Anordnung und Aussetzung freiheitsentziehender Maßregeln der Besserung und Sicherung [1 ed.] 9783428448715, 9783428048717

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Anordnung und Aussetzung freiheitsentziehender Maßregeln der Besserung und Sicherung [1 ed.]
 9783428448715, 9783428048717

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BERND MüLLER

Anordnung und Aussetzung freiheitsentziehender Maßregeln der Besserung und Sicherung

Schriften zum Strafrecht

Band 39

Anordnung und Aussetzung freiheitsentziehender Mafiregeln der Besserung und Sicherung

Von

Dr. Bernd Müller

DUNCKER &

HUMBLOT / BERLIN

Alle Rechte vorbehalten & Humblot. BerUn 41 Gedruckt 1981 bei Buchdruckerei Bruno Luck. BerUn 65 Printed in Germany

© 1981 Duncker

ISBN 3 428 04871 7

Meinen Eltern in Dankbarkeit

Vorwort Die vorliegende Arbeit ist die leicht überarbeitete Fassung einer im Sommer 1980 von der Juristischen Fakultät der Universität Heidelberg angenommenen Dissertation. Das Manuskript wurde im August 1980 abgeschlossen. Es ist mir ein Bedürfnis, dem Betreuer der Arbeit, Herrn Prof. Dr. Karl Lackner, für wertvolle Anregungen und hilfreiche Kritik herzlich zu danken. Der Juristischen Fakultät der Universität Heidelberg danke ich für die Gewährung eines Druckkostenzuschusses. Dem Verlag Duncker & Humblot schließlich bin ich für die reibungslose Zusammenarbeit und zügige Herstellung zu Dank verpflichtet. Heidelberg, im Februar 1981 Bernd Müller

Inhaltsverzeichnis Einleitung A. Ziel und Gegenstand der Arbeit ........................................................................

17

B. Darstellung der Problematik ..............................................................................

19

C. Aufbau der Arbeit ..................................................................................................

21

1. KapiteL

Vberbllck über das Maßregelsystem im StGB A. Zweispurigkeit ........................................................................................................

22

I. Wesen der Zweispurigkeit ........................................................................ 23 rr. Systeme der Einspurigkeit .............................................. ..........................

24

Irr. Geschichte der Zweispurigkeit ................................................................ 25 IV. Prinzipien des Maßregel rechts ................................................................ 29 V. Zweck der Maßregeln ..................................................................................

29

VI. Rechtfertigung der Maßregeln ................................................................ 30 1. Rechtsethische Begründung ................................................................ 31 2. Das Prinzip des überwiegenden Interesses .................................... 31 B. Das System der freiheits entziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung .................................................................................................................... 32 I. übersicht ........................................................................................................ 32 rr. Das vikariierende System ..........................................................................

33

rrI. Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung ....... ".......................

34

IV. Dauer der Unterbringung ..........................................................................

35

V. Verfahrensrecht ............................................................................................ 35 2. KapiteL

Anordnungsvoraussetzungen nach altem Recht A. Formelle Voraussetzungen für die Anordnung freiheitsentziehender Maßregeln der Sicherung und Besserung ........................................................ 36 B. Materielle Voraussetzung: Erforderlichkeit der Unterbringung ................ 37

10

Inhaltsverzeichnis 1. Das Gefährlichkeitsmoment .................. ......... ....... ....................................

1. Grad der Wahrscheinlichkeit ............................................................

2. Erheblichkeit ............... ....... ......................... ........ ................... ................ 3. Die Ermittlung der Gefährlichkeit .................................................... 4. Zeitpunkt für das Vorliegen der Gefährlichkeit .......................... a) Änderungen in der Person des Täters ...... ........ ................ ........ b) Änderungen in den Lebensbedingungen .................................. 5. Grad der Wahrscheinlichkeit für eine Besserung ........................ Ir. Subsidiarität der Maßregeln .................................................. .................. 1. Freiwillige Maßnahmen .............................. ........ ............................ ...... 2. Staatliche Maßnahmen .............. ................................................ .......... a) Bestellung eines Vormunds oder Pflegers ................................ b) Unterbringung aufgrund landesrechtlicher Unterbringungsgesetze ....................................................................

39 39 39 41 42 43 43 43 44 45 46 46 47

C. Gefährlichkeit LS. des § 20 a ...... ........ ............................... ........ ...... ..................... 49 I. Gewohnheitsverbrecher ........... .......... ............. ......... ................................. 49 11. Gefährlichkeit ........................................... .... ....... ........................................

50

IH. Zeitpunkt der Gefährlichkeitsprognose bei § 20 a ............................ 52 D. Zusammenfassung und kritische Würdigung der Ergebnisse des Rückblicks ........................................................... .......................................................

52

1. Gefährlichkeit ..............................................................................................

52

11. Subsidiarität .......... .................... ......... ........... ............. .............. .....................

53

E. Unzulänglichkeiten der alten Regelung .................. .......................................... 54 I. Das Prognoseproblem ..... ................................................. .... ...................... 54 11. Das Subsidiaritätsproblem ............. ........................................................... 56 F. Darstellung der Rechtsänderungen .................................................................... 56 3. Kapitel

Streichung der Erforderlichkeitsklausel A. überblick .................. ........ ................................... .... ................................................... 58 B. Gefährlichkeit als Anknüpfungspunkt der Maßregeln ................................ 59 1. Der Begriff der Gefahr bzw. der Gefährlichkeit im Maßregelrecht

60 61 2. Das schädigende Ereignis .......................................................... .......... 65 1. Die Wahrscheinlichkeit des Ereignisses ..........................................

11. Zeitpunkt der Prognose ............... ....................... ........ ........ ........................ 65 1. Sofort vollstreckbare Maßregeln ....... ...................................... ......... 65 2. Vorwegvollzug der Strafe .................................. .................................. 66

Inhaltsverzeichnis

11

111. Prognoserelevante Tatsachen .......................... ........................ ................ 1. Maßgeblichkeit der gegenwärtigen Verhältnisse ........................ 2. Bedeutung künftiger Änderungen für die Gefährlichkeitsprognose .............................. ....... ...... ........... ................ a) Auswirkungen auf den gegenwärtigen Zustand .................... b) Gegenwärtig vorhandene Bedingungen für den Eintritt eines künftigen Ereignisses ...... .................................................... c) Berücksichtigung der vorweg zu vollziehenden Strafe? ......

67 68

IV. Ausnahmen vom Grundsatz, daß für die Prognose die gegenwärtigen Verhältnisse maßgebend sind .................................... 1. Mit der Anordnung der Sicherungsverwahrung verbundene Belastungen ............................................................................................ a) Stigmatisierung des Verurteilten ...... ....... .............. .. ................... b) Nachteile im Strafvollzug ............................. ...... ........................... c) Vorbelastung durch die Anordnung ...... ............. ....................... d) Belastungen nach Verbüßung der Strafe ......... ......................... 2. Rechtfertigung für diese Belastungen .......................... ......... ......... 3. Zusammenfassung ..................... ................................. ............. .............

69 69 70 70 71 73 73 74 75 75 76 78

V. Berücksichtigung bereits eingeleiteter milderer Maßnahmen bei der Gefährlichkeitsprognose .................................................................... 1. Gefahrbeseitigung durch Änderungen in der Person des Täters 2. Gefahrbeseitigung durch Änderungen in den Lebensbedingungen des Täters .......................................................... 3. Gefahrbeseitigung durch Einleitung einer anderen Maßnahme a) Zweifel an der Eignung von milderen Maßnahmen ...... ........ b) Keine Beseitigung der Gefahrursache ...................................... c) Änderung der Gefährlichkeitsprognose wegen § 67 b .......... 4. Ergebnis ............. .................... ............................. ........................... ...........

80 81 81 83 84 86

C. Geltung des Subsidiaritätsgrundsatzes bei der Anordnung von Maßregeln ............................................................. .....................................................

87

I. Anwendungsbereich des Subsidiaritätsprinzips .............. ..................

87

11. Der Standpunkt der h.M. .......... .................... ................................. .............

88

79 80

111. Die Verwirklichung des Subsidiaritätsgrundsatzes im Gewohnheitsverbrechergesetz und in den Entwürfen vor 1933.... 89 IV. Begründung der h .M. ...... ................ ............................................................

91

V. Die Behandlung des Themas in der Strafrechtsreform .................... 92 1. Motive des Gesetzgebers für die Beseitigung der Subsidiarität bei der Anordnung von Maßregeln .............................. .................... 92 2. Vorgehen des Gesetzgebers ................................................................ 93 VI. Weitergeltung des Subsidiaritätsgrundsatzes wegen § 62? ..............

94

VII. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (übermaßverbot) ............ 96 1. Terminologische Festlegung .............................................................. 97 2. Inhalt des übermaß verbots .......... ................ ............ ........ .................. 97 3. Der Grundsatz der Erforderlichkeit im einzelnen ........................ 98 4. übermaßverbot und Anordnung freiheitsentziehender Maßregeln ................. ............................................................................... 99

12

Inhaltsverzeichnis VIII. Ableitung des übermaßverbots ................................................................ 100 IX. Aussetzung der Vollstreckung als Ersatz für den Wegfall der Subsidiarität bei der Anordnung ............................................................ 102 X. Zusammenfassung: Der Subsidiaritätsgrundsatz bei der Anordnung von Maßregeln ...................................................................... 103

4. Kapitel

Die Vorverlegung des Prognosezeitpunkts und die Uberprüfung nach § 67 c Abs. 1 A. Vorverlegung des Prognosezeitpunkts ............................. ................................. 105 I. Gefahr der vorschnellen Anordnung ...................................................... 105 11. Vorläufigkeit der Anordnung .................................................................. 106 B. Die Regelung des § 67 c Abs. 1 .................................................. ............................ 107 I. Erledigung der Maßregel bei ungefährlichen Tätern? ...................... 108 1. Vergleich mit den Anordnungsvorschriften für sofort vollstreckbare Maßregeln .................................................................... 108 2. Vergleich mit § 67 c Abs. 2 .................................................................. 110 11. Gründe für die Nichtaufnahme der Erledigung in § 67 c Abs. 1 .... 111 111. Fälle der Ungefährlichkeit nach Strafverbüßung .............................. 112 IV. Rechtfertigung der Belastungen ........... ....................... ......... ....... .......... 1. Notwendigkeit der Eingliederungshilfe .......................................... 2. Geringfügigkeit der Belastungen ...................................................... 3. Vernachlässigung von Extremfällen ................................................ 4. Zusammentreffen von Bewährungsaufsicht und Führungsaufsicht ..................................................................................

113 113 114 116 117

V. Verfassungskonforme Auslegung des § 67 c Abs. 1 ............................ 119 VI. Gesetzesvorschlag ....... ........... ......... ........... ......... ........ .......................... ....... 122 VII. Zusammenfassung der Ergebnisse des 4. Kapitels ............... ............. 123

5. Kapitel

Voraussetzungen für den Verzicht auf die Anordnung einer freiheitsentziehenden Maßregel A. Anforderungen an die milderen Maßnahmen ................................................ 125 I. Freiwillige Maßnahmen des Täters ...................................... .................. 125 11. überwachung des Täters durch Angehörige ........................................ 126 111. Staatliche Maßnahmen ... ....... ......... ............ ........ ....... ................. ............... 127

Inhaltsverzeichnis

13

IV. Unterbringung nach Landesrecht ......... ..................... ......... ..................... 127 1. Voraussetzungen für eine Unterbringung nach Landesrecht .... 128 2. Verzicht auf l\Iaßregelanordnung wegen Unterbringung nach Landesrecht? ............................... '" .................................... ...................... 128 B. Geltung des Grundsatzes "in dubio pro reo" im Maßregelrecht ................ 131 1. Zweifel bei Zukunftsprognosen .............................................................. 131

II. Anordnung von Maßregeln .......................... .............................................. 132 1. Gefährlichkeitsprognose .. ............. ........ ........... ..................... ............... 132 2. Subsidiarität .......................... ........................... ..... .................................. 134 III. Entlassungs- und Aussetzungsentscheidungen .. .... ......... ...... ......... .... 135 Literaturverzeichnis ...................................................................................................... 136

Abkürzungsverzeichnis a.A. abI. Abs. AE a.F. ALR a.M. Anh. Anm. AöR ArchCrimR Art. AT Aufl. AV BadWürttStGH Bd. Begr. BGBL BGH BGHSt. BT-Dr. BVerfGE BVerwGE Diss. DJ DÖV DR DRiZ DRZ E

EinI. Festschr. Fußn. GA GG GS GVG h.L. h.M.

anderer Auffassung ablehnend Absatz Alternativ-Entwurf alte Fassung Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten anderer Meinung Anhang Anmerkung Archiv des öffentlichen Rechts (zitiert nach Band und Seite) Archiv des Criminalrechts Artikel Allgemeiner Teil Auflage Allgemeine Verfügung Staatsgerichtshof Baden-Württemberg Band Begründung Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Bundestagsdrucksache Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Dissertation Deutsche Justiz Deutsche Öffentliche Verwaltung Deutsches Recht Deutsche Richterzeitung Deutsche Rechtszeitschrift Entwurf Einleitung Festschrift Fußnote Goltdammer's Archiv für Strafrecht (ab 1953 zitiert nach Jahr und Seite, vorher nach Band und Seite) Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Der Gerichtssaal (zitiert nach Band und Seite) Gerichtsverfassungsgesetz herrschende Lehre herrschende Meinung

Abkürzungsverzeichnis HRR Le.S. LS.

LV.m.

Lw.S. JA JMBINRW

JR JuS JW JZ KG Krim. Gegenwartsfragen LG LK LM MDR MschrKrimPsych MschrKrim Ndschr. NdsRpfl. NJW OLG OLGSt. Prot. Rdnr. RG RGBl. RGSt. RJM Rspr. s.

S.

SchlHA SchwZStr SK StGB StPO StR

StrRG stRspr. StVollzG

VDA

vgl.

VV

15

Höchstrichterliche Rechtsprechung (zitiert nach Jahr und Nummer) im engeren Sinne im Sinne in Verbindung mit im weiteren Sinne Juristische Arbeitsblätter Justizministerialblatt für das Land NordrheinWestfalen Juristische Rundschau Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Kammergericht Kriminologische Gegenwartsfragen Landgericht Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch Entscheidungen des Bundesgerichtshofs im Nachschlagewerk von Lindenmaier / Möhring Monatsschrift für Deutsches Recht Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform (zitiert nach Band und Seite) Niederschriften Niedersächsische Rechtspflege Neue Juristische Wochenschrift Oberlandesgericht Entscheidungen der Oberlandesgerichte zum Straf- und Strafverfahrensrecht Protokolle Randnummer Reichsgericht Reichsgesetzblatt Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Reichsj ustizministerium Rechtsprechung siehe Seite oder Satz Schleswig -Holsteinische Anzeigen Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht (zitiert nach Band und Seite) Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch Strafgesetzbuch Strafprozeßordnung Strafrecht Gesetz zur Reform des Strafrechts ständige Rechtsprechung Strafvollzugsgesetz Vergleichende Darstellung des Strafrechts, Allgemeiner Teil vergleiche Verwal tungsvorschrift

16

ZAkDR ZRP ZStW zust.

Abkürzungsverzeichnis Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (zitiert nach Band und Seite) zustimmend

Einleitung A. Ziel und Gegenstand der Arbeit Die Strafrechtsreformgesetze haben stufenweise das System der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung umgestaltet. Neben den Umstellungen in der Reihenfolge der Vollstreckung von Strafe und Maßregel verdienen insbesondere zwei Änderungen Beachtung: (1) Die Streichung der Erforderlichkeitsklausel In den neuen Vorschriften fehlt die in den alten Regelungen enthaltene Formulierung, daß eine Maßregel nur angeordnet werden darf, "wenn die öffentliche Sicherheit dies erfordert". (2) Die Vorverlegung des Prognosezeitpunkts

Für die Beurteilung der Gefährlichkeit des Täters ist nun im Gegensatz zum früheren Recht durchweg auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der Hauptverhandlung abzustellen. Die vorliegende Arbeit versucht, diese beiden Änderungen dogmatisch einzuordnen, ihre rechtlichen Auswirkungen darzustellen und sie kritisch auf ihre rechtsstaatliche Vertretbarkeit zu überprüfen. Obwohl Bereiche angesprochen sind, bei denen sich empirische Untersuchungen als fruchtbar erweisen könnten, beschränkt sich die Arbeit auf rechtsdogmatische Betrachtungen. Diese Beschränkung bedarf angesichts der Tatsache, daß die drängenden Probleme des Maßregelrechts im Mangel an gesicherten erfahrungswissenschaftlichen Aussagen liegen, einer kurzen Begründung: Auch wenn die Feststellung von Zipf zutrifft, die Dogmatik sei bei der Prognoseforschung den erfahrungswissenschaftlichen Ergebnissen vorausgeeiW, so heißt das nicht, daß das Maßregelrecht dogmatisch weitgehend durchgearbeitet ist. Gerade auf diesem Gebiet ist das Fehlen einer systematischen Durchdringung zu beklagen; auch die Dogmatik ist trotz ihres Vorsprungs noch weit vom Ziel entfernt. Diese Situation, die das Maßregelrecht insgesamt als "wissenschaftliches Entwicklungsgebiet"2 kennzeichnet, rechtfertigt das Vorhaben, die Rechtsänderungen nur unter dogmatischen Gesichtspunkten zu wür1 2

Kriminalpolitik, S. 52. Zipf, Kriminalpolitik, S. 101.

2 B. Müller

Einleitung

18

digen. In diesem Sinn ist es ein Ziel der Arbeit, durch eine dogmatische Klärung die Ableitung exakter Fragestellungen für künftige empirische Untersuchungen zu ermöglichen. Auf einen empirischen Teil wurde aus zwei Gründen verzichtet: Die durch das 1. und 2. StrRG eingetretenen Änderungen sind teilweise erst seit dem 1.1.1975 in Kraft. Es ist kaum anzunehmen, daß jetzt schon auswertbare abgeschlossene Verfahren über Anordnungen und insbesondere über Aussetzungen von Maßregeln nach den neuen Vorschriften in ausreichendem Maße vorliegen. Zum anderen sind die Änderungen so weitreichend und die aufgeworfenen Rechtsfragen so komplex, daß eine Beschränkung auf dogmatische Fragen schon durch den zeitlichen und umfangmäßigen Rahmen, der einer Dissertation gesetzt ist, geboten war. Deshalb fehlt auch eine Darstellung und Kritik der verschiedenen kriminologischen Prognosemethoden. Ein Eingehen auf diesen heiklen Problemkreis hätte zwangsläufig von unbefriedigender Kürze und Oberflächlichkeit bleiben müssen. Der Verzicht erscheint auch deshalb vertretbar, weil sich die hier behandelten Fragen unabhängig von der jeweils angewandten Prognosemethode stellen. Die Arbeit beschränkt sich auf die nach derzeit geltendem Recht möglichen Anordnungen freiheits entziehender Maßregeln. Sie bezieht also die Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Anstalt, deren Einführung das eigentliche Kernstück der Reform des Maßregelrechts sein sollte, nicht in die Untersuchung ein. Das Inkrafttreten des § 65* ist schon zweimal, nunmehr auf den 1.1.1985 verschoben worden3 • Angesichts der finanziellen und personellen Schwierigkeiten, der Zweifel über Notwendigkeit und Erfolgschancen dieser Maßregel und der Unsicherheit über die Konzeption ist nicht auszuschließen, daß die Regelungen noch entscheidende Änderungen erfahren werden. Unter diesen Umständen erscheint die Einbeziehung des § 65 wenig sinnvoll. Dieser Verzicht bedeutet allerdings nicht, daß die Anordnung der Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Anstalt von der vorliegenden Untersuchung überhaupt nicht berührt wird. Die Fragen der Gefährlichkeit und der Subsidiarität von Maßregeln, die den Gegenstand der Arbeit bilden, stellen sich bei sämtlichen freiheits entziehenden Maßregeln in gleicher Weise. Die hier gefundenen Ergebnisse werden - wenn auch mit Vorsicht im Hinblick auf die kriminell besonders gefährlichen oder gefährdeten Tätergruppen - auch für den künftigen § 65 verwertbar sein.

* §§ ohne Gesetzesangabe sind solche des StGB. 3

Gesetz vom 22.12.1977 (BGBL I, S. 3104).

B. Darstellung der Problematik

19

Ganz ausgeklammert bleiben dagegen die Maßregeln ohne Freiheitsentziehung. Zwar sind auch diese von den Rechtsänderungen betroffen, doch stellen sich etwa beim Berufsverbot oder bei der Entziehung der Fahrerlaubnis ganz spezifische Fragen, deren Berücksichtigung eine relativ geschlossene Darstellung der Gefährlichkeitsprognose und der Subsidiaritätsproblematik unmöglich gemacht hätte. Aber auch in diesem Punkt gilt, daß die in der Arbeit formulierten allgemeinen Grundsätze für die nichtfreiheitsentziehenden Maßregeln ihre Gültigkeit haben. B. Darstellung der Problematik Gemäß §§ 42 b, 42 c und 42 e a.F. setzte die Anordnung einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung und Besserung voraus, daß die öffentliche Sicherheit die Unterbringung erfordert. Nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs sowie nach Auffassung der Literatur war diese Voraussetzung erfüllt, wenn -

vom Täter weitere erhebliche Straftaten zu erwarten waren (Kriterium der Gefährlichkeit des Täters) und

-

diese Gefahr nicht durch andere, weniger einschneidende Mittel gebannt werden konnte (Kriterium der Subsidiarität der Maßregel).

Für die Feststellung der Erforderlichkeit war der Zeitpunkt der Entlassung aus der Strafhaft, die grundsätzlich vor dem Maßregelvollzug verbüßt werden mußte, maßgebend. Diese Rechtslage führte zu erheblichen Schwierigkeiten und unbefriedigenden Ergebnissen: Eine Voraussage im Zeitpunkt der Hauptverhandlung, ob ein Täter nach mehreren Jahren der Strafverbüßung noch gefährlich sein wird, überforderte in aller Regel das prognostische Vermögen der Richter. Gerade Verurteilte mit schweren Anlaßtaten und dementsprechend langen Freiheitsstrafen hatten wegen der Prognoseschwierigkeiten am ehesten die Chance, von einer Maßregel verschont zu bleiben. Von Angeklagten wurde häufig in der Hauptverhandlung vorgebracht, daß schonendere außerstrafrechtliche Maßnahmen zur Verfügung ständen, die ihre Gefährlichkeit beseitigen würden. Sah das Gericht aufgrund dieses Vorbringens von der Anordnung einer Maßregel ab, konnte es seine Entscheidung nicht mehr korrigieren, wenn der Täter die gegebenen Zusagen nicht einhielt oder das mildere Mittel sich als nicht ausreichend erwies. Erklärtes Ziel des Gesetzgebers war es, die geschilderten Unzulänglichkeiten des alten Rechts zu beseitigen. Er glaubte, dies durch folgende Änderungen erreichen zu können:

20

Einleitung

(1) Die Erforderlichkeitsklausel wurde gestrichen. Neu eingeführt wurde die Möglichkeit, die Vollstreckung der Maßregel zugleich mit der Anordnung zur Bewährung auszusetzen. Über die Auswirkungen dieser Änderung ist man sich in Rechtsprechung und Lehre weitgehend einig. Man sieht darin eine "Verlagerung" des Subsidiaritätsgrundsatzes von der Anordnung auf die Vollstreckung der Maßregel. Nach h.M. muß der Richter die freiheitsentziehende Maßregel auch dann anordnen, wenn die Gefahr durch ein anderes, den Täter weniger belastendes Mittel abgewendet werden kann. In diesem Fall soll er aber die Vollstreckung der Maßregel zur Bewährung aussetzen. Diese Auffassung ist unter zwei Aspekten zu prüfen: -

Erfaßt die Verlagerung des Subsidiaritätsgrundsatzes auch bereits eingeleitete mildere Maßnahmen, wie es in der Literatur teilweise angenommen wird?

-

Ist der Wegfall des Subsidiaritätsprinzips bei der Anordnung einer Maßregel verfassungsrechtlich vertretbar?

Verfassungs rechtliche Bedenken, insbesondere die Frage der Vereinbarkeit dieser Lösung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, wurden in den Gesetzesberatungen nur am Rande erörtert. Auch in der derzeitigen Diskussion stehen kriminalpolitische Überlegungen im Vordergrund und verdecken die verfassungsrechtlichen Zusammenhänge. Die Darstellung dieser Zusammenhänge ist Ziel und zugleich einer der Schwerpunkte der vorliegenden Arbeit. (2) Der Prognosezeitpunkt wurde auch bei den Maßregeln, deren Vollstreckung eine Strafverbüßung vorausgeht, auf den Zeitpunkt der Hauptverhandlung vorverlegt. Die endgültige Entscheidung über die Notwendigkeit des Vollzugs der Maßregel fällt nun am Ende der Strafhaft. Dann nämlich muß das Gericht prüfen, ob der Zweck der Maßregel die Unterbringung noch erfordert. Diese Umgestaltung, die von Praktikern nachdrücklich gefordert worden war, hat allgemeine Zustimmung gefunden. Die Maßgeblichkeit der gegenwärtigen Verhältnisse für das Gefährlichkeitsurteil wirft bei strikter Anwendung jedoch Probleme auf, die bisher noch nicht in letzter Konsequenz durchdacht sind. Ist es dem Richter verwehrt, künftige Änderungen in der Person oder in den Lebensbedingungen des Täters zu berücksichtigen, so kann es sein, daß er eine Maßregel verhängen muß, die am Ende der Strafverbüßung erkennbar überflüssig sein wird. Die Frage wird relevant, wenn bereits in der Hauptverhandlung sicher voraussehbar ist, daß die Gefährlichkeit des Verurteilten nach Strafhaft weggefallen sein wird.

c. Aufbau der Arbeit

21

Ein ähnliches Problem kann unter dem Aspekt der Aufrechterhaltung einer überflüssigen Maßregel am Ende des Strafvollzugs auftreten. Auch wenn die Gefährlichkeit des Verurteilten während der Haft völlig weggefallen ist, kann die angeordnete Freiheitsentziehung nur bedingt ausgesetzt werden. Eine Aufhebung der Maßregel nach Strafverbüßung sieht das Gesetz auch für einen ungefährlichen Täter nicht vor. Beide Fallgestaltungen - die Anordnung und die Aufrechterhaltung einer an sich überflüssigen präventiven Maßnahme - sind, wohl wegen ihres Ausnahmecharakters, bisher kaum ins Blickfeld getreten. Die Frage ihrer rechtsstaatlich vertretbaren Lösung bildet einen weiteren Schwerpunkt der Arbeit.

c.

Aufbau der Arbeit

Das einleitende Kapitel stellt zunächst, soweit für das Verständnis der weiteren Ausführungen erforderlich, Wesen und Geschichte der Zweispurigkeit dar und gibt einen Überblick über das System der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung im Strafgesetzbuch. Es folgt ein Rückblick auf die Anordnungsvoraussetzungen nach altem Recht, in dem vor allem die Auslegung der Erforderlichkeitsklausel näher behandelt wird. Den Erörterungen über die Unzulänglichkeiten des alten Rechts und der Skizzierung der Rechtsänderungen schließt sich der eigentliche Hauptteil der Arbeit an, der sich in zwei Komplexe gliedert. Der erste beschäftigt sich mit der Geltung des Subsidiaritätsgrundsatzes bei der Anordnung von Maßregeln. Diese von der h.M. verneinte Frage wird einmal im Hinblick auf bereits eingeleitete, zum anderen hinsichtlich ersatzweise in Betracht kommender milderer Maßnahmen geprüft. Im Mittelpunkt der Abhandlung stehen dabei neben Ausführungen zum Gefährlichkeitsbegriff - bisher vernachlässigte - verfassungsrechtliche Erwägungen, insbesondere die Ableitung des Subsidiaritätsgrundsatzes im Maßregelrecht. Der zweite Komplex befaßt sich mit der Vorverlegung des Prognosezeitpunkts, deren Auswirkungen zunächst kurz unter dem Aspekt der Prognosestellung erörtert werden. Ausführlicher wird untersucht, ob der Gesetzgeber in § 67c, der eine Entscheidung über die Notwendigkeit der Vollstreckung vorschreibt, eine sachgerechte Regelung getroffen hat. Die Arbeit schließt mit einem knappen Überblick über die Voraussetzungen, denen mildere Maßnahmen genügen müssen, damit von der Anordnung einer Maßregel abgesehen werden kann. In diesem Zusammenhang wird auch der Frage nachgegangen, inwieweit der Grundsatz "in dubio pro reo" im Maßregelrecht gilt.

1. Kapitel

Überblick über das Ma6regelsystem im StGB A. Zweispurigkeit Wie viele Rechtsordnungen l kennt auch das deutsche Strafgesetzbuch zwei Arten strafrechtlicher Sanktionen. Die Strafe - im StGB von 1871 noch die einzige Reaktion auf Rechtsverletzungen - wird heute ergänzt durch ein System sogenannter Maßregeln. Das StGB folgt damit dem Prinzip der Zweispurigkeit (Dualismus). Die wirkungsvolle Ausgestaltung des Rechtsfolgensystems stand im Verlauf der jüngeren Strafrechtsgeschichte immer wieder im Zentrum wissenschaftlicher Kontroversen2 und beherrschte die Beratungen der zahlreichen zur Reform des Strafrechts eingesetzten Kommissionen und Ausschüsse3 • Der Gesetzgeber hat bei der großen Strafrechtsreform\ die gerade im Bereich der Rechtsfolgen grundlegende Änderungen eingeführt hat5 , am System der Zweispurigkeit festgehalten und die Diskussion um das strafrechtliche Sanktionensystem dadurch zu einem vorläufigen Abschluß gebracht. Es kann nicht Aufgabe einer Arbeit mit eng begrenzter Fragestellung sein, den gesamten Meinungsstand zur Auseinandersetzung um die Zweispurigkeit darzustellen oder gar neue Gesichtspunkte beizutragen. Soweit es aber zum besseren Verständnis der Einzelprobleme erforderlich ist, sollen die Grundlagen des Maßregelrechts in knappster Form skizziert werden. Die Beschränkung auf das unerläßlich Notwendige bedingt an einigen Stellen Vereinfachungen, pauschale Verweisungen und zum Teil lEinen rechtsvergleichenden überblick gibt Herrmann, Materialien, Bd.2, S. 193 ff.; vgl. auch Jescheck, AT, S. 69. 2 Nach v. Liszt / Schmidt, AT, S.367 haben wir es hier mit einem der "bestrittensten Probleme der Strafrechtswissenschaft überhaupt" zu tun. 3 Vgl. nur die gründlichen Beratungen dieses Komplexes in der Großen Strafrechtskommission, z.B. Ndschr. Bd.l, S. 50 ff.; Bd.3, S. 34 ff.; Bd.4, S. 203 ff.; Bd. 12, S. 224 ff. und im Sonderausschuß, z.B. Prot. IV, S. 248 ff., 855 ff.; Prot. V, S. 270 ff., 462 ff., 2245 ff. 4 Erstes Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 25.6.1969 (BGBl. I, S. 645), in Kraft getreten teilweise am 1.9.1969, teilweise am 1.4.1970 und Zweites Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 4.7.1969 (BGBl. I, S.717), in Kraft getreten am 1.1.1975. 5 Tröndle, LK, vor § 38 Rdnr. 1 nennt die Strafrechtsreform "im wesentlichen eine Reform der Strafrechtsfolgen"; ähnlich Jescheck, AT, S. 81; Maurach / Zipf, AT 2, S. 356.

A. Zweispurigkeit

23

auch kritiklose Wiedergabe überkommener Grundsätze. Im Hinblick auf den einführenden Charakter des Kapitels wird dies in Kauf genommen und auf eine vertiefende Auseinandersetzung bewußt verzichtet. I. Wesen der Zweispurigkeit

Das Strafrecht hat die Aufgabe, die elementaren Werte des Gemeinschaftslebens zu schützen und den Rechtsfrieden zu erhalten6 • Dieser Aufgabe kann es dadurch dienen, daß es (repressiv) bereits eingetretene Rechtsverletzungen ahndet, aber auch dadurch, daß es (präventiv) künftige Rechtsverletzungen verhindert. Die Notwendigkeit einer zweiten Spur zur Wahrnehmung der präventiven Aufgabe des Strafrechts ergibt sich aus der dem geltenden Recht zugrundeliegenden Begrenzung der Strafe durch das Schuldprinzip 7. Die Bindung der Strafe an das Maß der Tatschuld schließt die Berücksichtigung präventiver Zielsetzungen bei der Strafzumessung zwar nicht aus, läßt sie aber nur in einem abgesteckten Rahmen zu8 • Da Schuld und Gefährlichkeit keineswegs Größen sind, die sich immer entsprechen9 , kann eine am Schuld prinzip orientierte Strafe den Bedürfnissen der Allgemeinheit nach Schutz vor gefährlichen Tätern nur unvollkommen Rechnung tragen lO • Die Strafe bedarf daher einer Ergänzung durch schuldunabhängige Maßnahmen, die an die Gefährlichkeit des Täters anknüpfen. Diesen weiteren Grundtypus strafrechtlicher Rechtsfolgen bilden die Maßregeln der Besserung und Sicherung. Strafe und Maßregel dienen somit gleichermaßen dem Schutz des Zusammenlebens in der Gemeinschaft und haben ihren gemeinsamen Grund in der Notwendigkeit eines solchen Schutzes ll • Rein begrifflich lassen sie sich überschneidungsfrei den Aufgaben Schuldvergeltung und Gefahrenabwehr zuordnen. In diesem Sinn stellt sich die Strafe als repressive Sanktion aufgrund eines tatbezogen-rückblickend ermittelten Schuldurteils, die Maßregel als präventive Sanktion aufgrund eines täterbezogen-vorausschauenden Gefährlichkeitsurteils dar12 • 8 BVerfGE 39,1,46; Jescheck, AT, S. 1,6; Maurach I Zipf, AT 1, S. 66; Roxin, .JuS 1966, 381. 7 Siehe dazu BVerfGE 20, 323; 45,187,260; Jescheck, AT, S. 17 ff. mit weit. Nachw. 8 BGHSt. 7,28,32 (sog. Spielraumtheorie); BGHSt. 20,264,267; Lackner, § 46 Anm. 1, 3; Maurach I Zipf, AT 1, S. 91 ff. 9 Maurach I Zipf, AT 1, S. 68; Lenckner, Strafe, Schuld und Schuldfähigkeit, S.24. 10 Schönke I Schröder I Stree, vor § 61 Rdnr.l; Lackner, vor § 38 Anm.2; Jescheck, AT, S. 66 und LK, Ein!. Rdnr. 35. 11 Jescheck, AT, S. 67; Marquardt, Dogmatische und kriminologische Aspekte des Vikariierens, S. 31. 12 Jescheck, LK, Ein!. Rdnr. 35; Schänke I Schröder I Stree, vor § 38 Rdnr.5; Maurachl Zipf, AT 1, S. 67 ff.; Müller-Dietz, Sanktionensystem, S.70.

1. Kap.: überblick über das Maßregelsystem im StGB

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Die begrifflich mögliche strikte Trennung in vergangenheitsbezogenen Schuldausgleich einerseits und zukunftsgerichtete Zweckmaßnahme andererseits ist im Rechtsfolgensystem des StGB trotz seines dualistischen Ausgangspunkts nicht verwirklicht. Die Anerkennung der Prävention auch als Strafzweck und die Möglichkeit des Vikariierens13 lockern das schroffe Nebeneinander von Strafe und Maßregel weitgehend auf und führen dazu, daß sich beide Sanktionsformen in ihrer Wirkung mannigfach überlagern und durchdringenu. 11. Systeme der Einspurigkeit

Das Prinzip der Einspurigkeit15 (monistisches System) vereinigt die Aufgaben von Strafe und Maßregel und kennt jeweils nur eine einheitliche Tatreaktion. Diese einspurige Lösung kann in der Weise verwirklicht werden, daß der Strafe auch die Funktion der Vorbeugung vor weiteren Rechtsbrüchen vollständig zugewiesen wird 16 . Für einen gefährlichen Rückfalltäter wäre dann eine zeitlich unbestimmte Sicherungsstrafe 17 die angemessene Reaktion. Gerade den umgekehrten Weg - Ersetzung der Strafe durch ein reines System bessernder und sichernder Maßregeln - geht eine andere Richtung. Sie wird z.B. von den Anhängern der internationalen Bewegung der "defense soeiale"18 in verschiedenen Varianten vertreten. In ihrer extremen Ausprägung verwirft sie Schuld und Strafe als Grundlagen des Strafrechtssystems, wodurch der Weg frei wird für eine Deliktsreaktion, die allein an die soziale Gefährlichkeit des Täters anknüpft19 . Zur Bekämpfung der Gefährlichkeit soll der Staat täterangepaßte Maßnahmen präventiver, namentlich therapeutischer und pädagogischer Art einsetzen. Der gemäßigtere Flügel der "defense soeiale"20 bekennt sich zwar grundsätzlich zur Verantwortlichkeit des Menschen, räumt aber der ren Vgl. dazu unten B. U. Hanack, LK, vor § 61 Rdnr.l0; Marquardt, Dogmatische und kriminologische Aspekte des Vikariierens, S. 29 ff.; zusammenfassend Müller-Dietz, Sanktionensystem, S. 67 ff. 15 Denkbar als sog. "gesetzlicher" Monismus: das Gesetz kennt nur eine Sanktionsform, oder als "richterlicher" Monismus: das Gesetz kennt zwar beide Sanktionsformen, gestattet dem Richter aber nur die Anordnung einer von beiden, vgl. Schultz, AT U, S. 33. ts Jedenfalls soweit es nicht um die Sicherung Schuldunfähiger geht. 17 Näher dazu Sieverts, Materialien, Bd. 1, S. 107 ff.; Würtenberger, Materialien, Bd. 1, S. 89 ff.; Freudenthal, VDA ur, S. 247 ff. 18 Grundlegend Gramatica, Defense Sociale; kurze Darstellung bei Zipf, Kriminalpolitik, S. 40 f. U Gramatica, Defense Sociale, Bd. 1, S. 34 ff., 82 ff. 20 Vertreten von Mare Ancel, dem langjährigen Präsidenten der "Societe 14

A. Zweispurigkeit

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sozialisierenden Behandlung den Vorrang vor dem Gedanken des Schuld ausgleichs ein2 !. 111. Gescllichte der Zweispurigkeit!Z

Solange das Strafensystem vom Gedanken der Abschreckung und Unschädlichmachung beherrscht war, fehlte ein dringendes Bedürfnis für Sicherungsmaßnahmen. Todesstrafe, verstümmelnde Leibesstrafen und Landesverweisung schützten die Gesellschaft vor der Rückfälligkeit des Täters 23 • Erste Ansätze von Sicherungsmaßnahmen fanden sich in Art. 176 und 195 der Constitutio Criminalis Carolina (CCC) von 1532. Mit zunehmender Bedeutung der Freiheitsstrafe ging man dazu über, gemeingefährliche Täter in Zuchthäusern und Arbeitshäusern auf unbestimmte Dauer zu verwahren24 • Eine scharfe begriffliche Unterscheidung zwischen Strafe und Maßregel kannte man freilich noch nicht. Diese Unterscheidung ist ein Produkt der Aufklärungsbewegung gegen Ende des 18. Jahrhunderts. Als "Begründer" eines zweispurigen Systems der Verbrechensbekämpfung im deutschen Strafrecht gilt Ernst Ferdinand Klein 25 , der Hauptverfasser des strafrechtlichen Teils des Preußischen Allgemeinen Landrechts von 1794. Klein unterschied zwischen im Urteil nach Art und Maß genau festzusetzenden Strafen und Sicherungsmitteln, für deren Maß allein die kriminelle Gefährlichkeit des Täters entscheidend sein sollte26 • Als Hauptaufgabe der Strafe bezeichnete er die Generalprävention, während die Sicherungsmaßnahmen die Allgemeinheit vor dem gefährlichen Täter schützen sollten, indem sie ihn entweder zu bessern suchen oder durch dauernde Einsperrung unschädlich machen27 • Die sichernden Maßnahmen sollten vom Richter angeordnet werden, in ihrer Dauer unbestimmt sein und im Vollzug der Strafhaft nachfolgen. Das ALR verwirklichte in § 5 II 20 Kleins Vorstellungen. Für bestimmte Täter, die wegen ihrer "verdorbenen Neigungen" eine Gefahr Internationale de Defense Sociale"; vgl. dazu Melzer, Die neue Sozialverteidigung, S. 37 ff. 2! Ancel, Die neue Sozialverteidigung, S. 242 ff.; 265 ff. 22 überblick bei Sieverts, Materialien, Bd. 1, S. 112 ff.; Rietzsch, Die Anordnung der Sicherungsverwahrung, S. 25 ff.; v. Liszt / Schmidt, AT, S. 365 ff. 23 Henkel, ZStW 57, 703; v. Liszt / Schmidt, AT, S. 365; Eb. Schmidt, Einführung, S. 61 ff., 185 ff. 24 Henkel, ZStW 57,703. 25 Eb. Schmidt, Einführung, S. 252; über Leben und Werk von E. F. Klein berichten v. Liszt, Aufsätze, Bd. II, S. 133 ff.; Hoffmann, E. F. Kleins Lehre, S. 7 ff. 28 ArchCrimR, 1799, Bd. I, 3 S. 64; Merkwürdige Rechtssprüche, Bd. II, S. 3 ff.; vgl. dazu Mumme, E. F. Klein's Auffassung, S. 44; weitere Nachweise bei Henkel, ZStW 57,712 Fußn. 6. 27 ArchCrimR, 1799, Bd. II, 1 S. 74 ff.

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1. Kap.: überblick über das Maßregelsystem im StGB

für das Gemeinwohl darstellten, war eine Art Sicherungsverwahrung vorgesehen, "bis sie ausgewiesen haben, wie sie sich auf ehrliche Art zu ernähren imstande sind "28. Bereits fünf Jahre nach Inkrafttreten des ALR wurde das Nebeneinander von Strafe und sichernder Maßregel durch die Preußische Zirkularverordnung vom 26.2.1799 29 weitgehend aufgehoben und eine unbestimmte Verurteilung, also eine einspurige Reaktion, eingeführt. Das in den Partikularstrafgesetzbüchern anzutreffende System strafrechtlicher Rechtsfolgen mit reinen Abschreckungs- und Vergeltungsstrafen, reinen Sicherungsmaßregeln und der Sicherungsstrafe, in der sich der Abschreckungs- und Vergeltungsgedanke und die Idee der Unschädlichmachung und Besserung vereinen, mußte im Laufe des 19. Jahrhunderts einem starren Vergeltungsstrafrechtweichen30 • Unter dem Einfluß der Ideen des Liberalismus, insbesondere der Forderung nach bestimmten, für den Bürger im voraus berechenbaren Strafübeln, wurde die unbestimmte Strafe abgeschafft31 • Überhaupt führte die Abneigung dieser Epoche, dem Staat erzieherische Eingriffe in die Individualsphäre des einzelnen zuzugestehen, in der Folgezeit zu einer Zurückdrängung der spezial präventiven Maßnahmen. Die Aufgabe der Sicherung der Gesellschaft wurde aus dem Bereich der Strafjustiz in den der Verwaltung verwiesen. Das vornehmlich an der vergeltenden Strafe orientierte StGB von 1871 kannte demzufolge nur wenige Rechtsfolgen, die zielgerichtet der Sicherung dienten32 • Der Besserungs- und Sicherungsgedanke gewann erst durch die Forderungen von Franz von Liszt wieder an Bedeutung, der die Vergeltungsstrafe die Schutz- oder Zweckstrafe gegenüberstellte33 • Maßregeln der Sicherung und Besserung sollten in diesem System die Strafe nur dort ergänzen, wo diese zur (bessernden oder sichernden) Einwirkung auf den Täter nicht ausreicht 34 • Für besserungsunfähige Gewohnheitsverbrecher empfahl von Liszt eine unbestimmte, u.U. lebenslange Sicherungsstrafe. Z8 Diese Vorschrift wurde ergänzt durch §§ 1023, 1024, 1160 II 20; näher dazu Eb. Schmidt, zStW 86, 621 ff. 29 Abgedruckt in ArchCrimR, 1800, Bd. II, 1 S. 28 ff. 30 Siehe v. Liszt I Schmidt, AT, S. 367. 31 Vgl. Finger, GS 104, 200; Sieverts, Materialien, Bd. 1, S. 113. 32 Polizeiaufsicht (§ 38), überweisung gemeinlästiger Täter an die Landespolizeibehörde (§ 362). Der Charakter dieser Maßnahmen war lebhaft umstritten, vgl. einerseits v. Liszt I Schmidt, AT, S.371 ("Nebenstrafen") und andererseits Frank, § 39 Anm. I ("Sicherungsmaßregeln"). Einig war man sich darüber, daß sie nur unzureichende Mittel im Kampf gegen die chronische Kriminalität waren. 33 Aufsätze, Bd. I, S. 126 ff. 34 Aufsätze, Bd. I, S. 169; Eb. Schmidt, Einführung, S. 379.

A. Zweispurigkeit

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Um die neue "soziologische" Auffassung vom Strafrecht entbrannte ein heftiger Streit, der die deutsche Strafrechtswissenschaft in eine "moderne" und eine "klassische" Richtung spaltete. Dieser "Schulenstreit", dessen auch nur andeutungsweise Wiedergabe im Rahmen dieses kursorischen Überblicks nicht möglich ist, entzündete sich vor allem an dem Problem, ob die Strafe über die Vergeltung hinaus Präventionszwecke verfolgen darf35 • Einen Mittelweg36 im Streit zwischen klassischer Vergeltungsidee (bestimmte Schuldstrafe) und modernem Zweckdenken (unbestimmte Sicherungsstrafe) schlug earl Stooss 37 im Jahre 1893 vor, indem er in den Vorentwurf zu einem Schweizerischen Strafgesetzbuch neben (zeitlich bestimmten) Strafen auch (zeitlich unbestimmte) Maßregeln als vorbeugende Maßnahmen gegen gefährliche Täter aufnahm38 • Das von Stooss entwickelte System der Zweispurigkeit und die Ausgestaltung der einzelnen Maßregeln waren richtungsweisend für die Anfang des 20. Jahrhunderts in kurzen Abständen erscheinenden Entwürfe zur Strafrechtsreform39 • Während sich der Vorentwurf 1909 auf die Sicherungsstrafe beschränkte40 , schloß sich der Gegenentwurf von 1911 dem Vorschlag von Stooss an41 • Die nachfolgenden Entwürfe42 enthielten alle - getrennt von den Strafen - einen mehr oder weniger umfangreichen Maßregel katalog. Nach den jahrzehntelang erfolglosen Ansätzen zu einer Reform des Strafgesetzbuchs fand das zweispurige System durch das Gewohnheitsverbrechergesetz vom 24.11.1933 43 Eingang in das deutsche Strafrecht, Eb. Schmidt, Einführung, S. 386; Maurach / Zipf, AT 1, S. 80 ff. Treffend die Formulierung bei Sieverts, Handwörterbuch, S. 591: "v. Liszt hat in der Sache gesiegt, die klassische Schule in der Form der Durchführung." 37 Zur Bedeutung von earl Stooss vgl. J escheck, SchwZStr 73, 189 ff.; Becker, Die freiheitsentziehenden Maßregeln des neuen Strafrechts, S. 13 ff.; Exner, Sicherungsmittel, S. 239: "v. Liszt hat das Ziel, Stooss den Weg gewiesen." 38 Im einzelnen siehe Art. 23-26, 40 des Vorentwurfs. 3g Zusammenstellung der einzelnen Entwürfe bei Rietzsch, Die Anordnung der Sicherungsverwahrung, S. 30 ff.; Geisler, Sicherungsverwahrung, S.31; Jescheck, LK, Einl. Rdnr. 62 ff. Speziell zur Entwicklung der den gefährlichen Gewohnheitsverbrecher betreffenden Vorschriften Finger, GS 104, 202 ff.; Kestel, Der gefährliche Gewohnheitsverbrecher, S. 55 ff.; Rudmann, Grundbegriffe der Sicherungsverwahrung, S. 38 ff. 40 In § 89. Gegen diese Lösung Exner, Sicherungsmittel, S. 225; Rietzsch, Die Anordnung der Sicherungsverwahrung, S. 32. 41 Vgl. §§ 14, 68, 69, 98. Neben Kahl, v. Lilienthal und Goldschmidt war auch v. Liszt am Gegenentwurf beteiligt. 42 Der Kommissionsentwurf 1913, der erstmals einen selbständigen Abschnitt "Maßregeln der Besserung und Sicherung" enthielt; der daraus entstandene Entwurf 1919, der Entwurf Radbruch 1922, der Amtliche Entwurf 1925 (Reichsratsvorlage), der Amtliche Entwurf 1927 (Reichstagsvorlage) und der Entwurf Kahl 1930. 43 Reichsgesetz vom 24.11.1933 gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung (RGBl. I, S.995) mit Ausfüh35 38

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1. Kap.: überblick über das Maßregelsystem im StGB

obwohl sich die preußische Denkschrift von 1933 noch entschieden für die Einspurigkeit ausgesprochen hatte". In der Reformdiskussion nach dem 2. Weltkrieg haben sich die Befürworter der Zweispurigkeit durchgesetzt l5 • Die Gegenmeinung, die die Einführung eines einspurigen Rechtsfolgensystems in Form einer unbestimmten Sicherungsstrafe forderte, hatte die Trennung von Strafe und freiheitsentziehender Maßregel als "Etikettenschwindel"'6 kritisiert, da im Vollzug kein Unterschied bestehe und der Betroffene auch die Maßregel vollstreckung als Übelszufügung empfinde. Sie konnte sich jedoch nicht durchsetzen, weil der Gesetzgeber die Trennung von schuldbezogener Strafe und gefährlichkeitsorientierter Maßregel in einem vom Tatschuldgedanken beherrschten Strafrecht für unverzichtbar hielt47 • Ein modifiziertes zweispuriges System erschien ihm als das noch immer am besten geeignete Instrument, um den repressiven und präventiven Aufgaben des Strafrechts gleichermaßen gerecht zu werden. Auch die überwiegende Meinung im Schrifttum hatte die Zweispurigkeit als einen vertretbaren und auch in der Gegenwart noch tragfähigen Kompromiß verteidigt'8. Die Einführung eines reinen Maßnahmensystems stand im Verlauf der deutschen Strafrechtsreformentwicklung nie ernsthaft zur Diskussion4v • rungsgesetz vom 24.11.1933 (RGBl. I, S. 1000). Nach h.M. enthält dieses Gesetz trotz seines Entstehungsdatums im Kern kein nationalsozialistisches Gedankengut, sondern knüpft an die in Fußn. 42 genannten Entwürfe an (BGH MDR 1951, 33; BVerfGE 2, 118; Dreher, DRiZ 1957, 53; a.A. Hellmer, Gewohnheitsverbrecher, S. 293. U Nationalsozialistisches Strafrecht. Denkschrift des Preußischen Justizministers 1933. '5 Näher dazu Hanack, Krim. Gegenwartsfragen 1972, 69 und LK, vor § 61 Rdnr. 7; Dreher, ZStW 66,572; auch der AE wollte an der Zweispurigkeit festhalten (Begr. vor § 66). Für die einspurige Lösung Dünnebier, ZStW 72, 32; Sieverts, Materialien, Bd.,I, S. 107 ff.; Würtenberger, Materialien, Bd.l, S. 89 ff.; Eb. Schmidt, Ndschr. Bd. 1, S. 51 ff.; aus jüngerer Zeit Eisenberg, Strafe und freiheitsentziehende Maßregel, S.70; Engelhardt, Erfahrungen mit der Durchführung der §§ 20 a, 42 e, S. 171. 46 Kohlrausch, ZStW 44, 33 prägte dieses vielzitierte Wort, das in diesem Zusammenhang Hellmer, Gewohnheitsverbrecher, S. 290 und Sieverts, Materialien, Bd. 1, S. 114 aufgreifen. Dagegen Welzel, Strafrecht, S.246, der umgekehrt den Vorwurf des Etikettenschwindels gegen die Sicherungsstrafe erhebt; ähnlich Güde, Prot. IV, S. 3; Hall, ZStW 70, 59. 47 Dreher, ZStW 66, 572. Die prinzipiellen Bedenken gegen den Gedanken der Lebensführungsschuld (vgl. dazu näher Lang-Hinrichsen, Gutachten, S. 65 ff.; Maurach / Zipf, AT 1, S. 328; Schönke / Schröder, 17. Aufl., vor § 51 a.F. Rdnr. 86 ff. mit weit. Nachw.) erlaubten auch nicht, die Sicherungs strafe - wie teilweise vorgeschlagen (Nachweise bei Hanack, LK, § 66 Rdnr.4) - auf diese Grundlage zu stellen. 48 Nachweise bei Jescheck, LK, Einl. Rdnr. 36. 49 Gegen ein ausschließlich an der Gefährlichkeit orientiertes System der Sozialen Verteidigung werden in der deutschen und ausländischen Strafrechtswissenschaft erhebliche Bedenken geltend gemacht, vgl. H. Kaufmann, v.

A. Zweispurigkeit

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IV. Prinzipien des Maßregelrechts

Trotz der unterschiedlichen Anordnungsvoraussetzungen und Zielsetzungen lassen sich folgende, für alle Maßregeln gültige Prinzipien herausarbeiten: (1) Anlaßtat

Sämtliche Maßregeln setzen die Begehung einer sogenannten Anlaßtat voraus. Die Bindung des Gefährlichkeitsurteils an begangene Taten ist zwar nicht zwingend - Gefährlichkeit könnte theoretisch auch ohne das Indiz früherer Taten festgestellt werden -, die Delinquenz erscheint aber als sicherstes Symptom für die Gefährlichkeit eines Täters50 • Als "Symptom" in diesem Sinn kann nur eine Tat dienen, die Ausfluß des gefährlichen Zustands des Täters ist51 • (2) Gefährlichkeit

Anknüpfungspunkt für die Anordnung jeder Maßregel ist die Gefährlichkeit des Täters. Dem Begriff der Gefährlichkeit kommt somit eine zentrale Bedeutung zu. Seine inhaltliche Ausfüllung und seine prozessuale Feststellung gehören zu den Hauptproblemen im Maßregelrecht. (3) Verhältnismäßigkeit

Wie § 62 jetzt ausdrücklich hervorhebt, bildet der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine Schranke für die Anordnung von Maßregeln. Er gilt nach allgemeiner Auffassung trotz des insoweit unklaren Gesetzeswortlauts nicht nur für die Anordnung der Maßregeln, sondern auch für alle Folgeentscheidungen52 • V. Zweck der Maßregeln

Ungeachtet der Verschiedenartigkeit der kriminalpolitischen Interessen, die bei der Einführung der einzelnen Maßregeln Pate standen, ist allen Maßregeln ein genereller Zweck gemeinsam: der Schutz der Allgemeinheit vor drohenden erheblichen Rechtsverletzungen. Zumindest mißverständlich ist es deshalb, bestimmten Maßregeln in Anlehnung an die Titelüberschrift im StGB einen Besserungs-, anderen einen SicheWeber-Festschr. (1963), S. 418; Lange, Wandlungen, S. 345 ff.; Lenckner, Strafe, Schuld und Schuldfähigkeit, S.16; Tröndle, LK, vor § 38 Rdnr.12; Frey, SchwZStr 68,410; Zipf, Kriminalpolitik, S.40. Gleichwohl ist gerade die Lehre der defense sociale nicht ohne Einfluß auf die kriminalpolitische Entwicklung in Deutschland geblieben; vgl. Jescheck, AT, S. 606; Melzer, Die neue Sozialverteidigung, S. 102 ff. 50 Exner, Sicherungsmittel, S. 108; Maurach / Zipf, AT 1, S. 67; Nowakowski, v. Weber-Festschr. (1963), S. 112; Sieverts, Handwörterbuch, S. 589. 51 RGSt. 68, 149, 156; BGHSt. 27, 246; Hanack, LK, vor § 61 Rdnr. 52; Schönke / Schröder / Stree, § 66 Rdnr. 30. 52 1. Bericht, S. 17; OLG Karlsruhe NJW 1971,204; Hanack, LK, § 62 Rdnr. 7; Horn, SK, § 62 Rdnr. 2; JA 1971, 235.

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1. Kap.:

überblick über das Maßregelsystem im StGB

rungszweck beizumessen53 , abgesehen davon, daß sich eine solche Unterscheidung nicht bei sämtlichen Maßregeln eindeutig durchführen läßt. Denn Sicherung (LS. von Schutz54 ) der Allgemeinheit ist Zweck und alleinige Rechtfertigung jeder MaßregeP5. Die Möglichkeiten des Strafrechts können zur Besserung des Täters nur insoweit in Anspruch genommen werden, als sie ein wirksames Mittel zur Beseitigung der Gefährlichkeit darstellen. Darüber hinausgehende Einwirkungen widersprechen der rechtsstaatlichen Funktion und Begrenzung des Strafrechts. Die Rechtsordnung ist nicht berufen, mit Zwang "bessere" Menschen zu erziehen. Nur soweit eine Einwirkung erforderlich ist, um die Allgemeinheit vor Gefahren zu schützen, kann sie zulässig sein56 . Die durch die Umstellung in der Titelüberschrift zum Ausdruck kommende Betonung des Besserungsgedankens bezieht sich, was nicht immer klar erkannt wird, auf die Wege und Mittel, mit denen der vom Täter ausgehenden Gefahr begegnet werden soll. Die Behandlung des Täters mit dem Ziel seiner Besserung ist nicht nur ein Postulat humanen Strafrechts, sondern auf lange Sicht auch erfolgversprechender als seine bloße Sicherung (LS. einer Verwahrung). Erst bei Beachtung dieses Unterschieds wird eine Einteilung in Maßregeln, bei denen der Besserungsgedanke im Vordergrund steht, und Maßregeln, bei denen es vornehmlich um Sicherung geht, unverfänglich. Zu unterscheiden sind einerseits Maßnahmen, die die Beseitigung der Gefährlichkeit vorwiegend durch therapeutische Einwirkung auf den Verurteilten erstreben (z.B. § 64), und andererseits solche, die sich weitgehend, aber nicht ausschließlich, darauf beschränken, dem gefährlichen Täter die gemeinschaftsfeindliche Betätigung unmöglich zu machen (z.B. § 66). VI. Rechtfertigung der Maßregeln

Soweit in der Literatur die Frage nach der Rechtfertigung von Maßregeln überhaupt aufgeworfen wird 57 , wird überwiegend angenommen, 53 So aber Exner, ZStW 53,632; Steinhilper, Sexualtäter und Sicherungsverwahrung, S.l1; mißverständlich auch Jescheck, AT, S. 68, deutlicher S. 648. 54 Zur doppelten Bedeutung des Begriffs "Sicherung" und den daraus entstehenden dogmatischen Unklarheiten Geppert, Sperrfrist, S.43. 55 Grünwald, ZStW 76, 635; Maurach / Zipf, AT 2, S. 529; Pätzold, Eingriffsvoraussetzungen bei freiheitsentziehenden Maßregeln, S.23; W. Schmidt, Das Prinzip der Zweispurigkeit, S. 138; vgl. auch BVerfGE 22, 180,219: "Besserung ist nicht Aufgabe des Staates." 56 Grünwald, ZStW 76, 635; Hanack, LK, vor § 61 Rdnr.25, § 64 Rdnr. 3 H. und JR 1977, 170. 57 Die Frage der Rechtfertigung von Maßregeln kommt, wie Eb. Schmidt, ZStW 69, 377 und W. Schmidt, Das Prinzip der Zweispurigkeit, S. 142 zu Recht beklagen, in der strafrechtlichen Literatur meist zu kurz. Die Verfassungsmäßigkeit sichernder Maßnahmen bestreitet H. Mayer, Strafrecht, S.36 und Strafrechtsreform, S. 42; ihm folgend seine Schüler Hellmer, Gewohnheitsver-

A. Zweispurigkeit

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daß allein die Notwendigkeit, zum Schutz der Allgemeinheit ein vorbeugendes Verteidigungsmittel zu schaffen, derart gravierende Eingriffe in die Freiheit und Persönlichkeit des einzelnen nicht zu rechtfertigen vermag58 • Die heute zur Rechtfertigung der Maßregeln vorgetragenen Argumente lassen sich auf zwei Grundpositionen zurückführen:

1. Rechtsethische Begründung Nach Welzel 59 und Bockelmann60 liegt allen Sicherungsmaßregeln der sozialethische Gedanke zugrunde, daß am Gemeinschaftsleben nur ungeschmälert teilnehmen könne, wer imstande sei, sich von den Normen des Gemeinschaftslebens leiten zu lassen61 • Alle äußere und soziale Freiheit rechtfertige sich letztlich aus dem Besitz der inneren und sittlich gebundenen Freiheit. Wer dieser Freiheit überhaupt nicht fähig oder nicht mehr hinreichend mächtig sei, könne die volle soziale Freiheit nicht beanspruchen. Ähnlich argumentiert Stree, der ebenfalls demjenigen, der sich von den Normen des Gemeinschaftslebens nicht leiten lassen kann, das Recht auf ungeschmälerte Teilnahme am Gemeinschaftsleben abspricht. Das Grundgesetz gewähre keinen von der Gemeinschaft losgelösten Freiheitsbereich, sondern garantiere dem einzelnen nur eine gemeinschaftsgebundene Freiheit. Allerdings stellt Stree - und insofern unerscheidet er sich von der zuerst referierten Auffassung - nicht auf die mangelnde Fähigkeit des Täters, sondern auf die Tatsache des sozialwidrigen Verhaltens ab, unabhängig davon, ob es auf mangelndem Können oder auf mangelndem Wollen beruhtS2 •

2. Das Prinzip des überwiegenden Interesses Auf das Prinzip des überwiegenden Interesses stützen Stratenwerth S3 und Nowakowski 64 das Recht des Staates, gefährlichen Tätern die Freiheit brecher, S.290 und Geerds, MschrKrim 43, 92. Gegen den Versuch Mayers, die Maßregeln umzudeuten, die nahezu einhellige h.M. vgl. nur Lang-Hinrichsen, LK, 9. Aufl., vor § 42a a.F. Rdnr.15 mit weit. Nachw. 58 Exner, Sicherungsmittel, S. 5; Stree, Deliktsfolgen, S. 220; Lang-Hinrichsen, LK, 9. Auf!., vor § 42a a.F. Rdnr.13; Jescheck, LK, Einl. Rdnr. 39; etwas anders Hanack, LK, vor § 61 Rdnr. 28. 59 Strafrecht, S. 244. 60 Materialien, Bd. 1, S. 41 und Ndschr., Bd. 4, S. 255. 61 Zustimmend Bruns, ZStW 71,211; Dreher, DRiZ 1957, 53; krit. Hanack, LK, vor § 61 Rdnr. 31; Stratenwerth, AT, S. 31; Wacker, Sicherungsverwahrung und . Grundgesetz, S. 48. 62 Deliktsfolgen, S. 233 ff.; zustimmend Jescheck, AT, S. 68; Lang-Hinrichsen, LK, 9. Aufl., vor § 42 a a.F. Rdnr. 14; krit. Wacker, Sicherungsverwahrung und Grundgesetz, S. 49; P. J. Schmidt, Probleme der Rückfallkriminalität, S. 278. 63 SchwZStr 82, 346.

1. Kap.: überblick über das Maßregelsystem im StGB

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zu entziehen. Danach sind Maßregeln zulässig, wenn bei einer Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Verbrechensverhütung und den aufzuopfernden Persönlichkeits- und Freiheitsrechten des einzelnen das Gemeininteresse eindeutig überwiegt65 • Sax sieht den einzig gangbaren Weg, auf dem eine Legitimation staatlicher Zwangsreaktionen erreicht werden kann, in dem Gedanken der Notwehr66 • Maßregeln sind nach seiner Meinung die zur Sozialverteidigung erforderlichen Handlungen gegen den Angriff des Verbrechens, sofern sie sich nach Reaktionsanlaß und Reaktionsmaß auf das Unerläßliche beschränken.

B. Das System der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung I. nbersicht Neben den nichtfreiheitsentziehenden Maßregeln der Führungsaufsicht (§ 68), der Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69) und des Berufsverbots (§ 70) kennt das Strafgesetzbuch vier freiheitsentziehende Maßregeln:

-

Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63)

-

Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64)

-

Die Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Anstalt (§ 65)87

-

Die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (§ 66).

Maßregeln können nach § 72 Abs. 2 nebeneinander angeordnet werden. Ist aber der erstrebte Zweck durch einzelne von mehreren möglichen Maßregeln zu erreichen, wird nur diejenige angeordnet, die allein schon die Zweckerreichung gewährleistet, § 72 Abs. 1. Dabei gebührt nach Satz 2 der schwächsten, d.h. der den Täter am wenigsten belastenden Maßregel der Vorzug. v. Weber-Festschr. (1963), S. 98 ff. Zustimmend Hanack, LK, vor § 61 Rdnr.28; Becker, Die freiheitsentziehenden Maßregeln des neuen Strafrechts, S.84; krit. Lang-Hinrichsen, LK, 9. Aufl., vor § 42a a.F. Rdnr.14; P. J. Schmidt, Probleme der Rückfallkriminalität, S. 277. 88 Grundsätze der Strafrechtspflege, S. 956; ebenso W. Schmidt, Das Prinzip der Zweispurigkeit, S. 143; Pätzold, Eingriffsvoraussetzungen bei freiheitsentziehenden Maßregeln, S. 8; ablehnend Nowakowski, v. Weber-Festschr. (1963), S.108; Wacker, Sicherungsverwahrung und Grundgesetz, S.56. Da das Notwehrrecht unter dem Aspekt des überwiegenden Interesses gesehen werden kann, wird die Saxsche Theorie unter dieser überschrift behandelt. 67 Wie in der Einleitung bereits ausgeführt, wird § 65 angesichts des auf den 1.1.1985 hinausgeschobenen Zeitpunkts des Inkrafttretens und der damit verbundenen Unsicherheit über das rechtliche und tatsächliche Schicksal der sozialtherapeutischen Anstalt nicht in den überblick einbezogen. 84

65

B. Das System der freiheitsentziehenden Maßregeln

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11. Das vikariierende System

Während nach altem Recht (§ 456 b a.F. StPO) generell zunächst die Strafe verbüßt sein mußte, bevor die Maßregel vollzogen werden konnte, bietet § 67 eine wesentlich differenziertere Regelung an. Danach wird die Unterbringung in einer Anstalt nach den §§ 63-65 grundsätzlich vor einer gleichzeitig verhängten Strafe vollzogen und die Dauer des Maßregelvollzugs auf die Strafe angerechnet (§ 67 Abs. 4), sogenanntes vikariierendes System68 • Für diesen Fall besteht gemäß § 67 Abs.5 die über § 57 hinausgehende (aus Gründen der Gerechtigkeit und Gleichheit umstrittene69 ) Möglichkeit, die Vollstreckung des Straf restes auch dann zur Bewährung auszusetzen, wenn noch nicht zwei Drittel der Strafe durch Anrechnung erloschen sind. § 67 Abs. 2 sieht eine Ausnahme vom vikariierenden System vor, wenn der Zweck der Maßregel dadurch leichter erreicht wird70 • Eine Anrechnung des Strafvollzugs auf die Höchstdauer des Maßregelvollzugs findet dabei nicht statt. Nach § 67 Abs. 3 kann die Entscheidung auch nachträglich getroffen, geändert oder aufgehoben werden, wenn Umstände in der Person des Verurteilten es angezeigt erscheinen lassen. Ausgeklammert von der Vikariierungsmöglichkeit bleibt die Sicherungsverwahrung. Der Gesetzgeber hat diese Ausnahme damit begründet, daß die Sicherungsverwahrung keinen gezielten Behandlungszweck verfolge, der durch eine vorweg vollzogene Strafe gefährdet werden könnte71 • Dagegen gilt die in § 67a vorgesehene Überweisung in den Vollzug einer anderen Maßregel nach Abs. 2 auch für einen Täter, gegen den Sicherungsverwahrung angeordnet ist. Die Vorschrift trägt der Erfahrung Rechnung, daß sich oft erst im Vollzug herausstellt, welche Behandlung für die Resozialisierung des Täters am besten geeignet ist. 68 Grundlegend Marquardt, Dogmatische und kriminologische Aspekte des Vikariierens, S. 34 ff. Das Vikariierungsprinzip war erstmals im E 1925 (§§ 47, 48) vorgesehen. 69 Vgl. dazu Prot. V, S.2324, 3248; Marquardt, Dogmatische und kriminologische Aspekte des Vikariierens, S. 43 ff.; zum Streitstand s. Hanack, LK, § 67 Rdnr.16 ff. 70 Nach den Intentionen des Gesetzgebers soll § 67 Abs.2 eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift sein. In der Literatur ist man sehr um eine restriktive Interpretation bemüht, vgl. Horn, SK, § 67 Rdnr. 10; Hanack, LK, § 67 Rdnr. 35; beachte auch OLG Karlsruhe NJW 1975, 1571 und Hanack, JR 1975,444. 71 Begr. zu § 87 E 1962, S. 217; Horstkotte, Prot. V, S. 333; zustimmend Neu, Die Sicherungsverwahrung nach der Strafrechtsreform, S. 149. Für die Er·streckung der Vikariierungsmöglichkeit auch auf die Sicherungsverwahrung Frey, Verhandlungen, S. E 35, 141; Hanack, Krim. Gegenwartsfragen 1972, 77; Jescheck, ZStW 80,83.

3 B. Müller

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1. Kap.: überblick über das Maßregelsystem im StGB

Eine Überweisung aus dem Strafvollzug72 oder in die Sicherungsverwahrung ist nicht möglich. Im Unterschied zu § 72 setzt eine Überweisung in den Vollzug einer anderen Maßregel nicht voraus, daß deren Voraussetzungen vorliegen. Es genügt, daß der mit der Anordnung der ursprünglichen Maßregel verfolgte Zweck leichter erreicht werden kann. Durch § 67a Abs. 4 wird gewährleistet, daß bezüglich Dauer und Überprüfung der neuen Maßregel die Vorschriften Anwendung finden, die für die im Urteil angeordnete Maßregel gelten. 111. Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung

(1) Aussetzung zugleich mit der Anordnung Die Möglichkeit einer Aussetzung der Vollstreckung zugleich mit der Anordnung der Maßregel sieht § 67b bei der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und einer Entziehungsanstalt vor, wenn "besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, daß der Zweck der Maßregel auch dadurch erreicht werden kann". Diese Vergünstigung kann nicht gewährt werden, wenn der Täter noch Freiheitsstrafe zu verbüßen hat (§ 67b Abs. 1 S. 2). Bei der Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung tritt kraft Gesetzes (§ 67 b Abs. 2) Führungsaufsicht ein. (2) Aussetzung bei späterem Beginn der Unterbringung Bei Vorwegvollzug der Freiheitsstrafe (also stets bei Anordnung der Sicherungsverwahrung und bei einer Anordnung nach § 67 Abs. 2) prüft das Gericht am Ende des Strafvollzugs, ob der Zweck der Maßregel die Unterbringung noch erfordert. Ist dies nicht der Fall, setzt das Gericht die Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus. Auch hier tritt automatisch Führungsaufsicht ein (§ 67c Abs. 1 S. 2, 2. Halbsatz). Hat der Vollzug der Unterbringung drei Jahre nach Rechtskraft ihrer Anordnung noch nicht begonnen und liegt kein Fall des Abs. 1 oder des § 67b vor, muß das Gericht nach § 67c Abs.2 erneut über die Unterbringung beschließen. Es kann dabei nicht nur den Vollzug anordnen oder ihn bedingt aussetzen, sondern auch die Maßregel für erledigt erklären, wenn ihr Zweck erreicht ist. Die Aussetzung einer Unterbringung kann unter den Voraussetzungen des § 67 g widerrufen werden. Für alle in den Absätzen 1-3 genannten Widerrufsgründe ist Bedingung, daß der Zweck der Maßregel die Unterbringung noch erfordert. Widerruft das Gericht die Aussetzung der Unterbringung nicht, so ist die Maßregel mit dem Ende der Führungsaufsicht erledigt (§ 67 g Abs. 5). 72 § 9 StVollzG erlaubt jetzt die Verlegung eines Strafgefangenen in den Maßregelvollzug einer sozialtherapeutischen Anstalt, vgl. dazu R. Schmitt, Würtenberger-Festschr. (1977), S. 281; Müller-Dietz, Sanktionensystem, S.75, 212.

B. Das System der freiheitsentziehenden Maßregeln

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IV. Dauer der Unterbringung

Die Dauer der Unterbringung ist beim psychiatrischen Krankenhaus und bei der zweiten Unterbringung in der Sicherungsverwahrung unbegrenzt; im übrigen gelten die in § 67 d Abs. 1 bestimmten Höchstfristen. Im Urteil darf daher die Unterbringung nicht zeitlich begrenzt werden. Das Gericht kann aber jederzeit und muß innerhalb der in § 67e Abs. 2 festgesetzten Fristen prüfen, ob die weitere Vollstreckung zur Bewährung auszusetzen ist. Eine Aussetzung ist anzuordnen, wenn verantwortet werden kann zu erproben, ob der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine rechtswidrigen Taten mehr begehen wird (§ 67 d Abs. 2). Die Aussetzung erfolgt zur Bewährung und kann gemäß § 67 g widerrufen werden. Auch hier tritt mit der Aussetzung automatisch Führungsaufsicht ein. V. Verfahrensrecht

Angeordnet werden die Maßregeln vom erkennenden Gericht, und zwar grundsätzlich in dem Verfahren, in dem auch über die Anlaßtat entschieden wird. Die Anordnung muß im Urteil erfolgen und darf nicht einer späteren Entscheidung vorbehalten werden. Ist ein Strafverfahren wegen Schuldunfähigkeit oder Verhandlungsunfähigkeit des Täters nicht durchführbar, kann das Gericht die bei dieser Tätergruppe in Betracht kommenden Maßregeln nach § 71 auch selbständig anordnen. Die selbständige Anordnung ergeht im sogenannten Sicherungsverfahren (§§ 413 ff. StPO). Gemäß § 246 a StPO ist in der Hauptverhandlung ein Sachverständiger zuzuziehen, wenn mit der Anordnung einer freiheitsentziehenden Maßregel zu rechnen ist. Das erkennende Gericht kann in einer Reihe von Fällen zugleich mit der Anordnung der Maßregel weitere Entscheidungen treffen, so z.B. über die sofortige Aussetzung der Maßregelvollstreckung zur Bewährung (§ 67b) oder über den Vorwegvollzug der Strafe nach § 67 Abs. 2. Für die Folgeentscheidungen, etwa über die Aussetzung der Vollstreckung am Ende des Strafvollzugs (§ 67c) oder über die nachträglichen Entscheidungen nach §§ 67 Abs. 3, 67a Abs. 2 ist gemäß § 463 Abs. 1 LV.m. § 462 a Abs. 1 StPO die Strafvollstreckungskammer zuständig.

2. Kapitel

Anordnungsvoraussetzungen nach altem Recht Eine Darstellung des alten Rechts wird deshalb den Erörterungen der eigentlichen Problematik vorangestellt, weil sich erst durch die Kenntnis der Voraussetzungen für eine Unterbringung nach altem Recht Anlaß und Auswirkung der Rechtsänderungen erschließeni.

A. Formelle Voraussetzungen für die Anordnung freiheitsentziehender Maßregeln der Sicherung und Besserung! Bedingung für eine Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt (§ 42 b) war, daß der Täter im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit oder

der verminderten Zurechnungsfähigkeit eine mit Strafe bedrohte HandI Die in diesem Kapitel zitierten Paragraphen beziehen sich, soweit nicht ausdrücklich durch einen besonderen Zusatz gekennzeichnet, auf die Rechtslage vor Inkrafttreten des 1. StrRG. Auch in der Terminologie werden die in dieser Zeit verwendeten Begriffe gebraucht. 2 Rechtslage vor dem 1. StrRG (= bis zum 31.3.1970) § 42b (Heil- oder Pflege anstalt) (1) Hat jemand eine mit Strafe bedrohte Handlung im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit (§ 51 Abs. 1, § 55 Abs. 1) oder der verminderten Zurechnungsfähigkeit (§ 51 Abs. 2, § 55 Abs. 2) begangen, so ordnet das Gericht seine Unterbringung in einer Heil- oder Pflege anstalt an, wenn die öffentliche Sicherheit es erfordert. Dies gilt nicht bei übertretungen. (2) Bei vermindert Zurechnungsfähigen tritt die Unterbringung neben die Strafe. § 42 c (Trinkerheilanstalt) Wird jemand, der gewohnheitsmäßig im übermaß geistige Getränke oder andere berauschende Mittel zu sich nimmt, wegen eines Verbrechens oder Vergehens, das er im Rausch begangen hat oder das mit einer solchen Gewöhnung in ursächlichem Zusammenhang steht, oder wegen Volltrunkenheit (§ 330 a) zu einer Strafe verurteilt und ist seine Unterbringung in einer Trinkerheilanstalt oder einer Entziehungsanstalt erforderlich, um ihn an ein gesetzmäßiges und geordnetes Leben zu gewöhnen, so ordnet das Gericht neben der Strafe die Unterbringung an. § 42 e (Sicherungsverwahrung) Wird jemand nach § 20 a als ein gefährlicher Gewohnheitsverbrecher verurteilt, so ordnet das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn die öffentliche Sicherheit es erfordert. § 20 a (Strafschärfung gegenüber gefährlichen Gewohnheitsverbrechern) (1) Hat jemand, der schon zweimal rechtskräftig verurteilt worden ist, durch eine neue vorsätzliche Tat eine Freiheitsstrafe verwirkt und ergibt die Gesamtwürdigung der Taten, daß er ein gefährlicher Gewohnheitsverbrecher ist, so ist, soweit die neue Tat nicht mit schwererer Strafe bedroht ist, auf Zuchthaus

B. Materielle Voraussetzung: Erforderlichkeit der Unterbringung

37

lung begangen hatte. In einer Trinkerheilanstalt (§ 42 c) konnte der trunk- oder rauschmittelsüchtige Täter untergebracht werden, wenn er wegen eines im Rausch begangenen oder in ursächlichem Zusammenhang mit der Gewöhnung stehenden Verbrechens oder Vergehens oder wegen Volltrunkenheit zu Strafe verurteilt worden war. Eine Anordnung der Sicherungsverwahrung (§ 42e) setzte eine Verurteilung als gefährlicher Gewohnheitsverbrecher nach § 20 a voraus. § 20 a Abs. 1 sah bei einem bereits zweimal rechtskräftig verurteilten Täter, der durch eine neue vorsätzliche Tat eine Freiheitsstrafe verwirkt hatte, zwingend eine Strafschärfung vor, wenn eine Gesamtwürdigung der Taten ergab, daß er ein gefährlicher Gewohnheitsverbrecher ist. Die beiden früheren Verurteilungen mußten wegen eines Verbrechens oder Vergehens ergangen und in jeder von ihnen auf Zuchthaus oder Gefängnis von mindestens sechs Monaten erkannt worden sein. Für die in das Ermessen des Gerichts gestellte Strafschärfung nach Abs. 2 genügten als formelle Voraussetzungen drei vorsätzlich begangene Taten.

B. Materielle Voraussetzung: Erforderlichkeit der Unterbringung Alle drei hier genannten freiheitsentziehenden Maßregeln konnten nur angeordnet werden, wenn die öffentliche Sicherheit die Unterbringung des Täters erforderte3 • Die Auslegung der Erforderlichkeitsklausel entpuppte sich als eine der Hauptschwierigkeiten bei der Anwendung der Maßregelvorschriften. Die amtliche Begründung zum Gewohnheitsverbrechergesetz hielt eine Unterbringung für erforderlich, wenn "vom Täter weitere Angriffe auf strafrechtlich geschützte Güter irgendwelcher Art zu besorgen sind und diese Gefahr auf andere Weise nicht gebannt werden kann"·. Das RG bis zu fünf Jahren und, wenn die neue Tat auch ohne diese Strafschärfung ein Verbrechen wäre, auf Zuchthaus bis zu fünfzehn Jahren zu erkennen. Die Strafschärfung setzt voraus, daß die beiden früheren Verurteilungen wegen eines Verbrechens oder vorsätzlichen Vergehens ergangen sind und in jeder von ihnen auf Todesstrafe, Zuchthaus oder Gefängnis von mindestens sechs Monaten erkannt worden ist. (2) Hat jemand mindestens drei vorsätzliche Taten begangen und ergibt die Gesamtwürdigung der Taten, daß er ein gefährlicher Gewohnheitsverbrecher ist, so kann das Gericht bei jeder abzuurteilenden Einzeltat die Strafe ebenso verschärfen, auch wenn die übrigen im Absatz 1 genannten Voraussetzungen nicht erfüllt sind. (3) .. . (4) .. .

3 Die Formulierung in § 42 C, daß die Unterbringung erforderlich sein muß, um den Täter an ein gesetzmäßiges und geordnetes Leben zu gewöhnen, meinte sachlich dasselbe wie der Bedingungssatz in §§ 42 b, 42 e (vgl. Geppert, Sperrfrist, S. 35 Fußn. 2). , Deutscher Reichs- und Staatsanzeiger vom 27.11.1933 Nr.277.

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2. Kap.: Anordnungsvoraussetzungen nach altem Recht

hatte diese Umschreibung in seiner ersten grundlegenden Entscheidung zum Gewohnheitsverbrechergesetz zu konkretisieren versucht. Danach "muß ein solches Maß von Gefahr von dem Verurteilten ausgehen, daß dadurch der Bestand der die öffentliche Sicherheit gewährleistenden Rechtsordnung unmittelbar bedroht und eine wirksame Abhilfe für die Zukunft im Interesse seiner Aufrechterhaltung geboten und auf andere Weise nicht zu erreichen ist"s. In anderen Urteilen aus den ersten Jahren nach Aufnahme der Maßregeln in das StGB fehlte die Beschränkung auf Gefahren, die den Bestand der Rechtsordnung bedrohen6 • Vielmehr wurde darauf abgestellt, "ob nach der Persönlichkeit des Täters die Gefahr besteht, daß er auch in Zukunft erhebliche Angriffe gegen strafrechtlich geschützte Rechtsgüter irgendwelcher Art unternehmen werde und keine anderen Maßnahmen oder Umstände in Betracht kommen, die einen ausreichenden Schutz der Allgemeinheit verbürgen"7. Durchgesetzt hat sich die zweite Formel, die vom BGH8 und vom Schrifttum9 übernommen wurde, wobei Abweichungen mehr sprachlicher als sachlicher Natur waren. Generell läßt sich feststellen, daß sämtlichen Umschreibungen der Erforderlichkeit in Rechtsprechung und Literatur zwei Komponenten gemeinsam waren: (1) Die Komponente der Gefährlichkeit: Vom Täter mußten mit bestimmter Wahrscheinlichkeit weitere erhebliche Angriffe auf strafrechtlich geschützte Rechtsgüter zu erwarten sein. (2) Die Subsidiarität der Maßregel: Es durfte kein anderes, den Täter weniger belastendes Mittel zur Gefahrbeseitigung zur Verfügung stehen.

RGSt. 68, 149, 157; ebenso RG JW 1934,2013 Nr. 12; RG HRR 1935, Nr. 1271. Ob unter die erste Formel des RG tatsächlich nur "Führer größerer Verbrecherbanden" fallen, wie Rietzsch, Die Anordnung der Sicherungsverwahrung, S. 58 meint, erscheint angesichts der Praxis des RG zweifelhaft. Auch wenn es die enge Formel verwendete, forderte es nie, daß der Täter die Rechtsordnung als ganze bedroht. 7 RGSt. 68, 272; 69, 150, 151; RG JW 1934, 2057 Nr.18; eine Zusammenstellung der Rspr. zum Gewohnheitsverbrechergesetz enthält die Arbeit von Topp; vgl. auchRietzsch, Die Anordnung der Sicherungsverwahrung, S. 58 ff. 8 BGH NJW 1951, 450; BGH 5 StR 525/66 v. 15.11.1966; BGH GA 1960, 181; BGH NJW 1968, 997. 9 Kohlrausch / Lange, § 42 b Anm.lI; Schönke / Schröder, 13. Aufl., § 42b Rdnr.ll; Maurach, AT, 3. Aufl., S. 755; Welzet, Strafrecht, S.264. S

6

B. Materielle Voraussetzung: Erforderlichkeit der Unterbringung

39

I. Das Gefährlichkeitsmoment

Nach h.M. enthielt die Aussage über die Gefährlichkeit eines Täters eine Prognose hinsichtlich der künftigen Legalbewährung, also ein Wahrscheinlichkeitsurteil über das weitere kriminelle Verhaltenlo . Im einzelnen waren der Grad der Wahrscheinlichkeit und der Maßstab für die Bestimmung der Erheblichkeit künftiger Rechtsverletzungen umstritten. 1. Grad der Wahrscheinlichkeit Die Rechtsprechung bezeichnete einen Täter dann als gefährlich, wenn von ihm mit Wahrscheinlichkeit weitere erhebliche Straftaten zu erwarten warenll • Dabei verstand sie "Wahrscheinlichkeit" als einen höheren Grad der Möglichkeit. Daß die bloße Möglichkeit künftigen Rückfalls nicht ausreichte, war allgemein anerkannt l2 • Andererseits wurde auch stets betont, daß nicht unbedingt Sicherheit oder an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit erforderlich seP3. Insbesondere in der Rechtsprechung des RG bestand die Tendenz, die Anforderungen an den Grad der Voraussage "nicht zu überspannen"14. Im Ergebnis wurde es für ausreichend erachtet, daß die Möglichkeit künftiger Straffälligkeit größer war als die Möglichkeit straffreier Lebensführung 15 •

2. Erheblichkeit In allen Definitionen der Gefährlichkeit war davon die Rede, daß die vom Täter zu erwartenden Störungen des Rechtsfriedens "erheblich" sein müssen. Eine Auswertung von Rechtsprechung und Schrifttum ergibt, daß sich die Übereinstimmung in der Verwendung des Begriffes "erheblich" erschöpfte. Ein Minimalkonsens bestand über die Ausscheidung der sogenannten Bagatellkriminalitätl6 • Maßregeln sollten nicht 10 Exner, Sicherungsmittel, S. 59 ff.; Mezger, MschrKrimPsych 1923, 156; Bruns, JZ 1958, 652; Rudmann, Grundbegriffe der Sicherungsverwahrung,

S.51.

Da der Gefährlichkeitsbegriff in § 20 a dem der Erforderlichkeitsklausel ent-

sprach (vgl. unten C. H.) finden sich in den folgenden Fußnoten auch Zitate zu §20a. 11 RGSt.68, 149, 155; 72, 295; RG JW 1934,2913; BGHSt.l, 94, 100; BGH GA 1967, 111. 12 So ausdrücklich RG JW 1934, 2913 Nr.12; RGSt.73, 303; BGH NJW 1952, 836; OLG Koblenz OLGSt. § 42 b, S. 5; Schäfer I Wagner I Schafheutle, § 20 a Anm. 23; Wolft, JW 1934, 3270. 13 RGSt. 72,295; RG HRR 1939, Nr. 711; Wolff, JW 1934,3270. 14 RG JW 1938,3029 Nr. 2; RG JW 1934,2057 Nr.18; RG HRR 1937, Nr.339; zustimmend Rietzsch, Die Anordnung der Sicherungsverwahrung, S. 60. 15 RGSt. 72, 295; Schäfer I Wagner I Schafheutle, § 20 a Anm. 23; Wolff, JW 1938,3270. 16 BGHSt. 1, 94, 101; Schäfer I Wagner I Schafheutle, § 20 a Anm. 28; Schönke I Schröder, 13. AufI., § 20 a Rdnr ;14; Rudmann, Grundbegriffe der Sicherungsverwahrung, S. 54.

40

2. Kap.: Anordnungsvoraussetzungen nach altem Recht

gegen lästige, jedoch im Grunde genommen harmlose Gewohnheitsdelinquenten, sondern nur gegen solche Täter verhängt werden dürfen, die eine Bedrohung der Allgemeinheit darstellen. Die Meinungen, was als Bagatellkriminalität anzusehen sei, gingen indes weit auseinander. Selbst die Frage, ob auch Übertretungen i.S. des § 1 erhebliche Störungen des Rechtsfriedens hervorrufen können, wurde, wenn auch nur von einer kleinen Minderheit, nicht generell verneint17 • Heftig umstritten war angesichts der sehr weit gehenden Rechtsprechung des RG, in welchem Umfang Vergehen als erhebliche Straftaten anzusehen sind. Unter teilweiser Zustimmung des Schrifttums 18 hatte das RG auch gegen kleine Diebe19 und Zechpreller20 Sicherungsverwahrung angeordnet, wenn diese ihre Taten mit einer gewissen Häufigkeit begingen. Diese schon in der reichsgerichtlichen Rechtsprechung nicht unangefochtene21 Auslegung wurde nach dem Krieg zögernd, aber zunehmend bekämpft. Während die Rechtsprechung des BGH zuweilen noch Gefährlichkeit und gewohnheitsmäßige Begehung gleichstellte22 , setzte sich in der Literatur die Auffassung durch, daß die bloße Häufigkeit allein aus einem lästigen Kleinkriminellen noch keinen gefährlichen Verbrecher machen könne23 • Bis zum Inkrafttreten des 1. StrRG, das das Merkmal "erheblich" in den Gesetzestext aufnahm, war in dieser Frage noch keine klare Linie erkennbar. Die h.M. hatte lediglich Anhaltspunkte herausgearbeitet, deren Vorliegen als Indiz für die Erheblichkeit angesehen wurde, z.B. 24 : -

Verwendung besonders gefährlicher Mittel

-

Hartnäckigkeit und Stärke des verbrecherischen Willens

-

Bedeutung des verletzten Rechtsguts

-

Schutzwürdigkeit des Opfers

-

Höhe des Schadens

-

Häufigkeit der Taten

-

Raffiniertheit bei Tatausführung. RG HRR 1934, Nr. 1637; Kluge, Rechtsprechung des Reichsgerichts zu den Maßregeln, S. 31, 35. 18 Kluge, Rechtsprechung des Reichsgerichts zu den Maßregeln, S. 23; Kestel, Der gefährliche Gewohnheitsverbrecher, S. 46; Scholz, Der Begriff des gefährlichen Gewohnheitsverbrechers, S. 51. 19 RG JW 1939,87 Nr.1; RG DR 1939,233. 20 RGSt. 68,98; RG HRR 1942, Nr.126. 21 Vgl. RG HRR 1934, Nr.1637; RG DR 1945,18. 22 Bedenklich: BGH GA 1964, 245; BGH MDR 1968, 596; BGH NJW 1968,1197. 23 Niethammer, DRZ 1950, 330; HeHmer, Gewohnheitsverbrecher, S. 327; vgl. auch BGHSt. 1, 94, 101. 24 RGSt. 68,149,156; 72, 356, 357; RG JW 1934,2057 Nr. 18; RG JW 1934,2335; BGHSt. 1, 94, 102; OLG Bremen DRZ 1950, 330; Schäfer / Wagner / Schafheutle, § 20a Anm.29, 30; krit. zu den einzelnen Merkmalen Weihrauch, Der gefährliche Gewohnheitsverbrecher, S. 94 ff.; Geisler, Sicherungsverwahrung, S.83. 17

B. Materielle Voraussetzung: Erforderlichkeit der Unterbringung

41

Wie Untersuchungen belegen25 , war es aber nicht gelungen, mit Hilfe dieser Faktoren lästige Kleinkriminelle aus dem Anwendungsbereich der Unterbringungen auszuscheiden. 3. Die Ermittlung der Gefährlichkeit Das Gesetz enthielt in §§ 42 b ff. keine näheren Bestimmungen über die Art und Weise der Feststellung der Gefährlichkeit und über den Kreis der dabei zu berücksichtigenden Tatsachen. Einen Hinweis für die Anforderungen gab der Gesetzgeber in § 20 a, wo er für die Feststellung der Eigenschaften eines gefährlichen Gewohnheitsverbrechers eine Gesamtwürdigung der Taten vorschrieb. Rechtsprechung und Lehre hatten dieses Erfordernis inhaltlich durch die Einbeziehung der Persönlichkeit des Täters in die Gesamtwürdigung erweitert26 und die Anwendung dieser Grundsätze auf alle im Maßregelrecht vorkommenden Gefährlichkeitsprognosen erstreckt. An die Durchführung der Gesamtwürdigung und ihre Darstellung im Urteil stellte die h.M. angesichts der einschneidenden Folgen, die das Gesetz an das Vorliegen der Gefährlichkeit knüpfte, strenge, freilich nicht immer beachtete Anforderungen27 • Neben den Anlaßtaten mußte der Richter auch ergänzend die bisherige kriminelle Betätigung einbeziehen, um ein möglichst umfassendes Bild von der kriminellen Vergangenheit des Täters zu erhalten28 • Insbesondere die Zahl der Vorstrafen, Art und Schwere der Straftaten sowie die Rückfallgeschwindigkeit spielten für die Gesamtwürdigung eine - allerdings für die jeweiligen Maßregeln unterschiedliche - Rolle29 • Die bei der Würdigung der Gesamtpersönlichkeit zu berücksichtigenden mannigfachen Faktoren können hier nicht erschöpfend aufgezählt werden. Als besonders wichtige wurden genannt30 : -

Herkunft des Täters, erbliche und soziale Belastungen

-

Erziehungs-, Schul- und Ausbildungsverhältnisse

-

Beginn der Kriminalität

25 HeHmer, Gewohnheitsverbrecher, S. 29 ff.; Lemberger, Kriminologische Wirklichkeit des Begriffs des gefährlichen Gewohnheitsverbrechers, S. 126 ff. 28 Vgl. RGSt. 72, 259, 260; Wiirtenberger, NJW 1952, 250; Nagler, LK, 6. Aufl., § 42b Anm. II 1. 27 RGSt. 68, 149, 154; RG JW 1934, 2057 Nr.18 mit Anm. Schafheutle; BGHSt. 1, 94, 99; BGH NJW 1951,450; BGH NJW 1953,674. 28 RG JW 1934, 2057 Nr.18; BGH MDR 1957, 562; BGH GA 1967, 111, 112; Maurach, AT, 3. Aufl., S.733; zur Durchführung der Prognose vgl. Schultz, SchwZStr 75, 245 ff. 29 Vgl. Exner, Kriminologie, S. 285 ff.; Jagusch, LK, 8. Aufl., § 20 a Anm. II 3. 30 Siehe Weihrauch, Der gefährliche Gewohnheitsverbrecher, S. 46; Schönke / Schröder, 13. Aufl., § 20 a Rdnr. 36 ff.; Pfeiffer / Maul! Schulte, § 20 a Anm. 7.

42

2. Kap.: Anordnungsvoraussetzungen nach altem Recht

-

allgemeines soziales Verhalten, insbesondere in der straffreien Zeit

-

allgemeine Persönlichkeitsstruktur, Intelligenz und Charakter. 4. Zeitpunkt für das Vorliegen der Gefährlichkeit

Leicht beantworten ließ sich die Frage nach dem maßgeblichen Zeitpunkt für die Anordnung der Unterbringung von Zurechnungsunfähigen nach § 42 b. Da gegen sie keine Strafe verhängt werden konnte und die Wirkung der Anordnung mit Rechtskraft eintrat, kam nur der Zeitpunkt der Entscheidung in BetrachtS!. Bei allen anderen Unterbringungen, also bei der eines vermindert Zurechnungsfähigen, eines Trunk- oder Rauschmittelsüchtigen oder eines gefährlichen Gewohnheitsverbrechers, war auf den Zeitpunkt der Entlassung aus der Strafhaft abzustellen. Dies folgte nach h.M. 32 aus dem Umstand, daß nach § 456 b StPO eine Strafe grundsätzlich vor der Maßregel zu verbüßen war. Da die Allgemeinheit während der Zeit der Strafverbüßung nicht bedroht ist und ein Urteil über die Gefährlichkeit eines Menschen sinnvoll nur für einen Zeitpunkt abgegeben werden kann, in dem dieser sich in Freiheit befindet, waren der Prognose die Verhältnisse am Ende der Strafverbüßung zugrundezulegen. Die Maßgeblichkeit der Verhältnisse im Zeitpunkt der Haftentlassung stellte das Gericht vor die Notwendigkeit, bei der Beurteilung der Gefährlichkeit die mutmaßliche Entwicklung des Verurteilten bis zum Ende des Strafvollzugs zu berücksichtigen33 • RG34 und BGH35 hatten in zahlreichen Entscheidungen darauf hingewiesen, daß der Täter sich während der Haft oder gerade durch eine mehrjährige Strafverbüßung bessern könne. Aber nicht nur der voraussichtliche Entwicklungsprozeß im Vollzug, sondern die gesamten mutmaßlichen Änderungen der Persönlichkeit des Täters oder seiner Lebensverhältnisse bis zur Strafentlassung mußten in die Prognose einbezogen werdenSft • 3! RGSt.73, 303, 305; BGH LM Nr.19 zu § 42b. 32 RGSt.68, 149, 157; 72, 356, 357; RG JW 1934, 1051 Nr.9; BGH NJW 1960, 393; BGH GA 1966, 181; Gerland, Hübner-Festschr. (1935), S. 46; Nagler, ZAkDR 1939,386; Schröder, JZ 1970, 93; a.A. Freisler, QuersChnitt durch die Fragen der Sicherungsverwahrung, S. 7. 33 BGHSt.5, 350, 352; BGH 1 StR 147/67 v. 2.5.1967; Jagusch, LK, 8. Aufl., § 42 e Anm. II 2 a; v. Olshausen, § 42 e Anm. 3 a; Rietzsch, Die Anordnung der Sicherungsverwahrung, S. 58. 34 RGSt. 68,174,176; 68, 356, 358; RG JW 1934,3062 Nr.ll; RG JW 1934,3200 Nr. 14 mit Anm. Richter; krit. Nagler, ZAkDR 1939, 386. 35 BGH NJW 1960,393; BGH NJW 1967,997,998. 3ft RGSt. 68,149,157; Jagusch, LK, 8. Aufl., vor § 42a Anm. II; Frank, Nachtrag, S.84; Lackner / Maassen, 4. Aufl., § 42e Anm.2b; Schafheutle, JW 1934, 2057.

B. Materielle Voraussetzung: Erforderlichkeit der Unterbringung

43

a) Änderungen in der Person des Täters In konsequenter Anwendung dieser Grundsätze hatte die Rechtsprechung die Anordnung einer Maßregel abgelehnt, wenn von einem im Zeitpunkt der Hauptverhandlung gefährlichen Täter bei Entlassung aus der Strafhaft wegen seines hohen Alters37, wegen Krankheit oder Gebrechen38 keine weiteren Straftaten mehr zu erwarten waren. b) Änderungen in den Lebensbedingungen In einer Reihe von Entscheidungen hatte namentlich das RG die Auffassung vertreten, daß von der Anordnung einer Maßregel abgesehen werden kann, wenn der Täter nach seiner Entlassung in geordnete Familienverhältnisse kommen und von seinen Angehörigen betreut werden wird38 • Auch in der Absicht des Täters, zu heiraten'O oder eine feste Arbeitsstelle anzunehmen4 t, sah die Rechtsprechung einen Grund für einen Verzicht auf die Unterbringung. 5. Grad der Wahrscheinlichkeit für eine Besserung

Anfänglich stellte die h.M. überaus strenge Anforderungen an den Grad der Wahrscheinlichkeit für eine künftige Besserung des Täters42 • Das ältere Schrifttum war der Auffassung, von der Anordnung einer Maßregel dürfe nur abgesehen werden, wenn eine Besserung des Täters "mit hoher Wahrscheinlichkeit" zu erwarten sei43 • Es konnte sich dabei auf das RG berufen, das insbesondere im Jahre 1938 44 in zahlreichen Entscheidungen die Untergerichte wegen unterbliebener Maßregelanordnungen gerügt hatte. Mit der Begründung, daß die einmal unterbliebene 37

RGSt.72, 356, 358; BGH NJW 1953, 673; BGH JZ 1964, 329; zustimmend

Exner, Kriminologie, S.291; Weihrauch, Der gefährliche Gewohnheitsverbrecher, S. 58; Rietzsch, Die Anordnung der Sicherungsverwahrung, S. 58. 38 RGSt. 72,356, 358; BGH 4 StR 841/52 v. 12.11.1953; Gerland, Hübner-Festschr. (1935), S. 31; Rudmann, Grundbegriffe der Sicherungsverwahrung, S.80.

39 RGSt.69, 12, 13 mit Anm. Weber, JW 1935,935; RGSt.72, 356, 358; RG JW 1938,166 Nr. 5; ebenso BGHSt.15, 279; BGH LM Nr. 1 zu § 42b; BGH NJW 1951, 724. 40 RGSt. 68,174,176; RG JW 1934, 2056 Nr. 17; RG JW 1935, 519 Nr. 12; s. auch Exner, Kriminologie, S.246; Jagusch, LK, 8. Aufl., § 42e Anm. Ir 2a; krit. Rietzsch, Die Anordnung der Sicherungsverwahrung, S. 60; Lotz, Der gefährliche Gewohnheitsverbrecher, S. 84. 41 RGSt.68, 356, 358; RG JW 1938, 166 Nr. 5; vgl. auch BGH 1 StR 146/68 v. 28.5.1968. 42 Zusammenfassend Weihrauch, Der gefährliche Gewohnheitsverbrecher, S. 56 ff. 43 Wolff, JW 1938, 3272; Nagler, LK, 6. Aufl., § 42e Anm. Ir 2. 44 Vermutlich hat das RG in diesem Jahr auf die stärker werdende Kritik von staatlicher Seite (vgl. AV des RJM v. 3.3.1938, DJ 1938, 323) an der geringen Zahl von Unterbringungen reagiert; vgl. Geister, Sicherungsverwahrung, S. 47; Hellmer, Gewohnheitsverbrecher, S. 30.

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2. Kap.: Anordnungsvoraussetzungen nach altem Recht

Unterbringung nicht nachgeholt, wohl aber der Untergebrachte bald nach § 42 f entlassen werden könne, räumte das RG dem Schutzbedürfnis der Allgemeinheit ausdrücklich den Vorrang vor dem Freiheitsinteresse des Täters ein45 • Nach dieser strengen Auffassung hinderte die Möglichkeit der Besserung eine Maßregelanordnung nicht. Vielmehr mußte eine Besserung "mit dem Grad von Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein, der bei Beurteilung von Zukunftsmöglichkeiten überhaupt erreicht werden kann"'6. Die später herrschende Meinung hielt zwar daran fest, daß vage Hoffnungen ohne greifbare Anhaltspunkte und an Erwartungen unbestimmter Art geknüpfte Erfolgschancen nicht zur Verneinung der Gefährlichkeit ausreichen47 • Sie forderte aber nicht mehr, daß die Unterbringung nur dann unterbleiben dürfe, wenn eine Besserung mit größter Wahrscheinlichkeit erwartet werden kann. Bruns faßte, indem er auf den Gesichtspunkt des Übergewichts abstellte, die maßgeblichen Grundsätze so zusammen48 :

"Ist die Besserung nur möglich, so ist der Rückfall wahrscheinlich, also Gefährlichkeit zu bejahen. Ist die Besserung wahrscheinlich, so ist der Rückfall nur möglich, also die Gefährlichkeit zu verneinen." 11. Subsidiarität der Maßregeln

Die zweite - negative - materielle Voraussetzung für die Anordnung einer Maßregel, die Subsidiarität gegenüber anderen milderen Maßnahmen, zählte zu den völlig unbestrittenen Prinzipien im alten Recht. Es war anerkannt, daß die Rechtsordnung erst und nur dann die strafrechtliche Unterbringung als "letztes Mittel" einsetzen darf, wenn die Gefährlichkeit des Täters nicht durch weniger einschneidende Vorkehrungen überwindbar ist49 • Begründet wurde die Geltung des Subsidiaritätsprinzips mit dem tiefen und gravierenden Eingriff einer Maßregel in die Freiheit und Persönlichkeit des Betroffenen50 • Abgeleitet wurde es, so lassen jedenfalls 45 RG JW 1934, 2057 Nr.18; RG JW 1938, 2889 Nr.l; v. Olshausen, § 42e Anm. 3; Dalcke / Fuhrmann / Schäfer, § 42 e Anm. 2 b; Wolff, JW 1938, 3272. 48 RGSt. 72,356,358; RG JW 1938, 2269 Nr.l; RG JW 1938,2890 Nr. 2; RG JW 1938,3029 Nr.2 und Nr. 3; RG HRR 1938, Nr.339. 47 RG HRR 1942, Nr. 230; BGH NJW 1960,393; BGH 4 StR 479/64 v. 22.1.1965; BGH 5 StR 525/66 v. 15.11.1966; BGH GA 1966,181; BGH NJW 1968,997. 48 JZ 1958, 652. 49 So schon RGSt.68, 149, 157; RG JW 1934, 3062; BGH LM Nr.l zu § 42b; BGH NJW 1951,450; BGH NJW 1951, 969; OLG Stuttgart JZ 1951, 53; KG NJW 1953,195; Jagusch, LK, 8. Aufl., § 42b Anm. II 3; Frank, Nachtrag, S. 82; Maurach, AT, 3. Aufl., S. 755. 50 BGH NJW 1951,572; BGH NJW 1951,724; KG NJW 1953, 195; BGH LM Nr.l zu § 42b; Mittelbach, JR 1958,151.

B. Materielle Voraussetzung: Erforderlichkeit der Unterbringung

45

der systematische Zusammenhang der Formulierungen in Rechtsprechung und Literatur vermuten, allein aus der im Gesetz enthaltenen ErforderlichkeitsklausePl. Als mildere Mittel kamen sowohl freiwillige private als auch staatliche Maßnahmen der Gefahrenabwehr in Betracht52 • 1. Freiwillige Maßnahmen

Der Zahl der Entscheidungen nach zu urteilen, war die Betreuung und Überwachung des Täters durch Angehörige die am häufigsten angebotene Ersatzlösung zur Vermeidung einer Unterbringung. Wenn die Angehörigen ernstlich bereit und zeitlich in der Lage waren, das kriminell gefährdete Familienmitglied mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln solange wie nötig zu überwachen, konnte nach der Rechtsprechung von der Anordnung einer Maßregel abgesehen werden53 • Das RG hatte zunächst auch erwogen, ob nicht durch einen freiwilligen Eintritt in eine Anstalt die Erforderlichkeit einer Unterbringung beseitigt werden könnte 54 • Es hatte dies aber später grundsätzlich abgelehnt, weil bei einer privaten Unterbringung jede staatliche Einflußnahme auf Dauer der Unterbringung und Art und Weise der Behandlung fehle, und weil dadurch u.U. eine Besserstellung begüterter Täter eintreten könne 55 • Im gleichen Sinn argumentierte der BGH56 , während das OLG Oldenburg zwar im Prinzip der ablehnenden Haltung des RG zustimmte, im Einzelfall aber Ausnahmen zulassen wollte, wenn "der Heil51 RG JW 1935, 2136 Nr. 9; BGH LM Nr. 1 zu § 42 b; BGH NJW 1951, 969; RGSt. 73, 101, 103; Schönke / Schröder, 13. Auf!., § 42 b Rdnr. 14. 52 Es war anerkannt, daß innerhalb des Maßregelkatalogs selbst kein nach Schweregraden abgestuftes Rangverhältnis aufgestellt werden konnte, da die einzelnen Maßregeln spezielle Gefahren bekämpfen und wegen der unterschiedlichen Anordnungsvoraussetzungen, Ziele und Behandlungsformen nicht miteinander verglichen werden können (RGSt.69, 76, 79; BGHSt.5, 312, 314; Bruns, ZStW 60, 490; Jagusch, LK, 8. Auf!., § 42 a Anm. 2 mit weit. Nachw.). 53 RGSt.69, 12; BGH NJW 1951, 572; BGH bei DaHinger, MDR 1951, 403; BGHSt.15, 279, 285; OLG Oldenburg NdsRpf!.1954, 176; KG NJW 1953,195. Die Tatsache der Familienbetreuung nach Strafverbüßung wurde von der h.M. teils als gefährlichkeitsbeseitigender Umstand bezeichnet (so z.B. BGHSt. 15, 279, 285; Rietzsch, Die Anordnung der Sicherungsverwahrung, S. 59), teils erst unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität geprüft (so Wenz, Das Verhältnis der strafrechtlichen Unterbringung zu außerstrafrechtlichen Maßnahmen, S. 201; Schönke / Schröder, 13. Auf!., § 42 b Rdnr. 14). Die Rspr. ging den Schwierigkeiten der Einordnung häufig aus dem Weg, indem sie offenließ, ob sie wegen fehlender Gefährlichkeit oder aus Subsidiaritätsgründen die Erforderlichkeit der Unterbringung verneint (siehe z.B. OLG Koblenz OLGSt. § 42 b, S. 5,6). 54 RG JW 1938, 166 Nr. 5. 55 RGSt. 76, 134. 56 BGHSt. 12,50,53; BGH JR 1971, 424 mit Anm. Koffka; BGH 1 StR 567/55 v. 28.2.1956.

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2. Kap.: Anordnungsvoraussetzungen nach altem Recht

erfolg wesentlich von dem psychischen Moment der Freiwilligkeit ab· hängt"57. Positiver war die Haltung der Rechtsprechung zur Ersatzlösung einer freiwilligen psychotherapeutischen Behandlung58 • So hatte z.B. das OLG Stuttgart darauf hingewiesen, daß die Erfolgsaussichten einer solchen Behandlung nicht von vornherein ungünstig beurteilt werden dürften,g. In der Literatur überwogen hinsichtlich beider freiwilliger Behandlungsmaßnahmen die skeptischen Stimmen60 • Grundsätzlich wurden diese Möglichkeiten wegen der Unsicherheit ihrer Durchführung und der fehlenden staatlichen Einflußmöglichkeit nicht als geeignet angesehen, die Erforderlichkeit einer Unterbringung zu beseitigen. Unter bestimmten strengen Voraussetzungen wollte man dennoch Ausnahmen zulassen: Das Gericht mußte nach eingehender Würdigung der Persönlichkeit des Täters, der Art seiner Erkrankung (bzw. seines Hanges) sowie des Grades der von ihm ausgehenden Gefahr überzeugt sein, daß die öffentliche Sicherheit durch den Verzicht auf eine Unterbringung zugunsten einer freiwilligen Behandlung nicht bedroht war. Das setzte voraus, daß der Täter aufgrund seiner Einsicht den festen Willen hatte, sich in der erforderlichen Weise behandeln zu lassen und daß die Therapie im konkreten Einzelfall erfolgversprechend warM.

2. Staatliche Maßnahmen a) Bestellung eines Vormunds oder Pflegers Skepsis und Zurückhaltung bestimmten auch die Einstellung der h.M. zu den schonenderen Möglichkeiten der Bestellung eines Vormunds oder Pflegers. Die Bedenken gründeten sich vor allem auf den Umstand, daß das Strafgericht keinen Einfluß auf Ausübung und Gestaltung der vormundschaftlichen Verpflichtungen hat. Da eine intensive Betreuung und sorgfältige Überwachung des Mündels ein kaum aufbringbares persönliches und zeitliches Engagement erfordert, sah man in der Bestellung eines Vormunds keine Maßnahme, die den Schutz der Allgemeinheit ausreichend gewährleistet62 • Dennoch war die Haltung der Rechtsprechung 57 JZ 1951, 310. BGH NJW 1953, 913; BGH 1 StR 421/64 v. 24.11.1964. 59 JZ 1951, 53 mit zust. Anm. Bader. 60 Schmidt-Futterer, MDR 1967, 361; In der Beeck, NJW 1963, 2358; Wenz, Das Verhältnis der strafrechtlichen Unterbringung zu außerstrafrechtlichen Maßnahmen, S. 193, 197; Lang-Hinrichsen, LK, 9. Aufl., § 42b Rdnr. 40. 81 Dalcke / Fuhrmann / Schäfer, § 42 b Anm. 5 d; Schönke / Schröder, 17. Aufi., § 42 b Rdnr.14; Wenz, Das Verhältnis der strafrechtlichen Unterbringung zu außerstrafrechtlichen Maßnahmen, S.194, 196. Schmidt-Futterer, MDR 1967, 361 wollte überhaupt keine Ausnahmen zulassen. G2 BGHSt. 15, 279, 284; BGH 1 StR 184/72 v. 30.5.1972; Schmidt-Futterer, MDR 1967,360; sehr weitgehend Baumann, AT, 5. Aufl., S.717, 720. 58

B. Materielle Voraussetzung: Erforderlichkeit der Unterbringung

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nicht durchweg ablehnend. Bei einem besonders qualifizierten Vormund oder Pfleger sollte die Unterbringung entbehrlich sein, wobei die Erwägung eine Rolle spielte, daß der Vormund auch den Aufenthaltsort des Mündels bestimmen konnte 63 • b) Unterbringung aufgrund landesrechtlicher Unterbringungsgesetze Ob und unter welchen Voraussetzungen eine Anstaltseinweisung nach den Landesunterbringungsgesetzen64 die Anordnung einer Maßregel, speziell der Unterbringung nach § 42 b, überflüssig machen konnte, war eine der umstrittensten Fragen im alten Recht. Das Ausmaß der Meinungsverschiedenheiten zeigt sich beim Studium der Literatur und besonders kraß - in einer Reihe von Urteilen des BGH, dessen Senate erheblich voneinander abweichende Auffassungen vertraten. Die Frage lautete konkret: Schließt eine mögliche oder bereits erfolgte Unterbringung nach Landesrecht die Anordnung nach § 42 baus? Wenig Gefolgschaft hatte trotz einer anerkanntermaßen theoretisch klaren Konzeption Baumann gefunden, der die §§ 42 a ff. als leges speciales gegenüber den landesrechtlichen Vorschriften einstufte65 • Die h.M. lehnte Baumanns Lösung wegen erheblicher praktischer Schwierigkeiten und der erkennbar gegenteiligen gesetzgeberischen Intention66 ab. Sie ging von einer prinzipiellen Gleichrangigkeit beider Verfahren aus und versuchte, Verfahrensdoppelungen mit Hilfe des Kriteriums der Erforderlichkeit zu vermeiden67 • Bis zur Entscheidung des 3. Senats in BGHSt. 24, 98 bot die Rechtsprechung des BGH zur Frage, ob eine landesrechtliche Unterbringung die Anordnung einer strafrechtlichen Maßregel ausschließen kann, ein bunt schillerndes Bild. Der 1. Senat hatte (das bayerische Unterbringungsgesetz betreffend) entschieden, daß ein gefährlicher Geisteskranker auch dann nach § 42 b untergebracht werden könne, wenn bereits rechts63 RG HRR 1938, Nr. 40; BGH NJW 1951, 724; BGH NJW 1951, 969; BGH LM Nr. 18 zu § 42 b; Schönke / Schröder, 13. Aufl., § 42 b Rdnr. 14; Koffka, JR 1971, 426. 64 Die Bezeichnungen der einzelnen Landesgesetze sind uneinheitlich. Der Einfachheit halber wird hier der Terminus "Landesunterbringungsgesetze" verwendet. Einen überblick über die landesrechtlichen Regelungen geben Baumann, Unterbringungsrecht; Saage / Göppinger, Freiheitsentziehung und Unterbringung, III Rdnr. 27 ff. 85 Unterbringungsrecht, S. 51 ff. 66 Amtliche Begründung zum Gewohnheitsverbrechergesetz, abgedruckt bei Schäfer / Wagner / Schafheutle, S. 119; Begr. vor § 81 E 1962, S. 208. 67 St.Rspr., vgl. nur BGHSt. 7,61,62; 12,50,51; Begr. vor § 81 E 1962 S.208; Wenz, Das Verhältnis der strafrechtlichen Unterbringung zu außerstrafrechtlichen Maßnahmen, S. 65 mit weit. Nachw.

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2. Kap.: Anordnungsvoraussetzungen nach altem Recht

kräftig die Verwahrung nach Landesrecht angeordnet sei68 • Das Gericht hatte darauf abgestellt, daß der Sicherungswert der Unterbringung nach § 42 b höher sei. Gerade bei schweren Taten und gefährlichen Tätern müsse gewährleistet sein, daß eine Entlassung aus der Anstalt nicht gegen den Willen des Strafrichters erfolgen könne. In gleichem Sinne hatte der 2. Senat (Hessen betreffend) entschieden89 • Auch in diesem Urteil wurde der geringere Sicherungswert einer landesrechtlichen Unterbringung betont, der sich in Hessen aus der Möglichkeit einer Beurlaubung durch den Anstaltsleiter ergebe. Demgegenüber stellte sich der 4. Senat auf den Standpunkt, daß hinsichtlich der Sicherungswirkung kein relevanter Unterschied zwischen beiden Unterbringungsformen erkennbar seFo. Die Erforderlichkeit einer Unterbringung nach § 42 b sei daher zu verneinen, wenn der Beschuldigte bereits rechtskräftig - oder wenn am Eintritt der Rechtskraft keine vernünftigen Zweifel mehr bestünden71 - nach Landesrecht in eine Anstalt eingewiesen sei. Die bereits erwähnte Entscheidung des 3. Senats setzte sich ausführlich mit der bis dahin ergangenen Rechtsprechung auseinander. Sie sah zwischen den beiden Einweisungsmöglichkeiten nicht nur theoretischformale, sondern auch praktische Unterschiede: Der nach § 42 b Untergebrachte dürfe nur aufgrund eines ausdrücklichen Beschlusses entlassen werden. Ein vom Verwahrungsrichter Eingewiesener hingegen müsse schon dann entlassen werden, wenn eine bestimmte Frist verstrichen und innerhalb dieser Frist keine die Fortdauer der Unterbringung anordnende gerichtliche Entscheidung ergangen sei. Die Frist für den Widerruf einer bedingten Entlassung sei bei der Entlassung nach § 42 f wesentlich länger. Außerdem bestehe nach Landesrecht die Möglichkeit der Beurlaubung eines Untergebrachten. Angesichts dieser Divergenzen in der Judikatur des höchsten Gerichts verwundert es nicht, daß die Rechtsprechung der Untergerichte ähnlich uneinheitlich war. Als Beispiele seien nur die Entscheidungen des LG FrankfurF 2 , das sich der Rechtsprechung des 1. und 2. Senats angeschlossen hatte, und die des OLG Bamberg73 , das dem 4. Senat gefolgt war, genannt. 68 BGHSt.7, 61 mit Anm. Fränkel, LM Nr.ll zu § 42b; für das bayerische Verwahrungsgesetz galt die Besonderheit, daß in § 5 ausdrücklich die Subsidiarität der landesrechtlichen Unterbringung gegenüber bundesrechtlichen Verfahren festgelegt war. 69 BGHSt.19, 348 mit Anm. Busch, LM Nr. 24 zu § 42b; Nachweise über ähnliche Entscheidungen bei Hanack, LK, § 63 Rdnr. 107; Pfeiffer! Maul! Schulte, § 42 b Anm. 12. 70 BGHSt. 12, 50 mit Anm. Kohlhaas, LM Nr. 17 zu § 42 b. 71 BGHSt. 17, 123 mit zust. Anm. Krumme, LM Nr. 21 zu § 42b. 72 NJW 1960, 1398. 73 NJW 1966, 1875.

C. Gefährlichkeit LS. des § 20 a

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Auch in der Literatur fanden sich zur Frage, ob eine Unterbringung nach Landesrecht die Erforderlichkeit einer Anordnung nach § 42 b beseitigen könne, kontroverse Stellungnahmen. Die Skala reichte von strikter Ablehnung 74 bis zu eingeschränkter Zustimmung75 • Die ablehnenden Stimmen folgten dem Argument der Rechtsprechung von der geringeren Sicherungswirkung einer Unterbringung nach Landesrecht. Zusammenfassend kann man feststellen, daß im alten Recht das Verhältnis landesrechtlicher zu strafrechtlicher Unterbringung weitgehend ungeklärt war. Zwar hatte die Entscheidung des 3. Senats eine gewisse Vereinheitlichung der bis dahin widersprüchlichen Rechtsprechung gebracht, von einer abschließenden Klärung war die Frage aber noch weit entfernt. C. Gefährlichkeit i.S. des § 20 a Bei der Anordnung der Sicherungsverwahrung mußte die Gefährlichkeit des Täters zweimal geprüft werden, da § 42 e die Verurteilung als gefährlicher Gewohnheitsverbrecher nach § 20 a voraussetzte. Eine Analyse, wie das Merkmal "gefährlich" in § 20 a ausgelegt wurde, könnte wertvolle Hinweise für eine Inhaltsbestimmung des für die weiteren Erörterungen zentralen Begriffs der Gefährlichkeit geben. I. Gewohnheitsverbrecher

Was unter einem Gewohnheitsverbrecher zu verstehen war, erläuterte das Gesetz nicht. In der strafrechtlichen Literatur des ausgehenden 19. Jahrhunderts hatte aber eine rege Diskussion um die Einteilung von Verbrechertypen stattgefunden76 , die vor allem die Unterscheidung Gelegenheitstäter - Gewohnheitsverbrecher" herausarbeitete. Auf den zahlreichen Veröffentlichungen zu diesem Thema aufbauend, konnte das RG dann auch bald nach Inkrafttreten des § 20 a eine DefiSchmidt-Futterer, MDR 1967, 357. Wenz, Das Verhältnis der strafrechtlichen Unterbringung zu außerstrafrechtlichen Maßnahmen, S. 97 ff.; Lackner / Maassen, 4. Aufl., § 42 b Anm. 2 c bb; Maurach, AT, 3. Aufl., S. 755; Koffka, JR 1971, 426. 78 Nachweise bei SchoZz, Der Begriff des gefährlichen Gewohnheitsverbrechers, S. 15 ff.; Koestler, Der Begriff des gefährlichen Gewohnheitsver74

75

brechers, S. 9 ff. " Nach allgemeiner Auffassung stellte diese fragwürdige Zweiteilung eher ein Zugeständnis an die Forderung nach Allgemeinverständlichkeit juristischer Begriffe als eine exakte kriminologische Bezeichnung dar (Lange, ZStW 62,210; Hellmer, MschrKrim 43,137). Der Begriff Gewohnheitsverbrecher ist in diesem Sinn als Sammelname für sämtliche Erscheinungsformen des chronischen Verbrechertums zu verstehen (Rudmann, Grundbegriffe der Sicherungsverwahrung, S. 48; Schäfer / Wagner / Schafheutle, § 20 a Anm. 11). "B. Müller

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2. Kap.: Anordnungsvoraussetzungen nach altem Recht

nition des Begriffs "Gewohnheitsverbrecher" geben78 , die sowohl vom BGH übernommen79 als auch vom Schrifttum gebilligt wurde80 • Danach kennzeichnet den Gewohnheitsverbrecher, daß er "infolge eines auf Grund charakterlicher Veranlagung bestehenden oder durch übung erworbenen inneren Hanges wiederholt Rechtsbrüche begeht und zur Wiederholung von Rechtsbrüchen neigt". 11. Gefährlichkeit

Wenn das Gesetz forderte, daß der Täter ein gefährlicher Gewohnheitsverbrecher sein muß, so konnte es damit nicht die Gefahr der Wiederholung meinen, die schon wesensmäßige Voraussetzung der Gewohnheit ist. Ebensowenig konnte der gleichfalls schon begrifflich gegebene Umstand, daß der zur Wiederholung neigende Rechtsbrecher stets eine gewisse Bedrohung für den Rechtsfrieden darstellt, das Merkmal "gefährlich" ausfüllen81 • Vielmehr wurde ein Gewohnheitsverbrecher dann als gefährlich LS. des § 20 a angesehen, wenn erstens die Gefahr des Rückfalls besonders nahelag, zweitens von ihm in Zukunft erhebliche Störungen des Rechtsfriedens zu erwarten waren82 • Es fällt auf, daß diese Umschreibung nahezu wörtlich der Definition der Gefährlichkeit LS. der Erforderlichkeitsklausel gleicht. Nach h.M. stimmten die beiden Gefährlichkeitsurteile auch inhaltlich überein 83 • Der Richter konnte demnach bei der Frage, ob die öffentliche Sicherheit die Unterbringung des Täters erfordert, auf die bei der Prüfung des § 20 a gewonnenen Erkenntnisse zurückgreifen. Allerdings durfte er nicht ohne weiteres von der Eigenschaft als gefährlicher Gewohnheitsverbrecher auf das Vorliegen der Gefährlichkeit am Ende der Strafverbüßung schließen84 • Das - objektive - Verständnis des Gefährlichkeitsbegriffs in § 20 a war freilich, namentlich in der Vorkriegszeit, nicht unbestritten. Stimmen in der Literatur lehnten für § 20 a eine Zukunftsprognose ab und ver78 RGSt. 68, 149, 155; siehe auch RGSt. 72, 295; 76, 309; Zusammenstellung bei Topp, Rechtsprechung über das Gewohnheitsverbrechergesetz, S. 6 ff. 79 BGHSt. 1, 94,100; 3,169; BGH GA 1967,111. 80 Jagusch, LK, 8. Auf!., § 20 a Anm.1I 1 a; Schönke I Schröder, 13. Auf!., § 20a Rdnr. 29; Maurach, AT, 3. Auf!., S. 736; Gerland, Hübner-Festschr. (1935), S.36. 81 RGSt.68, 149, 157; 76, 309; BGH GA 1965, 28; Gerland, Hübner-Festschr. (1935), S. 35; Jagusch, LK, 8. Auf!., § 20a Anm. 11 2; Engelhardt, Erfahrungen mit der Durchführung der §§ 20 a, 42 e, S. 50. 82 RGSt. 68, 149, 157; 72, 295; 72, 356, 357; BGHSt. 1, 94,100; Schäfer I Wagner I Schafheutle, § 20 a Anm. 22. 83 Jagusch, LK, 8. Auf!., § 42e Anm. 11 2b; Maurach, AT, 3. Auf!., S.738; Lange, ZStW 62,209; Kestel, Der gefährliche Gewohnheitsverbrecher, S. 49. 84 BGH JZ 1953,673; Bruns, JZ 1958, 652; Hennke, GA 1956,47; Hellmer, Gewohnheitsverbrecher, S. 329. Die Rspr. war anfangs anders verfahren, vg!. RGSt. 72,356,357; 73, 303, 305; so auch Nagler, ZAkDR 1939,386.

c.

Gefährlichkeit LS. des § 20 a

51

standen die Gefährlichkeit des Gewohnheitsverbrechers in einem subjektiven Sinn, "als Hinweis auf eine seelische Eigenart"85, als "Kennzeichen der Einstellung und Gesinnung des Täters"86. Hintergrund dieses Meinungsstreits war die unterschiedliche Auffassung vom Wesen der Strafschärfung in § 20 a und damit das Problem der Vereinbarkeit dieser Vorschrift mit dem Schuldgrundsatz. Dem subjektiven Verständnis des Gefährlichkeitsbegriffs lag das Bemühen zugrunde, § 20 a in das Strafrechtssystem einzugliedern. Insbesondere Bockelmann hatte darzulegen versucht, daß das in die Zukunft weisende Moment, welches dem Gefährlichkeitsurteil in § 42 e notwendig eigen ist, in § 20 a fehle. Den zureichenden Grund für eine Strafschärfung sah er nicht in dem Unheil, das der Täter noch anrichten wird, sondern in der Schuld, die er auf sich geladen hat. Unter Schuld verstand er eine über die Tatschuld hinausgreifende Täterschuld, die in der verfehlten Lebensentscheidung des Täters ihre Begründung findet 87 . Durchsetzen konnte sich die Lehre der Lebensführungs- oder -entscheidungsschuld auch für den Bereich des § 20 a nicht88 . Die h.M. hielt an der Deutung der Strafschärfung in § 20 aals Zweck- und Sicherungsstrafe unter Berufung auf die präventive Zielrichtung des Gesetzes fest 89 , mußte dabei aber die Unvereinbarkeit mit dem Schuldgrundsatz eingestehen. Trotz aller Bemühungen, den § 20 a in das System des Schuldstrafrechts einzugliedern90 , sah der überwiegende Teil der Lehre in dieser Vorschrift einen "Fremdkörper im Organismus des StGB"91.

85 86

Bockelmann, Studien II, S. 45, 49. Rietzsch, Die Anordnung der Sicherungsverwahrung, S. 50; ähnlich Wenig,

Der Täter und seine Tat, S. 40, der Gefährlichkeit als "besonders intensive und chronische, grundsätzlich rechts feindliche Einstellung des Täters, die in der einzelnen Tat wirksam geworden ist" definierte. Ebenfalls für ein subjektives Verständnis, Scholz, Der Begriff des gefährlichen Gewohnheitsverbrechers, S. 37; Kluge, Rechtsprechung zu den Maßregeln, S. 25; Eb. Schmidt, Ndschr. Bd. 1, S. 54; Niethammer, DRZ 1950, 33l. 87 Bockelmann, Studien H, S. 30 ff., 153 f.; zustimmend Hennke, GA 1956,45; weitere Nachweise zu dem Gedanken der Lebensführungs- oder Lebensentscheidungsschuld bei Hanack, LK, § 66 Rdnr. 4. 88 Zu den Gründen vg!. Lang-Hinrichsen, Gutachten, S. 65 ff.; Maurach, AT, 3. Auf!., S. 348 ff.; Sax, Grundsätze der Strafrechtspflege, S. 938 ff. 89 St.Rspr., vg!. RGSt.72, 295; 72, 356, 357; BGHSt. 1, 94, 100; BGH GA 1967, 111, 112; Jagusch, LK, 8. Auf!., § 20a Anm. I 1; Schönke / Schröder, 13. Auf!., § 20a Rdnr. 4,32; Maurach, AT, 3. Auf!., S. 726. 90 Stree, Deliktsfolgen, S. 60 (Strafschärfung nur bei erhöhter Schuld), zustimmend Wacker, Sicherungsverwahrung und Grundgesetz, S.80; s. auch Kohlrausch / Lange, § 20 a Anm. II 2. 91 Maurach, AT, 3. Aufl., S. 728; ähnlich Baumann, AT, 5. Auf!., S.792.

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2. Kap.: Anordnungsvoraussetzungen nach altem Recht 111. Zeitpunkt der Gefährlichkeitsprognose bei § 20 a

Theoretisch kamen drei Möglichkeiten in Betracht: Das Gefährlichkeitsurteil konnte auf den Zeitpunkt der Tat, auf den Zeitpunkt der Hauptverhandlung oder auf das Ende der Strafhaft bezogen werden. Der letztgenannte Zeitpunkt mußte ausscheiden, da die Strafschärfung gerade die Feststellung voraussetzte, daß der Täter ein gefährlicher Gewohnheitsverbrecher war92 • Die Entscheidung zwischen den beiden verbleibenden Alternativen richtete sich nach dem Standpunkt im Streit um das Wesen der Strafschärfung in § 20 a. Die Vertreter des subjektiven Gefährlichkeitsbegriffs, die Gefährlichkeit als rechtsfeindliche Gesinnung verstanden, mußten konsequenterweise auf den Zeitpunkt der Tat abstellen. Da es nach ihrer Auffassung für das Vorliegen der Gefährlichkeit ausreichte, daß der Täter eine gemeinschädliche Einstellung hatte, konnte es nicht darauf ankommen, ob der Täter noch imstande war, künftig Straftaten zu begehen93 • Die h.M., die die präventive Tendenz des § 20 a betonte und die Strafschärfung als Sicherungsstrafe einstufte, mußte folgerichtig den Zeitpunkt der Hauptverhandlung als entscheidend ansehen und auch die Umstände in die Prognose einbeziehen, die erst nach der Tat eingetreten waren94 • D. Zusammenfassung und kritische Würdigung der Ergebnisse des Rückblicks Im Mittelpunkt des Rückblicks standen die Merkmale "Gefährlichkeit" und "Subsidiarität", deren Auslegung umstritten war und deren praktische Umsetzung erhebliche Schwierigkeiten bereitete. Im Hinblick auf die zentrale Bedeutung dieser beiden Anordnungsvoraussetzungen auch für das neue Recht ist es angezeigt, die wesentlichen Ergebnisse kurz zusammenzufassen. I. Gefährlichkeit

Der Begriff der Gefährlichkeit spielte im alten Recht an zwei Stellen eine Rolle: 92 RGSt. 72,356,357; RG JW 1939,620 Nr. 5; Wolft, JW 1938,3271. 93 Bockelmann, Studien II, S. 56; Scholz, Der Begriff des gefährlichen Gewohnheitsverbrechers, S.32; Lotz, Der gefährliche Gewohnheitsverbrecher, S. 21; Geerds, MschrKrim 43,49; Welzel, ZStW 60,463; Niethammer, DRZ 1950, 331. 94 RGSt.72, 356, 357; 73,276,277; 74, 217, 218; SchönkelSchröder, 13. Aufl., § 20a Rdnr. 37; Exner, ZstW 53, 654; Frank, Nachtrag, S. 71; Finger, GS 104, 193; inkonsequent KOhlrausch/Lange, §20a Anm.IV2b; Rietzsch, Die Anordnung der Sicherungsverwahrung, S. 57.

D. Zusammenfassung und kritische Würdigung

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Einmal mittelbar für die Anordnung der Sicherungsverwahrung, die nach § 20a eine Verurteilung als gefährlicher Gewohnheitsverbrecher voraussetzte. Zum andern als Bestandteil der in allen Maßregelvorschriften enthaltenen Erforderlichkeitsklausel. Erforderlich war eine Unterbringung nur dann, wenn der Täter gefährlich war. Nach h.M. stimmte der Gefährlichkeitsbegriff in § 20 a mit dem in den §§ 42 b, 42 c, 42 einhaltlich überein. In beiden Fällen wurde Gefährlichkeit bejaht, wenn vom Täter mit bestimmter Wahrscheinlichkeit weitere erhebliche Taten zu erwarten waren. Allerdings war für die Gefährlichkeitsprognose in § 20a der Zeitpunkt der Hauptverhandlung maßgebend. während man die Feststellung der Gefährlichkeit in den Maßregelvorschriften auf den Zeitpunkt der Entlassung aus der Strafhaft bezog. Eine starke Mindermeinung lehnte für § 20 a den kognitiv-prognostischen Gefährlichkeitsbegriff ab und verstand Gefährlichkeit in einem subjektiven Sinn als gemein schädliche, rechtsfeindliche Einstellung. Diese Auslegung war vor dem Hintergrund zu sehen, die Strafschärfungsvorschrift des § 20 a in das Schuld strafrecht einzufügen. Sie betraf daher nicht, was hier noch einmal ausdrücklich hervorgehoben werden soll, den Begriff der Gefährlichkeit allgemein. Bei der Anordnungsprognose mußte das Gericht wegen der Maßgeblichkeit der Verhältnisse im Zeitpunkt der Strafentlassung eine Voraussage über die mutmaßliche Entwicklung der Persönlichkeit des Täters und seiner Lebensumstände machen. Insbesondere war der voraussichtliche Einfluß des Strafvollzugs auf die Gefährlichkeit des Täters in die Gesamtwürdigung einzubeziehen. Die Maßstäbe für den Grad der Wahrscheinlichkeit weiterer Straffälligkeit oder für den Grad der Wahrscheinlichkeit einer Besserung bis zum Ende der Strafverbüßung schwankten - auch unter dem Einfluß politischer Strömungen - ganz erheblich, so daß die Rechtsprechung zur Gefährlichkeitsprognose insgesamt ein unbefriedigend widersprüchliches Bild bot. 11. Subsidiarität

Der Grundsatz, daß Maßregeln nur angeordnet werden dürfen, wenn mildere Mittel nicht zur Verfügung stehen oder nicht ausreichen, war im alten Recht als Ausprägung der Erforderlichkeitsklausel anerkannt. Im Ergebnis war die h.M. bei der Beurteilung des Sicherungswerts milderer Maßnahmen sehr vorsichtig. Angesichts fehlender Kontroll- und Druckmöglichkeiten hielt sie die in Betracht kommenden weniger einschneidenden Mittel nur in Ausnahmefällen für ausreichend. Kennzeichnend für die Rechtsprechung war neben der generellen Zurückhaltung auch eine verbreitete Unsicherheit über die Anforderungen, denen die ein-

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2. Kap.: Anordnungsvoraussetzungen nach altem Recht

zeInen schonenderen Maßnahmen genügen mußten, um eine Unterbringung überflüssig zu machen.

E. Unzulänglichkeiten der alten Regelung Im alten Recht wurden die strafrechtlichen Maßregeln einerseits zu häufig, andererseits zu selten angeordnet. In dieser pointierten Formulierung läßt sich die lebhafte Kritik an der Rechtsprechung zusammenfassen. Einerseits belegten empirische Untersuchungen95 die vielfach geäußerte Vermutung, daß vornehmlich zwar lästige, aber doch eher harmlose und zumeist ältere Kleinkriminelle untergebracht wurden. Andererseits beobachtete man bei den Richtern eine gewisse Scheu, Maßregeln gegen wirklich gefährliche Täter zu verhängen96 • Für beide Mißstände machte man in erster Linie die verunglückte gesetzliche Regelung der Anordnung von Maßregeln verantwortlich91 • Die Kritik konzentrierte sich dabei auf zwei Punkte: I. Das Prognoseproblem

Immer wieder wurde bemängelt, daß die Aufgabe, die Gefährlichkeit eines Täters für den Zeitpunkt nach Beendigung der Strafhaft festzustellen, den Richter überfordere. Man bezweifelte, daß eine derartige, auf einen in ferner Zukunft liegenden Zeitpunkt bezogene Prognose "wissenschaftlich möglich und rechtlich vertretbar" sei98 • Bei differenzierter Betrachtungsweise verbargen sich hinter dem Unbehagen am Prognoseerfordernis ein generelles und ein spezielles Bedenken: Zum einen richteten sich die Vorbehalte allgemein gegen die Erstellung einer Kriminalprognose. Zwar fehlen empirische Belege, doch spricht einiges für eine Reserviertheit der Richterschaft gegenüber dem auf Zweckmäßigkeitserwägungen basierenden und auf Prognosen angewiesenen Maßregelrecht99 • GS Hellmer, Gewohnheitsverbrecher, S. 29 ff.; Schachert, Kriminologische Untersuchungen, S. 35 ff.; Lemberger, Kriminologische Wirklichkeit des Begriffs des gefährlichen Gewohnheitsverbrechers, S. 126 ff. 96 Bruns, JZ 1958, 647; Lang-Hinrichsen, Gutachten, S. 47; Dreher, DRiZ 1957, 51 brachte seine Befürchtungen in dem Titel seines Aufsatzes zum Ausdruck: "Liegt die Sicherungsverwahrung im Sterben?" 97 Schafheutle, Ndschr. Bd.3, S.268; Schwalm, Prot. IV, S.389; Horstkotte, JZ 1970, 156; Begr. E 1962 vor § 81 S. 207; Eisenberg, Strafe und freiheitsentziehende Maßregel, S. 37 ff. 98 So die Formulierung im 1. Bericht, S. 18; ähnlich Lang-Hinrichsen, Gutachten, S. 47; Maurach, Gutachten, S. 40; einhellige Auffassung in den Gesetzesberatungen, vgl. Ndschr. Bd. 3, S. 175, 223; Prot. IV, S. 284, 299; Prot. V, S. 463 ff.

E. Unzulänglichkeiten der alten Regelung

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Zum andern betrafen die Einwände den Zeitpunkt, für den die Prognose gestellt werden mußte. Zu Recht kritisierte man die Aufgabe, eine auf den Entlassungstermin bezogene Prognose über die künftige Legalbewährung des Täters abzugeben, als kaum lösbar. Zu den mit jeder Prognose ohnehin schon verbundenen Unsicherheiten kam die Schwierigkeit, die ungewissen Einwirkungen des Strafvollzugs auf den Täter sowie dessen allgemeine Entwicklung für einen Zeitraum von u.U. mehreren Jahren vorauszusehen. Je weiter entfernt der Zeitpunkt der Haftentlassung lag, um so schwieriger und unsicherer wurde die Prognose. Denn der Richter konnte kaum je ausschließen, daß lange Jahre der Strafverbüßung nicht doch die Gefährlichkeit des Täters aufheben würden. Die durch die Rechtsprechung 100 eher noch verstärkten Prognoseprobleme führten zu der unerfreulichen Konsequenz, daß mit der Schwere der Anlaßtat (und damit der Länge der vorweg zu verbüßenden Freiheitsstrafe) die Chance des Verurteilten wuchs, nicht untergebracht zu werden. Die Gerichte scheuten sich, das im Hinblick auf die Eingriffe folgenschwere Verdikt der Gefährlichkeit auszusprechen. Denn bei einer fehlerhaften Prognose zuungunsten des Täters (wenn also im Zeitpunkt der Entlassung keine Gefährlichkeit mehr vorlag), mußte mit dem Vollzug der Maßregel begonnen werden, und der Untergebrachte konnte nur auf die Möglichkeit einer bedingten Entlassung hoffen. Auf der anderen Seite war auch die zugunsten des Täters fehlerhafte Prognose irreparabel. Die einmal unterbliebene Anordnung einer Maßregel konnte nicht mehr nachgeholt werden, selbst wenn die Gefährlichkeit des Täters durch die Entwicklung im Strafvollzug ein bedrohliches Ausmaß angenommen hatte. Die gesetzliche Regelung brachte den Richter somit in das Dilemma, auf völlig unsicherer Grundlage eine weitreichende Entscheidung treffen zu müssen, die entweder die Freiheit des Täters unverhältnismäßig beschränken oder das Schutzbedürfnis der Allgemeinheit in unverantwortlicher Weise vernachlässigen konnte. Die Folge war, daß die Richter bei Gewohnheitstätern mit kurzen Freiheitsstrafen eher eine ungünstige Prognose wagten als bei Schwerkriminellen mit langjährigen Freiheitsstrafen101 •

99 So die Vermutung von Dreher, DRiZ 1957,53 und Bruns, JZ 1958,648, zustimmend Eisenberg, Strafe und freiheitsentziehende Maßregel, S.39; R. Schmitt, Würtenberger-Festschr. (1977), S. 279. 100 Der BGH hatte insbesondere bei jüngeren Tätern strenge Maßstäbe an eine ungünstige Prognose gelegt, vgl. BGH bei Dallinger, MDR 1956,143. 101 Steinhilper, Sexualtäter und Sicherungsverwahrung, S. 50; Schröder, JZ 1970,93.

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2. Kap.: Anordnungsvoraussetzungen nach altem Recht 11. Das Subsidiaritätsproblem

Die Hoffnung, bei Angebot einer Ersatzlösung von der Unterbringung verschont zu bleiben, veranlaßte naturgemäß manchen Täter, in der Hauptverhandlung seinen Willen zur freiwilligen Behandlung oder zu ähnlichen Maßnahmen zu beteuern. Oft fanden sich auch Angehörige, die sich bereit erklärten, den Angeklagten künftig sorgfältig zu betreuen und zu überwachen. Es war vorgekommen, daß das Gericht, von der Ernstlichkeit dieses Vorbringens überzeugt, trotz erkannter Gefährlichkeit von der Anordnung einer Maßregel abgesehen hatte. Hielt sich der Täter oder seine Angehörigen nach Rechtskraft des Urteils nicht an die Zusagen oder erwies sich das vorgesehene mildere Mittel auch bei gutem Willen der Beteiligten als nicht ausreichend, hatte das Gericht keine Möglichkeit, nachträglich eine Unterbringung anzuordnen oder auf andere Weise gegen den Täter vorzugehen, dessen Unterbringung unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der Allgemeinheit dringend geboten war l02 •

F. Darstellung der Rechtsänderungen Der Gesetzgeber hat die Vorschriften über die Maßregeln der Sicherung und Besserung stufenweise geändert. Die als vordringlich erachteten Änderungen traten mit dem 1. StrRG am 1.4.1970 in Kraft. Sie betrafen hauptsächlich die Sicherungsverwahrung: Der dogmatisch umstrittene § 20 a wurde abgeschafft; die Anordnungsvoraussetzungen wurden in § 42 e zusammengefaßt und in den formellen Anforderungen verschärft Die Unterbringung war nunmehr - bei Vorliegen der formellen Voraussetzungen - von der Feststellung abhängig, daß der Täter infolge seines Hanges zu erheblichen Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich ist. Die Einschränkung, daß die öffentliche Sicherheit die Unterbringung "erfordern" muß, fehlte in der neuen Fassung des § 42 e. Eine wichtige Neuerung brachte § 42g: Im Falle des Vorwegvollzugs der Freiheitsstrafe vor einer zugleich angeordneten Unterbringung hatte das Gericht am Ende des Strafvollzugs zu entscheiden, ob der Zweck der Maßregel die Unterbringung noch erfordert. War dies nicht der Fall, mußte es anordnen, daß die Unterbringung nicht vollstreckt wird, was einer bedingten Aussetzung gleichkam (§ 42h Abs. 1 S. 2). Als vordringlich hat der Gesetzgeber auch die ausdrückliche Normierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes an der Spitze der Maßregelvorschriften in § 42 a Abs. 2 angesehen. Die Vorschriften über die Dauer der Unterbringungen (§ 42f) und über die bedingte Entlassung (§ 42 h) wurden nur geringfügig modifiziert. 102

Lackner, Verhandlungen, S. E 97 und Prot. IV, S.229.

F. Darstellung der Rechtsänderungen

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Das 2. StrRG vollendete die durch das 1. StrRG eingeleitete Umgestaltung des Maßregelrechts. Wie schon vorher bei der Sicherungsverwahrung wurden nun auch bei den Vorschriften über die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt die materiellen Voraussetzungen für eine Anordnung konkretisiert, die Beschränkung auf erhebliche Taten ausdrücklich in das Gesetz aufgenommen und die Erforderlichkeitsklausel beseitigt. Bedeutsame Änderungen brachte das 2. StrRG im Bereich der Vollstreckung von Strafen und Maßregeln. Mit § 67 hielt das vikariierende System Einzug in das StGB, indem der als mißlich empfundene kumulative Vollzug von Strafe und Maßregel durch eine wesentlich differenziertere und flexible Regelung ersetzt wurde. Neugeschaffen wurde die Möglichkeit, die Vollstreckung der Maßregel zugleich mit deren Anordnung auszusetzen (§ 67b). Als neue nichtfreiheitsentziehende Maßregel hat das 2. StrRG die Führungsaufsicht in den Maßregelkatalog aufgenommen. Sie tritt nach § 68 entweder kraft richterlicher Anordnung oder kraft Gesetzes ein. Die weiteren Änderungen ergeben sich aus dem allgemeinen Überblick im 1. Kapitel; sie spielen für die Probleme dieser Arbeit keine entscheidende Rolle. Die rechtlichen Auswirkungen der Streichung der Erforderlichkeitsklausel und der Einführung des § 67c auf die Anordnung freiheitsentziehender Maßregeln werden in den nächsten beiden Kapiteln. dem Hauptteil der Arbeit, dargestellt und kritisch überprüft.

3. Kapitel

Streichung der Erforderlichkeitsklausel A. Überblick

Solange ein weniger einschneidendes Mittel zur Bekämpfung der Gefahr zur Verfügung stand, durfte nach altem Recht eine strafrechtliche Maßregel nicht angeordnet werden1 • Die Unterbringung des Täters kam nur als letztes Mittel in Betracht, wenn sonstige Vorkehrungen zum Schutz der Allgemeinheit nicht ausreichten. Nach dem Wegfall der Erforderlichkeitsklausel und der gleichzeitigen Einführung der Aussetzung zur Bewährung (§§ 67 b, 67 c) ist fraglich geworden, ob das Subsidiaritätsprinzip bei der Anordnung von Maßregeln noch gilt. Die Rechtsprechung und die überwiegende Meinung im Schrifttum verneinen dies nachdrücklich und nehmen an, daß mildere Mittel bei der Anordnung der Maßregeln keine Rolle mehr spielen2 • Häufig wird dabei nicht differenziert, ob die Maßnahmen im Prognosezeitpunkt bereits eingeleitet sind oder nur anstelle einer Unterbringung zur Verfügung stehen. Teilweise wird aber auch ausdrücklich die Auffassung vertreten, daß auch mildere Maßnahmen, die im Zeitpunkt der Hauptverhandlung schon durchgeführt werden, bei der Anordnung der Unterbringung nicht berücksichtigt werden dürfen3 • Der h.M. liegt die - meist unausgesprochene - Annahme zugrunde, daß die Existenz oder Durchführung einer schonenderen Maßnahme ohne Einfluß auf die Gefährlichkeit des Täters sei. Ob dieser AusgangsVgl. 2. Kap. B. H. BGH NJW 1978, 599; BGH 3 StR 67/77 v. 23.3.1977; Dreher / Tröndle, vor § 63 Rdnr. 2; Schönke / Schröder / Stree, § 63 Rdnr. 19; Horn, SK, § 63 Rdnr.17; Baumann, AT, S. 745; Maurach / Zipf, AT 2, S. 537, in deutlichem Widerspruch dazu allerdings S.539; Lenckner, Strafe, Schuld und Schuldfähigkeit, S.192; Pätzold, Eingriffsvoraussetzungen bei freiheitsentziehenden Maßregeln, S.80; Bruns, ZStW 71, 226; Warda, Grundlagen des richterlichen Ermessens, S.150; a.A. Hanack, LK, vor § 61 Rdnr. 58 ff.; Lackner, § 66 Anm. 5 ace. Welcher Meinung Jescheck und Schmidhäuser folgen, ist nicht deutlich auszumachen, da die nach der Strafrechtsreform erschienenen Auflagen (Jescheck, AT, S.654, 660; Schmidhäuser, AT, S.830) die Formulierungen aus den vorherigen (das alte Recht betreffenden) Auflagen unverändert übernommen haben, ohne auf die geänderte Rechtslage oder die h.M. hinzuweisen. 3 Dreher / Tröndle, § 63 Rdnr. 11; ebenso Wenz, Das Verhältnis der strafrechtlichen Unterbringung zu außerstrafrechtlichen Maßnahmen, S. 239. 1

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B. Gefährlichkeit als Anknüpfungspunkt der Maßregeln

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punkt zutreffend ist, erscheint zumindest in den Fällen, in denen die Maßnahme bereits eingeleitet ist, sehr zweifelhaft. Man könnte argumentieren, daß der Täter nicht mehr als gefährlich anzusehen ist, wenn die Allgemeinheit bereits Vorkehrungen gegen weitere Straftaten getroffen hat. Die Tatsache, daß ein milderes Mittel zur Verfügung steht oder bereits eingesetzt wird, betrifft demnach möglicherweise nicht die Subsidiarität, sondern bereits die Gefährlichkeit. Ein Blick ins Schrifttum zeigt, welche Unsicherheiten bei der Zuordnung bestimmter Umstände in dieser Hinsicht bestehen: Lang-Hinrichsen bringt unter der Überschrift "Subsidiarität" das Beispiel, daß die Gefahr entfallen kann, wenn in der Person des Täters oder seinen allgemeinen Lebensbedingungen entscheidende Änderungen eingetreten sind4 •

Umgekehrt will Lackner die gegenwärtige Gefährlichkeit verneinen, wenn nach Strafverbüßung sicher ausführbare mildere Maßnahmen zur Verfügung stehen5• In der Kommentierung von Schönke / Schröder wird die Betreuung des Täters durch Angehörige bei den Erläuterungen zu § 63 unter dem Stichwort der Subsidiarität behandelt, während bei § 66 erörtert wird, ob nicht dadurch die Gefährlichkeit entfällt6 • Bevor die Frage nach der Geltung des Subsidiaritätsprinzips bei der Anordnung von Maßregeln untersucht wird, soll das systematische Verhältnis zwischen Gefährlichkeitsurteil und Subsidiaritätsprüfung geklärt werden. Dazu ist es erforderlich, näher auf Inhalt und Grundlage der Gefährlichkeitsprognose im Maßregelrecht einzugehen.

B. Gefährlichkeit als Anknüpfungspunkt der Maßregeln Entsprechend ihrem Vorbeugungszweck und ihrer Schuldunabhängigkeit sind die Maßregeln an der Gefährlichkeit des Täters orientiert. Durch die Aufnahme der Merkmale "gefährlich" bzw. "Gefahr" in den Gesetzestext wird in den §§ 63-66 deutlicher als im alten Recht die Gefährlichkeit als Anknüpfungspunkt für die Verhängung einer Maßregel hervorgehoben7 •

LK, 9. Aufl., § 42 e a.F. Rdnr. 81. 12. Aufl., § 66 Anm. 5 a cc; (etwas anders 13. Aufl.). G Schönke / Schröder / Stree, § 63 Rdnr. 19 einerseits und § 66 Rdnr.37 andererseits. 7 Bruns, ZStW 71, 224; Maurach / Zipf, AT 2, S.360; Lang-Hinrichsen, LK, 9. Aufl., vor § 42a a.F. Rdnr. 24; Horn, SK, § 61 Rdnr. 12. 4

5

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3. Kap.: Streichung der Erforderlichkeitsklausel I. Der Begriff der Gefahr bzw. der Gefährlichkeit8 im Maßregelrecht

Der Begriff der Gefahr war namentlich in der älteren strafrechtlichen Literatur Gegenstand wissenschaftlicher Erörterungen, die gekennzeichnet waren von Skepsis über die Tauglichkeit dieses Begriffs als Tatbestandsmerkmal9 • Von einer systematischen Auswertung der einzelnen Beiträge zum Gefahrbegriff kann man sich allerdings nur bedingt weiterführende Erkenntnisse für das Problem der Gefährlichkeit im Maßregelrecht erhoffen, da sich das ältere Schrifttum mit diesem Begriff vornehmlich im Zusammenhang mit den Gefährdungsdelikten befaßt hat, deren spezifische Besonderheiten10 eine Verwertung der Ergebnisse für das Maß regelrecht nicht ohne weiteres zulassen. Denn die Gefährdungsdelikte erfassen die Gefährlichkeit von Handlungen oder Zuständen, während die Maßregeln die Gefährlichkeit einer Person voraussetzen. Entsprechend den unterschiedlichen Funktionen weisen die Gefahrbegriffe auch unterschiedliche Inhalte auf. Im Maßregelrecht fehlt eine umfassende dogmatische Darstellung zur Gefährlichkeitl1 • Dies ist um so bedauerlicher, als diesem Begriff eine zentrale Bedeutung für die Anordnung von Maßregeln zukommt. Die folgenden Ausführungen können und wollen diese Lücke auch nicht annähernd schließen, sondern allenfalls Anhaltspunkte für eine noch zu leistende systematische Durchdringung auf diesem Gebiet geben. Im Anschluß an den allgemeinen Sprachgebrauch bezeichnet die juristische Doktrin als Gefahr die (naheliegende) Wahrscheinlichkeit eines künftigen Schadensl2 • Es sind folglich zwei Merkmale, die den Begriff der Gefahr konstituieren l3 : 8 Der Begriff "Gefahr" ist bezogen auf den Zustand, der Begriff "Gefährlichkeit" auf den Träger, bzw. Verursacher der Gefahr, vgl. v. Kaenel, Sozialgefährlichkeit, S. 160, Fußn. 2; v. Hippel, Gefahrurteile, S.2, Fußn. 8, 9. e Nachweise bei Lackner, Gefährdungsdelikt, S. 3; Horn, Konkrete Gefährdungsdelikte, S.2; kennzeichnend die Aussage von Exner, Sicherungsmittel, S. 59: "Der Begriff der Gefahr ist ein gefährlicher Begriff". Der BGH (BGHSt. 18, 271, 272) hält eine "genaue wissenschaftliche Umschreibung des Gefahrbegriffs" für unmöglich. 10 Bei den Gefährdungsdelikten stellen sich ganz andere Probleme. Als Stichworte seien hier nur genannt: objektiver/subjektiver Gefahrbegriff; Wissensgrundlage und Kenntnisstand des Beobachters, vgl. Horn, Konkrete Gefährdungsdelikte, S. 2 ff. U Ansätze bei Exner, Sicherungsmittel, S. 59 ff.; siehe auch Mezger, MschrKrimPsych 1923, 156 ff. Dagegen war das Merkmal der Gefährlichkeit schon mehrfach Gegenstand kriminologischer Untersuchungen, z.B. Weihrauch, Der gefährliche Gewohnheitsverbrecher, S. 76 ff.; Steinhilper, Sexualtäter und Sicherungsverwahrung, S. 66 ff. 12 Exner, Sicherungsmittel, S. 59; Bruns, JZ 1958, 652; Schröder, ZStW 81, 8; Lang-Hinrichsen, LK, 9. Aufl., vor § 42 a a.F. Rdnr. 25. 13 Lackner, Gefährdungsdelikt, S. 16; Bassenge, Der allgemeine strafrechtliche Gefahrbegriff, S. 18.

B. Gefährlichkeit als Anknüpfungspunkt der Maßregeln -

Die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses

-

Der schädigende Charakter dieses Ereignisses.

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1. Die Wahrscheinlichkeit des E1·eignisses

Seit jeher ist umstritten, wie "wahrscheinlich" das Ereignis sein muß, damit man von einer Gefahr reden kann. Eine Verständigung wird in diesem Bereich dadurch erschwert, daß dem Terminus "Wahrscheinlichkeit" verschiedene Bedeutungen zugeordnet werden: Das Zustandekommen eines Ereignisses setzt den Eintritt einer Reihe von Bedingungen voraus. Kausalgesetzlich ist der Eintritt des Ereignisses entweder notwendig oder unmöglich. Die Unzulänglichkeit des menschlichen Erkenntnisvermögens, dem niemals alle für die Weiterentwicklung eines Zustands relevanten Kausalfaktoren bekannt sind, gestattet indes keine sicheren Aussagen14 • Dem Unvermögen, den Verlauf eines Geschehens prognostisch als gesetzmäßig notwendig zu erkennen, verdankt der Gefahrbegriff überhaupt seine Entstehung. Der Mensch kann nur in einem psychologischen Vorgang des Abwägens und des Entscheidens versuchen, eine kausale Beziehung zwischen der gegenwärtigen Lage und dem künftigen Ereignis zu finden. Je nachdem, ob aus der Sicht des Urteilenden mehr und gewichtigere Faktoren für oder gegen den Eintritt des Ereignisses sprechen, wird das Gefahrurteil zum Pol "notwendig" oder zum Pol "unmöglich" tendieren. Gedanklich läßt sich die Aussage über den Eintritt eines künftigen Ereignisses auf einer Skala darstellen, die von dem Ausgangspunkt "unmöglich" über kontinuierlich wachsende Grade zum entgegengesetzten Endpunkt "notwendig" verläuft. Man kann nun den gesamten Bereich zwischen den Extremwerten als "Wahrscheinlichkeit" bezeichnen und dementsprechend verschiedene Grade der Wahrscheinlichkeit (z.B. "geringe, große") unterscheiden. Häufig wird aber auch eine bestimmte Zone auf dieser Skala "Wahrscheinlichkeit" genannt und von anderen Zonen, wie z.B. der der "Möglichkeit" oder "Höchstwahrscheinlichkeit" abgegrenzt. In diesem Sinn lassen sich zur Veranschaulichung - nicht zur exakten wissenschaftlichen Bezeichnung - folgende Bereiche mit fließenden Übergängen auf der Skala festlegen 15 : Unmöglich - entfernt möglich - möglich - wahrscheinlich - höchstwahrscheinlich - notwendig. Als "möglich" wird im folgenden ein Ereignis bezeichnet, wenn sich die Gründe für und gegen seinen Eintritt etwa die Waage halten, seine Abbildung auf der gedachten Skala also genau in oder nahe an der Mitte läge. 14 Zum folgenden v. Kaenel, Sozialgefährlichkeit, S. 104 ff.; Bassenge, Der allgemeine strafrechtliche Gefahrbegriff, S. 26 ff. IS Vgl. Cottier, Der Begriff der Gemeingefahr, S. 37.

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3. Kap.: Streichung der Erforderlichkeitsklausel

Solange sich der Grad der Wahrscheinlichkeit auf dieser Skala nahe am Pol "unmöglich" bewegt, ist es zwar nicht denklogisch ausgeschlossen, von einer (geringen, entfernten) Gefahr zu reden, der allgemeine Sprachgebrauch tut dies aber nicht l6 • Für die Zwecke des Strafrechts ist die Bezeichnung bereits der geringsten Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts als Gefahr nicht geeignet. Der Terminus "Gefahr" würde sich zu einem weiten und konturlosen Begriff verflüchtigen, der als Anknüpfungspunkt strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes untauglich wäre. Andererseits wird man für das Vorliegen einer Gefahr auch nicht eine nahe an der Notwendigkeit liegende Höchstwahrscheinlichkeit verlangen können. Eine solche Forderung würde den strafrechtlichen vorbeugenden Rechtsgüterschutz völlig lahmlegen17 , da bei einer Prognose derart sichere Aussagen wegen des begrenzten menschlichen Tatsachen- und Erfahrungswissens kaum je möglich sind. Auf dem nach der Ausscheidung der Extreme verbleibenden Bereich zwischen Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit einen festen Wert für einen allgemeinen strafrechtlichen Gefahrbegriff zu suchen, ist wenig sinnvoll. Die Grenzziehung ist abhängig von dem mit der strafrechtlichen Erfassung einer Gefahr jeweils verfolgten Ziel und dem Ausmaß der damit verbundenen Eingriffe in Rechtsgüter des Betroffenen. Andererseits ist es aus Gründen der Rechtssicherheit und Tatbestandsbestimmtheit nicht vertretbar, im Maßregelrecht wegen der Schwierigkeiten bei der Abgrenzung völlig auf eine nähere Präzisierung der Erwartungsintensität zu verzichten. Das Gesetz erschwert das Auffinden eines allgemeingültigen Inhalts des Gefahrbegriffs im Maßregelrecht durch die uneinheitlichen Formulierungen in den einzelnen Regelungen. Bei § 63 muß eine Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergeben, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind.

§ 64 läßt die Anordnung zu, wenn die Gefahr besteht, daß der Täter infolge seines Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. § 66 schließlich verlangt eine Gesamtwürdigung des Täters und der Taten, deren Ergebnis das Urteil sein muß, daß der Täter infolge seines Hanges zu erheblichen Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich ist. Ob mit den abweichenden Formulierungen auch unterschiedliche Sachanforderungen verbunden sind, ist zweifelhaft und aus den Gesetzes16 Siehe Schröder, ZStW 81, 8; Lackner, Gefährdungsdelikt, S.19; Schafheutle, Prot. IV, S. 787. 17 Nagter, Verbrechensprophylaxe. S. 255; Bruns, JZ 1958, 648; Stree, In dubio

pro reo, S. 94.

B. Gefährlichkeit als Anknüpfungspunkt der Maßregeln

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materialien nicht eindeutig feststell bar. Es mag hier dahingestellt bleiben, ob der Gesetzgeber beispielsweise mit der Verwendung des Ausdrucks "Gefahr" in § 64, der rein sprachlich betrachtet weniger bedeutet als "Erwartung" in § 63, auch einen sachlichen Unterschied markieren wollte, wie es teilweise in den Kommentierungen zu lesen ise 8 • Generell läßt sich sagen, daß der Wahrscheinlichkeitsgrad für den Eintritt des schädigenden Ereignisses um so höher liegen muß, je stärker die an das Vorliegen der Gefahr gekoppelten Rechtsfolgen in die Freiheit des Betroffenen eingreifen. Die Anordnung einer Maßregel legt dem Täter ein empfindliches übel auf, indem ihm die Freiheit genommen oder zumindest die Möglichkeit freier Lebensführung erheblich beschnitten wird. Solche das Maß der Schuld überschreitende massive Rechtsgüterbeeinträchtigungen sind nur zu rechtfertigen, wenn der Täter eine ernste Bedrohung für die Allgemeinheit darstellt. Die Schwere der mit der Verhängung einer Maßregel verbundenen Eingriffe in die Freiheits- und Persönlichkeitsrechte des Betroffenen schließt es aus, die Anordnung auf die bloße Möglichkeit künftiger Taten zu stützen. Man wird mindestens fordern müssen, daß mehr und gewichtigere Gründe für eine weitere Straffälligkeit sprechen als dagegen 19 • Gefahr bzw. Gefährlichkeit bedeutet demnach im Maßregelrecht Rückfallwahrscheinlichkeit i.S. eines "gesteigerten, überwiegenden Grades der Möglichkeit"20. Gedanklich ließe sich der so umschriebene Bereich der W ahrscheinlichkeit noch weiter unterteilen, was die h.M. mit Formulierungen wie "gewisse, bestimmte oder naheliegende" Wahrscheinlichkeit versucht21 • So sehr das darin zum Ausdruck kommende Bemühen, die Grenze für präventive Rechtsgutseingriffe exakt festzulegen, zu begrüßen ist, in der Sache helfen diese Präzisierungsversuche kaum weiter. Die gedanklich mögliche, mathematisch gen aue Fixierung des Grades auf der Skala läßt sich nicht auf die Realität übertragen. Die einzelnen gefährlichkeitsfordernden und -hemmenden Faktoren sind in Zusammenspiel und Wechselwirkung so komplex, daß das Bemühen um exakte Bestimmung von Wahrscheinlichkeitsgraden das prognostische Vermögen übersteigt. Weil dem unzulänglichen menschlichen Erkenntnisvermögen nie alle bestehenden Bedingungen einer künftigen Entwicklung und die Art ihres Zusam18 Hanack, LK, § 64 Rdnr. 69; Dreher / Tröndle, § 64 Rdnr. 6; a.A. Horn, SK, § 64 Rdnr. 13. 19 h.M.; Z.B. Bruns, JZ 1958, 652; v. Kaenel, Sozialgefährlichkeit, S. 118 ff.; Hanack, LK, vor § 61 Rdnr. 45. Damit ist noch keine endgültige Rechtfertigung

für Maßregeln intendiert, sondern nur die Ausscheidung von Fällen, in denen Eingriffe in die Freiheit des einzelnen apriori nicht gerechtfertigt sind. 20 Bruns, JZ 1958,652; Hanack, LK, vor § 61 Rdnr.45. 21 Näher dazu Bassenge, Der allgemeine strafrechtliche Gefahrbegriff, S. 44 ff.; siehe auch 2. Kap. Fußn. 11.

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3. Kap.: Streichung der Erforderlichkeitsklausel

menwirkens vollständig bekannt sein können, entzieht sich die Grenze zwischen "einfacher" und "erhöhter" Rückfallwahrscheinlichkeit der exakten Bestimmung22 • Man muß sich damit zufrieden geben, daß der nach unten gegenüber der (nicht mehr ausreichenden) Möglichkeit und nach oben gegenüber der (nicht erforderlichen) Notwendigkeit abzugrenzende Bereich der Wahrscheinlichkeit in der Wirklichkeit nicht weiter unterteilbar ist!!. Daß der Grad der Wahrscheinlichkeit nicht präzise angegeben, sondern nur annähernd eingegrenzt werden kann, ist indes kein schwerwiegender Nachteil. Im Maßregelrecht kann der Wahrscheinlichkeitsgrad keinen festen Wert darstellen, vielmehr muß er zur Schwere der drohenden Störung in Relation gesetzt werden24 • Die Forderung, den Grad der Wahrscheinlichkeit nach der Schwere der zu erwartenden Taten abzustufen, folgt aus dem Zweck der Maßregeln, die staatliche Gemeinschaft vor gefährlichen Tätern zu schützen. Das Sicherungs bedürfnis der Allgemeinheit ist um so größer und schutzwürdiger, je schwerwiegender die vom Täter drohenden Rechtsverletzungen sind. Aus diesem Grund ist bei drohenden Taten gegen das Leben eine geringere Wahrscheinlichkeit ausreichend als bei Taten gegen das Vermögen. Allerdings ist zu beachten, daß zwischen dem Grad der Wahrscheinlichkeit und der Schwere der Rechtsverletzung nur eine beschränkte Wechselwirkung besteht. Auch bei der schwersten denkbaren Rechtsverletzung kann der Wahrscheinlichkeitsgrad nicht unter den bestimmten Wert sinken, der für die Anordnung jeder Maßregel unerläßlich ist und der - wie oben dargelegt - als "gesteigerter, überwiegender Grad der Möglichkeit" verstanden wird. Umgekehrt kann auch eine an Gewißheit grenzende Wahrscheinlichkeit nicht die Anordnung einer Maßregel rechtfertigen, wenn die drohenden Taten nicht das erforderliche Maß der Erheblichkeit erreichen. Die Schwierigkeiten der theoretischen Umschreibung des jeweils erforderlichen Wahrscheinlichkeitsgrades scheinen allerdings oft größer zu sein, als die Bestimmung im konkreten Einzelfall, bei dem sich die Gefahr aus den Umständen, namentlich den Symptomtaten, häufig aufdrängt25 • Gerade bei mehrfach rückfälligen Tätern können fest eingeschliffene Verhaltensweisen das zukünftige Verhalten in höherem Maße festlegen und deshalb eher voraussehbar machen26 • 22 v. Kaenet, Sozialgefährlichkeit, S.277. Ganz abgesehen von dem Problem der Willensfreiheit, dem im Rahmen dieser Arbeit nicht nachgegangen werden kann. Vgl. in diesem Zusammenhang SchuUz, SchwZStr 75, 256. 23 Schünemann, JA 1975, 296; BGHSt. 18, 271, 272. 24 v. Kaenet, Sozialgefährlichkeit, S. 525; Baumann, Unterbringung und Freiheitsentziehung, S. 366; Jescheck, AT, S. 651; JA 1971,237. 25 Hanack, LK, § 64 Rdnr. 69. 26 Schuttz, SchwZStr 75,263; Nowakowski, v. Weber-Festschr. (1963), S. 114.

B. Gefährlichkeit als Anknüpfungspunkt der Maßregeln

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2. Das schädigende Ereignis Was die Bestimmung des zweiten Aspekts der Gefährlichkeit - das schädigende Ereignis selbst - angeht, so hilft der Gesetzeswortlaut weiter: Vom Täter müssen nach den insoweit gleichlautenden Formulierungen in §§ 63-66 "erhebliche rechtswidrige Taten" zu erwarten sein. Der Reformgesetzgeber hat die Anforderungen an die zu erwartenden Taten insofern verschärft, als nun das Merkmal "erheblich" ausdrücklich im Gesetzestext enthalten und damit klargestellt ist, daß Verfehlungen geringeren Gewichts für die Anordnung einer Maßregel nicht ausreichen. Eine allgemein akzeptierte Konkretisierung des Begriffes der "Erheblichkeit" ist auch nach der Reform noch nicht gelungen27 • Sie kann nicht in einem einheitlichen Maßstab gefunden werden, da die einzelnen Maßregeln verschiedene Formen der Gefährlichkeit bekämpfen und in ihrer kriminalpolitischen Zielsetzung unterschiedlich akzentuiert sind. Einigkeit besteht darüber, daß die Erwartung lediglich lästiger Taten auf keinen Fall die Anordnung einer Maßregel rechtfertigen kann28 • Inwieweit und unter welchen Voraussetzungen Delikte aus dem Bereich der mittleren Kriminalität "erheblich" sein können, ist in Rechtsprechung und Literatur noch nicht hinreichend geklärt und namentlich bei § 66 sehr umstritten29 • Bisher läßt sich nur feststellen, daß die Anforderungen entsprechend der Intention des Gesetzgebers heute allgemein höher angesetzt werden als früher. Zusammenfassend kann Gefährlichkeit im Maßregelrecht definiert werden als "Wahrscheinlichkeit (i.S. einer gesteigerten, überwiegenden Möglichkeit) weiterer erheblicher Rechtsverletzungen. " Diese Definition soll auch den weiteren Erörterungen zugrundeliegen, in denen keine vollständige Behandlung des komplexen Themas Gefährlichkeitsprognose angestrebt wird, sondern nur die Klärung einzelner, durch die Rechtsänderung aufgeworfener dogmatischer Fragen. 11. Zeitpunkt der Prognose

1. Sofort vollstreckbare Maßregeln Bei den Maßregeln, die nicht mit einer Strafe zusammentreffen oder die vor der Strafe vollzogen werden, ist der Zeitpunkt der Prognose einfach zu bestimmen. Wenn die Maßregel sofort vollstreckt wird, können 27 Vgl. BGHSt.24, 160, 162; Hanack, LK, § 63 Rdnr.45; Preisendanz, § 63 Anm.3a. 28 1. Bericht, S. 19; Horstkotte, JZ 1970,155; BGHSt. 24,160, 162; 27, 246, 248. 29 BGH 3 StR 437/77 v. 21.12.1977; ausführliche Kommentierung bei Hanack, LK, § 66 Rdnr. 104 ff. mit weit. Nachw.

5 B. MOller

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3. Kap.: Streichung der Erforderlichkeitsklausel

für die Beurteilung der Gefährlichkeit nur die Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung ausschlaggebend sein. In § 67 Abs. 1 hat der Gesetzgeber durch die Einführung des vikariierenden Systems den Vorwegvollzug der Maßregel zum Regelfall gemacht.

2. Vorwegvollzug der Strafe Vor der Strafrechtsreform mußte der Richter in den Fällen, in denen dem Maßregelvollzug eine Strafverbüßung vorausging, in der Hauptverhandlung feststellen, ob der Täter am Ende der vorweg zu verbüßenden Strafe noch gefährlich sein wird. Vom Richter wurden gleichsam zwei Prognosen verlangt. Zunächst mußte er, um eine Beurteilungsgrundlage für die Gefährlichkeitsprognose zu gewinnen, die mutmaßliche Entwicklung des Täters und seiner Lebensbedingungen bis zum Zeitpunkt der Strafentlassung voraussagen. Danach mußte er fragen, ob unter Zugrundelegung dieser voraussichtlichen Gegebenheiten vom Täter noch weitere erhebliche Taten zu erwarten sind. Im alten Recht fielen also der Zeitpunkt, in dem die Prognose gestellt wurde, und der Zeitpunkt, für den sie gestellt werden mußte, auseinander. Daß nunmehr auch bei den Unterbringungen, die erst nach der Strafverbüßung vollzogen werden, für die Beurteilung der Gefährlichkeit auf den Zeitpunkt der Hauptverhandlung abzustellen ist, ergibt sich aus dem Gesetzeswortlaut ("gefährlich ist") und aus der Existenz des § 67c30 • Nach dieser Vorschrift muß das Gericht vor dem Ende der Strafverbüßung über die Notwendigkeit des Maßregelvollzugs entscheiden. Ein Bedürfnis, die mutmaßliche Weiterentwicklung des Täters und seiner Lebensverhältnisse bereits bei der Anordnungsprognose zu berücksichtigen, besteht nach Aufnahme der Überprüfungsmöglichkeit nicht mehr. Intention des Gesetzgebers bei der Einführung des § 67c war es gerade, die mit zahlreichen Unsicherheitsfaktoren behaftete Prognose künftiger Gefährlichkeit, die sich als Hindernis für die Anordnung von Maßregeln erwiesen hatte, zu beseitigen31 • Auch bei Maßregeln, die erst nach einer Strafverbüßung vollzogen werden, ist demnach der Zeitpunkt der Hauptverhandlung für die Gefährlichkeitsprognose in jeder Hinsicht maßgebend. In diesem und für diesen Zeitpunkt wird die Gefährlichkeit des Täters festgestellt. Wenn etwas undeutlich von "Vorverlegung des Prognosezeitpunkts" die Rede ist, ist damit also die Vorverlegung des Zeitpunkts gemeint, der dem Gefährlichkeitsurteil zugrundezulegen ist. 30 BGHSt. 25,59,61; Lackner, § 66 Anm. 5a ce; Baumann, AT, S. 742; Lenckner, Strafe, Schuld und Schuldfähigkeit, S. 190; Schröder, JZ 1970, 93. 31 Begr. vor § 81 E 1962 S. 207; § 85 S. 214; 1. Bericht, S. 18; Horstkotte, Prot. V,

S.2734.

B. Gefährlichkeit als Anknüpfungspunkt der Maßregeln

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Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bestimmung der Gefährlichkeit ist somit bei allen freiheitsentziehenden Maßregeln einheitlich der Zeitpunkt der Hauptverhandlung 32 • 111. Prognoserelevante Tatsachen

Aus der Vorverlegung des Prognosezeitpunkts folgert die h.M., daß es für die Beurteilung der Gefährlichkeit allein auf die Gegebenheiten im Zeitpunkt der Hauptverhandlung ankommt33 • Künftig eintretende Änderungen sollen nach dieser Auffassung bei der Gefährlichkeitsprognose außer Betracht bleiben3'. Die Ausscheidung künftiger Änderungen aus dem Kreis der prognoserelevanten Tatsachen scheint bei erster Betrachtung dem Wesen des Gefährlichkeitsurteils zu widersprechen. Die Verpflichtung, auch künftige Ereignisse und Entwicklungen zu berücksichtigen, könnte man mit folgender Argumentation begründen: Voraussetzung für die Anordnung einer Maßregel ist die Erwartung, daß der Täter weiterhin den Rechtsfrieden erheblich stören wird. Treten in dem von der Prognose erfaßten Zeitraum mit Sicherheit tiefgreifende Änderungen in der Person oder in den Lebensbedingungen des Täters ein, so kann es im Einzelfall ausgeschlossen oder zumindest wenig wahrscheinlich sein, daß dieser weitere erhebliche Taten begeht. Man denke nur daran, daß bei einem Sittlichkeitstäter eine Kastration oder eine Unterbringung nach landesrechtlichen Vorschriften vorgesehen ist. Zwar lassen sich sichere Aussagen über die Auswirkungen dieser Maßnahmen erst machen, wenn sie bereits eingeleitet oder durchgeführt sind. Dieser Unterschied gegenüber geplanten Maßnahmen ist aber lediglich quantitativer Art. Er hindert nicht die Einbeziehung noch bevorstehender Ereignisse. In dieser auf den ersten Blick plausiblen Argumentation wird nicht deutlich zwischen den Tatsachen, die Grundlage des Gefährlichkeitsurteils sind (Prognosebasis), und der Aussage, die das Gefährlichkeitsurteil enthält (Prognoseinhalt), getrennt.

BGHSt.25, 59, 61; 24, 160, 164; BGH NJW 1978, 599; Schönke / Schröder / vor § 61 Rdnr. 10; Horn, SK, § 61 Rdnr. 14; Dreher / Tröndle, vor § 63 Rdnr. 1; Schröder, JZ 1970, 93. 33 BGHSt.24, 160, 164; Hanack, LK, § 66 Rdnr. 150; JA 1971,238. 34 Dreher / Tröndle, § 66 Rdnr. 15; Horn, SK, § 61 Rdnr. 14; Bockelmann, AT, S.292; Bruns, ZStW 71, 227; Lenckner, Strafe, Schuld und Schuldfähigkeit, S. 203; Pätzold, Eingriffsvoraussetzungen bei freiheitsentziehenden Maßregeln, S.145. 32

Stree,

3. Kap.: Streichung der Erforderlichkeitsklausel

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1. Maßgeblichkeit der gegenwärtigen Verhältnisse

Das Gefährlichkeitsurteil ist per definitionem eine Aussage über die Zukunft und damit notwendig eine Prognose. Gegenstand der Prognose ist das künftige kriminelle Verhalten des Täters. An diesem Inhalt hat die Vorverlegung des Prognosezeitpunkts nichts geändert. Auch im neuen Recht enthält die Feststellung, der Täter sei gefährlich, eine Wahrscheinlichkeitsaussage über dessen weitere Straffälligkeit. Geändert hat sich lediglich der Zeitpunkt, auf den bei der Beurteilung der Gefährlichkeit abzustellen ist. Wie bereits dargelegt, ist für die Prognose bei allen Maßregeln einheitlich der Zeitpunkt der Anordnung, genauer: der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatrichter, maßgebend. Das impliziert, daß die in diesem Zeitpunkt vorliegenden Umstände und Verhältnisse Grundlage des Gefährlichkeitsurteils sind. Vom Gericht wird eine Voraussage gefordert, ob bei dem jetzigen körperlichen, geistigen und seelischen Zustand des Verurteilten und bei seinen augenblicklichen Lebensverhältnissen künftiges kriminelles Verhalten wahrscheinlich ist. Es ist begrifflich unkorrekt, wenn in Erläuterungen zu den neuen Vorschriften teilweise noch immer von "künftiger" Gefährlichkeit oder Gefahr die Rede ist 35 , denn die in der Hauptverhandlung bestehende Wahrscheinlichkeit weiterer Taten begründet eine gegenwärtige und keine zukünftige Gefahr. Sämtliche Maßregeln verlangen zur Feststellung dieser Prognose neben einer Gesamtwürdigung der Taten auch eine Gesamtwürdigung des Täters aufgrund einer eingehenden Beurteilung von Persönlichkeit und Lebensumständen36 • Das Gericht muß zu diesem Zweck das Vorleben des Täters ("Längsschnittanalyse") und seinen derzeitigen Zustand ("Querschnittanalyse"), soweit dies im Rahmen eines Strafprozesses möglich ist37 , erforschen. Die Informationen und Daten über die Entwicklung und die gegenwärtigen Verhältnisse bilden das Material für die Aussage über das künftige kriminelle Verhalten. Bei der Ermittlung der Prognosebasis sind also nur vergangene oder gegenwärtige Umstände oder Ereignisse zu berücksichtigen, künftige Änderungen und Entwicklungen müssen außer Betracht bleiben. Der Umstand, daß in Zukunft bestimmte Änderungen eintreten werden oder könnten, etwa eine Kastration bei einem rückfälligen Sittlichkeits täter, darf in die Gesamtwürdigung nicht einbezogen werden38 • Insofern baut die Auffassung der h.M. auf einem zutreffenden Ausgangspunkt auf. Die konsequente Fort35 z.B. Hanack, LK, vor § 61 Rdnr. 39; Dreher / Tröndle, § 63 Rdnr. 7; Schönke / Schröder / Stree, vor § 61 Rdnr.8.

Beispielhaft OLG Frankfurt NJW 1971, 903. Vgl. dazu v. Hippel, Reform, S. 28 f.; Hanack, LK, vor § 61 Rdnr. 19. 38 Hanack, LK, § 66 Rdnr.153; Schönke / Schröder / Stree, § 66 Rdnr.44; Dreher / Tröndle, § 66 Rdnr. 15. Nicht konsequent ist es allerdings, wenn Dreher / Tröndle die Wahrscheinlichkeit künftiger Besserung berücksichtigen wollen. 36

37

B. Gefährlichkeit als Anknüpfungspunkt der Maßregeln

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führung dieses Ausgangspunkts bedeutet indes nicht, daß alles Zukünftige für das Gefährlichkeitsurteil unerheblich ist39 • 2. Bedeutung künftiger Änderungen für die Gefährlichkeitsprognose

a) Auswirkungen auf den gegenwärtigen Zustand Zunächst ist zu beachten, daß eine bevorstehende, tiefgreifende Änderung Auswirkungen auf den gegenwärtigen Zustand des Täters haben kann. Man stelle sich etwa vor, daß sich einem notorischen Vermögenstäter überraschend begründete Aussichten auf eine Besserung der sozialen und finanziellen Verhältnisse eröffnen oder daß bei einer labilen Persönlichkeit in nächster Zeit eine einschneidende Änderung zu erwarten ist (z.B. Heirat, Geburt eines Kindes, Aufnahme einer Arbeit), die eine stabilisierende Wirkung verspricht. Soweit die erwartete Änderung überhaupt geeignet ist, den Täter von der kriminellen Laufbahn abzubringen, kann schon die Perspektive auf eine bessere Zukunft den Prozeß der Stabilisierung einleiten. Im Einzelfall kann dadurch bereits die gegenwärtige Gefahr weiterer Straffälligkeit zumindest herabgesetzt sein. Der Richter ist durch die Vorverlegung des Prognosezeitpunkts nicht gehindert, diese Erwartung für das Gefährlichkeitsurteil zu verwerten. Denn er berücksichtigt in diesem Fall nicht das zukünftige Ereignis als solches, sondern nur dessen Ausstrahlung auf den gegenwärtigen Zustand des Täters. Eine starre Zweiteilung in eingetretene und bevorstehende Ereignisse kann allzuleicht den Blick für solche möglichen Auswirkungen künftiger Änderungen auf den gegenwärtigen Zustand verbauen und so ein verfälschtes Bild von der Gefährlichkeit vermitteln. Es wird nicht verkannt, daß die praktische Bedeutung dieses Hinweises recht gering zu veranschlagen ist. Bei dem hier betroffenen Personenkreis wird kaum je einer künftigen Änderung in der Person oder der Umwelt des Täters ein derartiger Stellenwert zukommen, daß man bereits für die Gegenwart annehmen kann, die Gefährlichkeit sei beseitigt. Ausnahmen sind im Einzelfall bei haltlosen Tätern denkbar, die aus Willensschwäche immer wieder rückfällig werden und die von der h.M. als gefährliche Hangtäter eingestuft werden, sofern ihr kriminelles Handeln die Grenze der Erheblichkeit erreicht40 •

39 BGHSt. 25, 59, 63 mit krit. Anm. Schröder, JR 1973, 160; ähnlich BGH NJW 1972,347. 40 BGHSt.24, 160, 164; BGH MDR 1980, 326; Schönke / Schröder / Stree, § 66 Rdnr. 33; Hanack, LK, § 66 Rdnr. 81 f.; a.A. Horstkotte, JZ 1970, 155; Hellmer, ZStW 73, 451.

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3. Kap.: Streichung der Erforderlichkeitsklausel b) Gegenwärtig vorhandene Bedingungen für den Eintritt eines künftigen Ereignisses

Ferner ist bei der Ermittlung der Prognosetatsachen zu bedenken, daß Gegenwart und Zukunft im Bereich der Prognose nicht beziehungslos nebeneinander, sondern in gegenseitiger Wechselwirkung stehen. Die h.M. stellt bei der Abgrenzung zwischen gegenwärtigen und zukünftigen Umständen einseitig auf den zeitlichen Aspekt des Eintritts eines Ereignisses ab und verkennt, daß immer schon ein Teil der Bedingungen für den Eintritt des zukünftigen Ereignisses in der Gegenwart vorhanden ist und insoweit für die Prognose bedeutsam sein kann. Um dies an einem Beispiel zu verdeutlichen: Hat der psychisch kranke Rechtsbrecher die Absicht, seine Krankheit, die Ursache seiner Taten ist, intensiv behandeln zu lassen, so ist zwar die Behandlung ein zukünftiges, also prognoseirrelevantes Ereignis, der Wille des Täters ist aber eine gegenwärtige (innere) Tatsache. Die im Zeitpunkt der Hauptverhandlung bestehende Absicht des Täters ist somit ein Faktor, der bei der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen ist. Ebenso ist die gegenwärtig vorhandene Bereitschaft des Täters oder seiner Angehörigen, eine andere (mildere) Maßnahme zur Bekämpfung des kriminellen Hanges einzuleiten, ein prognoserelevanter Umstand. Die Einbeziehung solcher Vorbedingungen verwischt die künstliche, ohnehin nicht exakt feststellbare Grenze zwischen gegenwärtigen und zukünftigen Umständen und läßt fließende übergänge entstehen. Praktische Konsequenzen dürfte diese Korrektur an der Lösung der h.M. indes kaum haben. Die in der Hauptverhandlung vorliegende Bedingung für eine künftige Änderung ist nur eine von vielen prognoserelevanten Tatsachen, und ihr Gewicht ist bei der Gesamtwürdigung um so geringer, je weiter das Ereignis zeitlich entfernt liegt und je mehr andere Bedingungen für seinen Eintritt noch wirksam werden müssen. In aller Regel werden Eintritt und Auswirkung der beabsichtigten Änderung zu unsicher sein, als daß man darauf gestützt eine ansonsten gegebene Wahrscheinlichkeit weiterer Straftaten verneinen könnte. Dies gilt wegen der zeitlichen Entfernung und den damit verbundenen Unwägbarkeiten insbesondere für Ereignisse, die erst nach Vollstreckung der Strafe eintreten können. So ist es zwar theoretisch vorstellbar, aber praktisch wohl höchst selten, daß eine nach Strafverbüßung vorgesehene Änderung bereits die gegenwärtige Gefährlichkeit ausschließt. Namentlich wird das Anerbieten von Angehörigen, den Täter nach Entlassung aufzunehmen und zu betreuen, auch bei durchaus ernster Bereitschaft und bei allem guten Willen kaum ausreichen. c) Berücksichtigung der vorweg zu vollziehenden Strafe? Da bei Anordnung der Sicherungsverwahrung der Täter zwingend zuerst eine Strafe verbüßen muß, wird er in absehbarer Zeit keine er-

B. Gefährlichkeit als Anknüpfungspunkt der Maßregeln

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heblichen Straftaten mehr begehen können. Im Zeitpunkt der Maßregelanordnung steht als gegenwärtige Tatsache fest, daß der Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist. Daß er sich künftig im Strafvollzug befinden wird, ist eine höchst wahrscheinliche Folge der Verurteilung. Gleichwohl besteht kein Zweifel, daß dieser Umstand bei der Gefährlichkeitsprognose nicht berücksichtigt werden kann41 • Das Gefährlichkeitsurteil darf bei Anordnung der Sicherungsverwahrung die Zeit der Strafverbüßung nicht einbeziehen. Die Voraussage über das kriminelle Verhalten des Gefangenen im Vollzug ist ohne jeden praktischen Sinn, da die Allgemeinheit für die Zeit der Strafverbüßung ohnehin gesichert ist. Um die Maßregel nicht weitgehend unanwendbar zu machen, muß bei der Prognose entweder die Tatsache der anschließenden Strafverbüßung außer Betracht bleiben, oder die Prognose muß sich auf die Zeit nach der Strafentlassung beziehen. Die Beseitigung der letztgenannten Regelung, die im alten Recht galt, war gerade die erklärte Absicht des Gesetzgebers bei der Vorverlegung des Prognosezeitpunkts42 • Mit der Einführung des § 67c verfolgte er das Ziel, die Gefährlichkeitsprognose von der schwierigen Voraussage über die Entwicklung des Täters im Vollzug zu entlasten. In Rechtsprechung und Literatur ist man sich völlig darüber einig, daß sich der Richter bei der Gesamtwürdigung nicht mit der Auswirkung des Strafvollzugs auseinandersetzen muß 43 • Die Gefährlichkeitsprognose muß demnach bei Maßregeln, deren Vollzug eine Strafverbüßung vorausgeht, zwar auch grundsätzlich von den Verhältnissen im Zeitpunkt der Hauptverhandlung ausgehen, dabei aber die Tatsache, daß der Täter sich in nächster Zeit in Haft befinden wird, unberücksichtigt lassen. Der Richter muß ein hypothetisches Urteil abgeben: "Wäre der Täter gefährlich, wenn er unbestraft bliebe und sofort in Freiheit kämeu ." IV. Ausnahmen vom Grundsatz, daß für die Prognose die gegenwärtigen Verhältnisse maßgebend sind

Faßt man die Ausführungen zum Prognosezeitpunkt und zu den Prognosetatsachen zusammen, so ist als wichtigstes Ergebnis hervorzuheben, daß bei allen Maßregeln auf die Gefährlichkeit im Zeitpunkt der Hauptverhandlung abzustellen ist. Bei Unterbringungen, deren Vollzug eine Strafverbüßung vorausgeht, ist die Prognose so zu stellen, als würde der Täter sofort in die Freiheit entlassen. Grundsätzlich sind bei der Gesamtwürdigung nur die in der Hauptverhandlung vorliegenden, vergangenen Vgl. Begr. zu § 85 E 1962 S. 214. Siehe oben Fußn. 31. 43 BGH 2 StR 252/77 v. 3.8.1977; Hanack, LK, § 66 Rdnr.152; Lackner, § 66 Anm. 5 ace; Baumann, AT, S. 754. 44 Horn, SK, § 66 Rdnr. 22; Pätzold, Eingriffsvoraussetzungen bei freiheitsentziehenden Maßregeln, S. 145; Schröder, JR 1973,160; JA 1971, 238. 41

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3. Kap.: Streichung der Erforderlichkeitsklausel

und gegenwärtigen Tatsachen zu berücksichtigen. Eine strikte Abgrenzung gegenüber künftigen Umständen ist freilich angesichts der gegenseitigen Wechselwirkung zwischen Gegenwart und Zukunft nicht durchführbar. über diese Einschränkung hinaus sind Fälle denkbar, bei denen eine Ausnahme von dem Grundsatz, daß es für die Anordnung einer Maßregel nur auf die gegenwärtigen Verhältnisse ankommt, gemacht werden muß. Schröder zeigt die Problematik an folgendem Beispielsfall auf45 : Gegen einen noch vitalen 60jährigen Fassadenkletterer wird eine hohe Freiheitsstrafe verhängt. Es läßt sich bereits jetzt absehen, daß der Täter nach Ende der Strafhaft wegen seines hohen Alters nicht mehr zur Begehung der für ihn typischen Delikte imstande sein wird. Noch krasser liegt der Fall, wenn der Verurteilte an einer unheilbaren Krankheit leidet, die zu einer fortschreitenden Einschränkung der körperlichen Bewegungsfreiheit führen wird. Obwohl die Verhängung einer Präventivmaßnahme gegen diese Täter offenkundig nicht erforderlich ist, müßte nach neuem Recht - unterstellt, die sonstigen Voraussetzungen liegen vor - Sicherungsverwahrung angeordnet werden. Der künftige Wegfall der Gefährlichkeit wirkt sich hier nicht auf die gegenwärtigen Verhältnisse aus. Stellt man bei der Anordnungsprognose allein auf den gegenwärtigen Zustand ab, so ist die Wahrscheinlichkeit weiterer Taten zu bejahen. Dennoch wollen sowohl Schröder46 als auch Hanack 47 in diesem Fall von der Anordnung einer Maßregel absehen. Im übrigen Schrifttum wird die Frage kaum behandelt, was zum Teil sicherlich mit dem Ausnahmecharakter dieser Konstellation zusammenhängt. Ein weiterer Grund scheint aber darin zu liegen, daß man die Anordnung der Sicherungsverwahrung wegen der später möglichen Aussetzung der Vollstreckung für vertretbar hält. Auf diese Einschätzung deuten auch Verlauf und Ergebnis der Beratungen in der Großen Strafrechtskommission hin: Die vorläufigen Fassungsvorschläge der Sachbearbeiter des Bundesjustizministeriums enthielten noch eine ausdrückliche Regelung, daß Sicherungsverwahrung nicht angeordnet werden darf, wenn der Schutz 45 JR 1973,160 und Schönke / Schröder, 17. Aufl., § 42e a.F. Rdnr.40, 53. Vergleichbar ist das von Hanack (LK, § 66 Rdnr. 152) gebildete Beispiel: Ein Sittlichkeitsverbrecher hat sich kastrieren lassen. Der Eingriff hat im Zeitpunkt der Hauptverhandlung seine spezifischen Folgen für den Geschlechtstrieb noch nicht gezeitigt, wird aber nach dem Gutachten des Sachverständigen bis zum Ende der Strafverbüßung wirksam geworden sein. 46 JR 1973, 160. Seine Begründung, daß "Vernunftgründe" die Verhängung einer Maßregel nicht zulassen, ist freilich nichtssagend. 47 LK, § 66 Rdnr.152; ebenso Lang-IIinrichsen, LK, 9. Aufl., § 42e a.F. Rdnr. 85; a.M. Blei, AT, S. 395; Bockelmann, AT, S. 292; zweifelnd Horstkotte, JZ 1970, 156 Fußn. 81.

B. Gefährlichkeit als Anknüpfungspunkt der Maßregeln

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der Allgemeinheit schon durch die Strafe gewährleistet ist48 • Dieser Passus beruhte auf der Erwägung, daß in bestimmten Fällen eine Strafe von langer Dauer eine zusätzliche Sicherungsmaßnahme überflüssig machen kann48 • In der Kommission glaubte man indes, auf diese Einschränkung verzichten zu können, weil "notwendige Korrekturen" am Ende des Strafvollzugs vorgenommen werden könnten50 • Diese Auffassung herrscht auch heute noch vor, soweit überhaupt die Problematik erkannt und behandelt wird 51 • Dabei wird übersehen, daß bereits mit der Anordnung der Sicherungsverwahrung erhebliche rechtliche und psychologische Folgen verbunden sind. 1. Mit der Anordnung der Sicherungsverwahrung verbundene Belastungen

a) Stigmatisierung des Verurteilten Innerhalb des strafrechtlichen Sanktionensystems ist die Sicherungsverwahrung die letzte Notmaßnahme der Kriminalpolitik. In den Gesetzesberatungen im Rahmen der Strafrechtsreform wurde ihr "ultimaratio-Charakter" und die Beschränkung ihres Anwendungsbereichs auf wirklich gefährliche Täter immer wieder betont5!. Die Tatsache, daß die Rechtsordnung zu diesem Mittel greifen muß, kennzeichnet den Betroffenen als einen chronisch kriminellen Schwerverbrecher, vor dem die Allgemeinheit über den Strafvollzug hinaus geschützt werden muß. Im Bewußtsein und in der Beurteilung der Öffentlichkeit bedeutet die Sicherungsverwahrung auch heute noch die Absonderung der Unverbesserlichen53 • Diese Stigmatisierung tritt nicht erst mit dem Vollzug, sondern schon mit der Anordnung der Maßregel ein und wird durch den Verzicht auf die Vollstreckung nicht wieder beseitigt. Die soziale Umwelt des Täters wird häufig nur von der Verhängung der Sicherungsverwahrung erfahren und sich daraufhin ihr Urteil bilden; ob der Betroffene dann nur die Strafe oder auch noch die Maßregel verbüßt, wird ihr meistens nicht einmal bekannt werden. Auf den Angeklagten selbst kann die Anordnung der Sicherungsverwahrung tiefgreifende psychologische Wirkungen haben. UntersuchunVgl. Ndschr. Bd. 3, Anh. Nr. 23. Siehe Begr. zu § 45 E 1925, S. 41; Begr. zu § 59 E 1927, S. 48; DTeheT, Ndschr. Bd. 3, S. 175; Schafheutle, Ndschr. Bd. 3, S. 268. 50 Schafheutle, Ndschr. Bd. 3, S. 275 und Bockelmann, Ndschr. Bd. 3, S. 268. 51 PTeisendanz, vor § 61 Anm. 5; WackeT, Sicherungsverwahrung und Grundgesetz, S. 84. 52 Vgl. HOTstkotte, Prot. V, S. 2298; 1. Bericht, S. 19. 53 Schafheutle, Prot. IV, S.320; StuTm, Prot. V, S.318; KTebs, Mayer-Festschr. (1966), S. 650; MeyeT-Velde, Sicherungsverwahranstalten, S. 65; MauTach, Gutachten, S. 41; Hanack, Krim. Gegenwartsfragen, 1972, 79. 48 49

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3. Kap.: Streichung der Erforderlichkeitsklausel

gen zeigen, daß die Sicherungsverwahrung in "Verbrecherkreisen" wegen ihres strafähnlichen Vollzugs, ihrer unbestimmten Dauer und ihres sozial diffamierenden Charakters besonders gefürchtet ist5t • Das Gefühl, nun von der Gesellschaft endgültig abgeschrieben zu sein, läßt den Täter nach einer kurzen Phase des Aufbegehrens oft in dumpfe Resignation verfallen. Niedergeschlagenheit und Hoffnungslosigkeit sind häufig zu beobachtende Reaktionen auf den Ausspruch der Sicherungsverwahrung 55 • b) Nachteile im Strafvollzug Die Anordnung der Sicherungsverwahrung ist ein bestimmender Faktor bei der Erstellung des Vollzugsplans nach § 7 StVollzG. Die Vollzugsplanung und -gestaltung wird an der Tatsache ausgerichtet, daß nach dem Strafvollzug noch eine freiheits entziehende Maßregel vollstreckt werden soll. Es ist ganz herrschende Meinung, daß die Prüfung nach § 67c erst kurz vor Ende der Strafverbüßung erfolgen darf56 • Die Rechtsprechung lehnt es unter Hinweis auf Entstehungsgeschichte und Sinn der Vorschrift ausdrücklich ab, die überprüfung im Hinblick auf eine spätere Aussetzung des Maßregelvollzugs vorzuverlegen57 • Die Lage eines Strafgefangenen, der im Anschluß an die Strafzeit mit dem Vollzug der Sicherungsverwahrung rechnen muß, unterscheidet sich grundlegend von der eines Strafgefangenen, der nach Verbüßung der verhängten Strafe (und im Rahmen des § 57 schon vorher) in Freiheit zu setzen ist58 • Die bundeseinheitlichen Verwaltungsvorschriften zum Strafvollzugsgesetz schließen Gefangene, gegen die eine freiheitsentziehende Maßregel angeordnet und noch nicht vollzogen ist, grundsätzlich von der Möglichkeit des offenen Vollzugs (vgl. VV Nr. 1 d zu § 10 StVollzG), der Vollzugslockerung (vgl. VV Nr. 5d zu § 11 StVollzG) und der Urlaubsgewährung (vgl. VV Nr. 3 d zu § 13 StVollzG) aus59 • Die Belastung mit einer Maßregel anordnung verschlechtert also bereits die Ausgangslage gegenüber einem normalen Strafgefangenen. Die Ausrichtung des Behandlungskonzepts an der Tatsache der nachfolgenden Maßregelvollstreckung kann einen verhängnisvollen Zirkel in 54 Siehe die Aussagen der Betroffenen bei HeHmer, Gewohnheitsverbrecher, S. 359 ff. 55 Krebs, Mayer-Festschr. (1966), S. 642; Meyer-Velde, Sicherungsverwahranstalten, S. 65. 5ft OLG Hamm GA 1972, 373; OLG Köln JMBlNRWI977, 77; Lackner, §67c Anm. 1 a; Schönke / Schröder / Stree, § 67 c Rdnr.5; a.A. LG Bonn JMBlNRW 1976,249. 57 OLG Hamm GA 1972, 373; OLG Köln JMBlNRW 1977,77. 58 Maetzel, MDR 1971, 87; LG Bonn JMBlNRW 1976,249. 59 Die Verwaltungsvorschriften lassen Ausnahmen nur mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde zu, vgl. VV Nr. 1 Abs. 2 zu § 10 StVollzG; VV Nr. 5 Abs.2 zu § 11 StVollzG und VV Nr. 3 Abs. 2 zu § 13 StVollzG.

B. Gefährlichkeit als Anknüpfungspunkt der Maßregeln

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Gang setzen: Das Bestehen einer Unterbringungsanordnung schließt zwar nach h.M. die Aussetzung des Strafrestes nach § 57 nicht aus80 , die Aussichten sind aber bei der geschilderten Vollzugsgestaltung für diesen Täterkreis sehr ungünstig. Wegen der Verweigerung von Vollzugserleichterungen und der Vernachlässigung resozialisierender Programme fehlen Erkenntnisse über das Verhalten des Strafgefangenen in Test- und Bewährungssituationen. Die zwangsläufig dünne Beurteilungsbasis kann sich bei der Entscheidung nach § 57 zuungunsten des Täters auswirken81 • Hinzu kommt als weiterer negativer Faktor, daß die psychische Situation nach Anordnung der Sicherungsverwahrung eher durch Trotzreaktionen oder passive Scheinanpassung als durch aktive Bereitschaft zur Mitarbeit an resozialisierungsfördernden Maßnahmen gekennzeichnet sein wird. Insgesamt gesehen ist die Gefahr groß, daß der Strafgefangene, der mit der Hypothek einer Maßregel anordnung belastet ist, nach Aussetzung der Unterbringung unter ungünstigen Vorzeichen entlassen wird. Der Strafvollzug hat ihn nicht auf die Freiheit, sondern auf die Verwahrung vorbereitet 82 • Es liegt auf der Hand, daß es unter diesen Umständen dem Verurteilten schwer fallen wird, nach der Entlassung ein Leben in sozialer Verantwortung zu führen. c) Vorbelastung durch die Anordnung Die bloße Anordnung der Sicherungsverwahrung hat auch insofern Bedeutung, als im Falle einer weiteren Anordnung deren Vollstreckung nicht mehr an die Höchstfrist von zehn Jahren gebunden ist, wie sich aus dem Umkehrschluß aus § 67d Abs. 1 ergibt. Die erste Anordnung zählt nämlich auch dann, wenn sie nicht vollstreckt wird83 • d) Belastungen nach Verbüßung der Strafe Schließlich ist zu bedenken, daß die Anordnung einer Maßregel gegenüber einem Verurteilten, der zum Entlassungstermin ungefährlich sein wird, weitreichende Folgewirkungen über die Zeit der Strafverbüßung hinaus auslöst. Die Aussetzung der Maßregel vollstreckung erfolgt immer nur zur Bewährung, d.h. über dem Entlassenen schwebt noch für mindestens zwei Jahre (§§ 67 g Abs. 5 LV.m. 68 c Abs. 1) das Damoklesschwert des Widerrufs. Mit der Aussetzung tritt kraft Gesetzes (§ 67c Abs. 1 S. 2) Führungsaufsicht ein. Ohne auf die damit verbundenen Belastungen an 80 OLG Stuttgart MDR 1975, 241; OLG Neustadt NJW 1956, 70; Lackner, § 57 Anm.5a; Maetzel, MDR 1971, 86; Pätzold, Eingriffsvoraussetzungen bei

freiheitsentziehenden Maßregeln, S. 29. 81 Müller-Dietz, NJW 1973, 1068. 82 Jescheck, ZStW 80, 83; Maetzel, MDR 1971, 87; LG Bonn JMBINRW 1976, 249. 83 Dreher / Tröndle, § 67 d Rdnr. 2.

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3. Kap.: Streichung der Erforderlichkeitsklausel

dieser Stelle im einzelnen einzugehen64, kann jedenfalls festgestellt werden, daß die Führungsaufsicht als staatliche Zwangsmaßnahme fühlbar in die Lebensgestaltung des Betroffenen eingreift. Die Zusammenstellung zeigt, welche Belastungen rechtlicher und psychologischer Natur die bloße Anordnung der Sicherungsverwahrung auch bei einem Täter auslöst65 , bei dem die Unterbringung nach Strafverbüßung mangels Gefährlichkeit nicht vollstreckt werden wird. 2. Rechtfertigung für diese Belastungen

Es liegt nahe, die Prüfung der Legitimation dieser Eingriffe mit einer Kritik der verschiedenen zur Rechtfertigung vorbeugender Maßnahmen vertretenen Theorien 66 einzuleiten und zunächst ganz allgemein der Frage der Rechtfertigung von Maßregeln nachzugehen. Eine grundlegende Auseinandersetzung mit den einzelnen Theorien oder gar der Versuch, einen eigenen Ansatz zu entwickeln, kann im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden, ist aber zur Lösung der hier anstehenden Frage auch nicht erforderlich. Es reicht aus, sich auf die Ausgangslage zu besinnen, in der die Notwendigkeit von Präventivmaßnahmen überhaupt aktuell wird. Will ein Gemeinwesen ein geordnetes Zusammenleben gewährleisten, kann es sich nicht mit der repressiven Ahndung von Rechtsverletzungen begnügen, sondern muß präventive Maßnahmen zur Verhinderung künftiger Straftaten ergreifen. In diesem Sinne ist die Notwendigkeit vorbeugender Gefahrenabwehr ernsthaft nicht bestritten. Sie findet ihre Rechtfertigung in dem Sicherungsbedürfnis der staatlichen GemeinsC'.haft67 • Unabdingbare Voraussetzung für die Anordnung von Vorbeugungsmaßnahmen ist eine akute Bedrohung der Allgemeinheit. Ob man nun die Befugnis des Staates zu vorbeugender Gefahrenabwehr mit rechtsethischen Erwägungen, mit nüchternen Zweckmäßigkeitsüberlegungen oder mit dem Gesichtspunkt des überwiegenden Interesses begründet, alle Theorien gehen von einer Situation aus, in der das Gemeininteresse an Verbrechensverhütung mit dem Freiheitsinteresse des 6' Die Frage wird uns noch in anderem Zusammenhang eingehend beschäftigen, vgl. unten C. IX. 65 Neben den im Text genannten werden in der Literatur auch prozessuale Nachteile angeführt (Maurach, Gutachten, S.21, 40; Köhler, NJW 1975, 1151; Schröder, JZ 1970, 92), weil über die Vollstreckung der Maßregel nicht das erkennende Gericht im Urteilsverfahren, sondern die Strafvollstreckungskammer (§§ 463 StPO, 78 a GVG) in dem formloseren Beschlußverfahren entscheidet. Ob dies aber im Ergebnis eine prozessuale Schlechterstellung des Verurteilten bedeutet, erscheint zweifelhaft (verneinend Lackner, Verhandlungen, S. E 94). 66 Knappe Darstellung und Hinweise im 1. Kap. A. VI. 67 Schönke / Schröder / Stree, vor § 61 Rdnr. 2; ähnlich Hanack, LK, vor § 61 Rdnr.28; näher Sax, Grundsätze der Strafrechtspflege, S.956, 965; Schmidhäuser, AT, S. 839.

B. Gefährlichkeit als Anknüpfungspunkt der Maßregeln

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potentiellen Täters kollidiert. Eine zum Schutz der Rechtsordnung sachlich nicht erforderliche Rechtsfolge kann als unnötig belastender Eingriff nie gerechtfertigt sein68 • Steht im Zeitpunkt der Hauptverhandlung schon fest, daß der Täter am Ende der Strafverbüßung ungefährlich sein wird, kann der Interessenkonflikt, der Anknüpfungspunkt für die Verhängung einer Maßregel ist, überhaupt nicht eintreten. Für die Dauer der Gefährlichkeit ist die Gemeinschaft durch den Strafvollzug gesichert. Nach Strafverbüßung wird dem Freiheitsinteresse des dann ungefährlichen Täters kein Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit mehr gegenüberstehen. Das Sicherungsbedürfnis kann nicht damit begründet werden, daß die Feststellung, der Täter werde nach Strafverbüßung ungefährlich sein, wie jedes Prognoseurteil mit einem Zweifel behaftet ist. Diese prognosetypische Ungewißheit reicht zur Rechtfertigung der mit der Anordnung verbundenen Eingriffe in die Freiheitssphäre des Betroffenen nicht aus. Die Möglichkeit der Delinquenz ist bei keinem Menschen je auszuschließen. Insoweit handelt es sich um eine Gefahr, die jedes gesellschaftliche Zusammenleben unvermeidlich mit sich bringt und die die Gemeinschaft hinnehmen muß. Es muß eingeräumt werden, daß die hier vertretene Lösung starken kriminalpolitischen Bedenken ausgesetzt ist. Ist der Verurteilte am Ende der Strafverbüßung entgegen allen Erwartungen doch noch gefährlich, so ist eine im Interesse der öffentlichen Sicherheit gebotene Unterbringung, nachdem in der Hauptverhandlung davon abgesehen wurde, nicht mehr möglich. Obwohl dieser Einwand schwer wiegt, schlägt bei einer Gesamtbetrachtung im Ergebnis nicht durch: Daß die einmal unterbliebene Anordnung einer Maßregel nicht nachgeholt werden kann, ist die Konsequenz der gesetzlichen Ausgestaltung des Maßregelsystems, das dem erkennenden Gericht die alleinige Entscheidungsbefugnis über die Anordnung einer Unterbringung zuweist. Das Fehlen einer nachträglichen Anordnungsmöglichkeit wird immer dann als eine Lücke im Maßregelsystem empfunden werden, wenn eine im Prognosezeitpunkt fehlende Bedingung bis zum Ende der Strafverbüßung eingetreten ist. So ist es beispielsweise bei den derzeitigen Verhältnissen im Strafvollzug keineswegs ausgeschlossen, daß ein Täter, bei dem im Zeitpunkt der Hauptverhandlung der für eine ungünstige Prognose erforderliche Wahrscheinlichkeitsgrad nicht vorlag, aufgrund einer ungünstigen Entwicklung im Vollzug bei Entlassung gefährlich ist. Dem Gesetzgeber war diese Problematik vom alten Recht her bekannt. Dort fiel im Zeitpunkt der Hauptverhandlung die in jeder Hinsicht un6A OLG Frankfurt NJW 1978, 2347; Schänke I Schräder I Stree, vor § 38 Rdnr. 1; Nowakowski, v. Weber-Festschr. (1963), S. 103.

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3. Kap.: Streichung der Erforderlichkeitsklausel

korrigierbare Entscheidung über die Anordnung oder Nichtanordnung einer Maßregel. Der Reformgesetzgeber hat an diesem problematischen Zustand insofern nur zugunsten des Verurteilten etwas geändert, als er die Möglichkeit geschaffen hat, die Vollstreckung einer angeordneten Maßregel nach Strafverbüßung auszusetzen69 • Von der Einführung einer nachträglichen Änderung zuungunsten des Täters hat er bewußt abgesehen und damit in Kauf genommen, daß ein Verurteilter in diesem Fall trotz bestehender Gefährlichkeit in die Freiheit entlassen wird. Ein System vorbeugender Gefahrenabwehr, das den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit verpflichtet ist, wird in gewisser Weise immer unvollkommen sein. Mit jeder Regelung, die nicht einseitig die Sicherungsinteressen der Allgemeinheit vor die Wahrung der Freiheit des einzelnen stellt, steht zwangsläufig nur ein grobmaschiges Netz zur Verfügung. Daß hin und wieder ein gefährlicher Täter durch dessen weite Maschen schlüpft, ist nur dadurch zu verhindern, daß man das Netz so eng wie möglich knüpft. Dann werden sich darin zwar alle gefährlichen Täter verfangen, aber auch solche, bei denen die Beschränkung der individuellen Freiheit zum Schutz des Gemeininteresses an Verbrechensverhütung nicht unerläßlich ist. Ein Maßregelrecht, das rechtsstaatlichen Grundsätzen genügen will, darf nicht sozusagen "sicherheitshalber" vorbeugende Maßnahmen zulassen. Verbrechensverhütung ist kein Höchstwert; ein gewisses Risiko muß die Allgemeinheit hinnehmen70 • Bei aller Notwendigkeit der Prävention kommt der Freiheit in einer rechtsstaatlichen Ordnung ein besonderer Rang zu. Wie Schmidhäuser in diesem Zusammenhang zutreffend feststellt, lebt ein menschenwürdiges Gemeinwesen nicht nur von der Aufrechterhaltung der Ordnung, sondern auch von der größtmöglichen Freiheit seiner Glieder7l •

3. Zusammenfassung Die Anordnung einer Maßregel muß unterbleiben, wenn der Verurteilte nach Strafverbüßung keine Gefahr mehr darstellen kann und damit eine Präventivmaßnahme offenkundig sinnlos ist. Der Hinweis auf die Möglichkeit der Vollstreckungs aussetzung ist in diesem Fall nur eine unzureichende Antwort. Denn die Aussetzung der Vollstreckung verhindert nur, daß alle weitreichenden Folgen der Sicherungsverwahrung in voller Schärfe zum Tragen kommen. Es ist insoweit Hanack zuzustimmen, der die Anordnung einen "viel zu ernsten Eingriff" nennt, als daß man Krit. Schröder, JZ 1970,95; JA 1971,238. Stree, In dubio pro reo, S.97; Nowakowski, v. Weber-Festschr. (1963), S.105. 71 AT, S. 819; siehe auch Nowakowski, v. Weber-Festschr. (1963), S. 103 und Krim. Gegenwartsfragen 1972, 9. 6V

70

B. Gefährlichkeit als Anknüpfungspunkt der Maßregeln

79

ihn dem Betroffenen zumuten dürfte, wenn er erkennbar überflüssig isf2. Allerdings muß, worauf Hanack ebenfalls nachdrücklich hinweist73 , und was auch hier noch einmal hervorgehoben werden soll, der Wegfall der Gefährlichkeit im Urteilszeitpunkt mit größtmöglicher Sicherheit feststehen. Nur in diesem eng begrenzten Ausnahmefall kann der Grundsatz durchbrochen werden, daß es für die Anordnung einer Maßregel nur auf die Verhältnisse im Prognosezeitpunkt ankommt und künftige Änderungen außer Betracht bleiben. Die Befürchtung, daß dadurch die im alten Recht bemängelten Prognoseschwierigkeiten in die Neuregelung übernommen werden, ist nicht begründet, da die Ausnahme auf eindeutig erkennbare Fälle beschränkt bleibt. Daß mit dieser Ausnahme gleichwohl ein Moment der Unsicherheit in die klare Gesetzesregelung kommt, ist einzuräumen, aber angesichts der Bedenken gegen eine "sichere" Regelung hinzunehmen. Nachdem nun Klarheit über Inhalt, Grundlagen und Zeitpunkt des Gefährlichkeitsurteils gewonnen ist, ist die Ausgangsfrage zu untersuchen, ob bereits eingeleitete mildere Maßnahmen bei der Anordnungsprognose eine Rolle spielen können. V. Berücksichtigung bereits eingeleiteter milderer Maßnahmen bei der Gefährlichkeitsprognose

Sind noch vor der Hauptverhandlung außerstrafrechtliche Maßnahmen gegen den Täter ergriffen worden oder hat dieser sich freiwillig einer milderen Maßnahme unterzogen, stellt sich die Frage, ob der Täter überhaupt noch gefährlich ist. Als solche Maßnahmen kommen in Betracht: -- Betreuung und Überwachung des Täters durch Familienangehörige -

Bestellung eines Vormunds oder Pflegers

-

Psychotherapeutische oder medikamentöse Behandlung

-

Freiwilliger Eintritt in eine Anstalt (insbesondere in eine Entziehungsanstalt)

-- Unterbringung nach Landesrecht. Unter einem milderen Mittel in diesem Sinn sind also alle vom Täter freiwillig eingeleiteten Maßnahmen zur Beseitigung der Gefährlichkeit zu verstehen sowie staatliche Maßnahmen, die die Freiheits- und Persönlichkeitssphäre des Betroffenen weniger beeinträchtigen als eine strafrechtliche Unterbringung.

72 73

LK, § 66 Rdnr. 151. LK, § 66 Rdnr. 152.

80

3. Kap.: Streichung der Erforderlichkeitsklausel 1. Gejahrbeseitigung durch Änderungen in der Person des Täters

Unstreitig ist, daß die Gefährlichkeit beseitigt sein kann, wenn tiefgreifende körperliche (etwa eine schwere Krankheit, Gebrechlichkeit, Altersabbau, Kastration bei einem Sittlichkeitstäter) oder auch psychische (z.B. ein später Reifeprozeß) Änderungen in der Person des Täters eingetreten sind 74 • Der (mehr in Lehrbuchbeispielen als im Leben vorkommende) gelähmte Fassadenkletterer, der blind gewordene Geldfälscher oder der Sexualtäter, dessen Libido erloschen ist, ist infolge der eingetretenen Veränderungen nicht mehr gefährlich. 2. Gejahrbeseitigung durch Änderungen in den Lebensbedingungen des Täters

Die h.M. nimmt auch an, daß die Gefährlichkeit entfallen kann, wenn sich die Lebensverhältnisse des Täters grundlegend geändert haben75 • Die in diesem Bereich in Betracht kommenden Änderungen sind zu vielgestaltig, als daß sie hier erschöpfend aufgezählt werden können. Als Beispiele seien genannt: -

Verbesserung der wirtschaftlichen Lage

-

Änderungen im familiären Bereich (Heirat, Geburt eines Kindes)

-

Änderungen in der sozialen und kulturellen Umwelt (Aufgabe schlechten Umgangs, Wohnungswechsel, stabilisierende partnerschaftliche Beziehung)

-

Änderungen im beruflichen Bereich (Arbeitsaufnahme, ArbeitswechseI).

Teilweise sind die Aussagen über die rechtliche Einordnung von Änderungen in den Lebensbedingungen allerdings nicht eindeutig. In manchen Stellungnahmen zum neuen Recht werden beispielsweise die Tatsache der Eheschließung oder der Arbeitsaufnahme nur im Zusammenhang mit der Aussetzung der Vollstreckung erwähnt76 • Soweit damit zum Ausdruck gebracht werden soll, daß solche Umstände bei der Gefährlichkeitsprognose nicht berücksichtigt werden dürfen, kann dieser Meinung nicht gefolgt werden. Für eine unterschiedliche dogmatische Einordnung von Änderungen in der Person und Änderungen in den 74 Dreher / Tröndle, § 66 Rdnr. 15; Hanack, LK, § 66 Rdnr. 147; Preisendanz, vor § 61 Anm.4; Maurach / Zipf, AT 2, S.358; Lenckner, Strafe, Schuld und Schuldfähigkeit, S. 203; Bockelmann, AT, S. 278; unklar Warda, Die Grundlagen des richterlichen Ermessens, S. 150; Rösch, Ndschr. Bd. 3, S. 367; vgl. zum alten Recht 2. Kap. Fußn. 37,38. 7S Hanack, Dreher / Tröndle, Lenckner (Fußn. 74); Neu, Die Sicherungsverwahrung nach der Strafrechtsreform, S. 68; vgl. auch OLG Frankfurt 1977, 2175. 76 Lang-Hinrichsen, Gutachten, S. 53; Horstkotte, Prot. V, S.464; undeutlich Bruns, ZStW 71, 243.

B. Gefährlichkeit als Anknüpfungspunkt der Maßregeln

81

Lebensbedingungen des Täters ist kein einleuchtender Grund ersichtlich. Ein signifikanter Unterschied besteht in der praktischen Bedeutung. Es ist zwar im Einzelfall denkbar, daß eine der genannten Änderungen in den äußeren Verhältnissen, etwa eine die persönlichen Verhältnisse konsolidierende Eheschließung, einen bisher haltlosen Straftäter von weiteren Rechtsverletzungen abhält. In aller Regel werden aber noch begründete Zweifel hinsichtlich einer Besserung offenbleiben, und im Ergebnis wird eine fortbestehende Gefährlichkeit anzunehmen sein. Bei den erwähnten körperlichen Veränderungen ist dagegen (jedenfalls in den drastischen Beispielen der Lähmung und Erblindung) der Wegfall der Gefährlichkeit offenkundig. Der Unterschied in der tatsächlichen Bedeutung hat jedoch keine Auswirkungen auf die rechtliche Einordnung. Änderungen in den Lebensverhältnissen des Täters, die im Zeitpunkt der Hauptverhandlung bereits eingetreten sind, müssen ebenso wie körperliche Änderungen in die Gesamtwürdigung bei der Gefährlichkeitsprognose einbezogen werden.

3. Gefahrbeseitigung durch Einleitung einer anderen Maßnahme Gleiches müßte für die im Zeitpunkt der Hauptverhandlung bereits gegen den Täter eingeleiteten Maßnahmen gelten. Die h.M. kommt, wie eingangs erwähnt, zum gegenteiligen Ergebnis. Für sie ist der Umstand, daß die Gefährlichkeit des Täters im Prognosezeitpunkt bereits durch eine andere (mildere) Maßnahme bekämpft wird, kein Grund zum Verzicht auf die Anordnung einer Maßregel. Ganz dezidiert hat darauf der Vertreter des Bundesjustizministeriums, Horstkotte, in den Beratungen im Sonderausschuß für die Strafrechtsreform hingewiesen77 • Nach dieser Auffassung kann ein erfolgversprechendes, milderes Mittel nur zur Aussetzung der Vollstreckung führen. In der Literatur finden sich drei im Ansatz unterschiedliche Begründungsversuche. a) Zweifel an der Eignung von milderen Maßnahmen 1. Argument: Andere Maßnahmen spielen bei der Gefährlichkeitsprognose keine Rolle, weil ihre Wirkung zu unsicher und ihre Durchführung nicht gewährleistet isf8.

Es ist ohne weiteres einzuräumen, daß in der weitaus überwiegenden Mehrzahl der Fälle der Einwand berechtigt ist und die Einleitung milderer Maßnahmen die Gefährlichkeit des Verurteilten in der Tat nicht zu beseitigen vermag. Zurückhaltung ist insbesondere bei denjenigen Maß77

Prot. V, S. 464.

78

Dreher / Tröndle, § 63 Rdnr. 11 LV.m. vor § 63 Rdnr. 2; siehe auch Bockel-

mann, AT, S. 284. 6 B. Müller

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3. Kap.: Streichung der Erforderlichkeitsklausel

nahmen geboten, deren Durchführung völlig in der Hand des Täters oder einer keiner staatlichen Instanz verantwortlichen Privatperson liegt. Dieser Befund rechtfertigt freilich nicht den Schluß, daß schonendere Mittel generell nicht geeignet seien, die Allgemeinheit wirksam vor weiteren Rechtsverletzungen eines Rückfallgefährdeten zu schützen79 • Die Anforderungen an die Effizienz der schonenderen Maßnahme dürfen nicht überspannt werden. Wer eine vollständige Aufhebung der Tätergefährlichkeit verlangt, übersieht, daß sich die Allgemeinheit mit einem gewissen Grad an Gefährlichkeit abfinden muß. Da vorbeugende Freiheitsbeschränkungen nur zulässig sind, wenn der Täter mit Wahrscheinlichkeit wieder straffällig werden wird, kann eine Maßregel schon dann nicht mehr angeordnet werden, wenn der erforderliche Wahrscheinlichkeitsgrad wegen der Durchführung der milderen Maßnahme nicht erreicht wird. Es ist nicht notwendig, daß das schonendere Mittel die Gefährlichkeit völlig beseitigt. Sonst würde sich gerade der Umstand, daß die Gefährlichkeit im Zeitpunkt der Hauptverhandlung schon bekämpft wird, bei der Gefährlichkeitsprognose nachteilig auswirken. Ein Täter, bei dem die Wiederholungswahrscheinlichkeit nur geringfügig unter dem vorausgesetzten Grad liegt, und gegen den keine mildere Maßnahme läuft, bliebe von der Maßregelanordnung verschont. Bei einem Täter, bei dem eine bereits eingeleitete schonendere Maßnahme die Gefährlichkeit deutlich vermindert, aber noch nicht völlig beseitigt hat, müßte hingegen eine Maßregel verhängt werden. Ist also wegen der Durchführung einer milderen Maßnahme die Begehung weiterer Straftaten nur noch möglich, aber nicht mehr wahrscheinlich, kann eine Maßregel nicht mehr angeordnet werden. Ob ein weniger einschneidendes Mittel in diesem Sinne den Grad der Wahrscheinlichkeit herabsetzt, ist Tatfrage, die das Gericht nicht von vornherein verneinen, sondern erst nach vollständiger und gründlicher Ermittlung und Auswertung der Prognosetatsachen beantworten kann. Z.B. kann es an der Wiederholungswahrscheinlichkeit fehlen, weil mit der Maßnahme eine sorgfältige und gewährleistete Überwachung verbunden ist, die dem Täter den Zugang zum Objekt seiner Taten versperrt80 • Auch ist - bei aller gebotenen Skepsis gegenüber den Möglichkeiten der Sozialtherapie81 - denkbar, daß infolge freiwillig über79 In den Beratungen der Großen Strafrechtskommission hatte gerade Dreher die Auffassung vertreten, daß bei einer bereits erfolgten Unterbringung nach Landesrecht geprüft werden müsse, ob der Täter noch gefährlich ist (Ndschr. Bd.12, S.341); so offensichtlich auch Lang-Hinrichsen, LK, 9. Aufl., vor § 42 a a.F. Rdnr. 35. 80 Neuwirth, Können Verbrechen und Vergehen ... , S.38; 1. Bericht, S.20; krit. Hanack, LK, § 66 Rdnr. 149. 81 Besonders skeptisch KG NJW 1972, 2228 und 1973, 1420; siehe dazu MüHerDietz, NJW 1973,1065 ff.; vgl. auch Hanack, LK, § 65 Rdnr. 21.

B. Gefährlichkeit als Anknüpfungspunkt der Maßregeln

83

nommener Therapie oder infolge medizinischer Behandlung die Gefährlichkeit herabgesetzt ist. Das erste Argument hat sich somit als nicht stichhaltig erwiesen. Im Einzelfall kann wegen der Durchführung einer außerstrafrechtlichen Maßnahme durchaus die Gefährlichkeit des Täters zu verneinen sein. Die eingangs zitierte These trifft zu, wenn man die kausale Konjunktion durch eine konditionale ersetzt: "Andere Maßnahmen spielen bei der Gefährlichkeitsprognose keine Rolle, wenn ihre Wirkung unsicher und ihre Durchführung nicht gewährleistet ist." b) Keine Beseitigung der Gefahrursache 2. Argument: Die Einleitung milderer Maßnahmen bewirkt allenfalls, daß die Gefährlichkeit nicht zum Ausbruch kommt, beseitigt sie jedoch nicht82 • Dieser These liegt ein fehlerhaftes Verständnis des Gefährlichkeitsbegriffes zugrunde. Anknüpfungspunkt für die Anordnung einer Maßregel ist nicht der "Zustand" LS. des § 63 oder der "Hang" LS. des § 64 oder des § 66, sondern die aus diesen Ursachen erwachsende, auf konkreten Tatsachen beruhende Wahrscheinlichkeit weiterer Taten. Um eine Wiederholungswahrscheinlichkeit in diesem Sinn bejahen zu können, muß zu bestimmten kriminalitätsbegünstigenden Faktoren in der Person des Täters hinzukommen, daß dessen Disposition ungehindert durch äußere Umstände wirken kann83 • Wer allein schon mit der inneren Disposition die Gefährlichkeit begründet, versteht darunter die "rechtsfeindliche Einstellung" ohne Rücksicht auf die Möglichkeit ihrer äußeren Manifestation.

Wie der Rückblick im 2. Kapitel gezeigt hat, hat eine starke Mindermeinung im früheren Recht diesen Gefährlichkeitsbegriff vertreten8t, allerdings nur für § 20 a, um dessen Strafschärfung in Einklang mit dem Schuldprinzip zu bringen. Nach dem Wegfall des § 20 a besteht für eine subjektive Auslegung, die sich schon im alten Recht nicht durchsetzen konnte, erst recht kein Bedürfnis mehr. Auf ein kognitiv-prognostisches Verständnis des Gefährlichkeitsbegriffes weisen sowohl die Gesetzesmaterialien85 als auch die Umschreibung der Anordnungsvoraussetzungen im Gesetzestext hin. Ob vom Täter weitere Taten zu erwarten sind, wie es §§ 63, 64 ausdrücklich fordern, hängt nicht nur davon ab, ob ein Hang 82 Wenz, Das Verhältnis der strafrechtlichen Unterbringung zu außerstrafrechtlichen Maßnahmen, S. 239. 83 RGSt. 72, 356, 357; Exner, Sicherungsmittel, S.68; Foltin, Die chronisch erhöht Gefährlichen, S. 25; Neuwirth, Können Verbrechen und Vergehen ... , S.13. 84 Vgl. dort C. H. 85 Ndschr. Bd. 12, S. 337,343.



3. Kap.: Streichung der Erforderlichkeitsklausel zu Straftaten vorliegt, sondern auch davon, ob ein bestehender Hang nach außen manifest werden kann. Demzufolge kann die Wahrscheinlichkeit weiterer Taten aus zwei Gründen zu verneinen sein. Die Gefährlichkeit ist unproblematisch beseitigt, wenn der Hang des Täters zu erheblichen Straftaten nicht mehr besteht. Sie liegt aber auch dann nicht mehr vor, wenn der Täter durch Veränderung der äußeren Umstände daran gehindert wird, seinem Hang entsprechende Taten zu begehen86 • Auch in diesem Fall ist eine Rückfälligkeit nicht mehr wahrscheinlich LS. des Gefährlichkeitsbegriffes. c) Änderung der Gefährlichkeitsprognose wegen § 67 b 3. Argument: Die Aufnahme der Aussetzungsmöglichkeit (§ 67 b) in das Maßregelsystem dient auch dem Zweck, die Gefährlichkeitsprognose zu vereinfachen87 • Dadurch sollen nämlich bestimmte Faktoren, deren Auswirkung auf den Zustand des Täters erfahrungsgemäß schwer abzuschätzen sind, aus dem Kreis der Prognosetatsachen ausgeschieden werden. Die Einführung des § 67b bewirkt deshalb eine Auf teilung in Umstände, die für die Anordnungsprognose relevant sind und solche, die nur für die Frage der Aussetzung eine Rolle spielen. Zu den letzteren zählen auch alle anderen Maßnahmen zur Beseitigung der Gefährlichkeit. Dieses Argument wird insbesondere von Dreher / Tröndle angeführt. Nach ihrer Auffassung ist die Gefährlichkeitsprognose so zu stellen, als ob keine Maßnahmen gegen die Gefährlichkeit des Täters liefen oder zu erwarten wären88 • Aus kriminalpolitischer Sicht ist eine derartige Auf teilung in prognoserelevante und -irrelevante Umstände in Anbetracht der Schwierigkeiten, die die Richter bei der Beurteilung von Auswirkung und Sicherungswert milderer Maßnahmen hatten, zu begrüßen. Sie kommt dem erklärten Ziel des Gesetzgebers, die Verhängung von Maßregeln zu erleichtern, entgegen, indem sie die Anordnungsprognose einfacher macht. Aus dogmatischen Gründen kann die Aufnahme der Aussetzungsmöglichkeit in das Maß regelrecht jedoch nicht zu einer Begrenzung der Prognosetatsachen bei der Anordnung führen. Die Aussetzungsvorschrift regelt die Modalitäten der Vollstreckung einer angeordneten Maßregel. Sie sieht anstelle der Freiheitsentziehung eine ambulante Form der Bekämpfung der Gefährlichkeit vor, wenn diese ausreicht, um die Allge86 Exner, Sicherungsmittel, S.70; Lotz, Der gefährliche Gewohnheitsverbrecher, S. 21; Gerland, Hübner-Festschr. (1935), S. 48; Baumann, AT, 5. Aufl., S. 693; Schultz, SchwZStr 75, 263 Fußn. 50. 87 Diese Argumentation ist schon deshalb problematisch, weil gerade bei der Sicherungsverwahrung, die hier ganz im Mittelpunkt steht, § 67b nicht anwendbar ist. 88 Dreher / Tröndle, § 67b Rdnr.2.

B. Gefährlichkeit als Anknüpfungspunkt der Maßregeln

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meinheit vor dem Täter zu schützen. Die Einführung der Aussetzungsmöglichkeit setzt aber nicht die Anforderungen bei der Feststellung der Gefährlichkeit herab, insbesondere ermöglicht sie nicht nach früherem Recht unzulässige Anordnungen89 • § 67 b fordert vielmehr eine Prüfung, ob trotz der festgestellten Gefährlichkeit auf die Vollstreckung der Maßregel verzichtet werden kann. Die kriminal politisch sinnvolle Aufgabe dieser Vorschrift liegt darin, nicht unbedingt erforderliche Freiheitsentziehungen mit all ihren weitreichenden und schädlichen Folgen zu vermeiden90 • Besondere Umstände LS. des § 67 b sind Umstände in der Tat oder in der Person des Täters, die eine von diesem ausgehende Gefahr so abschwächen, daß ein Verzicht auf die Vollstreckung der Maßregel gewagt werden kann91 • Als solche kommen namentlich die milderen Maßnahmen wie z.B. freiwilliger Eintritt in eine Anstalt, Betreuung und Überwachung durch Angehörige und Bestellung eines Vormunds in Betracht92 • In Verbindung mit der kraft Gesetzes (§ 67 b Abs. 2) eintretenden Führungsaufsicht können diese schonenderen Maßnahmen den Vollzug der Maßregel entbehrlich machen. Der Entscheidung über die Notwendigkeit der Vollstreckung ist die Frage der Möglichkeit der Anordnung, d.h. des Vorliegens der Anordnungsvoraussetzungen systematisch vorgelagert. Das Problem der Aussetzung einer Maßregel stellt sich erst, wenn alle Voraussetzungen für die Anordnung erfüllt sind. Anordnungs- und AussetzungsprognosE' liegen somit nicht gleichrangig auf einer Ebene, vielmehr besteht zwischen beiden Prognosen ein Stufenverhältnis. Zunächst muß das Gericht auf der ersten Stufe vom Vorliegen sämtlicher Anordnungsvoraussetzungen überzeugt sein. Insbesondere muß es die Erwartung bejahen, daß der Täter wahrscheinlich weitere Taten begehen wird. Zur Gewinnung dieses Urteils ist eine Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten notwendig. Dabei sind alle im Zeitpunkt der Entscheidung vorliegenden Umstände in die Gesamtwürdigung einzubeziehen. Wenn infolge der Einleitung einer außerstrafrechtlichen Maßnahme der erforderliche Grad der Wahrscheinlichkeit nicht mehr erreicht wird, ist der Anordnung einer Maßregel die Grundlage entzogen; zur Prüfung der Aussetzungsmöglichkeit kommt das Gericht in diesem Fall nicht mehr. Bejaht der Richter hingegen die Gefährlichkeit, muß er in einem zweiten Schritt untersuchen, ob besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, daß der Zweck der Maßregel auch durch eine Aussetzung erreicht werden kann. Im Einzelfall kann das Gericht durchaus zu dem Ergebnis 89 90

Mißverständlich Lackner, Verhandlungen, S. E 97. Schönke / Schröder / Stree, § 67b Rdnr.1.

91 BGH bei Dallinger, MDR 1975, 724; BGH bei Holtz, MDR 1978, 280; Dreher / Tröndle, § 67b Rdnr. 3. 92 Lackner, § 67 b Anm. 2 b; Schönke / Schröder / Stree, § 67 b Rdnr.6.

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3. Kap.: Streichung der Erforderlichkeitsklausel

kommen, daß infolge der Durchführung einer milderen Maßnahme zwar die Gefährlichkeit nicht beseitigt, gleichwohl aber eine Aussetzung der Vollstreckung gerechtfertigt ist. Denn bei der Beurteilung, ob der Zweck der Maßregel auch durch die Aussetzung erreicht werden kann, sind die Einwirkungsmöglichkeiten der Führungsaufsicht (Betreuung und Überwachung des Täters, Erteilung von Weisungen) und der Druck, der von der Widerrufs drohung ausgeht, zu berücksichtigen93 . 4. Ergebnis

Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß für die Anordnungsprognose alle im Zeitpunkt der Hauptverhandlung vorliegenden Umstände von rechtlicher Bedeutung sind. In Ausnahmefällen kann wegen der Durchführung einer milderen Maßnahme die gegenwärtige Gefährlichkeit des Täters herabgesetzt und damit schon der Anordnung einer Maßregel die Grundlage entzogen sein. Weder tatsächliche noch rechtliche Gründe hindern die Einbeziehung bereits eingeleiteter Maßnahmen in die Gefährlichkeitsprognose. Die zwingende Notwendigkeit, vor der Aussetzungsfrage zunächst die Voraussetzungen der Gefährlichkeit einwandfrei festzustellen, gebietet im Gegenteil die Berücksichtigung aller im Prognosezeitpunkt vorliegender Umstände bei der Gesamtwürdigung des Gefährlichkeitsurteils. Es hat sich gezeigt, daß eine Einteilung bei den gegenwärtigen Prognosetatsachen in Änderungen in der Person und in den Lebensverhältnissen einerseits und in bereits eingeleitete mildere Maßnahmen andererseits nicht nur überflüssig, sondern auch irreführend ist. Diese Unterscheidung ist im übrigen mangels hinreichender Differenzierungskriterien kaum durchführbar. Der Umstand, daß der Täter inzwischen von seiner Familie überwacht und betreut wird, läßt sich genauso gut als Änderung der äußeren Verhältnisse (die bei der Anordnungsprognose zu berücksichtigen wäre) einordnen, wie als mildere Maßnahme (die nur zur Aussetzung der Vollstreckung führen könnte)94. Abschließend soll noch einmal betont werden, daß die vorausgegangenen Erörterungen lediglich die Frage der rechtlichen Einordnung be93 BGH 3 StR 316/76 v. 13.10.1976; Dreher / Tröndle, § 67 b Rdnr. 3. 94 Die Unterscheidung war bereits im alten Recht bekannt, dort aber ohne rechtliche Konsequenzen für die Anordnung von Maßregeln, da die §§ 42 b bis 42e a.F. die Voraussetzungen der Gefährlichkeit und der Subsidiarität in der Erforderlichkeitsklausel zusammenfaßten. Im Ergebnis war es gleichgültig, ob das Gericht bei einem Täter, der von seiner Familie betreut wurde, die Wiederholungswahrscheinlichkeit verneinte oder ob es in der Familienbetreuung ein milderes Mittel sah. In beiden Fällen war die Anordnung einer Maßregel nicht erforderlich. Kennzeichnend ist, daß sich viele Entscheidungen bei solchen Sachverhalten mit der Feststellung begnügten, die Unterbringung sei nicht erforderlich, ohne sich festzulegen, welche Voraussetzung nicht erfüllt war (so z.B. BGHSt.12, 50; 17, 123; BGH NJW 1951, 572; OLG Koblenz OLGSt. § 42b, S.5).

C. Geltung des Subsidiaritätsgrundsatzes

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reits eingeleiteter Maßnahmen betrafen. Die dabei zutage getretenen Unterschiede zur h.M. werden sich im Ergebnis wenig auswirken. Wie schon angedeutet, wird die Einleitung schonenderer Maßnahmen regelmäßig nicht die Gefährlichkeit auf ein Maß herabsetzen, bei dem die Anordnung einer Unterbringung nicht mehr zulässig ist. In der praktischen Bedeutung wird das mildere Mittel auch nach der hier vertretenen Auffassung überwiegend erst auf der zweiten Stufe, wenn die Notwendigkeit der Maßregel vollstreckung geprüft wird, eine Rolle spielen. Um aber auch Ausnahmefällen gerecht zu werden, war es wichtig, den systematischen Vorrang der Prüfung der Gefährlichkeit klar herauszustellen. C. Geltung des Subsidiaritätsgrundsatzes bei der Anordnung von Maßregeln I. Anwendungsbereich des Subsidiaritätsprinzips Das Problem der Subsidiarität von Maßregeln gegenüber milderen Mitteln hat sich durch die Zuordnung bereits eingeleiteter Maßnahmen zu den prognoserelevanten Tatsachen teilweise auf die Ebene der Gefährlichkeit verlagert. So gesehen kann es bei bereits eingeleiteten Maßnahmen im Hinblick auf die Anordnung keine Subsidiaritätsfragen geben. Entweder ist es infolge der Durchführung einer milderen Maßnahme nicht mehr wahrscheinlich, daß der Täter weitere Taten begeht, dann scheitert die Anordnung einer Maßregel schon an der fehlenden Gefährlichkeit. Oder es sind vom Täter trotz der getroffenen Vorkehrungen auch künftig noch erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten, dann kann die eingeleitete, schonendere Maßnahme, die die Gefährlichkeit nicht beseitigen konnte, auch unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität keine Rolle spielen. Denn ein Verzicht auf die Anordnung einer Maßregel ist nur möglich, wenn das mildere Mittel einen ausreichenden Schutz der Allgemeinheit gewährleistet. Wenn im folgenden die Frage der Geltung des Subsidiaritätsprinzips erörtert wird, geht es immer nur um solche Maßnahmen, die im konkreten Einzelfall geeignet sind, die Allgemeinheit wirksam und zuverlässig vor weiteren Rechtsverletzungen des Täters zu schützen. Die Anforderungen an den "Sicherungswert" der außerstrafrechtlichen Maßnahme hängen ab vom Grad der drohenden Gefahr und der Erheblichkeit der zu erwartenden Taten. Nicht näher behandelt wird die in § 72 geregelte Konkurrenz der strafrechtlichen Maßregeln der Besserung und Sicherung9s • Nach § 72 Abs.l S. 2 gilt im Verhältnis der Maßregeln zueinander der Grundsatz der Subsidiarität, d.h. unter mehreren zur Zweckerreichung geeigneten Maßregeln ist diejenige anzuordnen, die den Täter am wenigsten beschwert. 9S

Vgl. 2. Kap. Fußn. 52.

3. Kap.: Streichung der Erforderlichkeitsklausel

88

Durch die hier vertretene Auffassung zum Umfang der Prognosetatsachen96 wird der Anwendungsbereich des Subsidiaritätsgrundsatzes von vornherein stark beschränkt. Wegen der Einbeziehung aller gegenwärtigen Umstände in die Gefährlichkeitsbeurteilung bleiben nur Fälle übrig, bei denen eine schonendere Maßnahme anstelle einer strafrechtlichen Unterbringung zwar zur Verfügung steht, aber im Zeitpunkt der Hauptverhandlung noch nicht eingeleitet ist. Nach den oben97 dargelegten Grundsätzen wird sich aber auch ein Teil dieser Fälle auf der Ebene der Gefährlichkeitsprüfung erledigen. Eine künftige Änderung kann danach auch schon die gegenwärtige Gefährlichkeit ausschließen, wenn im Zeitpunkt der Hauptverhandlung bereits genügend Bedingungen für die Verwirklichung des Vorhabens erfüllt sind und die Durchführung und Geeignetheit der Maßnahme gewährleistet erscheint. Folgt man der hier vorgeschlagenen Lösung, bleibt somit bei der Anordnungsentscheidung nur ein schmaler Anwendungsbereich für das Subsidiaritätsprinzip. Dagegen stellt sich das Problem für die h.M. in viel größerem Umfang. Da sie die Existenz milderer Mittel generell bei der Gesamtwürdigung im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose nicht berücksichtigt, wird sie häufiger die Gefährlichkeit eines Täters bejahen. Sie muß sich dann mit der Frage auseinandersetzen, ob und unter welchen Voraussetzungen die Anordnung einer Maßregel dadurch ausgeschlossen wird, daß bereits eine Maßnahme gegen die Gefährlichkeit des Täters getroffen wurde oder eine solche zur Verfügung steht. 11. Der Standpunkt der h.M.

Die h.M. bezieht in dieser Frage eindeutig Stellung: Der weit überwiegende Teil des Schrifttums nimmt an, daß das Subsidiaritätsprinzip nach der Neuformulierung der Anordnungsvoraussetzungen und nach Einführung der Aussetzungsmöglichkeit bei der Anordnung nicht mehr gelte98 . Da die Maßregelverhängung nicht mehr voraussetze, daß diese zur Gefahrbeseitigung "erforderlich" sei, müsse die Unterbringung auch dann angeordnet werden, wenn der Einsatz eines milderen Mittels zur Gefahrbekämpfung ausreichend erscheine. Das Gericht müsse die Maßregel also immer anordnen, wenn die Gefährlichkeit des Täters festgestellt sei. Soweit sich der BGH bisher mit dieser Frage befassen mußte, hat er ebenso dezidiert wie die h.M. in der Literatur die Auffassung vertreten, daß "die Abwendbarkeit der Gefahr durch andere Mittel unter dem Gesichtspunkt der Anordnungsvoraussetzungen außer Betracht bleibt"99. 98 Vgl. oben B. IIr. 97 Siehe B. IIr. 2. b). 98 99

Siehe oben Fußn. 2. BGH NJW 1978,599; 3 StR 67/77 v. 23.3.1977.

c. Geltung des Subsidiaritätsgrundsatzes

89

Ist der h.M. in Rechtsprechung und Literatur zu folgen, so hat die Strafrechtsreform ein Prinzip beseitigt, das seine Wurzel im Verfassungsrecht hat und das seit jeher zu den unbestrittenen Grundsätzen des Maßregelrechts zählt: die Subsidiarität der strafrechtlichen Maßregeln gegenüber weniger einschneidenden außerstrafrechtlichen Maßnahmen. 111. Die Verwirklichung des Subsidiaritätsgrundsatzes im Gewohnheitsverbrechergesetz und in den Entwürfen vor 1933

Schon vor Inkrafttreten des Gewohnheitsverbrechergesetzes war in der Literatur allgemein anerkannt, daß in einem System vorbeugender Maßnahmen die Mittel des Strafrechts erst eingesetzt werden dürfen, wenn der erstrebte Schutz nicht durch andere, weniger einschneidende Mittel erreicht werden kann.

Stooss, von dem der erste richtungsweisende Entwurf eines Maßregelsystems stammt, hatte die Verwahrung als "subsidiäres staatliches Schutzmittel gegen Verbrecher" bezeichnet10o • Exner hatte schon in seiner grundlegenden Darstellung der Sicherungsmittel die Auffassung vertreten, daß die Anstaltsverwahrung immer nur als "ultima ratio" in Betracht kommen und überall dort zurücktreten solle, wo schon eine weniger empfindliche Maßnahme genügenden Schutz verbürge 101 • Klassisch hatte Beling in einer Skizze des Präventions rechts den Subsidiaritätsgrundsatz formuliert 102 : "Ist eine zur Verhütung eines Angriffs geeignete Maßregel mit einer Schädigung eines rechtlich geschützten Interesses verknüpft, so ist sie nur dann statthaft, wenn und soweit Maßregeln, die keine oder eine geringere Schädigung nach sich ziehen, nach Lage des konkreten Falles nicht zu Gebote stehen oder nicht genügen." In der Sache weitergehend, hatte Nagler gefordert103 : "Unter mehreren Wegen der Vorbeuge muß der eingeschlagen werden, der mit dem geringsten Aufwand an Kräften den höchsten Erfolg verbürgt oder der zwar weniger wirksam ist, dafür jedoch weniger einschneidend." Verfolgt man in den einzelnen Reformentwürfen vor dem Gewohnheitsverbrechergesetz die Regelungen über sichernde und bessernde Maßnahmen, wird man feststellen, daß das Subsidiaritätsprinzip jedenfalls bei den Maßnahmen gegen Zurechnungs unfähige und vermindert Zurechnungsfähige und gegen Trunksüchtige und Arbeitsscheue stets im Gesetzestext zum Ausdruck kam. Ganz deutlich war dies bei der Unterbringung in einer Heil- und Pflegeanstalt, die schon im Vorentwurf 1909 (§ 65) vorgesehen und dort und in den folgenden Entwürfen lOi nur ange100 101 102 103 104

SchwZStr 38, 28. Sicherungsmittel, S. 103. Vergeltungsidee, S.88, 93. Verbrechensprophylaxe, S. 81. § 100 E 1913; § 88 E 1919; § 43 E Radbruch; § 43 E 1925; § 56 E 1927 und 1930.

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3. Kap.: Streichung der Erforderlichkeitsklausel

ordnet werden konnte, wenn die öffentliche Sicherheit es erforderte. § 14 Abs.2 Gegenentwurf 1911 nannte sogar im Gesetz die in Betracht kommenden milderen Mittel: Stellung unter staatliche Gesundheitsaufsicht, Unterbringung in einer Familie oder einer Privatanstalt und Stellung unter Schutzaufsicht. In den Vorschlägen zur Unterbringung in einer Trinkerheilanstalt und in einem Arbeitshaus wurde dem Subsidiaritätsprinzip durch Formulierungen Rechnung getragen, die inhaltlich mit den §§ 42 c, 42 d des Gewohnheitsverbrechergesetzes übereinstimmten. Als Maßnahmen, die eine Unterbringung in einer Trinkerheilanstalt entbehrlich machen konnten, nannte die Begründung zum Vorentwurf 1909 beispielsweise den freiwilligen Eintritt in eine Heilanstalt und die Entmündigung l05 • Bei der Sicherungsverwahrung wurde der Subsidiaritätsgrundsatz in den Gesetzesvorschlägen nur zögernd berücksichtigt. Im Entwurf 1913 (§ 106) und im Entwurf 1919 (§ 100) war die Unterbringung in die Sicherungsverwahrung obligatorisch, wenn ein gewerbs- oder gewohnheitsmäßiger, für die Rechtssicherheit gefährlicher Verbrecher zu einer verschärften Strafe verurteilt worden war. Der Gedanke der Subsidiarität fand erstmals in dem Entwurf des Strafrechts ausschusses der Münchener Juristischen Studiengesellschaft aus den Jahren 1921/22 Eingang in einen Gesetzesvorschlag l06 • Die nachfolgenden amtlichen Entwürfe l07 schrieben die Anordnung der Sicherungsverwahrung bei gefährlichen Gewohnheitsverbrechern zwar nicht zwingend vor, enthielten aber auch keine ausdrückliche Subsidiaritätsklausel. Die Ausgestaltung als "Kann-Vorschrift" sollte nicht generell dem Subsidiaritätsprinzip Geltung verschaffen, sondern nur Fälle erfassen, bei denen der Zweck der Unterbringung schon durch die Strafe erreicht werden kann to8 • Auf das Verhältnis der Maßregeln zu außerstrafrechtlichen Mitteln der Gefahrbekämpfung gingen auch die Begründungen zu diesen Entwürfen nicht ein. Das Gewohnheitsverbrechergesetz hatte den Subsidiaritätsgrundsatz in den Anordnungsvorschriften durchgängig verwirklicht. Unterbringungen in einer Heil- oder Pflegeanstalt (§ 42 b) und in der Sicherungsverwahrung (§ 42 e) waren nur möglich, wenn die öffentliche Sicherheit sie erforderlich machte. Einweisungen in eine Trinkerheilanstalt (§ 42 c) und Begr. S. 161; ebenso Begr. E 1925 § 44, S. 40. Vorschläge zu einem Deutschen Strafgesetzbuch, Begr. § 100, S.70: "Es kann nicht darauf ankommen, ob ein Verbrecher für die Rechtssicherheit gefährlich ist; das werden die meisten Verbrecher sein; die Maßregel ist vielmehr nur dann zulässig, wenn sie im Interesse der öffentlichen Sicherheit erforderlich ist." 107 § 45 E Radbruch; § 45 E 1925; § 59 E 1927 und 1930. 108 z.B. Begr. zu § 45 E 1925 S. 41; Begr. zu § 59 E 1927 S. 48. 105

108

c. Geltung des Subsidiaritätsgrundsatzes

91

in ein Arbeitshaus (§ 42 d) konnten nur angeordnet werden, wenn sie erforderlich waren, um den Täter an ein gesetzmäßiges und geordnetes Leben zu gewöhnen, bzw. um ihn zur Arbeit anzuhalten. Auch der Entwurf 1936 hielt an der Erforderlichkeitsklausel fest l09 . Nach Inkrafttreten des Gewohnheitsverbrechergesetzes waren Rechtsprechung und Lehre, wie der Rückblick im 2. KapitePlo gezeigt hat, bei der Einschätzung der Wirksamkeit und Geeignetheit milderer Maßnahmen sehr zurückhaltend. Sie hatten aber andererseits immer wieder auf die überragende Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips hingewiesen. Wie bereits dargelegt, sah man in der Erforderlichkeitsklausel eine Ausprägung des Grundsatzes, daß die strafrechtliche Sicherungsmaßnahme als letztes Mittel gegenüber weniger einschneidenden anderen Maßnahmen zurücktreten muß. Sowohl der BGH als auch schon das RG hatten Entscheidungen aufgehoben, in denen nicht überzeugend nachgewiesen war, daß nur eine strafrechtliche Unterbringung geeignet war, die öffentliche Sicherheit zu schützenllt. Eine teilweise recht restriktive Auslegung der Erforderlichkeitsklausel in Rechtsprechung und Literatur darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Geltung des Subsidiaritätsgrundsatzes nicht in Frage gestellt war. IV. Begründung der h.M.

Die h.M. begründet ihre Auffassung, die Maßregeln seien ohne Rücksicht auf die Existenz anderer gefahrbeseitigender Mittel anzuordnen, damit, daß der Gesetzeswortlaut nicht mehr auf die Erforderlichkeit der Unterbringung abstellt112 • Da die Erforderlichkeitsklausel unbestritten eine Beschreibung des Subsidiaritätsgedankens darstellt, ist diese Folgerung naheliegend. Nach völlig anerkannter Auslegung erforderte die öffentliche Sicherheit die Unterbringung, wenn der Täter gefährlich war und keine schonenderen Mittel zur Bekämpfung der Gefährlichkeit zur Verfügung standen. Aus der Tatsache, daß die geänderten Vorschriften nur noch das Merkmal der Gefährlichkeit enthalten, schließt die h.M., daß die Erforderlichkeit der Unterbringung nicht mehr zu den Voraussetzungen für eine Maßregel anordnung zählt. Da der Gesetzgeber außerdem die Möglichkeit der Aussetzung des Maßregelvollzugs geschaffen hat, drängt sich in der Tat der Schluß auf, daß das Subsidiaritätsprinzip von der Anordnung auf die Ebene der Vollstreckung verlagert worden ist. 109 Vgl. §§ 65-68. 110 Siehe dort B. Ir. 111 RGSt. 73,101,103; RG HRR 1937, Nr. 201; RG HRR 1938, Nr. 40; BGH NJW 1951, 572 und 969; KG NJW 1953, 195; BGH MDR 1957, 140. 112 Schönke / Schröder / Stree, § 63 Rdnr.19; Lang-Hinrichsen, Gutachten, S. 51; Wenz, Das Verhältnis der strafrechtlichen Unterbringung zu außerstrafrechtlichen Maßnahmen, S. 238.

3. Kap.: Streichung der Erforderlichkeitsklausel

92

Neben dem Gesetzeswortlaut spricht auch der eindeutige und ausdrückliche Wille des Gesetzgebers für die Auslegung der h.M.

v.

Die Behandlung des Themas in der Strafrechtsreform

Die Auffassung, daß der Subsidiaritätsgrundsatz bei der Anordnung von Maßregeln nicht mehr gelten soll, entspricht dem erklärten Willen des Gesetzgebers. In der Begründung zu § 82 E 1962 (Einweisung in eine Heil- und Pflege anstalt) heißt es ausdrücklich, daß der Entwurf bei der Anordnung von Maßregeln keine Subsidiarität anerkenne. Der Richter müsse vielmehr die Maßregel auch dann anordnen, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, daß der Zweck der Maßregel auch ohne sofortige Vollstreckung erreicht werden könne t13 • Bei den Beratungen in der Großen Strafrechtskommission wurde mehrfach betont, daß die Beseitigung der Subsidiarität eines der wichtigsten Ziele des Entwurfes sei U4 • Während hier noch einzelne Mitglieder anfänglich Bedenken äußertenll5, war die Abschaffung der Erforderlichkeitsklausel in den Beratungen des Sonder ausschusses für die Strafrechtsreform nicht mehr umstritten118 •

1. Motive des Gesetzgebers für die Beseitigung der Subsidiarität bei der Anordnung von Maßregeln Die Forderung nach Beseitigung der Subsidiarität bei der Anordnung war ganz offensichtlich von kriminal politischen Überlegungen getragen. Im Vordergrund stand die Befürchtung, daß die Normierung des Subsidiaritätsprinzips bei der Anordnung einen gezielten und wirkungsvollen Einsatz präventiver Maßnahmen zum Schutz der Allgemeinheit wesentlich erschwere 1l7 • Die Sorge, daß aufgrund der Erforderlichkeitsklausel in unvertretbarer und nicht korrigierbarer Weise auf die Verhängung einer Maßregel verzichtet wird, veranlaßte den Gesetzgeber zu einer strikten Trennung von Gefährlichkeit und Subsidiarität. Durch die Ausscheidung der Erforderlichkeit aus den Anordnungsvorschriften wollte er die Aufgabe des Richters bei der Prüfung der Voraussetzungen für eine Maßregelverhängung erleichtern und dadurch eine verstärkte Anwendung von Maßregeln gegen gefährliche Täter erreichen. Gleichzeitig sah der Gesetzgeber in der Aussetzungsmöglichkeit ein Mittel, um einerseits dem Subsidiaritätsgrundsatz gerecht zu werden, und andererBegr. S. 210; s. auch Begr. zu § 83 E 1962 S. 211. Ndschr. Bd. 12, S.340. 115 Siehe DiLnnebier, Ndschr. Bd.12, Anh. A Nr.4; Koffka, Ndschr. Bd.12, Anh. A Nr. 45. 118 Siehe Prot. V, S. 463 ff.; Prot. IV, S. 299 ff. 117 Lackner, Prot. IV, S.299; Horstkotte, Prot. V, S.462; Dreher, Ndschr. Bd. 12, S. 338. 113

114

c.

Geltung des Subsidiaritatsgrundsatzes

93

seits den Verurteilten durch den Druck des Widerrufsvorbehalts zu gesetzestreuer Lebensführung während der Bewährungszeit zu motivieren118 • Die Aussetzungsregelung ermöglicht einen kriminalpolitisch sinnvollen, weitgehenden Verzicht auf die Vollstreckung von Unterbringungen, wenn verantwortet werden kann, unter dem Druck einer unbedingt angeordneten, aber hinsichtlich der Vollstreckung bedingt ausgesetzten Maßregel zu erproben, ob mildere Vorkehrungen zur Sicherung der Allgemeinheit ausreichen. Aus kriminalpolitischer Sicht sprechen in der Tat beachtliche Argumente für die Verlagerung der Subsidiarität auf die Ebene der Vollstreckung. Bei der Prüfung der Erforderlichkeit muß der Richter die schwierige Frage beantworten, ob ein angebotenes, weniger belastendes Mittel generell und im speziellen Einzelfall die Allgemeinheit ausreichend vor der Gefährlichkeit des Täters sichert und ob die Gewähr besteht, daß die Maßnahme so lange wie nötig aufrechterhalten wird. Wenn er aufgrund eines Versprechens des Angeklagten oder seiner Angehörigen, eine mildere Maßnahme durchzuführen, von der Anordnung einer Maßregel absieht, bürdet er der Allgemeinheit das Risiko einer Fehleinschätzung auf. Erweist sich die Durchführung der schonenderen Maßnahme als unzureichend oder hält sich der Täter nicht an seine Zusage, besteht erst dann wieder die Möglichkeit strafrechtlichen Einschreitens, wenn es zu spät, d.h., wenn der Täter wieder rückfällig geworden ist. Mit der Verlagerung des Subsidiaritätsgrundsatzes von der Anordnung auf die Vollstreckung verschiebt sich auch das Risiko, daß die weniger einschneidende Maßnahme nicht ausreicht, auf den Täter.

2. Vorgehen des Gesetzgebers Der Gesetzgeber hat sein Ziel durch die Streichung der Erforderlichkeitsklausel und die gleichzeitige Einführung der Aussetzungsmöglichkeit zu erreichen versucht. Verfolgt man indes den Verlauf der Beratungen in der Großen Strafrechtskommission über das System der freiheitsentziehenden Maßregeln genauer, wird man feststellen, daß mit der Streichung der Erforderlichkeitsklausel zunächst ein anderes Ziel als die Beseitigung der Subsidiarität verfolgt wurde. Ursprünglich stand bei der Umgestaltung der Anordnungsvoraussetzungen die Vorverlegung des Prognosezeitpunkts im Vordergrund. Beide Probleme - Subsidiarität und Prognosezeitpunkt - waren insofern miteinander verknüpft, als sowohl die Maßgeblichkeit des Zeitpunkts der Strafentlassung für das Gefährlichkeitsurteil als auch das Subsidiaritätsprinzip aus der Erforderlichkeitsklausel abgeleitet wurden.

118

Schwalm, Prot. IV, S. 827; Bruns, ZStW 71, 231.

94

3. Kap.: Streichung der Erforderlichkeitsklausel

In den ersten vorläufigen Fassungsvorschlägen, die die Sachbearbeiter des Bundesjustizministeriums der Großen Strafrechtskommission unterbreiteten, fehlte die Erforderlichkeitsklausel nur bei der Vorschrift über die Anordnung der Sicherungsverwahrung 1l9 • An eine generelle Beseitigung des Subsidiaritätsgrundsatzes war anfangs nicht gedacht. Dies zeigt deutlich der Umstand, daß die Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt (die vor der Strafverbüßung vollstreckt werden konnte) nach diesem Entwurf weiterhin nur angeordnet werden konnte, wenn "der Schutz der Allgemeinheit es erfordert"120. Erst bei der nochmaligen Beratung der Vorschriften über die Unterbringung in einer Heil- oder Pflege anstalt und in einer Entziehungsanstalt wurde eine zweite Alternative in die Diskussion eingebracht, die die Anordnung bindend vorschrieb, dafür aber bei Vorliegen besonderer Umstände die Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung vorsah l2l • Der Vorschlag fand eine eindeutige Mehrheit und war dann auch in den weiteren Beratungen nicht mehr umstritten. VI. WeitergeItung des Subsidiaritätsgrundsatzes wegen § 62?

In dieser Vorschrift hat das 1. StrRG den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (damals als § 42 a Abs. 2) gesetzlich im Maßregelrecht statuiert. Es ist unbestritten, daß der Gesetzgeber dadurch nicht neues Recht geschaffen, sondern nur dem allgemeinen und allgemein anerkannten Prinzip des Übermaßverbots, das im gesamten Recht gilt, durch gesetzliche Hervorhebung besonderen Nachdruck verliehen hat 122 • Der Gesetzgeber wollte durch die ausdrückliche gesetzliche Hervorhebung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sicherstellen, daß eine derart tief in grund rechtlich geschützte Bereiche einschneidende Maßnahme wie eine strafrechtliche Maßregel nur eingesetzt wird, wenn schwerwiegende Rechtsverletzungen drohen123 • § 62 schreibt deshalb eine Übermaßkontrolle durch Gegenüberstellung von Eingriffszweck und Eingriffswirkung vor. Nach seinem Wortlaut verlangt § 62 auch bei Vorliegen der formellen und materiellen Voraussetzungen für eine Unterbringung noch eine zusätzliche Prüfung, ob die Anordnung der Maßregel nicht unverhältnismäßig ist. In diesem Sinn wird die Vorschrift auch häufig in der Literatur verstanden124 • Danach sollen nach Feststellung der AnordnungsvorausNdschr. Bd. 3, Anh. Nr. 22. Ndschr. Bd. 3, Anh. Nr. 22 § b. 121 Ndschr. Bd.4, Anh. Nr. 27; vgl. dazu Schwalm, Ndschr. Bd.4, S.203. 122 1. Bericht, S. 17; Hanack, LK, § 62 Rdnr. 1 mit weit. Nachw. 123 1. Bericht, S. 17. 124 Lenckner, Strafe, Schuld und Schuldfähigkeit, S.186; Baumann, AT, S. 743; Pätzold, Eingriffsvoraussetzungen bei freiheitsentziehenden Maßregeln, S. 18; a.A. Dreher / Tröndle, § 66 Rdnr. 19; auch BGH MDR 1980,326. 119

120

C. Geltung des Subsidiaritätsgrundsatzes

95

setzungen die in § 62 genannten Bezugspunkte geprüft und sodann in einer Gesamtwürdigung in das Verhältnis zur Schwere des mit der Maß-· regel verbundenen Eingriffs gesetzt werden. Allerdings sind die in § 62 erwähnten Kriterien auch in die Anordnungsvoraussetzungen integrierbar. Deshalb schlägt Horn vor, schon bei der Inhaltsbestimmung der einzelnen Merkmale (z.B. des wertausfüllungsbedürftigen Begriffes "erheblich") den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz heranzuziehen l25 • Die Meinungsverschiedenheiten betreffen jedoch lediglich die Methode, für den sachlichen Umfang der Prüfung sind sie ohne Auswirkung. Ihre Weiterverfolgung ist auch deshalb nicht angezeigt, weil § 62 bei der Lösung des Subsidiaritätsproblems nicht weiterhilft. § 62 nennt als entscheidende Bezugspunkte für die Verhältnismäßigkeitsprüfung: -

Bedeutung der begangenen Taten

-

Bedeutung der zu erwartenden Taten

-

Grad der vom Täter ausgehenden Gefahr.

Bei den begangenen Taten sind nicht nur ihre Art und Schwere, sondern auch ihre Häufigkeit und ihr zeitlicher Abstand zu berücksichtigen. Kriterien für die Bedeutung der zu erwartenden Taten bilden die Gewichtigkeit der bedrohten Rechtsgüter und das Ausmaß ihrer vermutlichen Verletzung. Der Grad der Gefahr hängt davon ab, wie groß die Wahrscheinlichkeit weiterer Taten und deren zeitliche Nähe ist. Man ist sich in Rechtsprechung und Literatur darüber einig, daß die drei Gesichtspunkte in ihrem Gewicht nicht gleichwertig sind l26 • Da die Maßregeln nach ihrer Zweckbestimmung künftigen Taten vorbeugen sollen, liegt der Schwerpunkt bei der Bedeutung der zu erwartenden Taten und dem Grad der Wahrscheinlichkeit ihrer Begehung. Sind daher Taten von besonderer Schwere zu erwarten, so kann die Anordnung einer Maßregel auch dann zulässig sein, wenn die bisherigen Taten, für sich betrachtet, weniger gewichtig sind l27 • § 62 setzt das Allgemeininteresse, das durch die Maßregel geschützt werden soll, in Beziehung zu dem Individualinteresse, in das mit der Maßregel eingegriffen werden soll, und verlangt eine Abwägung der widerstreitenden Interessen. Aufgabe dieser Vorschrift ist es mithin, als "regulatives Prinzip" die Zweckorientiertheit der Maßregeln im Einzelfall auf ein rechtsstaatlich erträgliches 125 SK, § 62 Rdnr. 3; ähnlich OLG Celle OLGSt. § 42 a a.F., S. 1; vgl. Gribbohm, JuS 1967, 351. 126 BGHSt.20, 232; 24, 134; Schönke / Schröder / Stree, § 62 Rdnr. 2; Lackner, § 62 Anm. 2; Maurach/ Zipf, AT 2, S. 531; JA 1971,235. 127 BGHSt. 24, 134, 135; Horn, SK, § 62 Rdnr. 5; Dreher / Tröndle, § 62 Rdnr. 4.

96

3. Kap.: Streichung der Erforderlichkeitsklausel

Maß zu begrenzen128 • Sie markiert - ohne allerdings inhaltliche Aussagen darüber zu machen, wann ein Mittel verhältnismäßig ist - die äußerste Grenze für Präventiveingriffe in grund rechtlich geschützte Bereiche. Unverhältnismäßig LS. des § 62 ist die Anordnung einer Maßregel dann, wenn zwischen dem mit ihr verbundenen Eingriff in die Freiheit einerseits und dem Schutzinteresse der Allgemeinheit andererseits, das anhand der in § 62 genanten Bezugspunkte zu messen ist, ein Mißverhältnis besteht. Die Existenz eines milderen Mittels läßt sich mit den in § 62 aufgezählten Kriterien nicht erfassen. Über das Verhältnis von außerstrafrechtlichen Maßnahmen zu strafrechtlichen Maßregeln macht diese Norm keine Aussagen l29 • Aus § 62 lassen sich demnach keine Folgerungen für die Frage der Weitergeltung des Subsidiaritätsgrundsatzes ziehen. Damit ist freilich noch nicht die Vereinbarkeit einer Regelung, die das Subsidiaritätsprinzip beseitigt, mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz festgestellt. § 62 fordert lediglich einen Vergleich und eine Abwägung zwischen Eingriffsziel und Eingriffswirkung, befaßt sich also mit der Proportionalität oder Angemessenheit l30 einer Maßregel. Diese Vorschrift regelt somit nur einen Teilaspekt des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, an dem jeder hoheitliche Eingriff in grundrechtlich geschützte Positionen des einzelnen zu messen ist. Eine grundrechtseinschränkende Maßnahme kann nicht nur dann eine übermäßige Belastung sein, wenn zwischen dem Opfer des einzelnen und dem Nutzen der Allgemeinheit ein Mißverhältnis besteht, sondern auch dann, wenn sie stärker in die Rechte des Betroffenen eingreift, als der erstrebte Zweck es erfordertl3l • Um die hier angedeutete Trennung zwischen Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme zu verdeutlichen, ist es nötig, den Anwendungsbereich dieser beiden Grundsätze abzustecken. Dies geschieht im folgenden Abschnitt durch die Herausarbeitung ihrer unterschiedlichen Inhalte, wodurch eine nähere Befassung mit Begriff und Bedeutung des Übermaßverbots im Maßregelrecht ermöglicht werden soll. VII. Der Grundsatz der VerhäItnismäßigkeit (tJbermaßverbot)

Bevor sich die Analyse inhaltlichen Fragen zuwendet, ist es unerläßlich, kurz die unterschiedliche Terminologie, deren sich Rechtsprechung und Schrifttum bei der Behandlung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bedienen, zu erläutern. 128 Zipf, Einführung, S. 101; Preisendanz, § 62 Anm. 1. 129 Hanack, LK, § 62 Rdnr. 6; Lackner, § 62 Anm.2; ungenau Pätzold, Eingriffsvoraussetzungen bei freiheitsentziehenden Maßregeln, S. 13. 130 Warda, Grundlagen des richterlichen Ermessens, S. 143; Grabitz, AöR 98, 571. 131 Lerche, übermaß, S. 21; v. Krauss, Verhältnismäßigkeit, S.15.

c. Geltung des Subsidiaritätsgrundsatzes

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1. Terminologische FestZegung Die Terminologie ist sehr uneinheitlich, ohne daß allerdings gravierende Unterschiede in der Sache bestehen. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts faßt unter dem Oberbegriff der Verhältnismäßigkeit die Postulate der Eignung, der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit Le.S. (teilweise auch Proportionalität und Angemessenheit genannt) eines Mittels zusammen l32 • Die Literatur gebraucht überwiegend als übergeordneten Begriff den Terminus "übermaßverbot" und zählt darunter nur die Grundsätze der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit Le.S.\33. Das Bundesverfassungsgericht wiederum setzt zuweilen den Begriff "Übermaß" zur Kennzeichnung der Verhältnismäßigkeit Le.S. ein134 • Die unterschiedliche Terminologie in Rechtsprechung und Literatur erschwert zwar die Verständigung und die Darstellung, ist aber insofern unschädlich, als über den Inhalt des unterschiedlich Bezeichneten keine wesentlichen Differenzen bestehen. Die folgenden Erörterungen schließen sich, ohne der Frage der sprachlichen Prägnanz und Differenziertheit nachzugehen, der Terminologie der Literatur an. Es wird also davon ausgegangen, daß der Grundsatz der Erforderlichkeit und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Ausprägungen des übermaßverbots sind.

2. Inhalt des Vbermaßverbots Eine Ausprägung des Übermaßverbots - der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz - wurde schon bei den Ausführungen zu § 62 ta5 näher beschrieben. Wie in diesem Zusammenhang bereits angedeutet, decken sich der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und der Grundsatz der Erforderlichkeit inhaltlich nicht und sind daher - was nicht immer beachtet wird136 - streng zu trennen. Zwar sind beides Prinzipien, mit deren Hilfe aus der Zahl der zur Erreichung eines bestimmten Zweckes geeigneten Mittel das zulässige ausgewählt werden kann. Für die Auswahl des "erforderlichen" Mittels gelten jedoch andere Maßstäbe und Bezugspunkte als für die Auswahl des "angemessenen" Mittels. Während bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der durch den Eingriff angerichtete und der durch den Eingriff abgewendete Schaden gegenüber132 z.B. BVerfGE 19, 330, 337; 28, 264, 280; 30, 292, 316; 40, 371; weitere Nachweise bei Wittig, DÖV 1968, 819 Fußn. 21. Ebenso das Bundesverwaltungsgericht, z.B. BVerwGE 45,51,59; 47, 31, 40. 133 Lerche, übermaß, S. 21; Wittig, DÖV 1968,817; Geppert, Sperrfrist, S.38; weitere Nachweise zur Terminologie Grabitz, AöR 98, 570. 134 BVerfGE 14,19,22; 17,306,314; 18, 353,362. 135 Oben C. VI. 136 Vgl. Bender, NJW 1955, 938; Wittig, DÖV 1968, 818.

7 B. Müller

3. Kap.: Streichung der Erforderlichkeitsklausel

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zustellen und gegeneinander abzuwägen sind, müssen bei der Prüfung der Erforderlichkeit die Eingriffsschäden der verschiedenen, zur Zweckerreichung geeigneten Maßnahmen verglichen werden, ohne daß diese Schäden in Beziehung zum erstrebten Ziel gesetzt werden. So gesehen ist es einerseits denkbar, daß eine Maßnahme im Verhältnis zu dem angestrebten Zweck als angemessen erscheint, gleichwohl aber den Betroffenen übermäßig belastet, weil das verfolgte Ziel auch durch ein weniger einschneidendes Mittel erreicht werden kann. Andererseits kann es im Einzelfall zwar mehrere angemessene (verhältnismäßige) Maßnahmen geben, aber nur eine erforderliche, nämlich diejenige, die die Rechtssphäre des Betroffenen am wenigsten beeinträchtigt137 •

3. Der Grundsatz der Erjorderlichkeit im einzelnen Der Grundsatz der Erforderlichkeit besagt demnach, daß unter mehreren möglichen Mitteln dasjenige gewählt werden muß, das in die Rechtssphäre des einzelnen mit der geringsten Intensität eingreift138 • Dabei ist immer das Erfordernis mitzudenken, daß das Mittel zur Zweckerreichung geeignet sein muß. Die Frage der Erforderlichkeit kann sich erst stellen, wenn feststeht, daß eine bestimmte Maßnahme zur Erreichung eines bestimmten Zweckes überhaupt geeignet ist. Insoweit wird der Grundsatz der Geeignetheit entweder als Bestandteil des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes angesehen oder als ein Grundsatz, der dem Übermaßverbot vorgelagert ist139 • Als geeignet sieht das Bundesverfassungsgericht ein Mittel dann an, wenn mit seiner Hilfe der gewünschte Erfolg gefördert werden kann 140 • Sind anhand dieses Kriteriums die tauglichen Maßnahmen ermittelt, müssen in einem nächsten Schritt die einzelnen Maßnahmen unter dem Aspekt der Belastungsintensität verglichen werden. Das Übermaßverbot gebietet, die Belange des von der hoheitlichen Maßnahme Betroffenen insoweit zu berücksichtigen, als dadurch die Zweckerreichung nicht gefährdet wird. In diesem Sinne ist ein Mittel nicht erforderlich, wenn der erstrebte Erfolg auch durch einen weniger schweren Eingriff erzielt werden kann. Bei gleicher Erfolgseignung ist der schwerere Eingriff gegenüber der weniger einschneidenden Maßnahme subsidiär (Grundsatz des Interventionsminimums). Der Grundsatz der Erforderlichkeit ist demnach mit dem Prinzip des mildesten Mittels identischlu.

Lerche, übermaß, S. 21; Wittig, DÖV 1968,817. BadWürttStGH NJW 1975,1211; BVerfGE 30, 292, 316; v. Krauss, Verhältnismäßigkeit, S.87. 139 BadWürttStGH NJW 1975, 1211. 140 BVerfGE 30, 292; 316; 33, 171, 187. lU Bender, NJW 1955, 938; Gentz, NJW 1968, 1603. 137

138

C. Geltung des Subsidiaritätsgrundsatzes

99

4. Obermaßverbot und Anordnung freiheitsentziehender Maßregeln Das Maßregelrecht verfolgt das Ziel, die Allgemeinheit vor gefährlichen Tätern zu schützen. Daß dieser anerkannt verfassungslegitime 142 Zweck durch die Anordnung einer freiheitsentziehenden Maßregel gefördert werden kann, ist kaum problematisch, zumal es als ausreichend angesehen wird, wenn mit Hilfe der Maßnahme der gewünschte Erfolg zumindest teilweise näherrückt143 • Zweifel an der Wirksamkeit einzelner Maßregeln begründen noch keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Geeignetheit. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die gesetzgeberische Prognose maßgeblich, die nur daraufhin überprüfbar ist, ob sie eindeutig widerlegt werden kann144 • Mögen auch berechtigte Zweifel an der Effektivität des Maßregelsystems bestehen, daß es objektiv untauglich zur Gefahrenabwehr ist, läßt sich jedenfalls nicht feststellen. Kann die Gefährlichkeit des Täters durch ein weniger einschneidendes Mittel bekämpft werden, ist der Einsatz einer strafrechtlichen Maßregel nicht erforderlich. Die Anordnung einer Maßregel stellt aber nur dann eine übermäßige Belastung dar, wenn das mildere Mittel die Allgemeinheit wirksam zu schützen vermag. Die bloße Hoffnung oder unbestimmte Aussicht auf die Ausschaltung der vom Täter ausgehenden Gefahr genügt nicht, um die Erforderlichkeit einer freiheitsentziehenden Maßregel zu verneinen145 • Denn der Erforderlichkeitsgrundsatz verbietet den Einsatz der härteren Maßnahme nur, wenn und soweit auch die mildere die Erreichung des erstrebten Zweckes gewährleistet. Bei der Prüfung dieser Anforderungen darf nicht gefragt werden, ob die mildere Maßnahme die Allgemeinheit genausogut (oder besser) schützt wie eine freiheitsentziehende Maßregel. Diese Frage müßte in aller Regel verneint werden, weil die Verwahrung des Täters stets die wirkungsvollste Sicherung vor weiteren Straftaten sein dürfte. Abzustellen ist vielmehr auf den mit der Anordnung einer strafrechtlichen Maßregel verfolgten konkreten Zweck, den Schutz der Allgemeinheit vor dem gefährlichen Täter. Entscheidend ist, ob mit der schonenderen Maßnahme dieser Zweck auch erreicht werden kann, ob also bei ihrer Durchführung sichergestellt ist, daß die Allgemeinheit vor weiteren Rechtsverletzungen dieses Täters geschützt wird. Bejaht das Gericht diese Frage, muß die strafrechtliche Unterbringung nach dem Prinzip des mildesten Mittels gegenüber einer weniger einschneidenden Maßnahme zurücktreten. Dies gilt auch dann, wenn die strafrechtliche Maßregel im Verhältnis zu dem erstrebten Zweck durchaus angemessen ist l46 • 142 143

Hanack, LK, vor § 61 Rdnr. 32; Stree, Deliktsfolgen, S. 217 ff. Gentz, NJW 1968, 1603; Grabitz, AöR 98,572.

lU

BVerfGE 25, 1, 12; 30, 250, 263.

145

Warda, Die Grundlagen des richterlichen Ermessens, S. 150.

7"

100

3. Kap.: Streichung der Erforderlichkeitsklausel

Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß nach dem Grundsatz der Erforderlichkeit, der mit dem Prinzip des mildesten Mittels identisch ist, unter mehreren geeigneten Mitteln dasjenige gewählt werden muß, das in die Rechtsgüter des Betroffenen mit der geringsten Intensität eingreift. Wenn die Gefährlichkeit des Täters durch weniger einschneidende Maßnahmen ausreichend bekämpft werden kann, ist die Anordnung einer strafrechtlichen Maßregel subsidiär. Da der Gesetzgeber die Erforderlichkeitsklausel in der erklärten Absicht gestrichen hat, diese Subsidiarität bei der Anordnung zu beseitigen, stellt sich die Frage, ob das Übermaßverbot insoweit bei der Anordnung von Maßregeln außer Kraft gesetzt ist, wie dies die h.M. annimmt. Diese Annahme beruht auf der im folgenden näher zu untersuchenden Prämisse, daß der Subsidiaritätsgrundsatz im Maßregelrecht seinen Geltungsgrund ausschließlich in der positivrechtlichen Regelung der Erforderlichkeit hat. VIII. Ableitung des tJbermaßverbots

Die unzulängliche rechtsdogmatische Erschließung des Übermaßverbots kommt nicht nur in der uneinheitlichen Terminologie zum Ausdruck, sondern auch in der noch ungeklärten Frage des verfassungssystematischen Standorts 147 • Die Rechtsprechung hat sich oft auf formelhafte Thesen zurückgezogen, wie "der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergibt sich als übergreifende Leitregel allen staatlichen HandeIns zwingend aus dem Rechtsstaatsprinzip"148 oder "im Grunde genommen aus dem Wesen der Grundrechte selbst"149 und habe daher Verfassungsrang. Stimmen in der Literatur sehen das Übermaßverbot als "selbständiges Element des dirigierenden Teils der Verfassung"150, als "Ausfluß des Gleichheitsgebots oder des Willkürverbots"151. Teilweise wird es auch aus bestimmten Artikeln des Grundgesetzes, insbesondere der Wesensgehaltsgarantie, abgeleitet l52 . Läßt sich auch aufgrund dieser Äußerungen der verfassungsrechtliche Standort des Verhältnismäßigkeitsprinzips wenig präzis fixieren, so wird doch deutlich, daß seine überragende Bedeutung in unserer Rechtsordnung und sein verfassungsrechtlicher Rang nicht ernstlich bestritten 146

Aebersold, Verwahrung und Versorgung vermindert Zurechnungsfähiger,

S. 3; Wittig, DÖV 1968,817.

Zusammenfassend Lerche, übermaß, S. 29; Grabitz, AöR 98, 584 ff. 148 BVerfGE 23,123,133; 20, 45, 49; 22, 180,220. 149 BVerfGE 19, 342, 349. ISO Lerche, übermaß, S. 62 ff. 151 Wittig, DÖV 1968, 821. 152 Vgl. dazu Lerche, übermaß, S. 34 f. Siehe auch Gribbohm, JuS 1967, 353: .,Ausdruck der überpositiven Gerechtigkeitsidee". 147

c. Geltung des Subsidiaritätsgrundsatzes

101

werden I53 • Die einzelnen Lösungen stehen auch keineswegs in scharfem Gegensatz zueinander. Das Gerechtigkeitspostulat hat seinen Standort nicht nur imWillkürverbot des Art. 3 GG, sondern ist auch wesentlicher Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips. Ebenso wird die Freiheitssphäre des einzelnen nicht nur in den speziellen Freiheitsrechten des Grundrechtskatalogs, sondern auch durch die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG geschützt. Schließlich lassen sich Freiheitsgedanke und Gerechtigkeitsgedanke in der Wertordnung und im System des Grundgesetzes aus der gemeinsamen Wurzel des Art. 1 GG ableiten. Insofern ist Wittig zuzustimmen, der das Übermaßverbot am "Schnittpunkt verschiedener verfassungsrechtlicher Einzelregelungen" sieht154 • Im Bereich des Maßregelrechts hat es die Funktion, die präventionsorientierten Eingriffe in Art und Umfang auf das rechtsstaatlich vertretbare, d.h. erforderliche und angemessene Maß zu beschränken155 • Als Ausdruck des allgemeinen Freiheitsanspruchs des Bürgers gegen den Staat dürfen die Grundrechte von der öffentlichen Gewalt jeweils nur soweit beschränkt werden, wie es zum Schutz öffentlicher Interessen unerläßlich ist. Das den Freiheitsrechten zugrundeliegende Prinzip läßt sich als die von der Verfassung dem einzelnen gewährleistete größtmögliche Chance der Persönlichkeitsentfaltung begreifen. Jede übermäßig in den grund rechtlich geschützten Bereich eingreifende staatliche Maßnahme ist mit der Grundentscheidung der Verfassung für die Freiheit des einzelnen nicht vereinbar l56 • Die Erfordernisse, die der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz an staatliches Handeln stellt, dienen der Aktualisierung und Gewährleistung dieses grund rechtlichen Freiheitsschutzes. Ursprünglich im Polizeirecht entwickelt157, gilt das Übermaßverbot heute für alle belastenden staatlichen Eingriffe. Über dieses rechtsstaatliche Prinzip kann sich der Strafgesetzgeber bei der Umgestaltung des Maßregelsystems nicht hinwegsetzen. Als Bestandteil des Verfassungsrechts steht das Übermaßverbot nicht zu seiner DispositionI58 • Es ist kaum anzunehmen, daß die Vertreter der h.M., die die Subsidiarität bei der Anordnung der Maßregeln beseitigt sehen, die Verankerung des Übermaßverbots im Verfassungsrecht leugnen wollen. Sie verkennen aber die Bedeutung dieses Prinzips für das Maßregelrecht, 153 Warda, Die Grundlagen des richterlichen Ermessens, S. 144; Grabitz, AöR 98,584. 154 DÖV 1968, 820. 155 Zipf, Einführung, S. 101; Hanaek, LK, § 62 Rdnr. 1. 156 BVerfGE 19, 342, 348. 157 Näher zur Entwicklung v. Krauss, Verhältnismäßigkeit, S. 6 ff.; Pahl, Ist der Gesetzgeber ... , S. 26 ff. 158 Deutlich Hanaek, LK, vor § 61 Rdnr. 61 ff.; siehe auch Laekner, § 66 Anm.5 ace; vgl. aber Pahl, Ist der Gesetzgeber ... , S. 38 ff.

102

3. Kap.: Streichung der Erforderlichkeitsklausel

wenn sie aus der Streichung der Erforderlichkeitsklausel den Wegfall der Subsidiarität der Maßregeln folgern. Beim Studium der Gesetzesmaterialien gewinnt man den Eindruck, daß die Beseitigung oder Verlagerung der Subsidiaritätsprüfung lediglich eine Frage der kriminalpolitischen Zweckmäßigkeit sei. Die verfassungsrechtliche Problematik dieser Lösung wurde nur am Rande und auch nur als Randproblem erörtert. Dieser Eindruck wird durch einen Blick auf das aktuelle Schrifttum noch verstärkt. Die meisten Erläuterungen und Stellungnahmen kommentieren den Wegfall der Subsidiarität bei der Anordnung als wesentliche Verbesserung gegenüber dem alten Recht und betonen die kriminalpolitische Notwendigkeit der Rechtsänderung. Verfassungsrechtliche Bedenken werden, sofern sie überhaupt angeschnitten werden, mit einem Hinweis auf die Weitergeltung des Subsidiaritätsprinzips auf der Vollstreckungsebene abgetan159 • IX. Aussetzung der Vollstreckung als Ersatz für den Wegfall der Subsidiarität bei der Anordnung

Die h.M. sieht in der Aussetzungsmöglichkeit gleichsam einen vollwertigen Ausgleich für die Beseitigung der Subsidiarität bei der Anordnung. Der Grundsatz der Erforderlichkeit wird in dem Sinn interpretiert, daß bei Vorliegen eines milderen Mittels auf die Vollstreckung der Maßregel verzichtet werden müsse l60 • Es ist offenkundig, daß zwischen dem Verzicht auf die Anordnung und dem Verzicht auf die Vollstreckung ein nicht nur zeitlich-gesetzestechnischer, sondern ein ganz erheblicher qualitativer Unterschied besteht. Wer von einer Maßregelanordnung verschont bleibt, verläßt das Gericht, sofern er nicht ohnehin eine Freiheitsstrafe zu verbüßen hat, als freier Mensch. Wer mit einer Maßregelanordnung belastet ist, wird für eine Mindestdauer (die nach h.M. nicht unterschritten werden darf l61 ) von zwei Jahren unter Führungsaufsicht gestellt und muß so lange mit einem Widerruf der Aussetzung rechnen. Er untersteht dabei einer Aufsichtsstelle, zu deren Aufgaben in erster Linie die Überwachung der Verurteilten gehört. Zusätzlich wird ihm ein Bewährungshelfer bestellt, der ihm nach 158 Lang-Hinrichsen, Gutachten, S.53; Warda, Grundlagen des richterlichen Ermessens, S. 151; Dreher / Tröndle, § 67 b Rdnr. 2; Baumann, AT, S. 745. Auch die neueren Dissertationen zum Maßregelrecht von Pätzold, Becker und Neu gehen trotz teilweise einschlägigen Themas nicht oder nur am Rande auf die Problematik ein. 160 Dreher, Ndschr. Bd.12, S. 339; Bruns, ZStW 71, 229; Warda, Grundlagen des richterlichen Ermessens, S. 151. 161 Schönke / Schröder / Stree, § 68e Rdnr. 4; Lackner, § 68e Anm. la; Maier, NJW 1977,371; Simons, NJW 1978,985; a.A. Horn, SK, § 68 Rdnr.17; differenzierend Hanack, LK, § 68 e Rdnr. 10 ff.

C. Geltung des Subsidiaritätsgrundsatzes

103

dem Willen des Gesetzgebers zwar vornehmlich Hilfe und Betreuung gewähren soll162, der aber auch gemäß § 68 a Abs. 3 in die Überwachungstätigkeit eingeschaltet ist. Die überwachung erstreckt sich auf das gesamte (allgemeine) Verhalten des Probanden. Zur Gewährleistung der Überwachung und zur Unterstützung der Wiedereingliederung können ihm mannigfache Weisungen erteilt werden. Die Formulierung von H. Mayer, daß die Situation desjenigen, der unter Bewährungsaufsicht steht und Weisungen unterliegt, "nur mit der eines Leibeigenen des späteren mittelalterlichen Rechts"163 zu vergleichen sei, ist sicherlich eine starke überspitzung. Unbestreitbar bedeuten jedoch die Weisungen für den Betroffenen spürbar belastende Eingriffe in die Lebensgestaltung, zumal der Katalog des § 68 b Abs. 1 deutlich am Sicherungszweck der Maßregel ausgerichtet ist. Der (beharrliche) Verstoß gegen diese Weisungen kann ebenso wie der Umstand, daß sich der Verurteilte der Aufsicht des Bewährungshelfers oder der Aufsichtsstelle entzieht oder während der Dauer der Führungsaufsicht eine rechtswidrige Tat begeht, zum Widerruf der Aussetzung führen (§ 67 g Abs. 1). Zudem ist der Verstoß gegen eine Weisung in der (kriminalpolitisch problematischen164) Vorschrift des § 145a mit Strafe bedroht. Angesichts der psychologischen und rechtlichen Belastungen, die mit der bloßen Anordnung einer Maßregel verbunden sind, klingt die Umschreibung der Rechtsänderung als "Verlagerung" des Subsidiaritätsgrundsatzes doch sehr euphemistisch. X. Zusammenfassung: Der Subsidiaritätsgrundsatz bei der Anordnung von Maßregeln

Die Untersuchung hat ergeben, daß das Prinzip der Subsidiarität der Maßregel bei der Anordnung weiterhin gilt. Steht ein milderes Mittel zur Verfügung, muß der Richter zunächst prüfen, ob dadurch die Allgemeinheit ausreichend vor der Gefährlichkeit des Täters geschützt werden kann und ob seine Durchführung gesichert ist. Sind beide Voraussetzungen erfüllt, darf eine strafrechtliche Maßregel nicht angeordnet werden. Kommt der Richter zu dem Ergebnis, daß die schonendere Maßnahme keine genügende Sicherung vor weiteren Taten bietet, muß er bei den sofort vollstreckbaren Maßregeln zugleich mit der Anordnung prüfen, ob eine Aussetzung der Vollstreckung in Betracht kommt.

162 Begr. zu § 92 E 1962 S. 221; Prot. VII, S. 630; 1. Bericht S. 31. 163 Strafrechts reform, S. 53. 164 Siehe dazu Hanack, LK, § 145 a Rdnr. 4 ff.; Raabe, Führungsaufsicht, S.113 ff.

104

3. Kap.: Streichung der Erforderlichkeitsklausel

Die Rechtsänderung zwingt den Richter also zu einer doppelten Subsidiaritätsprüfung 165 ; zuerst bei der Anordnung mit der Alternative Verhängung oder Nichtverhängung der Maßregel, danach gegebenenfalls bei der Entscheidung über die Vollstreckung mit der Alternative Aussetzung oder Vollzug der Unterbringung. Während bei den sofort vollstreckbaren Maßregeln die beiden Subsidiaritätsprüfungen zeitlich in der Hauptverhandlung zusammenfallen, finden sie bei der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung an zwei verschiedenen Zeitpunkten statt. In der Hauptverhandlung muß das Gericht untersuchen, ob die Anordnung unzulässig ist, weil bereits jetzt feststeht, daß nach Strafverbüßung ein milderes Mittel die Allgemeinheit schützen kann. Nach Verbüßung der Strafe muß es im Rahmen des § 67c prüfen, ob die schonendere Maßnahme eine bedingte Entlassung ermöglicht. Angesichts der geschilderten Schwierigkeiten mit der Erforderlichkeitsklausel im alten Recht, scheint die Weitergeltung des Subsidiaritätsprinzips bei der Anordnung ein unbefriedigendes Ergebnis zu sein. Der in den Gesetzesberatungen immer wieder beschworene Fall, daß der Richter im Hinblick auf das Angebot eines milderen Mittels von der Anordnung einer Maßregel absieht und sich diese Entscheidung im nachhinein als verhängnisvoller Fehler herausstellt, kann sich auch im neuen Recht ereignen. Die Gefahr ist allerdings bei richtiger Anwendung des Gesetzes gering. Ein Verzicht auf die Anordnung einer Maßregel ist nur dann möglich, wenn gewährleistet ist, daß das schonendere Mittel die Allgemeinheit ausreichend schützt. Bleiben Zweifel hinsichtlich der Zuverlässigkeit von Betreuungspersonen, der Willenskraft des Täters odE'r der Wirksamkeit der Ersatzmaßnahme, kommt allenfalls eine Aussetzung in Betracht. Das Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit vernachlässigende Fehlentscheidungen lassen sich durch eine sorgfältige Prüfung von Geeignetheit und Durchführbarkeit der weniger einschneidenden Maßnahme vermeiden. Die hier vertretene Lösung mindert nicht die Bedeutung der Aussetzungsmöglichkeit. In aller Regel werden die zur Verfügung stehenden anderen Maßnahmen im Hinblick auf die fehlenden Kontroll- und Druckmöglichkeiten die strafrechtliche Unterbringung nicht ersetzen können. Der tatsächliche Anwendungsbereich des Subsidiaritätsprinzips wird also im Ergebnis bei der Aussetzung liegen. Dies gilt insbesondere für die Anordnung der Sicherungsverwahrung. Eine sichere Prognose in der Hauptverhandlung, daß im Entlassungszeitpunkt ein ausreichendes milderes Mittel zur Verfügung stehen wird, ist allein schon wegen des Zeitfaktors kaum möglich.

163

Hanack, LK, vor § 61 Rdnr. 62.

4. Kapitel

Die Vorverlegung des Prognosezeitpunkts und die überprüfung nach § 67 c Abs. I A. Vorverlegung des Prognosezeitpunkts Neben der Beseitigung der Subsidiarität verfolgte der Gesetzgeber bei der Umgestaltung des Maßregelsystems das Ziel, die Prognose bei den Maßregeln, die erst nach einer Freiheitsstrafe vollstreckt werden, zu erleichtern. Wie bereits im 3. Kapitel ausgeführt l , sind nun bei allen freiheitsentziehenden Maßregeln die Verhältnisse im Zeitpunkt der Hauptverhandlung für das Gefährlichkeitsurteil maßgebend. Bedeutung erlangt diese Änderung insbesondere für die Sicherungsverwahrung, die nach § 67 Abs. 1 immer und zwingend erst nach Verbüßung der Freiheitsstrafe vollzogen werden kann, während bei den anderen Maßregeln nur ausnahmsweise und aufgrund besonderer Anordnung (§ 67 Abs. 2) der Strafvollzug vorgeht. Aus der Sicht des anordnenden Gerichts stellt die Vorverlegung des Prognosezeitpunkts zweifellos eine wesentliche Ver· besserung gegenüber der alten Regelung dar. Dem Richter wird nicht mehr die nahezu unlösbare Aufgabe zugemutet, in der Hauptverhandlung die Entwicklung des Täters bis zum Ende der Strafverbüßung vorauszusagen und auf dieser Grundlage ein Urteil über die Gefährlichkeit zu fällen. Da die Vorverlegung des Prognosezeitpunkts einer ausdrücklichen Forderung von Praxis und Lehre entspricht, verwundert die allgemeine Zustimmung 2 für die Neuregelung nicht. Auf zwei problematische Auswirkungen dieser Änderung muß allerdings hingewiesen werden. I. Gefahr der vorschnellen Anordnung

Die Neuregelung birgt die Gefahr einer vorschnellen Anordnung von Maßregeln in sich3 • Zweifel am Vorliegen des erforderlichen WahrscheinI

Vg!. dort B. ur.

Lang-Hinrichsen, LK, 9. Auf!., vor § 42 a a.F. Rdnr. 30 und Gutachten, S. 46; Bruns, ZStW 71, 226; Eb. Schmidt, ZStW 69, 390; Horn, SK, § 61 Rdnr. 14; Zipf, Einführung, S.105; Neu, Die Sicherungsverwahrung nach der Strafrechtsreform, S. 117 ff.; aus psychiatrischer Sicht Haddenbrock, NJW 1959,1657; krit. Baumann, Entwurf, S. 50; Schröder, Verhandlungen, S. E 17 und JZ 1970,94. 3 Bedenken äußern Hanack, Krim Gegenwartsfragen, 1972, 78; Maurach, 2

106

4. Kap.: Die Vorverlegung des Prognosezeitpunkts

lichkeitsgrades lassen sich mit der Erwägung überspielen, daß am Ende der Strafhaft ohnehin noch einmal überprüft werden wird, ob die Unterbringung vollstreckt werden muß. Die Tendenz, in solchen Zweifelsfällen eher eine Maßregel zu verhängen als darauf zu verzichten, wird zusätzlich durch das Fehlen einer Korrekturmöglichkeit zuungunsten des Täters gefördert. Wenn z.B. Bruns ausführt, der Richter werde nunmehr dazu angehalten, "ohne falsches Zaudern die bei Gefahr erforderlichen Maßregeln anzuordnen, in der Gewißheit, daß auf der Vollstreckungsebene nochmals überprüft wird, ob nicht schwächere Vorkehrungen ausreichen"" so können diese Überlegungen leicht als Aufforderung zu einer weniger strengen Prüfung der Anordnungsvoraussetzungen verstanden werden. Im Ergebnis würde dann die Vorverlegung des Prognosezeitpunkts in Verbindung mit der Einführung der Aussetzungsmöglichkeit zu einer Erstreckung der Maßregeln auf minder gefährliche Täter führen. In diesem Zusammenhang ist es verfehlt, von einem "platonischen Charakter"5 der Anordnung zu sprechen. Diese Bezeichnung verschleiert die mit der Anordnung verbundenen einschneidenden Folgen für den Betroffenen, die sich nur gegenüber einem wirklich gefährlichen Täter rechtfertigen lassen. Ob sich die Befürchtungen hinsichtlich einer weniger sorgfältigen Prüfung der Anordnungsvoraussetzungen nach der Rechtsänderung bestätigen, wird nicht zuletzt davon abhängen, wie die Rechtsmittelgerichte einer etwa erkennbaren Tendenz gegensteuern. 11. Vorläufigkeit der Anordnung

Über dem positiven Aspekt der Prognoseerleichterung darf ferner nicht die Tatsache übersehen werden, daß die Entscheidung des erkennenden Gerichts durch die Rechtsänderung einen provisorischen Charakter erhält, da die Gefährlichkeit für einen Zeitpunkt ermittelt wird, in dem eine Bedrohung der Allgemeinheit nicht aktuell ist. Die Frage der Notwendigkeit einer vorbeugenden Maßnahme stellt sich erst, wenn der Täter in die Freiheit entlassen werden soll. Deshalb muß gewährleistet sein, daß die Verhältnisse am Ende der Strafhaft letztlich den Ausschlag über die Durchführung einer Maßregel geben. Theoretisch kann der Gesetzgeber dieses Ziel auf verschiedenen Wegen erreichen: Die systematisch sauberste, von Schröder 6 vorgeschlagene Lösung, die Entscheidung über die Anordnung einer Maßregel erst am Ende der Gutachten, S. 21; Pätzold, Eingriffsvoraussetzungen bei freiheitsentziehenden Maßregeln, S.29. Optimistischer in dieser Hinsicht Lackner, Prot. IV, S.305; Horstkotte, Prot. V, S.463. 4 ZStw 71, 230; ähnlich Hall, ZStW 70, 61. 5 So aber Schröder, JZ 1970, 93; Schönke / Schröder / Stree, vor § 61 Rdnr. 10; OLG Frankfurt NJW 1971, 903: "vorläufige Maßregel"; vgl. auch BVerfGE NJW 1976, 1736.

A. Vorverlegung des Prognosezeitpunkts

107

Strafverbüßung zu treffen, ist dem deutschen Strafprozeß, der die Verhängung von Rechtsfolgen dem erkennenden Gericht zuweist, fremd. Die Regelung im alten Recht, wonach das Gericht in der Hauptverhandlung die Gefährlichkeitsprognose auf den Zeitpunkt der Strafentlassung beziehen mußte, hat sich aus den bereits geschilderten Gründen als unzulänglich erwiesen. Die Strafrechtsreform hat einen dritten Weg gewählt und die Entscheidung über die Anordnung von Maßregeln der Hauptverhandlung, die Entscheidung über die Vollstreckung einer Überprüfung nach Strafverbüßung vorbehalten. Der Vorverlegung des Prognosezeitpunkts steht die Verpflichtung gegenüber, nach Vollzug der Freiheitsstrafe zu prüfen, ob die Vollstreckung der Maßregel erforderlich ist. Um ein abschließendes Urteil über die Vorverlegung des Prognosezeitpunkts abgeben zu können, müssen Anordnungsregelung und Überprüfungsvorschrift im Gesamtzusammenhang untersucht werden. Das Ergebnis der Gesamtbewertung hängt davon ab, ob es dem Gesetzgeber gelungen ist, Anordnung und Überprüfung sinnvoll aufeinander abzustimmen und die Nachteile der Vorläufigkeit auszugleichen. B. Die Regelung des § 67 c Abs. 1 Am Ende des Strafvollzugs muß das Gericht prüfen, ob der Zweck der Maßregel die Unterbringung noch erfordert. Dies ist zu bejahen, wenn die für die Anordnung einer Unterbringung notwendige Gefährlichkeit des Täters weiterbesteht und eine Erprobung, ob der Verurteilte außerhalb des Maßregelvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird, noch nicht verantwortet werden kann. Wegen der insoweit vergleichbaren Ausgangslage gelten dieselben Erwägungen wie bei der Entlassungsprognose nach § 67d Abs. 27 • Erfordert der Zweck der Maßregel die Unterbringung nicht mehr, muß die Vollstreckung der Maßregel zur Bewährung ausgesetzt werden. Eine weitere Differenzierung nach dem Grad der noch bestehenden Gefährlichkeit kennt die Vorschrift nicht. Selbst wenn der Täter am Ende der Strafhaft völlig ungefährlich ist, kann nur die Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung angeordnet werden; eine Aufhebung der Maßregel sieht § 67c Abs. 1 nicht vor.

e Verhandlungen, S. E 17, 78 und JZ 1970, 95; siehe auch § 56 E 1927; dagegen aus rechtsstaatlichen Gründen Begr. E 1936 S. 62; Begr. vor § 81 E 1962 S.208; Rösch, Ndschr. Bd. 3, S. 166. 7 Dreher / Tröndle, § 67c Rdnr. 3; Lackner, § 67c Anm. 1b.

108

4. Kap.: Die Vorverlegung des Prognosezeitpunkts I. Erledigung der Maßregel bei ungefährlichen Tätern?

1. Vergleich mit den Anordnungsvorschriften für sofort vollstreckbare Maßregeln Vergleicht man die Regelung in § 67c Abs.l mit der Regelung über Anordnung und Vollzug sofort vollstreckbarer Maßregeln, so fällt eine deutliche Risikoverschiebung zu Lasten des Täters auf. Ein Maßregelsystem, das sowohl effektiv sein als auch rechtsstaatlichen Grundsätzen genügen will, ist bestimmt von dem Konflikt zwischen dem Allgemeininteresse an der Verbrechensverhütung und dem individuellen Freiheitsinteresse des Täters. Die mit der Maßregel verbundenen Rechtsgutseingriffe in ein ausgewogenes Verhältnis zum Grad der Wahrscheinlichkeit und dem Ausmaß der drohenden Verletzung zu bringen, wird immer das Kernproblem bei der Ausgestaltung der Anordnungsvoraussetzungen und der Folgeentscheidungen seinS. Bei den sofort vollstreckbaren Unterbringungen stellt das Gesetz dem Richter drei Entscheidungsalternativen zur Verfügung. Ist der Täter nicht ausreichend gefährlich, muß die Anordnung der Maßregel unterbleiben. Bejaht das Gericht die Wiederholungswahrscheinlichkeit, muß die Maßregel angeordnet und vollstreckt werden. Ist zwar die notwendige Gefährlichkeit gegeben, rechtfertigt aber das Vorliegen bestimmter Umstände den Verzicht auf die Vollstreckung, wird die Maßregel zwar angeordnet, aber ihre Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Dieser gesetzlichen Regelung liegt das Prinzip einer ausgewogenen Risikoverteilung zwischen Allgemeinheit und Täter zugrunde. Kann die Maßregel nicht angeordnet werden, weil die Gefährlichkeit des Täters nicht das erforderliche Maß erreicht, trägt die Gesellschaft das Risiko, daß der Täter gleichwohl wieder straffällig wird. Wird gegen den Täter eine Maßregel verhängt, geht der Rest an Ungewißheit, der jedem Gefährlichkeitsurteil notwendig immanent ist, zu Lasten des Verurteilten. Bei der Anordnung mit gleichzeitiger Aussetzung verteilt sich das Risiko auf die Allgemeinheit und den Täter. Die Allgemeinheit geht insofern ein Wagnis ein, als dem Täter trotz festgestellter Gefährlichkeit die Freiheit nicht entzogen wird; der Verurteilte muß die möglicherweise in seinem konkreten Fall gar nicht erforderlichen, mit der Aussetzung kraft Gesetzes eintretenden Beschränkungen in Kauf nehmen. Würde man die der Anordnung sofort vollstreckbarer Maßregeln zugrundeliegende Risikoverteilung auf die Vorschrift des § 67c Abs.l übertragen, so müßte die Regelung folgenden Inhalt haben: S Näher Sax, Grundsätze der Strafrechtspflege, S. 955 ff.; Nowakowski, v. Weber-Festschr. (1963), S. 103.

B. Die Regelung des § 67c Abs. 1

109

Bei unverminderter Gefährlichkeit müßte das Gericht die Vollstrekkung der Unterbringung anordnen. Liegt zwar der für eine Anordnung erforderliche Gefährlichkeitsgrad nach Ende der Strafhaft noch vor, sind aber Umstände i.S. des § 67 b eingetreten, so müßte die Vollstreckung der Unterbringung parallel zu § 67 b zur Bewährung ausgesetzt werden. Nach den für die Anordnung geltenden Maßstäben müßte die Maßregel immer schon dann aufgehoben werden, wenn der Grad der Wahrscheinlichkeit nach Strafverbüßung nicht mehr den Wert erreicht, der für die Gefährlichkeitsprognose gefordert wird. Denn in diesem Fall müßte auch eine Anordnung wegen fehlender Gefährlichkeit unterbleiben. Für eine derartige Anpassung der Überprüfungsvorschrift an die Regelung für sofort vollstreckbare Maßregeln spricht, daß der Zeitpunkt der Strafentlassung für die Frage der Notwendigkeit einer Maßregel letztlich ausschlaggebend ist. Die Aufspaltung in eine Anordnungs- und in eine Überprüfungs entscheidung könnte insoweit nur als eine technische Umstellung zur Prognoseerleichterung zu verstehen sein, die ohne sachliche Auswirkungen auf die Verteilung des Prognoserisikos bleiben muß. Der Gesichtspunkt der ausgewogenen Risikoverteilung im Konflikt zwischen Allgemeininteresse an Verbrechensverhütung und individuellem Freiheitsinteresse zwingt den Gesetzgeber jedoch nicht dazu, die Maßstäbe für die Anordnung einer sofort vollstreckbaren Maßregel parallel auf die Überprüfung einer angeordneten Unterbringung zu übertragen. Die Situation vor Anordnung einer Maßregel unterscheidet sich nämlich grundlegend von der bei der Überprüfung einer angeordneten Maßregel. Vor der Anordnung einer Maßregel spricht zugunsten des einzelnen eine generelle Freiheitsvermutung, also der Grundsatz: "in dubio pro libertate". Danach ist davon auszugehen, daß sich jeder grundsätzlich in die Gebote des sozialen Daseins fügt und sich an die von der Rechtsordnung gesteckten Grenzen hält9 • Erst wenn diese Ausgangsvermutung zweifelsfrei widerlegt ist, ist ein staatlicher Eingriff in die Freiheitssphäre des einzelnen um des Gemeinwohls willen zulässig. Ist die Maßregel erst einmal angeordnet, ist eine veränderte Sachlage eingetreten. Dadurch, daß sich der Täter in einem Ausmaß als gefährlich erwiesen hat, das Schutzmaßnahmen der Allgemeinheit erforderlich macht, ist die für den Täter sprechende Ausgangsvermutung widerlegt. Während die Frage bei der Anordnung lautete: Ist der Täter so gefährlich, daß zum Schutz der Allgemeinheit eine Maßnahme der Gefahrenabwehr unabweisbar notwendig ist, geht es bei der Überprüfung um die Frage, ob die festgestellte Bedrohung der Allgemeinheit weiterbesteht. Diese veränderte Ausgangslage rechtfertigt es, an die Aufhebung einer v Stree, In dubio pro reo, 8.17, 80; P. Schneider, Hundert Jahre deutsches Rechtsleben, Bd. 2, 8. 268, 290.

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4. Kap.: Die Vorverlegung des Prognosezeitpunkts

Maßregel vergleichsweise strengere Maßstäbe zu legen als an die Anordnung bzw. Nichtanordnung. Die Risikoverschiebung könnte jedoch dort ihre Grenze finden, wo der Konflikt zwischen Allgemeininteresse B.n Verbrechensverhütung und individuellem Freiheitsinteresse nicht mehr gegeben ist. Der Interessenkonflikt ist aufgehoben, wenn nach Strafverbüßung die Prognose gestellt werden kann, daß von diesem Täter keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr zu erwarten sind, wenn der Täter also völlig ungefährlich ist. Bedenken wegen der fehlenden speziellen Regelung für den ungefährlichen Täter in § 67c Abs. 1 entstehen vor allem im Hinblick auf die einschneidenden Belastungen, denen ein bedingt Entlassener noch unterliegt. Insoweit muß zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen auf S. 102 verwiesen werden. Angesichts dieser Belastungen stellt sich die Frage, ob es nicht möglich oder sogar rechtlich geboten ist, einen ungefährlichen Verurteilten nach Strafverbüßung vorbehaltlos in die Freiheit zu entlassen. Grünwald hatte bereits in einer Auseinandersetzung mit dem Rechtsfolgensystem des Entwurfs 1962 das Fehlen der Erledigungsmöglichkeit in § 67c Abs.l kritisiert lO , ohne allerdings auf größere Resonanz zu stoßen. 2. Vergleich mit § 67c Abs. 2

Dem Maßregelrecht ist die vollständige Aufhebung einer angeordneten Maßregel vor Beginn ihrer Vollstreckung nicht unbekannt. Die Erledigung ist als Alternative in den Fällen des § 67c Abs. 2 vorgesehen. Wenn der Vollzug der Unterbringung drei Jahre nach Rechtskraft ihrer Anordnung noch nicht begonnen hat, muß das Gericht nach dieser Vorschrift prüfen, ob der Zweck der Maßregel die Unterbringung noch erfordert. § 67c Abs. 2 gilt nicht, wenn die Verzögerung der Vollstreckung auf dem Vorwegvollzug der Strafe beruht - diese Konstellation erfaßt der Abs. 1 - oder wenn die Vollstreckung der Unterbringung sofort mit der Anordnung nach § 67 b ausgesetzt wurde. Betroffen sind vielmehr die Täter, die sich entweder dem Maßregelvollzug entzogen haben, oder die (wegen Krankheit beispielsweise) vollzugsunfähig waren l1 • Die Ungleichbehandlung der in § 67c erfaßten Tätergruppen ist auf den ersten Blick kaum verständlich und erscheint geradezu als gesetzgeberische Fehlleistung. Ausgerechnet für den Delinquenten, der sich - absichtlich oder nicht - der angeordneten Vollstreckung der Unterbringung entziehen konnte, sieht das Gesetz die Möglichkeit vor, die Maßregel vollständig aufzuheben. Dem Täter, dessen Entwicklung im Strafvollzug 10 ZStW 76, 661; siehe auch den Vorschlag von Sieverts, Ndschr. Bd. 3, Anh. Nr.20. 11 Horstkotte, Prot. V, S.465; Hanack, JR 1978, 400 sieht darin einen "abstrusen Sonderfall".

B. Die Regelung des § 67c Abs. 1

111

genau verfolgt werden konnte, wird dagegen diese Chance nicht eingeräumt. Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich, daß die Differenzierung dem Willen des Gesetzgebers entspricht12 • Im Schrifttum finden sich entweder keine oder nur ausdrücklich zustimmende Stellungnahmen zu den unterschiedlichen Rechtsfolgen in den beiden Absätzen des § 67c 13 • Lediglich Horn leugnet die Berechtigung der Ungleichbehandlung und will § 67c Abs. 2 S. 5 bei Ungefährlichkeit des Täters analog auf Abs. 1 anwendenu. 11. Gründe für die Nichtaufnahme der Erledigung in § 67 c Abs. 1

Die Entscheidung des Gesetzgebers gegen die Aufnahme der Erledigungserklärung in § 67c Abs. 1 war von kriminalpolitischen Erwägungen bestimmt. In der Strafrechtskommission und im Sonderausschuß herrschte die Meinung vor, daß bei einem Strafgefangenen verläßliche Kriterien für die Feststellung der Ungefährlichkeit fehlten 15 • Im Gegensatz zu dem von § 67c Abs. 2 erfaßten Täter, der drei Jahre den Anfechtungen der Freiheit ausgesetzt war, könne der Gefangene unter den Bedingungen des Strafvollzugs den Nachweis nicht erbringen, daß er imstande sei, ein Leben ohne Straftaten zu führen. Gerade anstaltserfahrenen Verurteilten gelänge es häufig, durch Anpassung und geschicktes Ausnutzen der Vollzugserleichterungen eine gute Prognose zu erhalten, ohne daß sich an ihrem Hang zur Kriminalität etwas geändert hätte. Eine bedingungslose Entlassung am Ende der Strafhaft sei daher aus kriminalpolitischen Gründen im Interesse des Schutzes der Allgemeinheit nicht zu verantworten. Die Vorbehalte gegen eine unbedingte Entlassung dieser Täter nach Strafverbüßung sind in ihrer Bedeutung gewichtig und in der Sache zutreffend. Das Verhalten im Vollzug ist in der Tat ein unsicheres Erkenntnismittel, das nur sehr bedingt Rückschlüsse auf die Bewährung in der Freiheit zuläßt. Die gute Führung kann auf konfliktvermeidender Anpassung und Sicheinfügen in den Anstaltsbetrieb beruhen, ohne daß damit eine Verhaltens- und Einstellungsänderung verbunden ist. Selbst wenn der Inhaftierte den ernstlichen Willen zur Umkehr hat, kann dem Verhalten im Vollzug nur ein begrenzter Aussagewert zukommen. Das Leben unter Vollzugsbedingungen unterscheidet sich grundlegend von einer eigenständigen Lebensführung in Freiheit mit den vielfältigen Belastungs- und Versuchungssituationen. Für eine tragfähige Prognose12 Dreher, Ndschr. Bd. 3, S. 229; Begr. zu § 105 E 1962 S. 237; Prot. V, S. 465 ff. 13 Schönke I Schröder I Stree, § 67c Rdnr.6; Dreher I Tröndle, § 67c Rdnr.3; Pätzold, Eingriffsvoraussetzungen bei freiheitsentziehenden Maßregeln, S. 62. U SK, § 67c Rdnr. 6. 15 Dreher, Ndschr. Bd. 3, S. 229; Lackner, Prot. IV, S. 300; Prot. V, S. 465 ff.

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4. Kap.: Die Vorverlegung des Prognosezeitpunkts

entscheidung über die künftige Legalbewährung in Freiheit bildet das Verhalten im Vollzug keine ausreichende Grundlage16 • In diesen Fällen ist es kriminalpolitisch durchaus sinnvoll, der endgültigen Entlassung in die Freiheit eine Übergangsphase mit Aufsichtsmaßnahmen vorzuschalten. Die Widerruflichkeit der Aussetzung begrenzt das Risiko, das die Allgemeinheit mit dem Verzicht auf die Vollstreckung der Unterbringung eingeht und ist zugleich geeignet, den Täter zu gesetzestreuer Lebensführung zu motivieren. Mit den Einwirkungsmöglichkeiten der Führungsaufsicht kann der Weg des Entlassenen in die Freiheit kontrolliert und in gewisser Weise auch gesteuert werden. Erscheinen die Resozialisierungschancen günstig, kann die Kontrolle auf ein Minimum beschränkt werden. Die Erteilung von Weisungen steht nach § 68b im Ermessen des Gerichts, und es ist anerkannt, daß gerade in den Fällen der kraft Gesetzes eintretenden Führungsaufsicht auf sie verzichtet werden kann 17 • Die Ausführungen in den Gesetzesberatungen über die kriminalpolitische Notwendigkeit der Widerrufsmöglichkeit und der Führungsaufsicht gehen jedoch am Kern des Problems vorbei. Sie beziehen sich - wie die im Sonderausschuß angeführten Beispiele klar zu erkennen geben auf Verurteilte, die zwar im Laufe des Vollzugs mehr oder weniger deutliche Anzeichen einer Besserung gezeigt haben, bei denen aber die Gefährlichkeit gerade noch nicht völlig weggefallen ist. Wenn trotz einer guten Führung im Strafvollzug nicht davon ausgegangen werden kann, daß sich der Täter in Freiheit bewähren wird, ist dieser noch nicht ganz ungefährlich. Um diese Fälle geht es jedoch nicht, wenn die Frage gestellt wird, ob die Überprüfungsvorschrift auch die unbedingte Aufhebung der Maßregel vorsehen sollte. Dabei ist vielmehr an Täter gedacht, von denen mit Sicherheit gesagt werden kann, daß sie nicht mehr straffällig werden. Allerdings verneint die h.M. gerade, daß der Richter diese Feststellung bei der Überprüfung treffen kann. Solange als Anhaltspunkt für die Ungefährlichkeit lediglich das Verhalten des Täters im Vollzug angeführt werden kann, ist diese Annahme auch berechtigt. Die Besserung des Täters im Vollzug ist jedoch nicht die einzig denkbare Ursache für eine Beseitigung der Gefährlichkeit. III. Fälle der Ungefährlichkeit nach Strafverbüßung

Die Gefährlichkeit kann weggefallen sein, weil während der Strafhaft ein Ereignis eingetreten ist, das die (äußere) Fähigkeit zur Fortsetzung der kriminellen Karriere beseitigt. An der Fähigkeit zu weiterer Delin16 Koffka, LK, 9. Auf!., § 26 a.F. Rdnr. 10; Terhorst, MDR 1973, 628; MüHerDietz, NJW 1973, 1067. 17 Prot. V, S. 467; Schönke / Schröder / Stree, § 68 b Rdnr. 15; Lenckner, Strafe, Schuld und Schuldfähigkeit, S. 222.

B. Die Regelung des § 67c Abs. 1

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quenz kann es fehlen, wenn eine in der Haft eingetretene gravierende Veränderung dem Täter die Begehung von Straftaten physisch unmöglich macht. Im einzelnen hängt dies von Art und Schwere der physischen Veränderung und der Richtung des kriminellen Hanges ab. Es ist - auch ohne das heute nicht mehr aktuelle Beispiel des gelähmten Fassadenkletterers zu bemühen - durchaus vorstellbar, daß infolge eines Unfalls oder einer schweren Krankheit die Wahrscheinlichkeit künftiger, dem Hang des Täters entsprechender Taten nicht nur herabgesetzt, sondern sogar ausgeschlossen ist. Ebenso ist denkbar, daß von einem Sexualtäter, der sich in der Haft einer Kastration unterzogen hat, im Überprüfungszeitpunkt keine Sittlichkeitsdelikte mehr zu erwarten sind. Rechtsprechung und Literatur erkennen für die Prognose in der Hauptverhandlung an, daß die Gefährlichkeit weggefallen sein kann, wenn bei einem Sexualtäter zwischenzeitlich eine Kastration vorgenommen wurde l8 • Gleiches muß gelten, wenn der Verurteilte zwischen Prognoseund Überprüfungszeitpunkt kastriert worden ist. Entgegen der Annahme der h.M. ist es also durchaus möglich, daß der Verurteilte im Überprüfungszeitpunkt eindeutig ungefährlich ist und daß der Richter dies zweifelsfrei feststellt. IV. Rechtfertigung der Belastungen

Soweit man in der Literatur anerkennt, daß der Täter am Ende der Strafhaft ungefährlich sein kann, versucht man gleichwohl, die Notwendigkeit der Führungsaufsicht nach Strafverbüßung zu begründen. 1. Notwendigkeit der Eingliederungshilje

Die Legitimation für die Durchführung der Führungsaufsicht auch bei ungefährlichen Tätern wird teilweise in dem Gedanken der Eingliederungshilfe gesehen19 • Wegen der nach einer länger dauernden Strafverbüßung typischerweise auftretenden Sozialisierungsschwierigkeiten bedürfe auch der ungefährliche Täter der Hilfe und der Unterstützung bei der Eingliederung. Es ist einzuräumen, daß auch der mit einer guten Prognose entlassene Gefangene bei der Rückkehr in die Freiheit Eingliederungsprobleme hat und daß die Institutionen und Mittel der Führungsaufsicht möglicherweise dabei Hilfe leisten können. Trotz Ausrichtung am Fürsorgezweck bleibt die Führungsaufsicht eine strafrechtliche Sanktion, deren Einsatz nicht mit der Erforderlichkeit von 18 OLG Düsseldorf NJW 1959,830; Dreher / Tröndle, § 66 Rdnr. 15; Schönke / Schröder / Stree, § 66 Rdnr. 37. 19 Maier, NJW 1977, 371; ähnlich OLG Oldenburg NJW 1971, 1951.

8 B. Müller

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4. Kap.: Die Vorverlegung des Prognosezeitpunkts

Betreuung legitimiert werden kann. Wer Belastungen mit der Notwendigkeit von damit einhergehender Betreuung rechtfertigt, verkennt den Aufgabenbereich und die rechtsstaatlich gebotene Begrenzung des Maßregelrechts. Auf das Strafrecht darf der Gesetzgeber nur zurückgreifen, wenn andere Mittel zum Schutz wichtiger Rechtsgüter nicht ausreichen. Wo auch mit den Maßnahmen des öffentlichen Rechts - etwa mit den Mitteln der Sozialfürsorge - geholfen werden kann, muß auf den Einsatz des Strafrechts verzichtet werden; insoweit ist das Strafrecht subsidiärer Natur20 • Die Gewährung von Eingliederungshilfe ist eine wichtige Aufgabe, ja sogar Verpflichtung der Gesellschaft. Zur Erfüllung dieser Aufgabe stehen dem Staat die Mittel der Sozialpolitik zur Verfügung. Der Hilfsbedürftige interessiert den Kriminalpolitiker unter dem Aspekt des Einsatzes strafrechtlicher Sanktionen nur insoweit, als von ihm Straftaten zu erwarten sind. Solange vom Täter keine Gefahr mehr ausgeht, kann das Strafrecht nicht zur Zwangserziehung und -betreuung in Anspruch genommen werden21 • Anknüpfungspunkt jeder belastenden Maßnahme der Gefahrenabwehr ist die Gefährlichkeit des Täters. Dementsprechend setzt die richterliche Anordnung der Führungsaufsicht auch die Gefahr voraus, daß der Täter weitere Straftaten begehen wird (§ 68 Abs. 1). Die Ziele der einzelnen strafrechtlichen Maßregeln sind jeweils auf den Zweck bezogen, der Gefahr weiterer Straftaten vorzubeugen. Die Hilfestellung für den Täter ist nie Endzweck, der für sich genommen den Einsatz strafrechtlicher Zwangsmittel rechtfertige2 • Dazu steht nicht in Widerspruch, daß die Durchführung einer Maßregel vornehmlich am Ziel der Besserung oder Betreuung orientiert sein kann. Die fürsorgerische Komponente des Maßregel rechts kann aber immer nur im Rahmen der Gefahrenabwehr als ein Mittel zur Ausschaltung einer bestehenden Gefährlichkeit zum Tragen kommen. 2. Geringjügigkeit der Belastungen

Teilweise wird geltend gemacht, daß in derartigen Ausnahmefällen die überwachungsfunktion der Führungsaufsicht ganz in den Hintergrund treten und der Schwerpunkt auf die helfende Betreuung gelegt werden könne. Als Vertreter dieser Auffassung sei B. Maier zitiert, der in Fällen, "in denen die Führungsaufsicht nicht unbedingt notwendig erscheint" diese 20 Arthur Kaufmann, Henkel-Festschr. (1974), S.102; Rudolphi, SK, § 1 Rdnr. 14; Roxin, JuS 1966,382; Nagler, Verbrechensprophylaxe, S. 118. 21 Exner, Sicherungsmittel, S. 60; vgl. auch BVerfGE 22, 180, 218 ff. 22 Hanack, LK, vor § 61 Rdnr. 25; Bockelmann, AT, S. 278; Blei, JA 1971,786; Geppert, Sperrfrist, S. 42.

B. Die Regelung des § 67c Abs. 1

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"so großzügig" angewandt wissen will, "daß sie keine nennenswerte Belastung darstellt"23. Zuzugeben ist, daß die §§ 68 ff. theoretisch einen elastischen und auch sparsamen Einsatz der einzelnen Mittel ermöglichen. Auch sprechen erste Erfahrungsberichte von einem "deutlichen Übergewicht" der helfenden und stützenden Maßnahmen gegenüber den bloßen Kontrollmechanismen2(. Gleichwohl bleiben auch bei resozialisierungsbetonter Handhabung der Führungsaufsicht Beschränkungen für den bedingt Entlassenen bestehen. Die Führungsaufsicht verliert durch die Akzentuierung der Stützungs- und Betreuungskomponente nicht ihren Zwangscharakter. Selbst wenn der nicht einfache Versuch gelingt, das spannungsgeladene Nebeneinander von Betreuung und Überwachung in einer Weise miteinander in Einklang zu bringen, daß die tatsächlichen Belastungen für den Betroffenen so gering wie möglich gehalten werden, bleibt die Maßnahme ein Eingriff in die Lebensgestaltung 25 . Der Proband untersteht in jedem Fall der Aufsicht einer staatlichen Behörde und muß über sein Tun und Lassen Rechenschaft ablegen. Hinzu kommt die unabhängig von der Gestaltung der Führungsaufsicht existente Widerrufsandrohung. Gemessen an den Folgen der ursprünglich vorgesehenen Unterbringung mögen diese Beeinträchtigungen geringfügig erscheinen. Aus der Sicht des Betroffenen sind sie aber durchaus schwerwiegende Eingriffe in die Freiheit. Die der Äußerung von B. Maier zugrundeliegende Auffassung, eine nicht notwendige Maßregel sei bei milder Anwendung zulässig, ist für ein rechtsstaatlich orientiertes Maßregelrecht nicht tragbar26 . Die fehlende Legitimation für einen Rechtsgutseingriff kann nicht dadurch überspielt werden, daß man dessen Auswirkungen eindämmt. Das verfassungsrechtliche Übermaßverbot fordert eine Beschränkung belastender präventiver Maßnahmen auf das unerläßlich Notwendige. Besteht keine Gefahr mehr, ist einer Maßregel- auch einer milde gehandhabten - jede Grundlage entzogen. In diesem Fall stellen die Führungsaufsicht und die Widerrufsandrohung überflüssige und damit nicht zu rechtfertigende Belastungen dar. Zweck der Maßregeln ist es, im Interesse der öffentlichen Sicherheit künftige Straftaten durch Einwirkung auf den Täter zu verhindern. Von diesem Zweck her erfahren präventive Eingriffe in die Freiheit und Persönlichkeit des einzelnen ihre Rechtfertigung. Schuldüberschreitende 23 NJW 1977, 372; ähnlich Horstkotte, Prot. V, S.463; Schönke / Schröder / Stree, § 68 e Rdnr.4. 24 Blau, ZStW 89,522; siehe aber auch v. Glasenapp, ZRP 1979, 31 ff. 25 Grünwald, ZStW 76, 661; Maetzel, MDR 1971, 86; Hanack, Krim. Gegenwartsfragen 1972, 90; Müller-Dietz, Sanktionensystem, S.45. 26 Hanack, LK, § 68e Rdnr.12; Sack, MDR 1975,242. S·

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4. Kap.: Die Vorverlegung des Prognosezeitpunkts

Maßnahmen sind unter dem Gesichtspunkt der Verbrechensverhütung zulässig, wenn das Sicherungsbedürfnis im konkreten Fall gewichtiger ist als die aufzuopfernden Interessen des Individuums. Die Gefährlichkeit des Täters ist unverzichtbare Voraussetzung nicht nur für die Anordnung, sondern auch für die Aufrechterhaltung eines präventiven Rechtsgutseingriffs27 • Sind von dem Verurteilten keine Taten mehr zu erwarten, ist die Allgemeinheit nicht mehr bedroht. Für die Durchführung einer vorbeugenden Maßnahme - auch einer nichtfreiheitsentziehenden - fehlt es an der wichtigsten Voraussetzung, der Notwendigkeit ihres Einsatzes.

3. Vernachlässigung von Extremfällen Daß der Täter am Ende der Strafverbüßung völlig ungefährlich ist, wird außerordentlich selten vorkommen. Wenn nicht die Vollstreckung der Unterbringung erforderlich ist, so wird doch in aller Regel eine gewisse Überwachung des Entlassenen zum Schutz der Allgemeinheit unerläßlich sein. Angesichts der geringen praktischen Relevanz stellt sich die Frage, ob das Gesetz nicht "zugunsten einer einheitlichen und konsequenten Lösung"28 auf die Berücksichtigung solcher Ausnahmefälle verzichten kann. Für die Vernachlässigung dieser Extremfälle bei der Ausgestaltung der Überprüfungsvorschrift sprechen Praktikabilitätsgesichtspunkte und der Gedanke der Risikoverringerung. Für den Richter ist die Entscheidung nach § 67c Abs. 1 einfacher, wenn er nur feststellen muß, ob der Zustand des Täters die Vollstreckung der Unterbringung erforderlich macht. Auf diese Weise wird das Risiko ausgeschaltet, daß das Gericht voreilig die Ungefährlichkeit bejaht. Außerdem wird dadurch verhindert, daß sich die Rechtsordnung zu früh der strafrechtlichen Einwirkungsmöglichkeiten auf den Täter begibt. Die gestellte Frage ist aus mehreren Gründen zu verneinen. Weder die Sorge vor richterlichen Fehlentscheidungen noch das Bedürfnis nach einer einheitlichen Regelung können die Aufrechterhaltung belastender Maßnahmen gegenüber einem ungefährlichen Täter rechtfertigen. Es ist schon sehr zweifelhaft, ob der Gesetzgeber sich von dem Bemühen um Vereinheitlichung hat leiten lassen. Der Gedanke an eine einheitliche Lösung in dem Sinne, daß nach Strafverbüßung nur eine Vollstreckung der Maßregel oder eine bedingte Aussetzung in Betracht kommen soll, stand bei den Gesetzesberatungen jedenfalls nicht im Vordergrund. Entscheidender Grund für die Nichtaufnahme der Erledigung in § 67c Abs. 1 war vielmehr die Annahme, daß nach Strafverbüßung die Ungefährlichkeit des Verurteilten nie eindeutig feststellbar sei29 • Im übrigen zeigt die 27 Nowakowski, v. Weber-Festschr. (1963), S. 101; Hanack, LK, vor § 61 Rdnr. 28; Stratenwerth, SchwZStr 82,346; vgl. auch Begr. zu §§ 46-50 E 1925 S.43. 28 So Maier, NJW 1977, 372. 2V

Vgl. oben B. 11.

B. Die Regelung des § 67c Abs. 1

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Regelung des § 67c Abs.2, daß der Gesetzgeber die Differenzierung zwischen verminderter Gefährlichkeit und Ungefährlichkeit für durchführbar hält. Die Erledigung einer Maßregel vor Beginn ihrer Vollstrekkung stellt also keinen Fremdkörper im System des Maßregelrechts dar. Dem Bedürfnis nach Vereinheitlichung der gesetzlichen Regelung steht der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entgegen. Der in § 62 normierte Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gilt trotz des insoweit etwas mißverständlichen Gesetzeswortlauts nicht nur für die Anordnung einer Maßregel, sondern auch für alle weiteren Entscheidungen, die nach einer Maßregelanordnung nötig werden30 • Auch wenn das Gericht die Notwendigkeit der Vollstreckung einer Unterbringung überprüft, muß es seine Entscheidung an den in § 62 genannten Bezugspunkten messen. Steht fest, daß der Verurteilte keine rechtswidrigen Taten mehr begehen wird oder wegen seines körperlichen Zustandes sogar nicht mehr begehen kann, so ist die Aufrechterhaltung einer belastenden Maßnahme unter keinem Gesichtspunkt sachlich zu legitimieren31 • Die mindestens zweijährige Führungsaufsicht und die Widerrufs drohung sind in diesem Fall unverhältnismäßig.

4. Zusammentreffen von Bewährungsaujsicht und Führungsaujsicht Sieht man die Aussetzung der Maßregelvollstreckung nach § 67c Abs. 1 in Verbindung mit der Aussetzung des Strafrestes nach § 57, so scheint die Frage, ob Führungsaufsicht und Widerrufsdrohung gegenüber einem ungefährlichen Täter zu rechtfertigen sind, erheblich an praktischer Bedeutung zu verlieren. Bei einem Verurteilten, der in der Haftzeit ungefährlich wird, werden in aller Regel wegen des insoweit übereinstimmenden Prognoseinhalts auch die Voraussetzungen für eine Aussetzung des Strafrestes nach § 57 Abs.l vorliegen. Nach h.M. hindert das Bestehen einer Unterbringungsanordnung die Anwendung des § 57 nicht32 • Die Aussetzung des Strafrestes erfolgt zur Bewährung, ist ähnlich wie die Führungsaufsicht mit Auflagen und Weisungen verbunden und steht unter dem Vorbehalt des Widerrufs. § 68g Abs. 2, der trotz des Wortlauts ("angeordnet") auch für die kraft Gesetzes eingetretene Führungsaufsicht gilt33, sieht für den Fall des Zusammentreffens von Bewährungsund Führungsaufsicht sogar vor, daß das Gericht das Ruhen der FühHanack, LK, § 62 Rdnr. 7; 1. Bericht, S. 17; vgl. 1. Kap. Fußn.52. Im Ergebnis ebenso Sieverts, Ndschr. Bd.3, S. 160; Grünwald, ZStW 76, 661; Hanack, LK, § 68 e Rdnr. 25. 30

31

32

Vgl. 3. Kap. Fußn. 60.

Lackner, § 68g Anm.3; Schönke / Schröder / Stree, § 68g Rdnr.l0, 15; Dreher / Tröndle, § 68 g Rdnr. 3. 33

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4. Kap.: Die Vorverlegung des Prognosezeitpunkts

rungsaufsicht bestimmen kann. Dies bedeutet, daß ein Weisungsverstoß weder zu einer Verurteilung nach § 145 a noch zum Widerruf der Unterbringungsaussetzung nach § 67 g Abs. 1 Nr.2 führt3'. Gegen den bedingt Entlassenen können aufgrund einer anderen Rechtsvorschrift somit Überwachungs- und Betreuungsmaßnahmen durchgeführt werden, gegen deren grundsätzliche Zulässigkeit aber keine verfassungs rechtlichen Bedenken bestehen35 • Das bedeutet jedoch nicht, daß die Einwände gegen die Führungsaufsicht bei ungefährlichen Tätern hinfällig sind. Zum einen gibt es Fälle, in denen die Aussetzung der Unterbringung nicht mit einer Aussetzung des Strafrestes einhergeht. Der Täter kann die Strafe voll verbüßen, weil er - aus welchen Gründen auch immer - die nach § 57 Abs. 1 Nr. 3 erforderliche Einwilligung verweigert. Zu einer isolierten Aussetzung der Maßregelvollstreckung kann es schließlich bei folgendem Geschehensablauf kommen: Die Aussetzung des Strafrestes wird abgelehnt, weil die Prognose nach zwei Dritteln der Strafzeit noch ungünstig ist. Unmittelbar vor Ende der Strafhaft erleidet der Verurteilte einen schweren Unfall, der ihm die Begehung weiterer Taten unmöglich macht. Aber auch wenn die Aussetzung der Unterbringung und des Strafrestes zusammenfallen, hat der Täter - nicht nur wegen der Widerrufsmöglichkeit nach § 67 g - ein Interesse an der Erledigung der Maßregel. Die Möglichkeit, die Führungsaufsicht bis zum Ablauf der Bewährungszeit ruhen zu lassen, ist nach der gesetzlichen Regelung der Ausnahmefall. Grundsätzlich bestimmen nach § 68g Abs.2 die Vorschriften der Führungsaufsicht die Gestaltung der Aufsicht und der Weisungen. §§ 68 a, 68 b sind für den Betroffenen strenger als die entsprechenden Regelungen bei der Bewährungsaufsicht36 • Die Bestellung eines Bewährungshelfers ist bei der Führungsaufsicht obligatorisch; der Proband untersteht zusätzlich zwingend einer Aufsichtsstelle, deren Überwachungsbefugnisse sich im Gegensatz zu § 56 d Abs. 3 auf das gesamte (allgemeine) Verhalten erstrecken37 • Der Katalog der Weisungen in § 68 b ist im Hinblick auf die Überwachungsfunktion der Aufsichtsstelle weiter gefaßt als bei § 56 c, und die Weisungen sind zudem strafbewehrt. Bei einem Verstoß gegen eine Weisung der Führungsaufsicht droht dem Täter außer dem Widerruf der Aussetzung auch eine Bestrafung nach § 145 a. Auch wenn man der Auffassung folgt, das Gericht müsse bei pflichtgemäßer Ermessensausübung bei ungefährlichen Tätern stets die mildere Alternative wähHorn, SK, § 68 g Rdnr. 9; Hanack, LK, § 68 g Rdnr. 22. Eingehend Stree, Deliktsfolgen, S. 137 ff. 36 Hanack, LK, § 68 g Rdnr. 25; Zipf, Einführung, S. 99; Pätzold, Eingriffsvoraussetzungen bei freiheitsentziehenden Maßregeln, S.53. 37 Hanack, LK, § 68g Rdnr.7; Schönke / Schröder / Stree, § 68g Rdnr.5; Lackner, § 68 a Anm. 3. U

35

B. Die Regelung des § 67c Abs. 1

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len, also das Ruhen der Führungsaufsicht anordnen, führt die bloße Existenz der Führungsaufsicht zu Nachteilen für den Täter. Wegen der Nichteinrechnung der Bewährungszeit in die Dauer der FührungsauIsicht (§ 68 g Abs. 2 S. 2) kann er wegen derselben Tat eine außerordentlich lange Zeit unter Aufsicht stehen38 • V. Verfassungskonforme Auslegung des § 67 c Abs.l

Aus den bisher gefundenen Ergebnissen folgt nicht zwingend die Nichtigkeit des § 67c Abs. 1. Vielmehr ist zunächst zu prüfen, ob die Vorschrift verfassungskonform dahingehend ausgelegt werden kann, daß ein völlig ungefährlicher Täter unbedingt und endgültig entlassen werden muß. Das Problem einer verfassungskonformen Auslegung des § 67c Abs. 1 (bzw. seines Vorgängers, des § 42g LV.m. § 42h Abs.1 S.2) war schon einmal in einem anderen Zusammenhang Gegenstand kontroverser Gerichtsentscheidungen und Stellungnahmen39 : Nachdem das 1. StrRG die Anordnungsvoraussetzungen für die Sicherungsverwahrung in formeller und materieller Hinsicht verschärft hatte, stellte sich die Frage, ob eine nach den strengen Maßstäben des neugefaßten § 42 e nicht mehr zulässige Unterbringung nach Strafverbüßung noch vollstreckt werden durfte. Eine übergangsregelung für diese Fälle hatte der Gesetzgeber nicht erlassen. Mit dem Fehlen einer besonderen übergangsbestimmung hatte die h.M. dann auch ihre Auffassung begründet, daß für die Vollstreckung einer nach früherem Recht angeordneten Sicherungsverwahrung nicht die formellen Voraussetzungen des § 42 e n.F. vorzuliegen brauchento • Dagegen bestand Einigkeit, daß bei Fehlen der materiellen Voraus·· setzungen - etwa der Gefahr erheblicher Straftaten - die Unterbringung auf keinen Fall vollzogen werden durfte41 • Umstritten war allerdings, ob der Verzicht auf die Vollstreckung bei diesen Tätern als bedingte oder endgültige Entlassung zu verstehen seL Einige Oberlandesgerichte hatten den Standpunkt vertreten, daß die Entlassung nur eine bedingte seit2 • Zur Begründung hatten sie sich auf den ausdrücklichen Wortlaut der Aussetzungsvorschrift berufen (§ 42g Abs. 1 LV.m. § 42h Abs. 1 S. 2), Horn, SK, § 68g Rdnr. 8; Hanack, LK, § 68g Rdnr. 25. Zusammenfassend zum folgenden Lang-Hinrichsen, LK, 9. Aufl., § 42 h a.F. Rdnr. 13-15. tO OLG Celle NJW 1970, 1199; OLG Karlsruhe NJW 1971, 204; OLG Frankfurt NJW 1971, 903; Lang-Hinrichsen, LK, 9. Aufl., § 42f a.F. Rdnr.17; a.A. Köhler, NJW 1975, 1150; Neu, MDR 1973, 551. t1 OLG Celle NJW 1971,1191; KG JR 1971, 337; Maetzel, MDR 1971, 85; LangHinrichsen, LK, 9. Aufl., § 42 f a.F. Rdnr. 17 mit weit. Nachw. t2 OLG Karlsruhe NJW 1971,204; OLG Hamm NJW 1971, 205; OLG Oldenburg NJW 1971,1951; OLG Karlsruhe NJW 1974, 1390. 38

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4. Kap.: Die Vorverlegung des Prognosezeitpunkts

die eine unbedingte Entlassung nicht kannte. Überwiegend hatten Rechtsprechung und Schrifttum jedoch in verfassungskonformer Auslegung des § 42 h Abs. 1 S.2 angenommen, daß der Täter endgültig und unbedingt, d.h. ohne Widerrufsmöglichkeit und ohne Auferlegung besonderer Pflichten, zu entlassen sei43 • Die h.M. stellte darauf ab, daß sich § 42 h Abs. 1 S. 2 auf Fälle beziehe, in denen der Verurteilte zur Erprobung entlassen werde. Die "alten" Sicherungsverwahrten müßten dagegen entlassen werden, weil bei ihnen eine nach neuem Recht erforderliche Anordnungsvoraussetzung von vornherein nicht erfüllt sei. Auf solche Fälle sei die Regelung des § 42 h Abs. 1 S. 2 nicht zugeschnitten, vielmehr liege ein vom Gesetz nicht geregelter und vom Gesetzgeber nicht bedachter Fall vor. Diese Regelungslücke hatte die h.M. zum Anlaß genommen, den § 42 h Abs. 1 S. 2 verfassungskonform dahingehend auszulegen, daß der nach altem Recht Verurteilte endgültig zu entlassen sei. Diese zutreffenden Erwägungen lassen sich nicht ohne weiteres auf die Regelung des § 67c übertragen. Bei der Ausgestaltung der Überprüfungsvorschrift war für den Gesetzgeber die Überlegung maßgebend, daß nach Strafverbüßung bei Vorliegen besonderer Umstände der Verzicht auf die Vollstreckung einer Maßregel gewagt werden könne, das Risiko für die Allgemeinheit aber begrenzt werden müsse. Um beiden Gesichtspunkten- Vermeidung nicht erforderlicher Unterbringungen und Schutz der Allgemeinheit gleichermaßen Rechnung zu tragen, sieht das Gesetz vor, daß der Täter am Ende der Strafverbüßung zwar entlassen werden kann, die Entlassung aber nur bedingt und unter Aufrechterhaltung von Überwachungsmaßnahmen erfolgt. Die Nichtaufnahme der Erledigung der Maßregel entspricht dem ausdrücklichen und unmißverständlichen Willen des Gesetzgebers. Dieser Umstand spricht gegen die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung des § 67c Abs. 1 mit dem Ergebnis einer endgültigen Entlassung des Täters. Inhalt und Grenzen der verfassungskonformen Auslegung können im Rahmen dieser Arbeit nicht im einzelnen dargestellt werden, zumal die verfassungsrechtliche Rechtsprechung und Literatur die Grenzen nicht einheitlich zieht und begründetu. Als unbestritten kann jedoch der Grundsatz gelten, daß durch eine verfassungskonforme Auslegung einem Gesetz nicht ein von seinem Urheber nicht mehr gewollter Sinngehalt unterlegt werden kannu . Eine Auslegung 43 KG JR 1971, 337; OLG Nürnberg NJW 1971, 1573; OLG Hamburg MDR 1971,945 und NJW 1974, 197; Lang-Hinrichsen, LK, 9. Aufl., § 42h a.F. Rdnr. 14; Sack, MDR 1975, 242. U Zusammenfassend Spanner, AöR 91,503 ff.; Eckardt, Die verfassungskonforme Gesetzesauslegung, S. 37 ff. 45 BVerfGE 8, 28, 34; Spanner, AöR 91, 512; Zippelius, Bundesverfassungs-

B. Die Regelung des § 67c Abs. 1

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gegen den eindeutig feststell baren Willen bedeutet einen unzulässigen Eingriff in das gesetzgeberische Regelungsermessen und in die Kompetenz des Gesetzgebers. Die Grenze verläuft dort, wo aus der Gesetzesauslegung eine Gesetzesberichtigung wird. Die verfassungskonforme Auslegung ist unzulässig, wenn ihr Ergebnis das gesetzgeberische Ziel in einem wesentlichen Punkt verfälscht oder verfehW 6 • Dies scheint auf den ersten Blick der Fall zu sein, wenn man § 67c Abs. 1 verfassungskonform um die Erledigung der Maßregel ergänzt. Denn der Gesetzgeber hat sich bewußt gegen die völlige Aufhebung der angeordneten Maßregel entschieden; sein eindeutig erklärter Wille läßt diesbezüglich keine einschränkenden Interpretationen zu. Obwohl der Gesetzgeber der Einführung der Erledigung in § 67c Abs. 1 erkennbar ablehnend gegenüberstand, ist die Schwelle zur Gesetzesberichtigung noch nicht überschritten, wenn man die Vorschrift so auslegt, daß der Verurteilte bei völliger Ungefährlichkeit in die Freiheit zu entlassen ist. Aus der Systematik des Gesetzes und seiner Entstehungsgeschichte ergibt sich, daß der Gesetzgeber bei der Beratung des § 67c Abs.l von einem unrichtigen bzw. unvollständig erkannten Lebenssachverhalt sich motivieren ließ. Wie § 67c Abs. 2 S. 5 zeigt, sollte der Grundsatz, daß bei Ungefährlichkeit des Täters die Rechtfertigung für eine belastende Maßnahme der Gefahrenabwehr entfällt, im Gesetz durchaus seinen Ausdruck finden. Auf die Aufnahme der Erledigungsmöglichkeit in § 67c Abs.l hat der Gesetzgeber nur deshalb verzichtet, weil er glaubte, daß dem Richter am Ende der Strafhaft nie hinreichend Kriterien für die Feststellung der Ungefährlichkeit vorlägen. Daß diese Einschätzung in ihrer Verallgemeinerung unzutreffend ist, haben die vorausgegangenen Erörterungen gezeigt. Der Gesetzgeber hat sich von Fallgestaltungen leiten lassen, bei denen die Ungefährlichkeit in der Tat nicht sicher festgestellt werden kann. Insbesondere hat er die Gruppe der Täter, denen eine weitere Betätigung ihres kriminellen Hanges infolge Unfall oder Krankheit rein physisch nicht mehr möglich ist, nicht in die Überlegung einbezogen. Auf sie paßt das Argument nicht, mit dem die unterschiedlichen Rechtsfolgen in den beiden Absätzen des § 67c gerechtfertigt werden. Bei einem im Entlassungszeitpunkt schwer kranken oder gebrechlichen Täter kann mit viel größerer Wahrscheinlichkeit als bei einem Verurteilten, der - aus welchen Gründen auch immer - drei Jahre vom Maßregelvollzug verschont blieb, angenommen werden, daß er nicht mehr straffällig werden wird. Wenn erkennbar ist, gericht und Grundgesetz, Bd.2, S.117. Die Frage kann hier nicht vertieft werden. 46 BVerfGE 8, 28, 34; Bender, MDR 1959, 441 ff.; Bogs, Die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen, S. 62 ff.

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4. Kap.: Die Vorverlegung des Prognosezeitpunkts

daß der Täter zur Begehung weiterer Straftaten außerstande ist (z.B. weil er gelähmt oder erblindet ist), bedarf es keines Nachweises, daß er imstande ist, ein Leben ohne Straftaten zu führen. Auch aus kriminalpolitischer Sicht besteht kein Bedürfnis, den kriminell nicht mehr gefährlichen und nicht mehr gefährdeten Entlassenen durch die Widerrufsdrohung zu motivieren oder durch Überwachungsmaßnahmen zu kontrollieren. Dieser "Anschauungsfehler" des Gesetzgebers eröffnet die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung des § 67c Abs. 1 für die Fälle der völligen Ungefährlichkeit nach Strafverbüßung, ohne daß dadurch der Gesetzeszweck oder das gesetzgeberische Ziel in einem wesentlichen Punkt verfälscht wird. VI. Gesetzesvorschlag

Aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit sollte der Gesetzgeber die Erledigung der Maßregel ausdrücklich in § 67c Abs. 1 aufnehmen. In Anlehnung an § 67c Abs.2 S.5 könnte die geänderte Vorschrift folgenden Inhalt haben47 : "Wird eine Freiheitsstrafe vor einer zugleich angeordneten Unterbringung vollzogen, prüft das Gericht vor dem Ende des Vollzugs der Strafe, ob der Zweck der Maßregel die Unterbringung noch erfordert. Ist dies der Fall, ordnet das Gericht den Vollzug an. Ist der Zweck der Maßregel nicht erreicht, rechtfertigen aber besondere Umstände die Erwartung, daß er auch durch die Aussetzung erreicht werden kann, so setzt das Gericht die Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus; mit der Aussetzung tritt Führungsaufsicht ein. Ist der Zweck der Maßregel erreicht, so erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt." Eine derart ausgestaltete Überprüfungsvorschrift, die nicht nur für das unverminderte und für das abgeschwächte Fortbestehen der Gefährlichkeit, sondern auch für deren völlige Beseitigung eine spezielle Rechtsfolge bereithält, gleicht die Nachteile einer gewissen Vorsorglichkeit der Maßregelanordnung wieder aus. 47 Die Möglichkeit, den ungefährlichen Verurteilten nach Strafverbüßung vorbehaltlos in die Freiheit zu entlassen, hatte schon der Entwurf 1925 vorgesehen. Im Gegensatz zu der vorzeitigen Entlassung aus der Unterbringung, die nach § 49 Abs. 2 auf Probe erfolgen sollte, wollte § 47 Abs. 2 die unbedingte Aufhebung der Unterbringung erlauben, wenn "die Unterbringung durch den Strafvollzug überflüssig geworden ist". In der Begründung (Begr. zu §§ 46 bis 50 E 1925 S.43) wurde betont, daß eine Maßregel ihre einzige Berechtigung aus dem gefährlichen Zustand des Verurteilten schöpfe und deshalb entfallen müsse, wenn dieser gefährliche Zustand nicht mehr bestehe, wenn etwa der Trunksüchtige durch den Vollzug der Strafe dauernd entwöhnt oder der gefährliche Gewohnheitsverbrecher durch die Strafe gebessert worden sei.

B. Die Regelung des § 67c Abs. 1

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Nach der Aufnahme der Erledigungsmöglichkeit in § 67c Abs. 1 würde diese Vorschrift ein kriminalpolitisch sinnvoll abgestuftes Instrumentarium enthalten, das dem Vollstreckungsgericht in jedem Einzelfall eine rechtsstaatlich vertretbare Lösung des Konflikts zwischen dem Schutzbedürfnis der Allgemeinheit und dem Freiheitsinteresse des Straftäters ermöglicht. Bei andauernder Gefährlichkeit kann im Interesse des weiterhin bestehenden Sicherungsbedürfnisses kein Risiko eingegangen werden, die Sicherungsverwahrung muß vollstreckt werden. Bei zurückgegangener, aber noch nicht völlig beseitigter Gefährlichkeit besteht weiterhin ein, wenn auch nur abgeschwächtes, Sicherungsbedürfnis; das mit einer endgültigen Entlassung verbundene Risiko ist noch zu groß. Die Rechtsordnung kann aber bei Vorliegen besonderer Umstände das Wagnis der Freilassung des Verurteilten eingehen. Sie nimmt damit bewußt ein Risiko in Kauf, begrenzt es aber, indem dem Entlassenen mit den Einwirkungsmöglichkeiten der Führungsaufsicht die Wiedereingliederung erleichtert und nach Bedarf seine Lebensführung überwacht wird. Enttäuscht er die in ihn gesetzten Erwartungen bezüglich einer Legalbewährung, kann die Aussetzung widerrufen und die Maßregel vollstreckt werden. Freiheitsinteresse des Täters und Schutzbedürfnis der Allgemeinheit werden bei dieser Regelung berücksichtigt, ohne daß einem von beiden ein nicht vertretbarer Vorrang eingeräumt wird. In den wenigen Fällen des völligen Wegfalls der Gefährlichkeit bis zum Ende der Strafhaft kann der Verurteilte vorbehaltlos in die Freiheit entlassen werden. Dieser Täter stellt für die Allgemeinheit kein Risiko mehr dar. Wenn seine Schuld verbüßt ist, hat die Gesellschaft kein Recht mehr, seine Freiheit zu beschränken. VII. Zusammenfassung der Ergebnisse des 4. Kapitels

Das abschließende Urteil über die Vorverlegung des Prognosezeitpunkts fällt in dieser Arbeit im Gegensatz zu dem fast ausnahmslos zustimmenden Echo in Rechtsprechung und Literatur nicht durchweg positivaus. Unter dem Aspekt der Prognosestellung bedeutet die Rechtsänderung ohne Frage eine Verbesserung gegenüber dem alten Recht, die im Interesse sowohl eines effektiven als auch maßvollen Einsatzes der Maßregeln dringend geboten war. Die Vorverlegung schaltet den Unsicherheitsfaktor der mutmaßlichen Entwicklung des Verurteilten im Vollzug aus und stellt die Voraussage auf eine tragfähigere Beurteilungsgrundlage. Die Aufgabe des Richters bei der Anordnung wird dadurch spürbar erleichtert, allerdings auch die Gefahr voreiliger Anordnungen erhöht.

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4. Kap.: Die Vorverlegung des Prognosezeitpunkts

Unbefriedigend ist die Ausgestaltung der Überprüfungsvorschrift, die das Gericht vor dem Ende des Strafvollzugs zur Prüfung verpflichtet, ob der Zweck der Maßregel die Unterbringung noch erfordert. Nach dem Wortlaut und dem Willen des Gesetzgebers läßt § 67c Abs. 1 dem Richter nur die Entscheidung zwischen der Vollstreckung der Maßregel und der Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung. Bei einem nach Strafverbüßung völlig ungefährlichen Täter sind die mit einer bedingten Aussetzung verbundenen Belastungen jedoch nicht zu rechtfertigen. Ihm muß in verfassungskonformer Auslegung des § 67c Abs. 1 die vorbehaltlose Freiheit gewährt werden. Diese Auslegung ist trotz des erkennbar gegen die Einführung der Erledigung gerichteten Willens des Gesetzgebers möglich, weil der Fall der Ungefährlichkeit in den Gesetzesberatungen ersichtlich nicht in die Überlegungen einbezogen wurde. Im Interesse der Rechtssicherheit und der Rechtsklarheit sollte der Gesetzgeber die Möglichkeit der Erledigung de'r Maßregel in § 67c Abs. 1 aufnehmen.

5. Kapitel

Voraussetzungen für den Verzieht auf die Anordnung einer freiheitsentziehenden Ma.6regel A. Anforderungen an die milderen Maßnahmen Nachdem die Voraussetzungen der Gefährlichkeit und der Subsidiarität unter dogmatischen Gesichtspunkten untersucht worden sind, werden nun zum Abschluß der Arbeit kursorisch die Anforderungen dargestellt, denen mildere Maßnahmen genügen müssen, um die Anordnung einer Maßregel überflüssig zu machen'. Der folgende knappe Überblick kann und soll eine empirische Untersuchung natürlich nicht ersetzen. Angesichts der Komplexität des Problems kann es nur darum gehen, Voraussetzungen zusammenzustellen, deren Vorliegen dem Gericht Anhaltspunkte für die Entscheidung an die Hand geben. I. Freiwillige Maßnahmen des Täters

Soweit für die Durchführung der freiwilligen Maßnahme hauptsächlich der Täter verantwortlich ist und es allein von ihm abhängt, ob und wie lange sie aufrechterhalten wird, bleibt dieses Mittel regelmäßig zu unsicher, als daß es einen ausreichenden Schutz der Allgemeinheit gewährleisten könnte!. Dies gilt insbesondere für den freiwilligen Eintritt in eine Anstalt, die der Täter jederzeit wieder verlassen kann, ohne daß der Strafrichter ihn daran hindern könnte. Im Einzelfall kommt es auf die Organisation der Anstalt sowie auf die Art der geistigen Erkrankung und den Grad der vom Untergebrachten ausgehenden Gefahr an. Ähnliche Bedenken bestehen bei einer Heilbehandlung außerhalb einer Anstalt, die eine aktive Mitarbeit des Patienten und ein großes Durchhaltevermögen voraussetzt. Ausnahmen sind vorstellbar, wenn das Gericht zu der Überzeugung gelangt, daß der Täter Einsicht in seinen gefährlichen Zustand gewonnen hat, und er den ernstlichen Willen zeigt, sich behandeln zu lassen3 • In , Entweder weil sie die Gefährlichkeit ausschließen (wenn sie bereits eingeleitet sind) oder aus 8ubsidiaritätsgründen. 2 Hanack, LK, § 63 Rdnr. 83; Lackner, § 63 Anm. 2c dd; Wenz, Das Verhältnis der strafrechtlichen Unterbringung zu außerstrafrechtlichen Maßnahmen, 8.192, der sich eingehend mit den einzelnen in Betracht kommenden milderen Maßnahmen befaßt.

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5. Kap.: Voraussetzungen für den Verzicht auf die Anordnung

diesem Zusammenhang spielt der Umstand eine Rolle, daß eine vom Patienten ernsthaft gewollte und innerlich bejahte Behandlung erfolgversprechender sein kann als eine erzwungene Maßnahme. Dieser Gesichtspunkt ist namentlich bei Süchtigen zu beachten, bei denen sich mit einer freiwillig übernommenen Therapie vielfach bessere Erfolge erzielen lassen als mit einer zwangsweisen Unterbringung 4 • In aller Regel wird jedoch bei dem ungünstig prognostizierten Täterkreis das Angebot einer freiwilligen Behandlung die Erforderlichkeit der Unterbringung nicht ausschließen. Im Hinblick auf das Fehlen jeglicher Kontroll- oder Druckmöglichkeiten kann es kaum verantwortet werden, auf eine bloße Zusage des Betroffenen hin auf die Anordnung einer Maßregel gegen einen gefährlichen Täter zu verzichten. Generalisierbare Kriterien lassen sich in diesem Bereich nicht aufstellen; entscheidend ist die individuelle Prüfung unter Berücksichtigung aller Umstände. 11. Vberwachung des Täters durch Angehörige

Bei Betreuung und Überwachung des Täters durch nahestehende Personen kommt ein Verzicht auf die Unterbringung noch am ehesten in Betracht. Zwar fehlen auch in diesem Fall die Möglichkeiten staatlicher Einflußnahme und Kontrolle, doch kann dieser Gesichtspunkt zurücktreten, wenn die Betreuungspersonen zuverlässig sind und sichergestellt ist, daß eine Betreuung und Überwachung des Täters tatsächlich durchgeführt wird. Vornehmlich bei erzieherisch noch beeinflußbaren jüngeren oder in Versorgung und Verpflegung von der Familie abhängigen älteren Tätern ist es möglich, daß diese Maßnahme ausreicht5 • Freilich sind an die Zuverlässigkeit und Qualifikation der Betreuungspersonen strenge Anforderungen zu stellen. Neben einem hohen Maß an Verantwortungsbewußtsein ist ein starkes zeitliches und persönliches Engagement vorauszusetzen. Dagegen ist es kaum vorstellbar, daß der Gefährlichkeit eines aktiven Hangtäters 6 durch schonendere Maßnahmen ausreichend begegnet werden kann.

3 OLG Stuttgart JZ 1951, 53 mit zust. Anm. Bader; Hanack, LK, § 64 Rdnr. 83; Wenz, Das Verhältnis der strafrechtlichen Unterbringung zu außerstrafrechtrechtlichen Maßnahmen, S. 197; Koch, MDR 1961, 563; vgl. auch BGH 1 StR

190172 v. 20.6.1972.

• Lang-Hinrichsen, LK, 9. Aufl., § 42c a.F. Rdnr. 18, 88 mit weit. Nachw. 5 RG HRR 1937, Nr. 201; RG JW 1938,2890 Nr. 3; Jagusch, LK, 8. Aufl., § 42b a.F. Anm. II 3; Wenz, Das Verhältnis der strafrechtlichen Unterbringung zu

außerstrafrechtlichen Maßnahmen, S.203. 8 Zur Charakteristik des Hangtäters vgl. Hanack, LK, § 66 Rdnr. 69 ff. mit weit. Nachw.; Hellmer, ZStW 73,441.

A. Anforderungen an die milderen Maßnahmen

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111. Staatliche Maßnahmen

Sehr zweifelhaft ist, ob die Entmündigung und die Bestellung eines Vormunds den Schutz der Allgemeinheit gewährleisten kann. Die Entmündigung als solche vermag dies sicherlich nicht, da sie nicht in erster Linie das Interesse der Allgemeinheit im Auge hat. Hinzukommen müssen eigene Maßnahmen des Vormunds. Dieser wird im allgemeinen nicht in der Lage sein, das Mündel auf Schritt und Tritt zu überwachen. In der Regel wird die erforderliche intensive Betreuung und Überwachung die Kräfte und Fähigkeiten des Vormunds übersteigen7 • Im Einzelfall kann auch hier ein besonderes Engagement des Vormunds eine andere Beurteilung rechtfertigen, insbesondere wenn der Vormund durch Angehörige des Täters unterstützt wird8 • Von keiner der hier genannten Ersatzmaßnahmen läßt sich generell sagen, daß sie die Allgemeinheit ausreichend schützt. Solange das Gericht nicht überzeugt ist, daß die mildere Maßnahme so lange und so intensiv, wie zur Bekämpfung der Tätergefährlichkeit nötig, durchgeführt wird, muß es die strafrechtliche Maßregel anordnen. Ausnahmen sind insbesondere dann in Erwägung zu ziehen, wenn mehrere voneinander unabhängige Faktoren für den Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten sorgen, etwa wenn mehrere Maßnahmen zusammentreffen und sich in ihrer Wirkung ergänzen oder wenn verschiedene Personen oder Institutionen zur Mitarbeit bereit und fähig sind. So kann im Einzelfall die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt überflüssig sein, wenn der Täter sich freiwillig einer Entziehungskur unterzieht und Angehörige oder ein Vormund ihm dabei zur Seite stehen. IV. Unterbringung nach Landesrecht

Näher muß auf die Unterbringung nach Landesrecht eingegangen werden, da es sich hierbei - im Gegensatz zu den anderen in Betracht kommenden milderen Mitteln - um eine Maßnahme handelt, die von staatlicher Seite nicht nur eingeleitet, sondern auch durchgeführt wird. Wie bereits dargestel1t9 , gehörte das Verhältnis von Unterbringung in einer Heil- oder Pflege anstalt zur Unterbringung nach den Landesunterbringungsgesetzen zu den umstrittensten Fragen des alten Rechts, für die die Entscheidung des BGH im 24. Band 10 zwar eine gewisse Beruhi7 BGHSt.15, 279; BGH 1 StR 184/72 v. 20.5.1972; Hana.ck, LK, § 63 Rdnr.84; ähnliche Maßstäbe gelten für die Bestellung eines Pflegers. 8 BGH NJW 1951, 724 und 969; Wenz, Das Verhältnis der strafrechtlichen Unterbringung zu außerstrafrechtlichen Maßnahmen, S.215; Koffka, JR 1971, 426. 9 Vgl. oben 2. Kap. B. Ir. 2. b). 10 BGHSt. 24, 98. Einen überblick über die Entwicklung der Rechtsprechung und den derzeitigen Meinungsstand gibt Hanack, LK, § 63 Rdnr. 106 ff.

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5. Kap.: Voraussetzungen für den Verzicht auf die Anordnung

gung, aber noch keine endgültige und befriedigende Klärung gebracht hat. Auch für das neue Recht gilt, daß zwischen beiden Unterbringungsformen keine verfahrensrechtliche Spezialität besteht. Vielmehr können das Verfahren nach § 63 und das Verfahren nach den Landesunterbringungsgesetzen nebeneinander eingeleitet und durchgeführt werdenl1 • 1. Voraussetzungen für eine Unterbringung nach Landesrecht

Zum besseren Verständnis werden kurz die Voraussetzungen für eine Unterbringung nach Landesrecht beschrieben: Die landes rechtliche Unterbringung ist eine Maßnahme des Polizeirechts i.w.S. und beruht auf den (oft miteinander rivalisierenden) Prinzipien der Gefahrenabwehr und der Fürsorge. Trotz der außerordentlichen Rechtszersplitterung lassen sich aus allen Regelungen folgende sachlich übereinstimmenden Voraussetzungen herausarbeiten: (1) Vorliegen einer Geisteskrankheit, Geistesschwäche oder Suchtkrankheit; (2) Aufgrund dieser Krankheit bzw. Sucht muß der Betreffende die öffentliche Sicherheit und Ordnung bedrohen l2 ; (3) Erforderlichkeit der Unterbringung. Liegen die drei genannten Voraussetzungen vor, kann der Täter auf Antrag der Verwaltungsbehörde vom Gericht in einer psychiatrischen Anstalt untergebracht werden. Die Begehung einer Straftat ist für die landesrechtliche Unterbringung im Unterschied zur strafrechtlichen keine notwendige Bedingung.

2. Verzicht auf Maßregelanordnung wegen Unterbringung nach Landes1'echt? Bei Beantwortung der Frage, ob eine bereits erfolgte oder mögliche Unterbringung nach Landesrecht die Anordnung einer strafrechtlichen Maßregel überflüssig macht, kommt dem Gesichtspunkt des "Sicherungswerts" einer landesrechtlichen Unterbringung eine entscheidende Bedeutung zu. Der von den Landesgesetzen erfaßte Personenkreis wird in denselben Anstalten wie die von einer Maßregel Betroffenen untergebracht13 • Schon 11 Begr. vor § 81 E 1962 S. 208; Wenz, Das Verhältnis der strafrechtlichen Unterbringung zu außerstrafrechtlichen Maßnahmen, S.244; Hanack, LK, § 63 Rdnr. 106 ff.; a.A. auch für das neue Recht Baumann, AT, S. 744 Fußn. 13. 12 Im Unterschied zu § 63 reicht hier eine Selbstgefährdung aus, vgl. Saage / Göppinger, III Rdnr. 160 ff. 13 Wenz, Das Verhältnis der strafrechtlichen Unterbringung zu außerstrafrechtlichen Maßnahmen, S. 101; Baumann, Unterbringungsrecht, S. 431. Nach § 138 StVollzG richtet sich der Vollzug der (strafrechtlichen) Unterbringung gerade nach landesrechtlichen Vorschriften.

A. Anforderungen an die milderen Maßnahmen

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dieser Aspekt spricht dafür, den Sicherungswert einer Unterbringung nach Landesrecht nicht geringer anzusetzen als den einer strafrechtlichen Maßregel. Wenn die h.M. der landesrechtlichen Unterbringung gleichwohl einen geringeren Sicherungswert beimißt, so begründet sie dies in erster Linie mit der Möglichkeit der Beurlaubung des Untergebrachten!«. Ein Teil der Landesgesetze enthält ausdrückliche Bestimmungen über die Beurlaubung von Untergebrachten l5 • Die einzelnen Regelungen weisen hinsichtlich Entscheidungsbefugnis und zeitlicher Dauer große Unterschiede auf. In den meisten Gesetzen ist für kürzere Beurlaubungen der Anstaltsleiter oder die Verwaltungsbehörde, für längere das Gericht zuständig. In den Ländern ohne ausdrückliche Regelung ist die Urlaubsgewährung durch den Anstaltsleiter ausgeschlossen l6 • Nach h.M. kann der Untergebrachte aber auch in diesen Ländern aufgrund richterlicher Anordnung beurlaubt werden l7 • Die Möglichkeit der Beurlaubung mindert entgegen der h.M. den Sicherungswert der landesrechtlichen Unterbringung im Vergleich zur strafrechtlichen nicht. Die Beurlaubung ist nur bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen zulässig. Diese Voraussetzungen sind an den Erfordernissen der Sicherung der Allgemeinheit ausgerichtet. Eine Beurlaubung darf nur angeordnet werden, wenn für den Untergebrachten eine günstige Prognose gestellt werden, d.h., wenn ein Rückfall mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann l8 • Soweit der Unterbringungsrichter für die Urlaubs anordnung zuständig ist, kann angenommen werden, daß er nicht weniger verantwortungsbewußt als der Strafrichter die Belange der öffentlichen Sicherheit bei seiner Entscheidung berücksichtigt. Die Bedenken der Rechtsprechung scheinen sich vor allem auf die Befugnisse des Anstaltsleiters zur Urlaubsgewährung zu gründen19 • Entscheidend für die Beurteilung des Sicherungswerts einer landesrechtlichen Unterbringung ist nicht die rechtliche Möglichkeit, sondern die konkrete Wahrscheinlichkeit einer Beurlaubung durch den Anstaltsleiter. Gerade der Anstaltsleiter ist als Arzt am besten in der Lage, den Gefährlichkeitsgrad des Untergebrachten zu beurteilen. Der 14 BGHSt. 19, 348, 349 mit Anm. Busch, LM Nr. 24 zu § 42 b a.F.; BGHSt. 24, 94, 102; LG Frankfurt NJW 1960, 1398; Schmidt-Futterer, MDR 1967, 358. 15 überblick bei Saage / Göppinger, In Rdnr. 828 ff. 16 Baumann, Unterbringungsrecht, S.449; Wenz, Das Verhältnis der strafrechtlichen Unterbringung zu außerstrafrechtlichen Maßnahmen, S.103; Franke, NJW 1960, 1374; a.A. (die baden-württembergische Regelung betreffend) Saage / Göppinger, In Rdnr. 839. 17 Baumann, Unterbringungsrecht, S. 449; Saage / Göppinger, In Rdnr.829. 18 Saage / Göppinger, In Rdnr. 833; Franke, NJW 1960, 1374; Wenz, Das Verhältnis der strafrechtlichen Unterbringung zu außerstrafrechtlichen Maßnahmen, S.107. 19 BGH 2 StR 1/59 v. 4.3.1959; BGHSt. 19, 348, 349; BGH NJW 1967, 686.

9 B. Müller

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5. Kap.: Voraussetzungen für den Verzicht auf die Anordnung

Gesetzgeber erkennt dies an, indem er bei Zuständigkeit des Richters eine Anhörung des Anstaltsleiters vorschreibt20 • Es darf nicht unterstellt werden, daß der Anstaltsleiter sachlich nicht vertretbare Beurlaubungen gewährt. Wenn die h.M. demgegenüber geltend macht, daß die kriminelle Neigung eines landesrechtlich Untergebrachten dem Anstaltsleiter oder Richter möglicherweise nicht bekannt sei, da die Begehung einer Straftat gerade nicht zu den notwendigen Unterbringungsvoraussetzungen zähle 21 , so liegt dem eine etwas praxisfremde Einschätzung zugrunde. Der Einwand, daß aus Unkenntnis des Gefährlichkeitsgrades nicht vertretbare Beurlaubungen oder Entlassungen ausgesprochen werden könnten, kann von vornherein nur solche Unterbringungen betreffen, die auf einem anderen und andersartigen Anlaß beruhen als eine vorgesehene strafrechtliche Unterbringung. Aber auch in diesen Fällen ist zu bedenken, daß sich Überwachung und Behandlungsmethoden nicht nach dem Anlaß der Unterbringung richten, sondern nach den Ergebnissen einer gründlichen medizinischen Untersuchung des Eingewiesenen. Auch wenn von dem Kranken verschiedene Arten von Gefahren ausgehen sollten, werden diese in aller Regel auf derselben geistigen Erkrankung beruhen. Ist es schon unwahrscheinlich, daß bei einer eingehenden medizinischpsychiatrischen Untersuchung des Täters dessen Gefährlichkeit unerkannt bleibt, so wird in den extremen Ausnahmefällen die in der Praxis übliche Benachrichtigung des Anstaltsleiters über laufende Strafverfahren für die nötige Kenntnis sorgen. Im übrigen ist immer zu bedenken, daß auch ein Täter, gegen den eine Maßregel vollstreckt wird, nun nach § 138 StVollzG beurlaubt werden kann. Als Ergebnis dieser Untersuchung kann festgehalten werden, daß die Unterbringung nach landesrechtlichen Vorschriften keinen geringeren Sicherungswert als die strafrechtliche Unterbringung hat22 • Dafür garantieren die Parallelen hinsichtlich Verwahrungsort, Art der Überwachung und Behandlung. Für den hier vertretenen Ausgangspunkt bedeutet dieses Ergebnis, daß eine Unterbringung nach den §§ 63 ff. nicht angeordnet werden darf, wenn der Täter bereits landes rechtlich untergebracht ist. Steht fest 23 , daß der Täter nach Landesrecht untergebracht werden wird, kann nach dem Subsidiaritätsgrundsatz auf die Anordnung einer strafrechtlichen Maßregel verzichtet werden. überblick bei Saage / Göppinger, III Rdnr. 845. BGHSt.24, 98, 103; Schmidt-Futterer, MDR 1967, 358. 22 So auch Hanack, LK, § 63 Rdnr. 108; Wenz, Das Verhältnis der strafrechtlichen Unterbringung zu außerstrafrechtlichen Maßnahmen, S. 127; Gribbohm, JuS 1967, 354; Böning, SchlHA 1960, 161; zweifelnd Lackner, § 63 Anm. 2 c dd. 23 Zu bedenken ist dabei, daß der Strafrichter keinen Einfluß auf die Durchführung des Verfahrens hat. 20

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B. Geltung des Grundsatzes "In dubio pro reo"

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B. Geltung des Grundsatzes" in dubio pro reo" im Maßregelrecht Entscheidungen über Anordnungen oder Aufhebungen von Maßregeln setzen eine Vorhersage über künftiges menschliches Verhalten voraus. Um die Entwicklung eines Menschen beurteilen zu können, ist eine umfassende Würdigung seines Vorlebens, seiner Persönlichkeit und seiner Lebensumstände erforderlich. Eine eindeutige Prognose wird in diesem Bereich auch nach Ausschöpfung aller verfügbaren Erkenntnisquellen selten möglich sein. Dem Richter stehen für seine schwierige Aufgabe kaum verläßliche Grundlagen und gesicherte Erkenntnisse zur Verfügung. Es liegt in der Natur der Sache, daß er häufig aus der Bewertung vieler Einzeltatsachen über den Täter keine sichere überzeugung gewinnen kann. Bleiben Zweifel, ob die für die Anordnung oder Aufrechterhaltung einer Maßregel erforderlichen Voraussetzungen vorliegen, stellt sich die Frage, ob nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" zu entscheiden ist. I. Zweifel bei Zukunftsprognosen

Nach einer Mindermeinung soll der fundamentale prozeßrechtliche Grundsatz "in dubio pro reo" im Maßregelrecht nicht geltenu. Soweit sich die Zweifel des Richters auf die dem Prognoseurteil zugrundeliegenden Tatsachen sowie auf das Vorliegen der formellen Voraussetzungen beziehen, ist diese Auffassung sicherlich nicht vertretbar. Es ist kein Grund ersichtlich, warum bei Entscheidungen im Maßregelrecht Tatsachen aus dem Geltungsbereich strafprozessualer Garantien herausfallen sollten. Die rechtsstaatlichen Gesichtspunkte, die den verfassungsrechtlichen Charakter des in dubio pro reo-Grundsatzes begründen, treffen auf sie in derselben Weise ZU25 • Zweifel, ob bestimmte prognoserelevante Tatsachen vorliegen, sind also stets zugunsten des Täters zu lösen. Darin soll sich nach der Mindermeinung jedoch der Anwendungsbereich des in dubio pro reo-Grundsatzes bei Prognoseurteilen erschöpfen. Dieses Prinzip - so wird in diesem Zusammenhang argumentiert - sei eine Regel für die Sachverhaltsfeststellung, die bei der Gewinnung eines überzeugungsgrades nicht gelten könne26 • Die Gegenüberstellung von Sachverhaltsfeststellung und richterlicher Überzeugungsbildung ist jedoch für diesen Problembereich unergiebig 27 • 2C Rietzsch, Die Anordnung der Sicherungsverwahrung, S.60; Sieverts, Handwörterbuch, S. 592; Dreher, 37. Aufl., vor § 61 Rdnr. 3; Kleinknecht, § 261 Rdnr. 27; Bockelmann, AT, S. 284; Geerds, MschrKrim 43,44; OLG Hamm NJW 1971, 1618, 1620. 25 Stree, In dubio pro reo, S. 93; Geppert, Sperrfrist, S. 117. 21 So in anderem Zusammenhang Peters, Strafprozeß, S. 595.

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5. Kap.: Voraussetzungen für den Verzicht auf die Anordnung

Sachverhaltsfeststellung und Überzeugungsbildung sind keine unterschiedlichen Formen, sondern nur verschiedene Stufen der richterlichen Tätigkeit. Auch die Sachverhaltsfeststellung von vergangenen Geschehnissen vollzieht sich in Form eines Überzeugungsurteils, nämlich des Urteils, daß sich die bestimmte Tatsache in der Vergangenheit ereignet habe. Ebenso wie bei der Ermittlung vergangener Tatsachen können auch bei der Überzeugungsbildung über das Vorliegen eines Wahrscheinlichkeitsgrades unüberwindbare Zweifel auftreten. Angesichts der vielschichtigen Wechselwirkungen und der gegenseitigen Abhängigkeiten der Prognosefaktoren und des unbefriedigenden Standes der Prognoseforschung ist es durchaus vorstellbar, daß der Richter die Zweifel, ob die Wahrscheinlichkeit den geforderten Grad erreicht, nicht ausräumen kann. Er befindet sich dann gen au in der Situation des non-liquet, wie sie für Tatsachenfeststellungen typisch ist. In logischer Hinsicht stellt sich das Problem der Anwendung des Grundsatzes "in dubio pro reo" bei Beurteilung einer Wahrscheinlichkeit nicht anders als bei Feststellung einer Tatsache 28 • Wegen der unterschiedlichen Ausgangslage ist es angebracht, in den folgenden Ausführungen zwischen Anordnungs- und Aufhebungsentscheidungen zu differenzieren. 11. Anordnung von Maßregeln

1. Gejährlichkeitsprognose Drehe?· begründet die Unanwendbarkeit des in dubio pro reo-Grundsatzes bei Prognose entscheidungen mit der Immanenz von Zweifeln bei jeder Zukunftsprognose. Da eine Zukunftsprognose stets zweifelbehaftet sei, der Richter folglich nie die volle Überzeugung von einem künftigen Geschehen erlangen könne, ist nach seiner Auffassung für den Grundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten" kein Raum 29 • Dreher schließt, wie die klärenden Ausführungen von Bruns 30 deutlich aufzeigen, in unzulässiger Weise von dem materiell-rechtlichen Inhalt des Gefährlichkeitsbegrifrs auf seine prozessuale Feststellung.

Zutreffend ist, daß einem Prognoseurteil allein schon wegen des begrenzten menschlichen Tatsachen- und Erfahrungswissens notwendig ein Zweifel immanent ist. Das Gesetz trägt der unvermeidlichen Unsicherheit bei Prognoseentscheidungen dadurch Rechnung, daß es nicht eine Gewißheit künftigen Fehlverhaltens verlangt, sondern sich mit Schünemann, zstW 84, 875; Terhorst, MDR 1978, 975. Schünemann, ZStW 84, 880; Terhorst, MDR 1978, 975. 29 37. Auf!., vor § 61 Rdnr.3 (anders jetzt die von Tröndle bearbeitete 39. Auf!.); ähnlich Kleinknecht, § 261 Rdnr.27. 30 In JZ 1958, 647 ff. 27

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B. Geltung des Grundsatzes "In dubio pro reo"

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einer Wahrscheinlichkeit als sachlicher Voraussetzung begnügt. Beweisthema richterlicher Überzeugungsbildung ist demnach nicht die Frage, ob der Angeklagte in Zukunft wieder straffällig werden wird, sondern ob ein Rückfall mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist31 • Insofern kann von einer Entscheidung des Gesetzgebers zuungunsten des Täters gesprochen werden. Daß materiell-rechtlich eine Wahrscheinlichkeit ausreicht, setzt aber gerade nicht den Grad der richterlichen Überzeugung bei der prozessualen Feststellung eben dieser Wahrscheinlichkeit herab. Um eine Maßregel anordnen zu können, muß der Richter vielmehr überzeugt sein, daß der Täter wahrscheinlich wieder erhebliche Taten begehen wird32 • Die diesem Wahrscheinlichkeitsurteil eigene Ungewißheit darf nicht mit der subjektiv-individuellen Ungewißheit des Urteilenden verwechselt werden. Die Argumente gegen die Geltung des Grundsatzes "in dubio pro reo" bei Prognoseurteilen sind demnach nicht durchschlagend. Damit steht aber noch nicht zwingend fest, daß der Grundsatz auch bei Prognoseentscheidungen im Maßregelrecht anzuwenden ist33 • Eine an Sinn und Zweck der Maßregelvorschriften orientierte Auslegung könnte dem entgegenstehen. Bei der Anordnung einer Maßregel ist zu berücksichtigen, daß durch die auf materiell-rechtlicher Ebene vorgenommene Beschränkung auf Wahrscheinlichkeitsurteile der Betroffene das Risiko trägt, seiner Freiheit beraubt zu werden, obwohl er möglicherweise nicht mehr straffällig werden würde34 • Dieses dem Täter aufgebürdete Risiko läßt sich nur damit rechtfertigen, daß die Unzulänglichkeit des menschlichen Erkenntnisvermögens eine sichere Zukunftsprognose nicht ermöglicht, die Gemeinschaft jedoch um eines geordneten Zusammenlebens willen nicht auf eine vorbeugende Gefahrenabwehr verzichten kann. Wer aller Wahrscheinlichkeit nach den Rechtsfrieden erheblich stören wird, muß Maßnahmen gegen seine Gefährlichkeit in Kauf nehmen, selbst auf die Möglichkeit hin, daß sich die Gefahr in Wirklichkeit nicht in einer tatsächlichen Störung ausgewirkt hätte. Läßt sich diese an sich schon problematische 31 Nowakowski, v. Weber-Festschr. (1963), S. 116; Geppert, Sperrfrist, S. 119; Terhorst, MDR 1978, 974. 32 Prägnant Sarstedt, Revision, S. 251: "Es gibt eine überzeugung von der Wahrheit und eine überzeugung von der Wahrscheinlichkeit." 33 So kann die Geltung des in dubio pro reo-Grundsatzes bei der Gefährlichkeitsprognose nicht damit begründet werden, daß materiellrechtlich die bloße Möglichkeit weiterer Straftaten nicht genügt (so aber v. Kaenel, Sozialgefährlichkeit, S. 160). Nicht nachvollziehbar ist die überlegung von Exner, ZStW 53, 648 Fußn. 6, der die Geltung des Prinzips "in dubio pro reo" aus dem Erfordernis der Zwei-Drittel-Mehrheit (§ 263 StPO) bei der Entscheidung über die Anordnung von Maßregeln herleiten will. 34 Zum folgenden vgl. insbesondere Stree, In dubio pro reo, S. 95 ff.

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5. Kap.: Voraussetzungen für den Verzicht auf die Anordnung

Berechtigung für eine Freiheitsentziehung nicht einmal sicher ermitteln, so könnte eine dennoch angeordnete Maßregel den Täter über den ohnehin schon bestehenden Unsicherheitsfaktor hinaus zu Unrecht belasten. Dieses Ergebnis ist mit der in einem Rechtsstaat geltenden generellen Freiheitsvermutung zugunsten des einzelnen nicht zu vereinbaren. Schließlich gebietet auch das rechtsstaatliche Prinzip der GesetzmäßigkeW' die Anwendung des Grundsatzes "in dubio pro reo" bei der Anordnung einer Maßregel. Eingriffe in den Freiheitsbereich des einzelnen sind danach nur zulässig, wenn eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung Voraussetzungen, Art und Ausmaß des Eingriffs bestimmt. Bei einem "non-liquet" sind die Befugnisse für den Eingriff jedoch nicht sicher festgestellt. In prozessualer Hinsicht gelten also bezüglich der Feststellung der Gefährlichkeit die allgemeinen prozeßrechtlichen Grundsätze. Um eine Maßregel anordnen zu können, muß der Richter davon überzeugt sein, daß der Täter wahrscheinlich weitere Straftaten begehen wird. Hält er eine künftige Straffälligkeit nur für möglich, nicht aber für wahrscheinlich, darf er eine Maßregel nicht verhängen. Hat er Zweifel, ob der erforderliche Wahrscheinlichkeitsgrad vorliegt, muß nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" die Anordnung unterbleiben36 • 2. Subsidiarität

Zweifel werden besonders häufig hinsichtlich der Geeignetheit und Durchführbarkeit einer milderen Maßnahme auftauchen. Diese Zweifel müssen zu Lasten des Täters gehen37 • Ist die Gefährlichkeit des Täters einwandfrei festgestellt, so sind die Voraussetzungen für einen Eingriff in die Freiheitssphäre gegeben. Im Interesse der öffentlichen Sicherheit sind die Maßnahmen geboten, die hinreichend Schutz vor weiteren Rechtsverletzungen verbürgen. Im Konflikt zwischen dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit und dem Freiheitsinteresse des Täters hat letzterer einen Anspruch darauf, daß die Rechtsordnung nur bei erwiesener Gefährlichkeit gegen ihn einschreitet; demgegenüber hat die Allgemeinheit bei festgestellter Gefährlichkeit das Recht, wirksame und zuverlässige Sicherungsmaßnahmen zu verlangen. Wie bei den Ausführungen zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz näher dargelegt38 , steht das 35 Stree, In dubio pro reo, S.18, 97; Geppert, Sperrfrist, S. 116; D. und U. Mann, ZStW 76, 275 f. 38 Hanack, LK, vor § 61 Rdnr. 48; Schönke I Schröder I Stree, vor § 61 Rdnr.9; Horn, SK, § 61 Rdnr.13; Lackner, § 61 Anm. 4a; Preisendanz, vor § 61 Anm.6; Sarstedt, Revision, S. 243; Geppert, Sperrfrist, S. 112; Nowakowski, v. WeberFestschr. (1963), S. 116; eingehend Bruns, JZ 1958, 647 ff.; Stree, In dubio pro reo, S. 91 ff. 37 Stree, In dubio pro reo, S. 98; Warda, Die Grundlagen des richterlichen Ermessens, S. 150.

B. Geltung des Grundsatzes "In dubio pro reo"

135

übermaß verbot nur dann der Anordnung einer strafrechtlichen Maßregel entgegen, wenn ein milderes Mittel die Allgemeinheit ausreichend schützt. 111. EntIassungs- und Aussetzungsentscheidungen

Im Gegensatz zur Anordnungsprognose wendet die h.M. bei Aufhebungsentscheidungen (§§ 67c, 67 d Abs. 2, 68 e) den Grundsatz "in dubio contra reum" an39 • Dagegen will eine beachtliche Mindermeinung bei allen Prognosen im Maßregelrecht im Zweifel für den Angeklagten entscheiden40 • Nach dieser Auffassung müssen die überlegungen, die bei der Anordnungsentscheidung zur Anerkennung des Satzes "in dubio pro reo" geführt haben, genauso bei der Entlassungsprognose gelten. Wenn die Rechtsordnung bei der Verhängung einer Maßregel das Risiko einer sachlich nicht gedeckten Freiheitsentziehung nicht eingehen wolle, sei nicht einzusehen, weshalb dieses Risiko bei der Entscheidung über die AuIrechterhaltung der Maßregel gerechtfertigt sein soll. Daran ist richtig, daß ein an rechtsstaatlichen Grundsätzen orientiertes Maßregelrecht nicht um kriminalpolitischer Zwecke willen "vorsorglich" Freiheitsbeschränkungen auferlegen darf, deren Notwendigkeit nicht sicher nachweisbar ist. Dennoch ist im Ergebnis der h.M. zuzustimmen. Daß für die Entlassungsprognose andere Maßstäbe gelten als für die Anordnungsentscheidung, liegt in der unterschiedlichen Ausgangslage begründet. Während bei der Anordnung geprüft wird, ob gegen den Täter präventiv vorgegangen werden kann, geht es bei den Aufhebungsentscheidungen um die Frage, ob auf die (weitere) Vollstreckung der Maßregel verzichtet werden kann. Voraussetzung für eine Entlassung oder Aussetzung ist, daß die - bei der Anordnung festgestellte - Gefährlichkeit des Täters weggefallen oder doch entscheidend gemindert ist. Solange dies nicht feststeht, ist im Gesetz eine Aufhebung der Vollstreckung nicht vorgesehen. Ebenso wie für eine Verhängung der Maßregel die Gefährlichkeit des Täters zur vollen überzeugung des Gerichts erwiesen sein muß, muß der Richter für eine aufhebende Entscheidung zweifelsfrei die vom Gesetz geforderte günstige Prognose stellen können. Ein "nonliquet" geht insoweit zu Lasten des Verurteilten. Nur diese durch die Gesetzesfassung gebotene Auslegung wird dem Willen des Gesetzgebers41 und der kriminalpolitischen Interessenlage gerecht. '9 Vgl. oben 3. Kap. C. VII. 4. 38 OLG Köln NJW 1955,683; OLG Karlsruhe JZ 1958,668; Hanack, LK, vor § 61 Rdnr. 51; Lackner, § 61 Anm. 4 b; Stree, In dubio pro reo, S. 106 ff.; Bruns, JZ 1958, 651; Exner, ZStW 53, 648. 40 Lang-Hinrichsen, LK, 9. Aufl., § 42f a.F. Rdnr. 4; Nowakowski, v. WeberFestschr. (1963), S. 117; Geppert, Sperrfrist, S. 123. 41

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