Analyzing Black Metal - Transdisziplinäre Annäherungen an ein düsteres Phänomen der Musikkultur 9783839436875

Pitch-black nights, raucous singing, fake blood, magical symbols, archaic rituals and ancient history: black metal'

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Analyzing Black Metal - Transdisziplinäre Annäherungen an ein düsteres Phänomen der Musikkultur
 9783839436875

Table of contents :
Inhalt
Analyzing Black Metal – Transdisziplinäre Annäherungen an ein düsteres Phänomen der Musikkultur
Klang – Text – Bild: Intermediale Aspekte der Black Metal-Forschung
Männlichkeiten, Räume und Wiederholungen im Black Metal
Ästhetisch, identifikatorisch, normativ: Die Funktion der Rezeption religiöser Codes im Norwegischen Black Metal
Zwischen Gedächtnisform und Klanggestaltung: Musikalische Intertextualität im Black Metal
„Was niemals war“ – Das Selbstbewusstsein des Norwegischen Black Metal als Konstruktion einer Vergangenheit und Konstitution einer Klanglichkeit
Ordnung und Chaos – Songstrukturen im Norwegischen Black Metal
Reflexionen zur Analyse von Sat yricons „Mother North“
Autorinnen und Autoren

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Sarah Chaker, Jakob Schermann, Nikolaus Urbanek (Hg.) Analyzing Black Metal – Transdisziplinäre Annäherungen an ein düsteres Phänomen der Musikkultur

Studien zur Popularmusik

Sarah Chaker, Jakob Schermann, Nikolaus Urbanek (Hg.)

Analyzing Black Metal – Transdisziplinäre Annäherungen an ein düsteres Phänomen der Musikkultur

Gedruckt mit Unterstützung der mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien

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Inhalt

Analyzing Black Metal – Transdisziplinäre Annäherungen an ein düsteres Phänomen der Musikkultur Sarah Chaker, Jakob Schermann und Nikolaus Urbanek | 7

Klang – Text – Bild: Intermediale Aspekte der Black Metal-Forschung Florian Heesch, Reinhard Kopanski | 21

Männlichkeiten, Räume und Wiederholungen im Black Metal Jan G. Grünwald | 49

Ästhetisch, identifikatorisch, normativ: Die Funktion der Rezeption religiöser Codes im Norwegischen Black Metal Anna-Katharina Höpflinger | 63

Zwischen Gedächtnisform und Klanggestaltung: Musikalische Intertextualität im Black Metal Jakob Schermann | 87

„Was niemals war“ – Das Selbstbewusstsein des Norwegischen Black Metal als Konstruktion einer Vergangenheit und Konstitution einer Klanglichkeit Florian Walch | 109

Ordnung und Chaos – Songstrukturen im Norwegischen Black Metal Dietmar Elflein | 129

Reflexionen zur Analyse von S at yricons „Mother North“ Ralf von Appen | 155

Autorinnen und Autoren  | 175

Analyzing Black Metal – Transdisziplinäre Annäherungen an ein düsteres Phänomen der Musikkultur Sarah Chaker, Jakob Schermann und Nikolaus Urbanek

B l ack M e tal schreibt G eschichte Black Metal erfindet sich neu. Vor allem Bands aus Frankreich und den USA wirbeln gegenwärtig den traditionellen Zeichenvorrat des Black Metal kräftig durcheinander und bringen mit musikalisch-klanglichen, performativen, ikonischen und inhaltlich-ideologischen Innovationen das vermeintlich stabile, überwiegend durch norwegische Bands in den 1990er Jahren geprägte Bedeutungsgefüge des Black Metal maßgeblich in Bewegung. Schon hört man von einer „dritten Welle“1 des Black Metal, die mit Begriffen wie „Post Black Metal“, „Neo Black Metal“, „Transcendental Black Metal“2 oder auch pejorativ mit „Hipster Black Metal“ belegt wird und unter den Anhänger*innen des Genres für zum Teil kontroverse Diskussionen sorgt. Dieser „dritten Welle“ gehen – in dieser Angelegenheit sind sich Fans des Genres, Szene-Journalist*innen und Wissenschaftler*innen weitgehend einig – eine erste und eine zweite Welle des Black Metal voraus.3 Dabei werden Bands wie Venom (gegründet 1978 unter dem Namen Guil1 | Vgl. z.B. den Beitrag „Black Metal 3.0“ von Werner Schröttner in der Onlineausgabe des Wiener Musik- und Kulturmagazins The G ap (vgl. Schröttner 2011/o.J.). 2 | Diesen Begriff hat Hunter Hunt-Hendrix, Bandmitglied bei L iturgy, einer 2005 gegründeten US-Black-Metal-Band, entwickelt und ausführlich begründet, vgl. Hunt-Hendrix 2010/o.J., S. 53ff. 3 | Vgl. z.B. Fuchs/Majewski 2000, S. 34f. sowie S. 56, Langebach 2003, S. 42ff. oder Berndt 2012, S. 75 und S. 79f. Das Online-Portal E ncyclopaedia M etallum – The

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lotine) aus Großbritannien, Mercyful Fate (gegründet 1981) aus Dänemark, Hellhammer (gegründet 1982 unter dem Namen Hammerhead) aus der Schweiz und Bathory (gegründet 1983) aus Schweden häufig als erste Welle des Black Metal bezeichnet. Trotz ihrer unbestrittenen Bedeutung für die Genese des Norwegischen Black Metal, der sich mit Beginn der 1990er Jahre zu entfalten begann, werden die Bands der ersten Welle retrospektiv häufig lediglich als Vorläufer eingeschätzt, die zur zweiten Welle – und damit zum ‚eigentlichen‘ Black Metal – hingeführt hätten. Sebastian Berndt begründet diese Sichtweise zum einen damit, dass der Black Metal der ersten Stunde „ursprünglich nicht musikalisch definiert [gewesen sei], sondern über das Image und die Inhalte seiner Texte“4. Zum anderen habe aus der ersten Welle des Black Metal „kein echtes Subgenre des Metals“5 erwachsen können, weil in den 1980er Jahren der Begriff des Black Metal noch „zu breit und zu uneindeutig verwendet [wurde], zum anderen ging der Black Metal bald im Thrash Metal (im engeren Sinne) auf“6. Ist von „Black Metal“ die Rede, werden vor diesem historischen Hintergrund heute nach wie vor sehr häufig und in erster Linie Bands aus Norwegen mit diesem Begriff assoziiert. Im Jahr 2007 wurden 241 Black-Metal-Anhänger*innen in Deutschland danach befragt, welche Bands das Genre ihrer Meinung nach am besten definieren, wobei 404 der insgesamt 683 offenen Nennungen (59,2%) auf Gruppen aus Norwegen entfielen.7 Die ersten acht Plätze in diesem Ranking nehmen die Bands Darkthrone (gegründet 1986 als Black Death), Burzum (gegründet 1991), Immortal (gegründet 1990), Gorgoroth (gegründet 1992), Mayhem (gegründet 1984), Emperor (gegründet 1991), Satyricon (gegründet 1990) und Dimmu Borgir (gegründet 1993) ein – allesamt Acts aus Norwegen.8 Für Black Metal scheint sich im Vergleich mit anM etal A rchives bezeichnet H ellhammer , V enom und B athory „as pioneers of extreme metal (black metal in particular)“ (Metal Archives – Hellhammer o.J.). 4 | Berndt 2012, S. 75. 5 | Ebd. 6 | Ebd. 7 | Vgl. Chaker 2014, S. 476ff. 8 | Vgl. ebd. Eine Mini-Befragung der Teilnehmer*innen des Studientags und Analyse-Workshops „Black Metal“ am 22. April 2016 an der mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien zeichnet ein ähnliches Bild und illustriert

Einleitung: Analyzing Black Metal

deren Musikströmungen der jüngeren Geschichte ein recht kompakter „Traditionsstrom“9 anzudeuten, der durch die oben erwähnten, neueren Impulse einer womöglich dritten Welle an Black-Metal-Bands jedoch im Fluss und damit in Veränderung begriffen bleibt.10 Von den neueren Entwicklungen im Black Metal nehmen nun interessanterweise nicht nur die Fans Notiz, sondern auch das Feuilleton berichtet auf ungewohnt neutrale oder gar positive Weise über dieses Phänomen. Ulf Poschardt etwa, seit Anfang September 2016 Chefredakteur der Welt, adelte Black Metal kürzlich nicht nur zu einer „sehr zeitgenössischen Kunstform, die in Zeiten des Terrors realistischer denn je“11 wirke, sondern bezeichnete darüber hinaus die Musik aktueller Black Metal-Acts wie Uada (gegründet 2014) aus den USA oder Mgła (gegründet 2000) aus Polen als „Sound der Stunde“12 . Bereits im Jahr 2011 berichtete Heiko Behr auf Zeit Online über die (damals) aktuellen Veröffentlichungen der US-Bands Wolves in the Throne Room (gegründet 2002), Liturgy (gegründet 2005) und Krallice (gegründet 2007), wobei er in musikalisch-klanglicher Hinsicht eine Verdichtung und Intensivierung des Sounds ortet13, die durch die Inanspruchnahme aktueller digitaler die offenbar ungebrochene Bedeutung norwegischer Acts für die Befragten (N[Anzahl der Teilnehmer*innen]=19, M[Anzahl der Nennungen]=49), wenngleich es an umfangreichen empirischen Studien zum Black-Metal-Publikum in Österreich und anderswo noch fehlt: Als ideale Repräsentanten des Black Metal wurden in einer offenen Frage die Bands B urzum, Darkthrone , I mmortal und M ayhem am häufigsten von den Teilnehmer*innen genannt. Insgesamt entfielen 62,5% aller Nennungen auf Black-Metal-Bands aus Norwegen. 9 | Dietmar Elflein ist die Implementierung kulturwissenschaftlicher Konzepte der Erinnerungsforschung in die Metal Studies zu verdanken, vgl. ausführlich Elflein 2010 sowie Elfleins Beitrag in vorliegendem Sammelband. 10 | Gerade in dieser Flexibilität sieht Elflein einen wesentlichen Vorteil des Traditionsstrom-Konzepts gegenüber traditionellen Kanon-Konzepten: „Der Traditionsstrom beinhaltet […] eine sich verändernde Auswahl dessen, was gewusst werden kann, darf und soll“ (Elflein 2010, S. 20). Wie jede andere Form von Musik auch, so ist auch Black Metal kein fixes „Ding“ (vgl. Wicke 1995, S. 23), sondern eine sich permanent wandelnde kulturelle und soziale Praxis, die stetig im Werden begriffen ist (vgl. hierzu auch Nohr/Schwaab 2014, S. 136). 11 | Poschardt 2016/o.J. 12 | Ebd. 13 | Vgl. Behr 2011/o.J.

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Aufnahmetechniken möglich werden und sich von den klanglich bewusst einfach und roh gehaltenen Low-Fidelity-Produktionen vieler norwegischer Black-Metal-Bands der zweiten Welle absetzen. Behr konstatiert ferner für die jüngsten Entwicklungen im Black Metal „Ausflüge ins Psychedelische, in den Postrock, zum Shoegazer[14], die die Alben auf eine neue Evolutionsstufe heben“15. Auch Werner Schröttner, der für die Zeitschrift The Gap über das Phänomen „Black Metal 3.0“ schreibt, sieht die Musikströmungen Postrock, Shoegaze und Ambient als anschlussfähig an Black Metal an, und zwar nicht nur in musikalisch-klanglicher, sondern auch in ästhetisch-inhaltlicher Hinsicht bezüglich einer „Zuwendung zu den dunklen Seiten der menschlichen Seele“16. Ein düsteres Phänomen der Musikkultur scheint Black Metal also zu bleiben, wenngleich sich im Detail durchaus markante inhaltliche Verschiebungen andeuten. So bleibt beispielsweise der Aspekt des Religiösen zwar ein wichtiges Thema im Black Metal, öffnet sich jedoch zusehends spirituellen und esoterischen Themen. Auch das Sujet Natur ist nicht wirklich neu im Black Metal, erhält durch Bands wie Wolves in the Throne Room jedoch Impulse in eine ökologische Richtung. Hinsichtlich bildlicher Strategien und performativer Praktiken auf der Bühne lassen sich für neuere Black-Metal-Acts unterschiedliche Zugriffe beobachten. Zum einen ist hinsichtlich der Inszenierung eine Radikalisierung der im Black Metal der ‚alten Schule‘ bereits angelegten Anonymisierungsstrategien (dort etwa über Corpsepaint und die Verwendung von Pseudonymen verwirklicht) zu erkennen, etwa dadurch, dass nun bei Live-Konzerten Kapuzen oder Masken verwendet werden, die das Gesicht komplett verhüllen. Auch bleibt mitunter völlig unklar, welche Personen hinter einem Black-Metal-Projekt stehen, so etwa bei der französischen Band Deathspell Omega (gegründet 1998).17 Zum anderen bedienen Mitglieder von Bands wie Der Weg einer Freiheit (gegründet 2009) aus Deutschland oder Liturgy aus den USA mit 14 | Die englischsprachige Wikipedia bezeichnet „Shoegazing“ als ein „subgenre of indie rock, alternative rock, and neo-psychedelia that emerged in the United Kingdom in the late 1980s. The style is typified by the blurring of component musical parts – typically significant guitar distortion, feedback and obscured vocals – into indistinguishable mixtures of sound“ (Wikipedia.org – Shoegazing o.J.). 15 | Behr 2011/o.J. 16 | Schröttner 2011/o.J. 17 | Vgl. dazu den Beitrag von Jakob Schermann in diesem Band.

Einleitung: Analyzing Black Metal

Chucks und Röhren-Jeans, karierten Hemden oder ausgewaschenen, zum Teil bunten T-Shirts optisch einen Look, der sich von den im Black Metal ansonsten lange Zeit üblichen martialischen Dress- und Inszenierungs-Codes deutlich abhebt oder diese gar in ihr Gegenteil verkehrt.18 Von denjenigen Black-Metal-Vertreter*innen abgesehen, die generell keine Veränderungen im Black Metal wünschen, sehen viele Szenegänger*innen aber durchaus die Notwendigkeit, dass sich Black Metal wandelt, öffnet und weiterentwickelt, um lebendig zu bleiben. Der User „knueppelhart“ kommentierte den oben erwähnten Zeit Online-Artikel von Behr mit der Feststellung: „Black Metal ist Geschichte. Ich habe Black Metal in seiner Blütezeit in den 90igern gehört. Satyricon, Emperor, Mayhem, Marduk, Siebenbürgen und viele andere mehr. Auch bzw. sogar Dimmu Borgir, die bei vielen ja als zu kommerziell angesehen wurden. Gerade deren Album ‚Enthrone Darkness Triumphant‘ [aus dem Jahr 1997] sehe ich als Wendepunkt im Black Metal an. Mit diesem Album hat die Kommerzialisierung des Schwarzmetalls angefangen und meiner Meinung nach auch ihren Höhepunkt erreicht. Seitdem leidet das Genre an zu vielen Bands, die die Großen der Szene nur nachmachen, bzw. die Musikrichtung nicht weiterentwickeln wollen oder können. Ähnlich wie beim Punk hat sich die Musikrichtung totgelaufen, [das] liegt natürlich auch an den engen Grenzen, denen beide Musikrichtungen unterworfen sind […].“19

18 | Dies ist sehr gut im L iturgy -Musikvideo zum Song „Returner“ zu beobachten (vgl. Liturgy 2011) – einige der für Black Metal zentralen ikonographischen Codes werden dort in ihr genaues Gegenteil verkehrt: Bunte Farben statt Schwarz-Weiß-Ästhetik, etwa in der Kleidung (weiße statt schwarze Kutten, herausstechend grünes Shirt des Schlagzeugers) und im Raum (die Kirche nicht als düsterer, sondern als heller, freundlicher, bunter Ort); darüber hinaus Verwendung von Passionskreuz und Petruskreuz, androgynes Auftreten des Sängers Hunter Hunt-Hendrix, Verzicht auf Corpsepaint etc. Damit verschwinden die ursprünglichen Black-Metal-Codes jedoch nicht, sondern bleiben in der intendierten Inversion bzw. einer ‚Anti-Anti-Ästhetik‘ in der Inszenierung indirekt enthalten. 19 | Knueppelhart 2011/o.J. Ganz ähnlich sieht dies z.B. auch Schröttner, der ebenfalls befindet, im Black Metal habe sich „[s]eit Mitte der 90er Jahre […] nichts Grundlegendes mehr getan“ (Schröttner 2011/o.J.).

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Wie dieses Beispiel zeigt, ist für „knueppelhart“ ebenso wie für viele andere Fans des Genres vollkommen unstrittig, dass Black Metal als Musik und Kultur eine eigene Geschichte besitzt, die in vielschichtiger Weise beobachtet, erzählt und kritisch reflektiert wird. Das Zitat bestätigt ferner eine Engführung des Begriffs „Black Metal“, der mit der vergleichsweisen Dichte des Traditionsstroms im Black Metal zu konvergieren scheint. Black Metal – damit werden nach wie vor überwiegend norwegische Vertreter der zweiten Welle in Verbindung gebracht. Die 1990er Jahre werden als „Blütezeit“ des Black Metal angesehen, bevor mit Blick auf die zunehmende Kommerzialisierung des Genres Ende der 1990er Jahre eine künstlerisch-kreative Lähmung eingetreten sei. Mit der aktuellen Reformulierung des Black Metal in einer dritten Welle ist zum einen eine Rekontextualisierung musikalisch-klanglicher, performativer, bildlicher und diskursiver Szene-Codes des Black Metal20 und damit eine Erweiterung des Traditionsstroms zu beobachten, zum anderen geht mit ihr auch eine interessante Transformation des Pu­ blikums einher. So ließ sich im Februar 2016 bei einem Konzert in der Grellen Forelle in Wien beobachten, wie hunderte Besucher*innen, die rein optisch als Anhänger*innen unterschiedlicher Subkulturen und Szenen zu identifizieren waren, gleichermaßen fasziniert die Performance der polnischen Black-Metal-Band Mgła verfolgten. Schröttner führt das ausgesprochene Interesse eines szenefremden Publikums auf „die Abkehr von politischen Extrempositionen“21 im aktuellen Black Metal, auf die schon geschilderten thematischen Neuausrichtungen bzw. Verschiebungen sowie auf die „Aufarbeitung [des Black Metal] in Theorie und Kunst“22 zurück. Zu beobachten ist ferner, dass gerade die aktuellen Black Metal-Bands für eine Generation, die im Verlauf der 1990er und 2000er Jahre geboren und aufgewachsen ist, interessant und anschlussfähig zu sein scheinen – über die geschilderten Neuerungen schafft sie sich ihren eigenen Black Metal, der mit ihrem Leben und Erleben heute etwas zu tun hat.

20 | Szene-Codes übernehmen für die Anhänger*innen stets auch bedeutsame soziale Funktionen. Zu Codes als sozialen Markern vgl. Anna-Katharina Höpflingers Beitrag in vorliegendem Band. 21 | Schröttner 2011/o.J. 22 | Ebd.

Einleitung: Analyzing Black Metal

B l ack M e tal tr ansdisziplinär analysieren Es sind nicht zuletzt die eben geschilderten Entwicklungen im Black Metal, die uns im April 2016 dazu bewogen hatten, im Rahmen des mdw_ festivals „Kulturen des Nordens“ einen Studientag und Workshop zum Thema Black Metal zu veranstalten.23 Viele der Veränderungen im „Black Metal 3.0“24 werden erst aus der Geschichte des Black Metal und den historisch-ästhetischen Praktiken des Genres heraus – sei es in Hinwendungen, sei es in Abgrenzungen – nachvollziehbar und verständlich. Beobachten und besser verstehen zu können, wie Musik- und Kulturgeschichte in actu gemacht, verhandelt und geschrieben wird, ist ein Interesse, das uns als Veranstalter*innen und Teilnehmer*innen des Studientages sowie Beiträger*innen und Herausgeber*innen dieses Sammelbands verbindet – Black Metal stellt hierfür in seiner Vielschichtigkeit und Komplexität einen herausfordernden Gegenstand dar. Der Studientag selbst bestand aus zwei Einheiten: In der ersten Hälfte des Tages lieferten Forscher*innen aus unterschiedlichen Fachdisziplinen (Musikwissenschaften/Popular Music Studies, Kultur-, Medien-, Filmwissenschaften, Skandinavistik), die sich zudem in unterschiedlichen Stadien der akademischen Entwicklung befanden (vom Studierenden bis hin zum Lehrstuhlinhaber), in Impulsvorträgen inhaltliche Inputs in Bezug auf Black Metal25, die die Grundlage für einen Black-Me23 | Der Studientag und Analyse-Workshop fand am 22. April 2016 unter dem Titel „Black Metal. Norwegens düsterer Beitrag zur Musikgeschichte“ an der mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien statt. 24 | Schröttner 2011/o.J. 25 | Die Beiträge von Dietmar Elflein, Jan G. Grünwald, Florian Heesch (ergänzt durch Reinhard Kopanski) und Florian Walch in vorliegendem Sammelband gehen auf die Impulsvorträge zurück, die die genannten Autoren 2016 im Rahmen des Studientages „Black Metal“ an der mdw hielten. Auf dem Studientag war ferner Imke von Helden mit einem Vortrag vertreten, der eine skandinavistische Perspektive auf Black Metal eröffnete und aus zeitlichen Gründen leider nicht im Sammelband publiziert werden konnte. Erfreulicherweise konnten wir Anna-Katharina Höpflinger für einen zusätzlichen Beitrag gewinnen. Ralf von Appen begleitete als Workshop-Leiter und Moderator den Studientag und ist mit einer Reflexion und Analyse seiner Erfahrungen ebenfalls in diesem Sammelband vertreten. Jakob Schermann erarbeitete in Reaktion auf den Studientag einen weiteren Beitrag.

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tal-Analyse-Workshop bildeten, der am Nachmittag des gleichen Tages stattfand. Im Workshop arbeiteten Lehrende und Studierende aus unterschiedlichen Fachbereichen, Metal-Fans und Metal-Interessierte, Akademiker*innen und Nicht-Akademiker*innen in drei Gruppen gemeinsam an konkreten Beispielen. Ausgewählte Black-Metal-Musikstücke bzw. -Videos wurden auf musikanalytische Strukturen (Klang), visuelle Gestaltungsästhetiken (Bild), textlich-inhaltliche Aussagen (Lyrics) und paratextuelle Aspekte (Accessoires) hin betrachtet und diskutiert.26 Der Workshop stellte sowohl für die Veranstalter*innen als auch für die Teilnehmer*innen nicht nur in inhaltlicher, sondern auch in methodischer Hinsicht ein spannendes Experiment dar. So bot er die Chance, zu erkunden, ob und inwiefern (populäre) Musikanalyse in heterogenen Gruppen in der Forschungspraxis funktionieren kann bzw. ob und welcher Mehrwert sich aus einer Analyse ergibt, zu der alle möglichen Personen und Gruppen mit verschiedensten Biographien, Wissensbeständen und Kompetenzen in Bezug auf Metal (Wissenschaftler*innen mit jeweils spezifischen fachlichen Expertisen, Studierende, Metal-Fans, Journalist*innen, generell Menschen verschiedenen Alters, unterschiedlichen Geschlechts sowie diverser geographischer und kultureller Herkunft etc.) etwas beitragen. Denn wie Rolf Nohr und Herbert Schwaab angemerkt haben, sind „[w]eder die Musikwissenschaft noch die Soziologie, genauso wenig wie der Musikjournalismus, die Kultur- oder Medienwissenschaften oder die Fan-Artikulation […] in irgendeiner Weise ‚privilegierte Orte‘ mit einer spezifischen Deutungshoheit“27. Unser Wunsch war es, im Workshop unterschiedliche Deutungsperspektiven sinnlich-ästhetischer Phänomene gleichberechtigt zu diskutieren, verschiedene Wissensordnungen zu dokumentieren sowie geäußerte Deutungsmöglichkeiten im gemeinsamen Diskurs auf ihre Überzeugungskraft hin kritisch zu prüfen. Statt eine einzige, ‚richtige‘ Perspektive auf ein ästhetisch-sinnliches Ereignis entwickeln zu wollen, ging es uns dabei um das Aushandeln vielschichtiger und polysemer Lesarten, die Auskunft darüber geben, 26 | In den Workshop-Gruppen wurden folgende Musikbeispiele bzw. – sofern vorhanden – Musikvideos betrachtet: S at yricon : „Mother North“ (1996, alle drei Gruppen), U lver: „Capitel V: Bergtatt – ind i Fjeldkamrene“ (1995), S at yricon : „Fuel for Hatred“ (2002) und D eathspell O mega : „Si Monvmentvm Reqvires, Circvm­ spice“ (2004). 27 | Nohr/Schwaab 2014, S. 137.

Einleitung: Analyzing Black Metal

welche Bedeutungen zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort einem bestimmten kulturellen Phänomen von einer bestimmten Gruppe von Menschen zugeschrieben werden können. Nachdem sich (populäre) Musiken im Allgemeinen und (Black) Metal im Speziellen wahlweise als Musikform, als Medium, als Lebensstil, als soziales System, als Subkultur, als Szene, als kulturelle Praxis, als Markt, als Ideologie oder Diskurs28 betrachten und untersuchen lassen, erscheint eine theoretisch und methodisch grundsätzlich inter- und transdisziplinäre Orientierung nicht nur sinnvoll, sondern eigentlich grundlegend notwendig.29 Freilich ist Inter- und Transdisziplinarität nunmehr ein Anspruch, der in den Kultur- und Sozialwissenschaften (zu Recht) häufig eingefordert, in der konkreten Forschungspraxis jedoch nur selten angemessen eingelöst wird. Dies hängt sicherlich auch damit zusammen, dass das Wissen und die Kompetenzen, die sich ein Mensch im Laufe seines Lebens aneignen kann, begrenzt sind. Die Weichen dafür, welche Perspektiven ein*e Forscher*in auf ein zu untersuchendes Phänomen entwickeln kann, werden häufig bereits in der universitären Ausbildung gestellt, in der – je nach Studienfach – die jeweils spezifischen wissenschaftstheoretischen und methodischen Kompetenzen erworben werden, über die ein*e Wissenschaftler*in letztendlich verfügt. Während etwa (Musik-)Soziolog*innen ohne weiteres die verschiedenen relevanten Faktoren herausarbeiten können, die für das Aufkommen oder Verschwinden einer bestimmten kulturellen Praxis von Bedeutung sind (z.B. welche Rahmenbedingungen die Entstehung der musikalischen und soziokulturellen Praxis des Black Metal wesentlich mitbestimmt haben und mitbestimmen), können sie eine fundierte Auseinandersetzung mit dem Erklingenden in der Regel nicht leisten. Musikanalytiker*innen wiederum sind in der Lage, Black Metal in seinen klanglichen Erscheinungsformen umfassend zu analysieren und zu beschreiben. Musikhistoriker*innen können eine Rückbindung an musikhistorische Kontexte mit Blick auf Formen, Gattungen, Traditionsströme liefern. Kulturwissenschaftler*innen tragen mit ihren Kenntnissen um kulturelle Gedächtnisordnungen zum Diskurs bei, während Kunsthistoriker*innen eine Einbettung visueller Gestaltungen beizusteuern in der Lage sind, die von Religionswis28 | Vgl. Chaker 2013/o.J. oder Heesch/Höpflinger 2014, S. 15. 29 | Zu Interdisziplinarität als Chance und als „methodische Herausforderung“ vgl. insbesondere Heesch/Höpflinger 2014, S. 14ff.

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senschaftler*innen und Philolog*innen in Hinblick auf Fragen semantisch aufgeladener Codes befragt werden können. Welche Fragen an ein Forschungssujet also überhaupt gestellt werden können, ist durch die fachliche Ausbildung schon weitgehend vorgegeben und schränkt das Betätigungsfeld des Wissenschaftlers/der Wissenschaftlerin von vornherein erheblich ein.30 Werden Forscher*innen lediglich als Spezialist*innen ihres jeweiligen Fachgebiets verstanden, so folgt hieraus, dass sich Inter- und Transdisziplinarität nur selten bzw. sehr begrenzt in personam realisieren lässt, sondern in erster Linie durch die Zusammenarbeit von Wissenschaftler*innen aus unterschiedlichen Disziplinen, wobei eine grundsätzliche Bereitschaft unter den Beteiligten bestehen muss, in einen disziplinübergreifenden Dialog einzutreten, „von den Erkenntnissen anderer Disziplinen zu lernen oder ihre eigenen Erkenntnisse in für andere Disziplinen verständlicher Weise zu vermittelten [sic]“31. Insgesamt möchten wir bezüglich des Studientags vor dem Hintergrund inter- und transdisziplinärer Diskussionsmöglichkeiten ein durchaus positives Fazit ziehen: Die unterschiedlichen Personen und Gruppen begegneten einander mit großer Offenheit und gegenseitigem Respekt, was sich etwa darin zeigte, dass recht unterschiedliche Meinungen und Stimmen zu Black Metal angehört und konstruktiv diskutiert wurden, und zwar auch dann, wenn diese den eigenen Erfahrungen nicht unbedingt entsprachen. Natürlich offenbarte der Studientag auch einige Schwächen: Insbesondere zeigten sich Probleme, über die Oberfläche hinaus zu tiefergehenden Analysen in den Workshops zu gelangen (was allerdings auch dem begrenzten Zeitfenster im Workshop geschuldet war), wobei insbesondere die Verständigung über das Erklingende vielen Teilnehmer*innen schwer fiel32, so dass der Diskurs sich häufig primär um inhaltliche Aspekte und bildliche Parameter des Black Metal drehte. Zwischen den unterschiedlichen Personengruppen (Personen ohne und mit akademischem Bezug, Vertreter*innen unterschiedlicher Fachdisziplinen) zeigten sich mitunter Verständigungsprobleme, was die Aus30 | Hier besteht zudem die Gefahr, dass dem untersuchten Sujet Methoden und Theorien aufoktroyiert werden, die diesem vielleicht gar nicht angemessen sind, anstatt diese möglichst am und aus dem konkreten Fall zu entwickeln, vgl. zu dieser Problematik z.B. Kleiner 2012, S. 23ff. sowie Heesch/Höpflinger 2014, S. 10ff. 31 | Heesch/Höpflinger 2014, S. 19. 32 | Siehe hierzu im Detail Ralf von Appens Beitrag in vorliegendem Sammelband.

Einleitung: Analyzing Black Metal

legung spezifischer Begriffe und die Ausdrucksweisen betrifft. Ob eine transdisziplinäre Analyse fruchtbare Ergebnisse zeitigt, ist ferner stark von der jeweiligen Personenkonstellation in einer Gruppe abhängig – ein Faktor, der im Vorfeld schwer zu kalkulieren ist. So wurde in einer Workshop-Gruppe der Diskurs stark von einigen wenigen, sprachlich wie im Habitus sehr ‚ausdrucks-starken‘ Personen dominiert, so dass die anderen Anwesenden ins Hintertreffen gerieten – hier wäre ein gendersensibles Bewusstsein um Machtfragen innerhalb akademischer Diskurse unabdingbar. Insgesamt jedoch überwiegen die positiven Eindrücke und Facetten transdisziplinärer Zusammenarbeit, sodass wir unserer Hoffnung Ausdruck verleihen möchten, die begonnene Arbeit an dem vielschichten Phänomen des Black Metal baldmöglichst fortsetzen zu können. Die Erforschung des (Black) Metal setzt voraus, dass dieses Phänomen überhaupt als untersuchungswürdig (an)erkannt wird – in universitären Gefilden lange Zeit (leider) keine Selbstverständlichkeit. Mit dem Studientag und Analyseworkshop „Black Metal“ hat die mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien bereits zum zweiten Mal eine Veranstaltung großzügig finanziell und institutionell unterstützt, die sich der Erforschung schwermetallischer Klänge und Kulturen annimmt – dafür danken wir Rektorin Ulrike Sych sowie Vizerektor Christian Meyer sehr herzlich. Unser Dank gilt ferner unseren Instituten und Kooperationspartnern, die sowohl den Studientag wie auch die Entstehung dieses Sammelbands unterstützt haben: Wir danken dem Institut für Musikwissenschaft und Interpretationsforschung, dem Institut für Musiksoziologie und dem Institut für Popularmusik der mdw sowie dem Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien. Unser großer Dank gilt außerdem Raffaela Gmeiner sowie Sophie Zehetmayer und Olja Janjus für das kritische Lektorat sowie für ihre zahlreichen klugen Anmerkungen. Besonderer Dank gilt schließlich den Referent*innen und Sammelband-Beiträger*innen für die konstruktive und bereichernde Zusammenarbeit sowie den zahlreichen Metal-Fans für ihre bereichernde ‚Ein-Mischung‘ in die akademischen Diskurse während des Studientages.

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Q uellenverzeichnis Gedruckte Literatur Berndt, Sebastian (2012): Gott haßt die Jünger der Lüge. Ein Versuch über Metal und Christentum: Metal als gesellschaftliches Zeitphänomen mit ethischen und religiösen Implikationen. Hamburg: Tredition. Chaker, Sarah (2014): Schwarzmetall und Todesblei. Über den Umgang mit Musik in den Black- und Death-Metal-Szenen Deutschlands. Berlin: Archiv der Jugendkulturen e.V. Elflein, Dietmar (2010): Schwermetallanalysen. Die musikalische Sprache des Heavy Metal. Texte zur populären Musik 6. Bielefeld: transcript. Fuchs, Alexander/ Majewski, Carsten (2000): Black Metal – Musiksoziologische Analyse der Darstellungsformen und -inhalte einer Subkultur. Hamburg: Diplomica. Heesch, Florian/ Höpflinger, Anna-Katharina (Hg.) (2014): Methoden der Heavy Metal-Forschung. Interdisziplinäre Zugänge. Münster: Waxmann. Kleiner, Marcus S. (2012): „Die Methodendebatte als ‚blinder Fleck‘ der Populär- und Popkulturforschungen“. In: Kleiner, Marcus S./ Rappe, Michael (Hg.): Methoden der Populärkulturforschung. Interdisziplinäre Perspektiven auf Film, Fernsehen, Musik, Internet und Computerspiele. Reihe Populäre Kultur und Medien, Band 3. Berlin: Lit, S. 11–42. Langebach, Martin (2003): Die Black-Metal-Szene – Eine qualitative exploratorische Studie. Magisterarbeit an der philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, sozialwissenschaftliches Institut/Lehrstuhl für Soziologie. Nohr, Rolf/ Schwaab, Herbert (2014): „‚Was muss man tun, damit es metallen ist?‘ Die Medienwissenschaften und die Erweiterung der Metal Studies“. In: Heesch, Florian/ Höpflinger, Anna-Katharina (Hg.): Methoden der Heavy Metal-Forschung. Interdisziplinäre Zugänge. Münster: Waxmann, S. 135–151. Wicke, Peter (1995): „Popmusik – Konsumfetischismus oder kulturelles Widerstandspotential? Gesellschaftliche Dimensionen eines Mythos“. In: Heuger, Markus/ Prell, Matthias (Hg.): Popmusik yesterday – today – tomorrow. Neun Beiträge vom achten Internationalen Studentischen Symposium für Musikwissenschaft in Köln 1993. Regensburg: Con Brio, S. 21–35.

Einleitung: Analyzing Black Metal

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Disko-/Filmo-/Videographie Deathspell Omega (2004): „Si Monvmentvm Reqvires, Circvmspice“. Auf: Si Monvmentvm Reqvires, Circvmspice. Norma Evangelium Diaboli. Liturgy (2011): „Returner“. Auf: Aesthethica. Thrill Jockey Rec. Musikvideo online verfügbar: https://www.youtube.com/watch?v=D2iwAAaEZvE (Abfrage: 6.7.2017). Satyricon (1996): „Mother North“ (Video). Moonfog Prod. Satyricon (2002): „Fuel for Hatred“. Auf: Vulcano. Moonfog Prod. Ulver (1995): „Capitel V: Bergtatt – ind i Fjeldkamrene“. Auf: Bergtatt – Et Eeventyr i 5 Capitler. Head Not Found.

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Klang – Text – Bild: Intermediale Aspekte der Black Metal-Forschung Florian Heesch, Reinhard Kopanski Black Metal ist – wie (Heavy) Metal und Rockmusik im Allgemeinen – mehr als Musik. Peter Wicke definiert Rockmusik generell als eine „musikbezogene kulturelle Praxis“, die „[n]eben musikalischen Aktivitäten im engeren Sinn“ auch „Kleidungsstile, Körperkulte [...] und Bewegungsformen“ umfasst.1 Darüber hinaus ist „Rockmusik eingebettet in ein multimediales Umfeld, das mit Druckgrafik und Fotografie, Film und Video, Literatur und Presse den [nicht nur] jugendlichen Anhängern dieser Musik ebenfalls ein breites Betätigungsfeld bietet.“2 Die Relevanz des Zusammenspiels, Ineinanderfließens und Vermischens diverser Sinnesebenen in Rockmusik im Allgemeinen und Black Metal im Besonderen liegt auf der Hand, gleich, ob man, wie Wicke, vom Begriff der Praxis ausgeht, oder aber Black Metal als medienästhetisches Phänomen im Blick hat. In unserem Beitrag legen wir letztere Perspektive an – nicht, weil es uns angelegen wäre, uns von der praxeologischen Herangehensweise abzugrenzen; für einen holistischen Zugang zu Black Metal sind die Praktiken zweifellos relevant. Demgegenüber hat ein medienästhetischer Zugang jedoch den Vorteil, dass er eben auf den Bereich fokussiert, der in diesem Sammelband im Mittelpunkt stehen soll, nämlich die Analyse ästhetischer Produkte. Black Metal-Artefakte in Form eingespielter Tracks umfassen musikalische Klänge, darunter gesungene bzw. geschriene Texte, die sich in Liner Notes oder auf Online-Textsammlungen wie darklyrics.com nachlesen lassen.3 Geht man vom Album als Artefakt aus, kommt auch dessen 1 | Wicke 1998, Sp. 350. 2 | Ebd., Sp. 351. 3 | Zur Relevanz der Lyrics vgl. z.B. Chaker 2014, S. 324f.

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visuelle Gestaltung zum Tragen, ist doch zumindest das Frontcover selbst in Zeiten digitaler Distribution regelmäßig präsent: Sogar dann, wenn das Album nicht mehr als Ding, sondern als Download erworben oder gestreamt wird, ist eine Abbildung des Covers in den digitalen Abspieltools integriert und beim Hören der Musik z.B. auf einem Smartphone-Bildschirm sichtbar. Dem Umstand, dass Artefakte wie Black Metal-Alben als Kombinationen diverser, ansonsten als distinkt wahrnehmbarer Medien auftreten, versucht man in der Forschung mit dem Begriff der Intermedialität Rechnung zu tragen. Dabei handelt es sich freilich, wie Irina Rajewsky im Rückgriff auf Umberto Eco betont, um einen „termine ombrello“4, der eine große Menge diverser Erscheinungsformen und Bezugnahmen umfasst, die auch nur annähernd zu umreißen an dieser Stelle den Rahmen sprengen würde. Im Gesamtfeld der Intermedialität lässt sich als Unterkategorie die der Medienkombination ausmachen, d.h. solcher Medien, die aus der Zusammensetzung von als verschieden wahrgenommenen medialen Systemen entstehen.5 Dazu zählen traditionell z.B. Film und Oper als Kombinationen u.a. aus Klang und Bild; fraglos lassen sich Black Metal-Alben hier ergänzen. Der Medienwissenschaftler Peter Matussek hat zur Erweiterung der Terminologie den Begriff der „mediale[n] Migrationen“ vorgeschlagen, um dem Umstand gerecht zu werden, dass „[u]nter den Bedingungen der Alltagswahrnehmung und ihres Medienkonsums [...] diese wechselnden Sinnesassoziationen ständig aktiv“ seien.6 Matussek hebt – unseres Erachtens völlig zu Recht – hervor, dass „die Fluktuationen, Verschmelzungen oder Verdrängungsbewegungen zwischen verschiedenen medienästhetischen Ausdrucksformen“ bisher erst unzureichend erforscht

4 | Rajewsky 2002, S. 6. 5 | Siehe Rajewsky 2002, S. 15f. Für einen systematischen Überblick zur Intermedialität einschließlich bestimmter Differenzierungen der Kategorie Medienkombination vgl. Rajewsky 2002, S. 15–27, sowie die Tabellen von Hans Lund und Eric Vos bei Arvidson et al. 2007, S. 15, und Clüver 2007, S. 26. Um exemplarisch einen anderen Typus der Medienkombination zu nennen, an dem sich Intermedialität im Heavy Metal-Feld erforschen lässt, sei auf die Comic-Studien von Platz Cortsen 2015 verwiesen. 6 | Matussek 2007, S. 9, 11.

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worden sind.7 Wie solche medialen Migrationen konkret aussehen können, demonstriert er anhand einer „Geschichte vom wandernden Klang“, nämlich der Migration des Orpheus-Mythos von altgriechischen Abbildungen über römische Dichtungen, italienische und französische Opern bis hin zu Techno und Rockmusik.8 Mit einem solchen Begriff der Migration von Mythen lässt sich wiederum an Rajewsky anknüpfen, die Mythen als transmediale „Wanderphänomene“ begreift.9 Im vorliegenden Beitrag möchten wir das Zusammenspiel von Klang, Text und Bild im Black Metal anhand der medialen Migration eines Mythos explorieren, um exemplarisch Ansätze für intermediale Forschungen aufzuzeigen. Wir folgen dem Mythos der Wilden Jagd auf seiner Wanderung und nehmen als zentrale Beispielstation die norwegische Band Khold näher in den Blick. Dass damit eine Intermedialität angesprochen wird, die für den Norwegischen Black Metal charakteristisch ist, liegt nicht nur an der Wahl einer einschlägigen Band: Bezüge zu traditioneller nordischer Kultur und Mythologie – das schließt die Wilde Jagd mit ein – gelten generell als Charakteristikum des Black Metal, wobei sie durchaus nicht nur bei dessen norwegischen Vertretern, sondern auch in anderen Metal-Subgenres zu finden sind. Die Übergänge zu anderen Ländern und Subgenres mitbedacht, lassen sich anhand von nordischen Mythen und Traditionen solche intermedialen Ansätze entwickeln, die dem spezifischen Charakter des Norwegischen Black Metal entsprechen.10 Wie die nordische Mythologie im Allgemeinen kommt die Wilde Jagd im Besonderen nicht nur im norwegischen Kulturraum vor, sondern, wie zu sehen sein wird, auch in anderen europäischen Ländern. Somit lassen sich anhand dieses Mythos einerseits Bezüge zur norwegischen Kultur, andererseits Ländergrenzen überschreitende Migrationsbewegungen erkennen. Mit einer solchen ‚beweglichen‘ Betrachtungsweise wird unseres Erachtens auch der kontinentaleuropäischen Perspektive auf den Norwegischen Black Metal Rechnung getragen, die wir vermutlich mit 7 | Siehe ebd., S. 10. 8 | Siehe ebd., S. 9. 9 | Siehe Rajewsky 2002, S. 12f. 10 | Für allgemeine Ansätze zur Analyse des Verhältnisses von Klang und Text in populärer Musik vgl. z.B. Brackett 2000 und Moore 2012 (insbesondere die Kapitel „Persona“ und „Reference“). Zur Interpretation von Cover-Artwork vgl. die exemplarische kunsthistorische Studie von Grasskamp 2004.

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den meisten Leser*innen teilen. Die norwegischen oder auch diffus ‚nordischen‘ Aspekte unseres Zugangs zu Black Metal haben einerseits bestimmte Hintergründe in der Kultur Norwegens, überlagern und verschmelzen aber andererseits mit transnationalen Aspekten der Entstehung und Wahrnehmung der Musik. Weder Norweger noch Fans, nähern wir uns Kholds Musik aus einer informierten Außenperspektive, weil wir diese Musik für ein spannendes Beispiel halten, an dem sich ein für den (Norwegischen) Black Metal charakteristisches Zusammenspiel von Bildern, Klängen und Texten erfassen lässt. Als Musikwissenschaftler mit literatur-, medien- und politikwissenschaftlichen Interessen folgen wir dabei notwendigerweise unseren disziplinären Perspektiven, weshalb wir uns u.a. mit skandinavischer Literatur, aber z.B. weniger intensiv mit ästhetischen Aspekten der Bildgestaltung auseinandersetzen. Auch in dieser Hinsicht geht es uns nicht um eine erschöpfende Analyse, sondern vor allem um das Prinzip einer medienüberschreitenden Zugangsweise, das beispielsweise von Kunstwissenschaftler*innen oder anderen auf je eigene Weise ausgeführt werden kann, idealerweise in einem interdisziplinären Team.11 Das Sinnesmedium Bild steht in unserer Untersuchung am Anfang der Analyse, da gerade dort, wo die Wilde Jagd auf ihrer Wanderung in den Black Metal hineinkommt, Bilder eine wichtige Rolle spielen. Mit den Beispielen der schwedischen Band Bathory und der deutschen Band Falkenbach werden anhand des bildlichen Aspekts die transnationalen Migrationsbewegungen deutlich. Im Anschluss widmen wir uns ausführlich dem Verhältnis von Klang und Text, indem wir von Kholds Song „Oskorei“12 ausgehen. Wir schlagen dazu drei verschiedene Lesarten vor, um die durchaus unterschiedlichen Migrationswege der Wilden Jagd zu verdeutlichen. Die hier nachzuzeichnenden Wege führen (1) zum kulturgeschichtlichen Hintergrund der Schwarzen Romantik, (2) zum Vergleich mit anderen klanglichen und textlichen Bezugnahmen zum selben Mythos im Black Metal oder verwandten Genres und (3) über den mythischen Rahmen hinaus zu anderen Metal-Songs, die sich der Wilden Jagd vergleichbar als Darstellungen von Bewegung verstehen lassen, ohne sich unmittelbar auf den Mythos zu beziehen. Auf diese Weise erhoffen wir 11 | Zur Bedeutung von Interdisziplinarität und Perspektivenvielfalt in der Metal-Forschung vgl. Heesch/Höpflinger 2014, S. 10–24. 12 | Khold 2005.

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uns, Anschlussmöglichkeiten für weitere Fragestellungen aufzuzeigen, durchaus auch jenseits von Mythenmigrationen.

G rundlegende B egriffe Bei der Wilden Jagd handelt es sich in überlieferungsgeschichtlicher Hinsicht um einen Sagenkomplex, der seit dem Mittelalter in verschiedenen europäischen Ländern belegt ist und auch das Wilde Heer, schweizerdeutsch Wüetisheer, norwegisch Oskorei oder Oskoreidi, englisch Wild Hunt und französisch Mesnie Hellequin genannt wird.13 So unterschiedlich die Sagen im Einzelnen sind, lassen sich die gemeinsamen Elemente etwa wie folgt zusammenfassen: Es wird von einem durch die Luft reitenden, gespenstischen Jäger oder einer Jägerin erzählt, der oder die häufig von Hunden und einer Geisterschar begleitet wird und Menschen, oft weiblichen Geschlechts, mit sich reißt.14 Wie an der mittelhochdeutschen Bezeichnung Wuotanes her und an der schwedischen Odens jakt zu erkennen ist, wird die Wilde Jagd manchmal mit der Göttergestalt Wotan (im sogenannten südgermanischen Raum) bzw. Odin (in Nordeuropa) assoziiert. Allerdings variiert die Identität der anführenden Figur in den verschiedenen Fassungen; z.B. werden manchmal auch der Gott Thor, der Held Sigurd, Satan oder eine Sagengestalt als Jäger*in identifiziert.15 Je nachdem, haften der Wilden Jagd damit heidnische, diabolische oder auch märchenhafte Assoziationen an. Neuzeitliche künstlerische Bezüge zur Wilden Jagd treten insbesondere im Kontext der Schwarzen Romantik und in Verbindung mit in13 | Vgl. Lindow 2000; Simek 2006, S. 491f. 14 | Laut Lindow (2000) gehören zu dem Komplex auch die bei Christiansen (1958) berichteten Sagen vom „Fairy Hunter“ (Migratory Legend 5060), die in Deutschland, Dänemark, Schweden und Norwegen erzählt wurden. 15 | Bei Welhaven (1845) wird „Asgaardsreien“ von Thor angeführt; dessen vermutete Quelle Faye (1844) berichtet in seinem Abschnitt über „Aasgaardsreia“ (S. 62–66) von Versionen, in denen u.a. Sigurd oder die weibliche Sagengestalt Guro als Anführende auftreten; andere Fassungen identifizieren den Jäger mit historischen Personen wie Dietrich von Bern oder Valdemar Atterdag (vgl. Lindow 2000, S. 1036); in dem von Christansen (1958, Migratory Legend 5060) zusammengefassten Komplex bleibt die Identität des Jägers unbestimmt.

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tensivem Interesse an nordischer Mythologie auf, wie im schwedischen Götizismus und in der norwegischen Nationalromantik.16 In Bezug auf Norwegen beschreibt Jöran Mjöberg die Wilde Jagd als „eins der größten Themen der gesamten norwegischen nationalromantischen Strömung um die Mitte des 19.  Jahrhunderts“17. Eine bekannte dichterische Ausformung stellt Johan Sebastian Welhavens Ballade Asgaardsreien (1845) dar, als deren Quelle vermutlich Andreas Fayes Sammlung norwegischer Volkssagen diente.18 Welhavens Gedicht regte wiederum den Künstler Peter Nicolai Arbo zu seinem wohl bekanntesten Gemälde Åsgårdsreien (1872) an.19 Wie noch zu sehen sein wird, spielen Welhavens Gedicht und Arbos Gemälde auch in Aneignungen der Wilden Jagd im Black Metal eine Rolle. Auf die unterschiedlichen musikhistorischen Bezüge zur nordischen Mythologie im Allgemeinen und zur Wilden Jagd im Besonderen können wir im vorgegebenen Rahmen nicht einzeln eingehen.20 Festzuhalten ist jedenfalls, dass Verarbeitungen der Wilden Jagd in Metal-Musik im Kontext einer – auch im Vergleich zu anderen musikalischen Genres

16 | Vgl. Mjöberg 1967, S. 126. 17 | Ebd., S. 46: „ett av de största ämnena i hela den norska nationalromantiska strömningen kring 1800-talets mitt: Asgårdsreien, Odens vilda jakt.“ (Übersetzung: Florian Heesch) 18 | Welhaven 1845; Faye 1844 (2. Aufl.) war erstmals 1833 erschienen; vgl. Mjöberg 1967, S. 125–128. 19 | Vgl. die kommentierte digitale Reproduktion auf der Website des norwegischen Nationalmuseums (Norwegisches Nationalmuseum o.J.); zum kulturgeschichtlichen Hintergrund vgl. auch Mjöberg 1967, S. 46; Grandien 1987, S. 174. 20 | Zu Welhavens Asgaardsreien komponierte der norwegische Komponist Ole Olsen eine sinfonische Dichtung mit demselben Titel (1878, vgl. Guldbrandsen 2000); in Schweden wurde die Wilde Jagd von August Strindberg als eines von mehreren Sagenmotiven im Drama Kronbruden (1901, Die Kronbraut) verarbeitet und in Ture Rangströms gleichnamiger Opernfassung (Stuttgart 1919) als orchestrale Lärmszene auskomponiert (vgl. Heesch 2006, S. 172–176); in Deutschland und darüber hinaus gilt Richard Wagners Operntetralogie Der Ring des Nibelungen (Bayreuth 1876) als wichtiger Referenzpunkt für die Aktualisierung nordischer Mythen und Heldensagen; hier wird Wotans Ankunft am Walkürenfelsen (Walküre, 3. Akt) als Wilde Jagd geschildert (vgl. Magee 1990, S. 179f.); auf die Verarbeitung des Motivs in Carl Maria von Webers Oper Der Freischütz wird an späterer Stelle dieses Artikels näher eingegangen.

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der Gegenwart – starken Häufung von Referenzen auf nordisch-mythologische Stoffe stehen.21 Bevor wir den Spuren der Wilden Jagd im Black Metal folgen, erscheint es uns wichtig, einige grundlegende Überlegungen zu diesem Mythos darzustellen. Dabei gehen wir zunächst der Frage nach, inwiefern es sich bei der Wilden Jagd um einen Mythos handelt und welcher Begriff dabei angelegt werden kann. Unser methodisches Modell der medialen Migration impliziert einen Mythenbegriff, der sich, mit Aleida und Jan Assmann gesprochen, an der „europäische[n] Mythentradition“ orientiert, in der ein Mythos „ständig neu aktualisiert, d.h. umgedeutet und umgeschrieben“ wird.22 Auch wenn Assmann und Assmann dafür den eher eng gefassten Begriff der „literarischen Mythen“23 wählen, liegt dieser unter den insgesamt sieben Mythosbegriffen, die sie unterscheiden, unserem hier angelegten Verständnis am nächsten. An Matussek anknüpfend, benötigt der Begriff eine transmediale Erweiterung, zumal in unserer Untersuchung nicht das Medium Text, sondern das Bild den Ausgangspunkt darstellt. Gerade anhand der Bezüge zu Bildern zeigt sich die auch von Rajewsky postulierte Transmedialität der Mythen, nämlich ihr Potential, unabhängig vom Ausgangsmedium, z.B. einem mittelalterlichen Text, in andere Medien zu migrieren. Damit sind wir bei der Frage angelangt, inwiefern hier zwischen Mythos und Sage zu differenzieren ist, zumal die Wilde Jagd zunächst in Form von Sagen überliefert ist, nicht jedoch in den mittelalterlichen Hauptquellen zur nordischen Mythologie, der Liederedda und der Edda Snorri Sturlusons.24 Dafür dennoch – im Bewusstsein einer gewissen Vereinfachung – den Mythosbegriff zu verwenden, sprechen mehrere pragmatische Gründe. Der erste ergibt sich aus der soeben beschriebenen Transmedialität: Sofern die Wilde Jagd unabhängig von bestimmten literarischen Formen, sondern z.B. über Bilder in die Musik gelangt, verliert die Frage nach textbezogenen Unterschieden zwischen Mythos und Sage ihre Relevanz. Zweitens erfüllt die Wilde Jagd zumindest in den Fällen, in denen sie von Odin oder Thor angeführt wird, ein inhaltliches Krite-

21 | Vgl. Helden 2012; Heesch 2014; Penke/Teichert 2016. 22 | Assmann/Assmann 1998, S. 180. 23 | Ebd. 24 | Vgl. z.B. Schulz 2011.

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rium eines Mythos, nämlich die Behandlung einer Göttergestalt.25 Der dritte Grund ergibt sich aus den relevanten Quellen und ihren Kontexten. Wie erwähnt überblendet sich die Rezeption der Wilden Jagd sowohl im (Black) Metal als auch bei den kulturhistorischen Vorläufern aus dem 19. Jahrhundert häufig mit einer generellen Rezeption der nordischen Mythologie. In diesem Sinn besteht aus Sicht der Produzent*innen von Wilde-Jagd-Artefakten keine trennscharfe Abgrenzung zur Mythenrezeption. Mit Aleida und Jan Assmann unterscheiden wir den dieser Studie zugrundeliegenden, vom literarischen Modell ausgehenden Mythenbegriff von einem funktionalistischen, der den Mythos als „fundierende, legitimierende und weltmodellierende Erzählung“ fasst.26 Der funktionalistische Begriff, der auf die religiösen oder identitätsstiftenden Funktionen des Mythos zielt, wäre in diesem Fall geeignet, Bedeutungen der Wilden Jagd für nationalromantische Identitätskonstruktionen im Norwegen des 19. Jahrhunderts oder Vorstellungen von Spuren eines archaischen OdinKults in den mythischen Erzählungen zu beschreiben.27 Die Autoren des vielrezipierten, pseudodokumentarischen Buchs Lords of Chaos, Michael Moynihan und Didrik Søderlind, argumentieren unter Berufung auf Varg Vikernes, Carl Gustav Jung und andere für eine identitätsstiftende Funktion der Wilden Jagd bezüglich des Norwegischen Black Metal.28 Ohne die kritische Diskussion wiederholt aufzugreifen,29 möchten wir betonen, dass sich unser Nachspüren der Wilden Jagd mitnichten dazu eignet, die Argumente Moynihans und Søderlinds zu unterstützen. Weiterhin ließen sich aus einer funktionalistischen Perspektive auf den Mythos die durchaus vorkommenden nationalistischen und neonazistischen Deutungen der Wilden Jagd durch Vertreter des sogenannten National Socialist Black Metal diskutieren, etwa das Album Asgardsrei30 (1999) der Band 25 | Siehe Hödl 2003, S. 584f. 26 | Assmann/Assmann 1998, S. 180. 27 | Die Theorie zu einem kultischen Hintergrund der Wilden Jagd mit der Fokussierung auf Odin als Anführer wurde insbesondere von Otto Höfler in dessen Schrift Kultische Geheimbünde der Germanen (1934) vertreten; vgl. Lindow 2000; Heesch 2011a. 28 | Moynihan/Søderlind 2007, S. 213–232. 29 | Vgl. dazu ausführlich Heesch 2011a. 30 | Absurd 1999.

Klang – Text – Bild: Intermediale Aspekte der Black Metal-Forschung

Absurd.31 Auch wenn uns die ideologiekritische Auseinandersetzung damit grundsätzlich wichtig ist, können wir diesen Aspekt im Rahmen des vorliegenden Beitrags nicht näher vertiefen, zumal sich bei einer eingehenden Untersuchung der Mythenreferenzen im Black Metal gezeigt hat, dass sich der Einfluss politisch radikaler Ideologien in Grenzen hält.32

D ie W ilde J agd in B ildern Zum ersten Mal in der Geschichte des um 1970 entstandenen Genres Heavy Metal lässt sich eine Verwendung der Wilden Jagd im 1988 erschienenen Album Blood Fire Death33 der schwedischen Band Bathory nachweisen: Das Frontcover des Albums zeigt einen Ausschnitt aus dem Gemälde Åsgårdsreien (1872) des Norwegers Arbo. Das bekannte Bild stellt die Wilde Jagd als riesige, unübersichtlich verdichtete Schar aus fliegenden Pferden und reitenden Personen dar, flankiert von Raben, über eine düstere Landschaft dahinrasend. Gegenüber den dunklen Farbtönen heben sich im Vordergrund erleuchtete nackte Frauenkörper ab, zum einen walkürenartige Reiterinnen, zum anderen Opfer der Wilden Jagd, die das Motiv des Menschenraubs verkörpern. Inmitten der Menge ragt erhöht der Gott Thor hervor, erkennbar an seinem hoch erhobenen Hammer 31 | Vgl. Penke/Teichert 2016; darin speziell Penke 2016, S. 92–103. 32 | Penke (2016, S. 93f.) glaubt hingegen, A bsurd s Darstellung der Wilden Jagd habe einen größeren Einfluss auf den Metal gehabt als B athory s, was er damit begründet, dass „[d]ie Bezüge auf die Asgardsrei-Interpretation Otto Höflers, die ‚Atavismus‘-Deutung Carl Gustav Jungs und die weitere Aktualisierung von Werwolfs- und Männerbundphantasien [...] bei A bsurd [Hervorhebung im Original] deutlich zu erkennen“ seien, während B athory s Darstellung mit Arbos ÅsgårdsreiBild „keine derartige Resonanz verbuchen [konnte], weil sie konzeptionell nicht weiter unterfüttert“ worden sei. Aus unserer Sicht ist in dieser Argumentation jedoch keine hinreichende Begründung für A bsurd s vermeintlich stärkeren Einfluss zu erkennen, zumal auch darauf einzugehen wäre, dass A bsurd s Album elf Jahre später erschienen ist als B athory s Blood Fire Death. Zu einer eigenen kritischen Auseinandersetzung mit A bsurd vgl. Heesch 2011b, S. 64–66; für eine Differenzierung zwischen essentialistischen und anderen Mythendeutungen im Black Metal vgl. Heesch 2014. 33 | Bathory 1988.

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und dem von zwei Ziegenböcken gezogenen Wagen. Demnach tritt Thor hier als zentrale Figur in Erscheinung, ähnlich wie in Welhavens Ballade, die wohl als Arbos literarische Vorlage zu bezeichnen ist. Eine eindeutige Verbindung zum Gott Odin besteht hingegen nicht. Für die Verwendung im quadratischen Plattencover ist die querformatige Vorlage vor allem an der rechten und linken Seite beschnitten. Das am oberen Rand eingefügte Bandlogo ist farblich an die Lichtquelle im Bildhintergrund angepasst, wohingegen der in Rot gehaltene Albumtitel am unteren Bildrand hervorsticht (vgl. Abb. 1).

Abb. 1: Frontcover von B athory s Album Blood Fire Death (1988).

Indem Bathory mythische sowie wikingerzeitliche Elemente in einigen Tracks auf Blood Fire Death und den folgenden Alben Hammerheart34 (1990) und Twilight Of The Gods35 (1991) verarbeitet, wird die Band stilprägend für Teile der Metal-Kultur.36 Ab den Jahren 1993/94 finden sich ähnliche mythische oder historische Referenzen vermehrt in Produktionen norwegischer Black Metal-Bands; später ist eine Häufung solcher Darstel34 | Bathory 1990. 35 | Bathory 1991. 36 | Zum Einfluss B athory s im Allgemeinen vgl. auch Dornbusch/Killguss 2007, S. 97f.; Sharpe-Young 2007, S. 225–227; der Stellenwert des B athory -Albums Blood Fire Death wird in der wissenschaftlichen Literatur immer wieder hervorgehoben, vgl. z.B. Chaker 2014, S. 144.

Klang – Text – Bild: Intermediale Aspekte der Black Metal-Forschung

lungen in den Genres des Viking Metal bzw. Pagan Metal zu beobachten, die sich musikalisch wie auch inhaltlich häufig an Black Metal-Bands anlehnen bzw. als Abspaltungen des Black Metal gesehen werden können. Eine direkte musikalische Referenz auf die Wilde Jagd findet sich bei Bathory nur ein einziges Mal, nämlich auf Blood Fire Death. Der erste Track mit dem programmatischen Titel „Odens Ride Over Nordland“ ist ein sphärisches Instrumentalstück aus Synthesizer-Klangflächen und synthetischen Chor-Vokalisen, worin heiseres Pferdewiehern und dumpf grollendes Hufgetrappel als konkrete auditive Bezüge eingeflochten sind. Der Titel lässt zwar durchaus verschiedene Interpretationen zu; in Kombination mit der Coverabbildung liegt es dennoch nahe, den Track als ‚Programmmusik‘ zur Wilden Jagd zu hören. Auf ihren transnationalen Migrationswegen beobachten wir ein Auftreten der Wilden Jagd in Bildform auch bei der Band Falkenbach. Das 1989 gegründete Ein-Personen-Projekt von Markus „Vratyas Vakyas“ Tümmers zählt zu den frühesten etablierten Vertretern des Pagan Metal in Deutschland.37 Falkenbachs erstes Album ...en their medh riki fara...38 (1996, No Colours Records)39 zeigt auf dem Frontcover den Ausschnitt aus einer Zeichnung von Friedrich Wilhelm  Heine, die Wilhelm Wägners Überblicksdarstellung Nordisch-germanische Götter und Helden (1882) entnommen ist, wo sie mit der Unterschrift „Wodan’s wilde Jagd“ erscheint 37 | So urteilt Anja Lochner über Falkenbach s lang jährige Karriere im deutschen Magazin M etal H ammer (2011, S. 91): „Kontinuität, die immer gleiche Herangehensweise und Thematik sowie eine gehörige Portion Sturheit haben das EinMann-Projekt FALKENBACH [Hervorhebung im Original] zu einer festen Größe im Pagan Metal-Genre werden lassen.“ 38 | Falkenbach 1996. 39 | Das Label N o C olours R ecords hat(te) diverse Bands, die dem NSBM zuzurechnen sind, unter Vertrag, darunter G raveland und zeitweise auch A bsurd. Unter dem Label-Namen IG Farben – ein Verweis auf das Chemieunternehmen, das an der Herstellung des von den Nationalsozialisten im Vernichtungslager Auschwitz verwendeten Giftgases Zyklon B maßgeblich beteiligt war – veröffentlichte N o C olours R ecords das von der deutschen Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) indizierte A bsurd -Album Asgardsrei (vgl. Dornbusch/Killguss 2007, S. 150; vgl. auch Penke 2016, S. 100). Insbesondere unter diesem Label legt(e) N o C olours R ecords Alben von explizit neonazistischen Bands wie D er S tür ­ mer , C apricornus und N achtkult auf (vgl. Discogs o.J.).

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(vgl. Abb. 2 und 3).40 Das Motiv ist auf dem Falkenbach-Album in der Vertikalen allerdings erheblich gestaucht, wodurch die im Original sehr detaillierten Darstellungen von Pferden und Personen (vor allem hinsichtlich der Mimik) stark verzerrt werden und fast schon surreale bzw. geisterhafte Züge erhalten.41

Abb. 2 (links): Cover-Vorderseite von Falkenbach s Album ...en their medh riki fara... (1996). Abb. 3 (rechts): Friedrich Wilhelm Heine: Wodan’s Wilde Jagd. In: Wägner 1882, S. I.

Ähnlich wie bei Bathorys Blood Fire Death steht die Wilde Jagd bei Falkenbach exemplarisch für die Bezüge zur Geschichte der Wikinger und zur nordischen Mythologie, die in den Songs verarbeitet werden, wobei die Wilde Jagd selbst keine weitere Erwähnung findet. Lediglich zu Beginn des ersten Tracks „Galdralag“ kommen, wie in Bathorys „Odens Ride Over Nordland“, Samples von Pferden zum Einsatz, die hier allerdings bereits nach 20 Sekunden abrupt abbrechen. In gewisser Weise imitiert Falkenbach außerdem die Quelle des Bildes, Wägners Nordisch-germanische Götter und Helden: Abgesehen davon, dass die nordische Mythologie

40 | Wägner 1882, S. I. Um genau zu sein, handelt es sich bei der Abbildung um einen (Kupfer-)Stich nach einer Zeichnung von Heine. 41 | Dieser Eindruck wird sicher zu einem gewissen Teil auch durch die schlechte Druckqualität des Covers verstärkt.

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hier mit völlig anderen Mitteln dargestellt wird, erscheint Heines Bild von der Wilden Jagd schon in Wägners Buch ganz vorn, als Frontispiz.42 Entsprechend der Position des Blood Fire Death-Albums von Bathory im Metal-Kanon hat Arbos Bild damit symbolischen Status für einen bestimmten Stil (oder mehrere) erworben. So zierte es 2010 auch den Flyer zu einem regelmäßigen Event im Kölner Metal-Club Valhalla: Hier wird (auch heute noch) einmal im Monat eine ‚Wilde Jagd‘ veranstaltet, indem unter dem Motto „Oskorei“ Musik aus Genres wie Black- und Pagan Metal aufgelegt wird. Auf dem Flyer wird die Wilde Jagd mit einer weiteren Referenz zur Wikingerzeit kombiniert, nämlich einer charakteristischen Teilansicht vom Osebergschiff, einem von mehreren Wikingerschiffen aus archäologischen Ausgrabungen in Norwegen, die heute in einem Osloer Museum öffentlich ausgestellt sind (vgl. Abb. 4).43

Abb. 4: Flyer der „Oskorei“ im Kölner Metal-Club Valhalla aus dem Jahr 2010 (eigenes Archiv).

42 | Einen Abschnitt seiner Überblicksdarstellung widmet Wägner (1882, S. 79– 83) den „Mythen von der wilden Jagd und dem wütenden Heer“. 43 | Zu den Wikingerschiffen vgl. die Broschüre von Sjøvold (1985), die übrigens auf dem Umschlag nahezu dieselbe Ansicht vom Vordersteven des 1904 ausgegrabenen Osebergschiffs zeigt, wie sie auf dem Flyer des Kölner Clubs zu erkennen ist; zur kulturhistorischen Verbindung zwischen dem (älteren) Fund des Gokstadschiffs (1880) und wikingerzeitlichen Motiven in der norwegischen bildenden Kunst – freilich erst nach Arbos Åsgårdsreien – siehe Wilson 1997, S. 65–69.

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D ie W ilde J agd in K l ängen und Te x ten : drei L esarten zu K holds „O skorei “ Nachdem wir einige bildliche Aspekte der Mythenmigration exploriert haben, widmen wir uns im Folgenden der Wilden Jagd in den Medien Klang und Text. Als Ausgangspunkt dient uns der Track „Oskorei“ vom Album Krek (2005) der norwegischen Band Khold, zu dem wir drei vergleichende Lesarten entwickeln, die verschiedene Migrationswege des Mythos verdeutlichen sollen. Zuvor beschreiben wir den Song hinsichtlich seiner textlichen und auditiven Charakteristik und schlagen eine erste Interpretation als Horror-Darstellung vor. Die Band Khold, 1991 in Nittedal zunächst unter dem Namen Tulus gegründet, gab zwei Alben und einige Demos heraus, bevor sie ab 2001 ihr erstes Album unter dem Bandnamen Khold veröffentlichte.44 Bis zum Jahr 2005 produzierte sie vier Studio-Alben; bei dem jüngsten handelt es sich um das hier zur Diskussion stehende Album Krek. Nach einer dreijährigen Pause nahm die Band ihre musikalischen Aktivitäten wieder auf und veröffentlichte 2008 und 2014 zwei weitere Alben. Generell kann man sagen, dass die Band in der Tradition stilprägender norwegischer Bands steht. Sämtliche Lyrics werden in norwegischer Sprache von Hilde „Hildr“ Nymoen verfasst.45 Der Song „Oskorei“ ist – wie der Titel verrät – dem Thema der Wilden Jagd gewidmet, hier dargestellt als winterliche Erscheinung einer Reiterschar von verdammten Toten, die Menschen von der Erde rauben. In den letzten beiden Versen wird betont, dass die Wilde Jagd nicht nur für die Geraubten, sondern auch für die Zurückbleibenden schlimme Folgen habe:

44 | Vgl. Eggum et al. 2013, S. 339. 45 | Vgl. ebd.

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[1]

Verdig slag i iskledd luft over stille gard og tuft. Dødninger i vinget ritt, vettesvevet, øvet, fritt.

Ehrwürdige Schlacht in eisgekleideter Luft über stillen Höfen und Grundstücken. Tote/Gespenster in geflügeltem Ritt, geisterschwebend, geübt, frei.

[5]

Oskorei i kalde himler, de fordømtes sorte vrimler.

Oskorei in kalten Himmeln, der Verdammten Schwarze wimmeln.

Røver mennesker fra jorden, idelig til ondskap svoren. Forkynner angst til etterblivne [sic46], redsel, ufred, stendig pine.47

Rauben Menschen von der Erde, ewig dem Bösen verschworen. Verkünden Angst den Zurückbleibenden/ Hinterbliebenen, Furcht, Unfrieden, ständige Qual.48

[10] 46 47 48

Die Texterin Hildr hat sich formal an ein regelmäßiges Schema aus vierhebigen, paarweise endgereimten Versen gehalten. Die Wortwahl weist gegenüber gewöhnlichem Norwegisch einige Abweichungen auf, die wohl den poetischen Charakter unterstreichen sollen, zugleich aber auch archaisierend bzw. romantisierend wirken: Direkt in der ersten Zeile wird das Attribut „verdig“/„ehrwürdig“ verwendet, außerdem finden sich die ungewöhnlichen Komposita „iskledd“/„eisgekleidet“ (Vers [V.] 1) und „vettesvevet“/„geisterschwebend“ (V. 4), das altertümelnde „etterblivne“ (V. 9) – statt dem heute üblichen „etterlatte“ – sowie die merkwürdige Kon­ struktion „de fordømtes sorte“/„der Verdammten Schwarze“ (V. 6). Damit fällt nicht nur angesichts der gleichen Thematik, sondern auch aufgrund der Wortwahl die Ähnlichkeit zu Johan Sebastian Welhavens Gedicht Asgaardsreien (1845) auf, dessen erste Strophe folgendermaßen lautet:

46 | Das Wort heißt korrekt ‚etterblivende‘. 47 | Khold 2005, Liner Notes. 48 | Sofern nicht anders angegeben, stammen alle Übersetzungen von Florian Heesch. Für freundliche Hilfe bei den Übersetzungen aus dem Norwegischen danken wir Thomas Esser und Katja Schulz, letzterer auch für die Hinweise zur Übersetzung des niederländischen Songtexts von H eidevolk .

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[1]

Lydt gjennem Luften i Natten farer et Tog paa skummende sorte Heste. I Stormgang drage de vilde Skarer. de have kun Skyer til Fodefæste.

[5]

Det gaaer over Dal, over Vang og Hei, gjennem Mulm og Veir; de endse det ei. Vandreren kaster sig ræd paa Veien. Hør hvilket Gny – det er Asgaardsreien!49

Tosend zieht durch die Luft in der Nacht ein Zug von schäumenden schwarzen Pferden. Im Sturmritt ziehen die wilden Scharen. Sie haben nur Wolken zum Halt unter den Füßen. Es geht über Tal, über Wiese und Heide,  durch Dunkelheit und Unwetter; sie achten nicht darauf. Der Wanderer wirft sich ängstlich auf den Weg.  Horch, welcher Lärm – das ist die Wilde Jagd!

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Musikalisch bringt Khold den Horroraspekt durch harmonische und melodische Stilmittel zum Klingen. Der Tonraum entwickelt sich buchstäblich aus der Monotonie;50 die Melodik des Gitarrenriffs, das im zweiten Durchgang dem einsetzenden Gesang zugrunde liegt, setzt sich aus Elementen verschiedener (d-)Moll-Skalen, chromatischen Umspielungen und einem Tritonus zusammen (vgl. Abb. 5).

Abb. 5: K hold: „Oskorei“ (2005), Auszug. Transkription: Florian Heesch.

Zusammengenommen evozieren diese Klänge ein semantisches Feld aus Bedrohung, Horror/Angst und Melancholie/Depression. Dem liegen zwei 49 | Welhaven 1845, S. 225. 50 | Die Monotonie ist typisch für den Stil von K hold; der Musikjournalist Gunnar Sauermann (2008, S. 80) sieht darin eines ihrer Markenzeichen.

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Bezugspunkte zugrunde: Einerseits entsprechen diese Stilmittel den Genrekonventionen, tragen also zum (Black) Metal-typischen Klang bei, der mit ebenso typischen, in ihrer Vielfalt durchaus begrenzten Themen wie Horror, Okkultismus, Gewalt und Tod konnotiert ist; andererseits entfaltet diese Musik ihre Wirkung auch im Dialog mit anderen Teilen der westlichen Musikkultur, in deren Kontext der Metal-Stil eingebettet ist. In westlich-europäischer Musik erklingen solche chromatischen Elemente und Tritoni häufig in ähnlichen semantischen Zusammenhängen. Der Tritonus, von mittelalterlichen Gelehrten als „diabolus in musica“ tituliert, findet dementsprechend oft Verwendung im Heavy Metal, früh und an prominenter Stelle zum Beispiel im Song „Black Sabbath“ (1970) der gleichnamigen englischen Band, die zu den einflussreichsten Pionieren des Heavy Metal zählt.51 Ferner wird die Horror-Wirkung durch das Schreien des Sängers Sverre „Gard“ Stokland erzeugt. Mit dem Schreien auf unbestimmter Tonhöhe ist in diversen Subgenres des Heavy Metal, so im Black Metal und Death Metal, seit den 1980er Jahren die klangliche Verzerrung (englisch: distortion), durch die sich der charakteristische Gitarrensound des Heavy Metal seit jeher auszeichnet, auf die Stimme übertragen worden.52 Es handelt sich um eine Art der vokalen Äußerung, in der sich der Aspekt der Klanggestaltung, der beim (melodischen) Singen dominiert, mit der als „primär expressiv und pathisch“ charakterisierten „Rufstimme“ mischt.53 Auch wenn das Schreien a-melodisch ist und hohe geräuschhafte Anteile hat, besitzt es eine Tonhöhe und eine Klangfarbe, die durch sein Obertonspektrum entsteht. Dementsprechend kann ein Vokalist (die im Englischen übliche Besetzungsangabe „vocalist“ trifft besser als der deutsche Ausdruck „Sänger*in“) sein Schreien musikalisch variieren; es haben sich im Metal diverse Typen von Schreipraktiken etabliert, deren Verwendung auch in Beziehung zum jeweiligen Genre steht. Allgemein gesagt, ist für den Black Metal ein relativ hohes Kreischen typisch, für den Death 51 | Der Song ist auf dem Album Black Sabbath (Sanctuary Records, 1970) enthalten (vgl. Black Sabbath 1970). Die international bekannte US-Thrash Metal-Band S layer betitelte ihr 1998 erschienenes Album Diabolus in Musica (vgl. Slayer 1998). 52 | Vgl. Kahn-Harris 2007, S. 32. 53 | Waldenfels 2006, S. 205 (Kursivierung im Original); für einen Überblick über verschiedene vokale Praktiken im Heavy Metal siehe Mesiä/Ribaldini 2015.

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Metal ein relativ dunkles Schreien, was auch – in Analogie zu tierischen Lauten – als „Growling“ bezeichnet wird.54 Gards Schreien in „Oskorei“ liegt in einer mittleren Lage, passend zum Grundton des Riffs, in dem deutlich ein d1 herausklingt (das den Tonwechsel es mit den Gitarren mitmacht); dabei geben mitschwingende tiefere Teiltöne der Stimme einen für den Black Metal relativ dunklen Klang (vgl. Abb. 6). Obwohl sich die Erzeugung des musikalischen Schreiens bei geübten Vokalisten vom unkontrollierten vokalen Ausbruch aggressiver Emotionen unterscheidet, wird durch die stimmliche Performanz in der Regel die Wirkung einer ‚aggressiven‘ Expression hervorgerufen.55 Die Assoziation mit Aggressivität, aber auch mit Bedrohung und mit Monströsem stellt sich hier, wie bei den ‚düsteren‘ Gitarrentönen, sowohl aufgrund der Genrekonventionen ein – in Genres wie Black Metal wird grundsätzlich geschrien –, als auch aufgrund der genreübergreifenden Wirkung solcher vokalen Klänge.

Abb. 6: Spektrogramm eines Ausschnittes aus dem K hold -Song „Varde“56 (2005) in A udio S culpt 3 (Fourier-Analyse; DisplayEinstellungen: „Black Threshold“: -40dB, „White Threshold“: -90dB) 54 | Vgl. Chaker 2014, S. 206. 55 | Zum Aspekt der vokalen Performanz von Aggressivität siehe auch Heesch 2011b. 56 | Da das Spektrogramm im Song „Oskorei“ aufgrund der Instrumentierung wenig Aussagekraft hat, haben wir zur Visualisierung von Gards Stimme einen anderen Song vom selben Album gewählt, bei dem lediglich eine E-Gitarre als Begleitung vorhanden ist (bis ca. 500 Hz). Die im Spektrogramm sichtbaren Säulen sind stimmliche Äußerungen Gards. Zu erkennen ist, dass die Stimme bis in einen recht

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Lesart 1: K hold s „Oskorei“ als Rückgriff auf die Schwarze Romantik Betrachtet man die Aneignung der Wilden Jagd durch den Black Metal im Allgemeinen bzw. Khold im Speziellen, so gibt die Verarbeitung des Themas, wie es bei Welhaven oder auch in Carl Maria von Webers Oper Der Freischütz (1821, Berlin; Libretto: Johann Friedrich Kind) geschieht, einen aufschlussreichen Vergleichspunkt ab. Indem bei der Erscheinung der Wilden Jagd bzw. des Wilden Heeres in Webers Wolfsschluchtszene der gespenstische Aspekt des Sagenmotivs im Vordergrund steht, fügt es sich in den Kontext romantischer Gespensterdarstellungen im zeitgenössischen Schauerroman bzw. den romantischen Ausläufern der Gothic Novel ein.57 Dieses Genre, zu dem u.a. Romane wie Mary Shelleys Frankenstein (1818) und Bram Stokers Dracula (1896) zählen, diente als Inspirationsquelle für das Horrorgenre in Literatur und Film des 20.Jahrhunderts,58 woraus sich wiederum die Horrordarstellungen im Heavy Metal speisten. „Wegen der Betonung der dunklen Seite der menschlichen Natur war naheliegenderweise der beherrschende Genius vieler Schauerromane nicht Gott, sondern der Teufel“59, schreibt der Literaturwissenschaftler Leo Braudy – ein Satz, der gleichermaßen auf den Black Metal zutrifft. Insofern ist Der Freischütz zwar sicherlich keine direkte Quelle für die Rezeption der Wilden Jagd im Black Metal, zumindest aber ein romantischer Vorläufer ihrer musikalischen Adaption im Sinne eines Horrormotivs. Im Libretto heißt es (2. Aufzug, 6. Auftritt): Chor des wilden Heeres, (unsichtbar.) Durch Berg und Thal, durch Schlund und Schacht, Durch Thau und Wolken, Sturm und Nacht! Durch Höhle, Sumpf und Erdenkluft, Durch Feuer, Erde, See und Luft! Joho! Joho! Wau! Wau! Kaspar. Wehe! das wilde Heer!60

tiefen Frequenzbereich hinabreicht, zugleich fehlt aber – im Gegensatz zu einer normalen Sing-Stimme – eine klare Oberton-Struktur. 57 | Vgl. Gallos (2006) Ausführungen zu August Apels Erzählung Der Freischütz, einer von Kinds Quellen (S. 200–215). 58 | Vgl. Braudy 2003, S. 250. 59 | Ebd. 60 | Kind o.J.

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Lesart 2: Wilde-Jagd-Chorusse als mythische Signaturen im Vergleich Unter dem Gesichtspunkt einer Mythenwanderung bieten sich auditive Vergleiche zu anderen Wilde Jagd-Musiken an. Häufig finden musikalische Signaturen eines Mythos besonders deutlichen Niederschlag im Chorus eines Songs, sodass ein Vergleich verschiedener Chorusse vielversprechend erscheint. Die niederländische Viking Metal-Band Heidevolk etwa hat auf dem Album Walhalla Wacht61 (Napalm Records, 2008) einen Song namens „Het Wilde Heer“, der – dieses Mal in niederländischer Sprache – ebenfalls die Wilde Jagd thematisiert:62 [1]

[5]

Keerzang: Wodans leger rijdt door de nacht Als dood en leven bijeen zijn gebracht Woedend raast het Wilde Heer Voorvaders, door ons vereerd Twaalf nachten storm door de lucht Het Wilde Heer met luid gerucht62

Kehrreim: Wotans Armee reitet durch die Nacht Wenn Tod und Leben zusammengebracht sind Wütend rast das Wilde Heer Ahnen, von uns verehrt Zwölf Nächte Sturm durch die Luft Das Wilde Heer mit viel Lärm

Während in diesem Fall allein die Verwendung der Figur Wotan als Anführer des Wilden Heeres augenscheinlich auf die südgermanische Mythologie verweist, finden sich auch Wanderbewegungen, die auf den ersten Blick nicht zwangsläufig als solche erkannt werden müssen. So veröffentlichte die Schweizer Black Metal-Band Totenheer unter dem Titel Wüetisheer63 (2013) ihr Debütalbum, das eine lokale Ausformung der Wilden Jagd beinhaltet. Der Chorus im Song „S’Wüetisheer“ lautet wie folgt:64 Türst – Rides on his fiery horse Türst – Hunts the night with no remorse Whip the thorns – blow the horn Wüetisheer64

Auch musikalisch wird der Auftritt der Wilden Jagd in beiden Fällen hervorgehoben: Der Heidevolk-Song startet im 4/4-Takt mit Genre-üblichem Doublebass-Teppich. Im Chorus erfolgt der Wechsel in einen 6/8Takt, der vom Schlagzeug ebenfalls mit Doublebass begleitet wird. Inter61 | Heidevolk 2008. 62 | Zit. nach Heidevolk 2008, Liner Notes. 63 | Totenheer 2013. 64 | Ebd., Liner Notes.

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essant ist allerdings, dass in der dritten und vierten Zeile („Woedend raast het Wilde Heer / Voorvaders, door ons vereerd“) die Doublebass abreißt und stattdessen eine Figur auf den Toms gespielt wird. Durch dieses Stilmittel werden gerade diese beiden Zeilen musikalisch besonders hervorgehoben. Insgesamt ist der Chorus auch gegenüber der Strophe deutlich langsamer. Das Gleiche gilt für Totenheer: Auch hier ist das Tempo im Chorus deutlich langsamer als der Rest des Songs und die Taktart ändert sich in einen 6/8-Takt. Beide Beispiele sind zwar deutlich schneller als der Khold-Song, allerdings wird in allen Fällen der Wilde-Jagd-Chorus eher langsam inszeniert.

Lesart 3: Die Wilde Jagd als Bewegungsmotiv Bei Khold ertönen die Klänge in geradezu schleppendem Tempo (Grundschlag: 70 bpm). Damit schildert „Oskorei“ weniger die ‚Wildheit‘ der Wilden Jagd, sondern vielmehr den am Schluss des Songs dargestellten Aspekt von Depression und Verzweiflung. Auch diese Wirkung verstärkt sich im intertextuellen Bezug: Im Subgenre Doom Metal, das sich auf musikalischer Ebene durch seine langsamen Tempi auszeichnet, dominieren gerade Themen wie Melancholie und Depression. In dieser Hinsicht ist Kholds „Oskorei“ beispielsweise mit der für ihren melancholischen „Goth-Doom“-Stil bekannten englischen Band Paradise Lost vergleichbar, 65 deren Sänger ebenfalls eine aggressive Schreipraxis pflegt, zum Beispiel im (mit 57 bpm extrem langsamen Song) „Silent“ aus dem Album Gothic (Peaceville, 1991), in dem es heißt: „The world is but hell / A place darkened out by time“66. Weiterhin ergeben sich Vergleichsmomente zum bereits angesprochenen Bathory-Song „Odens Ride over Nordland“67. Auch hier entsteht durch die Mischung von monotonen Synthesizer-Flächen und der verwendeten Samples – wenn auch mit anderen auditiven Mitteln als bei Khold – ein Bedrohungsszenario, das sich von durchaus als glorifizierend lesbaren anderen Aneignungen, wie etwa im Falle von Heidevolk, hörbar unterscheidet.

65 | Sharpe-Young 2007, S. 287. 66 | Paradise Lost 1991, Liner Notes. 67 | Bathory 1988.

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Als fiktives Motiv ist die Wilde Jagd zum einen mit der verbreiteten, romantisch verwurzelten Horrorthematik im Allgemeinen verbunden, zum anderen aber auch mit dem Motiv einer schaurigen Reiterschar, insbesondere dem der apokalyptischen Reiter. ‚Wilde Reiter‘ gibt es im Heavy Metal seit jeher, was durchaus damit zusammenhängen dürfte, dass das Verb ‚ride‘ im Englischen, also in der Standardsprache der internationalen Rockmusik, sowohl die Fortbewegung zu Pferd als auch diejenige auf einem Motorrad bezeichnet. Von der Verknüpfung mit der Biker-Szene, die vermutlich vor allem in den Anfangsjahren des Heavy Metal besonders eng war, erzählen zahlreiche Biker-Songs und ‚Road-Songs‘ (in Analogie zum ‚Road-Movie‘), z.B. AC/DCs „Highway to Hell“68 oder die Biker-Hymne „Born to be Wild“69 der Band Steppenwolf: Dieser 1968 veröffentlichte und durch den Film Easy Rider bekannt gewordene Song, der stilistisch nicht dem Heavy Metal zuzurechnen ist, enthält die Worte „I like smoke and lightnin’ / Heavy metal thunder“, womit auf das Geräusch von Motorrädern abgezielt wird. Das Motiv der Biker ist mit Freiheit, dem Bild des Outlaw und damit auch einer (in erster Linie) inszenierten Gefährlichkeit für andere, Nicht-Biker, assoziiert. In Heavy Metal-Songs identifiziert sich das lyrische ‚Ich‘ (oder auch im Plural als ‚Wir‘) häufig mit der Ursache für Horror, Schauer und Schrecken. Das heißt, aus der Erzählperspektive ist es ebenso möglich und üblich, sich mit Monstern und Gespenstern wie mit Bikern, Outlaws und anderen Typen, die der Realität entstammen, zu identifizieren. Dementsprechend ähneln sich die Darstellungen von Bikern und apokalyptischen Reitern – und eben auch den wilden Reitern der Oskorei: Das eine wird zur Metapher des anderen. Das Motiv der apokalyptischen Reiter stellt dabei ein Bindeglied zum häufig vertonten Thema des Weltuntergangs dar. Es findet sich u.a. im Namen der deutschen Band Die Apokalyptischen Reiter, die das Image in der Zeile „we are the horsemen of the apocalypse“ im Song „We Will Never Die“ (auf dem Album Have A Nice Trip70 [2003]) vertont haben. Von internationalem Einfluss ist Metallicas Song „The Four Horsemen“ auf ihrem Debüt-Album Kill ’Em All71 (1983). Die hier geschilderten Reiter beziehen sich zwar durch ihre Zahl auf die Reiter der Apokalypse, verkör68 | AC/DC 1979. 69 | Steppenwolf 1968. 70 | Die Apokalyptischen Reiter 2003. 71 | Metallica 1983.

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pern aber in erster Linie einen Trupp berittener, männlicher Kämpfer, der andere junge Männer vor die Wahl stellt, entweder ihre Familie hinter sich zu lassen und ihnen zu folgen („Lock up your wife and children now / [...] So gather round young warriors now“) oder aber getötet zu werden. In diesem Aspekt lässt sich eine Parallele zur Wilden Jagd bei Khold – und anderen – ziehen:72 The horsemen are drawing nearer on the leather steeds they ride they have come to take your life on through the dead of night with the four horsemen ride or choose your fate and die72

S chlussbemerkung In unserem Beitrag haben wir uns mit der Intermedialität von Black Metal-Artefakten in Form von Alben-Covers und Tracks befasst. Dabei haben wir auf das Konzept der transmedialen Mythenmigration zurückgegriffen. Anhand des Mythos der Wilden Jagd haben wir explorativ Migrationen von Bildern, Lyrics und musikalischen Gestaltungsformen im Black Metal nachgezeichnet. Ausgehend vom Song „Oskorei“ der Band Khold haben wir drei unterschiedliche Lesarten skizziert: 1. Eine Lesart dicht am Track, die eine Momentaufnahme der Mythenwanderung darstellt; hier lassen sich Bezüge zur Schwarzen Romantik bzw. Schauerromantik und zum Horror-Genre erkennen. 2. Migrationen des Wilde-Jagd-Motivs in diversen Metal-Songs, insbesondere in deren Chorussen. Prägnante musikalische Signaturen des Hauptthemas sind häufig mit dem Songtitel kongruent. Daher bieten sich diverse ‚Wilde-Jagd-Songs‘, ob sie nun „Oskorei“, „Het Wilde Heer“ oder „S’Wüetisheer“ heißen, für einen Vergleich hinsichtlich ihrer Chorus-Teile an. 3. Die Verwandlung des Jagd-Motivs in ein Bewegungsmotiv, was den Vergleich mit anderen metal-musikalischen Signaturen von Sturm oder Ritt ermöglicht.

72 | Zit. nach Metallica 1983, Liner Notes.

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Die Migrationsbewegungen der Wilden Jagd konnten im Rahmen dieses Beitrags nicht umfassend dargestellt werden. Es dürfte aber ersichtlich geworden sein, inwiefern es sich dabei um ein für den Black Metal und verwandte Metal-Genres durchaus relevantes Phänomen handelt. Das Nachzeichnen solcher Migrationsbewegungen beinhaltet nach unserer Auffassung spannende Fragestellungen, die sich dazu eignen, gerade solch individuelle Artefakte aufzufinden, an denen man unter anderen Gesichtspunkten (z.B. bei einer Orientierung an der Stellung einer Band im Black Metal-„Kanon“ – wenn es denn einen solchen gibt) leicht vorbeigehen würde. Des Weiteren ist das Aufzeigen von Migrationsbewegungen geeignet, vielfältige inhaltliche, stilistische aber auch kulturelle und ideologische Bezüge innerhalb des Genres aufzufinden. Damit kann ein solches Konzept dazu anregen, Black Metal als ästhetisches Medienphänomen, auch im Kontext weiterer ästhetischer Phänomene und Kontexte zu untersuchen.

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Männlichkeiten, Räume und Wiederholungen im Black Metal Jan G. Grünwald Im Folgenden wird auf die bildlichen Inszenierungspraxen von Männlichkeit im Black Metal eingegangen und welche Rolle dabei die Verortung – im Speziellen im Naturraum – spielt. Des Weiteren wird aufgezeigt, dass die Darstellungen im Black Metal an immerwährende Erneuerungen gebunden sind, um das Prinzip der Rückgewandtheit zeitgemäß darstellen zu können. Die verwendeten Beispiele orientieren sich weniger an brandaktuellen Bildern und Videos als an ikonischen Vorlagen, die in ihrer Ästhetik maßgeblich weiterhin ausstrahlen.

M ännlichkeit Bei Männlichkeitsinszenierungen herrscht häufig eine Gleichzeitigkeit von Teilen einer Dominanzkultur und Teilen einer Gegenkultur. Ein großer Teil der Formen von Männlichkeit, die im Black Metal dargestellt werden, oszilliert zwischen einem vermeintlich systemimmanenten Konsens (sprich Männlichkeit als überlegen darzustellen – die normative Ebene) bei gleichzeitiger Distanzierung von dieser Konsensualität durch hypermaskuline Übertreibungen (diese Ebene könnte als anachronistische beschrieben werden). Bei diesem Prozess entstehen Räume der Widerständigkeit, die im besten Falle Neues, Abseitiges produzieren, sich aber gleichzeitig häufig eines klassischen Bildprogramms bedienen: das des Naturraumes. Es soll im Folgenden das Bildprogramm einer solchen Form von Männlichkeit untersucht werden, die ich als archaische Männlichkeit1 beschreibe, und deren Darstellungen im Naturraum. 1 | Vgl. Grünwald 2012.

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Gerade Bilder und Bewegtbilder (Promofotos, Cover, Videos usw.) bieten die Möglichkeit, sich zu kreieren, zu idealisieren und sich zu überhöhen. Bilder bieten eine Art Laborsituation (ein Destillat), in der Ideologien von Männlichkeit reproduziert oder sichtbar gemacht werden können. Gerade im Black Metal spielt die Inszenierung über Bilder eine sehr große Rolle. Dies hängt mit mannigfaltigen Faktoren zusammen, beispielsweise damit, dass bei einigen Künstler*innen auf eine Liveperformance verzichtet wird – wie bei Burzum oder Xasthur – und dadurch Bildern auf Plattencovers, in Fanzines oder im Internet eine noch größere Wichtigkeit zukommt. Ein weiterer Faktor ist, dass der Bild-Stil des Black Metal maßgeblich durch einfache Gestaltungsmuster und die Selbstverbreitung durch Kopieren des eigenen Fanzines2 geprägt wurde. Durch diesen Vorgang entsteht eine eigene ästhetische Form, da in den schwarzweiß kopierten Heften nur Dunkles und Helles hervorgehoben wird und es wenige Graunuancen gibt. Eben dieser technische Mangel kommt der Ästhetik des Black Metal in seiner Farbgebung entgegen und verstärkt im Printmedium seinen visuellen Ausdruck.

Abb. 1: Cover von Darkthrone (1992): A Blaze in the Northern Sky. Scan: Jan G. Grünwald.

2 | Der Begriff „Fanzine“ beschreibt eine Form von Magazin, welche im weitesten Sinne von Fans herausgegeben wird und meist in kleinen Auflagen in Eigenproduktion entsteht.

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Die Darstellungsformen des Black Metal-Stils und seine mediale Repräsentation bilden eine Symbiose, wie beispielsweise die Cover von Bands wie Darkthrone zeigen (vgl. Abb. 1), die einer solchen Fanzine-Ästhetik entspringen.3 Die Wirkung des Corpsepaints kommt in Verbindung mit grobkörniger Schwarz-Weiß-Fotografie und dunklem Hintergrund besonders zur Geltung. Hier zeigt sich ein für den Bildstil des Black Metal typisches Paradigma: Das Logo der Band zeigt, genauso wie das Bild, ein Oszillieren zwischen Ostentativität – also einer bewussten Zurschaustellung – und Verschwinden. Werden die beschriebenen Stilmerkmale von stillen Bilddarstellungen ins bewegte Bild des Musikvideos überführt, bedarf es einiger Modifikationen und Ergänzungen. Formal und inhaltlich findet dabei eine Erweiterung statt. Auffällig bei visuellen Inszenierungen im Black Metal ist die häufige Darstellung des männlichen Subjekts als kriegerisch – im Sinne einer Form archaischer Männlichkeit – und seine Verortung in Räumen, die diese Form der Männlichkeit unterstützen. Definitionen von „Männlichkeit“ und „archaischer Männlichkeit“ sollen im Folgenden kurz angerissen werden: Ganz allgemein kann formuliert werden, dass Männlichkeit als Kategorie ihre konkreten Inhalte durch kulturelle und historische Zuschreibungen erhält. Männlichkeit ist somit ein kulturelles Produkt, kein biologisches: Sie ist ein Konstrukt und manifestiert sich in der Inszenierung. Sie ist keineswegs eine Zusammenstellung von Attributen, die dem männlichen Subjekt von Geburt an inhärent wären, sondern das Ergebnis einer Reihe von Erwartungen und Bildern, die zu einem bestimmten Zeitpunkt gesellschaftlich angemessen scheinen und so vermittelt werden. Dabei beschreibt der Begriff der archaischen Männlichkeit eine Form von stereotyper Idealvorstellung einer vermeintlich rückgewandten und überlegenen Männlichkeit, die sich bewusst unzeitgemäß gibt. Das Unzeitgemäße ist hier im Sinne Nietzsches zu verstehen, mithin als etwas zeitlich Unbestimmtes, etwas, das nicht zeitgenössisch ist.4 Das Ideal der Unzeitgemäßheit ist als zeitlich nicht-verortbarer Anachronismus zu betrachten. Dabei ist der zeitliche Rahmen der Vorbilder, welcher sich bedient wird, diffus und nicht als solcher bestimmbar, sondern beruht auf mannigfaltigen Ideen, Narrativen und Darstellungstypen. 3 | Vgl. S layer M ag (Kristiansen 2011). 4 | Vgl. Nietzsche 2013 [1873–76].

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R aum Um archaische Männlichkeit zu inszenieren, spielt die Verortung eine entscheidende Rolle. Mit der Soziologin Martina Löw kann gesagt werden, dass der Körper für den Raum konstituierend ist – „durch (An)Ordnungen von sozialen Gütern und Menschen an Orten“5 –, und mit Michel Foucault kann ergänzt werden, dass der Raum auch immer konstituierend für den Körper ist (z.B. im Gefängnis, in der Armee, usw.).6 Der Raum beeinflusst den Körper, genauso wie der Körper in seinem Handeln den Raum mit herstellt. Inszenierungen von Männlichkeit sind nicht ohne ihren Darstellungsraum zu denken. Männlichkeit ist immer an einen bestimmten Raum gebunden, in dem sie operiert, den sie beschreibt und von dem sie beschrieben wird. Raum ist als prozessual anzusehen und kann nicht aus dem jeweiligen Aktions- oder Handlungskontext herausgelöst werden. Bezogen auf die Inszenierungspraxen von Männlichkeit im Naturraum kann gesagt werden, dass durch die Konstruktion der Räume das männliche Subjekt und die damit verbundene geschlechtsspezifische Überhöhung entsteht. Die Räume selbst sind nicht auf eine universelle Identität festgelegt, sondern variieren mit dem Subjekt. Bei der Analyse des Naturraumes zeigt sich, dass jede Form der Darstellung und Ästhetisierung von Natur ebendiese als einen Fantasieraum etabliert, der zwischen etwas metaphysisch Erhabenem und etwas Materiellem oszilliert. Der Naturraum als ästhetisierter Ort von mannigfaltigen Zuschreibungen erweist sich als ideal für die Darstellung archaischer Männlichkeit und deren Überlegenheit. Natur steht als Ur-Gewalt in radikaler Distanz zur sogenannten zivilisierten Welt und ist nicht nur idealisierte Projektionsfläche, sondern ebenso schon mehrfach mythisch aufgeladen. Gleichzeitig steht die Darstellung von Männlichkeit im Naturraum immer in Distanz zu Natur. Natur wird als „Objekt da drüben“7 idealisiert. Das Paradox, dass die Idealisierung des Naturraums gerade die Distanz zu diesem verstärkt, anstatt eine Nähe zu erzeugen, zeigt sich ganz allge5 | Löw 2001, S. 185. 6 | Vgl. Foucault 1977. 7 | Vgl. Morton 2007, S. 125.

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mein bei idealisierten Naturdarstellungen und im Besonderen im Black Metal. Allerdings gibt es graduelle Unterschiede, inwieweit Natur nur als ‚Tapete‘ dient oder ob sie einen Hintergrund bildet, der direkten Einfluss auf das Subjekt ausübt. Der Naturraum weist in seiner bildlichen Repräsentation zwei Stränge auf: 1. Der Naturraum fungiert als ein ungebändigter und gefährlicher UrRaum. Dieser ist vor- oder nach-zivilisatorisch. Es ist nur dieser Raum vorhanden, ohne den Verweis auf einen anderen Raum. Diese Form findet man überwiegend im Black Metal. 2. Der Naturraum ist als Heterotopie im Sinne Foucaults zu verstehen: als Gegenraum innerhalb gesellschaftlicher Normen. In Action- und Horrorfilmen wird der Naturraum häufig so dargestellt. Die beiden genannten Stränge weisen viele Ähnlichkeiten auf – beispielsweise Natur als Ort der Bewährung – und bleiben häufig paradox. In Inszenierungen geht es aber auch nicht um Anschlusslogik oder Schlüssigkeit, sondern um die Kreation und das Erhalten von Mythen über Natur und Männlichkeit. In den Bilddarstellungen des Black Metal wird Natur überwiegend im Sinne des ersten Punktes verstanden. Dabei handelt es sich um einen Raum, frei von Spuren moderner Zivilisation oder Zivilisation im Allgemeinen. Dieser Naturraum ist nicht als zeitgenössischer und gleichfalls nicht als realitätsnaher Raum zu verstehen. Die Referenzen sind vielfältig und können auch reale Bezüge aufweisen, jedoch ohne realitäts- oder zeitgebunden zu sein. Der hier präsentierte Raum wird keinem urbanen Raum gegenübergestellt oder anderweitig kontrastiert. Es ist nur dieser eine Raum existent – ohne Verweise auf Zeit und bestimmte Orte außerhalb dieses Raumes. Beispielhaft für Darstellungen, in denen der Naturraum als ein ungebändigter und gefährlicher Ur-Raum gezeigt wird, werden im Folgenden zwei Musikvideos aus dem Bereich des Norwegischen Black Metal betrachtet.

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B e wegtbilder Dieses Standbild aus dem Musikvideo „Mother North“ von Satyricon (vgl. Abb. 2) zeigt eine weibliche Person mit dem männlichen Protagonisten. Der Größenunterschied ist enorm und wird durch die untersichtige Kameraposition verstärkt. Durch die Äste der Bäume fällt schwach das Tageslicht, jedoch ohne mit der Dunkelheit, als Raummerkmal des Musikvideos, zu brechen. Das Licht ist diffus und tageszeitlich nicht bestimmbar.

Abb. 2: S at yricon (1996): „Mother North“. Moonfog Productions. Screen-Shot: Jan G. Grünwald.

Der Clip zeigt den weiblichen Körpers als sexualisiertes und beherrschtes Objekt (z.B. deutlich geringere Körpergröße, hervortretende sekundäre Geschlechtsmerkmale), während der Protagonist als kriegerisch und überlegen inszeniert wird und die Landschaft zu beherrschen sucht. Das heißt: Die unterschiedlichen Geschlechter bewegen sich anders in ein und demselben Raum, und auch die Bedeutungszusammenhänge sind jeweils unterschiedlich. Der Raum spielt dabei eine zentrale Rolle, wie Geschlecht konstruiert und verstanden wird. Durch das aktive Handeln des männlichen Subjekts innerhalb des Naturraumes übt dieses Macht auf diesen Raum sowie auf den passiven weiblichen Körper aus. Gleichzeitig bleibt der Naturraum als ästhetische Kategorie eine Art heiliger oder

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sublimer Raum, dessen Erhabenheit sich in einer Unerreichbarkeit und Unermesslichkeit manifestiert. Das Paradox, dass sich der Kriegerkörper gegen den Naturraum auflehnt, obwohl dieser in der Inszenierung seiner Erhabenheit unerreichbar ist, ist Grundlage des Mythos archaischer Männlichkeit und ihrer Stärke. Natur muss als erhaben, wild und antizivilisatorisch inszeniert werden. Archaische Männlichkeit schöpft ihre Kraft aus der Möglichkeit, in diesem Naturraum überleben zu können bzw. daraus, dass Natur den einzigen Gegner repräsentiert. Der zweite Black Metal-Clip verdeutlicht das eben Gesagte noch mehr. In Immortals „Blashyrkh (Mighty Ravendark)“ ist kein weibliches Objekt mehr nötig, um Männlichkeit von ihm abzugrenzen – es wird nicht wie bei Satyricon am Ende geopfert/umgebracht, sondern gänzlich exkludiert. Bei „Blashyrkh“ handelt es sich um ein Performancevideo, bei dem die Musiker ihre Musikinstrumente benutzen.8 Mit dem Ort der klassischen Bandperformance – der Bühne – wird gebrochen, um so ein neues Bildthema zu entwickeln und die Bandperformance zu erweitern. Der Naturraum wird zur Bühne, auf der mit Instrumenten agiert wird (vgl. Abb. 3). Der bildthematische Bruch ist hier von zwei Seiten festzustellen: Einerseits wird die klassische Musikperformance neu verortet, andererseits wird die filmreferenzielle Darstellung kriegerischer Männlichkeit im Naturraum durch das Benutzen von Instrumenten gebrochen (vgl. z.B. Conan der Barbar, der im Naturraum mit einer übergroßen Axt agiert9).

8 | Das Musikvideo wurde vom englischen Regisseur David Palser aufgenommen, der u.a. auch für das Musikvideo „Grim and Frostbitten“ von I mmortal sowie für „Dunkelheit“ von B urzum verantwortlich ist. 9 | Passenderweise wird im Szene-Jargon des Metal häufig das Kriegerische sprachlich auf die Instrumente übertragen, wenn man beispielsweise E-Gitarren als ‚Äxte‘ bezeichnet.

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Abb. 3: I mmortal (1995): „Blashyrkh“. Osmose Productions. Screen-Shot: Jan G. Grünwald.

Der Transfer der Musiker mit Instrumenten in den Naturraum schafft einen Fantasieraum, der mit neuen Spuren versehen wird. Der Versuch einer Realitätsnähe ist nicht vorhanden. Der so entstandene Raum dient einer Neudarstellung und Erweiterung der Performance. Ein solcher Raum ist nicht auf ein weibliches Subjekt angewiesen, um einen männlichen Überlegenheitsgestus darzustellen. Während im Satyricon-Video mit weiblichem Subjekt der Größenunterschied zwischen Mann und Frau die Hünenhaftigkeit des Mannes unterstreicht und die Passivität des weiblichen Subjekts (besser Objekts) deren Unterlegenheit zeigt, manifestiert das männliche Subjekt hier seine Position alleine durch seine Anwesenheit: indem es in der rauen Natur zu bestehen vermag und ihren Gewalten entgegentritt. Das männliche Subjekt wird als Teil des Naturraums gezeigt, das durch die totale Kameraeinstellung in diesen eingebettet wird. Gleichzeitig thront es distanziert auf dem höchsten Punkt des Raumes und überblickt dessen Weitläufigkeit. Die Unbegrenztheit des Raumes wird durch das Sichtbare und Weitläufige erzeugt. Bezieht man sich auf Burkes Definition vom Erhabenen – „das Riesige, Dunkle, Schroffe, Mächtige, das schrecklich Aussehende und das Unendliche“10 –, so vereinen Raum und Subjekt gleichermaßen diese Erhabenheit in ihrer Darstellung. Das männliche Subjekt, welches aktiv im Naturraum agiert, vermag es, an der räumlichen Erhabenheit zu partizipieren und über seine (aktive) Anwesenheit in diesem Raum seine Überhöhung zu manifestieren. 10 | Burke 1989 [1757], S. 10.

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Dazu bedarf es in diesem Fall keines weiblichen Subjekts und auch keiner untersichtigen Naheinstellung der Kamera, sondern, ganz im Gegenteil, totaler Einstellungen, die dem männlichen Subjekt eine überblickende Position, eine Feldherren-Perspektive, verschaffen.

W iederholung In den Wiederholungen von Ästhetiken und Narrativen zeigt sich das Potential einer immerwährenden Veränderung. Subkulturen wie der Black Metal generieren ihren Bedeutungsmehrwert durch bestimmte Narrative – sprich: dass das, was Black Metal ausmacht, mehr ist, als die Summe von Ton und Bild. Genauso ergibt die lose Ansammlung verschiedenster Symbole und Stilelemente im Black Metal nur Sinn, wenn sich die Repräsentation am Ende als scheinbar einheitliches Ganzes präsentiert, um so eine stilistische Eigenständigkeit zu unterstreichen. Gleichzeitig ist es wichtig, das theatralische Element der Performance als authentischen Lebensentwurf zu präsentieren, um, trotz Make-up und Grimasse, in der Inszenierung Ernsthaftigkeit zu vermitteln. Dieser Stil wird als fix und monolithisch präsentiert und erhöht, und zwar über verschiedene Ereignisbezüge, sein Provokationspotential. Dabei profitiert der Black Metal-Stil von bestimmten Realereignissen, auf die man sich innerhalb der Subkultur immer wieder beruft und die sich Anfang der 1990er Jahre innerhalb der norwegischen Black Metal-Szene ereignet haben: • Der Selbstmord des Sängers der Band Mayhem mit dem bezeichnenden Namen „Dead“ im Jahr 1991, der sich mit einer Schrotflinte selbst in den Kopf schießt. Die Bilder des Selbstmords werden von Øystein „Euronymous“ Aarseth für das Cover-Artwork des Albums Dawn of the Black Hearts (aufgenommen 1990, publiziert 1995, Warmaster Records) genutzt, um die sich zu diesem Zeitpunkt formierende norwegische Black Metal-Szene als ernsthaft und bösartig zu inszenieren. • Kirchenbrandstiftungen: Ab Mai 1992 kam es in Norwegen zu bis zu 60 Kirchenbränden innerhalb weniger Jahre, von denen ein Drittel der Black Metal-Szene zugeordnet werden. • Im August 1992 ermordet Bård „Faust“ Eithun, ein Mitglied der Band Emperor, einen Homosexuellen mit einem Messer.

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• Im August 1993 stirbt Øystein „Euronymous“ Aarseth, Mitglied der Band Mayhem und Protagonist der norwegischen Black Metal-Szene, an mehreren Stichwunden, die ihm der Mitmusiker Kristian „Varg“ Vikernes alias „Count Grishnackh“ zufügt. Das Augenmerk ist vor allem auf die Strategie zu richten, dass über die realen Taten ein Grundmythos erschaffen wird, um sich in der Folge in der künstlerischen Praxis ständig darauf zu berufen bzw. eine Atmosphäre des Bösen zu etablieren, die jeder Inszenierung vorangestellt ist. Es ist festzuhalten, dass der (Norwegische) Black Metal eine eigenständige ästhetische Form entwickelt hat; Inszenierungen des Bösen wurden in Norwegen Anfang der 1990er Jahre zu einem bestimmten Zeitpunkt in die Realwelt übertragen; diese Taten stellen bis heute die Grundlage jeder Neuinszenierung oder Rezeption dar. Das Konglomerat aus Sound, Bild und Mythos eignet sich perfekt als ‚Blaupause‘ für Weiterentwicklungen, Orthodoxien, Persiflagen..., kurz: als Wiederholungsgrundlage. Wiederholung ist im Sinne Gilles Deleuzes zu verstehen: als die Produktion von etwas Neuem, und nicht etwa als Reproduktion von Altem. Es besteht laut Deleuze ein wesentlicher Unterschied zwischen der Wiederholung und jeder noch so großen Ähnlichkeit.11 Wiederholung könnte als ‚Erinnerung in Richtung nach vorn‘ beschrieben werden. Nur: Sie legt nicht fest, sondern eröffnet Dimension und Vielfalt. Mit Lawrence Grossberg könnte vereinfachend gesagt werden, dass es sich bei der immerwährenden Veränderung, um „a certain mobility in the service of stability“12 handelt – also darum, dass man variabel genug bleiben muss, um den Stil des Black Metal in seinen Eigenheiten zu erhalten.

11 | Vgl. Deleuze 2007, S. 15 und Žižek 2008, S. 139. 12 | Grossberg 1992, S. 209.

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Abb. 4: Wolves I n The Throne R oom . Promotion-Foto. © wittr.com.

Die seit einigen Jahren erfolgreiche US-Black Metal-Band Wolves In The Throne Room beispielsweise behält in ihrer Inszenierung den starken Naturbezug und das kriegerische Element bei, verzichtet ansonsten aber völlig auf andere Black Metal-typische Stilmerkmale. Das in Abbildung 4 gezeigte Promo-Foto zeigt ein Mitglied von Wolves in the Throne Room in sternenklarer Nacht, vor einem Holzhaus stehend, mit einem Gewehr in der Hand. Die Person hat weder lange Haare, noch trägt sie Corpsepaint oder Nieten, jedoch einen Vollbart. Das Auftauchen neuer Inszenierungsmerkmale im Black Metal bringt dennoch die eher traditionell Gehaltenen nicht unmittelbar zum Verschwinden. Betrachtet man beispielsweise Bands wie God Seed oder Endstille, so werden bei deren Inszenierung Stilmerkmale wie Corpsepaint oder Nieten erhalten, jedoch wird gleichzeitig durch Erweiterungen und Optimierungen der Selbstdarstellung Neues geschaffen. Die eher ‚klassischen‘ Black Metal-Inszenierungen mit Nieten und Corpsepaint ergeben heute als solche jedoch nur Sinn, wenn immer neue Wege gefunden werden, diese zu inszenieren und so diesen Stil zu erhalten. Dieses ‚Nach-Vorne-Erinnern‘ eröffnet einen Möglichkeitsraum, um eine vermeintliche Authentizität – oder Trueness – zu erhalten. Gerade aufgrund dieser angeblichen Trueness und der ikonischen Inszenierung ist Black Metal schon lange in der Popkultur angekommen. Die

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Aktualität und das Interesse an Inszenierungen des Black Metal zeigt sich an mannigfaltigen popkulturellen Beispielen: Der Fotograf Peter Beste veröffentlichte 2008 den Fotoband True Norwegian Black Metal13 und stellt weltweit mit großem Erfolg aus; die Dokumentation Until The Light Takes Us14 widmet sich ebenfalls der norwegischen Black Metal-Szene; das Modemagazin D-Mode Magazine zeigt 2008 eine Modestrecke, welche die Models im Stil des Black Metal inszeniert; das Modelabel Silas And Maria veröffentlicht 2004 Küchen-Accessoires im Black Metal-Stil unter dem Namen „Black Metal Home Ware“; nicht zu vergessen ist ferner der momentan sehr erfolgreiche Hip-Hop-Musiker Cro, dessen Maske klar an Black Metal und seinen humoristischen Adaptionen orientiert ist; der Film The Lords of Salem von Rob Zombie15 transferiert die Ästhetik des Black Metal ins Bildrepertoire des Horrorfilms; Ähnliches geschieht bei den Filmen Metalhead und Deathgasm – selbstverständlich auf ganz unterschiedliche Weise. Dazu kommt noch eine umfangreiche Fan-Art, die sich auf Flickr, Facebook, YouTube und in der Blogosphäre findet. Es handelt sich hierbei um den Versuch anderer musikalischer und künstlerischer Bereiche, sich der Abweichungsstrategie des Black Metal zu bemächtigen. Man partizipiert an der Widerständigkeit des Black Metal, und zwar selbst dann, wenn ein Teil der Inszenierungen ironisch ist. Gerade das Bildprogramm des Black Metal, mit seinen Inszenierungen des Dunklen, Bösen und der Verherrlichung eines kriegerischen männlichen Subjekts, bietet anderen Sub- und Popkulturen einen Referenzraum, der angeeignet werden kann. Dabei schaffen diese Assimilationen eine Reibungsfläche, die rückwirkend Einfluss auf die Darstellungen im Black Metal nehmen und somit an seiner Progression teilhaben. Abschließend kann zusammengefasst werden, dass sich Black Metal an bestimmten Darstellungsparadigmen orientiert, die sich über die Inszenierung von archaischer Männlichkeit im Naturraum manifestieren. Raum und männliches Subjekt bedingen und konstituieren sich gegenseitig. Sie müssen somit beide als dynamische Kategorien gedacht werden. Nur eine solche dynamische und anti-essentialistische Position ermöglicht es, Stereotype von Männlichkeit zu hinterfragen und zu ver13 | Vgl. Beste 2008. 14 | Vgl. Aites/Ewell 2008. 15 | Vgl. Zombie 2012.

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ändern. Die Naturalisierung männlicher Eigenschaften – also eine affirmative Lesart – dient im Gegensatz dazu, Stereotype zu festigen, die so als unveränderbar erscheinen und nicht infrage gestellt werden. Den Inszenierungscharakter von Männlichkeitsdarstellungen hervorzuheben und als solchen analysierbar zu machen, ist der erste Schritt, um neue Männerbilder zu erkennen und zu entwerfen oder um alte Männerbilder neu zu deuten. Widerständige Potentiale, wie sie in den Inszenierungen archaischer Männlichkeit freigesetzt werden, schließen normative Stereotype von Männlichkeit und Weiblichkeit keineswegs aus – ganz im Gegenteil. Jedoch kann Männlichkeit über seine Inszenierungen de-naturalisiert und sichtbar gemacht werden. Man sollte sich nicht mit weniger zufrieden geben. Gleichzeitig ist die Praxis der Wiederholung eine Strategie immerwährender Erneuerung, die einerseits dazu beiträgt, das Widerständigkeitspotential des Black Metal zu erhalten, und andererseits dabei variabel genug bleibt, um ständig neue Repräsentationsformen zu erfinden.

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Disko-/Filmo-/Videographie Aites, Aaron/ Ewell, Audrey (2008): Until the Light Takes Us. Artist Public Domain/The Group Entertainment. Darkthrone (1992): A Blaze in the Northern Sky. Peaceville Rec. Immortal (1995): „Blashyrkh“ (Video). Osmose Prod. Satyricon (1996): „Mother North“ (Video). Moonfog Prod. Zombie, Rob (2012): The Lords of Salem. Entertainment One/Blumhouse Prod.

Ästhetisch, identifikatorisch, normativ: Die Funktion der Rezeption religiöser Codes im Norwegischen Black Metal Anna-Katharina Höpf linger Verkehrte Kreuze, Totenschädel, Pentagramme, indische Symbole: Im Black Metal findet sich ein reguliertes Repertoire an Codes1, durch das szeneintern2 bedeutungsgenerierende Prozesse angestoßen werden.3 Dabei fällt auf, dass der Verweis auf religiöse Traditionen eine zentrale Rolle bei der Formung von Bedeutung einnimmt. Viele der heute in diesem Musikgenre benutzten Codes – man denke an das Petruskreuz, die Zahl 666 oder das Pentagramm – wurden bereits in der sogenannten ersten

1 | Ich verwende im Folgenden explizit den Begriff „Code“ und nicht z.B. „Zeichen“ oder „Symbol“. Als „Code“ definiere ich eine mit Bedeutung aufgeladene, regulierte Zeichenkombination in einem bestimmten Verwendungskontext (z.B. weißes Kreuz auf schwarzem Hintergrund auf einem T-Shirt), die jedoch noch nicht unbedingt über sich selbst hinaus verweisen muss, vgl. Fiske 2011, S. 18f; S. 61–79. 2 | Ich werde im vorliegenden Aufsatz synonym von „Szene“ und „Subkultur“ sprechen. Diese Begriffe basieren auf je unterschiedlichen theoretischen Blickwinkeln, die für den hier vertretenen Ansatz jedoch nicht von Belang sind. Für die Skizzierung der Begriffe und ihren theoretischen Hintergrund vgl. Chaker 2014, S. 50–68. Ich unterscheide im Folgenden außerdem zwischen „emisch“, „etisch“ und „öffentlich“: Unter „emisch“ verstehe ich die Sicht der Szenegänger*innen, unter „etisch“ die wissenschaftlich-metasprachliche Perspektive und unter „öffentlich“ die Meinung über Black Metal, die in massenmedialen Abhandlungen wie Zeitungen vertreten wird, vgl. Höpflinger 2010. 3 | Heavy Metal im Allgemeinen und Black Metal im Spezifischen verstehe ich als Sinnsystem, das für die Akteur*innen soziokulturelle Orientierung schafft. Zu Metal als kulturellem System vgl. Kosic 2011.

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Welle4 des Black Metal gefestigt, wurden aber durch die norwegischen Bands der zweiten Welle popularisiert. Ich will mich im folgenden Beitrag dieser Verwendung religiöser Codes im Black Metal aus einer religionswissenschaftlichen Sicht annähern. Dabei gehe ich von den konkreten Motiven aus und frage nach möglichen Gründen, wieso ausgerechnet Codes aus religiösen Traditionen in diesem populärmusikalischen Genre so oft und so facettenreich aufgenommen werden. Ich werde zunächst einige konzeptuelle Gedanken zur Rezeption religiöser Codes im Norwegischen Black Metal anführen. Danach folgt ein Nachdenken über die Bedeutung von Religion im Black Metal. Anschließend werde ich vier funktionale Aspekte des Verweises auf Religion unterscheiden und anhand ausgewählter Beispiele unterstreichen. Am Ende erfolgt ein generalisierendes Fazit, in dem der Blick vom Metal auf Reli­ gion zurückgeworfen wird. Methodisch basieren die folgenden Beobachtungen auf einer ethnographischen Feldstudie, die ich 2006 und 2007 sowie zwischen 2009 und 2016 in der Schweizer Black Metal-Szene durchgeführt habe. Dabei habe ich teilnehmend beobachtet, verschiedene Vertreter*innen qualitativ interviewt sowie unzählige informelle Gespräche bei Events und über Facebook mit Szenegänger*innen, deren Eltern und weiteren Akteur*innen geführt.5

4 | Berndt (2012) spricht von einer 1. und einer 2. Generation; ich ziehe den emischen, also in der Szene verwendeten Begriff der „Welle“ vor, da die Idee der Generation eine lineare Abfolge impliziert, die dem komplexen, fluiden, rezipierenden Charakter des Black Metal meines Erachtens nicht gerecht wird. 5 | Diese Feldstudie liegt dem vorliegenden Artikel zu Grunde. Ich werde im Folgenden einige Zitate aus Interviews und informellen Gesprächen anführen. Dabei werde ich die Art der Quelle, das Datum der Erhebung sowie den Platz des Zitats im Gesprächsverlauf angeben (A steht für Antwort; die erste Zahl bezeichnet, ob es die erste oder fünfzehnte Antwort des Gesprächs war; die zweite Zahl deutet die Sätze innerhalb der Antwort an, wobei fortlaufend jeder Satz gezählt wurde). Im Anhang finden sich einige weitere Details zu diesen Quellen, allerdings immer unter Berücksichtigung der Wahrung der Anonymität der Beteiligten.

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B l ack M e tal als popul ärkulturelles P roduk t Black Metal ist bis heute als populärkulturelles Musikgenre erfolgreich und dank seiner Popularisierung durch die sogenannte Zweite Welle in den frühen 1990er Jahren eng mit Norwegen verwoben.6 Dabei ist nicht nur eine wirtschaftliche Bedeutung dieser Musikrichtung wichtig, sondern Black Metal ist unterdessen ein fester Teil des als norwegisch Imaginierten geworden. Der Philosoph Charles Taylor beschreibt das Imaginäre als „the ways in which people imagine their social existence, how they fit together with others […], the expectations that are normally met, and the deeper normative notions and images that underlie these expectations“7. Taylor wählt dabei explizit den Terminus des Imaginären, da sich geteilte Vorstellungen nicht in Theorien ausdrücken, sondern im alltäglichen medialen Umgang ausformen würden: „I speak of imaginary because I am talking about the way ordinary people ‚imagine‘ their social surroundings, and this is often not expressed in theoretical terms; it is carried in images, stories, and legends.“8 Das Imaginäre entfaltet sich im Falle von Norwegischem Black Metal in populärkulturellen Prozessen,9 die sich nicht nur in Musik, Konzerten

6 | Vgl. Langebach 2007; Chaker 2014, S. 142–146; Bernd 2012, S. 79f. Aus emischer Sicht wird diese Popularität oftmals als Kommerzialisierung oder Verwässerung der Szene wahrgenommen. Dies ergaben verschiedene Gespräche mit Szenegänger*innen in den Jahren 2009 bis 2016, die betonten, dass der Black Metal der zweiten Welle sich explizit gegen die Kommerzialisierung des damaligen Death Metals gewandt habe. Ein von mir befragter Akteur behauptete sogar, Black Metal sei seit dem Jahr 1994, als ein Teil der norwegischen Szene in Haft saß, nicht mehr existent (Feldnotizen, 29.7.2011). Diese Verehrung der (vermeintlichen) Anfänge gehört zu den zentralen Szenenormen. 7 | Taylor 2002, S. 106. 8 | Ebd. 9 | Zu Black Metal als populärer Musik und den Herausforderungen dieses Begriffs vgl. Chaker 2014, S. 41–47.

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und Merchandise, sondern z.B. in touristischen Führungen,10 der Verleihung von Musikpreisen11 oder der Sozialisation von Kindern ausprägen.12 Populärkultur will ich mit dem Religionssoziologen Hubert Knoblauch als „Zusammenspiel von Öffentlichkeit, Markt und Medien“ definieren.13 Populärkultur in diesem Sinn verbindet „die verschiedenen Glieder der hochgradig arbeitsteiligen Gesellschaft. Sie bietet das Gros des gemeinsamen Wissens, das die ausdifferenzierten Systeme überbrückt, und stellt die Formen für die Kommunikation über sie hinweg bereit.“14 Das populärkulturelle Imaginäre ist also, dieser Definition folgend, nicht durch Inhalte bestimmt, sondern durch Prozesse der Repräsentation gemeinsamer Erwartungen und Vorstellungen. In diese populärkulturelle Repräsentation gehört auch die vielschichtige Rezeption traditioneller, also im soziokulturellen Imaginären bereits bekannter Codes. Unter Rezeption verstehe ich das Integrieren traditioneller Codes in neue Verwendungszusammenhänge und in spezifische – in unserem Fall populärkulturelle – Kontexte. Dabei werden die ausgewählten Codes syntaktisch (also bezüglich ihrer Konstellationen) adaptiert, jedoch immer nur so weit, dass ihre traditionelle Semantik (die durch sie anklingenden Bedeutungsfelder) erkennbar bleibt. Ich will diese Prozesse an einem Beispiel illustrieren, das die Theologin Stefanie Knauss mit Blick auf Werbung aufgearbeitet hat, nämlich den Code des Apfels.15 Ganze und angebissene Äpfel werden in der gegenwärtigen Werbung rege für die Generierung von Aufmerksamkeit auf unterschiedlichste Produkte eingesetzt.16 Plakativ hierfür ist eine Werbung für Heinz Fit 10  |  Vgl. dazu z.B. einen Artikel von Dallach/Böckem (2012/o.J.) auf S piegelO nline . 11 | Mehrere Black Metal- oder Viking Metal-Bands haben beispielsweise den „Spellemann-Preis“ (Spellemannprisen), einen norwegischen Musikpreis, in der Kategorie „Metal“ gewonnen, u.a. D immu B orgir (2001 und 2003), S at yricon (2002), E nslaved (2004, 2006, 2008, 2010) und M ayhem (2007). 12 | Vgl. z.B. einen Facebook-Post der Band E nslaved vom 20.9.2016: „We’re on week two of our Norwegian school tour. Yes, Norway is now that crazy: kids in school are given the chance to also experience Metal concerts as part of their cultural education“. 13 | Knoblauch 2009, S. 236. 14 | Ebd., S. 237. 15 | Knauss 2015. 16 | Vgl. Höpflinger 2014.

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Ketchup (vgl. Abb. 1). Auf diesem Poster sieht man eine angebissene Tomate. Darunter sind die Worte „No sin. More tomatoes, less sugar“ zu lesen. Diese Werbung reduziert die verwendeten Codes auf ein Minimum. Dennoch kann der Text nur im von den Produzierenden intendierten Sinn verstanden werden, wenn bei den Rezipierenden semantische Resonanzen an den sogenannten Sündenfall und das Essen der Frucht vom Baum der Erkenntnis anklingen. Die Tomate steht in der visuellen Tradition des Apfels (der übrigens in Genesis 3 nicht vorkommt, dort ist allgemein von „Früchten“ die Rede), und es findet eine formale Änderung statt, also ein bedeutender Wechsel in der Grammatik des Bildes (Tomate statt Apfel). Der Verweis auf die traditionelle Semantik (den Sündenfall) bleibt jedoch bestehen. Es ist für das von den Produzierenden intendierte Verständnis zentral, dass die Tomate als Anspielung auf einen religiösen Code erkannt wird.

Abb. 1: Werbung für H einz F it K etchup 2007, Agentur: Mark BBDO, Prag.

D ie funk tionale B edeutung der R ezep tion religiöser C odes im B l ack M e tal Von der eben betrachteten Werbung lässt sich nun insofern eine Verbindung zum Black Metal ziehen, als dass in dieser populärkulturellen Musikrichtung Rezeptionsprozesse ganz ähnlich funktionieren. Auch im Black Metal werden Codes aus unterschiedlichen soziokulturellen ima-

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ginären Feldern aufgenommen, adaptiert, in neue Kontexte gestellt, aber semantisch soweit belassen, dass sie traditionelle Deutungen weiterhin anklingen lassen. Ein für den Black Metal wichtiges Verweisfeld sind religiöse Traditionen. Codes aus solchen Traditionen werden im Black Metal sogar so rege aufgenommen, dass es Stimmen gibt, die den Black Metal anhand dieses Bezugs auf „Religion“ definieren wollen. So erklärte beispielsweise der Sänger der irischen Band Primordial im Jahr 2009: „Black Metal basierte immer auf einer spirituellen oder idealistischen Sichtweise. Die Musik war einfach nur Metal, [...] aber die Texte und die generelle Ästhetik mussten satanisch, esoterisch, okkult oder gar religiös sein, um als ‚orthodox‘ durchzugehen.“17 Das Bestechende an dieser Aussage ist, dass der Musiker, ähnlich wie der weiter oben erwähnte Charles Taylor, den Fokus auf die Lyrics und die Ästhetik für die Repräsentation des Imaginären legt und Black Metal über diese audiovisuellen Formen definiert. Noch präziser formuliert diese Rezeptionsstrategie ein von mir im Zuge meiner Feldstudie Interviewter: „Religion als Thema ist im Metal dauerpräsent… sehr oft werden religiöse Themen aufgegriffen und religiöse Traditionen zitiert und verarbeitet – wenn es um das Christentum geht, öfters kritisch hin bis offen negativ – aber lange nicht nur! Trotzdem würden sich die wenigsten Metalheads als religiös bezeichnen, im Gegenteil: Viele würden sich gegen eine solche Einordnung wehren. Doch die Beschäftigung mit Religion und religiösen Themen findet wohl in kaum einer anderen ‚Jugendkultur‘ so ausgeprägt statt wie im Metal.“18

Heavy Metal und im Besonderen Black Metal werden also von emischer Seite in Relation zu etwas gesetzt, das „Religion“ genannt wird, sich aber in erster Linie als die populärkulturelle Rezeption religiöser Codes ausprägt.19 Dabei scheint zwar die Wahl der jeweiligen Codes keineswegs 17 | Nemtheanga 2009, S. 69. 18 | Schriftliches Interview vom 11.1.2012, A3, 1–3. 19 | Ich will hier nicht behaupten, dass es keine religiösen Menschen im Black Metal gibt, z.B. im Sinne eines Wissensstatements um transzendente Mächte oder der Suche nach transzendenten Erfahrungen; aber es ist meines Erachtens nicht dieser Transzendenzbezug, der die Grundrelation des Black Metal als Genre zu Religion ausmacht.

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willkürlich, denn es werden Codes präferiert, die „westliche“20 Normen in Frage stellen, aber dennoch modischen Prozessen (im Sinne der subkulturellen Regulierung und Akzeptanz sowie des damit zusammenhängenden vermehrten Vorkommens) unterworfen sind. Noch aufschlussreicher als die Frage nach der Wahl der verwendeten Codes, die zum Teil auch dem jeweiligen Geschmack oder Image der Band entsprechen, ist jedoch die nach der Funktion dieser Rezeptionsprozesse. Oder einfacher formuliert: Wieso spielt Religion im Black Metal eine so große Rolle? Diese Frage wird nicht nur wissenschaftlich abgehandelt, sondern war (und ist zum Teil noch immer) ein zentraler Punkt in öffentlich-medialen Debatten über Heavy Metal. In diesen herrschte eine Frage vor, die man plakativ wie folgt zusammenfassen könnte: Steht hinter Black Metal „richtiger“ Satanismus oder „nur“ jugendliche Provokation? Im Grunde scheint also die Frage nach der Funktion der rezipierten religiösen Codes im Heavy Metal von besonderem allgemeinem Interesse zu sein. Die öffentliche Debatte rund um das Thema Heavy Metal und Religion wurde angeheizt durch Kirchenbrandstiftungen und Morde in Norwegen in den frühen 1990er Jahren, die von Black Metal-Musikern verübt wurden, sie existierte aber bezüglich Heavy Metal schon vorher. Einerseits herrschte die Angst vor, es könne sich beim Black Metal um eine „problematische“ religiöse Gemeinschaft („Satanisten“) handeln,21 wobei das „problematisch“ sich auf ein Durchbrechen der grundlegenden Normen der Gesellschaft bezog. Solche Zuordnungen, zum Beispiel zu Satanismus, wurden aus emischer Sicht vielfach aufgenommen oder gestützt, wie zum Beispiel der (reißerische) Titel des szeneformenden Buches Lords of Chaos. The Bloody Rise of the Satanic Black Metal Underground22 zeigt. Andererseits fand und findet man, quasi auf der anderen Seite der Argumentation, immer wieder Abhandlungen, die die Meinung vertreten, Black Metal sei „nur“ jugendliche Provokation oder „harmloses Image“23 – wobei sich oft Redundanzen und Betonungen des „nur“ ergeben. Prägnant formu20 | „Westlich“ ist hier nicht als geographische Kategorie gemeint, sondern als Lebensstil im Sinne einer spätkapitalistisch-hedonistischen Ausrichtung mit der Konstruktion eines zu erfüllenden Begehrens vermeintlich individueller Lebensbedürfnisse. 21 | Vgl. z.B. Grandt/Grandt 1995. 22 | Moynihan/Søderlind 1998. 23 | Von „harmlosem Image“ bezüglich M ayhem spricht z.B. Berndt 2012, S. 128.

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liert dies aus einer emischen Sicht beispielsweise Joscha Klüppel in einem Online-Zeitungsartikel mit dem Titel Was Metal bedeutet und warum die Vorurteile nicht stimmen: „Außerdem möchte ich anmerken, dass wirklich viele der achso-satanistischen Black Metaller nur Möchtegern- und Pseudosatanisten sind und ‚Heil Satan‘ nur rufen, um ja so rebellisch wie möglich zu sein. Natürlich gibt’s auch die Fraktion, die das Ganze nur aus Spaß macht, so doof das auch klingen mag. Ich denke, der Anteil an wirklich praktizierenden, ernstmeinenden Satanisten ist im Metal nicht arg viel größer als in der restlichen Bevölkerung.“24

Der Verfasser zieht in diesem Zitat eine Grenze zwischen „ernstmeinenden“ Satanisten, die er über einen Praxisbezug definiert, und Musik als Rebellion sowie Spaß, wobei durch die Wortwahl deutlich wird, dass erstere mehr Prestige genießen als diejenigen, für die Black Metal in erster Linie ein Vergnügen darstellt.25 Solche Deutungen der komplexen Rezeption religiöser Codes im Black Metal sind als soziopolitische Strategien zu interpretieren und nicht als Versuche der Analyse einer Musikrichtung. Sowohl die Brandmarkung des Black Metal als das, was den Normen des Zusammenlebens in einem bestimmten soziokulturellen Kontext zuwiderläuft, als auch die Herabsetzung dieses Musikgenres auf den ausschließlichen Faktor des Spaß-Habens dienen im Sinne von Differenzprozessen der Verteidigung und Stärkung des jeweils eigenen Standpunktes, z.B. einer Apologie oder Anklage des Heavy Metal. Was dabei auffällt, ist, dass aus beiden Sichtweisen „Singularisierungsprozesse“ von Religion in Gang gesetzt werden: Es wird in diesen öffentlichmedialen Debatten davon ausgegangen, dass ein Mensch eine Religion besitze und man somit nicht gleichzeitig Satanistin und Nicht-Satanistin, Christ und Nicht-Christ sein könne oder sich – wie in obigem Beispiel – praktizierender Satanismus und „Nur-Spaß-Haben“ ausschließen würden. Dass diese Perspektive sowohl dem Facettenreichtum von Religion als auch dem Menschen als komplexem Wesen nicht gerecht wird, kritisiert der Religionswissenschaftler Burkhard Gladigow zu Recht, indem er schreibt, dass „für die ‚gleichzeitige‘ oder sukzessive Nutzung verschiedener Sinnsysteme bisher keine hinreichend plausiblen Beschreibungsmus24 | Klüppel 2012/o.J. 25 | Zur Verbindung von Humor und Black Metal vgl. Wagenknecht 2011.

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ter entwickelt worden sind“26. Es ergibt also Sinn, davon auszugehen, dass im Metal – und zwar sowohl als soziokulturellem Sinnsystem, als auch hinsichtlich der individuellen Vorstellungen der Szenegänger*innen – gleichzeitig verschiedene Ansichten und Funktionen aufeinandertreffen. Gerade der Black Metal darf deshalb durchaus als paradoxe Musikrichtung bezeichnet werden, die unter anderem gleichzeitig populärkulturelle, massentaugliche, atheistische, nihilistische, antichristliche, religiöse Dimensionen vereint. Von dieser Grundannahme eines möglichen gleichzeitigen religiösen Pluralismus ausgehend, möchte ich im Folgenden der öffentlich-medial gestellten Frage nach der Funktion der Aufnahme religiöser Codes im Black Metal genauer nachspüren. Ich werde vier ineinanderfließende und sich ergänzende funktionale Aspekte unterscheiden und diese anhand von Beispielen illustrieren. Dabei ist, mit Blick auf die Hinterfragung einer weltanschaulichen Singularisierung, besonders wichtig zu betonen, dass sich diese vier Aspekte keineswegs gegenseitig ausschließen. Im Gegenteil: Die meisten der von mir gesichteten Codes übernehmen mehr als einen der hier aus Darstellungsgründen analytisch voneinander getrennten funktionalen Aspekte. Die folgenden Kategorisierungen bilden also systematisierende Blickwinkel, nicht Differenzkategorien. Ich werde diese funktionale Bedeutung anhand religiöser Codes durchspielen; aber ähnliche Beobachtungen lassen sich auch bezüglich anderer Codes – man denke etwa an einen Naturbezug, an Verweise auf die norwegische Romantik, auf architektonische Gebilde wie Burgen oder Ruinen, an Fantasy- oder Horrorelemente oder an politische Codes – anführen.

26 | Gladigow 2004, S. 26.

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V ier funk tionale A spek te der R ezep tion religiöser C odes im B l ack M e tal Normativ-weltanschaulicher Aspekt Wie oben ausgeführt, existiert ein öffentlich-mediales Bedenken dahingehend, dass Black Metal sich womöglich „dem“27 Satanismus verpflichtet fühle. Dass sich auch aus wissenschaftlicher Perspektive Verbindungen zwischen religiösen Gemeinschaften und Black Metal-Musiker*innen beobachten lassen, wurde von verschiedenen Forschenden ausgeführt.28 Eine satanische Inszenierung kann durchaus auf einer Weltanschauung29 basieren, die auf traditionellen okkulten Schriften gründet, wie es sich beispielsweise bei Jon A. Nödtveidts (Dissection) Misanthropic Luciferian Order (MLO), bei Markus Wehrlis (Helvete/Mountain King; Amon) Schwarzem Orden von Luzifer oder bei der Erste-Welle-Black-Metal-Band Root beobachten lässt. Ebenso können christliche Lyrics auf einen institutionell-weltanschaulichen Hintergrund schließen lassen. Ein Beispiel hierfür ist das australische Black Metal-Projekt Horde, das sich in Ästhetik, Sound, Inszenierung und Interviews als ‚norwegisch‘ darstellt.30 Religiöse Codes werden im Black Metal also durchaus aufgenommen, um traditionelle Weltanschauungen auszudrücken. Diesen ersten funktionalen Aspekt der Rezeption religiöser Codes im Black Metal will ich deshalb einen normativ-weltanschaulichen nennen. Die Hinzufügung des Begriffs „normativ“ ergibt insofern Sinn, als dass mit einem Verweis 27 | Es wird nur selten reflektiert, dass „Satanismus“ keine einheitliche Weltanschauung bildet. Zu zeitgenössischem Satanismus vgl. Fügmann 2009. 28 | Vgl. dazu unter anderem Berndt 2012, S. 131ff.; Forster 2006, S. 12ff.; Hecker 2012; Heesch/Höpflinger 2011; Höpflinger 2010. 29 | Unter Weltanschauung verstehe ich – im Gegensatz zum Imaginären – bewusste, reflektierte und systematische Erklärungsmuster für die Welt, die soziokulturelle Orientierung generieren und explizit als sinnstiftende Vorstellungen erlernt und weitergegeben werden, also im Sinne Friedrich Schleiermachers nicht von der Vernunft gelöst werden können, vgl. dazu Herms 1982, S. 128. 30 | Auf das Album Hellig usvart (norwegisch für „Heilig Unschwarz“, Nuclear Blast 1994) von H orde soll gemäß emischer Sicht der Name „Unblack Metal“ für diese Musikrichtung zurückgehen. Siehe beispielsweise die Webseite Metalmaster (o.J.).

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auf eine traditionelle Weltanschauung anhand religiöser Codes vielfach normative Regulierungen sowie Differenzierungen in eine Ingroup und Außenstehende verbunden sind. Religion (oder in unserer Begrifflichkeit: eine Weltanschauung) verspricht gemäß dem Religionswissenschaftler Martin Riesebrodt der jeweiligen Ingroup bei Einhaltung der Normen über den Alltag hinausgehendes Heil und kann gleichzeitig Menschen, die nicht dazu gehören, Unheil verheißen.31 Riesebrodt betont dabei vor allem die pragmatische Ausprägung des Heilsversprechens. Für einen Blick auf den Black Metal ist es aber aufschlussreicher, auf die Ebene der Repräsentation zu fokussieren. Viele der im Black Metal zentralen textlichen und ikonographischen Codes reproduzieren ein über den Alltag hinausgehendes Heils- oder Unheilsversprechen und bieten somit normative Orientierung. Ein prägnantes Beispiel hierfür sind folgende Zeilen des Liedes „At the Gates of Hell“ der norwegischen Band Troll: „Children of Satan – hordes of the one / A rising shadow to eclipse the sun / Open wide the gates of hell / And swear allegiance to the one that fell // A war to unite us all! // On endless plains of hate and despair / Death and destruction – violence and fear / The armies unite for the coming war / Against the sons of Allah and the virgin whore // A war to unite us all – fight us and you will fall! // Behead the prophets from foreign lands / In their holy blood we will wash our hands / Open wide the gates of hell / And swear allegiance to the one that fell“. 32

In diesem Songtext wird ein Heilsversprechen an ein Kollektiv gerichtet und mit der Konstruktion des Anderen verbunden.33 Zu der Ingroup, die sich dem „Gefallenen“, also Luzifer, verbunden fühlt, zu gehören, ist gemäß den Lyrics verknüpft mit Einigkeit, Stärke, Macht, Überlegenheit. Die Anderen werden dagegen bestimmt als „sons of Allah and the virgin whore“; es findet sich also ein expliziter und abwertender Verweis gegen31 | Ein gutes Beispiel hierfür stellen Jenseitsvorstellungen dar: Eine normative Korrelation zwischen einer alltäglichen Lebensführung und dem vermeintlichen Glück in einem Jenseits stellt ein religiöses Heilsversprechen an eine Ingroup dar, vgl. Riesebrodt 2007. 32 | Achtes Lied des Troll-Albums Neo-Satanic Supremacy (Napalm Records, 2010). 33 | Zur Konstruktion des Anderen vgl. Glavac 2013, S. 16ff.; zu Boundary-Prozessen vgl. Lamont/Molnár 2002.

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über Muslimen und Christen, durch das „sons“ werden im Übrigen beide Gruppen als männlich definiert.34 Außerdem erwähnt werden die „prophets from foreign lands“, denen Unheil gewünscht wird. In diesen Liedtexten werden religiöse Codes also verwendet, um Differenzen zu generieren, diese mit normativen Weltanschauungen zu verbinden und der Ingroup ein orientierungsstiftendes Heilsversprechen zu geben, das sich z.B. in Stärke und Überlegenheit ausprägt. Unter diesem ersten funktionalen Aspekt sind auch die viel diskutierten Kirchenbrandstiftungen in Norwegen in den frühen 1990er Jahren einzuordnen. Sie bilden unheilsversprechende Reaktionen auf eine bestimmte religiöse Tradition, in diesem Kontext die evangelisch-lutherische Kirche, und damit verbunden im politischen Sinne gegen den Staat, da die lutherische Kirche bis zur Kirchenreform 2012 in Norwegen eine Staatskirche bildete, deren Oberhaupt der König war. Das vom Black Metal propagierte Unheilsversprechen war stark normativ aufgeladen im Sinne einer dichotomen Formung von Gut und Böse, von „richtigem“ und „falschem“ Handeln, wobei aber die gängigen norwegischen normativen Vorgaben verkehrt wurden. Staat und Kirche wurden als „schlecht“, die gewalttätige Opposition dagegen als „gut“ geformt. Dieses Auf begehren in den frühen 1990ern kann also als ein (nicht besonders erfolgreicher) Versuch wahrgenommen werden, die normative Basis des norwegischen soziokulturellen Imaginären zu adaptieren.

Abgrenzung Religiöse Codes können im Black Metal jedoch auch zur Abgrenzung rezipiert werden, ohne dabei ein explizites, mit einer traditionellen Weltanschauung verbundenes Heilsversprechen zu konnotieren. Dieser Aspekt, den ich einen abgrenzenden nennen will, wird, wie oben gesehen, oft als Provokation betitelt. Provokation bildet im Falle des Heavy Metal einen zentralen Teil von Identitätsprozessen. Zugehörigkeitsbekundungen können durch Abgrenzungsstrategien geformt oder zumindest verstärkt werden. Provokation mit dem Adverb „nur“ einzuschränken, wird den komplexen identifikatorischen Vorgängen, die mit Grenzziehungsprozessen einhergehen, deshalb nicht gerecht. 34 | Zu Gender und Extreme Metal vgl. unter anderem Chaker 2007; Grünwald 2012; Hecker 2012, S. 155ff.; Heesch/Hornberger 2015.

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Religiöse Codes dienen im Black Metal oft zur Abgrenzung gegenüber etwas, das als Mainstream wahrgenommen wird, aber unspezifisch und fluide bleibt. Ein gutes Beispiel hierfür ist ein T-Shirt der schwedischen Band Marduk (vgl. Abb. 2): Das T-Shirt zeigt vorne unter dem Logogramm der Band eine nackte Frau im Symplegma35 mit einem Kruzifix. Auf der Rückseite steht in Großdruck „FUCK ME JESUS“. Dieses Shirt will aus Sicht der Produzierenden vermutlich nicht unbedingt zu Sex mit Kruzifixen aufrufen (auch wenn dies aus deren Sicht möglicherweise ein netter Effekt wäre), sondern der Druck ist eine visuelle Abgrenzungsstrategie, die über die Rezeption religiöser Codes funktioniert. Durch die große Schrift, das gut zu interpretierende Bild und das zweideutige Spiel mit dem „Fuck me Jesus“-Slogan kann das Shirt bei Nicht-BlackMetaller*innen (und zwar nicht nur bei christlichen) irritierte Reaktionen auslösen, was wiederum auf beiden Seiten Identitätsbildungsprozesse in die Wege leitet. Ein von mir befragter Musiker führt diese Abgrenzungsstrategie folgendermaßen aus: „An der Beerdigung der Großmutter ist es […] etwas unangebracht, mit einem ‚Fuck Me Jesus‘-Shirt aufzumarschieren. Generell aber gilt: Black Metal passt sich nicht an, nicht an die Umgebung, nicht an die herrschenden Vorstellungen, nicht an die gegebenen Regeln und ‚normalen‘ Werte.“36 Dieser Szenegänger macht deutlich, dass sich Black Metal an „normale“ soziokulturelle Konventionen, Vorstellungen und Regulierungen nicht anpasse. Gleichzeitig zeigt die Aussage, dass es für Provokation auch Grenzen gibt, die von sozialen Kontexten und Regeln bestimmt werden.

35 | Dieses griechische Wort, das eigentlich etwas Zusammengeflochtenes umreißt, ist heute noch in Fächern wie der Altertumswissenschaft oder der Kunstgeschichte gebräuchlich für explizite und oft eher ungewöhnliche Darstellungen sexueller Handlungen. 36 | Schriftliches Interview vom 20.7.2007, A15, 5–6.

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Abb. 2: „Fuck me Jesus“-T-Shirt der schwedischen Band M arduk . Gestellte Fotografie. Model: G. © Yves Müller.

Zugehörigkeit Die andere Seite von Identitätsbildungsprozessen wird durch Zugehörigkeitsbekundungen geformt. Die Konstruktion und Repräsentation von Zugehörigkeit bildet meines Erachtens den wichtigsten funktionalen Aspekt der Rezeption religiöser Codes im Black Metal. Zahlreiche von mir befragte Akteur*innen betonen, dass es ihnen wichtig ist, ihre Black Metal-Identität „immer“, also auch im Alltag, zu zeigen, dabei aber nicht unbedingt zu provozieren. Es geht ihnen weniger um einen abgrenzenden als vielmehr um einen identifikatorischen Effekt, wobei vor allem Kleidungsstücke eine wichtige Rolle einnehmen. Viele Akteur*innen fühlen sich nicht als sie selbst, wenn sie die Black Metal-typische Kleidung ablegen müssen. Eine Szenegängerin, die als Lehrerin arbeitet, reflektiert beispielsweise ihre vestimentäre Praxis im Beruf folgendermaßen: „Ich habe einfach zwei Schränke. Und der eine Schrank ist für Bandshirts, auf denen einfach nur’s Logo drauf ist. Also Oberteile für Frauen geschnitten und dann einfach nur das Bandlogo. Ich hab Mayhem zum Beispiel mit De Mysteriis Dom Sathanas, da hab ich ein Oberteil in Schwarz mit schwarzem Logo. Das trag ich sehr wohl zur Arbeit.“37 Der betreffenden 37 | Schriftliches Interview vom 7.12.2010, A9, 3–11.

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Akteurin ist es also wichtig, ihre Black Metal-Zugehörigkeit zu kommunizieren, jedoch ohne sich von der Nicht-Black Metal-Welt abzugrenzen. Meine Feldstudien haben gezeigt, dass ein Großteil der im Black Metal aufgenommenen Codes – und zwar nicht nur die religiösen – sich in erster Linie an Szenevertreter*innen richtet. Vielfach erschließen sich die komplexen Codes vor allem jenen Menschen, die sich in den Repräsentationslogiken dieses Musikgenres auskennen.38 Dies zeigt sich bei folgender Episode, die mir im Rahmen meiner Feldforschung erzählt wurde: So soll ein Black Metal-Fan den Aufdruck auf einem T-Shirt der britischen Gruppe Cradle of Filth mit einem (großen) Patch der norwegischen Band Mayhem überklebt haben, wie mir ein Musiker erläutert: „Er überklebt ein CoF-Shirt mit einem Mayhem Patch, weil Mayhem die einzig wahren BMler [Black Metaller] sind.“39 Die Erzählung, ob sie sich so zugetragen hat oder ob sie nur erzählt wird, zeigt deutlich auf, dass sich Black MetalKleidung an Szenekenner*innen richtet: Mit dem Ändern des Kleidungsstückes ist ein identifikatorischer Verweis gekoppelt (hier: welche Band zu einem bestimmten Zeitpunkt als „true“/wahr/authentisch aufgefasst wird, wobei diese Auffassung an andere kommuniziert wird), für den man Kenntnisse der beiden Bands, ihrer Images, der Vorstellungen des Black Metal, der Geschehnisse in Norwegen in den frühen 1990er Jahren, der Ursprungslegende dieses Genres etc. haben muss, um ihn einordnen zu können. Es hat sich im Black Metal also eine szeneeigene Verwendung von Codes entwickelt, wobei rezipierte Codes zum Teil Umdeutungen erfahren und im Black Metal-Kontext andere Interpretationen auslösen können als in anderen kulturellen Feldern.40 Seit den Anfängen des Black Metal hat sich ein zwar nicht festgeschriebenes, aber dennoch reguliertes Repertoire an religiösen Codes verfestigt, auf das immer wieder zurückgegriffen wird, um Zugehörigkeit 38 | Ein – ausnahmsweise nicht religiöses – Beispiel hierfür wäre die vielzitierte Inszenierung von Männlichkeit im Black Metal (vgl. Grünwald 2012). Wie meine Gespräche mit Eltern von Black Metal-Musikern und -Fans ergaben, deuten diese als Außenstehende die Inszenierung im Black Metal mit den langen Haaren und der Schminke sogar oft als unmännlich. Siehe dazu auch die Diskussion hybrider Männlichkeitsbilder bei Richard/Grünwald 2011. 39 | Facebook-Chat-Gespräch, 2.7.2015. 40 | Zum Umgang mit politischen Codes im Schweizer Black Metal vgl. Höpflinger 2016.

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zum Black Metal zu markieren. Dazu gehören zum Beispiel Petruskreuze, die Zahl 666, Memento Mori-Symbole, Pentagramme. Dabei dient der Rückgriff auf religiöse Traditionen nur zum Teil dazu, ein Statement in Bezug auf die Formung einer traditionellen Weltanschauung abzugeben, sondern solche Codes fungieren vor allem als Zugehörigkeitsmarker zu diesem Musikgenre. Einerseits dient diese Erkennbarkeit wirtschaftlichen Prozessen (man kann einen Tonträger sofort dem richtigen Genre zuordnen),41 andererseits formt die identifikatorische Funktion der rezipierten Codes dieses Musikgenre erst als Black Metal aus. Die Wahrnehmung von Black Metal als Black Metal basiert zu einem großen Teil auf der Verwendung der „richtigen“, d.h. der identifikatorischen Funktion entsprechenden Codes. Dies wird beispielsweise daran ersichtlich, dass eine Band, die in musikalischer Hinsicht weiterhin Black Metal spielt, aber andere inhaltlich-identifikatorische Codes wählt, häufig nicht mehr als Black Metal bezeichnet wird oder zumindest eine Debatte darüber entsteht, ob das Label „Black Metal“ für diese Band zu halten sei. Ein Beispiel hierfür wäre der weiter oben bereits kurz erwähnte christliche Black Metal, der oft als „Unblack Metal“ rezipiert wird, weil sich die religiösen Codes (nicht aber der Sound und ebenso wenig die heilsversprechende Funktion der religiösen Codes) ändern.

Ästhetisierung Religiöse Codes müssen im Black Metal nicht auf über sie hinausgehende semantische Resonanzräume deuten, sondern sie können auch auf sich selbst verweisen. Gerade die soeben genannte identifikatorische Funktion der Rezeption religiöser Codes ist oftmals konnotiert mit einer Betonung der Ästhetik. Ein Musiker bringt dies plakativ zur Geltung, indem er auf meine Frage, was die religiösen Codes auf einem Patch, den er selbst entworfen hat, bedeuten, antwortet, es sähe halt „geil“ aus, eine weitergehende Bedeutung hätten sie aber nicht.42 Dieses Statement macht deutlich, dass die rezipierten Codes vielfach in erster Linie zu der gängigen Black Metal-Inszenierung passen müssen, wobei ihr semantischer Gehalt hinter ihre ästhetische Bedeutung zurücktritt. Der Kulturwissenschaftler 41 | Man soll idealerweise auf den ersten Blick erkennen, welchem Metal-Genre ein Tonträger zugehörig ist, was wiederum bisweilen von Bands durchbrochen wird. 42 | Feldnotizen vom 29.11.2014.

Ästhetisch, identifikatorisch, normativ: Die Funktion religiöser Codes

Paul Du Gay beschreibt die Prozesse, die sich in diesem Zusammenhang beobachten lassen, folgendermaßen: „The growing aestheticization or ‚fashioning‘ of seemingly banal products – from instant coffee to bank accounts – whereby these are sold to consumers in terms of particular clusters of meaning indicated the increasing importance of ‚culture‘ to the production and circulation of a multitude of goods and services.“43

Bestimmte Produkte werden durch Ästhetisierungsprozesse aufgewertet und identifikatorisch mit Bedeutung aufgeladen. Es findet nicht eine Sinnentleerung, aber eine Sinnverschiebung statt. Auch im Falle von Black Metal ist es aufschlussreich, dass identifikatorische (und damit auch wirtschaftliche) Prozesse bisweilen erst durch eine ästhetische Inszenierung angestoßen werden. Ein Beispiel hierfür wären mit Black Metal-Codes bedruckte Umhängetaschen aus Baumwolle wie jene, die an einem Festival in der Schweiz verkauft wurden (vgl. Abb. 3). Durch den Aufdruck wird das „seemingly banal product“ Baumwolltasche mit Bedeutung aufgeladen, wobei religiöse Codes („chaos ritval“; okkulte und sepulkralkulturelle Codes) aufgenommen werden, aber eine identifikatorische Funktion einnehmen: Sie bilden nämlich den Namen des Festivals ab. Die Baumwolltaschen werden durch den Aufdruck der Codes zu einer Möglichkeit, die Anwesenheit an diesem Festival zu bekunden und somit Szeneprestige zu gewinnen. Ohne diesen Druck wären es nur simple weiße Baumwolltaschen, deren Verwendung eher der Ökobewegung zugeordnet werden kann und den Regulierungen im Black Metal sogar zuwiderlaufen würde.

43 | Du Gay 1997, S. 5.

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Abb. 3: Bedruckte Baumwolltaschen, Bülach 2015. Von der Autorin bei einem anwesenden Fotografen erbetene Fotografie. © Eisa.ch

P opul arisierung von R eligion Religiöse Codes werden im Black Metal also rege aufgenommen und mit verschiedenen Bedeutungsebenen verbunden. Sie nehmen, zusammen mit anderen Codes, zentrale Funktionen zur Formung und Vermittlung des Black Metal ein. Die ausgewählten Codes konstruieren und repräsentieren das szeneinterne Imaginäre, also die im Black Metal geteilten Erwartungen, die medial (vor allem auditiv, visuell und audiovisuell) vermittelt werden, maßgeblich mit. Die Frage, die sich nun am Ende meiner Ausführungen stellt, ist, was dieser Umgang mit religiösen Codes für Religion bedeutet. Denn solche Rezeptionsprozesse formen nicht nur den Black Metal, sondern auch Vorstellungen über Religion. Ich will deshalb abschließend ein konzeptuelles Fazit ziehen und danach fragen, wie Religion in der Interaktion mit dieser Rezeption im Black Metal verstanden werden kann. Was bei der Aufnahme von religiösen Codes in der untersuchten Szene vorzufinden ist, sind, wie gesehen, Medialisierungsprozesse mit einer Unterwerfung der rezipierten Codes unter die Logiken einer bestimmten Dimension der Populärkultur, nämlich der des Heavy Metal. Damit ist eine Selektion religiöser Codes verbunden: Die Codes werden gemäß einer Szenetradition ausgewählt, so dass eine begrenzte Palette an immer

Ästhetisch, identifikatorisch, normativ: Die Funktion religiöser Codes

wieder rezipierten religiösen Codes beobachtet werden kann.44 Diese Selektion ist zentral, um die identifikatorische Funktion, also die Verwendung der betreffenden Codes als Zugehörigkeitsmarker zum Black Metal, zu stärken. Eine Aufnahme der immer wieder gleichen Codes vereinfacht ein Erlernen dieser und stellt ihr Erkennen als Black Metal-spezifisch sicher. Die Wahl dieser Palette unterliegt szeneinternen Regulierungen und Aushandlungsprozessen, wobei die rezipierten Codes das szeneinterne Imaginäre repräsentieren sollen. Dabei entsteht eine komplexe Interrelation zwischen der „Glaubwürdigkeit“ einer Band und der „korrekten“ Verwendung der Codes. Diese Relation kommt in einem öffentlichen Facebook-Post eines Schweizer Black Metal-Musikers besonders plakativ zur Geltung, wenn er schreibt: „Bands/Projekte die sich als Hipsters präsentieren, eine opportunistische Haltung einnehmen mit ‚wie kann ich mich verbessern‘ und pazifistische Aussagen machen wie ‚jede Meinung zählt‘, sowas kann ich nicht ernst nehmen! Das ist nicht Black Metal! Vor diesem Gesichtspunkt, ist die Frage nach der Qualität der Musik gegenstandslos!!! […] Ich teile diese Erfahrung, um euch wieder ins Bewusstsein zu rufen für was unsere Kultur steht. Black Metal ist nicht nur Musik! Nicht alles was schick aussieht oder gut klingt ist unterstützenswert. Hintergründe, Identität und Glaubwürdigkeit sind höhere Attribute als das bedienen eines Drumcomputers und das Loopen von Gitarren Riffs auf verzerrte Stimmen […].“45

Meine Feldstudie hat ergeben, dass die Markierung und Konstruktion dessen, was der Akteur hier „Hintergründe, Identität und Glaubwürdigkeit“ nennt, zu einem Großteil über die Ebene der Repräsentation verlaufen. Es geht darum, welche Werte und Normen auf Tonträgern, im Merchandise, in sozialen Medien etc. inszeniert, welche Codes rezipiert und wie die ästhetische Ebene verwendet werden. Diese Rezeptionsprozesse prägen aber nicht nur den Black Metal, sondern auch Vorstellungen über Religion: Denn spezifische religiöse Codes 44 | Ich will hier keineswegs innovative Prozesse im Black Metal negieren. Innovation ist ein zentraler Teil von Tradition. Im Black Metal werden Innovationen v.a. von Akteur*innen mit einem hohen Szeneprestige in Gang gesetzt. 45 | Facebook-Post eines Black Metal-Musikers an seine Freunde*innen vom 20.1.2015 (orthographisch nicht verändert). Um die Anonymität des Musikers zu wahren, wird der Link nicht genannt.

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werden durch diese Prozesse popularisiert, während andere marginalisiert werden. Dies ist vor allem mit Blick auf den Norwegischen Black Metal, der, wie ausgeführt, im Herkunftsland zu einem wichtigen Populärmusikgenre geworden ist und weltweit Erfolge feiert, ein aufschlussreicher Prozess der Distribution religiöser Codes. Black Metal verbreitet religiöse Codes und stärkt somit spezifische Repräsentationen von Religion. Dabei wird nicht nur die Palette an religiösen Codes, sondern auch deren Semantiken durch populärkulturelle Rezeption reduziert und reguliert, und zwar in dem Sinne, dass auf der Produktionsebene Monosemierungsprozesse angestoßen werden. Beispielsweise wird gegenwärtig das verkehrte Kreuz dank solcher populärkulturellen Rezeptionsprozesse stärker mit Satanismus als mit dem römisch-katholischen Heiligen Petrus verbunden. Dies bedeutet keineswegs, dass die Rezipierenden nicht die Freiheit haben, Codes so zu deuten, wie sie es wollen. Dennoch macht es Sinn, bezüglich der Rezeption religiöser Codes in der Populärkultur von dominanten Lesarten, also solchen, die in einem spezifischen soziokulturellen Kontext präferiert werden, zu sprechen.46 Diese Popularisierungsprozesse generieren, um mit dem Religionssoziologen Hubert Knoblauch zu sprechen, „populäre Religion“47. Populäre Religion ist „Alltagsreligion“ im Sinne von im Alltag aufzufindenden medialisierten Repräsentationen religiöser Codes, die als Selbstverständlichkeiten zum jeweiligen soziokulturellen Umfeld dazugehören.48 Sie werden aus emischer Sicht nicht unbedingt als religiös gedeutet, sind aber eng mit den jeweiligen weltanschaulich gestützten Normen verbunden – man denke als Beispiel an Weihnachtsfeiern, die oft nicht als religiös wahrgenommen werden, obwohl sie aus einer religiösen Tradition stammen und christliche Werte wie Nächstenliebe, (heilige) Familie, Mitgefühl, etc. vermitteln. Die Rezeptionsprozesse im Black Metal gehen, so zumindest zeigen es die hier herauskristallisierten Funktionen, in genau diese Richtung: Die rezipierten Codes repräsentierten den Black Metal in seiner ästhetischen, identifikatorischen und zum Teil normativ-weltanschaulichen Dimension; sie haben einen zentralen Anteil an der Formung und Vermittlung ei46 | Vgl. Hall 1999; Hall 2004. 47 | Knoblauch 2009. 48 | Knoblauch nennt als Beispiel Halloween (vgl. ebd., S. 246f.). Vgl. auch Hjarvard 2011; Hjarvard/Lövheim 2013.

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ner Ingroup; ihre den Szenenormen entsprechende Verwendung fördert subkulturspezifisches Prestige. Mit diesen Prozessen werden religiöse Codes aber auch in der Szene – und durch die Popularisierung des Black Metal weit darüber hinaus auch in der Mainstream-Popkultur – verbreitet und somit alltäglich und „normal“. Mit dem Aspekt der „Normalität“ im Hinterkopf wird verständlich, wieso religiöse Codes im Black Metal gleichzeitig – und sich nicht ausschließend – weltanschauliche Hintergründe vermitteln, identifikatorische Prozesse markieren, ästhetische Funktionen einnehmen und für Spaß und Unterhaltung stehen können; aber auch, wieso der Black Metal in der Öffentlichkeit oft mit Religion verbunden wird.

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Eigenes Datenmaterial Interview vom 11.1.2012, schriftlich auf Hochdeutsch, mit einem männlichen Szeneorganisator, Bern. Interview vom 20.7.2007, schriftlich auf Hochdeutsch, mit einem männlichen Black Metal-Musiker, Basel. Interview vom 7.12.2010, mündlich auf Hochdeutsch, mit einer weiblichen Black Metal-Musikerin, Luzern. Informelles Facebook-Gespräch vom 2.7.2015, schriftlich auf Hochdeutsch, mit einem männlichen Black Metal-Musiker aus Zürich. Feldnotizen vom 29.11.2014 an einem Black Metal-Konzert in Zürich; zitiert wird aus einem dort geführten informellen Gespräch mit einem männlichen Black Metal-Musiker aus Zürich.

Diskographie Horde (1994): Hellig usvart. Nuclear Blast. Mayhem (1994): De Mysteriis Dom Sathanas. Deathlike Silence Prod. Troll (2010): Neo-Satanic Supremacy. Napalm Rec.

Zwischen Gedächtnisform und Klanggestaltung: Musikalische Intertextualität im Black Metal Jakob Schermann „Eating the flesh of a thousand corpses“ – ebenso wie sich das lyrische Ich in „Necrolust“ von Mayhems Deathcrush1 (1987) auf das Fleisch seiner Opfer stürzt, verleibt sich das Erstlingswerk der norwegischen Kultband, die für die weitere Entwicklung des Black Metal in und außerhalb Norwegens maßgebend werden sollte, unterschiedlichste Einflüsse aus Kunst und Kultur ein und präsentiert mit starkem Rekurs auf präexistente Musik den neuen, härteren und schnelleren Sound der Band. Beim elektronisch-perkussiven Albumintro „Sylvester Anfang“ handelt es sich um eine Komposition von Conrad Schnitzler (im Artwork fälschlicherweise als „Schnitzer“ angeführt) – seines Zeichens früheres Mitglied der deutschen Gruppe Tangerine Dream rund um Edgar Froese –, der die Kassette mit der Aufnahme Øystein „Euronymous“ Aarseth bei einem Besuch des Mayhem-Bandleaders in Berlin überreicht hatte.2 Beim vierten Stück auf Deathcrush rast den Hörer*innen eine Coverversion von Venoms „Witching Hour“ um die Ohren, deren Laufzeit durch Steigern des Tempos bzw. das Aussparen und Kürzen von Formteilen auf ungefähr die Hälfte der Originaldauer komprimiert wurde. Wer über die Erstpressung von Deathcrush verfügt, hört zum Abschluss des Albums eine roh aufgenommene, entweder stark ironisch oder leicht deplatziert wirkende a cappella-Aufnahme von „All the little flowers are singing“ (original von The Young Ones). Und bei der Abbildung der abgehackten Hände, die für das Albumcover über einen roten (bei der Erstpressung rosa ausfal1 | Mayhem 1987. 2 | Vgl. Kristiansen 2011, S. 54.

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lenden) Hintergrund gelegt wurden, handelt es sich schließlich um ein Bild, das nach eigenen Angaben aus dem Archiv einer norwegischen Zeitungsredaktion stammt.3 Somit lässt sich festhalten: Die Komponenten, die zusammen Deathcrush bilden, sind weit über den Globus verteilt und stammen unter anderem aus schnellem Heavy Metal, experimenteller elektronischer Musik und verstaubten Zeitungsarchiven. Mayhems Mini-LP versammelt verschiedenste Klänge, Bilder und andere ‚Leichenteile‘, deren Spuren in der ästhetischen Erfahrung, beim Hinhören und Hinsehen mal mehr, mal weniger stark durchschimmern. Zur Beschreibung derartiger Phänomene hat sich, ausgehend von der Literaturwissenschaft, in den letzten Jahrzehnten der Begriff der Intertextualität etabliert. Betrachtet man statt eines literarischen Textes einen ‚musikalischen Text‘, so lassen sich mannigfaltige intertextuelle Bezüge zwischen Musik und anderen Medien, wie literarischen Texten oder Bildern, ausmachen.4 Im Zentrum der weiteren Überlegungen stehen jedoch nicht Bilder und Songtexte, sondern dezidiert intramediale Formen von Intertextualität, die innerhalb des Mediums Musik situiert sind und somit intertextuelle Verweise von einer Musik auf eine andere Musik in den Fokus nehmen.5 Anschließend an kurze theoretische Vor­überlegungen wird der musikalischen Intertextualität im Black Metal am Beispiel von Coverversionen und Samples nachgespürt, um in einem zweiten Schritt den Song „Carnal Malefactor“ von Deathspell Omega exemplarisch auf seine musikalisch-intertextuellen Verwebungen hin zu befragen. Auf diesem Wege soll gezeigt werden, inwieweit eine musikalisch-intertextuelle Perspektive fruchtbar für die Analyse von Black Metal-Songs gemacht werden kann. 3 | Vgl. Patterson 2013, S. 136f. 4 | Beispielhaft hierfür ist etwa die Weiterverwendung von Gustave Dorés Bibel­ illustration Le mort sur le cheval pâle (1895) durch die Band E mperor . In den Lyrics zum Song „Into the infinity of thoughts“, dem Opener von In the Nightside Eclipse (1993), wird mit den Versen „Ride of the mighty emperor / I will ride my lands in pride“ auf das von Kristian „Necrolord“ Wåhlin gestaltete Albumcover angespielt, auf dem der Dorésche Reiter vom Himmel herab auf eine schaurig-düstere Landschaft blickt. Durch diese Rekonfiguration wird der Reiter zu einem Symbol für E mperor selbst, das auch auf diversen Merchandise-Artikeln abgedruckt wird. 5 | Im Folgenden werden aber auch Songtexte bzw. Lyrics berücksichtigt, sofern sie zum besseren Verständnis des klingenden Phänomens beitragen.

Zwischen Gedächtnisform und Klanggestaltung: Musikalische Inter textualität

M usik alische I nterte x tualität Eingeführt und in weiterer Folge geprägt wurde der Begriff der Intertextualität von Julia Kristeva. In einem Beitrag in der Zeitschrift Critique, dem Organ der Pariser Gruppe Tel Quel, führt sie 1967 den Begriff als Weiterführung von Michail Bachtins Theorie der Dialogizität ein.6 „Jeder Text baut sich als Mosaik von Zitaten auf, jeder Text ist Absorption und Transformation eines anderen Textes. An die Stelle des Begriffs der Intersubjektivität tritt der Begriff der Intertextualität, und die poetische Sprache läßt sich zumindest als eine doppelte lesen.“7

Bei Bachtin werde die literarische Struktur dynamisiert und aufgefasst als „Überlagerung von Text-Ebenen“ bzw. als „Dialog verschiedener Schreibweisen: der des Schriftstellers, der des Adressaten (oder auch der Person), der des gegenwärtigen oder vorangegangenen Kontextes.“8 Intertexualität ist bei Kristeva nicht nur ein möglicher Grundzug, sondern Wesensbestimmung eines jeden literarischen Textes, der somit immer über seine Grenzen hinweg auf andere Texte verweist. Mit diesem Begriff wendet sich Kristeva gegen Ansätze, nach denen sprachliche Zeichen ausschließlich in Bezug auf das im Text sprechende Subjekt, also den/die Autor*in zu deuten wären. Intertextualität ist bei Kristeva subjekt- und intentionsfrei, wodurch der Raum eröffnet wird, das dynamische Spiel der Erzeugung von Sinn und Bedeutung mit Blick auf den Text selbst zu verfolgen. Diesen Gedanken auf die Musik übertragend, ließe sich – überspitzt gesagt – ein jedes Musikstück, unabhängig von Intention und Biographie der jeweiligen Musikschaffenden, als ein ‚Mosaik von Zitaten‘ hören. Gegen diese weitgefasste Konzeption von Intertextualität haben sich in der Debatte Stimmen erhoben, die den Begriff einzugrenzen bemüht sind und Intertextualität weniger als Wesenszug von Texten überhaupt, sondern als Merkmal ganz bestimmter Texte oder Textsorten auffassen. So grenzt Manfred Pfister Intertextualität als „Oberbegriff für jene Verfahren eines mehr oder weniger bewussten und im Text selbst auch 6 | Das Prinzip der Dialogizität diskutiert Bachtin etwa in Das Wort im Roman, vgl. Bachtin 1979. 7 | Kristeva 1972, S. 348. 8 | Ebd., S. 346.

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in irgend­einer Weise konkret greif baren Bezugs auf einzelne Prätexte, Gruppen von Prätexten oder diesen zugrundeliegenden Codes und Sinnsystemen“9 von Systemreferenzen ab, unter die etwa nicht-intendierte Verweise eines Textes auf textübergreifenden Systeme oder Gattungskonventionen fallen. Derartige musikbezogene intertextuelle Praktiken, die nicht kontingent sondern ein „aktiver, absichtsvoller künstlerischer Akt“10 sind, bezeichnet Frédéric Döhl als fremdreferenzielles Komponieren. Ulrich Broich fügt hinzu, dass sich intertextuelle Verweise, in dieser engen Auslegung des Begriffs, notwendigerweise durch Markierungen als solche erkennbar zeigen.11 Betrachtet man auf Tonträgern veröffentlichte Musik, so finden sich diese Marken besonders in „Nebentexten“12, wie Songtiteln, Liner-Notes, Interviews oder Internet-Postings. Auf der Grundlage eines Textbegriffes, der über den literarischen und poetischen Text hinaus auch sämtliche Formen von Musik, bildender Kunst, Architektur etc. umfasst, wurden Theorien zur Intertextualität auch für die Beschreibung von Beziehungen zwischen Musikstücken fruchtbar gemacht. Serge Lacasse hat entlang der Theorie des Literaturwissenschaftlers Gérard Genette eine Typologie inter- und hypertextueller Phänomene ausgearbeitet, wie sie in auf Tonträgern aufgezeichneter, populärer Musik auftreten.13 Genette führt den Sammelbegriff Transtextualität (bzw. textuelle Transzendenz) für Beziehungen zwischen Texten ein und unterscheidet fünf Modi, wobei sich Lacasses Ausführungen auf die Aspekte Intertextualität und Hypertextualität konzentrieren.14 Bei Genette bezieht sich Intertextualität nun auf die „effektive Präsenz eines Textes in einem anderen Text“15, wie etwa Zitat und Anspielung; beide bilden für Lacasse auch die zentralen intertextuellen Praktiken in 9 | Pfister 1985, S. 15. 10 | Döhl 2016, S. 12. 11 | Vgl. Broich 1985, S. 31f. 12 | Ebd., S. 35. 13 | Vgl. Lacasse 2000. 14 | Bei Genette umfasst textuelle Transzendenz zusätzlich noch die Modi Paratextualität (Titel, Vor- und Nachwort, Fußnoten, Anmerkungen etc.), Metatextualität (Kommentar, Kritik) und Architextualität (Gattungsmerkmale), vgl. Genette 1993, S. 11ff. 15 | Genette 1993, S. 10.

Zwischen Gedächtnisform und Klanggestaltung: Musikalische Inter textualität

der Popularmusik.16 Hypertextualität wiederum bezeichnet jene Form von Beziehung zwischen zwei Texten, wo ein Hypertext einen vorhergehenden Hypotext überlagert bzw. eine Transformation desselben bildet.17 Unter allen inter- und hypertextuellen Bezugnahmen auf aufgezeichnete Popularmusik unterscheidet Lacasse nun allosonische [allosonic] von autosonischen [autosonic].18 Bei einem allosonischen Verweis ist die Gemeinsamkeit der Originalaufnahme und der auf diese bezugnehmenden Musik hinsichtlich ihrer klanglichen Qualität abstrakt (etwa ein Melodiezitat, das für ein Stück neu aufgenommen oder auf einem anderen Instrument gespielt wird als in der Vorlage). Davon werden autosonische Formen unterschieden, bei denen ein Ausschnitt einer aufgezeichneten Musik in ein neues Stück transportiert und gegebenenfalls verfremdet bzw. etwa durch den Einsatz von Soundeffekten abgeändert wird und deren exemplarischstes Verfahren das digitale Sampling ist.19

C overversionen als G edächtnisform Wie in anderen populären Musikrichtungen hat sich auch im Black Metal die Coverversion, wie sie uns schon zu Beginn auf Deathcrush begegnet ist, als wohl meistgenutztes hypertextuelles Verfahren durchgesetzt. Werden Coverversionen auf Tonträgern veröffentlicht, so werden sie zumeist als Bonus-Tracks an das Ende des ‚eigentlichen‘ Albums angehängt oder erscheinen auf Tribute-Compilations. Unter covering versteht Lacasse „a rendering of a previously recorded song that dispays the usual stylistic configuration of the covering artist“20, wobei die Coverversion, im Gegensatz zur Kopie, mit der Idee einer Neuinterpretation der Vorlage einhergeht.21 Die Grenzen zu anderen hypertextuellen Formen wie Parodie (Beibehaltung der Stilistika, geänderter Songtext) und Travestie (stilistische

16 | Vgl. Lacasse 2000, S. 38ff. 17 | Vgl. Genette 1993, S. 14ff. 18 | Die hier verwendete deutsche Übersetzung der Begriffe „autosonic“ und „allosonic“ findet sich auch bei Steinbrecher 2016, S. 43. 19 | Vgl. Lacasse 2000, S. 38f. 20 | Ebd., S. 46. 21 | Vgl. ebd., S. 45f.

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Transformationen unter Beibehaltung der Lyrics)22 bleiben dabei fließend und lassen sich zumeist nur im konkreten Kontext bzw. mit Blick auf die Intention der Interpret*innen klarer bestimmen. Besonders Coversongs einflussreicher Bands der sogenannten ersten Welle wie Bathory, Mercyful Fate, Hellhammer oder Venom, werden im Studio produziert bzw. auf der Bühne reproduziert. So finden sich auf der Wiederveröffentlichung von Emperors In the Nightside Eclipse23 aus dem Jahr 1998 als Bonustracks Coverversionen von „A Fine Day to Die“ (Bathory) und „Gipsy“ (Mercyful Fate), wobei sich Emperor hier sehr nahe an der Klanggestaltung der Originale bewegen: Bei „Gipsy“ versucht Vegard Sverre „Ihsahn“ Tveitan passagenweise etwa, die markant hohe Kopfstimme des Mercyful Fate-Sängers Kim Bendix „King Diamond“ Peterson nachzuahmen. Auch „A Fine Day to Die“ ist stärker an der Originalversion als am typischen Sound von Emperor orientiert, was sich etwa am Fehlen von Keyboard- und Synthesizerflächen, die das Arrangement von In the Nightside Eclipse entscheidend mitprägen, festmachen lässt. Dass Coverversionen strukturell auch freier gestaltet werden können, zeigt die polnische Band Behemoth rund um Frontman Adam Michał „Nergal“ Darski mit ihrem Beitrag „Carnage“ für die 2001 erschienene Compilation Originators of the Northern Darkness – A Tribute to Mayhem24 . Auf den Teil von „Carnage“, mit dem die Version von Mayhem25 endet, folgt bei Behemoth ein zusätzlicher Abschnitt, der sich aus mehreren, collagenartig aneinandergereihten (allosonischen) Musikzitaten aus anderen Mayhem-Songs zusammensetzt. Dieser beginnt mit zwei Riffs aus „Buried by Time and Dust“26, geht anschließend über in den Soloteil von „Freezing Moon“27 (der im Unterschied zur Vorlage von Blastbeats begleitet wird) und endet schließlich mit dem Anfangsriff von „Deathcrush“28. Durch die Einarbeitung von Riffs aus anderen Songs wird der formale

22 | Vgl. ebd., S. 41ff. 23 | Emperor 1998 [1994]. 24 | Various/Compilation 2001. 25 | Die Version von Mayhem erschien auf der Compilation Projections of A Stained Mind (Various/Compilation 1991). 26 | Mayhem 1994. 27 | Ebd. 28 | Mayhem 1987.

Zwischen Gedächtnisform und Klanggestaltung: Musikalische Inter textualität

Rahmen der Coverversion überschritten und „Carnage“, in der Interpretation von Behemoth, wird zu einer Art Mayhem-Medley. Coverversionen dieser Art lassen sich als Beispiele einer musikalischen Gedächtnisform interpretieren. In seiner Studie zum kulturellen Gedächtnis schreibt Jan Assmann: „Gewisse Texte erringen aufgrund besonderer Bedeutsamkeit zentralen Rang, werden öfter als andere kopiert und zitiert und schließlich als eine Art Klassiker zum Inbegriff normativer und formativer Werte.“29 Auch in einer spezifischen Musik(sub)kultur können sich Werke bzw. Songs ausmachen lassen, die öfter zitiert oder bearbeitet werden als andere. Diese bilden somit eine Art Kanon und werden innerhalb einer Kultur als „Klassiker“ angesehen. Anna Valentine Ullrich merkt an, dass „[…] in der Musik eine Art kulturelles Gedächtnis [existiert], eine Ansammlung von musikalischen Skripturen, die in den Diskursen einer Musikkultur mehr oder weniger präsent sind und jederzeit als Ausgangspunkt für transkriptive Vorgänge relevant werden können.“30 Auch Lacasse geht davon aus, dass sich das „transtextuelle Netzwerk“31 einer spezifischen Gruppe anhand von geteilten Meilensteinen identifizieren lassen könnte. So lässt sich sagen, dass intertextuelle Verweise und Umarbeitungen von Musik den Traditionsstrom auf gleiche Weise mitkonstituieren, wie es etwa Bestenlisten und Fanzines auf diskursiver Ebene tun.32 Durch stetiges Wiederaufgreifen, Wiedervergessen und bewusstes Aussparen nicht nur von melodischen Merkmalen, rhythmischen Patterns und lyrischen Themen, sondern auch von gespielten Riffs und ganzen Songs bildet sich ein sich ständig ausdehnender und wieder eingrenzender Vorrat an Musikstücken, die das intertextuelle Netzwerk des Black Metal bilden, seinen Traditionsstrom mitformieren und die Genregrenzen immer wieder neu ausrichten. Intertextuelle Bezugnahmen stellen für Musiker*innen somit ein Vehikel zur Selbstreflexion, Erinnerung und Auseinandersetzung mit der eigenen Historizität dar. In diesem Zusammenhang lassen sich auch die 29 | Assmann 1992, S. 92. 30 | Ullrich 2006, S. 102. Anna Valentine Ullrich vermeidet dabei die Terminologie der Intertextualitätstheorie und versteht musikalische Zitate, im Anschluss an den Medientheoretiker Ludwig Jäger, als Transkriptionen. 31 | Lacasse 2000, S. 57. 32 | Vgl. hierzu Elflein 2010, S. 15–38 und allgemeiner Helms/Phleps 2008.

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oben besprochenen Beispiele hören: Emperor legen mit ihren zwei Coverversionen nicht nur ihre persönlichen Einflüsse offen, sondern festigen zusätzlich den Status von Bathory und Mercyful Fate als Klassiker im Traditionsstrom des Black Metals. Und Behemoth, deren Sound sich um das Jahr 2001 bereits deutlich weg vom Black Metal und hin zum Death Metal entwickelt hatte, schreiben sich mit ihrer Version von „Carnage“ in eine Genregeschichte ein, zu deren Kristallisation Mayhem – und zwar im ‚klassischen‘ Line-Up mit Euronymous und Per Yngve „Dead“ Ohlin, (der „Carnage“ ein Jahr vor seinem Selbstmord eingesungen hatte33) – ein Gros beigetragen haben. Derartige Formen von Inter- und Hypertextualität sind in der Regel markiert oder zumindest derart gestaltet, dass sie von den Hörer*innen im Rahmen ihres transtextuellen Netzwerkes als solche erkennbar sind; die musikalischen Vorlagen müssen durch die Zitate und Bearbeitungen gewissermaßen durchscheinen. Wird Fremdreferenzialität nicht als solche gekennzeichnet, kann dies unter Umständen umfangreiche Plagiats- und Authentizitätsdebatten unter den Rezipient*innen anstoßen. So gibt es im Onlineforum des US- Black- und Death Metal-Labels Nuclear War Now! Productions, das über 7700 registrierte Mitglieder umfasst (Stand März 2017), einen seit 2011 geführten Thread unter dem Namen „Riff Police“, in dem sich User*innen über gefundene Riffzitate bzw. ‚Plagiate‘ austauschen.34

A utosonisches Z itieren als K l anggestaltung Neben Coverversionen, Riffzitaten und anderen ‚abstrakten‘ Formen musikalischer Intertextualität spielen auch autosonische Verfahren für die Gestaltung vieler Black Metal-Songs eine Rolle. Mithilfe von Sampling-Techniken werden besonders musikalische Texte künstlerisch weiterverarbeitet, die stilistisch oder klanglich in Kontrast zur üblichen Klanggestaltung eines Metalsongs stehen bzw. mit dem Standardin­ strumentarium einer Rockband nicht realisierbar sind. Ältere liturgische und weltliche Musik, europäische Kunstmusik quer durch alle Epochen, außereuropäische Musikformen, Neue Musik und populäre Musik – als autosonische intertextuelle Praxis eröffnet Sampling die Möglichkeit, den 33 | Vgl. Patterson 2013, S. 144ff. 34 | Vgl. Nuclear War Now! Forum – Riff Police (o.J.).

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traditionellen Ensembleklang des Black Metal um jede beliebige präexistente klangliche und musikalische Textur zu erweitern. So hat etwa die Filmmusik einen reichhaltigen Fundus an musikalischen Vorlagen anzubieten, wie exemplarisch die Rezeptionsgeschichte von Ingmar Bergmans Das Siebente Siegel (1957) bezeugt. Neben dem Sound­ track bietet der Film auch mit der schwarz-weißen Bildästhetik sowie den wiederkehrenden Motiven von Tod, Pest und Hexerei zahlreiche Anknüpfungspunkte für (Black) Metal. Agalloch aus Portland, Oregon, die ihre stilistischen Wurzeln im Black Metal hatten und ihren Sound bis zur 2016 erfolgten Auflösung zunehmend um Elemente aus Neo-Folk, Doom und Post-Rock erweitert hatten, sampeln etwa in „The Hawthrone Passage“35 eine Sequenz aus dem Anfangsdialog zwischen dem Protagonisten Antonius und dem Tod im schwedischen Originalton („Hvem er du?“ – „Jeg er døden.“). Abigor wiederum, die zu den ersten österreichischen Genrevertretern zählen, greifen auf die Filmmusik selbst zurück: Als Intro zu „Kingdom of Darkness“36 ertönt das Dies Irae, das in Das Siebente Siegel von einer Gruppe von Flagellanten während ihrer Prozession durch ein Dorf gesungen wird. Der Hymnus wird in dieser Szene als diegetische Filmmusik eingesetzt und erklingt also innerhalb der filmisch erzählten Handlung. Im Song von Abigor dient der Gesang der Flagellanten in erster Linie als atmosphärische Einleitung: Es werden archaisierende Fantasien des ‚finsteren Mittelalters‘, wie sie auch in Bergmans Film herauf ­beschworen werden, erweckt und mit dem ‚Kingdom of Darkness‘ assoziiert. Das Sample ist dabei nicht nur Teil der Albumversion, sondern wird von Abigor sowohl schon auf der ursprünglichen Demoversion von 1993 als auch auf einer 2016 veröffentlichten Neuaufnahme des Songs als Einleitung verwendet.37 Ungefähr ein Jahrzehnt nach „Kingdom of Darkness“ umrahmt dieselbe Version des Dies Irae aus Bergmans Film als In- und Outro den Song „Sun of Hope“38 von Funeral Mist, deren Fädenzieher Daniel „Arioch“ Rostén seit 2004 unter dem Pseudonym „Mortuus“ als Frontman von Marduk einem breiteren Publikum bekannt geworden ist. 35 | Agalloch 2002, Track 11, ca. 7:47. 36 | Abigor 1993. 37 | Abigor 1998 und 2016. 38 | Funeral Mist 2003.

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Das Dies Irae bildet auch den Ausgangspunkt für „Xristik Throne“ der französischen Band Antaeus.39 Der Song startet mit einer stark nachhallenden (und vermutlich ebenfalls gesampelten) Männerstimme, die über einen kurzen Melodiezug „Amen“ singt, und geht in die charakteristischen Orchestereinsätze aus dem ersten Takt des bekannten Dies Irae aus Giuseppe Verdis Messa da Requiem (1874) über; auf den vierten Schlag des Orchesters setzt schließlich ein Gewitter aus Tremolo-Riffs und Blastbeats ein. Wie schon in den oben besprochenen Beispielen dient das Sample auch hier als einstimmende Einleitung für den Song und kreiert eine düstere Aura, durchzogen von Tod und Trauer. Neben dieser atmosphärischen, erfüllt das Sample aber auch eine spezifisch musikalische Funktion: Anstatt wie üblich mit Schlägen auf Hi-Hat, Snare, China-Becken oder mit den Drumsticks, wird „Xristik Throne“ mit den ersten Schlägen des Dies Irae eingezählt. Das Klangmaterial wird aus seinen ursprünglichen Kontexten herausgelöst und gewissermaßen zweckentfremdet als rein perkussives Element eingesetzt. Der musikalische Intertext steht in „Xristik Throne“ somit in einem Spannungsfeld zwischen Historizität und reiner Klanglichkeit. Zum Verhältnis von Intertextualität und Historizität in Bezug auf musikalische Bearbeitungen in der Neuen Musik merkt Stefan Drees an, es stehe den „Versuchen, Vergangenheit in der Gegenwart des jeweils aktuell Komponierten aufzubewahren, […] – basierend auf der permanenten Verfügbarkeit von Musik unterschiedlicher Provenienz im Medium Internet – ein gewissermaßen ahistorischer, nicht mehr an den Kontexten interessierter Umgang mit Vorlagen gegenüber.“40

Der historische und der ahistorische Ansatz bilden dabei weniger eine strenge Dichotomie, als dass sie ein breites Spektrum an Möglichkeiten auffächern: Intertextuelle Formen können spielerisch mit den Vorlagen und ihren historischen Kontexten umgehen und es lässt sich bei jedem Musikstück fragen, wie viel von der Geschichte des jeweils Zitierten in der intertextuellen Rekonfiguration beibehalten und wieviel davon verabschiedet wird. Die Bezugnahme auf Verdi steht bei Antaeus zwischen diesen beiden Polen: Das Sample evoziert in Kombination mit dem vor39 | Antaeus 2002. 40 | Drees 2016, S. 198.

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hergehenden Männergesang einerseits Erinnerungen an die Totenmesse bzw. beschwört ein düsteres und subversives41 Element der christlichen Tradition herauf. Andererseits steht es, als Mittel zum Einzählen, auch in einem konkret klanglichen Kontext. In diesem Verfahren zeigen sich Berührungspunkte zur gegenwärtigen musikalischen Avantgarde, etwa zur Konzeptmusik von Johannes Kreidler: „Wer komponiert, nimmt eine Auswahl existierender Musik, reduziert sie auf vorkompositorischen Zustand zurück und setzt von da neu zusammen, bis es wieder Werkcharakter hat.“42 Hieran anknüpfend könnte man sagen, dass Antaeus „Musik mit Musik“ machen, indem sie die Musik Verdis quasi als Instrument einsetzen. Präexistierende Musik erscheint, wie im Songtext zu „Xristik Throne“ drastisch beschrieben, als „Worthless pieces of flesh / So easy to use / A simple tool used and abused“43. Derartige Annäherungen populärer Musiken an die europäische Kunstmusik werden nicht selten als Zeichen für die Auflösung oder zumindest das Verschwimmen der Grenzen von ‚E-‘ und ‚U-Musik‘ gedeutet. Andreas Kühn hat versucht, Black Metal in einer Geschichte des „Anti-Rock“ zu verorten. Unter diesen Begriff subsumiert er Musiken, die zwar stilgeschichtlich mit der Rockmusik verwandt sind, doch die Körperlichkeit des Rock’n’Roll und Attitüden wie „Virilität, Narzissmus und Starkult“44 zugunsten einer ‚Intellektualisierung‘, sowie einer Neuorientierung an Konzepten der europäischen Kunstmusik verabschiedet. So sieht Kühn etwa im Corpsepaint „zum einen die völlige Ablehnung des rockistischen, virilen und vitalen Starkults. Zum anderen werden Geschlechterrollen mit Verweis auf den Tod nivelliert und so asexualisiert. Die Musik schließlich wird, etwa durch den kreischenden Gesang,

41 | Eugene Thacker merkt zum ambivalenten Charakter des Requiems an: „In a sense, the Requiem Mass already is an inversion of the traditional Mass, full of ambiguities, spiritual crises, and a world rendered as sorrow and despair. The Requiem is already a Black Mass.“ (Thacker 2010, S. 90, Kursivierung im Original) 42 | Kreidler 2007/o.J. 43 | Antaeus 2002. 44 | Kühn 2013, S. 8.

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dem nichts Menschliches mehr innewohnt, komplett dehumanisiert, was musikalisch wiederum dem ‚Corpse Painting‘ entsprach.“45

Mit der Dehumanisierung, die durch das Schminken oder auch Verdecken des Gesichtes mit Masken und Kapuzen imaginiert wird, geht eine Abkehr von der Körperlichkeit der traditionellen Rockmusik einher. Was hier auf ikonischer und performativer Ebene vollzogen wird, hat sein klingendes Pendant in intertextuellen Verweisen auf musikalische Produkte außerhalb der Rockmusik, etwa der älteren und neueren europäischen Kunst- oder Filmmusik. Durch gleichzeitige Bezugnahmen auf den traditionellen, körperbetonten Rock ’n‘ Roll und Heavy Metal, etwa in Gestalt von Coverversionen und Riffzitaten, versucht sich Black Metal selbstbewusst als eigenständige Kunstform gewissermaßen in einem Zwischenraum zwischen Rock- und Kunstmusik zu positionieren.

‚S uchst D u ein D enkmal , höre D ich um ‘: D e athspell O megas „C arnal M alefactor “ Die bisherigen Ausführungen zur musikalischen Intertextualität im Black Metal sollen nun anhand einer Analyse des Songs „Carnal Malefactor“ von Deathspell Omega konkretisiert werden. Die Gruppe gründete sich 1999 in Poitiers, Frankreich, und ging teilweise aus der Formation Hirilorn (1994–1998) hervor. Deathspell Omega agieren weitgehend unter dem Schleier der Anonymität, haben keine offizielle Webpräsenz und spielen auch keine Live-Shows. Aktuell geht man davon aus, dass „Hasjarl“ (Gitarre), „Khaos“ (Bass) und Mikko Aspa (Vocals) bei Death­ spell Omega mitwirken, doch sind genauere Details zu den Bandmitgliedern bzw. zu eventuell weiteren Mit- oder Sessionmusiker*innen unbekannt.46 Als erster stilistischer Einschnitt in der Bandgeschichte gilt das 2004 veröffentlichte Album Si Monvmentvm Reqvires, Circvmspice, auf dem 45 | Ebd., S. 411. 46 | Vgl. Metal Archives – Deathspell Omega (o.J.). Eine Ausnahme bildet hier Mikko Aspa, der u.a. auch als Inhaber des Labels N orthern H eritage sowie als einziges Mitglied des mitunter kontrovers rezipierten Black-Metal-Projekts C landestine B laze in Erscheinung tritt.

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Mikko Aspa anstelle seines Vorgängers „Shaxul“ den Gesang übernimmt und das den ersten Teil einer Trilogie bildet, die später durch Fas – Ite, Maledicti, in Ignem Aeternum (2007) und Paracletus (2010) ergänzt wurde. Das Album Si Monvmentvm Reqvires, Circvmspice wusste bzw. weiß zu polarisieren und ist in seiner Bedeutung sowie seinem ästhetischen Anspruch umstritten. Bereits ein kurzer Blick auf die Rezensionen in der Encyclopaedia Metallum offenbart ein breites Spektrum an Meinungen und Werturteilen: Es ist von einem Meisterstück des Spotts und von christlicher Musik die Rede, von einem der besten Black Metal-Alben aller Zeiten und von einem katastrophalen künstlerischen Fehler.47 Diskussionen regten etwa das theologische Konzept von Satan als metaphysischer Entität, das zu anderen im Black Metal verbreiteten und zumeist ‚antichristlich‘ geprägten Satanismen quersteht48, sowie die Integration von dissonanten Riffs und von oft als chaotisch wahrgenommenen, komplexen formalen und rhythmischen Strukturen an. Der Albumtitel verweist, mit einer leichten orthographischen Abweichung, auf die Inschrift am Grabstein Christopher Wrens, des Architekten der St Paul’s Cathedral in London: „Lector, si monumentum requiris, circumspice“ (dt.: „Leser, suchst du sein Denkmal, sieh’ dich um“).49 Wie auch schon Mayhems Deathcrush, beinhaltet das dritte Studioalbum von Deathspell Omega mehrere Umarbeitungen und Verweise auf andere musikalische Texte. Der vorletzte Song „Drink the Devil’s Blood“ ist ein Re-Recording des gleichnamigen Songs vom Debütalbum Infernal Battles, der sich auf Si Monvmentvm Reqvires, Circvmspice nicht nur produktionstechnisch in einem neuen Gewand präsentiert, sondern zudem überarbeitete Lyrics sowie zwei neue Gitarrenriffs enthält. Der Schlusstrack „Malign Paradigm“ ist eine Art Variation über zwei Riffs aus dem Song „Ashes and Bloodstench“50 der schwedischen Band Malign, über die Death­spell Omega in ihrem einzigen seit 2004 veröffentlichten Inter47 | So die Titel einiger Rezensionen: „A Masterpiece of Mockery“, „Christian Music“, „One of the best Black Metal albums ever“ und „A catastrophic artistic failure“, vgl. Metal Archives – Reviews zu Si Monvmentvm Reqvires, Circvmspice (o.J.). 48 | Zum Verhältnis von (Black) Metal und Satanismus aus kulturwissenschaftlicher Perspektive vgl. Trummer 2011. 49 | An diese Grabinschrift ist auch die im Artwork verwendete Typographie „Si Monvmentvm Reqvires, Circvmspice“ angelehnt. 50 | Malign 2002.

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view sagen, sie stünden für sie „at the pinnacle of the genre and shine with no less truth than visionaries from other fields“51. Ebenso wie „Drink the Devil’s Blood“ und „Malign Paradigm“, befindet sich auch „Carnal Malefactor“ auf Seite D des als Doppel-LP konzipierten Albums.52 Im prosaisch verfassten, sich über 43 Verse erstreckenden Songtext werden christlich-religiöse Motive wie die heilige Kommunion und Marias unbefleckte Empfängnis aufgegriffen, pervertiert und sexuell aufgeladen: There resides the fusion, there is the nucleus Angel prick and holy semen, And a woman genuflecting an aroused beast of burden alike Seduced by the father and seducing the son There resides the fusion, there is the nucleus A phallic communion that sanctifies interior wastelands53

Dieses Ineinandergreifen von Sexualität, Obszönität und Religiosität zeigt sich bereits im Songtitel: Während sich malefactor relativ unproblematisch als „Übeltäter“ ins Deutsche übertragen lässt, behält das Adjektiv carnal eine Mehrdeutigkeit, die von „fleischlich“ und „körperlich“, über „weltlich“ und „profan“ bis zu „sinnlich“ und „sexuell“ reicht.54 Auf textlicher Ebene zeigen sich damit gewisse Parallelen zu Denkfiguren Georges Batailles, den Deathspell Omega explizit als Einfluss anführen55 und aus dessen Kurzgeschichte Madame Edwarda mehrere Passagen im Songtext zur EP Diabolus Absconditus zu finden sind.56 Eine textliche Anleihe an 51 | Words from Deathspell Omega (o.J.). Das Interview wurde ursprünglich 2004 auf der Homepage des US-Labels The A jna O ffensive veröffentlicht, über welches u.a. die Tonträger von N orma Evangelium D iaboli in den USA vertrieben werden. 52 | Mit der Wahl der Doppel-LP als Medium korrespondiert auch der Aufbau des Albums: Die ersten drei Albumseiten beginnen je mit als „Prayer“ titulierten, weitgehend instrumental gehaltenen Stücken; am Beginn der vierten Seite steht „Carnal Malefactor“. 53 | Aus dem abgedruckten Text in Deathspell Omega 2004. 54 | Vgl. Großes Studienwörterbuch Englisch, S. 146 u. 569; The New Shorter Oxford English Dictionary, Bd. 1, S. 340. 55 | Vgl. Words from Deathspell Omega (o.J.). 56 | Vgl. das Booklet zu Diabolus Absconditus (Deathspell Omega 2011 [2005]). Im Vorwort zu Madame Edwarda schreibt Bataille etwa, dass „von jeher […] die

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die Bibel bildet der Vers „He that soweth to his flesh shall of the flesh reap corruption“, der wörtlich aus dem Brief des Apostel Paulus an die Galater (6,8) in der Übersetzung der King-James-Bibel stammt.57 Der auf der Aufnahme erklingende Gesang weicht stellenweise leicht vom abgedruckten Text ab bzw. verfremdet ihn: Oft werden einzelne Wörter ausgespart, hinuntergeschluckt oder überhastet gesungen, was sich etwa deutlich bei der letzten Textzeile „O Master, the eastern pillar of your domination is the organic fallibility“ hören lässt. Das genaue Verständnis des Textes erfordert somit einen Blick ins Booklet und es ließe sich überspitzt sagen, dass die Stimme Mikko Aspas nicht nur den zugrundeliegenden Songtext repräsentiert, sondern auch sich selbst, in ihrer eigenen Klanglichkeit und Musikalität präsentiert, was letztendlich unterschiedliche Hörweisen des Stücks im Spannungsverhältnis von Stimme, Lyrics und Musik eröffnet. Die formale Struktur des Stücks lässt sich wie folgt darstellen:58 Makrostruktur

A

B

C

D

E

C’

Riffstruktur

4a

4b

4c

-

2(4d4e)2e

4c’

Metrum

4/4

4/4

3/4

(4/4)

4/4

3/4

Tempo

82

104

175

(40)

190

Tonart

a-Moll

gis-Moll

188 e-Moll

Abb. 1: Struktur von D eathspell O mega s „Carnal Malefactor“. Eigene Darstellung.

Die Gitarrenriffs a, b, c, e und c’ sind nach Konventionen der Riff bildung des Norwegischen Black Metal gebildet (volle Dreiklänge und ‚moving

meisten Verbote einerseits das Sexualleben und andererseits den Tod [betrafen], so daß beide Bereiche als sakral, als der Religion zugehörig befunden wurden“ (Bataille 2014 [1972], S. 57). 57 | Zur Intertextualität zwischen Bibeltexten und Black Metal am Beispiel von M arduk s Rome 5:12 vgl. auch Naylor Davis 2015. 58 | Makrostruktur und Riff- bzw. Mikrostruktur wurden nach der Methode bestimmt, die Dietmar Elflein für seine Schwermetallanalysen entwickelt hat (vgl. Elflein 2010, S. 69–78). Die Tempoangaben beziehen sich auf das (ungefähre) Durchschnittstempo der jeweiligen Teile der Makrostruktur und können innerhalb dieser Teile von Riff zu Riff leicht variieren.

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finger technique‘)59 und verlaufen über leitereigene Akkorde, die durch die melodische Bewegung der Oberstimme gelegentlich um die Sekund, Quart oder Septim erweitert werden. Der Übergang von A nach B geht mit einer leichten Tempobeschleunigung einher, die sich von B nach C deutlich verschärft. Mit Teil C wechselt zudem die Schlagzeugbegleitung vom vorhergehenden langsamen Rockbeat zu einem Blastbeat im 3/4Takt. Gemeinsam mit den Riffs d und e wechseln sich in E Rock- und Blastbeat ab, bevor sich in C’ schließlich das Schlagzeugpattern aus C wiederholt. Aus dem Gesamtgefüge des Songs sticht jedoch besonders D hervor. Die Instrumentierung der Teile A bis C, bestehend aus Gesang, Gitarren, Bass und Schlagzeug, wird suspendiert und erst mit Teil E wieder aufgenommen. Mit den Worten „Carnal Malefactor, rub your sterile wriggling womb“ geht C zu Ende und ein mehrstimmiger Männerchoral setzt ein, der von tiefen, gleichmäßig bei 40 bpm pulsierenden Bassschlägen leise begleitet wird. In der Ferne lässt sich ein weiterer, möglicherweise weiblicher Chorgesang vernehmen, der mit viel Hall unterlegt und stark in den Hintergrund gemixt wurde. Der Männergesang ist metrisch eher frei gestaltet, wodurch die Begleitschläge zumeist nicht auf die Zählzeiten des Gesanges fallen. Während die Stimmen im Hintergrund keine eindeutig identifizierbaren Worte zu singen scheinen, ist der vom Männerchor gesungene Text klar und deutlich artikuliert. Bei der in altslawischer Sprache gesungenen Chorpartie aus Teil D handelt es sich um eine Aufnahme des Cherubim-Hymnus bzw. Cherubikons. Der Hymnus bildet im byzantinischen Ritus einen Bestandteil des sogenannten Großen Einzugs, der die Gabenbereitung begleitet und sich nach seiner Einführung durch Kaiser Justin II. Ende des 6. Jahrhunderts zu einer Art Höhepunkt bzw. einem Alleinstellungsmerkmal der byzantinischen Liturgie entwickelte.60 Das Arrangement des Cherubikons, das von Deathspell Omega aufgegriffen wurde, basiert auf der Melodie des japanischen Liedes „Kōjō no Tsuki“ (dt.: „Der Mond über der Burgruine“) von 1905. Unter den vielen anderen mittlerweile vorliegenden Bearbeitungen dieses Liedes (u.a von Thelonious Monk oder André Rieu) findet sich auch eine Version der einflussreichen deutschen Hard Rock- bzw. Heavy Metal-Formation Scorpions, die „Kōjō no Tsuki“ 1978 in Tokyo performt 59 | Vgl. den Beitrag von Florian Walch in diesem Band. 60 | Vgl. Schulz 2000, S. 95.

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und im selben Jahr auf dem Live-Album Tokyo Tapes61 veröffentlicht haben. Deathspell Omega verwenden für „Carnal Malefactor“ somit ein Musikstück, das seinerseits schon musikalisch-intertextuelle Auseinandersetzungen mit vergangener Musik gepflegt hatte. Im Vergleich zu den bisher betrachteten Beispielen fällt auf, dass der Hymnus einerseits nicht am Anfang, sondern inmitten des Stückes platziert wurde und dass andererseits nicht nur ein kurzer Auszug, sondern das gesamte Cherubikon mit einer Länge von über vier Minuten erklingt. Die Hymne nimmt somit ein Drittel der gesamten Spielzeit von „Carnal Malefactor“ in Anspruch und wirkt durch den radikalen Wechsel von Instrumentierung und Klangfarbe sowie den plötzlichen dynamischen Abfall unmittelbar wie eine Unterbrechung des ‚eigentlichen‘ Songs. Betrachtet man den dynamischen Verlauf sowie die Instrumentierung, so gliedert sich das Stück in drei ungefähr gleich lange Abschnitte (jeweils ca. 3:45, 4:05 und 3:55 Minuten, vgl. Abb. 2).

Abb. 2: Amplitudenverlauf von „Carnal Malefactor“, Screenshot aus S onic V isualizer .

Unmittelbar nachdem der letzte Vers des Chores mit dem abschließenden „Alleluia“ verklungen ist, setzen die für Deathspell Omega charakteristischen dissonanten Gitarrenriffs, Blastbeats und Bass ein, begleitet von einem kraftvollen Schrei Mikko Aspas. Durch den außerordentlich langen, ruhigen und beinahe meditativen Teil D wirkt der rasende Wieder61 | Scorpions 1978.

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einstieg von Gesang und Instrumenten unvermittelt und dadurch umso intensiver. Der Schlussteil C’ schließlich, bei dem Riff c von a-Moll auf die neue Tonika e-Moll transponiert wurde, schlägt einen thematischen Bogen zurück zu Teil C. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Hymne der Cherubim als Intertext die Gesamtkomposition des Stückes auf mehreren Ebenen entscheidend mitprägt: 1.

Durch die intertextuellen Relationen der Hymne der Cherubim zum Lied „Kōjō no Tsuki“ evoziert der Männergesang nicht nur archaische und liturgische Assoziationen, sondern zieht gleichzeitig auch eine subtile Verbindunglinie zu außereuropäischer Musik sowie zu den Scorpions (und somit zur Genregeschichte des Metal). Der Bezug auf liturgische Musik im Allgemeinen trägt außerdem zum künstlerischen Gesamtkonzept des Albums Si Monvmentvm Reqvires, Circvmspice bei. 2. In Bezug auf Instrumentierung, Klangfarbe, Harmonik und Dynamik steht das Cherubikon in starkem Kontrast zur Klanggestaltung des restlichen Songs. 3. Auf struktureller Ebene vermittelt der Mönchsgesang zwischen der vorhergehenden und der nachfolgenden Tonart und ermöglicht gewissermaßen die Modulation von a-Moll nach e-Moll. Durch die außer­ordentliche Länge des Samples wird zusätzlich der unerwartete Wiedereinstieg des ‚Black Metal-Ensembles‘ vorbereitet, welcher dadurch an Brachialität hinzugewinnt.

Die Analyse von Deathspell Omegas „Carnal Malefactor“ hat einen Fall beleuchtet, in dem präexistente Musik auf eine solche Weise eingewoben wird, dass das traditionelle Klangbild des Black Metal erweitert, eine zusätzliche semantische Ebene in das Stück eingeführt und zugleich auch mit konventionellen Formen des (riff basierten) Songauf baus gebrochen wird. Generell lässt sich im Black Metal ein breites Spektrum an Möglichkeiten beobachten, wie vorgefundene Musik kreativ weiterverarbeitet werden kann. Musikalische Vorlagen können einerseits als würdigende Hommage an traditionsbildende und genrekonstitutive Songs oder Bands aufgegriffen werden – in vielen dieser Fälle wird der Bezug auf die Vorbilder selbstbewusst offengelegt. Woanders wiederum gestaltet sich der Umgang mit vorkomponierten Stücken freier und mit

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größerer Distanz zu den Bedeutungskontexten, in denen die weiterverarbeitete Musik ursprünglich verortet ist. Fremdreferenziell komponierte Black Metal-Songs eröffnen so auch immer ein Spiel mit den Hörer* innen, deren intertextuellem Netzwerk sowie dem Grad der Erkennbarkeit des jeweiligen musikalisch-intertextuellen Verweises.

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„Was niemals war“ – Das Selbstbewusstsein des Norwegischen Black Metal als Konstruktion einer Vergangenheit und Konstitution einer Klanglichkeit Florian Walch Dieser Beitrag versteht sich als Versuch, auf zwei Forderungen der aktuellen Metal-Forschung einzugehen: Erstens folgt er dem Aufruf Dominik Irtenkaufs, die Faksimile-Ausgabe von Jon „Metalion“ Kristiansens Slayer Mag1 nach den Narrativen zu durchsuchen, mit denen das Genre des Black Metal diskursiv abgesteckt wurde2 – und wird, da diese initialen Narrative durch Publikationen wie die Slayer Mag Diaries3, Lords of Chaos 4 oder Dayal Pattersons Black Metal – Evolution of the Cult5 nach wie vor zirkulieren. Kristiansen war zeitweise sowohl Teilnehmer als auch Beobachter der Szene, die in den 1990er Jahren den Norwegischen Black Metal ideologisch wie klingend-musikalisch hervorbrachte. Zweitens will dieser Beitrag versuchen, diese Dokumente aus der „Grün1 | Das S layer M ag umfasst 20 Ausgaben und erschien zum ersten Mal im Februar 1985, weitere Ausgaben folgten ungefähr im Jahresrhythmus. Die letzte Ausgabe erschien nach längerer Pause im Dezember 2010. Inhaltlich umfasst es vor allem Interviews mit Bands des Extreme Metal sowie Kommentare zu aktuellen Aufnahmen, optisch präsentiert es sich als schwarz-weiße Collage aus Typoskript, Fotos, Bandlogos und oft surrealen Zeichnungen. 2012 erschienen alle Ausgaben als Faksimile in The Slayer Mag Diaries, mit autobiographischem Kommentar von „Metalion“ sowie Beiträgen anderer Aktuere der Szene. 2 | Irtenkauf 2014, S. 47ff. 3 | Kristiansen 2011. 4 | Moynihan/Søderlind 2003. 5 | Patterson 2013.

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dungszeit“ des Norwegischen Black Metal sowie spätere Erinnerungen an diese Kodifizierung auf Anhaltspunkte nach klingend-musikalischen Alleinstellungsmerkmalen zu befragen, die das Genre sowohl vom Death Metal als auch von jenen Bands abgrenzen, welche die Protagonisten der norwegischen Black Metal-Szene als ihre Vorgänger ausgaben, zu deren Praxis es zurückzukehren galt (auch, wenn diese so nie existiert hatte). Hierin folge ich teilweise Sarah Chakers Aufruf, die musikalische Dimension des Black Metal näher zu erschließen, wobei ich jedoch die das Erkenntnisinteresse leitenden Konzepte nicht direkt ethnographisch aus der Musik ableite, sondern versuche, Äußerungen und Erinnerungen aus der norwegischen Szene als Leitfaden für die Analyse zu verwenden.6 Die zentralen Fragen sind also: 1) Wie positionierte sich die norwegische Black Metal-Szene in der Erzählung ihrer eigenen Notwendigkeit gegenüber dem Death Metal? 2) Können Äußerungen dieser Protagonisten eine Analyse der Musik anleiten, die ihre relative Autonomie gegenüber dem Death Metal, von dem man sich in der frühen norwegischen Black Metal-Szene stark abzugrenzen trachtete, im Speziellen verständlich macht? Dabei ist auch zu fragen, ob der Norwegische Black Metal sich tatsächlich in musikalischer Hinsicht mit der Musik jener Bands, zu denen er zurückzukehren vorgab, deckt – oder ob er neue Wege beschritt.

B l ack M e tal als G l aubensfr age : D ie A bgrenzung gegenüber dem D e ath M e tal Sarah Chakers Skizze der Geschichte des Black Metal etabliert das konzeptuelle Framework, in dem sich die meisten Erzählungen dieser Geschichte seit Lords of Chaos bewegen: eine Erzählung in drei ‚Wellen‘. Die erste Welle (ab ca. 1980) umfasst jene Bands, in deren Fußstapfen die zweite, norwegische Welle (ab ca. 1990) treten wollte, als sie das Label des ‚Black Metal‘ selbstbewusst in Abgrenzung zum Death Metal reklamierte und die Ästhetik kodifizierte, welche die dritte, globale Welle (ab ca. 1995) als ihren Ausgangspunkt nahm.7 Ian Reyes bezeichnet diese selbstbewusste Abgrenzung vom Death Metal als „Black Turn“, den er jedoch als globales Phänomen verstanden 6 | Chaker 2014, S. 429. 7 | Ebd., S. 142.

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haben will – und doch nur norwegische Zeugen zur Untermauerung seines Arguments aufruft.8 Reyes regt an, eine musikalische Geschichte des Black Metal zu erzählen, statt sich auf die Straftaten und berüchtigten Äußerungen einiger Protagonisten aus der norwegischen Szene zu konzentrieren.9 Da jedoch spieltechnische Präzision und Aufnahmetechnik im Zentrum seines Interesses stehen, läuft seine Erzählung Gefahr, mögliche musikalische Differenzen zwischen Death- und Black Metal zu nivellieren, entgegen der Wahrnehmung und Erinnerung der Protagonisten der Szene. Ebenso problematisch ist, dass Reyes eine Übersättigung des Tape-Trading-Netzwerkes als Grund der ästhetischen Erschöpfung des Death Metal ansieht.10 Dies ist schon deshalb wenig überzeugend, da die ausgefeilte Aufnahmetechnik und spieltechnische Präzision, über die er Death Metal definiert, stark an Ressourcen gekoppelt sind, die nur Bands mit Plattenverträgen zukommen. An dieser Stelle wäre auf Keith Kahn-Harris Geschichte der Institutionen der Extreme Metal-Szene zu verweisen, da aus dieser deutlich wird, dass der „Black Turn“ in eine Zeit fällt, in der zum ersten Mal Death Metal-Bands Plattenverträge und breitere kommerzielle Distribution erhielten.11 Die „antihegemoniale“ Bewegung, als die Reyes den Black Metal beschreibt, war eben nicht dem Widerstand gegenüber einer Übersättigung des Tape-Trading-Netzwerkes geschuldet, sondern vor allem der Nostalgie für eine Zeit, in der Bands ihre Reputation und Fähigkeiten im Underground pflegten, bevor sie ein Album aufnahmen. Diese Nostalgie zeigt sich beispielsweise in den Tiraden Øystein „Euronymous“ Aarseths, Gründer und Gitarrist der für Black Metal zentralen Band Mayhem, gegenüber der Vermarktung und Verwertung des Death Metal: „[...] creativity disappeared in the middle of the ’80s. I think 95% of the bands today are worthless shit, there are just a very few who manage to capture the brutality and EVIL which the ancient bands like SODOM, DESTRUCTION, BATHORY, POSSESSED, VENOM, HELLHAMMER/CELTIC FROST and so on had. It‘s very im8 | Reyes 2013, S. 242 u. 247. Reyes zitiert an diesen Stellen Øystein „Euronymous“ Aarseth respektive Glyve „Fenriz“ Nagell. 9 | Ebd., S. 240f. 10 | Ebd., S. 252. 11 | Kahn-Harris 2007, S. 82f.

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portant that the music is filled with dark moods and that the music SMELLS of destruction, but no bands manage to do that. […] But instead they suddenly occur in the scene and rip off another band like ND [Napalm Death], which has made something original. Take a band like DEICIDE. They play so incredible standard, their music is really meant for all the idiot children who started to listen to MORBID ANGEL last year, before that they were only listening to METALLICA after ‚Master of Puppets‘. The last NAPALM DEATH lp [Longplayer, Anm. d. Verf.] is also a part of this extremely boring mainstream which people dare to call Death Metal, I just can‘t stand this music at all. Standard music for standard people. […] I don‘t want to see MAYHEM records in supermarkets in USA like you can do with ND [Napalm Death, Anm. d. Verf.] and MORBID ANGEL.“12

Die Art der Distribution spielt augenscheinlich eine entscheidende Rolle für Euronymous, der übrigens später von seinem Bandkollegen, dem Rechtsextremen und einzigem Mitglied von Burzum, Kristian „Varg“ Vikernes, ermordet wurde. Ebenso bedeutsam scheint für Euronymous das als spontan geschilderte Auftauchen von neuen Bands im Under­ ground zu sein, den er gegen die „idiot children“ abgegrenzt wissen will, also gegenüber Fans, denen der Umstieg von Metallica zu kommerziell einigermaßen erfolgreichen Death Metal-Bands allzu leicht fiel. Im selben Interview betont Euronymous, nach wie vor Demos in der Tape-Trading-Szene zu verfolgen, wohingegen Death Metal von ihm ausschließlich mit kommerzieller Distribution identifiziert wird. Vor der selbstbewussten Reklamation des Labels ‚Black Metal‘ durch die norwegische Szene war dieses ein musikalisch diffuser Sammelbegriff für Spielarten des Hard Rock und Metal mit satanischem Image. Die Aneignung dieses Labels als ästhetische Auszeichnung war Mittel für die norwegische Szene, den Korpus des Extreme Metal selektiv zu betrachten und lediglich bestimmten Bands die Treue zu schwören. Neu war ein Grad der geforderten Ernsthaftigkeit, der bisher im Metal so nie existiert hatte. Berüchtigt ist in diesem Zusammenhang ein Kerrang!-Interview, welches die norwegische Szene einer breiteren Öffentlichkeit bekannt machte, da Vikernes und Euronymous in diesem zugaben, dass sie wüssten, dass Venoms Satanismus nicht ernst gemeint wäre, sie sich aber entschlossen hätten, etwas anderes zu glauben.13 12 | Øystein „Euronymous“ Aarseth, zit. nach Kristiansen 2011, S. 210. 13 | Vgl. Patterson 2013, S. 150.

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Aus dieser quasi-theologischen Verpflichtung leitete Euronymous sein Verständnis von ‚wahrem‘ – „true“14 – Death- und Black Metal ab, je nachdem, ob Tod oder Teufel ernsthaft verehrt wurden oder nicht: „If a band cultivates and worships death, then it’s death metal, no matter what KIND of metal it is. If a band cultivates and worships Satan, it‘s black metal. And by saying ‘cultivating death‘ I don’t think about thinking it‘s funny, or being into gore. I‘m thinking about being able to KILL just because they HATE LIFE. It’s people who enjoy to see wars because a lot of people get killed. How many bands think that way?“15

Diese Definition, die alle musikalischen Parameter ignorierte, machte es für Euronymous möglich zu behaupten, dass es keine ‚wahren‘ Death Metal-Bands mehr gäbe – auch, wenn sie ansonsten gute Musik machten. Ebenso waren Immortal, die Platz 2 der idealen Repräsentanten des Black Metal in Chakers Daten einnehmen, für Euronymous keine Black Metal-Band, da sie keine Satanisten waren. Umgekehrt wäre in Euronymous‘ Logik Darkthrones erstes Album Soulside Journey16 , musikalisch dem Death Metal schwedischer Couleur verpflichtet, aufgrund seiner Lyrics als ein Black Metal-Album einzuordnen. Die geschilderte quasi-‚religiöse‘ Definition des Black Metal war in der norwegischen Szene weit verbreitet; Bård „Faust“ Eithun von Emperor teilt sie in einem Interview von 1995.17 Die geforderte Einheit von Kunst und Leben, die sich aus dieser Definition ergibt, scheint sich bis heute unter Black Metal-Fans auszuwirken. So zeigen die Ergebnisse von Cha­ kers empirischer Untersuchung in der deutschen Szene, dass sich diese Black Metal-Anhänger*innen bedeutend stärker mit den textlichen Inhalten der Musik auseinandersetzen und Black Metal eher als einen ganzheitlichen Lebensstil ansehen als dies unter den vergleichend be-

14 | Das erstrebenswerte Prädikat ‚true‘, auch ‚trve‘ geschrieben, dehnte sich in der Folge auch auf musikalische Parameter sowie den performativen Habitus aus und spielt nach wie vor eine wichtige Rolle im Diskurs der Szene. 15 | Øystein „Euronymous“ Aarseth, zit. nach Patterson 2013, S. 151. 16 | Vgl. Darkthrone 1991. 17 | Vgl. Kristiansen 2011, S. 275.

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trachteten Death-Metal-Anhänger*innen beim Umgang mit ihrer Musik der Fall war.18 In musikalischer Hinsicht sollte der von Euronymous konstatierte religiöse Anspruch jedoch nicht als letzter Zweck, sondern auch als Mittel zur Abgrenzung vom Death Metal angesehen werden: Wenn der Death Metal erst einmal – aus einer Vielzahl von Gründen, von den Lyrics bis hin zur kommerziellen Distribution – ganzheitlich abgelehnt wird, so liegt es auch nahe, sich musikalisch von dessen Signifikanten abzusetzen. Akzeptiert man diese nicht streng autonome Hypothese zur Genese der musikalischen Identität des Black Metal, ist das ‚Ideologische‘ vom ‚Musikalischen‘ nicht mehr streng abtrennbar, da nun die technische Raffinesse und Produktion des Death Metal nicht mehr nur für sich standen, sondern seitens der norwegischen Black Metal-Szene als Verrat am Underground gewertet wurden. Das Werturteil über das Ästhetische ist somit wohl teilweise als heteronom anzusehen. Unbehagen angesichts der Entwicklung des Death Metal zu Beginn der 1990er Jahre äußert sich auch im Titel des Slayer Mag, welches sich 1992 mit einem größeren Fokus auf Black Metal vom „Death Metal Zine“ zum „Alternative Death Metal Zine“ erklärte. Das Bewusstsein eines Wendepunkts schlägt sich in Jon „Metalion“ Kristiansens Editorials nieder. „It’s 25 o’clock“, proklamiert er zu Beginn der Ausgabe und nennt den ausgemachten Ausgangspunkt des Trends: „Especially in Sweden where SUNLIGHT PUKES OUT MASSIVE AMOUNTS OF TREND SHIT“19. Das Ende der Ausgabe spielt dieses Feindbild, nun explizit mit den zu diesem Zeitpunkt international erfolgreich gewordenen Entombed identifiziert, gegen den aufkommenden Norwegischen Black Metal aus:

18 | Vgl. Chaker 2014, S. 401 u. 424. 19 | Kristiansen 2011, S. 224. Die S unlight S tudios sind ein Tonstudio in Stockholm, welches eine prägende Rolle für die Schwedische Death-Metal-Szene spielte. Mit dem international erfolgreichen E ntombed -Debütalbum Left Hand Path prägte Produzent Tomas Skogsberg den sogenannten „Sunlight Sound“, der zu einem Markenzeichen des Schwedischen Death Metal wurde. Gegenüber der von Scott Burns und den M orrisound S tudios geprägten Aufnahmeästhetik des US-amerikanischen Death Metal zeichnet sich der „Sunlight Sound“ durch Betonung des mittleren Frequenzspektrums aus. Zu Burns und M orrisound siehe Reyes 2013, S. 251, zu Skogsberg und S unlight siehe Ekeroth 2008, S. 140 u. 155f.

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„[…] The last few years we have been infected with trendy, shitty Death Metal bands and all of sudden Death Metal was normal and so called Death Metal bands started to sing about normal things....... So the real meaning was lost […] It seems like the new bands take big influence from MAYHEM and also DARKTHRONE! […] Where in SWEDEN all bands do their best to clone ENTOMBED, the Norwegian bands fight for their originality!!!! […] We Hail MAYHEM – BURZUM – DARKTHRONE – ENSLAVED – THOU SHALT SUFFER – EMPEROR – THORNS – ARCTURUS – and even IMMORTAL!! (But there are some doubts about them.... we shall see!!)“20

Im Bewusstsein der norwegischen Black Metal-Szene scheint es nicht zuallererst der US-Death Metal gewesen zu sein, dem es zu widerstehen galt, wie Reyes postuliert,21 sondern der Death Metal schwedischer Couleur. Diese ‚lokalere‘ Rivalität schlug sich auch in der Verwunderung schwedischer Death Metal-Musiker*innen nieder, die von der plötzlichen Animosität der vormals befreundeten Musiker aus Norwegen durchaus überrascht waren.22 Dass letztlich nicht nur ideologische, sondern auch klingend-musikalische Differenzen in den Fokus der Szene rücken, äußert sich unter anderem in den Zweifeln, die Metalion bezüglich Immortal äußert. Sie betreffen nicht Glaubensfragen, sondern beziehen sich auf eine gar zu schnelle musikalische Konversion weg vom Death Metal, hin zum Black Metal: „Take this band IMMORTAL for instance, their demo which I got the summer of ’91 was pretty much MORBID ANGEL/IMMOLATION like Death Metal (with killer guitars!!!) and now in ’92 they are signed to OSMOSE (LP [Diabolical Fullmoon Mysticism] out now!) and they sound nothing like their earlier material.“23

Da das Demotape Immortal24 , von dem Metalion hier spricht, durchaus nicht die Hochglanzproduktion eines Sunlight- oder Morrisound-Studios aufweist, liegt es nahe, dass Death Metal für einen Experten wie ihn mit musikalischen Parametern assoziiert ist, die über Präzision und Produk20 | Kristiansen 2011, S. 258. 21 | Vgl. Reyes 2013, S. 242. 22 | Ekeroth 2008, S. 248. 23 | Kristiansen 2011, S. 225. 24 | Vgl. Immortal 1991.

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tion hinausreichen. Beim Vergleich mit Diabolical Fullmoon Mysticism25 fällt zunächst auf, dass die Gitarren nunmehr nicht mehr tiefer gestimmt sind und die tiefen Growls höheren, kehligen Schreien gewichen sind. Während auf dem Demotape das Schlagzeugspiel häufig den perkussiven Gitarrenriffs folgt (was Dietmar Elflein „paralleles Ensemblespiel“26 nennt), dominiert auf dem Album gleichförmigere Begleitung durch sogenannte Blastbeats. Die Textur ist auf dem Album homogener, dichter – während auf dem Demotape ausschließlich einzelne Töne oder Power­ chords gespielt werden, bezieht das Album vom ersten Riff in „Call of the Wintermoon“ an imperfekte Konsonanzen und Dissonanzen als Zusammenklänge ein. Diese vom Powerchord dominierten Extreme Metal der Zeit abweichenden Riff-Typen haben eine eigene Geschichte, die in der Szene auch selbstbewusst erzählt wird.

D ie S zene hört B athory : D ie „ finger moving technique “ als kl angliches A lleinstellungsmerkmal Durch die Compilation Fenriz Presents… The Best of Old-School Black Metal27 und zahlreiche Interviews kommt Gylve „Fenriz“ Nagell mittlerweile neben seiner Funktion als Multiinstrumentalist des Black Metal-Duos Darkthrone die Stellung eines Sprachrohrs für die Geschichte des Norwegischen Black Metal zu. Auf die Frage nach dem Ursprung der melodischen Riffs auf Burzums „Hvis Lyset Tar Oss“ und Darkthrones „Transilvanian Hunger“, laut dem Interviewer idealtypisch für den Norwegischen Black Metal, antwortet Fenriz: „It came from Bathory’s 1987 Under the Sign of the Black Mark (only a couple of riffs) and especially BLOOD FIRE DEATH in 1988 where there were more riffs with that finger moving technique.“28 In einem früheren Interview zur Entstehung des von Fenriz alleine konzipierten und eingespielten Albums Transilvanian Hunger bezeichnet Fenriz diese Technik als gemeinsames Stilmerkmal der norwegischen Black Metal-Bands: „I’ve always said that everyone in the Norwegian scene of ‘90, ‘91, ‘92, ‘93, ‘94 – everyone was doing 25 | Vgl. Immortal 1992. 26 | Elflein 2010, S. 114–118 u. 282–287. 27 | Vgl. Various/Compilation 2004. 28 | Gylve „Fenriz“ Nagell, zit nach Nief 2013/o.J.

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these kinds of riffs. Gorgoroth was doing them, Enslaved was doing them. Emperor was doing them. Immortal was doing them. And I was making some sort of riffs like Mayhem and Burzum and those guys.“29 Dieser Erinnerung einer geteilten, stilbildenden Technik ist nachzugehen, zumal unmittelbar auf Klingendes verweisende Äußerungen in den Dokumenten der norwegischen Black Metal-Szene vergleichsweise selten sind.

Abb. 1: Darkthrone : „Transilvanian Hunger“, 1. Riff (0:00–0:07).

Anhand des ersten Riffs des Tracks „Transilvanian Hunger“ (vgl. Abb. 1), wird klar, was mit „finger moving technique“ gemeint ist. Dass sich beim Gitarrenspiel die Finger bewegen, ist selbstverständlich – bezeichnet werden muss jedoch nicht das Allgemeine, sondern das Spezielle. Die vertikalen Zusammenklänge des Extreme Metal, der den primären Bezugspunkt des Norwegischen Black Metal darstellte, beschränkten sich fast ausschließlich auf Powerchords, also Zusammenklänge einer reinen Quinte oder Quarte, mit optionaler Oktavverdoppelung des tiefsten Tons. Wird nicht unmittelbar zwischen Quart- und Quint-Powerchord gewechselt, so kann die Position der Finger beibehalten werden, während Arm und Handgelenk den Griff auf dem Fretboard parallel verschieben. Die „finger moving technique“ bezeichnet nun die Abweichung von dieser Norm: Die Finger werden nicht (nur) parallel bewegt. So bleibt in der zweiten Hälfte des transkribierten Riffs ein Finger auf der A-Saite liegen, während einer der anderen Finger sich auf der D-Saite bewegt. Mit der Sprache des Kontrapunkts statt mit der haptischen Erfahrung des Gitarrenbretts bezeichnet, bezieht sich die „finger moving technique“ also auf Stimmführung, die sich nicht auf Parallelverschiebung perfekter Konsonanzen bzw. Powerchords beschränkt, sondern auch dissonante und imperfekt konsonante Intervalle einbezieht.

29 | Mudrian 2009, S. 184.

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Werden nun die bereits weiter oben genannten Alben von Bathory Under the Sign of the Black Mark30 und Blood Fire Death31, veröffentlicht 1987 bzw. 1988, untersucht, so zeigt sich, dass Fenriz’ Erinnerung äußerst präzise ist. Die Beobachtung, dass die Technik auf dem letzteren Album prominenter verwendet wird, trifft zu. Auf Under the Sign of the Black Mark gibt es zwei Tracks, welche die „finger moving technique“ einsetzen. Die Abwechslung von Quart- und Quint-Powerchords mit identem Basston im ersten Riff (0:32–0:47) des vierten Tracks „Call From the Grave“ (vgl. Abb. 2) zeigt eine akustische Konsequenz der starken Verzerrung. Quarte und Quinte erzeugen mit dem beibehaltenen Basston jeweils unterschiedliche Differenztöne: Die Quart g–c erzeugt ein c zwei Oktaven unter dem gespielten Basston, wohingegen die Quint g–d den Differenzton g eine Oktave tiefer erklingen lässt. Somit ist der Wechsel des Grundtons, den ‚klassisch‘ Harmoniegelehrte hier konstatieren würden, kein impliziter, sondern ein in der von Esa Lilja beschriebenen Wirkung von Verzerrung explizit gemachter.32 Diesem Phänomen trägt auch der Bass Rechnung, der in Quart-Powerchords konsequent die Quart verdoppelt, in Quint-Powerchords jedoch den Basston.

Abb. 2: B athory : „Call From the Grave“, Riffs 1 und 2 (0:32–1:32).

Die Mittelstimmenbewegung ist auch Merkmal des zweiten Riffs (0:47– 1:32, vgl. Abb. 2), dieses Mal jedoch in Form einer Antizipation des Mittelstimmentons des nächsten Powerchords – oder einer verzögerten Parallelbewegung, je nach Betrachtung. Bemerkenswert scheint mir dabei wiederum die akustische Beschaffenheit dieses ‚Durchgangsklangs‘ zwischen den stilistisch normativen Powerchords zu sein: Die Rauheit der kleinen Sext wird verschärft, gleichzeitig fehlt dem Zusammenklang die Strahlkraft der Powerchords, da die Kombinations- und Differenztö30 | Vgl. Bathory 1991 [1987]. 31 | Vgl. Bathory 1988. 32 | Lilja 2009, S. 108.

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ne imperfekter Konsonanzen zahlreicher und dem prototypischen Obertonspektrum der Powerchords ferner sind. Eine Hierarchisierung oder Gewichtung dieser Klänge wird also nicht nur durch die stilistische Norm des Powerchords verbürgt, sondern auch durch die akustischen Phänomene des verzerrten Gitarrenklangs. Mit der Bevorzugung ebenmäßiger rhythmischer Bewegung, kleiner und kleinster Melodieschritte und harmonischer Schattierung durch Mittelstimmenbewegung suggerieren beide Riffs eine Abkehr von der im Extreme Metal vorherrschenden Klarheit kraftvoller Virtuosität. Die Bridge des siebten Tracks „Chariots of Fire“ auf dem Bathory-Album Under the Sign of the Black Mark beginnt mit einem Riff, welches den Typus von Darkthrones „Transilvanian Hunger“ oder Immortals „Call of the Wintermoon“ durch die Kombination von Tremolo Picking, der „finger moving technique“ und ebenmäßig-langsamer melodischer Bewegung vorwegnimmt. Der gänzliche Verzicht auf perfekte Konsonanzen und die relativ starke Verzerrung stellen einer Transkription erhebliche Hindernisse in den Weg – doch gerade in dieser klingenden Obskurität kündigen sich neue Wege abseits der klaren Pfade von Thrash- und Death Metal an, die schließlich zu einem der musikalischen Alleinstellungsmerkmale des Black Metal avancieren sollten. In der Verbreitung dieser Spieltechnik führend war kurz nach dem Jahr 1990 neben Euronymous und Vikernes auch Snorre „Blackthorn“ Ruch, zweiter Gitarrist von Mayhem und treibende Kraft hinter der Band Thorns, wie Fenriz bemerkt.33 Bezeichnend ist, dass Mayhem während der 1980er Jahre ausschließlich Powerchords als Zusammenklänge verwendeten. So lassen die beiden Venom-Cover, die Mayhem während dieser Zeit aufnahm – „Black Metal (Total Death Version)“ von der Pure Fucking Armageddon-Demo34 und „Witching Hour“ von der Deathcrush-EP35 –, die in den Originalen vorhandenen imperfekt-konsonanten Zusammenklänge aus. Darin folgten sie einer generellen Vereinfachung der Zusammenklänge im Extreme Metal, die sich hypothetisch aus den Konsequenzen der Bevorzugung stetig stärkerer Verzerrung bei gleichzeitiger Wertschätzung von Klarheit des Ensemblespiels erklären lässt. Der Black Metal sollte letztere schließlich (teilweise) aufgeben. 33 | Gylve „Fenriz“ Nagell, zit. nach Nief 2013/o.J. 34 | Vgl. Mayhem 1986. 35 | Vgl. Mayhem 1993 [1987].

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Thorns und M ayhem verdichten den K l ang weiter : D reikl änge Fenriz hebt die Bedeutung des später als Live in Leipzig36 veröffentlichten Tapes für die Bekehrung Darkthrones vom schwedischen Death Metal hin zum Black Metal hervor. Es darf angenommen werden, dass diese Aufnahme allen mit Euronymous’ Osloer Helvete-Plattenladen in Verbindung stehenden Musiker*innen zugänglich war. Im Interview mit Albert Mudrian nennt Fenriz zudem eine weitere Technik von Snorre Ruch und Euronymous, die über die Zweiklänge der „finger moving technique“ hinausgeht – nämlich das Spielen von Akkorden: „Because I don’t really use chords like Euronymous and Snorre [Ruch]. Euronymous from Mayhem and Snorre from Thorns were the ones that made the typical Norwegian thing, you see – they made chords, and they would play all the strings, like more than one string in the chord, but would they be clean together? No, they would resound together. That was their style, and that you can hear on Mayhem‘s Live in Leipzig, and Mayhem’s Deathcrush, and on the Thorns demo – and the Thorns demo was really, really important.“37

Die dichte Klangmischung von Dreiklängen bei starker Verzerrung wird von Fenriz besonders betont, wobei meine Hörerfahrung keinerlei solche Dreiklänge auf Deathcrush entdecken konnte – anders als bei Live in Leipzig und den Demos von Thorns. Einer der bedeutendsten Mayhem-Tracks, „The Freezing Moon“, ist in mehrfacher Hinsicht paradigmatisch. Über die Extreme Metal-Compilation Projections of a Stained Mind38 war er bereits im Jahr 1991 auch über den engeren Kreis um Euronymous hinaus verfügbar.

36 | Vgl. Mayhem 2007 [1990/1993]. 37 | Mudrian 2009, S. 184. 38 | Vgl. Various/Compilation 1991. Diese Compilation enthält die einzigen Aufnahmen von Dead mit M ayhem, die nicht live aufgenommen wurden.

„Was niemals war“ – Das Selbstbewusstsein des Nor wegischen Black Metal

Abb. 3: M ayhem: „The Freezing Moon“, Riff 1 (0:00–1:01).

Das erste Riff in „The Freezing Moon“ (vgl. Abb. 3) ist nicht nur deswegen bemerkenswert, weil es den denkbar einfachsten Akkord einer standardmäßig gestimmten Gitarre arpeggiert, der durch die starke Verzerrung die relative Klarheit des tieferliegenden Powerchords eintrübt, sondern auch, weil es nicht weniger als achtmal wiederholt wird – die erste Minute der Aufnahme von Projections of a Stained Mind besteht nur aus diesem Riff. Diese Hinwendung zur Monotonie, die später auf Darkthrones Album Transilvanian Hunger39 noch präsenter ist, stellt eine weitere Abkehr vom Paradigma des Death Metal dar, wie Fenriz in der Rückschau betont. Dabei hebt er die Bedeutung der US-Band Von hervor, deren Monotonie der damaligen norwegischen Szene auch bisher verkannte Aspekte von Bathory näherbrachte: „Von was a big hit among us up here when it hit us in 1992. Monotone stuff was very fresh after 10 years of hectic metal styles. Remember all the metal styles, basically from early ’80s and upwards, were damn hectic. There was no time to play a riff eight times for instance…not until Burzum and Von came and changed things. Although Bathory did it in the ’80s, but people weren‘t ready for it then to the same degree as in ’93 and onwards.“40

Doch das „Hektische“ des Death Metal beschränkt sich für Fenriz nicht auf die bloße Zahl der Wiederholungen eines Riffs, sondern dehnt sich auch auf die Rolle der Drums – insbesondere variierte, schnell wechselnde Fills – aus, wie aus dem Audio-Kommentar zu dem zweiten, erst nachträglich veröffentlichten Death Metal-Album Darkthrones, Goatlord,

39 | Vgl. Darkthrone 1994. 40 | Gylve „Fenriz“ Nagell, zit. nach Grow 2010/o.J.

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hervorgeht.41 Diese Tendenzen lassen sich bereits auf Mayhems Live in Leipzig hören, ebenso wie Kombinationen der „finger moving technique“ mit vollständigen Dreiklängen, wie in diesem Riff aus der Bridge des Mayhem-Tracks „Pagan Fears“42 (vgl. Abb. 4):

Abb. 4: M ayhem: „Pagan Fears“, Bridge-Riffs (4:11–5:30).

Durch die Kombination mit leeren Saiten entstehen vollständige Dreiklänge, schließlich wird die „finger moving technique“ genutzt, um ein bereits vorgestelltes Riff figural mit Nebentönen zu variieren. Diese sehr subtile Variation verdichtet das Klangbild zusätzlich, da die kleinen Terzen und Sexten, die nun hinzukommen, von der Verzerrung deutlich stärker ins Raue gewandelt werden. Auf der umfangreichsten Thorns-Demo, dem sognannten Grymyrk-Tape43, findet sich eine weitere Spieltechnik, die u.a. in Tracks von Burzum und Emperor vielfach vorkommt: das Parallelverschieben von Moll-Dreiklängen um einen Halbton, sowohl als ein auf einmal angeschlagener Akkord, als auch als breit ausladendes Arpeggio. Das Grymyrk-Tape wurde im Juni 1991 aufgenommen und in Umlauf gebracht und zeichnet sich dadurch aus, dass darauf nur E-Gitarre und Bass zu hören sind. Obwohl es sich um eine nicht zur Veröffentlichung gedachte Probe-Aufnahme handelt, wurde das darauf präsente Material schon früh hochgeschätzt. So schreibt Metalion im Slayer Mag von 1992: 41 | Vgl. Darkthrone 2011 [1996], Fenriz’ Kommentar auf Disk 2, Track 4, 2:40 ­– 3:20. 42 | Vgl. Mayhem 2007 [1990/1993]. 43 | Vgl. Thorns 2007.

„Was niemals war“ – Das Selbstbewusstsein des Nor wegischen Black Metal

„When it comes to Norwegian bands there is nothing quite like THORNS.... The thing with this band is that they have not recorded any demos or anything yet, so that is a bit sad. Anyways, what we got here is some reh[earsal] stuff and a tape where you can hear only bass + guitar, and it is this tape I’m totally mad about. I never heard anything like those riffs, they are really unique. They are so full of emotions.“44

Tomas „Samoth“ Haugen, Gitarrist der Band Emperor, bestätigt, dass das Grymyrk-Tape zu den meistgehörten Inspirationsquellen für die norwegische Szene zählte.45 Der Track „Home“, der später leicht umkomponiert als „Aerie Descent“ lange Zeit der einzige kommerziell verbreitete Thorns-Track bleiben sollte,46 verwendet fast ausschließlich vollständige Molldreiklänge. Bereits das erste Riff stellt der leeren tiefsten Saite höhere, parallel verschobene Molldreiklänge gegenüber (0:02–1:02). Dabei stellt der Halbtonschritt einerseits die wortwörtlich am nächsten liegende Spielmöglichkeit dar, andererseits durchbrechen Molldreiklänge im Halbtonabstand die Grenzen jeder Diatonik mit besonderem, chromatischem Klangreiz.

Abb. 5: Thorns: „Home“, Arpeggio-Riff (1:13–1:24).

Vergleicht man das in Abb. 5 dargestellte, ruhig-ausladende Arpeggio mit den scharf konturierten, perkussiven Riffs des Thrash- und Death Metal, so fällt zunächst seine eigentümliche Bewegung in der Ruhe auf. Verlässt das Plektrum eine Saite, klingt sie verzerrt nach, während das Sechzehntel-Tremolo-Picking nun dem nächsten Ton des Griffs schillernde Oberflächenbewegung gibt. All dies geschieht in einem ruhigen, in 44 | Kristiansen 2011, S. 237. 45 | Vgl. Patterson 2013, S. 181. 46 | Vgl. Various/Compilation 1995.

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Vierteln sich bewegenden Rhythmus der Akkordbrechung. Der Aufstieg dauert ebenso lange wie der Abstieg und suggeriert Weite und Ausdehnung, ein Effekt, der vom Fehlen der Perkussion nur verstärkt wird. Diese rhythmische Faktur ist somit das Korrelat zur zuvor beschriebenen dem Black Metal eigentümlichen Klanglichkeit, die sich maßgeblich aus der Inklusion von Intervall- und Akkordstrukuren speist, die von der starken Verzerrung in einen trüben Schleier gehüllt werden, der bewusst die kantige Klarheit der im Death Metal zentralen Powerchords und Einzeltöne meidet. Dass diese klanglichen Signifikanten des Norwegischen Black Metal bis heute mit diesem assoziiert sind, lässt sich beispielhaft an dem Album Exercises in Futility47 der erst im Jahr 2000 gegründeten Band Mgła zeigen, die aktuell bei der Metal-Fachpresse hoch im Kurs steht (siehe hierzu auch den Beitrag von Dietmar Elflein in vorliegendem Sammelband). Beim Hören des ersten Tracks, „Exercises in Futility I“ fällt auf, dass jedes der Riffs unter einen der hier exponierten Typen fällt. Wenn ‚nackte‘ Powerchords gespielt werden, dann ‚gedeckt‘ von anderen Gitarrenstimmen, die mit imperfekten Konsonanzen oder Dissonanzen hantieren. Die dichte Textur, die letztendlich das Resultat dieser Techniken ist, scheint also bis heute klanglich den Bezug auf die norwegische Szene und die von ihr geprägte Black Metal-Ästhetik zu verbürgen. Damit sei jedoch nicht gesagt, dass die in diesem Artikel geschilderte Spieltechnik zwischenzeitlich nicht innerhalb und über die norwegische Szene hinaus weiterentwickelt wurde. Tendenzen zur weiteren Verdichtung des Klangbildes ließen sich u.a. schon bei Emperor und Burzum nachweisen, dies würde jedoch den Rahmen dieses Beitrags sprengen.

C onclusio : D ie V ergangenheit erz ählen Abschließend sollen die zu Beginn vorgestellten Fragen knapp beantwortet werden. Das zentrale Narrativ, das die norwegische Szene der 1990er Jahre von sich verbreitete und welches uns heute noch in zahlreichen Publikationen begegnet, ist eines des Widerstands gegen Death Metal, dessen relativer Erfolg als Annäherung an den verteufelten Mainstream gewertet wurde – er erschien den Protagonisten des Norwegischen Black 47 | Vgl. Mgła 2015.

„Was niemals war“ – Das Selbstbewusstsein des Nor wegischen Black Metal

Metals damals zu wenig marginalisiert und ergo zu wenig ‚extrem‘; eine Problematik, die sich aus dem Sammelbegriff des Extreme Metal immer wieder neu zu ergeben droht, da Assimilation das Ende jeder Subkultur bedeutet. Aus der eingangs dargelegten quasi-religiösen Eigendefinition des Black Metal ergibt sich, dass das Klingende des Death Metal für eben diese drohende Assimilation stand – und somit abzulehnen war. Jedoch fiel diese Ablehnung nicht total aus – die norwegische Black-Metal-Szene bezog sich selektiv und somit kreativ auf die Vergangenheit des Extreme Metal und schuf sich so ein geschichtliches Narrativ, das die eigene Weltanschauung und musikalische Praxis stützte. Dabei war es nicht bloß die Ablehnung präzisen Spiels und aufwendiger Aufnahmetechnik, wie im Narrativ von Reyes dargelegt, die für ein neues Klangbild sorgte, sondern dieses ergab sich insbesondere aus bestimmten Gitarrenspieltechniken, die durch Verwendung imperfekter Konsonanzen und Dissonanzen ein erheblich obskureres, dichteres Klangbild ergaben. Hier scheint Bathory eine tragende Rolle zuzukommen, die weit über die Bedeutung der anderen „First-Wave“-Bands hinausgeht. War die „finger moving technique“ auf den Bathory-Alben Blood Fire Death und Under the Sign of the Black Mark erst einmal als potentielles Alleinstellungsmerkmal gegenüber dem Death Metal erkannt, so scheint es naheliegend, dass auch die bisher so gut wie nie verzerrt erklingenden Dreiklänge plausibel und für eine eigene Ästhetik geeignet schienen. Insofern ist auch die zweite Frage zu beantworten: Die Dokumente der Szene lassen durchaus Rückschlüsse auf jene Techniken zu, mit denen sich die norwegische Black Metal-Szene klanglich vom Death Metal emanzipierte. Dabei blieben viele Konventionen freilich auch unverändert erhalten – das ‚Black‘ des Black Metal scheint vielmehr eine Zutat in einem Kontinuum zwischen Black und Death Metal zu sein. Was dem alltäglichen Metal-Fan-Verstand naheliegend erscheint, bestätigt sich auch in der musikalischen Analyse – Norwegischer Black Metal ist von der Warte des Death Metals aus am leichtesten zu beschreiben, als reaktionäre Wiederbelebung einer Vergangenheit, die so nie existiert hat. Dabei kommt Mayhem und seinen Gitarristen Euronymous und Snorre Ruch eine besondere Bedeutung zu, auch wenn sich letztendlich ein Narrativ von Vikernes durchgesetzt zu haben scheint und bis heute den Szene-Diskurs maßgeblich bestimmt:

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„Together with IMMORTAL and DARKTHRONE, BURZUM changed the Norse scene completely. […] This trinity is the fundament of true Norwegian Black Metal. MAYHEM is unessential as they did nothing, no releases, no rehearsing [...]“48 .

Diese Trinität entspricht genau der Spitze der Bands, die deutsche Black Metal-Fans in Chakers Studie als „ideale Repräsentanten des Black Metal“ nannten. Mayhem ist deutlich abgeschlagen, Thorns scheint gar nicht erst auf.49 Somit kann das Durchstöbern dieser Aufnahmen und Szene-Dokumente auch als posthume Ehrenrettung von Euronymous gegenüber seinem Mörder verstanden werden.

Q uellenverzeichnis Gedruckte Literatur Chaker, Sarah (2014): Schwarzmetall und Todesblei. Über den Umgang mit Musik in den Black- und Death-Metal-Szenen in Deutschland. Berlin: Archiv der Jugendkulturen Verlag. Elflein, Dietmar (2010): Schwermetallanalysen. Die musikalische Sprache des Heavy Metal. Bielefeld: transcript. Irtenkauf, Dominik (2014): „Mythosmaschine Metal: Viel Lärm um nichts?“, in: Heesch, Florian/ Höpflinger, Anna-Katharina (Hg.): Methoden der Heavy Metal Forschung. Münster: Waxmann, S. 47–60. Kahn-Harris, Keith (2007): Extreme Metal. Music and Culture on the Edge. Oxford/New York: Berg. Kristiansen, Jon (2011): METALION: The Slayer Mag Diaries. Herausgegeben von Tara G. Warrior. New York: Bazillion Points. Lilja, Esa (2009): Theory and Analysis of Classic Heavy Metal Harmony. Helsinki: IAML Finland. Moynihan, Michael/ Søderlind, Didrik (2003) [1998]: Lords of Chaos: The Bloody Rise of the Satanic Metal Underground. Revised and Expanded Edition. Los Angeles: Feral House. Patterson, Dayal (2013): Black Metal: Evolution of the Cult. Los Angeles: Feral House. 48 | Kristiansen 2011, S. 293. 49 | Vgl. Chaker 2014, S. 335.

„Was niemals war“ – Das Selbstbewusstsein des Nor wegischen Black Metal

Mudrian, Albert (2009): Precious metal: Decibel presents the stories behind 25 extreme metal masterpieces. Cambridge: Da Capo Press. Reyes, Ian (2013): „Blacker than Death: Recollecting the ‚Black Turn‘ in Metal Aesthetics“. In: Journal of Popular Music Studies 25/2, S. 240–257.

Online-Quellen Nief, Todd (2013/o.J.): Interview: Fenriz. Online: http://www.invisibleoranges.com/interview-fenriz/ (Erstelldatum: 16.4.2013, Abfrage: 9.9.2016). Grow, Kory (2010/o.J): Web-exclusive interview: Darkthrone’s Fenriz, part 3! His thoughts on ‘Panzerfaust’, Varg Vikernes. Online: http://www.revolvermag.com/uncategorized/web-exclusive-interview-darkthrones-fenriz-part-3-his-thoughts-on-panzerfau.html (Erstelldatum: 15.1.2010, Abfrage: 30.7.2016).

Diskographie Bathory (1988): Blood Fire Death. Under One Flag. Bathory (1991): Under the Sign of the Black Mark. Black Mark Prod. [1987: Under One Flag]. Darkthrone (1991): Soulside Journey. Peaceville Rec. Darkthrone (1994): Transilvanian Hunger. Peaceville Rec. Darkthrone (2011): Goatlord. Peace­v ille Rec. [1996: Moonfog Prod.]. Immortal (1991): Immortal. Demo, Cassette. Immortal (1992): Diabolical Fullmoon Mysticism. Osmose Prod. Mayhem (1986): Pure Fucking Armageddon. Funny Farm, Cassette. Mayhem (1993): Deathcrush. Deathlike Silence Prod. [1987: Posercorpse Music]. Mayhem (2007): Live in Leipzig. Peaceville Rec. [1990/1993: Obscure Plasma]. Mgła (2015): Exercises in Futility. Northern Heritage Rec. Thorns (2007): Stigma Diabolicum. Kyrck Prod. & Armor. Various/Compilation (1991): Projections of a Stained Mind. CBR Rec. Various/Compilation (1995): Nordic Metal: A Tribute to Euronymous. Necropolis Rec. Various/Compilation (2004): Fenriz Presents… The Best of Old-School Black Metal. Peaceville Rec.

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Ordnung und Chaos – Songstrukturen im Norwegischen Black Metal Dietmar Elf lein Das (Selbst-)Marketing vieler Black Metal-Musiker*innen und -Bands spielt gerne mit dem Element des Chaos. Die einflussreiche Monographie Lords of Chaos1 trägt das Chaos dementsprechend bereits im Titel. Heavy Metal im Allgemeinen wird hingegen aus musiksoziologischer2, musikanalytischer3 oder ethnographischer Sicht4 gern ein Hang zur Ordnung attestiert. Erscheint Black Metal nun – musikalisch betrachtet – als chaotischer als andere Bereiche des Heavy Metal? Oder bleibt das blackmetallische Chaos doch recht ordentlich? Ist Black Metal in diesem Sinne überhaupt eine Substilistik des Heavy Metal? Um diese Fragen zu klären, wird Black Metal im Folgenden als Musikstil betrachtet, der sich von anderen Substilen des Heavy Metal möglicherweise auf signifikante Weise unterscheidet. Ein derartiger musikanalytischer Zugang zu Black Metal wurde, wie Chaker5 kürzlich feststellte, wegen der Konzentration auf ideologische, philosophische und ästhetische Fragestellungen bisher vernachlässigt. Die nachfolgenden Analysen beschränken sich weitgehend auf die musikformale Struktur, mithin den Auf bau bestimmter Beispielsongs. Anstelle einer singulären Beispielanalyse, die alle möglichen musikalischen Parameter eines Songs auszudeuten versucht, werden im Folgenden mehrere unterschiedliche Beispiele in Bezug auf einen bestimmten musikalischen Parameter miteinander verglichen. Den methodischen 1 | Vgl. Moynihan/Soderlind 2003 [1998]. 2 | Vgl. Diaz-Bone 2002. 3 | Vgl. Elflein 2010. 4 | Vgl. Roccor 1996. 5 | Vgl. Chaker 2014, S. 102–114.

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Dietmar Elflein

Ausgangspunkt in Bezug auf Beispielauswahl und Analysemethodik stellt meine im Jahre 2010 vorgelegte Monographie Schwermetallanalysen dar.6

F all auswahl In Schwermetallanalysen7 wird das Konzept des Traditionsstroms als Ausgangspunkt genutzt, um stilistische Normen deduzieren zu können (vgl. Abb. 1). Der Traditionsstrom beschreibt laut Jan Assmann einen Prozess der Historisierung.8 Er fließt nicht nur durch die Geschichte, er wird gleichzeitig in sie hineinprojiziert. Der Traditionsstrom beinhaltet eine sich verändernde Auswahl dessen, was gewusst werden kann, darf und soll. Er ist eine Metapher für ein Netzwerk, an dem ein Teil aller ein bestimmtes Thema betreffenden Daten verfügbar gehalten werden. Aus der Analyse des Traditionsstroms lassen sich so wichtige, stilbildende Künstler*innen, Bands und Alben deduzieren. Die musikalische Analyse einiger derartiger Beispiele für Black Metal im Folgenden ist jedoch nicht an dem Besonderen des einzelnen Songs oder des einzelnen Künstlers, sondern an dem Verbindenden, an stilistischen Normen interessiert.

Abb. 1: Der Traditionsstrom nach Assmann 9.

6 | Vgl. Elflein 2010. 7 | Vgl. ebd., S. 15–25 und 61f. 8 | Vgl. Assmann 1992, S. 92 und 2000, S. 55. 9 | Ebd.

Ordnung und Chaos – Songstrukturen im Nor wegischen Black Metal

Die Publikation Schwermetallanalysen beruht auf einem Ausschnitt aus dem ‚metallischen Traditionsstrom‘, der 1563 Alben von 821 Bands aus den Jahren 1966–2006 umfasst und auf der Auswertung von 68 Best-ofListen der journalistischen Fachpresse sowie den Hörempfehlungen von Fachbüchern beruht.10 In diesem Rahmen entstand eine Liste der meistgenannten Extreme Metal-Bands (vgl. Abb. 2)11: Band

Staat

Nennung in Quellen

Gesamt­ nennungen

Anzahl der genannten Veröffentlichungen

Sepultura

Bra

14

30

7

Death

USA

13

23

5

Celtic Frost

CH

12

21

3

Morbid Angel

USA

10

21

6

Venom

UK

10

20

2

Bathory

Swe

12

15

4

Emperor

Nor

11

15

4

Carcass

UK

9

19

4

In Flames

Swe

7

20

9

Mercyful Fate

Den

6

16

2

Dimmu Borgir

Nor

10

13

4

Entombed

Swe

10

13

3

Abb. 2: Die meistgenannten Extreme Metal-Bands in Elflein 201012.

Wie aus Abbildung 2 ersichtlich, finden sich in dieser Liste zwei Black Metal-Bands, Emperor und Dimmu Borgir, sowie drei Bands, die von Black Metal-Bands und der verfügbaren Literatur13 im Allgemeinen als wichtige Vorläufer des Black Metal bezeichnet werden: Venom, Bathory und Mercyful Fate. Die britischen Venom prägen mit ihrem Album

10 | Vgl. Elflein 2010, S. 79–96. 11 | Vgl. ebd., S. 85. 12 | Ebd. 13 | Exemplarisch Christie 2003, Dunn/McFayden 2006, Moynihan/Soderlind 1998.

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Dietmar Elflein

Black Metal14 aus dem Jahr 1982 nicht nur die Bezeichnung des Stils, sondern gestalten mit ihren mit satanischen Verweisen spielenden Lyrics den inhaltlichen Fokus sowie mit ihrem wahrscheinlich absichtlich rudimentären Sound-Design15 die klangliche Ästhetik des Black Metal mit. Letztere wird, wie auch die Ikonographie des Black Metal, von Bathory – unter diesem Namen musiziert der schwedische Gitarrist, Komponist und Sänger Tomas „Quorthon“ Forsberg (1966–2004) mit wechselnden Mitmusikern – entscheidend mitdefiniert. Die dänischen Mercyful Fate sind insbesondere auf der sprachlichen Ebene durch den Gebrauch satanischer Lyrics sowie durch die Verwendung von Corpsepaint durch den Sänger Kim Bendix „King Diamond“ Pedersen für den Black Metal ästhetisch wichtig. Jahr

Zahl

1981–1989 1990–1999 2000–2006 Summe (1993–1997)

16 52 14 82 (41)

Abb. 3: Zeitliche Verteilung der Black Metal-Alben und ihrer Vorläufer. Datenbasis: Elflein 2010.

Im in Schwermetallanalysen untersuchten Ausschnitt aus dem Traditionsstrom des Heavy Metal finden sich nicht nur die fünf oben genannten Bands, sondern insgesamt 43 Bands mit 82 Alben aus den Jahren 1981 bis 2006, die dem Black Metal und dessen Vorläufern zugeordnet werden können. Die Vorläufer begleiten die Kristallisierung des Heavy Metal von Beginn an, sodass bereits die Kristallisierung der stilistischen Genre-Normen mit einer Ausdifferenzierung in Subgenres einhergeht, die diese Normen bereits von Beginn an variieren. Immerhin 16 Tonträger stammen dementsprechend aus den 1980er Jahren, beginnend mit Venoms Album Welcome to Hell von 1981. Die Hälfte der Tonträger ist 14 | Vgl. Venom 1982. 15 | Bassist und Sänger Conrad „Cronos“ Lant soll damals in einem Tonstudio gearbeitet haben. Eine entsprechende Ausbildung ist allerdings nicht belegt (vgl. Venomslegions [o.J.]).

Ordnung und Chaos – Songstrukturen im Nor wegischen Black Metal

jedoch zwischen 1993 und 1997 erschienen, so dass die Kristallisierung des Subgenres Black Metal Mitte der Neunziger Jahre zu erfolgen scheint. Eine umfassendere wissenschaftliche Untersuchung des Black Metal-Traditionsstroms steht meines Wissens allerdings noch aus. Chaker nennt in ihrer Dissertation immerhin ideale Repräsentanten des Black Metal, die auf einer quantitativen Befragung von 241 Black Metal-Anhänger*innen in Deutschland fußt.16 Die vorliegende Auswertung des Datenmaterials aus Schwermetallanalysen zeigt eine mit Chaker weitgehend übereinstimmende Konzentration auf norwegische Bands einerseits und Vorläufer andererseits (vgl. Abb. 4).

Band

Staat

Nennungen in Quellen

Gesamtnennun­ gen

Anzahl der genannten Veröffentli­ chungen

Platzie­ rung bei Chaker 2014

Bathory

Swe

12

15

4

8

Emperor

Nor

11

15

3

5

Venom

UK

10

20

2

10

Dimmu Borgir

Nor

10

13

4

6

Immortal

Nor

8

11

6

2

Mercyful Fate

Dk

7

16

2

-

Darkthrone

Nor

6

6

3

1

Mayhem

Nor

6

6

1

4

Destruction

Ger

5

8

3

-

Dissection

Swe

5

6

2

17

Sodom

Ger

4

7

6

-

Arcturus

Nor

4

5

2

-

Cradle of Filth

UK

4

5

5

11

Burzum

Nor

4

4

3

2

Enslaved

Nor

3

4

3

-

Abb. 4: Die 15 meistgenannten Black Metal-Bands inklusive Vorläufer im Vergleich. Datenbasis: Elflein 2010 und Chaker 2014.

16 | Chaker 2014, S. 476ff.

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Dietmar Elflein

Anders als in Schwermetallanalysen, spielen die deutschen Thrash-Bands Destruction und Sodom, die dänischen Mercyful Fate sowie Arcturus und Enslaved aus Norwegen für die von ihr befragten Black Metal-Anhänger*innen kaum eine bzw. keine Rolle. Chaker17 nennt in ihrer Aufstellung auch nur Bands, jedoch keine Alben als ideale Repräsentanten des Black Metal, weswegen in Bezug auf Alben kein Vergleich angestellt werden kann.

Band

Album

Jahr

Staat

Gesamt­ nennungen

Nennun­ gen in Quellen

Venom

Black Metal

1982

UK

12

10

Empreror

In The Nightside Eclipse

1994

Nor

10

9

Mercyful Fate

Melissa

1983

Dk

8

7

Venom

Welcome To Hell

1981

UK

8

7

Dimmu Borgir

Enthrone Darkness Triumphant

1997

Nor

7

7

Mercyful Fate

Don’t Break The Oath

1984

Dk

8

6

Mayhem

De Mysteriis Dom Sathanas

1994

Nor

6

6

Bathory

Under The Sign Of The Black Mark

1987

Swe

7

5

Destruction

Infernal Overkill

1985

BRD

5

4

Bathory

Blood, Fire, Death

1988

Swe

4

4

Dissection

Storm Of The Light’s Bane

1995

Swe

4

4

Bathory

Hammerheart

1990

Swe

3

3

Darkthrone

A Blaze In The Northern Sky

1992

Nor

3

3

Dimmu Borgir

Puritanical Euphoric Misanthrophia

2001

Nor

3

3

Hellhammer

Apocalyptic Raids

1984

CH

3

3

Abb. 5: Die 15 meistgenannten Black Metal-Alben inklusive Vorläufer. Datenbasis: Elflein 2010.

Die meistgenannten Black Metal-Alben stammen mit Ausnahme der Schweizer Hellhammer von einer Teilmenge der in Abbildung 4 genannten Bands (vgl. Abb. 5). Bathory werden mit drei Alben, Dimmu Borgir, Venom und Mercyful Fate mit je zwei Alben angeführt. Man 17 | Vgl. Chaker 2014.

Ordnung und Chaos – Songstrukturen im Nor wegischen Black Metal

kann hieraus ableiten, dass eine analytische Beschäftigung mit den bereits genannten Bathory, Venom und Mercyful Fate geboten erscheint, will man Black Metal musikalisch und ästhetisch aus seinen Vorläufern heraus verstehen. Die Schweizer Hellhammer, aus denen später Celtic Frost hervorgehen, sowie Bands aus der Anfangsphase des deutschen Thrash Metal wie Destruction oder den in Abbildung 5 unter den ersten 15 Bands nicht vertretenen Sodom erscheinen ebenfalls als nicht unwichtig. Von den norwegischen Bands der 1990er Jahre sollte man Dimmu Borgir und Emperor auf keinen Fall ignorieren. Im Zusammenhang mit Chakers idealen Repräsentanten erscheinen die Alben von Darkthrone und Mayhem ebenfalls interessant. Ich werde versuchen, im Folgenden diesen Spuren beispielhaft und ohne jeglichen Anspruch auf Vollständigkeit oder umfassende Analyse zu folgen. Die analysierten Tonträger werden dabei als Akteure im Akteur-Netzwerk18 des Black Metal betrachtet, die das, was Black Metal sein will und sein wird, aktiv mitgestalten. Akteur-Netzwerke repräsentieren einen flüchtigen Zugriff auf einen Ausschnitt des Heavy Metal-Traditionsstroms. Ich nehme mir im Folgenden die Freiheit heraus, zwischen Beispielen aller genannten Bands und Alben hin und her zu springen sowie ein paar aktuellere Entwicklungen zu integrieren, als deren empirischen Ausgangspunkt ich den Black Metal-Teil des Line-ups des Party.San Metal Open Air-Festivals 2016 nutze.19

S ongstruk turen im B l ack M e tal Autor*innen der englischen Online-Enzyklopädie Wikipedia behaupten im Gegensatz zur deutschen Ausgabe für Black Metal unkonventionelle Songstrukturen.20 Folgt man der Argumentation der englischen Wikipedia, stellt sich die Frage nach den Konventionen, gegen die sich Black Metal damit abgrenzt: Sollen die Songstrukturen des Black Metal von übergreifenden und allgemeingültigen Popsongkonventionen abweichen – ähnlich wie dies auch im Heavy Metal möglich ist – oder, spezieller, sich auch von im Rahmen des Heavy Metal typischen Songstrukturen unter18 | Vgl. Latour 2010; Gürpinar 2012. 19 | Vgl. Partysan (o.J.). 20 | Vgl. Wikipedia – Black Metal (o.J.).

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Dietmar Elflein

scheiden? Stehen fürderhin unkonventionelle Songstrukturen für Chaos und konventionelle welcher Art auch immer für Ordnung? Die Analysemethodik der folgenden formalen Analysen entspricht weitgehend der in Schwermetallanalysen referierten.21 Zum besseren Verständnis der folgenden Tabellen diene folgende Erläuterung: Die Mikrostruktur (Struktur 1) zeigt die Abfolge der Riffs im Verlauf des Stückes. Die Abkürzung ‚I‘ markiert eine nicht ausgezählte Einleitung (Intro), ‚Br‘ einen nicht ausgezählten Bruch (Break) in der Songstruktur, ‚O‘ einen Schlussteil oder -wendung (Outro). Eingeklammerte Teile (ab) werden wiederholt. Die Anzahl der Wiederholungen ergibt sich aus der Zahl vor der Klammer (2(ab) = abab). Desgleichen werden einzelne Riffs entsprechend der ihnen vorangestellten Zahl wiederholt (8a=aaaaaaaa). Varianten einer musikalischen Idee werden durch hochgestellte Ziffern ‚a2‘ gekennzeichnet: Der Übergang zwischen einer entfernten Variante und einer neuen Idee ist fließend. Die Benennung hängt in diesem Fall an der Person des Analysierenden.22 Die Makrostruktur (Struktur 2) gruppiert Riffs zu größeren Sinneinheiten, um die Songstruktur insgesamt übersichtlicher zu gestalten. Leerzeichen in der Mikrostruktur verdeutlichen die Zuordnung von Riffgruppen zu einer größeren Sinneinheit. Die Vokalstruktur (Struktur 3) versucht die Mikrostruktur mit am Gesang orientierten Begriffen wie Intro Verse, Prechorus, Chorus, Bridge, Solo und Outro abzugleichen.23 Die Notierung der Pulslänge der einzelnen Riffs dient der Verdeutlichung der Tatsache, dass die der Mikrostruktur zugrundeliegenden Riffs nicht gleich lang sein müssen. Varianten werden hier nur gelistet, wenn sie sich vom ursprünglichen Riff in der Pulslänge unterscheiden. Die Analyse der Songstrukturen von Venom und Bathory in Abbildung 6 zeigt, dass beide Bands klassisches Popsong-Writing mit Standard-Strukturen bevorzugen, das eine (Gruppe von) Idee(n) vorstellt, diese wiederholt, dann etwas ändert, um Langeweile vorzubeugen, und abschließend wieder auf bereits bekanntes Material zurückgreift. Dies konkretisiert 21 | Vgl. Elflein 2010, S. 69–78. 22 | Zur grundlegenden Subjektivität von Transkriptionen siehe auch Pfleiderer 2006, S. 31ff. 23 | Vgl. Kaiser 2011.

Ordnung und Chaos – Songstrukturen im Nor wegischen Black Metal

sich exemplarisch in einer als Standardsong bezeichneten Vers-ChorusStruktur mit der Abfolge: Intro Verse Chorus Verse Chorus Bridge (Verse) Chorus (Playout).24 Titel

Dauer Pulslänge

Bathory – „Woman of Dark Desires“

4:06

Hellhammer – „Aggressor“ Venom – „Black Metal“

Struktur 1

Struktur 2

Struktur 3

a=8, c=16 a2,b,d=32

I 2(8a4a2Br4b) 8c4d16a 4a2Br8b

I A A B A2

I InVC InVC In2In3S VC

4:18

a,b=16

I 3(4a2(a2a3)4b) 4a42a52a4 4a2(a2a3)4b

I AAA B A

I InVC InVC InVC In2 InVC

3:44

c2,d,f,g=16 a,b,c,e=32

Ia 2aba 2cc2d 4aba 2cc2d 2ef2g 4aba 2cc2d

I AA B A

I VC InVC BS InVC

a,b,c,d, e=16

4a 2(8a3bb24a3cc2) 4a4d4e 8a3bb24a3cc2 8a3bO

I A A B A A2

I VpC VpC S VpC Po

Motörhead – 2:46 „The Hammer“

Abb. 6: Songstrukturen Black Metal-Vorläufer. Eigene Darstellung.

„Woman of Dark Desire“ ist eines der bekanntesten Stücke des journalistisch oft als Meilenstein gehandelten Bathory-Albums Under the Sign of the Black Mark,25 das auch in der obigen Auswertung das meistgenannte Bathory-Album darstellt. Das Stück beruht auf der geringen Anzahl von vier Riffs. Mit Riff ‚a‘ und ‚b‘ wird der A-Teil gestaltet, der als Abfolge von Verse (a2) und Chorus (b) betrachtet werden kann und in Gänze wiederholt wird. Riff ‚c‘ und ‚d‘ erscheinen als Teil des folgenden, instrumental gehaltenen B-Teils, der mit einem Gitarrensolo über Riff ‚a‘ abschließt. In popsongtypischer Weise ist der auf den B-Teil folgende finale A-Teil verkürzt; der einleitende Instrumentalteil ‚a‘ fällt dem Gitarrensolo über ‚a‘ zum Opfer. Derartig konventionelle Pop- bzw. Standardsongstrukturen mit Verse und Chorus bestimmen das ganze Album Under the Sign of the

24 | Vgl. Elflein 2010, S. 50. 25 | Vgl. Bathory 1987.

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Dietmar Elflein

Black Mark26 mit Ausnahme des das Album beschließenden Stückes „Of Doom……“. „Black Metal“ vom gleichnamigen Album27 von Venom hat ebenfalls eine konventionelle Verse-Chorus-Struktur mit auf die Wiederholung des A-Teils folgendem kontrastierenden B-Teil und abschließender A-Teil-Wiederholung. Verse und Chorus bestehen aus je zwei Riffs, der B-Teil mit der Abfolge Bridge und Solo aus drei weiteren. Die ‚aaba‘-Struktur des Verses rekurriert auf die 32-taktige AABA-Struktur des Classic American Song28 und zeigt so vorhandenes Songwriting-Wissen sowie popgeschichtliches Verständnis. Hellhammer gehen dagegen im Song „Aggressor“29 sparsamer mit Ideen um und gestalten den instrumentalen B-Teil mit Varianten des auch den Verse tragenden Riffs ‚a‘. Hier wird vor allem der Chorus über Riff ‚b‘ vom Rest des Songs abgesetzt. Die dreimalige Wiederholung von Verse und Chorus vor dem B-Teil zeigt im Gegensatz zu Venom fehlendes Wissen um Konventionen eines Liedauf baus sowie eine Tendenz zu Stoizismus und Beharrung. Formale Heavy Metal-Einflüsse finden sich bei Hellhammer in der Tendenz zur Variantenbildung und den Tempowechseln, mit denen sie im Rahmen ihrer technischen Möglichkeiten im B-Teil spielen. Alle drei Beispiele verweigern sich jedoch den in Schwermetallanalysen30 analysierten, für Heavy Metal typischen Songstrukturen der Riffreihung oder des aufgewerteten Mittelteils. Vielmehr handelt es sich um basale Rocksongstrukturen, wie sie sich beispielsweise auch bei Motörhead finden. „The Hammer“31 erscheint neben der Struktur wegen des hohen Tempos sowie der für die Zeit unüblichen Soundcharakteristik der Riffs vorbildhaft, die nicht auf den verbreitet verwendeten Powerchords, sondern auf vollen Akkorden über alle sechs Gitarrensaiten beruht. Emperor-Gitarrist Vegard Sverre „Ihsahn“ Tveitan demonstriert die Wich-

26 | Vgl. ebd. 27 | Vgl. Venom 1982. 28 | Vgl. Forte 2001. 29 | Hellhammer 1984. 30 | Vgl. Elflein 2010, S. 299–305. 31 | Motörhead 1980.

Ordnung und Chaos – Songstrukturen im Nor wegischen Black Metal

tigkeit dieser Soundcharakteristik für den frühen Norwegischen Black Metal in seinen Video-Tutorials.32 Die folgende Abbildung 7 setzt vier Beispiele aus den vier meistgenannten Black Metal-Alben der weiter oben beschriebenen Fallauswahl gegen das bisher Analysierte. Um ein Hauptergebnis bereits an dieser Stelle vorwegzunehmen: Diese vier Beispiele verweigern eine VersChorus-Struktur im Sinne der eben gesehenen Vorläufer-Bands. Titel Emperor – „I Am the Black Wizards“ Dimmu Borgir – „Mourning Palace“ Mayhem – „Freezing Moon“ Darkthrone – „A Blaze in the Northern Sky“

Dauer Pulslänge

Struktur 1

Struktur 2

Struktur 3

6:01

a,b,c,d,e,f, g,h=16

aa2 4a3b2c2c2 4a34c2 d5d22e2f 4d2 g4g2 8h/a

I A A2 B CD

I In1In2In3 V1V2 In4V3 V4V5V3 In5S Po

5:13

d2=8 c,d,e,f=16 a,b=24 c2=32

2a2a2 2(4a24bBr) 6c4d4d24c2 8e4f4e2

ABBCD

I VInVIn V2In2V3V2 In4In5V4

6:24

c=4 d,e,f2,g=16 a=24 b,f=32

8a4b8c 4d4e 4d24e f2f2 Br 32g 4f

ABBC DC

I1I2I3 InVInV In2 In3V2SV2 In2

4:58

e=8 c,f=16 d=20 a,b,g,h=32

a2a2a3Br 2b4c4dBr 8e 4f2g 8e 2b4c4d 2h

ABCBD

IV In1In2V2 In3V3 In4V4In5 In3V3 V5In2V2 S

Abb. 7: Songstrukturen früher Norwegischer Black Metal. Eigene Darstellung.

Emperor beginnen bei „I Am the Black Wizards“33 in der variierten Wiederholung von Formteil A (4a34c2) zu singen, reihen in B dann mehrere Formteile mit Gesang (V3–5) aneinander, bevor C wieder instrumental gestaltet wird und der finale Teil D die charakteristische Melodie von Riff ‚a‘, die in Abbildung 8 dokumentiert ist, mit einer neuen Begleitung und Gesang kombiniert (8h/a).

32 | Vgl. Ihsahn (o.J.). 33 | Emperor 1994.

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Dietmar Elflein

Abb. 8: Ensemblespiel e Mperor: „I Am The Black Wizards“, Riff ‚a 3‘ (Auszug). Eigene Darstellung.

Die Formteile der Makrostruktur von A bis D markieren jeweils deutliche Brüche in der Songstruktur. Neue musikalische Ideen haben unter anderem ein neues Tempo, das insgesamt von A nach D abnimmt, sowie ein unterschiedliches rhythmisches Timing. Der deutlichste Bruch findet sich zwischen A und B im Anschluss an den blastbeatdominierten A-Teil. Bei Dimmu Borgir folgen in „Mourning Palace“34 auf die Verswiederholung (B) drei weitere Gesangsteile (C und D) mit unterschiedlicher musikalischer Begleitung, die von instrumentalen Zwischenspielen unterbrochen werden. Mayhem und Darkthrone reihen bei „Freezing Moon“35 respektive „A Blaze in the Northern Sky“36 im Anschluss an ein ausgedehntes Intro, das in beiden Fällen und im Gegensatz zu den Dimmu Borgir- und Emperor-Beispielen aus exklusivem musikalischen Material37 besteht, abwechselnd Gesangs- und Instrumentalteile. Vers-Chorus-Strukturen sind nicht vorhanden. Insbesondere chorus-artige Formteile sind bei allen Beispielen schwer auszumachen. Verbindendes Strukturelement von drei Beispielen ist die Wiederholung des auf das Intro folgenden Formteiles der Makrostruktur (Emperor: A, Dimmu Borgir und Mayhem: B), bevor zwei bis drei weitere Formteile gereiht werden. Mayhem bauen dabei eine Bogen- oder Brückenform aus C, D und C, in der als Abschluss zu Formteil C zurückgekehrt wird. Darkthrone nutzten eine derartige dreiteilige Liedform, die 34 | Dimmu Borgir 1997. 35 | Mayhem 1994. 36 | Darkthrone 1992. 37 | In der Mikrostruktur: Mayhem: Riffs ‚a‘, ‚b‘ und ‚c‘; Darkthrone: Riff ‚a‘ mit Varianten.

Ordnung und Chaos – Songstrukturen im Nor wegischen Black Metal

beispielsweise aus Volks- und Kinderliedern bekannt ist, als Grundform in „A Blaze in the Northern Sky“38. Sie erweitern die Form um Einleitung (A) und Schlussteil (D), so dass aus A B A bei Darkthrone die Abfolge A B C B D wird. Der kontrastierende C-Teil der Brückenform wird ebenfalls dreiteilig gestaltet und hat eine ‚a (Riff e) b (Riff f, g) a‘-Form. Damit werden die Songstrukturen im frühen Norwegischen Black Metal, bezogen auf das in Popsongs übliche Vers-Chorus-Schema, zwar unkonventioneller, verharren jedoch ansonsten in konventionellen Ausdrucksformen, wahlweise in Bezug auf Liedstrukturen (Darkthrone) oder in Bezug auf die aus dem Standardsong abgeleitete Idee der Hauptteilwiederholung im Rahmen reihender Strukturen. Letzteres hat sich einerseits als typisch für Heavy Metal-Strukturen erwiesen,39 da die grundlegend strukturbildende Reihung von Riffs mit Elementen der Reprisenbarform40 verschmolzen wird, andererseits sind auch Tracks der elektronischen Tanzmusik häufig in ähnlicher Art und Weise gebaut. Zudem erinnern derartige Stücke formal auch an duale Hauptteile à la Black Sabbath.41 Abbildung 9 zeigt ein Black Sabbath-Beispiel von 1973 zur Verdeutlichung. Titel

Dauer Pulslänge

Black Sabbath – „Sabbath Bloody Sabbath“

5:44

f=8 d,e=16 a,b,c=32 b3=48

Struktur 1

Struktur 2

Struktur 3

6a3bb2 6a3bb3 5a2c Br 2(10d3eBr) 27f

A A A2 BBC

IVC InVC SIn2 2(InV2In3) Po

Abb. 9: Songstruktur B lack S abbath (1973): „Sabbath Bloody Sabbath“. Eigene Darstellung.

38 | Darkthrone 1992. 39 | Vgl. Elflein 2010, S. 300ff. 40 | Im Rahmen der Musiktheorie entspricht die Reprisenbarform einer Liedform mit der Struktur AABA. Im Gegensatz zum einfachen Strophenlied AA... addiert die Barform AAB einen sogenannten Abgesang, während die Reprisenbarform den Anfangsteil, den sogenannten Stollen, abschließend als Reprise wiederholt (vgl. z.B. Gurlitt/Eggebrecht 1967, S. 81f.). 41 | Vgl. Elflein 2010, S. 110–114.

141

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Dietmar Elflein

Gleichzeitig wird die im Thrash Metal von Black Sabbath bzw. aus dem Progressive Rock übernommene und weiterentwickelte Riffreihung im Norwegischen Black Metal wichtiger. Über die reine Reihung hinausgehende, komplexere Binnenstrukturen inklusive ausgedehnter Variantenbildung sind jedoch am ehesten noch bei Emperors „I Am the Black Wizards“42 zu erkennen, während in den anderen drei Analysebeispielen die einfache Riffreihung dominiert. Insbesondere Mayhem und Darkthrone beziehen sich auch auf deutsche Thrash-Bands wie Sodom und Destruction als Vorbilder. So benennt Mayhem-Mastermind Øystein „Euronymous“ Aarseth (19681993) beispielsweise seine Plattenfirma nach dem Sodom-Song „Deathlike Silence“43 und Gylve „Fenriz“ Nagell von Darkthrone betont im Interview mit dem Journalisten Chris D: „They – journalists – would have needed to listen to first Sodom and early Bathory a lot before writing.“44 Wichtig erscheint der Sound bzw. die Produktionsästhetik. Dies verdeutlicht auch das folgende Fenriz-Zitat aus einem Artikel zum dreißigjährigen Jubiläum des Sodom-Debütalbums Obsessed by Cruelty45, auf dem auch das oben zitierte Stück „Deathlike Silence“ enthalten ist: „Hatte man sich erstmal an das Album gewöhnt, hatte der ungewöhnliche Mix aus Ernsthaftigkeit und fehlender Tightness einen ganz eigenen Reiz [...]. Gerade die Vocals sind aus meiner Sicht im Black Metal unübertroffen, ebenso wie der coole echte Drumsound. Das Untighte hat nichts mit schlechter Spielweise zu tun, es ist eher eine Attitüde, eine Art, totales Desinteresse zu zeigen.“46

Ob sich in den Songstrukturen des Norwegischen Black Metal Einflüsse von Sodom finden lassen, soll nun anhand je eines Stückes vom Sodom-Album Obsessed by Cruelty47 und der vorangehenden Debüt-EP In the Sign of Evil 48 überprüft werden (vgl. Abb. 10).

42 | Emperor 1994. 43 | Sodom 1986. 44 | D. 2012/o.J. 45 | Sodom 1986. 46 | Fenriz 2016, S. 33. 47 | Vgl. Sodom 1986. 48 | Vgl. Sodom 1985.

Ordnung und Chaos – Songstrukturen im Nor wegischen Black Metal

Titel

Dauer Pulslänge

Struktur 1

Struktur 2

Struktur 3

3a 3(12b2(2c2d)) 8b

I AA AA

I InVCV2In InVCInV2 InVCV2In InC

Sodom – „Blasphemer“

3:02

a=12 b,c,d=8

Sodom – „After the Deluge“

4:53

a,b,e=8 c=16 d=32

16aBr 20bBr 8c 16b 10dBr 25e/b

ABCB DE

I InV In2V2 InV In3V3 Po(S)

4:45

a,b,k,l3=8 c,d,e,k2-4= 16 g,h,i,j,l,m=32 f=64

abb22b3a 4c 2(2ded) 4cf4cf6c 4g2h4h2Br ij4k2lm k2k3k4l2ll3

A B B2 C DE

I I2VV S1V2S2 V3S3 InS4

Mercyful Fate – „Evil“

2

3

Abb. 10: Songstrukturen S odom und M ercyful Fate . Eigene Darstellung.

Das frühere Sodom-Beispiel „Blasphemer“49 kommt mit sparsamen vier Riffs ohne Variationen aus. Riff ‚a‘ ist dabei der Einleitung vorbehalten. Die anderen drei Riffs erklingen sowohl instrumental als auch als Gesangsbegleitung. Der in der Vokalstruktur angegebene Chorus entspricht einer wiederholten Refrainzeile. Diese einfache Binnenstruktur wird dreimal musikalisch unverändert wiederholt, die Abfolge von Gesangsteilen und Zwischenspielen verändert sich in der ersten Wiederholung, um zumindest ein kleines formales Überraschungsmoment zu generieren, dass mit den Erwartungen der Hörer*innen spielt. „After the Deluge“50 reiht fünf Formteile, die alle aus einem Riff bestehen, das sowohl als Gesangsbegleitung als auch instrumental erklingt. Einzig die Wiederholung von B im Anschluss an C bricht die pure Reihung von Ideen auf. Sodom verzichten also insgesamt auf formalen Ballast wie eine Bridge oder ausgearbeitete Vers-Chorus-Strukturen und reihen fröhlich Riffs, zu denen teilweise auch gesungen wird. Bei Sodom spielen damit Elemente eine Rolle, die als typisch für Thrash Metal analysiert werden können.51 Sie sind die einzigen der hier analysierten Bands, die sich einer den Hauptteil wiederholenden Struktur verweigern. Die ebenfalls als wichtige Vorläufer des Black Metal gehandelten Mercyful Fate bevorzugen dagegen verspielte Songstrukturen mit vie49 | Ebd. 50 | Sodom 1986. 51 | Vgl. Elflein 2010, S. 287ff.

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Dietmar Elflein

len Soli, Breaks und im Falle von „Evil“52 dreizehn Riffs plus Varianten. Mercyful Fate sind stark vom Progressive Rock und den Judas Priest der 1970er Jahre beeinflusst. Die in Schwermetallanalysen53 analysierte Judas Priest’sche Songwriting-Formel mit aufgewertetem Mittelteil kristallisiert sich parallel zu Mercyful Fates Wirken. Allein die schiere Menge musikalischer Ideen pro Stück unterscheidet Mercyful Fate musikalisch von den anderen Vorläufer-Bands und dem frühen Norwegischen Black Metal. Bezüge zu den Ahnen Bathory, Hellhammer und Venom finden sich im Rahmen des für diesen Sammelbandbeitrag gesichteten norwegischen Black Metal-Materials übrigens am ehesten noch bei Burzum – unter diesem Namen musiziert der verurteilte Mörder von Øystein „Euronymous“ Aarseth und rechtsextreme Neu-Heide Varg „Count Grishnackh“ Vikernes (*1973) mit gelegentlichen Gastmusikern. Abbildung 11 zeigt ein Burzum54 -Beispiel im Vergleich mit den bereits untersuchten Beispielen von Venom, Bathory und Hellhammer: Titel Bathory – „Woman of Dark Desires“

Dauer Pulslänge

Struktur 1

Struktur 2

Struktur 3

4:06

a=8, c=16 a2,b,d=32

I 2(8a4a br4b) 8c4d16a 4a2br8b

I A A B A2

I InVC InVC In2In3S VC

Venom – „Black Metal“

3:44

c2,d,f,g=16 a,b,c,e=32

Ia 2aba 2cc2d 4aba 2cc2d 2ef2g 4aba 2cc2d

I A AB A

I VC InVC BrS InVC

Hellhammer – „Aggressor“

4:18

a,b=16

I 3(4a2(a2a3)4b) 4a42a52a4 4a2(a2a3)4b

I AAA BA

I InVC InVC InVC In2 InVC

Burzum – „Stemmen fra tårnet“

6:10

d=8 a,b,c,e=16

I Br4a 2a4b2c2a 2a8b4c2a 4d8e 8b8c2a

A B B2 C B3

I VInV2In2 VInV2In22 In3V3In4 InV2In2

2

Abb. 11: Songstruktur B urzum im Vergleich mit Black Metal-Vorläufern. Eigene Darstellung.

52 | Mercyful Fate 1983. 53 | Vgl. Elflein 2010, S. 148–152. 54 | Vgl. Burzum 1993.

Ordnung und Chaos – Songstrukturen im Nor wegischen Black Metal

Die strukturellen Ähnlichkeiten sind von der Menge und Länge der verwendeten Riffs über die geringe Variationsbreite bis hin zur Reprisenbarform der Makrostruktur augenscheinlich. Zusätzlich findet sich eine A B A-artige Bogenform in der Mikrostruktur der B-Teile der Makrostruktur. Allerdings opfern Burzum den Chorus ebenfalls einer weniger eingängigen Songstruktur mit drei unterschiedlichen Gesangsteilen. Alle bisherigen Beispiele aus dem Norwegischen Black Metal erscheinen auch in Bezug auf die Verwendung findenden Rifflängen relativ ordentlich, die mehrheitlich Vielfachen von Vier entsprechen und beispielsweise selten ins Ternäre oder gar in andere ungerade Zahlenverhältnisse wechseln. Auch die Wiederholungshäufigkeit der einzelnen Riffs vermeidet sehr deutlich chaotische Abfolgen oder ungerade Momente und beschränkt sich auf Zwei und deren Vielfache. Die analysierten Norwegischen Black Metal-Beispiele eint, mit Ausnahme von Burzum, noch ein weiteres formales Element. Im Mittelteil wird ein Gesangsteil als formale Klammer benutzt. Die Wiederholung dieses Gesangsteils macht einen absichtlich geschlossenen Charakter der Komposition, weg von der zufälligen Ideenreihung, deutlich. Es handelt sich bei Emperor um Riff ‚d‘ bzw. V4 der Vokalstruktur, bei Dimmu Borgir um Riff ‚c‘/V2, bei Mayhem um Riff ‚g‘/V2 und bei Darkthrone um Riff ‚e‘/V3. Zudem findet sich dieses Strukturelement beim Mercyful Fate-Beispiel, allerdings nicht als Gesangs-, sondern als solistischer Teil: Riff ‚c‘/S. Ich halte diese deutliche strukturelle Ähnlichkeit, die sich aus den ausgewählten Beispielen ergeben hat, aufgrund meiner Hörerfahrung nichtsdestotrotz eher für einen Zufall als für strukturell wichtig im Black Metal. Allerdings müsste diese Hypothese durch die formale Analyse weiterer Stücke be- oder widerlegt werden. Die für den Norwegischen Black Metal und seine Vorläufer beschriebenen Songstrukturen unterscheiden sich nicht nur vom progressiv beeinflussten Heavy Metal von Mercyful Fate, sondern auch von technisch geprägten Death Metal-Strukturen à la Cannibal Corpse55, die erheblich verspielter und musikalisch handwerklich fundiert sind, als auch von sich auf ähnliche Vorläufer wie Black Metal berufende Pagan Metal-Struktu-

55 | Vgl. Cannibal Corpse 1992.

145

146

Dietmar Elflein

ren à la Primordial 56, die noch erheblich einfacher und stoischer sind als das für Black Metal Analysierte. Titel

Dauer Pulslänge

Cannibal Corpse – „Hammer Smashed Face“

4:02

f=4 a4,c,d,e=8 h,j=16 l=20 a3,b,i=24 a,g,i2,i3, k=32

Primordial – „No Nation on this Earth“

8:12

a,c=24 b=96

Struktur 1

Struktur 2

Struktur 3

a2 2ab Br 4c4d4c 8ef 2g4hf2g 8ea2 ii22i3 4d4c 8ef 2g4hf2g 8ea3 4j4j24j 2k4l2k 4h 8ea4

A B C D C2 E B C D C2 F G D2 C

IVC In1V2In1 CIn2 B In3V C In1V2In1 CIn2 V3 In4V4In4 V2 Cin2

8a4a24a34a44a3 6b 5(4c4c2)4c

ABC

I In1V1 In2V2In2

Abb. 12: Songstrukturen Death- bzw. Pagan Metal. Eigene Darstellung.

Primordial reihen in „No Nation on this Earth“57 drei Formteile in der Makrostruktur, die auf jeweils einem Riff inklusive Variantenbildung in der Mikrostruktur beruhen; eine Vers-Chorus-Struktur existiert nicht. Cannibal Corpse verwenden dagegen zwölf Riffs plus einige Varianten für „Hammer Smashed Face“58. Die Makrostruktur ist sehr feingliedrig und weist mit Formteil C, der auch als Chorus gelten kann, einen wiederkehrenden Anker auf. Gleichwohl wird auch in den Formteilen B, D, E, F und G über zumindest einen Teil der Riffs gesungen, sodass die Strophen des Textes musikalisch uneinheitlich vertont werden, ohne damit in Richtung eines durchkomponierten Liedes denken zu wollen oder gar denken zu müssen. Vielmehr verweist „Hammer Smashed Face“59 durchaus auf den Standardpopsong mit Intro (A), Verse (B C D C2), Versewiederholung, Break (F G) und Reprise von bekanntem Material (D2, C). Die Strukturen des Norwegischen Black Metal sind damit im Vergleich zu ihren eigenen Ahnen wie auch zu Popsongs als unkonventionell einzuschätzen, im Kontext des Heavy Metal bleiben sie dagegen im 56 | Vgl. Primordial 2007. 57 | Ebd. 58 | Cannibal Corpse 1992. 59 | Ebd.

Ordnung und Chaos – Songstrukturen im Nor wegischen Black Metal

Rahmen des Üblichen und sind relativ konventionell zu nennen. Insbesondere die Hauptteilwiederholung sowie die von allen Bands praktizierte identische und ordentliche Wiederholung von Riffgruppen sprechen für ein gerütteltes Maß an Ordnung und gegen die Chaos-Theorie. Im aktuellen Black Metal setzt sich das bisher Beschriebene weitestgehend fort. Die folgenden beiden Beispiele stammen von den jeweils aktuellen Veröffentlichungen zweier Bands, die 2016 auf dem Party.San Metal Open Air gespielt haben. Dort wurden folgende Black Metal-Bands gelistet60: Arcturus (Nor), Isvind (Nor), Mgła (Pol), Mor Dagor (Ger), Nifelheim (Swe), Svarttjern (Nor), Taake (Nor) und Tribulation (Swe). Ich habe als Beispiele die polnische Band Mgła, deren drittes Album Exercises in Futility61 von Szene-Printmedien wie Deaf Forever und diversen Online-Magazinen62 als eines der besten, wenn nicht das beste Black Metal-Album der letzten Jahre betrachtet wird, sowie das norwegische Ein-Mann-Projekt Taake mit dem Album Stridens Hus63 herausgegriffen. Taake existieren bereits seit 1993, werden bei Konzerten von Session-Musikern komplettiert und sind die einzige der auf dem Party.San 2016 spielenden Bands, die Teil von Chakers idealen Repräsentanten des Black Metal sind.64 Wie aus Abbildung 13 hervorgeht, verwenden Mgła für den Song „Exercises in Futility VI“65 neun Riffs, die sie gerne zu Zweiergruppen zusammenfassen. Auf diese Weise werden acht Riffs eingeführt, bevor in Formteil E der Makrostruktur mit Riff ‚c‘ erstmals bereits verklungenes Material wieder aufgegriffen wird. Davon angeregt wird auch Formteil C wiederholt, bevor das Stück mit Riff ‚c‘ schließt. 60 | Vgl. Partysan (o.J.). 61 | Vgl. Mgła 2015. 62 | Vgl. die Reviews zum Album Exercises in Futility in der Zeitschrift D eaf F or ­ ever 12/2016, auf B loodchamber . de (vgl. Krause 2015/o.J.), M etal . de (Möller 2015/o.J.)., S tormbinger . at (M. 2015/o.J.), P itchfork .com (O’Connor 2015/o.J.) sowie auf M etal A rchives (o.J.). 63 | Vgl. Taake 2014. 64 | Vgl. Chaker 2014, S. 376. Um Taake ranken sich inhaltliche Kontroversen, die von Vorwürfen, rechtsextremes Gedankengut zu propagieren bis zu Körperverletzung reichen (vgl. z.B. Wikipedia – Taake o.J.). 65 | Mgła 2015.

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Dietmar Elflein

Die variierte Wiederholung der ersten beiden Formteile A und B durch Mgła entspricht sowohl der Popsongkonvention als auch dem bei Black Sabbath, den Beispielen von Thrash-Bands und im Norwegischen Black Metal Analysierten. Die anschließende Reihung von Ideen in den Formteilen C, D und E ist ebenfalls bereits von Black Sabbath, aus Thrash Metal und den oben analysierten norwegischen Black Metal-Stücken bekannt. Eine Vers-Chorus-Struktur kann nicht deduziert werden; mit Ausnahme von B wird zu allen anderen Formteilen gesungen. Im Rahmen des bisher Analysierten erscheint die dreimalige Wiederholung von Formteil D ungewöhnlich, da ansonsten bisher Vielfache von Zwei bevorzugt wurden. Mgła verzichten auf solistisch geprägte Formteile; sie setzen auf einen hypnotischen Ensembleklang, der über die Wiederholung der einzelnen Riffgruppen an den Stoizismus von Primordial erinnert, gleichwohl aber mit mehr Breaks und Tempowechseln arbeitet. Titel

Dauer

Pulslänge

Struktur 1

Struktur 2

Struktur 3

Mgła – „Exercises in Futility VI“

8:49

b,d,h=8 a,c,e,f, g=16 i=32

4(2ab) Br 4(2cd) 3(2ab) 2(2cd) 2(eff2) Br 3(2gh) Br 6i4c2i2(eff2)4c

A B A2 B C D E C E2

I I2 V In V2 V3 In2V4 V2 V4

Taake – „Gamle Norig“

4:54

a,c,d=12 b,e=24

4a4a2 2(4a23b) 5c 4d4c 6e

ABBCDE

I1 I2 VInV2 VV2 In2V3 V4In4 V5

Abb. 13: Songstrukturen im aktuellen Black Metal. Eigene Darstellung.

Taake verarbeiten dagegen in „Gamle Norig“66 möglicherweise stärkere Thrash-Einflüsse. Zumindest erinnert die Identität von einem Riff der Mikrostruktur (‚c‘, ‚e‘) mit einem Formteil in der Makrostruktur (C, E) an „After The Deluge“67 von Sodom68, während alle anderen Bands meist bemüht sind, mindestens zwei Riffs zu einer größeren formalen Einheit zusammenzufassen. Die Reihung von musikalischen Ideen als strukturelles Grundprinzip wird so noch unterstrichen. Auch Taake ziehen ei66 | Taake 2014. 67 | Sodom 1986. 68 | Vgl. Abb. 10.

Ordnung und Chaos – Songstrukturen im Nor wegischen Black Metal

nen dichten Ensembleklang dem solistischen Spiel vor, eine Vers-ChorusStruktur existiert nicht, jedes der verwendeten fünf Riffs dient auch als Gesangsbegleitung. Taake brechen ebenfalls die geradzahlige Wiederholung von Riffs und Formteilen auf und wiederholen Riff ‚b‘ dreimal, Riff ‚c‘ fünfmal und mit Abstrichen Riff ‚e‘ sechsmal. Breaks erscheinen weniger wichtig als bei Mgła, Tempo- und Metrikwechsel zwischen Formteilen der Makrostruktur sind üblich. Beide Bands arbeiten damit strukturell ähnlich wie die oben analysierten norwegischen Black Metal-Bands, mit Ausnahme von Emperor. Es dominiert in beiden Fällen die Reihung von Riffs, auch wenn Formteil A oder B jeweils wiederholt werden. Black Sabbath-Anklänge sind genauso vorhanden wie Thrash-Einflüsse. Formale Bezüge zu den Vorläufern des Black Metal existieren dagegen kaum. Der Stoizismus von Mgła erinnert zudem an den Ansatz von Primordial. Die strukturelle Ähnlichkeit, die im zweiten Teil der dualen Struktur der norwegischen Black Metal-Bands gefunden wurde, findet sich hier nicht mehr. Insgesamt erscheint das Chaos im Sinn der Abwesenheit von Wiederholung und Periodik etwas stärker zu werden. Ungeradzahlige Wiederholungen von Riffgruppen werden im aktuellen Black Metal genauso genutzt wie unterschiedliche Pulslängen der Riffs. Die im Laufe seiner Existenz zwangsläufige Ausdifferenzierung der für Black Metal typischen musikalischen Gestaltungsmittel erreicht so schließlich auch die formale Struktur der Stücke, deren Ordnung im Sinne konventioneller Strukturen gerade bei den Vorläufern, aber auch in den Anfangstagen des Norwegischen Black Metal nicht in Frage gestellt wird. Das für Black Metal als wichtig behauptete Chaos entfaltet sich musikalisch auf der Grundlage ordentlicher Songstrukturen.

N achtr ag Das für den Studientag als Analysebeispiel ausgewählte Stück „Mother North“69 von Satyricon unterscheidet sich von den analysierten Beispielen in mehrfacher Hinsicht:

69 | Satyricon 1996.

149

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Dietmar Elflein

Titel Satyricon – „Mother North“

Dauer Pulslänge

6:25

c=12 g=16 d,e2=20 a=23 b=24 f=26 e=40

Struktur 1

Struktur 2

4a4b 2a4b6c A A2 B C 2d3(d2d3) 2e2e2 f3f2 D E A2 2 2g4g 2g 2a4b4c

Struktur 3 IC InVCIn2 In3V2 V3 In4 In5 In6 InCIn2

Abb. 14: Songstruktur S at yricon (1996): „Mother North“. Eigene Darstellung.

Zum einen findet sich ein über Riff ‚b‘ gesungener Chorus in Formteil A, der durchaus deutlich an Bathory und über die ternäre Gestaltung der Rhythmik an Pagan/Viking Metal gemahnt. Gleichzeitig gestalten Satyricon als einzige einen aufgewerteten Mittelteil, wenn man die Wiederholung von Formteil A im Rahmen der Makrostruktur als Hauptteilwiederholung im Rahmen einer Standard-Struktur interpretiert. Die Struktur ist jedoch auch als Riffreihung von A bis E mit bisher ebenfalls nicht vorhandenem wiederholtem Beginn ab der Wiederholung von Formteil A analysierbar.70 Die als zufällig eingeschätzte formale Besonderheit des als Klammer genutzten Gesangsteils ist beim Beispiel von Satyricon nicht vorhanden. „Mother North“71 ist damit im Rahmen des hier Präsentierten kein typisches Black Metal-Stück, sondern erheblich komplexer strukturiert. Dies wird noch unterstützt durch die Pulslängen, die erheblich variabler sind als bei allen bisher analysierten Stücken, mit Ausnahme des Beispiels der eher technisch ausgerichteten Death Metal-Band Cannibal Corpse. Dies betrifft insbesondere die Verkürzungen und Verlängerungen der metrischen Ketten der Riffs. Alle anderen analysierten Bands arbeiten einfach mit Vielfachen von Vier – Venom, Bathory, Hellhammer, Emperor, Burzum und aktuell Mgła – oder streuen gelegentlich ein ternäres Element ein – Mayhem, Dimmu Borgir. Die bei Satyricon mehrfach vorkommende Praxis, ein Riff nicht aus vier mal vier Pulsen, sondern aus entweder drei oder fünf mal vier Pulsen zu konstruieren, findet sich nur bei Darkthrone und insbesondere beim aktuellen Taake-Beispiel, das insofern als von Satyricon beeinflusst gelten könnte. Diese Praxis schafft ungerade anmutende Rifflängen, die jedoch nicht auf ungerader Metrik beruhen. 70 | Vgl. Elflein 2010, S. 106. 71 | Satyricon 1996.

Ordnung und Chaos – Songstrukturen im Nor wegischen Black Metal

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Ordnung und Chaos – Songstrukturen im Nor wegischen Black Metal

Disko-/Filmo-/Videographie Bathory (1987): „Woman of Dark Desires“. Auf: Under the Sign of the Black Mark. Under One Flag. Black Sabbath (1973): „Sabbath Bloody Sabbath“. Auf: Sabbath Bloody Sabbath. Vertigo. Burzum (1993): „Stemmen Fra Tårnet“. Auf: Aske. Deathlike Silence Prod. Cannibal Corpse (1992): „Hammer Smashed Face“. Auf: Tomb of the Mutilated. Metal Blade. Darkthrone (1992): „A Blaze in the Northern Sky“. Auf: A Blaze in the Northern Sky. Peaceville Rec. Dimmu Borgir (1997): „Mourning Palace“. Auf: Enthrone Darkness Triumphant. Nuclear Blast. Dunn, Sam/ McFayden, Scott (2006): Metal – A Headbanger’s Journey, Constantin Film. Emperor (1994): „I am the Black Wizards“. Auf: In the Nightside Eclipse. Candlelight Rec. Hellhammer (1984): „Aggressor“. Auf: Apocalyptic Raids. Noise Rec. Mayhem (1994): Freezing Moon. Auf: De Mysteriis Dom Sathanas. Deathlike Silence Prod. Mercyful Fate (1983): „Evil“. Auf: Melissa. Roadrunner Rec. Mgła (2015): „Exercises in Futility VI“. Auf: Exercises in Futility. Northern Heritage Rec. Motörhead (1980): „The Hammer“. Auf: Ace of Spades. Bronze Rec. Primordial (2007): „No Nation on this Earth“. Auf: To The Nameless Dead. Metal Blade. Satyricon (1996): „Mother North“. Auf: Nemesis Divina. Moonfog Prod. Sodom (1985): „Blasphemer“. Auf: In The Sign Of Evil. Devil‘s Game. Sodom (1986): „After the Deluge“, „Deathlike Silence“. Auf: Obsessed By Cruelty. Steamhammer. Taake (2014): „Gamle Norig“. Auf: Stridens Hus. Dark Essence Rec. Venom (1982): „Black Metal“. Auf: Black Metal. Neat Rec.

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Reflexionen zur Analyse von S at yricons „Mother North“ Ralf von Appen Vorab: Mit Black Metal bin ich nicht vertraut. Als Jugendlicher habe ich in den 1980er und 90er Jahren neben ganz anderem AC/DC, Metallica, Guns N’Roses, Helloween und Kreator gehört; Black Metal bin ich allenfalls durch Bilder von Corpsepaint in Bravo, Musikexpress (beides sehr unwahrscheinlich) oder später dem Metal Hammer begegnet. Den Heften lagen damals keine CDs bei, im Radio oder TV wurde nur Chartplatziertes gespielt. Ich hatte in der norddeutschen Provinz keinen Kontakt mit Extreme Metal. Viel später, als ich an der Justus-Liebig-Universität Gießen ein Seminar über Heavy Metal angeboten habe, habe ich mich auch über Black Metal informiert. Im Mittelpunkt standen dabei die Skandalgeschichten um Morde und Kirchenbrände in Norwegen, musikästhetisch interessant erschien mir am Black Metal vor allem die Abgrenzung von der Komplexität und Virtuosität anderer Metal-Spielarten sowie die bewusste Entscheidung für ein Lo-Fi-Klangbild. Black Metal verfolgte offenbar Punk-Strategien, um sich von einer Musik abzugrenzen, die selbst aus einer sich Independent- und Punk-Werten verbunden fühlenden Szene hervorgegangen, nun aber offenbar so „mainstream“ war, dass sich der Abgrenzungs-Zirkel wiederholte. Auf interessante Weise widersprüchlich und provokativ erschien mir in diesem Zusammenhang der Einsatz von Synthesizern, die ja vom frühen Punk und in weiten Teilen des Metal gemieden wurden, da sie mit Art Rock oder Pop assoziiert wurden und man sie für „inauthentisch“ hielt. Insgesamt hat mich jedoch das wenige, was ich an Black Metal kennengelernt habe, abgestoßen: Der Sound, der Gesang und die Lebenswelt, die aus dieser Musik sprach, erschienen mir nicht attraktiv und lieferten nichts, womit ich mich identifizieren konnte oder wollte.

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Ralf von Appen

Auch wenn ich Satyricons „Mother North“ nun 20 Jahre nach dem Erscheinen zum ersten Mal höre, hat das Stück nichts mit meiner Lebenswelt zu tun. Während ich mich früher vielleicht herausgefordert gefühlt hätte, Stellung zu dem Stück zu beziehen, höre ich es heute aufgrund der großen zeitlichen Distanz weitgehend neutral. Ich gehöre nicht zur Zielgruppe, weder zur positiven, die angesprochen werden soll, noch zur negativen, die man provozieren und von der man sich abgrenzen will. Weitgehend emotionslos untersuche ich das Stück, weil ich darum gebeten worden bin; ähnlich vielleicht, wie ein Pathologe einen Leichnam seziert (um in der Bilderwelt des Genres zu bleiben).

R ahmungen Im Rahmen des Studientags „Black Metal“ an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, aus dem dieser Sammelband hervorgegangen ist, habe ich an einem circa zweistündigen Workshop teilgenommen, in dem die etwa 15 Teilnehmer*innen zunächst über „Mother North“1, dann über „Fuel For Hatred“2 von Satyricon sprachen. Zur Vorbereitung hatte ich mir beide Stücke einige Male angehört, meine Eindrücke notiert, einige Passagen transkribiert und Folien mit Visualisierungen des formalen Ablaufs erstellt. Zu Beginn des Workshops wurde der (unzensierte) Videoclip zu „Mother North“ via YouTube abgespielt, woraufhin die Anwesenden ihre Eindrücke kurz schriftlich skizzieren sollten. In meiner Arbeit als Musikwissenschaftler vermeide ich es grundsätzlich, mich einem Song über den Videoclip zu nähern. Der Clip ist ein eigenständiges Werk eines Regisseurs und in sich bereits eine Interpretation des musikalischen Produktes. Damit gibt er eine bestimmte Deutungsrichtung vor und schränkt die Offenheit des Musikalischen erheblich ein. Auch Studierenden empfehle ich, Videoclips, wenn überhaupt, dann erst spät in die Analyse einzubeziehen, um der Musik unvoreingenommener und mit größerer Bewusstheit für den eigenen subjektiven Zugang begegnen zu können. Nun wurde zur Einstimmung aber der Videoclip abgespielt, was zum einen womöglich den heutigen Medienkonsum-Gewohnheiten entspricht 1 | Satyricon 1996. 2 | Satyricon 2002.

Reflexionen zur Analyse von Satyricons „Mother Nor th“

(nicht den damaligen) und zum anderen einen ganzheitlicheren Blick auf die Black Metal-Kultur ermöglichte. Aus Perspektive des Musikwissenschaftlers waren die Folgen aber die erwarteten: Das anschließende Gespräch drehte sich ausschließlich um die visuelle Ebene, die Musik wurde ausgeblendet. In der Diskussion wurde vor allem versucht, das Verhältnis von Videoclip und Songtext auszudeuten: Wer ist das nackte Mädchen im Video? Wer ist „Mother North“? Wie verläuft die Narration in Text und Clip? Wie sind zeitliche Brüche in eine befriedigende Deutung einzuholen? Dabei wurden keinerlei Zweifel daran geäußert, dass eine verklausulierte Aussage zu dechiffrieren sei. Clip und Text wurden als Verstehensprovokation aufgefasst; ohne dies zu benennen, sahen die meisten Wortbeiträger*innen das Objekt der Analyse als ein Kunstwerk, das nun irgendwie befriedigend zu deuten sei. Andere Hörweisen – etwa eher körper- oder lustorientierte (z.B. „geht voll ab“, „geiler Sound“, Aspekte der „Härte“ oder des Rauschhaften) – wurden nicht thematisiert, ebenso erwog niemand öffentlich die Option, dass Text und Clip semantisch nichts miteinander zu tun haben könnten oder dass es sich bei den Bandmitgliedern von Satyricon 1996 um junge Amateure gehandelt haben könnte, die eine Kunst-Bedeutungsschwangerschaft nachahmten, eigentlich aber nur einen ersten Videoclip produzieren wollten, der der Werbung und Imagebildung diente und in dem eine nackte Frau vorkommt. Während ich sonst dafür argumentiere, dass jede Art von Musik auch im Modus der Kunstwahrnehmung gehört werden kann3, überraschte mich hier, dass dieser Kunstmodus unhinterfragt als selbstverständlich vorausgesetzt wurde und andere Rezeptionsformen gar nicht zur Sprache kamen. Diese kunstorientierte Hörweise, die auch in der abendlichen Ergebnispräsentation der anderen beiden Workshop-Gruppen deutlich wurde, ist gewiss zum Teil dem Rahmen des Anlasses geschuldet: Ein Studientag mit akademischen Vorträgen und abschließendem Konzert im „JosephHaydn-Saal“ der renommierten Universität für Musik und darstellende Kunst Wien bedeutet offensichtlich eine Würdigung und Legitimation des Genres, die nicht-akademische Teilnehmer*innen bestimmt einschüchtert und ihnen eine bildungsbürgerliche Perspektive sehr nahe legt. Dazu passt, dass kaum Werturteile geäußert wurden, was ebenfalls mit der Situation zusammenhängt: Einerseits will man sich in einem sol3 | Vgl. Appen 2007, Kap. III.3, S. 259–299 sowie Appen 2018.

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Ralf von Appen

chen Rahmen vielleicht optisch, nicht aber intellektuell „bloß“ als Fan zu erkennen geben, weil dies dem akademisch-distanzierten Anspruch zu schaden scheint; andererseits äußert man in dem geschilderten Setting keine deutliche Kritik, denn damit begibt man sich in die Gefahr, vor ausgewiesenen Kennern des Genres (von denen einige am Vormittag ja Vorträge gehalten hatten) als Banause dazustehen. Wenn diese Beispiele als repräsentativ für Black Metal ausgewählt worden waren, dann sicher mit gutem Grund: dann muss ja etwas „dran“ sein. Den Ergebnissen Sarah Chakers zufolge ist eine solche Haltung aber auch unabhängig von solch einem akademischen Rahmen in der Black Metal-Szene verbreitet. Ihre empirische Studie kommt zu dem Ergebnis, dass Anhänger*innen dieser Musik sie oft ganz bewusst und konzentriert statt nebenbei hören4 und die Musik sie zu einer „geistigen Auseinandersetzung“5 anregt, während Headbangen und Tanzen eine deutlich geringere Rolle spielen als beispielsweise im Death Metal6. Etwa ein Viertel der Black Metal-Anhänger*innen hört demzufolge auch gerne „Klassik“7, ihre schulische Qualifizierung sei überdurchschnittlich hoch8 und ihre Mehrheit entstamme der „bürgerlichen Mittelschicht“9. Während des Workshops dominierte also eine unausgesprochene Kunst-Perspektive, wobei das künstlerisch Relevante paradoxerweise im Zusammenspiel von Lyrics und Videoclip gesucht und die Musik nicht angesprochen wurde (zumindest erinnere ich mich nicht an entsprechende Wortmeldungen). Wiederum stellt sich die Frage, inwiefern der Rahmen dafür verantwortlich war. Zum einen mögen die Teilnehmer*innen sich nach den professionellen Vorträgen vom Vormittag eingeschüchtert gefühlt haben und wollten als „Laien“ nichts Unqualifiziertes sagen. Um dem entgegenzuwirken, wurde von der Moderatorin ganz niederschwellig nach ersten Eindrücken und persönlichen Assoziationen gefragt. Aber 4 | Vgl. Chaker 2014, S. 366f. 5 | Vgl. ebd., S. 367. 6 | Vgl. ebd., S. 357f. 7 | Vgl. ebd., S. 363. S at yricon selbst suchen die Nähe zur „Kunstmusik“: Der Videoclip zu „Mother North“ beginnt mit dem „Tanz der Ritter“ aus Prokofjews Ballett Romeo und Julia. S at yricon haben ihren Song später auch zusammen mit dem Chor der Osloer Oper aufgeführt, s. Satyricon 2015. 8 | Vgl. Chaker 2014, S. 248f. 9 | Vgl. ebd., S. 255f.

Reflexionen zur Analyse von Satyricons „Mother Nor th“

auch unabhängig von der Situation schien es größere Berührungsängste gegenüber musikalischer Analyse, ja sogar der elementaren verbalen Beschreibung des Gehörten und der subjektiven Höreindrücke zu geben. Oft wurde mit „Ich bin ja kein Musikwissenschaftler“ gleich jegliche Bezugnahme auf Musikalisch-Ästhetisches abgeblockt. Möglicherweise zeigen sich hier die Konsequenzen eines Kunstwerk-orientierten Musik­ unterrichts, der allen nicht am klassischen Instrument vorgebildeten Schülerinnen und Schülern suggeriert, dass sie inkompetent seien, über Musik zu sprechen, wenn sie keine Noten lesen könnten, und der es nicht vermag, auch „Laien“ die Kompetenz zu vermitteln, das eigene ästhetische Erleben in Worte zu fassen. Dabei ist es sehr zu bedauern, wenn offensichtliche Fans, Konzertbesucher*innen etc., in deren Freizeit Black Metal offenbar eine große Rolle spielt, sich genötigt fühlen, ihre Sätze mit „Ich verstehe ja nichts von Musik...“ einzuleiten. Auch ein Musikjournalismus (vom Fanmagazin bis zum Feuilleton), der es streng vermeidet, konkrete musikalische Phänomene zu benennen und auch nur ansatzweise Fachterminologie bzw. Musikerjargon zu verwenden, mag für diesen Graben zwischen Musikwissenschaft und Hörer*innenperspektive verantwortlich sein. Diese Beobachtungen sollen keineswegs als persönliche Kritik an den Workshop-Teilnehmer*innen verstanden werden. Zum einen zeigt sich in deren Verhalten musiksoziologisch Tieferliegendes, zum anderen regt es auch die Reflexion über die eigene Rolle und gesellschaftliche Relevanz als Musikwissenschaftler an. Für wen arbeitet man, wenn es quasi keine gemeinsame Sprache und vielleicht auch keine geteilten Erkenntnisinteressen mit denen gibt, die diese Musik gerne hören, denen sie etwas bedeutet? Welche Ziele soll die musikwissenschaftliche Analyse verfolgen? Wen versucht sie zu erreichen, wie kann sie für Fans relevant werden?10 Müssen wir uns den Vorwurf machen, dass unsere Analysen nicht das Eigentliche, das Ästhetisch-Relevante treffen und somit am Ziel vorbeigehen? Die Ziele der musikwissenschaftlichen Analyse bestehen meiner Ansicht nach zunächst darin, mithilfe von entsprechenden Methoden und einer widerspruchsfreien, historisch sensiblen Terminologie verbindlich abgesicherte Aussagen über das Klanggeschehen – gleich welcher Musikrichtung – zu treffen. Analysemethoden liefern das Werkzeug, um 10 | Siehe zu diesen Fragen auch Helms 2002 und Wicke 2002.

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Ralf von Appen

verschiedene Stücke oder Musikrichtungen miteinander vergleichen sowie historische Einflüsse und Entwicklungen benennen und belegen zu können. Dieser objektivierende Zugriff auf etwas notwendigerweise subjektiv Geprägtes setzt ein hohes Maß an Selbstwahrnehmung und -reflexion sowie eine ausgeprägte Sensibilität im Umgang mit den Hörweisen anderer voraus, die erlernt werden müssen. Analyse soll nicht dazu dienen, Werturteile mit vermeintlich wissenschaftlicher Legitimation durchzusetzen, sondern sie kann helfen zu verstehen, warum und nach welchen Kriterien ich Musik persönlich bewerte und warum andere Hörer*innen sie ganz anders beurteilen. Analyse kann Gründe für eigene und fremde Wirkungen von und Reaktionen auf Musik benennen. Damit sehe ich solche Kompetenzen als wünschenswert für jede/n an, die/der gern Musik hört – nicht als selbstzweckhafte Beschäftigung von Nerds im Elfenbeinturm. Um Analysemethoden weiterzuentwickeln und – u.a. über die Lehramtsausbildung – zu vermitteln, braucht man universitäre Forschung und Lehre auf diesem Gebiet. Diese noch enger an das Hören der Fans rückzukoppeln ist offensichtlich eine Herausforderung, der in der jungen Geschichte popmusikalischer Analyse (insbesondere in der US-amerikanischen Musiktheorie) zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden ist. Auch muss beständig kritisch hinterfragt werden, welche Wertungsmaßstäbe, Ideologien und Musikbegriffe mit musikwissenschaftlichen Analysemethoden unbewusst „mitgekauft“ werden – nicht nur aus der traditionellen Kunstmusikwissenschaft, sondern auch aus Richtungen, deren Ideal einer widerständigen Rockmusik in den 1960er Jahren zu verorten ist. Dies ist der Rahmen, innerhalb dessen ich „Mother North“ bzw. meine und fremde Reaktionen auf das Stück zu verstehen versuche; und dies sind die Ideale, an denen Analysen sich orientieren sollten.

S at yricons „M other N orth “ Satyricons „Mother North“ legt es auf Überwältigung, Überforderung, Unübersichtlichkeit an. Viele Orientierungspunkte und Erwartungshaltungen, die wir – wenn wir nicht ausschließlich Extreme Metal hören – im alltäglichen Musikkonsum erworben haben, werden hier außer Kraft gesetzt.

Reflexionen zur Analyse von Satyricons „Mother Nor th“

Der Song basiert auf Gitarren-Riffs, durch deren Abfolge sich Formeinheiten ergeben. Aus der „Vogelperspektive“ lassen sich vier Großabschnitte ausmachen (vgl. Abb. 1): In Sektion I (bis 1:45) wechseln sich zunächst die Riffs A und B ab, das vom Charakter ähnliche Riff C beschließt die Sektion dann. Die Tempi wechseln von Riff zu Riff, sind aber durchweg sehr hoch. Alle drei Riffs bestehen aus in triolischen Achteln gespielten, nicht abgedämpften Single Notes, wobei konsequent auf jeder Viertel der Melodieton wechselt. Der durch Glockenschläge markierte Beginn von Sektion II (1:45-4:07) kontrastiert stark: Das Tempo wird deutlich reduziert, Akkorde werden über ganze Takte ausgehalten, statt der wechselnden Taktarten aus der ersten Sektion gibt es nur noch Viervierteltakte. Am Ende von Sektion II leitet eine Verdopplung des Tempos zu Sektion III über, die dann rein instrumental ist (4:07-5:36). Abgeschlossen wird der Track durch eine Rückkehr zu den Riffs A, B und C, die nun schneller gespielt und weniger häufig wiederholt werden (Sektion I‘, 5:36-6:26). Typisch für Black Metal der mittleren 1990er ist dabei der Verzicht auf Soli sowie auf gesangsbasierte Funktionen wie Verses, Choruses oder Bridges. Stattdessen setzt der Gesang meist unvermittelt ein, Textwiederholungen sind nicht zu erkennen. Durch die häufigen, nicht vorhersehbaren Tempo- und Taktwechsel entsteht eine hohe formale Komplexität, die für viele Hörer*innen sicher eine Überforderung darstellt, Insidern aber vermutlich ein befriedigendes Hörerlebnis mit hoher „Halbwertszeit“ ermöglicht: Man muss den Song schon sehr häufig hören, um sich an die Wechsel so zu gewöhnen, dass sie langweilen. Bei aller Komplexität fällt allerdings auf, dass die meist viertaktigen Riffs ziemlich häufig wiederholt werden und die Anzahl der jeweiligen Wiederholungen – wie in aller Popmusik – oft ein Vielfaches von 2 ist. Ungewöhnlich ist, dass fast jedes Riff ein eigenes Tempo hat, was live hohe Herausforderungen an die Musiker stellt. Möglicherweise wurde bei der Aufnahme nicht zu einer vorproduzierten Metronom-Spur gespielt, da sich die Tempi bei Wiederholungen leicht unterscheiden und auch Temposchwankungen innerhalb der einzelnen Riffs wahrnehmbar sind (etwa zwischen 2:05-2:11).

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Ralf von Appen

Satyricon: „Mother North“

I

time

bpm

0:00

186

0:30

170

0:47

185

0:54

II

tonal center

Vocals

E

E5 / B5 / C5 / A5

4 x (3 x 6/4 plus 5/4)

Riff B

A

|: a – d / a – G :| |: a – d / a – e7 :|

2 x (4 x 6/4)

Riff A

E

Riff B

A

2 x (3 x 6/4 plus 5/4)

169

1:18

166

Riff C

E

e–a /C–B

6 x (2 x 6/4)

1:45

118

Riff D

E

e / e/ e/ b / b

4 x (5x 4/4)

E

g# / g# / A / A / c# c# / a / a / e / e

2:26

Vocals

Vocals

2 x (4 x 6/4) 7

Riff D Chords

3:26

I‘

Riff A

Vocals Vocals

meter

1:01

3:06

III

(implied) chords

4 x (5x 4/4)

Chords

10 x 4/4 10 x 4/4

3:47

234

Chords

4:07

205

Riff E

B

B5 / B5 / F#5 / F#5

4 x (3 x 6/4 plus 8/4)

4:38

134

Riff F

B/A/ A/B

|: B5 / B5 / B5 / A#5 – C#5 – G5 – A#5 :| |: A5 / A5 / A5 / G#5 – F5 :|

8 x (4 x 4/4)

5:36

192

Riff A

E

2 x (3 x 6/4 plus 5/4)

5:51

189

Riff B

A

2 x (4 x 6/4)

6:06

196

Riff C

E

4 x (2 x 6/4)

Vocals

2 x (10 x 4/4)

Abb. 1: S at yricon (1996): „Mother North“ – formaler Aufbau.

Die Analyse des Tonmaterials zeigt, dass die Riffs und die harmonische Begleitung große Nähe zu Moll-Skalen aufweisen, dass die gewohnten pentatonischen oder diatonischen Skalen aber nie in Reinform auftreten, sondern durch Auslassung von Skalentönen oder durch chromatische Erweiterungen verfremdet werden. Metal-typische Tritoni und phrygische Sekunden kommen vor, sind aber nicht so dominant wie bei anderen Bands.

Reflexionen zur Analyse von Satyricons „Mother Nor th“

Wenn ich das harmonische Geschehen nun ausführlicher beschreibe, dann ist das keine selbstzweckhafte musiktheoretische Fingerübung, sondern soll helfen, Wirkungen und Assoziationen am Material zu erklären. Auch wenn ich damit Gefahr laufe, Leser*innen zu verlieren, erscheint es mir notwendig, um Höreindrücke zu objektivieren und kausal auf das Klanggeschehen zu beziehen.

Abb. 2: S at yricon (1996): „Mother North“ – Riff A, Gitarrenstimme.

Riff A (vgl. Abb. 2) lässt zunächst eine aeolische Skala in E erwarten (b3–2–1–5–b7), streut dann aber #6 und b2 sowie #3 ein. Der Synthesizer spielt dazu in ganzen Noten Powerchords über I / V / bVI / IV und der Bass in Achteln deren Grundtöne, sodass sich im Zusammenklang von Riff und Begleitung starke Dissonanzen ergeben (Takt 2: c und f über B5, in Takt 3 und 4 große Septimen über C5 und A5). In Riff B wechselt das tonale Zentrum zu A. Über die Akkordfolge i / iv / i / bVII nutzt das Riff einen Ausschnitt der aeolischen Skala (1, b3, 5, b6) und der Bass verwendet 2 und b3 als Durchgangsnoten, woraus sich keine Reibungen ergeben. Sehr geräuschhaft sind allerdings die hier erstmals einsetzenden genretypischen Vocals, die in sehr kleinem Ambitus dem Gestus des Riffs folgen. Der Synthesizer-Chor (s.u.) ergänzt dazu leitereigene Terzen. Die Tonfolge e–c–e in der letzten Hälfte des zweiten Taktes wird in Synthesizer und Bass zunächst zweimal mit G-Dur, anschließend mit e-Moll harmonisiert. Riff C, wieder in E, nutzt Harmonisch-Moll (ohne Sext) über die Akkordfolge i / iv / bVI / V. Zum ersten Mal ergibt sich mit diesem Halb-

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Ralf von Appen

schluss eine dominantische Funktion, nachdem Riff A und B plagal bzw. über die bVII kadenzierten. Die harmonische Begleitung von Riff D wechselt zwischen erster Stufe E (3 Takte) und fünfter Stufe B (2 Takte). Während über E in der Begleitung auch die Dur-Terz erklingt und B als Powerchord gespielt wird, nutzt die (im Synthesizer später tonal ausgeterzte) Melodie über beiden Akkorden die Moll-Terzen sowie über E die kleine Septime, über B dagegen den Dur-Leitton (#7):11 Es entstehen die aus dem Blues bekannten Reibungen, Metal-Hörer*innen werden sich vielleicht an die frühen Black Sabbath erinnert fühlen. Der recht leise gemischte, kaum rhythmisierte Sprechgesang verbleibt in diesem Part auf einer Tonhöhe. Im zweiten Teil von Sektion II folgt bei gleichem Tempo kein weiteres rhythmisch prägnantes Riff, sondern eine Folge von fünf Akkorden (g# / A / c# / a / e), die jeweils über zwei Takte in Vierteln angeschlagen werden und sich, ähnlich wie die Riffs, nicht um Regeln der Harmonielehre scheren. Nachdem zuvor über weite Strecken E als tonales Zentrum fungierte, stellt sich auch hier am ehesten bei Erreichen des e-Moll-Akkordes durch die plagale Wendung ein Gefühl von „Ankommen“ ein; einer e-Moll-Tonalität wirken allerdings die leiterfremden g#-Moll-, A-Dur- und c#-Moll-Akkorde deutlich entgegen. Es ergibt sich (auch durch die Zehntaktigkeit) ein sperriges Gebilde mit düster-melancholischem Charakter, in dem insbesondere der unerwartete a-Moll-Akkord eine starke Wirkung hat. In diesem ruhigeren Part wird der Bass auffälliger als an anderen Stellen, da er die Akkordgrundtöne mit Durchgangs- und chromatischen Nachbartönen verbindet bzw. umspielt. Der Gesang beschränkt sich dagegen weitgehend auf die Akkordgrundtöne g#–a–c#–a. Riff E greift wieder die triolische Struktur der Riffs, die unregelmäßige Metrik und das hohe Tempo aus Sektion I auf, nun allerdings mit dem tonalen Zentrum B. Wie in Riff D wird zwischen I. und V. Stufe gewechselt, B- und F#-Powerchords werden dabei im Riff mit kleiner Sept und kleiner Sext umspielt, Terzen kommen nicht vor. Ab der ersten Wiederholung wird es von einer zweiten Gitarre eine Quarte höher real gedoppelt, sodass die 1–5–b6–b7-Skala um 4, b9 und b10 ergänzt wird. Solche streng parallel geführten Gitarrenstimmen in hohem Tempo kennt man aus dem Hard Rock der 1970er Jahre oder von Bands der NWoBHM 11 | In der Tabelle wird der Übersichtlichkeit halber nur der Moll-Akkord angegeben, zumal der Moll-Eindruck der Melodik für mich überwiegt.

Reflexionen zur Analyse von Satyricons „Mother Nor th“

(insbesondere Iron Maiden), bei denen allerdings meist in Terzen oder Sexten harmonisiert wird. Die Quart-Parallelen haben einen eigenen, weniger gefälligen Charakter. Das Powerchord-Riff F hat mit seinem reduzierten Tempo, den schweren Akzenten und den Powerchord-Glissandi dagegen wieder eher Black Sabbath-Charakter. Auffällig sind der Sprung von der bVI. zur #VII. Stufe sowie der Bass, der konsequent Unterquinten zu den Powerchords spielt. Insgesamt ist das harmonisch-melodische Geschehen abwechslungsreich und dabei nie konventionell. Jeder Formteil bietet auf harmonisch-melodischer Ebene etwas Eigenes. Durch den vollständigen Verzicht auf gewohnte Skalen und Akkordfortschreitungen entsteht ein ganz eigenes Klangbild, das für „Outsider“ gewöhnungsbedürftig ist, bei wiederholtem Hören aber durchaus an Reiz und einer eigenen spröden Schönheit gewinnt. Bei der Analyse der Rhythmik fällt zunächst die ungewöhnliche Metrik auf: Riff A erscheint für mich anhand der stärksten Akzente und der Akkordwechsel in drei Einheiten von sechs Vierteln sowie einen Fünfvierteltakt gegliedert. Eine Binnenakzentuierung findet hingegen kaum statt. Die Gitarren mögen noch der 3+3-Betonungsordnung eines Sechsvierteltakts folgen – genau ist das bei den extrem schnellen Triolen, die sie spielen, nicht auszumachen –, im Blastbeat des Schlagzeugs erscheinen jedoch alle Achtel auf der Snare und alle Sechzehntel in der Bass Drum gleich stark betont. Mit fünf- und zehntaktigen Einheiten sowie Wechseln zwischen binären und ternären Takten bleibt die zeitliche Gliederung auch im weiteren Verlauf voller Überraschungen. Die Komplexität wird noch dadurch gesteigert, dass die Metrik oft mehrdeutig ist. Die in Abb. 1 angegebenen Tempi beziehen sich auf einen mittleren Viertel-Puls, die Snare-Schläge des Schlagzeugs lassen aber oft alternative Zählweisen zu: Riff B und C stehen klar in Tripeltakten, dabei wird die Snare nur auf jeden vierten Puls geschlagen, sodass ein half-time-Feel entsteht, während die Bass Drum weiterhin Sechzehntel und die Gitarre Achteltriolen spielt. Ebenso werden im Dupeltakt von Riff D die Snare-Akzente half-time gespielt, während die Bass Drum durchgehend in Sechzehnteln getreten wird. Beim Übergang zur Akkord-Progression (3:06) fallen die schnellen Pulse der Bass Drum weg, so dass der Part im sehr langsamen Tempo von

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59 bpm gezählt werden könnte, wofür auch die Akkordwechsel sprechen. Das Ride-Becken und die Gitarrenanschläge behalten jedoch den doppelt so schnellen Puls aus dem vorangegangenen Riff bei. Bei 3:47 vervierfacht die Snare ihre Impulsdichte, spielt also meiner Tempoangabe nach erneut in Achteln. Riff E ist wieder in Einheiten zu sechs Vierteln organisiert, anders als in Riff A verhindert der Backbeat der Snare nun aber, eine Dreier-Binnengliederung zu hören. Erst in Riff F wird auf die hohe Impulsdichte in der Bass Drum verzichtet, sodass ein schwerer Backbeat von 67 bpm gezählt werden könnte. Wegen der sehr akzentuierten Hi-Hat-Schläge und der höheren Pulsdichte in Gitarren und Bass kann man sich allerdings auch hier für das doppelt so schnelle Tempo entscheiden und die Drums in half-time hören. Auch die Metrik weist somit ein hohes Maß an Komplexität, Abwechslungsreichtum und Vielfalt auf, die Noviz*innen und Nebenbei-Hörer*innen vielleicht abschreckt, einem konzentrierten und auch wiederholten Hören aber viel zu bieten hat. Insgesamt erscheint das rhythmische Geschehen extrem durchgeplant und streng ausgeführt. Der Freiheit und Individualität der Musiker wird hier kein nennenswerter Wert beigemessen; Raum zur Improvisation besteht allenfalls bei den Fills und Beckenschlägen des Schlagzeugers. Entsprechend können die Musiker problemlos ausgetauscht werden, sofern sie die Anforderungen technisch beherrschen. Das Schlagzeugspiel zeugt zwar von großer Virtuosität, „Groove“ im Sinne mikrorhythmischer Feinabstimmung zwischen den Musikern erscheint bei den hohen Tempi aber nicht notwendig. Das Ensemblespiel lässt mich daher an militärischen Drill und Kontrolle denken, an rationale Planung und große Disziplin, woraus die Musik ihre Mächtigkeit und Kraft gewinnt. Der Sound der Gesamtproduktion wirkt brachial, wozu nicht nur das Dauerfeuer der Gitarren und die Blastbeasts der Drums beitragen, sondern auch produktionstechnische Entscheidungen. Es entsteht der Eindruck einer mächtigen, extrem dichten und sehr breiten „Wall of Sound“ ohne jegliche Lücke. Bass Drum, Snare, Bass und Gesang sind im Stereobild exakt mittig gemischt, die einzelnen Toms und Becken wurden nach rechts oder links versetzt. Backing Vocals („Sometimes in the dead of night...“) und E-Gitarren-Stimmen wurden (mehrfach) gedoppelt und wie auch der Synthesizer gleichzeitig an den Seiten des virtuellen Raumes platziert, wodurch der Eindruck von Dichte und Breite entsteht.

Reflexionen zur Analyse von Satyricons „Mother Nor th“

Eine Folge dieser Abmischung ist, dass nichts hervorsticht und einzelne Stimmen nur mit Mühe präzise verfolgt werden können, da sie keinen klar definierten Raum im Mix haben. Dazu trägt auch bei, dass sich nicht um eine Tiefenstaffelung der Stimmen im Raum bemüht wurde, sodass dem Hörer/der Hörerin alle Klangereignisse wie in einer breiten Front entgegentreten. Falls Hall eingesetzt wurde, dann nur, um den Eindruck der undurchdringbaren Dichte noch zu verstärken. „Macht“ und „Kraft“ werden hier also nicht durch starke Betonung der Bässe erreicht, sondern durch die Dichte eines eher mitten- und höhenlastigen Mixes. Auch der Gesang sticht nicht heraus, eher entsteht durch vergleichsweise leise Abmischung der Eindruck, der Sänger müsse sehr laut schreien, um sich gegen die Wand aus Drums, Gitarren und Bass durchzusetzen. Nur im nicht-geschrienen „Sometimes...“-Teil (3:26) sind scharfe, höhenreiche S-Laute zu hören, als stünde der Sänger nun näher an den Hörer*innen. Der Sound der Gitarren ist stark verzerrt und komprimiert, also fast ohne dynamische Nuancen. Die einzelnen Anschläge der Gitarre sind durch sehr geringe Attack-Einstellungen des Kompressors kaum auszumachen, was zum Gesamteindruck von „Dichte statt Präzision“ beiträgt. Bassfrequenzen wurden herausgefiltert, Mitten und Höhen dagegen betont, allerdings nicht in einem Maße, dass die Gitarren schrill oder sägend klängen. Das Drumset hat einen trockenen Sound mit „flachen“ Snare- und Tom-Klängen sowie einer sehr perkussiven Bass Drum. Die Klänge der Becken wurden auf ein schmales Frequenzband reduziert; wie die anderen Stimmen haben sie keinen Raumklang. Der Tiefenbereich des Gesamtbildes wird durch den E-Bass abgedeckt, bei dem im Gegenzug die Höhen entfernt worden sind. Die einzelnen Anschläge sind damit auch im Bass kaum zu hören, was wiederum den Eindruck von Dichte unterstützt. In vielen Passagen verschmilzt er mit den Gitarren- und Synthesizer-Stimmen, da er Akkordgrundtöne spielt. Im starken Kontrast zum Tremolo-Picking der Gitarren steuert der Synthesizer sehr flächige, atmosphärische Klänge ohne jegliches Attack in langen Notenwerten bei. Er macht das Klangbild insgesamt weicher und sorgt für den Eindruck des Verschmolzenen, Lückenlosen. Zu Riff B imitiert sein Klang den eines homophonen Männerchores. Der weiche, sauber intonierte und damit „geschult“ und diszipliniert wirkende Klang der virtuellen Stimmen steht hier im Gegensatz zum sehr rauen, geräuschhaften Leadgesang. Auch wenn er anders gesetzt ist als mittelalterlicher Kirchengesang, erinnert er doch eher an sakrale Musik als an

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raue Wikingerstimmen. Tatsächlicher Backgroundgesang wird bei 3:26 („Chords“) eingesetzt, um die fast gesprochene Lead-Stimme im Hintergrund zu doppeln und zu bestärken. Ungeachtet der Lyrics können hier Assoziationen an das rituelle Sprechen etwa einer magischen Formel entstehen. Verglichen mit anderen Black Metal-Produktionen gilt „Mother North“ in der deutschsprachigen Wikipedia als „sauberer“ und „klarer“ produziert.12 In einem Interview beschreibt Sänger und Gitarrist Sigur „Satyr“ Wongraven den Sound: „Much harder, rougher, with more bass and more agressive mix“13. Dies trifft sicher im Vergleich mit Aufnahmen von Mayhem („Funeral Fog“, 1994)14, Emperor („Into The Infinity Of Thoughts“, 1995)15 oder Immortal („Battles In The North“, 1995)16 zu; die spätere Satyricon-Aufnahme „Fuel For Hatred“17 aus dem Jahr 2002 weist aber noch deutlich kräftigere tiefe Frequenzen in Gitarren, E-Bass und Bass Drum auf. Im direkten Vergleich hierzu klingt „Mother North“ schmal, dünn und leer. Im Songtext bringt ein lyrisches Ich bzw. Wir die Wut darüber zum Ausdruck, dass die Zukunft der „Mother North“ in großer Gefahr sei, sich aber niemand dagegen wehre („how can they sleep while their beds are burning“18). Zur Interpretation der zentralen Metapher „Mother North“ werden wenige Hinweise gegeben; die „dangers that threaten ourselves and our nature“ können wörtlich als Gefährdung des Ökosystems verstanden werden.19 Wer aber mit Interviews der Musiker und den üblichen Topics norwegischer Black-Metal-Texte vertraut ist, wird den befürchteten Verlust alter heidnischer Kultur und Tradition („Memories / The Invisible“; „pictures that enshrine your throne, gone“) durch Christianisierung als zentrales Thema identifizieren, ohne dass die Gefahr konkret benannt 12 | Vgl. Wikipedia – Mother North (o.J.). 13 | N. N. 1996/o.J. 14 | Mayhem 1994. 15 | Emperor 1995. 16 | Immortal 1995. 17 | Satyricon 2002. 18 | Der gesungene Text war mir weitgehend unverständlich, ich musste mich auf Transkriptionen, die im Internet zu finden sind, verlassen, vgl. etwa Genius (o.J.). 19 | Vgl. SongMeanings (o.J.).

Reflexionen zur Analyse von Satyricons „Mother Nor th“

würde. Dieses kontextuelle Wissen legt es auch nahe, den Protagonisten des Textes mit dem Performer zu identifizieren.20 Der Text endet mit einem Aufruf zum Kampf: „United we stand, together we walk [...] I’ll be there when you hunt them down“. Abgesehen von der 1. Person Singular bleiben alle Personalpronomen weitgehend unbestimmt. Weder wird geklärt, wer neben dem „Ich“ noch zum „Wir“ zählt, noch wird verständlich, welches „you“ im zitierten letzten Satz die Jagd eröffnet. (Und wer ist plötzlich „Phantom North“?) Problematischer für das Textverständnis ist allerdings die Identität des angeklagten „they“: Es scheint zunächst ahnungslose Mitbürger zu meinen – deren Herz mit dem von (Friedens-?) Tauben verglichen wird –, später jedoch nicht die Opfer, sondern die Aggressoren, die zur Strecke gebracht werden sollen. Der geschriene Text ist freilich kaum verständlich, bei einem beiläufigen Hören dürften nur genretypische Schlagwörter wie „horror“, „dead“, „soul“, „prophecies“ oder „blood“ hängenbleiben. Gemessen an der Länge des Songs wird vergleichsweise wenig Text gesungen, was sich etwas relativiert, wenn man bedenkt, dass es im Unterschied zu fast allen anderen Genres populärer Musik keine Textwiederholungen gibt. Auf Reime oder ähnliche die sinnliche Ebene des Textes betreffende Stilmittel wird vollständig verzichtet. Die in der Musik durch Wiederholung der einleitenden Riffs angelegte Bogenform wird allerdings auch im Text aufgegriffen. Mit dem Titel „Mother North“ bzw. „Phantom North“ beginnen die ersten und die letzten Zeilen des Textes. Text und Musik semantisch zueinander in Beziehung zu setzen, liegt nahe, führt aber kaum zu überraschenden Einsichten. Sicher kann man versuchen, die im Text angesprochene Wut zum hohen körperlichen Energieaufwand in Beziehung zu setzen, der notwendig ist, um die Musik so zu spielen wie sie auf der Aufnahme klingt. Dasselbe ließe sich aber 20 | Satyr: „We do have a Viking heritage. I myself feel a very strong relationship to that. We do have a very interesting history and culture which we could have learned a lot from. Due to Christianity we can’t because it rules the country. Christianity is against the laws of Nature. That’s why nothing works here. We’re not a political band, but you’ve got to have one goal at a time, because it would not be realistic to get rid of Christianity. I won’t live that long anyway. At least I’ve contributed to the War. Since we’re in a leading position with three or four other bands, we do have a lot of influence, but we don’t take violent action.“ (N.N. 1996/o.J.)

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über unzählige Metal- und Punk-Stücke sagen. Mit dem positiven Bezug auf eine alte nordische Tradition im Songtext lassen sich die ungewöhnlichen Skalen des Stückes nicht direkt verbinden: Norwegische Volksmusik verwendet nicht-temperierte Skalen, die auf E-Gitarren und Synthesizern nicht zu reproduzieren sind.21 Etwas weiter führt da schon der Befund, dass das vorliegende Stück (und Black Metal im Allgemeinen noch stärker als andere Metal- und Punk-Stile) einer Ästhetik der Verweigerung folgt: Nahezu alle Konventionen populären Geschmacks werden hier gebrochen, alle Schönheitsideale und Ordnungen negiert. Diese Musik demonstriert auf textlicher wie auf klanglicher Ebene Nicht-Einverstandensein und Opposition. Wenn Satyr sich im Krieg gegen das Christentum sieht (vgl. Fußnote 20), so liegt es nahe, die Musik auch in diesem Sinne zu deuten: Man kann in der Musik, insbesondere im rhythmischen Zusammenspiel, militärischen Drill, die Geringschätzung von Individualität, den Willen nach Perfektion, Disziplin und „virtuoser Kontrolle“22, nach Macht und Kraft hören. Wie eine breite, undurchdringliche Front stellt sich der Gesamtsound der Produktion dem Hörer/der Hörerin gegenüber. All dies sind zudem Werte und Codes, die gemeinhin mit einer bestimmten Form von Männlichkeit verbunden werden; einer Männlichkeit, die mich persönlich abstößt. Ein positiver Bezug auf „Weiblichkeit“ (wie auch immer der klingen könnte) ist nirgends zu entdecken, und das, obwohl es den Musikern doch um die Rettung der „Mother“ geht. Im Gegenteil: Im Videoclip wird, so zumindest meine Deutung, ästhetisiert dargestellt, wie ein nacktes, hilflos erscheinendes Mädchen kaltblütig rituell geopfert wird, ohne sich zu wehren. Sind das die zurückgesehnten heidnischen Bräuche, der Reich-

21 | Satyr behauptet allerdings: „we try to use elements both in the melody and the lyrics that have a relationship to the country we come from and our culture“ (N.N. 1996/o.J.). Ebenso glaubt er, Merkmale mittelalterlicher Musik einfließen zu lassen: „First of all, this mediaval [sic!] thing we’re [sic!] brought into the music, into Black Metal – no one did that before, so we’re quite proud of that.“ (Ebd.) Es ist nicht sicher, dass er sich in diesem Zitat konkret auf „Mother North“ bezieht. Direkte mittelalterliche Bezüge sind, abgesehen vom Klang des Synthesizer-Chors, für mich nicht nachvollziehbar. Ob Satyr bedacht hat, dass es die Musik christlicher Klöster ist, die unsere heutige Vorstellung von mittelalterlicher Musik prägt? 22 | Elflein 2010, S. 306.

Reflexionen zur Analyse von Satyricons „Mother Nor th“

tum nordischer Traditionen? All dies kann man in „Mother North“ hören – muss man aber nicht. Mein Hören hat sich im Prozess des Analysierens verändert. Lyrics, Gesang und Sound stoßen mich weiterhin ab. Bei unzähligen Hördurchgängen im Dienst der musikalischen Analyse blendet man Kontext und Songtext aber unausweichlich aus – und dann entsteht Respekt für die musikalische Eigenständigkeit, Kreativität, Vielfalt und Virtuosität der Musiker. Wenn es der Song auch nicht auf einen Ohrwurmcharakter anlegt, so spielten sich in den Wochen der Arbeit an diesem Text doch immer wieder bestimmte Stellen des Songs in meinem Kopf ab – etwa der unerwartet auf g# beginnende Chords-Part (ab 3:06) mit seinem rhythmisch prägnanten Gesang, das Haupt-Riff A, das in Quarten harmonisierte Riff E oder das Black Sabbath-Riff F. Die Musik wurde semantisch befreit; ihre prinzipielle Offenheit, ihr ästhetischer Reiz entzieht sich der vollständigen Kontrolle ihrer Schöpfer und kann, entsprechend re- oder dekontextualisiert, ein Eigenleben jenseits ursprünglicher Intentionen und naheliegender Zuschreibungen führen. Auf diese Art hören offenbar selbst viele Black Metal-Fans ihre Musik: Viele verbringen einsam und gemeinsam Stunden damit, die einzelnen Instrumente ähnlich virtuos nachspielen zu können, dabei werden Gesang und Text komplett ignoriert.23 Für sie schafft die Musik etwas Positives, wofür sich einzusetzen und zu engagieren sich lohnt. Und auch wenn in Chakers Studie 55% der Befragten angeben, die Aggressivität zu mögen, die diese Musik ausstrahlt, und 64% die Musik schätzen, weil von ihr „viel Energie und Kraft ausgeht“ 24, heißt das offensichtlich nicht, dass sie diese Energie wie von Satyr gewünscht in einen Krieg gegen das Christentum kanalisieren. Dafür ist Musik ein zu vages Kommunikationsmedium.25

23 | Auf YouTube finden sich diesbezüglich etliche Beispiele, vgl. etwa die instrumentalen Cover von Andrea G. (2017/o.J.) und Lykanthrop616 (2016/o.J.). 24 | Chaker 2014, S. 357. 25 | Vgl. Helms 2016/o.J.

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Q uellenverzeichnis Gedruckte Literatur Appen, Ralf von (2007): Der Wert der Musik. Zur Ästhetik des Populären (= texte zur populären musik Bd. 4). Bielefeld: transcript. Appen, Ralf von (2018): „Pop mit Wellmer als Kunst hören. ‚Spiele um Bedeutung‘ und ‚bedeutsame Gehalte‘ in Coldplays ‚Clocks‘“. In: Urbanek, Nikolaus/ Wald-Fuhrmann, Melanie (Hg.): Von der Autonomie des Klangs zu den Heteronomien der Musik? Musikwissenschaft und Musikphilosophie (im Erscheinen). Chaker, Sarah (2014): Schwarzmetall und Todesblei. Über den Umgang mit Musik in den Black- und Death Metal-Szenen Deutschlands. Berlin: Archiv der Jugendkulturen. Elflein, Dietmar (2010): Schwermetallanalysen. Die musikalische Sprache des Heavy Metal (= texte zur populären musik Bd. 6). Bielefeld: transcript. Helms, Dietrich (2002): „Musikwissenschaftliche Analyse populärer Musik?“ In: Rösing, Helmut/ Schneider, Albrecht/ Pfleiderer, Martin (Hg.): Musikwissenschaft und populäre Musik. Versuch einer Bestandsaufnahme (= Hamburger Jahrbuch für Musikwissenschaft Bd. 19). Frankfurt a. M. u.a.: Peter Lang, S. 91–103. Wicke, Peter (2002): „Popmusik in der Theorie. Aspekte einer problematischen Beziehung.“ In: Rösing, Helmut/ Schneider, Albrecht/ Pfleiderer, Martin (Hg.): Musikwissenschaft und populäre Musik. Versuch einer Bestandsaufnahme (= Hamburger Jahrbuch für Musikwissenschaft Bd. 19). Frankfurt a. M. u.a.: Peter Lang, S. 61–73.

Online-Quellen G., Andrea (2017/o.J.): https://www.youtube.com/watch?v=r-Ld8ieMWmc (Abfrage: 4.6.2017). Genius (o.J.): „Satyricon – ‚Mother North‘“ (Songtext). https://genius.com/ Satyricon-mother-north-lyrics (Abfrage: 4.6.2017). Helms, Dietrich (2016): „Jitterbugs with Attitudes. An Essay on the Problematic Relationship between Popular Music and Politics“. In: Samples 14, http://www.gfpm-samples.de/Samples14/helms.pdf (Abfrage: 4.6.2017).

Reflexionen zur Analyse von Satyricons „Mother Nor th“

Lykanthrop616 (2016/o.J.): https://www.youtube.com/watch?v=jwSL3E4 HpgI (Abfrage: 4.6.2017). N.N. (1996). „Satyricon – Dark Carnival (Terrorizer Issue 29)“ [Interview mit Sigurd „Satyr“ Wongraven], http://members.tripod.com/~black_ metal/satyricon/ndint.html (Abfrage: 4.6.2017). SongMeanings (o.J.): http://songmeanings.com/songs/view/35308221078 58479596­/?&specific_com=73015284238#comments (Abfrage: 4.6.2017). Wikipedia – Mother North (o.J.): https://de.wikipedia.org/wiki/Mother_ North (Abfrage: 4.6.2017).

Disko-/Videographie Mayhem (1994): „Funeral Fog“. Auf: De Mysteriis Dom Sathanas. Deathlike Silence Prod. Emperor (1995): „Into The Infinity Of Thoughts“. Auf: In The Nightside Eclipse. Candlelight Rec. Immortal (1995): „Battles In The North“. Auf: Battles In The North. Osmose Prod. Satyricon (1996): „Mother North“ (Video). Moonfog Prod. Satyricon (1996): „Mother North“. Auf: Nemesis Divina. Moonfog Prod. Satyricon (2002): „Fuel for Hatred“. Auf: Volcano. Moonfog Prod. Satyricon (2015): Live at the Opera. Napalm Rec.

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Autorinnen und Autoren Appen, Ralf von, Dr., ist Musikwissenschaftler an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Sein Schwerpunkt ist die Analyse, Geschichte und Ästhetik populärer Musik. Von Appen ist seit 2008 im Vorstand der Gesellschaft für Popularmusikforschung (GfPM) in Deutschland. Er ist Mitherausgeber der Bände Song Interpretation in 21st-Century Pop Music (Ashgate, 2015) sowie Populäre Musik. Geschichte – Kontexte – Forschungsperspektiven (Laaber, 2014). Chaker, Sarah, Dr.in, studierte Musik in den Massenmedien/Germanistik an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg und promovierte ebendort im Fach Musik zum Thema Black- und Death Metal (publiziert unter dem Titel Schwarzmetall und Todesblei. Über den Umgang mit Musik in den Black- und Death Metal Szenen Deutschlands. Archiv der Jugendkulturen e.V., 2014). Derzeit arbeitet sie als Senior Scientist am Institut für Musiksoziologie der mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Ihre derzeitigen Forschungsinteressen sind: Populäre Musiken/Metal Studies, Musikalische Analyse als soziale Praxis, Wandel des Musiklebens, Geschichte, Theorien und Methoden der Musiksoziologie, Straßenmusik. Elflein, Dietmar, Dr., lehrt populäre Musik und systematische Musikwissenschaft am Institut für Musik und ihre Vermittlung der TU Braunschweig sowie der HdpK Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte liegen neben Heavy Metal in der Geschichte populärer Musik im deutschsprachigen Raum, populäre Musik und Netzwerktheorie sowie der Analyse populärer Musik. Grünwald, Jan G., Dr., arbeitet als Lehrer für Kunst und Englisch am Leibnizgymnasium in Offenbach am Main. Vorher Vertretung der Professur für Didaktik am Institut für Kunstpädagogik der Justus-Liebig-Universi-

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tät Gießen (2013/14) und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Neue Medien am Institut für Kunstpädagogik der Goethe Universität Frankfurt (2005-2013). Seine Arbeitsschwerpunkte sind Medienästhetik, Bildkulturen, Räume, kritische Kunstvermittlung, kritische Kunstvermittlung und Gender Studies. Er ist Autor von Male Spaces – Bildinszenierungen archaischer  Männlicheiten im Black Metal (Campus, 2012) sowie Co-Autor von Flickernde Jugend – Rauschende Bilder. Netzkulturen im Web 2.0 (Campus, 2010). Ein Buch zur Mobilität von Bildern ist im Entstehen begriffen. Heesch, Florian, Prof. Dr., ist Professor für Populäre Musik und Gender Studies an der Universität Siegen. Er studierte Schulmusik, Instrumentalpädagogik, Germanistik, Musikwissenschaft und Musikpädagogik in Hannover, Köln und Göteborg und promovierte an der Göteborger Universität über intermediale Bezüge zu skandinavischer Literatur in Opern des 20. Jahrhunderts. Als Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Lehrbeauftragter war er in Frankfurt, Köln und Düsseldorf tätig. Am Hannoveraner Forschungszentrum Musik und Gender (fmg) vertrat er eine Professur für Historische Musikwissenschaft. Forschungsschwerpunkte: Populäre Musik und Gender, Heavy Metal, Musik und Mythologie, Musik und Religion, Musik und Kultur Nordeuropas, Lernwelten populärer Musik. Publikationen (Auswahl): Mit Anna-Katharina Höpflinger (Hg.): Methoden der Heavy Metal-Forschung (Waxmann, 2014); mit Niall Scott (Hg.): Heavy Metal, Gender and Sexuality (Routledge, 2016); mit Barbara Hornberger (Hg.): Rohe Beats, harte Sounds. Populäre Musik und Aggression (Olms, 2016). Höpflinger, Anna-Katharina, Dr.in, hat Religionswissenschaft mit Schwerpunkt klassische Antike studiert und 2010 mit einer Arbeit über Drachenkampfmythen an der Universität Zürich promoviert. Seit 2016 ist sie Assistentin an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen Medien und Religion, Körper und Religion, Religionsgeschichte der Antike sowie europäische Religionsgeschichte, Sepulkralkultur, Heavy Metal und Religion. Kopanski, Reinhard, Mag., studierte Musik-, Medien- und Politikwissenschaft in Bonn. Magister-Abschluss 2012, danach Lehrbeauftragter in Bonn. Seit April 2014 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Populäre Musik und Gender Studies an der Universität Siegen. In

Autorinnen und Autoren

seiner Dissertation beschäftigt er sich momentan mit der Verwendung nationalsozialistischer Symbolik und Ästhetik durch Musiker_innen der ‚Schwarzen Szene‘. Freiberufliche Tätigkeit im Bereich Audioproduktionen. Aktuelle Publikationen: Heesch, Florian/ Kopanski, Reinhard (2016): „‚Gender-Bender‘: Sound und kulturelle Repräsentation einer Technologie zur Stimmen-Transformation“. In: PopScriptum Nr. 12 (2016) – Sound, Sex und Sexismus. Schriftenreihe, herausgegeben vom Forschungszentrum Populäre Musik der Humboldt-Universität zu Berlin; Kopanski, Reinhard/ Paal, Michael/ Heesch, Florian/ Hintz, Anna-Maria (2017): „Jugend, Musik und Politik (JuMP): Entwicklung und Pilotierung eines Fragebogeninstruments zu Musikerleben und politischem Interesse von Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe“. In: Samples, Jahrgang 15 (2017) – Online-Publikationen der Gesellschaft für Popularmusikforschung/German Society for Popular Music Studies e.V., herausgegeben von Ralf von Appen, André Doehring und Thomas Phleps. Schermann, Jakob, studiert Musikwissenschaft an der Universität Wien und war als Studienassistent am Institut für Musikwissenschaft und Interpretationsforschung an der mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien tätig. Neben den Metal Studies gilt sein Interesse besonders den Bereichen der Musikphilosophie und Musikästhetik sowie der populären und Neuen Musik. Urbanek, Nikolaus, Prof. Dr., ist Professor für Musikwissenschaft an der mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Seine derzeitigen Arbeits- und Forschungsschwerpunkte betreffen Fragen der Musikästhetik und Musikphilosophie, Grundlagen der Musikgeschichtsschreibung, sowie eine Theorie der musikalischen Schrift. Zahlreiche Vorträge und Aufsätze; Buchpublikationen in Auswahl: Auf der Suche nach einer zeitgemäßen Musikästhetik. Adornos „Philosophie der Musik“ und die Beethoven-Fragmente (transcript, 2010); gemeinsam mit Michele Calella (Hg.): Historische Musikwissenschaft. Grundlagen und Perspektiven (Metzler 2013); gemeinsam mit Michele Calella (Hg.): Musikhistoriographie(n) (Hollitzer, 2015). Walch, Florian, MA, ist Musikwissenschaftler, Musiktheoretiker und Graphikdesigner. Derzeit studiert er an der University of Chicago als Graduate Student. Er hat sein Studium der Musikwissenschaft an der Universität

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Analyzing Black Metal

Wien 2016 mit einer Arbeit über Black Metal abgeschlossen („What Never Was“: Listening to the Genesis of Norwegian Black Metal). Bisherige Studien- und Forschungsschwerpunkte sind Geschichte und gegenwärtige Praxis der Musiktheorie, insbesondere der nordamerikanischen Music Theory und der Lehre Heinrich Schenkers, neuere Musikgeschichte, radikale bürgerliche Philosophie, Marxismus und Kritische Theorie sowie die Kommunikation von Musik in Medien, die selbst nicht Musik sind, wie etwa graphische Analysen oder musikalische Typographie.

Musikwissenschaft Michael Rauhut

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