einen so beschaffenen Geist, darin zur Materie analog, dass er alles wird; einer aber ist analog zu Form und Verwirklichung, dass er alles macht, was auch immer der Möglichkeit nach ist. [56, 31] Wenn einer sagt, dass es nicht nötig ist, dass der in uns der Möglichkeit nach befindliche Geist von dem im Lehrer verwirklichten Geist vervollkommnet wird, da wir oft vieles auch aus uns selbst heraus finden, muss man dagegen sagen, dass, auch wenn wir es aus uns selbst finden, wir dennoch die Prinzipien und die Disposition vom Lehrer erhalten. Wenn aber der in uns der Möglichkeit nach befindliche Geist ein Prinzip aufgenommen hat, hindert ihn nichts, dass er sich selbst mit Blick auf bestimmte Dinge vervollkommnet; denn da er die gemeinsamen Gedanken besitzt, also die, die er vom Lehrer hat, kann er auch andere aus sich selbst hervorbringen. So brauchen ja von dem, was in der Erde wächst, die einen die unaufhörliche Pflege durch die Menschen und die Kreisbewegung des ganzen Gestirnhimmels, die anderen entstehen allein durch die Vorse-

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Johannes Philoponos · Text

minum et circulatione universi, haec autem ab universali providentia sola fiunt, ut herbae quae sponte nascuntur. 430a15–17 Ut habitus quidem, velut lumen; modo enim quodam

et lumen facit potentia colores actu colores.

[56, 43] Habitui proportionari ait actu intellectum, et hinc au-

tem palam quia non de divino dicit, sed de nostro. Non enim dixit habitui proportionari divinum intellectum neque habitum esse, sed autothen, ut in libro Peri Hermeneias dictum est, sine potentia actus est. Deinde habitus proponit exemplum lumen: sicut enim, ait, lumen potentia visibilia facit actu visibilia (colores enim dixit pro visibilia, quamvis enim in tenebris sint colores, actu sunt colores, visibiles autem potentia), sic et qui actu intellectus eum qui potentia producit in actum. Et hinc etiam palam, quia non de conditore intel [57] lectu dicit; lumen quidem enim non existentiam coloribus exhibet, sed solum videri. Conditor vero intellectus non sic facit omnia, sed ipsum esse et substantiam his quae ab ipso fiunt, tradit. Quare nostro intellectui haec congruent magis qui omnia facit non substantiam ipsorum producens, sed potentia intelligibilia actu faciens intelligibilia, sicut dictum est. Et utique si intellectum conditorem in his diceret, rationabilius utique ipsum magis soli assimilaret, non lumini; sicut enim sol producit lumen et condit sibi esse, sic et conditor intellectus actu intellectum producit, a quo potentia intelligibilia fiunt actu intelligibilia, ut a lumine potentia visibilia actu visibilia.



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hung, die das ganze All durchwaltet, wie die Pflanzen, die von selbst wachsen. 430a15–17 … wie eine Disposition, wie etwa das Licht. Denn auf

eine gewisse Weise macht auch das Licht die der Möglichkeit nach vorhandenen Farben zu wirklichen Farben. [56, 43] Er sagt, dass der Geist in Verwirklichung analog ist zu einer Disposition, und von daher ist es offensichtlich, dass er nicht über den göttlichen, sondern über unseren Geist spricht. Denn er hat nicht gesagt, dass der göttliche Geist analog ist zu einer Disposition oder gar eine Disposition ist, sondern er ist geradewegs Verwirklichung ohne Möglichkeit, wie es in De interpretatione (13, 23a23) bestimmt worden ist. Dann bringt er Licht als ein Beispiel für Disposition: Wie Licht, sagt er, das der Möglichkeit nach Sichtbare wirklich sichtbar macht (›Farben‹ hat er anstelle von ›Sichtbares‹ gesagt; obwohl es Farben auch im Dunklen gibt, sind sie zwar wirklich Farben, aber sichtbar nur der Möglichkeit nach), so überführt auch der Geist in Verwirklichung den der Möglichkeit nach in die Wirklichkeit. Und von daher ist auch klar, dass er nicht über den schöpferischen [57] Geist spricht; denn das Licht verschafft den Farben nicht die Existenz, sondern allein die Sichtbarkeit. Der schöpferische Geist macht alles nicht auf diese Weise, sondern gibt dem, was von ihm geworden ist, Selbstsein und Substanz. Daher treffen diese Worte eher auf unseren Geist zu, da er alles macht, nicht indem er dessen Substanz hervorbringt, sondern indem er das der Möglichkeit geistig Erfassbare auch wirklich geistig erfassbar macht, wie gesagt wurde. Wenn Aristoteles hier über den schöpferischen Geist sprechen würde, müsste er ihn vernünftiger mehr mit der Sonne vergleichen, nicht mit dem Licht; denn wie die Sonne das Licht hervorbringt und sein Sein schafft, so bringt auch der schöpferische Geist den Geist in Verwirklichung hervor, durch den das der Möglichkeit nach geistig Erfassbare auch wirklich erfassbar wird, wie durch das Licht das der Möglichkeit nach Sichtbare wirklich sichtbar wird.

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Johannes Philoponos · Text

[57, 62] His autem verbis attendunt qui dicta Platonis extollunt,

ad concordiam sibi Aristotelem reducentes. Videbantur enim in prioribus secundum primam potentialitatem species in intellectu potentia reponere, non inscripto scripturali ipsum assimilans. Si igitur hoc ait quod sicut se habet lumen ad colores, sic qui actu ad eum qui potentia, lumen autem non facit non entes colores, sed non apparentes in manifestum ducit, ita videlicet et qui actu intellectus in eo qui potentia non producit species non entes, sed occultas manifestat.

430a23–25 Non memoramur autem quia hoc quidem impassibile;

passivus autem intellectus corruptibilis, et sine hoc nihil intelligit.

[61, 67] Dubitationis quam superius dubitavit solutionem hic in-

duxit: dixit enim eius autem quod est non semper intelligere causa consideranda, et diximus quod non praetermisit solutionem, ut aliqui putaverunt, sed post multa ipsam assignat. Ecce igitur hic solutio illius dubitationis dicta est. Propter quid igitur, ait, non semper memoramur? Quia, ait, etsi impassibilis intellectus, et hac deberet non oblivisci, sed phantasia corruptibilis; hanc enim ait passivum intellectum, ut saepe dietum est. Quoniam igitur corruptibilis est phantasia, sine ipsa autem intellectus non intelligit, aut cooperante aut impediente, merito non semper intelligimus. [61, 77] Huic autem: sine hac autem nihil intelligit subaudiendum »ut in pluribus«; ut enim in pluribus cum phantasia sunt intellectus operationes, sine hac autem rarae. Et raro aut semel



Kommentar zu De anima (Einleitung und III 4–7)

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[57, 62] Auf diese Worte geben aber die Acht, die die Worte

Platons rühmen und Aristoteles mit ihm zur Deckung bringen wollen. Denn an einer früheren Stelle schien er67 die Formen im Geist der Möglichkeit nach im Sinne der ersten Potentialität anzusetzen, wenn er ihn mit einer unbeschriebenen Schreibtafel vergleicht.68 Wenn er also sagt, dass sich der Geist in Verwirklichung zu dem Geist der Möglichkeit nach verhält, wie sich das Licht zu den Farben verhält, und wenn das Licht nicht die nicht existenten Farben macht, sondern die nicht sichtbaren Farben in die Sichtbarkeit führt, dann bringt offenbar auch der Geist in Verwirklichung nicht in dem der Möglichkeit nach die nicht existenten Formen hervor, sondern macht nur die verborgenen Formen sichtbar.

Der »leidensfähige Geist« bzw. das Vorstellungsvermögen und das Problem des Vergessens 430a23–25 Wir erinnern uns aber nicht daran [sc. an den abge-

trennten, unsterblichen Zustand des Geistes], denn der eine Teil ist wohl leidenslos, der leidensfähige Geist aber vergänglich, und ohne diesen gibt es kein Denken. [61, 67] Weshalb, fragt er, erinnern wir uns nicht immer? Weil, sagt er, auch wenn der Geist leidenslos ist und wir deshalb nichts vergessen sollten, das Vorstellungsvermögen aber trotzdem vergänglich ist; denn dieses nennt er den leidensfähigen Geist, wie schon oft gesagt. Da nun also das Vorstellungsvermögen leidensfähig ist und der Geist nicht ohne dieses denkt, sei es, dass es mitwirkt, sei es, dass es ihn hindert, denken wir durch sein Dazutun nicht immer. [61, 77] Die Worte »ohne diesen gibt es kein Denken« sollte

man aber mit dem gedachten Zusatz vernehmen: »in der Mehrzahl«. Denn die Tätigkeiten des Geistes finden in der Mehrzahl zusammen mit dem Vorstellungsvermögen statt; solche ohne

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Johannes Philoponos · Text

in tota vita his qui ascenderunt ad summum philosophiae, sine phantasia intellectus operatur. Propter raritatem universaliter pronuntiavit quia sine phantasia nihil intelligit, haec quidem ut cooperante, ut in mathematibus, velut enim vehiculum in his intellectus est phantasia, et ad alia autem multa cooperatur; haec autem et ut impediente, ut in intelligibilibus et divinis theo­riae: in speculatione enim horum [62] detrahitur intellectus a phantasia, figuras et magnitudines phantasiante et non concedente sincere illa percipi. Quoniam igitur sine phantasia nihil intelligit, corruptibilis autem est haec, et propter hoc transmutabilis, et alias aliter se habens, propter hoc non semper intellectus intelligit, huic quidem coniugatus, non habens autem semper ipsam propriis motibus assequentem, sed contrahentem et impedientem.

[62, 93] Dubitabit utique quis merito quia si propter hoc non sem-

per memoratur intellectus, quia intelligentia ipsi cum phantasia passibili ente, et hac patiente et abiiciente impressiones, quod oblivione fit, hoc quidem in quibus ut organo utitur intellectus phantasia, merito utique dicetur, velut mathematicorum aut sensibilium aut in sensibilibus habentium esse; in omnimode vero separatis propter quid assequitur oblivio? Si enim quae circa illa operationes ipsius secundum se sunt intellectus, phantasia non solum non conferente sibi sed et impediente, oportebit videlicet, semel acceptis speciebus illis ab intellectu, et in sus­ ceptione ipsorum facto, indelebilem habere notitiam, cum sit impassibilis. In sensibilibus vero speciebus, sicut vehiculo utens



Kommentar zu De anima (Einleitung und III 4–7)

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das Vorstellungsvermögen sind selten. Und selten oder nur einmal im ganzen Leben ist der Geist ohne Vorstellungsvermögen bei denen tätig, die zum höchsten Gipfel der Philosophie aufgestiegen sind. Wegen der Seltenheit also hat Aristoteles allgemein verkündet, dass der Geist nichts ohne Vorstellungsvermögen denkt. Dabei denkt er einiges unter Mitwirkung des Vorstellungsvermögens, z. B. in der Mathematik, denn hier ist es gleichsam der Wagen des Geistes,69 und es wirkt auch bei der Erkenntnis vieler anderer Dinge mit; anderes hingegen denkt der Geist trotz der Behinderung durch das Vorstellungsvermögen, wie bei der geistigen Schau der göttlichen und Denkgegenstände:70 Denn bei der Betrachtung dieser Gegenstände [62] wird der Geist vom Vorstellungsvermögen herabgezogen, da es Vorstellungen von Figuren und Größen beibringt und nicht erlaubt, jene Gegenstände ungetrübt wahrzunehmen. Da der Geist also nichts ohne Vorstellungsvermögen denkt, dieses aber vergänglich und daher veränderlich ist und sich einmal in diesem, einmal in jenem Zustand befindet, deswegen denkt der Geist nicht immer. Er ist mit jenem verbunden, besitzt es aber nicht immer so, dass es seinen eigenen Bewegungen folgsam ist, sondern so, dass es diesen entgegenwirkt71 und sie behindert. [62, 93] Man könnte mit Recht das Problem aufwerfen: Wenn der Geist sich deshalb nicht erinnert, weil sein Denken nur zusammen mit der leidensfähigen Vorstellungskraft vorkommt, die gleichermaßen Eindrücke erleidet und sie verliert, was ja beim Vergessen geschieht, mag das mit Recht für die Fälle gesagt sein, wo der Geist das Vorstellungsvermögen als Werkzeug benutzt, z. B. bei mathematischen oder sinnlich wahrnehmbaren Gegenständen oder bei Gegenständen, die ihr Sein an sinnlich wahrnehmbaren Gegenständen haben; weshalb tritt das Vergessen aber auch bei gänzlich abgetrennten Gegenständen auf? Wenn die Tätigkeiten des Geistes bezüglich dieser Dinge aus ihm selbst kommen und das Vorstellungsvermögen dazu nicht nur nichts beiträgt, sondern sogar hinderlich ist, müsste er, nachdem er jene Formen einmal erhalten hat und bei deren Aufnahme entsprechend geworden ist, offenbar eine unzerstör-

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Johannes Philoponos · Text

phantasia, ita sensibilium species cognoscebat; merito igitur impressionibus ex phantasia apparentibus, propter passibilem esse ipsam, oblivio circa intellectum fit. In receptione autem separatarum specierum, ipso secundum se cognitionem ipsorum accipiente et ente impassibili, unde ipsi oblivio fit?

[62, 9] Forte igitur et huius altero modo phantasia causa; sicut

enim et descendenti complexio irrationalis vitae, sicut somnum ipsi et alienationem imponens, oblivionis universalis sibi facta est causa, ita nihil mirum et hic circumtrahens in se ipsum phantasiam, et universaliter ad vitam in corpore, particularem sibi oblivionem [63] efficere, offuscantem ipsius puritatem et claritatem substantiae, quod quidem et in ebrietatibus accidit et circumstantiis talibus. Quare et hic phantasia huius causa fit; figurata enim aliene ex sensibilibus et sic ipsi obnubilans, a propria illocatione et cognitione exstare facit. Ne forte autem omnino in talem mitram venientibus ut non adhuc irrationalis vita contrahat intellectum; immo e contrario, hanc sicut opadon bene scientem sequi ad illum et propter hoc etiam non phantastice intelligibilibus adhaerere potentibus, iam neque assequi oblivionem intelligibilium receptionem, nusquam adhuc intellectu ab irrationali vita et phantasia patiente. […]



Kommentar zu De anima (Einleitung und III 4–7)

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bare Erkenntnis besitzen, da er leidenslos ist. Bei den sinnlich wahrnehmbaren Formen hingegen, wo er das Vorstellungsvermögen als Wagen gebraucht, erkennt er so die Formen der Wahrnehmungsgegenstände; da die Eindrücke aus dem Vorstellungsvermögen erscheinen und dieses leidensfähig ist, gibt es hier für den Geist das Vergessen. Aber bei der Aufnahme abgetrennter Formen, wo er aus sich selbst die Erkenntnis von diesen erhält und leidenslos ist, woher kommt da das Vergessen? [62, 9] Vielleicht ist das Vorstellungsvermögen auf andere Weise auch hierfür die Ursache. Denn wie dem Geist die Verbindung mit dem nicht-rationalen Leben, in das er hinabgestiegen ist, wie wenn sie ihm Schlaf und Bewusstlosigkeit auferlegen würde, zur Ursache des allgemeinen Vergessens geworden ist, so ist es nicht verwunderlich, dass diese Verbindung, indem sie ihn zum Vorstellungsvermögen und allgemein zum Leben im Körper hin ablenkt, auch teilweises Vergessen [63] bewirkt, das die Reinheit und Klarheit seines Wesens verdunkelt,72 was ja auch bei Trunkenheit oder anderen, ähnlichen Umständen geschieht. Daher ist die Vorstellungskraft auch hier die Ursache des Vergessens: Indem sie fremde Gebilde von den Wahrnehmungsgegenständen hernimmt und den Geist so vernebelt, lässt sie ihn von seinem eigenen Ort und seiner Erkenntnis abweichen. Aber vielleicht ist für die, die gänzlich zu einem so guten Leben gekommen sind, dass das nicht-rationale Leben nicht länger dem Geist entgegenwirkt, sondern im Gegenteil sich dieses auf ihn richtet, wie ein verständiger Begleiter,73 und für die, die deshalb sogar fähig sind, sich ohne Vorstellungsbilder dem Denkbaren zuzuwenden, die Aufnahme der Denkgegenstände nun nicht mehr von Vergessen gefolgt, weil der Geist niemals mehr unter dem nicht-rationalen Leben und dem Vorstellungsvermögen leidet. […]

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Johannes Philoponos · Text

CAPUT VI 430a26–28 Indivisibilium quidem igitur intelligentia in his circa

quae non est falsum. In quibus autem et falsum et verum compositio iam quaedam conceptuum.

[64, 41] Postquam disputavit de intellectu quaecumque opor-

tebat, et de ipso theoriam complesset, convertitur hic iam ad speculationem de intelligibilibus, et ostendit qualiter sunt intelligibilia et qualiter ipsa intelligit intellectus. Et aliter tria problemata de intellectu quaerere proposuit: unum quidem, qualiter differt a sensu; secundum autem, si separatus est intellectus; tertium, quomodo intelligit. Immoratus igitur sufficienter circa duo priora problemata, et ostenso quod diversus est intellectus a sensu et quod separatus, transit nunc ad tertium, dico autem quid sit modus intelligentiae intellectus et qualiter intelligit intelligibilia. [64, 51] Dico igitur quia intelligit quidem et simplices et compo-

sitas res: simplices quidem, puta punctus et termini propositionum; ex his enim, dico, terminis propositio componitur, ipsis incompositis entibus; composita autem ut ipsae propositiones. Sed sive simplicia sint quae [65] intelliguntur sive composita, secundum hoc intelligit ipsa intellectus, secundum quod sunt simplex et indivisibile et unum. [65, 56] Est autem quod indivisibile quinque modis. Aut quod

in terminis: indivisibiles enim in propositionibus termini; non enim dividuntur in simpliciores voces significativas. Ostensum est enim in libro Peri Hermeneias quia partes nominum et verborum nihil per se significant. Dicitur rursum indivisibile et quod



Kommentar zu De anima (Einleitung und III 4–7)

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In an. L 64, 41–89,8 Verbeke. Aus dem Kommentar zu III 6 Das Denken des Geistes und die Ungeteiltheit seiner Gegenstände 430a26–28 Das Denken der ungeteilten Gegenstände liegt nun

dort vor, wo es nichts Falsches geben kann. Wo aber Falschheit und Wahrheit vorhanden sind, da findet sich schon eine Zusammensetzung von Gedanken. [64, 41] Nachdem Aristoteles über den Geist das Nötige gesagt hat, und seine Betrachtung über ihn abgeschlossen hat, wendet er sich jetzt der Untersuchung über die Denkgegenstände zu und zeigt, auf welche Weise sie denkbar sind und wie der Geist sie denkt. Außerdem hat er drei Fragen über den Geist zu untersuchen in Aussicht gestellt: 1) wie er sich von der Wahrnehmung unterscheidet, 2) ob der Geist abgetrennt ist und 3) wie er denkt. Nachdem er sich hinreichend mit den ersten beiden Fragen beschäftigt und gezeigt hat, dass der Geist verschieden von der Wahrnehmung und abgetrennt ist, geht er nun zum dritten Punkt über, ich meine, was die Art des Geistes zu denken ist und wie er das Denkbare denkt. [64, 51] Ich sage also, dass er sowohl einfache als auch zusammengesetzte Gegenstände denkt: Einfache sind z. B. der Punkt und die Terme in Aussagen; aus diesen, ich meine die Terme, selbst nicht-zusammengesetzte Gegenstände, ist die Aussage zusammengesetzt; zusammengesetzte Gegenstände sind aber wie die Aussagen selbst. Aber gleich ob die Gegenstände, die gedacht werden, einfach [65] oder ob sie zusammengesetzt sind, denkt sie der Geist, insofern als sie einfach, ungeteilt und eins sind. [65, 56] Das Ungeteilte gibt es in fünf Arten. (1) Es gibt Ungeteiltheit bei den Termen: Die Terme in den Aussagen sind unteilbar, weil sie nicht in einfachere bedeutsame Laute geteilt werden. So wurde in De interpretatione gezeigt, dass die Teile der Nenn- und Zeitwörter »an sich nichts bedeuten« (int. 16a20 f.; b6 f.). (2) Unteilbar wird auch das, was kontinuierlich

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Johannes Philoponos · Text

continuum, tanquam habens unionem actu, potentia autem divisibilitatem habens, velut lignum non incisum, aut tempus. Dicitur autem indivisibile secundum speciem quae est in forma et quae in substantia; uniuscuiusque substantia habet indivisibilitatem: divisa enim corrumpitur totum, et forma similiter; non enim nata est unaquaeque partium divisa subsistere. Dicitur autem rursum indivisibile, signum et nunc, tanquam non habentia extensionem, neque incidi nata. Dicitur autem indivisibile, et quod vere indivisibile, dico autem intellectuales et divinas species, quae [66] nullatenus habent potentialitatem, sed sunt actu sine potentia, propter quod neque potentia divisibilitatem habent.

[66, 72] Unumquodque igitur, ait, intelligibilium secundum indi-

visibilitatem quae in ipso intelligibilium intelligit intellectus: puta terminos intelligit intellectus secundum quod simplices, simplicibus autem entibus, non hoc quidem ipsorum in hoc tempore, hoc autem in hoc intelligit, sed simul et integre intelligit; et propositiones autem intelligit non secundum quod compositae, sed secundum quod unum aliquid significant; non enim ut hominem et album per partes intelligit, sed ut album hominem. Et propter hoc non solum ut indivisibile intelligit, sed et in indivisibili tempore; non enim in hac quidem parte temporis intelligit hominem, in hac autem album; sic enim utique ut divisibilia intelligeret, sed in toto in quo intelligit, totum simul intelligit.

[66, 84] Rursum et continua non secundum quod possunt dividi

intelligit, sed secundum quod actu sunt indivisa, puta si intelligam Troianum bellum quod in tanto tempore factum fuit,



Kommentar zu De anima (Einleitung und III 4–7)

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ist, genannt, insoweit es der Verwirklichung nach Einheit, der Möglichkeit nach aber Teilbarkeit besitzt, wie beispielsweise ein nicht zerschnittenes Holz oder die Zeit. (3) Unteilbar wird etwas aber auch im Hinblick auf die Form genannt, die in der konkreten Gestalt oder in der Substanz besteht. Denn74 die Substanz jedes einzelnen hat Unteilbarkeit, denn wenn sie geteilt ist, zerstört sie auch das Ganze, und auf ähnliche Weise verhält es sich bei der konkreten Gestalt,75 denn keines ihrer Teile ist von seiner Natur her so beschaffen, dass es, wenn es geteilt ist, eigenständig existieren kann. (4) Ungeteilt werden nun außerdem der Punkt und das Jetzt genannt, insoweit sie keine Ausdehnung haben und ihrer Natur nach nicht zerteilt werden können.76 (5) Auch das wird ungeteilt genannt, was wahrhaft unteilbar ist, ich meine die geistig erfassbaren und göttlichen Formen, die [66] keinerlei Art von Möglichkeit an sich haben, sondern in Verwirklichung ohne Möglichkeit sind, und deshalb haben sie auch keine Teilbarkeit auch nur der Möglichkeit nach an sich. [66, 72] Jeden Denkgegenstand also, sagt er, denkt der Geist gemäß der Unteilbarkeit, die zu ihm gehört:77 (1) Zum Beispiel denkt der Geist die Terme, insofern als sie einfach sind; weil sie aber einfach sind, denkt er nicht den einen Teil eines Terms in dieser, den anderen in jener Zeit, sondern er denkt einen Term gleichzeitig und unvermindert. Und er denkt Aussagen nicht, insofern als sie zusammengesetzt sind, sondern insofern als sie einen einzigen Gegenstand bezeichnen. Denn er denkt nicht die Teile einen nach dem andern wie »Mensch« und »weiß«, sondern so wie »ein Mensch ist weiß«.78 Und daher denkt er sie nicht nur als unteilbare Einheit, sondern auch in unteilbarer Zeit; denn er denkt nicht »Mensch« in diesem Teil der Zeit und »weiß« in jenem; auf diese Weise würde er sie nämlich als teilbar denken, sondern er denkt sie in der ganzen Zeit, in der er sie denkt, als Ganzes gleichzeitig. [66, 84] (2) Er denkt nun auch das Kontinuierliche, nicht insofern als es geteilt werden kann, sondern insofern als es in Wirklichkeit ungeteilt ist. Wenn ich beispielsweise den Trojanischen

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Johannes Philoponos · Text

non intelligo ipsum ana partem divisum et ex multis compositum, sed ut unum aliquid et continuum. Similiter et lineam intelligens, non secundum quod potest dividi in partes aut quia componitur ex tantis partibus ita ipsam intelligo, sed secundum quod una quaedam est et continua; si enim secundum partem ipsam intelligo non ut unam lineam intelligo, sed ut plures et quamlibet partem unam iterum lineam et indivisibilem. Quare ut indivisibile intelligo lineam et in indivisibili tempore; non incidente enim me lineam in intelligentia, sed integram simul totam ut unam intelligente, et tempus ex necessitate in quo intelligit ipsam, indivisibile erit. Si enim divisibile, condividetur sibi et linea; sic autem non ut unam lineam, sed ut plures videlicet intelligens ero.

[66, 99] Et in speciebus autem similiter, secundum quod indivisibilitas [67] est in ipsis, intelligit ipsas intellectus; formam enim

statuae ut unum aliquid et totum intelligit, quod ex omnibus partibus componitur. Quando enim ana partem intellexero, pedem aut manum aut oculum, non formam statuae intellexi sed unamquamque partium, ut totum aliquid et unum nisi secundum accidens. Nam unamquamque partium intelligendo, dicemur utique totum intellexisse, non secundum se autem ut unum ens, sed secundum accidens.

[67, 7] Punctum autem et nunc, indivisibilia entia intelligit vide-

licet indivisibile, non habentia autem existentiam per se, ipse ex abstractione continui intelligit ipsa, et intelligit ipsa negatione, quia non suscipiunt divisionem ut continua. Et alia autem quae non habent principalem existentiam, negatione oppositarum sibi specierum cognoscimus, puta malum negatione boni, et



Kommentar zu De anima (Einleitung und III 4–7)

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Krieg denke, der in einer so großen Zeitspanne stattgefunden hat, denke ich ihn nicht Abschnitt für Abschnitt als geteilt und aus vielen Teilen zusammengesetzt, sondern als eine Einheit und als etwas Kontinuierliches. Ähnlich auch, wenn ich eine Linie denke, denke ich sie nicht so, dass sie in Teile geteilt werden kann oder aus so vielen Teilen zusammengesetzt ist, sondern dass sie eine gewisse Einheit und kontinuierlich ist. Denn wenn ich sie Teil für Teil denke, denke ich sie nicht als eine Linie, sondern als mehrere und jeden Teil von ihr wiederum als eine einzige, ungeteilte Linie. Deshalb denke ich die Linie als unteilbar und in unteilbarer Zeit; denn da ich die Linie beim Denken nicht zerteile, sondern sie gleichzeitig unvermindert als eine ganze denke, wird notwendigerweise auch die Zeit, in der ich sie denke, unteilbar sein. Wenn sie nämlich teilbar wäre, würde zusammen mit ihr auch die Linie geteilt; so würde ich sie offenbar aber nicht als eine Linie, sondern als mehrere denken. [66, 99] (3) Ähnlich verhält es sich auch bei den Formen: Der Geist denkt sie in der Art, wie in ihnen die Unteilbarkeit [67] ist; denn er denkt die Gestalt einer Statue als einen einzigen, ganzen Gegenstand, der aus allen Teilen zusammengesetzt ist. Wenn ich sie nämlich Teil für Teil denke, also als Fuß, Hand oder Auge, habe ich nicht die Gestalt der Statue gedacht, außer auf akzidentelle Weise, sondern jedes ihrer Teile als einen einzigen, ganzen Gegenstand. Denn wenn wir jedes der Teile denken, kann man von uns sagen, dass wir das Ganze gedacht haben, aber nicht an sich als einen Gegenstand, sondern nur akzidentell. [67, 7] (4) Den Punkt aber und das Jetzt, die unteilbar sind, denkt der Geist offenbar auf ungeteilte Weise,79 aber da sie keine Existenz für sich haben, denkt er sie mittels einer Abstraktion vom Kontinuierlichen bzw. denkt sie durch eine Verneinung, da sie keine Teilung annehmen wie die kontinuierlichen Gegenstände. Aber auch andere Dinge, die keine ursprüngliche Existenz haben, erkennen wir durch Verneinung der ihnen entgegengesetzten Formen, z. B. das Böse durch die Verneinung des Guten und das Krumme durch die Verneinung des Geraden.

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Johannes Philoponos · Text

perversum negatione recti. Omnia enim haec negationes sunt accipientes nomina affirmationum. [67, 14] Quae autem vere indivisibilia, dico intellectuales species, vocata simplici adiectione cognoscit separate ab omni phantasia. […] 430b16 sq. Secundum accidens autem et non qua illa, divisibilia,

quo intelligit, et in quo tempore, sed qua indivisibilia.

[75, 27] In quo intelligimus, ait, talia? Hoc est: secundum quam

partem animae ipsa intelligimus, et in quo tempore? Secundum se quidem sunt indivisibilia, tale enim et nunc et intellectus aut anima; secundum [76] accidens autem divisibilia. Eo enim quod nunc idem terminus est et principium, divisibile est; similiter et intellectus aut anima divisibilia sunt. Non qua illa divisibilia sunt, hoc est: species quae secundum formam et quae secundum essentiam. Sunt autem divisibiles species hae secundum se, sed non secundum accidens. Quae enim secundum formam species dividitur secundum se in narem et oculum et reliquas partes, et quod secundum essentiam in genus et proprias differentias, aliterque et in diversa individua divisibilis est. In pluribus enim habet esse et non est unus et communis homo, nisi meditatione et ex ablatione plurium intelligimus quod commune. Est igitur tota intentio quod tempus et intellectus secundum quod quidem species quas intelligit, dico autem materiales, divisibiles sunt. Sunt autem divisibiles secundum se (secundum hoc intellectus et tempus indivisibiles sunt, hoc est secundum se), secundum quod autem ille indivisibiles. Sunt autem indivisibiles secundum accidens, adventiciam habentes unionem et non essentialem. Secundum hoc intellectus et tempus divisibilia.



Kommentar zu De anima (Einleitung und III 4–7)

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Das alles sind Verneinungen, auch wenn ihre Bezeichnungen bejahenden Charakter haben.80 [67, 14] (5) Was aber wahrhaft unteilbar ist, ich meine die geistig erfassbaren Formen, erkennt der Geist durch einen sogenannten einfachen Hinblick und abgetrennt von jeder Vorstellungskraft. […] 430b16 f. Nur akzidentell und nicht als solches ist das teilbar,

womit man denkt, und die Zeit, in der man denkt, sondern insofern darin etwas Unteilbares ist.81 [75, 27] »Womit« wir solche Dinge denken, sagt er, d. h. der Teil der Seele, mit dem wir sie denken,82 und »die Zeit, in der [sc. man denkt]«? Sie sind an sich unteilbar, denn so sind sowohl das Jetzt als auch der Geist oder die Seele beschaffen, akzidentell [76] sind sie teilbar. Dadurch, dass dasselbe Jetzt ein Ende wie auch ein Anfang ist, ist es teilbar, und ähnlich sind auch der Geist oder die Seele teilbar. Sie sind »nicht als solche teilbar«, das sind die Formen im Sinne der Gestalt und im Sinne des Wesens. Die Formen sind an sich teilbar, aber nicht akzidentell. Denn die Form im Sinne der Gestalt ist an sich geteilt in Nase, Auge und die anderen Teile und die Form im Sinne des Wesens in die Gattung und die spezifischen Differenzen, vor allem ist sie auch in verschiedene Individuen teilbar. Sie hat ihr Sein in vielen Dingen, und es gibt keinen einzigen, gemeinsamen Menschen, es sei denn, wir denken das, was gemeinsam ist, mittels Überlegung und Abstraktion aus der Vielheit. Die gesamte Aussageabsicht ist also, dass Zeit und Geist im Hinblick darauf, dass die Formen, die der Geist denkt, ich meine die materiegebundenen Formen, teilbar, und zwar an sich teilbar sind, dass also Geist und Zeit in dieser Hinsicht unteilbar, d. h. an sich selbst unteilbar sind; in der Hinsicht aber, dass sie unteilbar sind, sind sie akzidentell unteilbar, weil sie eine zufällige und keine wesentliche Einheit haben; in dieser Hinsicht sind Geist und Zeit also teilbar.83

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Johannes Philoponos · Text

430b23 sq. Oportet autem potentia esse quod cognoscit et inesse

in ipso.

[83, 37] Quando dicitur intellectus potentia esse quod quidem

intelligibilia, fieri autem actu quod quidem illa, quando ipsa intelligit, non hoc dicitur quod ipsa illa secundum substantiam dicatur noster intellectus, quod quidem saepe diximus. Non enim utique quando intelligit deum, deus fit, aut quando intelligit caelum aut terram, horum aliquid fit. Sed quoniam rationes omnium insunt in anima, meliorum quidem et eorum quae supra ipsam eikonice, deteriorum autem et eorum quae post ipsam exemplariter, quando rationes quae in ipsa actu producit, fit actu quod quidem illa eikonice, quod quidem dixi, aut exemplariter, acsi dicamus fieri imaginem Socratis quod quidem Socrates, aut eas quae in domificativa rationes quod quidem domum.

430b24–26 Si autem alicui non est contrarium talium, ipsum se

ipsum cognoscit, et actu est separatum.

[84, 60] Quintam speciem indivisibilium exponit quod secundum

intellectualia dico et divinas species, quod et propriissime est indivisibile; non enim in hoc contrarietas quae secundum divisibilitatem neque actu neque potentia. Tales igitur species actu intelligibilia entia magis autoactus erunt utique et secundum actum intellectus; quod enim actu intelligibile, ut in prioribus dictum est, simul et intellectus. Intellectus autem ens simul et intelligibile, ipse se ipsum intelligit: tales autem omnes separatae species et exaltatae et divinae. Et considera quomodo hic non dixit substantia actum esse tales species, sed sine potentia



Kommentar zu De anima (Einleitung und III 4–7)

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430b23 f. Das Erkennende muss sich in der Möglichkeit befinden

und mit seinem Gegenstande eines sein. [83, 37] Wenn Aristoteles sagt, dass der Geist der Möglichkeit nach ist, was die Denkgegenstände sind, und dass er das, was sie sind, der Wirklichkeit nach wird, wenn er sie denkt, sagt er nicht, dass unser Geist diese Dinge nach ihrem Wesen sein soll, was wir ja schon oft gesagt haben. Wenn er Gott denkt, wird er nicht Gott, oder wenn er Himmel oder Erde denkt, wird er keins von diesen. Aber da in der Seele die begrifflichen Gehalte von allen Dingen vorhanden sind – und zwar die Gehalte der höherrangigen Dinge, die über ihr [sc. der Seele] stehen, als Abbilder, die niedrigeren Gehalte aber, die nach ihr kommen, als Urbilder – und wenn sie die in ihr vorhandenen Gehalte in der Wirklichkeit hervorbringt, wird sie in Wirklichkeit das, was diese, wie schon gesagt, auf urbildhafte oder auf abbildhafte Weise schon sind, wie wenn wir sagen, dass das Bild des Sokrates das wird, was Sokrates ist, oder dass die Gehalte, die sich im Hausbau finden, das werden, was das Haus ist.84 430b24–26 Wenn es aber zu einer der Ursachen 85 keinen Gegen-

satz gibt, so erkennt es sich selbst und ist der Wirklichkeit nach abgetrennt. [84, 60] Er erörtert hier die fünfte Art der unteilbaren Dinge, ich meine unteilbar in der Art der geistig erfassbaren, göttlichen Formen, das, was im eigentlichsten Sinne unteilbar ist. Hierin gibt es nämlich nicht den Gegensatz der Teilbarkeit, weder der Wirklichkeit noch der Möglichkeit nach. Solche Formen, die der Wirklichkeit nach Denkgegenstände sind, werden vielmehr selbsttätige Verwirklichungen und der Wirklichkeit nach Geist sein. Denn was der Wirklichkeit nach Denkgegenstand ist, ist, wie oben mehrmals gesagt wurde, zugleich auch Geist. Das aber, was zugleich Geist und Denkgegenstand ist, denkt sich selbst: Von dieser Art sind alle abgetrennten, transzendenten, göttlichen Formen. Und beachte, dass er hier nicht gesagt hat, dass solche Formen ihrem Wesen nach Verwirklichung sind, sondern dass sie selbsttätige Verwirklichung ohne

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Johannes Philoponos · Text

autoenergiam esse. Quare ibi quando dicebat substantia actum esse intellectum, de tota nostra rationali substantia erat sermo, dico autem de potentia intellectu et de eo qui actu, cuius dixit substantiam characterizari non secundum potentiam, sed secundum actum. Unde et causam assignans, infert, oportet enim honorabilius esse agens patiente et principium materia. Hic autem nihil tale dixit. Palam autem quia et noster intellectus semotus a passionibus et ab habitudine ad corpus, assimilatione ad intelligibilia, talis erit qualia sunt illa, ad rationem sui ipsius substantiae et potentiae. Omnis enim intellectualis operatio talis. Sensus quidem enim extra habet cognoscibile, propter quod non semper cognoscit; intel [85] lectus autem intus apud se, propter quod quando est purus, semper intelligit.

[85, 82] Quaerit autem Alexander hic: quod si eorum quae ad

aliquid intellectus et intelligibile, quomodo possibile est simul esse intellectum et intelligibile? Erunt enim sic idem aliquid opposita: opposita autem quae ad aliquid. [85, 85] Sic enim ipse Aristoteles in octavo Physicae ostendit

quod in per se motivo dicto animali, alterum quidem est movens, alterum quod movetur, quia impossibile est unum et idem simul movere et moveri. Haec enim sunt eorum quae ad aliquid et opposita. [85, 90] Solvens igitur Alexander dubitationem ait quod qui se-

cundum actum intellectus et quod secundum actum intelligibile, neque ad aliquid, neque opposita; eadem enim invicem. Qui quidem igitur potentia intellectus, ait, potentia intelligibili ad aliquid est, et opposita haec; quando autem fiunt actu, non adhuc; unum enim aliquid fiunt. Sic et in sensu potentia et



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Möglichkeit sind. Daher war dort, wo er sagte, dass der Geist seinem Wesen nach Verwirklichung ist, die Rede von unserem ganzen rationalen Wesen, ich meine den in der Möglichkeit befindlichen Geist und den Geist in Verwirklichung, von dem er sagte, dass sein Wesen nicht nach der Möglichkeit, sondern nach der Verwirklichung charakterisiert ist. Deshalb führt er an, wenn er hierfür die Ursache angibt, dass »stets das Bewirkende ranghöher als das Leidende und der Ursprung höher als die Materie ist« (an. III 4, 430a18 f.). Hier aber hat er nichts dergleichen gesagt. Offensichtlich wird unser Geist, wenn er von den Leiden und der Verbindung mit dem Körper abgetrennt ist und sich an die Denkgegenstände angeglichen hat, von derselben Art sein, von der jene im Verhältnis zu ihrem eigenen Wesen und zu ihrer Möglichkeit sind. Jede geistige Tätigkeit ist von dieser Art. Die Wahrnehmung hat ihren Erkenntnisgegenstand außerhalb von sich selbst, deshalb erkennt sie nicht immer; der Geist [85] aber hat ihn innen bei sich selbst, daher denkt er, sofern er rein ist, immer. [85, 82] Alexander86 fragt hier: Wenn Geist und Denkgegenstand zu den Dingen gehören, die relationale Gegenstände sind, wie ist es möglich, zugleich Geist und Denkgegenstand zu sein? Damit werden Gegensätze ein und denselben Gegenstand bilden: denn diese Relationsgegenstände sind Gegensätze.87 [85, 85] So zeigt Aristoteles selbst im achten Buch der Physik,88 dass bei einem Lebewesen, von dem man sagt, dass es sich selbständig bewegt, der eine Teil bewegt, der andere bewegt wird, weil es unmöglich ist, dass ein und dasselbe zugleich bewegt und bewegt wird. Diese Dinge gehören zu den Relationen und Gegensätzen. [85, 90] Zur Lösung des Problems sagt Alexander, dass der Geist in Verwirklichung und der Denkgegenstand in Verwirklichung weder relativ noch entgegengesetzt sind; sie sind identisch. Der in der Möglichkeit befindliche Geist, sagt er, ist relativ zu dem in der Möglichkeit befindlichen Denkgegenstand, und diese sind entgegengesetzt. Wenn sie aber verwirklicht werden, sind sie nicht mehr entgegengesetzt; sie werden ein

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Johannes Philoponos · Text

sensibili et scientia et scibili. Ut autem fiant secundum actum unum ambo, oportet facta esse opposita. In procedentibus quidem igitur ex potentia in actum, ait, sic fit; qui autem secundum actum semper intellectus nunquam ei quod secundum actum semper intelligibile est oppositus, sed idem. Merito ergo se ipsum semper intelligit idem ens intellectus et intelligibilis, causam autem intelligendum condictive. Hoc autem dixit quando de intellectus perceptione specierum proposuit dicere separatarum et non separatarum; causa autem et species, haec quidem inseparabilis ut quae ad modum speciei, haec autem separata ut conditiva non separatarum specierum.

[86, 6] Haec cum dixisset de proprie indivisibilibus, consequen-

ter iam dicit qualiter horum susceptionem faciat noster intellectus. 430b26–31 Est autem dictio quidem aliquid de aliquo, sicut affir-

matio, et vera aut falsa omnis. Intellectus autem non omnis, sed qui eius quod quid est, secundum quod quid erat esse, verus, et non aliquid de aliquo. Sed sicut videre proprii verus, si autem homo ‹album› aut non, non verum semper, sic se habent quaecumque sine materia. [86, 14] Indivisibile cum dixisset quinque modis et ostendisset

quod ipsius quattuor quidem est aliquid oppositum, aliquid divisibile (termini enim indivisibiles dicebantur ad contradistinc­ tionem propositionum, continuumque indivisibile vocabatur ad contradistinctionem discreti quanti, ut secundum actum divisae lineae, et species autem indivisibilis ut ad propriam ra-



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Gegenstand. So verhält es sich auch mit der Wahrnehmung in Möglichkeit und dem Wahrnehmbaren sowie mit dem Wissen und dem, was man wissen kann. Damit sie wirklich werden, müssen die Gegensätze eins geworden sein.89 Bei Dingen, die von der Möglichkeit in die Wirklichkeit übergehen, sagt er, geschieht es auf diese Art; aber der Geist, der immer in Verwirklichung ist, ist niemals dem Denkgegenstand entgegengesetzt, der immer in Wirklichkeit ist, sondern er ist mit ihm identisch. Mit Recht also denkt er immer sich selbst, da Geist und Denkgegenstand identisch sind, aber »Ursache« muss hier gedacht werden als »schöpferische Ursache«.90 Er hat das gesagt, weil91 er sich vorgenommen hat, über die Wahrnehmung des Geistes von abgetrennten und nicht-abgetrennten Formen zu sprechen; eine Form ist zugleich auch eine Ursache, die eine ist unabtrennbar als Ursache in der Art der Form, die andere ist abgetrennt als schöpferische Ursache nicht-abgetrennter Formen. [86, 6] Nachdem er dies über die im eigentlichen Sinn unteilbaren Dinge gesagt hat, sagt er nun im Folgenden, wie unser Geist die Aufnahme dieser Dinge erreicht. 430b26–31 Die Aussage von etwas über etwas, wie etwa die Be-

jahung, ist immer wahr oder falsch. Der Geist dagegen nicht immer, sondern jener, der das Was von einem Wesen aussagt, ist immer wahr, nicht aber derjenige, der etwas von einem anderen aussagt. Sondern so wie das Anschauen des eigentümlichen Gegenstands immer wahr ist, dagegen nicht immer, ob dieses Weiße ein Mensch ist oder nicht, so verhält es sich auch mit den Gegenständen, die ohne Materie sind. [86, 14] Nachdem er das Unteilbare auf fünf Arten ausgesagt und gezeigt hat, dass es bei vier von ihnen etwas Entgegengesetztes, nämlich etwas Teilbares gibt (die Terme werden unteilbar genannt im Gegensatz zu den Aussagen, das Kontinuierliche im Gegensatz zur diskreten Größe, z. B. der Wirklichkeit nach geteilte Linien, und die Form wird unteilbar genannt hinsichtlich ihres eigentümlichen Gehalts; denn die Form im Kör-

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Johannes Philoponos · Text

tionem; in corpore enim condistenditur et velut condividitur materiae), cum dixisset igitur quod si sit tale quod nullum habet oppositum, hoc intellectus est et separatum et sine potentia actus, nunc vult nos docere qualis modus intelligentiae intellectus circa tales species. [86, 24] Ait igitur, ut breviter dicam, quod operatio intellectus

circa separatas species, tantum est verificativa; non habet oppositionem ad falsum, hoc autem quia neque secundum compositionem et divisionem illorum susceptionem facit. Quae quidem secundum compositionem et divisionem cognitio, aliud alii inesse vel non inesse dicens, oppositionem quae ad falsum sus­ cipit, quando vel existens non existens dicit, vel non existens existens. Non secundum compositionem autem et divisionem in separatis speciebus est intellectus cognitio, sed ipsa simplici adiectione specierum. [86, 33] Duplex igitur intellectus operatio: haec quidem secun-

dum simplicitatem et ipsam specierum simplicium susceptionem, haec autem [87] secundum compositionem et divisionem. Prius autem dicit de cognitione secundum compositionem, tanquam de manifestiori, quae aut vera est aut falsa; deinde penes negationem huius manifestat simplicem. Dicit igitur quod est quaedam cognitio secundum compositionem quae praedicat aliquid de aliquo, aut negat; et hoc non solum in prolato sermone, sed et intus in mente; puta non solum est dicere quod nix sit alba sed et secundum mentem ita dispositionem etiam non loquentem. Prolatum quidem igitur compositum sermonem »affirmationem« nominat, mentalem autem »phasim«, id est dictionem. Talis quidem igitur cognitio secundum compositionem est.

[87, 45] Alia autem quaedam est simplex cognitio, non praedi-

cans aliud esse de alio vel negans. Haec autem est quae ipsas



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per hat die gleiche Ausdehnung wie dieser und wird gleichsam durch die Materie geteilt) – nachdem er also gesagt hat, dass, wenn es etwas gibt, was kein Gegenteil hat, dies der Geist, und zwar abgetrennt und Verwirklichung ohne Möglichkeit sei, will er uns nun darüber belehren, welche Art des Denkens der Geist hinsichtlich solcher Formen hat. [86, 24] Er sagt also, um es kurz zu machen, dass die Tätigkeit des Geistes im Hinblick auf die abgetrennten Formen nur die Wahrheit erlangen kann; sie hat keinen Gegensatz zum Falschen, weil sie die Aufnahme jener Formen nicht durch Zusammensetzung und Teilung erreicht. Die Erkenntnis, die durch Zusammensetzung und Teilung zustande kommt und sagt, dass das eine dem andern zukommt oder nicht, nimmt den Gegensatz zum Falschen an, wenn sie entweder das Existierende als nicht existent oder das Nicht-Existierende als existent aussagt. Die Erkenntnis des Geistes findet aber bei den abgetrennten Formen nicht durch Zusammensetzung und Trennung statt, sondern durch einfachen Hinblick auf die Formen. [86, 33] Die Tätigkeit des Geistes ist also eine doppelte: die eine kommt durch die Einfachheit und die Annahme einfacher Formen zustande, die andere [87] durch Zusammensetzung und Trennung. Zuerst spricht er über die Erkenntnis durch Zusammensetzung, die entweder wahr oder falsch ist, wie über etwas Augenscheinlicheres; dann macht er die einfache Erkenntnis durch deren Verneinung deutlich. Er sagt also, eine Art der Erkenntnis ist die durch Zusammensetzung, die etwas von etwas anderem aussagt oder verneint; und diese gibt es nicht nur in der geäußerten Rede, sondern auch drinnen in Gedanken; z. B. kann man nicht nur sagen, dass der Schnee weiß ist, sondern kann das auch in Gedanken haben,92 ohne zu sprechen. Die geäußerte, zusammengesetzte Rede nennt er nun »Aussage«, eine Rede in Gedanken nennt er phasis, d. h. einfaches Sagen.93 Von dieser Art ist die Erkenntnis durch Zusammensetzung. [87, 45] Es gibt aber noch eine andere Art von Erkenntnis, die einfache Erkenntnis, die nicht etwas von einem anderen aussagt oder verneint. Das ist die Art, die ausschließlich die

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Johannes Philoponos · Text

solas species cognoscit. Intellectus igitur in cognitione quidem secundum compositionem componens subiectum cum praedicato, aut dividens ab ipso, semper aut verum dicit aut mentitur. Quando quidem enim dicit quod animal substantia animata sensibilis, in compositione habet veritatem. Si vero intelligat hoc, substantia animata sensibilis, quoniam non intellexit cuius est ista definitio neque verum neque falsum intelligens utique erit. Si quidem enim idem erat animal et animali esse, esset utique vera talis cognitio. Nunc autem non est idem. In materialibus quidem igitur speciebus impossibile sine compositione verum dicere intellectum, in immaterialibus autem in quibus idem hoc et huic esse, sine compositione intellectum verum est dicere. Talis autem cognitio non habet falsum contradivisum; semper igitur [88] vera est talis cognitio aut enim attingit intellectus ipsa aut non. Si quidem attingit, percipit ipsa; si autem non attingit, neque intelligentiam ipsorum habet, quare neque mentitur. Propter quod et Plotinus de intellectu ita dixit: aut enim tetigit intellectus aut non, quare impeccabilis. In quibus quidem igitur aliud de alio praedicat, potens est peccare, non convenientia affirmans, aut negans convenientia. Quando autem immateriales species speculatur, attingit ipsas et verum dicit semper, aut non attingens non peccat.

[88, 66] Assimilat autem eam quae in simplicibus veritatem intel-

lectus sensui specierum. Sicut enim visus verus est in colorum perceptione, non componens colori subiectum et coloratum (non enim visus est neque sensus hoc scire, sed existimationis et opinionis, sufficiens autem visui ad veritatem suscipere speciem visibilis qualis est), sic autem et intellectus verus est



Kommentar zu De anima (Einleitung und III 4–7)

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Formen selbst erkennt. Der Geist, der bei der Erkenntnis durch Zusammensetzung ein Subjekt mit einem Prädikat zusammensetzt oder es von ihm trennt, sagt immer entweder die Wahrheit oder lügt. Wenn er also sagt, dass ein Lebewesen eine beseelte, wahrnehmungsfähige Substanz ist, hat er mit dieser Zusammensetzung die Wahrheit getroffen. Wenn er aber nur »beseelte, wahrnehmungsfähige Substanz« denkt, denkt er nichts Wahres oder Falsches, weil er nicht dazu denkt, wovon dies die Definition ist. Wenn das Lebewesen und das Lebewesen-Sein tatsächlich identisch wären, wäre diese Art von Erkenntnis wahr. Nun sind sie aber nicht identisch. Bei materiegebundenen Formen ist es unmöglich, dass der Geist etwas Wahres ohne Zusammensetzung aussagt; bei immateriellen Dingen jedoch, bei denen das jeweilige X und das X-Sein identisch sind, kann der Geist die Wahrheit ohne Zusammensetzung sagen. Eine solche Erkenntnis hat keine ihr entgegengesetzte Falschheit; sie ist immer [88] wahr: »Entweder berührt der Geist diese Dinge oder er berührt sie nicht«.94 Wenn er sie berührt, nimmt er sie wahr; wenn er sie nicht berührt, hat er kein Denken von ihnen, daher sagt er aber auch nichts Falsches. Deshalb hat auch Plotin über den Geist Folgendes gesagt: »Entweder der Geist hat Berührung oder nicht, daher ist er ohne Fehl« (I 1, 9, 12 f.).« In den Fällen, wo er das eine von einem andern aussagt, kann er fehlgehen, indem er Nicht-Zukommendes bejaht oder Zukommendes verneint. Wenn er aber immaterielle Formen schaut, berührt er sie und sagt immer die Wahrheit; oder er berührt sie nicht, dann geht er auch nicht fehl. [88, 66] Aristoteles vergleicht diese Wahrheit des Geistes bei den einfachen Dingen mit der sinnlichen Wahrnehmung der Formen. Wie das Sehen wahr ist bei der Wahrnehmung von Farben, bei der dieses nicht das farbige Subjekt95 mit der Farbe zusammensetzt (denn dieses Subjekt zu kennen, ist nicht Sache des Sehens oder der Wahrnehmung, sondern des Urteils und der Meinung, wohingegen es für die Wahrnehmung hinreichend ist, die sichtbare Form wahrhaft aufzunehmen, wie sie ist), so ist auch der Geist wahr, und zwar im reinen Denken der

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Johannes Philoponos · Text

et secundum specierum simplicium nudam intelligentiam. Est igitur dissimilis quaedam similitudo operationis intellectus circa separatas species ad comparationem sensus circa propria sensibilia. Qua enim utraque verificatur attingendo obiectum cognoscibile, sic ipsis inest similitudo; qua autem sensus quidem deteriori modo quam penes syllogismum novit sensibilia, intellectus autem eminentiori modo quam penes syllogismum, sic dissimilis est similitudo. [88, 79] Qualiter quidem igitur dictur verus esse sensus, dictum

est et prius, quia sine peccato attingendo sensibilia. Intellectus autem circa separatas species operatio, maxime et propriissime veritas utique erit, quia quod quidem est unaquaque species, hoc cognoscit; [89] idem enim in illis, ut dixi, hoc esse et huic. Propter quod quidem non errat circa compositionem praedicati ad subiectum, et consona est naturae rerum talis operatio intellectus. Si enim oportet coniugalem esse cognoscibili cognitionem, immateriales autem et separatae species, ut ipse ait, autoveritas sunt, quia sine mixtura omnis contrarii. Materialium quidem enim specierum, nulla sincera neque pura, quia mixtae sunt ad informe neque pulchrum; quod hic est sincerum pulchrum, siquidem connexum est cum turpi, dico autem cum materia, quare neque cognitio quae horum certa neque vera, sed connexa est contrario. Separatae autem species id ipsum sunt quod sunt sine complexione vel habitudine ad oppositum, propter quod autoveritas sunt. Quare consonam et cognitivam oportet esse horum operationem, et tantum verificativam esse, non habentem oppositionem ad falsum. Talem autem intellectus operationem solis provenire aiunt his qui ad summum



Kommentar zu De anima (Einleitung und III 4–7)

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einfachen Formen. Ein Vergleich der Tätigkeit des Geistes hinsichtlich der abgetrennten Formen mit der Tätigkeit der Wahrnehmung der eigentümlichen Wahrnehmungsgegenstände ist also in gewissem Sinne nur begrenzt möglich. Insofern als beide die Wahrheit durch Berühren des erkennbaren Objekts erlangen, sind sie auf diese Weise ähnlich; aber insofern als die Wahrnehmung die Wahrnehmungsgegenstände in einer Weise erkennt, die niedriger als die Erkenntnis durch Schluss steht, und der Geist in einer Weise, die höher als die Erkenntnis durch Schluss ist, ist ihre Ähnlichkeit begrenzt. [88, 79] In welcher Weise man die Wahrnehmung »wahr« nennt, ist schon früher gesagt worden, nämlich indem sie die Wahrnehmungsgegenstände ohne Fehler berührt. Die Tätigkeit des Geistes im Hinblick auf die abgetrennten Formen wird gewiss in besonderer und ganz eigentlicher Weise die Wahrheit sein, weil er das erkennt, was jede Form ist; denn bei diesen ist, wie ich bereits sagte, das X und das X-Sein identisch. Deshalb gibt es auch keinen Irrtum im Hinblick auf die Zusammensetzung eines Prädikats mit einem Subjekt, und eine solche Tätigkeit des Geistes stimmt mit der Natur der Dinge überein. Denn wenn die Erkenntnis mit dem Erkenntnisgegenstand eng verbunden sein soll, sind die immateriellen, abgetrennten Formen, wie Aristoteles sagt, die Wahrheit selbst, da sie ohne Mischung mit irgend einem Gegenteil sind – denn von den materiegebundener Formen ist keine unverfälscht und rein, da sie gemischt sind mit dem, was formlos und nicht schön ist;96 das Schöne hier ist nicht unverfälscht schön, weil es mit dem Hässlichen verbunden ist, ich meine: mit der Materie; deshalb ist die Erkenntnis dieser Formen weder gewiss noch wahr, sondern mit einem Gegenteil verbunden; die abgetrennten Formen aber sind an sich das, was ohne Verknüpfung oder Bezug zu einem Gegenteil existiert, weshalb sie die Wahrheit selbst sind;97 daher muss auch die Erkenntnistätigkeit hinsichtlich dieser Formen mit ihnen in Übereinstimmung sein und nur die Wahrheit erlangen können, die keinen Gegensatz zur Falschheit hat. Eine solche Tätigkeit des Geistes, sagt man, kommt allein denen zu,

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Johannes Philoponos · Text

bonae vitae et scientiae pertigerunt et his raro. Propter quod de hac Plotinus ait quod quicumque operatus fuerit sic, novit quod dicit. [89, 00] Haec autem quae de cognitione immaterialium specierum dicta sunt, possibile est et de materialibus speciebus accipere. Quando enim intellectus non componit cum subiecto speciem, sed ipsam nudam intelligit (puta rationale sine homine, aut definitionem sine subiecto), ita verum erat hoc, ut sensus in propriis sensibilibus, et palam quia et in his verus tantum est, non adhuc autem et falsus. Recordatur autem nobis quae quidem sit affirmatio et negatio, quoniam secundum haec quae penes compositionem cognitio in qua verum dicere aut mentiri. […]

CAPUT VII 431a14–16 Meditativae autem animae phantasmata velut sensi-

mata existunt. Quando autem bonum ‹aut malum› dicit vel negat, et fugit aut persequitur.

[95, 72] Cum dixisset de sensu simplici, puta de dictione, et de eo

qui cum delectabili vel tristi, scilicet de eo qui est velut affirmatio, et de persecutione et fuga assequenti tali sensui, transit ad ratiocinativum, et ostendit similitudinem ipsius ad sensum et qualiter in aliquo et in hoc sit appetitivum.

[96, 77] Ait itaque ipsi intellectivae animae phantasmata, quae

quidem sunt velut a sensibilibus typi qui fiunt in phantastica



Kommentar zu De anima (Einleitung und III 4–7)

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die zum Gipfel des guten Lebens und des Wissens gelangt sind, und auch diesen nur selten. Daher sagt Plotin hierüber, dass, wer immer in dieser Weise schon tätig gewesen ist, weiß, was er meint.98 [89, 00] Das, was über die Erkenntnis immaterieller Formen gesagt worden ist, kann man auch für die materiegebundenen Formen annehmen. Wenn der Geist eine Form nicht mit einem Subjekt zusammensetzt, sondern sie rein als solche denkt (z. B. »vernünftig« ohne »Mensch« oder eine Definition ohne das Subjekt), so ist das wahr, wie die Wahrnehmung bei ihren eigentümlichen Wahrnehmungsgegenständen wahr ist, und es ist offensichtlich, dass es in diesen Fällen nur wahr und nicht auch falsch ist. Wir werden daran erinnert, was Bejahung und Verneinung sind, weil sich in ihnen Erkenntnis durch Zusammensetzung vollzieht, bei der es das wahre oder falsche Aussagen gibt. […]

In an. L p. 95, 72–107,57 Verbeke. Aus dem Kommentar zu III 7 Das diskursive Denken und der praktische Geist 431a14–16 Der diskursiv denkenden Seele sind die Vorstellungs-

bilder wie Wahrnehmungseindrücke gegeben. Wenn sie sie als gut oder schlecht bejaht oder verneint, so flieht oder erstrebt sie. [95, 72] Nachdem er über das einfache Wahrnehmen gesprochen hat, das sich wie das einfache Sagen verhält,99 und über das, was mit dem Angenehmen und Schmerzhaften einhergeht, d. h. über das, was sich verhält wie Bejahung [sc. und Verneinung],100 sowie über Erstreben und Meiden, das auf eine solche Wahrnehmung folgt, geht er über zum rationalen Denken und zeigt seine Ähnlichkeit zur Wahrnehmung und wie auf gewisse Weise101 auch in diesem etwas Begehrendes ist. [96, 77] Deshalb sagt er, dass die Vorstellungsbilder, die gleichsam Eindrücke von den Wahrnehmungsgegenständen sind, welche im vorstellenden Seelenteil entstehen, zur Denkseele

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Johannes Philoponos · Text

animae proportionaliter sunt sicut sensui sensimata. Sensimata autem sensibilia ait aut sensibilium susceptiones. Phantasia enim impressiones sensibilium per sensum suscipiente, ita sicut et sensus a sensibilibus, et iudicans ipsas sicut sensus, sic quidem ut dictiones, quando simpliciter ut calidi phantasiam, sic autem ut affirmationes aut negationes, quando ut delectabiles aut tristes anima receperit in se ipsa, intellectus videns species has in phantasia, quando quidem simplicem typum videt sensibilis, simplicem ipsius habet conceptum, secundum quem fit verum dicens de sensibilibus sine compositione, proportionalis ens simplici sensui; quando autem ut bonum aliquid horum aut malum existimat animali, iam conceptus fit compositus, quo fit persecutio aut fuga, proportionalis sensui delectabilis vel tristis.

[96, 91] Non solum autem praesentis delectabilis et tristis fuga

et persecutio fit, sed et futuri. Cum enim sensus iudicaverit semel delectabile et triste, et typos ipsorum acceperit phantasia, si advenerit idem sensibile, adaptans huic phantasia eos qui in ipsa typos, aut persequitur et admittit ut delectabile et salvativum, aut fugit ut molestum et corruptivum. Unde dico autem propter typos inesse in phantasia delectabilium aut tristium, et bruta animalia in somnis videntur delectata vel molestata, ut canes applaudentes tanquam aliquid delectabile phantasiantes, aut turbato modo exsurgentes tristi phantasia [97] incidente



Kommentar zu De anima (Einleitung und III 4–7)

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im selben Verhältnis stehen wie die Wahrnehmung zu den Wahrnehmungseindrücken. Er nennt die Wahrnehmungseindrücke entweder Wahrnehmungsgegenstände oder das, was von den Wahrnehmungsgegenständen aufgenommen wird. Denn das Vorstellungsvermögen nimmt Eindrücke der Wahrnehmungsgegenstände über das Wahrnehmungsvermögen auf, so wie auch die Wahrnehmung Eindrücke von den Wahrnehmungsgegenständen erhält, und beurteilt102 diese, wie es auch die Wahrnehmung tut: wie einfaches Sprechen, wenn es einfach eine Vorstellung von Wärme hat, und wie Bejahungen oder Verneinungen, wenn es sie in sich selbst als für das Lebewesen103 angenehm oder schmerzvoll erfährt. Der Geist sieht diese Formen im Vorstellungsvermögen, und wenn er den einfachen Eindruck eines Wahrnehmungsgegenstands sieht, hat er von diesem einen einfachen Begriff, durch den es gelingt, über die Wahrnehmungsgegenstände ohne Zusammensetzung die Wahrheit zu sagen, hierin der einfachen Wahrnehmung analog; wenn er etwas von diesen als gut oder schlecht für das Lebewesen einschätzt, gibt es bereits einen zusammengesetzten Begriff, von dem ein Erstreben oder Meiden ausgeht, analog zur Wahrnehmung von etwas Angenehmem oder Schmerzvollem. [96, 91] Es gibt aber nicht nur das Erstreben und Meiden von gegenwärtig Angenehmem und Schmerzvollem, sondern auch von solchem in der Zukunft. Denn wenn die Wahrnehmung einmal etwas als angenehm oder schmerzvoll beurteilt und das Vorstellungsvermögen die Eindrücke davon aufgenommen hat, wenn dann derselbe Wahrnehmungsgegenstand herankommt, wendet das Vorstellungsvermögen diese Eindrücke in ihr auf diesen Wahrnehmungsgegenstand an, und entweder erstrebt und lässt es ihn als angenehm und heilsam zu oder es meidet ihn als unangenehm und schädlich. Aus diesem Grund, sage ich,104 weil es Eindrücke von angenehmen oder schmerzvollen Dingen in der Vorstellung gibt, scheinen auch unvernünftige Tiere im Schlaf angenehme oder unangenehme Vorstellungen zu haben, wie etwa Hunde, die anschlagen, als ob sie sich etwas Angenehmes vorstellen würden, oder die verstört aufspringen,

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Johannes Philoponos · Text

in somnis. Et intellectus igitur typum ignis si contingat, hoc quidem phantasia videns et inveniens quod hoc aliquando nocivum fuit ex impressis in phantasia, pronuntiat et de futuris, veluti quod terribiles adversarios significavit aliquando, quare et nunc terribilitate apparente adversarii debent supervenire. Et bruta autem malo alicui incidentia, puta pluviae aut alicui tali, deinde cum effugerit, cognoscunt rursum supervenientia et declinant dinum.

431a16 sq. Propter quod nunquam intelligit sine phantasmate

anima

[97, 8] Quoniam enim dixerat intellectivae animae phantas­

mata velut sensimata esse, ex quibus aut fugit malum aut bonum persequitur, hoc merito adiunxit. Si enim ex ipsis boni electio et mali fuga, impossibile sine phantasmate videlicet intelligere aliquid intellectum. Non simpliciter autem omnis intelligentia sine phantasmate non intelligit, sed practicae intelligentiae in quibus bonum aut malum; adhuc autem et geo­metricae (participant enim et hae operatione aliqua, mixtae enim sunt) et quaecumque tales.

[97, 16] In his autem Alexander multum conatur probare quod

mortalem putet nostrum intellectum Aristoteles. Si enim nunquam intelligit sine phantasmate intellectus, phantasia autem a sensu, sensus autem non immortalis, neque intellectus. Ergo propter hoc quia mortalem putat nostrum intellectum, non dixit simpliciter quod »intellectus« non intelligit sine phantasmate, sed »anima« significare volens nostrae animae intellectivam potentiam corruptibilem esse; Alexander quidem igitur haec.

Kommentar zu De anima (Einleitung und III 4–7)



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weil sie eine schmerzvolle Vorstellung [97] im Schlaf anfällt. Auch wenn der Geist den Eindruck von Feuer in105 der Vorstellung sieht und aus seinen Eindrücken in der Vorstellung darauf kommt, dass dies irgendwann einmal schädlich war, macht er Vorhersagen über die Zukunft. Weil etwa das Feuer einmal schreckliche Feinde angezeigt hat, deshalb müssen auch jetzt, wenn das schreckliche Zeichen erscheint, die Feinde einen Überfall machen. Auch Tiere, wenn sie in ein Übel geraten, z. B. in einen Sturzregen oder etwas dergleichen, und sie diesem entflohen sind, erkennen es, wenn es sie wieder überfällt, und weichen der Gefahr aus. 431a16 f. Darum denkt die Seele niemals ohne ein Vorstellungs-

bild.

[97, 8] Da er ja gesagt hatte, dass die Vorstellungsbilder der

Denkseele wie Wahrnehmungseindrücke zukommen und dass ihretwegen sie entweder das Schlechte meidet oder das Gute erstrebt, hat er diesen Satz zu Recht angefügt. Wenn die Wahl des Guten und das Meiden des Schlechten wegen der Vorstellungsbilder erfolgt, ist es offensichtlich unmöglich, dass der Geist etwas ohne Vorstellungsbild denkt. Es ist aber nicht einfach jedes Denken, das nicht ohne Vorstellungsbild denkt, sondern es ist nur das praktische Denken, in welchem es Gutes und Schlechtes gibt; dann noch das geometrische Denken (denn auch das hat an dieser Art der Tätigkeit teil, weil es gemischt ist) und jedes andere Denken von dieser Art. [97, 16] Hieraus versucht Alexander106 nachdrücklich zu beweisen, dass Aristoteles unseren Geist für sterblich hält. Wenn der Geist niemals ohne Vorstellungsbild denke, die Vorstellung von der Wahrnehmung stamme und die Wahrnehmung nicht unsterblich sei, sei auch der Geist nicht unsterblich. Deshalb also, weil er Aristoteles unseren Geist für sterblich halte, habe er nicht einfach gesagt, dass der »Geist« nicht ohne Vorstellungsbild denke, sondern die »Seele«, womit er andeuten wolle, dass das Denkvermögen unserer Seele vergänglich sei; so weit Alexander. Dass Aristoteles aber unseren Geist für unvergäng-

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Johannes Philoponos · Text

Quod autem incorruptibilem putet nostrum intellectum Aristoteles, in multis locis diximus. Hic autem manifeste de intellectiva anima sermo; intellectivae enim ait animae phantas­ mata [98] velut sensibilia existunt, potentiam autem dixit in prioribus animalis compositi esse. [98, 28] Aliterque neque de eorum intellectu sermo, sed de prac­

tico. Cum dixisset enim: quando autem bonum aut malum dicit aut negat, et fugit aut persequitur (quod evidenter est practici intellectus), adiunxit: propter quod nunquam intelligit sine phantasmate anima. Si autem hoc est practica intelligentia (praxis enim circa bonum et malum; haec autem circa animal compositum, ut ad actiones phantasia data est; omnis autem praxis particularis; particularia autem animae entis in corpore operationes), merito igitur nihil practicorum intelligit sine phantasia. Quod autem neque speculativa intelligentia semper cum phantasmate intelligit, neque multo magis qui actu intellectus, qui simplicibus adiectionibus super res sine syllogismo comprehendit, manifestum. Non enim indiget phantasmate intellectus, quando rationales artes demonstrat, puta quod tres figurae sunt categorici syllogismi et quod in unoquoque modo demonstrativi, aut de conversione propositionum, sine enim dicere quando de intelligibilibus syllogizat.

431a17–20 Sicut autem aer pupillam talem fecit, haec autem al-

tera, et auditus similiter, extremum autem unum et una medietas, esse autem ipsi plura. [98, 47] Quod quidem dicit, hoc est: quia sicut in visu alteratur quidem [99] aer a coloribus, aer autem alterat pupillam (dico



Kommentar zu De anima (Einleitung und III 4–7)

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lich hält, haben wir bereits an vielen Stellen gesagt. Hier geht nun die Rede offensichtlich über die Denkseele; er sagt, »der Denkseele sind die Vorstellungsbilder [98] wie Wahrnehmungsgegenstände gegeben« (an. III 4, 431a14 f.),107 und er hat an früheren Stellen gesagt, dass dieses Vermögen zu einer zusammengesetzten Seele gehört. [98, 28] Überdies geht hier die Rede nicht über den theo­ retischen, sondern den praktischen Geist.108 Denn nachdem er gesagt hat: »Wenn sie [sc. die diskursiv denkende Seele] sie [sc. die Vorstellungsbilder] als gut oder schlecht bejaht oder verneint, so flieht oder erstrebt sie« (was offensichtlich zum praktischen Geist gehört), fügt er an: »Darum denkt die Seele niemals ohne ein Vorstellungsbild« (an. III 4, 431a15–17). Wenn aber das das praktische Denken ist (die Praxis bezieht sich nämlich auf Gut und Schlecht) und sich dies auf das zusammengesetzte Lebewesen bezieht, ist ihm das Vorstellungsvermögen für die Handlungen gegeben; jede Handlung ist aber eine besondere, und die Tätigkeiten der Seele im Körper sind jeweils besondere. Daher denkt es also mit Recht keinen von den praktischen Gegenständen ohne Vorstellung. Es ist aber offensichtlich, dass nicht das betrachtende Denken immer mit einem Vorstellungsbild denkt und noch viel weniger der Geist in Verwirklichung, der die Dinge durch einen einfachen Hinblick ohne Schluss begreift. Denn der Geist braucht kein Vorstellungsbild, wenn er Beweise im Gebiet der Logik führt, z. B. dass es drei Figuren des kategorischen Syllogismus gibt und wie viele schlüssige Modi es in jeder Figur gibt,109 oder über die Konversion von Prämissen; nicht zu reden davon, wenn er über die Denkgegenstände Schlüsse zieht. 431a17–20 Wie die Luft auf die Pupille in einer bestimmten Weise

wirkt, und diese wieder auf etwas anderes, so ist es auch beim Gehör. Die letzte Grenze ist eine und die Vermittlung eine und dieselbe, das Sein ist aber verschieden. [98, 47] Was Aristoteles hier sagt, ist Folgendes: Beim Sehen wird [99] die Luft von den Farben verändert, die Luft verändert dann die Pupille (ich meine das Auge selbst), die Pupille wie-

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Johannes Philoponos · Text

autem ipsum oculum), pupilla autem alterum aliquid alterat (puta spiritum visivum), extremum autem alteratum unum aliquid est, ipsa visiva potentia quae et visibilium species iudicat, sic se habet et in auditu et in aliis sensitivis. Unumquodque enim sensitivorum per aliquam passionem factam in ipso servit sensitivae potentiae et est extremum ad quod passio desinit in unoquoque sensitivo, unum aliquid et impartibile, sensitiva potentia quam et medietatem ut saepe vocavit. Haec igitur potentia una ens et impartibilis subiecto, ratione plura est, quia plurium passionum est susceptiva. Suscipit enim visus et album et nigrum et intermedium. Sicut igitur signum unum est quidem impartibile subiecto, ratione autem plura eo quod plurium rectarum sit terminus (eo enim quod plurium rectarum terminus sit, erit utique termini multi), sic autem et sensus et unus est subiecto et impartibilis, et multa ratione, et multarum passionum terminus est et iudicatorium. Aliter enim ab alio sensibili patiens, aliter aliud suscipit. Consequenter autem ostendit quod sicut iudicans diversa visibilia unum est, similiter et audibilia et in reliquis similiter, sic et iudicans diversa sensibilia, puta quod alterum visibile ab audibili et a reliquis, unum aliquid est rursum et impartibile subiecto, ratione autem plura.

[99, 68] Intellectus quidem igitur propositorum hic est. Videtur

autem totus locus iste intersertus esse ei qui de sensibus; est enim consequenter post hoc: propter quod nunquam intelligit sine phantasmate anima, verbum hoc: species quidem igitur intellectivum, in phantasmatibus intelligit. Hoc enim consequens est praedictis. Intermedia autem de sensibus dicta videntur a



Kommentar zu De anima (Einleitung und III 4–7)

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derum etwas anderes (etwa das sichtbare Pneuma),110 aber das letzte Veränderungsprodukt ist ein einziger Gegenstand, nämlich das Vermögen zu sehen, das auch die Formen von sichtbaren Gegenständen beurteilt; so verhält es sich auch beim Gehör und bei den anderen Sinnesorganen. Jedes Sinnesorgan dient durch das Leiden, das in ihm hervorgerufen wird, dem Wahrnehmungsvermögen, und es gibt eine letzte Grenze in jedem Sinnesorgan, an der das Leiden haltmacht, einen einzigen, unteilbaren Gegenstand, das Wahrnehmungsvermögen, das er, wie schon oft, auch »Vermittlung« genannt hat. Dieses Vermögen ist als Subjekt eins und unteilbar, seinem Begriff nach aber vieles, weil es viele Leidenseindrücke aufnehmen kann. So nimmt das Sehen Weiß, Schwarz und die Zwischenstufen auf. Wie der Punkt als Subjekt eins und unteilbar,111 seinem Begriff nach vieles ist dadurch, dass er das Ende von mehreren geraden Linien ist (und dadurch, dass er der Endpunkt von mehreren geraden Linien ist, gibt es viele Endpunkte), so ist auch die Wahrnehmung als Subjekt eins und unteilbar und ihrem Begriff nach vieles, sie ist nämlich Endpunkt und Beurteilungsinstanz vieler Leidenseindrücke. So leidet sie unter dem einen Wahrnehmungsgegenstand so, unter einem anderen anders und nimmt das eine so, das andere anders auf. Im Folgenden zeigt er, dass genauso wie das eins ist, was verschiedene Sehgegenstände beurteilt – ähnlich auch bei den Hörgegenstände und den anderen Sinnen – wiederum das, was verschiedene Wahrnehmungs­ gegenstände beurteilt – z. B. dass das Sichtbare vom Hörbaren und von den anderen Sinnesgegenständen verschieden ist – als Subjekt etwas Einziges und Unteilbares, seinem Begriff nach aber Vieles ist. [99, 68] Das ist der Sinn des hier Dargelegten. Diese ganze Stelle über die Sinneswahrnehmungen scheint aber eingeschoben zu sein.112 Denn auf den Satz »darum denkt die Seele niemals ohne ein Vorstellungsbild« (431a16 f.) folgen die Worte »die Formen denkt das Denkorgan in den Vorstellungsbildern« (431b2). Das ist es, was auf das Vorgenannte folgt. Das aber, was dazwischen über die Wahrnehmungen gesagt worden ist,

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Johannes Philoponos · Text

continuitate sequestrata. Sunt autem revera [100] neque haec sine continuatione interiecta, sed ut ostendat quod sicut unus est sensus, et communis et proprius diversorum sensibilium susceptivus, ita et intellectus unus est et impartibilis, etsi differenter diversa intelligibilia suscipiat. Proportionalitatem igitur habet ut sensus ad sensibilia, ita et intellectus ad intelligibilia, igitur et permutatim, ut sensibilia ad intelligibilia, et sensus ad intellectum. Unus autem sensus plurium sensibilium, subiecto autem idem unusque et impartibilis, ratione autem plures. Et intellectus ergo unus ens et idem subiecto et impartibilis, ratione plura est, eo quod plures operationes habeat, quia plura intelligibilia percipit.

431b8–10 Et quando dicit ut ibi delectabile aut triste, hic fugit aut

persequitur. Et totaliter in actione.

[106, 32] Sicut in phantasia delectabile est aut triste, praesente

sensibili, et sic aut persequitur ipsum aut fugit, sic et absente, intellectus ad id quod in phantasia eorum quae iam fuerunt delectabile aut triste aspiciens, ex his de futuris et similibus deliberans, hoc quidem eligit, hoc autem fugit. Quare ab experientia praefactorum deliberatio fit in omni actione. Etenim si non idem factum fuisset aliquando, attamen simile phantasiamus. Hoc autem: et totaliter in actione significat quod omnis talis intellectus speculatio, dico autem quae deliberat de hoc, utrum bonum vel malum, in actione est; practicus enim intel-



Kommentar zu De anima (Einleitung und III 4–7)

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scheint nicht in den Zusammenhang zu passen. Tatsächlich ist jedoch auch das nicht ohne Zusammenhang. Es dient vielmehr dazu zu zeigen, dass genauso, wie die Wahrnehmung eins ist, obwohl sie sowohl als gemeinsame als auch als eigentümliche Wahrnehmung verschiedene Wahrnehmungsgegenstände aufnimmt, auch der Geist eins und unteilbar ist, auch wenn er verschiedene Denkgegenstände auf verschiedene Weise aufnimmt. Es gibt also die Analogie: Wie die Wahrnehmung zu den Sinnesgegenständen, so verhält sich der Geist zu den Denkgegenständen, und daher auch umgekehrt: wie die Wahrnehmungs- zu den Denkgegenständen, so steht die Wahrnehmung zum Geist. Die Wahrnehmung ist eine einzige für viele Wahrnehmungsgegenstände, und zwar ist sie als Subjekt ein und dasselbe und unteilbar, dem Begriff nach aber viele. So ist auch der Geist als Subjekt ein und dasselbe, dem Begriff nach aber Vieles dadurch, dass er viele Tätigkeiten hat, da er ja viele Denkgegenstände aufnimmt. 431b8–10 Und wenn es [sc. das Denkorgan] feststellt, dass jenes

angenehm oder schmerzlich sei, so meidet oder sucht es dies und so überhaupt beim Handeln. [106, 32] Wie im Vorstellungsvermögen etwas Angenehmes und Schmerzliches ist, wenn der Wahrnehmungsgegenstand gegenwärtig ist, und man dies dann verfolgt oder meidet, so blickt der Geist, wenn es abwesend ist, auf das, was von den Dingen, die bereits gewesen waren, in der Vorstellung Angenehmes und Schmerzliches ist, überlegt von diesen aus über zukünftige, ähnliche Dinge und wählt das eine, meidet das andere. Daher entsteht bei jeder Handlung die Überlegung aus der Erfahrung vorangegangener Ereignisse. Denn auch wenn niemals zuvor dasselbe geschehen ist, stellen wir uns trotzdem etwas Ähnliches vor. »Und so überhaupt beim Handeln« bedeutet, dass jede so beschaffene Betrachtung des Geistes, ich meine, was er über die Frage überlegt, ob etwas gut oder schlecht ist, sich bei der Handlung abspielt. Denn der praktische Geist rich-

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Johannes Philoponos · Text

lectus circa bonum aut malum se habet, sicut speculativus circa verum aut falsum. 431b10–12 Et hoc sine actione autem, verum et falsum, in eodem

genere est bono et malo; sed per simpliciter differt et per cuidam. [107, 45] Cum dixisset de practico intellectu quod principium

agendi et causa, sibi bonum aut malum (quando enim bonum intellexerit persequitur, fugit autem quando malum), dicit quia non practico intellectui, sed speculativo, cuius opus est veritatis et falsitatis discretio, et huic haec, veritas dico et falsitas. ut bona aut mala incidunt. Est enim verum quidem in eodem genere cum bono, falsum autem cum malo. Est enim verum et falsum, bonum et malum sine actione, differt autem quod ut verum bonum a practico bono et quod ut falsum malum a practico malo, quia verum quidem simpliciter est et universalius et natura bonum, et falsum similiter malum; quod autem in agibilibus bonum et malum, non simpliciter, sed aliquando et alicui. Non enim semper neque omnibus neque ad omnes eadem agenda, ut balneari aut deambulare aut exercitari et reliqua.



Kommentar zu De anima (Einleitung und III 4–7)

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tet sich auf Gut oder Schlecht, wie sich der theoretisch betrachtende Geist auf Wahr und Falsch richtet. 431b10–12 Und wo kein Handeln vorliegt, beim Wahren und Fal-

schen, da ist es in derselben Gattung wie das Gute und das Schlechte. Es unterscheidet sich nur durch seine Einfachheit und durch die Beziehung, in der es steht. [107, 45] Nachdem er vom praktischen Geist gesagt hat, dass Ursprung und Ursache seines Handelns das Gute oder Schlechte sind (denn wenn er das Gute denkt, verfolgt er es; wenn er aber das Schlechte denkt, meidet er es), sagt er, dass nicht für den praktischen, sondern den betrachtenden Geist, dessen Werk die Unterscheidung von Wahrheit und Falschheit ist, sich dies, ich meine Wahrheit und Falschheit, wie Gutes und Schlechtes verhält. Das Wahre ist nämlich mit dem Guten zusammen in derselben Gattung, das Falsche mit dem Schlechten. Denn wahr und falsch sind gut und schlecht ohne Handlung; das Gute qua Wahres unterscheidet sich vom praktisch Guten und das Schlechte qua Falsches vom praktisch Schlechten nur dadurch, dass das Wahre schlechthin, allgemeiner und von Natur aus gut ist und das Falsche auf gleiche Weise schlecht; bei Dingen des Handelns aber gibt es das Gute und Schlechte nicht schlechthin, sondern zu bestimmter Zeit und für jemand Bestimmten. Denn dieselben Dinge wie Baden, Spazierengehen, Training oder andere müssen nicht zu jeder Zeit oder von allen oder im Verhältnis zu allen getan werden.

6. PRISKIAN VON LYDIEN Metaphrase zu Theophrasts Physik Eingeleitet, übersetzt und erläutert von Jörn Müller

W  

ie schon Alexander von Aphrodisias (s. o. Kapitel 2 und 3), so ist auch der spätantike neuplatonische Philosoph Priskian in der vorliegenden Edition gleich zweimal vertreten. Er wird Priskianos Lydos bzw. Priscianus Lydus (also »Priskian der Lyder« oder auch »Priskian von Lydien«) genannt, um die nicht selten geschehene Verwechslung mit dem nur wenig älteren und weit berühmteren Grammatiker Priskian von Caesareia (Priscianus Caesariensis) zu vermeiden. Priskian ist mit Sicherheit der Autor der in diesem Kapitel zu präsentierenden Schrift, wahrscheinlich aber auch der Verfasser jener Schrift des Pseudo-Simplikios, um die es in Kapitel 7 geht. Zur Vermeidung von Wiederholungen setzen die beiden Einleitungen unterschiedliche Schwerpunkte: Die hier vorliegende Einleitung informiert zunächst über Priskians Leben und Werk und gibt dann einen Überblick über den Status seiner »Metaphrase« sowie ihre Hauptthesen zum Geist. Dagegen konzentriert sich Matthias Perkams’ Einleitung ganz auf den Kommentar des Pseudo-Simplikios, indem sie ihn allgemein charakterisiert, seine gedanklichen und terminologischen Grundlinien klärt und seine Autorschaft diskutiert.

1. Leben und Werk Priskians Biographie liegt weitgehend im Dunkeln: Weder das Geburts- noch das Todesdatum sind uns bekannt, ebenso wenig genauere Nachrichten über seinen akademischen Werdegang. Als gesichert kann aber gelten, dass er zu den insgesamt sie-

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Priskian von Lydien · Einleitung

ben neuplatonischen Philosophen (darunter u. a. auch sein Lehrer Damaskios und Simplikios) gehörte, die nach der im Jahr 529 erfolgten Schließung der athenischen Akademie durch den oströmischen Kaiser Justinian an den Hof des persischen Königs Chosroes auswanderten.1 Die vielleicht im Vorfeld gehegten Hoffnungen, dort auf einen aufgeklärten Philosophenkönig platonischen Zuschnitts zu treffen, wurden aber offensichtlich enttäuscht, so dass die sieben Philosophen seinen Hof bald wieder verließen. Ob sie anschließend (eventuell abgesichert durch eine vertragliche Zusage Justinians an Chosroes) nach Athen zurückkehren durften 2 oder ihre Tätigkeit andernorts im byzantinischen Reich fortsetzten,3 ist unklar. Unter Priskians Namen sind uns zwei ursprünglich auf Griechisch verfasste Schriften überliefert. Die erste ist eine eher kompendienhafte und kompilatorische Sammlung von Problemen unter dem Titel »Antworten auf die Fragen des Perserkönigs Chosroes«,4 die uns nur noch in einer vermutlich aus dem 6./7. Jahrhundert stammenden lateinischen Übersetzung vorliegt.5 Bei der zweiten Schrift handelt es sich um einen unvollständigen Ausschnitt aus seiner sog. Metaphrase zur Physik des Theophrast, des direkten Nachfolgers von Aristoteles als Oberhaupt der peripatetischen Schule. Keines dieser beiden Werke hat in der Philosophiegeschichte eine nachhaltige Rezeption und Wirkungsgeschichte erfahren. Doch hat immerhin  Vgl. die Darstellung bei Agathias, Historiae II, 30–31, die jedoch nicht frei von literarischen Ausschmückungen ist. Terminus post quem für die Auswanderung ist die Krönung von Chosroes zum persischen König, die nicht vor dem 13. September 531 anzusetzen ist. 2  Vgl. Cameron 1969, S. 7–29, der jedoch die vertragliche Zusicherung der Rückkehr für unrealistisch hält. 3  Vgl. Hadot 1990, S. 275–303; sie nimmt in Anlehnung an Ergebnisse von Michel Tardieu an, dass die sieben ihre philosophische Tätigkeit in einer bereits existenten neuplatonischen Schule in Ḥarrān (Carrhae) fortsetzten. 4  Vgl. Bywater 1886b. 5  Zur Diskussion vgl. Esposito 1918, S. 21–23, und d’Alverny 1977. 1

Metaphrase zu Theophrasts Physik 491



kein Geringerer als Marsilio Ficino die Metaphrase am Ende des 15. Jahrhunderts ins Lateinische übersetzt.6 Über die beiden genannten Schriften hinaus soll Priskian (spätantiken und mittelalterlichen Quellen zufolge) auch Kommentare zu Platon verfasst haben, und er wird sogar als einer der »nützlicheren« Exegeten der platonischen Philosophie gerühmt;7 erhalten geblieben ist hiervon allerdings nichts. Und was schließlich einen Kommentar zu Aristoteles betrifft, so ist es in meinen Augen höchst plausibel, wenn neuerdings F. Bossier und C. Steel auf der Basis linguistischer, stilistischer und inhaltlicher Überlegungen sowie einschlägiger Querverweise dafür argumentieren, dass auch der bislang dem Simplikios zugeschriebene Kommentar zu De anima Priskian zugeschrieben werden sollte.8 Sie greifen hiermit eine Vermutung auf, die schon der Renaissance-Gelehrte Francesco Piccolomini (1523– 1604) geäußert hatte.9 Allerdings ist diese Neuzuschreibung in der Forschung nicht unbestritten.10

 Vgl. Lautner 2005, zum inhaltlichen Einfluss der Metaphrase auf Ficinos Geistkonzeption.  7  Die Stelle aus Codex Coislianus 387 (X.–XI. Jh.) ist zitiert bei Steel 1978, S. 7, Anm. 4. Vgl. auch Dörrie/Baltes 1993, S. 20 f. u. S. 153–155. Möglicherweise ist hier aber auch ein anderer, zeitlich früher anzusiedelnder Priskian gemeint.  8  Vgl. Bossier/Steel 1972, Eine leicht zugängliche englische Fassung dieser Argumente findet sich neuerdings in Steels Einleitung (Steel 1997) zu seiner Übersetzung von Priskian (›Simplikios‹), in an. II 5–12. Vgl. hierzu auch die Einleitung von M. Perkams zu seiner Textauswahl aus diesem Werk im vorliegenden Band.  9  Siehe Piccolomini 1602, fol. 216 r. Vgl. auch: Nardi 1985, S. 431 f. 10  Die Einwände kommen insbesondere von Ilsetraut Hadot, erstmalig vorgetragen in: dies. 1978, S. 193–202. Für die neueste Fassung ihrer Gegenargumente vgl. nach Hadot 2002, jetzt auch Hadot 2014.  6

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Priskian von Lydien · Einleitung

2. Gegenstand und Perspektive von Priskians Metaphrase Der übersetzte Text stammt aus der erwähnten, nur bruchstückhaft überlieferten Metaphrase zur Physik des Theophrast.11 Theophrasts Schrift behandelt im vierten und fünften Buch Fragen der Psychologie, wobei uns vom fünften Buch offensichtlich nur ein Auszug vorliegt.12 Priskian hat in seiner Metaphrase diese im Geist der aristotelischen Seelenlehre zusammengefassten Gedanken des Theophrast seinerseits umschrieben. Der für uns relevante Textausschnitt über den Geist schließt an zwei Abschnitte an, die sich mit den Sinnen bzw. der Sinneswahrnehmung und mit der Vorstellungskraft beschäftigen, so dass auch Priskian sich insgesamt an die aristotelische Stufung der Erkenntnisvermögen von der αἴσθησις über die φαντασία bis hin zum νοῦς hält. Den beiden ersten Teilen, von denen der zweite unvollständig ist, kann man hierbei einige methodische Prämissen der Behandlung des Themas durch Priskian entnehmen; sie erläutern zugleich, was »Metaphrase« in diesem Zusammenhang bedeutet: Im Vordergrund steht naheliegenderweise die sinngetreue Zusammenfassung von, aber auch die inhaltliche Auseinandersetzung mit Theophrasts Text, der nicht zuletzt darauf­hin befragt wird, welche Zusätze er zu den aristotelischen Positionen in den diskutierten Sachfragen aufzuweisen hat.13 Aber bezeichnend für Priskians philosophische Grundposition ist der damit verknüpfte Hinweis, man müsse »am meisten die philosophischen Resultate des Jamblich aus seinen Büchern Über die Seele aufgreifen«.14 Hieraus lässt sich zweierlei ableiten:  Zum Verhältnis von Priskians Text zu Theophrast s. o. Kap. 1, S. 57 f.  Vgl. den entsprechenden Hinweis zum Abschluss des ersten Teils in Theophr. 22, 33–34: »Aber nun wollen wir zum Nachfolgenden übergehen und uns von einem anderen Ausgangspunkt durch den Rest des fünften Buchs durcharbeiten.« 13  Vgl. in Theophr. 7, 21–23. 14  Vgl. in Theophr. 7, 17–18. Bei Jamblichs Werk handelt es sich vermut11

12



Metaphrase zu Theophrasts Physik 493

Erstens ist der vorliegende Text eine Quelle nicht nur für die Psychologie und Geistlehre Theophrasts,15 sondern in gleichem, wenn auch nicht immer inhaltlich klar abgrenzbarem Maße für Jamblich.16 Zweitens ist seine Deutungsperspektive eine dezidiert neuplatonische, auch wenn sich Priskian an einem peri­ patetischen, also in aristotelischer Tradition stehenden Text abarbeitet. Deswegen erscheint Jamblich beispielsweise als Fragehorizont oder als Korrektiv für aristotelische Auffassungen (explizit etwa im Blick auf die φαντασία17). An einer Stelle in unserem Textabschnitt wird Jamblich auch als einer der »wahrhaftigen Ausleger« des Aristoteles tituliert,18 was seinen Deutungen grundsätzlich eine besondere Autorität verleiht.19 Diese neuplatonische bzw. noch spezifischer: jamblicheische Tiefenstruktur gilt es im Hinblick auf Priskians Elaborationen der peripatetischen Nūs-Lehre stetig präsent zu halten. Inhaltlich stehen in dem nachfolgend übersetzten Textstück zur Lehre vom Geist, das uns sowohl am Anfang als auch am Ende unvollständig überliefert ist,20 Probleme zur Diskussion, die sich unmittelbar aus Aristoteles’ De anima III 4 ergeben: Dies ist der Referenztext von Theophrasts Ausführungen im vorliegenden Textabschnitt, auf den sich seinerseits Priskian erläuternd und vertiefend bezieht. Also ist der Text zugleich lich nicht um einen Kommentar zu Aristotelesʼ De anima, sondern um ein eigenständiges Werk. Vgl. Blumenthal 1974. 15  Vgl. Barbotin 1954, S. 52–58, und die Aufbereitung der Fragmente für die Geistlehre (ebd., S. 245–288) sowie die versammelten Stellen für die Nūs-Lehre Theophrasts in toto bei Fortenbaugh et al. 1992, S. 53–105. 16  Vgl. hierzu Huby 1993, S. 6: »[W]e have in Priscian quite a large amount of fairly pure Iamblichus«. 17  Vgl. in Theophr. 23, 13ff. und 24, 1–4. 18  Vgl. in Theophr. 32, 34. 19  In dem vermutlich ebenfalls Priskian zuzuschreibenden De-animaKommentar (s. u. Kap. 7) wird Jamblich als »bester Kenner der Wahrheit« tituliert (1, 11), und seine Darlegungen zur Psychologie werden zum Maßstab für die »Wahrheit über die Sachen« (1, 18–20) erhoben. 20  Die Manuskripte enthalten jeweils am Schluss den Hinweis: ζητεῖ, d. h.: »Suche (scil.: nach dem Rest)!«.

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Priskian von Lydien · Einleitung

eine Art indirekter Kommentar zu an. III 4, freilich aus der Perspektive einer neuplatonischen Psychologie.

3. Charakteristika der Geistlehre in Priskians Metaphrase Fasst man die Hauptpunkte der Lehre vom Geist zusammen, die sich in Priskians Metaphrase findet, so können in ontologischer Gradation von oben nach unten drei Stufen des Geistigen und Seelischen unterschieden werden: 1. der abgetrennte Geist (χωριστὸς νοῦς),21 der zugleich komplett verwirklicht (ἐνέργεια[ι]) ist, 2. der in Möglichkeit befindliche Geist (νοῦς δυνάμει)22 3. die Vernunftseele des einzelnen Menschen (ψυχὴ λογική), auf die manchmal auch der Begriff des Geistes ausgedehnt wird.23 Im Gegensatz zu dem vermutlich ebenfalls ihm zuzuschreibenden Kommentar zu De anima versteht Priskian im vorliegenden Text die beiden Momente des aristotelischen Nūs-Begriffs, den alles wirkenden und den alles werdenden (leidenden) Geist,24 nicht als innere Kräfte der menschlichen Seele, sondern offensichtlich als ihr gegenüber transzendente Entitäten in Gestalt des verwirklichten und des in Möglichkeit befindlichen Geistes.25 Während die menschliche Vernunftseele am νοῦς δυνάμει teilhaben kann – weshalb dieser auch als seelischer Geist (νοῦς

 Vgl. in Theophr. 26, 7. 20. 26; 32, 24. Dieser Geist wird auch als »erster (πρῶτος)« (26, 32; 35, 28. 31. 33; 36, 4), als »höherer (κρείττων)« (28, 27 f., 31; 37, 22) oder als »wirklich seiender (ὄντως)« (29, 33) bezeichnet. 22  Vgl. in Theophr. 29, 24; 34, 24; 35, 15; 36, 2. 23  Vgl. in Theophr. 29, 16; 33, 1; 34, 25. 24  Vgl. Aristoteles, an. III 5, 430a14 f. 25  Für eine Gegenüberstellung der sachlichen Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Metaphrasis und De-anima-Kommentar vgl. Steel 1978, S. 149–154. 21

Metaphrase zu Theophrasts Physik 495



ψυχικός26) bezeichnet wird –, hat sie mit dem absolut getrennten und verwirklichten Geist (νοῦς ἐνέργεια[ι]) keine direkte Verbindung mehr. Im Mittelpunkt der Analysen Priskians in unserem Textabschnitt steht der in Möglichkeit befindliche Geist, nicht zuletzt in seiner Beziehung zu den beiden anderen Größen, aber auch im Hinblick auf seinen eigenen Status und die Relation zu den Objekten seines Erkennens bzw. Wissens. Die aristotelischen Ausführungen in De anima III 4 lassen im Hinblick auf ihn vor allem folgende Fragen und Probleme entstehen: (a) Wenn man geistige Erkenntnis in Kategorien sinnlicher Erkenntnis zu verstehen versucht, ergibt sich die Frage: Wie kann ein gänzlich unkörperlicher Geist überhaupt etwas erleiden (πάσχειν)? Oder ist die Übertragung dieser Redeweise vom Körperlichen auf das Unkörperliche schlicht und elementar ein Kategorienfehler? Widerspricht die mit dem Begriff des Erleidens implizierte Passivität nicht tout court dem Wesen des Geistes? (b) Ähnliche Schwierigkeiten betreffen die expizite Feststellung von Aristoteles, dass dieser Geist fähig ist bzw. die Möglichkeit dazu hat, alles zu werden. Bedeutet dies nicht, dass er – wie die sog. »erste Materie« – in sich überhaupt nichts ist, da er von sich her keine positive Bestimmung aufweisen kann, die ihm nicht erst von seiner Erkenntnis her zukäme? Und wie gestaltet sich vor diesem Hintergrund die Beziehung des sich in Möglichkeit befindlichen Geistes zum vollständig verwirklichten Geist? (c) Wenn man für den in Möglichkeit befindlichen Geist die Identität mit dem von ihm Gedachten (als den Gegenständen seines Wissens bzw. Erkennens) annimmt, ergibt sich eine Art ontisches Kontinuitätsproblem: Was ist er denn dann überhaupt, bevor er denkt bzw. wenn er gerade nicht denkt? Eine permanente Verwirklichung der Identität mit seinen höchsten Erkenntnisgegenständen scheint den Unterschied zum ersten 26

 Vgl. in Theophr. 26, 6. 12. 26.

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Priskian von Lydien · Einleitung

und höchsten Geist zu verwischen. Wie kann man generell seinen Übergang vom Nichtwissen zum Wissen plausibel rekons­ truieren? Wie stellt sich dieses Problem in strukturanaloger Weise für die menschliche Vernunftseele dar? Priskian entfaltet die Antworten auf diese Fragen nicht in bloßer Anlehnung an Theophrast oder andere Lehrpositionen; vielmehr entwirft er selbst eine höchst originelle und spekulative Theorie der Erkenntnis im Hinblick auf die verschiedenen Stufen des geistigen und seelischen Lebens. Sein Text bleibt zwar an Aristoteles’ Noetik orientiert, ist aber deutlich mehr als eine reine Paraphrase des Stagiriten bzw. dessen großen Schülers Theophrast. Ein zentrales inhaltliches Leitmotiv ist hierbei die Betonung der Innerlichkeit der wahren Erkenntnis: Der Rückgang in sich selbst bzw. die Konzentration auf sich selbst macht dem in Möglichkeit befindlichen Geist und der menschlichen Vernunftseele die apriorischen Wissensgehalte zugänglich, die ihrerseits aller Struktur von äußerer Wirklichkeit ursächlich vorausliegen und die innerlich schon immer im Wissenden vorhanden sind. Der Weg zu den höchsten Gegenständen des Denkens führt also grundsätzlich nach innen – ein bereits platonisches Prinzip (ἀνάμνησις: Lernen als Wiedererinnerung), das sowohl in der heidnischen als auch in der christlichen Spätantike (etwa in Form der Lehre vom »inneren Menschen« [ἔσω bzw. ἐντὸς ἄνθρωπος]) einen fundamentalen Stellenwert besitzt. Deutlich wird hierbei auch, dass es sich nicht um rein epistemologische Probleme handelt, sondern dass zugleich ein ontologisch-kosmologisches Modell involviert ist, in dem die Aktualisierung bzw. Vergegenwärtigung von Wissen letztlich nichts anderes meint als eine Vervollkommnung (τελείωσις) des eigenen Seins.27

 Für wertvolle Anregungen zur Einleitung und Übersetzung möchte ich mich bei Matthias Perkams, Hubertus Busche und Thorsten Lerchner herzlich bedanken. 27

Liter atur Quellen (a) Originaltext Priscianus Lydus: Metaphrasis in Theophrastum, ed. I. Bywater. In: CAG Supplementum I 2, Berlin 1886, S. 1–37 [= Bywater 1886a]. (b) Übersetzungen Lateinisch Ficino, M.: Expositio in interpretationem Prisciani Lydii super Theophrastum. In: Kristeller, P. O. (Hg.): M. Ficino: Opera omnia, Vol. II, Turin 1962, S. 1801–1835. Englisch Huby, P./Steel, C.: Priscian: On Theophrastus on Sense-Perception, transl. P. Huby. ›Simplicius‹: On Aristotle On the Soul 2.5–12, transl. C. Steel, London/New York 1997 [= Huby 1997; Steel 1997]. (c) Weiteres Priscianus Lydus: Solutiones eorum de quibus dubitavit Chosroes Persarum rex, ed. I. Bywater. In: CAG Supplementum I/2, Berlin 1886, S. 39–104 [= Bywater 1886b]. Theophrastus Eresius: Opera quae supersunt omnia, ed. F. Wimmer, 3 Bde., Leipzig/Paris 1854–1862 (ND Frankfurt a.M. 1964) [= Wimmer 1854]. Theophrastus of Eresus: Sources for his Life, Writings, Thought, and Influence. Part Two: Psychology, Human Physiology, Living Creatures, Botany, Ethics, Religion, Politics, Rhetorics and Poetics, Music, edited and translated by W. W. Fortenbaugh, P. M. Huby, R. W. Sharples (Greek and Latin) and D. Gutas (Philosophia Antiqua 54,2), Leiden/New York/Köln 1992 [= Fortenbaugh et al. 1992]. Piccolomini, F.: Expositio in tres libros Aristotelis De anima, Venedig 1602.

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Priskian von Lydien · Literatur

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PRISKIAN VON LYDIEN

Metaphrase zu Theophrasts De anima [Über den Geist]1 Griechisch – Deutsch

‹ΠΕΡΙ ΝΟΥ› [25, 28] Οὐ γὰρ οὕτω, φησί, ληπτέον οὐδὲ ὡσαύτως· ἐριστικὸν

γάρ· ἀλλ’ ὡς ὑποκειμένην τινὰ δύναμιν, καθάπερ καὶ ἐπὶ τῶν ὑλικῶν. [26] καὶ ὀλίγον προελθὼν ἐπάγει· τάχα δ’ ἂν φανείη καὶ τοῦτο ἄτοπον εἰ ὁ νοῦς ἔχει ὕλης φύσιν μηδὲν ὢν ἅπαντα δὲ δυνατός. οὐχ οὕτω δὲ ληπτέον οὐδὲ πάντα νοῦν, ἀλλὰ δεῖ διελεῖν. ποῖος οὖν καὶ τίς ἡ διαίρεσις; ἡ μὲν γὰρ ὕλη οὐ τόδε τι, ὁ δὲ νοῦς εἰ μὴ οὕτω, τί ἂν ἕτερον; κατὰ ἀναλογίαν οὖν καὶ τὸ δυνάμει ληπτέον ἐπὶ τοῦ ψυχικοῦ νοῦ· ὡς γὰρ πρὸς τὸν ἐνεργείᾳ νοῦν, τουτέστι τὸν χωριστόν. ἡ μὲν οὖν ὕλη ὡς ἐσχάτη εἰκότως πά­υτα δυνάμει, οὐ μὴν ἡ αἴσθησις ὡς ἡ ὕλη· εἶδος γὰρ καὶ λέγεται καὶ ‹ἔστι› περιέχουσα κατ’ οὐσίαν ‹τοὺς› τῶν αἰσθητῶν λόγους ἡ αἴσθησις. ἕτερον δὲ τρόπον δυνάμει λέγεται τὰ αἰσθητὰ ὡς ὑπ’ αὐτῶν κινουμένη πρὸς τὴν προβολήν, καὶ παρόντων καὶ δρώντων αὐτῶν εἰς τὸ αἰσθητήριον δεομένη πρὸς τὴν οἰκείαν ἐνέργειαν. ὁ δὲ ψυχικὸς νοῦς οὔτε ὡς ἡ ὕλη οὔτε ὡς ἡ αἴσθησις. καὶ γὰρ εἶδός ἐστι καὶ πάντων εἰδῶν κατὰ τὴν ἑαυτοῦ οὐσίαν περιεκτικός, καὶ ἀφ’ ἑαυτοῦ ἐνεργεῖ, καὶ ἐν ἑαυτῷ περιέχει τὰ νοητά· ἀλλὰ διὰ τὴν πρὸς τὴν ψυχὴν συγγένειαν, καὶ διὰ τὴν οὐσιώδη πρὸς αὐτὴν σχέσιν, καὶ διὰ τὴν πρὸς τὸ μεριστόν πως ἀπόνευσιν, αὐτός τε ἀπὸ τῆς ἀκραιφνῶς ἀμερίστου καὶ πάντῃ ἡνωμένης ὑπέβη νοερᾶς οὐσίας τε καὶ ἐνεργείας, καὶ τὰ ἐν

Über den Geist [25, 28] Er [der Geist] ist nämlich, sagt er [Theophrast],2 nicht so

und nicht auf dieselbe Weise aufzufassen – dies ist nämlich irreführend –, sondern wie eine zugrunde liegende Möglichkeit,3 ganz so wie bei den materiellen Dingen. [26] Und ein wenig später fügt er hinzu: Vielleicht erschiene es aber auch ungereimt, dass der Geist eine materielle Natur besitzt und damit nichts ist, aber vermögend ist, alles zu sein. Doch weder ist dies so aufzufassen, noch bezieht es sich auf den ganzen Geist; vielmehr bedarf es einer Unterscheidung. Wie ist der Geist beschaffen, und worin besteht die Unterscheidung? Denn die Materie ist kein bestimmtes Etwas,4 wohl aber der Geist. Wenn er nicht so ist, was soll er sonst sein? Nur in analoger Weise ist also »in Möglichkeit« beim zur Seele gehörigen Geist aufzufassen: nämlich in Relation zum verwirklichten (und das heißt: zum abgetrennten) Geist.5 Nun ist die Materie als ein Letztes begreiflicherweise in Möglichkeit alles, aber der Wahrnehmungssinn ist nicht wie die Materie. Der Sinn wird nämlich sogar Form genannt6 und enthält dem Sein nach die Gehalte der Wahrnehmungsgegenstände. Von ihm wird in Bezug auf die Wahrnehmungsobjekte »in Möglichkeit« auf andere Weise ausgesagt, insofern er von ihnen zur Hervorbringung bewegt wird und ihrer Anwesenheit sowie ihrer Einwirkung auf das Sinnesorgan zu seiner ihm eigentümlichen Tätigkeit7 bedarf. Der seelische Geist aber ist weder wie die Materie noch wie der Wahrnehmungssinn. Denn er ist Form, enthält seinem Sein nach alle anderen Formen, ist aus sich selbst heraus tätig und umfasst in sich alle Gegenstände des Denkens. Aber durch seine Verwandtschaft mit der Seele, durch seine wesenhafte Beziehung zu ihr und durch eine gewisse Neigung zu dem Teilbaren ist er selbst von der rein unteilbaren und gänzlich einheitlichen, zum geistigen Erfassen fähigen8 Substanz und Tätigkeit herabgestie-

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Priskian von Lydien · Text

αὐτῷ νοητὰ τῆς ὑπερλάμπρου καὶ αὐτοφανωτάτης ἀπολείπεται τῶν πρώτων νοητῶν ὑποστάσεως· καὶ ἡ ἀμφοῖν συνέχεια κεχαλασμένη πώς ἐστιν, ἀλλ’ οὐκ ἀκριβὴς ὁποία ἡ ἐν τῷ χωριστῷ­ ἕνωσις.

[26, 20] καὶ διὰ ταῦτα αὐτός τε πρὸς τὴν καθαρῶς ἀμέριστον

γνῶσιν τοῦ ἐνεργείᾳ τελεοῦντος δεῖται νοῦ, καὶ τὰ ἐν αὐτῷ νοη­τὰ τῆς ἀπὸ τῶν χωριστῶν νοητῶν καταλάμψεως, ἵνα τέλεια ἀποτελεσθῇ νοητά – ὅθεν καὶ ὁ Ἀριστοτέλης χρώμασιν αὐτὰ ἀπεικάζει τῆς ἀπὸ τοῦ ἡλίου δεομένοις αὐγῆς – ἥ τε ἀμφοῖν αὐτῶν συναφὴ εἰς τὸ ἀδιαίρετον συναιρεῖται ὑπὸ τῆς συνῃρημένης ἀκραιφνοῦς ἑνώσεως. ταύτῃ οὖν δυνάμει ὁ ψυχικὸς νοῦς, ὡς πρὸς τὸν χωριστὸν νοῦν, διότι καθαρῶς ἐκεῖνος ἀμέριστος καὶ ἡνωμένος ἀκραιφνῶς πρὸς τὰ νοητά, ὑπέρλαμπρα ὄντα καὶ πρῶτα καὶ τέλεια φῶτα, καὶ ὡς ὑπὸ τοῦ τοιούτου νοῦ τελειούμενος.

[26, 29] καὶ τὸ ἄγραφον οὖν γραμματεῖον κατὰ ἀναλογίαν ἐπ’

αὐτοῦ ἀκουστέον. οὐ γὰρ ὡς μηδὲ ὅλως ἔχοντος τὰ εἴδη, ἀλλ’ ὥσπερ αὐτὸς νοῦς ἐστι δυνάμει, οὐχ ὡς μηδὲ ὅλως ὢν νοῦς, ἀλλ’ ὡς νοῦς μὲν τοιοῦτος δὲ οἷος τοῦ τελειοῦσθαι ὑπὸ τοῦ πρώτου δεῖσθαι νοῦ· οὕτω καὶ τὰ ἐν αὐτῷ νοητὰ νοητὰ μὲν ἀλλὰ τοιαῦτα οἷα τῆς ἀπὸ τῶν χωριστῶν δεῖσθαι κατα[27]λάμψεως, ἵνα ἀκραιφνῶς ᾖ νοητά. διὸ καὶ χρώμασιν ἀπῄκασται, καὶ τὸ



Metaphrase zu Theophrasts Physik 505

gen,9 und auch die in ihm anwesenden Gegenstände des geistigen Erfassens stehen hinter der glänzenden und sich selbst offenbarenden Existenz der ersten Gegenstände des geistigen Erfassens zurück. Zwischen beiden besteht in gewisser Weise ein gelockerter Zusammenhang,10 aber er ist nicht so präzise wie die Einheit im abgetrennten [Geist].

Die Erkenntnisfähigkeit des Geistes [26, 20] Und deshalb bedarf er zu einer in Reinform ungeteil-

ten Erkenntnis des ihn vollendenden verwirklichten Geistes, und die in ihm anwesenden Gegenstände des Denkens bedürfen der Erleuchtung durch die abgetrennten Gegenstände des geistigen Erfassens, damit sie als vollkommen geistig Erfasstes vollendet werden – weshalb Aristoteles sie auch mit den Farben vergleicht, die des Sonnenlichts bedürftig sind.11 Die Zusammenfassung dieser beiden wird durch ihre zusammenfassende Vereinigung in Reinform in das Unteilbare verwandelt. Auf diese Weise also ist der seelische Geist in Möglichkeit befindlich: im Blick auf den abgetrennten Geist, da jener völlig unteilbar und in Reinform mit den Gegenständen des geistigen Erfassens vereint ist, die glänzend und erste sowie vollendete Lichter sind, und insofern er [der seelische Geist] von einem so beschaffenen Geist vollendet wird. [26, 29] Und die unbeschriebene Schreibtafel ist analog zu ihm [dem seelischen Geist] zu verstehen.12 Sie ist nämlich nicht so beschaffen, als ob sie überhaupt keine Formen hätte, sondern ebenso wie der Geist selbst in Möglichkeit beschaffen ist, d. h. keineswegs so, dass er gar kein Geist wäre, sondern wie ein solcher Geist, der notwendigerweise vom ersten Geist zu vollenden ist. So sind auch die Gegenstände des geistigen Erfassens in ihm zwar Gegenstände geistigen Erfassens, aber von der Art, dass sie einer Erleuchtung durch die abgetrennten [Gegenstände des geistigen Erfassens] bedürfen [27], damit sie in Reinform Gegenstände geistigen Erfassens sind. Deshalb werden sie auch mit

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Priskian von Lydien · Text

γραμματεῖον ὡς πρὸς τὴν τῶν τελείων τούτων εἰδῶν ὑποδοχὴν ἄγραφον εἴρηται. ὀρθῶς ἄρα καὶ ὁ Θεόφραστος ἄτοπον ἀποφαίνεται τὸ ὑλικὴν ἀποδιδόναι φύσιν τῷ νῷ, καὶ τὸ οὕτως ὡς ὕλη μηδὲν εἶναι ἀλλὰ πάντα δυνατόν· καὶ μὴ δεῖν οὕτω λαμβάνειν παρακελεύεται, ζητεῖν δὲ πῶς καθ’ ἕτερον τρόπον δυνάμει λέγεται. ὅπως δέ, ὡς πρὸς τὰ πάροντα εἴρηται ἱκανῶς· καὶ ἅμα ὅτι οὐδὲ πᾶς νοῦς δυνάμει ἀλλὰ ποιός, διακέκριται.

[27, 8] Ἀπορεῖ δὲ ἑξῆς ὅπως γίνεται τὰ νοητά, καὶ τί τὸ πάσχειν

αὐτόν. δεῖ γάρ, εἴπερ εἰς ἐνέργειαν ἥξει καθάπερ αἱ αἰσθήσεις. ἀσωμάτῳ δὲ ὑπ’ ἀσωμάτου τί τὸ πάθος ἢ ποία μεταβολή; καὶ πότερον ἀπ’ ἐκείνου ἡ ἀρχὴ ἢ ἀφ’ ἑαυτοῦ; τῷ μὲν γὰρ πάσχειν ἀπ’ ἐκείνου δόξειεν ἄν· οὐδὲν γὰρ ἑαυτοῦ τῶν ἐν πάθει· τῷ δὲ ἀρχὴν πάντων εἶναι καὶ ἐφ’ ἑαυτῷ τὸ νοεῖν καὶ μὴ ὥσπερ ταῖς αἰσθήσεσιν, ἀφ’ ἑαυτοῦ.

[27, 14] γίνεται μὲν οὖν τὰ νοητά, ἀλλ’ οὐκ ἔστιν ὡς ὁ χωριστὸς

νοῦς τὰ πράγματα, διὰ τὸ κεχαλασμένον, ὡς εἴρηται, τῆς ἑνώσεως· καὶ ἐπειδὴ συνάπτεται μὲν αὐτοῖς ἀκριβῶς ὑπὸ τοῦ ἐνερ-



Metaphrase zu Theophrasts Physik 507

den Farben verglichen, und die Schreibtafel wird mit Blick auf die Aufnahme dieser vollkommenen Formen als unbeschriebener bezeichnet. Richtigerweise also erklärt es Theophrast für ungereimt, dem Geist eine materielle Natur zuzuschreiben und auf diese Weise zu behaupten, er sei wie die Materie nichts, aber vermögend, alles zu sein. Und er ermahnt uns, den Geist nicht in dieser Weise aufzufassen, sondern zu untersuchen, wie er auf andere Weise »in Möglichkeit« genannt werden kann. Wie dies aber gemeint ist, wurde im Hinblick auf die gegenwärtige Untersuchung hinreichend zum Ausdruck gebracht, und zugleich steht die Unterscheidung, dass nicht jeder Geist in Möglichkeit ist, sondern nur ein in bestimmter Weise beschaffener.

Der Geist und der Ursprung des Erleidens [27, 8] Als nächstes spricht er [Theophrast] die Schwierigkeit an,

wie er [der zur Seele gehörige Geist] zu den Gegenständen des geistigen Erfassens wird und worin sein Erleiden besteht. Dieses Erleiden ist nämlich erforderlich, wenn der Geist, ähnlich wie die Wahrnehmungssinne, zur Verwirklichung kommen soll. Aber welches Erleiden oder welche Art von Veränderung wird einem Unkörperlichen durch Unkörperliches zugefügt? Und geht der Ursprung des Erleidens von jenem [Gegenstand des geistigen Erfassens] oder von ihm selbst [dem Geist] aus? Insofern es sich um ein Erleiden handelt, scheint er wohl von jenem [Gegenstand des geistigen Erfassens] zu kommen. Denn nichts im Zustand des Erleidens Befindliches ist von sich selbst her leidend. Aber insofern er [der Geist] der Ursprung von allem ist, insofern er das geistige Erfassen von sich her hat und es sich nicht wie bei den Wahrnehmungssinnen verhält, scheint der Ursprung seines Erleidens bei ihm selbst zu liegen.13 [27, 14] Er wird also zu den Gegenständen des geistigen Erfassens, aber aufgrund der angesprochenen Lockerung der Einheit ist er die Dinge nicht so wie der abgetrennte Geist. Und weil er mit ihnen durch die Zusammenfassung seitens des verwirklichten Geistes in genauer Weise verbunden wird, erleidet er

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Priskian von Lydien · Text

γείᾳ νοῦ συναιρούμενος, ταύτῃ δὲ καὶ πάσχει πως, διότι ὑπόβας ἀπὸ τῆς καθαρῶς καὶ πάντῃ ἀμερίστου τῶν χωριστῶν νοητῶν ἑνώσεως καὶ οἷον ἐκφοιτήσας διὰ τὴν πρὸς ψυχὴν ὁμοφυΐαν, ὡς ἕτερος ὑφ’ ἑτέρων, ὑπό τε τοῦ ἐνεργείᾳ νοῦ καὶ ὑπὸ τῶν ἐν ἐκείνῳ νοητῶν τελειοῦται. ἐπεὶ δὲ αὐτὸς ἑαυτὸν τελειοῖ ἀφ’ ἑαυτοῦ τε ἐγειρόμενος καὶ ἑαυτὸν συνάπτων τῷ ἐνεργείᾳ νῷ καὶ τὴν ἀπ’ ἐκείνου τελειότητα αὐτενεργήτως δεχόμενος, καὶ ἐπειδὴ μὴ παντελῶς τοῦ ἐνεργείᾳ ἐκπεφοίτηκε νοῦ, ἀλλά, καίτοι ὑπόβας, συνῆπται ὅμως πρὸς ἐκεῖνον ἅτε νοῦς ὢν καὶ αὐτός – διὸ καὶ οὐκ ἔξω ποι στρεφόμενος ἀλλ’ εἰς ἑαυτὸν εἰσιὼν καὶ πρὸς ἑαυτὸν ὡς ὅτι μάλιστα συναιρούμενος καὶ ὑπὸ τοῦ ἐνεργείᾳ τελειοῦται νοῦ – διὰ ταῦτα τοίνυν ἑτέρως ἢ ὡς αἱ αἰσθήσεις πάσχει, καὶ ὅλως οὐ κυρίως ἀλλὰ καθ’ ὁμωνυμίαν πάσχει, ἐνεργεῖ δὲ μᾶλλον.

[27, 28] τῇ γὰρ ἑαυτοῦ ἐνεργείᾳ καὶ τὰς ἀπὸ τῶν προτέρων δέχε-

ται τελειότητας καὶ οὐκ ἔξωθεν εἰσδέχεται ἅπερ νοεῖ. ἔστι γὰρ καὶ αὐτὸς τὰ πράγματα τελειωθεὶς δευτέρως, ἡνωμένος τοῖς ἑαυτοῦ νοητοῖς καὶ ἅμα καὶ τοῖς κρείττοσι συνημμένος τῷ μὴ ἀπεσπάσθαι τὰ αὐτοῦ τῶν προτέρων. καὶ ἐνεργεῖ μὲν καὶ τὰ νοητὰ εἰς τὸν νοῦν, ὡς καὶ τὰ αἰσθητὰ [28] εἰς τὴν αἴσθησιν, ἀλλ’ οὐκ ἔξωθεν, ἐπειδὴ μὴ κεχώρισται. διὸ μία ἡ ἀμφοῖν, τοῦ



Metaphrase zu Theophrasts Physik 509

hierdurch auch irgendwie etwas, insofern er, nachdem er von der reinen und gänzlich ungeteilten Einheit der abgetrennten Gegenstände des geistigen Erfassens herabgestiegen ist und wegen der Verwandtschaft mit der Seele gleichsam herausgeht, wie das eine Ding von den anderen sowohl von dem verwirklichten Geist als auch von den in jenem vorhandenen Gegenständen des geistigen Erfassens vollendet wird. Da er sich aber selbst vollendet, indem er aus sich selbst erwacht und sich mit dem verwirklichten Geist verbindet und von jenem seine Vervollkommnung14 in eigener Tätigkeit erhält, und weil er nicht vollständig aus dem verwirklichten Geist herausgegangen ist, sondern trotz des Abstiegs in gleicher Weise mit jenem verbunden ist, insofern er ja selbst Geist ist – deswegen wendet er sich auch nicht irgendwohin nach außen, sondern indem er in sich selbst hineingeht und mit sich selbst so weit wie möglich zusammengefasst wird, erfährt er auch seine Vervollkommnung durch den verwirklichten Geist –, aus diesen Gründen also erleidet er [etwas] auf eine andere Weise als die Wahrnehmungssinne, und überhaupt leidet er nicht im eigentlichen, sondern nur im homonymen Sinne:15 Eher ist er tätig.

Über die Gegenstände des geistigen Erfassens [27, 28] Durch seine eigene Tätigkeit nämlich erhält er auch die

Vollkommenheiten von den früheren [Dingen], und das, was er geistig erfasst, empfängt er nicht von außen. Denn auch er selbst ist die Dinge in einer sekundären Vollendung,16 vereinigt mit den Gegenständen seines eigenen geistigen Erfassens und zugleich mit den höheren [Dingen] dadurch verbunden, dass seine Gegenstände nicht von den früheren entzweit sind. Und die Gegenstände des geistigen Erfassens wirken auch auf den Geist, ebenso wie die Wahrnehmungsobjekte [28] auf den Sinn, aber [im Unterschied hierzu] nicht von außen, weil sie nicht [vom Geist] abgetrennt sind. Deshalb ist ihrer beider Tätigkeit eine einzige, das Wirken des Geistes auf die Gegenstände des

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Priskian von Lydien · Text

τε νοῦ περὶ τὰ νοητὰ καὶ τῶν νοητῶν εἰς τὸν νοῦν ἡ ἐνέργεια, καθὸ οὐ διέσπασται ἀλλ’ ὁ νοῦς ἐστι τὰ νοητά. ἔτι καὶ ἐπὶ τῆς αἰσθήσεως τὸ πάθος περὶ τὸ αἰσθητήριον συμβαίνει, ἐπεὶ τὸ πρῶτον αἰσθητικὸν κατ οἰκείαν τελειοῦται ἐνέργειαν καὶ τὴν ἀπὸ τῶν αἰσθητῶν κίνησιν οὐ παθητικῶς ἀλλ’ ἐνεργητικῶς δεχόμενον· μειζόνως δὲ ὁ νοῦς ἀφ’ ἑαυτοῦ τε ἐνεργεῖ καὶ τὴν ἀπὸ τῶν νοητῶν τελείωσιν οὐ παθητικῶς ἀλλ’ ἐνεργητικῶς δέχεται· εἰ καὶ δέχεσθαι δέοι φάναι ἀλλὰ μὴ προάγειν· ἀφ’ ἑαυτοῦ γὰρ ἀρχόμενος τελειοῦται. καὶ ὅλως ἐν τοῖς ἑτεροκινήτοις τὸ πάθος ὡς ἔξωθεν διεγειρομένοις, ἐν δὲ τοῖς πάντα ἔνδοθεν ἐνεργοῦσι καὶ ὅλοις δι’ ὅλων ἐνεργητικοῖς ἀδύνατον ὑπονοεῖν τι πάθος, εἰ μὴ ὁμωνύμως. καὶ γὰρ τῇ οὐσίᾳ ἐστὶν ἐνέργεια δευτέρως καὶ ὁ δυνάμει νοῦς, αὐτὴ δ’ ἡ ἐνέργεια ἀντίκειται τῷ πάθει καὶ οὐκ ἄν ποτε παθητικῶς διατεθείη.

[28, 13] καὶ ἁπλῶς δὴ ἐν τοῖς χωριστοῖς σωμάτων ἀσωμάτοις,

ὅπερ καὶ αὐτός φησι, τί τὸ πάθος ἢ ποία μεταβολή; καὶ τὰ μὲν πάθη ἔξωθεν, ὁ δὲ νοῦς ἀρχὴ καὶ ἀφ’ ἑαυτοῦ. πῶς οὖν παθητικός; εἰ γὰρ ὅλως ἀπαθής, φησίν, οὐδὲν νοήσει, τὴν ἀπὸ τῶν νοη­ τῶν τελείωσιν πάθος καλῶν, ἐπεὶ πάντῃ καθαρεύειν τὸν νοῦν



Metaphrase zu Theophrasts Physik 511

geistigen Erfassens und das der Gegenstände des geistigen Erfassens auf den Geist, weil sie nicht entzweit sind, sondern der Geist die Gegenstände des geistigen Erfassens ist.17 Ferner kommt auch im Falle der Sinneswahrnehmungen das Erleiden rund um das Sinnesorgan vor, da das erste Wahrnehmungsfähige [selbst] seiner eigentümlichem Tätigkeit gemäß vollendet wird und die Veränderung von den Wahrnehmungsgegenständen nicht erleidend, sondern tätig empfängt.18 In größerem Maße aber ist der Geist aus sich selbst heraus tätig und erhält seine Vervollkommnung von den Gegenständen des geistigen Erfassens nicht in erleidender, sondern in tätiger Form – wenn es denn überhaupt nötig ist zu sagen, dass er sie [die Vervollkommnung] empfängt und nicht hervorbringt: Denn schließlich wird er im Ausgang von sich selbst vollendet. Und überhaupt ist in allem, was von einem anderen her verändert wird, das Erleiden wie ein von außen in Gang setzendes Moment, während es in den Dingen, die alles von innen heraus wirken und die wie ganze durch ganze19 tätig sind, unmöglich ist, ein Erleiden anzunehmen, außer im homonymen Sinn.20 Denn auch der in Möglichkeit befindliche Geist ist in einer sekundären Weise seinem Sein nach Tätigkeit,21 diese Tätigkeit selbst ist aber dem Erleiden entgegengesetzt und wird wohl niemals in einen leidenden Zustand versetzt.

Der Geist als Prinzip seiner selbst [28, 13] Und überhaupt ist, wie Theophrast selbst es formuliert,

zu fragen, welches Erleiden oder welche Art von Veränderung in den von den Körpern abgetrennten Dingen durch das Unkörperliche22 erfolgt. Leidenszustände stammen von außen, der Geist aber ist Prinzip und von sich selbst her: In welcher Weise23 ist er also leidend? Wäre er nämlich gänzlich leidensfrei, sagt Theophrast, würde er nichts geistig erfassen,24 wobei er die von den Gegenständen des geistigen Erfassens her erfolgende Vervollkommnung »Erleiden« nennt, weil der Geist notwendiger-

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Priskian von Lydien · Text

ἀνάγκη. ἐπεὶ δὲ καὶ ἀπὸ τῶν νοητῶν κατ’ οἰκείαν τελειοῦται ἐνέργειαν, διὰ τοῦτο κοινότερον ἀλλ’ οὐ κυρίως ἂν τοῦ πάθους ἐκείνου ἀκούοιμεν·

[28, 20] ἀπαθὲς γὰρ ὁ νοῦς, φησὶν ὁ Θεόφραστος, εἰ μὴ ἄρα ἄλ-

λως † ᾖ † τὸ παθητικόν, οὐχ ὡς τὸ κινητικόν, ἀτελὴς γὰρ ἡ κίνησις, ἀλλ’ ὡς ἐνέργεια. ταῦτα δὲ διαφέρει. χρῆσθαι δὲ ἀναγκαῖον ἐνίοτε τοῖς αὐτοῖς ὀνόμασιν. ὁρᾷς ὅτι οὐδ’ ἀτελὲς οὐδὲ κατὰ τροπὴν ἤ τινα κίνησιν οὐδὲ ἔξωθεν ἀλλὰ κατ’ ἐνέργειαν τὸ πάθος ἀφορίζεται ἐπὶ τοῦ νοῦ. συγγινώσκειν δὲ ἀξιοῖ τῇ τῶν ὀνομάτων χρήσει, διότι ἐκ τῶν αἰσθητῶν καὶ ἐπὶ τὰ νοερὰ μεταφέρομεν τὰ ὀνόματα. ἀξιοῖ δὲ ἀφορίζεσθαι τὸ πάσχειν. καὶ εἴρηται ὅτι κατὰ τὴν ἀπὸ τοῦ κρείττονος ἐνδιδομένην τελείωσιν ἐνεργητικῶς τοῦ δευτέρου τελειουμένου ***

[28, 29] καὶ πῶς νοητὸν ὑπὸ νοητοῦ πάσχει; ἐπειδὴ ὡς νοητὸν

δεύτερον, τουτέστιν ὡς ἐνεργητικὸν καὶ ὡς ἄρχον καὶ αὐτενεργήτως ὁριζόμενον ὑπὸ τοῦ κρείττονος. καὶ πῶς αὐτὸς ἑαυτὸν τελειοῖ; διότι, ὡς εἴρηται, [29] καὶ τὰ ἀπὸ τοῦ κρείττονος αὐτ­ ενεργήτως δέχεται. Καὶ διὰ τί οὐκ ἀεί; ἢ ὁ μὲν νοῦς ἀεὶ ἐνεργεῖ, ἡ δὲ ψυχὴ οὐκ ἀεὶ χρῆται καὶ παρόντι τῷ νῷ ἐν τῇ πρὸς τὰ σώματα στροφῇ.



Metaphrase zu Theophrasts Physik 513

weise vollständig rein ist. Aber weil er von den Gegenständen des geistigen Erfassens gemäß seiner eigentümlichen Tätigkeit vollendet wird, deshalb verstehen wir wohl die Rede von seinem Erleiden im weiteren, aber nicht im eigentlichen Sinne.

Das »Erleiden« im Geist [28, 20] Denn der Geist ist nur insofern leidensfrei, sagt Theophrast,

als der Ausdruck »leidensfähig« auf andere Weise verstanden wird, und zwar nicht als »bewegbar« – denn Bewegung ist unvollendet –, sondern als die Möglichkeit, verwirklicht werden zu können.25 Dies ist zweierlei. Zuweilen ist es jedoch erforderlich, dieselben Bezeichnungen zu verwenden. Man sieht also, dass im Blick auf den Geist »Erleiden« weder als etwas Unvollendetes noch einem Wandel26 oder irgendeiner Bewegung gemäß und auch nicht als von außen Kommendes, sondern gemäß der Tätigkeit bestimmt wird. Er [Theophrast] fordert aber dazu auf, diesem Gebrauch der Namen zuzustimmen, weil wir nämlich die Namen von den Gegenständen der Sinneswahrnehmung auf die Dinge, die geistig erfasst werden können, übertragen. Er fordert dazu auf, »Erleiden« [neu] zu definieren. Und es wurde bereits gesagt, dass, indem das zweite gemäß der von dem Höheren eingegebenen Vervollkommnung durch [eigene] Tätigkeit vollendet wird, […].27 [28, 29] Und wie erleidet ein Gegenstand geistigen Erfassens etwas von einem anderen Gegenstand geistigen Erfassens? Insofern er wie ein sekundärer Gegenstand geistigen Erfassens ist, d. h. wie ein zur Tätigkeit Fähiges, wie ein Prinzip und ein in eigentätiger Form durch ein Höheres Bestimmtes.28 Und auf welche Weise vollendet er [der Geist] sich selbst? Indem er, wie gesagt [29], auch das von dem Höheren Stammende in eigentätiger Form empfängt. Und weshalb ist [der Geist] nicht immer [tätig]?29 Gewiss ist zwar der Geist immer tätig, aber die Seele nutzt in ihrer Wendung zu den Körpern den Geist, auch wenn er anwesend ist, nicht immer.30

514

Priskian von Lydien · Text

[29, 3] ἐοίκασι δὲ οἱ ἄνδρες οὗτοι, καὶ ὁ Ἀριστοτέλης καὶ ὁ Θεό­

φραστος, ὅπερ καὶ ἤδη ἔφαμεν, νοῦν ἐνίοτε καὶ πᾶσαν τὴν λογικὴν προσαγορεύειν ζωήν, ὅπου γε καὶ μέχρι φαντασίας τὸ τοῦ νοῦ διατείνουσιν ὄνομα. καὶ οὕτως εὐλόγως ἂν ἐπὶ τῆς ψυχῆς ζητοίη διά τί οὐκ ἀεί, οὐ τῷ μὴ ἔχειν δὴ τὴν δύναμιν ἀλλὰ τῷ πρὸς τὰ δεύτερα καὶ σωματικὰ καὶ ὅλως ἔξω ἑαυτῆς ἀποτείνεσθαι διὰ τὸ ἀμφίβιον τῆς μερικῆς ζωῆς. ἐν γὰρ τῇ εἰς ἑαυτὴν στροφῇ καὶ τῇ πρὸς νοῦν συννεύσει ἡ τελείωσις αὐτῇ, ἐν δὲ τῇ πρὸς τὰ σώματα ῥοπῇ ἡ τοῦ νοεῖν ἀπόστασις. τελεοῦται δὲ καὶ ἡ ψυχὴ ἀφ’ ἑαυτῆς τε ἀρχομένη καὶ ἑαυτὴν προσάγουσα τῷ νῷ, καὶ αὐτενεργήτως καὶ τὴν ἀπ’ ἐκείνου δεχομένη τελείωσιν· ἐπεί, φησί, τὸ ὑφ’ ἑτέρου κινοῦντος τὴν ἐνέργειαν εἶναι τοῦ νοῦ καὶ ἄλλως ἄτοπον, καὶ πρότερόν τι ποιεῖν ἐστιν ἕτερον τοῦ νοῦ, καὶ οὐκ ἐφ’ ἑαυτῷ τὸ νοεῖν, εἰ μή τις ἄλλος ὁ κινῶν νοῦς. καὶ ταῦτα ἀληθῆ εἴτε τὴν μετεχομένην ὑπὸ ψυχῆς ἀμέριστον οὐσίαν καλοίη νοῦν, εἴτε αὐτὴν τὴν λογικὴν ψυχήν.

[29, 18] Ἀλλὰ τί τὸ ἐπαγόμενον; εἰ γὰρ ἐνεργῶν, φησί, γίνεται τὰ

πράγματα, τότε δὲ μάλιστα ἑκάτερόν ἐστι, τὰ πράγματα ἂν εἴη ὁ νοῦς. οὐ μόνον γὰρ τὰ νοούμενα ἀλλὰ καὶ νοῦς τότε μάλιστά ἐστιν ὅταν νοῇ· διὸ ἑκάτερον ἔφη. εἰ οὖν ὅτε τὰ πράγματά ἐστι τότε καὶ νοῦς ἐστιν, ὁ νοῦς ἂν εἴη τὰ πράγματα. ἆρα οὖν, ὅταν



Metaphrase zu Theophrasts Physik 515

Über die Thesen von Aristoteles und Theophrast [29, 3] Diese Männer aber, nämlich Aristoteles und Theophrast,

scheinen, wie wir gerade eben gesagt haben,31 manchmal das ganze Verstandesleben als Geist zu bezeichnen, wobei sie den Namen »Geist« auch auf die Vorstellungskraft ausdehnen. Und in diesem Fall würde man wohl im Blick auf die Seele berechtigterweise fragen, weshalb sie nicht immer [tätig] ist: Dies ist nicht dadurch bedingt, dass sie nicht das Vermögen dazu besäße, sondern dadurch, dass sie sich wegen der Doppelgestaltigkeit des einzelnen Lebens auf die sekundären und körperlichen Dinge erstreckt, die gänzlich außerhalb ihrer selbst sind. Denn in der Wendung auf sich selbst und in der Ausrichtung auf den Geist liegt für sie die Vervollkommnung, in der Neigung zu den Körpern aber der Abfall vom Denken. Die Seele wird auch aus sich selbst heraus vollendet, indem sie den Anfang macht, sich selbst an den Geist heranführt und in Eigentätigkeit von jenem die Vervollkommnung empfängt: Denn es wäre, wie er [Theophrast] sagt, ungereimt, wenn die Tätigkeit des Geistes von einem anderen herkäme, das [ihn] bewegt, weil damit etwas vom Geist Verschiedenes zum Früheren gemacht würde und weil das Denken nicht bei ihm selbst läge, es sei denn, es gäbe noch einen anderen bewegenden Geist. Und dies ist wahr, gleichviel ob er den Geist als das ungeteilte Sein, an welchem die Seele teilhat, oder als die Vernunftseele selbst bezeichnet.

Über das Erfassen des Geistes [29, 18] Aber was folgt hieraus? Er [Theophrast] sagt: Wenn er

nämlich in seiner Tätigkeit zu den Dingen wird und er dann beides am meisten ist, so wäre wohl der Geist mit den Dingen identisch. Denn wenn er geistig erfasst, ist er nicht nur die erfassten Dinge, sondern er ist auch am meisten Geist. Deshalb sagte er: beides. Wenn er also dann, wenn er die Dinge ist, auch Geist ist, ist der Geist wohl die Dinge. Gilt also folglich: Wann immer

516

Priskian von Lydien · Text

μὴ νοῇ, μὴ ὢν τὰ πράγματα οὐδὲ νοῦς ἐστιν; ἢ ὁ μὲν ὄντως νοῦς καὶ ὁ δυνάμει ὑπὸ ψυχῆς μετεχόμενος νοεῖ, ἅτε ὢν καὶ αὐτός, εἰ καὶ δευτέρως, τῇ οὐσίᾳ ἐνέργεια. ἐπὶ δὲ τῆς μερικῆς ψυχῆς ἔχοι ἂν χώραν ἡ ἀπορία· αὕτη γὰρ καὶ οὐκ ἀεὶ νοεῖ.

[29, 26] ἆρα οὖν οὐδέν ἐστι πρὶν νοεῖν; ἢ ἔστι μὲν οἷον ὕλη, εἰδο-

ποιεῖται δὲ ἔξωθεν ἐπιγινομένοις τοῖς πράγμασιν, ὅταν γινώσκῃ. ἀλλὰ καὶ ἔστι τι πρὶν ἐπίστασθαι ἡ ψυχὴ καὶ οὐκ ἔξωθεν ἀλλ’ ἀφ’ ἑαυτῆς ἄρχεταί τε καὶ προβάλλει τὰ γνωστὰ καὶ εἰς ἑαυτὴν εἰσιοῦσα εὑρίσκει τὰ πράγματα. καὶ πρὶν οὖν γνῶναί ἐστι τὰ πράγματα, ἀλλ’ ἐπειδὴ καὶ ταύτῃ μεμέρισταί πως ἡ ψυχὴ τῷ μὴ τῇ οὐσίᾳ εἶναι ἐνέργεια, δευτέραν δὲ ἴσχειν καὶ προϊοῦσαν ἀπὸ τῆς οὐσίας ἐπιστημονικὴν ἐνέργειαν, ὥσπερ ἐστὶ καὶ ὅταν μὴ ἐπίστηται, οὕτω καὶ τὰ πράγματά ἐστιν οὐκ ἐνεργητικῶς [30] ἀλλ’ οὐσιώδως. δεῖ γὰρ καὶ τὰ ἐν αὐτῇ πράγματα συστοίχως τῇ ψυχῇ νοεῖν, οὐ τῷ εἶναι νοούμενα ἀλλὰ τῷ γνωστῶς ἐνεργεῖν, καὶ γνωστὰ ἀποτελούμενα κατὰ δευτέραν καὶ προϊοῦσαν ἀπὸ τῆς οὐσίας ἐνέργειαν – εἰ μὴ ἄρα ἐπὶ τῆς ψυχῆς οὐχ ἁπλοῦν οὐδὲ μονοειδὲς οὔτε τὸ εἶναι οὔτε τὸ ἐνεργεῖν, ἀλλὰ τὸ μὲν μόνιμον τὸ δὲ μεταβαλλόμενον, περὶ δὴ τὴν μένουσαν τῆς μεταβαλλομένης προϊούσης, κατ’ ἀμφοτέρας τῆς ὅλης θεωρουμένης ψυχῆς, καὶ διὰ τοῦτο ἅμα τε μενούσης καὶ μεταβαλλομένης· καὶ ἅμα τε ἀεὶ ἐνεργούσης κατὰ τὴν κρύφιον καὶ συμφυῆ τῇ μονίμῳ οὐσίᾳ ἐνέργειαν καὶ κατὰ τὴν ἔξω προϊοῦσαν καὶ μεταβαλλομένην ζωήν· ὅταν αὐτὴ περὶ τὰ δεύτερα καὶ μεριστὰ ὅλη στρέφηται, πρὸς ταῦτα καὶ ἐνεργούσης, δόξῃ μετ’ αἰσθήσεως χρωμένης, ἀλλ’ οὐ πρὸς τὰ ἐπιστητά, ἅπερ τὰ ἐν αὐτῇ ἐστι πράγματα, οὐδὲ



Metaphrase zu Theophrasts Physik 517

er nicht geistig erfasst, ist er, insofern er nicht die Dinge ist, auch nicht Geist? Gewiss denkt sowohl der wirklich seiende Geist als auch der in Möglichkeit befindliche, an dem die Seele teilhat, insofern er selbst, wenn auch nur in sekundärer Weise, dem Sein nach Tätigkeit ist. Im Hinblick auf die Einzelseele würde die Schwierigkeit aber Bestand haben: Denn diese denkt ja nicht immer. [29, 26] Ist er [der Geist] folglich nichts, bevor er geistig erfasst?32 Er ist zwar wie die Materie, wird aber durch die von außen kommenden Dinge geformt, sobald er [sie] erkennt.33 Aber die Seele ist auch etwas, bevor sie weiß; sie nimmt ihren Anfang nicht von außen, sondern aus sich selbst heraus; sie bringt das Erkennbare hervor34 und findet die Dinge, indem sie in sich selbst hineingeht.35 Vor dem Erkennen also ist sie die Dinge, aber da die Seele auch darin in irgendeiner Form geteilt ist, weil sie nicht ihrem Sein nach Tätigkeit ist, wohl aber eine sekundäre Wissenstätigkeit besitzt, die von ihrem Sein ausgeht,36 wie es auch der Fall ist, wenn sie nicht weiß, so ist sie die Dinge auch nicht in tätiger Form, [30] sondern in ihrem Sein.37 Es ist nämlich auch erforderlich, die Dinge in ihr der Seele gleichrangig zu denken: Sie sind nicht in ihrem Sein gedacht, sondern durch eine erkennende Tätigkeit, und erkennbar werden sie durch die sekundäre und vom Sein ausgehende Tätigkeit – obgleich bei der Seele weder das Sein noch die Tätigkeit einfach und eingestaltig38 sind, da ein Teil bleibt, ein anderer sich jedoch verändert, wobei das sich Verändernde bei dem Bleibenden hervorgeht und die ganze Seele beiden gemäß betrachtet wird,39 dadurch selbst zugleich bleibend und sich verändernd. Und damit ist sie zugleich immer tätig, gemäß ihrer verborgenen und mit der bleibenden Substanz angeborenen Tätigkeit und gemäß der nach außen hervorgehenden und sich verändernden Lebensform, wenn sie sich ganz dem Sekundären und Geteilten zuwendet und auf dieses hin tätig ist, hierbei die mit Sinneswahrnehmung verbundene Meinung gebrauchend, aber nicht auf die Gegenstände des Wissens hin,40 welche die Dinge in ihr sind, und noch weniger auf die Gegenstände des geistigen

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Priskian von Lydien · Text

ἔτι μᾶλλον πρὸς τὰ νοητά, οἷς διὰ τῶν ἐπιστητῶν συνάπτεται κατὰ μίαν οἷον συνέχειαν. καὶ ὅταν δὴ πρὸς τὰ ἐν αὐτῇ μένοντα τὴν προβεβλημένην ἐπανακαλέσηται ζωήν τε καὶ ἐνέργειαν, οὐ περὶ πάντα ἅμα ἐνεργεῖ, ἀλλὰ νῦν μὲν τάδε νῦν δὲ ἄλλα διὰ τὴν μεριστὴν φύσιν.

[30, 15] Τὸ οὖν δυνάμει καὶ ἐνεργείᾳ κατὰ τὴν μεταβολήν. ἢ ὅταν

μὴ παρῇ ἡ προϊοῦσα ἐνέργεια καθ’ ἣν ἡ ἐπιστήμη, τότε τὴν ταύτης προβλητικὴν τὴν μένουσαν οὐσίαν δυνάμει φαμέν, οὖσαν μὲν τὰ πράγματα, οὐκ ἐνεργοῦσαν δὲ κατὰ τὴν προϊοῦσαν ἐνέργειαν. κἂν οὖν μὴ πάντα ἅμα, ἄλλοτε δὲ ἄλλα γινώσκῃ, οὐ διὰ τοῦτο καὶ ἔστιν ἄλλοτε ἄλλα καὶ οὐδέποτε τὰ αὐτά, διότι οὐ πάντῃ μεταβάλλεται, ἀλλ’ ἔστι τι καὶ τὸ μένον ἐπὶ τῆς ψυχῆς, καθὰ ἀεὶ ἕστηκεν ἐν αὐτῇ τὰ πράγματα. καὶ γὰρ ἄτοπον, φησίν, εἰ δυνάμει μὲν ὢν μηδέν ἐστιν, ἐνεργείᾳ δὲ ἕτερος ὅταν μὴ ἑαυτὸν νοῇ, τῷ δὲ ἄλλο καὶ ἄλλο νοεῖν οὐδέποτε ὁ αὐτός. ἄκριτος γάρ τις αὕτη γε καὶ ἄτακτος ἡ φύσις – ἄριστα ἐλέγχων τοὺς δυνάμει πάντα καὶ μηδὲν εἶναι καθ’ αὑτὸν ‹τὸν› νοῦν ὑποτιθεμένους. πρῶτον μὲν γὰρ ὅταν μὴ νοῇ οὐδὲν ἔσται· ἔπειτα δὲ καὶ νοῶν, ὅταν ἄλλα καὶ μὴ ἑαυτὸν νοῇ, ἕτερόν τι ἔσται καὶ οὐκ αὐτός, καὶ ἄλλοτε ἄλλος καὶ ἀεὶ μεταβαλλόμενος. διό φησιν, οὐχ οὕτω ληπτέον, ἀλλ’ ὡς ἐλέχθη πρότερον ἐν οἷς ἠξίου κατὰ



Metaphrase zu Theophrasts Physik 519

Erfassens, mit welchen sie durch die Gegenstände des Wissens gleichsam in einem einzigen Zusammenhang verbunden ist. Und wenn sie das hervorgebrachte Leben und die Tätigkeit zu den bleibenden Dingen in ihr zurückruft, so ist sie nicht im Hinblick auf alles zugleich41 tätig, sondern wegen ihrer geteilten Natur mal auf dieses und mal auf jenes hin.

Möglichkeit und Wirklichkeit des Geistes [30, 15] »In Möglichkeit« und »verwirklicht« sind also gemäß

der Veränderung zu verstehen. Wenn die hervorgehende Tätigkeit, der das Wissen entspricht, nicht anwesend ist, nennen wir das bleibende Sein »in Möglichkeit«, insofern es fähig ist, sie [die Tätigkeit] hervorzubringen: da es zwar die Dinge ist, aber nicht auf tätige Weise gemäß der hervorgehenden Tätigkeit. Und wenn sie [die Seele] folglich nicht alles zugleich, sondern zu verschiedenen Zeiten Unterschiedliches erkennt, ist sie doch hierdurch keineswegs zu verschiedenen Zeiten anderes und niemals dasselbe, da sie sich nicht vollständig wandelt, sondern es etwas Bleibendes in der Seele gibt, dem gemäß die Dinge in ihr immer existieren. Denn es ist ungereimt, sagt er [Theophrast], wenn er [der Geist] als in Möglichkeit Seiendes nichts wäre, in verwirklichter Form aber etwas [von sich] Verschiedenes, sofern er sich nicht selbst geistig erfasst, und er so dadurch, dass er einmal dieses und einmal ein anderes geistig erfasst, niemals derselbe wäre. Denn dies wäre eine sehr verworrene und ungeordnete Natur. Auf diese Weise widerlegt er überzeugend diejenigen, die annehmen, dass der Geist in Möglichkeit alles und in sich selbst nichts ist.42 Denn erstens wäre er nichts, solange er nicht geistig erfasst; zweitens aber wäre er, sogar wenn er geistig erfasst, solange er anderes und nicht sich selbst geistig erfasst, etwas Verschiedenes und nicht er selbst, weil er zu jedem Zeitpunkt ein anderer und immer im Wandel begriffen wäre. Deshalb sagt er [Theophrast], dass dies nicht so zu verstehen sei, sondern im bereits zuvor genannten Sinne,43 nämlich so, dass »in Möglich-

520

Priskian von Lydien · Text

ἀναλογίαν ἀκούειν τὸ δυνάμει καὶ ἐνεργείᾳ, καὶ μὴ ὡς ἐπὶ τῆς ὕλης οὕτω καὶ ἐπὶ τοῦ νοῦ· τόδε γάρ τι εἶναι τὸν νοῦν· μηδὲ μὴν ὡς [31] ἐπὶ τῆς αἰσθήσεως· αὕτη μὲν γάρ, ὡς καὶ νῦν ἐπάγει, οὐκ ἄνευ σώματος, ὁ δὲ χωριστός. διὸ τῶν ἔξω προελθόντων οὐ δεῖται πρὸς τὴν τελείωσιν. καὶ ὅταν ἄρα μὴ γινώσκῃ ἡ ψυχή, ἐνεργείᾳ πάντα ἐστὶ κατὰ τὴν μένουσαν καὶ οὐσιώδη τελειότητα, ἐλλείπει δὲ ἡ κατὰ προβολὴν ἐνέργεια· διὸ δυνάμει ὡς πρὸς ταύτην· καὶ ἐπειδὴ συμφυής ἐστι τοῖς ἐπιστητοῖς, ὅταν ὁτιοῦν ἐπίστηται, ἐνεργείᾳ οὖσα ὅπερ τὸ ἐπιστητὸν οὐχ ἑτέρα ἐστὶν ἑαυτῆς, διότι αὕτη κατὰ τὰ ἐπιστητὰ πάντα οὐσίωται.

[31, 8] ἀλλὰ δὴ φαίνεται καὶ γινομένη πως. ὅταν γὰρ οὕτως ἕκα-

στα γένηται ὡς ἐπιστήμων κατ’ ἐνέργειαν λέγεται, τοῦτο δὲ συμβαίνειν φαμὲν ὅταν δύνηται δι’ ἑαυτοῦ ἐνεργεῖν, ἔστι μὲν οὖν καὶ τότε δυνάμει πως, οὐ μὴν ὁμοίως καὶ πρὶν μαθεῖν καὶ εὑρεῖν. ὑπὸ τίνος οὖν ἡ γένεσις καὶ πῶς, εἴτ’ οὖν [ἢ] ἕξεως καὶ δυνάμεως εἴτε οὐσίας; ἔοικε δὲ μᾶλλον ἕξεως, αὕτη δὲ οἷον τελεοῦν τὴν φύσιν. γίνεται μὲν οὖν πως ἡ ψυχὴ ἐπειδὴ μὴ ἔστι μονοειδὴς ὡς τὰ νοερὰ, μηδὲ καθαρῶς μόνιμος· ἅμα δὲ μένει καὶ ἔμφυτον ἔχει τὴν μεταβολήν, ἀμφίβολός τέ ἐστι διὰ τὴν μεσότητα καὶ τὴν ἐν κινήσει ἀφοριζομένην ζωήν. διὸ καὶ εἰς ἄγνοιαν ὑποφέρεται



Metaphrase zu Theophrasts Physik 521

keit« und »verwirklicht« auf analoge Weise zu verstehen sind, und dass sie nicht so, wie im Hinblick auf die Materie, auch im Blick auf den Geist zu verstehen sind (denn der Geist ist ein bestimmtes Dieses), und auch nicht wie [31] im Hinblick auf die Sinneswahrnehmung. Diese geht nämlich, wie er [Theophrast] jetzt hinzufügt, nicht ohne den Körper, er [der Geist] aber ist abgetrennt.44 Deshalb bedarf der Geist nicht der äußeren Vorgänge zu seiner Vervollkommnung. Und auch wenn die Seele nicht erkennt, ist sie in verwirklichter Form alles, gemäß ihrer bleibenden und wesenhaften Vollendung, aber ihre Tätigkeit gemäß der Hervorbringung fehlt. Deshalb ist sie im Hinblick auf diese in Möglichkeit. Und aufgrund ihrer Verwandtschaft mit den Gegenständen des Wissens ist sie, wenn sie irgendetwas weiß, obwohl sie in verwirklichter Form wie der Wissensgegenstand ist, nicht von sich selbst verschieden, weil sie gemäß allen Wissensgegenständen in ihrem Sein konstituiert ist.

Das Werden der Seele [31, 8] Sie [die Seele] scheint jedoch tatsächlich in irgendeiner

Weise im Zustand des Werdens zu sein. Wenn sie nämlich ein jedes in dem Sinne geworden ist, wie man es von dem in Wirklichkeit Wissenden behauptet (dies trifft dann zu, wenn dieser sich kraft seiner selbst theoretisch betätigen kann), so ist sie zwar auch dann irgendwie in Möglichkeit, aber nicht in derselben Weise wie vor dem Erlernen oder Finden.45 Wodurch also und wie erfolgt ihr Werden: durch einen Habitus bzw. ein Vermögen oder durch ihr Sein? Es scheint eher durch einen Habitus bewirkt zu werden, dieser aber ist so beschaffen, dass er die Natur vollendet.46 Die Seele weist also in irgendeiner Weise ein Werden auf, weil sie nicht, wie die Dinge, die des geistigen Erfassens fähig sind, eingestaltig ist und auch nicht in Reinform beständig bleibt: Zugleich bleibt sie und hat einen Wandel in ihrer Natur; sie ist zweigestaltig durch ihre Mittelstellung und ihr von Veränderung bestimmtes Leben.47 Deshalb wird sie gemäß ihrer Neigung zum Niederen in die

522

Priskian von Lydien · Text

κατὰ τὴν εἰς τὸ χεῖρον ῥοπὴν καὶ τῇ ἐπιστήμῃ αὖ τελεοῦται κατὰ τὴν ἐπὶ τὸ κρεῖττον στροφήν. διὸ καὶ ἀτελής ποτε γίνεται καὶ τελεία, ὅταν μὲν ἀγνοῇ ἀτελὴς καὶ διὰ τοῦτο δυνάμει, ἐπειδὴ τὴν τοῦ γνῶναι δύναμιν ἔχει καὶ τότε· ὅταν δὲ ἐπίστηται τελεία. διὸ ἐνεργεῖ μὲν ‹καὶ ἐν› τῷ ἐνεργεῖν ἡ τελειότης· ἐπεὶ δὲ καὶ ὅταν ἐπίστηται οὐ πάντως ἐνεργεῖ, δυνάμει μέν ἐστι καὶ τότε, οὐ μὴν ὁμοίως ὥσπερ καὶ πρὶν μαθεῖν ἢ εὑρεῖν, ἅτε τὴν ἕξιν ἤδη ἀπειληφυῖα καὶ τελεώσασα τὴν τῶν ἐπιστημονικῶν ἐνεργειῶν προβλητικὴν δύναμιν. [31, 24] ὑπὸ τίνος οὖν, φησίν, ἡ γένεσις, εἴτε ἕξεως καὶ δυνάμεως

εἴτε οὐσίας; τουτέστι πότερον καθ’ ἕξιν μόνην καὶ δύναμιν ἐν τῇ ψυχῇ ἡ μεταβολὴ ἢ καὶ κατ’ οὐσίαν; Ἐπεὶ οὖν ἀπὸ τῆς οὐσίας αἵ τε ἕξεις καὶ ἐνέργειαι, ἀδύνατον ὑποτίθεσθαι τὴν οὐσίαν μέν­ ουσαν πάντῃ ἀμετάβλητον καὶ ἀεὶ ὡσαύτως ἔχουσαν, ποτὲ μὲν τελείων καὶ ἀγαθοειδῶν ἐνεργειῶν εἶναι ἀποδοτικήν, ποτὲ δὲ ἀτελῶν καὶ διεστραμμένων. αἱ γὰρ οὐσίαι τῶν ἐνεργειῶν αἰτίαι, καὶ ὁποῖαι ἂν ὦσιν αἱ ἐνέργειαι τοιοῦτον ἡμῖν καὶ τῆς δυνάμεως καὶ τῆς οὐσίας τὸ εἶδος συλλογίζεσθαι παρέχονται.

[31, 32] εἰ δὲ διττὴν ἐν ἡμῖν οὐσίαν νοοῖτό τις καὶ διττὰς δυνάμεις τε καὶ ἐνεργείας, καὶ τὰς μὲν ἀεὶ τελείας, [32] τὰς δὲ ποτὲ μὲν

ἀτελεῖς ποτὲ δὲ τελείας οἰηθείη, εἰ μὲν διεσπασμένας, πολλὰ ζῷα τὸ ἓν ποιήσει καὶ παντελῶς ἀποστήσει τὴν κρείττονα οὐσίαν, ὡς μήτε ἄρχουσαν τῆς ζωῆς μήτε κοινόν τι ἔχουσαν, εἴ γε κατὰ τὴν δευτέραν τὸ παρὰ μέρος ἀτελές τε καὶ τέλειον, ἐν ᾧ ἡ



Metaphrase zu Theophrasts Physik 523

Unwissenheit gestürzt, und durch das Wissen wiederum gemäß ihrer Wendung zum Höheren vollendet. Deswegen wird sie zeitweise unvollendet und zeitweise vollendet: Wenn sie nicht weiß, ist sie unvollendet und hierdurch in Möglichkeit, weil sie dann die Möglichkeit hat zu erkennen; wenn sie hingegen weiß, ist sie vollendet. Deshalb ist sie tätig, und ihre Vollendung liegt in ihrer Tätigkeit. Aber da sie auch dann, wenn sie weiß, nicht vollständig tätig ist, ist sie dann auch in Möglichkeit, aber nicht in gleicher Weise wie vor dem Erlernen oder Finden, da sie ja bereits einen Habitus erworben und das zur Hervorbringung ihrer Wissenstätigkeiten fähige Vermögen vollendet hat? [31, 24] Wodurch also, fragt Theophrast, erfolgt ihr Werden: durch einen Habitus bzw. ein Vermögen oder durch ihr Sein? Das heißt: Findet die Veränderung in der Seele allein dem Habitus und dem Vermögen nach oder auch dem Sein nach statt? Da nun sowohl die Habitus als auch die Tätigkeiten vom Sein ausgehen, ist es unmöglich, ihr Sein als ein gänzlich unveränderlich bleibendes und sich immer gleich verhaltendes anzunehmen, von dem bald vollendete und gutförmige, bald unvollendete und verderbte Tätigkeiten ausgehen. Denn die Seinsformen sind die Ursachen der Tätigkeiten, und die Beschaffenheit der Tätigkeiten bietet uns damit eine Grundlage, um auf die Form des Vermögens und des Seins zu schließen.

Über die Einzelseele [31, 32] Wenn aber jemand denken sollte, dass es in uns zwei

Seinsformen sowie auch zwei Vermögen und Tätigkeiten gebe, und annehmen sollte, dass die eine Art immer vollendet [32], die andere zeitweise vollendet und zeitweise unvollendet sei, wenn [er also annehmen sollte, dass] sie entzweit seien, so würde er das eine in viele Lebewesen verwandeln und das höhere Sein vollständig absondern, als ob es auf das Leben weder einen ursächlichen Einfluss noch etwas mit ihm gemeinsam hätte, insofern es nämlich gemäß dem zweiten [Sein] abwechselnd sowohl

524

Priskian von Lydien · Text

ἀνθρωπεία ὁρίζεται ζωή. εἰ δὲ σχέσεις λέγων διττὰς ἢ λόγους ἢ ζωὰς τὴν ἕνωσιν τοῖν δυοῖν μὴ ἀναιροίη, ἵνα μὴ χορῷ ἢ ἄλλῳ πλήθει προσεοίκῃ τὸ ἡμέτερον, συνέρχηται δὲ εἰς ἓν πάντα καὶ πρὸς μίαν συμφύηται ἀρχήν, τὸ ἓν τοῦτο ζητήσωμεν, πότερον μονοειδές ἐστι καὶ ἀκήρατον πάντῃ καὶ ἀμετάβλητον. ἀλλ’ οὕτω πάλιν οὐδεμία ἔσται ποτὲ ἐν ταῖς ψυχαῖς ἢ κατ’ οὐσίαν ἢ κατ’ ἐνέργειαν ἀτέλεια ἢ κακία ἢ πάθος· ἀκολουθοῦσι γὰρ τῇ οὐσίᾳ καὶ αἱ ἐνέργειαι. ἀλλ’ οὐδὲ πάντῃ μεταβαλλόμενον οἷόν τε συγχωρεῖν· διαμένει γὰρ ἡ ζωὴ ἐν ταῖς μεταβολαῖς.

[32, 13] Ἄμφω ἄρα κατὰ τὸν Ἰάμβλιχον ἡ μερικὴ ψυχὴ ἐξ ἴσου συ-

νείληφε, καὶ τὸ μόνιμον καὶ τὸ μεταβαλλόμενον, ἵνα καὶ ταύτῃ ἡ μεσότης σώζηται. τὰ μὲν γὰρ κρείττω μόνιμα μόνως, τὰ δὲ θνητὰ πάντῃ μεταβλητά. ἡ δὲ μερικὴ ψυχή, ὡς μέση πᾶσι τοῖς περικοσ­μίοις γένεσι συμμεριζομένη τε καὶ συμπληθυνομένη, οὐ μόνον μένει ἀλλὰ καὶ μεταβάλλει τοσαύτας διαζῶσα μεριστὰς ζωάς. καὶ οὐ κατὰ τὰς ἕξεις μόνας ἀλλὰ καὶ κατὰ τὴν οὐσίαν μεταβάλλεταί πῃ. ὃ δή, οἶμαι, καὶ αὐτὸς ἐνδεικνύμενος ἔοικε μᾶλλον, φησίν, ἕξεως. διαφαίνεται μὲν γὰρ ἡ κατὰ τὰς ἕξεις μεταβολὴ καὶ τελείωσις· διὸ μᾶλλον· αὐτὸ δὲ τὸ μᾶλλον φάναι ᾐνίξατο καὶ τὴν κατ’ οὐσίαν τελείωσιν. διὸ καὶ ἐπάγει· αὕτη δὲ οἷον τελεοῦν τὴν φύσιν, τοῦ ἐνεργοῦντος δηλαδὴ ὡς οὐ πρότερον οὖσαν τελείαν· οὐδὲ γὰρ ἂν πάντῃ τελείας οὔσης τῆς οὐσίας ἀτελὴς ἦν ἥ τε ἕξις καὶ ἡ ἐνέργεια ἀπὸ μόνης προϊοῦσα τῆς οὐσίας.

[32, 25] Ἐφεξῆς δὲ καὶ αὐτός, ὥσπερ ὁ Ἀριστοτέλης, τιθέμενος

ἔνια μὲν ἄϋλα τῶν εἰδῶν, ἐφ’ ὧν ταὐτὸν αὐτό τε ἕκαστον καὶ τὸ εἶναι αὐτῷ· τὸν γὰρ λόγον καὶ τὸ εἶδος τὸ εἶναι δηλοῖ, αὐτὸ δὲ



Metaphrase zu Theophrasts Physik 525

Unvollendetes als auch Vollendetes gibt, wodurch das menschliche Leben bestimmt ist. Aber wenn er durch die Rede von zweierlei Relationen, Gehalten oder Lebensformen nicht ihrer beider Einheit aufhebt, so dass das zu uns Gehörende einem Chor oder einer anderen Menge ähnelte, sondern damit alles in einem zusammenkommt und gemeinsam auf ein Prinzip hin zusammenwächst, so lasst uns dieses Eine ins Auge fassen, ob es eingestaltig, gänzlich rein und unveränderlich ist. Aber auf diese Weise wird es wiederum in den Seelen weder dem Sein noch der Tätigkeit nach Unvollendetheit, Schlechtigkeit oder Erleiden geben, denn die Tätigkeiten folgen dem Sein. Aber es ist auch nicht möglich, dass es gänzlich veränderlich ist, denn sein Leben hält sich in allen Veränderungen durch. [32, 13] Die Einzelseele hat also nach Jamblich48 beides gleichermaßen empfangen, das Bleibende und das sich Verändernde, so dass hierin ebenfalls ihre Mittelstellung gewahrt bleibt. Das Höhere ist nämlich ausschließlich bleibend, das Sterbliche hingegen gänzlich veränderlich. Die Einzelseele, die in ihrer Mittelstellung zusammen mit allen in der Welt seienden Gattungen geteilt und vervielfacht wird, bleibt nicht nur, sondern wandelt sich auch, indem sie so viele Teilleben durchlebt. Und sie verändert sich nicht nur in ihren Habitus, sondern irgendwie auch in ihrem Sein.49 Dies sagt er [Theophrast] meiner Meinung nach auch selbst, wenn er beweist, dass es eher eine Sache des Habitus scheint. Denn die Veränderung und Vervollkommnung gemäß den Habitus tritt deutlich zu Tage: deshalb »eher«. Aber seine Ausdrucksweise »eher« deutete selbst auch die Vervollkommnung im Sein an. Deshalb fährt er fort: Dieser vollendet gleichsam die Natur; offensichtlich die [Natur] des Tätigen, weil sie zuvor nicht vollendet war. Denn wäre das Sein selbst gänzlich vollendet, so wären weder der Habitus noch die Tätigkeit, die ja allein vom Sein hervorgeht, unvollkommen. [32, 25] Als nächstes nimmt Theophrast, wie Aristoteles, 50 an, dass einige der Formen immateriell sind, bei denen jedes einzelne identisch mit seinem So-Sein 51 ist: Denn das So-Sein

526

Priskian von Lydien · Text

τὴν ὅλην ὑπόστασιν, ἐπὶ δὲ τῶν ἀΰλων κατὰ μόνον καὶ τὸ εἶδος καὶ τὸν λόγον ἡ ὅλη ὑπόστασις· ἔνια δὲ ἔνυλα, ἐφ’ ὧν ἕτερον αὐτὸ καὶ τὸ εἶναι αὐτῷ· κατὰ γὰρ τὸ συναμφότερον αὐτό, τὸ δὲ εἶναι πάλιν κατὰ τὸ εἶδος· ἐπειδὴ ἀμφοτέρων θεωρητικὸς ὁ δυνάμει νοῦς, ζητεῖ, πῶς ἑκάτερα, καὶ πῶς τὰ ἐν ὕλῃ καὶ ἀφαιρέσει· καὶ γὰρ αὐτὰ τὰ ἔνυλα ἢ κατὰ τὸ συναμφότερον ἢ κατὰ μόνον θεωρεῖ τὸ εἶδος.

[32, 33] διακέκριται μὲν οὖν ταῦτα σαφέστερον παρὰ τοῖς γνη-

σίοις τοῦ Ἀριστοτέλους ἐξηγηταῖς, τῷ τε Ἰαμβλίχῳ καὶ τῷ Νεσ­ τορίου Πλουτάρχῳ φημί· μνηστέον δ’ ἔτι καὶ ἡμῖν δι’ ὀλίγων [33] τὰ ζητούμενα διευκρινοῦσι. φημὶ τοίνυν τὸν δυνάμει νοῦν, τόν τε μετεχόμενον ὑπὸ τῆς ψυχῆς καὶ αὐτὴν τὴν λογικήν, ὅταν καθαρῶς τῷ λόγῳ χρῆται καὶ μὴ σὺν αἰσθήσει καὶ φανταστικῶς εἰς τὰ ἔξω ἀποτείνηται, τὰ ἐν αὐτῇ θεωροῦσαν εἴδη καὶ τοὺς ἐν αὐτῇ ἀύλους λόγους, κατὰ τούτους καὶ τὰ ἄυλα καὶ τὰ ἔνυλα θεωρεῖν, τὰ μὲν κατὰ ταὐτότητα καὶ τὴν πρὸς ἄλληλα τῶν ἀύλων ἕνωσιν, τὰ δὲ ὡς ἀπὸ αἰτίας τὰ πρὸς τὴν αἰτίαν ὅμοια. ὡς γὰρ ὁ ἐνεργείᾳ νοῦς ἑαυτὸν νοῶν καὶ τὰ μεθ’ ἑαυτὸν ἅπαντα γινώσκει, ἅτε αὐτὸς ὢν τὰ αἰτιώδη πράγματα καὶ ἀπὸ αἰτίων τούτων καὶ τὰ αἰτιατὰ κρειττόνως ἢ ἔστιν ἐκεῖνα νοῶν, οὕτω καὶ ὁ δυνάμει νοῦς δευτέρως ἀπὸ τῶν ἐν αὐτῷ προσεχῶν αἰτίων γινώσκει τὰ ἔνυλα, ἄυλα μὲν εἰδὼς τὰ ἐν ἑαυτῷ, αἴτια δὲ



Metaphrase zu Theophrasts Physik 527

offenbart den (begrifflichen) Gehalt und die Form, das einzelne aber [offenbart] die ganze Existenz. Bei den immateriellen Dingen aber ist die ganze Existenz ausschließlich gemäß der Form und dem (begrifflichen) Gehalt. Einige Formen sind hingegen materiegebunden, und bei ihnen ist das einzelne selbst von seinem So-Sein verschieden: Das einzelne selbst ist gemäß jedem von beiden,52 das So-Sein dagegen ist gemäß der Form. Da der in Möglichkeit befindliche Geist beides betrachten kann, fragt Theophrast: Auf welche Weise betrachtet der Geist jedes von beiden, d. h. wie betrachtet er die materiegebundenen und wie die abstrahierten Formen? Die materiegebundenenen Formen nämlich betrachtet er entweder gemäß jedem von beiden oder allein gemäß der Form. [32, 33] Dies ist nun deutlicher bei den zuverlässigen Auslegern des Aristoteles (ich spreche von Jamblich und Plutarch, dem Sohn des Nestorios53) unterschieden worden. Erwähnt werden muss das aber mit kurzen Worten auch von uns, [33] indem wir das Gesuchte sorgfältig bestimmen. Ich sage also, dass der in Möglichkeit befindliche Geist, sowohl der, an dem Seele teilhat, als auch die Vernunftseele selbst, wenn sie die Vernunft in reiner Form gebraucht und sich nicht mittels Sinneswahrnehmung und Vorstellungskraft auf das Äußere erstreckt, sondern in sich die Formen und die in ihr vorhandenen immateriellen Gehalte betrachtet, diesen [Gehalten] gemäß sowohl das Immaterielle als auch das Materiegebundene betrachtet, das eine [das Immaterielle] gemäß der Identität und der Einheit des Immateriellen miteinander, das andere [das Materiegebundene] gleichsam aus seinem Grunde als das der Ursache Ähnliche. Wie nämlich der verwirklichte Geist, indem er sich selbst denkt, auch alles nach ihm Kommende erkennt, da er ja selbst die ursächlichen Dinge ist und von diesen Ursachen her auch das Verursachte auf einer höheren Stufe als derjenigen geistig erfasst, auf der jenes selbst existiert, so erkennt auch der in Möglichkeit befindliche Geist das Materiegebundene auf sekundäre Weise von den in ihm gegenwärtigen unmittelbaren Ursachen her, indem er das Immaterielle als das in ihm selbst Seiende, aber auch als Ursache

528

Priskian von Lydien · Text

τῶν ἐνύλων. Γινώσκει δὲ τὰ ἔνυλα οὐχ ὡς ἡ αἴσθησις. αὕτη μὲν γὰρ ὡς μερικὰ κατὰ τὰς ποιότητας, οἷον ὡς θερμὰ ἢ ψυχρὰ ἢ λευκὰ ἤ τι τοιοῦτον· ὁ δὲ νοῦς καὶ ἡ λογικὴ ζωὴ τὰς οὐσίας καὶ κατὰ τὰ τῶν ἐνύλων κοινὰ εἴδη. ἆρα οὖν ὅτι θερμὸν τὸ πῦρ οὐκ εἴσεται; ἢ καὶ αἱ ποιότητες καὶ τὰ συμβεβηκότα πάντα ἀπὸ τῆς ἑκάστης προΐασιν οὐσίας. διὸ ὁ τὴν οὐσίαν εἰδὼς νοῦς ** καὶ τὰ συμβεβηκότα κρειττόνως τῷ τῆς οὐσίας γνωρίζεται λόγῳ.

[33, 17] ἀλλὰ τὸ προκείμενον, πῶς ἑκάτερα γινώσκει ἡ ψυχή, τά

τε ἄυλά φημι καὶ τὰ ἔνυλα. ἤ, ὡς εἴρηται, ἄμφω μὲν κατὰ τοὺς ἐν αὑτῇ λόγους, ἀλλὰ τὰ μὲν ὡς σύστοιχα τοῖς ἐν ἑαυτῇ ἢ καὶ ὡς κρείττω, τὰ δὲ ὡς αἰτιατά. τὰ δὲ ἐν ἀφαιρέσει ἐστὶ μέν πως τὰ αὐτὰ τοῖς ἐνύλοις εἴδεσιν, ἐπινοεῖται δὲ καθ’ αὑτά, τουτέστιν οὐ μετὰ τῆς ὕλης· ἐπεὶ οὐδὲ ὑφέστηκε χωριστῶς οὐδὲ νοεῖται ὡς χωριστῶς οὐσιωμένα. ἀλλ’ ὅταν μὲν μετὰ τῆς ὕλης αὐτὰ γινώσ­ κωμεν, τότε ὡς ἔνυλα, ὅταν δὲ ὡς εἴδη μόνον εἰδότες ὅτι ἐν ὕλῃ καὶ οὐκ ἄλλως ὑφέστηκε, τότε ἐξ ἀφαιρέσεως.

[33, 25] Ἆρα οὖν ἑτέρῳ ἢ ἑτέρως ἔχοντι κρίνει τά τε ἄυλα καὶ τὰ

ἔνυλα, καὶ τὰ ἐν ὕλῃ αὖ καὶ τὰ ἐξ ἀφαιρέσεως, ἢ τῷ αὐτῷ καὶ



Metaphrase zu Theophrasts Physik 529

des Materiegebundenen weiß. Er erkennt jedoch das Materiegebundene nicht so wie der Wahrnehmungssinn: Jener [erkennt sie] nämlich als Einzeldinge durch Qualitäten wie warm, kalt, weiß oder ähnliches. Der Geist hingegen und das Verstandesleben [erkennen] die Substanzen auch durch die gemeinsamen Formen der materiegebundenen Dinge. Sollte er also nicht etwa wissen, dass das Feuer warm ist? Die Qualitäten und alle Akzidenzien gehen doch aus jeder einzelnen Substanz hervor. Deshalb gilt: Der Geist, der die Substanzen weiß,54 erkennt auf einer höheren Stufe die Akzidenzien durch den (begrifflichen) Gehalt der Substanz.55

Der Erkenntnisprozess der Seele [33, 17] Aber das vorliegende Problem besteht darin, wie die Seele

beides erkennt, ich meine sowohl die immateriellen als auch die materiegebundenen [Formen]. Tatsächlich erkennt sie, wie gesagt, beides gemäß der in ihr56 vorhandenen Gehalte, aber diese [immateriellen Formen] als mit den in ihr befindlichen gleichrangig oder sogar höher, jene [materiegebundenen Formen] hingegen als verursacht. Die abstrahierten Formen sind zwar auf irgendeine Weise dasselbe wie die materiegebundenen Formen, werden aber an sich gedacht,57 d. h. nicht in Verbindung mit der Materie: Denn weder existieren sie in abgetrennter Form, noch werden sie als mit einem wesenhaft abgetrennten Sein ausgestattet gedacht. Aber wenn wir sie mit der Materie erkennen, dann [erkennen wir sie] als materiegebundene, wenn aber allein als Formen, im Bewusstsein, dass sie in der Materie und auf keine andere Weise existieren, dann [erkennen wir sie] durch Abstraktion. [33, 25] Beurteilt sie [die Seele] also kraft verschiedener Vermögen oder kraft desselben Vermögens, das sich aber unterschiedlich verhält,58 das Immaterielle und das Materiegebundene sowie das in der Materie Befindliche und das aus der Abstraktion Stammende, oder aber kraft desselben Vermögens, das sich auf dieselbe

530

Priskian von Lydien · Text

ὡσαύτως ἔχοντι; ἢ ἄμφω ἀληθῆ· καὶ γὰρ τὸ αὐτὸ τῶν διαφόρων ἐστὶ κριτικόν, τὸ νοητικόν φημι καὶ ὡσαύτως ἔχον· κατὰ γὰρ τοὺς οἰκείους λόγους· καὶ ἑτέρῳ δέ πως καὶ ἑτέρως ἔχοντι, διότι ἢ ὡς αἰτίους θεωρεῖ τοὺς οἰκείους λόγους, ὅταν ἀπ’ αὐτῶν τὰ ἔνυλα θεωρῇ, ἢ ὡς συστοίχους τοῖς ἀύλοις, ἢ καὶ ὡς αἰτιατοὺς τῶν νοερῶν εἰδῶν, καὶ κατὰ τοῦτο ἑτεροιουμένοις καὶ ἑτέρως ἔχουσιν.

[33, 32] Ὅλως δὲ ὡς χωριστὰ τὰ πράγματα τῆς [34] ὕλης, οὕτω καὶ

τὰ περὶ τὸν νοῦν ἀμφότεροι ἀποφαίνονται ὅ τε Ἀριστοτέλης καὶ ὁ Θεόφραστος – ἢ τοῦτο δηλοῦντες, ὅτι, ὥσπερ τὰ ἔνυλα εἴδη τῇ ἐπινοίᾳ μόνῃ χωρίζεται τῆς ὕλης, καὶ ταύτῃ ἑτέρῳ καὶ ἑτέρως ἔχοντι κρίνεται, ὡς μόνῃ ἀποδιαλαμβανόμενα τῇ ἐπινοίᾳ, οὕτω καὶ τοῦ δυνάμει νοῦ κατὰ μόνην ἐπίνοιαν χωρίζεται τὰ εἴδη· ἐπεὶ κατ’ οὐσίαν ἀεὶ σὺν τοῖς εἴδεσιν ὑπάρχει· ἵνα καὶ ὅπως δυνάμει λέγεται καὶ μηδὲν ἐνεργείᾳ ἐπιστήσωμεν, ὅτι κατὰ μόνην ἐπίνοιαν – ἢ οὖν τοῦτο σημαίνουσιν (οὕτω γὰρ ἐξηγεῖται ὁ Πλούταρχος) ἢ ὅτι, ὥσπερ τὰ χωριστὰ τῆς ὕλης τὰ μέν ἐστιν ὄντως χωριστὰ ὡς τὰ ἄυλα, τὰ δὲ κατ’ ἐπίνοιαν ὡς τὰ κατ’ ἀφαίρεσιν,



Metaphrase zu Theophrasts Physik 531

Weise verhält? Oder ist beides zutreffend? Denn auch dasselbe Vermögen ist zur Beurteilung der Unterschiede fähig, ich meine das zu geistigem Erfassen Fähige und sich gleich Verhaltende, und zwar gemäß seinen eigenen Gehalten. Und auf gewisse Weise [vollzieht die Seele dies] durch etwas Verschiedenes und durch etwas [Gleiches,] sich verschieden Verhaltendes. Denn entweder betrachtet sie die eigentümlichen Gehalte als Ursachen, wenn sie die von ihnen stammenden materiegebundenen Dinge betrachtet, oder als etwas mit dem Immateriellen Gleichrangiges oder auch als etwas von den geistig erfassbaren Formen Verursachtes, und demgemäß als etwas unterschiedlich Gestaltetes und sich auf andere Weise Verhaltendes.

Die Abtrennung von der Materie [33, 32] Wie aber die zur Materie gehörigen Dinge abtrennbar sind, [34] so verhält es sich auch mit den Dingen beim Geist, wie beide,

Aristoteles und auch Theophrast, im Ganzen darlegen und dies [auf eine der folgenden Arten] verdeutlichen:59 (a) In der Weise, wie die materiegebundenen Formen allein durch das Nachdenken60 von der Materie abgetrennt und auf diese Weise mittels eines Verschiedenen und sich verschieden Verhaltendem als allein durch das Nachdenken Abgeschiedene beurteilt werden, so werden auch die Formen des in Möglichkeit befindlichen Geistes allein dem Nachdenken gemäß getrennt: Denn seinem Sein nach existiert er [der in Möglichkeit befindliche Geist] immer zusammen mit den Formen. So werden wir auch verstehen, auf welche Weise er als »in Möglichkeit« und in Bezug auf nichts als »verwirklicht« bezeichnet wird, weil allein dem Nachdenken gemäß [die Formen von ihm getrennt sind]. Entweder also meinen sie [Aristoteles und Theophrast] dies (so legt Plutarch sie aus), oder Folgendes: (b) Wie die von der Materie abgetrennten Dinge teils in Wirklichkeit abgetrennt sind (wie das Immaterielle), teils aber bloß im Nachdenken abgetrennt werden (wie das Abstrahierte), so werden auch beide geistig erfasst:

532

Priskian von Lydien · Text

οὕτω καὶ νοεῖται ἄμφω, τὰ μὲν ὡς ὄντως χωριστά, τὰ δὲ εἰ καὶ τῇ ἐπινοίᾳ χωρίζεται ἀλλ’ οὐκ ἂν ἄλλως ἢ ἐνύλως ὑφεστῶτα· ἢ μᾶλλον ἐκεῖνο, ὅτι τὰ περὶ τὸν νοῦν οὕτω θετέον ὥσπερ τὰ χωριστὰ καὶ ἄυλα διατιθέμεθα, ἵνα μὴ κατ’ ἐπίνοιαν ἀλλὰ κυρίως τὸ χωριστὸν ἀκούσωμεν. ὡς γὰρ τὰ ἄυλα εἴδη ὄντως χωριστά, οὕτω καὶ ὁ νοῦς χωριστός· καὶ γὰρ πρὸ τῶν ἐνύλων τὰ ἄυλα εἴδη ὑφεστάναι τε ἀνάγκη καὶ νοητῶς ὑφεστάναι, ἅτε ἀμέρισ­τα ὄντα καὶ ζωῆς ὅλα δι’ ὅλων καὶ γνώσεως ἡνωμένης πλήρη· ἡ γὰρ ἀζωΐα καὶ ἡ ἄγνοια κατὰ στέρησιν, ἡ δὲ στέρησις ἐν τῇ πρὸς ὕλην μίξει.

[34, 18] ἐπεὶ οὖν νοερὰ τὰ ἄυλα, δῆλον ὡς καὶ ἐν νῷ. καὶ ὁ νοῦς

αὐτός τέ ἐστιν ἄυλος καὶ τοῖς ἀύλοις συνουσίωται εἴδεσιν, εἴ γε ἀμέριστός ἐστιν ἡ ζωή τε καὶ ἡ γνῶσις εἰς ἑαυτὴν ἐστραμμένη καὶ ἐν ἑαυτῇ τὰ ὄντα εὑρίσκουσα. ἐπεὶ δὲ καὶ ἐν τοῖς ὄντως χωριστοῖς καὶ ἀύλοις πράγμασι διαφορά τίς ἐστι καθ’ ὑπόβασιν – τὰ μὲν γὰρ πάντῃ ἀμέριστα, τὰ δὲ μετά τινος ἀνελίξεως, τὰ δὲ μέσα ὡς ἀμέριστα μὲν ὁριστικὰ δὲ τῶν ἀνελιττομένων – οὕτω καὶ νοῦς πρώτως μὲν ὁ ἐνεργείᾳ χωριστός, δευτέρως δὲ ὁ δυνάμει ὢν μετεχόμενος ὑπὸ ψυχῆς καὶ αὐτὴ ἡ λογική. καὶ γὰρ αὕτη, εἰ καὶ μετὰ ἀνελίξεως, ἀλλὰ καὶ συνάγει καὶ εἰς τὸ ἀμέριστον συναιρεῖται, ἀφ’ ἑαυτῆς τε ἄρχεται καὶ ἐν αὑτῇ θεωρεῖ τὰ ὄντα· καὶ αὕτη ἄρα χωριστὴ καὶ τῶν χωριστῶν ἐστι [δὲ] πλήρης λόγων.

[34, 29] Πάλιν δὲ ὑπομιμνήσκει φιλοσοφώτατα ὁ Θεόφραστος

ὡς καὶ αὐτὸ τὸ εἶναι τὰ πράγματα τὸν νοῦν καὶ δυνάμει καὶ



Metaphrase zu Theophrasts Physik 533

die ersteren als in Wirklichkeit abgetrennt, die letzteren, auch wenn sie im Nachdenken abgetrennt werden, dennoch nicht auf eine andere Weise als materiegebunden existierend. Oder jenes ist eher [so zu verstehen], (c) dass die Dinge beim Geist in der Weise aufzufassen sind, wie wir auch das Abgetrennte und Immaterielle auslegen, damit wir »abgetrennt« nicht dem Nachdenken gemäß, sondern im eigentlichen Sinne verstehen. Wie die immateriellen Formen in Wirklichkeit abgetrennt sind, so ist auch der Geist abgetrennt. Denn es ist notwendig, dass die immateriellen Formen vor den materiegebundenen existieren, und zwar in einer zu geistigem Erfassen fähigen Form, da sie ungeteilt und als ganze durch ganze61 voll von Leben sowie einheitlichem Wissen sind. Die Leblosigkeit und die Unwissenheit sind der Privation gemäß, die Privation aber liegt in der Mischung mit der Materie.62 [34, 18] Da die immateriellen [Formen] zu geistigem Erfassen fähig sind, ist klar, dass sie auch im Geist sind. Auch der Geist selbst ist sowohl immateriell als auch mit den immateriellen Formen wesenhaft verbunden, zumindest insofern sein Leben ungeteilt und seine Erkenntnis auf sich selbst hingewendet ist und in sich das Seiende findet. Weil aber auch in den in Wirklichkeit abgetrennten und immateriellen Dingen ein gewisser Unterschied gemäß dem Herabstieg existiert – teils sind sie nämlich gänzlich ungeteilt, teils sind sie in einer gewissen Entfaltung,63 teils sind sie in einer Mittelstellung wie etwas zwar Ungeteiltes, das aber zur Bestimmung der entfalteten Dinge fähig ist –, so ist »Geist« in erster Linie der verwirklichte und abgetrennte, in sekundärer Form aber der in Möglichkeit befindliche, an dem die Seele teilhat, sowie die Verstandesseele selbst. Gewiss: Auch diese [Verstandesseele], obgleich sie im Zustand der Entfaltung ist, bringt zusammen und wird in das Ungeteilte zusammengefasst, und sie beginnt [ihre Tätigkeit] von sich selbst her und betrachtet in sich das Seiende. Auch sie ist also abgetrennt und voll von abgetrennten Gehalten. [34, 29] Von neuem ruft Theophrast die höchst philosophische Auffassung ins Gedächtnis zurück, dass auf angemessene Weise

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Priskian von Lydien · Text

ἐνεργείᾳ ληπτέον οἰκείως, ἵνα μὴ ὡς ἐπὶ ὕλης κατὰ στέρησιν τὸ δυνάμει, ἢ κατὰ τὴν ἔξωθεν καὶ παθητικὴν τελείωσιν τὸ ἐνεργείᾳ ὑπονοήσωμεν, ἀλλὰ μηδὲ [35] ὡς ἐπὶ αἰσθήσεως, ἔνθα διὰ τῆς τῶν αἰσθητηρίων κινήσεως ἡ τῶν λόγων γίνεται προβολή, καὶ αὕτη τῶν ἔξω κειμένων οὖσα θεωρητική· ἀλλὰ νοερῶς ἐπὶ νοῦ καὶ τὸ δυνάμει καὶ τὸ ἐνεργείᾳ εἶναι τὰ πράγματα ληπτέον· καθ’ ἕνωσιν μὲν ἀμέριστον καὶ ὅρον ἀκραιφνῆ καὶ τελειότητα ἡνωμένην τὸ ἐνεργείᾳ – ἔστι γὰρ ὁ ἐνεργείᾳ νοῦς τὰ πράγματα οὐ κατὰ μέθεξιν οὐδὲ διῃρημένως, οὐδ’ ὡς ἄλλος, ἀλλ’ οὐδ’ ὡς ὁριζόμενος ὑπ’ αὐτῶν ἢ τελειούμενος· ὡς δὲ αὐτὸς ὢν τὰ πράγματα καὶ ὁ πάντων ὅρος καὶ ἡ τελειότης –

[35, 8] κατὰ δὲ τὴν μεθ’ ἑτερότητος συναφὴν καὶ τὴν εἰς τὸ ὁρι-

ζόμενόν πως καὶ τελειούμενον ὑπόβασιν τὸ δυνάμει, διαφανέσ­ τερον μὲν ἐπὶ τῆς λογικῆς ψυχῆς τῆς ἑτερότητος ἐκφαινομένης, ὡς καὶ ἡ θεωρία αὐτῆς δηλοῖ μετὰ ἀνελίξεως συναιρουμένη τοῖς γνωστοῖς, οὔτε αὐτὴ πάντῃ μερισθεῖσα οὔτε διαστᾶσα τῶν πραγμάτων· οὐ γὰρ ἂν εἰς τὸ ἀμέριστον συνῃρεῖτο, οὐδ’ ἂν ἐφ’ ἑαυτῆς καὶ ἐν ἑαυτῇ ἐθεώρει τὰ γνωστά· ἀλλ’ οἷον κεχαλασμένην ἔχουσα τὴν πρὸς τὰ πράγματα ἕνωσιν. διὸ καὶ ἤρτηται τοῦ ἀκραιφνῶς ἡνωμένου, καὶ ταύτῃ δυνάμει. διαφανέστερος μὲν οὖν ὁ χαλασμὸς οὗτος ἐπὶ τῆς ψυχῆς, ἤδη δὲ καὶ ἐπὶ τοῦ μετ­ εχομένου ὑπ’ αὐτῆς νοῦ, διὰ τὴν ὑπόβασιν καὶ μετεχομένου καὶ



Metaphrase zu Theophrasts Physik 535

aufgefasst werden muss, dass der Geist sowohl als in Möglichkeit als auch als in Wirklichkeit befindlicher mit den Dingen identisch ist,64 damit wir weder »in Möglichkeit befindlich« wie bei der Materie im Sinne einer Privation noch »in Wirklichkeit« im Sinne einer von außen kommenden und erlittenen Vervollkommnung deuten, aber auch nicht [35] wie bei der Sinneswahrnehmung, wo durch die Bewegung der Sinnesorgane die Hervorbringung der Gehalte zustandekommt und sie selbst zur Betrachtung der äußeren Gegenstände fähig ist. Vielmehr muss beim Geist in Bezug auf die Fähigkeit zu geistigem Erfassen verstanden werden, dass er sowohl in Möglichkeit als auch in Wirklichkeit die Dinge ist: »In Wirklichkeit« hinsichtlich der unteilbaren Einheit, der reinen Bestimmung und der einheitlichen Vollendung – denn der verwirklichte Geist ist die Dinge nicht durch Teilhabe, in geteilter Form, oder wie ein anderes, und auch nicht wie ein von ihnen Bestimmtes oder Vollendetes, sondern wie etwas, das selbst die Dinge und ihrer aller Bestimmung und Vollendung ist.

Der sich »in Möglichkeit« befindende Geist [35, 8] »In Möglichkeit« aber [ist der Geist die Dinge] hinsicht-

lich der Vereinigung mit der Andersheit und dem Abstieg zu dem in irgendeiner Weise Bestimmten und Vollendeten, wobei diese Andersartigkeit offensichtlicher bei der Vernunftseele zu Tage tritt; dies zeigt auch ihre geistige Betrachtung, die in der Entfaltung mit den erkannten Gegenständen zusammengefasst wird, während sie sich selbst weder gänzlich in Teilung noch im Abstand zu den Dingen befindet: Sie würde [anderenfalls] weder in das Ungeteilte zusammengezogen werden noch von sich selbst her und in sich selbst die Erkenntnisgegenstände geistig betrachten. Sie hat aber gleichsam eine gelockerte Einheit mit den Dingen. Deshalb hängt sie auch von dem rein Einheitlichen ab und ist auf diese Weise in Möglichkeit. Diese Lockerung ist zwar offensichtlicher im Falle der Seele, aber [es gibt sie] auch bei dem Geist, an dem sie teilhat: Dieser erfährt durch seinen

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Priskian von Lydien · Text

τοῦ ἡνωμένου καὶ παντελῶς ἀμερίστου ὅρου ἀπῃωρημένου καὶ ὑπ’ ἐκείνου κατ’ οὐσίαν τελειουμένου· διὸ δυνάμει. ἀλλ’ ἐπεὶ καὶ αὐτὸς ἀμέριστος καὶ οὐ κατὰ ἀπόστασιν οὐδὲ διὰ παντελοῦς ἑτερότητος ἀπὸ τοῦ πρώτου ὑπέβη, διὰ τοῦτο οὔτε ὡς ἑτεροκίνητος οὔτε ὡς ὑφ’ ἑτέρου τελειοῦται, ἀλλ’ ἑαυτὸν καὶ τῷ ἐκείνου τελειῶν ὅρῳ, ὡς δευτέρως ὢν ὅπερ ἐκεῖνος καὶ κατὰ δευτέραν τινὰ καὶ πρὸς ἐκεῖνον ἡνωμένος ἕνωσιν. οὕτως οὖν οἰκείως τὸ δυνάμει ἐπὶ τοῦ νοῦ ληπτέον.

[35, 24] Καί μοι δοκεῖ ἐπισημήνασθαι κἀνταῦθα τὸ δεῖν οἰκείως

λαμβάνειν ὑπιδόμενος τὸ ἄγραφον γραμματεῖον, ἐνταῦθά που ὑπὸ τοῦ Ἀριστοτέλους ὡς παράδειγμα τοῦ δυνάμει νοῦ προφερόμενον, ἵνα καὶ τὸ ἄγραφον ὡς ἐν νῷ θεωρῶμεν, ἔχοντι μὲν κατ’ οὐσίαν τὰ εἴδη καὶ τέλεια ἔχοντι, ὑπὸ δὲ τοῦ πρώτου νοῦ τελειουμένῳ καὶ ἐντελεχείᾳ γραφομένῳ. τὸ γὰρ ἀμέριστον καὶ ἡνωμένον τῆς τελειότητος ἐκεῖθεν.

[35, 29] δυνάμει μὲν τὰ νοητὰ ὁ δυνάμει νοῦς, ὡς καθ’ ὑπόβασιν

μὲν καὶ μετά τινος ἑτερότητος, ἀλλ’ ἐγειρόμενος ἀφ’ ἑαυτοῦ εἰς τὴν ἀπὸ τοῦ πρώτου νοῦ ἀμέριστον τελειότητα· τοιοῦτον γὰρ τὸ νοερὸν δυνάμει· ἐντελεχείᾳ δὲ οὐδὲν πρὶν νοεῖν, τουτέστιν οὐκ ἀμερίστως οὐδὲ ἡνωμένως, πρὶν ὑπὸ τοῦ πρώτου [36] τελειω­ θῆναι· τὸ δὲ πρίν, εἰ καὶ ἐπὶ τῆς ψυχῆς, ἀλλ’ οὔτι γε ἐπὶ τοῦ μετεχομένου νοῦ χρονικῶς ἀκουστέον, κατὰ δὲ τὴν ὕφεσιν καὶ τὸν ἐπινοούμενον χωρισμὸν καὶ κατὰ τὴν αὐτοῦ ἰδιότητα. ὡς



Metaphrase zu Theophrasts Physik 537

Abstieg Teilhabe, wird seiner einheitlichen und gänzlich ungeteilten Bestimmung beraubt und wird von jenem [verwirklichten Geist] in seinem Sein vollendet; deshalb [ist er] »in Möglichkeit«. Aber da er selbst ungeteilt ist und von dem ersten [Geist] weder im Sinne eines Abfalls noch einer vollständigen Andersheit abgestiegen ist, wird er weder wie ein Fremdbewegtes noch gleichsam von einem anderen vollendet, sondern er vollendet sich selbst durch seine Bestimmung von jenem [ersten Geist], da er selbst in sekundärer Weise das ist, was jener ist, und in einer gewissen sekundären Einheit mit jenem vereint ist. In diesem Sinne muss also beim Geist »in Möglichkeit« aufgefasst werden, wenn es angemessen geschehen soll. [35, 24] Und dass es erforderlich ist, dies auf angemessene Weise aufzufassen, bringt Theophrast meines Erachtens hier mit einem Seitenblick auf die unbeschriebene Schreibtafel zum Ausdruck: Diese wird hier an einer Stelle von Aristoteles als Vergleichsbeispiel für den in Möglichkeit befindlichen Geist angeführt,65 damit wir gleichsam das Unbeschriebene im Geist sehen, der zwar seinem Sein nach die vollendeten Formen besitzt, aber vom ersten Geist vollendet und in verwirklichter Form66 beschrieben wird. Denn die Ungeteilteit und Vereinigung der Vollendung stammen von jenem her. [35, 29] Der in Möglichkeit befindliche Geist ist der Möglichkeit nach die geistig erfassbaren Gegenstände,67 d. h. gemäß dem Abstieg und mit einer gewissen Andersheit, aber auch insofern er von sich selbst her zu der vom ersten Geist stammenden ungeteilten Vollendung erweckt wird; denn hierin liegt das »in Möglichkeit zu geistiger Erfassung Fähige«. In verwirklichter Weise aber ist er nichts, bevor er etwas geistig erfasst,68 d. h. weder auf ungeteilte noch auf vereinigte Weise, bevor er vom ersten [Geist] [36] vollendet wird. Das »bevor« darf nun, auch wenn es auf die Seele zutrifft, doch beim Geist, an dem die Seele teilhat, nicht im zeitlichen Sinne verstanden werden, sondern muss gemäß der untergeordneten Stellung, der Abtrennbarkeit im Nachdenken und seiner eigentümlichen Natur nach aufgefasst werden. Denn als untergeordneter und als er selbst ist der in

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Priskian von Lydien · Text

γὰρ ὑφειμένος καὶ ὡς αὐτὸς ὁ δυνάμει νοῦς οὔπω ἐντελέχεια, ἀλλ’ ᾗ τῷ πρώτῳ συνάπτεται ὑπ’ ἐκείνου τελειούμενος μᾶλλον δὲ κατ’ ἐκεῖνον ἑαυτὸν τελειῶν.

[36, 6] Ἐπὶ δὲ τούτοις ἐκθέμενος τὰ Ἀριστοτέλους, ἐν οἷς ἐκεῖνος

τὰ χωριστὰ καὶ ἄυλα εἰς ταὐτὸν ἄγει τῷ νῷ, ἐν δὲ τοῖς ἐνύλοις δυνάμει ἕκαστον εἶναι τῶν νοητῶν καὶ τούτοις μὴ ἐνυπάρχειν τὸν νοῦν, ἐπιδιαρθροῖ τε τὰ εἰρημένα καὶ ἐπαπορεῖ τινα. ἵνα οὖν καὶ τούτων σαφέστερον ἀντιλαβώμεθα, τὰ Ἀριστοτέλους ἡμῖν προδιαρθρωτέον ὡς οἷόν τε διὰ βραχέων. ἐπειδή, φησί, τὰ μέν ἐστιν ἐν ὕλῃ τὰ δὲ ἄνευ ὕλης, ὁποῖαι αἱ ἀσώματοι καὶ χωρισταὶ οὐσίαι, ἐν μὲν τοῖς χωριστοῖς ταὐτόν ἐστι τὸ νοοῦν καὶ τὸ νοούμενον. ὅ τε γὰρ νοῦς οὐκ ἔξω ἀποτεινόμενος ἀλλ’ ἐν αὑτῷ μένων νοεῖ τὰ πράγματα· διὸ ὁ αὐτὸς τοῖς νοητοῖς· τά τε ἄυλα πάντα ἀμέριστα ὄντα καὶ ζωῆς καὶ γνώσεως πλήρη νοερὰ τυγχάνει ὄντα· ἐπεὶ καὶ τὰ μὲν αἰσθητὰ διὰ τὸν ὑλικὸν διασπασμὸν ἑτέροις ἐστὶν αἰσθητά, ἑαυτοῖς δὲ ἔνια οὐδαμῶς· τὰ δὲ ἄυλα νοη­τὰ ὄντα καὶ ταύτῃ τῶν αἰσθητῶν διενήνοχε, τῷ μὴ διεσπάσθαι ἀπὸ τοῦ νοοῦντος μηδὲ ἔξωθεν τελειοῦσθαι, ἀλλὰ τελείως ἀφ’ ἑαυτῶν εἶναι νοητά. διὸ καὶ νοοῦντα ἔτι ἀμέριστα ὄντα ἀμερίσ­



Metaphrase zu Theophrasts Physik 539

Möglichkeit befindliche Geist noch keine Verwirklichung, aber insofern69 er durch die Verbindung mit dem ersten [Geist] von jenem vollendet wird oder eher sich selbst jenem gemäß vollendet, [ist er eine Verwirklichung].

Das geistig Erfassende und das geistig Erfasste [36, 6] Hinsichtlich dieser Zusammenhänge nimmt er [Theo-

phrast] die Ausführungen des Aristoteles unter die Lupe, in denen jener das Abgetrennte und Immaterielle mit dem Geist gleichsetzt, aber [behauptet], dass beim Materiegebundenen alle geistig erfassbaren Gegenstände [nur] in Möglichkeit vorhanden sind und dass der Geist in diesen Dingen nicht anwesend ist,70 und er [Theophrast] differenziert bzw. problematisiert das Gesagte in einigen Punkten. Um dies nun deutlicher aufzufassen, müssen wir in Kürze eine vorläufige Analyse der Ausführungen des Aristoteles vornehmen. Er sagt: Da ja einige in der Materie, andere ohne Materie sind, wie die unkörperlichen und getrennten Substanzen, ist in den getrennten Dingen das geistig Erfassende und das geistig Erfasste dasselbe.71 Denn nicht dadurch, dass er sich nach außen erstreckt, sondern dass er in sich selbst bleibt, erfasst der Geist die Dinge. Deshalb ist er mit seinen Gegenständen identisch. Und die immateriellen Dinge, die alle unteilbar und voll von Leben und Wissen sind, sind zu geistiger Erfassung fähig. Da auch die Gegenstände der Sinneswahrnehmung wegen ihrer materiellen Entzweiung zwar für andere [Dinge], einige aber für sich selbst auf keine Weise sinnlich wahrnehmbar sind, unterscheiden sich die immateriellen Dinge, insofern sie Gegenstände des geistigen Erfassens sind, von den Gegenständen der Sinneswahrnehmung dadurch, dass sie nicht von dem Erfassenden entzweit sind und nicht von außen vollendet werden, sondern von sich selbst her in vollendeter Weise Gegenstände des geistigen Erfassens sind. Deshalb werden sie auch als geistig Erfassende, insofern sie noch ungeteilt sind, in ungeteilter Form mit dem geistig Erfassenden

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Priskian von Lydien · Text

τως καὶ τῷ νοοῦντι ἥνωται, καὶ ὅλα δι’ ὅλων ὄντα νοητὰ ὅλα δι’ ὅλων ἥνωται τῷ νῷ, καὶ οὐ κατὰ συμβεβηκὸς ἀλλὰ κατ’ οὐσίαν ὄντα νοητὰ καὶ τέλεια ὄντα κατ’ οὐσίαν, καὶ διὰ τοῦτο καὶ τέλεια κατὰ τὴν οἰκείαν οὐσίαν, νοητὰ εἴη ἂν καὶ νοοῦντα τὰ αὐτά· ἵνα καὶ καθ’ ἑαυτὰ ᾖ νοητά τε καὶ τέλεια νοητά.

[36, 24] ὁ δὲ Ἀριστοτέλης καὶ ἀπὸ τῆς ἐπιστήμης ὑπέμνησεν ὅτι

ἐν τοῖς χωριστοῖς ταὐτὸν τὸ νοοῦν καὶ τὸ νοούμενον. ἡ γὰρ ἐπ­ ιστήμη ἡ θεωρητική, φησί, καὶ τὸ οὕτως ἐπιστητὸν ταὐτόν ἐστι, τουτέστιν ἡ γὰρ ἐπιστήμη, καίτοι ἔξω οὐδ’ ὅλως ἀποτεινομένη, ἐν ἑαυτῇ δὲ μένουσα καὶ εἴσω ἐνεργοῦσα, ὅμως θεωρητικὴ τῶν πραγμάτων τυγχάνει οὖσα, καὶ τὸ οὕτως ἐπιστητὸν ταὐτόν ἐστιν. ἐπεὶ γὰρ ἐπιστητά φαμεν καὶ τὰ ἔνυλα καὶ τὰ ἐξ ἀφαιρέσεως, οὐχ ὡς συστοίχως αὐτὰ τῆς ἐπιστήμης θεωρούσης, ἀλλ’ ὡς ἀπὸ αἰτίων τῶν ἐν αὐτῇ λόγων, πρὸς ταῦτα ἀντιδιαστέλλων τὸ οὕτως ἐπιστητόν φησι, τουτέστι τὸ συστοίχως ἐπιστητόν, τοιοῦτον δὲ τὸ αἰτιῶδες καὶ ἐν αὐτῇ τῇ ψυχῇ, τοῦτο δὲ ταὐτὸν τῇ ἐπιστήμῃ. ἤδη μὲν γὰρ καὶ ἐπὶ τῆς αἰσθήσεως εἴρηται ὡς οὐκ ἄλλως ἐπιτελεῖται ἡ γνῶσις, εἰ μὴ εἰς ταὐτὸν ἡ κατ’ ἐνέργειαν ἔλθοι γνῶσις τῷ [37] κατ’ ἐνέργειαν γνωστῷ· ὥστε καὶ ἡ κατ’ ἐνέργειαν ἐπιστήμη ἡ αὐτὴ τῷ κατ’ ἐνέργειαν γνωστῷ· ὥστε καὶ ἡ κατ’ ἐνέργειαν ἐπιστήμη ἡ αὐτὴ τῷ κατ’ ἐνέργειαν ἐπιστητῷ· ἀλλ’ ἡ διαφορὰ ὅτι μὴ ἔξωθεν ἥκει μηδὲ ἔξω κεῖται τὸ προηγουμένως γνωστὸν ὡς ἐπὶ τῆς αἰσθήσεως. εἰ δ’ οὖν ἡ ἐπιστήμη καὶ τὸ ἐπιστητὸν ταὐτόν, μειζόνως δὴ τὸ νοοῦν καὶ τὸ νοούμενον ἥνωται.



Metaphrase zu Theophrasts Physik 541

vereint, d. h. sie werden, insofern sie als ganze durch ganze72 die Gegenstände des geistigen Erfassens sind, als ganze durch ganze mit dem Geist vereinigt. Und insofern sie nicht akzidentell, sondern dem Sein nach Gegenstände des geistigen Erfassens sind und dem Sein nach vollendet sind, und hierdurch auch in ihrem eigentümlichen Sein vollendet sind, werden gewiss das geistig Erfasste und das geistig Erfassende dasselbe sein, so dass sie gemäß ihrer selbst sowohl geistig Erfasstes als auch vollendet geistig Erfasstes sind. [36, 24] Auch im Hinblick auf das Wissen hat Aristoteles daran erinnert, dass bei den abgetrennten Dingen das geistig Erfassende und das geistig Erfasste dasselbe sind. Denn das Wissen der geistigen Betrachtung, sagt er, und das derart Gewusste sind dasselbe.73 Das heißt: Das Wissen, das, wiewohl es sich nach außen erstreckt, aber nicht vollständig, sondern in sich bleibend und innerlich tätig, wodurch es zugleich die Dinge geistig betrachtet, und das auf diese Weise Gewusste sind dasselbe. Da wir sowohl die materiegebundenen als auch die abstrahierten [Formen] als Gegenstände des Wissens bezeichnen, wobei das Wissen sie geistig nicht auf gleichrangige Weise betrachtet, sondern von den Ursachen für die in ihm vorhandenen Gehalte her, deshalb sagt er [Aristoteles], um den Unterschied zu ihnen zu markieren: das derart Gewusste, d. h. das auf gleichrangige Weise Gewusste – ein solches ist das Verursachende auch in der Seele selbst und dieses ist mit dem Wissen identisch. Auch im Hinblick auf die Sinneswahrnehmung wurde schon gesagt, dass ihre Erkenntnis nicht auf andere Weise vollendet wird, als dass die in Verwirklichung befindliche Erkenntnis [37] mit dem in Verwirklichung Erkannten identisch wird; so dass auch das Wissen in Verwirklichung identisch ist mit dem in Verwirklichung Gewussten. Aber der Unterschied liegt darin, dass [beim geistigen Erfassen] der primäre Gegenstand des Wissens weder von außen gekommen ist noch sich außen befindet, wie dies bei der Sinneswahrnehmung der Fall ist. Wenn aber nun das Wissen und das Gewusste dasselbe sind, dann sind das geistig Erfassende und das geistig Erfasste vollends in noch größerem Maße vereinigt.

542

Priskian von Lydien · Text

[37, 5] Διὸ καὶ εἰκότως ἐν μέσῳ ὡς ζητήσεως καὶ σκέψεως ἄξιον

ἐπεσημήνατο, τί δήποτε μὴ ἀεὶ νοοῦμεν, εἴ γε ἐν ἡμῖν καὶ τὸ νοοῦν καὶ τὸ νοούμενον; ταὐτὰ γὰρ ἄμφω· περὶ οὗ δὴ φθάνομεν τὸν δυνατὸν ἡμῖν τρόπον ἐπισκεψάμενοι. ἐν μὲν οὖν τοῖς χωρισ­ τοῖς ταὐτόν, ὡς εἴρηται, τὸ νοοῦν καὶ τὸ νοούμενον· ἐν δὲ τοῖς μετὰ ὕλης δυνάμει ἕκαστον τῶν νοητῶν ἐστι. τὰ γὰρ ἔνυλα οὐ καθ’ αὑτὰ νοητά ἐστιν, οὐδὲ κατ’ οὐσίαν, οὐδὲ συστοίχως τῷ νῷ. πῶς οὖν δυνάμει λέγεται; εἰ γὰρ δυνάμει, καὶ ἐνεργείᾳ ποτὲ ἔσται νοητά. ἢ ἔσται μὲν ἀλλ’ οὐ συστοίχως, κατὰ δὲ τὰ ἑαυτῶν ἐν τῷ νῷ αἴτια· καὶ ἐπειδὴ τῆς αὐτῆς ἐστι τοῖς αἰτίοις ἰδιότητος, καὶ αὐτὰ λέγεται νοητά, δυνάμει δέ, ὅτι ἐξῃρημένῳ τῷ νοοῦντι, κατὰ δὲ τὴν ἐξῃρημένην αἰτίαν ἀλλ’ οὐχ ἑαυτοῖς· οὐ γὰρ ἑαυτὰ νοεῖ. διὸ καὶ ἐπάγει, ὥστε ἐκείνοις μὲν οὐχ ὑπάρχει ὁ νοῦς, τοῖς ἐνύλοις λέγων, διότι μὴ ἑαυτοῖς ἐστι νοητά, ἐπειδὴ ταῦτα μὲν ἔνυλα, ἄυλος δὲ ὁ νοῦς· ἄνευ γὰρ ὕλης, φησί, δύναμις ὁ νοῦς τῶν τοιούτων. ὧν τὸ μὲν ἄνευ ὕλης τὸ ἄυλον δηλοῖ τοῦ νοῦ· δύναμις δὲ ὁ νοῦς τῶν ἐνύλων ἢ ὡς αἰτία τῶν ἐνεργειῶν (οὕτω γὰρ ὁ Πλούταρχος) ἢ ὡς μὴ συστοίχως ἀλλὰ κρειττόνως αὐτὰ θεωρῶν, διότι ἀπὸ αἰτίας· ἢ ὁ δυνάμει νοῦς δύναμις καὶ τῶν τοιούτων, ὡς καὶ ταῦτα κατὰ τὴν ἀπὸ τοῦ κρείττονος τελείωσιν



Metaphrase zu Theophrasts Physik 543 [37, 5] Deshalb hat er [Aristoteles] auch mittendrin zu Recht

eine der Erörterung und Prüfung würdige Frage aufgeworfen: Warum in aller Welt denken wir nicht immer, wenn doch sowohl das geistig Erfassende als auch das geistig Erfasste in uns sind? Denn sie sind beide dasselbe.74 Dies haben wir früher, soweit möglich, geprüft. Bei den abgetrennten Dingen sind also, wie gesagt, das geistig Erfassende und das geistig Erfasste identisch; bei den mit Materie verbundenen Dingen hingegen existiert jeder von den Gegenständen des geistigen Erfassens nur der Möglichkeit nach.75 Denn die materiegebundenen [Formen] sind nicht als solche Gegenstände geistigen Erfassens, weder ihrem Sein nach noch auf eine dem Geist gleichrangige Weise. Wie wird also »der Möglichkeit nach« ausgesagt? Denn wenn sie der Möglichkeit nach Gegenstände des geistigen Erfassens sind, so werden sie es auch zeitweise in Wirklichkeit sein. Gewiss werden sie es sein, aber nicht auf gleichrangige Weise, sondern durch ihre Ursachen im Geist. Da sie mit ihren Ursachen in der Eigenart übereinstimmen, werden sie auch Gegenstände des geistigen Erfassens genannt, freilich der Möglichkeit nach, da sie für das transzendent geistig Erfassende76 und gemäß ihrer transzendenten Ursache, nicht aber für sich selbst [geistig erfassbar sind]: Sie erfassen sich nämlich geistig nicht selbst. Deshalb fügt er [Aristoteles] hinzu: so dass jenen der Geist nicht zukommt,77 wobei er über die materiegebundenen [Formen] spricht, denn sie sind keine Gegenstände des geistigen Erfassens für sich selbst, da sie in der Materie sind, der Geist aber immateriell ist: Ohne Materie nämlich, sagt er, ist der Geist die Möglichkeit solcher Dinge.78 Von diesen [Worten] zeigt »ohne Materie« die immaterielle Natur des Geistes an.79 Möglichkeit der materiegebundenen [Formen] ist der Geist entweder80 (a) als die Ursache ihrer Tätigkeiten (so sieht es nämlich Plutarch), oder (b) als das sie [die materiegebunden Formen] nicht auf gleichrangige Weise, sondern aus einer höheren Warte – da von den Ursachen her – Betrachtende; oder (c) der in Möglichkeit befindliche Geist ist die Möglichkeit solcher Dinge, insofern er sie gemäß der Vervollkommnung von einem Höheren her

544

Priskian von Lydien · Text

νοῶν. τοῖς μὲν οὖν ἐνύλοις οὐχ ὑπάρχει ὁ νοῦς, ἐκείνῳ δὲ τὸ νοητὸν ὑπάρξει. [37, 24] τοῦτο δὲ διαρθρῶν ὁ Θεόφραστος ἐπάγει· ἀλλ’ ὅταν γέ-

νηται καὶ νοηθῇ δηλονότι ταῦτα ἕξει, τὰ δὲ νοητὰ ἀεί, εἴπερ ἡ ἐπιστήμη ἡ θεωρητικὴ ταὐτὸ τοῖς πράγμασιν, αὕτη δὲ ἡ κατ’ ἐνέργειαν δηλονότι· κυριωτάτη γάρ. τῷ νῷ, φησί, τὰ μὲν νοητά, τουτέστι τὰ ἄυλα, ἀεὶ ὑπάρχει, ἐπειδὴ κατ’ οὐσίαν αὐτοῖς σύνεσ­τι καὶ ἔστιν ὅπερ τὰ νοητά· τὰ δὲ ἔνυλα, ὅταν νοηθῇ, καὶ αὐτὰ τῷ νῷ ὑπάρξει, οὐχ ὡς συστοίχως αὐτῷ νοηθησόμενα· οὐδέποτε γὰρ τὰ ἔνυλα τῷ νῷ ἀύλῳ ὄντι· ἀλλ’ ὅταν ὁ νοῦς τὰ ἐν αὐτῷ μὴ ὡς αὐτὰ μόνον ἀλλὰ καὶ ὡς αἴτια τῶν ἐνύλων γινώσκῃ, τότε καὶ τῷ νῷ ὑπάρξει τὰ ἔνυλα κατὰ τὴν αἰτίαν. ταῦτα δὴ περὶ μὲν τοῦ ἐνεργείᾳ οὐκ ἂν φαίην εἰρῆσθαι νοῦ (οὐ γὰρ δύναμις ἐκεῖνος) οὐδὲ τὸ ὅταν γένηται.



Metaphrase zu Theophrasts Physik 545

geistig erfasst. Dem Materiegebundenen also kommt der Geist nicht zu, aber jenem [dem Geist] kommt der geistig erfassbare Gegenstand zu.81 [37, 24] Zur Erläuterung fährt Theophrast fort: Aber immer wenn sie [die materiegebundenen Dinge] entstehen und geistig erfasst werden, wird er [der Geist] diese offensichtlich innehaben; die geistig erfassbaren Gegenstände [wird er] aber immer [innehaben], wenn doch das Wissen der geistigen Betrachtung mit den betrachteten Dingen identisch ist, wobei klar ist, dass dieses Wissen in Verwirklichung ist: Denn dies ist es im ausgezeichneten Sinne. Dem Geist, sagt er [Theophrast], kommen die Gegenstände des geistigen Erfassens, d. h. die immateriellen, immer zu, weil er seinem Sein nach mit ihnen koexistiert und das ist, was das geistig Erfasste ist. Die materiegebundenen Formen aber werden, wenn sie geistig erfasst worden sind, auch selbst dem Geist zukommen, aber nicht als von ihm gleichrangig zu Denkendes: Denn niemals wird das Materiegebundene von dem immateriellen Geist [gleichrangig geistig erfasst]. Aber immer, wenn der Geist die in ihm befindlichen Dinge nicht nur als sie selbst, sondern auch als Ursachen des Materiegebundenen erkennt, dann wird auch das Materiegebundene seiner Ursache gemäß dem Geist zukommen. Ich würde wohl nicht behaupten, dass dies über den verwirklichten Geist gesagt worden ist (denn jener ist nicht Möglichkeit), ebenso wenig wie die Worte: »Wann immer sie entstehen«82 …

7. PRISKIAN VON LYDIEN (›SIMPLIKIOS‹) Kommentar zu De anima III Ausgewählt, eingeleitet, übersetzt und erläutert von Matthias Perkams

1. Allgemeines Der De-anima-Kommentar, der hier dem Lyder Priskian zugeschrieben wird,1 ist eine der philosophisch anspruchsvollsten und elaboriertesten Darstellungen des neuplatonischen Menschenbildes. Originell und von systematischem Interesse sind besonders zwei Lehren: Eine ist eine Reformulierung der aristotelischen Entelechie-Lehre mithilfe der Unterscheidung zweier Formen von Entelechie, nämlich einerseits der reinen Formung des lebendigen Leibes und andererseits des Gebrauchs dieses Leibes zum Leben und Überleben durch das leiblich verfasste Lebewesen.2 Die zweite, um die es im Folgenden in erster Linie geht, ist eine Reformulierung der neuplatonischen Geistlehre unter Berufung auf Aristoteles’ Lehre vom aktiven Geist. Diese äußerst knappe Charakterisierung der Stärken des Kommentars als systematischer Schrift lässt seine Schwächen erahnen, die von Aristoteles-Auslegern seit langem beklagt werden:3 eine gewisse Entstellung der Lehre des Aristoteles 4 bzw. ein Abweichen und Abschweifen von seiner Darstellung.5  Zu Priskian s. o. S. 489–491; zur Autorschaft des Kommentars u. S. 551–555.  Darstellung dieser Lehre mit Übersetzung einiger Schlüsseltexte in Perkams 2003, S. 57–91. 3  Vgl. die Zitate von R. D. Hicks und A. Torstrik, zitiert bei Steel 1978, S. 9, Anm. 12. 4  »The Neo-Platonist Simplicius distorts Aristotle’s account in order, as far as possible, to adapt it to his own philosophical presuppositions«; so Hicks 1907, S. LXV. 5  »Ipsum interpretandi genus quo in hac re utitur habet senile quiddam, 1 2

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Priskian beabsichtigt in seinem Kommentar »die Übereinstimmung des Philosophen […] mit der Wahrheit […] zu beschreiben«; anders gesagt, erklärt der Kommentator, was die jeweilige Aristoteles-Stelle mit dem zu tun hat, was er selbst für die Wahrheit hält. Das wichtigste Kriterium für diese Wahrheit ist aber nicht Aristoteles, sondern der neuplatonische Philosoph Jamblich.6 Konsequenterweise sehen Priskians Kommentierungen häufig so aus, dass er zuerst sagt, was die fragliche Stelle im Rahmen seiner eigenen Systematik bedeuten könnte, bevor er bestimmte aristotelische Formulierungen in diesem Sinne erklärt.7 Trotz dieser Auslegungsarten, die selbst im harmoniefreudigen Kontext neuplatonischer Kommentare sehr eigenmächtig sind,8 darf man nicht übersehen, dass die Lehren, die Priskians Originalität im neuplatonischen Kontext ausmachen, tief von aristotelischer Terminologie durchdrungen und von dem Versuch geleitet sind, die Gedanken des Stagiriten vor dem Hintergrund der Fragen seiner eigenen Zeit nachzudenken. Insofern ist Priskian das deutlichste Beispiel für einen aristotelisierenden Neuplatonismus, für den Aristoteles nicht nur »Platons bester Ausleger« ist, sondern auch eine »weitere Ausarbeitung dessen im Detail« liefert, »was dieser allgemeiner und zusammenfassender erklärte«.9 Auf der Grundlage seiner Auseinandersetzung mit Aristoteles kommt Priskian sogar zu anderen Ergebnissen als sein Vorbild Jamblich, was für ihn Anlass zu einer ausführlichen Rechtfertigung ist.10 ne dicam anile: tantopere a re proposita discedit et nescio quo evagatur«; so Torstrik 1862, S. VI.  6  Priskian (›Simplikios‹), in an. 1, 14–20 (übersetzt u. S. 563). Zu seiner Person s. o. S. 45.  7  Gute Beispiele sind die Auslegung von III 4, 429b29 ff. und 430a2 (u. S. 615–617), aber auch die sehr lange Erklärung von 429a10 ff., bei der das Lemma zu Beginn der Texterklärung wiederholt wird.  8  Vgl. dazu Perkams 2006, S. 332–347.  9  Priskian (›Simplikios‹), in an. 245, 12 (u. S. 643) und 246, 18–21 (u. S. 647). 10  Priskian (›Simplikios‹), in an. 313, 1–31.

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2. Inhaltliche und terminologische Grundlinien Schon dieser vielschichtige historische Hintergrund macht die Lektüre Priskians nicht einfach; hinzukommt, dass Priskian einen etwas langatmigen Stil pflegt. Grundsätzlich ist seine Sprache die des späten Neuplatonismus, so dass sein Wortgebrauch sich am ehesten aus der Lektüre der Schriften des Proklos erschließt. Diese Ausdrucksweise wird mit der aristotelischen Terminologie verbunden, die überall präsent ist, aber weithin neuplatonisch verstanden wird, wofür Priskian auf eine jahrhundertelange Tradition zurückblicken kann. Außerdem benutzt er eine Reihe von Begriffen, die kaum anderswo im selben Sinn gebraucht werden wie bei ihm. Diese gehen wohl teils auf Jamblich zurück, teils aber auch auf die Findigkeit des Kommentators.11 Der folgende Überblick stellt aus Platzgründen nur eine grobe Einführung in Inhalt und Terminologie dar, deren Inhalte nur anhand der Lektüre des Textes beurteilt werden können. Über Einzelfragen geben die Anmerkungen Auskunft. Das wichtigste Beispiel für ein neuplatonisches Schema ist die Annahme, dass die gesamte nicht körperliche Wirklichkeit in Dreischritten (Triaden) aufgebaut ist, bei der ein selbständig existierendes und dauerhaft bestehendes Element, das »Beharren« (μονή) genannt wird, aus sich heraustritt und andere Existenzformen hervorbringt – was als »Hervorgehen« (πρόοδος) bezeichnet wird –, die aber wieder zu ihrem Ursprung zurückstreben und somit eine »Rückwendung« (ἐπιστροφή) vollziehen.12 Für die Sphäre des Geistes übernimmt Priskian dieses Schema von Jamblich und Proklos, indem er einen dauernden »Geist, an dem nichts Teil hat« (ὁ ἀμεθεκτὸς νοῦς), das aus ihm hervorgehende Denkvermögen der menschlichen Seele (ὁ  Ein Beispiel für das Erste ist das Paar »Bestimmung/Bestimmtes« (ὅρος/ὁριζόμενον) als Erläuterung bzw. Äquivalent zu Form/Geformtes (εἶδος/εἰδοποιούμενον), ein Beispiel für das Zweite die Aussage, dass die Seele weitere Lebensformen hervorbringt (πρόβαλλει ζωάς). 12  Vgl. Proklos, elem. theol. 25–39; die wohl klarste Diskussion dieser Zusammenhänge ist de Rijk 1992; vgl. außerdem Meijer 1992. 11

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ἡμέτερος νοῦς oder ἡ λογικὴ ψυχή) und den Geist, an dem dieses Teil hat (ὁ μετεχόμενος bzw. μεθεκτὸς νοῦς) unterscheidet. Wichtig ist dabei, dass die menschliche Vernunft zur Sphäre des geistigen Seins, in der eine dauernde Identität aller Geister und aller von ihnen erkennbaren Objekte besteht, keine direkte Verbindung hat, wohl aber dorthin als zu ihrer unmittelbaren Ursache strebt.13 Eine eigene Entwicklung Priskians, die auch auf seine Auseinandersetzung mit Aristoteles zurückgeht, ist dagegen, dass auch der menschliche Geist selbst triadisch strukturiert ist: Aus dem höchsten Intellekt der Seele, welcher deren seinsmäßiger Geist genannt wird (ὁ οὐσιώδης τῆς ψυχῆς νοῦς), geht demnach der Intellekt hervor, der immer nur in Verbindung mit den körperlich geformten Bildern der Vorstellungskraft (φαντασία) zusammen aktiv sein kann und daher auf diese angewiesen ist (ὁ νοῦς προιών). Er ist daher unvollendet (ἀτελής) bzw. nur der Möglichkeit nach (δυνάμει) Geist, da anhand der körperlichen Bilder die rein geistigen Formen der Gegenstände nicht erkannt werden können. Da dies der eigenen Natur des Geistes nicht entspricht, kann er sich wieder diesen Formen zuwenden, indem er sich an seine eigene Natur erinnert. In diesem Fall wird er durch die wieder bestehende Verbindung zum höchsten Geist der Seele vollendet (τέλειος), wenn auch nur in unvollkommener Weise: Zwar kann er denken, tut das aber nicht dauernd und daher auch nicht so, dass er zugleich mit allen seinen Objekten und damit auch mit allen anderen Objekten des Denkens eins werden könnte. Auf diese Weise erklärt Priskian die im menschlichen Leben stets erfahrbare Distanz zwischen dem Menschen, der ich bin, und dem idealen Menschen, der ich sein könnte bzw. gerne wäre. Allerdings liegt uns – und das ist der wohl bekannteste »Clou« von Priskians Auslegung – dieses ideale Selbst auch nicht immer in reiner Form vor, da der höchste Geist der menschlichen Seele ebenfalls irgendwie mit dem Körper in 13

 Vgl. Proklos, elem. theol. 31 (34, 30–34 Dodds).

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Verbindung steht und daher nicht dauernd, und damit nur in unvollkommener Weise, mit der geistigen Sphäre verbunden ist. Daher ist die Einheit des Geistes mit seinem Objekt bei ihm, bildlich gesprochen, aufgebrochen (παραθραύεσθαι) bzw. gelockert (χαλᾶσθαι). Diese Feststellung ist Priskians auf Jamblich zurückgehende Konsequenz der neuplatonischen Grundannahme, dass die menschliche Seele bzw. ihr rationaler Teil in der Mitte steht zwischen der körperlichen Sphäre, die geteilt und daher nur Stück für Stück erkennbar ist, und der geistigen Welt, in der ein durchgehendes Verständnis möglich wird, das alle Neuplatoniker in aristotelischer Terminologie (an. II 6, 418a2–6; III 4, 429b29–430a5) als Vereinigung von Erkennendem und Erkanntem beschreiben. Aufgrund dieser Verbindung mit der körperlichen Welt gehört die menschliche Seele nicht schlechthin zur geistigen Sphäre, und daher kann ihr auch das »Beharren« (μονή) als Kennzeichen des obersten Gliedes der Triade – also die bereits von Platon angenommene Ewigkeit und Unveränderlichkeit – der nicht materiellen Dinge nur in eingeschränkter Weise zukommen, wie Priskian anders als Plotin und Proklos betont.14 Priskian bleibt im Übrigen nicht bei dieser ontologischen Darstellung stehen, sondern stellt auch Überlegungen zum Verhältnis von menschlichem Selbst und ethischer Praxis an (bei der Interpretation von De anima III 7). 3. Zur Autorfrage Überliefert ist der hier behandelte Kommentar zu De anima unter dem Namen des berühmten neuplatonischen Kommentators Simplikios. Große Unterschiede in Stil und Methode haben jedoch schon Francesco Piccolomini (1523–1604) dazu bewogen, Simplikios’ Verfasserschaft in Zweifel zu ziehen und stattdes-

14

 Vgl. de Rijk 1992, S. 6–8.

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sen Priskians Autorschaft zu erwägen.15 Inzwischen wird fast nur noch von I. Hadot an der traditionellen Zuschreibung an Simplikios festgehalten.16 Dass in Wirklichkeit Priskian der Autor ist, wie auch hier angenommen wird, haben 1972 Steel und Bossier dezidiert vertreten.17 Andere lehnen dagegen beide Zuschreibungen ab.18 Da die Autorfrage also noch immer kontrovers ist, soll die hier verteidigte Zuschreibung an Priskian kurz begründet werden.19 Grundlage für den Vergleich sind zahlreiche textliche Berührungen zwischen dem Kommentar und Priskians TheophrastParaphrase.20 Vor ihrem Hintergrund ist es zu verstehen, wenn der Kommentator darauf hinweist, »dass er dies genauer in der Epitome von Theophrasts Physik« begründet habe: De-anima-Kommentar 136, 25–29: διὸ καὶ τὸ διαφανὲς ἀπο­στάν­ τος τοῦ χρώματος οὐκέτι κατ᾽ ἐκεῖνο κινεῖ τὴν ὄψιν. εἰ δὲ καθ᾽ αὑτὸ ἐκίνει τὴν ὄψιν τὸ διαφανές, αὐτοῦ ἐχρῆν εἶναι τὴν αἴσθησιν ἀλλ᾽ οὐ τοῦ κεχρωσμένου. νῦν δὲ ἐκείνου καὶ τοῦ μεταξὺ δια­ στήματος ἀντιλαμβανόμεθα. καὶ σαφέστερον μοι ταῦτα ἐν τῇ ἐπιτομῇ τῶν Θεοφράστου Φυσικῶν διώρισται. Deswegen bewegt auch das Durchsichtige, wenn die Farbe nicht da ist, das Sehvermögen nicht mehr ihr entsprechend. Wenn das Durchsichtige aber aus sich selbst das Sehvermögen bewegte,  Vgl. Piccolomini 1602, S. 216r.; ders. 1608, S. 1001 f. Ferner Nardi 1985, S. 431 f., sowie Blumthal 2000, S. 1. 16  Hadot 1978, S. 193–202; Hadot 1990, S. 290–292; Hadot 2002, S. 159– 199; neuerdings Hadot 2014, S. 187–218 mit ausführlicher Diskussion, aber ohne grundlegend neue Gesichtspunkte. 17  Bossier/Steel 1972, S. 761–822. 18  Finamore/Dillon 2002, S. 18–24, sowie Blumenthal 1996, S. 65–71; Blumenthal 2000, S. 1–7. 19  Eine ausführliche Begründung gibt Perkams 2005, S. 510–530, und Perkams 2008, S. 149–153; vgl. jetzt auch Perkams 2012, S. 1514–1521. 20  Die auffälligsten Parallelen bestehen zwischen Priskian (›Simplikios‹), in an. 125, 25–126, 16 und Priskian, in Theophr. 1, 10–15. 2, 2–14. 29. 3, 1–19; vgl. Steel 1997, S. 105–140, hier S. 130–132. 15

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dann müsste sich die Wahrnehmung auf dieses beziehen, und nicht auf den gefärbten Gegenstand. Nun nehmen wir aber jenen und den Abstand dazwischen wahr. Und das wurde von mir genauer in der Epitome von Theophrasts Physik dargelegt. Priskians Theophrast-Paraphrase 12, 10–17: Ἆρα οὖν αὐτὰ μὲν τὸ διαφανές, τοῦτο δὲ κινεῖ τὴν ὄψιν, οἷον μορφωθὲν αὐτὸ ὑπὸ τῶν χρωμάτων; ἀλλ᾽ οὕτω τοῦ διαφανοῦς ἂν πεπονθότος ἠσθανόμεθα καὶ οὐ τοῦ χρώματος· εἰ δὲ τοῦ χρώματος, τοῦτο ἂν καὶ τὴν ὄψιν κινοίη. ἀλλὰ τοῦ διαφανοῦς – τὸ δὲ διαφανὲς καὶ καθ᾽ αὑτὸ κινητικὸν τῆς ὄψεως, ὅταν φωτίζηται, οὐ δι᾽ ἑτέρου καὶ ὡς ὑπὸ τῶν χρώματων κινηθέν – τίς οὖν ἡ κίνησις; ἵνα καὶ ὅπως αὐτὰ τὰ ὁρώμενα διὰ τοῦ μεταξὺ κινεῖ τὴν ὄψιν γνωρίσωμεν. Bewegen diese (die Farben) also das Durchsichtige, dieses aber das Sehvermögen, wobei es gleichsam durch die Farben geformt ist? Aber so würden wir das erleidende Durchsichtige wahrnehmen, und nicht die Farbe; wenn wir aber die Farbe wahrnähmen, dann würde diese das Sehvermögen bewegen. Aber was ist für das Durchsichtige die Bewegung – das Durchsichtige bewegt das Sehvermögen ja auch aus sich selbst, wenn es erleuchtet wird, nicht durch etwas anderes und gleichsam von den Farben bewegt? Damit wir auch erkennen, wie das Gesehene durch das Dazwischenliegende das Sehvermögen bewegt.

Es ist deutlich, dass die Sätze im De-anima-Kommentar einen Gedankengang aus der in Kapitel V dieses Bandes vorliegenden Theophrast-Metaphrase zusammenfassen. Auch an zwei weiteren Stellen in der betreffenden Passage21 zitiert der Kommentator in gekürzter Form Priskians erhaltene Paraphrase. Das ist ein eindeutiges Argument dafür, dass diese das hier erwähnte Werk ist und dass deren Autor, Priskian, auch den Kommentar geschrieben hat, zumal zwischen beiden Werken starke Parallelen in Sprache und Inhalt bestehen.22  Vgl. Priskian (›Simplikios‹), in an. 136, 8 f.; 137, 3–5 mit Priskian, in Theophr. 12, 20–22. 27 f. 22  Dazu Steel 1997, S. 112–116. 21

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Gegen diese Identifizierung wurden einige Punkte eingewandt, von denen hier die beiden wichtigsten kurz erwähnt sein sollen: Zum einen meint man, dass sich die Gemeinsamkeiten aus einer gemeinsamen Quelle erklären lassen, nämlich aus Jamblich.23 Die Abhängigkeit von einer gemeinsamen Quelle ist aber vom Charakter der Parallelen her, bei denen der Text des Kommentars regelmäßig kürzer – und deswegen z. T. schwer verständlich 24 – sowie terminologisch verändert ist, unwahrscheinlich. Dass diese von Jamblich stammen könnte, ist jedenfalls dadurch ausgeschlossen, dass dessen Name selbst Teil einer Parallele ist: Priskians Theophrast-Paraphrase 24, 1–6: Aber wenn [die Vorstellungskraft] auch die anderen Lebensarten Jamblich zufolge eindruckshaft abbildet, auch die rationalen und denkenden Aktivitäten, wie kann dann Aristoteles’ Aussage noch wahr sein, dass die Vorstellungskraft von den Wahrnehmungsformen bewegt wird? Wenn sie auch die stärkeren Aktivitäten alle eindruckhaft abbildet, dann bildet sie diese auf die Weise der Wahrnehmungsformen gestalthaft und geteilt ab. Ἀλλ᾽ εἰ καὶ τὰς ἄλλας ἀποτυποῦται ζωὰς κατὰ τὸν Ἰάμβλιχον καὶ αὐτὰς τὰς λογικάς τε καὶ νοερὰς ἐνεργείας, πῶς ἔτι ἀληθὲς τὸ Ἀριστοτελικόν, τὸ ὑπὸ τῶν αἰσθητικῶν εἰδῶν κινεῖσθαι τὴν φαντασίαν; ἢ εἰ καὶ τὰς κρείττους ἀποτυποῦται ἐνεργείας πάσας, ὅμως κατὰ τὰ αἰσθητικὰ* ἀπεικονίζεται εἴδη μορφωτικῶς καὶ μεριστῶς.

 Am besten begründet bei Finamore/Dillon 2002, S. 18–24. Die phantasievollen Überlegungen von Blumenthal 1996, S. 65–71 und Hadot 2002, S. 159–199 sind wenig überzeugend, können hier aber nicht einzeln behandelt werden; vgl. Perkams 2005. 24  Als Beispiel kann Priskian (›Simplikios‹), in an. 137, 3–5 dienen, wo das Doppelte ἐποχουμένην sich aus der Zusammensetzung zweier Sätze der Paraphrase erklärt. 23



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De-anima-Kommentar 214, 18–20: Denn wenn [die Vorstellungskraft] auch unsere rationalen, wie Jamblich es will, Akti­ vi­täten alle eindruckhaft abbildet, dann bildet sie diese auf die Weise der Wahrnehmungsformen gestalthaft und geteilt ab. καὶ γὰρ εἰ καὶ τὰς λογικὰς ἡμῶν, ὡς ὁ Ἰάμβλιχος βούλεται, ἀποτυποῦται ἐνεργείας πάσας, ὅμως κατὰ τὰ αἰσθητὰ* ἀπεικονίζεται εἴδη μορφωτικῶς καὶ μεριστῶς.

Ein weiteres Gegenargument behauptet, dass Priskians Paraphrase keine Epitome, d. h. eine kurze Zusammenfassung eines Textes, sei. Allerdings hatte dieses Wort in der Antike eine weitere Bedeutung als in der Gegenwart und bedeutet insbesondere eine systematische Darstellung von Lehrmeinungen. Außerdem kann die Epitome des Kommentators keine knappe Zusammenfassung gewesen sein, denn sie muss das in Frage stehende Problem der Wirkung des Mediums bei der Wahrnehmung ausführlicher behandelt haben als der ohnehin recht ausführliche De-anima-Kommentar. Demnach muss an dieser Stelle mit Epitome in der Tat eine ausführliche inhaltliche Auslegung gemeint sein, wie es Priskians Paraphrase ist. Auf der Grundlage dieser Argumente wird der Kommentar hier, ebenso wie die vorhergehende Paraphrase, als ein Werk Priskians behandelt.

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PRISKIAN VON LYDIEN (›SIMPLIKIOS‹)

Kommentar zu Aristoteles’ De anima (Auswahl)1 Griechisch – Deutsch

Aus der Einleitung zum Kommentar [1, 1] Περισπούδαστον μὲν προηγουμένως ἡ περὶ αὐτῶν τῶν

πραγμάτων τῶν τε ἄλλων καὶ ἡ περὶ ψυχῆς ἀλήθεια, αὐτίκα οἰκειοτάτη πασῶν ἡμῖν ὑπάρχουσα· δευτέρως δὲ καὶ ἡ τῶν δοκούντων τοῖς εἰς ἄκρον ἐπιστήμης ἥκουσι κατάληψις. διὸ καὶ τῆς Περὶ ψυχῆς Ἀριστοτέλους πεφροντισμένως ἄγαν ἀντέχεσ­ θαι ἡγοῦμαι δεῖν πραγματείας. πολλὰ μὲν οὖν καὶ μακάρια θεωρήματα περὶ αὐτῆς καὶ ὑπὸ Πλάτωνος παραδέδοται, ἀλλ’ ἐκεῖνα καὶ ἱκανῶς καὶ συμφώνως ἀλλήλοις τοῖς Πλάτωνος ἐξηγηταῖς ἐπεξείργασταί τε καὶ σεσαφήνισται. τελεωσαμένου δὲ τὴν Περὶ ψυχῆς πραγματείαν τοῦ Ἀριστοτέλους, ὡς τῷ ἀρίστῳ τῆς ἀληθείας κριτῇ δοκεῖ τῷ Ἰαμβλίχῳ, πολλὴ ἡ τῶν τὰ ἐκείνου σαφηνιζόντων πρὸς ἀλλήλους διαφωνία οὐ περὶ τὴν τῆς Ἀριστοτελικῆς λέξεως μόνον ἑρμηνείαν, ἀλλὰ καὶ περὶ αὐτὰ τὰ πράγματα μάλιστα. διὸ καὶ αὐτῷ μοι ἔδοξε ζητῆσαί τε καὶ γράψαι τὴν αὐτοῦ τε πρὸς ἑαυτὸν τοῦ φιλοσόφου καὶ τὴν πρὸς τὴν ἀλήθειαν συμφωνίαν, τὰς μὲν πρὸς τοὺς ἄλλους ἀντιρρήσεις φυλαττομένῳ, πιστουμένῳ δὲ τὰ δοκοῦντα ἐν τοῖς ἀμφιβόλοις ἐκ τῶν Ἀριστοτέλους ἐναργῶν δογμάτων τε καὶ ῥητῶν, πανταχοῦ δὲ κατὰ δύναμιν τῆς τῶν πραγμάτων ἀντεχομένῳ ἀληθείας κατὰ τὴν Ἰαμβλίχου ἐν τοῖς ἰδίοις αὐτοῦ περὶ ψυχῆς συγγράμμασιν ὑφήγησιν. σπουδὴ μὲν οὖν μία αὕτη. ἤδη δὲ ὑφ’ ἡγεμόνι τῶν ψυχῶν τε καὶ λόγων πάντων αἰτίῳ τῆς προκειμένης ἀρκτέον πραγματείας. […]

p. 1, 3–21. Aus der Einleitung zum Gesamtkommentar

Das Programm: Aristoteles im Sinne Jamblichs erklären [1, 1] Bemühen muss man sich in erster Linie um die Wahrheit

über die Sachen selbst,2 und zwar neben der über die anderen insbesondere um die über die Seele, die für uns von Anfang an vertrauter als alles andere ist; sodann auch über das Auffassen dessen, was denen richtig scheint, die den Gipfel des Wissens erreichen. Deswegen denke ich auch, dass man sich mit Bedacht ganz besonders an Aristoteles’ Untersuchung über die Seele halten muss. Gewiss wurden viele und wunderbare Beobachtungen über die Seele auch von Platon angestellt, aber sie sind hinreichend und miteinander übereinstimmend von Platons Auslegern aufgearbeitet und verdeutlicht worden. Seit aber Aristoteles seine Untersuchung über die Seele vollendete, herrscht, wie dem besten Beurteiler der Wahrheit, Jamblich, scheint,3 unter denen, die seine Aussagen erklären, große Uneinigkeit, und zwar nicht nur über die Auslegung des aristotelischen Textes, sondern auch ganz besonders über die Sachen selbst.4 Deswegen schien es auch mir gut, die Übereinstimmung des Philosophen mit sich selbst und mit der Wahrheit zu ergründen und zu beschreiben, wobei ich Polemiken gegen andere vermeide, aber in den Zweifelsfällen das Richtige aus Aristoteles’ klaren Lehren und Aussagen nachweise und mich überall, soweit möglich, an die Wahrheit über die Sachen gemäß Jamblichs Darlegung in seinen eigenen Schriften über die Seele5 halte. Das ist gewiss ein einziges Bemühen.6 Jetzt ist aber mithilfe des herrschenden Grundes der Seelen und Gehalte mit der beabsichtigten Untersuchung zu beginnen. […]

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Priskian von Lydien · Text

Aus dem Kommentar zu III 3 427b13 Διανοεῖσθαι δ’ ἐνδέχεται καὶ ψευδῶς. [204, 24] Τὴν διεξοδικὴν τοῦ λόγου ἐνέργειαν διάνοιαν καλῶν,

ἀληθεύουσαν μὲν πάντως, ὅταν τῶν αἰτίων ἐχομένη διεξοδεύῃ, ἄνευ δὲ τῶν αἰτίων ψευδομένην ἐνίοτε. διάνοια μὲν οὖν ἐστιν ἡ διεξοδικὴ τοῦ λόγου ἐνέργεια. ἐπεὶ δὲ καθ’ ὅρους ἡ διέξοδος καὶ οὐχ οἵα ἡ φυσικὴ μετάβασις κατὰ συνέχειαν, ἥ τε καθ’ ἕκαστον ὅρον συγκατάθεσις τῆς ψυχῆς καὶ ἡ ἐπὶ πᾶσιν ὡς ἑνὶ ὅρῳ ὑπόληψίς ἐστιν ἡ ὡς ἀληθεῖ αὐτῷ ὁμολογοῦσα· ὡς οὐ ταὐτὸν μὲν εἶναι διάνοιάν τε καὶ ὑπόληψιν, συναναφαίνεσθαι δέ· ἀεὶ γὰρ ἐν διεξόδῳ ἡ λογικὴ ἐνέργεια καὶ ἐν τῇ συγκαταθέσει τοῦ φαινομένου ἀληθοῦς.

[204, 32] οὔτε δὲ διάνοια οὔτε ὑπόληψις ἡ αἴσθησις· τοῦτο μὲν

ὡς οὐκ οὖσα λογική, εἴ γε καὶ τοῖς ἄλλοις ὑπάρχει ζῴοις, τοῦτο δὲ ὡς οὔτε διεξοδεύουσα (οὐ γὰρ ἐξ ἄλλων ἄλλα συνάγει) οὔτε ἀληθεύουσα οὕτως, ὡς ἑαυτῆς ὅτι ἀληθεύει ἀντιλαμβανομένη. τὰ ἴδια μὲν γὰρ αἰσθητὰ ἀληθῶς γινώσκει, ὅτι λευκὸν [205] φέρε, ἡ ὅρασις, τοῦ δὲ ὅτι ἀληθῶς γινώσκει ἀναίσθητος.

[205, 1] οὐ γὰρ ταὐτὸν ἡ τοῦ πράγματος γνῶσις καὶ ἡ τοῦ ὅτι

ἀληθὴς ἡ γνῶσις ἀντίληψις, οἵα ἡ ὑπόληψις φαίνεται μετὰ τὴν τοῦ πράγματος σύνεσιν, εἰ ἀληθὴς ἡ σύνεσις κρίνουσα, καὶ τότε συντιθεμένη καὶ περιπτυσσομένη τὸ γνωσθέν. ἡ δὲ αἴσθησις μόνον γινώσκει τὸ προσπῖπτον, κἂν ψευδῶς προσπίπτῃ, ὡς ἐπὶ τῶν εἰκόνων, διακρίνειν οὐκ ἰσχύουσα· κἂν ἐπὶ τῶν ἰδίων οὖν



Kommentar zu De anima III

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p. 204, 24–205, 14. 210, 10–211, 15 Aus dem Kommentar zu III 3, 427b12 ff. und 428a18 ff.

Die Reflexivität des Denkens [204, 24] 427b13 Das diskursive Denken kann aber auch falsch sein. [204, 24] Hier nennt er die fortschreitende Aktivität der Ver-

nunft diskursives Denken, welches völlig wahr ist, wenn es unter Beachtung der Gründe fortschreitet, aber ohne die Gründe manchmal falsch ist. »Diskursives Denken« meint also die fortschreitende Aktivität der Vernunft. Da das Fortschreiten aber anhand einzelner Bestimmungen erfolgt – und nicht wie ein natürliches Übergehen kontinuierlich –, ist es die Akzeptanz jeder einzelnen Bestimmung durch die Seele und die Bezugnahme7 auf alles, die ihm als etwas Wahrem zustimmt, mithilfe einer Bestimmung. Diskursives Denken und Bezug-Nehmen sind also nicht dasselbe, erscheinen aber zusammen. Denn rationale Aktivität erfolgt immer im Fortschreiten und in der Akzeptanz des offensichtlich Wahren. [204, 32] Sinneswahrnehmung ist aber weder diskursives Denken noch Bezug-Nehmen. Das Letztere nicht, weil sie nicht rational ist, wo sie ja auch bei den anderen Lebewesen vorhanden ist, das Erstere nicht, weil sie weder fortschreitet – denn sie schließt ja nicht von einem auf anderes – noch auf die Weise wahr ist, dass sie von sich selbst auffasst, dass sie wahr ist. Denn sie erkennt zwar die spezifischen Wahrnehmungsobjekte auf wahre Weise, [205] zum Beispiel der Gesichtssinn, dass etwas weiß ist, nimmt aber nicht wahr, dass sie auf wahre Weise erkennt. [205, 1] Denn die Erkenntnis einer Sache und das Auffassen, dass diese Erkenntnis wahr ist, sind nicht dasselbe, so wie die Bezugnahme nach dem Verständnis der Sache erscheint, wobei sie darüber urteilt, ob das Verständnis wahr ist, und dann dem Erkannten zustimmt und es aufnimmt.8 Die Sinneswahrnehmung erkennt nur das, was ihr begegnet, auch wenn es auf falsche Weise begegnet, wie bei den Bildern, wobei sie zu einer Unterscheidung nicht in der Lage ist. Und auch wenn sie

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Priskian von Lydien · Text

ἀληθὴς ἀεί, ἀλλ’ οὐχ ὅτι ἀληθὴς εἴσεται. ἡ δὲ διάνοια κἂν ἀληθῶς κἂν ψευδῶς προσβάλλῃ τοῖς γνωστοῖς, οὐκ ἀρκεῖται τῇ προσβολῇ οὐδὲ συγκατατίθεται, εἰ μὴ καὶ ὅτι ἀληθὴς ἡ σύνεσις ἐπικρίνῃ ἢ ὀρθῶς ἢ οὔ, ποτὲ καὶ περὶ τὴν ἐπίκρισιν ἁμαρτάνουσα. καὶ εἴ ποτε οὖν ψεύδεται ἡ διάνοια, οὐ διὰ τοῦτο χείρων τῆς ἀεὶ ἐπὶ τῶν ἰδίων αἰσθητῶν ἀληθοῦς. τὸ γὰρ ψεύδεσθαί ποτε ἐκείνην διὰ τὸ ἅμα πολλὰ ὁρᾶν, καὶ τὸ ἀληθεύειν ἢ ψεύδεσθαι οὐ κατὰ μόνην τὴν πρώτην προσβολὴν καὶ σύνεσιν τοῦ πράγματος, ἀλλὰ κατὰ τὴν τῆς συνέσεως ἐπίκρισιν. […]

428a18 Λείπεται ἄρα ἰδεῖν εἰ δόξα. [210, 10] Ἡ πρὸς τὴν δόξαν τῆς φαντασίας διαφορὰ ἡ αὐτή

μοι δοκεῖ τῇ προειρημένῃ ἡ νῦν λεγομένη. ἐκεῖ τε γὰρ τὸ δοξάζειν οὐκ ἐφ’ ἡμῖν ἐλέγετο εἶναι, διὰ τὸ ἐξ ἀνάγκης ψεύδεσθαι ἢ ἀληθεύειν, καὶ ἐν τούτοις δόξῃ πίστιν ἕπεσθαι πάντως. πίστις δέ ἐστιν ἡ ὡς ἀληθεῖ τῷ γνωσθέντι συγκατάθεσις, διὸ καὶ ἀλόγοις οὐχ ὑπάρχει· ἡ γὰρ ὡς ἀληθοῦς τοῦ πράγματος κρίσις μετὰ τὴν σύνεσιν λογική. οἶδε μὲν γὰρ καὶ ὁ νοῦς ὅτι ἀληθές, ἀλλὰ ἀμερίστως καὶ ἑνοειδῶς ἄμφω· ἡ δὲ λογικὴ γνῶσις καὶ εἰ ἀληθὴς ἡ σύνεσις κρίνουσα οὕτω συγκατατίθεται, λόγῳ πάντως ἐπερειδομένη ἢ ἀναγκαίῳ ἢ πιθανῷ, ἢ τῷ λέγοντι ὡς ἀξιοπίστῳ προσώπῳ, καὶ τοῦτο κατά τινα κρίνουσα λόγον.

[210, 19] οἷον καὶ ἐπὶ τῶν αἰσθητῶν διττὴ ἐγγίνεται γνῶσις, ἡ μὲν

ὅτι ἄνθρωπος τὸ ὁρώμενον, ἡ δὲ ὅτι ἀληθὴς ἡ γνῶσις, ἐκείνη



Kommentar zu De anima III

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bei den spezifischen Objekten immer wahr ist, wird sie doch nicht wissen, dass sie wahr ist. Dagegen begnügt sich das diskursive Denken, unabhängig davon, ob es sich auf wahre oder falsche Weise auf das Erkannte bezieht, nicht mit der Bezugnahme und akzeptiert es nicht, wenn es nicht urteilt, dass das Verständnis wahr ist, und zwar entweder richtig oder nicht, da sie sich manchmal auch in diesem Urteil irrt. Und auch wenn das diskursive Denken manchmal falsch ist, ist es deswegen nicht von niedrigerem Rang als die Sinneswahrnehmung, die bei ihren spezifischen Objekten immer wahr ist. Denn dass sie manchmal falsch ist, liegt daran, dass sie vieles zugleich sieht, und das Wahr-oder-Falsch-Sein erfolgt nicht gemäß der ersten Bezugnahme auf das Verständnis der Sache, sondern gemäß einem Urteil über dieses Verständnis. […] 428a18 Es bleibt also zu prüfen, ob sie eine Meinung sei. [210, 10] Der jetzt angeführte Unterschied der Meinung vom

Vorstellungsvermögen scheint mir derselbe zu sein wie der vorher genannte. Dort wurde nämlich gesagt, dass es nicht in unserer Gewalt ist, Meinungen zu haben, da man notwendigerweise wahr oder falsch rede [an. III 3, 427b20 f.], und hier, einer Meinung folge durchweg Überzeugung. Eine Überzeugung ist aber die Akzeptanz von etwas Erkanntem als etwas Wahrem, deswegen ist sie auch bei nicht rationalen Wesen nicht vorhanden. Denn die Beurteilung einer Sache als wahr, nachdem sie verstanden wurde, ist eine rationale Tätigkeit. Denn der Geist weiß, dass seine Erkenntnis wahr ist, aber er weiß beides ungeteilt und in einem. Die rationale Erkenntnis akzeptiert aber, dass ein Verständnis wahr ist, indem sie dies beurteilt, wobei sie sich ganz auf ein Argument stützt, entweder auf ein notwendiges oder auf ein einleuchtendes, oder auf den Sprechenden als auf eine vertrauenswürdige Person, und so durch ein Argument beurteilt. [210, 19] So erfolgt auch bei den Wahrnehmungsobjekten eine doppelte Erkenntnis, nämlich eine, dass das Gesehene ein

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Priskian von Lydien · Text

μὲν αἰσθητική, αὕτη δὲ λογική. διαφαίνεται δὲ τὸ διττὸν ἐν τοῖς πόρρωθεν ὁρωμένοις· οὐ γὰρ συντίθεμαι ὅτι ἄνθρωπος, εἰ μὴ ὅτι κινούμενον καὶ δίπουν καὶ ὄρθιον λογίσομαι· ἐπὶ δὲ τῶν ἐγγὺς λανθάνει, διὰ τὸ εὐθὺς ἐπακολουθεῖν τῇ τοῦ ὁρωμένου γνώσει τὴν τοῦ ὅτι καὶ ἀληθῶς γινώσκομεν. οὐ γὰρ ταὐτὸν ἡ περὶ ὁτουοῦν σύνεσις καὶ ἡ περὶ τοῦ ὅτι καὶ ἀληθὴς ἡ σύνεσις, ᾗ ἕπεται ἡ συγκατάθεσις, παραδοχὴ οὖσα τοῦ ἀληθοῦς. φιλαλήθης γὰρ ἡ ψυχή, οὐδέποτε κατὰ τὸ ψεῦδος ἀνεχομένη διατίθεσθαι, ἀλλὰ κατὰ τὸ φανὲν ἀληθὲς πάντως καὶ εὐθύς. διακέκριται μὲν οὖν ἐπὶ πάσης ὑπολήψεως τὸ διττὸν τῆς γνώσεως, ἀλλὰ τῇ μὲν ἐπισ­τημονικῇ τῶν ὄντων γνώσει ἀκριβεῖ οὔσῃ εὐθὺς καὶ ἡ ὅτι ἀληθὴς ἡ γνῶσις συνακολουθεῖ, ὡς καὶ τῇ ἐγγὺς γινομένῃ ὁράσει, ἐπὶ τῆς δοξαστικῆς δὲ γνώσεως κατὰ τὸ δοκοῦν καὶ ἐπιπόλαιον καὶ οἷον πόρρωθεν, διὰ τὸ μὴ εἰς βάθος χωρεῖν μηδὲ τῶν πρώτων ἔχεσθαι αἰτιῶν, διαφαίνεται τὸ διάφορον.

[210, 34] καὶ ὀρθῶς δὲ ἔφη ἕπεσθαι τῇ δόξῃ τὴν πίστιν, ἐπειδὴ

συστατικὸν τῆς δόξης ὂν ἐπὶ πλέον αὐτῆς ἐστιν, ὡς τὸ ζῷον τοῦ ἀνθρώπου· καὶ γὰρ ἐπιστήμῃ τε καὶ νῷ ὑπάρχει καὶ φρονήσει καὶ αὐτῇ τῇ δόξῃ. ἐν ἀμφοῖν γὰρ τὸ εἶναι τῇ δόξῃ, ἔν τε τῇ ἐπιπολαιο [211] τέρᾳ τῶν πραγμάτων συνέσει καὶ ἐν τῇ ὡς ἀληθεῖ συγκαταθέσει. ἡ δὲ πίστις πάσῃ λογικῇ τε καὶ νοερᾷ ἑπομένη γνώσει οὐδενὶ ὑπάρχει τῶν θηρίων, ἐπειδὴ οὐδὲ ὡς ἀληθοῦς ἀντιληπτικὴ ἡ ἄλογος γνῶσις, ἀλλὰ μόνου τοῦ πράγματος, οὗπερ καὶ ἔστι γνωστική, ἀληθὴς μὲν ὑπάρχουσα, οὐκ αὐτὸ δὲ τοῦτο κρίνουσα ὅτι ἀληθής. ἐπιστρεπτικῆς γὰρ εἰς ἑαυτὴν γνώ-



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Mensch ist, und eine andere, dass diese Erkenntnis wahr ist, wobei die erste der Sinneswahrnehmung angehört, die zweite aber der Vernunft. Diese Doppelung ist bei dem aus der Ferne Gesehenen deutlich zu erkennen. Denn ich akzeptiere nicht, dass das ein Mensch ist, außer wenn ich feststelle, dass er bewegt, zweibeinig und aufrechten Gangs ist. Bei dem aus der Nähe Gesehenen bleibt die Doppelung verborgen, weil die Erkenntnis, dass wir etwas Wahres erkennen, der Erkenntnis des Gesehenen unmittelbar folgt. Denn das Verständnis von irgendetwas ist nicht dasselbe wie das Urteil, dass dieses Verständnis wahr ist, dem die Akzeptanz folgt, die die Übernahme des Wahren ist. Denn die Seele liebt die Wahrheit, da sie sich daran hält, niemals das falsche anzunehmen, sondern durchweg und sofort das offensichtlich Wahre. Die Doppelung der Erkenntnis ist also ein typisches Merkmal jeder Bezugnahme, aber der wissensmäßigen Erkenntnis des Seienden, die exakt ist, folgt sofort das Urteil, dass die Erkenntnis wahr ist, wie auch dem Sehen aus der Nähe. Bei der meinenden Erkenntnis, die dem Scheinbaren, Oberflächlichen und gleichsam Entfernten folgt, ist der Unterschied beider Erkenntnisse deutlich erkennbar, da sie nicht in die Tiefe geht und keinen Zugang zu den ersten Ursachen hat. [210, 34] Zu Recht hat Aristoteles auch gesagt, der Meinung folge Überzeugung (an. III 3, 428a20), weil diese, als ein konstituierendes Merkmal der Meinung, weiter ist als sie, so wie ›Lebewesen‹ weiter ist als ›Mensch‹.9 Denn Überzeugung gibt es beim Wissen, beim Geist, bei der Einsicht und eben bei der Meinung. Denn eine Meinung besteht in beidem, in einem vergleichsweise [211] oberflächlichen Verständnis der Dinge und in ihrer Akzeptanz als wahr. Die Überzeugung, die jeder ratio­ nalen und denkfähigen Erkenntnis folgt, ist aber bei keinem der Tiere vorhanden (an. III 3, 428a21), da die nicht rationale Erkenntnis ja nicht das Wahre begreifen kann, sondern nur das Ding, das sie gerade erkennt, wobei sie zwar wahr ist, aber eben nicht das Urteil fällt, dass sie wahr ist. Denn das gehört zur auf sich selbst zurückgewendeten Erkenntnis, die begreift,

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Priskian von Lydien · Text

σεως τῆς ὅτι αὐτὸ τοῦτο γινώσκει ὅλως ἢ ὅτι ἀληθῶς ἢ ψευδῶς ἀντιληψομένης· αὐτὴ γὰρ ἑαυτὴν γνώσεται. πρὸς δὲ μόνον τὸ ἔξω πᾶσα ἡ ἄλογος τέταται ζωή, ἐπεὶ καὶ ὀρέγεται μόνων τῶν ἐκτὸς καὶ γινώσκει μόνα ταῦτα· καὶ οὔτε ἡ ὄρεξις αὐτῶν ὡς ἀγαθῶν γίνεται τῶν ἐκτός, ἀλλ’ ὡς ἡδέων μόνον, οὔτε ἡ γνῶσις ὡς ἀληθῶν, ἀλλ’ ὡς αἰσθητῶν μόνων. ἐν μὲν γὰρ τῇ ὡς ἀγαθοῦ ἢ ὡς ἀληθοῦς συναισθήσει συναναφέρειν ἀνάγκη καὶ τὸ ὠφελούμενον ἢ τὸ ἀληθεῦον ἑαυτό· οὔτε δὲ ἐν τῇ τοῦ ἔξω γνωστοῦ κρίσει τὸ γινῶσκον πάντως, οὔτε ἐν τῇ τοῦ ἡστοῦ συναισθήσει τὸ ἡδόμενον. τοὐναντίον γὰρ καὶ τὴν ἡμετέραν ψυχὴν ἡ σφοδρὰ περὶ τὰ ἐκτὸς ἡδονὴ ὡς καὶ ἡ σύντονος αὐτῶν αἴσθησις ἐξίστησιν ἑαυτῆς. […]

Aus dem Kommentar zu III 4

429a10 Περὶ δὲ τοῦ μορίου τῆς ψυχῆς, ᾧ γινώσκει τε ἡ ψυχὴ καὶ

φρονεῖ.

[217, 23] Τί μὲν καὶ ποῖος ὁ χωριστὸς τῶν ψυχῶν νοῦς, ὅτι ἡ

πρώτη οὐσία καὶ ἀμέριστος καὶ ἡ ἀρίστη ζωὴ καὶ ἡ ἀκροτάτη ἐνέργεια, καὶ ὁ αὐτὸς νοητόν τε καὶ νόησις καὶ νοῦς, καὶ ἀιδιότης καὶ τελειότης καὶ μονὴ καὶ ὅρος καὶ αἰτία πάντων, εὐκαιρότερον ἡμῖν καὶ τελειότερον ἐν τοῖς εἰς τὸ λάβδα τῆς Μετὰ τὰ φυσικὰ γεγραμμένοις ἑπομένως ταῖς Ἰαμβλίχου περὶ αὐτοῦ κατὰ τὸν Ἀριστοτέλους σκοπὸν θεωρίαις πεφιλοσόφηται. μᾶλλον



Kommentar zu De anima III

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dass sie überhaupt diese Erkenntnis hat und dass sie wahr oder falsch ist. Sie muss sich folglich selbst erkennen. Jede nicht rationale Lebensform ist aber ganz auf das Äußere gerichtet, weil sie auch nur das Äußere erstrebt und nur dies erkennt. Und bei den äußeren Dingen gibt es weder ein Streben zu ihnen, insofern sie gut sind, sondern nur insofern sie angenehm sind, noch gibt es die Erkenntnis, dass sie gut, sondern nur die, dass sie wahrnehmbar sind. Denn wenn man etwas bewusst als gut oder als wahr auffasst, dann erscheint notwendigerweise zugleich auch das Verpflichtete oder das wahr Erkennende selbst. Aber weder erscheint bei der Beurteilung des äußeren Erkenntnisobjekts irgendwie das Erkennende noch das Erfreute bei der bewussten Auffassung des Gegenstands der Freude. Denn ganz im Gegenteil entfernt die übermäßige Freude an etwas Äußerem ebenso wie die ihr entsprechende Wahrnehmung unsere Seele von sich selbst. […]

p. 217, 22–222, 30 Aus dem Kommentar zu III 4 Theoria zu an. III 4 und Lexis zu 429a10–13

Aristoteles spricht in De anima III 4–5 über die menschliche Seele [217] 429a10 Über den Teil der Seele, mit dem die Seele erkennt

und einsieht [217, 23] Was und wie beschaffen der von den Seelen abgetrennte Geist ist, dass er das primäre Sein,10 unteilbar, das ausgezeichnetste Leben11 und die höchste Aktivität ist und dass derselbe Objekt des Denkens und Denken und Geist ist und Ewigkeit, Vollkommenheit, Verharren,12 Bestimmung13 und Ursache von allem, das ist von uns an geeigneterer Stelle und vollständiger in dem, was wir zu Metaphysik XII geschrieben haben,14 philosophisch dargestellt worden, wobei wir Jamblichs Einsichten über den Geist gemäß dem Thema des Aristoteles gefolgt sind.15 Jetzt ist mehr darüber zu sa-

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δὲ νῦν ποῖός τις ὁ ὑπὸ τῆς ἡμετέρας ψυχῆς μετεχόμενος νοῦς ῥητέον. [217, 29] ἔστι γάρ τις καὶ ἴδιος ὑφ’ ἑκάστης λογικῆς ψυχῆς μετεχόμενος νοῦς, ᾧ ὁρίζεται ἑκάστη ψυχὴ ὑποβᾶσα εἰς τὸ ὁριζόμενον καὶ εἰς λόγον ἀντὶ εἴδους. ἀμέριστον γὰρ ἅπαν εἶδος, ἐπειδὴ καὶ ὅρος καὶ τελειότης· ἡ δὲ ψυχὴ οὐκ ἀμέριστος, ὡς ἡ ἀνελιττομένη αὐτῆς δηλοῖ ἐνέργεια, ἐν διαιρέσει ἅμα καὶ συναγωγῇ προϊοῦσα. ὑποβᾶσα οὖν εἰς τὸ ὁριζόμενόν τε καὶ εἰδοποιούμενον μετέχει καὶ οὐσιωδῶς ἐξῆπται ὅρου καὶ εἴδους, καὶ ἰδίου ἑκάστη, εἴ γε καὶ ἐπὶ τῶν συνθέτων τὸ ἀτομωθὲν ὑπάρχει εἶδος, καθ’ ὃ ἰδίως παρὰ τοῖς ἐκ τῆς Στοᾶς λέγεται ποιόν, ὃ καὶ ἀθρόως ἐπιγίνεται καὶ αὖ ἀπογίνεται [218] καὶ τὸ αὐτὸ ἐν παντὶ τῷ τοῦ συνθέτου βίῳ διαμένει, καίτοι τῶν μορίων ἄλλων ἄλλοτε γινομένων τε καὶ φθειρομένων. εἰ δ’ οὖν καὶ τῶν συνθέτων ἕκασ­ τον οἰκείῳ ὁρίζεται εἴδει, μειζόνως ἡ ψυχή, ἅτε καὶ προσεχῶς ἐχομένη τῶν εἰδῶν· καὶ διοίσει δηλαδὴ τὸ μετεχόμενον τοῦτο εἶδος καὶ τῶν πρώτων καὶ ἀμεθέκτων εἰδῶν ὡς μετεχόμενον καὶ οὐ πάντῃ μεῖναν ἐν ἑαυτῷ οὐδὲ ὅρος ὢν χωριστός, ἀλλ’ ἑτέρου ὑπάρχων τῆς ψυχῆς, αὐτὸ δὲ τοῦτο ὅρος τῆς εἰς τὸ ὁριζόμενον ὑποβάσης. καὶ αὐτῆς οὖν διοίσει τῆς ψυχῆς ὡς κρείττων οὐσία· ὡς γὰρ ὅρῳ ὁριζομένης καὶ ὡς τελειότητι τελειουμένης· καὶ ἐπειδὴ ἡ ψυχὴ ἡ κατὰ λόγον ἐστὶ γνωστικὴ οὐσία, τὸ ταύτην ὁρίζον ἀμέριστος ἔσται γνωστικὴ οὐσία. τοῦτο δὲ ὁ νοῦς, ἀλλὰ μεθεκτὸς νοῦς καὶ τὸ ὅλον τοῦτο ψυχῆς νοῦς.



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gen, von welcher Art der Geist ist, an dem unsere Seele Teil hat. [217, 29] Denn es gibt für jede rationale Seele einen einzelnen und eigenen Geist, an dem sie Teil hat.16 Durch ihn wird jede Seele bestimmt, nachdem sie in das Bestimmte und in den Gehalt – anstelle der Form – herabgestiegen ist.17 Denn jede Form ist unteilbar, weil sie sowohl Bestimmung als auch Vollkommenheit ist. Die Seele ist aber nicht unteilbar, wie ihre entfaltete Aktivität18 deutlich macht, die zugleich in Trennung und in Zusammenfassung hervorgeht. Wenn sie also in das Bestimmte und Geformte herabgestiegen ist, dann hat sie Teil an und ist seinsmäßig abhängig von der Bestimmung und der Form, und zwar jede einzelne von ihrer eigenen Form. Denn es existiert ja auch bei den Komposita eine individuierte Form, der zufolge bei den Stoikern von der eigentümlichen Beschaffenheit gesprochen wird,19 die als ganze kommt und geht [218] sowie im gesamten Leben des Kompositums dasselbe bleibt, auch wenn die verschiedenen Teile zu verschiedenen Zeiten entstehen und vergehen. Wenn also auch jedes einzelne Kompositum 20 durch eine eigene Form bestimmt wird, dann gilt das umso mehr für die Seele, da sie ja unmittelbar mit den Formen verbunden ist. Und natürlich wird sich diese Form, an der etwas Teil hat, auch von den primären Formen, an denen nichts Teil hat, unterscheiden, da sie ja etwas ist, woran etwas Teil hat und das nicht vollständig in sich selbst bleibt.21 Denn sie ist keine abgetrennte Bestimmung, sondern existiert in Bezug auf etwas anderes, die Seele, als eben dieses: ihre Bestimmung, wenn sie in das Bestimmte herabgestiegen ist. Folglich wird sie sich auch von der Seele selbst als eine höhere Seinsform unterscheiden, denn diese wird von der Bestimmung bestimmt und von der Vollkommenheit vervollkommnet. Und weil die durch Rationalität gekennzeichnete Seele eine erkenntnisfähige Seinsform ist, muss auch das, was diese bestimmt, eine erkenntnisfähige Seinsform sein. Das ist der Geist, aber der Geist, an dem etwas Teil hat, und dieses Ganze ist Geist der Seele.

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Priskian von Lydien · Text

[218, 11] ἆρα οὖν περὶ τοῦδε νῦν τῷ Ἀριστοτέλει ὁ λόγος; ἀλλ’

οὔτι γε μόριον οὗτος τῆς ψυχῆς, αἰτία δὲ αὐτῆς εἰδητικὴ καὶ κρείττων οὐσία, πρὸς τῷ καὶ ἄτοπον αὐτῷ γίνεσθαι τὴν ἄμεσον ἀπὸ τῆς φαντασίας ἐπ’ ἐκεῖνον μετάβασιν, ὑπερβάντι τὴν λογικὴν οὐσίαν, καίτοι ἀπὸ τῆς θρεπτικῆς διὰ τῶν μέσων ἀεὶ ἀναβαίνοντι· ὁπότε καὶ σαφῶς διορίζεται γράφων »λέγω δὲ νοῦν ᾧ διανοεῖται καὶ ὑπολαμβάνει ἡ ψυχή«. καὶ ἑλεῖν μὲν δεῖ καὶ τὸν ὅρον τῆς ψυχῆς, ἵνα ἐπιστημονικῶς αὐτὴν γνωρίζωμεν μᾶλλον, ὡς καὶ ἐπὶ τῶν ἄλλων,

[218, 18] οἷον ζῷον λογικὸν θνητὸν γνόντες τὸν ἄνθρωπον ἐν τῇ

ζωῇ τῇ κατὰ λόγον οὐσιωμένῃ πεπερασμένα κατὰ χρόνον μέτρα ἐχούσῃ τὸ εἶδος νοοῦμεν τὸ ἀνθρώπειον. οὕτω δὴ καὶ τὴν ψυχὴν ἐν οὐσίᾳ καὶ ζωῇ ἀνελισσομένῃ πρακτικῇ τε καὶ θεωρητικῇ θεωρήσαντες, καὶ ποτὲ μὲν πρὸς τὰ αἰσθητὰ ποτὲ δὲ πρὸς τὰ νοητὰ στρεφομένην, καὶ τὸ εἰδητικὸν αὐτῆς αἴτιον θησόμεθα ἐν ἀμερίστῳ καὶ νοερᾷ οὐσίᾳ τε καὶ ζωῇ, οὐ πρακτικῇ μὲν οὐδὲ ἀνειλιγμένως θεωρητικῇ, ὁριστικῇ δὲ ταύτης αἰτίᾳ καὶ ἐνδοτικῇ πράξεώς τε καὶ τῆς τοιᾶσδε θεωρίας ἐνεργείᾳ. λέγω δὲ εἰδητικὴν τῆς ψυχῆς αἰτίαν τὴν καθ’ ἣν παροῦσαν αὐτῇ ἀχωρίστως ὁρίζεται ἤδη εἰς τὸ ὁριζόμενον ὑποβᾶσα, ὥσπερ καὶ πᾶν τὸ ὁριζόμενον κατά τινα αὐτῷ παρόντα ὁρίζεται ὅρον κοινῇ τε πᾶσι τοῖς ὁμοειδέσι καὶ τὸν ἑκάστου ἴδιον, ἐφ’ ὧν πολλὰ τὰ ὁμοειδῆ. ἔστι τοίνυν ὁ προκείμενος σκοπὸς οὐ περὶ τοῦ μετεχομένου ὑπὸ τῆς ψυχῆς νοῦ οὐδὲ ἔτι μᾶλλον περὶ τοῦ ἀμεθέκτου, ἀλλὰ περὶ τῆς λογικῆς οὐσίας· ἐπειδὴ καὶ περὶ ψυχῆς ἡ πραγματεία, μόριον δὲ καὶ ὁ λόγος τῆς ἀνθρωπίνης ψυχῆς, ὅτι μία ἦν ἡ ὅλη·



Kommentar zu De anima III

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[218, 11] Wird also dieser jetzt von Aristoteles behandelt?

Nein: Er ist kein Teil der Seele, sondern ihr formgebendes und höheres Sein. Außerdem ist es für Aristoteles auch unsinnig, dass ein unvermittelter Übergang vom Vorstellungsvermögen zu diesem Geist geschehen soll. Dann hätte er die rationale Seinsform übersprungen, obwohl er immer von der Nährseele durch die dazwischen liegenden Vermögen nach oben voranschreitet.22 Das gibt er auch klar zu erkennen, wenn er schreibt: »ich nenne Geist das, womit die Seele diskursiv denkt und Bezug nimmt« (an. III 4, 429a23). Es ist ja nötig, die Bestimmung der Seele zu erfassen, damit wir sie mehr auf wissenschaftliche Art verstehen, so wie es auch bei den anderen Dingen ist. [218, 18] Zum Beispiel denken wir, wenn wir den Menschen, der seinsmäßig in der Lebensform gemäß der Vernunft ist, die zeitlich begrenzte Maße hat, als sterbliches rationales Lebewesen23 erkannt haben, die menschliche Form. So werden wir auch, wenn wir die Seele, die sich bald den Objekten der Sinneswahrnehmung und bald denen des Denkens zuwendet, in der entfalteten theoretischen und praktischen Seins- und Lebensform erkannt haben, ihren formalen Grund in dem unteilbaren und denkfähigen Sein und Leben ansetzen, das weder praktisch noch auf entfaltete Weise theoretisch ist, sondern die bestimmende Ursache der Seele und die Aktivität, die der Seele die Praxis und die derartige Theorie eingibt. Formursache der Seele nenne ich das, durch dessen untrennbare Anwesenheit bei ihr sie bestimmt wird, wenn sie schon ins Bestimmte herabgestiegen ist, so wie ja alles Bestimmte gemäß einer bestimmten, bei ihm anwesenden Bestimmung bestimmt wird, die allen Dingen von gleicher Art gemeinsam sowie jedem Einzelnen eigentümlich ist, weswegen es viele Dinge von gleicher Art gibt. Das beabsichtigte Thema ist folglich nicht der Geist, an dem die Seele Teil hat, geschweige denn der, an dem nichts Teil hat, sondern das rationale Sein – weil ja die Untersuchung die Seele behandelt, die Vernunft aber auch ein Teil der menschlichen Seele ist, weil diese als ganze eine ist.

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Priskian von Lydien · Text

[218, 33] εἴρηται δὲ ὅτι νῦν γίνεται μία συμπλεκομένου τοῦ λόγου

ἐν τῇ πρὸς τὸ σῶμα ῥοπῇ ταῖς δευτέραις καὶ σωματοειδέσι ζωαῖς. εἰπὼν δὲ ᾧ γινώσκει ἡ ψυχή, ἐπειδὴ γνῶσις καὶ ἡ αἰσθητική τε καὶ φανταστική, ἵνα τὴν λογικὴν δηλώσῃ, προσέθηκε τὸ καὶ φρονεῖ· ὅπερ ἴδιον τοῦ λόγου βάθος ἔχοντος καὶ τοῦ μὲν οὐδὲ χρωμένου ταῖς δευτέραις ζωαῖς, ἀλλὰ καθ’ ἑαυτὸν ἐνεργοῦντος καὶ οὐ πάσχοντος ἀλλ’ ἐνεργοῦντος τὰ γνωστά, διὰ τὸ μὴ ἔξωθεν ἀλλ’ ἀφ’ ἑαυτοῦ προβάλλειν, τοῦ δὲ εἰς τὸ ἔξω ἀποτεινομένου καὶ συμπλεκομένου ταῖς σωματοειδέσι γνώσεσι, καὶ τούτου ἢ ἀτελοῦς ἢ τελείου μέν, ὑπὸ δὲ τοῦ πρώτου τελειουμένου καὶ πληρουμένου τῶν εἰδῶν.

[218, 42] ὡς εἶναι διττὸν τὴν πρώτην τὸν τῆς ψυχῆς λόγον, τὸν μὲν χωριστὸν καὶ [219] πλήρη ἀφ’ ἑαυτοῦ τῶν οἰκείων γνωστῶν,

καθ’ ὃν ἡ εἰς ἑαυτὴν τῆς ψυχῆς ἐπιστροφὴ καὶ πρὸς τὰ κρείττω συναφή, τὸν δὲ καθ’ ὃν ἐξισταμένη τῆς ἐν αὑτῇ μονῆς ὅλη πρὸς τὰ δεύτερα ἀποτείνεται, ἢ παντελῶς τῶν αἰτίων ἀφισταμένη διά τε τὴν ἀφ’ ἑαυτοῦ καὶ τὴν ἀπὸ τῶν ὑπερτέρων πολλὴν τοῦ λόγου ἀπόστασιν, δυνάμει μόνον καὶ ἀτελῶς ἔχοντος τὰ εἴδη, ἢ τελειουμένη καὶ ἐν τῇ προβεβλημένῃ ζωῇ κατὰ τὸν οὐ μείναντα μὲν ἐν ἑαυτῷ λόγον οὐδὲ ἐν αὐτοῖς τοῖς κατ’ οὐσίαν αὐτῷ ἐνυπάρχουσι γνωστοῖς, ἀλλ’ οὐ πάντῃ ὅμως ἀφιστάμενον, ὑποβάντα δὲ εἰς τὴν κατὰ προβολὴν ζωὴν καὶ τὴν κατὰ ἀπόστασιν τῶν οὐσιωδῶν λόγων, καὶ ἐν ταῖς περὶ τὴν οὐσίαν ἕξεσιν ὑποδεχόμενον τὰ γνωστὰ προϊόντα ἀπὸ τῶν οὐσιωδῶν, ὥσπερ ὁ ἐπιστήμων.



Kommentar zu De anima III

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[218, 33] Es wurde aber [weiter oben] gesagt, dass die Seele

jetzt eine wird,24 indem die Vernunft in der Hinneigung zum Körper sich mit den sekundären und körperartigen Lebensformen verbindet. Nachdem Aristoteles gesagt hat ›mit dem die Seele erkennt‹, hat er, um auf die rationale Seele hinzuweisen, weil auch die wahrnehmende und vorstellungsfähige Seele Erkenntnis25 sind, hinzugefügt ›und denkt‹. Das ist eigentümlich für die Vernunft, die eine gewisse Breite hat: Manchmal gebraucht sie nicht einmal die sekundären Lebensformen, sondern verwirklicht sich eigenständig und erleidet auch nicht, sondern verwirklicht die Erkenntnisgegenstände dadurch, dass sie sie nicht von außen, sondern aus sich selbst heraus hervorbringt. Ein andermal dehnt sie sich in das äußere aus und verbindet sich mit den körperartigen Erkenntnisarten, und diese ist entweder unvollendet oder zwar vollendet, aber durch das, was zuerst vollendet und mit den Formen erfüllt wird. [218, 42] Zunächst ist also die Vernunft der Seele doppelt, die eine ist abgetrennt und [219] aus sich heraus voll von den eigenen Erkenntnisgegenständen. Durch sie findet die Rückwendung26 der Seele zu sich selbst und die Verbindung mit den höheren Dingen statt. Die andere ist die, durch die die Seele sich als ganze zu den sekundären Dingen ausdehnt, indem sie aus dem Verharren in sich selbst heraustritt. Dabei entfernt sie sich entweder wegen der großen Entfernung der Vernunft von sich selbst und von den höheren Dingen vollständig von den Ursachen und enthält die Formen nur in Möglichkeit und unvollendet, oder sie ist auch in der hervorgebrachten Lebensform vollendet. Das ist sie als diejenige Vernunft, die zwar weder in sich selbst noch in den Erkenntnisgegenständen verbleibt, die ihr seinsmäßig innewohnen, die sich aber zugleich nicht vollständig entfernt, nachdem sie in die durch Hervorbringung entstandene und durch Entfernung von den seinsmäßigen Gehalten gekennzeichnete Lebensform herabgestiegen ist. Denn sie hat in den auf ihr Sein bezüglichen Dispositionen die Erkenntnisgegenstände aufgenommen, die von den seinsmäßigen hervorgehen,27 so wie es beim Wissenden der Fall ist.

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Priskian von Lydien · Text

[219, 11] ἔσται οὖν ὁ μὲν ὑλικὸς καὶ δυνάμει καὶ παθητικός, ὁ ἔξω

ῥέπων καὶ συμπεφυρμένος ταῖς δευτέραις γνώσεσιν, ὁ ἀτελὴς καὶ ὅλος ἔξω· ὁ δὲ ἐν προβολῇ μὲν ἀλλὰ πληρούμενος καὶ τὸ τέλειον ἔχων, ὅμως δὲ περὶ τὴν οὐσίαν καὶ οὐ κατ’ αὐτὴν τὴν οὐσιώδη ἐνέργειαν, παθητικὸς ὢν καὶ αὐτὸς διὰ τὸ ὑπὸ τῶν οὐσιωδῶν καὶ πρώτων γνωστῶν καὶ γνώσεων κατὰ δεύτερα τελειοῦσθαι μέτρα, καὶ δυνάμει οὖν, ἀλλ’ οὐ κατὰ τὸ ἀτελὲς πάντῃ, κατὰ δὲ τὸ δεύτερον δυνάμει τὸ ἤδη μὲν κατὰ τὴν ἕξιν τέλειον οὐκ ἐνεργοῦν δέ. ὡς γὰρ τὸ ζωτικὸν ὄργανον δυνάμει ζωὴν ἔχειν λέγεται, καίτοι ζῶν, διὰ τὸ ἑτέρωθεν ἐπικτήτως ζῆν, οὕτω καὶ τὸ κατὰ προβολὴν νοοῦν ὡς μὲν τοῖς μένουσιν εἴδεσι καὶ ταῖς συμφυέσιν αὐτοῖς νοήσεσιν ἐπικτήτως τελειούμενον δυνάμει νοεῖν λέγεται, κἂν ἤδη νοῇ.

[219, 21] ὁ δέ ἐστιν ὁ πρῶτος οὐσιώδης λόγος, αὐτὸς ὢν τό τε

πρῶτον ἐν τῇ ψυχῇ γνωστὸν καὶ ἡ πρώτη γνῶσις, καὶ ὡς λόγῳ ψυχικῷ δυνατόν, τῇ οὐσίᾳ ὢν ἐνέργεια διὰ τὴν πρὸς νοῦν συν­ αφήν. ὡς γὰρ ὁ ὑλικὸς καὶ ἀτελὴς ὅμοιος τῷ αἰσθητικῷ, διὰ τὴν πρὸς αὐτὸ ῥοπὴν ὅλως καὶ αὐτός, ὡς οἷόν τε τῷ λόγῳ, τοῦ ἔξω γινόμενος, οὕτως ὁ τοῦ ἔξω παντελῶς ἀφιστάμενος καὶ ἑαυτῷ ἀμερίστως ἑνούμενος, ὡς δυνατόν, ἀφομοιοῦται τῷ νῷ, ὃς πρῶτός ἐστι τῇ οὐσίᾳ ἐνέργεια.

[219, 27] οὕτως ἔμοιγε δοκεῖ διττὸς καὶ τριττὸς ὁ τῆς ψυχῆς εἶναι

λόγος, τοῦ δευτέρου ὁτὲ μὲν ἀτελοῦς ὁτὲ δὲ τελείου γινομένου, καὶ ταύτῃ διχῇ διαιρουμένου· οὐ γινομένης τῆς εἰς δύο ἢ τρία



Kommentar zu De anima III

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[219, 11] Die eine [Art von Vernunft] wird folglich materiell,

möglich und leidensfähig sein, da sie sich nach außen neigt und durch die sekundären Erkenntnisarten verwirrt wird, die unvollendete und sich als ganze außen befindliche. Die andere wird zwar in der Hervorbringung28 sein, aber erfüllt und im Besitz des Vollkommenen, zugleich aber in Bezug zu ihrem Sein, aber nicht in ihrer seinsmäßigen Aktivität, da auch diese Vernunft leidensfähig ist, insofern sie von den seinsmäßigen und primären Erkenntnisgegenständen und Erkenntnisarten im Maße des Sekundären vollendet wird. Folglich ist sie auch in Möglichkeit, aber nicht dem ganz Unvollendeten entsprechend, sondern in der zweiten Stufe der Möglichkeit, die schon der Disposition nach vollendet, aber nicht aktiv ist. Denn so wie man sagt, dass das Lebenswerkzeug in Möglichkeit Leben hat,29 obwohl es nur lebendig ist, weil es auf eine von anderswoher abgeleitete Weise lebt, so wird auch gesagt, dass das in der Hervorbringung Denkende, weil es von den dauerhaften Formen und dem mit ihnen verbundenen Denken auf abgeleitete Weise vollendet wird, in Möglichkeit denkt, auch wenn es schon denkt. [219, 21] Diese aber ist die primäre seinsmäßige Vernunft, da sie selbst das primäre Erkenntnisobjekt in der Seele und die primäre Erkenntnisart sowie wegen ihrer Verbindung mit dem Geist dem Sein nach Aktivität ist, soweit das für Vernunft in der Seele möglich ist. Denn so wie die materielle und unvollendete Vernunft dem Wahrnehmungsvermögen ähnlich ist, da sie sich wegen der Neigung zu ihm auch selbst, soweit es für Vernunft möglich ist, in Bezug auf das Äußere bewegt, so gleicht sich diejenige, die sich ganz vom Äußeren entfernt und sich unteilbar mit sich selbst vereint, soweit es möglich ist, dem Geist an, der primär dem Sein nach Aktivität ist. [219, 27] So scheint mir die Vernunft der Seele doppelt beziehungsweise dreifach zu sein, wobei die sekundäre zeitweise unvollendet und zeitweise vollendet wird, weswegen man zwei Weisen von ihr unterscheidet. Dabei geschieht diese Unterscheidung in zwei oder drei nicht so, als ob die Formen der

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Priskian von Lydien · Text

διαιρέσεως ὡς πάντῃ κεχωρισμένων τῶν λόγων ἀλλήλων, ἀλλ’ ὡς περὶ ἕνα τὸν πρῶτον τῶν δύο καὶ ἀπ’ αὐτοῦ προϊόντων καὶ περὶ μίαν οὐσίαν τὴν πρώτην τῆς δευτέρας καὶ τρίτης οὐσιουμένης. αὐτὴ γὰρ ἡ πρώτη ἀφ’ ἑαυτῆς προϊοῦσα τὰς δευτέρας καὶ τρίτας προβάλλεται ἐν ἑαυτῇ ζωάς, οὐκ ἐνεργείας ἀνουσίους οὔσας, ἀλλ’ αὐτὸ δὴ τοῦτο ζωάς· πᾶσα δὲ ζωὴ οὐσία καὶ ἡ ἐσχάτη, εἴ γε καὶ τὸ κατ’ αὐτὴν ὁριζόμενον ζῷον καὶ εἴ γε τῶν ἐναντίων δεκτικὴ ἡ γενεσιουργὸς ζωή. ἀλλ’ οὐχ οὕτως ἡ πρώτη εἰς τὸ ἔξω πρόεισιν, ὡς μὴ καὶ μένειν ἐν ἑαυτῇ· ἐν γὰρ τῷ μένειν καὶ αὐτῇ τὸ εἶναι καὶ ταῖς ἄλλαις διὰ τὸ ὁπωσοῦν μένειν παρέχεται· ἀλλ’ ὅταν εἰλικρινῶς μένει.

[219, 39] εἷς οὖν ὁ μένων τε εἰλικρινῶς πρότερον καὶ αὖθις χαλῶν

τὸ μόνιμον τῇ εἰς τὸ ἔξω ἀφ’ ἑαυτοῦ προβολῇ καὶ προόδῳ καὶ ἀτελὴς [220] κατὰ ταύτην ἢ τέλειος γινόμενος, καὶ πάλιν τῶν δευτέρων προβολῶν χωριζόμενος καὶ εἰς ἑαυτὸν ἀνατρέχων, ὅτε καὶ ἔστιν ὅπερ ἐστίν. ἐν γὰρ τῇ προβολῇ ἀφίσταταί πως ἑαυτοῦ καὶ οὔτε μένει ἐν ἑαυτῷ παντελῶς οὔτε ἔστιν εἰλικρινῶς ὅπερ ἐστί, παραθραυόμενός πως καὶ κατ’ οὐσίαν· οὐχ ὡς πάντῃ ἀπολλύμενος οὐδὲ ὡς μὴ καὶ μένων πῃ ἔξω ἰών, ἀλλὰ πρεπόν­ τως τῇ ψυχικῇ μεσότητι,

[220, 6] ὡς τοῦ μεριστοῦ καὶ ἀμερίστου τυγχάνει ὢν μέσος, οὕτω

καὶ τοῦ ἀεί τε μένοντος ἐν ἑαυτῷ καὶ τοῦ ποτὲ παντελῶς ἀφ­ ισταμένου ἑαυτοῦ καὶ τοῦ ἀγενήτου τε καὶ γενητοῦ καὶ ἀθανάτου τε καὶ θνητοῦ μέσος ἂν εἴη, τῶν μὲν κατὰ προβολὴν ζωῶν ποτὲ



Kommentar zu De anima III

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Vernunft ganz getrennt voneinander wären, sondern so, dass die beiden abgeleiteten Formen von Vernunft in Bezug zur einen, primären Vernunft stehen und aus ihr hervorgehen, beziehungsweise so, dass das sekundäre und tertiäre Sein in Bezug zum einen primären Sein stehen. Denn diese primäre bringt, indem sie aus sich selbst hervorgeht, die sekundären und tertiären Lebensformen in sich selbst hervor, die keine Aktivitäten ohne eigenes Sein sind, sondern genau dieses: Formen des Lebens. Jede Lebensform ist aber eine Seinsform, auch die letzte, da das durch sie bestimmte Lebewesen und da die Lebensform, die das Werden bewirkt, in der Lage sind, Gegenteiliges aufzunehmen.30 Aber die primäre Lebensform geht nicht so in das Äußere hervor, dass sie nicht auch in sich selbst bleibt; denn indem sie bleibt, reicht sie sowohl sich selbst als auch den anderen Lebensformen das Sein, weil sie in gewisser Weise bleibt; allerdings bleibt sie, solange sie hervorgeht, nicht unberührt. [219, 39] Es ist also eine Vernunft, die zuerst unberührt bleibt und dann durch das Hervorbringen und das Hervorgehen aus sich selbst in das Äußere ihre Unveränderlichkeit lockert und [220] entweder unvollendet oder in Bezug auf die Hervorbringung vollendet wird sowie sich wiederum von dem sekundären Hervorbringen trennt und zu sich selbst zurückläuft, wo sie auch das ist, was sie ist. Denn im Hervorbringen entfernt sie sich in gewisser Weise von sich selbst, und weder bleibt sie vollständig in sich selbst, noch ist sie unberührt das, was sie ist, da sie in gewisser Weise auch in Bezug auf ihr Sein aufgebrochen wird – nicht so, als würde sie ganz zerstört werden, und auch nicht, als würde sie nicht auch irgendwie unverändert bleiben, wenn sie nach außen geht, sondern auf eine Weise, die der Mittelstellung der Seele angemessen ist. [220, 6] So wie die Vernunft sich in der Mitte zwischen dem Geteilten und dem Ungeteilten befindet, so ist sie wohl auch in der Mitte zwischen dem immer in sich selbst Bleibenden und dem sich manchmal ganz von sich selbst Entfernenden und zwischen dem, was sich außerhalb des Werdens, und dem, was sich im Werden befindet, und dem Unsterblichen und dem Sterb-

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Priskian von Lydien · Text

προχειριζομένων καὶ αὖθις συναιρουμένων εἰς τὴν ἐν ἑαυτῇ μένουσαν, ταύτης δὲ παραθραυούσης ποτὲ τὴν ἀκραιφνῆ ἐν ἑαυτῇ τε μονὴν καὶ τὴν τῆς ὑπάρξεως ἑαυτῆς ἀκρότητα κατὰ τὴν εἰς ἑαυτὴν στροφὴν οὐσιωμένην. ὡς μήτε μένειν ἀεὶ ὡσαύτως, ὡς τῷ Πλωτίνῳ δοκεῖ, μήτε μὴν οὕτως ἔνδοθεν προϊέναι ὡς παντελῶς ἑαυτῆς ἐξίστασθαι (οὔτε γὰρ ἂν προΐοι ἔτι οὔτ’ ἂν ὅλως μένοι), ἐπειδὴ ἐν τῇ εἰς ἑαυτὴν οὐσίωται στροφῇ.

[220, 15] ἔστι τοίνυν ὁ πᾶς λόγος τῷ Ἀριστοτέλει ἐν τούτοις περὶ

τῆς λογικῆς ψυχῆς, ἀλλ’ οὐ περὶ τοῦ μετεχομένου ὑπ’ αὐτῆς νοῦ πρώτως. δυνατὸν γάρ, ὡς ἔφαμεν, καὶ εἰς ἐκεῖνον ἀπὸ τούτου μεταβαίνειν, οὐ πάσχοντα ἅπερ ἡ ψυχή, ἀλλ’ ὁριστικῶς ἐνεργοῦντα ταῦτα, ἅπερ ἡ ὁριζομένη ὑπ’ αὐτοῦ ψυχὴ ἔστι τε καὶ ζῇ. αὕτη τοίνυν ἡ καὶ μεταβαλλομένη καὶ μένουσα, προϊοῦσά τε εἰς τὰ δεύτερα καὶ αὖθις εἰς τὴν ἀκραιφνῆ καὶ χωριστὴν ἀποκαθισταμένη οὐσίαν· ὁ δὲ μετεχόμενος ὑπ’ αὐτῆς νοῦς, μένων ἀεὶ ὡσαύτως ὅπερ ἐστίν, ὁρίζει τὰς παντοίας τῆς ψυχῆς καταστάσεις, ὡς καὶ τὸ φυσικὸν καὶ τὸ τῶν γενητῶν ὁριστικὸν εἶδος, ἀμέριστον ὂν καὶ μένον ὅπερ ἐστί, τῶν μεριστῶν καὶ παντοίως μεταβαλλομένων ὁριστικόν.

[220, 25] ἀλλὰ νοῦς, φασίν, ἡ κρείττων ἐστὶ τῆς ψυχῆς οὐσία,

περὶ δὲ νοῦ ποιεῖται τὸν λόγον ὁ Ἀριστοτέλης καὶ οὐ περὶ τῆς λογικῆς οὐσίας. καὶ πῶς, εἴ γε περὶ ψυχῆς ἡ πραγματεία, ἡ ἀρίσ­τη τῆς ψυχῆς παρεῖται ζωὴ ἡ λογική; πῶς δὲ ἀπὸ τῆς ἐσχάτης ἀρξάμενος τῆς θρεπτικῆς καὶ διὰ τῶν προσεχῶν ἀνιὼν διὰ τῆς αἰσθητικῆς καὶ φαντασίας οὐχὶ τῶν λογικῶν ἔχεται γνώσεων, εὐτάκτως ἀνιών, ὥσπερ καὶ φαίνεται πρῶτον μὲν τὴν κατὰ τὸ



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lichen. Dabei werden die dem Hervorbringen entsprechenden Lebensformen bald produziert und bald wieder in der Lebensform zusammengeführt, die unverändert in sich selbst bleibt, während diese manchmal das reine Unveränderlich-Sein in sich selbst und die höchste Stufe ihrer Existenz, die seinsmäßig in der Wendung zu sich selbst besteht, aufbricht. Also bleibt sie weder immer auf dieselbe Weise, wie Plotin31 meint, noch geht sie so von innen hervor, dass sie vollständig aus sich hinaustritt (denn dann ginge sie weder weiter hervor noch bliebe sie überhaupt unverändert), weil sie seinsmäßig in der Wendung zu sich selbst besteht. [220, 15] Folglich handelt Aristoteles’ ganzer Text in diesem Teil von der rationalen Seele, aber nicht in erster Linie von dem Geist, an dem sie Teil hat. Denn es ist möglich, wie wir schon gesagt haben, von dem bei uns vorhandenen Geist aus zu demjenigen voranzuschreiten, der nicht erleidet, was die Seele erleidet, sondern dadurch aktiv ist, dass er bestimmt, auf welche Art die von ihm bestimmte Seele ist und lebt. Sie ist also die, die sich sowohl verwandelt als auch unverändert bleibt, in das Sekundäre hervorgeht und sich als eine reine abgetrennte Seinsform wiederherstellt. Der Geist, an dem sie Teil hat, bestimmt, indem er immer genau das bleibt, was er ist, die vielfältigen Zustände der Seele, so wie auch die natürliche und im Werden befindliche bestimmende Form, indem sie ungeteilt ist und das bleibt, was sie ist, dasjenige bestimmt, was geteilt ist und sich vielfältig verwandelt. [220, 25] Dagegen sagen einige, der Geist sei das höhere Sein der Seele, und Aristoteles behandle in diesem Text den Geist und nicht das rationale Sein. Aber warum soll, wenn die Abhandlung über die Seele geht, die ausgezeichnetste Lebensform der Seele ausgelassen werden, nämlich die rationale? Warum soll er, nachdem er von der letzten Lebensform, dem Nährvermögen, aus begonnen hat und über die unmittelbar folgenden, das Wahrnehmungs- und Vorstellungsvermögen, vorangegangen ist, die rationalen Erkenntnisvermögen nicht berühren? Er geht doch in guter Ordnung voran, so wie er offensichtlich

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Priskian von Lydien · Text

πρῶτον δυνάμει ἀτελῆ παραδιδούς, ἔπειτα τὴν καθ’ ἕξιν τελείαν, καὶ οὕτω τὴν κατὰ τὴν τῇ οὐσίᾳ σύνδρομον ἑστῶσαν ἐνέργειαν, ἀλλ’ ὑπερβὰς πᾶσαν τὴν λογικὴν περὶ τοῦ ἐξῃρημένου τῆς ψυχῆς φιλοσοφεῖ νοῦ, περὶ οὗ μηδὲ προὔκειτο λέγειν; πῶς δὲ οὐ σαφῶς μόριον εἴρηται τῆς ψυχῆς τὸ νῦν εἰς θεωρίαν προκείμενον, ᾧ καὶ φρονεῖν εἴρηται; λογικὴ δὲ γνῶσις ἀλλ’ οὐ τοῦ ὑπὲρ ψυχὴν νοῦ ἡ φρόνησις. καὶ πάλιν ἐπάγει »λέγω δὲ νοῦν ᾧ διανοεῖται καὶ ὑπολαμβάνει ἡ ψυχή«· ὑπόληψις δὲ καὶ διάνοια λογικαὶ γνώσεις.

[220, 38] ἀλλὰ νοῦν καλεῖ καὶ τὸν λόγον· διατείνει δὲ τὸ ὄνομα

τοῦ νοῦ καὶ μέχρι τῆς φαντασίας. τὴν γοῦν δόξαν ἀπὸ τῆς φαν­ τασίας διακρίνων γράφει »ὅτι δὲ οὐκ ἔστιν ἡ αὐτὴ νόησις καὶ ὑπόληψις φανερόν· τοῦτο μὲν γὰρ τὸ πάθος ἐφ’ ἡμῖν ἐστι«, τὸ νοεῖν λέγων ἐκεῖνο τὸ φανταστικὸν [221] τὸ πρὸ ὀμμάτων τιθέμενον, ὅταν βουλώμεθα, ὥσπερ οἱ ἐν τοῖς μνημονικοῖς τιθέμενοι καὶ εἰδωλοποιοῦντες· καὶ φαντασίαν αὐτὸ σαφῶς ὀνομάζει λέγων »κατὰ δὲ τὴν φαντασίαν ὡσαύτως ἔχομεν ὥσπερ ἂν εἰ θεώμενοι ἐν ταῖς γραφαῖς τὰ δεινὰ ἢ θαρραλέα«· ἐν τούτοις μὲν μόνην τὴν φαντασίαν νόησιν εἰπών, ὑπόληψιν δὲ τὴν λογικὴν γνῶσιν, κοινῇ δὲ ἀμφοῖν τὸ νοεῖν κατηγορῶν ἐφεξῆς· »περὶ δὲ τοῦ νοεῖν ἐπεὶ ἕτερον τοῦ αἰσθάνεσθαι, τούτου δὲ τὸ μὲν φαν­ τασία δοκεῖ εἶναι τὸ δὲ ὑπόληψις«· τούτου λέγων τοῦ νοεῖν καὶ οὐχὶ τοῦ αἰσθάνεσθαι, ὡς δηλοῖ τὴν πρὸς τὴν αἴσθησιν τῆς φαντασίας ἐπάγων διαφοράν.

[221, 9] ἀλλὰ καὶ μόνον τὸν λόγον καλεῖ νοῦν, ἀντιδιαιρῶν αὐτὸν

πρὸς τὴν φαντασίαν, πολλὰ φάσκων κατὰ τὰς φαντασίας



Kommentar zu De anima III

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zuerst die gemäß der ersten Stufe der Möglichkeit unvollendete Lebensform, dann die der Disposition nach vollendete und schließlich die Aktivität erklärt, die mit dem Sein Hand in Hand geht.32 Aber nachdem er die ganze rationale Lebensform übersprungen hat, soll er über den die Seele überragenden Geist philosophieren, über den zu reden noch nicht einmal beabsichtigt war? Warum? Wird denn das, was er hier zu untersuchen beabsichtigt, nicht ganz klar ein Teil der Seele genannt, von dem ferner gesagt wird, dass sie mit ihm denkt? Das Denken ist eine rationale Erkenntnisart und kommt nicht dem über der Seele befindlichen Geist zu. Und er hebt noch einmal hervor: ›Geist nenne ich das, womit die Seele diskursiv denkt und Bezug nimmt‹. Bezug-Nehmen und diskursives Denken sind rationale Erkenntnisarten. [220, 38] Geist nennt er aber auch die Vernunft, und er dehnt den Namen des Geists bis zum Vorstellungsvermögen hin aus. Um nämlich das Meinen vom Vorstellungsvermögen zu unterscheiden, schreibt er: »Dass aber Denken und Bezug-Nehmen nicht dasselbe sind, ist klar. Denn das eine Erleiden ist in unserer Gewalt« (an. 3, 427b16 f.). Denken nennt er das Vorstellungsvermögen [221], das man sich vor Augen hält, wenn wir wollen, so wie die, die etwas in der Erinnerung halten und sich Bilder machen.33 Und er nennt es ganz klar Vorstellungsvermögen, wenn er sagt: »Im Vorstellungsvermögen dagegen verhalten wir uns ebenso, wie wenn wir auf einem Gemälde Schreckliches oder Ermutigendes erblicken« (an. III 3, 427b23 f.). An diesen Stellen nennt er nur das Vorstellungsvermögen Denken, BezugNehmen aber die rationale Erkenntnisart, wobei er dann von beiden zugleich das Denken aussagt: »Da nun das Denken vom sinnlichen Wahrnehmen verschieden ist und selbst teils aus Vorstellungsvermögen, teils aus Bezug-Nehmen besteht« (an. III 3, 427b27 f.). Mit ›selbst‹ meint er ›das Denken‹ und nicht ›das sinnliche Wahrnehmen‹, wie er zeigt, wenn er den Unterschied des Vorstellungsvermögens zur Sinneswahrnehmung angibt. [221, 9] Aber er nennt auch nur die Vernunft Geist, indem er sie gegen das Vorstellungsvermögen abgrenzt, wenn er sagt,

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Priskian von Lydien · Text

πράττειν τὰ ζῷα, »τὰ μὲν διὰ τὸ μὴ ἔχειν νοῦν, οἷον τὰ θηρία, τὰ δὲ διὰ τὸ ἐπικαλύπτεσθαι τὸν νοῦν ἐνίοτε πάθεσιν ἢ νόσοις ἢ ὕπνῳ, οἷον οἱ ἄνθρωποι.« καὶ γὰρ ἔοικε καὶ πᾶν τὸ καὶ ἀφ’ ἑαυτοῦ εἰς ἐνέργειαν ἐγειρόμενον γνωστικὸν νοῦν προσαγορεύειν, ὅτε καὶ μέχρι φαντασίας αὐτὸν διατείνει, καὶ ἰδίως τὸν ψυχικὸν λόγον ὡς προσεχῶς κατὰ τὸν νοῦν ὁριζόμενον, καὶ οὐχ ἥκιστα ὅτε μὴ περὶ τὰ αἰσθητὰ στρέφεται ὁ λόγος καθὸ αἰσθητά, ἀλλ’ ἢ τὰ τούτων κατ’ οὐσίαν γνωριστικὰ εἴδη ἢ τὰ ἐν αὐτῇ τῇ λογικῇ οὐσίᾳ θεωρεῖ ἢ καὶ δι’ αὐτῶν πρὸς τὰ κρείττω ἀνατείνεται. τότε γὰρ ἐνεργείᾳ γίνεται νοῦς ὡς τὰ νοητὰ γινώσκων, οὐ τὰ αἰσθητὰ ὡς αἰσθητά, ὧν καὶ ἡ αἴσθησις ἀντιληπτική· τότε γὰρ δυνάμει μόνον ἐστὶ νοῦς.

[221, 20] ὁ μὲν οὖν Πλάτων καὶ ἐπὶ πάντων εἴωθεν ὁμωνύμως τά

τε εἴδη καὶ τὰ κατ’ αὐτὰ εἰδοποιούμενα προσαγορεύειν· ὁ δὲ Ἀριστοτέλης, ὅταν μὲν μεριστὸν τὸ εἰδοποιούμενον ᾖ, φυλάττεται τὴν ὁμωνυμίαν διὰ τὴν πολλὴν τοῦ μεριστοῦ πρὸς τὸ εἶδος ἀμέριστον ὂν ἀπόστασιν, τὴν δὲ λογικὴν ψυχὴν ‹νοῦν προσαγορεύει› ὡς μὴ μόνον ὁριζομένην ἀλλὰ καὶ ὅρον οὖσαν. μεταξὺ γὰρ ὡς τοῦ ἀμερίστου καὶ μεριστοῦ ἄμφω πως οὖσα, οὕτω καὶ τοῦ ὅρου καὶ τοῦ ὁριζομένου ἀμφότερον ἐμφαίνουσα, τὸ μὲν ὡς ἀνελιττομένη, τὸ δὲ διὰ τὴν ἀεὶ κατὰ ὅρους μετάβασιν καὶ διὰ τὴν τῶν ἀνειλιγμένων πάντων εἰς ἓν συναγωγὴν ὡς παρισουμένη τῷ ὁρίζοντι νῷ. καὶ διὰ τοῦτο καὶ ἐν τῷ Εὐδήμῳ τῷ περὶ ψυχῆς αὐτῷ γεγραμμένῳ διαλόγῳ εἶδός τι ἀποφαίνεται τὴν ψυχήν, καὶ ἐν τούτοις ἐπαινεῖ τοὺς τῶν εἰδῶν δεκτικὴν λέγοντας τὴν ψυχήν, οὐχ ὅλην ἀλλὰ τὴν νοητικὴν ὡς τῶν ἀληθῶν δευτέρως



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dass die Lebewesen vieles gemäß ihren Vorstellungen tun, »teils weil sie keinen Geist haben wie die Tiere, teils aber, weil der Geist zuweilen verdeckt ist durch Erleiden, Krankheiten oder Schlaf, so wie bei den Menschen« (an. III 3, 429a6–8). Denn offensichtlich nennt er einerseits jedes Erkenntnisvermögen, das auch von sich selbst zur Erkenntnis erweckt wird, Geist, wenn er diesen Begriff auch bis zum Vorstellungsvermögen hin ausdehnt. Zum anderen nennt er die Vernunft in der Seele spezifisch so, weil sie unmittelbar gemäß dem Geist bestimmt ist, und zwar insbesondere, wenn die Vernunft sich nicht den Wahrnehmungsobjekten qua Wahrnehmungsobjekten zuwendet, sondern entweder deren seinsmäßige erkenntnisleitende Formen oder die Formen im rationalen Sein selbst betrachtet oder auch wenn sie sich durch diese vermittelt zu den höheren hinstreckt. Denn dann wird sie Geist in Aktivität, weil sie die Objekte des Denkens erkennt und nicht die Wahrnehmungsobjekte als Wahrnehmungsobjekte, die auch die Sinneswahrnehmung auffasst. Denn dann ist er nur in Möglichkeit Geist. [221, 20] Platon bezeichnet üblicherweise die Formen und das ihnen gemäß Geformte homonym. Aristoteles vermeidet dagegen, wenn das Geformte als etwas Teilbares existiert, die Homo­nymie wegen der großen Entfernung zwischen dem Teilbaren und der Form, die unteilbar ist,34 ‹bezeichnet› aber die rationale Seele ‹als Geist›, weil sie nicht nur bestimmt, sondern auch Bestimmung ist.35 Denn wie sie als Mittleres zwischen dem Unteilbaren und dem Teilbaren in gewisser Weise beides ist, so stellt sie auch als Mittleres zwischen der Bestimmung und dem Bestimmten beides dar, Letzteres, insofern sie entfaltet ist, Ersteres, insofern sie durch den dauernden Übergang gemäß den Bestimmungen und durch die Zusammenführung von allem Entfalteten in Eines dem bestimmenden Geist angeglichen ist. Deswegen stellt er auch im Eudemos, dem von ihm über die Seele geschriebenen Dialog, die Seele als eine Form dar36 und lobt in der vorliegenden Schrift diejenigen, die sagen, dass die Seele fähig ist, die Formen aufzunehmen, allerdings nicht die ganze Seele, sondern die zum Denken fähige, weil diese se-

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Priskian von Lydien · Text

εἰδῶν γνωριστικήν· τῷ γὰρ τῆς ψυχῆς κρείττονι νῷ τὰ ἀληθῆ εἴδη σύστοιχα. [221, 33] τούτων προδιωρισμένων τὴν Ἀριστοτελικὴν ἀναλαβόν­

τες λέξιν σκοπώμεθα εἰ συμφωνεῖ αὐτῇ τὰ προδιωρισμένα ἡμῖν.

429a10 Περὶ δὲ τοῦ μορίου τῆς ψυχῆς, ᾧ γινώσκει τε ἡ ψυχὴ καὶ

φρονεῖ, εἴτε χωριστοῦ ὄντος εἴτε καὶ μὴ χωριστοῦ κατὰ μέγεθος ἀλλὰ κατὰ λόγον, σκεπτέον, τίν’ ἔχει διαφορὰν καὶ πῶς ποτε γίνεται τὸ νοεῖν. [221, 39] Τὸν σκοπὸν τῶν προκειμένων ἀφορίζεται λόγων, ὅτι τε περὶ τῆς [222] λογικῆς ἐν ἡμῖν ψυχῆς· αὕτη γὰρ μόριον τῆς ὡς μιᾶς σὺν τῇ αἰσθητικῇ καὶ ὀρεκτικῇ καὶ θρεπτικῇ λαμβανομένης, καὶ οὐχὶ τέως κινητικῆς τῶν σωμάτων, ἀλλ’ ὡς γνωστικῆς τε καὶ πρακτικῆς. τὸ γὰρ φρονεῖν τῷ γινώσκειν προσθεὶς οὐ μόνον ὁποῖον τὸ γινώσκειν εἶπεν ἡρμήνευσεν, ἀλλὰ καὶ τὴν πρακ­ τικὴν αὐτῆς ἐδήλωσεν ἀρετήν· οὐ γὰρ μόνον λογικὴ ἀλλὰ καὶ πρακτικὴ ζωὴ ἡ φρονοῦσα. ἀλλὰ καὶ τὴν πρέπουσαν τῇ λογικῇ ψυχῇ ληπτέον γνῶσιν, ἢ τοὺς οἰκείους ἀνελίττουσαν λόγους ἢ πρὸς τὰ κρείττω ἀνατεινομένην ἢ καὶ τῶν ὑφειμένων τὰ εἴδη καὶ ὅλως τὰς οὐσίας θεωροῦσαν, ἀλλ’ οὐ τὰ συμβεβηκότα· τούτων γὰρ καὶ ἡ αἴσθησις.

[222, 9] τὸ δὲ εἴτε χωριστοῦ ὄντος εἴτε μὴ οὐ πρὸς τὸ σῶμα ἀκουσ­

τέον, εἴ γε καὶ πρότερον ἀνεφαίνετο, ὡς ὁ νοῦς εἴ τι συνέχει σῶμα καὶ πλάσαι χαλεπόν, καὶ εἴ γε καὶ νῦν εὐθὺς ἐπιφέρεται μηδὲ μεμῖχθαι αὐτὸν τῷ σώματι μηδὲ ὄργανόν τι αὐτῷ εἶναι ὡς τῷ αἰσθητικῷ, ἀλλὰ πρὸς τὰ εἰρημένα ἤδη τῆς ψυχῆς μόρια, τὸ



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kundär die wahren Formen erkennen kann. Denn die wahren Formen gehören zur selben Ordnung wie der Geist, der höher ist als die Seele. [221, 33] Nachdem dies vorab bestimmt ist, wollen wir nun anhand der Textanalyse überprüfen,37 ob das, was wir vorab bestimmt haben, hiermit übereinstimmt. 429a10 Über den Teil der Seele, mit dem die Seele erkennt und

denkt, mag er nun abtrennbar sein oder nicht abtrennbar nach der Größe, sondern nur dem Gehalt nach, müssen wir fragen, welche besonderen Eigenschaften er hat und wie das Denken zustande kommt. [221, 39] Er bestimmt das Thema der beabsichtigten Erörterungen: Über die [222] rationale Seele in uns. Denn diese ist ein Teil der Seele, die zusammen mit der wahrnehmenden, strebenden und nährenden als eine begriffen wird, und zwar nicht, insofern sie die Körper bewegt, sondern insofern sie erkenntnisfähig und praktisch ist. Denn indem er dem »Erkennen« das »Denken« hinzufügte, hat er nicht nur erklärt, wie das Erkennen beschaffen ist, sondern er hat auch die praktische Kraft der Seele verdeutlicht. Denn die denkende Lebensform ist nicht nur rational, sondern auch praktisch. Aber man muss die für die rationale Seele angemessene Erkenntnisart begreifen, die entweder die eigenen Gehalte entfaltet oder sich zum Höheren hin ausdehnt oder die Formen und überhaupt die Seinsformen des Abhängigen betrachtet, aber nicht ihre Akzidenzien. Denn auf diese bezieht sich ja die Sinneswahrnehmung. [222, 9] »Mag er nun abtrennbar sein oder nicht«, darf man nicht im Hinblick auf den Körper verstehen – es wurde doch vorher klargestellt, dass es sogar schwer vorzustellen ist (an. I 5, 411b18 f.), ob der Geist überhaupt irgendeinen Körper zusammenhält, und auch jetzt fügt er doch sofort hinzu, dass er weder mit dem Körper vermischt ist noch dieser für ihn ein Werkzeug ist wie für das Wahrnehmungsvermögen – sondern im Hinblick auf die schon genannten Teile der Seele, [wie] das

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Priskian von Lydien · Text

θρεπτικόν, τὸ φανταστικόν. ἢ μᾶλλον, ἐπειδὴ τριχῶς, ὡς εἴρηται, αὐτὸ τὸ λογικῶς γινῶσκον παραδώσει, προτίθεται αὐτὸ καθ’ αὑτὸ τὸ φρονοῦν σκοπεῖν, εἴτε χωριστόν ἐστι κατὰ μέγεθος ἑαυτοῦ εἴτε μή, ἀλλὰ κατὰ λόγον· ὡς εἶναι τὴν ζήτησιν, πότερον τρεῖς εἰσιν ἐν ἡμῖν νοῖ ὡς καὶ χωριζόμεναι ἀλλήλων οὐσίαι ἢ εἷς μὲν ὁ νοῦς καὶ μία οὐσία, τῷ λόγῳ δὲ διαφορουμένη, ποτὲ μὲν εἰς ἑαυτὴν ὅλη ἐστραμμένη, ποτὲ δὲ ἔξω ῥέπουσα,καὶ αὕτη ἢ ἀτελὴς ἢ τελεία· ὡς εἰ καὶ διάφοροι αἱ οὐσίαι, ἀλλ’ οὐ χωριζόμεναι τῷ ὑποκειμένῳ, περὶ δὲ μίαν αἱ τρεῖς τὴν πρώτην συνιστάμεναι, διαφορούμεναι δὲ τῇ τοῦ ἑνὸς κατὰ διαφόρους λόγους ζωῇ.

[222, 22] τὸ γὰρ σκεπτέον τίνα ἔχει διαφορὰν ὡμολογημένως οὐ

πρὸς τὰς προειρημένας ἀναπέμπει ἡμᾶς ζωάς (ἤδη γὰρ ὑπέμνησ­ται ὡς ἐκείνων ἡ ὑπόληψις διενήνοχεν), ἀλλὰ μᾶλλον πρὸς τὰς ἐν αὐτῷ τῷ φρονεῖν διαφοράς, ὅπερ καὶ ὕστερον ποιήσει. ἐπεὶ δὲ οὐκ ἀεὶ τελείαν τὴν νόησιν ἡ ἡμετέρα ἔχει ψυχή, σκεπτέον καὶ πῶς ποτε γίνεται τὸ νοεῖν. διὸ ἀναγκαίως αὐτῷ πρότερον ὁ δυνάμει καὶ ἀτελὴς παρείληπται νοῦς· ἀπὸ γὰρ τοῦ ἀτελοῦς ἅπασα ἄρχεται γένεσις, καὶ διὰ μέσου τοῦ καθ’ ἕξιν τελείου ἐπὶ τὴν κατ’ ἐνέργειαν ἱσταμένην ἀποτελευτᾷ τελειότητα. […]

429a23 Λέγω δὲ νοῦν, ᾧ διανοεῖται καὶ ὑπολαμβάνει ἡ ψυχή.



Kommentar zu De anima III

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Nährver­mögen, das Vorstellungsvermögen. Oder noch eher nimmt er sich vor – weil er, wie gesagt, das rational Erkennende auf dreifache Weise unterteilen wird – das Denkende in sich zu überprüfen, ob es der Größe nach von sich selbst trennbar ist oder nicht, sondern dem Gehalt nach. Dann wäre die Untersuchung, ob in uns drei Geister als voneinander abgetrennte Seinsformen bestehen oder ob der eine Geist auch eine Seinsform ist, die sich dem Gehalt nach unterscheidet, da sie sich zeitweise ganz sich selbst zugewendet hat, sich zeitweise nach außen neigt und dann unvollendet oder vollendet ist. Dann sind die Seinsformen, wenn sie auch verschieden sind, nicht dem Zugrundeliegenden nach getrennt, da die drei über die eine primäre zusammenhängen, wobei sie sich durch die Lebensform des einen in Form verschiedener Gehalte unterscheiden. [222, 22] Denn »zu prüfen, welches unterscheidende Merkmal er hat«, verweist uns der Übereinstimmung gemäß nicht auf die oben genannten Lebensformen (denn es wurde schon erklärt, wie sich das Bezug-Nehmen von diesen unterscheidet (an. III 3, 427b15–25)), sondern eher auf die unterscheidenden Merkmale im Denken selbst, so wie er es auch später machen wird. Weil aber unsere Seele das Denken nicht immer vollendet besitzt, ist auch zu prüfen, »wie das Denken zustande kommt«. Deswegen wird von ihm auch notwendigerweise zuerst der unvollendete, in Möglichkeit befindliche Geist behandelt. Denn von dem unvollendeten geht die ganze Entwicklung aus, und vermittelt durch den der Haltung nach vollendeten endet sie bei der Vollkommenheit, die in Aktivität existiert. […]

p. 226, 35–230, 29 Kommentar zu an. III 4, 429a23–b 9

Zwei Formen des Geist-Seins: Der Geist in Möglichkeit und der Geist in zeitweiliger Vollendung 429a23 Geist nenne ich das, womit die Seele diskursiv denkt

und Bezug nimmt.

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Priskian von Lydien · Text

[226, 36] Ἐν γὰρ ταῖς διεξοδικαῖς τοῦ λόγου μεταβάσεσιν, ἃς ἀπὸ

τοῦ διανύειν γνωστικῶς ἡ διάνοια δηλοῖ, καὶ ἐν τῇ κατά τινα ἀπόστασιν θεωρίᾳ, ἣν ἡ [227] ὑπόληψις σημαίνει, τό τε ἀτελὲς ἐπισυμβαίνει ποτέ, ὡς μηδὲν νοεῖν, καὶ τὸ καθ’ ἕξιν τέλειον, ὅτε δύναται καὶ τἆλλα δι’ ἑαυτοῦ καὶ αὑτὸν νοεῖν.

429a24 Διὸ οὐδὲ μεμῖχθαι εὔλογον αὐτὸν τῷ σώματι· ποιός τις

γὰρ ἂν γένοιτο, ἢ θερμὸς ἢ ψυχρός, κἂν ὄργανόν τι εἴη ὥσπερ τῷ αἰσθητικῷ· νῦν δὲ οὐδέν ἐστιν. [227, 6] Ἐπειδὴ δυνάμει μόνον εἶπε τὸν εἰρημένον νοῦν καὶ μηδὲν εἶναι ἐνεργείᾳ τῶν ὄντων καὶ μηδεμίαν εἶναι φύσιν αὐτοῦ ἀλλ’ ἢ μόνον ὅτι δυνατός, εὐλαβήθη οὐχὶ μὴ ἀνούσιον ἢ ἄζων αὐτὸν ὑποπτεύσωμεν (ζωὴ γὰρ πάντως καὶ οὐσία ἡ γινώσκειν τε καὶ φρονεῖν δυναμένη καὶ τῶν νοητῶν γνωστικῶς μεταλαγχάνειν εἰδῶν) οὐ τοῦτο οὖν εὐλαβήθη, ἀλλὰ μὴ σωματοειδής τις ὑπονοηθῇ εἶναι ζωὴ καὶ οὐσία, διότι ἐν σώμασι μάλιστα τὸ δυνάμει καὶ ἀτελὲς καὶ αἱ μεταβολαί, δείκνυσιν αὐτὸν πάσης ἀχωρίστου σωμάτων ζωῆς ἐξῃρημένον. διττὴ δὲ ἡ ἀχώριστος, ἥ τε αὐτὸ εἰδοποιοῦσα τὸ ζωτικὸν ὄργανον, καθ’ ἣν ζῶν ἐστιν, καὶ ἡ ὡς ὀργάνῳ τῷ ἤδη ζῶντι σώματι χρωμένη ὡς ὁ πλωτὴρ τῇ νηί, καθ’ ὅσον χρῆται, ἀχώριστος οὖσα· οὐδετέρα πρὸς τὰ νοητὰ δυναμένη συναρμόζεσθαι, ὅτε ἡ τοῦ ὀργάνου ζωὴ καὶ μεμιγμένη τῷ σώματι καὶ συμπεφυρμένη ταῖς ἐν αὐτῷ ποιότησι. τό τε γὰρ σῶμα καὶ τῶν φυσικῶν ὑφεῖται εἰδῶν καὶ μειζόνως τῶν



Kommentar zu De anima III

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[226, 35] Denn in den fortschreitenden Übergängen der Ver-

nunft, auf die »diskursives Denken« wegen des erkenntnismäßigen Ankommens hinweist,38 und in der Betrachtung mithilfe einer gewissen Differenz, die mit »Bezugnehmen« [227] bezeichnet wird, tritt zeitweise Unvollendetheit ein, so dass man nichts denkt, und auch Vollendetheit der Disposition nach, wenn man sowohl das andere durch sich selbst als auch sich selbst erkennen kann. 429a24 Darum ist es auch nicht anzunehmen, dass er mit dem

Körper vermischt sei. Denn auf diese Weise erhielte er eine Qualität und würde warm oder kalt, oder er müsste ein Werkzeug haben, so wie beim Wahrnehmungsvermögen. Dies trifft aber nicht zu. [227, 5] Weil er gesagt hatte, dass der genannte Geist dieses nur in Möglichkeit sei und keines von den seienden Dingen in Aktivität und dass er keine andere Natur habe als allein die, dass er möglich sei, befürchtete Aristoteles nicht, dass wir ihn als seins- oder lebenslos ansehen; denn er ist ja überhaupt eine Lebens- und Seinsform, die erkennen, einsehen und auf erkenntnismäßige Weise39 Anteil an den denkbaren Formen haben kann. Nicht dies also befürchtete er, sondern er zeigt – damit niemand vermutet, der Geist sei eine körperartige Lebens- und Seinsform, weil nämlich Möglichkeit, Unvollkommenheit und Veränderungen in erster Linie bei Körpern vorkommen – dass der Geist jede Lebensform überragt, die von Körpern untrennbar ist. Die untrennbare Lebensform ist aber doppelt, wovon die eine das Lebenswerkzeug formt, wodurch es lebendig ist, während die andere den schon lebendigen Körper als Werkzeug gebraucht wie der Steuermann das Schiff, wobei auch diese untrennbar ist, insofern sie gebraucht.40 Keine von beiden ist in der Lage, sich an die Objekte des Denkens anzupassen, denn die Lebensform des Werkzeugs ist sowohl mit dem Körper vermischt als auch mit den Qualitäten in ihm verbunden. Denn der Körper hängt von den natürlichen For-

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Priskian von Lydien · Text

νοητῶν, αἵ τε παθητικαὶ ποιότητες πάσης ἐκβεβηκυῖαι οὐσίας πόρρω τῶν νοητῶν ἀποπεπτώκασιν· ὥστε καὶ ἡ ταύταις συμπεφυρμένη ζωὴ καὶ τῷ σώματι μεμιγμένη οὐκ ἄν ποτε τοῖς νοητοῖς συναρμοσθείη. τὸ γὰρ ὅλον τοῦ σώματος γινομένη, ὅπερ ἡ μῖξις δηλοῖ, καὶ τοῦ κοινῇ ὁριστικοῦ τῶν γενητῶν εἴδους ἀπολείπεται, οὔπω λέγω τῶν ἐξῃρημένων· ἀπολείπεται δὲ καὶ τῆς πρὸς αὑτὴν ἐπιστροφῆς, ὡς μὴ δύνασθαι ἑαυτὴν νοεῖν. καὶ ἔτι μᾶλλον ἡ τῶν ποιοτήτων ἀνάπλησις τὸ ἀνεπιτήδειον αὐτῆς πρὸς νοερὰν ἐνέργειαν καὶ τὸ πρὸς νοητὰ εἴδη ἀνάρμοστον ἐπιδείκνυσι. τὸν γὰρ οὐσιῶν εἰδητικῶν ἀντιληψόμενον λόγον καθαρεύειν δεῖ τῶν συμβεβηκότων καὶ μάλιστα τῶν ἐσχάτων, οἷαι αἱ παθητικαὶ ποιότητες, καὶ ἀμιγῆ πρὸς σῶμα εἶναι, ἵνα καὶ νοῇ τὰ ἀμέρισ­τα καὶ πρὸς ἑαυτὸν ἐπιστρέφειν ἰσχύῃ. ἀλλὰ πόθεν, ὅτι οὐδέν ἐστιν αὐτῷ ὄργανον, ὥστε παντελῶς εἶναι χωριστὸν σωμάτων; ἢ τοῦτο ὕστερον ἐναργῶς ἐπιδείξει μικρὸν προελθών, ὅταν τὸ διάφορον τῆς ἀπαθείας τοῦ νοῦ καὶ τοῦ αἰσθητικοῦ ἐμφαίνῃ. […]

429a29 Ὅτι δ’ οὐχ ὁμοία ἡ ἀπάθεια τοῦ αἰσθητικοῦ καὶ τοῦ νοη-

τικοῦ, φανερὸν ἐπὶ τῶν αἰσθητηρίων καὶ τῆς αἰσθήσεως. [228, 10] Βούλεται μὲν διὰ τούτων ἐπιδεῖξαι τὸ προειρημένον, ὅτι οὐδέν ἐστιν ὄργανον ἐν τῇ τῶν νοητῶν εἰδῶν θεωρίᾳ· δείκ­ νυσι δὲ ἐκ τῆς πρὸς τὴν αἴσθησιν τοῦ νοῦ παραβολῆς, ἵνα διὰ τῆς αἰσθήσεως γνόντες, τί πάσχει πᾶν τὸ δι’ ὀργάνου τι γινῶσ­ κον, ἀπηλλαγμένον δὲ τοῦ πάθους ὁρῶντες τὸ νοητικόν, καὶ τῆς δι’ ὀργάνου θεωρίας ἐξῃρημένον αὐτὸ θώμεθα. ἀπάθειαν



Kommentar zu De anima III

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men ab, und noch mehr von den denkbaren,41 die leidensfähigen Qualitäten42 sind aber von den denkbaren Objekten weit abgefallen, da sie sich von jedem Sein entfernt haben. Daher kann sich auch eine Lebensform, die mit ihnen verbunden und mit dem Körper vermischt ist, gewiss nicht an die Objekte des Denkens anpassen. Denn dann bezieht sie sich vollständig auf den Körper, wie die Vermischung zeigt, und ist nicht mehr die Form, die ganz allgemein das Werdende bestimmt – von dem dieses Überragenden spreche ich gar nicht erst. Außerdem verliert sie die Zuwendung zu sich selbst, so dass sie sich nicht selbst denken kann. Und noch deutlicher zeigt das Erfülltsein mit Qualitäten, dass sie ungeeignet zur Aktivität des Denkens und unangepaßt an die denkbaren Formen ist. Denn die Vernunft, die das formgebende Sein wahrnehmen soll, muss von Akzidenzien frei sein, und ganz besonders von den untersten, wie es die leidensfähigen Qualitäten sind, und sie muss unvermischt mit Körpern sein, damit sie auch das Ungeteilte denkt und in der Lage ist, sich sich selbst zuzuwenden. Aber wie kann sie das, wo sie doch kein Werkzeug hat, so dass sie vollständig von den Körpern abtrennbar ist? Das wird er später, ein Stück weiter, deutlich aufzeigen, wenn er den Unterschied zwischen der Leidensfreiheit des Geists und der des Wahrnehmungsvermögens darstellt (an. III 4, 429a29–b5). […] 429a29 Dass die Leidensfreiheit des Wahrnehmungs- und des

Denkvermögens nicht ähnlich ist, ergibt sich aus der Betrachtung der Wahrnehmungsorgane und der Wahrnehmung. [228, 9] Hierdurch möchte Aristoteles das vorher Gesagte zeigen, dass es bei der Betrachtung der denkbaren Formen kein Werkzeug gibt.43 Er zeigt das durch einen Vergleich der Sinneswahrnehmung mit dem Geist, damit wir, wenn wir anhand der Sinneswahrnehmung erkannt haben, was all das erleidet, welches etwas mit Hilfe eines Werkzeugs erkennt, und sehen, dass das Denkvermögen vom Erleiden losgelöst ist, akzeptieren, dass es auch die Betrachtung mit Hilfe eines Werkzeugs überragt.

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Priskian von Lydien · Text

δὲ καλεῖ τὴν ἐν τῷ δεκτικῷ τινος οὔπω γεγονυῖαν ὑποδοχήν. εἰ τοίνυν μὴ ὁμοία ἡ ἔν τε τῷ αἰσθητικῷ καὶ τῷ νοητικῷ ἀπάθεια, οὔτε τὸ δεκτικὸν ἐν ἀμφοτέροις ὅμοιον οὔτε ἡ ὑποδοχή. τίς οὖν ἡ ἀνομοιότης; ὅτι ἡ μὲν τοῦ αἰσθητικοῦ ὑποδοχὴ μετὰ τροπῆς τινος καὶ μεταβολῆς καὶ σωματικῆς ἐγγίνεται πείσεως (παθεῖν γάρ τι δεῖ τὸ αἰσθητήριον ὑπὸ τῶν αἰσθητῶν, εἰ ἐνεργεῖν μέλλοι ἡ αἴσθησις), ἡ δὲ τοῦ νοητικοῦ ἄτρεπτος καὶ κατ’ οἰκείαν ἐνέργειαν ἡ μετάληψις. τῷ τοῦτο δῆλον; ὅτι ἡ μὲν αἴσθησις σφοδροῦ τινος ἀντιλαμβανομένη ἰδίου αἰσθητοῦ, οἷον λαμπροῦ χρώματος ἡ ὄψις, ἀδυνατεῖ παραυτίκα τῶν ἀμυδροτέρων ἀντιλαμβάνεσθαι, ὁ δὲ νοῦς οἷός τε ἐκ τῆς τῶν σφόδρα νοητῶν θεωρίας (τοιαῦτα δὲ ὅσα εἰδικώτερα καὶ οἱ ἐπαναβεβηκότες ὅροι καὶ κρείττους τελειότητες καὶ οὐσίαι καθαρώτεραι) καὶ τὰ ἐλάττω νοητὰ νοεῖν, καὶ μᾶλλον οἷός τε ἢ πρὶν νοῆσαι τὰ μείζω· ἐπιρρώννυται γὰρ ἡ νόησις ἐκ τῆς τῶν κρειττόνων θεωρίας πρὸς τὴν τῶν δευτέρων γνῶσιν, ὅθεν ἀρίστη ἡ ἐκ τῶν ἀρχῶν καὶ αἰτίων γνῶσις τῶν ἀρχομένων τε καὶ αἰτιατῶν. τί οὖν τὸ τῆς διαφορᾶς αἴτιον; ὅτι τὸ μὲν αἰσθητικὸν οὐκ ἄνευ σώματος ἐνεργεῖ καὶ δέχεται τὰ εἴδη, ἐν τῇ ὑποδοχῇ διακρινομένου ἢ συγκρινομένου καὶ ὅλως σωματικὴν ὑπομένοντος πάθην τοῦ ὀργάνου, καὶ ἐναργέστατα πληττομένου ἐν ταῖς τῶν σφόδρα αἰσθητῶν μεταλήψεσι· μειζόνως οὖν φέρε διακεκριμένον τὸ αἰσθητήριον ὑπὸ τοῦ ἔλαττον διακρίνοντος ἀπαθὲς μένον οὐ κινεῖ τὴν περὶ αὐτὸ τῆς αἰσθητικῆς ζωῆς ἐνέργειαν· ὁ δὲ νοῦς χωριστὸς ὢν παντὸς σώματος οὐδὲν δεῖται τροπῆς ἢ σωματοειδοῦς πείσεως· διὸ οὐδὲ



Kommentar zu De anima III

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Leidensfreiheit nennt er, wenn in etwas, das etwas aufnehmen kann, noch keine Aufnahme geschehen ist. Wenn also die Leidensfreiheit im Wahrnehmungs- und im Denkvermögen nicht ähnlich ist, dann ist weder das Aufnahmefähigkeit noch die Aufnahme in beiden ähnlich. Worin besteht also die Unähnlichkeit? Die Übernahme des Wahrnehmungsvermögens erfolgt mit einer bestimmten Wandlung, Veränderung und körperlichen Beeinflussung44 – denn das Wahrnehmungsorgan muss etwas von den Wahrnehmungsobjekten erleiden, wenn die Wahrnehmung wirklich werden soll – das Empfangen des Denkvermögens aber ohne Wandlung und entsprechend der eigenen Aktivität. Wodurch ist das deutlich? Wenn die Wahrnehmung ein übermäßiges spezifisches Objekt45 auffasst, zum Beispiel das Sehvermögen eine sehr helle Farbe, dann kann sie nicht sofort etwas weniger Deutliches auffassen. Dagegen ist der Geist in der Lage, aus der Betrachtung der übermäßig starken Objekte des Denkens – das ist das, was in höherem Sinn eine Form ist, nämlich die sich aufstufenden Bestimmungen, die höheren Vollendungen und die reineren Seinsformen46 – auch die weniger starken Objekte des Denkens zu erkennen, und zwar in höherem Maße, als bevor er das Größere erkannte. Denn das Denken wird aus der Betrachtung des Höheren heraus zur Erkenntnis des Sekundären gefestigt, weswegen die beste Erkenntnis des Prinzipiierten und Verursachten die aus den Prinzipien und Ursachen heraus ist. Was ist also der Grund für den Unterschied? Dass das Wahrnehmungsvermögen die Formen nicht ohne den Körper verwirklicht und aufnimmt,47 wobei das Werkzeug bei der Übernahme aufgelöst und zusammengefügt 48 wird und überhaupt ein körperliches Erleiden erfährt bzw. ganz klar beim Wahrnehmen des übermäßig Wahrnehmbaren einen Schlag erleidet. Beachte also: Da das Wahrnehmungsorgan dann, wenn es auf höhere Weise aufgelöst ist, von dem, das weniger Auflösungskraft hat, leidensfrei bleibt, setzt es in Bezug auf dieses keine Aktivität der wahrnehmenden Lebensform in Bewegung. Der Geist aber braucht, weil er von jedem Körper abtrennbar ist, gar keine Wandlung

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Priskian von Lydien · Text

παραποδίζεται πρὸς τὴν τῶν ὑφειμένων θεωρίαν, κατὰ καθαρὰν ἴδιον ἐνέργειαν καὶ τὰ ἀπὸ τῶν κρειττόνων ἥκοντα ὑποδεχόμενος, καὶ οὐ πάσχων τὸ σῶμα ἀλλ’ ἐνεργῶν τὰ διάφορα πάσχειν λεγόμενος.

429b5 Ὅταν δ’ οὕτως ἕκαστα γένηται, ὡς ὁ ἐπιστήμων λέγεται

ὁ κατ’ ἐνέργειαν. [229, 3] Ὁ ἀφιστάμενός πως ἑαυτοῦ καὶ εἰς τὸ ἔξω προϊὼν νοῦς ὁτὲ μὲν ὅλος περὶ τὰ αἰσθητὰ στραφεὶς καὶ οὐδαμῇ τῶν εἰδῶν οὔτε τῶν οὐσιῶν ἐπαΐων, ἅπερ λόγῳ καὶ τῷ κρείττονι νῷ ἐστι καταληπτά, τῇ δὲ αἰσθήσει οὔ (καὶ διὰ τοῦτο λέγεται νοητά, ἐπειδὴ καὶ τὸν λόγον νοῦν προσαγορεύει), δυνάμει ὢν νοῦς καὶ ἀτελὴς καὶ ὑλικός, ὡς ἐπιτήδειος μὲν πρὸς ὑποδοχὴν τῶν νοητῶν εἰδῶν καὶ τῆς τούτων νοήσεως, οὔπω δὲ δεξάμενος,

[229, 9] ὁτὲ δὲ ἤδη τέλειος καὶ τῶν νοητῶν εἰδῶν πλήρης, ὡς οἷόν

τε τῷ προελθόντι νῷ, οὐχ ὑπὸ τῶν αἰσθητῶν τελειούμενος, ἀλλὰ τούτοις μὲν ὡς ἐσχάτοις ἴχνεσι τῶν εἰδῶν ἐπιβαίνων, ἐντεῦθεν δὲ ἐπὶ τὴν αὐτῶν τῶν εἰδῶν ζήτησιν ἐγειρόμενος τῇ εἰς ἑαυτὸν συννεύσει, καὶ ταύτῃ τῇ μενούσῃ τῆς ψυχῆς καὶ πρωτίστῃ συν­ απτόμενος οὐσίᾳ, τελειοῦται ὑπὸ τῶν ἐν αὐτῇ μενόντων εἰδῶν καὶ ὑπὸ τῆς ἡνωμένης ἐκείνῃ γνώσεως, οὐ γινόμενος μὲν ὅπερ ἡ οὐσιώδης αὐτῆς νόησις οὐδὲ αὖ τὰ ἐν τῇ οὐσίᾳ αὐτῆς μένον­τα εἴδη, κατὰ δὲ τὰ προσεχῶς αὐτῶν ἐξηρτημένα καὶ κατὰ τὴν συναπτομένην τῇ οὐσιώδει γνῶσιν πληρούμενός τε καὶ τελειούμενος, ἅμα τε ὡς ὑφ’ ἑτέρων τῶν μενόντων, ᾗ προῆλθεν ἑτε-



Kommentar zu De anima III

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und körperartige Beeinflussung; deswegen wird er auch nicht an der Betrachtung des Abhängigen gehindert, da er auch das, was vom Höheren ausgeht, auf die Weise einer reinen eigenen Aktivität übernimmt und nicht in Bezug auf den Körper erleidet, sondern, wie man sagt, erleidet er das Unterschiedliche, indem er es verwirklicht. 429b5 Wenn er aber derart jedes Einzelne wird, wie man vom

aktiv Wissenden sagt. [229, 3] Der Geist, der in gewisser Weise aus sich selbst heraus­ tritt und in das Äußere hervorgeht, hat sich zeitweise ganz den Wahrnehmungsobjekten zugewandt und strebt überhaupt nicht zu den Formen bzw. den Seinsformen hin, die für die Vernunft und den höheren Geist begreifbar sind, aber nicht für die Sinneswahrnehmung (sie werden nämlich deswegen Objekte des Denkens genannt, weil Aristoteles auch die Vernunft als Geist bezeichnet 49) und ist dann Geist in Möglichkeit, unvollendet und materiell, zwar geeignet, die gedachten Formen aufzunehmen und sie zu denken, aber ohne sie schon aufgenommen zu haben. [229, 9] Zeitweise ist er aber schon vollendet und erfüllt von den gedachten Formen, soweit es für den hervorgehenden Geist möglich ist, wobei er aber nicht von den Wahrnehmungsobjekten vollendet wird, sondern auf diese als auf die letzten Spuren der Formen zuschreitet. Wenn er aber von hier aus durch die Hinneigung zu sich selbst zur Erforschung der Formen erweckt wird und dadurch das bleibende und ganz primäre Sein der Seele berührt, dann wird er von den Formen, die in diesem Sein unverändert bleiben, und von der in ihm geeinten Erkenntnis vollendet,50 wobei er weder so wird wie das seinsmäßige Denken dieses primären Seins noch so wie die Formen, die in ihrem Sein bleiben. Aber er wird durch das, was unmittelbar an ihnen hängt, und durch die Erkenntnis erfüllt und vollendet, die die seinsmäßige Erkenntnis berührt, und zwar gleichzeitig gleichsam von etwas anderem, nämlich den bleibenden For-

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Priskian von Lydien · Text

ροιωθείς, ἅμα δὲ ὑφ’ ἑαυτοῦ, ἐπειδὴ εἷς πως καὶ ὁ αὐτὸς μένει τε καὶ πρόεισι. καὶ ἡ τελειότης τοίνυν ἐν τῷ προελθόντι οὐχ οἵα ἡ οὐσιώδης, ἀλλὰ κατὰ προβολὴν καὶ δευτέρα μετὰ τὴν οὐσιώδη καὶ κατὰ ἕξιν· περὶ γὰρ τὴν οὐσίαν ἀλλ’ οὐκ οὐσία ἡ ἕξις.

[229, 21] ἀπὸ οὖν τῶν ὑστέρων ἐπὶ τὰ πρῶτα ἐν τῇ περὶ τῶν οἷον

μερῶν τῆς ψυχῆς θεωρίᾳ διὰ τῶν προσεχῶν ἀνιὼν ὁ φιλόσοφος ἀπὸ τοῦ ὑλικοῦ καὶ ἀτελοῦς καὶ δυνάμει μέτεισιν ἐπὶ τὸν προϊόντα μὲν καὶ αὐτόν, τελειωθέντα δὲ τὴν κατὰ προβολὴν τελειότητα νοῦν, ὃς ἕκαστα λέγεται γίνεσθαι ὡς ὁ κατ’ ἐνέργειαν ἐπιστήμων δηλαδὴ ἄνθρωπος.

[229, 26] τοῦτο μὲν οὖν, ἵνα μηδὲ ἐπὶ τοῦ οὕτω τελείου νοῦ τὴν

ἐνέργειαν ἢ τὴν αὐτὴν τῇ ἕξει ἢ ἀεὶ ἑπομένην τιθῶμεν· ἀλλ’ ὡς ἔχει ὁ κατ’ ἐνέργειαν ἐπιστήμων, τουτέστιν ὁ ἤδη τελείαν ἀπειληφὼς τὴν ἕξιν, οὐκ ἀεὶ δὲ κατ’ αὐτὴν ἐνεργῶν, οὕτω καὶ τὸν προελθόντα τέλειον ὑποτιθώμεθα νοῦν, διὰ τὴν πρόοδον ὥσπερ αὐτὸς ἀπομερίζεται τῆς οὐσίας, οὕτω καὶ τὴν ἐνέργειαν μεριζομένην τῆς ἕξεως ἔχοντα, καὶ οὐδὲ ὡς ἑπομένην ἀεὶ ἀλλὰ ποτέ, διὰ τὸ ποτὲ καὶ αὐτὸς τελειοῦσθαι. οὐκοῦν καὶ τὸ ἕκαστα ὀρθῶς ἐπ’ αὐτοῦ εἴρηται διὰ τὴν διῃρημένην ἐν αὐτῷ συναγωγὴν τῶν εἰδῶν, τὸ δὲ γίνεσθαι διά τε τὴν ἑτέρωθεν καὶ τὴν οὐκ ἀίδιον ἀλλὰ ποτὲ τελειότητα.

429b7 Τοῦτο δὲ συμβαίνει, ὅταν δύνηται ἐνεργεῖν δι’ αὑτοῦ. [229, 37] Τὸ δύνασθαι ἐνεργεῖν δι’ αὑτοῦ ἴδιον τοῦ προελ­θόν-

τος μὲν τελείου δὲ νοῦ. ὁ γὰρ ὑλικὸς νοῦς τελειοῦται μὲν καὶ

Kommentar zu De anima III



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men, insofern er durch sein Hervorgehen ein anderer geworden ist, und von sich selbst, weil er in gewisser Weise als ein und derselbe sowohl unverändert bleibt als auch hervorgeht.51 Die Vollendung in dem Hervorgehenden ist also nicht so wie die seinsmäßige, sondern dem Hervorgebrachtsein entsprechend, sekundär und der Disposition nach; denn die Disposition bezieht sich auf das Sein, ist aber nicht das Sein.52 [229, 21] Der Philosoph geht also bei der Betrachtung der Quasi-Teile der Seele von den späteren zu den primären voran, wobei er jeweils zum unmittelbar folgenden fortschreitet: vom materiellen, unvollendeten und in Möglichkeit befindlichen Geist geht er zum zwar ebenfalls hervorgehenden, aber gemäß der dem Hervorgebrachtsein entsprechenden Vollendung vollendeten über, von dem er sagt, dass er jedes Einzelne werde, natürlich so wie derjenige, der das, was er weiß, aktiv weiß. [229, 26] Das sei gesagt, damit man bei dem so vollendeten Geist weder die Stufe von Aktivität ansetzt, die mit der Disposition identisch ist, noch die, die dieser immer folgt. Sondern so wie sich der verhält, der das, was er weiß, aktiv weiß, d. h. der schon eine vollendete Disposition erworben hat, aber nicht immer ihr entsprechend aktiv ist,53 so nehmen wir an, dass auch der vollendete hervorgehende Geist, ebenso wie er durch das Hervorgehen von seinem Sein getrennt ist, auch eine von der Disposition getrennte Aktivität hat, und zwar nicht so, dass sie immer folgt, sondern so, dass sie manchmal folgt, weil er auch manchmal selbst vollendet wird.54 Also wird von Aristoteles auch das »jedes Einzelne« korrekterweise von ihm gesagt, wegen der aufgeteilten Zusammenführung der Formen in ihm, das »wird« aber wegen der von anderswo kommenden und nicht ewigen, sondern zeitweiligen Vollendung. 429b7 Dies trifft dann zu, wenn er aus sich selbst heraus aktiv

sein kann.

[229, 37] Aus sich selbst heraus aktiv sein zu können ist ein

Spezifikum des vollendeten hervorgehenden Geists. Denn der

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Priskian von Lydien · Text

ὑφ’ ἑαυτοῦ, ᾗ εἷς καὶ ὁ αὐτός ἐστιν ὅ τε μένων καὶ ὁ προϊὼν τῆς ψυχῆς νοῦς, οὐ μὴν ἐνεργεῖν [230] δύναται καὶ γινώσκειν καθ’ ἑαυτὸν τὰ νοητά, ἕως ἂν ᾖ ἀτελής, ἀλλὰ τελειωθείς, ὅς ἐστιν ὁ νῦν εἰς θεωρίαν προκείμενος. οὐ μὴν οὐδ’ ὁ οὐσιώδης τῆς ψυχῆς νοῦς δύναται δι’ ἑαυτοῦ ἐνεργεῖν· οὐ γὰρ ἐν τῷ δυνάμει, ἀλλ’ ἐν τῷ ἤδη ἐνεργεῖν αὐτῷ τὸ εἶναι. οὗτος δὲ ἐν δυνάμει διὰ τὸ μὴ ἀεὶ ἐνεργεῖν, διὸ καὶ αὐτὸς δυνάμει πως καὶ ὡς μὴ ἀεὶ ἐνεργῶν καὶ ὡς ἑτέρωθεν τελειωθείς, καθάπερ καὶ τὸ ἤδη ζῶν σῶμα δυνάμει ζωὴν ἔχειν λέγεται διὰ τὴν ἐπίκτητον τῆς ζωῆς μετάληψιν οὐ μόνον ἑτέρωθεν ἀλλὰ καὶ ποτὲ ἐνδιδομένην, ἀλλ’ οὐχ ὁμοίως καὶ πρὶν μαθεῖν ἢ εὑρεῖν, οἷος ἦν ὁ ἀτελὴς νοῦς· ἐκεῖνος γὰρ καὶ πρὸς αὐτὴν τὴν τελείωσιν δυνάμει ἦν καὶ τὴν πρὸς τὸ τελειοῦν ἑτερότητα πλείονα καὶ ἐναργεστέραν διέστηκεν.

429b9 Καὶ αὐτὸς δὲ αὑτὸν τότε δύναται νοεῖν. [230, 12] Οὐ κατὰ συμβεβηκὸς τῷ τὰ νοητὰ ἔχειν καὶ εἶναί πως

ὁ αὐτὸς τοῖς νοουμένοις εἴδεσιν, ὡς προηγουμένως τὰ εἴδη ἀλλ’ οὐχ ἑαυτὸν νοῶν, ὡς ὁ Ἀλέξανδρος βούλεται, καὶ ἑαυτὸν δὲ νοῶν προηγουμένως· ἐπεὶ πόθεν ἢ ὁ Ἀλέξανδρος ἢ ἡμεῖς περὶ αὐτοῦ τι γράφομεν, μὴ νοοῦντος ἑαυτόν καὶ τὴν νόησιν καὶ τὴν ζωὴν καὶ τὴν οὐσίαν ἑαυτοῦ, ἵνα καὶ νοῦς ᾖ ἀλλὰ μὴ αἴσθησις, πρὸς ἄλλα ἀποτεινόμενος καὶ τῇ πρὸς αὐτὰ ἀποτάσει ἑαυτοῦ συναισθανόμενος; καὶ γὰρ οὐ μόνον ἐστὶ νοῦς ἀλλὰ καὶ νοητός, ὥσπερ τὰ ἄλλα νοητὰ εἴδη μεταλαγχάνων ἐκ τῶν οὐσιωδῶν τῆς



Kommentar zu De anima III

603

materielle Geist wird zwar von sich selbst vollendet, insofern der unverändert bleibende und der hervorgehende Geist der Seele einer und derselbe ist, aber [230] er kann nicht aus sich selbst aktiv sein und die Objekte des Denkens erkennen, solange er unvollendet ist, sondern erst als der vollendete, dessen Betrachtung nun beabsichtigt ist. Ebenso wenig kann der seinsmäßige Geist der Seele aus sich selbst heraus aktiv sein; denn seine Existenz liegt nicht im Möglich-Sein, sondern im Schon-Aktiv-Sein. Der vollendete hervorgehende Geist existiert aber in Möglichkeit, weil er nicht immer verwirklicht ist. Deswegen ist er auch »irgendwie möglich«, weil er nicht immer aktiv ist und weil er von anderswoher vollendet wird, so wie Aristoteles sagt, dass auch der schon lebende Körper sein Leben in Möglichkeit hat (an. 1, 412a20 f.), weil er das Leben als etwas Erworbenes empfängt, nicht nur anderswoher, sondern auch als zeitweilige Gabe, »aber nicht in ähnlicher Weise wie bevor er lernte und entdeckte«, so wie es beim unvollendeten Geist der Fall war. Denn dieser war auch im Verhältnis zur Vollendung in Möglichkeit und wies eine größere und deutlichere Verschiedenheit zum Vollendenden auf. 429b9 Und dann kann er auch sich selbst denken.

[230, 12] Nicht akzidentell ist der Geist dasselbe wie die gedachten Formen, indem er die Objekte des Denkens enthält und sie in gewisser Weise ist, so dass er in erster Linie die Formen, aber nicht sich selbst erkennt, wie Alexander es will,55 da er auch sich selbst in erster Linie erkennt. Denn wie können Alexander oder wir etwas über ihn schreiben, wenn er sich nicht selbst, sein Denken, seine Lebensform und sein Sein denkt, so dass er Geist ist – und nicht Sinneswahrnehmung –, der sich zu anderen Dingen hinstreckt und sich selbst bei diesem Hinstrecken zu ihnen mit wahrnimmt? Er ist nämlich nicht nur Geist, sondern auch Objekt des Denkens, da er durch die seinsmäßigen Formen der Seele gleichsam Anteil an den anderen gedachten Formen hat und so unter dem Einfluss des seinsmäßig

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Priskian von Lydien · Text

ψυχῆς, οὕτω καὶ νοῦς καὶ νοητός [τε] ὑπὸ τοῦ οὐσιώδους νοεροῦ τε καὶ νοουμένου γινόμενος. ἀλλ’ οὐδέν, φησὶν ὁ Ἀλέξανδρος, αὐτὸ ὑφ’ ἑαυτοῦ πάσχει· τὸ δὲ νοεῖν ἐν τῷ πάσχειν τὸν νοῦν ὑπὸ τοῦ νοητοῦ εἶναι ἐδόκει οὐχ ἁπλῶς, ἀλλὰ τὸ τῷ αἰσθάνεσθαι ὅμοιον καὶ ὃ ἑτέρωθέν πως τελειοῦται, κἂν αὐτενεργήτως τὴν ἑτέρωθεν παραδέχηται τελειότητα. πάσχει οὖν καὶ ὁ ὑλικὸς νοῦς καὶ ὁ ἤδη κατὰ τὴν προβολὴν τελειωθείς, ᾗ ὑπὸ τοῦ οὐσιώδους τελειοῦται νοητοῦ, καὶ ὡς νοῦς καὶ ὡς νοητὸς γινόμενος· ἅπαξ δὲ τελειωθεὶς αὐτὸς ἑαυτὸν καὶ τὰ ἐν αὐτῷ εἴδη νοεῖ ἀπαθῶς κατ’ ἐνέργειαν τελείαν. τὸ γὰρ πάθος ἦν ἐν τῇ ἑτέρωθεν μεταλήψει καὶ πληρώσει, ἀλλ’ οὐκ ἐν τροπῇ τινι. […]

429b22 Ἀπορήσειε δ’ ἄν τις, εἰ ὁ νοῦς ἁπλοῦν ἐστι καὶ ἀπαθὲς καὶ μηθενὶ μηθὲν ἔχει κοινόν, ὥσπερ φησὶν Ἀναξαγόρας, πῶς νοήσει, εἰ τὸ νοεῖν πάσχειν τί ἐστιν· ᾗ γάρ τι κοινὸν ἀμφοῖν ὑπάρχει, τὸ μὲν ποιεῖν δοκεῖ, τὸ δὲ πάσχειν. [234, 24] Συμπληρώσας τὴν περὶ τοῦ προϊόντος διττοῦ νοῦ θεω­ρίαν ἢ δύο ὄντων, κατὰ τὸ ἀτελὲς καὶ τέλειον διακρινομένων καὶ κατὰ τὸ διττὸν δυνάμει καὶ κατὰ τὸ ἢ ὅλον ταῖς δευτέραις συμπλέκεσθαι ζωαῖς ἢ καὶ πρὸς ἑαυτὸν καὶ πρὸς τὴν οὐσίαν ἀνανεύειν, ἀφ’ ἧς τελειοῦται, καὶ μέλλων ἐπὶ τὸν οὐσιώδη τῆς



Kommentar zu De anima III

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Denkfähigen und Denkenden sowohl Geist als auch Objekt des Denkens wird. Aber Alexander sagt, nichts erleidet etwas von sich selbst;56 nicht das Denken schlechthin schien aber darin zu bestehen, dass der Geist vom gedachten Objekt etwas erleidet, sondern nur dasjenige, das dem sinnlichen Wahrnehmen ähnlich ist und das irgendwie anderswoher vollendet wird, auch wenn es die Vollendung von anderswo her als eigene Aktivität empfängt. Also erleidet sowohl der materielle Geist als auch derjenige, der schon dem Hervorgebrachtsein entsprechend vollendet wurde, insofern er von dem seinsmäßigen Objekt des Denkens vollendet und sowohl gleichsam Geist als auch Objekt des Denkens wird. Wenn er aber einmal vollendet wurde, dann erkennt er sich selbst und die Formen in sich leidensfrei in vollendeter Aktivität. Denn das Erleiden bestand im Empfangen und der Erfüllung von anderswo her, aber nicht in irgendeiner Wandlung.57 […]

p. 234, 20–238, 41 Kommentar zu an. III 4, 429b22–430a5

Die Leidensfreiheit und die Selbsterkenntnis des hervorgehenden Geistes 429b22 Man könnte sich fragen, wenn nun der Geist einfach ist

und leidensfrei und nichts Gemeinsames hat mit irgendetwas anderem, wie Anaxagoras sagt, wie er dann denken wird, wenn das Denken eine Art Erleiden ist. Denn sofern etwas Gemeinsames zwischen zwei Dingen vorliegt, scheint das eine zu wirken, das andere zu erleiden. [234, 24] Nachdem er die Betrachtung des hervorgehenden zweifachen Geistes bzw. der zwei Geister abgeschlossen hat – die nach der Unvollendetheit und Vollendung verschieden sind sowie nach der zweifachen Art der Möglichkeit und dadurch, dass sich der eine ganz mit den sekundären Lebensformen verbindet und der andere sich zu sich selbst bzw. zum Sein, durch das er vollendet wird, nach oben neigt – und während er zum

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Priskian von Lydien · Text

ψυχῆς ἀνατρέχειν νοῦν, δύο περὶ τῶν προειρημένων νῶν ἐκτίθεται ἀπορίας, ὧν ἡ πρώτη μάλιστα τῷ ἀτελεῖ προσήκει, ἧττον δὲ τῷ ἤδη τελείῳ, ἡ δὲ δευτέρα ἀνάπαλιν. δι’ ἀμφοῖν δὲ κοινωνίαν τινὰ τῶν εἰρημένων πρὸς τὸν ῥηθησόμενον παραδίδωσι, τοῦ μὲν πορρώτερον τοῦ δὲ πλησιαίτερον. καὶ γὰρ ὁ ἔσχατος καὶ ὑλικὸς κοινόν τι ἔχειν πρὸς τὸν ποιοῦντα ὡς πεφυκὼς τελειοῦσθαι δείκ­ νυται, καὶ ὁ κατὰ τὴν ἕξιν τέλειος μειζόνως κοινωνεῖ πρὸς τὸν ἀφ’ ἑαυτοῦ τέλειον τῷ καὶ αὐτὸς εἶναι νοητὸς καὶ ἄυλος, ἐπειδὴ ἐν τοῖς ἀύλοις τὸ νοητὸν νοεῖ.

[234, 35] τίς οὖν ἡ πρώτη ἀπορία καὶ πόθεν ὡρμημένη; ἐκ τοῦ

κατ’ ἐνέργειαν καὶ ὑπὲρ ψυχὴν νοῦ. ἐκεῖνος γὰρ ἀπαθὴς ὡς ὑπ’ οὐδενὸς πάσχων, καὶ ἀμιγὴς πρὸς τὰ δεύτερα, νοούμενα καὶ αὐτὰ κατὰ τὴν αἰτιώδη αὐτῶν πρόληψιν, ἀλλ’ οὐ συστοίχως αὐτοῖς· διὸ οὐδὲ ἔχει τι κοινὸν κατὰ τὴν ὁμοταγῆ κοινωνίαν, ἐπεὶ κατὰ τὴν αἰτιώδη τῶν αἰτιατῶν πρόληψιν ἡ ἐξῃρημένη ἐν τοῖς πρώτοις πρὸς τὰ δεύτερα ὑπάρχει κοινωνία. [235] πῶς οὖν ἡμεῖς τὸ νοεῖν ἐν τῷ πάσχειν ἐτιθέμεθα καὶ ἐν τῇ κατὰ μῖξιν κοινωνίᾳ, ἵνα καὶ συστοίχως ᾖ πως ἡ κοινωνία ὡς ἐπὶ τῶν ποιούντων καὶ πασχόντων; τὰ γὰρ ἐξῃρημένα καὶ ὑπερφυῆ αἴτια ὑποστατικὰ μὲν πάντων, οὐ ποιητικὰ δὲ ὑπ’ Ἀριστοτέλους λέγεται, ὅτι μὴ γενέσεως ἄρχει προσεχῶς (πρὸς γὰρ τὸ γινόμενον τὸ ποιοῦν), ἀλλ’ οὐσίας καὶ τοῦ εἶναι πᾶσιν ἐκεῖνα αἴτια. ἡ τοίνυν ἀπορία, πῶς ἐν τῷ πάσχειν τὸ νοεῖν, ἀπαθοῦς ὄντος τοῦ νοῦ, ὡς καὶ τῷ



Kommentar zu De anima III

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seinsmäßigen Geist der Seele nach oben steigt, legt er jetzt zwei Probleme in Bezug auf das bis jetzt Gesagte dar, von denen das erste besonders auf den unvollendeten Geist zutrifft, und weniger auf den schon vollendeten, während es beim zweiten Problem umgekehrt ist. Durch beide Probleme zeigt er eine gewisse Gemeinsamkeit zwischen den genannten Geistern und dem auf, über den er noch sprechen wird, wobei sie beim einen von ihnen entfernter, bei dem anderen größer ist. Denn es wird gezeigt, dass auch der äußerste und materielle Geist etwas Gemeinsames mit dem wirkenden hat, weil seine Natur auf die Vollendung angelegt ist, und der durch seine Disposition vollendete Geist noch mehr Gemeinsamkeiten hat mit dem, der aus sich selbst heraus vollendet ist, indem er auch selbst ein Gegenstand des Denkens und immateriell ist, weil er unter den immateriellen Dingen die Gegenstände des Denkens denkt. [234, 35] Was ist also das erste Problem und von wo nimmt es seinen Anfang? Von dem Geist, der aktiv und oberhalb der Seele ist. Denn dieser ist leidensfrei, weil er unter nichts etwas erleidet, und mit dem Sekundären unvermischt, das von ihm auch gedacht wird, und zwar durch die Auffassung seiner Ursachen, aber nicht auf eine mit ihnen gleichrangige Weise.58 Deshalb hat er auch nichts Gemeinsames in Bezug auf eine gleichgeordnete Gemeinschaft, weil in der Weise der Auffassung des Verursachten mithilfe seiner Ursachen eine transzendente Gemeinschaft zum Sekundären innerhalb des Primären besteht. [235] Wie konnten wir also das Denken im Erleiden und in der Gemeinschaft durch Vermischung ansetzen, so dass die Gemeinschaft auch irgendwie gleichrangig ist, so wie zwichsen dem Wirkenden und dem Erleidenden? Denn die transzendenten und übernatürlichen werden von Aristoteles konstituierende Ursachen von allem genannt, aber nicht wirkende, weil sie kein Werden unmittelbar beginnen lassen – denn das Wirkende bezieht sich auf das Werdende –, sondern die trans­ zendenten verursachen für alles das Sein und das Sosein.59 Das Problem ist nun, wie ein Denken in einem Erleiden liegen kann, wo doch der Geist leidensfrei ist, wie es auch Anaxagoras

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Priskian von Lydien · Text

Ἀναξαγόρᾳ δοκεῖ, πῶς δὲ οὐχ ἕξει τι κοινὸν πρὸς τὰ ποιοῦντα, εἰ πάσχει (κατὰ κοινὸν γάρ τι τὸ μὲν ποιεῖ τὸ δὲ πάσχει), καίτοι ἀμιγοῦς ὄντος καὶ μηδενὶ μηδὲν ἔχοντος κοινὸν τοῦ νοῦ. τοιαύτη μὲν ἡ πρώτη ἀπορία. ἐπάγει δὲ καὶ ἑτέραν γράφων ὧδέ πῃ·

429b26 Ἔτι δ’ εἰ νοητὸς καὶ αὐτός· ἢ γὰρ καὶ τοῖς ἄλλοις ὁ νοῦς

ὑπάρξει, εἰ μὴ κατ’ ἄλλο αὐτὸς νοητός, ἓν δέ τι τὸ νοητὸν εἴδει, ἢ μεμιγμένον τι ἕξει, ὃ ποιεῖ νοητὸν αὐτὸν ὥσπερ τὰ ἄλλα. [235, 14] Αὕτη ἡ ἀπορία προσήκει μὲν καὶ τῷ ἀτελεῖ νῷ, ὡς δυναμένῳ καὶ αὐτῷ ἑαυτὸν νοεῖν κατὰ τὸ πρῶτον δυνάμει, ἐναργέστερον δὲ ἐπὶ τοῦ ἤδη τελειωθέντος, περὶ οὗ σαφῶς εἴρηται »καὶ αὐτὸς δὲ ἑαυτὸν τότε δύναται νοεῖν«, κατὰ τὸ δεύτερον δυνάμει δηλαδή. τὸ δὲ νοεῖν ἑαυτὸ δυνάμενον δῆλον ὡς οὐ μόνον ἔσται νοοῦν ἀλλὰ καὶ νοούμενον, καὶ νοῦς ἅμα καὶ νοητόν. καὶ δῆλον ὡς καὶ τῷ οὐσιώδει τῆς ψυχῆς καὶ πρός γε τῷ κρείττονι ψυχῆς ἀφομοιοῦται ταύτῃ, ὡς εἰς τὸ ἄυλον περιαγόμενος διὰ τὴν ἀμέριστον πρὸς ἑαυτὸν ἕνωσιν. διὸ καὶ ἡ ἀπορία κοινὴ πρὸς τὸ ἁπλοῦν καὶ ἀμιγὲς ἐνισταμένη τοῦ νοῦ. εἰ γὰρ τὸ μὲν νοητὸν καὶ τοῖς ἄλλοις ὑπάρχει τοῖς τε φυσικοῖς εἴδεσι καὶ ἁπλῶς ταῖς φυσικαῖς οὐσίαις, νοῦς δὲ οὐχ ὑπάρχει πάσαις, οὐ ταὐτὸν ἂν εἴη τῷ εἴδει τουτέστι τῷ λόγῳ νοῦς τε καὶ νοητόν, κἂν τῷ ὑποκειμένῳ συντρέχῃ ποτέ. ἐφ’ ὧν οὖν συντρέχει, ἐπειδὴ οὐχ ᾗ νοῦς ἐστι νοητός, κατ’ ἄλλο τι κοινὸν καὶ τοῖς ἄλλοις ἰδίωμα ἕξει τὸ



Kommentar zu De anima III

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scheint. Wie kann es auch nichts Gemeinsames mit dem wirkenden haben, wenn es erleidet – denn etwas wirkt und etwas anderes erleidet immer durch etwas Gemeinsames –, wo doch der Geist unvermischt ist und mit nichts etwas gemeinsam hat? Das ist das erste Problem. Er fügt auch ein anderes an, indem er schreibt. 429b26 Ferner kann man sich fragen, ob der Geist selbst Objekt

des Denkens sei. Denn entweder wird der Geist auch bei anderem existieren, wenn er auch nicht etwas anderem gemäß Objekt des Denkens ist – der Form nach sind die Objekte des Denkens eines – oder er wird etwas Vermischtes haben, was ihn zum Objekt des Denkens macht, ebenso wie die anderen Dinge. [235, 14] Dieses Problem betrifft den unvollendeten Geist, da er sich auch selbst, im Modus der ersten Möglichkeit, denken kann, noch klarer aber den schon vollendeten, über den deutlich gesagt wird: »Und dann kann er auch sich selbst denken« [429b9], natürlich im Modus der zweiten Möglichkeit. Das, was sich selbst denken kann, denkt klarerweise nicht nur, sondern wird auch gedacht, und es ist zugleich Geist und Objekt des Denkens. Und es ist klar, dass es auch zu dem seinsmäßigen Geist der Seele passt, der höher ist als die Seele, nämlich dadurch, dass er wegen der unteilbaren Vereinigung mit sich selbst ins Immaterielle überführt wird. Deswegen stellt es ein gemeinsames Problem auch in Bezug auf die Einfachheit und Unvermischtheit des Geists dar. Denn wenn auch alles andere Objekte des Denkens sind, sowohl die natürlichen Formen als auch überhaupt die natürlichen seienden Dinge,60 sie aber nicht alle Geist sind, dann sind der Geist und das Objekt des Denkens offenbar der Form nach, das heißt dem Gehalt nach, nicht dasselbe, auch wenn es bei einem einzelnen Ding manchmal zusammenfällt. Die, bei denen es zusammenfällt, wären demnach, weil sie nicht dadurch Objekt des Denkens wären, dass sie Geist sind, Objekt des Denkens durch ein anderes spezifisches Merkmal, das sie mit den anderen gemeinsam hätten. Folglich

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Priskian von Lydien · Text

νοητόν. οὔτε ἄρα ἁπλοῦς οὔτε ἀμιγὴς ἔσται πρὸς ἄλλα ὁ νοῦς· μεμιγμένον γάρ τι ἕξει, ὃ ποιεῖ νοητὸν αὐτὸν ὥσπερ τὰ ἄλλα· τὸ μὲν μεμιγμένον διὰ τὴν τοῦ νοητοῦ πρόσθεσιν τῇ ἰδιότητι διαλλάττοντος τοῦ νοῦ, τὸ δὲ ὥσπερ τὰ ἄλλα πρόσκειται ἐπιτεῖνον τὴν ἀπορίαν διὰ τὴν πρὸς αὐτὰ τοῦ νοῦ κοινωνίαν, καίτοι μερισ­τὰ καὶ ἔνυλα ὄντα. τοιαῦτα γὰρ τὰ ἄλλα.

429b29 Ἢ τὸ μὲν πάσχειν κατὰ κοινόν τι διῄρηται πρότερον, ὅτι

δυνάμει πώς ἐστι τὰ νοητὰ ὁ νοῦς, ἀλλ’ ἐντελεχείᾳ οὐδέν, πρὶν νοεῖν. δεῖ δ’ οὕτως ὥσπερ ἐν γραμματείῳ μηδὲν ὑπάρχειν ἐντελεχείᾳ γεγραμμένον· ὅπερ συμβαίνει ἐπὶ τοῦ νοῦ. [235, 36] Ἀναλαμβάνει διὰ τούτων τὴν προτέραν ἀπορίαν, καὶ σώζων τὴν οἰκείαν ὑπόθεσιν, τῷ πάσχειν νοεῖν τὸν ἔξω ἀφ’ ἑαυτοῦ προϊόντα νοῦν, καὶ κοινόν [236] τι πρὸς τὰ νοητὰ τοῦτον ἔχειν ὁμολογῶν· καὶ τὸν ἔτι ἀτελῆ οὐ παντελῶς ὅμως ἀπεσπάσ­θαι ἐνδείκνυται τοῦ κατ’ ἐνέργειαν νοῦ αὐτῷ τε τῷ πεφυκέναι νοεῖν καὶ τῷ δεκτικῷ τῶν νοητῶν εἰδῶν, ἐκ τῶν ὑπερτέρων δηλαδὴ πληρούμενον εἰδῶν· ἀεὶ γὰρ τιμιώτερον τὸ ποιοῦν τοῦ πάσ­χοντος, ὡς αὐτὸς ἐρεῖ. εἰ δὲ καὶ αὐτενεργήτως ὑπὸ τοῦ κρείττονος τελειοῦται, ὡς αὐτὴ δηλοῖ ἡ νόησις καθαρὰ οὖσα ἐνέργεια, πῶς οὐχὶ μειζόνως τῷ καθαρῷ συμφύεται νῷ, καὶ ἔτι μειζόνως ὁ προϊὼν μὲν τελειωθεὶς δὲ καὶ ἤδη δυνάμενος δι’ ἑαυτοῦ ἐνεργεῖν κατὰ τὸ δεύτερον δυνάμει;

[236, 8] ὁ μὲν οὖν σκοπὸς πρώτην λεγομένων ἀπορίαν οὗτος·

τὴν δὲ λέξιν σκεπτέον. τὸ πάσχειν, φησί, κατὰ κοινὸν διῄρηται



Kommentar zu De anima III

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wäre der Geist weder einfach noch mit den anderen unvermischt. Denn »er wird etwas Vermischtes haben, was ihn zum Objekt des Denkens macht, ebenso wie die anderen Dinge«. »Vermischt«, weil der Geist durch das Hinzukommen dessen, dass er Objekt des Denkens ist, in seinem spezifischen Merkmal verändert wäre. »Ebenso wie die anderen Dinge« steht dort, um das Problem wegen der Gemeinsamkeit des Geistes mit ihnen, die geteilt und materiell sind, zu verschärfen. Denn so sind »die anderen Dinge«. 429b29 Was nun das Erleiden in einem solchen Gemeinsamen

betrifft, so ist früher festgelegt worden, dass der Geist in Möglichkeit irgendwie die Objekte des Denkens sei, aber keines tatsächlich, bevor er es denkt. Dies muss so sein wie auf einer Schreibtafel, auf der noch nichts tatsächlich geschrieben ist. Dasselbe gilt für den Geist. [235, 36] Durch dies greift er das erste Problem auf, wobei er die eigene Hypothese bewahrt, dass der von sich nach außen hervorgehende Geist durch Erleiden denkt, und zugibt, dass dieser etwas [236] Gemeinsames mit den Objekten des Denkens hat. Und er zeigt zugleich, dass der noch unvollendete von dem aktiven Geist nicht vollständig abgetrennt ist, gerade weil er von Natur aus auf das Denken angelegt ist und die geistigen Formen aufnehmen kann, natürlich indem er von den höheren Formen erfüllt wird. Denn das Bewirkende ist immer ranghöher als das Erleidende, wie er selbst sagt (an. III 5, 430a18). Und wenn er in eigener Aktivität von dem Höheren vollendet wird, wie es das Denken beweist, das eine reine Aktivität ist, warum soll er nicht noch mehr mit dem reinen Geist zusammenwachsen – und noch mehr der Geist, der zwar hervorgeht, aber vollendet und schon in der Lage ist, gemäß der zweiten Stufe der Möglichkeit aus sich heraus aktiv zu sein? [236, 8] Das ist das Thema dessen, was zum ersten Problem gesagt wird. Jetzt ist der Text zu betrachten. »Was das Erleiden«, sagt er, »in einem solchen Gemeinsamen betrifft, so ist«

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Priskian von Lydien · Text

πρότερον, διότι ἔστι τις τῷ πάσχοντι ὁπωσοῦν πρὸς τὸ ποιοῦν κοινωνία, ὅτι δυνάμει εἶναι ἀνάγκη, ὅπερ ἐνεργείᾳ τὸ ποιοῦν. διὸ καὶ δυνάμει πώς ἐστι τὰ νοητὰ ὁ νοῦς, οὗτος δηλαδὴ ὁ τῷ πάσχειν νοῶν καὶ ὁ ἔτι ἀτελής. καὶ οὗτος δὲ δυνάμει πως ἀλλ’ οὐχ ἁπλῶς, ὡς ἡ ὕλη, διὰ τὴν αὐτενέργητον τοῦ νοῦ ὑπὸ τῶν νοητῶν τελειότητα καὶ διὰ τὸ μὴ δύο μόνον, ἀλλὰ καὶ ἕνα πως τόν τε μένοντα καὶ προϊόντα εἶναι νοῦν, καὶ ταύτῃ καὶ ἐνεργείᾳ πως ὄντα, ὡς δὲ προϊόντα καὶ ἀφιστάμενον ἑαυτοῦ καὶ ἔτι ἀτελῆ δυνάμει καὶ ἐντελεχείᾳ οὐδὲν πρὶν νοεῖν, πρὶν καὶ ἱκανὸν γενέσθαι δι’ ἑαυτοῦ νοεῖν.

[236, 18] καὶ οὗτος ὁ τῷ ἀγράφῳ ἀπεικαζόμενος γραμματείῳ· καὶ

γὰρ τοῦτο, ἐπιτήδειον ὂν πρὸς τὸ ἐγγράφεσθαι, οὔπω ἐγγέγραπται. τοσοῦτον γὰρ ἀπὸ τῆς οἰκείας οὐσίας εἰς τὸ ἔξω ῥέουσα ἡμῶν ἡ ψυχή, ὡς εἰς ἀμαθίαν καὶ ἄγνοιαν ἑαυτῆς τε καὶ πάσης εἰδητικῆς οὐσίας ὑποφέρεσθαι, τῆς ὡς ὑφ’ ἑτέρου δεῖται τελειώ­ σεως· ὑφ’ ἑαυτῆς μὲν γάρ, ἀλλ’ ὡς ὑφ’ ἑτέρας, διότι ἑαυτῆς καὶ τῆς οἰκείας ἐξέστη οὐσίας. τελειοῦται γοῦν ἐπιστραφεῖσα πρὸς τοὺς ἐν αὐτῇ οὐσιώδεις λόγους, κατ’ αὐτοὺς ζητοῦσά τεκαὶ εὑρίσκουσα τὴν τῶν ὄντων ἀλήθειαν, ἐγειρομένους εἰς θεωρίαν καὶ τελειοῦντας τὸ ἔξω προϊὸν ἑαυτῆς. διὸ καὶ τελειωθεὶς ὁ προελθὼν νοῦς κατὰ τὸ ἐγγεγράφθαι καὶ οἷον ἐπικτήτως καὶ ἑτέρωθεν· ὑπὸ γὰρ τῆς οὐσιώδους ἐνεργείας τετελείωται. ὅπερ συμβαίνει ἐπὶ τοῦ νοῦ τοῦ περὶ οὗ ὁ λόγος, τοῦ ῥυέντος δηλαδὴ καὶ ἢ ἔτι ἀτελοῦς ἢ καθ’ ἕξιν καὶ προβολὴν τελειουμένου· μόνος



Kommentar zu De anima III

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es »früher festgelegt worden«, weil es irgendwie eine Art Gemeinschaft des Erleidenden mit dem Wirkenden gibt, weil es notwendigerweise in Möglichkeit dasselbe ist, wie es das Wirkende in aktiver Weise ist. Deswegen ist auch »der Geist in Möglichkeit irgendwie die Objekte des Denkens«. Das ist natürlich der Geist, der durch Erleiden denkt und der noch unvollendet ist. Und dieser ist irgendwie in Möglichkeit, aber nicht schlechthin so wie die Materie, da die Vollendung des Geistes durch die Objekte des Denkens in eigener Aktivität geschieht und weil der bleibende und der hervorgehende Geist nicht nur zwei Geister, sondern irgendwie auch einer sind, der dadurch auch irgendwie aktiv ist, so wie der, der hervorgeht und aus sich selbst heraustritt und noch unvollendet ist, in Möglichkeit ist und nichts »tatsächlich, bevor er es denkt«, ja bevor er in die Lage versetzt wird, aus sich heraus zu denken. [236, 18] Dieser ist auch der, der mit der unbeschriebenen Schreibtafel verglichen wird. Denn auch die ist noch nicht beschrieben, obwohl sie geeignet ist, beschrieben zu werden. Denn unsere Seele, die von ihrem eigenen Sein so weit nach außen fließt, dass sie bis zur Unkenntnis und Unwissenheit ihrer selbst und jedes formalen Seins nach unten getragen wird, bedarf der Vervollkommnung gleichsam durch etwas anderes. Denn diese geschieht zwar durch sie selbst, aber gleichsam durch etwas anderes, weil sie aus sich selbst und ihrem eigenen Sein herausgetreten ist. Vollendet wird sie also, nachdem sie sich zu den seinshaften Gehalten in ihr selbst zurückgewendet hat, indem sie durch sie die Wahrheit über die seienden Dinge sucht und findet, wobei die seinshaften Gehalte zur Betrachtung erweckt werden und das an ihr vollenden, was nach außen hervorgeht.61 Deswegen wird der hervorgehende Geist durch das Beschrieben-Werden vollendet und gleichsam auf erworbene Weise und von anderswo her. Denn seine Vollendung geschieht durch die seinshafte Aktivität. ›Dasselbe gilt für den Geist‹, nämlich für den, um den es hier geht, natürlich für den fließenden und entweder noch unvollendeten oder der Disposition und dem Hervorgebracht-Sein nach vollendeten. Denn nur

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Priskian von Lydien · Text

γὰρ ὁ οὐσιώδης κατ’ ἐνέργειαν καθαρὰν καὶ μένων ἐν ἑαυτῷ καὶ ἀφ’ ἑαυτοῦ ἐστι τέλειος. 430a2 Καὶ αὐτὸς δὲ νοητός ἐστιν ὥσπερ τὰ νοητά. [236, 33] Τὴν δευτέραν ἐφεξῆς διακρίνει ἀπορίαν. αὐτὸ γὰρ

τοῦτο νοῦ ἴδιόν ἐστι τὸ ἑαυτὸν νοεῖν ἢ δύνασθαι νοεῖν. διὸ νοητὸς καὶ ὁ ἔτι ἀτελὴς ὡς δυνάμει νοητὸς κατὰ τὸ πρῶτον δυνάμει, καὶ ὁ τελειωθεὶς κρειττόνως νοητὸς κατὰ τὸ δεύτερον δυνάμει, καὶ δι’ ἑαυτοῦ νοεῖν ἑαυτὸν ἱκανός, καὶ ὡς ἤδη τέλειος καὶ ὡς παρισούμενος τῷ οὐσιώδει νῷ καὶ πλησιάζων αὐτῷ ἐνεργείᾳ ὄντι νῷ· εἰ γὰρ καὶ δυνάμει καὶ ὁ τελειωθεὶς νοῦς, ἀλλὰ κατὰ τὸ δεύτερον δυνάμει. ἀλλ’ εἰ νοητὸς καὶ ὁ νοῦς ὥσπερ τὰ νοητά, νοητὰ δὲ καὶ τὰ [237] ἔνυλα ἤδη, ἕξει τέ τι κοινὸν πρὸς αὐτὰ καὶ οὐκ ἔσται ἀμιγὴς πρὸς αὐτά· καὶ οὐχ ἁπλοῦς ὑπάρξει, εἴ γε ἕτερον τὸ νοητὸν τῷ εἴδει τοῦ νοῦ, ὡς δηλοῖ τὸ νοητὸν μὲν ὑπάρχον τοῖς ἐνύλοις, οὐχὶ δὲ ὁ νοῦς· τὰ γὰρ καὶ τῷ λόγῳ ταὐτὰ συντρέχειν ἀεὶ ἀνάγκη.

[237, 4] τὴν δὴ πρὸς ταῦτα τοῦ φιλοσόφου ὅρα ἀπάντησιν. ἐπὶ

μὲν τῶν ἄνευ ὕλης τὸ αὐτό ἐστί, φησι, τὸ νοοῦν καὶ τὸ νοούμενον, τῷ αἰτιολογικῷ συνδέσμῳ τῷ γὰρ χρησάμενος τὴν αἰτίαν ἀποδιδούς, δι’ ἣν νοητός ἐστιν ὁ νοῦς· ἄυλος γὰρ ἅπας, καὶ εἴ τι συνέχει σῶμα καὶ πλάσαι χαλεπόν, καὶ ἐπιστρέφων πρὸς ἑαυτόν, ὅπου γε καὶ τῇ δόξῃ, ἐσχάτῳ οὔσῃ τῆς ψυχῆς λόγῳ, πίστις



Kommentar zu De anima III

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der seinshafte Geist ist durch reine Aktivität und, indem er in sich bleibt, auch durch sich selbst vollendet. 430a2 Der Geist ist auch selbst ein Objekt des Denkens so wie

die Objekte des Denkens. [236, 33] Im Anschluss löst er das zweite Problem. Denn genau das ist spezifisch für den Geist: Sich selbst zu denken oder denken zu können. Deswegen ist auch der noch unvollendete Geist Objekt des Denkens, und zwar in Möglichkeit Objekt des Denkens, nach dem Modus der ersten Möglichkeit, und der vollendete Geist ist auf höhere Weise Objekt des Denkens, im Modus der zweiten Möglichkeit, und ist fähig dazu, sich aus sich selbst heraus zu denken, nämlich als schon vollendeter sowie als angeglichener an den seinsmäßigen Geist und als dem in Aktivität existierenden Geist benachbarter. Denn obwohl auch der vollendete Geist in Möglichkeit ist, ist er das doch im Modus der zweiten Möglichkeit. Aber wenn der Geist ebenfalls »ein Objekt des Denkens ist so wie die Objekte des Denkens«, und zugleich die materiellen Formen [237] Objekte des Denkens sind, dann hat er etwas mit ihnen gemeinsam und ist nicht mit ihnen unvermischt. Folglich ist er nicht einfach, wenn das Objekt-des-Denkens-Sein der Form nach etwas anderes ist als der Geist, wie es dadurch deutlich ist, dass die materiellen Formen Objekte des Denkens, aber nicht Geist sind. Denn es ist notwendig, dass dies beides immer auch dem Gehalt nach als dasselbe zusammenfällt. [237, 4] Betrachte also jetzt die Antwort des Philosophen darauf: »Bei dem ohne Materie«, sagt er, »ist das Denkende und das Gedachte dasselbe« (430a3 f.), wobei er durch den Gebrauch der kausalen Konjunktion »denn« (430a3) die Ursache angibt, durch die der Geist Objekt des Denkens ist. Denn er ist als ganzer immateriell, und es ist zum einen auch schwer vorzustellen, ob er überhaupt einen Körper zusammenhält (an. I 5 411b18 f.), und zum anderen wendet er sich zu sich selbst zurück, wobei auch schon dem Meinen, das die unterste Vernunft der Seele ist,62

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Priskian von Lydien · Text

ἕπεται πάντως, ἡ ὡς ἐπὶ ἀληθεῖ οὔσῃ συγκατάθεσις, κατὰ τὴν τῆς δόξης πρὸς ἑαυτὴν ἐπιτελουμένη ἐπιστροφήν, κρινούσης ὡς ἀληθῆ τὴν ἑαυτῆς περὶ τῶν πραγμάτων σύνεσιν. ἐπεὶ οὖν ὁ νοῦς ἄυλος, πάντως καὶ νοητὸς ὡς ἑαυτὸν νοῶν· ἐν δὲ τῷ κατ’ ἐνέργειαν νῷ καὶ εἴδει τὸ αὐτὸ τὸ νοοῦν καὶ τὸ νοούμενον, διότι πᾶσα γνωστικὴ ἐνέργεια τῷ γνωστῷ ὁρίζεται καὶ ἔστιν ὅπερ τὸ γνωστόν, ἤδη μὲν καὶ ἡ αἴσθησις, μειζόνως δὲ ἡ ἐπιστήμη. καὶ γὰρ ὅσῳ κρείττων ἡ γνῶσις, τοσούτῳ κρείττων καὶ ἡ πρὸς τὸ γνωστὸν αὐτῆς ἕνωσις· ἐπεὶ καὶ ἡ μὲν αἴσθησις προηγουμένως τῶν ἐν ὕλῃ κειμένων ἐστὶ γνωριστικὴ κατὰ τὰ ἐν αὐτῇ ἐκείνων εἴδη, ἀλλ’ οὐ τῶν ἐν ἑαυτῇ ἐστιν εἰδῶν, διὸ οὐκ ἔστι κυρίως τὰ αἰσθητά· ἡ δὲ ἐπιστήμη προηγουμένως τῶν ἐν αὐτῇ ἐστιν εἰδῶν τε καὶ λόγων θεωρητική, ἵνα καὶ τὰ αἰτιατὰ ἐκ τῶν αἰτίων θεωρῇ. κἂν οὖν μεταβαίνῃ καὶ ἐπὶ τὴν σύστοιχον τῶν αἰτιατῶν γνῶσιν, ἀλλὰ κατὰ τὴν προηγουμένην αὐτῶν ἀντίληψιν τὴν κατὰ τὰ αἴτια ἐν αὐτῇ ὄντα ἡ αὐτή ἐστι τοῖς ἐπιστητοῖς· τοῖς γὰρ ἐν αὐτῇ, ἃ καὶ κυρίως καὶ πρώτως ἐστὶν ἐπιστητά.

[237, 24] ἡ τοίνυν ἐπιστήμη ἡ θεωρητικὴ καὶ τὸ οὕτως ἐπιστητόν,

ὡς ἤδη θεωρούμενον ἀλλὰ μὴ δυνάμει ὂν ἔτι, τὸ αὐτό ἐστι, διότι εἰς ἑαυτὸν ὁ ἐπιστημονικὸς ἐπιστραφεὶς λόγος καὶ ἐν ἑαυτῷ τὸ ἐπιστητὸν ἔχων καὶ κατ’ αὐτὸ ἐν τῷ ἐνεργεῖν ὁριζόμενος καὶ κατὰ τὸν τοῦ γνωστοῦ ὅρον ἵστησι τὴν γνῶσιν· ὡς ἕνα καὶ τὸν αὐτὸν εἶναι λόγον τοῦ τε κατ’ ἐνέργειαν ἐπιστητοῦ καὶ τῆς κατ’ ἐνέργειαν ἐπιστήμης, τὸν τοῦ ἐπιστητοῦ ὅρον. εἰπὼν δὲ ἐπὶ τῶν ἄνευ ὕλης τὸ αὐτὸ εἶναι τὸ νοοῦν καὶ τὸ νοούμενον ἐπήγαγεν ἡ γὰρ ἐπιστήμη ἡ θεωρητικὴ καὶ τὸ οὕτως ἐπιστητὸν τὸ αὐτό ἐστιν, ὡς ὃν ἤδη παραδέδωκεν νοῦν, τοῦτον εἶναι τὴν ἐπιστήμην



Kommentar zu De anima III

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immer eine Überzeugung nachfolgt, nämlich die Zustimmung, dass sie wahr ist, die durch die Rückwendung des Meinens zu sich selbst zustande kommt, die ihr Verständnis von den Sachen als wahr auffasst.63 Weil also der Geist immateriell ist, ist er auch vollständig Objekt des Denkens, weil er sich selbst denkt. Beim Geist in Aktivität sind Denkendes und Gedachtes auch der Form nach dasselbe, weil jede erkenntnismäßige Aktivität durch ihr Erkenntnisobjekt bestimmt ist und dasselbe ist wie das Erkenntnisobjekt, und zwar schon die Sinneswahrnehmung, in höherem Maße aber das Wissen.64 Denn je höher die Erkenntnis ist, desto höher ist auch die Vereinigung mit ihrem Erkenntnisobjekt. Weil ja die Sinneswahrnehmung in erster Linie das in der Materie Befindliche erkennt – durch die in ihr selbst befindlichen Formen65 –, aber nicht die Formen in sich selbst, deswegen ist sie nicht im eigentlichen Sinn dasselbe wie die Wahrnehmungsobjekte. Das Wissen betrachtet aber in erster Linie die Formen und Gehalte in sich selbst, so dass es auch das Verursachte aus den Ursachen betrachten kann. Auch wenn es also zur gleichrangigen Erkenntnis des Verursachten66 übergeht, ist es doch durch die primäre Auffassung des Verursachten mithilfe der Ursachen in ihm selbst dasselbe wie die gewussten Objekte – und zwar wie die in ihm selbst, die im eigentlichen Sinn primär gewusst werden. [237, 24] Das »theoretische Wissen und das so Gewusste sind« also, weil das Gewusste schon betrachtet wird, aber nicht mehr in Möglichkeit ist, »dasselbe« [430a4 f.], weil die wissende Vernunft, die sich auf sich selbst zurückwendet, das Gewusste in sich selbst hat und durch dieses in ihrer Aktivität bestimmt wird sowie die Erkenntnis durch die Bestimmung des Gewussten67 konstituiert. Demnach ist der rationale Gehalt des aktiv Gewussten und der Aktivität des Wissens ein und derselbe, nämlich die Bestimmung des Gewussten. Als er vom Immateriellen sagte, dass »das Denkende und Gedachte dasselbe« seien, fügte er hinzu: Denn »das theoretische Wissen und das so Gewusste sind dasselbe«, weil er wollte, dass der Geist, den er schon erklärt hatte, das Wissen ist, und zwar der unvollendete

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Priskian von Lydien · Text

βουλόμενος, δυνάμει μὲν τὸν ἀτελῆ, ἐνεργείᾳ δὲ τὸν τέλειον καὶ ἤδη θεωροῦντα. οὐ γὰρ ὡς παραδείγματι τοῦ νοῦ τῇ ἐπιστήμῃ χρῆται, ἀλλ’ ὡς διασαφεστέρου ὀνόματος τῆς ἐπιστήμης καὶ τοῦ ἐπιστητοῦ, τὴν πρὸς ἄλληλα αὐτῶν δεικνὺς ταὐτότητα.

430a5 Τοῦ δὲ μὴ ἀεὶ νοεῖν τὸ αἴτιον ἐπισκεπτέον. [237, 37] Οὐ πάντως τὸ ἄυλον νοητὸν καὶ ἀεὶ νοεῖ, οὐδὲ τοῦτο

ἠξίωται, ἀλλὰ μόνον ταὐτὸν εἶναι τῷ νῷ τὸ νοητὸν ἐπὶ τῶν ἀύλων, ὡς καὶ ἐνεργείᾳ ὂν [238] νοούμενον ἐνεργείᾳ εἶναι νοοῦν, καὶ ἕως ἂν δυνάμει ᾖ νοητόν, δυνάμει καὶ νοοῦν ὑπάρχειν. ἄξιον δὲ οὐδὲν ἧττον τὴν αἰτίαν ἐπιζητεῖν, δι’ ἣν ἔνια τῶν ἀύλων νοητῶν οὐκ ἀεὶ νοεῖ, ὅτε οὐδὲ ἐνεργείᾳ ἐστὶν ἑαυτοῖς νοητά.

[238, 4] καὶ αἰτία δὲ ἡ διὰ τῶν μέσων ἀεὶ ἀπὸ τῶν ἄκρων ἐπὶ

τὰ ἔσχατα πρόοδος, ἵνα μηδὲν ᾖ κενόν· ἐπεὶ καὶ μείζονα εἶναι τὰ μέσα τῶν ἐσχάτων ἀνάγκη ὡς κρείττω καὶ ὡς πλησιάζον­τα μᾶλλον τοῖς πρώτως οὖσι. μέση τοίνυν ἡ ἀνθρωπεία οὖσα ψυχή, μᾶλλον δὲ ὁ τῆς τοιαύτης ψυχῆς λόγος, ὃν νῦν προσαγορεύει νοῦν, τῶν τε ἀμερίστων καὶ μεριστῶν, καὶ τῶν ἀεὶ ὡσαύτως ἐχόντων καὶ τῶν πάντῃ μεταβαλλόντων, τῶν τε πάντῃ ἑαυτῶν ὄντων καὶ τῶν ἐν ἑτέρῳ ὑπαρχόντων, ὡς τούτων μὲν ἐξῃρημένος ἐκείνων δὲ ἀπολειπόμενος, ᾗ μὲν ὑπερῆρται τῶν ἐν ἄλλῳ, καὶ αὐτὸς ἄυλός ἐστιν· ᾗ δὲ ἀπολείπεται τῶν ἄκρων καὶ ἐν ἑαυτοῖς ἀεὶ μενόντων οὐκ ἀεὶ νοεῖ ἢ νοεῖται εἰλικρινῶς. ἀλλ’ ἐναργέσ­ τατα μὲν ἡ τῆς οὐσιώδους ἀφισταμένη νοήσεως ζωὴ τοῦ λόγου εἰς τὸ ἀτελὲς καὶ δυνάμει ὑποφέρεται· καὶ αὐτὴ δέ μοι δοκεῖ ἡ



Kommentar zu De anima III

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in Möglichkeit, der vollendete und schon betrachtende aber in Wirklichkeit. Denn er verwendet das Wissen nicht als ein Urbild 68 für den Geist, sondern weil ›Wissen‹ und ›Gewusstes‹ klarere Bezeichnungen sind, um ihre Identität miteinander zu zeigen. 430a5 Die Ursache dafür, dass der Geist nicht immer denkt, ist

zu suchen. [237, 37] Das immaterielle Objekt des Denkens denkt keineswegs immer, und das wurde auch nicht gefordert, sondern nur dass das Objekt des Denkens bei den immateriellen Dingen dasselbe ist wie der Geist, so dass das aktiv Gedachte [238] zugleich auch das aktiv Denkende ist und, solange es in Möglichkeit Objekt des Denkens ist, auch als in Möglichkeit Denkendes existiert. Trotzdem ist es angebracht, die Ursache dafür zu suchen, aus der heraus einige der immateriellen Objekte des Denkens nicht immer denken, wenn sie auch für sich selbst nicht verwirklichte Objekte des Denkens sind. [238, 4] Die Ursache ist das dauernde Hervorgehen durch das Mittlere vom Höchsten zum Letzten, so dass nichts leer ist.69 Denn es ist notwendig, dass das Mittlere besser ist als das Letzte, weil es höher ist und sich dem primär Seienden eher annähert. Weil nun die menschliche Seele etwas Mittleres ist, und noch mehr die Vernunft in dieser Seele, die er jetzt als Geist bezeichnet,70 und zwar Mittleres zwischen Ungeteiltem und Geteiltem, dem sich immer gleich Verhaltenden und dem sich vollständig Verwandelnden und dem ganz für sich Seienden und dem in etwas anderem Existierenden (weil sie das eine überragt und gegenüber dem anderen abfällt, insofern sie sich über das in etwas anderem Befindliche erhebt71), ist auch sie selbst immateriell. Insofern sie aber gegenüber dem Höchsten und immer in sich selbst Bleibenden abfällt, denkt sie nicht immer auf unverfälschte Weise und wird so gedacht. Aber ganz deutlich wird die Lebensform, die aus dem seinsmäßigen Denken der Vernunft heraustritt, in das Unvollendete und in Möglichkeit

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Priskian von Lydien · Text

οὐσιώδης νόησις αὐτοῦ παραθραύεσθαι ἐν τῇ τῆς ἔξω προϊούσης ζωῆς προβολῇ, ἵνα καθ’ ὅλην ἑαυτὴν τὴν μεσότητα διασώζῃ καὶ ἵνα καὶ αὐτὸ τοῦτο προβάλληται τὸν ἔξω προϊόντα καὶ ἵνα καὶ χωρίζηται, ὅπερ φησὶν ὁ Ἀριστοτέλης »χωρισθεὶς δέ ἐστιν ὅπερ ἐστίν«, οὐκ ἔχοντος χώραν τοῦ »χωρισθεὶς« ἐπὶ τοῦ ἀεὶ κεχωρισμένου. πῶς δ’ ἂν καὶ ἀεὶ ὡσαύτως διαμένων ποτὲ μὲν ἀτελῆ τὸν ἀφ’ ἑαυτοῦ προϊόντα ἀφίει, ποτὲ δὲ ἐτελείου, ποτὲ δὲ καὶ εἰς ἑαυτὸν συνήγαγεν; ἀλλὰ δῆλον ὡς καὶ ὁ οὐσιώδης τῆς ἡμετέρας ψυχῆς νοῦς οὔτε μένει εἰλικρινῶς ἐν τῇ πρὸς ἑαυτὸν ἀεὶ στροφῇ οὔτε μὴν πάντῃ ἀφίσταται ὡς ὁ παθητικός, ὅς ἐστιν ὁ ἔξω προϊών, ἵνα μὴ καὶ αὐτὸς ἑτέρου τοῦ τελειοῦντος δέηται. τοσοῦτον γὰρ ἐχάλασεν ὁ οὐσιώδης τὴν νόησιν, ὡς μὴ ἀκραιφνῶς μὲν νοεῖν, ἑαυτῷ δὲ ἱκανὸν εἶναι πρὸς τελείωσιν τὴν ἑαυτοῦ, τέως μέν, ὥστε τὸν ἔξω προϊόντα τελειοῦν, ἀκρότατα δὲ ἐν τῇ ἀποστάσει μὲν ἐκείνου, εἰς ἑαυτὸν δὲ παντελεῖ ἀναχωρήσει, ὅτε καὶ χωρισθεὶς ἔστιν ὅπερ ἐστίν.

[238, 28] ἡ μὲν οὖν μεσότης αἰτία τοῦ μηδὲ τὸν οὐσιώδη νοῦν

εἰλικρινῶς μένειν. νῦν δὲ ὁ λόγος τῷ φιλοσόφῳ τέως περὶ τοῦ προελθόντος, ὃς οὐκ ἀεὶ νοεῖ ἢ διὰ τὴν πολλὴν ῥύσιν ἀφιστάμενος τῆς τελειούσης οὐσίας, ὅλος δὲ γινόμενος αἰσθήσεων καὶ φαντασιῶν καὶ ἁπλῶς τῆς σωματοειδοῦς ζωῆς καὶ διὰ τοῦτο μένων ἀτελής, ἢ διὰ τό, κἂν ἤδη τέλειος ᾖ ὁ προελθών, παραποδίζεσθαι πρὸς τὴν θεωρίαν· τοῦτο μὲν καὶ διὰ τὸ πρακτικῶς ἐνεργεῖν παρὰ μέρος διὰ τὸν μερισμὸν πολὺν ἐν τῷ προϊόντι φαινόμενον, τοῦτο δὲ διὰ τὸ σῶμα καὶ τὰς ἔξωθεν προσπιπτούσας τύχας πολλὰς ἀσχολίας παρέχοντα, ἔτι δὲ διὰ τὰς ἀορίστως



Kommentar zu De anima III

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Befindliche heruntergezogen. Auch das seinsmäßige Denken der Vernunft scheint mir beim Hervorbringen der nach außen hervorgehenden Lebensform aufgebrochen zu werden, so dass sie die Mittelstellung in ihrer ganzen Existenz durchhält und damit sie genau darin den nach außen hervorgehenden Geist hervorbringt und damit sie sich auch abtrennt, so wie Aristoteles sagt: »als abgetrennter ist er, was er ist« (an. III 5, 430a22 f.), wobei das »als abgetrennter« bei dem immer Abgetrennten keinen Sinn macht. Wie könnte sie auch, wenn sie immer auf dieselbe Weise bestehen bliebe, manchmal den unvollendeten Geist aus sich heraus fortschicken, manchmal vollendeten und manchmal mit sich selbst zusammenführen? Aber es ist klar, dass der seinsmäßige Geist unserer Seele weder rein in der dauernden Wendung zu sich selbst bleibt noch ganz heraustritt, so wie der leidensfähige, der der nach außen hervorgehende ist, so dass auch er etwas anderes, ihn Vollendendes benötigt. Denn der seinsmäßige Geist hat das Denken so weit gelockert, dass er nicht mehr uneingeschränkt denkt, aber in sich selbst zur eigenen Vollendung in der Lage ist, in begrenzter Weise so weit, dass er den nach außen hervorgehenden vollendet, am höchsten aber in der Entfernung von diesem und vollständigen Rückkehr zu sich selbst, wenn er auch »als abgetrennter ist, was er ist«. [238, 28] Die Mittelstellung ist also die Ursache dafür, dass auch der seinsmäßige Geist nicht uneingeschränkt bleibt. Jetzt geht es dem Philosophen aber bis hierhin um den hervorgehenden Geist, der nicht immer denkt, wobei er entweder wegen des großen Ausströmens aus der vollendenden Seinsform heraustritt, weil er ganz in Bezug zu Sinneswahrnehmungen, Vorstellungen und überhaupt zum körperartigen Leben tritt und deswegen unvollendet bleibt oder deswegen auch dann, wenn der hervorgehende Geist schon vollendet ist, an der Betrachtung gehindert wird. Das geschieht zum einen, weil er auf praktische Weise verwirklicht ist und nur in geteilter Weise wegen der großen Teilung, die in dem hervorgehenden Geist erscheint,72 und zum anderen, weil der Körper und die von außen ankommenden Zufälle viel Unruhe bescheren, und außerdem

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Priskian von Lydien · Text

ἐγειρομένας ἔτι φαντασίας. περὶ δὲ τοῦ ἀύλου νοητοῦ εἰπὼν ὡς ταὐτὸν τῷ νῷ, πρὶν περὶ τοῦ ἐνύλου νοητοῦ διορίσαι, ἐν μέσῳ περὶ τοῦ ἐπιστημονικοῦ ἐπέστησε λόγου διὰ τὸ ‹μὴ› ἀεὶ νοεῖν, ἵνα συμπληρώσας τὸν περὶ τῶν ἀύλων νοητῶν λόγον οὕτως ἐπὶ τὸν περὶ τῶν ἐνύλων νοητῶν μετίοι. […]

Aus dem Kommentar zu III 5

430a10 Ἐπεὶ δ’ ὥσπερ ἐν πάσῃ τῇ φύσει. [240, 2] Δοκεῖ μοι οὐδὲ ταῦτα ἢ περὶ τοῦ μετεχομένου νοῦ ὑπὸ

ψυχῆς ἢ περὶ τοῦ καὶ τούτου κρείττονος, ἀλλὰ περὶ αὐτῆς ἡμῶν τῆς λογικῆς λέγεσθαι ψυχῆς· τοῦτο μὲν ἐπειδὴ περὶ ψυχῆς ἡ πραγματεία πᾶσα, τοῦτο δὲ διότι σαφῶς καὶ αὐτὸς ἐπιφέρει καὶ ἐν τῇ ψυχῇ ὑπάρχειν ταύτας τὰς διαφοράς. καὶ τὰ ἐφεξῆς πάν­τα ῥητὰ ὑπομνήσομεν οὐκ ἐκβαίνοντα τὴν περὶ αὐτῆς θεωρίαν. [240, 7] διὸ καὶ νῦν ἐχόμενος τῶν προειρημένων μετὰ τὸν ἤδη

παραδεδομένον διττὸν νοῦν, ἀποστάντα μὲν τῆς προηγουμένης τῶν ψυχῶν οὐσίας καὶ διὰ τοῦτο καὶ τῆς συμφυοῦς αὐτῇ ἐνεργείας, προϊόντα δὲ εἰς δευτέρας ζωὰς καὶ θεωρίας ἢ ἀτελεῖς ἢ τελείας μὲν κατὰ προβολὴν δὲ καὶ ὡς ἑτέροις τοῖς μένουσιν ἐν τῇ πρώτῃ οὐσίᾳ εἴδεσι τελειουμένας, θεωρεῖ νῦν τὸν κατ’ αὐτὴν ἱστάμενον τὴν οὐσιώδη ἐνέργειαν νοῦν καὶ τὰ εἴδη νοοῦντα, οὐ τὰ προϊόντα, ἀλλὰ τὰ ἐν αὐτῇ τῇ οὐσίᾳ τῆς ψυχῆς μένοντα. ἡ μὲν γὰρ ἔξω ῥοπὴ εἰς μερισμόν τινα ὑποφερομένη



Kommentar zu De anima III

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durch die noch unbegrenzt erweckten Vorstellungen. Nachdem Aristoteles über das immaterielle Objekt des Denkens gesagt hat, dass es dasselbe ist wie der Geist, bevor er das materielle Objekt des Denkens definiert hat, hielt er in der Mitte bei der wissenden Vernunft wegen des nicht dauerhaften intellektiven Erkennens an, damit er nach Vollendung des Themas der immateriellen Objekte des Denkens zu dem der materiellen Objekte des Denkens übergehen kann. […]

p. 240, 1–241, 26 Theoria zu an. III 5

Das Thema des Kapitels III 5 ist der wesenhafte Geist der Seele, der veränderlich ist 430a10 Da nun in der gesamten Natur. [240,2] Mir scheint auch dies weder über den Geist, an dem

die Seele Teil hat, noch über den, der höher ist als diese, gesagt zu sein, sondern über unsere rationale Seele. Das ist zum einen klar, weil das ganze Werk von der Seele handelt, und zum anderen, weil Aristoteles selbst deutlich anführt: ›dass auch in der Seele diese Unterschiede bestehen‹ (an. III 5, 430a13 f.). Wir werden kommentierend zeigen, dass all das anschließend Gesagte die Theorie von der Seele nicht verlässt. [240, 7] Deswegen betrachtet er auch jetzt, an das vorher Gesagte anschließend – an den schon erklärten doppelten Geist, der aus dem primären Sein der Seelen und deswegen auch der mit diesem zusammenengehörigen Aktivität hinausgetreten ist und in die sekundären Lebensformen und Betrachtungen hervorgeht, die, seien sie unvollendet oder dem Hervorgebrachtsein entsprechend vollendet, von den im primären Sein bleibenden Formen gleichsam als von etwas anderem vollendet werden – betrachtet er also den Geist, der auf der Stufe der seinsmäßigen Aktivität steht und die Formen denkt, nämlich nicht die hervorgehenden, sondern die, die im Sein der Seele verharren. Denn die Neigung nach außen, die zu einer bestimmten Teilung

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Priskian von Lydien · Text

(αὐτὸ γὰρ τοῦτο τὸ ἔξω ὁποιοσοῦν μερισμός) καὶ εἰς δευτέραν πρόεισι ζωὴν ἐν τῇ ψυχῇ, οὐκ οὖσαν ὅπερ ἡ πρώτη, καὶ τὴν ἐνέργειαν τῆς οὐσίας ἀπομερίζει, οὐ τῆς πρώτης μόνης ἀλλὰ καὶ τῆς προβεβλημένης ζωῆς, ὡς μηκέτι οὐσίαν εἶναι τὴν ἐνέργειαν, ἀλλὰ μόνον ἐξῆφθαι οὐσίας, ὥσπερ ἡ εἰς τὴν ἀκροτάτην ἑαυτῆς οὐσίαν ἀναδρομὴ τῆς ψυχῆς καὶ ἡ ἐν ταύτῃ μονὴ ἑνίζει καὶ τὴν ἐνέργειαν τῇ οὐσίᾳ διὰ τὴν εἴσω ὅλην στροφήν (τὸ γὰρ εἴσω τῆς ἀμερίστου συναγωγῆς δηλωτικόν). ἀλλὰ καὶ ἡ ἀκρότης τῆς ψυχῆς ἀμέσως συμπέφυκε τῇ ὑπὲρ αὐτὴν νοερᾷ οὐσίᾳ καὶ τοῖς ἐν αὐτῇ εἴδεσιν. ἀμέριστος δὲ πᾶσα ἡ ὑπὲρ ψυχὴν νοερὰ οὐσία· ὅθεν καὶ ἡ ἐνέργεια ὅπερ οὐσία καὶ ἡ οὐσία ἐνέργεια, οὐ τῇ ἰδιότητι δηλαδή, ἀλλὰ τῇ εἰς ἓν ἀμφοῖν ἀμερίστῳ συναγωγῇ. συμφυομένη τοίνυν τῷ ὑπὲρ αὐτὴν νῷ ἡ τῆς ψυχῆς ἀκρότης πολὺ τὸ ἀμέριστον ἔχει· καὶ διὰ τοῦτο δευτέρως καὶ ἡ ἐνέργεια αὐτῆς τῇ οὐσίᾳ ἑνίζεται.

[240, 26] ὡς οὖν ἐπὶ τοῦ προελθόντος καὶ ἀτελοῦς ἔτι νοῦ ἡ ἐνέρ-

γεια αὐτοῦ τῇ αἰσθητικῇ ἀπεικάζετο, οὐχ ὡς ἡ αὐτὴ παντελῶς (καὶ τὸ διάφορον γοῦν ἐπεφέρετο), ἀλλὰ δι’ αὐτὴν τὴν ἑτέρωθεν ἐν ἀμφοῖν πεῖσιν, οὕτω καὶ τὴν τοῦ ἀκροτάτου καὶ οὐσιώδους αὐτῆς νοῦ ἐνέργειαν ἀφομοιοῖ τῷ ὑπὲρ αὐτὴν νῷ, οὐχ ὡς ἀπαρ­ αλλάκτως τὴν αὐτήν· εὐθὺς γοῦν ἐπάγει καὶ τὸ διάφορον, εἴ γε ποτὲ μὲν ἐνεργεῖ οὗτος ποτὲ δὲ οὐχί, καὶ εἴ γε χωρισθείς ἐστιν οὗτος ὅπερ ἐστίν, ἐκεῖνος δὲ καὶ ἀεὶ ἐνεργεῖ καὶ ἀεί ἐστι χωρισ­ τός. εἰ μὲν οὖν παντελῶς ἡ αὐτὴ μένοι ἡ τῆς ψυχῆς ἀκροτάτη οὐσία, ἡ ἐνέργεια οὐχ ἡ αὐτὴ μένουσα οὐκ ἂν εἴη ὅπερ ἡ οὐσία, εἴ γε ὁτὲ μὲν νοεῖ, ὁτὲ δὲ οὐ νοεῖ.

[240, 35] εἰ δὲ καὶ αὐτὴ ἡ ἄκρα αὐτῆς οὐσία οὐ μένει ἐν τῇ πρὸς

τὰ δεύτερα ῥοπῇ εἰλικρινής, ἵνα καὶ ταύτῃ ᾖ μέση, ὡς καὶ τῷ



Kommentar zu De anima III

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führt (denn genau das ist das Äußere: irgendeine Teilung) geht auch in eine sekundäre Lebensform in der Seele hervor, die nicht so ist wie die primäre und die Aktivität vom Sein trennt, nicht nur vom primären, sondern auch von der der hervorgebrachten Lebensform, so dass die Aktivität nicht mehr das Sein ist, sondern nur noch unten am Sein hängt – ebenso wie die Erhebung der Seele zu ihrem höchsten Sein und das Verharren in ihr durch die vollständige Wendung nach innen auch die Aktivität mit dem Sein vereint (denn das Innere bezeichnet die ungeteilte Einheit). Aber auch die Spitze der Seele hängt unmittelbar mit der denkfähigen Seinsform über ihr und den Formen in dieser zusammen. Denn jede denkfähige Seinsform über der Seele ist ungeteilt; deswegen ist auch ihre Aktivität dasselbe wie ihr Sein und ihr Sein wie ihre Aktivität, natürlich nicht im Hinblick auf ihre spezifischen Eigenschaften, sondern im Hinblick auf die ungeteilte Vereinigung beider zu einem. Indem sie also mit dem Geist über ihr zusammenhängt, besitzt die Spitze der Seele in hohem Maße Ungeteiltheit; und deswegen wird sekundär auch ihre Aktivität mit ihrem Sein vereint. [240, 26] So wie also bei dem hervorgehenden und noch unvollendeten Geist seine Aktivität mit der wahrnehmenden Lebensform verglichen wurde, nicht weil sie vollständig dieselbe ist (es wurde ja auch der Unterschied angeführt), sondern in Bezug auf den Einfluss von anderswo her in beidem, so vergleicht er auch die Aktivität des höchsten und wesenhaften Geistes der Seele mit dem Geist über ihr, nämlich nicht so, dass sie ganz ungetrübt dieselbe ist. Denn er führt ja auch sofort den Unterschied an, insofern der Geist der Seele zeitweise verwirklicht ist und zeitweise nicht, auch wenn er als abgetrennter das ist, was er ist, während der Geist über der Seele immer verwirklicht und immer abgetrennt ist. Wenn also das höchste Sein der Seele vollständig dasselbe bliebe, bleibt doch ihre Aktivität gewiss nicht dasselbe wie ihr Sein, wenn sie zeitweise denkt und zeitweise nicht denkt. [240, 26] Wenn auch ihr hohes Sein während der Neigung zum Sekundären nicht rein bleibt, damit sie auch in dieser Hinsicht

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Priskian von Lydien · Text

Ἰαμβλίχῳ ἐν τῇ ἰδίᾳ Περὶ ψυχῆς πραγματείᾳ δοκεῖ, οὐ μερισ­ τῶν μόνον καὶ ἀμερίστων, ἀλλὰ καὶ γενητῶν καὶ ἀγενήτων καὶ φθαρτῶν καὶ ἀφθάρτων, καὶ ἵνα καὶ αὐτὸ τοῦτο ὁτὲ μὲν [241] νοῇ ὁτὲ δὲ μή (ἀφ’ ἑαυτῆς γὰρ ἐνεργοῦσα ἡ αὐτὴ ἀπαράλλακτος μένουσα καὶ ἐνήργει ἂν ὡσαύτως ἀεί, ἀλλ’ οὐδ’ ἂν ποτὲ μὲν προβαλλομένη δευτέρας ζωὰς καὶ ταύταις συμπλεκομένη ἐν τῇ συμπλοκῇ ἔμενεν αὐτῶν ἀχώριστος, ποτὲ δὲ ἐχωρίζετο· ἴσως γὰρ καὶ αὐτὸ τοῦτο ἐστὶν ὁ χωρισμός, ἡ τῆς οὐσίας ἀδιάφθορος εἰλικρίνεια, ὅπερ καὶ ὁ Ἀριστοτέλης ἐμφαίνει γράφων »χωρισθεὶς δέ ἐστιν ὅπερ ἐστίν«, ὡς τῆς ἔτι τῶν δευτέρων ἀχωρίστου ζωῆς οὐκ οὔσης ὅπερ ἐστίν), εὔλογον ἄρα μᾶλλον δὲ ἀναγκαῖον οὐ τὴν ἐνέργειαν μόνην, ἀλλὰ καὶ τὴν οὐσίαν τῆς ψυχῆς καὶ αὐτὴν τὴν ἀκροτάτην, τῆς ἡμετέρας φημί, διαφορεῖσθαί πως καὶ χαλᾶσθαι καὶ οἷον ὑφιζάνειν ἐν τῇ πρὸς τὰ δεύτερα νεύσει, οὐ παντελῶς ἑαυτῆς ἐξισταμένην (οὐδὲ γὰρ ἂν ἔμενεν ἔτι ψυχή), ἀλλὰ τὸ ἀκραιφνὲς οὐκέτι σώζουσα, ὡς ἅμα τὴν αὐτήν τε καὶ οὐ τὴν αὐτὴν φυλάττεσθαι, οὔτε τῆς ἑτερότητος αὐτὴν ἐξαλλαττούσης παντελῶς οὔτε τῆς ταὐτότητος καθαρᾶς καὶ ἀνεξαλλάκτου μενούσης, καὶ οὕτω μερισθεῖσα ὁπωσοῦν τῇ ἐξαλλαγῇ καὶ οὐ μείνασα ὅπερ ἦν, ὑπομένει καὶ τὸν τῆς ἐνεργείας ἀπὸ τῆς οὐσίας μερισμόν, ὡς καὶ ποτὲ μὴ ἐνεργεῖν.

[241, 16] εἰς δὲ τὴν ἑαυτῆς εἰλικρινῶς ἀναδραμοῦσα οὐσίαν, ἀφ­

ιεῖσα μὲν πᾶσαν τὴν ἔξω προβολήν, τῇ δὲ πρὸς ἑαυτὴν ῥωσθεῖσα στροφῇ καὶ ἀναλαβοῦσα τὸ προσῆκον αὐτῇ μέτρον ἔστι τε ὅπερ ἐστὶ καὶ τῇ ἄκρᾳ εἰς ἑαυτὴν στροφῇ ἀμερῶς συναιρουμένη καὶ τὴν ἐνέργειαν τῇ οὐσίᾳ ἑνοῖ. καὶ αὕτη μὲν ἡ ἀκροτάτη τῆς ψυχῆς τελειότης ἐν τῷ παντελεῖ τῶν δευτέρων ζωῶν χωρισμῷ·



Kommentar zu De anima III

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eine mittlere ist, so wie es auch Jamblich in seinem eigenen Werk »Über die Seele« scheint, und nicht nur eine mittlere zwischen Geteiltem und Ungeteiltem, sondern auch zwischen im Werden Befindlichem und nicht im Werden Befindlichem, und damit auch eben das zutrifft, dass sie zeitweise [241] Objekt des Denkens ist und zeitweise nicht (denn wenn sie aus sich selbst heraus verwirklicht wäre, wobei sie ganz ungetrübt dieselbe bleibt, dann wäre sie auch immer auf diese Weise verwirklicht und bliebe nicht zeitweise, wenn sie sekundäre Lebensformen hervorbringt und sich mit ihnen verbindet, untrennbar in dieser Verbindung mit ihnen und trennte sich andererseits zeitweise; vielleicht ist diese Trennung genau das, die unzerstörbare Reinheit des Seins, so wie es Aristoteles darstellt, wenn er schreibt: ›abgetrennt ist er, was er ist‹, weil die vom Sekundären noch untrennbare Lebensform nicht das ist, was sie ist), dann ist es also wohlbegründet, ja sogar notwendig, dass nicht nur die Aktivität, sondern auch das Sein, sogar das höchste, der Seele – ich spreche von unserer73 – sich irgendwie löst bzw. lockert74 und beim Abstieg ins Sekundäre gleichsam herabsinkt. Dabei tritt sie nicht vollständig aus sich selbst heraus – denn dann bliebe sie ja nicht mehr Seele –, sondern sie bewahrt ihre Unberührtheit nicht mehr, so dass sie zugleich als dieselbe und nicht als dieselbe bestehen bleibt, wobei weder die Andersheit sie vollständig verwandelt noch die Identität rein und unverwandelt bleibt. Indem sie so in gewisser Weise durch Verwandlung geteilt wurde und nicht das geblieben ist, was sie war, erfährt sie auch die Teilung von Aktivität und Sein, so dass sie manchmal nicht aktiv ist. [241, 16] Wenn sie sich aber rein zu ihrem Sein erhebt, nachdem sie das gesamte Hervorbringen nach außen abgelegt hat, wobei sie durch die Wendung zu sich selbst gekräftigt wurde und das ihr entsprechende Maß aufnahm, dann ist sie das, was sie ist und vereinigt auch, durch die hohe Wendung ungeteilt in sich selbst zurückgenommen, die Aktivität mit dem Sein. Und das ist die höchste Vollendung der Seele in der vollständigen Trennung von den sekundären Lebensformen. In der untrennbaren

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Priskian von Lydien · Text

ἐν δὲ τῇ ἀχωρίστῳ πρὸς αὐτὰς συμπλοκῇ τελειοῦται καὶ ἔστι τελεία δευτέρως, καὶ ἡ ἤδη τελειοῦν τὴν προβληθεῖσαν ζωὴν ἱκανὴ εἴτε πρακτικῶς εἴτε θεωρητικῶς οὐκ οὖσα δηλαδὴ ἀτελὴς αὐτὴ ἐτελείου ἄν, ἀλλ’ οὔπω κατὰ ἄκρα μέτρα τελεία, ὡς καὶ ἑαυτῆς εἶναι μόνης· κατὰ δὲ τά [τε] τῶν ἄλλων τελειωτικά, καθ’ ἅ ἐστι, προάγει ἑαυτὴν καὶ ἄνεισιν εἰς τὴν ἄκραν ἑαυτῆς τελειότητα. [241, 26] ἄγε δὴ οὖν ἐπὶ τὴν λέξιν ἴωμεν.

430a10 Ἐπεὶ δ’ ὥσπερ ἐν ἁπάσῃ τῇ φύσει ἐστί τι τὸ μὲν ὕλη ἑκάσ­-

τῳ γένει (τοῦτο δὲ ὃ πάντα δυνάμει ἐκεῖνα), ἕτερον δὲ τὸ αἴτιον καὶ ποιητικόν, τῷ ποιεῖν πάντα, οἷον ἡ τέχνη πρὸς τὴν ὕλην πέπονθεν, ἀνάγκη καὶ ἐν τῇ ψυχῇ ὑπάρχειν ταύτας τὰς διαφοράς. [241, 32] Οὐ κοινότερον νῦν ἀντὶ πάσης οὐσίας εἴληπται ἡ φύσις (οὐ γὰρ ἐν πάσῃ οὐσίᾳ τὸ ποιεῖν καὶ πάσχειν), ἵνα καὶ ἐν πᾶσιν ἀνάλογον ᾖ τι τῇ ὕλῃ καὶ τῷ ποιοῦντι, ἀλλ’ ἡ ἰδίως κινήσεως καὶ ἠρεμίας ἀρχὴ ὁρισθεῖσα. ἐν γὰρ τοῖς κατ’ αὐτὴν ὑφισταμένοις καὶ τοῖς εἰς ταῦτα ῥέπουσι τὸ ποιεῖν καὶ πάσχειν ἥ τε ὕλη καὶ τὸ ποιοῦν, κυρίως μὲν ἐπὶ τῶν ἐν γενέσει, κατὰ ἀναλογίαν δὲ καὶ ἐπὶ τῶν οὐρανίων καὶ ἐπὶ τῆς ἡμετέρας ψυχῆς, ὅταν εἰς τὴν φύσιν προΐῃ, περὶ ἧς καὶ τῷ φυσικῷ ὁ λόγος, ὡς ὅταν γε ἐν ἑαυτῇ [242] καθαρῶς μένῃ, αὐτή τε μένει ὑπερφυὴς οὔτε ποιοῦσα ἢ πάσχουσα οὔτε ἔχουσά τι ἀνάλογον τῇ ὕλῃ οὔτε τῷ φυσικῷ οὖσα θεωρητή, ἀλλὰ τῷ περὶ τὰ μετὰ τὰ φυσικὰ φιλοσοφοῦντι, ὡς αὐτὸς ἐν τῇ Περὶ τῶν ζῴων μορίων εἴρηκεν. καὶ ἐν προοιμίοις



Kommentar zu De anima III

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Verbindung mit ihnen wird und ist sie sekundär vollendet. Da sie nicht stark genug ist, die hervorgebrachte Lebensform entweder auf praktische oder auf theoretische Weise zu vollenden, würde sie es natürlich als unvollendete vollenden, aber noch nicht als vollendete gemäß den hohen Maßstäben, so dass sie nur für sich selbst da ist. Aber gemäß der Vollendungskraft für das andere, dem gemäß sie ist, führt sie sich selbst hervor und steigt zu ihrer hohen Vollendung herauf. [241, 26] Jetzt wollen wir aber zur Textanalyse übergehen.75

p. 241, 27–248, 17 Lexis zu III 5, 430a10–23

Erklärung des Textes von De anima III 5 430a10 Da nun in der gesamten Natur eines die Materie ist für

jede Gattung (sie ist es, was in Möglichkeit all jenes ist) und etwas anderes die Ursache und das Bewirkende dadurch, dass es alles bewirkt, so wie sich etwa die Kunst zu ihrem Material verhält, so ist es notwendig, dass auch in der Seele diese Unterschiede bestehen. [241, 32] »Natur« wird jetzt nicht allgemeiner anstelle von jede Seinsform verstanden (denn nicht in jeder Seinsform ist das Bewirken und Erleiden), so dass auch in allem etwas zum Bewirkenden und Erleidenden Analoges wäre, sondern insofern sie spezifisch als Prinzip der Bewegung und Ruhe bestimmt ist. Denn in dem, was der Natur gemäß existiert, und in dem, was sich zu diesem neigt, ist das Bewirken und Erleiden die Materie und das Bewirkende, in erster Linie bei dem im Werden Befindlichen, auf analoge Weise auch bei dem Himmlischen und bei unserer Seele, wenn sie in die Natur hervorgeht. Diese ist auch Gegenstand des Naturwissenschaftlers, so wie sie, solange sie in sich selbst [242] bleibt, über der Natur bleibt, ohne etwas zu bewirken oder zu erleiden oder etwas zur Materie Analoges aufzuweisen oder Gegenstand des Naturwissenschaftlers zu sein, sondern einer des über die Metaphysik Philosophieren-

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Priskian von Lydien · Text

παρατέθειται ἡμῖν τὸ ταῦτα δηλοῦν ῥητόν. ὅτε τοίνυν εἰς τὴν φύσιν ῥέψασα ἡ ἡμετέρα ψυχὴ προβάλλεται ἐν ἑαυτῇ δευτέρας ζωὰς καὶ ἀφ’ ἑαυτῆς, οὐ μείνασα ἔτι ἀκραιφνὴς οἵα περ ἦν, τὸ μέν τι ἕξει παθητικὸν τὴν προϊοῦσαν ἔξω ζωήν, τὸ δὲ ποιητικὸν τὴν προάγουσαν. καὶ ὕλη μὲν ἐκείνη οὐχ ἁπλῶς (οὐδὲ γὰρ οἵα ἡ σωματοειδής), ἀλλ’ ὡς αὐτὸς ἔφη τῷ γένει, τουτέστι κατὰ ἀναλογίαν· αἰτία δὲ τῷ ποιεῖν ἡ προάγουσα, ὡς εἰς ἕτερόν τι καὶ τοῦτο δυνάμει καὶ γινόμενον τὴν ἑαυτῆς ἐκτείνουσα ἐνέργειαν. καὶ γὰρ ἡ μὲν τῷ πάντα γίνεσθαι ἡ δὲ τῷ πάντα ποιεῖν, ὅσα δηλαδὴ ἐν τῇ νοητικῇ ψυχῇ τῇ ἔξω προϊούσῃ ἐγγίνεται εἴδη· ταῦτα μὲν γὰρ αὐτὴ πάσχει, ποιεῖ δὲ ἡ προβάλλουσα. καὶ εὖ τε τῷ μὲν ποιοῦντι τὴν τέχνην τῷ δὲ πάσχοντι τὴν ὕλην ἀφομοιοῖ, ἐπειδὴ τέχνη κυρίως ἡ περὶ τὰ ἔνυλά ἐστι ποιητικὴ κατὰ λόγον τῆς ψυχῆς ἕξις.

430a14 Καὶ ἔστιν ὁ μὲν τοιοῦτος νοῦς τῷ πάντα γίγνεσθαι. [242, 17] Ὁ τοιοῦτος ὁ ὡς ὕλη· πρὸς γὰρ τὸ ἔσχατον ἀποδίδο-

ται· καὶ ὅπως ὡς ὕλη, ἐδήλωσεν, ὅτι τῷ πάντα γίγνεσθαι. ὁ δὲ τῷ πάντα ποιεῖν ὡς ἕξις τις, οἷον τὸ φῶς· τρόπον γάρ τινα καὶ τὸ φῶς ποιεῖ τὰ δυνάμει ὄντα χρώματα ἐνεργείᾳ χρώματα. ἐπειδὴ καὶ ἡ προάγουσα τὰς δευτέρας ζωὰς οὐσία τῆς ψυχῆς οὐκ ἔξω που ἐκτίθεται, ἀλλ’ ἐν ἑαυτῇ ταύτας ἀναδέχεται καὶ οὐ μένει πάντῃ αὐτῶν κεχωρισμένη, ἀλλὰ καὶ αὐτὴ συμπλέκεται αὐταῖς

Kommentar zu De anima III



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den, wie Aristoteles in Die Teile der Tiere gesagt hat. Das dies beweisende Zitat wurde von uns ja in der Einleitung angeführt (part. an. I 1, 641a18–b1076). Wenn also unsere Seele, nachdem sie sich zur Natur geneigt hat, in sich selbst sekundäre Lebensformen hervorbringt, wobei sie nicht mehr ungetrübt so blieb, wie sie war, hat sie folglich einerseits als etwas Erleidendes die nach außen hervorgehende Lebensform und zum anderen als etwas Bewirkendes die hervorbringende. Dabei ist die eine nicht schlechthin Materie (denn sie ist nicht so wie die körperartige Lebensform), sondern, wie Aristoteles selbst sagt, für die Gattung, d. h. auf analoge Weise. Die Ursache ist hervorbringend, indem sie bewirkt, weil sie ihre Aktivität in etwas Anderes ausdehnt, das in Möglichkeit und werdend ist. Denn die eine ist dadurch, »dass sie alles wird«, die andere dadurch, »dass sie alles bewirkt«, welche zwei Formen natürlich der denkfähigen Seele zukommen, die nach außen hervorgeht. Denn sie erleidet dies, die hervorbringende bewirkt. Er vergleicht zu Recht mit dem Bewirkenden das Handwerk und mit dem Erleidenden die Materie, weil die Disposition der Seele, die in Bezug auf das Materielle dem Begriffe nach bewirkt, in erster Linie ein Handwerk ist. 430a14 Es gibt also einen Geist von solcher Art, dass er alles

wird.

[242, 17] »Von solcher Art« ist der Geist, der wie die Materie ist.

Denn das direkt Vorhergehende wird jetzt erläutert. Und wie die Materie ist, hat er gezeigt, nämlich dadurch, »dass er alles wird«, und wiederum einen von solcher, dass er alles bewirkt, wie eine bestimmte Disposition, wie etwa das Licht. Denn auf eine gewisse Weise bewirkt auch das Licht, dass die in Möglichkeit befindlichen Farben zu Farben in Verwirklichung werden‹. Weil auch das Sein der Seele, das die sekundären Lebensformen hervorbringt, diese nicht irgendwo nach außen herausstelllt, sondern alle in sich selbst empfängt und von ihnen nicht ganz abgetrennt bleibt, sondern auch selbst mit ihnen verbunden

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Priskian von Lydien · Text

καὶ ἐκείνων πως γίνεται, καλῶς ἕξει καὶ φωτὶ ταύτῃ ἀπεικάζεται, ὥσπερ διὰ τὸ ἐξῃρημένον τῇ τέχνῃ πρότερον. ἐν γὰρ τῷ ῥέπειν εἰς τὰ δεύτερα καὶ μένει πως ἐν ἑαυτῇ καὶ πρόεισιν ἀφ’ ἑαυτῆς, ὡς ἤδη εἴρηται. ἡ μὲν οὖν τέχνη πρὸς τοῦ μονίμου καὶ χωριστοῦ μᾶλλον, τὸ δὲ φῶς καὶ ἡ ἕξις πρὸς τοῦ ἀχωρίστου καὶ συμπλεκομένου τοῖς δευτέροις· ἀχώριστον γὰρ καὶ τὸ φῶς τῶν φωτιζομένων καὶ ἡ ἕξις τῶν ἐχόντων. ἐν δὲ τῇ πρὸς τὰ ἔξω ῥοπῇ ποιοῦσα ζωὴν καὶ ἐξῃρημένη πως ἅμα καὶ συμφυομένη ταῖς προϊούσαις, ὀρθῶς ἅμα τε ὡς τέχνη καὶ αὖ ὡς ἕξις καὶ φῶς ποιεῖν παραδίδοται. ἐπιστῆσαι δὲ ἄξιον, ὅτι ἕξει αὐτὴν ἀφομοιώσας κατὰ τὴν πρὸς τὰ δεύτερα συμπλοκὴν ἐπήγαγεν οἷον τὸ φῶς, καὶ περὶ τοῦ φωτὸς ποιεῖται τὸν λοιπὸν λόγον, ἀλλ’ οὐ περὶ ἕξεως ἁπλῶς, ἐπειδὴ ἡ μὲν ἕξις ποιότης τις μᾶλλον οὐδὲν προσήκουσα τῇ δυναμένῃ χωρίζεσθαι οὐσίᾳ, τὸ δὲ φῶς εἰ καὶ πάρεστι τῷ φωτιζομένῳ, ἀλλ’ ὡς ἐντελέχεια καὶ χωριζομένη τοῦ νῦν δεξαμένου· καὶ εἰ ἐν τῇ ῥοπῇ δὲ συμπλέκεται ὁ οὐσιώ­ δης τῆς ψυχῆς νοῦς τῷ προϊόντι, ἀλλὰ χωρίζεταί ποτε καὶ καθ’ ἑαυτὸν ὑφίσταται, ὡς καὶ αὐτὸς εὐθὺς ἐπάγει. ἀλλὰ τέως ὅπως φωτὶ ἀπεικάζεται τὸ ποιητικὸν τῆς ψυχῆς ἑρμηνεύει. τῷ [243] γὰρ τὰ χρώματα ἐνεργείᾳ μὲν ὄντα χρώματα δυνάμει δὲ ὁρατὰ παρὸν καὶ ἐνεργείᾳ αὐτὰ ὁρατὰ ἀπεργάζεσθαι ὁμοιότητα ἐμφαίνει πρὸς τὸν ἐνεργείᾳ τὰ ἐν τῷ παθητικῷ νῷ δυνάμει γνωστὰ ἀποτελοῦντα εἴδη, ἐνδεικνύμενος ἅμα καὶ ὅτι οὐδὲ ἐν τῷ παθητικῷ οὕτως ἦν δυνάμει ὡς πάντα ἀνύπαρκτα, ἀλλ’ ὡς ὄντα μὲν ἄγνωστα δέ, καθάπερ καὶ τὰ τέως ἀφώτιστα χρώματα.



Kommentar zu De anima III

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wird und irgendwie etwas auf diese Bezogenes wird, vergleicht er sie zu Recht mit einer Disposition und einem Licht, so wie vorher mit dem Handwerk wegen des Überragens. Denn bei der Neigung zum Sekundären bleibt sie irgendwie in sich selbst und geht aus sich selbst hervor, wie schon gesagt wurde. ›Kunst‹ bezieht sich nun eher auf das Dauerhafte und Abgetrennte, ›Licht‹ und ›Disposition‹ auf das Unabgetrennte und mit dem Sekundären Verbundene; denn auch das Licht ist vom Beleuchteten und die Disposition vom Disponierten unabgetrennt. Da sie in der Neigung zum Äußeren eine Lebensform bewirkt und irgendwie überragend und doch gleichzeitig mit dem Hervorgehenden verbunden ist, wird zu Recht von ihr gleichzeitig erklärt, dass sie wie ein Handwerk und wiederum wie eine Disposition oder ein Licht bewirke. Es ist wichtig zu wissen, dass er, nachdem er die Seele entsprechend ihrer Verbindung zum Sekundären mit einer Disposition verglichen hat, hinzufügte »wie etwa das Licht« und den Rest des Arguments über das Licht spricht und nicht allgemein über eine Disposition, da die Disposition eher eine Qualität ist, die auf eine Seinsform, die abgetrennt werden kann, nicht zutrifft. Dagegen ist das Licht, auch wenn es bei dem Erleuchteten ist, doch als Vervollkommnung und getrennt von dem jetzt Empfangenden dort. Und wenn der seinsmäßige Geist der Seele sich in der Neigung mit dem Hervorgehenden verbindet, wird er doch manchmal abgetrennt und existiert sich selbst gemäß, wie auch Aristoteles sofort anführt. Aber dadurch, dass er ihn mit dem Licht vergleicht, erklärt er das Bewirkende der Seele. Denn indem [243] es durch seine Anwesenheit die Farben, die in Verwirklichung Farben sind, aber nur in Möglichkeit sichtbar, auch in verwirklichter Weise sichtbar macht, stellt Aristoteles es als Ähnlichkeit zu dem Geist, der aktiv Geist ist, dar, der die im leidensfähigen Geist in Möglichkeit erkennbaren Formen vollendet, wobei er gleichzeitig zeigt, dass diese auch im leidensfähigen Geist nicht so in Möglichkeit waren wie all das, was nicht vorhanden ist, sondern wie das, was ist, aber nicht erkannt wird, so wie die noch unbeleuchteten Farben.

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Priskian von Lydien · Text

430a17 Καὶ οὗτος ὁ νοῦς χωριστὸς καὶ ἀπαθὴς καὶ ἀμιγὴς τῇ

οὐσίᾳ ὢν ἐνέργεια. ἀεὶ γὰρ τιμιώτερον τὸ ποιοῦν τοῦ πάσχοντος καὶ ἡ ἀρχὴ τῆς ὕλης. [243, 10] Τὸ χωριστὸν ἐπὶ τοῦ προκειμένου νῦν εἰς θεωρίαν νοῦ οὐ τὸ ἀεὶ κεχωρισμένον ἀκουστέον (ἐπάξει γοῦν περὶ αὐτοῦ »χωρισθεὶς δέ ἐστιν μόνον τοῦτο ὅπερ ἐστίν«, ὡς ποτὲ χωριζομένου), ἀλλ’ ὡς ποτὲ μὲν ἤδη κεχωρισμένου πάσης τῆς ἔξω τεινομένης ζωῆς ἢ παρεσκευασμένου πρὸς χωρισμόν· ἑκατέρως γὰρ καὶ χωριστὸς καὶ ἀπαθὴς καὶ ἀμιγὴς καὶ τῇ οὐσίᾳ ἐστὶν ἐνέργεια, καὶ ὡς ἤδη πρὸς τὰ εἰλικρινῆ τοιαῦτα ἐπειγόμενός πως ἢ κατ’ αὐτὰ ἑστώς. ἀλλὰ χωριστὸς μὲν οὐ πρὸς σῶμα μόνον οὐδὲ πρὸς μόνας τὰς σωματοειδεῖς λέγεται ζωάς, ἀλλὰ καὶ πρὸς τὰς λογικὰς τάς τε πρακτικὰς καὶ τὰς κατὰ προβολὴν θεωρητικὰς ἐν τῇ τούτων ἀποστάσει.

[243, 19] ἀπαθὴς δὲ ὡς οὐχ ὑφ’ ἑτέρου οὐδὲ δι’ ἑτερότητος οὐδὲ

κατὰ μέθεξιν, ἀλλ’ αὐτὸς ὑφ’ ἑαυτοῦ κατ’ ἐνέργειαν ἢ τελειούμενος ἢ ἤδη ὢν τέλειος· καὶ γὰρ εἰ καὶ ὑπὸ τοῦ κρείττονος νοῦ, ἀλλ’ οὐκ ἀποσπασθείς, συμφυεὶς δὲ αὐτῷ καὶ ἑνωθεὶς κατὰ τὴν ἄκραν ἑαυτοῦ οὐσίαν, ἵνα καὶ ἄριστα τῷ τελειοῦντι ἑνῶται καὶ ὅπερ τὸ τελειοῦν γινόμενος ἱκανὸς καὶ ἑαυτὸν ᾖ τελειοῦν. χωρισ­τὸς μὲν οὖν ἔσται κατ’ οὐσίαν τῶν ὧν μὴ δεῖται πρὸς τὸ εἶναι ἢ ἐνεργεῖν, κἂν ἔτι συναναφύρηταί πως αὐτοῖς, ὡς ῥοπῇ τινι αὐτὰ ὑφιστῶν. ἀμιγὴς δὲ ὁ μηδὲ ὁπωσοῦν συμπλεκόμενος ἢ ὁ πεφυκὼς καὶ σπεύδων πρὸς τοῦτο.

[243, 27] τῇ δὲ οὐσίᾳ ὢν ἐνέργεια διὰ τὴν ἀμέριστον πρὸς ἑαυ-

τὸν στροφήν, οὐδὲ τὴν ἐνέργειαν τῆς οὐσίας ἀφιεῖσαν, ἵνα καὶ ἡ οὐσία ᾖ ἐνέργεια καὶ ἡ ἐνέργεια οὐσία. εἰ γὰρ καὶ ὁ προϊὼν



Kommentar zu De anima III

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430a17 Dies ist der abgetrennte Geist, der leidensfrei ist und un-

vermischt, da er dem Sein nach Aktivität ist. Denn stets ist das Bewirkende ranghöher als das Erleidende, und das Prinzip als die Materie. [243, 10] ›Abgetrennt‹ darf man bei dem Geist, dessen Betrachtung jetzt beabsichtigt ist, nicht als ›immer abgetrennt‹ verstehen (er wird über ihn ja auch anführen: »aber wenn er abgetrennt ist, ist er nur das, was er ist«, weil er manchmal abgetrennt wird), sondern weil er schon manchmal ganz abgetrennt von jeder nach außen erstreckten Lebensform oder doch bereit zur Abtrennung ist; denn auf beide Weisen ist er »abgetrennt, leidensfrei und unvermischt«, und ist »dem Sein nach Aktivität«, und er drängt sich irgendwie schon zu diesem Reinen oder steht auf ihrer Stufe. Aber ›abgetrennt‹ wird er nicht nur in Bezug auf den Körper oder nur auf die körperartigen Lebensformen genannt, sondern auch in Bezug auf die rationalen praktischen und dem Hervorgebrachtsein entsprechenden theoretischen Lebensformen bei deren Heraustreten. [243, 19] ›Leidensfrei‹ ist er, weil er nicht von einem anderen oder durch Andersheit oder entsprechend der Teilhabe, sondern von sich selbst entweder aktiv vollendet wird oder vollendet ist. Denn wenn er auch von dem höheren Geist Vollendung erfährt, doch nicht als abgegrenzter, sondern mit diesem seinem hohen Sein entsprechend verbunden und vereinigt, so dass er auf die beste Weise mit dem Vollendenden vereinigt wird und dadurch, dass er selbst vollendend wird, in die Lage kommt, sich selbst zu vollenden. Folglich ist er dem Sein nach abgetrennt, von dem, was er zum Sein oder Verwirklichtsein nicht benötigt, auch wenn er mit diesem noch irgendwie von oben verbunden ist, da er es durch eine Art Neigung konstituiert. ›Unvermischt‹ ist er aber, weil er weder irgendwie verbunden noch von Natur aus so und dazu strebend ist. [243, 27] »Dem Sein nach Aktivität« wegen der ungeteilten Wendung zu sich selbst, ohne dass die Aktivität das Sein verlassen hat, so dass das Sein Aktivität ist und die Aktivität Sein. Denn wenn der hervorgehende Geist, wenn er sich selbst denkt,

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Priskian von Lydien · Text

νοῦς, ὅταν ἑαυτὸν νοῇ, ὁ αὐτός ἐστι τῷ νοητῷ, τουτέστιν ἑαυτῷ, καὶ τῇ οὐσίᾳ ἐνέργεια (ἡ γὰρ οὐσία ἦν νοητή, τὸ δὲ νοεῖν ἐνέργεια), πόσῳ μειζόνως ὁ μένων ὅλος ἐν ἑαυτῷ καὶ μηδὲ ἀφ’ ἑαυτοῦ μηδὲ τῶν ὑπερτέρων ἐξιστάμενος; ὅθεν καὶ ποιητικόν ἐστι διὰ τὴν πρὸς τὰ ἄριστα ἕνωσιν τοῦ δι’ ἑτερότητα προϊόντος καὶ ὡς ὑφ’ ἑτέρου τελειουμένου καὶ διὰ τοῦτο πάσχοντος, καὶ ἀρχὴ ὡς αἰτία τελειωτικὴ τοῦ δυνάμει, ὅπερ ἡ ὕλη, τιμιωτέρα οὖσα δηλαδὴ ὡς κρείττων καὶ κρείττω διὰ τοῦτο ἴσχουσα καὶ τὴν ἕνωσιν. [243, 36] καὶ τί ἄν τις διαφέρειν εἴποι τοῦ ἀληθοῦς νοῦ, εἰ πρὸς

τοῖς ἄλλοις εἴη καὶ τῇ οὐσίᾳ ὢν ἐνέργεια ὁ ψυχικὸς νοῦς; ἢ ὥσπερ ὁ παθητικὸς νοῦς ὁ ἔτι ἀτελὴς κατὰ τὴν ἀπά [244] θειαν καὶ τὴν δύναμιν παρεβάλλετο μὲν τῷ αἰσθητικῷ, ᾗ δὲ διέφερε διωρίζετο ὕστερον, οὕτω καὶ ἐπὶ τοῦ ἀκροτάτου τῆς ψυχῆς νοῦ παραβαλλομένου μὲν πρὸς τὸν ὑπέρτερον κατηγορεῖ τὰ εἰρημένα, ὅσα πρώτως τῷ θειοτέρῳ προσήκει νῷ, διὰ δὲ τὴν πρὸς αὐτὸν σύμφυσιν καὶ τῷ οὐσιώδει τῆς ψυχῆς δευτέρως, τὸ δὲ διάφορον ἐφεξῆς ἐπιφέρεται.

[244, 5] ἀλλὰ τέως ἐκείνοις ἐπιστήσωμεν· ἑνὶ μέν, τίνι διοίσει ὁ

χωριστὸς οὗτος τῆς ψυχῆς νοῦς ὑμνούμενος, εἴπερ καὶ αὐτὸς πρόεισι, τοῦ προϊόντος· διὰ τί γὰρ μὴ εἷς ὁ καὶ μένων καὶ προϊών; ἑτέρῳ δέ, τί δή ποτε ὁ προελθὼν νοῦς οὐχὶ καὶ νοητός ἐστιν ὥσπερ νοῦς, εἴ γε τὸ νοητὸν τῷ νῷ πάντως ὑπάρχει, κἂν μὴ τῷ νοητῷ πάντως ὁ νοῦς. πῶς οὖν νοῦν μὲν αὐτὸν προσαγορεύει, οὐχὶ δὲ νοητὸν τίθεται, ἐπειδὴ καὶ ἐγγίνεσθαι αὐτῷ τὰ εἴδη βούλεται, ἅπερ ἐστὶ τὰ νοούμενα, ὡς νοῦν μὲν εἶναι καθ’ αὑτόν, νοητὸν δὲ ἐπικτήτως;



Kommentar zu De anima III

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derselbe ist wie der gedachte, d. h. wie er selbst, und die Aktivität dem Sein nach hat (denn das Sein war Objekt des Denkens, das Denken aber Aktivität), um wie viel mehr der, der ganz in sich selbst bleibt und weder aus sich selbst noch aus dem Höheren heraustritt? Deswegen ist er auch, durch die Vereinigung mit dem Besten, das Bewirkende des in Verschiedenheit hervorgehenden Geists, der wie von einem anderen vollendet wird und deswegen erleidet, und er ist Prinzip als vollendende Ursache des Geistes in Möglichkeit, der die Materie ist, wobei diese Ursache als höhere natürlich ranghöher ist und deswegen auch eine höhere Vereinigung besitzt. [243, 36] Wie könnte auch jemand sagen, der seelische Geist unterscheide sich vom wahren Geist, wenn auf ihn neben allem anderen auch zutrifft, dass er »dem Sein nach Aktivität ist«? So wie der leidensfähige Geist, der als noch unvollendeter im Hinblick auf Leidensfreiheit [244] und Möglichkeit mit dem Wahrnehmungsvermögen verglichen wurde – wobei nachträglich erklärt wurde, worin er sich unterscheidet –, so sagt Aristoteles auch beim höchsten Geist der Seele, indem er ihn mit dem höheren vergleicht, das Gesagte77 aus, das primär auf den göttlicheren Geist zutrifft, wegen der Verbindung mit diesem aber auch sekundär auf den seinsmäßigen Geist der Seele; der Unterschied wird [auch in diesem Fall] später angeführt. [244, 5] Aber jetzt wollen wir das Folgende wissen: Zum einen: Wodurch unterscheidet sich dieser besungene abgetrennte Geist der Seele von dem hervorgehenden, wo er doch auch selbst hervorgeht? Denn wodurch ist der zugleich bleibende und hervorgehende nicht einer? Zweitens: Warum ist der hervorgehende Geist qua Geist nicht auch Objekt des Denkens, wenn der Geist generell Objekt des Denkens ist, selbst wenn nicht jedes Objekt des Denkens Geist ist? Warum bezeichnet er ihn also als Geist, versteht ihn aber nicht als Objekte des Denkens, wo er doch will, dass ihm die Formen zukommen, die das Gedachte sind, so dass er aus sich selbst heraus Geist, aber nur in abgeleiteter Weise Objekt des Denkens ist?

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Priskian von Lydien · Text

[244, 12] ἢ πρὸς μὲν τοῦτο ῥητέον καὶ ἤδη εἴρηται, ὡς ὁ προϊὼν

ἔτι μὲν ἀτελὴς ὢν οὔτε νοῦς ἦν ἐνεργείᾳ οὔτε νοητός, ἑκάτερον δὲ δυνάμει καὶ πρὸς ἄμφω τελειούμενος ἑτέρωθεν ἐκ τοῦ οὐσιώ­ δους· ὁ δὲ τελειωθεὶς καὶ νοῦς ἦν καὶ νοητὸς κατὰ τὸ δεύτε­ρον δυνάμει, ὡς καὶ ἐνεργεῖν ποτε καὶ νοεῖν αὑτὸν δι’ ἑαυτοῦ δυνατός, ἀλλὰ παθητικὸς ὢν διὰ τὴν ὑφ’ ἑτέρου τελείωσιν. συμ­ πρόεισιν οὖν τῷ νῷ καὶ τὸ σύστοιχον αὐτῷ νοητὸν καὶ ὁμοῦ τελειοῦται. ἀλλ’ ὁ φιλόσοφος προκρίνων τῇ ἰδιότητι τὸ νοητὸν τοῦ νοῦ, εἴ γε τὸ μὲν οὐσίας ἐμφαντικόν, ὁ δὲ μᾶλλον ἐνεργείας, καὶ εἴ γε τὸ μὲν ἐφετόν ἐστι τῷ νῷ, ὁ δὲ ὡς πρὸς τέλος αὐτὸ ἵεται, εἰ καὶ τὸ τοῦ νοῦ ἐπὶ τοῦ ἀτελοῦς προσίεται ὄνομα, ἀλλ’ οὔτε γε τὸ τοῦ νοητοῦ· τοῦτο δὲ μᾶλλον τοῖς μένουσι καὶ τελειοῦσιν ἀποδίδωσιν εἴδεσι καὶ τοῖς ἐν τῷ προελθόντι τελειωθεῖσιν, ἃ καὶ ἐγγράφεσθαι λέγει, οὐ τὰ ἀτελῆ καὶ δυνάμει, ἀλλὰ τὰ τέλεια καὶ ἐνεργείᾳ ἤδη.

[244, 25] τὸ δὲ πρότερον τῶν εἰς ἐπίστασιν ἡμῖν ἤδη προτεθέντων

ἱκανῶς, οἶμαι, καὶ πρότερον διήρθρωται. ἡ οὐσία ἡ ψυχικὴ μένει μὲν ἀκραιφνὴς ἐν τῇ καθαρᾷ πρὸς ἑαυτήν τε καὶ πρὸς τὰ ἄκρα ἑνώσει, ποτὲ δὲ ἐκλύουσα τὴν ἕνωσιν καὶ ἐξισταμένη ἑαυτῆς τῇ πρὸς τὰ δεύτερα ῥοπῇ μένει μέν, ἵνα καὶ ᾖ, οὐκέτι δὲ ἀκραιφνής, ὡς ἤδη καὶ δευτέρας ἀφ’ ἑαυτῆς προβαλλομένη ζωάς, αὐτῇ τε τῇ τούτων προβολῇ μείνασα ἥτις ἦν καὶ ἔτι μᾶλλον τῇ πρὸς αὐτὰς ἐπικλίσει. οὐσία δὲ καὶ ἡ δευτέρα ζωή, ἐπεὶ καὶ ἡ ἐσχάτη· ἀλλ’



Kommentar zu De anima III

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[244, 12] Dazu [zur zweiten Frage] ist zu sagen und wurde

schon gesagt, dass der hervorgehende Geist, da er noch unvollendet war, weder aktiv Geist noch Objekt des Denkens war, sondern beides in Möglichkeit und indem er zu beidem von anderswo her aus dem seinsmäßigen Geist vollendet wird. Der vollendete Geist war sowohl Geist als auch Objekt des Denkens gemäß der zweiten Stufe der Möglichkeit, insofern er in der Lage war, verwirklicht zu sein und sich selbst aus sich heraus zu denken, wobei er aber weiter leidensfähig war, weil er von etwas anderem vollendet wurde. Die seinem Rang zukommende Stellung als Objekt des Denkens geht also mit dem Geist zusammen hervor und wird zugleich mit ihm vollendet. Aber wenn der Philosoph die Rolle als Objekt des Denkens vom Geist durch ihre spezifische Eigenschaft unterscheidet, dann darf doch – wenn die Rolle als Objekt des Denkens mehr das Sein darstellt, der Geist mehr die Aktivität, und wenn die Rolle als Objekt des Denkens für den Geist Objekt des Strebens ist, dieser aber zu ihr wie zu einem Ziel strebt – wenn die Bezeichnung ›Geist‹ auch für den unvollendeten Geist zugelassen wird, ›Objekt des Denkens‹ nicht von ihm gesagt werden. Diese Bezeichnung billigt Aristoteles eher den bleibenden und entweder vollendenden oder im hervorgehenden Geist vollendeten Formen zu, von denen er auch sagt, sie würden eingeschrieben, nicht die unvollendeten und in Möglichkeit befindlichen, sondern die schon vollendeten und in Aktivität befindlichen. [244, 25] Der erste der zur Frage gestellten Punkte wurde von uns, denke ich, auch vorher schon hinreichend beantwortet. Das seelische Sein bleibt in der reinen Vereinigung mit sich selbst und mit dem Hohen ungetrübt; wenn die Seele aber manchmal diese Einheit löst78 und in der Neigung zum Sekundären aus sich selbst heraustritt, dann bleibt sie zwar, so dass sie ist, aber nicht mehr ungetrübt, weil sie bereits auch sekundäre Lebensformen aus sich selbst hervorbringt, wobei sie bei diesem Hervorbringen blieb, was sie war, und noch mehr bei der Hinneigung zu dem Hervorgebrachten. Auch die sekundäre Lebensform ist ja eine Seinsform, weil auch die unterste eine

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Priskian von Lydien · Text

ἐκείνη καὶ λογικὴ καὶ νοερὰ δυνάμει, δευτέρα δὲ ὅμως τῆς προαγούσης, ᾗ τὸ αἰτιατὸν τοῦ αἰτίου ὑφεῖται καὶ ᾗ τοῦ πῇ μένον­τος τὸ προελθὸν ὅλον καὶ ᾗ τὸ κατὰ δύναμιν τελειούμενον καὶ ἑτέρωθεν τοῦ κατ’ ἐνέργειαν καὶ ὑφ’ ἑαυτοῦ. διὸ καὶ τοῦτο μὲν οὐδέποτε εἰς ἐσχάτην ἐκπίπτει ἀτέλειαν, ἀλλ’ εἰς κεχαλασμένην τελειότητα· τὸ δὲ προϊὸν καὶ πάντῃ ποτὲ γίνεται ἀτελές. καλῶς ἄρα διττὸς ἡμῖν ὁ τῆς ψυχῆς παραδέδοται νοῦς, ὅ τε μένων καὶ ὁ προϊών, καὶ οὗτος ἢ ἀτελὴς ἢ τέλειος, καὶ ὁ μένων δὲ ἢ παν­ τελῶς μένων ἢ πῇ.

[244, 39] ἐπεὶ δὲ ταῦτα διήρθρωται, νῦν ὅπως τὸ διάφορον τοῦ

κατὰ τὸ ἀκρότατον τῆς ψυχῆς οὐσιωμένου νοῦ πρὸς τὸν κρείττονα τόν τε μετεχόμενον καὶ τὸν ἀμέθεκτον παραδίδωσιν ὁ φιλόσοφος, ἐπειδὴ τὴν κοινω[245]νίαν ἐθεώρησε κατὰ τὸ χωριστὸν καὶ ἀπαθὲς καὶ ἀμιγὲς καὶ τῇ οὐσίᾳ εἶναι ἐνέργειαν, ἐπακούσωμεν.

430a19 Ἡ αὐτὴ δέ ἐστιν ἡ κατ’ ἐνέργειαν ἐπιστήμη τῷ πράγ-

ματι· ἡ δὲ κατὰ δύναμιν χρόνῳ προτέρα ἐν τῷ ἑνί, ὅλως δὲ οὐδὲ χρόνῳ· ἀλλ’ ὁτὲ μὲν νοεῖ ὁτὲ δὲ οὐ νοεῖ. χωρισθεὶς δέ ἐστιν μόνον τοῦθ’ ὅπερ ἐστί. [245, 7] Ἐν οἷς πρώτην ἐνδείκνυται διαφορὰν τὸ μὴ μόνον εἶναι νοῦν τὴν ψυχικὴν ἀκρότητα, ἀλλὰ καὶ λόγον· λογικὴ γὰρ γνῶσις ἡ ἐπιστήμη. καλεῖ δὲ ἐπιστήμην νῦν, ὃν ἐκάλει νοῦν, τῇ οὐσίᾳ ὄντα ἐνέργειαν, καὶ τὴν κατ’ ἐνέργειαν ἐπιστήμην τὴν αὐτὴν δεικνὺς τῷ ἐπιστητῷ, ὅπερ τὸ πρᾶγμα, ἀλλ’ οὐχ ὥσπερ



Kommentar zu De anima III

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ist.79 Aber jene ist in Möglichkeit rational und zum Denken fähig, aber zugleich gegenüber der hervorbringenden sekundär, insofern das Verursachte niedriger ist als die Ursache und insofern das vollständig Hervorgehende niedriger ist als das irgendwie Bleibende und insofern das in Möglichkeit und von anderswo her Vollendete niederrangiger ist als das in Aktivität und von sich selbst Vollendete. Deswegen fällt dieses auch niemals in die unterste Vollendungslosigkeit hinaus, sondern nur in eine gelockerte Vollendung. Das Hervorgehende wird aber auch manchmal ganz unvollendet. Zu Recht wird der Geist der Seele also von uns als doppelter erklärt, wobei der eine bleibt und der andere hervorgeht und der Letztere entweder unvollendet oder vollendet ist, der Bleibende aber entweder ganz oder irgendwie bleibt. [244, 39] Weil dies aber geklärt ist, wollen wir hören, wie der Philosoph jetzt den Unterschied zwischen dem Geist, der seinsmäßig der Spitze der Seele entspricht, und dem höheren Geist erklärt, der entweder so ist, dass etwas an ihm Teil hat, oder frei von Teilhabe ist – nachdem er ihre Gemeinsamkeit [245] anhand von Abtrennbarkeit, Leidensfreiheit und Unvermischtheit sowie anhand dessen, dass er dem Sein nach Aktivität ist, betrachtet hat. 430a19 Das aktive Wissen ist dasselbe wie der Gegenstand; das

in Möglichkeit befindliche ist der Zeit nach früher im Einzelnen, im Ganzen aber auch nicht der Zeit nach. Sondern der Geist denkt zeitweise, zeitweise denkt er nicht. Aber wenn er abgetrennt ist, ist er nur das, was er ist. [245, 7] Hiermit zeigt er das erste unterscheidende Merkmal auf, dass der Geist nicht nur die Spitze der Seele ist, sondern auch Vernunft; denn das Wissen ist rationale Erkenntnis. Wissen nennt er jetzt das, was er Geist genannt hat, da er dem Sein nach Aktivität ist, wobei er zeigt, dass das aktive Wissen identisch ist mit dem Gewussten, das der Gegenstand ist, aber nicht so wie die Form in der Sinneswahrnehmung etwas

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Priskian von Lydien · Text

τὸ ἐν αἰσθήσει εἶδος ἄλλο παρὰ τὸ αἰσθητόν. καὶ πάλιν ὁ τοῦ Πλάτωνος ἄριστος ἐξηγητὴς σαφηνίζει ἡμῖν καὶ ὅπως εἴρηται παρ’ ἐκείνου τὸ ὂν ἀεὶ »νοήσει μετὰ λόγου περιληπτόν«, ὡς ἅμα τε νοήσεως καὶ ἐπιστήμης τῆς ἀκροτάτης οὔσης ψυχικῆς γνώσεως. νοῦς δὲ ἁπλῶς ὁ ὑπέρτερος. αὕτη μὲν οὖν πρώτη διαφορὰ διὰ τὴν τοῦ λόγου πρὸς νοῦν ὕφεσιν καὶ τὴν τῆς γνώσεως πρὸς τὸ γνωστόν. [245, 16] καὶ ὥσπερ τὸ γενητόν, ὅταν ᾖ, ἀπολείπεται τοῦ ἀγενή-

τως ὄντος τῇ πρὸς τὴν δύναμιν τοῦ μὴ εἶναι συμπλοκῇ, οὕτω καὶ τὸ ποτὲ μὲν νοοῦν ποτὲ δὲ οὐ νοοῦν, καὶ ὅταν νοῇ, ἔχει τὴν τοῦ ποτὲ μὴ νοεῖν δύναμιν καὶ οὔτε τὴν νόησιν ἔχει οἵαν τὸ ‹ἀεὶ› νοοῦν οὔτε τὴν πρὸς τὸ νοητὸν ἕνωσιν· τῆς γὰρ ἀκριβεστέρας νοήσεως καὶ ἕνωσις μείζων. ἔσται μὲν οὖν τῇ οὐσίᾳ ἐνέργεια καὶ ὁ ψυχικὸς νοῦς χωρισθείς, ἀλλ’ οὐχ ὡσαύτως τῷ ἀεὶ χωρισ­τῷ. μήπω γὰρ χωρισθεὶς ὁ ἡμέτερος αὐτῇ τῇ ἀχωρίστῳ πρὸς δευτέραν γνώσει οὐδὲ τὴν ἐνέργειαν πρὸς τὴν οὐσίαν ἑνίζει τελέως καὶ ὅσον πέφυκεν, ἀλλ’ ἔτι ἀτελέστερον, ὅπερ δυνάμει ἔφη, ἐπειδὴ καὶ πέφυκε τελειοῦσθαι.

[245, 25] προτέραν δὲ εἶναι χρόνῳ τὴν κατὰ δύναμιν ἐν τῷ ἑνί.

τοῦτο δὲ ἐπὶ μὲν τῶν γενητῶν ἀληθέστατον· ἐκ γὰρ τοῦ ἀτελοῦς ἐπὶ τὸ τελειότερον πᾶσα γένεσις· διὸ τὸ ἀτελὲς πρότερον τῷ χρόνῳ, ὅπερ ἐστὶ τὸ δυνάμει ἐν τῷ ἑνὶ αὐτῷ τῷ γινομένῳ, ἐπεὶ ἐν τῷ προσεχεῖ αἰτίῳ τὸ ἐνεργείᾳ ἀνάγκη προϋπάρχειν τοῦ ἐν τῷ γινομένῳ ὑπ’ αὐτοῦ δυνάμει. καλῶς οὖν τὸ ἐν τῷ ἑνὶ πρόσ­ κειται. ἐπὶ δὲ τῶν ἀιδίων μέν, ποτὲ δὲ νοούντων καὶ αὖ ποτὲ μὴ νοούντων οὐδὲ ἐν τῷ ἑνὶ χρόνῳ πρότερον τὸ δυνάμει. τί γὰρ



Kommentar zu De anima III

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anderes neben dem Wahrnehmungsgegenstand ist. Wiederum verdeutlicht uns Platons bester Ausleger, mit welcher Bedeutung von diesem gesagt wird, das Seiende werde immer »durch Denken mit Vernunft aufgefasst«,80 weil nämlich die höchste Erkenntnis der Seele gleichzeitig Denken und Wissen ist. Geist schlechthin ist dagegen der höhere. Das ist also das erste unterscheidende Merkmal wegen des niedrigeren Rangs der Vernunft gegenüber dem Geist und der Erkenntnis gegenüber dem Erkenntnisobjekt. [245, 16] Ferner hat – so wie das im Werden Befindliche, solange es da ist, gegenüber dem nicht werdenden Seienden durch die Verbindung mit der Möglichkeit nicht zu sein abfällt – auch das, was zeitweise denkt und zeitweise nicht denkt, auch, solange es denkt, die Möglichkeit, einmal nicht zu denken. Es hat weder das gleiche Denken wie das, was immer denkt, noch die Einheit mit dem gedachten Objekt. Denn das treffendere Denken hat auch eine höhere Einheit. Folglich ist auch der seelische Geist 81 als abgetrennter dem Sein nach Aktivität, aber nicht auf dieselbe Weise wie der, der immer abtrennbar ist. Denn wenn unser Geist noch nicht abgetrennt ist, vereinigt er wegen der vom Sekundären untrennbaren Erkenntnis auch nicht die Aktivität mit dem Sein vollständig und so, wie er es von Natur aus kann, sondern noch unvollkommener, was Aristoteles ›in Möglichkeit‹ nannte, weil er von Natur aus vollendet werden soll. [245, 25] »Der Zeit nach früher« soll das Wissen »in Möglichkeit« »im Einzelnen« sein. Das ist für das im Werden Befindliche absolut richtig. Denn alles Werden erfolgt vom Unvollendeten aus zum Vollendeteren hin. Deswegen ist der Zeit nach das Unvollendete früher, so wie das in Möglichkeit Befindliche in dem einzelnen Werdenden, während in seiner unmittelbaren Ursache das in Aktivität Befindliche notwendigerweise vor dem vorhanden ist, was in dem durch diese Werdenden in Möglichkeit ist. Das »im Einzelnen« steht also zu Recht da. Bei dem aber, was ewig ist und zeitweise denkt, zeitweise wiederum nicht denkt, ist das in Möglichkeit Befindliche auch im Einzelnen nicht zeitlich früher. Denn was ist dieses mehr als das in Ak-

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Priskian von Lydien · Text

τοῦτο μᾶλλον ἢ τὸ ἐνεργείᾳ, διαδεχομένων ἀεὶ ἄλληλα; διὸ καὶ αὐτὸς ἐπὶ τῆς ψυχῆς οὐκ ἀξιοῖ χρόνῳ προτέραν εἶναι τὴν δύναμιν, ἀλλ’ ἐκεῖνο ἀληθῶς ὑπάρχειν τὸ ποτὲ μὲν νοεῖν αὐτήν, ποτὲ δὲ μὴ νοεῖν. [245, 35] καὶ γὰρ εἰ ἐν τῷ συνθέτῳ ἀνθρώπῳ ἡ δύναμις πρότερον,

ἀλλ’ ὁ νοῦς οὗτος ἡ ψυχικὴ οὐσία χωριστὴ οὖσα, ὡς αὐτίκα ἐπάγει, ἅμα καὶ τρίτην διαφορὰν τοῦ ψυχικοῦ νοῦ πρὸς τὸν κρείττω παραδιδοὺς καὶ τῆς πρὸς τὸ γνωστὸν τῆς γνώσεως ταὐτότητος· χωρισθεὶς γάρ φησιν, ‹οὐκ› ἀεὶ χωριστός. ἀεὶ δὲ χωριστὸς ὡμολογημένως μὲν ὁ ἀμέθεκτος ὑπὸ ψυχῆς, [246] πάν­ τως δὲ καὶ ὁ μεθεκτός· οὐ γὰρ ἐκεῖνος τῆς ψυχῆς, ἀλλ’ αὕτη ἐστὶν ἐκείνου. ἐκεῖνος δὲ μένων ἐν ἑαυτῷ ἀρρεπῶς ἑαυτοῦ ἐξ­ άπτει τὴν ψυχήν· αὕτη δὲ ἥ γε ἡμετέρα ἡ τῇ ῥοπῇ καὶ κλίσει δευτέρας προάγουσα ζωὰς καὶ συμπλεκομένη πρὸς αὐτὰς καὶ οὐ κατὰ τὴν μένουσαν μόνην, ἀλλὰ καὶ κατὰ τὴν ἀφισταμένην καὶ προϊοῦσαν αὐτῆς ζῶσα ζωήν, καὶ αὖθις χωριζομένη, ὅτε καὶ κατὰ μόνον τὸ ἑαυτῆς ἕστηκε μόνιμον, τοῦτο οὖσα, ὡς αὐτὸς ἔφη, μόνον ὅπερ ἐστίν, οὐχὶ δὲ καὶ ἄλλο τι, ὁποῖον ἦν τὸ ἐν τῇ προβολῇ γινόμενον νοοῦν, ὃ ἐν τῇ ἀχωρίστῳ ἦν ζωῇ. οὐκοῦν καὶ χωρισθεῖσα, καθ’ ὅσον καὶ ἀχωρίστως ποτὲ πέφυκε ζῆν, οὐδὲ τότε τὸ χωριστὸν ἕξει οἷον τὸ ἀεὶ χωριστόν. ᾗ οὖν τῷ χωριστῷ καὶ ἀύλῳ ἕπεται τὸ ἑαυτὸ νοεῖν, ἡ δὲ ἑαυτοῦ νόησις τῇ οὐσίᾳ ἐστὶν ἐνέργεια, ᾗ τὸ χωριστὸν τοῦ ψυχικοῦ νοῦ ὑφεῖται τοῦ ἐν τῷ κρείττονι χωριστοῦ, ταύτῃ καὶ ἡ πρὸς τὴν οὐσίαν τῆς ἐνεργείας ἀπολειφθήσεται ἕνωσις.



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tivität Befindliche, wo sich doch beide immer gegenseitig aufnehmen? Deswegen fordert Aristoteles auch nicht für die Seele, dass die Möglichkeit zeitlich früher ist, sondern sagt, dieses sei in Wahrheit so vorhanden, dass sie zeitweise denkt, zeitweise aber nicht denkt. [245, 35] Denn auch wenn in dem zusammengesetzten Menschen die Möglichkeit früher ist, ist doch der Geist das seelenhafte Sein, das abtrennbar ist, wie Aristoteles sofort anführt, um auch den dritten Unterschied zwischen dem seelischen Geist und dem höheren sowie die Identität der Erkenntnis mit dem Erkannten zu erklären; denn »wenn er abgetrennt ist«, sagt er, und nicht: er ist immer abgetrennt. Immer abgetrennt ist aber ohne Zweifel der Geist, an dem die Seele nicht Teil hat, [246] vollständig aber auch der, an dem sie Teil hat; denn dieser steht nicht in Bezug zur Seele, sondern diese in Bezug zu ihm. Während er ohne Neigung in sich selbst bleibt, berührt ihn die Seele. Sie ist unsere Seele, die durch Neigung und Hinneigung sekundäre Lebensformen hervorbringt,82 wobei sie mit ihnen verbunden ist und nicht nur gemäß dem bleibenden Verharren, sondern auch gemäß ihrer heraustretenden und hervorgehenden Lebensform lebt, während sie andererseits getrennt ist, wenn sie nur auf der Stufe ihrer Dauerhaftigkeit steht, wobei sie, wie Aristoteles sagte, »nur das ist, was sie ist«, nicht auch etwas anderes, so wie sie es war, als sie das in Hervorbringung Befindliche dachte, das in der untrennbaren Lebensform war. Auch wenn sie abgetrennt ist, dann hat sie also, insofern sie von Natur aus auch manchmal unabtrennbar leben kann, die Abtrennbarkeit nicht so wie das, was immer abgetrennt ist. Insofern also der Abgetrenntheit und Immaterialität die denkende Selbsterkenntnis folgt, wobei das Denken seiner selbst dem Sein nach Aktivität ist, und insofern die Abgetrenntheit des seelischen Geistes niedriger ist als die des auf höhere Weise abgetrennten, insofern fällt also auch die Einheit ihrer Aktivität mit ihrem Sein diesem gegenüber ab.

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Priskian von Lydien · Text

430a23 Καὶ τοῦτο μόνον ἀθάνατον καὶ ἀίδιον. οὐ μνημονεύομεν

δέ, ὅτι τοῦτο μὲν ἀπαθές, ὁ δὲ παθητικὸς νοῦς φθαρτός, καὶ ἄνευ τούτου οὐθὲν νοεῖ.

[246, 17] Ἐπιστῆσαι ἄξιον ‹ὅτι› τῷ παντὶ λόγῳ θαρρῶν τὸν οὐσιώ­-

δη τῆς ψυχῆς νοῦν ἀθάνατον καὶ ἀίδιον ἀποφαίνεται, ἵνα καὶ ταύτῃ τὴν πρὸς Πλάτωνα αὐτοῦ συμφωνίαν ἅμα θαυμάσωμεν καὶ τὴν τῶν κατὰ μέρος ἐπὶ πλέον ἐπεξεργασίαν, ὅσα ἐκεῖνος ὁλικώτερον καὶ συνοπτικώτερον ἀρχαιοπρεπῶς παρέδωκε. [246, 21] μὴ γὰρ ὅτι ἐπὶ μόνης τῆς συνεχοῦς καὶ μεριστῆς ἐντελεχείας τῷ τῆς κινήσεως χρώμενος ὀνόματι οὐκ ἀνέχεται αὐτὸ προσάπτειν ὡς οὐ μεριστῇ οὔσῃ τῇ ψυχῇ, ἐπεὶ μεταθέντι σοι τὸ ὄνομα τὸ αὐτοκίνητον ἐπὶ τὸ αὐτοζῶν καὶ αὐτοτελὲς καὶ αὐτοποιοῦν καὶ πάσχον ὁ πᾶς ἐντεῦθεν ὁρμώμενος φανήσεται λόγος. καὶ γὰρ καὶ παρ’ ἐκείνῳ διπλόην τινὰ τῆς ψυχῆς ἐμφαίνει τὸ αὐτοκίνητον· τοῦ μὲν μονίμου καὶ εἰδητικοῦ καὶ ποιητικοῦ αὐτῆς τὸ αὐτό, ᾧ καὶ ἐπὶ τῶν ἀκροτάτων εἴωθε χρῆσθαι εἰδῶν, τοῦ δὲ κινητοῦ τὸ παθητικὸν καὶ προϊὸν καὶ τελειούμενον καὶ ὁριζόμενον. [246, 29] ἐντεῦθεν οὖν καὶ ὁ Ἀριστοτέλης ὁρμώμενος τὸ ἐν τῇ

ψυχῇ ποιητικόν, ὃ αὐτὸς ἐκεῖνος ἔφη χωριστὸν καὶ ἀπαθὲς καὶ ἀμιγές, δείκνυσιν ὡς ἀρχὴν καὶ αἰτιώδη καὶ τιμιωτέραν τῆς ὕλης καὶ παντὸς τοῦ γινομένου φύσιν (ἀντὶ γὰρ τοῦ γινομένου παντὸς ἡ ὕλη αὐτῷ εἴληπται), καὶ ἔτι ὡς τῇ οὐσίᾳ ὂν ἐνέργειαν διὰ τὴν εἰς εἶδος ἀμέριστον συναίρεσιν. ὅθεν ὅτι ἄυλον λαβὼν (μεριστὸν γὰρ πᾶν τὸ ἔνυλον) καὶ αὐτὸ πρὸς ἑαυτὸ ἐνεργοῦν, δείκνυσι τὸ ἄυλον πᾶν ἑαυτὸ νοοῦν. καὶ ἅμα νοοῦν τε καὶ νοητὸν ἐπιδείξας καὶ ἁπλοῦν, ὡς οὐ κατὰ μέρος νοοῦν καὶ νοούμενον ἀλλ’ ὅλον ἄμφω, ὅτι καὶ ἀθάνατον καὶ ἀίδιον, ἀπεφήνατο.



Kommentar zu De anima III

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430a23 Und nur dieses ist unsterblich und ewig. Wir erinnern

uns aber nicht daran, denn der eine Teil ist leidensfrei, der leidensfähige Geist aber vergänglich, und ohne diesen gibt es kein Denken. [246, 17] Es ist wissenswert, dass er mit dem ganzen Argument zuversichtlich den seinsmäßigen Geist der Seele als unsterblich und ewig anzeigt, damit wir auch dadurch seine Harmonie mit Platon bewundern, und gleichzeitig die weitere Ausarbeitung dessen im Detail, was dieser allgemeiner und zusammenfassender erklärte. [246, 21] Denn deswegen, weil Aristoteles das Wort ›Bewegung‹ nur für die kontinuierliche und geteilte Vervollkommnung gebraucht, wird er nicht gehindert, es auf die Seele anzuwenden, weil diese geteilt ist. Denn wenn Du den Begriff ›selbstbewegt‹ neben ›selbstlebend‹, ›selbstvollendet‹, ›selbstbewirkend‹ und erleidend stellst, dann wird das ganze Argument, das hier seinen Anfang nimmt, deutlich. Denn auch bei Platon bezeichnet ›selbstbewegt‹ eine bestimmte Zweiheit der Seele; auf ihr Dauerhaftes, Formales und Bewirkendes bezieht sich das ›selbst‹, das er üblicherweise auch für die höchsten Formen verwendet, während zum ›Bewegten‹ das Leidensfähige, Hervorgehende, Vollendete und Bestimmte gehört. [246, 29] Wenn Aristoteles also von hier aus seinen Anfang nimmt, dann zeigt er, dass das Bewirkende in der Seele, das er selbst »abgetrennt, leidensfrei und unvermischt« nannte, gleichsam das Prinzip und die ursächliche Natur ist, die ranghöher als die Materie und alles Werdende ist (denn für alles Werdende wird von ihm ›Materie‹ gesagt), sowie weiterhin, dass dieses Bewirkende durch die ungeteilte Zusammenfassung in die Form dem Sein nach Aktivität ist. Weil er es als immateriell auffasst (denn alles Materielle ist geteilt) und als verwirklicht in Bezug auf sich selbst, zeigt er daher, dass alles Immaterielle sich selbst denkt. Indem er es als gleichzeitig denkend und denkbar und als einfach aufzeigte, so dass es nicht in Teilen denkt und gedacht wird, sondern beides zugleich geschieht, verdeutlichte er, dass es auch unsterblich und ewig ist. Denn das Abtrennbare

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Priskian von Lydien · Text

τὸ γὰρ χωριστὸν καὶ ἁπλοῦν καὶ ἑαυτοῦ ὂν καὶ ἑαυτὸ ζωοῦν καὶ τελειοῦν, ὡς καὶ ἐν τῇ ἔξω ῥοπῇ δευτέρας ὑπερβλύζειν ζωάς τε καὶ οὐσίας, οὐ μόνον ἄδεκτον θανάτου τε καὶ φθορᾶς, ἀλλὰ καὶ [247] προηγουμένως δείκνυται ζωῆς τε καὶ οὐσίας οἰστικὸν καὶ διὰ τοῦτο καὶ ἀθάνατον. [247, 2] ὥστε εἶναι τὸν πάντα συλλογισμὸν ὡς συντόμως συνθεῖ-

ναι τοιόνδε, δῆλον ὡς περὶ τῆς ἡμετέρας ἠρωτημένον ψυχῆς· ἐν τῇ ἡμετέρᾳ ψυχῇ οὐ τὸ πάσχον ἐστὶ μόνον ἀλλὰ καὶ τὸ ποιοῦν, ἀρχὴ καὶ αἴτιον τῶν γιγνομένων· ἔτι τὸ ποιοῦν ἐν τῇ ψυχῇ ἑαυτὸ νοεῖν δύναται καὶ τὴν ἐνέργειαν ἑνίζει τῇ οὐσίᾳ ἀμερίστως· τὸ ἄρχον καὶ αἴτιον τῶν γινομένων καὶ τὸ τῇ οὐσίᾳ ὂν ἐνέργεια χωριστόν ἐστι καὶ ἁπλοῦν· τὸ χωριστὸν καὶ ἁπλοῦν ἑαυτοῦ ἐστι καὶ οὐκ ἐν ἑτέρῳ· τὸ τοιοῦτον ἄδεκτον τοῦ ἐναντίου, ἀζωίας τε καὶ ἀνουσιότητος (οὔτε γὰρ ἐν ἑαυτῷ τὸ ἀντικείμενόν ποτέ τι δέξεται οὔτε ἐν ἑτέρῳ τὸ ἑαυτοῦ μόνως ὄν)· τὸ ποιοῦν ἄρα ἐν τῇ ψυχῇ θανάτου καὶ φθορᾶς ὂν ἄδεκτον ἀθάνατον ἀναγκαίως καὶ ἀίδιον τυγχάνει ὄν, οὐ διὰ τὸ ἄδεκτον προηγουμένως, ἀλλὰ διὰ τό, ὡς εἴρηται, καὶ ἐν τῇ ἔξω ῥοπῇ πηγάζειν οὐσίας τε καὶ ζωὰς δευτέρας.

[247, 13] ἃ δὴ πάντῃ, ὡς ἔφαμεν, συμφώνως τῇ Πλάτωνος ἐκ τῆς

αὐτοκινησίας περὶ ψυχῆς ἀποδείξει τῷ Ἀριστοτέλει φιλοσοφεῖται. ὅτι γὰρ περὶ ψυχῆς, ἀλλ’ οὐ περὶ τοῦ μετεχομένου ὑπ’ αὐτῆς νοῦ οὐδὲ ἔτι μᾶλλον περὶ τοῦ ἀμεθέκτου, ἀλλὰ καὶ περὶ ψυχῆς τῆς ἡμετέρας, καὶ ἤδη ὑπέμνησται ἡμῖν καὶ ἔτι ἐκ πλειόνων ἄν τις ἐπιστήσειεν. πῶς γὰρ τὸ δυνάμει ἢ τὸ ποτὲ μὴ νοεῖν, ἢ τὸ ποτὲ χωρίζεσθαι τοῖς ὑπὲρ τὴν μερικὴν ἐπιπρέψει ψυχήν; ἀλλ’ οὐδὲ τὸ ἄυλον ἢ τὸ νοοῦν ἅμα καὶ νοούμενον ἢ τὸ χωρισ­ τὸν ὅλως ταῖς σωματοειδέσιν ἡμῶν προσήκει τι ζωαῖς καὶ ἔτι μᾶλλον ταῖς τῶν ἄλλων ζῴων ἢ φυτῶν ψυχαῖς. τοῦτο μὲν οὖν



Kommentar zu De anima III

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und Einfache, für sich selbst Seiende sowie sich selbst, indem es in der Neigung nach außen sekundäre Lebens- und Seinsformen hervorbringt, Belebende und Vollendende empfängt nicht nur weder Tod noch Verderben, sondern [247] wird auch als der primäre Träger von Lebensform und Sein und dadurch auch als unsterblich erwiesen. [247, 2] So ist die gesamte Argumentation, um es kurz zusammenzustellen, klarerweise derartig, wie es über unsere Seele gefragt wurde; in unserer Seele gibt es nicht nur das Erleidende, sondern auch das Bewirkende, das Prinzip und der Grund des Werdenden. Außerdem kann das Bewirkende in der Seele sich selbst denken und vereinigt die Aktivität ungeteilt mit dem Sein. Das Prinzip und der Grund des Werdenden, das auch dem Sein nach Aktivität ist, ist abtrennbar und einfach. Das Abtrennbare und Einfache besteht für sich selbst und nicht in einem anderen. Das Derartige ist unempfänglich für sein Gegenteil, die Lebens- und Seinslosigkeit (denn das, was allein für sich selbst besteht, wird weder in sich selbst noch in einem Anderen je das Entgegenstehende aufnehmen). Das Bewirkende in der Seele ist also, da es für Tod und Zugrundegehen unempfänglich ist, notwendig unsterblich und ewig, aber nicht in erster Linie wegen der Unempfänglichkeit, sondern weil es, wie gesagt, in der Neigung nach außen Seins- und Lebensformen als Quelle hervorbringt. [247, 13] Das wird, wie wir gesagt haben, von Aristoteles ganz in Harmonie mit Platons Beweis über die Seele aus der Selbstbewegung83 philosophisch begründet. Denn dass es um die Seele geht und nicht um den Geist, an dem sie Teil hat, und noch viel weniger um den, an dem nichts Teil hat, das wurde von uns ja schon erläutert, und man würde es auch aus noch mehr Argumenten gewiss erfahren. Denn wie kann das in Möglichkeit geschehende oder unterbrochene Denken oder das zeitweilige Ungetrenntsein zu dem passen, was höher ist als die Einzelseele? Aber die Immaterialität oder das gleichzeitige Denken und Gedacht-Werden oder die Abtrennbarkeit kommt im Ganzen auch unseren körperartigen Lebensformen nicht zu, und noch

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Priskian von Lydien · Text

ἐναργῶς, οἶμαι, καὶ ἀναγκαίως συνῆκται, τὸ ὅσον ποιοῦν ἐν τῇ ψυχῇ ἀθάνατόν τε ὂν καὶ ἀίδιον. καλῶς γὰρ καὶ τὸ ἀίδιον προσ­ τέθεικεν, ὡς ὁ Πλάτων τὸ ἀνώλεθρον ἐν τῷ Φαίδωνι, ἵνα μὴ ὡς ὁ Βοηθὸς οἰηθῶμεν τὴν ψυχὴν ὥσπερ τὴν ἐμψυχίαν ἀθάνατον μὲν εἶναι ὡς αὐτὴν μὴ ὑπομένουσαν τὸν θάνατον ἐπιόντα, ἐξισ­ ταμένην δὲ ἐπιόντος ἐκείνου τῷ ζῶντι ἀπόλλυσθαι.

[247, 27] διὰ τί δὲ τοῦτο μόνον ἀίδιον; ἢ ὅτι, ὡς σαφῶς ἐπάγει,

ὁ παθητικὸς νοῦς φθαρτός. ἀλλὰ ἀπορήσειεν ἄν τις, πῶς νοῦς ὢν καὶ ἐκεῖνος φθείρεται, εἴ γε ἄυλος καὶ ἐκεῖνος· πᾶς γὰρ νοῦς ἄνευ ὕλης εἶναι ἠξίωται, καὶ διὰ τοῦτο πᾶς μὲν νοῦς εἶναι νοητός, οὐκέτι δὲ τὸ ἄυλον εἶδος νοητὸν ὂν καὶ νοῦν εἶναι. ἢ ὁ παθητικὸς νοῦς ὑλικὸς ἦν καὶ δυνάμει καὶ αὐτὸ τοῦτο παθητικὸς καὶ ἀτελὴς νοῦς τὸ ὅλον τοῦτο, ἕως ἂν παθητικὸς ᾖ· καὶ διὰ τοῦτο καὶ φθαρτὸς ᾗ παθητικός. ἄυλος δὲ γίνεται καὶ ἐνεργείᾳ νοῦς τε καὶ νοητὸς ἐν τῇ πρὸς τὸ ποιοῦν συναφῇ, τελείως δὲ ἄυλος καὶ νοῦς τέλειος ἐν τῇ εἰς τὸν ποιοῦντα ἀναδρομῇ. ὡς εἶναι τὴν φθορὰν τοῦ παθητικοῦ νοῦ οὐκ εἰς τὸ μὴ ὂν ἔκστασιν, ἀλλ’ εἰς τὸ κρειττόνως ὂν συναίρεσιν τῆς χωρισθείσης ψυχικῆς οὐσίας, εἰς ἑαυτὴν καὶ τὴν προελθοῦσαν ἀναστελλούσης ζωήν, οὐ προϊοῦσαν ἔτι ἀλλ’ ἐν τῷ μένειν ὡς ἐν αἰτίῳ ὑπάρχουσαν. ὁ δ’ οὖν παθητικὸς ὡς παθητικὸς φθαρτός.

[247, 39] οἷον δὲ ἀντιτιθεὶς πρὸς τὸ ἀίδιον ἀποδειχθὲν τῆς ψυχῆς,

πῶς οὐ μεμνήμεθα τῶν πρὸ τῆς γεννήσεως, εἰ ἀιδίως προϋπῆρχεν; ᾧ καὶ δῆλον πάλιν, ὅτι περὶ ψυχῆς [248] αὐτῷ ὁ λόγος, ἀλλ’ οὐ περὶ τοῦ κρείττονος νοῦ. ποίαν γὰρ ἔσχεν ἀπορίαν, διὰ τί



Kommentar zu De anima III

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weniger den Seelen der anderen Lebewesen oder Pflanzen. Ich denke aber, dies wurde klar und notwendig abgeleitet, dass das, was in der Seele bewirkend ist, auch unsterblich und ewig ist. Denn Aristoteles hat auch ganz richtig ›ewig‹ dazugeschrieben, so wie Platon im Phaidon ›unzerstörbar‹ (Phaed. 106b9–d1), damit wir nicht so wie Boethos glauben, dass die Seele so wie eine Beseelung zwar unsterblich sei, weil sie den herankommenden Tod nicht erleide, aber, wenn sie bei dessen Herankommen an das Lebewesen aus dem Körper heraustrete, zugrunde gehe.84 [247, 27] Aber warum ist nur dies allein ewig? Gewiss weil, wie Aristoteles ganz klar anführt, der leidensfähige Geist vergänglich ist. Aber es könnte ja jemand fragen, wie er, der ja auch ein Geist ist, vergehen kann, wo er doch auch immateriell ist. Denn man nimmt an, dass jeder Geist frei von Materie ist, und deswegen, dass jeder Geist ein Objekt des Denkens ist, aber nicht auch, dass jede immaterielle Form, weil sie ein Objekt des Denkens ist, auch ein Geist ist. Gewiss war der leidensfähige Geist materiell, in Möglichkeit und genau das: als ganzes ein leidensfähiger und unvollendeter Geist, solange er leidensfähig ist. Und deswegen ist er auch vergänglich, da er leidensfähig ist. Immateriell wird er, sowie auf aktive Weise Geist und Objekt des Denkens, im Anschluss an das Bewirkende, vollständig immateriell aber und ein vollendeter Geist im Aufstieg zum Bewirkenden. Das Vergehen des leidensfähigen Geists ist also kein Heraustreten in das nicht Seiende, sondern eine Zurücknahme in das auf höhere Weise Seiende des abgetrennten seelischen Seins, die auch die hervorgehende Lebensform zu sich selbst heraufschickt, die dann nicht mehr hervorgeht, sondern im Verharren wie in seinem Grund existiert. Der leidensfähige Geist als leidensfähiger ist aber vergänglich. [247, 39] Indem Aristoteles ihn gleichsam dem bewiesenen Ewigen in der Seele gegenüberstellt, fragt er, wieso wir uns nicht an das vor dem Werden erinnern, wenn dieses schon vorher ewig existierte. Dadurch ist erneut klar, dass sein Thema [248] die Seele ist, aber nicht der höhere Geist. Denn welches Problem sollte er haben, weswegen wir uns nicht an unser ewig

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Priskian von Lydien · Text

ἡμεῖς οὐ μεμνήμεθα, τῶν κρειττόνων ἡμῶν ὄντων ἀιδίων; καὶ ἡ τῆς ἀντιθέσεως λύσις οἰκεία τῇ ψυχῇ, ὅτι ὁ μὲν ποιῶν νοῦς ἀπαθὴς καὶ διὰ τοῦτο ἀθάνατος, ὁ δὲ παθητικὸς φθαρτὸς ὡς παθητικός, καθάπερ ἔφην, καὶ ὡς εἰς τὸ μόνιμον συναιρούμενος, ἄνευ δὲ τοῦ παθητικοῦ ὡς παθητικοῦ καὶ προϊόντος μέχρι τῶν σωματοειδῶν ζωῶν οὐδὲν νοεῖ ὁ ἀπαθὴς τῶν ὅσα δηλαδὴ μνημονευτά, περὶ ὧν ὁ λόγος· ἅπερ, ὡς ἐν ἄλλοις αὐτὸς ἡμᾶς διδάσκει, πάντως ἐστὶ φανταστά. διὸ ἐν τῇ περὶ τῶν μνημονευτῶν νοήσει δεόμεθα πάντως τοῦ μέχρι φαντασίας προϊόντος λόγου, καὶ ἄνευ τούτου οὐδὲ ὁ ἀπαθὴς τῶν μνημονευτῶν τι νοήσει.

[248, 10] οὐ γὰρ δὴ ἁπλῶς ἀκουστέον τὸ οὐδὲν ὡς μηδὲν τοῦ ἀπα-

θοῦς ἄνευ τοῦ παθητικοῦ νοοῦντος. πῶς γὰρ ἔτι χωριστός, πῶς ἀμιγής, πῶς τῇ οὐσίᾳ ἔσται ἐνέργεια; ἐπεὶ καὶ τὸ σῶμα τοῦτο ἔτι ζωοῦσα ἡ ψυχὴ χωριστῶς ποτε ζῇ καὶ νοεῖ. »ὃ γὰρ ὁ θεός«, φησιν, »ἀεί« ἐν τῷ Λ τῶν Μετὰ τὰ φυσικά, »τοῦτο ἡμεῖς ποτέ«, κατὰ δύναμιν δηλαδὴ τὴν ἡμετέραν. χωριστὸς δὲ ὁ θεὸς ἀεί· καὶ ἡμεῖς οὖν, εἰ καὶ ποτέ. ἡμεῖς δὲ οἱ ἔτι τὸν φυσικὸν τοῦτον διαζῶν­ τες βίον, ὅταν ἡ ψυχὴ ἀσχέτως πρὸς τὸ σῶμα καὶ τὰς δευτέρας ζωὰς κἂν ἐπὶ βραχὺ διατεθῇ. […]



Kommentar zu De anima III

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seiendes höheres Selbst erinnern? Auch die Auflösung des Widerspruches ist typisch für die Seele, weil der bewirkende Geist leidensfrei und deswegen unsterblich ist, der leidensfähige aber vergänglich, weil er leidensfähig ist, wie ich schon sagte, und weil er in das Bleibende zurückgenommen wird. Ohne den leidensfähigen als leidensfähigen und bis zu den körperartigen Lebensformen hervorgehenden erkennt der leidensfreie Geist nichts von dem, was ganz klar Erinnerungsgegenstände sind, um die es hier geht. Diese sind, wie Aristoteles uns anderswo lehrt [mem. 450a 22–25], im Ganzen Objekte des Vorstellungsvermögens. Deshalb brauchen wir zum Denken der Erinnerungsgegenstände auf jeden Fall die Vernunft, die bis zum Vorstellungsvermögen hervorgeht, und ohne sie erkennt auch der leidensfreie Geist keinen der Erinnerungsgegenstände. [248, 10] Denn man darf das »gibt es kein Denken« nicht ohne Zusatz verstehen, so als ob der leidensfreie Geist ohne den leidensfähigen überhaupt nichts denkt. Denn wie könnte er dann abgetrennt sein, wie unvermischt, wie dem Sein nach Aktivität? Denn auch, wenn sie noch diesen Körper belebt, lebt die Seele manchmal abgetrennt und denkt. »Denn was Gott immer ist«, sagt Aristoteles in Metaphysik Lambda, »das sind wir zeitweise« (metaph. XII 7, 1072b25), natürlich entsprechend unserer Möglichkeit. Gott ist aber immer abgetrennt. Also auch wir, wenn auch nur manchmal. Und zwar wir, die wir dieses natürliche Leben durchleben, solange sich die Seele, wenn auch für kurze Zeit, ohne Verbindung zum Körper und zu den abgeleiteten Lebensformen befindet. […]

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Priskian von Lydien · Text

Aus dem Kommentar zu III 7

431a17 Ὥσπερ δὲ ὁ ἀὴρ τὴν κόρην τοιανδὶ ἐποίησεν, αὕτη δὲ

ἕτερον, καὶ ἡ ἀκοὴ ὡσαύτως· τὸ δὲ ἔσχατον ἓν καὶ μία μεσότης· τὸ δ’ εἶναι αὐτῇ πλείω. [268, 29] Ὁ σκοπὸς τῶν προκειμένων ῥητῶν καὶ αὐτὸς ἀπὸ τῆς αἰσθήσεως ἀναπέμψαι ἡμᾶς ὡς ἀπὸ γνωριμωτέρας εἰς μίαν τινὰ νόησιν τῆς ψυχῆς τὴν κοινῇ ἐπικρίνουσαν τὰ ὁπωσοῦν νοητά. ὡς γὰρ ἑκάστη τῶν πέντε αἰσθήσεων τὰ ἴδια αἰσθητὰ πλείω καὶ διάφορα ὄντα γνωρίζει, καὶ τὴν πρὸς ἄλληλα αὐτῶν ταὐτότητά τε καὶ ἑτερότητα μιᾷ καὶ τῇ αὐτῇ δυνάμει, εἰ καὶ κατὰ διαφόρους λόγους διακρίνει καὶ ὁρίζει, ἡ μὲν ὄψις τὸ λευκὸν καὶ μέλαν καὶ τὰ μεταξὺ τούτων χρώματα, ἡ δὲ γεῦσις τὸ γλυκὺ καὶ πικρὸν καὶ τοὺς τούτων μέσους χυμούς, καὶ ἑκάστη ὡσαύτως τὰ ἴδια αἰσθητά, οὕτω καὶ ἡ κοινὴ λεγομένη αἴσθησις τὰ ἁπλῶς αἰσθητὰ πάντα καὶ τὴν πρὸς ἄλληλα αὐτῶν ἑτερότητά τε καὶ ταὐτότητα ἐν ἀμερίστῳ τῷ γνωστικῷ καὶ [269] ἐν ἀδιαιρέτῳ χρόνῳ γινώσκει, ἐπεὶ ὅμοιον ὡς ›εἰ τοῦ μὲν ἐγὼ τοῦ δὲ σὺ αἴσθοιο‹, φησὶν ἐν ἀρχαῖς τοῦ τρίτου βιβλίου.

[269, 2] ἐντεῦθεν δὴ ἀξιοῖ καὶ εἰς μίαν τῆς ψυχῆς ἡμᾶς ἀναπέμ­

πεσθαι νόησιν, ἥτις καὶ αὐτὴ τῶν πρακτῶν πάντων ἐστὶ συν­ αιρετικὴ καὶ γνωστική, οὐ τῶν ἐναντίων μόνον οἷον ἀγαθοῦ καὶ κακοῦ τοῦ ἐν ἀφροδισίοις ἢ σιτίοις, ἀλλὰ καὶ τοῦ ἐν κτήσεσι καὶ τοῦ ἐν δεινοῖς καὶ θαρραλέοις καὶ τῶν ἄλλων ὁμοίως πάντων. καὶ γὰρ τὸ νοοῦν ἐρεῖ καὶ λέγει, ὡς ἐγὼ σωφρόνως ζῶ καὶ δικαίως καὶ ἀνδρείως καὶ ἐλευθερίως, καὶ τὴν διαφορὰν



Kommentar zu De anima III

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Aus dem Kommentar zu III 7 p. 268, 26–270, 35 Auslegung von III 7, 431a17–19

Die Einheit allen Denkens 431a17 Wie die Luft die Pupille zu etwas Bestimmtem machte,

und diese wieder etwas anderes, und ebenso beim Gehör. Das Äußerste ist aber eines und eine Mittelstellung. Das Sosein ist aber mannigfaltig. [268,29] Das Thema der beabsichtigten Aussagen ist dieses, uns von der Sinneswahrnehmung, wie von etwas Bekannterem, hinaufzuführen zu einem bestimmten Denken der Seele, das allgemein das irgendwie Gedachte unterscheidet. Denn so wie jeder der fünf Sinne seine spezifischen Wahrnehmungsobjekte, die mehrere und unterschiedlich sind, sowie ihre Identität und Verschiedenheit mit ein und demselben Vermögen erkennt, wenn sie sie auch mittels verschiedener Gehalte unterscheidet und bestimmt – das Sehvermögen weiß, schwarz und die Farben dazwischen, der Geschmackssinn süß, bitter und die mittleren Geschmäcker zwischen ihnen und überhaupt jeder Sinn auf diese Weise seine spezifischen Objekte85 – so erkennt auch der sogenannte Gemeinsinn86 alles überhaupt Wahrnehmbare und seine Identität mit- und Verschiedenheit voneinander in einem ungeteilten Erkenntnisvermögen und [269] in untrennbarer Zeit, denn er sagt am Beginn des dritten Buches etwas Ähnliches wie ›wenn ich eines und du etwas anderes erkennen würdest‹.87 [269, 2] Deswegen fordert Aristoteles hier, dass wir auch zu einem Denken der Seele hingeführt werden, das auch alle Handlungen zusammenfasst und erkennt, und zwar nicht nur die Gegensätze wie gut und schlecht in Liebesdingen oder bei der Ernährung, sondern auch beim Besitz, bei Furchtbarem und Schrecklichem und in ähnlicher Weise bei allem. Denn das Denkende sagt ja und erklärt: ›Ich lebe maßvoll, gerecht, tapfer oder frei‹, und es kennt den Unterschied zwischen den

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Priskian von Lydien · Text

ὧν λέγει οἶδε καὶ τὴν πρὸς ἄλληλα κοινωνίαν ὡς ἐν ἀμερεῖ καὶ ἀδιαιρέτως τὴν νόησιν αὐτῶν ποιούμενον. εἴη δ’ ἄν τι καὶ ἔτι κοινότερον νοοῦν ἐν τῇ ψυχῇ, τὸ ἅμα καὶ τὰ πρακτὰ καὶ τὰ θεωρητὰ νοήματα συναιροῦν, ὃ καὶ τὴν διαφορὰν καὶ τὴν κοινωνίαν τὴν πρὸς ἄλληλα τῶν θεωρητῶν καὶ τῶν πρακτῶν εἴσεται, ἓν πάλιν ὂν καὶ ταὐτὸν καὶ ἀμέριστον, καὶ περιληπτικὸν τοῦ πλήθους ἀμερίστως· ἓν μὲν κατ’ αὐτὴν τὴν νοερὰν ζωήν, τῷ δὲ λόγῳ πολὺ διὰ τὸ κατὰ διαφόρους λόγους τοῖς διαφόροις προσ­ βάλλειν γνωστοῖς. [269, 15] εἰ δὴ τὰς τοιαύτας νοήσεις, τήν τε μίαν κοινὴν τῶν πρακ­

τῶν πάντων ἀντιληπτικὴν καὶ τὴν ἔτι περιεκτικωτέραν ταύτης τὴν ἁπλῶς τῶν νοουμένων ἡμῖν πάντων ἀναπέμπει ἡμᾶς, τῇ κοινῇ αἰσθήσει ὡς εἰκόνι χρώμενος. καὶ οὗτος μὲν ὁ τῶν λόγων σκοπός. ἀρχόμενος δὲ ὁ φιλόσοφος ἐν τῇ λέξει γράφει ὥσπερ δὲ ὁ ἀὴρ τὴν κόρην τοιανδὶ ἐποίησεν, αὕτη δὲ ἕτερον. καὶ δόξοι ἂν οὕτως ἄρξασθαι, ὡς μέλλων ἀποδιδόναι τι πρὸς τὸ ὥσπερ, τὸ οὕτω φέρε καὶ τοδὶ τὸ πρακτὸν ἢ τοδὶ τὸ νοητὸν τὴν νόησιν. οὐ μὴν ἀποδίδωσιν οὐδὲ ὡς ἀποδώσων εἴρηκεν τὸ ὥσπερ δέ, ἀλλ’ ὡς πρὸς ἤδη ἐγνωσμένον ἀναφέρει. ἐπειδὴ γὰρ ἤδη τῷ πρακ­ τικῷ νῷ ἀπείκασε τὴν αἴσθησιν ὡς ἡδέος καὶ λυπηροῦ ἀντιληπτικὴν τῷ τοῦ ἀγαθοῦ καὶ κακοῦ διακριτικῷ, καὶ τὸν τρόπον ὑπογράφων ἐπήγαγε νῦν, ὅπως ἡ αἴσθησις τὸ ἡδὺ καὶ λυπηρὸν συγκρίνει πρὸς ἄλληλα· οὕτω γὰρ καὶ ἡ πρακτικὴ διάνοια τὰ ἀντικείμενα καὶ διάφορα πρακτὰ εἴσεται. τὸ οὖν ὥσπερ οὐχ ὡς ἀποδώσων τι ἔφη, ἀλλ’ ὡς πρὸς ἤδη εἰρημένον ἀποδέδωκεν.

[269, 29] ἔχει δὲ ὁμοιότητα ἡ αἴσθησις πρὸς τὴν πρακτικὴν διά­

νοιαν καὶ κατ’ ἄλλην ἐπιβολήν, ἣν καὶ αὐτὴν ὑπογράφει ὁ



Kommentar zu De anima III

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Lebensweisen, die es sagt, und auch ihre Gemeinschaft miteinander, da es ihr Denken in etwas Ungeteiltem und Untrennbarem vollzieht. Gewiss gibt es auch etwas noch allgemeineres Denkendes in der Seele, das zugleich die praktischen und die theoretischen Gedanken zusammenfasst, und dieses wird auch die Unterschiedenheit und Gemeinsamkeit der praktischen und theoretischen Objekte untereinander, da es wiederum eines, dasselbe und ungeteilt ist und eine Mannigfaltigkeit ungeteilt auffasst.88 Eines ist es gemäß der denkfähigen Lebensform, dem Gehalt nach vieles dadurch, dass es unterschiedliche Gehalte für die unterschiedlichen Erkenntnisobjekte hervorbringt. [269, 15] Zu diesen Arten des Denkens, der einen allgemeinen, die alle Handlungen auffasst, und der noch umfassenderen als diese, die sich überhaupt auf alles von uns Gedachte bezieht, führt uns Aristoteles hinauf, wobei er Gebrauch vom Gemeinsinn als von einem Abbild macht.89 Und dies ist das Thema der Worte. Zu Beginn schreibt aber der Philosoph im Text »Wie die Luft die Pupille zu etwas Bestimmtem machte, und diese wieder etwas anderes«. Man könnte meinen, er würde so beginnen, um eine Entsprechung zu dem »wie« zu nennen, nämlich z. B.: ›so bewirkt diese Handlung bzw. dieses denkbare Objekt das Denken‹. Nun nennt er aber keinen und hat das »wie« auch nicht gesagt, um eine Entsprechung zu nennen, sondern er leitet uns gleichsam zu etwas schon Erkanntem hinauf. Denn er hat die Sinneswahrnehmung schon mit dem praktischen Geist verglichen, insofern sie Angenehmes und Unangenehmes auffasst und er das Vermögen ist, gut und schlecht zu unterscheiden (an. III 7, 431a8–12), und diesen Vergleich fortsetzend führte er nun aus, wie die Sinneswahrnehmung Angenehmes und Unangenehmes zueinander in Beziehung setzt. Denn so wird auch das praktische Denken die entgegengesetzten und verschiedenen Handlungen kennen. Das »wie« sagte er also nicht, um eine Entsprechung zu nennen, sondern er nannte es als Entsprechung zu etwas schon Genanntem. [269, 29] Die Sinneswahrnehmung weist auch in anderer Hinsicht eine Ähnlichkeit mit dem praktischen Denken auf, die

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Priskian von Lydien · Text

φιλόσοφος. οὐ γὰρ ἀμέσως τὰ ἔσχατα καὶ μερικώτατα αἰσθητὰ ἢ πρακτὰ εἰς τὸ κοινῇ πάντων ἀντιληπτικὸν ἀναφέρεται, ἀλλὰ διὰ τῶν οἰκείων ἑκάστοις καὶ προσεχῶν ὀργάνων τε καὶ γνωσ­ τικῶν δυνάμεων. οὕτω γὰρ ὁ μὲν ἀὴρ ὁ πεφωτισμένος εἰς τὴν κόρην δρᾷ προφανῶς, αὕτη δὲ προκαλεῖται εἰς ἐνέργειαν τὴν ὁρατικὴν δύναμιν, ἐκείνη δὲ τὴν κοινὴν αἴσθησιν· ὁ δὲ ψόφος εἰς τὸ ἀκουστικὸν πνεῦμα, καὶ τοῦτο κινεῖ τὴν ἀκουστικὴν δύναμιν, ἥτις πάλιν ἐγείρει τὴν κοινὴν αἴσθησιν. καὶ ὁμοίως αἱ πέντε αἰσ­θήσεις ἐπὶ τὴν κοινὴν πασῶν ἀναφέρονται κατὰ μίαν ἕνωσιν πάσας περιέχουσαν, οὐχ ὡς ἐκ πασῶν συναθροιζομένην, ἀλλ’ ὡς τοῦ πλήθους προϋπάρχουσαν καὶ πάσαις συνεργοῦσαν, καὶ ἑκάστῃ ἰδίᾳ καὶ κοινῇ. ὁμοίως δὲ καὶ τὰ πρακτὰ ὡς νοητὰ ἐπὶ τὸν κοινὸν πάντων γνωστικὸν αὐτῶν νοῦν ἀναφέρεται, τῶν [270] μὲν αἰσθητῶν τὴν φαντασίαν κινούντων, ὃν εἴρηται τρόπον ἐν τοῖς περὶ φαντασίας αὐτῷ παραδεδομένοις λόγοις, τῶν δὲ φαν­ ταστῶν παρακαλούντων τὸν οἰκεῖον ἐφ’ ἑκάστοις ἐπιτεταγμένον πρακτικὸν νοῦν εἰς τὴν περὶ αὐτῶν διάνοιαν. οἷον τὸ περὶ σῖτα φάντασμα προτρέπει εἰς κρίσιν τὸν λόγον, εἰ δεῖ καὶ ὅτε καὶ ὅσον καὶ ὁποῖον τραφῆναι, τὸν τούτων δηλαδὴ κριτικὸν προσ­ εχῶς, ὃς καὶ τὸν κοινῇ κριτικὸν τῶν πρακτῶν πάντων συνεγείρει νοῦν· εἰς ὃν ὥσπερ ὁ τῶν σιτίων κριτικὸς λόγος, οὕτω καὶ οἱ τῶν ἄλλων ὀρεκτῶν τε καὶ φευκτῶν πάντων συναιροῦνται, ἵνα καὶ ἓν ᾖ τὸ καὶ τούτων πάντων τήν τε ταὐτότητα καὶ τὴν ἑτερότητα διακρῖνον, καὶ τὰ μὲν κωλῦον, τοῖς δὲ τὸ μέτρον ἐπιτιθὲν μονοειδῶς, καὶ τοῦτο τῶν πλειόνων λόγων προϋπάρχον καὶ οὐκ ἐξ αὐτῶν συναγειρόμενον, ἀλλ’ ἑνώσει κρείττονι προειληφὸς ἀμερίστως τὴν τούτων πληθύν.



Kommentar zu De anima III

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der Philosoph fortsetzend nennt. Denn die letzten oder oder am meisten vereinzelten Wahrnehmungsobjekte oder Handlungen werden nicht unmittelbar zu dem Vermögen hinaufgeleitet, das sie überhaupt alle erkennt, sondern vermittelt durch die dem Einzelnen angemessenen und unvermittelten Organe und Erkenntnisfähigkeiten. Denn so wirkt die erleuchtete Luft allzu deutlich auf die Pupille, die aber erweckt das Sehvermögen zur Aktivität und dieses den Gemeinsinn. Oder der Ton wirkt auf das akustische Pneuma,90 und dieses bewegt das Hörvermögen, das wiederum den Gemeinsinn aufweckt. Und auf ähnliche Weise werden die fünf Sinne zum allgemeinen von allen hinaufgeleitet, der sie alle in einer Vereinigung umfasst, wobei er nicht aus allen zusammengesetzt ist, sondern der Menge vorausliegt und mit ihnen allen zusammen wirkt, und zwar mit jeder sowohl spezifisch als auch allgemein. Auf ähnliche Weise werden auch die Handlungen als denkbare Objekte zu dem gemeinsamen Geist von allen hinaufgeleitet, der sie alle erkennen kann, wobei [270] die Wahrnehmungsobjekte das Vorstellungsvermögen bewegen – auf die Weise, wie es von Aristoteles bei der Behandlung des Vorstellungsvermögens (an. III 3, 428b10–18) erklärt wurde – die Vorstellungsobjekte aber den angemessenen, dem jeweiligen Einzelfall zugeordneten praktischen Geist zum Denken über sie anregen. So bringt eine Vorstellung in Bezug auf Nahrung die Vernunft zur Unterscheidung darüber, ob, wann, wieviel und auf welche Weise sich ernährt wird, wobei es natürlich die dieses unmittelbar unterscheidende Vernunft anregt, die auch den allgemein über alle Handlungen unterscheidenden Geist mit erweckt. Bei diesem werden, so wie die unterscheidende Vernunft in Bezug auf Nahrungsmittel, so auch die rationalen Unterscheidungsvermögen für alle anderen Objekte des Erstrebens und Vermeidens zusammengefasst, so dass es eines gibt, was die Identität und Verschiedenheit von all diesem unterscheidet, manches verhindert, anderem auf einheitliche Weise ein Maß aufsetzt und dadurch den vielfältigen Vernunftarten vorausliegt und nicht aus ihnen zusammengestellt ist, sondern ihre Menge in einer höheren Vereinigung im Voraus unteilbar erfasst.

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Priskian von Lydien · Text

[270, 12] ἐν δὲ τῇ λέξει τοιανδί, φησιν, ἐποίησεν ὁ ἀὴρ τὴν κόρην, ὅτι φέρε διέκρινε καὶ ἁπλῶς εἰπεῖν ζωτικὸν ἤγειρε πάθος ἐν αὐτῇ. εἴρηται γὰρ ἐπὶ πλέον ἐν τοῖς περὶ τῶν αἰσθήσεων λόγοις, οὐχ ὡς τὰ ἄψυχα πάσχειν ἡμῶν τὸ αἰσθητήριον, ὑπὸ τῶν ἔξω θερμαινόμενον φέρε μόνον, ἀλλὰ μετά τινος ἀμυδρᾶς κρίσεως καὶ οἰκείας ἐνεργείας. διὸ οὐ πάθος ἦν ἁπλῶς, ἀλλὰ τὸ ὅλον τοῦτο ζωτικὸν πάθος τόδε.

[270, 17] αὕτη δὲ ἕτερον, ἐπειδὴ τὸ αἰσθητικὸν πάθος προκα-

λεῖται, ὡς εἴπομεν, τὴν ἐφεστηκυῖαν αὐτῷ προσεχῶς αἰσθητικὴν ζωήν, ὡς ἡ κόρη τὴν ὁρατικὴν καὶ ἡ ἀκοὴ τὴν ἀκουστικήν. καὶ δῆλον ὡς οὐ μέχρι τούτων ἵσταται (οὔπω γὰρ ἓν τὸ ἔσχατον), ἀλλ’ ὅταν καὶ αὗται αἱ αἰσθητικαὶ ζωαὶ εἰς τὴν κοινὴν ἀναδράμωσι. τότε γὰρ ἓν τὸ ἔσχατον· ἓν μέν, ὅτι μία ἡ κοινὴ αἴσθησις, ἥπερ καὶ τὰ πασῶν κρίνει ἴδια καὶ περὶ πάντων αὐτῶν ἀποφαίνεται ὡς ἅπαντα γινώσκουσα, ἔσχατον δὲ οὐχ ὡς ὑφειμένον, ἀλλ’ ὡς κρεῖττον μὲν τοῖς δὲ κάτωθεν ἀνιοῦσιν ἔσχατον γινόμενον. τοῦτο δέ, ὅπερ ἓν ἔσχατον ἔφη, καὶ μία μεσότης εἴρηται· μία μέν, ἐπειδὴ κἀκεῖνο ἕν, μεσότης δὲ ὡς οἷον κέντρον τῶν πολλῶν ἀπ’ αὐτοῦ προϊουσῶν καὶ εἰς αὐτὸ συννευουσῶν περιληπτικὸν καὶ δεκτικόν τε ὁμοῦ καὶ κριτικόν. μεσότης οὖν, ἐπειδὴ καὶ τὸ κέντρον μέσον καὶ ἐπειδὴ τὸ μέσον τοῖς ἄκροις πᾶσιν ἐπικοινωνεῖ.

[270, 29] ὥσπερ δὲ εἴωθεν Ἀριστοτέλης διορίζεσθαι, ἓν μὲν καὶ

μία τῷ ὑποκειμένῳ, ὅτι μία καὶ ἡ αὐτὴ ἀμέριστος οὖσα ζωὴ γινώσκει τὰ πάντα, ἐπεὶ τῷ λόγῳ καὶ τῷ εἶναι, ὡς αὐτὸς εἴωθε λέγειν, πολλά, κατὰ διαφόρους λόγους τὰς διαφόρους ἐπιγινώσ­



Kommentar zu De anima III

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[270, 12] Im Text sagt Aristoteles »zu etwas Bestimmtem«

»machte« »die Luft« »die Pupille«, indem er z. B. eine Unterscheidung traf und, einfach gesagt, ein auf das Leben bezogenes Erleiden in ihr erweckte. Denn es wird bei der Behandlung der Sinne noch deutlicher gesagt, dass unser Sinnesorgan nicht wie das Unbeseelte erleidet, indem es z. B. durch äußere Einwirkung nur erwärmt wird, sondern dies geschieht mit einer unklaren Unterscheidung und mit eigener Aktivität. Deswegen war es nicht einfach ein Erleiden, sondern als Ganzes ein bestimmtes auf das Leben bezogenes Erleiden. [270, 17] »Diese aber etwas anderes«, weil das wahrnehmende Erleiden, wie wir gesagt haben, die ihr unmittelbar folgende wahrnehmende Lebensform anregt, so wie die Pupille die sehende und das Hören die hörende.91 Und es ist klar, dass die Wahrnehmung hier nicht stehenbleibt (denn das ist noch nicht das »äußerste« »Eine«), sondern dann, wenn die wahrnehmenden Lebensformen zur allgemeinen hinauflaufen. Dann ist nämlich das »äußerste« »Eine« erreicht. Nämlich ›eines‹, weil der Gemeinsinn einer ist, der das Spezifische aller Sinne unterscheidet und in Bezug auf alles erscheint, weil er alles erkennt, »äußerstes« aber nicht im Sinne von »niedrigstes«, sondern als etwas Höheres, das aber für das von unten Hinaufsteigende das Äußerste ist. Das aber, was er das »äußerste« »Eine« nannte, wird auch als »eine Mittelstellung« bezeichnet. Nämlich »eine«, weil auch dieses eines ist, eine »Mittelstellung« aber wie das Zentrum des Vielen, das von ihm ausgeht und zu ihm kommt, das dies alles auffasst, aufnimmt und zugleich voneinander unterscheidet. Eine Mittelstellung also, weil das Zentrum in der Mitte ist und weil das Mittlere etwas mit allen Spitzen gemeinsam hat. [270, 29] So wie es Aristoteles aber üblicherweise erklärte, war es zwar eines und eine als ein Ding, weil ein und dieselbe Lebensform alles ungeteilt erkennt, während es dem Gehalt und dem Sosein nach, wie er üblicherweise sagte, vieles war, das die verschiedenen Spezifika der Wahrnehmungsgegenstände mittels seiner verschiedenen Gehalte erkennt. Und, wie ge-

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Priskian von Lydien · Text

κουσα τῶν αἰσθητῶν ἰδιότητας. καὶ οὐκέτι, ὡς εἴρηται, ἐπάγει καὶ ὅτι οὕτως ἔχει τὰ περὶ τὸν πρακτικὸν νοῦν, διὰ τὸ τῷ ὥσπερ χρήσασθαι νῦν οὐχ ὡς πρός τι ἀποδοθησομένῳ, ἀλλ’ ὡς πρός τι προειρημένον ἀποδεδομένῳ. […]

431b2 Τὰ μὲν οὖν εἴδη τὸ νοητικὸν ἐν τοῖς φαντάσμασι νοεῖ, καὶ

ὡς ἐν ἐκείνοις ὥρισται αὐτῷ τὸ διωκτὸν καὶ φευκτόν, καὶ ἐκτὸς τῆς αἰσθήσεως, ὅταν ἐπὶ τῶν φαντασμάτων ᾖ, κινεῖται. [272, 36] Σαφῶς μετὰ τὸν περὶ τῆς αἰσθήσεως λόγον ἐπὶ τὸν πρακτικὸν νῦν μεταβαίνει νοῦν ὡς ἀπὸ εἰκόνος ἐπὶ παράδειγμα, ἀξιῶν αὐτὸν τὸ διωκτὸν [273] καὶ φευκτὸν ποτὲ μὲν καὶ ἐν αὐτοῖς τοῖς αἰσθητοῖς παροῦσιν ὁρίζειν, ὅταν ὁρῶν τὸν φρυκτὸν κινούμενον, καὶ ὅτι πολέμιοι ὀχλοῦσι δι’ αὐτοῦ τοῦ αἰσθητοῦ γινώσ­ κων, βουλεύηται, ὡς αὐτὸς ἔφη, ὅ τι δέοι πράττειν· ὡς ἐπὶ τὸ πλεῖστον δὲ συμβαίνει ἐν τοῖς φαντάσμασι τὰ ἀποτυπώματα τῶν αἰσθητῶν ὁρῶντα τὸν πρακτικὸν νοῦν λογίζεσθαί τε καὶ βουλεύεσθαι. καὶ γὰρ παρόντων ἐνίοτε τῶν αἰσθητῶν εἰς ἑαυτὴν στρεφομένη ἡ διανοητικὴ ψυχὴ τοὺς περὶ τῶν πρακτῶν ἐγείρει λογισμούς, καὶ ἐν τῇ εἰς ἑαυτὴν στροφῇ ἐξ ἀνάγκης οὐκ εἰς αὐτὰ τὰ αἰσθητά, ἀλλ’ εἰς τοὺς ἀπ’ ἐκείνων ἐγγινομένους τύπους ἀποβλέπει καὶ τούτοις χρῆται ὡς τοῦ συλλογισμοῦ γινομένοις μέρεσιν ἐν τῇ ἐλάττονι τῶν προτάσεων. διὸ καὶ ἐξ ἀνάγκης τῇ φαντασίᾳ χρῆται. καὶ δῆλον ἄρα κἀντεῦθεν, ὡς οὐ περὶ τοῦ θεωρητικοῦ νοῦ ἀπεφήνατο τὸ μηδέποτε ἄνευ φαντασίας νο-



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sagt, fügt er nicht mehr hinzu, dass es sich so auch mit dem praktischen Geist verhält, weil er »wie« jetzt nicht deswegen gebraucht hat, weil gleichsam etwas Entsprechendes genannt werden soll, sondern weil es gleichsam das Entsprechende zu etwas vorher Genanntem ist. […]

p. 272, 33–273, 40. 275, 6–276, 10 Auslegung von 431b2–4. 10–11

Funktion und Formen des praktischen Geistes 431b2 Die Formen denkt das Denkvermögen also in den Vor-

stellungen, und so wie durch jene die Objekte des Verfolgens und Vermeidens für das Denken bestimmt sind, so wird es auch ohne die Sinneswahrnehmung in Bewegung versetzt, wenn es sich bei den Vorstellungen befindet. [272, 36] Klar geht er nach der Behandlung der Sinneswahrnehmung jetzt zum praktischen Geist über, gleichsam vom Abbild zum Urbild,92 wobei er fordert, dass dieser Geist die Objekte des Verfolgens [273] und Vermeidens manchmal anhand der gegenwärtigen Wahrnehmungsobjekte selbst bestimmt, wenn er, da er eine in Bewegung befindliche Fackel sieht und durch dieses Wahrnehmungsobjekt erkennt, dass Feinde gefährlich werden, überlegt, wie Aristoteles sagte (an. III 7, 431b2–10), was er tun muss. So geschieht es meistens, dass der praktische Geist nachdenkt und überlegt, während er in den Vorstellungen die Abdrücke der Wahrnehmungsobjekte sieht. Denn auch wenn einmal die Wahrnehmungsobjekte gegenwärtig sind, weckt die denkende Seele das Nachdenken über die Handlungen, indem sie zu sich selbst zurückwendet, und bei der Rückwendung in sich selbst blickt sie notwendigerweise nicht auf die Wahrnehmungsobjekte, sondern auf die von diesen herstammenden Eindrücke und gebraucht diese als vorhandene Teile des Schlusses in der kleineren der Prämissen.93 Deswegen gebraucht sie notwendigerweise das Vorstellungsvermögen. Von daher ist also klar, dass Aristoteles nicht über den theoretischen Geist sagte,

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Priskian von Lydien · Text

εῖν αὐτόν, ἀλλὰ περὶ τοῦ πρακτικοῦ, ὡς καὶ ἐκ τῶν ἄλλων τῶν προειρημένων ἐπιστωσάμεθα καὶ ἐκ τῶν νῦν εἰρημένων ἐστὶν ἐναργές. [273, 14] ἔτι δὲ μᾶλλον ἀπόντων τῶν αἰσθητῶν ἐν τοῖς φαντάσμα-

σιν εἴσεται τὰ περὶ ὧν αἱ πράξεις, μερικὰ ὄντα καὶ ἄτομα καὶ αἰσθητά πως καὶ διὰ τοῦτο ἢ αἰσθήσει ἢ φαντασίᾳ συστοίχως γινωσκόμενα. ταῦτα δὴ καὶ ὁ φιλόσοφος παραδιδοὺς τὰ εἴδη λέγει τὸ νοητικὸν ἐν τοῖς φαντάσμασι νοεῖν, εἴδη καλῶν τὰς τῶν αἰσθητῶν μορφάς. ἤδη τε γὰρ πολλάκις εἶπε καὶ αὖθις ἐρεῖ, ὡς οὐχὶ αὐτὰ τὰ αἰσθητά, ἀλλὰ τὰ τούτων εἴδη ἐγγίνεται τῇ τε αἰσθήσει καὶ τῇ φαντασίᾳ, τῇ μὲν ὡς αἰσθητὰ τῇ δὲ ὡς φαντάσ­ματα. καλῶς οὖν καὶ νῦν τὰ εἴδη ἔφη, εἴτε τῶν αἰσθητῶν ἀκούσοις εἴτε ἁπλῶς τῶν πρακτῶν. καὶ γὰρ καὶ τὰ πρακτὰ αἰσθητά πως, ἐπειδὴ καὶ ὅταν τὸ ἐμαυτοῦ ἢ τὸ ἑτέρου τινὸς ἦθος κοσμεῖν ἐθέλω, καὶ αὐτὸ τὸ ἦθος διὰ τὸ ἐν μερικῷ εἶναι ἀνθρώπῳ αἰσθητὸν γίνεται, καὶ ἔτι μᾶλλον διὰ τὸ αὐτόθεν τῇ αἰσθήσει γνωρίζεσθαι, ὁποῖόν ποτε τυγχάνει ὄν, ἐκ τῆς εὐτάκτου ἢ ἀτάκτου κινήσεώς τε καὶ ἐνεργείας.

[273, 26] τὸ δὲ νοητικόν, δηλαδὴ τὸ πρακτικόν· τοῦτο γὰρ τὸ διῶ­

κον ἢ φεῦγον. εἴρηται δὲ ὡς ἐν τοῖς φαντάσμασι τὰ εἴδη τῶν πρακτῶν ἀναλαμβάνον νοεῖ εἰς αὐτὰ ἀποβλέπον, οὐχ ὡς τῶν φανταστῶν ὄντων νοημάτων, ἀλλ’ ἑτέρων καὶ ἐν αὐτῷ τῷ νοοῦν­τι ἐνεργουμένων κατά τε τὴν πρὸς τὰ φαντάσματα θέαν ἐγειρομένων. σαφῶς γὰρ καὶ αὐτὸς ἐρεῖ, ὡς οὐδὲ ταῦτα τὰ νοήματα



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er würde niemals ohne das Vorstellungsvermögen denken, sondern über den praktischen, wie wir anhand des anderen, vorher Gesagten gezeigt haben und wie aus dem jetzt Gesagten klar ist.94 [273, 14] Weiterhin kennt er in Abwesenheit der Wahrnehmungsobjekte aus den Vorstellungen das, worauf sich die Handlungen beziehen, da es Einzeldinge sind, individuell verfasst, irgendwie Wahrnehmungsobjekte und deswegen von der Sinneswahrnehmung oder dem Vorstellungsvermögen auf der gleichen Ebene95 erkannt werden. Um das zu erklären, sagt auch der Philosoph, dass »das Denkvermögen« »die Formen also in den Vorstellungen« denkt, wobei er die Gestalten der Wahrnehmungsobjekte Formen nennt. Denn er hat schon oft gesagt und sagt auch noch einmal, dass nicht die Wahrnehmungsobjekte selbst, sondern deren Formen von der Sinneswahrnehmung und dem Vorstellungsvermögen aufgenommen werden (an. II 12, 424a17–21), nämlich von der einen als Wahrnehmungsobjekte und von der anderen als Vorstellungen. Zu Recht hat er also auch jetzt von den ›Formen‹ gesprochen, unabhängig davon, ob du das bezogen auf die Wahrnehmungsobjekte oder überhaupt auf die Handlungen verstehst. Denn auch die Handlungen sind ja irgendwie Wahrnehmungsobjekte, denn auch, wenn ich meine Lebensweise oder die eines anderen ordnen will, wird diese Lebensweise ein Wahrnehmungsobjekt, weil es die eines Einzelmenschen ist, und noch mehr, weil dort von der Sinneswahrnehmung erkannt wird, wie sie zu einem Zeitpunkt ist, nämlich anhand der geordneten oder ungeordneten Bewegung und Aktivität. [273, 26] »Das Denkvermögen«, natürlich das praktische. Denn dieses ist das Verfolgende und Vermeidende. Es wird gesagt, dass es denkt, indem es gleichsam in den Vorstellungen die Formen der Handlungen aufnimmt, wenn es auf sie blickt, wobei die Vorstellungsobjekte keine Gedanken sind, sondern etwas anderes, das auch im Denkenden verwirklicht ist, erweckt durch die Betrachtung der Vorstellungen. Deutlich sagt er auch selbst, dass auch diese Gedanken keine Vorstellungen sind, son-

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Priskian von Lydien · Text

φαντάσματά ἐστιν, ἀλλ’ οὐκ ἄνευ φαντασμάτων. ἀποβλέπει δὲ εἰς τὰ φαντάσματα, ὅταν τῶν αἰσθητῶν ἀποστῇ, ἢ μὴ παρόντων ἔτι ἢ καὶ παρόντων, διὰ τὴν εἰς ἑαυτὸν σύννευσιν. ὅτι γὰρ καὶ εἰς αὐτὰ τὰ αἰσθητά ποτε ὁρᾷ, δηλοῖ γράφων καὶ ὡς ἐν ἐκείνοις ὥριστο αὐτῷ τὸ διωκτὸν καὶ φευκτόν, ἐν ἐκείνοις λέγων τοῖς αἰσ­θητοῖς, καθάπερ αὐτὸς σαφῶς ἑρμηνεύει ἀντιδιαιρῶν αὐτοῖς τὰ ἐκτὸς τῆς αἰσθήσεως, ἅπερ ἐστὶ τὰ φανταστά. ὅταν γάρ, φησιν, ἐπὶ τῶν φαντασμάτων ᾖ, κινεῖται, τουτέστιν ἐγείρεται εἰς λογισμὸν καὶ βουλὴν τὴν περὶ αὐτόν. καὶ ἔτι ἐναργέστερον σαφηνίζει τὸ ποτὲ μὲν αὐτὸν εἰς τὰ αἰσθητὰ ἀποβλέπειν, ποτὲ δὲ εἰς τὰ φανταστὰ διὰ τῶν ἐφεξῆς. […]

431b10 Καὶ τὸ ἄνευ δὲ πράξεως, καὶ τὸ ἀληθὲς καὶ τὸ ψεῦδος

ἐν τῷ αὐτῷ γένει ἐστὶ τῷ ἀγαθῷ καὶ κακῷ, ἀλλὰ τῷ γε ἁπλῶς διαφέρει καὶ τινί. [275, 9] Ὅτι μὲν ὡς διωκτὸν καὶ φευκτὸν τὸ πρακτὸν οὐ μόνον ἐν τῷ νοήματι, ἀλλὰ καὶ ἐν τῷ φαντάσματι ἢ καὶ ἐν τῷ αἰσθητῷ θεωρεῖται, διὰ τὸ ἐν τοῖς πρακτικοῖς λογισμοῖς τοῖς περὶ τοῦ ἀγαθοῦ καὶ κακοῦ τὴν ἐλάττονα λεγομένην πρότασιν μερικὴν πάντως εἶναι, ἐπιδέδεικται. [275, 12] ἀξιοῖ δὲ νῦν ὁ Ἀριστοτέλης, καὶ ὅτε ὁ πρακτικὸς νοῦς

καθολικῶς ἐν ἑαυτῷ τὴν περὶ τῶν πρακτῶν κινεῖ θεωρίαν, κἂν μὴ ὡς διωκτὸν ἢ φευκτὸν ἀλλ’ ὡς γνωστὸν καὶ καθόλου ἐπισκοπῇ, ὁποίαν φέρε δεῖ εἶναι τὴν εὖ πολιτευομένην πόλιν καὶ ποίοις χρῆσθαι νόμοις, ἢ ὅλως ἐν τίσιν αἱ πράξεις, καὶ περὶ τίνα



Kommentar zu De anima III

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dern nicht ohne Vorstellungen (an. III 7, 431a16 f.; III 8, 432a8 f.). Der Geist blickt aber auf die Vorstellungen, wenn er sich durch das Hinwenden zu sich selbst von den Wahrnehmungsobjekten abwendet, unabhängig davon, ob diese gegenwärtig sind oder nicht. Denn dass er auch manchmal auf die Wahrnehmungsobjekte selbst blickt, macht Aristoteles klar, wenn er schreibt: »und so wie durch jene die Objekte des Verfolgens und Vermeidens für das Denken bestimmt sind«, wobei er mit »durch jene« die Wahrnehmungsobjekte meint, wie er selbst klar dadurch erklärt, dass er einen Unterschied macht zwischen ihnen und demjenigen »ohne die Sinneswahrnehmung«, womit die Vorstellungen gemeint sind. Denn, sagt er, es wird, »in Bewegung versetzt, wenn es sich bei den Vorstellungen befindet«, das heißt er wird zum Nachdenken und Überlegen über sich selbst erweckt. Und noch klarer verdeutlicht er, dass der Geist mal auf die Wahrnehmungsobjekte schaut und mal auf die Vorstellungen, durch den folgenden Text. […] 431b10 Und wo kein Handeln vorliegt, da befindet sich ›wahr‹

und ›gut‹ in der selben Gattung wie ›gut‹ und ›böse‹. Es unterscheidet sich allerdings im Hinblick auf ›schlechthin‹ und ›in bestimmter Hinsicht‹. [275, 9] Dass die Handlung als ein Objekt des Verfolgens oder des Meinens nicht nur im Gedanken betrachtet wird, sondern auch in einer Vorstellung und in einem Objekt der Wahrnehmung – weil der sogenannte Untersatz in den praktischen Überlegungen über das Gute und Böse ganz auf ein Einzelnes bezogen ist –, wurde gezeigt. [275, 12] Jetzt aber fordert Aristoteles dies auch für den Fall, wenn der praktische Geist in sich allgemein die Betrachtung über die Handlungen in Bewegung setzt – obwohl er sie in diesem Fall nicht als ein Objekt des Verfolgens oder Meinens, sondern als eines der Erkenntnis und allgemein untersucht, z. B. wenn er fragt, wie eine wohl regierte Stadt aussehen und welche Gesetze sie anwenden muss, oder überhaupt, worin das

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Priskian von Lydien · Text

τῶν ὄντων, ὅτι οὐ περὶ τὰ ἀεὶ ὡσαύτως ἔχοντα, ἀλλὰ περὶ τὰ μεταβαλλόμενα καὶ ἐνδεχόμενα, καὶ τότε ἄνευ πράξεως, τουτέσ­τι τοῦ πράττειν τι σκοπῶν τὰ πρακτὰ καὶ ὁποῖον τὸ ἐν αὐτοῖς ἀληθές τε καὶ ψεῦδος, ὡς πρακτικὸς καὶ τότε ἐνεργεῖ, οὐχ ὡς τότε πράττων τι, ἀλλ’ ὡς ὅτε δέοι πράττειν, τῇ φανείσῃ αὐτῷ καθόλου χρησόμενος ἀληθείᾳ.

[275, 21] ἐν οὖν τῷ αὐτῷ γένει, ἔφη, ἐστὶ τῷ ἀγαθῷ καὶ κακῷ.

ταῦτα δὲ ἐν τῷ πρακτικῷ· ὥστε καὶ τὸ ἀληθὲς τοῦτο καὶ ψεῦδος ἐν τῷ πρακτικῷ, οὐκ ἄνευ φαντασίας οὐδὲ τότε ἐνεργοῦν, ἐπειδὴ καὶ καθολικὰ αὐτῷ θεωρήματα τοιαῦτα, ὁποῖα τὰ ἐν τοῖς μερικοῖς κοινά, ὅταν φέρε πᾶσα πόλις εὐνομουμένη λέγῃ ἢ πᾶς ἀνὴρ κόσμιος ἤ τι τοιοῦτον. οὐ γὰρ τὰ νοητὰ ὡς νοητά τις θεωρῶν τὰ ἐν τοῖς αἰσθητοῖς καθόλου λήψεται οὐδὲ τοῖς ἀνάλογον τῷ ἀγαθῷ τε καὶ κακῷ ἀληθεῖ τε καὶ ψευδεῖ χρήσεται, ἀλλὰ καὶ ἀληθεύσει ἀναντιθέτως πρὸς τὸ ψεῦδος καὶ τὸ ἀγαθὸν εἴσεται τὸ πρὸς τὸ κακὸν ἀναντίθετον.

[275, 29] ὁ γὰρ πρακτικὸς ὁ περὶ τὰ ἀντικείμενα, διὰ τὸ καὶ περὶ

τὰ ἐνδεχόμενα εἶναι καὶ μεταβαλλόμενα. ἐπεὶ οὖν, κἂν καθόλου περὶ τῶν πρακτῶν ποιῆται τὸν λόγον, οὐ παντελῶς ἀφίσταται τῶν μερικῶν (ἐν τούτοις γὰρ τὰ καθόλου), οὐδὲ τῆς φαντασίας παντελῶς ἀποστήσεται· τῶν γὰρ μερικῶν ἐκείνη ἐπιβλητική, οἷς τὰ καθόλου σύνεστιν. ἄνευ οὖν πράξεως ἀληθὲς καὶ ψεῦδος εἴρηται, ὅτε μὴ πράττων καθολικώτερον, ὡς εἶπον, περὶ τῶν πρακτῶν διαλογίζεται, κατὰ τὴν πρακτικὴν δηλαδὴ ἐπιστήμην.



Kommentar zu De anima III

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Handeln besteht und auf welche Dinge es sich bezieht, nämlich nicht auf die, die sich immer gleich verhalten, sondern auf die, die sich verändern und kontigent sind. Dann betrachtet der Geist Handlungen, »wo kein Handeln vorliegt«, das heißt er betrachtet sie in Bezug auf etwas, was zum Handeln gehört, und fragt, wie dabei das Wahre und Falsche aussieht. Auch dann ist er als praktischer aktiv, aber nicht so, dass er etwas Praktisches tut, sondern so wie für den Fall, dass er etwas tun müsste, wobei er die ihm richtig scheinende allgemeine Wahrheit gebraucht. [275, 21] »In derselben Gattung« also, sagte Aristoteles, wie ›gut‹ und ›böse‹. Dies ist in der praktischen Gattung des Geistes. Also sind auch dieses Wahre und Falsche in der praktischen Gattung, die auch dann nicht ohne Vorstellungskraft aktiv ist, weil für sie auch allgemeine Betrachtungen von dieser Art sind, so wie allgemeine Betrachtungen über Einzelnes, z. B. wenn sie sagt, dass jede Stadt von guten Gesetzen regiert oder dass jeder Mann ordentlich sein soll oder etwas in der Art. Denn wenn jemand die Objekte des Denkens als Objekte des Denkens betrachtet, dann wird er weder auf Allgemeines aus dem Bereich der Objekte der Wahrnehmung zurückgreifen noch die Begriffe von wahr und falsch gebrauchen, die zu gut und böse analog sind, sondern er wird die Wahrheit begreifen, ohne dass ihr das Falsche gegenübergestellt wird, und er wird das Gute wissen, dem kein Böses entgegensteht.96 [275, 29] Denn der praktische Geist ist der, der sich auf einander Entgegengesetztes bezieht, weil er das Kontigente und Veränderliche zum Gegenstand hat. Weil er sich also auch dann, wenn er allgemein ein Argument über Handlungen bildet, nicht völlig von den Einzeldingen entfernt (denn in diesen liegen ja seine allgemeinen Begriffe), kann er sich auch nie völlig von der Vorstellungskraft lösen. Denn diese beziehen sich auf die Einzeldinge, in denen die Allgemeinbegriffe wurzeln. »Wo kein Handeln vorliegt«, wird etwas also wahr oder falsch gesagt, weil der Geist, ohne etwas zu tun, wie ich gesagt habe, allgemeiner über die Handlungen nachdenkt, natürlich durch

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Priskian von Lydien · Text

διαφέρει δὲ μόνον ἡ καθόλου περὶ τῶν πρακτῶν νόησις τῆς ἐν αὐτῷ τῷ πράττειν, ὅτε καὶ τὰ μερικὰ συλλαμβάνειν ἀνάγκη, τῷ ἁπλῶς καὶ τινί. ἡ μὲν γάρ ἐστιν ἁπλῶς ὡς οὖσα καθόλου· ἡ δὲ τὶς ὡς ἐκ μερικῆς καὶ καθόλου μερικὸν συνάγουσα τὸ συμπέρασμα.

[276, 1] μέχρι τούτων συμπληρώσας τὸν περὶ τοῦ πρακτικοῦ λό-

γον, ἀναδραμεῖν δὲ πάλιν ἐπὶ τὸν ἀκρότατον θεωρητικὸν βουλόμενος, διὰ τῶν μέσων ποιεῖται τὴν ἀνάβασιν. προσεχέστατα δὲ τοῦ πρακτικοῦ ἐπαναβέβηκεν ὁ τῶν μαθηματικῶν πραγμάτων θεωρητικός, ἃ καὶ αὐτὰ ἔνυλα μέν, οὐκ ἐν τῇ γενητῇ δὲ ὕλῃ καὶ ἄλλοτε ἄλλως ἐχούσῃ, ἀλλ’ ὅμως ἔνυλα ὡς ἐν διαστάσει πάντως καὶ μερισμῷ τινι ὑφεστῶτα καὶ διὰ τοῦτο καὶ αὐτὰ φανταστὰ ὄντα, τοῦ θεωροῦντος αὐτὰ νοῦ ὅρον αὐτοῖς καὶ τάξιν ἐπιτιθέντος καὶ τό τε ἐνδέον προστιθέντος καὶ τὸ περιττὸν ἀφαιροῦντος καὶ σκοποῦντος αὐτὰ ὡς φανταστά, τοῦ πρακτικοῦ καὶ τὰ φανταστὰ κατὰ τὴν πρὸς τὰ αἰσθητὰ ἀναφορὰν γινώσκοντος, καὶ ταύτῃ τοῦ μαθηματικοῦ τὸν πρακτικὸν ὑπερβάλλοντος. […]

Aus dem Kommentar zu III 11

[313, 1] ζητείσθω δὲ καὶ ὅπως τῷ θείῳ συμφωνήσωμεν Ἰαμβλίχῳ,

καὶ τὸν δυνάμει νοῦν καὶ τὸν ἐνεργείᾳ ἐπὶ τοῦ κρείττονος τῆς



Kommentar zu De anima III

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die praktische Wissenschaft. Das allgemeine Denken über die Handlungen »unterscheidet sich allerdings im Hinblick auf ›schlechthin‹ und ›in bestimmter Hinsicht‹« von dem Denken, das beim Handeln stattfindet, so oft es nötig ist, Einzelnes einzubeziehen. Das erstere gilt nämlich ›schlechthin‹, weil es aus zwei allgemeinen Prämissen folgt; das zweite gilt aber ›in bestimmter Hinsicht‹, weil es aus einer auf Einzelnes bezogenen und einer allgemeinen Prämisse eine für etwas Einzelnes geltende Folgerung zieht. [276, 1] Wenn er bis hierhin das Argument über den praktischen Geist abgeschlossen hat und wieder zu dem höchsten theoretischen Geist aufsteigen will, vollzieht er den Aufstieg durch die mittleren Dinge zwischen beiden. Als nächstes folgt aber auf den praktischen derjenige Geist, der die mathematischen Dinge betrachtet. Diese bestehen zwar auch selbst in der Materie, aber nicht aus der veränderlichen Materie, die sich zeitweilig verschieden verhält. Trotzdem existieren sie zugleich als in der Materie Befindliches auch vollständig in einer Art Abstand und einer gewissen Trennung und sind deshalb Gegenstände der Vorstellungskraft, wobei der Geist, der sie betrachtet, ihnen eine Bestimmung und eine Ordnung auferlegt, ihnen das Fehlende hinzugibt und das Überschüssige fortnimmt und sie als Objekte der Vorstellung betrachtet. Dagegen erkennt der praktische Geist auch die Gegenstände der Vorstellungskraft durch den Bezug auf die Gegenstände der Sinneswahrnehmung, und dadurch ist der mathematische Geist dem praktischen überlegen. […]

p. 313, 1–31 Anhang zur Auslegung von III 11

Das Verhältnis von Priskians Noetik zu der Jamblichs [313, 1] Es soll auch untersucht werden, wie wir mit dem göttli-

chen Jamblich übereinstimmen, der den Geist in Möglichkeit und den in Aktivität auf den Geist bezogen versteht, der hö-

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Priskian von Lydien · Text

ψυχῆς ἀκούοντι ἢ τοῦ ὁριστικοῦ τῆς ψυχῆς ἢ τοῦ ἀμεθέκτου, ἡμεῖς οἰόμενοι ἐπ’ αὐτῆς τῆς ψυχικῆς οὐσίας ἀμφότερα παραδίδοσθαι, ὡς καὶ ἐξ αὐτῶν πολλαχοῦ τῶν Ἀριστοτέλους ῥημάτων ὑπεμνήσαμεν. ἀλλ’ οὐ δήπου ἐναντία φθέγγεσθαι τῷ Ἰαμβλίχῳ τολμήσομεν, συμφωνήσομεν δὲ κατὰ δύναμιν, τοσοῦτο ἐλαττούμενοι ὅσον οἱ τέως προκόπτειν ἀξιούμενοι τῶν ἀκροτάτων ἐπιστημόνων, ὧν οἱ μὲν ἀπὸ τῆς τῶν αἰτιατῶν ἐπὶ τὴν τῶν αἰτίων ἀναβαίνουσι θεωρίαν, οἱ δὲ ἀνάπαλιν, ὥσπερ ἀπὸ σκοπιᾶς τὰ κοιλότερα, ἐκ τῶν αἰτίων τὰ αἰτιατὰ κατασκοποῦσιν. ὁ γὰρ αὐτός πως γίνεται λόγος, ἐπειδὴ τρόπον τινὰ καὶ τὰ αὐτά ἐστι τά τε αἴτια καὶ τὰ αἰτιατά, διότι κατὰ τὴν τῶν αἰτίων ἰδιότητα καὶ ἐνέργειαν τὰ αἰτιατὰ τὸ εἶναι ἔχει, καὶ οἷον ἂν τὸ αἴτιον φανῇ κατ’ εἶδος καὶ ἁπλότητα, τοιοῦτον καὶ τὸ αἰτιατὸν δευτέρως καὶ κατὰ μέθεξιν· καὶ ἀνάπαλιν τοῖς τὰ αἰτιατὰ πρότερον θεωροῦσιν οἷον ταῦτα δευτέρως καὶ ἐν μεθέξει, τοιοῦτον τὸ αἴτιον ἁπλοϊκῶς καὶ ἀμεθέκτως. ὅσα οὖν ἐπὶ τοῦ αἰτίου θεω­ ρεῖται κατ’ ἰδιότητα, τοσαῦτα καὶ ἐπὶ τῶν αἰτιατῶν. ὁ μὲν οὖν θεῖος ἀνὴρ ἐκεῖνος, κατὰ τὴν ἑαυτοῦ ἄκραν θεωρίαν ἐπὶ τοῦ αἰτίου πρώτως θεωρῶν ταύτην, δίδωσιν ἡμῖν καὶ ἐπὶ τῆς ψυχῆς ταύτην νοεῖν· ἡμῖν δὲ ἀγαπητὸν ἐπὶ τῆς ψυχῆς αὐτὴν πρῶτον ἐπισκεψαμένοις οὕτως εἰς τὸ αἴτιον ἀναδραμεῖν. οἷον τὸ ποτὲ μὲν καθαρῶς μένον, ποτὲ δὲ ἀφιστάμενον μὲν τῆς εἰλικρινοῦς μονῆς, ἐπὶ δὲ τὸ προβλητικὸν τῶν ῥεουσῶν ζωῶν προϊὸν καὶ ταύταις συμπλεκόμενον θεωρήσαντες ἐπ’ αὐτῆς τῆς ἡμετέρας ψυχῆς ὡς κατὰ τοῦτο οὐσιωμένης, ἀξιοῦμεν καὶ τὸν ὁριστικὸν αὐτῆς νοῦν τοιοῦτον εἶναι, ὡς τοιούτου πράγματος ὁριστικόν, καὶ πάλιν τὸ ποτὲ εἰς ἐνέργειαν καθαρὰν αὐτῆς ἀποκαθιστάμενον, ἐκ τοῦ δυνάμει μέντοι, καὶ τὸν τῆς τοιαύτης οὐσίας ὁρισ­ τικὸν νοῦν τῆς ποτὲ μὲν δυνάμει ποτὲ δὲ ἐνεργείᾳ εἰλικρινεῖ γινομένης δυνάμει καὶ αὐτὸν ἀποτελεσθῆναι, οὐχ ὡς πάσχον-



Kommentar zu De anima III

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her ist als die Seele, entweder auf den die Seele bestimmenden oder auf den, an dem nichts Teil hat,97 während wir glauben, dass beides in Hinblick auf das seelische Sein angeführt wird, wie wir häufig aufgrund von Aristoteles’ Aussagen erklärt haben. Aber gewiss werden wir nicht wagen, etwas dem Jamblich Entgegengesetztes zu verkünden, sondern wir werden ihm zustimmen soweit möglich, wo wir ihm doch um so viel nachstehen wie die, die eines gewissen Fortschritts gewürdigt wurden, den höchsten Wissenden. Die einen steigen von der Betrachtung des Verursachten zu der der Ursachen hinauf, die anderen schauen umgekehrt, so wie von einer Anhöhe in die tieferen Täler, von den Ursachen auf das Verursachte hinab. Denn irgendwie entsteht dieselbe Einsicht, weil in gewisser Weise die Ursachen und das Verursachte auch dasselbe sind, weil das Verursachte sein Sosein durch das spezifische Merkmal und die Aktivität der Ursachen hat, und so wie die Ursachen in ihrer Form und Einfachheit erscheint, so ist auch das Verursachte sekundär und im Modus der Teilhabe. Und umgekehrt ist für die, die zuerst das Verursachte betrachten, dieses sekundär und in Teilhabe so wie die Ursache auf einfache Weise und frei von Teilhabe. Was also bei der Ursache durch ihr spezifisches Merkmal betrachtet wird, das gibt es auch bei dem Verursachten. Jener göttliche Mann lässt uns also, da er gemäß seiner hohen Betrachtung diese primär in Bezug auf die Ursache betrachtet, diese auch bei der Seele intellektiv erkennen. Uns aber, die wir die Betrachtung zuerst bei der Seele anstellen, ist es lieb, so bis zur Ursache hinaufzusteigen. So wie wir also das, was zwar manchmal auf reine Weise bleibt, manchmal aber auch aus dem ungetrübten Verharren heraustritt und in das Hervorbringende der fließenden Lebensformen hervorgeht und sich mit diesen verbindet, bei unserer Seele betrachten, weil sie seinsmäßig so ist, so muss, fordern wir, auch ihr bestimmender Geist sein, weil er eine solche Sache bestimmt. Wir fordern auch, dass das von ihr, was manchmal zu reinem VerwirklichtSein wiederhergestellt wird, nämlich aus dem in Möglichkeit Befindlichen, und der Geist, der dieses Sein bestimmt, das sich

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Priskian von Lydien · Text

τα τὸ δυνάμει ἀλλ’ ὡς ὁριστικὸν καὶ ὑποστατικὸν τῆς οἷον πασχούσης οὐσίας, καὶ τὸ δυνάμει ποτὲ καὶ τὸ εἰς ἐνέργειαν αὖθις ἀποκαθίστασθαι. ταῦτα ἡμῖν ἀπολελογήσθω καὶ πρὸς τὴν δευτέραν ζήτησιν.



Kommentar zu De anima III

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manchmal in Möglichkeit und manchmal in reiner Aktivität befindet, auch in Möglichkeit vollendet wird, nicht indem er selbst das In-Möglichkeit-Sein erleidet, sondern insofern er das Sein bestimmt und konstituiert, das es gleichsam erleidet, zeitweise in Möglichkeit zu sein und erneut zum Verwirklicht-Sein wiederhergestellt zu werden. Das sei von uns zur Verteidigung und in Bezug auf die zweite Frage gesagt.

8. STEPHANOS VON ALEX ANDRIA (›PHILOPONOS‹) Kommentar zu De anima III 2; 4–6 Ausgewählt, eingeleitet, übersetzt und erläutert von Christian Tornau

D  

er auf Griechisch erhaltene Kommentar zum III. Buch von Aristoteles’ De anima, den die Handschriften zusammen mit dem Kommentar des Johannes Philoponos zu De anima I–II überliefern, wird Philoponos von der heutigen Forschung mehrheitlich abgesprochen. Als sein Autor gilt vielmehr der späte Neuplatoniker Stephanos von Alexandria. Im Folgenden ist erstens ein kurzer Überblick über Stephanos’ Leben und Werk zu geben; zweitens sind die Gründe zu erläutern, die für die Neuzuschreibung des Kommentars an Stephanos sprechen; drittens sollen die Charakteristika von Stephanos’ Interpretation der aristotelischen Noetik zusammengefasst werden. 1. Leben und Werk1 Über die Biographie des Stephanos von Alexandria (Stephanus Alexandrinus, Stephanus Philosophus) ist nur Weniges bekannt. Er ist nicht zu verwechseln mit dem Grammatiker Stephanos von Byzanz (Stephanos Byzantios), der im frühen 6. Jh. wirkte. Möglicherweise ist er jedoch identisch mit dem Arzt Stephanos von Athen (Stephanus Medicus).2  Die nachstehende Skizze folgt weitgehend der seit Usener 1880 = Usener 1914 üblichen, vor allem von Wolska-Conus 1989 fortgeführten Rekonstruktion. Jüngst hat jedoch Mossman Roueché mit bemerkenswerten Argumenten die Verbindung des Stephanos nach Konstantinopel überhaupt bestritten und ihn – weniger überzeugend – als Schüler des Philoponos in die Mitte des 6. Jh. datiert (Roueché 2016). 2  So die These von Wolska-Conus 1989. Dagegen lehnt Roueché 2016 1

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Stephanos von Alexandria · Einleitung

Stephanos gehörte zur Schule des Olympiodor in Alexandria, wo er um das Jahr 600 n. Chr. herum wirkte, bis ihn Kaiser Heraklios (Regierungszeit 610–641) an die neu gegründete staatliche Schule nach Konstantinopel berief, wo er für die Platon- und Aristoteleserklärung sowie für die mathematischen Fächer des Quadriviums zuständig war und Vorlesungen auch in Gegenwart des Kaisers hielt. Dort führte er vielleicht den Titel οἰκονομικὸς διδάσκαλος (etwa: »reichsweit zuständiger Professor«).3 Stephanos ist der letzte uns namentlich fassbare Vertreter des alexandrinischen Neuplatonismus vor der Eroberung Alexandrias durch die Araber im Jahr 640. Seine Texte geben uns ein Bild von der Gestalt der griechischen Philosophie unmittelbar vor dem Ende ihrer institutionellen Kontinuität und vor dem Beginn ihrer Rezeption in der islamischen Kultur. Stephanos’ Werk ist, sofern wir davon zureichende Nachricht haben, überschaubar. Erhalten sind uns seine AristotelesKommentare zu De interpretatione 4 und zu De anima III;5 bezeugt sind außerdem Kommentare zu den Kategorien6 und zu De caelo sowie die für den Lehrbetrieb der späten Alexandriner Schule typischen Prolegomena zur Philosophie.7 Fragmente der Kategorien-Kommentierung und der Prolegomena lassen sich in frühbyzantinischen Florilegien sowie in syrischen Quellen identifizieren.8 Darüber hinaus sind ihm wohl noch drei erhaltene Kommentare zum Prognostikon und zu den Aphorismen des mit einem minimalistischen Ansatz jegliche Identifikationen dieser Art ab und möchte das philosophische Profil des Stephanos ausschließlich anhand des Kommentars zu De interpretatione und den sicher zuzuweisenden Fragmenten bestimmen. 3  Es ist allerdings möglich, dass der Titel für das 7. Jh. anachronistisch ist (Roueché 2016, S. 542–544). 4  Herausgegeben von Hayduck 1885. 5  Herausgegeben von Hayduck 1897, hier S. 446–607. 6  Durch Rückverweise im erhaltenen Werk des Stephanos selbst (in int. 2, 12 f.; in an. 571, 18). 7  Zu dem einzigen Fragment: Roueché 1990, S. 107–128, S. 121–128. 8  Vancourt 1941, S. 39–42; Roueché 2016, S. 553–560.

Kommentar zu De anima III 2; 4–6



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Hippokrates sowie zur Therapeutik Galens zuzuweisen, deren Autor man üblicherweise – freilich lediglich aufgrund der Angabe einer einzigen Handschrift des Aphorismen-Kommentars – »Stephanos von Athen« nennt.9 Ob er mit dem gemeinhin als »Pseudo-Elias« bezeichneten Autor einer wohl in seine Zeit gehörenden, in Konstantinopel entstandenen Einführung in die Philosophie (Prolegomena zur Philosophie und Kommentar zur Isagoge des Porphyrios) zu identifizieren ist, ist umstritten.10 Sicherlich echt und zudem erhalten ist eine astronomischchronologische Schrift, in der er den Kommentar des Theon von Alexandria zu den Handtafeln des Klaudios Ptolemaios erklärt.11 Sicher unecht ist dagegen das astrologische Opusculum apotelesmaticum,12 das ein Horoskop des Islams enthält, dessen Verfasser die Kalifen bis ins Jahr 775 kennt.13 Umstritten ist die Echtheit alchemistischer Schriften,14 die wohl eher von späteren Autoren stammen.15

 Vgl. Wolska-Conus 1989, S. 33–47. Wenn die Herkunftsbezeichnung »von Athen« zutreffend ist, wäre Stephanos von Athen aus zunächst nach Alexandria und dann nach Konstantinopel gegangen. Editionen: Duffy 1983; Westerink 1985, ²1998; Westerink 1992; Dickson 1998. 10  Edition des griechischen Textes: Westerink 1967. Für die Zuschreibung dieses Kommentars an Stephanos votiert Wolska-Conus 1989, S. 69– 82; vorsichtig zustimmend Müller-Jourdan 2007, S. XXV f. Bedenken erregt das niedrige, über elementare Fehler nicht erhabene philosophische Niveau des Pseudo-Elias (Roueché 1990, S. 125). 11  Explanatio per propria exempla commentarii Theonis in tabulas manuales, teilweise ediert in: Usener 1880 (stellenweise ergänzter ND in: Usener 1914, S. 247–322), S. 38–54 (= Usener 1914, S. 295–319). 12  Edition: Usener 1880, S. 17–32 (= Usener 1914, S. 266–289). 13  Vgl. Sode 1994, S. 149–260, hier S. 245  ff.; Papathanassiou 2006, S. 192. 14  Editionen: Ideler 1842, S. 199–253; Sherwood Taylor 1937, S. 116–139; 1938, S. 38–49. 15  Vgl. aber Papathanassiou 1996, S. 247–266; Papathanassiou 2006.  9

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Stephanos von Alexandria · Einleitung

2. Stephanos’ Kommentar zu De anima III Dass jener griechische Kommentar zu De anima III, der lange Zeit dem Philoponos zugeschrieben wurde, vielmehr Stephanos zuzuschreiben sei, ist die These, die in der Forschung bis vor kurzem mehrheitlich vertreten wurde; es gibt jedoch auch gewichtige Gegenstimmen.16 Für die Zuweisung an Stephanos sprechen mindestens fünf Gründe: 1) Der Kommentar zu Buch III kann aus formalen Gründen nicht ursprünglich mit dem Kommentar zu den Büchern I und II zusammengehört haben, weil er, anders als dieser, in »Vorlesungen« (πράξεις) gegliedert ist, von denen wieder jede aus einem Überblicksteil (θεωρία) und Einzelerklärungen (λέξις, eigentlich »Wortlaut«) besteht. Die Bestandteile sind mit Schlussformeln wie »So weit die Vorlesung« (ἐν οἷς ἡ πρᾶξις) markiert. Dies ist eine schulmäßige, bei Proklos und Philoponos nur vereinzelt erkennbare, in ihrer schematisierten Form erst für den späten Alexandriner Neuplatonismus seit Olympiodor (um die Mitte des 6. Jahrhunderts n. Chr.) charakteristische Weise der Kommentierung.17  Sie wurde zuerst vorgeschlagen von Hayduck 1882, S. V. Für Stephanos als Autor argumentieren ferner: Arnzen 1998, S. 95–97; Blumenthal 1982, S. 54–56; Charlton 2000, S. 1–10; De Corte 1934, S. IX–XVI; Perkams 2008, S. 237 f.; Tornau 2007, S. 107–109; Vancourt 1941, S. 44–48; Westerink 1990, S. XXXIX–XLII (= Westerink 1990a, S. 340 f.). – Für die Autorschaft des Philoponos argumentiert jetzt ausführlich und energisch Golitsis 2016; gegen die Autorschaft des Stephanos votierten zuvor schon Bernard 1987, S. 154, Anm. 3 (ein hypothetischer zweiter Kommentar des Philoponos); Lautner 1992, S. 510–522 (Zusammenstellung durch einen Schüler des Philoponos); Segonds 1992, S. 461–479, hier S. 467, Anm. 17; Golitsis 2016. Eine besondere These vertrat Gudeman 1916, S. 1778, der zufolge »uns im 3. Buche der echte Philoponos in einer Bearbeitung des Stephanos vorliegt«. – Unentschieden schließlich ist Blumenthal 1996, S. 46 f.; 61–65. 17  Vgl. Festugière 1963. Überblicke zum Alexandriner Neuplatonismus seit Ammonios und Hermeias geben Westerink 1990, S. X–XLII; Westerink 1990a; Vancourt 1941. 16

Kommentar zu De anima III 2; 4–6



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2) Der Kommentar zu Buch III ist nicht die Vorlage der von Wilhelm von Moerbeke im 13. Jahrhundert angefertigten lateinischen Übersetzung der die Geistlehre betreffenden Teile des Kommentars des Philoponos.18 Er ist auch keine gekürzte Version dieser Vorlage, da er trotz mancher Übereinstimmung das Material anders gruppiert, einiges Sondergut enthält und auch inhaltlich von Philoponos differiert.19 3) Der Text trägt in mehreren Handschriften den Vermerk ἀπὸ φωνῆς Στεφάνου, d. h. etwa: »Mitschrift einer Vorlesung des Stephanos«. 4) Der Text weist das gleiche Gliederungsschema wie Stephanos’ Kommentar zu De interpretatione sowie eine Anzahl lexikalischer und stilistischer Gemeinsamkeiten mit diesem auf.20 5) Der Text enthält Verweise auf De interpretatione, deren Sinn sich nur vor dem Hintergrund des Kommentars des Stephanos ganz erschließt: So verweist ›Philoponos‹, in an. 543, 8 f., auf Stephanos, in int. 8, 32–9, 1 und ›Philoponos‹, in an. 546, 1–6, auf Stephanos, in int. 6, 23–25. Die Formulierung der beiden letztgenannten Stellen findet sich allerdings auch bei Ammonios, in an. pr. 22,34–23,8, wo sie Alexander von Aphrodisias zugeschrieben wird, und es gibt einen formal ähnlichen Querverweis auf die Kommentare des Philoponos zu den Kategorien und zur Physik (›Philoponos‹, in an. 528, 34–529, 4, vgl. Philoponos, in cat. 23, 8–13 und in phys. 414, 20–27).21 Da Selbst S. o. Kapitel V dieses Bandes.  Auf einzelne Abweichungen dieser Art wird in den Anmerkungen hingewiesen. Eine Aufstellung der wichtigsten Differenzen bietet Charlton 1991, S. 9–11. 20  Ein Beispiel: παρακατιών als Formel für einen Verweis auf eine spätere Textstelle (»im weiteren Verlauf der Darstellung«) findet sich fünfmal im Kommentar zu An. III, siebenmal im Kommentar zu int. und dreimal im Kommentar zum Prognostikon, aber nur zweimal in den zweifellos echten Werken des Philoponos. Weiteres verzeichnet Charlton 2000, S. 7 f. 21  Hierauf weist Golitsis 2016, S. 406–410 hin; die Thesen von Tornau 2007, S. 107–109 sind entsprechend zu modifizieren. 18 19

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Stephanos von Alexandria · Einleitung

und Fremdzitat sich formal nicht unterscheiden, ist hier keine endgültige Klarheit zu gewinnen. Die Indizien (1) und (2) beweisen die Nichtzugehörigkeit des Kommentars zu De anima III zu dem überlieferten Kommentar des Philoponos zu De anima I und II, schließen aber nicht aus, dass es sich um den Rest eines zweiten Kommentars des Philoponos handelt. Indiz (5) ist für sich genommen mehrdeutig, kann aber in Verbindung mit den Indizien (3) und (4) als Bestätigung von Stephanos’ Autorschaft gewertet werden. Von dieser wird im Folgenden ausgegangen.

3. Zur Charakteristik des Kommentars Das auffälligste Merkmal des De-anima-Kommentars des Stephanos ist sein klarer, fast schematischer Aufbau. Als den »Skopos« (d. h. das übergreifende Thema, das nach neuplatonischer Auffassung einem Text die Einheit verleiht) des dritten Buches bestimmt Stephanos die rationale Seele.22 Näherhin teilt er den Text in drei »Abschnitte« (τμήματα) ein. Sie betreffen: 1. für das Verständnis der rationalen Seele nötige Abgrenzungen innerhalb der nichtrationalen Seele (an. III 1–2); 2. die Abgrenzung der rationalen von der nichtrationalen Seele (an. III 3); 3. die Untersuchung der rationalen Seele an sich (an. III 4–12).23 Auch hinsichtlich seiner Methode hat der Text ein charakteristisches Profil. Stephanos nimmt häufig definitorische Unterscheidungen (»Dihäresen«) schwieriger Begriffe vor24 und stellt numerierte Listen von Hauptpunkten (κεφάλαια), Argumenten und Einwänden auf. So beginnt seine Kommentierung des Kapitels über den »in Wirklichkeit befindlichen Geist« (ὁ ἐνεργείᾳ νοῦς) (an. III 5) mit einer Liste der zehn seiner Ansicht nach  Stephanos (›Philoponos‹), in an. 446, 12–18.  Stephanos (›Philoponos‹), in an. 511, 38–512, 3. 24  Stephanos (›Philoponos‹), in an. 490, 18–491, 4 mit einer Dihärese der Gattung »Erkenntnis« (γνῶσις). 22

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eindeutig im Text enthaltenen Aussagen.25 Die anschließend referierten älteren Interpretationsansätze müssen sich dann an dieser Liste messen lassen. Das Referat und die Kritik der von der philosophisch-exegetischen Tradition vorgegebenen Erklärungen von De anima nehmen in Stephanos’ Kommentierung breiten Raum ein. Der älteste namentlich zitierte Interpret ist Alexander von Aphrodisias, der jüngste Ammonios von Alexandria. Stephanos’ Text ist deshalb auch wegen der zahlreichen in ihm enthaltenen, namentlich gekennzeichneten Fragmente ganz oder teilweise verlorener Autoren wie Jamblich oder Plutarch von Athen von großem Wert. Allerdings sind seine Nachrichten oft mit Vorsicht zu genießen, weil er – wie die Mehrzahl der spätantiken Kommentatoren – gern aus zweiter Hand zitiert und weil auch die Zwänge der Kommentargattung bisweilen zu Verzerrungen führen können.26 Wir stellen zunächst kurz die von Stephanos am häufigsten referierten und kritisierten Autoren vor und versuchen auf dieser Basis, ein philosophisches Porträt des Stephanos zu skizzieren. Die Rolle des Alexander von Aphrodisias (ca. 150–220 n. Chr.)27 ist exakt die von der Tradition vorgegebene. Er steht erstens für die prinzipientheoretische Deutung des aristotelischen höchsten Geistes durch Identifikation des »in Wirklichkeit befindlichen Geistes« (ὁ ἐνεργείᾳ νοῦς) aus an. III 5 mit dem als »Denken des Denkens« (νοήσεως νόησις) verstandenen ersten Prinzip von metaph. XII 9, 1074b34 f.28 und dem »von außerhalb eintretenden Geist« (νοῦς θύραθεν) aus gen. an. II 3, 736b28. Zweitens steht Alexander für die Leugnung der Unsterblichkeit der Seele.29 Der Platoniker Stephanos lehnt beides ab und wirft Alexander sinnentstellende Textinterpretation aufgrund eigener  Stephanos (›Philoponos‹), in an. 534, 19–535, 2.  Vgl. dazu Tornau 2007, S. 109–127 und generell Blumenthal 1990. 27  Blumenthal 1987, S. 90–106. Zum Hintergrund siehe außerdem oben die Einleitungen zu Alexanders Schriften in diesem Band (Kap. 2 u. 3). 28  Stephanos (›Philoponos‹), in an. 518, 10–18; 535, 4 f. u. 20–29. 29  Stephanos (›Philoponos‹), in an. 521, 11–23. 25

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philosophischer Vorurteile vor – ein negatives Alexanderbild, das anscheinend schon Plutarch von Athen entworfen hat.30 Plotin (205–270 n. Chr.)31 erscheint bei Stephanos als Vertreter der Auffassung, dass der »in Wirklichkeit befindliche Geist« seinen Sitz innerhalb der menschlichen Seele hat, sich aber von dem gleichfalls zur Seele gehörenden, uns aus der alltäglichen Erfahrung des Denkens bekannten »in Möglichkeit befindlichen Geist« dadurch unterscheidet, dass er nicht nur gelegentlich, sondern unentwegt denkt.32 Die menschliche Seele enthielte demnach zwei verschiedene Arten von Geist. Den Hintergrund dieser Rekonstruktion bildet Plotins (von Jamblich und Proklos abgelehnte) Theorie eines stets auf der Geist-Stufe verbleibenden, nicht in die Körperwelt herabgestiegenen Seelenteils, mit anderen Worten: eines im Menschen gegenwärtigen transzendenten Elements. Die Aussage, dass der Mensch zwei Geistprinzipien habe, findet sich nicht bei Plotin; sie ist eine Schematisierung, die an den doxographischen Stil des Proklos erinnert.33 Von Plotins eigener Argumentation ist in Stephanos’ knappen und unklaren Referaten kaum etwas zu erkennen – ein Befund, der bei der Interpretation seiner Nachrichten über verlorene Autoren zur Vorsicht mahnt. Plutarch von Athen (ca. 350–432),34 der Begründer der Athener neuplatonischen Schule sowie Lehrer des Syrianos und des  Vgl. Plutarch von Athen, fr. 18 Taormina (= Philoponos, in an. 21, 20–25). 31  Blumenthal 1981, S. 212–222; Blumenthal 1990, S. 312–315. 32  Stephanos (›Philoponos‹), in an. 535, 8–13, vgl. 528, 25–31. 33  Vgl. das ähnlich schematisierende Referat von Plotin III 9, 1 bei Proklos: In Tim. I, 305, 16–20, nach dem Plotin zwei Arten des Demiurgen angenommen hätte. Ansätze für die Zweiteilung des plotinischen Geistes boten vielleicht Texte wie I 1, 8, 1–8 (Unterscheidung eines »allgemeinen« und eines »besonderen« Geistes, die aber beide in der Seele sind); I 1, 10, 5: »das ›Wir‹ ist also etwas Zweifaches«. Der von Stephanos’ Quelle direkt verarbeitete Text ist möglicherweise Plotin V 1, 12, 1–12 (vgl. Tornau 2007, S. 109–114). 34  Seine Fragmente sind gesammelt und kommentiert bei Taormina 1989. 30

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Proklos, kommentierte um 430 für Proklos – möglicherweise nur mündlich – Aristoteles’ De anima als Propädeutikum zu Platons Phaidon. Er war demnach ein dezidierter Vertreter der neuplatonischen Doktrin von der Übereinstimmung der aristotelischen mit der platonischen Seelenlehre. Stephanos erwähnt ihn teils zustimmend und teils kritisch, zitiert ihn nachweislich aus zweiter Hand und gibt inkonsistente Nachrichten über ihn. Erstens folgt er Plutarch in seiner Plotin-Kritik und darin, dass der »in Wirklichkeit befindliche Geist« von an. III 5 kein transzendentes Element in der Seele, sondern der aus der Erfahrung bekannte, bisweilen denkend aktive und bisweilen inaktive menschliche Geist sei.35 Zweitens soll Plutarch in De anima drei Stufen des Geistes unterschieden haben: a) den bloß potentiellen Geist der Kinder, der allerdings bereits ein Geist »als Disposition« (καθ’ ἕξιν) sei, da er von Geburt an die rationalen Gehalte (λόγοι) alles Seienden enthalte; b) den zugleich als Disposition bestehenden und in Verwirklichung befindlichen Geist (νοῦς καθ’ ἕξιν καὶ κατ’ ἐνέργειαν) der Erwachsenen, die diese Gehalte nicht nur besitzen, sondern sie auch durch tatsächliche Denkakte aktualisieren; c) den in reiner Wirklichkeit befindlichen göttlichen, »von außerhalb eintretenden Geist« (νοῦς κατ’ ἐνέργειαν = νοῦς θύραθεν).36 Die letztgenannte Deutung des aristotelischen νοῦς κατ’ ἐνέργειαν entspricht derjenigen Alexanders und ist inkonsistent mit dem Referat zu an. III 5. Stephanos lehnt die Stufenlehre Plutarchs mit Berufung auf Ammonios als Theologisierung von De anima und als ungerechtfertigte Harmonisierung der aristotelischen Psychologie mit Platons Anamnesislehre ab.37 Drittens soll Plutarch als die für die Bewusstheit seelischer Akte wie des Denkens und des Wahrnehmens sorgende seelische Instanz die Meinung als das Mittlere zwischen rationaler und nichtrationaler  Stephanos (›Philoponos‹), in an. 535, 13–16.  Stephanos (›Philoponos‹), in an. 518, 19–32. 37  Stephanos (›Philoponos‹), in an. 518, 32–520, 7. Zur Erklärung dieses Befundes vgl. Tornau 2007, S. 117–127. 35

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Seele bestimmt haben. Stephanos verwirft dies zugunsten der προσεκτικόν-Theorie der »neueren Ausleger« (s. u.).38 Er fügt allerdings hinzu, dass er in Plutarchs Texten keine entsprechende Aussage habe finden können.39 Er hat das Referat also zunächst aus zweiter Hand übernommen und in einem zweiten Schritt anhand des Originaltextes kontrolliert, freilich ohne das Referat dann entsprechend den Ergebnissen der Kontrolle zu ändern.40 Man darf das als typisch für Stephanos’ Quellenbenutzung ansehen. Ammonios Hermeiou (ca. 440 bis nach 517),41 ein Schüler des Proklos, steht am Anfang der Tradition des Alexandriner Neuplatonismus, der Philoponos und Stephanos selbst zuzurechnen sind. Von dem diesen beiden Kommentatoren Gemeinsamen dürfte vieles auf Ammonios zurückgehen. Stephanos nennt ihn namentlich als Kritiker sowohl der Einführung des transzendenten »von außerhalb eintretenden Geistes« (νοῦς θύραθεν) in die De-anima-Kommentierung (Alexander, Plutarch) als auch der platonisierenden Deutung des in Möglichkeit befindlichen Geistes als »Geist in Disposition« (Plutarch).42 Vermutlich ist auch die von Stephanos im unmittelbaren Anschluss an Ammonios’ Plutarch-Kritik in eigenem Namen präsentierte Dreistufenlehre des Geistes Ammonios zuzuweisen. In ihr werden unterschieden: a) der Geist der Kinder, der potentiell im Sinne der aristotelischen unbeschriebenen Schreibtafel ist;43 b) der als Disposition bestehende Geist der Erwachsenen; c) der diese Disposition verwirklichende Geist, der der zweiten Stufe des entsprechenden Schemas des Plutarch entspricht (s. o. ) und als  Stephanos (›Philoponos‹), in an. 464, 23–30.  Stephanos (›Philoponos‹), in an. 465, 22–25. 40  Dies wurde quellenkritisch bereits richtig erklärt von Beutler 1951, S. 962–975, hier S. 966. 41  Vgl. überblicksweise Saffrey 1994, S. 168 f. Siehe auch oben die Einleitung zu Kap. 5, S. 352 f. 42  Stephanos (›Philoponos‹), in an. 518, 32–520,7. 43  Vgl. Aristoteles, an. III 4, 430a1. 38 39

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»Geist in Disposition und in Verwirklichung« (νοῦς καθ’ ἕξιν καὶ κατ’ ἐνέργειαν) bezeichnet wird.44 Die »neueren Ausleger« (οἱ νεώτεροι ἐξηγηταί):45 Diese Bezeichnung wird im Kommentar zu an. III 2 einer Gruppe von Interpreten beigelegt, die das Bewusstsein, das wir von unseren seelischen Akten (dem sinnlichen Wahrnehmen wie dem Denken) haben, einer eigenen seelischen Instanz zuschreiben: dem »Vermögen der Aufmerksamkeit« (προσεκτικόν). Sie stehen damit im Gegensatz nicht nur zu älteren Auslegern wie Plutarch und Alexander, sondern auch zu Aristoteles selbst, der die Sinneswahrnehmung für selbstreflexiv gehalten hatte.46 Stephanos schließt sich der Auffassung der »jüngeren Ausleger« ebenso an wie ihrer Aristoteleskritik, wobei er die Letztere allerdings mit einem abschließenden Harmonisierungsversuch zu mildern versucht.47 Bei alledem bleibt die Identität der »neueren Ausleger« ebenso unklar wie die Herkunft ihrer Theorie. Da der Terminus προσεκτικόν schon bei Damaskios vorkommt, ist diese sicher älter als die Spätphase des Alexandriner Neuplatonismus und könnte bis auf Proklos zurückgehen.48 Das Etikett »neuere Ausleger« spricht nicht dagegen: Stephanos kann es ohne weiteres zusammen mit seinen Informationen aus einer Zwischenquelle übernommen haben. Stephanos ist wie alle spätantiken De-anima-Kommentatoren Platoniker49 und bekennt sich zu dem Prinzip der Harmonie  Stephanos (›Philoponos‹), in an. 520, 7–20. Für die Zuweisung dieser Partie an Ammonios plädieren: Tornau 2007, S. 125–127; Kurfeß 1911, S. 25 f. Größere Selbständigkeit des Stephanos gegenüber seinen Quellen nehmen an: Charlton 2000, S. 159, Anm. 177; Perkams 2008, S. 262. 45  Vgl. Perkams 2008, S. 404–406; Blumenthal 1996, S. 106–109. 46  Vgl. Stephanos (›Philoponos‹), in an. 464, 18–20 und 31 f. 47  Stephanos (›Philoponos‹), in an. 464, 20–467, 3; der Harmonisierungsversuch findet sich in 467, 4–12. 48  Zu Einzelnachweisen s. u. die Anmerkungen zum Text. 49  Stephanos (›Philoponos‹), in an. 450, 27 f.; 596, 36–598, 7; bei der letztgenannten Stelle handelt es sich um einen fiktiven Disput zwischen Vertretern aristotelischer und platonischer Thesen, den die Platoniker gewinnen. 44

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von Platon und Aristoteles.50 Ungewöhnlich ist, dass er sich außer zu Platon auch zum Christentum bekennt: »Aber da weder Platon der Meinung ist, dass der Gott Geist ist, noch die gottesfürchtigen Lehren (denn Gott ist noch über dem Geist […]), wohlan, so lasst uns das Problem auf andere Weise lösen«.51 Mit diesen Worten kritisiert Stephanos, ganz im Sinne Plotins und Proklos’, die aristotelische Ansetzung des Geistes als des höchsten Prinzips und spricht sich für die Geisttranszendenz Gottes, d. h. des neuplatonischen Einen oder Guten, aus; dies ist nach seiner Auffassung auch die Meinung der Heiligen Schrift. Doch bleiben solche Andeutungen neuplatonischer Bibellektüre bei Stephanos vereinzelt.52 Stephanos gehört nicht in eine Reihe mit christlichen Neuplatonikern wie Marius Victorinus oder Ps.-Dionysios Areopagita, deren Hauptanliegen die intellektuelle Durchdringung der biblischen Verkündigung mit Hilfe der platonischen Philosophie ist; er lässt sich die Richtlinien von der philosophischen Tradition vorgeben und achtet lediglich darauf, Widersprüche zur christlichen Lehre zu vermeiden. Auch die Grundannahmen der neuplatonischen Metaphysik bleiben, obgleich sie den Horizont seiner Aristoteleskommentierung bilden, weitgehend im Hintergrund. Die Richtlinien seiner Exegese sind durch das auf Proklos zurückgehende, von Philoponos im Proömium des De-anima-Kommentars zusammengefasste spätneuplatonische Menschenbild vorgegeben: Der Mensch hat eine rationale, eine nichtrationale (sensitive) und eine vegetative Seele; die rationale, vom Körper unabhängige Seele ist unsterblich, während die anderen beiden Seelen Stephanos (›Philoponos‹), in an. 450, 20 f.; 456, 18–20; 467, 4 f. Die an einigen Stellen gebrauchte Metapher vom Nährgeld (τροφεῖα) weist auf die Funktion der aristotelischen Texte als Einleitung in das Studium der platonischen Philosophie hin. 51  Stephanos (›Philoponos‹), in an. 527, 29–32. 52  Vgl. nur noch die Skizze einer neuplatonischen Deutung von Genesis 1, 3 in Stephanos (›Philoponos‹), in an. 547, 11–14. »Sei aufmerksam auf dich selbst« (πρόσεχε σαυτῷ) in 465, 14 f. kann ein Septuagintazitat sein (Deuteronomium 4, 9 u. ö.). 50

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formen, die für ihre Funktionen auf den Körper als Werkzeug angewiesen sind, wie dieser vergänglich sind. Die rationale und die nichtrationale Seele besitzen ihrerseits jeweils erkennende (γνωστικαί) und vital-strebende (ζωτικαὶ καὶ ὀρεκτικαί) Vermögen. Mit diesem Schema ist ein Raster geschaffen, das die systematische Einordnung eines jeden von der Tradition oder der Erfahrung vorgegebenen Seelenvermögens – Geist, diskursives Denken, Vorstellungskraft, Sinneswahrnehmung, Begierden – erlaubt.53 Während jedoch für Proklos und noch für Priskian (›Simplikios‹) die metaphysische Begründung dieses Schemas und die Bestimmung des Ortes des Menschen im Gesamtsystem des Seins von höchstem Interesse war, übernimmt Stephanos (wie tendenziell schon Philoponos) zwar den Schematismus, sieht aber von den metaphysischen Implikationen möglichst ab. Wie ein Blick auf seinen Umgang mit den eben aufgelisteten Quellen zeigt, optiert er fast stets für die metaphysisch am wenigsten aufwendige Variante der Aristoteleserklärung: beim »in Wirklichkeit befindlichen Geist« (ὁ ἐνεργείᾳ νοῦς) für Plutarch und gegen Plotin; beim »in Möglichkeit befindlichen Geist« für Ammonios und gegen Plutarchs an Jamblich anknüpfende Deutung im Sinne der platonischen Anamnesislehre, deren Konsequenz wiederum die Präexistenz der Seelen wäre.54 Das Bedürfnis nach einer nichtmetaphysischen Interpretation von an. III 5 führt geradezu zu einer Trivialisierung der aristotelischen Aussage, dass der »in Wirklichkeit befindli Philoponos, in an. 1, 9–13 und insgesamt in an. 1–6. Zum proklischen Hintergrund vgl. Opsomer 2006, S. 147–152. Bemerkenswert nahe an dieses Schema kommt Aristoteles: mot. an. 6, 700b17–23. Vgl. Dierauer 1977, S. 130 f. 54  Es ist nicht klar, ob Stephanos die Anamnesislehre nur als Aristotelesdeutung oder auch sachlich ablehnt. Jedenfalls spricht er sich nirgends für die Präexistenz aus. (541, 24–26 wird sie im Kontext einer von Dritten vorgetragenen Aporie erwähnt.) Hierbei mag Stephanos’ Christentum und Justinians Verurteilung der origenistischen Präexistenzlehre im Jahre 553 eine Rolle spielen. 53

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che Geist« immer denkt: Sie gilt, so Stephanos, nicht für das Individuum, sondern für das Kollektiv der Menschen, von denen irgendjemand immer denkt.55 Auch darüber hinaus werden von Stephanos gelegentlich Theorieelemente preisgegeben, die nicht nur für den Neuplatonismus, sondern schon für Platons eigenes Denken unentbehrlich waren. So unterscheidet Stephanos zwar gut platonisch die Aussagenwahrheit von einem ontologischen, die Wahrheit mit dem Sein identifizierenden Wahrheitsbegriff; doch verzichtet er auf die damit eigentlich implizierte Gradierbarkeit der Wahrheit entsprechend den Seinsstufen und spricht stattdessen von der »existentiellen Wahrheit« (ἀλήθεια ὑπαρκτική), die jedem Seienden zukommt, sofern es nur existiert.56 Damit wäre die platonische Form nicht mehr »wahrer« als ihr erfahrbares Abbild, so dass der Boden der Ideenlehre verlassen ist. So macht Stephanos’ Philosophie insgesamt den Eindruck eines Denkens, das sich trotz grundsätzlicher Verankerung im Platonismus allmählich von diesem zu entfernen beginnt.57 Diese Tatsache hätte ihn für eine Aristoteles-Rezeption, die sich an die neuplatonischen Prämissen nicht mehr gebunden fühlte, attraktiv machen können; dennoch scheint seine Wirkung in Mittelalter und Neuzeit gering geblieben zu sein. Im Byzanz des 7. oder 8. Jahrhunderts entstand auf der Grundlage von Stephanos und Philoponos eine De-anima-Paraphrase, die im 9. Jh. ins Arabische übersetzt wurde; diese Übersetzung ist das älteste Zeugnis der arabischen Aristoteles-Rezeption.58 Auf das latei Stephanos (›Philoponos‹), in an. 538, 34–539, 7. Philoponos hatte die ununterbrochene »Kette« des Denkens noch mit der Kontinuität des Lehrer-Schüler-Verhältnisses erklärt, ein Gedanke, der bei Stephanos ganz fehlt. Vgl. Charlton 2000, S. 9. 56  Stephanos (›Philoponos‹), in an. 545, 6–11. 57  Dementsprechend trägt die ausführlichste neuere philosophiegeschichtliche Darstellung zu Stephanos bei Perkams 2008, S. 237–278, die Überschrift: »Neuplatoniker oder Aristoteliker? Stephanos von Alexandrien«. 58  Herausgegeben und übersetzt von Arnzen 1998. 55

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nische Mittelalter wirkt nicht Stephanos, sondern Moerbekes Übersetzung von Philoponos’ Kommentar zu an. III 4–8. Schwer zu bestimmen ist Stephanos’ Bekanntheitsgrad in Byzanz. Im 11. Jahrhundert benutzt Michael Psellos für seine Exzerpte aus Philoponos’ Kommentar zu De anima einen Text, in dem das dritte Buch wie in unseren Handschriften durch den Text des Stephanos ersetzt ist.59 Der echte Philoponos blieb jedoch erreichbar. Im frühen 14. Jahrhundert benutzt Sophonias für seine De-anima-Paraphrase ihn und nicht Stephanos;60 ob dasselbe für die De-anima-Paraphrase des Theodoros Metochites (gest. 1332) gilt, kann nicht festgestellt werden, da eine Edition dieses Textes fehlt. Die Neuzeit kennt Stephanos unter dem Namen des Philoponos. Im 16. Jahrhundert wurde dessen De-animaKommentar in der Version der griechischen Handschriften, d. h. mit dem Stephanos gehörenden dritten Buch, zweimal ins Lateinische übersetzt;61 welche Rolle diese Übersetzungen in der frühneuzeitlichen Diskussion um Aristoteles’ Geistlehre spielten, bleibt noch zu untersuchen.62 Erst das 20. Jahrhundert hat Stephanos seine Identität wiedergegeben und ihm auch philosophisches Interesse entgegengebracht. Die Bedeutung seines Kommentars liegt zum einen in der Dokumentation und klaren Formulierung der in der neuplatonischen Debatte um die korrekte Exegese der aristotelischen Noetik vertretenen Grundpositionen. Zum anderen liegt sie in der Erhaltung sonst verlorener Lehrstücke wie der Theorie vom »Vermögen der Aufmerksamkeit« (προσεκτικόν), die – wie so vieles an der aufs Innere gerichteten neuplatonischen Seelen- und Geistphilosophie – auch dem gegenwärtigen philosophischen Interesse an den Fragen des Selbstbewusstseins und der Subjektivität entgegenkommt.63  Psellos: Philosophica minora, Bd. II, 30–72 O’Meara.  Siehe die Einleitung zum vorigen Kapitel. 61  Bove 1544; Aurelius 1558. 62  Nur wenige Fingerzeige gibt Salatowsky 2006. 63  Vgl. Bernard 1987; Perkams 2008, S. 404–408; Lautner 2014; Bormann 1982, S. 18–20. Interesse haben außerdem die – in diese Auswahl nicht aufgenommenen – Ausführungen des Stephanos (›Philoponos‹) zu an. III 3 59

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4. Zur Auswahl der übersetzten Texte In die nachstehende Auswahl wurden bevorzugt Texte aufgenommen, die von besonderem philosophischen Interesse sind und in der neueren Forschung entsprechende Aufmerksamkeit erfahren haben. Generell wurde den Überblicksteilen (θεωρία) der Vorzug gegenüber den Einzelerklärungen (λέξις) gegeben, da die Letzteren zumeist lediglich die bereits im Überblick vorgetragenen Interpretationen am textlichen Detail zu bestätigen suchen. Die Theoria-Teile zu De anima III 4 und 5 wurden vollständig übersetzt; hinzu kommt eine Auswahl aus der Theoria zu De anima III 2 (zum »Vermögen der Aufmerksamkeit«) sowie die Theoria zu De anima III 6 (über die Leistungen des diskursiven und noetischen Denkens). Ausschnitte aus den Lexis-Partien wurden nur berücksichtigt, wenn sie entweder wesentliche Ergänzungen zu den Theoriai enthalten (Lexis zu III 4) oder für Stephanos’ Methodik besonders bezeichnend sind (Lexis zu III 3 zu Terminologie und dihäretischem Verfahren).

und zum Vorstellungsvermögen (φαντασία) gefunden; vgl. Sheppard 1991, S. 170–172; Welt 2003, S. 82–90; Perkams 2005, S. 63–74.

Liter atur Quellen (a) Originaltext Stephanos (›Philoponos‹), In De anima III. In: Ioannes Philoponos: In Aristotelis De anima libros commentaria, ed. M. Hayduck. In: CAG, Bd. XV, Berlin 1897, S. 446–607 [= Hayduck 1897]. (b) Übersetzungen Englisch Charlton, W.: ›Philoponus‹, On Aristotle On the Soul 3.1–8, transl. W. Charlton, London 2000. Charlton, W.: Philoponus, On Aristotle on the Intellect (de Anima 3.4–8), transl. W. Charlton, with the assistance of F. Bossier, London 1991. Lateinisch Ioannes Alexandrins Philoponus: In tres libros De anima Aristotelis breves annotationes, ex dissertationibus Ammonij Hermæi, cum quibusdam proprijs meditationibus/Nuper e Graeco in linguam Latinam traductae [Übersetzer: Matthaeus à Bove], Venedig 1544 [z. T. verbesserte Neuauflagen 1551, 1554, 1581 u. ö.]. [= Bove 1544] Ioannes Alexandrins Philoponus: Commentarius in Aristotelis Stagiritae libros tres De anima, Gentiano Herveto Aurelio interprete, Lyon 1558 [= Aurelius 1558]. (c) Weiteres Stephanos: Stephani in librum Aristotelis de interpretatione commentarium, ed. M. Hayduck. In: CAG, Bd. XVIII 3, Berlin 1885 [= Hayduck 1885]. Stephanos: In Hippocratis Prognosticum commentaria III, ed. J. M. Duffy, CMG, Bd. XI 1, 2, Berlin 1983 [= Duffy 1983]. Stephanos: In Hippocratis Aphorismos commentaria I–II, ed. L. G. Westerink, CMG, Bd. XI 1, 3, 1, Berlin 1985, ²1998 [= Westerink 1985, ²1998].

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STEPHANOS VON ALEX ANDRIA (›PHILOPONOS‹)

Kommentar zu Aristoteles’ De anima (Auswahl)1 Griechisch – Deutsch

425b12 sq. Ἐπεὶ δ’ αἰσθανόμεθα ὅτι ὁρῶμεν καὶ ἀκούομεν, ἀνά-

γκη ἢ τῇ ὄψει αἰσθάνεσθαι ὅτι ὁρᾷ ἢ ἑτέρᾳ, καὶ τὰ λοιπά. […] [464, 17] καὶ ταῦτα μὲν τὰ διὰ τῆς λέξεως ἀναφαινόμενα, καὶ ἔστιν ὡς ἐν συντόμῳ εἰπεῖν ὁ νοῦς Ἀριστοτελικὸς κατάδηλος· βούλεται γὰρ τὰς κατὰ μέρος αἰσθήσεις καὶ τῶν ὑποκειμένων αὐταῖς ἀντιλαμβάνεσθαι καὶ μὴν καὶ τῶν οἰκείων ἐνεργειῶν. Ἀλέξανδρος δὲ ἐν τῷ ὑπομνήματι τὰς μὲν πέντε αἰσθήσεις τῶν ὑποκειμένων αὐταῖς αἰσθητῶν βούλεται εἶναι ἀντιληπτικάς, τὴν δὲ κοινὴν αἴσθησιν εἶναι βούλεται καὶ τῶν ὑποκειμένων καὶ τῶν ἐνεργειῶν αὐτῶν ἀντιληπτικήν. Πλούταρχος δὲ λογικῆς ψυχῆς ἔφη εἶναι ἔργον τὸ γνῶναι τὰς ἐνεργείας τῶν αἰσθήσεων· φησὶ γὰρ ὅτι κατὰ τὸ ἄτιμον μέρος τῆς λογικῆς ψυχῆς, ὅπερ ἐστὶν ἡ δόξα, τοῦτο γίνεται. ἡ γὰρ δόξα, τὸ κοινότατον μέρος τῆς ψυχῆς καὶ ἄτιμον, συνάπτει τὴν λογικὴν τῇ ἀλόγῳ. ἀεὶ γάρ, ὡς πολλάκις ἔγνωμεν, κατὰ ἄτιμα μέρη ἑαυτῶν τὰ πρῶτα συνάπτεται τοῖς δευτέροις, ὥσπερ οὖν καὶ νῦν. τῆς οὖν δόξης εἶναι λέγει τὸ ταῦτα ποιεῖν καὶ ἀντιλαμβάνεσθαι τῶν ἐνεργειῶν τῶν αἰσθήσεων.

p. 464, 17–467, 12 Aus der Theoria I zu an. III 2, 425b12–25

Wie nehmen wir wahr, dass wir wahrnehmen? Das »Vermögen der Aufmerksamkeit« (προσεκτικόν) 425b12 f. Da wir ferner wahrnehmen, dass wir sehen und hören,

so müssen wir entweder mit dem Gesichtssinn wahrnehmen, dass wir sehen, oder mit einem anderen usw. [464, 17] […] So weit das, was anhand des Textes deutlich wird.2 Kurz gesagt, liegt der aristotelische Sinn klar zutage: Er möchte, dass die einzelnen Sinne sowohl die ihnen zugrundeliegenden Gegenstände erfassen als auch, wohlgemerkt, ihre eigenen Tätigkeiten. Alexander im Kommentar3 dagegen möchte, dass einerseits die fünf Sinne zur Erfassung der ihnen zugrundeliegenden Wahrnehmungsgegenstände dienen; andererseits möchte er, dass der Gemeinsinn der Erfassung sowohl der zugrundeliegenden Gegenstände als auch der Tätigkeiten [der fünf Sinne] dient. Plutarch4 sagt, dass es Aufgabe der rationalen Seele sei, die Tätigkeiten der Sinne zu erkennen; denn, so erklärt er, das geschieht in dem niederrangigsten Teil der [rationalen] Seele, d. h. der Meinung. Die Meinung, der allgemeinste und niederrangigste Teil der Seele, verbindet ja die rationale mit der nichtrationalen Seele; denn wie wir vielfach festgestellt haben, verbinden sich die ersten Wesen mit den zweitrangigen immer im Bereich ihrer jeweiligen niederrangigsten Teile, so wie es auch hier der Fall ist. Plutarch meint also, es sei Aufgabe der Meinung, dies zu tun und die Tätigkeiten der Sinne zu erfassen.

702

Stephanos von Alexandria · Text

1. [464, 30] οἱ δέ γε νεώτεροι ἐξηγηταὶ μήτε τὴν Ἀλεξάνδρου κατ­

αιδεσθέντες ὀφρὺν μήτε Πλουτάρχῳ πειθόμενοι, ἀλλὰ καὶ αὐτὸν Ἀριστοτέλη ἀπωσάμενοι νεωτέραν ἐφεῦρον ἐξήγησιν. φασὶ γὰρ ὅτι τοῦ προσεκτικοῦ μέρους τῆς λογικῆς ψυχῆς ἐστι τὸ ἀντιλαμβάνεσθαι τῶν ἐνεργειῶν τῶν αἰσθήσεων. ἡ γὰρ λογικὴ ψυχὴ οὐ μόνον πέντε δυνάμεις ἔχει, νοῦν, διάνοιαν, δόξαν, βούλησιν καὶ προαίρεσιν κατ’ αὐτούς, ἀλλὰ καὶ ἄλλην ἕκτην τινὰ δύναμιν προστιθέασι τῇ λογικῇ ψυχῇ, ἣν καλοῦσι προσεκτικήν, ὃ προσεκτικόν, φασίν, ἐφιστάνει τοῖς γινομένοις ἐν τῷ ἀνθρώπῳ καὶ λέγει [465] ‘ἐγὼ ἐνόησα‘, ‘ἐγὼ διενοήθην’, ‘ἐγὼ ἐδόξασα’, ‘ἐγὼ ἐθυμώθην’, ‘ἐγὼ ἐπεθύμησα’, καὶ ἁπλῶς τοῦτο τὸ προσεκτικὸν μέρος τῆς λογικῆς ψυχῆς διὰ πασῶν τῶν δυνάμεων δίεισιν, τῶν τε λογικῶν καὶ τῶν ἀλόγων καὶ τῶν φυτικῶν. εἰ οὖν δεῖ, φασί, τὸ προσεκτικὸν διὰ πάντων διιέναι, καὶ διὰ τῶν αἰσθήσεων χωρείτω καὶ λεγέτω ‘ἐγὼ εἶδον’, ‘ἐγὼ ἤκουσα’· τοῦ γὰρ ἀντιλαμβανομένου τῶν ἐνεργειῶν ἴδιον τὸ ταῦτα λέγειν. εἰ οὖν τὸ προσεκτικόν ἐστι τὸ ταῦτα λέγον, αὐτὸ ἄρα ἐστὶ τὸ τῶν ἐνεργειῶν ἀντιλαμβανόμενον τῶν αἰσθήσεων. δεῖ γὰρ ἓν εἶναι τὸ πάντων ἀντιλαμβανόμενον, ἐπειδὴ καὶ εἷς ἐστιν ὁ ἄνθρωπος. εἰ γὰρ ἄλλο μὲν τῶνδε ἀντιλαμβάνοιτο, ἄλλο δὲ τῶνδε, ὅμοιόν ἐστιν, ὡς ἐν ἄλλοις αὐτὸς λέγει, ὡς εἰ σὺ μὲν τοῦδε αἴσθοιο, τοῦδε δὲ ἐγώ. δεῖ οὖν ἓν εἶναι, ὅ ἐστι τὸ προσεκτικόν· τοῦτο γὰρ τὸ προσεκτικὸν διὰ πάντων φοιτᾷ τῶν δυνάμεων καὶ τῶν γνωστικῶν καὶ τῶν



Kommentar zu Aristoteles’ De anima (Auswahl)

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1. Die Theorie der »neueren Ausleger« [464, 30] Die neueren Ausleger5 schließlich haben sich weder

von der Arroganz Alexanders einschüchtern noch von Plutarch überzeugen lassen; sie haben vielmehr sogar Aristoteles selber beiseitegeschoben und eine neue Auslegung gefunden. Sie sagen, dass es Aufgabe des für die Aufmerksamkeit zuständigen Teils der rationalen Seele sei, die Tätigkeiten der Sinne zu erfassen. Denn die rationale Seele besitzt ihrer Auffassung nach nicht nur fünf Vermögen – Geist, diskursives Denken, Meinung, Wille und wählende Entscheidung6 –, sondern sie legen der rationalen Seele noch ein weiteres, sechstes Vermögen bei, das sie »Aufmerksamkeit« nennen; und dieses Vermögen der Aufmerksamkeit, so behaupten sie, beobachtet alles, was im Menschen geschieht, und macht die Aussagen: [465] »Ich habe geistig erkannt«, »ich habe diskursiv gedacht«, »ich habe gemeint«, »ich habe gezürnt«, »ich habe begehrt«.7 Allgemein gesagt, durchdringt dieser für die Aufmerksamkeit zuständige Teil der rationalen Seele sämtliche Vermögen, die rationalen, die nichtrationalen und die vegetativen. Wenn mithin, so fahren sie fort, das Vermögen der Aufmerksamkeit alles durchdringen muss, dann soll es sich auch auf die Sinne erstrecken und die Aussagen machen: »Ich habe gesehen«, »ich habe gehört«; es ist ja die Besonderheit desjenigen, welches die Tätigkeiten erfasst, dass es solche Aussagen macht. Und wenn es das Vermögen der Aufmerksamkeit ist, das solche Aussagen macht, dann ist dieses es folglich auch, welches die Tätigkeiten der Sinne erfasst. Denn es muss ein einziges [Vermögen] sein, das alle [Vorgänge] erfasst, da ja auch der Mensch ein einziger ist. Wenn ein [Vermögen] die einen [Vorgänge] und ein anderes die anderen erfasste, wäre es ja – wie [Aristoteles] selbst an anderer Stelle bemerkt – so ähnlich, wie wenn du das eine wahrnehmen würdest und ich etwas anderes.8 Es muss also ein einziges sein, und das ist das Vermögen der Aufmerksamkeit; denn dieses Vermögen der Aufmerksamkeit bezieht sich auf sämtliche Vermögen, auf die der Erkenntnis ebenso wie

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Stephanos von Alexandria · Text

ζωτικῶν. ἀλλ’ εἰ μὲν διὰ τῶν γνωστικῶν φοιτᾷ, λέγεται προσ­ εκτικόν, ὅθεν ὅτε κατὰ τὰς γνωστικὰς ἐνεργείας ῥεμβομένῳ τινὶ θέλομεν ἐπιπλῆξαι, φαμὲν αὐτῷ ‘πρόσεχε σαυτῷ’· εἰ δὲ διὰ τῶν ζωτικῶν χωρεῖ, λέγεται συνειδός, ὅθεν ἡ τραγῳδία φησὶν ‘ἡ σύν­εσις, ὅτι σύνοιδα ἐμαυτῷ δεινὰ εἰργασμένῳ’. [465, 16] τὸ προσεκτικὸν οὖν ἐστι τὸ τῶν ἐνεργειῶν τῶν αἰσθή-

σεων ἀντιλαμβανόμενον. καὶ κακῶς, φασίν, ὁ Πλούταρχος τὴν δόξαν ᾐτιάσατο· δεῖ γὰρ ἓν εἶναι τὸ ἀντιλαμβανόμενον τῶν ἐνεργειῶν πασῶν τῶν δυνάμεων, ἡ δὲ δόξα οὐκ ἀντιλαμβάνεται τῶν ἐνεργειῶν τοῦ νοῦ· οὐ γὰρ λέγει ἡ δόξα ‘ἐγὼ ἐνόησα’ ἢ ‘ἐγὼ διενοήθην’. κἂν γὰρ εἴπῃ ὅτι ‘ἐγὼ ἐδόξασα’, ‘ἐγὼ ἐθυμώθην’, ἀλλὰ τὰς τῶν κρειττόνων ἐνεργείας οὐ δύναται θεωρῆσαι. ταῦτα δὲ λέγοντες οὐ κατηγοροῦσι Πλουτάρχου· οὐδαμοῦ γὰρ αὐτὸν εὗρον λέγοντα ὅτι ἡ δύναμις ἡ αἰσθανομένη τῶν ἐνεργειῶν τῶν αἰσθήσεων τῆς δόξης ἐστίν, ἀλλὰ συμφωνεῖ κατὰ τοῦτο τῷ Ἀλεξάνδρῳ, τὴν κοινὴν αἴσθησιν καὶ αὐτὸς αἰτιώμενος, καὶ ἀμφότεροι κακῶς λέγοντες ἐξελέγχονται, τὴν κοινὴν αἴσθησιν φάσκοντες ἀντιλαμβάνεσθαι τῶν ἐνεργειῶν ἑκάστης αἰσθήσεως. καὶ γὰρ ἡ κοινὴ αἴσθησις οὐδενὸς ἀντιλαμβάνεται ὃ μή ἐστιν αἰσθητόν· πᾶν δὲ αἰσθητὸν ἐν σώματί ἐστιν, ἡ δὲ ἐνέργεια οὐκ ἔστιν ἐν σώματι· διὸ οὐδὲ ἔστιν αἰσθητή. εἰ δὲ μή ἐστιν αἰσθητή, οὐδὲ ὑποπίπτει τῇ κοινῇ αἰσθήσει.



Kommentar zu Aristoteles’ De anima (Auswahl)

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auf die des Lebens.9 Wenn es sich aber auf die der Erkenntnis bezieht, heißt es Vermögen der Aufmerksamkeit (daher sagen wir: »Achte auf dich selbst!«,10 wenn wir jemanden ermahnen wollen, dessen Erkenntnisakte unbestimmt und planlos sind); erstreckt es sich dagegen auf die Lebensvermögen, so heißt es Gewissen (daher sagt die Tragödie: »Gewissensnot: Ich bin der Untat mir bewusst«).11 [465, 16] Es ist also das Vermögen der Aufmerksamkeit, das die Tätigkeiten der Sinne erfasst. Plutarch – so sagen die neueren Ausleger weiter – hat zu Unrecht die Meinung dafür verantwortlich gemacht. Es muss sich ja um eine einzige [Instanz] handeln, die die Tätigkeiten sämtlicher Vermögen erfasst, und die Meinung erfasst nicht die Tätigkeiten des Geistes: Sie sagt ja nicht aus: »Ich habe geistig erkannt« oder »ich habe diskursiv gedacht«. Denn auch wenn sie aussagt: »Ich habe gemeint«, oder »ich habe gezürnt«, ist sie doch unfähig, die Tätigkeiten der höheren Vermögen zu betrachten. Mit dieser Kritik treffen sie freilich nicht Plutarch: Ich habe keine Stelle gefunden, an der er sagt, dass das Vermögen, das die Tätigkeiten der Sinne wahrnimmt, zur Meinung gehört, sondern er stimmt in diesem Punkt mit Alexander überein und macht gleichfalls den Gemeinsinn verantwortlich. Beide werden gleichermaßen durch den Nachweis widerlegt, dass sie mit ihrer These, dass der Gemeinsinn die Tätigkeiten jedes Einzelsinnes erfasse, Unrecht haben. Denn auch der Gemeinsinn erfasst nichts, was nicht sinnlich wahrnehmbar ist; alles sinnlich Wahrnehmbare ist aber in einem Körper; die Tätigkeit ist aber nicht in einem Körper; darum ist sie nicht sinnlich wahrnehmbar. Wenn sie aber nicht sinnlich wahrnehmbar ist, fällt sie auch nicht unter den Gemeinsinn.

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Stephanos von Alexandria · Text

2. [465, 31] καὶ ἡμεῖς δὲ τούτοις συντιθέμεθα ὅτι οὐκ ἔστιν ἕκτη αἴσ­

θησις ἡ τὸ ὅτι γινώσκουσα, οὔτε μὴν ὅτι καὶ ἡ αὐτὴ ὁρᾷ καὶ οἶδεν ὅτι ὁρᾷ, ἀλλ’ ὅτι τῆς λογικῆς ἐστι τοῦτο ψυχῆς, καὶ ταύτης τοῦ προσεκτικοῦ. ὅτι μὲν γὰρ οὐκ ἔστιν ἕκτη αἴσθησις ἡ τὸ ὅτι εἰδυῖα, δεχόμεθα κατὰ τὰ παρὰ Ἀριστοτέλους εἰρημένα· ὅτι δὲ ἡ αὐτή ἐστιν ἡ αἰσθα[466]νομένη καὶ γινώσκουσα ὅτι ᾔσθετο, οὐ δεχόμεθα αὐτὸν εἰπόντα, ὅτι οὐ συνάγεταί μοι τὸ τὴν ἐνέργειαν κεχρωματίσθαι, κἂν ἡ αὐτὴ οἶδεν τὸ ὅτι, διότι οὐ χρῶμα μόνον οἶδεν ἡ ὄψις, ἀλλὰ καὶ φῶς καὶ σκότος. ἐροῦμεν γὰρ πρὸς αὐτὸν ὅτι μόνον καθ’ αὑτὸ τὸ χρῶμα οἶδεν ἡ ὄψις, τὰ δὲ ἄλλα τῷ μὴ εἶναι χρῶμα οἶδε κατὰ ἀπόφασιν, καὶ οὐ πάσχει ἐξ αὐτῶν.

[466, 5] οὐδεὶς δὲ τὴν οἰκείαν ἐνέργειαν οἶδεν ὁμοίως τοῖς κατὰ

ἀπόφασιν. ὥστε οὐδ’ ὅτε τοῦ χρώματος ἀντιλαμβάνεται, οἶδεν ὅτι χρωματίζεται ἡ ἐνέργεια. ὅτι δὲ ἄτοπον τὸ λέγειν ὡς καὶ ἡ ἐνέργεια κεχρωμάτισταί πως, δῆλον· αὕτη μὲν γὰρ ἀσώματός ἐστι, τὸ δὲ ἀσώματον πῶς δύναται κεχρωματίσθαι; ἔσται δὲ καὶ ἅμα μετέχουσα λευκοῦ καὶ μέλανος, ἐπειδὴ ἅμα ταῦτα ὁρᾷ, ὅπερ ἄτοπον. κρεῖττον οὖν ἦν εἰπεῖν ὅτι τὸ αἰσθητήριον κεχρωμάτισται, οὐχ ἡ ἐνέργεια. εἰ δὲ καὶ πιστοῦται τοῦτο ἐκ τῶν λαμπάδων, φαμὲν ὅτι τοῦτο οὐκ ἔστι χρωματισμὸς ἐνεργείας, ἀλλὰ σφοδρὰ πληγὴ τοῦ αἰσθητοῦ πάθος ποιήσασα ἐν τῷ αἰσ­ θητηρίῳ, οὗ πάθους τὸν τύπον λαβοῦσα ἡ φαντασία ἐκράτησε,



Kommentar zu Aristoteles’ De anima (Auswahl)

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2. Gegen die Reflexivität der Sinneswahrnehmung [465, 31] Wir unsererseits stimmen jenen [neueren Auslegern]

darin zu, dass es keinen sechsten Sinn gibt, der das Faktum12 [des sinnlichen Wahrnehmens] erkennt, aber nicht darin, dass ein und derselbe Sinn sieht und weiß, dass er sieht. [Wir meinen] vielmehr, dass das die Aufgabe der rationalen Seele ist und innerhalb von ihr die des Vermögens der Aufmerksamkeit. Dass es nämlich kein sechster Sinn ist, der das Faktum weiß, akzeptieren wir nach den von Aristoteles vorgetragenen Argumenten; dass es aber ein und derselbe Sinn ist, der wahrnimmt [466] und erkennt, dass er wahrgenommen hat, akzeptieren wir nicht, trotz seiner folgendermaßen lautenden Argumentation: »Mir scheint es nicht schlüssig, dass die Tätigkeit gefärbt ist, auch wenn ein und derselbe [Sinn] die Tatsache [des Sehens] weiß – weil das Sehvermögen nicht nur Farbe weiß, sondern auch Licht und Dunkel.«13 Denn wir würden ihm entgegnen, dass das Sehvermögen einzig die Farbe an sich weiß, während es alle übrigen Dinge dadurch weiß, dass sie nicht Farbe sind, also durch Negation, und nichts von ihnen erleidet. [466, 5] Aber niemand weiß seine eigene Tätigkeit in der gleichen Weise wie das, was er durch Negation weiß. Folglich kann [das Sehvermögen] in dem Moment, wo es die Farbe erfasst, nicht wissen, dass seine Tätigkeit gefärbt ist. Und dass es absurd wäre zu behaupten, dass die Tätigkeit selber in gewisser Weise gefärbt ist, ist klar: Diese ist ja unkörperlich, und wie wäre es möglich, dass Unkörperliches gefärbt ist? Außerdem hätte sie gleichzeitig am Weißen und Schwarzen teil, da sie ja beides zugleich wahrnimmt, und das wäre absurd. Es wäre also besser gewesen zu sagen, dass das Sinnesorgan gefärbt ist14 und nicht seine Tätigkeit. Und wenn man versucht, Letzteres mit Hilfe der Lichter15 plausibel zu machen, so entgegnen wir, dass es sich dabei nicht um eine Färbung der Tätigkeit handelt, sondern um einen heftigen Impuls des Wahrnehmungsgegenstandes, der im Sinnesorgan ein Erleiden verursacht. Den Eindruck dieses Erleidens nimmt die Vorstellungskraft auf und hält ihn

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Stephanos von Alexandria · Text

καὶ διὰ τοῦτο ὁρῶνται αὐτῇ αἱ λαμπάδες. ὅτι δὲ οὐκ ἔστι χρωματισμός, δῆλον, ἐπειδὴ καὶ κλειόντων ἡμῶν τοὺς ὀφθαλμοὺς ὁρᾶται. δεῖ γὰρ εἰδέναι ὅτι οὐδὲν ἄλλο ἐστὶ φαντασία ἢ μικρὰ αἴσθησις, ὥσπερ καὶ αἴσθησις σφοδρά ἐστι φαντασία. [466, 18] καὶ ἄλλως δὲ ἄτοπον τὸ τὴν αὐτὴν αἴσθησιν εἰδέναι ὅτι

ὁρᾷ. πάντως γὰρ μετὰ τὸ εἰδέναι τὸ χρῶμα ἐπιστρέφουσα πρὸς ἑαυτὴν γινώσκει ὅτι ὁρᾷ· εἰ δὲ ἐπιστρέφει πρὸς ἑαυτήν, καὶ χωριστῆς ἐστιν ἐνεργείας, τὸ δὲ χωριστῆς ὂν ἐνεργείας καὶ χωρισ­ τῆς ἐστιν οὐσίας, καὶ διὰ τοῦτο καὶ ἀίδιον καὶ ἀσώματον. ἔσται οὖν ὁ ἀμφιβόλως τὴν λογικὴν ψυχὴν λέγων ἀθάνατον φανερῶς βοῶν εἶναι τὴν ἄλογον ἀθάνατον, ὅπερ ἄτοπον· οὔτε γάρ εἰσιν αἱ αἰσθήσεις ἀίδιοι, καὶ διὰ τοῦτο οὐκ ἐπιστρέφουσι πρὸς ἑαυτάς· εἰ δὲ μὴ ἐπιστρέφουσι πρὸς ἑαυτάς, οὐκ ἀντιλαμβάνονται τῶν οἰκείων ἐνεργειῶν· οὐδὲν γὰρ ἕτερόν ἐστι τὸ πρὸς ἑαυτὸ ἐπιστρέφειν ἢ τὸ τῶν οἰκείων ἐνεργειῶν ἀντιλαμβάνεσθαι.

[466, 27] ὥστε οὐκ ὀρθῶς λέγει Ἀριστοτέλης, ἀλλ’ ὡς εἴπομεν

τοῦ προσεκτικοῦ ἐστι τῆς ψυχῆς τὸ γινώσκειν τὰς ἐνεργείας τῶν αἰσθήσεων. καὶ ὅτι τοῦτο οὕτως ἔχει, ἐκ τῶν πραγμάτων ἔστιν ἰδεῖν· ἀσχολουμένου γὰρ τοῦ λόγου περί τι, κἂν ὁρᾷ ἡ ὄψις, οὐκ οἴδαμεν ὅτι εἶδεν, διότι ἠσχόληται ὁ λόγος· καὶ μετὰ ταῦτα ἐπειδὴ ἦλθεν εἰς ἑαυτὸν ὁ λόγος, καὶ μὴ ὁρῶν τὸν φίλον καὶ νῦν φησιν ὅτι εἶδον αὐτόν, οἱονεὶ μικρὸν ἐναπολαβὼν τύ-



Kommentar zu Aristoteles’ De anima (Auswahl)

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fest, und deswegen werden die Lichter von ihr gesehen. Dass es sich dabei nicht um eine Färbung handelt, ist klar, weil sie auch dann gesehen werden, wenn wir die Augen schließen. Man muss nämlich wissen, dass die Vorstellung nichts anderes als eine schwache Sinneswahrnehmung ist, ebenso wie die Sinneswahrnehmung eine intensive Vorstellung ist.16 [466, 18] Noch auf andere Weise lässt sich zeigen, dass es absurd ist, dass ein und derselbe Sinn weiß, dass er sieht. Er würde sich doch jedenfalls nach dem Erkennen der Farbe auf sich selbst zurückwenden und dadurch erkennen, dass er sieht; wenn er sich aber auf sich selbst zurückwendet, dann hat er eine [von der Materie] abgetrennte Tätigkeit; was aber eine abgetrennte Tätigkeit hat, das hat auch abgetrenntes Sein und ist infolgedessen ewig und unkörperlich.17 Es ergäbe sich also, dass der [Philosoph], der sich nur in zweideutiger Weise für die Unsterblichkeit der rationalen Seele ausspricht18 , offen und lautstark die Unsterblichkeit der nichtrationalen behauptet – und das wäre eine Absurdität. Denn die Sinne sind nicht ewig, und daher wenden sie sich auch nicht auf sich selbst zurück19; wenn sie aber sich nicht auf sich selbst zurückwenden, erfassen sie auch nicht ihre eigenen Tätigkeiten. Sich auf sich selbst zurückzuwenden, bedeutet ja nichts anderes, als seine eigenen Tätigkeiten zu erfassen. [466, 27] Aristoteles’ These ist also nicht richtig, sondern es ist, wie wir sagten, die Aufgabe des für die Aufmerksamkeit zuständigen Vermögens der Seele, die Tätigkeiten der Sinne zu erkennen. Dass das so ist, kann man auch an den tatsächlichen Vorgängen sehen: Wenn die Vernunft sich mit irgendetwas intensiv beschäftigt und das Sehvermögen währenddessen etwas sieht, wissen wir trotzdem nicht, was es gesehen hat, weil die Vernunft anderweitig beschäftigt war; und danach, nachdem die Vernunft wieder zu sich gekommen ist, macht sie – obgleich sie den Freund nicht sieht – auch jetzt noch die Aussage: »Ich habe ihn gesehen«, wie wenn sie trotz ihrer anderweitigen Beschäftigung einen schwachen Eindruck von dem Gesehenen in sich eingeschlossen hätte,20 durch den sie jetzt,21 nach-

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Stephanos von Alexandria · Text

πον τοῦ ὁραθέντος, εἰ καὶ ἠσχόληται, νῦν ἀνανήψας εἶπεν ὅτι εἶδον. [466, 34] ὥστε τοῦ λόγου ἐστὶ τὸ εἰπεῖν ὅτι εἶδον. εἰ δέ τις ἀπορήσει καὶ πῶς εἴρηται ὅτι περὶ τὰ καθόλου ὁ λόγος ἀσχολεῖται, νυνὶ δὲ μετὰ τῶν κατὰ μέρος αἰσθήσεων [467] εἴπομεν αὐτὸν ἐνεργεῖν, εἰπὲ πρὸς τοῦτο ὅτι ἡνίκα μὲν κέχρηται ὀργάνῳ τῷ σώματι, περὶ τὰ κατὰ μέρος ἐνεργεῖ, ὅτε δὲ οὐ κέχρηται αὐτῷ ὡς ὀργάνῳ, περὶ τὰ καθόλου ἐνδιατρίβει· νυνὶ δὲ τῷ σώματι κέχρηται.

3. [466, 3] καὶ ταῦτα μὲν οὕτως· τροφεῖα δὲ οὐκ ἀποδίδομεν Ἀριστο-

τέλει, ἀλλὰ ψευδῆ τὸν αὐτοῦ λόγον ποιούμεθα. φαμὲν οὖν ὅτι συμφωνεῖ ἡμῖν. ὅτε γὰρ λέγει ὅτι ἡ αἴσθησις οἶδεν τὸ ὅτι ἐνεργεῖ, τοῦτο λέγει αὐτὴν εἰδέναι οὐχ ὡς αἴσθησιν ἀλλ’ ὡς ὄργανον οὖσαν τοῦ λόγου· ὥσπερ γὰρ ἄνω εἶπεν ὅτι ἡ ὄψις οἶδεν τὸ γλυκὺ οὐχ ὡς ὄψις ἀλλ’ ὡς κοινὴ αἴσθησις, οὕτω καὶ νῦν τοῦτο εἶπε. καὶ οὐ μόνον αὐτὸς τοῦτο ποιεῖ, ἀλλὰ καὶ ἡ κοινὴ συνήθεια ἔθος ἔχει τοῦτο, ἔνθα λέγει ὅτι ὁ σκέπαρνος τὸν θρόνον ἐποίησε. καὶ ἰδοὺ τῷ ὀργάνῳ φιλοτιμεῖται τὸ ἔργον, οὐχ ὅτι αὐτὸ ἐποίησ­εν αὐτό, ἀλλ’ ὁ χρησάμενος ἐργάτης. ἐν οἷς ἡ θεωρία σὺν θεῷ πληροῦται. […]



Kommentar zu Aristoteles’ De anima (Auswahl)

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dem sie wieder nüchtern geworden ist, sagen kann: »Ich habe ­gesehen.«22 [466, 34] Es ist also Aufgabe der Vernunft, zu sagen: »Ich habe gesehen.« Wenn nun jemand das Problem aufwirft, wieso es dann heißt,23 dass sich die Vernunft mit dem Allgemeinen beschäftige, während wir jetzt behauptet haben, dass sie in Verbindung mit [467] den Einzelsinnen tätig sei, so lautet die Antwort: Wenn sie den Körper als Werkzeug gebraucht, ist sie in Bezug auf Einzelnes tätig, wenn sie ihn hingegen nicht als Werkzeug gebraucht, ist ihr Gebiet das Allgemeine. Und im vorliegenden Fall gebraucht sie den Körper.

3. Eine harmonisierende Erklärung des Aristotelestextes [467, 3] Soviel hierzu. Aber wir erstatten Aristoteles nicht das

Nährgeld zurück, sondern strafen seine Argumentation Lügen! Auf diesen Vorwurf entgegnen wir: Er stimmt mit uns überein. Wenn er nämlich behauptet, die Sinneswahrnehmung wisse das Faktum, dass sie tätig ist, dann meint er damit, dass sie das nicht weiß, insofern sie Sinneswahrnehmung ist, sondern insofern sie das Werkzeug der Vernunft ist. Er hat ja oben gesagt, dass das Sehvermögen das Süße sieht, nicht insofern es Sehvermögen ist, sondern insofern es Gemeinsinn ist,24 und im gleichen Sinne hat er hier dieselbe Formulierung gebraucht. Und das tut nicht nur er allein, sondern auch der allgemeine Sprachgebrauch hat diese Gewohnheit, wenn man etwa sagt, dass das Beil den Stuhl hergestellt habe – man gibt dem Werkzeug die Ehre für das Werk, nicht weil dieses selbst es hergestellt hat, sondern der es gebrauchende Werkmeister. Damit ist der Überblick mit Gottes Hilfe abgeschlossen. […]

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Stephanos von Alexandria · Text

427b6 sq. ὅτι μὲν οὖν οὐ ταὐτόν ἐστι τὸ αἰσθάνεσθαι καὶ τὸ φρο-

νεῖν, φανερόν· [...] [490, 16] ὅρα δὲ ὅτι τὸν θεωρητικὸν νοῦν ἐνταῦθα κατα­ χρηστικῶς φρονεῖν ἐκάλεσε· τοῦτο γὰρ τοῦ δυνάμει ἐστὶ νοῦ. ἐπειδὴ οὖν κέχρηταί τισι λέξεσι πῇ μὲν κυριολεκτῶν, πῇ δὲ κατα­χρηστικῶς, φέρε ἀπὸ διαιρέσεως τὴν τῆς λέξεως τραχύτητα ἐξομαλίσωμεν. ἡ τοίνυν γνῶσις ἢ περὶ τὰ ἔξω καταγίνεται καὶ ποιεῖ τὴν αἴσθησιν, ἢ περὶ τὰ ἐντὸς καὶ ποιεῖ τὴν κοινοτέραν νόησιν. καλῶς δὲ εἶπον κοινοτέραν, ἐπειδὴ καὶ ἡ φαντασία περὶ τὰ ἐντὸς ἐνεργεῖ, ἥτις καὶ παθητικὸς νοῦς λέγεται. ἀλλ’ ἡ περὶ τὰ ἐντὸς ἐνέργεια ἢ περὶ καθόλου τι καταγίνεται ἢ περὶ μερικόν· καὶ εἰ μὲν περὶ μερικόν, ποιεῖ φαντασίαν, εἰ δὲ περὶ καθόλου, ποιεῖ τὸν κυρίως νοῦν. ἀλλ’ αὐτὴ ἡ περὶ τὰ καθόλου γνῶσις ἢ κρείττων γίνεται ἢ κατὰ συλλογισμὸν καὶ ποιεῖ τὸν θεωρητικὸν νοῦν τὸν καθ’ ἕξιν καὶ κατ’ ἐνέργειαν, ἢ κατὰ συλλογισμὸν ἐνεργεῖ καὶ ποιεῖ τὴν κυρίως διάνοιαν καὶ κοινοτέραν ὑπόληψιν· ἡ γὰρ ὑπόληψις καὶ κατὰ διανοίας καὶ κατὰ δόξης φέρεται· εἰ δὲ χειρόνως ἢ κατὰ συλλογισμὸν ἐνεργήσει, ποιεῖ τὴν κυρίως δόξαν καὶ ὑπόληψιν. ἡ μέντοι διάνοια ἢ περὶ θεωρητὰ γίνεται καὶ ποιεῖ τὴν ἐπιστήμην, ἢ περὶ πρακτά· καὶ εἰ μὲν βουλῆς δεῖται τὰ



Kommentar zu Aristoteles’ De anima (Auswahl)

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p. 490, 11–491, 30 Aus der Lexis I zu an. 3, 3, 427a17–b26

Einige terminologische Klärungen 427b6 f. Dass nun Wahrnehmen und Überlegen nicht dasselbe

sind, ist klar. […] [490, 16] Man beachte, dass er hier den theoretischen Geist nachlässig als [praktisches] »Überlegen« bezeichnet;25 denn Letzteres gehört eigentlich zum in Möglichkeit befindlichen Geist. Da er demnach manche Ausdrücke stellenweise im strengen Sinne, stellenweise aber auch in nachlässiger Weise gebraucht, wohlan! so lasst uns auf der Basis einer Dihärese die Unebenheit der Ausdrucksweise glätten. Also: Erkenntnis26 bezieht sich entweder auf äußere Gegenstände und bewirkt sinnliche Wahrnehmung, oder sie bezieht sich auf innere Gegenstände und bewirkt das Denken im allgemeineren Sinne. Ich habe korrekt formuliert: »im allgemeineren Sinne«, weil die Vorstellungskraft ebenfalls in Bezug auf innere Gegenstände tätig ist; die auch als »zum Erleiden fähiger Geist« bezeichnet wird.27 Die auf innere Gegenstände bezogene Tätigkeit aber bezieht sich entweder auf etwas Allgemeines oder etwas Einzelnes. Wenn sie sich auf etwas Einzelnes bezieht, bewirkt sie die Vorstellungskraft; wenn sie sich auf etwas Allgemeines bezieht, bewirkt sie den Geist im strengen Sinne. Die auf das Allgemeine bezogene Erkenntnis hat ihrerseits nun entweder höheren Rang als jede logische Schlussfolgerung und bewirkt den theoretischen Geist als Disposition und in Verwirklichung,28 oder sie ist logisch schlussfolgernd tätig und bewirkt das diskursive Denken im strengen Sinne und die Annahme29 im allgemeineren Sinne (denn das Wort »Annahme« wird sowohl auf das diskursive Denken als auch auf die Meinung angewandt); und wenn ihre Tätigkeit schließlich geringeren Rang als die logische Schlussfolgerung hat, dann bewirkt sie Annahme und Meinung im strengen Sinne. Das diskursive Denken aber bezieht sich entweder auf Gegenstände der geistigen Betrachtung (Theorie) und bewirkt das Wissen oder auf

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Stephanos von Alexandria · Text

πρακτά, ποιεῖ φρόνησιν· ἐνδεῖ γὰρ βουλῆς ἡ φρόνησις· εἰ δὲ οὐ δεῖται βουλῆς τὰ πρακτά, ποιεῖ τὰς τέχνας· ὁ γὰρ τεχνίτης, καθὸ μὲν τεχνίτης, οὐ βουλεύεται, ἀλλὰ καθὸ ἄνθρωπος.

[490, 34] ἐκ τῆς διαιρέσεως οὖν ἀνεφάνη ὅτι καταχρηστικῶς

εἶπεν ἐνταῦθα τὸν θεωρητικὸν νοῦν φρονεῖν. ἐν τῷ τεθέντι δὲ ῥητῷ διακρίνει τὸν ἐνεργείᾳ νοῦν [491] ἀπὸ τῆς αἰσθήσεως, ὅτι ἡ μὲν αἴσθησις παντὶ ζῴῳ ὑπάρχει (οὐσία γὰρ ἔμψυχος αἰσθητικὴ πᾶν ζῷον), ὁ μέντοι νοῦς οὐ παντὶ ζῴῳ ὑπάρχει, ἀλλὰ καὶ οἷς ὑπάρχει, οὐκ ἀεὶ κατ’ ἐνέργειαν ὑπάρχει, εἰ καὶ καθ’ ἕξιν· ἀγαπητὸν γὰρ ὅτῳ κἂν ἐν γήρᾳ σοφία προσέλθῃ.

427b8 Ἀλλ’ οὐδὲ τὸ νοεῖν, ἐν ᾧ ἐστι τὸ ὀρθῶς καὶ μὴ ὀρθῶς. [491, 7] Οὐδὲ ὁ δυνάμει νοῦς, φησί, ταὐτόν ἐστι τῇ αἰσθήσει.

βουλόμενος δὲ εἰπεῖν τίς ἐστιν ὁ δυνάμει νοῦς, φησὶν ἐν ᾧ ἐστι τὸ ὀρθῶς καὶ τὸ μὴ ὀρθῶς. ἐντεῦθεν δὴ τὴν διαφορὰν λέγει δια­ νοίας καὶ αἰσθήσεως. δυνάμει γὰρ νοῦν καλεῖ τὴν διάνοιαν· ἐν αὐτῇ γὰρ θεωρεῖται τὸ ὀρθὸν καὶ τὸ μὴ ὀρθόν. ὁ γὰρ ἐνεργείᾳ νοῦς ἀεὶ ὀρθῶς νοεῖ· ἢ γὰρ ἥψατο ἢ οὐχ ἥψατο, ὥστε ἀναμάρτητος· ὁ δὲ δυνάμει νοῦς, τουτέστιν ἡ διάνοια, ποτὲ μὲν ὀρθῶς, ποτὲ δὲ οὐκ ὀρθῶς· ποτὲ μὲν γὰρ ἀληθεύει, ποτὲ δὲ ψεύδεται.



Kommentar zu Aristoteles’ De anima (Auswahl)

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Gegenstände der Praxis; und wenn die Gegenstände der Praxis Überlegung verlangen, dann bewirkt es die praktische Einsicht (praktische Einsicht ist ja auf Überlegung angewiesen); wenn die Gegenstände der Praxis hingegen keine Überlegung verlangen, bewirkt es die Künste (denn ein Künstler, insofern er Künstler ist, überlegt nicht, sondern nur insofern er Mensch ist).30 [490, 34] Aufgrund unserer Dihärese hat sich also gezeigt, dass Aristoteles hier nachlässig davon gesprochen hat, dass der theoretische Geist [praktisch] überlegt. In dem zitierten Satz grenzt er den in Verwirklichung befindlichen Geist [491] von der Sinneswahrnehmung ab, weil die Sinneswahrnehmung jedem Lebewesen zukommt (denn jedes Lebewesen ist ein beseeltes, sinnlich wahrnehmendes Wesen), wohingegen der Geist nicht jedem Lebewesen zukommt. Sondern selbst denjenigen, denen er zukommt, kommt er nicht immer in Verwirklichung zu (wohl aber als Disposition); man muss ja bereits froh sein, wenn man im Alter Weisheit erlangt. [5] 427b8 Aber auch nicht das Denken, zu dem das Richtig und

das Falsch gehört. [491, 7] Auch der in Möglichkeit befindliche Geist, so sagt Aristoteles, ist nicht mit der Sinneswahrnehmung identisch. Und weil er erklären will, was der in Möglichkeit befindliche Geist ist, fügt er hinzu: »zu dem das Richtig und das Falsch gehört«. Von hier an spricht er mithin von der Differenz zwischen diskursivem Denken und sinnlicher Wahrnehmung. Denn als in Möglichkeit befindlichen Geist bezeichnet er das diskursive Denken;31 dieses ist ja der Ort, an dem das Richtig und das Falsch betrachtet werden. Denn der in Verwirklichung befindliche Geist denkt immer richtig, da er seinen Gegenstand entweder berührt oder nicht berührt und folglich irrtumsfrei ist;32 dagegen denkt der in Möglichkeit befindliche Geist, d. h. das diskursive Denken, manchmal richtig und manchmal falsch, denn er trifft manchmal die Wahrheit, und manchmal irrt er.

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Stephanos von Alexandria · Text

καὶ κατὰ τοῦτο διαφέρει τοῦ ἐνεργείᾳ νοῦ, ἐπειδὴ ἐκεῖνος ἀεὶ ἀναμάρτητος. [491, 15] διακρίνει δὲ τὸν δυνάμει νοῦν ἤτοι τὴν διάνοιαν τῆς αἰσθήσεως τῷ τὴν μὲν αἴσθησιν ὡς ἐπίπαν ἀληθεύειν τῶν οἰκείων αὐτῆς σῳζομένων προσδιορισμῶν, οἷον συμμέτρου τοῦ διαστήματος ὄντος καὶ τῆς αἰσθήσεως ἀπαθοῦς οὔσης, ἡ μέν­ τοι διάνοια ὡς ἐπίπαν ψεύδεται, ἐπειδὴ ἐν τῷ τῆς ἀπάτης ἐστὶ χωρίῳ. [491, 19] καὶ μὴ νόμιζε ἐκ τοῦ τὴν αἴσθησιν μᾶλλον ἀληθεύειν

τῆς διανοίας ἤδη καὶ τιμιωτέραν αὐτὴν εἶναι. διὰ γὰρ τὰς αἰσ­ θήσεις ἡ διάνοια ψεύδεται συμπλεκομένη αὐταῖς. ἀμέλει καὶ ὅταν χωρισθῇ ῥακέων, τὸν ἀποδεικτικὸν ποιεῖ συλλογισμόν, καὶ πολύμητις γίνεται κατὰ τὸν ποιητὴν εἰπόντα ʽαὐτὰρ ὁ γυμνώθη ῥακέων πολύμητις Ὀδυσσεύς’. τοῦτο δὲ μὴ νομίσῃς ἄπορον, εἰ καθ’ ἑαυτὴν μὲν ἡ αἴσθησις ἀληθεύει, συμπλεκομένη δὲ τῇ διανοίᾳ ψεύδους αὐτῇ παραίτιον γίνεται. τοῦτο γὰρ γίνεται, ἐπειδὴ ἡνίκα μὲν καθ’ ἑαυτὴν ἐνεργεῖ, περὶ μερικὰ καταγίνεται καὶ ἀληθεύει, ἡνίκα δὲ συμπλακῇ τῇ διανοίᾳ περὶ ‹τῶν› καθ­όλου ἐνεργούσῃ, ποιεῖ αὐτὴν τὰ καθόλου ἀτομῶσαι, ὅθεν ἡ ἀπάτη γίνεται. ἀεὶ γὰρ τὰ μὲν κρείττω τῇ παρουσίᾳ τῶν χειρόνων νοθεύεται, τὰ δὲ χείρω οὐ νοθεύεται ἐκ τῶν κρειττόνων. […]



Kommentar zu Aristoteles’ De anima (Auswahl)

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Hierin unterscheidet er sich von dem in Verwirklichung befindlichen Geist, da dieser ja immer irrtumsfrei ist. [491, 15] Den in Möglichkeit befindlichen Geist bzw. das diskursive Denken grenzt Aristoteles von der sinnlichen Wahrnehmung dahingehend ab, dass die Sinneswahrnehmung aufs Ganze gesehen die Wahrheit trifft, vorausgesetzt, dass die ihr eigenen Zusatzbestimmungen eingehalten sind (z. B. dass der Abstand gleichmäßig33 und das Sinnesorgan unverletzt ist); das diskursive Denken hingegen irrt aufs Ganze gesehen, weil es sich ja im Gebiet des Truges aufhält.34 [491, 19] Und man glaube ja nicht, dass aus der Tatsache, dass die sinnliche Wahrnehmung die Wahrheit in höherem Maße trifft als das diskursive Denken, sogleich folgt, dass sie wertvoller ist! Denn wegen der Sinneswahrnehmungen irrt das diskursive Denken, solange es in sie verwickelt ist.35 Freilich, sobald es sich »von den Lumpen« befreit hat, bringt es die beweisende Schlussfolgerung hervor und wird »vielverständig«, nach den Worten des Dichters: »Da entblößte sich von den Lumpen der vielverständige Odysseus.«36 Und auch das Folgende halte man nicht für ein Problem, wenn die Sinneswahrnehmung zwar für sich genommen die Wahrheit erfasst, aber durch ihre Verknüpfung mit dem diskursiven Denken für dieses zu einer Nebenursache des Irrtums wird. Dies geschieht nämlich aus dem Grund, dass die Sinneswahrnehmung, wenn sie für sich allein tätig ist, sich auf Einzeldinge bezieht und die Wahrheit trifft; wenn sie hingegen mit dem diskursiven Denken verknüpft ist, dessen Tätigkeit sich auf Allgemeines bezieht, veranlasst sie dieses, die allgemeinen Gegenstände zu individualisieren, und daraus entsteht die Täuschung. Das Bessere wird ja stets durch die Gegenwart des Geringeren verfälscht, wohingegen das Geringere vom Besseren nicht verfälscht wird. […]

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Stephanos von Alexandria · Text

429a10 Περὶ δὲ τοῦ μορίου τῆς ψυχῆς ᾧ γινώσκει τε ἡ ψυχὴ καὶ

φρονεῖ, εἴτε χωριστοῦ ὄντος εἴτε καὶ μὴ χωριστοῦ κατὰ μέγεθος ἀλλὰ κατὰ λόγον, σκεπτέον, τίνα ἔχει διαφοράν, καὶ πῶς ποτε γίνεται τὸ νοεῖν. [516, 8] Μετὰ τὸ διακρῖναι τὴν ἄλογον ψυχὴν ἀπὸ τῆς λογικῆς νῦν ἔρχεται καὶ ἐπὶ τὸ διακρῖναι τὴν λογικὴν αὐτὴν ἀφ’ ἑαυτῆς. ἐπὶ τῆς λογικῆς τοίνυν τρία τινὰ ζητεῖ, πρῶτον μὲν εἰ φθαρτή ἐστιν ἢ ἄφθαρτος, δεύτερον δὲ διάκρισιν ποιεῖται τῆς λογικῆς ἀπὸ τῆς αἰσθήσεως. καὶ μὴ ἀπόρει πῶς ἄνω διακρίνας αἴσθησιν ἀπὸ λογικῆς ψυχῆς πάλιν τὸ αὐτὸ ποιεῖ νῦν· ἐπειδὴ γὰρ συμβάλλεται αὐτῷ ἡ διάκρισις αὕτη πρὸς τὸ δεῖξαι ὅτι ἀίδιός ἐστιν ἡ λογικὴ ψυχή, διὰ τοῦτο λέγει αὐτήν. εἶτα τρίτον κεφάλαιον ζητεῖ πῶς τὸ νοεῖν γίνεται· ἡ δὲ παροῦσα θεωρία τὰ δύο πρῶτα κεφάλαια ζητεῖ.

[516, 16] ἄρχεται δὲ ἀπὸ τοῦ δευτέρου κεφαλαίου, τουτέστι τῆς

διαφορᾶς λόγου καὶ αἰσθήσεως, διότι αὕτη συμβάλλεται καὶ ἐπιχειρήματος λόγον ἐπέχει πρὸς τὸ δεῖξαι ὅτι ἀίδιός ἐστιν ἡ λογικὴ ψυχή. θέλων δὲ κατεπείγουσαν ποιῆσαι τὴν διαφορὰν κοινωνίαν προλέγει λόγου καὶ αἰσθήσεως. καὶ μὴ ἀπόρει ὅτι πῶς ἄνω εἰπὼν τούτων κοινωνίαν καὶ νῦν τοῦτο λέγει· γνῶθι



Kommentar zu Aristoteles’ De anima (Auswahl)

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p. 516, 4–517, 32 Theoria I zu an. 3, 4, 429a10–b9

Die Abgrenzung von Sinneswahrnehmung und Geist und die Unsterblichkeit der rationalen Seele 429a10–14 Jetzt müssen wir den Teil der Seele untersuchen, mit

dem sie erkennt und überlegt, mag er nun abtrennbar sein oder nicht abtrennbar nach der Größe, sondern nur begrifflich. Wir müssen fragen, welche besonderen Eigenschaften er besitzt und wie das Denken zustande kommt.37 [516, 8] Nachdem Aristoteles die nichtrationale Seele von der rationalen unterschieden hat,38 geht er jetzt dazu über, Unterscheidungen innerhalb der rationalen Seele vorzunehmen. Bei der rationalen Seele untersucht er nun dreierlei: erstens, ob sie vergänglich oder unvergänglich ist; zweitens nimmt er eine Unterscheidung der rationalen Seele von der sinnlichen Wahrnehmung vor. (Man werfe hier nicht das Problem auf, wieso er, nachdem er oben die sinnliche Wahrnehmung von der rationalen Seele unterschieden hat, jetzt dasselbe noch einmal unternimmt; denn er erwähnt diese Unterscheidung nur darum, weil sie ihm dazu dienlich ist zu zeigen, dass die rationale Seele ewig ist.) Als dritten Hauptpunkt untersucht er dann, wie das Denken zustandekommt. Der gegenwärtige Überblick untersucht die ersten beiden Hauptpunkte.39

1. Vernunft und Sinneswahrnehmung: Gemeinsamkeiten [516, 16] Aristoteles beginnt mit dem zweiten Hauptpunkt, d. h.

der Differenz zwischen Vernunft und Sinneswahrnehmung, weil diese dienlich ist und die Stellung eines Argumentes einnimmt für den Nachweis, dass die rationale Seele ewig ist. Und weil er die Differenz drängend gestalten will, spricht er vorher von der Gemeinsamkeit von Vernunft und Sinneswahrnehmung. Man werfe hier nicht das Problem auf: Wieso hat er oben40 von ihrer Gemeinsamkeit gesprochen und tut es jetzt

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Stephanos von Alexandria · Text

γὰρ ὅτι καὶ ἡ κοινωνία πρὸς τὸ δεῖξαι ἀθάνατον τὴν ψυχὴν συμβάλλεται. ἄρχεται οὖν ἐκ τῆς κοινωνίας λόγου καὶ αἰσθήσεως. καὶ πρώτην μὲν κοινωνίαν λέγει κατὰ τὸ ἄμφω δυνάμει εἶναι καὶ λόγον καὶ αἴσθησιν, καὶ ὅτι οὐδὲ ἡ ψυχὴ ἔχει λόγους τῶν νοητῶν (ἀγράφῳ γὰρ γραμματείῳ ἔοικε κατὰ τὸν Ἀριστοτέλην) οὔτε δὲ ἡ αἴσθησις ἔχει λόγους τῶν αἰσθητῶν, ἀλλὰ δέχονται τύπους καὶ εἴδη μόνον. ἡ γὰρ αἴσθησις οὐκ ἀντιλαμβάνεται τοῦ αἰσθητοῦ, ἀλλὰ τύπου τινὸς τοῦ αἰσθητοῦ· ἀτυχὴς γὰρ οὐσίας ἡ αἴσ­ θησις· ἡ μέντοι λογικὴ ψυχὴ κἂν νοῇ οὐσίαν, ἀλλ’ οὖν ὅμως οὐδὲ αὐτὴ ἔχει τύπους τῶν νοητῶν. καὶ αὕτη πρώτη κοινωνία.

[516, 30] δευτέρα κοινωνία· εἰ δυνάμει ἐστὶ καὶ ἡ λογικὴ ψυχὴ καὶ

ἡ αἴσθησις, ἀλλ’ ἡ μὲν λογικὴ κατ’ ἐπιτηδειότητα, ἡ δὲ αἴσθησις καθ’ ἕξιν, πλὴν ὅμως ἄμφω δυνάμει, εἰ οὖν δυνάμει εἰσί, πάντως διὰ πάθους ἔρχονται εἰς ἐνέργειαν· κοινὸν ἄρα ἐν αὐταῖς τὸ πάσχειν.

[516, 33] ἀλλ’ ἐπειδὴ τὸ πάσχειν φθαρτὴν ἐδείκνυε τὴν λογικὴν

ψυχήν, διὰ τοῦτό φησιν ὅτι πάθος πάσχουσι τελειωτικόν, οὐ φθαρτικόν. οὐ γὰρ κατὰ τὴν οὐσίαν πάσχει, ἀλλὰ κατὰ [517] τὴν ἐνέργειαν· ἡ γὰρ γνῶσις ἐνέργειά ἐστι τοῦ νοῦ, ἥτις μεταβάλλει ἀπὸ τοῦ δυνάμει εἰς τὸ ἐνεργείᾳ. καὶ αὕτη ἐστὶν ἡ τρίτη κοινωνία, τὸ ἄμφω τελειωτικὰ ἔχειν πάθη. ἀλλ’ ἵνα καὶ ἐκ τῆς κοινωνίας μάθῃς τὸ ἀίδιον τῆς ψυχῆς, δεῖ εἰδέναι ὅτι ἡ ψυχὴ



Kommentar zu Aristoteles’ De anima (Auswahl)

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noch einmal? Man muss nämlich wissen, dass auch die Gemeinsamkeit dazu dienlich ist, die Seele als unsterblich zu erweisen. Er beginnt also mit der Gemeinsamkeit von Vernunft und Sinneswahrnehmung. Die erste Gemeinsamkeit, die er benennt, bezieht sich darauf, dass beide, Vernunft und Sinneswahrnehmung, in Möglichkeit befindlich sind und dass weder die Seele Sinngehalte der denkbaren Gegenstände in sich hat (sie gleicht ja nach Aristoteles einer unbeschriebenen Schreibtafel) noch die Sinneswahrnehmung Gehalte der sinnlich wahrnehmbaren Gegenstände besitzt, sondern beide nur Eindrücke und Formen [ihrer jeweiligen Gegenstände] aufnehmen. Denn die Sinneswahrnehmung erfasst nicht das sinnlich Wahrnehmbare, sondern einen Eindruck des sinnlich Wahrnehmbaren; die Substanz ist ja für die Sinneswahrnehmung unerreichbar.41 Die rationale Seele hingegen denkt zwar die Substanz, doch hat nichtsdestoweniger auch sie keine Eindrücke der denk­baren Gegenstände in sich.42 Das ist die erste Gemeinsamkeit. [516, 30] Die zweite Gemeinsamkeit: Wenn die rationale Seele und die Sinneswahrnehmung beide in Möglichkeit befindlich sind (gewiss, die rationale Seele ist es im Sinne einer Aufnahmefähigkeit und die Sinneswahrnehmung im Sinne einer Disposition, doch sind beide nichtsdestoweniger in Möglichkeit befindlich) – also, wenn sie in Möglichkeit befindlich sind, so gelangen sie auf jeden Fall durch ein Erleiden zur Verwirklichung; es ist ihnen also das Erleiden gemeinsam. [516, 33] Aber weil das Erleiden die Vergänglichkeit der ratio­ nalen Seele beweisen würde, darum fügt er hinzu, dass das Erleiden, dem sie unterworfen sind, kein zerstörendes, sondern ein vervollkommnendes ist.43 Denn [die rationale Seele] leidet nicht hinsichtlich ihres Seins, sondern nur hinsichtlich [517] ihrer Tätigkeit; Erkenntnis ist ja eine Tätigkeit des Geistes, die vom Zustand der Möglichkeit in den der Verwirklichung übergeht. Und das ist die dritte Gemeinsamkeit: dass beide einem vervollkommnenden Erleiden unterworfen sind. Um aber aufgrund der Gemeinsamkeit auch die Ewigkeit der Seele zu begreifen, muss man wissen, dass für die Seele im eigentlichen

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Stephanos von Alexandria · Text

κυρίως μᾶλλον πάσχει τελειωτικὸν πάθος ἤπερ ἡ αἴσθησις. ἡ γὰρ αἴσθησις ἐκ τῶν ὑπερβολῶν φθείρεται, ἡ δὲ ψυχὴ μᾶλλον γυμνάζεται ἐκ τῶν ὑπερβολῶν. ᾧ δῆλον ὅτι ἀίδιός ἐστιν· οὐ γὰρ φθείρεταί ποτε.

2. [517, 7] αὗται μὲν αἱ κοινωνίαι· διαφέρει δὲ ἡ αἴσθησις τῆς λογι-

κῆς ψυχῆς, ὅτι ἡ μὲν αἴσθησις περὶ τὸ μᾶλλον αἰσθητὸν ἐνεργοῦσα ἀμβλυώττει περὶ τὰ ἥττω, ἡ μέντοι λογικὴ ψυχὴ περὶ τὰ μᾶλλον ἐνεργοῦσα πλέον ἐνεργεῖ περὶ τὰ ἥττω. οἷον ἐὰν ἴδῃ ἡ ὄψις ἄμετρον λευκὸν ἢ λαβυρινθῶδες σχῆμα, πάσχει ἐκ τούτων καὶ τοῦ ἥττονος λευκοῦ οὐκ ἀντιλαμβάνεται· ὁ μέντοι νοῦς κἂν περὶ μεγάλα ἐνεργήσῃ, γυμνάζεται ἐν αὐτοῖς καὶ μᾶλλον ἐνεργεῖ περὶ τὰ ἥττω. καὶ τίς ἡ αἰτία τούτου; ἐπειδὴ ἡ μὲν αἴσθησις δεῖται τοῦ σώματος καὶ ἄνευ αὐτοῦ οὐκ ἐνεργεῖ, καὶ ἐπειδὴ τοῦτο συγκρίνεται ἢ διακρίνεται ἐκ τῶν ὑπερβολῶν καὶ πάσχει, διὰ τοῦτο περὶ τὰ ἥττω οὐ δύναται ἐνεργῆσαι· ὁ μέντοι νοῦς οὐ δεῖται σώματος, ἵνα πάσχοντος ἐκείνου πάθῃ, ἀλλὰ γυμνάζεται περὶ τὰ κρείττω καὶ εὐχερῶς τὰ ἥττω καταλαμβάνει. καὶ τοῦτο δὲ ἀιδιότητα βοᾷ τῆς ψυχῆς· ὥστε καὶ ἐκ τῆς διαφορᾶς αἰσθήσεως καὶ τοῦ νοῦ ἐδείχθη τὸ ἀίδιον.



Kommentar zu Aristoteles’ De anima (Auswahl)

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Sinne noch mehr als für die Sinneswahrnehmung gilt, dass ihr Erleiden ein vervollkommnendes ist. Denn die Sinneswahrnehmung wird durch übermäßige Einwirkungen zerstört, während die Seele durch übermäßige Einwirkungen noch gestärkt wird.44 Dadurch ist klar, dass sie ewig ist: Sie kann ja niemals zerstört werden.

2. Vernunft und Sinneswahrnehmung: Differenzen [517, 7] Das also sind die Gemeinsamkeiten. Dagegen unterschei-

det sich die Sinneswahrnehmung von der rationalen Seele dadurch, dass die Sinneswahrnehmung, wenn sie in Bezug auf das in höherem Maße Wahrnehmbare tätig ist, in Bezug auf das Geringere abgestumpft wird, während sich bei der ratio­ nalen Seele dadurch, dass sie in Bezug auf das in höherem Maße Denkbare tätig ist, auch ihre Tätigkeit in Bezug auf das Geringere vergrößert.45 Wenn z. B. das Sehvermögen ein über­ mäßig starkes Weiß oder eine labyrinthartige Figur sieht, wird es davon angegriffen und erfasst dann das weniger Weiße nicht mehr; wohingegen der Geist, auch wenn er in Bezug auf große Gegenstände tätig gewesen ist, durch diese gestärkt wird und in Bezug auf die geringeren noch tätiger wird. Was ist die Ursache hierfür? Da ja die Sinneswahrnehmung auf den Körper angewiesen und nicht ohne ihn tätig ist 46 und da dieser ja durch die übermäßigen Einwirkungen dichter zusammengepreßt oder weiter auseinandergetrieben wird,47 mithin etwas erleidet, darum kann [die Sinneswahrnehmung] nicht mehr in Bezug auf das Geringere tätig sein. Der Geist hingegen ist nicht auf den Körper angewiesen, so dass er bei einem Leiden desselben ebenfalls leiden würde; vielmehr wird er durch den Umgang mit dem Höheren gestärkt und begreift dann auch das Geringere mühelos. Auch das schreit geradezu nach der Ewigkeit der Seele; und so ist auch anhand der Differenz zwischen Sinneswahrnehmung und Geist ihre Ewigkeit erwiesen worden.

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Stephanos von Alexandria · Text

[517, 20] δείξομεν δὲ καὶ ἰδικῷ ἐπιχειρήματι ὅτι ἀίδιός ἐστιν

ἡ ψυχή, ὅπερ ἦν τὸ πρῶτον κεφάλαιον. εἰ πάντα νοεῖ ἡ ψυχή, ἀίδιός ἐστιν. οὔτε γὰρ σῶμα οὖσα δύναται πάντα νοεῖν οὔτε ἔνυλον εἶδος. εἰ γὰρ σῶμά ἐστι, πάντως κρᾶσίς τίς ἐστιν ἢ θερμὴ ἢ ψυχρά, ἡ δὲ κρᾶσις τὰς ὁμοίας κράσεις οὐ νοεῖ· τὰς ὁμοίας ἄρα κράσεις οὐ νοήσει, καὶ οὐκέτι ἔσται πάντα νοοῦσα. καὶ ἡ ἁφὴ γὰρ ἐλέγετο ὅτι οὐκ ἀντιλαμβάνεται τοῦ ὁμοίως ψυχροῦ ἢ θερμοῦ. ἀλλὰ τί ‹οὐ› λέγεις αὐτὴν ἔνυλον εἶδος καὶ κεχρημένην αὐτὴν ὀργάνῳ τῷ σώματι; ἀλλ’ εἰ ὡς ὀργάνῳ κέχρηται αὐτῷ, τὸ ὄργανον οὐ νοήσει, καὶ πάλιν ἔσται μὴ πάντα νοοῦσα. εἰ δὲ καὶ νοεῖ αὐτό, ἑτέρου δεήσει ὀργάνου, καὶ τοῦτο ἐπ’ ἄπειρον. ἄλλως τε δὲ τὸ ὄργανον συμβάλλεται ἐκείνῳ οὗ ἐστιν ὄργανον· τὸ δὲ σῶμα ἐμποδίζει τῇ ψυχῇ εἰς τὸ ἐνεργεῖν· οὐκ ἄρα ἐστὶν ὄργανον αὐτῆς. ἐπεὶ οὖν καὶ τοῦτο εἴρηται, ἐν τούτοις ἡ θεωρία σὺν θεῷ πληροῦται.

429a10 Περὶ δὲ τοῦ μορίου τῆς ψυχῆς ᾧ γινώσκει τε ἡ ψυχή.

1. [517, 34] οὐκ ἔστιν ἐκ τούτου συνάξαι τὸ τοῦ Πλουτάρχου ὅτι πᾶ-

σαι αἱ ψυχαὶ μία οὐσία ἐστὶ πολυδύναμος. καὶ ὅτι τοῦτο ἀληθές,



Kommentar zu Aristoteles’ De anima (Auswahl)

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[517, 20] Wir wollen aber noch mit einer eigenen Argumen-

tation erweisen, dass die Seele ewig ist – das war ja der erste Hauptpunkt. Wenn die Seele alles denkt, ist sie ewig. Denn weder als Körper könnte sie alles denken noch als materiegebundene Form.48 Wenn sie nämlich ein Körper wäre, wäre sie jedenfalls eine bestimmte warme oder kalte Mischung; eine Mischung erkennt aber die ihr ähnlichen Mischungen nicht; [die Seele] würde also die ihr ähnlichen Mischungen nicht erkennen, und es träfe nicht mehr zu, dass sie alles denkt. Denn auch vom Tastsinn hieß es ja, dass er das ähnlich Kalte oder Warme nicht erfasst.49 Aber warum bestreitet man, dass sie eine materiegebundene Form ist und dass sie den Körper als Werkzeug gebraucht?50 Nun: Wenn sie ihn als Werkzeug gebraucht, dann würde sie das Werkzeug nicht erkennen, und wieder wird gelten, dass sie nicht alles denkt. Erkennt sie hingegen auch das Werkzeug, so würde sie dafür ein weiteres Werkzeug benötigen, und so weiter bis ins Unendliche. Und noch anders argumentiert: Ein Werkzeug ist demjenigen dienlich, dessen Werkzeug es ist; der Körper aber behindert die Seele bei ihrer Tätigkeit;51 folglich kann er nicht ihr Werkzeug sein. Da nun auch das gesagt ist, ist der Überblick mit Gottes Hilfe hiermit beendet.

p. 517, 33–521, 29 Beginn der Lexis I zu an. 3, 4, 429a10–b9

Plutarch von Athen, Alexander von Aphrodisias und Ammonios über die Bedeutungen von Geist (νοῦς) bei Aristoteles 429a10 Jetzt müssen wir den Teil der Seele untersuchen, mit dem

sie erkennt etc.

1. Referat und Kritik Alexanders und Plutarchs [517, 34] Es ist nicht möglich, hieraus mit Plutarch abzuleiten,

dass alle Seelen ein einziges Wesen mit vielen Vermögen sind.52 Dass dies der Wahrheit entspricht, wird daran deutlich, dass

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Stephanos von Alexandria · Text

δηλοῖ τὸ εἰπεῖν αὐτὸν ἓν μόριον τῆς ψυχῆς τὴν λογικήν. μόριον γὰρ νῦν λέγει τούτῳ τῷ τρόπῳ· [518] ἐπειδὴ γὰρ πολλά ἐστι τὰ συμβαλλόμενα εἰς σύστασιν τοῦ σώματος, φησὶν ὅτι καὶ τοῦτο ἕν ἐστι τῶν συμβαλλομένων τῷ σώματι τὸ μόριον τῆς ψυχῆς, τουτέστιν ἡ λογικὴ ψυχή. ποῦ γὰρ ἠδύνατο εἰπεῖν μίαν οὐσίαν πολυδύναμον, ὅπου γε ὑπέθετο ψυχὴν ἄφθαρτον καὶ φθαρτήν; τῆς δὲ αὐτῆς οὐσίας οὐ δύναται τὸ μὲν εἶναι φθαρτὸν τὸ δὲ ἄφθαρτον. οὕτως μὲν πρὸς τοῦτον ἔστιν εἰπεῖν.

[518, 6] καὶ πρὸς Ἀλέξανδρον δὲ ὅτι ὅρα πῶς τὸν νοῦν μόριον

εἶπε τῆς ψυχῆς· ὅταν οὖν εἴπῃ τὸν νοῦν ἀίδιον, μὴ λέγε ὅτι τὸν θύραθεν νοῦν λέγει· τὸν γὰρ ἐν ἡμῖν λέγει. ἰστέον γὰρ ὅτι ὁ νοῦς τρία τινὰ σημαίνει παρὰ Ἀριστοτέλει. ταῦτα δὲ τὰ τρία ἄλλως μὲν λέγει Ἀλέξανδρος ὁ Ἀφροδισιεύς, ἄλλως δὲ ὁ Πλούταρχος·

[518, 10] ἀλλ’ ὁ μὲν Ἀλέξανδρος πρῶτον σημαινόμενον λέγει τοῦ

νοῦ τὸν δυνάμει νοῦν, ὥσπερ ἐστὶν ὁ ἐπὶ τῶν παίδων· ἐν γὰρ τοῖς παισὶν ὁ δυνάμει νοῦς ἐστι. δεύτερον σημαινόμενον τοῦ δυνάμει ὁ καθ’ ἕξιν νοῦς, ὥσπερ ὁ ἐπὶ τῶν τελείων ἀνθρώπων· οἱ γὰρ τέλειοι ἄνθρωποι εἴδησιν λοιπὸν ἔχοντες τῶν πραγμάτων τὸν καθ’ ἕξιν νοῦν ἔχειν λέγονται. τρίτον σημαινόμενόν ἐστι τοῦ νοῦ ὁ ἐνεργείᾳ νοῦς, ὅ ἐστιν ὁ θύραθεν, ὁ παντέλειος, ὁ μὴ ὢν καθ’ ἕξιν ἢ κατὰ τὸ δυνάμει, ἵνα καὶ ἁπλοῦς ᾖ ἀεὶ ἐνεργείᾳ ὤν, ὁ κυβερνῶν τὸ πᾶν. ταῦτα τὰ τρία σημαινόμενα τοῦ νοῦ κατὰ τὸν Ἀλέξανδρον. Πλούταρχος δὲ οὐ παραδέχεται ταῦτα, ἀλλὰ ἄλλως λέγει τὰ σημαινόμενα τοῦ νοῦ. φησὶ γὰρ ὅτι πρῶτον σημαινόμενόν ἐστι τοῦ νοῦ ὁ καθ’ ἕξιν νοῦς, οἷός ἐστιν ἐπὶ τῶν παίδων· βούλεται γὰρ Πλούταρχος κατ’ Ἀριστοτέλην τὰ παι-



Kommentar zu Aristoteles’ De anima (Auswahl)

727

[Aristoteles] die rationale Seele einen einzelnen Teil der Seele nennt. Von einem Teil spricht er hier nämlich in folgendem Sinne: [518] Da das, was zum Zusammenhalt des Körpers beiträgt,53 vielerlei ist, behauptet er, dass auch dieser Teil der Seele, d. h. die rationale Seele, eines von den zum Körper beitragenden [Elementen] sei. Wie hätte er denn sagen können, dass die Seele ein einziges Wesen mit vielen Vermögen sei, wo er doch vorausgesetzt hat, dass sie unvergänglich und vergänglich ist?54 Ein und dasselbe Wesen kann nicht teils vergänglich und teils unvergänglich sein. So weit das, was zu Plutarch zu sagen ist. [518, 6] Gegenüber Alexander wiederum ist Folgendes zu bemerken: Man muss beachten, dass [Aristoteles] den Geist als einen Teil der Seele bezeichnet hat. Wenn er also sagt, der Geist sei ewig, so behaupte man nicht, dass er den Geist von außerhalb meint; denn er spricht von dem in uns. Man muss nämlich wissen, dass der Geist bei Aristoteles dreierlei bedeutet, und diese drei Bedeutungen werden von Alexander von Aphrodisias in anderer Weise angegeben als von Plutarch.55 [518, 10] Alexander56 nennt als erste Bedeutung von »Geist« den in Möglichkeit befindlichen Geist, so wie er bei den Kindern ist; denn in den Kindern ist [nur] der in Möglichkeit befindliche Geist. Die zweite Bedeutung von »in Möglichkeit befindlich« ist der Geist als Disposition, so wie er bei erwachsenen Menschen ist; denn die Erwachsenen haben inzwischen ein Wissen von den Dingen, und man sagt daher, dass sie den Geist als Disposition haben. Die dritte Bedeutung von »Geist« ist der Geist in Verwirklichung, d. h. der von außerhalb kommende Geist, der absolut vollkommene, der weder als [bloße] Disposition noch im Sinne des in Möglichkeit Befindlichen besteht, damit er – da er immer tätig ist – auch einfach ist, und der das All regiert. Das sind die drei Bedeutungen von »Geist« nach Alexander; Plutarch aber übernimmt sie nicht, sondern gibt die Bedeutungen von »Geist« anders an. Er sagt nämlich, dass die erste Bedeutung von »Geist« der Geist als Disposition sei, so wie er bei den Kindern ist; denn Plutarch möchte, dass

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Stephanos von Alexandria · Text

δία λόγους ἔχειν τῶν πραγμάτων καὶ τὴν λογικὴν ψυχὴν πάντα εἰδέναι, καὶ τὰς μαθήσεις μὴ εἶναι κυρίως μαθήσεις, ἀλλ’ ἀναμνήσεις. καὶ διὰ τοῦτο τὸν νοῦν ἐπὶ τῶν παίδων καθ’ ἕξιν δίδωσι καὶ ἔχοντα τοὺς λόγους τῶν πραγμάτων, ἀλλ’ ἀγνοοῦσι, φησί, τὰ πράγματα διὰ τὸ δεῖσθαι μαθήσεως, ἥτις μάθησις ἀνάμνησίς ἐστι. δεύτερον σημαινόμενόν ἐστι τοῦ νοῦ τὸ καθ’ ἕξιν ἅμα καὶ ἐνέργειαν, ὥσπερ ἐστὶν ἐπὶ τῶν τελείων ἀνθρώπων ὁ νοῦς. ἐν τούτοις γὰρ καὶ καθ’ ἕξιν ἐστὶ καὶ κατ’ ἐνέργειαν· ἔμαθε γὰρ ἤδη καὶ ἔγνω τὰ πράγματα, καὶ οἱονεὶ ἀνεμνήσθη αὐτὰ διὰ τῆς μαθήσεως. τρίτον σημαινόμενόν ἐστιν ὁ κατ’ ἐνέργειαν μόνως νοῦς, οἷός ἐστιν ὁ θύραθεν νοῦς ὁ τέλειος. ταῦτα τὰ τρία τοῦ νοῦ σημαινόμενα κατὰ τὸν Πλούταρχον.

2. [518, 32] Ἀμμώνιος δὲ ἀμφοτέρους ἐκάκισεν, Ἀλέξανδρόν τε καὶ

Πλούταρχον, λέγων ὅτι ἀμφότεροι ἥμαρτον καὶ ἰδίαν καὶ κοινὴν ἁμαρτίαν. κοινὴν μὲν οὖν, ὅτι ἀμφότεροι τρίτον σημαινόμενον εἶπον τοῦ νοῦ τὸν θύραθεν κατ’ ἐνέργειαν νοῦν, ὅς ἐστιν ὡς λόγῳ εἰπεῖν ὁ θεός· οὔτε γάρ ἐστι νῦν Ἀριστοτέλει περὶ τοῦ θύραθεν νοῦ λόγος, ὅπου οὐ θεολογικὴν [519] ἐνεστήσατο πραγματείαν, καὶ ἄλλως νῦν περὶ νοῦ ἐστιν ὁ λόγος, ὃς νοῦς μέρος ἐστὶ τῆς ψυχῆς. ἀρχόμενος γοῦν φησι ʽπερὶ τοῦ μορίου τῆς ψυχῆς ᾧ νοεῖ καὶ γινώσκει’· εἰ οὖν περὶ νοῦ λέγει νῦν τοῦ ὄντος μορίου τῆς ψυχῆς, πῶς οὗτος τὸν θύραθεν σημαίνει νοῦν; ὁ γὰρ



Kommentar zu Aristoteles’ De anima (Auswahl)

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nach Aristoteles schon die Kinder Sinngehalte der Dinge besitzen, dass die rationale Seele alles weiß und dass Lernprozesse nicht im eigentlichen Sinne Lernprozesse, sondern Wiedererinnerungen sind. Und deswegen erklärt er, dass der Geist bei den Kindern als Disposition bestehe und die Sinngehalte der Dinge in sich habe; aber [die Kinder] kennten die Dinge nicht, so sagt er, da sie des Lernens bedürften, ein Lernen, welches Wiedererinnern sei. Die zweite Bedeutung von »Geist« ist das, was zugleich als Disposition und in Verwirklichung besteht, so wie es der Geist bei den erwachsenen Menschen ist. Bei diesen besteht er nämlich zugleich als Disposition und in Verwirklichung; denn inzwischen hat er die Dinge gelernt und erkannt und sie gleichsam wiedererinnert durch den Lernprozess. Die dritte Bedeutung ist der ausschließlich in Verwirklichung befindliche Geist, so wie es bei dem Geist von außerhalb, dem vollkommenen, der Fall ist. Das sind die drei Bedeutungen von »Geist« nach Plutarch.

2. Die Kritik des Ammonios [518, 32] Ammonios aber hat sie beide gescholten,57 Alexander

ebenso wie Plutarch, weil sie beide je einen besonderen und auch einen gemeinsamen Fehler begangen hätten – einen gemeinsamen insofern, als beide als die dritte Bedeutung von »Geist« den von außerhalb kommenden in Verwirklichung befindlichen Geist angegeben haben, denjenigen, der, um es mit einem Wort zu sagen, Gott ist. Denn Aristoteles’ Argumentation geht hier überhaupt nicht um den Geist von außerhalb, da er sich ja keine theologische [519] Abhandlung vorgenommen hat; vielmehr handelt seine Argumentation hier in anderer Weise vom Geist, nämlich von demjenigen, der ein Teil der Seele ist.58 Jedenfalls sagt er am Anfang: »Jetzt müssen wir den Teil der Seele untersuchen, mit dem sie erkennt und denkt.«59 Wenn er also hier über den Geist spricht, der ein Teil der Seele ist, wie kann damit der von außerhalb kommende Geist gemeint sein?

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Stephanos von Alexandria · Text

θύραθεν οὐκ ἔστι μέρος τῆς ψυχῆς. καὶ ὅτι τὸν νοῦν τοῦτον τὸν ἐνεργείᾳ ἐκ τοῦ δυνάμει ἐν ἡμῖν λέγει νοῦ γίνεσθαι παρακατιών, ὁ δὲ θύραθεν νοῦς οὐκ ἔστιν ἐκ τοῦ ἐν ἡμῖν δυνάμει νοῦ. εἰ δὲ καὶ εἴποιεν ὅτι, ἡνίκα λέγῃ πάντα νοεῖν τὸν νοῦν, περὶ τοῦ θύραθεν νοῦ διαλέγεται, καὶ εἰς τοῦτο ψεύδονται· ὁ γὰρ ἐν ἡμῖν δυνάμει νοῦς πάντων ἔχει τὴν νόησιν, ὥσπερ καὶ ἡ σκιαγραφία ἐν εἰκόνι πάντων ἔχει τοὺς τύπους, εἰ καὶ μὴ φανερούς, ὧν μέλλει δέξασ­ θαι. καὶ ὁ νοῦς οὖν πάντων ἔχει τὰς νοήσεις, εἰ καὶ μὴ φανεράς· ὅταν δὲ νοήσῃ, τότε ἤδη φανεραὶ γίνονται. ὅτι δὲ καὶ ὃ εἶπεν μόριον τῆς ψυχῆς, τοῦτο λέγει ἀίδιον παρακατιών, δηλοῖ τὸ εἰπεῖν αὐτὸν ʽτοῦτο δὲ τὸ μόριον τῆς ψυχῆς μόνον ἀίδιον’, μόνον τὸ τῆς λογικῆς καὶ οὐ τὰ ἄλλα.

[518, 15] ἀμφότεροι μὲν οὖν κοινὴν ταύτην ἥμαρτον τὴν ἁμαρτίαν.

ἰδίᾳ δὲ πάλιν ἕκαστος αὐτῶν ἁμαρτάνει οὕτως, ὁ μὲν Ἀλέξανδρος διότι οὐδὲν βούλεται ἐπιλέγειν τῇ λέξει, ἀλλ’ ἀεὶ κατακολουθῶν αὐτῇ ἐναντιολογίαις καὶ νῦν περιπίπτει. ἀφορμὰς γὰρ λαβὼν ἐκ τῆς λέξεως οἴεται ὅτι αὐτὸς ὁ νοῦς καὶ ἡ οὐσία αὐτοῦ δυνάμει ἐστίν, καὶ οὐ λέγει ὅτι κατὰ τὰς ἐνεργείας αὐτοῦ ἐστι δυνάμει, οἷον ὁ ἐπὶ τῶν παίδων νοῦς καθ’ ἡμᾶς δυνάμει ἔστι, διότι οὔπω οἶδεν τὰ εἴδη τῶν πραγμάτων, ἐπιτηδείως δὲ ἔχει πρὸς τὸ γνῶναι αὐτά, καὶ ταύτῃ δυνάμει ἐστὶ διὰ τὸ τὴν ἐνέργειαν αὐτοῦ μήπω γνῶναι τὰ ὄντα. ὁ δὲ Ἀλέξανδρος αὐτὴν τὴν οὐσίαν τοῦ νοῦ ἐπὶ τῶν παίδων λέγει εἶναι δυνάμει, καὶ κατασκευάζει αὐτὸ φάσκων ὅτι ὁ νοῦς δυνάμει ἐστί, εἰ δὲ δυνάμει



Kommentar zu Aristoteles’ De anima (Auswahl)

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Der von außerhalb kommende Geist ist ja kein Teil der Seele. [Hierfür spricht auch], dass er im weiteren Fortgang der Darstellung sagt,60 dass der besagte in Verwirklichung befindliche Geist aus dem in Möglichkeit befindlichen Geist in uns entsteht; der von außerhalb kommende Geist entsteht aber nicht aus dem in Möglichkeit befindlichen Geist in uns. Und wenn man erwidern wollte, dass Aristoteles dort, wo er sagt, dass der Geist alles denkt,61 über den Geist von außerhalb spricht, so täuscht man sich auch hierin: Denn der in Möglichkeit befindliche Geist in uns enthält das Denken aller Gegenstände, so wie der Schattenriss bei einem Bild die Umrisse von allem enthält, was er einmal aufnehmen soll, wenn auch nicht als offensichtliche.62 Auch der Geist enthält also das Denken aller Gegenstände, wenn auch nicht als offensichtliches; sobald er aber zu denken beginnt, wird es sogleich offensichtlich. Dass Aristoteles aber eben das, was er hier »Teil der Seele« genannt hat, im weiteren Fortgang der Darstellung als »ewig« bezeichnet, wird durch seine Aussage belegt: »und nur dieser Teil der Seele ist ewig«63 – nur der aus der rationalen Seele bestehende Teil, nicht die anderen. [519, 15] Diesen Fehler also haben beide gemeinsam begangen. Jeder für sich im Besonderen hingegen irrt in der folgenden Weise: Alexander, weil er nicht bereit ist, dem Wortlaut irgendetwas hinzuzufügen, sondern ihm immer folgt und sich dadurch auch jetzt in Widersprüche verwickelt. Indem er seinen Ausgangspunkt vom Wortlaut nimmt, gelangt er nämlich zu der Meinung, dass der Geist selbst, sein Wesen, im Zustand der Möglichkeit sei, anstatt zu sagen, dass er dies [nur] hinsichtlich seiner Tätigkeiten sei,64 so wie nach unserer Auffassung der Geist bei den Kindern im Zustand der Möglichkeit ist, weil er die Formen der Dinge noch nicht weiß, aber die Eignung dafür besitzt, sie zu erkennen. In diesem Sinne ist er im Zustand der Möglichkeit, weil seine Tätigkeit die seienden Gegenstände noch nicht erkennt. Alexander aber behauptet, dass das Wesen selbst des Geistes bei den Kindern im Zustand der Möglichkeit ist, und diese These untermauert er mit der folgenden Ar-

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Stephanos von Alexandria · Text

ἐστὶ κατὰ τὴν ἐπιτηδειότητα, δῆλον ὅτι οὐκ ἔχει εἶδος, ἀλλ’ ὕλη ἐστὶ μόνον· πᾶν γὰρ τὸ πρῶτον δυνάμει ἐν ὕλῃ ἐστίν. ὁ νοῦς ἄρα ὕλη ἐστὶ καὶ εἶδος οὐκ ἔχει, ἵνα μὴ θολούμενος ὑπὸ τοῦ εἴδους ῥέψῃ εἰς τὴν τοῦ οἰκείου εἴδους γνῶσιν καὶ τὰ ἐναντία αὐτῷ εἴδη μὴ γνῷ. ὥσπερ γὰρ τὸ διαφανὲς ἀχρωμάτιστόν ἐστιν, ἵνα ἀδεκάστως διακονῇ τὰ χρώματα, οὕτω καὶ ὁ νοῦς, φησίν, ἀνείδεός ἐστιν, ἵνα γνῷ πάντα τὰ εἴδη.

[519, 30] ταῦτα μὲν Ἀλέξανδρος, πάνυ δὲ ἁμαρτάνει. εἰ γὰρ διὰ

τοῦτο ἀνείδεός ἐστιν, ἵνα γνῷ πάντα τὰ ὄντα, καὶ ἔδει τὸν λόγον ἐπιτεῖναι, οὔτε μηδαμῇ μηδαμῶς ὤφειλεν εἶναι· οἶδε γὰρ καὶ τὸ μηδαμῶς ὄν. καὶ οὐ μόνον ἐντεῦθεν ἀναιροῦμεν Ἀλέξανδρον, ἀλλὰ καὶ ἐξ αὐτοῦ Ἀριστοτέλους· αὐτὸς γὰρ Ἀριστοτέλης εἶδος εἰδῶν λέγει τὴν ψυχήν. καὶ αὕτη ἐστὶν ἡ ἰδία ἁμαρτία Ἀλεξάνδρου, διότι ἀνείδεον λέγει τὸν νοῦν· φησὶ γὰρ ὅτι δυνάμει ἐστὶν ἡ οὐσία αὐτοῦ ἐν τοῖς παισί, τὸ δὲ δυνάμει ἀνείδεόν ἐστι.

[519, 37] καὶ ὁ Πλούταρχος δὲ ἁμαρτάνει ἰδίαν ἁμαρτίαν, διότι τὰ Πλάτωνος Ἀριστοτέλει προσάπ[520]τει. Πλάτων γάρ ἐστιν ὁ

οἰόμενος τὸν τῶν παίδων νοῦν καθ’ ἕξιν εἶναι καὶ λόγους ἔχειν τῶν πραγμάτων, οὐ μὴν Ἀριστοτέλης· ὁ δὲ Πλούταρχος καὶ αὐτὸν οἴεται Ἀριστοτέλην ταῦτα λέγειν. καὶ πῶς οὐ ψεύδεται, ὅπου γε Ἀριστοτέλης ἐλέγχει αὐτόν; τὸν γὰρ τῶν παίδων νοῦν ἀγράφῳ γραμματείῳ ἐοικέναι φησίν, διότι ἐπιτήδειός ἐστι πρὸς τὸ δέξασθαι τοὺς λόγους τῶν πραγμάτων, οὐ μὴν ἤδη καὶ ἐδέξατο.



Kommentar zu Aristoteles’ De anima (Auswahl)

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gumentation:65 Der Geist ist im Zustand der Möglichkeit; und wenn Möglichkeit hier Eignung bedeutet, dann ist klar, dass er keine Form hat, sondern nur Materie ist; denn das primär in Möglichkeit Befindliche gehört ganz in den Bereich der Materie. Folglich ist der Geist Materie und hat keine Form, damit er nicht, von seiner Form in Verwirrung gebracht, zum Erkennen seiner eigenen Form tendiert und die ihm entgegengesetzten Formen nicht erkennt. Wie nämlich das Transparente farblos ist, um allen Farben in unbestechlicher Weise dienen zu können, so ist auch der Geist, sagt er, formlos, damit er alle Formen erkennen kann. [519, 30] So weit Alexander; er geht aber völlig fehl. Denn wenn der Geist aus dem Grund formlos ist, damit er alles Seiende erkennen kann, und wenn man dieses Prinzip verallgemeinern dürfte, dann dürfte auch nicht gelten, dass der Geist in gar keiner Weise ist; denn er weiß auch das in gar keiner Weise Seiende.66 Und nicht nur mit diesem Argument widerlegen wir Alexander, sondern auch aus Aristoteles selbst: Aristoteles selbst sagt ja, dass die Seele »Form der Formen« ist.67 Das ist der besondere Fehler Alexanders, dass er den Geist formlos nennt; denn, so sagt er, das Wesen des Geistes ist bei den Kindern im Zustand der Möglichkeit, und was im Zustand der Möglichkeit ist, ist formlos. [519, 37] Plutarch wiederum begeht einen besonderen Fehler, indem er Aristoteles die Ansichten Platons [520] zuschreibt. Denn es ist Platon, der der Meinung ist, dass der Geist der Kinder als Disposition besteht und Sinngehalte der Dinge in sich hat, keinesfalls aber Aristoteles. Plutarch aber ist der Meinung, dass auch Aristoteles dasselbe behauptet. Und das kann nur falsch sein, zumal Aristoteles ihn Lügen straft: Denn der sagt ausdrücklich, dass der Geist der Kinder einer unbeschriebenen Schreibtafel gleiche,68 weil er dazu geeignet ist, die Sinngehalte der Dinge aufzunehmen, sie aber keinesfalls schon aufgenommen hat.

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Stephanos von Alexandria · Text

3. [520, 6] διὸ καὶ κοινῶς καὶ ἰδίᾳ ἁμαρτάνουσιν Ἀλέξανδρός τε

καὶ Πλούταρχος. φέρε οὖν ἡμεῖς τὴν ἀλήθειαν εἴπωμεν. ἰστέον τοίνυν ὅτι δοξάζομεν ἡμεῖς ἀεὶ τὸν νοῦν εἶδος εἶναι. ἔστι γὰρ νοῦς παίδων εἶδος, δυνάμει δεκτικὸς εἰδῶν, καὶ καθὸ μὲν εἶδός ἐστιν, οὐκ ἔστι δυνάμει, ὡς Ἀλεξάνδρῳ δοκεῖ, καθὸ δὲ δυνάμει ἐστὶ δεκτικὸς τῶν εἰδῶν, οὐκ ἔχει τοὺς λόγους τῶν πραγμάτων, ὡς Πλουτάρχῳ δοκεῖ. εἴπωμεν οὖν λοιπὸν τὰ σημαινόμενα τοῦ νοῦ. πρῶτον τοίνυν ἐστὶ σημαινόμενον ὁ νοῦς ὁ δυνάμει εἰδὼς τὰ πράγματα, ὥσπερ ἐπὶ τῶν παίδων ἐστίν. δεύτερον σημαινόμενόν ἐστιν ὁ νοῦς ὁ καθ’ ἕξιν εἰδὼς τὰ πράγματα, ὥσπερ ἐπὶ τῶν τελείων τῶν ἐπισταμένων μὲν τὰ πράγματα, ἠρεμούντων δὲ καὶ μὴ ἐνεργούντων κατὰ ταῦτα. τρίτον σημαινόμενόν ἐστιν ὁ νοῦς οὐχ ὁ θύραθεν εἰσιών, ὡς ἐκεῖνοι οἴονται, ἀλλὰ καθ’ ἕξιν ἅμα καὶ ἐνέργειαν, ὥσπερ ὁ τῶν τελείων νοῦς τῶν εἰδότων τὰ πράγματα καὶ προχειριζομένων τὴν εἴδησιν καὶ ἐνεργούντων κατ’ αὐτήν. οὕτως οὖν ἡμεῖς λέγομεν τὰ σημαινόμενα τοῦ νοῦ. 

429a10 sq. Περὶ δὲ τοῦ μορίου τῆς ψυχῆς ᾧ γινώσκει τε ἡ ψυχὴ

καὶ φρονεῖ. [520, 22] μόριον ἐκάλεσε τὸν νοῦν τῆς ψυχῆς οὐχ ὡς ἐλάχιστον ὄντα τῆς ψυχῆς, ἀλλ’ ὡς εἴ τις τὸν ἅπαντα κόσμον ἀριθμήσει,



Kommentar zu Aristoteles’ De anima (Auswahl)

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3. Die Stellungnahme des Stephanos [520, 6] Aus diesen Gründen gehen Alexander und Plutarch

sowohl in gemeinsamer als auch in je besonderer Weise fehl. So wollen wir denn nun unsererseits die Wahrheit angeben. Also: Man muss wissen, dass wir die Auffassung vertreten, dass der Geist immer Form ist. Denn der Geist der Kinder ist Form und der Möglichkeit nach für Formen aufnahmefähig. Insofern er Form ist, ist er nicht im Zustand der Möglichkeit, wie Alexander glaubt; insofern er aber der Möglichkeit nach aufnahmefähig für die Formen ist, hat er die Sinngehalte der Dinge nicht in sich, wie Plutarch glaubt. Geben wir jetzt also die Bedeutungen von »Geist« an! Die erste Bedeutung also ist der Geist, der der Möglichkeit nach die Dinge weiß, so wie er sich bei den Kindern findet. Die zweite Bedeutung ist der Geist, der ein Wissen von den Dingen im Sinne einer Disposition hat, so wie bei solchen Erwachsenen, die die Dinge zwar wissen, aber sich in Ruhe befinden und nicht in Bezug auf sie tätig sind. Die dritte Bedeutung ist nicht der von außerhalb hinzutretende Geist, wie jene [beiden Ausleger] meinen, sondern der Geist als Disposition und zugleich als Verwirklichung, so wie der Geist derjenigen Erwachsenen, die die Dinge wissen und ihr Wissen zur Hand nehmen und in Bezug auf es tätig sind. So also geben wir unsererseits die Bedeutungen von »Geist« an.69

4. Plutarch und Alexander über die Selbständigkeit des Geistes gegenüber den anderen Seelenteilen 429a10 f. Jetzt müssen wir den Teil der Seele untersuchen, mit

dem sie erkennt und überlegt. [520, 22] Als »Teil« der Seele bezeichnet Aristoteles den Geist nicht etwa, weil er der kleinste [Bestandteil] der Seele wäre, sondern so, wie wenn jemand das Weltall insgesamt durchzählen und dabei die Sonne auf eine Stufe mit allen anderen [Be-

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Stephanos von Alexandria · Text

τάξει δὲ καὶ τὸν ἥλιον μετὰ πάντων, εἶτα τελευταῖον εἴποι μόριον εἶναι τοῦ παντὸς τὸν ἥλιον. καλῶς δὲ εἶπεν ʽᾧ γινώσκει τε ἡ ψυχὴ καὶ φρονεῖ’. ἡ γὰρ ψυχὴ καὶ θεωρητικὸν μέρος ἔχει καὶ πρακτικόν. καὶ διὰ μὲν τοῦ εἰπεῖν ʽᾧ φρονεῖ’ τὸ πρακτικὸν αὐτῆς μέρος ἐδήλωσε, διὰ δὲ τοῦ εἰπεῖν ʽᾧ γινώσκει’ τὸ θεωρητικόν. [520, 28] τί δὲ βούλεται εἰπεῖν ὅτι περὶ τούτου τοῦ μορίου τῆς

ψυχῆς ἐν ᾧ γινώσκει καὶ φρονεῖ δεῖ ζητῆσαι, εἴτε ἀίδιον εἴτε οὔ, ʽεἴτε χωριστοῦ ὄντος, εἴτε καὶ μὴ χωριστοῦ κατὰ μέγεθος ἀλλὰ  κατὰ λόγον’; τινὲς οὕτως ἐξηγήσαντο τὸ παρὸν ῥητόν, ὅτι εἴτε χωριστός ἐστι σώματος ὁ νοῦς εἴτε μὴ χωριστός ἐστι σώματος, ἀλλὰ μόνῃ μὲν τῇ ἐπινοίᾳ χωριστός ἐστιν, οὐκέτι δὲ καὶ τῇ ἐνεργείᾳ. τοῦτο δέ ἐστι τὸ πρῶτον πρόβλημα, εἰ χωριστὸς ὁ νοῦς καὶ ἀίδιος.

[520, 34] τῷ δὲ Πλουτάρχῳ οὐδαμῶς ἡ παροῦσα ἐξήγησις ἀρέ-

σκει, ἀλλὰ καὶ πάνυ αὐτῆς καταγινώσκει. αὐτὸς δέ φησιν ἐξηγούμενος ὅτι ὁ Ἀριστοτέλης βουλόμενος εἰπεῖν ʽεἴτε ὁ [521] νοῦς χωριστός ἐστι φαντασίας καὶ αἰσθήσεως, ὡς ἄλλην αὐτὸν ἔχειν οὐσίαν παρὰ ταῦτα, εἴτε μία ἐστὶν οὐσία, ἥτις τοῦ νοῦ προβάλλεται καὶ φαντασίαν καὶ αἴσθησιν, τῷ δὲ λόγῳ μόνῳ ἐστὶ πολλά’, ταῦτα εἶπεν. ὅτι γὰρ πρὸς ταῦτα ἀπεῖδεν, δῆλον ἐκ τοῦ καὶ ἀρτίως αὐτὸν παύσασθαι περὶ τούτων διαλεγόμενον. οὐ γὰρ εἴτε χωριστός ἐστι σώματος εἴτε μὴ ζητεῖ· ὁ γὰρ δεδωκὼς φαν­ τασίαν κεχωρίσθαι σώματος πῶς περὶ νοῦ διστάζειν εἶχε τοῦ πάσας ἐπαναβεβηκότος τὰς δυνάμεις, εἴτε χωρὶς σώματός ἐστιν εἴτε οὐκ ἔστι; μέγεθος δὲ λαβὲ τὴν οὐσίαν. ὥστε καὶ τὸ πρῶτον πρόβλημα τοῦτό ἐστιν, εἴτε κεχώρισται ὁ νοῦς τῇ οὐσίᾳ φαντα-



Kommentar zu Aristoteles’ De anima (Auswahl)

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standteilen] stellen würde, so dass er schließlich sagen könnte, die Sonne sei ein Teil des Weltalls. Gut ausgedrückt ist die Wendung: »mit dem die Seele erkennt und überlegt«. Die Seele hat ja einen theoretischen und einen praktischen Teil; und mit der Formulierung »mit dem sie überlegt« bezeichnet er ihren praktischen Teil,70 mit der Formulierung »mit dem sie erkennt« dagegen ihren theoretischen. [520, 28] Aber was will es besagen, dass man bezüglich dieses Teils der Seele, in dem sie erkennt und überlegt, untersuchen muss, ob er ewig ist oder nicht, »mag er nun abtrennbar sein oder nicht abtrennbar nach der Größe, sondern nur begrifflich«?71 Manche haben den vorliegenden Satz so ausgelegt, dass der Geist, mag er nun vom Körper abtrennbar oder nicht vom Körper abtrennbar sein, jedenfalls nur gedanklich abtrennbar ist, jedoch nicht mehr hinsichtlich seiner Tätigkeit. Und dies ist die erste Frage: ob der Geist abtrennbar und ewig ist.72 [520, 34] Plutarch aber ist mit der gegenwärtigen Auslegung überhaupt nicht einverstanden, sondern verurteilt sie scharf. In seiner eigenen Auslegung sagt er dagegen, dass Aristoteles mit dieser Formulierung Folgendes sagen will: »Mag der [521] Geist nun von der Vorstellungskraft und der Sinneswahrnehmung abtrennbar sein (so dass sein Wesen gegenüber diesen ein anderes ist), oder mag es sich um ein einziges Wesen handeln, das vom Geist her73 Vorstellungskraft und Sinneswahrnehmung zum Vorschein bringt (so dass sie nur dem Begriff nach vielerlei sind)«. Dass [Aristoteles] nämlich hierauf zielt, ist daran deutlich, dass er unmittelbar zuvor noch über diese Vermögen gesprochen hat. Denn er untersucht nicht, ob der Geist vom Körper abtrennbar ist oder nicht – wie könnte denn jemand, der zugegeben hat, dass die Vorstellungskraft vom Körper abgetrennt ist, beim Geist, der doch über sämtlichen Vermögen steht, im Zweifel sein, ob er vom Körper abtrennbar ist oder nicht? Und unter »Größe« ist »Wesen« zu verstehen. Es ergibt sich also, dass die erste Frage die folgende ist: ob der Geist seinem Wesen nach von Vorstellungskraft und Sinneswahrnehmung abgetrennt ist oder ob es sich bei allen um ein

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Stephanos von Alexandria · Text

σίας καὶ αἰσθήσεως, εἴτε μία οὐσία ἐστὶ πάντων καὶ τῷ λόγῳ μόνον διαφέρουσι. καὶ ταῦτα μὲν περὶ τούτου. [521, 11] ἐπειδὴ δὲ μέμνηται ὁ Ἀριστοτέλης τοῦ ἀμιγοῦς καὶ ἀπαθοῦς καὶ χωριστοῦ πρὸς τὸ δεῖξαι ὅτι ἀίδιος ἡ ψυχή, ὁ Ἀλέξανδρος παραφθείρει τὰ τρία ταῦτα. πρῶτον μὲν τὸ ἀμιγές· φησὶ γὰρ ὅτι ἀμιγῆ λέγει τὴν ψυχήν, ἐπειδὴ νόμος ἐστὶ τῶν μισγομένων τὸ πρῶτον καθ’ αὑτὸ εἶναι καὶ οὕτω συμμίσγεσθαι. ἰδοὺ γὰρ ἐν τῷ οἰνομέλιτι πρῶτον ἦν καθ’ ἑαυτὸ τὸ μέλι καὶ ὁ οἶνος, καὶ εἶθ’ οὕτω συνεπλάκη. ἐπεὶ οὖν οὐ πρώτη οὖσα καθ’ ἑαυτὴν ἡ ψυχὴ τῷ σώματι συνεμίγη, ἀλλ’ ἅμα τῇ γενέσει συνεμίγη τῷ σώματι, διὰ τοῦτο ἀμιγῆ λέγει τὴν ψυχήν. ἀπαθῆ δὲ αὐτὴν λέγει, φησίν, ὅτι οὐκ αὐτὴ ἡ ἐπιτηδειότης τῆς ψυχῆς ἔπαθεν, ἀλλὰ τὸ σῶμα κατὰ τὴν ἐπιτηδειότητα. ἐπεὶ οὖν πάθος λέγομεν τὸ παθεῖν τὴν ἐπιτηδειότητα, νυνὶ δὲ οὐκ ἔπαθεν, διὰ τοῦτο ἀπαθῆ αὐτὴν λέγει. χωριστὴν δὲ αὐτὴν λέγει, φησί, κατὰ τὴν ἑτερότητα, καθὸ ὅλως διαφέρει σώματος καλῶν αὐτὴν χωριστήν.

[521, 23] οὗτος δὲ κακῶς λέγει. ᾧ γὰρ λόγῳ ἔδειξε τὴν λογικὴν

ψυχὴν ἀμιγῆ, ἀπαθῆ, χωριστήν, τούτῳ τῷ λόγῳ καὶ ἐπὶ αἰσθήσεως δυνατὸν δεῖξαι. νυνὶ δὲ διακρίνων λόγον ἀπὸ αἰσθήσεως εἶπε ταῦτα ὑπάρχειν τῇ λογικῇ ψυχῇ· οὐκ ἄρα οὖν καὶ αἰσθήσει ὑπάρξει. σὺ οὖν δέξαι ταῦτα ὡς βοῶντα τὴν ἀιδιότητα τῆς ψυχῆς, καὶ μὴ ὡς Ἀλέξανδρος· εἰ γὰρ ἀίδιος, πάντως καὶ ἀμιγής ἐστι τῆς ὕλης καὶ χωριστὴ αὐτῆς καὶ ἀπαθής.



Kommentar zu Aristoteles’ De anima (Auswahl)

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einziges Wesen handelt und sie sich nur dem Begriff nach unterscheiden. Soviel hierzu. [521, 11] Während aber Aristoteles Unvermischtheit, Lei­dens­ freiheit und Abtrennbarkeit erwähnt,74 um zu zeigen, dass die Seele ewig ist, verfälscht Alexander die Bedeutung dieser drei. Erstens die Unvermischtheit: Er behauptet, dass Aristoteles die Seele unvermischt nennt, weil für vermischte Dinge die Regel gilt, dass sie zuerst für sich sind und erst dann miteinander vermischt werden. So waren z. B. beim Honigwein Honig und Wein zunächst jeweils für sich, und erst danach sind sie eine Verbindung miteinander eingegangen. Da nun die Seele nicht mit dem Körper vermischt worden sei, nachdem sie zunächst für sich gewesen sei, sondern gleich bei ihrer Entstehung mit dem Körper vermischt worden sei, bezeichne Aristoteles sie aus diesem Grund als unvermischt. Leidensfrei nenne er sie – so Alexander weiter –, weil es nicht die Eignung selbst der Seele sei, die etwas erleidet, sondern der Körper aufgrund der Eignung. Da wir nun von Leiden sprechen, wenn die Eignung etwas erleidet, sie in diesem Fall aber nichts erlitten hat, nenne er die Seele aus diesem Grund leidensfrei.75 Abtrennbar schließlich nenne er sie – so Alexander – im Sinne ihrer Andersheit, so dass er sie in dem Sinne als abtrennbar bezeichne, dass sie ganz und gar vom Körper verschieden ist. [521, 23] Aber Alexanders Argumente sind schlecht. Denn mit der Argumentation, mit der er gezeigt hat, dass die rationale Seele unvermischt, leidensfrei und abtrennbar ist, könnte man dasselbe ebensogut für die Sinneswahrnehmung zeigen. Nun hat Aristoteles aber im Zusammenhang der Abgrenzung von Vernunft und Sinneswahrnehmung gesagt, dass diese Eigenschaften der rationalen Seele zukommen; folglich ist es kaum möglich, dass sie auch der Sinneswahrnehmung zukommen. Man fasse sie also so auf, dass sie lautstark die Ewigkeit der Seele verkünden, und nicht so wie Alexander: Wenn die Seele nämlich ewig ist, ist sie auf jeden Fall auch unvermischt mit der Materie, abtrennbar von ihr und leidensfrei.

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Stephanos von Alexandria · Text

429b10 Ἐπεὶ δ’ ἄλλο ἐστὶ τὸ μέγεθος καὶ τὸ μεγέθει εἶναι  καὶ

ὕδωρ καὶ ὕδατι εἶναι, οὕτω δὲ καὶ ἐφ’ ἑτέρων πολλῶν, ἀλλ’ οὐ καὶ ἐπὶ πάντων. [525, 6] Τρία περὶ τοῦ νοῦ προθέμενος ζητῆσαι, ἓν μὲν εἰ ἀίδιος ἢ φθαρτός, δεύτερον δὲ κοινωνίαν καὶ διαφορὰν αὐτοῦ πρὸς αἴσθησιν, ἐξ οὗ πάλιν τὸ ἀίδιον ἠγρεύετο, καὶ τρίτον πῶς γίνεται τὸ νοεῖν, τὰ μὲν πρῶτα δύο ἱκανῶς διὰ τῶν φθασάντων ἀπέδειξεν· νυνὶ δὲ τὸ λοιπὸν αὐτῷ πρόκειται εἰς ἀπόδειξιν, καὶ πάρεστιν ἐξετάσων πῶς τὸ νοεῖν γίνεται.

[525, 10] ἀπορεῖ τοίνυν κατ’ ἀρχὰς Ἀριστοτέλης. διττῆς γὰρ οὔ-

σης ἐν ἡμῖν τῆς γνώσεως, τῆς μὲν ἀλόγου οἷον τῶν αἰσθήσεων, τῆς δὲ λογικῆς οἷον τοῦ νοῦ, διττά ἐστι καὶ τὰ γινωσκόμενα, τὰ μὲν ἔνυλα καὶ αἰσθητά, τὰ δὲ ἄυλα. ζητεῖ οὖν διὰ τούτων Ἀριστοτέλης πότερον ἑκάστη γνῶσις τὸ οἰκεῖον γινώσκει, οἷον ἡ μὲν ἄλογος τὰ ἔνυλα ἡ δὲ λογικὴ τὰ ἄυλα μόνον, ἢ ἡ μὲν ἄλογος τὰ ἔνυλα οἶδε μόνον, ἡ δὲ λογικὴ ὡς κρείττων οὖσα οὐ μόνον τὰ ἄυλα οἶδεν, ἀλλὰ καὶ τὰ ἔνυλα.



Kommentar zu Aristoteles’ De anima (Auswahl)

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p. 525, 2–528, 32 Theoria II zu de an. 3, 4, 429b10–430a9

Vier Aporien über Gegenstandsbereich, Affizierbarkeit, Selbstdenken und Selbstbewusstsein des Geistes 429b10–12 Da nun Größe und der Begriff der Größe etwas ande-

res ist und ebenso Wasser und der Begriff des Wassers und so in vielen anderen Fällen, aber nicht in allen etc. [525, 6] Da Aristoteles sich vorgenommen hat, dreierlei über den Geist zu untersuchen, erstens, ob er ewig oder vergänglich ist, zweitens seine Gemeinsamkeit und Differenz zur Sinneswahrnehmung (von wo aus er wiederum der Frage nach der Ewigkeit auf der Spur war) und drittens, wie das Denken zustandekommt, hat er die ersten beiden Punkte durch die voraufgegangenen Überlegungen hinreichend bewiesen; jetzt aber liegt ihm der letzte Punkt zum Beweis vor, und er steht bereit, um zu prüfen, wie das Denken zustandekommt.76

Aporie I: Der Gegenstandsbereich der rationalen Erkenntnis [525, 10] Aristoteles beginnt also damit, dass er ein Problem auf-

wirft.77 Da es in uns zwei Arten von Erkenntnis gibt – einmal die nichtrationale, wie sie bei den Sinneswahrnehmungen vorliegt, und zum anderen die rationale, wie sie beim Geist vorliegt –, gibt es auch zwei Arten von erkannten Gegenständen, zum einen materiegebundene und sinnlich wahrnehmbare und zum anderen immaterielle. Aristoteles untersucht nun in den folgenden Überlegungen, ob jede einzelne Erkenntnisform ihren eigenen Gegenstand erkennt, also etwa die nicht­ rationale nur die materiegebundenen und die rationale nur die immateriellen78 , oder ob die nichtrationale zwar nur die materiegebundenen weiß, die rationale aber, da sie ja von höherem Rang ist, ein Wissen nicht nur von den immateriellen, sondern auch von den materiegebundenen Gegenständen hat.

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Stephanos von Alexandria · Text

[525, 17] καὶ τοιαύτης οὔσης τῆς ἀπορίας ἐπικρίνει Ἀριστοτέλης

λέγων ὅτι ἡ λογικὴ οὐ μόνον τὰ ἄυλα οἶδεν, ἀλλὰ καὶ τὰ ἔνυλα. ὁ γὰρ εἰδὼς τὰ κρείττονα, πολλῷ πλέον καὶ τὰ χείρονα οἶδεν· εἰ οὖν οἶδε τὰ ἄυλα, σκοπήσει πάντως καὶ τὰ χείρονα τῶν ἀύλων, ὅ ἐστι τὰ ἔνυλα. εἰ γὰρ ὁ νοῦς, ὅ ἐστιν ἡ λογικὴ γνῶσις, μόνον οἶδεν τὰ ἄυλα, μὴ γινώσκει δὲ καὶ τὰ ἔνυλα, ἔσται ὁ νοῦς κατά τι ἄνους· τὰ γὰρ ἔνυλα μὴ νοῶν ἄνους ἔσται κατὰ ταῦτα. ἀλλὰ μὴν ἄτοπον τὸν νοῦν κατά τι ἄνουν εἶναι· οὐκ ἄρα τὰ ἄυλα μόνον οἶδεν, ἀλλὰ καὶ τὰ ἔνυλα. καὶ ταῦτα μὲν Ἀριστοτέλης.

[525, 25] ἔχομεν δὲ καὶ ἡμεῖς ἔξωθεν δεῖξαι ὅτι καὶ τὰ ἔνυλα οἶδεν

ὁ νοῦς. εἰ γὰρ μὴ ἠπίστατο τὰ ἔνυλα, πῶς ἐπιδιωρθοῦτο τὴν αἴσθησιν; ἡ γὰρ αἴσθησις τὴν ἐν ὕδατι κώπην κεκλασμένην ὁρᾷ καὶ τὸν ἥλιον ποδιαῖον, ὁ δὲ νοῦς ἐπιδιορθοῦται δεικνὺς ὅτι οὐδὲ ἡ κώπη κεκλασμένη ἐστίν, ἀλλ’ ὅτι καὶ ὁ ἥλιος μείζων ἐστὶ τῆς γῆς. πῶς οὖν εἶχεν ὁ νοῦς ἐπιδιορθοῦσθαι τὴν αἴσθησιν, εἰ μὴ ἐνόει τὰ ἔνυλα, τουτέστι τὰ αἰσθητά; ἄλλως τε δὲ ἔχομεν κανόνα ἄνω ὅτι τὸ ἐπιστάμενον διαφορὰν πραγμάτων πολλῷ μᾶλλον αὐτὰ τὰ διαφέροντα οἶδεν. εἰ οὖν ὁ νοῦς οἶδε τὴν διαφορὰν τῶν ἀύλων πρὸς τὰ ἔνυλα, οἶδεν ἄρα τὰ ἔνυλα.

[525, 33] ἀλλ’ ἐρεῖς ἴσως ὅτι ἄτοπόν ἐστι τὸν νοῦν τὰ ἔξω εἰδέναι·



Kommentar zu Aristoteles’ De anima (Auswahl)

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[525, 17] Angesichts des so beschaffenen Problems entscheidet

sich Aristoteles für die Aussage, dass die rationale Erkenntnis nicht nur die immateriellen, sondern auch die materiegebundenen Gegenstände weiß. Denn wer das Bessere weiß, der weiß in noch weit höherem Maße das Geringere; wenn sie also die immateriellen Gegenstände weiß, wird sie auf jeden Fall auch die im Vergleich mit den immateriellen geringeren Gegenstände ins Auge fassen, d. h. die materiegebundenen. Denn wenn der Geist, d. h. die rationale Erkenntnis, nur die immateriellen Gegenstände weiß, die materiegebundenen aber nicht erkennt, dann hieße das, dass der Geist in bestimmter Hinsicht Nicht-Geist ist; denn würde er die materiegebundenen Gegenstände nicht denken, so wäre er in Bezug auf sie nicht Geist. Es wäre jedoch absurd, wenn der Geist in irgendeiner Hinsicht Nicht-Geist wäre.79 Folglich weiß der Geist nicht nur die immateriellen, sondern auch die materiegebundenen Gegenstände. So weit Aristoteles. [525, 25] Aber auch wir können ein Argument von außen hinzufügen 80 und zeigen, dass der Geist die materiegebundenen Gegenstände weiß. Wenn er nämlich nichts von ihnen wüsste, wie könnte er dann die Sinneswahrnehmung korrigieren? Die Sinneswahrnehmung sieht ja das Ruder im Wasser als gebrochen und die Sonne als einen Fuß groß an, während der Geist sie korrigiert und nachweist, dass das Ruder gar nicht gebrochen ist und die Sonne in Wirklichkeit größer als die Erde ist.81 Wie könnte also der Geist die Sinneswahrnehmung korrigieren, wenn er die materiegebundenen, d. h. die sinnlich wahrnehmbaren Gegenstände nicht denken würde? Außerdem haben wir oben82 eine Richtlinie aufgestellt, nach der dasjenige, was den Unterschied zwischen Dingen kennt, erst recht die sich unterscheidenden Dinge selber weiß. Wenn also der Geist den Unterschied zwischen den immateriellen und den materiegebundenen Gegenständen kennt, dann kennt er folglich die materiegebundenen Gegenstände. [525, 33] Man wird hier vielleicht einwenden 83 , dass es absurd sei, dass der Geist das außerhalb von ihm Befindliche weiß;

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Stephanos von Alexandria · Text

ταῦτα γὰρ αἰσθήσεώς ἐστι τῷ τὰ ἔνυλα καὶ τὰ κατὰ μέρος γι­ νώσκειν. ὁ μὲν γὰρ νοῦς τὸ καθόλου [526] οἶδεν μόνον, τῆς δὲ αἰσ­θήσεώς ἐστι τὸ εἰδέναι μερικά, ἅτινά ἐστιν ἔνυλα. ἐρῶ δὲ πρός σε ὅτι ὁ νοῦς τῷ μὲν ὑποκειμένῳ εἷς ἐστιν, τῷ δὲ λόγῳ διάφορος. [526, 3] ὁ γὰρ νοῦς ἢ καθ’ ἑαυτὸν μόνον ἐνεργεῖ, καὶ τότε τὰ

καθόλου μόνον οἶδεν, ἢ μετ’ αἰσθήσεως ἐνεργεῖ ὀργάνῳ αὐτῇ κεχρημένος, καὶ τότε τὰ ἔνυλα καὶ μερικὰ οἶδεν. ὥσπερ γὰρ ἡ αὐτὴ εὐθεῖα τῷ μὲν ὑποκειμένῳ ἡ αὐτή ἐστι, τῷ δὲ λόγῳ διάφορος (ἡ γὰρ νῦν εὐθεῖα οὖσα δύναται κλασθῆναι καὶ ἐπικαμπὴς γενέσθαι), οὕτω καὶ ὁ νοῦς ὁ αὐτὸς ὢν τῷ ὑποκειμένῳ ἄλλοτε μὲν εὐθείᾳ ἀναλογεῖ, ὅτε καὶ καθ’ ἑαυτὸν ἐνεργεῖ καὶ τὰ ἄυλα οἶδεν, ἄλλοτε δὲ κεκλασμένῃ εὐθείᾳ ἐπικαμπτόμενος πρὸς τὴν αἴσθησιν καὶ ὀργάνῳ αὐτῇ κεχρημένος, ὅτε καὶ τὰ ἔνυλα οἶδεν. τοῦτο μὲν οὖν ἐστι τὸ πρῶτον ἄπορον καὶ ἡ λύσις αὐτοῦ.

[526, 12] Δεύτερόν ἐστιν ἄπορον, οὗτινος χρὴ λῆμμα προλαβεῖν

τοιοῦτον, ὅτι τὸ ἀπὸ τοῦ δυνάμει εἰς τὸ ἐνεργείᾳ ἀγόμενον πάν­ τως ἀλλοιοῦται, ἡ δὲ ἀλλοίωσις πάθος ἐστί. τούτου προληφ­ θέντος πρόεισι λοιπὸν τὸ ἄπορον· εἰ γινώσκει ὁ νοῦς τὰ ἔνυλα, δῆλον ὅτι πάσχει ὑπ’ αὐτῶν· ἄγεται γὰρ ὑπ’ αὐτῶν ἀπὸ τῆς δυνάμει γνώσεως εἰς τὴν ἐνεργείᾳ γνῶσιν, τὸ δὲ ἀπὸ τοῦ δυνάμει ἀγόμενον εἰς τὸ ἐνεργείᾳ ἀλλοιοῦται, τὸ δὲ ἀλλοιούμενον



Kommentar zu Aristoteles’ De anima (Auswahl)

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das ist ja Aufgabe der Sinneswahrnehmung, insofern sie die materiegebundenen und die Einzeldinge erkennt. Denn der Geist weiß nur das Allgemeine [526], während es die Aufgabe der Sinneswahrnehmung ist, das Einzelne zu wissen, d. h. die materiegebundenen Gegenstände. Darauf würde ich entgegnen: Der Geist ist dem Zugrundeliegenden nach einer, dem Begriff nach aber differenziert. [526, 3] Denn der Geist ist entweder nur für sich tätig, und in diesem Fall kennt er nur das Allgemeine; oder er ist in Verbindung mit der Sinneswahrnehmung tätig, indem er sie als Werkzeug gebraucht, und dann kennt er das Materiegebundene und Einzelne. Denn wie eine und dieselbe Gerade dem Zugrundeliegenden nach eine und dieselbe, dem Begriff nach aber differenziert ist (was jetzt gerade ist, kann ja gebrochen oder gebogen werden), so ist auch der Geist – obgleich dem Zugrundeliegenden nach einer und derselbe – zu einem Zeitpunkt der Geraden analog, wenn er für sich tätig ist und das Immaterielle erkennt, zu einem anderen Zeitpunkt aber der gebrochenen Geraden, indem er sich in die Richtung der Sinneswahrnehmung biegt und sie als Werkzeug gebraucht; und dann kennt er auch die materiegebundenen Gegenstände.84 So weit das erste Problem und seine Lösung.

Aporie II: Die Leidensfähigkeit des Geistes [526, 12] Für das zweite Problem 85 muss man zunächst den fol-

genden Hilfssatz annehmen, dass, was vom Zustand der Möglichkeit in den der Verwirklichung überführt wird, auf jeden Fall verändert wird und dass die Veränderung ein Erleiden ist. Wenn man diese Voraussetzung macht, gestaltet sich das Problem folgendermaßen: Wenn der Geist die materiegebundenen Gegenstände erkennt, dann erleidet er eindeutig etwas von ihrer Seite. Er wird ja von ihnen von der in Möglichkeit befindlichen Erkenntnis zur verwirklichten Erkenntnis überführt; was vom Zustand der Möglichkeit in den der Verwirklichung über-

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Stephanos von Alexandria · Text

πάσχει· ὁ νοῦς ἄρα πάσχει ἀπὸ τῶν ἐνύλων. καὶ ἐπειδὴ οὐδὲν ἐκ τοῦ ἀνομοΰλου πάσχει, δῆλον ἄρα ὅτι ὁμόυλός ἐστιν ὁ νοῦς τοῖς ἐνύλοις καὶ ἔστιν αὐτὸς ἔνυλος καὶ φθαρτός· τὰ γὰρ ἔνυλα φθαρτά. καὶ πῶς ἄρα φθαρτὸς ἔσται ἢ κατ’ Ἀριστοτέλην ἢ κατ’ Ἀναξαγόραν λέγοντας αὐτὸν ἀμιγῆ τῆς ὕλης; αὕτη ἡ ἀπορία. ἣν ἐπιλυόμενοί φαμεν ὅτι κακῶς ἐλάβετε ὡς πᾶν ποιοῦν καὶ πάσχει· οὗτος γὰρ ὁ λόγος ψευδής ἐστι. τότε γὰρ τὸ ποιοῦν ἀντιπάσχει, ὅτε ὁμόυλόν ἐστι τῷ πάσχοντι.

[526, 24] ἐπειδὴ οὖν ὁ νοῦς οὐκ ἔστιν ὁμόυλος τοῖς ἐνύλοις, οὐκ

ἀνάγκη πάσχειν αὐτὸν ὑπὸ τῶν ἐνύλων, ὅτε γινώσκει αὐτά. ποιεῖ γὰρ καὶ ὁ δημιουργὸς εὐεργετῶν ἡμᾶς καὶ ὅμως οὐκ ἀντιπάσχει ὑφ’ ἡμῶν. ὥστε ἐκεῖνα μόνον τῶν ποιούντων ἀντιπάσχει, ὅσα ὁμόυλά ἐστι τοῖς πάσχουσι.

[526, 28] καὶ ἡ μὲν λύσις αὕτη ἔξωθεν λέλεκται· ὁ δὲ Ἀριστοτέλης

ἄλλην λύσιν φησίν, ἣν καὶ ἐν ἄλλοις εἶπεν, ὅτι διττὸν τὸ πάθος, τὸ μὲν τελειωτικόν, τὸ δὲ φθαρτικόν. ἐπὶ μὲν οὖν τοῦ φθαρτικοῦ ἔρρωται ὁ λόγος ὅτι ὅμοιον γίνεται τῷ ποιοῦντι τὸ πάσχον· ὁ δὲ νοῦς γινώσκων τὰ αἰσθητὰ πάσχει πάθος τελειωτικόν, ὅπερ ἀπάθεια μᾶλλον λέγεται ἤπερ πάθος, ὥστε πάλιν οὐ πάσχει ὁ νοῦς. τὰ γὰρ τελειούμενα ὑπό τινος οὐ πάντως καὶ ὁμόυλα αὐτῷ ἐστιν. ἰδοὺ γὰρ ὁ κόσμος τελειοῦται ὑπὸ τοῦ δημιουργοῦ, καὶ



Kommentar zu Aristoteles’ De anima (Auswahl)

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führt wird, das wird verändert; was verändert wird, erleidet etwas; folglich erleidet der Geist etwas von seiten der materiegebundenen Gegenstände. Und da nichts etwas von seiten eines anderen erleidet, wenn es nicht aus dem gleichen Material ist, ist der Geist folglich klarerweise aus dem gleichen Material wie die materiegebundenen Gegenstände und ist mithin selber materiegebunden und vergänglich; denn was materiegebunden ist, das ist auch vergänglich. Und wie also wäre es entweder nach Aristoteles oder nach Anaxagoras möglich, dass er vergänglich ist, wo sie doch beide behaupten, dass er unvermischt mit der Materie sei? Das ist das Problem. Wir lösen es, indem wir entgegnen: Ihr habt Unrecht mit eurer Annahme, dass alles, was wirkt, auch leidet; diese Aussage ist nämlich falsch. Nur dann nämlich leidet das Wirkende im Gegenzug auch selbst, wenn es aus dem gleichen Material ist wie das Leidende. [526, 24] Da nun der Geist nicht aus dem gleichen Material ist wie die materiegebundenen Gegenstände, ist es auch nicht notwendig, dass er von seiten der materiegebundenen Gegenstände etwas erleidet, wenn er sie erkennt. Auch der Weltschöpfer wirkt ja, wenn er seine Wohltaten an uns verübt, und trotzdem erleidet er im Gegenzug nichts von uns. Es ergibt sich also, dass nur diejenigen wirkenden Wesen im Gegenzug leiden, die aus dem gleichen Material wie die leidenden sind. [526, 28] Diese Lösung ist von außen hinzugefügt.86 Aristoteles selber führt eine andere Lösung an, die er an anderer Stelle87 schon vorgetragen hat, nämlich die, dass es zwei Arten des Leidens gibt, erstens das vervollkommnende und zweitens das zerstörende. Im Falle des zerstörenden Leidens ist das Argument gültig, dass das Leidende dem Wirkenden ähnlich wird; aber wenn der Geist das sinnlich Wahrnehmbare erkennt, dann ist das Leiden, das ihm widerfährt, ein vervollkommnendes, und das nennt man treffender Leidensfreiheit als Leiden, so dass sich wiederum ergibt, dass der Geist nicht leidet. Denn was seine Vervollkommnung von einem anderen erhält, das ist darum nicht unbedingt aus dem gleichen Material wie dieses. So erhält z. B. der Kosmos seine Vervollkommnung von dem Welt-

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Stephanos von Alexandria · Text

ὁμόυλος αὐτῷ οὐ γίνεται. πάλιν ὑπὸ τῶν οὐρανίων διοικεῖται τὰ τῇδε καὶ τελειοῦται, καὶ οὐκ ἔστιν αὐτοῖς ὁμόυλα. πάλιν ὁ ἀὴρ τελειοῦται ἐκ τοῦ φωτός, καὶ οὐκ ἔστιν ὁμόυλος αὐτῷ. ὥστε καὶ ὁ νοῦς πάσχει μὲν ὑπὸ τῶν αἰσθητῶν [527] τὸ τελειωτικὸν πάθος, τελειούμενος δὲ ὑπ’ αὐτῶν οὐκ ἔστιν αὐτοῖς ὁμόυλος. σημειωτέον δὲ ὅτι κἂν τελειωτικὸν λέγομεν αὐτὸν πάσχειν πάθος, οὐ τῆς οὐσίας τοῦ νοῦ ἅπτεται τὸ πάθος, ἀλλὰ τῆς ἐνεργείας αὐτοῦ. αὕτη καὶ ἡ δευτέρα ἀπορία καὶ ἡ λύσις αὐτῆς.

[527, 5] Ἐπειδὴ δὲ αἱ δύο αὗται ἀπορίαι ἀπὸ τῶν ἐνύλων ἔσχον

τὴν ἀφορμήν, δίκαιον καὶ περὶ τῶν ἀύλων τι ἀπορῆσαι. ἐπειδὴ γὰρ ὁ νοῦς οἶδεν ἑαυτὸν καὶ ἐπιστρέφει πρὸς ἑαυτόν, ‹ἑαυτὸν› ἄρα πῶς οἶδε; πότερον καθὸ νοῦς, ἢ κατ’ ἄλλο μέν ἐστι νοῦς, κατ’ ἄλλο δὲ νοητός; εἰ μὲν οὖν κατ’ ἄλλο μέν ἐστι νοῦς, κατ’ ἄλλο δὲ νοεῖται, δῆλον ἄρα ὅτι οὐκ ἔστιν ἁπλοῦς ὁ νοῦς, ἀλλὰ σύνθετος· σύγκειται γὰρ καθὸ νοῦς ἐστι καὶ καθὸ νοεῖται. εἰ δὲ τὸ ἄτοπον τοῦτο ἐκφυγὼν εἴποις ὅτι καθὸ νοῦς ἐστι νοεῖται, ἄλλῳ ἀτόπῳ περιπεσῇ· δείκνυται γὰρ ἐν τῇ Ἀποδεικτικῇ ὅτι τὸ καθὸ ἀντιστρέφει. εἰ οὖν καθὸ νοῦς ἐστι νοεῖται, οὐκοῦν καὶ καθὸ νοεῖται νοῦς ἐστι, ἵνα ἀντιστρέψῃ. εἰ δὲ καθὸ νοεῖται νοῦς ἐστι, συνάγεται ὅτι πᾶν τὸ νοούμενον νοῦς ἐστι, καὶ ἐπειδὴ τὰ



Kommentar zu Aristoteles’ De anima (Auswahl)

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schöpfer, und doch ist er nicht aus dem gleichen Material wie er. Weiterhin wird das Irdische von den Himmelswesen88 verwaltet und vervollkommnet, und es ist nicht aus dem gleichen Material wie sie. Weiterhin wird die Luft vom Licht vervollkommnet,89 und sie ist nicht aus dem gleichen Material wie es. Somit ergibt sich, dass dem Geist zwar von seiten der sinnlich wahrnehmbaren Gegenstände die vervollkommnende [527] Art des Leidens widerfährt; aber seine Vervollkommnung durch sie bedeutet nicht, dass er aus dem gleichen Material ist wie sie. Und es ist noch darauf hinzuweisen, dass, auch wenn ihm nach unserer Aussage ein vervollkommnendes Leiden widerfährt, dieses Leiden nicht das Wesen des Geistes, sondern nur seine Tätigkeit berührt. Dies ist das zweite Problem und seine Lösung.

Aporie III: Die Selbsterkenntnis des Geistes [527, 5] Da nun diese zwei Probleme ihren Ausgangspunkt von

den materiegebundenen Gegenständen nahmen, ist es angemessen, auch bezüglich der immateriellen ein Problem aufzuwerfen.90 Da der Geist sich selbst erkennt und sich auf sich selbst zurückwendet,91 stellt sich die Frage, wie er sich selbst erkennt. Tut er das, insofern er Geist ist, oder ist er in einer Hinsicht Geist und in einer anderen denkbar? Wenn er in einer Hinsicht Geist ist und in einer anderen gedacht wird, ergibt sich offenkundig, dass der Geist nicht einfach, sondern zusammengesetzt ist – dasjenige, in Hinsicht worauf er Geist ist, ist ja mit dem zusammengesetzt, in Hinsicht worauf er gedacht wird.92 Wenn man hingegen diese Absurdität vermeidet und behauptet, dass er gedacht wird, insofern er Geist ist, gerät man in eine andere Absurdität: In der Apodeiktik wird ja bewiesen, dass »insofern« eine umkehrbare Beziehung ist.93 Wenn er mithin gedacht wird, insofern er Geist ist, muss er folglich auch Geist sein, insofern er gedacht wird, damit die Beziehung umkehrbar ist. Wenn er aber Geist ist, insofern er gedacht wird, muss man den

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Stephanos von Alexandria · Text

μαθήματα νοητά ἐστι, ἔσται καὶ ταῦτα νόες, ὅπερ ἄτοπον. εἰ δὲ εἴποις ὅτι οὐ νοεῖ αὑτόν, ψεύδῃ· εἰ γὰρ μὴ νοεῖ ἑαυτόν, πῶς οἶδεν ὅτι χωρίζεται τοῦ σώματος; τοιαύτη μέν ἐστι πᾶσα ἡ ἀπορία· διὰ δὲ τὸ ἀσαφὲς συντόμως αὐτὴν ἐπαναλάβωμεν. ἐπειδὴ ὁ νοῦς νοεῖ ἑαυτόν, ἢ καθὸ νοῦς ἐστι νοεῖ ἑαυτόν, καὶ ἐπειδὴ τὸ καθὸ ἀντιστρέφει, ἔσται καὶ καθὸ νοητὸς νοῦς, ὡς συνάγεσθαι πάντα τὰ νοητὰ καὶ τὰ μαθήματα νόας εἶναι· ἢ κατ’ ἄλλο μέν ἐστι νοῦς, κατ’ ἄλλο δὲ νοεῖται, καὶ ἔσται ὁ νοῦς σύνθετος, ὅπερ ἄτοπον.

[527, 23] λύει δὲ τὴν ἀπορίαν τιθέμενος τῷ ἑνὶ σκέλει φάσκων ὅτι

πᾶν τὸ κυρίως νοητὸν νοῦς ἐστι· τὰ γὰρ μαθήματα οὐκ ἔστι κυρίως νοητὰ καὶ διὰ τοῦτο οὔκ εἰσι νόες· ἡμῶν γάρ εἰσιν ἐπίνοια, καὶ ἡμεῖς ἐχωρίσαμεν αὐτὰ τῆς ὕλης, ἐπεὶ ἔνυλά εἰσιν. ὅσα οὖν οὐκ ἐξ ἡμῶν ἀλλ’ οἴκοθεν ἔσχον τὸ νοητὰ εἶναι, ταῦτα νόες εἰσί. καὶ γὰρ κἂν ἀγγέλους εἴπῃς, καὶ οὗτοι κατὰ τὸν Ἀριστοτέλην νόες εἰσί, κἂν τὸν ἐπὶ τῆς ἀπλανοῦς περιπολοῦντα εἴπῃς, ὃν δημιουργὸν λέγει, καὶ οὗτος κατὰ τὸν Ἀριστοτέλην νοῦς ἐστιν.

[527, 29] ἀλλ’ ἐπειδὴ οὔτε Πλάτωνι δοκεῖ τὸ τὸν θεὸν νοῦν εἶναι

οὔτε τοῖς εὐσεβέσι δόγμασιν (ὁ γὰρ θεὸς καὶ ὑπὲρ νοῦν ἐστιν, ὅθεν καὶ πρόνοια ὠνόμασται, ὡς πρὸ τοῦ νοῦ ὤν), φέρε ἡμεῖς ἄλλως λύσωμεν τὴν ἀπορίαν. φαμὲν γὰρ ὅτι οὐ συνάγεται πᾶν τὸ νοητὸν νοῦς. πρῶτον μὲν γὰρ τὰ νοητὰ ἢ κυρίως ἐστὶ νοητά,



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[Umkehr-]Schluss ziehen, dass alles, was gedacht wird, Geist ist. Und da die Gegenstände der Mathematik denkbare Gegenstände sind, müssten auch sie Geistwesen sein, was absurd ist. Wenn man hingegen behauptete, dass der Geist sich selbst nicht denkt, so sagte man die Unwahrheit; wenn er sich selbst nämlich nicht denkt, wie kommt es dann, dass er weiß, dass er vom Körper getrennt ist? So weit das gesamte Problem. Weil es aber so schwer verständlich ist, wollen wir es kurz wiederholen. Da der Geist sich selbst denkt, gilt entweder: Er denkt sich selbst, insofern er Geist ist; und da »insofern« eine umkehrbare Beziehung ist, wäre er demnach auch Geist, insofern er gedacht wird, so dass man schließen müsste, dass alles Denkbare und auch die mathematischen Gegenstände Geistwesen sind. Oder es gilt: Er ist in der einen Hinsicht Geist und wird in einer anderen Hinsicht gedacht, und dann wäre der Geist zusammengesetzt, was absurd ist. [527, 23] Aristoteles löst das Problem, indem er sich für das eine Glied des Dilemmas erklärt und behauptet, dass alles im eigentlichen Sinne Denkbare Geist ist. Die mathematischen Gegenstände sind nämlich nicht im eigentlichen Sinne denkbar und daher auch keine Geistwesen; denn sie sind ein gedankliches Konzept von uns, und erst wir haben sie von der Materie abgetrennt, da sie materiegebunden sind. Nur solche Gegenstände also, die nicht von uns her, sondern von Haus aus die Eigenschaft besitzen, denkbar zu sein, sind Geistwesen. Man könnte z. B. die Engel anführen: Auch diese sind nach Aristoteles Geistwesen. Oder man könnte den auf der Fixsternsphäre Wandernden anführen, den er den Demiurgen nennt;94 auch der ist nach Aristoteles Geist. [527, 29] Da aber weder Platon der Meinung ist, dass der Gott Geist ist, noch die gottesfürchtigen Lehren (denn Gott ist noch über dem Geist, weswegen er den Namen der Vor-Sehung trägt, weil er »vor« dem Geist ist95), wohlan, so lasst uns das Problem auf andere Weise lösen. Wir sagen nämlich, dass sich nicht schließen lässt, dass alles Denkbare Geist ist. Denn erstens sind die denkbaren Gegenstände entweder im eigentlichen Sinne

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Stephanos von Alexandria · Text

ὡς τὰ πάντῃ ἄυλα, ἢ οὐ κυρίως, ἀλλὰ καθὸ αἰσθητὰ λέγεται νοητά, ὡς λίθος. νῦν οὖν περὶ τῶν κυρίως νοητῶν ἐστιν ὁ λόγος. εἰ δὲ τοῦτο, ἔσται τὰ κυρίως νοητὰ νοῦς, καὶ οὐδὲν ἄτοπον ἐπακολουθήσει. δεύτερον δὲ ὅτι οὐδὲ συνάγεται πᾶν τὸ νοητὸν νοῦς, ἀλλὰ πᾶν τὸ νοοῦν ἑαυτὸ νοῦς. τί γὰρ ἔφη ἡ ἀπορία; καθὸ νοῦς νοεῖται· ὑπὸ τίνος; δῆλον ὅτι ὑφ’ ἑαυτοῦ. οὐκοῦν, εἰ βούλει, ἀντίστρεφε διὰ τὸ καθὸ [528] ὅλην τὴν πρότασιν καὶ εἰπέ, καθὸ ὑφ’ ἑαυτοῦ νοεῖται, νοῦς ἐστιν· αὕτη γάρ ἐστιν ἡ ὑγιὴς ἀντιστροφή. εἰ οὖν συνήχθη ἐκ τῆς ἀντιστροφῆς ὅτι οὐ δήπου τὸ νοητὸν νοῦς, ἀλλὰ πᾶν τὸ ὑφ’ ἑαυτοῦ νοητὸν νοῦς ἐστιν, οὐκέτι πᾶν τὸ νοητὸν νοῦς ἐστι. καὶ οὐ μόνον διὰ τὸ θεῖον τῇ λύσει Ἀριστοτέλους οὐκ ἀρεσκόμεθα, ἀλλὰ καὶ ὅτι τὰ καθόλου νοητά ἐστιν, ἀλλ’ οὐ νόες.

[528, 6] τὸ δὲ λέγειν ὅτι οὐχ ᾗ νοῦς γινώσκει ἑαυτὸν ἄτοπον.

πρῶτον μὲν γάρ, ὡς εἴπομεν, ἔσται διπλοῦς ὁ μονοειδὴς καὶ ὁ αὐτὸς νοῶν καὶ νοούμενος, καὶ μὴ πάντα ἑαυτὸν γινώσκων· καθὸ γὰρ νοεῖται, νοεῖ ἑαυτόν, καὶ οὐ καθὸ νοεῖ. ὥστε ᾗ νοῦς ἑαυτὸν γινώσκει ὁ νοῦς. τοῦτο καὶ τὸ τρίτον ζήτημα. 

[528, 11] Τέταρτον ζήτημα· εἰ ὁ νοῦς νοεῖ ἑαυτόν, ἀεὶ δὲ πάρεστιν

ἑαυτῷ ὁ νοῦς, διὰ τί μὴ ἀεὶ ἑαυτὸν νοεῖ; θεωροῦμεν γὰρ ὅτι ὀλι-



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denkbar, wie die gänzlich immateriellen, oder nicht im eigentlichen Sinne denkbar, sondern so, wie sinnlich Wahrnehmbares denkbar genannt wird, z. B. ein Stein. Hier nun ist von den im eigentlichen Sinne denkbaren Gegenständen die Rede. Wenn das aber so ist, dann ergäbe sich, dass das im eigentlichen Sinne Denkbare Geist ist, und daraus würde nichts Absurdes folgen. Zweitens:96 Man muss überhaupt nicht schließen, dass alles Denkbare Geist ist, sondern nur, dass alles sich selbst Denkende Geist ist. Denn wie hieß es in der Problemstellung? Insofern er Geist ist, wird er gedacht. Von wem? Natürlich von sich selbst. Nun kehre man bitte wegen des »insofern« [528] die gesamte Aussage um und sage: Insofern er von sich selbst gedacht wird, ist er Geist; das ist nämlich die korrekte Umkehrung. Wenn also aus der Umkehrung geschlossen worden ist, dass nicht etwa das Denkbare Geist ist, sondern alles von sich selbst Denkbare Geist ist, dann ergibt sich nicht mehr, dass alles Denkbare Geist ist. Und mit der Lösung des Aristoteles sind wir nicht nur wegen der Aussagen über das Göttliche nicht einverstanden, sondern auch, weil die Allgemeinbegriffe denkbar, aber keine Geistwesen sind. [528, 6] Zu behaupten, dass der Geist sich selbst nicht erkennt, insofern er Geist ist,97 wäre dagegen eine Absurdität. Denn erstens wäre dann, wie gesagt, der Geist, der eingestaltig98 ist und als einer und derselbe denkt und gedacht wird, doppelt und würde sich selbst nicht als ganzen erkennen; er würde sich selbst ja nur hinsichtlich dessen denken, was gedacht wird, nicht aber hinsichtlich dessen, was denkt. Folglich erkennt der Geist sich selbst, insofern er Geist ist. So weit also das dritte Problem.

Aporie IV: Warum ist das Selbstdenken des Geistes intermittierend? [528, 11] Das vierte Problem:99 Wenn der Geist sich selbst denkt

und wenn der Geist sich selbst immer gegenwärtig ist, warum denkt er sich dann nicht immer selbst? Wir beobachten ja,

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Stephanos von Alexandria · Text

γάκις οἱ ἄνθρωποι ἐπιστρεφόμεθα πρὸς ἑαυτούς, ἀλλ’ ἢ περὶ θεοῦ νοοῦμεν ἢ περὶ κόσμου, ὀλιγάκις δὲ περὶ ἑαυτῶν· καίτοι ἐχρῆν ἀεὶ ἑαυτοὺς νοεῖν, διότι ὁ νοῦς ἀεὶ πάρεστιν ἑαυτῷ. αὕτη μὲν ἡ ἀπορία. λέγομεν δὲ ὅτι διὰ τὴν ἐπιμιξίαν καὶ τὴν κατανόησιν τῶν ὄντων τοῦτο γίνεται. ὥσπερ γὰρ ἐὰν δύο παραγένωνται καὶ ὁ μὲν εἷς ᾖ φίλος ὁ δὲ ἕτερος λαμπρός τις, οὐδὲ προσκυνοῦμεν τὸν φίλον ἅτε συνήθη ὄντα, τὸν δὲ ἄλλον δεξιούμεθα, οὕτω καὶ ὁ νοῦς γινώσκων ὅτι ἀεὶ πάρεστιν ἑαυτῷ, ὀλιγάκις μὲν ἑαυτὸν νοεῖ, πολλάκις δὲ τὰ ἐγκόσμια πράγματα ἢ ὑπερκόσμια. οὐ καθὸ οὖν νοῦς ὁ νοῦς οὐκ ἀεὶ ἑαυτὸν γινώσκει, ἀλλὰ διὰ τὴν ἐνέργειαν αὐτοῦ τοῦτο γίνεται. ὥσπερ γὰρ ἐν μελαγχολίαις παν­τελῶς οὐ γινώσκει ὁ νοῦς διὰ τὸ παρεκτρέπεσθαι αὑτοῦ, οὕτως καὶ ἡνίκα ἀλλοτριοπραγῇ περὶ τὸ σῶμα σχολάζων, οὐ γινώσκει ἑαυτόν, ὅτε οὐκ ἔστιν ἐνεργείᾳ νοῦς, ἀλλὰ δυνάμει.

[528, 25] ὁ μέντοι Πλωτῖνός φησιν ὅτι ἔστι νοῦς ὁ ἀεὶ γινώσκων

ἑαυτὸν καὶ ὁ μὴ ἀεὶ γινώσκων ἑαυτόν, ἵνα πάλιν λάβῃς τὸν μὲν ἐνεργείᾳ ἀεὶ γινώσκοντα ἑαυτόν, τὸν δὲ δυνάμει μὴ ἀεί. τὸ δὲ ἀεὶ γινώσκειν ἔλεγεν διὰ τὸν Πλάτωνα λέγοντα ἀεικίνητον τὴν ψυχήν· τὸ γὰρ ἀεικίνητον ἐπὶ τοῦ ἀείζωον ποιεῖν τὸ σῶμα ἐλάμβανεν, ἀλλὰ καὶ ἐπὶ τοῦ ἀεὶ γνωστικὸν αὐτὸ ποιεῖν· καὶ ἀεὶ μέν, φησί, γινώσκει ὁ νοῦς, εἰ δὲ καὶ μὴ αἰσθανόμεθα ὅτι ἀεὶ γινώ-



Kommentar zu Aristoteles’ De anima (Auswahl)

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dass wir Menschen uns nur selten auf uns selbst zurückwenden, sondern wir denken über Gott nach oder über die Welt, aber nur selten über uns selbst – obwohl wir uns eigentlich immer selbst denken müssten, weil der Geist sich selbst immer gegenwärtig ist. Das ist das Problem. Unsere Antwort darauf ist, dass dies wegen unseres ständigen Verkehrs mit den seienden Dingen und unserer geistigen Aufmerksamkeit für diese so ist. Denn wenn uns beispielsweise zwei Menschen begegnen, von denen der eine ein Freund von uns ist, der andere dagegen eine berühmte Persönlichkeit, begrüßen wir unseren Freund nicht einmal, weil er für uns ein gewohnter Anblick ist, wohingegen wir dem anderen die Hand reichen; und in derselben Weise denkt der Geist, der ja weiß, dass er sich selbst immer gegenwärtig ist, nur selten sich selbst, häufig dagegen die inner- und überkosmischen Gegenstände. Wenn der Geist sich also nicht immer selbst erkennt, so tut er das nicht, insofern er Geist ist, sondern es liegt an seiner Tätigkeit. Denn wie der Geist in Zuständen geistiger Umnachtung überhaupt kein Erkennen hat, weil er von sich selbst abgewendet ist, genauso erkennt er sich selbst nicht, sobald er sich mit Dingen befasst, die ihn nichts angehen,100 und sich um den Körper kümmert, dann, wenn er nicht in Wirklichkeit Geist ist, sondern nur in Möglichkeit. [528, 25] Plotin101 behauptet allerdings, dass es einen Geist gebe, der sich immer selbst erkennt, und einen, der sich selbst nicht immer erkennt (wobei wiederum der in Verwirklichung befindliche Geist als derjenige zu begreifen ist, der sich immer erkennt, und der in Möglichkeit befindliche Geist als derjenige, der das nicht immer tut). Von dem ständigen Erkennen [des erstgenannten Geistes] aber hat Plotin wegen Platons Aussage gesprochen, dass die Seele »immerbewegt« sei.102 Das Wort »immerbewegt« hat er nämlich darauf bezogen, dass die Seele den Körper zu einem immerlebenden Wesen macht, aber auch darauf, dass sie ihn zu einem immer erkennenden Wesen macht. Der Geist – so sagt Plotin – erkennt immer; und wenn wir nicht wahrnehmen, dass er immer erkennt, so liegt das an

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Stephanos von Alexandria · Text

σκει, τοῦτο διὰ τὸν τοῦ σώματος θόρυβον γίνεται. ἐν οἷς ἡ θεωρία σὺν θεῷ πληροῦται. […]

429b30 Ὅτι δυνάμει πώς ἐστι τὰ νοητὰ ὁ νοῦς. [533, 21] Ἐπειδὴ εἴρηται ὅτι ἔσται τὰ νοητὰ ὁ νοῦς, καὶ ὁ λίθος,

εἰπών τε ἄνω διττὸν εἶναι τὸ νοητόν, τό τε κυρίως καὶ οὐ κυρίως, νῦν φησιν ὅτι τὸ κυρίως δυνάμει ἐστὶν ὁ νοῦς τὰ νοητά, ὅταν δὲ νοῇ αὐτά, ἐνεργείᾳ· οὐ γὰρ ἔχει, φησί, τὰ νοητὰ ὁ νοῦς, εἰ μὴ νοῇ αὐτά· ἀγράφῳ γὰρ ἔοικε γραμματείῳ.

[533, 25] καὶ ὅρα ὅτι γραμματείῳ εἶπε, φησὶν ὁ Ἰάμβλιχος, καὶ οὐ

χαρτίῳ· γραμματεῖον δὲ οὐ λέγεται, εἰ μὴ ἔχει γράμματα. τοῦτο δὲ εἶπεν βουλόμενος τὴν ψυχὴν τῶν παίδων, ὅ ἐστιν ὁ δυνάμει νοῦς, ἔχειν τοὺς λόγους τῶν πραγμάτων. ὥστε εἰ γραμματείῳ αὐτὴν ἀπείκασε, δῆλον ὅτι τοὺς λόγους τῶν πραγμάτων ἔχει, ὥσπερ καὶ τὸ γραμματεῖον ἔχει γράμματα. εἰ δὲ ἀγράφῳ, ἀντὶ τοῦ κακογράφῳ, διὰ τὸ λεπτὰ καὶ ἀφανῆ ἔχειν γράμματα, ἐπεὶ καὶ ἄφωνον λέγομεν τραγῳδὸν τὸν κακόφωνον. ὥστε καὶ Ἀριστοτέλης, φησί, δοξάζει εἶναι ἐν τῇ ψυχῇ τὰ νοητά, ὡς Πλάτων, καὶ τοὺς λόγους πάντων, καὶ ἀνάμνησιν εἶναι, οὐ

Kommentar zu Aristoteles’ De anima (Auswahl)



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dem Tumult des Körpers. Damit ist der Überblick mit Gottes Hilfe beendet. […]

p. 533, 20–35 Aus der Lexis II zu de an. 3, 4, 429b10–430a9

Jamblich über das Bild der Schreibtafel 429b30 f. Dass der Geist der Möglichkeit nach die denkbaren

Dinge sei.

[533, 21] Da gesagt worden ist, dass der Geist dann alle denk-

baren Gegenstände wäre, auch der Stein, und nachdem Aristoteles weiter oben bemerkt hat, dass das Denkbare zweifach ausgesagt wird, im eigentlichen und im uneigentlichen Sinne,103 fügt er jetzt hinzu, dass das im eigentlichen Sinne [Denkbare],104 der Geist, der Möglichkeit nach die denkbaren Gegenstände ist; sobald er sie aber denkt, ist er sie in Wirklichkeit. Denn, so argumentiert er, der Geist hat die denkbaren Gegenstände nicht, wenn er sie nicht denkt; er gleicht ja einer unbeschriebenen Schreibtafel.105 [533, 25] Hierzu sagt Jamblich:106 Man beachte, dass er »Schreib­ tafel« und nicht »Blatt« gesagt hat. Man nennt etwas aber nicht Schreibtafel, wenn es keine Schriftzeichen enthält. (Das betont er aber deswegen, weil er möchte, dass die Seele der Kinder, d. h. der in Möglichkeit befindliche Geist, bereits die Sinngehalte der Dinge in sich hat – so dass, wenn Aristoteles sie mit einer Schreibtafel verglichen hat, sich klar ergibt, dass sie die Sinngehalte der Dinge besitzt, so wie die Schreibtafel Schriftzeichen besitzt.) Und wenn Aristoteles das Wort »unbeschrieben« verwendet, so tut er das anstelle von »schlecht beschrieben«, weil die Tafel nur eine dünne und kaum sichtbare Schrift enthält, da wir ja auch davon sprechen, dass ein Schauspieler »keine Stimme« hat, wenn er schlecht bei Stimme ist. Folglich – so sagt Jamblich – ist auch Aristoteles, genau wie Platon, der Ansicht, dass die denkbaren Gegenstände und die Sinngehalte von allem in der Seele sind und dass es Wiedererinnerung gibt, aber kein

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Stephanos von Alexandria · Text

μάθησιν. ταῦτα δὲ εἶπεν, ἵνα δείξῃ καὶ Ἀριστοτέλην ὁμόδοξον αὐτῷ. […]

430a10 Ἐπεὶ δ’ ὥσπερ ἐν ἁπάσῃ τῇ φύσει ἐστί τι τὸ μὲν ὕλη ἑκάσ­-

τῳ γένει (τοῦτο δὲ ὃ πάντα δυνάμει ἐκεῖνα), ἕτερον δὲ τὸ αἴτιον καὶ ποιητικόν, ὃ τῷ ποιεῖν πάντα.

1. [534, 19] Μετὰ τὸ ζητῆσαι ἐπὶ τοῦ δυνάμει νοῦ τέσσαρά τινα ἔρ-

χεται λοιπὸν καὶ ἐπὶ τὸν ἐνεργείᾳ νοῦν καὶ δέκα ἐπὶ αὐτοῦ ζητεῖ, πρῶτον μὲν ὅτι πάντα ποιεῖ ὁ νοῦς, δεύτερον ὅτι τῇ οὐσίᾳ ἐνεργεῖ. οὐδὲ γὰρ ὡς αἱ ἄλλαι οὐσίαι προβάλλονται ἐνεργείας, οὕτως ἐστὶ καὶ ἐπὶ τοῦ ἐνεργείᾳ νοῦ· οὐδὲ γὰρ ἡ οὐσία τοῦ ἐνεργείᾳ νοῦ προβάλλεται τὴν ἐνέργειαν, ἀλλ’ αὐτόθεν αὐτὴ ἡ οὐσία αὐτοῦ ἐνέργειά ἐστι καὶ οὐκ ἔστιν ἕτερον ἡ οὐσία τοῦ ἐνεργείᾳ νοῦ παρὰ τὴν ἐνέργειαν αὐτοῦ. τρίτον, φησί, ὑπάρχει τῷ ἐνεργείᾳ νῷ τὸ ἀεὶ νοεῖν τε καὶ ἐνεργεῖν καὶ μηδέποτε ἀπολήγειν τοῦ ἐνεργεῖν, τέταρτον ὅτι ψυχικός ἐστι, πέμπτον ὅτι ἀθάνατος, ἕκτον ὅτι χωριστός ἐστιν. ἕβδομον ὅτι ἕξει καὶ φωτὶ ἀναλογεῖ·



Kommentar zu Aristoteles’ De anima (Auswahl)

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Lernen. Das sagt er, um zu zeigen, dass Aristoteles die gleiche Ansicht vertritt wie er selbst.107 […]

p. 534, 16–539, 12 Theoria zu de an. 3, 5, 430a10–25

Ist der aristotelische »Geist in Verwirklichung« überindividuell und transzendent oder eine Form des individuellen menschlichen Geistes? Die Auffassungen von Alexander, Marinos, Plotin und Plutarch 430a10–12 Da nun so wie in der gesamten Natur zum einen et-

was die Materie ist für jede Gattung (sie ist es, was der Möglichkeit nach jenes alles ist) und etwas anderes die Ursache und das Bewirkende dadurch, dass es alles hervorbringt etc.

1. Der Wortlaut des Textes: Zehn Kernaussagen [534, 19] Nachdem [Aristoteles] in Bezug auf den in Möglich-

keit befindlichen Geist vier Probleme untersucht hat, geht er nunmehr auch zum in Verwirklichung befindlichen Geist über und untersucht in Bezug auf ihn zehn Punkte: erstens, dass der Geist alles erschafft;108 zweitens, dass er seinem Wesen nach tätig ist109 (denn es verhält sich beim in Verwirklichung befindlichen Geist nicht so, wie andere Wesen Tätigkeiten aus sich heraussetzen; denn das Wesen des in Verwirklichung befindlichen Geistes setzt nicht etwa die Tätigkeit aus sich heraus, sondern sein Wesen selbst ist von sich aus Tätigkeit; kurz, das Wesen des in Verwirklichung befindlichen Geistes ist nichts anderes als seine Verwirklichung).110 Drittens, so Aristoteles, trifft für den in Verwirklichung befindlichen Geist zu, dass er immer denkt und immer tätig ist und in seiner Tätigkeit niemals nachlässt;111 viertens, dass er zur Seele gehört;112 fünftens, dass er unsterblich ist;113 sechstens, dass er abtrennbar ist;114 siebentens, dass er der Disposition und dem Licht analog ist115

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Stephanos von Alexandria · Text

ὥσπερ γὰρ τὸ φῶς οὐκ αὐτὸ ποιεῖ τὰ χρώματα, ἀλλὰ τὰ ἤδη ὄντα φανερὰ ποιεῖ, οὕτω καὶ ὁ ἐνεργείᾳ νοῦς οὐ ποιεῖ τὰ πράγματα, ἀλλὰ τὰ ἤδη ὄντα ἐντυποῖ καὶ ἐγχαράττει τῷ δυνάμει νῷ. ὄγδοον ὅτι ὁ δυνάμει νοῦς τοῦ ἐνεργείᾳ χρόνῳ διαφέρει, καὶ οὐ τῷ ὑποκειμένῳ, ἔννατον ὅτι ἐπιλανθάνεται ὁ νοῦς, δέ[535]κατον ὅτι ἀεὶ μετὰ φαντασίας ἐνεργεῖ.

2. [535, 1] ταῦτα τὰ κεφάλαια τῆς λέξεως εἰπούσης ὑπάρχειν τῷ

ἐνεργείᾳ νῷ καὶ μηδὲν ἕτερον εἰπούσης, οἱ ἐξηγηταὶ ἐπὶ πολλὰς καὶ διαφόρους ὁδοὺς ἐτράπησαν, ἄλλων ἄλλως ἐκλαμβανόντων τὸν ἐνεργείᾳ νοῦν. Ἀλέξανδρος μὲν γὰρ ἐνεργείᾳ νοῦν ἐκάλεσε τὴν μίαν τῶν πάντων ἀρχὴν ἤτοι τὸν θύραθεν νοῦν. Μαρῖνος δὲ ἐνεργείᾳ νοῦν εἶπεν οὐ τὴν μίαν τῶν πάντων ἀρχὴν ἀλλὰ δαιμόνιόν τινα ἢ ἀγγελικόν· ἁπλῶς γοῦν οὔτε τὸν ἡμέτερον λέγει ἐνεργείᾳ νοῦν οὔτε τὸν τῆς μιᾶς τῶν πάντων ἀρχῆς. Πλωτῖνος δὲ ἐνεργείᾳ νοῦν ἐνόησε τὸν ἀνθρώπινον νοῦν, τὸν μὲν ἀεὶ ἐνεργοῦντα, τὸν δέ ποτε ἐνεργοῦντα. πεπλάνηται δὲ Πλωτῖνος ἀπὸ Πλάτωνος· ἀκούσας γὰρ ἐξ ἐκείνου ὅτι ἡ ψυχὴ ἀεικίνητός ἐστιν, ἐνόμισεν ἀεικίνητον αὐτὸν λέγειν τῷ ἀεὶ νοεῖν, καὶ διὰ τοῦτο οἴεται εἶναι νοῦν ἀεὶ νοοῦντα. φησὶν οὖν ὁ Πλωτῖνος ὅτι ἐνεργείᾳ νοῦν λέγει τὸν ἀνθρώπινον νοῦν τὸν ἀεὶ



Kommentar zu Aristoteles’ De anima (Auswahl)

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(denn wie das Licht die Farben nicht selber erschafft, sondern solche, die bereits da sind, sichtbar macht, so erschafft auch der in Verwirklichung befindliche Geist die Dinge nicht, sondern prägt solche, die bereits da sind, dem in Möglichkeit befindlichen Geist als Abdrücke ein);116 achtens, dass der in Möglichkeit befindliche Geist sich von dem in Verwirklichung befindlichen Geist der Zeit nach, nicht aber dem Zugrundeliegenden nach unterscheidet;117 neuntens, dass es beim Geist Vergessen gibt;118 und zehntens, dass er immer in Verbindung mit der Vorstellungskraft tätig ist.119

2. Doxographie der älteren Auslegungen [535, 1] Der Wortlaut sagt, dass diese zehn Hauptpunkte dem in

Verwirklichung befindlichen Geist zukommen, und sonst sagt er nichts. Infolgedessen haben die Ausleger viele verschiedene Wege eingeschlagen, und jeder hat den in Verwirklichung befindlichen Geist anders aufgefasst:120 Alexander hat als den in Verwirklichung befindlichen Geist den einen Ursprung von allem bezeichnet bzw. den Geist von außerhalb. Marinos121 hat behauptet, dass nicht der eine Ursprung von allem der in Verwirklichung befindliche Geist sei, sondern ein Geist, der zu Dämonen oder Engeln gehört; kurz, er setzt jedenfalls weder unseren Geist als den in Verwirklichung befindlichen Geist an noch den der einen Ursache von allem. Plotin122 hat unter dem in Verwirklichung befindlichen Geist den menschlichen Geist verstanden, und zwar einmal den, der immer tätig ist, und zum anderen den, der es nur gelegentlich ist. Hier hat Plotin sich von Platon in die Irre führen lassen;123 da er bei diesem nämlich gelesen hatte, dass die Seele »immerbewegt« sei,124 glaubte er, dass Platon sie immerbewegt nenne, weil sie immer denke, und aus diesem Grund meint er, dass sie ein immer denkender Geist sei.125 Plotin also behauptet, dass Aristoteles mit dem in Verwirklichung befindlichen Geist den menschlichen Geist meine, und zwar denjenigen, der immer denkt. Plutarch126 schließ-

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Stephanos von Alexandria · Text

νοοῦντα. Πλούταρχος δέ, ὃ καὶ ἡμεῖς τιθέμεθα, οὐκ οἴεται εἶναι παρ’ ἡμῖν διττὸν νοῦν, ἀλλ’ ἁπλοῦν, καὶ τοῦτον τὸν ἁπλοῦν οὐ λέγει ἀεὶ νοοῦντα, ἀλλά ποτε νοοῦντα. οἴεται οὖν ὁ Πλούταρχος ἐνεργείᾳ λέγειν τὸν νοῦν τὸν ἀνθρώπινον, ὃν οἴεται καὶ ποτὲ νοεῖν. τοσαῦταί εἰσιν αἱ γινόμεναι δόξαι περὶ τοῦ ἐνεργείᾳ νοῦ, τέτταρες τὸν ἀριθμόν, ἡ Ἀλεξάνδρου, ἡ Μαρίνου, ἡ Πλωτίνου, ἡ Πλουτάρχου, καὶ ἑκάστη αὐτῶν δικαιολογίαις κέχρηται. δίκαιον οὖν ἐκθέσθαι τὰς συνηγορίας ἑκάστης δόξης.

[535, 20] Ἀλέξανδρος μὲν οὖν ἔλεγεν ἐνεργείᾳ νοῦν τὸ πρῶτον

αἴτιον· ἐπλανᾶτο δὲ ἐκ τοῦ ἀκούειν αὐτὸν ὅτι πάντα ποιεῖ. τίς γάρ ἐστι ὁ πάντα ποιῶν, εἰ μὴ ἡ πρώτη αἰτία; εἰ οὖν Ἀριστοτέλης λέγει ὅτι ὁ κατ’ ἐνέργειαν νοῦς πάντα ποιεῖ, δῆλον ὅτι κατ’ ἐνέργειαν νοῦν λέγει τὴν πρώτην αἰτίαν. καὶ ὅτι πάλιν λέγει τῇ οὐσίᾳ σύνδρομον ἔχειν τὴν ἐνέργειαν τὸν ἐνεργείᾳ νοῦν, ὅπερ μόνῳ θεῷ οἰκεῖον (ὁ γὰρ ἡμέτερος νοῦς φαίνεται διὰ δυνάμεως τὴν ἐνέργειαν ποιούμενος), καὶ πάλιν ὅτι ἀεὶ ἐνεργεῖ. ἐντεῦθεν οὖν ὁ Ἀλέξανδρος ἠπατᾶτο καὶ ἔλεγεν ὅτι οὐδενὶ ταῦτα εἰ μὴ μόνῳ θεῷ ἁρμόττει· θεοῦ γὰρ μόνον οἰκεῖον τὸ σύνδρομον ἔχειν τῇ οὐσίᾳ τὴν ἐνέργειαν καὶ τὸ ἀεὶ ἐνεργεῖν.

[535, 29] ὁ δὲ Πλωτῖνος ἠπατᾶτο ἐκ τοῦ ἀεὶ ἐνεργεῖν καὶ ὑπετίθετο

ἐν ἡμῖν νοῦν ἀεὶ ἐνεργοῦντα, καὶ τοῦτον ἔλεγεν ἐνεργείᾳ νοῦν.

[535, 31] Μαρῖνος δὲ τοῖς ἐξ ἀμφοῖν χρησάμενος λόγοις δαιμόνιον

νοῦν ἔλεγεν Ἀριστοτέλην εἰπεῖν τὸν ἐνεργείᾳ νοῦν. ἀνθρωπίνου



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lich – und dessen Meinung ist auch die unsere – ist nicht der Ansicht, dass es bei uns einen doppelten, sondern dass es nur einen einfachen Geist gibt, und dieser einfache Geist ist nach seiner Aussage nicht immer denkend, sondern nur gelegentlich. Nach der Auffassung Plutarchs meint Aristoteles also mit dem verwirklichten Geist den menschlichen Geist, der seiner Auffassung nach nur gelegentlich denkt. So viele verschiedene Ansichten über den in Verwirklichung befindlichen Geist gibt es, vier an der Zahl, die des Alexander, des Marinos, des Plotin und des Plutarch, und jede von ihnen hat Argumente zu ihren Gunsten anzuführen. Es ist also nur gerecht, wenn wir die jede Ansicht stützenden Plädoyers hier referieren. [535, 20] Alexander also hat behauptet, der in Verwirklichung befindliche Geist sei die erste Ursache. In die Irre führen lassen hat er sich dadurch, dass er bei Aristoteles las, dass jener Geist »alles hervorbringt«:127 Denn wer ist es, der alles hervorbringt, wenn nicht die erste Ursache? Wenn also Aristoteles davon spricht, dass der in Verwirklichung befindliche Geist alles hervorbringt, dann ist es klar, dass er mit dem in Verwirklichung befindlichen Geist die erste Ursache meint. Weiterhin [ließ er sich] durch Aristoteles’ Aussage [täuschen], dass beim in Verwirklichung befindlichen Geist die Tätigkeit mit dem Wesen einhergehe, was einzig dem Gott zu eigen ist (während es bei unserem Geist ja offensichtlich ist, dass er seine Tätigkeit mittels einer Fähigkeit hervorbringt);128 und schließlich [ließ er sich davon täuschen], dass der in Verwirklichung befindliche Geist immer tätig ist. Diese Punkte also haben Alexander in die Irre geführt, so dass er behauptete, sie passten zu nichts anderem als zu Gott; denn nur Gott ist es eigen, dass seine Tätigkeit mit seinem Wesen einhergeht und dass er immer tätig ist. [535, 29] Plotin hat sich davon täuschen lassen, dass der Geist immer tätig ist, und in uns einen Geist angenommen, der immer tätig ist, und diesen hat er den in Verwirklichung befindlichen Geist genannt. [535, 31] Marinos wiederum hat unter Benutzung der Argumente beider behauptet, dass Aristoteles mit dem in Verwirkli-

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Stephanos von Alexandria · Text

μὲν γὰρ οὐκ ἔστι, διὰ τὸ εἰπεῖν ὅτι πάντα νοεῖ καὶ τῇ οὐσίᾳ ἐνεργεῖ καὶ ἀεὶ νοεῖ· ἀλλὰ μὴν οὔτε τοῦ θύραθέν ἐστι νοῦ· εἰ γὰρ λέγει ‹ὅτι› φωτὶ ἀναλογεῖ καὶ ἕξει καὶ ὅτι μετὰ φαντασίας ἐνεργεῖ καὶ ἐπιλανθάνεται, οὐκ ἔστι ταῦτα τοῦ θύραθεν νοῦ. τὸ οὖν εἰπεῖν ὅτι φωτὶ καὶ ἕξει ἀναλογεῖ δείκνυσιν ὅτι ταῦτα ἴδιά ἐστι νοῦ τινος μεταξὺ ὄντος τοῦ θύραθεν καὶ τοῦ ἀνθρωπίνου, οἷον ἀγγελικοῦ νοῦ. καὶ τὸ φῶς γὰρ μέσον ἐστὶ φωτίζοντος καὶ φωτιζομένου, καὶ ἡ ἕξις δὲ μέση ἐστὶν ἐπιτηδειότητος καὶ προχειρί[536]σεως· τούτοις δὲ τὸν νοῦν ἀφωμοίωσεν, ὥστε δῆλον ὅτι μέσον τινὰ λέγει νοῦν τοῦ τε ἀνθρωπίνου καὶ τοῦ θύραθεν.

[536, 2] ὁ δὲ Πλούταρχος δικαιολογεῖται λέγων ὅτι περὶ ψυχῆς

ἐστιν ἡ πραγματεία καὶ οὐκ εἶχεν Ἀριστοτέλης νῦν περὶ τοῦ θύραθεν νοῦ διαλέγεσθαι· ἀλλ’ ἐνεργείᾳ νοῦν καλεῖ τὸν ἀνθρώπινον, ἐπειδὴ καὶ περὶ τούτου ἐστὶν ἡ προκειμένη πραγματεία.

3. [536, 5] λοιπὸν κοινὴ καταδρομὴ τῶν τριῶν, Ἀλεξάνδρου φημὶ καὶ

Μαρίνου καὶ Πλωτίνου, ‹ἐκ› τῆς λέξεως γίνεται. εὑρίσκομεν γὰρ τὸν Ἀριστοτέλην λέγοντα ὅτι ὁ ἐνεργείᾳ νοῦς τῷ μὲν ὑποκειμένῳ ὁ αὐτός ἐστι, τῷ δὲ χρόνῳ διάφορος παρὰ τὸ δυνάμει καὶ τὸ ἐνεργείᾳ· πρότερον γὰρ ὢν δυνάμει ὕστερον ἐνεργείᾳ



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chung befindlichen Geist den Geist der Dämonen gemeint habe: Zum menschlichen Geist nämlich passt [das Gesagte] nicht, weil es heißt, dass er alles denkt129 und seinem Wesen nach tätig ist und immer denkt. Andererseits passt es aber auch nicht zu dem von außerhalb kommenden Geist; denn wenn davon die Rede ist, dass er dem Licht und der Disposition analog ist, dass er in Verbindung mit der Vorstellungskraft tätig ist und dass er vergisst, so passt das alles nicht zum von außerhalb kommenden Geist. Wenn es nun heißt, dass er dem Licht und der Disposition analog ist, so weist das darauf hin, dass dies besondere Eigenschaften eines Geistes sind, der zwischen dem Geist von außerhalb und dem menschlichen Geist steht, beispielsweise des Geistes der Engel. Auch das Licht ist ja ein Mittleres zwischen dem Beleuchtenden und dem Beleuchteten,130 und die Disposition ist ein Mittleres zwischen bloßer Eignung und [536] tatsächlicher Ausübung.131 Mit eben diesen hat Aristoteles [den Geist] aber verglichen, so dass deutlich ist, dass er einen Geist in der Mitte zwischen dem menschlichen Geist und dem Geist von außerhalb meint. [536, 2] Plutarch wiederum erklärt die Berechtigung seiner Position mit dem Argument, dass die Abhandlung über die Seele geht und Aristoteles hier keinen Anlass hatte, über den Geist von außerhalb zu sprechen;132 vielmehr meine er mit dem in Verwirklichung befindlichen Geist den menschlichen Geist, da dieser ja das Thema der vorliegenden Abhandlung ist.

3. Kritik der älteren Auslegungen [536, 5] Ein Angriff133 auf alle drei gemeinsam, also auf Alexan-

der, Marinos und Plotin, bietet sich nun aufgrund des Wortlauts an. Denn da finden wir die Aussage des Aristoteles, dass der in Verwirklichung befindliche Geist dem Zugrundeliegenden nach einer und derselbe ist, sich aber zeitlich nach Möglichkeit und Verwirklichung unterscheidet.134 Denn während er sich zunächst nur in Möglichkeit befindet, wird er später Geist in

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Stephanos von Alexandria · Text

γέγονεν. εἰ οὖν ταῦτα ἐν τῇ λέξει φησὶν Ἀριστοτέλης, δῆλον ὅτι οὔτε θεὸν λέγει νῦν κατ’ ἐνέργειαν νοῦν, ὡς Ἀλεξάνδρῳ δοκεῖ (ὁ γὰρ θεὸς οὐκ ἦν πρότερον δυνάμει, ἀλλ’ ἀεὶ ἐνεργείᾳ ἐστί, πηγὴ ὢν ἀγαθότητος), οὔτε ὁ δαιμόνιος νοῦς ἢ ὁ ἀγγελικὸς πρότερον δυνάμει ἦν· καὶ τούτους γὰρ τοὺς νοῦς Ἀριστοτέλης ἐνεργείᾳ βούλεται εἶναι· ὥστε οὖν καὶ ὁ Μαρῖνος κακῶς λέγει. ἀλλὰ καὶ Πλωτίνῳ ἐναντιοῦται. εἰ γὰρ κατ’ αὐτὸν ἀεὶ ἐνεργεῖ, οὐκ ἦν πρότερον δυνάμει· ὁ δὲ Ἀριστοτέλης λέγει ὅτι πρότερον δυνάμει ἦν. δῆλον οὖν ἄρα γέγονεν διὰ τοῦτο ὅτι οὔτε τὸν θεὸν λέγει οὔτε τὸν δαιμόνιον ἢ τὸν ἀγγελικὸν οὔτε τῶν ἀεὶ ἐνεργούντων νοῦν, ἀλλὰ περὶ τοῦ ἐν ἡμῖν νοῦ ἐστιν ὁ λόγος. αὕτη μὲν πρώτη καταδρομή.

[536, 20] δευτέρα δέ ἐστιν αὕτη, πῶς λέγει Ἀριστοτέλης ὅτι ὁ

νοῦς μόνος ἐστὶν ἀθάνατος καὶ ἀίδιος· ἔφη γὰρ ʽκαὶ τοῦτο μόνον ἀθάνατον καὶ ἀίδιον’. εἴ τε γὰρ τὸ πρῶτον αἴτιον νοήσομεν, οὐκ ἔστι μόνον ἀθάνατον (ἔστι γὰρ καὶ ἄλλα ἀθάνατα) οὔτε εἰ τὸν ἀγγελικὸν νοήσομεν ἢ τὸν δαιμόνιον, πάλιν οὗτος μόνος ἀθάνατός ἐστι (καὶ ἡ πρώτη γὰρ αἰτία ἀθάνατος) οὔτε πάλιν κατὰ τὸν Πλωτῖνον εἰ τὸν ἀεὶ νοοῦντα νοῦν νοήσομεν, οὗτος μόνος ἐστὶν ἀθάνατος· εἰσὶ γὰρ καὶ ἄλλα ἀθάνατα, ὡς οἱ ποτὲ νοοῦντες νόες. οὔτε γὰρ μόνοι οἱ ἀεὶ νοοῦντες νόες εἰσὶν ἀθάνατοι, ἀλλὰ καὶ οἱ ποτὲ νοοῦντες κατὰ Πλωτῖνον. ὥστε καὶ αὕτη κοινή ἐστι καταδρομὴ αὐτῶν τὸ μὴ εὑρίσκειν αὐτοὺς περὶ ποίου νοῦ εἶπεν ὅτι μόνος ἐστὶν ἀθάνατος.

[536, 29] οἱ δὲ λέγοντες τὸν νοῦν τὸν ἀνθρώπινόν ποτε νοεῖν, καὶ

τοῦτον μόνον εἶναι καὶ μὴ ἔχειν ἡμᾶς ἄλλον νοῦν δύνανται ἀπο-



Kommentar zu Aristoteles’ De anima (Auswahl)

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Verwirklichung. Und wenn Aristoteles das im Wortlaut sagt, dann ist es klar, dass er mit dem in Verwirklichung befindlichen Geist hier weder den Gott meint, wie Alexander glaubt (der Gott war ja nicht zunächst im Zustand der Möglichkeit, sondern ist immer in Verwirklichung, da er ja die Quelle der Gutheit ist135), noch war der Geist der Dämonen oder der Engel zunächst im Zustand der Möglichkeit; denn auch diese Arten des Geistes bestehen nach dem Willen des Aristoteles in Verwirklichung,136 so dass also auch Marinos unrecht hat. Aber [der Wortlaut] spricht auch gegen Plotin. Denn wenn [der Geist] ihm zufolge immer tätig ist, dann war er nicht zunächst im Zustand der Möglichkeit; Aristoteles sagt aber, dass er zunächst im Zustand der Möglichkeit war. Aus diesem Grund ist nun also deutlich geworden, dass er weder den Gott meinen kann noch den Geist der Dämonen oder der Engel, noch den der immer tätigen [Wesen],137 sondern dass seine Argumentation sich mit dem Geist in uns befasst. Das ist der erste Angriff. [536, 20] Der zweite ist der folgende: In welchem Sinne spricht Aristoteles davon, dass einzig der Geist unsterblich und ewig sei? Es heißt ja: »und nur dieses ist unsterblich und ewig«.138 Wenn wir darunter nämlich die erste Ursache verstehen, so trifft es nicht zu, dass nur diese unsterblich ist (es gibt ja noch andere unsterbliche Wesen); wenn wir darunter den Geist der Engel oder Dämonen verstehen, so trifft wiederum nicht zu, dass nur dieser unsterblich ist (auch die erste Ursache ist ja unsterblich); und wenn wir schließlich mit Plotin den immer denkenden Geist darunter verstehen, so ist auch dieser nicht als einziger unsterblich, weil es noch andere unsterbliche Wesen gibt, z. B. die nur manchmal denkenden Geistwesen. Denn nach Plotin sind nicht nur die immer denkenden Geistwesen unsterblich, sondern auch diejenigen, die nur manchmal denken. Auch dies ist also ein Angriff auf sie alle gemeinsam, dass sie nicht bestimmen können, von welchem Geist Aristoteles sagt, dass einzig er unsterblich sei. [536, 29] Wer dagegen behauptet, dass der menschliche Geist nur manchmal denke und dass dieser der einzige sei und wir

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Stephanos von Alexandria · Text

λογήσασθαι καὶ εἰπεῖν οὕτως ὅτι πολλῶν ὄντων τῶν συμπληρούντων τὸν ἄνθρωπον μόνος ὁ νοῦς ἐστιν ἀθάνατος καὶ ἀίδιος. τὸ οὖν μόνος πρὸς τὰ συμπληροῦντα τὸν ἄνθρωπον λογιστέον. Πλωτῖνος δὲ ταύτην τὴν ἀπολογίαν οὐ δύναται εἰπεῖν· δύο γὰρ ὑποτίθεται νοῦς, τόν τε ἀεὶ νοοῦντα καὶ τὸν ποτέ· τίνα οὖν ἔχει εἰπεῖν μόνως ἀθάνατον; εἴτε γὰρ τὸν ἀεὶ νοοῦντα, ψεύδεται· καὶ γὰρ καὶ ὁ ποτὲ νοῶν ἀθάνατός ἐστιν· εἴτε τὸν ποτὲ νοοῦντα εἴποι ἀθάνατον, ἀλλὰ καὶ ὁ ἀεὶ νοῶν κατ’ αὐτόν. ὥστε οὐδὲ Πλωτῖνος ἔχει λέγειν, πῶς λέγομεν [537] μόνως ἀθάνατον τὸν νοῦν.

[537, 1] καλῶς δὲ πρόσκειται τὸ ἀθάνατον καὶ ἀίδιον εἶναι τὸν

νοῦν· καὶ ἡ ἄλογος γὰρ καὶ ἡ φυτικὴ ἀθάνατοι μέν εἰσιν, οὐκ ἀίδιοι δέ. εἰ γὰρ χορηγοῦσι ζωήν, οὐδὲν δὲ τὸ ἐναντίον δέχεται οὗ χορηγεῖ, εἰ ἄρα ἔχουσι τὴν ζωήν, καὶ ἀθάνατοί εἰσιν. οὐ μὴν ἀίδιοι· ἀίδιον μὲν γὰρ λέγεται κατὰ τὸ ἀεὶ ὑπάρχειν, ἀθάνατον δὲ κατὰ τὸ ἀεὶ ζῆν. ὥστε ὁ νοῦς μόνον τῶν ἐν ἡμῖν καὶ ἀεὶ ὑπάρχει καὶ ἀεὶ ζῇ, ἄλογος δὲ καὶ φυτικὴ ἀεὶ μὲν ζῆν λέγεται, οὐκ ἀεὶ δὲ εἶναι. ὥστε καὶ τοῦτο τῷ ἀνθρωπίνῳ νῷ ὑπάρχει. αὗταί εἰσιν αἱ κοιναὶ καταδρομαὶ πρὸς τοὺς τρεῖς.

[537, 9] πρὸς Ἀλέξανδρον δὲ καὶ Μαρῖνον ταῦτα λέγειν ἔχομεν

ὅτι ἐν τῇ λέξει τὸν κατ’ ἐνέργειαν νοῦν χωριστὸν λέγει, οὐ κεχωρισμένον· τὸ δὲ πρῶτον αἴτιον, ὃ λέγει Ἀλέξανδρος ἐνεργείᾳ νοῦν εἶναι, ἢ ὁ δαιμόνιος, ὃν Μαρῖνος λέγει, κεχωρισμένοι εἰσίν, οὐ μὴν χωριστοί. τὸ μὲν γὰρ χωριστὸν σημαίνει ὅτι οὔπω μὲν κε-



Kommentar zu Aristoteles’ De anima (Auswahl)

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keinen anderen Geist besäßen, kann sich mit der folgenden Argumentation verteidigen: Es gibt zwar viele den Menschen vervollständigende [Elemente], doch ist von diesen nur der Geist unsterblich und ewig; das Wort »nur« ist also mit Bezug auf die den Menschen vervollständigenden [Elemente] zu denken.139 Plotin kann diese Verteidigung nicht vorbringen, denn er nimmt zwei Formen von Geist an, denjenigen, der immer denkt, und den, der es nur manchmal tut. Von welchem könnte er also sagen, dass er allein unsterblich sei? Wenn er den immer denkenden angäbe, wäre das falsch, denn auch der nur manchmal denkende Geist ist unsterblich; wenn er hingegen den nur manchmal denkenden als unsterblich bezeichnen wollte, so träfe das seiner eigenen Auffassung nach doch auch für den immer denkenden zu. Folglich kann auch Plotin nicht angeben, in welchem Sinne wir davon sprechen, dass [537] allein der Geist unsterblich sei. [537, 1] Und zu Recht ist hinzugesetzt, dass der Geist unsterblich und ewig ist; denn die nichtrationale und die vegetative Seele sind ebenfalls unsterblich, aber sie sind nicht ewig. Wenn sie nämlich Leben spenden und wenn nichts das Gegenteil von dem aufnimmt, was es spendet, dann folgt, dass sie, wenn sie Leben besitzen, auch unsterblich sind. Sie sind indessen nicht ewig: Denn »ewig« heißt etwas, wenn es immer existiert, »unsterblich« hingegen, wenn es immer lebt.140 Folglich ist der Geist das Einzige in uns, was sowohl immer existiert als auch immer lebt, während man von der nichtrationalen und der vegetativen Seele zwar sagen kann, dass sie immer leben, nicht aber, dass sie immer da sind. Auch dies kommt somit dem menschlichen Geist zu. So weit die Angriffe auf alle drei gemeinsam. [537, 9] Gegen Alexander und Marinos können wir Folgendes einwenden: Im Wortlaut bezeichnet Aristoteles den in Verwirklichung befindlichen Geist als abtrennbar, nicht als abgetrennt. Dagegen ist die erste Ursache, die nach Alexanders Erklärung der verwirklichte Geist ist bzw. der Geist der Dämonen, den Marinos angibt, abgetrennt, aber nicht abtrennbar. Denn »abtrennbar« bedeutet, dass etwas zwar noch nicht abgetrennt ist,

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Stephanos von Alexandria · Text

χώρισται, δύναται δὲ χωρισθῆναι· ἐκεῖνοι δὲ ἤδη κεχωρισμένοι εἰσί, καὶ ἡ πρώτη αἰτία καὶ ὁ δαιμόνιος νοῦς ἢ ὁ ἀγγελικός, οὐ μόνον τῷ λόγῳ ἀλλὰ καὶ τῇ οὐσίᾳ, ὅ ἐστι τῷ ὑποκειμένῳ. ὥστε καταδρομή ἐστιν ἐκ τῆς λέξεως τὸ εἰπεῖν τὸν κατ’ ἐνέργειαν νοῦν χωριστὸν ἀλλὰ μὴ κεχωρισμένον. καὶ ἄλλη δέ ἐστι καταδρομὴ ὅτι τὸν νοῦν τοῦτον τὸν κατ’ ἐνέργειαν ψυχικὸν καλεῖ· οὔτε δὲ ἡ πρώτη αἰτία, ὦ Ἀλέξανδρε, ψυχική ἐστι οὔτε ‹ὁ› δαίμων, ὦ Μαρῖνε· ὥστε τὸν κατ’ ἐνέργειαν νοῦν οὔτε τὸν δαίμονα δυνάμεθα νοῆσαι οὔτε τὴν πρώτην αἰτίαν, ἀλλὰ μόνον τὸν ποτὲ ἐνεργοῦντα νοῦν ἐν ἡμῖν, τὸν ἀνθρώπινον. καὶ ὅτι ἐν τῇ λέξει φησὶ τὸν κατ’ ἐνέργειαν νοῦν μετὰ φαντασίας ἐνεργεῖν· οὔτε δὲ ἡ πρώτη αἰτία μετὰ φαντασίας ἐνεργεῖ οὔτε ὁ δαίμων, ἀλλὰ μόνος ὁ ἐν ἡμῖν νοῦς. καὶ αὕτη οὖν κοινὴ καταδρομή ἐστιν Ἀλεξάνδρου καὶ Μαρίνου.

[537, 25] πρὸς δέ γε Ἀλέξανδρον ἰδίᾳ ταῦτα ἔχομεν λέγειν ὅτι πῶς

ἔχομεν νοῆσαι τὸν κατ’ ἐνέργειαν νοῦν λέγειν αὐτὸν τὴν πρώτην αἰτίαν, εἴ γε φωτὶ αὐτὸν ἀπεικάζει καὶ ἕξει; ἡ γὰρ πρώτη αἰτία οὐσία ἐστὶ καὶ οὐχ ἕξις, καὶ οὐσίας παράγει καὶ οὐδὲν ἀναλογεῖ φωτὶ ἀλλ’ αὐτῷ τῷ ἡλίῳ· ὥστε οὖν καὶ τοῦτο τῷ ἐν ἡμῖν ὑπάρχοντι νῷ ἁρμόζει. καὶ πάλιν φησὶν Ἀριστοτέλης ὅτι ὥσπερ τὸ φῶς οὐ ποιεῖ τὰ χρώματα, ἀλλ’ ὄντα αὐτὰ φανεροῖ, οὕτω καὶ ὁ νοῦς πάντα δοκεῖ ποιεῖν τῷ πάντα φανεροῦν. τοῦτο δὲ ἄτοπον περὶ τῆς πρώτης αἰτίας λέγειν· ἡ γὰρ πρώτη αἰτία αὐτὴν τὴν οὐσίαν τῶν ὄντων παράγει, καὶ οὐδέν ἐστιν ὃ οὐκ αὐτὴ ἐποίησε. καὶ πάλιν, ὦ Ἀλέξανδρε, ἕξιν αὐτὸν ἐκάλεσεν, ἡ δὲ ἕξις τὸ δεύτερον δυνάμει ἐστίν· ἡ δὲ πρώτη αἰτία κατ’ οὐδένα τρόπον δυνάμει



Kommentar zu Aristoteles’ De anima (Auswahl)

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aber abgetrennt werden kann; jene dagegen sind bereits abgetrennt, die erste Ursache ebenso wie der Geist der Dämonen oder der Engel, nicht nur dem Begriffe, sondern auch dem Wesen, d. h. dem Zugrundeliegenden nach. Ein Angriff aufgrund des Wortlauts ergibt sich demnach aus der Formulierung, dass der in Verwirklichung befindliche Geist abtrennbar, aber nicht abgetrennt ist. Und ein weiterer Angriff ist, dass er diesen besagten in Verwirklichung befindlichen Geist als zur Seele gehörend anspricht: Weder die erste Ursache, lieber Alexander, gehört zur Seele, noch der Dämon, lieber Marinos! Somit können wir unter dem in Verwirklichung befindlichen Geist weder den Dämon verstehen noch die erste Ursache, sondern einzig den sich nur gelegentlich in Tätigkeit befindlichen Geist in uns, den menschlichen. Hierfür spricht auch, dass es im Wortlaut heißt, der in Verwirklichung befindliche Geist sei in Verbindung mit der Vorstellungskraft tätig: Weder die erste Ursache ist in Verbindung mit der Vorstellungskraft tätig noch der Dämon, sondern einzig der Geist in uns. Auch dies also ist ein Alexander und Marinos gemeinsam treffender Angriff. [537, 25] Gegen Alexander im Besonderen können wir Folgendes einwenden: Wie können wir daran denken, dass Aristoteles mit dem in Verwirklichung befindlichen Geist die erste Ursache meint, wo er ihn doch mit dem Licht und der Disposition vergleicht? Die erste Ursache ist ja Wesen und nicht Disposition, sie bringt Wesenheiten hervor141 und ist nicht dem Licht analog, sondern der Sonne selbst.142 Auch dies passt somit zu dem in uns existierenden Geist. Weiterhin sagt Aristoteles: Wie das Licht die Farben nicht erschafft, sondern Farben, die schon da sind, sichtbar macht, genauso scheint auch der Geist dadurch alles zu erschaffen, dass er alles sichtbar macht. Es wäre aber absurd, dasselbe von der ersten Ursache zu behaupten; denn die erste Ursache bringt das Wesen der seienden Dinge selbst hervor, und es gibt nichts, was sie nicht erschaffen hätte. Außerdem, lieber Alexander, hat er ihn als »Disposition« angesprochen; die Disposition ist aber das zweite in Möglichkeit Befindliche,143 während die erste Ursache in gar keinem Sinne im Zustand

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Stephanos von Alexandria · Text

ἐστίν. καὶ πάλιν φησὶ περὶ αὐτοῦ Ἀριστοτέλης ὅτι τῷ μὲν ὑποκειμένῳ ὁ αὐτός ἐστι, τῷ δὲ χρόνῳ διάφορος παρὰ τὸ δυνάμει καὶ ἐνεργείᾳ· ἡ δὲ πρώτη αἰτία κατ’ οὐδένα τρόπον πρότερον ἑαυτῆς τι ἔχει ἢ δυνάμει ἢ ἐνεργείᾳ. ἄλλως τε δὲ καὶ ἐπιλανθάνεσθαι λέγει τὸν νοῦν· τοῦτο δὲ ποῦ ὑπάρξει τῷ θύραθεν; ὁ γὰρ ἐν ἡμῖν νοῦς ἐστιν ὁ ἐπιλανθανόμενος διὰ τὴν πρὸς τὸ σῶμα σχέσιν ἐμποδιζόμενος.

4. [537, 41] πάντα οὖν ὅσα λέγει ἁρμόζειν Ἀριστοτέλης τῷ ἐνεργείᾳ νῷ, [538] περὶ τοῦ ἀνθρωπίνου νοῦ ἐστιν αὐτῷ ὁ λόγος τοῦ ἀπὸ

τοῦ δυνάμει φερομένου εἰς τὸ ἐνεργείᾳ. τοῦτο δὲ ἀποδείκνυται, εἰ τὰ δοκοῦντα μὴ ὑπάρχειν αὐτῷ, λέγω δὴ τὸ πάντα ποιεῖν καὶ τῇ οὐσίᾳ ἐνεργεῖν καὶ τὸ ἀεὶ νοεῖν, δείξομεν αὐτῷ ὑπάρχοντα. δεῖ τοίνυν εἰδέναι ὅτι πάντα λέγεται ποιεῖν ὁ ἐνεργείᾳ νοῦς διὰ τὸ πάντων τοὺς τύπους καταγράφειν ἐν τῷ δυνάμει νῷ. διὸ καὶ Πλάτων γραφεῖ τοῦτον εἰκάζει, Ἀριστοτέλης δὲ αὐτόθεν γραφέα αὐτὸν ὑποτίθεται. εἰ γὰρ ὁ δυνάμει νοῦς πάντα γίνεται, ὁ ἐνεργείᾳ ἄρα πάντα ποιεῖ. ὥστε τοῦτο δυνατὸν ἐπὶ τοῦ ἀνθρωπίνου νοῦ ὑπάρχειν· ὁ γὰρ θύραθεν οὐ καταγράφει ἐν τῷ δυνάμει νῷ πάντα, ἀλλ’ ὁ ἐν ἡμῖν ἐνεργείᾳ.

[538, 10] ἁρμόζει δὲ αὐτῷ καὶ τὸ ἄλλο ῥησίδιον τὸ λέγον ὅτι τῇ

οὐσίᾳ ἐνεργεῖ· καὶ ἵνα τοῦτο νοήσωμεν, ἄνωθεν ὀλίγον προλάβωμεν. ὁ ἐπιστήμων οὔτε ψυχή ἐστι μόνον οὔτε ἐπιστήμη μόνον,



Kommentar zu Aristoteles’ De anima (Auswahl)

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der Möglichkeit ist. Weiterhin sagt Aristoteles von ihm, dass er dem Zugrundeliegenden nach einer und derselbe, zeitlich aber nach Möglichkeit und Verwirklichung unterschieden sei. Bei der ersten Ursache aber gibt es in gar keinem Sinne etwas Früheres als sie selbst, ob nun der Möglichkeit oder der Verwirklichung nach. Schließlich sagt er noch, dass es beim Geist Vergessen gibt; und wie sollte das auf den von außerhalb kommenden Geist zutreffen? Es ist ja der Geist in uns, der vergisst, weil er wegen seiner Relation zum Körper beeinträchtigt ist.144

4. Schlussfolgerung: Der menschliche Geist als Gegenstand von an. III 5 [537, 41] Kurz: Bei allen nach Aristoteles’ Darstellung zum in

Verwirklichung befindlichen Geist passenden Eigenschaften [538] befasst sich seine Argumentation mit dem menschlichen Geist, der vom Zustand der Möglichkeit in den der Verwirklichung übergeht. Und das lässt sich beweisen, wenn wir nunmehr zeigen, dass dasjenige, was auf diesen nicht zuzutreffen scheint – will sagen: dass er alles erschafft, dass er seinem Wesen nach tätig ist und dass er immer denkt –, tatsächlich auf ihn zutrifft. Also: Man muss wissen, dass der Grund für die Aussage, dass der Geist alles erschafft, darin besteht, dass er dem in Möglichkeit befindlichen Geist Eindrücke von allem einschreibt. Deswegen vergleicht Platon ihn mit einem Maler;145 Aristoteles aber setzt von vornherein voraus, dass er ein Maler ist. Denn wenn der in Möglichkeit befindliche Geist alles wird, dann folgt daraus, dass der Geist in Verwirklichung alles erschafft. Es ist also ohne weiteres möglich, dass dieser Punkt auf den menschlichen Geist zutrifft; denn nicht der Geist von außerhalb schreibt dem in Möglichkeit befindlichen Geist alles ein, sondern der verwirklichte Geist in uns. [538, 10] Und auch der nächste Satz passt auf ihn, die Aussage, dass er seinem Wesen nach tätig ist.146 Um das zu verstehen, wollen wir ein wenig weiter ausholen. Ein Wissender ist weder

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Stephanos von Alexandria · Text

ἀλλὰ κρᾶμά ἐστιν ἐξ ἀμφοτέρων· σύγκειται γὰρ ὁ ἐπιστήμων ἐκ ψυχῆς καὶ ἐπιστήμης. καὶ ἀναλογεῖ ἡ μὲν ψυχὴ ὕλῃ, ἡ δὲ ἐπιστήμη εἴδει· καὶ ἐπειδὴ παντὸς πράγματος, ὡς ἐν τῇ Φυσικῇ ἔγνωμεν, μᾶλλον οὐσία ἐστὶ τὸ εἶδος τῆς ὕλης, οὐσία ἄρα ἐστὶ τοῦ ἐπιστήμονος ἡ ἐπιστήμη, καὶ ὁ ἐπιστήμων κατὰ τὴν ἐπιστήμην ἐνεργεῖ, αὕτη δὲ δέδεικται οὐσία οὖσα τοῦ ἐπιστήμονος. κατὰ τοῦτο οὖν ἄρα λέγεται τῇ οὐσίᾳ ἐνεργεῖν, διὰ τὸ τὴν ἐπιστήμην οὐσίαν εἶναι τοῦ ἐπιστήμονος· οὔτε γὰρ κατὰ τὸ ὑψηλὸν ἐκεῖνο καὶ ἐπηρμένον θεώρημα ὅτι ὡς ἐπὶ θεοῦ ἡ αὐτή ἐστιν ἡ οὐσία τῇ ἐνεργείᾳ· ἐπὶ γὰρ τῶν ψυχῶν καὶ τῶν ἄλλων οὐσιῶν χωρὶς τῆς πρώτης αἰτίας καὶ οὐσία ἐστὶ καὶ δύναμις καὶ ἐνέργεια. τῇ οὖν οὐσίᾳ λέγεται ἐνεργεῖν διὰ τὸ τὴν ἐπιστήμην οἱονεὶ οὐσίαν λέγεσθαι τῆς ψυχῆς. ἐκ τοῦ κρείττονος οὖν ὠνόμασε τὸν νοῦν· ἐπειδὴ γὰρ τῇ ἐνεργείᾳ ἐνεργεῖ ὁ νοῦς, καὶ ὢν ἐνεργείᾳ ἐνεργεῖ, κρείττων δὲ ἐν πᾶσιν ἡ ἐνέργεια καὶ ἡ οὐσία, διὰ τοῦτο θέλων εἰπεῖν ὅτι τῇ ἐνεργείᾳ ἐνεργεῖ, εἶπεν τῇ οὐσίᾳ ὡς ἀπὸ κρείττονος, ὥσπερ ἀπὸ ἑνὸς τιμιωτέρου πολλάκις τὸ πᾶν δηλοῦμεν, ὡς τὸ ʽΤεῦκρε, φίλη κεφαλή’. καὶ τοῦτο οὖν ἁρμόττει τῷ ἐνεργείᾳ νῷ τοῦ ἀνθρώπου· ἐνεργείᾳ γὰρ ὢν νοεῖ· ὁ δὲ θύραθεν αὐτόθεν ἐνέργειά ἐστιν. ὅτι δὲ κατὰ τὸ τίμιον ἔλαβε τὴν οὐσίαν, δηλοῖ εἰπὼν ‘ὅτι γὰρ τοῦτο οὕτω, δῆλον· τὸ γὰρ ποιοῦν τοῦ πάσ­ χοντος τιμιώτερον, καὶ ἡ ἀρχὴ τῆς ὕλης’. ὥστε τὴν οὐσίαν ὡς τιμιωτέραν παρέλαβε.

[538, 32] καὶ τὸ τρίτον δὲ ἁρμόζει αὐτῷ, ὅτι ὁ νοῦς ἀεὶ νοεῖ, οὐχ

ὡς Πλωτῖνος οἴεται, ὅτι ἀεὶ διὰ παντὸς ὁ αὐτὸς νοεῖ (οὐ γὰρ τὸν



Kommentar zu Aristoteles’ De anima (Auswahl)

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Seele allein noch Wissen allein, sondern eine Mischung aus beiden; denn der Wissende ist aus Seele und Wissen zusammengesetzt. Hierbei ist die Seele der Materie und das Wissen der Form analog.147 Da nun, wie wir in der Physik gelernt haben,148 bei jedem Gegenstand die Form in höherem Maße Wesen ist als die Materie, ist folglich das Wesen des Wissenden das Wissen. Der Wissende ist nun entsprechend seinem Wissen tätig; dieses aber ist, wie gezeigt, das Wesen des Wissenden. In diesem Sinne also heißt es, dass [der Geist] seinem Wesen nach tätig ist: weil das Wissen das Wesen des Wissenden ist – und nicht im Sinne jener hohen und erhabenen Anschauung, dass, wie bei Gott, Wesen und Tätigkeit identisch sind. Denn bei den Seelen und bei allen übrigen Wesenheiten mit Ausnahme der ersten Ursache gibt es erstens das Wesen, zweitens die Fähigkeit und drittens die Tätigkeit. [Der Geist] heißt also seinem Wesen nach tätig, weil das Wissen gleichsam als das Wesen der Seele bezeichnet werden kann. Aristoteles hat somit den Geist nach seinem bedeutendsten Teil benannt; denn da der Geist aufgrund seiner Tätigkeit tätig ist und tätig ist, weil er sich in Verwirklichung befindet, und da in allen Fällen die Verwirklichung und das Wesen das Bedeutendste ist, so hat er – in der Absicht auszudrücken, dass er aufgrund seiner Tätigkeit tätig ist – die Formulierung gebraucht, dass er es seinem Wesen nach ist, so wie wir häufig das Ganze von seinem ranghöchsten Teil her bezeichnen, wie in dem Vers »Teukros, geliebtes Haupt«.149 Auch das also passt auf den in Verwirklichung befindlichen Geist des Menschen; denn dieser denkt, indem er sich in Tätigkeit befindet, während der von außerhalb kommende Geist von vornherein Tätigkeit ist. Und dass Aristoteles »Wesen« hier gemäß seinem hohen Rang auffasst, ergibt sich klar daraus, dass er sagt: »Dass dies so ist, ist deutlich; denn das Bewirkende ist ranghöher als das Leidende und der Ursprung höher als die Materie«.150 Folglich spricht er von »Wesen« hier im Sinne des Ranghöchsten. [538, 32] Und auch der dritte Punkt passt auf [den menschlichen Geist], nämlich dass der Geist immer denkt:151 nicht weil, wie Plotin meint, immer ein und derselbe Geist die ganze Zeit

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Stephanos von Alexandria · Text

ἕνα τῷ ἀριθμῷ νοῦν λέγομεν ἀεὶ νοεῖν), ἀλλ’ ὅτι [539] ὁ ἐν ὅλῳ τῷ κόσμῳ ἀνθρώπινος νοῦς ἀεὶ νοεῖ. κἂν γὰρ ἐγὼ μὴ νοῶ, ἀλλ’ οὖν ἄλλος νοεῖ, καὶ τῇ διαδοχῇ γίνεται τὸ ἀεί, ἵνα μὴ ἐπιλείψῃ ἡ ἔλλαμψις πρὸς ἡμᾶς ἡ τοῦ θεοῦ· εἰ γὰρ μὴ ἀεὶ νοοῦμεν, ὅτε μὴ νοοῦμεν, ἐπιλείψει. εἰ δὲ οὕτω λέγομεν τὸ ἀεὶ νοεῖν, τοῦτο ἐπὶ τοῦ ἀνθρωπίνου νοῦ ὑπάρχει· ἀεὶ γὰρ νοεῖν λέγομεν οὐκ ἐπὶ τοῦ ἑνὸς κατ’ ἀριθμόν, ἀλλ’ ἐπὶ πάντων, ὥσπερ καὶ ἀεὶ ζῆν λέγομεν ἄνθρωπον οὐ διὰ Σωκράτην, ἀλλ’ ὅτι τις ἄνθρωπος ἀεὶ ζῇ. ἢ ὅτι ἀεὶ νοεῖν λέγεται, ἐπειδὴ ἀεὶ δύναται νοεῖν· ὁ γὰρ ἔχων τὸν νοῦν ἐν οἵᾳ δή ποτε ὥρᾳ βούλεται νοεῖ. ὥστε τῷ ἀνθρωπίνῳ νῷ τοῦτο ὑπάρχει· ὁ γὰρ θύραθεν νοῦς ὁ εἷς κατ’ ἀριθμὸν πάντα νοεῖ.

[539, 10] καὶ ταῦτα μὲν εἴρηται πρὸς ὑποτύπωσιν τῆς θεωρίας·

ἀγὼν δὲ ἡμῖν ἐστι τὰ δέκα ταῦτα κεφάλαια δεῖξαι ἐν τῇ λέξει καὶ πλατῦναι αὐτά. ἐν οἷς ἡ θεωρία. […]

430a26 sq. Ἡ μὲν οὖν τῶν ἀδιαιρέτων νόησις ἐν τούτοις, περὶ ἃ

οὐκ ἔστι τὸ ψεῦδος. [542, 21] Μετὰ τὸν δυνάμει νοῦν τέσσαρα ἐσχηκότα κεφάλαια καὶ τὸν ἐνεργείᾳ νοῦν τὰ ῥηθέντα δέκα κεφάλαια ἐσχηκότα ἔρχεται λοιπὸν ἐπὶ τὰ νοητά.



Kommentar zu Aristoteles’ De anima (Auswahl)

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über denkt (denn wir behaupten nicht, dass der numerisch eine Geist immer denkt), sondern weil [539] der menschliche Geist, auf die Welt insgesamt bezogen, immer denkt. Denn auch wenn ich nicht denke, denkt jedenfalls ein anderer, und das immerwährende Denken entsteht durch die ununterbrochene Folge, so dass unser Belichtetwerden durch Gott niemals aufhört; würden wir nämlich nicht immer denken, so hörte es in dem Moment, wo wir nicht denken, auf.152 Und wenn wir in diesem Sinne vom immerwährenden Denken sprechen, dann trifft es auf den menschlichen Geist zu; wir behaupten ja nicht, dass er beim numerisch Einzelnen immer denkt, sondern bei allen zusammen, so wie wir auch davon sprechen, dass der Mensch immer lebt, nicht wegen des Sokrates, sondern weil immer irgendein Mensch lebt. Oder [man argumentiert,] dass er nach [Aristoteles’] Aussage immer denkt, weil er immer zu denken fähig ist; denn wer den Geist besitzt, denkt zu jeder beliebigen Stunde, wann immer er will.153 Dieser Punkt trifft also auf den menschlichen Geist zu; denn der Geist von außerhalb, der numerisch einer ist, denkt alles. [539, 10] Das Bisherige habe ich vorgetragen, um einen skizzenhaften Überblick zu geben. Jetzt ist es unsere Aufgabe, die besagten zehn Hauptpunkte im Wortlaut aufzuzeigen und zu vertiefen. So weit der Überblick. […]

p. 542, 19–547, 23 Theoria zu de an. 3, 6, 430a26–430b26

Die verschiedenen Erkenntnisweisen von Geist (νοῦς) und diskursivem Denken (διάνοια) 430a26 f. Das Denken der ungeteilten Gegenstände liegt nun

dort vor, wo es keinen Irrtum geben kann. [542, 21] Nach der Behandlung des in Möglichkeit befindlichen Geistes mit seinen vier Hauptpunkten154 und des in Verwirklichung befindlichen Geistes mit seinen genannten zehn Hauptpunkten155 geht Aristoteles jetzt zu den denkbaren Gegenständen über.

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Stephanos von Alexandria · Text

[542, 23] ἰστέον δὲ ὅτι ἐπὶ μὲν τῆς λογικῆς ψυχῆς ἀπὸ τοῦ νοῦ

δεῖ ἄρξασθαι ὡς σαφεστέρου τῶν νοητῶν, ἐπὶ δὲ τῆς ἀλόγου ἀπὸ τῶν αἰσθητῶν ὡς σαφεστέρων· πανταχοῦ γὰρ τῆς διδασ­ καλίας ἀπὸ τῶν σαφεστέρων καλὸν τὴν ἀρχὴν ποιήσασθαι. περὶ τοῦ νοῦ οὖν διδάξας ἦλθεν ἐπὶ τὸ νοητόν. φησὶ τοίνυν ὅτι τὸ νοητὸν ἀδιαίρετόν ἐστι· μὴ ἐκ τούτου δὲ νομίσῃς ὅτι τὸν νοῦν λέγει μόνα τὰ ἀδιαίρετα εἰδέναι. οἶδε γὰρ καὶ τὰ ἀδιαίρετα καὶ τὰ διαιρούμενα, ἀλλ’ ἀδιαιρέτως καὶ κεντρικῶς οἶδε τὰ διαιρούμενα· καὶ τὸ κέντρον γὰρ τὸν κύκλον σπερματικῶς περιέχει. πάντα οὖν νοεῖ ὁ νοῦς ἀδιαιρέτως· τοῦτο γὰρ ἴδιον τοῦ νοῦ, τὸ συνάγειν καὶ ἑνοποιεῖν τὰ διαιρετὰ καὶ ἀδιαιρέτως αὐτὰ νοεῖν. ὅτι δὲ καὶ τὰ διαιρετὰ οἶδεν [543] ἀδιαιρέτως, δηλοῖ τὸ εἰπεῖν αὐτὸν ἐν τῇ Ἀποδεικτικῇ ὅτι οὐ μόνον ἐπιστήμη ἀλλὰ καὶ ἀρχὴ ἐπιστήμης ἐστὶν ᾗ τοὺς ὅρους γινώσκει, ἀρχὴν ἐπιστήμης τὸν νοῦν καλέσας, ἐπιστήμην δὲ τὴν διάνοιαν.

1. [543, 3] καὶ ἰδοὺ τὸν νοῦν ὁρικῶς καὶ ἀδιαιρέτως φησὶν εἰδέναι

τὰ πράγματα. ἐπειδὴ δὲ περὶ τοῦ ἀδιαιρέτου ἐστὶν ὁ λόγος, δεῖ εἰδέναι ὅτι πενταχῶς λαμβάνει τὸ ἀδιαίρετον. λέγεται γὰρ ἀδιαίρετον ὁ ὅρος. ἴσμεν γὰρ ὅτι ἡ πρότασις δύο ὅρους ἔχει τὸν ὑποκείμενον καὶ τὸν κατηγορούμενον, οἷόν ἐστι πρότασις ʽΠλάτων περιπατεῖ’, καὶ Πλάτων ὅρος ἐστὶ καὶ τὸ περιπατεῖ ὅρος, καὶ ἁπλῶς ὅρος ἐστίν, ὡς ἐν τῷ Περὶ ἑρμηνείας ἐμάθομεν, ἡ ἁπλῆ φωνή. τοῦτο οὖν ἐστι πρῶτον σημαινόμενον τοῦ ἀδιαιρέτου, ὁ ὅρος. δεύτερόν ἐστι σημαινόμενον τὸ συνεχὲς μέγεθος· τοῦτο



Kommentar zu Aristoteles’ De anima (Auswahl)

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[542, 23] Man muss aber wissen, dass man bei der rationalen

Seele mit dem Geist anfangen muss, da er deutlicher erkennbar ist als die denkbaren Gegenstände, während man bei der nichtrationalen Seele mit den sinnlich wahrnehmbaren Gegenständen als dem Deutlicheren anfangen muss; denn es ist in der Lehre überall gut, den Anfang mit dem deutlicher Erkennbaren zu machen.156 Also: Aristoteles sagt, dass das Denkbare ungeteilt sei; man nehme aber aufgrund dieser Aussage nicht an, dass er meint, der Geist habe einzig von ungeteilten Gegenständen ein Wissen. Denn er weiß sowohl die ungeteilten als auch die geteilten Gegenstände, doch weiß er die geteilten auf ungeteilte Weise nach Art eines Mittelpunkts – auch der Mittelpunkt umfasst ja den Kreis in samenhafter Weise.157 Der Geist denkt also alles auf ungeteilte Weise; das nämlich ist die Besonderheit des Geistes, dass er Geteiltes zusammenführt und vereinigt und es auf ungeteilte Weise denkt. Und dass er auch die geteilten Gegenstände auf ungeteilte [543] Weise weiß, macht Aristoteles’ Aussage in der Apodeiktik deutlich, dass der Geist nicht nur Wissen, sondern auch der Ursprung des Wissens sei, insofern er die Termini erkenne158 – wobei er als »Ursprung des Wissens« den Geist und als »Wissen« das diskursive Denken bezeichnet.

1. Fünf Bedeutungen von »ungeteilt« und zwei Aporien [543, 3] Er sagt also, dass der Geist die Dinge nach Art von Ter-

mini und auf ungeteilte Weise weiß. Da nun aber die Argumentation um das Ungeteilte geht, muss man wissen, dass er das Ungeteilte in fünffacher Weise auffasst.159 Als ungeteilt wird der Terminus bezeichnet. Wir wissen ja, dass ein Satz zwei Termini hat, das Zugrundeliegende (Subjekt) und das von ihm Ausgesagte (Prädikat), so wie »Platon geht umher« ein Satz und »Platon« und »geht umher« je ein Terminus sind, und dass, kurz gesagt, der Terminus das einfache Wort ist, wie wir in der Hermeneutik gelernt haben.160 Das also ist die erste Bedeutung von »ungeteilt«, der Terminus. Die zweite Bedeutung ist die

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Stephanos von Alexandria · Text

γὰρ δυνάμει μὲν διαιρετόν ἐστιν, ἐνεργείᾳ δὲ ἀδιαίρετον. τρίτον ἐστὶ σημαινόμενον τὸ ἐν ποσῷ ἀμερές, οἷον στιγμή, μονάς, νῦν· ταῦτα γάρ ἐστι τὰ ἐν ποσῷ ἀδιαίρετα. τέταρτον σημαινόμενόν ἐστι τοῦ ἀδιαιρέτου τὸ ἔνυλον εἶδος· οὐ γὰρ αὐτὸ διαιρεῖται, ἀλλὰ τὸ ὑποκείμενον αὐτῷ. πέμπτον σημαινόμενόν ἐστι τὸ ἄυλον εἶδος. ταῦτά ἐστι τὰ πέντε σημαινόμενα τοῦ ἀδιαιρέτου. [543, 16] ὅθεν καὶ ἀπορῆσαι ἔχομεν δύο ἀπορίας, μίαν μὲν ὅτι πῶς

ἀντιδιέστειλε τῷ ὅρῳ τὰ ἄλλα δ’ ἀδιαίρετα, εἴ γε καὶ τὰ ἄλλα τέσσαρα ὅρος εἰσί; ἕκαστον γὰρ αὐτῶν ἁπλῆ φωνή ἐστι, καὶ διὰ τοῦτο ὅρος· οὔτε γὰρ πρότασίς ἐστι τὸ λέγειν συνεχὲς μέγεθος, οὔτε πάλιν πρότασίς ἐστι τὸ εἰπεῖν ἄυλον εἶδος· εἷς γάρ ἐστιν ὅρος μόνον ἕκαστον τούτων, ἐξ ἑνὸς δὲ μόνον ὅρου πρότασις οὐ γίνεται. εἰ οὖν ταῦτα οὕτως, πῶς ἀντιδιέστειλεν αὐτὰ τῷ ὅρῳ, εἴ γε καὶ αὐτὰ ὅροι εἰσίν; αὕτη ἐστὶν ἡ πρώτη ἀπορία. πρὸς ἣν ἐροῦμεν ὅτι ἄλλο ἐστὶ τὸ εἰπεῖν ἁπλῶς ὅρον καὶ ἄλλο ἐστὶ τὸ εἰπεῖν τοιόνδε ὅρον. τὸ οὖν πρῶτον σημαινόμενον τοῦ ἀδιαιρέτου τὸν ἁπλῶς ὅρον αἰνίττεται, τὰ δὲ ἄλλα δ´ τὸν τοιόνδε ὅρον. οὐκ ἀντιδιέστειλεν οὖν ἀλόγως ἀλλὰ καὶ εὐλόγως τὸν ἁπλῶς ὅρον τῷ τοιῷδε ὅρῳ. αὕτη καὶ ἡ ἐπίλυσις.

[543, 27] δευτέραν ἀπορίαν ἀποροῦσι τοιαύτην, διὰ τί ἀντιδι-

έστειλεν τὸ ἔνυλον εἶδος τῷ μεγέθει; καίτοι αὐτὸ τὸ μέγεθος ἔνυλον εἶδός ἐστι· τῇ γὰρ ἀνειδέῳ ὕλῃ πρῶτον εἶδος πρὸ τῶν ἄλλων πάντων εἰδῶν τοῦτο ἐπιγίνεται, τὸ μέγεθος· πρῶτον γὰρ ποσοῦται, εἶθ’ οὕτω ποιοῦται. εἰ οὖν τὸ μέγεθος ἔνυλον εἶδός ἐστι, διὰ τί ἀντιδιέστειλεν αὐτὸ τῷ ἐνύλω εἴδει, εἴ γε τὸ μέγεθος



Kommentar zu Aristoteles’ De anima (Auswahl)

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zusammenhängende Größe; diese nämlich ist der Möglichkeit nach geteilt, der Wirklichkeit nach aber ungeteilt. Die dritte Bedeutung ist das Teillose in der Quantität, z. B. der Punkt, die Eins, das Jetzt; das sind ja die quantitativ ungeteilten Dinge. Die vierte Bedeutung von »ungeteilt« ist die materiegebundene Form; es ist ja nicht sie, die geteilt wird, sondern das ihr Zugrundeliegende. Die fünfte Bedeutung ist die immaterielle Form. Das sind die fünf Bedeutungen von »ungeteilt«. [543, 16] An dieser Stelle können wir zwei Probleme aufwerfen. Erstens: Wieso hat er dem Terminus die anderen vier Ungeteilten gegenübergestellt, wo doch auch die anderen vier je ein Terminus sind? Jedes von ihnen ist ja ein einfaches Wort und aus diesem Grund ein Terminus; es ist ja kein Satz, wenn man »zusammenhängende Größe« sagt, und ebenso wenig ist es einer, wenn man »immaterielle Form« sagt; denn jedes von diesen ist nur ein einziger Terminus, und aus einem Terminus allein entsteht kein Satz. Wenn das nun so ist, wieso hat er sie dann dem Terminus gegenübergestellt, wenn sie selber auch Termini sind? Das ist das erste Problem. Wir würden darauf entgegnen, dass es etwas anderes ist, wenn man von dem Terminus schlechthin spricht, als wenn man von einem bestimmten Terminus spricht. Die erste Bedeutung von »ungeteilt« deutet nun den Terminus schlechthin an,161 die anderen vier dagegen einen bestimmten Terminus. Er hat also den Terminus schlechthin nicht unvernünftiger-, sondern im Gegenteil sehr vernünftigerweise dem bestimmten Terminus gegenübergestellt. Das ist die Lösung. [543, 27] Das zweite Problem, das man aufwirft, lautet folgendermaßen: Wieso hat Aristoteles die materiegebundene Form der Größe gegenübergestellt? Vielmehr ist doch auch die Größe eine materiegebundene Form, denn sie, die Größe, ist die erste Form, die vor allen anderen Formen zu der formlosen Materie hinzutritt; denn diese erhält als erstes eine Quantität und erst danach eine Qualität. Wenn also die Größe eine materiegebundene Form ist, wieso hat er sie der materiegebundenen Form gegenübergestellt, wo doch die Größe auf die materiegebundene

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Stephanos von Alexandria · Text

ὑπὸ τὸ ἔνυλον εἶδος ἀνάγεται; αὕτη ἡ ἀπορία. πρὸς ἣν ἐροῦμεν ὅτι οὐ πᾶν τὸ ἔνυλον εἶδος ἀντιδιέστειλε τῷ μεγέθει, ἀλλ’ ἐκεῖνο ὃ μετὰ τὸ μεγεθυνθῆναι τὴν ὕλην ἐπιγίνεται. ἡ γὰρ ὕλη ἐπιδεξαμένη τὸ τοῦ μεγέθους εἶδος ἔμεινεν ἐπινοίᾳ, τὰ δὲ ἄλλα εἴδη δεξαμένη αἰσθητὴ γέγονεν. ἀντιδιέστειλεν οὖν τὸ ἐνεργείᾳ εἶδος τῷ ἐπινοίᾳ, ὅ ἐστι τῷ εἴδει τοῦ μεγέθους· τοῦτο γὰρ καὶ προσελθὸν τῇ ὕλῃ ἐπινοίᾳ αὐτὴν εἴασεν· οὐκ ἔστι γὰρ ἰδεῖν ὕλην [544] μεμεγεθυσμένην αὐτὴν καθ’ ἑαυτὴν ἄνευ ἄλλου εἴδους, εἰ μὴ ἐπινοίᾳ μόνον.

[544, 2] ὥστε εἰ καὶ ἔνυλον εἶδός ἐστι τὸ μέγεθος, ἀλλ’ οὖν ἀντι-

διέστειλεν αὐτὸ τῷ ἐνύλῳ εἴδει οὐ παντί, ὡς ἤδη εἶπον, ἀλλὰ τῷ ἐνεργείᾳ καὶ αἰσθητὸν ἀποφαίνοντι τὴν ὕλην. ὥστε καὶ ὑπὸ διαίρεσίν τινα πίπτειν τὰ πέντε ταῦτα τοῦ ἀδιαιρέτου σημαινόμενα. ἔστι δὲ ἡ διαίρεσις αὕτη· ὁ ὅρος ἢ ἁπλῶς ἐστιν ὅρος ἢ τοιόσδε. εἰ μὲν οὖν ἐστιν ἁπλῶς ὅρος, ποιεῖ ἓν σημαινόμενον τοῦ ἀδιαιρέτου, τὸν ὅρον. εἰ δὲ τοιόσδε ἐστὶν ὁ ὅρος, ἢ δυνάμει μὲν μεριστός ἐστιν, ἐνεργείᾳ δὲ ἀμερής, ‹ἢ καὶ δυνάμει καὶ ἐνεργείᾳ ἀμερής›. εἰ μὲν οὖν δυνάμει μέν ἐστι μεριστός, ἐνεργείᾳ δὲ ἀμερής, ἢ καθ’ αὑτό ἐστι μεριστὸς ἢ κατὰ συμβεβηκός. εἰ μὲν οὖν καθ’ αὑτὸ εἴη μεριστός, ποιεῖ τὸ συνεχὲς μέγεθος· εἰ δὲ κατὰ συμβεβηκὸς εἴη μεριστός, ποιεῖ τὸ ἔνυλον εἶδος. οὕτω μὲν οὖν, ἐὰν δυνάμει μὲν ᾖ μεριστός, ἐνεργείᾳ δὲ ἀμερής· εἰ δὲ καὶ δυνάμει καὶ ἐνεργείᾳ ἐστὶν ἀμερής, ἢ μετὰ ὕλης ἐστὶ καὶ ποιεῖ τὸ ἐν ποσῷ ἀδιαίρετον, οἷον μονάδα, στιγμήν, νῦν, ἢ ἄυλόν ἐστι καὶ



Kommentar zu Aristoteles’ De anima (Auswahl)

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Form zurückgeführt werden kann? Dies ist das Problem. Wir würden darauf entgegnen, dass er nicht die materiegebundene Form insgesamt der Größe gegenübergestellt hat, sondern nur diejenige, die zu der Materie hinzutritt, nachdem sie Größe erhalten hat. Denn wenn die Materie die Form der Größe aufgenommen hat, besteht sie weiterhin nur als gedankliches Konzept, während sie nach Aufnahme der übrigen Formen sinnlich wahrnehmbar wird. Er hat also die in Verwirklichung befindliche Form der nur als gedankliches Konzept bestehenden gegenübergestellt, d. h. der Form der Größe; denn wenn diese zu der Materie hinzutritt, belässt sie sie dennoch im Zustand eines gedanklichen Konzepts; denn die mit Größe versehene Materie [544] kann man für sich allein, ohne irgendeine andere Form, nicht sehen, es sei denn in Gedanken allein. [544, 2] Auch wenn [es] folglich [stimmt, dass] die Größe eine materiegebundene Form ist, so hat er sie doch nicht der materiegebundenen Form insgesamt gegenübergestellt, wie ich schon sagte, sondern der in Verwirklichung befindlichen, durch die die Materie sich als Gegenstand der Sinneswahrnehmung erweist. Somit fallen die fünf Bedeutungen von »ungeteilt« auch unter eine Dihärese. Die Dihärese ist die folgende: Ein Terminus ist entweder Terminus schlechthin oder ein bestimmter Terminus. Wenn er Terminus schlechthin ist, dann ergibt sich daraus die eine Bedeutung von »ungeteilt«, der Terminus. Ist er dagegen ein bestimmter Terminus, so ist er entweder der Möglichkeit nach teilbar, in Wirklichkeit aber teillos, oder er ist der Möglichkeit und Wirklichkeit nach teillos. Ist er der Möglichkeit nach teilbar, in Wirklichkeit aber teillos, so ist er entweder an sich teilbar, oder er ist es akzidentell. Falls er nun an sich teilbar ist, so ergibt sich daraus die zusammenhängende Größe; falls er hingegen akzidentell teilbar ist, ergibt sich die materiegebundene Form. So verhält es sich, wenn er der Möglichkeit nach teilbar, in Wirklichkeit aber teillos ist; wenn er aber sowohl der Möglichkeit nach als auch in Wirklichkeit teillos ist, dann besteht er entweder in Verbindung mit Materie, und es ergibt sich das quantitativ Unteilbare wie die Eins, der Punkt,

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Stephanos von Alexandria · Text

ποιεῖ τὸ ἄυλον εἶδος. ἐπεὶ οὖν ἐκ διαιρέσεως μεμαθήκαμεν ὅτι πέντε εἰσὶν σημαινόμενα τοῦ ἀδιαιρέτου, ἴδωμεν λοιπὸν πῶς ὁ νοῦς ἕκαστον τούτων νοεῖ.

2. [544, 18] Ἰστέον τοίνυν ὅτι τὸν ὅρον νοεῖ ἀμερῆ ὄντα ἀμερὴς ὢν

ὡς ἁπλῆν φωνήν, ὥστε οὔτε ὡς ψευδῆ οὔτε ὡς ἀληθῆ· περὶ γὰρ τὰς ἁπλᾶς φωνὰς οὐ θεωρεῖται οὔτε ἡ ἀλήθεια οὔτε τὸ ψεῦδος, ἀλλὰ περὶ τὰς συνθέτους. καὶ τί δήποτε ἐν τῇ λέξει τοῦ ψεύδους μόνου ἐμνήσθη, οὐκέτι δὲ καὶ τῆς ἀληθείας; ἔφη γὰρ ὅτι ʽἡ μὲν ἐν τοῖς ἀδιαιρέτοις νόησις περὶ ἃ οὐκ ἔστι τὸ ψεῦδος’, καὶ οὐκ ἐπήγαγε ʽκαὶ περὶ ἃ οὐκ ἔστιν ἡ ἀλήθεια’. ἔγνωμεν γὰρ ἐν τῷ Περὶ ἑρμηνείας ὅτι οὐ μόνον ψεῦδος ἀλλὰ ἀλήθεια οὐκ ἔστιν ἐν ταῖς ἁπλαῖς φωναῖς· πῶς οὖν αὐτὸς ἐν τῇ λέξει μόνου τοῦ ψεύδους ἐμνήσθη;

[544, 26] καὶ λέγομεν ὅτι ἐν τῇ Μετὰ τὰ φυσικὰ δοξάζει ἐναντία

τῷ Περὶ ἑρμηνείας· ἐν μὲν γὰρ τῷ Περὶ ἑρμηνείας οὔτε ἀλήθειαν οὔτε ψεῦδος ἔφη θεωρεῖσθαι περὶ τὰς ἁπλᾶς φωνάς, ἤγουν ἐν τοῖς ὅροις, ἀλλ’ ἐν ταῖς προτάσεσιν εἶπε φαίνεσθαι τὸ ἀληθὲς καὶ τὸ ψεῦδος· ἐν δὲ τῇ Μετὰ τὰ φυσικά φησιν ὅτι ἐν ταῖς ἁπλαῖς φωναῖς, ἤγουν ἐν τοῖς ὅροις, ψεῦδος μὲν οὐ θεωρεῖται, ἀλήθεια δὲ θεωρεῖται. ὁ γὰρ νοῦς ὁπηνίκα ἁπλῇ προσβολῇ ἐπιβαλὼν ἑκάστην ἁπλῆν φωνήν, ταὐτὸν δὲ εἰπεῖν ὅρον, ἰδίᾳ καὶ καθ’ ἑαυτὸν νοήσῃ, ἀληθῶς ἐνόησε μηδὲν ἕτερον προσθείς, οἷον ἐν τῷ εἰπεῖν ʽπεριπατεῖ’ ἐξαπίνης ὁ νοῦς βάδισιν ἐνόησε μηδὲν ἄλλο προσθείς, ἀλλ’ αὐτὸ μόνον. πάλιν ἐν τῷ ἐσθίειν μάσησιν



Kommentar zu Aristoteles’ De anima (Auswahl)

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das Jetzt, oder er ist immateriell, und es ergibt sich die immaterielle Form. Da wir nun also aufgrund einer Dihärese gelernt haben, dass es fünf Bedeutungen von »ungeteilt« gibt, wollen wir jetzt sehen, auf welche Weise der Geist sie jeweils denkt.162

2. Wie denkt der Geist unteilbare Objekte? Der Terminus [544, 18] Also: Man muss wissen, dass er, der selbst teillos ist,

den teillosen Terminus in der Weise eines einfachen Wortes denkt, mithin weder als falsch noch als wahr; denn Wahrheit und Falschheit kann man nicht bei einfachen Worten beobachten, sondern nur bei zusammengesetzten. Und warum hat Aristoteles dann im Wortlaut nur die Falschheit erwähnt, die Wahrheit aber nicht mehr? Er sagt ja: »Das Denken bei den ungeteilten Gegenständen liegt vor, wo es keinen Irrtum geben kann«, ohne hinzuzufügen: »und wo es keine Wahrheit geben kann«. Wir haben ja in der Hermeneutik erfahren,163 dass es bei einfachen Worten nicht nur keine Falschheit, sondern auch keine Wahrheit gibt; warum also hat er selber im Wortlaut nur die Falschheit erwähnt? [544, 26] Wir antworten, dass er in der Metaphysik entgegengesetzter Meinung ist als in der Hermeneutik. Denn in der Hermeneutik hat er gesagt, dass man bei den einfachen Worten, bzw. den Termini, weder Wahrheit noch Falschheit beobachten könne, sondern, so fährt er fort, nur in den Sätzen zeige sich das Wahre und Falsche; in der Metaphysik meint er dagegen, dass sich in den einfachen Worten, bzw. den Termini, zwar keine Falschheit beobachten lasse, doch Wahrheit lasse sich beobachten.164 Denn sobald der Geist mit einem einfachen Zugriff je ein einfaches Wort (mit anderen Worten, einen Terminus) ergreift und es im Besonderen und für sich allein denkt, denkt er es in Wahrheit, ohne irgendetwas anderes hinzuzusetzen, wie wenn bei der Aussage »geht umher« der Geist sofort die Gehbewegung denkt, ohne etwas anderes hinzuzusetzen; sondern er denkt nur sie allein. Bei »Essen« wiederum denkt er sogleich

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Stephanos von Alexandria · Text

ἐνόησεν εὐθέως, τουτέστιν ὀδόντα [545] ἐπιστροφῇ δονούμενον, χωρὶς ἄλλης προσθήκης. ταῦτα μὲν οὖν ἐν τῇ Μετὰ τὰ φυσικά φησι· νῦν δὲ ἐκείνῃ ἠκολούθησε τῇ πραγματείᾳ καὶ διὰ τοῦτο ἐκ τῶν ἁπλῶν φωνῶν οὐκ ἀπηγόρευσε τὴν ἀλήθειαν, ἀλλὰ μόνον τὸ ψεῦδος, διότι ὁ νοῦς οὐδέποτε ψεύδεται, ἀλλ’ ἀεὶ ἀληθεύει κατὰ τὸν Πλωτῖνον εἰπόντα ʽὁ γὰρ νοῦς ἢ ἥψατο ἢ οὐχ ἥψατο, ὥστε ἀναμάρτητος’. ἰστέον δὲ ὅτι διττὴ ἡ ἀλήθεια, ἢ ὑπαρκτικὴ ἢ ἀντιδιῃρημένη τῷ ψεύδει, ὑπαρκτικὴ μὲν ὡς ἵνα εἴπω ʽοὗτος ἄνθρωπός ἐστι κυρίως’. τοῦτο δὲ λέγω ὡς πρὸς τὸν ἐν ζωγραφίᾳ· ἐκεῖνος γὰρ οὐκ ἔστι κυρίως ἄνθρωπος· διὰ οὖν τὸ ὑπάρχειν αὐτὸν μόνον ἀληθῶς λέγεται ἄνθρωπος. καὶ ἐν τῷ ὅρῳ οὖν ὑπαρκτικὴν λέγομεν εἶναι τὴν ἀλήθειαν, ὅτι καθό ἐστιν ὅρος, ἀληθές ἐστι τὸ εἶναι αὐτόν, καὶ οὐ κατ’ ἀντιδιαστολὴν ψεύδους τοῦτο λέγομεν.

3. [545, 12] ταῦτα εἰπὼν περὶ τοῦ νοῦ ὅτι τὸν ὅρον ἀληθῶς γινώ-

σκει, τρέπεται ἐπὶ τὴν διάνοιαν καί φησιν ὅτι αὕτη οὐ μόνον ἀληθεύει, ἀλλὰ καὶ ψεύδεται.

[545, 14] καὶ τὸ ἄλλο δὲ ὁ νοῦς πάντα ἑνοειδῶς οἶδεν, ἡ δὲ διάνοια

ὡς ἐν συνθέσει, καὶ οὐ ταὐτόν ἐστιν. ὁ μὲν γὰρ νοῦς ὡς συνεχὲς καὶ ἓν οἶδεν, ἡ δὲ διάνοια ὡς συντιθέμενον ἐκ πολλῶν αὐτὸ οἶδεν, οἷον ἐπὶ θύρας· αὕτη γὰρ ἐκ πολλῶν ἐστι ξύλων. καὶ ἔοικεν ἡ διάνοια τῇ Ἐμπεδοκλείῳ φιλίᾳ, ἥτις συνετίθη τὰ ἐκ τοῦ νείκους διῃρημένα. ἀμέλει καὶ εἴρηται τῷ Ἐμπεδοκλεῖ ὅτι εἰ μὴ ἦν



Kommentar zu Aristoteles’ De anima (Auswahl)

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den Kauvorgang, d. h. die kreisende [545] Bewegung des Zahns, ohne einen weiteren Zusatz.165 So weit also Aristoteles in der Metaphysik; und hier ist er dieser Abhandlung gefolgt und hat aus diesem Grund den einfachen Worten die Wahrheit nicht abgesprochen, sondern nur die Täuschung, weil der Geist sich niemals täuscht, sondern immer die Wahrheit trifft, mit den Worten Plotins: »Der Geist berührt seinen Gegenstand oder berührt ihn nicht, so dass er frei von Fehlern ist.«166 Und man muss wissen, dass es zwei Arten von Wahrheit gibt, die existentielle und die der Falschheit entgegengesetzte. Existentielle Wahrheit liegt vor, wenn ich z. B. sage: »Das ist ein Mensch im eigentlichen Sinne.« Das sage ich im Gegensatz zu dem Menschen auf einem Gemälde, denn dieser ist nicht im eigentlichen Sinne ein Mensch; es ist also nur wegen seiner Existenz, dass er wahrheitsgemäß als Mensch bezeichnet wird.167 Und auch beim Terminus sagen wir, dass seine Wahrheit existentiell ist, weil es, insofern er Terminus ist, wahr ist, dass er ist; wir sagen das nicht im Sinne einer Entgegensetzung zur Falschheit.

3. Exkurs: Unterschiede zwischen dem diskursiven Denken und dem Geist [545, 12] Nachdem er so viel über den Geist gesagt hat – dass er

den Terminus in Wahrheit erkennt –, wendet Aristoteles sich dem diskursiven Denken zu und erklärt [erstens], dass dieses nicht nur die Wahrheit trifft, sondern sich auch irrt. [545, 14] Zum anderen weiß der Geist alles in einheitlicher Weise, das diskursive Denken dagegen weiß es als in einer Zusammensetzung befindlich; beides ist nicht dasselbe. Denn der Geist weiß [seinen Gegenstand] als etwas Zusammenhängendes und Eines, während das diskursive Denken ihn als etwas aus vielerlei Zusammengesetztes weiß, wie bei einer Tür, die ja aus vielen Hölzern besteht. Das diskursive Denken gleicht der empedokleischen »Liebe«, die das von dem »Streit« Auseinandergerissene wieder zusammensetzte. Tatsächlich heißt es auch

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Stephanos von Alexandria · Text

ἡ φιλία, ʽπολλῶν ἂν κόρσαι ἀναύχενες ἐβλάστησαν’, τουτέστιν ἐγίνοντο κεφαλαὶ ἄνευ αὐχένος, εἰ μὴ ἦν ἡ συνάπτουσα φιλία.    [545, 21] τρίτον ἐπὶ τούτοις ἴδιόν φησι τῆς διανοίας τὸ ψεύδεσ­

θαι αὐτὴν ἢ διὰ τὸν κατηγορούμενον ἢ διὰ τὸν χρόνον. ἐὰν γὰρ εἴπω ὅτι ὁ ἄνθρωπος πτερωτὸς ἢ ἔστιν ἢ ἔσται ἢ ἐγεγόνει, ψευδής ἐστιν ἡ πρότασις διὰ τὸν κατηγορούμενον ὅρον, φημὶ δὴ τὸ πτερωτόν· εἰ δὲ εἴπω ὅτι χθὲς ἦν τὰ Τρωϊκά, ἐνταῦθα διὰ τὸν χρόνον γέγονεν ἡ πρότασις ψευδής. ἐπὶ δὲ τῶν ἀιδίων παρὰ τὸν κατηγορούμενον μόνον γίνεται τὸ ψεῦδος, οὐκέτι δὲ καὶ παρὰ τὸν χρόνον· ἐὰν γὰρ εἴπω ὅτι ἦν ἢ ἔστιν ἢ ἔσται ὁ θεός, ἀεὶ ἀληθεύω· τὸ γὰρ ἀεὶ ὂν λέγω. ἐπὶ δὲ τῶν μὴ ἀιδίων καὶ παρὰ τὸν χρόνον γίνεται ψευδὴς ἡ πρότασις καὶ παρὰ τὸν κατηγορούμενον· παρὰ μὲν τὸν κατηγορούμενον ὡς ἐὰν εἴπω ὅτι τραγέλαφός ἐστι νῦν· τὸ ψεῦδος γὰρ γέγονεν οὐ παρὰ τὸν νῦν χρόνον, ἀλλὰ παρὰ τὸ ἐστὶ κατηγορούμενον. καὶ πάλιν ἐὰν εἴπω ʽἡ σκιὰ νῦν σῶμά ἐστι’, τὸ ψεῦδος γέγονεν οὐ παρὰ τὸ νῦν (οὐ μόνον γὰρ νῦν οὐκ ἔστι σῶμα, ἀλλ’ οὔτε ἦν οὔτε ἔσται), ἀλλὰ παρὰ τὸ εἰπεῖν ὅτι σῶμά ἐστιν. ὥστε ἐπὶ μὲν τῶν γενητῶν διχόθεν γίνεται τὸ ψεῦδος ἐν τῇ διανοίᾳ, ἢ παρὰ τὸν κατηγορούμενον ἢ παρὰ τὸν χρόνον, ἐπὶ δὲ τῶν ἀιδίων παρὰ μόνον τὸν κατηγορούμενον.

[545, 36] ὁ δὲ νοῦς οὐδὲν τούτων ἔχει· ἀεὶ γὰρ νοεῖ πάντα καὶ

οὐκ ἔχει ψεῦδος οὔτε παρὰ τὸν κατηγορούμενον οὔτε παρὰ τὸν χρόνον. [545, 38] τέταρτον ἐπὶ τούτοις λέγει ἴδιον τῆς διανοίας ὅτι [546] αὕτη μὲν περὶ προτάσεις καταγίνεται, ὁ δὲ νοῦς περὶ ὅρους. ὅταν δὲ λέγω περὶ προτάσεις, μὴ νόμιζε ὅτι τοῦτο λέγω κατὰ τὸν τρόπον τὸν εἰρημένον ἐν τῇ λογικῇ, ὅτι περὶ μὲν κατάφασιν



Kommentar zu Aristoteles’ De anima (Auswahl)

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bei Empedokles, dass, wäre die Liebe nicht, »bei vielen nackenlose Häupter erwüchsen«,168 d. h. es würden Köpfe ohne Nacken entstehen, wenn es nicht die sie zusammenfügende Liebe gäbe. [545, 21] Als dritte Besonderheit des diskursiven Denkens gibt er darüber hinaus an, dass es entweder wegen des Ausgesagten (Prädikats) oder wegen der Zeit irrt. Wenn ich nämlich behaupte, dass der Mensch geflügelt ist oder sein wird oder war, dann ist der Satz falsch wegen des ausgesagten Terminus, will sagen, wegen »geflügelt«; wenn ich dagegen behaupte, dass der Trojanische Krieg gestern war, dann kommt die Falschheit des Satzes in diesem Fall von der Zeitangabe. Bei ewigen Gegenständen aber kann Falschheit nur durch das Ausgesagte (Prädikat) entstehen, durch die Zeitangabe dagegen nicht mehr; wenn ich nämlich behaupte, dass Gott war oder ist oder sein wird, treffe ich immer die Wahrheit, denn ich spreche von dem Immerseienden. Bei nichtewigen Gegenständen dagegen kann der Satz sowohl durch die Zeitangabe falsch werden als auch durch das Ausgesagte: durch das Ausgesagte (Prädikat), wenn ich z. B. behaupte, dass es den Bockshirsch jetzt gibt;169 denn die Falschheit entsteht hier nicht durch die Zeitangabe »jetzt«, sondern durch das Prädikat »es gibt«. Und wenn ich ferner behaupte: »Der Schatten ist jetzt ein Körper«, dann entsteht die Falschheit nicht wegen des »jetzt« (der Schatten ist ja nicht nur jetzt kein Körper, sondern war es auch nicht und wird es nie sein), sondern wegen der Behauptung, dass er ein Körper sei. Es ergibt sich also, dass bei den werdenden Gegenständen eine Falschheit im Denken aus zwei Gründen entstehen kann, nämlich wegen des Ausgesagten und wegen der Zeitangabe, während sie bei den ewigen Gegenständen nur wegen des Ausgesagten entsteht. [545, 36] Beim Geist hingegen gibt es nichts dergleichen; denn er denkt immer alles, und es gibt bei ihm keine Falschheit, weder wegen des Ausgesagten noch wegen der Zeitangabe. [545, 38] Als vierte Besonderheit des diskursiven Denkens nennt er dann die Tatsache, dass [546] es sich auf Sätze bezieht, der Geist hingegen auf Termini. Und wenn ich sage »auf Sätze«, so glaube man ja nicht, dass ich das so meine, wie es in der Lo-

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Stephanos von Alexandria · Text

καταγίνεται ὥσπερ σύνθεσιν, ἐπειδὴ αὕτη συντίθησι τὸν κατ­ ηγορούμενον τῷ ὑποκειμένῳ, περὶ δὲ ἀπόφασιν ὡς διαίρεσιν, ἐπειδὴ αὕτη ἀποφάσκει καὶ διαιρεῖ τὸ κατηγορούμενον ἐκ τοῦ ὑποκειμένου· οὐ λευκὸς γάρ, φησίν, ἄνθρωπος. νυνὶ γὰρ λέγομεν ὅτι ἡ διάνοια καὶ περὶ κατάφασιν καταγίνεται ὡς διαίρεσιν καὶ σύνθεσιν, καὶ περὶ ἀπόφασιν ὡς διαίρεσιν καὶ σύνθεσιν. ἡ γὰρ κατάφασις καθὸ μὲν συνάπτει, σύνθεσις λέγεται, καθὸ δὲ ἐν δύο ἐστὶ δυναμένοις διαιρεθῆναι, διαίρεσίς ἐστι. καὶ ἡ ἀπόφασις δὲ εἰ καὶ λέγει ‘οὐ λευκὸς Σωκράτης’, τὸ μέλαν αὐτῷ συνάπτει καὶ πάλιν σύνθεσίς ἐστιν, ἔστι δὲ καὶ διαίρεσις, καθὸ ἀποχωρίζει ἐξ αὐτοῦ τὸ λευκόν. καὶ οὕτως νῦν ἡ διάνοια λέγεται περὶ προτάσεις καταγίνεσθαι.

4. [546, 13] Ταῦτα εἰπὼν ὡς ἐν παρεκβάσει, ἐπειδὴ εἶπε πῶς νοεῖ ὁ

νοῦς τὸν ὅρον, ζητεῖ λοιπὸν πῶς νοεῖ τὸ ἀδιαίρετον μέγεθος, ὅπερ ἦν δεύτερον σημαινόμενον τοῦ ἀδιαιρέτου. τοῦτο δὲ τριττόν ἐστι· τὸ γὰρ μέγεθος τριττόν ἐστι· καὶ ὅλον γάρ ἐστι καὶ μέρη ἔχει καὶ συντιθέμενόν ἐστι. καὶ ὡς μὲν ὅλον ἀχρόνως αὐτὸ νοεῖ ὁ νοῦς καὶ ἐν τῷ νῦν· οὐδὲ γὰρ δύναται ἐν χρόνῳ αὐτὸ νοῆσαι ὁ νοῦς. πᾶς γὰρ χρόνος διαιρετός ἐστιν· εἰ οὖν ἐν διαιρετῷ ἐνόει, καὶ τὸ νοούμενον, ὅ ἐστι τὸ μέγεθος, διαιρετὸν ἦν· ὡς γὰρ ἔχει ὁ χρόνος, οὕτως ἔχει καὶ τὸ μέγεθος. ἀλλὰ μὴν ἀδιαίρετόν



Kommentar zu Aristoteles’ De anima (Auswahl)

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gik steht,170 d. h. dass es sich auf die bejahte Aussage als auf eine Verbindung bezieht – da letztere ja das Ausgesagte (Prädikat) mit dem Zugrundeliegenden (Subjekt) verbindet –, und auf die verneinte Aussage als auf eine Trennung, da letztere ja dem Zugrundeliegenden das Ausgesagte abspricht und es von ihm trennt (es heißt ja: »Der Mensch ist nicht weiß«). Denn jetzt behaupten wir, dass das diskursive Denken sich sowohl auf die bejahte Aussage als Verbindung und Trennung bezieht als auch auf die verneinte als Verbindung und Trennung. Insofern nämlich die bejahte Aussage [zwei Termini] verknüpft, wird sie als Verbindung bezeichnet, insofern sie dagegen aus zwei [Termini] besteht, die getrennt werden können, ist sie Trennung. Und was die verneinte Aussage betrifft, so behauptet sie zwar: »Sokrates ist nicht weiß«, verknüpft aber nichtsdestoweniger das Schwarze mit ihm und ist damit wieder Verbindung; sie ist aber auch Trennung, insofern sie das Weiße von ihm abgrenzt. In diesem Sinne heißt es jetzt, dass das diskursive Denken sich auf Sätze bezieht.171

4. Wie denkt der Geist unteilbare Objekte (Fortsetzung)? Größe, materiegebundene Form, Quantität und immaterielle Form [546, 13] Nach diesen exkursartigen Bemerkungen172 und nach-

dem er dargelegt hat, auf welche Weise der Geist den Terminus denkt,173 untersucht Aristoteles als nächstes, wie der Geist die ungeteilte Größe denkt, was ja die zweite Bedeutung von »ungeteilt« war. Davon gibt es drei Arten, denn es gibt drei Arten von Größe: Sie ist erstens ein Ganzes, hat zweitens Teile und ist drittens ein Zusammengesetztes. Als ein Ganzes denkt der Geist sie in zeitloser Weise und im Jetzt. In der Zeit kann der Geist sie ja gar nicht denken, denn jeder Zeitraum ist geteilt; wenn also der Geist sie in etwas Geteiltem dächte, so wäre auch das Gedachte, d. h. die Größe, geteilt, denn wie sich der Zeitraum verhält, so verhält sich auch die Größe. Nun ist sie aber der Wirklichkeit nach ungeteilt (der Geist denkt sie ja als Gan-

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Stephanos von Alexandria · Text

ἐστιν ἐνεργείᾳ· ὡς ὅλον γὰρ νοεῖ αὐτό, τὸ δὲ ὅλον ἀδιαίρετόν ἐστιν· οὐκ ἄρα ἐν χρόνῳ νοεῖ αὐτό, ἀλλ’ ἐν τῷ νῦν. [546, 22] καὶ ὅτι εἰ μὴ ἀχρόνως καὶ ἐν τῷ νῦν ἠπίστατο αὐτὰ ὁ νοῦς, οὐκέτι ὅλον ἐνόει ἐν τῷ αὐτῷ χρόνῳ, καὶ εὑρίσκετό ποτε μὴ γινώσκων. ἡ δὲ διάνοια ἐν χρόνῳ γινώσκει αὐτό. ἀλλὰ μὴν καὶ ὡς μέρη ἔχον τὸ μέγεθος νοεῖ αὐτὸ ὁ νοῦς, τὰ διάφορα μέρη ἐν διαφόροις νῦν νοῶν, ἕκαστον μέρος ἐνεργείᾳ νῦν νοῶν. ὡς δὲ συντιθέμενον αὐτὸ οὐκέτι ὁ νοῦς νοεῖ, ἀλλ’ ἡ διάνοια. τριχῶς οὖν τοῦ μεγέθους νοουμένου, ὡς ὅλου, ὡς μέρη ἔχοντος, ὡς συν­ τιθεμένου, τὰ μὲν δύο ὁ νοῦς νοεῖ, ὡς ὅλον καὶ ὡς μέρη ἔχον, τὸ δὲ ὡς συντιθέμενον ἡ διάνοια.

[546, 30] τὸ δὲ ἔνυλον εἶδος οἶδεν ὁ νοῦς οὐκέτι καθ’ ἑαυτόν,

ἀλλὰ διὰ μέσης τῆς φαντασίας· τὰ γὰρ αἰσθητὰ οὐ δύναται καθ’ ἑαυτὸν νοῆσαι ὁ νοῦς· χρεία γὰρ φαντασίας. νοεῖ οὖν αὐτὰ διὰ μέσης φαντασίας· οὐχ ὅτι δὲ διὰ μέσης φαντασίας νοεῖ ὁ νοῦς, ἤδη διὰ τοῦτο μεριστῶς νοεῖ· ἔνεστι γὰρ καὶ ἐν τῇ φαν­ τασίᾳ ἀδιαίρετόν τι. καὶ ὅτι τοῦτο ἀληθές, δῆλον ἐκ τοῦ τοὺς πρώτους τύπους μὴ ἀφανίζεσθαι ἐκ τῶν δευτέρων· ᾧ δῆλον ὅτι ἐστί τι ἐν αὐτῇ ἀμερές. καὶ κατὰ τὸ ἀμερὲς τοῦτο νοεῖ ὁ νοῦς, ὡς πάλιν ἀμερῶς αὐτὸν νοεῖν.

[546, 37] πάλιν τὸ ἐν τῷ ποσῷ ἀμέριστον νοεῖ ὁ νοῦς [547] κατ’

ἀπόφασιν· ὥσπερ γὰρ τῇ ἀποφάσει τοῦ φωτὸς τὸ σκότος νοοῦμεν, οὕτω καὶ τῇ ἀποφάσει τοῦ ἀριθμοῦ νοοῦμεν τὴν μονάδα καὶ τῇ ἀποφάσει τοῦ χρόνου τὸ νῦν καὶ τῇ ἀποφάσει τοῦ μεγέθους



Kommentar zu Aristoteles’ De anima (Auswahl)

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zes, und das Ganze ist ungeteilt); folglich denkt er sie nicht in der Zeit, sondern im Jetzt. [546, 22] Dies gilt auch, weil der Geist, wenn er sie174 nicht in zeitloser Weise und im Jetzt wüsste, nicht mehr das Ganze zu einer und derselben Zeit dächte und sich herausstellen würde, dass er gelegentlich nicht erkennt.175 Das diskursive Denken dagegen erkennt sie in der Zeit. Doch auch insofern die Größe Teile hat, denkt sie der Geist, und zwar so, dass er ihre verschiedenen Teile zu verschiedenen Jetztpunkten denkt, wobei er jeweils einen Teil in einem Jetzt der Verwirklichung nach denkt. Als ein Zusammengesetztes aber denkt sie nicht mehr der Geist, sondern das diskursive Denken. Da die Größe also in dreifacher Weise gedacht wird, als Ganzes, als etwas, das Teile hat, und als Zusammengesetztes, wird sie in zwei Fällen vom Geist gedacht, als Ganzes und als etwas, das Teile hat, wohingegen sie als Zusammengesetztes vom diskursiven Denken gedacht wird. [546, 30] Die materiegebundene Form aber weiß der Geist nicht mehr für sich allein, sondern durch Vermittlung der Vorstellungskraft. Denn der Geist vermag die Gegenstände der Sinneswahrnehmung nicht für sich allein zu denken: Er hat dazu die Vorstellungskraft nötig. Er denkt sie also durch Vermittlung der Vorstellungskraft, aber es ist nicht so, dass der Geist, nur weil er durch Vermittlung der Vorstellungskraft denkt, darum auch in geteilter Weise denkt; es ist ja auch in der Vorstellungskraft etwas Ungeteiltes enthalten. Dass dies der Wahrheit entspricht, ergibt sich klar daraus, dass die ersten Eindrücke sich nicht beim Hinzukommen der nächsten verflüchtigen; hieran wird deutlich, dass an [der Vorstellungskraft] etwas Teilloses ist.176 Und in Bezug auf dieses Teillose denkt der Geist, so dass sich wiederum ergibt, dass er auf teillose Weise denkt. [546, 37] Das Teillose in der Quantität wiederum denkt der Geist [547] als Negation. Denn so wie wir die Dunkelheit durch Negation des Lichtes denken, denken wir auch die Eins durch Negation der Zahl, das Jetzt durch Negation der Zeit und den Punkt durch Negation der Größe; folglich denken wir das Teil-

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Stephanos von Alexandria · Text

τὴν στιγμήν· ὥστε κατ’ ἀπόφασιν νοοῦμεν τὸ ἐν ποσῷ ἀμέρισ­ τον. εἰ δέ τις εἴποι ὅτι καὶ τὸ μέλαν κατ’ ἀπόφασιν τοῦ λευκοῦ γινώσκεται, ψεύδεται· ἄμφω γὰρ εἰδοπεποίηται καὶ ἄμφω ποιεῖ, τὸ μὲν συγκρῖνον τὸ δὲ διακρῖνον, καὶ καθ’ αὑτὸ ἄμφω γινώσκεται καταφατικῶς· εἰ μὴ ἄρα τὸ μέλαν λάβοις ἀντὶ τοῦ σκότου, ὡς τὸ ʽμέλανος θανάτοιο’. [547, 8] καὶ ταῦτα μὲν ὁ ἡμέτερος νοῦς ἀποφατικῶς οἶδεν, ὁ δὲ

θεῖος νοῦς πάντα καταφατικῶς καὶ ἐπιβλητικῶς οἶδεν χωρὶς τοῦ κακοῦ· τοῦτο γὰρ οὐκ οἶδεν, ἵνα μὴ ποιήσῃ αὐτό. ὃ γὰρ γινώσκει, τοῦτο καὶ ποιεῖ· ὑποστατικὴ γάρ ἐστιν ἡ γνῶσις αὐτοῦ. διὸ εἴρηται ʽεἶπε καὶ ἐγένετο’. τοῦτο δὲ τὸ λόγιον διχῶς ἔστιν ἐξηγήσασθαι· ἐπειδὴ ὃ γινώσκει καὶ λέγει, τοῦτο καὶ γίνεται, ἢ ὅτι ἐπειδὴ ἀθρόα ἐστὶν ἡ ἐνέργεια αὐτοῦ, διὰ τοῦτο εἴρηται ʽεἶπε καὶ ἐγένετο’. ἔχεις δὲ καὶ ἐκ τούτου πόρισμά τι· εἰ γὰρ ἀποφατικῶς λέγει τὸν νοῦν ἐνεργεῖν, οὐκέτι περὶ τοῦ θείου νοῦ ἐστιν αὐτῷ ὁ λόγος. καὶ οὕτω μὲν ὁ ἐν ἡμῖν νοῦς γινώσκει τὸ ἐν ποσῷ ἀμέριστον.

[547, 17] τὸ δὲ ἄυλον εἶδος γινώσκει κατὰ πέντε ταῦτα· ἢ γὰρ ὡς

αἴτιον, καὶ τοῦτο ἢ ποιητικὸν ἢ τελειωτικόν· οὐδὲ γὰρ ὡς τελικὸν μόνον, ὥς τινες ἐνόμισαν, γινώσκει αὐτό· καὶ ὡς μὴ ἔχον δὲ ἐναντίον γινώσκει αὐτό (τῷ γὰρ ἐν ἡμῖν φωτὶ καὶ ἀγαθῷ ἐστιν ἐναντίον τι, παρ’ αὐτῷ δὲ οὐκ ἔστι), γινώσκει δὲ αὐτὸ καὶ ὡς νοοῦν καὶ ὡς νοούμενον· ἔνδον γὰρ ἔχον τὸ θεῖον τὸ γνωστικὸν καὶ ἑαυτὸ νοεῖ. ἐπεὶ οὖν ταῦτα εἴρηται, ἐν τούτοις ἡ θεωρία σὺν θεῷ πληροῦται.



Kommentar zu Aristoteles’ De anima (Auswahl)

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lose in der Quantität als Negation. Wenn aber jemand behauptet, dass auch das Schwarze als Negation des Weißen erkannt wird, so irrt er; beides nämlich hat eine Form, und beides wirkt, das eine durch Verengung und das andere durch Erweiterung,177 und beides wird an sich in bejahender Weise erkannt – es sei denn, man fasst das Schwarze als einen anderen Ausdruck für die Dunkelheit auf, wie in der Wendung »schwarzer Tod«.178 [547, 8] Diese besagten Gegenstände weiß unser Geist in negierender Weise. Dagegen weiß der göttliche Geist179 alles in bejahender Weise und durch unmittelbaren Zugriff, mit der Ausnahme des Schlechten; das nämlich weiß er nicht, damit [sich] nicht [ergibt, dass] er es erschafft. Denn was er erkennt, das erschafft er auch: Seine Erkenntnis hat die Eigenschaft, Existenz zu bewirken. Darum steht geschrieben: »Er sprach, und es ward.«180 Dieser Spruch kann aber auf zwei Arten ausgelegt werden. Es heißt: »Er sprach, und es ward«, entweder, weil das, was er erkennt und ausspricht, auch entsteht, oder darum, weil seine Tätigkeit eine Einheit ist.181 Und hieraus lässt sich noch ein Zusatzergebnis gewinnen: Wenn [Aristoteles] davon spricht, dass der Geist in negierender Weise tätig ist, dann kann das Thema seiner Argumentation nicht mehr der göttliche Geist sein. Auf diese Weise erkennt der Geist in uns das quantitativ Teillose. [547, 17] Die immaterielle Form schließlich erkennt er auf die folgenden fünf Arten:182 entweder als Ursache, und zwar entweder als wirkende oder als vollendende (er erkennt sie nämlich nicht ausschließlich als Zweckursache, wie manche angenommen haben);183 und er erkennt sie als etwas, das kein Gegenteil hat184 (denn dem Licht und dem Guten in uns ist etwas entgegengesetzt, bei ihr dagegen ist das nicht der Fall), und er erkennt sie noch als Denkendes und als Gedachtes (denn da das Göttliche das Vermögen der Erkenntnis in sich hat, denkt es auch sich selbst). Da dies nun gesagt ist, ist hiermit der Überblick mit Gottes Hilfe beendet.

Geist bei Aristoteles – eine systematische Skizze Von Hubertus Busche

N  

achdem in diesem Band bis jetzt die antiken Ausleger von Aristotelesʼ De anima zu Wort gekommen sind, möchte der vorliegende Beitrag eine systematische Skizze zum Geist liefern und zum Schluss den antiken Erklärungen einen anders gearteten, naturphilosophisch geprägten Interpretationsvorschlag gegenüberstellen. Hierzu sollen erstens die spezifischen Erkenntnisleistungen des Geistes (νοῦς) geklärt werden, zweitens die wissenschaftlichen Erklärungsziele erhellt werden, die Aristoteles in De anima im Hinblick auf die Erkenntnisvermögen allgemein verfolgt, und drittens die Postulate erläutert werden, die Aristoteles aufgrund seiner leitenden Analogie zwischen sinnlichem und geistigem Erfassen an das geistige Vermögen stellt. Hierdurch kann viertens der Sinn erschlossen werden, den Aristoteles mit seiner Hypothese vom zweifachen Geist (dem wirkenden und dem leidenden) verbindet; hierbei wird die naturphilosophische Perspektive des Autors entfaltet.

1. Der νοῦς als höheres Erkenntnisvermögen Jenes höhere Erkenntnisvermögen, das Aristoteles νοῦς nennt, ist in den verschiedenen Traditionen seiner Kommentierung und Deutung sehr unterschiedlich übersetzt worden: In der lateinischen Rezeption wurde es zunächst mit »mens« oder »animus« übersetzt, im Mittelalter aber auch mit »intellectus«, »ratio« oder »intelligentia«. Entsprechend finden sich auch in den modernen Auslegungen der aristotelischen Noetik die unterschiedlich­sten Übersetzungen wie »Geist, mind«, »Verstand, intellect« und »Vernunft, reason«. Alle diese unterschiedlichen Überset-

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Hubertus Busche

zungen treffen durchaus bestimmte Aspekte des aristotelischen νοῦς, wie die folgende Skizze dieses Erkenntnisvermögens zeigt. Nach der aristotelischen Erkenntnislehre gliedert sich alle unsere Erkenntnis in Leistungen der sinnlichen Wahrnehmung (αἴσθησις) einerseits und in Leistungen des Denkens im Sinne der gedanklichen, geistigen Erfassung (νόησις) andererseits. Beide Erkenntnisquellen sind spezifische Arten, »Unterschiede« zu erfassen.1 Folglich besteht alle Erkenntnis (γνῶσις) teils im sinnlichen Erfassen empirischer Gegenstände, teils im gedanklichen Erfassen der allgemeinen Strukturen und Zusammenhänge des Kosmos.2 Zwischen beiden Erkenntnisarten vermittelt die Vorstellung oder Imagination (φαντασία), indem sie einerseits frühere sinnliche Wahrnehmungen (über das Gedächtnis) repräsentiert, andererseits dem gedanklichen Operieren mit abstrakten Begriffen eine sinnliche Stütze verschafft; auch die Vorstellung ist folglich für den Erkenntniserwerb des Individuums von eminenter Wichtigkeit, obwohl sie für sich genommen keine Erkenntniskraft besitzt. Wahrnehmen ist für Aristoteles die Fähigkeit, von äußeren Dingen Erscheinungen zu gewahren, die gewisse Verhältnisse der Gegenstände irgendwie formal abbilden. Diese Realerscheinungen heißen »Phänomene (φαινόμενα)«, d. h. das sinnlich sich Zeigende, Offenkundige. Die Phänomene sind zwar letzter Bezugspunkt aller Realitätsgewissheit, müssen aber richtig interpretiert werden. Deshalb vertritt Aristoteles einen sehr weiten  Bei den sinnlichen wie bei den geistigen Tätigkeiten »erfasst die Seele Unterschiede und erkennt etwas von den seienden Dingen« (an. III 3, 427a20 f.). »Nachdenken (διάνοια)« und »Wahrnehmung (αἴσθησις)« bilden jeweils ein »Unterscheidungsvermögen (δύναμις κριτική)« (an. III 9, 432a15 f.) Die Wahrnehmung ist ein »angeborenes Unterscheidungsvermögen« (an. post. II 19, 99b35). 2  »Die sinnliche Wahrnehmung ist aber eine Form der Erkenntnis (γνῶσις)« (gen. an. I 23, 731a31 f.) bzw. eine Form des »Erkennens (γνωρίζειν)« (metaph. I 1, 980a26). »Denn die seienden Dinge sind entweder sinnlich erfassbar (αἰσθητά) oder gedanklich erfassbar (νοητά)« (an. III 8, 431b22). Zur Komplementarität von Wahrnehmung (αἴσθησις) und Denken (νόησις) vgl. auch metaph. VII 10, 1036a5 f. 1



Geist bei Aristoteles – eine systematische Skizze

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Begriff von sinnlicher Wahrnehmung; sie besteht für ihn nicht nur im Konstatieren von Empfindungen (ἴδια αἰσθητά), sondern ebenso im Objektivieren von räumlich-zeitlichen Größen (κοινὰ αἰσθητά) und umfasst sogar, sofern sie durch Erfahrung belehrt ist, das Identifizieren von Phänotypen aufgrund charakteristischer Merkmalskombinationen (κατὰ συμβεβηκὸς αἰσθητά).3 Vorstellen ist dagegen die Fähigkeit, rein innere Erscheinungen zu erzeugen, die zum Zeitpunkt ihres Erscheinens nicht unmittelbar von externen Gegenständen hervorgerufen werden. Solche Imaginärerscheinungen oder »Phantasmen (φαντάσματα)« aller fünf Sinne entstehen entweder unwillkürlich, wie z. B. Nachbilder oder Nachklänge aus früheren Wahrnehmungen, oder willentlich, z. B. wenn man sich bei geschlossenen Augen bildliche Schemata wachruft. Denken qua gedankliches Erfassen ist schließlich die sprachgebundene Fähigkeit, vermittels von Vorstellungen allgemeine Begriffe vom Wesen und von den (kausalen) Zusammenhängen der Dinge zu gewinnen. Sofern die Erkenntnis des allgemeinen Begriffs »unteilbaren« Größen gilt und deshalb kraft unfehlbaren intuitiven Schauens erfolgt, nennt Aristoteles das zugrunde liegende Vermögen öfter νοῦς im engeren Sinne (an. III 6, 430a26 f.; eth. Nic. VI 6, 1141a2–8), was gut mit »Verstand, intellectus« übersetzt wird. Wird der allgemeine Begriff dagegen durch diskursives Nachdenken in Bezug auf »zusammengesetzte« Objekte gewonnen, d. h. durch Zerlegung und Verknüpfung abstrakter Merkmale in Urteilen und Schlüssen, so nennt Aristoteles dieses irrtumsanfällige Teilvermögen des Geistes manchmal διάνοια (an. III 6, 430a27–430b2; metaph. VI 4, 1027b25–28), was am besten mit »Vernunft, ratio« übersetzt wird.4 Beide Modi des geistigen Erfassens inhärieren jedoch dem zugrunde liegenden Erkenntnisvermögen namens νοῦς, das sich am besten mit »Geist« übersetzen lässt.  An. II 6, 418a7–25; ebd. III 1, 425a14–425b11; ebd. III 3, 428b10–25. Zur Rekonstruktion vgl. Busche 2002, S. 112–142. 4  Zur terminologischen Unterscheidung vgl. an. post. I 33, 89b7, zu ihrer sachlichen Erläuterung vgl. metaph. IX 9. 3

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Wahrnehmen, Vorstellen und Denken sind zwar drei exklusive Vermögen; denn was ich wahrnehme, kann ich mir nicht zeitgleich noch einmal vorstellen, und was ich mir vorstelle, ist nicht identisch mit dem, was ich mir bei einer Vorstellung denken mag. Gleichwohl bilden die drei Vermögen eine teleologische Stufenordnung, bei der die erstgenannten Vermögen notwendige Bedingungen der später genannten sind: Ohne früher gemachte Wahrnehmungen wären keine Vorstellungen möglich, und ohne sinnliche Vorstellungen hätte das abstrakte Denken keine Ansatzpunkte für die Anstrengung des Begriffs. In seiner Vorlesung De anima erklärt Aristoteles nun die drei genannten Tätigkeiten aus unterschiedlichen Kräften, die teils dem beseelten Körper eigen seien, teils aber auf genuin seelische Vermögen zurückzuführen seien: das sinnliche Wahrnehmen (1.) sowie das Vorstellen (2.) auf die Sinnenseele (αἰσθητικὴ ψυχή), das geistige Erfassen oder Denken (3.) auf die Geistseele (διανοητικὴ ψυχή). Entsprechend seiner ontologischen Dreiteilung des substantiell Seienden in A. Vermögen (δύναμις), B. Tätigkeit (ἐνέργεια) und C. Produkt/Leistung (ἔργον) klassifiziert Aristoteles auch terminologisch die drei erkenntnisrelevanten Seelenkräfte überaus präzise. Da Aristoteles das Wahrnehmen und das Denken als ein Erfassen an sich vorliegender Strukturen versteht, kommt bei ihnen zusätzlich noch D. das erfasste Objekt hinzu, wie das folgende Schema illustriert: 1.

2. 3.

A. Wahrnehmungs- Vorstellungsvermögen Denkvermögen   vermögen (αἰσθητικόν) (φανταστικόν) (διανοητικόν, νοῦς) B. Wahrnehmen    (αἴσθησις)

Vorstellen (φαντάζεσθαι)

Denken (νόησις)

C. Wahrnehmung    (αἴσθημα)

Vorstellung (φάντασμα)

Gedanke (νόημα)

D. Wahrgenommenes    (αἰσθητόν)

Gedachtes (νοητόν)



Geist bei Aristoteles – eine systematische Skizze

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Aus alledem ergibt sich, dass Aristoteles unter dem »Geist (νοῦς)« jenes höhere Erkenntnisvermögen versteht, das sich nicht – wie das Sinnesvermögen – mit dem Konstatieren, Objektivieren und Identifizieren der einzelnen empirischen Phänomene befasst.5 Vielmehr ist der Geist von diesen subalternen Aufgaben entlastet, damit er sich intuitiv oder diskursiv auf »die edlen und göttlichen Dinge« richten kann (eth. Nic. X 7, 1177a16), d. h. auf das begrifflich zu bestimmende Allgemeine, das im Wesen der Dinge und in deren Ursachen und Prinzipien liegt. Entsprechend definiert Aristoteles den νοῦς als den »Teil der Seele, vermöge dessen die Seele erkennt (γινώσκει) und richtig urteilt (φρονεῖ)« (an. III 4, 429a10 f.) bzw. als dasjenige, »womit die Seele nachdenkt (διανοεῖσθαι) und gedanklich erfasst (ὑπολαμβάνει)« (ebd., 429a22 f.).

2. Die naturphilosophische Erklärung der Wahrnehmung und der Vorstellung In De anima versucht Aristoteles nun, nicht nur die biologische Funktion der Ernährung (die schon den Pflanzen zukommt), sondern auch die beiden Erkenntnisvermögen der sinnlichen Wahrnehmung (die wir mit den Tieren teilen) und des geistigen Erfassens (das, wenn man von dem Gott absieht, uns Menschen vorbehalten ist) kausal zu erklären. Der Typ dieser Erklärung besteht darin, den Prinzipien seiner Naturphilosophie gemäß die drei genannten Vermögen so weit wie möglich teils auf die Anordnung und Form (Struktur) spezifischer Organe, teils auf die Anordnung, Form und Bewegung leibinterner Korpuskeln, welche die Organe affizieren, und teils auf leibexterne Stimuli  Entsprechend vergleicht metaph. II 1, 993b9–11 den Geist mit einer Eule, die zwar blind gegen das Sinnenfällige des Tages, aber gerade deshalb helläugig gegenüber den für unsere Augen nicht sichtbaren Zusammenhängen ist: »Wie sich nämlich die Augen der Eulen zum Tageslicht verhalten, so verhält sich der Geist unserer Seele zu demjenigen, was seiner Natur nach von allem das Offensichtliche ist.« 5

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und Medien zurückzuführen. Welche genaue Rolle hierbei die »Seele (ψυχή)« als Prinzip spielt – ob sie eine genuin metaphysische Form des Leibes ist,6 ob sie für die Aktivität der organischen Selbsterhaltung steht,7 ob sie bloß eine funktionale Struktur des Leibes meint 8 oder ob sie für das jeweilige System aller für die Ernährung, für die Wahrnehmung und für das Denken funktionalen Strukturen und Prozesse steht,9 ist in der Forschung bis heute umstritten. Wie immer man die »Seele« bei Aristoteles auch versteht, spricht doch vieles dafür, dass Aristoteles die sinnlichen wie die geistigen Erkenntnisprozesse möglichst aus natürlichen Kausalfaktoren zu erklären sucht. Dass Aristoteles diese Prozesse zugleich immer auch teleologisch, d. h. nach Analogie einer der Natur immanenten Kunst (τέχνη) auffasst, kraft welcher die natürlichen Kausalketten zweckmäßig gefügt und jeweils auf das Ziel (τέλος) abgeschlossener Bewegungsfiguren hin angelegt sind, hindert ihn nicht, die Kausalketten selbst geradezu mechanisch über die Wirkursachen zu erklären. Diese quasi mechanische Erklärungsart kann so weitreichend verstanden werden, dass Aristoteles mit ihr sogar die Denkprozesse möglichst auf natürliche Ursachen zurückführen will. Gilt doch das hauptsächliche Untersuchungsziel der aristotelischen Geistlehre in De anima der Beantwortung der Frage, »wie denn das gedankliche Erfassen zustande kommt (πῶς ποτὲ γίνεται τὸ νοεῖν)« (an. III 4, 429a13)! Da sich Aristoteles bei seiner hypothetischen Erklärung der Denkprozesse systematisch von einer Analogie zur Erklärung der Wahrnehmungsprozesse leiten lässt, empfiehlt es sich,  So die vorwiegend im Mittelalter und insbesondere im Thomismus verbreitete Deutung, die auch heute noch vertreten wird; vgl. Heinzmann 1986, S. 236–259. 7  So Hübner 1999, S. 1–32. 8  So eine in den letzten Jahrzehnten stark verbreitete, v. a. von den Funktionalisten beanspruchte Formel. Sie scheint zurückzugehen auf Hardie 1964, S. 53–72, hier S. 62 u. S. 64; terminologisch wohl erstmals bei Nussbaum 1978, S. 71 u. S. 149. 9  So Busche 2001. 6



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vorab einen kurzen Blick auf das allgemeine Muster dieser quasi mechanischen Komponente seiner Erklärung zu werfen. In Aristotelesʼ naturphilosophischer Untersuchung der sinnlichen Wahrnehmung lassen sich drei Schritte unterscheiden, mit denen das Phänomen der bewussten sinnlichen Wahrnehmung (αἴσθημα) erklärt werden soll. Erstens liegt, entsprechend der physikalischen Ebene, die äußere Quelle jeder Wahrnehmung in einem Körper der Außenwelt, der das »Zugrundeliegende (ὑποκείμενον)« oder den Gegenstand bildet. »Die Gegenstände […] erzeugen die Wahrnehmung« (metaph. IV 5, 1010b33 f.). Der Gegenstand wirkt physisch, indem er durch bestimmte Medien hindurch bestimmte Formen (εἴδη) aussendet, die z. B. einer Farbe oder einem Schall inhärieren. Dieser Wirkradius setzt sich zweitens auf einer physiologischen Ebene fort, indem die ausgesendeten Formen das äußere, periphere oder »eigentümliche Sensorium (ἴδιον αἰσθητήριον)« (Juv. 1, 467b28) eines Lebewesens, z. B. Auge oder Ohr affizieren. Folglich drückt bei dieser äußeren Affektion der leibexterne Gegenstand den äußeren Sinnesorganen seine ausgesendeten »wahrnehmbaren Formen« (an. III 8, 432a5) ein, wie der Siegelring dem Wachs seine Strukturen einprägt. »Wahrnehmung heißt das Vermögen, die wahrnehmbaren Formen ohne deren Materie aufzunehmen, ähnlich wie Wachs das Zeichen des Siegelrings ohne dessen Eisen und Gold aufnimmt«. Durch die Einprägung der Struktur werden in den äußeren Sensorien Abbilder erzeugt, die ein formal ähnliches »Verhältnis (λόγος)« wie der äußere Gegenstand selbst haben (an. II 12, 424a17–24). Auf dieser physiologischen Ebene ist die Wahrnehmung demnach ein rezeptiver Prozess, ein »Bewegtwerden und Erleiden« (an. II 5, 416b33 f.), genauer eine »Bewegung durch den Körper hindurch« (phys. VII 2, 244b11 f.). Wie kommt es nun drittens zu einer (modern gesprochen) psychischen Wirkung, d. h. einer bewussten Wahrnehmung wie z. B. einer Rotempfindung? Da Aristoteles erkennt, dass z. B. das von Lichtstrahlen affizierte Auge als solches noch nicht zu sehen vermag, hält er über die Affektion der äußeren Sensorien hinaus

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Hubertus Busche

noch eine zweite, innere Affektion für nötig. Bei ihr werden die wahrnehmbaren Formen an ein (im Herzen lokalisiertes) Zentralsensorium rückgemeldet, in dem alle Einzelinformationen »notwendig zusammentreffen« (Juv. 1, 467b29). Dieser Gemeinsinn, der später seit Augustinus »innerer Sinn (sensus interior)« genannt werden wird, heißt bei Aristoteles »gemeinsamer Sinn (κοινὸν αἰσθητήριον)« (juv. 1, 467b28), »letzter Sinn (ἔσχατον αἰσθητήριον)« (an. III 2, 426b16), »herrschender Sinn (κύριον αἰσθητήριον)« (insomn. 2, 455a21 u. 33) oder auch »Prinzip der Wahrnehmung (ἀρχὴ τῆς αἰσθήσεως)« (insomn. 2, 455b34). Weil »Wahrnehmung (αἴσθησις)« bei Aristoteles demnach sowohl die physiologische Bewegung als auch die bewusste psychische Empfindung umfasst, ist die Bewusstwerdung vermittels der zentralen Affektion eine Wahrnehmung der Wahrnehmung, d. h. ein Gewahrwerden sinnlich-körperlich vermittelter Prozesse. Deshalb heißt es vom Gemeinsinn: »Es gibt aber auch ein gemeinsames, alle [Einzelsinne] begleitendes Vermögen (κοινὴ δύναμις), durch das man auch wahrnimmt, dass man sieht und hört« (somn. 2, 455a15 f.). »Denn auch im wachen Zustand glaubt man erst, dass man sieht, hört und wahrnimmt, wenn die Bewegung von dort her«, nämlich den Einzelsinnen, »sich fortgepflanzt hat zum Prinzip« (insomn. 3, 461a30 ff.). Eine ähnlich physikalische bzw. physiologische Erklärungsart wie für die bewusste Wahrnehmungsleistung (αἴσθημα) zieht Aristoteles auch für die Erklärung der Vorstellung heran. Und er beantwortet die Frage, wie in uns »eine bewusste Vorstellungsleistung entsteht (φάντασμά τι ἡμῖν γίγνεσθαι)« (an. III 3, 428a1), ebenfalls mit einer körperlichen »Bewegung (κίνησις)«, nämlich mit einer verzögerten Weiterleitung der Spuren früherer Wahrnehmungsreste an das Zentralsensorium (ebd. 428b10–17 u. 30 ff.).10 Es überrascht nicht, dass man diese Erklärungsart des Aristoteles, welche die psychischen Größen erlebter Wahrnehmungen (αἰσθήματα) und Vorstellungen  Eine hervorragende Erläuterung dieser Konzeption gibt van der Eijk 1994, S. 36–45 und S. 75–87. 10



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(φαντάσματα) ungeachtet ihrer teleologischen Zielgerichtetheit wirkkausal auf Bewegungen und Strukturen stofflicher Substrate zurückführt, schon im 19. Jahrhundert als »reinen Materialismus« eingestuft hat: Wenn »heute bedeutende materialistisch gerichtete Naturforscher und Naturphilosophen den Aristoteles als den ihrigen in Anspruch nehmen«, so geschehe dies, »ohne ihm Unrecht zu tun«.11 Aus Gründen der Kohärenz steht nun zu vermuten, dass Aristoteles – ähnlich wie bei der Wahrnehmung und der Vorstellung – schließlich auch bei der Frage, »wie denn das gedankliche Erfassen zustande kommt« (an. III 4, 429a13), eine wirkkausale Erklärung aus einem Prozess leibinterner und organbezogener Bewegungen zu geben versucht. Es zeigt sich jedoch, dass sich diese Vermutung nur mit einer sehr großen Einschränkung bewahrheitet.

3. Die naturphilosophische Erklärung der Denkprozesse Da der Geist als solcher (als das Vermögen gedanklichen Erfassens) nicht Gegenstand sinnlicher Beobachtung werden kann, sondern zu den bloß »gedanklich erfassbaren Gegenständen (νοητά)« gehört, kann er nicht hinreichend innerhalb der »Physik«, die es mit den vergänglichen Dingen zu tun hat, untersucht werden, sondern ragt – wie noch zu erläutern ist – ins Gebiet der Ersten Philosophie (Metaphysik) hinein.12 Die empirische Unzugänglichkeit des Geistigen dürfte einer der Gründe dafür sein, weshalb Aristoteles sich bei seiner Erklärung des Denkvermögens stark vom Modell einer Analogie zwischen sinnlichem und geistigem Erfassen und folglich auch von einer Analogie der naturalen Grundlagen beider Vermögen leiten lässt. Obwohl sinnliches und geistiges Erfassen hinsichtlich ihrer spezifischen Erkenntnisleistungen selbstverständlich »nicht dasselbe« sind (an. III 3, 427b6 f.), scheint doch »das ge11

 So etwa Ritter 1880, S. 7.  Part. an. I 1, 641a34 ff.; metaph.VI 1, 1026a4 ff.

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dankliche Erfassen und Einsehen« hinsichtlich seiner Funktionsweise »etwas dem Wahrnehmen Vergleichbares« zu sein; denn »bei beiden [Tätigkeiten] erfasst die Seele Unterschiede und erkennt etwas von den seienden Dingen« (ebd. 427a19–21). Unter dieser Voraussetzung gilt aber: »Ähnlich, wie sich das Wahrnehmungsvermögen (αἰσθητικόν) zu den wahrgenommenen Objekten (αἰσθητά) verhält, muss sich auch der Geist (νοῦς) zu den gedanklich erfassten Objekten (νοητά) verhalten« (an. III 4, 429a16–18). Im Einzelnen gelten dann folgende analoge Verhältnisse: Erstens muss auch das gedankliche Erfassen, analog zum sinnlichen Erfassen, in einem Aufnehmen der jeweils erkannten Formen bestehen, d. h. jener Strukturen der Dinge und ihrer Zusammenhänge, die im Erkenntnisprozess vermittels leibinterner Strukturen oder Formen verhältnisgleich abgebildet werden. Geistiges Erfassen muss also, wie sinnliches Erfassen, darin bestehen, »die Formen zu erleiden (τὰ εἴδη πάσχειν)« (an. III 2, 427a8 f.; vgl. ebd. III 4, 429a13 f.). Entsprechend ist »der Geist die Form (εἶδος) der [gedanklich erfassbaren] Formen, und die Wahrnehmung die Form der sinnlich erfassbaren Formen (εἴδη αἰσθητά)« (an. III 8, 432a2 f.). Hieraus folgt zweitens, dass es beim Geist ebenfalls eine rezeptive, passive Komponente geben muss, die – analog zu den äußeren Sensorien – dem Wachsstück ähnelt, in das die Formen des Siegelrings sich eindrücken (das Analogon der Schreibtafel, das Aristoteles für den rezeptiven Geist heranzieht, ist später zu erläutern). Drittens aber muss das Vermögen der geistigen Erfassung auch in bestimmter Hinsicht »unbeeinflussbar« von den körperinternen Wirkradien sein. Aristoteles formuliert dieses Postulat in der folgenden Zwischenbilanz: »Wenn sich das gedankliche Erfassen wie die Wahrnehmung verhält, dann müsste es ein Erleiden (πάσχειν) durch das gedanklich erfasste Objekt (νοητόν) sein oder etwas anderes von dieser Art.« Folglich muss der entsprechende Seelenteil namens Geist »zwar unbeeinflussbar (ἀπαθής) sein, aber doch fähig sein, die Form aufzunehmen, und muss der Möglichkeit nach die Form sein,



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ohne doch dasselbe wie die Form zu sein« (an. III 4, 429a13– 16). Dass der Geist trotz seiner passiven Komponente zugleich »unbeeinflussbar« sein soll, bildet ebenfalls eine Parallele zum Wahrnehmungsvermögen. Denn einerseits müssen sowohl der Gemeinsinn (qua Zentralsensorium) als auch die peripheren Sensorien die an sie weitergeleiteten Formen aufnehmen können, also passiv sein. Andererseits müssen sie aber auch »unbeeinflussbar (ἀπαθής)« sein – und zwar in dem Sinne, dass sie (durch das Zwerchfell) räumlich abgetrennt von den nicht zur Wahrnehmung gehörigen Stoffwechselprozessen der Bauchgegend sind, da die Wahrnehmung andernfalls ständig von diesen beeinträchtigt würde (part. an. III 10, 672b10–19). Aristotelesʼ Analogie vorausgesetzt, muss folglich auch der Geist eine abgetrennte Existenz innerhalb des Körpers haben, die seine Unbeeinflussbarkeit garantiert. Allerdings – und dieser Punkt wird nun für die aristotelische Hypothese vom Geist ganz entscheidend – ist die »Unbeeinflussbarkeit des Wahrnehmungsvermögens (ἡ ἀπάθεια τοῦ αἰσθητικοῦ) nicht von derselben Art wie die des Geistesvermögens (νοητικόν)« (an. III 4, 429a29 f.); denn bei überaus intensiven Sinneseindrücken wird die Wahrnehmungsfähigkeit zwar nicht durch andere somatische Prozesse gestört, wohl aber durch die Heftigkeit der wahrgenommenen Eindrücke selbst beeinträchtigt. Eine analoge Einschränkung der Leistungsfähigkeit ist dagegen beim Geist nicht gegeben. Im Gegenteil, je stärker das von ihm gedanklich Erfasste ist, umso besser erkennt er auch die schwächeren Objekte (an. III 4, 429a30–b4). An dieser Stelle wird deutlich, dass der genaue Modus der Unbeeinflussbarkeit, Nicht-Affizierbarkeit oder Leidensfreiheit des Geistes der erste Punkt ist, an dem die weitreichende Analogie zwischen sinnlichem und geistigem Erfassen sowie zwischen deren beiden Vermögen eingeschränkt werden muss. Der Geist darf nicht nur, wie die Wahrnehmungsorgane, unbeeinflussbar von den nicht zu seiner Tätigkeit gehörigen Prozessen sein; vielmehr muss er, wie De anima III 4/5 wenig später argumentiert, schlechterdings »unbeeinflussbar (ἀπαθής)« durch

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alles andere sein (429b23; 430a18; 408b29). Da nun Aristoteles Unvermischtheit und Abgetrenntheit als Bedingungen für die Unbeeinflussbarkeit versteht, müssen vom Geist ex hypothesi auch diese beiden Merkmale in einer gegenüber dem Wahrnehmungsvermögen radikalisierten Weise gelten. Also darf der Geist zweitens, wenn er grundsätzlich »alles« gedanklich erfassen können soll, nicht nur unvermischt mit den nicht zu seinem Tätigkeitsfeld gehörigen Prozessen sein, sondern er muss schlechthin »unvermischt (ἀμιγής)« in dem Sinne sein (429a18, 430a18), dass er »in keiner Weise mit dem Körper vermischt« ist; andernfalls erlitte er Zustandsveränderungen und hätte wechselnde Eigenschaften, indem er, wie ein körperliches »Organ«, warm und kalt usw. würde (429a24–26). »Die Realisierungstätigkeit (ἐνέργεια) des Geistes steht mit keiner körperlichen Realisierungstätigkeit (σωματικὴ ἐνέργεια) in Gemeinschaft« (gen. an. II 3, 736b28). Eine solche völlige Unvermischtheit mit dem Körper kann er aber drittens nur dann besitzen, wenn er nicht bloß, wie das Wahrnehmungsvermögen, ein räumlich abgetrenntes Organ neben anderen Organen ist, sondern vom gesamten beseelten Körper oder Organismus, dem er innewohnt, restlos »abgetrennt (χωριστός)« ist (430a17 u. 22). »Das Wahrnehmungsvermögen existiert nicht ohne Körper, der Geist aber ist [von diesem] abgetrennt« (429b4 f.). Diese drei Postulate, die dem Geist eine nach allem Bisherigen überraschende Sonderstellung gegenüber dem Sinnesvermögen zuschreiben, führen jedoch zunächst in eine gewisse Aporie, wie Aristoteles selbst einräumt. Denn wenn, den Postulaten zufolge, der Geist »mit nichts etwas gemeinsam hat, wie Anaxagoras sich ausdrückt,13 wie wird er dann etwas gedanklich erfassen, wenn doch das gedankliche Erfassen ein Erleiden ist«, nämlich im oben erläuterten Sinne eines Aufnehmens von  Ähnlich auch an. I 2, 404b19–21. Nicht nur hier, sondern auch in anderen Punkten lässt sich Aristoteles stark von der kosmologischen Geistlehre des Anaxagoras inspirieren. Allerdings tadelt er Anaxagoras auch dafür, dass er das Verhältnis der beiden Prinzipien »Geist (νοῦς)« und »Seele (ψυχή)« nicht deutlich geklärt habe (an. I 2, 404b25–b5; vgl. ebd. 405a13–19). 13



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Formen? Denn bei einem Naturprozess scheint nur dann das eine wirken und das andere leiden zu können, wenn »zwischen den beiden etwas Gemeinsames existiert« (an. III 4, 429b22–26; vgl. gen. corr. I 7, 323b30–34). Die Aporie besteht also darin, dass einerseits ein von allem unbeeinflussbarer, weil mit nichts vermischter und von allem abgetrennter Geist keine kausalen Einwirkungen erleiden kann, dass er aber andererseits gerade zu einem solchem Erleiden von Wirkungen fähig sein müsste, wenn Aristotelesʼ in Analogie zur Wahrnehmung entwickeltes Modell eines Erkennens durch Aufnahme von Formen gültig bleiben soll. Nicht zuletzt um dieses und andere Probleme zu lösen, stellt Aristoteles in an. III 5 – in einem Kapitel, das mit größter Wahrscheinlichkeit zu einem späteren Bearbeitungszeitpunkt eingefügt wurde14 – seine berühmte, aber nur in Winken angedeutete und deshalb mit zahlreichen Dunkelheiten behaftete Hypothese vom wirkenden und vom leidenden Geist auf.15 Die genannte Aporie wird insgesamt dadurch aufgelöst, dass die beiden bislang einem einzigen Seelenvermögen zugeschriebenen und somit widersprüchlichen Momente des Geistes, nämlich Rezeptivität (und damit kausale Beeinflussbarkeit) einerseits und Unbeeinflussbarkeit andererseits, nun auf zwei seelische Teilvermögen aufgeteilt werden. 4. Die Hypothese vom wirkenden und leidenden Geist (an. III 5) Dass es sich bei an. III 5, wie bei zahlreichen anderen Lehrstücken in Aristotelesʼ naturphilosophischen Schriften auch, um eine Hypothese handelt, legt schon die Argumentationsform nahe: Zunächst werden deduktiv als Prämissen allgemeine  Zum Hintergrund vgl. Schmitz 1985, insb. S. 173–195.  Sehr zutreffend formuliert Theiler 1959: »Es gibt kein Stück der antiken Philosophie, das wie die halbe Seite dieses Kapitels eine solche Masse an Erklärungen hervorgerufen hat. Seine Dunkelheit und übermäßige Kürze sind berüchtigt« (S. 142). 14

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Prinzipien herangezogen, auf den Spezialfall (hier das Zustandekommen von Denkprozessen) angewandt und hieraus dann Schlussfolgerungen gezogen. Diese werden dann, wie zu zeigen sein wird, auf ein bereits entwickeltes, aber nur angedeutetes naturphilosophisches Spezialkonzept abgebildet. Das allgemeine Prinzip, das den Beginn des Passus bildet, ist nichts anderes als das aristotelisch verstandene Kausalprinzip mit seinen diesbezüglichen Kategorien »Wirken (ποιεῖν)« und »Leiden (πάσχειν)«,16 denen die Reflexionsbegriffe der »Form« (bzw. ἐνέργεια) und des »Materials« (bzw. δύναμις) korrespondieren. Angewandt auf die Naturphilosophie bedeutet dies, dass es bei jedem natürlichen Prozess (κίνησις) ein Bewirkendes und ein Erleidendes gibt,17 d. h. etwas, das eine Veränderung hervorruft, z. B. indem es »schneidet« oder »brennt«, und ein Erleidendes, an dem sich die Veränderung vollzieht, z. B. indem es »geschnitten« oder »gebrannt« wird.18 Folglich müssen sich diese beiden unabtrennbaren Komponenten von Kausalität auch beim Geist irgendwie wiederfinden. Entsprechend beginnt an. III 5 folgendermaßen: »Weil es nun in der ganzen Natur stets eines gibt, welches das Material für jede Gattung ist (dies ist dasjenige, was die Dinge dieser Gattung der Möglichkeit nach sind), und ein anderes, welches die Ursache und das Bewirkende ist, durch das alles hervorgebracht wird – ähnlich, wie sich eine Kunst zu ihrem Material verhält –, so müssen notwendigerweise auch bei der Seele diese unterschiedlichen Faktoren gegeben sein. Und es gibt dann einerseits einen Geist von der Art, dass er alles wird, und andererseits einen Geist von der Art, dass er alles hervorbringt […]« (430a10–15). Die erstgenannte Komponente des Geistes, welche die Einwirkungen beim Denken erleidet, d. h. die Formen aufnimmt, nennt Aristoteles wenig später den »leidenden Geist (παθητικὸς νοῦς)« (430a24 f.); die zweitgenannte,  Vgl. cat. 4, 1b27; top. I 9, 103b23.  Vgl. an. III 2, 426a2; phys. III 3, 202a13 ff.; vgl. ferner die ganze Analyse von gen. corr. I 6–9. 18  Cat. 4, 1b27. 16 17



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aktive Komponente, welche beim Denken die Wirkungen erzeugt, indem sie die Denkbewegungen hervorruft, wurde von den Kommentatoren spätestens seit Alexander von Aphrodisias der »wirkende Geist (νοῦς ποιητικός)« genannt. Im obigen Zitat werden explizit zwei komplementäre Kausalfaktoren des Geistes postuliert, die für ein tatsächliches gei­ stiges Erfassen notwendig zusammenspielen müssen: Ohne den wirkenden Geist gäbe es keine prägende Form, ohne den leidenden Geist kein formbares Material, und zwar weder im Denken selbst noch bei dessen physischen Korrelaten. Deshalb gilt Aristotelesʼ Bemerkung, dass der wirkende Geist »ohne« den leidenden »nichts geistig erkennt« (430a25), auch umgekehrt. Folglich ist ein Mensch zu geistigem Erfassen nur solange befähigt, wie beide für sich getrennte Komponenten real und kausal in ihm vereinigt sind. In der Aufteilung des Denkvermögens auf zwei Teilvermögen, von denen das eine nur wirkt, ohne zu leiden, also das Moment der Unbeeinflussbarkeit garantiert, das andere dagegen nur leidet, ohne zu wirken, also das Moment der Aufnahmefähigkeit für die Formen verbürgt, liegt auch schon fast die ganze Pointe dieses Lehrstücks. Entsprechend überrascht es auch nicht, dass Aristoteles es ausdrücklich dem wirkenden Geist vorbehält, die oben erläuterte Merkmalsreihe der Unbeeinflussbarkeit zu besitzen: »Und dieser [!] Geist ist abgetrennt, unbeeinflussbar und unvermischt« (430a17 f.). Das von uns in Ausrufezeichen gesetzte Demonstrativpronomen besagt klar, dass der leidende Geist diese Merkmale nicht aufweist. Es liegt also nahe – anders als die meisten in diesem Band abgedruckten Kommentatoren19 – anzunehmen, dass der leidende oder rezeptive Geist mit jener Komponente zusammenfällt, die  Während Alexander von Aphrodisias in De anima den παθητικὸς νοῦς bemerkenswerterweise gar nicht erwähnt, unterscheidet Themistios (s. o., S. 332 f.) ihn vom νοῦς δυνάμει, wie er in III 4 behandelt wird, und identifiziert ihn mit dem von ihm eingeführten κοινὸς νοῦς, d. h. dem Subjekt der leib-seelischen Empfindungen und Habitus; eine Weiterführung dieser Unterscheidung ist die Identifizierung von παθητικὸς νοῦς und Vorstellungskraft bei verschiedenen neuplatonischen Autoren. 19

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im Kapitel an. III 4, d. h. noch vor Aristotelesʼ Aufteilung der beiden Komponenten des Geistes, scheinbar dem ganzen Geist zugeschrieben wurde. Dort hieß es nämlich, »dass der Geist (νοῦς) der Möglichkeit nach (δυνάμει) irgendwie identisch ist mit den gedanklich erfassten Objekten (πώς ἐστι τὰ νοητά)«, »jedoch der Wirklichkeit nach (ἐντελέχεια) mit keinem [Objekt identisch ist], bevor er es gedanklich erfasst«. Diese Art von Identität wird (direkt im Anschluss an diesen Satz) mit dem berühmten Modell der Schreibtafel illustriert, das Aristoteles parallel zum die Wahrnehmung betreffenden Modell von Wachs und Siegelring verwendet: Bevor der Geist überhaupt irgendein Objekt gedanklich erfasst hat, »muss es sich ähnlich verhalten wie bei einer Schreibtafel, auf der noch nichts der Wirklichkeit nach geschrieben steht; dies trifft auch beim Geist zu« (429b30–430a2). Das Modell ist in der Tat weitreichend, denn auch von einer Schreibtafel lässt sich sagen, dass sie erst dann in Wirklichkeit mit den Schriftzeichen identisch ist, wenn diese tatsächlich in sie eingraviert wurden. Da nun Schreibtafeln im antiken Griechenland aus Wachs bestanden, hat der rezeptive oder leidende Geist beim Denkvermögen denselben Status, wie ihn beim Wahrnehmungsvermögen die Sinnesorgane hatten, in welche sich die Struktur der von den äußeren Gegenständen ausgesendeten Formen eindrückt wie der Siegelring in das Wachs. Unter der in an. III 5 neu gewonnenen Voraussetzung, dass der wirkende Geist als vom ganzen Körper abgetrennt, unbeeinflussbar durch ihn und unvermischt mit ihm gedacht werden muss, der leidende Geist hingegen als fähig, Wirkungen in Gestalt von Formen aufzunehmen, lässt das Kapitel strenggenommen nur noch eine einzige Frage offen, die jedoch sehr weit reicht und mehrere Teilfragen birgt. Die offene Frage ergibt sich daraus, dass hinsichtlich der tragenden Analogie zwischen sinnlichem und geistigem Erfassen zwar das Wahrnehmungsvermögen explizit durch das Modell von Siegelring (formendes Prinzip) und Wachs (Material) illustriert wurde, dass aber bei der entsprechenden Illustration des geistigen Vermögens



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explizit nur die als Material dienende, »leidende« Schreibtafel erwähnt wird, während das korrespondierende »wirkende« Prinzip, das die Formen in die Schreibtafel einprägt, im Text nicht mitillustriert wird. Da man Schreibtafeln üblicherweise nicht mit Fingernägeln beschriftet, sondern mit einem Stift oder Griffel, lässt sich das Geheimnis von an. III 5 auch pointiert formulieren als die offengelassene Frage nach dem Griffel und nach dessen Verhältnis zum Schreibenden. Erst dann hätte man Aristoteles‘ tragende Analogie zu Ende gedacht und die mit ihr intendierte kausale Erklärung verstanden, wenn man eine Antwort auf die Frage gefunden hätte, was genau beim Geistesvermögen dem formgebenden Griffel entspricht, in welcher Weise dieser seine Schriftzeichen in den leidenden Geist eingraviert und auf welche Weise dies vom Schreibenden initiiert wird. Da in dieser entscheidenden Frage die Quellen schweigen, kann eine Antwort nur anhand weniger Winke im Text geschlussfolgert werden. Zunächst lässt sich nicht gut bezweifeln, dass es eine wirkkausale (und nicht etwa eine zweckkausale) Erklärung sein soll, die Aristoteles in an. III 5 zu skizzieren sucht. Denn seine Herleitung der beiden Arten von Geist erfolgt ja in 430a10–15 gerade aus den beiden Momenten der causa efficiens, dem »Bewirkenden (ποιῶν)« und dem die Wirkungen aufnehmenden »Material (ὕλη)«. Zwar wird diese Kausalität nach Analogie einer »Kunst (τέχνη)« vorgestellt, da sie dem Zweck dient, ein Werk hervorzubringen, nämlich die Prozesse des geistigen Erfassens. Dieser Zweck hat hier jedoch keine erklärende Funktion; vielmehr soll ja umgekehrt erklärt werden, kraft welcher naturaler Prozesse dieser Zweck realisiert wird, d. h. »wie denn das gedankliche Erfassen (νοεῖν) zustande kommt« (429a13). Folglich entspricht das Verhältnis zwischen wirkendem und leidendem Geist, wenn man es technomorph auffasst, der Relation zwischen Meißel und Marmor und nicht etwa der zwischen Vision und Werk. Wenn sich Aristoteles allen Ernstes damit begnügt hätte, auf die naturphilosophische Frage, »wie denn das gedankliche Erfassen zustande kommt«, eine zweckkau-

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sale Antwort (etwa von der Art »weil wir letztlich durch Gott hierzu motiviert werden«) zu geben,20 hätte er sich gewiss nicht so viele ›mechanische Probleme‹ damit gemacht, wie sich die einerseits zu postulierende Rezeptivität des Geistes mit dessen andererseits zu postulierender Unbeeinflussbarkeit vereinbaren lässt; überdies hätte er sich das ganze Räsonnement zur Schreibtafel sparen können. Ferner lässt sich auch nicht gut bezweifeln, dass es der wirkende Geist selbst sein muss, dem Aristoteles die Rolle des formgebenden Griffels oder Schreibgerätes zubilligt. Andernfalls wäre die ganze systemtragende Analogie zwischen sinnlichen und geistigen Prozessen hinfällig und folglich auch die Logik ihrer Illustrierung durch die analogen Modelle vom Wachs und seiner Formprägung durch den Siegelring einerseits und von der Schreibtafel und den ihr eingeprägten Schriftzeichen andererseits sinnwidrig. Denn wie bei der sinnlichen Wahrnehmung das ›Wachs‹ der Sinnesorgane als das leidende Material gedacht wurde, in das der von außen wirkende ›Siegelring‹ des affizierenden Gegenstandes seine Form einprägt, so kann auch beim geistigen Erfassen jene ›Schreibtafel‹, welche die gedanklichen Formen passiv aufnimmt, nicht ohne einen ›Griffel‹ gedacht werden, der von außen seine Schriftzeichen in ihr Material einschreibt und folglich das wirkende Prinzip bildet. Nun gibt aber der im zweiten Absatz dieses Kapitels zitierte Anfangssatz von an. III 5 gerade die Erläuterung, dass es der wirkende Geist sein soll, der dem als »Material (ὕλη)« dienenden leidenden Geist seine Formen einprägt. Folglich gibt es keinen guten Grund zu bestreiten, dass es das Kausalverhältnis zwischen leidendem und wirkendem Geist ist, welches Aristoteles durch das Modell der Schreibtafel und des hinzuzudenkenden Griffels erläutern will. Ähnlich sehen es etwa Priskian (›Simplikios‹) und Stephanos (›Philoponos‹).21  So jedoch die jüngeren Interpretationen von D’Onofrio 1998, sowie von Caston 1999, S. 199–227. 21  Bezeichnenderweise verlagern jedoch beide ihre Aufmerksamkeit 20



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Während es sich jedoch beim Wahrnehmungsvermögen so verhält, dass jener ›Siegelring‹ (bzw. der Träger des Siegelrings), der seine Strukturen in das ›Wachs‹ der Sinnesorgane eindrückt, letztlich der strukturierte äußere Gegenstand (das ὑποκείμενον) ist, der im Wahrnehmungsprozess irgendwie abgebildet wird, kann der ›Griffel‹, der den leidenden Geist beschriftet, einerseits nicht von außerhalb kommen, so dass er durch den Organismus hindurch nach innen wirkte, wie eine Schall- oder Lichtquelle. Da der wirkende Geist aber als völlig abgetrennt vom Organismus und unvermischt mit diesem postuliert wird, kann er andererseits auch nicht innerhalb des Leibes zu suchen sein, wie das Zentralorgan des Gemeinsinns. Angesichts dieser Schwierigkeit fragt es sich, ob es überhaupt einen möglichen Kandidaten für einen derartigen »wirkenden Geist« geben kann, der – ohne seines Namens zu spotten – zwar »wirken« können soll, dies aber ganz ohne körperliches Instrument leisten soll. Vor dieser schwierigen Frage standen und stehen weiterhin alle Interpreten dieses Kapitels. In der Tat sind es nur wenige Winke, die der Text auf einen solchen möglichen Kandidaten gibt.

vom Schreibwerkzeug weg auf die schreibende Person. So heißt es bei Priskian, wenn auch in der abgewandelten Terminologie der spätantiken Kommentatoren: Der »in Möglichkeit befindliche Geist (δυνάμει νοῦς)« werde »vom ersten Geist (πρῶτος νοῦς) vollendet und in verwirklichter Form beschrieben (γραφόμενον)« (s. o. Kap. 6, S. 536 f.) Noch pointierter bezeichnet Stephanos bzw. Philoponos den wirkenden Geist, den er mit dem in Wirklichkeit befindlichen Geist (ἐνεργείᾳ νοῦς) gleichsetzt, als den »Schreiber (γραφεύς)« und erläutert: »Die Formen aller Dinge (πάντων τοὺς τύπους) schreibt er nieder (καταγράφει) im möglichen Geist (δυνάμει νοῦς)« (in an. 538, 5 f. Ηayduck; nicht in der vorliegenden Auswahl enthalten).

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5. Zur Deutung der Hypothese vom wirkenden Geist Der erste Wink, den der Text gibt, besteht in einer antithetischen Gegenüberstellung, der zufolge der wirkende Geist »unsterblich und ewig (ἀθάνατος καὶ ἀίδιος)« sein soll, der leidende Geist hingegen »vergänglich (φθαρτός)« (430a23 u. 25). Diese Charakteristika werden im Text jedoch keineswegs argumentativ begründet oder erläutert. Im Gegenteil, das Eingangsargument von an. III 5, nach dem es »in der ganzen Natur« und »für jede Gattung« bei kausalen Prozessen einerseits stets ein wirkendes, der Form korrespondierendes Moment gibt, andererseits ein leidendes Moment, das die Rolle des zu formenden Materials spielt, hätte viel eher erwarten lassen, dass auch für den durch Formung wirkenden Geist ein ganz natürliches, somit der Vergänglichkeit unterliegendes und keineswegs »ewiges« Prinzip veranschlagt wird. Dass Aristoteles den wirkenden Geist jedoch ohne Begründung mit etwas »Unsterblichem« identifiziert, zeigt vielmehr, dass er seine Hypothese vom zweifachen Geist gezielt auf eine bereits zuvor entwickelte Spezialkonzeption abbildet, die nur angedeutet und nicht erörtert wird. Aristoteles nimmt nämlich so etwas wie eine unzerstörbare und ewige Materie an. Vor dem Hintergrund des bis jetzt Gesagten führt diese Überlegung folgerichtig auf die Frage, ob der wirkende Geist (νοῦς ποιητικός) tatsächlich, wie von den in diesem Band abgedruckten Kommentatoren und auch den meisten modernen Interpreten angenommen, von Aristoteles als eine immaterielle Entität verstanden wurde oder ob er nicht doch eher als eine materielle (bzw. materiegebundene) Entität vom Stagiriten konzipiert wurde. Insgesamt sind zwar die einzelnen seit der Antike vorgenommenen Deutungen von An. III 5 hochkontrovers und unüberschaubar. Eine klar konturierte Möglichkeit, die sehr unterschiedlichen Interpretationen, die Aristoteles’ »wirkender Geist« im Laufe der Jahrhunderte erfahren hat, in zwei Hauptgruppen zu unterteilen, lässt sich jedoch an der Frage gewin-



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nen, ob der wirkende Geist (νοῦς ποιητικός) eine immaterielle oder eine materielle (bzw. materiegebundene) Entität sei. Da die Bedeutungen von »materiell« bzw. »Materie (ὕλη)« von der Antike bis zur Gegenwart keineswegs einheitlich sind, genügt es für die Klärung der Frage, Kants phoronomische Definition der Materie als »das Bewegliche im Raume« zugrunde zu legen; ihr entspricht ungefähr Aristotelesʼ Terminus der »ortsver­ ändernden Materie (ὕλη τοπική)« bzw. der »bewegbaren Materie (ὕλη κινητή)« (metaph. VIII 1, 1042b6; VIII 4, 1044b7 f.; XII 3, 1069b25 ff.; gen. corr. I 4, 320a2). Die klassische, wohl erstmals bei Alexander von Aphrodisias greifbare Deutung, die seitdem zur herrschenden Meinung bis in die Moderne hinein wurde, versteht Aristotelesʼ wirkenden Geist als eine völlig immaterielle Entität. Wie groß die Spannbreite der einzelnen Varianten dieser immateriellen Deutung ist, lässt sich immerhin erahnen, wenn man die folgende Fünfteilung der Gelehrtenmeinungen zum wirkenden Geist bedenkt, die der byzantinische Mönch Sophonias im 13./14. Jahrhundert n. Chr. rückblickend aufstellte,22 wobei er über die in diesem Band abgedruckten Ausführungen bei Philoponos und Ps.-Philoponos/Stephanos noch hinausgeht.23 So grob seine Typologie der Grunddeutungen auch ist, so hilfreich ist sie doch, da sie die Fülle der historisch vertretenen Einzelinterpretationen auf ein kombinatorisches Schema zurückführt, das die verschiedenen Kandidaten für den rätselhaften νοῦς ποιητικός nach Stufen der Seinshierarchie von oben nach unten, d. h. von Gott abwärts zum Menschen hin ordnet: Nach Lehrmeinung (1), die u. a. von Alexander von Aphrodisias vertreten wurde, ist der wirkende Geist identisch mit dem göttlichen und weltbewegenden Geist von metaph. XII, so dass dann eine von Materie gänzlich freie Entität naheliegt. Auch Lehrmeinung (2), die den νοῦς ποιητικός als einen »anderen von außen stammenden (ἕτερος ἔξωθεν)« Geist auffasst, der zwar unterhalb des göttli22

 Vgl. Sophonias, an paraphr. 136, 2–24 Hayduck.  S. o. S. 761–765.

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chen, aber oberhalb des menschlichen Geistes stehe, neigt ganz überwiegend zu der Auffassung, dass dieser externe Geist etwas Immaterielles ist; dies gilt insbesondere für die meisten arabischen und neuplatonischen Kommentatoren, wobei allenfalls die eigentümliche Ansicht des Proklos-Schülers Marinus, dass Aristoteles unter dem νοῦς ποιητικός einen »dämonischen bzw. engelshaften Geist (δαιμόνιος τις ἤ ἀγγελικὸς νοῦς)« verstanden habe24, grundsätzlich auch dessen Gebundenheit an ein feinstoffliches Substrat zulässt. Ferner lässt sich auch die von Sophonias als Lehrmeinung (4) gezählte und von Aristotelesʼ Textbasis weit entfernte Ansicht, der zufolge der wirkende Geist nichts anderes als den Geist eines Lehrers meine, der den zunächst bloß möglichen Geist des Schülers zu einem wirklichen ausbilde, am besten mit einer immateriellen Lesart des aktiven Geistes vereinbaren. Gegenüber diesen drei Interpretationen tendieren die beiden noch übrigen Deutungen als solche weder zur immateriellen noch zur materiellen Natur des wirkenden Geistes. Beiden ist gemeinsam, dass sie den wirkenden Geist nicht als einen »fremden (ἀλλότριος)« verstehen, sondern als einen, der zu unserer menschlichen Seele gehört. Lehrmeinung (3) geht jedoch davon aus, dass der Sache nach wirklich zwei verschiedene Instanzen von Geist in uns zusammenspielen, nämlich der wirkliche, der »von außen« in uns gelangt, und der mögliche, der schon ursprünglich zur Seele gehört und von jenem bloß »vervollkommnet« wird. In Lehrmeinung (5) schließlich, der auch Sophonias selbst huldigt, wird gerade diese sachliche Zweiheit bestritten und stattdessen angenommen, dass der menschliche Geist nur eine einzige Entität bildet. Die Anhänger der immateriellen Lesart des wirkenden Geistes, die historisch überwiegend die Meinung (1), (2) oder (4) vertraten, nicht selten aber auch die Meinung (3) oder (5), begründeten ihr Votum vor allem damit, dass sie die von Aristoteles postulierten Hauptmerkmale dieses Geistes, seine »Un So nach Stephanos (›Philoponos‹), in an. 535, 5 ff. Hayduck. Zur Erläuterung vgl. Blumenthal 1990, S. 319 f. 24



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vermischtheit« und »Abgetrenntheit«, als eine Unvermischtheit mit allem Materiellen bzw. als Abgetrenntheit von aller Materie verstanden. Die konträre, materielle Lesart des νοῦς ποιητικός blieb immer eher eine Mindermeinung in der Aristoteles-Exegese. Sie verbindet sich meistens mit Lehrmeinung (3), die ohne naturtranszendente Entitäten auskommt, und interpretiert entsprechend auch den tätigen Geist des Menschen als eine bestimmte Natur (φύσις). In dieser naturalistischen Tradition der Auslegung der aristotelischen Psychologie dürfte auch der von Alexander in De intellectu zitierte Unbekannte aus dem 1./2. Jahrhundert n. Chr. stehen, der den wirkenden Geist als eine »in der Materie« befindliche »Substanz in einer Substanz« auffasst.25 Aber auch etwa Cicero (106–43 v. Chr.) schreibt Aristoteles die Lehrmeinung zu, dass der wirkende Geist mit einem Teilchen jenes ganz besonderen Stoffes identisch sei, aus dem nach Aristoteles auch die Sterne bestehen, nämlich aus dem (nach Wasser, Erde, Luft und Feuer) fünften Element (Quintessenz, quinta natura), d. h. aus dem himmlischen und göttlichen Äther.26 Allerdings steht nicht fest, ob es sich hier um eine Deutung von De anima handelt.27 Reflexe dieser von Cicero reformulierten  S. o. Kap. 3, S. 230 f.  Vgl. Cicero, Tusculanae disputationes I 22: »Aristoteles […] quintam quandam naturam censet esse, e qua sit mens«. Diese Stelle ist vor allem von Kampe 1878, S. 12–49, unter Heranziehung zahlreicher Belegstellen als Interpretation von De anima dargestellt und systematisiert worden. Angeschlossen hat sich ihr auch Gomperz 1922–1931, III, S. 164 f. – Zur Erläuterung s. Anm. 57 zu Kapitel 2, unten S. 857. Kampes Deutung von Ciceros Berichten als Interpretation von De anima ist heftig bekämpft worden, vor allem von Franz Brentano in seiner umfangreichen Rezension von Kampes Buch (Brentano 1871). Abgelehnt wurde sie auch von Zeller, 1923, S. 569. Zellers und Brentanos Einwände gegen Kampes Interpretation sind jedoch wenig überzeugend und oft vitiös zirkulär. – Die heutige, überwiegend englischsprachige Forschungsdiskussion um Aristoteles‘ wirkenden Geist scheint diese ältere Debatte gar nicht mehr zu kennen. 27  Vgl. auch die Bemerkungen zum aktuellen Forschungsstand in der Einleitung dieses Bandes s. o., S. 30 f. 25

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Theorie finden sich später bei Augustinus, der De anima nicht kannte, aber auch etwa in der Renaissance bei Pomponazzi.28 Beide Grunddeutungen, sowohl diejenige zugunsten der Immaterialität als auch diejenige zugunsten der Feinstofflichkeit des wirkenden Geistes, haben ihre Vorzüge und ermöglichen jeweils eine konsistente Lesart, um die bisherigen kryptischen Informationen von an. III 4–5 zum νοῦς ποιητικός einheitlich zu interpretieren. Gleichwohl scheint die zweite Interpretation, die dem wirkenden Geist eine ätherische Materie zuschreibt, den Vorteil zu haben, dass sie einigen weiteren rätselhaften Andeutungen im Text einen Sinn abzuringen vermag, mit denen die immaterielle Lesart nichts anzufangen weiß. Ein (nach »Unsterblichkeit«) zweiter Wink auf das Wesen des wirkenden Geistes besteht nämlich darin, dass Aristoteles gleich an mehreren Stellen behauptet, der Geist führe eine Bewegung aus. »Eine Bewegung des Geistes (νοῦ κίνησις) ist das gedankliche Erfassen (νόησις)« (an. I 3, 407a20). An anderer Stelle wird erläutert, dass diese Denkbewegung ihren Ursprung im wirkenden Geist hat. Im exakten Einklang mit der kryptischen Information von an. III 5, dass der wirkende Geist sich zum leidenden Geist verhalte wie »das Prinzip (ἀρχή) zum Material (ὕλη)« (430a19), erläutert nämlich metaph. VII 7, 1032b15 f. das gedankliche Erfassen als »die vom Prinzip (ἀρχή) und der Form (εἶδος) ausgehende Bewegung (κίνησις)«. Hier wird ein eindeutiger, wenngleich nicht konkret erläuterter Hinweis auf jenen natürlichen Prozess gegeben, dem auf der Modellebene die Bewegung entspricht, mit welcher der Griffel die Schriftzeichen in die Schreibtafel einschreibt. Allerdings wird der Griffel seinerseits durch den Schreibenden bewegt. »Der Geist (νοῦς)  Augustinus, De civitate dei XXII 11, schreibt das aristotelische quintum corpus des Himmels allerdings sehr ungenau der animae natura und nicht, wie Cicero, der mentis natura zu. Pomponazzi 1518, S. XXXIb, argumentiert, die Lehre von der Sterblichkeit der Seele könne unmöglich häretisch sein, da doch sogar Augustinus an der genannten Stelle geschrieben habe: »dicit Aristotelem sensisse animam [!] esse corpus: et quintam essentiam«. 28



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wird durch das Gedachte (νοητόν) bewegt (κινεῖται)« (metaph. XII 7, 1072a30). Dass der Geist Bewegungen vollzieht, widerspricht nicht Aristotelesʼ These, dass die Seele, die als Form des Leibes selbst unkörperlich ist, sich unmöglich bewegen kann. Denn Aristoteles unterscheidet explizit zwischen der Geistseele und dem Geist als demjenigen »Teil der Seele«, »vermöge dessen die Seele erkennt und richtig urteilt« (an. III 4, 429a10 f.) bzw. demjenigen, »kraft dessen die Seele nachdenkt und gedanklich erfasst« (ebd., 429a22 f.).29 Wenn der Geist (νοῦς) nur die höchste Stufe der Seele (ψυχή) und nicht etwa das (feinmaterielle) Medium der Geistseele wäre, litte die aristotelische Theorie auch an einem massiven Selbstwiderspruch. Denn die Seele ist »weder ohne Körper noch selbst ein Körper«, sondern »etwas, das zum Körper gehört (σώματός τι)« und somit »im Körper gegenwärtig« (an. II 3, 414a19–22). Da sie als Form unauflöslich an den Körper gebunden ist, kann weder »die Seele« noch »ein bestimmter Teil von ihr« »abgetrennt vom Körper« existieren (an. II 1, 413a4 f.), so wenig wie die Schlagkraft abgetrennt vom Beil existieren kann oder die Sehkraft abgetrennt vom Auge (an. II 1, 412b10–26). Deshalb vergeht die Seele auch mit Zerstörung des  Ähnlich an. II 2, 413b24–26: »Geist (νοῦς)« scheint in »eine andere Gattung als Seele (ψυχῆς γένος ἕτερον)« zu fallen. Meistens wird an dieser Stelle der Genitiv »ψυχῆς« als Partitiv verstanden und folglich so übersetzt, dass »der Geist eine andere Seelengattung zu sein scheint«. Dagegen hat schon Hicks 1907, S. 326 f. in seinem Kommentar darauf hingewiesen, »it would be grammatically possible to join psychēs with heteron, ›it would seem, however, that intellect is something different from soul‹«. Dass nur diese zweite Lesart den Sinn trifft, wird erstens gestützt durch top. I 17, 108a11, wo gerade »Sehen« und »Auge« bzw. »Seele« und »Geist« als Beispiele für Analoga »verschiedener Gattungen« präsentiert werden. Zweitens unterscheidet auch an I 5, 410b12–14 explizit zwischen »Seele« und »Geist«: »Dass etwas herrschender und bestimmender sein könnte als die Seele, ist unmöglich, und als der Geist, noch unmöglicher«. Wenn Geist nur die höchste Gattung von Seele wäre, wäre schließlich drittens auch die etwa in metaph. II, 993b3 f. zu findende Rede vom »Geist unserer Seele (τῆς ἡμετέρας ψυχῆς ὁ νοῦς)« widersinnig. 29

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Leibes und lässt keinen Grund für Hoffnung auf individuelle Unsterblichkeit. Ganz anders dagegen der wirkende Geist, der von Aristoteles ja gerade für »abgetrennt« vom Körper und »unvermischt« mit diesem sowie für »unsterblich und ewig« erklärt wird (an. III 5, 430a17 f., 23). Dass der Geist beim Denken eine Bewegung vollzieht, widerspricht auch nicht der These von phys. VII 3, 247b1–4, dass die gedanklichen Habitus oder »Zustände des denkenden Seelenteils (τοῦ νοητικοῦ μέρους ἕξεις)« nicht aus einer »Veränderung (ἀλλοίωσις)« resultieren und keine »Entstehung (γένεσις)« kennen. Denn wie weiter unten gezeigt wird, konzipiert Aristoteles den Äther als eine von außen unveränderliche Materie. Seine Bewegungen resultieren spontan aus ihm selbst. Aristoteles deutet in an. III 4, 429b10–18 sogar an, dass der Geist beim Denken unterschiedliche Arten von Bewegungen vollzieht: Wenn er direkt und intuitiv die Wesensbegriffe und Prinzipien erfasst, vollzieht er eine »gerade Linie«, wenn er dagegen reflektierend und diskursiv seine inneren Objekte vergleicht und verknüpft, eine »gebrochene (reflektierte)« Linie. Wie sollte aber der Geist überhaupt derartige Bewegungen vollziehen können, wenn er etwas völlig Immaterielles wäre? Da nur materielle Entitäten Bewegungen erleiden und hervorrufen können, spricht dies alles dafür, dass nicht nur der leidende, sondern auch der wirkende Geist aus einer Materie besteht. Der dritte Wink, mit der sich die Natur des wirkenden Geistes inhaltlich erschließt, findet sich nicht direkt in an. III 5, aber in anderen Kapiteln von De anima. So heißt es in einem nachträglichen Einschub in an. I 4, 408b18 f.: »Der Geist (νοῦς) aber scheint eine gewisse Substanz (οὐσία τις) zu sein, die [in den Körper] hineinkommt und nicht vergeht.« Der Hinweis auf die Unvergänglichkeit spricht klar dafür, dem ersten Wink entsprechend, dass hier vom wirkenden Geist die Rede ist. Zugleich bekräftigt der durch das »scheint« indizierte eingeschränkte Gewissheitsstatus, dass es sich nicht um eine gesicherte Erkenntnis, sondern um eine Hypothese handelt. Eine andere Stelle ergänzt diese bemerkenswerte Information vom wirken-



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den Geist, der in den Körper eintritt, durch die nicht minder bemerkenswerte Information, dass dieser Geist nach dem Tod des ihn besitzenden Menschen auch wieder aus dem Körper austreten kann. Da der wirkende Geist radikal vom Körper des Menschen abgetrennt und unvermischt mit diesem ist, vermag er sich nach dem Tod wieder aus dem verwesenden Leib und damit auch von seiner Kopplung an den leidenden, vergänglichen Geist zu befreien. Vom aktiven »Vermögen (δύναμις)« des »Geistes (νοῦς)« gilt: »Dieses allein kann sich abtrennen wie das Ewige vom Vergänglichen« (an. II 2, 413b26 f.). Beide Textstellen bestärken mit ihrer realistischen Semantik, der zufolge »eine gewisse Substanz« zunächst von außen in den Organismus »hineinkommen« und sich dann wieder von diesem »abtrennen« kann, den Eindruck, dass es sich um eine irgendwie materielle Substanz handeln muss; denn einer gänzlich immateriellen Entität kann man nicht sinnvoll eine Ortsbewegung zuschreiben. Ihre naturphilosophische Erläuterung finden die beiden Zitate jedoch nicht in De anima, sondern in der Embryologie von De generatione animalium. Auch hier nimmt Aristoteles einen Geist an, der »von außen« in den Leib des Fötus »hineinkommt und allein göttlich ist«. Und diesem Geist schreibt er einen »Körper« zu, der von einer höheren und feineren »Natur« ist als die Natur der vier Elemente; dieser Körper müsse das irdische »Analogon zum Element der Gestirne« bilden, d. h. von der Natur des himmlischen Äthers sein (gen. an. II 3, 736b27–737a1 f.).30 Die Annahme, dass Aristoteles den hypothetisch postulierten wirkenden Geist – wie schon Cicero behauptete – mit einem Ätherteilchen gleichsetzt, das zwischen Zeugung und Geburt in den fötalen menschlichen Leib einfährt und sich nach dem Tod wieder von ihm abtrennen kann, vermag einige Dunkelheiten der aristotelischen Geistlehre ein wenig aufzuhellen. Erstens kann diese Konzeption den scheinbaren grundsätzlichen Wi Zur Erläuterung von Aristoteles’ Argumentation im Einzelnen s. Anm. 57 zu Kap. 2, unten S. 857. 30

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derspruch beseitigen, dass der wirkende Geist einerseits gänzlich »unbeeinflussbar«, »abgetrennt« vom organischen Leib des Menschen und »unvermischt« mit ihm sein soll, andererseits aber doch »wirken« können soll. Zweitens vermag sie einsichtig zu machen, inwiefern der Geist beim Denkprozess eine »Bewegung« vollführen und außerdem noch die Ortsbewegungen des Hineinkommens in und des Wiederaustretens aus dem menschlichen Leib vollziehen soll. Drittens hat die Deutung des νοῦς ποιητικός als eines Ätherstäubchens auch den Vorzug, die verblüffende Tatsache erklären zu können, dass Aristoteles sowohl dem Geist als auch der himmlischen Materie des Äthers exakt dieselben Attribute zuschreibt. Denn nicht nur vom Geist, sondern auch vom Äther gilt: Er ist »unbeeinflussbar (ἀπαθές)«, da er »von den Gegensätzen« der aus den vier irdischen Elementen zusammengesetzten Körper »ausgenommen« ist (cael. I 3, 270a21 f.; b2) und insofern eine unwandelbare Materie darstellt, die nicht durch andere Körper verändert werden kann31 (dieser Gedanke wird in an. III 6 sogar explizit für das Problem der letzten Einheit des Geistes fruchtbar gemacht: »Wenn aber eines der ursächlichen Dinge keinen Gegensatz enthält, dann wird es sich selbst erkennen, in Wirklichkeit und abgetrennt sein«). Außerdem ist der Äther »unvergänglich (ἄφθαρτον)« (cael. I 3, 270a12 f. u. 20) oder »unsterblich (ἀθάνατον)« (cael. I 3, 270b9) bzw. »ewig (ἀίδιον)« (cael. I 3, 270b1 u. 23). Und schließlich ist der Äther, wie der Geist auch, »göttlich (θεῖον)« (cael. I 3, 270b10; II 3, 286a11). Ein vierter Vorzug, den die Deutung des wirkenden Geistes als eines aus dem Sternenstoff bestehenden Teilchens besitzt, liegt schließlich darin, dass sie eine einsehbare Verbindung zu einem weiteren Wink in an. III 5 herzustellen vermag. Einen vierten Wink auf die Natur des νοῦς ποιητικός gibt Aristoteles nämlich, indem er unmittelbar nach Einführung  »Es ist nicht notwendig, dass, wenn etwas eine ortsverändernde Materie (ὕλη τοπική) hat, dies auch eine entstehende und vergehende Materie (ὕλη γεννητὴ καὶ φθαρτή) habe« (metaph. VIII 1, 1042b6). 31



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der beiden Komponenten des Geistes eine Bemerkung zum wirkenden Geist macht, die den genauen Modus seines Wirkens erläutert: Der wirkende Geist wird hier charakterisiert als derjenige, der hinsichtlich der Denkprozesse »alles bewirkt, als eine gewisse Haltung, die dem Licht gleicht; denn in gewisser Weise macht auch das Licht die bloß möglichen Farben zu wirklichen Farben« (430a15–17). Diese Erläuterung gilt zunächst der systematischen Analogie zwischen sinnlichem und geistigem Erfassen, indem sie die zur Schreibtafel des leidenden Geistes gehörige Argumentation in an. III 4, 429b29–430a2 wieder aufnimmt. Sie besagt daher zunächst etwa Folgendes: Ähnlich wie das Licht die erste Bedingung für das sinnliche Erfassen ist, da alle Wahrnehmung (zumindest die visuelle) an Farbunterschieden hängt, Farbunterschiede aber nur kraft des Lichtes in Erscheinung treten können, d. h. für den Beobachter aus ihrem Möglichsein in Wirklichsein umgesetzt werden – so ähnlich ist das Wirken des wirkenden Geistes die erste Bedingung für das gedankliche Erfassen, da nur kraft dieses Wirkens die bloß möglichen Gedanken (die potentiell in die Schreibtafel eingeschriebenen Zeichen) in wirkliche Gedanken (tatsächlich in die Tafel eingravierte Zeichen) umgesetzt werden. Über die Erläuterung dieser Parallele hinaus dürfte aber der Vergleich mit dem Licht noch eine tiefere Bedeutung haben. Aristoteles deutet nämlich in seiner Naturphilosophie das Licht als die Bewegung oder »Tätigkeit (ἐνέργεια) des Durchsichtigen als Durchsichtigen« (an. II 6, 418b9 f.) bzw. als »Entelechie des Durchsichtigen« (ebd. 419a11). Dieses »Durchsichtige« ist aber – gemäß einer hier verwendeten Spezialbedeutung von »durchsichtig« (sens. 439a21 ff.; an. II 7, 418b4–17) – der alle Körper erfüllende (sens. 439b8) und mit allen Teilen der Körper ein ununterbrochenes Ganzes bildende Äther (sens. 439a26 f.). Demnach sind also z. B. Wasser oder Luft »nicht als solche durchsichtig [d. h. lichterzeugend], sondern weil diesen beiden dieselbe Natur innewohnt wie dem ewigen oberen Körper« (an. II 7, 418b7–9), d. h. die Natur des Äthers. Entsprechend ist Farbe dasjenige, was kraft der Erhellung durch das Licht ge-

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sehen wird.32 Wenn also die Deutung des wirkenden Geistes als eines Ätherteilchens zutreffend ist, enthält sie zugleich die Pointe, dass für Aristoteles das sinnliche Erfassen gleichsam die Seinserhellung kraft des äußeren Lichtes (Äthers) ist, das gedankliche Erfassen dagegen die Seinserhellung kraft des inneren Äthers. Denn dessen feine, winzige Bewegungen bilden das feinstoffliche Korrelat der Denkprozesse. Hier zeigt sich eine erstaunliche Nähe zur neuplatonischen Lehre vom Seelenfahrzeug (vehiculum animae), die in der bei Philoponos referierten Version auch die Vorstellung enthält, dass mit jeder Seele unauflöslich ein »himmlischer und daher ewiger Körper« verbunden sei, den man »licht- oder gestirnförmig« nennt (s.o. Kapitel 5, S. 412 f.). Einen fünften und letzten Wink auf die Natur des wirkenden Geistes geben schließlich Überlegungen, die dem wirkenden Geist die Form eines physischen Punktes zuzuschreiben scheinen. Ähnlich wie nach Aristoteles das »Prinzip (ἀρχή)« der Wahrnehmung, d. h. der Gemeinsinn als Zentralinstanz des sinnlichen Erfassens, die Form eines »Punktes (στιγμή)« haben muss, weil er als »Unterscheidungsvermögen (κρίνον)« einerseits eine unteilbare Einheit sein muss, andererseits aber unterschiedliche Formen zugleich aufnehmen muss (an. III 2, 427a9–16), so muss auch das Prinzip des geistigen Erfassens einen solchen »Mittelpunkt (μεσότης)« bilden (an. II 12, 424b1 f.). Der Geist muss einerseits »der Wirklichkeit nach unteilbar (ἀδιαίρετον ἐνεργείᾳ)« sein, andererseits aber bei seinen Tätigkeiten auch unterschiedliche Formen ineins erfassen können. Das kann er nur, wenn er als winzige Sphäre oder physischer Schnittpunkt gedacht wird, in dem verschiedene Radien zusammenlaufen, wenn auch nicht als ein mathematischer Punkt, der bloß in einer gedanklichen Abstraktion und insofern in einer »Privation« körperlicher Realität besteht (an. III 6, 430b8–  Zur Erläuterung dieser nicht leicht zu rekonstruierenden Zusammenhänge konsultiert man am besten die ältere Darstellung von Ziaja 1896 und Ziaja 1906, sowie die neuere Darstellung von Sorabji 2010, S. 129–140, insb. S. 131–133. 32



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24). Zu dieser punktuellen oder sphärischen Natur des wirkenden Geistes passt auch exakt eine Bemerkung in eth. Nic. X 7, 1177b33–1178a2: Der Geist als »das Beste, was in [!] uns ist«, sei zwar das Größte seiner Würde nach, aber »klein seinem Umfang nach (τῷ ὄγκῳ μικρόν)«. So gut wie alle Kommentatoren, die diese Stelle interpretiert haben, vermochten im Substantiv »ὄγκος«, das üblicherweise den Umgang einer Kugel bezeichnet, bloß eine metaphorische Rede zu sehen, obwohl eine Metapher hier überhaupt keinen Sinn macht.33 Mit dieser Rekonstruktion scheinen alle Winke ausgewertet, die De anima und die benachbarten Quellen auf Aristotelesʼ hintergründige Hypothese geben. Falls der Stagirite überhaupt ein sehr viel genaueres Modell vor Augen gehabt hat, das er bewusst bloß andeutet, so vermögen wir darüber nur zu spekulieren. Nicht unplausibel wäre es aber, wenn Aristoteles sein durch Eudoxos inspiriertes makrokosmologisches Modell der konzentrischen Kugelschalen des Himmels hypothetisch auf den mikrokosmischen Bereich übertragen hätte. Der wirkende Geist, der beim Denken – aufgrund subtiler lichtanaloger Bewegungen »geradliniger« oder »reflektierter« Art – seine Formen wie ein Griffel in die Schreibtafel des leidenden Geistes einschreibt, wäre dann als eine aus dem unzerstörbaren Lichtstoff bestehende Sphäre vorzustellen, die den Mittelpunkt in einer sie umschließenden größeren Kugelschale bildet – möglicherweise, gemäß gen. an. II 3, 736b3–737a1, aus Pneuma bestehend. In deren innere Peripherie (die den νοῦς παθητικός bildet) würden dann die aus dem Zentrum beim Denken eradiierenden Bewegungen eingeprägt. Da der das Zentrum bildende Ätherpunkt kraft seiner subtilen und mit dem organischen Körper »unvermischten« Natur »unbeeinflussbar« von allen ihn umschließenden körperlichen Bewegungen wäre, folglich von außen nicht auf bestimmte Möglichkeiten eingeschränkt werden könnte, wäre er »dem Wesen nach Wirklichkeit« bzw. »Tätigkeit (τῇ οὐσίᾳ ὢν ἐνέργεια)« (an. III 5, 430a18). 33

 Einen kurzen Abriss der Interpretationen gibt Arleth 1901, S. 11–17.

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Wie auch immer man das mögliche Modell des νοῦς ποιητικός als einer mikrokosmischen Äthersphäre im Einzelnen rekonstruieren mag, einer der größten hermeneutischen Vorzüge dieser materiellen Lesart besteht darin, dass sie die aristotelische Seelenlehre als kohärente systematische Einheit rekonstruieren kann. Denn ihr zufolge weicht Aristoteles auch bei der an. III 4–5 zugrunde liegenden Frage, »wie denn das gedankliche Erfassen zustande kommt« (429a13), nicht von seiner generellen Intention der quasi mechanischen Erklärung ab, sondern erklärt das Denken, ähnlich wie schon zuvor das Wahrnehmen und Vorstellen, kausal aus natürlichen Prozessen. Obwohl diese Deutung die Sonderstellung des wirkenden Geistes wahrt, indem sie ihm die exotische und transempirische, nämlich »ewige«, »göttliche« und somit zur Metaphysik gehörige Materie des Äthers zuweist, kommt sie ohne den berüchtigten Befund jenes angeblich ›dualistischen Bruchs‹ mit dem Hylemorphismus aus, den ganze Generationen der aristotelischen Geistlehre nachgesagt haben.34 Auch sie erweist zwar Aristoteles als einen Substanzdualisten, nicht jedoch als einen Theoretiker der von einer modernen philosophy of mind beargwöhnten Cartesischen Dualität von materiellen und immateriellen Entitäten35, sondern vielmehr als einen Verteidiger der  Exemplarisch für diese alte Behauptung sei hier angeführt Wili 1984, S. 55–92. Weil Wili den Geist (νοῦς) und die Geistseele (νοητικὴ ψυχή) nicht unterscheidet und beides für immateriell hält, gilt ihm die Geistlehre, die ein vom Körper »abtrennbares und für sich existentes Seelenvermögen« behaupte, für »völlig unvereinbar« mit der übrigen Seelenlehre, die »durchaus geschlossen« sei. »Denn nicht nur ist damit die Einheit der Seele zerstört, sondern es ist zugleich die bis anhin gelehrte Seelenstruktur in singulärer Weise in Frage gestellt« (S. 62). 35  Typisch ist die manchmal geradezu komische Art von Verzweiflung, in der viele bisherige Versuche zum Nachweis der Modernität der aristotelischen philosophy of mind enden: »What to do with DA 3.5? Here Aristotle whom I have acclaimed so far as every physicalist’s ideal role model seems to put himself very resoundingly in the dualists’ camp. I cannot understand this chapter, and none of the secondary literature has so far helped 34



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Zweiheit von höherer, göttlicher, ewiger Natur und niederer, sublunarer und vergänglicher Natur. Das heißt freilich nicht, dass uns die so verstandene Noetik des Aristoteles nicht ebenfalls gewisse Probleme ihrer systematischen Ausdeutung hinterließe. Selbst wenn wir über das genaue Modell unterrichtet wären, das Aristoteles bei seiner Hintergrundhypothese vom wirkenden und leidenden Geist vor Augen gehabt haben mag, wäre damit noch nicht alles geklärt. Die vielleicht größte Schwierigkeit, die uns Aristoteles’ Lehre vom Geist hinterlässt, besteht in der Frage, wie man sich innerhalb ihres Theorierahmens den partiell willentlichen Ursprung geistigen Erfassens zu denken habe. Auch wenn wir in unserem Denken und gedanklichen Erfassen oft passiv und unfrei sein mögen, sofern uns die Gedanken unwillkürlich, gleichsam ungerufen zufliegen, schreiben wir uns doch immerhin einen gewissen Teil unserer geistigen Tätigkeiten selbst zu. Ähnlich wie Aristoteles bereits neben einem unwillkürlichen Phantasieren auch eine willentlich kontrollierte Phantasie einräumt, die eine »Affektion, die in unserer Macht steht (πάθος ἐφ’ ἡμῖν)« darstellt (an. III 3, 427b17 f.), so unterstellt er selbstverständlich auch für das geistige Erfassen eine analoge Fähigkeit zur Selbstaffektion. Denn irgendwie »liegt das gedankliche Erfassen (νοῆσαι) beim Denkenden selbst (ἐπ’ αὐτῷ), solange er will, während das Wahrnehmen nicht bei ihm selbst liegt, da das Wahrnehmbare notwendig vorliegen muss« (an. II 5, 417b24– 26). Würde Aristoteles eine solche willentlich induzierte Gedankenführung nicht einräumen, wäre seine ganze berühmte Theorie der freien Entscheidung aufgrund einer gedanklichen Wahl (προαίρεσις) hinfällig.36 Wie soll aber eine solche spontane Kontrolle im Denken möglich sein, wenn dasjenige, kraft dessen wir letztlich denken, nämlich der wirkende Geist, eine fremde Macht in uns ist, die ganz unabhängig von uns me to do so. […] I wish he had never written this chapter.« (so Wilkes 1992, S. 109–127, hier S. 125). 36  Vgl. eth. Nic. III 4–7.

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wirkt, wenngleich sie auf den zu uns gehörigen leidenden Geist wirkt? Diese Schwierigkeit scheint aber ganz unabhängig davon zu bestehen, ob man die materielle oder die immaterielle Lesart des wirkenden Geistes bevorzugt. Denn auch z. B. in der Alexander’schen Lesart, die Gott selbst zur Ursache unseres gedanklichen Erfassens erklärt, bleibt (wenn man hier nicht eine bloß »indirekte Kausalität« konstruiert, s.o. Kapitel 2, Einleitung, S. 134–139) das Problem bestehen, wie wir dann eine Herrschaft über unsere Gedanken haben können sollen, wenn unserem eigenen Geist doch nur das rezeptive, leidende Moment übrigbleibt. Doch selbst wenn nach dieser Lesart Gottes Verursachung unserer Gedanken nur partiell sein sollte, müssten wir nicht, wenn wir Einfluss auf unser eigenes Denken haben sollen, dann wiederum eine Einflussnahme auf Gott annehmen, so dass wir in kausaler Hinsicht gleichrangig, wenn nicht gar höher stünden als Gott? Dieser Schwierigkeit entspricht bei der materiellen, insbesondere ciceronischen Lesart die Frage, wie wir uns als Urheber unserer Gedanken verstehen können, wenn doch das ätherische, göttliche Element in uns, das die wirkende Komponente unseres Geistes ausmacht, jene minimalen Formen bzw. Bewegungen, die das materielle Korrelat der Gedanken bilden, von sich aus vollzieht. An dieser Stelle wird deutlich, dass es über die in an. III 4–5 bemühte Analogie von Griffel und Schreibtafel hinaus ein weiteres Verhältnis gibt, das in den überlieferten Quellen des Aristoteles nicht geklärt wird. Es ist das kausale Verhältnis zwischen dem Subjekt des Denkens (d. h. der schreibenden Person) und dem aktiven, wirkenden Teil ihres geistigen Vermögens (d. h. dem Griffel), das in Aristotelesʼ Lehre vom Geist dunkel bleibt. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Aristoteles sich dieses Problems voll bewusst war, dass er es aber in De anima nicht für angemessen behandelbar hielt, da das Problem nicht mehr zur Naturphilosophie, sondern zur Ersten Philosophie (Metaphysik) gehört. Und es ist ebenso sehr wahrscheinlich, dass Aristoteles auch hier eine Analogie zwischen der makrokosmi-



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schen und der mikrokosmischen Struktur als gegeben annahm: Wie das erste unbewegte Bewegende in Form eines gedanklich Erstrebten die Bewegung des himmlischen Äthers unaufhörlich antreibt, so dürfte auch die metaphysische Letztbegründung dafür, dass der unaufhörlich wirkende sublunarisch-ätherische Geist sich auf diese oder auch jene Gehalte richten kann und sowohl diese oder jene Gedankenschritte verfolgen kann, in der teleologischen Ausrichtung auf ein zu erstrebendes Gutes liegen. Der allerletzte Grund dafür, dass wir dieses und nicht jenes, so und nicht anders geistig erfassen, wäre dann nicht der wirkende Geist als naturale Komponente, sondern der durch ihn bloß ermöglichte individuelle Habitus, den eine Person sich im Laufe der Zeit erworben hat und aus dem allererst verständlich wird, was sie überhaupt für gedanklich zu erkennen für gut hält. Insofern gilt letztlich: »Der Geist (νοῦς) wird durch das Gedachte (νοητόν) bewegt (κινεῖται)« (metaph. XII 7, 1072a30).

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ANMERKUNGEN

1. T  heophrast, Fragmente und Testimonien zu Aristoteles’ GeistlehreS. 67 ff. deutsche Übersetzung der Texte folgt hier in Reihenfolge und Zählung Fortenbaugh 1992, S. 52–105. Diese Ausgabe ersetzt die frühere, weit weniger umfangreiche Sammlung von Theophrasts Fragmenten und Testimonien zum Intellekt bei Hicks 1907, S. 589–596. Die angegebenen Seiten- und Zeilenzahlen beziehen sich jeweils auf die Originalausgaben. − Zur Vermeidung unnötiger Dopplungen wurden einige bei Fortenbaugh enthaltene Testimonien im vorliegenden Kapitel nicht noch einmal eigens präsentiert, da sie ohnehin Bestandteile der Kommentare bei Themistios und Priskian sind. Im Folgenden sind diese hier ausgelassenen Texte und ihre späteren Fundorte in unserer vorliegenden Ausgabe aufgelistet: Nr. 307A (Themistius: In Aristotelis De anima III 5, 430a10–25, CAG 5.3, 107, 30–108, 18, ed. Heinze) – Kap. IV, S. 328 f. Nr. 307B (Priscianus Lydus: Metaphrasis in Theophrasti De anima disputationem II 4, Suppl. Arist. I.2, 25, 28–26, 7, ed. Bywater) – Kap. VI, S. 502 f. Nr. 307C (Priscianus Lydus: Metaphrasis in Theophrasti De anima disputationem II 4–5, Suppl. Arist. I.2, 27, 3–6 u. 8–14, ed. Bywater) – Kap. VI, S. 506 f. Nr. 307D (Priscianus Lydus: Metaphrasis in Theophrasti De anima disputationem II 5–6, Suppl. Arist. I.2, 28, 13–17 u. 20–23; 29; 31; 29, 1, ed. Bywater) – Kap. VI, S. 510–513. Nr. 311 (Priscianus Lydus: Metaphrasis in Theophrasti De anima disputationem II 6–7, Suppl. Arist. I.2, 29, 12–15 und 18–23, ed. Bywater) – Kap. VI, S. 514–517. Nr. 312 (Priscianus Lydus: Metaphrasis in Theophrasti De anima disputationem II 8–9, Suppl. Arist. I.2, 30, 22–31, 2, ed. Bywater) – Kap. VI, S. 518–521. Nr. 316 (Priscianus Lydus: Metaphrasis in Theophrasti De anima disputationem II 9–10, Suppl. Arist. I.2, 31, 8–13; 24 f., ed. Bywater) – Kap. VI, S. 520–523. 1 Die

836 Anmerkungen

Nr. 317 (Priscianus Lydus: Metaphrasis in Theophrasti De anima disputationem II 17 f., Suppl. Arist. I.2, 34, 29–35, 1; 35, 24–27; 29 f.; 32 f., ed. Bywater) – Kap. VI, S. 532–537. Nr. 318 (Priscianus Lydus: Metaphrasis in Theophrasti De anima disputationem II 12; 15; 16, Suppl. Arist. I.2, 32, 25–27 u. 29–33; 33, 25–27; 33, 32–34, 2, ed. Bywater) – Kap. VI, S. 524–531. Nr. 319 (Priscianus Lydus: Metaphrasis in Theophrasti De anima disputationem II 19 f., Suppl. Arist. I.2, 36, 6–9; 37, 23–30, ed. Bywater) – Kap. VI, S. 538 f., 544 f. Nr. 320A (Themistius: In Aristotelis De anima III 5, 430a10–25, CAG V.3, 108, 18–109, 1, ed. Heinze) – Kap. IV, S. 332–335. Nr. 320B (Themistius: In Aristotelis De anima III 5, 430a10–25 (CAG V.3, 102, 24–29, ed. Heinze) – Kap. IV, S. 308–311. Mit aufgenommen wurden dagegen solche Testimonien, die nicht mit Gewissheit die Meinungen des Theophrast wiedergeben, da der referierte Autor in den entsprechenden Handschriften nicht immer eindeutig als »Theophrast« gekennzeichnet ist (insbesondere die Texte 2 und 2a). 2 Fortenbaugh 308A: Averroes, Commentarium magnum in Aristotelis De anima III 4, 429a21–24, versio Michaelis Scoti (387, 22–389, 63; 389, 71–391, 116 Crawford). Der Lange Kommentar zu Aristotelesʼ De anima des arabischen Philosophen Averroes (1126–1198), der nur in einer mittelalterlichen lateinischen Übersetzung des Michael Scotus (ca. 1220–1235) überliefert ist (vgl. auch die aus der Renaissancezeit stammende des Mantinus), gilt als sehr wichtige Quelle für die Intellektlehre des Theophrasts. Averroes basiert weitgehend auf Schriften des Alexander und des Themistios. Von Bedeutung sind v. a. seine ausführlichen Darlegungen zum aktiven und zum passiven Intellekt der Peripatetiker, siehe dazu Hasse 2001, S. 776 f.; Anawati 1980, S. 1291–1295. 3 Aristoteles, an. III 4, 429a22–24. 4 Der ›materielle Intellekt‹ (intellectus materialis) ist so bei Aristoteles nicht belegt. Er ist wohl in Anlehnung an Aristoteles’ Gebrauch von ὕλη in an. III 4, 430a10 verwendet. 5 Zur Identifizierung der griechischen νοητά mit den lateinischen intentiones siehe Knudson 1982, S. 479–495. 6 Vgl. Aristotelesʼ Definition der Seele in an. II 1 412a5 ff.: Materie selbst ist nicht ›dieses Etwas‹ (τόδε τι), dagegen schreibt er es Form und Gestalt zu. Eindeutig wird es weder der Seele noch dem Geist zugeordnet, so dass Theophrast hier die Worte des Aristoteles weitergehend interpretiert.



Theophrast: Fragmente und Testimonien …

837

 7 Es handelt sich hier um Aristoteles von Mytilene, den Lehrer des Aver-

roes, so seit Schroeder/Todd 1990, hier: S. 22–31; siehe Goulet 1989, S. 411 f.  8 Hier wird bildlich der Vorgang der Abstraktion beschrieben, durch den potentielle, der Möglichkeit nach bestehende Denkobjekte zu tatsächlichen werden.  9 Fortenbaugh 308B: Averroes: De connexione intellectus abstracti cum homine (Aristotelis opera cum Averrois commentariis, Bd. IX f. 156 F–G). 10 Einige Handschriften (hebräische wie lateinische) geben hier auch Themistios an. Vgl. die in lat. Hss. übliche, uneindeutige Abkürzung ›THE‹, dazu Huby 1985; siehe auch den Apparat bei Fortenbaugh 1992, S. 64. Aristoteles, phys. I 9, 192a25–34. 12 Fortenbaugh 308C: Iacobus de Placentia: Lectura super III De anima (150, 1–152, 17 Kuksewicz). – Iacobus von Piacenza lehrte an der Universität zu Bologna (1340–1343), verfasste u. a. Kommentare zu Schriften des Aristoteles. In seinem Kommentar zu Averroes finden sich Abweichungen von diesem, die wohl weniger als direkten Rückgriff des Iaco­bus auf Theophrast als vielmehr als eigene Zusätze und Auslegung des Textes des Averroes verstanden werden müssen, hier z. B. die virtus imaginativa et cogitativa, die für ihn der Grund dafür ist, dass der Geist manchmal denkt und manchmal eben nicht. Anders Averroes, der dies auf die Mischung mit dem materiellen Geist zurückführt. Siehe dazu Huby 1985, S. 132 f. 13 Fortenbaugh 309A: Averroes: Commentarium magnum in Aristotelis De anima III 4, 429a21–24, versio Michaelis Scoti (399, 344–346. 351–361 Crawford). 14 Nur Averroes bringt Theophrast mit dieser Ansicht in Verbindung. Seine Quelle ist unklar. 15 Der grammatische Bezug ist hier unklar: Es kann sich um die ›Formen‹, aber auch um ›Aufnahmefähigkeit und Vorbereitung‹ handeln. 16 Fortenbaugh 309B: Averroes: Commentarium magnum in Aristotelis De anima III 4, 429b29–430a2 (432, 123–134 Crawford). 17 Aller Wahrscheinlichkeit nach handelt es sich beim Subjekt dieser im Bezug unklaren Form um Theophrast, Nikolaus und Themistios (s. o.). 18 Die Qualifikationen simplex, abstracta, non passibilis sowie non mixta (virtus) spiegeln Aristotelesʼ Auseinandersetzung mit Anaxagorasʼ Nūs-Lehre in an. I 2, 405a16 f. (vgl. auch ebd. III 4, 429b23–25; III 5, 430a17 f.) wider. 19 Fortenbaugh 309C: Albertus Magnus: De anima III 2, 3 (181, 81–90

838 Anmerkungen

Stroick). Albertus Magnus (ca. 1193–1280) verfasste zahlreiche Kommentare zu Schriften des Aristoteles. Die Frage, welche (griechischen, lateinischen und arabischen) Quellen er dabei benutze, ist in neuerer Zeit viel diskutiert. In seinem späten Traktat De anima wird verstärkt die Tendenz erkennbar, die ihm greifbaren peripatetischen Meinungen zum Intellekt auf Aristoteles selbst zurückzuführen, siehe Hasse 2001, S. 779 f. 20 Sc. von den Denkobjekten. 21 Fortenbaugh 309D: Albertus Magnus: De causis et processu universitatis a prima causa 1, 1 (X, 362b33–363a12 Borgnet). Vgl. auch die z. T. abweichenden Textvarianten in der neueren Textausgabe von W. Fauser im Rahmen der Editio Coloniensis des Albertus Magnus (3, 21–38 Fauser). 22 Fortenbaugh 310A: Albertus Magnus: Summa theologiae II 13 (77) 3, 19 (XXXIII, 81b13–16 Borgnet). 23 In diesem wie auch im folgenden Testimonium schreibt Albertus Theophrast die Ansicht zu, der Geist sei Subjekt, nicht aber der Ort der Formen. Zur Diskussion ausführlicher Huby 1985, S. 146–150. 24 Fortenbaugh 310B: Albertus Magnus: De unitate intellectus 3, 2 (29, 3–21 Hufnagel). 25 Fortenbaugh 313: Albertus Magnus: De anima III 2, 3 (180, 18–44 Stroick). 26 Diese resultieren aus Aristotelesʼ Behauptung, der Geist sei ungemischt, abtrennbar, unfähig zu erleiden und nicht ›dieses Etwas‹ (an. III 5 430a17 f.). 27 Die Eigenschaft intransmutabilis ist von Albertus hinzugefügt; er lehnt sich dabei z. B. an Aristoteles, metaph. V 4, 1014b28 oder auch Theo­ phrast, Metaphysik 4a68 an (ἀμετάβλητον ἐκ τῆς δυνάμεως τῆς αὑτοῦ). 28 Der intellectus speculativus des Albertus entspricht dem aristotelischen νοῦς θεωρητικός. 29 Die von Albertus hier benutzte Quelle ist unklar. Die Begrifflichkeiten verweisen eher auf Averroes oder arabische Versionen eines Werkes des Themistios. Zur Diskussion um die Quellen Alberts siehe Huby 1985, S. 155; s. o. Anm. 19. 30 Fortenbaugh 314A: Albertus Magnus: De anima III 2, 5 (183, 46–74; 183, 79–184, 47; 184, 53–72 Stroick). 31 D. h. sie vertreten eine andere Meinung als die zuvor referierte des Alexander von Aphrodisias, der z. B. den möglichen Geist als Form des Körpers und den tätigen Geist als abgetrennt von der menschlichen Seele ansieht.



Theophrast: Fragmente und Testimonien … 32 Vgl.

839

Aristoteles, phys. VIII 1, 251a8–b9. 33 Albertus benutzt hier offensichtlich eine von der vorherigen abweichende Quelle für Theophrast und Themistios. Anders als zuvor ist hier nun der materielle Geist Teil der Seele. 34 Diesem Absatz liegt letztlich Aristoteles, an. III 5430a15–17 zugrunde, wo die Analogie von tätigem Geist und Licht genannt ist, die beide der Möglichkeit nach Vorhandenes erst ›sichtbar‹ machen. 35 Fortenbaugh 314B: Albertus Magnus: De anima III 2, 6 (185, 18–30 Stroick). 36 Albertus spricht hier von »Abubacher und Avempace«. Beide Namen meinen den arabischen Philosophen Abū Bakr Ibn Bāğğa (Ende 11. Jh.–1138), einen Aristoteliker aus al-Andalus und Vorläufer des Averroes; vgl. hierzu z. B. Averroes: Commentarium magnum in an. 397 Craw­ford. Die lateinischen Übersetzer der arabischen Texte oder die Abschreiber ihrer Übersetzungen wussten offenbar nicht, dass es sich hier um Vor- und Nachnamen einer Person handelt. Daher setzten sie ein »und« zwischen die Namen und verursachten so Alberts Irrtum, dass es sich um zwei Personen handle. 37 Fortenbaugh 314C: Anonymus: Quaestiones in Aristotelis De anima III, 15, cod. Oxon. Coll. Mert. 275 (330, 28–33 van Steenberghen). Als Autor dieser Quaestiones in Aristotelis De anima gilt entweder Siger von Brabant oder Boethius von Dakien. Sie werden auf ca. 1273–1277 datiert. Zur Verfasserfrage Huby 1985, S. 166. 38 Zu Avempace siehe die vorletzte Anm. 39 Ibn Sabʿīn, Antworten auf Fragen des römischen Königs und Kaisers, des Herrn von Sizilien. Beweis für die Existenz der Seele nach dem Tod und ihr Fortbestehen. 82, 16–18 Yaltkaya). Der aus al-Andalus stammende Autor der Generation nach Averroes wich vor den Christen nach Nordafrika aus. Zu seiner Person und zur Authentizität der angeblich von Kaiser Friedrich II. (1149–1250) gestellten Fragen vgl. die Einleitung von Anna Akasoy zur deutschen Übersetzung Akasoy 2005, S. 7–23. Der hier abgedruckte Text findet sich dort auf S. 238 f. Anmerkung von Matthias Perkams. 40 Fortenbaugh 315: Albertus Magnus: De anima III 3, 7 (217, 1–58 und 67–76 Stroick). 41 Eine Antwort des Theophrast und Themistios auf Alexander, wie Albertus sie hier vorführt, entspricht natürlich nicht der historischen Realität. Beide gelten ihm jedoch als kategorische Gegner Alexanders, die er nach Belieben im Sinne seiner eigenen Darlegungen funktionalisiert.

840 Anmerkungen

Auch die Alexander zugeschriebenen Auffassungen können nur zum Teil tatsächlich auf Alexander selbst oder auf Averroes zurückgeführt werden. 42 Gemeint ist hier der Untersatz eines – hier nicht mehr kenntlichen  – Syllogismus (propositio minor). 43 Fortenbaugh 321: Averroes: Commentarium magnum in an. III 5 430a20–25, versio Michaelis Scoti (443, 9–444, 11; 444, 35–445, 55; 445, 61–446, 93 Crawford). 44 Seit Jakob von Piacenza (Iacobus de Placentia) ist eine eindeutige Zuweisung der folgenden Darlegungen an Themistios und/oder Theophrast nicht mehr möglich, vgl. dazu den apparatus criticus in der Edition von Crawford (444, 1 Crawford). 45 Aristoteles, an. III 5, 430a22. 46 Aristoteles, an. III 5, 430a22 f. 47 Aristoteles, an. III 5, 430a23 f. 48 Aristoteles, an. I 4, 408b18–20. 49 Aristoteles, an. I 4, 408b24–28. 50 Aristoteles, an. I 4, 408b18 f. 51 Wie Anm. 46. 52 Aristoteles, an. III 5, 430a23–25. 53 Fortenbaugh 322A: Albertus Magnus: De natura et origine animae II 16 (43, 7–18; 40–56 Geyer). Der hier abgedruckte Text findet sich in der deutsch-teinischen Ausgabe vo Anzulewicz 2006. 54 Zur Verquickung von Psychologie und Theologie hier siehe Huby 1985, S. 194–196. Die Vorstellung von der forma animae und der forma intelligentiae ist neuplatonisch und geht nicht auf Theophrast zurück, dazu Huby 1985, ebd. S. 195 f. 55 Fortenbaugh 322B: Dionysius Cartusianus: Elementatio philosophica 45 (t. 33 p. 57 aD; p. 59 bB–C ed. a. 1896–1913). Der theologische Schriftsteller Dionysius der Kartäuser (Cartusianus); (1402/03–1471) verwendet in seinen scholastischen Schriften viel älteres Material, dessen eindeutige Zuweisung oft schwierig ist. Erkennbar sind neben Elementen der albertistischen Intellektenlehre häufige Kompilationen aus Pe­ trus Lombardus und Thomas von Aquin; siehe Teeuwen 1938. 56 Dionysius folgt hier der Auffassung des Thomas von Aquin (Summa Theologiae I 84, 7 und 88, 1). 57 Es ist durchaus denkbar, dass Theophrast sich in diesem Kontext mit Aristoteles, an. III 7, 431a16 f. und III 8, 432a8 f. beschäftigte. 58 Fortenbaugh 323A: Dionysius Cartusianus: De lumine Christianae theoriae I 50 (t. 33 p. 292bB ed. a. 1896–1913).



Alexander von Aphrodisias, aus: Über die Seele 841 59 Fortenbaugh

323B: Dionysius Cartusianus: In Petri Lombardi Quattuor libros sententiarum I 1, 3 (t. 19 p. 116aA ed. a. 1896–1913). 60 Averroes: Commentarium magnum in metaph. XII 3, 1070a25–7 (1488, 7–9, 1489, 1–6 Bouyges). 61 Fortenbaugh 325: Averroes: Commentarium magnum in an. III 5 430a20–25 (452, 257–260; 452, 265–453, 285; 290–293 Crawford). 62 Siehe den apparatus bei Iacobus de Placentia: Lectura super III De anima 236, 11 f. Kuksewicz, der darauf hinweist, dass Averroes hier die Ansichten des Themistios, des Theophrast und Alexanders miteinander vergleicht. 63 Vgl. Platon, Menon 81e–86b. 64 Fortenbaugh 326A: Thomas Aquinas: In Petri Lombardi secundum librum Sententiarum 17, 2, 1 (534a3–34 ed. a. 1856). 65 Fortenbaugh 326B: Thomas Aquinas: De unitate intellectus 265 (89b10–18 Spiazzi). 66 Fortenbaugh 327: Radulphus Brito: Quaestiones in Aristotelis librum III De anima 1 (95, 162–167 Fauser). Radulphus Brito (Ende 13., Anfang 14. Jh.), Magister der Theologie in Paris, gehörte zum Kolleg der Sorbonne. Bei seinen Quaestiones handelt es sich um in sich abgeschlossene Untersuchungen, die in loser Anlehnung an den Text des Aristoteles verfasst sind und v. a. Darlegung und Beweis des eigenen philosophischen Standpunktes enthalten (dazu ausführlicher Fauser 1974, hier: S. 28–31.).

2. Alexander von Aphrodisias, aus: Über die SeeleS. 149 ff.  1 Text

und Übersetzung folgen der klassischen Ausgabe von Bruns 1887, S. 80–91.  2 In den ersten Teilen seiner Schrift hatte Alexander, hierin getreu dem Aufbau der aristotelischen Schrift De anima folgend, die Vermögen und Tätigkeiten erstens der schon den Pflanzen zukommenden Nährseele (anima vegetativa) und zweitens der den Tieren eigentümlichen Sinnenseele (anima sensitiva) erläutert. Diese zweite Stufe der Seele umfasst sowohl die Vermögen und Tätigkeiten der sinnlichen Wahrnehmung (αἴσθησις) als auch die der Vorstellungs- oder Einbildungskraft (φαντασία). Die dritte Stufe der Seele, zu der Alexander hier überleitet, ist die vernunftbegabte Seele (anima rationalis), die dem Menschen vorbehalten ist.

842 Anmerkungen  3 Der

Ausdruck »vernunftbegabte Seele (λογικὴ ψυχή)«, dessen sich Alexander hier und im Folgenden bedient, ist der Sache nach identisch mit der »geistigen Seele«. Diese heißt bei Aristoteles hinsichtlich ihres diskursiven Vermögens διανοητικὴ ψυχή (an. III 7, 431a14), hinsichtlich ihres intuitiven Vermögens dagegen νοητικὴ ψυχή (an. III 4, 429a28; gen. an. II 3, 436b). 4 Bevor Alexander zu seinem favorisierten Thema, nämlich den Stufen in der Entwicklung des individuellen Geistes, vorstößt, referiert er die von Aristoteles z. B. an. III 9, 432b26 ff. und III 10, 433a13 ff. skizzierte Einteilung des theoretischen und des praktischen Geistes. Diese Unterscheidung ist nicht etwa naturphilosophisch oder ontologisch zu verstehen, sondern erkenntnistheoretisch: Derselbe Geist kann sich einmal den ewigen Gegenständen (den zeitlosen Prinzipien des Seienden oder den unveränderlichen Strukturen des Himmels) zuwenden und betreibt dann reine Theorie. Er kann sich aber auch den veränderlichen Gegenständen (insbesondere der geschichtlichen Wirklichkeit des gesellschaftlichen Lebens) zuwenden und ist dann an der praktischen Umsetzung eigener Ziele bzw. an der Verbesserung der Seele bzw. der Verhältnisse interessiert. Vgl. eth. Nic. VI 2, 1139a5–31. In beiden Richtungen bildet derselbe Geist unterschiedliche Fähigkeiten aus und entwickelt dementsprechend auch unterschiedliche intellektuelle (dianoetische) Tugenden: im praktischen Bereich insbesondere das praktische Können (τέχνη) und die Klugheit (φρόνησις), im theoretischen Bereich dagegen insbesondere die Wissenschaftlichkeit (ἐπιστήμη) und die Weisheit (σοφία). Vgl. eth. Nic. VI 3–8. 5 So auch Aristoteles, eth. Nic. VI 2, 1139a8–11. 6 Der »Geist (νοῦς)«, von dem ab hier gehandelt wird, ist nach des Aristoteles wohlverstandener Lehre nicht etwa unmittelbar identisch mit der Vernunftseele oder Geistseele, sondern ist das Vehikel oder (wenn man sich so ausdrücken dürfte) das Instrument der Geistseele, d. h. derjenige Teil, »vermöge dessen die Seele nachdenkt und gedanklich erfasst« (an. III 4, 429a23), genauer »der Teil der Seele, mit dessen Hilfe die Seele erkennt und richtig urteilt« (ebd., 429a10). Zur Differenz von Geist und Geistseele siehe an. II 2, 413b24–26; zur Erläuterung vgl. Busche 2001, 67–78. 7 Vgl. eth. Eud. II 10, 1226 20–32; eth. Nic. VI 5, 1140a30 ff. u. VI 8, 1141b8 ff. 8 Der griechische Ausdruck ἕξις, hier mit »Habitus« übersetzt, steht in der transitiven Verwendung des Verbs ἔχειν für das wirkliche Ha-



Alexander von Aphrodisias, aus: Über die Seele 843

ben bzw. Innehaben von etwas. Bezogen auf seelische Fähigkeiten ist ein Habitus ein dauerhaft erworbenes Potential (ἐντελέχεια) für Leistungen, die jederzeit abgerufen und realisiert werden können, wie z. B. die Fähigkeit zu wissenschaftlichem Denken. Ein solcher Habitus der Wissenschaftlichkeit (ἐπιστήμη) unterscheidet sich damit einerseits von der bloßen Möglichkeit (δύναμις), die z. B. für einen Heranwachsenden im Erwerbenkönnen wissenschaftlichen Denkens besteht, und andererseits von der verwirklichten Ausübung wissenschaftlicher Tätigkeit (ἐνέργεια), die z. B. von einem Wissenschaftler beim Erforschen unbekannter Zusammenhänge entsprechend seinem Können umgesetzt wird. Vgl. die instruktiven Stellen an. II 1, 412a21–26; II 5, 417a21–b2; an. III 4, 429b5–9; eth. Nic. VI 3, 1139b18–35.  9 Zur Unterscheidung zwischen dem bloßen Sein oder Überleben einerseits und dem guten, gelingenden Sein oder auf gute Weise Leben (auch εὐδαιμονία) andererseits vgl. insb. eth. Nic. I 2, 1095a18–20 u. I 8, 1098b20 f. 10 Alexanders These, dass in der Entwicklung des menschlichen Individuums zunächst der praktische und später erst der theoretische Geist sich ausbilde, ist in dieser vereinfachten Form nicht bei Aristoteles selbst zu finden; für den Stagiriten beziehen sich die praktischen und die theoretischen Fähigkeiten vielmehr auf zwei unterschiedliche Bereiche seelischer Vermögen, deren intensive Kultivierung möglicherweise sogar auf Kosten des jeweils anderen geht. So gelten ihm z. B. Anaxagoras und Thales als typische Theoretiker, die dagegen oft hilflos in Sachen praktischer, lebensdienlicher Klugheit waren (eth. Nic. VI 7, 1141b3–8). 11 Mit dem Ausdruck »in Möglichkeit befindlicher Geist (ὁ δυνάμει νοῦς)« entlehnt Alexander vermutlich von Alkinous eine Formel, die von den meisten späteren Kommentatoren wie eine Münze übernommen werden wird. Mit ihr interpretiert Alexander die für seine Interessen zentrale Stelle an. III 4, 429b5–9, an der Aristoteles die schon oben in Anm. 8 genannten drei Stadien bei der individuellen Kultivierung des Geistes am Beispiel des Erwerbs von Wissenschaftlichkeit unterscheidet: 1) die z. B. für das Kind gegebene bloße Möglichkeit (δύναμις), dereinst Wissenschaft erlernen zu können, 2) die durch jahrzehntelangen Unterricht und durch Studium erworbene, vollendete und im Prinzip jederzeit abrufbare Möglichkeit (ἐντελέχεια), wissenschaftlich zu denken, und 3) die verwirklichte, d. h. auf vollendetem Niveau erfolgende Ausübung (ἐνέργεια) der Wissenschaft. Der »in Möglichkeit befindliche Geist« steht demnach bei Alexander für nichts anderes als für den un-

844 Anmerkungen

kultivierten, im Extremfall sogar noch völlig blinden Geist zu Beginn des menschlichen Lebens, den Aristoteles, an. III 4, 429b29–430a2 mit einer noch unbeschriebenen Schreibtafel vergleicht. 12 Alexander unterscheidet also zum einen die Kultivierung des praktischen Geistes, d. h. die Ausbildung von Fähigkeiten des praktischen Könnens und der Klugheit, zum anderen die Kultivierung des theoretischen Geistes, d. h. die Ausbildung von Fähigkeiten der Wissenschaftlichkeit und der Weisheit. 13 Bei Aristoteles selbst ist der Ausdruck »materieller Geist (νοῦς ὑλικός)« nicht belegt. Auch hier handelt es sich um einen Neologismus Alexanders (strenggenommen um einen Terminus, den er seinem Lehrer Aristokles entlehnt). Der Sache nach ist aber Alexanders neu eingeführter Terminus völlig berechtigt, denn an. III 5, 430a10–17 wendet Aristoteles sein ontologisches Gegensatzpaar »Form« und »Materie« explizit auf den Geist an und folgert hieraus das Gegebensein zweier realdistinkter Komponenten des Geistes: Es müsse demnach einen wirkenden Geist geben, der die formende Ursache aller geistigen Prozesse sei, und einen leidenden Geist, der das passive Material für die Prägungen durch den wirkenden Geist sei. Aristoteles führt also die beiden Komponenten des Geistes, den später so genannten »wirkenden Geist (ποιητικὸς νοῦς)« und den von ihm selbst so genannten »leidenden Geist (παθητικὸς νοῦς)« (an. III 5, 430a24 f.), als letzte erklärende Kausalfaktoren ein, die zusammen die Erzeugung der mentalen Vorgänge des gedanklichen Erfassens (νοεῖν) erklären sollen. Beide Komponenten sind zwar physisch voneinander getrennt, können jedoch nur in ihrem prozessualen Zusammenspiel, aufgrund ihrer komplementären Eigenschaften, die Leistungen des gedanklichen Erfassens hervorbringen. Ohne den leidenden Geist, der die Formen aufnimmt wie eine Wachstafel, könnte der wirkende Geist gar nicht wirklich denken (so explizit an III 5, 430a24 f.); und umgekehrt wäre der leidende Geist ohne die Formen, die der wirkende Geist wie ein Griffel in die Wachstafel einschreibt, gar nicht wirklich empfangend. Demnach können nur beide Komponenten gemeinsam die Phänomene des wirklichen Denkens hervorbringen und bilden folglich auch nur im Verbund den einen, zusammenhängenden Geist eines menschlichen Individuums. Es wird sich jedoch später die Pointe zeigen, dass Alexander den »materiellen Geist« gerade nicht als ein stoffliches Substrat auffasst, sondern dass er das Adjektiv »materiell« hier nur im Sinne der reinen, unbestimmten Möglichkeit versteht. S. u. Anm. 34.



Alexander von Aphrodisias, aus: Über die Seele 845 14 Mit

der Formulierung »Material im Hinblick auf jenes« erinnert Alexander daran, dass bei Aristoteles »Form« und »Materie« relationale Reflexionsbegriffe sind. »Materie (ὕλη)« kann bei Aristoteles zwar auch – als ὕλη τοπική bzw. ὕλη κινητική (vgl. metaph. VIII 1, 1042b6; VIII 4, 1044b7 f.; XII 3, 1069b25 ff. ; gen. corr. I 4, 320a2) – das bewegliche stoffliche Substrat im Raume heißen, das wir im heutigen Alltag »Materie« nennen. In einem weiteren Sinne verwendet Aristoteles jedoch »Form« und »Materie« auch als relationale Begriffe, d. h. als zweistellige Prädikate »Materie von x« bzw. »Form von y«. Hiernach steht ὕλη für das jeweils als »Material« fungierende Etwas, das durch gestaltende Tätigkeit geformt wird. So kann z. B. ein Schaf als »Material« für die Wollproduktion betrachtet werden, auch wenn es andererseits insofern »Form« ist, als es Ursache für die Abgrasung der Weide ist. Gemäß diesem relationalen Verständnis von »Form« und »Materie« kann folglich dasselbe, was in der einen Hinsicht Form ist, in einer anderen Hinsicht Materie sein. 15 Dieser Satz enthält eine weitreichende Interpretation Alexanders zur Geistlehre des Stagiriten. Wie schon im Satz zuvor stellt Alexander nun eine Verbindung her zwischen Aristoteles’ entwicklungspsychologischer Einteilung der Geisteskultur in drei Zustände einerseits (an. III 4, 429b5–9, s. o. Anm. 11) und dessen naturphilosophischer Unterscheidung zweier real unterschiedener kausaler Komponenten des Geistes, von denen die eine aktiv alle geistigen Prozesse erzeugt, die andere dagegen das passive Material der Formung bildet (an. III 5, 430a10–17, s. o. Anm. 13). Hierbei identifiziert Alexander den noch unkultivierten, gleichsam schlafenden Geist zu Beginn eines Menschenlebens mit dem passiven, leidenden Geist. Das ist durchaus plausibel, denn »vor« jedem Geprägtwerden durch die Tätigkeiten des wirkenden Geistes ist der passive Geist ja in der Tat ein bloß in Möglichkeit befindlicher, nicht etwa ein verwirklichter Geist, der vollendete gedankliche Leistungen erbringen könnte. Dass Alexander umgekehrt den erworbenen Geist, der sich als Produkt des Zusammenspiels von wirkendem und leidendem Geist herausbildet, die »Form und Entelechie« des materiellen Geistes sei, ist nicht etwa so zu verstehen, als ob dieser mit dem wirkenden Geist zusammenfiele. Der erworbene oder herausgebildete Geist ist vielmehr die durch aktive Prägung des passiven Geistes erzeugte, geformte Form, d. h. das strukturierte Produkt, das ein vollendetes, jederzeit abrufbares Potential (Entelechie) von Denkleistungen bereitstellt. Dagegen ist der wirkende Geist, d. h. die aktiv formende Form, in diesem Abschnitt von Alexanders Kommentar noch gar nicht thematisch.

846 Anmerkungen 16 Am

Ende seiner allgemeinen These, dass der erworbene Geist kein natürliches Produkt, sondern das Resultat einer vom Individuum durch wiederholte Anstrengung zu leistenden Kultivierung ist (wenn auch auf der natürlichen Grundlage der beiden Komponenten des wirkenden und des leidenden Geistes), schließt Alexander wieder an das besondere Lieblingsbeispiel des Aristoteles vom Erwerb einer wissenschaftlichen Geisteskultur an (an. III 4, 429b5–9; auch II 5, 417a21–417b2). 17 Alexander prägt den Terminus »gemeinsamer Geist (κοινὸς νοῦς)« also für das durchschnittliche Niveau geistiger Entwicklung, das der großen Menge gleichsam natürlich ist und für das sie sich keiner großen Kultivierung des Geistes befleißigen muss, geschweige denn ein besonderes Studium braucht. Es handelt sich also um den »gemeinen« oder »gewöhnlichen« Geist, der dem »common sense« entspricht. 18 Zur Gegenüberstellung beider Dimensionen von Geist s. o. Anm. 4. 19 An dieser Stelle ist der Text verderbt. 20 Alexander referiert hier die von Aristoteles, metaph. I 1, 980a27 ff. und an. post. II 19, 100a4 ff. skizzierte Ausbildung immer komplexerer und höherstufiger Erkenntnistypen im Verlaufe der individuellen geistigen Entwicklung. Sie verläuft über folgende Stadien: Aufgrund wiederholter sinnlicher Wahrnehmung (αἴσθησις) ähnlicher Gegenstände oder Ereignisse wird ein Gedächtniseindruck (μνήμη) des sinnlichen Phänotyps abgespeichert, der als Vorstellung (φάντασμα) reproduziert werden kann; aus der hierdurch ermöglichten Beobachtung regelmäßig wiederkehrender Konstellationen sinnlicher Merkmale wird Erfahrung (ἐμπειρία) gewonnen. Diese fortschreitende induktive Gewinnung sinnlicher, aber allgemeiner Strukturen bildet insofern den »Anfang von Kunst und Wissenschaft«, weil hier bereits ein »erstes Allgemeines in der Seele« hervorgebracht wird, nämlich das sinnliche Bewusstsein der arttypischen Beschaffenheiten von Gegenstandsklassen (z. B. die typischen Farbmuster von Zebras oder Tigern oder die typischen Bewegungsmuster von Pferden). Dieses allmählich zum Bewusstsein kommende sinnliche Allgemeine ist für Aristoteles die notwendige Bedingung der Möglichkeit dafür, dass der Geist aufgrund von Sprache und Abstraktion allmählich das zweite Allgemeine, d. h. das spezifisch gedankliche Allgemeine des Begriffs, entdecken und erarbeiten kann. Vgl. Busche 2002, S. 112–142, insb. S. 113–130. 21 Dieser Satz zeigt, dass Alexander einer intellektualistischen Interpretation der aristotelischen Erkenntnistheorie erliegt, der zufolge für das Erkennen von Ähnlichkeiten zwischen sinnlichen Phänomenen be-



Alexander von Aphrodisias, aus: Über die Seele 847

reits der Geist oder Verstand aufkommt. Für Aristoteles selbst dagegen stellt diese Art von Erkenntnis eine rein sinnliche Leistung mit Hilfe des aktiven »Gemeinsinnes« (s. u. Anm. 26) dar, die er der »akzidentellen Wahrnehmung«, d. h. dem Identifizieren aufgrund arttypischer oder individueller Merkmalskonstellationen zuordnet (an. II 6, 418a20 ff. ; III 1, 425a24 ff. ; III 3, 428b19 ff.). Vgl. Busche 2002, insb. S. 125–142. 22 An der Stelle an. II 12, 424a17–21 erklärt Aristoteles die mit der sinnlichen Wahrnehmung vollzogene Abbildung externer Körper in der Seele dadurch, dass die von den affizierenden Gegenständen außerhalb des Leibes hervorgerufenen sinnlichen »Formen« in die äußeren Sensorien (Augen, Ohren usw.) des Leibes eingeprägt werden wie ein Zeichen, das man mit einem Siegelring in Wachs eindrückt. Wie beim Siegeleindruck nicht das Gold des Siegelrings mit ins Wachs aufgenommen wird, sondern nur die Struktur der Siegelprägung in eine andere, weichere Materie transformiert wird, so werden auch die sinnlich wahrnehmbaren Formen der Gegenstände in die Sensorien eingeprägt, ohne dass sie deren spezifische Materie mit aufnehmen. Insofern ist sinnliches Wahrnehmen unter materiellem Gesichtspunkt ein Erleiden von Formen (an. II 11, 424a1; II 5, 416b33), unter formalem Gesichtspunkt hingegen die Erzeugung eines abbildenden »Verhältnisses (λόγος)« (an. II 12, 424a27 f.; III 2, 426b3 u. 7). 23 An mehreren Stellen betont Aristoteles die analogen Prozesse zwischen sinnlicher und geistiger Erkenntnis: Wie beim sinnlichen Wahrnehmen Formen aufgenommen (erlitten) werden, so müssen auch beim gedanklichen Erfassen Formen aufgenommen (erlitten) werden, nur dass die Formen dort sinnliche und hier geistige sind (an. III 4, 429a13–18). Entsprechend ist »der Geist die Form der [intelligiblen] Formen und die Wahrnehmung die Form der sinnlichen Formen« (an. III 8, 432a2 f.). 24 In Aristoteles’ nur knapp skizzierter Wahrnehmungslehre sind die »eigentümlichen Wahrnehmungsgehalte (ἴδια αἰσθητά, propria sensibilia)« (an. II 6, 418a10) jene sinnlichen Bestimmtheiten, die uns exklusiv über nur eines der fünf äußeren Sensorien zugänglich sind. So vermittelt uns der optische Sinn nur Farben (an. II 6, 418a13) in ihren qualitativen Unterschieden, der akustische Sinn nur Qualitäten vom Schall, der Tastsinn sehr viele gegensätzliche Qualitäten wie das Warme und Kalte, das Trockene und Feuchte, das Harte und Weiche, das Glatte und Rauhe usw. (an. II 11, 422b23–31). Dagegen heißen »gemeinsame Wahrnehmungsgehalte (κοινὰ αἰσθητά, communia sensibi-

848 Anmerkungen

lia)« diejenigen wahrgenommenen Größen, die durch alle oder zumindest durch mehrere Sinne gemeinsam vermittelt werden. Hierzu zählt Aristoteles Einheit bzw. Anzahl, Bewegung und Ruhe, Größe und Figur, aber auch Zeit im Sinne des Früheren und Späteren (an. II 6, 418a19; III 1, 425a16). Insofern ist Alexanders Bemerkung, dass gerade die Wahrnehmung dieser »gemeinsamen«, objektivierenden Qualitäten uns das Bewusstsein vermittelt, materielle Größen im Sinne ausgedehnter Körper vor uns zu haben, völlig zutreffend. 25 Alexander beschreibt hier das Erleiden materieller Eindrücke, wie wir es bei leblosen Körpern (z. B. bei einer durch äußeren Druck deformierten Kugel) finden, um wenig später hiervon die spezifischen Arten jenes Erleidens von Formen abzugrenzen, das bei der sinnlichen Wahrnehmung und beim gedanklichen Erfassen vorliegt. 26 Alexander will hier nicht leugnen, dass die Prozesse des Wahrnehmens mit körperlichen Eindrücken und insofern mit einem Erleiden von Formen verbunden sind (s. o. Anm. 23 u. 24). Es geht ihm vielmehr um die Klarstellung, dass beim Wahrnehmen das Vermögen oder Subjekt des Wahrnehmens, nämlich der Gemeinsinn, nicht passiv, sondern aktiv ist. Der von Aristoteles im Herzen lokalisierte »gemeinsame Sinn (κοινὸν αἰσθητήριον)« (juv. 1, 467b28; 3, 469a12; somn. 2, 455a18 f.), der seit Augustinus »innerer Sinn (sensus interior)« heißen wird, bildet bei Aristoteles gleichsam das Reafferenzzentrum, an das die Informationen der fünf peripheren Sinne rückgemeldet werden. Die Affektion dieses punktuellen Zentralsensoriums sieht Aristoteles als notwendige Bedingung für die Bewusstwerdung sinnlicher Wahrnehmungen an. Vgl. Busche 2001, S. 21 f. u. S. 42 f. Dieses zentrale Sensorium aber erleidet nichts, sondern ist ebenfalls – wie der Geist – leidensfrei, d. h. »unbeeinflussbar (ἀπαθές)« von den Bewegungen der Bauchgegend (part. an. III 10, 672b16 f.). Auch an. III 4, 429a29 f. behauptet die »Unbeeinflussbarkeit (ἀπάθεια)« des zentralen Wahrnehmungsvermögens. 27 Die sinnliche Wahrnehmung ist, wie das Denken oder gedankliche Erfassen auch, ein »Vermögen zu unterscheiden (κριτικὴ δύναμις) (an. III 9, 432a15 f.). Entsprechend nennen auch an. post. II 19, 99b35, die Wahrnehmung ein »angeborenes Unterscheidungsvermögen«. 28 Alexander beschreibt hier die intellektuelle Operation des Abstrahierens, d. h. des Isolierens von Merkmalen von dem konkreten, materiellen Gegenstand. 29 Alexander weist mit Recht darauf hin, dass z. B. das gedankliche Erfassen des Begriffs von Weißsein nicht identisch ist mit der sinnli-



Alexander von Aphrodisias, aus: Über die Seele 849

chen Vorstellung etwa eines weißen Kreises vor schwarzem Hintergrund, die man sich möglicherweise in der Vorstellungskraft wachruft. 30 Alexander nimmt hier eine massive und folgenschwere Interpretation vor. Ob sie zutrifft, hängt davon ab, wie man Aristoteles’ extrem knapp skizzierte Lehre von der Abgetrenntheit des Geistes vom Körper versteht. Der entsprechende Text in De anima lässt eigentlich keinen Zweifel daran zu, dass nur die aktive Komponente des Geistes, d. h. der wirkende Geist (ποιητικὸς νοῦς), »abgetrennt«, »unbeeinflussbar« und »unvermischt« mit dem sterblichen Körper des Menschen ist, folglich auch »unsterblich« und »ewig«. Für den leidenden Geist (παθητικὸς νοῦς) hingegen treffen diese Attribute alle nicht zu (an. III 5, 430a17– 25). Wenn an. III 4, 429a24 f. pauschal vom ganzen Geist zu behaupten scheint, dass er »mit dem Körper unvermischt« sei, so erklärt sich dieser falsche Eindruck dadurch, dass Aristoteles an dieser Textstelle die beiden Komponenten des wirkenden und des leidenden Geistes noch gar nicht unterschieden hat. Alles spricht deshalb dafür, dass der leidende Geist ein körperliches Prinzip oder Werkzeug ist. Weil aber der wirkende Geist ein tatsächliches Erfassen der intelligiblen Formen nicht ohne die Einprägung von Formen in den leidenden Geist zu leisten vermag, bleibt an Alexander die Frage zurückzugeben, ob der wirkende Geist (obwohl er selbst nicht zum Körper gehört) für wirkliche Erkenntnisleistungen nicht doch ein körperliches Werkzeug, nämlich den leidenden Geist, zu Hilfe nehmen muss. Für diese Angewiesenheit des wirkenden erkennenden Geistes auf körperliche Funktionen spricht ja auch, dass nach Aristoteles zum einen kein Erfassen intelligibler Formen möglich ist, ohne dass die Vorstellungskraft (φαντασία) bemüht wird, dass aber die Vorstellungskraft zum anderen eindeutig ein sinnlich-körperliches Vermögen ist. »Die Seele denkt niemals ohne eine Vorstellung« (an. III 7, 431a16 f.). Denken qua gedankliches Erfassen vollzieht sich »nicht ohne Vorstellungskraft« (an. I 1, 403a8 f.). Deshalb kann der Geist auch die intelligiblen Formen oder »Ideen« nur »in den Vorstellungen« erfassen (an. III 7, 431b2). Alexanders Behauptung der völligen Unabhängigkeit des Geistes von jedem körperlichen Werkzeug während des wirklichen Erkennens ist demnach nicht sehr aristotelisch. 31 So auch Aristoteles, an. II 4, 415b24. 32 Hinter diesem sprachanalytischen Argument, dass die Rede vom »Empfangen« logisch unvereinbar ist mit der Rede vom ursprünglichen Besitz, verbirgt sich die peripatetische Ablehnung angeborener Ideen.

850 Anmerkungen 33 Der

Geist steht zwar unmittelbar in keiner wesentlichen Erkenntnisrelation zu den sinnlichen Gegenständen. Für die Erkenntnis der Phänomene und ihrer Zusammenhänge scheint für Aristoteles vielmehr die komplexe Stufung von empfindenden, objektivierenden und identifizierenden Wahrnehmungs- und Gedächtnisleistungen hinreichend zu sein. Gleichwohl kann der Geist sich bei allen einzelnen Gegenständen der Sinne Begriffe von ihrem Wesen bilden. Insofern kann man sagen, dass er indirekt auch die sinnlichen Phänomene erkennt. Während wir nach Aristoteles rein sinnlich erkennen, worum es sich bei einem vorliegenden Phänomen handelt (Was ist dies hier, ein Esel oder ein Maultier?), ist es dem Geist und seiner begrifflichen Erkenntnis vorbehalten, die Essenz der phänomenal zugänglichen Dinge definitorisch zu erfassen (Was ist das Wesen des hier Vorliegenden, z. B. eines Maultieres?). 34 Mit den letzten drei Sätzen interpretiert Alexander die schwierige Stelle an. III 4, 429a24: Der Geist sei »der Wirklichkeit nach nichts von den Dingen, bevor er sie gedanklich erfasst«. Diese Stelle darf als einer der größten Stolpersteine der aristotelischen Geistlehre gelten, bei dem zahlreiche Kommentatoren zu den abwegigsten Folgerungen gelangt sind. Natürlich ist Aristoteles hier nicht der Auffassung, dass der Geist aufgrund seiner gedanklichen Einsicht der Sache nach mit den von ihm erkannten Gegenständen identisch wird. Aristoteles stellt dies später selbst richtig, indem er anläßlich seiner berühmten These: »die Seele ist gewissermaßen [alle] Dinge« (an. III 8, 431b21) erläutert, der Geist, der das Wesen des Steines erkenne, werde dadurch nicht etwa selbst zu einem »Stein«, sondern werde identisch mit dessen gedanklich erfasster »Form (εἶδος)« (ebd. 431b29 f.). Und auch aus an. III 4, 429a28 f. ergibt sich klar, dass es nach Aristoteles beim gedanklichen Erfassen nur zu einer formalen Identität zwischen (modern gesprochen) Subjekt und Objekt kommt, indem die objektiven, einsehbaren Formen der Gegenstände (z. B. das »Vernunftbegabtes-Lebewesen-Sein« als Wesensform des Menschen) subjektiv innerhalb des Geistes nachvollzogen, d. h. erfasst werden: Der Geist ist »die Formen [!] nicht in Wirklichkeit, sondern nur in Möglichkeit«. Diese Konzeption ist eigentlich wenig anfechtbar und läuft, wenn man Aristoteles’ Vergleich des Geistes mit einer Schreibtafel heranzieht, auf die Trivialität hinaus, dass die Wachstafel in Wirklichkeit nicht mit ihren Schriftzeichen identisch ist, bevor diese in sie eingeprägt worden sind. Deshalb überrascht es auch nicht, dass Aristoteles wenig später genau diese Erklärung gibt: Der Geist sei »die ge-



Alexander von Aphrodisias, aus: Über die Seele 851

danklich erfassbaren Gegenstände irgendwie in Möglichkeit, nicht aber in Wirklichkeit, bevor er sie gedanklich erfasst«. Und dann folgt direkt im Anschluss der berühmte Vergleich: »Es muss sich so verhalten wie bei einer Schreibtafel, auf der noch nichts in Wirklichkeit geschrieben steht, was doch beim Geist gegeben ist« (an. III 4, 429b30–430a2). Alexander verleiht dieser ganzen Argumentation jedoch am Schluss noch eine ganz radikale Wendung. Denn er behauptet nicht nur mit Aristoteles, dass der Geist vor seinem gedanklichen Erfassen noch nicht identisch mit den erfassbaren Formen sei. Er behauptet vielmehr sogar dies, dass der Geist vor seinem gedanklichen Erfassen überhaupt »nichts in Wirklichkeit Existierendes« sei. Folglich kann Alexander auch nicht zulassen, dass der (leidende) Geist ein stoffliches Substrat sein kann. In der Forschung ist oft genug die Paradoxie festgestellt worden, dass ausgerechnet der erstmals von Alexander so genannte »materielle Geist« von ihm nicht als etwas Materielles aufgefasst wird, sondern als immateriell gedeutet wird, so dass er eigentlich seines Namens spottet (vgl. z. B. Fotinis 1980, S. 306). Diese radikale Lesart ist nicht im Sinne des Aristoteles, der doch beiden Komponenten des Geistes (dem wirkenden wie dem leidenden) jeweils Existenz und wesentliche Eigenschaften zuschrieb. Wie sollte denn auch der wirkende Geist wirken und der leidende Geist Formen aufnehmen können, wenn beide »nichts in Wirklichkeit Existierendes« wären? Alexanders These läuft dagegen auf den Fehlschluss hinaus, dass die Wachstafel, weil sie vor dem Beschriftetwerden keine wirklichen Schriftzeichen enthält, selbst auch keine wirkliche physische Existenz haben, ergo nicht aus Wachs sein kann. Damit verstellt sich Alexander aber nicht nur die Möglichkeit, den leidenden Geist als ein materielles Substrat inmitten des Körpers aufzufassen. Vielmehr verstellt er sich, wie die folgenden Abschnitte seiner Abhandlung zeigen, eine Pointe des aristotelischen Textes nach der anderen. Das beginnt schon mit Aristoteles’ Vergleich des (leidenden) Geistes mit einer zu beschriftenden Wachstafel. Alexander weiß aufgrund seiner oben erläuterten Prämisse nicht viel damit anzufangen.  Die Gründe, derentwegen sich Alexander scheut, Aristoteles’ These zu akzeptieren, dass zumindest der leidende Geist als ein physisches, materielles Substrat gedacht werden muss, sind nicht leicht erkennbar. Wie auch immer, es gehört zu den großen Paradoxien des griechischen Aristotelismus, dass man ausgerechnet Alexander später als einen Hauptvertreter der naturalistischen oder sogar materialistischen Inter-

852 Anmerkungen

pretation des Stagiriten wahrgenommen hat, obwohl doch gerade er davor zurückscheut, selbst den leidenden Geist (geschweige denn den wirkenden) als ein stoffliches Substrat aufzufassen. Aber die Paradoxie ist noch größer: Ausgerechnet Alexander, der die reine Lehre des Aristoteles gegenüber ihren neuplatonischen Verfälschungen bewahren wollte und der sogar den Terminus »materieller Geist« in die Kommentarliteratur einführte, sollte zum großen Wendepunkt in der Interpretationsgeschichte werden, von dem an die aristotelische Geistlehre durch eine entmaterialisierende und entsubstantialisierende Ausdeutung des nous eine Verdunklung und Verfälschung nach der anderen erfahren sollte. 35 Hier beginnt Alexanders Auslegung von Aristoteles’ berühmter Analogie zwischen Geist und Schreibtafel an. III 4, 429b29–430a2. Wie oben in Anm. 13 erläutert, verbindet Alexander mit seinem neu eingeführten Terminus »materieller Geist (νοῦς ὑλικός)« zunächst keinen naturphilosophischen bzw. ontologischen Begriff, sondern einen entwicklungspsychologischen oder pädagogischen Begriff: Der materielle Geist ist der menschliche Intellekt im noch völlig rohen, unkultivierten Zustand, der Bildung und Wissenschaft nur der Möglichkeit (und insofern der Materie) nach enthält. Deshalb hatte Alexander ihn auch den »natürlichen Geist« genannt. Daher ist seine nun erfolgende Gleichsetzung des materiellen Geistes (nicht etwa mit der Schreibtafel selbst, sondern) mit dem »Unbeschriebensein« der Schreibtafel bzw. mit ihrer »Eignung zum Beschriebenwerden« für sich genommen nur konsequent und verteidigungsfähig. Was an Alexanders Interpretation jedoch angreifbar ist, ist die schon zuvor bei ihm konstatierte Abwehr gegen den Gedanken, dass die Eignung der Schreibtafel für die Aufnahme von Schriftzeichen ja irgendwie mit der Qualität ihrer spezifischen stofflichen Materie zusammenhängen muss. Es ist ja das Wachs, das sich für Schreibtafeln nun einmal besser eignet als z. B. Bronze oder Granit. Umgekehrt ist Alexanders Bemerkung, dass eine bloße »Eignung zum Beschriebenwerden« als solche »nichts erleidet«, da sie ja »nichts Zugrundeliegendes« ist, trivial. Daraus aber folgern zu wollen, dass auch der Geist selbst bei der Aufnahme der gedanklich erfassbaren Gehalte (Schriftzeichen) »nichts erleiden« kann, läuft auf eine Mystifikation hinaus. Erst recht ist die Begründung, »weil er ja nichts von den in Wirklichkeit seienden Dingen ist«, hinfällig, da sie auf einer unplausiblen Interpretation von an. III 4, 429a24 beruht (s. o. Anm. 34). 36 Dieser ganze Absatz ist ein zuverlässiges Referat von an. III 4, 429a27–29.



Alexander von Aphrodisias, aus: Über die Seele 853 37 S. o.

Anm. 8, 11 und 16. 38 Gemeint ist die Erfassung des Wesensbegriffs einer Sache aufgrund gedanklicher Abstraktion, z. B. die Einsicht, dass Menschsein in der Begabung eines Lebewesens mit sprachgebundener Vernunft besteht. Diese geistige Erkenntnisart unterscheidet sich von der sinnlichen (z. B.: Bei jenem Lebewesen, das mir dort in der Ferne entgegenkommt, handelt es sich um einen Menschen) dadurch, dass die sinnliche stets auf das Hier und Jetzt bezogen ist und durch materielle Affektionen vonseiten äußerer körperlicher Substanzen hervorgerufen wird. 39 Alexander formuliert hier prägnant die aristotelische These, dass die Materie das sogenannte Individuationsprinzip darstellt, weil sie es ist, welche macht, dass alle Exemplare einer Spezies voneinander durch äußere Merkmale unterschieden sind, z. B. die Menschen durch ihre individuellen Gesichter, ihre Körperhaltung oder Ähnliches. Dagegen ist die Form dasjenige, was allen Exemplaren einer Spezies gemeinsam ist – und zwar wohlgemerkt nicht etwa die sinnliche, körperbezogene Form qua Kontur oder Profil (das »εἶδος αἰσθητόν«), sondern die gedanklich erfassbare Wesensform (das »εἶδος νοητόν«), z. B. beim Menschen sein »vernunftbegabtes Lebewesen-Sein«. 40 S. o. Anm. 20. 41 Der Satz zeigt erneut Alexanders entmaterialisierende, ja entsubstantialisierende Lesart des aristotelischen Geistes: Er behauptet nicht etwa, der primitive, rohe Geist werde aufgrund seiner wiederholten und fortschreitenden Tätigkeit gedanklicher Erfassungen zum eigentlichen, verwirklichten, kultivierten Geist. Vielmehr wird das Allgemeine selbst, d. h. die erfassten Gedanken, mit dem realisierten Geist identifiziert. Diese Lesart, die dem Geist jede naturphilosophische Grundlage (qua aktive und passive Komponente) raubt, reduziert den Geist somit auf seine gedachten Inhalte. Mit Aristoteles gesprochen macht Alexander aus der δύναμις des Geistes ein ἔργον. 42 Zum mittleren Entwicklungszustand namens ἐντελέχεια gegenüber den beiden Extremen der bloßen δύναμις und der ἐνέργεια s. o. Anm. 8 und 11. 43 Auch hier liegt wieder eine Interpretation vor, die mystifikatorisch wirkt, da sie imaginäre Kausalitäten ins Spiel bringt: Als Subjekt der genannten Tätigkeiten veranschlagt Alexander nicht etwa den Geist selbst in der Einheit seiner beiden Komponenten (als wirkender und zugleich leidender Geist), sondern vielmehr die Hexis (den Habitus) als solche(n). Nach Aristotelesʼ Kategorienlehre ist ein Habitus (als nicht-

854 Anmerkungen

substantielle Kategorie) jedoch kein mögliches Subjekt von Tätigkeit, sondern immer nur etwas, das einem substantiellen Träger inhäriert. 44 Nachdem Alexander zuvor noch einmal die Zustandsdifferenz des Geistes zwischen dem habituellen Besitz von Gedanken (ἐντελέχεια, ἕξις) einerseits und dem tätig ausgeführten Vollzug des Denkens (ἐνέργεια) andererseits rekapituliert hatte, wendet er sich nunmehr dem Problem zu, durch welche Ursache der Geist zu seinen Gedanken affiziert wird. Aristoteles selbst versucht sich dieser schwierigen Frage dadurch zu nähern, dass er sowohl die Gemeinsamkeiten als auch die Unterschiede zwischen geistiger und sinnlicher Affektion hypothetisch herausarbeitet. »Wenn es [das gedankliche Erfassen] sich wie die Wahrnehmung verhält, dann müsste es ein Erleiden (πάσχειν) durch das gedanklich erfasste Objekt (νοητόν) sein oder etwas anderes von dieser Art. Also muss [der Geist] zwar unbeeinflussbar (ἀπαθές) sein, aber doch fähig sein, die Form aufzunehmen, und muss der Möglichkeit nach die Form sein, ohne doch dasselbe wie die Form zu sein. Und wie sich das wahrnehmungsfähige Vermögen« – gemeint sind die fünf äußeren Sinne und der Gemeinsinn (s. o. Anm. 22 u. 26 – »zu den wahrgenommenen Gegenständen verhält, so muss sich der Geist zu den gedanklich erfassbaren Gegenständen verhalten« (an. III 4, 429a13–18). Zugleich könne aber die »Unbeeinflussbarkeit des Wahrnehmungsvermögens und des Denkvermögens nicht von gleicher Art sein«, da zwar die Sinne durch übermächtige Sinnesobjekte gleichsam betäubt und in ihrer Leistungsfähigkeit beeinträchtigt werden können, der Geist aber von analogen übermächtigen und zerstörerischen Denkobjekten verschont bleibt, da er vom Körper abgetrennt ist (ebd., 429a29–b5). 45 Alexander gibt hier eine hervorragende Erläuterung der soeben (im letzten Satz von Anm. 44) erwähnten knappen Skizze von an. III 4, 429a29–429b5. 46 Auch hier entfernt sich Alexander völlig von Aristotelesʼ Theorie des Geistes als eines Vermögens, »kraft dessen die Seele nachdenkt und gedanklich erfasst« (an. III 4, 429a23), genauer als eines »Teiles der Seele, kraft dessen die Seele erkennt und richtig urteilt« (ebd., 429a10). Alexander verkürzt erneut den Geist qua eigenes Vermögen (δύναμις) auf dessen geistige Leistung (ἔργον). 47 Gemeint sind die Ausführungen in den hier nicht wiedergegebenen Teilen der Alexander’schen Schrift, die sich auf die sinnliche Wahrnehmung beziehen, insbesondere der Passus 39, 9–18 in der von uns zugrundegelegten Bruns’schen Ausgabe (s. o. Anm. 1).



Alexander von Aphrodisias, aus: Über die Seele 855 48 Es

handelt sich um Alexanders gedankliche Bemühung, an. III 4, 430a2 zu verstehen: »Und er selbst [der Geist] ist gedanklich erfassbar wie die [anderen] gedanklich erfassbaren Gegenstände auch.« Aristoteles selbst thematisiert jedoch an dieser Stelle keineswegs eine Selbsterkenntnis des Geistes, sondern weist nur darauf hin, dass der Geist als eine transempirische Entität nicht sinnlich wahrgenommen, vielmehr nur gedanklich erfasst werden kann. Dass Alexander diese Stelle in eine Selbsterkenntnis des Geistes umdeutet, erklärt sich aus seiner weitreichenden Voraussetzung, den aktiven Geist unmittelbar mit dem himmlischen göttlichen Geist von Metaphysik Λ gleichzusetzen. Diesem schreibt Aristoteles in der Tat eine Form der Selbsterkenntnis zu, die er als ein Denken seiner selbst (metaph. XII 7, 1072b20–28) oder als ein »Denken des Denkens (νόησις νοήσεως)« (metaph. XII 9, 1074b34 f.) charakterisiert. 49 S. o. Anm. 38. 50 Aristoteles streift diesen Unterschied an. III 4, 429b10 ff., dort allerdings nicht in erkenntnistheoretischem Interesse, sondern im Interesse an der psychologischen Frage, welche seelischen Vermögen sowohl für jede von beiden Erkenntnisarten als auch für ihre gedanklich reflexive Unterscheidung aufkommen. Entsprechend der Unterscheidung von Aristoteles, cat. 5, 2a11 ff., handelt es sich bei einem sinnlich vorliegenden Stück Bronze um eine »erste Substanz« (Substanz in primärer Wortbedeutung), d. h. um ein für sich bestehendes Kompositum aus Form und Materie, auf das man grundsätzlich zeigen kann. Das Bronzesein dagegen ist jene nur gedanklich erfassbare Wesensform, die allen möglichen Einzelexemplaren von Bronze als Struktur innewohnt und die der Geist deshalb als die gemeinsame Essenz von Bronze abstraktiv erfassen kann. Aristoteles nennt sie auch »zweite Substanz« (Substanz in sekundärer Wortbedeutung). 51 Nach Aristoteles’ Auffassung wird bei einer technischen Herstellung (ποίησις) die »Form in der Seele« des Künstlers (metaph. VII 7, 1032a32 ff.), d. h. die Konzeption bzw. der Plan des herzustellenden Produkts, auf das stoffliche Rohmaterial übertragen. Auch das Bronzebeispiel stammt von Aristoteles: Der Künstler, der z. B. eine »Bronzekugel« gestaltet, erzeugt hierbei weder die Kugelform noch das Material; vielmehr »bringt er diese Form in einem anderen hervor«, nämlich im rohen Bronzestück (metaph. VII 8, 1033a26–34). 52 S. o. Anm. 38 u. 39. Alexanders Thesen sind jedoch dahingegend zu relativieren, dass für Aristoteles auch schon die sinnliche Wahrneh-

856 Anmerkungen

mung, nämlich über die identifizierenden Wahrnehmungsleistungen beim sog. »akzidentell Wahrgenommenen«, ein »erstes Allgemeines« erfasst, und zwar die arttypischen Erscheinungsmuster der sinnlichen Gegenstände (s. o. Anm. 20). 53 Gemeint sind insbesondere immaterielle und doch zugleich einer individuellen Substanz inhärierende Habitus oder Qualitäten, wie z. B. eine bestimmte Wissenschaft auf einem bestimmten Entwicklungsniveau. 54 Hier greift Alexander auf seine in den vorherigen Abschnitten (an. 86, 14 ff.) angestellten Überlegungen zurück. 55 Dieser Satz wurde vorbereitet durch die Behauptung an. 86, 14 f., dass »der verwirklichte Geist nichts anderes als die während des Denkens gedanklich erfasste Form« sei. Dass Alexander hier die isolierte, materiefreie Form für identisch erklärt mit dem auf höchstem Vollendungsniveau tätigen Geist, ist selbstverständlich nicht aristotelisch. Denn auch wenn Aristoteles behauptet, dass der wirklich denkende Geist mit dem von ihm Gedachten identisch sei (so wie ja auch die Wachstafel mit den von ihr aufgenommenen Schriftzeichen identisch ist), so leugnet er doch gerade, dass eine materiefreie Form (wie z. B. eine Wissenschaft) für sich genommen schon Geist sein kann. Vielmehr existiert auch sie nur, sofern sie einem aus der aktiven wie passiven Komponente gemeinsam bestehenden Geist gleichsam als Habitus inhärent ist. Für Aristoteles ist der wirkende Geist das Subjekt allen Denkens, der leidende Geist das Substrat, an dem das Denken sich vollzieht, die gedanklich erfassbare Form aber gleichsam das innere Objekt des aus beiden Komponenten bestehenden Geistes. Wenn Aristoteles demnach betont, dass die gedanklich erfassbare Form mit dem Geist identisch sei, so meint er damit lediglich, dass diese dem Geist als ihrer ontologischen Basis inhäriert und folglich nicht von ihm getrennt werden kann. Alexander dagegen behauptet nicht nur eine solche Zusammengehörigkeit von Subjekt und innerem Objekt, sondern vielmehr ein Fürsichbestehenkönnen rein geistiger Formen, die er zudem noch mit dem Geist für identisch hält. 56 Mit diesen letzten beiden Sätzen deutet sich erstmals die Pointe an, auf die Alexander mit seiner forcierten Interpretation hinauswill: Indem zum einen der menschliche Geist, der die reinen Formen denkt, identisch mit diesen Formen wird, und indem diese reinen Formen ihrerseits selbst schon Geist sind, kommt es beim Denken der reinen Formen zu einer mystischen Vereinigung jenes endlichen Geistes, »der in uns ist« (d. h. des habituellen Geistes), mit jenem unendlichen Geist,



Alexander von Aphrodisias, aus: Über die Seele 857

der die reinen Formen ursprünglich denkt (d. h. des später erläuterten göttlichen Geistes). 57 Die völlige Immaterialität des (wirkenden, aktiven) Geistes ist eine der schwerwiegendsten Erfindungen Alexanders. Bei Aristoteles selbst gibt es kein fundamentum in litteris für Alexanders (auch in den anschließenden Sätzen wiederholte) Behauptung, dass der wirkende Geist »abgetrennt von Materie« sei. Die Eigenschaft der »Abgetrenntheit«, die der Stagirite dem wirkenden Geist (ποιητικὸς νοῦς) und nur ihm in der Tat zuschreibt, bezieht sich deutlich auf den Körper des Menschen, nicht auf Materialität schlechthin. Die Textstelle an. III 4, 429a24 f. sagt klipp und klar, dass der wirkende Geist »unvermischt mit dem Körper« (!) sei. Er nistet sich nämlich erst nach der Geburt gleichsam als ein göttlicher Fremdling im irdischen Leib ein, so dass er auch im Leib »dem Orte nach« (an. II 2, 413b14 f.) bzw. »der Größe nach« (an. III 4, 429a11 f.; III 9, 432a20) »abgetrennt« vom groben Körper bleibt. Auch aus gen. an. II 3, 736b22–737b10 geht eindeutig hervor, dass Aristoteles den (von außen kommenden) Geist als einziges seelisches Prinzip für »abgetrennt vom Körper« hält, da er »mit keiner körperlichen Tätigkeit Gemeinschaft« habe. Nur von »diesem Geist« nämlich und nicht vom leidenden, d. h. zum Körper gehörigen Geist behauptet an. III 4, 430a17 f., dass er vom Körper »abgetrennt«, mit ihm »unvermischt« und von seinen Bewegungen »unbeeinflussbar (leidensunfähig)« sei. Folglich kann auch nur der wirkende Geist gemeint sein, wenn es an. I 4, 408b18 f. heißt: »Der Geist aber scheint eine bestimmte Substanz zu sein, die [in den Körper] hineinkommt und nicht vergeht.« Aufgrund dieser separaten Existenz inmitten des Leibes vermag sich der Geist auch nach dem Tod wieder aus dem verwesenden Leib zu befreien. »Er allein kann sich abtrennen wie das Ewige vom Vergänglichen« (an. II 2, 413b26 f.). Dieses massiv realistisch klingende Konzept eines Geistes, der sich durch den Raum bewegt und vom Körper »abtrennen« kann, würde kaum Sinn machen, wenn ihm nicht der Begriff eines materiell inkarnierten Geistes zugrunde läge. Doch genau diese Materialität auch des wirkenden Geistes wurde in der langen Auslegungsgeschichte der aristotelischen Seelenlehre und wird sogar immer noch von der herrschenden Meinung bestritten. Kein Wunder also, dass man unter dieser Voraussetzung seit jeher – wie schon der von Alexander in De intellectu zitierte Unbekannte (Aristoteles von Mytilene?) konstatiert – mit der scheinbaren »Schwierigheit« zu kämpfen hat, wie denn ein immaterieller Geist gleichwohl »seinen Ort wechseln« können soll (s. u. Kap. 3,

858 Anmerkungen

S.229 f.). Doch statt die problematische Prämisse einfach preiszugeben, hielt man dennoch an der Meinung fest, der ποιητικὸς νοῦς des Aristoteles sei gänzlich immateriell. Eine der wenigen Ausnahmen innerhalb der Antike ist Cicero, wenn er behauptet, »Aristoteles […] nahm an, es gebe ein fünftes Element, aus welchem auch der Geist bestehe (Aristoteles […] quintam naturam censet esse, e qua sit mens)« (Tusculanae disputationes I, 10, 22). Ciceros These, dass Aristoteles den wirkenden Geist mit einem Ätherstäubchen identifiziert habe, lässt sich sehr gut begründen und bietet eine hervorragende Hypothese, die wie ein Ariadnefaden aus dem traditionellen Labyrinth der Aristotelesdeutung herausführt. Sie ist auch in dem Punkt völlig korrekt, dass sie nicht etwa die Denkseele und ihre mentalen Erlebnisse wie Gedanken usw., sondern nur deren Vehikel, den Geist oder Verstand (mens) – den Cicero wenige Zeilen korrekt von der Geistseele (ipse animus) unterscheidet – aus dem fünften Element, d. h. aus Äther, bestehen lässt. Die Überlegenheit dieser von Cicero vertretenen Deutung gegenüber den entmaterialisierenden späteren Interpretationen soll im Folgenden kurz begründet werden. – In seinen naturphilosophischen Schriften erläutert Aristoteles sein stets nur angedeutetes Lehrstück von einem Geist, der »von außen« in den Leib »hineinkommt und allein göttlich ist« (gen. an. II 3, 736b27 f.; II 6, 744b22), dahingehend, dass der Geist als einziges Substrat der Seele nicht bei der Zeugung mit dem Sperma übertragen wird, sondern erst später in den Embryo einfährt. Hierbei gibt er einen deutlichen Wink, dass jede der drei von ihm unterschiedenen Seelen (Nährseele, Sinnenseele und Geistseele) als ihr materielles Korrelat einen bestimmten Körper habe, der von höherer Natur sei als die aus den vier Elementen (Erde, Wasser, Feuer, Luft) bestehenden Körper: »Das Vermögen (δύναμις) einer jeden Seele scheint mit einem anderen Körper vergemeinschaftet zu sein, der göttlicher [!] ist als die sogenannten Elemente. Wie sich aber die Seelenarten voneinander unterscheiden durch ihren höheren und niederen Rang, so unterscheidet sich auch ihre Natur (φύσις)« (gen. an. II 3, 736b29–33). Das bedeutet, dass auch der »Körper«, an den jede Seele gebunden ist, an Feinheit gestaffelt sein muss. Aristoteles argumentiert ferner, in dem Samen aller Lebewesen befinde sich das sogenannte »pneuma«, eine luftartige Feinmaterie, die Aristoteles nicht mehr zum leiblichen Körper rechnet Dies entspricht ganz seiner Lokalisierung der Prinzipien und Anfangspunkte der Vegetativseele und der Sensitivpsyche im angeborenen Pneuma des Herzens. Aristoteles nimmt nämlich an, dass ein Bereich innerhalb des Herzens von ei-



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nem elastischen, luftartigen Fluidum erfüllt ist, dem »angeborenen Pneuma (σύμφυτον πνεῦμα)« (somn. 2, 456a7). Diese pneumatische Liquidmaterie, die zugleich den ganzen Leib durchdringt und alle psychogenen Bewegungen vermittelt, ist mit ihrer »natürlichen Wärme (ἔμφυτον θερμόν)« das eigentliche und primäre Werkzeug der Seele. – Nun heißt es aber in gen. an. II 3, 736b3–737a1 weiter, dass in der pneumatischen Materie wiederum eine noch göttlichere, höhere Natur eingeschlossen sei, die das sublunarische »Analogon zum Element der Gestirne« sei. Sie ist demnach von ätherischer Natur. Ferner heißt es, dass »der Abstammungskörper, in dem der Anfangspunkt des Psychischen mit fortbewegt wird«, bei denjenigen Wesen, die »das Göttliche enthalten« – und »von dieser Art« sei »der sogenannte Geist [!]« – »abgetrennt« vom übrigen »Körper« sei, während er bei den vernunftlosen Wesen »unabgetrennt« sei (gen. an. II 3, 737a7–11). Zusammen mit der Behauptung, dass der Geist nicht mit dem Sperma übertragen werde, sondern später »von außen« in den embryonalen Leib »hineinkomme«, kann hier also nur gefolgert werden, dass der Geist, als Substrat der ranghöchsten Seele, auch die höchste Natur haben muss und folglich aus Äther als dem »göttlichen« Element der Gestirne besteht, wohingegen das Pneuma bloß im Komparativ »göttlicher« als die aus den vier Elementen bestehende Materie ist. Der Geist, als das materielle Vermögen der höchsten Seele, ist folglich auch mit dem höchsten »Körper« vergemeinschaftet, nämlich dem »ersten Körper (πρῶτον σῶμα)« (cael. I 3, 270b21; II 4, 287a3; II 12, 291b32), d. h. mit der Himmelsmaterie oder dem Äther. Von hier aus erklärt sich zum einen, weshalb Aristoteles alle Attribute, die er dem Geist beilegt, auch dem Äther beilegt. Weil der Äther »von den Gegensätzen« der irdischen Stoffe »ausgenommen« ist, ist auch er »unbeeinflussbar (ἀπαθές)« (cael. I 3, 270a21f, b2). Wie der wirkende Geist ist auch der Äther »göttlich (θεῖον)« (an. I 4, 408b29; eth. Nic. X 7, 1177b31 f.; cael. I 3, 270b10; II 3, 286a11), »unsterblich (ἀθάνατον)« (an. III 6, 430a23; cael. I 3, 270b9), d. h. als Materie »unvergänglich (ἄφθαρτον)« (cael. I 3, 270a12 f. u. 20; an. I 4, 408b19), »ewig (ἀίδιον)« (an. II 2, 413b27; II 7, 418b9; III 5, 430a23; cael. I 3, 270b1 u. 23; metaph. XI 8, 1073a34 f.) usw. – Obwohl diese von Cicero im Ansatz vertretene Deutung des wirkenden Geistes als eines ätherischen Partikels zahlreiche andernfalls dunkle Stellen zu erklären und so gut wie alle der innerhalb der traditionell immaterialisierenden Lesart auftretenden Schwierigkeiten aufzulösen erlaubt, besteht wegen der über Jahrhunderte eingewurzelten Vorurteile bei der Aristotelesdeutung auch neute noch eine

860 Anmerkungen

große Abwehr gegen einen feinmateriellen Geist. Drei rühmliche Ausnahmen innerhalb der ›neueren‹ Forschung sind: Kampe 1870, insb. S. 12–49; Gomperz 1922–1931, III, S. 164 f., und neuerdings auch Bos 2003, hier jedoch eher am Rande erwähnt (S. 59) und mit der Tendenz, das Pneuma und nicht den Äther als die Materie des Geistes auszuzeichnen; vgl. auch Bos 2002, S. 255–276  – Eine Verteidigung der von Cicero inaugurierten Deutung gegen die lange Zeit vorherrschende immaterialisierende Interpretation gibt Busche 2001, insb. S 67–78, der auch das Verhältnis von Äther und Pneuma erläutert. Hier werden auch zusätzliche Vorteile der ciceronischen Interpretation dargelegt, von denen zwei exemplarische noch kurz genannt seien: Erstens hat die Interpretation des νοῦς ποιητικός als eines Ätherpartikels den großen Vorzug, dass sie eine zumindest prinzipiell einsehbare Verbindung zu der andernfalls völlig unverständlichen Bemerkung in an. III 5, 430a15 herstellen kann, der wirkende Geist mache alles »als eine Haltung, wie das Licht«. Weil Aristoteles nämlich den Äther als die Materie des Lichtes versteht (an. II 7, 418b9; cael. II 7, 289a), wird hier eine Möglichkeit eröffnet, die gleichsam physischen Korrelate der mentalen Tätigkeiten des Geistes als feine Bewegungen oder Strahlungen der Lichtmaterie zu verstehen. Die Aristotelesforschung hat Aristoteles’ Theorie des Lichtes sträflich und zu ihrem eigenen Nachteil vernachlässigt. Man muss hier immer noch zurückgreifen auf die alten Studien von: Ziaja 1896; und Ziaja 1901. Bestimmten spätantiken Traditionen scheint die Zusammengehörigkeit von Geist, Äther und Licht bei Aristoteles noch vertrauter gewesen zu sein. Man lese z. B. die bei Philoponos (s. o. Kap. 5, S. 412 f.) referierte Lehre des Ammonios über den unauflöslich mit der menschlichen Geistseele verbundenen »himmlischen ewigen Körper (σῶμα οὐράνιον ἀΐδιον)«, »den man lichtartig (αὐγοειδές) oder gestirnartig (ἀστροειδές) nennt« und der vom »pneumatischen Körper (σῶμα πνευματικόν)«, an den die nicht-rationale Seele gebunden ist, wohlunterschieden ist. – Zweitens vermag die Interpretation des wirkenden Geistes als eines kleinen Ätherpunktes auch verstreute Aussagen zum Geist zu erhellen, die in der Forschung bislang uninterpretiert blieben. Hierzu gehören einerseits die Stellen, an denen Aristoteles dem Geist die Struktur eines unteilbaren Punktes zuschreibt (an. I 3, 407a19–21, 10–14) Doch auch wo der Philosoph postuliert, dass das letzte Vermögen gedanklicher Einheit (νοῦς) selbst »eines und zusammenhängend« sein müsse wie die gedankliche Erfassung (νόησις) (an. I 3, 407a6 f.), sympathisiert er mit dem Konzept eines »Punktes«, den er ausdrücklich von der ausgedehnten



Alexander von Aphrodisias, aus: Über die Seele 861

»Größe« unterscheidet (407a12–14). Ein physischer Punkt von unzerstörbarer Himmelsmaterie wäre durchaus ein veritabler Kandidat für ein »unteilbares Vermögen der Seele (ἀδιαίρετον τῆς ψυχῆς)« (an. III 6, 430b15 u. 20). Und in der Tat schreibt Aristoteles ja analog auch dem Zentralsensorium des Gemeinsinns, also dem Einheitsgrund des wahrnehmenden Bewusstseins, die unteilbare Struktur eines »Punktes (στιγμή)« (an. III 2, 427a10) oder einer »Mitte« (an. II 12, 424b1) zu. Vgl. auch part. an. III 5, 668b12–15, und Insomn. 3, 461a30 f. Hierzu passt auch die von den Kommentatoren bisher bloß metaphorisch verstandene Stelle eth. Nic. X 7, 1177b33–1178a2, an der Aristoteles behauptet, der Geist sei »das Beste, was in uns ist«. Er sei zwar das Größte an Würde, aber »klein dem Umfang nach (τῷ ὄγκῳ μικρόν)« Das griechische »ὄγκος« bezeichnet insbesondere den Umfang einer Kugel und darf als weiteres Indiz dafür gelten, dass Aristoteles den wirkenden Geist als physischen Punkt, d. h. als eine winzige Sphäre konzipiert. – Umgekehrt vermag die verbreitete Deutung des aristotelischen »wirkenden Geistes (ποιητικὸς νοῦς)« als einer völlig immateriellen Entität bis heute nicht zu erklären, mit welchem Recht Aristoteles an mehreren Stellen behauptet, dass der Geist »Bewegungen« ausführt. Wie soll aber etwas völlig Immaterielles Bewegungen vollziehen können? Aristoteles versteht das gedankliche Erfassen als »die vom Anfangspunkt (ἀρχή) und der Form ausgehende Bewegung (κίνησις)« (metaph. VII 7, 1032b15 f.). »Das Geistesvermögen (νοῦς) wird durch das geistig Erfasste (νοητόν) bewegt (κινεῖται)« (metaph. XII 7, 1072a30). »Geistiges Erfassen (νόησις)« ist die »Bewegung des Verstandes (νοῦ κίνησις)« (an. I 3, 407a20). Die Ausflucht, dass Aristoteles an solchen Stellen einen metaphorischen Begriff von Bewegung verwende, verfängt nicht, da er grundsätzlich keine Metaphern verwendet, ohne dies explizit zu indizieren. – Gegen Ciceros Interpretation ist v. a. im 19. Jh. der Einwand erhoben worden, die aristotelische Kosmologie kenne keinen Äther im Bereich unterhalb des Mondes. Insbesondere Meyer 1855, S. 407 ff. , sowie Brandis 1857, S. 1218, haben behauptet, nach Aristoteles sei es unmöglich, dass der Äther vom Himmel herab in die sublunare Welt eindringen könne, u. a. wegen seiner Kreisbewegung. Auf diesen Einwand muss jedoch zweierlei entgegnet werden. Erstens hat Kampe 1870, S. 23, Anm. 4, zu Recht erwidert, die »ewige und zwar auch darum ewige, weil nicht naturwidrige, sondern naturgemäße (cael. I 2) Kreisbewegung« schließe »nichtsdestoweniger die Möglichkeit irgendeiner andern Richtung […], bei gewaltsamer Einwirkung nemlich, keineswegs aus«. Kampe ver-

862 Anmerkungen

weist hier richtig auf cael. I 2, 269a7 2–12, wo Aristoteles ausdrücklich einräumt, dass einige Teile des Äthers »gewaltsame Bewegungen« vollziehen können, durch welche diese Ätherteile von ihrer ursprünglichen Kreisbahn abgelenkt werden. Vermutlich denkt er die gegensinnig rotierenden Fixsterne als Ursachen solcher gegennatürlicher Bewegungen. Kampe stellt auch richtig, dass ein teilweise erfolgendes »Eindringen« des Äthers »in die diesseitige Welt« keineswegs ein »Sich-Vermischen mit ihr« bedeuten würde. Zweitens aber gibt es sogar in De anima einen handfesten Beleg für das Vorkommen des Äthers unterhalb des Mondes. Nach an. II 7, 418b7–9 ist nämlich »dieselbe Natur, die auch bei dem ewigen oben befindlichen Körper vorliegt«, d. h. der Äther, auch in den Elementen des sublunaren Bereichs zerstreut vorhanden. – Insgesamt leidet die vorherrschende Deutung des wirkenden Geistes als einer völlig immateriellen Größe auch daran, dass sie Aristoteles’ Fundierung der Unterscheidung zwischen wirkendem und leidendem Geist auf dem naturphilosophischen Gegensatzpaar »wirken« und »leiden« nicht ernst genug nimmt. »ποιεῖν (wirken)« und »πάσχειν (leiden)« sind nicht irgendwelche Kategorien (cat. 4, 1b27 und top. I 9, 103b23), sondern die beiden fundamentalen Kategorien der Naturphilosophie. Deshalb können sie auch zusammen­gefasst werden zum physikalischen Grundbegriff der »Bewegung (κίνησις)« (metaph. VII 4, 1929b25). Sie beschreiben jeweils die beiden Momente von Kausalität, die in der Natur notwendig bei jedem Bewegungszusammenhang zusammen auftreten. Angesichts ihrer fundamentalen Bedeutung für die kausale physikalische Erklärung systematisiert Aristoteles sie auch terminologisch hinsichtlich ihrer drei Aspekte: 1. Dem Vermögen (δύναμις) nach treten stets ein »Bewirkendes (ποιητικόν)« und ein »Leidendes« qua »Einwirkung Erfahrendes (παθητικόν)« zusammen auf, 2. der Tätigkeit (ἐνέργεια) nach stets ein »Wirken (ποίησις)« und ein »Leiden (πάθησις)«, 3. der »Leistung (ἔργον)« nach stets das Produkt oder »Bewirkte (ποίημα)« und der »Wirkvorgang (πάθος)« (phys. III 3, 202a21– 25). Da es sich hier um zwei komplementäre Komponenten physischer Kausalität handelt, die für die ganze Natur und Kunst konstitutiv sind, setzt Aristoteles sie auch bei der Erklärung der Prozesse der sinnlichen Wahrnehmung voraus (an. III 2, 425b26–426a11) und eben auch bei der Erklärung der Prozesse des gedanklichen Erfassens (an. III 5, 430a10–17). Weil in allen diesen Fällen stets die bewirkende Komponente und die erleidende Komponente mit Bewegung verbunden sind, Bewegung aber jederzeit an materielle Substrate gebunden ist, ergibt jene von der Mehr-



Alexander von Aphrodisias, aus: Über die Seele 863

zahl der Kommentatoren zur aristotelischen Geistlehre vertretene Annahme eines Bewirkenden, das selbst unstofflich sein soll, überhaupt keinen Sinn und widerspricht den Grundsätzen des aristotelischen Hylemorphismus. Diese Annahme beruht vielmehr nur auf einer Verwechslung der relationalen Bedeutung von »ὕλη« (als »Material«) mit der absoluten Bedeutung (als »Materie«). In an. III 5, 430a10–17 sucht Aristoteles die Prozesse des intellektuellen Erfassens vollkommen natürlich zu erklären mit Hilfe seiner beiden naturphilosophischen Kategorien. Wie z. B. bei der technischen Bewegung des Schneidens die Schere die wirkende Komponente (ποιητικόν) bildet, die als Form fungiert, bildet das von der Schere geschnittene Gras die leidende Komponente (παθητικόν), die als Material fungiert. Niemand käme bei diesem Beispiel auf die Schlussfolgerung, dass die Schere, weil sie ja hier die Funktion der Form und nicht des Materials innehat, aus diesem Grunde immateriell sein muss. Genau diese Folgerung haben aber die meisten Interpreten bei Aristoteles’ expliziter Anwendung der Kategorien »ποιεῖν« und »πάσχειν« auf die beiden Komponenten des Geistes in an. III 5, 430a10–17 gezogen. 58 Mit diesem langen Satz beginnt Alexander seine erläuternde Paraphrase von an. III 5, 430a10 ff. Erst hier also geht Alexander dazu über, Aristoteles’ berühmte, aber nicht sehr deutliche Lehre von den beiden Komponenten des Geistes, dem wirkenden und dem leidenden Geist, zu interpretieren. (Erste Erläuterungen dieser Lehre gibt oben Anm. 13). 59 Zu dem (von Aristoteles allerdings nicht explizit so genannten) »wirkenden Geist (ποιητικὸς νοῦς)«, der als die aktive Komponente das Gegenstück zum »leidenden Geist (παθητικὸς νοῦς)«, der passiven Komponente, bildet, siehe die umfangreiche Erläuterung in Anm. 57. Auch Alexanders Argument, es müsse einen wirkenden Geist geben, weil es ja nun einmal einen leidenden (oder wie Alexander sagt: materialen) Geist gibt, zeigt den großen Unterschied zum Argumentationsstil des Stagiriten selbst. Aristoteles führt nämlich die Unterscheidung zwischen leidendem und wirkendem Geist überhaupt nur ein, um damit eine hypothetische, aber im Bereich natürlicher Größen verbleibende Erklärung für das Zustandekommen des gedanklichen Erkennens zu liefern. Seine Argumentation formuliert somit eine naturphilosophische Hypothese und läuft folgendermaßen: Wenn das gedankliche Erfassen (νόησις) analog zur sinnlichen Wahrnehmung (αἴσθησις) verläuft, dann muss es auch hier, wie »in der ganzen Natur«, zwei komplementäre natürliche Größen geben: einerseits ein passives Vermögen, das »aufnahmefähig«

864 Anmerkungen

(δεκτικόν) für die geistigen Formen ist und entsprechend die Funktion des zu formenden Materials im Erkenntnisprozess übernimmt (was bei der sinnlichen Wahrnehmung den äußeren Sensorien der fünf Sinne entspricht), und dies nenne ich dann den leidenden Geist. Andererseits aber muss es aber auch ein aktives Vermögen geben, welches ein Analogon zum Gemeinsinn (der gleichsam das Subjekt bei der sinnlichen Wahrnehmung ist) bildet und somit »unbeeinflussbar« (ἀπαθές) ist, d. h. nicht die bloße Wirkung von etwas anderem darstellt, sondern die Funktion des formgebenden Prinzips im Erkenntnisprozess einnimmt, und dies nenne ich entsprechend den Geist, der »alles bewirkt« (an. II 4, 429a13–20 und III 5, 430a10–15). – Alexander dagegen argumentiert gar nicht erst unter dieser hypothetischen Prämisse der Realanalogie von νόησις und αἴσθησις. Er argumentiert gar nicht naturphilosophisch, sondern schlussfolgert ganz abstrakt von der Existenz eines bloßen Vermögens zum Erwerb geistiger Kultur, mit dem wir alle schon als Säuglinge ausgestattet sind, unmittelbar auf die Notwendigkeit von etwas, das diesen unseren »materiellen Geist« von außen aktiviert, so dass dieser sich einen Habitus zu erwerben vermag. 60 Dieser Passus bestätigt erneut, dass Alexander den von ihm erstmals so genannten »materiellen Geist« – also innerhalb der entwicklungspsychologischen Trias von δύναμις, ἐντελέχεια und ἐνέργεια den Geist in seinem primitiven oder unkultivierten Naturzustand bloßer Möglichkeiten – mit dem von Aristoteles so genannten »leidenden Geist« identifiziert, der für Aristoteles als einer von zwei kausalen Komponenten aber nur die eine Hälfte des Fundamentes und des Erklärungsgrundes für die Kultivierbarkeit des Geistes liefert (s. o. Anm. 15). 61 Dieser Satz dokumentiert erneut Alexanders entmaterialisierende und entsubstantialisierende Interpretation der aristotelischen Lehre vom Geist. Nun ist es explizit der »wirkende Geist«, der von Alexander ohne weiteres mit einer gedanklich erfassbaren Form gleichgesetzt wird. Während für Aristoteles die intelligiblen Formen einerseits im leidenden Geist aufgenommen werden, andererseits aber vom wirkenden Geist gleichsam in diesen eingeschrieben werden (ähnlich wie man Schriftzeichen in eine Wachstafel einritzt), erklärt Alexander dagegen schon die bloße Form für identisch mit dem wirkenden Geist. Das ist schon deshalb unhaltbar, weil für Aristoteles der wirkende Geist als eine erklärende, kausale Größe eingeführt wird, also das Explanans bei seiner übergeordneten naturphilosophischen Frage bildet, »wie denn das gedankliche Erfassen zustande kommt« (an. III 4, 429a13). Dagegen



Alexander von Aphrodisias, aus: Über die Seele 865

gehört für Aristoteles die »gedanklich erfassbare Form« (εἶδος νοητόν oder kurz νοητόν)« umgekehrt eher auf die Seite der zu erklärenden Phänomene, also zum Explanandum, auch wenn es sich bereits um eine bestimmte Interpretation der Phänomene handelt. 62 In Anm. 57 (zu an. 88, 15) wurde bereits dargelegt, dass Alexander die aristotelische Rede von der »Abgetrenntheit« des Geistes, die lediglich dessen Abgetrenntheit vom groben Körper bedeutet, missversteht als eine Abgetrenntheit des Geistes von aller Materie. Das zwei Sätze zuvor formulierte Argument »Da es einen materiellen Geist gibt, so muss es auch einen wirkenden Geist geben« zeigt darüber hinaus, dass Alexander auch Aristoteles’ ganze Argumentation in an. III 5 missversteht – ein Missverständnis, das grundsätzlich begünstigt wird durch die zweifache Bedeutung von ὕλη als »Material« einerseits und als »Materie/Stoff« andererseits (s. o. Anm. 14). Alexander glaubt, Aristoteles wolle in diesem Kapitel einen materiellen und einen immateriellen Geist einführen, was jedoch nicht zutrifft. Aristoteles will hier vielmehr lediglich einerseits eine rezeptive Komponente des Geistes unterscheiden, die bei den physischen Prozessen, die dem Denken zugrunde liegen, das »Material« der Bewegungen bildet, andererseits eine aktive Komponente des Geistes, die die prägende »Form« bildet. Dass dieses formende Prinzip selbst aber immateriell (»abgetrennt von Materie«) sei, behauptet Aristoteles damit keineswegs. Im Gegenteil besagt seine später als »Hylemorphismus« gekennzeichnete Lehre vielmehr, dass (zumindest im Bereich unterhalb des Mondes) jede Form eine »mit Materie vermischte Form (ἡ μορφὴ μεμιγμένη μετὰ τῆς ὕλης)« ist (cael. I 9, 277b32). Demnach ist der wirkende Geist (νοῦς ποιητικός, intellectus agens) nicht ein immaterieller Geist, sondern ein Geist, der die prägende Form gegenüber einem ihm äußerlichen Material bildet. 63 Der Satz ist Alexanders Versuch, Aristoteles’ Bemerkung an. III 5, 430a15, der zufolge der wirkende Geist hinsichtlich des gedanklichen Erfassens »alles hervorbringt als eine Haltung, wie das Licht«, einen Sinn abzuringen. Die Hauptdiskrepanz zwischen Aristoteles’ Intention und Alexanders Deutung besteht darin, dass Aristoteles hier auf eine sachliche Identität zwischen dem die Körper erleuchtenden Licht und dem die Formen erfassenden Geist hinauswill (zur Erläuterung s. o. die umfangreiche Anm. 57), während Alexander den Hinweis auf das Licht an dieser Stelle lediglich als ein erstes Beispiel neben einem zweiten (dem Guten) auffasst, an dem er ein allgemeines Prinzip illustriert sieht. Zusammen mit dem nachfolgenden Satz gilt Alexanders Erläuterung in

866 Anmerkungen

der Forschung völlig zu Recht als eine typisch platonische Argumentation. Seine klar formulierte These, dass die gedankliche Einsehbarkeit der geistigen Formen in analoger Weise vom wirkenden Geist verursacht werde wie die Sichtbarkeit der Dinge vom Licht, sei nach Platons Modell der metaphysischen Kausalität als Teilhabe (μέθεξις) des weniger Vollkommenen am Vollkommenen zu verstehen; und der Vergleich zwischen Geist und Licht sei selbstverständlich als Anspielung auf das Sonnengleichnis in Platons Politeia aufzufassen (resp. 508c ff.). So vor allem Moraux 1942, S. 89, Anm. 5: »Cette théorie est platonicienne«; entsprechend wirft Moraux Alexander vor, die »divergence« zwischen der platonischen und der aristotelischen Lehre vom Geist vernachlässigt zu haben (S. 92, Anm. 2). Dass Alexander hier Aristoteles eine platonische Theorie überstülpe, konstatiert auch Merlan 1963, S. 39: Alexanders Konzept sei hier »as close to what is causality in Neoplatonism as possible«. – Schroeder 1981, S. 215–225, gelangt zu einem etwas differenzierteren Urteil: »Alexander wishes, despite the Platonic character of his argument, to distance himself from Middle Platonism. He does not wish, without qualification, to introduce a supreme Good from participation in which all terrestrial goodness is alone derived« (S. 216). Schroeders Versuch, zur Erläuterung der Alexander’schen Deutung von an. III 5, 430a15 dessen Lichttheorie an. 42, 19–43, 11 Bruns sowie in De Intellectu – an. mant. 143, 11–18 Bruns auszuwerten, trägt allerdings nicht wirklich zum Verständnis der Stelle bei. Noch weniger ergiebig für die Klärung der Stelle ist Schroeders (wenn auch historisch ertragreiche) Darlegung der späteren Anverwandlung der Alexander’schen Stelle durch Plotin; vgl. Schroeder 1984, S. 239–248. – Wie auch immer, völlig zutreffend ist jedenfalls das Fazit von Hager 1964, S. 175, dass bei dieser Stelle »die Ähnlichkeit des Aristoteles mit Plato wohl weniger groß« sei »als diejenige des Alexander von Aphrodisias« mit Platon. »Vor allem wendet Aristoteles nicht wie Alexander den Ausdruck ›Ursache der Erkennbarkeit für alles übrige Erkennbare‹ auf den wirkenden Geist an. Auch der Ausdruck ›das zuhöchst und durch sich selbst Erkennbare‹, den Alexander auf den wirkenden Geist anwendet (De an. 89, 4–5 Bruns), findet sich bei Aristoteles in De anima Γ 5 nicht«. – Was Alexanders Argument selbst betrifft (oft bezeichnet als »Propter quod alia, id maximum tale«), so gibt Moraux 1942, S. 90–92, zum einen den verblüffenden Hinweis, dass Alexander in seinem Kommentar zur Metaphysik (147, 2–148, 19) dieses Argument selbst als unaristotelisch qualifiziert, zum anderen, dass ein bei Aristoteles selbst zu findendes ähnliches Argument (metaph.



Alexander von Aphrodisias, aus: Über die Seele 867

II 1, 993b24–27 und an. post. I 2, 72, a29–32) zwei Zusatzprämissen geltend macht, die bei Alexander jedoch nicht gegeben sind. Scharfsinnig zeigt Lloyd 1976, S. 146–156, dass aus dem Argument, so wie Aristoteles es verwendet, keineswegs das Alexander’sche Beweisziel folgt, dass es ein höchstes, sondern nur dass es ein wirkliches x für die möglichen Exemplare geben muss. – Es ist unnötig zu sagen, wie groß der standpunktliche wie methodische Abstand zwischen Aristoteles’ Versuch einer naturphilosophischen Erklärung der geistigen Prozesse mit Hilfe eines physisch aktiven und eines physisch passiven Prinzips einerseits und Alexanders metaphysisch-abstrakter Herbeirufung eines reinen Geistes andererseits ist. 64 Kaum eine andere Stelle in Alexanders Schrift zeigt so deutlich, wie weit sich Alexander bei seiner eigenen Auffassung des wirkenden Geistes von der Lehre seines Meisters entfernt. Für Aristoteles ist der von ihm naturphilosophisch untersuchte menschliche Geist, d. h. »der Geist unserer Seele« (metaph. II 1, 993b10 f.), nichts weiter als jenes hypothetisch geschlussfolgerte Vermögen, »kraft dessen die Seele nachdenkt und gedanklich erfasst« (an. III 4, 429a23) bzw. »der Teil der Seele, vermöge dessen die Seele erkennt und richtig urteilt« (ebd., 429a10). Die eine Komponente dieses Geistes, nämlich der wirkende Geist, wird von Aristoteles in der Tat als »göttlich« und »von außen« in den Leib des Embryos hineinkommend bezeichnet. Denn vieles spricht dafür, dass Aristoteles ihn hypothetisch mit einem Partikel aus Äther, der »göttlichen« und »ewigen« Natur der Gestirne gleichsetzt (s. o. Anm. 57). Für Aristoteles ist somit der wirkende Geist zwar durchaus die göttliche Komponente unseres Geistes, im Unterschied zur profan irdischen Komponente unseres leidenden Geistes. Der wirkende Geist ist aber für Aristoteles nicht etwa, wie Alexander hier meint, Gott als die »erste Ursache, die den Ursprung und das Prinzip aller (!) übrigen Dinge bildet«. Alexander deutet vielmehr jenes bloß reflektierende Vermögen, das Aristoteles naturphilosophisch zur Erklärung der psychischen Denkfunktionen einführt, ins Theologisch-Metaphysische um und macht so aus ihm eine kosmisch schöpferische Macht. Er setzt also jenes Vermögen, das lediglich in Bezug aufs geistige Erkennen wirkend ist (die wirkende Komponente unseres menschlichen Geistes), mit jenem göttlichen Geist gleich, der letztlich alle Bewegung im Weltall bewirkt und den Aristoteles ausdrücklich an ein himmlisches Wesen bindet, nämlich an den höchsten »Gott«, der als »ewiges und bestes Lebewesen (ζῷον ἀΐδιον ἄριστον)« gepriesen und dem ein »ewiges, ununterbroche-

868 Anmerkungen

nes und immerwährendes Leben« zugeschrieben wird (metaph. XII 7, 1072b29 f.), dessen »verwirklichendes Wirken Unsterblichkeit (ἐνέργεια ἀθανασία)«, d. h. »immerwährendes Leben (ζωὴ ἀΐδιος)« sei (cael. II 3, 286a9). Dem Geist dieses himmlischen Gottes schreibt Aristoteles eine Art von geistigem Erfassen zu, das er als ein Denken seiner selbst (metaph. XII 7, 1072b20–28), d. h. als ein »geistiges Erfassen des geistigen Erfassens (νόησις νοήσεως)« (metaph. XII 9, 1074b34 f.), charakterisiert. – Dieser fundamentale Differenzpunkt zwischen der aristotelischen und der Alexander’schen Geistlehre wird von der Forschung fast einhellig konstatiert. So spricht etwa Moraux 1942, S. 88, hier von einer »divergence essentielle«. Hager 1964, S. 176, fasst präzise zusammen, ein »bedeutender Unterschied zwischen der Noetik des Aristoteles und ihrer Interpretation durch Alexander von Aphrodisias« bestehe »darin, dass nach Aristoteles, De anima Γ 5 der wirkende Geist als das ursächliche Moment zusammen mit dem leidenden, passiven Geist als seiner Materie in der Seele des Menschen zu finden ist« (an. III 5, 430a10–14), »während bei Alexander von Aphrodisias der wirkende Geist als eine durchaus transzendente Wesenheit erscheint, welche mit dem ersten Ursächlichen, nämlich der Gottheit, gleichgesetzt wird«. Auch an. III 4, 429a10–13 werde von Aristoteles der wirkende Geist »ausdrücklich als ein Teil der menschlichen Seele, als in der Seele befindlich angesprochen«, »was man vom unbewegten Beweger in Metaphysik Λ nicht behaupten kann und was sich auch darin auswirkt, dass der wirkende Geist aus De anima eben doch auch mit Anderem und nicht nur mit sich selbst in Berührung kommt, eben indem er alle [zu erkennenden] Dinge aus dem passiven Geist heraus gestaltet und aktualisiert, während der unbewegte Beweger in Metaphysik Λ als Geist rein nur sich selber und nichts Anderes denkt. Eben diese Öffnung des abgetrennten Intellektes zur Vielheit der Denkgegenstände hin, welche Aristoteles in De anima Γ 5 im Gegensatz zu Metaphysik Λ vollzogen zu haben scheint, hat offenbar Alexander wieder einigermaßen rückgängig gemacht, indem er den wirkenden Geist wieder als erhabene Gottheit und Erstursache und gerade nicht als Teil der menschlichen Seele definiert« (Hager 1964, S. 176). Während so gut wie alle neueren Interpreten es für evident ansehen, dass Alexander den aktiven, wirkenden Geist »identical with the First Cause, the Unmoved Mover of Metaphysics Λ« setzt (Sharples 1987, S. 1206), ist Papadis 1991 wohl der einzige, der »die seit eh und je herrschende Meinung, dass der ποιητικὸς νοῦς Alexanders mit dem göttlichen νοῦς zusammenfällt« (S. 334), für eine »berühmte[…] Fehlinterpre-



Alexander von Aphrodisias, aus: Über die Seele 869

tation« hält (S. 349), die bei Moraux und seinen »Gesinnungsgenossen« »unbegründet« bleibe (S. 357 u. Anm. 227). Umgekehrt wird man leider sagen müssen, dass sich Papadis’ These, wonach »es zwischen der Noetik des Aristoteles und ihrer Interpretation durch Alexander überhaupt keinen Unterschied gibt« (S. 356), auf ein kaum nachvollziehbares Räsonnement (insb. S. 351–359) zu stützen sucht. 65 Indem Alexander den wirkenden Geist nicht nur als letzte Ursache der Erkennbarkeit aller Dinge (ratio cognoscendi), sondern zugleich auch als letzte Ursache der Existenz aller Dinge (ratio essendi) auffasst, interpretiert er ihn gegenüber Aristoteles massiv um und rückt ihn stark in die Nähe jenes höchsten Prinzips, das Platon als »Idee des Guten« charakterisiert (resp. VI 508e, 509b). Dass dieses höchste Prinzip von Alexander jedoch zugleich als ein sich selbst denkender Geist aufgefasst wird (in diesem Punkt bleibt er Aristoteles immerhin treu, s. o. Anm. 64), macht einen fundamentalen Unterschied der Alexander’schen Position zum Neuplatonismus aus. Denn bei den Neuplatonikern wird das Eine oder Gute ja als die erste, reflexionsfreie Hypostase gedacht, während der denkende Geist erst die zweite Hypostase bildet. Genau diese Differenz wird folglich später auch den Hauptkritikpunkt bilden, den Plotin in seiner Polemik gegen Alexander geltend macht; vgl. hierzu Hager 1964. 66 Mit diesem Satz bezieht Alexander die Passagen an. III 5, 430a17 f. und 23 zutreffend auf den wirkenden Geist: »Und dieser Geist ist abgetrennt, unbeeinflussbar und unvermischt«, folglich auch »unsterblich« und »ewig«, was für den leidenden Geist alles nicht zutrifft. 67 Zur Kritik dieses Missverständnisses der These des Aristoteles siehe oben den Beginn von Anm. 57. 68 Alexander spielt hier an auf metaph. XII 7, 1972b7 f., wo das von Aristoteles so genannte »erste unbewegte Bewegende«, d. h. gleichsam das seelische Prinzip des höchsten Gottes, welches die ewige Kreisdrehung des Weltalls und folglich alle Bewegung überhaupt verursacht, folgendermaßen charakterisiert wird: »Nun existiert aber etwas, das selbst [anderes] bewegt, ohne [von anderem] bewegt zu werden, und das Wirklichkeit (ἐνέργεια) ist; dieses kann sich unmöglich anders verhalten.« Die scholastische Tradition nannte dieses aristotelische Prinzip, das reine Wirklichkeit (ἐνέργεια) ohne Möglichkeit (δύναμις) ist, später »actus purus«. 69 Zur Erläuterung s. o. Anm. 55. 70 Die in diesem Passus steckende Interpretation Alexanders wird

870 Anmerkungen

der Argumentation bei Aristoteles nicht gerecht. Hatte dieser lediglich behauptet, das Wirkende sei würdiger als das Leidende und das Prinzip höherrangig gegenüber dem Material (an. III 5, 430a18 f.), so macht Alexander hieraus eine Höherrangigkeit des Immateriellen gegenüber dem Materiegebundenen. Alexander übersieht somit, dass der wirkende Geist, weil er im Sinne des aristotelischen Reflexionspaars »Form« und nicht »Material« ist (s. o. Anm. 14), deshalb nicht eo ipso immateriell sein muss, zumal auch eine Form ihrerseits an eine Materie gebunden sein muss, wenn die Rede, dass sie »wirkt«, einen Sinn ergeben soll. Der leidende Geist ist nach der Textstelle bei Aristoteles nicht deshalb minderwertiger, weil er materiell ist, sondern weil er rein passiv ist und als das bloße Material des wirkenden Geistes dient. 71 Diese Stelle zeigt deutlich den mystischen Charakter von Alexanders Auffassung des Geistes: Indem der menschliche Geist die reinen Formen erfasst, die ihrererseits nichts anderes sind als die Formen des göttlichen Geistes selbst, gelangt er zu einer Vereinigung mit dem höchsten Geist. 72 Vgl. an. III 4, 430a4 f. u. 430a20 f. 73 Gemeint ist der Passus an. 88, 3–15 Bruns s. o., S. 177 f. 74 Die Stelle zeigt erneut, dass Alexander den von ihm terminologisch eingeführten »materiellen Geist«, den er allerdings nicht als etwas Materielles auffasst, der Sache nach mit dem von Aristoteles eingeführten »leidenden Geist (νοῦς παθητικός)« identifiziert, dessen Name bei Alexander nirgendwo erwähnt wird. Unter dieser Voraussetzung gibt Alexander an dieser Stelle eine zutreffende Auslegung der Sterblichkeit dieser Komponente des Geistes gemäß an. III 5, 430a22–25 bzw. an. I 4, 408b27 f. – Obwohl Alexander mit seiner Behauptung, dass mit dem Tod auch die personale Identität eines Menschen erlösche und es folglich keine persönliche Unsterblichkeit gebe, sehr treffend die Meinung des Stagiriten wiedergibt, haben insbesondere die mittelalterlichen Kommentatoren Alexanders Leugnung der individuellen Unsterblichkeit für eine Verdrehung der aristotelischen Lehre gehalten. »In der ganzen Philosophie Alexanders ist den späteren Generationen keine These stärker aufgefallen und keine hat heftigere Kritik und tiefere Empörung ausgelöst als die Behauptung, dass die menschliche Seele untrennbar vom Körper und demzufolge sterblich sei. Immer wieder wird dem Exegeten vorgeworfen, er habe sich starr an diese These gehalten, obwohl Texte des Aristoteles deutlich dagegen sprächen; ja er habe Aristoteles tendenziös interpretiert, um nachzuweisen, dass der Stagi-



Alexander von Aphrodisias: Über den Geist

871

rit genau dieselbe Ansicht wie er, Alexander, über die Untrennbarkeit und die Sterblichkeit der Seele vertreten habe. Es zeigt sich, dass dieser Vorwurf bald zu einem Gemeinplatz der antialexandrischen Polemik geworden ist.« (Moraux 2001, S. 324) 75 Man hat hier nicht zu Unrecht von einer »seltsamen Unsterblichkeitslehre« gesprochen, deren Pointe darin bestehe, dass der Mensch sich die Unvergänglichkeit allererst »verdienen« müsse, »indem er Gott denkt und auf diese Weise etwas Göttliches in sich eindringen lässt« (Moraux 2001, S. 381 f.). Diesen Gedanken spricht Alexander auch ganz am Ende des hier präsentierten Textes (an. 91, 5 f. Bruns) deutlich an. In der Tat, während wir für gewöhnlich Unvergänglichkeit an ununterbrochener Fortdauer festmachen, denkt Alexander diese Art von Unvergänglichkeit gerade nicht als kontinuierliche Permanenz eines Substrats, sondern versucht sie aus der Ewigkeit des gedanklichen Gegenstandes zu erklären, an welcher sich der denkende Geist durch Konzentration auf die ewigen Formen eine Art Teilhabeberechtigung erwerben muss. 76 Zur Klärung der Frage, was es bedeutet, dass der aktive oder wirkende Geist »von außen eintritt«, siehe die umfangreiche Erläuterung des Gedankens in Anm. 57.

3. Alexander von Aphrodisias: Über den GeistS. 207 ff.  1 Editorische

Notiz: Unserer Übersetzung liegt im Wesentlichen der kritische Text von Bruns 1887 zugrunde. Auf diese klassische Ausgabe beziehen sich auch die Seitenzahl [in eckigen Klammern] und die Zeilenzahl. An drei Stellen sind die Verbesserungen von Sharples 2004a; 2008 berücksichtigt. Die Gliederung in die drei Abschnitte [A], [B] und [C] folgt den neueren Erkenntnissen (vgl. Einleitung Fußnote 11). Nicht übernommen werden die in den Handschriften zu findenden Unterteilungen des Textes in Stücknummern und Überschriften. Da diese irreführend sind, hat schon Bruns sie weggelassen. – Einleitung und Erläuterungen verdanken sehr viele wichtige Hinweise der Zusammenarbeit mit Hubertus Busche.  2 In der ebenso unvermittelten wie kategorischen Einführung dieser Behauptung vom dreifachen Geist sehen Schroeder/Todd 1990, S. 59, ein Indiz dafür, dass der Verfasser die Dreiteilung selbst (vielleicht auch einzelne Benennungen) bereits als einen in der damaligen Diskussion

872 Anmerkungen

gängigen Topos übernimmt. Vor allem ist hier an Alexanders Zeitgenossen Alkinoos zu denken, der in seinem Didaskalikos, Kap. 10, explizit die Unterscheidung macht zwischen einem νοῦς κατ᾽ ἐνέργειαν (Geist im Wirklichkeitszustand), einem νοῦς ἐν δυνάμει (Geist im Möglichkeitszustand) und einem dritten Geist, der als »Ursache« (αἴτιος) der Verwirklichung des erstgenannten Geistes bezeichnet und sogar mit Aristoteles’ »erstem Gott« bzw. dem Ersten unbewegten Bewegenden identifiziert wird. Vergleicht man die in den folgenden Ausführungen nur knapp erläuterte Trichotomie mit der weitaus differenzierteren Begrifflichkeit von Alexanders De anima, so fällt auf, dass hier Elemente aus zwei quer zueinander liegenden Reihen vermengt werden, nämlich zum einen der entwicklungspsychologischen, zum anderen der naturphilosophischen. 3 Zu dem wohl von Alexander geprägten Terminus »materieller Geist« und seinen begrifflichen Äquivalenten vgl. die Begriffstabelle der Einleitung zu Kap. 2 (S. 128 f.). 4 Accattino 2001, S. 39, vertritt die Hypothese, dass Alexander sich an dieser Stelle durch Zurückweisung der Stofflichkeit des »materiellen Geistes« gegen seinen Zeitgenossen Xenarch abgrenzt, der behauptet hatte, nach Aristoteles bestehe der Geist aus materia prima (dies wird berichtet bei Philoponos, In an. L 15, 65–69 Verbeke; vgl. o. S. 426–429). Zum Gedanken der »ersten Materie« (πρωτὴ ὕλη) bei Aristoteles siehe Anm. 6 zu Kap. 1. Die mögliche Gleichsetzung von Geist und Erstmaterie beherrscht auch die Testimonien zu Theophrast (siehe Kap. 1). Auch in De anima vertritt Alexander die scheinbare paradoxe Auffassung, dass ausgerechnet der von ihm »materiell« genannte Geist als immateriell gedacht wird (vgl. Kap. 2, Anm. 13 u. 34). 5 Vgl. Aristoteles, an. III 4, 429a24: Der Geist »ist der Wirklichkeit nach keines der Dinge, bevor er denkt.« Zum Deutungsspielraum siehe Kap. 2, Anm. 34. 6 D. h. die vier genannten Qualitäten warm – kalt, hart – weich. 7 Vgl. die Parallelstelle in Alexander von Aphrodisias, an. 81, 26–28. Wie Alexander zu Beginn des Textes aus De anima (80, 16–20) erläutert hatte, besagt die Charakterisierung der Geistseele als τελεία zum einen, dass erst sie (als höchste Stufe des Seelischen) »vollständig« ist, da sie die unteren Stufen des Seelischen (Nährseele und Sinnenseele) »mit einschließt«, während umgekehrt weder die Pflanzen an der Sinnenseele noch die Tiere an der Geistseele teilhaben. Durch die Integration der anderen Seelenstufen ist die Geistseele zum anderen aber auch »vollkommen«, da sie prinzipiell keinen Zuwachs an neuen Vermögen mehr



Alexander von Aphrodisias: Über den Geist

873

erfahren kann – jedenfalls unter der von Alexander mit Aristoteles geteilten Prämisse der Vollständigkeit der drei genannten Seelenstufen.  8 Nach diesem Satz folgt in den überlieferten Handschriften eine neue Überschrift (»Über den habituellen Geist«).  9 Zum Begriff des Habitus s.  Anm. 8 zu Kap. II. Für diese zweite Art von Geist, nämlich den von ihm so genannten »habituellen Geist«, verwendet Alexander in De anima auch die Formeln des »erworbenen« oder »entstehenden« Geistes. Siehe hierzu Nr. II in der Begriffstabelle der Einleitung zu Kap. 2 (S. 128). 10 Vgl. Aristoteles, an. III 4, 429b5–9 (dort ist allerdings nicht von Handwerkern, sondern von einem Wissenschaftler die Rede). 11 Vgl. Anm. 11 zu Kap. 2. 12 Gemeint ist der zweitgenannte, habituelle Geist. 13 Nach diesem Satz folgt in den überlieferten Handschriften eine neue Überschrift (»Über den wirkenden Geist«). 14 Während in Alexanders De anima die oberste Stufe der entwicklungstheoretischen Reihe Anlage – Vermögen – Verwirklichung vom »wirklichen Geist« (κατ᾽ ἐνέργειαν νοῦς) eingenommen wird, handelt De intellectu nur vom »wirkenden Geist« (ποιητικὸς νοῦς) als einer kausalen, aber nicht selbst entwicklungspsychologischen Größe. 15 Aristoteles, an. III 5, 430a15. 16 Vgl. die Parallelstelle in Alexander, an. 88, 26 ff. Alexander bringt hier die beiden in De anima wohlunterschiedenen Arten von Geist, den wirkenden Geist und den wirklichen Geist, in eine enge, aber nicht sehr klare Beziehung zueinander. Einerseits wird der wirkende Geist, d. h. die aktive Kausalkomponente, als Ursache für die Aktivierung des wirklichen Geistes, d. h. des in tätiger Ausübung des Denkens befindlichen Geistes, bestimmt, und insofern werden beide Aspekte von Geist, die naturphilosophische Größe und die entwicklungstheoretische Größe, differenziert. Andererseits aber beruht die Pointe von De intellectu darauf, dass insgesamt nur »drei Arten von Geist« unterschieden werden, so dass für den vom wirkenden Geist unterschiedenen wirklichen Geist systematisch kein Platz mehr ist. 17 Die Unterscheidung zwischen Gegenständen des Geistes, die selbst frei von jeder Materie sind, und solchen, die an Materie gebunden sind, trifft Aristoteles selbst in an. III 4, 430a2–9. Die Parallelstellen in Alexanders De anima sind 87, 18–88, 3; 89, 13–15; 90, 2–11. Während Alexander in diesen Abschnitten eindeutig von einer Pluralität reiner, immaterieller Formen ausgeht, ist es in der Forschung umstritten, ob

874 Anmerkungen

auch De intellectu einen Plural dieser Klasse von Form kennt (so Moraux 1978b, S. 532 f.) oder nur einen Singular erlaubt (so Merlan 1963; Merlan 1967, Donini 1974). 18 Hier greift der Verfasser schon vor auf die für seine Geistlehre charakteristische Identifizierung des wirkenden Geistes (wenig später auch »erster Geist« genannt) mit dem ersten Gott und ersten unbewegten Bewegenden des Aristoteles. Vgl. die Parallele in Alexander, an. 88, 24 ff. sowie die Erläuterungen dazu. 19 Vgl. die Parallelstelle in Alexanders De anima 90, 19 ff. Siehe auch die Begriffstabelle der Einleitung zu Kap. 2. 20 Vgl. Aristoteles, an. III 6, 430a22 f.: »Abgetrennt existierend ist er ganz und gar das, was er ist, und dies allein ist unsterblich (ἀθάνατον) und ewig«. 21 Vgl. die Parallelstelle in Alexanders De anima 90, 19–91, 5. 22 Siehe oben S. 215. 23 Die Bezeichnung »erster Geist« ist, wie die Identifizierung mit dem »wirklichen Geist« zeigt, nicht im Sinne der im Traktat gewählten Aufzählung zu verstehen (dann müsste es sich paradoxer Weise um den »materiellen Geist« handeln, wie Schroeder/Todd 1990, S. 51, irrtümlich annehmen). Vielmehr drückt die Bezeichnung die ontologische Erstrangigkeit des wirkenden Geistes, der für sich selbst besteht, aus. In den folgenden Sätzen wird dieser mit den Attributen der Göttlichkeit (nach Aristoteles, metaph. XII 7, 1072b20–28 u. XII 9, 1074b34 f.) ausgestattete Geist mit dem menschlichen, nachrangigen Geist kontrastiert. 24 Die erstmals von Freudenthal 1884, S. 26, vorgeschlagene und von Bruns 1887 (109, 27 Apparat) übernommene Ergänzung »immerwährend« (ἀεί), die sich auf eine Handschrift von Pseudo-Alexander, in Metaph. (673, 21 Bonitz) stützt, wird auch von Sharples 2004a, S. 31, Anm. 70, und Sharples 2008, S. 47, bevorzugt. 25 Dieser Satz hat den Interpreten seit je her große Schwierigkeiten bereitet, weil sich das Anfangswort ἤκουσα (ich hörte) scheinbar direkt auf die Worte παρὰ Ἀριστοτέλους (von Aristoteles) bezieht. Wenn diese Wendung ein unmittelbares Schüler-Lehrer-Verhältnis ausdrücken soll, dann kann mit »Aristoteles« nicht der Stagirit gemeint sein, der etwa fünfhundert Jahre vor Alexander lebte. Zeller 1925, S. 815, Anm. 3, hat deshalb einen Schreibfehler eines Kopisten vermutet und angenommen, Alexander habe die Lehre von dem Peripatetiker »Aristokles« von Messene gehört. Eine solche Lesart findet sich bereits bei Nuñez 1621, S. 73, Anm. 26. Sie kann sich auf die Tatsache stützen, dass sowohl



Alexander von Aphrodisias: Über den Geist

875

die lateinische Übersetzung des Wilhelm von Moerbeke als auch die Aldina 1526 von Simplikios’ De caelo, bei der es sich um eine griechische Rückübersetzung der interpretatio latina handelt, jeweils die Lesart »Aristokles« haben. Diese noch von Trabucco 1958 vertretene Lösung wurde von Moraux zurückgewiesen. Während Moraux 1942, S. 143–149, aber noch annahm, dass hier sehr wohl der klassische Aristoteles gemeint sei und dass das »ich hörte« zu verstehen sei im Sinne von »j’ai appris d’Aristote«, nämlich »par une tradition qui se réclamait d’ Aristote« (S. 148), brachte Moraux 1967 gegen Zellers These den Einwand, dass die in Teiltraktat [C] referierte Lehre »eine stark stoisch gefärbte Umgestaltung der aristotelischen Nuslehre« enthalte, die mit der Position des Aristokles von Messene nicht vereinbar sei (S. 175). Moraux’ Einwand trifft freilich nur, wenn die in [B] und [C] referierte Person dieselbe ist. Viel stärker gegen Zellers These fällt jedoch ins Gewicht, dass Aristokles schon auf Grund seiner Lebensdaten (1. Jahrhundert v. Chr.) nicht der Lehrer Alexanders gewesen sein kann (zur Datierung des Aristokles vgl. Chiesara 2001). Die von Moraux ins Spiel gebrachte Gegenhypothese nimmt den von Galen bezeugten (S. 176 f.) Peripatetiker »Aristoteles von Mytilene« als möglichen Lehrer Alexanders an. Moraux 1985 stützt diese Identität noch durch eine Stelle in Alexanders in metaph. 166, 19 f., wo Alexander von »unserem Aristoteles« spricht und hier nicht den Stagiriten meinen kann. Gegen Moraux ̕ Hypothese (die zunächst auch Sharples 1987, S. 1211 f., übernahm) hat wiederum Thillet 1984, S. XV–XIX eingewandt, dass, wenn sie richtig wäre, Alexander innerhalb von nur zwei aufeinander folgenden Sätzen über zwei unterschiedliche Personen desselben Namens spräche, ohne dies durch Zusätze zu kennzeichnen; denn dass im Anschlusssatz vom Stagiriten selbst die Rede ist, ist unbezweifelbar. Andererseits hat Thillet aber 1985 in einem Brief an Moraux eingeräumt, dass das Zeugnis von »unserem Aristoteles« nicht so einfach vom Tisch zu wischen sei (nach Moraux 1985, S. 269). – Die von Schroeder/Todd 1990, S. 29, vorgeschlagene Lösung besteht darin, vor das περὶ νοῦ τοῦ θύραθεν (über den von außerhalb kommenden Geist) den bestimmten Artikel im Neutrum Plural ‹τὰ› zu konjizieren, so dass der Satz folgende Bedeutung hätte: »I heard ‹the› [views] on the intellect from without from [derived from] Aristotle«. Zuletzt haben Opsomer/Sharples 2000 diesen ganzen ›Knoten des Alexander‹ mit dem Argument durchtrennt, dass am überlieferten Text gar nichts geändert werden müsse, wenn man die Präposition in παρὰ Ἀριστοτέλους als Genetiv der Herkunft versteht und nicht di-

876 Anmerkungen

rekt auf das ἤκουσα (ich hörte) bezieht, sondern auf das περὶ νοῦ τοῦ θύραθεν. Der schwierige Satz könnte dann, zusammen mit dem Anschlusssatz, folgendermaßen interpretiert werden: »(1) I also heard, about the intellect from without (which comes) from Aristotle, (things) which I preserved. (2) For the things that prompted Aristotle to introduce the intellect from without were said to be these […]« (S. 256). Da Opsomer/Sharples derzeit die insgesamt am wenigsten problematische Hypothese formulieren (trotz der Kritik von Accattino 2001, S. 13, Anm. 13), liegt sie auch unserer Übersetzung zugrunde. 26 Das im Folgenden von Alexander vorgetragene Referat einer nicht recht greifbaren Tradition stimmt im Wesentlichen mit Aristoteles’ eigener Argumentation in an. III 5, 430a10–25 überein. Zwar verwendet Aristoteles dort nicht explizit die Formel vom »von außen in uns hineinkommenden Geist«, sondern spricht nur von einem Geist, der »alles wirkt«. Gleichwohl ist die von Alexander referierte Auffassung, dass der von Aristoteles gen. an. II 3, 736b27 f. und II 6, 744b21 zur Sprache gebrachte Geist, der »von außen« in den Leib »hineinkommt und allein göttlich ist«, der Sache nach mit dem alles wirkenden Geist von De anima III 5 identisch ist, sehr plausibel. 27 Sharples 2004a, S. 34, lässt nach diesem Satz ein neues, mit »B2« nummeriertes Kapitel beginnen, um die bisher von Alexander referierte Auffassung über Aristoteles’ Argumente deutlich abzutrennen von Alexanders anschließender Auseinandersetzung mit der referierten Meinung. 28 Vgl. die Parallelstelle in De anima 82, 5–10, an der Alexander allerdings eher den Gegensatz zwischen natürlichem Laufenlernen und kultivierungsbedingtem Denkenlernen herausstellt. 29 Vgl. die Parallelstellen in Alexanders De anima 86, 14–87, 1 und 87, 24–88, 16. 30 Dies ist – mit Ausnahme jener beiden früheren Stellen, an denen der materielle, in Möglichkeit befindliche Geist kurz erwähnt wurde (110, 11 f. u. 110, 23 f.) – die einzige Stelle im Teiltraktat [B], an der Alexander der Sache nach den leidenden, rezeptiven Geist berücksichtigt. 31 Siehe oben in Teiltraktat [A] 108, 30 f. sowie die entsprechende Anm. 20. 32 Zur Analogie zwischen Geist und Licht siehe oben in Teiltraktat [A] die Parallelstelle 107, 30 ff. sowie Anm. 15. 33 Mit den Handschriften entscheidet sich Sharples 2008 für die Lesart τέχνη (hier im konkreten Sinn von ›Kunsterzeugnis‹) und gegen Bruns’ Vorschlag τέχνῃ (›durch die Kunst‹).



Alexander von Aphrodisias: Über den Geist 34 Nämlich

877

im Sinne des kurz zuvor (111, 27) genannten Zusammen-

wirkens. 35 Ob die unbekannte Person, deren Deutung der aristotelischen Geistlehre Alexander im Folgenden zunächst referiert und anschließend kritisiert, identisch ist mit einem Vertreter der im Teiltraktat [B] referierten Lehre, ist unklar und in der Forschung umstritten. Der Teiltraktat [C] beginnt völlig unvermittelt, und das Partizip βουλόμενος (wollend/Wollender) enthält kein Bezugssubjekt. Moraux 1942, S. 148 f., und Schroeder/Todd 1990, S. 31, vermuten eine Textlücke direkt vor dem Partizip, die zur Unkenntlichkeit der Identität geführt habe. Trabucco 1958, S. 120–123, Moraux 1967, S. 174 f., Moraux 1984, S. 412, Sharples 1987, S. 1212, und auch Accattino 2001, S. 10–15, gehen davon aus, dass die in [B] und [C] referierten Lehren ein und derselben Person zuzuschreiben sind. Trabucco hält diese Person für Aristokles von Messene, Moraux, Sharples und Accattino dagegen für Aristoteles von Mytilene. Gegen die Identitätsthese haben Opsomer/Sharples 2000, S. 252 f., eingewandt, dass es zwei Standpunktdifferenzen zwischen dem reinen Referatteil von [B] (110, 4–25) und dem reinen Referatteil von [C] (112, 5–113, 12) gebe, die nicht von einer einzigen Person gleichzeitig hätten vertreten werden können. Allerdings sind die beiden Referatspassagen ziemlich kurz und recht unspezifisch, so dass die Frage wohl nicht definitiv zu entscheiden ist. 36 Diese Schwierigkeiten scheint nach Donini 1974, S. 51, und Moraux 1984, S. 416, schon der Platoniker Attikos (* ca. 136 n. Chr.) formuliert zu haben (vgl. Des Places 1977, fr. 7, 75–81). 37 Trotz Moraux’ Verdikt 1967, S. 175, es handle sich hier um »von der aristotelischen Orthodoxie weit entfernte philosophische Konstruktionen«, lässt sich die referierte Position mit Aristoteles stützen: »Der Geist aber scheint [in den Körper] hineinzukommen und nicht zu vergehen, weil er eine Art Substanz ist (οὐσία τις οὖσα)« (an. I 4, 408b18 f.). Gerade deshalb vermag sich der Geist auch nach dem Tod wieder aus dem verwesenden Leib zu befreien. »Er allein kann sich abtrennen wie das Ewige vom Vergänglichen« (an. II 2, 413b26 f.). 38 Das von den Handschriften überlieferte Relativpronomen (ὃν) müsste eigentlich auf den göttlichen Geist referieren, was gedanklich unstimmig wäre. Bruns 1887, S. 112, 19, Apparat, erwägt deshalb »fortasse ἣν« (was sich dann auf δύναμις bezieht); Moraux 1942, S. 192, Fotinis 1980, S. 150, Schroeder/Todd 1990, S. 56, und Sharples 2004a, S. 40, folgen dieser Anregung in ihren Übersetzungen.

878 Anmerkungen 39 Verschiedene

Interpretationen dieses Vergleichs, der von Alexander wenige Sätze später wieder aufgegriffen wird, gibt Sharples 2004a, S. 41 f., Anm. 102 u. 105. Moraux 1984, der sonst stark den stoischen Zuschnitt dieser Theorie betont, räumt ein: »Die Ansätze zu diesem Aspekt der Theorie stammen offensichtlich von Aristoteles« selbst, nämlich von seiner Theorie der angeborenen Wärme, deren sich die Seele wie der Handwerker seiner Werkzeuge bedient (S. 418); zur HandwerkerAnalogie vgl. part. an. II 7, 652b9–15; gen. an. II 4, 740b25–34; aber auch an. III 5, 430a12 f. 40 Sharples 2004a, S. 41, Anm. 103, weist darauf hin, dass die Vorstellung, wonach menschliche Intelligenz auf physischer Mischung beruhe, durchaus aristotelisch ist (z. B. gen. an. II 6, 744a27 ff.). Vgl. Preus 1990, S. 80, Anm. 26. 41 Sharples 2004a, S. 41, übersetzt hier: »it remains also in the body which is broken up as a result of its [the intellect s̕ ] departure«; denn er glaubt, es sei eine bestimmte Art der internen Abtrennung des Geistes vom Körper, »which causes the corruption of the body« (ebd., Anm. 104). Doch will die referierte Position gar nicht die Auflösung des Leibes erklären, sondern das mögliche Verbleiben des Geistes auch im Leichnam. 42 Aristoteles, an. III 5, 430a10–17. 43 Hinsichtlich der Kausalität des alle irdischen Körper durchwaltenden Geistes stellt der referierte Interpret des Aristoteles zwei Alternativhypothesen auf, deren zweite wiederum eine untergeordnete Alternativhypothese zulässt (so auch Moraux 1984, S. 420): Identifiziert man den Geist mit dem in allen irdischen Materien zerstreuten göttlichen und unzerstörbaren Äther des Aristoteles, so ergibt sich folgende Pointe: Nach Hypothese (1) ist der irdische Äther alleinwirksam für die sublunare Ordnung, nach (2) teilt er sich die Herrschaft durch Kooperation mit dem translunaren Äther. Nach Hypothese (2a) werden die irdischen Vorgänge unmittelbar durch die zusammenwirkenden Bewegungen beider Bereiche gelenkt, nach (2b) durch Vermittlung der Natur als einer zwischengeschalteten Ursache. Dass diese letztgenannte Hypothese Alexanders eigener Kosmologie am nächsten kommt, belegt Sharples 2004a, S. 43, Anm. 109, durch einschlägige Stellen in Alexanders Schriften. Moraux 1984, S. 419, hält diesen ganzen Passus »über die Art und Weise, wie der immanente göttliche Intellekt die sublunare Welt durchwaltet«, eher für eine Reflexion Alexanders selbst, in der er »sich fragt, welche Folgen sich aus ihr im Hinblick auf die Bewegung und die Organisation unserer Welt ergeben«. – Die hier referierte Aus-



Alexander von Aphrodisias: Über den Geist

879

weitung der Geistlehre von einem Teilgebiet der Psychologie zu einer kosmologischen Doktrin weist typisch stoische Züge auf, auch wenn sie bei Aristoteles selbst angelegt ist. Schon Zeller 1925, S. 817, attestiert diesen Ausführungen eine unleugbare Nähe zur »stoischen Weltvernunft […], welche zugleich das Urfeuer und als solches die künstlerisch bildende Naturkraft ist«. Moraux 1984 dagegen betont die stoische Ausrichtung dieser Skizze, räumt aber ein, dass der hier referierte Lehrer sich von den Stoikern darin unterscheidet, »dass er den göttlichen Geist nicht einer feuer- oder pneumaartigen Materie gleichsetzt«, sondern diese Materialität nur seinem »Instrument zuschreibt« (S. 418). 44 Der Umlauf der göttlichen Wesen ist die Kreisdrehung der (mit Seele bzw. Geist ausgestatteten) Himmelskörper. Der Vorschlag von Accattino 2001, S. 25 und S. 59, ἀναφοράν durch ἄνω φοράν zu ersetzen, erscheint nicht zwingend. 45 Sharples 2004a, S. 43, lässt nach diesem Satz ein neues, mit »C2« nummeriertes Kapitel beginnen, um die bisher von Alexander referierte Auffassung des Anonymus deutlich abzutrennen von Alexanders anschließender Kritik dieser Auffassung. 46 Zur Bedeutung des ἀντιπίπτειν vgl. Moraux 1984, S. 421, Anm. 72, wo er sich von seiner früheren Übersetzung in Moraux 1942, S. 193 u. S. 195 distanziert. 47 Man könnte allerdings auch Aristoteles selbst so verstehen, wenn er behauptet, dass »das Göttliche die ganze Natur umfasst« (metaph. XII 8, 1074b3) und »alle Dinge von Natur aus etwas Göttliches haben« (eth. Nic. VII 14, 1153b32). 48 Alexanders eigene Auffassung von der Vorsehung durch die Götter sucht einen Mittelweg einzuschlagen zwischen der völligen Leugnung jeglicher Vorsehung durch die Epikureer einerseits und dem umfassenden Providentialismus der Platoniker und der Stoiker andererseits, dem zufolge sich die göttliche Fürsorge auch auf die speziellsten Interessen und Lebensumstände der Menschen erstreckt. Die Annahme einer solchen konkreten Vorsehung scheint Alexander erstens dem Göttlichen unwürdig, zweitens angesichts der Existenz so vieler Übel in der Welt inakzeptabel, drittens angesichts der kausalen Komplexität der zahllosen menschlichen Lebensumstände nicht einmal für die Götter leistbar und viertens überhaupt ein Symptom der irrigen Auffassung zu sein, dass die göttlichen Dinge um der irdischen Belange willen da sind statt umgekehrt. Vgl. hierzu Sharples 1987, S. 1216–18. 49 Vgl. hierzu Moraux 1984, S. 422.

880 Anmerkungen

4. Themistios: Paraphrase zu De anima III 4–6S. 271 ff.  1 Editorische

Notiz: Die Übersetzung folgt der klassischen Ausgabe des griechischen Textes durch Heinze 1899 (Commentaria in Aristotelem Graeca, Bd. V, Teil 3), S. 93–112. Trotz einiger von Todd 1966 kritisierten Druckfehler und Inkonsequenzen bei Heinze bleibt diese Ausgabe immer noch die maßgebliche Edition, zumal eine kritische Neuausgabe nicht in Sicht ist. Deshalb wird auch in der internationalen Forschung nach ihrer Seiten- und Zeilenzählung zitiert. Bei kursiv gesetztem Text handelt es sich um Stellen aus De anima, die Themistios im Wortlaut aufgreift. Hierbei soll die enge Verzahnung von Referenztext und Paraphrase gezeigt werden, ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Der Nachweis der zitierten Stellen erfolgt nach der Ausgabe von Ross 1956. – Für seinen fachlichen Rat, der in vielen Anmerkungen und in der Übersetzung seinen Niederschlag gefunden hat, möchte ich an dieser Stelle Herrn Prof. Busche danken.  2 Themistios bezieht sich hier (wie auch schon in 37, 4–6 seiner Paraphrase) auf Platons Dreiteilung der Seele und seine Lokalisation dieser drei Seelenkräfte in drei unterschiedlichen Regionen des Leibes (unsterbliche Seele im Kopf/sterbliche Seele im Herz/Affekte im Magen/ Leber/Unterleib); vgl. Platon, Tim. 69c ff. u. 89e ff.  3 Vgl. an. III 4, 429a10–13.  4 Themistios hatte dies bereits 87, 17 f. zur Sprache gebracht.  5 An. III 4, 429a13–14.  6 Qs ὡς bietet die Lesart »in höchstem Grad«.  7 Dieser Satz enthält bereits die Lösung der Aporie, die Themistios später (an. paraphr. 97, 8 ff.) wiederholt. Sie findet sich schon bei Alexander von Aphrodisias, an. 85, 1–5 Bruns.  8 Vgl. Themistios, an. paraphr. 98, 6 und 115, 8 f.  9 An. III 4, 429a15–18. 10 An. III 4, 429a18. 11 An. III 4, 429a18–21. Ähnliche Ausführungen bei Alexander von Aphrodisias, an. 84, 14–24 = Fotinis 1978, Nr. 3.11, der den Geist, sofern er die Ideen rezipiert, als »materialen Intellekt« (νοῦς ὑλικός) bezeichnet. 12 An. III 4, 429a21 f. 13 An. III 4, 429a22 f. 14 Themistios betont an dieser Stelle die Grenze zwischen Denken und Vorstellen. Aristoteles dagegen betont ihre Verbindung: an. III 3, 427b27 f.; an. III 7, 431a16 f.; an. III 8, 432a8 f. Vermutlich hat Themistios



Themistios: Paraphrase zu De anima III 4–6

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hier schon den potentiellen Geist vor Augen; die genannten Passagen aus an. würde er vermutlich auf den κοινὸς νοῦς (– das individuelle Bewusstsein) beziehen. Zur Vorstellung vgl. Hahmann 2016, 177–192. 15 Zur Erläuterung des von Aristoteles intendierten Sinnes vgl. Hahmann 2016, 196–199. 16 An. III 4, 429a24 f. 17 Auf das gegen die KNG-Kongruenz verstoßende ὑπάρχοντα wird hier verzichtet. 18 An. III 4, 429a30. 19 An. III 4, 429b1  f. 20 An. III 4, 429a27 f. 21 An. III 4, 429a28. 22 So Aristoteles’ klassische Definition des Ortes phys. IV 4, 212a20 f. 23 Ähnliche Ausführungen bei Alexander von Aphrodisias, an. 85, 5–10 = Fotinis 1978, Nr. 3,13. – Themistios weicht in diesem Passus gleich zweifach vom aristotelischen Text ab. Erstens reserviert Aristoteles im genannten Textabschnitt den Ausdruck »Ort der Formen« ausschließlich für die Geistseele, ohne ihn auf die Sinnenseele auszudehnen, wie Themistios dies tut. Zweitens findet sich bei Aristoteles auch keine Kritik eines angeblich unstatthaften metaphorischen Sprachgebrauchs. Im Gegenteil hat man an mehreren Stellen des Corpus Aristotelicum den Eindruck, dass Aristoteles, indem er den »Anfangspunkt« der Seele ja durchaus im Herzen lokalisiert, damit auch der Seele mittelbar einen »Ort« im Leib zuschreibt. So heißt es z. B. an. I 4, 408b15–18, dass die affizierende Bewegung bei der Wahrnehmung »zur Seele hin« verläuft, bei der Erinnerung dagegen »von ihr weg« verläuft. Nach Juv. 1, 469a5 f. u. 25–27 liegt »der Ansatzpunkt der Sinnenseele und der Nährseele im Herzen (ἀρχὴ τῆς αἰσθητικῆς καὶ τῆς θρεπτικῆς ψυχῆς ἐν τῇ καρδίᾳ)«, und nach mot. an. 9, 702b16 f., auch der »Anfangspunkt der ortsbewegenden Seele (ἀρχὴ τῆς ψυχῆς τῆς κινούσης)«. 24 Die Metapher vom Erjagen (θηρεύειν) des Allgemeinen verwendet auch Aristoteles selbst in an. post. I 31, 88a3, wohl in Übernahme von Platon, Phaed. 66a3 und 66c2. 25 Man vergleiche diese Darstellung der Entwicklung des materiellen oder möglichen Geistes zum habituellen oder erworbenen Geist mit den entsprechenden Ausführungen bei Alexander von Aphrodisias, an. 85, 10–86, 14. 26 Dieser Gedanke ist nicht aristotelisch. Für Aristoteles ist der Geist ein Vermögen, nämlich die Fähigkeit, das gedanklich Allgemeine zu er-

882 Anmerkungen

fassen. Er ist zwar während des Denkens selbstverständlich mit seinen gedachten Gegenständen identisch, bleibt aber darüber hinaus die Kraft ihrer Produktion. Themistios dagegen, wie auch schon Alexander von Aphrodisias (an. 88, 1 f.), tendieren dazu, das Vermögen selbst (δύναμις) auf die von ihm hervorgebrachte Leistung (ἔργον) zu reduzieren. Wie Themistios zu behaupten, dass das Vermögen »nichts anderes« als die von ihm erzeugten Leistungen sei, wäre für Aristoteles ähnlich ungereimt wie zu behaupten, dass eine Schreibtafel nichts anderes sei als ihre Schriftzeichen. 27 Vgl. Alexander von Aphrodisias, an. 86, 5 und 86, 20–26. 28 Vgl. Alexander von Aphrodisias, an. 88, 5–9. 29 Diese Abgrenzung leistet Themistios erst an. paraphr. 113, 32–114, 30, also nicht mehr in dem hier gebotenen Text. 30 An. III 4, 429a18 f. – Im Folgenden geht es um den Unterschied zwischen dem konkreten, individuellen Einzelding und seinem allgemeinen, arttypischen Wesen, das in der begrifflichen Definition als Wesensbegriff oder »einsehbare Form (εἶδος νοητόν)« gedacht wird. Der Unterschied entspricht nach Aristoteles, cat. 2a/b der Differenz zwischen »erster Substanz« und »zweiter Substanz«. 31 Vgl. Alexander von Aphrodisias, an. 87, 8–11. 32 Bei den Dingen, auf die der im ersten Teil des Absatzes erläuterte Gegensatz nicht zutrifft, handelt es sich um solche, die selbst nicht am Prinzip der Materialität teilhaben, so dass ihre Exemplare auch nicht aus Form und Materie zusammengesetzt sein können. So existiert etwa ein mathematischer Punkt (anders ist es beim physischen Punkt, d. h. einem für das Auge winzigen Fleck) nicht als ein von seinem allgemeinen Wesen oder Muster unabhängiges Individuum, und jeder mathematische Punkt ist einem anderen gleich. Ähnlich ist es bei immateriellen Entitäten wie z. B. der Wissenschaft. Auch wenn wir nach Aristoteles selbstverständlich einen Körper brauchen, um Wissenschaft überhaupt erwerben zu können, ist doch Wissenschaft selbst kein materielles Individuum. Vgl. Alexander von Aphrodisias, an. 87, 16–23. 33 Eine solche Verbindung der Eigenschaften »weiß« und »süß« findet sich in an. III 1, 425a21–27, wo Aristoteles von der κοινὴ αἴσθησις handelt. 34 An dieser Stelle führt Aristoteles eine dritte, reflexive Erkenntnisart ein. Sie erfasst den Unterschied zwischen der sinnlichen Wahrnehmung, durch die aufgrund sinnlicher Merkmale Substanzen vonein­ ander unterschieden werden, und dem Denken, durch das das Wesen des Wassers begrifflich erfasst wird. Diese reflexive Erkenntnisleistung



Themistios: Paraphrase zu De anima III 4–6

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schreibt Aristoteles dem Geist zu, der die Differenz von αἰσθητόν-Sein und νοητόν-Sein wiederum zu einem νοητόν macht. 35 Diese stark erläuternde Übersetzung ist hier angebracht, damit der in Anm. 34 erklärte Sinn dieser Überlegung deutlich wird: Wenn das gesuchte Erkenntnisvermögen den Unterschied zwischen sinnlich Erfasstem und Gedachtem seinerseits denken soll, muss es Zugang sowohl zur sinnlichen als auch zur geistigen Erkenntnisquelle haben. Da das sinnliche Erkenntnisvermögen eo ipso unfähig ist, die Leistungen des geistigen Erkenntnisvermögens zu erfassen, kommt nur die umgekehrte Hypothese in Frage, dass es der Geist ist, der den Unterschied zwischen beidem erfasst. Dann aber muss der Geist einen Zugang zur sinnlichen Wahrnehmung haben. Dieser Zugang kann jedoch kein direkter sein, da das geistige Vermögen keine unmittelbare Beziehung zur sinnlichen Wahrnehmung hat. Wie Themistios hier sehr treffend erkennt, kann es dann nur die Vorstellungskraft (φαντασία) sein, die zwischen Wahrnehmung und Denken vermittelt. 36 Die von Aristoteles freilich nur angedeutete Pointe bei seiner Analogie zwischen mathematischer Linie und geistiger Tätigkeit geht in Themistios’ Paraphrase verloren. Wie Themistios selbst wenige Sätze später einräumt, vergleicht Aristoteles (anders als Platon) die Aktivitäten des Geistes mit unterschiedlichen Linien. Aristoteles dürfte mit an. III 4, 429b15–18 intendieren, dass sowohl die sinnliche Wahrnehmung (die z. B. Wasser erkennt) als auch das geistige Verstehen (das z. B. das Wasser-Sein erkennt) jeweils »auf einer geraden Linie« (nämlich im Sinne der intentio recta) ihre spezifischen Objekte erfassen, dass hingegen der Geist, der auf den Unterschied zwischen sinnlich Erfasstem und Gedachtem reflektiert und beide heterogene Erkenntnisquellen vergleicht, sich auf einer »gebrochenen«, nämlich im Sinne der intentio obliqua reflektierten Linie auf beides bezieht. Wie dagegen Themistios den Unterschied zwischen beiden Arten von Linien hier genau versteht, bleibt unklar. Dass nämlich der Geist in dem Falle, dass er sich dem Materiellen, Sinnlichen, Zusammengesetzten zuwendet, einer geraden Linie gleicht, in dem Falle aber, dass er sich dem Einfachen, Immateriellen zuwendet, einer gekrümmten Linie, scheint ebenso wenig nachvollziehbar wie die umgekehrte Deutung, die z. B. bei den Übersetzungen von Barbaro 1499 (Lohr 1978, 93v), von Schroeder/Todd 1990, 83, und von Todd 1996, 129, vorgezogen wird. 37 Platon, Tim. 37b7 u. c2. Die geradeauslaufende Drehung steht für den Geist, der sich auf die sinnlichen Dinge, die das Andere seiner selbst bilden, bezieht; die glattlaufende Kreisdrehung dagegen steht für die

884 Anmerkungen

rein geistige Erkenntnis, die im Denken bei sich selbst bleibt und insofern ›in sich selbst kreist‹. 38 Gemeint ist hier die »intelligible Materie (ὕλη νοητή)« des mathematischen Raumes, die der »sinnlich wahrnehmbaren Materie (ὕλη αἰσθητή)« gegenübergestellt wird (metaph. VII 10, 1036a9 ff.). 39 An. III 4, 429a18 f. 40 Dass Themistios Anaxagoras hier bloß eine Ahnung oder Vermutung des Richtigen zubilligt, lässt bereits erkennen, dass er zugleich auch die Falschheit oder zumindest Einseitigkeit der hier referierten Teilthese erkennt, wie er auch wenig später begründet. Für Aristoteles selbst ist nämlich der Geist nicht »unvermischt mit aller Materie« überhaupt, sondern nur »unvermischt mit dem Körper« (an. III 4, 429a24 f.), in dem er aktiv ist. Entsprechend problematisiert Themistios (wie schon Aristoteles selbst in dem paraphrasierten Text) im Anschluss die Annahme, dass etwas völlig Immaterielles zugleich zwecks Aufnahme von Formen affiziert werden, d. h. Impulse erleiden können soll. Diese Aporie diskutiert Themistios auch in an. paraphr. 23, 26–31, 46, 36 f. und 83, 8–10 (nicht in unserem Text). 41 An. III 4, 429b24 f. 42 An. III 4, 429b25 f. 43 Themistios referiert hier etwas frei die Worte von Aristoteles in an. I 3, 407b17–24, denen zufolge der Hylemorphismus gemäß gen. corr. I 7, 323b29–324a5 mittelbar auch für das Verhältnis von Körper und Seele gelten muss. 44 Gemeint sind die Ausführungen an. paraphr. 94, 5–95, 5. 45 Gemeint ist an. paraphr. 94, 17 f. u. 29. 46 An. III 4, 429b30 f. 47 Diese Begründung für die Sonderstellung des Geistes überzeugt natürlich nicht. Denn auch das Wahrnehmungsvermögen ist in Wirklichkeit nichts von den sinnlich erfassbaren Gegenständen, bevor es wahrnimmt. 48 S. o. an. paraphr. 94, 19–27; dort lautete die Formulierung allerdings, dass der Geist »keine bestimmte Form« haben könne. Themistios befindet sich hier in Widerspruch zu Aristoteles selbst, der an. I 4, 408b18 f. hypothetisch annimmt: »Der Geist aber scheint eine bestimmte Substanz zu sein, die [in den Körper] hineinkommt und nicht vergeht.« Auch gen. an. II 3, 736b29–33 ordnet er dem Geist eine »höhere Natur« zu und erläutert: »Das Vermögen (δύναμις) einer jeden Seele scheint mit einem anderen Körper vergemeinschaftet zu sein, der gött-



Themistios: Paraphrase zu De anima III 4–6

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licher ist als die sogenannten Elemente. Wie sich aber die Seelenarten voneinander unterscheiden durch ihren höheren und niederen Rang, so unterscheidet sich auch ihre Natur (φύσις).« 49 An. III 4, 430a1 f. Diesen Vergleich benutzt Platon, Theaet. 191c8–e1. Alexander von Aphrodisias kommentiert ihn ausführlich, wobei er den Vergleich so deutet, dass der Geist nicht der Wachstafel, sondern ihrer Geeignetheit, beschrieben zu werden, zu vergleichen sei, offenbar, um die Immaterialität des Geistes zu unterstreichen (an. 84, 24–85, 5). In der empiristischen Tradition benutzt diesen Vergleich John Locke, Versuch über den menschlichen Verstand, Buch II, 1. Kapitel. 50 Vgl. an. III 4, 430a2. 51 Vgl. an. III 4, 429a22–24, wobei Themistios diese Aussage auf den potentiellen Geist bezieht. 52 Geist (νοῦς) ist nur in Cs bezeugt. 53 Ich folge der Lesart τά (Cs); die übrigen Handschriften bieten καί. 54 Anders als Themistios kann Aristoteles betonen, dass Denken und Erleiden zusammengehören: Denken »dürfte, ähnlich wie das Wahrnehmen, entweder ein Erleiden von Seiten des denkbaren Gegenstandes sein oder etwas anderes von dieser Art« (an. III 4, 429a13–15). 55 S. u. an. paraphr. 98, 35. 56 Themistios behandelt die durch Vernunft geleiteten Affekte ausführlich an. paraphr. 107, 7–29. 57 Vgl. Alexander von Aphrodisias, an. 87, 24–88, 16. 58 Mit dieser Bemerkung gibt Themistios zu erkennen, dass seiner Auffassung nach Aristoteles in an. III 4 ausschließlich über den möglichen (hyleartigen) und nicht über den wirkenden (ursacheartigen) Geist geschrieben hat. Themistios identifiziert den Geist, von dem Aristoteles in Kapitel 5 handelt, der reine Aktualität und Geist und zugleich Denkbares ist, mit dem wirkenden Geist. 59 Die Überschrift lautet in Übersetzung: Des Themistios (Paraphrase) über die Seele, sechste Abhandlung. Insgesamt ist die Paraphrase des Themistios in sieben Abhandlungen unterteilt. 60 Todd 1974, S. 213 f., belegt am Beispiel Alexanders, dass der von Aristoteles gebrauchte Terminus »Vervollkommnung (τελειότης)« in der späteren griechischen Philosophie ein übliches Äquivalent für »Form (εἶδος)«, für »tätige Verwirklichung (ἐνέργεια)« sowie für das »vollendete Innehaben von erworbenem Potential (ἐντελέχεια)« bildet. – Im Hintergrund dieser Bemerkung des Themistios steht vermutlich Alexanders entwicklungspsychologische Nūs-Lehre. Alexander

886 Anmerkungen

schreibt allen Menschen einen potentiellen Geist (δυνάμει νοῦς) zu, der auch als νοῦς ὑλικός bezeichnet werden kann. Durch Üben und Lernen kann er sich zu einer Hexis und sogar zu einem νοῦς ἐπιστημονικός und θεωρητικός entwickeln. Da die meisten Menschen zu einer gewissen Kenntnis des Allgemeinen gelangen, schreibt Alexander ihnen einen κοινὸς νοῦς zu (an. 81, 22–82, 15). Themistios identifiziert seinerseits Alexanders νοῦς θεωρητικός mit dem νοῦς κατ᾽ ἐνέργειαν (wirklichen Geist) und versucht, Alexanders entwicklungspsychologisches Schema in sein Modell der Aktualisierung des potentiellen Geistes durch den wirkenden zu integrieren. 61 Vgl. Aristoteles, an. III 5, 430a14–15. 62 Es fällt auf, dass Themistios bei seiner Paraphrase dieser berühmten Sätze es – jedenfalls zunächst bis 99, 11 – gänzlich vermeidet, das dort von Aristoteles zugrunde gelegte Gegensatzpaar von Form und Materie (bzw. Material) zu verwenden. Stattdessen lässt er die Argumentation ganz über das Gegensatzpaar von Möglichkeit (Vermögen) und Vervollkommnung laufen und entfernt sich hierdurch auch von der naturphilosophischen, d. h. alles aus naturalen Faktoren erklärenden Argumentationsform des Aristoteles. – Ähnliche Ausführungen bei Alexander von Aphrodisias, an. 88, 17–24. 63 Themistios bezieht sich hier auf den in Aristoteles, metaph. IX 8, 1049b23–27 erläuterten Grundsatz, dass bei allen Veränderungen zwar die stofflichen Möglichkeiten hierfür zugrunde liegen müssen, der Zeit nach früher jedoch ein wirkliches, tätiges Prinzip existieren muss, das die schlummernden Potentiale in die Wirklichkeit überführt. 64 Vgl. an. III 5, 430a17–18. 65 Vgl. an. III 5, 430a15–17. 66 Im griechischen Original steht hier, wie auch an vielen anderen Stellen, ein Aorist. 67 Themistios verwischt die aristotelische Trennung zwischen wirklichem Geist als Endstufe einer Entwicklung und wirkendem Geist als naturphilosophischem Erklärungsprinzip. Möglicherweise ist dies durch den entwicklungspsychologischen Ansatz veranlasst, wonach der wirkende Geist Ursache und Endprodukt ist, wobei der wirkende Geist den potentiellen völlig durchdringt (100, 35–37). 68 Vgl. Alexander von Aphrodisias, an. 89, 1–7. 69 Der an dieser Stelle erstmalig auftauchende Ausdruck lässt ebenfalls vermuten, dass Themistios den wirklichen Geist (ἐνεργείᾳ νοῦς) mit dem wirkenden Geist (ποιητικὸς νοῦς) gleichsetzt.



Themistios: Paraphrase zu De anima III 4–6

887

70 Auch diese Stelle ist ein deutlicher Beleg dafür, dass Themistios den

wirkenden Geist gerade nicht als eine Wirkursache auffasst, sondern als eine Formursache. Wenn das eine angemessene Auslegung des Aristoteles wäre, so müsste man freilich an diesen zurückfragen, woher denn der wirkende Geist seine Kunst hat, so dass man konsequenterweise auf ein noch höherrangiges Prinzip verwiesen würde, welches Ursache der Kunst ist. Vgl. hierzu Busche 2001, S. 27–32. – Kurfeß 1911, S. 23, hat sicherlich richtig bemerkt, dass Themistios bei der »näheren Darstellung des Verhältnisses zwischen dem möglichen und dem wirkenden Nūs […] unklar« sei. Seine Vermutung, dass »die Verworrenheit in vielen Punkten […] daraus zu erklären« sei (S. 23, Anm. 26), dass der Text durch Glossen späterer Erklärer erweitert wurde, verdient nach wie vor Beachtung. 71 Ergänzung nach Todd 1996, S. 187, Anm. 7 gemäß Browne. 72 Nach Aristoteles, phys. II 8, 199b28–30 ist die hier von Themistios beschriebene Immanenz einer Kunst (τέχνη) im Material gerade das Spezifikum der lebendigen, auf natürliche Zwecke hin ausgerichteten Natur (φύσις), während bei der von Menschen beherrschten Kunst diese ihrem Material äußerlich bleibt. 73 Die Stelle zeigt erneut Themistios’ Aufassung des wirkenden (bzw. des wirklichen) Geistes als einer selbst nicht materiellen Formursache wie der Kunst. Denn eine Kunst, wie jede Form, die an der Materie hängt, kann sich nicht wirklich von dieser Materie abtrennen; nicht einmal die Seele als substantielle Form des Leibes kann das. Die Pointe der aristotelischen Geistlehre besteht demgegenüber gerade darin, dass der sog. wirkende Geist, auch wenn er zu Lebzeiten zusammen mit dem leidenden Geist (nach Themistios: mit dem möglichen Geist) ein Kontinuum bildet, doch ein vom leidenden Geist real unterschiedenes, selbständiges Prinzip ist, das sich nach dem Tod wieder »abtrennen kann wie das Ewige vom Vergänglichen« (an. II 2, 413b26 f.). 74 Zu beachten ist, dass Themistios den wirkenden Geist nicht mit Gott identifiziert, sondern nur als gottähnlich bezeichnet. Dementsprechend weist er im Folgenden die Identifikation des wirkenden Geistes mit Gott ausdrücklich zurück (an. paraphr. 102, 30 ff.). 75 Vgl. an. III 4, 430a18 f. sowie Alexander von Aphrodisias, an. 89, 19–21. 76 S. o. an. paraphr. 95, 19–23, 31 f.; 97, 34–37; 98, 8 f. 77 Vgl. an. III 4, 430a19 f. 78 Es scheint wichtig, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass Themistios hier und im Umfeld zwar strenggenommen stets nur dem wir-

888 Anmerkungen

kenden Geist (den er mit dem wirklichen Geist gleichsetzt) beide in Rede stehenden Momente zuspricht, dass er jedoch diese Momente ungleich verteilt: Während der wirkende Geist stets als aktives Prinzip, als Kunst bzw. Künstler, eben als Geist oder, modern gesprochen, als Subjekt konzipiert wird, schreibt ihm Themistios nur insofern eine passive Seite zu (die ihn zu einem internen, denkbaren Objekt macht), als er mit dem möglichen Geist zu einer Einheit verschmolzen ist. 79 Vgl. an. III 4, 430a20 f. 80 S. o. Anm. 60. 81 Schroeder/Todd 1990, S. 92 (Anm. 72), und Todd 1996, S. 134 (Anm. 9a) ziehen an dieser Stelle statt der überlieferten Lesart »auf diese Weise ist der Geist (οὕτως νοῦς)« das in den arabischen Übersetzungen belegte »dieser Geist (οὗτος νοῦς)« als textus receptus vor. 82 An. III 5, 430a17 f. 83 An. III 5, 430a22. 84 Vgl. an. III 5, 430a22. 23 – Offensichtlich will Themistios hier zum Ausdruck bringen, dass der wirkende Geist auch in Verbindung mit dem potentiellen sein genuines Denken beibehält. 85 Vgl. an. III 5, 430a23. 86 Nicht ganz wörtlich nach an. III 5, 430a18. 87 Nämlich von Möglichkeit zu Wirklichkeit und umgekehrt. 88 An. I 4, 408 25b25 f. 89 Mit dem hier beginnenden neuen Abschnitt unterbricht Themistios seine Paraphrase und fügt einen Exkurs mit eigenen Überlegungen ein, der sich bis zum Ende des Absatzes (101, 4) erstreckt. Der Exkurs dient der Klärung der Frage, in welchem Sinne man sagen kann, dass wir mit dem möglichen bzw. mit dem wirklichen Geist identisch sind. 90 Diese Stelle ist insofern bemerkenswert, als dass das Pronomen »ich« vermittels des bestimmten Artikels substantiviert wird.  91 Themistios vertritt die These, dass die Tätigkeiten des Denkens und Schreibens aus der individuellen Verbindung des wirkenden bzw. wirklichen mit dem potentiellen Geist resultieren. Folglich kann man gemäß Themistios zwar nicht sagen, dass der wirkende Geist für sich genommen denkt und schreibt, wohl aber, dass er gleichsam das Subjekt allen Denkens und Schreibens ist.  92 Ich folge der Konjektur von Heinze, der εἶναι ἐμοὶ zu ἐμοὶ εἶναι umstellt. Der überlieferte Text lautet übersetzt: »Das Sein (kommt) mir von der Seele her…«  93 Mahoney 1973, S. 428, Anm. 27, und Mahoney 1982a, S. 169, Anm. 1,



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889

weist auf Parallelen zwischen dieser Hierarchie von Form-Material-­ Rela­t ionen und einer entsprechenden Aufgipfelung bei Plotin hin.  94 An. III 8, 432a2.  95 Ich folge hier Ηeinze, der wiederum der Handschrift P folgt.  96 Vgl. an. III 5, 430a23 f.  97 An. III 5, 430a23 f.  98 In an. paraphr. 105, 13 wird diese Frage erneut aufgeworfen und beantwortet, als sei dies im Text vorher noch nicht geschehen.  99 Gemeint ist an. I 4, 408b28 f. Themistios leitet den von ihm hier ins Spiel gebrachten κοινὸς νοῦς aus dem an der angegebenen Stelle gebrauchten Neutrum τὸ κοινόν ab, das das aus Leib und Seele bestehende Lebewesen, den Menschen, bezeichnet. Da der νοῦς παθητικός das individuelle Bewusstsein des Menschen als seelisch-leiblicher Einheit bezeichnet, kann Themistios beide Wörter als Synonyme behandeln. In der entsprechenden Paraphrase zu an. I 408b18–29 stellt Themistios keinen Bezug zu an. III 5 her. Er betont vielmehr den vorläufigen Charakter dieser Passage (an. paraphr. 30, 34–38). Der an. paraphr. 29, 34 zitierte Text zeigt, dass Themistios das Relativpronomen im Neutrum gelesen hat, wie es auch im heutigen textus receptus zu finden ist. 100 Heinzes Konjektur βεβαιωτέον zeugt von Unbehagen an dem handschriftlich überlieferten Ausdruck, ist aber nicht zwingend. Als Übersetzung ergibt sich, falls die Konjektur übernommen wird: »Nun müssen wir dies feststellen, dass…«. 101 An. III 5, 430a23–25. 102 Vgl. Todd 1996, S. 187, Anm. 18. 103 Diese Übersetzung macht eine Umstellung des überlieferten Textes erforderlich. Das Original ergibt die Übersetzung: »der Worte selbst«. 104 Das folgende, fast wörtliche Zitat umfasst an. I 4, 408b25–29. – Gemäß 101, 27 ff. versteht Themistios unter dem »Gemeinsamen« bzw. dem »gemeinsamen Geist« und dem »leidensfähigen Geist« (νοῦς παθητικός) dasselbe, nämlich den Menschen als seelisch-leibliche Einheit. 105 Das folgende Zitat umfasst an. III 5, 430a21–25. 106 »In« (ἐν) findet sich in keiner Handschrift von De anima, wird aber durch die folgende Wiederholung des Zitates gestützt. 107 Diese ersten Worte zieht Themistios in einer irreführenden Weise in das Zitat hinein, obwohl sie sachlich noch zu einem anderen Argument gehören. 108 Todd 1996, S. 188, Anm. 24 fügt vor »geradezu« ein »fast« ein.

890 Anmerkungen

Diese Konjektur wird zwar durch eine Parallele gestützt, macht die Konstruktion aber umständlich. Gegen sie spricht, dass Themistios betont, dass beide Aussagen sich inhaltlich decken. 109 An. I 4, 409a29. 110 An. I 4, 408b27–29. 111 An. I 4, 408b27–29. 112 Entsprechend dem zuvor Gesagten in 101, 10 muss an dieser Stelle, wie schon Moraux 1987a, S. 324, Anm. 137, bemerkt hat, das eigentlich Tadelnswerte über den Text hinaus ergänzt werden. (Moraux liest deshalb statt καί vielmehr κακῶς) Da der Vorwurf weder darin liegen kann, dass Aristoteles hier ein Problem aufgeworfen hat, noch darin, dass er einen diesbezüglichen Lösungsvorschlag unterbreitet hat, steht zu vermuten, dass Themistios hier den Vorwurf einiger Interpreten referieren will, Aristoteles habe eine implausible Lösung vorgeschlagen. Wer diese Kritiker sind, ist in der Forschung ungeklärt. 113 Todd 1996, S. 188, Anm. 26 vermutet Porphyrios als Quelle dieser Fragestellung. 114 An. I 4, 408b28 f. 115 An. III 5, 430a23–25. 116 Man kann sich an dieser Stelle fragen, was mit diesem Ergebnis der langen Überlegungen wirklich gewonnen ist – einem Ergebnis, das zwar einerseits einem »wir« eine personale Unsterblichkeit zuschreibt, diesem aber andererseits jedes individuelle Gedächtnis bzw. jede Erinnerung abspricht. In diesem Sinne ziehen auch Schroeder/Todd 1990, S. 99, Anm. 104, folgendes Fazit: »But if the ›we‹ that survives is identical with the productive intellect, and has no bodily or psychological continuity with its previous state, it is questionable whether the personal pronoun can be used to refer to anything.« Umgekehrt halten sie für die eigentliche, wahre These des Aristoteles völlig zu Recht diejenige, die etwa auch Rist 1966, S. 15, folgendermaßen formuliert: »We do not remember after death because ›we‹ do not survive«. 117 Themistios kürzt hier das Original. Aus »über den Geist und die betrachtende Fähigkeit« wird »Über den betrachtenden Geist«. 118 An. II 2, 413b24–27. Der Kontroverspunkt, um den es Aristoteles in diesem Kapitel geht und der hier noch nicht »klar«, d. h. systematisch geklärt sein kann, betrifft die Frage, inwieweit die Vermögen der Seele »nicht nur dem Begriffe nach, sondern auch dem Ort nach abgetrennt«, d. h. innerhalb des Leibes voneinander abgrenzbar sind (413b14 f.). Die im Haupttext oben gegebene Übersetzung trägt der herrschenden Deutung



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dieser Stelle Rechnung. Möglich, ja sogar sachlich angezeigt wäre aber auch, dass Aristoteles Folgendes meint: Der betrachtende Geist »scheint vielmehr in eine andere Gattung zu fallen als die Seele« (vgl. Hicks 1907, S. 326f). Ist doch der Geist nach Aristoteles’ ausdrücklicher Erklärung nicht einfach identisch mit der Geistseele selbst, sondern vielmehr derjenige Teil, »mit dessen Hilfe die Seele nachdenkt und Annahmen vollzieht« (an. III 4, 429a23), genauer »der Teil der Seele, mit dessen Hilfe die Seele Einsicht hat und überlegt« (an. III 4, 429a10). 119 An. I 4, 408b27–29. 120 An. III 5, 430a23–25. 121 Themistios bezieht sich hier auf an. III 5, 430 15, so dass δύναμις hier nicht als bloße Möglichkeit, sondern als das spezifische Vermögen des wirkenden Geistes verstanden werden muss, »alles zu wirken«. Aristoteles selbst schreibt hier dem wirkenden Geist eine ἕξις zu (d. h. einen »Habitus« oder eine »Disposition«), die gerade nicht für die Möglichkeit, sondern für die Tätigkeit des wirkenden Geistes steht – eine Tätigkeit, die dort zudem mit der spezifischen ἕξις des Lichtes verglichen wird. 122 Die Parallelstelle an. paraphr. 108, 25 spricht sehr stark für diese Identifizierung des »ἐκείνῳ« mit dem wirkenden Geist, während an der Stelle an. paraphr. 98, 34 von einer Verbindung mit der Seele die Rede ist. 123 So in gen. an. II 3, 736b28; 737a7–13 sowie an. I 4, 408b18 f. 124 So insbesondere an. I 4, 408b18 f. und III 5, 430a23. 125 Fortenbaugh et al. 1992, S. 92/93 (320B). 126 Wer diese Interpreten sind und welcher Schule sie angehören, ist ungewiss. 127 Das Attribut »göttlich« wird nicht in an. III 5 gesetzt; als »ohne Erleiden von Einwirkungen« wird der Geist 430a18 bezeichnet. 128 Vgl. an. III 5, 430a18. 129 An. III 5, 430a23. 130 An. III 5, 430a17. 131 Todd 1996, S. 188, Anm. 35 führt hierzu Alexander von Aphrodisias, an. 88, 17–91, 16 als Referenztext an. Allerdings identifiziert Alexander den wirkenden Geist hier nicht mit dem ersten Gott, sondern bezeichnet ihn nur als erste Ursache (89, 19) bzw. als Geist im eigentlichen Sinne (89, 19). Vgl. hierzu Schramm 2008, S. 183–188 und S. 208–217. 132 An. III 5, 430a10–15. 133 Gemeint ist an. paraphr. 102, 11–13 zu an. II 2, 413b24–27. Zur Erläuterung s. o. Anm. 118.

892 Anmerkungen 134 An.

III 5, 430a23. 135 Metaph. XII 8, 1073a14 ff. In diesem Kapitel untersucht Aristoteles unter Zuhilfenahme der Kosmologie des Eudoxos von Knidos die Anzahl der unbewegt bewegenden Wesen des Himmels. Das in den Handschriften überlieferte Verb (hier durch »lässt« wiedergegeben) überzeugt nicht, die Lesart von Qs, παραιτεῖται (lehnt ab), hilft nicht weiter und ist in Q2 durch ein ου emendiert, so dass eine Litotes entsteht (lehnt nicht ab = bejaht). 136 An. III 5, 430a23. Themistios versteht diese Aussage vermutlich im Sinne eines pars pro toto: Nicht die ganze Seele ist unsterblich, sondern die zuvor erwähnte »andere Art von Seele«, also der wirkende Geist. 137 Schroeder/Todd 1990, S. 103, Anm. 117, weisen darauf hin, dass es sich hier nicht um ein exklusives Entweder-Oder handelt. Vielmehr nennt Themistios selbst den wirkenden Geist teils »zu uns gehörig« (101, 16), teils aber »uns« (101, 9 f.; 102, 6 f.). 138 Nämlich in an. III 5, 430, 15–17. 139 Themistios verwendet hier den Ausdruck »ἀποκλήρωσις«, der eine Wahl nach dem Los bezeichnet, die das Gegenteil einer rationalen Entscheidung nach Gründen darstellt. Denn wenn es viele individuelle Exemplare von wirkendem Geist gäbe, deren Unterschiedenheit voneinander (wegen ihrer Immaterialität) nicht aus der Materie erklärt werden kann, ließe sich kein einsehbarer Grund ihrer Individualität erkennen, so dass diese wie durch den blinden Zufall eines Losentscheids zustande kommen müsste. 140 Ob Themistios hier ein echtes Problem formuliert, ist schwer zu sagen. In an. III 4, 429a18 kann mit dem Geist, der »alles denkt«, nicht der leidende Geist gemeint sein, sondern nur der wirkende, da dort derselbe Geist auch als »unvermischt« qualifiziert wird. Doch selbst wenn Aristoteles an der genannten Stelle tatsächlich den leidenden Geist gemeint haben sollte, dürfte er dann keineswegs behaupten wollen, dass dieser Geist »schlechthin sämtliche Gegenstände erfasst« (was ja absurd wäre), sondern lediglich dies, dass er fähig ist, alle jene Formen aufzunehmen, die von einem Individuum kontingenterweise gedacht werden. 141 Mit dieser Frage bringt Themistios ein neues Modell ins Spiel: Ein wirkender Geist erleuchtet eine Vielzahl von wirkenden Geistern, die ihrerseits potentielle Geister erleuchten. Diese wirkenden Geister, die je einem potentiellen zugeordnet sind, der wiederum zu einem individuel-



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len Bewusstsein (κοινὸς νοῦς/νοῦς παθητικός) gehört, könnten im Sinne eines individuellen Daimonions zu verstehen sein (vgl. Szlezák 1979, S. 187). Zur Kontroverse, ob Themistios eher »polynoistisch« oder »mononoistisch« denkt, vgl. Verbeke 1957, S. XLIII f. sowie Martin 1966, S. 15. – Zu fragen ist bei diesem Modell allerdings, ob erleuchtete wirkende Geister nicht auch potentielle sind. Der Unterschied zu der an. paraphr. 103, 20 ff. erwogenen Alternative kann nur darin bestehen, dass Themistios nach einer Pluralität von gleichrangigen wirkenden Geistern fragt, ohne dass sie einem wirkenden Ur-Geist unterworfen sind. 142 An. III 5, 430a15. Themistios will offensichtlich sagen: Aristoteles hat das Licht und nicht die Sonne als Gleichnis herangezogen, weil das Licht gut als bipolare Metapher dienen kann, da es sowohl auf eine gemeinsame Quelle als auch auf die sich teilenden Lichtstrahlen verweist, wohingegen bei Platons Sonnengleichnis nur die Quelle selbst im Vordergrund steht. Themistios’ Begründung hat gleichwohl den Schönheitsfehler, dass Aristoteles mit der Licht-Analogie in an. III 5, 430a15 gar nicht das Verhältnis zwischen einem übergeordneten wirkenden Geist und den vielen gleichsam aus ihm ausstrahlenden untergeordneten Exemplaren von wirkendem Geist illustrieren will, sondern das reale Verhältnis zwischen wirkendem und leidendem Geist in jedem menschlichen Individuum. 143 Vgl. Platon, resp. 508a–509b. 144 Verbeke 1957, S. LI–LII, und Ballériaux 1943, S. 165–168, beziehen diesen Ausdruck auf allgemeine Begriffe, wie sie von den Stoikern angenommen werden. Anders Schroeder/Todd 1990, S. 105, Anm. 126, wonach hier »the same definitions and axioms as are identified in the next sentence« gemeint seien. 145 Πάθος, hier durch »Eindruck« wiedergegeben, ist eine Konjektur von Heinze, gestützt auf den textus receptus des Gorgias. 146 Es handelt sich um ein nahezu wörtliches Zitat: Platon, Gorg. 481c–d. 147 So z. B. Plotin in seiner Schrift mit diesem Titel, IV 9 [8]. 148 Themistios greift hier die an. paraphr. 103, 22 ff. interpretierte Analogie zwischen Licht und (wirkendem) Geist wieder auf. 149 »Entsprechendes« (τοιονδί) ist nur in C überliefert. 150 An. I 4, 408b21 f. 151 Themistios hatte die folgenden Überlegungen zur Differenz von Sinnesvermögen und Denkvermögen schon zuvor ausführlicher behandelt. S. o. an. paraphr. 94, 34 ff.

894 Anmerkungen 152 An

III 4, 429a29–429b5. 153 Diese Behauptung erscheint gleich doppelt anfechtbar. Erstens gehört es zur Pointe der Noetik des Aristoteles, dass es zu einem wirklichen Denken intelligibler Gehalte nur kommen kann, wenn der ursachenartige und der hyleartige Geist als zwei komplementäre Komponenten zusammenwirken. Demnach kann keine dieser Komponenten für sich allein eine intellektuelle Erkenntnisleistung verrichten. Zweitens spricht Aristoteles an dieser Stelle dem Geist explizit das Attribut der Abgetrenntheit zu, das er in an. III 5, 430a17 u. 22 eindeutig exklusiv für den wirkenden Geist reserviert; wenn man dies Attribut einseitig auf eine der beiden Komponenten verteilen wollte (was aber unmöglich ist), dann müsste es auf den wirkenden Geist bezogen werden. 154 Dieser für ihre extrem elliptische Kürze berüchtigten Wendung wird in der Forschung ein sehr unterschiedlicher Sinn verliehen. Von Schroeder/Todd 1990, S. 107, Anm. 132 wird die Ansicht vertreten, dass »the transition [from superior to inferior things]« gemeint sei. Uns scheinen diese Deutungen unbefriedigend, so dass wir oben eine Alternative vorschlagen. 155 An. III 4, 429a24 f. u. 26. – Themistios kürzt hier den Text des Aristoteles. Aus »oder wenn er auch irgendein Werkzeug sein sollte« (E) macht er »und dass er auch kein Werkzeug besitzt«. 156 An. III 4, 429a15 f. 157 Es scheint erneut angebracht, darauf hinzuweisen, dass Themistios Aussagen auf den möglichen Geist bezieht, die den wirkenden Geist betreffen. 158 So nur in C; PQ überliefern »den schöpferischen und unvergänglichen Geist«. Doch passt das Folgende nur zu der Themenangabe von C. 159 Die Metaphorik entlehnt Themistios Platon, resp. IV 435a. 160 An. I 4, 408b25–29. 161 An. III 4, 429a15 (bezogen auf das Denken); III 5, 430a18 (bezogen auf den wirkenden Geist). Themistios nimmt beide Attribute für den potentiellen Geist in Anspruch. 162 An. III 5, 430a17 (bezogen auf den wirkenden Geist; wieder überträgt Themistios das Attribut auf den möglichen Geist). 163 An. III 4, 429a15 f.; 24–26; 29 f. – Die Aneinanderreihung dieser Zitatstücke dokumentiert erneut, dass Themistios die Attribute des wirkenden Geistes auf den potentiellen überträgt. (1) Themistios ignoriert, dass Aristoteles an. III 4, 429a15 f. zunächst nur die Schwierigkeit formuliert, die ihn dann wenig später zur An-



Themistios: Paraphrase zu De anima III 4–6

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nahme zweier Komponenten des Geistes führen wird: Wenn das Denken analog zum Wahrnehmen verlaufen soll, dann muss der Geist (das Denkvermögen), ähnlich wie der Gemeinsinn (das Wahrnehmungsvermögen), einerseits »leidensunfähig« sein, d. h. aktiv oder wirkend, andererseits aber »aufnahmefähig für die denkbare Form«, d. h. passiv oder leidend. Es ist also keineswegs so, dass Aristoteles an dieser Stelle allein vom »möglichen Geist« spricht, wie Themistios behauptet. (2) Auch die Bemerkung an. III 4, 429a24–26, dass er »nicht mit dem Körper vermischt« sei und auch »kein körperliches Werkzeug besitze«, bezieht sich eindeutig auf die ursachenartige Komponente des Geistes und nicht auf den hyleartigen. Das geht klar aus an. III 5, 430a17 f. hervor, wo es direkt nach Einführung des wirkenden Geistes heißt: »Und dieser Geist ist abgetrennt, leidensunfähig und unvermischt«; aber auch aus an. III 5, 430a22–25, wo es heißt, dass der »leidensfähige Geist« vergänglich sei, wohingegen sein komplementäres Prinzip, also der wirkende Geist, »abgetrennt«, »unsterblich«, »ewig« und »leidensunfähig« sei. 164 Auch hier widerspricht es dem unbefangenen Textverständnis, wenn Themistios ernstlich behauptet, in diesem Kapitel gehe es Aristoteles um einen Vergleich des wirkenden Geistes mit dem möglichen und nicht mit dem leidenden. Heißt es hier doch ausdrücklich: »Denn stets ist das wirkende Prinzip ehrwürdiger als das leidende« (an. III 5, 430a18 f.). Und wenig später erfolgt die unmittelbare Antithese, dass zwar der ursachenartige Geist »leidensfrei ist, der leidende Geist hingegen vergänglich« (ebd. 24 f.). 165 Der Nominativ (»Wirklichkeit«) ist eine Konjektur von Heinze, die Handschriften bieten einen Dativ (»durch/aufgrund von Wirklichkeit«). 166 An. III 5, 430a14–19. 167 In den ersten beiden dieser Vergleiche entdeckt Ballériaux 1943, S. 217, Spuren von Themistios’ Lektüre des Plotin: V 1 [10], 6, 28–30 u. V 5 [32], 3, 8–13, die er für weitere Belege einer starken Prägung des Themistios durch den Neuplatoniker hält. 168 Tatsächlich behauptet Aristoteles an. I 1, 403a3–25 lediglich, dass derartige Affekte sowohl der Seele als auch dem Körper »gemeinsam« seien, während z. B. das »Denken (νοεῖν)« eine der Seele »eigentümliche« Tätigkeit sei, an welcher der Körper nicht beteiligt sei. 169 Diese Art von Argumentation zeigt, dass Themistios die mittel- und neuplatonische Annahme eines fundamentalen Konsenses zwischen Aristoteles und Platon teilt. »Themistius’ inclination to harmonize Plato and Aristotle and his desire to elucidate their original

896 Anmerkungen

meanings reflect, more than anything else, the preoccupations of the Middle Platonists« (Vanderspoel 1995, S. 21). – Das von Themistios im Anschluss präsentierte Zitat stammt aus Platon, Tim. 69c–e und weist mehrere Varianten zum Text von Burnet auf. Einige seien im Folgenden verzeichnet (Th – Themistios): μιμούμενοι › Th; ὄχημά τε πᾶν τὸ σῶμα ἔδοσαν › Th; τὸ θνητὸν + τῆς ψυχῆς Th; ἄλλην τοῦ σώματος οἴκησιν › Th. Sehr auffällig ist die Ergänzung von τῆς ψυχῆς, denn hierdurch wird aus dem »sterblichen Geschlecht« (gemeint ist das Menschengeschlecht) die »sterbliche Art der Seele«. Subjekt der von Platon genannten Tätigkeiten sind untergeordnete Helfer des Gottes. 170 Das Folgende ist ein wörtliches Zitat von Platon, Tim. 72d. 171 Vgl. Platon, Phaedr. 245c–246a. – Dieser Vorschlag des Themistios führt zu einem Widerspruch mit an. I 3 (405b31–406a4) und I 4 (408b30– 31), da Aristoteles dort gegen die (platonische) Ansicht polemisiert, dass die Seele sich bewege oder bewegt sei. Aristoteles schreibt der Seele nur eine akzidentelle Bewegung zu (408a30–33). 172 Vgl. Phaed. 72e–77; Phaedr. 249c1–4. 173 Vgl. Theaet. 176b; Phaed. 80a/b. 174 Vgl. fr. 38 Rose (106, 29–107, 5); fr. 2 Ross. In fr. 3 Ross wird behauptet, Aristoteles verkünde die Unsterblichkeit der Seele. 175 An dieser Stelle setzt Themistios wiederum den Geist, den Aristoteles selbst den παθητικὸς νοῦς nennt (an. III 5, 430a24 f.), mit jenem Geist, von dem Themistios annimmt, dass Aristoteles ihn an. I 4, 408b28 f. eingeführt habe, gleich. 176 Vgl. Aristoteles, eth. Nic. I 13, 1102b11 ff. und das Beispiel eth. Nic. VIII 7, 1149a25 f. 177 Dieses Argument, das Themistios an. paraphr. 109, 18–27 erläutern wird, nimmt bereits an. III 6, 430a31–430b1 vorweg. 178 Gemeint ist Zenon von Kition (336–263 v. Chr.), der Begründer der stoischen Schule. 179 In der Tat streben die (älteren) Stoiker nicht etwa, wie die Peripatetiker, eine Mäßigung der Affekte an, sondern deren Abtötung; vgl. Seneca, Epistula ad Lucilium 116, 1. Denn für die Stoiker sind die Affekte Fehler oder Verwirrungen der Vernunft (Stoicorum veterum fragmenta I, 205–215), ja sogar Krankheiten der Seele (Stoicorum veterum fragmenta III, 421–430). 180 Phaed. 67b. Diese Stelle zeigt, welche hohe Achtung Themistios Platon und seinem Pathos der Reinheit entgegenbringt. 181 Mit dem folgenden Platon-Zitat wiederholt Themistios den ersten



Themistios: Paraphrase zu De anima III 4–6

897

Teil des bereits oben in an. paraphr. 106, 17 ff. aus Tim. 69c Zitierten und verknüpft es zusätzlich mit Tim. 41d. 182 »Von Seele« ist ein Zusatz des Themistios zum Text des Timaios. 183 Die folgenden Zusammenstellungen von Zitaten aus Theophrast entsprechen der Standardedition: Fortenbaugh et al. 1992, S. 52 f., Nr. 307A. 184 Theophrast bezieht sich bei seiner Problematisierung des Verhältnisses zwischen dem wirklichen Geist (den er mit dem wirkenden Geist gleichsetzt) und dem möglichen Geist auf Passagen in Aristoteles’ De generatione animalium, an denen der von außen kommende Geist (ὁ θύραθεν νοῦς) behandelt wird (z. B. gen. an. II 3, 736b28; 737a7–13), aber auch auf an. I 4, 408b18 f. Die Bezeichnung ἐπίθετος für diesen Geist scheint von Theophrast selbst zu stammen; sie findet sich jedenfalls nicht bei Aristoteles. Theophrast selbst vertritt – gegen seinen Lehrer Aristoteles – die Auffassung, der Geist sei dem Menschen von der Zeugung bzw. von Anfang an angeboren (συμφυής). 185 Vgl. an. III 4, 429a24; 429b30 f. 186 Zur Bedeutung von ἐριστικόν als »irreführend« und »fehlerhaft«, da nicht im Sinne des Aristoteles, siehe auch Devereux 1992, S. 32–43, hier S. 36. 187 Wir lesen mit Fortenbaugh ἀσωμάτῳ δὲ ὑπ̓ ἀσωμάτου. Überlieferter Text: ὑττὸ οώματος. 188 Vgl. an. II 5, 417b24 f. 189 Die folgenden Zitate aus Theophrast entsprechen Fortenbaugh et al. 1992, S. 90, Nr. 320A. 190 Vgl. an. III 5, 430a18 f. 191 Was Theophrast hier den »bewegenden« Geist nennt, ist offensichtlich dasselbe wie der wirkende Geist, nicht aber eine dritte Größe. Als Beleg hierfür darf an. paraphr. 103, 2 gelten. 192 So in gen. an. II 3, 736b28; 737a7–13 sowie an. I 4, 408b18 f. 193 Die an dieser Stelle von Schroeder/Todd 1990, S. 115 u. Anm. 170, und Todd 1996, S. 134 u. Anm. 80 vorgenommene Konjektur, statt δ’ οὖν ὡϛ vielmehr δ’ οὐσία zu lesen, ist nicht zwingend. 194 So etwa an. I 4, 408b18 f. und III 5, 430a23. 195 Aristoteles erwähnt an dieser Stelle weder einen potentiellen Geist, noch schreibt er ihm die Leistung zu, die Themistios hier beschreibt, und auch von einer Erleuchtung durch einen wirkenden Geist ist keine Rede. Vielmehr spricht Aristoteles nur von νόησις und νόημα. Themistios trägt seine Distinktion zwischen wirkendem und potentiellem Geist wiederum in den Text ein.

898 Anmerkungen 196 Vgl.

Aristoteles, cat. 1b/2a; int. 16a. 197 Mit diesen Ausführungen lehnt sich Themistios an an. III 6, 430a26–28 an. In diesen Zeilen skizziert Aristoteles den Fortschritt vom Ungeteilten zur Zusammensetzung von Gedanken zu einer Einheit, was Themistios mit der Bildung eines Urteils (»Sokrates schreitet«) illus­ triert, das allerdings einen Eigennamen, nicht eine Kategorie enthält. 198 Empedokles wird von Aristoteles zwar hier erwähnt, aber in Verbindung mit einem anderen Zitat. Für Themistios’ Text vermutet Todd Aristoteles, metaph. VI 16, 1040b9 als Quelle. 199 Vermutlich ist hier an Platon, Menon 82–85 zu denken. Die Lösung der Aufgabe, den Flächeninhalt eines Vierecks mit der Seitenlänge von 2 Fuß zu verdoppeln, besteht nicht in der kommensurablen Größe, der Zahl 4, die sich bei Verdopplung der Seitenlänge ergibt, sondern in der inkommensurablen Größe, der Diagonalen des Ausgangsquadrates. Ihre Seitenlänge beträgt √8. 200 Dieser Absatz ist angelehnt an an. III 6, 430a28–31. Die knappen Ausführungen des Aristoteles sind um ein Beispiel vermehrt, das vermutlich aus Platons Menon stammt, und das Empedokles-Zitat ist so an den Kontext angepasst, dass ein Bezug auf das Thema »Einheit aus der Mannigfaltigkeit« hergestellt werden kann. 201 Das Vorstellungsbild wird erwähnt an. III 3, 428a1. Überlegungen zum zeitlichen Horizont von Aussagen konnte Themistios in Aristoteles, int. 18a/b finden. 202 Dieser Absatz ist angelehnt an an. III 6, 430a31–32. Die Erweiterung betrifft die Abgrenzung der Eigentümlichkeit des νοῦς gegenüber αἴσθησις und φαντασία: Nach Themistios kann nur der Nūs den Gedanken eine zeitliche Dimension verleihen. Diese Aussage findet sich so nicht im dritten Kapitel von De anima. Auch das Beispiel des Lyders Krösus stammt nicht aus dem Aristotelestext. 203 Dieser Absatz ist an an. III 6, 430b1/2 angelehnt, ergänzt um die Beispielsätze vom weißen Schnee. Zu Apophasis/Kataphasis vgl. int. 17a. 204 Vgl. an. III 6, 430b3/4, wobei Aristoteles’ Beispiel (Kleon ist weiß) durch den »schreitenden Sokrates« ersetzt worden ist. Außerdem weist Aristoteles auf den zeitlichen Aspekt der Aussage hin (Kleon ist/war/ wird weiß sein), den Themistios an dieser Stelle unberücksichtigt lässt. Er verweilt dagegen bei der trennenden und zusammensetzenden Tätigkeit des Nūs und betont abschließend seinen Unterschied von Vorstellung und Wahrnehmung. 205 Vgl. an. III 6, 430b5/6.

Themistios: Paraphrase zu De anima III 4–6

206 Vgl.

899

an. III 6, 430b6/7; während Aristoteles schreibt, das Unteilbare sei entweder in Möglichkeit oder in Wirklichkeit, nennt Themistios als erstes Unteilbares das, was weder in Möglichkeit noch Wirklichkeit unteilbar ist, nämlich die materielosen Formen, als zweites das, was der Möglichkeit nach teilbar, der Wirklichkeit nach unteilbar ist. 207 Griech.: Imperfekt. 208 Vgl. an. III 6, 430b8/9; statt »Größe« setzt Themistios »Gegenstände«. – Demnach wäre der aktive Geist, der sich auf die immateriellen Formen richtet, unteilbar (sein Denkakt nicht zeitlich messbar); der sich z. B. auf Linien und Größen richtende potentielle Geist teilbar (seine Denkakte wären ein zeitlicher Ablauf). – Eine Zahl wie z. B. die 4 wird als eine Einheit gedacht, nicht als 2+2, wodurch eine Sukzession von zwei Denkakten entstünde, denn sonst würde zweimal die Zahl 2 gedacht. 209 Vgl. an. III 6, 430b20a/20b. 210 Vgl. an. III 6, 430b20b; typisch ist, dass Themistios »der Seele« durch νοήσει ersetzt. 211 »Teilbar« ist eine Emendation von Heinze, die Handschriften bieten »unteilbar« (ἀδιαίρετα). 212 Todd: das ausgedehnte (Jetzt). Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist Aristoteles, phys. 222a/b, ein Text, den Themistios kommentiert hat. 213 Die hier präsentierten Überlegungen zur Zeitlosigkeit des Denkens und zeitlichem Ablauf der Äußerung von Gedanken sowie zu der Grenze der Zeit führen über den Referenztext hinaus. 214 Stadion: Längenmaß, dessen Größe in Griechenland variierte; ein olympisches Stadion maß 192 m. 215 Diese Passage ist an an. III 6, 430b10–20 angelehnt. 216 An. paraphr. 111, 16–18 übergehe ich in der Übersetzung; sie wirken wie eine in den Text eingedrungene Randglosse. Es steht dort zu lesen: Und auch nicht intuitiv erkennend; denn er hat auch keine eigene Gestalt. Sondern, indem er von dem Intervall und der Größe, dessen Grenzen [Punkt und Jetzt waren], abstrahiert. 217 Der Terminus ἐπιβολή i. S. von »direct apprehension« ist bei Epikur und i. S. von »intuition« bei Plotin belegt: LSJ s. v. 2b. 218 Den Text Z. 205, 7 καὶ δραττόμενα bezeichnet Heinze als unverständlich. 219 Die στέρησις wird 430b21 erwähnt. 220 Vgl. an. III 6, 430b3.

900 Anmerkungen 221 Vgl.

an. III 6, 430b2. 222 Tim. 52B; dieser Exkurs führt über den Referenztext hinaus. 223 Der Terminus ἐπέρεισις (impact) ist bei Chrysipp belegt (LSJ s. v.). 224 So dass die Materie als formloser Stoff definiert wird. Insofern wird sie privativ erkannt, als das Nicht-Denkbare oder das Andere des (aktiven) Geistes, und damit ist sie Gegenstand des potentiellen Geistes. 225 Diese Aussage entsteht, indem Themistios an. III 6, 430b21–23 mit seiner Lehre vom potentiellen Geist verbindet. 226 Vermutlich denkt Themistios hier an den gen. an. 736b21 ff. genannten »von außen hinzukommenden Geist«. 227 Diese Passage, in der Themistios den wirkenden Geist beschreibt, ist inspiriert durch an. III 6, 430b24–26. 228 οὐ (nicht) steht in allen Handschriften außer in P, wo es nachgetragen wurde; dem Sinn der Stelle entsprechend ist es vermutlich zu streichen. 229 ἁπλῶς (einfach) ist eine Konjektur von Heinze, die Hss. bieten ἄλλως (auf andere Weise). 230 Vgl. an. III 6, 430b25. 231 Vgl. an. III 6, 430b26–27. 232 Vgl. an. III 6, 430b5. 233 Diese Bemerkung scheint durch an. III 6, 430b27–30 veranlasst zu sein.

5. Johannes Philoponos: Kommentar zu De animaS. 371 ff. 1 Der

folgende Text stammt zwar aus demselben Kommentar des Philoponos, ist aber an zwei unterschiedlichen Stellen ediert: Der Text der Einleitung zum Kommentar ist der Ausgabe von Hayduck 1897 entnommen und hier aus dem Griechischen übersetzt. Der Text des Kommentars zu III 4 f. ist nur auf Lateinisch erhalten und wurde in dieser Sprache ediert von Verbeke 1966 (in der Sekundärliteratur zitiert als De intellectu, in diesem Band abgekürzt als in an. L = in De anima, lateinisch überlieferter Teil). Von ihm gibt es eine englische Übersetzung von Charlton 1991 mit sehr hilfreichen Konjekturen von Fernand Bossier. Die auf S. 372–415 angegebenen Seitenzahlen der Originalausgabe beziehen sich also auf Hayduck 1897, die auf S. 414–487 genannten auf Verbeke 1966. 2 Das sind zwei platonisch-aristotelische Standardbestimmungen,



Johannes Philoponos: Kommentar zu De anima 901

die Definition von »weiß« (vgl. Platon, Tim. 67e ff., Aristoteles, top. III 5, 119a30) und die Propriumsangabe für »Mensch« (Aristoteles, top. V 1, 129a8–10). Philoponos benutzt diese öfters als Beispiele (»weiß« z. B. in an. post. 250, 23; 342, 20; »Mensch« z. B. in an. post. 185, 4 f.; in phys. 73, 19–25). Die Erklärung für die Farben ist nach Platon (Tim. 67c–e), dass von einem Körper Materieteilchen ausgehen, die von den entsprechenden Teilchen des Sehvermögens wahrgenommen werden; größere Teilchen ziehen die Teilchen des Sehvermögens zusammen und ergeben so dunklere Farben bis hin zu Schwarz, die kleineren, die die helleren Farben bis Weiß ergeben, trennen die Teilchen des Sehvermögens. 3 Aristoteles macht den klassischen Unterschied der Wissensgegenstände zwischen dem Dass und dem Warum (an. post. II 1), die er im Rahmen seiner Konzeption von Wissen als notwendigem Beweiswissen zurückführt auf die Frage nach dem Dass bzw. dem Was eines Mittelbegriffs (an. post. II 2). Er selbst weist das Wissen des Dass ohne Ursachenkenntnis der Erfahrung (ἐμπειρία), der Kenntnis der Einzelfälle, und die Ursachenkenntnis der Kunst (τέχνη) oder Wissenschaft (ἐπιστήμη), welches das Allgemeine erkennt, zu (metaph. I 1, 981a15–30). Meinung (δόξα) und Wissen (ἐπιστήμη) unterscheidet er durch die Kontingenz bzw. Notwendigkeit ihrer Wahrheit (an. post. I 33, 88b30–89a3). Anders als in seinem De-anima-Kommentar lässt Philoponos im Kommentar zu den Analytica posteriora sowohl über die notwendigen Gegenstände des Wissens als auch über die Kontingenten der Meinung solche mit und ohne Syllogismus zu, d. h. es gibt sowohl Wissen als auch Meinung des Dass und des Warum (in an. post. 322, 32–323, 5). 4 Philoponos greift diese Definition in aristotelischer Terminologie auf und definiert δόξα als »Konklusion des diskursiven Denkens« (συμπέρασμα … διανοίας) (in An. pr. 2, 11). 5 Diese Etymologie stammt offensichtlich von Ammonios (in an. pr. 25, 2–5) und wurde außer von Philoponos auch von Priskian (›Simplikios‹) (in an. 226, 35 f.) aufgenommen. Philoponos weist gut aristotelisch dem dianoetischen Denken das Bilden von Syllogismen zu (In Anal. pr. 2, 13), wobei er den Syllogismus als »Bewegung« (κίνησις) von den Prämissen auf die Konklusion versteht (2, 5).  6 Das spielt auf den Unsterblichkeitsbeweis im Phaidros (245c5– 246a2) an und ist ein Lieblingsbeispiel des Philoponos für diskursives Denken (z. B. in an. pr. 35, 3 f.; in an. post. 218, 17).  7 Zum Begriff ἐπιβολή vgl. Klibansky 1985, S. 18–22; 271 f.  8 Im Neuplatonismus gibt es im Ausgang von Platon (Phaed. 69b8–c3)

902 Anmerkungen

die grundlegende Unterscheidung der bürgerlichen (πολιτικαὶ ἀρεταί) und der reinigenden Tugenden (καθαρτικαὶ ἀρεταί): Die bürgerlichen Tugenden sind die vier platonischen Kardinaltugenden Weisheit, Tapferkeit, Besonnenheit, Gerechtigkeit, die sich nur auf die Gestaltung des irdischen Lebens der Menschen beziehen und die Leidenschaften mäßigen. Sie wirken auch an der Vorbereitung der »höheren Tugend« mit, die die vollkommene Leidenschaftslosigkeit (ἀπάθεια) und Abwendung vom Irdischen erstrebt und somit die Angleichung an Gott (ὁμοίωσις θεῷ), das Ziel platonischer Lebensführung, in der reinen θεωρία des Geistes erreicht (vgl. Plotin I 2, 2–4; Porphyrios, Sententiae 32, 6–32; Proklos, in Tim. 1, 221, 30–222, 3; 3, 297, 16–21; Damaskios, in Phaed. I, 165).  9 Das ist nicht bei Plotin belegt, aber mit plotinischen Gedanken zu verbinden (vgl. V 3, 14, 17; VI 7, 35, 36). 10 Vgl. Platon, Phaed. 66d. 11 Dass die Seele ein Abbild des Geistes ist und »Spuren und Abbilder« des Geistes enthält, ist eine gut neuplatonische Lehrmeinung (z. B. Plotin V 1, 3, 7 f.; V 3, 7, 25–34). Es ist jedoch ein aristotelisches Interpretament, als »Spuren« des Geistes in der Seele in erster Linie die Axiome auszumachen. Für Plotin etwa gehören die Axiome nicht zu den noetischen Gegenständen, weil hier etwas von etwas ausgesagt und nicht das jeweils Seiende in seiner Einheit aufgefasst wird (V 5, 1, 38–41). 12 Bei Aristoteles bezeichnet ὅρος lediglich die Definition (top. I 5, 101b38 f.) bzw. das Definiendum, das als Term in einer Prämisse steht (an. pr. I 1, 24b16–18). Das Prinzip einer Wissenschaft ist die Definition ihres eigentümlichen Gegenstands, den der Geist erkennt (vgl. an. post. I 10, 76a31–36; 76b3–6). Aristoteles bestimmt daher eigentlich das Prinzip des Wissens als das, »durch das wir die Definitionen erkennen« (Übs. Detel). Dass hier im Zitat statt »Definitionen« mit »Bestimmungen« übersetzt wird, liegt daran, dass Philoponos auch die »gemeinsamen Gedanken«, d. h. die Axiome, zu den ὅροι zählt, offenbar weil er ὅροι im Sinne von ἀρχαί gebraucht, die Aristoteles in die eigentümlichen und die gemeinsamen Prinzipien, d. h. die Axiome, unterteilt (an. post. I 10, 76a37–41). Beide sind aber – auf ihre jeweilige Art und Weise – Vor­ aussetzungen der Wissenschaft qua Beweis (vgl. Barnes 1993, S. 130 f.). 13 Vgl. Aristoteles, an. I 3, 407a23–31. 14 Vgl. Aristoteles, cael. II 11, 291b17–23. 15 Wissenschaftstheoretisch präziser erklärt Philoponos diesen Vorgang in seinem Kommentar zu an. post. I 18 mit Aristoteles so, dass es zur Erkenntnis des Allgemeinen der Induktion (ἐπαγωγή) von Ein-



Johannes Philoponos: Kommentar zu De anima 903

zelgegenständen aus und zu dieser der Sinneswahrnehmung bedarf. Ohne die entsprechende Sinneswahrnehmung (z. B. Hören) könne es kein dazugehöriges Wissen (z. B. Harmonik) geben, aber nicht in dem Sinne, dass die Wahrnehmung die Ursache des Wissens sei, sondern so, dass »unsere Seelen, die von der Bewusstlosigkeit oder vom Schlaf des Werdens niedergehalten werden, die Sinneswahrnehmung brauchen, um den Schlaf abzuschütteln und den in uns verborgenen Funken der Erkenntnis (σπινθῆρα κρυπτόμενον) neu zu schüren« (in an. post. 214, 23–25). Die hier zwischen Wahrnehmung und diskursivem Denken eintretende Meinung ist, wie in Anm. 2 gesehen, eine Kenntnis des Allgemeinen an Wahrnehmungsgegenständen ohne Ursachenerkenntnis. 16 Vgl. auch Philoponos, in an. pr. 2, 2–9. 17 Vgl. Aristoteles, an. II 3, 414b2. Zu Aristotelesʼ Definition von Zorn s. an. I 1, 403a26 f. u. rhet. II 2, 1378a30–32 und zur Begierde s. rhet. I 11, 1370a17–25. 18 Vgl. Aristoteles, cat. 8, 8b27–9a13. 19 Philoponos teilt die neuplatonische Auffassung, dass die Vorsehung den Kosmos durchwaltet und nichts aus Zufall (τύχη) geschieht, sondern um eines bestimmten Guten willen (in phys. 16, 312, 26–29; De aeternitate mundi 37, 16–20). Bei ihm wird die Vorsehung unmittelbar Gott als Weltenschöpfer zugeschrieben, während Proklos zwischen dem Guten, von dem die Vorsehung ausgeht, und dem Demiurgen differenziert. Jedoch stimmen beide überein, dass die Vorsehung über den Geist hinausgeht und ontologisch vor ihm angesiedelt ist (De aeternitate mundi 37, 21–38, 2). Von daher wird auch die Etymologie von πρόνοια erklärt (Stephanos, in an. 527, 31 f.). Die Vorsehung des guten Gottes verlangt das gute, tugendhafte Leben. Von daher wird sie von Philoponos auch als Voraussetzung für die Unsterblichkeit der Seele und ein Leben nach dem Tod angesehen, in dem jeder das erhält, was er nach dem Verdienst seiner hiesigen Handlungen verdient hat (in cat. 128, 12–21; in an. pr. 38, 6–11; in phys. 80, 9–11). 20 Vgl. Platon, Phaed. 87d. 21 Vgl. zur Sache Platon, Tim. 41b6–c2; zur Bezeichnung des Kosmos als »Fülle der Formen«, die auf Proklos zurückgeht, vgl. Proklos, in Parm. 788, 2 ff.; in Tim. 3, 8, 18; 99, 6–12. 22 Vgl. Plotin III 4, 2, 16–24. 23 Die Seele besitzt keine ontologische, sondern eine funktionale Einheit. Die verschiedenen Seelenvermögen und deren Tätigkeiten bilden zusammen eine hierarchische Stufenordnung. Philoponos markiert

904 Anmerkungen

das auch durch die aristotelische Terminologie, die der Seele nur die Einheit eines Zusammenhangs (συνέχεια) durch Verbindung (συνάφεια) zuschreibt, die sich mit dem Tod auflöst. Zur Terminologie vgl. Aristoteles, phys. V 3, 227a10–17. 24 Zur Tätigkeit des nicht-rationalen Seelenteils vgl. Platon, resp. IV, 440b–441b und Aristoteles, eth. Nic. I 13, 1102b13–1103a3. 25 Eine populäre Sentenz, die gerne in der Schule verwendet wurde (vgl. CGFR fr. 315, Olympiodor, In Gorg. 1,1,20). 26 Das Pneuma ist ursprünglich der Atem (z. B. Aristoteles, an. II 8, 420b16–22) und wird daher auch mit der Seele verbunden gedacht, die mit dem letzten Atemzug den Körper verlässt (Platon, Phaed. 70a). Für Aristoteles ist das Pneuma dann auch der Sitz des Ernährungs- und Wahrnehmungsvermögens, insbesondere der Vorstellung. Im Neuplatonismus wird aus dem Pneuma der »Wagen« (ὄχημα) der nicht-rationalen Seele, der aus feiner Materie besteht und nach dem Tod überdauert. Bei Proklos (in Tim. 3, 236, 31 ff.; 298, 12 ff.; elem. theol. 207–209) gibt es zwei ὀχήματα, einen höheren, immateriellen und unzerstörbaren As­ tralkörper (αὐγοειδές bzw. ἀστροειδές) und den aus den vier Elementen, hauptsächlich aber aus Luft bestehenden pneumatischen Körper; im Gegensatz zu diesem hält sich jener durch die nach dem Tod im Hades vorgenommenen Reinigungen durch. Philoponos übernimmt diese Zweiteilung: Für ihn ist der Wagen primär das Pneuma, das vornehmlich aus Luft besteht und als körperliches Substrat der Seele nach dem Tod überdauert und gereinigt wird (vgl. unten Philoponos, in an. 17, 19–18, 33 und 19, 18–20, 22). Physiologisch wird sie im Sinne des Aristoteles als eigenes Körperorgan wie Hirn oder Nerven betrachtet (in an. 47, 23), das das eigentliche Organ der Sinneswahrnehmung und der von dieser abhängigen Seelenvermögen, der Erinnerung und der Vorstellung, ist (in an. 158, 9–23). Daneben gibt es aber noch den Astralkörper, mit dem die gereinigte Seele ewig lebt (in an. 18, 26–33). Zu Bedeutung und Herkunft der neuplatonischen Astralkörper- bzw. Pneumalehre vgl. Dodds ²1963, S. 313–321. 27 Vgl. Aristoteles, an. I 5, 411b6–14. 28 Das ist die Beweisstrategie, die Philoponos bei Aristoteles am Werk sieht, die dieser jedoch nirgendwo und auch nicht mit diesen Worten anwendet. Vielmehr beginnt dieser mit der Darlegung der Funktion der Wahrnehmung (an. III 1–2), um zu den höheren Funktionen der Vorstellung (III 3) und des Denkens (III 4–8) zu kommen, ohne dass er diese ansteigende Komplexität zum Beweis der Unkörperlichkeit der Seele



Johannes Philoponos: Kommentar zu De anima 905

benutzt. Dass die Seele kein Körper ist, wird nicht ausdrücklich für die einzelnen Seelenvermögen vorgeführt, sondern ergibt sich aus der Definition der Seele als Form bzw. Verwirklichung eines Körpers (II 1, 412a19–21). Die »geometrische Notwendigkeit«, die Philoponos für den nachfolgenden Beweis fordert, resultiert, ähnlich wie in der Geome­trie und sicher nach dem Vorbild der proklischen Elementatio theologica, daraus, dass aus evidenten Grundsätzen notwendig Lehrsätze gefolgert werden. 29 Der folgende Beweis fasst kurz zusammen, was Aristoteles, an. III 2, 426b8–427a16 über die Wahrnehmung sagt. 30 Selbsterkenntnis wird im Neuplatonismus als »Rückwendung zu sich selbst« (ἐπιστροφὴ εἰς ἑαυτόν) bestimmt, was gleichbedeutend ist mit dem Rückgang auf den Geist und von da zum Ursprung, dem Einen bzw. Guten (vgl. Plotin VI 9, 2, 35 f.; Proklos, elem. theol. 83; vgl. auch Beierwaltes ²1979, S. 118–164). Zu dem Argument, dass Körper keine Selbstzuwendung haben und daher die Seele kein Körper sein kann, vgl. Proklos, elem. theol. 186 mit 15 f. 31 Dieses Argument entstammt Aristoteles, an. III 4, 429a29–b5. 32 Diese Regel geht auf Aristoteles, an. I 1, 402b10–25 zurück, wo Aristoteles mögliche Untersuchungsverfahren erörtert, nämlich auf der Grundlage des Verhältnisses der Seelentätigkeiten (ἔργα) zur Seele bzw. allgemeiner der »Eigenschaften« (συμβεβηκότα) von etwas zu ihrem Wesen. Die bei Philoponos angeführten Folgen aus dieser Regel für das Verhältnis von Seele und Körper sind abstrahiert aus 403a3–16 und werden in der folgenden zweiten Regel formuliert. 33 Hayduck 1897 tilgt das als Wiederholung. 34 Diese Vorstellung einer Reinigung der Seele nach dem Tod geht auf Platon (Phaed. 113d–114c) zurück und ist im Neuplatonismus gerne und häufig wieder aufgegriffen worden (z. B. Proklos, Elem. theol. 209). 35 Ἐπιστροφή meint die Umkehr in der Lebensführung, aber vor allem die Selbsterkenntnis als »Rückwendung« der Seele zu sich selbst (s. Anm. 30). Die Strafen dienen also zur Selbst- und Wesenserkenntnis der Seele. 36 Vgl. Anm. 26. 37 Eine »leichte und trockene Lebensweise« meint ein Leben nach der Tugend (zu den Tugenden im Neuplatonismus vgl. Anm. 8), das das Pneuma schon zu Lebzeiten gleichsam mit Luftanteilen füllt und somit zum Guten erhebt, während ein schlechtes, unmoralisches Leben die Erdanteile vermehrt und damit die Seele stärker an den Körper und seine Leidenschaften bindet.

906 Anmerkungen 38 Übersetzung

Gigon: »denkt«. Moerbeke gibt Aristoteles’ φρονεῖ mit prudentiat wieder. 39 Vgl. an. III 3, 427b6–14. 40 An. III 3, 427a17–b6. 41 Vgl. Philoponos, in an. 264–266. 42 Mit Bossier Οἰλίάδει statt des von Moerbeke vermutlich gelesenen ᾽Ιλιάδει, das als Troiano in die lateinischen Handschriften gekommen ist (vgl. Charlton 1991, S. 29 Anm. 13). Gemeint sind mit dem Sohn des Telamon der ›große Ajax‹ und mit dem Sohn des Oileus der ›kleine Ajax‹. 43 Statt omnibus (griech. πᾶσι) versteht Verbeke pueris (παισὶ). 44 Vgl. an. II 2, 413b24–27 für das Abgetrennt-Sein des Geistes, III 5, 430a22–25 für die Leidenslosigkeit und III 4, 429a22–25 für die Unkörperlichkeit, außerdem III 5, 430a17 f. für alle drei zusammen; Philoponos zitiert diese Stellen bereits in der Einleitung (in an. 10, 31–11, 29). 45 Vgl. Alexander von Aphrodisias, an. 89, 4–18. 46 Gegenüber dem Aristoteles-Text fehlt in Philoponos’ Zitat: »Der Geist scheint hereinzutreten als eine Wesenheit (οὐσία τις οὖσα) und nicht zugrunde zu gehen.« 47 Mit Bossier (Charlton 1991, S. 30 Anm. 23) Athetese von primo. 48 Mit Bossier (Charlton 1991, S. 30 Anm. 24) et ait nach quem. 49 Vgl. Philoponos, in an. L 50, 82–52, 29. 50 Marinos von Neapolis (Charlton 1991, S. 30 Anm. 30). 51 Statt des überlieferten sive wird mit Bossier und Charlton 1991 (S. 31 n. 32) siquidem gelesen. 52 Das ist eine Erläuterung des lateinischen Übersetzers Wilhelm v. Moerbeke. Zum Begriff der prudentia bzw. φρόνησις vgl. Aristoteles, eth. Nic. VI 4–5. 53 Diese Ansicht findet sich bei Platon explizit nirgendwo formuliert. Parm. 132b wird die Aussage, dass Ideen oder Gedanken in den Seelen seien, eine Aussage, die näherungsweise unserer Stelle gleichkommt, verworfen. Vermutlich geht diese Vorstellung auf einige Akademiker nach Platon zurück, die diese These aus Platons Gleichnis des göttlichen Seelengespanns im Phaidros (246a–248e) extrapoliert haben. Demnach steigt das Wagengespann, bestehend aus dem Wagenlenker und zwei Pferden, wenn ihm Gefieder wächst, bis zum »überhimmlischen Ort« (247c3) der Ideen, der Wissenschaft und der Vernunft auf. Von dieser Stelle aus könnte man zur These gekommen sein, die rationale Seele sei der Ort der Ideen oder Formen. 54 Diese Stelle könnte sich auf den Phaidros (249b) beziehen, wo ein-



Johannes Philoponos: Kommentar zu De anima 907

mal von der Inkarnation der Seelen in unterschiedliche Gestalten, z. B. die von Menschen oder Tieren, nach festgesetzten Zyklen die Rede ist. Allerdings werden diese Gestalten bei Platon nicht explizit vom Wissen der Ideen – ›Seiendes‹ meint vermutlich ›wirklich Seiendes‹, also die Ideen – abhängig gedacht. Vermutlich handelt es sich hier um eine neuplatonische Extrapolation der Stelle. 55 Zur (aristotelischen) Unterscheidung von erster und zweiter Entelechie oder Wirklichkeit vgl. an. II 1, 412a22–28. In der Kommentar­ tradition wird in Analogie dazu auch von erster und zweiter Dynamis oder Möglichkeit gesprochen, wobei die zweite Dynamis mit der ersten Entelechie gleichkommt, also dem habituellen Besitz einer Fähigkeit oder eines Wissens. In diesem Sinne wird etwa Aristoteles’ Seelendefinition (an. II 1, 412a27 f.) interpretiert (z. B. Philoponos, in an. 203, 4–205, 17 wieder mit dem Beispiel des schlafenden Geometers 204, 11 f. und 205, 1 f.). Diese Interpretation macht es den Neuplatonikern möglich, die platonische Anamnesis-Lehre (z. B. Phaed. 72e–77a) in die aristotelische Psychologie zu integrieren, indem man annimmt, dass das habituelle Wissen bereits vor dem Eintritt der Seele existierte und so aktuell wiedererinnert werden kann (vgl. Perkams 2008, S. 125). Im platonischen Menon (82b–85b) ist es Sokrates sogar möglich, einen in Geometrie völlig unbewanderten Sklaven durch geschickte Gesprächsführung zur »Wiedererinnerung« eines präexistenten geometrischen Wissens zu bringen. 56 Charlton 1991, S. 39 n. 71 verweist auf Phaed. 73–75 als mögliche Bezugstelle, da diese These im Bezug auf das Gleiche oder Gerechte widerlegt wird, allerdings nicht in Bezug auf ›Mensch‹ oder ›weiß‹. 57 Zum Blick auf eine Form oder Idee, die über der sinnlich wahrnehmbaren Form steht, vgl. oben Philoponos, in an. 5, 6–14. 58 Das bezieht sich wahrscheinlich auf an. II 5, 417b2–16. 59 Der Unterschied von erster und zweiter Möglichkeit, d. h. der Möglichkeit als bloßer Fähigkeit, etwas zu erleiden, und der Möglichkeit als Fähigkeit, etwas zu tun (Disposition), geht zurück auf an. II 5, 417a21– b16; die Disposition ist zugleich die erste Verwirklichung (ἐντελέχεια). Aristoteles führt das hier am Beispiel des Wissens vor: Der Mensch ist der Möglichkeit nach wissend, weil er generell zu den Lebewesen gehört, die sich Wissen aneignen können: die sogenannte erste Möglichkeit. Er kann sich bereits ein Wissen erworben haben, das er als Disposition besitzt, aber gerade nicht anwendet. Dieses Wissen wird zweite Möglichkeit bzw. erste Verwirklichung genannt. Und schließlich die zweite Verwirklichung: Jemand wendet ein gelerntes Wissen

908 Anmerkungen

gerade in praxi an. Alexander v. Aphrodisias überträgt diese allgemeine Einteilung, die Aristoteles für das gesamte Psychische eingeführt hat, auch auf den Geist (vgl. Alexander von Aphrodisias, an. 81, 22–82, 15; De intellectu = an. mant. 106, 19–107, 34). 60 Statt des in 39, 17 überlieferten quae ex passionibus et cognitione oppressionem schreibt Bossier quae ex passionibus cognitionis oppressionem. Zur Übersetzung vgl. Charlton 1991, S. 58 Anm. 133. 61 Philoponos hat die Aristoteles-Stelle (an. III 4, 429b5–9) anders verstanden als heute üblich: Was er als vollständige Konstruktion aus Neben- und Hauptsatz sah, ist vielmehr ein Nebensatz; die folgende, nicht zitierte Phrase ist der Hauptsatz, in der Übersetzung O. Gigons: »Wenn er nun derart ein jedes geworden ist, wie man vom wirklich Wissenden sagt […], so ist er zwar auch dann irgendwie der Möglichkeit nach, aber nicht in derselben Weise wie bevor er lernte oder entdeckte.« 62 Vgl. Charlton 1991, S. 59 Anm. 136. 63 Bossier verbessert habente. Non exercens autem habitum, hic in habente, non exercente autem habitum. 64 Moerbeke übersetzt das Lemma in der weithin überlieferten Fassung mit ὥσπερ und τι, die in den neueren De-anima-Ausgaben mit Rücksicht auf die Zitierung bei Sophonias und Themistios ausgelassen werden. 65 Gemeint ist Alexander von Aphrodisias. 66 Bossier verbessert si non in species. 67 Singular statt des überlieferten Plural (Bossier). 68 Vgl. an. III 4, 429a27–29; 429b29–430a2. 69 Vehiculum übersetzt ὄχημα, den Wagen der Seele oder das Pneuma, das zu Lebzeiten der Sitz der Wahrnehmung und des Vorstellungsvermögens ist und nach dem Tode des Körpers als Träger der Seele überdauert (vgl. Anm. 25). 70 Nicht in intelligilibus et divinis theoriae, sondern mit Bossier in intelligibilium et divinorum theoria. 71 Statt contrahentem besser contratrahentem. 72 Die Übersetzung folgt Bossier und Charlton, die übersetzen, als ob circumtrahentem ipsum ad phantasia dastünde. Zur Begründung vgl. Charlton 1991, S. 79 Anm. 90. 73 Mit Bossier statt mitram in 63, 18 f. bonam vitam und contratrahat intellectum, immo e contrario, hanc sicut opadon bene scientem sequi ad illum, et. Vgl. Charlton 1991, S. 79 Anm. 91. 74 Einige Handschriften fügen hier enim ein.

Johannes Philoponos: Kommentar zu De anima 909

75 Statt

corrumpitur mit Bossier corrumpit et. »Das Ganze« meint den aus Form und Materie zusammengesetzten Gegenstand, das aristotelische σύνολον. 76 Vgl. Aristoteles, phys. IV 11, 220a3–22. 77 Bossier und Charlton streichen intelligibilium nach ipso in an. L 66, 73. 78 Ein aristotelisches Beispiel (vgl. Anm. 1); die Kopula, die im Griechischen häufig fehlt, muss in der Übersetzung ergänzt werden, um eine Aussage zu erhalten. 79 Bossier versteht indivisibiliter statt indivisibile. 80 Das spielt auf die aristotelische Gegensatzlehre an, wonach der konträre Gegensatz die vollständige Privation des positiven Begriffs ist (vgl. Aristoteles, metaph. X 4). Das unterscheidet sich von einfach verneinten Begriffen, wie z. B. »Nicht-Mensch«, denen kein eindeutig bestimmter Gegenstand zugeordnet werden kann und die damit keine Bedeutung haben (int. 2, 16a29–32). 81 Philoponos bezieht dieses Lemma auf die Dinge, die unteilbar nach der Form sind. Moderne Interpreten beziehen es auf die kontinuierlichen Gegenstände (zu den Interpretationsproblemen vgl. Charlton 1991, S. 91 Anm. 52). 82 Statt In quo intelligimus, ait, talia? Hoc est: secundum versteht Bossier Quo intelligimus, ait, talia, hoc est secundum. 83 Statt divisibiles sunt. Sunt autem divisibiles secundum se (secundum hoc intellectus et tempus indivisibiles sunt, hoc est secundum se), secundum quod autem ille indivisibiles. Sunt autem indivisibiles secundum accidens, adventiciam habentes unionem et non essentialem. Secundum mit Bossier zu interpungieren: divisibiles sunt, sunt autem divisibiles secundum se, secundum hoc intellectus et tempus indivisibiles sunt, hoc est secundum se, secundum quod autem illae indivisibiles, sunt autem indivisibiles secundum accidens, adventiciam habentes unionem et non essentialem, secundum. 84 Gemeint sind eher die gedanklichen Gehalte, die der Baumeister vor Baubeginn im Kopf hat. 85 Statt talium mit Bossier causarum. 86 Das bezieht sich vermutlich auf Alexander von Aphrodisias, an. 86, 23–26, ohne dass Alexander diesen Punkt als Problem formulieren würde. 87 Nach Aristoteles sind konträre Gegensätze zunächst Relationen, weil sie genauso wie diese aus zwei Gliedern bestehen (cat. 7, 6b15–19). Denken und Denkgegenstand gehören hingegen zu den sogenannten inversen Relationen (metaph. V 15, 1021a29–b5).

910 Anmerkungen 88 Vgl.

phys. VIII 4, 255a10–20 und mot an. 10. 89 Veränderte Interpunktion: actum, unum ambo opportet. 90 Statt condictive mit Mansion conditive. Vgl. Charlton 1991, S. 100, Anm. 93. 91 Statt quando mit Bossier quoniam. 92 Konjektur von Bossier: disponi statt dispositionem. 93 Zum Unterschied von κατάφασις und φάσις vgl. int. 4, 16b26 ff.; κατάφασις bedeutet auch Bejahung, aber steht auch generell für eine Aussage. Ein einfaches Sagen ist für Aristoteles ein Wort wie »Mensch«, das in keine Prädikataussage eingebunden ist, oder ein Gebet, das etwas sagt, aber nicht Wahrheit oder Falschheit ausdrückt (17a2–4). Bei Philoponos überschneidet sich hier die aristotelische Unterscheidung von einfachem und prädikativem Sprechen mit der platonischen Unterscheidung von innerem und äußerem Sprechen (vgl. Platon, Soph. 263e; Theaet. 189e f.; 206c7–d2). 94 Plotin I 1, 9, 12 f., vgl. Aristoteles, metaph. IX 10, 1051b17–1052a11. 95 Et zwischen subiectum und coloratum wird ausgelassen (Bossier). 96 Vgl. Plotin V 8, 1, 6–21. 97 Nach Bossier ist in an. L 89, 85–95 als ein Satz zu verstehen, wobei 88–94 eine Parenthese ist. Ein dem lateinischen autoveritas entsprechendes griechisches Wort ist bei Aristoteles nicht zu finden, sondern eine typische neuplatonische Bildung.  98 Vgl. Philoponos, in an. 2, 15–17 und oben Anm. 8.  99 Puta übersetzt οἷον, das »z. B.« oder »wie« heißen kann; nur diese Bedeutung ist sinnvoll (vgl. Charlton, S. 109 Anm. 26). 100 Vgl. 431a9 f. 101 Mit Bossier modo aliquo statt in aliquo. 102 Mit Bossier iudicante statt iudicans. 103 Statt anima mit Bossier animali. 104 Interpunktion unde, dico statt unde dico. 105 Statt quidem mit Bossier in. 106 Philoponos bezieht sich auf Alexanders Aussage, dass das Denken, wenn es nicht ohne Vorstellung abläuft, auch nicht ohne Körper abläuft und damit untrennbar vom Körper ist (an. 12, 19–22, vgl. Aristoteles, an. I 1, 403a8–10), und folgert daraus für Alexander die Sterblichkeit des Geistes. 107 An dieser Stelle übersetzt Moerbeke statt meditativae animae wie im Lemma mit intellectivae animae, vermutlich weil im unmittelbaren Kontext von intellectus die Rede ist. Gemeint ist aber lediglich



Johannes von Lydien: Metaphrase zu Theophrast Physik 911

das diskursive Denken (διάνοια), von dem Aristoteles hier spricht. Statt αἰσθήματα wie Aristoteles hat Moerbeke fälschlich αἰσθητά. 108 Statt eorum intellectu schlägt Bossier hoc intellectu vor, was sich zurückbezieht auf die intellectiva anima (97, 25) und als Gegensatz zum praktischen Geist nur der theoretisch-diskursive Geist sein kann. 109 Vgl. die Übersetzung von Charlton. Die Übersetzung nach der Überlieferung (Beweis, »dass es in jedem Modus demonstrative Syllogismen gibt«) ist unsinnig, daher wird gelesen: quot in unaquaque modi demonstrativi. 110 Nach Aristoteles arbeitet die Sinneswahrnehmung mit einer Art von Luft (vgl. Aristoteles, mot. an. 10, 703a 19–25 10 u. Anm. 26). 111 Mit Bossier unum quidem est ‹et›. 112 Zur Satzkonstruktion vgl. Charlton 1991, S. 113 Anm. 49.

6. Priskian von Lydien: Metaphrase zu Theophrasts Physik S. 501 ff.   1 Text

und Übersetzung folgen der klassischen Edition des Priskian bei Bywater 1886a, S. 25–37. Der Titel dieses Abschnitts wurde von Bywater eingefügt, da zwischen dem Ende des unvollständig überlieferten Teils über die Vorstellungskraft und dem Beginn unseres Textabschnitts eine größere Lücke klafft. Die triadische Anordnung αἴσθησις – φαντασία – νοῦς (s. o., Einleitung) ist jedoch deutlich erkennbar, so dass die Ergänzung des Titels Περὶ νοῦ im Anschluss an die explizit im Text vorhandenen Überschriften Περὶ αἰσθήσεως und Περὶ φαντασίας recht plausibel ist. Passagen, in denen Priskian Theophrast oder Aristoteles zitiert, sind kursiv gekennzeichnet. Im Falle von Aristoteles sind jeweils die Referenzstellen aus De anima III 4 in den Anmerkungen benannt. Oft ist jedoch eine klare Abgrenzung zwischen Aristoteles- und Theophrast-Zitaten nicht ohne weiteres möglich. 2 Zu dieser Stelle und zum nachfolgend Zitierten siehe auch Themistios, an. paraphr. 107, 32–108, 7, in der vorliegenden Ausgabe Kap. 4, S. 328 f. (= Theophrast, fr. 307A Fortenbaugh). Vgl. für die TheophrastZitate im Einzelnen fr. 307B–D; 311–312; 316–319 Fortenbaugh sowie Barbotin 1954, fr. I–X. 3 Der Ausdruck δύναμις hat eine kontextabhängige Doppelbedeutung: Er kann entweder eine (ontische oder logische) Möglichkeit bezeichnen (im Sinne einer Possibilität) oder ein Vermögen bzw. eine Fähigkeit (im Sinne von Potentialität). Dementsprechend kann der für

912 Anmerkungen

den vorliegenden Textabschnitt zentrale Terminus δυνάμει sowohl als »in Möglichkeit« als auch als »dem Vermögen nach« übersetzt werden. Beide Konnotationen schwingen an vielen Stellen mit; soweit möglich und sinnvoll, wird im Folgenden einheitlich »in Möglichkeit« verwendet, wenn nicht der Kontext das Moment der Fähigkeit bzw. des Vermögens unzweideutig in den Vordergrund rückt. 4 Der Ausdruck »bestimmtes Etwas« (τόδε τι) bezeichnet im Anschluss an Aristoteles ein selbständig existierendes und einer bestimmten Art zugehöriges Einzelding. 5 Zur Unterscheidung und Einordnung dieser beiden Arten des Geistes in die Systematik Priskians vgl. die Ausführungen in der Einleitung. Ob die Rede von einem »seelischen« bzw. von einem mit der Seele verbundenen Geist schon auf Theophrast zurückgeht oder eine priskianische Zutat darstellt, ist nicht eindeutig entscheidbar. Zu beachten ist jedenfalls an. III 4, 429a22 (ὁ καλούμενος τῆς ψυχῆς νοῦς). Zur ausführlicheren Diskussion s. Huby 1999, S. 122 f. 6 Vgl. Aristoteles, an. III 8, 432a2 f. 7 Ἐνέργεια bezeichnet als Gegenbegriff zu δύναμις je nach Kontext entweder eine Tätigkeit oder die Verwirklichung einer Sache in ihrem Sein, wobei diese beiden Konzepte einen starken inhaltlichen Zusammenhang aufweisen: Eine Sache ist wirklich sie selbst, insofern sie tätig ist. Aristoteles leitet deshalb ἐνέργεια auch indirekt von ἔργον (»Werk«) ab und verbindet sie mit der ἐντελέχεια (»Verwirklichung«); vgl. metaph. IX 8, 1050a21–23. Wo ἐνέργεια im vorliegenden Text auf eine bestimmte Form von Aktivität abzielt, wird sie mit »Tätigkeit« übersetzt. Der terminus technicus νοῦς ἐνέργεια[ι] ist hingegen als »verwirklichter Geist« wiedergegeben: zum einen aus inhaltlichen Gründen, zum anderen, um den Gegensatz zur Übersetzung von νοῦς δυνάμει als »möglicher« qua »in Möglichkeit befindliche Geist« zu betonen.  8 Der inhaltlich nicht immer klar zu treffenden Unterscheidung von νοερόν und νοητόν wird im Folgenden durch eine unterschiedliche Übersetzung Rechnung getragen: Während νοερόν ein Prädikat für das Subjekt geistiger Tätigkeit ist, also dasjenige bezeichnet, was »zur geistigen Erfassung fähig« ist, steht νοητόν umgekehrt für das Objekt geistiger Tätigkeit, also für den »Gegenstand des geistigen Erfassens«.  9 Das bereits zuvor im Begriff der »Neigung« (ἀπόνευσις; vgl. Steel 1978, S. 61, Anm. 32, mit weiteren Nachweisen) anklingende Motiv des Abstiegs aus der Sphäre des Ungeteilten und Intelligiblen in die Welt des



Priskian von Lydien: Metaphrase zu Theophrasts Physik 913

Geteilten und Körperlichen ist ein immer wiederkehrendes Leitmotiv neuplatonischen Philosophierens. 10 »Lockern« bzw. »Lockerung« (χαλασμός) ist eine für Priskian sehr typische Wendung, mit der eine Art Mittelding zwischen einer vollständig homogenen und einer in ihre Teile aufgelösten Einheit bezeichnet wird. In unserem Text wird damit vorwiegend das Verhältnis des mit der Seele verbundenen, in Möglichkeit befindlichen Geistes (νοῦς δυνάμει) mit den Gegenständen des geistigen Erfassens (νοητά) charakterisiert, im Kontrast zur vollständigen Einheit im ersten, transzendenten Geist. Vgl. Steel 1978, S. 66, Anm. 53, mit weiteren Nachweisen für Priskian und Damaskios. 11 Vgl. Aristoteles, an. III 5, 430a16 f. 12 Vgl. Aristoteles, an. III 4, 430a1 f. Die nachfolgende Text knüpft offensichtlich an die Ausdeutung dieses Bildes durch Jamblich an (vgl. Stephanos (›Philoponos‹) 533, 25–35 Hayduck, in der vorliegenden Edition Kap. 8, S. 756–759): Die Schreibtafel ist nicht leer, sondern mit schwer lesbaren Buchstaben beschrieben, so dass es eines hinzukommenden Moments bedarf, um sie entziffern zu können. Analog hierzu ist die Einwirkung des verwirklichten Geistes und seiner intelligiblen Gehalte erforderlich, damit der in Möglichkeit befindliche Geist seine Wissensgegenstände in Reinform erkennt. 13 Eine Parallelstelle bei Themistios findet sich in Kap. 4, S. 308–311. 14 Hier und im folgenden ist τελείωσις mit »Vervollkommnung« übersetzt, insofern Priskian mit diesem Ausdruck meist das prozessuale Moment der Vollendung betont, während τελειότης (wiedergegeben mit »Vollendung«) eher auf den erreichten Endzustand abhebt. 15 Aristoteles kennzeichnet Homonymie als den Fall, in dem zwei Dinge zwar denselben Namen haben, aber unterschiedliche Bedeutungen bzw. Begriffsgehalte vorliegen (Gegenstück ist die Synonymie, bei der zwei verschiedene Ausdrücke dasselbe ausdrücken); vgl. Aristoteles, cat. 1 1a1–6. Homonymie ist in unterschiedlichen Graden konzipierbar, je nachdem, ob die durch den homonymen Ausdruck bezeichneten begrifflichen Gehalte absolut nichts miteinander zu tun haben (reine Äquivokation) oder semantisch in irgendeiner Relation zueinander stehen (z. B. in Form eines geteilten Begriffskerns; vgl. etwa die aristotelischen Ausführungen zur pros-hen-Relation in metaph. IV 2, 1003a33–b18). Im vorliegenden Text möchte Priskian v. a. betonen, dass Ausdrücke wie »Erleiden« und »Möglichkeit« nicht synonym bzw. univok im Hinblick auf die Welt der Materie und die immaterielle Welt des

914 Anmerkungen

Geistigen anzuwenden sind. Dies schließt bestimmte Analogien zwischen den beiden Bereichen, die eine Übertragung der Begriffe von dem einen auf den anderen (freilich in hinreichend qualifizierter und spezifizierter Form) ermöglichten, nicht aus. 16 Als »sekundär« (δεύτερος) kennzeichnet Priskian hier und an den folgenden Stellen alle Seinsweisen und Tätigkeiten, die sich unterhalb des ersten verwirklichten Geistes und seiner Gegenstände finden, insofern ihnen die reine Ungeteiltheit dieser »primären« (πρῶτος) Sphäre sowie ihre vollkommene Unverbundenheit mit allem Materiellen mehr oder minder fehlen. »Sekundär« sind in diesem Sinne sowohl der seelische Geist als auch die an ihm teilhabende menschliche Vernunftseele sowie ihre denkenden bzw. wissenden Aktivitäten. 17 Vgl. Aristoteles, an. III 4, 429b30 f. 18 Priskian betont hier die im ersten Teil seiner Metaphrase (»Περὶ αἰσθήσεως«) herausgearbeiteten aktiven Anteile der Sinneswahrnehmung auf Seiten des Wahrnehmenden, die in der aristotelischen Tradition häufig hinter ein bloß passives Erleiden der Sinneseindrücke zurücktreten. Sein Ausdruck »das erste Wahrnehmungsfähige« bezieht sich auf den von Aristoteles zum Subjekt der sinnlichen Wahrnehmung erklärten Gemeinsinn, den Aristoteles auch das »erste Sinnesorgan (πρῶτον αἰσθητήριον)« nennt (somn. 2, 456a21; 3, 458a28 f.; mem. 1, 450a11 f. u. 14; 451a17; somn. 3, 454a30 f.; Part. an. III 4, 666a34 f.). Zur Erläuterung Perkams 2008, 205–209; Hahmann 2016, 173–176. 19 Priskian (›Simplikios‹), in an. 305, 7–8 Hayduck, gibt als Beispiel für diese Wendung das Verhältnis konvex-konkav. Der Ausdruck stammt ursprünglich aus der stoischen Mischungslehre. 20 S. o. Anm. 15. 21 Vgl. Aristoteles, an. III 5, 430a18. Hier ist allerdings vom »wirkenden« und nicht vom »erleidenden Geist« die Rede. 22 Bywater tilgt das in allen Manuskripten vorhandene ἀσώματοις. Dies ist freilich nicht redundant gegenüber der vorausgehenden Wendung τοῖς χωριστοῖς σωμάτων, sondern gibt vielmehr, wie die zitierte Theophrast-Stelle deutlich macht, die mögliche Quelle des Erleidens bzw. der Veränderung an. 23 Ich übernehme hier die von Wimmer 1854 vorgeschlagene Konjektur: πῶς anstelle von ὡς. 24 Vgl. an. III 5, 429b23 f. 25 Priskian greift hier die aristotelische Unterscheidung von κίνησις und ἐνέργεια auf. Κίνησις bezeichnet dabei eine Art von Prozessualität



Priskian von Lydien: Metaphrase zu Theophrasts Physik 915

(z. B. das Bauen von Häusern), die erst mit dem Erreichen eines Endpunkts zum Abschluss kommt und deshalb während des Prozesses noch unvollendet ist. Im Gegensatz dazu ist eine ἐνέργεια (wie etwa das Sehen) zu jedem beliebigen Zeitpunkt in sich abgeschlossen und deshalb vollendet; vgl. hierzu Aristoteles, metaph IX 6, 104b 18–36. 26 Ich folge hier der Lesart τροπήν statt τρόπον, die Bywater gegen die Handschriften in seinem Apparat im Anschluss an Priskian (›Simplikios‹), in an. 18, 35 vorschlägt. 27 Hier klafft im überlieferten Text eine wohl recht umfangreiche Lücke. 28 »Bestimmtes« (ὡρισμένον) und »Bestimmendes« (ὅρος) stehen in einer ontologischen Relation zueinander, die der formalen Prägung eines Niedrigeren durch ein Höheres entspricht. Im vorliegenden Text wird damit primär das Verhältnis des in Möglichkeit befindlichen zum verwirklichten Geist beschrieben; ebenso kann damit auch das Verhältnis der Vernunftseele zu dem Geist, an dem sie teilhat, gemeint sein. 29 Aristoteles, an. III 4, 430a5 f. Im Folgenden liegt ein doppeldeutiger Bezug vor: Bei Aristoteles ist vom Geist die Rede, während Priskian auch die Seele einbringt, was ein Changieren der Formulierungen im Fortgang der Ausführungen zur Folge hat. 30 Vgl. in ähnlichem Sinne auch die Ausführungen bei Plotin V 3, 3–4. 31 Dieser Rückverweis ist innerhalb des erhaltenen Textes nicht nachvollziehbar. Inhaltlich findet sich dasselbe bei Priskian (›Simplikios‹), in an. 220, 38 f. u. 286, 27–32. 32 Aristoteles, an. III 4, 429a24. 33 Nachfolgend benutzt Priskian verschiedene Ausdrücke, die im Deutschen mit »wissen« oder »erkennen« wiederzugeben sind: γιγνώσκειν ist ein allgemeiner Ausdruck, während ἐπίστσθαι ein diskursives Wissen bezeichnet, das sich noch unterhalb der Ebene des νοῦς bzw. νοεῖν bewegt. Diese epistemischen Nuancierungsgrade lassen sich im Deutschen nicht immer reproduzieren, so dass der griechische Text an den entsprechenden Stellen im Auge behalten werden sollte. Um eine Orientierung zu ermöglichen, habe ich γιγνώσκειν soweit möglich als »erkennen« und ἐπίστασθαι als »wissen« wiedergegeben. Νοεῖν wurde durchgängig mit »geistig erfassen« übersetzt. 34 Προβολή (vom Verb προβάλλειν) bezeichnet allgemein die nach außen gerichtete Tätigkeit der Seele, durch die verschiedene mit dem Körper verknüpfte Aktivitäten entstehen. Durch dieses »Herausgehen« aus sich und ihrem eigentlichen Wesen sowie aus den ihr inhärenten

916 Anmerkungen

intelligiblen Gehalten geht nach Jamblich und Priskian die ursprüngliche Einheit mit sich selbst und den Gegenständen des Wissens verloren. Der im Text ebenfalls häufig auftauchende komplementäre Gegenbegriff hierzu ist das »in sich Bleiben« (μένειν). 35 Die in diesem Teilsatz gemeinten »Dinge« sind nichts anderes als die Ideen. Hierzu s. u. Anm. 2 im nachfolgenden Kommentar zu Kap. 6. 36 Προιέναι (»herausgehen«; vgl. auch die vorletzte Anmerkung zu προβάλλω) bildet gemeinsam mit μένειν (»in sich bleiben«) und ἐπιστρέφειν (»zurückkehren«) seit Jamblich eine Triade, mit der die Struktur und die Aktivität der Seele zum Ausdruck gebracht werden. 37 Charakteristisch für die Seele ist also die Getrenntheit von Seinsform bzw. Wesenheit und Tätigkeit, deren Zusammenfallen bzw. Identität für die Sphäre des rein Geistigen charakteristisch ist. 38 Platon verwendet den Ausdruck »eingestaltig« (μονοειδής) zur Beschreibung der transzendenten Ideen; vgl. Phaed. 80b. Indem Priskian der menschlichen Seele genau diese Qualität abspricht, knüpft er an Jamblichs (gegen Plotin gerichtete) Position an, dass die menschliche Seele selbst keinen Seinsstatus besitzt, der dem Bereich des alle Materialität transzendierenden Geistigen zuzurechnen ist: Sie kann lediglich über den in Möglichkeit befindlichen Geist Anteil daran haben. 39 Nämlich »in der Untersuchung«. Huby 1997, Anm. 368, übersetzt θεωρεῖν hier mit »being conscious«. 40 Die platonische Unterscheidung zwischen bloßem Meinen (δόξα) und wirklichem Wissen (ἐπιστήμη), wie sie u. a. im Liniengleichnis bei Platon, resp. V, vorgetragen wird, steht hier im Hintergrund. Zur Wendung δόξα μετ’ αἰσθήσεως vgl. Platon, Tim. 28a2; Aristoteles, an. III 3, 428a25. 41 Die ursprünglich auf Anaxagoras zurückgehende Wendung ὁμοῦ πάντα (»alles [ist] zugleich«) wird im Neuplatonismus auf den Geist bzw. seine Ideen (Plotin) bzw. auf die Seele (Proklos) angewandt; vgl. hierzu Horn 2002, S. 196 f. 42 Es ist unklar, wem genau diese Auffassung zuzuschreiben ist. Vgl. die Diskussion bei Huby 1997, Anm. 375. 43 S. o., in Theophr. 26, 3–6. 44 Vgl. Aristoteles, an. III 4, 429b4 f. 45 Vgl. an. III 4, 429b5–9, aber auch an. II 1, 412a19–28, wo die Seele als »erste Entelechie« des organischen Körpers definiert wird, die seine vollendeten Möglichkeiten bereitstellt, ohne dass diese jederzeit wirklich wachgerufen werden müssen. An beiden Stellen wird auf den Unterschied zwischen der bloßen Möglichkeit und einem bereits aus-



Priskian von Lydien: Metaphrase zu Theophrasts Physik 917

gebildeten Vermögen hingewiesen: Jedem Menschen ist es prinzipiell möglich, eine Sprache zu erlernen; wenn er dies getan hat, hat er das Vermögen, die erlernte Sprache nach Belieben zu gebrauchen. Dies sind zwei verschiedene Formen bzw. Stufen von Möglichkeit. Im vorliegenden Kontext meint dies die Unterscheidung zwischen einem gänzlich neu zu erwerbenden Wissen und einem bereits vorhandenen Wissen, das jedoch nicht aktuell vor dem eigenen geistigen Auge steht und in diesem Sinne potentiell bzw. möglich ist. Vgl. hierzu auch eth. Nic. VII 3, 1146b31 ff. 46 Ein Habitus (ἕξις) bezeichnet im Anschluss an die aristotelische Wortverwendung eine besonders fest verankerte, durch Lehre, Übung oder Gewohnheit gewonnene Disposition. Zum Habitus bzw. zur Gewohnheit als Vollendung der menschlichen Natur vgl. eth. Nic. VII 10, 1152a25–33 (v. a. das Dichterzitat von Euenos). 47 Die Mittelstellung der Seele zwischen dem Geteilten und Ungeteilten, dem Sterblichen und Unsterblichen, dem sich an das Äußere Verlierenden und dem in sich Bleibenden, dem Sein und dem Werden u.ä. ist charakteristisches neuplatonisches Gedankengut. Ihre Kennzeichnung als ἀμφίβιον (s. u. in Theophr. 31, 15: ἀμφίβολος), die sich schon bei Plotin IV 8, 4, 32 findet, soll genau diesen Doppelcharakter zum Ausdruck bringen. 48 Steel 1978, S. 55, sieht diese gesamte Passage (in Theophr. 31, 27–32, 18) als »almost verbatim reproduction from Iamblichus’s De anima«. Zum damit verbundenen doktrinären Gehalt des substantiellen Wandels der Seele in der Metaphrasis vgl. ebd., S. 55–58. 49 Genau hierin sieht Steel 1978 das originelle Konzept Jamblichs, das Damaskios und Priskian aufgreifen: Die Einzelseele ist einem beständigen substantiellen Wandel ausgesetzt, einer Veränderung also, die sich nicht auf ihre äußeren Tätigkeiten beschränkt, sondern sie im Kern ihres Wesens betrifft. 50 Vgl. Aristoteles, an. III 4, 429b10–23. 51 εἶναι ist im Folgenden mit »So-Sein« übersetzt, zum einen aus kontextuell ersichtlichen inhaltlichen Gründen, zum anderen zwecks Abhebung vom bisher mit »Sein« übersetzten Ausdruck οὐσία. 52 Gemeint sind Materie und Form. 53 Vgl. Stephanos (›Philoponos‹), in an. 529, 22 f. Plutarch von Athen, nicht zu verwechseln mit dem älteren Plutarch aus Chaironeia (ca. 45– 125), war Oberhaupt der Akademie in den ersten Jahrzehnten des 5. Jahrhunderts (er starb um 431/2). Dass Priskian ihn hier so lobend hervor-

918 Anmerkungen

hebt, überrascht ein wenig, da er ihn ansonsten des Öfteren inhaltlich kritisiert; vgl. Steel 1978, S. 18. 54 Die von Bywater an dieser Stelle indizierte Lacuna kann getilgt werden, wenn man als Prädikat des nachfolgenden Hauptsatzes γνωρίζει statt γνωρίζεται liest. 55 Der Ausdruck λόγος τῆς οὐσίαϛ wird häufig auch mit »Definition« wiedergegeben, was hier ebenfalls möglich erscheint. 56 Ich schließe mich der von Huby 1997, Anm. 397, vorgeschlagenen Emendation an: »αὑτῇ« statt »αὐτῇ«. 57 Mit ἐπίνοεῖν wird hier die Tätigkeit der ἐπίνοια bezeichnet (s. u. Anm. 60), die als »bloßes Denken« die Abstraktion bzw. Begriffsbildung im endlichen menschlichen Bewusstsein meint. 58 Vgl. Aristoteles, an. III 4, 429b20 f. 59 Vgl. Aristoteles, an. III 4, 429b21 f. Diese inhaltlich schwierige Passage versieht Priskian im Folgenden mit drei alternativen Erklärungen neuplatonischen Einschlags, die zur besseren Nachvollziehbarkeit im Text mit (a), (b) und (c) gekennzeichnet werden. 60 Das im Folgenden im Anklang an Hegel als »Nachdenken« übersetzte ἐπίνοια ist ein von den Stoikern stammender terminus technicus, der das menschliche endliche Bewusstsein in Absetzung vom göttlichen und ewigen νοῦς bezeichnet. Die ἐπίνοια konstituiert eine eigene Wirklichkeitssphäre, die von der äußeren Realität (sei es in Form der Ideen oder in Gestalt der materiellen Welt) zu unterscheiden ist. Zur Geschichte des Begriffs vgl. Kobusch 1987, 23 ff. und 33 ff. 61 Zu dieser Wendung s. o., Anm 41. 62 »Privation« (στέρησις) meint soviel wie »Beraubung«, d. h. das Erzeugen bzw. Vorliegen eines Gegenteils zu einer existenten Sache durch Wegnahme einer Qualität oder Bestimmung: Dunkelheit hat in sich selbst keine Seinswirklichkeit, sondern entsteht durch Privation des Lichts. Interessanterweise ist Priskian der einzige mir bekannte Autor der Antike, der diesem Standardbeispiel widerspricht: Dunkelheit ist ihm zufolge »keine Privation des Lichts, sondern selbst eine Wirklichkeit (ἐνέργεια)« (in Theophr. 8, 16). 63 Mit »Entfaltung« (ἀνέλιξις) wird die im Rahmen des »Abstiegs« erfolgende Aufteilung der in der Form ungeteilt gegebenen Merkmale zu der Vielheit hin bezeichnet, welche dann ihren Ausdruck in der Sphäre der von diesen Formen abhängenden materiellen Dingen findet. Im Falle der herabgestiegenen Seele meint ἀνέλιξις wohl auch soviel wie »Diskursivität«; vgl. Steel 1978, S. 126 f.



Priskian von Lydien: Metaphrase zu Theophrasts Physik 919 64 Vgl.

Aristoteles, an. III 4, 429b6–9. 65 Aristoteles, an. III 4, 429b30–430a2. 66 Die vermutlich von Aristoteles eingeführte Wortbildung ἐντελέχεια, die hier erstmals im Text auftaucht, ist inhaltlich (und deshalb a fortiori übersetzungstechnisch) manchmal schwer von ἐνέργεια abhebbar. Da meist auf den Aspekt der ontischen Vervollkommnung abgehoben wird, ist der Ausdruck hier und im Folgenden mit »Verwirklichung« wiedergegeben. Vgl. auch oben, Anm. 7. 67 Vgl. Aristoteles, an. III 4, 429b30 f. 68 Vgl. Aristoteles, an. III 4, 429b31. 69 Vgl. Huby 1997, Anm. 422: ᾗ statt ἤ . 70 An. III 4, 430a3–9. Nachfolgend lässt sich nicht immer eindeutig bestimmen, ob Aristoteles selbst oder Theophrast zitiert wird: Die Passagen sind meist eher eine Paraphrase des aristotelischen Textes als eine exakte Wiedergabe. 71 Aristoteles, an. III 4, 430a3 f. 72 Zu dieser Wendung s. o., Anm 41. 73 Vgl. Aristoteles, an. III 4, 430a4 f. 74 Vgl. Aristoteles, an. III 4, 430a4–6. 75 Vgl. Aristoteles, an. III 4, 430a6 f. 76 Damit ist der abgetrennte verwirklichte Geist (νοῦς ἐνέργεια[ι]) gemeint. 77 Aristoteles, an. III 4, 430a7. 78 Aristoteles, an. III 4, 430a7 f. 79 Hier kommt ein zentraler Gedanke des Neuplatonismus zum Tragen, nämlich die ausschließlich in der Immaterialität des Geistes gründende Möglichkeit der Selbsterkenntnis; vgl. etwa Proklos, elem. theol. § 15. 80 Es folgen drei alternative Erklärungsmöglichkeiten, die zur besseren Nachvollziehbarkeit im Text mit (a), (b) und (c) gekennzeichnet sind. 81 Vgl. Aristoteles, an. III 4, 430a7–9. 82 Hier bricht der uns überlieferte Text ab. Vgl. hierzu Huby 1999, S. 3 und S. 181.

920 Anmerkungen

7. Priskian von Lydien: Kommentar zu De anima IIIS. 561 ff.  1 Der

hier abgedruckte griechische Text ist weitgehend der von Michael Hayduck in CAG 11 veröffentlichte. Punktuelle Abweichungen werden in den Anmerkungen kenntlich gemacht.  2 Es geht also um die inhaltliche Wahrheit, die für den Neuplatoniker das richtige Verständnis der eigentlich existierenden Dinge, d. h. der reinen Formen ist. Zu πράγματα als Bezeichnung für die Ideen vgl. schon Platon, Phaed. 66d8 f.; Crat. 386d9–e4.  3 Den Satz in dieser Weise auf die Vollendung des aristotelischen Textes zu beziehen und τελεωσαμένου folglich medial zu verstehen, vermeidet die überraschende Deutung, Jamblich habe Aristoteles – auch im Vergleich zu Platon – für den Vollender der Seelenlehre gehalten. Woher Jamblichs Aussage stammt, ist wie bei den meisten von Priskians Jamblich-Referaten nicht sicher festzustellen, doch ist die unten erwähnte Schrift »Über die Seele« ein wahrscheinlicher Kandidat. Vgl. Anm. 5.  4 Welche Kontroversen Priskian hiermit meint, wissen wir nicht. Als Gegner seiner Ansichten treten im Kommentar in erster Linie Alexander von Aphrodisias und in zweiter Linie Plotin hervor, die aber kaum als zeitgenössische Alternative zu dem von Priskian verfochtenen jamblicheischen Neuplatonismus gelten können. Vgl. aber die Erwähnung beider in Debatten über die Geistlehre, wie sie von Philoponos und Stephanos – allerdings in Form einer schulmäßigen Typologie verschiedener Meinungen – geschildert werden, z. B. bei Philoponos, o. S. 420–423; bei Stophanos (›Philoponus‹) o. S. 724–733.  5 Gemeint ist wohl in erster Linie die von Johannes Stobaios zu gewissen Teilen überlieferte Schrift »Über die Seele« (vgl. Steel 1978, S. 16–20), aber womöglich auch andere verlorene Schriften wie der Timaioskommentar (vgl. Priskian (›Simplikios‹), in an. 133, 34 f.) und die von Damaskios erwähnte Schrift »Über die Wanderung der Seele aus dem Körper« (Περὶ ψυχῆς μεταναστάσεως ἀπὸ σώματος. in Parm. IV, 24, 3 f.). Eine – allerdings unvollständige und häufig unzureichend abgegrenzte  – Sammlung der auf Jamblich verweisenden Passagen aus Priskians Schriften mit englischer Übersetzung und nützlichem Kommentar (vgl. aber zur Autorfrage die Einleitung zu diesem Kapitel) findet sich bei Finamore/Dillon 2002, S. 229–278.  6 Die letzten beiden Sätze sind der expliziteste Beleg für die Harmonisierung von Platon, Aristoteles und der (neuplatonisch verstandenen) »Wahrheit«. Vgl. dazu Sorabji 1990, S. 1–30, hier S. 3–5.

Priskian von Lydien: Kommentar zu De anima III

 7 Mit

921

»Bezug-Nehmen« oder »Bezugnahme« übersetze ich im Folgenden das Griechische ὑπόληψις bzw. ὑπολαμβάνειν. Dabei handelt es sich um eine relativ freie Wiedergabe der griechischen Begriffe, die eigentlich eher »vermuten« bedeuten; sie scheint mir aber der spezifischen Bedeutung, die Priskian diesen Begriffen gibt, am besten gerecht zu werden: Rationales Erkennen ist deswegen ὑπόληψις, weil ich mich darin auf die Inhalte meiner eigenen Erkenntnisse beziehe. In moderner philosophischer Terminologie wird das häufig als das Entwickeln »propositionaler Einstellungen« (propositional attitudes) bezeichnet.  8 Περιπτυσσομένη, wörtlich »umarmt«.  9 D. h. sie ist ein allgemeineres Phänomen: Jeder Meinung folgt Überzeugung, aber nicht jede Überzeugung folgt einer Meinung. 10 Im Neuplatonismus hat οὐσία neben seiner aristotelischen Bedeutung auch noch deutlich erkennbar die platonische Bedeutung von Sein bzw. Seinsweise, weswegen das Wort in diesem Text mit »Sein« oder »Seinsform« übersetzt ist. Die ontologische Selbständigkeit (im Sinne von »Substanz«) der hier genannten »Seinsformen« sollte dabei nicht zu stark betont werden, da für einen Neuplatoniker wie Priskian alles Seiende in Emanations- und Abbildungsverhältnissen miteinander verbunden und voneinander abhängig ist. »Sekundäre« Seinsformen hängen dabei immer von einem selbständigen »primären« Seienden ab. Diese Terminologie, die im Neuplatonismus auf verschiedene »Ketten« von Seinsformen angewandt wird (vgl. Priskian, in Theophr. 27, 28–30; Proklos, elem. theol. 12, 13; 34, 3 f.; 38, 30 f. u. ö.), bezieht sich in unserem Text durchgängig auf das immaterielle »primäre« Sein, während alle mit der Materie verbundenen Seinsformen demgegenüber »sekundär« sind, da sie gleichsam ein Abbild des primären Seienden innerhalb der Materie darstellen; vgl. unten Anm. 89. 11 Ζωή bedeutet in diesem Text in der Regel (vermutlich aufgrund jamblicheischer Tradition; vgl. auch Damaskios, in Parm. IV 14, 13–17) ein beliebiges der von Aristoteles genannten Seelenvermögen. Denn dass ein solches Vermögen wirken kann, setzt voraus, dass es auch Sein (οὐσία) hat (ὡς πολυδύναμος, οὕτω καὶ πολυούσιος ἡ ψυχή. Priskian (›Simplikios‹), in an. 286, 37 f.), und zwar lebendiges Sein (Priskian (›Simplikios‹), in an. 14, 3–13; 15, 34–16, 4; 78, 8–13; 79, 29–34). Daher lässt sich aus der Feststellbarkeit eines Vermögens die Existenz einer Art des Lebendigen bzw. Lebensform (ζωή) schließen. Damit wird die Einheit der verschiedenen Vermögen nicht bestritten, sondern sie ergibt sich aus der ontologischen Einheit der Seele (vgl. Anm. 10): Denn zum einen

922 Anmerkungen

können nicht körperliche Dinge ohne Probleme miteinander vereint sein (Priskian (›Simplikios‹), in an. 77, 11–22; Proklos, in remp. 1, 234, 14–17 Kroll), und zum anderen hängen alle Lebensformen in einer Seele von deren »primärem« Leben bzw. Sein ontologisch wie inhaltlich ab (Priskian (›Simplikios‹), in an. 219, 29–36). Vgl. zum Zusammenhang von Sein und Leben schon Platon, Soph 248e7–a1 und Aristoteles, metaph. XII 7, 1072b15–30, sowie im Neuplatonismus Proklos, elem. theol. 189 (164, 20–32 Dodds) und dazu Beierwaltes 2001, S. 176 f. 12 Vgl. die Einleitung zu diesem Text. 13 »Bestimmung« (ὅρος) meint sowohl semantisch die Definition als auch ontologisch das Bestimmtsein, die dem immateriellen Intellekt in sich und den von ihm »bestimmten« Gegenständen (ὁριζόμενα) durch die Teilhabe an ihm zukommen. 14 Dieses Werk ist uns nicht erhalten. Seine Erwähnung ist ein Argument dagegen, dass Simplikios der Verfasser dieses Kommentars ist, da er vermutlich nie einen solchen Kommentar geschrieben hat. Vgl. Rashed 2000, S. 275–284. Eine neuplatonische Parallele zu Priskians Gedanken findet sich z. B. Proklos, in Tim. 1, 371, 20–30 Diehl. 15 Priskian drückt hier noch einmal seine Selbstverpflichtung auf Jamblichs Philosophie aus, vgl. oben. 16 Das setzt die Existenz individueller Formen voraus, und zwar bereits vor dem Eintritt in die Materie; vgl. Priskian (›Simplikios‹), in an. 249, 20–23. Das Problem wurde von Plotin für Seele und Geist mithilfe des Begriffs der Wissenschaft erklärt; vgl. v. a. Plotin VI 2, 20; dazu Tornau 1998, S. 87–111. Im späten Neuplatonismus wird diese Individualität durch die triadische Struktur der Wirklichkeit ermöglicht: Während das oberste Glied der Triade eines ist, kann das zweite Glied, also die konkrete Präsenz des obersten in den von ihm bestimmten Objekten, in mehreren einzelnen Exemplaren existieren. Daher besteht kein Gegensatz zwischen Singularität und Universalität dieser Formen; vgl. Steel 1978, S. 129 f. 17 Das »Bestimmte« (τὸ ὁριζόμενον) sind die Gegenstände dieser Welt, die von den »Gehalten« (λόγοι) als das bestimmt werden, was sie sind. Da diese Gehalte als bestimmendes Element in der Materie existieren, müssen sie eine Vielfalt von Merkmalen der von ihnen bestimmten Gegenstände ermöglichen und sind daher nicht mehr ganz einfach. So unterscheiden sie sich von den ganz immateriellen »Formen«, aus denen sie sich ableiten. Vgl. Priskian (›Simplikios‹), in an. 86, 30–35. 18 Die Entfaltung (ἀνέλιξις bzw. das Verb ἀνελίττειν) beschreibt die



Priskian von Lydien: Kommentar zu De anima III

923

Auffaltung der in der Form ungeteilt vorhandenen Merkmale zu der Mannigfaltigkeit, mit der ein Gehalt (λόγος) in der Materie die von ihm abhängigen Gegenstände bestimmt. Zur Entfaltung als Merkmal des Seelischen vgl. Proklos, in Tim. 2, 288, 27–30 Diehl, zur Sache auch Anm. 17. 19 Zur »eigentümlichen Beschaffenheit« (ἰδίως ποιόν) bei den Stoikern vgl. die bei Hülser 1987, unter Abschnitt 4.2.3.3, gesammelten Fragmente (Priskian (›Simplikios‹), in an. 217, 34–218, 2 ist frg. nr. 846), ferner die systematische Darstellung: Sedley 1982, S. 255–275, und zur neuplatonischen Rezeption: Chiaradonna 2000, S. 303–331. 20 Nämlich jeder natürliche Gegenstand, der aus Stoff und Form besteht. 21 Zur Unterscheidung des reinen, von Teilhabe freien Intellekts, von dem der Teilhabe unterliegenden vgl. die Einleitung zu diesem Kommentar. Die Lehre geht auf Jamblich zurück und findet sich häufig bei Proklos. Vgl. v. a. de Rijk 1992, S. 1–34. 22 Gemeint ist der Aufbau der Schrift De anima. 23 Die klassische Definition von »Mensch«. 24 Dieser Verweis geht auf Priskian (›Simplikios‹), in an. 77, 9–23, wo Priskian erklärt, dass die von Natur aus transzendente Seele während ihres Lebens im Leib eine Einheit mit den Vermögen eingeht, die in einer untrennbaren Verbindung zum Körper existieren. Vgl. auch in an. 287, 16–23. 25 Vielleicht ist γνῶσις in γνώσεις »Erkenntnisarten« zu ändern. 26 Vgl. die Einleitung zu diesem Kommentar. 27 Typisch für den Neuplatonismus ist die Annahme, dass die Formen bzw. platonischen Ideen im Geist existieren, der mit diesen Formen identisch ist; vgl. Armstrong 1960, S. 393–413. – Das gilt in erster Linie für den transzendenten, vom menschlichen Leib »abgetrennten« Geist, in abgeleiteter Weise aber auch für den menschlichen Geist, wie er hier diskutiert wird: Wenn ein Mensch etwas weiß, dann befindet sich die Form des Gedachten in seinem Geist. Der neuplatonischen Erkenntnistheorie zufolge ist das deswegen möglich, weil der menschliche Geist immer in Kontakt mit den transzendenten Stufen des Geistes bleibt und sich daher an seine Einsichten als transzendenter Geist erinnern kann. Wenn er einen Gegenstand sinnlich wahrnimmt, kann er daher die Form dieses Gegenstandes aus sich selbst hervorbringen und diesen so korrekt identifizieren (vgl. z. B. Proklos, in Tim. 1, 255, 2–24 Diehl; Philoponos, in an. 3, 13–5, 23).

924 Anmerkungen 28 Also

insofern sie nicht in sich selbst, sondern bereits als äußere Lebensform hervorgebracht ist. 29 Gemeint ist der Körper eines Lebewesens, den Aristoteles als »werkzeughaft« (ὀργανικόν) bezeichnet; vgl. Anm. 43. Dieser Körper ist nach an. II 1, 412a20 f. 28 in Möglichkeit lebendig, d. h. nicht so, dass er lebendig werden kann, sondern so, dass er dasjenige Teil des Lebendigen darstellt, dessen »potentielle« Lebendigkeit von der Seele verwirklicht wird. Ein toter Körper ist demnach gar nicht mehr lebendig, auch nicht »in Möglichkeit«. Vgl. Priskian (›Simplikios‹), in an. 230, 5–8. 30 Die Fähigkeit, gegenteilige Eigenschaften aufzunehmen, ist nach Aristoteles, cat. 5, 4a10–b19 ein Hauptkennzeichen der οὐσία. Priskian erklärt seinen Gedanken genauer in an. 15, 34–16, 4. 31 Das »Platon« der Hss. ist in Plotin zu korrigieren, dessen Lehre hier kritisiert wird. So auch Steel 1978, S. 39 Anm. 26 (mit Verweis auf die indirekte byzantinische Überlieferung, die Hayduck bei seiner Ausgabe nicht berücksichtigte) und Blumenthal 1996, S. 139 Anm. 310. 32 Gemeint sind die drei aristotelischen Stufen der Aktivität bzw. Möglichkeit: die reine Möglichkeit, die schon erworbene, aber nicht angewandte Aktivität und die tatsächliche Aktivität. Vgl. an. II 1, 412a22– 26; II 5, 417a21–b2; eth. Nic. VII 5, 1146b31–34. 33 Aristoteles zufolge liegt Erinnerung immer in Form von Vorstellungen vor, also nicht als rein geistige Größe. 34 Die hier vorausgesetzte terminologische Verschiedenheit von Platon und Aristoteles ist ein Prinzip der neuplatonischen Exegeten, das es ihnen ermöglicht, viele Widersprüche zwischen beiden Autoren als rein terminologisch darzustellen, obwohl beide sich in der Sache einig gewesen seien. 35 Dass Aristoteles das Wort νοῦς, das nach Priskians Meinung eigentlich für das reine intuitive Denken eines Gegenstands reserviert sein sollte (vgl. in an. 220, 25. 38 f.; 229, 5 f.; 238, 7 f.; in Theophr. 29, 3–6), auch auf die diskursive Vernunft und das Vorstellungsvermögen anwendet, widerspricht seiner angeblichen Tendenz, unterschiedliche Worte für die Formen und das Geformte zu verwenden, weswegen es einer besonderen Erklärung bedarf. Im griechischen Text muss daher etwas wie »νοῦν προσαγορεύει« ausgefallen sein, wie es die deutsche Übersetzung nachahmt. 36 Aristotelis Dialogorum fr. 46 Rose. 37 In diesem Stück ist die Unterscheidung einer voranstehenden philosophischen Darstellung des Inhalts (θεωρία) und einer folgenden Tex-



Priskian von Lydien: Kommentar zu De anima III

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tanalyse (λέξις) deutlich zu erkennen. Bei Priskian ist das Schema aber nicht so deutlich durchgehalten wie später bei Olympiodor und Stephanos. Zu dieser Stelle als Beleg für Priskians harmonisierende Grundtendenz s. o. Anm. 7 der Einleitung zu diesem Text. 38 Eine etymologische Erklärung des Wortes διάνοια durch das Verb διανύειν (beenden, ankommen), die im Neuplatonismus verbreitet war (vgl. Philop. in an. 2, 2 f.; 78, 11 f.). 39 »Auf erkenntnismäßige Weise« (γνωστικῶς) werden Formen aufgenommen, wenn sie erkannt werden, wobei sich aber das Aufnehmende nicht wesenhaft ändert. Der Begriff findet sich bei allen neuplatonischen De-anima-Kommentatoren und wird besonders in Philoponos’ Wahrnehmungstheorie erläutert. 40 Zu dieser Unterscheidung von zweierlei Arten des EntelechieSeins der Seele vgl. o. Anm. 2 der Einleitung zu diesem Text. 41 Die natürlichen Formen sind die in der alltäglich erfahrbaren Natur wirksamen Bestimmungen der Dinge, die intellektiven Formen die ganz transzendenten platonischen Ideen, von denen die natürlichen Formen abhängig sind. 42 D. h. körperliche Qualitäten, die beim Erkennen affiziert werden können, etwa das körperliche Sinnesorgan. 43 Priskian interpretiert das aristotelische ὀργανικόν (an. II 1, 412a29 f.; 412b6) gemäß dem Wortsinn als »werkzeughaft«, bezieht das Wort also ganz auf das Verhältnis des Körpers zur Seele, deren Werkzeug der Körper und jedes seiner Teile darstellt. Daher muss man in seinem Text ὄργανον mit »Werkzeug« übersetzen. Das ist, obwohl Priskian seine Deutung kaum an Aristoteles’ Text selbst begründet, vermutlich auch die bei Aristoteles gemeinte Bedeutung, da das Wort bei ihm an allen übrigen Stellen »werkzeughaft« heißt (Bonitz, Index Aristotelicus, s. v.). Dagegen kennt Philoponos, der die Werkzeughaftigkeit des Körpers ebenfalls zugibt, auch die mindestens bis Alexander von Aphrodisias (an. 16, 11–14) zurückgehende und noch heute verbreitete Erklärung des Wortes als »mit Organen versehen« (διωργανώμενον) und verbindet beides miteinander (vgl. bes. Priskian (›Simplikios‹), in an. 217, 13 f.). 44 Die Sinneswahrnehmung ist nach Platon und Aristoteles dadurch gekennzeichnet, dass sie in Verbindung mit einem materiellen Prozess erfolgt, also auch ein Erleiden im eigentlichen Sinn, also eine Veränderung des erleidenden Gegenstands (in diesem Fall des Sinnesorgans) impliziert. Da das für eine geistige Erkenntnis nicht notwendig ist, kann

926 Anmerkungen

»erleiden« in diesem Fall als metaphorischer Ausdruck für die Aktivierung der eigenen Möglichkeiten verstanden werden. 45 Also ein Objekt, auf das dieser Sinn besonders bezogen ist, etwa für das Sehvermögen eine Farbe oder für das Gehör einen Ton; vgl. Aristoteles, an. II 6, 418a9–17 und schon Platon, Theaet. 184d7–185a2. 46 Im Hintergrund steht die Vorstellung einer gestuften Ordnung vom materiellen hin zum ganz immateriellen. Je weiter etwas von der Materie entfernt ist, desto mehr ist es eine Form, hat eine Wesenheit bzw. Sein und kann andere Objekte in ihrem Sein bestimmen. 47 Nach aristotelischer Lehre (an. II 12, 424a18 f.) nimmt das Wahrnehmungsorgan die Formen ohne die Materie (ἄνευ τῆς ὕλης) auf. Priskian widerspricht dem hier nicht, sondern betont lediglich, dass die Aufnahme im Organ, die eine Bedingung für das Zustandekommen von Sinneswahrnehmung darstellt, gleichwohl ein körperlicher Prozess ist. 48 Diese Terminologie stammt aus Platon, Tim. 67d 6; Nom. X 893e6 f. 897a6 (vgl. auch Parm. 157a6) und bezeichnet eine materielle Veränderung, so wie der menschliche Körper, das »Werkzeug« (vgl. Anm. 29, 43) bei der Aufnahme eines Gehaltes in seiner Struktur verändert wird, so dass die alte zu bestehen aufhört und es eine neue erhält. 49 Vgl. Anm. 35. 50 Vgl. zum ganzen Gedankengang Anm. 27. 51 Der menschliche Geist ist einerseits identisch mit dem geistigen Sein, als dieses seine eigentliche Natur darstellt, und zugleich davon verschieden, da er die geistigen Inhalte nur noch im körperlichen Gewand von Vorstellungen erkennen kann (an. III 7, 431b2 u. ö.). Daher wird er bei der Zuwendung zum Geistigen sowohl von sich selbst als auch von etwas anderem vollendet. 52 Denn die Disposition (ἕξις) bezeichnet nur die erste, habituelle Stufe der Verwirklichung bzw. Aktivität (vgl. Anm. 32), aber erst in der zweiten kann die Einheit von Sein und der dieser entsprechenden Aktivität erreicht sein. 53 Hier sind wiederum die drei Stufen der Verwirklichung nach Aristoteles gemeint (vgl. Anm. 32): »Verwirklicht« (κατ ἐνεργείαν) ist das Wissen erst dann, wenn man es nicht nur zur Hand hat, sondern es anwendet. Das folgt aber nicht automatisch aus dem Vorhandensein des Wissens, sondern setzt zusätzlich eigene Aktivität des Wissenden voraus. In dieser Situation sieht Priskian den vollendeten menschlichen Intellekt, der sich bereits wieder richtiges Wissen erworben hat. Dagegen wäre bei einem reinen Intellekt alles erworbene Wissen auch stets



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927

aktiv angewendet, so dass er mit allen gewussten Inhalten praktisch identisch wäre. 54 Hier wird ein weiterer Unterschied in die obige Unterscheidung eingebracht: Einige Dinge sind auf der Grundlage der ersten Verwirklichung manchmal aktiv, andere dagegen immer und gleichsam automatisch, so dass der Unterschied zwischen ihrem Seinszweck bzw. ihrer Wesenheit und ihrer Aktivität dauernd aufgehoben ist. 55 Diese Theorie ist nicht nur von Alexander von Aphrodisias (an. 86, 18–23) vertreten worden, sondern auch von dem Neuplatoniker Johannes Philoponos, in an. L 20, 90–21, 18 Verbeke. 56 Der Verweis auf Alexander, der im Zusammenhang mit der oben genannten Lehre steht, endet schon hier. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf Priskians eigene vorher erläuterte Theorie, wie leicht deutlich wird, wenn man den bei Hayduck vor οὐχ ἁπλῶς stehenden Punkt tilgt (dass hier kein neuer Satz beginnt, ist durch das Fehlen der Partikel klar). 57 Also in einer körperlichen Veränderung im Sinne von Anm. 44. 58 Vgl. oben Anm. 37. 59 Das ist kein aristotelisches, sondern ein neuplatonisches Prinzip, das mit der Methode zusammenhängt, die Aussagen der aristotelischen Physik nur auf die materielle Welt zu beziehen, während deren »Schöpfung« durch die im Geiste liegenden Ursachen eine eigene Art von Kausalität enthalten müssen. 60 D. h. die eigentlichen aristotelischen »Substanzen« und deren Formen bzw. Ideen. 61 Die »seinshaften Gehalte« (οὐσιώδεις λόγοι) sind die Ideen in der Seele, die aber keine Formen (εἴδη) sind wie die Ideen des Geistes, da sie in entfalteter Weise, d. h. als Konglomerat ihrer einzelnen Bestandteile vorliegen. 62 Nämlich, wie in der Spätantike allgemein angenommen wurde, nach dem geistigen (νοῦς) und dem diskursiven Denken (διάνοια); vgl. z. B. Proklos, in Tim. 1, 223, 16–19 Diehl; Philoponos, in an. 1, 13–5, 23; 78, 7–18; Damaskios, in Phaed. I, 387 Westerink. 63 Die Verbindung von Überzeugung (πίστις) und Meinen findet sich an. III 3, 428a19–24; vgl. dazu Priskian (›Simplikios‹), in an. 210, 34–211, 15. Zur Verbindung des Meinens mit dem stoischen Begriff der Zustimmung (συγκατάθεσις) vgl. Stephanos (›Philoponos‹), in an. 489, 1–6; vermutlich rekurrieren Priskian und Stephanos auf ein traditionelles Motiv der Interpretation dieser Passage.

928 Anmerkungen 64 »Wissen«

(ἐπιστήμη) steht hier allgemein für jede rationale Er-

kenntnis. 65 Priskian betont, dass die Sinneswahrnehmung während ihres Erkenntnisvorgangs die Formen der erkannten Dinge aus sich selbst aktiv hervorbringt: in Theophr. 2, 2–16; in an. 126, 1–16. 66 D. h. es erkennt seine Objekte auf deren eigener Seinsebene, also die materiellen, von den Formen verursachten Gegenstände als ein menschlicher, selbst materieller und verursachter Intellekt. 67 Κατὰ τὸν τοῦ γνωστοῦ ὅρον: Τοῦ γνωστοῦ ist Genetivus subiectivus und obiectivus: Die Bestimmung (ὅρος) bzw. Form (εἶδος) bestimmt sowohl, was das gewusste Objekt selbst ist, als auch, welche Form der Verstand animmt, wenn er dieses Objekt erkennt. 68 Im Sinne des in Anm. 89 Gesagten. 69 Die detailliertere Ausarbeitung der triadischen Struktur der Wirklichkeit im späten Neuplatonismus (im Vergleich zu Plotin) hatte unter anderem das Ziel, den lückenlosen Zusammenhang der in der Wirklichkeit vorhandenen Ursachenkette zu zeigen, die Priskian hier betont. Vgl. Proklos, elem. theol. 28–30 (32, 10–34, 27 Dodds), 175 (152, 30–32 Dodds); mit Erwähnung des Begriffs »leer« Proklos, prov. 20, 17–19; eine vollständigere Beschreibung dieses Prozesses z. B. Proklos, in Tim. 2, 127, 26–131, 25 Diehl. Vgl. Dodds 21963, 216–218; Verbeke 1997, S. 139–152, hier S. 140. 70 Zum Unterschied der diskursiven Vernunft, die Priskian hier als λόγος bezeichnet, zum intuitiv erkennenden Geist (νοῦς) vgl. oben Anm. 35. Dieser diskursiven Vernunft entspricht als Objekt ein entfalteter »Gehalt«, den Priskian ebenfalls λόγος nennt. Die einzelnen Elemente dieses Gehalts liegen, anders als bei der rein geistigen Form (εἶδος bzw. νοητόν), nicht in unaufgelöster Einheit vor, so dass die Diskursivität der menschlichen Vernunft und die Mannigfaltigkeit ihrer Gehalte einander entsprechen, wie es die einheitliche Terminologie in Priskians Griechisch suggeriert. 71 Die menschliche Seele ist nicht im Körper, wie es die übrigen Formen sind, an denen etwas Anteil hat (τὰ μετεχόμενα), da sie trotz ihrer funktionalen Verbindung mit dem Leib immateriell bleibt. Sie ist aber auch nicht so distanziert und unbeeinflusst vom Körper wie die transzendenten Ursachen des triadischen Prozesses im immateriellen Bereich, an denen gar nichts Teil hat (τὰ ἀμέθεκτα). Proklos bezeichnet diesen spezifischen ontologischen Status der Seele als etwas »Abgetrenntes, an dem etwas Teil hat« (τὸ χωριστῶς μετεχόμενον); elem. theol. 81 (76, 12 Dodds); vgl. Meijer 1992, S. 86 f.



Priskian von Lydien: Kommentar zu De anima III 72 Gemeint

929

ist, dass die Formen in der praktischen Anwendung nicht in ihrer unentfalteten Komplexität erkannt werden können. Denn die Objekte des praktischen Verstandes sind Handlungen, die als Phänomene der materiellen Welt jeweils singulär sind und mithilfe der allgemeinen Formen bzw. Bestimmungen der Gegenstände nicht adäquat aufgefasst werden können. Diese Formen sind insofern »geteilt«. 73 Er spielt also nicht über die von den Neuplatonikern ebenfalls angenommene Weltseele, also das Lebensprinzip des gesamten materiellen Kosmos. 74 Zu »lockern« (χαλᾶσθαι) vgl. die Anm. 10 zu Priskian, in Theophr. Das hier mit »lösen« übersetzte διαφορεῖσθαι hat im späten Neuplatonismus offenbar eine ähnliche Bedeutung, ebenso wie das ebenfalls mit »lösen« übersetzte ἐκλύειν (in an. 244, 27). Zur Parallelität der letzten beiden Begriffe vgl. Proklos, elem. theol. 86 (80, 3 Dodds). 75 Vgl. oben Anm. 37. 76 Zitiert von Priskian (›Simplikios‹), in an. 2, 6–28. 77 Nämlich dass der Geist abgetrennt, leidensfrei, unvermischt und dem Sein nach Aktivität ist. 78 Vgl. Anm. 74. 79 Vgl. Priskian (›Simplikios‹), in an. 219, 34–36. 80 Platon, Tim. 28a, für die Neuplatoniker der klassische Beleg für die Unterscheidung des denkenden vom sinnlichen Erkennen, das »durch Meinung mit Sinneswahrnehmung« (δόξῃ μετ᾽ αἰσθήσεως) auffasst. 81 Der Ausdruck »seelischer Geist« (ψυχικὸς νοῦς) wird von Priskian hier für das höchste geistige Vermögen innerhalb der menschlichen Seele gebraucht und nicht für den Geist, an dem die menschliche Seele Teil hat, der aber außerhalb bzw. oberhalb von ihr angesiedelt ist. Diese terminologische Verschiebung spiegelt die inhaltliche Verschiebung zwischen beiden Texten wider (Steel 1978, S. 149–154). 82 S. o. Anm. 11. 83 Platon, Phaed. 245c–246e. 84 Gemeint ist ein Philosoph namens Boethos von Sidon. Allerdings gibt es dafür zwei Kandidaten, denen diese Stelle zugeschrieben werden kann: einen Stoiker des 1. Jh.s v. Chr. (Moraux 1973, S. 172–174) und einen Peripatetiker des 1. Jh.s v. Chr. Vgl. Schneider 1994, S. 126–130, hier 130. Der Übersetzer überlässt die Entscheidung darüber dem Leser. 85 Hier ist die aristotelische Annahme vorausgesetzt, dass der Sinn über eine gewisse Palette von Erkenntnisobjekten verfügt, die er den sinnlich erkannten Objekten zuordnet. So erfüllt dann eine weiße

930 Anmerkungen

Wand das im Sinn angelegte Element ›weiß‹ und wird so sinnlich erkannt und durch dieses spezifische Merkmal von allen anderen Farben unterschieden. Vgl. Ebert 1983, S. 181–198. 86 Der Gemeinsinn (κοινὴ αἴσθησις) wird von Priskian und Stephanos, anders als von manchen modernen Interpreten, aber wohl sachlich korrekt, als Sinneseinheit verstanden, die die verschiedenen Wahrnehmungsobjekte vergleicht (nach an. III 2, 424b22–425a13). Mit der Wahrnehmung der allgemeinen Objekte (κοινὰ αἰσθητά) Bewegung, Gestalt etc. (an. II 6, 418a17–20; III 1, 425a14–b11) und der Reflexivität der Sinneswahrnehmung, die in an. III 2, 425b12–25 diskutiert werden, hat er nichts zu tun. 87 Man fragt sich, ob an dieser Stelle ein konditionaler Nebensatz ausgefallen ist. Gemeint ist (vgl. Stephanos (›Philoponos‹), in an. 465, 9 f.): Gäbe es dieses einheitliche Erkenntnisvermögen nicht, das die Ergebnisse der verschiedenen Sinne vergleicht, dann würden zwei verschiedene Subjekte nicht dasselbe erkennen. Das Zitat stammt aus an. 3, 2, 426b19 und wurde in der Nachfolge des Alexander von Aphrodisias (an. 61, 1) im Neuplatonismus regelmäßig (Plotin IV 7, 6, 18 f.; Proklos, decem dub. 4, 20 f.; Stephanos (›Philoponos‹), in an. 465, 9 f.; 483, 8 f.; 555, 15 f.; Priskian (›Simplikios‹), in an. 197, 24) in diesem Zusammenhang zitiert, jedoch in einer leicht veränderten Fassung. Vgl. dazu Taormina 1990, S. 203 f. 88 Die Einheit aller menschlichen Erkenntnis wird auch von Proklos (v.a. in Tim. 2, 298, 11–302, 10 Diehl; in Parm. 957, 18–958, 11) gelegentlich betont, aber nie mit so ausgedehnten Überlegungen zur Rolle der Lebenspraxis verbunden wie bei Priskian. Vgl. außerdem Stephanos (›Philoponos‹), in an. 464, 13–467, 12; 555, 7–556, 5. 89 Der Gemeinsinn ist ein Abbild (εἰκών) in der materiellen Sphäre von der allgemeinen rationalen Erkenntnis, die sein Urbild (παραδείγμα) in der intelligiblen Sphäre ist. Erkenntnistheoretisch ist für uns der Gemeinsinn aber leichter erfassbar, deswegen beginnt Aristoteles hier. Vgl. Priskian (›Simplikios‹), in an. 272, 37 (o. S. 663) und allgemein zum Verhältnis Urbild-Abbild z. B. Proklos, in Tim. 2, 296, 12–18. 301, 17–29 Diehl; in remp. 1, 235, 11–16 Kroll. 90 Das Pneuma ist eine körperliche Substanz, die in der Antike als Inhalt der Nerven und bei den Kommentatoren auch als das eigentliche Sinnesorgan, etwa als Inhalt des Ohres, angesehen wurde. Vgl. v. a. Philoponos, in an. 158, 8–17; 239, 2–15, aber auch Philoponos’ Kritik in an. 239, 15–38.



Stephanos von Alexandria: Kommentar zu De anima III 2; 2–6

931

91 Gemeint

ist, dass zwischen der Affektion des Organs und dem dadurch ermöglichten seelischen Erkenntnisvorgang zu unterscheiden ist. 92 S. o. Anm. 89. 93 D. h. im partikulären Untersatz, nicht im allgemeinen Obersatz des Syllogismus. 94 Es ist eine zentrale Doktrin der neuplatonischen Erlösungslehre, dass der Intellekt in seiner eigenen Natur frei von aller Verbindung mit Materie erkennt und dass das auch dem menschlichen Intellekt zumindest zeitweise möglich ist, wenn auch nicht beim praktischen Erkennen, das sich auf die sinnlich erfahrbare Welt bezieht. Obwohl Priskians Aristoteles-Interpretation durchaus richtig sein kann, ist sie ein gutes Beispiel für eine Interpretation, die aus den eigenen philosophischen Voraussetzungen gewonnen ist. 95 S. o. Anm. 66. 96 Gemeint ist, dass noetisches Erkennen immer nur ein Konzept als Ganzes erfasst oder nicht erfasst; wenn es überhaupt etwas erfasst, dann kann das Erfasste nicht falsch bzw. nicht schlecht sein. 97 Das ist die Theorie, die Priskian in seiner Theophrast-Paraphrase vorträgt. Vgl. Steel 1978, S. 145–154.

8. Stephanos von Alexandria: Kommentar zu De anima III 2 S. 699 ff. 1 Text

und Übersetzung folgen der Edition: Hayduck 1897, Abweichungen werden in den Anmerkungen notiert.  2 Voraus ging eine breite Paraphrase von an. III 2, 425b12–25.  3 Alexanders De-anima-Kommentar, den offenbar schon Plutarch von Athen als Grundlage seiner eigenen Kommentierung benutzt hatte, ist verloren; vgl. aber Alexander von Aphrodisias, an. 65, 2–10 (vgl. Charlton 2000, S. 154 Anm. 37). Eine andere Erklärung enthält Alexander von Aphrodisias, quaest. 3, 7, S. 91, 24–93, 22 (möglicherweise ein Auszug aus dem Kommentar); vgl. Taormina 1989, S. 203.  4 Die Partie Stephanos (›Philoponos‹), in an. 464, 20–465, 31 bildet das Fragment 29 Taormina des Plutarch von Athen.  5 Zu der folgenden Theorie des Vermögens der Aufmerksamkeit (προσεκτικόν) und ihrer Herkunft vgl. die Einleitung und unten Anm. 11; Bernard 1987; Perkams 2008, S. 404–408; Lautner 2014.  6 Es handelt sich um die drei kognitiven und zwei vital-strebenden Vermögen der rationalen Seele nach dem in Philoponos’ Proömium vor-

932 Anmerkungen

gestellten spätneuplatonischen Schema (Philoponos, in an. 1, 9–13 und insgesamt in an. 1–6). Zu Wille (βόυλησις) und wählender Entscheidung (προαίρεσις) vgl. Philoponos, in an. 5, 26–33: Ersterer ist rein rational und will immer das Richtige; bei der Letzteren wirken rationale und irrationale Seele zusammen, so dass sie eine falsche Wahl treffen kann.  7 Zorn (θυμός) und Begierde (ἐπιθυμία), die beiden niederen Seelenteile der Politeia, sind in Philoponos’ Schema die Strebevermögen der nichtrationalen Seele (Philoponos, in an. 6, 11). θυμός wird als das Verlangen nach Vergeltung einer Kränkung definiert (Philoponos, in an. 16, 36 in Anlehnung an eine stoische Definition, z. B. Diogenes Laertios VII 113 = SVF 3, fr. 396), daher hier die Übersetzung mit »Zorn« statt »Mut«.  8 An. III 2, 426b19, eine Art Formel für die Forderung der Einheit des Bewusstseins; häufig zitiert von Philoponos (in an. 13, 12; 128, 22; 136, 17; 163, 14) und von Stephanos (›Philoponos‹) selbst (in an. 479, 13; 483, 9). Vgl. schon Plotin IV 7, 6, 19.  9 Vgl. die Einleitung und Philoponos, in an. 1, 9–13: »Die seelischen Vermögen lassen zunächst eine zweifache Dihärese zu: Die einen von ihnen sind rational, die anderen nichtrational. Jedes dieser beiden Vermögen lässt sich nun wieder zweiteilen: Von den rationalen Vermögen sind die einen solche des Lebens und Strebens, die anderen solche der Erkenntnis. Das gleiche gilt für die nichtrationalen.« Dieses Schema ist z. B. bei Proklos, in Tim. 3, 286, 1–288, 27 vorausgesetzt. 10 πρόσεχε σαυτῷ, vom selben Stamm wie προσεκτικόν. Möglicherweise handelt es sich um ein Zitat aus der Septuaginta (Dtn. 4, 9 u. ö.), das die griechischen Kirchenväter gern im Sinne des delphischen »Erkenne dich selbst« (γνῶθι σαυτόν) interpretieren (Klemens von Alexandria, Stromateis 2, 71, 4; Basileios, Homilia in illud: Attende tibi ipsi, S. 26, 15–27, 2 Rudberg; S. 35, 6 f. etc.). 11 Euripides, Orestes, 396. Vgl. 555, 11–16 (im Abschnitt über den praktischen Geist): »Platon nennt die geistige Erkenntnis Aufmerksamkeit (προσεκτικόν) und die geistige Praxis Gewissen (συνειδός); und er sagt, dass beide dem Zugrundeliegenden nach identisch sind. Denn auch der Erkennende handelt; denn das Leben ist mit der Erkenntnis vereinigt, und es ist eines und dasselbe, das sagt: ›Ich habe gedacht‹ und ›Ich habe mich ernährt‹. Wäre dem nämlich nicht so, dann wäre es sinnvoll zu sagen, dass du dieses und ich etwas anderes wahrnehme (Aristoteles, an. III 2, 426b19).« Natürlich steht nichts dergleichen bei Platon; Stephanos schreibt, wie auch sonst gelegentlich, die Terminologie der exegetischen Tradition Platon selbst zu (vgl. in an. 524, 10 f.). Die engste Parallele ist



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933

Olympiodor, in Alc. 23, 8–17 Westerink: »Wie ein Kind schreiend aus dem Schlaf erwacht wegen irgendeines Traumgesichts, so stört auch das Gewissen die Seele auf nach ihren Verfehlungen, wenn es z. B. heißt: ›Was quält dich? Welche Krankheit richtet dich zugrunde?‹, und der andere antwortet: ›Gewissensnot: Ich bin der Untat mir bewusst‹ (Euripides, Orestes 395 f.) […]. Wenn du also das Gewissen als den Daimon bezeichnest, der uns erlost hat (vgl. Platon, Phaed. 107d), wirst du nicht fehlgehen. Man muss aber wissen, dass die Art des Gewissens, die zu unseren Erkenntnisvermögen gehört, Aufmerksamkeit heißt, während die zu den Strebevermögen gehörende Art homonym zur Gattung Gewissen heißt.« Der letzte Satz steht fast wörtlich auch bei Damaskios, in Phaed. I, 271 Westerink. Der Terminus προσεκτικόν findet sich auch in einem bei Michael Psellos, Opuscula 14, S. 74, 27–30 O’Meara, erhaltenen Fragment von Proklos’ Kommentar zu Plotin I 1, 13 (Westerink 1959, S. 8 f.). All das deutet darauf hin, dass die von Stephanos referierte Theorie mindestens auf Damaskios, möglicherweise auf Proklos zurückgeht. Vgl. zum Ganzen Perkams 2008, S. 404–406; Lautner 2014. 12 »Das Faktum« (τὸ ὅτι): eine neue, abgekürzte Formulierung für Wendungen wie »die Tätigkeit des Sehens«. Aristoteles pflegt τὸ ὅτι (»das Was«, die Tatsache, dass etwas der Fall ist) und τὸ διότι (»das Warum«, der Grund oder die Erklärung) einander gegenüberzustellen (z. B. an. post. I 6, 75a16 f.; I 33, 89a21; vgl. an. II 2, 413a13–16). Die Neuplatoniker greifen die Redeweise gern auf (Plotin VI 7, 2, 3 f. und oft bei Philopo­ nos). Stephanos’ Gebrauch ist jedoch singulär, weil die Antithese von Was und Warum fehlt. 13 Vgl. Stephanos (›Philoponos‹), in an. 463, 27–464, 2. Stephanos bezieht sich auf die Stelle an. III 2, 425b20–22, die er sehr frei paraphrasiert. 14 Nichts anderes sagt Aristoteles, an. III 2, 425b22 f. 15 Stephanos bezieht sich zurück auf seine Erläuerung von Aristoteles, an. III 2, 425b24 f. (»Deswegen befinden sich auch nach Entfernung der sinnlich wahrnehmbaren Gegenstände noch Wahrnehmungen und Vorstellungen in den Sinnesorganen«) an der Stelle in an. 464, 5–17. Nach seiner Erklärung sprach Aristoteles dort von starken, auch ohne unmittelbare Gegenwart des Sichtbaren wirkenden visuellen Eindrücken (z. B. sehr hellem Licht) bzw. Erinnerungen an solche. 16 Der letzte Satz entspricht weder dem Bestreben des Aristoteles, φαντασία und αἴσθησις voneinander abzugrenzen (an. III 3, 428a5–16), noch der Systematik des Philoponos (vgl. Philoponos, in an. 5, 35–6,

934 Anmerkungen

10). Zu Stephanos’ Theorie der Vorstellungskraft vgl. Perkams 2008, S. 251–257. 17 Stephanos’ Deduktion folgt mehreren Propositionen aus Proklos’ Stoicheiosis; vgl. elem. theol. 83: »Alles, was sich selbst erkennt, wendet sich auf sich selbst zurück«; elem. theol. 16: »Alles, was sich auf sich selbst zurückwendet, hat ein vom allem Körperlichen abgetrenntes Sein. […] Denn es ist nicht möglich, dass das Sein von den Körpern unabtrennbar, die von dem Sein ausgehende Tätigkeit aber abtrennbar ist.« 18 Stephanos meint Aristoteles’ bekannt zurückhaltende Art, über die Abtrennbarkeit und Unsterblichkeit des Geistes zu sprechen (an. II 1, 413a8 f.; II 2, 413b24–28; III 4, 429a11 f.). Eine kritische Bemerkung wie die des Stephanos ist bei den Neuplatonikern die Ausnahme; sie sind grundsätzlich bemüht, Aristoteles’ Äußerungen als möglichst eindeutige Stellungnahmen zugunsten der Unsterblichkeit der individuellen Seele zu deuten (vgl. Stephanos selbst, in an. 516, 9–517, 20; Philoponos, in an. 241, 28–242, 5; Blumenthal 1987, S. 105). 19 Die Axiome folgen Proklos, elem. theol. 15 (»Alles, was sich auf sich selbst zurückwendet, ist unkörperlich«) und 16 (s. o. Anm. 17). Vgl. außerdem elem. theol. 186 und 187, wo die Unsterblichkeit der Seele aus ihrer Abtrennbarkeit und Unkörperlichkeit und dieser wieder aus ihrer Fähigkeit zur Rückwendung auf sich selbst begründet wird. 20 Wir übernehmen an der Stelle in an. 466, 33 den überlieferten Text ἐναπολαβὼν, gegen Charltons Konjektur ἐπαναλαβὼν (Charlton 2000, S. 154 Anm. 43). 21 Wir interpungieren an der Stelle in an. 466, 34 mit einem Komma vor νῦν (Bernard 1987, S. 159; Charlton 2000, S. 154 Anm. 44) statt danach (Hayduck). 22 Das Beispiel erinnert an Plotin I 4, 10, 21–33: Wenn man konzen­ triert liest oder tapfer handelt, ist einem das eigene Lesen oder die eigene Tapferkeit nicht bewusst; bewusste Reflexion schwächt die Intensität einer Handlung eher ab. Vgl. Schwyzer 1960. Vgl. auch Augustinus, De trinitate XI 15: »Man kann das leicht daran bemerken, dass wir jemanden, der in unserer Gegenwart spricht, nicht gehört zu haben glauben, weil wir an etwas anderes dachten. Das stimmt aber nicht; denn wir haben ihn sehr wohl gehört und erinnern uns nur nicht …«. 23 Vermutlich bezieht sich Stephanos auf an. II 5, 417b22 f. »Ursache ist, dass die tätige Sinneswahrnehmung sich auf das Einzelne bezieht, die Wissenschaft jedoch auf das Allgemeine.« Vgl. Philoponos, in an.



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307, 1–5. Zur Unterscheidung zwischen reinem und gemeinsam mit den Sinnen arbeitendem Vernunftgebrauch vgl. auch unten 490, 25. Die hier angedeutete Lösung des Problems wird ausführlicher dargelegt in 525, 33–526, 5. 24 An. III 1, 425a22–24. Näheres zum Gemeinsinn und zum »Gebrauch« desselben durch den Geist steht in an. 477, 31–479, 7. Stephanos zeigt dort, dass ein Gemeinsinn existiert, der die Wahrnehmungen der Einzelsinne zueinander in Beziehung setzt (z. B. das Weiße vom Süßen unterscheidet), der aber nicht als sechster Sinn von den Einzelsinnen geschieden ist (daher »Gemeinsinn«). Zum Gemeinsinn bei Stephanos vgl. Perkams 2008, S. 246–251. 25 In De anima sind νοεῖν und φρονεῖν synonym. Stephanos legt aber, wie auch andere neuplatonische Kommentatoren, die technische Bedeutung von φρόνησις als »praktische Einsicht« aus der aristotelischen Ethik zugrunde und hat daher an der gegenwärtigen Stelle ein Erklärungsproblem. 26 Die folgende Dihärese des Begriffs »Erkenntnis« (γνῶσις) basiert auf dem Schema des Philoponos aus dem De-anima-Proömium. Bei Philoponos fehlt indessen die Definition der drei Denkformen νοῦς, διάνοια und δόξα nach ihrem jeweiligen Verhältnis zum logischen Schließen; es fehlt auch die Unterscheidung von theoretischer und praktischer διάνοια, die der Dihärese des Philoponos insofern widerspricht, als dort die typischen Funktionen der aristotelischen praktischen Vernunft, Wille (βούλησις) und wählende Entscheidung (προαίρεσις), nicht in den Bereich der Erkenntnis, sondern des Lebens und Strebens fallen. 27 Vgl. Philoponos, in an. 6, 1–4 (»Daher nennt Aristoteles sie [die Vorstellungskraft] auch ›zum Erleiden fähigen Geist‹ – Geist, weil sie ihren Erkenntnisgegenstand innen hat und, wie jener, mit einfachem Zugriff ohne Hilfe eines Beweisgangs auf sie zugreift; zum Erleiden fähig, weil sie in Verbindung mit Eindrücken und nicht in gestaltloser Weise erkennt.«); in an. L 13, 00–05. Die Deutung des aristotelischen νοῦς παθητικός (an. III 5, 430a24 f.) als φαντασία geht mindestens bis auf Proklos zurück (in Eucl. 51, 20–52, 20 u. ö.; vgl. Blumenthal 1996, S. 157–160). 28 »Als Disposition und in Verwirklichung« (καθ’ ἕξιν καὶ κατ’ ἐνέργειαν): Dies ist nach der von Stephanos bevorzugten Deutungs­ tradition der »in Verwirklichung befindliche Geist« aus an. III 5. Vgl. 520, 17 f.

936 Anmerkungen 29 »Annahme«:

ὑπόληψις (an. III 3, 427b28). Der Terminus ist in der platonisch-aristotelischen Tradition nicht technisch geworden (wohl aber in der Stoa, vgl. den für Chrysipp bezeugten Werktitel περὶ ὑπολήψεως, Diogenes Laertios VII 201 = SVF 2, fr. 17) und stellt die Kommentatoren daher vor gewisse Systematisierungsschwierigkeiten. Stephanos stellt ihn wie die Stoiker mit der Meinung (δόξα) zusammen. 30 Vgl. Aristoteles, phys. II 8, 199b28: »die Kunst überlegt nicht«; eth. Nic. III 5, 1112b11–14: »Unsere Überlegung richtet sich nicht auf das Ziel, sondern auf die Wege zum Ziel. Ein Arzt überlegt sich nicht, ob er heilen, ein Redner nicht, ob er überzeugen, ein Staatsmann nicht, ob er einen wohlgeordneten Staat schaffen soll…« 31 Diese Identifikation ist inkonsistent mit der im Kommentar zu an. III 5 vertretenen These, dass der potentielle und der tätige Geist material identisch sind (534, 31 f.), und mit der scharfen Trennung von νοῦς und διάνοια in der Kommentierung von III 6 (bes. 556, 32–34: »Und nimm nicht an, dass der Geist und das diskursive Denken dem Zugrundeliegenden nach identisch, dem Begriff nach aber verschieden sind […]; denn der Geist unterscheidet sich vom diskursiven Denken auch dem Zugrundeliegenden nach«). 32 491, 11 f. ist ein freies Zitat nach Plotin I 1, 9, 12 f., das in 545, 5 wiederholt und dort als Zitat markiert wird. 33 »Dass der Abstand gleichmäßig ist« (συμμέτρου τοῦ διαστήματος ὄντος): Stephanos denkt wohl an üblicherweise für Sinnestäuschungen angeführte Gründe, wie den Wechsel des Mediums (ein ins Wasser getauchtes gerades Ruder scheint gebrochen) oder die übermäßige Größe des Abstandes (die Sonne scheint nur einen Fuß groß zu sein). Vgl. Stephanos (›Philoponos‹), in an. 525, 28 f. und Anm. 81. 34 »Im Gebiet des Truges« (ἐν τῷ τῆς ἀπάτης χωρίῳ): Die Wendung klingt wie ein Zitat oder eine Anspielung, lässt sich aber sonst nicht nachweisen. Verwandt sind Platon, Polit. 273d–e: »Ort der Ungleichheit« (ἀνομοιότητος… τόπον) und der Gegenbegriff in Phaedr. 248b: ἀληθείας… πεδίον, »das Feld der Wahrheit«. Beide Wendungen werden von den Neuplatonikern gern zitiert. Zur Sache vgl. Platon, Phaed. 83a. 35 Vgl. Philoponos, in an. 5, 29–31 über die προαίρεσις (»wählende Entscheidung«): »wenn [die Seele] ins Werden gelangt, erhält sie, da sich dort mit ihr aus den genannten Gründen die nichtrationalen Vermögen verknüpfen, wegen der Verwicklung mit der nichtrationalen Seele das Vermögen der wählenden Entscheidung« – und damit die Möglichkeit der Fehlentscheidung.



Stephanos von Alexandria: Kommentar zu De anima III 2; 2–6 36 Homer,

937

Odyssee X 1. Zu Zitat und Exegese vgl. Proklos, in Crat. 155. 37 Plutarch meint die wesensmäßige Einheit aller im Menschen vorhandenen Seelenfunktionen, der rationalen, nichtrationalen und vegetativen. Dagegen nahm die neuplatonische Orthodoxie seit Proklos zwischen rationaler und nichtrationaler Seele einen wesensmäßigen Unterschied an (vgl. insb. Philoponos, in an. 8, 17–23), was sich wiederum aus der Auffassung ergab, dass einzig die rationale Seele unsterblich sei. Plutarch hatte dagegen noch die Unsterblichkeit der Gesamt­ seele angenommen (fr. 65 Taormina = Damaskios, in Phaed. I, 177). Vgl. Perkams 2006, S. 168–171. 38 Dies war der Gegenstand des zweiten »Abschnittes« (τμῆμα) gewesen, an. III 3. 39 Der dritte Punkt folgt in der zweiten Theoria zu an. III 4, unten 525, 3–528, 32. Zu den drei angeblichen aristotelischen Leitfragen vgl. Blumenthal 1982, S. 56. 40 Vgl. an. III 3, 427a17–29. 41 »Substanz« (οὐσία), hier die erste aristotelische Kategorie, die laut Stephanos nicht sinnlich wahrnehmbar ist, sondern von einem nichtsinnlichen Urteilsvermögen erfasst wird. Vgl. Stephanos (›Philoponos‹), in an. 509, 29–31. 42 Der Akzent liegt hier auf »in sich haben«. Stephanos bestreitet wieder, gegen platonisierende Auslegungen der aristotelischen Geistlehre, die Präexistenz geistiger Gehalte in der rationalen Seele. τύπους (»Eindrücke«) bezeichnet missverständlich dasselbe wie in Z. 24 f. λόγοι (»Gehalte, Sinngehalte«). 43 Stephanos erläutert Aristoteles’ Charakterisierung des Geistes als zugleich leidensfrei und potentiell (429a15–18) im Lichte der Unterscheidung zweier Arten von πάθος an der Stelle an. II 5, 417b2–16. Den unmittelbaren Hintergrund bietet Philoponos, in an. 27, 12–21 (»Das Wort Erleiden wird in zweifacher Weise gebraucht: Erleiden heißt entweder das, was Zerstörung, oder das, was Vervollkommnung bewirkt«; es folgen Beispiele und ein Beleg aus Platon, Soph. 244d–245a). Ähnlich Priskian (›Simplikios‹), in an. 122, 22–24. Vgl. unten Stephanos (›Philoponos‹), in an. 526, 29–527, 4. 44 Vgl. an. III 4, 429a29–b4. 45 Die Partie 517, 7–18 hat ihre Entsprechung bei Philoponos, in an. L 17, 10–25. 46 Vgl. an. III 4, 429b5. 47 Vgl. Platon, Tim. 67d über den Sehvorgang.

938 Anmerkungen 48 Diese

Alternative bildet auch das Gliederungsprinzip von Plotins Argumentation für die Unkörperlichkeit der Seele, IV 7, 2–83 (die Seele ist kein Körper) und IV 7, 84–85 (die Seele ist weder Harmonie noch Entelechie des Körpers). 49 Vgl. an. II 11, 424a2 f. 50 Diese seltsame Kombination erklärt sich daraus, dass Stephanos mit der Handwerker-Werkzeug-Relation das spätneuplatonische Dogma beschreibt, dass die sinnliche und vegetative Seele für ihr Funktionieren auf den Körper angewiesen sind und infolgedessen auch ontologisch nur in Abhängigkeit von ihm existieren (Stephanos (›Philoponos‹), in an. 524, 1–3: »[Der Geist] gebraucht den Körper nicht als Werkzeug; er kann ja gleichermaßen Großes und Kleines denken, was die Sinneswahrnehmung, die den Körper als Werkzeug gebraucht, nicht kann«; zur Sache vgl. Philoponos, in an. 16, 28–17, 3). Für Philoponos steht die Handwerker-Werkzeug-Relation dagegen gerade für die ontologische Unabhängigkeit der Seele vom Körper (in an. 44, 29–34; 53, 30–32; anders und ähnlich wie Stephanos dagegen in an. L 12, 88–90). 51 Dass der Körper der Seele hinderlich ist, ist ein platonischer Gemeinplatz. Vgl. Platon, Phaed. 65a–b; 66b–c; Plotin I 8, 4, 1–5; II 9,17, 2 f.; IV 8, 2, 43 f. etc.; Proklos, in Tim. 3, 349, 27–29; Philoponos, in an. 161, 27–29; 164, 11–13 etc. 52 Die Abschnitte Stephanos (›Philoponos‹), in an. 517, 33–518, 33; 519, 37–520, 20; 520, 28–521, 3 bilden zusammen das Fragment 35 (Taormina 1989) des Plutarch von Athen. »Ein einziges Wesen mit vielen Vermögen« (μία οὐσία πολυδύναμος): vgl. Plutarch von Athen, fr. 48 = Stephanos (›Philoponos‹), in an. 571, 34. 53 Diese Aussage wird leichter verständlich, wenn man unter »Körper« hier das sonst meist als συναμφότερον bezeichnete psychophysische Lebewesen versteht. Zu diesem Sprachgebrauch s. u. Stephanos (›Philoponos‹), in an. 528, 28–30. 54 Gemeint ist die spätneuplatonische, auf Platon, Tim. 41c–d und 69c basierende Orthodoxie, nach der nur die rationale, nicht aber die sinnliche und die vegetative Seele unsterblich sind. Aristotelische Texte, aus denen diese Lehrmeinung herausgelesen wurde, versammelt Philoponos, in an. 10–11. 55 Das den folgenden Überlegungen zur Dreiteilung des Geistes zugrundeliegende Problem ist, dass Aristoteles zwar vom potentiellen (νοῦς δυνάμει) und verwirklichten Geist (νοῦς ἐνεργείᾳ) spricht, aber keine Zuordnung zu den an. II 5, 417a21–b2 definierten verschiedenen



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939

Stufen von Potentialität und Verwirklichung vornimmt. Für die Neuplatoniker stellten sich damit vor allem zwei Fragen: 1) ob der potentielle Geist auf der Stufe bloßer Eignung steht (erste Potentialität) oder von Geburt an dispositionelles Wissen hat (zweite Potentialität – erste Verwirklichung), was auf eine Harmonisierung mit Platons Anamnesislehre hinausliefe; 2) ob der verwirklichte Geist auch einen dispositionellen Zug hat, also ein Element der Potentialität enthält, oder ob er reine, nie nachlassende Verwirklichung (Denkaktivität) ist, was ihn zu einem übermenschlichen, transzendenten Wesen machen würde. Von einer Dreiteilung des Geistes spricht auch Philoponos (allerdings ohne Doxographie); sie entspricht weitgehend der von Stephanos dem Ammonios zugeschriebenen, doch kommt bei Philoponos noch ein vierter Geist hinzu, der ununterbrochen und intuitiv »alles auf einmal« erkennt und göttlich und überindividuell ist (Philoponos, in an. L 3, 54–4, 65; vgl. 18, 40–19, 56). Vgl. Perkams 2008, S. 125–127; S. 257–261; Tornau 2007, S. 124 f. 56 Zum Folgenden s. o. Alexander von Aphrodisias, De intellectu = an. mant. 106, 19–110, 3 (Kap. 3, 208–221). Das Referat ist sehr verknappt, aber in den Grundzügen korrekt. 57 Eine eigentümlich schulmeisternde Ausdrucksweise, vgl. Platon, resp. 560a. 58 Ein typisch neuplatonischer, auf dem εἷς-σκοπός-Prinzip basierender Einwand. Laut Stephanos (›Philoponos‹), in an. 536, 2–5 hat Plutarch selbst dieses Argument gegen Alexander vorgebracht. 59 An. III 4, 429a10 f. 60 Vermutlich an. III 5, 430a20 f.; vgl. 534, 31 f. 61 An. III 4, 429a18. 62 »Schattenriss« (σκιαγραφία) steht bei den Neuplatonikern als Metapher für eine noch unvollendete Vorform, die im Verlauf einer physischen oder ethischen Entwicklung erst zur vollen Ausgestaltung kommt. Vgl. Proklos, in Alc. 108, 10 f.; ebd. 101, 8–10 über die »natürliche Tugend« als unterste Stufe der moralischen Entwicklung; vgl. Philo­ ponos, in gen. an. 101, 19–30. Eine interessante Antithese findet sich bei Philoponos, in gen. an. 102, 3–5: »nicht so wie das der Möglichkeit nach grammatikkundige Kleinkind, das gar keine Spur der Grammatik besitzt, sondern so wie man sagt, dass der Schattenriss der Möglichkeit nach das gemalte Lebewesen ist«. Das erinnert deutlich an den Gegensatz von »erster« und »zweiter« aristotelischer Potentialität. Vor diesem Hintergrund wäre Stephanos’ (oder Ammonios’) Schattenriss-Metapher

940 Anmerkungen

im Sinne einer Interpretation des potentiellen Geistes als einer »zweiten Potentialität« zu verstehen – in einem Zusammenhang, wo eben diese Deutung Plutarch zugeschrieben und als platonisierend abgelehnt wird! Vielleicht ist es aber auch möglich, die Schattenriss-Metapher auf die erste Potentialität zu beziehen in dem Sinne, dass der potentielle Geist keine für Beliebiges aufnahmefähige tabula rasa ist (trotz an. III 4, 430a1), sondern die Eignung für ganz bestimmte Gegenstände besitzt. Vgl. Perkams 2008, S. 259. 63 So, nicht ganz wörtlich, an. III 5, 430a23. 64 Die spezifisch neuplatonische Antithese von »Wesen« und »Tätigkeit, Aktivität« (Proklos, elem. theol. 16 etc.). Bei Alexander spielt der Gegensatz von οὐσία und ἐνέργεια keine Rolle. 65 Stephanos (›Philoponos‹), in an. 519, 24–30 ist eine freie Paraphrase von Alexander, De intellectu – an. mant. 106, 19–107, 20 (s. o., Kap. 3, S. 208–211). Merkwürdig ist das seltene Wort ἀδεκάστως »in unbestechlicher Weise«; allerdings gebraucht auch Alexander die RichterMetapher (107, 7, κρίσις, »Urteil«). 66 Gemeint ist das Nichtexistente im Sinne von Platon, Soph. 237b. Die logische Struktur dieses auf den ersten Blick seltsamen Arguments ist eine reductio ad absurdum: These (Alexander): Der Geist ist nicht das, was er erkennt. Widerlegung (Stephanos bzw. Ammonios): Der Geist ist entweder Seiendes oder Nichtseiendes; er erkennt aber Seiendes und Nichtseiendes; er ist also weder seiend noch nichtseiend (Widerspruch). 67 An. III 8, 243a2. Mithin kann die Seele nicht formlos sein. Eine gegensätzliche Auslegung gibt Plotin: »Es aber [das Gute/Eine] sitzt ihnen [den seienden Formen] auf, […] um ihnen festen Stand zu geben, als selbst formlose Form der ersten Formen« (VI 7, 17, 34–36). 68 An. III 4, 430a1. Freilich dürfte Plutarch auch die Schreibtafel im Anschluss an Jamblich platonisierend gedeutet haben (vgl. Stephanos (›Philoponos‹), in an. 533, 20–35). 69 Auch wenn Stephanos ab in an. 520, 7 in eigenem Namen spricht, liegt es nahe, auch diesen Abschnitt noch dem Ammonios-Referat zuzurechnen, da Ammonios sonst nur als Kritiker Alexanders und Plutarchs ohne eigenen positiven Beitrag aufträte und da die von Stephanos angegebene Dreistufenlehre des Geistes sich logisch aus Ammonios’ Kritik ergibt (vgl. Tornau 2007, S. 121 f.; Kurfess 1911, S. 25 f.). Es lohnt, den auf Ammonios zurückgehenden Kommentar des Philoponos zum potentiellen Geist und zu der Schreibtafel-Metapher zu vergleichen: Philoponos stellt die Differenz von Platon und Aristoteles zunächst klar heraus



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941

(Philoponos, in an. L 14, 38–15, 48, vgl. 36, 70–74), nimmt dann jedoch eine Umdeutung der aristotelischen ersten Potentialität in Richtung auf eine »platonische« zweite Potentialität hin vor, weil sonst die Unsterblichkeit der Seelen gefährdet sei (in an. L 38, 84–40, 43; vgl. 16, 82–96; vgl. dazu Perkams 2008, S. 125–127). Es liegt nahe, in diesem »Widerruf« einen der Zusätze des Philoponos zum Text des Ammonios zu sehen, so dass Stephanos’ Ammonios-Referat in den Grundzügen korrekt wäre (freundlicher Hinweis von Matthias Perkams). 70 Vgl. oben 490, 16–36 (zu an. III 3, 427b6). 71 An. III 4, 429a11 f. 72 Vgl. Stephanos’ Auffassung von der Disposition von an. III 4, oben 516,10. 73 Oder: »vor dem Geist« (so Charlton 2000, S. 98: »before the intellect«; Taormina 1989, S. 126; vgl. Plotin I 6, 9, 38 f.). Der Genetiv τοῦ νοῦ bei προβάλλεσθαι ist schwierig und m. W. ohne Parallele. Jedenfalls sprach sich Plutarch gemäß seinem Grundsatz, dass die Seele »ein einziges Wesen mit vielen Vermögen« sei (Stephanos (›Philoponos‹), in an. 517, 34 f.), dafür aus, dass Geist, Vorstellungskraft und Sinneswahrnehmung letztlich eine Einheit sind. Das Plutarch-Fragment reicht m. E. nicht nur bis 521, 3 (Taormina), sondern bis in an. 521, 10. Mit Stephanos (›Philoponos‹), in an. 521, 8 vgl. Philoponos, in an. L 6, 34 f. 74 Unvermischt: 429a18 (nach Anaxagoras); leidensfrei: 429a15; abgetrennt: 429b5. Alle drei Ausdrücke an der Stelle an. III 5, 430a17 f. Nach Philoponos, in an. L 4,70–75 hat Alexander die drei Begriffe auf den göttlichen Geist bezogen, was durch Alexander von Aphrodisias, an. 89, 11–19 bestätigt wird. Doch auch Stephanos’ Referat hat Anhaltspunkte bei Alexander (vgl. die folgende Anm.), so dass die konfligierenden Nachrichten wohl auf unterschiedliche Textstellen zurückgehen. Anders Blumenthal 1982, S. 58. 75 Vgl. Alexander von Aphrodisias, an. 85, 1–5: »So wie im Fall der Schreibtafel zwar die Schreibtafel, die die Eignung zum Beschriebenwerden besitzt, etwas erleidet, wenn sie beschrieben wird, nicht aber die Eignung selbst, die in die Verwirklichung überführt wird (sie ist ja nichts Zugrundeliegendes), so erleidet auch der Geist nichts, da er ja nichts in Verwirklichung Befindliches ist.« Im Hintergrund steht die Unterscheidung von zerstörendem und vollendendem Erleiden nach an. II 5, 417b2–16 sowie vielleicht an. I 4, 408b12 f.: »Nun aber zu sagen, die Seele zürne, würde dasselbe bedeuten, wie wenn einer sagte, die Seele würde weben oder bauen.«

942 Anmerkungen 76 Für

Philoponos wird diese Frage erst im Kapitel III 6, ab 430a26, beantwortet (in an. L 64, 44–50); vgl. Charlton 1991, S. 10. 77 An. III 4, 429b10–22. 78 Nach Stephanos (›Philoponos‹), in an. 529, 22 f.; 530, 5–7 (zu 429b14– 16) war das die Auffassung des Alexander von Aphrodisias und des Plutarch (fr. 37 und 38 Taormina). 79 Aus diesem Axiom leitet Plotin die Immanenz der geistig erkennbaren Gegenstände im Geist ab (V 5, 1, 1–3). Er schränkt die Gültigkeit allerdings auf den »wahrhaft seienden Geist«, d. h. gleichsam auf die platonische Idee des Geistes, ein; und gerade die neuplatonischen Aristoteleskommentatoren wissen, dass der menschliche Geist im Gegensatz zum göttlichen gelegentlich »aussetzt« und nicht-denkend ist (vgl. an. III 5, 430a22; metaph. XII 7, 1072b24 f.). 80 »Von außen«: ἔξωθεν, Stephanos’ Terminus für ein über den Text hinausgehendes Argument. Vgl. Charlton 2000, S. 8. 81 Es handelt sich um traditionelle Beispiele für Sinnestäuschungen; vgl. Platon, resp. X 602c (Ruder) und Aristoteles, an. III 3, 428b3 f. (Sonne). Die »gebrochene Linie« an der Stelle an. III 4, 429b16 f. hat damit allerdings nichts zu tun. 82 Eine solche Richtlinie findet sich weder in Stephanos’ Kommentar zu De anima III noch in Philoponos’ Kommentar zu den beiden ersten Büchern. ἄνω fehlt in einem Florilegium des 11. Jhs. und ist vielleicht als Dittographie zu κανόνα zu tilgen, so dass Stephanos nur sagt: »Wir haben eine Richtlinie«. Da aber Stephanos’ Kommentar zu De anima I und II verloren ist, ist Vorsicht geboten. 83 Die Passage Stephanos (›Philoponos‹), in an. 525, 33–526, 10 findet ihre Entsprechung bei Philoponos, in an. L 22, 21–24, 74. 84 Mit diesem Passus verleiht Stephanos der schwer verständlichen Analogie zwischen Erkenntnisvermögen und gerader bzw. gekrümmter Linie an der Stelle an. III 4, 429b14–18 eine plausible Deutung dergestalt, dass die gerade Linie das direkte Erfassen des Allgemeinen, Immateriellen durch den Geist symbolisiert, während die gekrümmte Linie für den Umweg des Geistes über das Einzelne der materiellen Sinneseindrücke steht. 85 Es handelt sich um das Problem der Leidensfähigkeit des Geistes (an. III 4, 429b22–26; 429b29–430a2; 430a6–9). Stephanos’ Erklärung in an. 526, 12–527, 4 hat eine Parallele bei Philoponos, in an. L 29, 98–30, 13; 31, 39–33, 93. 86 S. o. Anm. 80. 87 Im Hintergrund des Folgenden steht an. II 5, 417b2–16; doch der



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943

Verweis gilt an. III 4, 429a14–18; vgl. oben Stephanos (›Philoponos‹), in an. 516, 33–517, 3 und Anm. 43. 88 Es ist kaum zu entscheiden, ob an die platonisch-aristotelische Theorie von der Beseeltheit und Vernunft der Himmelskörper (neuplatonisch gesprochen: die »innerkosmischen Götter«) gedacht ist (so Charlton 2000, S. 104, der τῶν οὐρανίων mit »heavenly bodies« übersetzt) oder an eine christliche Engellehre. Vgl. Anm. 94. 89 Vgl. an. II 7, 418b11: »Licht ist nun die Tätigkeit (ἐνέργεια) von diesem, des Durchsichtigen als Durchsichtigen.« 90 Stephanos meint das Problem, ob der Geist selbst geistig erkennbar ist (an. III 4, 429b26–29; 430a2–5). Stephanos’ Interpretation in an. 527, 5–528, 10 findet ihre Entsprechung bei Philoponos, in an. L 30, 14–31, 38; 33, 94–34, 2. Vgl. Perkams 2008, S. 275 f.; 329 f. 91 Zum Gedanken der Rückwendung vgl. Proklos, elem. theol. 83; vgl. auch 466, 19 f. und Anm. 17. 92 Die Textbasis für diese Kritik am Konzept des Selbstdenkens ist an. III 4, 429b28 f., doch ist für Stephanos eine auf die hellenistischen Skeptiker zurückgehende Formulierung des Problems maßgebend (vgl. Sextos Empirikos, Adversus Mathematicos VII 283 ff.), mit der sich auch Plotin (V 3, 1, 1–15) und Augustinus (De trinitate X 6) auseinandersetzen. 93 Eine sowohl quellenkritisch als auch logisch problematische Passage. In den mit »Apodeiktik« bezeichneten Analytiken sagt Aristoteles nirgends, dass »insofern« (καθ’ ὅ) eine umkehrbare Beziehung ist. Charlton 2000, Anm. 194, vermutet einen Bezug zu an. post. I 4, 73a34–b24, wo Aristoteles von einem Seienden »an sich« (καθ’ αὑτά) zukommenden Prädikaten spricht und anzudeuten scheint, dass, wenn eine Zahl an sich entweder gerade oder ungerade ist, alles Gerade oder Ungerade Zahl ist. Doch enthält nicht alles, was einem Seienden per se und nicht nur akzidentell zukommt, eine umkehrbare Beziehung. Hayduck (527, Apparat) verweist einleuchtender auf die Erörterung der »spezifischen Eigenschaft« (ἴδιον) in top. I 5, 102a18–30, die in der Tat umkehrbar ist (nur der Mensch ist potentiell grammatikkundig, und alles, was potentiell grammatikkundig ist, ist ein Mensch, ebd. 102a20–22; vgl. damit bes. 527, 14 f.). Doch ist dies ein Sonderfall und bezieht sich gerade nicht auf alle einem Seienden per se zukommenden Eigenschaften. Möglicherweise geht Stephanos bewusst den Umweg über einen Trugschluss, um zu der Lösung zu gelangen, dass der Geist sich selbst denkt, insofern er Geist ist, und alles sich selbst Denkende, insofern es das tut, Geist ist (527, 37–528, 4).

944 Anmerkungen 94 Stephanos

denkt hier an den Unbewegten Beweger und seine Vertreter auf den Sphären, metaph. XII 8, 1073a23–b1 (die seltsam unpassende Formulierung »wandernd« wohl nach Platon, Phaedr. 246b; vgl. Tim. 41a). Der Ausdruck »Demiurg« ist natürlich platonisch (Tim. 29a etc.). Vgl. Proklos, in Tim. 1, 404, 7–9: »Aristoteles entfernt den Geist, an dem nichts teilhat, zur Hälfte aus seiner Philosophie; denn bei ihm ist der erste Geist der der Fixsternsphäre …«. Zur neuplatonischen, insbesondere proklischen Engellehre vgl. Anm. 121.  95 Zur neuplatonischen Kritik an der aristotelischen Gleichsetzung von Gott und Geist vgl. Plotin V 1, 9, 6–12; Proklos bezeichnet sie abwertend als »peripatetische Neuerung« (theol. Plat. 2, 4, S. 31, 21 f. Saffrey/ Westerink). Zu im Sinne der Geisttranszendenz Gottes deutbaren biblischen Passagen vgl. Philipper 4, 7; Ps.-Dionysios Areopagita, De divinis nominibus 7, 1. Die Etymologisierung von πρόνοια als πρὸ νοῦ ist neuplatonisch (z. B. Proklos, elem. theol. 120; anders allerdings Plotin III 2, 1, 22 f.). Vgl. Blumenthal 1982, S. 61; Westerink 1990, S. XXXIX; Westerink 1990a, S. 340.  96 Das folgende Argument fehlt bei Philoponos, der sich auf die »aristotelische« Lösung beschränkt (in an. L 33, 94–34, 3).  97 Hier erfolgt ein Rückgriff auf das erste Horn des Dilemmas, Stephanos (›Philoponos‹), in an. 527, 8–10.  98 μονοειδής, nach Platon, symp. 211b.  99 Gemeint ist die Frage, warum der Geist nicht immer denkt (an. III 4, 430a5 f.). Die meisten modernen Erklärer und anscheinend auch Stephanos sind der Ansicht, dass dieses Problem von Aristoteles nirgends gelöst wird; Plutarch (Stephanos (›Philoponos‹), in an. 541, 20–24 = fr. 44 Taormina) und Philoponos (in an. L 61, 67–76) fanden die Lösung dagegen an der Stelle an. III 5, 430a23–25. Vgl. Charlton 2000, S. 10. 100 ἀλλοτριοπραγεῖν ist bei Platon Gegenbegriff zur Norm der Gerechtigkeit, die im »Das-Seinige-Tun« (»Autopragie« oder »Oikeiopragie«) besteht; vgl. Platon, resp. IV 433a–434c, ferner Proklos, in remp. 2, 146, 21–27). 101 Das Folgende ist eine ausführlichere Version des Plotinreferats im Kommentar zu an. III 5 (535, 8–13). Als plotinischer Hintergrund kommen am ehesten IV 8, 8 und V 1, 12, 1–12 in Frage; an der letzteren Stelle ist die von Stephanos hier behandelte Frage nach dem unaufhörlichen Denken des Geistes der Ausgangspunkt, und das platonische ἀεικίνητον wird zitiert (V 1, 12, 5). Vgl. Tornau 2007, S. 109–114; Blumenthal 1981, S. 214 f.; Blumenthal 1990, S. 312–315. 102 Platon, Phaedr. 245c.



Stephanos von Alexandria: Kommentar zu De anima III 2; 2–6 103 Vgl.

945

Stephanos (›Philoponos‹), in an. 530, 16–22 (Lexis zu An. III 4, 429b14–16): »Also urteilt der Geist über das Kalte und Warme und die übrigen [Eigenschaften], die die Definition des Fleisches ausmachen, indem er das Vermögen der Sinneswahrnehmung als Werkzeug benutzt. Dieser Meinung ist Aristoteles, erstens wegen seiner Lösung des dritten Problems, das besagt, dass, wenn das Denkbare Geist wäre, dann auch der Stein – da er ja denkbar ist – Geist wäre. Denn dort sagt er, dass die denkbaren Gegenstände entweder im eigentlichen oder im uneigentlichen Sinne denkbar sind, wie die sinnlich wahrnehmbaren Gegenstände. Er hat also das sinnlich Wahrnehmbare als denkbar bezeichnet, wenn auch nicht im eigentlichen Sinne; und wenn das so ist, dann ist es klar, dass sie seiner Meinung nach vom Geist gedacht werden.« Vgl. außerdem Stephanos (›Philoponos‹), in an. 533, 5 f.: »Es gibt ja Denkbares im eigentlichen und im uneigentlichen Sinne, und das im eigentlichen Sinne Denkbare ist zugleich Geist.« Stephanos bezieht sich damit auf an. III 4, 429b10–16, greift in den Formulierungen aber auf seine eigenen Überlegungen zur »dritten Aporie« in der Theoria zurück (vgl. bes. 527, 33–37). Hier in 533, 21 f. legt er seine eigenen Worte Aristoteles selbst in den Mund. 104 »Im eigentlichen Sinne« (τὸ κυρίως): Die Syntax ist schwierig. Ich verstehe ὁ νοῦς als Apposition zu τὸ κυρίως. 105 An. III 4, 429b29–430a2. 106 Taormina 1989, S. 76 f., weist den Text Jamblichs De anima zu; er wird nicht berücksichtigt von Finamore/Dillon 2002. Der Text ist interessant, weil sich Jamblich hier als Urheber der umstrittenen, Aristoteles mit Platons Phaidon harmonisierenden Auffassung erweist, dass die Potentialität des aristotelischen »potentiellen Geistes« zweite Potentialität ist und der Mensch infolgedessen mit geistigen Gehalten (λογοί) auf die Welt kommt. Das aristotelische Bild der unbeschriebenen Tafel musste dementsprechend umgedeutet werden. Plutarch wäre nach Stephanos Jamblich gefolgt und dafür von Ammonios kritisiert worden (Stephanos (›Philoponos‹), in an. 518, 19–32; 519, 37–520, 6). Philoponos schwankt (in an. L 36–40; vgl. oben Anm. 69). Vgl. Perkams 2008, S. 125. 107 »Er selbst« (αὐτῷ) ist wohl eher auf Jamblich zu beziehen als auf Platon (so Charlton 2000, S. 160, Anm. 216). Der Satz enthält eine Kritik, wie sie sonst – freilich in schärferer Form – an Alexander von Aphrodisias geübt wird (vgl. Philoponos, in an. 21, 20–25 = Plutarch von Athen, fr. 18 Taormina).

946 Anmerkungen 108 An.

III 5, 430a12 u. 15. 109 An. III 5, 430a18. 110 In diesem Satz fließen die beiden Bedeutungen von ἐνέργεια als »Tätigkeit, Aktivität« (eines Wesens, οὐσία) und »Verwirklichung, Aktualisierung« (einer Möglichkeit, δύναμις) so ineinander, dass der Übersetzer an seine Grenzen stößt. Stephanos meint, dass bei der höchsten Form des Geistes Wesen und Tätigkeit nicht, wie bei allen anderen Wesen, verschieden, sondern eins sind, und diese besondere Form der Einheit macht zugleich das Wirklichsein des νοῦς ἐνεργείᾳ, seine »Verwirklichung« gegenüber dem bloß potentiellen Geist aus. Die Stelle legt nahe, dass er in 430a18 τῇ οὐσία ὢν ἐνέργεια eher den Nominativ ἐνέργεια als den Dativ ἐνεργείᾳ gelesen hat. Die Stellen Stephanos (›Philoponos‹), in an. 538, 18–23 und 540, 3–13 suggerieren dagegen eher den Dativ. Vgl. zum Problem Ross (Apparat); Siwek, Anm. 399 auf S. 325; Perkams 2008, S. 263 Anm. 147; Kurfeß 1911, S. 29 f. 111 An. III 5, 430a22. 112 Dies ist wohl im Hinblick auf An. III 5, 430a13 (»in der Seele«) formuliert und richtet sich gegen die Theorie Alexanders (und Plutarchs?), dass der in Verwirklichung befindliche Geist der »Geist von außerhalb« sei. Vgl. Stephanos (›Philoponos‹), in an. 518, 34–519, 15. 113 An. III 5, 430a23. 114 An. III 5, 430a17 f.; 22 f. 115 An. III 5, 430a15. 116 Zur erkenntnistheoretischen Analogie zwischen dem seelischen Eindruck und der Einprägung durch einen Siegelring vgl. Aristoteles, an. II 12, 424a17–21 u. mem. 450a32. Vgl. auch Platon, Theaet. 191d; 192a; 193c; Plotin IV 6, 1, 19–21. 117 Referenzstelle ist wohl an. III 5, 430a20 f. 118 An. III 5, 430a23 f. In der Lexis referiert Stephanos die Ansicht Plutarchs (fr. 44 Taormina), nach der hier die Lösung des an der Stelle an. III 4, 430a5 f. aufgeworfenen Problems zu finden ist, warum wir uns des in uns befindlichen ständig aktiven Geistes nicht immer bewusst sind (541, 20–24); anschließend interpretiert er selbst im selben Sinne (541, 24–542, 5). Vgl. 528, 11–31. 119 An. III 5, 430a24 f. Die Interpretation basiert auf der Gleichsetzung des leidensfähigen Geistes mit der Vorstellungskraft (vgl. Stephanos (›Philoponos‹), in an. 490, 22 f.). 120 Zu der folgenden Doxographie vgl. Blumenthal 1990, S. 311–320; Vancourt 1941, S. 48–59. Die Doxographie ist in anonymisierter Form



Stephanos von Alexandria: Kommentar zu De anima III 2; 2–6

947

auch in der lateinischen Version von Philoponos’ Kommentar erhalten (Stephanos (›Philoponos‹), in an. 535, 2–536, 5 entspricht Philoponos, in an. L 43, 18–45, 59). Dagegen zeigen die in beiden Kommentaren folgenden Diskussionen der Lehrmeinungen kaum Gemeinsamkeiten. Vgl. Perkams 2008, S. 134–139. 121 Marinos aus Neapolis (Samaria), im Jahr 485 Nachfolger des Proklos als Leiter der Athener Akademie und Verfasser seiner Biographie. Vgl. zu dieser Stelle und zu Stephanos (›Philoponos‹), in an. 535, 31–536, 2 Saffrey/Segonds 2001, S. XXX–XXXIV. Zu Proklos’ Lehre von den Engeln und Dämonen als Zwischenwesen zwischen Götter- und Menschenseelen vgl. in Parm. 952, 18–25 Steel; in Tim. 3, 165, 7–30; vgl. Blumenthal 1990, S. 95. Zum »Geist« der Engel und Dämonen vgl. in Tim. 3, 126, 21. Im Hintergrund steht letztlich die in der Spätantike hochgeschätzte, aus Platons Symposion entlehnte Theorie von Dämonen als Mittlern zwischen Göttern und Menschen. 122 Stephanos (›Philoponos‹), in an. 535, 8–13 ist eine gekürzte und verunklarte Version von 528, 25–31. Vgl. Tornau 2007, S. 109 f. 123 πεπλάνηται ἀπὸ: zur Bedeutung vgl. Philoponos, in an. 9, 37 f. Es wird an dieser Stelle nicht behauptet, dass Plotin sich von Platon entfernt habe (so aber Philoponos, in an. L 45, 45 f.). 124 Phaedr. 245c. 125 Oder: »dass es [bei ihr] einen immer denkenden Geist gebe« (so Charlton 2000, S. 114). Deutlicher formuliert Philoponos, in an. L 45, 48 f.: »dass sie immer einen in Verwirklichung befindlichen Geist haben muss, um auf diese Weise immer bewegt zu sein«. 126 Stephanos (›Philoponos‹), in an. 535,13–19 und 536, 2–5 = Plutarch von Athen, fr. 42 Taormina. 127 An. III 5, 430a12 u. 15. Stephanos’ Erklärung für Alexanders Irrtum ist in dessen Texten nicht belegbar; sie ist wohl rekonstruiert aufgrund von Alexanders Verwendung des Terminus νοῦς ποιητικός (De intellectu = an. mant. 107, 29 etc.). 128 »Wesen – Tätigkeit – Fähigkeit«: Im Hintergrund steht anscheinend Proklos’ Triade von Wesen (οὐσία), Fähigkeit/Möglichkeit/Vermögen (δύναμις) und Tätigkeit/Verwirklichung (ἐνέργεια). Stephanos meint, dass beim menschlichen Geist die ἐνέργεια nicht unmittelbar aus der οὐσία hervorgeht, sondern die Zwischenstufe der δύναμις benötigt. Vgl. Siorvanes 1996, S. 109 f. 129 An. III 4, 429a18. Diese Aussage hat Stephanos allerdings oben auf den menschlichen Geist bezogen (517, 20–31). Es ist also für ὅτι πάντα

948 Anmerkungen

νοεῖ vielleicht zu konjizieren ὅτι πάντα ποιεῖ, »dass er alles hervorbringt« (Bezug zu 430a12 u. 15). Es ist allerdings nicht auszuschließen, dass schon Marinos ungenau zitiert hat. 130 Vgl. Alexander von Aphrodisias, an. 43, 10 f.: »Licht entsteht durch eine Relation des Beleuchtungsfähigen zum Beleuchtenden.« Kaum vergleichbar hiermit ist Aristoteles’ eigene Definition des Lichtes als Verwirklichung des Durchsichtigen (an. II 7, 418b9 f.; vgl. Anm. 89). Eher spielt Platons Sonnengleichnis eine Rolle (vgl. 537, 28). 131 Im Hintergrund steht die Unterscheidung der Potentialitäts- und Verwirklichungsstufen an der Stelle Aristoteles, an. II 5, 417a21–b2. 132 Nach dem Plutarch-Referat von 518, 19–32 (die drei Bedeutungen von »Geist« bei Aristoteles nach Plutarch) war für Plutarch, wie für Alexander, der in Verwirklichung befindliche Geist identisch mit dem Geist von außerhalb (518, 30 f.), und er wurde dafür von Ammonios mit demselben Argument kritisiert, das er nach unserer Stelle gegen Alexander vorgebracht hat (518, 34–519, 2). Dieser Widerspruch mahnt bei den namentlichen Zuschreibungen, die Stephanos in seinen Doxographien vornimmt, zu einer gewissen Skepsis. Es ist durchaus möglich, dass die von Stephanos hier beifällig referierte und Plutarch zugeschriebene Lehrmeinung in Wirklichkeit dem Ammonios gehört (so Tornau 2007, S. 114–127; kritisch allerdings Perkams 2008, S. 261 f.). 133 καταδρομή »Attacke«, eine manieristische, wohl an Platon, resp. V 472a angelehnte und nur bei Stephanos belegte Ausdrucksweise. 134 S. o. Stephanos (›Philoponos‹), in an. 534, 31 f. 135 Bei Platon, Phaedr. 245c heißt die Seele »Quelle und Ursprung der Bewegung«, ein Zitat, das schon von Plotin aus dem Zusammenhang gerissen und auf die All-Ursächlichkeit des Einen-Guten bezogen worden ist (VI 9, 11, 31; vgl. I 6, 6, 15). In Proklos’ Diskussion des Sonnengleichnisses und des Einen in seiner Eigenschaft als des Guten heißt das Eine mit denselben Worten wie bei Stephanos »die Quelle der überseienden Gutheit« (theol. Plat. 2, 9, S. 49, 24 Saffrey/Westerink). Bei Proklos ist die Redeweise sicher auch durch die Chaldäischen Orakel befördert (fr. 37 des Places). Doch auch ein christlicher Autor konnte sich ähnlich ausdrücken: vgl. Ps.-Dionysios, De Ecclesiastica Hierarchia 1, 3 (»Quelle des Lebens, Wesen der Gutheit«); De divinis nominibus 2, 5 (»Quelle der überseienden Gottheit«). 136 Vgl. metaph. XII 7, 1072b26–28. Freilich spricht Aristoteles hier weder von Engeln noch von Dämonen, sondern hat außer dem Gott die Sphärenbeweger von XII 8 im Blick. Vgl. Anm. 94.



Stephanos von Alexandria: Kommentar zu De anima III 2; 2–6 137 Dieser

949

Ausdruck muss sich auf die Auffassung Plotins beziehen; gemeint ist also: die immer tätige Geistseele in uns. 138 An. III 5, 430a23. Bei Hayduck ist das Zitat in 536, 21 falsch abgetrennt; zu lesen ist vielmehr: ἔφη γὰρ »καὶ τοῦτο μόνον ἀθάνατον καὶ ἀίδιον«. 139 Vgl. Philoponos, in an. L 60, 60–62. 140 Zu diesem merkwürdigen, an das Schlussargument des Phaidon (105c–107a) erinnernden Gedanken vgl. Jamblich, in Phaed. fr. 2 Dillon = Olympiodor, in Phaed. 10, 7 Westerink (zu Phaed. 70d7–9): »Einige haben sich von diesem Satz täuschen lassen und angenommen, dass Platon die gesamte Seele für unsterblich erklärt habe. […] Und er untermauere das mit dem Argument, dass jede Seele Leben spendet und daher den Tod nicht aufnehmen kann; denn nichts nimmt das Gegenteil von dem auf, was es zufügt. Denn auch das Feuer, das ja Wärme zufügt, ist für Kälte nicht aufnahmefähig, zumal es ja, wie Jamblich sagt, nicht einmal das aufnimmt, was es zufügt; denn es spendet Wärme, nimmt aber keine Wärme auf.« Unser Text möchte allerdings gegen Jamblich die Unvergänglichkeit der Gesamtseele einschließlich der nichtrationalen und vegetativen Teile vermeiden, daher die befremdliche Unterscheidung von »unsterblich« und »ewig«. An anderer Stelle harmonisiert Stephanos mit Hilfe dieser Unterscheidung Platons Aussage, dass »jede Seele unsterblich« sei (Phaedr. 245c), mit der Doktrin der Vergänglichkeit von Sinnen- und Pflanzenseele: »Deswegen kann Platon sagen, dass jede Seele unsterblich ist, und dies auch auf die vegetative und nichtrationale Seele beziehen« (Stephanos (›Philoponos‹), in an. 541, 10–12). 141 Wir lesen in Stephanos (›Philoponos‹), in an. 537, 28 mit Peter Lautner (bei Charlton 2000, S. 161, Anm. 227) παράγει, gegen das überlieferte προάγει (Hayduck). Vgl. 537, 33. 142 Vgl. oben 535, 38 f. mit Anm. 130. Mit 537, 25–33 vgl. Philoponos, in an. L 56, 47–57, 61. 143 Die zweite Stufe der Potentialität im Sinne von an. II 5, 417a21–b2. 144 Vgl. 517, 30 f. und Anm. 51. 145 Wir lesen in Stephanos (›Philoponos‹), in an. 538, 6 mit Charlton 2000, S. 161, Anm. 230 nach der Handschrift D (Parisinus 1914) γραφεῖ, gegen γραφείῳ (Hayduck mit der restlichen Überlieferung). Die gemeinte Platonstelle ist Phileb. 39b; die Formulierung des nächsten Satzes soll kaschieren, dass es bei Aristoteles keine entsprechende Aussage gibt. 146 Der Passus Stephanos (›Philoponos‹), in an. 518, 10–32 entspricht Philoponos, in an. L 52, 30–53, 59.

950 Anmerkungen 147 Vergleichbar

ist Plotins These, dass die Seele gleichsam die Materie des Geistes ist (V 1, 3, 22 f.; vgl. IV 4, 2, 3–8). Zum Beispiel des Wissenschaftlers vgl. an. II 5, 417a22–b2; III 4, 429b5–7. 148 Aristoteles, phys. II 1, 193b6–8; vgl. metaph. VII 3, 1029a29 f. 149 Homer, Ilias VIII 281. Zu dieser Argumentation vgl. Proklos, in Tim. I 357, 29–358, 6, mit demselben Homervers. 150 Nicht ganz wörtlich nach an. III 5, 430a18 f. 151 Der Passus 538, 32–539, 7 entspricht Philoponos, in an. L 51, 11–52, 29. 152 »Belichtetwerden« (ἔλλαμψις): Stephanos vertritt also eine Illuminationstheorie des Denkens. Zu den ontologischen Voraussetzungen vgl. Proklos, elem. theol. 64: »Jede Einheit, die Prinzip ist, bringt zwei Serien hervor: erstens selbstvollendete Existenzen, zweitens Belichtungen (ἔλλαμψις), die ihre Existenz in anderen haben.« Die menschliche geistige Aktivität des Denkens ist somit eine Ausstrahlung des göttlichen Geistes, die allerdings, anders als dieser, keine selbständige Existenz besitzt, sondern ihre Basis im Menschen hat und unterbrochen werden kann. Die Kontinuität der göttlichen Einstrahlung ist für Stephanos ausreichend gesichert durch die (strenggenommen kontingente) Tatsache, dass auf der gesamten Welt irgendjemand immer denkt. Plotin hatte anspruchsvoller aus dem ununterbrochenen Wirken des göttlichen Geistes dessen unmittelbare Gegenwart in der Welt und der menschlichen Seele gefolgert (VI 4–5). Seit Jamblichs Polemik gegen Plotins »obengebliebenen Seelenteil« war dieser Weg jedoch für die Neuplatoniker nicht mehr gangbar. Philoponos versucht die Kontinuität eher nach dem Muster der aristotelischen Gattungskontinuität zu sichern und entwickelt das Modell der Aktualisierung des potentiellen Geistes eines Menschen durch einen Lehrer, dessen eigener Geist bereits aktualisiert ist (in an. L 58, 99–59, 24 und häufig, ein Lieblingsgedanke des Philoponos, der bei Stephanos ganz fehlt). Vgl. Perkams 2008, S. 263 f. 153 Dieses auf an. III 4, 429b5–9 basierende, eher die Disposition (ἕξις) als die Tätigkeit (ἐνέργεια) betreffende Argument kann hier verwendet werden, weil Stephanos die Analogie zwischen dem tätigen Geist und der Disposition betont hat (Stephanos (›Philoponos‹), in an. 537, 33–35) und außerdem im Kommentar zu an. III 4 als höchste in De anima vorkommende Stufe des Geistes den Geist »als Disposition und Verwirklichung« angegeben hatte (Stephanos (›Philoponos‹), in an. 520, 12–20, vielleicht nach Ammonios). Vgl. Philoponos, in an. L 40, 37–42.

Stephanos von Alexandria: Kommentar zu De anima III 2; 2–6



154 Gemeint

528.

155 Die

951

sind die vier Aporien der Theoria zu an. III 4, vgl. 525–

zehn Hauptpunkte von an. III 5, vgl. 534, 19–535, 1. Prinzip, mit dem »für uns Bekannteren« zu beginnen, vgl. Aristoteles, phys. 1, 1, 184a16–21; vgl. an. II 2, 413a11 f. und Philoponos, in an. L 2, 27–32. 157 Vgl. Proklos, in Tim. 2, 243, 9–17, bes. 13–15: »(Der Geist) umfasst in abstandsloser Weise die abständige, in ungeteilter Weise die geteilte und in mittelpunktartiger Weise (κεντρικῶς) die kreisförmige Gestalt.« Das Bild von Mittelpunkt und Kreis für das Verhältnis des Einen zum Sein, des Geistes zur Seele und überhaupt der ursprünglicheren zu den späteren Realitäten ist schon von Plotin entwickelt worden (VI 5, 5 und dazu Tornau 1998, S. 370–376) und später von Proklos in großem Stil verwendet worden (Beierwaltes 21979, S. 156–239). Zur Analogie von Mittelpunkt und Samen vgl. Plotin V 9, 6, 12 f.; der Grundgedanke ist, dass der Same in unräumlicher Weise alles, was später aus ihm wächst und in den Raum ausgreift, bereits enthält. 158 Aristoteles, an. post. I 3, 72b23–25, gelesen im Licht von an. post. II 19, 100b5–17. »Termini«: ὅροι, entweder die einzelnen Bestandteile (»Terme«) eines Satzes bzw. Schlusses (Subjekt und Prädikat) oder Definitionen. An der zitierten Aristotelesstelle geht es jedenfalls um Gegenstände, die nicht mehr beweisbar sind, sondern selbst die Basis jedes Beweises bilden. Stephanos setzt die so verstandenen ὅροι mit den »Termini« des Satzes gleich und gelangt so zu seiner Erkenntnistheorie, nach der die Gegenstände des Geistes die Einzelterme im Gegensatz zu den dem diskursiven Denken zugeordneten zusammengesetzten Aussagen sind. Vgl. zum Ganzen Perkams 2008, S. 266–270. Zum Konsistenzproblem vgl. Anm. 31. 159 Die Passage Stephanos (›Philoponos‹), in an. 543, 4–16 hat ihre Entsprechung in Philoponos, in an. L 65, 56–66, 71. 160 Vgl. Aristoteles, int. 16a19–21. Aristoteles spricht dort vom Nomen (ὄνομα) und nicht vom Terminus (ὅρος); vgl. aber Stephanos’ Kommentar: »Wir sagen dazu, dass das einfache Wort, das Nomen, das Verb, die Äußerung (φάσις), der Terminus, diese fünf, sich dem Zugrundeliegenden nach nicht unterscheiden und ihr Unterschied einzig in ihrer Relation besteht. Z. B. heißt ›Mensch‹ als einfache Bezeichnung von etwas Wort, als Zugrundeliegendes (Subjekt) heißt es Nomen, als Ausgesagtes (Prädikat) heißt es Verb, als Teil des Satzes heißt es Äußerung, als Teil des Syllogismus heißt es Terminus« (Stephanos, in int. 8, 32–9, 1). Philo156 Das

952 Anmerkungen

ponos, in an. L 65, 59 f. hat den Verweis auf die Aristotelesstelle, bezeichnet den Terminus aber nicht als »das einfache Wort«. 161 »… deutet … an« (αἰνίττεται): das Wort wird meist auf die andeutend-rätselhafte Redeweise eines allegorisch zu lesenden dichterischen oder philosophischen Textes bezogen (z. B. Proklos, in Crat. 170). Bei den späten Alexandrinern (anscheinend seit Ammonios) verblasst die Bedeutung. 162 Dies ist auch das Gliederungsprinzip von Philoponos, in an. L 66, 72–69, 55, doch ist die Ausführung im Einzelnen sehr unterschiedlich. 163 Vgl. Aristoteles, int. 16a9–16. 164 Zum Folgenden vgl. Aristoteles, metaph. IX 10, bes. 1051b17–25. 165 Unter »Denken« wird hier eine Art Sehen mit dem inneren Auge, eine Vorstellung verstanden. Die Basis dafür ist der Gedanke, dass nach Aristoteles der Geist nur in Verbindung mit der Vorstellungskraft aktiv sei (vgl. Stephanos (›Philoponos‹), in an. 541, 28 f. zu an. III 5, 430a24 f.). 166 Plotin I 1, 9, 12 f. Dasselbe Zitat schon in Stephanos (›Philoponos‹), in an. 491, 11 f. 167 Die Gleichsetzung von Wahrheit und Sein (Realität) im Gegensatz zur Aussagenwahrheit liegt bereits in Platons Politeia vor (VI 508d) und ist grundlegend für die Ideenlehre. Schon bei Platon findet sich daher die Entgegensetzung von »Wahrheit« und »Bild« (resp. VII 533a; Soph. 236d–241e). Für die Neuplatoniker wurde die Vorbild-Abbild-Metaphysik grundlegend für das gesamte Seinsverständnis (vgl. Beierwaltes 1985, S. 73–113). Die »Homonymie« von Mensch und gemaltem Menschen ist hierfür Schulbeispiel (z. B. Plotin VI 3, 15, 31–38). Wenn also Stephanos hier die Wahrheit an die pure Existenz knüpft und eine Unterscheidung des realen und des gemalten Menschen nach ihrem Wahrheitsgrad ablehnt, gibt er im Grunde die neuplatonische Ontologie auf. Der Fachausdruck »existentielle Wahrheit« (ἀλήθεια ὑπαρκτική) ist nur bei Stephanos belegt (Philoponos, in an. L 68, 48–69, 1 spricht von veritatis… eius quae in hypostasibus = ἀληθείας … τῆς ἐν ὑποστάσεσιν); anregend für die Neubildung könnte der Begriff ὑπαρτικὸν ῥῆμα »Substantiv« aus der grammatischen Tradition gewesen sein (Stephanos, in int. 11, 6 u. ö.). Vgl. auch Stephanos (›Philoponos‹), in an. 569, 17–24, wo die Vorstellungskraft eine »existentielle Wahrheit« hat, wie der Geist. Zu ὕπαρξις (»Existenz«) in den De-anima-Kommentaren vgl. Taormina 1994. 168 Empedokles, fr. B 57 Diels-Kranz = Aristoteles, an. III 6, 430a29. 169 Bockshirsch: τραγέλαφος, Standardbeispiel des Aristoteles für ein nichtexistentes Fabelwesen.



Stephanos von Alexandria: Kommentar zu De anima III 2; 2–6 170 Vgl.

953

Aristoteles, int. 16a12 f. und Stephanos’ Kommentar, in int. 6, 23–25: »Man muss wissen, dass er mit ›Verbindung‹ die bejahte Aussage bezeichnet, weil das Ausgesagte mit dem Zugrundeliegenden verbunden wird, und mit ›Trennung‹ die verneinte Aussage, weil mit Hilfe der Negation ›nicht‹ das Ausgesagte vom Zugrundeliegenden getrennt wird.« Die fast wörtliche Übereinstimmung ist ein starkes, wenngleich nicht völlig entscheidendes Indiz für die Autorschaft des Stephanos am De-anima-Kommentar; vgl die Einleitung zu diesem Kapitel; Tornau 2007, S. 107–109; Golitsis 2016. Philoponos, in an. L 67, 22 f. weist das Zitat irrtümlich den Kategorien zu. 171 Stephanos beabsichtigt damit keine Korrektur seiner De-interpretatione-Kommentierung, sondern erklärt, dass Aristoteles in an. III 6, 430b1–4 eine andere Ansicht als in der Hermeneutik vertritt. Vgl. Stephanos (›Philoponos‹), in an. 548, 11–20. 172 Gemeint sind die gerade kommentierten Bemerkungen über das diskursive Denken, an. III 6, 430a27–b5. 173 An. III 6, 430a26 f. 174 »Sie«: αὐτά, also Plural (»die Größen«). Charlton 2000, S. 162 Anm. 270 schlägt einleuchtend vor, stattdessen den Singular αὐτό zu lesen. 175 Das Argument ist anscheinend eine sehr verkürzte reductio ad absurdum: Wenn der Geist das Ganze in einem zeitlichen Nacheinander erkennt, dann erkennt er zu einem gegebenen Zeitpunkt (»Jetzt«) entweder das Ganze oder einen Teil von ihm. Wenn er das Ganze erkennt, liegt wieder zeitlose Erkenntnis des Ganzen vor, und die Annahme zeitlicher Erkenntnis ist überflüssig; wenn er einen Teil erkennt, dann ist er zu dem betreffenden Zeitpunkt bezüglich des Ganzen unwissend, was dem Postulat des totalen Wissens für den Geist widerspricht. 176 D. h. Sinneseindrücke, die sich im Gedächtnis erhalten haben, werden nicht von später hinzukommenden Eindrücken verdrängt, was der Fall sein müsste, wenn die Vorstellungskraft materiell wäre. Vgl. Philoponos, in an. L 77, 78–82 und schon Plotin IV 6, 1. 177 Stephanos folgt der Physiologie des Sehens in Platon, Tim. 67d. 178 Homer, Odyssee XII 92. 179 Vom göttlichen Geist hören wir hier erstmals in Stephanos’ Kommentar in positiver Weise. Dies scheint eine traditionelle Auslegung des Schlusses von an. III 6 gewesen zu sein (vgl. Philoponos, in an. L 84, 63–67) und lässt vermuten, dass Stephanos zusätzlich zu den 520, 12–20 angegebenen Stufen des Geistes einen ihnen transzendenten, göttlichen Geist angenommen hat. Falls er damit Ammonios folgte, wären seine

954 Anmerkungen

Nachrichten über Ammonios insgesamt konsistent mit Philoponos’ Kommentar (in an. L 3, 54–4, 65; 18,43–19, 56; vgl. Anm. 55). 180 Genesis 1, 3. 181 Die Alternative ist die zwischen der unmittelbaren Kausalität des göttlichen Denkens für das Sein und der absoluten Einheit von Denken und Sein (Charlton 2000, S. 162, Anm. 274). 182 Der Schlussabschnitt ist entsprechend Stephanos’ Schweigsamkeit in metaphysischen Fragen sehr knapp und dunkel (man vergleiche die fast aufdringliche Klarheit etwa von Stephanos (›Philoponos‹), in an. 546, 13–30). Kommentiert wird an. III 6, 430b23–26. Der Schlüssel zum Verständnis ist wohl, dass die von unserem Geist erkannte ungeteilte immaterielle Form identisch ist mit dem sich selbst denkenden göttlichen Geist (vgl. die Ausführungen in der Lexis, Stephanos (›Philoponos‹), in an. 552, 27–553, 15, bes. 553, 5 f.: »Wenn das Denkende sich so verhält, erkennt es das Göttliche auf die fünf genannten Arten«), so dass unsere Gotteserkenntnis und die Selbsterkenntnis Gottes ineinanderfließen. Die fünf Perspektiven, unter denen wir das Göttliche erkennen, sind: 1) Wirkursache, 2) Finalursache, 3) was kein Gegenteil hat (in der Analogisierung des Geistes mit dem Licht und dem Guten schimmert wieder das Sonnengleichnis durch), 4) als Denkendes, 5) als Gedachtes. 183 »Finalursache« (τελικόν) und »vollendende Ursache« (τελειωτικόν) sind hier in singulärer Weise synonym. Hintergrund der Bemerkung ist die exegetische Frage, ob der aristotelische Gott nur Finalursache oder außerdem auch Wirkursache (causa efficiens) des Kosmos sei. Nach Auskunft des Simplikios sprach sich Ammonios in einer Abhandlung dafür aus, dass er beides sei (Simplikios, in phys. 1363, 8–12; die Schrift des Ammonios ist wohl Quelle der ganzen entsprechenden Argumentation des Simplikios, in phys. 1360, 24–1363, 24), was in der Alexandriner Tradition kanonisch wurde. Man darf darin wohl keine Konzession an das Christentum sehen; Simplikios gibt als Ziel vielmehr die möglichst vollständige Harmonisierung der aristotelischen Theologie mit dem Timaios an (in phys. 1360, 29). Schon Proklos argumentierte für die These, dass der Kosmos sowohl eine Final- als auch eine Wirkursache habe, schrieb aber die von ihm abgelehnte Auffassung noch – korrekterweise – Aristoteles selbst zu (in Parm. 788, 8–19; 842, 20–22 [»Diejenigen, die den Geist nur zur finalen, aber nicht zur demiurgischen Ursache machen, haben zur Hälfte recht«]; 1169, 4–11 Steel). Vgl. Vancourt 1941, S. 19 f. 184 An. III 6, 430b24 f., gelesen im Licht von metaph. XII 10, 1075b21 f.: »dem Ersten ist nichts entgegengesetzt«.